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Das Burathenter.

1.

Bis zum Jahre 1750 jind viele Punkte unflar und wider: ſpruchsvoll über die Stätte und über das Haus, welches unter dem Namen „Burgtheater“ eine jo große Rolle jpielen jollte in ver Geſchichte des deutichen Theaters.

Der verjtorbene Graf Mori Dietrichitein, zu wiederholten Malen und immer längere Zeit Chef dieſes Theaters, hat Alles geſammelt, was auf die Gejchichte des Burgtheaters eine Beziehung hatte, und hat mir Alles mitgetheilt. Aber auch aus feiner Mit- theilung wurde nicht Alles klar über die Benutzung und allmälige Erweiterung des jetzigen Hauſes.

Im Sahre 1740 jchreibt er war an vemjelbigen Orte noh ein Ballhaus. Ballhaus im damaligen Sinne, nicht im jetigen. Aus Sranfreich ftammte die Sitte, in gedecktem Raume Ball zu ſchlagen, und dadurch zu jeder Zeit eine jtarfe Yeibesübung haben zu fünnen.

Im Jahre 1756 fchreibt er weiter wurde das Theater gegen den Michaelsplatz um ſechs Yogen vorgerücdt durch ven Archi— teften Michel, von welchen ev nicht weiß, ob er ein Franzoſe oder ein Belgier gewefen.

Dan jieht jest immer noch am Plafond des Burgtheaters eiferne Klammern. Sie follen den Punkt bezeichnen, von welchen aus das Theater erweitert worden ift. Da die Erweiterung ſich auf Logen bezieht und gegen den Michaelsplag ftattgefunden hat,

1*

4 Das Burgtheater.

io jeheint daraus hervorzugeben, daß die Bühne damals auf der inneren Seite der Burg geweſen tft, nicht wie jett auf der Seite des Michaelsplates.

Im Jahre 1780 jchreibt er endlich iſt es (ohne Ver— größerung) zu einem Theater umgejtaltet worden mit acht Logen auf jeder Seite, die Kammerherrnloge in der Mitte und im Pro: jcenium zwei Yogen übereinander.

Theater aber war es doch ſchon lange. Soll damit nur eine Veränderung in der öffentlichen Benennung gemeint fein?

Fragen wir aljo eine zweite Quelle. Ein alter Schaufpieler, Dr. Weidmann, hat in der „Wiener Theaterzeitung‘ 1860 „Bei— träge zur Gejchichte des k. f. Hofburgtheaters‘ veröffentlicht, und da wird abweichend Folgendes berichtet:

„Im Jahre 1741 ward das heutige Hofburgtbeater nach einem von Weisforn entworfenen Plane mit Gutheifung des Hofes für die „„deutſchen Komödianten““ erbaut.‘ Dies ſei führt er fort einmal vom Director Sellier, und nochmals im Jahre 1751 vom Baron Yoprefti vergrößert worden. „Im Jahre 1760” ſchließt er ‚‚erbielt das Theater an ver Burg durch den Grafen Durazzo feine gegenwärtige äußere Gejtalt mit dem Fronten gegen ven Michaelsplatz.“

Wir jehen alſo: die Mythe hüllt die Entjtehung des Kunſt— tempels in ihre Wolfen, was ja bei wichtigen Gebäuden in der Ordnung tft.

Sp viel ijt indeß gewiß: die erjte äußerlihe Wiege des veut- iben Schaufpieles in Wien war das Burgtheater nicht. Diefe Wiege jtand auf dem Mehlmarkte und war eine Bretterbude. Dort wırden die deutſchen Hanswurſtſpiele aufgeführt, welche zu Anfange des achtzehnten Jahrhunderts das deutſche Theater bedeu— teten, und welche in Wien diefe Bedeutung ein halbes Jahrhundert fejtgehalten haben, ja noch länger.

Der Kampf gegen die Burlesfe begann allerdings ſchon in den

Das Burgtheater. 5

vierziger Sahren, aber diefer Kampf führte noch zu wiederholten Niederlagen des jogenannten regelmäßigen Schaufpiels und zu wiederholten Auferjtehungs-Triumphen der Burlesfe. Erſt zwiichen 1770 und 1780 jtellte jich der Begriff feit, welchen wir noch heu— tigen Tages mit dem Wort: „Burgtheater“ bezeichnen.

Die Theaterereignifje ſelbſt, welche dahin führten, verliefen in folgender Geitalt:

Für die Italiener hatte der Wiener Magiltrat ein Theater am Kärnthnerthore erbaut. Dies erhielten die deutfchen Komö— dianten zum Schauplate eines deutſchen Theaters, und 1708 jievelte Stranisfy mit feinen Collegen vom Mehlmarkte in dies Theater über. Das Kärnthnerthor-Theater war alfo das erſte jtehende deutſche Theater in Wien.

Bis zu feinem Tode 1725 jchwang hier der jehr be- gabte Stranitfy jeine Pritihe und beherrichte den Wiener Ge- ſchmack. Er forgte auch noch vor jeinem Tode für die Zufunft der Burlesfe: er jtellte dem Publicum feinen Nachfolger vor in ver Perſon Gottfried Prehaufer’s, der aus den „drei Yaufern” am Kohl- marft jtammte. Der junge Hanswurjt fniete nieder und bat vie Anweienden um Gotteswillen! fie möchten doch über ihn lachen! Die Anwejenvden thaten es, und die Zufunft der Burlesfe war ges jihert. Andreas Schröter trat ein als Großſprecher eine ſchon bei ven Römern erfcheinende Theaterfigur, Leinhaaß als Pan— talon, Maria Anna Nuthin als Colombine, und dem alfo innerlich wohlverjehenen Poſſentheater ward unter Boroſini und Sellier auf zwanzig Jahre das Privilegium des deutſchen Theaters verliehen, es ward alfo bis gegen die Mitte des achtzehnten Jahrhunderts das Poſſenſpiel fejt eingebürgert.

Dies gerade war der Zeitraum 1730—50, in welchem Deutichland die erjte große Anſtrengung machte, ein gebilvetes . Schaujpiel zu gewinnen, eine Anſtrengung, welche im Wejentlichen gelang. Der Anftoß zu dieſer Ichöpferiichen Reform ging von den

6 Das Burgtheater.

Mittelftaaten aus und von den Mittelſtädten. Wien und Berlin jpielten feine Rolle dabei. Berlin am wenigjten; es verhielt fich befonders trüg. Es befam eben 1740 jchon einen König, welcher ſich für die deutſche Literatur gar nicht intereffirte, und die ſchleſiſchen Kriege, welche er entzündete, nahmen es jo übel wie Wien in An— ſpruch. Kleine Fürften, wie die von Braunſchweig, von Mecklen— burg und bejonders von Holjtein nahmen jich zuerjt des Finvelfindes „deutſches Theater” an, und Städte wie Yeipzig, Gotha, Hamburg traten an die Spike der Reform. Jene kleinen Fürftenthümer, Gotha eingejchloffen, errichteten die erjten Hoftheater, und Yeipzig begann unter der Direction der Frau Neuberin principiell die Gründung eines gebildeten Schaufpiels. Die Namen ‚„Neuberin‘, „Eckhof“, „Leſſing“ bezeichnen vie Stufen der aufſtrebenden deut- . ihen Bühne.

Bom Jahre 1730 etwa datirt der Begriff des gebildeten deut— Ihen Theaters. Da blühte die Divection der Neuberin auf in Yeipzig unter ver Aegide Gottſcheds. 1757 wurde ver Hanswurſt ver— brannt. Man hat Gottichen mit Necht „gottſchädlich“ genannt, weil ev ein Pedant war und den Gott der Kunſt wirklich nicht kannte. - Aber der ftreng beginnenden Form war er fürderlid. Die Ent- widelungen geben jtufenweife, und die erſte nöthige Stufe war: eine enge, fnappe Form hinein zu bauen in die wüjte Wirthichaft des extemporirenden Banpenjpieles, welches berichte. Aber auch dies Bandenſpiel war ſchon dem deutſchen Theater in Wien voraus. Staatsactiones, engliihe Komödie, plumpe Poſſe bildeten das Re— pertoire. Jedes war ſchätzbar als fruchtbares Korn, und jedes tjt aucb ſpäter entwicelt worden: die Staatsaction zum bilterifchen Schauſpiele, vie engliihe Komödie zum bürgerlichen Schaufpiele und die Poſſe zum Yujtipiele. So wie dies Repertoire damals wucherte, war es Unkraut, welches jchonungslos gejätet werden mußte. Es war ungethimer Stoff; eine Form that noth, aud . wenn diefe Form zunächit verarmen follte,

Das Burgtheater. q

Dieje Grundaufgabe Löfte die Neuberin mit bewunderns— werther Energie. Sie ift die Mutter des deutihen Schaufpiels; viel mehr, als Gottſched Vater war. Sie beſaß den Injtinet der Schöpfung, welcder etwas ganz Anderes war und wurde, als der blos formaliftiihe Sinn Gottſched's ahnte. Sie war produtctiv und hatte ven Kern und Saft der bis dahin wüjten Komödie ganz und gar in ſich, während Gottſched davon Nichts beſaß. Er war vom Humor verlafjen, jie war reich daran. Sie erfand, fie extem- porirte jogar ebenfalls, wenn's augenbliclich nöthig war, kurz, fie war eine lebenswolle Natur und ein fünftleriicher Charafter. Daß fie dabei auch ein ftarfer bürgerlicher Charafter war, welcher Ord— nung hielt, welcher jtreng einen Strich jegelte, welcher Opfer brachte mit Bewußtſein und Tapferkeit, das war entjcheivend. Wlan rejpec- tirte das, und dies moraliiche Anfehen war dem verachteten Komö— diantenleben unſchätzbar. Das moraliſche Moment ſtützte das literariſche.

Sie konnte aber natürlich mit aller Kraft der Ausführung nur einen Anfang bereiten. Sie konnte nicht auch die Stücke ſchaffen, ſie mußte froh ſein, wenn ſie verſchafft wurden. Dieſe Verſchaffung geſchah mit Hülfe des franzöſiſchen Theaters. Die dramatiſche Literatur aus der Epoche Ludwig's XIV. bildete die Grundlage zu dem Lentſtehenden regelmäßigen Schauſpiel in Deutſchland. Von Seiten Gottſched's in pedantiſcher Ueberſchätzung der entlehnten Form, von Seiten der Neuberin in deutlicher Einſicht, daß dies nicht genüge und daß Kräfte erwachſen müßten in Deutſchland, welche mit eigener Schöpfungskraft ven Inhalt brächten für die Reform.

In der That wuchs auch der wahre Führer neben ihr auf in Leipzig, und der junge Yeljing fing neben ihr an, es mit Fleinen Stüden zu verfuchen.

Aber ein paar Jahrzehnte vergingen, ehe Anfang und Ueber: gang fich To weit entwicelten, daß von einem echten Neuen die Rede

8 Das Burgtheater.

ſein konnte. Die Ueberzeugung war bald da, daß die enge franz zöfifche Tragödie dem deutjchen Bedürfniſſe nicht genüge, und man— nigfaltige Bejtrebungen machten jich geltend, die enge Form zu er— weitern , die fremden Stoffe durch näherliegende zu erfegen. Elias von Schlegel, Weiße und Gellert waren in diefer Richtung thätig ; Gellert befonvders in der wahrhaftigen einfachen Form des bürger- lichen Vaterlandes, und die Popularität feiner harmloſen Scherz: ipiele wurde ein deutlicher Fingerzeig, daß anfprechendes Yeben des Theaters im jchlichten Heimathsleben zu fuchen und zu finden jei.

Einige tüchtige Schauspieler halfen mit Talent und Charakter: fraft, daß dieje Uebergangszeit überjtanden wurde und fein Rückfall eintrat in das überwundene rohe Wejen. Eckhof ijt unter ihnen die Hauptfigur; die Ackermann'ſche Gefellichaft, bei welcher Schrö- der aufwuchs, die wichtigjte Corporation in jener Uebergangszeit.

Der wahre Führer entwidelte jich in Gotthold Ephraim Leſſing. Die Grundſätze, welche er in ſich ausbildete und durch jeine Stücke bethätigte, wurden das Gejetsbuch des deutſchen Theaters, ein Geſetzbuch, welches noch heute in Kraft und Wahrheit bejteht.

1755 erichien fein erjtes größeres Stüd „Mit Sara Samp- ſon“ und wurde in Hamburg gegeben. Es machte die Runde über alle bejferen Bühnen und auferordentlichen Eindruck. 1767 erit folgte Minna von Barnhelm“, 1772 „Emilia Galotti“.

1775 reijte Leſſing auf dem Wege nach Italien durch Wien und ward zur Berathung gezogen über das deutſche Schaufpiel in Wien, 9a, es war die Rede davon, ihn für das Burgtheater zu gewinnen,

Wie war nun in Wien die Entwidelung des deutjchen Theaters vorwärtsgegangen neben den Reformen in Deutſchland? Yang- jam, unter immerwährender Störung, unter häufigem Rüdfall.

Bis zum Jahre 1747 herrfchte die Burlesfe im Kärnthnerthor— Theater ungejtört und unumſchränkt. Sie hatte jich im Perjonal fortwährend und glüdlich verſtärkt; Weißkern, Kurz und Kurzin,

Das Burgtheater. 4

Mayberg und Huber hatten das Contingent vermehrt, und es iſt nicht zu verkennen, daß jte alle jehr begabte Yeute waren für fröh- liche, poſſenhafte Komödie. Sie jchufen jich immer neue Narren- charaktere und waren darin geradezu jchöpferiich: Kurz erweiterte die jtehenden Masken mit einem ungezogenen, lüderlichen Buben, welcher Bernardon genannt wurde, Weißkern war Odoardo, Schrö- ter Bramarbas, Huber Yeander. Yebterer erwies ſich jogar von beveutungsvoller Driginalität, ev Ihuf eine heimathliche jtehende Figur: den Yeopoldl, welchem ſpäter der „Salzburger Bauer’ zur Seite trat. Es entwicelte ſich aus den italienischen Masten all- mälig eine wirklich lebendige Yocalpofie, welche nie und nirgend ihre Anziehungskraft verjagt, und die Unmittelbarfeit woraus hat vor dem gebildeten Schaufpiele. Der ſpätere Staberl und ver neuejte Neſtroy jind Enfel und Urenkel dieſer Richtung. Wenn die eigene Erfindung nicht zureichte, jo nahm man fpanifche, wäljche und franzöjiiche Stüde vor, um einen neuen Yeitfaden für ven Stoff zu haben. Aus der Handlung diefer fremden Stücke verfertigte man ein Scenarium, und füllte dies aus mit extemporirten Spüßen. „Dieſe Leute“ jagt ein alter Bericht „hatten es jo weit ges bracht, daß ihnen im Ertemporiven feine Truppe gleichfam; man beobachtete feine langweilige Scene, ſelbſt die ohne den Narren wurden lebhaft.‘

Ein Schaufpieler Namens Weidner brachte Anno 1747 eine Unterbrehung in dies talentvolle, aber wüjte Iheatertreiben. Er jette es durch, daß ein regelmäßiges Stüd „von draußen‘ gegeben wurde. ES war ein Traueripiel in Verfen „Die Allemannijchen Brüder’ von Krüger aus Danzig. Der Contrajt war grell, aber er machte Glück. Das Stüc gefiel und fonnte oft wiederholt wer- den. Man fragte nun nach ven Theaterzuftäinden ‚draußen‘, und als es allgemeiner befannt wurde, daß die Neuber'ihe und Schöne— mann'ſche Geſellſchaft jchon jeit Jahren regelmäßige Stüde auf- führten, da verlangte man num auch nach folchen Stücden. Obiger

10 Das Burgtheater.

Herr Sellier nahm ſich der Sache an und verichrieb von der Neu- ber'ſchen Gejellihaft mehrere Mitglieder: Koh und Kochin, Heyd— rich und Mademoiſelle Yorenzin mit der ausprüdlichen Klaufel: zu ſtudirten Stüden.

Diefe Nachricht frel wie eine Bombe unter die Führer der Bur- (esfe, und nachdem fie fih gefammelt, riefen Weißkern, Prehaufer und Kurz: Das fünnen wir auch! Und das werden wir beweilen !

Und wirklich, wie geſchickte Feldherren beuteten jie die drohende Yage aus: fie fetten jelbjt jolche regelmäßige Stüde aufs Reper— toive und fpielten fie. Nur erlaubten fie jih Freiheiten in ver Be— jeßung und ließen die beiten Scenen aus. Die erite Yiebhaberin ward einer corpulenten Fünfzigerin gegeben und der Liebhaber wurde dem Leopolol-Huber anvertraut. Der nichtswürdige Erfolg blieb nicht aus, und fie fagten achjelzudend: Das find eure regel- mäßigen Stüde ! 2

Dennoch fette Sellier mit ven Seinen durch, daß die ſächſiſchen Schauſpieler auftraten, und zwar im Traueripiele „Eſſex“. Stüd und Darftellung gefielen. „Oedip“ und „Zayre“ folgten, und es hatte eine furze Zeit das Anſehen, als fönnte num auch in Wien die Reform durchgefetst werden. Aber nur furze Zeit. Die Weipfern und Gonjorten verleiveten ven Fremden das Theater in hundert: facher Weife, und das Koch'ſche Ehepaar ging wieder fort. Kaum war es zum Thore hinaus, jo wurde „Eſſex“ von den fujtigen Per— ſonen aufgeführt und in ausgelafjener Weife veripottet die Re— forn war gejcheitert und die Burlesfe triumphirte wieder mehrere Sabre,

Indeſſen war doch das tiefere Bedürfniß gewedt, und Frhr. vd. Loprejti, bis dahin Unternehmer der wäljchen Oper, übernahm auch das deutjche Theater, und fette es durch, daß in jeder Woche ein Mal ein regelmäßiges Schaufpiel aufgeführt wurde, an jedem Don— nerstag. Dieje Donnerstage bildeten den Beginn eines Repertoires.

Das Burgtbeater. 4

Das erite Jahr brachte „Cinna“, „Polieuct“, „Cornelia, Mutter ver Gracchen“, „Panthia“ von Madame Gottſchedin, „Merope“ von Maffei, überjett von Molter. Man fieht, der Gegenjat zur Iujtigen Komödie war jehr grell, und man follte meinen, dieſe römischen und griechifchen Actiones hätten nicht gar verführeriich fein fünnen für das Publicum, welches an die luftige Komödie gewöhnt war. Sie waren e8 aber doch; jo tief liegt das Bedürfniß im Menſchen, mit- unter dem Alltäglichen enthoben zu werden. Die Donnerstagspor- jtellungen machten immer volle Häufer, und man glaubte num, einen Schritt weiter gehen zu fünnen, um ver Burlesfe an die Wurzel zu greifen. Man dachte an die Cenſur. Wan meinte, die Burlesfe würde eine Cenſur, die auf Anftand und Sitte drängte, nicht be- ſtehen können. So meinte man. Aber man ivrte fih. Was konnte Baron Reihmann, welcher die Cenfur übernommen, mit den Stücken machen, die Weißfern jetst vorlegen mußte? Es waren feine Stüde, es waren nur Umriffe, nur jogenannte Scenarien, Die ganz unver: fünglich erſchienen. Der Dialog fehlte, ver wurde eben extemporirt. Es blieb ihm Nichts übrig, als anzuoronen, daß fie fich „aller Uns anftändigfeiten und widerjinnigen Ausdrücke zu enthalten hätten. Im Uebertretungsfalle follten fie das erſte Mal mit einem empfind- fihen Verweis, das zweite Mal mit vierzehntägigem VBerhaft und das pritte Mal mit Lebenslänglichem Feſtungsarreſt beftraft werden‘, Das nutzte nicht viel. Mean mochte fich Doch nicht ent: ſchließen, ſolch einen „ſpaßigen Patron’ Tebenslänglich auf die Feſtung zu ſchicken.

Endlich im Jahre 1752 griff die Kaiſerin Maria Thereſia nachdrücklich ein: ſie widerrief alle bisherigen Privilegien, bielt die bisherigen Unternehmer auf's Großmüthigſte ſchadlos, und befahl: die Schaubühne auf einen gefitteten Fuß zu ſetzen. Dem Magiftrat wurde die Aufficht übergeben und erlaubt, eigene Commifjarien zu ernennen. Er ernannte die Grafen Franz dv. Ejterhäzy und Jacob v. Durazzo. Dem Hrn. Yeopold v. Ghelen wurde die Verwaltung

12 i Das Burgtheater. übergeben, und die Kaiſerin bewilligte eine anjehnlihe Summe als Zuſchuß für die Koſten.

Yun begann alfo das deutihe Schaufpiel in Wien endlich unter günjtigen Ausfichten. Es begann, um jogleich wieder ver: drängt zu werden, Und wunderlich genug! durch Das Burgtheater. Diefer fleine Saal wırde in vemjelben Jahre 1751 einer franzö- ſiſchen Schaufpielergejellfchaft eingeräumt, welche aus dem Haag fam. Sie begann auch mit „Eſſex“ von Corneille und der ganze Adel ging zu ihr über.

Hiedurch war wieder auf längere Zeit das aufftrebende deutſche Schaufpiel geichlagen. Die Franzofen drüben im kleinen Saale am Burgthore brachten das ganze ausgebildete Repertoire des sieele de Louis quatorze, welches der damaligen Bildung der höheren Stünde vollſtändig entiprach das deutſche Theater am Kärnthner— thove zeigte nur dürftige Anfänge, und Anfünge, welche nicht eben verführeriich waren. Das Neueſte war eine „Baniſe von Grimm aus Negenspurg”, eine „Detavia von Cammerer aus Hamburg‘, eine „Araxane vom Baron Trenk“. Man machte wohl An— jtrengungen im Perfonal, man verjchrieb die Neuberin in Perjon. Sie trat auf in „Sanco und Senilde“ und fie gefiel nicht. Was Wunder, daß die Burlesfen wieder volles Oberwaller gewannen ! Sie wurden bei diejen geringen Erfolgen ver Reform geradezu jtolz und nannten die regelmäßigen Schaufpieler verächtlich Gregorius- ſpieler. Am Gregoriustage nämlich lernten die Schulfnaben einige Dialoge auswendig und vecitirten fie in öffentlichem Umzuge auf den Straßen. „So viel gehört dazu“ jpotteten die Ertemporirer, „um ein vegelmäßiger Schaufpieler zu fein: Auswendiglernen ! Talent braucht man nicht; Talent brauchen wir!

Das dauerte bis zum Jahre 1760. Da mitten im ſieben— jährigen Kriege! drang die Kaiſerin Maria Therefia wiederum auf erneute Anſtrengung für ein bejjeres deutſches Theater, umd es wurden neue Schaufpieler verjchrieben: Stephanie der ältere,

Das Burgtheater. 13

Kichhof und Frau aus Riga, Jaquet und Frau aus Grab. Sie gefielen, und man hoffte wieder.

Da brannte das Theater ab im November 1761 und die deutſchen Schaufpieler mußten, mit ven franzöfiichen abwechſelnd, im Burgtheater jpielen, und zwar als Aſchenbrödel. Die Franzojen erhielten alle Mittel zu glänzender Ausjtattung ihrer Stüde; die deutſchen erfchienen ärmlich und roh Daneben und machten einen un— vortheilhaften Eindruck.

Slüclicherweife wurde der Wiederaufbau des abgebrannten Theaters raſch betrieben und beendigt, und die deutſchen Vor— jtellungen fonnten wieder im eigenen Haufe am Kärnthnerthore er öffnet werden. Der Drang nach eigener Entwidelung war verjtärft worden durch ven Herger, welchen das Uebergewicht der Franzojen erregt hatte, und es entwidelten ſich nun was bisher empfindlich gefehlt hatte einheimische Talente im Fache ver Schriftiteller, welche nicht blos griechiſch und römiſch producirten, ſondern modern bürgerlid. Das war ein jehr wirkſamer Uebergang von der Ex— temporepofje zum regelmäßigen Luſtſpiele. Philipp Hafner und Franz Heufeld waren diefe Schriftiteller. Hafner's „Bürgerliche Dame’ und „Der Furchtſame“ ſprachen auch das große Publicum an, und Heufelv’s „Haushaltung nach ver Mode‘ machte Aufjehen. „Man lernte einfehen‘‘ heißt es in der Chronif, „daß man über Localthorheiten lachen könne, ohne die plumpen Ausdrüde eines Hanswurjtes oder Jakerle's nöthig zu haben.‘ Jakerle war vie neuejte Poſſenfigur.

Um dieje Zeit jtarb 1765 Kaiſer Franz L, und in Folge dieſes Todesfalles wurde die franzöfiihe Komödie abgedankt. Das deutiche Theater gewann dadurch größeren Raum im PBubli- cum und die Freunde des regelmäßigen Schaufpiels wurden zahl- reicher. 1768 jtarb Prehauſer, der wichtigfte unter ven Zugführern der Burlesfe, ein jehr ſtarkes komiſches Talent, ver fich auch in letter Zeit Schon mitunter bherbeigelaffen hatte, im regelmäßigen

14 Das Burgtheater.

Stüde eine Rolle zu übernehmen, zum Beifpiel den Norton in „Miß Sara Sampſon“. Außerdem traten Neformer im weiteren Sinne des Wortes, Reformer in politiicher Welt öffentlich auch für die Re— form des Theaters hervor. Der wichtigjte war Sonnenfels, welcher eine Zeitjchrift herausgab unter dem Titel: „Der Mann ohne Vor— urtheil“. Er war ein Mann von Energie und von großem mora— liſchen Nachdruck. Es war ein außerordentlicher Gewinn für das höhere deutſche Schaufpiel, daß er mit voller Kraft in die Schranfen trat für das höhere Schaufpiel. Gin Baron v. Bender, ein reicher und tüchtiger Mann, übernahm die Direction des Theaters, und neue talentvolle Schaufpieler wurden für dafjelbe gewonnen: Müller, Gottlieb, der jüngere Stephanie, Steigenteſch, Mademoiſelle Teut- ſcherin. Es fanden ſich auch neue Schriftitelleer Brahm, Jeſtern und jener jüngere Stephanie —, welche neue Yujtipiele jchrieben. Das erite von Stephanie, genannt „Die Werber‘, hatte jogar einen durchichlagenven Erfolg. Kurz, es vereinigte jih im Jahre 1769 Alles, was ven Sieg des regelmäßigen Schaufpiels in Wien zu ſichern ſchien. Im den Contracten der neuen Schaufpieler fam ſchon vie Klaufel vor: „it nicht gehalten, in extemporirten Stüden zu ſpielen“, und endlich erichten eine Verordnung vom Hofe, welche die ertemporirten Stüde verbot. Sonnenfels wurde offictell ein— gelegt als Cenſor; das Jahr 1770 ſchien der Untergang der Bur— leske zu fein.

Dennoch erfolgte ein neuer Rückſchlag. Baron Bender gab ſchon nah ſechs Monaten die Direction auf, und jie fam an einen Italiener Affliggio, welcher nicht die geringjte Neigung hatte, ein deutiches Nationaltheater zu fürdern. Im Gegentheil! die all- tägliche Unterhaltungskoſt, welche am leichtejten Geldgewinn vers ſprach, fam mit ihm an die Reihe, und als er vielfachen Widerjtand auch unter ven Schaufpielern fand, die fich zum Extemporiren nicht mehr hergeben wollten, da ergrimmte er und griff zu heftigen Maß— regeln, Den jüngeren Stephanie und Steigenteih ließ er jogar

Das Burgtheater. 15 eines Tages verhaften. Ueberhaupt brachte er eine jo grimmige Reaction gegen die Männer ver Theaterreform in Gang, daß jelbit Sonnenfels als unruhiger Kopf in den höheren Kreifen verdächtigt und jeines Cenſoramtes entſetzt wurde, weil er es zu freilinnig verwalte. Kurz Bernardon, der zähejte von ven Helven des „grü— nen Hutes’, wie man die freien Komifer nannte, wurde wieder in’s Kärnthnerthor- Theater berufen, und die Burlesfe erhob noch ein— mal all’ ihre flatternden Fahnen. Sie reichte fogar ihren Dialog ein, damit er cenſirt werde.

Aber beſonders dies Yetstere führte doch zu ihrem Grabe. Die Zweiveutigfeiten und Unanjtändigfeiten, ein Hauptreiz der Hans: wurjtfomödie, fonnten nicht bejtehen vor der Cenſur, und ſomit ging für das große Publicum das wirkſamſte Salz der Burlesfe verloren. Das beſſere Publicum hatte wohl auch durch) öfteres Anfchauen und Anhören der vegelmäßigen Stüde ven Gejchmad verloren am lüder— lihen Wejen der Burlesfe fie zog nicht mehr. Und gleichzeitig erhob jich in der Burg ein beredter Anwalt für die Reform: ver Staatsrath Freiherr v. Gebler, „ſelbſt Dichter, Kenner und Yieb- haber der Bühne‘, bewies durch jeine gründlichen Borftellungen, wie viel dem Staate an der Erhaltung des faum entjtandenen, ge= rveinigten Theaters gelegen jein müſſe, was für Nachtheile das Treiben Affliggio's der Ehre der Nation bringen würde, jo ein- leuchtend, vaß beide Majeſtäten überzeugt wurden, und nun nach— drüdlih dem Poſſenweſen ein Ende machten. Der junge Kaiſer Joſeph wird hier zum erjten Male erfichtlich in der TIheaterfrage, und die Burlesfe kommt von num an nicht mehr in die Höhe.

Das Theater wird dem Grafen v. Kohary übertragen, und die Reform geht nun mit vollen Segeln an's Werf.

Es iſt vecht lehrreich zu leſen, welch ein Einladungsprogramm an das hochverehrliche Bublicum erlaffen wurde, um ihm Bertrauen einzuflößen für die nun jcheinbar ganz gejicherte Herrlichkeit. Son— nenfels hatte es verfaßt.

16 Das Burgtheater.

„Der feinere Theil der Nation’ heißt es darin „fängt an, an dem Nationalfchaufpiele mit einiger Wärme Theil zu neh— men, und patriotifch die Vervollkommnung deſſelben als einen Theil des Nationalruhms jelbit zu betrachten. Die Weisheit des Mo— narchen hält viefen Theil der allgemeinen Ergötzungen nicht unter Ihrer Sorgfalt, und von Ihrem Throne jelbjt würdigen Sie fich, feimende Genies durch Beifall und Freigebigfeit zu ermuntern, und wenn es erlaubt it, fich alfo auszuprüden durch Ihre erwärmende Huld zur Neife zu bringen.“

Alsdann verfihert die „neue Divection‘‘, daß fie fich’s ftets zum Gejeße machen werde, „pie Neigungen der Zufchauer auszu- forschen, umd ihrer Erwartung, wo es möglich jein wird, vorzueilen‘. um legt jie ven Plan vor, und fordert jedermann auf, „ihr zu feiner Berbejjerung und Vollkommenheit feine Einficht freymüthig mitzutheilen.

„Wir find in Wien’ fährt fie fort, „dem glücklichen Site deutiher Monarchen, eines Adels, der ſich der uralten deutſchen Abkunft mit Rechte rühmt, einer Nation, die darauf ftolz ijt, daß ie eine deutjche Nation ift. Diefe Betrachtungen fordern unjere vor: zügliche Aufmerkſamkeit für das Deutiche, das ift, für das Schau— jpiel der Nation. Mean folgt hierin nur dem Beijpiele von Franf- veih, von England, und felbjt von dem, im dramatijchen Theile Deutſchland nicht übertreffenden Italien. Diefe Länder haben nie das fremde Schaufpiel zum Nachtheil der Nationalbühne erhoben.” Außerdem ſei man feinen veutjchen Mitbürgern auch in ihren kleinſten Gliedern zu diefem Beweije der Achtung verbunden, ihr „Vergnügen zu beforgen. So macht man fich auch einen hohen, jehr reitzenden Begriff von dem Ruhme, wenn man die deutſche Bühne in Wien emporheben und vem Thereſianiſchen Jahrhunderte auch dieſen Borzug verfichern könnte —“

Nun folgt ein Paſſus über die Schaufpieler, welche man forg- fültig auffuchen wolle. Das ſei fehr jchwer, und es liegen warnende

Das Burgtheater. 17

Beijpiele vor, „wie wenig in diefem Stüde jelbit vem Rufe gelehr- ter Anzeigen zu trauen ei’. Gute Schaufpieler jeien ſelbſt in Frankreich jelten, noch jeltner in Deutjchland. Und auf vem Theater einer Hauptjtadt genüge der „Anſtand“ nicht, welcher im Yeipzig, Hamburg, Hannover zureihe, Es fehlten ihnen dort die Mufter einer Hauptjtadt, „wo fich der gute Ton und eine ungezwungene Lebensart einigermaßen bis in die gemeineven bürgerlichen Häufer verbreitet”, Es wird alſo in Ausjicht gejtellt, daß man fich die Ta— lente felbjt ausbilden werde, indem man fie nicht wie „Tagmieth— linge“, jondern wie Yeute von Talent behandeln wolle. Dann hoffe man auch, daß fie in der guten Gefellihaft Wiens Zutritt finden würden, um ihre Studien machen zu fönnen „in freyem, enlem An— jtande, in der Leichtigkeit des Umgangs, in der Ungezwungenheit, in der Höflichkeit.” „Die Schaufpielerin wird an der Dame, der Schauſpieler im Sreife der Gavaliere die nöthige Ausbildung ſuchen“. „Wir haben von der Güte des biejigen Adels zu ers warten, er werde fih um das Nationalfchaufpiel nicht durch Schut allein verdient machen, er werde auch an der Bildung des Schau— fpielers näheren Antheil nehmen wollen: die Schaubühne wird Seiner Gewogenheit ihre endliche Vervollkommnung ſchuldig werden.‘

Im Repertoire wird „bejtändige Abwechfelung‘‘ verſprochen. Man werde dem Zufchauer feineswegs den „ewigen Ernſt einfür- miger, rührender Stücke auforingen. Die Stunden, welche vor der Schaubühne hingebracht werden, find ver Erholung von Geſchäften gewidmet; man fordert Etwas, wodurd die Sehnen der Seele, jo zu jagen, nachgelaffen, nicht noch mehr aufgefpannt werden. Das iherzhafte Yuftipiel wird das Herrſchende unferer Schaubühne fein; Trauerfpiele, rührende Stücde wollen wir gleich der Würze iparfam mit untermengen, um dadurch das Vergnügen des Yachens gleichſam ſchmackhafter zu machen‘.

So Wenig bat fich jeit beinahe hundert Jahren im eigentlichen

Laube, Burgtheater. 2

18 Das Burgtheater.

Geſchmacke Wiens verändert! Die Yocalluftigfeit der Stranikfy und Prehaufer hat Wien in die Yocaljtücde der Vorſtadt gerettet, und die gelinde Schen vor Trauerfpielen hat es getreulich bewahrt. Auch das Ballet, welches Noverre damals zu großem Gemüge des Publicums leitete, wurde in diefem Programım von Sonnenfels verfprochen. Man werde es „eines Nationalfchaufpiels würdig machen”,

In der That ließ ſich num Alles vortvefflih an. Auch die dar— jtellenden Talente erhielten in den Gebrüvern Yange einen werth- vollen Zuwachs. Namentlich galt ver ältere, Michael Yange, für ein augerordentliches Talent. Der Drang nah Höherem machte jih überall geltend. Hochgejtellte Yeute werjuchten jich, Original ſtücke zu Schreiben, und der oben genannte Herr v. Gebler erhielt mit feinem „Prädicat“ und feinem „Miniſter“ ven Beifall aller Gebilveten. Für die artiftiihe Führung wurden alle Kräfte in Bes wegung gefett: alle vier Wochen war eine Berfammlung der Mit- glieder unter dem Vorfite des Grafen Kohary. Die erjten Mit- alieder jchieften acht Tage vor dieſer Generalverfammlung ihre Meinungen Ichriftlich ein, und jchlugen die Stüde vor, welche im nächſten Monate gegeben werden jollten; man arbeitete Gejete und Bersrdnungen aus, welche an Vorfiht und Bildung Nichts zu wünſchen übrigließen der Zufchauer hätte glauben jollen, es ſei num eine gediegene Zufunft für das regelmäßige veutiche Schaufpiel völlig geſichert.

Und doch gelang es nicht. Warum nicht? Aeußerliche Un- glücsfälle erklären das Mißlingen wohl nicht allein. Allerdings hatte Graf Kohary einen jehr verfchuldeten Status übernommen und die Koften einer opera seria, opera buffa, eines franzöjtichen Schauſpiels, eines deutichen Schaufpiels und der Ballets waren groß. Das Deficit war größer und größer geworden, Kohary mußte einen öfonomischen Director einjegen, und der vertrug jich nicht mit allen Schaufpielern. Spaltungen und Neibungen entjtanden, der

Das Burgtheater. 19 gemeinfame Gang gerieth in’s Stoden, ja die Wege freuzten und befchädigten einander von Tag zu Tag empfindlicher. Todesfälle famen hinzu: Michael Yange jtarb, die ältere Mademoijelle Jaquet ſtarb, Müller ging ab, und die allmälig eintretenden Erjagmänner Weidmann und befonders Bergopzoomer erhöhten die einveißenden Intriguen. Mit Yesterem begann das Herausrufen am Ende des Stüds, und Clique und Claque jcheint hereingebrochen zu fein. Der Adel proteftirte gegen ökonomiſche Einjchränfungen und verlangte eine franzöfiiche Operette, das Ganze frachte in allen Fugen, und der Beſuch wurde ſchwächer umd ſchwächer. Das deutſche Schau— ſpiel namentlich verlor an Theilnahme trotz guter Schauſpieler, und gegen Ende des Jahres 1775 war allgemeine Wehflage über ſeinen Berfall.

Der Gevdanfe prängt fih auf, dag das unermüdliche Unglück einen tieferen inneren Grund gehabt haben muß. Neuere Hijtorifer bezeichnen als jolchen das complicirte Regierungsſyſtem, welchem das Theater habe erliegen müſſen. Intendanten und Directoren mit höchiten und hohen Befugniſſen hätten ſich gegemfeitig gelähmt, Protectionen erzeugt, Parteiungen geradezu erichaffen, und ver Mittelpunkt, der eigentliche Regent, habe gefehlt.

Wie dem auch gemwejen fein mag, e8 war glüclicherweije an höchjter Stelle ein Mann vorhanden, welcher vem Treiben aufmerf- ſam zugejehen hatte und welcher den Willen wie die Kraft beſaß, eine fejte Organiſation zu ſchaffen für das deutſche Schauspiel in Wien. Diefer Mann war Kaiſer Joſeph. Am 17. Februar 1776 ließ er ven deutſchen Schaufpielern durch den Fürften Khevenhiller, feinen Oberhofmeiſter, erflären: „Daß er das Theater nächſt der Burg zum Hof- und Nationaltheater erhebe, und daß von nun an Nichts als gute vegelmäßige Originale und wohlgerathene Ueber- jeßungen aus anderen Sprachen darin aufgeführt werden ſollten“.

Diefer 17. Februar 1776 ift der Geburtstag des Burgtheaters, In diejen kleineren Raum jiedelte nun das deutſche Schaufpiel über,

F

20 Das Burgtbeater.

einem gejchlojfenen Style des vecitiventen deutſchen Schaufpieles nachjtrebend, während der bisherige Tummelplatz, das Kärthnerthor— Theater, Pächtern überlafjen wurde, welche das einfache deutſche Schaufpiel nie wieder in ihr Programm aufzunehmen hatten.

Wir haben eine Selbjtbiographie vom Schaufpieler Joſeph Yange. Im diefer findet jich folgende Stelle, welche die Bedeutung dieſes Actes jo bezeichnet, wie jie in jener Zeit angejehen und auf- gefaßt wurde:

„Der unfterbliche Kaiſer jah die Bühne als ein Mittel zur Bildung feiner Nation an, und darum hieß er fie deutſches National- theater. Deutſche Sprache, deutjche Sitten, deutjcher Geſchmack, deutiche Kunſt jollten fib an ihrer Darftellung erheben. So be- trachtet, jchien ihm die Bühne feiner Aufmerffamfeit werth bis an jeinen Tod. Darum gehörte ihr Fortgang unter. feine Lebens— freuden, darum wies er fie ſogar jedem feiner Gäjte mit einem edlen Stolze, und war vergnügt, wenn auf jeine immer bereite Frage: „„Nun, was jagen Sie von meinem Theater?’ ihm recht viel Gutes darüber gejagt wurde. Die eriten Schritte des Monarcen bezeichneten fogleich, wie jehr es ihm darum zu thun war, die deutihe Bühne beſucht und alſo auch wirffamer zu machen. Groß— müthig fette er die Eintrittspreife herab, um alle Stände an dem Vergnügen des Schaufpiels theilnehmen zu laſſen. Weiſe hob er die Ballets und italienifhe Oper auf, um den Adel zum Bejuce deutſcher Stücke zu zwingen und ihm allmalig für daſſelbe Intereffe einzuflößen. Ausdrücklig befahl er, bei ver Wahl der Stüde nur auf ihre innere Güte, nicht auf den damaligen Geſchmack zu achten. Als ſodann Anfangs die Yogen unverpachtet, das Theater unbejucht blieb, jagte der große Menſchenkenner: „„Nur jo zu, jie werden ſchon kommen.““ Und, fiehe da, jie kamen.“

Tr.

Um einen Einblid in das Innere des entjtehenden Burgtheaters zu gewähren, fei das Repertoire des Jahres 1776 des eigent- lichen Entjtehungsjahres ausführlich erwähnt.

Sitte, Gebrauch und Perjonal jtellen ſich dadurch jelbit- vedend dar.

Der Zettel vom 8. April 1776 lautet:

Neues Luſtſpiel.

Im Nationaltheater nächſt der Burg wird Montags den 8. April (1776) aufgeführt: Zum Erſtenmale Ein neues Luſtſpiel in drey Aufzügen,

genannt Die Schwiegermutter. Perſonen: Ber. er 2 Herr Jaquet.

Baronin 2 2 2.0.0. Mo. Weidnerin, geweite Huberin. Pouife, ihre Tochter. . . . MI. Jaquet die ältere. Ein Obrijter, Bruder der

Barnin . » » . .. Herr Stephanie der jüngere. Baron Pindenreich, Vater . . „» Bergopzoom. Baron Pindenreih, Sohn. . „Lange. Baronin von Pöwenthal, eine

junge Witwe . . . . Mil. Jaquet die jüngere,

22 Das Burgtheater.

Herr von Rittersheim, ein Land— ebelmantt ». + +... Den Deuller, Emm Alnuocat. "0, > : „Heyhdrich. Julchen, ein en . MU. Defraine, Fritze, ein Bedienter . . . Herr Weidmann. Nach diefem das Yuftipiel in einem Aufzuge:

Die indianifbe Wittwe, oder ver Scheiterhaufen. Beyde Stüde find beim Yogenmeifter gedruckt zu haben, jedes für 17 ke.

Die Eintrittspreife find vermalen folgendermaßen herabgeſetzet: Im erſten Barterre x... 8. = 002) 27a Ve

Im zwehten „, ee —— Im dritten Stocke auf Be Seiten ee. Sirvterten . —————

Die Logen am Parterre, im erſten und weht Stod bezahlen 3 fl. Der Anfang ift um 7 Uhr.

Hier finden wir aljo einen Gebrauch, welcher noch heute in Paris beſteht: daß die Stüde gedruckt verkauft werden neben der Aufführung. Und das dreiactige fojtet nicht mehr als das einactige,

Den folgenden Tag, 9. April, wırde „Die Schwiegermutter‘ wiederholt. Dazu „Die abgenöthigte Einwilligung”.

Mittwoch 10. April. Ein Schaufpiel aus dem Franzöfiichen des Herrn Dipderot, vom Herrn Juſtizrath Leſſing überfegt, genannt: „Der Hauspvater”.

Donnerjtag den 11. April. in Iuftiges Charafterftüd in fünf Aufzügen, genannt:

„Der lächerlich poetiſche Yandedelmann, oder

MWeiberlijt über alle Lift“,

Mad. Ungar, eine neuangelangte Schaufpielerin, wird heute zum erftenmal bey ung in der Rolle der Baroneffe von Altholz er- ſcheinen.

Samſtag 13. April. Ein Original-Luſtſpiel in fünf Auf—

Das Burgtheater. 23

zügen vom Herrn Suftizrath Leffing, genannt: „Minna von Barnhelm, oder das Soldatenglüd Anfang um halb Sieben Uhr.

Folgen Ueberjetungen aus dem Franzöfifchen: „Der Schub- farren des Eſſighändlers des Herrn Mercier”, „Die falichen Ver— traulichfeiten”. Dann ein Original-Drama in fünf Aufzügen nad der neuen durchaus veränderten Auflage, genannt: „Der Mini- jter (wie ſchon erwähnt von Gebler). Dann ein Driginal-Lujtipiel in fünf Aufzügen vom Herrn Stephanie dem jüngeren, genannt: „Die Wölfe in der Heerde, oder die beängjtigten Liebhaber“.

Schon am 20, April „ein neues fünfactiges Trauerfpiel vom Herrn Brandes, Verfaffer des Graf Olsbach, guten Chemanns und mehrerer guten Stüde, genannt: „Olivie“. Nur vier Tage jpäter, am 24., ein neues Luftipiel „Der Neugierige‘’, fonjt ge: nannt: „Die beftrafte Neugier”. Elf Tage darauf (4. Mai) wie ver ein neues Luftipiel, Beaumarchais’ „Der Barbier von Sevilien, oder die unnüte Borficht”. Sieben Tage jpäter (11. Mat) jchon wieder ein neues Schauspiel von Brandes in fünf Aufzügen man fieht an diefer unglaublich klingenden eiligſten Hervorbringung neuer Borftellungen, wie nahe man auch Damals noch der extemporirten Komödie ftand, denn es iſt abjolut unmöglich, in jo furzen Zwifchen- räumen mit dvemjelben Perſonal neue Stüde nur einigermaßen veif- lich einzuſtudiren.

Diefes neue Schaufpiel von Brandes hieß „Die Mediceer, oder eine Verſchwörung“, und der Theaterzettel brachte folgende Nachricht: „Den Stoff zu dieſem Schaufpiele hat fein Verfaſſer von einer Verfchwörung genommen, welche gegen die ruhmvolle Familie Medicis im fünfzehnten Jahrhunderte zu Florenz von dem Haufe Pazzi war aus Neid angefponnen, zum Glück aber nicht aus- geführt worden. Der Dichter hat die wahre Gejchichte mit völliger Freyheit behandelt, vornemlich jcheint er zur Abjicht gehabt zu haben, herzerichütternde Situationen darzuftellen, und durch eine

24 Das Burgtheater.

glückliche Rettung der Unfchuld empfindjamen Herzen angenehmes Gefühl mitzuteilen. L. v. Medicis, der zärtlichite Vater und jtrengite Richter, muß einem würdigen Jüngling, feinem ein- zigen Sohne, das Todesurtheil fprechen. Camilla, die wahre Mutter, wird von peinigenden Yeidenjchaften beſtürmt. Um nicht zu viel im voraus zu verrathen, ſey nur noch diejes gejagt: die Karaktere find vielfach, doch alle mit Kraft entworfen, und mit Wärme vollendet”.

Unter den Neuigkeiten, welche fich auch in der zweiten Hälfte des Jahres raſtlos folgen und welche außer zahlreichen franzöfischen und englifchen Ueberſetzungen auch „Erwin und Elmire vom Herrn Goethe’ bringen, zeichnet fih aus: „Der Graf von Waltron, oder die Subordination von H. F. Müller”. Diefes Original Trauer: ſpiel hat ſich befanntlich bis in die erften Jahrzehnte unferes Jahr— hunderts auf dem deutſchen Repertoire behauptet. Bergopzoom jpielte ven Grafen Waltron; Madame Sacco, eine neu engagirte Schaufpielerin von großem Talente, die Schweter deſſelben. Sie war die bejte Minna von Barnhelm und Emilia Galotti jener Zeit. In einem neuen Luſtſpiele „Die junge Wittwe“ nach einer „poe— tiichen Erzählung von Gellert” finden wir fie auf dem Theaterzettel angegeben als: „Emilia, eine junge Wittwe in tiefer Trauerfleidung mit einem Schleyer über den Kopf’.

Das damalige Perfonal des beginnenden Burgtheaters war jehr anjehnlich und beftand aus folgenden Hauptperfonen:

Herr Jaquet, Mademoiſelle Jaquet die ältere und die jüngere, Madame Weidnerin, gewejene Huberin, die Herren Stephanie ver ältere und der jüngere, Bergopzoom, Yange, Müller, Heyprich, Weidmann, Mile. Defraine, Mile. Teutjcherin, Madame Stephanie, Madame Ungerin, Madame Brodmann, Herr Steigenteſch, Herr Gottlieb, Madame Gottlieb und neu engagirt Madame Sacco,

Dennoh war man fogleich auf Ergänzung und Erweiterung bedacht, von der richtigen Meinung ausgehend, daß ein Theater-

Das Burgtheater. 235

perjonal in jtetem Wachsthum erhalten werden muß, wenn es nicht in Erjtarrung, Manierirtheit, Cliquenwejen und Unzulänglichfeit gerathen joll. Offenbar gingen alle Schritte zum Erweiterung des Inſtitutes vom Kaifer Joſeph felber aus; fie tragen ſämmtlich den Stempel eines Geiftes, welcher nie und nirgend blos für den Augenbli bedacht war, jondern ein organifches Wuchsthum vor Augen hatte.

Am 11. September ließ der Hofrat) Baron v. Kienmayer ven Schaufpieler 3. 9. F. Müller zu ſich vufen und zeigte dieſem ein Schreiben, welches joeben mit Staffette aus Königgrätz von Sr. Majeſtät vem Kaifer angelangt war. Dort in Böhmen, mitten in einem kriegeriſchen Webungslager, hatte der Kaiſer feines jungen Burgtheaters gedacht, jo wie 36 Jahre Ipäter Napoleon in Moskau des Theätre francais gedachte und eine dauernde Organifation diejes Runftinjtitutes aus der Czaren-Hauptſtadt nach Paris jendete. Das Schreiben Kaiſer Joſeph's war an des „Obriſt Kämmerers Grafen von Roſenberg's Excellenz“ gerichtet und trug die Bezeich- nung: „In deſſen Abwejenheit vom Herrn Hofrath Baron v. Kien- maher zu eröffnen‘. Es war alfo dem Kaiſer um eilige Ausführung des Inhaltes zu thun. Der Inhalt aber enthielt ven Befehl: den Schauſpieler Müller jogleich auf Neifen, und zwar ohne Ver— zögerung nach Hamburg zu fchiefen, um Brocdmann jpielen zu jehen und für das Nationaltheater zu engagiven, wenn er das wäre, was der gute Auf von ihm fagte. In der Folge follte Müller mehrere Theater befuchen und von jevem eine getrene Charakteriſtik einjenden. Auch eine gute Soubrette jollte er „aufnehmen“.

Auf Müllers Frage: warn er abreifen jolle? lautete die Ant— wort: morgen! Denn der Kaiſer wolle fofortige Ausführung feines Befehls.

Müller, ein aus Norddeutſchland ſtammender Schaufpieler von einiger Bildung, welcher Chevaliers ſpielte, erhielt fogleich Geld und Wechjel und Empfehlungen an die faiferlichen Geſandtſchaften in

26 Das Burgtheater.

Dresvden, Hamburg, Berlin, Mainz, Mannheim, München, und machte fich auch jogleich fertig. Denſelben Abend hatte er noch zu fpielen im „Kriegsgefangenen“ und wurte im Zwijchenacte in die Yoge des Fürften Kaunitz berufen. Diejer inftruirte ihn des Breiteren über feine Aufgabe und machte ihm namentlich deutlich, wie der auf- zufindende Yiebhaber, welchen er „aufnehmen“ ſollte, bejchaffen jein müßte. „Sehen Sie nur bei ver Wahl deſſelben“, jagte der Fürft, „vorzüglich auf Jugend, Wuchs, leichten, edlen Anſtand und reine Mundart. Er muß nicht gar zu groß jein, feinen hervorragenden Bauch haben, feine Augen müſſen fprechen, groß, rund umd nicht geipalten, fein Gang fejt und nicht fchleppend jein. Er muß durch die Anmuth feiner Jugend den Schimmer hervorbringen, den man im Schaufpiele jucht. Auch zu der Rolle einer Rammerjungfer wählen Sie feine zu große Perfon. Finden Sie eine, die ſich unferer ehe- maligen Suzette“ (dies war die Soubrette bei der legten franzö— fischen Geſellſchaft) „nur in etwas nähert und eine angenehme Yeb- baftigfeit befittt, jo jchliegen Sie mit ihr ab. Benehmen Sie ſich flug und mit Verſtand bei dieſem Gejchäfte und vergelten Sie da- durch das Vertrauen, das der Kaiſer in Sie jest. Sch habe den Soulée“ (einen der vorzüglichiten franzöſiſchen Schaufpieler unter Kaifer Franz I.) „auch auf Reifen ſchicken müſſen; von feiner vers nünftigen Auswahl zogen wir einen zehnjährigen Nuten.’

Am folgenden Tage hatte Müller neh eine Audienz beim Fürften, und in diejer legte Yetterer bejonderen Nachdruck auf die Sharafteriftif von allen „bejieren Subjecten jeder Bühne’, welche Müller einſchicken ſollte, denn Leute wie Heyprich würden alt und faſt unbrauchbar, es ſei mehrfacher Erſatz nöthig. Müller fragte, ob er nicht auswärtigen rühmlich befannten Theaterdichtern anjtän- digere Belohnungen antragen dürfte, als fie bisher von Wien be- zogen? Was wollen Sie damit jagen? Erflären Sie ſich deutlicher! entgegnete ver Fürft. Hamburg antwortete Müller giebt für jedes neue Stüd, es fei num ein Driginal, oder ein aus dem

Das Burgtheater. 97

Engliichen und Franzöfiihen auf deutſche Sitten bearbeitetes Yuft- ipiel hHundertjehszia Gulden. Wäre es mir wohl erlaubt, den Ber- fajjern ein etwas größeres Honorar anzutragen, um dadurch Dichter zu ermuntern, ihre Geifteswerfe unferer Nationalbühne zuerft zu überfenden? Nach einiger Ueberlegung erwiederte der Fürft: Darüber muß ich erſt mit dem Kaiſer fprechen. Sch werde Ihnen deſſen Befehl befannt machen laſſen.

„Ich erhielt noch die väterlichiten Ermahnmmgen und Vor— ſchriften“ fährt Müller fort, ‚wie ih mich, befonvders in Berlin, zu benehmen hätte, und die Verficherung, daß der Fürft Alles zur Verbefjerung der Nationalbühne beitragen würde. Gr iprach Verjchievenes von meinen Kameraden. Führte Gründe an, warum man dem größten Theile den Zutritt in großen Häufern nicht verjtatten fünnte, lobte Madame Sacco, und entließ mich mit bulovoller Wärme, mit einem Gefühle, welches mir Thränen in die Augen trieb und ven Ausruf hervorbrachte: Gott erhalte Sie, durch— lauchtigjter Fürft! Sie find ver hohe Protector der bildenden Künfte! Sie finden auch die Nationalbühne Ihres Schußes nicht unwäürdig, num wird fie bald aus ihrer Kindheit emporjteinen! Gr legte feine Hand auf meine Stirn und jagte: Neifen Sie alüd- lih und bleiben Sie geſund!“

Deyjelben Nachmittags um vier Uhr fuhr Müller mit Ertrapojt nach dem Norden. Cr hat dieje Reiſe in feinem „Abſchied von ver faiferlichen Hof- und Nationalfbaubühne‘ ausführlich bejchrieben, und diefe Bejchreibung iſt eine werthvolle Quelle für die Gejchichte des damaligen Theaters. Da fie fortwährend Bezug nimmt auf das Burgtheater, fo iſt fie auch für die gefchichtliche Entwicelung des Buragtheaters von beſonderer Wichtigfeit.

In Dresden fand Johann Heinrich Friedrich Müller die Seiler'ſche Gejellihaft nicht mehr, bei welcher jener Phönix von Liebhaber, wie ihn Fürſt Kaunitz wünschte, zunächſt gefucht werden jolfte. Die Geſellſchaft war nach Leipzig. Müller eilte ihr nad,

25 Das Burgtheater.

und der befannte Kreisjteuereinnehmer Weiße, welcher neben jeinem „Kinderfreunde“ auch fleißig für das Theater jchrieb, nahm fich feiner an. Er wie die Mehrzahl der jchönen Geifter hatte es mit Be- geifterumg aufgenommen, daß der Kaifer jelbjt in Wien eine National- bühne fchaffen wollte. „Wir haben wohl ven guten Willen dazu“ rief er, „ihr aber in Wien allein in eurem trefflichen Kaifer habt auch die Mittel und die Macht dazu!“

Wirklich fand Müller in Yeipzig fogleich einen Yiebhaber, welcher fich dem Ideal näherte, Namens Borchers. In einem Stüce von Großmann „Henriette, oder: Sie ift ſchon verheirathet‘‘ ah er ihn als Sieur Blainville. „Dieſer junge Mann‘, jchreibt er fogleich an ven Freiherrn v. Kienmayer, „it ein Beobachter und Nachahmer des großen Eckhof's. Studium der Natur fchien fein Peitfaden zu fein. Er fpielte vortrefflih. Er ift ungefähr jo groß wie unjer Yange, Seine Gefichtszüge find mit einer Musculatur begabt, welche jehr Wenige beſitzen. Er war ganz ver feine, durch moralifche Grundſätze gebilvete, enlfe Mann, und blieb bis ans Ende ſeinem vorgezeichneten Charakter in den kleinſten Nuancen treu. Ex machte in diefem Stücde, welches bei uns noch nicht befannt tft, einen Franzofen, der die deutfche Sprache nach der Grammatif erlernt hat. Anfangs glaubte ih, er dehnte ven Dialog. Doc in der richtigen Ausführung diefes, dem Verfaſſer am beiten ge— rathenen Charakters fand ich, daß er ihm richtig und vollfommen analyſirt hatte. Ich werde ihn bei meiner Niückfehr in verſchiedenen Rollen zu jehen trachten, und fünde ih Brodmann nicht fo, als Se, Durhlaucht der Fürſt Kaunitz mir die Erforderniſſe eines Subjects zu Liebhaberrollen vorzeichneten, jo werde ih Borchers Anträge machen.‘

Weiße fragt ihn nach der Vorftellung, ob denn das Hof- und Nationaltheater auch eine Theaterbibliothef befüße? Miller muR mit Nein! darauf antworten. Die ift doch jehr nöthig entgegnet Weiße, befonvders für angehende Dichter. „Man findet oft in

Das Burgtheater. 39

ichlechten Producten Stoff, welchen ein glüdliches Genie vortheil— hafter bearbeiten fanı.” Müller pricht achjelzudend von der Cen— jur, welche verfchievene neue Stüde nicht einmal zu lefen erlaube. „Da müſſen Sie fih‘, ruft Weiße, „an Ihren großen Kaifer wenden! Gin Eremplar, aufbewahrt in ver Theaterbibliothef, kann fein Gift verbreiten, wenn feſtgeſetzt wird, daß es nicht ausgeliehen, fondern nur in der Bibliothef gelefen werden darf.’

Müller unterläßt nicht, auch dieſe freie Bemerfung in feinem Briefe an Baron v. Kienmayer mitzutheilen, und macht fich ſodann auf ven Weg nach Hamburg. Hier fieht er Brodmann als Hamlet, und findet ihn vortrefflih. Allein Brodmann ift leider nicht jo „‚gebaut‘‘, wie nach der Vorſchrift des Fürſten v. Kaunitz der Yieb- haber gebaut fein joll, ven man in Wien braucht, und er zögert deshalb mit Anfnüpfung von Unterhandlungen. Auch darum, weil Brodmann erfichtlich nicht ein eigentlicher Yiebhaber ift. Er ift ein „denkender Künftler, welcher mit edlem Anjtande auftritt. Seine Sprade ift rein, rund und fraftvoll, und hat nicht das mindefte mehr von der weichen, öfterreichifchen, zufammengezogenen Mundart. Der Mann hat feit den eilf Jahren, va er bei ums war, unglaub- liche Fortjehritte in der Kunst gemacht‘. (Brodmann war aus der Steiermark.) „Er ift ein Mann von ungefähr 34 Jahren, in ver Größe und im Körperbaue beynahe wie unfer Jaquet, und daher dem Ideale nicht ähnlich, welches mir Se. Durchlaucht zu wählen vorſchrieb. Zu jungen Chemännern, geſetzten Helden- und Charakter: rollen würde er ein Schatz für umfere Bühne fein.‘ „Auch Reis nede und Schröder haben große Vervienfte. Der lebte, ein langer hagerer Mann, fpielte die untergeoronete Rolle des Geijtes mit einer Täuſchung, die Schaudern erregte. Er ging nicht ex ſchien zu ſchweben. Ein dumpfer heftiiher Ton, den er angenommen hatte und bis an’s Ende beibehielt, brachte eine ungemein gute Wirfung hervor. Das Coftum war jehr gut und den Zeiten an— gemejjen; nur hatte die Direction Neineden, welcher ven König

30 Das Burgtheater.

vorjtellte, einen vojenfarbenen, reich gejticten türfifchen Talar angezogen; das war wohl nicht ſchicklich.“

Uebrigens tft er von dem Hamburger Theater jehr erbaut, und findet, daß vortrefflich geipielt werde. Beſonders Reinecke und Schröder befriedigen ihn ſehr. Von Reinecke, ven er in den „Neben— buhlern‘ ven Baron Abslut jpielen jieht, jagt er: „Ich kann mir diefen Charafter nicht beſſer denken, als ihn diefer große Künſtler ausmalte. Sein trodener, polternder und jo natürlich wahrer Ton in den Auftritten mit feinem Sohne, fein Mienenſpiel, jeine Gefti- culationen, alles war ſchön und meilterhaft. Er hat die Gabe, gewiſſe Reden gleichjam nur hinzuwerfen, als wären jie des Heraus: hebens gar nicht werth, und machte jie eben dadurch äußerſt inter- eſſant“. Brodmann als Sohn ſei vortrefflich geweſen, und eben fo Schröder als Junker Aderland. Schröver iſt „unftreitig einer der größten Komiker. Nichts wurde übertrieben. Er fpielte mit jo wahrer, ſchöner Natur, daß er fich die Bewunderung aller Kenner erwarb. Nie nahın ev Zuflucht zur Grimaffe. In Scenen, wo er nichts zu reden hatte, unterbrac) er niemals das Spiel feiner Kame— raden. Noch habe ich feinen jo feinen komiſchen Schaufpieler ge— jehen. Wäre er nicht der Sohn der hiefigen Unternehmerin, und fünnten wir ihn in Wien beiten, er würde bei ung große Senfation erregen‘. Auch Madame Reinede findet er jehr empfehlenswerth. „Ste hat ungefähr die Größe unferer älteren Jaquet, ein lebhaftes Auge und viel Thenterfeftigfeit. Ich halte fie für die Befte bei diejer Bühne. Ihre Sprache ift rein, gut, wohlflingend und jehr verſtändlich. Sie brachte bei einer Stelle eine fehr treffende, feine Parodie auf den hiefigen Kanzelton an, die allgemein beflatjcht wurde, Zu munteren Yiebhaberinnen hat fie meines Erachtens ein herrliches Talent. Sie und ihr braver Mann würden bei uns gewiß allen Beifall erhalten.”

‚Meiner Borfchrift gemäß”, ſchließt Müller -über Hamburg, „habe ich auch won der Moralität diefer Gefellichaft Nachrichten zu

Das Burgtheater. 31

erhalten geſucht. Ganz Hamburg giebt ihr das Zeugniß eines liebenswürdigen Wohlverhaltens. Die Mitglieder derſelben haben Zutritt in den angeſehenſten Familien. Brockmann ſpeiſt beinahe täglich bei dem hieſigen engliſchen Miniſter, deſſen Liebling er iſt. Faſt alle ſind Liebhaber der Literatur. Sie zeichnen ſich durch eine freundſchaftliche Harmonie unter ſich ſelbſt vorzüglich aus. Sie cabaliren nicht, um ſich in Rollen zu bringen, und haben ſo ſagten mir Schauſpiel-Liebhaber die Klugheit, ihre kleinen Zän— kereien nicht unter die Leute zu bringen.“

Müller geht nun gegen Ende Septembers nach Berlin, wo die Döblin'ſche Geſellſchaft in der „Bärenſtraße“ ſpielte. Er findet Mitglieder und Spiel ungenügend, und es intereſſirt ihn vorzugs— weiſe nur Profeſſor Engel, welcher als Dramaturg damals eine geſchätzte Perſönlichkeit in Berlin war. Engel ſchrieb auch Stücke, und ſein „Dankbarer Sohn“ wie ſein „Edelknabe“ waren auf dem Repertoire in Wien. Es war Müller darum zu thun, von Engel zu erfahren, wie Leſſing eigentlich über das deutſche Theater in Wien geurtheilt habe. Leſſing war ein Jahr früher 1775 durch Wien gereiſt und hatte alſo das Theater geſehen, ehe es in die Burg überſiedelte. Müller jelbit erzählt zwar, daß dies furz vor feiner Abreife im Sommer 1776 gefchehen ſei; er irrt ſich aber offenbar; denn. Leſſing's Yebensgeichichte erweilt das Jahr 1775. Müller hat jein Memoire exit 1802 herausgegeben, es ilt alfo leicht möglich, daß er nach 26 Jahren die Jahresdaten verwechjelt habe. Wäre Leſſing exit 1776 in Wien gewejen, gerade um die Zeit aljo, da Kaifer Joſeph das Theater in feine perfönliche Obhut nahm, fo wäre er gewiß zum Kaiſer berufen worden. Denn Leſſing's Anfehen als des größten Dramaturgen deutjcher Nation war außerorventlich, Seine Stüde, denen nur noch der „Nathan“ fehlte, ſtanden in hoher Achtung, und die Recenſionen, welche er in Hamburg gejchrieben, hatten ihm die wollgültigite Autorität erworben.

Engel war auch ungemein für ihn eingenommen und erzählte

32 Das Burgtbeater.

Müller, „daß Yelfing feinen „Doctor Fauſt“ ficher herausgeben würde, jobald G©** mit feinem erjcheine, und daß er gejagt habe: meinen „Fauſt“ holt der Teufel, und ich will G* feinen holen“. Engel verficherte, daß, was er davon gehört hätte, „Fauſt“ Leſſing's Meifterjtück jein würde, und um Müller etwas Angenehmes zu jagen, fette er hinzu: Yejjing habe auch das Wiener Theater gelobt. Müller bezweifelte das. Nun denn erwiederte Engel, damit Sie jehen, daß ich Nichts werheimliche: eine Erinnerung hat Leſſing doch gemacht. Er hat gefagt, e8 herrſchte feine Harmonie in Ihrem Spiele. Einer hätte diefen, ver Andere jenen Dialekt, und ein Jeder jeine befondere Spielart, wodurch das Ganze litte.

Müller gab die verichievdenen Mundarten zu, nahm aber das Enjemble in Schutz. Er habe bis jett noch an feiner Bühne ein bejjeres gefunden. „Wir find Leute“, ſchloß er, „welche zehn, zwölf und einige über zwanzig Jahre mit einander arbeiten, folglich nicht jo widrig geftimmt, als auswärtige Bühnen, die alle Augenblide mit ihren Individuen wechſeln.“

Dennoch war Müller darauf bevacht, Leſſing ſelbſt in Wolfen: büttel aufzufuchen. Man hatte ihm einige Liebhaber gerühmt, welche in Hildesheim zu finden wären. Dort jorgte ver Bilchof, welcher ‚Die Güte ſelbſt und ein aufgeflärter Mann’ war, für theatralifche Unterhaltung und hatte die Stöffler'iche Schaufpielergefellichaft aus Hannover an feinen Bifchofjit berufen. Auf dem Wege vorthin über Braunſchweig machte Müller einen Abjtecher nach Wolfenbüttel, wo Leſſing damals die kurze glüclichjte Periode feines Lebens genoß au ver Seite einer geliebten Gattin. Er empfing Müller jehr freund: ichaftlich und pries ven Zweck feiner Reife. „Schön“, rief er aus, „ich werehre Ihren Kaifer, er ijt ein großer Mann. Unjtreitig fann Er vor allen anderen Höfen uns Deutjchen am erjten eine National bühne geben, da ver König in Berlin das vaterländijche Theater nur duldet, und nihtin Schuk nimmt, wie Ihr Regent; wozu wohl vie Briefe des hypochondriſchen Rouſſeau an den Genfer

Das Burgtbeater. 33

Magiſtrat über Schaufpiel und Schaufpielwejen wiel beigetragen haben mögen. Ich befenne, ich war gegen die Wiener Bühne ein- genommen, da ich in verjchiedenen Flugſchriften nicht die beiten Be— ſchreibungen davon las. Ich bin, da ich fie num ſelbſt geſehen habe, von meiner vorgefaßten Meinung zurücgefommen. Noch fehlt Vie— les, doch ijt fie bejjer als alle, die ich fenne. Vorzüglich fiel mir ver verjchienene Dialekt unter Ihnen auf, er macht das Ganze jo dis— barmonifch.” Müller fragt, wie vem abzuhelfen jei? ‚Durch eine Schule!’ erwiedert Leſſing. „Machen Sie Ihrem Kaiſer Vorſtel— lungen, ein Theater-Philanthropin zu errichten, jo wie der Churfürft von der Pfalz gegenwärtig eine Singſchule gejtiftet hat, die viel Gutes verjpricht. Jede Kunſt muß eine Schule haben, in ver frü— heiten Jugend durch gute Grundſätze vorbereitet und geleitet werden. Nur dadurch, durch eifriges Studium und mühfamen Schweiß, er= wirbt ſich der darin gebildete Schaufpieler das Necht auf die Ach- tung und Ehre feiner Zeitgenoſſen. Durch Sahrtaufende hat es vie Erfahrung bewiejen, daß die erjte Grundlage der Erziehung den Charakter des Menfchen für die Zufunft bejtimme. Dieje Eindrücke find unvertilgbar, und ihr Einfluß wirft durch das ganze Yeben. Alle Empfindungen, Leivenfchaften, Neigungen und Fähigfeiten müſſen in ihrem erjten Keime geleitet werden, wo das weiche, ums befangene Herz noch jeder Biegung gehorcht. So zweifellos dieſer Sat in Anfehung der moralifchen Bildung ijt, eben jo iſt er es auch in Rückſicht auf die Bildung eines jeden Künftlers,; und da durch eine zweckmäßig eingerichtete Theater Pflanzjchule beide Arten erzielt werden können, jo ijt der unjchätbare Nuten eines folchen Inftituts offenbar und eimleuchtend bewiefen. Wäre der Endzwed des Schaufpiels auch nur blos das Vergnügen des Volkes, fo ift es ſchon aus dieſem Grunde wichtig, dem Volke feine Unterhaltungen nicht durch Idioten und fittenlofe Menſchen vortragen zu laſſen, für welche es außer ven Stunden der Geifteserholung feine bejondere Achtung haben kann.‘

Laube, Burgtheater,

34 Das Burgtheater.

„Allein die Schaubühne ift etwas mehr, fann und joll etwas

mehr fein, und ihr edler Zweck wird. durch unedle, nicht durch °

Grundſätze dazu erzogene Mitglieder eben jo vereitelt, als die Wir- fung der beiten Kanzelrede durch die tadelhaften Sitten des Redners. Beide gleichen einer Uhr, die gut ſchlägt, aber umvichtig zeigt. Ein gutes Theater fann ungemein viel bewirken. Es kann Liebe für den Yandesvater und ächten Patriotismus in die Herzen der Bürger pflanzen; der Regent fann es zum Vehikel der Gejetgebung erheben, und fein Volk dadurch in eine Stimmung ſetzen, Verord- nungen mit Danf und Beifall aufzunehmen; es bildet und reinigt Sitten und Sprache, veredelt ven Darfteller und die Zufchauter u. |. w.“

Müller erzählte darauf Leſſing, daß in Berlin die Sage ginge, zu Mannheim würde auch ein Nationaltheater neu erbaut, deſſen Direction der Churfürſt ihm hätte antragen laſſen. „Nein!“ entgegnete Leſſing „man hat mich bloß zu Rathe gezogen, ich habe darauf geantwortet, was ich Ihnen joeben fagte. Dort läßt fich jedoch dasnicht jo ausführen, als in Wien.’ Man behauptet fuhr Müller fort, Sie bezögen bereits einen Gehalt vom pfäßziichen Hofe. „Auch nicht, lieber Müller! jondern eine Art von Honorar, welches aber feine Beziehung auf das Theater hat. Jedes auswärtige Mitglied der dortigen Akademie empfängt jährlich einen Gehalt von fünfhundert Thalern; dafür ift eg verbunden, jich wenigſtens zweimaldes Jahres daſelbſt einzufinden, und ven Sitzungen beizumohnen. Mit dem Theater gebe ich mich nicht ab.“ Wenn Sie aber einen Beruf zu uns erhielten? fragte Müller, „Er protejtirte, doch jo, daß ich glauben konnte, er würde ihn annehmen, Seine Gattin, welche zehn Jahre lang bei uns in Wien jeßhaft ge— weſen war, ſchien diefen Beruf zu wünschen. O! fagtefie, ich liebe die guten Wiener herzlich, nie werde ich ihre Güte gegen mich ver— geſſen.“ „In München‘ fuhr Leſſing fort, „wohin Sie vermutblich auch kommen werden, habe ich eine brave, wohlgejtaltete Frau für die hohen fomifchen Rollen angetroffen, und mit Ver—

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gnügen spielen jehen; fie nennt ſich Noufeul; dieſe jollten Sie nach Wien zu ziehen ſuchen. Auch zwey junge Mädchen werden Sie dort finden; beyde geben große Hoffnung, ich weiß fie aber nicht zu nennen.”

Müller fand die beiden Liebhaber im Hildesheim unbrauchbar und ſprach auf dem Rückwege wiederum ein bei Yeljing. Leſſing Ipricht von neuem über die Pflanzjchule, und daß die wenig bevöl- ferte Stadt Mannheim nicht der Ort dafür ſei. Auch gegen vie Ballets eifert er, und preift ven Kaiſer, daß er diefen „Flitterputz“ abgeichafft, welcher ven Eindruck eines gut dargejtellten Stücdes auslöſche. Auch gegen die Singipiele ſprach er fih aus. „Sie find das Berverben unferer Bühne’, Tagte ev, „Ein folches Werf ist leicht geſchrieben. Jede Komödie giebt dem Verfafjer Stoff da— zu; er fchaltet Geſänge ein, jo ijt das Stüd fertig. Unfere neu entjtehenven Theaterdichter finden dieſe Fleine Mühe fretylich Leichter, als ein gutes Charafteritück zu ſchreiben. Nur angemeſſene Be— lohnungen für durchdachte Arbeiten können dieſem einfchleichenven Unheile einen Damm entgegenjegen, und Genies erweden, befjere Wege zu betreten.’ Miller fragt, wie diefe Ermunterung geftaltet werden fünne? „Ihr Kaiſer“ antwortet Leſſing „kann die Preiſe bejtimmen, auch Vorſchriften bejtimmen, wie die Stüde be> Ichaffen jein müjjen, welche ven hohen Ziele jeiner Wünſche ange: mejjen ſind. Eine angetragene Einnahme der fünften, fiebenten und neunten Borftellung würde Dichter anfenern, mit Kopf zu ar: beiten. Ach Gott! Ihr Raifer hat taufend Mittel, der finfenvden Bühne aufzuhelfen!“

Miller hegte ficherlich in ver Stilfe ven Wunsch : fo beveutende Reifeberichte möchte doch nicht der etwas trodene Baron Kienmayer allein lejen! Es möchte Graf Roſenberg und Fürft Kaunitz davon Notiz nehmen, und fie dem Kaifer jelber vorlegen!

Das nächſte Reijeziel Müller’s war Gotha, einer der beiten Stammſitze deutſchen Theaters, wo der alte Eckhof jet noch in voller 3%

36 Das Burgtheater.

Thätigfeit war, Müller nennt ihn auch jet noch ven bejten veutte ihen Schaufpieler. „Sein jonorifher Vortrag, die Wahrheit, die verichönerte Natur, das Geiftvolle, was diefer würdige Mann in jein Spiel bringt, reißt jeden hin, der ihn zum erjten Mal ſieht.“ Früher der ‚größte deutſche Artift in den erften jungen Helden- und Liebhaberrollen“, jpielt er jetzt „ſowohl in tragijchen als in hohen und niedrigsfomifchen Stüden die edlen und launigen Väter mit gleicher Kunjt‘, und habe mit Necht Anfpruch auf ven Namen des Garrick der deutſchen Bühne, Neben ihm fieht er einen trefflichen Komiker Namens Friſchmuth, welchen er für Heydrich empfiehlt.

Müller verkehrt in Gotha mit Gotter, der als Ueberjeger und Bearbeiter ſehr thätig war fir’s Theater. Seine „Medea“ hat bis in unfere Zeit herein auf dem Nepertoire gedauert. Müller nennt ihn einen foliden, vechtichaffenen Mann, welcher Leſſing's Abneigung gegen Singipiele und Ballets nicht theile, ſondern Abwechjelung die Würze des Vergnügens nenne, über eine Theaterpflanzichule aber Leſſing ganz beiftiimme. Uebrigens erregt es Müller Bedenken, daß auf den norddeutichen Bühnen eine gewifje Kälte und ein Kan— zelton im Vortrage herrfhe, und er meint, daß „der jett in Mode fommende Converfationston doch wohl gar zu natürlich ſei“. Wir werden ſpäter bei Schröver’s Gajtjpiel im Burgtheater erfennen, daß diefe Bemerkung von Bedeutung war.

Die bürgerliche Stellung der Schaufpieler war in Gotha die günftigfte. Sie hatten zwar, wie es vie fleine Stadt im kleinen Staate mit jich bringen mochte, nur Feine Sagen, aber jie wurden durch bürgerliche Vortheile entjchädigt. Wenn das Getreide hoch im Preiſe jtand, durften ſie es „für ein geringes Geld“ aus den berzoglihen Magazinen beziehen, und fie beſaßen auch wie andere Bürger die Braugerechtigfeit. Daneben bezogen Wittwen und Kinder verjtorbener Schaufpieler Penſionen aus der Yandeswittwen- cajje. Dieje Mitteilung Müller’s kann wohl vie erite Beranlaffung gewejen fein zur Einführung der Penſionsdecrete im Burgtheater,

Das Burgtheater. 37

Zum Engagement am Nationaltheater empfiehlt ev von bier Madame Böck, welche für Meütterrollen eine brave, ja eine große Künftlerin jei. Nach ver Hamburger Bühne nennt er überhaupt die Gotha’iche „im Ganzen ———— als die beſte“, welche er bis— her geſehen.

Bon Gotha geht er nah Mainz, und hier am erzbifchöflichen Site findet er endlich die Soubrette, welche ven Anforderungen des Fürften Kaunitz entiprechen dürfte, eine Madame Stierle, deren Engagement er betreibt.

Seine nächte Station ift Mannheim, wo Alles in Bewegung ijt, die Gründung einer Nationalbühne vorzunehmen, wie Kaifer Sofeph fie für Wien angefündigt. Ein Haus hatte man eben ge— baut, welches blos für das vaterländiiche Schauspiel und qute Be- arbeitungen bejtimmt war. Die Oper Jollte der Hofihaubühne - verbleiben. Man erwartete Alles von Leſſing, welchem man Boll- macht gegeben zu allen Engagements. Für „Dichter und Acteurs wollte man Belohnungen fejtjegen, vie theils im Golde, theils in der Ehre beftehen jollten, daß ihre Bruftbilder öffentlich aufgeftellt würden‘. Eckhof enplich hoffte man zu gewinnen, „der nicht mehr agiren, jondern blos unterrichten und eine lebenslängliche Verſor— gung erhalten jollte‘. Ueberhaupt „ſollte ven Schaufpielern, die ji) befonders auszeichneten, eine lebenslängliche Berforgung ver: fichert werden.

Zum zweiten Wale alfo fonnte Müller diefen Benjionsgevanfen zur Beherzigung nach Wien berichten, und diefe Wirfung ver faifer- Gründung eines Nationaltheaters wurde mit Eifer gemelvet. jtand in Mannheim damals Alles noch auf Hoffnung. hatte nur Schaufpielhäufer zu betrachten, die Schaufpieler jelbjt waren jo gering wie die Hildesheimer.

Er eilte alfo nah München. Hier findet er Alles jehr gering im Schaufpielwejen, aber Madame Noufeul beftätigt ihm Leſſing's Empfehlung. Er begiebt jich eilig auf die Heimreife nach Wien.

38 Das Burgtheater.

Hierwird er vom Oberjtfämmerer zum Kaifer geführt und fteht feinen höchſten Wunſch verwirklicht: der Kaifer hat all! jeine Be— richte gelejen, und genau gelejen. Er drüdt ihm huldvoll feine Be- frievigung darüber aus. Brockmann wird engagirt, die Nouſeul und Stierle desgleichen, auch für Borchers folgt die Genehmigung, falls deſſen Contract ein baldiges Engagement möglich macht. Das Wichtigfte aber ift: Müller verhält Auftrag, an Engel zu schreiben und Unterhandlungen mit ihm anzufnüpfen. Der Kaijer ließ ihm viel Schönes fagen, und daß ein Mann wie er, welcher „vie. wahre Naturſprache jo warm und fo veredelt im ſeinem „„Daukbaren Sohne‘ völlig in feiner Gewalt hätte‘ und außerdem ein „ſolider Gelehrter” wäre, ein beſſeres Schickſal verdiente, als er jetzt nach Müllers Schilderung genöffe Kurz, es it Engel‘ eineleitende Stellung am Burgtheater angetragen worden. ı Den Wortlaut der faiferlichen Ausdrüde hat Müller durch fünf Teer gelaſſene Zeilen nur errathen laſſen. Vielleicht ift eine herbe Aeußerung des Kaiſers über Berlin im Jahre 1802 der Cenſur verfallen. „Es wäre mir lieb“ hat der Kaiſer geſagt, „wenn Engel zu uns käme. Was uns drückt und noch immer drücken wird, iſt der Mangel an guten Dichtern und beſonders an ſolchen, welche wir unſere eigenen nennen können. Ich möchte wohl die erſten und beſten Köpfe in ganz Deutſchland hieher ziehen, worunter in Rückſicht auf das Theater Leſſing und Engel uns hier vorzüglich nützlich werden könnten.“

Ferner befahl der Kaiſer, daß ihm Müller den Plan zu einer Theater⸗Pflanzſchule vorlege. Das geſchah. Müller theilt den ſorgfältig ausgearbeiteten Plan mit und erzählt, daß der Kaiſer mit den Einzelheiten einverſtanden geweſen wäre. Nur bh r ver⸗ worfen, daß die Schule nach Laxenburg verlegt werde; in Wien müſſe ſie ſein, damit die jungen Leute im Verkehr mit der Welt bleiben und Theatervorſtellungen ſehen könnten. Der Kaiſer be— fahl, daß Abſchriften des Planes an Engel, Leſſing und Weiße ge— ſendet und dieſe Herren um ihr Gutachten gebeten würden.

Das Burgtheater. 39

Endlich bilfigte der Kaifer auch die Gründung einer Theater- bibliothef und verordnete im Sinne Leſſing's, daß jeder Dichter vie ganzerdritte Einnahme feines Stüdes, welches im Hof- und Natio-

‚naltheater aufgeführt würde, zu beziehen habe.

Alle Erfahrungen der Müllerichen Reiſe wurden aljo durch den Raifer zur Geltung gebracht und die Ausfichten für das Theater waren im Sahre 1777 vie allerbeften. Leider wurde nicht Alles aus— geführt, wie es angelegt war. Ein Kaifer kann eben nicht auch im Detail Thenterdirector fein, und in Kaifer Joſeph's nächjter Um— gebung hat augenscheinlich ver Mann gefehlt, welcher die Ausführung ver faiferlichen Gedanken nachdrücklich betrieben hätte. Außerdem erwachte gerade damals in Kaiſer Joſeph eine beſondere Liebhaberei für das deutjche Singfpiel und er nahm plößli Müllers ganze Thätigfeit für die Gründung und Ausbildung dejjelben in Anjpruch. Daß Leffing fich fo abjolut dagegen ausgefprochen hatte, war ihm unangenehm, und vielleicht deshalb wurde Engel in erjte Linie ge- ftellt. Es ift nicht zu verfennen, daß die nächjten Jahre des Natios naltheaters das Schaufpiel nicht fo Fräftig entwidelten, wie man nach den einleitenden Schritten zu hoffen berechtigt gewejen, und daß die Pflege des Singfpieles dem recitivenden Schaufpiele einigen Abbruch that.

Dazu fam, daß die Schaufpieler fich nicht gleichgültig verhielten zu einer Reform, an welcher einer ihrer Collegen jo maßgebend be- theiligt war und welche jo viel neue Berfonen in ihre Reihen brachte, und zwar an die Spitze diefer Reihen. Sie fanden und finden Dies niemals behaglich und unterlaffen es jelten, Schwierigkeiten da= gegen zur erheben. Es wurde ihnen auch vecht Leicht, ſolche Schwie- rigfeiten zu erheben, denn die Geſellſchaft dirigirte jich eigentlich felbft. „Die älteften Männer und Frauen, wie auch diejenigen, welche erſte Rollen fpielten, traten gewöhnlich einmal wöchentlich zufammen, lafen, wählten und bejetten nah Mehrheit ver Stimmen die Rollen in den neuen Stüden und vertheilten die abgehenden in

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den alten, Alle Bejchlüffe, Meinungen, Separat-Vota wur— den protocollirt und durch den älteften Mann unter ihnen, welcher den Titel Regiffeur führte, der Entjcheivung der Oberjten Hofdirec— tion vorgelegt. Dies Zujammentreten hieß tie Verfammlung. Darin gab es num freilich oft Debatten, befonders unter dem ſchönen GSefchlechte, wovon Einige mit den unerheblichiten Kleinigkeiten zum Kaifer gingen und deſſen Langmuth, Gnade und Huld zu oft in Anſpruch nahmen.‘

Dies beſchloß denn der Kaifer abzuändern und er ließ Geſetze für die Geſellſchaft entwerfen, fir welche die Vorſchriften der Parifer Schaubühne zum Grunde gelegt wurden,

Ill.

Kaiſer Joſeph ließ alſo plößlich nach in der ausjchlieglichen Theilnahme für das deutjche Schaufpiel. Das will nicht fagen: fein Interejje an demfelben habe nachgelafien. Nein. Aber fein Interejjetheilte ſich; e8 wendete fich eine Zeitlang dem Singſpiele zu. Sein Schöpfungstrieb, einige Jahre zufammengedrängt auf das recitivende Schaufpiel, jchien eine Abwechslung zu brauchen.

Damit ift nicht gejagt, daß er das damals „Nationaltheater‘ genannte Burgtheater aus den Augen gelafjen hätte, Keineswegs. Er forgte ferner für gründliche Organifation deſſelben und für Er- werbung ausgezeichneter Kräfte. Er gab dem Theater ein ſehr aus- führliches Statut unter dem Titel „Vorſchrift und Geſetze, nach welchen jich die Mitglieder des k. k. Nationaltheaters zu halten haben’, und befahl Friedrich Ludwig Schröder für das National- theater zu engagiren.

Beide Mafregeln waren vortrefflih. Strenge Ordnung war dem Theaterwejen, welches aus wüſtem Treiben fich empor arbei- tete, äußerjt nothwendig, und die Erwerbung eines Mannes wie Schröder erichien wie ein großer Segen. As Schaujpieler, als Directionsführer, als dramatifcher Schriftiteller hatte ſich Schröder während der jiebziger Jahre, vorzugsweile in Hamburg, ungemein hervorgethan. Wenn Einer das Nationaltheater zum Gipfel führen fonnte, jo war er diejer Eine,

Es ijt ein wunderliches Schickſal geweſen, daß gerade jenes Statut

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das Hinderniß wurde für das dauernde DVerbleiben Schröver's in Wien. .

Entjtanden ift dies Statut erfichtlih nach dem Vorbilde der Comedie francaise. Man war in Wien zur damaligen Zeit in viel lebhafterem Verkehre mit dem franzöfiihen Schaufpiele als jet, und franzöfifche Theatergejelfchaften waren im Kärnthnerthor- wie im Burgtheater heimifch.

Der Mittelpunft diefes Statuts war der jogenannte „Aus:

ſchuß“, welcher aus fünf Schaufpielern, fogenannten Infpicienten, bejtand und das Theater regierte. "Stephanie der ältere, Müller, Steigenteſch, Stephanie. der jüngere und Brockmann waren: die erſten Inſpicienten. Sie jollten am Eingang eines jeden ,‚Theatral- jahres“ won den fünmtlichen wirklichen gagirten Mitgliedern gewählt oder neu beftätigt werden. Sie hatten „die allgemeine Führung der Schaubühne‘‘ zu beforgen, über Annahme neuer Stüde zu urtheilen und die Beſetzung derſelben zu beſtimmen.

„Bei Annahme neuer Stücke“ lautete es „müſſen fie die Ehre und den Nuten des Theaters vor Augen haben und wohl daranf jehen, daß die angenommenen Stüde den Regeln des gerei- nigten Theaters entiprechen und auf dem Aepertoire jtehen bleiben fünnen, Daher fer das Trauerjpiel veih an Handlung, an erha— benen Gefinnungen, falle nicht in's Gräßliche und Uebernatürliche ; es errege Mitleid und Furt, aber nicht Abſcheu und Entjegenz es führe eine edle, hohe Sprache, aber feinen voll Phantafien verweb- ten Wortkram. Das rührende Luftipiel, dejfen Handlung zwijchen dem Täglichen und Seltener innejteht, zeige bejondere Charaftere, möglichere rührende Handlung als das Trauerfpiel, ohne in's Ro— manbafte zu fallen ; die Bewegungen, die es ervegt, feiern angenehm, ohne zu erjchüttern; jeder Charakter. deſſelben ſei belehrend, das Ganze zwecke zur Sittenlehre ab, ohne abgeſchmackt zu werben; Die Sprache darin ſei erhabener als im Luftipiele, ohne den Schwung der tragischen zu nehmen. "Um viefe Gattung nun in größerem An-

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fehen und Werth zu erhalten, iſt zu beobachten: daß nicht gleich- ‚förmige Chavaftere, Situationen oder Interefjen in anderen Wen— dungen als neu ericheinen, und daher das Neue dem Alten, over das Alte dem Neuen ſchade; dialogirte Romane, bei welchen der Autor weder Verdienſt noch Genie verräth, der Schaufpieler alltäglich werden muß, vürfen feine Aufnahme finden, weil ſie ven Zufchauer ermüden umd abjchreden.: Das Luitipiel hingegen enthalte Charaf- tere aus. dem gemeinen Keben, doch mit Interejje, Satyre, ohne in’s Pasquill auszuarten; errege durch Wit und anftändige Natur Lachen, nicht durch Poſſen, Unanftändigfeit oder unnatürliche Be- gebenheiten; es zwecke zur Beſſerung ab durch Schilderung feiner lächerlichen Charaftere, ohne den Anjchein eines Lehrgebäudes zu haben; die Sprache ſei won ver Natur, aber nicht vom Pöbel ge- nommen.‘

„Bei Meberjegungen haben ſie unter obigen Erforderniſſen noch darauf zu ſehen, daß der Sinn des Originals nicht verſtüm— melt und geſchwächt werde, eine dem Sujet angemeſſene, gute deutſche Schreibart darin vorhanden ſei, daß keine Aenderungen im Ganzen vorgenommen werden, ſo dem Stück eine andere Richtung geben; ausgenommen ein deutſcher Dichter nützte nur die Anlage ver Charak— tere, Situationen und des Intereſſes, formte ein ganz neues Ori— ginal und nützte Deutſchland dadurch mehr, als durch eine getreue Ueberſetzung.“

Nach dieſen bemerkenswerthen Grundſätzen ſollte jedes einge— ſchickte Stück binnen vier Wochen „abgefertigt werden“. Zwei Inſpicienten erhielten es zur Prüfung: „ob es der öffentlichen Vor— leſung werth ſei“. Keiner durfte es Länger als acht Tage behalten, und mußte dann jehriftlich auseinanderjegen, aus welchen Gründen er es zum Borlejen vorſchlüge oder verwerfe, „Nach Vorlefung eines Stückes giebt jenes Mitglied des Ausſchuſſes ein kurzgefaßtes Botum ad protocollum und die majora entſcheiden.“

Alsdann entfcheidet ver Ausschuß wiederum „per majora“

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über die Bejegung. „Jene, jo Hauptrollen zu ſpielen pflegen, jollen in den ihnen zugehörigen Fächern gebraucht und ihnen nur alsdann mindere Rollen zugetheilt werden, wenn eben im Stüd feine Rolle aus ihrem Fache vorhanden wäre und das Stüd durch eine andere Belegung litte.“ Auch follen Rollen mehrfach befeßt werden Calterniven), wenn es ohne Nachtheil der übrigen Beſetzung ge- Ichehen fan. ,‚Seder Dichter hat zwar die Freiheit, eine Beſetzung feines Stüdes vorzufchlagen, doch muß der Ausschuß folche prüfen und, falls ſie zum Nuten des Theaters oder zur Zufriedenheit ver Schau— ipieler beijer entworfen werden fünnte, folche nach Pflicht abändern.”

„Zur Zufriedenheit der Schaufpieler‘‘, diejer charakterijtiiche Grund beleuchtet deutlich dies rvepublifanifche Selbjtregiment der Schaufpieler, welches fich im theätre francais bis heute erhalten hat. Man darf nicht außer Acht lajfen, daß damals und daß über- haupt in Deutjchland die Schaufpieler ſelbſt die Mehrzahl ver Stücke ſchrieben und dadurch ihre Alleinherrichaft weſentlich ſtützten. Unterhaltungsftüde waren das Hauptbevürfnig.

Stephanie der jüngere war ein fruchtbarer Verfaſſer neuer Stücde im Ausfchuffe des Nationaltheaters. Für ihn erichien mit Schröder ein gefährlicher Nivale, denn Schröder's Stüde waren bedeutender.

Schröder hatte ſchon eine außerordentliche Lebensſchule durch: gemacht, als er ſechsunddreißig Jahre alt damals nah Wien fan. Sein Stiefvater Acdermann hatte im Norden Deutjchlands, in Mecklenburg, in Oft: und Weftpreußen, in Hamburg, im Holitein’- ſchen, Schleswig’schen und im Hannover’fchen, ja auch in Rußland und Polen ununterbrochen Theaterdirectionen geführt und hatte jich mit gewiffenhafter Strenge des fleinen Stiefjohnes angenommen. Aber diefer Fleine Schröver war ein wilder, excentrifcher Burſch, und Stiefvater Ackermann war ein genialer Schaujpieler gemwejen. Da hatte es denn nicht an heftigen Scenen gefehlt. In Warſchau zum Beifpiel hatte fich einmal der junge Fritz im Jeſuitenkloſter

Das Burgtheater. 45

verjteet, hatte zum Katholicismus übertreten, ja Jeſuit werden wollen, um der elterlichen Obhut für immer zu entweichen. Im Königsberg war er als Zögling einer Schule allein zurüdgelafjen worden, und das Koſtgeld war ausgeblieben; er war dem Ver— hungern und jeglichem Berverben ausgefegt geweſen, da ihn vie Schule erbarmungslos ausgejtoßen hatte. Mit einem verjoffenen Schufter hatte er lange Zeit auf das Kläglichite fein Leben friften müſſen, und die gemeinften Yebensgewohnheiten hatten ihn umgarnt. Schnapstrinfen und kleine Entwendungen, welche dem Diebjtahl nahekamen, bedrohten jeine förperliche wie feine moralische Gejundheit.

Er überjtand das Alles, Endlich fam Gelohülfe von ven Eltern, welche feiner feineswegs vergaßen, aber jelbjt nicht immer in der Lage waren, Geldſummen zu erübrigen. Er machte ji auf, in einem dürftigen Fahrzeuge durch die Dftfee nach Lübeck zu ſchiffen, erlitt Schiffbruch, rettete und friftete fich wie Robinfon Erufoe und itieg halbnnackt bei Travemünde an's Yand. Ausnahmsmweije waren gerade jett einmal feine Eltern mit ihrer Gejellfchaft in Süddeutſch— land, und der junge Wann mußte fich durch die ganze Yänge des deutjchen Vaterlandes hindurch Fechten. Auch das gelang ihm, und ver früh erfahrene Jüngling ftand endlich wieder feiner Mutter und feinem höchit eigenthümlichen Stiefvater gegenüber.

Dies jein häusliches Verhältniß, unerihöpflihb an Con— flieten, ijt offenbar fehr fruchtbringend aewejen für Schröver’s Sharakterjtudien. Die Mutter, aus Berlin ftammend, war in eriter Ehe mit dem Drganiften Schröder verheirathet geweſen. Diejer Vater Fritz Schröver's, ein gejchiefter Tonfünftler, war in Nahrungslofigfeit und Liederlichkeit verſunken und hatte es der begabten Frau überlajjen müfjen, jich jelbjt zu ernähren. Sie war nah Schwerin, war nah Hamburg gegangen, um durch ihre Gejchieffichkeit in Stiderei ihr Brod zu erwerben. In Hamburg hatte Eckhof fie fennen gelernt und ihr gerathen, die Vorzüge ihres Geiſtes und ihrer Geftalt auf der Bühne zu verwerthen. Diejem

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Rathe war fie gefolgt, und er hatte jich als richtig exwiejen. Sie gefiel und war ſchon vier Jahre lang Schaufpielerin, als ihr Mann jie 1744 zum letsten Male in Hamburg befuchte, Die Frucht viejes legten Bejuches war Friedrich Schröder. Der Vater Schröder ftarb bald darauf und ſie heirathete fünf Jahre ſpäter Ackermann. Dieſer alſo, welcher den vierfährigen Frit als Stieffohn befam, wurde Schröders eigentlicher Vater.

Eine Aeußerung Schröder’s weiſt darauf hin, daß die erjten Eindrüde feiner Jugend, daß feine Iugenderziehung überhaupt maf- gebend geworden jind für jein ganzes Leben. Dieje Aeuferung lau— tet: daß er feine Anficht über die Vorzüge und Fehler der theutra- liſchen Darjtellung feit jenem zehnten Jahre nicht geändert und feine Urjache gefunden habe, fein Urtheil darüber in der. Folge zurüdzunehmen.

Dies erklärt fich vielleicht, wenn man einen Blick wirft in den Adermann » Schröder’fchen Hausjtand. Unter den: mannigfachjten Sorgen jpinnt jich die Directionsführung eines Theaters in dieſem Hansjtande ab, und ver Knabe jieht alle Kunſtproducte entjtehen, werden und vergehen oder dauern. Die Mutter ijt überall die gei— jtige Förderin, fie jchreibt Prologe, fie bearbeitet Stücke, fie ſtudirt den ſchwächeren Meitgliedern vom Kinde bis zum erjten Liebhaber die Rollen ein. Der Vater weicht in den Gefprächen den theore- ttichen Betrachtungen aus, oder erledigt fie durch ein entſcheidendes Wort feines starken Naturells. Er iſt das Talent und vertritt durch’ die That die jiegreichen Rechte des Talents. Schröder hielt ihn, nachdem Ackermann längſt gejtorben, für ven einzigen fomijchen Schauſpieler, ven man ‚vollendet‘ nennen fünnte; der nie aus der Wahrheit herausgetreten fei, der nie übertrieben habe. „Ich kann mich leider nicht rühmen“, jetst er befcheiven Hinzu, ‚‚meinem Mufter hierin treu geblieben zu fein.” Und voch wiſſen wir, daß es ein Hauptvorzug des großen Schaufpielers Schröder gewejen tft, jtreng in der Wahrheit, fern von jeder Uebertreibung zu bleiben. Die

Das Burgtheater. 47

Anklage gegen jich ſelbſt gilt alio wohl den Jugendſünden auf der Bühne.

Diejen Eltern gegenüber begann nun der vierzehnjährige Bur— che jeine eigentliche theatraltjche KYaufbahn. Zunächſt als Tänzer, denn: in der Tanzfunft entwidelte er große Fertigkeit und war er dem Director» Vater am einträglichiten.

Leider meinte ver Vater die Gage an ihm ſparen zu fünnen, und der nafeweije, ſchon viel verſuchte Sohn fand dies unerträglich, „Schröder war der einzige Menſch, ven Adermann jtrenge behan— delte‘‘, eben wohl, weil er ihn gewillenhaft erziehen zu müſſen meinte, „Schröder war aber auch der einzige Menſch, ver fich ihm widerjeßte, wenn er Recht zu haben glaubte. Und leiver glaubte er dies zu oft.‘

So entjtanden denn bald wieder die peinlichiten Streitigfeiten zwilchen Bater und Sohn, welche mehrmals mit Flucht und Ent— weichung des Yebteren endeten. Die Mutter weinte und hielt es für ihre Schuldigfeit, dem Bater Recht zu geben.

Fritz Schröder wurde durch all das nicht zahım, Er war früh— reif und machte auf volle Geltung Anſpruch. Hohes Billardipiel mußte Geld verjchaffen, und Duelle mit Franzoſen, welche damals bei Ausgang des jiebenjährigen Krieges in Süddeutſchland herrichten, brachten aufregenden Zeitvertreib. Kleine Aufgaben im Luſtſpiele, die ihm allmälig zufielen, behandelte ev von oben herab. Er unter- vichtete fich nur über ven Inhalt des Stüdes und der Rolle, Das mußte genügen. Die Rolle jelbjt lernte er nicht.

Da trat ein Wendepunft ein. Die Wieland'ſche Ueberjetung Shafejpeare’s erichien. Sie fam dem achtzehnjährigen Schröder in die Hände, „Er verſchlang fie und machte fie zu feinem Handbuch.‘

Die Wirkung ver Shafejpeare » Yectüre ging bei Schröder zu— nächft nur nach ver komiſchen Richtung. Der britiihe Humor be— geifterte den jungen Deutjchen, und wir jehen in der nächjten Zeit

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feinen anderen Wechfel in jeinem Dichten und Tracten, als daß er noch ausgelafjener mit feinem jchaufpieleriichen Talente verfuhr. In Frankfurt zum Beilpiel, wo der Wiener Kurz die Stegreif- fomödie betrieb und dem fo wirkſamen Komifer Schröder die alte Phrafe entgegenhielt: daß ein begabter Künftler ſich ja erniedrige, wenn er nur Auswendiggelerntes vortrage, ſtatt frei und ſchöpferiſch zu improvifiren in Frankfurt lieferte ev dreift, ja frech den Be— weis, daß er eben jo gut und bejjer improvifiven fünne. Er fpielte dergeftalt aus dem Stegreif, daß das Publicum des Yachens nicht müde wurde, obwohl die Komödie eine Stunde länger dauerte, als fie dauern ſollte. Unwillfürlich wohl lieferte er damit den Beweis, dar Inhalt und Form aus Rand und Band getrieben werde durch das ſogenannte freie Spiel.

Auch im Berhältniffe zu feinem Stiefvater trat noch immer fein günftiger Wechfel ein. Der junge vorlaute Menſch, wie hoch er das Talent und die Herzensgüte Adermann’s ehren mußte, pochte unabläjfig auf jeine größere Geiftesichärfe, unterließ jein altfluges Kritifivren nicht und fügte fih in feinem Streite. So fam es venn einmal in Kaffel zum Aeußerſten: Adermann ließ fih vom Zorne fortreißen, nach feinem Stiefjohne zu jchlagen, und dieſer zog den Degen gegen feinen Stiefvater. Verhaftung Schrövder’s war die Folge, ja er wurde in Ketten gelegt und ein paar Wochen in Ketten gefangen gehalten.

Es fehlte denn faſt Nichts mehr an großen Lebensſchickſalen, was er bis in fein zwanziaftes Jahr nicht durchgemacht hätte. Sein fittlicher Kern mußte ſehr ſtark jein, um durch jo wildes Jugendleben nicht bejchädigt zu werden.

Er war fehr ftarf. Denn gerade im fittlicher Richtung wurde diefer leichtfinnige Friß fpäter ein Mufter von Strenge und Feinheit.

Eben ſo erging es mit dem Kerne ſeines Talentes. Es ent—

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widelte jihb im Yaufe feiner zwanziger Jahre allmälig zu gedie- genem Ernſte. |

Es ift ziemlich deutlich, daß Leſſing einen jtarfen Einfluß auf ihn ausgeübt. Die unabweisliche Berjtanvdesihärfe viefes großen Schriftitellers hatte eine große Macht auf Schröder, und als „Emilia Galotti“ erichien, welche er feinen Schweitern Elifabeth und Char- Lotte zu wiederholten Malen mit Begeifterung vorlas, entichloß er fich zur Darjtellung ver Marinelli-Rolle. Cr hatte allerdings ſchon vorher in Hannover die Adermann’iche Gejellichaft fehrte damals für immer nach dem Norden zurück und nahm ihren Hauptjis in Hamburg die erſten Schritte aus dem komiſchen Fache heraus getban und hatte als ein noch recht junger Mann einige ernite Vüterrollen gejpielt. Aber aus dem Durcheinander von Fächern, welches ein Divectorsjohn, zu Zeiten ein Mitdivector, ergreift, um die Beſetzung eines Stüdes zu deden, entwidelte fic) doch evt jett mit diefer gelungenen Darjtellung eines Marinelli die Flare Anficht in ihm, daß Charafterrollen jeglicher Art, auch in der Tragödie, jeinem Talente angemejjen wären.

Diejer Elar gewordenen Anficht entſprechend nahm auch fein Privatleben einen joliden Charakter an. Er wird innerhalb feiner Familie milder und rüdfichtsvoller, ev unterftügt den Stiefvater bingebend in der Divectionsführung, und die gegenfeitige Yiebe zwifchen Vater und Sohn, die immer ächt vorhanden geweſen, quillt nun ungetrübt hervor. Er beichäftigt ſich eifrig mit Studien, er widmet den neu auftauchenden Dichtern Goethe, Yenz, Klinger volle Aufmerkſamkeit, ſchöne Werfe auch von Yenz erwartend, wenn dieſer fih zügeln und in engere Form finden könne; er fett jogar mit größter Sorgfalt den zufammengeftrichenen „Götz von Berlichingen‘ in Scene und fpielt den Bruder Martin, obwohl er nicht ver- leugnet, daß dieſe epiſch-dramatiſche Form ſich niemals zu einem danfbaren Theaterftücde eignen werde; er macht die perjünliche Be—

kanntſchaft Leſſing's; er lieft, ja jtudirt das Theater ver Griechen Zaube, Burgtheater. 4

50 Das Burgtheater.

und gewinnt einen Zugang zum Pathos diefer Form; er verjenft fih auf's Neue in die Shafeipeare'fchen Stüde, und jest gehen ihm auch ihre großen, ernjten Yinien mächtig auf; er fängt feine Be- arbeitungen an, er fchreibt eigene Compofitionen nieder; furz, der Schröver entwidelt fih nach allen Seiten, welcher für das deutſche Theater fo einflußreich geworden iſt.

Wie war dies möglich nach jo wüſtem Jugendtreiben? „In feinem Leben war ein Funken Ehre”, läßt Shafefpeare ven Brutus Tagen von einem gemeinen Krieger. Ein veizbares Ehrgefühl Ipringt von frühauf hervor in dem lieverlichen Knaben Fritz; ja, das jo- genannte point d’honneur war der ftete Grund feines Streites mit Vater Ackermann. Solch ein fittlicher Mittelpunkt in jungen Menfchen wirft wie ein Talisman. Cr ſchützt vor dauernder Ge- meinheit, er jpornt zu Aneignungen, damit man Ansprüche begründen fönne, Verſtand und Talent, welche Fri Schröder in hohem Grade von der Natur verliehen waren, wiljen dieſe Aneignungen trefflich zu erringen und mit den ungewöhnlich reichen Erfahrungen zu ver— ſchmelzen, und jo entjteht eine Perſönlichkeit, welche zu ſchöpferiſcher Thätigfeit ganz befonders geeignet und welche vor allen Dingen ein Charakter iſt. Charakter - Eigenthümlichfeit iſt ja aber doch für den Künſtler das erjte® und lette Erforderniß. Denn feine Aufgabe be- jteht darin: mit eigenthümlicher Kraft zu Schaffen.

Diefe Kraft bewährte nun Schröder während der legten jieb- ziger Jahre in Hamburg als Hülfsdirector zu großem Segen des deutſchen Theaters. Das deutſche Theater hatte damals in ihm feinen neuen Schöpfer. Eckhof war alt und hatte nie die Eigenschaft gehabt, in diefem weiteren Sinne zu dirigiren und zu jchaffen. Seine förperlichen Mittel waren nicht befonders günftig, nur fein ſchönes Organ und fein feelenvoller Vortrag ficherten ihm künſtleriſche Macht und Herrichaft in einem begrenzten Fache. Das Luſtſpiel war ihm eigentlich ganz verfagt. Ganz an richtige Stelle war er um dieſe Zeit nach Gotha gerathen in die jtillere Sphäre eines

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feinen Hoftheaters, wo man fichten und wählen fonnte und nicht genöthigt war, das harte Holz ver neuen Verfuche zu jpalten. Er ftarb, als Schröder fich hinlänglich gereift fand, von Hamburg auf- zubrechen und jein Repertoire und jeine Schule auszubreiten im deutjchen Reiche.

Während dieſer legten ſiebziger Jahre in Hamburg bildete jich unter Schröder eine gute Schaar Schaufpieler und ein für damalige Zeit reiches Repertoire. Bon diejen Schaufpielern kam ver tüchtige Reinecke nach Berlin, der begabte Brodmann und Madame Sacco nah Wien. Borchers blieb lange bei ihm, und Schröder felbjt mit feiner Fran und jeinen beiden Schweitern Dorothea und Charlotte waren der Mittelpunkt. Charlotte jtarb früh, und Dorothea ward durch Verheirathung der Bühne entzogen. Die Kaufmannsitadt Hamburg, welche er übrigens liebte, verjagte ihm, wie er meinte, doch gar zu oft die Theilnahme für höhere Stüde. Shafejpeare’s „Richard der Zweite‘ „beliebte vem Bublicum nicht’; Shakeſpeare's „Heinrich ver Vierte’ beide Theile in einen Abend von ihm zu— Jammengezogen verfagte troß feines trefflichen Falſtaff vergeitalt, daß er am Schluffe mit der ihm eigenen ruhigen Hartnädigfeit dem Publicum anfündigte: „In der Hoffnung, daß diefes Meijterwerf Shakeſpeare's, welches Sitten jchilvert, die von den unjrigen ab» weichen, immer bejjer wird verjtanden werden, wird es morgen wiederholt”. Er erhielt das Stück mit Opfern auf dem Repertoire, gewann aber niemals vie volle Theilnahme des Publicums für dafjelbe. Auch fpäter in Wien nicht. Wohl aber in Berlin, obwohl er dort ein fchlechteres Enjemble fand als in Hamburg und in Wien. Diefe literarhiitoriihe Theilnahme, um jo zu jagen, hat er den Berlinern nie vergeſſen.

"Großen Beifall aber fand er in Hamburg für die anderen Shakeſpeare'ſchen Stüde, welche er in ven letten Jahren für die Bühne bearbeitete und aufführte, namentlich für „König Year,

„Hamlet“ und „Macbeth“. 4%

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Der Drang, Hamburg zu verlaffen und vor einem größeren, mannigfaltigeren Bublicum zu fpielen, wurde jett unmwiderjtehlich in ihm. Berlin bot fich ihm zu einem erjten Verfuche: im December 1778 trat er dort auf, und zwar im den großen tragiichen Rollen, welhe man dem fomifchen Fris Schrövder außer Hamburg noch nirgend zutrauen wollte. Er jpielte ven Year, er ſpielte ſechsmal ven Hamlet mit unermeßlichen Beifall. Der Eindrud feines Year war jo groß, daß Moſes Menvelsjohn, welcher Schröder als Menjchen wie als Künftler liebte und an ſchwachen Nerven litt, die Vor— jtelung Thon im vierten Acte verlajjen mußte, weil die Wirkung ihn übermannte.

Geſtärkt in dem Vertrauen auf feine Kraft fehrte er 1779 nad) Hamburg zurüd, um feinen Abſchied vorzubereiten. Um dieje Zeit erſchien Leſſing's „Nathan“. „Er war jagt Schröders forgfäl- tiger und feiner Biograph F. L. W. Meyer aus Schröver’s Seele gejchrieben, und blieb lange in mannigfachen künſtleriſchen und philofophifhen Beziehungen der Gegenitand feiner Unterhal- tung. Damals wäre wohl nicht die Zeit gewejen, ihn auf die Bühne zu bringen; aber jie fam. Dennoch hat ſich Schröder deſſen wie feines geliebten Shakeſpeare'ſchen „Julius Cäſar“ und einiger anderen Meiſterwerke aus der Vorzeit immer enthalten, weil er fich nie ge- traut, ihm die vollfommene Bejetung zu gewähren, die er für das Heiligthum feines Herzens begehrte. Auch trat er der Meinung Pichtenberg’8 und, wenn ich nicht irre, Engel’8 bei, das Stüd werde für die Menge feinen Reiz haben. Dies Vorurtheil einſichtsvoller Richter ift durch die That widerlegt. Geleſen hat er e8 jedoch vor einem auserwählten Kreiſe, und durch Mitlefer unterjtüßt, wie fie ſchwerlich eine öffentliche Bühne aufzubieten vermag. Seinen Na- than bewunderten die Zuhörer, aber fie waren auf ihn gefaßt. Den PBatriarhen, den er gleichfalls übernahm, bewunderten fie nicht weniger und wurden durch ihn überrajcht. So rein von Ziererei und Auffahren, fo vornehm ſanft und mit ruhiger Salbung flofjen

Das Burgtheater. 53

die Neußerungen der Unduldſamkeit von feinen Yippen, als hätte Lainez ſich mit dem Cardinal von Lothringen wor den Augen des franzöfiichen Hofes unterrevet. Ihm entging fein Zug, den Hogarth zu schwach, ven Mengs zu jtarf finden müffen. Daß er wahr fei, mußte jedem einleuchten, nur würde diefe Wahrheit nicht jedem ge- ahndet haben.‘

Diefer Fingerzeig auf vie leifen Mittel, denen Schröder jo früh ſchon zugewenvet war, erhält eine weitere Ausführung in der Rede Schröver’s, welche Meyer aufbewahrt hat. Schröver hat fie furz vor feinem Sceiven aus Hamburg in vertrauten Freundes- freife geiprochen, als von Leſſing's Vers die Rede geweſen:

„Daß Beifall dich nicht jtolz, nicht Tadel furchtſam mache! Des Künſtlers Schätung ift nicht jedes Fühlers Sache. Denn auch dem Blinden brennt das Licht,

Und wer dich fühlte, Freund, verjtand dich darum nicht.”

„Ich muß erfahren‘ ſagte Schröder „woran ich mit der Kunſt bin. Was ich gejehen und fennen gelernt, hat mich in meinen Grundſätzen beſtärkt. Es mag jein, daß jene meiner ein- zelnen Rollen von einem Schaufpieler übertroffen wird, den jeine Perjönlichfeit oder jeine nähere Bekanntſchaft mit dem gejchilverten Verhältniſſe mehr als mich für fie begünjtigen. Aber es ijt feine eigentliche Kunſt, jich jelbit zu jpielen. Das wird jedem verjtän- digen Nichtichaufpieler gelingen, der gut zu jprechen und ſich an— jtändig zu benehmen weiß. Der allein jcheint mir eine wirkliche Kunſtſtufe erſtiegen zu haben, der jeden Charakter jo auffaht, daß fich ihm nichts Fremdes beimifcht; daß er nicht blos an eine allge meine Gattung mahnt, jondern fih auch von feinen Verwandten durch eigenthümliche Züge umterfcheivet, die er aus feiner Kunde hernimmt, um ven Winfen des Dichters zu entiprechen. Das unter- Icheidet den Schaufpieler von dem guten Vorlefer und Declamator, Der Letzte fann ven Zufchauer, fo lange er ihn mit dem Erften nod)

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nicht verglichen hat, ſehr befriedigen. Aber ſobald er diejen jieht, muß er begreifen, daß er vorher nur an die Berjon erinnert worden, die er jetzt jelbjt erblidt. Dahin meine ich es gebracht zu haben. Sch glaube Alles ausprüden zu fünnen, was der Dichter, wenn er der Natur treu geblieben ift, durch vie Worte oder Handlungen jeiner Perſonen ausprüden wollen; und ich hoffe in feinem Stüde hinter den billigen Forderungen des Menfchenfenners zurüdzubleiben, ohne einen anderen Spiegel zu Rathe zu ziehen als den ver Wahr- heit. Die Kunft kann nicht mehr aufzufajfen begehren, wenn jie nicht Künftelei werden will. Sie jehen, warum mir der Naturjohn Shafejpeare Alles jo leicht und Alles jo zu Dank macht; warum mir manche jehr bewunderte und dichteriich glänzende Stelle Kampf und Anjtrengung fojtet, um fie mit ver Natur auszugleichen ; warum ich fie gleichjam verwifchen muß, damit fie dem Charakter nicht widerjprehe. Es fommt mir gar nicht darauf an, jo zu himmern und bervorzuftehen, fondern auszu— füllen und zu fein. Sch will jever Rolle geben, was ihr ge- hört, nicht mehr und nicht weniger. Dadurch muß jede werden, was feine andere fein kann. Die Nichtigkeit dieſes Bejtrebens wird man meinem Verftande nicht verdächtig machen. Darauf kommt es an, zu erproben, ob es mir gelungen ift. Und das verbürgt mir weder das Urtheil meiner Freunde, noch der Kenner allein. Jene find an mich gewöhnt, und dieſe können bejtechlich werden, weil fie einer großen Wahrheit huldigen. Sie mögen nicht rechten, wo die bloße Abficht ihren Wünfchen zufagt. Wirfliches Verdienft bewährt fich dadurch, daß es die Vorurtheile vernichtet. Bin ich, was ich zu jein nicht verzweifle, jo muß aller herfömmliche Irrthum, Alles, was Kunſt zu fein glaubt, ohnerachtet es der Natur widerfpricht, der Er— jcheinung der funftgebilveten Natur weichen; jo muß ich auf den un— wifjendften Zufchauer wirken, wie auf den gelehrtejten; jo muß jeder Blick in fein eigenes Herz den Anmwefenden überzeugen, er jehe von mir, was er jehen ſolle.“

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Meyer fett hinzu, daß Schröder, obwohl er „an Feinheit und anftändiger Zurüdhaltung‘ feinem anderen Schaufpieler wich, ent— ſchiedenſter Liebling ver Galerie gewejen und geblieben ſei, und daß das große Publicum vorzugsweife ihn „Seinen Schröder” genannt und eben jo mit ihm geweint wie gelacht habe,

So beſchaffen und ausgerüftet begab ſich Schröder im März 1780 auf die Reiſe nah Wien, um dort im Nationaltheater zu gaftiren. Am 13. April follte ev als König Year auftreten, In den Theaterfreifen Wiens wurde die Anfündigung diefer Nolle mit Miß— trauen aufgenommen. Mitglieder wie Brodmann und Madame Sacco, welche Schröder in Hamburg gekannt, werficherten: vie Tragödie jei Schröver's Sache nicht. Der Sinn für Tragödie lag übrigens auch dem Publicum nicht befonders nahe. In dem „Freundſchaftlichen Briefmechjel zwiſchen Gotthold Ephraim Yeffing und feiner Frau’ bejchreibt Yettere die erjte Aufführung der „Emilia Galotti“ im Burgtheater und fagt: der Kaiſer habe es zweimal ge- fehen und jehr gelobt. „Das muß ich aber geſtehen“ habe er binzugejetst, „daß ich in meinem Yeben in feiner Tragödie fo viel gelacht habe.” Und Frau von König (Leſſing's fpätere Frau) ver- fichert, daß fie in ihrem Yeben in feiner Tragödie jo viel habe lachen hören, und zwar zuweilen bei Stellen, wo eher hätte follen geweint als gelacht werden. Die Vorſtellung jet jehr mittelmäßig ausge- fallen. Nur die „Hubertin“, die Darftellerin der Mutter Claudia, babe gut gejpielt. „Den Prinzen machte Stephanie der ältere, ich möchte fait jagen: fo ſchlecht wie möglich. Stephanie wird täglich affectirter und unerträglicher. Was thut er zulett in Ihrem Stüde? Gr reift fein ohnedem großes Maul bis an die Ohren auf, ſtreckt die Zunge langmächtig aus dem Halfe und let das Blut von dem Dolche, womit Cmilia erjtochen it. Was mag er damit wollen? Ekel erregen? Wenn das ift, jo hat er feinen Endzweck erreicht.”

Wie jollte Schröder's Geſchmack, damals offenbar der abge—

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Härtefte und reinfte auf dem deutjchen Theater, wie follte er dazu paſſen?! Und Stephanie der ältere war ein Mitglied des Aus— ſchuſſes, von welchem die Yeitung des Injtitutes ausging. Aller: dings hatte jene erſte Aufführung ver „Emilia Galotti“ acht Jahre vor Schröders Ankunft jtattgefunden, und gerade in den letzten Fahren war durch Raifer Joſeph's Bemühung Biel gefchehen zur Beilerung des Theaters, zur Reinigung des Geſchmacks. Aber auch jett noch wurden grelle Traditionen durch Männer wie der ältere Stephanie frampfhaft aufrecht erhalten, und der hohle Decla- mationsſtyl franzöfiicher Schule, welcher durch die jo lange einge- bürgerten franzöfiihen Gefellfchaften auch dem Publicum geläufig war, mußte ſchneidend abftechen von der natürlichen Vortragsweiſe Schröder's.

Es fonnte nicht ausbleiben, daß man eine Revolution ahnte und verfündete in TIheaterangelegenheiten. Die Sturmvögel er- hoben jih und jchrieen. Die alte Schule fühlte jih bedroht, und alle erjinnlichen Verleumdungen gegen Schröder wurden in Be— wegung geſetzt, ehe er auftrat. Ein folcher Kleinjtädter hieß es hat die Unverfchämtheit, die großen Künftler einer Hauptſtadt herauszufordern! Ein norodeutjcher Komiker mit bürgerlichen Ma— nieren will den König Year jpielen, die Meijterleijtung unjeres Brofmann! Und über den Geſchmack Wiens wagt er geringichätig zu ſprechen! Unbildung wagt ev uns nachzufagen! Der joll was erleben! Graf Rojenberg hat ihm ein Engagement angeboten ; darauf hat er erwievert: er paſſe wohl nicht nach Wien, und Wien fönne feine Verdienſte nicht bezahlen! Wir werden ihn bezahlen, den hochmüthigen Hamburger!

Die gereiste Stimmung wurde fo laut, daß der alte Fürft Kaunitz Schröder rufen ließ und ihn warnte, im „Lear“ aufzutreten. „Sch weiß” fagte er, „welche Männer für Sie gezeugt haben, ich weiß, daß ich denfen werde wie diefe Männer, Aber wer fann

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gegen das Borurtheil?! Und in diefem Falle werden Cie unglüclicherweife mit Ihren eigenen Waffen befümpft: Brod- mann ift Ihr Schüler” „„O, Ihre Durchlaucht““ antwortete Schröder „„der Meijter behält jih immer Etwas vor,”

Der Abend des 13. April kam. Schröder trat auf und wurde mit eiſiger Kälte empfangen. Die erſte große Scene mit Goneril veranlaßte Einige, unter ihnen Kaiſer Joſeph, zu applaudiren, furcht— bares Ziſchen unterdrückte den Applaus. Ebenſo ging es im zweiten Acte. Aber im dritten Acte, wo die Sinne Lear's all' den losge— laſſenen Stürmen unterliegen, da unterlag auch jedes Vorurtheil und das ganze Haus vereinigte ſich in einen Sturm von Applaus, und „von nun an ging fein Zug ohne lauten Beifall vorüber”. Wenn im vierten Aufzuge der wahnjinnige Year Glojtern predigen will, hatte Brodmann den Stamm eines abgehauenen Baumes be— jtiegen, und das war als gelungenes Theaterjpiel gelobt. Schröder verjuchte ihn zu bejteigen, und die Kräfte verfagten ihm. Ein Ge— jchrei des Jubels durchdrang das Haus. Nach der Vorjtellung ward er einjtimmig herausgerufen, und erſchien nicht, weil ein kaiſerlicher Befehl die zu leicht gemißbrauchte Sitte mit Recht unterjagt hatte. Doc fonnte ſelbſt Fürſt Kaunitz, der ihn am folgenden Tage zu ich fommen ließ und mit verbindlichem Lobe überhäufte, ſich nicht ent- halten, ihm zu jagen: „Man venft nicht immer an Alles. Cs hat mir für die Zufchauer weh gethan, daß Sie ſich dem Bedürfniſſe ihrer Bewunderung entziehen müſſen. Auch ich habe dabei verloren. Sie hätten dem faiferlihen Befehl gehorchen und unferem Wohl: wollen genügen, Sie hätten nicht die Bühne, aber meine Yoge be> treten und ſich von ihr noch einmal zeigen können. Das ift nicht im Gejet verboten‘.

Alle folgenden Rollen unter ihnen Hamlet, der Geizige, Odoardo in der „Galotti“, Diverot’s Hausvater wurden mit ver:

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jelben Gunft aufgenommen. Aller Wiverfpruh war verjtummt, jedermann wünfchte das Engagement Schröders, Kaiſer Joſeph an der Spite. „Er ſprach eine ganze Stunde mit mir‘ erzählt Schröder „und mit folher Güte, mit ſolcher Kenntniß, daß ich erſtaunte“ nur Schröder ſelbſt wünfchte nicht engagirt zu fein. „Furcht vor wandelbarem Hofglüd und vielleicht Vorurtheile hielten den eigenthümlichen, freiheitliebenden Mann zurüd von der Annahme vortheilhafter Bedingungen.” Er hatte ſchon die Pojtrferde be: jtellt, va lieg ihm Maria Therefin jagen, fie wünfche ihrer Tochter, der Erzherzogin Maria Chriftina, welche aus Prefburg erwartet werde, Das Vergnügen zu machen, eine Rolle von ihm zu fehen. Einem ſolchen Wunſche ließ ſich Nichts abfchlagen, er jagte zu, und wurde nun zur Audienz bei Maria Therefia beſchieden, Sonntags am 7. Mai vor ver Meſſe. „Sie empfing ihn in Gegenwart ihres Hofitaats. Ihre Freundlichkeit und Milde übertraf alle Bejchreibung. Shre Gefundheit und Stimmung, fagte fie, hätten ihr jeit langer Zeit unterfagt, das Schaufpiel zu bejuchen, folglich jie auch abge: halten, Schrövdern zu jehen. Die Genugthuung könne fie fich nicht rauben lajjen, jeine perjünliche Befanntichaft zu machen und ihm für das Vergnügen zu danken, das er ihren Kindern umd ihren guten Wienern gemacht, die nicht genug von ihm zu erzählen wüßten, und das er ihrer lieben Tochter noch machen wolle. Sie jetste des Ber: bindlichen mehr Hinzu, das nur das Herz, nicht die Zunge des Be— gnadigten wiederholte, und bejchenfte ihn mit einem Fojtbaren Ringe, deſſen er zum Anvenfen diefer unvergeglichen Stunde nicht bedurfte. Wer hat fih Marien Therefien genaht und in ihr der höchften und Ihönften Winde der Menjchheit, ver Negentin und Mutter nicht gehuldigt?!“

„Kein Beſonnener“ ſchließt Meyer „möchte den Mann ſeinen Freund nennen, welchen eine ſo wohlthätige Gewalt nicht hingeriſſen hätte. Schröder mußte ſeine ganze Faſſung zuſammen— halten, um die tiefe Regung des erſchütterten Gemüths nicht laut

Das Burgtheater. 59

werden zu laſſen er nahm nun, was man ihm bot, ohne zu be— gehren, was man ihm nicht abgefchlagen haben würde, und verpflich- tete fich, auf Ditern des folgenden Jahres in Wien einzutreffen‘‘ als engagirtes Mitglied des Hof- und Nationaltheaters in der Burg.

Die fann und wird Schröver mit dem Ausfchuffe der Herren Stephanie und Conſorten beitehen ?

IV.

Schröder ging vom Wiener Gajtipiele nach Paris und beob- achtete dort eine Zeit lang das franzöfifche Theater. Dann Fehrte er nach Hamburg zurück, fpielte noch eine Zeit lang und verlieh es ſammt feiner Frau am 17. Februar 1781. Seine Frau, eine feine, eigenthümliche Natur, war mit ihm engagirt für das Hof- und Nationaltheater, Am 16. April traten jie beive in der „Agnes Bernauerin‘’ auf und wurden mit einem ‚Beifall aufgenommen, der jich während ihres ganzen dortigen Aufenthaltes nicht ver: ringert hat‘,

Die Obervirection bejtand damals aus dem Reichsgrafen von Orſin und Roſenberg, welcher Präfivent hieß, und dem Frhr. v. Kienmayer, welcher Obervirector hieß.

Es findet fich fein Anzeichen, daß diefe oberften Directoren eine befondere Einwirfung ausgeübt hätten, aber auch fein Anzeichen, daß fie ftörend eingegriffen hätten. In den Mißhelligkeiten, welche zwifchen dem Ausſchuſſe und Schröder entjtanden, wirkten fie immer bejchwichtigend und ausgleichend.

Der Perjonalbeitand war folgender:

Jacquet feit 1760 (mit 1000 fl. Gage). Stephanie der ältere feit 1760 (1600 fl. Gage, 130 fl. Regiegeld), Müller jeit 1763 (1600 fl.). Gottlieb feit 1763 (648 fl.). Stepha-> nie der jüngere feit 1769 (1400 fl.). Zange feit 1770 (1400 fl.). Jauz feit 1772 (800 fl.) Weidmann feit 1773 (1200 fl.).

Das Burgtheater. 61

Ropfmüller feit 1773 (400 fl). Bergopzoomer feit 1774 (1400 fl). Stierle feit 1777 (300 fl). Brod- mann ſeit 1778 (1400 fl). Dauer feit 1770 (1200 fl.). Schütz jeit 1780 (1200 fl). Schröder feit 1781 (2550 fl.). Borchers jeit 1781, Lambrecht, Diftler, v. Kronftein, und von 1783 an Ziegler, welcher zahlreiche Stücke gejchrieben.

Madame Weidner feit 1748 (1660 fl.). Gottlieb feit 1765 (600 fl.). Adamberger feit 1768 (1600 fl.). Brod- mann feit 1769 (900 fl). Stephanie vie jüngere feit 1771, Defraine, naher Schüß, feit 1772 (500 fl.). Kathi Jac— quet jeit 1773 (1200 Fl). Sacco jett 1776 (1600 fl.). Stierle jeit 1777 (1500 fl). Noufeul feit 1780 (1600 fl.). Günther jeit 1780 (1000fl.). Schröder feit 1781 (1450 fl.). Patſch, Müller, nachherige Füger.

Außerdem ein jtattliches Verfonal von Sängern und Sänger: innen bis zum Sahre 1783, in welchem ein wäljches Singfpiel das deutſche ablöfte. Der ganze Gagenetat betrug über 80,600 Gulden.

Es war das am jtärfften votirte und befte deutſche Theater in jener Zeit.

Für eine Beurtheilung diefer Schaufpieler benutze ich drei Duellen. Erjtens Meyer, den Biographen Schrövder’s, zweitens eine 1786 erichienene Schrift „Bemerkungen über das Yondoner, Parifer und Wiener Theater‘, welche recht theaterfundig erjcheint, und drittens die traditionellen Stimmen, welche ſich in Wien er- halten haben über ven Werth der damaligen Künftler.

„Brockmann“ heißt es vor Schröder's Eintritt „hat im Tragiſchen hier nicht feines Gleichen, wird fie überhaupt in Deutſch— (and ſuchen; auch ift in Paris feiner, der ihm in den heftig wüthen- den Rollen beifommt; aber den Wiürgengel muß er machen, fonjt ift er nicht an feiner Stelle.” Den fpiele er „herzerſchütternd“. Leider jelten, weil man wenig Trauerfpiele gebe. „Für etwas minder heftige Charaktere ijt Schon fein Spiel zu ftarf, zu übertrieben.

62 Das Burgtheater.

Im mittelmäßigen Affect vollt fein Auge wild, fürchterlich umher.‘ Zu beflagen jei, daß er fett werde und ihm ver leichte Converjationg- ton durchaus fehle. „In denjenigen Stüden, wo er gute, edle Charaktere vorzujtellen hat, glückt es ihm, auch ſelbſt im Luftipiele ; nur iſt alsdann fein Gang zu theatermäßig und feine Stellungen jind nicht abwechjelnd genug.” Er jtellt fi) il pose jagt ihm der Verfaffer nach.

Meyer jpricht günftig über feine Naturgaben und fein Talent, nur jtellt er feine geiftigen Kräfte nicht eben hoch.

Bei ven Wienern war er jehr beliebt.

Ueber beide Stephanie lauten ſämmtliche Urtheile ungünftig. Der ältere „hat jich gerade in denen Zeiten gebildet, wo von Franf- veich aus die weißen Schnupftücherfomövien wie Leſſing jagt die Dramen, Deutjchland überjchütteten. Nun heult er jetst noch drauf los, und ſieht dabei aus wie ein alter Corporal“. Meyer rühmt ihm nach, daß er Einficht, Belejenheit, Fleiß und Kenntniſſe befejjen habe, nennt ihn aber auch einen „ſchlechten Schaufpieler‘ mit unnatürlicher Rhetorik und fchreiend erfünfteltem Vortrage. Der jüngere Stephanie, nur für's Yuftpiel brauchbar, war natür- ficher, aber von ganz geringem Talente. „Er fonnte poltern, aber er fonnte Nichts als das.” Seine Rollen wußte ev nie auswendig und fleivete jich entjetlich. „Uebrigens hielt er feiten Fuß mit jeiner Zeit, unterlag feiner Art von Citelfeit, wußte Nichts von Rollengeiz, und lieg jich von dem Glück, welches feine Stüde machten und verdienten, nie verleiten, jie über den Werth des ergriffenen Augenblids zu ſchätzen.“

‚Müller war ein feinkomiſcher Schaufpieler voller Einficht und treffender Darjtellungsgabe, nur fprach er, theils aus Gewöhnung, theils aus Gedächtnigmangel, zu langjam und gevehnt, Sonſt hätten Glüdsritter und Geden vornehmen Standes und reifer Jahre jhwerlich vollfommener vargeftellt werden können.“

„Langens Spiel ließ Wenig zu wünfchen übrig. Er war

Das Burgtheater. a

Maler, und malerifch jein Gang, feine Haltung, fein Anzug, fein ganzes Benehmen, ohne je in das Gezierte zu verfallen. So lange er falt und mit nicht ſehr erfchütterter Empfindung zu prechen hatte, befrienigte auch jein Vortrag. Sobald er leidenjchaftlich werden mußte, ſchien manches Triebwerk und Schule. Indeſſen erſetzte ver Körper, was das Ohr vermißte. Man jah ihn fo gern, daß man ungern mit dem vechtete, was man hörte. Unter allen Piebhabern, die ich auf der Bühne erblict, jtand und bewegte jich feiner jo ge- fällig. Er gab jeder Rolle Etwas, das nur er ihr zu geben fähig war, und was er ihr nicht gab, verfagten ihm nicht ſowohl Anlagen und Kräfte, als frühere Yeitung und Bildung, die meiner Anjicht ivrig fchienen. Sch halte ihn für einen durchaus vechtichaffenen Mann und habe ihn immer geehrt und geliebt.‘

So Meyer. Der Berfaffer der „Bemerkungen“ iſt auffallend abjprechend überihn, nennt ihn einen „höchſt gleichgültigen, froitigen Komödianten, der fich ſchon bläht, als wenn er Wunder was wäre, und darum nie Etwas werden wird. Dabei hat er ein unbejchveiblich fades Milch- und Blutgeficht und eine efelhaft deutliche Declamatton, die ganz converjationswidrig einem jedes Wort vorkaut“. Wahr: icheinlich hat er ihn früher gefehen, als Meyer. Webrigens muß auch er zugeftehen, daß er ein Liebling ver Wiener geweſen.

Schütz, vorzugsweife für Böfewichter und Windbeutel geeignet, wird der Uebertreibung beſchuldigt. Yebhaftigfeit und Gemwandtheit werden ihm zugejtanven.

Weidmann, der fomifche „„Abgott der Galerie‘, wird von Meyer als ein vollfommenes fomijches Genie bezeichnet. Cr hat feinem Naturell und feinem wienerifchen Accente ganz den Zügel ſchießen laffen, und ift auch von Schröder ſtets gelobt worden. „In niederen tölpifchen Gejellen durfte Gottlieb jelbjt neben dieſem Mufter auftreten und die gefährliche Nachbarichaft nicht jcheuen. Der bejahrte Sacquet war unverbefferlich in fomijchen und erniten Alten.” Paul Werner in Lefjing’s „Minna“ war eine feiner beiten

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Nollen. Bergopzoom war durch ein ungünftiges Organ aufs Luſtſpiel beſchränkt. Er trug ftarf auf und hatte die Galerie für jih. Die Schrövder’fche Partei, zu welcher er hielt, beurtheilte ihn freundlich. „Ziegler bewies Leben und Kraft“, begmügte fich aber mit der Außenfeite ver Charaktere,

Unter den Damen war Madame Weidner die Stammhal- terin. Meyer jagt von ihr: „Ihre Geftalt, ihr Anſtand entfprachen vem Bilde einer würdigen Mutter. Ausdruck und Sprache unge- fünftelter Empfindung hab’ ich nie an ihr bemerkt“. Er jetst aber hinzu, daß fie dem Publicum gefallen habe. Yon Madame Sacco ijt der Berfaffer ver „„ Bemerkungen‘ fehr entzücdt. Vorzugsweife von ihren Heroinen. Heiteres und Zärtliches jei ihr nicht ange- mejjen. Cine Medea aber die Gotter’iche war damals auf dem Repertoire jpiele fie vortrefflich. „Von der Natur hat fie eine ſchöne, beinahe große Figur, ein einnehmendes Geficht und eine nicht jtarfe, aber höchſt interejjante Stimme, mit ver fie machen fan, was ſie will.’ „Ihre Action ift durchaus Ideal einer edlen Wahrheit. Sch habe nie jo etwas Vollkommenes gefehen, und glauben Sie mir, daß ich Nichts übertreibe, wenn mir, verglichen mit einer Sacco, eine Sainval oder Veſtris nur Marionetten erſcheinen.“ „Ihr Bei- fall hier fängt an zu fallen, weil man ſo ungerecht iſt, ſie wegen ihrer unausſtehlichen Caprizen, die ſie mit allen Virtuoſen gemein hat, auch von Seiten der Kunſt minder zu ſchätzen.“

„Mademoiſelle Nanny Jacquet die ältere (bald Madame Adamberger), iſt im Naiven des Luſtſpiels eben fo unnachahmlich wie Madame Sacco im Tragiſchen. Es iſt nicht möglich, eine verſchmitzte Bäuerin oder ein unerzogenes Stadtmädchen wahrer und liebenswürdiger vorzuſtellen. Aber ſie hat nur dieſen Ton, den ſie auch dann nicht ablegt, wenn ſie als eine Frau von Stande auf— treten muß. Ihre Perſon iſt ſehr reizend. Sie hat einen ungemein zierlich gebauten Körper und ein eben ſo angenehmes Geſicht. Ihr Mienenſpiel entſpricht vollkommen, und wenn ſie ein Bekenntniß

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ablegen muß, das ihr mißfällt, beißt fie jih auf die Lippen, indem fie eine Grimafje dabei macht, die ganz der Natur abgeborgt ift. Mit einem Worte, in ihrem Fach hab’ ich nie ihres Gleichen ge fehen und zweifle auch fehr, ob fich eine findet.” Auch Meyer fagt von ihr: „Sie war ein Schooffind der Natur und ließ, ohne fih der Kunſt bewußt zu fein, feine Forderung der Kunft unbefrie- digt. Sie gehörte freilich nur dem Luſtſpiel, ſchien nur in Wien und feiner Umgebung zu Haufe; aber wer fie ſah, vergaß, daß es außerhalb des Luſtſpiels und Wiens irgend Etwas geben fünne, das den Geift zu unterhalten, das Herz zu rühren und zu erfreuen ver- möge, Ton, Blid, Gang, Geftalt, Ausdrud, Anzug, Alles war einzig, eigenthümlich, unnahahmlich und reizend. So Etwas lernt fich nicht und kann nicht angewiefen werden; es muß angeboren fein. „Ihre Schweiter Catty (Kathi) Jacquet war die tragifche Mufe. Kunftbewußter, gehaltener, erzogener, nicht minder wahr, nicht weniger liebenswürdig.” ine fehr große Figur und ein decla— mirender Vortrag machten fie unpafjend für's Gonverfationsfacdh. Zärtlich fanfte Rollen im Trauerſpiele waren ihre bejten. Sie ſtarb früh.

Ueber die von Leſſing empfohlene Madame Nouſeul find die Meinungen getheilt. Der Berfafjer der ‚„„ Bemerkungen‘ fpricht fühl über fie und das Wiener Publicum hat fih eben jo gegen fie verhalten. „Zärtliche Mütter und diejenigen Charaktere, wozu fein Starkes, heftiges Spiel gehört‘, fehreibt er ihr zu, und man ſehe fie auch nur „in ältlichen Rollen, die ihrer Figur anpafjend find und die fie auch fein herausbringt”‘. Meyer jtellt fie höher und jagt von ihr: „Was Wien an Madame Noufent beſaß, hat die Menge nie völlig erkannt. Geift und Gefühl vereinigten ſich mit ihrer juno- nischen Geftalt, um fie im Trauerjpiel der Sidvons gleichzufeßen, deren Unarten fie fih nicht erlaubte, im Luſtſpiel über fie zu heben. Es bleibt ein umerjeglicher Verluſt für die Kumft, daß fie Berlin verlafjen, deſſen gerechte Bewunderung fie, die von feiner tragiſchen

Laube, Burgtheater. 5

66 Das Burgtheater,

Mutter Deutfchlands übertroffen worden, hingeriffen haben würde, fich felbit zu übertreffen. Theilnahme und Entzüdung fünnen das Talent nicht erichaffen, find ihm aber unentbehrlih, wenn es jede Kraft in ſich entwiceln und ungeahnte Höhen erreichen ſoll.“

Madame Noufeul jcheint eben dem norddeutichen Geihmade mehr entiprochen zu haben als dem ſüddeutſchen.

Endlih hatte das Theater -in Madame Stierle eine vor— trefflihe Zofe, in Madame Stephanie der jüngeren und Ma— dame Günther ftattliche DBertreterinnen zweiter Fächer, und ein junges nachwachfendes Gefchlecht für Fleinere Rollen. Nennen wir noch am Schluffe Schröver’s Gattin, eine junge, liebliche Frau von Anmuth, Feinheit und charakfteriftiicher Zeichnung in den Lieb— haberinnen, welche fie jpielte, und nennen wir noch Schröder jelbit, vejfen Talent eine ganze Reihe von Fächern in fich vereinigte, jo haben wir ung das reiche Perjonal des damaligen Hof und Nationaltheaters vergegenwärtigt. Es war ein Reichthum, an welchen fein anderes Theater auch nur von fern hinanreichte, ein Reichthum, welchen das Burgtheater noch in fpäterer Zeit kaum je wieder eingeholt hat.

„Das höhere Lustipiel fonnte für ſehr gut, das niedere und örtliche für vollfommen gelten. Daher erklärt fih, warum in Wien Manches gefallen umd fich erhalten, was dem auswärtigen Lejer werthlos ericheint. Im Trauerſpiel und rührenden Schaufpiel ge— fangen einzelne Rollen häufiger als das Ganze. Etwas Gedehntheit ließ fich auch den beiten Vorjtellungen nachreden. Aber an das rafche Spiel ver Schröder'ſchen Bühne gewöhnt‘ ſchließt Meyer, „war ich freilich empfindlicher dagegen als Zufchauer anderer Stimmung.‘

Dazu fam eine große Abwechjelung des Repertoires. Neuig— feiten folgten einander zwar nicht mehr jo vafch wie zehn Jahre früher, aber doch immer noch in auffallend fchneller Abwechjelung. Schröder allein hat in feiner vierjährigen Anwejenheit gegen dreißig

Das Burgtheater. 67

neue Stüde, vorzugsweile Bearbeitungen, zur Aufführung ge- bracht.

Wenn man fragt, woher die große Anzahl von Stüden ge fommen fei, jo lautet die Antwort wohl dahin: man war nicht allzu wählerifch, man geftattete namentlich dem Luſtſpiel eine fehr freie Ausdehnung auch in's Gebiet der Pofje und des Yocaljtüdes, und leichte Yujtipiel- Talente, wie der Yeipziger Jünger, fingen an fleißig zu jchreiben ; man nahm vom Auslande Alles, und man führte Trauer: jpiele auf, welche von dichterifcher Yebensfraft gar arg verlaffen waren. Die von Ayrenhoff, einem einheimifchen höheren Dfficier, welchem die franzöfifche Tragödie das höchſte Ideal, Leſſing's bürgerliches Trauerfpiel höchſt bevenflih, und Shafefpeare ein Garicaturenzeichner war, gehörten noch zu den bejjeren, und es er- ſcheint uns jegt recht natürlich, daß eine ,„„Rleopatra”, ein „Tumelicus“ und ähnliche fern liegende Stoffe in jo trodener Behandlung das Publicum nicht übermäßig reizten für dieſe erhabene Gattung dra— matischer Form.

Das Bublicum felbjt war jchon damals ſehr empfänglich und bon der hingebendſten Aufmerfjamfeit für alles irgendwie Bedeu— tende. Da wurde ‚fein Laut überhört, fein Zug überjehen, jede Feinheit aufgefaßt, jever Winf errathen. Dieje Erwartung des Lieblings, diefe Freude bei feiner Erfcheinung, diefe Spannung, diefes Aufmerfen, dieſes Begleiten, dieſes Stillegebieten vor einer bedeutenden Rede, diefes mühſam zurücdgehaltene, jede Störung des Bevorjtehenden ängſtlich wermeidende Entzüden, dieſen lauten, langen, wiederholten, unerjättlihen Ausbruch des Jubels, wenn endlich das Erjehnte vollendet war‘, habe man nur in den Schau— ipielfälen Londons, nur bei Erzeugniffen Shakeſpeare's wieder ge- funden. „Ein danfbareres Publicum giebt es nicht, ein jtrengeres, fälteres glaub’ ich zu kennen“, jagt Meyer, wohl in Bezug auf Hamburg. Nur fett er Hinzu, daß der Wiener Geſchmack ſich auch Leicht habe verleiten laſſen. „Falſche Anwendung gefälliger Natur-

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68 Das Burgtheater.

gaben, glänzender Mißbrauch der Kunſt mögen freilich in Wien Glück machen und felbjt die Wahrheit verdunfeln, wenn ihnen diefe an innerem Leben, Kraft und Schönheit nachſteht.“

Sp wurden die erjten achtziger Jahre eine glänzende Theater: epoche für das Hof und Nationaltheater Kaiſer Joſeph's. Denn er wird auch in diefer Zeit noch als die Seele des Inſtitutes an- gejehen, obwohl ihn herbe Enttäuſchungen im Staatsleben viel mehr befümmerten als früher. Immer, wenn eine Stodung eintritt, wenn ein Mißbrauch überhanpnimmt, erfolgt von ihm, vom Kaiſer ſelbſt, eine energijche Weifung, welche belebt over ausgleicht. Umnerfchütterlich halt er daran feit, das höhere Schauspiel und Trauerjpiel aufgeführt zu ſehen. „Schauſpiele in geveimten Alerandrinern waren um dieſe Zeit den Bühnen Deutjchlands fremd geworden. Joſeph rief ſie zurüd. Schlegel’s „Trojanerinnen“ und fein trefflicher „Canud“, Cronegk's „Codrus“ erfchienen von neuem. Gotter gab jeine „Alzire“, v. Ayrenhoff feine „Kleopatra“. Die Schaufpieler beeiferten ſich, dem Geſchmack ihres Bejchüters Ehre zu machen. Das Publicum theilte diefe Vorliebe nicht.“

Eben jo befahl der Kaiſer des Schröder'ſchen Chepaares wegen, daß Hauptrollen von den erjten Schaufpielern abwechjelnd gejpielt werden jollten. Dies „Alterniren“ war zwar ſchon in ven Geſetzen worgejchrieben, aber der „Ausſchuß“ bedurfte doch dieſer erneuten Anordnung. Nicht ohne Gejchielichfeit wußte er fie un: wirffam zu machen: man ließ von jett an die Namen der Schau— ipieler von dem Anjchlagzettel weg. Das Publicum erfuhr alio erit während der Vorſtellung, wer dieje oder jene Rolle ſpielte. Das wurde namentlich bei neuen Stüden gefährlich. Anton Walls „Expedition zum Beifpiel, eine Bearbeitung des feinen Colle'ſchen „Dupuis et Desronais“, hatte eine wichtige Vaterrolle, in welcher Schröder und der ältere Stephanie alterniven jollten. Man lieg Stephanie ven erjten Abend fpielen und es gab feinen zweiten Abend. Stephanie hatte das Stüd „durch feine miklungene Dar-

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jtellung zu Grabe getragen, und Schröder fam nicht dazu, dieſer von ihm mit befonderem Fleiß einjtudirten jchweren Nolle wieder aufzuhelfen”.

Kurz, ver Inhalt des Theaterweiens im Hof- und National theater bejtand während vier Jahre darin, daß ein geheimer Krieg des Ausichuffes gegen Schröder geführt wurde. Gegen den Schau— ipieler wie gegen den Schriftiteller Schröder. Der Ausfchuß ver: weigerte die Annahme fait jedes Stüdes, welches Schröder ein- reichte, oder begehrte Aenderungen, welche ver Weberzeugung Schröders wideriprachen. Da Schröder nun aber, wie ſchon erwähnt, ungemein fruchtbar war, jo wirthichaftete dies Kriegs: treiben immerwährend. Als wirfiamjte Stücke von den Schröder'ſchen Arbeiten erwiefen fih: „Das Teſtament“ nach dem „Londoner Ver— ſchwender“, welches Luſtſpiel man Shakeſpeare zuſchrieb, ferner „Der Fähnrich“, deſſen Abweiſung von dem Ausſchuſſe damit moti— virt worden war, daß kein Schauſpieler nach Schröder den Harrwitz ſpielen könnte, wenn Schröder Wien verließe. Ferner „Der Ring“. Er iſt Farquhar's „Constant couple“ nachgebildet, „hat aber jo viele und bedeutende Aenderungen erfahren, daß er für eigenthümlich gelten fann‘‘. Schröder fpielte den alten Holm; fpäter war der Graf Klingsberg eine feiner beiten Rollen. Ferner „Adelheid von Salisbury‘’ nach einer Novelle von v’Arnauld. Es machte dies Stüd in Wien fein bejonderes Glück. „Die Unſchuld ſtirbt“ ichreibt Schröder darüber, ‚und das iſt den Wienern- nicht recht. Er hat es ſpäter von neuem überarbeitet. Ferner „Stille Waſſer jind tief’ nah Beaumont und Fletcher's „Have a wife and rule a wife“. Schröder jpielte in Wien den Wiburg, in Hamburg den Wallen. „Beide Rollen gehörten zu jeinen aus- gezeichneten.’ Ferner „Der Vetter von Liſſabon“, ein Driginal- ſtück Schrövder’s, welches jehr gefiel. Meyer erzählt die Entſtehung des Stücdes und jagt bei diefer Gelegenheit mit Nachdruck, daß Schröder auch im feinen Bearbeitungen immer feine Originalität

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habe walten laffen. „Zufällige, oft jehr auffallende Aehnlichkeit einzelner Auftritte, Charaktere oder Verwickelungen“ jeßt er hinzu ‚wird bei dem unüberjehlichen Schaufpielvorrath der Vorzeit Fein fpäterer Schriftiteller vermeiden, wenn er fich nicht ver Unnatur oder Ungereimtheit hingeben will; und wer weiß, ob jelbjt alsdann! Was fih in einem menschlichen Gehirn abjpiegelt, ift ſchwerlich allen übrigen verfagt. Er erwähnt dabei einer „Maria Stuart” von Spieß, welche damals im Nationaltheater mit ver- dientem Glück gegeben worden fei, und bedauert, daß dies Stüd wahrjcheinlich unbekannt geblieben. Den Zug der Mutterliebe in der Königin Maria, welchen Spieß benutst, hätte ſich jonft Schiller Ihwerlich entgehen laſſen. „Die Zuneigung Mariens gegen Veicejter würde dadurch schwerer zu behandeln geweſen fein. Aber ohne zu er- wähnen, daß auf der anderen Seite auch Yeicefter's Bepenflichfeit, für die Heldin des Stücks mehr zu wagen, um ein großes Theil erflärlicher wäre, jeheint mir der Dichter ein gefährliches Spiel zu ſpielen, der nur feine Augen einem Berhältniffe verichließt, das der Mehrheit nicht entgeht, deren Urtheil er in Anfpruch nimmt. So leicht hat ſich Shafefpeare die Behandlung des Bekannten nicht gemacht. Und ich würde mich an dem erften feiner Nebenbuhler zu verfündigen glauben, wenn ich einen Augenblic zweifeln wollte, daß es auc) ihm gelingen müfje, diefe Schwierigfeit zu befiegen und ſie jogar zur Quelle neuer Schönheiten zu machen. Er läßt ſonſt jo gern das Schickſal vorwalten. Was verhinderte ihn, bier deſſen Rathſchluß zu offenbaren, der mit Strenge zerfchmettert, was des Sohnes Erb- theil gefährden fann? Es bleibt ein ewiger Stoff fir die Dichtung. Kein Einzelner wird ihn erſchöpfen. Kein wirklich Berufener darf jih fcheuen, ihn auf's neue zu bearbeiten,‘

Die lebten neuen Stücke Schrövder’s waren „Victorine“, ein Luftipiel, welches „dem beliebten Nomane der Tochter Burney's, Eveline, nachgebilvet war”, und „Das Blatt dat fich gewendet‘ nah den „Brüdern“ von GCumberland. Der Chemann diejes

Das Burgtheater. Gb

Stüces, der unter dem Pantoffel ſteht und fich ihm entzieht, war Schröder's letzte komiſche Meifterrolle in einem neuen Stüde auf dem Hof- und Nationaltheater.

Er war erichöpft von dem immerwährenden Kampfe gegen den Ausſchuß und machte nun nachdrücklichen Ernſt mit dem Entlaſſungs— geſuche, welches er ſchon zu wiederholten Malen eingereicht hatte, Am 9. Februar verließ er Wien.

War es nun wirklich blos der Ausſchuß, welcher ihm die Exi- jtenz unmöglih machte? Dem äußeren Anfcheine nah ja. „Smmer ward er in die unangenehme Yage verfeßt, ſich an vie Dberdirection wenden und mit feinen untergeordneten Nichtern Schriften wechjeln zu müfjen. Polizeicenfur ward gegen ihn geltend gemacht, wo die des Proceſſes nicht hinreichte. War diefer Kampf geendet, jo hatte er über die abfichtlich werfehrte Nollenbefeung einen neuen zu bejtehen, in welchen ev nie volljtindig fiegte, weil es eben fo unthunlich war, einem Mitgliede des Ausjchufjes die Rolle feines Faches zu verbieten, welche Schröder nicht ſelbſt über: nahm, als ihn anzubalten, fie in Schröders Sinne zu fpielen. Die ungünstige Nachbarjchaft, im welche durch angeordnete Folge der Vorftellungen Schröders Stüde verſetzt werden durften, ließ fich vollends nicht abwenden, oft nicht einmalrügen. Eine durchgreifende Verfügung, ganz in Joſeph's Geilte, hätte freilich dem größten Theile dieſer Unzuträglichfeiten abzubelfen vermocht: „Schröder's Stüde jollen feiner Cenſur erliegen, als der des Staates, jollen nach feiner Angabe befett und nicht bezahlt werden, wenn ſie miß- fallen”. Aber was das umbegreifliche Schickſal an dem Negenten verfchwendete das verjagte es den Behörden. Dper richtiger, einer regierenden Theaterförperjchaft it mit Feiner Verfügung dauernd beizufommen, wenn dieſe Verfügung ihren Lebensnerv berührt. Und dies war hier der Fall. Der Ausſchuß fonnte in feiner Machtvollfommendeit nicht bejtehen neben einer jo überwiegenden Potenz wie Schröver, Schröder war der natürliche Director,

72 Das Burgtheater.

Dies natürliche Verhältnig nicht auffommen zu laſſen, wehrte fich der Ausſchuß mit allen erjinnlihen Waffen. Kaiſer Joſeph hat dies ohne Zweifel jehr wohl eingefehen. Aber er war felbit in zahlreiche Zerwürfniffe gevathen durch fein energifches Eingreifen in bejtehende ſchadhafte Verhältniſſe; follte ev nun auch das Theater" ſtatut umjtürzen, welches er jelbjt gegeben? Er glaubte nicht daran, dag Schröder wirklich fortgehen könnte. Selbjt der Ausſchuß glaubte nicht daran. Diefer lettere hatte nicht jo viel dagegen, daß Schröder mitregierte. Er ſchlug Schröver vor, in den Ausjchuß einzutreten, und Schröder hatte jih am Ende auch dazu entjchloffen und war eingetreten. Aber dadurch hatte ſich Schröder feine Stel- fung nur verfchlechtert: die Majorität überftimmte ihn, und er hatte alle falichen Schritte und Maßregeln mit zu verantworten. Ein Weg nur war ihm übrig, und die einzelnen Mitglieder des Aus- ſchuſſes legten es ihm deutlich genug nahe, daß er diefen Weg ein- ichlagen ſollte. Diejer Weg bejtand darin, gemeinjchaftliche Sache zu machen mit dem Ausſchuſſe, das heißt: die perjünlichen Inter— ejfen der Ausfhußmitgliever zu unterjtüsen. Sie waren dann bereit, auch feinen perjönlichen Interejfen möglichit Vorſchub zu leiften.

Das wollte und fonnte Schrövder nicht. Theils aus Eigenjinn, theils aus Grundſatz nicht. Er war aufgewachlen in einer Director— Familie, er war jelbjt Director gewejen. Es widerftand ihm das vielföpfige Negiment eines Theaters. So weit war er gewiß eigen- jinnig. Er hatte aber auch wirflich durch längere jchöpferifche Thätigfeit höhere Grundſätze eingefogen, und billigte eg im Prineip nicht, die Intereffen einer ihm hochwerthen Kunſt ven perjönlichen Intereſſen ver Schaufpieler anheim zu geben,

Dieje ganze Frage um die Regierungsform eines Theaters ift eben ungefähr fo fchwierig, wie die Frage um die Regierungsforn eines Staates. Der Urjprung eines Negierungswefens, die Ge: wohnheiten der Menfchen, welche davon berührt werden, vie

Das Burgtheater. 73

Befjerungsmittel, welche gegen Tyrannei zu Gebote jtehen, und der Geift des Zeitalters jind enticheidend für diefe oder jene Form. Das theätre francais hat ſich feine gejellfchaftliche Negierungsform fajt immer leidlich bewahrt. Fat immer, nicht immer. Es hat auch jchwere Zeiten des Zurücbleibens gehabt, wenn es Mitglieder befaß, denen ver Geift fehlte und denen die cameradichaftliche Pro- tection höher jtand als der Auffhwung des Inftituts. Aber dem theätre frangais iſt Paris immer eine unverfiegbare Hülfsquelle gewejen, Paris als Centralſitz einer einheitlichen großen Bewegung der Geifter. Bon folder Macht war Wien jelbjt unter Kaifer Joſeph noch weit entfernt, wie fehr er den einheitlichen Geiſt zu fördern ſuchte durch grundfägliche Einführung deutſchen Cultur— lebens. Und unter feinen nächjten Nachfolgern trat dies weiter und weiter in den Hintergrund. Das gejellfchaftliche Negiment im Hof- und Nationaltheater, wie im fpäteren Burgtheater entbehrte alfo jener unverfieglihen Hülfsquelle von Paris, und die Regierung des Theaters duch Schaufpieler blieb auf den Zufall angewiejen, ob unter den talentvollen Darjtellern auch geiftig ſchöpferiſche Männer einfehrten oder nicht, und ob ſolche Männer auch zugleich mit der Energie ausgerüftet wären, der eigennüßigen Cameraderie die Spite zu bieten.

Damals neben Schröder waren fie nicht vorhanden, das geht aus allen Merfmalen, vie übrig geblieben jind, deutlich genug hervor. Damals wäre es ein Segen für das Nationaltheater geweſen, wenn Schröder als Director an die Spitse geftellt worden wäre, Er war nicht nur das größte Talent, er war auch der tüchtigte Geift, welcher aufmerffam an feiner Bildung arbeitete, und welcher die nothwen- dige Energie eines Divectors bejaß. Sein bloßes Engagement als Schaufpieler hat das Nationaltheater außerordentlich gefördert, und hat ihm namentlich einen Styl zugeführt, den es nie wieder ganz verloren hat. Er hat die gejpreizte franzöfiihe Declamation ges jtürzt und das natürliche Sprechen im höheren Drama eingeführt,

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das einfache, maßvolle Charakterifiven, den ehrlichen Ausdruck für Ernſt und Scherz.

Uebrigens hat gewiß auch Schröder ſelbſt ſeinen Theil Schuld daran, daß er ſich nicht dauernd einrichten fonnte, Wir wiſſen aus jeiner Jugendlaufbahn, daR er nicht eben verträglicher Natur war. Es war ein |pecififch norddeutſches Etwas in ihm, welches man noch heutigen Tages auf der Hauptuniverfität des deutjchen Nordens, in Göttingen nämlich, beobachten kann. Es iſt dies eine abjonderliche Neizbarfeit und Empfindlichkeit im Punkte dev Würde und Ehre, man möchte jagen eine „Kitzlichkeit“. Da wird jedes Wort, jede Miene auf die Waagſchale gelegt: ob fie beleidigen gewollt und einer Genugthuung bedürfen? Behagliche Arglofigfeit kann da nur im engiten Streife auffommen, und im weiteren Kreifen möchte man jich immer gerüftet fühlen. Das iſt num gar nicht wieneriich, gar nicht öfterreichifch, und Schröder hatte offenbar eine. ſtarke Dofis - von dieſer niederdeutſchen „Kitzlichkeit““ Die harmlofefte Aeußerung rief ihn unter die Waffen. Dadurch erſchien er wieder den Umgebungen unbehaglich und bedenklich. Ja, aus mündlicher Tradition geht hervor, daß er unter den damaligen Mitgliedern des National— theaters geradezu für einen „böſen“ Menfchen gehalten wurde, . Zum Deweife erzählt man, daß er, neben Kathi Jacquet auf der Bühne ſtehend, mehrmals leiſe gejagt habe „Schön! Sehr ſchön!“ ale das Publicum dieſe Schaufpielerin durch lebhaften Beifall aus- gezeichnet. Kathi Jacquet hat dies für Ironie und Hohn genommen ſo ftand Schröder angejchrieben und für ein Mittel, ihr die gehobene Stimmung zu vernichten.

Nun wiſſen wir aus hundert Anzeichen, daß Schröver eine edle Natur, ein feinfühlender Menſch war, wir wiſſen auch zufällig, daß gerade im Schrövderfchen Kreife das Talent der Geſchwiſter Jacquet bochgehbalten wurde, daß alfo jene Aeußerung „Schön, ſehr ſchön!“ wahricheinlich ein ganz ehrlich gemeintes Lob geweſen ift wir er> jehen aber aus diefem Beifpiele mit fehreiender Deutlichfeit, daß der

Das Burgtheater. 23

gegenfeitige Mißverſtand und die gegenfeitige Verfennung einen ev ichredenden Grad erreicht hatten.

Dazu fam, daß Schröver’s Frau nicht genug Beichäftigung fand. Diejen Uebelftand reihte er in das Kegifter feiner Unzu— friedenheiten, und ihm mochte er ein jtarfes Gewicht beilegen, wenn er in häuslicher Stille die Summe zog: Wir verjauern bier beide! Du, für welche man es an Aufgaben fehlen läßt, ich, welchen man Tag für Tag ärgert und welchem man Luſt umd Freiheit verdirbt am Schaffen und Gejtalten. Machen wir uns frei! Grrichten wir ung in Hamburg ſelbſt wieder eine Bühne, deren Thätigfeit Nie- mand einengen kann!

Und fo fehen wir ihn im Januar 1785 fammt feiner Frau vor Kaiſer Joſeph jtehen, welcher ihnen, jehr gegen feinen Wunſch, die Abſchieds-Audienz ertheilt. „Ich kann Ihnen mein Erjtaunen nicht verbergen, lieber Schröder‘ ſagte ver Kaifer, „daß ein Künftler wie Sie es über fich gewinnen fann, das empfänglichfte Publicum mit dem zu vertaufchen, welches als das kälteſte nerrufen it. Dagegen follten doch Yamilienrücdjichten nicht auffommen ! Sie find Hamburg zwei Mal fatt geworden, ich jage Ihnen vorher, Sie werden es auch zum dritten Mal aufgeben. Danı wenden Sie ſich an Niemand als an mich!”

V.

Das erite Theater einer Hauptjtadt ift immer ein Symptom der Regierung. Es kann ſich den herrſchenden Grundſätzen der Regierung nie ganzentziehen, und es bekundet dieſe Grundſätze auch da, wo es fich ihnen entziehen will. Die Ummege, welche es jucht, die Schleier, welche es ausbreitet, verrathen die Abjicht, und hinter der Abficht entdeckt man den maßgebenden Widerfacher.

Dies ijt in der Entwidelung des Burgtheaters nur zu deutlich erfennbar.

Kaiſer Iojeph hat es gegründet. Als jein Niedergang eintrat, gerieth auch der Fortichritt des Theaters in’s Stoden, und als er in heller Verzweiflung abgejchievden war von einer Welt, welche großen Reformen furziichtigen Wivderftand und weitjichtige Ver: leumdung entgegengejeßt, da fchlotterte das Theater eine Zeitlang principienlog einher. Es wurde dann zunächit unbeveutender, ohne dar man recht wußte, warum, und nach einigen Jahren wurde dies Warım den führenden Kräften far. Der erfinderifche Geift, der freie Geift, der Geiſt überhaupt erſchien in bevenflichem Lichte. Anz fangs hatte man ihn Joſephiniſch genannt; nun famen die wilden Ausschreitungen der franzöfiichen Revolution dazu, und num hieß er revolutionär. Bei großen Parteifämpfen in der Welt iſt die Kunſt immer übel daran, am übeljten da, wo fich die Extreme der feind- lichen Grundſätze ablagern und zum Spitem ausbilden.

Dis zum Jahre 1790 etwa finden wir im Repertoire des

Das Burgtheater. 77

‚Mationaltheaters‘feine wefentliche Veränderung. Kaiſer Joſeph lebte noch, und wenn auch unter quälenden Regierungsforgen jein Antheil an dramatiicher Kunſt ermattet war, er befuchte doch das Theater noch, und jein geitiges Bedürfniß machte fich doch immer noch geltend, jelbjt durch feine bloße Anwefenheit. Einem fo gedanfen- vollen Herrn mußte doch auch in der Unterhaltung ein inhaltsvoller Stoff geboten werden. In der Daritellung wirfte das fort, was Schröder angeregt hatte, und es fehlt nicht an Zeichen, daß das Theater in lebenswoller Verbindung blieb mit dem fchaffenden deutſchen Geifte, welcher gerade damals in neue literarifche Be— wegung gerathen war. Der junge Goethe war in feine dreißiger Jahre getreten, der zehn Jahre jüngere Schiller war als dramatifcher Dichter aufgetaucht unter großem Geräufche des Publicums. Bon Goethe wurde außer den fleinen Stüden „Die Gejchwijter‘ waren natürlich das beliebtefte auch ver „Clavigo“ 1786 aufge führt. Lange fpielte den Clavigo, Brodmann den Beaumarchais, Madame Sacco die Marie, der jüngere Stephanie ven Carlos; Lesterer wohl unzureichend. Auch die Werther-Epoche fand auf der Scene ihre Würdigung: man gab ein Schaufpiel „Das Werther: Fieber”. „Julius von Tarent“, deſſen Verfaſſer Yeifewig man in jener Zeit eine große Zufunft zutraute, wurde gegeben, und Schiller’s „Fiesco“ wurde aufgeführt. Dabei ift bemerfenswerth, daß der Titel getreulich „Die Berihwörung des Fiesco‘ lautete. Später hat man die „Verſchwörung“ anjtögig gefunden, und das Stüd nur „Fiesco“ genannt. Bemerfenswerth ift ferner, daß man „Die Räuber‘ nicht brachte, und auch „Cabale und Liebe“ nicht, welches bürgerliche Trauerfpiel ja dem „Fiesco“ auf dem Fuße folgte und in Deutjch- land eine viel größere Theaterwirfung fand, als das republifanifche Trauerſpiel. Die Scene des Kammerdieners, welcher den heſſiſchen Menjchenverfauf nach Amerika brandmarkt, verleidete dies Stüd den Hoftheatern. Aber die Scene ift allenfalls zu entbehren. Sie iſt zwar nicht eigentlich von epifodischer Natur, denn fie verjtärft die

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Gewichte ver Lady, fich loszuſagen von ihrem Herzoge; aber man hat fie doch ſpäter weglajjfen fünnen, ohne die Wirkung des Stüdes zu beeinträchtigen. Warım brachte man es damals nicht? Der Kaiſer war wohl in feinen letzten Lebensjahren ſchon mürrifeh, und man er: jparte ihm die Anfrage über herausfordernde Stücke. Daß ihm „Die Räuber“ nicht gefielen, ift an und für fich begreiflih. Die über: greifende Bhantafie, welche eine Räuberbande zuläßt, um Familien- unrecht zu rächen, mußte einem jtreng rationellen Bolitifer mißbehagen. „Cabale und Liebe‘ iſt erſt 1808 in’s Repertoire des Burgtheaters aufgenommen worden, „Die Räuber’ haben bis 1851 warten müffen.

Unter den neuen Stüden findet ſich im April 1785 ein „Ru— dolph von Habsburg‘, Driginalfchaufpiel in fünf Aufzügen won Werthers. Es bewegt fich um den entjcheivenden Kampf mit König Dttofar und zeigt alle die hiltorifchen Fiauren Rudolph, Dttofar, Liechtenftein, Füllenjtein, Mährenberg, Zawiſch, Milota, Runigunde und Eliſabeth —, welche Grillparzer vierzig Jahre jpäter mit feiner jelbjtändigen poetijchen Kraft jo eigenthümlich gejtaltete. Nur dem Kronprinzen Albert hat Werthers noch eine hervortretende Rolle zu— gedacht, welche einen Schaufpieler wie Yange in Anspruch nahm. Der ältere Stephanie fpielte ven Rudolph, Brodmann den Dttofar, Madame Noufeul die Kunigunde von Mafovien, Madame Sacco die Elifabeth von Dejterreih. Der wichtige Grundſatz aljo, die hiſtoriſchen Figuren des regierenden Haufes dem Hoftheater nicht zu entziehen, reicht ebenfalls in Kaiſer Joſeph's Zeit zurück. Mean tft ihm ſtets treu geblieben. Auch in der Epoche beengenpfter Cenjur hat man ihm nicht verleugnet. Kaiſer Franz ließ in den zwanziger Jahren Grillparzer’s „Ottokar“ aufführen, und die Schwierigfeiten, welche das Stüd vor wie nach feiner eriten Aufführung fand, be> zogen fich nicht auf die Frage, ob die Vorfahren des regierenden Haufes zuläffig wären, Ueber viefen richtigen monarchifchen Grund- fat, daß die Fürſten des Yandes auch in der populärften hiftorifchen Kunft, im hiſtoriſchen Schaufpiel, auf dev Bühne den Nachfommen

Das Burgtheater. 79

des Landes und Neiches zu eigen gehören, fcheint nie ein Zweifel gewaltet zu haben. Wunverlicher Weife verjtopft man dieje tiefite Duelle der monarchifchen Popularität in anderen deutſchen Yändern. Im Berliner Hoftheater 3. B. iſt ein entſprechender Hohenzoller nicht zuläſſig. Das mag wohl aus übertreibender Nachahmung franzöfifcher Hofetiquette entjtanden jein, wie fie ſeit Ludwig XIV. in die deutjchen Particularjtaaten eingedrungen war. Frankreich jelbjt hat diefe Ausjchliefung nie eingeführt. Die franzöfifchen Herrfcher wußten immer zu gut, daß die Herricher überall an der Spite jichtbar jein müßten.

Auch die Geifelung religiöfer Scheinheiligfeit fand in ven letsten achtziger Jahren freien Spielraum auf der Hofbühne; man gab Moliere’s „Tartuffe“ auf heimathliche Berhältniffe ange- wendet, will jagen ein Stüd „Der Heuchler‘’ nach Moliére.

Uebrigens zeigen fih in dieſer zweiten Hälfte der achtziger Jahre zahlreiche Berjuche neuer dramatifcher Production. Von Dalberg wird aufgeführt,, Der Mönch vom Carmel“ und ein „Mon— tesquieu“; Babo beginnt feine Theaterſtücke mit den „Strelitzen“, mit dem „Bürgerglück“; Bretner erfcheint neben Jünger mit feinen behaglichen Luitipielen, von denen fich „Das Räuſchchen“ bis in die Mitte unjeres Sahrhunderts auf dem Burgtheater erhalten hat; Ziegler, das Mitglied des Nationaltheaters, eröffnet mit ‚Liebhaber und Nebenbuhler in einer Perſon“ feine große Fruchtbarkeit ; Iffland macht fich geltend und auch bereits Kotzebue. Yetterer nicht als Luſt— ſpiel- fondern als Schaufpieldichter. „Menſchenhaß und Neue‘, „Die Indianer in England’, „Die Sonnenjungfrau’ waren feine eriten größeren Stüde im Nationaltheater. Seine Bewerbung um das Theater blieb auch noch mehrere Jahre ſehr ernſt. Er brachte einen „Guſtav Waſa“ in Iamben, welche Bersbezeichnung der Theaterzettel verfündete, Der Höhepunkt diefer feiner Nichtung aber war eine „Octavia“, ebenfalls in Jamben, welche zu Anfang des Jahrhunderts bei den Schaufpielern und dem Theaterpublicum

80 Das Burgtbeater.

in jehr würdigem Anjehen jtand, troß des „Don Carlos’ und des fürzlich erichienenen „Wallenftein‘‘. „Don Carlos‘ blieb dem Na— tionaltheater über ein Decennium nach feinem Erſcheinen fremd. Bekanntlich kam zuerjt die Ausgabe in Proſa auf die deutſche Bühne, und es wurde viel darüber gejtritten, ob die nachfolgende Ausgabe in Verjen nicht bejjer der Leſewelt zu überlaffen wäre. Das Er- gebniß diefer Debatte wollte man vielleicht abwarten am Michaeler- plate, Wir wiſſen wenigftens Nichts davon, ob dem bereits franfen Kaifer das Stüd vorgelegt worden ſei. Ein fpanifches Stüd voll Yiberalismus. Die Bergangenheit feines Haujes, ausgejtattet mit den Grumdfäßen feines eigenen Syſtems. Nur jechs Jahre früher, und er hätte ſich gewiß eingehend damit befchäftigt. Jetzt fam das Drama für ihn zu ſpät, und nach feinem Tode blieb es dem Na- tionaltheater fern. Das Franzojenjahr 1809 brachte es in Wien zum Vorſchein. Der damals erlaubte Nachdruck benutte die Fran- zofenherrichaft in Wien, eine Menge Schriften zu druden, welche bis dahin nicht zugelafjen waren. Namentlich die Schiller’ichen Stüde, welche auf dieſe Weiſe wohlfeil und ſchon darum zahlreich in Cirenlation famen innerhalb des öfterreichiichen Kaiſerthums. Das hat wohl frühzeitig beigetragen zu der unermeklichen Bopulari- tät, welche Schiller in öfterreichifchen Yanden genießt. „Don Car: [08 wurde 1809 im Sommer und Frühherbite jehs Mal in rajcher Folge auf dem Kärnthnerthortheater dargeftellt. Am 6. November erjt überjievelte er in's Burgtheater, Hiermit Scheint ein Anftoß zu Weiterem erfolgt zu fein: 1810 wurde au „Egmont“ zum erſten Mal gegeben und „Die Braut von Meffina‘‘, welche nicht aus Cen- jurrüdjichten zurücgehalten fein fonnte, ſondern wahricheinlich um ihrer ungewöhnlichen Form willen.

Nur „Die Jungfrau von Orleans‘ fand 1802 gleich nach ihrem Erſcheinen Zutritt. Ihr Inhalt, Vertheidigung des Vaterlandes unter wunderbarer Beihülfe, fonnte auch vor einer ſtrengen Cenſur fein Hinderniß finden.

Das Burgtheater. 81

Sonſt macht ſich der Hintritt Kaiſer Joſeph's im Repertoire ſehr bald bemerklich. Die ferner liegenden, ſchwereren Stücke ver— ſchwinden allmälig und die leichte Sorte nimmt überhand. Sie hatte nie gefehlt; man liebte immer leichte Unterhaltung, man lachte gern. Außer der heimiſchen Hausmannskoſt luſtiger Schwänke hatte man nicht nur die franzöſiſchen Komödien, ſondern auch die italieni— ſchen reichlich herbeigezogen. Man war aber doch immer auf ein Gegengewicht bedacht gewefen. Das unterließ man nun. Das Re— pertoire wird in dem neunziger Jahren erfichtlich trivialer. Die KRitterichaufpiele, welche Spieß mit „Clara von Hoheneichen‘ ein- führt, erſcheinen wie Höhepunfte. Iffland's und Kotzebue's Stüde find die inhaltsvolliten.

Es jtammen übrigens Iffland’s kernhafteſte Stüde aus jehr früher Zeit. „Die Jäger”, „Die Mündel“ wurden jchon 1786 ge: geben, und er war fo fruchtbar, daß die Titel mancher Stüde von ihm gar nicht zu uns gefommen find. Wer weiß davon, daß eine Fortjeßung der „Jäger“ unter dem Titel „Das Vaterhaus“ im Burgtheater gegeben worden! Die ganze Familie lebt noch, auch) der Paſtor und ver Schulze. Wer weiß davon, daß der bürgerliche Sittenmaler Iffland ſich einmal unter vie Türfen verirrt hat? „Achmed und Zenide“ von ihm ift am Michaelerplate aufgeführt worden! Wer hat von einem Iffland’schen Stücde „Die Höhen‘ ge- hört! Don feinen Schaufpielen „Frauenſtand“, „Die Künftler‘, „Der Bormund“, ‚Alte und neue Welt”, „Rückerinnerung“! Selbit Titel wie „Albert von Thurneifen‘ find nur noch im Gedächtniſſe älterer Schaufpieler. Er gab nur eine ‚Auswahl‘ feiner Stüde in Druck und ließ diejenigen verfinfen, welche feine große Zugkraft dar- gethan. Faſt alle feine wichtigen Stüde fallen in die achtziger und neunziger Jahre. Außer den Schon genannten: „Die Hageftolzen‘, „Die Reife nah der Stadt‘, „Elife von Valberg“, „Dienſt— pflicht” , „Der Hausfriede“, „Der Spieler”, und die früher ver- gangenen: „Der Herbſttag“, „Allzu ſcharf macht ſchartig“, „Leich—

Laube, Burgtheater, 6

82 Das Burgtheater.

ter Sinn’, „Der Mann von Wort‘, „Selbftbeherrichung‘‘, „Der Fremde“.

Er wie Kotzebue brachten jedes Jahr wenigſtens ein neues Stück; gewöhnlich mehrere. Desgleichen Schröder, desgleichen Ziegler und Jünger. Dazu Bretzner, Hagemann, Gotter, Soden, Babo, Spieß und zahlreiche Bearbeiter fremder Stoffe. An ſoge— nannten Theaterſtücken war alſo Ueberfluß, beſonders darum, weil das Publicum noch ſehr leutſelig war in ſeiner Kritik, und eine „rechtſchaffene Unterhaltung“ hoch ſtellte. Dies lang andauernde harmloſe Verhältniß zwiſchen Verfaſſern, Publicum und Kritik iſt dem Beſtehen des deutſchen Theaters ſehr zu ſtatten gekommen. Das Mittelmäßige iſt von ſelbſt verſchwunden. Merkwürdig bleibt es, daß eine ſich überhebende Schärfe der Kritik da begann, als die höhere Gattung dramatiſcher Dichtkunſt in den Vordergrund trat. Nicht in Wien. Bon Berlin ging das aus, und Schiller vorzugs— weife war der Gegenjtand jpöttifcher und höhnifcher Angriffe. Meit Erſtaunen lieſt man jegt die damaligen Berliner Blätter, 3. B. den angefehenen „Freimüthigen“. Die Sciller/ichen Stüde werden da in einem Tone abgefanzelt und weggeworfen, als ob es jih um Frevelthaten handelte. Man hat wohl auch Iffland eingereiht unter die Gegner Schillev’s, über welche die Zeit jo unbarmberzig hinges ichritten ift. Mit Unrecht. Seine tavdelnde Aeuferung über den Krönungszug in der „Jungfrau von Orleans‘, welcher durch äußeren Prunk die einfacheren Mittel des Schaufpiels in Gefahr bringe, war ja berechtigt. Wir fehen aber aus den Briefen, die er al8 Berliner Theaterdirector mit Schiller gewechjelt, daß er die Größe der Schiller'ſchen Kompofitionen ſehr wohl zu würdigen wußte, und das Intereffe Schilfer’s nach Kräften und mit guter Einficht förderte.

Ueberhaupt hat die Theatergefchichte Sffland viel milder und anerfennender zu behandeln, als unfere Yiterargefchichte es gethan hat und in manchem Betracht aber auch nur in manchem ! es bat thun müſſen. Um das deutjche Theater hat er unbejtreitbar

Das Burgtheater. 83

große Verdienſte. Um das Burgtheater insbefondere. Seine Stüde find vemfelben zum Ausgange des vorigen Jahrhunderts und zum Anfange des jetigen ein jchätbarer Kern gewefen. Die Schrö- der’sche Schule der unvathetiſchen, einfachen Charafteriftif ift durch feine Stüde im Burgtheater fortgeführt worden. Allerdings in engeren Formen, mitunter wohl auch auf etwas niedrigerer Stufe. Aber doch zum Segen, Was wäre ohne diejen fernigen Halt für Schaufpieler und Publicum aus einem Theater geworden, welches Jahrzehnte lang abgefperrt wurde von jeder freieren Schöpfung, jobald diefe Schöpfung die Gedanfenfreife der Zeit berührte! Ver: flacht wäre es gänzlich. Im erjter Linie wären die Schaufpieler haltios geworden und nichtig. Das haben die Iffland’fchen Auf: gaben verhütet. Es ift wahr, ſie reichen jelten-über ven beſcheidenen bürgerlichen Horizont hinaus, eine gewiſſe Moral ift ihr höchſter Flug, und ein poetifcher Schwung, welcher Herz und Geift des Menſchen ausdehnt, fehlt ihnen gänzlich, Aber in ihrem engen Kreife entwiceln fie tüchtige Kräfte. Sie fünnen wie eine Vor— jchule angejehen werden, jo wie fich aus einer guten Gemeinveleitung Fähigkeiten zu hoher Bolitif entwideln. Iffland's Geftalten haben wirkliches Leben. Dadurch wurden fie für unfere Schaufpieler bildende Aufgaben. Die jchließliche Entwickelung feiner Stüde ift faſt durchgehends ſchwächlich, und fordert die Kritik gegen ſich heraus, aber ver Weg zu diefer Entwidelung ift tüchtig. Er ift genau organisch, und dadurch bildet er die Schaufpieler, bildet er das Publicum. Ihm alſo ift es zu verdanken, daß troß der Ungunft politifcher Verhältniſſe die eigentliche Schaufpielfunft im Burg- theater gepflegt und gefördert worden iſt auch in den Jahrzehnten, welche das Burgtheater abjchlojfen von den Bewegungen ver Zeit.

Dies gilt durchaus nicht von Koßebue, So lange er ernit ſchrieb, war er äußerlich, und griff oft nach Franfhaften Reizen. Als er mehr und mehr in's Luſtſpiel übertrat und feine nicht abzuleug- nende gute Paune in leichter, wisiger Sprache entwidelte, da ent-

(Dis

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widelte er auch feinen ganzen Leichtfinn in der Zeichnung von Figuren und Situationen. Das Abjonderliche und Pofjenhafte trat in ven Vordergrund, und wo er ein bejjeres, ein wahreres Thema behandelte, da wußte er jeinen Gejtalten feine innere Wahrheit zu verleihen. Solche Luftipiele braucht ein Repertoire auch, und der augenblickliche Erfolg danft dem Verfaffer. Aber der Schaufpieler fommt felten dazu, einen Typus zu geitalten, welcher außerhalb der Caricatur läge, und das Publicum erheitert fih an Oberflächlichfeiten, welche nichts Dauerndes zurüdlaffen.

Kogebue alfo war einträglich für die Unterhaltung im Burg— theater, Iffland war jegensvoll für die Fünftlerifcehe Bildung des Burgtheaters.

Man hat fich in Wien daran gewöhnt, dieſe beiden Theater: träger als dem jetigen Jahrhundert angehörig zu betrachten. Sehr natürlich! Ihre Stüde, obwohl man fie nicht claſſiſch und nicht modern nennen konnte, erfchienen zahlreich im Repertoire des Burg- theaters bis gegen die Mitte unferes Jahrhunderts. Und doch ge- hört auch Kotebue mit feinen wichtigjten Stüden dem vorigen Jahr: hundert an. 1789 am 14. November debutirte er im National- theater mit „Menſchenhaß und Reue‘, nur vier Monate ſpäter folgte feine berühmte Gurli in den „Indianern in England‘, acht Monate jpäter „Die Sonnenjungfrau”, vier Monate fpäter der verlorenge- gangene „Straßenräuber aus findlicher Liebe‘; dann „Armuth und Edelſinn“, „Der Graf von Burgund”, „Falſche Scham‘, „Der Bruderzwiſt“, „Die filberne Hochzeit”, drei Wochen nad) ihr „Das Dorf im Gebirge‘, fünf Monate fpäter „Das Epigramm‘‘, vier Wochen nad) diefem „Das Schreibepult‘‘, eine Woche ſpäter „Der Gefangene”, vierzehn Tage fpäter „Die Unglüclichen‘‘, drei Monate päter „Joha nna von Montfaucon‘, vier Wochen jpäter „Die beiden Klingsberg“, drei Monate jpäter „Die fluge Frau im Walde”, Mit ſolcher Schwindel erregenden Fruchtbarkeit 1797 brachte er vom März bis Auguft, alfo in fünf Monaten, drei Stüde: „Die Ber-

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wandtichaften”‘, „Der Opfertod“, ‚‚Ueble Laune“ ſchloß er das porige Jahrhundert, um das neue fogleich mit einem Feitipiele, mit „Octavia“ und „Guſtav Waſa“ zu beginnen. Heutigen Tages verzeiht man dem pramatiichen Dichter zwei Stüde in einem Jahre nur ungern.

Die Theaterverhältniffe waren noch durchweg naiv. Man vergleiche folgende Notiz. Am 7. Januar 1800 wurde zur glüd- fihen Ankunft des Erzherzogs Palatinus „Freiſpectakel“ gegeben in der Burg und am Rärnthnerthor. Im Nationaltheater „„Sphigenie auf Tauris“ vermuthlich die Goethe'ſche; ſie erfcheint tief ver: einfamt inmitten eines leichtfertigen Repertoires und verſchwindet wieder auf viele Jahre. Als Gegengewicht im Kärthnerthortheater: „Der Marktichreier”, und der Theaterzettel für diefen feitlihen Tag trägt die Notiz: „Es verfteht ſich von jelbjt, daß die Cavaliere denen Damen die Site überlajfen, und feine Lichter ausgelöfcht werden dürfen”.

In dieſem fünfzehnjährigen Zeitabfchnitte bis in’s neue Jahr: hundert herein ereignet fich beim Perional des Nationaltheaters feine wejentliche Veränderung. Die Mitglieder, welche Schröder umgeben hatten, dauern unbeſchädigt aus, in Liebhaber, Kling- mann, wird beigejellt, und zwei neue Ehepaare werden bemerflich : Herr und Madame Koh, Herr und Madame Rooſe. Sie gelten für tüchtige Schaufpieler und fchliegen fich den Matadoren Brodmenn, Lange, Stephanie auch darin ebenbürtig an, daß fie mehrere Jahr— zehnte lang wie granitene Säulen dauern und das Repertoire tragen. Bon der jetigen Generation hat die ältere Schichte noch Koch und Rooſe gefehen, und namentlich Koch, welhem Anihüt vie Hand ge reicht, jteht noch in deutlicher Erinnerung.

Man hat die Bemerkung gemacht, daß die Lebenskraft eines Schaufpielers fich länger erhalte, als die anderer Leute, und daß man deshalb verhältnißmäßig mehr alte Schaufpieler finde, ala Greife in anderen Ständen. Ihre Kunft nöthigt fie, alle Thätig-

86 Das Burgtheater.

feiten des Geiftes und Körpers fortwährend in Uebung zu erhalten und zwar in gleichmäßiger Uebung. Die Wirkung der Leidenschaften ütberrafche andere Meenfchen und zerjtöre fie deshalb; dem Schau: jpieler werde fie geläufig und diene gleichjam zur erfrifchenden Be- wegung. Er habe ja den außerorventlichen VBortheil des Bewußt- feins, daß jeine Leidenſchaft, auch die tobendſte, nur ein Spiel fein und bleiben müfje; die größte Rolle gleiche alfo nur einem Rei— nigungsproceffe, wie die Tragödie felbjt ein jolcher ift, im äjthe- tifchen Stimme.

In der That hat das Burgtheater von feinem Entftehen an bis jetzt immer ein zahlveiches Kontingent bejahrter Künftler aufzuweiſen gehabt, welche ſich Kraft und Frifche bis in's hohe Greiſenalter zu bewahren wußten.

NA.

Zu Anfang des Jahrhunderts wiederholte man ven Verſuch, von augen her dem Nationaltheater eine leitende und befruchtende Kraft anzueignen. Obwohl dies mit Schröder nicht gelungen war, weil das Herrſchbedürfniß des „Ausſchuſſes“ fih ſtandhaft wiver- fetst hatte, jo tauchte doch nach etwa fünfzehn Jahren der Gedanfe wieder auf. Unbefangene Cavaliere und feinere Zufchauer machten höheren Drtes die Bemerfung geltend: Die Schröder’iche Erbichaft an Grundjägen und Stüden ift doch ſehr wohlthätig gewefen; fie hat fih nun vielfach abgenutzt wäre nicht eine neue Aneignung an der Zeit? Und da es mit einem Schaufpieler auf die Dauer nicht möglich gewejen, follte es nicht möglich fein mit einem drama— tiſchen Schriftjteller? Ein folcher ſei ja neuerdings aufgetreten in voller Kraft ver Jugend und Productivität und mit ganz bejonderer theatralifcher Befähigung, denn feine Stüce gefielen überall. Dieſer Schriftiteller mit refpectabler wilfenjchaftlicher Bildung ſei Auguft von Koßebue.

An maßgebender Stelle fand man dies einleuchtend. Kotzebue wurde berufen und angeftellt als Theaterſecretär. Dieſer Titel blieb Sahrzehnte lang beliebt für die zweifelhafte Stellung eines Dramaturgen, welcher die geijtige Aufgabe der Leitung zu erfüllen hatte, ohne eine wirflihe Macht in Anfpruch zu nehmen.

Kogebue war ein Mann von Energie und wollte feine Kraft geltend machen. Da jtieß er denn natürlich wieder an den „Aus—

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ſchuß“, an das fchaufpielerifche Familienregiment, welches ſich immer bedroht fühlte, wenn von außen her eine jchöpferifche Potenz ein- drang in das cameradjchaftliche Getriebe. Die Intriguen begannen und der Kampf brach endlich aus in heller Lohe. Die oberjte Direction jhütte wohl Kogebue. Aber der Schut war mäßig, war vorfichtig. Es fam zu einer Art gerichtlichen Verfahrens, in welchem die Mitgliever des Ausſchuſſes auf recht geſchickte Weiſe verhört wurden. Sie gaben fih auch arge Blößen, jie bejtanven nicht. Aber die oberjte Direction gab dieſem Nefultate feine conjequente Folge, und Kogebue wurde wohl deswegen ver Sache überprüfjig. Er legte nicht ohne Vornehmheit jeine Stelle nieder und ging von dannen. Der Verfuch mit einem neuen geiftigen Regimente war wieder gefcheitert, und zwar in ganz ähnlicher Weife wie der Verſuch mit Schröver.

Bald darauf 1802 wurde ein junger Mann, ein ge borener Wiener, halb und halb in diefe Stelle eines Theaterfecre- tärs geſetzt. Halb und halb, denn jeine Befugnig war offenbar noch geringer. Er hatte ven äfthetijchen Ruf für ſich, daß er einige Jahre in Jena jtudirt, wo damals Schiller lebte und wo ein Mlittel- punft fchönwifjenfchaftlicher Yehre zu finden war. Diefer junge Mann hieß Schreyvogel. Er ſcheint die Gelegenheit für gedeihliche Einwirfung ungünjtig gefunden zu haben, und trat nach zwei Jahren iwieder aus, um ein Kunſt- und Induftrie-Comptoir in Wien zu er- richten. Erſt nach zehn Jahren kehrte er zurüd an die Stätte neben dem Burgthore.

Während diefer zehn Jahre bildet die Franzojenzeit einen Haupmoment dadurch, daß fie wie ſchon erwähnt die ver- botenen Stücke, namentlich die Schilleriihen, zuläßt. Der Tod Schiller's 1805 zeigt erſt jpät einen Eindruck. Drei Jahre nach demfelben, am 17. December 1808, bringt das Nationaltheater eine Schillerfeier zum Vortheil von Wittwe und Kindern des „großen Dichters“. Sie fand im Kärnthnerthortheater jtatt und beftand,

Das Burgtheater. 89

mwunderlic genug, im Kernſtücke aus einer Ueberſetzung Schiller’s, welcher ja nicht einmal bejondere Sorgfalt nachzurühmen ıft, aus ver Racine'ſchen „Phädra“. Auf die „Phädra“ folgte laut Theaterzettel: „Schillers Feyer. Aus Stellen des unjterblichen Dichters in jeinen Werfen zufammengejett vom Hrn. Grafen von Benzel. Perſonen: Zwei Priejter, ver Genius, die Schaufpielfunft, die Poeſie, die Mufif, die Zeit. Erjcheinungen: Karl Moor, Fiesco, Ferdinand von Walter, Don Carlos, Wallenitein, Maria Stuart, Macbeth ()), Jungfrau von Orleans, Beatrice, Braut von Meſſina, Wilhelm Tell.

Das Theater bejaß auch in der damaligen Zeit feine genügenve Darjtellerin der Phäpra. Madame Weifjenthurn, wie der Zettel fie nennt, jpielte jie. Sie it als Schaufpielerin nie von Bedeutung gewejen. Als Theaterfchriftitellerin war Frau von Weiſſenthurn immerhin um einen Grad wichtiger, denn als darjtellenve Künftlerin, obwohl auch ihre Stüde ohne Kern und Styl waren. Ihr „Wald bei Hermannjtadt”, „Johann von Finnland‘ aber und ähnliche Stoffe aus fernen Grenzprovinzen brachten eine neue Nüance von Theaterromantif, und behaupteten ſich, wie alle Stüde von Schau- ipielern, durch gute Rollen lange auf ver Bühne. Cigentlich werth- voller von ihr waren Schau- und Luſtſpiele von mittlerer Ausdeh— nung, wie „Welche ift die Braut‘ und „Das lette Mittel“, welche fie in ihrer zweiten Epoche etwa von 1813 an erfand, umd welche nicht ohne felbjtändige Erfindung waren. Sie hat jehr lange gelebt, und noch inmitten der vierziger Jahre habe ich ein neues Stüd von ihr und fie felbjt auf vem Burgtheater gefehen.

Die im Sahre 1808 erwachende Pietät für Schiller hatte das Nationaltheater in demſelben Jahre nicht abgehalten, „Cabale und Liebe’ in jener Berunftaltung des Perſonals zu geben, welche bis zum heutigen Tage in übler Nachrede lebenpig geblieben iſt. Der Präfident von Walter hieß Vicedom von Walter, der Hofmarfchall von Kalb hieß Obergarverobemeijter. „War fein Obergarverobe-

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meister da?!’ hatte Ferdinand zu rufen, und was die Umgejtaltung zu jo dauernder Kenntnißnahme verurtheilt hat: Ferdinand war nicht der Sohn des Vicedoms, fondern nur deffen Neffe. „Es giebt eine Gegend in meinem Herzen, worin das Wort Onfelnod nie gehört worden iſt!“ Dies jtempelt e8 zur Parodie, und man begreift heute nicht, welch eine verichrobene Scheu vor natürlichem Conflicte folche Thorbeit zu Wege gebracht. Viel eher begreift man, daß 1809 im „Don Carlos’ der Beichtvater Domingo als Don Antonio Perez, Höfling, erjcheinen mußte. Hier handelt ſich's um ein Princip; ein Mann der Kirche foll nicht als böfer Intrigant vor dem Publicum ericheinen. Welches Princip aber verwandelt den Sohn in den Neffen, wenn man überhaupt Schaufpiele auf: führen läßt?! Glaubte man auf dem Theater jeglichen Conflict vermeiden zu fönnen, welcher augenblidlich einen unbequemen mora— liſchen Eindrud verurfacht? Ja, das glaubte man, und dies wurde unter der langen Regierung des Kaiſers Franz ein fürmliches Syſtem in ver Cenſur der Stüde. Es entjtanden Kategorien von merfivürdiger, oft feiner Ausdehnung. in natürliches Kind 5. B. wurde nicht zugelafjen, weil die Che dadurch bloßgeſtellt würde, und ähnliche Verbältniffe in großer Anzahl mußten vermieden oder wenigjtens vertufcht werden. Es fam nicht in Frage, ob durch ſolche jogenannte moralifche Reinigung des Dramas nit Wahr- beit und Yeben literariicher Kunft tief bejehädigt würde, Feinere Genforen behaupteten: manches Grelle in menjchlichen Berhältniffen muß ja doch immer ausgeichloffen werden, denn jede Staatsgefell- ichaft bewegt fich innerhalb gewiſſer moralifcher Grenzen, oder mindeftens innerhalb gewiſſer Convenienzen. Was werft ihr uns vor, daß unſere Grenzen und Convenienzen enger find! Unſer Publicum hat eben glüclicherweife noch zartere jittliche Nerven, warum jollen wir unfer jittliches Gefühl beleidigen und durch öftere Beleidigung abjtumpfen lafjen?! Ihr draußen in Deutjchland ver- tragt ja auch noch nicht alle fittlichen Unfläthereien der franzöfiichen

Das Burgtheater. 91

Stüde; mit welchem Rechte werft ihr uns vor, daß wir nicht alle Natürlichkeiten ſchmecken wollen, welche bei euch bereits eingebürgert find? Wir befinden uns wohl dabei, daß wir unſere Einfachheit länger bewahren.

Dies Raifonnement wäre vielleicht bis auf einen gewifjen Grad berechtigt gewefen, wenn Gebräuche, Sitten und Gefinnung Wiens diefer noch kindlichen Einfachheit entjprochen hätten, wenn der Staat wie das Paraguay des Dr. Francia bermetijch abge: ihloffen gewejen wäre von der Entwidelung in Deutfchland. Das war aber troß aller Mauthichranfen nicht möglid. Die Wiener blieben tro&ß aller Schranfen in geiftiger Verbindung mit Deutjch- land, die Allgemeine Zeitung brachte täglich das ganze europäiſche Leben in den öjterreihifchen Staat, das Burgtheater ſelbſt bedurfte fortwährend der zuftrömenden Production aus Deutjchland und Frankreich; dieſe Abjperrung durch minutiöfe Cenſur auch in nicht- politifchen Fragen bildete ein gläſernes Haus, aus welchem man in die ganz andere Welt hinausfchaute, und jedermann empfand, daß dies ein Fünftliches Wefen fei ohne inneren Halt. In einem Beinamen drücdte man’s furzweg aus; man nannte das Burgtheater das „Comtejjentheater‘‘, in welchem nur das gegeben werden dürfe, was ein junges, unerfahrenes Mädchen anfehen fünne, ohne zu beventlicher Nachfrage veranlaft zu werden. Kann und darf dies der Gefichtspunft eines öffentlichen Theaters fein?

Uebrigens erfolgte in diefem Zeitabfchnitte die wichtige Ein— richtung, daß die beveutenderen Mitglieder des Nationaltheaters auf Lebenszeit angejtellt und für penfionsfähig erklärt wurden. Dies bemilligte Kaiſer Leopold. Kaifer Franz erweiterte die Bewilligung dahin, daß auch die hinterlaffenen Wittwen eine Penfion zugefichert erhielten.

Unter den neu engagirten Mitgliedern zeichneten fih Hr. Korn und Demoifelle Adamberger aus. Xettere, eine Tochter der jo be— gabten Frau Jaquet, hat eine ähnliche Stellung wie jpäter Frl.

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Neumann eingenommen; ähnlich in der allgemeinen bürgerlichen Achtung, welche ihrem decenten Wejen entgegen fam, und ähnlich in der zierlichen wie correcten Weife ihres Spiels. Nur im Um— fange des Faches reichte Frl. Adamberger weiter; ſie reichte in die Tragödie hinein und fpielte die Beatrice in der ‚Braut von Meſſina“ und das Clärcen in „Egmont“. Auch dem auswärtigen Publicum wurde fie dadurch intereffant, daß Theodor Körner ihr feine Yiebe widmete und fie als Braut zurüdließ, da er in ven Freiheitskrieg gegen Napoleon zog. Er war um 1812 als Theaterdichter am Burgtheater angejtellt worden und feine fleinen Dramen „Toni“, „Hedwig, „Der Vetter aus Bremen‘ finden fich 1812 und 1813 im Repertoire. Demoiſelle Adamberger fpielte Toni und Hedwig. Einen befonderen Einfluß auf Yeitung oder Repertoire des Theaters hatte er nicht.

Unter den neuen Stüden dieſes Jahrzehnts findet fich nichts Hervorragendes. Cine Fortjegung des Kotzebue'ſchen „Menſchenhaß und Reue” von Julius Graf von Soden unter dem Titel „Ver— jöhnung und Ruhe‘ beweilt, daß dies auch in’s Franzöjiiche über- tragene Schaufpiel Kotzebue's ven Zeitgeſchmack höchlich interefjirte. Gollin trat auf mit ſeinem „Regulus“ und erwarb fich mit jeinen hiſtoriſchen Stüden, welche auch vaterländifche Stoffe und patrio- tiiche Zwede verherrlichten, eine ungemeine Achtung. Ernithafte Stüde möchte man fie nennen, bei denen der Mangel an voller poetifcher Kraft und fließender Sprache vervedt wurde durch Die würdige Abficht, welche überall hervorftrahlte. Gollin jtand in jolcher Geltung, daß ihm nach feinem Ableben eine dramatiſche Todtenfeier veranftaltet wurde.

In einer Anwandlung von hoher dramatifcher Intention fette man damals auch einen Theil der „Söhne des Thals“ von Zacharias Werner in Scene; unter dem Titel „Die Templer auf Cypern. Ordensgemälde in fechs Aufzügen”. Die undramatifche, ichwer genießbare Dichtung Werner’s war natürlich nicht geeignet,

Das Burgtheater. 93

Fuß zu faffen auf ver Bühne. Eben jo wenig eine „Polyrena“ eine Tochter Hekuba's und eine „Vitellina“ eine Tochter des Kaijers Bitellius. Solche einzelne Opfer an altelaffiihe Stoffe jind wohl durch Collin zu Wege gebracht worden, welcher ſelbſt mehrfach in die Römer: und Griechenzeit zurüdgriff. Die beroifche Schaufpielerin für die Polyrenen, Bitellinen, Zenobien (Trauer: ſpiel Mäon“) war mittlerweile Madame Rooje geworden. Auch für die „Sohanna d'Arc“, welche im Januar 1802 aufgeführt wurde. Im Berlauf deſſelben Jahres erihien Schiller's „Jungfrau von Orleans“, und die Frage drängt ſich auf: Hat das Burgtheater von Schiller's Abſicht und Plan Kenntniß gehabt, oder hat Schiller eine ältere „Johanna d'Arc“ gekannt? Letzteres wäre wohl waährſcheinlich. Es kommen neben den hiſtoriſchen Hauptfiguren nicht nur dieſelben Namen hiſtoriſch ſein könnender Nebenfiguren vor, wie Chatillon, Raoul, Thibaut d'Arc und die beiden Schweſtern der Jungfrau, Louiſon und Margot, nein, auch Raymond, der Liebhaber Johanna's, heißt Raimund, und auch der Landmann Bertrand heißt Bertram, auch der engliſche Herold hat den engliſchen Soldaten neben ſich. Schiller machte bekanntlich wenig Umſtände, auch einen Stoff zu nehmen, welcher ſchon theatraliſch bearbeitet vorlag; die „Maria Stuart“ von Spieß, welche auf den Bühnen war, hielt ihn nicht ab, auch eine „Maria Stuart“ für die Bühne zu ſchreiben. Aber auf— fallend wäre es, daß er in den Nebenfiguren ſo treu einem vor— liegenden Stücke gefolgt wäre. Unterſcheidend iſt Folgendes: Dunois und der Erzbiſchof fehlen ganz, Agnes Sorel desgleichen. Dafür hat der König Karl eine Gemahlin Marie, und Iſabeau iſt nicht ſeine Mutter, ſondern ſeine Schweſter. Dies könnte wieder auf Cenſurrückſichten deuten, welche eine Maitreſſe und eine un— natürliche Mutter zu verändern gewünſcht. Und ein Prinz Louis, ein Vetter des Königs, welchen ein ſo wichtiger Schauſpieler wie Lange geſpielt, iſt eine bei Schiller ganz fehlende Figur. Sollte diefer Prinz für Dunois eingetreten fein, weil man den unange-

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nehmen Ausdruck „Baſtard“ vermeiden wollte? Der Name des Berfaffers ift auf dem Zettel nicht genannt wer löſt dies Räthſel?

Es fehlt ein eigentliches Burgtheater-Archiv völlig. Was in alten Schränken in einem dunklen Gange, nahe bei ver Caſſa, an vergilbten Schriften aufbewahrt und unter Aufficht eines ganz un— literariſchen Defonomen jtand, als ich in die Direction eintrat, das erwies fich als ein ganz regellofes, werthlofes Durcheinander von Papieren und Büchern. Ich habe aus diefem Durcheinander hervor: juchen laſſen, was für die Theaterbibliothef einigen Werth haben fonnte, und diefe Bibliothek ift durch meinen Repertoire-Infpicienten jo viel als möglich vervollftändigt und geordnet worden. Eine recht jorgfältige Sammlung der Theaterzettel und ein genaues Kepertoire- buch mit allen Beſetzungen, eine treffliche Arbeit, welche in's vorige Sahrhundert zurücveicht und von obigem Inſpicienten ganz exact fortgejegt worden, dies find die einzigen authentifchen Quellen, welche für die Gefchichte des Burgtheaters vorliegen.

In diefen Quellen ließ ich nun forfchen, um jenes Räthſel zu (öfen. Da ergab denn das Nepertoivebuch, daß die Anzeige des Zettels „Am 27. Januar 1802 zum erften Male Johanna d'Arc“ eingetragen war als „Jungfrau von Orleans von Schilfer”. Dabei die Nummer des erjten Buches. Das Buch ward aufgefunden in der Bibliothef, ein fleiner gedructer Sevezband, und hieß „Die Jungfrau von Orleans. ine romantische Tragödie von Schiller, Mit einem Kupfer. Frankfurt und Leipzig. 1802 Der Titel war verändert in „Johanna d'Arc“, der Name Schiller’s aus- gejtrichen, das Perſonal umgewandelt, wie oben mitgetheilt ift. Die Frage war alfo aufgeklärt. Das Buch mochte ſchon in den letzten Monaten des Jahres 1801 erfchienen fein, und wie Buch- händler zu thun pflegen, um ihre Producte länger jung zu erhalten und die Abrechnung über dieſelben auf die zweitnächite Dftermeffe zu vertagen, war es mit der vorzeitigen Jahreszahl 1802 ausgegeben

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worden, Das Nationaltheater fonnte alfo das Schiller’iche Stüd im erjten Monate 1802 ſchon geben, obwohl es in der literarifchen Chronologie erjt im Jahre 1802 erſcheint.

Man hatte alfo damals ſchon bei einem fo royaliſtiſchen Stüce weitgehende Genfurbevenfen, ja weiter gehende, als fpäter in der Metternich’schen Epoche. Denn in legterer Epoche findet ſich jehr Bieles hergeftellt, was Anno 2 geftrichen oder verftümmelt worden war. Zum Beifpiel die Fahne der Jungfrau, welche nur einen rothen Saum, aber feine Himmelsfönigin zeigen durfte, und die ächten Perfonen Iſabeau, Agnes Sorelund Dunois, Charafteriftiich ijt jene erſte Verftümmelung auch dadurch, daß neben religiöfen Wendungen auch alle romantischen Ausfchweifungen, wie die Er- Iheinung des ſchwarzen Ritters, befeitigt waren. Es ift, als ob die nüchterne Joſephiniſche Anſchauung Hand in Hand mit der firch- lichen das Buch zufammengeftrichen habe.

Schiller ftand damals auf ver Höhe feines Ruhmes. Er lebte nur noch zwei Jahre und einige Monate, und in folchem Augenblicde hatte das Nationaltheater ven Muth, ein neues Stück von ihn fo umzuändern, feinen Namen wegzuftreichen, und eine große Tragöpie von ihm fo aufzuführen, daß er gar feinen Theil daran zu haben ſchien, und jicherlich auch nicht das kleinſte Honorar dafür erhielt, denn ein gedructes Stück war vogelfrei für die Bühnen!

Aufjehen machte in jenem erjten Jahrzehnt unferes Säculums Babo mit feinem Kleinen Stüde „Der Puls’, welchem man eine bedeutende, leider ausgebliebene Nachfolge zutraute. Und Holbein mit der dramatifchen Bearbeitung Schiller'fher Balladen, Der Gang nach dem Eifenhammer unter dem Titel „Fridolin“ machte den Anfang und hielt fich lange auf den NRepertoiren. „Die Bürg- ſchaft“ lag mit vem Tyrannen Dionyſius zu weit rückwärts für das Publicum. Bezeichnend ift, daß Schiller auch im Epos dem Dra- matifer vorarbeitete, eine fchmerzlihe Mahnung daran, daß gerade das deutſche Theater fo tief betroffen wurde durch feinen frühen Tod.

VD.

Zu Anfang des Jahres 1814 verſchwindet der Sofephinifche Titel „Nationaltheater vom Zettel, und e8 erjcheint ftatt feiner die Bezeihnung „Theater nächft der Burg‘.

Es ift nicht erfichtlich, aus welchem Grunde ver Namenswechjel eingetreten ift. Vielleicht aus einem politifchen Inftincte. Man war auf dem beiten Wege, Napoleon zu befiegen, man ſah eine neue Zeit fommen, welche mit der nationaldeutfchen Bejtrebung Raifer Joſeph's wenig zu jchaffen haben würde, man fand den Tendenztitel nicht mehr zupafjend.

Wunderlich genug! Gleichzeitig mit diefer Namensänderung tritt eine Aenderung in dem Inneren des Theaters ein, welche den neuen Namen ‚Burgtheater‘ fejtiget und weiht. Wunderlich, weil die Namensänderung mit der inneren Aenderung in gar feinem Zu: jammenhange jteht. Ein Dramaturg tritt ein und übernimmt in be- ſcheidener Stellung die geiftige Leitung, an welcher es feit Kaiſer Joſeph gefehlt, und welche er achtzehn Jahre lang fegensreich führt. Diejer Mann war Schreyvogel.

So wie das Nationaltheater feinen Auffhwung dem Kaiſer Joſeph vervanfte, und mit dejjen Ausjcheiden in Mattigkeit verfiel, jo verdankt das Burgtheater feinen Aufſchwung von 1814 bis 1832 im Wefentlichen der dramaturgiſchen Thätigfeit Schreyvogel's, und nachdem er ungebührlich entfernt worden, verjanf es ebenfalls in Meattigfeit, nur von den Arbeiten und Erwerbungen zehrend, welche Schreyvogel hinterlafjen hatte.

Das Burgtheater. 97

Schreyvogel war ein geborener Wiener, welcher fich im ftiller Weiſe eine jorgfältige Bildung angeeignet hatte in literarifchen Dingen. Er hatte fich einige Jahre lang in Jena aufgehalten zu Anfang des Jahrhunderts, wo damals unter Goethe's und Schillers Zuthun eine gründliche ſchöngeiſtige Cultur blühte; er war bei feiner Heimfehr 1802 auf furze Zeit eingetreten in das Bureau des Na- tionaltheaters, und war bald wieder ausgefchieden, vielleicht weil er noch zu jung war und noch feine vechte Stätte finden fonnte zur Wirffamfeit. Einer Kunjthandlung widmete er die nächiten zwölf Sahre, und in Beobachtung des Theaters, in forgfältiger Aus- bildung feiner Kenntniſſe und feines Geſchmacks bereitete er fich vor zur Führung eines Amtes, welches veifere Mannesfraft verlangt und einen geübten Blick.

Er wurde auch nicht zum Jogenannten Theaterfecretär ernannt, weil man eine große veformatorifche und ſchöpferiſche Thätigfeit von ihm erwartet hätte; das Bedürfniß einer jolhen empfand man faum, und feine Stellung war gar nicht dazu angethan, jo Befon- deres von ihm zu erwarten. ine jolivde Thätigfeit aber trat mit ihm ein, geläutert durch hinreichende ſchönwiſſenſchaftliche Bildung, unbeirrt von gelehrtem Fachdünkel, welcher das täglich fich erneuernde Leben gering ſchätzt, getragen von einem ruhigen Ernſte, welcher weiß, was er will.

So begann er unfcheinbar. Die Zeitverhältniffe famen ihm trefflich zu ftatten,. Cine Friedensaera nach den franzöfiichen Kriegen breitete fich vor ihm aus, die erichöpfte Welt athmete auf, und war geneigt, fich den Künften des Friedens hinzugeben, und die Ver: waltung des Theaters ſelbſt jtredte eben die Waffen und gab einer neuen Thätigfeit allen Raum. in Confortium von Cavalieren nämlich, die Eſterhäzy, Schwarzenberg, Lobkowitz, Palffy an ver Spite, hatte inmitten der Kriegsjahre die Divection geführt und hatte fich erſchöpft. Nur ein Palffy war übrig geblieben als Di-

rector des Burgtheaters und des Theaters an der Wien, ein äufßerft Laube, Burgtheater. 7

98 Das Burgtheater.

freundlicher, gefälliger Herr. Er überließ dem neuen Dramaturgen gern die geiftige Yeitung, und fo jtand Schreyvogel einige Jahre lang auch die fchöne, große Wiedner Bühne zur Verfügung, welche jich für größere Stüde weit befjer eignete, als der dürftige Raum des Burgtheaters.

Dan jagt wohl, es jei Schreyvogel die erfolgreiche Yeitung darum leichter gemacht worden, weil die ihm zufallenden Jahrzehnte ziemlich veich gewejen jeien an dichterifcher Production für das Theater, und weil jich in diefen Jahrzehnten ungewöhnlich viel Dar- jtellungstalente entwicelt hätten. Mag fein; aber man muß auch zugeftehen, daß er fich hülfveich und einfichtig erwiejen hat für För— derung dramatifcher Dichtung, für Auffindung und Ausbildung ichaufpielerifcher Talente.

Das größte dichterifche Talent, welches ihm gleich in jeinen eriten Jahren begegnete, war Franz Grillparzer. Diefer ganz junge Mann überreichte ihm 1816 ein Foltomanufeript auf grobem, grauem Papier. Darauf jtand gejchrieben: „Die Ahnfrau“. Der junge Mann war fchlichtern, wortfarg, anſpruchslos. Er zeigte fich weit entfernt davon, die Aufführung feines Manuferipts für wahr: icheinlich zu halten. Aber Schreyvogel erfannte auf der Stelle die Klaue des Löwen. Ich habe dies erſte Manufeript in der Hand gehabt, und ich würte kaum Etwas, was mir lehrreicher vorgefommen wäre für Erfenntniß des Dichters und für Erfenntniß des Drama— turgen. Schreyvogel hat Bemerkungen und Vorfchläge zur Aen— derung an den Rand gefchrieben, welche ven fundigen Blick des Dramaturgen deutlich an den Tag legen. Und der Dichter, obwohl ein ganz junger Mann, hat diefe Bemerkungen gewürdigt, wie ein ganz reifer Charakter, der genau weiß, was er beachten und befolgen, und was er unbeachtet lafjen ſoll. Merkwürdig daran ift auch, daß der landläufige Vorwurf der Schieffalstragödie, welcher die „Ahnfrau“ wie ein Heujchredenjchwarm begleitet hat, am meijten Nahrung er— halten hat durch einige eingefchobene Aenderungen Schreyvogel's,

Das Burgtheater. 99

der felbjt eben jo wenig wie Grillparzer ein Anhänger der Schid- falsivee war im dramatifchen Kunſtwerke. Grillparzer hat ſich auch gleich bei der eriten Auflage feiner „Ahnfrau“ nachdrücklich ausge: Iprochen über vdiejen Punkt. Seines Wiſſens jagt er findet ih in dem Stüde feine Spur von dem. abgefhmadten Irr— glauben, ven man ihm hat andichten wollen. Es ſei ihm nicht,» in den Sinn gefommen, Berbrechen durch Verbrechen entfühnen zu lafjen, und in der Berfettung von Schuld und unglüdlichen Er- eigniffen, welche ven Inhalt des Trauerjpiels ausmacht, ein neues Syſtem des Fatalismus varzuftellen. „Shafefpeare und Cal— deron“ führt er fort „haben den abergläubigen Wahn finjterer Zeiten mit ungleich größerer Kühnheit zu poetischen Zwecken benust, als es in der „Ahnfrau“ geichehen, ohne daß man fie deshalb ver- feßert hätte. Das Schicdjal jpielt in der, ‚Andacht zum Kreuz‘ und in dem „Fegefeuer des heil. Patrik“ (beive von dem angeblich hrijt- lichten aller Dichter) eine mehr heidniſche Rolle, als in dem gegenwärtigen Stüde, worin eine Sünderin ihre geheime Unthat durch den quälenden Anblick ver Schuld und der Leiden abbüßt, die fie zum Theil felbjt über ihre Nachkommen brachte; eine Borftellungs- art, welche dem jüdiſchen und chriftlichen Yehrbeariffe eben nicht widerjpricht. Der verjtärfte Antrieb zum Böen, der in dem ange: erbten Blute liegen kann, hebt die Willensfreiheit und die moralifche Zurehnung nicht auf. Die Sophifterei der Yeidenfchaften, welche der Derfafjer feinen tragiichen Perſonen in ven Mund legt, ijt nicht fein Glaubensbefenntniß; jo wenig als vie zufällige Wahl eines märchenhaften Stoffes einen Beweis gegen die Orthodoxie feiner Runftanfichten abgiebt. Der Verfafier fennt vie Schule nicht, zu der man ihn zu zählen beliebt, und er weiß nicht, mit welchem Rechte man einen Schriftfteller, der ohne Anmaßung und ohne Zufammen- hang mit irgend einer Partei zum erjten Mal im Publicum auftritt, Ungereimtheiten zur Laſt legt, die von Anderen, ſei e8 auch zu feinem Lobe, gefagt werden mögen.’

q*

100 Das Burgtheater.

Umfonft! Die Schidjalsivee, durch Werner’s „Vierundzwan— zigften Februar‘ und durch Müllner's kurz vorher erjchienene „Schuld“ in die äfthetifche Debatte gebracht, war ein zu bequemes Thema fürweije ſcheltende Kritik, als daß man „draußen im Reiche‘ von der Ablehnung des jungen Dichters Notiz genommen hätte. Er war hiermit einmal clafjificirt, und die Klafjennummer tft ihm an- geheftet geblieben, obwohl feine dramatiſchen Dichtungen gar nicht paßten in die Nummernclaffe. Die dentiche Kritif hat ſich faum je eine ärgere Blöße gegeben, als in der oberflächlichen Beurtheilung Grillparzer’s. Noch heute weiß fie es nicht, daß nach Goethe und Schiller feine vichterifche Kraft im Drama unter uns aufgewachfen iſt, welche einen clafjiichen Plat mit fo gutem Grunde einzunehmen berufen ift, als die Franz Grillparzer’s. ine Reihe von Jahren glaubte man, Heinrich von Kleiſt dieſen nächiten Plat vorbehalten zu dürfen. Aber die Reife der Zeit iſt entſcheidend für claffiiche An— jprüche, und die Erfahrungen namentlich auf ver Bühne, welche ein Prüfitein des Beſtandes ift, haben nicht für die Kleiſt'ſche Reife ge- jtimmt. Die franfhafte Ader ver Abjonderlichfeit, welche all’ feine Stücke durchdringt, iſt dem Publicum von Jahr zu Jahr fichtlicher und jtörender geworden, Noch in den erjten fünfziger Jahren fand das „Käthchen von Heilbronn“ und felbjt der jomnambüle „Prinz von Homburg” eine leidlich theilnehmende Zuhörerjchaft im Burgtheater ; in den jechsziger Jahren verlor ſelbſt das „Käthchen“ mehr und mehr jeine Anziehungskraft, und der ‚Prinz von Homburg‘ wurde als franf- haft und unſchön im Stich gelaffen. Grillparzer's Stüde dagegen, nah Schreyvogel's Abgang zwei Jahrzehnte lang im Repertoire vernachläffigt, erwiejen ſich ſämmtlich bei ihrer Wiederaufnahme als fräftig und tüchtig. Die befannte „herbe Friſche“, welche Tied ven Kleiſt'ſchen Werfen als Charakteriſtik zutheilte bei ver Herausgabe, paßt jest viel eher auf Grillparzer, bejonders wenn man die Worte umfehrt, und frifche Herbheit fagt. Sie duftet ſtärkend aus Grill- parzer's Dramen entgegen. Fein geſehene Wahrheit jchlicht ausge

Das Burgtheater. 101

drückt umd gefunde pſychologiſche Entwicelung in den Charafteren würzt Grillparzer’s Compofitionen, welche nie ohne Genialität und doch immer einfach jind.

Er wurde der neue dichterifche Halt des Burgtheaters von da> mals bis heute. Zwei Jahre nach der „Ahnfrau“ brachte er die „Sappho“, welche heute, fünfzig Jahre nach ihrer Entftehung, fait noch mächtiger und fchöner wirft als damals. Wenigjtens fonnte jie 1866 und 67 zahlreicher vor gedrängt vollem Haufe aufgeführt werden, als da jie neu war.

Sie ilt wunderbar fchnell entitanden, Auf dem Wege nach dem Prater hat ein Mufifer Grillparzer angetreten mit dem Vor: Ichlage, einen Operntext „Sappho“ zu ichreiben. Grillparzer hat Nein gejagt; der Name Sappho ift aber befruchtend in jeine Seele ge— fallen, und einſam in den Prater tief hinein wandelnd hat ſich ihm der Stoff entwidelt und gegliedert, dergejtalt leicht, natürlich und volljtändig, daß er bei ver Rückkehr in die Stadt die ganze Tragödie vor fich geſehen. Sogleich hat er jich an's Schreiben gemacht, und in ein paar Wochen tft das Stüc fertig gewejen.

Welche Freude für Schreyvogel, ver ſogleich an vie Infcene- jeßung gegangen. Die Melitta nur machte dramaturgiſche Schwie- rigfeiten, weil die junge Frau Korn in die banalsweifen Nathichläge der Gollegen verftridt worden war. Grillparzer ſitzt bet ver vor: (etten Probe im dunklen Barterre und leidet jehr von der decla- mirenden Melitta, Endlich tritt jie ab und überrafcht ihn mit ihrer Nachbarſchaft im dunflen Parterre und mit der jchüchternen Frage, ob er zufrieden jet mit ihrer Auffaſſung. Er weicht aus mit der Antwort, und fie vuft: Ich hab’ mir's gedacht! ich ſelbſt bin gar nicht zufrieden ; morgen werd’ ich fie Sprechen, wie ich mir’s denfe! That's, und wurde die naive, hinreißende Melitta, welche im Angedenfen der Wiener das Ideal dieſer liebenswürdigen Rolle ges blieben iſt.

1821 erjchien die Trilogie „Das goldene Vließ“ auf der Scene

102 Das Burgtbeater.

des Burgtheaters. Von dieſer Trilogie hat die deutiche Bühne außerhalb Wiens nur das dritte Stüd „Medea“ hie und da durch eine gaftirende Schaufpielerin kennen gelernt. Schreyvogel führte die ganze Trilogie auf, und fie jteht jeit 1857 wieder ganz im Re— pertoire des Burgtheaters.

1825 erſchien „König Dttofar’s Glück und Ende’ auf ver Fleinen Scene am Michaelerplate. Das Schiefal Napoleon’s hatte Grillparzer dabei vorgefchwebt. Böhmiſche Empfindlichkeit hatte die Erlaubniß zur Aufführung des Stüdes erichwert; aber Schreyvogel war in Behandlung jchwieriger Cenfurfragen geduldig und zäh; er fam deshalb öfter zum Ziele, als feine nächjten Nachfolger, welche dies Stüd und den 1828 folgenden „Treuen Diener feines Herrn‘ fallen liegen. Er war fich offenbar wohl bewußt, daß eine große vater- ländiſche Dichterfraft einem Theater Fundament und Weihe verleiht, und wie ein großes vaterländiiches Eigenthum gepflegt fein joll. Er war ſich überhaupt bewußt, daß jtarfer und mannigfaltiger In— halt einem Theater noththut, damit fich das Inftitut nicht zur bloßen Unterhaltung verflüchtige. Wenn man feinen Directionsjahren auf- merkſam folgt, jo findet man, daß er in jedem Jahre bei aller Sorge für leichte Unterhaltung feines leichten Publicums eine Infcene- ſetzung betreibt, welche über das Alltagsbedürfnig hinausgeht.

Gleich im Jahre feines Eintritts 1814 wird Schiller’8 „Wallenſtein“, wenn auch in verfürzter Form, in's Repertoire eingeführt. Keine geringe Eroberung, wenn man ver jonjtigen Cenſurrückſichten gedenft und fich das Stück vergegenwärtigt, welches einen faiferlichen Feloherrn und ein Faiferliches Heer in einer Hand— (ung auf das faiferliche Hoftheater bringt, welche ſich um Abfall, Fahnenflucht, Verſchwörung und Empörung bewegt. Das ‚Lager‘. war in diefer Zufammenziehung übergangen, und die „Piccolomini’ und „Wallenſtein's Tod’ waren, wie ver Zettel befagt, auf fünf Acte „in die Kürze gezogen und für einen Abend eingerichtet von 9 TIRRFRU

Das Burgtheater. 103

In demjelben Jahre 1814 am 29. December wurde Schiller’s „Maria Stuart‘ zum erften Male aufgeführt.

1815 „Correggio“ von Dehlenfchläger. Dies Stück hat fich auf dem Burgtheater allein gehalten troß feines unangenehmen Aus— gangs, welcher ven Helven unter einem Sad voll Kupfermünze ver— Ihmachten und erliegen läßt. Der erjte Eindruck wird nirgend fo refpectirt, wie beim Wiener Theaterpublicum, Es ift dies eben auch heute noch! ein geſchloſſenes Theaterpublicum, welches ge— treulich fejthält an jeinen Traditionen. Hat ein Stüd einmal ge— fallen, jo bleibt ihm der gute Ruf unmwandelbar treu. Noch fünf: unddreißig Jahre nach der erjten glüclichen Aufführung ward dies ſchwächliche Stüd mit günftiger Vormeinung angeichaut, als Korn zum letten Male fpielte und mit feinem Giulio Romano von der Bühne jchied. Fünfunddreißig Jahre lang hatte er diejelbe Rolle gejpielt. Sie ging an Fichtner über, und das Stück frijtete fein Leben noch, wenn auch vürftiger, vor einem neuen, viel fritifcheren Geſchlechte. Eine erjte Aufführung würde es heute, auch mit der beiten Beſetzung, kaum bejtehen.

In demjelben Jahre war „Der Rehbock“ von Kotebue neu, ein jehr lascives Stüd, welches dem damaligen Publicum jehr ge— fiel und mit jeinen üppigen Zweideutigfeiten feinerlei Anjtoß erregte. Ich führe dies an als ein Symptom des Zeitgeſchmacks. Das acht- zehnte Jahrhundert war in den fogenannten Natürlichfeiten unge: mein nachjichtig, und diefe Eigenfchaft lebte im Burgtheater fort beinahe bis gegen die Mitte des neunzehnten Jahrhunderts. Ein alter Defonom des Burgtheaters verfprach fih 1850 goldene Ein- nahmen, wenn ver leider ob feiner Yüpderlichfeit aus dem Repertoire geſtoßene „Rehbock“ wieder gegeben werden dürfte. Wie jehr dies aber dem Gejchmad unjerer Zeit widerfpricht, fonnte ich recht deutlich an Schröder's „Klingsberg“ erkennen, welcher an allen Ecken und Enden gemildert und verfeinert werden mußte bei einer Wieveraufnahme in den fünfziger Jahren, und dennoch als jehr gröblich auffiel. Und

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diefe zwei Klingsberg-Stüde find Wiener Stüce, denen Schröder einen völlig wienerifhen Typus verliehen hatte! Die heutigen Wiener aber erjchrafen über den freien Ton ihrer Väter und Mütter.

„Die Schuld“ war 1813 neu geweſen und hatte durch klingende Verſe und einen ſpannenden Inhalt außerordentliches Glück gemacht. Dieſer günſtige Eindruck blieb den folgenden, an Zahl geringen Pro— ductionen Müllner's am Burgtheater treu. 1816 wurde fein „König Yngurd‘‘ gegeben Frau Schröder Brunhilde, Herr Heurteur Yngurd und im diejer günftigen Strömung eine Zeitlang auf- genommen umd getragen, als ob es ein dauerndes Repertoireſtück wäre, Dieſe Gunjt fam 1820 ſelbſt der „Albaneferin‘ zu jtatten, welche die Manierirtheit und innere Hohlheit der Müllner'ſchen Muſe ſchon damals einem Theile des Publicums fihtbr machte. Solch ein Wafferfall, ver eine Zeitlang bewundert und plötzlich dünn wird, ja jogar gänzlich aufhört, erfcheint eben in der Literarge— ihichte von Zeit zu Zeit. Er ift durch Pumpwerk entjtanden und hat feinen natürlichen Zufluß. Beſonders beim Theater ift die Mode ein vecht augenjcheinlicher Factor, und ich finde fein Zeichen, daß Schreyvogel durch Mode-Erfolge beraufcht oder getäufcht worden wäre, wenn er auch Werth legte auf ein überrajchendes Original: werf, wie „Die Schuld‘ immerhin war.

In demfelben Jahre 1816 fette er Goethe’s „Taſſo“ zum erften Male in Scone Korn Taffo, Rooſe Antonio, Adamberger Prin- zeifin; Sulie Yöwe, eine neue Größe, Sanvitale.

Dajjelbe Fräulein Julie Löwe war ihm einen Monat jpäter hilfreich fir das glänzenne Gelingen feiner eigenen Arbeit, der „Donna Diana’, welche am 18. November 1816 zum eriten Male aufgeführt wurde, Diana Löwe, Don Ceſar Korn, Perin Rooſe. Dieje Bearbeitung des Moreto'ſchen Stüdes, in welcher ihm Moliere und Gozzi vorausgegangen waren, hat Schreyuogel’s literariichen Namen ‚Carl Auguft Weſt“ dauernd eingeführt in

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unfere vramatifche Literatur. „Ich habe bei der vorliegenden Be— arbeitung‘‘ jagt er in der Vorrede zur erjten gedruckten Ausgabe der „Donna Diana’ „Gozzi's Veränderungen benutt, aber mich im Ganzen jo nahe an das jpanifche Original gehalten, als vie Berichievenheit des Nationalgeſchmacks nur irgend zu erlauben jchien. Snsbefondere habe ich geglaubt, dem Charakter ver Prinzeſſin feinen urfprünglichen Adel wiedergeben zu müfjen, ven er in der jich zum Burlesfen neigenden Manier des Gozzi zum Theil verloren hatte, Dagegen verdankt Perin (bei Gozzi „Gianetto“, im ſpaniſchen Ori— ginal „Polilla“) ver Hand des Letzteren mehrere glückliche Züge, die ich beibehielt. Auch Don Ceſar ift, zum Theil nach Gozzi's Um— riſſen, mehr ausgebildet worden.”

Schreyvogel fpricht in den Vorreden zu feinen Bearbeitungen immer fo einfach und bejcheiven. In Wahrheit find diefe Bear- beitungen in vielem Betracht jelbjtändige Arbeiten. Die „Verſchie— denheit des Nationalgeſchmacks“ war ihm ein feiter Leitſtern, nach welchem er, vom Original abweichend, felbjtändig vorging. Seine Borreden zum ‚Leben ein Traum“ zeigen dies deutlich, und ent— wicdeln darüber, wenn auch mit wenig Worten, bejtimmte Grund» ſätze.

Der große Erfolg dieſer „Donna Diana“ war ein ſehr folgen— reicher für das Burgtheater, er begründete eine Geſchmacksrichtung für poetiſches, formell ſauber ausgearbeitetes Luſtſpiel, welchem das Publicum des Burgtheaters treu geblieben iſt. Süddeutſches Na— turell, ſteter Wechſelverkehr mit Italien mag dieſe Richtung und Neigung unterſtützt haben. Sie iſt auch für den feineren Ton in jedem höheren Luſtſpiele einflußreich geblieben bis auf die heutige Zeit.

Der „Donna Diana“ war die Bearbeitung des Calderon'ſchen „Leben ein Traum von C. A. Weſt“ vorausgegangen. Sie hatte, im Theater an der Wien zuerjt aufgeführt, ebenfalls günftige Wir- fung gehabt, war aber in Form und Wefen nicht jo harafteriftifch

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neu gewejen für das Burgtheater. Das Calderon'ſche Stüd war ſchon im Jahre 1760 auf dem faiferlichen Stadttheater in Wien (Kärnthnerthor-Theater) dargejtellt worden unter dem Titel „Das menjchliche Leben tft ein Traum, in fünf Acten, aus dem Italie- nifchen (La vita un sogno) überjett und in deutſche Verſe ges bracht von M. Jul. Friedrich Scharfenftein“, und Herr von Ein- jiedel hatte eine getreue Ueberſetzung des Calderon'ſchen Stückes einige Jahre vor der Weft’ihen Bearbeitung in Weimar zur Auf: führung gebracht.

Schreyvogel jagt mit Necht, daß eine Ueberjegung unferer Bühne nicht genügen könne. Er fett jogar hinzu: „Um dieſem Schaufpiele diejenige Form zu geben, worin es als ein bleibenvder Erwerb unjerer dramatiichen Literatur betrachtet werden könnte, müßte es, nach der Idee des Originals, mit völliger Freiheit neu gejchaffen werden. Bis das gejchieht, mag die gegenwärtige Be— arbeitung in der Gejtalt beſtehen, in welcher jie Eingang auf ven Theatern und bei dem großen Publicum gefunden hat’.

Dieje Bearbeitung ift nach langer Baufe 1866 im Burgtheater wieder aufgenommen worden, und es zeigte ſich, daß nach einem Zwifchenraume von fünfzig Jahren der Gefchmad des Publicums dem Kerne des Stüdes zugethan geblieben war, in der zweiten Hälfte aber jchon ſtarke Kürzungen nöthig machte. Roſaura mit ihrem Vater und ihrem ungetreuen Liebhaber mußten ganze Scenen aufgeben, welche unerquidlich befunden wurden.

Schreyvogel jelbit Spricht fehr unbefangen über die Fehler Calderon's, und die Linien, welche er in feinen Einleitungen vor— zeichnet für die Bearbeitung fremder Stüde, find gut und lehr- reih. Man erfennt in ihnen den fundigen Dramaturgen, welcher ven wahllos verhimmelnden Yobpreifern älterer dramatiſcher Dich- tungen überlegen tft.

In folher Weiſe errang Schreyvogel dem Burgtheater eine tonangebende Stellung, und da er nicht abließ, in diefer ſchaffenden

Das Burgtheater. 107

Richtung fortzuftreben „Don Guttiere, der Arzt jeiner Ehre‘, nach Calderon, folgte bald ven obigen Bearbeitungen —, da er ferner in Nachholung claffiicher Stücke, welche das Nationaltheater liegen gelajjen, unermüdlich war, und da er endlich die neue Production im deutjhen Drama rajch und forgfältig benutte, fo brachte er Beitand, Leben und einen reichen Inhalt in das Repertoire des Burgtheaters. Kurz, er begründete einen wohlverdienten Ruf des Burgtheaters, welcher noch mehrere Directionen nach jeinem Aus— fcheiven mit den Zinfen dieſes Rufes verjorgte.

Bon den nachzuholenden Werfen fette ev, wie ſchon erwähnt, zuerjt „Maria Stuart‘ in Scene, und errang er 1819 auch Yefjing’s „Nathan“, ein Xehrbild ver Toleranz, welches in den dreißiger, vier- ziger, ja in den fünfziger Jahren jelbjt ven erſten Eintritt faum errungen hätte. Koch jpielte ven Nathan, Yange ven Patriarchen, welcher nur als „Comthur der Hojpitaliter” eingeführt werden fonnte. Eben jo war der Klojterbruder unter diefer Bezeichnung nicht gejtattet, jendern erjchien Coſtenoble als Diener des Comthurs.

Bon Shafejpeare brachte er neu „Romeo und Julia‘ 1816 (Korn Romeo, Adamberger Sulia, Rooſe Mercutio) ; „Heinrich den Vierten‘ in beiden Theilen (Anſchütz Falftaff) ; den „Kaufmann von Benedig‘ in jelbjtändiger Einrichtung (Coftenoble Shylock); und „Othello“ in neuer eigener Bearbeitung Anjchüt Othello).

Auch für Heinrich von Kleift machte er wiederholte Anjtren- gungen. 1821 verfuchte er unter dem Titel „Die Schlacht bei Vehrbellin” den „Prinzen von Homburg‘. Er verunglüdte. Die Scene der Tovesfurcht des Helden, unter allen Umſtänden höchſt mißlich durch das Preisgeben auch der Geliebten, erregte Mißfallen im Publicum. Auch „Die Familie Schroffenjtein‘ in der Hol: bein’schen Bearbeitung als „Waffenbrüder“ fand nur einen un—

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jicheren Boden. Uhland's „Ernſt von Schwaben” fonnte fich eben— falls nicht halten wegen des mangelnden dramatifchen Charafters.

Gegen Ende feiner Divectionsführung brachte er noch „Wilhelm Zell und zulegt „Götz von Berlichingen“. Obwohl auch diefer feine geſchloſſene dramatiſche Form hat, welche für ein volles Inter- eſſe des Theaterpublicums erforderlich, jo entbehrt er doch nicht trefflicher dramatischer Scenen und gewinnt durch urfräftige Sprache immer eine mannigfache Theilnahme. Die frifche, erquickende Geſinnung, welche ven ftörenden Scenenwechjel durchweht, hat allmälig das Bublicum ausnahmsweife für diefe Form in Tableaur gewonnen, und „Götz“ hat jih auf dem Repertoire behauptet.

Neue Dramatiker, die ihm zu jtatten famen, waren Houwald, Schenk, Raupach. Auch Clauren will genannt jein wegen der Anziehungskraft, welche feine jentimentalen Yuftipiele troß ihrer fleinen Manierirtheit eine Zeitlang ausübten. Vorübergehende Erfolge entjtehen zumeift aus einer geſchickten Manterirtheit, welche kitzelt, und ein Theaterdirector fann den Bortheil folher Zugkraft nicht abweifen, fo lange die allgemeine Move dafür ift, und fobald nicht gemeine Hülfsmittel im Spiele find. Eben weil fie manierirt ind, geht ihre Mode immer bald vorüber, und die allgemein ge— wonnene Einficht in ihre Schwächen kommt der öffentlichen Ge— ihmadsbildung zu jtatten. So ungefähr pflegte ſich Schreyvogel zu äußern, wenn er darauf hinwies, daß er fieben Mal in ver Woche zu jpielen habe, und daß ohne ein bemerfenswerthes Talent die Wirfung jolcher Clauren'ſchen und ähnlicher nicht courfähiger Productionen doch nicht entjtehen könnte. Gin täglich fpielendes öffentliches Theater fünne nicht ein Saal für Auserwähltes fein; e8 jei ein Markt. Diefer dürfe nichts Gemeines und Unwürdiges bieten, aber er müſſe mannigfach umd reichlich bieten. Aufmerkſam auf die edleren Regungen im Bublicum, müffe nur der Aufjeher des Marktes jtets bevacht und beeilt fein, die im Kern Schwache oder Ihadhafte Waare bei Zeiten verfchwinvden zu laſſen. Uebergroße

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principielle Strenge gefährde auch die Entwidelung neuer jchöpfe- riſcher Talente, welche ſich zumeiſt exit im Anſchauen ihrer Stüde läuterten,

Wenn man jegt die Houwald'ſchen Stüde liejt, jo wundert man jich freilich, daß jolche weichliche und ſchwammige Compofition das allgemeine Interejfe habe gewinnen fönnen. Und doch war dem fo. „Das Bild“ machte 1821 Furore. Die franfhafte Yiebes- feligfeit des Malers Spinarofa und für ihn rührte alle Frauen: herzen, und die Theatererfolge bei den Frauen find die breiteiten. Den Frauen ijt das jentimentale Drama die wichtigjte Staatsaction, und die Männer müfjen daran theilnehmen, wenn fie nicht den Adel ihres Herzens verdächtigen wollen. Kleinere Stüde jelbit, wie „Fluch und Segen”, „Der Yeuchtthurm‘‘, „Die Heimfehr’, füllten die Theater Jahre lang.

Eben jo merkwürdig ift, wie derlei Wirfungen allmälig auf: hören. Dft ohne erjichtlihen Anſtoß. Der niederlauſitz'ſche Guts- befiger von Houmwalr, ein wohlwollender Mann, ijt gar nicht ſonderlich behelligt worden durch kritiſche Widerfacher, fondern es bat jich nach einigen Jahren won jelbit ergeben, daß man an dieſer thränenmweichen Markloſigkeit fein hinreichendes Gefallen mehr finde. Das bemerft eine TIheaterdirection jehr bald, und die Stüde jind gewejen.

Bon jtrengeren Sehnen waren die großen Stüde, wie „Beliſar“ von Eduard von Schenf. Sie waren auch in größerem Style ges führt, und die mächtige Figur des berühmten Heldenvaters Eßlair jtellte fie auf Gaftreifen dem verichievenartigiten Publicum var. Aber mit dem ftattlich ausgerüjteten Helvenvater gingen fie auch vorüber. Anſchütz, welcher diefe Rollen im Burgtheater trug, übertraf vielleicht Ehlair in Nüancirung der Rede, hatte aber in Geftalt und Wefen nicht das Helvenmäßige, welches für ven Ein- druck der Schenk'ſchen Rollen nöthig war. Die Stüde imponirten auch mit ihm eine Zeitlang, jo lang eben diefes Pathos in fernen

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Staatsbegebenheiten Anklang fand. Der Anflang verringerte jich, als man prüfte und wog, und ven geijtigen Inhalt, jo wie die charafteriftiiche Wahrheit nicht groß genug befand die Stüde verfhwanden, obwohl Anſchütz-Beliſar und Schröder-Antonina noch vorhanden waren.

Einen viel breiteren Zeitraum großen Einflufjes auf die Bühne bat Raupach behauptet. Seine erjte Blüthezeit fällt in die zwan— ziger Jahre. Seine „Fürſten Chawansky“ wurden gegen Ende 1819 durch Frau Schröder eingeführt, 1827 folgte „Iſidor und Olga“, 1829 „Der Nibelungenhort‘‘. Xetterer hat ein paar Jahr— zehnte Stand gehalten. Das dem Theaterpublicum neue Thema des vaterländischen Epos war jehr deutlich und wirkſam dramatiſirt, und die Yiebesfcenen zwiſchen Siegfried und Chriemhild boten einen itarfen theatraliihen Neiz in ihrer jehr anfprechenden Naivetät. Hätte Raupach mit Siegfried’s Tode geichlojien, das Stüd wäre wohl dauernd auf dem Repertoire geblieben. Die furze fchliegliche Erledigung der „Nibelungen-Noth“, welche viel breitere Ausführung braucht und auch in einer jolchen fir das Theater mißlich ift durch das maljenhafte Morden, entzog dem Stücke die künſtleriſche Ge- ichlofjenheit. Das Bleigewicht am Ende riß das wohlgeformte Bild mit fih hinab. Die erite Belegung der Hauptperjonen (Shriemhild Sophie Müller, Siegfried Löwe, Brunhild Schröder, Hagen Anſchütz) hatte ver Einführung des Stüdes die beiten Dienjte geleiitet.

Auch das wichtigite Yuftipiel, welches Raupach gelang, „Die Schleichhändler“, eine zeitgemäße Verſpottung der Walter Scott: Manie, fiel noh in die Directionszeit Schreyvogel's Januar 1830 und er hatte jomit alle Vortheile der Raupach'ſchen Yauf- bahn, welche erſt in ven dreißiger Jahren niederging in Fabrikation trodener Luftipiele und in dürrer Dramatifirung der Hohenjtaufen. Dies hiftoriihe Thema, eine mächtige Vertiefung in den Streit zwifchen Staat und Kirche vorausfegend, verlangt an und für fich

Das Burgtheater. rr3

eine Shafefpeare’jche Kraft, und enthüllte zu deutlich die ungenügende innere Welt Raupach's. Das Berliner Hoftheater, durch den prote- Itantifchen Standpunkt begünftigt für Aufführung diefer religiöfen Controverſe, gewann dadurch für einige Jahre ven Schimmer eines Itattlihen Inhaltes. Aber auch dort erwies fich dieſe Repertoire: bereicherung bald als ein bloßer Schimmer. Der wirklich poetifche Inhalt gebrah, das eigentliche Publicum blieb kalt bei viefen Staatsactionen ohne menſchliche Wärme, und die Theatermacht Raupach's verlief im Sande, weil nun völlig offenbar wırde, daß der dichterifche Quell fehlte.

Ein Epifodenftüd Raupach's aus der Hohenjtaufenzeit, „König Enzio“, deſſen Reiz in merfwürdiger Begebenheit ruhte, fam noch auf’8 Burgtheater in der letten Zeit Schreyvogel's.

Bon den Stüden, welhe unter ihm Erfolg hatten, iſt etwa noch „Vandyck's Landleben“ von Kind, injofern ein jogenanntes Künftlerprama damit in Mode fam, und „Hans Sachs” von Dein- hardftein zu erwähnen. Der Lejer wird hinlänglich inne geworben fein, daß jene Friedenszeit dem fundigen Theaterdirector eine veich- lihe Production von Stüden und mit ihnen Stoff genug bot zu ergiebiger Thätigfeit.

Wir haben nun zu betrachten, welch eine Fülle von ſchau— jpielerifchen Talenten für diefe Zeit erwuchs, und wie Schreyvogel fie zu finden, zu ftellen, zu entwideln umd zu verwerthen wußte,

Va

Schaufpieleriihe Talente gediehen wirklich zu Schreyvogel's Zeit in erjtaunlicher Fülle, Als ob die von den Franzojenfriegen erichöpfte deutſche Welt all’ ihre Fähigfeiten mit Bewußtjein der darjtellenden Kunſt anheimgegeben hätte,

Wirklich iſt auch der Friede nöthig für den Schaufpielberuf. Sammlung, jtrenge Uebung, Aufmunterung durch ein unzerjtrentes Publicum find dem Schaufpieler unerläßlich. ine bewegte poli- tiiche Welt ift den Geveihen der Schaufpielfunft niemals günftig. Das gejpielte Yeben verliert feine Hauptreize, wenn das wirkliche Leben in hohen Wogen geht.

Schreyvogel fand eine gute Yiebhaberin für das Luftipiel in Julie Yöwe, und er fand eine außerordentliche tragijche Yiebhaberin doch nein, das war fie nie, er fand eine außerordentliche Heroine in Frau Sophie Schröder; er fand endlich in feinen letzten Directionsjahren auch die erfehnte tragifche Yiebhaberin in Sophie Müller.

Er fand einen geſchmackvollen Liebhaber in Korn, einen feurigen in Löwe, einen liebenswürdigen in Fichtner,

Er fand für das ältere Fach einen Heldenvater in Anjchüt, einen Charafterfomifer in Coftenoble, einen heiteren Vater in Wilhelmi.

Dazu die guten Reſte früherer Zeit Koch, Krüger, Rooſe Herz eines Directors, was willſt du mehr?!

Das Burgtheater. 115

Die wichtigjte Schauspielerin unter diefen Talenten war Frau Sophie Schröder. Sie konnte nicht wie Cäſar von ſich jagen: ich fam, ſah und fiegte. Im Gegentheil: fie fam, wurde gejehen, und ging. Ihr Aeußeres war auch in ihrer Jugend nicht vortheilhaft, und die fleine robufte Gejtalt machte als Yiebhaberin feinen vor— theilhaften Einprud in Wien.

Sie fam aus den deutſchen Oſtſeeprovinzen und hatte Fräulein Dürger geheißen. In Paderborn war jte 1781 geboren worden, und war mit den Eltern, die beide Schaufpieler waren, nach Peters— burg gekommen.

Den Bater hat fie frühzeitig verloren, die Mutter, eine ges borene Keilholz, hat fie zur Schaufpielerin erzogen. Sophie felbft nannte diefe Mutter ein großes, halb verkommenes Talent.

Unter der Direction Stollmers, der eigentlich Smets hieß, hat fie in Petersburg Kinderrollen gejpielt, und man erzählt von einer Scene bei Hofe, daß die Kaiferin Katharina fie ausgezeichnet habe. In Wahrheit wurde fie während ihrer erften Jugend mehr zu häus— lihen Gejchäften verwendet, als zum Komödieſpielen. Eines Tags fie war vierzehn Jahr alt ftand fie in der Küche und wufch feine Wäfche, da ftürzte Director Stollmers zu ihrer Meutter, und rief ihr zu: meine Frau hat foeben ver Schlag getroffen, Sie müſſen jogleich die Sophie hergeben, damit fie die Holle meiner Frau übernimmt, und auf die Probe kommt! Sophie trodnete fich vie Hände, nahm die Rolle, und fing eilig an zu lernen. Norhoürftig mit ihr vertraut, erſchien As noch nicht völlig erwachjene Mädchen zur Probe, und jpielte Abenos mit hohen Abſätzen und hoher Frifur, um Stattlicher auszujehen, und jpielte tapfer.

Frau Stollmers-Smets erlag dem Schlaganfalle, und ver Wittwer-Divector heirathete noch in demjelben Jahre die blutjunge Sophie.

Mit noch nicht jehszehn Jahren war fie Mutter eines Sohnes, des fpäteren Domherrn Smets, welcher als Dichter befannt ges

Laube, Burgtheater. 8

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worden iſt und mit ſeinen Gedichten Einfluß geübt haben ſoll auf Heinrich Heine. Er glich ſeiner Mutter ſehr, nur war er weit häßlicher. Er declamirte gern ſeine Gedichte, und that dies in der Vortragsweiſe ſeiner Mutter, das heißt in der äußerlichen Weiſe, eine Nachahmung, wie ſie der Holckiſche Jäger dem Wachtmeiſter vorwirft in „Wallenſteins Lager“. Dieſer am Rhein, meiſt in Köln lebende Domherr war ein Menſch von edlem Sinn, und hegte ſtets eine unbegrenzte Verehrung für ſeine Mutter. Er verehrte ſie eben— ſo als Frau wie als Künſtlerin. Sie war bei aller Leidenſchaftlich— feit ihrer Neigungen ſtets eine ſorgfältige, tüchtige Hausfrau.

Ihr erſter Gatte, der als Schauſpieler ſeinen Namen Smets in den Namen Stollmers verwandelt hatte, ſtammte aus guter bürgerlicher Stellung, und iſt auch ſpäter von der Bühne zurück— und in ein politiſches Amt eingetreten. Er iſt für ihre allgemeine Bildung von Wichtigkeit geweſen.

Von Petersburg ging die Geſellſchaft nach Reval. Sophie ſpielte vorzugsweiſe naive Rollen und ſang in Operetten.

In Reval hatte Kotzebne, ver ja aus Rußland zu uns fam, die junge Sophie gejehen, und er hat jie nach Wien empfohlen. Ueber Stettin, wo fie noch eine Zeitlang jpielte, ift fie, achtzehn Jahre alt, zum eritenmale nach Wien gefommen und hat als Frau Stollmers die Margarethe in Iffland's „Hageſtolzen“ und ähnliche Rollen geipielt.

Alles, was ich über dieſe ihre erjte Wiener Zeit gelejen, lautete dahin, daß fie nicht befonvders gefallen habe.

Jedenfalls blieb jie faum ein Jahr in Wien und ging nach Breslau. Immer noch waren naive Rollen und Gefangsrollen ihr Fach; namentlich die Hulda im „Donauweibchen“ jpielte und fang fie ven Breslauern zu Danf.

Ihre Ehe mit Smets-Stollmers wurde in Breslau aufgelöft, und fie geht 1801 nach Hamburg unter die Direction des berühmten Yudwig Schröter. Aber nicht von ihm ſtammt ihr Name, jondern

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von einem Tenoriften Schröder, welchen fie 1804 heirathete. In dieje erfte Hamburger Zeit num fällt ihr Uebergang zum tragifchen Face. Bielleicht hat die Scheidung von Smets tiefere Gedanfen in ihr geweckt wenigitens wird jte oft melancholifch genannt um jene Zeit —, vielleicht hat Director Schröder fie darauf hingewieſen. Auch Kotzebue joll jchon früher behauptet haben, daß ihr Talent am jtärfjten in der Tragödie fein werde kurz, in dem Jahrzehnt von 1803 bis 1813 entwidelte fie in Hamburg ihre tragiichen Anlagen. Ale damals entjtehenden ſchönen Schöpfungen Schiller fchrieb ja von 1799 bis 1805 jedes Jahr eine neue Tragödie brachten ihr wichtige Aufgaben. Als erſte tragifche Rolle, welche fie gefpielt, wird die Zimmermeifters-Tochter genannt in „Julius von Saſſen“, einem Stücde, das untergegangen ift. Amalie in den „Räubern“, Lonife in „Cabale und Liebe“, Beatrice in der „Braut von Meffina‘‘, die Jungfrau von Orleans, die Turandot hat fie damals in Hamburg gejpielt.

Sie jtammt alfo wohl im Wejfentlichen aus Ludwig Schröder's Schule, denn wir wiffen ja aus dem Meyer'ſchen „Leben Schröder's“, iwie aufmerffam dieſer fich feiner Mitgliever angenommen in Unter: weifung, Bemerfungen und Winfen.

1813 verließ fie Hamburg. Sie hatte fich auf ver Scene als PBatriotin compromittirt vor den Franzojen, welche unter Davouft Hamburg befegt hatten und jo lange befetst hielten, Wunderlich genug ſoll dies durch eine ruſſiſche Cocarde gejchehen fein, welche jie in einem Koßebue’jchen Gelegenheitsftüde: „Die Ruſſen in Deutfch- land‘ auf der Scene getragen hatte, als Tettenborn eben vorüber— gehend mit Koſaken nach Hamburg gefommen war. Sie hatte ruſ— fiiche Jugend-Erinnerungen, und die Ruſſen waren damals unfere Berbündeten gegen die Franzoſen. Davouft wollte fie zwingen, mit der franzöfifchen Tricolore aufzutreten, und da iſt fie des Nachts entflohen.

Sie gaftirte eine Zeitlang und ließ jich in Prag nieder. Von

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da fam fie 1815 zum zweitenmale nach Wien und wurde im Burg- theater engagitt.

Hier fand fie wieder einen wichtigen artiftifchen Führer in Schreyvogel, und fand für große Stüde das ſchöne Theater an der Wien, welches wie gejagt damals unter einer Cavalier— Direction mit vem Burgtheater verbunden war.

Bierzehn Jahre dauerte dies Engagement, und erjt im vierten Jahre dejjelben 1818 tft jiein das Fach übergetreten, welches fie zur großen Schaufpielerin gemacht hat, in das Fach ver Helden» mütter. Denn weder als naives Mädchen, noch jelbit als tragifche Liebhaberin, jondern als Heldin und Heldenmutter jteht fie obenan in ver deutſchen Theatergejchichte.

Eine äußerliche Beranlaflung hat fie früh zum Uebergange in dies Fach getrieben. Sie hatte eine fchwere Krankheit durchge macht, und diefe Krankheit hatte ihr Aeuferes ganz verändert. Sie war die geworden, was allerdings eine migliche Zugabe war für ihren fleinen Körper. So erſchien fie eines Abends in raſch über: nommener Stellvertretung der gaſtirenden, und plößlich erfranften Frau Stih vor dem überrafhten Wiener Publicum. Es gejchah in der Rolle ver Elvira in der „Schuld, und als Hugo von dem Gürtel fprach, welchen er ihr um den „ſchlanken Leib“ binden wollte, da lachte das Publicum, eine Unart der Wiener, welche manches Stück und manchen Künſtler verſtört hat.

Zweimal hat diefe Unart tief eingewirkt auf die Laufbahn ver Schröder. Jetzt dahin, daß ſie die Yiebhaberinnen aufgab.

Ihr zweiter Gatte Schröver ftarb in demfelben Jahre 1818, Elf Jahre blieb fie Wittwe, aber 1829, alfo achtundvierzig Jahre alt, heirathete fie, von heftiger Leivenfchaft für den jhönen Mann getrieben, den Helvenfpieler Kunft. Schon nah wenigen Wochen erfolgte vie Trennung diefer Ehe, und in demſelben Jahre verließ fie Wien.

Sie reifte und gab zwei Jahre lang Gaftrollen. 1831 trat

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fie in's Münchner Hoftheater. 1833 kam fie zum drittenmale nad) Wien, trat im Joſephſtädter Theater auf und dann erſt in der Bing, ging aber wieder nach München zurück und fam erjt 1836 zum viertenmale wiederum als engagirtes Mitglied des Burgtheaters nad Wien,

Aus diefer leisten Engagementszeit fehlt es nicht an Nachrichten, welche jie als mißvergnügt jchildern, als nicht ganz zufrieden mit der Theilnahme des Bublicums, und ihren legten Abgang nach einigen Sahren motivirt man mit einer peinlichen Scene, Die beinahe jechszigjährige fleine Frau habe die Elifabeth in „Maria Stuart“ aejpielt und bei Yeicejter’s Rede im zweiten Acte:

„Ja wenn ic) jeßt Die Augen auf di) werfe Nie war'ft du, nie zu einem Sieg der Schönheit Gerüfteter als eben jetzt —“

habe das Publicum wieverum über fie gelacht. Im Innerſten em: pört, habe jie da den Entjchluß gefaßt, von dannen zu gehen und hiemit von der Bühne abzutveten.

Ahtundzwanzig Jahre noch hat jie anfangs in Augsburg, dann in München in ver Stille gelebt. 1859 zum Schillerfejte nur ijt fie auf höheren Wunfch noch einmal in München auf der Scene erichienen und hat das „Lied von der Glocke“ vorgetragen. Bald darauf fam fie auch noch einmal nad Wien und fprach auch hier die „Glocke“ und Klopſtock'ſche Oden. Dann blieb fie ganz in der Münchner Zurücgezogenheit, unterrichtete mitunter junge Schaufpielerinnen und jchrieb, wie man jagt, ihre Memoiren. Sind jie gefchrieben, dann erfcheinen fie jet hoffentlich im Drud,

Was war nun, fragen wir im Hinblid auf dies lange, veiche Leben, was war num der Grundcharafter ihrer Kunſt und wodurch ift fie für ung die große Schaufpielerin geworden ?

Ihr Grundcharafter war ſchwerer Ernſt, und durch den Vor— trag in erfter Linie ift fie die große Schaufpielerin geworden,

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Ihr Organ war fonor, ihr Accent vein, ihre Eintheilung der Rede meijterhaft. Sie jtammte aus der guten Zeit, welche ge- ſpannten Sinnes eine neue Literatur aufnahın, welche jedes ſchöne Wort begrüßte, welche die Bedeutung eines jeden Wortes genau würdigte. Cine folche Zeit jpricht in ihrer Redekunſt jo klar als möglich, jte jucht für jede Wendung des Sates den entſprechenden Ton. Sie jtammte ferner aus einer Zeit, welche neben der ideal auf- fliegenden Literatur doch in der Schaufpielfchule von Schröder und Iffland einen realen technischen Boden hatte. Diefen Boden durf- ten damalige Schaufpieler nicht Leicht verlaffen in unverjtandener Ueberjchwenglichfeit. Leute wie Schröver und Iffland verlangten auch für die Ueberichwenglichfeit Erklärung, Motivirung und jtufen- weifen Gang.

Aus diefen Einflüffen ift Sophie Schröder in ihrem Schau— ipiel- Charakter hervorgegangen. Dieſer Charafter war nicht jo blos ideal, wie jett oft behauptet wird; er ruhte auf einer ſehr realen technischen Grundlage; er holte fich gar manche Begründung oder Ausſchmückung vom realen Felde.

Die nächite Frage ift: War fie nur declamirend, oder war fie zu jehr veclamirend, wie ihr neuerdings nachgejagt wird ?

Die letzte Frage wird fein: Hatte fie Leidenschaft genug? Ent- widelte fie Schönheit genug?

Ich erinnere mich ihrer Slabella ganz deutlich, und ich muß jagen: Ihre Declamation drängte fich nicht vor, löſte ſich nicht ab vom dramatifchen Charakter, Sie fprach Schön, fie ſprach, man empfand es wohl mitdem Bewußtfein, daß die Art des Sprechens eine Hauptjache wäre, aber jie hielt die Verbindung mit dem dra— matifchen Gedanken und Gange unzweifelhaft fejt, ſie ſprach drama— tiſch Schön.

Die große Nede im erften Acte der „Braut von Meſſina“ hätte vielleicht noch mannigfaltiger fein fünnen; es blieb vielleicht zu wünfchen übrig, daß noch ein ftarfer Puls geiltiger Yebhaftigfeit

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Das Burgtheater. 119

bervorträte aber diefe Wünſche entjtanden wohl nır, weil man einer jolhen Künftlerin gegenüber alle erfinnlichen Anforderungen jtellt. Im letsten Acte, bei dem Schrei: „Es ift mein Sohn! vergaß man all’ diefe Fragenden Berlangnifje. Diejer Schrei, aller- dings rhetoriſch vorbereitet, war nicht blos rhetoriſch, er enthüllte die ganze Macht des dramatischen Momentes.

Ih ging aus dem Theater mit dem zweifelfreien Gedanfen, eine claſſiſche Darftellerin ver Sfabella gejehen zu haben. Nur an— fangs hatte ich bedauert, daß ihr nicht eine jtattlichere äußere Er— jheinung verliehen war. Das Bedauern war indejjen nicht leb— haft gewejen und wurde bald völlig vergeffen.

Hatte fie Leivenfchaft genug? Die Darjtellung der Sfabella giebt wohl Anhalt zur Beantwortung diefer Frage, aber doch nur Anhalt. Mit diefem Anhalt würde ich mir zu jagen getrauen: Ja, fie hatte Leivdenfchaft genug. Ihre perfünliche Befanntichaft giebt mir weitere Anhaltspunkte mehrfacher Art. Sie war eine tief ernſt— bafte, jtrenge Natur und hat mich in ihren Aeuferungen wohl an puritanifche Yeivdenjchaften aus Cromwells Nähe erinnert. Nicht an die Yeidenfchaft des Südens, wohl aber an vie fchonungslos leivenjchaftlihen Ausbrüche der Nordlandsreden. Das beliebte Schlagwort älterer Yeute heißt „dämoniſch“, wenn jie won diejen Schröder'ſchen Ausbrüchen ſprechen. Ich glaube, jie haben nicht ganz Unrecht, aber auch faum ganz Recht. Wir fuchen im „Dämo— nischen‘ ein gutes Theil wilder Phantafie, weltſtürmenden, völlig unabhängigen Gevdanfens. Den gerade hab’ ich nie wahrgenommen in ihr; ich habe fie nie gedanfenreich, nie ungeſtüm und vreift in der Gevdanfenwelt gefunden. Ihre Kraft war die eines jtarfen Wil- lens, mächtiger, unnahbarer Entjehlüffe. In diefem Bereiche wer: den fich auch ihre ſtärkſten Rollen finden, und man jpricht gewiß mit Fug und Recht von ihrer außerordentlichen Yady Macbeth.

Eine rationell erwachjende Leidenſchaft beſaß fie gewiß in

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jtarfem Grade. Desgleichen die Leidenichaft eines herben, ja har— ten Naturells. Schwerlich die einer warmen Gluth.

Und nun endlich: Beſaß fie Schönheit genug? Man wird die Frage nicht mißverjtehen und an die blos äußerliche Schönheit der Erſcheinung denken. Dieje beſaß fie befanntlich nicht. Sie war flein und mehr robuſt als ſchön gebaut. Auch im Antlit waren itarfe Knochen und eine furze Naje dem fchönen Eindrucke nicht förderlid. Das Alles hindert nicht, im Ganzen und namentlich in der Bewegung des Körpers äfthetifch ſchön zu wirken. Das ver- mochte fie. Sie hatte eine jo lange, jo mannigfache und jo zzünd⸗ liche Schule durchgemacht, daß ihr volles Ebenmaß der Haltung und des körperlichen Ausdrucks ganz und gar zu eigen war. Alle Schil— derungen ihrer antiken Rollen ſtimmen darin überein, und ihre Iſabella hat es mir in allen Richtungen beſtätigt. König Ludwig J. von Bayern hat zu ihr geſagt: Schröder, Ihre Grazie liegt in Ihrem clafftisch Schönen Oberarme!

Was die Schönheit in mehr äußerlicher Bedeutung betrifft, in der Bedeutung, dar die bloße Erfcheinung gewinnend und liebens- würdig jei, darüber ift fie jelbjt beizeiten ſtreng gegen fich gewejen im eigenen Zutrauen. Das alte Soufflivbuch des „Goldenen Vließes“ in ver Abtheilung „Die Argonauten“ hat mir darüber einen merfwürdigen Auffchluß gegeben. In dieſen „Argonauten“ ijt vielfach von dem, wenn auch wilden, Mädchenreize ver Medea die Rede in den Yiebesjcenen mit Jaſon. Mit Schreden jah ich, daß all’ das geftrichen war. Was auf Medea's Viebreiz nur ivgend- wie hindeutete, war ausgelöfcht. Das hatte Sophie Schröder nicht paſſend erachtet für fich. Es blieb num freilich unflar auf Koſten der Dichtung, woher denn wohl die Neigung Jaſon's jtammte; aber die Darftellerin der Medea war num gefichert, daß man ihr Nichts von einer Piebhaberin zutrauen durfte. Ich habe deshalb gewiß auch in ihrem Sinne gejagt, daß ihre volle und reine Größe erit begann, als fie zum Fache ver Heldin und Heldenmutter über-

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ging. Hier fonnte ſich von ihrem durchwegs ftrengen Naturell Alles vollftändig geltend machen, hier fonnte die jeltene große Schau— jpielerin entitehen.

Das ift fie gewejen. Das ergiebt fich für mich ſchon aus den geringen Erfahrungen, welche ich perjünlich von ihrer Daritellung gewonnen habe. DasWejen einer Heroine erfchten in ihr echt und natürlih und hoch erhoben durch ihre Diwjtellungsfunit. Cine Anzahl ihrer jtrengen Rollen wird in unſerer Theatergejchichte immer Schröverifch genannt werden, und Schröderifch wird fo viel bedeuten als claſſiſch.

In ihrem eigentlichen Fache jteht fie unerreicht und einzig da, ein Borbild für die deutſche Schaufpielerwelt.

1868 ijt fie in München geftorben.

Merkwürdig genug finde ich in den Caſſenausweiſen des Burg- theaters, daß der Beſuch des Publicums bei diefen ihren bejten Leiftungen, wie Sappho und Medea, fehr ſchwach gewejen iſt. Die Cafjenbücher zeigen won ſolchen Abenden die geringfügigiten Ein— nahmen, Einnahmen, wie jie in den fünfziger und ſechsziger Jahren nur bei durchgefallenen Stüden, oder in den heißen Sommer: monaten vorfommen. Dan jagt, dies habe in der mangelhaften Bildung des Publicums gelegen, welches für ſchwer tragiiche Stüde nicht veif gewejen.

Allerdings war es mir noch im Jahre 1851 vorbehalten, den alten Lear im fünften Acte zu tödten, Dem Gejchmade des Publi— cums zu Gefallen war er bis dahin am Yeben geblieben. Der alte Herr mußte es möglich machen, nad ſolchen Erfahrungen und Er— Ichütterungen weiter zu exiftiven, und Ludwig Tief warnte mich lächelnd vor dem vermejjenen Unternehmen, dieſen fogenannten „Wiener Schluß‘ in ven Shakeſpeare'ſchen zu verwandeln.

Aber nicht blos die mangelhafte Bildung, ein Ergebniß ver ſchlechten Schulen, welche das alte Syſtem zupafjend fand, lag und liegt in Wien der Tragödie im Wege, Die fanguinifche, ich möchte

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jagen die optimiſtiſche Beichaffenheit des öſterreichiſchen Naturells entjchließt fich ungern und jchwer zu tragiicher Betrachtung. Der Begriff einer ‚Unterhaltung‘ iſt in Defterreich zu allgemein gleich- bedeutend mit dem Begriffe ‚Theater‘, als daß die zum Extrem jchreitende Aufgabe im Denken und Fühlen dem Publicum genehm werden könnte. Man liebt es nicht, die Dinge tief ernjthaft anzu- fajjen, und die Regierungsweiſe hat die ohnehin herrfchende Ab— neigung dadurch beſtärkt, daß fie gründliche Prüfung aller Höheren Fragen fo lange ferngehalten hat von ver Bevölkerung.

Vebrigens lag und liegt wohl auch ein gutes Korn Ajthetiicher Wahrheit darunter, daß man von der Kumft befriedigende Eindrücke verlangt. Unveife Tragödien erregen ja wirklich nur peinliche Empfindungen, und es gehört eine durch religisfe und moralifche Fragen tiefer aufgeaderte Bevölferung dazu, um das Tragijche vom Traurigen zu unterfcheiven. Dieje Aufaderung tritt erft feit einigen Sahrzehnten an die Defterreicher heran, und fie hat auch wirklich ſchon einen fichtbaren Wechfel hervorgebracht, jo weit er bei der— jelben Generation mit dem Naturell vereinbar ift.

Aber auch nach langer Erfahrung und nah dem Wechjel einer ganzen Generation werden die Defterreicher immer noch das beite Publicum für das Lujtipiel bilden, und das Sentimentale wird ihnen noch lange lieber fein, als das Tragifche. Für das Luſtſpiel übertreffen fie an Empfänglichfeit und vafcher Auffaſſung alle deut— ſchen Stämme.

Bon diejen Neigungen ift Sophie Schröver in Wien ficherlich bis auf einen gewilfen Grad betroffen worden.

Trotz Allevem fteht Sophie Schröder im ftolzeften Andenten der Wiener. Obwohl fie mehrmals von dannen gegangen, obwohl fie die Divection ohne Fug mit dem Rüden angefehen, hat auch die Direction diefem ftolzen Andenken ſtandhaft Nechnung getragen, und hat ihr bis zu ihrem Tode eine Penſion gezahlt, welche fie durch ihr Weggehen juridiſch in Frage geftellt hatte.

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Sie war Übrigens im praftifhen Sinne für die Direction feineswegs jo ausgiebig, wie man venft. Ihr Nollenfreis war ſtreng, ſogar eng begrenzt, und fie hatte ſelbſt in diefem engen Kreife eine Schwäche, welche nicht zu überwinden war. Diefe Schwäche lag eben darin, daß fie auch in ihrer Jugend feine Yiebhaberin geweſen.

Sappho war eine ihrer gefeiertſten Leiſtungen, und doch haben wir 1866 erfahren, daß ihr ein Hauptelement dafür fehlte. 1866 Ipielte Fräulein Wolter diefe Rolle. Der ganze große Apparat correcter Declamation, über welchen Sophie Schröder verfügte, ihr Bortrag reichte gar oft nicht hinan an die Kraft, Feitigfeit und Klarheit jener Künjtlerin, und dennoch war der Eindruck der Rolle und durch die Rolle der Eindruck des ganzen Stüdes viel Ihöner als damals. Das Blut der Liebe pulfirte in Frin. Wolter viel jtärfer, und dadurch wurden Rolle und Stüd wärmer und ſchöner. Kine gewiffe Berechtigung zum Geliebtwerden muß in Sappho vorhanden, die Darftellerin der Sappho muß eine gewejene Liebhaberin fein, um der Seele des Stüdes gerecht zu werden.

Am deutlichiten kam dies in den zwanziger Jahren zu Tage. Da erſchien plößlich in Sophie Müller ein ausgezeichnetes tragifches Talent neben ihr auf dem Burgtheater und Ipielte in Raupach's „Nibelungenhort“ neben der Brunhild der Frau Schröder die Chriemsilz. Sophie neben Sophie! Und die leidenfchaftlichen, in's Heroinenfach hineinragenden Scenen der Chriemhild übertrafen an intenfiver Wirkung die Scenen der Brunhild, weil eben Sophie Müller ihre Accente aus wärmerem Herzen heraufholte.

Leider führte diefer Steg auch zu fchnellem, ſchmerzlichem Ver— luſte, er führte zum Tode der jüngeren Sophie. Sie jchonte fich zu wenig nach jolch aufregender tolle, fie jpielte bei offenen Fenſtern tief in die Nacht hinein Clavier, nachdem jie Abends eine Chriem: bild mit aller Hingebung dargeftellt, fie erfältete fih dadurch, wurde

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heijer, ſpielte weiter mit jolcher Heijerfeit, verfiel im ſchwere Krank— beit und büfte mit dem Tode.

Ein Schwerer Verluſt für die deutfhe Bühne. Ganz Wien ift darüber einftimmig, daß ſie ein außerorventliches tragifches Talent gewejen. Sie jtammte aus Mannheim, war eine jtattliche Er— iheinung, bejaß ein wundervolles Organ und war voll poetifchen Eifers für ihre Kunjt. 1822 fam jie nach Wien, 1829 erfranfte fie, 1830 war fie todt ein Stern, welcher nur einige Jahre hindurch leuchten jollte.

Korn fpielte in den zwanziger Jahren den Partner der tra- giichen Heroine Sophie Schröder. Zum Eritaunen der Wiener, welche ihren Korn hoch verehren, ja zum Erjchreden der Wiener muß ich jagen, daß dies fein günjtiges Zeichen tft für das Enjemble jener Zeit, Korn war ein vortrefflicher Schaufpieler für Luſt- und Schaujpiel, aber er war unzulänglich für die Tragödie. Ein jtets angefvänfeltes Organ, Mangel an Schwung und innerer Be: geijterung, und eine feine, vefervirte, moderne Haltung ſchloſſen ihn eigentlich aus von tragijchen Rollen. Es war ein wunderlich lah— mendes Gejpann, Frau Schröder und Herr Korn als Medea und Jaſon; denn Letzterer hatte feine Ader von einem Heroen der Vorzeit.

Dagegen war eben jene feine, vejervirte, moderne Haltung jeine trefflichite Eigenfchaft fir Schau- und Luftipiel. Das Ver: meiden von Unfchieflichfeiten und das weite Bereich der empfehlenden Negative, furz Alles, was zum gejelligen Tacte gehört, war ihm won Natur eigen, Ein elegantes Aeußere dazu, eine interejjante Phy— jiognomie und ein gejchmacvolles Verſtändniß für alle Details ſce— nischer Wirkung machten ihn zum angenehmjten Typus einer Frad- figur. Er wußte vortvefflich zu jchweigen und blos anzudeuten, jo vortrefflich wie eine Schöne zu reizen weiß, indem jie ihre Reize halb verjteeft und nur in fchüchternem Maße enthüllt.

Wenn man den eigentlichen Inhalt feines Wejens bloßlegen wollte, da wirde man erjtaunen über die Geringfügigfeit dejjelben

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an Wiſſen, Geift und Gemüth. Aber wie fi) Eines zum Anderen verhielt, das machte ihn anziehen.

Die ganze Macht ver bejtechenden Form war ihm zugetheilt und hielt ihn vierzig Jahre lang in der verdienten Gunft des Pur blicums. Ordentlich, fleißig, forafältig und immer diplomatijch war er außerdem ein anmuthiger Staatsmann des Theaters, wie es kaum einen zweiten gegeben. Geſchmack war die Summe feines Weſens, Borficht und Behutjamfeit die Yeiterin all’ jeiner Schritte, „le semblant“ unjer Wort „Schein“ ift zu grob das Ziel all’ feiner Bejtrebungen.

Seydelmann erinnerte an einen Diplomaten, mit dem man fih in Acht nehmen mußte, Korn an einen Diplomaten, der einen barmanten Eindruck machte. So angenehm, fo verbindlich, jo bequem!

Er hatte denn auch eine große Anzahl von Rollen, welche er unübertrefflich jpielte, namentlich Cavaliere von reinjtem Waſſer, und er war natürlich auch ein Yiebling der Cavaliere, welche im Burg: theater von jeher das entjcheivdende Wort abgegeben.

Sehr verfchieden war von ihm Cojtenoble, ein demokratiſches Naturell. Trocken, faſt mürriſch, aber von pofitiver Komik in Luſt— ipielcharafteren, von unerwarteter, aber eben jo pofitiver Rührung in ernjteren gemüthlichen Aufgaben. Nirgend Uebertreibung, nirgend Slitter, ein Klofterbruder im „Nathan“, ver nicht zu übertreffen ift.

Bon Anſchütz, Löwe, Wilhelmi, Fichtner fei die Charafteriftif binausgefchoben auf die Zeit, welche ihre Talente voll entwidelte,

Mit ſolchen Darftellungsmitteln und forgiamer Leitung hatte Schreyvogel das Burgtheater auf einen ungemeinen Höhepunkt gebracht zu Anfang des Jahres 1832.

Es war damals, troß der tiefgreifenden Cenſurhinderniſſe, das bejte deutſche Theater.

Die Meinung vieler Wiener, daß es dies immer gewejen, ift ein Irrthum. Vor Schreyvogel war das Berliner Theater unter

126 Das Burgtheater.

Iffland nicht nur wichtiger durch den Inhalt feines Nepertoires, jondern auch beifer, und bis in die zwanziger Jahre hinein erhielt Graf Brühl dem Berliner Hoftheater den erjten Rang durch ſtyl— volle, freigebige Bemühung für das große Schaufpiel. Aber in Berlin ging man in den zwanziger Jahren zurück, und in Wien ging man vorwärts unter Schreyvogel. Und diefer Mann wurde 1832 durch den damaligen Oberftfämmerer Grafen-Gzernin plöglich und ſchnöde befeitigt.

Schreyvogel war ernft, furz, zuweilen fchroff. Er lebte und webte ganz in feiner Aufgabe, Nur während des Ferienmonats in Baden ruhte er aus vom Theater, und dort jchrieb er alljährlich eine Novelle für das Tafchenbuch Aalaja. Das Geveihen feines Inſtituts befchäftigte ihn ſonſt früh und ſpät, und der Gewinn eines jo zahlreichen Perſonals war das Ergebniß feiner vaftlofen Be— mühung. Unnüße Störungen, zwedwidrige Befehle von Seiten der oberiten Divection machten ihn ungeduldig und entrijfen ihm mit- unter herbe Neußerungen. Die Schauspieler aber find nie alle zu— frieden mit ihrem Director, und find in dev Unzufriedenheit und Klatichfucht immer geneigt, ſolche Aeuferungen weiter zu tragen. Namentlich jagte man dies damals jungen Yiebhaberinnen nad, welche beim oberiten Chef gern gehört wınden. So famen denn jolche Aengerungen zum Grafen Gzernin. Ihm war der ernithafte Schreyvogel mit feiner Yogif bei theatralifchen Streitfragen ſchon lange unbequem, und er war von jeinen Herrichaften gewohnt, mit einem unbequemen Beamten furzen Brocek zu machen. Es fam ihm nicht in den Sinn, daß ein gewöhnlicher Herrichaftsbeamter weniger bedeute, als der erprobte Leiter eines Runftinftitutes, und daß beide nicht mit gleicher Elle zu meſſen feien. Cr maß mit gleicher Elle, und jagte Schreyvogel fort, wie er einen feiner Beamten fortzujagen pflegte. Schreyvogel erhielt plößlich, aller Welt unerwartet, feinen Abſchied, und wurde jo roh behandelt, daß man ihm unterfagte, den vergeffenen Regenſchirm aus dem Burgtheater zu holen, Er jollte

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Das Burgtheater. 127

es nicht mehr betreten, und man rief ihm zu: „Der Regenſchirm wird Ihnen gejchiett werden‘. Sp war er hinausgemwiejen, ver Schöpfer des damaligen erften deutichen Theaters, aus den Räumen diefer Schöpfung. Der Aerger verzehrte ihn mit glühender Flamme, und warf ihn der harrenden Cholera in die Arme. Zwei Monate nach feinem Austritte war er todt.

Graf Czernin hat daber Nichts weiter beabfichtigt, als einer Cavalierslaune zu dienen. Die Befeitigung Schreyvogel’8 war ihm eine Bagatelle, und um darüber feinen Zweifel auffommen zu laffen, übergab er die Direction Herrn Deinharpitein.

IX.

Nur der bovdenlos dreifte Yeichtfinn eines Cavalters fonnte lolchergeftalt einen Schreyvogel bejeitigen und einen Deinharpftein für ihn einjeßen,

Ein hochwichtiges Kunftinftitut von unermeßlicher Bedeutung für Stadt und Neid wurde ohne Noth dem Zufalle, ja der offen- baren Lüderlichkeit preisgegeben.

Deinhardftein entiprach dieſem Acte vollftändig. Er war felbit der bodenloſe Yeichtjinn. Ein bebaglicher Kumpan voller Schnurren und Späße, ohne genügende Bildung und ohne irgend einen inneren Halt. Es it gar charafteriftiich für jene Zeit, daß diefer Mann bei den damaligen Wiener Jahrbüchern, einer wiſſenſchaftlichen Zeit- ſchrift, eine Rolle ſpielen konnte. Als Illuſtration für diefe Sorte wifjenjchaftlicher Bildung will ich nur zwei Punkte erwähnen: „Benz venuto Gellini”, ein Stüd von Deinhardftein, wurde eingereicht. Es war von völliger Abgefhmacdtheit und die Behandlung des Künjtlers und der Kunjtinterejfen war des Themas ganz unwürdig. Dies mein’ ich indeſſen nicht als erjten Punkt. Auch ein tüchtiger Mann Itrauchelt zuweilen und fchreibt ein ungefchietes Stüd. Aber dies Stück ſpielte unter Franz I. in Franfreich und zwar vorzugsweife in ver königlichen Nefivenz von Berfailles! Man braucht nicht zu wilfen, daß ein Fleines Jagdhaus im Walde von Verjailles für König Franz I. nicht die Rolle von Fontainebleau oder Chambord übernehmen fann, aberwenn man franzöfifche Gefchichte dramatifirt,

Das Burgtheater. 129

jo muß man doch Kenntniß davon nehmen, daß Verſailles als Luft: ſchloß und königliche Reſidenz erſt mehr denn hundert Jahre jpäter von Ludwig XIV. gebaut und zur Reſidenz erwählt wurde. Oper wenn auch das zu viel verlangt iſt, fo muß ein noch fo Leichter Autor doch den Irrthum, wenn er darauf aufmerffam gemacht wird, als einen Irrthum anerfennen, Ich machte Deinharditein darauf auf- merkſam, und wurde ausgelacht. Der zweite Bunft liegt in der Ueberfeßung franzöſiſcher Stüde, welche er unter dem Namen eines Dr. Römer im Burgtheater aufführen lief. Die Franzofen hatten zwijchen 1830 und 1840 eine ſehr fruchtbare dramatische Production, und manche Stüde aus jener Zeit, zum Beifpiel die „Cameraderie“ („Gönnerfchaften”) und das „Fräulein von Belle Isle” („Leichtſinn und feine Folgen‘ geijtreich betitelt) jind auf unſerem Repertoire verblieben. Dieje beiven Stüde nahm ih in ven fünfziger Jahren "wieder auf und ich vevidirte zu diefem Zwecke die Soufflivbücher. Mein Erichreden bei diejer Reviſion weiß ich faum zu fehilvern. Solch eine Unkenntniß der fremden Sprache jelbjt in der einfachiten Rede, ſolch eine Verballhornung des Sinnes, folch ein falopper und unrichtiger deutſcher Ausdruck das Soufflivbuch eines Markt— flecfentheaters, welches jeine Manuferipte in einer Vorftellung ver nahen Stadt heimlich und flüchtig nachjchreiben läßt, kann nicht ärger jein. Und dies war das Soufflivbuch des Burgtheaters, und ver Berfaffer war der Director des Burgtheaters gewefen, eingejett vom Grafen Ezernin fin den abgejetten Schreyvogel! Die Cen- ſur galt im jenen Zeiten als Entſchuldigung für Alles, auch für Spracfehler und ſinnloſe Nerven. Weil fie gräuliche Umänderungen nöthig machte, wurde dem Bearbeiter die ärgſte Schülerarbeit nach- geſehen.

Vom perſönlichen Gebahren dieſes Schreyvogel'ſchen Nach— folgers nicht zu reden. Die ganze Aufgabe der Direction war ihm ein Schwank. Wenn er am Vogelherde geſtört wurde, weil man in

Wien nicht wußte, was man ſpielen ſollte, da rief er mit gedämpfter Laube, Burgtheater. 9

130 Das Burgtheater.

Stimme: Wartet! Beunruhigt meine Nete nicht! Ungefähr wie Archimedes in Syrafus, als die Römer bei ihm eindrangen und ihn im Studium der Zeritörungswerfe gegen die Römer ftörten. Wenn er weinfelig und lärmend Abends in’s Theater fam zu feinem Sperr- jie, da wurde er wie oft! vom Publicum zur Ruhe verwieſen.

Diejen Nachfolger gab Graf Gzernin dem würdigen Schrey— vogel.

Es iſt lehrreich, an dieſem Deifpiel zu jehen, was ein Director bedeutet. Alle möglichen Hülfsmittel famen Deinhardftein ohne jein Zuthun in's Haus: er fand ein ausgezeichnetes Perfonal und zu den vorhandenen ſchönen Kräften waren eben neue wie Frln. Caroline Müller, Frin. Bee, Frl. Gley (Die jpätere Rettich) gefommen, famen neue wie Karl Laroche; es entiwidelten fich während feiner Direction heimathliche Talente wie Bauernfeld und Friedrich Halm.

Legterer brachte ihm ein Zugſtück wie „Griſeldis“. Bauernfeld, der '

mit dem leichten „Leichtſinn aus Liebe“ ſchon unter Schreyvogel das Publicum gewonnen, gabihm Stüd auf Stüd, darımter feine beiten.

Die Franzofen waren, wie gefagt, in voller Verve, und die Wiener Sefeltfchaft kam auch dem nichtigiten franzöſiſchen Kram mit größter Theilnahme entgegen und dennoch ging das Theater abwärts und verlor feinen Ruf.

Die bejte Armee unter günſtigſten VBerhältnifien wird eben Nichts ausrichten, und wird fich erfolglos aufreiben, wenn ihr der Feldherr fehlt.

Man lieg die Mafchine arbeiten, wie es dem Tage gefiel und wie es den Herren Negifjenren bequem war. Irgend ein Princip, irgend ein leitender Gevdanfe war nicht vorhanden. Unterhaltung ! war das Hauptwort. Koch, Cajtelli, Kurländer, Caroline Müller, die Schauspielerin, Dr. Römer und ſonſt noch Berufene arbeiteten um die Wette an franzöfiichen Ueberfegungen, Einer immer jchlechter als der Andere.

Ih war in den erjten Jahren ver Deinharditein’schen Direction

Das Burgtheater. 131

einmal in Wien und habe diefem nichtigen Treiben im Burgtheater einige Wochen zugeſehen. Hr. v. Kurländer zeigte mir feinen Fleinen Salon mit Möbeln aus weißem Holze, und erzählte mir glüdfelig, wie bier die Creme der hohen Gefellichaft die charmanten franzdfi- ſchen Stückchen anhöre, welche dann von Karoline Müller, Korn, Fichtner, Herzfeld jo barmant gejpielt würden in der Burg. Und als ich ihm bemerkte, ich hätte ven Tag vorher eines gejehen und hätte gefunden, daß es in beſſeres Deutich überſetzt werden fünnte, da drohte er gutmüthig mit vem Finger und vief: Ach, ihr ſeid eben Puriften und Pedanten, ihr da draußen. Hier find wir natürlicher.

Was hätte mit diefem reichen Berfonal bewirft werden fünnen ! In Caroline Müller war eine Salondame comme il faut gewonnen worden, eine Frau von Verftand und Esprit; in Frin. Peche eine reizende jentimentale Yiebhaberin, Freilich mit böhmifchem Accente; doch dafür war man damals nicht empfindlich, und ven Mangel an geiftigen Mitteln überſieht man bei talentvoller Jugend. In Yaroche erichien ein jüngerer Rival Gojtenoble’s, in Frin. Gley eine Schau— Ipielerin von Geift und Bildung. Dazu neben Banernfeld und Halm Grillparzer mit neuen Schöpfungen, Zedlit, der ſich der Bühne zumwendete, eine einheimifche Production mannigfaltiafter Art

Haft alle Theile in der Sand, Fehlt leider nur das geistige Band !

Das war durchichnitten vom Grafen Gzernin.

Bauernfeld entwicelte in vieler Zeit feine erjtaunliche Frucht— barfeit. „Das fette Abenteuer‘, „Das Yiebesprotocoll”, „Helene“, „Bekenntniſſe“, „Bürgerlich und Romantifch‘‘, „Das Tagebuch“, „Der Vater“ famen Jahr um Jahr und waren berechnet für die zahlreichen Talente des vorhandenen Perſonals. Man bat diefer Fruchtbarkeit nachgefaat, daR fie ſich immer in demjelben engen Kreiſe des actuellen Lebens und immer mit denfelben Mitteln und Wendungen bewere. Aber ijt Dies ein jchwer wiegender Vorwurf

Ja

132 Das Burgtheater.

für den Lujtipielvichter? Die Gegenwart und ihre Eigenfchaften find ja das Feld, welches ihm zujtebt, und er erfüllt feinen Beruf, wenn er gerade dies wenn auch enge Feld wirkſam bebaut. Bauernfeld hat jogar mehr als ihm gut war Neigung entwidelt, aus der Gegenwart herauszuipringen und namentlih Stoffe und Situationen aus der Älteren deutjchen Geſchichte „Mufifus von Augsburg‘, „Sickingen“, „Bauernkrieg“ zu behandeln. Damit bat er nie ein Gelingen erreicht; er ijt ein durchaus moderner Schriftjteller. Selbſt fein in den vierziger Jahren erſcheinender verlegt bat, ilt er nicht eine bloße Verkleidung der gegenwärtigen Tendenzen? Hat er nicht lediglich dadurch in Wien großen Erfolg gehabt? Und ijt er nicht darum jetzt ſchon zu den Vätern verſam— melt, weil altes Zeitcoftim und neues Gedanfenwejen auf die Yänge immer unharmoniſch erſcheinen? Das einfache Tagesluſtſpiel, Bauernfeld's Facharbeit, bejteht, fo lange der Tag nicht gründlich wechfelt in einer neuen Epoche. Damit muß und kann ein Luſtſpiel— dichter zufrieden fein. Und wir müffen und fünnen mit dem Yuft- ipieldichter zufrieden fein, wenn auch der Kreis feiner Mittel und Wendungen ein enger ilt, jo lange er in diefem Kreife mehrfach in’s Schwarze trifft. Und das kann man Bauernfeld nicht abſprechen. Er brachte jedenfalls einen Dialog, wie er jeit Kogebue auf der deutſchen Bühne gefehlt hatte. Ich weiß, daß die nachiprechende deutſche Kritik fich befreuzigt bei jolchem Lobe Kotzebue's; aber ich weiß auch, daß diefe Bekrenzigung aus Unfenntniß jtammt. Weil vom höheren Standpunfte eine Oppofition gegen den leichtfertigen Kotebue mit gutem Fug angefchlagen wurde, hat die Nachfolge nicht das Recht, die Oppofition auch auf das zu erjtreden, was mit jeinen Fehlern Nichts gemein hatte. Ich fand noch zahlreiche Kotzebue'ſche Stüde auf dem Repertoire des Burgtbeaters. Durch kritiſche Er— ziehung gegen fie eingenommen, ließ ich die Mehrzahl fallen. Und ich glaube mit Recht, weil fie im Stoffe veraltet, in ver Motivirung

Das Burgtheater. 153

lüderlich waren. Aber eine quaſi hiſtoriſche Charafteriftif, wie die „Beiden Klingsberge”, ließ ich beftehen, da auch das Publicum fie bejtehen ließ, und in allen Kotzebue'ſchen Stüden, auch in denen, die ich verwerfen mußte, überrafchte mich eine ſchlagende Lebendig— feit des Dialogs.

Eine ganz ähnliche Ader pulfirt in den Bauernfeld'ſchen Stüden. Bauernfeld's Dialog ift beichränfter in feinem Kreife, er iſt deshalb oft nur gewandelt innerhalb verjelben geiftigen Wendung und wird deshalb von Manchem manierirt gefcholten; aber zum Erſatz dafür iſt er auch oft gehaltooller als ver Kotzebue'ſche. Er erwächſt bei Bauernfeld aus beftimmter Gefinnung und hat alſo zur Unterlage eine bejtimmte Grundanſchauung aller öffentlichen und aller höheren Dinge. Das giebt ihm einen beſtimmten Halt, alſo gerade das, was Kogebue fehlte.

Für Wien und Wiens Haupttheater war ein jolcher, noch dazu einheimifcher Yuftipieldichter unfchätbar. Auf feinem deut— ſchen Theater ift der Dialog jo wichtig, als in Wien, eben weil das öſterreichiſche Publicum ein Yuftipielpublicum ift und ungemein rajch das Eolorit und den bewegten Hauch eines Stückes aufzufafjen pflegt. Dies Publicum wurde jtets belebt durch Bauernfelv’s Stüde, und dieje Belebung fam und fommt dem Theater immer zu ftatten. Gleichgültigkeit ift ja das Schlimmifte, was einem öffentlichen In— jtitute begegnen kann; fie allein tödtet jede Kunft. Niemand mehr als Bauernfeld hat das Burgtheater vor der tödtlichen Gleichgül- tigfeit bewahrt.

Es ift wahr, ver Inhalt und Gang feiner Stüce hat oft etwas Wunderliches, er iſt oft unfaßbar wie ein Aal, nach welchem die Hände greifen. Es fehlt feiter Gang nach einem Ziel; die Dinge trödeln nicht felten nach allen Seiten, und die Abfichten, welche ein Stück gezeigt, verivren ſich wohl zu Abfonderlichfeiten. Wie jchade! ruft man warum nicht anders?! Aber geiftig bejchäftigt ift man doch, und bei längerer Betrachtung dieſes Autors fommt man

134 Das Burgtheater.

zu dem Ergebniß: das fteht nicht zu ändern; denn es liegt im eigent- lihen Weſen Bauernfelv’s. Die innerlihe Befchaffenheit jeiner Fünftlerifchen Natur ift

fein fefter Kern, ſondern fie ift eine Art won Gallerte, Beweglich

unter dem kleinſten Drude, bereit in jede Form zu ſchlüpfen. Daher jein Bedürfniß, jedes Stück umzuarbeiten. Wenn er eines vollendet hat, da muß man fich forgfältig hüten, ihm eine eingehende Be— merfung zu machen; fie erregt fogleich alle erjinnlichen Zweifel an feinem Werfe, fie wird fogleih jener „kleinſte Druck“, welcher die „Gallerte“ umgeftaltet er geht hinweg und arbeitet das Ganze um.

Am Ende ijt Etwas von diefem Weſen nothwendig für ven Zuftipieldichter, welcher das Vergängliche der Yebensconventionen, oder Doc das Wandelbare derfelben im ſich tragen muß, um es Leicht, behaglich, lächerlich zu gejtalten, um es raſch zu geftalten ohne ven Nachdruck des ernfthaften Dramas. Ja, der ernithafte Nachdruck ſchadet fogar oft in Bauernfelo’s Stüden. Er entipringt eben nicht aus jeinem fünjtlerifchen Naturell, er entipringt aus feiner poli— tiichen Abficht und wirkt unharmoniſch für den leichten Ton feines Kunſtwerkes.

Jedenfalls iſt es für die Theaterdirection ein Glück, wenn in ihrer Stadt ein producirendes Talent ſich entwickelt, welches in ge— bildeter Weiſe und außerhalb der alltäglichen Routine die neuen Lebenselemente der Stadt dramatiſirt. Dadurch wird ja ein Theater das Organ, welches es ſein ſoll, das Organ des wirklich pulſirenden geiſtigen Lebens, und gewinnt von ſelbſt die Theilnahme aller ge— bildeten Einwohner. Um ſo höher ſteigt der Werth, wenn dieſe Stadt eine große Hauptſtadt iſt wie Wien. Die Lebenselemente einer Reichshauptſtadt ſtreben ja von ſelbſt über enge Kreiſe hinaus. Gerade auf dieſem Wege iſt Paris die Geburtsſtätte des modernen Schauſpiels geworden. Die deutſche Theaterproduction hat immer daran gefranft, daß fie nicht realen Boden genug hatte, aus welchem ihre Bäume wachjen konnten, daran gekrankt, dag fie nicht unter:

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Das Burgtheater. 135

jtügt wird von wahrhaft lebendigen Leben, fondern daß fie vorzugs- weije in erträumten Gegenden und Stoffen Nahrung fuchen muß.

Der zweite Dichter freilich, welcher in den dreißiger Jahren dem Burgtheater Unterhalt brachte, war bierin das blanfe Wider: jpiel Bauernfeld'ſcher Muſe. Der Actualität Bauernfeld’s, wie der Diplomat die Wirklichkeit nennt, trat 1835 die unrealſte Phan— tafie auf die Ferfen. Gin Dichter erichien auf dem Burgtheater, welcher in ven Gejchichtsfreifen von Aeneas bis Sampiero unbe- achtete Gejtalten ſuchte und die Conflicte aus dem Finger fog. Es war gewiß ein Zeichen von reichem Talent, daß er mit fo weit ab- liegenden und jo fünftlich erdachten Themen den Beifall des Theater- publicums erringen konnte.

Diejer Dichter war Frievrih Halm (Baron von Münch: Bellinghaufen), deſſen „Griſeldis“ 1835 zum erſten Wale im Burg: theater aufgeführt wurde. Am eriten Abende jpielte Fräulein Peche die Grifeldis, und der Erfolg war zweifelhaft. Am zweiten Abende Frau Rettih, und der Erfolg war aufßerorventlih. Das Stüd machte die Theaterrunde und erzwang fich überall großen Beifall. Ich ſage abſichtlich „erzwang“, venn es fand überall heftige Gegner: fchaft, und zwar im den gebildeten Kreifen. Es verfchwand auch überall wieder gänzlich, nachdem es wie eine Sturmfluth überall hingedrungen war, Ganz ähnlich erging es einem zweiten Stücke dejjelben Autors, welches 1842 im Burgtheater erjchten, vem „Sohn der Wildniß“. Das Talent der Faſſung errang ihm wiederum ftarfe Wirkung in allen Theatern, dev Inhalt aber entzoy ihm vie Zuftimmung der Gebildeten, entzog ihm die Dauer. Glänzende Hauptrollen für Gaftjpieler verfchafften dieſen Stücken jeweilige Wiederkehr, aber das widerfpricht Obigem nicht, das ijt Mieteoren- thum. Dover vielmehr es war's, denn auch dieſe Gaſtrollen haben aufgehört. Nepertoiveftüce der Nation werden nur ſolche, denen die gebildeten Kreife dev Nation Theilnahme zuwenden. Und das ijt nur da der Fall, wo der Inhalt und die Form gleihmäßig an—

136 Das Burgtheater.

fprechen. Die Form allein bewirkt dasnie. Deshalb hat unfere Litera— turgefchichte einen beſtimmten Abjchnitt errichtet für talentvolle Produc- tionen, denen der Kern der Wahrhaftigfeit abgeht, und mit diefem Kerne die Dauerhaftigfeit. Sie nennt diefen Abfchnitt „Kunſtpoeſie“.

Da diefer Autor mit neuen Broductionen noch jpäter in Rede kommt, fo genügt es hier, feine Stellung charafterifirt zu haben.

Für das Burgtheater war er vom Jahre 1835 an zehn Jahre lang bis in die Hälfte ver Holbein’fchen Directionszeit hinein eine weſentliche Hülfsquelle, obwohl außer „Griſeldis“ und dem „Sohn der Wildniß“ nur noch der 1836 erfcheinende „Adept“ einen länger dauernden Theatererfolg hatte. „Camoens“, „Imelda Yamber- tazzi“, „Ein mildes Urtheil”, „Sampiero“, ‚Maria de Molina“, „Verbot und Befehl” haben auch im Burgtheater feine dauernde Stätte gefunden. „Sampiero“ und „Maria de Molina’ habe ich wieder aufzunehmen verſucht, „Sampiero“ ohne Erfolg, „Maria“ ohne zuveichende Wirkung. Mit legterem Stücke wollte ich e8 noch einmal verjuchen, indem ich die Rolle ver Maria einer jüngeren Schau— Ipielerin anvertraute. Frau Nettich ſchien mir über die Jahre einer Liebhaberin, wenn auch einer bedingten Yiebhaberin hinaus zu fein. Das verwehrte Halm, welcher all’ feine großen Frauenrollen für diefe Künftlerin ſchrieb, felbft und in ungewöhnlicher Weife, Er wendete fich an die oberjte Divection mit dem Verlangen, die Er- laubniß zur Aufführung des Stücdes nicht zu geben.

Friedrich Halm Hat fich, wie dies überhaupt in Wien herrjchende Neigung war, mit befonderer Vorliebe dem Studium des jpanijchen Theaters gewidmet, und eine freie Bearbeitung nach Lopez de Vega „König und Baner’ tft lange gern geſehen worden,

Der „Adept“ ift troß zahlreicher Darftellungen auf dem Burg- theater außer Wien nicht aufgefommen. Er behandelt eine Art von Fauft-Thema, nicht ohne theatralifches Verdienſt in den Haupt— rollen, aber auch nicht ohne Banalität im Gedanfengange.

Für das Burgtheater find die Halm'ſchen Stüde dadurch von

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Das Burgtheater. 137

längerer Bedeutung geworden, daß fie ihrer fünftlichen Em— pfängnig gemäß eine fünjtliche Declamation veranlaft haben, welche in ihren Hauptträgern, namentlich in Frau Nettich, zu Ma— nierirtheit des Vortrags führte. Kunftpoefie und Kunſttheater er: zeugten einander in natürlicher Folge und es hat langer Anftrengungen bedurft, ven Schaufpielern wieder heraus zu helfen aus dem poin— tirten Singjang in einfache und natürliche Rede.

In diefen dreißiger Jahren erjtand für das Theater noch ein produeirendes Talent, und war namentlich für das Burgtheater ein ficherer Gewinn. Denn e8 entjprang in einer Yebensiphäre, welche von ſelbſt Rückſicht nahm auf alle Eenjurfchwierigfeiten. Kine Prinzeffin aus vegierendem Haufe trat anonym auf mit Schaufpielen. Prinzejfin Amalie von Sachjen vebutirte mit „Lüge und Wahrheit“; es folgte „Der Oheim“, „Der Yandwirth” und fo fort Jahr für Sahr ein neues Stück. Welch eine fichere Rente für den Director, da die Stüde auch dem Publicum willfommen waren! Die Kritik hat jie etwas zu vornehm ignorirt. Es waren anfpruchslofe und in der That angenehme Productionen, Ein veines Gemüth und ein anjprechendes Talent traten darin dem Zuſchauer freundlichen Auges entgegen. Der Stand einer PBrinzeffin hat die Verfafferin freilich wohl gehindert, das Leben und die Menjchen in voller Mannigfal- tigfeit und auch in den Abgründen fennen zu lernen. Die Schatten der Gemälde find leicht, die Yichter zu unbejchränft; man lebt in einer abgefonderten fleinen Welt. Aber für ein täglich |pielendes Theater find auch folche Bilder werthvoll,

Auch Grillparzer zeigte ſich noch in voller Schöpfungsfraft. 1831 hatte er die jchöne Yiebestragödie von Hero und Yeander, „Des Meeres und der Yiebe Wellen‘ (ein Titel wienerifchen Ge— ihmads, ven ich nicht preifen möchte), ein volles Seitenbild zu Shafejpeare’s „Romeo und Julie“, zur Aufführung gegeben. Yeiver fand das Gedicht nur im feiner erjten Hälfte volle Wirfung und verihwand nach einigen Borjtellungen vom Repertoire. Frau

135 Das Burgtheater.

Rettich jpielte die Hero, Fichtner den Yeander. Ich muß voraus— jeßen, daß es in der Darftellung und Infcenejeßung an etwas Wefentlichem gemangelt hat, denn ich habe zwanzig Sahre fpäter das verlorengegangene Stüd wieder aufgenommen und die jchönfte wie dauerndſte Wirfung mit ihm erzielt. Man jagt wohl zur Ent- ſchuldigung, das Publicum fei damals noch nicht reif gewejen für jolche claffiihe Gabe. Aber das Leuchtet mir nicht em. Das Publicum war fhon fünfzehn Jahre früher reif für die ,Sappho“ und hatte unter Schreyvogel's Führung große Fortichritte gemacht. Frau Rettich, eine norddeutſche Natur, brachte wohl für die Hero nicht das freie und Schöne Sinnenelement mit, welches unentbehrlich ift für diefe Rolle der freien und Schönen Hingebung, umd außerdem haben die legten Acte, über deren damalige Einrichtung ich mich unter: richtet habe, nicht diejenige Inſceneſetzung gefunden, welche noth- wendig it für die originell wandelnde tragische Entwicdelung.

1834 brachte Grillparzer „Der Traum ein Yeben”, ein Mär— chendrama ohne Märchen, infofern es wie ein Märchen anınuthet, ohne doch ein Märchen zu fein. Der Traum erjcheint vergeftalt als Wirflichfeit, daß wir ihn bis auf die Höhe des Stückes für Wirflichfeit halten. Nur ein aufmerkfamftes Publicum entdedt am Wendepunfte, daß ihm ein Traum vorgefpielt wird. In eilenden Berien, ungemein angemejjen für die vorüberhufchende Traummelt, jtreut Weisheit goldene Worte ein, und das Erwachen ift in feiner gerade aus dem Traumleben weiter geführten Wirklichkeit jo natür- lich und wohlthuend, daß der Zuhörer die moraliichen Folgerungen freudig aufnimmt als poetische Grundſätze. Sie find auch poetiſch in dieſem Zufammenhange und man trägt einen jchönen Eindruck mit hinweg, wenn der Vorhang zum letzten Male gefallen ift, und nennt das Stüd gern einen öfterreichifchen „Kauft. Denn einen Kampf ver Menjcbenjeele mit allen Berlodungen bat das Gepicht an ung vorübergeführt.

1838 erſchien ein Puftfpiel von Grillparzer auf der Scene des

Das Burgtheater. 139

Burgthenters, „ehe dem, ver lügt!“ Ein Luftipiel! Ganz Wien gerieth in Bewegung. Wie ift das möglich bei dem ernten Wefen Grillparzer’s! Wie wird das fein? Mit faljcher Spannung ging man daran, und eine falfche Wirkung blieb nicht aus. Grillparzer hatte ven weitejten Begriff des Yujtipiels im Auge, den Begriff der Comödia, wie die Franzosen jett noch jedes Stück Comédie nennen, welches heiter zu Ende geht. Wir find gewohnt, beim Worte Luſt— jpiel nur an’s Lachen zu venfen. Dazu ift in diefem Stüde Grill- parzer’S gar feine Beranlaffung. Auch ein halbthierticher Sunfer in demſelben iſt gar nicht dazu da. Das Publicum benutte ihn aber dazu umd verirrte fich in diefe vorgefaßte fomifche Wirkung, welcher denn alfes Uebrige nicht entiprach.

Das Stüd iſt als Theaterjtüc jehr fchwer zur Geltung zu bringen. DBielleicht nur dann, wenn das Publicum voraus weiß, daß feine gewöhnliche Theaterwirfung erwartet wird, daß eine finnig folgende Theilnahme genügen, und bei dem glüclichen Ausgange befriedigt jein joll.

Die Dichtung an ſich it ganz Grillparzerifch: intim, eigen, finnvoll und wohlthuend. Die Bejeßung war auch nicht geeignet, den richtigen Eindruck hervorzubringen. Der rohe Junker paßte gar nicht für Lukas, einen Schaufpieler für Frad- und Militärrollen, aber durchaus nicht für Aufgaben origineller Charakteritif. Die Liebhaberin, eine jehr ſchöne, unbefangene und doch felbjtändige Mädchennatur, war nicht für Frau Nettich, welche die Abfichtlichkeit jchwer verbarg. Der grimme Vater des Junfers war für den gut— müthigen Wilhelmi ein wilofremder Charakter, umd ver jchliegende Biihof von Chalons „Domvogt“ auf dem Zettel war in den Händen von Anjchüt der Gefahr preisgegeben, langweilig zu werden. Denn diejer ſonſt jo verdiente Künſtler hatte für gewiſſe Salbungsrollen nicht die geiftige Gewandtheit, dem Tone eines Nachmittagspredigers weit genug aus dem Wege zu gehen.

Das Aufjehen dieſes Mißerfolges war auferorventlich. Wien

140 Das Burgtheater.

Iprach lange Zeit nur davon, und die zahlreichen Verehrer Grill parzer's drangen feit der Zeit Jahr fir Jahr darauf, das Stüd in glüclicherer Beſetzung wieder vorzuführen. Ich bin diefem Wunfche nie beigetreten, obwohl ich gar nicht bezweifle, daß bei dem jeßigen Publicum ein sucees d’estime ficher zu erreichen wäre, Ein folcher Achtungserfolg würde den greifen Dichter doch nicht befriedigen, und die ganze Form des Stüdes ift nicht angethan, eine ftärfere Theaterwirfung hervorzubringen. Die Nachwelt des Dichters wird nicht unterlaffen, auch ſolch eine leifere Wirkung zu ſuchen und das Andenken ihres vaterländiichen Poeten in der Hingabe an jolchen feineven Genuß zu feiern.

Auch Zedlitz wendete ſich in den dreißiger Iahren dem Theater zu. Gr brachte „Kerker und Krone”, ein Taſſoſtück, und ein Lujt- jpiel „Luftſchlöſſer““ von bejcheiden alltäglicher Natur. Er zeigte bis an feinen Tod den lebhafteiten Antheil für das Burgtheater, und zwar in einer originellen Mifchung von hochpoetifchen Abfichten und recht nahe liegender Unterhaltung. Noch in feinem leßten Lebensjahre war er mit einer Bofje befchäftigt, in welcher dichterifche Schilderung Hand in Hand gehen jollte mit ausgelafjener Yayne. Er hätte wohl in diejen dreißiger Jahren nur Anregung und Leitung von einer kundigen Divection gebraucht, um ein intereffanter Theater- Ichriftjteller zu werden.

Taſſo war im jenem Jahrzehnt geradezu Mode: auch Raupach brachte ein Trauerjpiel „Taſſo's Tod’. Hier ftarb Korn als Taſſo, bei Zedlit Yöwe. Keiner von Beiden war eine Taflonatur, und die Dichter mochten Flagen, daß deßhalb ihre Stücke vergänglich erſchienen.

Raupach bracte noh ein Schaufpiel „Die Gefchwifter‘, welches durch gute Schaufpieler eine furze Yebensfraft erreichte, und lieferte jchlieglich einige Cromwellſtücke, welche vom Reize dieſes puritanifchen Tyrannen lebten. Solche Theateriilhouetten waren im Gejchmade der Zeit. Draußen im Neiche marjchirte Srieprich der Große über die Bühnen, und es war ein Ereigniß,

Das Burgtheater. 141 als Seypelmann bei jeinem Gajtipiele diefe Figur im „Tagesbefehl“ auc auf dem Burgtheater vorführen durfte,

Töpfer, früher ein zweiter Schaufpieler am Burgtheater, forgte Decennien lang für jolche und ähnliche Theaterunterhaltung, wie die „Gebrüder Foſter“ nach dem Englischen, der „Pariſer Taugenichts“

-nach dem Franzöfiichen. Die Urjprungszeugnifje ließ man damals gern weg auf dem Zettel, und Bouffe’s berühmte Nolle hat bei uns lange als Töpfer'ſche Erfindung figurirt. Ob auch die beliebte „Zurück— ſetzung“, welche Frau Grelinger mit ihren beiden Töchtern einführte, folch eine Nachſchöpfung oder ein Driginal war, ift mir unbefannt.

Auch Frau Birch - Pfeiffer, mit „Pfefferröſel“ und „Sammt— ſchuh“ und ähnlichen Stüden grober Zeichnung Schon lange auf ven Theatern wirfjam, ericheint in diefer Periode auf dem Burgtheater, und zwar mit „Rubens in Madrid“. Herr Löwe entwidelte fich als ausgefprochenes Talent für all! dieſe halbhiſtoriſchen Matadore, bei denen es auf gewillenhafte Zeichnung und tiefere Bedeutung nicht abgefehen war. Theatercharaftere, wie man Theater: prinzefjinnen jagt. Nur Cromwell war an Herrm Yaroche ges fommen. Ein Publicum, welches vom Ernft der Gefchichte noch wenig berührt ift, nimmt bejonderen Antheil an der anecdotenhaften Hiftorie und ihren herausfordernden Helden, Die „Königin von jechszehn Jahren‘, die ſchwediſche Chriſtine, war damals, obwohl nur zwei Acte lang, ein unverwüftliches Zugſtück. Die Minauderien des Frl. Peche, welche für hiftorifch angeſchimmert gelten Fonnten, entzückten das Publicum.

Dazu gab es Theatercommißbrod wie Holbein’s „Doppel— gänger“, Deinhardftein’s „Garrick in Briſtol“ in Menge, kurz man jollte meinen, bei jo mannigfachem Vorrathe hätte es der Direction nicht fehlen können, fich in Anfehen zu erhalten.

Es fehlte ihr aber dennoch. Man empfand von Jahr zu Jahr deutlicher, daß dies reich bemannte und reichlich belajtete Schiff ohne Compaß fegelte und vichtungslos von ven Winden hierhin und

142 Das Buratbeater. 3

dorthin getrieben wırde, Ein großes Runjtinftitut muß einen Cha— rafter haben, um in Autorität zu bleiben, und wenn die Direction ihm feinen zu verleihen weiß, weil jie jelbjt feinen hat, jo ift der Niedergang unvermeidlich, Die jtörende perfönliche Haltlofigkeit Deinhardſtein's dazu und zahlreiche Unordnungen, welche dieſer Haltlofigfeit entfprangen, drängten zum Ende.

Man jah ſich nad) allen Seiten um, wo ein neuer Director zu finden wäre,

Dezeichnend für die Zeit ift es in hohem Grade, auf wen die Wahl fiel, bezeichnend, weil es nur zu deutlich befundet, was für Anſprüche man machte. Es fiel Niemand ein, nach einer Fähigkeit auszufchauen, welche Geift oder Styl, oder irgend eine höhere Be- deutung des Theaters fördern fünne, Bewahre! Der Minifter des Inneren felbit, Graf Rolowrat, leitete die Wahl, und es ſchien für diefelbe ein Mann am wünfchenswertheften, welcher jorgfältige Berwaltung einführen fönnte, Alſo auch hierin fchädigte Dein- harditein, Seine wüjte Führung machte vor Allem das Bedürfniß rege nah Ordnung und Genauigfeit, So ward Herr v. Holbein berufen, der eine lange Theaterpraxis für fich hatte,

Holbein hat denn auch den Abfichten entjprochen, welche feiner Wahl zum Grunde lagen: er hat Ordnung und Genauigfeit ein- geführt. Der Mechanismus zog mit ihm ein, jo weit es das Re— giſſeur-Regiment, welches jich unter Deinharditein gepflegt hatte, zuließ. Die Regie widerſetzte fich Holbein’s äußerlichem Formel— weſen vielfach mit Recht. So wurde der Wagen gleichzeitig nach links und nach rechts gezogen, litt natürlich darunter, und fam doc) nicht vorwärts. Die oberjte Direction ward nun zur Entjcheidung aufgerufen: Ste trat auf die Seite der Negiffenre, aber fie jtand rathlos vor der großen Frage: Warum finft denn das Theater, auch nachdem Ordnung eingeführt worden? Es blieb ihr unbefannt, daß ſeit Schreyvogel der jchöpferifche Geiſt abhandengefomme,n und daß dieſe Kleinigkeit einem Kunſtinſtitute unerläßlich ſei. Mean

Das Burgtheater. 145

ftudirte, man hielt Rath, und fam zu dem Reſultate: Intereffante Stücke müſſen herbeigejchafft werden, um das murrende Publicum wieder zufrieden zu jtellen. Ich erinnere mich, daß hinaus in’s Reich die Kunde drang: Jetzt hat man's gefunden, was helfen wird im Burgtheater, das Stüd ijt entdeckt! Es heißt „Cäſario“, und es wird einjtudirt, und man ift des glücklichjten Erfolges gewärtig.

Diefer „Cäſario“ ijt ein mittelmäßiges Stück von Pius Alerander Wolff, und er ward aufgeführt am 10. Februar 1844, und zu jchmerzlicher Ueberraſchung fiel er durch. Wasnun? Gejchehen muß Etwas, denn die Mißſtimmung wird allgemein. Der alte Graf Morit Dietrichjtein, welcher ſchon mehrmals die oberjte Divection in der Hand gehabt, trat wieder an die Spite und hielt eine Anrede an die Mitglieder. Die herkömmlichen Redensarten ohne jeden greif- baren Inhalt gingen durch alle Zeitungen. Was fonnte das helfen! Der alte Herr hatte vecht gute Eigenfchaften: er hing treu am In— jtitut und er befchüste die bewährten Hofichaufpieler mit tendenziöfem Wohlwollen. Aber er hatte nur dunkle Vorftellungen von den Bedürf- nifjen eines lebendigen Organismus, ev gehörte einer Zeit an, welche mit edler Declamation im Trauerſpiele, mit rührender Gemüthlichkeit im Schaufpiele zufrieden geweſen, ev war ein Kind gegenüber den "Anforderungen der neuen Zeit, welche num auch in Defterreich ein— brach. Erſt zornig, dann ſtarr vor Erftaunen, dann unmuthig und verdrießlich, endlich verzagt ſtand er wor dieſen unbegreiflichen Ver: langniffen, Holbein, der längere Zeit in den Hintergrumd gedrängt und der nun erſt wieder gefragt worden, zucte die Achjeln und erklärte: „Auf politiiche Einflüffe, ich ſag' es mit Stolz, verſteh' ich mich nicht, und ein Theaterdivector muß Nichts damit zu Schaffen haben“.

Sp geihah’s, und das Burgtheater ſelbſt verfiel! Und doch war das Holbein’sche Jahrzehnt 1840 bis 1850 Ffeineswegs arm an neuen Stüden. Ja, man erjtaunt bei näherem Zujehen über die gar nicht unbedeutende Neichhaltigfeitt der dramatiſchen Production, und fragt fich erſtaunt: warum hat denn das gar nicht

144 Das Burgtheater.

mebr zugereicht? Es hat doch eben an der gedanfen- und geifilofen Führung gelegen, welche Nichts ordentlich zu verwerthen, und für das Ganze feinen Styl, feinen gemügenden Geſammteindruck hervor: zubringen gewußt hat.

Die Franzofen lieferten dem Burgtheater die wirkſamſten Stüde: Scribe das „Glas Waſſer“ und die „Feſſeln“, Bayard „Er muß aufs Land‘, Dumas ‚Liebe nach der Hochzeit” und das „Fräulein von St. Cyr“ („Unſichtbare Bejchügerin‘‘ titulirt). Sogar Ponſard's „Lucretia“ wird mit Interefje aufgenommen, Bon den Einheimifchen bringt Halm ven „Sohn der Wildnif‘‘, „Samptero‘, „Donna Maria de Molina“; ein „Spartacus“ von Weber, „Ziani und feine Braut” von Hermannsthal finden Beifall und Yob. Bauernfeld bringt den „Deutſchen Krieger”, welcher das größte Glück macht, und „Großjährig“, eine Verſpottung des Metternich’schen Negiments, welche Furore macht. Daneben finden die jungen Deutjchen von draußen mannigfachen Zutritt: Gutzkow in einer ganzen Anzahl von Stücken („„Werner“, „Die Schule der Reichen“, „Richard Savage’, „Ein weißes Blatt‘); Freytag mit jeiner „„Brautfahrt Maximilian's“; Prutz mit „Moritz von Sachſen“, Laube mit „Monaldeschi“, Kuranda mit der „Letzten weißen Roſe“. Wirkſame Theaterſchriftſteller ferner liefern in dieſer Zeit ihre beſten Sachen: Benedix den „Doctor Wespe“ und den „Vetter“, Char— lotte Birch-Pfeiffer die „Marquiſe von Villette“, „Mutter und Sohn“, „Dorf und Stadt“; Eduard Devrient die „Verirrungen“ und „Treue Liebe“; Lederer die „Kranken Doctoren“ und „Geiſtige Liebe“. Daneben wird Shakeſpeare in Bearbeitungen, freilich un— haltbarer Stücke, verſucht: Halm bringt „Cymbelin“ als „Kinder Cymbelin's“, und die „Luſtigen Weiber von Windſor“ verſuchen ihr zweifelhaftes Glück. Endlich kommt und verſchwindet wie überall die ſpaniſche „Dame Kobold“.

Eine große Anzahl obiger Stücke behauptet aber Stand, und dennoch tritt Verfall des Theaters ein. Kein Zweifel, das Publicum

Das Burgtheater. 145

jpürte, daß die Stüde Zufallsgaben waren, daß es eine Ernährung war von gefundenen Biljen zu gefundenen Biffen, daß aber ein organischer Ernährungs: und Yebensprocek fehlte. Alter Kram da— zwifchen neu gebracht, wie „Künftlers Ervenwallen” von Julius von Voß, verrieth immer wieder, daß veralteter Geſchmack am Ruder war. Und jo war es. Sch weiß aus eigener Erfahrung, daß Hol- bein geringſchätzig auf unfere Productionen blickte. Er fchrieb mir: „Shre „Monaldeschi's“ und, Rococo's“ finden hier feinen Anwerth“. Der zufälligeRath eines Dejterreichers brachte „Monaldeschi“ auf's Burgtheater, Der Rath ging dahin: Schicken Sie das Stüd direct an den Minijter Kolowrat; der fpielt gern den Protector und den Wivderfacher Metternich » Seplnitfy’fcher Cenfur; er thut was für feinen liberalen Auf. Dieſen Nath befolgte ich, und ver erjtaunte Holbein erhielt dag Stück mit dem für die Scene vifirten Reiſepaſſe.

Das Jahr Ahtundvierzig erlöfte die Direction von weiteren Gründen, warum die Theilnahme fo fichtlich abnehme für das ſonſt fo beliebte Inftitut. Unter ſolchen Staatswehen verjchwindet jedes Theater.

Laube, Burgtheater. 10

X.

Das Burgtheater unter Director von Holbein, jowie unter zürnender Beihülfe des oberjten Directors Grafen Moritz Dietrich- ftein war in ftetem Niedergange 1848 bis dicht an den Abgrund gerathen,

Man nannte achjelzudend diefen Abgrund die 1848er Revo— (ution, wie man gerne feine Schuld und Calamität auf große Er— eigniffe abladet. Dies Staatsereignig machte aber nur den Abgrund fihtbar. Mean hatte jeit jehszehn Jahren daran gegraben, jeit mar den fundigen und tüchtigen Yeiter des Inftituts, Schreyvogel, leicht- finnigerweije vom Auder und in ven Tod gedrängt, das Ruder aber unfühigen Händen übergeben hatte,

Jetzt, im Frühjahre 1848, kam es auf, was Wien lange wußte, daß das Burgtheater dem öffentlichen Tadel nicht mehr Stand halten fonnte, Holbein hatte fich im fein Zelt zurücgezogen wie Achilles vor Troja, und zeigte mit beiden Händen auf die oberjte Direction hin, welche ihn behindert habe an weiſen Maßregeln, und die oberite Direction in Geftalt des Grafen Moritz Dietrichitein ging in beküm— merter wie gereizter Unruhe hin und her und blieb vor jedem Bekannten jtehen, aus allen Tafchen Zeitungen hervorziehend und verzweiflungs- voll erzählend, wie dem clafjiichen Inftitute beifpiellos mitgefpielt werde. Es jei gar fein Ende abzujehen, und die bethörten Menjchen fümen auc jchon lange nicht mehr ins Theater

Damals lernte ich diejen alten Herrn näher kennen, welcher

Das Burgtheater. 147

es in feiner Art wortrefflich meinte mit dem Burgtheater und noch bortrefflicher mit den Hofjchaufpielern. Die Art war nur bitterlich veraltet und e8 begriff der alte Herr ganz und gar nicht, was denn die Welt eigentlich wollte.

Ich war auf einen Brief von Louiſe Neumann nach Wien ge fommen, welcher bejagte, daß endlich der Tag erjchienen jet für Auf- führung der. „Karlsſchüler“, und daß ich herzueilen möchte, das Stüd in Scene zu ſetzen. Dies habe jeine Schwierigfeiten, denn der jüngite von den Karlsfchülern, die ich finden würde, habe ein halbes Jahrhundert gelebt.

Sch hatte denn mit diefen reifen Schülern das Stüd in Scene geſetzt und mich bei diejer Gelegenheit wollftändig aufgeklärt über den inneren Zujtand des Theaters. Es war mir feit fünfzehn Jahren nicht fremd. Im Jahre 1833 und im Jahre 1845 bei längerem Aufenthalte in Wien hatte ich mich provivdentiellerweife, würde ein Frommer Jagen nur um das Burgtheater gekümmert, obwohl meine Seele damals nicht die entferntefte Ahnung davon hatte, ich fönnte jemals Iheater-Director oder gar Director des Burgtheaters werden. Ich war alfo jett ganz vorbereitet, alle Nuancen des ſchon lange brödelnden Berfalls zu würdigen und dem Grafen Dietrich- jtein Bemerkungen zu machen, welche ihn zwar ärgerten, am Ende aber doch interefjirten, weil fie ihm zur Erklärung dienten über die öffentliche Unzufriedenheit. |

Ein Vorfall bei der ftürmifchen Aufnahme der „Kaͤrlsſchuler“ brachte mich ihm noch näher. Ein Theil des Publicuins mämlich wollte die alte Sitte brechen, welche ven Hervorruf der Schaufpieler unterfagte. Man rief Fichtner, welcher den Schiller ſpielte, mit folcher Ausdauer und ſolchem Ungeftüm, daß die Behörden hinter dem Vorhange fich feinen Rath mehr wußten. Der Kaiſer und der faiferliche Hof waren zugegen, die Volksſtimmung erwies ſich damals gebieteriih man fürchtete arge Auftritte und» Ausbrüche. > Ein Director war nicht zu jehen, die Regieherrſchaft aufſder Scene war

10*

148 Das Burgtheater.

in jener Zeit maßgebend, und vie Regie zerfiel bei vem Vorfalle in zwei Parteien, hob fich alfo jelber auf. Fichtner, immer ein Mufter guter Burgtheaterfitte, wollte fich nicht dazu hergeben, das alte Geſetz zu brechen, Löwe aber ſchrie in ihn hinein: „Hinaus, Fichtner, hinaus! Aufziehen laſſen! Hinaus! Der alte Zopf muß endlich ein- mal abgejchnitten werben!’

Fichtner wendete fich am mich mit der Frage, was ich über das Hinausgehen ver Schaufpieler dächte. „Ich bin dagegen’ jagte ich „und finde die alte Sitte vortrefflih, weil fie der Partei- nahme für einzelne Schaufpieler worbeugt und die Aufmerffamfeit auf das Kunftwerf als Ganzes nicht zeriplittert durch perjünliche Demonftrationen,’” „O dann”, fuhr Fichtner fort, „‚gehen Sie noch einmal hinaus, vielleicht wird dadurch dem Lärmen ein Ende gemacht !‘‘

Ich war nämlich als Autor ſchon vorher gerufen worden und war erſchienen troß meiner Abneigung vor diejer perjünlichen Ein— miſchung des Verfaffers. Der Sturm war fo ftarf, daß man jedes Befriedigungsmittel ergriff. Ih mußte Fichtner alfo erwiedern: „Mich hat man Schon gehabt, mich will man auch nicht, man will Sie’.

„Sehen Sie trotzdem!“ bat Fichtner und deutete auf Löwe's Pronunciamento, welches natürlich zuftimmende und lärmende Theil- nehmer um ſich gefammelt hatte,

„Aber“ entgegnete ih „wenn ich, den man nicht ruft, draußen erjcheine, jo muß ich ja doch in Betreff Ihrer etwas Ab- lehnendes jagen, und ich bin ja hier Gajt, ich bin ja nicht Director

Während diefer Worte wurde der Sturm im Haufe Drcan, und von allen Seiten jtürzten Leute herbei mit Botichaft und Bitten, daß Etwas geſchähe; der faiferliche Hof jet ja ausgejeßt. Da ent- ſchloß ich mich, den Director zu jpielen, ließ aufziehen, ging hinaus bis an die Rampe und deutete an, daß ich Iprechen wollte.

Das Burgtheater. 149

Es wurde todtenjtill, und ich fagte, daß ich ftatt des Herrn Fichtner für die Auszeichnung dankte, welche man ihm zu— gedacht.

Ich trat zurüd und es blieb todtenftil,. Was der fremde Mann da dem Publicum zu jagen fich erbreiftet hatte, war ganz unpopulär. Aber nach einigen Secunden erhob fich Beifall, und nach einer wei- teren Secunde wurde er allgemein. Der ruhige Theil des Publi— cums hatte verftanden, was ich gemeint, und unter dem unruhigen Theile bejannen fich wohl auch die Meiften, daß die Sitte gut wäre, welche man eben abjchaffen gewollt.

Der Hervorruf des Schaufpielers fehrte den ganzen Abend nicht wieder, die Sache war erledigt, die alte gute Burgtheaterfitte war erhalten.

So war ich aus dem Stegreif Director gewejen. Die nächiten Tage wollten mich ernjtlich dazu machen; ja fie machten mich dazu. Niemand war überraichter davon als ich ſelbſt. Saul ging aus, feines Vaters Ejel zu juchen, und er fand eine Krone. Aber was für eine Krone?! Einerecht mißliche. So erichien fie wenigitens mir.

In den nächſten Tagen nämlich verficherte mir Graf Dietrich: jtein, e8 habe in höheren Kreifen und auch bei ihm einen jehr gün— jtigen Eindruck gemacht, daß der fremde, vecht fcharf angezeichnete Liberale refolut in den Sturm hineingegangen ei, um etwas Un- populäres zu vertreten, während die Berufenen den Kopf verloren gehabt. ES verlaute ferner von vielen Seiten, daß die Infcene- jeßung der „Karlsſchüler“ einen ganz neuen Eindrud hervorgebracht habe unter den Schaufpielern, und daß endlich bei jo unruhiger Zeit ein ruhig handelnder Führer vem Theater recht nothwendig geworden jei. Bertraufich jegte der alte Herr hinzu: „Mit den Zeitungen halte ich das nicht aus, da brauch’ ich Einen, der ihnen die Spite bietet, und Louiſe Neumann erklärt Sie wirflich für einen ausge: zeichneten Menſchen, kurz, Sie follen Divector des Hofburgtheaters werden !‘

150 Das Burgtheater.

Dies wırde thatſächlich ins Werf geſetzt, und nur die Quelle meines Gehaltes bewirkte glüclicherweije eine Verzögerung. Graf Dietrichitein wollte ven Gehalt nicht aus ver bevrängten Theater caſſe zahlen, ſondern ihn aus faiferlicher Cafje erheben. Die Ber: treter der Faijerlichen Caffe hatten aber im Frühlinge 1848 noch dringendere Sorgen, als die Bezahlung eines neuen Theater-Di- rectors, und der Läftige neue Pojten ging mit einem Fragezeichen von einer Finanzitelle zur anderen.

Dies rettete mih. Es war ja klar, daß unter den damaligen Sturmpetitionen nicht die Schäferftunde jchlagen fonnte für die Re— generation eines Theaters. Die Aufmerkfjamfeit der Dejterreicher war auf ganz andere Dinge gerichtet. Ich trug alfo felbjt auf Ver- tagung an und reijte von dannen.

Die Unruhen jteigerten fich befanntlich bis in ven Spätherbit hinein, und dies Directiong-Thema gerieth von beiden Seiten in Bergejjenheit.

Da kam gegen Ende des Jahres der Thronwechſel und mit ihm ein Wechjel der oberjten Hofämter. Graf Dietrichjtein ſchied aus. Graf Grünne vereinigte in der eriten Zeit mehrere dieſer Hofämter in feiner Hand, und er verficherte mir in einem furzen Briefe, daß er mich für den richtigen Mann halte zu dem Divections- Poften. Er werde mich unterrichten, ſobald die Zeit gefommen wäre, auch an das Theater zu denken.

Unterdejjen war Holbein aus feinem Zelte getreten und hatte die cenfurfreie Zeit benügt, Alles aufzuführen, was jo lange verboten geweſen. Mit Siebenmeilenjtiefeln marfchirten die bis dahin unmöglich gewefenen neuen Stüde über die Burg- bühne.

Den „Karlsſchülern“ war „Maria Magdalena’ von Hebbel gefolgt am 8. Mai. Schon neun Tage darauf kam Freytag's ‚Dalentine‘. Bald darauf mitten im Sommer eine be

Das Burgtheater. 151

rufene Tragödie „Tiphonia“ vom Improvifator Langenſchwarz; ebenjo im heißen Sommer Ludwig Roberts „Macht der Verhält— niſſe“, die draußen jeit Jahrzehnten jchon wieder vergeſſen waren. Drei Tage jpäter „Bürgertum und Adel’ von Töpfer, fünf Tage nah diefem „Eine Familie” von Frau Birch» Pfeiffer. Alsdann das erjehnte „Wallenjtein’s Lager“ und ein pofitives Erichreden des Publicums vor dem Capuziner, und fo fort in diefer Haft Nenig- feit auf Neuigfeit wie im vorigen Jahrhundert. Im Winter 1849 „Judith“ von Hebbel, „Das Urbild des Tartüffe” und „‚Uriel Acoſta“ von Gutfow, „Ein neuer Menſch“ von Bauernfeld, „Hero— des und Mariamne“ von Hebbel, „Michel Perrin“ e8 war eine Drgie mit früher verfagten Speifen.

Aber die Zeit war jo, daß nur eine Feine Anzahl Leute Appetit hatte, und die Speifen wurden reizlos angerichtet, ein großer Theil derfelben wurde verwüſtet.

Die bejjeren Sachen, welde ver jchleuderhaften Abma— Hung Widerſtand geleiftet, habe ich ſpäter durch beſſere Be— jeßung auffrifchen, durch jorgfältige Inſceneſetzung wiederherftellen müſſen.

So kam der Herbſt 1849 und mit ihm wiederum ein Wiener Brief an mich, der mich eilig citirte. Wie aus dem Innern des Kyffhäuſer hätte ſich die Sage verbreitet, ich ſei zum neuen Director des Burgtheaters auserſehen, und Holbein wollte das unmöglich machen dadurch, daß er Hals über Kopf meinen „Struenſee“ in Scene ſetzte ganz ohne Striche. Die Revolutions-Scenen in dieſem Stücke, unverkürzt dargeſtellt, würden den regierenden Herr— ſchaften die Ueberzeugung aufdrängen, daß der Verfaſſer ſolcher Stücke ungeeignet wäre für ſolchen Poſten. Ich möchte alſo eiligſt kommen und das Stück mit den nöthigen Strichen ſelbſt in Scene ſetzen.

Ich kam. Aber nicht in der Abſicht, mein Stück zuſammenzu—

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jtreichen. Ich hatte feit der „Karlsſchüler“-Aufführung und der Bekanntſchaft mit dem Grafen Dietrichitein Zeit genug gehabt, zu überlegen, unter welchen Bedingungen allein es möglich jei, in der Leitung des Burgtheaters Gutes zu ftiften. Dazu jchien mir denn eine billige Freiheit in ver Wahl der Stüde und ein Anſchließen diefer Bühne an die liberalen Bedürfniſſe der Zeit unerläßlich. Kann dein „Struenſee“ fagte ih mir nicht unverftümmelt ges geben werden, dann bift auch dur felbjt auf dem dortigen Divector- ſtuhle nicht am richtigen Plate. Oeſterreich war eine conftitutionelle Monarchie geworden; ich meinte, jolche Anfprüche fönnten in orga— niſchem Zufammenhange mit dem neuen Staate erfüllt werden, und ih fette deghalb den „Struenfee” in Scene, wie er gefchrieben itand.

Holbein hatte mich zum Zufchauen in feine Yoge geladen und die Situation in diefer Yoge war recht pifant. Er hoffte auf jtürs mifhe, demonftrative Aufnahme, welche mich in der Directions- Geburt erjticken follte, ich hoffte auf einen mäßigen, wohlthuenden Beifall.

Er fiegte neben mir. Die Aufnahme war ftürmifch, des monftrativ. Dennoch verliefen wir Beide befriedigt die Loge. Ich nämlich war doch zu fehr eitler Vater meines Kindes, als daß mir nicht der Beifall im Ganzen wohlgeichmedt hätte. Das ge fährliche Zuviel Schlug ich mir aus dem Sinne, weil ich in der That darüber ganz im Klaren war, daß eine folche Direction wirklich ein Neſſushemd wäre, wenn man mit ihr die brennenden Schmerzen einer überlebten Cenſur auf fih nehmen müßte.

Zwei Tage darauf verfündigte mir Graf Yandoronsfi, der neue Oberftfämmerer und als folcher oberiter Hoftheater-Director, daß man ſich an hoher Stelle beifällig über „Struenſee“ ausge— ſprochen, ſowohl über das Stück als auch über die Infcenefeßung. Der jtörende Tendenz Applaus treffe ven Verfafjer nicht. Es fei nur zu beflagen, daß Vorgänge und Reden aus dem Zuſammenhange

Das Burgtheater. 153

gerijfen und für augenblidliche Zwede gedeutet würden. Dieſe De: ſchädigung eines Kunftwerfes würde fich wohl verlieren, wenn das Publicum allmälig inne würde, daß man ihm fein wirkffames Stück entzöge aus Furcht vor Tendenzbeifall.

Ich konnte nicht ficherer geitellt werden für die Zukunft, und Graf Landoronsfi begann nun auch jeinerjeits die Unterhandlung mit mir.

Ih war unterrichtet, daß ich mir beftimmte Punkte in ven Injtructionen ausbedingen müßte. Namentlich Frievrih Halm hatte mir eingejchärft, vaß ich die Stelle nicht annehmen follte ohne Zuficherung von „Wahl der Stüde, Bildung des Nepertoires, Be- feßung der Rollen”. Dhne diefe Vollmachten fei eine erjprießliche Wirkung nicht möglich.

Sch bejtand denn auch auf diefen Punkten, und als mir meine Anjtellung eingehändigt wurde, ich aber in den Inftructionen diefe Vollmachten abgefhwächt fand, gab ich die Anftellung zurüd und rüftete mich zur Heimreije.

Einige Tage Später erhielt ich das Anſtellungsdecret nochmals, und die dazugehörigen Injtructionen brachten jene VBollmachten un: verfürzt.

Ich muß mit Danf dem Grafen Pandoronsfi ins Grab nad): rühmen, daß er mir diefe Juficherungen vierzehn Jahre lang bis an jeinen Tod getreulich wie ein Edelmann gehalten hat, wie oft er auch unzufrieden war mit meinen daraus hervorgehenden Maß— regeln.

Streitig war bis zum eigentlichen Abjchluffe mein Titel ges weien. Das flinat wunderlich für einen Menfchen wie ich, der unter vielen Fehlern den der Titelfucht eben nicht hat. Aber hier bedeutete der Titel die Sache; ich brauchte ihn alfo. Ich verlangte Director zu heißen, und man wollte mich Dramaturg nennen. Ebenſo wollteman mich proviforifch nur auf zwei oder drei Jahre ich weiß es nicht mehr genau anjtellen. Gegen das Provifo-

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rium hatte ich Nichts einzumenvden, wir fannten uns ja gegenfeitig nur ungenügend; aber ich verlangte fünf Jahre. Diefe Fragen über Titel und Zeitdauer wurden entfchieven durch die zwei wichtigiten Machthaber jener Epoche: der Titel durch den Fürften Felix Schwarzenberg, die Zeitdauer durch den Grafen Grünne.

Sch ſuchte und erlangte zu diefem Zwecke eine Unterredung mit dem Fürjten Schwarzenberg, welche ich bei anderer Gelegenheit ſchildern will, da fie fich breithin über Politif erſtreckte. Hier ſei nur erwähnt, daß ich ihn in einem faalartigen Zimmer fand, daß er in der Mitte vejjelben vor einem Schreibtifche ſaß, daß er eine ſtarke Negalia-Cigarre in vollen Zügen vauchte und fie mitten ins Zimmer warf, ehe fie über die Hälfte abgeraucht war, und daß er mir in feinem jchlanfen Wuchfe und mit feinem etwas ermüdeten, aber interejjanten Gefichte den Eindruck eines fehr einfachen, natür— fihen Menfchen machte. Er ſprach über Alles wie ein Naturalijt im Gegenfage zu Fachmännern, und wie ein „sabreur“, das Wort im Sinne des erjten Napoleon genommen.

„as ift Dramaturg ?" fragte er mich.

„Durchlaucht, das fann Ihnen fein Menſch in furzen Worten jagen.‘

Da lachte er laut. Und als ich hinzufegte, daß eben deßhalb ein folher Titel Nichts tauge, wo es fi um Autorität zum Regieren handle, da unterbrach er mich mit den Worten: „Sie haben voll- fommen Recht. Sie follen dirigiven, müſſen alſo auch heißen. Sprechen wir von etwas Anderem!“

Graf Grünne machte einen ganz anderen Eindruck. Im Com— mißmantel, bis an den Hals zugeknöpft, neigte er den fein geſchnit— tenen Kopf ein wenig nach vorne, um gleichſam anzudeuten: ich höre.

Er hörte fehr gut, fprach nicht Ein müßiges Wort und fragte nur pofitiv: „Warum wollen Sie gerade fünf Jahre 2

„Weil ich in den erften Jahren genöthigt bin, mir jehr viel

Das Burgtheater. 155

Feinde zu machen. Ich muß aufräumen, muß abjegen. Nach zwei bis drei Jahren bin ich im Wefentlichen nur verhaßt jchaffen und mir Freunde erwerben Fann ich exit im vierten und fünften Sahre.‘

Er lächelte, nidte mit dem Kopfe und entließ mich mit ven Worten: „Ich werd’s dem Grafen Landoronsfi ſagen“.

So wurde ich Director auf fünf Jahre.

RT.

Was fand ich bei meinem Eintritt? in ganz fleines Reper- toire, ein ſehr kleines Perfonal und zu unerwartetem Schreden! ein ſehr langes Berzeichnig von Stüden, welche nie mehr gegeben werden ſollten.

Mein Chef hatte folche Befeitigung aller auch nur einigermaßen mißliebigen Stücde für nothwendig und möglich gehalten und mir die Auswahl eripart, indem er eigenhändig rothe Kreuze angebracht auf einer langen Lifte. Mein Bureau-Amanuenfis, ein vom unteren Theaterdienfte emporgeftiegener Veteran, des Namens Rilter, legte mir dies lange Blatt mit Tovdesurtheilen vor und fragte jchüchtern: Wie foll denn das gehen, da wir ohnehin Nichts mehr zu jpielen haben ?

Ich antwortete ihm: Man ftirbt nicht fo leicht; jedenfalls wehrt man fih nach Kräften, wenn’s an’s eben geht, und ein lebensvolles Stücd hat ein zähes Yeben.

Diefer Kampf um’s Leben der Stücke hat mit dem erften Tage meiner Direction begonnen und hat gedauert bis zum legten Tage.

Die Repertoire-Sorge war wirflich groß und jchwer, Etwa für vierzehn Tage waren fertig gemachte Stüde vorhanden, meift alter Sorte. In allen übrigen gähnten weite Befegungslüden. Mean hatte nichts Fehlendes erfett, man hatte nicht gearbeitet, man hatte nur bie und da nothoürftig geflidt.

Allerdings nicht ohne Grund. Das Perfonal war unzureichend.

Das Burgtheater. 157

Seit zehn Jahren war Niemand von Beveutung engagirt worden. Der Director hatte feinen Trieb dazu gehabt, die oberjte Direction ebenfowenig, und die Regieherrichaft war an fich ein fchweres Hindernig für neue Engagements. Sie war mit ihren Angehörigen und Hinterfafjen eine gefchloffene Phalanx. Angehörige waren nicht nur Verwandte, fondern auch zupafjende Schaufpieler, zupafjend dadurch, daß fie nicht ftörten, daß fie nicht in erite Yinie vorprängen oder gar überragen wollten. Jeder Regiſſeur bedeckte einen weiten Bereich von Fächern, er beherrfchte ein ganzes Kronland. Wenn ein neues Mitglied erſchien, da beeinträchtigte es gewiß, und am Ende fonnte e8 gar erfegen. Jedenfalls nahm es einen Plat weg, welchen man heute oder morgen für einen danfbaren Schüsling brauchen fonnte. Kurz, die Regieherrichaft ift der natürliche Gegner neuer Engagements, und fie hatte den redlichiten Antheil an ver Perjonal-Berarmung des Burgtheaters.

Ungefähr ein Dutend guter, zum Theil ſogar fehr guter Schaufpieler und Schaufpielerinnen fand ich vor. Aber die Mehr: zahl war alt, vie Minderzahl bejahrt.

Mit wenigen Ausnahmen famen fie mir alle freundlich ent- gegen, und ich durfte hoffen, fie zu gemeinfamer Werfthätigfeit bereit zu finden,

Dieſe Hoffnung erfüllte ſich, jo weit jie die Tagesarbeit betraf. Ich theilte Stüde aus, feste Proben an und muthete ihnen viel Arbeit zu in diefem Kreife. So weit es die Kräfte bejahrter Yeute hergaben, verfagten fie feine Anſtrengung und bewährten ven alten trefflichen Corpsgeift des Burgtheaters.

Sp weit aber diefe Hoffnung eine höhere Mitwirfung betraf, ließen fie mich vollftändig im Stiche. Theils aus Unbedacht, theils aus eingerofteter Bequemlichkeit, theils aus Unvermögen.

Die Mehrzahl war ohne Literariihe Bildung; Manchem jagte man nach, er läſe das ganze Jahr hindurch Fein Buch. In

158 Das Burgtheater.

der Mitte des neunzehnten Jahrhunderts war das ein Lebeljtand, wenn von Theilnahme an einer Divection die Rede fein follte,

Ich theilte neue Stücde unter fie aus und bat um Gutachten. Diefe Aufgabe lehnten fie ſämmtlich ab, und ich war nach einigen Monaten außer Zweifel, daß mein Gedanfe einer gemeinjchaftlichen Thätigfeit im höheren Sinne unausführbar wäre, Ich mußte mich bejcheiven,, ihre guten und braven Dienjte fo weit es die Mehr- zahl von ihnen betraf für den Tagespienft zu verwerthen.

Sch war alfo auf mich felbjt, auf mich allein angewiefen. Niemand ftand neben mir als Veteran Nijter mit allen Nachweiſen früherer Vorgänge, Beſetzungen und Perſonalien. Cr war meine Gejchichtsquelle,

Soll ih mich unter ſolchen Umftänden eines Planes und idealer Grundſätze rühmen? Unter Umftänden, welche mich, wie lange! nöthigten, um das tägliche Brod zu fechten? Ich kann es doch, Ich focht um's tägliche Brod, aber bei all dem Fechten juchte ich weiter zu bliefen. Ich faßte ein feftes Ziel in’s Auge und bejchied mich eben, nur langfam, nur Schritt für Schritt an das Ziel ge- langen zu können.

Dies Ziel war: ein Nepertoire zu erreichen, welches jeder gebildete Mann vollftändig nennen könnte. Darin follten enthalten fein: alle Stücde, welche von Leffing an Lebenskraft bewährt hatten auf dem deutſchen Theater, ferner von Shafefpeare alle Stüde, welche die Compofitionsfraft wirklicher Stüde befäßen und unter uns noch wirklichen Antheil finden könnten; endlich von den roma— nifchen Völfern die wenigen Werfe, welche charafteriftiiche Eigen- thümlichfeiten für uns find, wie,,Phädra’ zum Beifpiel, wie ‚Donna Diana’ und das „Leben ein Traum‘; von den modernen Franzojen aber alle diejenigen Konverfationsftüde, welche in der Form gut find und unferen Sitten nicht widerfprechen,

Um dies Ziel zu erreichen, war eg nöthig, das Perfonal jo zu ergänzen, daß alle wichtigen Stücke befetst werden Fünnten, Wäre

Das Bınztheater. 159

das nicht durchwegs bis zu einer gewiljen Vollfommenheit möglich, dann wollte ich zunächt auch mit mäßigen Kräften vorlieb nehmen, um die Lücken auszufüllen, und wollte mit aller Hingebung die herbeigezogenen jungen, zunäcjt nur mäßigen Kräfte heranzubilden juchen. Die Stüde, das volle Kepertoire wollte ich in erjter Yinie eritreben. Bietet man meinte ich dem Publicum reichen Inhalt, fo zeigt es Nachficht für Perfonalfhwächen und fühlt fich durch den erhöhten geiftigen Gehalt feines Schaufpielhaufes ver- anlaßt, die heranmwachfende Jugend des Perfonals durch Aufmun— terung fördern zu helfen.

Mein Ideal war, nach einigen Jahren jedem Gajte aus der Fremde jagen zu fünnen: Bleibe ein Jahr in Wien und du wirft im Burgtheater Alles jehen, was die deutfche Literatur ſeit einem Jahr— hunderte Elaffifches oder doch Yebenswolles für die Bühne gefchaffen ; du wirft fehen, was Shafefpeare uns Deutjchen hinterlafjen, wirft jehen, was von den romanischen Völkern unferer Denk- und Sinnes- weije angeeignet werden kann.

Ich Habe dies Ideal nie aus den Augen gelaſſen. Ob ich's erreicht habe? Im dieſer fterblichen, mitunter vecht ärgerlichen Welt flingt e8 vermefjen, von Erreichung eines Ideales zu Sprechen. Aber wir haben uns manchmal eingebilvet, ihm nahegefommen zu fein. Den Ruhm des Burgtbeaters nehme ich pofitiv in Anspruch, daß e8 von 1850 bis 1867 unermüdlich und oft erfolgreich nach dieſem Ideale geftvebt hat. Mit Mängeln behaftet find wir immer ge blieben, und wir haben nicht Alles gleich gut aufführen fünnen. Aber wir haben jenen großen Kreis, ich darf es jagen, ziemlich gut ausgefüllt. Das Burgtheater hat feit einer Reihe von Jahren das umfaffendfte Repertoire geboten, nicht nur in Deutfchland, ſondern in Europa. Das Theätre francais, unfer großer Rival, kommt wegen feines formell abgejchleifenen romanischen Weſens nirgends über romanische Grenzen hinaus und kann fich Nichts aus der Fremde aneignen, wie wir es vermögen, Und eim anderer Nival ift nicht

160 Das Burgtheater.

vorhanden. Die deutjchen Theater find darin ſämmtlich zurück— geblieben, die englifche Bühne iſt verfallen und vie wie die italieniſche ſind franzöſirt.

Natürlich hat ein Jahr das andere ausgleichen müſſen in Bezug auf Vollſtändigkeit. Heute verſagt ein Mitglied für dieſe, morgen ein anderes für jene Hauptrolle; das Material der Schauſpielkunſt beſteht aus Menſchen, welche Krankheiten und Schwächen unter— worfen find, nicht aus Marmor und Erz. Dann mußte ein Haupt- jtücf vertagt werden. Aber es ijt immer nur vertagt geblieben, es iſt immer wieder eingerüct in die große Neihe. Und wenn Anftände oder Verbote eintraten, da mußten wir uns fügen. Aber wir fügten ung immer nur dem unwiderftehlichen Drude. Sobald fih nur ein Luftloch öffnete, waren wir auch augenblicklich wieder da mit unjerem verbannten Kinde.

Das Hauptmittel für die Erreichung des Zieles oder doch für Annäherung an daſſelbe waren mir vom erſten Tage an die Proben. Ich hatte auf den wichtigſten deutſchen Bühnen meine eigenen Stücke in Scene geſetzt und hatte dadurch das Probeweſen kennen gelernt. Ungenügend, ganz ungenügend hatte ichs gefunden auf allen deutſchen Theatern, und auf dem Burgtheater ebenfalls ; ungenügend in der Ausdehnung, ungenügend in der Befchaffenheit. Dberflählih und mechanisch werden die Proben auf dem deutſchen Theater gehalten, und dies ift ein Hauptgrund, daß unſer Theater jelten Genügendes leiftet. Cine Lefeprobe macht die Rollen-In— haber mit dem Stüce befannt. Dabei erläßt fih gern Derjenige, welcher nur in einzelnen Acten beichäftigt ift, die übrigen Acte er geht fort und lernt das Stück nur fennen, jo weit es ihn angeht. Nach zwei bis drei Wochen wird vie erſte Theaterprobe angefagt. Die meiſten Mitgliever fommen und laffen fich einjtellen in den Rahmen, umd haben aus der fernen Lefeprobe nur eine dunkle, un- klare Borjtellung von dem Stücde und von ihrem VBerhältniffe in vemjelben. Die bejjeren Schaufpieler nur lefen das Buch nod) ein-

Das Burgtheater. 161

mal durch beim Studiren ihrer Nolle. Aber wie ungewöhnlich dies gewejen, das erfah ich aus dem Unwillen meiner Bureaulente über dies Abfordern der Bücher. Der oder die hieß es will ſchon wieder ein Buch haben wor der Probe, das giebt ja Unordnung! Es thäte ja noth, wir hätten mehr als drei Bücher! Sie waren fehr erjtaunt, als ich erwiederte, daß dies auch noththäte, und daß ich e8 jehr gern fühe, wenn die Schaufpieler Bücher verlangten.

So beginnt die Infcenejegung mit Theilnehmern, welche uns genügend unterrichtet find über den feineren Zufammenhang des Stüdes, und nach drei bis vier Theaterproben fommt das Stüd zur Aufführung. Es ift gar feine Zeit vorhanden bei dieſen Theater: proben, über die groben Umriſſe hinauszufommen, und es ift auf den meiften Theatern auch fein Dann vorhanden, welcher die Fähig— feit hätte, über die groben Umriſſe hinaus belehrend und anoronend vorzugehen. Gute Regiſſeure jind ehr jelten, und auch die wenigen guten Regifjenre ftehen jelten auf der literariſchen Höhe, welche er— forderlich ift, um ein Stück in feinem geiftigen Geflechte lebendig zu machen, Gemeinhin müſſen dieſe Regiſſeure auch noch jelbit mitjpielen, verlieren alfo dadurch auch noch die Freiheit der Führer: ſchaft. Dies Mitjpielen war geradezu Herfommen und Styl am Burgtheater. Die wichtigften und am meiften bejchäftigten Schau— jpieler machte man zu Negijjeuren.

Darin zu veformiren war mir eine gründliche Abficht. Die franzöſiſche Form einzuführen, ſchien mir nicht vathfam. Cs thut jelten gut, Fremdes aufzupfropfen, und der deutſche Schaufpieler hat gegen diefe franzöfifche Form eine directe Abneigung. Die Franz zojen nämlich halten fo lange Yejeproben, bis ihnen das Stüd ganz geläufig ift, und beginnen dann erſt Theaterproben. Das langweilt den deutſchen Schauſpieler bis zum Aeußerſten. Zwänge man ihn dazu, man würde ihm alle Put werleiden, und was ijt eine Künſtler— Ihaft ohne Luft! Ein Automatenthum,

Es blieb mir alfo Nichts übrig, als ſelbſt Regiſſeur zu werben

Laube, Burgtheater. 11

162 Das Burgtheater.

und in forgfültiger Erledigung dieſer Aufgabe all das zu ergänzen, was die leidige Gewohnheit auf unjerer Bühne vernachläffigt.

se länger ich diefe Aufgabe zu erfüllen trachtete, deſto klarer wurde mir es, daß fie ganz und gar zum Amte eines artiftiichen Directors gehört, und dar ein artijtiicher Director abjolut jelbjt Dramatifer jein muf.

Es gehört eine dramatiſche Schöpfungsfraft dazu, um ein Stüd gut in Scene zu jegen, und die untergeordnete Fähigkeit der Anord— nung genügt nicht. In heutiger Zeit gewiß nicht. Die heutige Zeit ift jehr veich an geiftiger Thätigfeit und ziemlich arm an dramatifcher Production. Wird diefe Production dem heutigen Publicum nicht geiftig vermittelt, jo gewinnt fie das Interejje des Publicums nicht, und das Theater verfällt.

Ein Theater das erfannte ich in den erjten Wochen ijt heutigentags nicht mehr vom Bureau zu dirigiven, die wichtigjte Ars beit der Direction muß auf der Scene geleijtet werden.

Diejem Spiteme verdanfe ich drei Viertheile aller Erfolge. Truppen wie Schaufpieler werden belebt und wachen, wenn ver Führer immer mit ihnen iſt; wenn fie ven Plan der Schlacht und des Stückes genau fennen lernen; wenn jie inne werden, wo die Schwächen des Terrains liegen, wo alfo doppelte Kraft aufgeboten werden muß; wenn ihnen gezeigt wird, wo die Entſcheidung gebracht werden muß mit allem Nachdrude,

Um jolch ein Führer zu fein, muß man jelbit ein Stüd jchreiben fünnen, muß man die Aufgabe des Schauspielers annäherungsweile ſelbſt ausführen können. Das Erſte, um ein in Scene zu feßendes Stück nicht nur ftreichen, jonvdern auch ergänzen zu fnnen. Das Zweite, um dem Schaufpieler ven Weg zeigen, ihm an jehwierigen Stellen vorangehen zu fönnen. Dies Letztere braucht nicht in eigent- lich Schaufpielerifcher Form zu geſchehen; aber es muß in voller praf- tiſcher Andeutung gefchehen. Nicht blos theoretiih. Mit Theorie verwirrt man den Schaufpieler. Man kann begründen mit Theorie,

Das Burgtheater. 163

aber der praftiiche Beweis darf nicht ausbleiben. Denn die Grund— lage des ſchauſpieleriſchen Talentes ift die Fähigkeit ver Nachahmung. Und deshalb muß ein artiftiicher Director denjenigen dramaturgiſchen Abſchnitt praftiich inne haben, welcher fich auf ven Vortrag bezieht.

Meinem Plane gemäß begann ich mit Einftudirung zweier wichtiger Stüde, welche durch gewaltigen Inhalt einen tieferen Ein— druck machen jollten, als irgend eine Tagesneuigfeit dies vermocht hätte, Die Orgie Holbein’s hatte ja auch ſämmtliche Tagesneuig- feiten aufgezehrt. Der beengte Horizont meiner Vorgänger hatte mir zwei alte Neuigkeiten übrig gelaffen von jtattlichjter Bedeutung: „Fauſt“ und „Sulius Cäſar“.

„Fauſt“ war in fogenannten unjchuldigen Scenen, wie das Viebesverhältnig mit Gretchen höflicherweife genannt wurde, vorüberhufchend zum Vorjcheine gefommen. In usum Delphini („wie e8 für den Dauphin brauchbar iſt“), jagte man einjt in Frank reich; in Wien hieß e8: „wie es für die Comtejjen brauchbar iſt“. Dieje jungen Damen waren jehr gefährlich für das Repertoire des Burgtheaters. Ich kannte fie noch nicht, tappte ohmeweiters nad) dem Ganzen und errang es bei meinem Chef, weil ich jung war.

Für Kauft und Gretchen machte ich den Anfang mit neuen Engagements. Iojeph Wagner und dejjen Frau debutirten in diejen Kollen. Joſeph Wagner iſt wohl auch fein Denker von Fauſt's Tiefe und Verzweiflung, aber wenn auch nicht ver abjtracte Gedanke fein Element iſt, die Verzweiflung ift es. Für tiefaufgeregte Seelen- zuftände hat er einen wahrhaftigen jtarfen Ausdruck von leiven- Ichaftliher Schönheit. Seine Frau, Bertha Unzelmann, eine En- felin der berühmten Schaufpielerin, befaß das Seelenleben Gretchens in Schönfter Gattung. Sie war eine finnige, geiſtvolle Natur und machte als Gretchen außerorventliches Glück. Leider waren ihre phyſiſchen Mittel gering, ihr Organ war ſchwach und Elanglos, und nur die Beten des Wiener Publicums wirdigten ihre Vorzüge auch in der Folge. Dem großen Publicum war fie als erſte Yiebhaberin

ik,

164 Das Burgtheater.

nicht reizend genug, und Kränklichkeit nöthigte fie auch bald in den Hintergrund. Sie ftarb frühzeitig an einem Bruftleiven, welches ihr die Entfaltung edler Geiftesgaben auf der Bühne hartnädig er— ſchwert hatte, Für ven Mephifto konnte La Roche eintreten, wenn er auch eigentlich nur Eine Seite ver Rolle, die des chnifchen Schalfs, zu vergeben hatte. Die dämoniſche Seite liegt ab von einem Na— turell, welches trefflich geeignet ift für Luftipiel und Schaufpiel.

Dies ganze Fach, das Fach des tragifchen Charakterſpielers, war am Burgtheater ſeit langer Zeit unbeſetzt. Es vertheilte ſich unter die Matadore. Sogar der lebensluſtige Wilhelmi war lange gemißbraucht worden, Tyrannen zu tragiren, welche ihm höchit. wunderlich zu Gefichte ftanden. Ich mußte alfo darauf bedacht fein, in diefer Richtung eine Kraft zu gewinnen oder zu erziehen.

Dazu bot fich frühzeitig Gelegenheit, wenn auch nur Gelegen- heit für mich; denn der Schaufpieler, welchen ich dafür in’s Auge faßte, gehörte für das Publicum noch in ein ganz anderes Fach. Als ich über meinen Eintritt ins Burgtheater unterhandelte, gegen 1849, ſah ich ihn auf dem Burgtheater Rollen ſpielen wie den Schilfer in den „Karlsſchülern“. Er war als Gaft von Hamburg gefommen und jollte fürs Liebhaberfach engagirt werden. Er gefiel durch Friſche, Schärfe und Behendigkeit, und mich intereffirte er bejonders darum, weil ich ihm ven Fünftigen Charafterfpieler abzu— jehen meinte, Sein Name ift Dawifon,

Mein Eintritt war eben abgejchloffen, und ich wollte juſt nach Leipzig abreifen, um meine Familie zu holen, da wurde ich jeinet- wegen noch zu meinem Chef, vem Grafen Lanckoronski, eitirt. Das Engagement Dawifon’s, welches ich als ficher vorausgeſetzt, war zweifelhaft geworden. Holbein figurirte noch als ökonomiſcher Di- rvector, und er hatte Dawiſon's Forderung zu hoch befunden,

Damifon beihwor mich, fein Engagement durchzufegen, und wartete bei fchlechtem Wetter unten in ver Bräunerftraße, bis ich vom Grafen wieder hevunterfommen und ihm Befcheid jagen würde,

Das Burgtheater. 165

Ich erflärte meinem Chef, daß der junge Mann engagirt wer- den müßte, auch wenn er noch einmal fo viel verlangte, als er ver— langt habe, Er fei ein unzweifelhaftes Talent, und das Perfonal des Burgtheaters müſſe um jeven Preis ergänzt werden durch junge Talente.

Graf Yandoronsfi bewilligte das Engagement, und Dawifon empfing unten die Nachricht mit der lebhaftejten Erfenntlichfeit.

Sch blieb einige Wochen aus, und als ich nach Wien zurück— fam, fand ich ihn todtgemacht. „Er liegt auf ver Naſe“, fagten die Schaufpieler. Mein erites Engagement erfchien als verunglückt. Er hatte während meiner Abwefenheit feine Debutrollen gejpielt, und derfelbe Schaufpieler, welcher als Gajt jehr gefallen, war als Debutant durchgefallen.

Als ich hörte, welche Rollen er gejpielt, war mir Alles klar. Er jelbjt war über fich ganz im Unflaren und meinte wohl eigent- (ih, Alles pielen zu fünnen. Da hatte man ihm denn allerdings lauter jchöne Rollen gegeben, aber vorzugsweife Wiener Kollen, das heißt Rollen, welche durch Lieblinge des Wiener Publicums große Geltung erlangt hatten, welche aber gerade jpecififche Eigenfchaften der Wiener Lieblinge vorausfetten. Dawiſon hatte nun gerade dieje Eigenfchaften nicht, und fo war er in die Grube getaumelt. Dies artige Diplomatenſtückchen war feit Jahren üblich geweſen, weil fein thatfräftiger Director die Zügel geführt.

Dawiſon jelbjt war völlig entzwei; er hatte allen Muth ver: (oven, und je bedeutender die Rolle war, die ich ihm bot, deſto dringender bat er, fie nicht annehmen zu dürfen, Antonius im „Julius Cäſar“ war ihm ein unmögliches Wagſtück im Burgtheater. „Ja, lieber Freund‘ erwiederte ih —, „ich bin auch neu wie Sie, und muß auch wagen, Sie müfjen vorwärts und müſſen die Rolle ſpielen.“

Da kam ein wichtiges Intermezzo. Eines Abends finde ich ein neues Manuſcript in meiner Wohnung. Den Namen des Ver—

166 Das Burgtbeater.

faffers hatte ich vor Jahren flüchtig in Leipzig fennen gelernt. Dort hatte ich Fleine Artifel von diefem jungen Manne in die ‚„‚Elegante Zeitung‘ aufgenommen. Sollte der ein Stüd jchreiben fünnen ?! Ich las jogleich, las bis Mitternacht und reichte am anderen Morgen das Stüd ein zur Aufführung. Es war der „Erbförfter” won Otto Ludwig.

Die Rolle des älteſten Sohnes, Andres, beſtimmte ich für Dawiſon. Als wir zur Leſeprobe kamen, zog er mich beiſeite und klagte nun in entgegengeſetzter Richtung: „Jetzt ruiniren Sie mich mit jo kleiner Rolle!“ Dabei zeigte er auf die paar Blätter, aus denen die Rolle beſtand.

„Diefe paar Blätter werden Ihre Yorbeerblätter werden Sie müſſen die Rolle ſpielen.“

Und es wınde jo. Mit diefem Andres machte er einen Effect, der alles Andere in Schatten warf. Und nun fonnte ich weiter mit ihm vorjchreiten.

Leicht wurde esnoch immer nicht, und das Schiefal war immer noch tückiſch: im „Julius Cäſar“ ſchlug er, hingeriffen von Ekſtaſe, die Leiche des Cäſar-Anſchütz dermaßen auf den Bauch, daß vie Folgen nicht ausbleiben konnten. Der todte Cäfar machte eine con— vulfivifche Bewegung, welche fich für feinen Todten der Welt jchict, auch nicht für Julius Cäfar, und welche ein fchallendes Gelächter des Wiener Publicums erregte.

Dabei erfuhr ich, daß dies Publicum das Yachen abfolut nicht vergeſſen kann, der Moment jet auch noch fo feierlich.

XII.

Der „Erbförjter‘‘ machte das Aufjehen eines literariichen Er— eignifjes. Dtto Ludwigs's Name war unbefannt, und das Stüd zeigte eine ganz neue, ganz eigentbümliche Kraft. ine vealiftifche Kraft, welche mit Nomantif verquidt war. So wurden die Rea— liſten dafür eingenommen, welche nadte Wahrheit in der Dichtung wollen, und die Spealiften, welche höhere Beziehungen verlangen, meinten in der vomantijchen Wendung des Stüdes auch ihre Nech- nung zu finden.

Das Trauerjpiel wirkte bis auf feinen Höhepunkt ungemein fräftig und erfrifchend. Die realiſtiſche Schilderung der Charaftere im Forſthauſe war geijtig durchhaucht von fein menschlichen Zügen; die Bewegung des Handlungsftoffes war ganz natürlich, und der Athen der Romantik über Alledem erſchien anjpruchslos und veizend.

Eben deßhalb wurde das Stüd auch vortrefflich gejpielt. Denn die Schaufpieler hängen ganz vom Dichter ab. Sie fünnen feine guten Wirkungen erzwingen, wenn dem Dichter nicht der glückliche Zufammenhang und der überzeugende Ausdruck gelungen ift, und jie wirfen nur dann leicht und ficher, wenn der Dichter ins Schwarze trifft. Anſchütz als Erbförſter erguicte durch ſolides, wohlthuendes, ganz und gar einfaches Spiel. Ya Noche gab in vem Waldläufer Weiler ein Meijterjtüd der Genremalerei, Dawiſon brachte vie Wuth und das innere Entjegen eines gemißhandelten Jünglings genial zur Anſchauung bis zur Höhe des vierten Actes meinte man eine neuclaſſiſche Schöpfung vor fich zu ſehen.

168 Das Burgtheater.

Von da an knickte das Stüd, und am Ende verlor es all jeine glüklihe Macht. Warum? Der Inhalt des Stüces übertrieb fih, und die früher angenehm colorivende Romantif wurde grell, wurde in diefen Charakteren eine gemachte und unwahre Er— höhung.

Es überflog Einen der Eindruck: dieſer begabte neue Dichter muß erkrankt ſein mitten in der meiſterhaft geführten Arbeit. Wer ſpäter hörte, daß Otto Ludwig in der That von tiefer körperlicher Krankheit befallen war, der meinte wohl, darin den Aufſchluß zu finden.

Das war es aber nicht allein, was den Ausgang des „Erb— förſter“ beſchädigte. Es war die literariſche Erziehung, welche Lud— wig in der Jugend durchgemacht, die Erziehung, welche uns Allen angekränkelt worden iſt, die wir in den Zwanziger und Dreißiger Jahren unſere literariſche Jugend verlebt haben. Die Romantik der Novalis, Brentano, Arnim, Tieck war zu Anfang des Jahr— hunderts durch die großen fritifchen Talente ver Gebrüder Schlegel emporgeſchwindelt worden gegen Schiller und Goethe, deren Ruhm unbequem wirfte auf junge Autoren. Beſonders gegen Schiller war fie gemünzt. Dieſe Romantik, als Reaction zur Welt gebracht, war nie ganz geſund und hatte von Haufe aus jehr wiel künſtlich Gemachtes in ihrem Inneren, fünftliche Neligiofität, fünftlichen Natur— ſinn, fünjtliche Yiebe. Wer fennt jie denn jeßt noch, die Produc- tionen, welche in unferer Jugendzeit für Ideale galten; wer fennt und lieft noch Tieck's „Genovefa“ und „Kaiſer Octavianus“, umd Arnim’s „Gräfin Dolores’ und Brentano’s „Gründung Prags“! Sie find verweht vom Staube der Zeit, wie alle Pflanzen verweht werden, die feine gefunden Wurzeln haben. Aber diefe Männer und diefe romantische Schule waren voll Geift und Bildung, und es war ihnen durch ihre fritifchen Wortführer Schlegel gelungen, einen jogenannten poetiihen Canon zu gründen in der deutjchen Literatur. Dieſer Canon iſt eigentlich erit durch das junge Deutſch—

Das Burgtheater. 169

land angegriffen worden, allerdings ungleich und oft ungenügend angegriffen worden, denn wichtige Wortführer des jungen Deutfch- land jtammten jelbjt noch aus der vomantifchen Schule. Aber der Angriff war doch jo weit wirfjam, daß die Autorität der blauen Romantik erichüttert wurde und daß jich neue Grundſätze anbahnen fonnten, welche neuerdings vealiftifch genannt werden. Dtto Lud— wig hatte in jeiner Jugend diefe blaue Nomantif eingefogen und hatte erjt in reiferem Alter die Berechtigung der realen Dinge in der Poeſie erfannt. Für Letzteres boten feine Eindrüde des heimath- lichen thüringiichen Kleinlebens Material in Fülle, denn er war immer arm und war vertraut mit allem Handwerfszeug der Kümmer— niß, mit allen Athemzügen der Erholung von ven Leiden des Yebens.

Aus jolcher Ehe zwifchen Romantik und realen Eindrücen des thüringifchen Land» und Waldlebens ift der „Erbförſter“ entiprungen. Er hat zwei Seelen, eine franfe und eine gejunde.

Das Stüd erbaut jein Gerüft auf einer ganz interejjanten Idee. Der Förſter hat den Wald aufgezogen, er betrachtet ihn deßhalb als jein Eigenthum und will dem juridifchen Eigenthümer nicht zuge- itehen, daß dieſer zerjtörend darüber verfügen könne. Das tft in- terejjant für ein Schaufpiel, aber nicht haltbar für eine Tragödie. Mitten in einer juridifch geordneten Welt kann man diefe Welt nur bis auf einen gewijjen Grad leugnen, nicht total. Wer fie total leugnen will und doch übrigens ganz mit derjelben Welt lebt, ja in innigem Kamilien-Zufammenhange mit diefer Welt lebt, der ijt ein Sonderling und man nennt fein Yeugnen eine Marotte, Sonder: (ing und Marotte find geeignet für Yuft- und Schaufpiel, nicht fürs Traueripiel. Wenn es der Sonderling zum Aeußerjten treibt, fo haben wir die Empfindung: er übertreibt. Und mit diefer Empfin- dung bejteht feine Tragödie.

Hier waltet ſchon die franfe romantiſche Seele des Stüdes ; denn die Romantik verachtete die realen Verhältniſſe und trieb einen

170 Das Burgtheater.

einfachen Forftmann zu fpitfindigem Naturrechte, welches das Eigen- thum leugnet unter gewifjen Vorausſetzungen.

Wir aber, die wir im Theater fiten, gehen mit dem Erbförjter nur bis zu dem Punkte, wo er tragifchen Ernſt macht mit jeiner in- tereffanten Borftellung vom Eigenthume. Zu dieſem tragifchen Ernſte ſchütteln wir den Kopf, und unfere ernfte Theilnahme iſt dahin.

Kommt nım im legten Acte gar das ganze romantiſche Spiel- zeug hinzu von der blauen Blume und von der Vifion der Torhter, und fol fich diefe Viſion der Tochter zuletst bejtätigen durch den Tod der Tochter von Vatershand, dann fehütteln wir. den Kopf zweimal. Das Alles ift fünftlih romantischer Nachdruck für jonjt gejunde Forftleute, und der Ausgang des Stüces wird für ung ein trauriger, nicht aber ein tragiſcher. Wir gehen hinweg mit dem Ausrufe: Wie ſchade!

So that auch das Wiener Publicum. Trotz Anerfennung vortreffliher Eigenfchaften im Stücke und trefflicher Darjtellung des Stücdes blieb das Publicum aus bei den ferneren Borjtellungen.

Und troß Alledem ift das Stüd eine Arbeit von Verdienſt und Kraft und Reiz. Nur übel verjtandene Romantik hat es verjtümmelt.

Sch fette dies Alles Ludwig auseinander in einem langen Briefe und ſchlug ihm eine Umarbeitung vor. Wurde die faljche Romantik Hinausgeworfen, jo fonnte ohne gar große Umgeftaltung ein Schaufpiel entftehen, welches unzerftörbar auf dem deutjchen Theater blieb. Er ſah auch dies Alles ein, er jtand bis auf einen gewilfen Grad fchon über feinem Werfe aber er fonnte fich doch nicht zur Umarbeitung entjchließen.

Die äfthetifche Lehre, welche wir in der Jugend eingefogen, wird in uns zur Glaubenslehre. Sie ganz zu wechjeln, wird uns fo ſchwer, wie unſeren firchlichen Glauben zu wechjeln.

Ich meinte übrigens, ein troß feiner Gebrechen jo talentwolles Stüc verdiente auch von unferer Seite ein Opfer, will jagen ein Dpfer der Caſſe. Beharrfich brachte ich alfo jedes Jahr den „Erb—

Das Burgtheater. #71

förſter“ wieder, ver leider nur auf einigen deutſchen Theatern ge- geben, und wieder verjchwunden war. Ich rechnete darauf, dag man allmälig die Uebelſtände als befannt worausfegen und in den Kauf nehmen werde für außerordentliche Vorzüge. Ich vechnete ferner auf das große Gewicht, welches ein echtes Theater-Publicum wie das Wiener auf die Darftellung legt. Nur in Wien fann ein Stüd lange leben: durch die einleuchtende Trefflichkeit der Darftellung ; draußen nicht. Und Anſchütz wurde als Erbförfter unübertrefflich gefunden. Ich theilte diefe Meinung, joweit fie jein Spiel betraf; fein Naturell fand ich nicht ftreng genug für den Charakter. Aber das war meine Privatmeinung, das Publicum fannte und theilte fie nicht; ich baute aljo hartnädig auf den Theaterfinn des Publicums und führte das Stüd immer wieder vor, obwohl Jahr um Jahr feine günftige Wendung für die Cafje eintrat.

Endlich gelang es doch; der Beſuch fteigerte fich, ich glaube wohl vorzugsweije darum, weil man den alten Herrn Anfchüt war ſchon hoch bei Jahren in der berühmten Rolle noch einmal jehen wollte. Und jo wurde der „Erbförſter“ wirkliches Reper— toireſtück.

Meines Erachtens kann und ſollte der „Erbförſter“ wieder aufgenommen werden, ſobald ſich eine jüngere Kraft für die Haupt— rolle eignet. Iſt ſie, wie ich wünſche, im Naturell ſtrenger, ſo wird ſie allerdings doppelte Schwierigkeit finden, gegen die Beliebtheit der Anſchütz'ſchen Weiſe aufzukommen, das Trauerſpiel ſelbſt aber wird in dieſer Einen Richtung wahrſcheinlicher werden. Denn ein weicher Erbförfter widerfpricht den letten Wendungen zu jehr und macht als Rindesmörder einen doppelt peinlichen Eindruck.

Zwifchen „Fauſt“ und „Erbförſter“ waren noch andere Neuig- feiten gewonnen worden, Stücde und Schaufpieler. Das Dirigiven entwicfelte fich mir wie das Nomanfchreiben: man drängt auf ein Hauptfapitel zu und unterwegs begegnet man einem Nebenfapitel nach dem anderen, und ift am Ende ganz zufrieden mit jolcher Ver:

172 Das Burgtheater.

zögerung, weil man unterwegs verjtärftes Yeben gewinnt und ges häufte Steigerung erreicht für das Hauptfapitel. Ih Hatte als Hauptfapitel fortwährend die Injcenefegung des „Julius Cäſar“ vor Augen, und dieſe fand große Schwierigkeiten, namentlich auch Berfona-Schiwierigfeiten. Denn folh ein mafjenhaftes Römerftüc machte größere Anforderungen, als die lette Holbein’jche Zeit mit ihrem Nachlaffe zu befriedigen im Stande war. Es hatte den An— ichein, als jei dies im erjten Halbjahre gar nicht möglich, umd ich meinte jehr unzufrieden jein zu müſſen, gewann aber unterwegs recht wejentliche Dinge: ein paar dauernde neue Stüde und ein paar dauernde neue Schaujpieler.

Gutfow hatte zum Jubeljahre Goethes 1849 ein Gelegen- beitsjtüc für Frankfurt geſchrieben, den „Königs-Lieutenant“, umd dafür wenig Danf geerntet, wie das zu gehen pflegt, wenn Gelegen: heits-Arbeiten größeren Anſpruch machen. Sie follen vajch ent: ſtehen, follen zahlreichen Zwecken des Augenblicks dienen und follen dann doch nicht vafch wieder vergehen, ja auch noch den Maßſtäben ewiger Kunftwerfe gerecht werden, Das tjt jelbjt Goethe nicht ge- (ungen mit größeren Compofitionen, obwohl gerade er befanntlich die Gelegenheit jehr hoch ichätste für poetifche Thätigfeit. Gutzkow's Arbeit enthielt jedenfalls mannigfache hiſtoriſche Elemente, welche für das Wiener Publicum werthvoll waren, da die Abjperrung Defterreichs vom deutjchen Dichterleben dem öſterreichiſchen Volfe gar viel ent- zogen hatte von den intimen Reizen unferer literariichen Entwidlung. Ich meinte durch eine forgfältige Infcenefegung dieſen „Königs— Lieutenant“ gefällig machen zu fünnen. Ein neuer Schaufpieler bot jich dar für die Hauptfigur; Jacob Lußberger, auch ein geborner Frankfurter. Er bejtand ziemlich aut, und das Stüd, welches an— derswo als Gelegenheitsjtück vorüberging und nur durch Gaſtrollen von Zeit zu Zeit wiedererwect worden tft, hat auf dem Burgtheater einen Platz im Repertoire erhalten.

liebrigens war für Yußberger gerade die Frankfurter Herkunft

Das Burgtbeater. 173

jehr lange ein jchweres Hinderniß des Auffommens,. Der fränfijche Stamm amNievermain, und namentlich in Frankfurt, hat in feinem Dialekte einen fingenden Nafalton zum Lieblingstone erwählt, welcher für die Bühne nicht geſucht wird. Der treffliche Frankfurter Komiker Haffel, der dortige ‚„„Bürger-General, hat mir zwar in feiner würdevollen Laune einmal verjichert, dies jei gerade ver Ton, welcher von den alten Franfen an die Franzojen übergegangen, und jujt er babe die franzöfifche Sprache zur Weltiprache gemacht. Aber dieje geichichtliche Anſchauung tft vereinzelt geblieben und jedenfalls nicht ins Theater-Publicum gedrungen, denn Lußberger litt jehr unter diefem gemeinfamen Stammlaute alter Franfen und moderner Fran— zoſen. Wie oft erlebten wir’s, daß er eine ganze Scene vortrefflich gejpielt hatte er war ein jehr tüchtiger Schaufpieler und am Ende verjelben jchlängelte fich diefer fragliche Nafalton mit naiver Zudringlichfeit in’s Schlußwort und verjtimmte das Publicum, welches jchon bereit gewejen war zum Applaufe.

Was für Mühe gab fich Yußberger auf mein Zureden, Dies Heimchen loszuwerden! Umſonſt. Sein „Daheim“ untergrub alle Mühe. Seine alte Mutter lebte bei ihm; er liebte jie zärtlich und verfehrte zu Haufe nur mit ihr. Natürlich in heimathlicher Redeweiſe. Und jo confervirte er fich bei aller Gegenbejtrebung dies Merkmal des Dialeftes. Auf Unglüd folgt Glück, pflegt man zu jagen die Mutter jtarb, und Yußberger wurde freier und freier, endlich meinten wir gejiegt zu haben. Da ad, auf Glüd folgt auch Unglüd, da, als wir ven Sieg ſchon in Händen hielten, da ſtarb Zußberger ſelbſt. Ein Herzichlag raffte ihn in voller Manneskraft hinweg.

Das war mir ein fchmerzlicher Verluſt. Yußberger war ein liebenswürdiger, jolider Mann mit guter Schulbildung, mit uner: müpdlichem Bildungsjtreben, mit eifernem Fleiße und mit jener ge junden ſchauſpieleriſchen Begabung, welche man Ifflandiich nennt, einfach, wahr und reiflih erwogen. Frei vom Dialefttone, hatte

174 Das Burgtheater.

er eine jchöne Zukunft vor fich im Fache der Väter und gejchnteis digen Charafterfpieler. Er beherrſchte auf ver Scene jein Material mit voller Sicherheit und hatte dadurch einen großen Borjprung vor jo vielen begabten deutſchen Schaufpielern, welche die Abhängigfeit vom Souffleur nicht loswerden fünnen, eine Sklaverei, die nie ein volles jchaufpielerifches Kunftwerf erreichen läßt. Darüber war Lußberger auch mit jih ganz im Klaren, und fein Streben war ein ſyſtematiſch geregeltes. Ich erinnere mich einer Streiticene auf der Probe, welche dies deutlich an ven Tag legte. Gereizt durch ein anderes Mitglied, welches den Souffleur abjolut nicht entbehren fonnte, entwarf er diefem ind Angefiht voll Zorn ein Bild vom Schaufpieler, wie er jein müßte. Er führte dies Bild mit voller Beredtiamfeit und Kenntni in raſchem Nedeitrome binnen fünf Minuten vergejtalt aus, daß es vom Stenographen jofort in die Druckerei gejchieft werden konnte und jich als ein erfchöpfendes Va— demecum für Schaufpieler dargeboten hätte. Er beſaß alle Eigen- ſchaften für einen guten Negtjjeur.

Das zweite Stück und der zweite Schaufpieler, welche unter- wegs gefunden wurden, waren „Der verwunſchene Prinz‘ und Herr Meirner.

Der heitere „Verwunſchene Prinz‘ wurde Gegenjtand einer ernjten Prineipienfrage. Diefer Prinz ift eigentlich eine Poſſe, und die Kigoriften meinen, eine Poſſe gehöre nicht aufs Burgtheater. Im Wiener Sinne haben fie auch Recht. Eine Wiener Pojje iſt etwas viel Gröberes und Bunteres, als der literariiche Begriff Poſſe in jich ſchließt. Diefer nennt ein ausgelafjenes Luſtſpiel eine Poſſe, und ein ausgelajfenes Yujtipiel ijt etwas ganz Anderes als eine Wiener Pofje. Es fommt alfo ganz auf ven Grad ver Ausgelafjen- heit an, ob das Stück in einem Schaufpielhaufe zuläſſig iſt, welches den Anſpruch auf ein erſtes Schaufpieltheater ſtreng behaupten will. Und dies ift eine feine Frage, Bei einer großen Anzahl unferer Luftipiele jagt der äfthetifche Kritifer mit Recht: es ijt mehr Poſſe

Das Burgtheater. 275

als Luſtſpiel! und es fällt uns doc) nicht ein, das Stück vom Burg— theater zu weifen. Die Grenzlinie iſt jehr jchwer zu bejtimmen, und ih habe immer gemeint, man joll jih da vor Pedanterie hüten. Fröhlichkeit ift ein gar gutes Ding. Man fol ihr nicht entgegen treten, jo lange fie nicht Neigung zeigt, trivial zu werven.

Die Franzofen wiſſen vecht gut, was jie wollen, indem fie auf ihrem jtolzen Theätre Frangais die alten Scapinſtücke mit gröbiter, ja gröblichjter Komik jede Woche aufführen. Es gejchieht nicht blos, um ihre clafjiichen Yuitipieldichter zu ehren, und neben Moliere ift Ihon Regnard nicht geradezu claffiich, und es fommen deren, die unter Regnard jtehen. Sie wollen ungebundene, natürliche Frifche, jie wollen derbe Heiterfeit, ja unmotivirte Yuftigfeit nicht ausgehen laſſen auf ihrer Scene; fie wollen den oft verzwicten modernen Re— jerven vornehmer Gefellichaft einen Widerpart entgegenhalten, da— mit der Geſchmack nicht verfchrumpfe in fünftlicher wie ängjtlicher Convenienz.

Die Warnung vor Pedanterie in dieſer Richtung gilt beſonders für ein Theater, welches ſiebenmal in der Woche Schauſpiel giebt, alſo fröhliche Abwechslung dringend braucht. Dazu unſere drama— tiſche Schöpfungskraft, welche im Luſtſpiele ſo gar ſparſam iſt und welche in ihren Luſtſpielen vorzugsweiſe nach dem Derben und Poſſen— haften neigt. Ein Theater wie das Burgtheater, welches nur Schau— ſpiel bringt, ſoll ferner auch den ganzen Umfang des Schauſpieles bringen. Zu dieſem Umfange gehört die Poſſe im feineren Sinne. Vom geſchichtlichen Herkommen im Burgtheater ſpreche ich da gar nicht. Dies Herkommen iſt nie rigoros geweſen, im Gegentheile, es iſt immer weit über das hinausgegangen, was ich meine. Poſſen wie die „Pagenſtreiche“, welche ich auf dem Repertoire fand und für den Faſchingsſonntag ſtehen ließ, ſind viel ärger, als ich für zu— läſſig erachte. Das iſt nicht ein ausgelaſſenes Luſtſpiel, das iſt eine ausgelaſſene Poſſe. Das ausgelaſſene Luſtſpiel, welches man lite— rariſch Poſſe nennt, braucht eine volle Motivirung ſeiner Wirkungen

176 Das Burgtbeater.

und unterjcheidet ſich vom Luftipiele nur dadurch, daß den Wirfungen ein freiever und breiterer Raum gelajjen wird.

In diefem Sinne hielt ich und halte ich das Genre des „Ver— wunjchenen Prinzen‘ für ganz zuläffig. Seine heitere Wirkung hat es denn auch in vollem Maße gethban, und der Verfaffer, ein an- ipruchslofer Dann in München, v. Plötz, hatte eine reine, fchöne Freude daran, das feine anfpruchsloje Arbeit auf einem eriten Theater eingeführt wurde und wohl bejtand. Es war Nachfolge jo fröhlich jinniger Arbeit von ihm zu erwarten; aber der Tod, welcher einen Zahn auf umjere Dramatifer und guten Schaufpieler hat, vaffte auch ihn bald darauf hinweg.

Herr Meirner gefiel, und es ward ein Charafter-Nomifer ge- wonnen neben dem freien Komiker Bedmann, welcher jo unvergleich- lich war in der freiheit der Komik und welchen der neidiihe Tod auch vorzeitig hinweggeriſſen bat.

Noch in einer anderen komiſchen Richtung verfuchte ich Das Re— pertoire zu erweitern. In der Richtung nach Norden, möchte ich jagen. Heinrich v. Kleiſt's „Zerbrochener Krug‘ gehört ganz zur nordischen Komif. Heinrich v. Kleijt ſtand lange auf der Senator: Lifte unferer großen Boeten. Man meinte, es müjje Alles dafür ge than werden, dem Publicum begreiflich zu machen, daß ihm einer der nächiten Seſſel nab Schiller und Goethe eingeräumt werde. Sch war jelbjt viefer Meinung und hatte vor, all’ jeine Dramen in Scene zu ſetzen. Wie weit ich damit gefommen bin, wird die Folge zeigen. Zuerjt brachte ich den „„Zerbrochenen Krug‘, der bier nie gegeben worden ; eigentlich ohne Erfolg. Er erſchien zu nordiſch, zu alt, zu gedacht, zu abjtract. Mehr Komik für den Denker als für ven Zuſchauer. Der Unterichied unjerer deutſchen Landsmann— ſchaften zeigt jich da jehr deutlih. Die märkiſche Yandsmannfchaft, zu welcher Kleift gehörte, findet das Stückchen ihrem Gefchmade zufagend, fie folgt ihm mit Behagen. Döring giebt auch den Dorf-

Das Burgtheater. 177

richter Adam viel chnifcher, ſchärfer und frecher als La Roche, und die Döring'ſche Charafteriftif entipricht dem märkiſchen Grundtone. Die norddeutſche Komik jteht eben der Kauftif viel näher als vie ſüddeutſche. Aber auch im Norden muß diefer durch die Nomantifer berühmt gewordene „Krug“ geftrichen werden bis auf die Knochen. Er ift viel zu breit für die Scene. Und dem Süddeutſchen iſt ein Körper ohne Fleifch ein mißlich Ding.

Endlih! die Maiſonne fchien Schon alühend warn kam ich an die Proben des „Julius Cäſar“. Dieſe Aufgabe wurde als das Staatseramen des neuen Directors betrachtet, und alle An— jtrengungen eines jo jchweren Actes brachte fie auch mit fih. Die großen Volfsfcenen waren in jolcher Art eine Neuerung auf dem Burgtheater, und ich hatte fie gegen ven Regiſſeur durchzufeten. Das flingt auffallend, wenn ich den Regiſſeur nenne, Anſchütz wars, ein ſonſt friedlicher, feiner Kunſt ehrlich ergebener Mann. Unfer Streit war auch fein perfünlicher, er war ein Streit um Grundſätze. Alte und neue Schule ftießen hiebet hart an einander, Anſchütz wollte nicht zugeben, daß die auf ver Dühne Agivenden gar feine gejellige Rücjicht auf das Publicum nähmen. Cr fand es re ſpectwidrig, daß fie dem Publicum fogar den Rüden zufehrten. Ich dagegen erklärte mich als Gegner dieſer gejelligen Rückſicht und be bauptete, die Scene habe alle Rechte eines Gemäldes. Ich verwies auf große hiftorische Bilder, welche ihre Größe einbüßen würden, wenn alle Köpfe und Yeiber en face oder auch nur halb en face er- icheinen müßten. So wenig im Converfationsjtüd die Schaufpieler immer nah dem Publicum zugefehrt jprechen dürften und dies ſei ja ein charafteviitiicber Vorzug des Burgtheaters, daß es den Eindruck wirklichen Lebens durch natürlichen Verkehr auf ver Bühne hervorbringe ebenjowenig dürfe das im großen biftorifchen Stücke gefchehen. Berufe man fich auf höheren Styl im höheren Stüde, wie Anſchütz that, jo meinte ich das zurückweiſen zu müſſen. Steif— heit und unwahre Wendung möge Styl heißen, ich hielte dies aber

Laube, Burgtheater. 12

178 Das Burgtheater.

für ſchlechten Styl und glaubte auch Styl zu erreichen durch Ord— nung und Gejet in der freien Bewegung.

Nach meinem Sinne eingerichtet, erſchien denn die große Volfs- fcene auf dem Forum und machte eine eleftrijivende Wirkung.

Sch jelbjt wurde bei der eriten Vorſtellung nicht viel gewahr von diefer Wirkung, denn ein literariicher Freund zog mich aus der Loge und demonjtrirte mir im Corrivor, während das Publicum im Saale fih für meine Inſceneſetzung erklärte, daß dies Alles nicht richtig wäre und dem wohlgefchulten Wiener Publicum mißfällig iverden müßte,

Sp wahr ijt es, daß wir in diefem Leben jeden Erfolg bis auf Heller und Pfennig bezahlen müſſen.

XIM.

Der Erfolg der „Cäſar“-Vorſtellung war ein vollftändiger. Er erwarb der Direction ein volles Zutrauen. Und diefes Zutrauen bat mir das Publicum mit liebenswürdiger Nachjicht für all’ meine Gebrechen bis zu meiner letten Divectionsftunde im Burgtheater bewahrt. Ich bin dafür dem Wiener Publicum zu tiefem Danfe verpflichtet.

„Julius Cäſar“ gewann hiedurch eine feſte Dauer, Troß warmer Sommerszeit fonnte ev bis zu den ferien, bis Ende Juni, jechsmal bei vollem Haufe gegeben und nach den Ferien in dem— jelben Jahre ebenjo oft wiederholt werden. Ja, er übte feine Ans ziehungsfraft einer Novität auch das nächſte Jahr aus und ift als- dann Jahr für Jahr zahlreich wiederholt worden.

Ein römifches Stüd ohne Liebes-Intrigue, nur große Staats- ereignijje darjtellend, und mit Schwachen Schlufje!

Wäre das in einer andern deutſchen Stadt, wäre das in Berlin möglih? Kaum, Man giebt dort auch „Julius Cäſar“, aber er ericheint nur nach langen Zwiſchenräumen. Und doch hätte Berlin einem ftrengen Shafefpeare-Stüce gegenüber gar Mancherlei voraus gegen Wien. Die Shafefpeare-Mufe fteht dem dortigen Bublicum wirflich näher. Die norddeutiche Landesart ift der englifchen ſchon verwandter; die literariiche Bildung iſt zahlreicher verbreitet durch gute Schulen, und der protejtantifche Geift fommt der Shafefpeare’- ſchen Gedanfenwelt vorbereitet entgegen, denn Shakeſpeare's Ge-

19%

180 Das Burgtheater. %

danfenmwelt entjprang ja der protejtantifchen Freiheit im Denken. Da wäre alfo doch Vorjprung genug, um den mangelnden Roman— reiz eines jtreng politifchen Stüdes leichter entbehren zu können. Noch mehr: das Wiener Publicum ift zwar dem Berliner darin voraus, daß es die Schönheit eines Stüdes vafcher und wärmer auffaßt, aber das Berliner folgt einer verjtändigen Compofition ruhiger und überlegter, es erſchrickt deßhalb weniger vor conjequen- ten jtarfen Ausbrüchen einer ſolchen Compoſition; es hat Nerven, welche durch ſyſtematiſche Yiterarbildung jtärfer gehärtet- find. „Dtbello” zum Beifpiel, dasjenige Stück Shakeſpeare's, welches am folgerichtigiten motiwirt und geführt ift, wird in Wien immer bis auf einen gewijjen Grad gefcheut und gefürchtet. Die Ausbrüche Dthello’scher Art haben für das eigentliche Buratheater-Publicum jtets etwas Grichredendes und Bevenkfliches und müſſen durch Shakeſpeare's Namen gedeckt werden. Das ift in Berlin ganz anders, Die Folgerichtigfeit, wenn auch noch jo grimmvoll, fagt dem dortigen Sinne zu. „Othello“ it in Berlin geradezu populär. ?

Und troß aller diejer Einenjchaften des Nüherjtehens würde ein Stüd wie „Julius Cäſar“ dort ſchwerlich eine jo mächtige und an— dauernde Theaterwirfung machen, wie es fie in Wien von 1850 an gemacht hat. Dazu it ein warmer Theaterfinn, iſt ein ſchöner Enthufiasmus für ein großes neues Stüd erforverlih, und ver naive Reſpect des Wieners für eine Größe, welche ihm unerwartet entgegentritt. Dieje naive Empfängniß iſt und bleibt eine unſchätz— bare Cigenjchaft des Wiener Publicums. Sie bringt allerdings manchmal zur Verzweiflung, wenn fie jich durch Mangel an Kenntniß verleiten läßt, jede fremdartige Aeuferlichfeit heiter und luſtig zu begrüßen, und jedes Befremdliche kurzweg anzulachen oder gar aus— zulachen. Aber ven eingebornen künſtleriſchen Grundton verleugnet das große Wiener Publicum nie. Es erfennt das Echte in der Kunſt immer und huldigt ihm jtets mit Hingebung. Und gerade vie Hin- gebung ift ihm fo eigenthümlich wie dem Pariſer Publicum. Ihr

ar Das Burgtheater. 181

vorzugsweiſe verdanft es Wien, daß es noch ein gutes Schaufpiel haben fann, während die anderen deutjchen Städte es immer mehr entbehren müſſen. Dieſe Hingebung erhöht ven Dichter und erhöht den Schauipieler.

Für „Julius Cäſar“ waren übrigens auch die Nevolutions- jtöße, welche Wien kurz vorher erjchüttert hatten, eine Vorſchule ges wejen zu geneigtem Verſtändniß. Die römijche Revolution im Stüde weckte helle Erinnerungen. Namentlich die Volksſcenen thaten dies, indem jie die NWanfelmüthigfeit und den jähen Wechjel der Volfsjtimmung zeigten.

Aber bei all diefen Erflärungen erſcheint mir immer die große und dauernde Wirkung des Stüdes höchſt merkwürdig, wenn ich es als Theaterjtücd an meinem Auge vorübergehen laſſe.

Das Stück jelbjt, von großem Geifte geführt und eine der größten Compoſitionen Shafejpeare's, leidet doch in unſerm heutigen Theater und für unjeren heutigen ausgebildeten Thentergefhmad an manchem Uebelſtande und an einem ganz unwirffamen letsten Acte.

Der Held Julius Cäſar handelt nicht, ſondern ift nur Mittel- punft der Handlung. Er verfchwindet ſogar ſchon inmitten des Stüdes. Wir müflen ung damit begnügen, daß fein Geiſt erſicht— lich fertwirft.

Dies ift eine Strecke lang meijterhaft bewerfftelligt. Sein Rächer Antonius entwidelt jich in der großen Rede und in Beherr- Ihung ver Volksmaſſen jo mächtig, daß dieſen Scenen nichts Aehn— liches in der ganzen Yiteratim Europas an die Seite zu jtellen ift.

Aber von da an werden wir inne, daß die einheitliche Triebfraft ausgeht. Die berühmte Zankſcene zwiſchen Brutus und Caſſius, die erwachende Nemeſis des bejeitigten Herrn, iſt als gut gedachte und gut geführte Scene wohl angethan, ven Geift des Zuſchauers interejfant zu bejchäftigen. Das fünftlerifche Bedürfniß des Zu: ichauers jedoch befrierigt fie nicht mehr. Sie fommt zu jpät im pramatifchen Organismus. Wir find ſchon auf ver Höhe des Endes,

152 Das Burgtheater.

und da genügt eine Scene nicht mehr, welche nur an unfer zuftim- mendes Verſtändniß gerichtet iſt. Wir brauchen da eim jtärferes, drangvolleres Moment. Da folgt die leibhafte Geifteserfheinung Cäſar's und ftellt unfere erichütterte Theilnahme wieder her. We- nigjteng einigermaßen.

Der letzte Act aber genügt uns nicht in feiner blos epifchen Führung, und er hat theatralifch ſchwere Miflichkeiten. Wir haben ung darein ergeben, jtatt des todten Cäfar einen neuen Helden zu erhalten, ven Brutus. Das ift auf der Bühne viel abſchwächender als im Yefen. Wir müffen aber auch noch einen Concurrenten mit in den Kauf nehmen, ven Caſſius, und ſchließlich müfjen wir zwei Sterbejcenen diefer zwei Helden von theatralifch ſchlimmer Gleich— mäßigfeit durchmachen. Das fühlt ab über die Gebüdr.

Ich führe dies an, um auf ven Unterfchied aufmerffam zu machen zwijchen der Theaterfritif und der Buchkritif. Letztere haben wir in fajt argem Maße über Shafejpeare, eine wahrhaftige Theater: fritif über die Shakeſpeare-Stücke haben wir in jehr geringem Maße.

Unfere Buchkritif über Shafejpeare ift befanntlich ein un- erjchöpflicher Born des Lobes, und ich will gar nicht jtreitig machen, dap fie unferem literariſchen Geijte reiche Hilfsquellen erichließen hilft, wie überfchwenglich ſie jich auch oft geberve, wie grundlos jie auch oft folgere und thürme. Aber ich muß doch einmal darauf hinweiſen, daß diefe Shafejpeare - Ktritif uns meijt ganz irrthümlich berichtet über die Wirkung der Shafeipeare-Stüde auf dem Theater. Ih würte faum einen der Shafefpeare- Erflärer, welcher darin eine Bedeutung hätte.

Gerpinus am wenigjten. Gr führt geradezu irre. Sein Urtheil über die Theaterwirkſamkeit Shakeſpeare's ilt eine völlige Merkwürdigfeit.

Wenn er fagt: dies Stüd empfiehlt ſich ganz beſonders für die Bühne, dann fann man ficher fein, es ijt nicht aufführbar. Und wenn er feine Bevenfen äußert über die Aufführbarfeit, dann kann

Das Burgtheater. 183

man jich getrojt mit der ſceniſchen Einrichtung des Stüdes bejchäf- tigen. Denn von dem Talente des Schaufpielers Shafefpeare weiß Gervinus fein Wort. Wie oft überrafcht uns dies Talent bei der Injcenejegung! Cs hat fein vramatifcher Autor jo viel ſceniſche Macht, die wir heute noch nicht mit all’ unferer Claſſificirung ver Effecte hinreichend erflären fünnen, als gerade Shafejpeare, Er war auch darin ein Genie.

Aber er hatte eine ganz andere Bühne, als wir fie haben, und feine Zufchauer machten ganz andere Anſprüche, als die unferigen fie machen, und um über Theaterwirfung Etwas vorausfagen zu fönnen, muß man eben eine plaftiihe Phantaſie haben. Juſt diefe aber geht zumeift Gelehrten ab. Sie find vorzugsweife Denker, nicht Künftler. Und gerade Gervinus ift völlig verlaffen von jedem Atom plaftiicher Phantafie. Man braucht nur feinen Styl anzu— ſehen, eine wahre Tortur für ven Yefer, welcher irgend ein fünjt- feriiches Bedürfnig hat. Die Gedanfen drängen fich und jtoßen fi in dunfler Kammer. Gervinus fieht fie jelber nicht; er hat nie eine Anſchauung und fann deßhalb auch feine geben.

Es gehört zu unferem deutſchen Schidjale, daß eben ſolch ein Mann reich an Kenntnijjen und unermüdlich im Fleiße, aber ohne jede plaftifche Fähigkeit Über unfere Poeten zu Gerichte ſitzt. Die Grund» Elemente der Poefie, naive Anjchauung und glüdliche Gejtaltung, find feinem Naturell verjagt, ev muß feinem Wejen gemäß die Dichter nach Gedanken » Kategorien mejjen und muß alfo Poeten wie Goethe aufs Aerajte mighandeln.

Bei einem Landsmanne wie Goethe thut das weniger Eintrag. Der fteht unferem Verſtändniſſe jo nahe, daß umverftändiger Tadel an uns abgleitet. Aber wenn der Kritifer ohne Augen über die Wirkung blos gelefener Dramen redet, dann muß ev den Yejer ivre- leiten. Glücklicherweiſe ift er durch den großartigen Geiſt Shafe- jpeare’s jo eingenommen für diefen Dichter, daß er auch das lobt, was er nicht fieht, und jo wird fein reichlich gefammeltes Material

184 Das Burgtheater.

immerhin werthvoll, jeine ratlos und unruhig combinivende Dia- (eftif immerhin anvegend, wenn man jich durcharbeitet durch das

Dornengeftrüpp feiner Rede, und wenn man auf der Huth bleibt bei N)

jeinen Folgerungen, Aber vor feinen Berfündigungen der Shake ſpeare'ſchen Theater » Effecte möge Jedermann gewarnt fein.

Was die Einrichtung des „Julius Cäſar“ fir unfere Scene betrifft, jo bin ich jehr vorjichtig zu Werke gegangen. Es war das erſte Stück, welches ich für die Aufführung redigirte, und da ift man noch ſehr ſchüchtern. Yängere Theaterführung macht in diefem Punkte dreift, ja gewaltjam,. Das unmittelbare Yeben jtellt gebie: teriiche Forderungen, und die offene Scene mit dem anmwejenden Publicum ijt unmittelbares Yeben. Da hören alle erlernten Rüd- fihten auf; man will und muß bejtehen, und das Publicum da unten fragt nicht nach literariicher Gefchichte, es fragt nur, ob das da oben dargejtellte Stüd jeinen lebendigen Anfprüchen genügt.

Der Theater-Director Schröder, welcher das große Verdienſt hat, Shafeipeare auf der deutſchen Bühne eingeführt zu haben, iſt am gewaltjamjten vorgegangen.

Die literariiche Kritik hat auf der anderen Seite ven Beruf, das Driginal zu vertheidigen gegen die Abänderer, und dadurch die Ab- änderer in Schranfen zu halten. Der gefchichtliche Verlauf jtellt das Gleichgewicht her zwijchen Beiden. Gebiert die- Abänderung ein dauerndes Stück, danıı wird die literargefchichtliche Eimwirfung wirkungslos; gelingt das nicht, dann wird ver frevelhafte Theater: Director gejtäupt. Das Bedürfniß nach neuen Stüden zwingt ihn aber Schon morgen wieder zu neuen Verfuchen; denn das lebendige Bedürfniß refpectivt fein Verbot, es gehe von bürgerlicher Polizei aus oder von literarijcher Polizei.

‚Julius Cäſar“ bedarf in feinem Baue auch für unjere Scene feiner wejentlichen Veränderung. Nur im lesten Acte macht das ſceniſche Arrangement eine Zufammenziehung nöthig.

Einige Wochen nach dem „Cäſar“, alfo mitten im Sommer,

Das Burgtheater. 185

brachten wir „Roſenmüller und Finke“, von Töpfer, zum evjten: male. Ich machte feine Umſtände und legte es in jo ungünftige Sahreszeit, für welche man fich ſonſt jeder Neuigfeit enthält, weil ich ein Ichlechtes Gewilfen hatte mit vem Stücke. Unfere praftifchen Luſtſpiele nehmen ſich in der Yectüre gar gröblich aus und gar be— denflih. Che das frische Gelächter die leeren Stellen ausfüllt, erjcheinen jie verzweifelt ordinär. Ich hatte auch noch zu wenig Praxis, um hinreichend zuverfichtlich zu fein in diefem Punkte. Und die erjte Aufführung gab meiner jungfräulichen Echeu vollftändig Recht. Das jett jo beliebte Luſtſpiel wurde am erjten Abende unzweideutig abgelehnt. Dean hatte viel gelacht, ſchwieg aber gegen den Ausgang und zifchte am Ende,

Dies will im Burgtheater jagen: das Stüd läßt jich leidlich an, genügt aber doch ven Anforderungen nicht, die wir zu jtellen berechtigt jind. Beim Schaufpiel und Trauerpiel ift dies ein Ver— dict, von welchem es feine Appellation giebt. Die Leute fommen da eben nicht zur zweiten Vorftellung. Beim Yujtipiele aber giebt es eine Appellation. Die Erheiterung iſt ihnen zu nothwendig. Man erzählt zu Haufe: claffifch ift das Stüc nicht, es ſündigt viel- fach, aber es unterhält doch. Kann man fogar jagen: es unterhält luſtig, dann fchwinden alle Bedenflichfeiten und die Yeute fommen zahlreich zu ven Wiederholungen. Dann hat das Stüc feinen kritiſchen Abmweis erlebt, das Gewifjen ijt beruhigt und es findet feinen prak— tiichen Erfolg zu männiglicher Unterhaltung. So hat es fich ereignet mit „Roſenmüller und Finke“.

Ohne diefen praftifhen Ausgleich fünnte auch fein Theater bejtehen; denn es werden gar wenig Stücke gejchrieben, welche ver Kritif und dem Bedürfniſſe der Unterhaltung gleichmäßig genügen.

Einige Monate jpäter verichafften wir uns jelbjt, Regiſſeure und Director, eine originelle Unterhaltung. Wir trachteten ein Stück aufzuführen, in welchem lauter ungejtüme Jugend zu toben hat, und wir wollten einen großen Theil diefer ungejtümen Jugend

156 Das Burgtheater.

durch alte Herren darftellen laſſen. Theile fehlte wirklich noch die hinreichende Anzahl junger Schaufpieler, theils follte ung jolch eine würdevolle Beſetzung als Paflirfchein dienen. Wenn die Behörde jähe, daß Papa Anfchüt einen wilden Jüngling fpielen wollte, fo war das, meinten wir, eine Zuficherung, daß nichts Ungebührliches beabfichtigt würde,

Wir wollten Schiller’s „Räuber“ auf's Burgtheater bringen. Sie waren im Theater an der Wien gegeben worden, im Burg- theater aber nie. Die Cenfur war in frühefter Zeit Dagegen ge— wejen, und eine unklare Scheu vor Nohheit gab der Cenſur Recht. Schreyvogel hatte meines Wiffens feinen Verfuh gemacht; in Deinhardftein’s Leichtes Weſen paßte ſolch ein urwüchjiges Stüd gar nicht, und Holbein hätte wohl in den fetten zwei Jahren Ge— legenheit dazu gehabt, er gehörte aber in eine Beamtenrichtung, welche mit Wagner im „Fauſt“ dergleichen fcheut, „weil ich ein Feind von allem Rohen bin”. Negierungsrath v. Holbein war ein gewiljenhafter und ehrenhafter Beamter, welcher in allen Ver: waltungs-Angelegenheiten Sorgfalt, Strenge und Muth entwidelte; in allen Fragen aber, welche das Theater mit Politik in Berührung brachten, war er ängſtlich und zaghaft.

So lagen denn die „Räuber“ Anno 1850 noch für das Burg: theater wie auf einer unnahbaren Infel im fernen Ocean. Wir aber rüfteten eine Expedition, um dieſe Infel zu erobern. Anſchütz Itand als Schweizer auf dem Ded, Yöwe als Spiegelberg, und fo fort lauter erfahrene Jünglinge; Fichtner als Hermann der Bajtard jtach beinahe ab. Die beliebte Form für zu hoch oder zu niedrig bängende Früchte, das Geſuch um eine Wohlthätigfeits-Vorftellung, war umfere Flagge, und nicht ohne Zagen meldeten wir uns mit diefem vwerwegenen Unternehmen bei unferer Behörde. Als wir eintraten, flüfterte mir Anfchüß zu: Doctor! Wir erleben ein Uns glück und werden mit Schimpf und Schande fortgejagt.

Ih muß vorausſchicken, daß unfer Chef, welcher zu Anfang

Das Burgtheater. 187

für eine große Schaar von Stüden die rothen Kreuze gemacht, im Laufe des Jahres etwas milder geworden war. Er war ein Torh und ftreng in jeinen Grundfäten, welche mit dem Liberalismus der zeit wenig Gemeinjames hatten. Aber er war einer vorfichtigen, logijhen und ehrlichen Beweisführung nicht immer unzugänglich ; er war günftig gejtimmt durch die Erfolge, welche vem Theater gelangen, und er handelte nicht gern gegen die Strömung, welche eben an oberjter Stelle herrichte. Diefe Strömung war im Jahre 1850 noch nicht ausgefprochen anti-liberal. Man hatte noch zu viel aufzuräumen und vorzubereiten, ehe man an die Aufhebung einer Verfaſſung denken fonnte, welche unter freifinniger Form ganz Dejterreich zufammenhielt und der Verbejjerung fähig war. Graf Lanckoronski, ein Schwager Stadion’s, ließ fih damals wohl noch daran erinnern, dar fein Schwager ftarfen Antheil habe an dieſer liberalen Verfaſſung und daß unter folchen Umftänden wohl auch die „Räuber“

„Die Räuber?!‘

Bon Schiller, wurde [hüchtern hinzugefetst, um ven bösartigen Titel zu entfchuldigen.

Gr lächelte zu dem abenteuerlichen Jünglingswunſche ver alten Herren, aber er fehüttelte doch langjam das Haupt und zeigte wenig Luft, ihn zu gewähren.

Es ijt merkwürdig, was dies erfte Stück Schiller’s den Yeuten zu Schaffen gemacht, was für lodernde Sympathien, was für grim- mige Antipathien e8 gewect hat, Der ganz neue Kern eines Genies, welcher zum erftenmale vor den Menſchen erjcheint, macht eben als ganz neun und ımerhört den heftigiten Eindrud, War es nicht bei Goethe ebenjo aewefen? Sein „Göß von Berlichingen‘ jette die ganze ventjche Welt in Bewegung. Nur war Goethe ein fried- liches Naturell, Schiller aber ein friegerifches. Die ‚Räuber‘ alfo fetten in Flammen, während „Götz“ nur in Bewegung gejett hatte. „Louiſe Millerin‘‘, wie „Cabale und Liebe“ zuerjt hieß, war nicht

188 Das Burgtheater.

minder arg, fie griff bis zum Aufzucden ſchmerzhaft in die Wunden der Gegenwart, in Standes= und Regierungswunden, aber die Welt Ichrie nicht mehr. Sie fannte bereits diejen neuen Kern einer genialen Kraft, Beim zweiten Stüde ift ver Schred ſchon escomp- tirt, wie man in der Börſenſprache fagt.

An den „Räubern“ ift diefer Schred immer haften geblieben, In Dresden lebte während der Dreifiger Jahre unjeres Jahrhun— derts ein alter ruſſiſcher Fürft, der fonnte vierzig Jahre nad) Er— ſcheinen der „Räuber“ jein Entjegen über dies Stück nicht los— werden, Es hatte fich zum Haß ausgebildet, er hafte die ‚Räuber‘ wie die Sünde, und jo oft fie in Dresden aufgeführt wurden, jo oft wiederholte er folgende Worte: „Wenn ich Gott jelber wäre und im Begriffe jtünde, diefe Welt zu jchaffen, zugleich aber voraus— jähe, daß die „Räuber“ in diefer Welt gefchrieben und mit Beifall aufgeführt werden ſollten ich ließe diefe Welt ungejchaffen‘‘,

Zu ummwilligem Erjchreden des Dresdener Intendanten, des Herrn v. Yüttihau, hatte ich in den „Karlsſchülern“ dieſe Worte dem Herzoge Karl in den Mund gelegt. Herr v. Yüttichau beſchwor mich, dieje Uebertreibung zu jtreichen. Sie hätte ihn lange genug von dem alten Ruſſen geärgert. Ich lehnte das aber lächelnd ab.

Jetzt kam die Strafe, „Die Räuber‘, welche ich nun brauchte, waren auf dem Punkte, lächelnd abgelehnt zu werden. in Mit- glied meiner Behörde hatte dieje ruffiichen Worte aus den „Karls— ſchülern“ fennen gelernt und citivte fie in diefem fritiichen Augen— blicke. Glücklicherweiſe ging dies Mitglied, welches wirklich eben- falls einen tiefen Abjcheu begte vor den „Räubern“, in feiner ans flagenden Beweisführung bis zum Aeußerſten: es malte die Folgen einer „Räuber“Aufführung dahin aus, daß junge Yeute in Mähren oder Böhmen dadurch veranlaßt werden fünnten, auch heutigentags in die böhmischen Wälder zu ziehen und eine Räuberbande zu bilden !

Das wirkte, wie jede lebertreibung wirft. Warım nicht gar!

Das Burgtbeater. 189

rief der Chef, und gab die Erlaubniß zur Aufführung ver „Räuber“ freilih zunächit nur für den Wohlthätigfeitszwed. Meine Sorge war nun, das Stüd für immer zu gewinnen, indem ich es fo zur Anſchauung brächte, wie es wirklich ift, nämlich unter Hervorhebung feiner moralifchen Folgerungen und jeines moralifchen Strafge richtes. Ich ging alfo auch im letten Acte ab von der herkömm— lichen Mannheimer Einrichtung, welche den Franz am Yeben erhält und nur in den Thurm werfen läßt. Aus diefem Thurme bat er böchjt wahrscheinlich Befreiung zu erwarten, nachdem der Majorats- berr Karl fih dem Galgen überantwortet hat. Ich ließ ihn ich erdrofjeln, wie's Schiller gewollt, und ließ dem Karl alle die mora— lichen Verſöhnungsworte, welche herfömmlich gejtrichen werden. Und fo gelang es uns, durch nachdrüdliche Betonung des geiftigen Inhalts und durch kräftige Motivirung der Wildheit im Stüde einen Eindruck der Vorftellung zu erreichen, welcher nicht roh war und dem Stüde eine dauernde Stätte gewann. Die „alten Herren‘ halfen dazu wejentlich, indem die wilden Reden in ihrem Munde eine folive Begründung erhielten. Anfchüt arbeitete die große Rede von der Befreiung Roller’s zu einem rhetoriſchen Meijterjtüde aus, und Löwe's Spiegelberg wurde zum Cabinetsſtück eines lebensvollen Wichtes. Die jungen Kräfte, Wagner als Karl, Dawiſon als Franz, beflügelten fich neben den Veteranen, und fo entjtand eine Borftellung voll Ungeftim und Drang und doch jo voll innerer Ber deutung, daß ſie auch jetst noch nach Verwandlung der alten in junge Räuber eine Zierde des Nepertoires ift, nicht blos ein unverwüft- liches Zugſtück.

Man ift in Karlsruhe neuerdings damit vorgegangen und einige Theater find nachgefolgt, das Stück im Nococo-Coftün zu geben. Ich ſehe varin feinen Gewinn. Im Gegentheil. Bekannt— lich wurde das Stüd gegen Schillers Wunſch in die fernen Zeiten des allgemeinen Yandfrievens zurückverlegt. Dalberg verlangte es. Das war übertrieben. ES aber modern zu machen für Schiller’s

190 Das Burgtheater.

Jugendzeit und ihm das Coſtüm des jiebenjährigen Krieges zu geben, weil die Schlacht bei Prag erwähnt wird, das heißt das Wort über den Geift fegen und dem Stüde ſchaden. Rococo-Coſtüm hat etwas Zierliches, Enges, Geputtes und ijt dem Inhalte der „Räu— ber“ gar nicht zuträglich. Die Nococofleider und die rohen, wilden Studenten in Leipzig ftimmen nicht zufammen. Franken, wo ein Theil des Stüces fpielt, war im jiebenjährigen Kriege jo wenig vom Kriege berührt, daß das Walten einer jolchen Räuberbande nicht wohl möglich war. Im dreißigjährigen Kriege dagegen war ganz Deutfchland jo herrenlos und regierungslos, daß alle Phajen des Stüdes möglich find; eine Schlacht bei Prag gab's zufällig auch, und das Coſtüm ift malerifch, dem Inhalte entiprechend. Wir geben deßhalb vie „Räuber“ in der Tracht des dreißigjährigen Krieges.

XIV.

Wenn ein Jahr um ift, überzählt der Hausvater, was Alles geichaffen worden ift im Laufe dejjelben, und freut fich dankbar, wenn die Thätigfeit groß geweſen und auf mancher Arbeit der Segen geruht hat.

Das Burgtheater hat es wahrlich in den leiten achtzehn Jahren an Arbeit nicht fehlen laſſen. Der Leſer wird es vielleicht mit Schreden gewahr, daß wir immer noch nicht über dies Cine Jahr 1850 hinausfommen, und daß ich ihm auch jett noch nicht jogleich in’s Jahr 1851 hinüber laſſen fann.

Es find noch Neuigfeiten übrig, welche jich bis jett auf dem Kepertoire erhalten haben von Benedir „Eigenſinn“ und „Die Hochzeitsreife”, von Lederer „Häusliche Wirren” und von franzö— jifchen Bearbeitungen ‚‚Die Königin von Navarra‘, Moſenthal's „Deutsches Dichterleben‘‘ ift auch über ein Jahrzehnt erhalten worden.

Außerdem muß ich des Syſtems gevenfen, welches ich in der Einleitung bezeichnet habe, des Syſtems immermwährender neuer Infcenejeßungen, durch welche das hiftorijche Repertoire von Shake— ſpeare und Leſſing herab vollſtändig gemacht und vollftändig erhalten werden Jollte,

Dieſe ſyſtematiſche Arbeit, welche unfer Theater vor allen deutichen Theatern auszeichnet nur Karlsruhe verfolgt ein ähn— liches Ziel hat uns unjchätbare Anregungen und Ausbeute ges währt. Reicher poetifcher Inhalt und Mannigfaltigfeit des Inhalts

192 Das Burgtheater.

iind eben ein Schaß, deſſen Werth unbejchreiblid. Ein Stüd, welches vor Jahren unfruchtbar vorübergegangen, findet plößlich bei jeiner Wiederfehr günftige Witterung, es paßt plößlich zur Stim— mung des Tages, und feine früher umbeachteten Samenkörner Ichießen nun in Halme, Blüthen und Früchte,

Dadurch gerade wird das Theater fo wichtig für geijtige Ent- wicklung eines Volfes, daß es Anfchauungen, Gedanfen und Fol- gerungen in umerjchöpflichen Maße auch an die große Zahl von Menſchen bringt, welche ſonſt weder Zeit noch Gelegenheit haben für ſolche Anſchauungen, Gedanken und Folgerungen. Wer ermißt, wie viele Genies umter dieſen Menſchen befruchtet werden durch ein Stück, durch eine Scene, duch ein Wort im Theater?!

Ueber dreißig neue Infcenefeßungen brachte das Jahr 1850, Darunter „Medea“, „Traum ein Leben‘, „Minna von Barnhelm‘, ‚Nathan‘, „Emilia Galotti”, „Romeo und Julie“, „Braut von Meſſina“, „Fiesco“, „Don Carlos”, „Feſſeln“, „Gönnerſchaften“.

Von den neuen Stücken verdienen noch Lederer's „Häusliche Wirren“ eine kurze Betrachtung. Sie haben wie ſeine „Geiſtige Liebe“ etwas Specifiſches für die Wiener Welt.

Eine geringe Handlung, welche ſich intim und behaglich ab— ſpinnt, iſt in Norddeutſchland nicht genügend, genügt aber in Wien, wenn der Dialog unterhält. Und doch beſteht ein franzöſiſches Stück mit geiftvollem Dialoge in Wien nicht, ſobald ihm eine hin- reichende Handlung fehlt.

Wie fommt das? Die Art des Dialoges entjcheinet. Der franzöfifche mag noch jo geiftreich fein, er bejchäftigt nur unferen Verstand, er befchäftigt nicht unferen ganzen Zuhörer, Der Dialog Lederer's aber hat etwas Heimathliches. Lederer ftammt aus Prag und hat lange in Wien gelebt. Er ijt ganz anders als Bauernfeld, aber er hat mit diefem doch gemein, daß er aus unjeren Gedanfen- freien heiteren Wendungen aufwachſen läßt. Wir ſind alſo mit der Wurzel vertraut und jede Wendung erinnert uns an unſere

Das Burgtheater. 193

geiftigen Proceſſe. So erfcheinen uns die Worte voller als einem Fremden; fie berühren hunvdertfach unfere Erinnerung, fie haben Etwas von unferer Gefchichte, Und darin ift jedes Publicum egoi- ſtiſch: das Eigene ift ihm viel intereffanter als das Fremde,

Lederer ift Jude, fo viel ich weiß. Aber er ift öfterreichijcher Jude: die jüdiſche Witesader, dem jplitterrichtenden Talmudweſen entjpringend, iſt nur die VBeranlafjung feines Wites, der Inhalt feines Witzes ift ein öfterreichifcher Inhalt, und deßhalb jagt er ung zu, und wir lachen behaglich über ihn. Dieſe behagliche Wirfung erhält die „Häuslichen Wirren” auf unjerem Nepertoire,

Sch freue mich jtets, wen ich nach Dresden fomme, wo Lederer jest lebt, und dem talmudiftifchen Luftipiel-Autor erzählen fann, wie die Dinge im Burgtheater ſich gejtalten. Er fennt Alles, ev wohnt eigentlich im Burgtheater; er ift nur auf Reifen jeit jo und jo viel zwanzig Jahren. Er trägt auch noch den dunfelgrünen Rod, den er damals im Burgtheater getragen; Enthufiaften jagen, er trage auch noch denjelben Hut

Und nun endlich zum letten wichtigen Greignifje des Jahres 1850!

Dem Burgtheater fehlte die erjte tragiiche Liebhaberin. Frau Magner fonnte nur einen Fleinen finnigen Theil diefes Faches aus— füllen, und die ältejte Anſchütz'ſche Tochter Augufte, Frau Koberwein, welche dies Rollenfach befaß, war franf, Mean hielt fie für bruft- frank und hatte wenig Hoffnung für ihre Genefung, wenigſtens nicht für eine Genefung, welche anftrengende tragijche Rollen er: möglichen könnte,

Es galt alfo umzufhauen. Cine erjte tragiiche Liebhaberin ift das Herz des Schaufpiels. Was fann ein Schaufpiel fein ohne jolches Herz?! „Was iſt das Leben ohne Liebesglanz!“ jagt heut— zutage jeder Theatergänger mit Bewußtjein.

Ich kannte ein weibliches Talent, welches für meinen Gefchmad

die mwichtigften Anforderungen erfüllte: Eine ſchöne Geftalt, ein Laube, Burgtheater, 13

Ber

194 Das Burgtheater.

edles, jeglichem Ausdrucke edel folgendes Antlit, ein weiches, wohl- thuendes Organ, ein poetiicher Sinn, eine reine, einfache Bildung. So viel auf einmal! Und davon wußte man in Wien Nichts?!

Dem ilt doch jo. ES gehört dies in das Kapitel vom Nicht- engagiven von 1840 bis 1850. Herr v. Holbein hatte die beite Gelegenheit gehabt, dieje Yiebhaberin fennen zu lernen. Sie hatte unter ihm längere Zeit in Hannover gejpielt, fie jtammte aus Oeſterreich, fie hatte Nichts jehnlicher gewünſcht, als in's Burg- theater zu fommen. Er jelbjt war von Hannover nach Wien über: gejievdelt als Director des Burgtheaters, aber die blonde Marie hatte er nicht berufen.

Sie hatte in Dresden ein Engagement gefunden und fich dort einfach umd jchön entwidelt. Dort hatte ich ſie Jahr für Jahr ge- jehen, wenn ich mit einem neuen Stüde hinfam, und hatte immer erfannt, daß fie ein Schaf fei für das deutſche Schaufpiel, ein weib- liches Herz, wie es dem Theater jelten beicheert wird.

Ich lud jie gleich im eriten Jahre meiner Direction zu Gaſt— rollen. Sie fam und jpielte Maria Stuart, Jungfrau von Or- leans, Julia, Youije in „Cabale und Liebe‘, Eugenie in Raupach’s „Geſchwiſtern“, Anna Hyde im „Billet“, einem vorübergehenden Stüce ver Frau Dirch-Pfeiffer, und Eboli im „Don Carlos”,

Sie gefiel, ohne jedoch eine größere Bewegung hervorzurufen.

Hatte ich mich getäuſcht und fie überihätt? Ich war nicht der Meinung.

Das Ebenmäßige und Harmonische fteigert jeine günjtige Wir- fung, je länger es betrachtet wird.

Die Venus von Milo im Youpre frappirt nicht jogleich durch blendende Schönheit. Aber je länger man fie betrachtet, vejto flarer und veiner tritt es in unfer Auge, und durch das Auge in unfere Empfindung, und durch die Empfindung in unfer Verſtändniß, daß die reine Schönheit vor uns ſteht.

Das Burgtheater. 195

Jenes Ebenmäßige und Harmonische war aber ver Hauptvor— zug dieſer Künftlerin.

Darauf baute ich und verfuchte alfo, trotz nur mäßigen Er- folges im erjten Gajtjpiele, fie dauernd für das Burgtheater zu ge— winnen.

+ Das jchien unmöglid. Sie war feit an Dresden gebunden, und der dortige Intendant, Herr v. Yüttichau, wußte jo gut wie ich, was ſie bedeutete; er gab fie nicht frei.

Da ſchloß ich mit ihr ein Gajtipiel ab, welches in jedem Früh— jahre jich erneuen jollte. Es ift jchon Etwas, meinte ich, in jedem Srühlinge eine Reihe poetiſcher Eindrüde zu empfangen, echt und ihön! Das Publicum gewinnt, die Schaufpieler gewinnen, das Theater gewinnt. „Ein großes Muſter weckt Nacheiferung und giebt dem Urtheile höhere Geſetze“, jagt ver Dichter, und das gilt für die Schaufpielfunft im höchjten Maße.

Und jo ijt es geſchehen. Frau Bayer-Bürd fam wie „dus Mädchen aus der Fremde’ mit jedem jungen Jahre zu uns, und ihre Vorzüge wuchfen in den Augen des Publicums mit jeder Wiederkehr, und wir verdanfen ihr jchöne Genüffe. Grillparzer’s Liebesprama von „Hero und Leander“ fnüpft feine Auferftehung an Frau Marie Bayer, die Tochter eines hochverdienten Schaufpielers in Prag.

Hiemit jcheiden wir vom erjten Jahre. Im zweiten Jahre verfuchte ih dem „Julius Cäſar“ würdige Genoſſen zu bringen, „Heinrich den Vierten” und „Coriolanus“, und verfuchte Luſtſpiele zu erweden aus vem Nichts. Es wurden Preife ausgejchrieben für die beiten Luſtſpiele, und die heiter fein wollenden Vögel famen an wie die Staare, wenn die erjten linden Yüfte wehen, wie die Staare in Schwärmen,

Es iſt jehr wohlfeil, über ſolche Preisausfchreibungen zu jpot- ten mit ver Bemerkung: das nütt ja Nichts; denn die Muſe läßt fih nicht commandiren, fie läßt fich nicht durch Geld verloden, und

lag

196 Das Burgtheater.

beftellte Arbeit ift im Reiche der Mufen Nichts werth. Ya doc! Aber ein Yuftipiel bat Fein fo fchweres Gemifjen, und ein Luſtſpiel ijt gar ehr von der Gelegenheit abhängig. Es hat etwas von der we— benden Locke der vorüberfliegenden Göttin, welche rafch ergriffen jein will.

Nun, man muß die Göttin Gelegenheit eben fliegen machen und dies verfünden, damit die Schriftiteller veranlaßt werden, auf- zufchauen und nach der wehenden Yode zu greifen. Viele jchauen eben nur auf, wenn man ihnen zuruft: Habt Acht! Setzt fliegt die Göttin vorüber, richtet euch auf!

Der Generalsdntendant Baron Münch hat ganz recht gethan, wiederum einen Preis auszufchreiben für das bejte Luſtſpiel.

Es iſt auch gar nicht wahr, dar die Preisausfchreibung 1851 Nichts zu Stande gebracht habe. Sie hat jehr Viel zu Stande ge- bracht, und das will ich jest erzählen. Vielleicht macht es den Poeten Muth zur heutigen Arbeit um Preis und Ruhm.

Die Preiscommiffion erfannte ganz deutlich, daß Bauernfeld's „Kategoriſcher Imperativ‘ zweifelhaft jei für vollen Erfolg auf der Bühne, weil jein letter Act nicht mächtig und wirkſam genug die aufgeworfene Frage löſt und fchlieft. Sie ſagte ſich aber: Dies Stüd hat allen anderen voraus literariihen Ton. Und fie war der Meinung, diefe Eigenjchaft müſſe in erfte Linie geftellt werden.

Darin hatte fie auch Recht. in geringerer Theater» Erfolg iſt bei einem Preisſtücke wiel eher zu verfchmerzen, als der Vorwurf, daß man ohne irgend einen höheren Gefichtspunft das Alltägliche gefrönt habe. Yetsteres gejchieht oft genug im Theater, eine Preis- commifjion muß das Alltägliche grundjäglich vermeiden.

Die zwei anderen Preisftüde, über welche das Publicum ent- beiden jollte, haben vollfommen ihre Schuldigfeit gethan für das Repertoire, Sie jind zur Heiterkeit des Publicums oft und lange gegeben worden, und das eine jteht jest nach jechszehn Jahren noch

Das Burgtheater. 197

im Kepertoire. Iſt das was Geringes? Ein Theater - Director antwortet: D nein.

Dieje beiden Stüde waren: „Der Liebesbrief“, von Benedir, und „Das Preisluſtſpiel“, von Mautner. Beide fümpften lange um die Palme unter lebhaften Zudrange und lebhafter Aeußerung des Publicums. Sit dies was Geringes? D nein. Yebhafte Theilnahme für ein Theater zu entzünden, ift das preiswirdige Ziel jeder Theater-Direction. Und wie gründlich und heilfam wird bei jolher Wahlprüfung die Theilnahme des Publicums entzündet ! Es hängt eine Entjcheivung davon ab, wie jich das Purblicum äußert, und das Publicum ift jich bewußt, daß es eine Entjcheidung zu geben babe, daß es aljo aufmerfjam fein müffe und gewifjenhaft. Be— zweifelt man, daß dies eine gute Bewegung in’s Publicum bringt? Eine jehr gute Bewegung bringt das. Der Gejchmad giebt fich Rechenschaft, er bethätigt fich mit Bemwußtjein. Iſt dies was Geringes ?

Die Entſcheidung erfolgte zu Gunften des „Preisluſtſpiels“. Dies wurde nämlich noch ftärfer und noch länger vom Publicum befucht als „Der Liebesbrief”. Und num begann das allerliebfte Protejtiren gegen dieſe Entjcheidung. Dazu mußte ja wieder friti- ihe Dramaturgie entwidelt, e8 mußte mit äjthetiichen Waffen ge- fochten werden; die Unterfuchung, was zu einem guten Luſtſpiele gehöre, ward Tiſchgeſpräch. Eitel Gewinn für's Theater.

Am Ende wälzte fich gar die Schlacht in's Neich hinaus. Jede Stadt wollte in ver Yage fein, den Wiener Wahrfpruch zu prüfen, jede Stadt wollte alfo die Stüde jehen. Köln am Rhein machte einen Heidenjpectafel. Sonſt eine Stadt, die gar Nichts für's Theater thut, war jie jeßt ganz aus dem Häuschen darüber, daß nicht ihr Benedix obgejiegt hatte. Benedix lebte nämlich damals in Köln, und Köln tobte jett gegen Wien, wie einjt Theben gegen Athen. „Das ift ungerecht von den Wienern“ jchrie Köln ‚Nie haben nur einen Wiener wählen wollen, denn „Das Preis-

198 Das Burgtheater.

luſtſpiel“ bat uns viel weniger gefallen als „Der Yiebesbrief‘‘; „Der „Liebesbrief“ iſt hundertmal bejjer, hob „Der Liebesbrief” ! Und im Kölner Theater, das font verrufen war wegen literariicher Theilnahmlofigfeit, wurde jett Tag für Tag „Der Liebesbrief“ aufgeführt, und nach jedem Actſchluſſe rief das Publicum einftimmig: „Tuſch für Roderich Benedir! Tufh! Und der dortigen Theater: fitte gemäß mußte das Orchefter dreimal am Abende das Stüd hat drei Acte Tuſch blajen für den kölniſchen Dichter, und das ganze Haus rief: „Hoch Benedix!“ Iſt das was Geringes ? Ganz Deutfhland, um nicht zu fagen ganz Griechenland, ergriff Partei in der Lujtipielfrage. Was hatte je die Kölner verführt zu jolcher Intimität mit dramatiſcher Piteratur! Das Alles hatte die Preisausfchreibung gethan.

„Das Preistuftfpiel‘‘ jelbft aber, beißt es, verdient ja doch kaum confervirt zu werden in Betracht feines äſthetiſchen Werthes.

Das laſſe ich dahingejtellt fein. Ich geſtehe fogar ein, daß die Schaufpieler vom Anfange an bis jest hartmädige Gegner des Stüdes waren und find, indem fie die Sprache unflüffig, feuilleton— artig, undramatiich nennen. Aber ich behaupte ebenjo hartnädig: es muß doch ein eigener Reiz vorhanden jein, wenn ein Stüd ſich ſechszehn Jahre lang immer gut befucht erhält! Und der ijt auch vorhanden. Cr liegt in dem herzhaften Griffe nach dem Gelegen- beits-Thema. Die Gelegenheit war bedeutend genug; fie flugs zu ergreifen und zu verwerthen, brachte etwas Lebensvolles mit ſich, was nicht zu verwiſchen tft. Die Preisausjchreibung jelbjt zum Gegenſtande des Luſtſpiels zu machen, das war natürlich und praf- tifh, und das Natürliche und Praftifche hat immer eine gewiſſe Dauer. Ein inhaltreiches Thema des laufenden Tages friichweg in leivlicher Faflung auf die Bühne zu bringen, das war lange Zeit nur Sache ver Franzofen. Jetzt find wir auch darauf gefommen, und „Das Preistuftipiel” hat beigetragen, uns auf dieſen Weg zu bringen ; das ift wiederum nichts Geringes.

Das Burgtheater. 199

Ih höre lachen. Warum lacht man? Weil ih mir fo viel Mühe gebe um dies „Preisluſtſpiel“? D, man wrt ſich. Dies „Preisluſtſpiel“ ift feineswegs mein Trumpf für Vertheidigung der Preisaufgaben. Ich habe einen Trumpf in petto, den Niemand eriwartet.

Der Termin nämlich für Einfendung von Preisjtüden war vorüber. Seit vierzehn‘ Tagen etwa nahm die Commiffion fein Werbeftid mehr an. Da fam folb ein unglücdlicher Nachzügler. Er wurde an mich gewiefen. Und wer war dieſer forglofe Mann, der zu langjam gejchlendert war? „Der geheime Agent‘ war's, von Hadländer.

Er Fam zu jpät für die Preisgewinnung ; aber er kam als Kind der Preisausjchreibung.

Er war entjtanden, weil der Preis ven Verfaſſer gelodt over doch veranlaßt hatte. ft das was Geringes?

Die damalige Preisausichreibung hat alfo das beite Luſtſpiel zuwege gebracht, welches neben Freytag's „Journaliſten“ jeit zwei Sahrzehnten in Deutjchland gefchrieben worden ift. Das ijt doc wahrlich ver Rede werth und ift einer Preisausfchreibung werth.

Vielleicht gelingt das wieder. Mit Einem Worte: man foll, unbefümmert um den Erfolg, immer und überall die Pforten öffnen für dramatische Production, und foll hinter den Pforten Preis und Ruhm in Ausficht jtellen. Das ſchadet Niemandem, höchſtens den Preisrichtern, und diefe Curtiuſſe opfern fich eben heldenmüthig. Es wird aber immer irgendwie nügen. Denn das Entgegenfommen iſt förderfam für jede fchöpferifche Thätigfeit.

XV.

Sch hatte alfo zwei große Shafefpeare-Stüde in Vorbereitung für das zweite Jahr: „Heinrich den Vierten’ und „Coriolanus“. Am Schluffe des Jahres fand fich noch ein drittes ein: „Die Ko— mödie der Irrungen“. Den „Coriolanus“ hatte Gußfow für vie Bühne eingerichtet, „Heinrich den Vierten’ juchte ich für unfere Scene zu bewältigen. Letzteres ijt ein Unternehmen, welches wohl nie ganz gelingen fann. Man wird es aber immer wieder ver- juchen, um eine fo außerordentliche Driginal- Figur wie Falftaff nicht verloren gehen zu lafjen für die Scene, und um den Heißſporn Heinrich Percy, ſowie ven heiteren Prinzen Heinz geſpielt zu ſehen.

Bei diefen Einrichtungsverfuchen fommen alle Grundfäße in Nede, die man zur Richtfcehnur nehmen kann für Bearbeitung älterer und hochwichtiger Stüde. Ich muß deßhalb ausführlicher darüber Iprechen. „Heinrich der Vierte” von Shafejpeare befteht aus zwei Theilen, das heißt aus zwei Abtheilungen, von denen jede die Aus- dehnung eines großen Stüdes hat. Hierin liegt für unfer Theater die Hauptichwierigfeit. Keiner diejer beiven Theile genügt für ein volles Interejje unjeres Theater-Abends. Wie oft man's auch ver- jucht hat, fie einzeln oder hinter einander zu geben, man hat nie eine zufriedenftellende Wirkung erreicht.

Giebt man nur den erjten Theil, jo fehlt ver Schluß des Stücdes, denn dieſer liegt im zweiten Theile. Außerdem verläuft auch noch das lette Drittheil diefer erſten Abtheilung veizlos im

Das Burgtheater. 201

Sande. Die Zufchauer gehen unbefriedigt, ungefpannt nach Haufe und haben nicht die mindefte Luft, auch noch einen ähnlichen zweiten Theil zu ſehen. Bringt man nun doch noch diejen zweiten Theil, jo fommen fie nicht mehr. Nur die Pietätsvollen kommen noch, und die literarifch Gebilveten. Dieſe reichen aber nicht zu für ein Theaters Publicum, fie find eine verjchwindend Fleine Minderheit, und wenn auch des anderen Tages in der Zeitung fteht: „Dieſes außerordentliche Stück verfammelte geftern Abend eine auserlejene Geſellſchaft im Theater und gewährte einen Hochgenuß‘, jo Flingt das vecht Schön; aber Schaufpieler und Director fchütteln den Kopf und rufen ihrerfeits: Defters jolche Siege, und wir find verloren !

Den zweiten Theil zuerft und allein geben fann man natürlich auch nicht, denn es fehlt ihm Kopf, Hals und Bruftfaften, welche im erſten Theile ſtehen. Giebt man trotz Alledem und Alledem beide Theile nach einander, fo entwickelt die zweite Abtheilung noch einen ganz aparten Fehler. Es breitet fich darin eine Verſchwörung aus, welche der Verſchwörung in der erften Abtheilung ähnlich fieht, wie ein Ei dem andern. Das ift die blanfe Ermüdung für den Zus ſchauer. Erſchöpft und matt fommt er zu den ſonſt nicht unwirk— famen Schlußacten, befitt feinerlei Kraft des Antheils mehr, und jagt beim Nachhaufegehen zu feinem Nachbar: „Dieſe beiden „Heinrich“-Abende wollen wir doch einige Jahre aufmerffam vermeiden‘,

So iſt es unter Schreyvogel im Burgtheater ergangen, wo man beide Theile gebracht hat, jo geht es in Berlin, wo man zus weilen den erften Theil bringt und immer die Erfahrung macht, daß er fein volles Stück ift und zulegt langmweilt. In Summa, „Heinrich der Vierte‘ it immer ein zweifelhaft angejehener Wan— derer auf den Repertoiren geblieben.

Der Gedanke ift deßhalb öfters aufgetaucht: Kann man denn nicht die ganze zweite Verſchwörung ftreichen und die große Hälfte des erjten Theiles mit ven Schlußacten des zweiten in Ein Stüd

202 Das Burgtheater.

zufammenziehen? Schröder, glaube ich, hat ihn ſchon einmal ausgeführt.

Ich hatte ihn auch und ftand längere Zeit zaghaft vor ver Frage: Darf man das wagen ?

Die beiven Abtheilungen find gefchrieben für das englifche Publicum. Dies fann fich durch breite Vorführung feiner Ge- ſchichte entfchädigt fühlen für mangelnde dramatifche Fafjung. Kann man das vom deutfchen Publicum auch erwarten? Nein. Ia jelbit in England find dieſe hiſtoriſchen Stüde „Hiftorien‘ genannt, zum Unterſchiede von „Stücken“, und haben jelbjt dort die Scene nicht behaupten fünnen, mit Ausnahme des ‚Dritten Richard‘. Soll es bei uns leichter fein als in England, die englifche Gejchichte in ungenügend pramatifcher Form interejjant zu finden auf dem Theater? Das glaubt nur ein Gelehrter. Grillparzer fagte mir neulich von einem deutſchen Theater-Divector, der die ganze Reihe bon diejen „Hiftorien’ auf fein Theater gebracht: „Der Dann bat mir dadurch deutlich bewiefen, daß er fein guter Theater-Divector tft‘,

Das ift vielleicht zu viel Mißtrauen. Dergleichen Experimente gehen auf Fleinen Hofbühnen, die in auswärtigen Zeitungen als jehr claffiich gepriefen fein wollen, und denen ein volles, freies PBublicum fehlt. Im einer großen Stadt, vor einem jelbitjtändigen Publicum, welches weiß, was es will, geht das nicht. Ein jelbit- jtändiges Publicum verlangt ein gejchloffenes Stüd und in dieſem ein gefchlofjenes Intereffe. Berufung auf YiteratursGefchichte Hilft da nicht; man will Leben, das jich felbjt erklärt und das hin— veichend anzieht,

Da fteht man denn vor der frage: Sollman dieſe „Heinriche“ mit ihrem Falftaff, Perch und Heinz unberührt, das heißt unver: ändert laſſen? Dann bleiben fie todt für unjfere Bühne, Oder joll man fie bearbeiten, und wie weit darf man ſich da vorwagen? Dies it die Streitfrage.

Ich ftehe nicht auf Seite derer, welche Haro! ſchreien gegen

Das Burgtheater. 203

die Bearbeitung eines alten dramatiſchen Poeten, der nicht mehr für unfere Theater-Bedingungen paßt, und ich glaube, daß ein fräf- tiges Talent durch volle Bearbeitung alter Stüde unferem Theater mannigfachen Nuten Schaffen fan. Das unverlette Stüd Shake— ſpeare's zum Beifpiel liegt ja vor, und Jedermann fann es unver: ändert haben. Wem die Bearbeitung ein Aergernif ift, der braucht fich ja nicht um das zu kümmern, was er eine Berballhornung nennt, fie befchäpdigt ja für ihn das Driginal nicht, fie wendet fich ja nur an die Theaterwelt.

Aber ich glaube nicht, daß ſolche volle Bearbeitung anzurathen jei für Shafefpeare's „Hiſtorien“. Deren Inhalt ift mehr Gefchichts- maffe als dramatische Maffe, und es iſt obenein Mafje einer Ges ſchichte, welche uns in ihrer damaligen Kriegsform zwijchen weißer und vother Roſe ziemlich monoton anmuthbet.

Sch glaubte alfo bei diefen zwei „Heinrich“Theilen nur zu— fammenziehen und nur discret ändern zu dürfen. Wenn die zweite Verſchwörung ganz ausfällt, jo entjteht ohne befondere Gewaltſam— feit Ein Stüd. Die Gegner rufen: Aber wie viel Uebergänge gehen verloren! Das ift nicht jo arg, wie die Pietät und von ihrem Standpunfte ganz mit Recht glauben machen will.

Biel wichtiger jeheint mir die vorwurfsvolle Frage: Und haft du num mit deiner Amputation ein vollftändiges Stüf gewonnen ?! Ich habe nicht ven Muth, Ja zu jagen. Aber das murde er: reicht: die berühmten Figuren Falftaffs, Heißſporns Perch und des luſtigen Heinz werden in einem Zuſammenhange vorgeführt, welcher fich mit Intereſſe anjehen läßt.

Das Stück erhielt fich im Burgtheater und befteht noch. Sch finde die literariſchen Vorwürfe gegen jolche Arbeit berechtigt, aber fie überzeugen mich nicht, daß ſolche Zuſammenziehung für die Bühne unterlafjen werden müſſe.

Man hat fich gewundert, daß ich ven Falftaff an Anſchütz ge- geben. Ich bin immer ver Meinung gewefen, daß er ihm zuge:

204 Das Burgtheater.

hörte, und bin es noch. Im Yeipzig hatte ich die Wolle von ihm geiehen, und er hatte mir jehr wohl gefallen. Er befaß den Stu— dentenhumor, welcher der Rolle gebührt. Es ijt nicht der Humor des gewöhnlichen Komifers, welcher aus dem Falftaff ipricht. Fal— jtaff lebt und webt in humorijtiichen Folgerungen, nicht in unmittel- barer Komif.

Ich habe die bejte Gelegenheit gehabt, das am lebendigen Fleifche zu ftudiren. Als der alte Herr von dannen ging und die Kolle an Beckmann faın, da zeigte ſich's, daß diejer rathlos wor der Rolle jtand. Das war nicht feine Komif, und mit aufgezogenen Stirnrunzeln ſah er mich an.

Das Naturell gemügte hier nicht; bewußter humoriftifcher Geiſt war hiezu nöthig.

Nachdem Beckmann die Rolle gelernt es war in Karlsbad —, verpuffte er fie im Vortrage wie zifchende Raketen, die nicht im die Höhe gehen. Er gab fih und dem Zuhörer nicht die Zeit, des humoriftifchen Kernes, der darin ruht, inne zu werden. Diejer Kern braucht eine Geiſtes-Operation, und für diefe muß man fich und den Zuhörern Zeit lafjen. Es find nicht komiſche Späſſe, es find trodene Folgerungen einer humoriſtiſchen Lebensanſchauung. Das trodene Wort muß Zeit haben, von der feuchten Unterlage des Geiftes Humor heißt ja Feuchtigfeit getränft zu werden, und erſt wenn es vollgejogen ift, lacht der Zuhörer. Immer und immer wieder mußt’ ich ihm in den Zügel fallen, und endlich mußt’ ich's ihm vorlejen, weil er ſich unficher fühlte. Herr Verjtl war der an— dächtige Zuhörer, auf welchen hin exrperimentirt wurde, und es war ihm ſtrenge verboten, aus bloßer Gefälligfeit zu lachen. Hätte ich Beemann eine eigentlich komiſche Rolle vorlefen wollen, er würde mich jchön ausgelacht haben; denn das verjtand er bejjer als ich. Dies Falftaffiche Wefen aber veritand er ſehr langfam ein Zeichen, daß die Rolle nur mit Vorſicht einem eigentlichen Komiker überlajjen werden darf.

Das Burgtheater. 205

Jetzt ift die Rolle an Herrn Baumeijter gefommen. Er ift feinem Wefen nach trefflich geeignet dafür, aber jeinem Bortrage nach gar nicht. Sein Vortrag iſt die Abkürzung in allen möglichen Formen; er ift im Stande, die harmanteften Sachen unbejehen in die Tafche zu jteden. Er hat ven Spaß davon empfunden, er hat aber gar feine Nücficht darauf genommen, ob der Zuhörer auch genug merkt von dem Spaße. Falftaff alfo, welcher durchaus breiten Vortrag braucht, fann ein Wunder wirfendes Exrereitium für Herrn Baumeijter werden.

Aufathmend von dieſer fehlotternden Ungefchlofjenheit einer „Hiſtorie“, gingen wir an ein wirfliches Drama desſelben Shafe- Ipeare, und zwar an eines feiner vorzüglichiten, an den „Coriolanus“. Dies ıft von feinen drei römiſchen Stüden das einfachite und am beiten componirte. Es jteht in der Compojfition über „Cäſar“ und ganz umvergleichlich über ‚Antonius und Kleopatra“. Mit eiferner Conſequenz und Alles eng und jtreng zufammenhaltend, führt hier der große Dichter fein Thema durch, ein hohes Wiufterbild in Form und Inhalt.

Für unſer jetiges Theater freilich hat die Form der erjten Acte große Schwierigkeiten. Shakeſpeare's Theater gejtattete dein Dichter ungemeine Freiheit. Da wurde nicht verwandelt, fondern ein Pfahl, eine Tafel, ein Wegweijer over irgend ein allgemein be— fanntes Zeichen deutete an: bier ijt freies Feld, hier ift gefchlofjener Kaum, Die Phantafie des Zufchauers bei unjerer jorgfältigen Drtsbezeihnung arg in Ruhejtand verfegt wurde damals geübt und blieb immer aufgeweckt. Sie ergänzte alles das, was Außer: lich fehlte,

Deßhalb machten damals auch die erjten Acte im „Coriolan“ Niemandem Kummer. Hier jpringt nämlich die Scene wie ein Springer auf dem Schachbrette von Nom nad Corioli, von Rom aufs Schlachtfeld und wieder zurüd nach Rom, daß wir faft fo viel Zeit für die VBerwandlungen brauchten, wie für die Scenen felber,

206 Das Burgtheater.

und daß unfer Publicum in Unruhe und Zerftrentheit gerieth. Hier thut eine Vereinfachung dringend noth; auch die Gutfom’sche Ein- richtung mußte für uns noch vereinfacht werden,

Das war nicht ganz leicht, weil Ein Punft dem Auge und Ohre des Publicums mit einer gewiljen Breite dargelegt werden muß und weil diefer eine Punkt auf dem Schlachtfelve Liegt. Jedermann weiß, wie mißlich alle Schlachtenpunfte find auf der modernen Scene und vor einem modernen Publicum, welches feiner Phantafie gar Nichts mehr zumuthen und Alles mit ftatiftiicher Genauigfeit wor jich jehen will. Wir übertreiben in der Außerlichen Genauigfeit bereitS ebenjo, wie man zu Shafejpeare’s Zeit in der Einfachheit übertrieben hat.

Dieſer eine Punkt ift ver, als Coriolanus auf dem Schlacht- felde erfcheint. Hier muß breiter Raum für ihn gejchaffen werden. Der Ariftofrat Coriolan muß bier dem Publicum voll in’s Auge treten, wo er tapfer, in eminentem Grave tapfer iſt. Dies ift der Noment, welcher den übrigens rüdjichtslofen Ariftofraten tüchtig und jeder Aufopferung fühig zeigt. In der Schlacht enthüllt Corio— lan feinen bejten Kern, und deſſen muß das Publicum vollſtändig inne werden, ſonſt ſchenkt es ihm fpäter nicht die erforderliche Theilnahme.

Dies war bejonders in Wien nothwendig, wo das Pathos eines Ariftofraten ſchwer verftanden wird, wo der Gejichtspunft eines Ariſtokraten faum gewirdigtwird und wo die Rüdjichtslofigfeit eines Ariitofraten nicht verziehen wird.

Sch ſuchte alfo alle grellen Farben zufammen, um dieſe furze Scene der aufopferungsfähigen Tapferkeit Coriolan's den Zufchauern in die Augen zu drängen. Wenn er jpäter fchonungslos gegen das Volk auftritt, dann ſollte man fich erinnern: er war und iſt auch Ihonungslos gegen fich ſelbſt, ſobald ein großer Zwed vorliegt.

Es ijt eine Hauptaufgabe der Infcenefegung, das Wichtige in den Vordergrund zu ftellen, das minder Wichtige nur deutlich zu

Das Burgtheater. 207

machen und das Gleichgiltige im Schatten zu laſſen. Der Infcenes feger muß nachdichten. Das äuferliche Arrangement der Scene, Gruppirungen, Aufzüge, Putz, Schmud und all dergleichen ijt wohl auch feine Sache, aber es ift verhältnißmäßig Nebenſache. Die Motive des Stüces in Geltung zu bringen, das iſt Hauptfache,

Hierin fuche man auch vorzugsweife die Erklärung, daß ein Stück an diefem Orte gefällt und an jenem Orte nicht gefällt. Das liegt nicht blos an ven Schaufpielern, das liegt vorzugsweije an der Inſceneſetzung. Tragt eine gute Rede jchlecht vor, und fie wirft nicht; tragt eine mittelmäßige Nede gut vor, und fie wirft, Der Vortrag eines Stückes entſcheidet über die Auffaffung des Stüdes, und die Auffaſſung enticheivet über die Wirfung.

Und trotz aller Anftrengung jolcher Art wurde mit der erjten Aufführung des „Coriolanus“ eine volle Wirkung nicht erreicht. Die freche Berhöhnung demokratischer Glemente, welche ven „Co— riolan“ auszeichnet, war dem Publicum innerlich zuwider, und e8 ließ ven Beifall für gut gejpielte Scenen nicht heraus. Sa, ich wurde mit Vorwürfen überjchüttet, in unjerer Zeit ſolche Berhöhnung ver Demokratie auf die Scene gebracht zu haben.

Ih nahm fie ruhig hin. So jehr ich überzeugt bin, daß ein Theater nicht beftehen fann, wenn ſein Inhalt nicht wefentlich über— einſtimmt mit dem Sinne der Zeit, fo feſt bin ich davon durchdrungen, daß die weiteren Gefichtspunfte dev Kunft nicht dem eben herrſchen— den Parteifinne geopfert werden dürfen.

Das Publieum ſoll nicht blos kurzweg genießen; es joll auch fernen, um in Folge der Bildung veichlicher zu genießen, Hat es wohlbegründete Stücke anfehen gelernt, welche feinem Parteifinne augenblicklich nicht zufagen, jo lernt es fie allmälig auch würdigen, eben weil jie wohlbegründet find. Was es aber einmal zu würdigen verjteht, das wird ihm mit der Zeit auch ein Genuß. Und zwar ein fünftlerifcher Genuß, welcher feinere Nerven anregt, als der wohlfeile Genuß deſſen, was dem alltäglichen Berftändniffe zuſagt

208 Das Burgtheater.

und dem gedanfenlofen Behagen. So bildet jih ein Publicum und ein Theater gleichzeitig und wechjelfeitig.

Das gelang allmälig auch mit „Coriolanus“. in paar Jahre war er nur mäßig befucht. Nach ein paar Jahren war er gewür— Digt und wurde gut bejucht, ja am Ende applaudirte man unbefangen jene Streitworte, weldhe man bei der erſten VBorftellung am liebſten ausgeziſcht hätte,

Ich hatte auch jahrelang große Noth mit dem Enſemble des Stüdes: es zeigteimmer bei den tumultuarischen Scenen grelle Lücken. Ich mochte probiven jo vielich wollte, fie waren nicht zu jtopfen. Ich wußte gar qut, woran das lag. Aber um vem abzuhelfen, mußte ich einem alten verdienten Schaufpieler die Rolle abnehmen. Er war in feiner Abhängigkeit vom Souffleur nicht im Stande, in ftür- mifchen Scenen zur vechten Zeit einzufallen, denn der Lärm der Scene bevedte die Stimme des Souffleurs, und auswendig die Worte zu behalten, vermochte ev abjolut nicht. Immer hoffte ich, er werde durch öftere Vorjtellungen endlich ver Worte Herr werben. Umſonſt! Da gab ich die Rolle in andere Hände, und num gingen die Scenen vortrefflih ich aber wurde heftig gejcholten von öffentlichen Stimmen, daß ich die alten verdienten Künftler frevent- ih mißhandelte.

Die Aufgabe ift eine der jchwerften auf dem Theater, große Talente, welche alt geworden find und dem Alter gemäß an Gedächt- niß, Organ und Beweglichkeit einbüßen, doch jo zu jtellen, daß ihr Talent noch angemefjen verwerthet wird. Es ijt mir mehrfach ge- lungen, diefe Aufgabe annähernd zu löſen. Aber auch wenn e8 ganz gelingt, wird man doch feinen Danf ernten, wohl aber Vor- wurf und Anklage erleben, daß man vie Alten nicht jung gemacht, daß man das Ganze nicht dem Einzelnen geopfert habe. Das muß man eben hinnehmen wie Negen und Wind,

Auf das dritte Shafefpeare-Stüd diefes Jahres lege ich feinen ShafeipeareWerth, Es war „Die Komödie der Irrungen“, ein

Das Burgtheater. 209

altes, verbrauchtes Thema von Verwechslungen und Mikverftänd- niffen. Ich habe es denn auch wieder fallen lajien. Unfer Publi— cum fonnte mit Recht nichts Befonderes daran entveden, und man thut nicht gut, den Reſpect für einen großen Poeten wohlfeilen Zwei- feln auszufeßen.

Der König von Preußen, Frievrih Wilhelm IV., war zum Beſuche in Wien und verlangte gerade diejes Stüd. Er war be fanntlich ein Shafejpeare-Berehrer und pflegte auch im politifchen Gefpräche in Shakeſpeare'ſcher Form zu jagen: „Mein Schwager Rußland Schreibt jo und jo. Ich fannte feine Phyfiognomie von Jugend auf und beobachtete fie aufmerffam, während er diefer „Ko— mödie der Irrungen“ zufah. Cr lachte redlich; aber meine Be— obachtung ſagte mir doch: er lacht nur pflichtgemäß für die Claſſik, welche da mit pofjenhaften Motiven Fangball jpielt.

Der Spätherbjt 1851 brachte noch zwei Luſtſpiele verſchiedenſter Art: „Das Gefüngnig” von Benedix und „Rococo“ von Laube, „Das Gefängnik‘ mit feiner behaglichen Stoffesfomif machte un— verfängliches Glück; „Rococo“ daneben erlebte ein verfüngliches Schickſal.

Es iſt keines meiner Lieblingsſtücke, und ich bin immer zu Wi— derſpruch geneigt, wenn man es lobt. Es-braucht zu viele Hebel. Ich fand auch Ludwig Tied immer über Gebühr dafür eingenommen. Nur eine Auszeichnung von ihm nahm ich dankbar hin, Er nannte eine Scene im vierten Acte ganz neu in der Luftipielliteratur. Da er jich ein Fach daraus gemacht hatte, die ganze europäische Luſtſpiel— literatur jpeciell zu ftudiren, fo fehmeichelte das meiner Eitelfeit, Es ift die Scene im. vierten Acte zwifchen dem Marquis und dem . Baron. Sie wollen fich vertragen und Keiner will ausfprechen oder ausjprechen lajfen, worüber fie fich vertragen wollen.

Ich erwähne das hier, weil diefe Scene das Schickſal des Stückes im Burgtheater entfchied. Das Stück hat wunderlicherweife immer auf Stadttheatern leichteren Erfolg gefunden, als auf Hoftheatern, ob—

Laube, Burgtheater. 14

210 Das Burgtheater.

wohl es eine Iutrigue behandelt, welche mit dem Hofe zuſammen— hängt. Vielleicht eben deßhalb.

Im Burgtheater verhielt fich das Publicum dem Stücke gegen- über ziemlich paffiv bis zu jener Scene im vierten Acte. Sie ſchlug durch. Ein Beweis für mich und Tief, welchem ich diefen Erfolg mittheilte, daß dies Burgtheater-Publicum in der Luftfpiel-Literatur wohl erfahren und wohl gejchult jet.

Bis zu diefer Scene laftete eine jchwere Luft auf dem Saale. Herr Dawiſon hatte ſie bei feinem Eintritt in die Scene erzeugt. Er jpielte ven Abbe von der Sauce. Es war nicht erreichbar ges weſen, diefe Figur als Abbe auftreten zu laffen; ein folcher, wenn auch nur halbelericaler, Charakter hätte das Stüd unzuläſſig gemacht. Der Abbe-Titel war alfo der Nolle genommen, fie figurirte als jimpler „Herr von der Sauce’ auf dem Zettel, und ich hatte den Darfteller gebeten, in Erjcheinung und Wejen Nichts von clericalem Sharafter einzumifchen.

Solche Enthaltjamfeit parte aber nicht zu feinem Talente, welches vorzugsweife der Darjtellung von Chargen zuneigt; ſie paßte nicht zu jeinem jteten Bedürfniſſe, auffallend hervorzutreten. In Betreff der eigentlichen Rolle hatte er ja auch nicht Unrecht, ärger: (ich zu fein über die Beſchränkung, kurz er erſchien auf der Scene als der unverfennbare Typus eines jchleichenden Weltgeiftlichen, welchem beuchelnde Tartüfferie und jejuitiiche Form auf hundert Schritte abgejeben wurde, Auch das vorgejchriebene Coſtüm hatte er fich jo abgeändert, daß cs dem geiltlichen Schnitte jo nahe wie möglich kam.

Dies erichreefte das Publicum, und es bildete ſich jene pein- liche Atmoſphäre, in welcher man nur mit Bevdenfen Athen holt, . unter allen Umständen aber jchweigt. Das iſt natürlich bei einem Publicum, welches von Jugend auf daran gewöhnt worden tft, feinen Geiſtlichen jeiner Confefjion auf der Scene zu jehen, und welches gewöhnt worden ift, ſolche Erſcheinung für Entweihung zu halten.

Das Burgtheater 211

Der Capuziner in „Wallenſtein's Lager“ übte zuerſt diefelbe be- ängjtigende Wirkung.

So entjtand ver antisclericale Ruf dieſes Stüdes, welchen es in diefem Maße gar nicht verdient. Cr wäre auch wohl wieder untergegangen, wenn nicht auf offener Kanzel gegen das Stüd ge predigt worden wäre. Dadurch fam Agitation und Gegen-Agitation in Gang. Täglich gelangten anonyme Drohbriefe an die Direction, und für jeden Abend wurde lärmende Demonitration gegen das Stück angefündigt.

Es war immer nicht wahr. Ganz unbehelligt und rubig wurde das Stück neunmal innerhalb eines Monates gegeben. Aber ich jelbjt litt ſehr darunter. Es ift Schon jehlimm genug, wenn irgend ein Stüd öffentlihes Aergerniß giebt. Das iſt ja doch nicht die Beitimmung eines Kunjt-Inititutes. Dies war aber noch dazu mein Stüd und ich war Director. Ich jah, wie mein Chef darunter leiden mußte. Er war jo nobel, mir fein Wort des Vormwurfes zu jagen. Er hatte das Stück nach der Yectüre zugelaffen und machte nun Niemanden dafür verantwortlich als fich jelbjt. Gerade darum hielt ich es für meine Schulvigfeit, feinem Yeiden ein Ende zu machen ich) jette „Rococo’ nicht mehr aufs Repertoire.

Das Stüd iſt nie verboten worden, weder damals noch jpäter. Sch jelbjt nur habe mir es verboten. Heutigen Tages würde es viel harmlojer ericheinen, und erſt neuerdings ift mir die Wieder- aufnahme angeboten worden. Aber ich habe nie eine Neigung gehabt, es wieder einzuführen.

RTT.

Das Jahr 1851 brachte die große Anzahl von fünfundzwanzig Neuigkeiten und gegen vierzig Neufcenivungen. Die Theilnahme des Publicums wuchs in dem Maße, daß die durch Engagements und Ausjtattungen erhöhten Ausgaben reichlich bejtritten werden fonnten. Außer ven bereits angeführten Neuigkeiten ift noch nam: haft zu machen Schiller’s „Turandot“, welche nicht dauernd zu halten war, „Adrienne Yecouvreur” und der „Damenfrieg‘, welche Beſtand fanden und von denen „Der Damenfrieg’ ein ungemein beliebtes Repertoireſtück wurde; endlich eine große Zahl Eleiner Stüde, unter denen „Der Hauptmann von der Schaarwache‘‘, „Der kleine Richelieu‘‘, „Einer muß heirathen“, „Die Eiferfüchtigen‘‘ bis heutigen Tages oft wiederholt wurden.

Unter den neu einjtudirten Stüden war „Iphigenie“, „Cla— vigo“, „Sit von Berlihingen”, „König und Bauer”, „Des Meeres und der Yiebe Wellen’, „Ein treuer Diener jeines Herrn“ und noch drei große Shafejpeare - Stüde: „Hamlet“, „König Year‘ und „Der Kaufmann von Venedig‘.

Es war mir darum zu thun, alle wichtigen Stüde in gleichem Geiſte eingerichtet und vem Ganzen eingereiht zu ſehen. Deßhalb jetste ich auch Diejenigen ganz neu in Scene, welche nur mäßiger Ergänzung im Perfonale zu bedürfen ſchienen. Auch vie älteren, längſt bejtehenven Shafefpeare- Dramen, wie „Hamlet“, „Lear“, ‚Kaufmann von Venedig‘, wurven in der Eintheilung des Textes neu vedigirt und in den Proben wie neue Stücke behandelt.

Das Burgtheater. 215

Zunächſt die Krone Shafefpeare'fchen Talentes, „Hamlet“. Hundertmal wohl habe ich dies zaubervolle Drama gejehen, und immer wieder haben vie erjten drei Acte mich eingefangen in ihren tiefen Reiz. Wir erhielten in Joſeph Wagner einen Hamlet-Darfteller, den ich nirgends übertroffen, nirgends erreicht gefehen habe. Man fann den Hamlet geiftreicher fpielen, ja; aber Wagner's Hamlet wird dennoch tiefer wirfen. Er giebt ihm feine ganze Seele hin, er jpielt nicht mit ihm, wie jo mancher Hamlet= Darjteller. Die Reize des Geijtes, welche in der Rolle liegen, werden nicht das Ziel des Darjtellers, jie werden nur die Begleitung eines ehrlich ſuchen— den, eines ehrlich Leidenden Menjchen. Dawijon, welchen ich mit Wagner alterniven ließ im Hamlet, gewann fi mit diejer uner— Ihöpflichen Rolle ebenfalls fein Publicum; aber es war die leichte Gattung des Publicums, welche mit leichteren und wohlfeileren Lockungen zufrieden ift, das will hier fagen: mit den intereffanten Wendungen des Hamlet’schen Geiftes. Das Urgermanifche, welches im Hamlet liegt, war und ijt den polnifch-jüdifchen Weſen Dawi— jon’s immer verfchloffen ; die juchende Seele fehlt ihm. Er trachtet danach, dies durch fuchenden Geiſt zu erfegen, und das ijt oft recht unterhaltend, jo lange e8 frei von Manier bleibt, aber es beveutet eben viel weniger, als die Darftellung eines vollen Menfchen mit reicher Innerlichkeit. Die Energie des Verjtandes war damals Dawiſon noch in intereffantem Maße zu eigen, und fie verlieh er denn auch jeinem Hamlet. Das nach Wahrheit ſchmachtende Ge— müth Hamlet's aber, welches ihn eben vom Thun und Handeln ab- hält, das fehlte was für ein Hamlet entjteht va? in Hamlet, welcher ven König im erjten Acte ſchon todtitechen muß; denn die Energie ift da, und die Hemmung verfelben ift nicht da. So wird Hanılet eine Komödienfigur.

„König Year‘ erjchien jet zum erjtenmale mit dem echten, tragiichen Schluſſe. Es gelang trog Tieck's Warnung, den alten „Wiener Schluß” zu bejeitigen, und Anſchütz, für jede

214 Das Burgtheater.

claſſiſche Bedingung immer bereit, jtarb zum evjtenmale im lebten Acte.

Der „Kaufmann von Venedig“ endlich wurde in ganz neuer Eintheilung der Acte und Scenen gegeben. Die Scenen vor Shylock's Hauſe waren in einen Act zuſammengeſchoben und die zerſtreuten Freierfcenen waren ebenfalls aneinandergerückt. Das durch wurde ver Gang des Stüdes ruhiger und gefammelter,. Die Hauptänderung jedoch betraf ven letten Act. Bekanntlich ſchließt die große Gerichtsfcene Shylod’s den vierten Act, und der fünfte Act erledigt in jpieleriicher Art auf Belmont, dem Pandfise Por: zia’s, die längft reifen Yiebeshändel. Unſere Shafeipeare-Commen- tare preijen das jogar und machen aus der Noth eine Tugend. Die Noth ift ein letter Act, ver noch abgejpielt werden foll, nachdem das Hauptinterefje des Stückes erledigt worden ift. Sie nennen ein lyriſch-muſikaliſches Ausflingen im letzten Acte eine Tugend; denn es werde dem urjprünglich heiteren Stücke die heiter jchöne Krone aufgefekt.

Das Publicum ift andrer Meinung. Es pflegt aufzuftehen und fich zum Fortgang zu rüſten, wenn im vierten Acte die Shylod- Affaire zu Ende ift. Diefe Shylod-Affaire ift ihm das Haupt- intereffe des Stüdes. Umfonjt rufen die Commentare: die Shylod- Affaire ift nur eine große Cpifovde des Stüdes. Das Publicum fragt nicht nah den Kommentaren, fondern folgt feinem Cin- drucke.

Und dieſer Eindruck beruht auf unerſchütterlichen äſthetiſchen Geſetzen. Dies Mißverhältniß im „Kaufmann von Venedig“ zwiſchen dem Luſtſpieltone und der grauſamen Shylock-Affaire iſt nicht wegzuleugnen; es iſt nicht wegzuleugnen, daß die Todesmarter des Shylock'ſchen Handels fein eingehender Accord zu einem Luſt— Ipiele tft, daß die Gerichtsicene um Leben und Tod einen viel ſtär— feren Effect macht, als alles Uebrige, und daß ein darauf noch fol- gender ganzer Act für den Zufchauer nebenſächlich und überflüffig

Das Burgtheater. 215

erſcheint. Die legten Acte find in feiner Aefthetif dafür da, Neben- fächliches aufzuwräumen; das Schwächere fann nicht wirffam auf das Stärfere folgen; das Gebot der nothwendigen Steigerung im Drama läßt fich nicht wegleugnen, und unfere Commentare thäten viel bejjer, dies einzugeftehen, ftatt aus der Noth eine Tugend zu machen.

Niemand bejtreitet, daß diefer letzte Act mit feinen zahlreichen ſchönen Worten Werthvolles enthält; aber mit all feinem Werth: vollen ift er als letter Act ein Compoſitions-Fehler.

Diefen Fehler jo unfcheinbar wie möglich zu machen, iſt bie Aufgabe der ſceniſchen Einrichtung. Wir beginnen deßhalb im Burgtheater den legten Act mit der großen Gerichtsjcene Shylock's. Sie füllt ihn zu drei Viertheilen aus. Die nur minutenlange Scene mit Abgabe der Ringe au die verfleiveten Frauen folgt, und dann bringt uns unter Muſik eine Verwandlung in den nächtlichen Park von Belmont. Wir fühlen uns geftimmt, die von Mufif durchklungene Ruhe und die ſchönen Worte des Yiebespaares hinzu— nehmen, wir fehen nach jceharfen Kürzungen des Textes die ganze Geſellſchaft bei Fadeljchein aus Venedig anfommen, und in einigen Minuten geht vie fpielerifche Auflöfung mit ven Ringen an ung vorüber, jo daß wir am Ende find, ohne des ſchwächeren Themas bis zur Störung unferes Antheiles innegeworden zu fein. Go nehmen wir, weil der Acteinfchnitt fehlt und Alles raſch ſich ab- wickelt, den Eindrud eines heiteren Spieles mit hinweg und gedenfen des Mißverhältniſſes in ven Tönen der Accorde nicht mit befonderem Nachdrucke.

Wer das Stück im Burgtheater geſehen nach dieſer Einrich— tung und ſechszehn Jahre lang habe ich wie Viele! darüber be— fragen können —, der geſteht immer zu, daß der Uebelſtand des letz— ten Actes leidlich verdeckt iſt und daß der Eindruck des Ganzen trotz der Shylock-Affaire ein anmuthiger und luſtſpielartiger ſei. Der Text iſt nur gekürzt, nicht verändert, und der Zweck unſerer Theater—

216 Das Burgtheater.

form iſt erreicht durch bloße Aenderung der Folge in den Scenen und Acten.

Der ſchönſte Erfolg des Jahres aber und der wichtigite wurde erreicht durch die Wiederaufnahme des Grillparzer’schen Yiebes- Dramas: „Des Meeres und der Liebe Wellen‘.

Das Stüd war 1831 neu gewejen und war nach vier Vor: jtellungen in’s Grab des Archivs gejunfen. Ich hatte es 1849 in Wien zum erjtenmale gelefen. Cs hatte mich entzücdt und ich hatte es wie eine Perle in meiner Grinnerung bewahrt. Dies theilte ich Frau Bayer nach Dresden mit, als wir Briefe wechjelten über ihr zweites Gajtjpiel, und ich forderte fie auf, es zu lejen und mir zu jagen, ob fie nicht gerade jo wie ich die Rolle ver Hero für jich ges eignet fünde. Sie hatte Ja! gejchrieben, und jett gingen wir bei ihrem Gajtjpiele an die neue Inſceneſetzung des Stückes. Unter Achjel- zuden des älteren Schaufpielergefchlechtes. Mit den erſten drei Acten, hieß es, wird es gut gehen, mit den zwei letsten jchlecht, wie damals!

Das war uns ein lehrreiher Wink. Wir wendeten alle Kräfte der Phantafie auf die letzten Acte. Für den Schluß erbaute ich ein Treppenhaus im Tempel, um malerifche Wirkung zu gewinnen für das Ende, eine auch äußerlich hilfreiche Wirkung für die Seele der Hero, welche aufwärts ringt nach Vereinigung mit der entflohenen Seele Yeander’s. Ich ließ mich nicht ftören durch den Einwand, ob ſolch ein Treppenhaus anzubringen ſei für ein altgriechiiches Tempel- gebäude was wit ihr denn von der Architektur jener ältejten, auch in Griechenland mythiſchen Zeit, und da wir doch nichts Feſtes willen, was brauche ich jchüchtern zu fein, da die Idee des Kunſt— werfes, welches ich verfinnliche, maßgebend für mich ift, maßgeben— der gewiß als ein archäologifcher Zweifel.

Es bejtätigte fich. Diefe Scenirung kam der aufwärts drängenden Stimmung des Schlufjes jehr zu jtatten; der Schluß

Das Burgtheater. 217

wirkte erhebend, und der Erfolg des Stüdes war ungetheilt, war echt wie die Seele des Gedichtes.

Frau Bayer trug wefentlich dazu bei. Die griechifche Anmuth und Ruhe war ihrem Körper und ihrem Tone in feltenem Grade zu eigen, und die ſchließliche Energie eines finnlihen Mädchen: charafters trat doch überzeugend zu Tage! Keine Convention, fein Dogma macht dieſe Mäpdchennatur irre, fie fühlt die Berechtigung ihrer Liebe fo bejtimmt wie das Bedürfniß des Athemholens, jte weit mit jchmerzlichem Lächeln alle Abihwächung ihres fogenannten Fehles zurüd, fie weiß, daß fie die Hälfte Yeander’s ift und daß fie zu ihm muß in’s Reich ver Schatten oder des Lichtes, gleichviel! nur dahin, wo er fei.

Dies ift allen Wienern unvergeglih, Mir ift es unvergeßlich, daß durch diefen Triumph der Scene der dramatische Dichter Grill: parzer für uns neu geboren wurde. Fünfundzwanzigmal iſt dieſe Liebes-Tragödie ſeitdem aufgeführt worden und es liegt die Zufunft weit vor ihr offen.

Die Anhänger Grillparzer’s bildeten damals eine jehr edle Gemeinde, aber nicht eine allzu große. Die beiten Männer ges hörten zu ihr, worzugsweife Männer, und zwar ältere Männer, welche mit dem Dichter aufgewachjen waren. Jetzt hatte ver Dichter auch die Jugend entzündet, auch die Frauen; jest fam ein neues Geſchlecht an die Kenntniß des vaterländifchen Poeten, und dies Geſchlecht ift jeit 1851 gewachjen und gewachien, und alle folgenden Aufführungen feiner Stüde haben eine wunderbare Propaganda ge— bildet. Was Grillparzer verfäumt dadurch, daß er jeine Schriften niemals gejammelt hat herausgeben lajjfen, dies hat das Burg— theater nachzuholen verfucht. Freilich nur für Wien und fremde Beſucher.

Dennoch darf man ſich namentlich über dieſes Stück nicht täu— ſchen in Betreff der Theater jenſeit des Erzgebirges. Dies Stück iſt gründlich ſüddeutſch. Es ſetzt eine Naivetät der Sinnlichkeit

218 Das Burgtheater.

voraus, welche dem deutjchen Norden ziemlich fremd iſt. Ein Ver: juch der Frau Bayer giebt dafür einen Fingerzeig. Sie hat das Stüd auf dem Dresdener Theater gerade jo in Scene gejett, wie es im Burgtheater jteht, und die Aufführung ift erfolglos ge- blieben. Die Auffaſſung iſt eben eine andere, das Bublicum ift ein anderes geweſen.

Um jene Zeit, da das Burgtheater fich in Erfolgen und Hoff: nungen wiegte, begannen leider ſchon die Perjonalverlufte, welche das Injtitut von da an fünfzehn Jahre lang in erfchredender Reihe und Fülle zu beftehen hatte. Wenn man uns damals vorausgejagt, daß mir durch den Tod verlieren follten: Wilhelmi, Lußberger, Lucas, Anſchütz, Frau Nettih und Beckmann, durch den Austritt obenein noch Dawiſon, Yonije Neumann, Fräulein Seebach, Boßler, Goßmann, Scholz, Frau Fichtner und am Ende gar Karl Fichtner einbüpen jollten wir hätten den Beſtand des Inftitutes für un: möglich erachtet. |

Der erjte Verluſt trat mir jegt nahe. Seit Wochen bemerkte ich, daß Papa Wilhelmi hinter ven Couliſſen till und trübſelig, auf der Scene aber unficher und machtlos erfchien. Iſt es das Alter? Gr war noch nicht hoch bejahrt, und der ftattlihe Mann war dem Anſcheine nach von der ſolideſten Conjtitution, eine Eiche, die man— chem Sturme jtehen fonnte,

Eines Abends ſah ich ihn auf der Fleinen Treppe fiten, welche neben dem Vorbange hinaufführt zu Garderoben. Man fett jich nicht leicht dahin, denn man ift im Wege; die Stiege ift ſchmal wie ein Menſch. Was iſt Wilhelmi? Er war in fpanifchem Coſtüm und ſaß da zufammengefrümmt, ven Kopf in ven Schoß gebeugt. Sch fragte ihn. Er hob den Kopf, und fein großes blaues Auge jah mich an voller Schmerz und Bein. „Haben Sie Schmerzen ?" Er nidte. Aber wie immer lebensbedürftig und frifcher Stimmung » nachſtrebend um jeden Preis, richtete er ſich gewaltſam auf in jeiner refpectablen Yänge, legte mir die Hand auf die Schulter und flüfterte:

Das Burgtheater. 219

„Dummes Zeug bei einem alten Kriegsmanne! Wird vorüber: gehen; vorwärts! vorwärts!” Und richtete fich zufammen und marfchirte jtrad nach ver Couliſſe, aus welcher er bald hinaustreten jollte zum lettenmale !

Einige Tage darauf fam die Meldung, Wilhelmi ſei franf, ja liege zu Bett. Wilhelmi?! Der nie franf war, der ſich unbehaglich fühlte, wenn er in einer Woche nur viermal zu fpielen hatte? Es war leider jo, ein Nierenleiven hatte ihn gebrochen, gar bald zerbrochen.

Letzteres kam mir erjt in ven Sinn, als ich in fein Zimmer trat. Er wohnte auf der Wieden in der Paniglgaſſe jeit ewigen Zeiten. Sein Schlafzimmer rückwärts lag auf der Sonnenfeite nad einem Garten. Die Mittagsfonne leuchtete hinein, als ich eintrat und ihn ftöhnen hörte. Sobald er mich ſah, holte er tief Athen, um die Klagelaute zu verjagen, jtredte mir die Hand ent- gegen und rief: ‚Nichts, lieber Director, Nichts iſt's. Plagt mic wohl ein Wenig, wird aber bald worübergehen, und da fommt auch ſchon die Sonne!”

Ah, es war nicht mehr die alte, herzhafte Stimme; es war ein Bruch in ihr, der herzbafte Klang war erlofchen, Er lag auf feinem Sterbebette. Bald darauf fuhren ihn die ſchwarzen Pferde auf der Wiedener Hauptjtraße hinaus; Kopf an Kopf ftanden die endlofe Straße entlang die Menfchen, und aus allen Fenftern fchauten fie traurig, dem geliebten alten Wilhelmi den legten Scheivegruß nach— zuſenden. Ich glaube, er hatte feinen einzigen Feind.

Es war die erjte Leichenrede, welche ich einem Burgtheater: Mitglievde am offenen Grabe zu halten hatte. Zum Echreden meiner Behörde, welche es unziemlich fand, daß ein Director Yeichen- reden hielte. Ach, daran dachte ih am wenigiten. Wohl aber dachte ich fo voller Schmerz an den Verluſt ſolch eines tapferen, unerjeglichen Mitgliedes, eines jo liebenswürdigen Mannes, daß ich vor Thränen faum fprechen fonnte. Ich hatte ihn fehr lieb und

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war ihm zugethan wie einem fröhlichen Vater, dem mein Herz ans gehört hatte von Anbeginn.

Das Burgtheater hatte in ihm eine jeiner natürlichiten Stüßen verloren, Seiner natürlichjten. Sein Naturell war unſchätzbar, war wie ein ſchlank und geſund aufgewachfener Baum, ver feines Gärtners bevurft hat. Der forglofe, lebensfrohe Vater des Luft: jpiels war dahin.

Er ſtammte aus der Yaufit und war preußifcher Officier ges wejen, des Namens dv. Pannwig. Seine Heimath war nicht weit entfernt won der Anichüß’fchen. Der Name Wilhelm war fein angenommener Theatername, war aber allmälig fein ganzer Name geworden, denn er hieß auch außer der Bühne für Jedermann nur Wilhelmi. Eines Duelles wegen flüchtig, war der junge Mann zum Theater gegangen und hatte in Prag eine dauernde Stätte gefunden. Bon da war er jchon 1822 an das Burgtheater gekom— men, dem er alfo dreißig Jahre angehört hat, denn es war Frühling des Jahres 1852, als wir ihn begruben.

Er war ein hochgewachjener Mann mit lichten, furzgehaltenen Haar und wohlgebilveten, wohlgeröthetem Antlite, von jtattlicher Haltung, welche die Vorzüge eines früheren Officiers befundete, ohne irgend eine Steifheit. Um jeinen feinen Mund fpielte ein allerliedftes Behagen, welches einen Scherz, eine feine Speife und ein gutes Glas Wein jeverzeit willfommen hieß. Sein ganzes Weſen machte einen gar guten, freundlichen und fräftigen Eindruck. Er jtroßte in feiner guten Zeit und das war eine lange Zeit von fröhlicher Yebensfülle, und viefe Yebensfülle machte jich auf der Bühne dermaßen geltend, daß fie im Stande war, ein ganzes Stüd zu heben und zu halten. Wie oft, wenn er auftrat, ging die Ems pfindung durch's ganze Haus: „Ah, jett kommt der Rechte, jetzt geht's (08, jetst wird's lebendig!’ Nicht etwa, daß er mit Späßen und Witen oder fonjtigen Extravaganzen um ſich geworfen hätte. Durchaus nicht. Seine pulfirende Pebensfrifche war jo fräftig, fein

Das Burgtheater. 331

Ton war jo ehrlich wahr und unmittelbar, daß Jedermann ſym— pathiſch von ihm angemuthet wurde und angeregt.

Er ging ſtark in's Zeug und übertrieb doch nicht, Seine Natur war eben jtarf, und deßhalb jtanden ihm auch verwegene Aeuße— rungen und Wendungen harmonisch zu Geficht.

Alles das find Eigenfchaften eines Naturaliften. War er alfo, weil fein Naturell die Hauptjache war, weniger Künſtler? Das ericheint mir ihm gegenüber faft wie eine müßige Frage. Muß denn das Kunjtgebilde abjolut aus diefer oder jener Eigenjchaft des Künftlers ſtammen? It das innere Enjemble des Künftlers nicht die Hauptjache? Hört eine ſchöne Statue, ein jchönes Gemälde darum auf, ein fchönes Kunftwerf zu fein, weil wir erfahren, ber Bildhauer oder Maler jei fein Mann gewejen, welcher beweis- führend über feine Kunft zu fprechen gewußt? Wenn das Ganze wohlgelungen da it, dann brauchen wir nicht pedantijch zu fragen : Wie find die Theile zufammengejett worden? Das Talent jchlägt immer und überall ven Kunftweifen ein Schnippehen und lacht der Erklärungen. Dem Theater füme es ſehr zu ftatten, wenn es weniger Künftler von blos berechnender Schulweisheit und mehr Naturells und Talente wie Wilhelmi’s ohne Schulweisheit beſäße. Es iſt nicht zu verachten, wenn man jagen fann: Der Mann fpielt recht gebildet. Es ift aber noch bejjer, wenn man fagen fann: Der Dann jpielt vortrefflich; wie macht er's nur, worin befteht nur eigentlich feine Kunft ?

Dleiftiftzeihnung und gelehrte Raiſonnements waren allerdings Wilhelmi's Sache nicht, und er taugte auch nicht für feinere geiftige Aufgaben, Aber er war ein verjtändiger Mann, ver klar und finn- voll an feine Rolle ging und die Grundbedingung verjelben organisch auffaßte. Innerlich Unzuſammenhängendes fonnte ev gar nicht brauchen, und wenn fich der Rolle fein lebendiger Ddem abgewinnen ließ, da erflärte er einfach und nicht ohne Yeiowejen, denn er Ipielte jehr gerne jein Unvermögen für ſolche Aufgabe. Zu

222 Das Burgtheater.

feinem Berftande hatten ihm Natur und Erziehung ein feines, edles Gefühl verliehen, welches ihn oft ganz zarte Mitteltöne finden ließ in fchwierigen oder delicaten Situationen. Kurz, er war ein fünft- lerifches Naturell, welches nicht mit Theorien, wohl aber mit ganz guten geiftigen Mitteln an die Compofition feiner Gebilde ging.

Es ijt wahr und darin liegt ein geringer Troſt für jolchen Verluſt —, ſolche Talente des Naturells gehören ganz ihrer Zeit an. Sie erwachfen ganz aus den Gewohnheiten ihrer Zeit und werden leicht altinodifch, wenn fie an die Grenzſcheide von Zeitepochen ge- rathen. Der Geift ift dauernder als die Sitte, Und fo fann man zugeben, daß die Figuren, welche Wilhelmi trefflich darjtellte, von Kotzebue-Iffland'ſcher Factur waren, daß diefe Figuren allmälig ausgegangen find und die heutigen Gejtalten anders geartet, in ihren Wendungen geijtiger fein mögen. Damit fann man fich ein Wenig tröjten. Aber vabet bleibt es doch höchſt wünjchenswerth, daß wir Wilhelmis fänden zum Ausdrude für unjere heutige Art. Denn aus lauter Geift bejtehen wir auch nicht, und die Kunft braucht immerdar Fleifch und Blut.

Für den Director war Wilhelmi ein wahrer Schag, Nicht blos wegen feines Fleifes und feiner Hingebung an die Scene, auch wegen feiner perfönlichen Haltung. Es war fein egoiſtiſch-komö— diantenhafter Zug an ihm, er blieb jever Klatjcherei und Intrigue fern und zeigte ſtets volles Interefje am Geveihen des Injtitutes. Nach jedem neuen Stücke fam er zu mir, ftets im blauen Frad mit blanfen Knöpfen und mit aller Feierlichfeit einer Staatswifite, um jich gleichjam zu bedanken für die neue Inſceneſetzung, wie für Etwas, was dem Theater und den Schaufpielern zur beſonderen Ehre angethan worden. Er verleugnete nirgends die guten Ma— nieren eines fleinen Evelmannes. Sein Andenfen bleibt uns lieb und werth.

XVII.

Das Theaterjahr 1852 hatte unter der troſtloſen Ausſicht be— gonnen, daß unſere deutfche dramatiſche Production gar Nichts bieten würde. Ich hatte nicht ein einziges brauchbares Stück. Stücke genug! Altjährlich werden ungefähr dreihundert eingeſendet, die alle gelefen jein wollen und von denen höchitens zehn in nähere Bes trachtung fommen fünnen. Bon diejen zehn war damals nicht ein brauchbares übrig. Wer fennt dieje Yage eines Directors! Nur von Juni bis September ift das Theater allenfalls der Verbind- (ichfeit ledig, neue Stüde zu bringen; in den übrigen acht Monaten aber wird fir jeden Monat wenigſtens ein neues Stüc verlangt. Gefällt es nicht volljtändig, To ift eines zu wenig. Und wie felten gefällt ein Stück volljtändig, wie oft gewinnt eine ganze Saifon nicht ein dauerndes Stüd!

Zeit und Publicum gähnen vem armen Director wie ein un— ermeßlich weiter, offener Machen entgegen. Wie ihn füllen?! Und wenn die mühſam zurechtgemachte Speife einmal oder gar mehrmals nicht behagt, dann flappern drohend die Zähne des Rachens, dann Ihwindet unter diefem Drohen der Befuch des Theaters, dann zuden die Zionswächter im Angefichte der höheren Inſtituts-Behörde erit bedauernd die Achjeln, und dann verächtlich über die Unfähigkeit der Yeitung, und endlich rufen fie voll Entrüftung: Hinweg mit dem Stümper!

Notoriſch ift die deutjche dramatische Production abjolut unzu—

224 Das Burgtheater.

reichend für ein erjtes Theater, welches drei Viertheile der produ— cirten groben Waare nicht geben fann, Und doch rufen die natio- nalen Rigoriften: Nichts Ausländiiches, bejonders nichts Franzö- fiihes! Was würden fie jagen, wenn man ihnen folgte und die Theater zum Banferotte, zum Schließen führte? Lieber untergehen würden fie tapfer rufen als Fremdes benüßen !

Sie find meift jung und wiſſen nicht viel von den Schwierig- feiten ver Compofition eines guten Stüdes. Und am Ende hat ihr Eifer auch fein Gutes. Sie verhindern, daß fich die Theater blos auf fremde Krücken verlajfen und daß wahrhaft Fremdes, welches die heimathliche Sitte zerftört, aufgeführt werde.

Gegen England ift man nachfichtiger wegen entfernter germa- niſcher Berwandtichaft. Auch nicht mit Unrecht. Und Shafefpeare hat das große Ehrenbürgerrecht in Deutſchland.

Mit Shafefpeare aber fand ich an anderer wichtiger Stelle Schwierigkeiten. Mein Chef, ein geborner Pole, war von fran- zöfifcher Erziehung, und die Shafefpeare-Boefie war ihm ganz fremd, war ihm, wie früher allen Franzoſen, in vielen Hauptpunften ge— radezu umbegreiflich.

Es ist ja eigentlich auch heute noch ebenjo in Sranfreich, ob» wohl eine ganze Partie franzöfiicher Literatur Shafefpeare anpreift, obwohl die Nomantifer unter Bictor Hugo's Anführung den ‚Schwan vom Avon’ in Hymnen commentiven, ja jelbjt ehrlich überjegen, Victor Hugo's Sohn hat ihn neuerdings wirklich und wörtlich über: jet. Trotz Alledem ift und bleibt ver „Schwan“ wildfremd in Frankreich, wenigitens befremdlich. Cs iſt ein Samenforn Shafe- ſpeare's unter Literarifchen Franzofen aufgegangen, aber es bleibt ein fremdes Pflänzchen. Das gebildete Publicum betrachtet es kopfſchüttelnd und fteht feit auf DVoltaire's Standpunkt, daß der englifche Boet ein Barbar fei. Der romanische Formenjinn wider: jtrebt gründlich viefem weiten und freien Gange englischer Poefie, und wenn ihn die Piteraten bearbeiten, jo müſſen fie ihn nicht

. Das Burgtheater. 225

blos für das Publicum, nein auch für ſich umarbeiten, auf daß es formell franzöfiih werde. Wie viel bei diefer Um arbeitung über Bord geworfen werden muß von Shafefpeare’s Geift und weiter Abſicht, das ftört jie kaum, denn es bleibt ihnen verborgen, den Umarbeitern wie dem Purblicum. Sie find eben aus ganz wer: ſchiedenen Kirchenſprengeln, Shafejpeare und die Franzofen,

Nun, aus dem franzöfiichpoetifchen Kirchenſprengel war denn auch mein Chef, und mit gerunzelter Stivne hörte er's an, daß ich bei dem totalen Mangel an neuen deutjchen Stüden wieder ein Shafefpeare’jches bearbeiten müßte. Es wurde ihm zu viel, es wurde ihm zur arg. Der beifigende Rath war verjelben Meinung, dev ſchwärmte für Kotzebue. Namentlich die Rohheit, ja die Gemeinheit in diefem Shafejpeare wurde mir vorgehalten, und während ich draußen im der Literarifchen Welt um Vorführung franzöfifcher Viederlichkeit gegeißelt ward, wurde ich hier innen im Schoße meiner Behörde bitterlich gejcholten, daß ich die englifche Unflätherei auf die Hofbühne brächte. Was halfen meine literarifchen Auseinander- jeßungen, meine äſthetiſchen Beweisführungen, daß das Inftitut ja auch eine fiterariiche Beftimmung habe, und daß unfer jetiger Ge- ſchmack mehr verlange, als die engen Grenzen einer Hofbühne zu— gejtehen könnten „leider!“ hieß es „leider! ich finde es aber nicht angemefjen, daß die ſchon vorhandenen Ausfchweifungen noch weiter ausgedehnt werden. Warum geben Sie nicht Corneille und Racine“?

ZTreibt den Teufel aus durch DBeelzebub, den oberften ver Zeufel! jagt die Bibel, Bei jedem Theater ijt die Caſſe ein ent- ſcheidender Factor, ift der Beelzebub. Die fprach hier glücflicher- weiſe für mi. Zu Corneille und Nacine fchüttelte fie unwillig das Haupt, ven Shakeſpeare'ſchen Stüden aber nicte fie zu, denn die füllten fie. Und fo blieb es denn bei einem neuen Shafefpeare- Stüde, das ich einrichtete,

Ein neues franzöftfches war auch eben gewejen, und zwar eines Laube, Burgtheater. 15

226 Das Burgtheater.

der bejjeren, das „Fräulein von Seigliere‘’ von Sandeau, und dag Schlachtenglück der erjten Aufführung hatte ihm nicht gelächelt. Es hatte feine hinreichende Wirkung gemacht. Der faliche Schluß des Stüdes, das heißt ein jcheinbarer Schluß, welchen es hat, war Miturfache gewejen, daß es nicht hinreichend günftig aufgenommen worden war. Und das hatte wieder eine alte Wiener Unfitte ver- ſchuldet, eine Unfitte, die noch heute jorgfältig gepflegt wird. Man jteht auf, wenn nur der Schluß des Stüdes in Sicht fommt, und man geht fort, ehe er noch vollzogen it. Diesmal nun, bei dem icheinbaren Schlujfe des „Fräulein von Seigliere‘‘, gebar dieſer eilige Rückzug des Publicums ein wejentlihes Mißverſtändniß. Der falſche Schluß nämlich it in diefem Stüce der Steg des Unpopu— lären; es erfolgt noch eine Wendung, durch welche das Populäre jiegt und ein befriedigender Schluß eintritt. in Theil des Pu— blicums nahm alfo den unpopulären Schluß mit nach Haufe und erzählte dieſe mißliche Gejchichte daheim in der Familie. Dem fittigen Theile des Publicums aber, welcher ziſchend über die Stö- rung fiten geblieben war, hatte das Geräufch ven jchlieflichen Ein- druck verdorben. Kurz, das Stüd war fchief angejchrieben, und am andern Tage famen nur wenig Leute zur Wieverholung. Ich fenne einen damals regelmäßigen Sperrſitz-Inhaber, der heute noch im Irrthume iſt über den Ausgang des „Fräulein von Seigliere”. Er befuchte nur erjte Borjtellungen und hat nie erfahren, daß das „Fräulein von Seigliere‘ doch noch ihren Geliebten heirathet.

Trotz Cajfenprotejtes gab ich das Stüc nicht auf, weil ich es für ein gutes Stüd hielt, und fette jahrelang die Wiederholungen fort vor Schwach befucchtem Haufe. Nach fünf Jahren etwa, da das Stück hartnädig wiederfam, ſammelte jich allmälig ein neues Pu— blicum für daffelbe, und erft nach zehn Jahren hatte es die Scharte des eriten Abends ausgewett. Schr oft gelingt das gar nicht.

Dies Mifgejchie mit einem Franzoſen fam dem Engländer zu

Das Burgtheater. 227

jtatten; die Lücke Klaffte, es mußte mir ſchon darum wieder ein Shafejpeare-Stüd gejtattet werden,

Bei einem Haare hätte ich mit diefem erjtrittenen Shafejpeare Schiffbruch erlitten, in diefem Schiffbruche aber auch meine ganze Autorität verloren vor meiner Behörde, Al’ meine claſſiſchen Be- jtrebungen wären dann auf Jahre hinaus unzuläffig befunden worden. So greift das Schlachtenglücd in alle Yagen hinein! Sch werde diefen Moment nie vergefien, wo Dawiſon die jechs Worte ſprach, welche ich inſtinctmäßig immer gefürchtet hatte, und wo das Shafejpeare-Stüd in allen Fugen frachte und auseinanderzuberjten drohte. Ich hatte, wie gejagt, die Gefahr vorhergejehen und nach Kräften vor- und nachgebaut, aber, wie es jchien, doch nicht genügend,

Das Stück war ‚Richard der Dritte‘, und der Moment äußerſter Gefahr trat ein, als im vierten Acte nach jo viel Nichts: wiürdigfeiten des Helden auch noch die Nachricht fam, daß er ſogar feine junge Gemahlin in’s Ienjeits beförvert habe. Ich hatte Da- wilon gebeten, die jechs Worte nur zu flüjtern, weil ich ihre ſchlimme Wirfung fürchtete; aber obwohl er feinen Richard nur ſchwach iprechen ließ: „Auch Anna jagte gute Nacht ver Welt’ jo wogte doch das Meer des Publicums auf in grollender Unzufriedenheit, als ob vom tiefjten Grunde herauf ein Sturm es in die Höhe bäumte, Es war den Yenten zu viel Nichtswürdigfeit, e8 war der Moment des Scheitern.

Glücklicherweiſe hatte ich in der Einrichtung des Stüdes dafür gejorgt, und zwar mit umerbittlicher Befeitigung jedes müßigen Wortes dafür gejorgt, daß der moralische Rückſchlag, Das ein- tretende Unglüd Richard's, auf dem Fuße folgte, deutlich folgte, Schlag auf Schlag folgte. Dadurch geſchah dem ausbrechenden Sturme Einhalt. Und da nım diefe Rückſchläge auf das Genauefte in Scene gejett waren und jede üble Nachricht für Richard rafch, prompt, Far, nahrrüdlih in Scene trat ein ungeſchickter

192

2328 Das Burgtheater.

Schaufpieler konnte Alles werderben! jo wurde die üble Stim- mung betroffen, betäubt, befiegt und bis zum Schluffe des Actes in Genugthuung verwandelt,

Am anderen Tage vrücdte auch ein wohlerzogener Kritifer der alten Wiener Schule offen und unumwunden feine Entrüftung aus, daß man das Burgtheater entweihte durch ſolche Rohheiten, und daß diefem Shafejpeare-Treiben energijch ein Ende gemacht werden müßte.

‚Richard der Dritte‘ gehörte unter die „Hiſtorien“, das heißt unter diejenigen dramatiſchen Arbeiten Shafejpeare’s, welche nicht nach dramatiſcher Compofition trachten, jondern mit biftorifcher Schilderung in dramatifcher Form begnügt find, dramatische Arbeiten alfo, welche nach unferen Begriffen feine vollſtändigen Stüde find.

Der „vritte Richard‘ fommt unter diefen Hiltorien unferem Begriffe eines vollen Stüdes noch am nächſten. Seine Eroberung des TIhrones, feine Haltung auf demjelben und jein Untergang werden in folgerechten Scenen an ung vorübergeführt und werden nicht durch Abſchweifung oder Epifodenwefen zerjtreut. Für unfere Bühne fehlt nur eine Zuthat des Dichters, welche bei uns ein Stück nicht entbehren fann die Hoffnung. Ein Böfewicht handelt unerbittlich vor uns mit all’ feinen jchlechten Mitteln, und er handelt ganz allein. Wir fehen ein Gemälve, das nur Schatten hat und gar fein Yicht. Das verträgt ein Kunftwerf nicht; gewiß nicht auf der Bühne. Irgend ein Vichtichimmer muß abgrenzen, muß im Gedichte die Möglichkeit der Hoffnung bedeuten, ver Hoffnung, daß diefer Böfewicht wirffamen Widerftand finden werde. Es gemügt nicht, daß er am Ende erjchlagen wird, wir müfjen dies fommen fehen. Dies Kommen ift für uns die Yodung zur Theilnahme. Ohne diefe Zuthat ift das Bühnenſtück für uns wüſt und unerquidlich und fein Runftwerf.

Trotzdem ift gerade diefe Hiftorie vom dritten Nichard in Eng- land früher eine der populärsten geweſen! Das englijche Publicum ift

Das Burgtheater. 229

robufter, Es fommt freilich Hinzu, dag Nichard der Dritte in Eng- land ein hiftorifch populärer König ift. Er hat für ven Engländer einen Beigefchmad von Demokratie, und feine Energie iſt unzweifel- haft. Energie hält in der gejchichtlichen Erinnerung am längjten vor die Motive verblaſſen, die That bleibt fichtbar durch Jahr— hunderte. Das englifche Publicum fieht alfo diefen Nichard mit ganz anderen Augen als unfer Bublicum, denn der Engländer weiß: der Böfewicht da oben ift bei all feiner Grauſamkeit ein tüchtiger Herrfcher unjerer Inſel geweſen, er hat aufgeräumt unter dem egoi- jtiichen Adel, jehen wir zu, wie er's gemacht hat!

Zu den wunderlichen Schrullen der Engländer gehört auch, daß diejer energifche Uebelthäter auf dem englifchen Theater vielfach von einer Dame gejpielt wurde, Für uns ein Räthſel! Das feine Geſicht Richard's, welches er bejejjen haben joll, mag dazu Ver: anlaffung gewejen fein. Am Ende wird auch dadurch das Ganze gemildert und wird mehr zur Komödie was Alles unjeren Anz forderungen an die Bühne widerſpricht.

Genug, ich ging bei ver Bearbeitung davon aus, daß auf der Höhe des Stücdes der Hoffnungsftrahl wirkſam einfallen müßte, damit unfer Publicum vie fortwährend gejteigerten Verbrechen hin: nähme. Der Inhalt des Hoffnungsjtrahles liegt vor in Shafe- ſpeare's Hiftorie, er iſt nur nicht nachdrücklich gefaßt und heraus— gehoben. Er liegt in Stanley’s Hand, welcher jeinen Pflegejohn Richmond zum Sturze Richard's aus Franfreich ruft. Dies fommt erſt in den letsten Acten und fommt nur matt zu Tage, und dies verlege ich in ven dritten Act und an ruhige Stelle, damit es voll aufgefaßt werden kann, und ich laſſe es pofitiv ausprüden.

Allerdings hatte auch dies faum zugereicht, wie der drohende Tumult im vierten Acte erwies. Es hatte nicht zugereicht, genütt hatte es aber doch, wie mir nach der Vorſtellung naive Zuſchauer erzählten. Diejem Einjchube alfo, jowie den vechtzeitigen und ge- wichtig erfolgenden Rückſchlägen gegen Richard , welche dadurch ge—

230 Das Burgtheater.

wichtig wurden, daß man fich des Einfchubs im dritten Acte erinnerte, war e8 zu danfen, daß das Stück nicht unter der Entrüjtung gegen den Böfewicht begraben wurde,

Eine Scene in ‚Richard dem Dritten‘ gilt in allen Commen- tavien für außerordentlich genial. Es ijt die Werbung Richard’s um Anna’s Liebe. Sie haft ihn als den Mörder der Ihrigen, fie will ihn in's Antlit Schlagen und wird ihm nach fünf Minuten jo nahe gebracht, daß ſie ihm alle Ausficht gewährt, ihn zu heirathen. Das Mittel, deſſen ſich Richard bedient, ijt die Eitelfeit des Weibes; er ſchmeichelt dieſer Eitelfeit mit Leivenjchaftlichem Aufgebote, Er ſchwört, daß er jie auf's Heftigite liebe, und giebt ihr fein Schwert in die Hand, auf daß ſie ihn todtjtechen möge für feine Frevel, wenn jte ihn nicht erhören wolle; jobald fie aber das Schwert gegen ihn züdt, entwaffnet ev jie mit dem Zurufe: „Nur deine Schönheit veizte mich dazu!“

Natürlich glaubt zunächſt feine Frau an die Wahrheit dieſer Scene. Es iſt eben die geniale Scene einer „Hiſtorie“, will jagen einer Form, welche fich nicht mit Motivirungen aufhält. Im einem organifchen Stücke ift es Webertreibung der Möglichkeit, weil es gewaltfam zufammengedrängter Inhalt mehrerer Scenen ilt. Der denkende Zujchauer jagt dabei immer: Es ift nicht wahr, aber es iſt mit genialer Dreijtigfeit geführt, da es fo „unter Einem“ ab» gemacht werden joll.

Der legte Act war eine faum lösbare Aufgabe für ven ſchmalen Kaum des Burgtheaters. Beide Yager, das Richard's und Das Richmond's, ericheinen gleichzeitig; in beiden wird für das Publicum geſprochen, und Richard wie Richmond dürfen einander doch weder jehen noch hören. Wir löften diefe Aufgabe auch recht mittel- mäßig, indem wir das fleine Theater ver Länge nach durch eine Stein- wand in zwei Hälften theilten. Die Helven mußten jich jehr vor— jichtig geberden, um jich nicht fehen und hören zu müſſen. Später fanden wir eine treffliche Form, die allen Theatern zu empfehlen ift.

Das Burgtheater. 231

Eine Schleier-Courtine, durch Wolfenhänge undurchfichtig gemacht, fcheidet in der ganzen Breite des Theaters die Gegner. Richard ijt vorn, Richmond hinten. Aufziehen der Wolfenhänge und ein- tretende Beleuchtung macht die Schleier-Gourtine durchfichtig, zeigt aljo beide Yager gleichzeitig und macht die Traumfcene jehr wirffam. Die Geijter - Erfheinungen find auf drei verfürzt, denn die endloſe Reihe in der „Hiſtorie“ vernichtet die Wirkung.

Solchergeftalt iſt das Stüd eines ver ftärfjten Repertoireſtücke geworden und jteht troß jeiner ſceniſchen Schwierigkeiten fo feſt in Scene, daß ichs einmal Mittags um Eins bei einer Abänderung eingejchoben habe ohne jegliche Probe, und daß es Abends jo exact gefpielt wurde, als füme es frifch aus langer Probenreihe,

Meine Behörde zucte die Achjeln über den Erfolg und ſprach wie Meijter Anton: Ich verstehe die Welt nicht mehr.

Zum Trofte für jie fam plöglich ein Hackländer'ſches Manu— feript. Freilich in der lojen Scenenreihe, welche diefer angenehme Autor voll auter Yaune hinwirft, ziemlich unbefümmert um die ſce— niſche Berbindung. Er betrachtet mich dann Ichalfhaft lächelnd wie einen Schneider, der die offengelafjenen Nähte zufammennähen mag. Die Kleidung war wieder fehr artig entworfen ; ich nähte denn nach Kräften, und auf der Probe halfen mir die Mitglieder eine ganze Woche lang fertignähen, und als das Ganze des Abends präfentirt wurde, da fagte das Publicum: Dies ift charmant! Die „Magne— tischen Euren’ hatten bejtanden und eriftiven heute noch charmant.

Bei dieſer Gelegenheit wırde Frau Hebbel für eine Yujtipiel- rolle geboren, welche ihr Niemand zutrauen wollte. Diefe Rolle ver Gräfin ſchuf ihr ein neues Fach.

Sahrelang haben die auswärtigen Theater gezögert, fich an ein ſolches Converſations-Luſtſpiel zu wagen, welches nur mit dem En— jemble des Burgtheaters gejpielt werden und nur vor dem Conver— ſations-Publicum des Burgtheaters beſtehen fünne. Endlich haben es einige Theater gewagt und haben ganz wohl damit bejtandei.

232 Das Burgtheater.

So dürftig iſt die Unterftügung, welche ein talentvoller moderner Dramatifer in Deutſchland findet, wenn er den Schaufpielern na= türlichen Umgangston und den Zuſchauern Aufmerffamfeit zumuthet für converfationelle Reize! Fit es da ein Wunder, daß es an Stüden fehlt und daß unfere Luſtſpiel-Production jo dürftig bleibt?

Das Gleihgewicht im Repertoire der Neuigkeiten war nun hergejtellt: auf die grimme engliiche Tragödie war eine heitere deutſche Komödie gefolgt aber was weiter? Wie weiter? Eine Reihe von Monaten lag noch vor ung, und wie regelmäßig ich auch jeden Tag ein neues Stüd las, ein neues Stüd fürs Burgtheater (a8 ich nicht heraus. Der weite Rachen enthüllte jeine Zähne! Womit helfen? Da die Gegenwart mit Unfruchtbarfeit gefchlagen ift, wo wäre denn etwa in der Vergangenheit wieder ein Schat zu heben? Wo? Da fiel mir ein, wie ich einft als Student in Breslau eine Wendung meiner Stupien erlebt. Ich hatte an der Straßen- ecke einen Theaterzettel angeſehen, und der Titel des Stüdes hatte mich jeit vielen, vielen Jahren Bruder Studio hatte ganz andere Intereſſen! zum erjtenmale wieder ins Theater gelodt. Dieſer TIheaterabend hatte mich poetifch angemuthet, ich war dadurch plöß- (ich wieder Theatergänger geworden wie in der Knabenzeit, ich war dadurch zum öffentlichen Schreiben über, ja für das Theater verleitet, ih war auf diefem Wege aus einem Theologen ein nutzloſer Schrift: jteller geworden. Wo ift das Stüd von jener Straßenede, welches dich verführt hat? Fit es nicht auf dem Nepertoire? Nein. Es ift verfchwunden. Cine banale Bearbeitung von Holbein hat es auf die Länge ungeniefbar gemacht. Ich aber meinte damals eine Be- arbeitung gefehen zu haben, welche dem Originale ganz nahe ge jtanden. Ich fragte bei Anſchütz nach; er war ja eine Art Bres- lauer, ev war noch fünf Jahre vor meiner Studienzeit am dortigen. Theater und fehr beliebt geweien, man jprach meiner Zeit noch warm von ihm. „Sa wohl”, jagte er, „wir haben einmal in Breslau das Driginal nach Kräften hergeftellt, meine Frau hat die Titelrolle ge=

Das Burgtheater. 233

ipielt und auch hier in Wien mit großem Glüde in derſelben debutirt. Dies Buch wird jih wohl einige Jahre auf dem Breslauer Theater erhalten, und Sie werden die Borjtellung nach diefem Buche gejehen haben. Jetzt würde es wohl nicht mehr genügen, aber jett fünnten wohl Sie diefe romantijche Perle für unfere Scene falfen. Sie jind ja mitten in lauter Juwelier-Arbeit“ fette er mit feinem launigen Yächeln hinzu.

Das that ih. Es war das „Käthchen von Heilbronn‘, und in diejer Einrichtung ift es dan von Neuem wieder auf zahlreichen Bühnen erfhienen. Sie bleibt dem Original fo treu als möglich und macht nur nach Tiefs Rathe den alten Waffenfchmied zum Großvater des Käthchen’s, um einen Mifton am Schluffe zu ver meiden, wenn die Liebſchaft von Käthchen’s Mutter mit dem Kaifer zum Borfchein fommt. in Vater fan ſolche Liebſchaft leichter verzeihen als ein Gatte.

Es erlebte zahlreiche Aufführungen und wurde jedenfalls all- jährlich am Katharinen-Tage gegeben, ein Fejtbejtandtheil für junge und alte Katharinen.

Solche Verbindung der Theaterftücde mit den Erinnerungen, Sitten und Gebräuchen des Yandes habe ich principiell gejucht und zahlreich gefunden. Ic gehöre auch zu den Berbrechern, welche jeden dritten November aezüchtigt werven, weil Tags vorher wieder „Der Müller und fein Kind” gegeben worten ift. Ich finde das Stüd, welches allerdings in meiner jpeciellen Heimath jpielt, gut geſchrieben, und würde es dem Allerfeelentage nie entziehen, ſowie ich am Allerheiligentage dem eingebürgerten Verlangen nach einer Geiſter-Erſcheinung vegelmäßig genügt habe. Das große Publicum mußte dazu gewöhnlich „Hamlet“ in den Kauf und mit dem Geijte jeines Vaters vorlieb nehmen. Seit obiger „Richard“ geglüct war, konnten wir ja fogar mit drei Geifter-Erjcheinungen aufwarten, und das haben wir denn auc mehrmals gethan. Ein Theater, meine ich, muß eng und vertraulich mit dem Volfe zufammenhängen.

234 Das Burgtbeater.

Sogar mein Chef wollte einmal dem Allerjeelentage den ‚Müller und fein Kind’ entziehen. Ich erwiderte darauf, daß ich dies für einen revolutionären Schritt hielte. Cr ſah mich finter anz Spaß zu verftehen, war nicht feine Gewohnheit. Ich fette num auseinander, daß es ja äußerſt erwünſcht fein müffe, wenn die Be— völferung im Theater eine Art Feier ihrer Gedenftage finde. Da— durch werde ja das Theater in organischer Verbindung erhalten mit dem Publicum, und ich hielte eben das für eine conjervative Reper— toire-dildung, die Abſchaffung aber eben deßhalb für eine revolu— tionäre Maßregel.

Da lächelte er über die Umfehr unferer fonjtigen Stellung, in welcher er immer der conjervative Vertreter war, und der alte Müller durfte weiter huſten am Alferjeelentage.

Enplich im Spätherbfte fam Hilfe, und ich rief Triumph. Es fam ein originales neues Stüd, und zwar ein großes und ſehr be- deutendes es kamen „Die Makkabäer“.

XVII.

Nun zum Dresdener Pakete des Poſtboten, welches im Spät- herbfte 1852 zu meiner angenehmften Ueberrafchung „Die Maffa- bäer“, eine neue fünfactige Tragödie von Otto Ludwig, enthielt.

Alle Kräfte wurden angejtrengt, fie würdig in Scene zu feßen. Das ungemein große Perfonal des Stücdes war für uns nicht zu groß, wir fonnten es jtellen, und fonnten es tüchtig jtellen, und wir waren jo glücklich, endlich ein bedeutendes einheimifches Stüd ein- jtudiren und vorführen zu können.

Aber dies Jahr hatte feine Tücken gegen große Unternehmungen des Burgtheaters es brachte das heimathliche Stüd in noch größere Yebensgefahr als das engliiche,

Betrachten wir das umfängliche Gebäude der „Makkabäer“ in feinem Innern, und wir werden entdecken, worin und wodurch es Gefahr laufen fann.

Das Stüd hat zunächſt eine höchſt gefährliche Eigenfchaft: es hat zwei Helven, Lea und Judah. Solche Fülle ift jehr miglich. Wenn ein Mädchen zwei Yiebhaber hat und beide zu lieben meint, jo wird fie wahrfcheinlich eine unglücliche Ehe ſchließen, over fie wird leer ausgehen.

Lea, die berühmte biblifche Meutter der Makkabäer, ift von Hauſe aus die Heldin des Stückes gewejen. Der ältejte Sohn Judah wächſt ihr aber im zweiten Acte hoch über die Schultern, und dieſer Het gehört auferdem zu dem Grandioſeſten, was unſere Dramatif

236 Das Burgtheater.

aufzuweilen hat. Die veligiöfe Begeifterung des jungen Juden für den Einen Gott, unfere chritliche Erbichaft aus dem Judenthume, reißt unjere Herzen im Sturme mit jich fort. Wir find Alle aufge jäugt und auferzogen in diefem Glauben: „Ich bin der Herr, dein Gott, und du folljt feine anderen Götter haben neben mir‘; wir nehmen Alle Partei, wir nehmen fanatifch Partei gegen die Viel— götterei der Syrier, und ver Beifall für Judah, wenn er das Götzen— bild in ven Staub jtürzt, ijt ver ungeheuerjte, welchen ich im Burg— theater erlebt habe.

Das Stüd muß ihn bezahlen. Nun iſt Judah unfer Held, und doch trachtet der Dichter in den drei folgenden Acten nur danach, das Interejje für Lea oben zu erhalten. Wir fangen aljo im dritten Acte wieder von vorne an. Das it ein jchwerer Uebelſtand. Und er wird noch erhöht durch die Einleitungsjcene für Yea, in welcher fie wieder an den Gipfel-ves Stüdes gejtellt werden joll. Wie geiſt— voll ijt fie gemacht, und wie geführlich tft fie doch auf ver Bühne! Lea jteht felfenfeit unter den zerfahrenen Juden: jie empfüngt alle Nachrichten, die guten wie die ſchlimmen, im derjelben Ueberzeugungs- treue, in der unwandelbaren Berufung auf das große Ziel. Meit Ichlagender Charafterijtif find die Juden neben ihr gezeichnet in ihrer ſophiſtiſchen Manie, alle Grundſätze durch Erklärung zu zerfafern, ein deutliches Bild ihres jtaatlichen Unterganges jie allein haut jeden Knoten durch und ſteht umerjchütterlich auf ihrer Zuwerficht. Wenn man die Scene liejt, jo nennt man fie meifterhaft, und wenn man jie auf der Bühne fieht, jo erichrieft man vor ihr.

Das Theater-Publicum braucht zuerit und zuletzt Einheit und Einfachheit, denn es ift zuſammengeſetzt aus jtarfen und ſchwachen Capacitäten. Was der Verjtändige würdigt, das mißveriteht der Unbegabte, und der Unbegabte ift naiver als Jener, er äußert Jich leichter als Jener, er hat die Maſſe für ich, welche ihm beiftimmt, er hat die Neigung jedes großen Publicums für jih, die Spannung abzufchütteln und fich durch Heiterfeit zur erholen von der Anjtrengung

Das Burgtheater. 237

des Zuhörens er fiegt im Theater, wenn die Auffaffung der Scene ſchwierig wird, wenn die Einheit fehlt und die Einfachheit.

Solchergeitalt fommt die Theilnahme für Yea nicht wieder in die Höhe, Judah aber ift in zweite Yinie getreten das Stück hat den Mittelpunkt des Interefjes verloren und lahmt dahin,

Der vierte Act giebt Yea die finnigiten Accente für Schmerz und Yeiden, Wir nehmen fie achtungswoll auf, aber Yea ift noch immer nicht unſere Heldin, und wir meinen deßhalb, nicht auf dem Hauptwege zu fein; wir bleiben fühl.

Der letzte Act endlich macht uns klar, daß der Yea unfere ganze Theilnahme gebührt. Das Opfer im feurigen Ofen, in welchen fie berzbrechend einen Sohn um den anderen jtößt, damit dem einen, einzigen Gotte Gerechtigkeit widerfahre dies erjchütternde Opfer, trefflich vom Dichter ausgeführt, gewinnt unſere ganze Hingebung für Lea, und wir ſcheiden voll Hochachtung von dem groß gedachten dichterifchen Werke.

Aber wir behalten einen Zweifel übrig. Cr lautet: Könnte es nicht noch größer jein? Wir hatten uns nach dem zweiten Acte noch Gewaltigeres erwartet; in der Mitte find wir gejtört worden, und erjt zuletst find wir wieder ganz und voll dabei geweien.

Dies ift das Ergebnif eines Stücdes mit zwei Helden eines Stüdes, welches mit Recht Anſpruch macht auf den Titel einer großen Tragödie,

Welch Schickſal hatte nun die erjte Aufführung? Wenn ich das Innere richtig gezeichnet, fo ahnt es ver Leſer. Am Schluffe des zweiten Actes, wie jchon gejagt, ein unerhörter Erfolg, im dritten Acte eine völlige Niederlage. Die verwirrenden Nachrichten, das jüdische Markten um Worte, der fortwährende Widerſpruch wurden ausgelact.

Die letzten Acte hatten Mühe, dem Stücke nothoürftig wieder aufzuhelfen von ſolchem Falle. Es war vorauszufehen: daheim erzählen fie vorzugsweile von der fpectafelhaften Judenſchule, die

238 Das Burgtheater.

ausgelacht worden, und der Beſuch bleibt aus, das Stück ift nicht zu halten auf dem Repertoire,

Da erfranfte am anderen Morgen Wagner-Judah, und das Stüd fonnte nicht jogleich wiederholt werden. Dieſe Zwijchenzeit benütste ich, die große verwirrende Scene des dritten Actes neu zu vedigiven, das heißt zu vereinfachen und diefe Vereinfachung zwei- mal, preimal, viermal zu probiren, bis fie wie urfprünglich gewachjen ericheinen fonnte, Das bewährte ſich bei der endlich erfolgenden zweiten Aufführung: man lachte nicht wieder, Aber der Erfolg ſtand noch weit aus; die erjte Aufführung hatte das Stüd discre— ditirt. Mörderifche Stichworte verfolgten es, wie: „Die Synagoge auf vem Burgtheater”, und wer iſt denn glüclicher als der Schauer: träger des Purblicums, wenn er Unglüd berichten fann, wer iſt ges Ichäftiger ?!

Da half uns die Prefje redlich. Sie flärte auf, fie würdigte, fie pries das Preifenswerthe. Namentlich Friedrich Uhl unterjtütte das Stück in nachdrücdlicher Weife. Sp wurde es mühſam erhalten. Seven Spätherbit brachte ih es nach jorgfältigen Proben wieder, und mit jedem Jahre wurde’ die abfällige Stimme leifer, enplich verjtummte fie, und die „Makkabäer“ wurden ein Feſtſtück.

Leider nur auf vem Burgtheater. Nur auf ein paar Bühnen ſonſt jind fie verfucht und dann für immer vergeffen worden. Und doch Steht der Inhalt den Bibel lefenden, jüdiſch jtreng mono— theitijchen Protejtanten, vor denen das Stüd außerhalb Dejter- reichs aufgeführt worden ift, noch viel näher als den Katholifen in Wien. Es verichwand in Norddeutſchland wie ein Meteor.

Der arme Yudwig, von Krankheit und Dürftigkeit gepeinigt, bat es mir alljährlich geklagt, wenn er die fleine Rente von uns, wie er die Tantieme nannte, danfbar quittivte, denn wir brachten das Stück mit unverbrüchlicher Regelmäßigkeit jedes Jahr.

Die jegige Direction fei daran erinnert, daß fie die Monate hat vorübergehen laffen, in denen feit fünfzehn Jahren die „Makka—

Das Burgtheater. 239

bäer’’ jtetS einen Abend gefunden zur Feier Dtto Yudwig’s und zur Unterftügung für feine Hinterlaffenen, für die Witwe und die Kinder. Sie ſei daran erinnert, daß unfer Publicum eines feiner würdigiten Repertoireſtücke nicht untergehen ſehen will.

Was man in der Jugend wünfcht, hat man im Alter die Fülle, Die Jugend des Jahres 1852 hatte nur Wünfche, das Alter dieſes Sahres brachte eine Fülle von Stüden. Gleich nach ven „Maffa- bäern“ erichien Bauernfeld mit feinen „Kriſen“, welche jehr wohl geftelen.

Octave Feuillet hatte in zwei kleinen Arbeiten dies Thema der Krifen entwidelt. In einer Novelle, genannt „La elef d’or“, und in einem fleinen Drama, genannt „Une erise“. Bauernfeld hat jih diefe Vorlagen angeeignet und fie fo breit ausgeführt, daR fie einen Yuftipiel-Abend füllen. Die Eltern namentlich, Papa Lämm— hen und Fran Lämmchen, find von ihm zugethan, um die Behaglich- feit des deutjchen Lujtipieles über die Gedanfengrundlage Octave Feuillet's zu verbreiten. Das iſt ganz wohl gelungen, ‚und es ilt ein Luſtſpiel entjtanden, welches feinen Pla im Repertoire behauptet bat. Dafür ift immer maßgebend, wenn die Rollenbejegung ge wechjelt werden muß und das Wohlgefallen am Stüde doch nicht wechjelt. Fräulein Neumann und Herr Fichtner, die erjten Ber: treter der fritifch Yiebenden, haben uns verlajjen, und die Fräulein Scholz, Bopler, Bognar, jowie Herr Sonnenthal find für fie ein- getreten. Der Doctor, zuerit Herr Damien, dann Herr Yırcas, ift an Herrn Gabillen gefommen. Selbjt das allerliebite Lämmchen Beckmann's hat fich die ſüße Milch der Yammsnatır ein Wenig ver: wandeln lajjen müjjen durch Herren Meixner, und das Stüd ift un- geſchwächt verblieben ; es hat alle Krifen überjtanden.

Ueberhaupt wurde in diefem Jahre 1852 dem Luftipiele ftarf gefröhnt. Gefröhnt jagte man, denn e8 wurde ung vorgeworfen. Der grimme „Richard“ und die ſchweren „Makkabäer“ fünnen mich wohl veranlagt haben, ungemein auf Ausgleihung und auf leichte

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Erholung zu denken. Auch actueller Anstoß war damals vorhanden nach der leichten Seite. Ich mußte oft den Borwurf hören, das Repertoire würde zu fchwer, und ich würde meine literarifchen Zwecke jicherer erreichen, wenn ich ausgiebig auch für Fröhliche Unterhaltung jorate. An oberjten Stellen ſähe man Bedmann jo gern, und den vernachläfjiate ih. Das Alles war nicht unbegründet. Es fand auch in meinem Grumdplane für das Burgtheater entjprechende Yinien. Ich weiſe zurück auf das, was ich bei Gelegenheit des „Berwunfchenen Prinzen‘ gejagt, und daß bei fiebenmaligem Schau— jpiele in der Woche auch das ausgelaffene Luftipiel feine Stelle finden muß. Was bie denn auch „Beckmann nicht vernachläffigen‘’ Anderes, als das ausgelaſſene Yuftipiel nicht vernachläffigen! Es war aljo fein Fröhnen, es war eriwogene Abficht, welche damals zahlreiche ältere Yuftipiele, wie „Die unglüdliche Ehe‘, „Die franfen Doctoren”, ‚Die Reife nach ver Stadt‘, neu ſcenirte, welche für Bed- mann den; „Vater der Debütantin” hoffähig zu machen fuchte durch starke fcenifche Aenderung, welche „Die Mördergrube“ einrichtete für ihn und Fräulein Wildauer, welche untavdelhaft Iujtige Stüdchen, wie den „Freundſchaftsdienſt“ und „Er iſt nicht eiferfüchtig”‘, einführte. Wir juchten in diefer Richtung auch claffifche Weihe, indem wir Shafe- ſpeare's „Viel Lärm um Nichts‘ in der Holter’fchen Einrichtung auf das Sorgfältigjte in Scene fetten. Oder gehört es etwa nicht in dieſe Rich- tung? Spielt in den Shafefpearefchen Luſtſpielen nicht die bloße Clown-Komödie eine vordringliche Rolle ? Um fo vordringlicher, je we— niger zumeiſt dev Inhalt des Ganzen ein wirkliches Luſtſpielthema ift? Die unfhuldige Hero wie im Trauerfpiele ſchmähen, werurtheilen, iterben laſſen, das ift vecht grob-ernſthaft und gehört eben einer drei hundert Jahre alten Gefhmadsrichtung an, welche heute bei einem nenen Luſtſpiele nicht hingenommen, fondern als grelle und geſchmack— (oje Contraftirung geicholten würde.

Das Luftfpiel muß fich, ich wiederhole es, auch in einem erſten Theater frei bewegen dürfen. Fröhlichkeit, jo lange fie nicht in

Das Burgtheater. 241

Gemeinheit ausartet, ijt unter hundert Masfen willfommen; jie ift Sauerftoff im Theater, welcher die Lebenskraft erhöht. Gute Sitte und guter Geſchmack räumen immer auf im Nepertoire der Ausge- lajjenheit; das Unziemliche wird ftets fofort zurücigewiefen, und das ganz Haltloſe verſinkt jpurlos.

Die heiteren Neuigfeiten jenes Jahres haben fich in reicher Anzahl bis heutigen Tages wirkffam erhalten. Leider haben jie ihren fomifchen Quell verloren dadurch, dag Beckmann's Leben ver— fiegt und in die Erde gejunfen iſt.

Schreiten wir in ein neues Jahr! 1853. Diefes Jahr er— hielt jeine Signatur durch Perfonalfragen. Schaufpieler wurden gewonnen, Schaufpieler wurden verloren, und heute fragt man fich nicht ohne Grund: War der Gewinn am Ende ein Verluft, und war der Verluft wohl gar ein Gewinn? Der Verluft hieß Dawifon.

Die Wahl ver Dinge ift unfer Schickſal. Der Orientale jagt geradezu: Die Wahl, welche ung freigejtellt jcheint, iſt unſer Ver— hängniß.

Ich erinnere mich oft, daß ich einmal bei ſchönem Frühlings— wetter in Thüringen zu einem Pferdemarkte ritt, um ſchöne Thiere zu ſehen und mir ein edles Pferd zu kaufen. Als ich ankam, wurde eine runde Graditzer Stute vorgeführt, und mein Begleiter lobte die hübſchen Formen des Geftütpferdes. Gerade diefe Formen waren aber nicht mein Geſchmack, und ich drängte weiter mit den Worten: „Dieſes Pferd fauf ich gewiß nicht!” Als wir aber Nachmittags ven Markt verließen, hatte ich gerade diefe Graditzer Stute gefauft. Die Neue blieb ſpäter nicht aus; mein erjter Ein— druck war der richtige geweſen; ich hatte faljch gewählt und mich benachtheiligt die Wahl der Dinge ift unfer Schidfal.

Ih möchte nicht um die Welt Pferde und Künftler in Einen Wahltopf werfen; ich will nur die räthjelhaften Einflüffe betonen, welche jo oft unfere Wahl leiten, und ich will nur ein Grundprincip

ableiten aus jener thüringifchen Erfahrung. Es lautet: Wenn Laube, Burgtheater. 16

242 Das Burgtheater.

man nene Schaufpieler jucht und in Wahl zieht, fo foll man fich auf Nichts verlaffen, als auf den erjten, allgemeinen Eindrud, welchen fie auf ung machen. Iſt er ſympathiſch, fo erwähle man flugs, wie viel auch Einzelheiten abrathen; iſt ev unſympathiſch, jo gehe man leer von dannen, wie viel Einzelheiten fich auch hervordrängen zur Empfehlung. Der Total-Eindrud des Menfchen ift und bleibt von der Bühne herab die Hauptfache. Selbſt der Böfewicht muß uns menfchlich wohlthuend anmuthen, wenn wir feine Darftellung des Böſen lobend annehmen jollen.

Als ih Herrn Dawifon das erſtemal ſah, fand ich ihn unge- mein begabt für die Schaufpielfunft, aber er gefiel mir eigentlich nicht. Als ich ihn das letztemal ſah vor einigen Jahren in Dresden mißfiel ev mir ganz. Sch fand, daß feine Begabung über die Kunft hinweg zum Handwerk ausgebildet worden dies ijt das Kenn- zeichen des Virtuoſenthums und daß mir auch das mißfällig geworden, was er gut machte. Er machte es eben.

Dies ganze Sahr 1853 hindurch, das vierte feines lebensläng- lichen Engagements, zerrte ev fortwährend an uns herum mit der Sucht nach Sonderftellung und privilegirter Auszeichnung, endlich mit dem Anfuchen um Entlaffung, da ihm in Dresven eine noch günftigere Stellung geboten würde, günftiger dadurch, daß ihm dort ein großer Spielraum bliebe für Gajtrollen.

Ich war innerlich gar nicht mehr abgeneigt, auf ihn zu ver: zichten. Sein virtuofes Herausprängen aus einem harmonijchen Enſemble erſchien miv immer bevenflicher, fein eitler Trieb nach Solofpiel beſchädigte unſer Enſemble immer ärger. Uns aber in Wien, denen die Schaufpielfunft eine edle Kunft ift, war doch und ift das Enſemble das Ziel diefer Kunft. Das Endziel ſchauſpiele— riſcher Beftrebung ift ung das ganze Gemälde, nicht aber die ein- zelne Figur, Das Stüd als Kunſtwerk ſoll ganz hevvortreten, und das gelingt nicht, wenn der einzelne Schaufpieler fich ungebührlich vordrängt oder wohl gar aus vem Rahmen pringt.

Das Burgtheater. 245

Leteres wınde mehr und mehr Herrn Dawijon’s Manie. Woher fam das? Aus dem innerjten Weſen feiner Perſonlichkeit. Ein Autodidakt, hatte er ſich mit lobenswürdigſtem Fleiße aus den gedrückten Verhältniſſen eines polniſchen Juden emporgearbeitet. Das „empor“ war nun aber bis zur Krankhaftigkeit ſeine Loſung geworden, und die volle Bildung war ausgeblieben; denn diefe lehrt auch Entjagung, diefe eritvebt und erringt das Gleichgewicht zwifchen unferen Wünfchen und Kräften. Unter dem immerwährenden „empor! und „empor! vwerjäumte er und verlor er die langſame und breite Entwielung des inneren Menfchen, welche unerläßlich ift für einen vollen Künſtler. Er war aufgefchoffen ohne mora- liſches und fünftlerifches Rückgrat und verblieb deßwegen ohne Halt.

Dem entjprechend fiel er bei Wivderwärtigfeiten man er— innere fich an feine hiefigen Debuts in Häglichen Kleinmuth, und blähte-fich auf zu craſſem Hochmuthe, als er in die Periode des Gelingens fan.

Ich hatte ihn ungewöhnlich gefördert, über Gebühr jogar, wie jeine Gollegen mit Recht mir vorwarfen. Ich brauchte vor Allem frifche, lebendige Kräfte, um das ziemlich fchläfrig gewordene En— jemble aufzuweden und zu beleben. Alte Rollen, die ihm zufagten, neue, mit denen er Üüberrafchen fonnte, erhielt ev in Uebermaß. Gr hatte die brillantefte Stellung befommen und ein aroßes Publi— cum gewonnen. Nur ein Eleiner Theil des Publicums blieb ihm gegenüber auf feiner Huth und lobte nur Einzelnes.

Zu diefem Fleinen Theile gehörte ich ſelbſt. Yange und auf- merkſame Beobachtung feiner Fähigkeiten und feines Wejens hatte mir ſchon nach den erften Jahren klar gemacht, daß er fein Genie jei, fondern nur ein pifantes Talent, welches allmälig von mancher großen Rolle fernzuhalten und auf einen engeren Kreis zu bejchrän- fen jet, vorzugsweife auf Epifoden. Jedenfalls ſeien ihm Wollen zu verfagen, welche einen Menfchen mit breit ausgeprägten Naturell

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244 Das Burgtbeater.

und mit langem Athem verlangen, desgleichen Menjchen mit ruhiger, tiefer Charafterfraft.

Unſere Claſſik namentlich Liegt ganz außer feinem Bereiche. Er iſt fein Deutfcher, und der nationale Athem unjerer Dichter ift ihm verfagt, er kann ihn in feinem Tome wiedergeben. Das Schiller’iche Pathos wird bei ihm hohle Declamation, die Goethe’jche Einfachheit jtreift bei ihm an triviale Nüchternheit, unfere Romantif gar wird ihm melodramatiiche Pauke. Am erjten fommt er noch mit Leſſing zurecht, da dieſer vorzugsweife aus der Verjtandes- thätigfeit heraus gearbeitet hat.

Wie viel ift dadurch abgejchnitten für unfer Theater! Shafe- jpeare bot mehr für ihn, denn er charafterifirt mit ftarfen Strichen, aber außer Richard, Shylod und Jago doch auch nur Epifoden. Er freilich griff nach Allem und verlangte auch ven Othello. Sch er- widerte: „Othello ift im letzten Grunde ein Yiebhaber, und das find Sie nicht; Othello iſt ein Yöwe wenn Site ihn |pielen, wird er ein Tiger, und dies verfälſcht das Stück“.

Ebenſo mußte er im Luftipiel eingefchränft werden. Sein Aeußeres bon machte ihn für viele Rollen unzulänglich, es verfagt ihm alle vornehmen Leute; er iit unelegant, unruhig, haftig, in den Bewegungen oft ungraziös, „Man fieht ihm aber doch den Juden nicht an!’ hat Jemand in Dresden gejagt. „Doch!“ hat Lederer erwidert, „er maujchelt mit den Beinen.’

Ich möchte das Racen-Borurtheil nicht unterſtützen; wir haben ja auch gerade in Wien fchlagende Gegenbeweife: Sonnenthal ift auch Jude, und wer vermißt an ihm vornehmes, feines Weſen?! Aber die Eigenthümlichkeit orientalifcher Race gehörte zu Dawiſon's Nachtheilen und bildete feine Vorzüge. Seinen Fleiß, feinen behende juchenden Verftand, die überrafchende Beweglichkeit feines Gejtaltens verdanft er ja offenbar feiner Herkunft.

So ungefähr dachte ich über ihn, da er mich um Entlafjung quälte. Als Spifodenfpieler war er mir ein Schaf für unjer Theater,

Das Burgtheater. 245

Wenn ich hätte hoffen dürfen, daß er fich künſtleriſch beichränfen fönnte, dann wäre ich hartnädig gegen feine Entlafjung gewejen. Aber dazu war gar feine Ausficht mehr. Er fing bereits an, feine beiten Rollen zu übertreiben. Riccaut in „Minna von Barnhelm‘ war eine prächtige Leiſtung gewejen für feine polniſch-franzöſiſche Zunge jest ſprach er ſchon fo geläufig Franzöfifh, daß man ihn nicht mehr verjtand; er überfranzof'te ven Franzoſen.

Ich befürwortete alfo jelbit bei meiner Behörde feine Ent- lafjung und founte ihm eines Abends anfündigen, daß er fie in einigen Monaten erhalten würde. Das dauerte ihm noch zu lange, und um die Friſt abzufürzen, machte er mir eine Scene hinter den Couliſſen, die Scandal erregen und fofortigen Bruch herbeiführen jollte. Er ging mehrmals an mir vorüber, jtieß Scheltworte aus und gefticulirte heftig. Ich ſprach mit Jemandem und wurde es gar nicht gewahr. Als man mich aufmerffam machte, wußte ich auf ver Stelle, wohin das abzielte, Ich ſchickte jogleich nach Herrn Lucas; er hatte ven Doctor in den „Kriſen“, welchen Herr Dawifon an diefem Abende fpielte, auch ſchon gejpielt. Ich ließ ihn bitten, er möchte eiligjt fommen ; binnen einer halben Stunde werde Herr Dawiſon ohnmächtig werden. Binnen einer halben Stunde wurde Herr Dawiſon auf der Scene ohnmächtig, und der Vorhang mußte fallen. Herr Yucas wurde jofort als Stellvertreter angekündigt, wir jpielten ruhig das Stück zu Ende, und des anderen Tages erließ unfer Chef die Ordre: Herrn Dawifon nie wieder das Burgtheater be— treten zu lajjen.

So verloren wir den Charafteripieler. Einen Yiebhaber aber und eine Yiebhaberin gewannen wir in Herrn Gabillon und Fräulein Würzburg.

As ih Fräulein Würzburg in Hamburg das erjtemal jah, fand ich fie jung und hübſch, aber auch fie gefiel mir eigentlich nicht. Und bier war noch dazu mein Begleiter, welcher jie jchon Länger fannte, derjelben Meinung, daß fie feine richtige Liebhaberin wäre.

246 Das Burgtheater.

Dennoch Lie ich fie gaftfpielen. Da wurde fie applaubirt; ein Enthuſiaſt in der „Preſſe“ fprach von einer jungen Rachel, meiner Behörde gefiel fie fie wurde engagirt.

Herr Gabillon erwies ſich auf der Bühne auch nicht als der Liebhaber, der gefucht wurde, aber er eignete fich für einen Theil der Dawiſon'ſchen Rollen er wırde ebenfalls engagitt.

Es bleibt dabei: die Wahl ift unfer Schiefal oder, wie der Drientale fagt: unfer Verhängniß.

RIM,

Das Gontingent neuer deutſcher Stüde fir 1853 war aus— giebiger als ſonſt, ausgiebig wenigjteng für ven Gafjenerfolg, aber fiterarifch Doch wieder unzureichend. Es lieferte drei Erfolge und unter diefen Ein gutes Stüd.

Den „Dolch“ von Raupach rechne ich nicht. Der ſterbende Tchlefiiche Dramatifer hatte ihn feiner Wittwe vererbt. Es war ung ein Act der Pietät, ihn aufzuführen. Weitere Bedeutung hatte er nicht und fand er nicht.

Die beiden wirffamen Neuigkeiten waren „Mathilde von Benedir, und „Die Waife von Yowood” von Frau Birch - Pfeiffer, Das gute Stüd endlich waren Freytag's „Journaliſten“.

Roderich Benedix tjt jehr ſchätzbar für die Theater-Directionen. Er gewährtihnen alljährlich Yebensmittel; man nennt fie Hausmanns— fojt. Leider ift er eben veghalb von geringerer Bedeutung geworden für das literarijche Theater, denn er producirt zu leicht und zu raſch, und feine Stücke jchlagen feine tieferen Wurzeln. Sein Erfindungs- talent ist ein in Deutjchland feltenes und Jollte uns zu einer vedlichen Aufmerffamfeit für ihn verpflichten. Gewohnheit, wie das Bedürfniß des Erwerbes verleiten und nöthigen ihn zur Haft; vielleicht um diejer Haft willen find feine zahlreichen Arbeiten felten frei von Banalität. Bielleiht! Denn es giebt freilich ſchöpferiſche Naturen, die nur dann ſchöpferiſch find, wenn fie fich beeilen fünnen. Benedir zum Beifpiel ift jehr johwer dahin zu bringen, daß er Aenvderungen

248 Das Burgtbeater.

an feinen Stücken vornehme. Leicht empfangen, leicht geboren, find ihm feine Kinder auch) fertig, wenn fie da find; er ift immer ſchon inmitten einer neuen Geburt, wenn man ihm über fein lettes Kind Betrachtungen aufnöthigen will.

Dennoch ift es der Frage werth, ob uns und ihm nicht gedient wäre, wenn die Sorge des Erwerbes für ihn verringert werden könnte. Gr trüge dann vielleicht feine Pläne ruhiger und länger unter dem Herzen. Wenn jolch einem erfindungsreichen, um das Theater vielfach verdienten Autor endlich einmal eine geficherte Lebensjtellung bereitet werden fünnte, da erfüllte das deutſche Theater nicht nur eine Schuldigfeit, fondern es verschaffte ſich wahr— jcheinlich auch ein Beneficium. Die erfindungsreichen Kräfte find fo jelten unter ung, daR wir felbjt erfinderifch trachten jollten, jie zu pflegen und dadurch zu jteigern. Er fitt in Leipzig und arbeitet wie ein Fabrifant für ven Markt! Wie viel foftipielige und doch nußlofe Anjtellungen find nicht gang und gäbe bei ven deutſchen Hoftheatern! Die Intendanzen zumeift in erſter Yinie, welche nur überflüffigerweife repräfentiven und durch jeweilige Einmifchung in den artiſtiſchen Gang nur ſchädigen.

Ein behaglicher Winkel für den Theaterdichter ließe ſich an zehn Orten finden. Aber „Alles brauchen ſie beim Theater, nur nicht Dichter!“ Dies vorlaute Wort eines Karlsſchülers iſt leider noch immer wahr. Der Quell des ganzen Theaters bleibt unbe— achtet, und nur der Theaterkram findet Pflege und Aufmerkſamkeit. Die Hecenfenten tragen täglich dazu bei mit ihrer drafonifchen Strenge gegen die Dichter Drafo macht wohlfeil intereffant! und mit ihrem unerjchöpflichen Wortſchwall über Austattung und auswendigen Plunder. Wie oft jpotten fie über die Einfachheit im. Burgtheater und ahnen gar nicht, daß diefe Einfachheit unſchätzbar ijt für das Mefen des Schaufpiels. Geht nur hinaus und betrachtet den Aufwand für äußerliche Dinge, welcher den Sinn zerjtreut hat für den Geift und Kern!

Das Burgtheater. 249

Benedir iſt auch immer frei gewelen von dieſer äußerlichen Rofetterie, er hat immer nur innerliche Aufgaben bearbeitet. Nach einer wohlerworbenen gelehrten Erziehung in Yeipzig ift er Schau— jpieler geworden und Schaufpiel-Director. Er ijt einer der We— nigen, welche über die Bildungsmittel der Schaufpieler gejchrieben, und gründlich gefchrieben haben über Redekunſt und Bortrag er befitst alles Zeug, von einem behaglichen Winfel aus einem Theater gute dramaturgijche Dienjte zır leijten.

Die „Waiſe“ ver Fran Birch foll auch nicht unterſchätzt werden. Was jo viel und jo lange die Theilnahme des Publicums beſchäf— tigen fann, ohne doch geradezu niedrige Mittel aufzubieten, das darf man nicht höhnifch behandeln, wie es die Kritif vielfältig thut, das darf man nicht hochmüthig geringſchätzen. ine Talentesfraft liegt darin immer vor.

Aber einem Director, welcher nicht blos für den Tag arbeiten will, konnte doch auch dieſes Stücd feine Genugthuung fein, feine Beruhigung für den Fortgang deutfcher Production,

Ich hatte es übrigens ſelbſt unterſchätzt, und ich laſſe mich bei diejer Gelegenheit auslachen von den Wienern, indem ich eingejtehe, daß ich jehr zweifelhaft war, ob ich ihnen das Stück vorführen dürfte. Ich hatte es in Hamburg gefehen, wo es Furore machte Fräulein Seebah, Jane Eyre; Fräulein Würzburg, Georgine und dennoch war ich zweifelhaft. Die rohen Begebenheiten, die groben Contrajte, die hausbacenen Gedanken, welche mit Altflugbeit überpust waren, hatten mich eingefhüchtert, Wird ein feineres Publicum nicht darüber lachen? hatte ich gevacht. Sch entjchloß mich erjt, als ich einen ganzen Act gejtrichen und ven buntejten Ueberpuß von Weisheitsflosfeln ausgemerzt hatte, Und ich bin heute noch der Meinung, daß dies nöthig war fürs Burgtheater. Solde Stüde find für's große Publicum gefchrieben; an dem Elite- Bublicum unferer erſten Borftellungen jcheitern fie oft durch Einzelheiten alltäglichen Geihmads, durch grelle Wendungen, welche

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aus dem ftarfen Romane eingejchlüpft find. „Die Frau in Weiß‘ zum Beifpiele, zur Familie dev „Waiſe“ gehörig, ging bei uns unter, während fie draußen im Reiche gefiel.

Merkwürdig ift der jo ganz verſchiedene Erfolg, welchen „Ma— thilde” und welchen die „Waiſe“ gefunden. Die „Mathilde“ von Benedix, ein Familienvorgang von wichtigen innerlichen Fragen, machte anfangs ebenfo viel Glück wie die „Waiſe“ und erlebte eine ganze Reihe ſehr bejuchter Vorjtellungen, Auf einmal verſagte die Zugkraft und das Stück mußte liegen bleiben, während die „Waiſe“ ohne Aufhören anzog. Woher fommt das? Vielleicht daher: „Ma— thilde“ lebt won grellen Familien = Conflicten, die grell entſchieden werden. Dieje Entjcheidungen fünnen im Bublicum beftritten wer: den, und fie wurden bejtritten. Es wird alſo vorzugsweije der Verſtand in Anspruch genommen, und das Intereffe des Verſtandes erichöpft fich zeitiger im Bublicum. Gewöhnliche Zuthat von Theater: ballajt giebt Benedix nicht; dafür ift er zu puritanifch. Frau Birch aber giebt ihren Stücen einen reichlihen Sinneneultus, und die GSonfliete in der „Waiſe“ wenden fich nicht an ven Verstand, fondern an das Gefühl, Sie find auch unbejtreitbar: mit dem Schidjale einer gemißhandelten Waiſe gebt Jedermann es ift am Ende auch hier die Einfachheit, welche fiegt.

Aber was beveuteten und was bedeuten folche Siege für den Werth und die Zufunft unſerer dramatiihen Schöpfungskraft! Dieſe Schöpfungen find ja doch alle nur Futter für Pulver, wie Falftaff jagt. Wahrlich, die Sorge um unfere dramatische Schöpfungs- fraft hat mich während achtzehnjähriger Directionsführung nie ver: (affen, und fie hat mich, wie oft! tief traurig gemacht. Sch geitehe es hiemit öffentlich ein, daß ich das deutſche Theater für abjterbend halte, weil es ihm an Production und an Schaufpielern fehlt.

Die Schwachen Productionen zu ergänzen, die Schauspieler zu erziehen, ift jet unabweisliche Aufgabe einer Divectionsführung ge- worden. Heutigen Tages muß die Injcenefeßung eine ergänzende

Das Burgtheater. 251

Schöpfungskraft ausüben, ſonſt fönnen zwei Drittheile ver heutigen Stüde nicht bejtehen. Wie athmet man auf, wenn endlich einmal ein Stüd fommt, das feiner Nachhilfe bedarf, und wie tief zieht man den Hut! Das fertige, feſte Stüd flößt Niemandem jo großen Re— jpect ein, als dem Infcenefeger, und es ift ein großer Irrthum, wenn man glaubt, durch immerwährendes Ergänzen verwöhne man jich und tafte dann auch ans Gute. Durchaus nicht! Einem echten dramatifchen Geifte und Gefüge wagt man nicht einmal in Kleinig- feiten eine ändernde Berührung anzuthun, jelbjt da nicht, wo alle Welt ruft: Hier ift eine unſchuldige Verbefjerung anzubringen. Ein voller Organismus weift jede Zudringlichfeit von ſelbſt zurück.

Aber wehe dem Theater, welches für die Ueberzahl ſchwacher Neuigkeiten feine ergänzende Kraft auf den Proben hat! Seht jie nur an, die veutjchen Theater, wo die trodene Regiſſeur-Routine herrſcht! Bon halben Erfolgen zu Mikerfolgen, von Mißerfolgen zu halben Erfolgen jchleppen fie fih und verlieren dadurch einen dauernden Kepertoire-Bejtand, ein organijch theilnehmendes Publi— cum. Wie viel Stüde haben im Burgtheater Dauer gewonnen, welche nirgends fonjt am Yeben geblieben find! Und wie find die Theater alle durch ihre Mißerfolge gefunten !

Wie find fie ferner gefunfen durch die mangelnde Yeitung der Schaufpieler! Es iſt wahr, die neue Zeit mit ihrem Gleichheits- principe, welches die fernige, aparte Berfönlichfeit nicht mehr jo pflegt, wie e8 ehedem möglich war, jie verringert die Anzahl befon- derer Menjchen, welche auf der Bühne interefjiren können. Es ift wahr, die große Theilnahme an öffentlichen Dingen, die Parlamente - mit ihren Rednern entziehen ver gefpielten Welt einen großen Theil früherer Aufmerffamfeit und nehmen zahlreiche Menſchenkräfte hin- weg, welche ſonſt in ven Schaufpielerjtand hineingeriethen. Einſt veerutirte er fich aus unruhigen Geiftern aller Art; jett findet eine große Anzahl diefer unruhigen Geifter Beſchäftigung in der Politik, und die Novizen für die Bühne find meiltens blutjunge Gefchöpfe,

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welche eine leichte Garriere machen wollen, Gefhöpfe ohne irgend eine Phyſiognomie, von denen auch neun Zehntheile nie eine Phy— jiognomie gewinnen.

Set hundertmal mehr als ſonſt müſſen die Schaufpieler ge- leitet und erzogen werden. Und wer thut das? Wer fann das in den herfömmlichen SchablonensAemtern? Der Intendant fitt auf olympijchem Throne und lächelt. Da unten, tief unter ihm, mag die Brut fich geftalten wie fie fann. Kann jte's nicht rajch, jo wird fie fortgejagt. So werden alle Jahre junge Talente ausgejtoßen, denen fein Menfch tiefer in die Augen geblickt, ausgeſtoßen, weil nur die Gebrechen des Anfängers an ihnen zum Vorfcheine gebracht worden find. Wer joll ihnen in die Augen bliden? Wer verfieht das wichtigjte Amt am Theater, das Amt eines Piychologen? Der Regiſſeur etwa? Er fümpft bis zur Erfchöpfung mit den Außerlichen Aufgaben der Injcenefegung, wenn er überhaupt fümpft. Cr hat feine Zeit zur Erziehung, wenn er überhaupt Sinn dafür hat, Col- legen zu erziehen, welche ihm ſelbſt Concurrenten werden fünnen, und wenn er überhaupt Geift und Bildung genug hat, welche doch am Ende in eigenthümlichem Grade dafür nöthig find. So iſt es gefommen, daß jest zum Beifpiel in Berlin taufend Stimmen jhreien: Es giebt feinen Nachwuchs im Schaufpiele, und das Theater liegt in den letzten Zügen!

Das fann man in Wien nicht jagen. Im Burgtheater trägt der Nachwuchs feit Sahren das Repertoire. Aber nur wenn jolche Erziehung vedlich und kundig fortgefett wird, kann das Burgtheater fortbejtehen als eine Ausnahme vom Berfalle des deutſchen Theaters.

In ſolche Nachtgedanken fiel Freptag’s Luftipiel wie voller Son— nenſchein. Das war ein Troft fir meine Productions-Sorgen! Es giebt alfo noch Geijter, rief ich, die auf der Höhe unjerer Ge- danfen jtehen und Talent genug haben für ein gutes Theaterſtück. Willfommen, ihr prächtigen „Journaliſten“! vief ich feelenvergnügt, und vergegenwärtigte mir das Weſen und. die Yaufbahn ihres Mei-

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jters, meines fchlefifchen Yandsmannes, um zu entdecken, wie er in dieje luſtige Gejellichaft gerathen wäre.

Tief hinten aus dem waſſerpolakiſchen Oberfchlefien war er nah Breslau gefommen, ein blonder, jchlanfer Deutfcher, und hatte emfig jtudirt und dem Yeben lächelnd zugefehen. Ueber jein erites Stüd: „Marimilian’s Brautfahrt“, hatte er mir nach Yeipzia ges ichrieben: „Es macht die Rundreiſe aufden Bühnen mit recht zweifel- baftem Erfolge”. So pflegen heutige Theater-Autoren von ihren Kindern nicht zu fprechen, denn auch Privatbriefe müſſen für Re— clame forgen.

Mit feiner „Valentine“ fam er nach Yeipzig, und wir erlebten zufammen ein Theaterftürmchen. Als der Stein mit dem Zettel in Balentinens Gemach flog, wadelte die Haltung des Publicums fo unangenehm, daß bedenkliche Aeuferungen laut wurden und das Stüd einen gefährlichen Ye befam. Wir fahen uns an, und er hatte die Ruhe eines curiofen Kopfſchüttelns, ja eines betrachtiamen Zuſchauerlächelns. Diefe Ruhe behielt er auch, als wir nach ver Vorjtellung erwogen, ob und wie der Pe zu jtopfen jei durch eine Aenderung. Wir meinten Beide, das Stüd ſei für das Publicum doch verloren, und er behandelte dies Thema mit einem fo natür- fihen Gleichmuthe, daß er mir beneivdenswerth erichien. Die Göt- ter hatten auch ein Einjehen, es ereignete ſich das Unerwartete, welches darin bejtand: daß wir uns Beide geivrt hatten. Das Unglüd im Theater war nur der unruhige Schaum des Bublicums gewejen, welcher aufgezifcht hatte, und eine unfchäßbare Eigenschaft manches norddeutihen Publicums in Mitteljtädten enthüllte fich unferen Bliden. Man hört in diefen Städten fehr aufmerkfam zu und läßt fich nicht irremachen durch zifchenden Schaum. Die Leute bewahren fich recht im Gegenfage zu ven lärmenden, nachplap- pernden Großſtädten ein eigenes Urtheil. Sie hatten daheim erzählt: diefe „Valentine“ ift ein interejjantes Stück, und Fräulein Unzelmann jpielt finnig und fein die Titelrolle. Nein! ift ein

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Stichwort der Bildung in Sachfen. Als nun der Director zaghaft eine zweite Vorjtellung anjette, war das ganze Haus gefüllt und das Stücd machte großes Glück. Das größte jogar. Freytag ſah mich wieder an mit dem eigenen Blicke feines blauen Auges, welches voll launigen Hinterhaltes, und num lachten wir Beide über die unnütze Sorge um den Stein,

Sein Gleichmuth war durch dieſe Freude ebenfowenig er- jchüttert wie vorher durch Aerger; fein Weſen iſt durchſchnittlich eben und ruhig.

Das nächte Stück Frevtags war „Graf Waldemar”, Es ließ das Publicum falt. Ich hab’ es an mehreren Orten gefehen, e8 wurde überall ungenügend gejpielt; denn für" Alltags = Infcenes ſetzung ift es zu einfach und doch zu geiftig. Im Berlin ging es jogar entzwei, weil der zu grelle leiste Act feinen kundigen Regiſſeur gefunden. „Graf Waldemar’ Lebt nur in Wien, und zwar in guten Umſtänden.

Man warf diefen Stücen einige Manierirtheit vor und baute auf den Autor feine bejondere Theaterhoffnung. Ich perſönlich begte immer eine jtarfe Neigung für zahlreiche Scenen in dieſen Stücen und ließ mir gern verwerfen: das jet eine landsmann— Ichaftliche ſchleſiſche Sympathie. Ich hatte „Die Valentine‘ auf unferem Nepertoive gepflegt, obwohl ich Feinen richtigen Saalfeld und feine richtige Valentine ftellen fonnte Herr Sonnenthal und Fräulein Wolter wären jetzt geeignet, Fräulein Baudius die nächſte Aſpirantin ich hatte mir auch die größte Mühe gegeben, den „Grafen Waldemar‘ möglich zu machen. Die Cenfur meiner Be— hörde aber fagte hartnädig Nein. Ein Graf foll eine Gärtners- tochter heirathen? In der Wirklichkeit mag's leider vorfommen, auf dem Burgtheater nie! Ich werde fpäter erzählen, durch wel- chen diplomatischen Gedanken ich die Mesalliance doch noch zu Stande gebracht.

Jetzt kam plößlich mir felber unerwartet, denn Freytag war

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jahrelang im Schatten geblieben ein volles Yuftipiel, ein mo— dernes, ganz vortreffliches Yuftipiel von ihm. Ein jolches find „Die Journaliſten“. Was ich immer gewünfcht, lag wor mir. Unfer heutiges Yeben da angefaßt, wo e8 geijtige Bedeutung hat, alfo in höherem Sinne und doch in leichter Form, in der heiter wohlthuen- den Form des ehrlichen deutichen Kuftipiels. Wahrheit, volle Mög— lichfeit des Vorganges, veizend gehoben durch feinen Humor Katzenhumor, wie Gutfow ärgerlich von Freytag ſagt —, populär gehalten durch jtarfe Züge und Fräftige Charaftere a la Piepenbrinf das war ein Felt für mich, diefe erſte Yectüre! Da war ja der Weg, da war ja das erreichte Ziel! Wir fönnen alfo doch Stücfe jehreiben, wir fünnen Yujtipiele Schreiben ohne Uebertreibung und Fereirtheit, das deutſche Theater kann alſo noch beftehen und ge- deihen, es braucht nicht zu ſterben!

Ach, jett nach vierzehn Jahren fieht mir diefe Freude aus wie ein Jugendtraum. Die Nachfolge ift ausgeblieben, Freytag ſelbſt hat nicht mehr die Stimmung dafür gefunden. Er bat uns nur noch eine werthvolle Tragödie gebracht, aber eine römische: „Die Fabier“. Wer gewinnt unfer Publicum heute noch für vömifche und griechiiche Intereſſen?! „Nackte Beine!’ fchreit der Wiener, und geht anderswohin. Und Freytag bat.fich in gelebrte Studien vertieft. Aller Ehren werth. Aber er kann Beſſeres. Wer Ichaffen kann, joll nicht blos lehren. Ih hoffe immer noch auf ihn. Er war ftets voll jchalfhaften Hinterhalts und wird uns vielleicht einmal plößlich mit einem neuen Yuftipiele überraſchen.

Iſt diefe Hoffnung auf ihn und einige Wenige eitel, dann Abe, deutfches Theater!

Und bei einem Haare brachte ich „Die Journäliften‘‘ gar nicht auf die Scene, Herr v. Hülfen in Berlin hatte ganz richtig ge— jagt: Die Journaliſten machen mir fo ſchon Aerger genug, ich werd’ ſie doch nicht gar noch anfällig machen auf dem Hoftheater! und hatte das Stück abgewiejen, rundweg, bafta! Ein zweites Theater,

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die Friedrich-Wilhelmsſtadt, hatte es dann gegeben, und mit fo durchſchlagendem und danerndem Glüde, daß der Intendant des Hoftheaters freilich erft nach einer Neihe von Jahren eins jichtig erklärt hat, er fer im Irrthum gemwejen und wolle num den Irrthum ausgleichen. Auch jo ſpät hat er noch die beiten Früchte geerntet von der Aufführung des Stückes.

Wir fchienen im Burgtheater auf denjelben Weg des langen Wartens gewiejen zu werden. Weil Wien jo lange abgejperrt ge wejen von der Freiheit öffentliher Stimmen, hat es eine noch tiefere Scheu als irgend eine andere Stadt bewahrt vor dem lauten Weſen ver Sonrnaliftif, und das freilich oft üble Handwerk der ano— nymen Schreier, Ziicher, Nager und Verleumder ijt dem Wiener nur zu leicht gleichbedeutend geworden mit dem Begriffe eines Sour: naliften. Dies Handwerk ift ja doch nur ein Bodenjat des Standes. Ner möchte es unterlaffen, vor ihm zu warnen, ihn zu befämpfen ! Aber ver höhere Journaliſt hat eine edle Aufgabe. Je edler und tüchtiger jie gelöft wird, deſto vorfichtiger umd anerfennender wird man auch in Wien untericheiden lernen zwiichen ven Marodeuren und den Feldherrn diejes Federfrieg-Standes.

Solche Rangordnung verfuchte ih meinem Chef zu entwideln, am die Erlaubniß zur Aufführung des Stüdes zu erlangen. Er ichwieg. Das nächſtemal zog ich das gedruckte Manufeript aus ver Tasche und [ag eine Scene vor, in welcher „Schmock“ charakteriſirt wird, befanntlich nicht Schmeichelhaft für den Journaliſtenſtand das half. Nicht gern, aber die Bewilligung wurde ertheilt.

Fünfzehn Jahre find jeitvem vwerfloffen. Und nun vergleiche man unfere jegige Wiener Welt mit der damaligen: Niemand, aber Niemand vom älteren Perfonal am Theater ftimmte mir zu, daß dies Stüd ein gutes Stüd wäre und guten Erfolg haben könnte. Am Tage ver erjten Aufführung um die Mittagszeit begegnete ich einem ſolchen Mitglieve in Gegenwart meiner Behörde, Dies Mit- glied gehörte zu den literariich gebildeten und war in ftetem Verfehr

Das Burgtheater. 237

mit Schriftitellern, und dies Mitglied fagte im Beifein meiner Be— hörde: „Sie irren fich mit diefem Stüde, Herr Director! Dies Treiben und Reden der Journaliſten ift den Wienern völlig fremd und unbekannt; vergleichen goutiven fie alſo nicht, und Zeit wie Arbeit ift verloren —“

Sch war in diefem Augenblicke wieder einmal eine vecht bevenf- fiche Figur in den Augen meiner Behörde, und wenn dies Mitglied am Abende Recht behielt, dann nun dann war doch wohl diefen argen und geſchmackloſen Neuerungen endlich ein Riegel vorzufchieben.

Ein altes Kirchenlied fingt:

Der Tugend Weg ift anfangs fteil, Läßt nichts als Mühe bliden, Doc weiterhin führt ev zum Heil, Und endlich zum Entzü

An jenem Abende wenigjtens gab’s für mich Entzücken. Mit dem erjten Acte ſchon war das Glück des Luftfpiels entjchieden, Dem Bublicum war Nichts darin „fremd und unbekannt‘, und e8 verftand und „goutirte“ auch die feinften Nuancen; das Stüd wurde mit jubelndem Beifall aufgenommen.

Jetzt wiſſen wir's Alle, daß „Die Journaliſten“ zum Bejten gehören, was unſere dramatiſche Literatur in den letzten Jahrzehnten gebracht die beiden erſten Hoftheater aber waren außer Zweifel, daß ſolch Unweſen nicht zuläſſig wäre. Habe ich Unrecht mit meiner Beſorgniß über die Lebensfähigkeit des deutſchen Theaters? Ich möchte dafür einſtehen, daß „Die Journaliſten“, wenn fie heute im Meanuferipte anfümen, auch heute unter Achjelzuden abgewiefen würden von der Schwelle des Hofburgtbhenters.

Laube, Burgihrater. 17

xXX.

Unter den halben Erfolgen des Jahres 1853 war eine Be— arbeitung des „Cymbelin“ von Shafefpeare, und die eines guten franzöfiichen Stüdes: „Lady Tartuffe“, von Frau v. Girardin. Dieje „Lady Tartuffe“ hatte faft noch weniger als einen halben Srfolg: fie wirkte unangenehm. Ihre Zeit wird ſchon kommen tröjtete ich mich und man wird eine Charafteriftif intereffant, ja wehlthuend finden, welche jett bitter ſchmeckt, weil das ſchmeckende Publicum allzu lange gewöhnt worden ift, in der Gemüthlichkeit allein alle Reize der Kunſt zu ſuchen. Und diefe Zeit iſt gefommen: „Lady Tartuffe“ ijt allmälig ein beliebtes Repertoireſtück geworden.

Den „Cymbelin“ dagegen gab ich felber auf. Unter dem Titel „Imogena“ hatten wir diefe offenbar loſe Arbeit Shakeſpeare's gegeben. Frau Bayer hatte die Imogen jehr gut gejpielt, und die Knaben hatten rauſchenden Applaus gefunden. Dasjelbe Stüd alſo, welches etwa ein Jahrzehnt früher in einer Halm'ſchen Be— arbeitung Nichts gemacht hatte, war jeßt zu ziemlicher Wirfung ge— bracht worden. Aber die Wirkung war hohl. In Wahrheit hatte ich den lebhafteren Effect im Vergleich zu Halm nur durch eine vichtigere Befetung erzielt. Ich hatte die Knaben an Mädchen ge- geben, und dadurch wurde die naive Courage derjelben wirkſam. Bei der Halm’fchen Bearbeitung hatte man Männer dafür ges nommen und deßhalb gar feine Wirkung erreicht. Aber was be— deutete der Effect einer Scene, wenn das Ganze ohne Eindrud ver— bleibt? Und fo war es. Mean empfand, dag man eine willfürliche

Das Burgtheater. 259

Compoſition vor ſich hatte, welche fein tieferes und ftärferes In— terejje in Anspruch nehmen kann. Troß des beliebten Gastes wurde der Beſuch bald mittelmäßig, und ich hielt es für richtig, das Stüd mit dem Gajte verſchwinden zu laffen.

Unter den neu fcenivten Stüden des Jahres war „Sappho“, „Egmont“, „Die Jungfrau von Orleans’, „Der Nibelungenhort‘, „Taſſo“, „Die Schuld”, „Das Urbild des Tartuffe“. Letzteres hatte ich neu beſetzt in den Nebenrollen, welche früher allzu ſchwache Darjteller gefunden, und fo wurde es auf lange hin neu belebt, Müllner’s „Schuld, eine naive Anfrage an das Publicun, be- fremdete und ließ falt. Ich konnte fie auch nicht eben glücklich be— ſetzen und will nicht darüber abjprechen, ob eine nochmalige, beijer ausgerüftete Anfrage nicht eine befjere Antwort finden fünnte.

Zu guterletst hab’ ich aus dieſem Dreiundfünfzigersdahre noch eine Begegnung zu erzählen, welche für das Perfonale des Burg- theaters eine nicht unwichtige Folge hatte. Ich ſaß zur Sommers zeit in Karlsbad in meinem Erferzimmer des „Polarſterns“, da trat eine junge Dame ein. Sie war fchlanf, hatte das Haar von der Couleur Cardoville Sue’jher Erfindung, hatte ein entfprechendes und fprechendes blaues Auge und ein jehr angenehmes Organ. Sie war Schaufpielerin und wollte für die Burg engagirt fein. „Was jptelen Sie?” „Luſtſpielfiguren, Soubretten.“

Ich bat fie, mir zu erzählen, was fie bis daher erlebt hätte, Bei folcher Erzählung hat man reichliche Gelegenheit, das Wefen der neuen Bekanntſchaft zu beobachten.

Sie erzählte lebhaft, zuweilen mit haftiger Leidenſchaftlichkeit, und als fie auch in diefer Erzählung bis auf mein Zimmer im „Polarſtern“ gefommen war und die Pauſe der Entjcheidung ein— trat, jagte ich langfam: Ihr Vortrag, mein Fräulein, hat mich auf andere Gedanfen gebracht, als die Anfindigung ihres Faches er— warten ließ. So erzählt feine Yuftipielfigur, feine Soubrette! „Wie das?” Ich will jagen, daß Ste mannigfache Fähigkeiten

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entwidelt haben, aber nicht gerade humoriſtiſche. Sie haben wor- zugsweife einen ungemein rührenden Ton angejchlagen, welcher auf Schaufpiel und Tragödie hinweift. Haben Sie nicht Neigung zum Tragiihen? „O ja!” Das follten Sie verfuchen. Gretchen jollten Sie ſpielen. Haben Sie dazu feine Gelegenheit? „DO ja. Ich habe einen Engagements-Antrag nach Hamburg.” Nehmen Sie ihn an und trachten Sie tragische Rollen, namentlich Gretchen, zu jpielen. Ueber's Jahr werd’ ich nach Hamburg fommen, und wenn ſich meine Bormeinung bejtätigt, jo werde ich Sie engagiren.

Dies ereignete fich im Sommer 1853; im Verlaufe des Jahres 1854 werde ich won diefer Reiſe nach Hamburg, welche ich einhielt, zu jprechen haben.

In Wien begannen wir dies Jahr 1854 mit einem Stüde von Friedrich Hebbel. Es war ein Act der Selbjtverleugnung und ver Billigfeit, welchen ich mir auferlegte, indem ich ein Stüd von Hebbel in Scene fette. Ich habe werer damals noch früher oder jpäter Hebbel für einen Theaterdichter gehalten. Aber in Wien erhoben jih Stimmen, welche vorwerfend über mich jagten: Du ſuchſt nach allen Seiten um Vermehrung der gedichteten Dramen für die Bühne, dur experimentirjt alle Jahre mit Shafefpeare, warum den lebenden Dichter ausjchliegen, der mit „Maria Magdalena” und „Judith“ jein Anvecht auf die Bühne dargethan ?!

Das war ja berechtigt. Nichts ſtand im Wege, als mein tiefes Mißtrauen in Hebbel’s Theaterwirkſamkeit. Konnte das nicht ein Irrthum fein? Als Theater-Director muß man der Belehrung zu— gänglich bleiben, wie ein Minijter.

Ich kannte Hebbel ſchon feit Anfang der Dreifiger Jahre. Damals Shon, als ich die Zeitung für die elegante Welt redigirte und in vem Sinne des jogenannten ‚jungen Deutſchland“ Schrift: jtellev anzog oder herbeizog, hatte er mir von Heidelberg aus ein Gedicht eingefendet, Ich war ferner dabei, als mit feiner „Maria Magdalena‘ ein erſter Verſuch der Aufführung gemacht wurde.

Das Burgtheater. 261

Dies gejchah im Yeipzig und ift miv unvergeflich geblieben, weil es mir maßgebend wurde für die Charafteriftif des Dichters, infofern er auf der Scene erfcheint. Ich halte dies bürgerliche Schaufpiel von ihm für feine bejte dramatiſche Arbeit. Es hat wahres Leben, und im feiner einfachen Form fommt es von all feinen Stücen dem Bühnengeſetze am nächiten. Dies fand ich bejtätigt, als die Auf- führung an uns, die wir ein feines Publicum waren, vorüberging. Aber unauslöfchlich fam ein anderer Eindruc über mich in jener Bor: jtellung, der Eindruck vernichtender Traurigkeit. Als der Vorhang zum letztenmale gefallen war, herrjchte in dem Fleinen Zufchauerfreife helfe Verzweiflung. Wir gingen von dannen wie won einer Hin- richtung. Iſt dies der Zweck dramatiſcher Kunft? Iſt dies ein Ziel der Bühne? Und war dies Miftönen zufällig in dies Cine Werk des Dichters gedrungen, oder gehörte es zu feinem Wefen ?

Wir waren aber Parteigänger für poetifche Neuerung und trieben den leidenden Director dahin, daß er eine Wiederholung des Stüdes anjette. Das Yeipziger Publicum beftand damals aus der Elite der Stadt, hörte jehr aufmerffam und war fehr eingenommen für höheres Schaufpiel. Es wird gehört haben, fagten wir, von diefem beſonderen Stücde, es wird zahlreich kommen.

Der Director aber behielt Recht zum Schaden feiner Caſſe. Nie hab’ ich ein jo leeres Haus gejehen; e8 fchien geradezu gar fein Zufchauer vorhanden zu fein. Mein Nachbar fagte: Mean kann mit Bogeljchrot in ven Saal ſchießen, wie breit ver auch umherftreuen mag, man trifft feinen Menſchen. Namentlich war nicht Ein Frauen zimmer vorhanden, Der Fall ift noch gar nicht dagewejen! ſtöhnte der Director. So abichredend hatte das Stück gewirkt.

In Wien war Hebbel während ver ftürmifchen Jahre 1848 und 1849 auf das Burgtheater gefommen, und zwar mit zahlrei- cheren Stüden als irgend ein Dichter. Diefelbe „Maria Magda- lena“ war gegeben worden und „Judith“ und „Herodes und Ma- riamme‘ und „Der Rubin’, die leiten beiden mit entſchiedenem

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Mißerfolge. Die meiften VBorftellungen hatte „Judith“ erlebt. Ich jette fie aljo ebenfalls im erſten Jahre meiner Divection aufs Re— pertoire. Wir fpielten fie aber in der beften Theaterzeit November vor Shwachen Haufe. Ich gab fie deßhalb nicht auf und wieder: holte fie ſechs Jahre lang, fast immer mit geringem Ergebniß. Meine Behörde ſchalt mich deßhalb, und ich mußte fie aufgeben. Dei gün- jtiger Gelegenheit 1859 im December nahm ich fie nochmals auf, um dem Dichter gerecht zu werden; aber das Haus füllte fich auch da nicht hinlänglich. Eben weil ich ihm fonjt nichts Sreundliches anthun konnte, hielt ich an einem Stüde feſt, welches doch ein ge— wiſſes Bürgerrecht erlangt hatte und welches mit zwet guten Kräften für Judith und Holofernes haltbar zu machen ſei wenn auch nicht als ein richtiges Theaterſtück, aber doch als eine originelle Theater: ſkizze. Mean hatte bei der erſten Infcenefegung zu viel Unnüßes und Folgenlofes darin gelaffen ; ich redigivte mirs zu dieſem Zwecke neun und wollte e8 in dieſem Winter mit Fräulein Wolter neu in Scene jeten.

„Maria Magvalena‘’ fand ich ſchon abgejett vom Nepertoire, als ich eintrat, denn meine Behörde war von entjchlofjeniter Feind- jeligfeit gegen dies Stüd. Sie hätte eher das politiſch mißliebigjte Stück erlaubt, als dieſen „Gräuel“, jo tief war ver „Abſcheu“ vor demjelben, wie mein Chef ſich ausdrückte. Da dies eine äfthetiiche Beventung hatte, wie ich aus Leipzig jehr wohl wußte, jo fand ich in mir felbft feine Veranlaſſung, gegen eine uneinnehmbare Feſtung zu ſtürmen.

So war mein Berhältnig als Theater-Director zu dieſem Dichter. Ich fand ihn vom Burgtheater beachteter als von irgend einer Bühne, und fand ihn unter einem Theile des Wiener Publi— cums gefeierter, als dies irgendwo außerhalb Dejterreichs der Fall war. Er hatte in Wien fein Hauptquartier gefunden. Dranken wieman in Wien jagt war er befannt als eine etwas grelle Dichter: fraft von geiftvollem Radicalismus, bei veffen Namen man Grabbe's

Das Burgtheater. 263

Namen mitzunennen pflegte. Die Literaten nahmen aufmerffam, meiſt polemifch Notiz von ihm, aber in den weiteren Kreifen der Nation war er wenig befannt, weil ihm die Anziehungsfräfte für das große Publicum fehlen. Gr hatte und hat in Wien eine rejpectable Gemeinde, vorzugsweife unter der jtudirenden Ju— gend; er hatte und hat unter dem Theater-Publicum wenig Ans hänger, und viefe wenigen zeigten immer mehr Reſpect als Theil- nahme.

Mir war von jeinen dramatifchen Arbeiten „Genovefa“ im Sinne geblieben als poetifch interejfant. Diefe wollte ich in Scene jegen, Nicht in Hoffnung auf volles Gelingen, aber als entjcheiden- den Verſuch, ob feine Dichtung auf dem Theater bejtehen Fünnte.

Unter dem Titel „Genovefa“ war die Erlaubniß unerreichbar, denn die heilige Genovefa durfte nicht aufs Theater gebracht werden. Ich Fam alfo mit Hebbel überein, die Titelheloin Magellone zu nennen, und als „Magellona“ erichien das Stüd.

Nun, dieſe erite Infcenefegung eines Hebbel'ſchen Stüdes wurde für mich eine aufflävende Offenbarung über feine Schöpfungsart. Ich erfannte zum eritenmale deutlich, daß feine Stüde aus einem tiefen Grunde der Scene fremd find, daß Hebdel wie ich neulich von Gervinus gefagt gar feine plaftiiche Phantaſie befitt, daß er beim Empfangen und Niederfchreiben feiner Stücde ven Vorgang in dieſen Stüden gar nicht geſehen hat in feiner Einbildungstraft. Es ijt aber unerläßlich, daß der dramatiſche Dichter jeine Vorgänge im Geifte ſieht, ſonſt werden fie eben niht Schaufpiele. Hebbel’s Stüde find zufammengedacht, fie find von einem begabten, dich- tenden Denfer nievergefchrieben, nicht aber von einem Dichter, der ein Künjtler ift.

Das war eine Pein, als ich das Stüd vor der erjten Probe (a8, zum erftenmale daraufhin las, daß es als die Gejtalt an mir vorüberjchreite, welche ich ihm auf der Scene geben wollte! Das

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war eine Bein! Es entitand feine Geftalt; die einzelnen Theile brödelten aus einander; unficher wie nie ging ich an die Auf- gabe.

Dei der Vorftellung des Abends wurde mir das Alles fonnen- klar. Geiſt, Geift, aber feine Gejtalt! Darum nehmen fich die Sachen jo unvollftändig aus auf der Scene: ſie find gar nicht für die Scene entjtanden. Das ihm wohlwollende Publicum geht be— reitwillig an die geijtigen Strahlen und weiß fich nicht zu erklären, warum fein Antheil fo vettungslos ermattet. Warum? Die Kunst lebt nicht vom Geiſte allein, fie braucht einen wohlgefügten Körper zur Vergetjtigung.

Das Stück erhielt fih denn nicht, und was ſchlimmer: ich war für immer abgeſchreckt von diefem dramatifchen Dichter, weil ich zu gut wußte, daß ohne plaftische Phantafie fein Dichter der Erde auf der Scene bejteht.

Hebbel tft viel günftiger zu beurtheilen, wenn man ihn nicht in Beziehung fett zur Bühne, für welche ihm eben eine Haupt: eigenichaft fehlt die Anfchanlichteit. Gr iſt ein dichtender Denker, welcher vielleicht nicht ohne forceirten Eigenfinn durchaus auf Eigenheit bedacht ift. in dichtender Denker, nicht aber ein den— fender Dichter, Ein folcher war Schiller. Und deßhalb wird Hebbel's Werth fofort beeinträchtigt, wenn man mit der Frage um Künftlerwerth an ihn tritt. In diefer Frage wird ftets zur Sprache fommen, daß er von der Schönheit nur mitunter vereinzelte Strahlen gefunden, daß er aber im Ganzen von der Schönheit verlaſſen war. Es wird zur Sprache fommen, daß er an die jatyrifche Devife ver franzöfifchen Nomantifer gemahnt: „Das Schöne ift das Häßliche“, und daß man den letten und höchiten Zwed der Poeſie vergeblich in ihm fucht: das Wohlthuende, das Verföhnende, das Tröftende, das Erhebende,

Er ift für die Anregung da. Mag der Gegner auch jagen: die Unverfhämtheit des Geiftes iſt ziemlich wohlfeil! Solche Ab»

Das Burgtheater. 269

fertigung ift ungerecht. Der rüdjichtslos Trachtenden giebt es wohl immer genug, aber der rücjichtslos Trachtenden, welche gleichzeitig jtarfe Fähinfeiten haben, wie Hebbel fie hatte, deren giebt e$ immer nur Wenige, und die Wenigen find aufmerffa zu beachten, denn jie find Entdecker.

Der lange Aufenthalt in der Hauptjtadt des deutſchen Südens, two die fünftlerifche Anlage ebenjo vorherrichend ift, wie im deutſchen Norden die VBerjtandesanlage vorherrfcht, hat übrigens fichtbar ein- gewirkt auf Hebbel. Was er in Wien gejchrieben, ift um einen jtarfen Grad milder und ftrebt nach einer höheren Form, Nament- lich fein kleines Epos, und felbjt die dramatifchen Arbeiten: „Die Nibelungen‘ und der nicht ganz vollendete „Demetrius“, tragen eine weichere Signatur. Den eigentlichen dramatiſchen Gang eines Theaterſtückes finden fie freilich auch nur in kleinen Partien, „Die Nibelungen‘ befreien jich nicht hinreichend von der Grundlage einer Erzählung, und der Mißgriff des zweiten Actes, die unverſtändliche Epiſode aus der „Edda“, beweiit eben doch wieder, daß er feine Scenen gar nicht vor Augen hatte und fich nicht felbjt Publicum war, was ein dramatiſcher Dichter fein muß. Welch ein Publicum fann dies Sagengemifch verjtehen! Und wie fann Unverftandenes auf der Scene wirken! Simrod, Wadernagel, Pfeiffer und folche Führer der altdeutſchen Forſchung find ja das allein pafjende Pu— blicum für Brunhildens Geburtswehen. Dagegen fam ihm für den „Nibelungen“Stoff feine Ausdrucksweiſe in förnigen, unbe: leckten Worten zu jtatten, und fein ruckweiſes Vorgehen in der Hand— lung befremdet weniger unter Reden, welche lange und dröhnende Schritte machen.

Hebbel war troß Alledem viel verjatiler, das heißt viel geneigter zu unerwarteten Wendungen, als ınan feinen Schriften anfehen mag. Die Felsblöde, welche er mit Bedacht hinfchrieb, waren nicht gar jo hart, wenn man mit ihm fprach ; er war im Gegentheile oft über— raſchend bereit, auf das einzugehen, was ihm nach jeinen Schriften

266 Das Burgtheater.

ganz fremd jein jollte, und Notizen anzunehmen, welche weit ab— führten von feinen vorgefaßten Meinungen. Das war bejonders der Fall in dramatifcher und theatralifcher Kunft, welcher er in jeinen letzten Jahren mehr zuftrebte als früher, und ich habe ihn bei der Inſceneſetzung jeiner Stücde allen Rathſchlägen zugänglich ge- funden. Co weit es jein ftarfes Selbftgefühl zuließ, hatte er all mälig dem Gedanfen Raum gegeben, die Kunſt der Scene fei etwas Eigenthümliches, dejjen er jich in noch höherem Grade bemächtigen fünne,

Um jo beflagenswerther war jein worzeitiges Abjcheiden von diefer Welt, die ihm noch viel zu bieten hatte. Ich eh’ ihn noch eines windigen Tages auf dem Glacis vor dem Schottenthore, wie er eilig daherfam in feinem wiegenden, halb fallenden Gange, und mit der fchwanfenden Neigung des Kopfes und der Arme gleichjam ruderte. Ich wußte Nichts von feinem Krankjein und wollte nur porübergehend fragen: Wie geht's? Er aber blieb troß des Windes jtehen und machte mit feinem beilblonden Haupte, mit dem weiß- rothen Angefichte und mit den großen himmelblauen Augen die ihm eigene Einleitung durch Neigen und Wimperftarren, welche ein Ichweres Wort anzufündigen pflegte. Dies Wort lautete: er werde von Schmerzen geplagt und fonme aus dem Dampfbade. Aber feinem Naturell gemäß, welches Muth und Unerfhrodenheit grund— jätlich auf den Hut ſteckte, jeßte er hinzu: Wir werden den wider- jpenjtigen Leib zur Raiſon bringen !

Das gelang leider nicht; ich hatte ihn zum legten Male ge- ſehen. Derjelbe Deann, welcher zeitlebens eine ftarffnochige Natur darzuftellen bemüht war, mußte an der ungewöhnlichen, überaus ſchmerzhaften Krankheit der Knochenerweichung in den Tod finfen.

Um nicht fo traurig zu Schließen, will ich der Zeit vorgreifen und gegen meine obige Bemerkung jett ſchon nach Hamburg reifen, um jene junge Dame von Karlsbad tragijch ſpielen zu jehen. Sie

Das Burgtheater. 267

jpielte wirflich das Gretchen und fpielte e8 vwortrefflih. Die Dia- gnoſe aus dem „Polarſtern“ war glüdlich eingetroffen und das Gretchen kam an’s Burgtheater noch im Laufe des VBierundfünfziger- Sahres. Die Wiener haben lange errathen, daß es Fräulein See— bach war. Sie mögen nun weiter rathen, welches junge, jchlanfe Mädchen ich damals in Hamburg außer Fräulein Seebach jah und vom Alfterbaifin an die Donau entführte ?

rn:

Auf die „Magellone“ hatten wir das Bedürfniß, einfache, verjtändliche, zum Herzen dringende Worte von der Bühne zu hören. Wir gingen an die Frage, ob Schilfev’s „Lied von der Glocke“ nicht darjtellbar wäre? Es war dies ſchon mehrmals probirt worden, jogar von Goethe jelbft in Weimar; aber e8 war noch nirgends ge- lungen. Dan hatte immer zu viel gethan, indem man zu viel Sprecher herausgehoben hatte. Dadurch war die Mifchform als lolche in Kraft geblieben, und der dramatiſche Ductus, welcher für die Bühne nothwendig, war nicht zum Vorfchein gefommen. Viel leicht war er doch möglich, wenn der Glockengießer alleiniger dra- matifcher Führer, der Held des Ganzen würde? Seine Frau foll nur an wenigen Punkten mitiprechen, und feine Familie joll fichtbar werden: ein Sohn, eine Tochter, Mägde und Gejellen. So wird die Familie der Mitteipunft, aus welchem das Gedicht erwächlt, und der thatfächliche Glockenguß jtellt fich als dramatiiche Handlung dar mit allen jpannenden Hinderniffen und Beſorgniſſen. So könnte man eine theatraliiche Einheit gewinnen, und wenn im Hin- tergrumde der Werkſtatt bilvliche Scenen erfchienen aus dem Inhalte des Vortrags, jo wäre ein märchenhafter Reiz für jede Gattung des Publicums erobert. Mufikbegleitung dazu, wie jie Lindpaintner gez geben follte das nicht einen inhaltsreichen theatralifchen Act ges währen? Wir verfuchten es in folcher Geftalt und haben wirklich einen dauernden Nepertoive-Act gewonnen.

Das Burgtheater. 269

Bierzehn Tage darauf wagte ich einen Verfuch in viel größerem Maßſtabe, nämlich den: das dritte römische Stüd Shakeſpeare's, „Antonius und Kleopatra‘‘, auf unfere Scene zu bringen, Sch wüßte nicht, daß diefer Verſuch Thon auf irgend einem deutjchen Theater gemacht worden wäre; gelungen ift erjedenfalls nicht, denn das Stück ift dem deutjchen Nepertoive fremd geblieben, Mühſam und forgjam hatte ich die Einrichtung des Buches vorbereitet für ein Gajftjpiel der Frau Bayer, Eine fo ſchöne Kraft kam alfo zu Hilfe für die Rolle der Kleopatra, und ich hatte ein Publicum zu erwarten, welches fchon einigermaßen geübt war für Auffaffung der Shafejpeare’fchen großen Schritte, und welches immer noch mit einiger Theilnahme diefen befremdlichen Injcenefeßungen folgte.

Sp folgte es auch diesmal. Eine Scene der Kleopatra, in welcher ſich ihr launiicher Charakter ganz enthüllte und in welcher Frau Bayer ihr ganzes Talent entwicelte, gewann jubelnde Zu— jtimmung.

Das Ganze aber errang nur einen Achtungserfolg. Die zer: jtreute Scenenreihe des Stüdes war wohl jo zufammengefchoben, daß zur Noth ver Zufammenhang eines Theaterjtücdes entitand. Aber nur zur Noth. Es fehlte doch zu fehr die Einheit im Gange, die gejchloffene Kraft einer voll einhergehenden Fabel. Der Befuch lieferte eine unabweisliche Kritik; er verringerte fich von Vorftellung zu Vorjtellung, und bei der vierten war er recht Schwach.

Ich war nicht Jo raſch entjchloffen, wie beim „Cymbelin“, auf die Wiederaufnahme ohne den Gaft zu verzichten, denn der Neich- thum gejchichtlicher Bilder und eigenthümlicher Scenen iſt ja hier von viel größerer Bedeutung als dort; aber bei reiflicher Ueber- legung mußte ich das Stüd doch aufgeben. Ye länger ich das Theater und die Urjachen feiner Wirkung beobachtete, defto klarer wurde e8 mir: ohne zwingende Einheit im Gange der Handlung fejjfelt man fein Publicum, man mag noch fo viel Reize aufbieten im Inhalte ver Worte, ja im Zauber einzelner Scenen, Das

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Publicum will und fann einen gefchlojjenen Schritt und Fortjchritt der Action nicht entbehren.

Hat doch der „Sommernachtstraum‘‘, welchen wir in dem— jelben Jahre brachten, nie den vollen Zug eines beliebten Theater: jtückes erreicht! Das Burgtheater hat fein Publicum daran ge- wöhnt, nur das geiprochene Schaufpiel im der ganzen Strenge feiner Form zu würdigen und zu lieben, Es verfchmäht innerlichit alle die Mifchformen, welche an den Hoftheatern mit Opernmitteln gang und gäbe geworden find; es hat in dieſem Betrachte einen purita- nischen Gefchmad.

Wahrlich, nicht zum Nachtheile der dramatifchen Kunft, nicht zum Nachtheile ver Schaufpielfunft! Dies Vermiſchen der Gat- tungen, dies Ueberladen mit Neizmitteln werfchievenartiger Künfte bat ven deutschen Theatern feine gefunden Früchte getragen. Es iſt dadurch ein Rococo entjtanden, welches mehr dem überreizten Ge- ſchmacke nach Abfonderlichem und Unzufammenhängendem dient, als dem reinen Geſchmacke der einfachen Kunſtgeſetze. Diefe einfachen Kunſtgeſetze aufrechtzuerhalten ift die Yebensbedingung eines eriten Theaters, eines maßgebenden Schaufpiels. Ihre Kraft ijt unaus- löſchlich. Man braucht nur zuweilen einen Blick zu werfen auf die Grundzüge der Aejthetif, wie jie Ariftoteles vor zwei Jahrtauſenden furz und bündig entworfen: dann wird man immer wieder von Ehr— furcht erfüllt vor dieſen Gefeßestafeln ſchöner Kunft. Sie meſſen heute noch ganz richtig die neuen Trauerfpiele und Luftjpiele, und fie verurtheilen unbarmherzig alldie verführerifchen Mifchgattungen, welche durch Hof-Intendanzen eingejchmuggelt worden find in bie Schaufpielhäufer.

Was hat man Alles ins Treffen geführt, um diefe Mifchgat- tungen zu wertheidigen und zu empfehlen! Auch die Fahne ver Ge- lehrſamkeit ift aufgehißt worden für griechifches Theater mit „An— tigone’” und „König Oedipus“. Aber auch fie entjchuldigt nicht den Verderb einfacher Kunft. Antiquarifches Lehren ijt doch wahr:

Das Burgtheater. 271

haftig nicht Aufgabe des Theaters, it nicht Aufgabe einer Kunft, welche dem klaren Zwede einer lebensvollen Erhebung oder Erz heiterung nachzujtveben hat. Und Muſik muß am Ende doch immer die Unkoſten tragen, daß die Gelehrfamfeit nicht langweile,

AL ſolche Mifchgattungen mögen am Orte fein in Opern: theatern; im Schaufpielfanle, der die bejcheivene Kunjt des ge— Iprochenen Wortes pflegt, find fie es nicht. Da verwirren fie den Mapitab und ven Anſpruch, und unfer echtes Burgtheater-Publicum it ganz im Rechte mit feinem puritanifch ungünftigen Vorur— theil.

Dies Moment alfo ſchon trat der vollen Hingebung an ven „Sommernachtstraum‘ in ven Weg. Der größere Theil unferes Publicums jchätt und liebt Mendelsſohn's Mufif außerordentlich, aber er will jie im Concertſaale hören, er will fie nicht als Reiz— mittel eines Schaufpiels haben. Das Schaufpiel joll allein, joll jelbjtitändig wirken. Mean nimmt eine gelegentliche Erhöhung des Schaufpiel-Effectes durch vereinzelten Zutritt einer furzen mufifa- lichen Begleitung allenfalls hin; aber auch diefer Zutritt muß jelten jein, muß jparfam fein. Die Uebermacht der Mufif im Schauſpielſaale weiſt man zurüd, man will feine Mifch-Ehe.

Man empfindet ferner im „Sommernachtstraum“, daß die Gegenſätze zwifchen duftiger Elfenwelt und grob poſſenhaftem Clown— wejen etwas zu grell find für den Schaufpielgefchmad heutiger Zeit. Man empfindet das, wenn auch leife. Man macht daraus nicht einen vollen Tadel, aber indem man jagt: dieſe Kontrajte ent- Iprechen wohl mehr einem Gefchmade des jiebzehnten Sahrhunderts ſchwächt man fich die unbefangene Theilnahme.

Endlich findet man die zwei ſich freuzenden Yiebespaare recht infipid will höflich fagen „unerſprießlich“, will gröblich jagen „langweilig. Diejen Yiebespaaren hab’ ich denn auch bei jeder Borjtellung immer wieder einen Korb voll Worte abnehmen müffen, und für jeden folchen Raub waren die Schaufpieler dankbar,

272 Das Burgtheater.

Unter folchen Bejchränfungen nur bejtand dies originelle Märchenſtück allmälig die Feuerprobe der Dauer, und es darf von Zeit zu Zeit, das heißt in längeren Zwilchenräumen, gern geſehen wiederfehren. Das pvrollige Feine Elfenthum und die typiſche Komik ver Handwerker haben fich nach und nach Bürgerrecht er- worben. Leider! wiederum leiver! ift der Matador diefer Typen, iſt Zettel dahin! Zettel war eine der glüclichiten Nollen Beck— man's.

Neu famen in diefem Jahre 1854 noch Mofenthal’s „Sonn— wendhof“, das „Luſtſpiel“ von Benedix, der „Hechter von Ravenna‘, lauter erfolgreiche Aufführungen.

Men einftudirt wurden, „Glas Waller”, „Don Guttiere‘, „Iphigenie“, „Zell, „Clavigo“

„Clavigo“ erinnert mich denn an die Einführung der tragiichen Liebhaberin, welche ich im Letzten Artifel eingeleitet habe, an die fo einleuchtende, eindrucksvolle Darjtellerin der Marie Beaumarchais, an Marie Seebad. Sie ipielte diefe Nolle in überzeugender Art, Auch ihre Mängel wurden hier Vorzüge, Jeder Ton, jeve Fiber

in ihr gab das unglücliche, weil ſchwindſüchtige franzöſiſche Mäd— chen wieder.

Marie Seebach fam alfo im Frühjahre 1854 nah Wien und gaftirte als Jane Eyre, Mathilde, Adrienne Lecouwreur und Gret— chen. Sie wurde fehr beifällig aufgenommen; ihr Gretchen machte Furore.

Man jagte fih: Endlich ver Ton einer tragijchen Liebhaberin, der jchmerzlich ſüße Nachtigallenton ! Darüber einigte fich fofort die allgemeine Stimme. Sie ift wohl nicht ſchön genug für eine erjte Liebhaberin fagten Einige, gleichfam entjchuldigend ünd die Hände find nicht angenehm und die Bewegungen oft zu jäh! Aber man fagte das nicht Scharf; es follte nur ein Beitrag zur Charak— teriftif fein, und die Entgegnung war auch fogleich da, und jie lautete: Dies ift ja fo vortheilhaft an ihr, daß der ganze Körper erfichtlich

Das Burgtheater. 273

theilnimmt an allen Bewegungen der Seele und daß man an ihrem Rüden entlang jogar die tragifche Erfehütterung vibriven ſieht.

Kurz, man meinte endlich eine echt tragijche Yiebhaberin ge— funden zu haben, und ihr Engagement wurde nahezu einjtimmig willfommen geheigen.

Ehe fie bei uns eintrat ins eigentliche Engagement, fand fie venjelben Sommer noch Gelegenheit, ven Wiener Beifall bejtätigt zu fehen von einem mannigfachen deutjchen Publicum, In München nämlich fand das jogenannte Muftergaftipiel jtatt, welches zahlreiche Beſucher aus allen Städten anzog, und da jpielte ihr Gretchen wieder eine Hauptrolle, im Grunde die Hauptrolle,

Es war ein Zeitungswort, diefes Wort „Muftergaftipiel‘‘, eine gefällige Variante für „Monſtregaſtſpiel“. Denn das Enjemble von lauter Größen ift eben fein organijches Enfemble, jondern ein unvermitteltes Nebeneinander. Alſo fein Mufter, Geeigneter für Reclame, als für künſtleriſches Gedeihen. Schaufpieler, welche zum eritenmale zufammen fpielen, weil die Trompete fie zufammengerufen, find ſchon deßhalb nicht geeignet, ein richtiges Enſemble des Stüdes darzujtellen. Sie find nicht an einander gefügt, nicht an einander gewöhnt, nicht für das Ganze „abgetont“, wie ein Kunjtausprud jagt. Hart, anfpruchswoll, Jeder auf feinen Schein pochend, jtehen fie neben einander, und Jeder will fich befonders geltend machen, wenn auch auf Koſten des inneren Zufammenhanges, auf Kojten des Ganzen. Niemand will zweite und dritte Stelle jo einnehmen, wie jie eingenommen werden muß, damit der richtige Schatten entjteht für das Gemälde, Jever will Licht fein.

Mit Einem Worte: ein gutes Enjemble läßt fich nicht impros viſiren. Jenes Gajtjpiel mit lauter Größen war interefjant für bie Menge, aber nicht eigentlich künſtleriſch, und für unfer jüngjtes Mit— alied, für Fräulein Seebad, war es ein Keim des Verderbens: die Idee des Virtuoſenthums wurde da in ihr gewedt.

Laube, Burgtheater. 1

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274 Das Burgtheater.

Ich bemerkte es bald, als fie nun in's Engagement eintrat. Der Kern eines guten Schaufpielers: im Ganzen eigen, aber für das Ganze hingebend zu wirken diefer Kern war angenagt im ihr. Sie drängte unruhig auf auszeichnende Rollen, und nur folche, und Nichts entwicelte fich in ihr jo lebhaft wie eben die Unruhe und franfhafte Begier, ihr Capitalfehler, welcher in erſter Linie gebefjert werden mußte, wenn ihr zweifellojes Talent fich gedeihlich entwickeln follte. Denn diefe Unruhe und krankhafte Begier verjtörten bald auch ihre beften Yeiftungen und wurden in ihr die Topfeinde alles deſſen, was man Schönheit nennt im weiteren Sinne des Wortes.

Ich fuchte und fand nun wohl zahlveiche Rollen für fie, und darunter auch jolche, in venen fie Treffliches leiftete, Die Des— demona in erjter Linie, die Agnes in Kleiſt's „Familie Schroffen- ſtein“. Aber dies Kleiſt'ſche Stück won genialer Charafterijtif mit gefuchter, unerquiclicher Handlung war nicht auf dem Repertoire zu erhalten, und „Othello“ kann man nicht oft wiederholen, wenig- jtens in Wien nicht. im neues Stück mit voller, neuer Kolle für jie und mit voller Wirfung des Ganzen fand fich nicht ein, und die Unruhe des Suchens für fie hörte alfo nicht auf, eine immerwährende Nahrung für ihr quedfilberartiges Oscilliven. Endlich war Etwas gefunden! Ein eigener Unftern aber ſtand über ihr das Ge- fundene ging wieder verloren,

Ich Hatte Shafefpeare's „König Johann“ eingerichtet für unfere Scene, ich hatte endlich die Cenſur überwunden troß der leichtfertigen Mutter des Faulconbridge und troß des „Legaten“; es fam zur Lejeprobe, und fie las den Arthur außerordentlich ſchön. Da war eine neue Rolle! Was begegnete ihr aber? Damaliger Zeit hatte meine Behörde die unglüdlihe Mafregel ausgeführt, jämmtlichen Sournalen die Freifarten zu entziehen. Sie gebrauchten Repreſſalien und bejprachen das Burgtheater gar nicht mehr. Dies nöthigte mich, mit der Aufführung des „König Johann‘ ein wenig zu zögern, weil er bei der augenbliclichen Mißſtimmung eine große

Das Burgtheater. 275

Gefahr lief. Bon jolcher neuen Shafefpeare-Borftellung hätten die Sournale die Aufführung nicht befprochen, aber das Stüc hätten fie erzählt. Und darin lag die Gefahr. Sie hätten es nicht evzählt nach unjerer Einrichtung, welche clerifale Klippen umſchiffte, fon- dern fie hätten ven blanfen Shafejpeare abgevdrudt. Wir lebten in der Zeit, welche am Horizonte fchon den Borfchatten des Concordates zeigte, die geiftliche Partei hätte aufgefchrieen über jenen blanfen Shafefpeare, den man im Burgtheater jo peroriren ließe, und „König Johann’ wäre verloren gewejen. Defhalb wartete ich. ALS aber die Feindfchaft der Journale nachließ und ich num hervor- treten wollte mit meinem Stüde, da war das Concordat nicht blos im Vorſchatten, ſondern in eigener perjönlicher Geftalt am Horizonte heraufgeftiegen und die Infcenejegung des „König Johann‘ wurde unterjagt.

Sp gabs denn auch feinen Arthur für Fräulein Seebad.

Abgejehen von Alledem kann aber überhaupt nicht geleugnet werden, daß fie innerhalb ihres zweijährigen Engagements eher Rückſchritte als Fortſchritte machte in der Theilnahme des Publi- cums. Der Grund diejes Niederganges lag in ihrem inneriten Wejen. Sie war durch jenen Ruck ins tragiſche Fach, an welchen ich ſelbſt Theil hatte, in eine Region gerathen, für welche fie einige gute Eigenfchaften bejaß, für welche aber ihre innere Bildung nicht breit genug angelegt und entwicdelt war. Die Haft ihres Naturells, ſtets ein Widerſpruch für tragifche Ausführung, war nicht hinveichend gemäßigt durch ernſte Studien, Cs fehlte die Ruhe der Seele, welche bei aller Fähigkeit zur Leidenſchaft der tragischen Kunſt un: entbehrlich it. Denn aus diefer Ruhe quillt der Nachdrud, welcher das tragifche Gebilde mit gewiſſen Merkmalen der Ewigfeit ftempelt. Aus diefem Mangel entiprang die Klage jo vieler Zufchauer: die Seebach macht mich nervös! Sie jelbit eben hatte ihre Rolle nicht über den Nervenreiz erhoben zur ruhigen Schönheit, welche auch dem Tode eine fünjtleriiche Genugthuung verleiht. Hand in Hand

18*

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276 Das Burgtheater.

mit diefen Fehler ging eine peinliche Vortragsmweife, welche auf den Zuhörer nieverfchlagend wirft. Sie „raunzte“, wie man in Wien jagt; im nördlichen Deutichland jagt man: fie „flennt“. Dieſer weinerlihe Ton hat ihr zahlreiche Freunde allmälig entzogen, und als fie jich denn des Gajtipielens immer bedürftiger zeigte und der aufzuhängenden Lorbeerfränze, als fie Gagenforderungen machte, welche über alle anderen Gagen weit hinausgingen, va gab man fich Rechenſchaft: ob fie denn überhaupt gehalten werden müſſe, ob fie außer ver Gretchen-Lage eine deutliche Zukunft veripreche? Und vie Rechenſchaft wurde mit einem Nein abgejchlofjen.

Sp ging fie. Ich fürchtete: nicht in weiter auffteigende Yauf- bahn; und meine Furcht ift wohl begründet geween.

Sie hat eigentlich ein jchmales Fach, und richtige Selbiter- fenntnig hätte ihr jagen müfjfen: Suche dich dauernd einzurichten da, wo du nur nach deinen beten Kräften beſteuert wirjt, wo du für dein etwas fahriges Wejen immer genügende Anhaltspunfte, immer eine aufmerffame und warnende Yeitung findeft dann nur entwicdelft du dich als eine dauernde Specialfraft. Im Uebergreifen der Virtuojenhaft aber wirjt du deine eigentliche Kraft niederjagen.

Ach, Selbiterfenntnig iſt für uns Alte ſchwer zu haben, für Schaufpieler doppelt ſchwer, denn jie müſſen in Slufionen leben, um zu leben.

Alle die, welche aus dem Organisınus unjeres Theaters hinaus getrachtet wie aus einer Hemmung, jie find in die Irre gerathen und haben ſich immer zu jpät! eingejtehen müffen: künftlerifche Begrenzung ift fein Verluft, ſondern eine Sicherftellung des Ge- lingens.

Die zweite Marie, das junge Mädchen, welches mit ihr von Hamburg kam, hat vecht im Gegenfate zu ihr den Weg der künſtle— riſchen Beſchränkung erwählt und dadurch eine glüdliche Yaufbahn gewonnen. Es war Marie Boßler. Als ich fie im Hamburger Thalia-Theater ſah, war fie ganz jung, jung und biegjam in ihrer

Das Burgtheater. ne

ichlanfen, hohen Gejtalt wie eine Gerte, jung und biegjam in ihrer Theaterfunit. Ein griehiih geformtes Haupt voll Anmuth und Adel, eine wohlthuende, noch etwas leife Stimme, Zurüdhaltung in den Bewegungen, Erröthen mitten im Spiele, als ob die Dinge aanz ernjtlich gemeint wären recht ein Erziehungsopfer für den Theater-Pädagogen, der fich in mir ausbildete,

Sie trat bei uns auf in der „Jolanthe“ des dänischen Dichters, für welche fie vecht wie ein Backfiſch ſchwärmte. Die ans Tragifche jtreifende Empfindung der Rolle war noch mehr Ahnung in ihr als Empfindung. Die jungen Mädchen pflegen gern tragifch angehauchte Rollen wie eine iveale Liebe und fommen fich gar zu gewöhnlich vor, wenn ſie im gemeinen Luſtſpiele vebutiven jollen. Man joll fie nicht jtören. Auch das Publicum jtörte die junge Debutantin nicht, jon- dern applaudirte freundlich.

Wir ſahen aber bald, daß die beiten Eigenfchaften des jungen Mädchens im feineren Luſtſpiele zu verwerthen wären, und wiederum, recht im Gegenſatze zu jener tragifchen Marie, folgte fie ruhig allen Nollenverfuchen, bis ich den Mittelpunkt ihres Talentes erkannt hatte. Nirgends zeigte jie eine ſtark hervortretende Eigenfchaft wie Jene, aber Alles, was fie machte, erſchien harmonisch. Die Lieb— haberin, welche immer anmuthig, immer wohlthuend berührt, Die Liebhaberin des feinen Luſt- und Schaufpiels wuchs in ihr heran, die Yiebhaberin des Converfations-Stüdes, wie es im Burgtheater und nur da gepflegt wird, jo daß fie gerade hier all ihre angenehmen Fähigkeiten entfalten fonnte. Das ift venn auch geichehen. Eben— mäßig, ohne ivgend einen Auswuchs, jchritt ſie vorwärts und vor: wärts, jo in der Gunſt des Publicums wie in innerer Bedeutung, alfo auch in ihrer Kunft. Bis zur Königin im „Don Carlos”, vecht der Jolanthe eingedenk, erhob fie jih in allmälig erhöhter Kraft, und fie betrübte uns zum erjtenmale, als fie ſich durch die Yiebe aus dem Burgtheater entführen ließ in's glücliche Privatleben.

Sie war es denn auch, welche mir das diplomatifche Mittel

278 Das Burgtheater.

bot, Freytag's „Graf Waldemar‘ für unfere Bühne zu erobern. Sol eine Gärtnerstochter fonnte ich meinem Chef als diejenige be- zeichnen, welche die Mesalliance des Grafen vor Jedermann ent- ſchuldigte. Ich fagte mit Ueberzeugung: „Excellenz, fie ift einfach, aber im Hintergrunde merkt man den Adel; man glaubt, daß jte eine verfleivete Komtefje fein könne“. „Nun, es mag fein!’ hieß es endlich, und er lächelte fait.

XXI.

Sm Winter 1853 zu 1854 fiel ein Saatforn in die Theater- Erde, welches beinahe ein Jahr feimen und dann jehr umfänglich in Kraut und Unkraut jchiegen Sollte.

Ich pflegte täglich des Abends ein neues Stüd zu lefen, weil die Gefchäfte am Tage feine Zeit dafür übrig ließen, der Haufe neu eingehender Stüde aber fo riefengroß war, daß die tägliche Abmin- derung um wenigftens Ein Stück gebieterifch erſchien. Eines Abends nach langer VBorftellung im Theater war ich jehr fchläfrig, alfo ungeeignet für meine Aufgabe, Für folchen Fall gab es ein Ausfunftsmittel zur Beſchwichtigung tes Arbeitsgewiffens. Es ift nämlich ganz unglaublich, welche Sorte von Anfängerjtücden einge- fendet wird; es genügt ein Blick auf folch ein Schreibebuch, um Die Prüfung zu erledigen, das Manufeript in die Todtenfammer zu ver— weifen. Ein folches Manuſcript fehlte nie unter dem fogenannten „Einlauf“, undein folches wollte ich mir an jenem Abende erwählen. Ein hoher Stoß lag auf dem Tiſche. Ich warf ihn um, damit ich eine Anzahl Titel ſähe und danach wählen fünnte. Ein jchülerhaft geſchriebenes „Der Fehter von Ravenna“ fchaute mir entgegen, Du bifts! dachte ih. Die Handjchrift nicht undeutlich, aber ungebilvet. Berfonen ? Kaifer Caligula! Nichtig! Jugendwerk eines Gymnaſiaſten, denn die Jugend geht gerne in ferne Länder und Zeiten; deutjche und römische Kaiſer liegen ihr befonders am Herzen.

280 Das Burgtheater.

Das Stück wählte ich, um vafch fertig zu werden. Die erjte Scene ſchon ftörte mich in meiner Erwartung. Die Faſſung war gut und ich mußte weiter lefen. Nach dem erjten Acte war ich munter, und es war mir flar, daß es die Abjchrift eines ungebildeten Ab- jchreibers, die Arbeit aber eines gebildeten Autors ſei. Wie heißt er? Ich Ichlug zurück nach dem Titelblatte fein Name. Ich las bis tief in die Nacht hinein alle fünf Acte; denn ein Theaterjtüc will in Einem Zuge gelejen fein. „Ein ganzes Stüd’, murmelte am Schluſſe die Stimme, welche bei mir immer ohne mein Zuthun Ipricht, wenn ich Etwas ausgelejen habe.

Eigentlich war ich aber nicht aufgeregt von ver Yectüre; ich konnte schlafen. Ich hatte wohl den Eindruck eines formell fertigen Talentes empfangen, aber nicht den, daß ich ein Werf von tieferer Bedeutung gelefen hätte. So pflegt es zu gehen, wenn man nicht innerlich getroffen worden ift, wenn nicht die Wirfung der Wahrheit in uns eingedrungen ift. Diefe macht dem Gemüthe ganz anders zu ſchaffen. Nicht einen Augenblick Hatte mich der Mutterfchmerz Thus- neldens zu der Meinung befehrt, die arme Frau dürfe und müſſe ihren Sohn erjtechen, weil ex fein Deutjcher fein wolle. Nicht einen Augenblick! Das war berfömmlicher Gang des Theaterjtüdes, welches Trauerjpiel werden ſoll und zu dem Zwede eine ftarfe Kata: ſtrophe im letzten Acte braucht. Abftracte Uebereinkunft ver Schule, fein wahres Leben. Ich erinnere mich deutlich, daß ich es kaum für möglich hielt, vas Stück mit diefer graufamen Rataftrophe dem Pu— blicum glaublich und wirffam zu machen. Einen Abänderungs-Ge— danfen hatte ich dabei freilich nicht, denn das Stüc war fejt gefügt, alle Claſſen ver Schule waren ſauber und regelmäßig durchgeführt bis zur fchulmäßigen Ermordung. Da fiel mir ein bei der guten Führung bis zum Morde glaubts das Publicum am Ende im Theater auch, daß wir bier abjolut graufam fein müſſen; denn die jorgfültig ausgeführte Form ift im Theater eine große Macht

Sp denkend fchlief ich ein. Die Aufführung fonnte nicht nahe

Das Burgtheater. 281

bevoritehen, und deßhalb war ich wohl gleichgültige. Wir hatten feinen Caligula, Dawiſon war ausgejchieven. Uebrigens war die Beſetzung in einigen Hauptrollen angegeben, und dies mochte ſchuld jein, daß ich nicht jogleich oder doch wenigſtens nicht bejtimmt auf den Verfaſſer rieth. Die Bejetung verriet Unfunde: Joſeph Wagner war als Thumelicus bezeichnet. Kann das ein Autor wollen, der ſchon hat aufführen laſſen? Kaum. Im Interejfe des Stückes hielt ich diefe Beſetzung fir ganz falſch und fir einen gefährlichen Irrthum. Der tragijche Yiebhaber und Held, welchem man gewohnt iit, feine ganze Theilnahme zu jchenfen, der kann doch nicht hier die Kolle des Ermordeten jpielen, wo es ſich darum handelt, der Mör— derin Recht zu geben! Dann wird ja er unfere ganze Theilnahme finden und nicht die Mutter, Yetstere braucht aber unjere Theil: nahme dringend. Wenn Wagner als Thumelicus ermordet wird, jo find wir doppelt empört und verzeihen ver Mutter gar nicht. Ich hatte jofort an einen heldenmäßigen Naturburjchen gedacht, der fein großes Bündel von Bedeutung mit fich trägt, deſſen Ermordung alfo nicht gar fo tief angreift; ich hatte an den damals freilich noch wenig genannten Herrn Baumeiſter gedacht. Daß der Verfaſſer fo beſetzen konnte, (enfte mich ab von dem naheliegenden Gevdanfen an Friedrich Halm, und jo bejchäftigte mich Anfangs die Frage, wer diejer anonyme Autor fein möge, wenig oder gar nicht.

Erjt ſpäter, als im Herbſte 1854 die Infcenefegung naherücte und ich das Stüd von Neuem las, erſt da wınde mir flar, daß Halm der Verfaſſer jein müßte. Er jelbjt verlautbarte nicht das Geringjte, und feine Umgebung, Frau Nettich an der Spite, leugnete mit Aufgebot großer Mittel,

So fam die Aufführung am 18, October. Auffallend genug: vor leerem Haufe. Das Publicum hatte wie ich bei Galigula an einen Gymnaſiaſten gedacht. Es wurde jeder Act mit Beifall auf: genommen, und der Erfolg ging wie an der Schnur, Die gute Form that ihre ganze Schuldigfeit. Die Ermordung machte dem fleinen

982 Das Burgtheater.

Publicum, welches einmal im Zuge war, feine befondere Schwierig- feit; meine Sorge darum erjchien unnöthig.

Nun ging das Stüd feinen glücklichen Weg; es machte nicht gerade große, aber es machte gute Häufer. Man vebattirte darüber pro und contra, wie das in Wien bei jedem neuen Stücke gejchieht ; aber man vebattirte kritiſch, reſpectvoll; einen eigentlich warmen Antheil hab’ ich nirgends wahrgenommen. Die Frage um den Verfaſſer trat gleich in den Vordergrund. Darüber wurde mehr geiprochen, als über das Stüd. Ich behauptete vor meiner Be— hörde, es müßte Halm fein, fand aber überlegen Lächelnden Un— glauben, denn Halın jelbjt habe fich hoc) und thener juft wor meiner Behörde verſchworen, daß er es nicht jei. Trotz öfterer Aufführungen meldete jich der Verfaffer nicht; jeine Adreſſe blieb Dresven poste restante, ja ev forderte die Tantieme nicht ein beim Abjchluffe des Vierteljahres. Dieje ungewöhnliche Dichtergröße bejtürzte völlig.

Da bracte die Allgemeine Zeitung plößlih die Bacherl- Anklage. Die Anlage des Stüdes fei Bacherl, einem bayeriſchen Schulmeifter, entwendet, lautete jie, und zwijchen den Zeilen war zu leſen: ich jei ver Dieb, denn Bacher! habe jein Stüd dem Burg- theater eingereicht, und da fei ihm der Stoff entwendet worden. Ich erinnerte mich gar nicht, daß je etwas Aehnliches eingejendet worden, hielt die Bejchuldigung für ganz nichtig und antwortete ges ringichäßig Darauf, indem ich erzählte, wie das Manufeript von Dresden aus an mich gelangt wäre. Das war aber nur Del in’s Feuer. Bacherl's Verſe wurden abgedrudt und zeigten bei aller Sümmerlichfeit doch Anklänge an einzelne Worte im „Fechter“. Nun erhob fich in allen Zeitungen außerhalb Defterreihs Anwalt um Anwalt für die beraubte Unschuld; es war ein Charivari ohne- gleichen, welches mehr oder minder deutlich über mein Haupt los— brach.

Nun wird doch dachte ih -- der Verfaſſer hervortreten und dich erlöſen von der unverdienten Verfolgung? Er ſchwieg.

Das Burgtheater. 233

Der Lärm wurde immer ärger; die Angelegenheit wurde eine Herzensfache für vie Hunderte und Taufende, welche ein Exempel jtatuirt fehen wollten an den Unterdrüdern bejcheivener Talente unter den Schriftitellern. Bayeriſche Stimmen verlangten Genug- thuung, beſonders Entihädigung für ihren Yandsmann, denn ihm gebührten die Tantiemen; norddeutfhe Stimmen verlangten ein Gottesgericht, jo was man in Amerifa ein Lynchverfahren nennt, und es vegnete in Briefen und unter Kreuzbänden die gemeinjten Drohungen in mein Zimmer. Der Berfafjer aber? Schwieg.

Die ganze Wirthichaft Elingt heute wie unglaublid. Ein Schulmeifter, deſſen Proben die unreifſte Schülerhaftigfeit zeigten, jollte der rechtliche Inhaber eines reifen, talentwollen Stüdes fein; der talentvolle Verfaſſer des Stüdes aber jollte der Dieb eines DBettlers fein. Und doch wurde das Alles grimmig ernjthaft be- trieben, wie ein Glaubenskrieg. Welchen Thorheiten bleibt die Welt ausgefett ſelbſt mit freier Preſſe, ja bier geradezu durch die freie Preſſe!

Wie fonnte denn überhaupt die Myſtification entjtanden fein ? Sie ift heute noch nicht aufgeklärt und fünnte es wohl nur von München werden, wo das Hauptquartier des Aufjtandes war. Mein Sohn hatte mir, als der Lärm am ärgjten tobte, in’s Ge dächtniß gerufen, daß ich einmal ein Fleines, höchſt fchülerhaftes Manufeript gezeigt und aus demſelben einige Stellen worgelejen zum DBeweife: was für albernes Zeug eingefendet würde. Das jet Bacher! gemwejen. Ich dachte und denfe noch: Bader! hat das damals noch ganz feltene Manufeript des „Fechters“ in Mün— chen vor Augen gekriegt und hat wirklich gemeint, e8 ſei ihm durch Bearbeitung eines ähnlichen Stoffes Gewalt angethan worden. Darauf hat er, abfichtlich oder unabfichtlich, feinen Kram durch einige Ähnlich anflingende Worte aus dem „Fechter“ ähnlich ge— macht und das guten Freunden gezeigt. Dieje haben „„Haltet den Dieb!’ gejchrieen, und literarifche Advocaten haben dann einen

284 Das Buratbeater.

Proceß zufammengefüdelt, der nicht gejchlichtet werden fonnte, fo lange der wirkliche Berfafler nicht hervortrat. Der fürchtete ſich aber offenbar vor dem Getümmel, und jchwieg weiter,

Ih mochte mich nicht entjchliegen, Halm mit einem Worte an- zugehen, obwohl ich in der längeren Bejchäftigung mit dem Stüde nicht im Geringjten mehr darüber in Zweifel war, daß er es ge ichrieben. Er ſelbſt rührte und regte jich nicht ich blieb der Prügelfnabe.

Der Sturm war denn auch wirflich Thon im Niederfinfen, als er endlich mit einer Erklärung auftrat, daß er der Verfaffer jei, und jeine Quellen nannte, Unter diefen Quellen war natürlich Bacher! nicht, und er erwähnte vieles Spectafels mit feiner Sylbe, Aha! jehrie man num, er wagt nicht, darauf einzugehen! Daran aber that er ganz Recht. Er that es nur zu ſpät. Wer in die Deffent- (ichfeit geht, der geht in den Krieg, er mag jich verkleiden wie er will, und ex hat ven Kriegsgebrauch zu refpectiven, dag man fich zu feinen Thaten befennt, jobald fie einem Anderen zur Yalt gelegt werden.

Halm hat ein eigenes Unglück mit jolchen thörichten Nachreden. Auch früher hat ihn jolch Krähengefchrei verfolgt. Und doch bieten jeine Arbeiten gar feine Beranlafjung zu ſolchem Mißtrauen. Sie tragen feine forgfältige Signatur jo ausgeprägt, daß nur der bare Unverjtand an ihrer innerjten Echtheit zweifeln fann, So it denn auch von diefem Bacherl-Lärm nicht Ein Ton übriggeblieben ; der ganze Hexenſpuk iſt ſpurlos verſunken. Cr hatte eben doch nicht ein Atom von Wahricheinlichkeit für ſich.

Aber auch als Reclame für das Stüd ift er nicht einmal wirk— jan geweſen. Hie und da an geringen Theatern ift das Stüd wohl deßhalb aufgeführt worden, aber eine eigentliche Propaganda ent- jtand nicht. Noch weniger eine dauernde Theilnahme, In Nord— deutfchland machte das Stüd feine bejondere Wirkung und ver: ihwand überall wieder. Sein Boven blieb das Burgtheater.

Das Burgtheater. 255

Hier wurde es auch am beiten dargeſtellt. Galigula, Thumelicus, Thusnelda, Lycisca Gabillon, Baumeifter, Rettich, Würzburg wurden fünmtlih gut vertreten, An der Spite Frau Nettich als Thusnelda.

Sie war ganz heimifh in den Halm’ichen Aufgaben und brachte alle Nuancen verfelben zur vollen Geltung. So waren denn diefe Rollen auch die beiten dieſer wichtigen Schaufpielerin, weil ji) der Dichter ftreng in dem Kreife bewegte, welchen vie Schau Ipielerin beherrjchte. Es find ſämmtlich rhetorifche Aufgaben, Der wortreiche Ausdruck bevedt in ihnen ven Inhalt hoch und breit mit ſchön fließenden und wogenden Wellen.

In jeinem erſten Stüde, der „Griſeldis“, war Halm dem Mittelpunfte pramatifcher Aufgabe am nächjten. Man fann die Tortur der „Griſeldis“ verwerfen, aber man muß anerfennen, daß hier innerliche Zujtände wahrhaft berührt werden. Bon diejem Ausgangspunfte hat ſich Halm mehr und mehr entfernt und jich durch fein Talent verleiten lajlen, die dramatiſche Aufgabe ganz als Schachſpiel zu behandeln. Seine Figuren werden Schachfiguren wie König, Königin, Thum, Laufer, Springer, Bauern. Sie Iprechen dem Spielgejee gemäß correct aus, was ihnen zukommt, und thun dies mit bemerfenswerther VBirtuofität. Aber fie gehen nirgends weiter. Schiller fpricht einmal des Breiteren über ven Spieltrieb im Menſchen, und daran erinnert das Halm'ſche Drama. 68 iſt deßhalb ganz das, was Seydelmann mit feinem ſchnalzenden Tone eine „Komödie“ nannte eine Bezeichnung, welche beim Theater feit eingebürgert worden ift. Mean meint damit ein Stüd, welches dem Uebereinfommen über jchöne Täufchung augenbliclich genügt, Niemanden aber ins Herz trifft; eine willfommene theatra= liſche Uebung.

Frau Julie Rettich war ganz in dieſer Richtung ausgebildet worden. Ich weiß nicht, ob der Dichter allein Urſache war, oder ob ihre Eigenſchaften den Dichter beeinflußten. Ich weiß auch

286 Das Burgtheater.

nicht, ob fie ohne den Dichter eine wejentlich andere Richtung hätte nehmen fünnen. Faſt möcht ich's bezweifeln; denn jtarfe Geiftes- fräfte, wie Julie Nettich fie befaß, drängen ung immer dahin, we wir unfere Kraft am veutlichjten ausprücfen fünnen, Und ver deut: lichjte Ausdruck ihrer Kraft war ver rhetorifche.

Julie Rettich war eine jehr merkwürdige Erfcheinung. Perſön— lich von großer Bedeutung, künſtleriſch vielfach herausforvdernd zu Zweifel und Streit, Sie war von umfaſſender Bildung, von klarem, überlegenem Geijte, von großer Energie des Geiftes und Herzens, von unermüdlichem Fleiße und von mujterhafter Pflicht treue. Der Verkehr mit ihr war ver anziehendjte, den man finden fonnte, Sie war mit all diefen Eigenfchaften eine Perle unter den Schaufpielerinnen, und man ſagte ſich immer: fie hätte jede wichtige Lebensitellung, ſelbſt die einer Herrfcherin, trefflich ausfüllen können. Treffliher noch fette mancher Kunſtfreund Hinzu als die einer darjtellenden Künſtlerin. Dieſer letztere Zuſatz kam auch mir oft in den Sinn, wenn ich lange hinter der Couliſſe mit ihr ge— ſprochen hatte und ſie gleich darauf draußen auf der Scene ſpielen ſah. Der Unterſchied war für mich, wie oft!, ſchlagend. Hinter der Couliſſe hatte ſie mich entzückt, draußen auf der Scene zerſtörte fie mir ebenfo oft diefen günjtigen Eindruck.

Woher fam das? Sie hatte viel mehr Geijt als Talent. Und daraus entjteht in der Kunjt ein großes Mißverhältniß. Während fie jpielte, drängte fich ihr Geijt vor, um dem Talente zu helfen. Das wird ein Bruch in der Kunſtleiſtung, das giebt eine Dis- harmonie, welche wir jogleich empfinden und welche wir Manierirt- heit nennen, ohne daß wir oft wiffen warum.

Die darftellende Kunft hat eben wie jede einzelne Kunft ihre eigenen, ganz bejtimmten Geſetze. Sie will darjtellen; das Geſetz der Erſcheinung ift ihr Hauptgeſetz. Dem muß jich Alles unter ordnen, Der Geift mag die Erfcheinung vorbereiten helfen, je ‘reicher und tiefer, deſto befjer; aber wenn es zur wirflichen Er-

Das Burgtheater. 287

fcheinung auf der Scene fommt, dann ift die Fühigfeit der Dar— jtellung Eins und Alles, dann muß das Talent der Darftellung unumjchränft wirken, dann ift die vordringlich fihtbare Einwirkung des Geiftes eine Vordringlichfeit, alfo eine Störung des Dar- jtellungsgejetes. Mean wird dann an Bilder aus Finftleriich unreifer Zeit erinnert, welche jich durch einen aus dem Munde der Figuren jpringenden Zettel erklären.

Wem ich mit diefer Erflärung undeutlich bleibe, dem werde ich vielleicht deutlich durch Hindeutung auf eine andere Kunſt, auf die Mufif. Es tritt eine Sängerin auf; man ift entzückt über ihren geijtwollen Vortrag; man fieht aus jeder Nuance, daß ihr Geiſt alle Gejete und Formen gründlich verfteht. Plötzlich aber fommt eine Stelle, welche jie recht nachdrücklich hervorheben will, und da jingt ſie zu hoch. Schade! Nun, einmal iſt feinmal, Aber dies Zu hoch fehrt wieder umd tritt fajt regelmäßig da ein, wo bie Sängerin den geiftigen Nachdrud bezeichnen will. Kurz, ihr mufifa- liſches Talent iſt geringer als ihre Geiftesfraft, es unterliegt, wo die Geijtesfraft jich geltend machen will, So war es mit Frau Rettich; fie fang oft plößlich zu hoch, wenn ihr Geift ſich vor— drängte; ihr Geift iprang über die gejetslichen Vorſchriften der Kunſt hinaus,

Hiezu Fam, daß fie eine andere nothiwendige Bedingung der Erſcheinung nicht Fünftlerifch beherrfchen konnte die Bewegungen ihres Körpers. Die Grazien waren dafiir ausgeblieben. Sobald der Affeet eintrat, dann arbeitete der ganze Körper, rüdjichtslos dem Geijte folgend, faſt durchweg unſchön.

Es war nicht möglich, diefe Uebelſtände zu befeitigen. Der Geift ift eine zu jtarfe Potenz, als daß er fich unterordnen ließe, und die Örazie muß ja ebenfalls wie das Talent angeboren fein. Wie oft entzüct fie uns an Gefchöpfen, die geiftig nichtig find! Kunftgaben find eben unmittelbare Gaben des Himmels und er— werben laſſen fie jich nur bis auf einen mäßigen Grad.

288 Das Burgtheater.

Und daber hatte Julie Rettich doch die Energie, an ſich um— zuändern, was nur irgend erreichbar war, jobald man ihr die Nothwendigfeit überzeugend auseinanvdergejett hatte, Ich fand fie zum Beiſpiel in einer fingenden Unmanter, welche die legten Worte des Satzes in die Höhe ringelte. Das war ihr eingeimpft worden dureh die Declamationsjtüde, welche jo lange im Burgtheater berrjehten und denen Halm's Verſe Vorjchub leifteten, Ih machte fie unerfchroden darauf aufmerffam. Sie wollte es nicht glauben. „Darf ich jedesmal, wenn der fingenvde Aufjchlag fommt, mit dem Stode aufſtoßen?“ „„Freilich!““ Wir probirten „Iphi— genie“. Mein Stod ſetzte fie in Verzweiflung; aber fie arbeitete von da an ımabläfjig an Beſiegung der Umart, und fie fiegte.

Nun alfo! War dies hier möglich, dann nein! Bei einer Einzelnheit, die außerdem ven ruhigen Vortrag, ihre ſtärkſte Fähig— feit, betraf, war es möglich aber das Mißverhältniß zwijchen Geift und Talent war nicht umzuändern. Hätte fie Talent und Körper ihrem Geiſte ebenbürtig machen fünnen, fie wäre eine unübertreffliche Künftlerin geworden. Sie war felbjt mit dieſen Uebelſtänden eine jtarfe Stüße des Theaters und hatte Rollen, die ihr nie nachgejpielt werden fünnen. Namentlich jolche, welche dem geiftigen Verſtändniſſe allein. heimgegeben find, wie die Prin- zejfin von Parma im „Egmont“, die Gräfin Terziy in der Ueber- redungsſcene.

Sie war überhaupt Meiſterin in der Rhetorik. In der Rede— kunſt kann der Geiſt viel eher die Zügel allein führen, als in der Darſtellungskunſt. Mit überlegener Fähigkeit wußte ſie die ſchwie— rigſte Rede ſo zu gruppiren, daß ihr die feinſte Gerechtigkeit wider— fuhr. Da konnte ihr ſtarker Geiſt ſeine ganze Ueberlegenheit geltend machen.

Aus jolhen Gründen lagen ihr die Halm’ichen Rollen am vortheilhafteſten. Nun fehlt es allerdings auch in dieſen nicht an großen Affecten, bei denen jene Uebelſtände nicht verborgen bleiben

Das Burgtheater. 289

fonnten. Aber fie ftörten hier minder, weil man in diefer Gattung von Stüden, welche ich oben als „Komödien“ bezeichnet habe, viel eherbegnügt ift mit der Meacht des Wortes, und vie wirkliche Leiden— ſchaft nicht erwartet, diejenige Leidenschaft nicht erwartet, welcher das Talent die Bruft zu öffnen hat. Gerade Julie Nettich fonnte eine Thusnelda durchführen, weil man bei der Ermordung des eigenen Sohnes nicht an die volle Wahrheit glaubt, ſondern fich mit dem Be— griffe einer Komödie tröftet. Solche Aufgaben bevürfen nicht, ja fie vertragen faum die Unmittelbarfeit des Darftellungs » Talentes. Ebenfo war fie in Aufgaben trefflich, welche eine didaktiſche Grundlage hatten, Als Caroline Neuberin war fie von jchlagender Kraft. Diefe Theater-Regentin lebt und webt in geiftiger Bejtrebung und verliert fih in feine Leidenſchaft. In jolchen Rollen blieb Geiſt und Talent der Frau Rettich in gleicher Linie, und da war fie meijterhaft.

Ein recht deutlicher Beweis, daß ihre überragende Geiftes- macht ihre Darjtellung bejchädigte, zeigte jich jedesmal, wenn fie unwohl war und doc ſpielte. Da jpielte jie jtetS am reinſten; denn das Unwohlſein lähmte ihren Geift, er ließ die übrigen Dar— jtellungsträfte während des Spiels unbehelligt, und jo entjtand vie ſonſt oft vermigte Harmonie.

Wenn man will, ift die ganze Frage um ven Werth einer fo geiſtvollen Schaufpielerin eine Frage um den Gefhmad. Nur das Ausgeglihene, nur das Harmonische iſt geſchmackvoll. Nur wenn im Menjchen alle edleren Fähigkeiten gleichmäßig ihre Schulvigfeit thun, entjteht das Geſchmackvolle. Das eben war für Julie Nettich jo ſchwer; ihr Geift drängte all ihren übrigen Fähigkeiten voraus.

Auch was man fo äußerlich hin Gefhmad nennt, Wahl der Farben, des Schnittes und gar des Pußes, war ihr deßhalb verjagt.

Und trog Alledem, welch ein Verluft ift ihr frühzeitiger Tod ! Welcher Schaf für ein Theater, eine Frau von fo großer geijtiger und moralifcher Tüchtigkeit zu befiten! Sie war eine fejte Säule

Laube, Burgtheater. 19

290 Das Burgtheater.

des guten Beiſpiels in gründlicher Beichäftigung mit ihren Auf— gaben, im geiftig freier und großer Auffaſſung verjelben, in ges wijjenhafter Erfüllung auch der Fleinjten Pflicht. Sie adelte ven Schaufpielerjtand durch die Auffafjung, welche fie ihm widmete, durch die Hingebung an feine Grundidee, an die Grundidee eines edlen Berufes, welche ihn hoch erhebt über die hundertfachen per— ſönlichen Nichtigfeiten jo vieler Schaufpieler. Sie gehörte an die Seite eines Directors, ſie wäre ver Regiſſeur geweſen, ven man zu wünjchen hat ſie war eine erhöhte Caroline Neuberin. Denn fie war gründlich im Stande, ein gutes Theater zu jchaffen und zu leiten,

XXI.

Das Jahr 1854 war an Erfolgen jehr reich geweſen, und ich habe gar nicht Raum gefunden, bei Stüden zu verweilen, welche, wie Mojenthal’s „Sonnwendhof“ und „Ein Luftipiel” von Benedir, gefielen und ihre Anziehungskraft bis heute bewährt haben.

Eine kurze Weile aber muß ich noch jtilljtehen bei einem Miß- erfolge diefes Jahres, weil der Fall jo lehrreich war, daß er näher gejchilvert zu werden verdient.

Er betraf die Bearbeitung eines franzöfiichen Stüdes. Bei diefer Gelegenheit will ich einen Irrthum berichtigen, welcher fich wie ich höre über die Bezahlung jolcher Bearbeitungen nad) dem Franzöfiichen verbreitet hat. Dieje Bearbeitungen, welde . allerdings durchichnittlich über ven gewöhnlichen Begriff von Ueber- ſetzungen hinausgingen, jollen im Burgtheater Tantieme erhalten haben. Das ijt ganz unwahr, fie wırden im Gegentheile mit einem recht Schwachen Honorare abgefunden.

In Paris hatte ein Luftipiel: „Le gendre de Monsieur Poirier“, dejjen Hauptautor Augier, einer der tüchtigjten Dramas tifer im heutigen Frankreich, einen gar nicht verjiegenden Succeß. Noch heute gilt dies Luftfpiel in Frankreich für ungemein lobens- werth. Es wird immer wieder aufgenommen und erweilt fich immer wieder lebendig, ein Zeichen, vaß die Compofition einen gründlichen Reiz in fich jchließt für die Franzoſen. Ein herabge- fommener Adeliger ſucht jih in dem Stüde wieder aufzubringen

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292 Das Burgtheater.

durch die Heirath einer wohlhabenden Kaufmannstochter. Es ift alfo ein Thema, das auch uns gar nicht jo fern liegt, das alfo die Uebertragung in deutsche Verhältnifje unter vem Titel: „Birnbaum und Sohn’ ganz wohl gejtattete.

Dies Thema aber fand als ſolches im Burgtheater feinen Anklang. Noch mehr: der Anklang wurde unbehaglih. Obwohl die öfterreichiihe Cavalierswelt eine ganz andere Staatsgruppe ift, als vie herabgefommene Adelswelt in diefem Stüde, und von den Scenen des Stüdes alſo gar nicht berührt wurde, jo nahmen doch im Burgtheater zahlreiche Zufchauer Partei für diefe Anelswelt. Aus Gefälligfeit für unferen Gavalier fühlten fie fich verlegt und offenbarten diefen höflihen Schmerz durch ausprudsvolles Schweigen. Sol ein Schweigen füllt wie Mehlthau auf Scenen, welche Wirkung im Publicum brauchen, um die Xebensfraft der Vorgänge anzufchüren, und folhes Schweigen ift augenblids an- jtefend, es belegt die Stimmung eines ganzen Saales. Insbe— jondere werden jogleih die Schaujpieler lähmend berührt. Denn fie bleiben nur lebendig, wenn ihnen Sympathie entgegenfommt. Verſagt ſich dieſe, fo werden fie ängftlich, werden hajtig, werden troden, und jo vertrodnete denn mit ihnen das lebensvolle Stüd zum Nichterfolge. Das begreift ſich ja leicht. Wie oft jcheitert ein Theaterftüd an einer widerwilligen Vormeinung!

Nun aber folgte die Merfwürdigfeit: Die Sournale hatten die Urfache ver Mißlaune nicht entdeckt und trommelten Tags darauf zürnend auf das verfehlte Stück los; diefelben Journale, welche das Thema des Stücdes tagtäglich, ja in derfelben Nummer an anderer Stelle zu ihrem Lieblingsthema machten. Anno 1854 ereignete fi das. So entjtehen die öffentlichen Mißverjtändniffe. Dffenbar hatten an jenem Abende journaliftifche Stellvertreter das Referat übernommen, und es war fein freier Kopf im Parterre ge— weſen, welcher über die übergefällige Stimmung des Burgtheater- Publicums hinausgejehen hätte. Man fann im Theater bequem

Das Burgtheater. 293

jtudiren, wie wunderlich oft allgemeine Stimmung und politisches Wetter gemacht wird oder entjteht.

Das Jahr 1855 war eine blanfe Kehrfeite des erfolgreichen Sahres 1854: e8 errang gar feinen dauernden Erfolg, nicht Einen. Bei Schilderung des Fräulein Seebad habe ich ſchon erwähnt, daß fein neues Stück mit ihr gelang. ‚Charlotte Adermann‘ von Dtto Müller und „Cäcilie“ von Prechtler boten ihr interefjante Hauptrollen umfonjt. Bauernfeld, Hadlänvder, Benedir, Birch— Pfeiffer, Töpfer, Allen verjagte in diefem Jahre das Glüd, und mit einem fremden claffiichen Stüde erlitten wir eine volljtändige Niederlage.

Dies war ein ſpaniſches Stüd von Lopez de Bega.

Der Sinn für fpanifche Stüde war in Wien viel mehr ge: pflegt worden, als in irgend einer deutichen Stadt, ja in literarifcher Kritif gab Wien Ton und Maß an über fpanifche Literatur, Ferdinand Wolf, in unferer Hofbibliothef angeftellt, war eine der wichtigften Autoritäten dieſes Faches. Die Wiener Dramatifer von Weſt-Schreyvogel bis auf Friedrich Halm haben fich mit dem ſpaniſchen Drama angelegentlichit beſchäftigt. Grillparzer ſelbſt nicht minder, nur mit dem Unterſchiede, daß er's immer nur als Studium betrieb und feine deutſche Dichternatur nicht unterordnete,

Diefe fpanifche Neigung der Wiener Literaten hatte einen biftorifchen Urſprung. Im jechszehnten und fiebzehnten Jahr— hunderte waren ja die Beziehungen unferer Dynaſtie zur Spanischen die engiten; fie gingen mannigfach über in die Bevölferung, find heute noch erfennbar in einzelnen Ausdrücken und find in den Hof- gebrauchen noch heute vorhanden.

Es war alfo natürlih, daR ich zahlreiche Borwürfe hören mußte über meine Gleichgiltigfeit für das Ipanifche Drama, über meine Unaufmerfjamfeit für ſpaniſch geartete Productionen. Diefe Borwürfe waren gerecht. Ich fette und fee wenig Hoffnung auf das ſpaniſche Theater, injoweit es Einfluß nehmen fünne auf das

294 Das Burgtheater.

Gedeihen des heutigen deutfchen Theaters. Ich bin aus einem anderen Kicchfpiele, und ich bin dies mit Bewußtfein.

Ich bejtreite durchaus nicht, daß die fpanifche dramatiſche Literatur fih durch Reichthum graziöfer Erfindung ausgezeichnet hat; ich gebe zu, daß die Kenntniß derſelben erweiterte Kenntniß ift ja immer von Nuten unferen Dramatifern vortheilhaft jein fann, namentlich in der Richtung des feineren Luftjpieles, Aber auch nur in dieſer Richtung ; die Gewandtheit in der Form ift das Beite der Spanier. In diefe Gewandtheit der Form ſchließe ich den graziöfen Geift ein, welcher dramatische Ideen erfinderijch aus— zubeuten und in. ammuthige Conflicte zu leiten weiß. Aber wo es ſich um ven gründlichen Inhalt handelt, da verfagt ung, meine ich, das fpanifche Drama. Es ift auf feinem Grunde eng bejchränft durch religiös-dogmatifche Vorurtheile, welche fich wie Naturgejeße eingeniftet haben in’s fpanifche Xeben, Dieſe befchränfenden Vor— urtheile veräften und verzweigen fich durch das ganze ſpaniſche Leben, und fie fommen in jpanifchen Productionen auch da zur Blüthe, wo fein Menſch mehr an den Urfprung diefer Blüthe denft. Taube Blüthen für uns, deren franfen Urſprung wir oft auf dem Theater erft daran erfennen, daß uns ihr Duft nicht behagt. Es ift ein Irrthum, wenn man glaubt, daß die religiöfen Gejete eines Bolfes ja Nichts zu thun hätten mit einem harmlofen Schaufpiele, welches mit feiner Silbe das religiöfe Dogma berühre, Ein ſchwerer Irrthum. Das religiöfe Geſetz ift das Herz eines Volkes; aus dem Herzen aber fommt das Blut bis in das unfcheinbarfte Adergeflecht, und jo wird die unfcheinbarjte Yebensbeziehung davon berührt und bejtimmt.

Die Lobredner fpanifcher Dramatik pflegen nachdrücklich dar— auf hinzuweifen, daß Dichter wie Calderon ſich höchſt interejjant befreit hätten vom firchlichen Dogma, indem fie phantaftijche Wendungen für ihre Heiligen erfunden und eine Symbolik ohne- gleichen erdacht hätten. Dieje Phantaftif und Symbolik find eben

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Folgen ihrer Kette, Folgen der dichterifchen Gefangenſchaft. Der Gefangene verirrt und verliert fich in Träume, und wenn er Talent hat, macht er aus diefen Träumen Kunftgebilde. Auf dem realen Boden unferer Bühne find es fünftliche Gebilde. Auch wenn wir Katholiken find, iſt uns dieſe fpanifche Gevanfenwelt eine fremde und enge, wir find durch unjere Literatur ihr längſt entwachien.

So habe ich denn immer erlebt, daß unſere dramatifchen Dichter, wenn fie fich diefer Spanischen Welt hingaben, ver unferigen entfremdet wurden und für unfer Theater entweder wirfungslos Ichrieben oder mit ver bloßen jogenannten „Komödien“-Wirkung zufrieden waren, mit ver Wirfung formeller Fertigkeit, welche einen augenbliclichen Effect erzwingt, aber unfer Herz nicht trifft.

Wozu in eine Welt zurücgreifen, welche für ven Inhalt uns jerer Kunſt religiös wie politifch überlebt ift? Wozu Stüde neu in Scene jeßen, die uns durch ihren Inhalt mit wenigen Aus— nahmen fremdartig anmuthen ?

Fremdartig? entgegnete man mir; ift dein gepriefener Shafe- jpeare nicht auch fremd fir uns, und doch bejchäftigit du uns jo viel mit ihm!

Dem ift nicht jo. Der Inhalt Shafefpeare’s iſt uns nicht frvemdartig. Gerade fein Inhalt ift uns unſchätzbar; er ftammt aus einer Weltanfchauung, welche fich durch fein Dogma bejchränfen läßt und uns mit Offenbarungen bejchenft, welche unferem Sinne tief entjprechen. Was an feiner Form für unfere Bühne fremd- artig geworden, das fteht in zweiter Linie und wird von uns nicht verfannt; fein poetifcher Inhalt aber ift für uns ein Quell unver- aanglicher Freiheit des Gedanfens und des Herzens.

So ungefähr lautete mein Naifonnement im Stveite mit denen, welche ſpaniſche Stücde begehrten für das Repertoire des Burg— theater. Ich mußte ihnen aber unter allen Umjtänden doc ein- raumen, daß ich nicht berechtigt wäre, dem jpanifchen Drama eine Bühne ganz zu werjchließen, welche das jpanifhe Drama fo vielfach

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gepflegt hatte in früherer Zeit. Ich wollte mich nicht darauf be— rufen, daß unfere Zeit eben nicht mehr die frühere Wiener Zeit wäre, und ich ging an die Infcenefegung einiger ſpaniſchen Stüde, Mein eigenes Programm trieb mich auch dazu, denn es verlangte ja wenigjtens einen Repräfentanten, wenn nicht einige Vertreter einer jo bedeutenden Dramatik auf dem Repertoire des Burgtheaters.

Zunächſt nahm ich „Don Gutierre“ wieder auf, von deſſen ftarfer Wirfung in früherer Zeit mir große Dinge erzählt wurden. Ich fonnte nicht daran glauben. Das unheimliche Thema viejes „Arztes jeiner Ehre‘, faſt in all feinen Wendungen unerquicklich für unſere Kunjtanfprüche, erſchien mir bei der Lectüre und auf den Proben durchaus nicht werfprechend.

Sch hatte „Othello“ noch nicht neu in Scene gefett, weil mich die allmälig erworbene Kenntniß des Wiener Publicums belehrte, dag „Othello's“ greller Inhalt bei dem hiefigen Gejchmade einen ihweren Stand haben müßte. Ein fundiger Freund bejtätigte meine Bormeinung; er hatte „Othello hier gejehen und fagte: Die wil- den Ausbrüche dieſer Yeidenfchaft thun dem Publicum weh; es fügt jih der gewaltigen künſtleriſchen Macht, aber es verleugnet nicht, daß es ihm eine Pein ift.

Kun denn, rief ich, wird man fchon beim „Othello“ zu der äſthetiſchen Frage aufgeftachelt: ob die anatomische Ausbeutung einer widerwärtigen Leidenschaft wie Eiferfucht nicht doch eine unglücliche Aufgabe ſei für die Kunft wie viel mehr wird vdieje äjthetiiche Frage ſich aufdrängen bei,,Don Gutierre”, dem fogenannten „ſpani— ſchen Othello“!

Shakeſpeare's „Othello“ iſt ein Meiſterſtück intimer Charakter— führung; in keinem ſei ner Stücke hat ſich Shakeſpeare ſo eng be— grenzt, hat er ſo ganz und gar nur aus dem Mittelpunkte des Herzens herausgearbeitet.

„Und doch“ ſagte der obige Freund „haben die Wiener ſtets gewittert, daß Shakeſpeare den „Othello“ in ſeiner letzten

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Lebenszeit gejchrieben, daß er melancholifch und verbittert geweſen durch feine Yebenserfahrungen, durch feine abnehmende Gefundheit, und daß er darum einem peinlichen Thema feine zufammengedrängte Kraft gewidmet habe,’

Wie joll vor diefem Publicum rief ih „Don Gutierre‘ bejtehen, welchem jene jorgfältige Charafterführung abgeht, welchem die außerliche Ehre das Motiv zur Graufamfeit liefert !?

Nun, ich hatte mich nicht geirrt. Das Publicum fam nicht einmal in hinreichenver Anzahl und ließ das Stüd fallen. Wir haben es gar nicht wiederholen fünnen, Der Eindruck war peinlich und abjtogend, wie ich mir gedacht.

Das liegt an der Darjtellung jchrieen die Spanier das liegt an Löwe! Er verdirbt alle Anſchütz'ſchen Rollen, er ijt fein Gutierre, er verfagt immer, wo ftarfe innerliche Leidenſchaft walten joll, er bringt immer nur Strohfener, und außerdem ift er zu alt für diefe Rolle!

Das überzeugte mich nicht. Selbſt in dieſem ſpaniſchen Stüde meine ich , welches die eigentlich ſpaniſchen Verhältniffe im Hintergrunde läßt und welches eine allgemeinverftändliche Leiden- Ichaft im Vordergrunde abipielt, jelbjt in einem folchen webt und wirkt ein jocialer Trieb und Geift, welcher uns fremd ift und uns falt anmuthet.

Berfuchen Sie es nur, hieß es, mit einem fpanifchen Stücke, das man hier noch nicht fennt und das alſo auch den Reiz der Neu— heit nicht entbehrt ! Ä

Gerade die Neuheit fürchtete ich. An ein neues Stüd geh man erſt recht mit heutigen Gedanfen und Anfprüchen. Aber ich fügte mich und gab ein ſpaniſches Stüd zum erftenmale, welches in einer jehr guten veutjchen Bearbeitung von Zedlit vorlag, nämlich den „Stern von Sevilla”,

Hier entwidelten fich die lebeljtände einer ung weit abliegenden jocialen Welt geradezu jchreiend. Wie oft hatte ich das Stück vor:

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gelefen, und meine Zuhörer hatten fich erbaut gezeigt! Ja, Vorleſen und Spielen find fehr verjchievene Dinge! Beim Vorleſen find wir gebildete Leute, welche fich wohlerzogen in eine fremde Welt verfegen lajjen; dem Spielen auf der Bühne gegenüber find wir Nichts als gegenwärtige Menjchen, welche den Standpunkt der heutigen Welt vertreten, Nichts weiter; ein Theil des Publicums, abhängig vom Nachbar. Wie gut wir auch wiffen mögen: was da oben vorgeht, iſt ganz richtig, jo waren die Dinge in jener Zeit Nichts da! Die Stimmung des ganzen Publicums überwältigt ung in der eriten Scene, und wir jtimmen bei, wenn das Publicum jagt: Das paßt nicht mehr! Kurz, ein Theaterjtük muß der brutalen Gegenwart Stich halten, denn das Publicum iſt feine gewählte Gefellfchaft, es ijt nur der grobe lebendige Ausdrud der Gegenwart.

Ah, dann wären ja hiftorifche Stücke überhaupt nicht möglich ! O, doch! Sie müfjen nur in einem Geiſte gejchrieben fein, den wir ohne Gelehrſamkeit verftehen. Specialhiftorifche Studien müfjen nicht nöthig fein. Das Fremde, in einem ung fremden Geijte hin— geftellt, eine für uns ſpaniſche Welt das wird fchweigend abge: lehnt oder gar verjpottet. Im Theater meint die Gegenwart immer allein Recht zu haben.

Der „Stern von Sevilla” wurde verjpottet, Der fpanifche Feudalismus in feinen VBerhältniffe zum Königthum, welcher die jo- genannten „Mantel: und Degenftücde‘ vurchdringt, iſt eine politifch- hiſtoriſche Specialität, dem jegigen Publicum unbegreiflih. Wenn alfo die Perfonen dem Könige gegenüber jich reſignirt benahmen, wie es den damaligen Spaniern geziemte, jo fand das jeßige Publi- cum jolches Benehmen thöricht und wies es ab over lachte.

Zedlit ſelbſt täufchte fih über diefe Niederlage. Er war ein eifriger umd vielfach fundiger Theatergänger, aber dies ſocial-poli— tische Moment im Theater ver neuen Zeit entging ihm wie jeinen Genofjen, welche in einer ganz anderen Zeit gealtert waren, Er meinte fpotten zu dürfen, daß Lopez de Vega im Burgtheater durch—

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gefallen. So lag und Liegt die Frage nicht. Lopez de Vega bleibt dabei ein großer Dichter. Die Frage liegt, ob fein Theater unſer Theater fein fann? Das Publicum hatte einfach Nein gejagt. Wir können und werden deßhalb ven fpaniichen Dichter mit Interefje weiter lejen.

Sch habe nach diefen Vorfällen das ſpaniſche Theater lange unberührt gelafjfen und mich erſt jpät zu der Auswahl entichlojjen, die mir für unfer heutiges Theater eriprießlich ſchien, um der hifto- riichen Tendenz unferes Repertoives gerecht zu werden, Als ich das Stück intereffant beſetzen konnte, habe ich die treffliche Weſt'ſche Be— arbeitung der „Donna Diana’ in Scene gejegt, ein Stüd, welches frei ijt von abliegender ſpaniſcher Specialität, und habe „Das Yeben ein Traum’ gebracht.

Letzteres beſchäftigt fich in feinem Grundgedanfen mit einem Thema, welches bei jevem Volke Antheil finden kann. Aber in diefem Stücde war ich genöthigt, die zweite Hälfte ftarf zu verfürzen, weil fie fich in infipide ſpaniſche Spisfindigfeiten verirrt, die ung jtörend vom Hauptthema ableiten.

So ſteht es mit unferem jeßigen Spanien auf dem Burg— theater. Der jetige ſpaniſche Intendant, ich will jagen ver ſpa— nisch gebildete Intendant, wird vielleicht weiter entwideln, was mir verjagt war.

Auch für die neuen Einftudirungen machten wir ung in dieſem Sahre viel vergebliche Unfoften, Wir wollten nicht blos fpanifche, jondern auch ältere deutſche Stüde herftellen, welche bei einem Theile des Publicums in Credit geblieben waren und deren Ver: nachläffigung mir vorgeworfen wurde. Zum Beifpiele „Menſchen— haß und Reue’, da Fräulein Seebad) ja der vielbeweinten Eulalie gerecht werden fünne. Das Stüd blieb auch diesmal nicht ohne Wirkung, nur war fein Bublicum nicht mehr groß genug, fondern bald erfchöpft. Für die junge Generation hat ſchonungsloſe Kritik

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diefem Stüde ven Auf verdorben. „Die deutjchen Kleinſtädter“ ferner paßten gar nicht mehr, und ſelbſt die viel. jüngeren „Schleich— händler” Raupach's verfagten. Die Unhaltbarfeit ver „Familie Schroffenſtein“, von Kleift, habe ich ſchon erwähnt, und auch ein Tendenzjtüd: „Ein deutjcher Krieger’, jtredte die Waffen, weil feine Tendenz überlebt war.

Beitand fanden von neuen Imfcenefegungen: „Traum ein Leben”, „Feſſeln“, „Gönnerſchaften“ und „Othello“. „Othello“ ganz ſo wie oben angedeutet worden iſt: die claſſiſche Führung des dunklen Stoffes erzwingt Bewunderung, aber das hieſige Publicum will dieſe Claſſik nicht gar oft bewundern.

Von den eigentlichen Neuigkeiten dieſes Jahres es klingt recht beſchämend für unſere Production und für unſere Klopffechter gegen franzöſiſche Bearbeitungen find nur drei kleine franzöſiſche Stücke bis heute am Leben geblieben: „Eine Partie Piquet“, „Gäns— chen von Buchenau“ und „Der Freiwillige“. Daneben nur Ein kleines deutſches Stückchen, der Erſtling eines neuen Autors aus unſerer Mitte: „Ein ernſter Heirathsantrag“, von Siegmund Schleſinger.

Eilen wir denn aus dieſem mageren Jahre in's Jahr 1856 hinüber! Da winken uns mit den erſten Veilchen zwei junge Gäſte, die in unſeren Künſtlerkranz aufgenommen werden ſollen, ein Männ— lein und ein Weiblein, deutlicher geſagt: ein Jüngling und ein Mädchen, die noch Niemand kannte.

Beide kamen tief aus dem Norden. Mein Sohn hatte auf einer Bergfahrt nach dem Oetſcher einen Kunſtfreund von der preu— ßiſch-ruſſiſchen Grenze her kennen gelernt und von dieſem gehört, daß dort in einer Fleinen Stadt ich glaube Elbing war es ein junges Mäpchen Komödie fpiele, jo geiftvoll und reizend, wie er e8 auf feiner Reife durch ganz Deutjchland nicht wieder gefunden. Sie werde nächjtens in Hamburg gajtiren, denn der Hamburger Divector Maurice habe feine Augen überall und entdede die Talente auch in

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den abgelegenjten Winkeln. Flugs fchrieb ih nah Hamburg und bat Freund Heller um Bericht über ven Ankömmling. Aobert Heller beurtheilt und ffizzirt die Schaufpieler jo intim, fein und echt, daß mir ein paar Zeilen von ihm ſtets von großem Werthe und Nuten für das Burgtheater geweſen find. Er beftätigte die günftige Schil- derung des Heinen pifanten Fräuleins, und fo wurde fie zum Gajt- ipiele geladen.

Den jungen Mann, welcher in Königsberg fpielte, hatte Heinrich Marr, ein fundiger Diagnoftifer, empfohlen. Aber ich mußte ihn unbefehen fejt ergreifen, denn auf dem Wege nach dem Süden wollte er in einem Hoftheater auf Engagement gajtiren. Ih wagte es. Er fam und das Wagniß ſchien mißlungen zu jein, Er trat als Mortimer auf und gefiel nicht.

Am Morgen nach diefem Debut begegnete ich auf ver damals noch beftehenden Bajtei einem jungen Schaufpielerpaar ich glaube, e8 war ein Brautpaar und Beide drüdten mir ihr inniges Bedauern aus, daß es wieder Nichts wäre mit dem neuen jungen Liebhaber und daß ich ihn nicht behalten könnte.

Sch ſchwieg. Die Perfon des jungen Mannes war mir an- genehm; ich hoffte Hartnädig. Der tragifchen Rolle follte eine Lujtipielrolle folgen, „Der geheime Agent”. ine Fichtner’fche Rolle! Natürlich genügte er da auch nicht; aber ich meinte nad) dieſem zweiten Abende meiner Hoffnung noch jicherer vertrauen zu dürfen, wenn es mir nur gelänge, einen fremden Neve-Accent zu vertreiben, der ihm eigen war. Sch war es gewohnt, mit folcher Hoffnung allein zu bleiben, ja mich verfpottet zu fehen mit der: jelben, was diesmal auch von meiner Behörde reichlich geichah. Der Spott jteigerte fich fogar zum Tadel, als ich ihm Rollen gab wie ven Schiller, in ven „Karlsſchülern“, und das fonjt beliebte Stüf vor ſchwachem Haufe abjpielte. Das fommt von folchen Bejetungen! hieß es.

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Dies ift der ewig fehlerhafte Cirfeltanz beim Theater: es fol Nachwuchs erzogen werden, aber Rollen will man ven jungen Leuten nicht anvertrauen; ſie jollen ſchwimmen lernen ohne Waſſer.

Kun, ich blieb eigenfinnig anderer Meinung, und jener junge Mann, fleifig und geiftig jtrebfam, lernte ſchwimmen wie Einer, und wenn ich ihn jett nenne, fo jagt jest Jedermann: Ja, das glauben wir! Es war Adolph Sonnenthal,

BEXTV,

Das junge Mädchen, welches im Frühlinge 1856 zu ung fam, war Fräulein Goßmann.

Sie gefiel jogleich und gewann alle Stimmen für fih, denn fie war ein allerliebjter Schalf, und aus ihrer Naivetät blitten Injtige Geiftesfunfen hervor, Man fah, es war feine gevanfenlos aufgejpielte Naivetät, fondern die Darftellerin wußte, welche Taften ihres Claviers jedesmal eract anzufchlagen wären, um die jedesmal beabjichtigte Wirfung zu erreichen. Eine junge Künftlerin alfo, nicht blog ein Naturell. Hoffen wir, daß die fünjtlerifche Thätig- feit im Einflange bleibe mit dem Naturell, denn ein naives Naturell darf vom Geiſte nur jo viel verrathen, daß wir geijtig angemuthet werden, nicht aber jo viel, daß die Naivetät lediglich vom Geifte gemacht erjcheint. Im letteren Falle entiteht naive Manierirtheit.

Man kann nicht jagen, daß Fräulein Goßmann in diefen Fehler verfallen ſei; ihr friiches Naturell hat ihrem rafchen Geilte immer entfprechend Widerpart gehalten. Sie ijt viel eher gefährdet worden durch das Bedürfniß, ausgezeichnet zu erjcheinen.

In der erjten Zeit ihres Engagements war fie noch vecht unabhängig von der Außeren Zuftimmung und führte mit Charafter- kraft Rollen durch, welche feinen befonderen Beifall gewannen. „Wars recht?“ fragte fie mich nach einem undanfbaren Acte, „„Ganz recht!““ ‚Nun, dann bleib ich dabei, wenn fie auch da unten nicht muckſen.“

304 Das Burgtheater.

Sie hatte in Gefinnung, Talent und Verſtand die bejte An— lage, eine charafterijtifche Künftlerin zu werden. Zweierlei hat fte beeinträchtigt. Erſtens ihr Organ, welches leicht jpröde wurde und für breitere Anwendung fich verfagte, und zweitens, wie ich jchon angedeutet, der allmälig erwachende Trieb, Aufjehen zu erregen. Die widerfpenftigen Stimmmittel verhinderten fie an größeren Auf- gaben, denen fie übrigens gewachjen gewejen wäre, und der Trieb nach Aufſehen zerftreute fie und ließ ſie nach Aufgaben greifen, welche oberflächlich waren. Bei Alledem bewahrte jie fich immer eine edle Empfänglichfeit für das Beſſere, und jie hätte zu einem eigenthümlichen Repertoire und dadurch zu einer charakteriftiichen Kunftgröße gelangen fünnen, wenn fie Schriftiteller gefunden hätte für ihre befondere Fähigfeit. Im Frankreich wären Rollen für fie gedichtet worden. Das iſt in Deutjchland überhaupt jelten und gelang für fie in zu geringem Grade. Bauernfeld's „Fata mor- gana“, obwohl nicht für jie gefchrieben, war ein Fingerzeig, er fand aber feine Folge. Das herfömmliche naive Repertoire ift in neuerer Zeit immer dürftiger geworden, und es ftedt zu jehr in abge: ſchmackten Stüden, als daß ihr mit vemjelben hinreichend gedient jein fonnte,

Sp ſtockte allmälig ihr Fortſchritt. Wenigjtens empfand fie, daß ein erſtes Theater ven Kleinen Purzelbaum-Stüden nicht Raum genug biete. Was denn auch richtig ift. An einem erjten Theater müſſen folche Specialfächer fich beſcheiden, und das wurde ihr fehr ihwer. Es wurde ihr ſehr ſchwer, weil fie wirklich eine größere geijtige Anlage hatte.

In diefe Frage um Erweiterung ihrer Aufgaben, mit welcher fie und ich täglich befchäftigt waren, mifchte ſich plößlich, wie fie das zu thun pflegt, die Liebe, und da fie mächtiger ift als irgend was Anderes, jo löfte fie auch ven Theater-Contract und führte zum ZrausAltare.

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Solchergejtalt ijt die Entwiclung eines Talentes unterbrochen worden, welches unzweifelhaft originell war,

Ich aber mußte von Neuem fuchen, wo die junge „ingenue“ aufwachfen möchte, die uns Lachen und Weinen vorfpielen fünne zum bloßen Behagen unjerer Herzen.

Wer jucht, der findet. Wie landläufig ift die Klage, daß es neuerer Zeit jo ſehr an Talenten fehle für die Bühne! Wenn man die zehn Jahre anfchaut, von 1840 bis 1850, fo erjcheint die Klage freilich begründet. Man fuchte eben nicht, und fo erjchien fein neues Talent. Wie viele neue Talente find feit 1850 an uns vor— übergegangen oder bei uns aufgewachfen! Dawiſon, Seebad, Borler, Hofmann, Scholz, Sonnenthal, Yewinsky, Wolter, Schnee- berger, um nur die für bejtimmte Fächer zu nennen, welche dem eriten flüchtigen Blide begegnen. Und wie viel daneben, wenn man länger hinſchaut. Man muß nur nicht verlangen, jogleich ausgeprägte Goldmünzen zu erhalten. Dies war das Verlangen einer anderen Zeit, welche in einem fleineren Kreiſe ſich bewegte. Setzt muß man nicht Fertiges begehren, man muß Anlagen jchäten und abjhägen, und dann muß man erziehen, um erfinderifch das Enjemble auszufüllen, und es organisch auszufüllen. Nicht Funde, nicht Yotteriegewinnfte muß man erwarten, wie müßige Leute thun, Erwerbungen muß man jchaffen. Wenn man organifch auszufüllen trachtet, wenn man alfo das Streben nad einem Enjemble, nad einem harmonijchen Ganzen an die Spige jtellt, dann gewinnt man vielleicht weniger Glänzendes, aber man gewinnt das Paſſende, das Entiprechende, Die heutigen Talente haben ganz andere Eigenſchaften als die Talente einer früheren Zeit. Sie jind eben und das wergejlen ältere Perſonen leicht fie find Kinder ihrer Zeit, und man muß fie zumächit verwenden für die Interefjfen und Aufgaben ihrer Zeit. Dann wachen fie naturgemäß zu ferneren Aufgaben empor. Die frühere Zeit war jtarf in Original-Figuren, und dem entjprachen auch die Talente, dem entiprachen die Stüde

Laube, Burgtheater. 20

306 Das Burgtheater.

der älteren Zeit. Sie brachten Rollen für ſolche Original-Figuren. Unfere jegigen Talente jpielen die alten Stüde viel jchwächer ; dafür fpielen die älteren Talente unfere jeßigen Stücke ſchwächer. Unfere Zeit ift nivellivter und hat deghalb weniger Originale, aber jie hat mehr geijtiges Yeben,

Demgemäß muß man die Talente juchen und wählen, und demgemäß muß man fie zu entwiceln trachten. Wir fünnen in diefem Sinne von unferer Bühne nicht Jagen, daß es ung an Ta— lenten gefehlt habe,

Aber die beweglichere neue Zeit hat ihre Unkoſten arg ein- gefordert beim Burgtheater! Wie viel Talente haben wir wieder abgeben müfjen! Namentlich die Heirat) ift für das Burgtheater eine äußerſt foftjpielige Einrichtung geworden. Wie viel Yiebhabe- rinnen bat fie uns entführt! Und gerade nur uns, Unſer Theater muß doch überaus liebenswürdig geworden fein!

Fräulein Goßmann gehörte ung noch, da meldete ſich eines Tages ſchon eine neue „ingenue“ auf meinem Bureau. Naive Rollen? fragte ich erftaunt bei diefer Yinge? Die junge Dame war jehr hoch gewachten und jah etwas abgehärmt aus, Mitten im Winter kam fie aus Hannover. Aber jie machte einen wohlthuenden Eindruck; jie war ungemein bejcheivden und anſpruchs— (08, war fehr natürlich und hatte einen vafchen, liebenswürdigen Ausdruck diefer Natürlichkeit. Vor allem Uebrigen war ihre Stimme anfprechend und liebenswürdig, ein weicher Alt,

Das Alles gewann mich, und ich ließ fie ihrem Wunfche ges mäß in einer naiven Rolle auftreten, obwohl mir ihre Ericheinung und auch ihr ganzes Wefen auf ein anderes Nollenfach hindeutete, Ihr Wefen widerfprach inveffen einer naiven Rolle nicht, und Fo ließ ich Fopffchüttelnd zu, daß fie das Paraderöglein in „Ich bleibe ledig“ vorführe, jene Kleine Caroline, welche ein deutiches Reich auswendig gelernt hat mit uralter Eintheilung. Sechszig Jahre find jett in ver politifchen Geographie Deutſchlands ein Uralter, fein Menſch

Das Burgtheater. 307

fennt mehr „die hintere Grafihaft Sponheim”, und das ganze Haus lacht über Etwas, was noch vor jechszig Jahren eine ganz ernithafte Sache war. So raſch werden politifhe Bejtimmungen komiſch! Ebenſo wunderlich geben wir das Stüd: der Freiherr v. Biberſtein erjcheint mit ellenlangem Zopfe und ent|prechenver alt= modischer Tracht mitten unter lauter modernen Figuren, eine Figur vom Maskenballe. Num, diesmal erichien denn neben ihm ein jehr hochgewachfenes Töchterlein und fagte exact das geographifche und ſonſtige Penſum auf, und Niemand vührte fich im ganzen Haufe, der hannoverſche Saft fpielte die ganze Rolle durch ohne das geringite Zeichen von Beifall. Sie ift durchgefallen! fagte man neben mir. Es war gerade jo gegangen, wie mir’s auf dem Bureau vorge: ſchwebt hatte: die lange Figur widerfprach dem Rollenfache. Ich perfönlich hatte übrigens ſonſt Nichts an ihrer Yeiftung auszufegen, fie hatte mir gefallen. Da e8 ijt mir im Theater felten eine ſolche Ueberrafchung begegnet da, als nach dem Schluffe des Stücdes ver Vorhang Schon eine kleine Weile gefallen war, da mel- den ſich aus dem Publicum ſchüchtern einige Beifallszeichen und jie vermehren jich und bleiben ohne irgend einen Wivderfpruch, und es wird aufgezogen, damit jich der Gaſt für diefe Freundlichkeit be- danfen könne. Sobald der Gaft zu diefem Zwede auf der Scene ericheint, applaudirt einſtimmig das ganze Haus, rfichtlic) war es alfo vem Publicum gerade fo ergangen wie mir: das Rollenfach hatte ihm nicht zu der langen Figur dev Schaufpielerin gepaßt, und deßhalb hatte man gejchwiegen, die Schaufpielerin ſelbſt aber hatte dem Bublicunt- gefallen,

So war es. Auf diefen Vorgang hin engagirte ich die junge Dame und führte fie erjt in naivsfentimentale Rollen, dann in rein— jentimentale, endlich in Wollen, welche dem Tragiſchen naherüd- ten, und all das gelang: wir hatten eine allgemein ſympathiſche Srauenfraft gewonnen, ich machte die ſchönſten Pläne für die Zu- funft mit ihr, ich lieh fie das Gretchen ſtudiren, ich hoffte es

20*

308 Das Burgtheater.

blieb beim Hoffen! Die für unfer Theater heillofe Liebe mifchte jich wieder darein und ſchnitt unfere Hoffnung ab wie eine Parze Fräulein Scholz verheirathete fich ebenfalls.

Ein Unglüd fommt felten allein. Im December diejes Jahres 1856 griff die verzweifelte Heivath nach unjerm beiten Schate, nad) Louiſe Neumann,

Sie hatte freilich nicht ganz Unrecht, wenn fie auf meinen Auffchrei fagte: Seit 1839 bin. ich Hier, alſo feit fiebzehn Jahren; mein Fach ift und bleibt das naive Fach, wie jehr Sie mich auch als bedürftiger Director in andere Fächer geführt, meine Laufbahn ijt in Wahrheit vollendet. „Durchaus nicht!” Do!

Umfonft eitivte ih Mademoiſelle Mars, die bis in die Nähe des Grabes im Theätre Francais durch ihre Liebhaberinnen ent- zückt habe. Franzoſen! erwiderte fie lächelnd und das Burgtheater jteht nicht in Franfreich.

Kurz, fie verließ uns. Außer Wilhelmi war mir Niemand jo lieb und werth gewejen. Sie war ein Mitglied, wie es im Buche ſteht; nein! wie es nicht einmal im Buche fteht. Nichts von Schaufpielerei, Nichts von Flitterwejen, Nichts von gemachtem Kram. Die ehrlichite, einfachite Hingebung an ihren Beruf; nicht nur die treuejte Pflichterfüllung, auch die liebenswürdigfte, welcde jelbft ein Opfer nicht verfagte, fobald das Gedeihen des Ganzen ein Dpfer in Anfprudh nahm. Dazu eine Vertreterin guter Gejellichaft, eine Vertreterin des Gefitteten, des Wohlanftändigen, und ſchon deß— halb eine Perle fürs Burgtheater. Sie war von Haufe aus gut er- zogen, und das hat ihr und uns die veichlichjten Früchte getragen, denn dadurd war fie für die gute Geſellſchaft Wiens eine immer willfommene Erſcheinung, ein zartes, feines Band zwijchen Publicum und Schaubühne, und dadurch wurde fie für das Geſellſchaftsſtiück um das Converſationsſtück deutich zu benen-

Das Burgtheater. 309

nen eine überzeugende Kraft. Und dieſen Schatz follten wir bingeben!

Seribe, der franzöfifche Luſtſpieldichter, kam damals auf einige Tage nah Wien, und ich hatte das Vergnügen, diefen Vater des bürgerlichen Luſtſpiels in's Burgtheater zu führen. Er war ein fleiner alter Herr mit weißem Haupte. Unter Karl dem Zehnten ſchon hatte er feine theatralifche Yaufbahn begonnen und die ganze Juli-Monarchie hindurch Stüde gefchrieben, die Nepublif hatte er überdauert und fürzlich noch „Mein Stern” gebracht, eine heitere Berfpottung des Kaiſerſterns. Er war recht müde, aber gar nicht blafirt, und er wollte beiläufig doch auch jehen, wie man in Wien Komödie fpiele. Auf meine Frage, ob er ung nicht wieder ein größeres Stück fchenfen werde, erwiderte er achjelzudend: „Woher den Hintergrund nehmen? Wir haben feine „Geſellſchaft“ mehr”. Ich glaube, er war damals mit den „Feenhänden“ beſchäftigt, in denen eine Herzogin Putzmacherin wird und denen in Frankreich der Erfolg heftig bejtritten wurde. Aber er jprach nie über Pläne, deren er immer ein Dutzend auf dem Webjtuhle hatte, denn man brachte jie ihm won allen Seiten, damit er jie auf feinem Webjtuhle verarbeiten möge. Wir fonnten ihm feinen verrathen, denn er ver— jtand natürlich Fein Wort Deutjch, und ich ſah nicht ohne Beſorgniß drein, daß er fich langweilen werde, Ungemein höflich wie er war, verjicherte er Lächelnd, daß er dem Spiele ganz gut folgen könnte auch ohne Verſtändniß der Worte, Er fah mit voller Aufmerkſam— feit zu und erzählte mir nad dem Actjchluffe, was er gefehen und gehört zu haben glaubte. Kin Luſtſpieldichter combinirt fich ja aus einem Finger Hand und Fuß! Sch jtörte feine Kombination nicht durch Berichtigung und verwies ihn auf ven zweiten Act. Uner— jchütterlich aufmerffam ging er auch an diefen und ſchwieg volljtän- dig während des Spiels. Plötzlich gerieth er in Bewegung und nach kurzer Frilt wendete er fich zu mir und jprach: Voilà une aetrice! Youife Neumann war aufgetreten,

310 Das Burgtheater.

Sie war formell franzöfiich erzogen, und diefe Formen hat fie immer fejtgehalten. Ihr ſchwäbiſch angehauchtes Naturell ale: manniſch, von der Wejtjeite des Schwarzwaldes blieb davon un— verfürzt, ja unberührt, jo daß der heitere Mutterwitz fich in ven Formen gejellfchaftlicher Decenz höchſt graziöss ausnahm. Sie fonnte jtärfere Dinge jagen als manche Andere, denn fie flangen aus ihrem Munde und begleitet von ihrer jonftigen Haltung gar nicht jtarf, ſondern nur pifant, und fie jagte feine Dinge höchſt aus— drudsvoll, weil man empfand, daß jie ganz genau wußte, was fie fagte. Ihre gejellichaftlihe Bildung wußte Alles paſſend einzu- führen.

Als ih fie 1845 das erſtemal ſah fie jpielte die Floretta in der „Donna Diana“ da hat fie mich wunderlich gefoppt oder Doch verwirrt. Zu der hübfchen Figur und der lebhaften Phyſio— gnomie mit fingen Augen, ſchönen Zähnen und Händen hatte ihr die Natur ein jchmales Stimmorgan gegeben, welches ein wenig auf- fiel. Damals wenigjtens e8 bat fich fpäter mehr gefüllt in diefer wortarmen Rolle meldete es ſich ſpitz und ſcharf. Es frap— pirte mich, und nach der erſten Scene dachte ich: das iſt entweder ein curioſes Perſönchen, oder es iſt eine ſehr gute Schauſpielerin! Am Schluſſe des Stückes hielt ich ſie für eine ſehr gute Schau— ſpielerin.

Sie hatte in einem ganz anderen Sinne Geiſt als Fräulein Goßmann. Bei viefer erihien die geiftige Kraft à la sauvage, brüsf herausfordernd ; bei Louiſe Neumann erſchien dieſe Kraft (eifer, worfichtiger, und erjt, wenn jie des Terrains ficher war, wagte fie einen Sprung. Nur gerade jo weit, als abjolut nothwendig war, und ihr jchallendes Gelächter drüdte ven Stempel darauf, daß Altes harmlos gemeint wäre. Sie lachte vortrefflih. Kurz, das begabte Naturell war breiter und weicher in ihr, als bei Fräulein Goßmann, und die gefellige Zurückhaltung oder Ausgleihung war

Das Burgtheater. all

jtets zur Hand, während der humoriftifche Geiſt der Goßmann ohne Rückhalt vorbrac.

Dieſe fieben erften Jahre meiner Divection, die Werbung um Lea, war fie mir die getrenefte und feinjte weibliche Hilfe. Sie rieth und warnte grundehrlich. Immer bejcheiden, immer mehr fragend als ſagend, eigentlich immer naiv, Bei aller Weltflugheit blieb ihre Seele in allen Dingen naiv; eine unfchäßbare Eigen- ſchaft an einer Frau. Ueber Yiteratur, über Stüce, über Menfchen, wenn fie noch jo genau unterrichtet war, ſprach fie nie mit der Be— jtimmtheit eines Kenners, nie apodiftifch. Auch da fragte jie ſtets: St dies nicht bei aller Vortrefflichkeit, die ich nicht verſtehe, doch von zweifelhaften Werthe? Oder umgefehrt: It dies nicht bei allem Tadel, den es erfahren, doch vecht beachtenswerth? Sie mochte nie entjcheiden, auch ihr Urtheil wollte jung bleiben und belehrbar ein naives Mädchen.

Wie fträubte fie fich, aus ihrem engen Nollenfreife herauszus gehen! Der bare Gegenjab zu Dawifon und Seebad. Und doch mußte ich fie dazu drängen. Ich hatte eigentlich Feine andere Luſt— ipiel:Xiebhaberin, und gerade ihr Weſen war ja vorzugsweiſe ges eignet, die Luſtſpiel-Liebhaberin darzujtellen auf einem Theater, welches einfache Natürlichkeit zum Ausgangspunfte der Darjtellung nimmt. ben weil Nichts, auch nicht Eitelfeit oder Ehrgeiz, fie aus der einfachen Natürlichkeit hinaustreiben konnte, eben deßhalb war fie ja wie berufen, die Erweiterung ihres Nollenfreifes anzu- jtreben. Die Garantie war ja eben vorhanden, daß dies nur in folgerichtiger Weife gefchehen würde und daß jie nirgends im die Wahl falfchber Mittel verfallen fünnte, Mißtrauen in ihre Kraft, Zweifel an ihrer Begabung famen bei jeder neuen Rolle, welche nicht blos naiv war, in Rede; ſie nämlich brachte das in Rede, und alle Wendungen wurden erwogen wie auf eimer Goldwage. „Doctor, das fann ich nicht!” war das dritte Wort, und dabei zeigte fie von Rolle zu Rolle, daß ſie viel mehr fonnte, als fie fich

312 Das Burgtheater.

zugetraut. Wie jchön fpielte jie die Prisfa in den „Kriſen“, welche einen fentimentalen Proceß durchzumachen hat, obwohl jie gemeint hatte, gerade der ſtünde ihr nicht zu Gefichte. Wie Treffliches leijtete fie in der „Königin von Navarra‘, die ihr fehredlich war. Und hier hatte fie auch Recht mit ihrem Schreden; bier famen Grenzpflöde, welche jie nicht überfchreiten fonnte. Theils in der Sauce jelbjt, welche jtärfere Ausdrucksmittel verlangt, als fie beſaß, theils in der nicht eben organischen Führung der Rolle, welcher Virtuoſenzüge angeheftet find. Das Declamiven mit politifcher Beweisführung vor Kaifer Karl war für Louiſe Neumann eine fünjtliche Zumuthung, über welche wir bei der Probe viel gelacht haben, Sie lachte mit, aber fie hatte die ſchönſte Luft, darüber zu weinen, und fie ſchalt mich mit Necht, daß ich fie in Wildniſſe führe, in denen fie nicht durchkomme! Namentlich das enge Organ be- hinderte fie. Und dennoch ift ihr der größere Theil ver Rolle nie mehr nachgefpielt worden, und das Stüd hat mit ihr den ange- nehmen Mittelpunft verloren. Es wurde ihr ganz erreichbar, die naive Schalfhaftigfeit des naiven Mädchens zur liftigen Spiegel- fechteret der vornehmen Dame zır jteigern.

Und al’ dieſe anmuthigen Studien jollten plößlich ein Ende nehmen! Anmuthig, weil fie fo gefund entjtanden. Sie begannen mit den einfachiten Fragen wie bei Kindern, Bekanntlich fragen Kinder jo ſchwer, daß der Weifefte in Verlegenheit fommt und jih Nechenjchaft geben muß von Dingen, die fih won jelbit verjtehen jollen und ſich doch gar nicht von ſelbſt verjtehen. Gerade ſolche Fragen, aus naivem Grunde aufjteigend, find ein Segen bei Kunſtſtudien jie ſchützen vor Sau und unwahrer Täuſchung.

All dies Grundelement guter Komödie im Burgtheater ſchien mir verloren zu gehen mit dem Ausſcheiden einer Louiſe Neumann ach, es waren traurige Tage, als ſie ihre letzten Rollen ſpielte,

Das Burgtheater. 313

und als jie zum erſten- und lettenmale vortrat, um perjönlich zum Publicum zu jprechen und Abſchied zu nehmen!

Eines der echtejten, der liebjten Blätter in der Geſchichte des Burgtheaters war vollgeſchrieben und mußte umgewendet werden. Und wir haben's doch getragen, aber fragt uns nur nicht, wie?!

XXV.

Die Ehebündniſſe, welche uns die beiten Yiebhaberinnen ent- zogen, machten doch nur uns unglüdlich und machten wenigitens die Liebhaberinnen glücklich. Um diefe Zeit aber ſchürzte ſich unter unferen Augen das Bündniß einer unferer Damen, weldes uns und auch diefe Dame unglüdlich machen follte. Und was noch ſchlimmer: wir hätten’s wohl verhindern fünnen.

Ich fand am Burgtheater ein weibliches Talent erften Ranges, und freute mich königlich auf deſſen mannigfaltige Entwidlung, welche mir vor Augen jchwebte. Es hieß Mathilde Wildauer. Wie berfömmlich war jte lange in ausdrudsiofen Yiebhaberinnen hinge— halten worden, ihr Talent für komiſche Charafteriftif war aber end— lich doch durchgebrochen. In einem localen Vaudeville namentlich, alfo in einer für das Burgtheater ungefeglichen Gattung, „Das Berjprechen hinter'm Herd’ geheigen, hatte Fräulein Wildauer eine Darftellungskraft nieverländifchen Genres entwidelt, welche auf dem ganzen deutjchen Theater nicht ihres Gleichen hatte. Jedermann mußte dieje Leiſtung clafjiih nennen. Auf diefem Grunde erbaute ih meine Schlöffer, welde Wildauer heißen follten. Rollen, welche ich ihr gab, wie die Katharina in ver „Widerſpenſtigen“, wie das Kammermädchen in der „Mördergrube“, bejtätigten nach verjchie- denen Seiten meine Hoffnung volljtändig: es jtand ein komiſches Talent vor uns von echtejtem, gejundeftem Urfprunge, von fünft- lerifcher Kraft, von weit ausfehender Dauer. Denn es zeigte fich

Das Burgtheater. 315

von fo unbefangenem Sinne in Bezug auf äußere Erfcheinung, es fleivete fich als Nanverl jo unbefümmert um modifchen Reiz, daß die Laufbahn in's Fach ver komiſchen Alten ausgeſteckt vor uns lag, wie Signalftangen über Feld und Thal die Richtung einer Eiſen— bahn feititellen.

Die barafteriftifchen Farben, welche fie wählte, waren wohl noch etwas zu gleichartig, Troß, brüsfes Schmollen, trodene Ironie, Zurücziehen der komischen Wirkung in einen engen Berjtandes- winfel fehrten noch ein wenig jtereotyp wieder, aber als Farben jelbjt waren fie jehr tüchtig, und Fräulein Wildauer war von ge— wectejtem fünftlerifchen Berjtande: einmal in die Schaffung jolcher Charaktere conjequent eingeführt, hätte fie ohne Zweifel neue Farben und eine neue Mifchung verjelben zu Stande gebracht. Sch bin gründlich überzeugt, daß eine clafjifche Kraft und alles Zeug zu einer claffiichen Künftlerin in ihr vorhanden war. Und fie wurde uns entzogen, wurde fich entzogen durch eine Liebjchaft mit der Muſika. Sie wollte durchaus fingen. Leider fonnte fie es auch, und leider that ihr meine Behörde, welche auch Behörde des Dperntbheaters war, allen Willen. Ich mochte einfprechen jo viel ih wollte, ich mochte beweifen jo oft ich wollte, daß man nicht zween Herren dienen fünnte, daß ihr großes Talent fürs Burg- theater verloren ginge, ohne daß wahrjcheinlich etwas gleich Be— deutendes für die Oper entjtünde ich wurde abgewiejen. Und jo entjtand, was entitehen mußte. Sie begnügte fich auch in der Dper nicht mit dem Kreife, welchen ihr jtarfes Talent beleben fonnte, fie wurde ganz Primadonna, erichöpfte fich in einer Rich- tung, welche nicht ihr natürliches Fach war, welche fie aljo auch übermäßig anftvengte, und zog fich endlich noch in frifchem Lebens— alter ganz von der Bühne zurück, weil naturgemäß Enttäufchungen für fie eintraten in einer Kunſt, welche ſie nur mit Anftrengung erlernen, nur mit Anjtrengung üben fonnte. Das, was ihr leicht war, was ihr von jelbjt zufiel, was ihr vortrefflich gelang, was ihr

316 Das Burgtheater. bis zu hohen Alter treu geblieben wäre, was ihr einen unvergäng- lichen Künftlernamen erworben hätte, das achtete fie gering und warf jie endlich mit dem mühjam Grrungenen in den Abgrund. Damit wir das Nachjehen doppelt Tchmerzhaft hätten, wurde auch noch der Burgtheatercafje die Penfion zugetheilt dafür, daß wir die Schaufpielerin über ein Jahrzehnt völlig entbehrt und an die Oper abgetreten hatten. Ein volles Bild jchädlichen Protectionswejens und einer Verwaltung, welche außerhalb artijtiiher Grundſätze über artiftifche Kräfte verfügt. Der Kunſtverluſt ift in dieſem Falle jchreiend.

Eigentlich Habe ich mich immer damit getröjtet, ja ich tröſte mich noch damit, daß diefer Verluft nicht unwiderruflich fei. Seven Tag fann Fräulein Wildauer wieder eintreten in's Burgtheater. Eine fundige Direction und das ganze Publicum werden fie mit Jubel aufnehmen, und fie fann die unterbrochene Yaufbahn einer charakteriſtiſch komiſchen Schaufpielerin fortjegen, ja mit gereifter Einficht fie zu einem glänzenden Ziele führen, Sie iſt in ihrer Gefundheit angegriffen, leiver! Aber jie beherrſcht alle Mittel für dies Schaufptelfach mit größter Leichtigkeit, es wird fie das erneute Wirken im Schaufpiele nicht überanjtrengen, und die Genugthuung, welche jie in ihrer echten Kunjt erleben wird, kann ihr Nervenleben kräftigen. Sie ift hypochondriſch, nun unfere beiten Komiker waren und ſind hypochondriſch und erfrifchen außer uns auch fich jelbjt durch den Humor, welchen die Kunſt befreit vom engen Ge- fängnifje der Einſamkeit. Die Wirfung auf ver Scene jprengt ſolche Gefängnißthüren Mathilde Wildauer möge dies lefen und jih herzhaft entichliegen !

An neuen Stüden brachte diefe Zeit „Graf Eſſex“ won Yaube, „Klytämneſtra“ von Tempeltey, „Iphigenie in Delphi” von Halm, drei Trauerjpiele. Die gleichzeitigen Lujtipiel-Nenigfeiten waren unbedeutend. Ja, auch das neue Frühjahr 1857 brachte zunächſt wieder zwei Trauerjpiele, „Sophonisbe“ von Herich und

Das Burgtheater. 817

„Brutus und jein Haus‘ von Roderich Anſchütz. Dann erſt fehrten beitere Schaufpiele ein, und zwei von ihnen wurden dauernd ein: gebürgert: „Die Grilfe” von Frau Birch Pfeiffer und eine Be- arbeitung nach dem Franzöfiichen, „Die Biedermänner“.

Bon den Traneripielen iſt „Graf Eſſex“ am Leben geblieben. Es ſteht mir über das Stüd fein Urtheil zu. Ich habe auch kaum die unbefangene Einficht und empfinde feinen befonderen Drang, den Tadel zu entwideln, welchen es verdient.

„Klytämneſtra“, von Tempeltey, fand eine originell günstige Aufnahme. Der Berfafjer, ein junger Mann aus Berlin, hatte die vorliegenden griechiichen Bauſteine mit glücklichem Talente auf: gefchichtet und das, was wir ein „Arcitefturftücd‘ nennen, mit frifhem Sinne belebt. Solche Architefturftücde bewerfftelligen ihr Gerüft mit hiftorifch befannten Vorgängen und Yeidenjchaften, und führen den Bau zu Ende in überfommenem Style. Wenn ihr Baumeifter nicht ein Talent erſten Ranges ift, fo ift feine Dauer zu erwarten von diefer Form. Sie find zu clalfiicher Uebung da, und jenem erjten Abende ver „Klytämneſtra“ fam ein befonderer Impuls zu Hilfe. Der junge Dichter, welcher nach den Actſchlüſſen vor dem Publicum erichien, machte perjönlich einen gar lebendigen, angenehmen Eindrud, und man jah es ihm an, daß der Erfolg fein Herz jehwellte wie eine Yiebesgabe. Sp wollte man ihn wieder: jehen und vief ihn nach jedem Actſchluſſe. Dazu gefellte fich ein euriojes Ereigniß. Agamemnon, nur am Schluffe des Actes erſcheinend, jtürzte Franf zufammen; eine Ohnmacht überfiel Herrn Wagner. Das Stüd, kaum angefangen, fonnte nicht weitergefpielt werden. Was thun? Es war ein Laufen und Fragen und Schreien obhnegleichen. Ich jtand rathlos in vem Getümmel, follte befehlen und wartete ſelbſt. BVielleicht erholt fich Agamemnon? Nein. Vielleicht giebt feine Rolle einen Fingerzeig? Ja. Die Rolle war jehr furz. Sie hatte nur noch eine Scene Erzählung. Wäre das

518 Das Burgtheater.

nicht auch ohne Wagner zu bewerfjtelligen? Die ganze Stimmung im Publicum und auf der Bühne hatte durch den jungen, lebens: (ujtigen Dichter etwas Studentifches. Er ftand ganz erjtaunt da in dem Tumulte und verjpeilte Eis; es jhien ihm ganz unmöglich, daß jein Stüd ſchon am Anfange zu Ende jein ſollte. Unmöglich! Es wird ſich Thon was ereignen. So fam man auf jtudentifche Gedanken. Lußberger jtand neben mir und bejtärfte mich in der preijten Idee, welche mir aufjtieg. Sie ging dahin, daß die ruhige Scene des Agamenmon von einem anderen Schaufpieler gelejen werden fünnte, Man jchreit. Im Frad? Nein, in Agamemnon’s Cojtüm. Wer? Herr Nettich lieſt jehr gut vom Dlatte, feine Frau jpielt die Hauptrolle, er fennt das Stück, er ilt oben in der Loge, vielleicht übernimmt er die jeltene Aufgabe? Nach einigem Sträuben übernimmt er fie wirklich, kleidet fich vajch, läßt fich dabei die Rolle vorlejen, lieſt jie dann ſelbſt noch einmal und jteht in furzer Friſt da und ift bereit. Der Regiſſeur fündigt vem Publicum an, welcher Ausweg erwählt worden fei, um es nicht unverrichteter Dinge heimzufchieen, und das Publicum applaudirt. Der Vorhang geht wieder auf, und Agamemnon fitt da und macht jeine Mit- theilung über den trojanischen Krieg, indem er ein fleines Papierheft zu Rathe zieht, offenbar Notizen aus dem Feldlager. Herr Rettich machte das jehr geſchickt, und wer nicht hinſah oder wer furzfichtig war, der fand gar nichts Auffallendes. Mit Beifall ging er ab, um hinter der Scene ermordet zu werden. Yebteres machte gar feine Schwierigfeit, und fein Schrei hinter der Couliffe war auch für Weitfichtige überzeugend. Kurz, die Vorſtellung vollte in gutem. Geleife weiter bis zum Ende; der junge Dichter ftürmte dankſagend hervor nach jedem Acte, es war eim glänzender Er— folg. Die ſtörende Epifode hatte das Intereſſe eher erhöht als vermindert.

Die Wiederholungen gefielen auch, nur wurde das Häuflein Zufchauer für die griechiiche Mythe immer dünner, und die ſprühende

Das Burgtheater. 319

Fadel löjchte allmälig ganz aus. Es war eben nur eine Fadel, wie das herfümmlich it bei Architefturjtüden.

Den nächjten Stoff ſuchte Tempeltey im deutſchen Mittelalter, und er wuhte ihn nicht aufführbar zu gejtalten. In der „Klytäm— nejtra‘ war enge, jtrenge dramatiſche Faſſung; hier war loſes Aus— einander, Mangel an vramatifcher Compofition. Dies ijt das Ge— heimniß der Arcchitefturftücde und ihres Tcheinbaren Yebens: Bau— jteine und Riß liegen vor, das fügt ſich auch mit mäßigem Talente, Kommt verjelbe Dichter aber hinaus in die freie Romantik, da fehlen alle die vorgezeichneten Yinien und die ausfüllenden Werk jtüde, und die Berirrung in romantische Wildniß tritt ein, die auf dem Theater Untergang heißt.

Mahnt doc ein ganz neues Deifpiel daran: Yındner, der Ver: fajler von „Brutus und Collatinus”, zeigt eine jo bedeutende Kraft in Ausbeutung des römiſchen Stoffes und der ihm innewohnenden Ge- danfen; ergeht aber mit jeinem zweiten Stüc ebenfalls in unſer roman— tiiches Mittelalter und verliert ebenfalls ven dramatifchen Halt,

Hoffentlich belehrt ihn diefe Erfahrung. Und jo fcheint e8 nach der Notiz: jein dritter Stoff jei Katharina von Rußland. Dieſe Wahl würde beweifen, daß er ein Bedürfniß der Concentra> tion empfunden. Tempeltey aber hat gefchwiegen feit feinem „Ritte ins alte romantiſche Land“. Doch nein! er hat noch eine Studie im Iffland'ſchen Genre gebracht, welche als Weg beachtenswerth, als Stüd nicht mächtig genug war.

Es folgte bei uns „‚Iphigenie in Delphi” won Friedrich Hal, Auch dies Drama greift nach den Bortheilen des Architefturjtüces, für welches Charaktere und Handlung längſt aufgebaut find durch Tradition. Da ift der Zweifel ausgefchloffen, und eine gewiſſe Weihe fommt entgegen; es handelt jih nur um ein Mehr over Minder der Kunjtfertigfeit. Iſt dieſe clafjiih groß, wie bei Goethe’s „Iphigenie“, jo bewahrt die Nation jolche Arbeit in ihrer Literatur und, wenn irgend möglich, auch auf ihrem Theater als ein jchät-

320 Das Burgtheater.

bares Kleinod. Nicht zum Hausgebrauche, nur für die Fejttage und vorzugsweife zum edlen Beiſpiele. Das große Publicum erfährt Nichts davon, die Arbeit ift zu vornehm, weil zu fern in Stoff und Gedanfen, Die Gebilveten aber laben ſich daran, die gefchlechtslofe Schönheit verehrend. Juſt die Gejchlechtslofigfeit iſt folchen Werfen eigen; denn fie find nicht gezeugt, jie find erworben durch das Studium des Schönen.

St für dieſe Architefturjtüce die Kraft nicht claffiich groß, dann werden fie Schul-Exereitien. Iſt die Kraft, wenn auch für Claffieität nicht ausreichend, doch von formeller Schönheit gehoben, dann haben jolche Stüde immerhin einen äfthetifchen Werth für ein gutes Theater. Sie bieten edle Studien für das Publicum und für die Schaufpieler.

Ein jolches Stüd iſt diefe „‚Sphigenie in Delphi”, und in jolcher Beziehung gehört fie zum Werthoolliten, was Halm gefchrieben. Es fehlt ihr wohl zur claffischen Größe der letzte Stempel, weil dem Berfafjer die innere Macht eines bedeutenden Menfchen fehlt, aber das Talent des Verfaffers rückt fie doch in der Anmuth ihrer Faſſung ziemlich hoch hinauf,

Bei jolhem Stoffe thut auch das weniger Eintrag, was bei den anderen Halm'ſchen Stücken der Begriff „Komödie“ Ab- Ihmwächendes mit fich bringt. An den Stoff der jo entfernten grie- chiſchen Mythe legen wir nicht ven Maßſtab lebensvoller Wahrheit; wir haben es ja mit Öejchöpfen zu thun, welche unferem menjchlichen Bedürfniſſe weit entrücdt find, Sie verfehren mit Halbgöttern und Göttern, das Ganze ruht über oder doch außer unferem Lebens— freife, aus welchem das Drama auf unferer Bühne erwachjen joll, um uns echt zu treffen. Die fchöne Form ift alfo hier von entjchei- dender Wichtigkeit, und Halın hat fein Talent ſchöner Form in diejer „Iphigenie“ am wohlthuendften entwidelt. Und gerade für dieſe verdienftliche Arbeit hat ev am wenigften Danf geerntet. Die Theil: nahme des Publicums zeigte fi in geringem Maße, das Stüd ver:

Das Burgtheater. 321

ſchwand nad) vier Borftellungen. Ich hätte es gern alle Jahre wieder gebracht, aber es trug feinen Todeskeim in der Bejetung. Wie immer hatte der Dichter die mächtigfte Rolle, die der Eleftra, für Frau Rettich bejtimmt, und gerade folche Rollen waren die ges führlichiten für dieſe Schaufpielerin. Griechifche Welt mit ihrer unabweislichen Anforderung ſchöner Bewegung, und heftige Leiden— fchaft dazu, welche zu heftiger Bewegung trieb das waren bie ſchlimmſten Klippen für Julie Rettich. Das Verſtändniß ihrer Auf- gabe führte fie zu allen Conjequenzen ver Aufgabe, und fo entjtand das Aeußerſte von Falter Yeidenjchaft, die nur vom Berftande zum Verſtande fprach, und fo entjtand eine Action des Körpers, welche den Augen wehe that. Ihr Gebahren mit der Art wirkte zerftörend auf die vichtigjten Intentionen des Dichters. Fräulein Wolter fönnte für diefe Rolle ausgebildet werden, und dann wäre eine Wiederaufnahme des Stüdes recht ſehr anzurathen.

1857 fette, wie gefagt, die Architefturftüce fort. Zuerſt fam „Sophonisbe‘ von Herih. Diefer Stoff ift einer der veichhal- tigiten in der überlieferten tragiſchen Architektur. Jeder poetiſche Wandersmann erweckt mit einer „Sophonisbe‘ trügerifche Hoff- nungen, und wie viele jolche Wandersmänner fehren ein auf ver deutichen Bühne!

Herſch iſt durch ein zweites Stüd, „Annelieſe“, ein Jahr ipäter allgemeiner befannt geworden. Es hat in Norddeutſchland, wohl zum Theil durch Erinnerung an den alten Deſſauer, Glüd ges macht und hat ſich nur im Burgtheater zu dünn erwiefen. Fräulein Goßmann genügte auch bei uns der Hauptrolle nicht ganz, wie pifant jie Einzelnes ſpielte. Man ſah an ſolchen Rollen, daß ihr Weſen doch nicht Fülle genug hatte, um ein Stück zu tragen, welches in der Hauptfigur die vollen Eigenſchaften eines weiblichen Weſens brauchte, voll in der heitern wie in der ſentimentalen Kraft. Ihre innere Struc— tur erwies ſich bei jolchen Hauptproben immer ein wenig fplitterhaft.

In diefer „Sophonisbe“ hätte Niemand die ältere Schweiter Zaube, Burgtheater. 21

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einer „Annelieſe“ vermuthet. Sie war ganz ernjthaft in ihrer Archi— teftuv, und einmal im Zuge mit diefer dramatifchen Gattung e8 gab eben augenblidlich feine andere! hatte ich fie meiner Be— hörde eingereicht wie eine Nothwendigfeit des Tages.

Mein Chef, welchem vie Cenſur ver Stücke oblag, war um jene Zeit durch ein Augenleivden am Yejen verhindert, war aber jehr pflichtgetveu und fühlte ſich gepeinigt, die Erledigung eines Stückes verzögern zu müffen. Er ließ fich alſo vorleſen, und ausnahms— weije verrichtete ich einmal diejes Amt bei zwei Stüden, die ich vafch befördert jehen wollte. Das eine war jene „Sophonisbe”, das andere eine Bearbeitung der „Faux bons hommes“.

Zum Vorleſen jind dieſe dramatifchen ‚„‚Architefturen‘ am beiten geeignet. Man fennt ven Riß, man fennt die Bauiteine, man folgt dem Aufbau mit Yeichtigfeit, und die jogenannte „ſchöne Sprache‘ thut das Uebrige. Unter „ſchöner Sprache” hatte jich in unjere poetiſche Dramatik ein hohles Verſeweſen eingeſchlichen, welches abgenützte Gedanken anſpruchsvoll vorträgt und durchſchnitt— lich des eigenen Tones und Charakters entbehrt eine poetiſche Jahrmarktswaare für die nur äußerlich theilnehmende Partie des Publicums. Dieſer verſchwommene Geſchmack iſt in den letzten zehn Jahren allmälig außer Credit gekommen im Burgtheater.

Nun, ich las denn die afrikaniſche „Sophonisbe“ mit aller nur erreichbaren Hingebung, und das Stück fand vollſtändigen Beifall. Solche Gattung von Stücken iſt älteren Beſuchern des Burgtheaters aus vornehmen Kreiſen wie der Kuhreigen, welcher an poetiſch ge— heißene Zeit der Jugend gemahnt. Die Leidenſchaften bewegen ſich höflich im Geleiſe altgewohnter Art, kein ſträflicher Gedanke erinnert an das Treiben der Gegenwart, es iſt durchweg ein angenehmes Spiel unverfänglicher —— für welches ein Hoftheater da ſein ſollte.

Mein Chef war in manchen Punkten ſeiner Geſchmacksrichtung weiter als ſein Vorgänger, Graf Moritz Dietrichſtein, welcher den

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regelmäßigen Klingflang jolcher dramatiſchen Architektur Höchlichit verehrte; aber für folche unverfüngliche Stüde aus der Vorzeit, welche auch nicht die fleinjte Wunde des Tages berührten, hegte auch) er eine natürliche Vorliebe. Eine natürliche, weil der Standpunkt dieſer Herren ganz ihrer Stellung gemäß confervativ jein muß, wenn ihnen nicht ein befonders lebhafter Geijt das Bedürfniß ent- widelt, irgendwie jchöpferifch vorzugehen. Am Ende iſt es ja auch in der Ordnung, wenn einmal zwei Directionen walten, daß die ichöpferiichen Ideen won der artijtiichen Divection ausgehen müjjen, und daß die Milderung und Mäßigung der oberen Direction zujteht, wie im englijchen Unter: und Oberhauſe. Das iſt ganz in der Ord— nung, wenn nur das Unterhaus wirklich jchöpferifch vorgeht und wenn nur das Oberhaus wirklich nur mäßigend ausgleicht.

Am zweiten Abende las ich „Die Biedermänner“ und fiel gänzlich durch. Schon in der Mitte des Stüdes hieß es: Hören Sie auf! Das ift nicht auszuhalten, und dergleichen hält auch das Publicum des Burgtheaters nicht aus.

Nun fommt die Aufführung, dies unberechenbare Ereigniß, welches die VBorlefung jo oft verſpottet. „Sophonisbe“ ging mit Mann und Maus zu Grunde, Die damalige tragifche Liebhaberin, Frau Würzburg-Gabillon, beförderte die Afrifanerin mit Sieben- meilenjtiefeln in den Acheron hinab. Jedes Rollenfach verlangt eben bejtimmte Cigenjchaften, welche durch das Talent wirffam ges macht werden. Cine umerläßliche Eigenjchaft der tragiichen Lieb— haberin ijt ein edles Gefühl, welches von ihr ausitrömt wie der Hauch des Herzens. Wo dies fehlt, find alle Kunſtſtücke vergebens; die echte, liebevolle Milde des Herzens läßt fich abjolut nicht fünft- ih nachmachen. Ein Poet, dem jie fehlt, fann fein rührendes Trauerſpiel jchreiben; eine Schaujpielerin, ver ſie fehlt, muß alle Aufgaben vermeiden, welche die Thräne erweden jollen.

Ih vermied jtets äjthetiiche Recriminationen vor meiner Be- hörde. Sie erbittern nur und nüßen doch zu Nichts fin die Zufunft,

a

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Jeder von uns fann nur das werden, wozu er die Anlage hat, und wie oft irrte ich ſelbſt in ven Punkten, welche ich vfficiell verftehen ſollte. Kein Wort alfo vor meinem Chef über das ache- rontiihe Schidjal der „Sophonisbe“! Aber die nachträgliche Niederlage wollte ich doch ausnützen für die vorläufige Niederlage meiner „Biedermänner“. Ich erzählte alfo, daß ich an dieſen „Biedermännern“ geändert und daß ich namentlich die Hauptfigur für Beckmann ausgearbeitet hätte. Ich wollte nicht verlangen, daß das Stück nochmals gelejen würde, aber ich könnte verfichern, daß eigentliche Cenfurbevenfen in ſolchem Yujtipiele nicht vorhanden wären. Die äfibetifhen Bedenken bäte ich, ſämmtlich auf mein Haupt zu laden.

Ich hatte in Wahrheit vie Rolle für Beckmann ausgearbeitet. Uebertragungen aus fremder Nationalstiteratur erheijchen für das Theater diejenigen Aenderungen, welche vem Publicum das durchaus Fremde in Gefinnung und Geſchmack näherrüden. Nur dadurd fann man auf der Scene acclimatijiven. Der Weg, welchen damals franzöfifche Yuftfpieldichter einfchlugen Barriere und Sardou an der Spite —, indem fie ſcharf gefchnittene Charaktere in erite Linie jtellten, war ja doch für uns annehmbar, die wir die größte Schwie- rigfeit bei franzöfischen Stücken in leichtfertiger oder unmoralijcher Handlung finden. Die Charaktere fünnen wir fo modelliven, daß fie das Abjtoßende der Fremvartigfeit verlieren, Und zur jolcher Ausführung war Bedmann jehr geeignet. Seine fomijche Atmo- iphäre vertrieb aus den Rollen die wiverwärtigen Miasmen, wenn man ihm in der Bearbeitung entgegenfam. In diefem Sinne hatte ich Peponnet, die Hauptfigur der „Biedermänner“, ihres fremdar- tigen Charakters zu entfleiven gefucht.

Kurz, das Schickſal ver „Sophonisbe‘ trug mir die Zulajjung der „Bievermänner‘ ein. Bekanntlich wurden jie ein unverwüſt— liches NRepertoireftüd, und Jedermann fennt ſie. Wer fennt „So— phonisbe“?!

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Das lebte jener Architefturitüde, ‚„Brutus und jein Haus‘, von Roderich Anfhüt, welches der ‚„‚Sophonisbe” auf dem Fuße folgte, fann ſich diefer Einreihung in eine herfümmliche Kategorie am erjten entziehen. Es ijt am jelbjtitändigiten componirt und hält jich am freiejten von überlieferten Formen und Gedanken. Roderich Anſchütz arbeitet erfichtlih aus eigenen dramatiſch-theatraliſchen Ge: danfen und verdient deßhalb größere Aufmerffamfeit, als ihm bis— her gewährt worden ift. Schon dieſem römischen Stüde ſah man an, daß der Verfaſſer aus ſich heraus jchaffen gewollt, und es fand fih auch eine Scene vor, welche mehr imromantiichen Sinne ganz neu hervorjprang zwijchen den Quaderſtein-Verhältniſſen ver römischen Urgeichichte.

Roderich Anſchütz iſt ein Sohn unferes berühmten Schau— ſpielers Heinrich Anſchütz; er iſt aufgewachſen in praktiſcher Kennt— niß der Theater-Anforderungen, und das verleugnen ſeine Stücke nicht, wenn ſie ſich auch, wie hier, im alten Rom den Schauplatz ſuchen.

Der Brutus in dieſem Stücke iſt der ältere Brutus, iſt Junius Brutus, welcher die Tarquinier verjagt und die römiſche Republik gründet. Sein „Haus“ ſind ſeine Söhne, welche ſich mit den Tar— quiniern gegen Rom verſchwören, gegen das Rom des eigenen Vaters. Der Herzpunkt des Stückes iſt alſo die grauſame Lage eines Vaters, welcher ſein Vaterherz opfern ſoll, um ſeinem poli—

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tiichen Herzen zu genügen. Cr joll befehlen, daß man feine Söhne hinrichte. Dies bleibt für ung ewig eine peinliche und unnatür- lihe Frage, und weil fie unnatürlich und peinlich, kann fie, meines Erachtens, von der Kunſt nicht gelöft werden und follte unaufge- worfen bleiben für die Kunit.

Im erjten Monate nach einer Revolution, welche einen neuen Staat gegründet und das ganze Yeben der Bürger auf die Geltung der Staatsform zufammengedrängt hat, da mag diefe Brutus-Rolle im Theater Zuftimmung finden. Schon im zweiten Monate nicht mehr. Da drängt das Menfchenthbum ſich chen wieder hervor und räumt dem Staatsthume nicht mehr ein, daß die Verlengnung des natürlichjten Gefühles ſchön erſcheinen könne. Nothwendig vielleicht, aber nicht ſchön. Und das blos Nothwendige iſt feine Aufgabe für die Kunſt. Im letter Spite muß doch Alles, was die Kunft hervorbringt, ein Clement des Wohlthuenven in fich tragen, und wie joll das erreicht werden, wenn das Herz jehreiend Nein jagt zu dem, was ihm vorgeftellt wird? Namentlich wenn die Vor: jtellung auf der Bühne gefchieht, wo das Herz viel unmittelbarer berührt wird, als bei jever anderen Kunft.

Die Statue des von Schlangen umrungenen Yaofoon mag Gegenſtand des fünjtleriichen Streites fein, und ein ftrenger Sinn wie Leſſing's mag dafür geiftvoll eintreten in den Streit aber eine Statue appellivt auch ganz anders an unjeren Geſchmack, als ein Theaterſtück. Die ſchönen Yinien, die Hauptaufgabe der Statue, fünnen ums günftig anmuthen troß des graufamen Schmerzes, welcher den gepeinigten Mann zerwühlt bei dem gemarterten Menſchen auf ver Bühne jind ſchöne Yinien ver äußeren Erfcheinung nicht der wichtigite Gefichtspunft. Wenn auf der Bühne dag mora- lifche Yeiden nur peinvoll und martervoll ift, da wenden wir ung ab, weil wir auch nur peinvoll und marterwoll berührt werden.

Wie talentvoll auch Roderich Anſchütz die alten Steine feiter Gedanken und Vorfälle bewegt hatte durch den lebensvollen Hauch

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einiger Scenen, er fonnte dadurch vie Mißlichkeit des Themas nicht vergejjen machen. Und das fraglice Vaterthum im Stüde jchlug ihm bei der Darjtellung noch eine bejondere Wunde, Naturgemäß verjagte der Bater Anſchütz, welcher.den Brutus fpielte, dem dich— teriijhen Sohne Anſchütz. Dieſe unnatürliche, blos politiſche Grau— ſamkeit lag gar nicht im Weſen des alten Schauſpielers; man ſah, daß dieſe Brutus-Darſtellung ein Ergebniß des Schulſtudiums war, aber mit der freien Künſtlerkraft eines vorzugsweiſe bürgerlichen und milden Darſtellers Nichts zu ſchaffen hatte.

Da fehlte es denn nicht an Applaus, aber es war ſogenannter Familien-Applaus im guten Sinne des Wortes, und es fehlte an wahrer Theilnahme, alſo auch bald an Zuſchauern.

Roderich Anſchütz hat ſpäter den bereit liegenden Werkſtücken des Architektur-Dramas gänzlich entſagt und eine „Joehanna Gray’ wie einen „Kunz von Kaufung“ gebracht, Productionen, welche beide der Rede werth ſind, obwohl die zweite gleich beim Auftauchen unterging. Das geht wohl ſo, wenn eine neue Abſicht nicht gleich beim erſten Wurfe vollſtändig gelingt. Das Neue muß Glück haben, ſonſt wird es nach den Maßſtäben des Alten wohlfeil verur— theilt.

Roderich Anſchütz wollte einen hiſtoriſch populären Stoff, den ſächſiſchen Prinzenraub, auch populär dramatiſiren ein Plan, welcher ja den mechaniſch in Jamben einherſtolzirenden hiſtoriſchen Stücken weit vorzuziehen iſt. Die Hauptwendung des Stückes aber, die Gefangennahme des Kunz, war nicht beſonders gerathen und ſprach nicht an. Dadurch wurde das Ganze niedergeriſſen. Denn das Populäre wohnt immer dicht neben dem Alltäglichen und gar nicht weit vom Gemeinen. Wenn dem Populären alſo der ganz treffende Ton an entſcheidender Stelle verſagt, dann iſt es kläglich verloren, da Niemand ſo gering ſein will, Alltägliches annehmbar zu finden. Trotzdem war die Intention des Dichters lobens— werth, und da er mit der Theaterwirkung wohlvertraut iſt, ſo ſollte

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er feine Thätigfeit fir die Bühne nicht einftellen, wie ex feit jener Zeit gethan. Denn auch feine „Johanna Gray‘ unterfchied ich vortheilhaft von den üblichen hiſtoriſchen Stücken. Sie war nicht ohne eigenthümliche Charafteriftif und nicht ohne intime Züge. Unſere Darjtellung fonnte ihr aber leider nicht die nöthige Förderung bieten, denn nach Abgang des Fräulein Seebad) war unjere un— tragiihe Sophonisbe auch unfere Johanna Gray.

Die völlig modernen „Biedermänner“ gingen wie über Ruinen lachend über all jene Architefturftüce hinweg, und lachend ging das Publicum mit ihnen wochenlang, monatelang. Ein greller Sieg des Interejjes, welches im Neize dev Gegenwart liegt,

Und gerade dies wird von deutſcher Theaterfritif am viel fachjten verfannt. Sie behandelt geringichätig, was fic) auf der Bühne mit dev Gegenwart bejchäftigt, und verliert dadurch bie wichtigite Gelegenheit, dem Theater zu nüßen. Brutus ift ihr interefjanter als Doctor Fiſcher. Auf dem Theater und beim Theater » Bublicum iſt's umgefehrt. Ein Theater hat die größte Macht darin, daß es die Gegenwart anjprechend darftellt. Dadurch gewinnt es das größte Publicum, dadurch nöthigt es feine Schau- jpieler zur Wahrheit und fein Publicum zur Würdigung wahrhaf- tigen Spieles. Denn bei den Stoffen der Gegenwart find alle Zufchauer bis auf einen gewillen Grad urtheilsfähig: ob das, was dargejtellt wird und wie es dargejtellt wird, richtig und treffend fei. Und von der Gegenwart ausgehend, führt ein Theater in richtiger Folge und auffteigender Reihe fein Publicum und feine Schau— Ipieler natürlich und gefund zu ferner liegenden Aufgaben wie zu höher liegenden Aufgaben. Ein jo herangebilvetes Bublicum und jo heraufgezogene Schaufpieler gehen an ein hiſtoriſches Schaufpiel einfach und ehrlich. Da tft ein verbilvetes Pathos und ein ver— fünftelter Styl nicht mehr möglih, da erfolgt die nothwendige Steigerung des Vortrages und Styles in organijcher Weife, jie er: folgt unjerem Bildungsjtandpunfte angemefjen, und das ganze

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Theater bewahrt fich ven Ton der Wahrhaftiafeit, mit dieſem Tone aber die einzig treffende und dauernde Macht.

Auf den deutjchen Theatern hat man feit Jahrzehnten ven ums gefehrten Weg verfolgt, und gerade dadurch hat man das deutjche Theater gefährlich beſchädigt.

Das Schaufpiel dev Gegenwart, das heutige Stüd, nenne man’s Converſationsſtück, Gejellfchaftsjtüd oder jonjtwie, ift namentlich auf den deutjchen Hoftheatern als etwas Triviales ver- nachläffigt worden, und gerade dadurch hat man die lebensvolle Theilnahme des Bublicums verloren, hat man die Bildung der Schaufpieler verwirrt und insbejondere die Schaufpieler zu ge— ipreizter Unnatur verleitet. in gelangmweiltes Publicum und manierivte Schaufpieler find aber der Verfall ves Theaters.

Einige junge Kritifer in den deutfchen Refidenzjtädten wiſſen heute noch nicht, um was es ſich handelt, wenn jie gegen das fran- zöfiiche Stück auf dem Burgtheater eifern und mich namentlich einen Förderer der Franzoſen jchelten. Um die Franzofen ift es uns nicht zu thun, jondern um das Schaufpiel der Gegenwart. Gelingt es deutjchen Dramatifern, wie zum Beiſpiele Freytag, Hadländer und einigen anderen, jo iſt uns das hochwillkommen, zehnmal willfommener als das Stüd eines Fremden, denn die heimathliche Seele jteht uns ja zehnmal näher, und bei Franzofen haben wir ja immer ein Quantım fremdartigen Elementes auszu— jäten.

Die Wiener find auch immer unberührt geblieben von diejen Ichiefen Vorwürfen. Sie wiljen zu gut, daß ihr Theater nicht leben fann ohne das Stüd der Gegenwart. Auch die Wiener Dramatiker willen das, und es entjtehen unter ihnen immer viel zahlreicher als irgendwo im deutjchen Reiche Talente, welche das moderne Schaufpiel anbauen.

Man hat wohl gefabelt, das Wiener Rublicum fei gemischt wie die Bevölkerung Defterreihs, und hat daraus gefolgert, daß

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franzöfiibe Stüde bier leichter Eingang fänden. Nichts kann falicher fein. Das Wiener Publicum und fpeciel das Publicum des Burgtheaters iſt gründlich deutſch. Im allen möglichen Schat- tirungen fann man das täglich im Theater beobachten. Es iſt deutſcher als das mancher norddeutſchen Stadt oftwärts der Elbe, und wenn franzöfiiche Stüde hier Glück machen, welche dort ab- fallen, jo liegt dies nicht daran, daß man hier mehr franzöfiich geartet jet als dort, jondern es liegt daran, daß die Stüde hier bejjer ge- ipielt werden als dort und daß das Wiener Publicum nicht durch rohe Ueberſetzungen auf den Gedanken bingejtoßen wird, fremde Waare vor fih zu haben. Außerdem liegt ver Erfolg diefer Conver- fattonsjtüde in Wien noch beſonders darin, daß der Sinn für lebensvolles Schaufpiel bier gewect und lebendig erhalten ift durch immer vorhandene entiprechbende Nahrung, während in ven deutichen Hoftheatern ein fünftliches Wejen in Darftellung und Auffafjung fich eingenijtet hat.

Allerdings haben franzöfiiche Bearbeitungen unjerem Reper— toire jehr viel Stoff geboten, und ich will jogleich in Einem Zuge bis in die neuejte Zeit herein eine Ueberficht davon geben, damit Dies ganze Thema erledigt werden fann.

Die Hauptjtüde diefer Gattung waren: „Der Damenfrieg‘, „Das Fräulein von Seigliere‘‘, „Lady Tartuffe‘‘, „Ein verarmter Edelmann”, „Vater und Sohn”, „Graf Hiob“, „Die öffentliche Meinung”, „Der Pelikan‘, „Eine vornehme Ehe“, „Die Königin von Navarra”, „Feenhände“, „Die Bievdermänner”, „Die guten Freunde”, „Der legte Brief”, „Der Attache”, „Die Geldfrage“, „Hageftolze”, „Die Familie nach der Mode’, und von Fleineren Stüden: ‚Mein Stern“, „Eine Partie Piquet“, „Weiberthränen‘, „Der arme Marquis”, „Sand in die Augen”, „Nur Mutter.

Wollten wir all dieſe Stüde, weil fie aus dem Franzöfiichen ſtammen, aus unferem Repertoire jtreichen, wir würden ung für arg beraubt anjehen. Was bedeutet es denn aber, daß all dieſe Stüde

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unverwüftliche Nepertoireftüde geworden find? Es bedeutet doch wahrhaftig nicht, daß fie fremd, ſondern daß fie eingebürgert find. Das aber find fie, weil fie anfprechen, weil fie wirffame, und zwar gut wirfjame Stüde find. Und wenn ein fremder fie im Burg- theater ſpielen jieht, jo wird er bei gar vielen zugeftehen, daß ſie gute Stüce find, von denen man leider in jeiner Heimath gar Nichts wiſſe.

„Die öffentliche Meinung“ („Les effrontés“) und die Fort— ſetzung „Der Pelikan“ („Le fils de Giboyer“) von Augier ſtehen einer ſtrengen Kritik Rede und ſind bahnbrechend geworden für das moderne Schauſpiel ſocialer Politik. Feuillet's Arbeiten: „Ein verarmter Edelmann‘ (Le roman d’un jeune homme pauvre“) und „Eine vornehme Ehe’ („La tentation“) muthen uns faft an wie deutſche Stüde in dem foliden Feuillet'ſchen Weſen, welches ehrliche Grundſätze, gediegene Charafteriftif und feine Reize zur Grundlage bat. Des jüngeren Dumas moralisch excentrifche Stücke jind grundſätzlich ausgejchloffen geblieben, und „Die Games liendame“ wie „Demi-monde“ haben feinen Zutritt gefunden, wie jtarf die Reize der Compofition und des Dialogs darin waren ; fie find ausgejchloffen geblieben, weil darin Sitten walten, Die un— ferem deutſchen Weſen widerjtreben. Sein ‚Vater und Sohn‘ aber („Le pere prodigue“) ift in ver Hauptjache frei davon, umd jeine „Geldfrage“ („La question d’argent“) ijt ganz frei von moralifcher Bevenflichfeit. Die „Geldfrage“ ift jogar ein Triumph ehrlicher Liebe und ehrlicher Menjchen, und „Vater und Sohn‘ ift in feinen zwei erſten Acten wielleicht das Bejte und Yiebenswürdigite, was europätiche Luſtſpiel-Literatur hervorgebracht hat an Reiz des Dialogs, an Reiz der Charaktere und der Handlung. Des jüngeren Dumas Dialog allein, an geijtiger Anmuth won feinem Anderen erreicht, jollte jedes Theater veranlaſſen, ein Stüd dieſes Autors im Nepertoire zu haben, damit das jchreibende Gefchlecht einer ſolchen Anregung theilhaft würde.

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In Sandeau’s „Fräulein von Seigliere’ ferner iſt feine Spur moralifch bevenflichen Franzojenthbums, wohl aber bietet es inter- ejfante Menſchen und eine interefjante Handlung. Daſſelbe gilt von der „Lady Tartuffe‘ ver Frau v. Girardin. „Graf Hiob’ („Le due Job“) von Laya iſt jo intim ehrlih, daß er einen guten deutichen Autor zum Vater haben fünnte, und felbft in der oft ge— ihmähten „Adrienne Lecouvreur“ iſt von dem mißlichen Moral: thema der Franzoſen Nichts zu finden, Was diefem Stücke und der „Königin von Navarra” vorzuwerfen ijt, das berührt Comes pojitions-fragen, welche allen Nationen gemeinfam jind. Beide Stücke haben intereffante Scenen und Acte, aber fie bauen ſich fortwährend neu auf und erinnern an Meojaifarbeit, welche im Drama als Ueberhäufung ericheint. „Adrienne Lecouvreur“ hat ferner einen Schluß, welcher in jener tragtichen Gejtalt über- vajchend fommt. Die vorhergehenden vier Acte jind feine Ein- feitung zu einer grellen Sterbefcene, und das bleibt ein Fehler, wenn auch die Scene jelbjt mit großem Talente geführt ift. Diejer Fehler iſt entitanden, weil ein Converjationsjtüd für Fräulein Rachel geichrieben werden jollte, man aber doch auch im Conver— ſationsſtück ihre große tragiihe Darjtellungsgabe nicht unbenüst laſſen wollte.

Die Scribefchen Luſtſpiele zu verwerfen, wäre ja doch einfache Thorheit. Wie viele Jahre vergehen, ehe eine jo glüdlihe Komödie wie der „Damenfrieg‘ erfinden wird, und auch Meilhac's „Attaché“ und bejonders Sardou's „Letzter Brief“ („Les pattes de mouche‘“) jind jo unbefangen europäiich luftig, wie man nur wünjchen fann. Sardou's Charafterzeichnungen in den „Guten Freunden‘ („Nos intimes“), in den „Hageſtolzen“ („Les vieux garcons“) und der „Familie nach der Mode” („La famille Benoiton“) find wie die in Barriere’s „Biedermännern“ ungemein reichhaltig an neuen Typen, und zwar an fomifchen Typen wer verjteht Etwas von Dramaturgie und fchätgt Erfindungen folcher

Das Burgtheater. e 533

Art gering?! Man fucht in ver Handlung das auszugleichen, was unferen Sitten grell wiverfpricht, und eignet fich folchergejtalt die Borzüge an.

Die Erziehung zahlreicher jchaufpielerifcher Talente wäre ohne jtetige Prlege des modernen Stücdes nicht möglich geworden. Die jungen Yeute fommen eigentlich alle künſtlich declamirend zum Theater. Unflare Romantik iſt ihre Devife. Läßt man fie mit diejer Unflarheit und Künftlichfeit in’s höhere Schaufpiel oder in die Tragödie eintreten und nur in diefen höheren Gattungen fort arbeiten, jo mag man im glüclichjten Falle ein Genie finden, wenn die natürliche Begabung eben außerordentlich iſt, in neunundneunzig Fällen unter hundert aber bringt man Unflarheit und Künftlichkeit zu hohen Jahren. Mean befjert wohl an ihnen, doch wedt man nichts wirklich Yebenswolles. Ganz andere Kefultate gewinnt man, wenn die jungen Yeute fogleich und oft genöthigt werden, in’s moderne Stüd einzutreten. Da deckt fein fünftlicher Mantel; fie müſſen ericheinen wie fie find; Jedermann fieht auf ver Stelle, wo es fehlt, wo gelernt, wo ergänzt und wo vermieden werden muß. Die jungen Leute jehen es ſelbſt. Das poetiſche Wort des höheren Stückes trägt fie nicht, jie müſſen das einfache Wort tragen, fie müſſen etwas Geiftiges aus fich ſelbſt entwiceln. Das fpornt an, ſich nach geiftiger Hilfe umzufehen. Sie lernen leſen, fie fuchen Geſpräche von einiger Bedeutung, fie trachten nah Bildung. Bald entveden fie, dag das Publicum ganz ftill wird und fie aufmerffam anhört, wenn jie ihre Rede verjtändig gruppiren, wenn fie gefammelt mit ihrem Geifte darauf ruhen das wirft eleftrifch auf fie, und jo gehen fie ſelbſt felbititändig umd eifrig auf vem richtigen Wege weiter. Diefer richtige Weg heißt: einfache Wahrheit von geiftiger Kraft getragen. Sind fie erſt feit auf diefem Wege, dann geht es ebenfalls von ſelbſt denn die Jugend ftrebt nach dem Idealen an höhere Aufgaben, welche Gelegenheit bieten, Herz und Phantafie in lebhafte Bewegung zu ſetzen, und nun wird diefe Bewegung eine

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ihöne Bewegung, denn fie haben gehen gelernt, fie gebrauchen all’ ihre inneren Kräfte in organifcher Drdnung.

Herr Sonnenthal, welcher als ungenügender Mortimer an— fam, ift ein recht deutliches Bild diefer Schule. Ganz jo wie ich jte da bejchrieben, hat er fie durchgemacht, und fo hat er für das moderne Stüd eine geijtige wie formelle Ueberlegenheit gewonnen, für das höhere Stück aber einen Schönen Ausprud der Wahrhaftig- feit erreicht.

Indem man mit dem jungen Schaufpieler vom modernen Stüde ausgeht, Schafft man fich ferner treffliche Kräfte aus den— jenigen Talenten, welche nicht zu den ſtark ausgefprochenen Naturen gehören oder doch nicht zu den deutlich ausgejprochenen. Starfes Weinen und jtarfes Yachen freilich führt ſchnell zu bejtimmten Fächern, zum tragifhen und zum fomifchen Fache. Aber für die feinere Sentimentalität und für die feinere Heiterfeit das „gemijchte Fach” zu finden, das vermag man nur auf dem Wege des modernen Stückes. Auf diefem Wege hat fich eine jo wohlthuende Kraft wie Fräulein Bognar ausgebildet, welche jett zum Gretchen hinauf- veicht und doch die finnig fentimentalen Gejtalten des Converjationg- ſtückes, auch wenn fie fröhliche Züge tragen, anjprechend und wir- fungsvoll darjtellt. Desgleichen nach der heiteren Seite Fräulein Baudius, die anfangs nach allen Richtungen irrlichterivte und nun eine ganz ſelbſtſtändige Kraft im geiftigen Luftjpiele geworden ift. Die Behenvigfeit, Gewandtheit und Dreiftigfeit ihres Geiftes hat ihr nun durch das moderne Stüd ein junges Charafterfach ab- gegrenzt, in welchen fie herworragt. Auch Frau Gabillon, die ich im Tragiichen immer tadeln mußte, hat im modernen Stüde ein Fach ſcharfer Damen gefunden, welches fie feit ausfüllt.

Bon eben folcher Bedeutung wie für die Schaufpieler iſt das Stück der Gegenwart für das Publicum, jobald die Auswahl der fremden Stüde auf unjere nationale Sitte und Empfindung ſorg—

Das Burgtheater. 335

fältige Rücjicht nimmt. Gepfefferte fremde Speiſe freilich jchadet den Schauspielern wie dem Publicum.

Ich ſehe im Repertoire des Burgtheaters für den Yetsten diejes Monats angefündigt: „Die Schuld einer Frau’. Dies ijt „Le supplice d’une femme“, ein real wirfjames Stüc, welches vor zwei Jahren erjchien und einen jtarfen äfthetifchen Lärm verurjachte durch feine Nacktheit modernen Conflictes. Die Darjtellung dieſes Stüdes geht allerdings weit über mein Princip hinaus. Es be— handelt ein Thema des Ehebruchs in derjenigen franzöfiichen Form, welche für unfere Empfindung unangenehm einfchneivend und ver- legend ift. Der Ehebruch dauert ſchon über fieben Jahre, und die Frucht dejjelben, das Kind, fpielt eine Rolle es fucht feinen Bater, Dies Stüd, welches das Burgtheater- Publicıum wie mora— licher Scandal anmuthen muß, habe ich diefem Publicum nicht bieten zu dürfen gemeint; ich habe es ſtandhaft abgewiejen wie die „Sameliendame‘.

Der jebige Intendant ift alſo in diefem Punfte freifinniger als ih, Iſt es wirklich Freifinn, dann iſt die Erjcheinung merf- würdig genug neben feiner jonjtigen, engeren Auffaſſung ver Zus läſſigkeit. Iſt es aber nicht Freifinn, dann wird es wohl Confuſion fein *).

) Das Stüd ift wohl in Folge obiger Bemerkung von der Inten- danz zurüdgezogen und auf dem Burgtheater nicht aufgeführt worden.

5.0. DC

Das Jahr 1856 hatte mir gerade wieder recht ſchmerzlich in Erinnerung gebracht, daß unfere dramatifche Production im dieſer wichtigen Richtung, in der Richtung des modernen Schaufpieles, auf gar jo wenig Augen gejtellt wäre in Deutjchland. Bauernfeld, jo geeignet dafür, war der Gegenwart wieder durchgegangen auf eine hiftorifche Streifung, zu welcher er immer die größte Luft hat, und bei welcher das Theater immer die eigentliche Kraft Bauern- feld's verliert. Bei aller ausgebreiteten hiſtoriſchen Kenntniß, welche er befitt und welche ihn zu hiſtoriſchen Stüden verführt, it der Kern feines Talentes doch durchaus dem modernen Leben angehörig, und er verliert wie Anteus jeine Kraft, jobald er den Fuß entfernt von diefem feinen heimathlichen Boden. „Unter der Regentſchaft“ von ihm, aus der franzöfifchen Gefchichte, war ohne Wirfung gegeben worden, und ein zweiter Matador der modernen Production verjagte uns nicht minder in diefem Jahre, Gutzkow nämlich, von welchem wir im Frühjahre „Ella Roſe“, im Herbite „Dttfried‘ gaben, zwei Stoffe, welche an fich unferem Principe des Gegen: wartjtüces ganz entjprachen. Und er verjagte in einer Weife, die mich viel tiefer niederfchlug. An Bauernfelv’s Elaſticität ver— zweifelte ich feinen Augenblick, ich war ficher, daß er fid) und ung binnen Kurzem mit einem heutigen Stüde entjchädigen würde; aber an Gutfow’s fernerer Thätigfeit für die Bühne fing ih an zu zweifeln.

Das Burgtheater. 337

„Ella Roſe“ hatte einen Tcheinbaren Theater - Erfolg. Für uns Theaterleute war es nur ein fcheinbarer. Uns jtieg dabei die Beſorgniß auf, Gutzkow trete zurück aus der führenden Phalanx unferer Dramatiker und wende ſich anderen Formen zu.

Das mußte mir befonders einen traurigen Eindruck machen, der ich am beften wußte, wie er in den Dreißiger Jahren ver Erite gewejen, welcher das ‚junge Deutſchland“ dem Theater zugeführt hatte, und wie er im Principe ganz dazu angethan war, die leben- digen Intereffen unjerer Zeit auf der Bühne wirffam zu machen, das moderne Schauspiel geiltig zu heben.

Schon im Jahre 1834, als ich Neifenovellen fchrieb und er feine „Wally“ noch im Kopfe trug, fagte er mir plößlich einmal in Leipzig: „Eigentlich müßten wir für die Bühne ſchreiben!“ Und dabei entwidelte er die Macht, welche von der Bühne ausgehen könnte, ſobald jie die Intereffen der Gegenwart darſtellte. Sch jchüttelte damals den Kopf. Obwohl ich von Jugend auf lebhafte: ven Antheil an ver Bühne genommen als er, obwohl ich gleich nach der Studentenzeit ver Bühne wirkffam nahegetreten und Stücke natürlich unreife Waare! zur Aufführung gebracht, obwohl ich alfo mehr als er berufen gewefen wäre, auf Theatergedanfen zu gerathen, billigte ich doch damals in Yeipzig feine Idee gar nicht. Ich meinte, unjere Ideale lägen viel zu fern von dem, was auf dem Theater möglich und wirffam wäre. Wir ruderten in Politik und joctaler Erweiterung; ich begriff nicht, was wir mit der Bühne gemein haben fonnten, welche ja doch im Wefentlichen auf beſtehende Sitte und Anſchauung gewiefen ſei. Er ſah weiter als ich und beharrte auf jeinem Gedanken, und fo war er auch wirklich der Erite von uns, welcher einige Jahre jpäter mit einem Theaterſtück auftrat, mit „Richard Savage‘, welches fogar die „Burg“, die ung fo fernliegende Burg, in den erſten Vierziger Jahren aufführte, Er fuhr fort mit feinem „Werner, und fand gerade im Burg-

theater eine dauernde Stätte für dieſen „Werner“, und dies Stück Laube, Burgtheater. 22

358 Das Burgtheater.

gerade bebaute klar ausgefprochen das Feld, welches ich das „Stüd der Gegenwart” nenne, Er war aljo mit feinem Injtinet und raſchem Talente ein richtiger Anführer geworden. Er hatte des— gleichen mit einem’ Kaufmannsjtüde: „Die Schule der Reichen‘, welches die Hamburger Kaufleute faufmännifch unvichtig gefunden und abgelehnt hatten und welches auf den deutichen Theatern unbefannt blieb, im Burgtheater einen ziemlich lang dauernden Erfolg errungen; er war aljo troß jungdeutjcher Richtung am erjten auf demjenigen Theater eingebürgert, welches dieſer Richtung am fefteften verfchloffen gewefen. Er hatte außerdem in „Zopf und Schwert‘, im „Urbild des Tartuffe”, in „Uriel Acoſta“ werthvolle und dauernde dramatiiche Productionen gebracht, alle belebt und getragen vom Geiſte unferer Zeit und ihn jah ich jett mit feiner „Ella Roſe“ fichtlih im Abſchiednehmen!

Das Glück ſchien ihm abhanden gefommen zu fein für die dramatifche Form, das Treffen verfagte ihm wie dem Porträtmaler, deſſen Auge jich zu viel in andere Nichtungen vertieft hat. Er hatte mehrere Stüde abgefaßt im Yaufe der letten Jahre, „Antonio und Perez”, „Die Diakoniſſin“, „Lenz und Söhne”. „Antonio und Perez’ hatte fich in Charafterijtif, Handlung und Sprade allzu reichhaltig, alfo überladen erwiefen; „Die Diafonifjin‘ und „Lenz und Söhne‘, beide in der Wahl des Stoffes unjerer Abficht auf ein modernes Theater wohl entiprechend, waren durch ihn jelbjt von den Bühnen zurüdgezogen worden. Er hatte in ver Ausführung der Stoffe den einfachen Weg nicht mehr gefunden, welcher voll interefjirt; das empfand er felbjt und befeitigte miß- muthig ſelbſt jeine Arbeit. Nun fam er mit „Ella Roje, oder: Die Rechte des Weibes“, alfo wiederum mit einem modern interejjanten Thema, und diesmal fam er jelbjt nach Wien, um die Inſceneſetzung zu leiten, die Aufführung anzufehen.

Wir waren Alle beeifert, uns ihm willfährig zu erweijen, wir hegten aber Alle die Bejorgniß, daß in vem Stüde ein Etwas läge,

Das Burgtheater. 339

welches dem glüclichen Gelingen widerftrebte. Die Schaufpieler fuchten dies Etwas in der Sprache, welche, in jchwerfälligen Sätzen einhergehend, ven Ausdruck belaftete. Yiterarifch entjchuldigte man das, weil eben das Banale des Auspruds vermieden war und Eigenthümliches gejagt jein wollte, was fich immer ſchwer einfügt in glattes Geleis. Aber auch Literarifch fonnte man zweifelhaft fein, ob dies Eigenthümliche hinlänglich abgeklärt wäre, um auf: gefaßt und gewürdigt zu werden. Moſt, nicht Wein! lautete eine Demerfung, und fie bezog fich auch auf die Entwiclung des Themas, nicht blos auf die Sprache, fie bezog ſich auch auf die Handlung, ; welche, unausgegohren, fich nicht zum Schluffe abklären kann. Geijtiger Stoff in Fülle, aber in der Form nicht fiegreich bewältigt furz, ich fonnte den Eindruck nicht abweifen: Gutfow ift auf dem Punfte, dem Theater zumächjt ven Rüden zu fehren, weil er Uebergänge in fich durchzumachen hat, welche Zeit brauchen, weil er diefe Hebergänge durchgemacht haben muß, um feine Gedanfen- welt wieder leicht dienftbar zu haben für fein Talent.

So fam die erjte Vorftellung von „Ella Roſe“. Er fah fie in meiner Yoge an. Dem Publicum war befannt geworden, daß er da wäre, und es rief ihn ſchon nach dem erften Acte. Ich muß jetst eingejtehen, daß ich ven Wienern damals feinen Anblick eine Zeitlang jchnöde entzogen habe. Zum Schluffe follt ihr ihn haben, eher nicht! lautete meine Politif, Die zwei letten Acte des Stückes waren die jchwächjten, der Lette beſonders fonnte wegen feiner Unflarbeit feine Wirkung machen. Es war mir alfo darum zu thun, die Theilmahme für ven Dichter als eine Theilnahme für das Ge- dicht erjcheinen zu laſſen. Sie werden klatſchen und rufen, dachte ich, auch wenn die leiten Acte weniger wirfen, und wer kann nach— weiſen, daß dies Klatſchen und Rufen blos dem Dichter gegolten, den man jehen will, und nicht auch dem Gedichte?! Ich rieth alfo Gutzkow, bis zum Schluffe des Stücdes zu warten. Und diefe Politik trug ihre Früchte, Bis zum vierten Acte wirkte das Stück

340) Das Burgtheater.

jelbititändig, dann fanf die Wirkung; der Wunſch aber, ven Dichter zu jeben, ſank nicht, und jo blieb der äußere Erfolg bis zum Schluffe ein beifälliger. Die Nachricht am folgenden Tage vom Hervorrufe des Dichters nach jedem Acte that weiter ihre Schuldigfeit ; es war der Auf fertig, dag „Ella Roſe“ gefallen habe, und wir fonnten fie eine Zeitlang wiederholen. Einſtimmig hieß es freilich im Publi- cum: vie legten Acte haben uns weniger gefallen; aber ein fertiger Ruf ift bei einem Theaterftüd in Wien eine lang dauernde An— ziehungsfraft.

Sm Herbite deſſelben Jahres brachte ich auch „Dttfried‘ neu, ein bürgerliches Schaufpiel von Gutzkow. Es bewegt ſich ebenfalls um ein modernes, wohlgewähltes Thema und hat manche feine Züge von echter Wahrheit unferes heutigen Yebens. Aber es wirkte nicht ſtark genug. Obwohl es den Borzug größerer Einfachheit voraus batte vor „Ella Roſe“, fo jtand es er doch nach an leidenſchaft— lichem Drange.

Es war all diefen Stücen inzufehen; daß der Dichter fie nicht mehr mit voller Liebe und Energie gejchaffen hatte, und wie ich be— fürchtet, ließ denn auch Gutzkow von da an feine Thätigfeit für das Theater ganz fallen. Es hat fich ſpäter gezeigt, daß körperliche Be— ſchwerde jchon lange feinen Geijt verjtimmt hatte,

Gr bat diefe Bejchwerde überwunden, und es fommt vielleicht der Tag, wo er jich ver Bühne wieder zumendet. Früher und deut: licher als irgend Einer hat er den Yebenspunft erfannt, von welchem die dramatiiche Production ausgehen müfje, um auf der Bühne und von der Bühne wirkſam zu werden.

Neu einftudirt wurden in diefen zwei Jahren an Stüden von größerer Bedeutung: „Macbeth, „Phädra“, „Sappho“, „Dttofar’s Glück und Ende’, „Das goldene Vließ“ „Macbeth“, „Phädra“ und „Sappho“ ohne genügenden Erfolg. Die alten Kräfte, welche da an der Spite jtanden, waren nicht mehr geeignet, die Kraft ver Hauptrolle darzuthun oder hinveichenden Neiz auszuüben. Es fehlte

Das Burgtheater. 341

für „Macbeth“ ein Träger der Titelrolle, und es fehlten die wirk— famen Trägerinnen für „Sappho’ und „Phädra“.

‚Macbeth‘, allerdings nie ein jtarfanziehendes oder dankbares Stück im gewöhnlichen Schaufpielerfinne, weil nur unerfreuliche Leidenschaften auftreten und die Piebe gar nicht mitjpielt, ſchien ab- folut nicht mehr gelingen zu wollen. Ich halte dies Stüc fir eine der ſtolzeſten Compofitionen Shakeſpeare's und Fam immer wieder auf die Imjcenejeßung deſſelben zurüd, Erſt ſpät ift fie mir ge- (ungen mit Herrn Wagner als Macheth und Fräulein Wolter als Lady Macbeth. Damals warf Herr Gabillon ven Macbeth zu ven Todten, wie e8 einige Jahre früher Herr Yöwe gethan.

Meine wiederholten Berfuche, einen vortrefflichen Helvenfpieler, wie ja doch Herr Löwe gewefen, in's Fach der Heldenväter einzu- führen, mißlangen total. Das Feuer hatte jeine jungen Helven reizend belebt, für ältere Helden fehlte ihm der Kern eines ftarfen Menſchen.

Mit „Ottokar“ und dem „Goldenen Vließ“ gelang die In— jcenejegung bejjer. Namentlich im „Ottokar“ errang Wagner einen tieferen Erfolg, obwohl er die Leiftung Löwe's in den erſten Acten nicht erreichen fonnte. Der Ungeftüm, die Rückſichtsloſigkeit, das genial despotifche Weſen Dttofar’s in den erſten Acten jtanden ihm beiweitem nicht jo zu Gebote wie Herrn Löwe; aber in der zweiten Hälfte des Stücdes vertieft ſich der Charafter und wird innerlich interejjant. Das war für Löwe unerreichbar gewejen, und das trat bei Wagner mächtig hervor. Zum Gevdeihen des Stückes, welches num erſt voll, nun erjt ein Ganzes wurde und dadurch feitere Wur— zeln ſchlug.

In neuen Rollen Herren Yöwe günftig zu werwenden, gelang mir überhaupt jelten. Er jelbjt war durchaus widerwillig, wenn die Rolle nicht erjte Chancen darbot, und er hatte fich von vorn- herein auf den Standpunft der Unzufriedenheit geftellt. Er fonnte e8 nicht verwinden, daß er nicht mehr jung war, und machte die

342 Das Burgtheater.

Welt und namentlich die Divection dafür verantwortlich. Was hätte ich darum gegeben, wenn ich ihn hätte wieder jung machen fünnen ! Als er im „Julius Cäſar“ den Caſſius erhielt, den er ſpäter meijter- haft jpielte, war ev außer jih. Antonius oder wenigjtens Brutus gebühre ihm! Umſonſt wies ich ihm nad, daß Dies die jüngeren Römer wären. Als Paroli darauf warf er mir fpäter den Garrid hin im „Garrick in Briſtol“. Er ſei ja nicht jung genug dafür! Sieben Jahre jpäter aber verlangte er den Garrick zurüd, denn er brauche ja nicht jung zu fein.

Es war eine Engelsgeduld nöthig, und ich bin fein Engel. Obwohl ich fein Engel bin, jo hab’ ich mir doch fo begabten alten Künftlern gegenüber jtanphaft die Geduld zur Bildungsaufgabe ges macht. Freilich ohne fichtbare Wirkung. Ich fand, daß gerade er naturgemäß übel daran wäre, und dem Naturgemäßen muß man Rechnung tragen, Die Jugend, und zwar eine lange Jugend hatte ihn an große Auszeichnungen gewöhnt, und das Alter war nun farg für ihn. Das thut Jedermann weh; auch demjenigen, welcher vie Bildungskraft hat, fich zu refigniven. Wer aber nicht die geijtige und moralifche Kraft hat zur Nefiguation, der leidet doppelt. Und Herr Löwe hat fie nicht. Sein Geift iſt wiel Fleiner als jein Ta- (ent ein blanfer Gegenfat zu Julie Nettich.

Er war eine fehr jtarfe jchaufpielerifche Begabung, er war immer ehrgeizig, wohl auch eitel, und hatte nie ein höheres Princip für feine Kunſt gewonnen, als die Zufriedenjtellung jeines Ichs. So mußte er um fich Schlagen, als die immer noch vorhandene, aber von den förperlichen Mitteln nicht mehr genügend unterjtüßte ſchau— jpielerifche Begabung nicht mehr fo veiche Früchte eintrug als früher. Andere Früchte lagen nicht im Bereiche feiner Fähigkeit, und „vie Verzweiflung ſchlägt gar gern“, jagt Grillparzer im „Traum ein Neben”.

Warum lagen andere Früchte nicht im Bereiche feiner Fähig— feit? Hatte er denn feine moralifchen Anlagen? O ja, jehr ſchöne

Das Burgtheater. 843

jogar. Aber wir haben nım, was wir mit Bemwußtjein anwenden. Gr hatte feine beiten Anlagen mit Bewußtſein nur in feiner Kunſt angewendet. Wohlwollen, Freude am Gelingen Anverer, Yiebe, und wie alle unjere guten Negungen heißen, hatte er in feinen Rollen, wie oft! zur Geltung gebradt. Dadurch meinte er fie hinlänglich bethätigt zu haben, und war jorglos darüber, daß er fie feiner Privat: perfon erließ, wenn jujt jtärfere Neigungen ein Genüge verlangten. Der Erfolg verwöhnt ven Menfchen in feiner moraliichen Kraft, und der Schauspieler ijt am eheften dem Irrthume ausgejett, daß er ein großer Mann fei, weil er auf der Bühne ven großen Mann wirffam jpiele. Er hat auch nicht ganz Unrecht. Er zuhlt feinen moraliihen Beitrag an die Gejellfchaft reichlich dvadurd, daß er in mächtiger Darjtellung tüchtiger Menfchen auf Tauſende wirft, daß er Zaufende anregt zu moralifcher Tüchtigfeit.

Deßhalb finden wir unter darftellenden Künjtlern leicht eine fo große Anzahl von Anmaßenden und Prahlern. Ihr Geift iſt nicht jtarf genug, fich frei zu machen von den Wirfungen ihres Ta- fentes, jich frei zu machen von dem Scheine, welchen ihnen ver Dichter verleiht in den Rollen.

Für manchen Schaufpieler ift diefer Mangel an Geijt fogar ein Vortheil. Nur wegen dieſes Mangels füllt er Fächer gläubig und täuſchend aus, welche ein nüchtern Denfender nicht ausfüllen fann. Löwe verdankt einen Theil feiner beſſeren Rollen, namentlich im Luftfpiele, diefer ihm innewohnenden gläubigen Sicherheit, daß er den gewöhnlichen Menſchenkindern weit überlegen ſei. Artiftifche Vorzüge find in der Schaufpielfunit ja auch in anderen Künſten gar oft Honsrare, welche der Künftler lächelnd auszahlt für Privatichulden feines Charakters.

Ich fomme auf dieſen Gedanfengang, daß das Talent jich ge— nüge und den Geiſt im Nücjtande lafje, durch die oben erwähnten „Biedermänner“ und durch die Rolle des DVertillac, welche Herr Löwe in diefem Stücke jehr wirffam jpielt. Dieſer Bertillac ift ehr:

344 Das Burgtheater.

geizig, aufgeblajen, lieblos, troden. Wie fpielte er das? Mit ver ficheriten Kraft des Talentes und unter fehlender Mitwirkung des Geiſtes. Das Talent gab eine fejt gezeichnete Anlage und führte fie aus mit imerjchütterlicher Confequenz. Alles war richtig und wurde nach einigem Stuten vom großen Publicum anerfannt. Ein fünjtleriih aufmerkiamer Zujchauer nur verjagte die volle Aner— fennung. Warum? Er fagte: Ich fühle mich von Uebertreibung angemuthet. Dieſe Uebertreibung war nur in geringem Grade vor: handen, aber vorhanden war jie. Und worin lag fie? Darin, daß dem jtarfen Talente des Schaufpielers der geijtige Regulator fehlte, Hinveichender Geijt bei jolchen Talente hätte Nuancirungen anges bracht, um diejen Vertillac menfhenmöglich, um ihn glaubfich zu machen und dadurch dreifach wirffam. Ohne diefen Geijt wurde das Talent zum Handwerfe. Kurz, dem Kundigen wird aus folchen Rollen Löwe's Klar, daß ein Abjolutismus des Talentes vor ihm ſteht, welcher die entiprechende Geiſteskraft vernachläffigt oder nicht beſitzt.

Dieſer Abſolutismus des Talentes hat Herrn Löwe übrigens treffliche Leiſtungen gewährt, denn für ſeine eigenthümlichen Rollen genügt die Zuthat ſeines Geiſtes. Das ältere Geſchlecht unſeres Theater-Publicums ſchwärmt für ſeinen Mortimer, ſeinen Grafen von Meran in Grillparzer's „Treuem Diener“, und ſchwärmt mit Recht. Noch ſein Percival in „Griſeldis“ und ähnliche Rollen waren berauſchend. Er war für glühende Leidenſchaft, für raſche Menſchen jeglicher Gattung, für dreiſte Ungezogenheit, für freche Herausforderung, für blendende Charakteriſtik mannigfacher Art ein Darſteller von genialem Talent.

Ich habe ihn 1833 zum erſtenmale geſehen und bin ganz der— ſelben günſtigen Meinung über ihn geweſen wie das Publicum. Dann hab' ich ihn 1845 wieder geſehen, und auch da noch in einigen ausgezeichneten Leiſtungen. Zwei Rollen aber fielen mir ſchon da— mals auf, welche ſeiner Fähigkeit Schranken ſetzten und welche breite

Das Burgtheater. 545

Schatten warfen auf fein Talent. Die eine war Hamlet. Diefe Yeiftung war von folcher Mittelmäßigfeit, daß ich erfchraf. Das Wiener Publicum jchien dies übrigens zu willen, denn in guter Theaterzeit war das Haus leer. Die vom Geifte getriebene Natur Hamlet's erjchien völlig hohl; das jtarfe Talent Löwe's erwies ſich auch bei den fonjt wirkſamſten Scenen machtlos, ja ſtörend. Man erfannte, daß hier Geift und Talent einander gar nicht dedten. Hier war der Geift viel zu klein; er verfchwand unter der Größe ver Aufgabe, und jo erfchien das Talent gleichfam ausgeftellt, ja bloß— gejtellt, wie Etwas, das mit dem Yeben der Rolle gar nicht zufam- menhing der ganze Hamlet erſchien komödiantiſch. Ich habe ihn von Schaufpielern varjtellen jehen, denen fein Menfch Geift nach» jagen fonnte, und doch wurde die Rolle intereffant; von Kunft zum Beijpiele, der am Ende weniger Geijt hatte als Yöwe, und doch war Kunſt ein intereffanter Hamlet. Woher fommt das? Vom Mifver- hältniſſe. Kunſt jagte nicht mit feinem Talente hinaus bis über den Zujammenhang mit jeinem Geifte, und jo bewahrte er eine gewifje Harmonie zwifchen Geijt und Talent. Löwe aber jpornte feine jtarfe Kraft, fein Talent nur um jo heftiger, je weniger er Hilfe fand bei jeinem Geifte, und jo wurde die Disharmonie fichtbar. Was cr für Geift hielt und ausgab, war überhaupt viel mehr hurtige Yeben- vigfeit als Geiit.

Die zweite Rolle war Monalvescht. Wie als DOttofar war er in den erjten Acten der bejte Monaldeschi, ven man fehen fonnte. Bon dem Momente aber, wo der Geiſt des Abenteurers fich nach Innen wendet, janf er zufammen und wurde unbedeutend. Er ipornte jein Talent auch da über Gebühr und beging im letzten Acte Etwas, das genau bezeichnend ift für ihn. Bezeichnend für einen Schaufpieler, der für fein Talent Nahrung jucht ohne Rück— jicht auf den Geift ver Rolle. Monalveschi enthüllt im letten Acte eine Schwäche des Abentenrers: er fcheut und erbebt vor dem ficher herantretenden Tode. Er fümpft dagegen, weil er meint, die Furcht

946 Das Burgtheater.

liege nur in den Nerven. Das lag außer dem Gedanfenfreife Löwe's, und die Ausführung iſt auch im gewöhnlichen Theaterfinne nicht dankbar. Was thut er? Er mifachtet Sinn und Vorfchrift des Buches und verwandelt die Todesfurcht in Hohn mit Schreden ab umd hörte ich ihm immerfort lachen. Diefe Wendung lag feinem Talente nahe und war auch theaterwirffam. Die Abjicht des Stüdes mochte der Teufel holen! Dergleichen thut nur ein Schaufpieler, welcher fein Talent abjolut gebraucht und die geiftige Einwendung geringfchätt oder gar nicht fennt. So wird der ab- jolute Gebrauch gelegentlich ein Mißbrauch des Talentes.

Kun, das find Betrachtungen, welche einer vollen Charafteriftif dienen follen, Sie jollen feineswegs davon ablenfen, daß Löwe zu den mächtigſten Schaufpielern unferer Zeit gehört hat. Sie jollen nur far machen, daß ich übel daran war mit ihm, weil ich ihn alt vorfand. Ein alter Schauspieler, deſſen Talent größer als ver Geiſt, iſt ſehr Schwer zu werwerthen. “Der Geijt ift im Alter werth— voller als das Talent, denn das Talent des Schaufpielers braucht mannigfache phyſiſche Mittel, welche vom Alter angenagt und zer: jtört werden. Trotzdem iſt es gelungen, noch manche Rolle von Löwe nen zu gewinnen.

Leider war ev auch Regiſſeur. Das paßt num gewiß nicht für ihn, Er verſteht nicht eine fremde Sprache, feine hiſtoriſche Bil- dung it unzulänglich, fein Naturell ift ungeduldig, heftig und ohne Yiebe für jorgfältigen Aufbau eines Kunftwerfes, er tobt hinein, ver— wirrt und zerftört. Dazu belaftet ihn das leider fo häufige Erb- theil deutſcher Künftler: er ift neidifch auf Erfolge Anderer! Dieſe Eigenjchaft iſt natürlich Gift für ein Amt, welches fürdern helfen joll.

Wir haben es invefjen bier doch vorzugsmweife mit feiner Kunft- fühigfeit zu thun, und deßhalb wiederhofe ich, daß er troß aller Ein- ichränfungen eine ausgezeichnete Kraft des Burgtheaters ges wejen ift.

XXVII,

Neue Dichter, neue Stücde, neue Schaufpieler in großer Zahl! Sie ftrömten uns in der That reichlich zu Anno 1858. Ein hifte- riſches Schaufpiel fand freundliche Aufnahme, ein modernes Luſt— jpiel und ein hiftorifches Schaufpiel wurden Nepertoireftüde, ein realiftifches Luſtſpiel blieb ſchwebend in Frage, ein poetifches Idyll wurde verlacht, fünf neue Schaufpieler, drei weibliche und zwei männliche, traten in die Künſtlergeſellſchaft es war ein ab- wechslungsvolles, ein reiches Jahr, das Jahr Achtundfünfzig.

Das erftgenannte, hiftorifche Schaufpiel, welches freundlich auf- genommen wurde, war „Heinrich der Löwe“, von dem jungen Wie- ner Dichter Franz Niffel, einem Sohne des Schaufpielers Niffel, welcher fich KRorner nannte als Schaufpieler. Diefer Stoff, der Kampf zwifchen Heinrich dem Löwen und Kaifer Friedrich Barba- voffa, ijt hHundertmal erwählt worden. Der Welfe und ver Staufe, der Nieverfachje und ver Schwabe, der Norddeutſche und der Süd— deutſche, diefe zwei Hälften des deutſchen Baterlandes, wie oft haben jie ſich bekämpft und wie fchwer find fie in ein Kunſtwerk zu einigen! Niſſel war dem Stoffe formell ganz richtig nahe getreten, indem er fih nicht, wie herkömmlich, Welf und Stauf als zwei Helden auf: gebürdet, ſondern fich für den einen entjchievden hatte. So war der ſchwächende veutiche Dualismus umgangen, Heinrich der Löwe war die Hauptfigur. Niffel hatte auch, ein eigen juchender Poet, Scenen und Charafterzüge gefunden, welche Achtung und Theil-

948 Das Burgtheater.

nahme einflößten; aber den epifchen Stempel, welchen all dieje Raiferjtreite unjeres Mittelalters tragen, fonnte er nicht verwifchen. Der eigentliche Kampf ift vor Schluß längſt entſchieden; Jahre find vergangen, ehe Heinrich der Löwe aus der Verbannung wiederfehrt und in einer Fehde fällt, welche nur mittelbar zufammenhängt mit dem Kaiferftreite das iſt gleichbedeutend mit Erfchlaffung des dramatiſchen Ganges und fomit unferes Antheils am Drama.

Wir fannten den Dichter Thon durch ein Bauern-Schaufpiel, „Der Wohlthäter“, welches durch feine Charakteriſtik fich hervor— thut und jorgfältigem Spiele eine lohnende Gelegenheit bietet. Dies jorgfältige Spiel war ihm auf dem Burgtheater geworden, und jo hatte e8 zwei Jahre vor dieſem „Heinrich dem Löwen“ einen guten Erfolg gefunden. Auf den übrigen deutſchen Theatern iſt ihm dies nirgends gelungen, ein recht deutliches und recht trauriges Zeichen, daß eine jorgfültige und charafteriftiiche Darftellung auf den deut- ſchen Theatern eine Seltenheit geworden. Sch muß freilich hinzu— jegen, daß bei einer jpäteren Wiederaufnahme „Der Wohlthäter‘‘ auch bet uns nicht mehr zu jo lebendiger Geltung gebracht werden fonnte. Das ſpricht wohl für den ſchönen Enthufiasmus unferes Publicums, welcher einem neuen Poëm hingebend entgegenfommt, es deutet aber auch auf eine Schwäche des Stüdes. Sie liegt darin, daß die Handlung etwas zu abjichtlich motiwirt ijt durch vie Sharaftere; der nothwendige Fluß der Handlung leidet darunter; der unmittelbare Yebenshauch, welcher den Vorgang in Bewegung jeten joll, kommt nicht genügend zur Macht vor lauter charafteri= ſtiſcher Abjicht.

Einige Sahre fpäter 1862 haben wir von demjelben Dichter eine hiftorifche Tragödie gebracht, „‚Perfeus von Macedo— nien“, und auch für diefes ſein beveutendftes Werf lobende Aner- fennung gefunden. Die Führung des Stoffes, National-Berthei: digung der Macedonier gegen die römischen Eroberer, hielt jih ganz frei von todter Architektur, war belebt von natürlichen Analogien,

Das Burgtheater. 349

welche den deutjchen Völfern zu denken gaben, entwicelte in Perſeus einen großartigen patriotifchen Charafter und brachte einige Scenen großen Styles. Daß auch dieſes Stüd auf die Dauer nicht zur er- halten war, liegt am ferngelegenen Stoffe. Dem heutigen Publi— cum ein macedonifches Thema nahe an’s Herz zu legen, dazu bedarf e3 einer eriten dichterifchen Kraft, und zwar einer populären Straft. Eine jolche ift allerdings Franz Niſſel noh nicht. Aber er ift ein finniges Talent, welches unter glüclichen Umständen ein innerlich interejjantes Drama zu jchaffen vermag.

Das moderne Luſtſpiel, welches Aepertoiveftüd wurde, war „Sato von Eiſen“. Es hat eine jehr lange, originelle Entjtehungs- geichichte, welche ich in der nächjtens erjcheinenden Drudausgabe ausführlich erzähle und deßhalb hier nur anvdeute. Lußberger, immer emfig befliifen, dem Theater neue Stoffe und Kräfte zuzu— führen, fchilderte mir eines Tages den Inhalt eines fpanifchen Stüces von Goroftiza, welches ven Titel führt: „Nachſicht für Alle. Ich fand die Grundidee jehr hübſch und fürchtete nur mit meiner jpanifchen Bevenflichfeit, fie werde für ung nicht leicht zu— gänglich fein in der jpantjchen Form. Das gab er zu, indem er weiter meldete, es jei eine Bearbeitung verfucht worden, welche in der That nicht genüge. Aber, fuhr er fort, es ift ein zweiter Autor ſchon damit befchäftigt, das ganze Thema zu uns nach Deutjchland zu verlegen,

Dieje Bearbeitung wurde mir jpäter mitgetheilt. Sie genügte mir nicht, und ich lehnte fie ab. Indem ich aber diefe Ablehnung erklären und begründen mußte, und indem ich dies zu wiederholten- malen that, weil der Autor ein Wiener war und der Verkehr mündlich gepflogen wurde, ergab es fich von felbjt, daß ich bei diefer Gelegenheit jfizzirte, wie ich mir ven Weg dächte, welcher einzufchlagen wäre für eine jelbjtitändige Bearbeitung des Themas. Dies veranlafte ven Autor Otto Prechtler —, mir vorzufchlagen: Arbeiten wir ge meinschaftlih! Das verfuchten wir; aber e8 gelang nicht. Mein

350 Das Burgtheater.

Eigenſinn paßte nicht zu folcher Thätigfeit. Ich hatte den erjten Act gejehrieben, Prechtler den zweiten, und ich meinte, fie gingen nicht organisch zufammen, die beabfichtigten vier Acte würden zwei Seelen zeigen. Die Arbeit blieb liegen. Plöglich fchrieb ich einen zweiten und dritten Act zu meinem evjten und war damit um einen Act früher an den Schluß gefommen. Als er die drei Acte jah, lachte Prechtler und fagte: „Nun iſts ein Stück; aber es iſt das Ihrige!“ Ich wußte ſelbſt kaum, was es wäre, und gab es ohne Autornamen nur mit dem Paßviſum: „Die Grundidee nah Goro- ſtiza“ auf die Scene. In der Drudausgabe wird man eine Leber: jeßung des ſpaniſchen Stüdes beigefügt finden, und die Literariiche Welt wird dadurch zu ihrem Urtheile ausgerüftet fein: ob ſolche Bearbeitung Anfpruch machen fann auf originalen Werth und ob jie überhaupt lobenswerth.

Die Aufführung war eine der beften im Burgtheater. AL unfere Erfahrungen im heiteren Converfations-Stüde fonnten ich geltend machen, und die Befetung hob das Ganze zu einer Muſter— varjtellung. Fichtner’s Cato war eine Meijterleiftung, Bedmann’s fomifher Vater bei den eriten Borjtellungen noch in ven Schranfen der Charafteriftif war von der liebenswürdigjten Komik, Fräulein Boßler als Liebhaberin, Fräulein Goßmann als heiteres Perfönchen interejiirten ungemein, und alle übrigen Rollen gejtalteten ein Enjemble von Abwechslung und Reiz. Achtzehnmal wurde das Stüd im erſten Jahre gegeben, und es überjtand jelbjt Fichtner’s Abgang, da Sonnenthal die Rolle ein wenig anders, aber ebenfalls vortrefflich ausarbeitete.

Das gelingende hiſtoriſche Schaufpiel fam aus Preußen. Spanien und Preußen! feltene Herkunft unferer Erfolge. Es war „Das Tejtament des großen Kurfürſten“ von Guſtav zu Putlig.

Diefer liebenswürdige Schriftiteller beflagt fih mit Recht darüber, daß er in Wien unfreundlich behandelt worden. Seine Stücke griffen jelten vollftändig durch. Das liegt großentheils am

Das Burgtheater. 351

Unterſchiede zwiſchen Nord- und Süddeutſchland. Faſt immer geht Putlitz in ſeinen Arbeiten von einem artigen Gedanken aus, oft von einem feinen, und genügt damit im Norden, wo man die Gedanken— welt auch in der Kunſt ſehr hoch ſtellt. Im Süden vermißte man oft die Fleiſchesfülle, welche die Gedankenſkizze erſt zum Kunſtwerke ausführt. Und ſelbſt wenn unſer Publicum einem Putlitz'ſchen Stücke zugeſtimmt hatte „Don Juan de Auſtria“ zum Beiſpiele und „Um die Krone“ dann wurde der Erfolg zerriſſen von einer Kritik, welche jegliche Production lieblos und ſchonungslos be— handelte.

Nur bei dieſem „Teſtament des großen Kurfürſten“ war die Zuſtimmung des Publicums ſo beſtimmt, daß Putlitz auf der ganzen Linie ſiegte. Schöne Einfachheit in der Führung und intereſſante Wendung ver Charaktere machten dies Schauſpiel durchweg gefällig, und es würde noch heute im Nepertoire jtehen, wenn ihm nicht die leidigen politifchen Gegenſätze zwijchen Preußen und Dejterreich in den Weg getreten wären. Immer, wenn vdieje politiiche Verftim- mung jcharf aufjprang in unferem Staatsleben, da war e8 unmög- ih, das preußiiche Thema des Stüdes und die preußiichen Ver— jicherungen der Liebe für Dejterreich vorzuführen. Nur aus diefem Grunde haben wir das Stück aus dem Repertoire verloren. Die Dichter zuerft leiden an den Wunden vaterländiſchen Streites.

Das reale Yuftipiel, welches in Frage ſchweben blieb, hieß „Drei Candidaten“ von Schleich. Was heift das: Es blieb in Frage ichweben? Es fonnte wiederholt werden, es fam alle Jahre wieder, und doch fragte man fich jedesmal: Beſteht denn das Stüd ‚noch? Schleich iſt der Redacteur des Münchener „Punſch“. Als jolher war er gewohnt, die realen Vorgänge unferes öffentlichen Lebens raſch fo zu geitalten, daß ſie einen heiteren Effect machen. Dieje Fähigkeit, von welcher Kogebue reichlich Gebrauch gemacht, iſt werthvoll fir das anſpruchsloſe Luftipiel, und Schleich hatte jeine „Punsch“ Laune in die lofefte Luſtſpielform eingeführt. Das

302 Das Burgtheater.

war nur ein wenig gar zu jehr aphoriftiich geichehen. Das Abge- riffene widerjpricht dem folgerichtigen Entwiclungsgange eines Dramas, und die Aushilfe für den enplichen Abſchluß des Stückes war ziemlich banal gerathen: ein Mädchen verkleidet fih als Mann, und alle Welt muß fih blind ftellen, um fie nicht zu erfennen. Theatermeifter Weber mußte den tiefſten Ton der Yeutjeligfeit, das beißt ver Finfterniß anjtimmen mit feinen Yampen, um dieſen Schluß zu ermöglichen. Mit Einem Worte: troß des modernen „Punſch“ waren die „Drei Candidaten“ altmodiſches Stückwerk in ver Form. Sie lebten jedoch allenfalls von einigen modernſten Luftipielfiguren. Namentlich that ſich Beckmann rettend hervor duch einen Profejfor der Zurnfunft. Er that Wunder mit feinem feiften Leibe, und im Schweiße des Angefichts verficherte er nicht ohne Stolz, daß jeine Jugend auf dem Breslauer Theater auch dem Ballete gewidmet worden jet,

Ich gab das Stück und fuchte es zu halten als eine Einleitung des heiteren Verfaſſers zu ferneren Luſtſpielen. Bis jetst ijt es aber nur Einleitung geblieben. Schleich hat in feiner Heimath München mit Volksſtücken ſtarke Wirkung gemacht, ich hoffte deß— halb, er werde auch ven Weg finden zu einem organischen Yujtipiele. Was er mir aber an Manuferipten ferner zugejendet, das hatte merfmwürdigerweife einen ganz anderen Charafter als dieſe „Candi— daten” und diefe Volksſtücke. Es war einfach ernfthaft und zeigte manche gute Seite. Ein Zuſammendrängen feiner Eigenjchaften in einen Brennpunft fcheint diefem Autor unerreichbar zu bleiben ; er eultivirt immer nur vereinzelte Theile feiner Fähigfeit. Nur jo erflärt fich’8 wohl auch, daß dem Schänfwirthe des „Punſch“ jetzt in München ultramontane Neigungen nachgefagt werden er jucht auf den verſchiedenſten Wegen feinen Mittelpunkt. Findet er ihn noch in der funzen Spanne Reifezeit, welche ung Sterblichen zugemeſſen ift, dann finden wir vielleicht auch noch den realen Luft- ſpieldichter in ihm, welchen wir erhofft.

Das Burgtheater. 853

Ich werde hiedurch an einen anderen Wanderer von Schleich freilich jehr verjchieden erinnert, welchem wir in diefen Fünfziger Sahren zweimal auf dem Burgtheater begegnet find, und welcher dann länger als ein Sahrzehnt in einem bewaldeten Hügel ver— ſchwunden ijt. Ich meine Alfred Meißner, von welchem wir „Reginald Armjtrong‘‘, ein frei und dreijt entiworfenes, nicht ganz zur Harmonie bewältigtes modernes Stüd zu Anfang der Fünfziger Sahre, und den „Prätendenten von NYork“ inmitten ver Fünfziger Sahre aufgeführt haben. Sie machten mir ebenfalls die Hoffnung vege, und der „Prätendent“ insbejondere, daß fich ein Compoſitions— Talent für die Scene entwideln werde, Der „Prätendent“ hatte frappant erfundene Scenen. Daß er fich nicht hielt, lag theils in vem noch zu Lojen, allzu beweglichen Grundwejen des Autors, welches mit feinen Pichtungen durchſchimmerte, theils in der jchwer vermeidlichen Gefahr eines Prätendenten- Stoffes. Sobald ver Prätendent und das Bublicum erfahren, daß dies Prütendententhbum hiſtoriſch unecht ift, erlifcht das Intereſſe, wenn der Dichter nicht jeinem Helden mit ungewöhnlichen Gaben, namentlich mit ftarfer Charafterfraft, zu Hilfe fommen kann. Vielleicht fehrt Meißner noch einmal zurüd über den bewaldeten Hügel, hinter welchem er uns wie ein grollender Wandersmann verſchwunden, und erſcheint wieder auf der Bühne.

Das poetiſche Idyll, welches 1858 auf dem Burgtheater er— ſchien, hieß „Kuth“ und war von Frau v. Binzer, welche unter dem Namen Ernſt Ritter ſchreibt. Auch die ſchon erwähnte „Caroline Neuberin“ iſt von ihr.

Dieſe „Ruth“ hat mich recht ſterblich gezeigt in meiner theatraliſchen Diagnoſe. Ich hoffte allerdings keine ſtarke Theater— wirkung, aber ich hoffte doch eine poetiſche Wirkung mit dieſem bibliſchen Drama zu erreichen, und ich hob Spott und Verhöhnung

von der Tenne. Mehrmals ſchon hatte ich das Stück vorgeleſen Laube, Burgtheater. 23

354 Das Burgtheater.

und immer einen ſchönen Eindruck hervorgebracht, auch für mich ſchön, nicht blos einen banalen, wie mit „Sophonisbe“ ich jelbft war gerührt und ergriffen beim Vorleſen. Ein großer Theil des Iheater-Publicums, meinte ich, wird fich eben jo poetifch an- geweht fühlen. Aber Theater-Publicum ift Markt: ein paar Un— berufene äußern fich ungeduldig, und allen Anderen wird die Stim- mung verdorben. Im Handumdrehen bildet ſich die Meinung, das Einfache, welches da oben vorgehe, ſei zu einfach, alſo eine ungenügende Arbeit, und ijt man erjt auf diefem Punkte, dann erhebt fich der Zweifel, und der nächite Nachbar des Zwei— fels, der wohlfeile Wit, wird laut, und das Theaterjtüd iſt verloren,

In diefem Falle gebe ich noch heute dem Publicum nicht Recht. Man erjieht aus diefen meinen hiftorifchen Schilverungen, daß ich meist großen Refpect zeige vor ven Urtheilsiprüchen des Publicums; aber ich bin deßhalb doch feineswegs allen Verdicten gegenüber nachgiebig. Ich muß Grund ſehen, flaren Grund, wenn ich zu: jtimmen fol. Bei diefer „Ruth“ ſah ich den Grund des Nicht- aefallens in einer gewifjen Oberflächlichfeit, welche fich ſelbſt belobt, indem fie über Dinge lacht, deren poetifcher Reiz ihr unverftändlich. Die nächjte Erflärung liegt für mich im biblifchen Stoffe, der vor einem fatholiihen Publicum ericheint. Das Leſen der Bibel ift dieſem Publicum viel ferner liegend als einem protejtantifchen ; der altbibliiche Stoff hat für den Katholifen viel weniger Weihe umd hiftorifchen Zauber, als eine nachehriftliche Yegende. Das Publicum brachte alfo vem Thema gar nicht die Stimmung entgegen, welche ich zum Beifpiele als Proteitant dem Thema entgegenbrachte, und dies einfache Idyll gerade bedurfte einer eingehenden Stimmung ohne fie mußte es untergehen. ,

Der Berfuh mit einer ungewöhnlichen Gattungsform, wie das dramatifche Idyll auf der heutigen Scene ift, war biemit aefcheitert. Er verlangt zum Gelingen allerdings eine große Ruhe

Das Burgtheater. 355

und Sammlung im Publicum und eine dichterifche Kraft von mäch— tiger Schönheit.

Zwijchen dieſen zahlreichen neuen Stüden erfchienen in diefem Sahre zahlreiche neue Schaufpieler. Es jtand plößlich eine neue Hero, Julia, Yonife, aljo eine neue tragijche Yiebhaberin vor uns. Hoch und jchlanf von Wuchs, mit großen blauen Augen, mit weichem, ſchönem Organ. Sie fpielte echt.und wahr; aus warmem, reinem Gefühl jtieg Alles ungetrübt empor. Woher fommt fie? Sie gemahnt uns ja wie eine längſt befannte Erfcheinung? Das ift jie auch. Wir haben fie in Kinder: und Knabenrollen gejehen, fie it aufgewachjen am Burgtheater: es ift Augufte Rudloff. Einige Sahre iſt fie „draußen“ gewejen und hat fich fo rein und wohl- thuend ausgebilvet. Aber jo wie fie plötlich erſchien, gleich dem Mädchen aus der Fremde, fo verfchwand fie plößlich wieder gleich dem Schillerihen Mädchen. Und wiederum die uns fo gefährliche Liebe entzog fie uns. Ein englifcher Yord hatte diefen deutichen Zauber verjtanten und führte fie als Gattin über vie See. Sekt iſt er Statthalter auf unſerer Infel Helgoland; unfere Inſel und unjere tragiſche Liebhaberin gehören leider ihm und nicht ung. Aber die Injel und die Lady bleiben wenigitens innerlich deutjh, und die Xettere folgt immer noch wie ein Kind des Hauſes den Schidjalen des Burgtheaters, welches fie ihre Hei- math nennt.

Bon Hamburg ferner folgten mir man fchalt mich am Alfterbaffin den „‚Rattenfänger von Hameln” zwei blutjunge Mädchen, vie eine heiter, die andere fentimental, um womöglich ihr Leben vem Burgtheater zu weihen. Die fentimentale hat auch bis jest Wort gehalten; fie heißt Frieverife Bognäar. Die andere hie Regina Delia und ijt uns früh untreu geworden. Bon frifchem Naturell, geitig begabt und mit heyzhaftem Ausorude für naive Aufgaben, follte fie eintreten für Goßmann'ſche Rollen, wenn unfere Ingenue unerwartet an Werfeltagen verfagen möchte, Das

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356 Das Burgtheater.

ſoll vorfommen, nicht blos bei Naiven. Aber von vem Momente an, da Fräulein Delta eingetreten war, fam es nicht mehr vor im naiven Face, umd dies veranlafte Fräulein Delia, da ihr ver Spielraum fehlte, von dannen zu gehen. Hymen, der feindliche Gott des Burgtheaters, miſchte fih außerdem ein wie her— fümmlich und verhinderte die Rückkehr Regina Delia heirathete ebenfalls.

Neben diejen jungen Damen jtellten jich zwei junge Männer ein: ein mwohlbeleibter jtattlicher und ein dünner fleiner. Jener machte feinen Weg, wie beleibte Figuren ihn zu machen pflegen, langſam dieſer machte ihn als behendes Männlein raſch. Beide famen an’s Ziel.

Jener heißt Auguft Förſter, ein Doctor der Philofophie, welcher in Begeijterung für darjtellende Kunft die gelehrte Yauf- bahn vertauscht mit ver theatralifhen. Von dem wohlerfahrenen Führer Franz Wallner, einem begabten Wiener Kinde, ſorgſam gefördert, hatte er jeine neue Bahn jahrelang glüdlich betreten, und Wallner rühmte ſich, einen der beiten Converſations-Liebhaber in ihm zu bejiten. Die zeitig eintretende Fülle der Gejtalt entzog ihn diefem Fache, und er fam zu uns mit der Abjicht, in feine Sharafter und Väterrollen überzugehen. in ſaurer und jchwerer Uebergang. Er gelang nur leicht, wo der Liebhaberton anflingen durfte; im allem Uebrigen mußte er Schritt für Schritt erfämpft werden, und nur allmälig verichaffte ihm die Bildung, der geiftoolle Vortrag und die fichere Einfachheit die nöthige Anerfennung. Erſt als Bater Anſchütz ausfchied und er an wichtige und danfbare Rollen deſſelben gelangte, erſt als er den Nathan jpielen durfte und mit der berühmten Anſchütz'ſchen Rolle, dem Muſicus Miller, in „Cabale und Liebe’ vollftändige Wirfung machte, erſt dann Fonnte er für eingebürgert gelten, und nun erſt vechnete man ihm zahlreiche Converſations-Rollen, die er jhon lange mit geiftiger Macht ges ipielt, als volles Verdienft an. Er iſt durch große Arbeitskraft,

Das Burgtheater. Bau

durch alle Hilfsmittel höherer Bildung und durch treue Dingebung an feinen Beruf wie an die Intereſſen des Inſtitutes dem Burg- theater eine werthvolle Stüte geworden. In dem weiten geiftigen Bereiche der Direction hat er mir unſchätzbare Dienjte geleiftet, und in der Sorge und Arbeit für alles Wahrhaftige und Feinere unjerer Schaufpielfunft ift ev mir ein Jahrzehnt hindurch getreulich zur Seite gejtanden, feinen eigenen Vortheil, wie oft! verleugnend, dem Verdienſte Anderer immer das Wort redend, ein gründlich ausgerüfteter Regiſſeur heutiger Zeit.

Das dünne, fleine Männchen aber, welches einige Monate nach ihm eintraf, im Frühlinge 1858, ſchien mir geeignet zu einem Sturmlaufe auf die Gunſt des Publicums.

Eines Tages jtellte fich mir ein junger Menſch vor, mit der Bitte, ihm ein Probefpiel zu gewähren. Wozu? fragte ich, und betrachtete das dürftig ausjehende Menſchenkind im engen ſchwarzen Frack, mit blaſſem Antlite. Nichts erichien voll an ihm, als das dunfelblonde Haupthaar, welches dicht und üppig das Geficht bejchattete. Wozu? „Ich möchte nach Deutfchland hinaus an eine mittlere Bühne, und ein Zeugniß von Ihnen über dies Probe- Ipiel würde mir nützen.“ Das wurde anfpruhslos und ver— jtändig gefprochen, und ich bot ihm zumächjt einen Sefjel, nad feiner offenbar furzen Bergangenheit fragend. Er fam vom Theater in Brünn und hatte Charafter-Rollen buntefter Mifchung gejpielt. „Auch humoriſtiſche?“ „Mit dem Humor fteht es wohl zweifelhaft”, erwiderte er mit dem Lächeln einer Yiebhaberin, die Abſchied nimmt von den verführerifchen Rollen. Dieſe Rejignation, jo jelten bei den Künftlern, interefjirte mich, und ich jprach nun länger, jprach wohl eine Stunde mit ihm. Dieſe Stunde entjchier. Die kleine Gejtalt war mir in den Hintergrund getreten, das ganze Weſen jprach mich an, flöhte mir Zutrauen ein ich bewilligte ihm ein Probefpiel und bejtimmte dazu, gemäß dem Eindrude, welchen er mir gemacht, die Rolle des Carlos im „Clavigo“.

358 Das Burgtheater.

Er jptelte fie allerdings noch mangelhaft, aber ich glaubte zu ſehen, daß hier nur Nachhilfe nöthig wäre, um ihn rafch auf eine gewiſſe Höhe zu bringen. Um mich vejjen zu verfihern, ging ich die Rolle privatim mit ihm durch und fand meine günftige Meinung bejtätigt. Ich befchloß, ihn zu engagiren. Wenn ich dazu einer Zuftimmung bedurft hätte, jo wäre das Engagement eines jo un- jcheinbaren jungen Menſchen unmöglich gewejen. Wenn je, jo zeigte jich hier, daß der artiftiiche Director, wenn er ſchaffen fol, ein Engagements-Recht haben muß, wenigjtens auf ein Jahr. Das hatte ich und nahm ich hier in Anſpruch. Beweiſen fonnte ich meiner Behörde nicht, daß hier ein Beruf vorläge, und fie jah mir fopfjcehüttelnd zu. Die Frage war num: wie den jungen Mann einführen? Beſcheiden oder zuverjichtlich ? Beſcheiden in fleinen Rollen war das Natürliche. Aber ich war eingenommen für die flare Rede des jungen Mannes und ſah, daß er feinen Körper graziös bewegte und daß er beim Studium der Rolle leicht zu jteigern war, ohne irgendwie fünftlih und unmwahr zu werden in der Steigerung. Ich meinte, man fünnte großes Spiel wagen mit ver jungen Kraft ich nahm die Rolle des Franz Moor mit ihm durch. Da ift auch Feuer und Yeivenfchaft nöthig; entwidelt er auch die, alsdann er entwidelte fie, es war mir zweifellos, daß die Fühigfeit für ein erftes Fah vorhanden war, und ich Fündigte ihm an: Sie folfen als Franz Moor auftreten im Burgtheater!

Lärm und Vorwurf überflutheten mich, als das befannt wurde. Entweihung, thörichtes, unerlaubtes Erperimentiren mit einem Fleinen Provinzichaufpieler und folcher Anflagen mehr flogen wie Hagel rings um mich nieder. Sehr behaglich war mir auch nicht zu Muthe, aber der junge Franz Moor zeigte Courage ohne Ueber: muth, ich fühlte mich berechtigt zu dem Wagniß, wir blieben Beide feft, und der Tag fam. Der junge Mann war auch ein Wiener Kind; das werden ja doch, dachte ich, die Wiener zu Shäßen wiſſen, wenn ohne Ahnenbrief und ohne Ansehen der Perſon dem jungen

Das Burgtheater. 359

Talente vie Bahn geöffnet wird. Sie wußten e8 zu ſchätzen. Das Haus bis zum Giebel füllend waren fie gefommen und horchten in ZTodtenftille, und als der junge Franz feine erjte große Scene ge- ſpielt war Alles entſchieden. Einſtimmiger Beifall überjchüttete den jungen Schaufpieler, und eine erjte Kraft im Charafter- fahe wurde getauft an diefem Abende mit dem Namen Joſeph Lewinsky. |

XXIX.

Schiller's Hundertjähriges Geburtsjahr, 1859, das Schiller: Jahr! Für das Burgtheater fann es gewiß jo heißen. Keinem Dichter hat dies Theater jo viel zu danken, fein Theater hat fich der Feier Schiller’s in Haupt und Gliedern fo enthufiaftifch ge— widmet, als das Burgtheater. Als der Spätherbjt heranfam und mit ihm das große Scillerfeft, da hatte ich wirflih Noth, die laufenden Kojten des Werfeltages zu bejtreiten, denn Jung und Alt vom Burgtheater meinte, es fei Sonn» und Feiertag und der Werfeltagdienit habe zu ruhen.

Es wird auch mir jett ſchwer, chroniftiich aufzuzählen, was zehn Monate lang vor dem zehnten und elften November be- fanntlih ijt, wie bei Göttern und Halbgöttern, der Geburtstag unficher fi) im Burgtheater ereignete. Ich habe ja über das Wiener Schillerfejt im Zufammenhange mit dem Burgtheater zu berichten, weil das Theater und ver Director innerlich und äußerlich mit den Triebfedern und den Aeußerungen diefes Feites mannigfach verflochten waren.

Des Dichters Segen ruhte auf uns durchwegs in diefem Jahre. Die Thätigfeit am fich gedieh überaus, wir brachten zwan— zig Novitäten, darunter zwölf größere und große Stüde, und die Hälfte davon hielt dauernd Stand.

Die erjte Neuigfeit des Jahres war „Montroſe“ von Heinrich Laube, und an die erite Aufführung derjelben fnüpfte ſich eine weit—

Das Burgtheater. 361

tragende Demonftration des Publicums. Wir waren im vierten Jahre des Concordates beim Theater empfanden wir das fo tief, daß wir das Datum ſehr genau wußten, denn der herrichende Geiſt ſpricht jede Stunde mit, macht fich bei den unfcheinbarjten Dingen geltend in einem Theater von Bedeutung. Und dennoch wurde das Theater an jenem Abende von der Demonjtration des Publicums überrajcht.

Als Montrofe die Worte ſprach: „Antworte, Robin: Bleibt nad) diefer Schrift Der Eovenant des Reiches Grundgeſetz?“ Robin: „Er bleibt's.“ Montrofe: „Dann ift die Kirche

Beherricherin des Staats“ da bewegte Jich das Publicum wie von einem Sturmwinde ergriffen, und als Montroje fortfuhr:

„Dies ıft das Reich

Des Judenthums im Alten Teftament;

Es ift die Prieſterherrſchaft Samuel’ s,

Und König Karl wird König Saul, gehetzt

Bon jedem David, den ein Priefter jalbt.

Die Krone wird ein Spielball der Propheten,

Die hierzuland’ aus allen Löchern Eriechen,

Und ein verſchmitzter Kerl, der die Komödie

Der Frömmelei talentvoll fpielt, verführt

Die öffentlihe Meinung und dietirt

Dem Yande die Geſetze“ da ging ein hundertfaches Rufen durch's Haus, welches nur abge- brochen wurde, weil Wagner-Montroſe ohne Einhalt fortſprach:

„Bringt ein Staatsgrundgefeß, das in fich ſelbſt

Beruht, das eurer Kirche feften Plat

Und volle Freiheit bietet König Karl

Wird's unterfchreiben, ich ſteh' dafiir ein.

Ein Grundgefet dagegen, das den Glauben

362 Das Burgtheater.

Zum Richter macht in weltlihen Verhältniß, Merd’ ich befümpfen bis an meinen Tod.

Gebt Gott, was Gottes, Doch dem Kaiſer, was Des Kaiſers.“

Bei diefem endlich erreichten Punkte aber hielt Nichts mehr ven Ausbruch des Publicums zurück; wie ein Donner brach‘ die Zuftimmung los, daß der Saal erzitterte. Der größte Theil ver Zuhörer war aufgelprungen von den Siten und rief und jchrie und Hatjchte, und das Wort „Concordat“ flog in der Yuft herum ich habe nie einen folchen Tendenzjturm im Theater erlebt. Und immer, wenn man die Leute erfchöpft glaubte vom Rufen, Schreien und Klatſchen und die Schauspieler fortfahren wollten, ſammelte fich ver Ausbruch wieder zu neuer Kraft.

Sch ſelbſt ſaß in einer eigenthümlichen Verlegenheit da: ich ſelbſt hatte das gejchrieben, es war meine Meinung, und doch um die volle Wahrheit zu jagen ich jelbit wie die Schaufpieler auf der Bühne wurden überrafcht von dieſer gewitterartigen Wirkung. Wir hatten in jechs Proben diefe Worte gehört und ge— fprochen, und Keinem von ung war eingefallen, daß die Tendenz hervorfpringen werde wie ein geharnifchter Krieger. Es ift mit der Tendenz gar oft wie mit einer Neigung, die plöglich entfteht. Man it ihrer gar nicht gewärtig, und fie erhebt fich mit einemmale wie ein Niefe. So liegt in der Bevölkerung das Herz ruhig und ftill, ein Wort wird aber deutlich ausgefprocdhen, es trifft, und bie Neigung des Herzens jpringt auf mit elementarifchem Ungeſtüm.

Sp war's gefommen, und ich ftand erjtaunt da, umd ich, ver Director des Theaters felber, war Urheber einer jo bedeutungsvollen Demonstration und der Kaifer ſaß im feiner Loge und jah und hörte das Alles.

„Das friegen wir nicht wieder zu hören!” ſagten die Yeute beim Fortgehen, und man ſah mich an wie einen hevausfordernden

Das Burgtheater. 365

Helden, der ich gar nicht war. Die Sache war mir wohl echt, die Anwendung war mir ganz unerwartet,

Mein Chef war franf und hatte ver Vorftellung nicht beige: wohnt. Aber das Verbot wird nicht ausbleiben für die Wieder: holung! hieß es von allen Seiten, Die Wiederholung war ange: fündigt für den folgenden Tag.

Ich wartete bis Mitternacht es fam Nichts. Am andern Tage war „Montroſe“ an allen Straßeneden angejchlagen, und in’s Theater fam feine Drdre, daß gejtrichen werden müjjfe. Aus dem Theater nach meinem Bureau gehend, begegnet mir ein Herr aus der Umgebung des Kaifers. Er lächelt, ich frage. „Nichts ge- ſchieht!“ erwivdert er. „Und der Kaiſer hat niht —?“ „O nein! Er foll geäußert haben, daß er jett vecht deutlich wiſſe, wie Sie und die Wiener über das Koncordat denken. Aber vom Streichen oder gar vom Befeitigen der Stelle ift gewiß feine Rede.’

In der That erfolgte gar feine Einwendung. Dies ift zumeift das Klügfte bei folchem Wetterleuchten im Theater. Beſonders in Wien. Hier find es immer nur die Befucher der erjten Vor— jtellungen, welche Tendenz juchen und heftig beflatjchen; bei den ferneren Borjtellungen tritt die Compofition des Stüdes in all ihre Rechte. Am zweiten Abende wurde jene Stelle des Montrofe faum bemerft und ebenjowenig bei den folgenden Boritellungen. Wir gaben e8 zehnmal hinter einander, und es wurde nicht aus folch einem Tendenzgrunde abgebrochen, jondern wegen Erfranfung eines Mitglieves. Die Nemefis fam erjt ſpät; fie fam in Geftalt eines Mißverſtändniſſes, aber fie fam. Als ich das Stüc ſpäter wieder anfette, wurde es irrthümlich vom Verbot betroffen. Wir waren nämlich in den franzöfiichen Krieg gerathen und in politifche Auf— regung, welche Berfaffung begehrte; vom Concordate war augen— blilich gar nicht die Nede. Jeden Abend fpähte das Publicum nach tendenziöfen Worten und fand fie oft in ven harmlofejten Stüden, und meinem Chef war gejagt worden, man möge vorsichtig

364 Das Burgtheater.

jein in der Wahl ver Stüde, damit nicht jo viel Gelegenheit geboten werde zu TendenzApplaujen. Er hatte, wie gejagt, die „Montroſe“⸗ Demonjtration nicht erlebt, er hatte nur erfahren, daß eine jtattge- funden, und als ich jett „Montroſe“ anfette, erflärte er mir, „Montroſe“ fei nicht ferner zuläffig. Vergebens machte ich be merklich, daß jene Demonjtration ein ganz anderes Thema betroffen habe, als jett Zielpunft des Publicums fei, und daß dies nur bei der erjten Aufführung geichehen und jpäter bei neun Aufführungen ganz unterblieben jet vergebens! Die Eonjtellation der Gejftirne war ungünjtig, „Montroſe“ blieb unterjagt.

Nah Jahren hatte ich einen neuen Chef, welcher von dieſen Schickſalen des Stüdes Nichts wußte, welcher aber für das Stüd eingenommen war. Wunverlicherweife wußte er auch nicht, wer der Verfaſſer. Er forderte mich auf, es wieder in's Repertoire zu bringen. Und nun fonnte ich nicht. Der Crommell- Dariteller war in Gedächtnißkraft und Energie gealtert, die Rolle war faum noch geeignet für ihn; ich fürchtete aber, die Abforderung der Rolle würde den verdienten Veteranen franfen, und jo zögerte ich und zögerte, bis ich jelbjt die Rolle des Beſetzens aus der Hand geben mußte. Und jo hat die Nemefis das Stück in ven Schatten gebracht.

Es folgten im Frühjahre „Die Sabinerinnen” von Paul Heyſe, eine poetifch Schöne Arbeit, aber eine römische, für welche auch damals unfer weibliches Perſonal nicht völlig ausreichend war. Das Publicum wendete jich eilig dem ‚„‚Verarınten Evelmanne‘ von Feuillet zu und dem „Grafen Waldemar’ von Freytag. Auch Weilen's „Triſtan“, eine romantiſche Studie, intereifirte nur furze zeit; alle Aufmerkſamkeit drängte ſich auf die Novembertage, welche „Bor hundert Jahren‘, ein Feitipiel zur Säcularfeier des Geburts: jahres Schiller’ von Friedrich Halm, und das Fragment „Deme— trius“ bringen jollten.

Das Burgtheater. 365

Es war ein noch nirgends gewagter, fühner Berfuch, dies Frag- ment allein auf die Scene zu führen, aber ver jeltene Tag, meinte ich, geitattete wohl einen jeltenen Verfuch. Ich hatte am Burg: theater eingeführt, daß die Geburtstage Leſſing's, Goethe's, Schillers und Shafefpeare’s immer durch Aufführung eines Stückes "von dem Geburtstagshelven gefeiert wurden, Es gejchah dies ohne befondere Anfündigung, unferer Verehrung ein Genüge und den aufmerffamen Piteraturfreunden eine Veranlafjjung zur Theilnahme an jtiller Feier. Trotz dieſer Unfcheinbarfeit wurde mir einmal zum Shafejpeare-Tage die Aufführung eines Shafefpeare-Stüdes unter: jagt. Der britifhe Dichter war nicht beliebt bei meinem Chef, und auch die jtille Feier verdroß ihn. Das hatte indeß kaum Jemand außer mir bemerkt, und das Publicum, mehr und mehr unterrichtet von diejen literarifchen Feiertagen ftille Feite finden die wärmjten Anhänger war allmälig daran gewöhnt. Gin befanntes Stüd von Schiller war alfo nicht feierlich genug für den hundertjährigen Geburtstag; was war natürlicher, als dag wir auf diefe „Deme— trius“Perle feines Nachlafjes geriethen und daß wir darauf vechneten, der ungewöhnliche Abbruch mitten im zweiten Acte werde in folcher Stimmung hingenommen werden und werde nur den Gedanken an den frühen Tod des großen Dichters weden, an einen Tod, der eine feiner ſchönſten Arbeiten jählings unterbrochen habe.

Lebhaft hatten wir bis in ven Nachmittag hinein den jtürmifchen polnischen Reichstag probirt, und ich war eben erichöpft nach Haufe gekommen, da traten einige Schriftiteller bei mir ein und fragten mich, ob das Burgtheater und ich wohl beveit wären zu noch weiteren Anftrengungen für die diesjährige, die hunvertjährige Schillerfeier? Wie das? Mit Einem Worte: ob nicht diesmal eine Schilferfeier in größerem Style ermöglicht werden könnte?

Wenn ich jest zurücvenfe an die Tage nach dem großen Schilferfejte in Wien, an die Nachrichten aus Berlin, wo die Feier an Rohheit der Volksmaſſe fo traurig zu Grunde ging, an ven ge

366 Das Burgtheater.

rechten Stolz der Wiener, daß fie, obwohl jo lange äußerlich abge- iperrt von literarifcher Gemeinſchaft mit Deutfchland, ven großen Dichter jo großartig gefeiert, jo maßvoll unter Umſtänden, welche zur Ausschweifung geradezu verlodten, und doch jo innig, jo wahr, jo enthuſiaſtiſch dann ergreift mich tiefe Rührung. Und gar erit, wenn ich zurücblice auf die Entjtehung des großen Feſtes, auf die dürftigen Anfänge, o, wie dürftig und gering waren fie, faſt hoff- nungslos !

Zu meiner Schande muß ich gejtehen, daß mich die Frage jener Schriftjteller unvorbereitet traf. Ich hatte nur an die Feier im Theater gedacht, und ich habe eigentlich Feine Neigung für die Ju— biläen, welche fo gewiß fejtbedürftig aufgeputt werden nach Verlauf von zwei Jahrzehnten und noch einem halben Jahrzehnt. Das war nun freilich bier ganz anders bei dem hundertjährigen Geburtstage unferes geltebteften Dichters; aber dennoch war mein Gedanke nicht über den fünftlerifchen Kreis einer Feier hinausgegangen.

Ich habe außerdem feine perjönliche Neigung für öffentliche Demonjtrationen, welche fast immer die Uebertreibung jachgemäß in . fich großziehen, und was das Aergſte war ich glaubte nicht, daß ein Dichterfeft im Vaterlande jo allgemeine Theilnahme wecken fönnte. Die vielen fünftlichen Feſte in Deutſchland hatten mich ab- geftumpft. Ich bin fein Gegner derjelben geweſen, weilich gar Nichts dagegen einwenden möchte, daß die Menjchen ihr Leben jammeln auf allen möglichen Punkten und daß fie wichtige Zwede oder Perſonen feiern. Aber meine perjönliche Art hat feinen Zug für dergleichen, Dazu fam die Erinnerung an die hundertjährige Goethefeier 1349, welche doch eigentlich eindrudslos verblieben. Daß Schiller dem großen Publicum viel näher fteht, wußte ich wohl, ebenjo daß er gerade in Oefterreich von unermeßlicher Popularität; aber ver Ge- danke eines großen öffentlichen Feſtes war mir doch überrajchend.

Ih ſchwieg zunächſt und hörte die Meinungen der Männer, welche ſich ja mit ver Idee fchon befchäftigt hatten und welche das

Das Burgtheater 867

erreichbare Material berührten, unter welchem das Burgtheater figurirte. Sie hegten übrigens felbjt feine gar großen Erwartungen und gingen davon aus, daß das Feſt wohl nur in engerem Kreife gefeiert werden fünnte.

Dieje Mittheilungen weckten erſt meine Phantafie; der alte Zauberflang des Namens Schiller that das Seine, der Widerfpruch erhob jich im mir gegen eine dürftige Feier in fleinem reife „Größeres fei doch nicht möglich!” war gejagt worden. „D doch”, hieß es num auf einmal, „für Schiller ift in Wien das Größte mög- lich 1” ‚Aber wie? Wie follen wir das anfangen?” „Wir nehmen die Adrepbücher und Schematismen und wenden ung an alle Eorporationen mit der Anfrage.” ‚Und erhalten feine Ant: wort!” ‚Wir verlangen feine, wir laden fie zu einer Vorbe— Iprehung. Auf den Namen Schiller hören Alle; es werden Ver— ſchiedene kommen, es werden ſich Vorfchläge melden, diefe werden Anfnüpfungen bieten, der Plan wird fich bilden, wird fich praftifch erweitern, nicht blos theoretisch wie unter ung Wenigen.“ „Aber in diejer Zeit tiefer politticher Aufregung, wird man uns Zuſammen— fünfte gejtatten, Vorbereitungen zu einem großen öffentlichen Feſte?!“

Das wußten wir Alle nicht, aber wir hatten uns gegenfeitig aufgeregt und gejteigert; wir vereinigten uns zu den Aufforderungen in jo großem Umfange,

Sie entiprachen unferen fühnften Erwartungen. Männer aus allen Kreifen erjchienen, das Nad kam in’s Rollen, und die Männer, welche an jenem Nachmittage bei mir gewejen, festen einen Eifer, eine Arbeitskraft daran, fanden jo nachdrüdliche Unterftügung von Seiten aller Zutretenden, daß ein Feſt von unerhörter Faſſung ſkizzirt werden fonnte.

Und die Erlaubniß zur Ausführung? Ach! fie lag noch im ge— fährlichiten Zweifel, als ſchon alle Vorbereitungen fertig waren. Der damalige Minifter Herr v. Thierry jagte zu mir, ich fei als

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Director des Burgtheaters eine officielle Berfon, welche die Verant- wortlichfeit übernehmen müßte. Er war ein fleiner Mann, ver fortwährend jchnupfte und der mir fategorifch eröffnete, ich müßte für alle Folgen einjtehen. „Was wird das zu bedeuten haben, Excellenz, wenn ich für üble Folgen einjtehen joll? Nichts. Biel wichtiger iſt, daß Sie, wie Sie gethban, an meine Kenntniß des Wiener Publicums appelliven, weil ich als Theater-Divector zehn Sahre lang Gelegenheit gehabt hätte, es zu jtudiren. Sie fragen mich auf's Gewiſſen, ob bei der jetigen aufgeregten Stimmung ein Feſt von jolcher Ausdehnung, mit einem Zuge durch Die ganze Stadt, mit Reden auf öffentlihem Plate vor Tauſenden von Zu: börern nicht ein übermäfiges Wagniß ſei? Nein, erwidere ich, meines Gractens ift es in diefem Falle fein übermäßiges Wagnik, weil es ein Dichterfejt, weil es ein Felt Schiller’s ift. Wir können mit Recht jagen: die Regierung ſchenkt den Wienern großes Ver: trauen, rechtfertigt ihr Wiener dies Vertrauen! Und jo weit ich die Wiener fenne, Excellenz, werden ſie's rechtfertigen. Sie hegen eine reine, tiefe Liebe für Schiller, es wird für fie ein Chrenpunft jein, das Feſt ihres großen Dichters rein und unbefledt zu erhalten.‘

Dazu ſchüttelte er das Haupt. .

Das Felt verfanf im Entftehen. Nur eine Ausficht blieb, die Ausficht auf einen directen Weg zum Kaifer.

Auf diefen Weg ward all’ unfere Hoffnung gejett, und wir hatten guten Fug zu diefer Hoffnung. Wie oft in Theaterfragen, die ja leicht die wichtigjten Fragen des Staates berühren, hatte eine freie Entſcheidung unerreichbar gefchtenen, und die freie Entſchei— dung war jedesmal gewonnen worden, wenn es gelang, die Anfrage um ein liberales Zugeftänpniß an den Kaiſer ſelbſt Ju bringen. „Wallenſtein's Lager“ um nur eines dieſer Beijpiele anzuführen war ung wieder entzogen worden wegen des Capuziners ; e8 war gelungen, ven Kaifer jelbjt zu fragen, und das „Lager“ war unſer ſammt dem Capuziner. Und jo geichah’s auch bier; unjere Hoffnung

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erfüllte fich ganz; in aller Kürze und Einfachheit gewährte ver Kaiſer die volle, unbejchränfte Ausdehnung des Schillerfeites.

Bom Praterjtern aus zog der unabjehbare Fadelzug durch die Leopoldjtadt, durch die ganze innere Stadt bis zum Paradeplatze. Zwei Knaben, die Söhne des Grafen Franz Thun, trugen den Lor— beerfranz für Schiller, und die unermerliche Menjchenmenge auf den Straßen, an den Fenſtern, auf den Dächern rief fein anderes Wort als Huldigung auf Huldigung für den großen Dichter, Jubel— ruf auf Subelvuf, wenn die Knaben mit dem Yorbeerfranze vorüber- zogen. Die Wiener rechtfertigten volljtändig das in fie geſetzte Ver— trauen, und auf dem Paradeplate, wo wir ein folofjales Standbild Schillers aufgerichtet Dank der rafch fchöpferifchen Kraft des Bildhauers Meirner —, wo die weite, freie Fläche bevedt war von vielleicht dreißigtaufend Menjchen, und wo diefe Dreikigtaufend in einer Ruhe harrten wie im PBarterre des Burgtheaters, wo ich eine Rede zu Sprechen oder vielmehr zu fchreien hatte, da vernahm man nicht einen Ruf, der was Anderes als Schillerfeier bedeutet hätte, Die Antwort auf meine Hochrufe fam wie Meeresbraufen heran, aber rein und einftimmig; Jubelruf auf Subelvuf für jede Eigen- ſchaft Schiller’s, die genannt wurde, ftieg in die Lüfte, und jeder Auf war rein, rund, donnernd wie das reine Element der Liebe zum großen Dichter; das Echo von der Stadtſeite brachte die Rufe zurück iwie eine Harmonijche Bejtätigung des einen gefammelten Sinnes für Friedrich Schiller.

Und ebenſo ohne die geringite Störung verlief fich die Menſchen— menge. Es war Alles gelungen, wie es die fühnjte Phantafte fich vorjtellen gefonnt, und voller Freude eilte ih am Morgen darauf zum Minister Thierry, der mich zu fich berufen. Sch meinte eines Wortes der Zufriedenheit fiber gewärtig jein zu dürfen. Ich hatte mich geivrt; er hatte fein ſolches Wort, wohl aber die Forderung, dag die Schiller-Statue fogleich bejeitigt werden jollte, weil fie zu Demonjtrationen Anlaß geben könnte,

Laube, Burgtheater. 24

370 Das Burgtheater.

Meine Begleiter, zwei vornehme Herren, verbeugten ſich; ich widerſprach. Das Felt war auf mehrere Tage ausgedehnt; an die jem Abende follte es im Sophienfaale literarifch gefeiert werden, die Elite von Wien war dazu angefagt, die ganze Stadt wußte, daß Schillertage angefündigt waren, es wäre ein herausfordernder Mißklang, ein Mißtrauenszeichen auffälligiter Art gewejen, wenn am zweiten Tage das Standbild des Dichters befeitigt worden wäre,

Es blieb denn Nichts übrig, als wiederum beim Raifer ſelbſt anfragen zu lajjen, und vom Kaifer fam wiederum die Antwort: Die Statue Schiller’s bleibt jtehen.

Bekanntlich ſchenkte der Kaiſer ven Platz jelbjt zu einer dauern— den Bildſäule des Dichters und gab ihm den Namen Schillerplat.

Bekanntlich ſoll das neue Burgtheater auf diefen Pla fommen,

Möge der Tag bald ericheinen, an welchem wir Schiller und jein Schauspielhaus dort jtehen jehen! Wien hat die Schiller-Statue und ein neues Burgtheater verdient.

XXX.

Schillerfeſt und Burgtheater hingen auf's Engfte zufammen. Man hat „vraußen‘ im Reiche gar feine Vorftellung davon, wie die Schiller'ſchen Dramen hier die Seele ver Anziehungskraft find, welche das Burgtheater auf das große Publicum ausübt, die Seele der Hochachtung, welche dem Burgtheater gezollt wird. Schiller’s Worte im Burgtheater find den Defterreichern wie ein Evangelium. Man findet in Schillers Worten die Wahrheit, die Würde, die Tugend und die Schönheit ganz und gar. Niemand bezweifelt fie, Sedermann find fie ein Genüge, eine Erhebung; man glaubt an fie wie an eine moderne Offenbarung. Ein Schillerihes Stüd in un- genügender Daritellung begegnet heftiger Entrüftung im Publicum. Da fühlt ſich Jeder berufen, ein Tempelwächter zu fein,

Deßhalb war es ein Wagniß, das „Demetrius“-Fragment auf: zuführen, Mit dem bloßen Anfange eines Stüdes, mit dem grellen Abreißen des Stückes fonnte Schiller compromittirt ericheinen, und das hätte man nicht vergeben.

Allerdings bot die große Verehrung Schiller's doch auch eine Garantie, Gerade ein jolhes Publicum brachte ja eine Pietät mit, welche auch einem bloßen Fragmente gegenüber dankbar ijt. Ge— rade der jähe Schluß fonnte eine elegifche Stimmung weden, fonnte den Sinn hinüberlenfen vom unvollendeten Kunſtwerke auf das vor: zeitige Todesſchickſal des Dichters.

Darauf rechnete ih. Ich hoffte, das Publicum werde jagen: So viel hat uns Schiller noch gegeben, ſeien wir dankbar, daß wir jeine fetten Scenen auf unjerem Burgtheater jehen fünnen!

24 *

872 Das Burgtheater.

Und fo lautete venn auch wirklich die Schlußmeinung des Pu— blicums.

Wir ſchließen die Fragments-Vorſtellung natürlich mit dem Monologe der Marfa, die kleinen Zuſätze, welche noch vorhanden ſind, fallen laſſend. Jener Monolog iſt wenigſtens ein Schluß der großartigen Expoſition, welche uns Schiller voll gegeben: erſt ven prachtvollen Neichstag zu Krakau, dann in Rußland die Mutter des Prütendenten ımd mit dem Patriarchen den Did in die ruffiichen Verhältnifie. Als Schluß einer Expoſition macht ſich auch der Ab- gang Marfa’s theatraliich wirffam geltend. Man hat doch eine volle Einficht, ein volles Interefje gewonnen; auf die Ausführung bat man ja von vornherein verzichtet.

Während ver Vorbereitungen zum Schillerfefte probirten wir unabläffig ven „Reichstag“, welcher ja in erjter Linie zu den Vor: bereitungen des Schillerfeftes gehörte, Dieje Neichstagsjcenen müſſen jcenifch vollendet auftreten, dann wirfen fie außerordentlich. Sie enthufiasmirten das Publicum. Die Shakeſpeare-Studien waren ung zu ftatten gefommen, ein ſtürmiſches Enjemble jo darzu— stellen, daß jeder Zufchauer und Zuhörer ven bloßen Theaterbegriff vergeffen mußte. Dies ift ja das Endziel eines guten Theaters: die Wirfung der Kunſt hervorzubringen, ohne daß Die einzelnen Hilfsmittel dev Kunjt bemerkt werden.

Zu einer der vorhandenen Fortfegungen des Fragments konnte ich mich nicht entichliegen. Sie find zu ſchwach. Einer der Fort— jeter hatte mir gefchrieben: Sie find es Schiller ſchuldig, das Vorurtheil gegen mich fallen zu laſſen; venn hier handelt fihs um Schiller! Ich hatte ihm geantwortet: Eben deßhalb, weil es ſich um Schiller handelt, kann ich eine Fortjegung nicht aufführen, welche vem Schiller’fchen Anfang nicht gerecht wirt.

Damit habe ich übrigens nicht jagen wollen und will ich durchaus nicht fagen, daß ein voller Schiller’fcher Maßſtab an eine ſolche Fortfeung angelegt werden müffe. Cine nur leipliche Fort⸗

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feßung wäre mir jehr willfommen gewejen, um das Schiller’iche Fragment als organifchen Theil eines ganzen Stüdes dem Theater einzuverleiben. Wenn jolche Fortjeßung nur allenfalls theatralisch beitehen kann hinter Schillers glänzender Erpofition, dann erachtete ich jie als einen Gewinn für die dveutfche Bühne. Den Anfprüchen an Schiller brauchte fie nicht Rede zu jtehen.

Aber es iſt faum Ausficht vorhanden, daß wir je eine folche Fortjegung erhalten werden. Die Arbeit ift unter allen Umſtänden undanfbar. Nicht gerade im Theater, aber gegemüber der Kritif. Wer von Talent hat die Entjagung, nur dem Theater zu nüßen, jich jelbjt aber jedenfalls auszufegen, auch wenn er im Theater zur Noth befriedigte! Und wer ſich vem undanfbaren Wagniffe hingäbe, der müßte jedenfalls von der erjten Scene Schillers anfangen, jeine Fortjegung einzuleiten, der müßte Schiller ändern und ftreichen. Wer entſchließt ſich dazu!

Ich bin außer Zweifel, daß Schiller dieſe anderthalb Acte vielfach geändert hätte, wenn er zur Ausführung des ganzen Stückes gekommen wäre. Wie dieſes Fragment jetzt daſteht, iſt es auf ein Rieſenperſonal angelegt, welches keine Bühne der Welt ſtellen kann. Die Polen nehmen jetzt ſchon ein ganzes Perſonal in Anſpruch, und doch haben ſie nur einen epiſodiſchen Antheil an der Entwicklung des Ganzen zu erwarten; außer Marfa und dem Patriarchen fehlt die ganze ruſſiſche Welt noch, der Czar Boris Godunoff an der Spite. Das hätte Schiller, der während feiner legten fünf Jahre in fachmäßige Berührung mit dem Theater getreten war, der namentlich mit Sffland, damals Director in Berlin, in diefem Betracht verfehrte, das hätte Schiller ganz gewiß berüdjichtigt. Und er war von einer jtaunenswerthen Energie gegen jeine eigene Schrift, ſobald er mit feinem großen Compoſitions-Blicke feine Entwürfe anfah und endgiltig ausführt. Schonungslos pflegte er da vorzugehen gegen das Vorhandene. Ich erinnere nur an feine Umarbeitung des „Egmont“, welche Diezmann in Yeipzig in Drud

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gegeben. Da ändert Schiller Goethe vefolut, oft radical, und gegen jeinen verehrten Freund Goethe war er ficberlich noch viel ſchonen— der als gegen fich jelbjt. Gerade jo wie mit dem „Egmont’” würde er mit dem „Demetrius“ vorgegangen fein.

Wie leicht, wie jcharf hatte er in dieſer „Egmont“Reform Altes bejeitigt, was die dramatiiche Schwäche des „Eymont’ aus macht! Diefe Schwäche bejteht darin, daß die Gegenjäte im Stüde einander vorjichtig aus dem Wege gehen fünf Acte lang. Das Zufammentreffen der Gegenjäte bildet aber das Drama. Nur ein einzigesmal, nur im vierten Acte, begegnen fi Egmont und Alba. Freilich fielen bei ver Schillerichen Reform einige der hundert Vorzüge des Goethes, Egmont‘, welche eben in vem ruhigen Gange des Goethe-Stückes wurzeln, und Goethe felbjt ſchüttelte den Kopf zu jolcher Dramatifirung feines „Egmont“. Gr war eben in erjter und letter Pinie nicht jo dramatiſcher Componift wie Schiller, deſſen Dramen juſt durch ihre Compofitionsfraft ver Schatz des deutſchen Theaters find. Wer aber jo am „Egmont“ verfuhr, wie wäre der mit feinem Eigenthume, mit dem nur ſkizzirten „Demetrius“, umgejprungen !

Das Schidjal hat ihn weggeriffen. Nehmen wir Abjchiev.

Bei diefem Begriffe „Aenderungen“, welcher den Theater: , Dirigenten alle Tage zudringlich antritt, drängt fich ein Scribe- ſches Stüc vor, welches wir in diefem Jahre 1859 neu brachten. Es waren Standesänderungen nöthig, um den Zutritt des Stüdes zu ermöglichen; vornehme Yeute mußten minder vornehm auftreten. Es waren die „Feenhände“ „Les doigts de fee“.

Das Stüd behandelt jehr dreiſt eine jeciale Frage: was jollen hochgeborene Mädchen thun, wenn fie nicht reich genug find und feinen Gatten finden, und feinen Anhalt finden in der Welt? Gie follen arbeiten. Das zu antworten hatte Scribe die Dreiſtigkeit in dieſen „Feenhänden“. Und das führte er gründlich durch in der Handlung dieſes Stüdes, und dies Stüd wurde auf

Das Burgtheater. 375

dem eriten Theater Franfreihs, auf dem Theätre Francais, aufgeführt,

Nun muß man freilich nicht glauben, daß dies Theätre Francais ein ähnliches Publicum habe wie das Burgtheater, eine ähnliche Atmojphäre von officiellem, arijtofratiichem, vornehmen, rückſichtsvollem Wejen. O nein! Es erhält zwar eine Subvention von der Negierung; aber Hofrüdjichten beeinflufien es gar nicht. Sein Bublicum ift in feiner Richtung excluſiv, es ift das Publicum der gebilveten Pariſer. Es hat zudem eine republifanifche Schau— ipieler-Berfaffung, innerhalb welcher es ſich im Wejentlichen ſelbſt regiert durch Stimmenmehrheit jeiner Societairs (jo heißen die lebenslänglihen Mitglieder), und dieſe VBerfafjung bringt es mit fih, daß es immer in unmittelbarer Berührung bleibt mit Sitte und Anſchauung der lebendigen franzöjiihen Welt. Es gejtattet alfo eine viel freiere Wahl im Thema jeiner Stüde, es gejtattet eine freiere Sprache als das Burgtheater. Aber auch für dies Iheätre Francais war ſolch ein fociales Thema wie in den „Feen— handen“ immerhin jpit umd ein wenig dornig. Die Schwierigfeit wurde dadurch erhöht, daß Scribe ven franzöfiichen Dramatifern zu lange lebte, wirkte und reuffirte. Der alte Herr brachte nach vierzigjähriger enormer Theaterthätigfeit immer noch wirkſame Stüde, welche dem jüngeren Gejchlechte den Naum beengten. Das junge Gejchlecht tadelte, Schalt, verläumdete wohl auch die unge: nügende Fähigkeit des alten Herrn. „Der Bindfaden“ „la ficelle“ war das Stichwort des Tavels. Mean jühe überall den „Bindfaden”, an welchem die Scribe'ſchen Puppen durch die Acte hindurchgeleitet, an welchem die Acte jelbit zufammengehalten würden. Das hat jich jpäter gerät. Als er geitorben war, famen gröbere Gompojfitionen an die Reihe, und ein Kritiker vief: Eh bien! ven Bindfavden find wir los, aber was haben wir nun? Den „Strick“ „la corde“.

Nun, diefe Oppofition gegen Scribe kam bei diefen „Doigts

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de fee“ zum Ausbruche, Das dreijte jociale Thema bot den An- (aß, aber auch nur den Anlaf. Der Neid war die Grundurfache; die Aufnahme des Stüdes wurde bei der erjten Aufführung heftig bejtritten. Das lodte mich nur, es fennen zu lernen. Scribe hatte in Folge der bejtrittenen Aufnahme wirklich Aenderungen gemacht ; das gedructe Buch enthielt fie, und ich fand das Stüd troß der Parifer Tonangebung, die ich jeit lange fannte, intereffant und unterhaltend. Das Publicum in Paris ift auch diefer Meinung geworden, und das Stüd hat jich gehalten.

Sch wollte es geben und ſtand mit diefer Abſicht wor einer hoben Mauer im Burgtheater. Das arme vwornehme Mädchen Helene, welche durch Arbeit ihr Yeben fichern will, ijt nicht mehr und nicht weniger als eine Herzogin. Dafür eine Crlaubniß zu hoffen, wäre VBermejjenheit gewejen. Für unjere Zwede, meinte ih alfo, ift das Mädchen ebenfo gut, wenn fie ein bloßes Evel- fräulein it! Demgemäß degradirte ich die ganze Familie, und das Stüd kam zur Aufführung und gefiel troß des Putmacher- geichäftes, welches Helene errichtet hat.

Unter ſolcher Stanvesbeihränfung nahmen auch wir in Wien theil an dem breiten jocialen Thema eines Yuitjpiels, und das Samenforn wird feimen bei unferen Luſtſpiel-Poeten.

Praftiih Hat es ſich wie ein joctaler Scherz ſchon fort: entwidelt, als das Stüd bei anderen Hoftheatern anflopfte. Die Herren Intendanten waren jehr ungehalten, daß man einem Edel— fräulem jo Etwas zumuthen könnte. Jetzt fam die Standes: erniedrigung beleidigend an den Fleinen Adel: dieſen Herren mitten unter Herren „von“ war das Edelfräulein empfindlich. Was bei uns Rettung gewejen, war dort Verbrechen; dort hätte man allenfalls die arme Helene wieder zur Herzogin machen fünnen ; die Herzogin (ag ferner, und mit ihr wurde die ganze Mesaventure chimäriſch.

Die Moral davon lautet: Sociale Luftipiele find ein wahrer Schat für die Bühne, denn fie führen in's organifche Yeben des

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Publicums, berühren alſo die Charaftere viel intimer, als dies bloße Situations-Luſtſpiele können. Aber ſie finden auch am ſchwerſten Zutritt und beleidigen das Publicum am leichteſten. Wandlungen des Lebens, welche erſt im Zuge begriffen ſind, haben auf der Bühne einen ſehr ſchweren Stand, denn das Publicum ſpaltet ſich in Parteien für das erſt Werdende. Es weint und lacht einträchtig nur über das Fertige, welches in die Gewohnheit der Menſchen übergegangen iſt.

Sind aber ſociale Luſtſpiele einmal durchgedrungen, dann ſind ſie von langer Dauer auf der Bühne, denn ſociale Reformen, welche durchgeführt worden ſind, haben eine ſehr zähe Lebenskraft.

Motiere, der jo oft fälſchlich empfohlen wird, iſt ganz be— ſonders lehrreich in der Theaterfrage vom focialen Luſtſpiele. Moliéère hat es trefflich verjtanden, feine Stücke durch fociale Züge zu befruchten. Nur zu befruchten. Er verfuchte es nie, neue ſociale Berhältniffe aufzuitellen, aber er fnüpfte feine Charaftere da an, wo fie mit gejellfchaftlichen Schäden zufammenhingen, und dadurch ge- lang es ihm, Charaftertypen zu jchaffen. Zum Beijpiele den Tartuffe. Zum Theile deßhalb genießt er in der franzöfifchen Yiteratur ein jo großes Anjehen, er, der franzöfiiche Schaufpieler, in der franzöfifchen Literatur, wie Shafejpeare, ver engliiche Schau: ipieler, in der englifchen Literatur, Bielleicht weil fie als Schau— ipieler die focialen Schwierigkeiten des Lebens doppelt empfanden, hatten jie in jich die Fähigkeit des Ausprudes dafür tiefer entwicelt.

Moliere's Anjehen iſt noch im heutigen Frankreich außer: ordentlich. Nicht blos beim Bourgeois, welcher die Statue des Komödiendichters an der Straßenede mit Behagen anjchaut, fondern auch beim vornehmſten Yiteraten. Moliere ift eben Gründer ver franzöfiichen Komödie von joctalem Charafter, und er vollbrachte dies mit nadtem vealen Talente, Er lehrte nicht, jondern er zeigte.

Er hat die gleichzeitigen Spanter und Italiener fleißig benütt fein Franzofe fragt danach. Sie find in dem Punkte der An-

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eignung oder, wie es jett heißt, der Annerion von weiteſtem Ge— wijlen. Dumas der Vater hatte einmal die Naivetät, zu erflären: Ja, es ift wahr, ich habe dieſe zwei Scenen meines Luſtſpiels einem alten Stüce blank entlehnt, aber in jenem alten Stüde machten fie feine Wirkung, in dem meinigen wirken fie gut. Sch habe alfo ein Recht gehabt, ſie mir anzueignen, und nun find jie mein, denn ich hab’ jie zur Geltung gebracht. Die Franzojen widerjprachen nicht.

Ebenſowenig fümmerte man fich bet Moliere darum, woher er jich verforge. Diejer Kummer ift nur eine neidiiche Neigung in Deutſchland. Was in Frankreich der Yandsmann verarbeitet und fertigbringt, das ift des Yandsmannes, das ijt ein nationaler Er— werb; fein literarifcher Commifjär fragt nach dem Urſprungs— zeugniffe. Deßhalb find wir auch jetzt mit dem literarifchen Eigen— thumsvertrage jo arg im Nachtheile. Wir felbjt denunciren jeden unferer Yandsleute, wenn er Etwas von Franzojen entlehnt, ven Franzoſen fällt das nicht ein. Zur Erleichterung dient ihnen frei lich, daß fie gar nicht fennen, was bei ung gefchrieben wird. Kommt doch einmal dem Franzofen Etwas zu von unferer Piteratur, dann beleckt ev es mit feiner nationalen Zunge jo lange, bis der fremde Ursprung unfenntlich geworden und der Nachweis der Entlehnung faum möglich bleibt. Solch ein literarifcher Vertrag zwijchen einem nationalen Volke, wie die Franzofen find, und einem fosmopoliti- ſchen Volfe, wie wir jind, wird ftets die Wirfung haben, daß das fosmopolitifche Volk alle Kojten zahlt, was wir denn auch vedlich thun oder thun müfjen.

Sch fomme auf Moliere und unfer literarifhes Verhältnig zu den Franzofen, weil wir Anno Neunundfünfzig wieder einmal den Verſuch machten, ein Moliere'fhes Stüd neu in Scene zu ſetzen.

Bon Zeit zu Zeit überſetzt ein Yiterat, der viel Zeit hat und nicht genug eigene Schöpfungskraft befitt, die älteren Stüde frem- der Literatur in neues Deutjch und macht uns in den Zeitungen

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begreiflih, daß es ganz unclaſſiſch von uns ſei, die clafliichen Stüde hochgebilveter Völfer auf unferer Bühne zu vernachläfjigen. Namentlich die Lujtipiele, da es uns doch an Luſtſpielen fo fehr gebreche. Namentlich Meoliere fett er hinzu —, der Vater des franzöfifchen, ja des europäifchen Luſtſpieles, verjchwinde auf ganz unverantwortliche Weife vom deutſchen Theater!

Das laſſen wir uns gejagt jein und ſetzen wieder einmal ein neu überjettes Stück von Moliere in Scene, und rufen uns, wie ich oben verfucht, jorgfältig in's Gedächtniß, daß Moliere die größte Bedeutung habe für die Compofition des Yuftipiels, und find dann ganz erjtaunt, wenn die Wirfung ausbleibt auf unferer Scene,

Sp ging es uns in diefem Jahre mit dem „Geizigen“. Wir wiederholten ihn wor leerem Haufe.

Woran liegt das? Man giebt ja doch diefe Stüde heute noch im Theätre Francais regelmäßig, und die Franzofen finden das gut und löblih. Sa, in ihrem eng nationalen Wejen leben die alten Theater-Traditionen noch; die Franzojen find bewunderns- werth conjervativ in ihren Künſten. Wir find es nicht. Wenn wir dieſe alten Stüde trefflih dargejtellt im Theätre Francais ſehen, jo müfjen wir uns jehr ftacheln mit literarifchen Sporen, um ihnen’ einigen Geſchmack abzugewinnen; eigentlich finden wir fie in- ſipid, grob, veraltet. Alte, unverlöfchliche Linien der Yuftipiel- wirkung erfennen wir wohl, aber es find uns nur Yinien zu Studien. Der Inhalt, welchen fie eintreifen, ift uns längjt fade geworden; wir wollen Lujtipielwerhältnifje unjerer Tage. Das geht jo weit, daß ſelbſt Krankheitsſymptome unferer Tage in Mioliere’s Form nicht mehr bei uns wirken, Die Frömmelei war in den Dreißiger und Vierziger Sahren ſehr fihtbar in Deutjchland und fehr verhaft; man freute jich in Yeipzig wochenlang voraus, daß zum Neujahrs- tage Moliere’s „Tartuffe“ aufgeführt werden ſollte. Der Neus jahrstag kam, „Zartuffe” fam auch und machte gar feine Wirkung.

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Summa: ſchätzbares Material fir Iheater-Studien iſt noch fange fein Material für's Theater jelbit. Der Sinn ift aufzufuchen, in welchem Yeute wie Moliere ge- ichrieben, der Sinn, durch welchen jie jo jtarf gewirkt. Nur wer den Sinn entdeckt und gleichzeitig Talent hat, wird durch Dies Studium dem jetigen Theater nützen. Er wird nicht die Prügel- jcenen wiedergeben der Stod wird überall abaefchafft, und auf unjerem Theater jollen Prügel einen luſtigen Eindrud machen! jondern er wird, wie Moliere feinerzeit, Schwächen und fomijche Leidenschaften heutigen Tages zu Ausgangspunften nehmen, aber er wird ums nicht beweilen wollen, daß der Geiz etwas Komijches fei, weil er es in roherer Zeit gewejen jein mag.

Wer jo vorgeht, der wird dann auch begreifen, daß zum Bei— ipiele unfer Fritiiches Vorurtheil gegen politiiche Yuftipiele im Weſentlichen altmodiſch geworden und der Reviſion bedürftig ift. Unfere Zeit iſt politifch. Hier liegen alfo auch Neigungen und Schwächen, welche dem Luſtſpiele, vem Theaterſtücke gegenwärtigen Lebens, angehören und in demſelben ehrlich wirken können, nicht blos künſtlich. in heutiger Moliere würde uns das nachdrüdlich zeigen. Kurz, das Theater, und auf dem Theater insbejondere das Yujtipiel, hat es mit dem lebendigen Yeben zu thun. j

Hierin Liegt auch die Yebensgefahr für unſere Hoftheater, welche fich aus höfifcher Tradition gegen neu pulfivendes Leben ab- zufperren juchen. Gelingt ihnen dies, jo gelingt ihnen auch ihr Tod.

Jedes Weſen hat feine eigenthümliche Yebensgefahr. Die ver heute noch beſtehenden Hoftheater liegt in den Rococo-Principien, welche jie fich auferlegen zu höchjteigener Strangulirung.

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XXXI.

Die Rolle des Cromwell und des Geizigen, welche 1859 in Rede gefommen find, führen zur Schilderung eines unferer erften Schaufpieler, des Herrn Ya Roche.

Um dieje Zeit ſchon machte ver unerbittlich nagende Zahn der Zeit auch an ihm feine Gewalt geltend. Unfcheinbar vielleicht für das Bublicum, empfindlich für die Näherftehenden. Nicht in Ge- fundheit und heiterer Yebensfähigfeit, durchaus nicht! YaNoche hat eine jener unverwüſtlichen Naturen, welche bis in hohes Alter, wohl bis in höchſtes Alter jtandhaft vorhalten. Jener Zahn machte jich da geltend, wo er es immer thut: am unferer ſchwachen Stelle, da, wo wir gefündigt haben unfer Yebenlang; da nagt er zuerft wirffam.

Eine Grundbedingung der Schaufpielfunt it die Gedächtniß— fraft an ihr nagte jener neidiſche Zahn zuerjt wirffam bei Herrn Ya Roche,

Die Gedächtnißfraft ift für den Schauspieler jo wichtig, wie die Blutbeihaffenheit für jeden Menjchen. Wenn die Worte dem Schauspieler nicht ohne Schwierigfeit gegenwärtig find, jo ift er im Einzelnen wie im Ganzen gelähmt er ijt dann wie ein Soldat, ver fchießen fol und der mit dem Yaden nicht fertig wird.

Eine leider zahlreiche Gattung alter Schaufpieler ſteht neben der jungen Generation wie eine Armee mit VBorderlavdern und Kapſel— aufjesern'neben einer Armee mit Hinterlavdern. Diefe jchießt zehn- mal, ehe jene einmal ſchießt, und jeßige junge Schauspieler, welche

EnEN

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fejtes Memoriren jo früh vernachläfligen, fünnen früh als todt be- trachtet werden. Die alte Schiegweife geht im heutigen Schau— ſpiele gar nicht mehr.

Es iſt nicht zu verfennen: die junge Generation der Schau: ipteler, in einer geiftig bewegten Zeit eingejfchult, hat im Lernen der Rollen einen großen Vorſprung. Keineswegs vor Allen. Wir hatten am Burgtheater Mitglieder der älteren Generation, welche in Gewijjenhaftigfeit des Memorivens muftergiltig waren, Anſchütz an der Spite und Frau Rettich die Frauen lernen immer gut md Fichtner wenigjtens im bejten Willen, nur behindert, leider ichwer behindert durch fein hartes Gedächtniß. Aber der Vorjprung der Jüngeren ijt überaus einleuchtend vor einer großen und wich- tigen Gruppe des älteren Kiünjtlergejchlechtes, welche gewiljen- haftes Memoriren von Haufe aus geringgeachtet hat. Dieje Gruppe Ichliegt echte Darjtellungstalente im fih, Namen vom beiten Klange in der Theaterwelt, Leute, welche jih auf ihr Genie verließen und verlajjen, welche die nothwendigen Hilfsmittel der Kunjt gering- ſchätzten und geringjchägen, divecte Erben der Ertempore- Komödie,

Ich glaube, fie find auf eine gewiſſe Periode des deutjchen Iheaters, etwa auf die Jahre von 1815 bis 1830, zurüdzuführen. Zahlreiche Talente, deren Entwidlung in jene Zeit fällt und die vorzugsweile aus Berlin jtammen oder mit Berlin zufammen- hängen, haben faſt grundfätlich das Memoriren obenhin behandelt und fih auf die Infpivation in ver Schlacht verlaffen, fich wohl auch Etwas zugute gethan auf die Fähigkeit jolher Infpivation, ganz wie in der Extempore-Zeit. Ludwig Devrient jteht an der Spitze; er hat oft böje Dinge geſprochen, wenn er, der richtigen Worte un— mächtig, im Drange der Schlacht eilig vorwärts mußte. Döring desgleichen ijt viel zeitiger, als das Alter ihn dazu zwang, den Wor— ten des Dichters aus guten Gründen ausgewichen, und La Roche eben- falls. Ya Roche nicht in hohem Grade und nicht eben grunpdfäglich, aber doch jo, daß er feine reichen Darjtellungsgaben empfindlic) abgeſchwächt

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hat durch Unficherheit in ven Worten. Er war es denn auch, gegen welchen Lußberger wie ich früher erzählt feine zornige Rede richtete, daß man feiner Rolle und feinem Stüde Genüge thun fönne bei völliger Abhängigkeit vom Souffleur.

Mit aller Neigung nach diefer jogenannten genialen Richtung hat übrigens Ya Roche zum günjtigen Unterfchiede von der Genia— lität Anderer die Fähigkeit des Memorivens nie ganz eingebüßt. Das hat er mir einmal aus Aerger über mich nachdrüctich bewiefen. Ich hatte die Rollen des „Fräulein v. Seiglière“ ausgetheilt, und er war unzufrieden, daß er nicht die Rolle des Marquis erhalten. Er jtellte mich zur Rede, warum er fie nicht erhalten? Sch erwiderte ihm, daß ich feinen Destournelles hätte außer ihm, wohl aber noch einen Marquis, und bei diefer Gelegenheit beflagte ich mich, daß er jich, feine Rollen und das Stück jo oft im Stiche laſſe durch Mangel an Promptheit, Rajchheit und Feitigfeit in ven Worten, durch noth- wendige Hingabe an den Souffleur. Wer den Souffleur abjolut brauche, ver verliere die Beherrihung der Scene. Um mich Yügen zu jtrafen, fam er jo ausgerüjtet auf die erite Probe, daß er die Rolle des Destournelles vollitändig innehatte. Ich hatte um Verzeihung zu bitten und that dies mit großem Vergnügen. Destournelles wurde gerade dadurch eine Meijterrolle von ihm, die bejte neue Rolle, welche ich in achtzehn Jahren von ihm aejehen. Cr fonnte e8 aljo, und der Unterichied von anderen neuen Nollen war blen- dend. Und doch emancipirte er ſich nicht vom Souffleur und ließ jich durch das Bedürfniß des Souffleurs wie oft! feine trefflichen Eigenfchaften abſchwächen.

Dieſe trefflichen Eigenſchaften gruppiren fich um eine äußerſt wohlthuende Yebensfraft, welche jein Spiel ausathmet. Sie find eine Schöne Wahrhaftigkeit, ein feiner Humor, wenn's noththut auch

‚ein jtarfer Humor, ein warmes Gefühl in bürgerlichen Rollen, eine noble Haltung in vornehmen Rollen, ein drajtifches Darftellungs- talent für hargirte Aufgaben, und für das Alles die ausdrudsvolle

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Mimik eines Schön gefchnittenen Kopfes und die Behenpdigfeit eines gefehmeidigen Körpers.

Dieſe Eigenfchaften, welche ihm durchweg leicht und natürlich zuftehen, bilden in ihm das Enfemble eines erften Schaufpielers, wie es jelten vorfommt.

Seine Schwächen find am ſichtbarſten in der Zragddie, Theils fehlt ihm für vie Tragödie der Schwung des Geijtes, theils die Höhe

des Vortrages. Er hatte ſich obenein wahricheinlich in Weimar einen manterivten Ton dafür zugelegt, der aus dem Bauche ge- holt wird und auch ganz bauchredneriſch wirft. So weit e8 anging, hab’ ih ihn von tragiichen Aufgaben, die er in ehrlicher Selbit- kenntniß auch nicht liebte, ferngehalten, und leife Winfe haben all- mälig auch jenen manierirten Ton verfcheucht.

Troß diefes tragifchen Mangels fpielte er zwei Scenen des Königs Philipp ſehr gut: den Monolog zu Anfang des dritten Actes und die folgende Scene mit Alba und Domingo. Ein Zeng- niß für die Umfänglichfeit feines Talentes und leider auch ein Zeugniß, daß er aus Dequemlichfeit nicht hinreichend gewuchert mit jeinen Kräften, nicht einmal mit ven erworbenen Kräften; denn jene Scenen des Königs Philipp waren erworbene, Noch ftärker trifft ihn der Vorwurf, daß er die Anwendung der ihm ver— fiebenen Gaben vernachläffigt bat durch Geringſchätzung des Wortes. Er war für Luſt- und Schauspiel jo reichlich ausgejtattet, daß er bei fleifiger geiftiger Arbeit ein Garrid hätte werden fünnen,

Seine Schwächen find ferner fichtbar in mancher komiſchen tolle, die er übertreibt. Da er andere fein-komiſche Rollen ohne irgend eine Webertreibung jpielt, fo iſt jene Webertreibung ein Mangel an geijtiger Gewifjenhaftigfeit. Er ſchlägt dem geiftigen Einwande gar zu gern ein Schnippchen im Sinne der alten Genie: Komödie, welcher die grelle Wirkung werthvoller ift, als die ange: mejjene Wirfung. Namentlich mit den Beinen fällt er leicht in Die alte grobe Komödie zurück, indem er übertrieben zittert und zappelt.

Das Burgtheater. 385

Die Rolle des Vaters in den „Feſſeln“ werdirbt er fich durch un— pafjende Komik in einer Hauptjcene, Er hat entdedt, daß die Frau des Aomirals im Nebenzimmer it; dieſe Entvedung ijt tief er- Ichredend für den jittfamen Kaufmann, und er beutet dieſen Schred aus zu grober Komif.

Ein fejter Halt im Gefchmade geht ihm alſo mitunter ver- foren, und dieſer Mangel entjteht dadurch, daß fein Geift nicht immer auf der Höhe unjeres Geſchmackes ſteht. Er hat einen leb- haften Geijt, aber er hat ihn nachläſſig hinſchlendern laſſen fein Lebenlang wie fein Gedächtnig, er hat ihm niemals höhere Nahrung verabreicht, er hat fein Buch gelefen, jondern jich mit dem Abfalle geiftiger Broden begnügt, welche das Tagesgejpräch liefert. Da— durch hat er feine lebhafte Geiftesfraft in untergeorpneten Kreifen belajjen, und auf diefe Weije ift ihm außer dem Schwunge des Geijtes, welchen ihm die Natur verfagt, auch die höhere Kraft des Geijtes entgangen, welche feinen Anlagen erreichbar war, welche jich aber nur durch Bildung entwicelt und jteigert. Nollen von moder— ner, geiftiger Bedeutung jind ihm deßhalb vielfach entzogen geblieben. Man konnte fie ihm nicht anvertrauen, wenn fie Schlagfertigfeit vorausjegen, wenn fie die Atmojphäre geiftiger Leberlegenheit nöthig haben,

Dies iſt der Punkt, wo er inmitten des heutigen Schaufpiels ſchon in’s alte Kegifter fiel.

Und das ijt lediglich feine Schuld, denn er hat geijtige Anz lagen genug. Oder ſage ich da zu viel? Bit es wirklich feine Schuld? Am Ende ift es doch nur die Schuld feiner Jugendzeit und feiner Laufbahn, Er jtammt aus Berlin und bat feine Theater-Garriere in ver Nejtuurations-Epoche von 1815 bis 1830 gemacht. Der Aufſchwung unferer Nation wurde in diefer Periode niedergehalten, das geijtige Yeben wurde mehr und mehr gedämpft, und bei den Theatern war wenig oder nichts davon zu ſpüren. Die neuen Stüde von Houwald, Clauren, jelbjt von Raupach

Laube, Burgtheater. 35

wei

386 Das Burgtheater.

bewegten jich theils in trivialen, theils in ſchwächlich fentimentalen, theils in troden verjtändigen Bahnen; ein höherer und zugleich (ebensvoller Geift war nicht vorhanden. Declamiren auf der einen Seite, Chargen auf der andern Seite bildeten das Schaufpieler- Programm. Unter dem Grafen Brühl in Berlin war die Declamir- Ichule in voller Blüthe, und der entgegengefegte Bol, Ludwig Devrient, war durch wüſtes Yeben eigentlich von Haufe aus ge brochen. Sein großes Talent, oder jagen wir richtiger fein Genie vermied mit gutem Inftincte jedes Declamiren er fonnte es auch formell gar nicht, jo viel ich von ihm weiß —, er padte die Situa- tion und eignete ſich nur die Worte an, welche für die Situation entjcheivdend waren. Was wird man, wenn man als junger be— gabter Schaufpieler da zufieht und zuhört? Declamirt man? Gewiß nicht, wenn man echtes Talent hat. Man fieht auf Devrient. Diefer hat gar Biele veranlaft, das Wort gering zu achten, und Ya Noche namentlich war auf diefe Richtung angewiejen. Das Declamiren war und blieb ihm fo fern, daß er es fich nicht einmal jo weit zur eigen gemacht hat, als es für manche getragene Partie einer Rolle nothwendig ift. Er, ein fo guter Schaufpieler, hat mich in großen Stüden oft in Verlegenheit gefetst durch diefen Mangel. In „Antonius und Kleopatra‘ fam die Befchreibung des phan— tajtiichen Zuges auf dem Cydnus an ihn, Er, Kleopatra und wir litten bitterlich darunter.

Das Beifpiel Devrient's hat ferner die jungen Schaufpieler veranlaßt, ernjte Bejchäftigung, ernjte Studien gering zu achten die Weinftube von Yutter und Wegener, wo Devrient täglich ſaß, war ja ein jo wohlfeiles Beifpiel! Gelehrte Schaufpieler nahmen jich fo troden und hölzern aus neben dem Genie, Natürlich! Die Macht des Talentes ift freilich die Hauptfahe. Daß die Macht des Talentes vertieft und erhöht wird durch Bildung, das war fein Gedanfengang für die damaligen jungen Schaufpieler. So ent: and die gangbare Sitte, das Wort „ein denfender Künjtler‘ als

Das Burgtheater. 387

Spottwort zu gebrauchen und fih Tag für Tag in Theater-Stich- worten herumzudrehen, Tag für Tag wie Richard Wanderer vie bequemen Citate aus den Theaterjtücen zu wiederholen und ſich damit recht geiftreich zu finden,

Diefer Komödiantengeiſt figurirte auf unjeren Bühnen wie lange! als Geift und entband fich felbjtgefällig won der Yectüre eines guten Buches und vom Trachten nach weiterer Bildung, und die mit ftarfem natürlichen Talente Ausgerüfteten, wie Ya Roche, waren am ehejten in Gefahr, im diefem Fuſelgeiſte aufzugeben, fich um weitere Ausbildung nicht zu fümmern. Ihr Mutterwit Tchaffte ihnen geiftige Anerfennung in den Theaterfreifen, und mit diefer Anerkennung begnügten fie fich.

Glücklicherweiſe fam Ya Roche nach Weimar, wo der Goethe'ſche Einfluß noch waltete, obwohl der greife Dichter längſt vom Theater ausgefchieden war. Dort hat er manche ernjte und gute Theater: fitte eingefogen, welche ihn namentlich zum ernjten Regiſſeur gebildet hat, als welcher er im Burgtheater fräftig gewirkt, Fräftiger als einer der anderen Regiſſeure. Leider abeveauch ohne die hijtorifchen Kenntniſſe, welche für folches Amt unerläßlich find und welche nur Anſchütz beſaß.

Die kleine Stadt Weimar hat ihm aber nicht Veranlaſſung genug geboten, das dolce far niente des Geiſtes ganz zu unter— brechen. Die Zeit der Lernjahre war bei ihm vorüber; gründlich verändert man ſich nicht mehr, wenn man drei Jahrzehnte gelebt hat. Iſt es ihm doch nicht gelungen, Berliner Sprachreize los zu werden; er lebt heute noch auf geſpanntem Fuße mit Präpoſitionen, welche für eine Bewegung den Accuſativ verlangen. Er hängt feſt am Berliner Dativ und ſagt bei undeutlichem Souffleur ſtandhaft: „Ich gehe in der Stadt“ für: „Ich gehe in die Stadt”.

So ift es gefommen, daß er troß lebhaften und wißigen Geiftes in der geiftigen Strömung unferer Zeit eigentlich nur die Blaſen kennt. Die Stichworte nimmt er auf, der Grund derſelben

97% 25

388 Das Burgtheater.

it ihm nur ungefähr veutlih. Das hat ihn von vielen modernen Rollen ausgefchlojjen, welche man ihm zutrauen jollte.

Er ift außerdem jehr launiſch. Herrjchbegierig in hohem Grade und deßhalb auch protectionsluftig Yord-Protector wurde er genannt wird er leicht verjtimmt, wenn das Regiment nach einem fejten Principe vorgeht und ungern Ausnahmen gejtattet. Wenn nun gar neue Rollen jtets eine unbequeme Anjtvengung in die Zeit jolher Mißlaune fallen, dann verleugnet er auch jeine zahlreichen guten Eigenfchaften und wirft diefe Rollen zu den Todten. Selbſt ſolche, die in jeine alten Kategorien gehören. Im - Sahre 1861 zum Beifpiele brachten wir den ‚„Winfeljchreiber‘‘ neu. Der Kanzleivath darin gehört in fein bejtes Genre, er jpielte ihn aber wie ein Schüler. Das Stüd gefiel und wurde oft: gegeben da fand er, daß eine Anjtrengung am Plate wäre, rüttelte jich in die Rolle hinein und fpielte fie von der fünften VBorftellung an vortrefflich.

Um es mit Einem Worte zu Jagen: er gehört zu ven Epifuräern im deutſchen Schaufpielevftande. St denn das was Uebles? DO nein. Stoifer und Epikuräer find Gegenfüte, welche überall er- ſcheinen und unferer Natur nach ericheinen müſſen. Sie find uns beim Theater um jo willfommener, je ausgeprägter ihre Phyſio— gnomien find. La Roche ijt einer der begabtejten Vertreter diejer epifurätfchen Richtung. Licht und Farbe, Fleiſch und Blut, Heiter- feit und faftiges Leben treten mit ihm in die Scene wir werden nie vergeſſen, wie viel erfrifchende, erquickende, meijterhafte Rollen er uns feit fünfunddreißig Jahren vorgeführt, Die Scene beleben und beherrjchend im Luft- und Schauſpiele. Sein alter Klingsberg, fein Eantal im „Fabrikanten“ und eine große Zahl anderer Rollen, allerdings meift in Stücen von mäßigem Werthe aber au) fein Muley Haſſan, feine noblen Herren im höheren Schaufpiele, feine feinen Cabinetsſtücke, feine dreijt ausgeführten und mit überlegenem Humor ausgejtatteten Chargen im großer Zahl werden immer

Das Burgtheater. 389

mujftergiltige, faum erreichbare Yeiftungen von ihm bleiben. Wir würden eine Hefatombe won wirklich blos „venfenden” Künjtlern opfern, wenn wir dem alten Herrn die fünfunddreißig Jahre vom Scheitel abjtreifen und ihn wieder jung machen fünnten,

In feiner Domäne, im Puftipiele, tummelten wir uns in diejen Sahren 1860, 1861 , 1862 vorzugsweife herum. Die große Pro- duction ſchwieg, und ich verfuchte mannigfach die einheimifchen Talente für die fleine Production im heiteren Genre. Wir brachten: „Mit der Feder’, „Die Guftel von Blaſewitz“, „Mein Sohn‘, von Siegmund Schlefinger, welcher die bejte Anlage entwicelte für die weiter zu bildende Gattung der „proverbes‘“ bei ven Franzofen. Seine fleinen Stüce find wirklich eine Weiterbildung diejer aphori- jtifchen Form, welche gleichfam nur anfragt. Schlefinger antwortet auch auf die geiftvollen Fragen, welche er aufwirft in dieſen Auf- zügen von höchjtens drei Viertelſtunden. Yeiver hat ihn die Jour— naliſtik allmälig ganz eingefangen und ihn mitihrem Ausſaugeſyſtem vom Theater abgezogen. Hoffentlich nicht für immer.

Ein recht gelungenes Stückchen diefer PVierteljtunden » Gut: tung brachte Hollpein, feines Zeichens ein Maler, mit: „Er exrperimentirt”’, und auch der „Familien-Diplomat“, von Ar: nold Hirſch, verfuchte glücklich, eine neue Figur für Beckmann zu ſchaffen.

Der Luſtſpiel-Löwe dieſer Jahre aber kam ung merkwürdiger— weiſe aus dem römiſchen Alterthume. Wer hätte im Plautus oder Terenz ein neues Luſtſpiel gefucht für uns! Ich war aus— gegangen, um eine jugendliche Yiebhaberin zu juchen, und fand mit ihr in Breslau den „Winkelſchreiber“. Diefer mir ganz neue Titel jtand auf dem Theaterzettel, und unter dem Perſonale des— jelben figurirte ein Fräulein Baudius, welches ich fehen wollte. Letzteres wurde mir nicht leicht; ich ſah Act für Act zu, und fie erſchien nicht, das Stüc hatte vier Acte, und der vierte Act neigte

390 Das Burgtheater.

zum Ende und fie erichien nicht. Es war natürlich, daß mir das Stüd zu lang vorfam.

Dies realiftiiche Yuftfpiel von einem neuen Verfaſſer Winterfeld nach der römischen Grundidee geſchickt einfach auf: gebaut in unferer heutigen Bürgerlichfeit, wurde von Defjoir in Breslau eingeführt. Deſſoir ift ein wichtiger Tragödienſpieler, und er fpielte diefen Winfelfchreiber wie immer mit Geift, aber ohne den chnifchen Humor, welcher für diefe Rolle unentbehrlich it. Die Wirfung war mäßig, aber was fir mich die Haupt- ſache das heifle Thema, die Suche nach einem Vater, ftörte meine munteren Yandsleute, die Schlejter, nicht, und jo durfte ich hoffen, e8 werde auch die Defterreicher nicht ſtören. Ich befette es im Zufehen und ftrich im Zufehen einen ganzen Act da fam die Schlußfcene und nun endlich auch Fräulein Baudius mit dem außerorventlichen und noch dazu fchüchternen Ausrufe: „Mein Vater!“ Zu Weiterem ließ ihr der Vorhang feine Zeit, und ich war zum evftenmale in der Lage, nach zwei Worten eine jugendliche Liebhaberin zu beurtheilen. Figur, Gang, feines Antlitz, ſchöne Augen und der Klang diefer zwei Worte hatten dennoch für mic) hingeveicht, und ich fam mit einem neuen Engagement und einem neuen Stüde nach Wien zurüd.

Mit Shüchterner Beforgnif reichte ich das Stüd ein bei meiner Behörde, Die Beforgniß war nur zu begründet. Für eim junges Mädchen ven Vater zu juchen auf dem Burgtheater, und ihn unter jo erfchwerenden Umſtänden zu fuchen, jeglicher Familien-Moral zum Hohne, allen „Comteſſen“ zum Entſetzen, das war nicht nur ein Wagniß, e8 war ein Attentat,

Es wurde auch als folches angefehen. Umfonft hatte ich die ichönften Dinge gefagt in meinem Geleitfchreiben über die unerläß- lichen Bedingungen eines realen Luftjpiels, über ven Charakter eines erjten Theaters, welches doch nicht ganz für die Bedürfniſſe von noch nicht verheivatheten Comteſſen eingerichtet werden könnte ich

Das Burgtheater. 391

wurde jehr unfanft angefahren, und mein Gejchmad erſchien bei diefer Ablehnung des „Winkelſchreibers“ in einem vecht traurigen Lichte. Solche Unanftändigfeiten auf's Burgtheater zu bringen, ei ein Zeugniß von ſchweigen wir darüber! hieß der Schluß. Ich wurde geſchont in den Vorwürfen, aber das Stück flog in Dante’g Hölle.

Sch ſchämte mich, blieb aber bei meiner unanftändigen Vorliebe für dies römische Stück und wartete auf eine günftige Gelegenheit. Es ſchien mir ſehr wiünfchenswerth, unter all diefen gebrochenen Tönen des modernen Yuftipiels einmal die vollen Farbentöne der Komik zu bringen, damit das Publicum nicht werlernte, über echt komiſche Dinge zu lachen, welche der heidniſch-römiſchen wie der hriftlichegermanifchen Zeit gemeinfchaftlich find und bleiben. Nichts ijt nachtheiliger beim Theater als Ueberbildung und Ueberfeinerung des Bublicums. Des „Gedanfens Bläſſe“ und der Sittfamfeit oft fo dürre Convenienzen dem Publicum „angekränkelt“ zu haben, iſt „draußen“ für manches abjolut anjtändige Hoftheater Vergiftung geworden. Das gefund Natürliche will im Yuftfpiele fein Necht, ſonſt wird dem Luftipiele das gefunde Blut verdorben,

Ich mußte lange warten. Aber der erjte Rath neben meinem Chef unterjtüßte mich immer wirffam, wenn das Ziel meines Stre- bens ein Luſtſpiel war, und mit feiner Hilfe fand ich endlich der glückliche Moment der „Winkelſchreiber“ wurde freigegeben, er durfte auftreten, und er that, wie Jedermann weiß, jeine Schuldigfeit außerorventlih. Im feiner Kürzung und in der Darftellung mit vollen komiſchen Farben ift er ein unverwüftliches Nepertoireftücf ge- worden.

Und zwar nur im Burgtheater. Mean fucht ihn „draußen“ vergebens. Wo das feine Zuftjpiel fehlt, hat dies derbe Luſtſpiel nicht jo glücklich wirfen können, weil das geſchulte Publicum fehlt. Die Schulung allein verleiht einem Publicum Geſchmack und Tact für verjchiedenartige Gattungen.

392 Das Burgtheater.

Freilich haben wohl auch „draußen“ die richtigen Talente ge— fehlt zur Darftellung. Herr Meirner und Beckmann waren bei uns wie gefchaffen für Anifflib und Adam. Die immer etwas laute und vordringliche Komik Herrn Meirner’s war da, wo fie ver- halten bleibt und doch als Umverfchämtheit unverkennbar zum Grunde liegen muß, fie war für diefen chnifchen Winfelfchreiber geradezu claſſiſch.

XXXII.

Eine Theater-Direction hat in erſter Linie danach zu trachten, daß ihr Repertoire mannigfaltig ſei, mannigfaltig in der Gattung: heute Tragödie, morgen Komödie; und innerhalb dieſer wechſelnden Gattungen auch Abwechslung der Dichter.

Dadurch wird der Antheil des Publicums lebendig und, was von beſonderer Wichtigkeit, er wird friſch erhalten. Neigung zu Manierirtheit wird vermieden, denn das Friſche iſt ein Gegenſatz zum Manierirten, und die immer träge machende Hingabe an Mode— formen wird unterbrochen. Das Urtheil endlich wird immer wieder erweckt, und nur ein immer waches Urtheil errettet die Schauſpieler vor dem Schlendrian, zu welchem ſie alle neigen.

Das Berliner Hoftheater war vor einem Jahrzehnt ſchon ſtark im Niedergange begriffen. Es meinte dies dadurch leugnen zu fönnen, daß es in ver Woche fünf bis ſechs claffiiche Stücfe gab und auf fo claſſiſche Leiſtung pochend hinwies. Mean füllt aber nicht blos über Holzitufen abwärts, man fällt auch über Marmorjtufen, und zwar über lettere noch empfindlicher. Allwöchentlich fünf bis ſechs claſſiſche Stücke geben, heißt die Claſſik mißbrauchen, heißt den Sinn für das Beſte abjtumpfen.

Die Folge war und tft, daß ein folches Repertoire bei der Ueberfättigung und Theilnahmlofigfeit anfommt. Dann fucht die Direction verzweiflungsvoll nad) Reizungen, geräth in die Auswahl feichtejter Meachwerfe, verliert das beſſere Publicum und überant-

394 Das Burgtheater.

wortet den jogenannten Mufentempel am Ende willenlos ver all- täglichen Unterhaltung. Und auch diefe kann fie nicht mehr ge- währen, denn ihre Schaufpieler find durch Eintönigfeit langweilig geworden.

Diefer Niedergang entjteht immer, wenn in der Bildung des Repertoires Princip und Grundſatz finniger Abwechslung fehlen. Dan Fann es diätetiſche Abwechslung nennen; die geijtigen Nahrungs- mittel find eben auch Nahrungsmittel,

Bon großer Hilfe dabei ift es, wenn eine Nation Mannigfal- tigkeit unter ihren Dichtern beſitzt. Unſer germanifcher Indivi— dualismus ift da unſchätzbar. Sch brauche einmal dies mundzer- reigende Wort, weil „Eigenperfönlichfeit” ungewöhnlich ift, und weil „Eigenthümlichkeit“ nicht jo Ipecifiich verjtanden wird.

Unfere tiefe Neigung, eigenthümlich zu fein, hat unfere po— titifche Staatsbildung immer erjchwert, aber fie hat unferer Poefie immer genüßt. Ich glaube, wir find unter allen Völkern am reichiten in der Mannigfaltigfeit unferer Poeten. Leſſing, Gellert, Klopſtock, Goethe, Wieland, Schiller, Jean Paul welch eine Grundver- jchiedenheit unter diefen Männern innerhalb einer Periode von dreißig bis vierzig Jahren !

Bei all unferer germanijchen VBerwandtichaft mit den Eng- {ändern zeigt fich hier die normannifche Signatur auf jener Infel, Dort find die Poeten beiweiten nicht fo verſchieden von einander wie unter uns. Zur Zeit Shafefpeare's hatten die Engländer doch eine erjtaunliche Anzahl von Poeten; ihr lettes Drittheil des ſechs— zehnten Jahrhunderts und ihr erſtes Drittheil des jtebzehnten jtroßten namentlich won dramatiichen Dichtern, und nun lefe man nur die Inhaltserzählung diefer Dramen, welher Mangel an bejonderer Phyſiognomie, welhe Familien-Aehnlichkeit bis zum Auftreten Ben Sonfon’s, des Realijten !

Ganz anders bei uns. Auch unfere Theaterdichter find immer auffallend von einander verjchieven gewejen und geblieben. Zu Ans

Das Burgtheater. 395

fang diejes Jahrhunderts fchrieben gleichzeitig für unſer Theater: Goethe, Schiller, Iffland, Kotzebue alle Vier grundverjchieven von einander. Und jest! Wie berechtigt wir flagen über Mangel an Production, über Mangel an Berichiedenheit der Production dürfen wir nicht Flagen. Grillparzer, Halm, Bauernfeld, welche Verſchie— denheit zwifchen dieſen gebornen Dejterreichern, alſo Süddeutſchen Freytag, Gutzkow, Laube, welche Verſchiedenheit zwiſchen dieſen Oſtdeutſchen Benedix, Moſenthal, Hackländer, welche Verſchie— denheit zwiſchen dieſen aus der Mitte und dem Weſten Deutſchlands Stammenden!

Ich werde daran erinnert durch zwei Stüce, welche 1861 und 1862 die Saifon einleiteten: „Die Fabier”, von Freytag, und „Die deutſchen Komödianten“, von Mofenthal.

Freytag's „Fabier“ waren eine ungemeine Leberrajchung. Der Berfaffer moderner Stüde, welcher jo behaglich zu wohnen fchien in den Gedanfennejtern unferer heutigen Zeit, reicht uns plößlich ein jo großes römiſches Stüd, und eines aus dem frühelten Nom! Die Kataftrophe der größten Cavalier-Familie der jungen Roma. Und wie forgfältig geordnet, wie entſchloſſen geführt, wie milde und ruhig in Bildung der unerwarteten Geftalten aus dem Kreiſe der Yandleute, von denen die Architeftur-Dichter nie Etwas melden! Gejtalten, welche Wandel und Uebergang andeuten im vömifchen Staatsleben. Dazu weich und anfprechend die eine junge Frauen— gejtalt; furz, ein Stüd in allen Wendungen eigen. Gar feine her— kömmliche Architeftur, und doch ein voller, ſchöner Bau.

Sch las dieſe „Fabier“ mit veichem Genuſſe, aber ohne Hoff: nung für die Scene. Nicht blos hoffnungslos wegen des letten Actes und feiner Zerjtörungsschlacht, welche für jolche Stammes: tragödie wohl unerläßlich fein mag, welche jedoch für unfere Bühne ſchwer darftellbar und faum wirkſam zu machen ift. Nicht bios deßhalb hoffnungslos; denn ich las fortwährend mit der Empfin-

396 Das Burgtheater.

dung: das Alles in feiner milden, fchönen Führung, in feinem mä— Bigen, oft Schönen Ausdrucke hat für dich und veinesgleichen einen angenehmen, edlen Neiz, und diefen kann es auch bei guter Dar- jtellung auf ver Bühne ausüben aber das Theater-Bublicum für dieſe in leifen Zügen gemalte alte Welt ift ein fleines, namentlich) darım, weil Anfang und Mitte des Stüces ein anderes Publicum brauchen, als das Ende des Stückes. Bis gegen das Ende des Stückes folgt der beſſere Theil des Publicums theilnahmsvolf, die nothwendige Schlacht am Ende aber, in der Grundform doch mur epifch, fühlt dies Publicum ab. Nach Haufe fommend, Toben fie es wohl, aber fie eifern nicht dafiir, und der Befuch verfiegt. Denn die vom Schlacht-Act Unterhaftenen haben wenig Befriedigung in den erjten vier Neten gefunden, Und wäre dies Alles bejjer, würde auch die wirklich Schöne Arbeit allgemein erfannt und anerkannt, es ijt heutigen Tages unmöglich, für das fernliegende römische Thema ein großes Publicum zu gewinnen.

Das war wie parador dies flingt viel eher möglich vor 1848, ehe die politische Gedanfenwelt fich fo verbreitete. Durch diefe Verbreitung iſt nicht blos ein Hafchen und Bedürfniß nad) politiihem Thema und Schlagworte entitanden, o nein! es ift auch eine Sättigung entjtanden mit Staatsgedanfen. Wenn man im Theater diefe Staatsgedanken nicht in beſonders glücdlicher Faſſung wiederfindet over tm naheliegenden Berhältniffen, dann fühlt man fich nicht mehr wie vor 1848 fo angezogen durch den Inhalt, Da— mals war jolch ein Inhalt überrafchend, und man hatte mehr Zeit zu innerer Verarbeitung vejjelben. Jetzt ift die Zeitungs-Yectüre verhundertfacht, jett fehlt e8 den Yeuten gar nicht an geiftigem Nahrungsftoffe, jest wollen jie ihn veizender verarbeitet haben im Theater, wenn er fie loden ſoll, jett ift ihnen der Umweg über Athen und Nom zu weit, Je mehr ein Volk theilnimmt an feinem Staats: (eben, deſto mehr verlangt es im Theater naheliegendes Yeben, ein Spiegelbild feiner Zeit.

Das Burgtheater. 397

Sch ſchloß meine Yectüre der „Fabier“ mit vem Gevdanfen: du wirt. fie nicht geben fünnen,

Aber das äſthetiſche Gewiſſen ift jo umerbittlih wie das moraliſche. Es ließ mir feine Ruhe, ich forderte ven Unwillen jener zahlreichen Kreife im Burgtheater wiederum heraus, welche mit Schreden von einer römifchen Tragödie hören ich fette die „Fabier“ in Scene. Und zwar mit viel größerem Genuſſe, als ich für die Zujchauer erwarten durfte. Das Eingehen in alle Fugen einer guten dichterijchen Arbeit, welches die Inſceneſetzung mit fich bringt, trägt auch einen dichterifchen Yohn in fih. Man bereichert, man erhebt jich ſelbſt und die Schaufpieler, und der Ärgerliche, oft jo niedrige Alltagskram des Komödianten-Weſens finft wie Nebel unter die Dergeshöhen, auf denen man wandelt. Deßhalb iſt es für die Schauſpieler fo wichtig, daß fie alljährlich einigemale an ein höheres Einſtudiren gelangen, und daß fie dabei geführt werden auf den Proben wie von einem Prieſter ihrer Kunſt, der das poetifche Heiligthum zu erklären verſucht. Dadurch nur wird der Schau— jpieler fich eines höheren Künſtlerthums bewußt und ift Tags darauf in einer gewöhnlichen Komödie ein edlerer Menſch, gefeit gegen die Gefahr, dem Alltagswefen zu verfallen, wohl gar der Gemeinheit. Die Abwechslung in den Stoffen und Formen ift für ihn eben fo wichtig wie für das Publicum.

Die Wirfung des Stüdes war ungefähr fo, wie ich vorausge— jehen. Sie war günjtig und bejtand felbft den legten Act. Aber die Wiederholung fand vor einem kleinen Publicum jtatt, und diefer ſchwache Bejuch wiederholte fich bei der dritten Borjtellung. Dazu fam eine Stelle über Werbung zum Soldatenſtande, welche tenden- ziös auf ungarische Verhältnifje gedeutet und durch Beifall hervor: gehoben wurde. Sie trug uns eine Warnung ein, und da ber Caſſenausweis mir feinen Anhalt gab zu Widerſpruch, jo mußte das Stück zunächit verichwinden,

Ich habe es ſpäter wieder in's VBorbereitungs - Repertoire

598 Das Burgtheater.

gejett und wollte es wieder aufnehmen. Mein Abgang hat mich daran verhindert. Mögen meine Nachfolger deſſen eingedenf fein! Es iſt eine reiche Gabe für den bejjeren Theil des Publicums und eine Genugthuung für Freytag, der in feinem Buche über vie Theorie der Tragödie fich um dramatifche Dichtung noch bejonders verdient gemacht hat und „draußen“ auf feiner Bühne feine Stüde jo gepflegt findet, wie auf dem Burgtheater. Auch die „Fabier“ find nur an wenig Bühnen verjucht worden und jind auf Nimmer- wiederfehr verihwunden. Im Burgtheater jteht ihr Perſonal noch, und fie fünnen jederzeit binnen einigen Wochen wieder aufgeführt werden.

Die Saiſon-Eröffnung des nächjten Jahres (1862) fand ftatt wie gefagt mit Moſenthal's „Deutſchen Komödianten“. Welch ein Unterſchied! Freytag jorglos, goethiich, fein; Moſenthal forglich, ver Popularität nachgehend, lehrſam.

Moſenthal hat in zwei Richtungen das Theater offen gefunden: in der Schilderung literarshiftorifcher Situationen und in der Schilderung des Bauernlebens. Im der erjten Nichtung hat er unferen Ballavenfönig Bürger pramatifirt im „Deutſchen Dichter: leben” und die Entjtehung des deutſchen Schaufpieles tragifomijch zu conterfeien gefucht in den ‚„„Deutjchen Komödianten“.

Im „Dichterleben“ kämpft ergegen den unvermeidlichen Uebel- jtand, daß die vramatifche Yebensgefchichte Bürger’s einen ganz an— deren Menſchen zeigt und zeigen muß, als derjenige Bürger if, welcher in unferem poetifchen Gedächtniffe lebt. Der auf prächtigem Strom von Vers und Reim daherbraufende Balladen-Bürger, un— erreicht in feinem natürlichen rhythmiſchen Falle, lebt in uns als ein Glücsfind des Talentes. Sein Yebensbild im Drama dagegen nöthigt uns, häusliches und moralifches Elend durchzumachen. Das jtört ung wie ein äfthetifcher Wivderfpruch, und da wir im drama— tifchen Lebensbilde Unangenehmes und Peinvolles eintauchen müſſen für das in uns lebende erquicende Wejen des Balladen-

Das Burgtheater. 399

Bürger, jo finden wir die dramatische Aufgabe undanfbar, Daran franft dies Stück in feiner Tiefe.

Sorgſam hat Moſenthal uns zu entfchädigen gefucht, daß er den Hainbund herbeizieht und ums literar-hiltoriihe Silhouetten bietet, daß er ung belehrt, dag er die Doppelneigung Bürger’s zu zwei Schwejtern poetijch zu erklären fucht, daß er endlich feinem eigentlichen Berufe gemäß das Volk herbeizieht, um bei An— hörung der „Lenore“ die Entjtehung des Volfsdichters zu enthüllen, Freilich ift es nicht die Entjtehung des Volfsvichters, das wäre organifch, ſondern es iſt die Wirkung des Volfsdichters in einem einzelnen Momente, und das ift nur epiſodiſch. Das Ganze ift immerhin eine vedliche Arbeit. Es fehlen ihr jedoch die Schwingen, welche fie aus dem unteren Dunjtfreife jo weit erhöben, daß wir von dem Dichterichiefjale eine Erquickung von dannen trügen.

Derjelbe Fehl haftet an ven ‚„„Deutjchen Komödianten“. Wir werden auch hier durch die gefchichtlichen Dürftigfeiten des deutfchen Schaufpieles geführt, und zwar richtig geführt an der Hand poeti— ſcher Abfichten. Aber ver Theologe Ludovici, welcher Schaufpieler wird und als folcher zu Grunde geht, ift über die Mittel zu feinem Ziele unklar, und was er fchlieglich in der Erſchöpfung vor feinen Tode für Klarheit hält, die Entdeckung Shafefpeare’s, das leidet an zwei jchweren Gebrechen. Erſtens iſt der national=deutjche Komödiant am Ende genöthigt, von einem nichtveutfchen Dichter die Errettung zu hoffen, was ziemlich nieverfchlagend wirft, und zweitens ijt dieſe jchliegliche Moral des Stücdes denn doch zu nebel- haft für das Schlußbevürfnig eines Theaterftücdes und eines Theaterpublicums. Cine literar-gejchichtliche Auskunft für das Parterre ift mehr originell als genügend,

Das hiſtoriſche Thema ift alfo auch hier an jich nicht aus- reichend, oder es ift doch nicht ausreichend bewältigt für einen fräftigen poetijchen Eindruck. Beide Stüce leben von anfprechen- den Details.

400 Das Burgtheater.

Die zweite Richtung Moſenthal's, das Bauernſtück, zeigt ihn viel jtärfer. Hier ift er eine Specialität, und eine jolche hat das Theater immer hochzuhalten. „Deborah, „Der Sonnwendhof” und „Der Schuß von Altenbüren‘ find die hiehergehörigen Stüde.

Was er außerhalb diefer beiden Nichtungen für's Theater ges bracht, ift ohne Phyſiognomie und nicht ohne Banalität, over rich— tiger gejagt: außerhalb jener Kreife ift er im Geſchmacke unficher,

„Deborah‘ war fein erjtes Stück und enthält feinen jtärfjten Kern. Diefer ruht in vem Bedürfniſſe des Kampfes gegen ſociale VBorurtheile unter Herbeiziehung des Volfselementes. Hier ift es Berfolgung und Verachtung der Juden in den Bauernfreijen. Eine heroiſche Jüdin fümpft den Kampf durch bis zur Höhe reiner Ent- fagung, und in diefer äſthetiſch klaren und ganz durchgeführten Abſicht Liegt Werth und Kraft des Stüdes. Es hat fich bewährt, indem e8 auf allen Bühnen Zutritt, Wirkung und Dauer gefunden,

Die Staffage bietet Anlaß zu Ausjtellungen. Den Bauern der Steiermarf im vorigen Jahrhundert werden Siege über das Vorurtheil zugedacht, welche fie fchwerlich erfochten haben. Aber gerade hierin zeigt dies Stück, wie wenig die bloße Nichtigkeit in hiftoriichen Dingen beveutet auf der Scene. Wenn das pihcho- logiſche Yeben richtig gezeichnet ift, da ftört die nicht ganz richtige hiſtoriſche Notiz nur in geringem Grade, jo wie umgefehrt die hiſto— riſche Nichtigkeit gar Nichts hilft, wenn das pſychologiſche Moment fein wahres Yeben ausathmet.

Die realiftifche Zeichnung und Gruppirung der Bauernfiguren in folchem Gegenfate zum tragifchen Pathos eines verfolgten Stam— mes war neu auf dem Theater umd wirkte ſehr förderlich, wie viel auch gejpottet wırrde über das Zehrgelv von kleinen Mitteln, welche der Autor ausbentet, wie Glockengeläute, Schuljugend und Wit- terungswechſel. Realiſtiſche Dichtung braucht ja eben die Beſtand— theile des vealen Yebens. Machen fie fich allzu breit, jo erjcheinen

Das Burgtheater. 401

fie nichtig, treten fie jparjfam auf, fo helfen fie die Täufchung er: höhen.

„Deborah war immer abgewiefen worden vom Burgtheater. Der verftorbene Graf Dietrichjtein war entſetzt über meine Ketzerei, als ich erklärte, daß dies nicht zu billigen fei. „Ein Judenſtück!“ Haben Sie nicht Maurenſtücke genug zugelaifen ohne Scrupel? „Oh!“ Die Sudenfrage liegt uns viel näher als der Unter: gang der Mauren in Spanien,

Als ich Später officiell dafür einfchritt, wurde mir entgegnet: Es iſt nicht mehr neu, wir haben alfo feine Veranlaſſung, e8 zu geben.

Das widerfprach meinem Princip, im Burgtheater all das zu bieten, was fich eingebürgert im deutjchen Repertoire, und fo all jährlich eine Vollſtändigkeit des hijtorischen Nepertoives vorzuführen. Ich kam Unverdroſſen immer wieder auf die Frage zurüd, und 1861 endlich ermüdete der Widerjtand „Deborah“ ward eingereiht.

Künſtleriſch werthvoller noch iſt der „Sonnwendhof“. Er braucht gar feine zweifelhaften hiſtoriſchen Hilfsmittel, braucht feine Glaubens- und Nacenfeindfchaft, und entwidelt in fchlicht menſch— lichen Gegenfägen unter Bauern fein ganzes hinreichend anziehen- des Leben.

Daß man in diefen Bauernftüden nur Käs und Butter zu vers fpeifen kriege und gar fein Fleisch, mag richtig fein. Aber ich habe fchon oben behauptet, var die Abwechslung in der Nahrung ihr Gutes habe.

Sein neueſtes Bauernſtück, „Dev Schulz von Altenbüren‘, fteht zurück gegen obige zwei Stücke, weil der Verfaſſer ven Gegen: faß zwifchen Bauer und Bürger überjpitt und dadurd abgebrochen hat. Einen modernften Menjchen ftellt ev einem weitfäliichen Bauer gegenüber, welcher nicht ein Bauer unjerer Zeit ift, jondern ein Bauer des Mittelalters, und als jolcher jchwere Abjonderlic)- feiten des Mittelalters vertritt. Da treffen ſich die Kämpfenden

nicht, und treffen veßhalb auch uns nicht, Der moderne Menſch Laube, Burgtheater. 26

402 Das Burgtheater.

ipricht num umſonſt unfere Gedanfen aus. Sie jtehen in feinent richtigen Verhältnifje zu ven Gevanfen des Bauers und erjcheinen alfo nicht organifch dramatiſch, fondern nur declamatoriſch.

Diefer Fehlgang in einem Stüde ift ein Fehlgang, welchem man als Theater» Divector auch bei der Wahl neuer Mitglieder ſchwer ausgejett ift. Wie leicht täufchen uns die blos declama- torifchen Talente! Wir engagiren fie, und wenn fie dann inner- Halb des dramatiſchen Organismus wirfen follen, da treffen fie nicht, da zeigen jie ſich leblos.

Das geſprochene Wort allein thut’s nicht; das Wort muß entiprungen fein aus dem innerjten Geflechte des Charakters und der Handlung. Ohne diefen Urfprung fehlt ihm der Lebenspuls.

Den wirklichen Yebenspuls zu erkennen ift die Hauptaufgabe eines Schaufpiel-Directors. Das gilt für Stüde und für Schaufpieler.

Es ift aber eben jo gefährlih, ſich von blos gelehrten Schaufpielern täuſchen zu lafjen, als Talente zu überjehen, bei denen die Hilfsmittel des Vortrages noch gar nicht entwidelt find und die doch ein ftarfes dramatiſches Leben in ſich bergen.

In diefem Jahre 1862 trat ein neues Mitglied in's Burg- theater, welches vielleicht duch Zufall aus dem Zauberſchlafe er- wect worden war. Ich hatte ganz zufällig die Schlafende gejehen und hatte gemeint: wenn diefes Mädchen erwect wird, jo wird fie vielleicht wie eine Prinzeſſin ſprechen.

Einige Jahre vor 1862 war ich eines Abends im Carltheater, um ein fleines Stüc zu fehen, das ich nicht kannte. Da tritt ein Mädchen in grauem Seidenfleive auf die Scene und frappirt mich. Wer ift fie? „Das Icheint mir vecht gleichgiltig,” ſagt meine Nachbarin, „denn fie fpielt ja ſchlecht!“ Ja, ſag' ich, und jtehe unmwillfürlich auf in der Loge, als ob ich fie jo bejjer jehen wollte und fünnte aber das Mädchen hat ein Etwas! flüftere ich vor mich hin.

Ich Hatte den Eindrud vornehmer Schönheit von dem Mäd—

Das Burgtheater. 403

chen, und daß hinter dem, was fich da zeige, eine Kraft liegen könne, irgend eine jeltene Kraft. Sie fprach abjeheulich mit einem fait verborgen bleibenden guten Organe. Die Töne jonderten ſich nicht klar zu Worten, Aber der griechifche Kopf ſprach für mich, Sie war fteif; aber ihre geringen Bewegungen waren edel ich blieb dabei: dahinter liegt eine Kraft! „Der Imjtinet ſagt's“, lachte meine Nachbarin. Wohl möglich! erwiderte ich.

Die junge Dame fpielte zweite, dritte Liebhaberinnen, und auf meine Nachfrage erfuhr ich, daß fie von Niemandem beachtet werde, Ich lie fie zu mir bitten, und fie fan, Cine lange Unterredung bejtärfte mich in meinem günftigen WVorurtheile und bildete dies Borurtheil dahin aus: fie ſei für große, ernſte Rollen geeignet. Das Refultat der Unterredung war, daß fie in einigen jolchen Rollen auf einem Provinz-Theater als Gaft auftreten follte, damit ich fie ſehen fünnte. So geſchah's. Als fie aber zu dem Zwede nad) Brünn reifte, konnte ich durchaus nicht fort von Wien und mußte einen kritiſchen Kunftfreund erjuchen, meine Stelle zu vertreten. Er war der Einzige, welcher fich ebenfalls für fie interejjirte und meine günftige Vormeinung theilte, Nudolph Valve war es. Er berichtete nach feiner Rückkehr, daß unfere Hoffnungen fich bejtätigt hätten in dieſen Gaſtrollen. Fehler und Gebrechen wären noch in großer Zahl vorhanden, aber ein großes Talent wäre ficher da. Unterricht und Leitung nur fehlten. Und zwar wäre es, wie wir geahnt, ein Talent für tragifche Aufgaben.

Flugs trug ich dies meinem Chef vor und bat um Erlaubnif, fie engagiven zu dürfen. Das wurde mir abgefchlagen und obenein mit fo abfoluten Gründen, daß auch meine Befugniß zu felbititän- diger Abſchließung eines Jahres-Engagements ihre Kraft verlor.

Ich mußte mich tröften über den Verluſt der Zeit, die freilich bei jungen Liebhaberinnen unſchätzbar. Denn es blieb für mich nur eine Frage der Zeit; ich meinte ficher fein zu fünnen, daß dies Talent fiegreich herwortreten werde, falls fie an gute Lehre komme.

26 *

404 Das Burgtheater.

In Berlin iſt ein guter Yehrer, der frühere Theater-Divector Hein ; an ihn und Frau Glafbrenner Fam fie, und ich harrte hier des gün— jtigen Augenblids, ihr wenigitens ein Gajtjpiel auf der Burg zu erobern. Das war leichter zu haben als ein Engagement, und das Talent, meinte ich, werde dann fchon das Uebrige bejorgen.

Zwei Jahre vergingen, ehe der Augenblick eintrat. Cr trat aber ein, und fie gajtirte als Aorienne Yecouvreur, Jane Ehre, Maria Stuart und Gräfin Autland und wurde engagirt. Es war Fräulein Charlotte Wolter. ,

Die Rollen, welche fie „draußen“ einftudirt, zeigen auch jetzt noch manche Spuren der Anfängerjchaft; unter ven Rollen aber, welche fie in ven folgenden fünf Jahren hier bei dem jorgfältigen Probiren auf dem Burgtheater ausgearbeitet, famen jolche zum Vorſchein wie Sappho, wie die Gräfin Orfina, welche ven Stempel eines jtarfen tragifhen Naturells an der Stirne tragen. Die jo lange gejuchte tragijche Yiebhaberin war gefunden.

Ich jchreibe dies nicht ohne tiefe Beforgniß, daß der Fund wieder verloren gehen könne. Die fehlende Borbildung muß durch unabläffige Studien der Künftlerin, muß durch aufmerkſamſte Führung von Seiten des Veiters nachgeholt werden. Es ift Ihwer, das [päter dauernd einzuprägen, was man in der Jugend nicht gelernt hat: die geſetzlich klare Rede. Und doch it fie die umerläßliche Grumdbedingung einer darftellenden Künftlerin. Die mächtigften Ausbrüche tragifcher Begabung werden mit der Zeit unwirkſam oder doch unrein wirkſam, wenn die Grundlage der reinen Rede fehlt.

Bon diefem Gedanken muß Fräulein Wolter durchdrungen fein, wenn ihre Yaufbahn auch ferner eine aufwärtsgehende werden joll.

XXX.

Das Jahr 1863 war das Jahr der großen Trauerjpiele; das Burgtheater brachte drei neue: „Die Nibelungen‘ von Hebbel, „Richard der Zweite‘ von Shafejpeare und „Andreas Hofer” von Immermann. Und „Narciß“ von Brachvogel, ebenfalls ein Trauer: fpiel, folgte ſchon im April des folgenden Jahres.

Bon neuen Schau- und Luftipielen aber erfchienen unter An— derem: „Hans Lange‘ von Paul Heyfe, „Eglantine” von Mautner, „Pitt und For’ von Gottfchall. Wie man jieht, eine höchſt aus- giebige Ernte.

Und faſt alle diefe Stüde blieben am Yeben, wenn auch nicht alle mit gleicher Yebensfraft. Die Trauerjpiele, welche bei uns des Klimas wegen den Keim der Schwindjucht am zeitigjten im jich ent: wideln, mußten vorfichtig behandelt werden und durften Feine großen Sprünge machen. Vermittelſt diefer Borficht find fie ges friftet worden.

‚ber dies gilt Doch nicht von den „„Nibelungen’ !” wird man rufen. Es gilt doch auch ein wenig von den „Nibelungen“. Sie zeigten bei der zweiten Vorſtellung ein arg hippokratiſches Geficht im zweiten Parterre, und es bedurfte des lebhaft auffpringenden Rufes von der auferordentlichen Chriemhilde des Fräulein Wolter, um fie aufzubringen.

„Nun denn überhaupt” höre ich manchen höheren Lefer diejer Schilderungen rufen „nun muß e8 doch einmal gejagt

406 Das Burgtheater.

werden: Iſt es denn nicht ein trauriger Mißbrauch des Theater: weſens, daß etwas mehr oder weniger Beſuch über das Schidjal eines Stücdes, ja eines poetischen Werfes entfcheiven ſoll?! Iſt es nicht? Dies ewige trodene Berichten, als ob es ewige Nichter- Iprüche wären: „dies und jenes Stüd mußte verichwinden, weil das große Publicum verſchwand“, ijt ja doch das Eingeſtändniß kläglich äußerlicher Rückſichten, namentlich der Rückſichten auf die Caſſe. Ein Theater wie das Burgtheater ijt ja ſubventionirt, damit es nicht jo ſclaviſch Rückſicht zu nehmen braucht auf die Cafje, und das ſo— genannte große Publicum it ja doch nimmermehr die erfte und letzte Inſtanz für poetiſchen Werth oder Unwerth!“

Das klingt Alles richtig; es ift aber nicht Alles, und ift auch) nicht ganz richtig.

Ein Theater hat es mit der ganzen Deffentlichfeit zu thun, und wenn diefe ihre Zuftimmung verfagt, jo ift dies unter allen Umſtänden eine Entſcheidung. Das Nejultat wenigftens Liegt als— dann vor: die volle Wirfung des Stücdes fehlt. Man foll ſich nicht gleich unterwerfen, heißt es. Gut. Man geht auch an die Prüfung. Man fragt: Wenn nicht die volle Wirkung eingetreten ift, welche Wirkung ift erfichtlich geworden? Hat vielleicht der feinere Theil des Bublicums laut oder leife Partei ergriffen für das Werf? Man wiederholt das Werf. Zeigt jich bei diefer Wiederholung, daß ein edler Theil des Publicums dem Stüde treu bleibt, dann vwerfucht man Nettungsmittel, dann ſchont man auch die Kaffe nicht und bringt nach einiger Zeit das Stück wieder, und zwar zu günftiger Zeit, und ift zufrieden auch mit ſehr mäßigem Beſuche. Man hofft, e8 werde allmälig jteigende Einficht ſich ausbilden und Projelyten machen fir das Stüd. Das fann man, und das thut man; man fann e8 aber nur thun, wenn das wichtigfte Yebensorgan eines Stüces, wenn das eigentlich dramatifche Herz vorhanden ift. "Fehlt dies, dann retten alle fonftigen äfthetifchen Vorzüge ein Stück nicht vom Tode, Und dann fallen ſehr bald auch diejenigen ab, welche

Das Burgtheater. 407

die ſchöne Sprache und dieſen wie jenen jchönen Zug gelobt und welche auf das grobe Publicum gejcholten haben. Ihr abjtractes Lob erjtirbt ihnen auf der Zunge, wenn fie bemerfen, daß die eigent- lich dramatischen Wirkungen abfolut nicht eintreten.

Und dies ift es faſt immer, woran ein Stüc fcheitert; faſt immer ijt es ein Yebensorgan, an welchen es gebricht, wenn ein neues Stüd verfagt. Der Vorwurf gegen die Kaffe ijt zumeiſt nichtig. Die Cafje ift nur ein Symptom. Das leere Haus ent- muthigt die Enthufiajten für ein Stüd; es entmuthigt die Schaus jpieler, die Vorjtellung an jich ſinkt zufammen, und fein Mittel der äfthetifchen Apothefe rettet vom Tode.

Dieſe Vorwürfe haben Etwas von den Vorwürfen gegen Feld— herr und Heer, wenn die Schlacht verloren iſt. Ihr hättet eben nicht weichen follen, heißt es und wenn ihr abjolut mußtet, dann hättet ihr euch gleich wieder jtellen follen, und wie die theorer tiſchen Necepte alle heißen, welche den niederwerfenden Sturm eines Unterganges eben nicht fennen, einen Sturm, welcher das Tüchtige mit dem Untüchtigen werjchüttet. Iheater-Erfolge jind immer Ergebniffe von Schlachten,

Das Theater, ein Staat im Kleinen, kann fich wie ver Staat der Majoritäts-Herrichaft nicht entziehen. Dabei hat man doch nicht zu fürchten, daß alles unjcheinbar Gute, was die Menge nicht erfennt, verloren gehe. Die Rückſicht auf Beſuch und Caſſe hört für eine gewiljenhafte Divection immer auf bei Stücken, welche jich den Stempel der Claffieität erworben haben. Da wägt man doc die Stimmen und zählt fie nicht. Und was claſſiſch werden fann, das geht für eine aufmerffame, literarifch geſchulte Direction auch nicht verloren, weil es ſchwach bejucht wird die Leſer werden Ihon zehnmal in diefen Schilderungen bemerft haben, daß juft aus diefen Gefichtspunften Wiederaufnahmen verfucht werden und bis auf einen gewiljen Grad auch gelingen können.

Wie ſtand es num mit den „Nibelungen? Trotz lebhaften

408 Das Burgtheater.

Drängens von Seiten der zahlreichen Hebbel'ſchen Anhänger hatte ich nicht geeilt mit Vorführung der neuen Arbeit des Dichters. Theils weil ich wirklich feine Vorliebe habe für Hebbel'ſche Dramen, denen nach meiner Anjicht die Anfchaulichfeit abgeht für die Scene, theil8 weil auch in dieſer Arbeit ſchwere ſceniſche Bedenken mir ent- gegentraten, namentlich der aus der „Edda“ entnommene zweite Het, unverjtändlich für das Publicum und deßhalb unwirffam, und ver letzte Act, welcher ven Schluß zeriplittert. Endlich weil ich die tragische Liebhaberin nicht hatte für die Rolle der Chriemhilde und meines Crachtens doch der irgend mögliche Theater-Erfolg von der tragischen Gewalt diefer Figur im letzten Acte abhängig war.

Ich ließ alfo auf mich jchelten und wartete, Erſt als Fräulein Wolter eingetreten war, ging ich an dies Werf.

Hebbel lebte noch und nahm an der Inſceneſetzung theil. Er und feine Frau, welche die Brunhilde ſpielte, erichienen ſehr ficher über das Außerordentliche des zweiten Actes. Das war natürlich. Er hatte gar feine Kenntniß vom Leben im Publicum; er hatte nur literariihe Nerven, und mit dem Publicum ftand fein poetijches Tervengeflecht in gar feiner Verbindung. Ich jtörte nicht in dieſem Edda-Thema und ließ Beide walten. Als aber im folgenden Acte der Hochzeitszug fam, da zeigte fich’8 zur Verwirrung der Schaus fpieler, daß der Dichter mit geiftigem Auge gar nicht gejehen hatte, was da vorgehen follte. Der Zug fiel aus einander, weil die langen Zwifchenreden ganz unvereinbar waren mit einem Zuge da mußte ich eintreten, ändern und ordnen. Als es geordnet war, jtimmte auch Hebbel zu. Im legten Acte jtimmte er jedoch nicht zu, als ich fagte: „Hiermuß eine ganze Berwandlung heraus, damit ver Schluß ein Schluß werde‘.

„Das ist unmöglich!’ vief er.

‚„Meberlafien Sie miv’s, Ihnen die Möglichkeit morgen probe— weife vorzuführen 9

DD ja.”

Das Burgtheater. 409

Ich jtrich alfo, jetste zu, um die Verbindungen herzuftellen und den Nachdruck zu erreichen; änderte die Rollen, unterrichtete die Schaufpieler über ven neuen Zujammenhang und führte am an— deren Tage den neuen Schluß vor. Hebbel war num ganz einvers jtanden und äußerte jich vanfbar.

Jetzt fam die Vorjtellung unter wahllojem Applaufe für jeden Act. Das wahre Ergebniß lautete aber dahin, daß der zweite Act, der unverftändliche Edda-Act, vurchgefallen war, daß der epifch ver— bliebene Grundcharafter des Stüdes vielfach ermüdet hatte, und daß der letste Act durch Energie der Chriemhilve in den Schlußfcenen ſtark gewirkt hatte.

Die zweite Vorſtellung war, wie Schon gejagt, nicht vollſtändig beſucht. Nun fam aber ver Auf der Wolter-Chriemhilve, und ver Beſuch Hob fih auf hinreichende Höhe, Nie auf ausgezeichnete Höhe. Das bürgerliche Publicum fam niemals vollzählig. Bei dieſem that der epifche Gang im jchwerer Sprache und Raupach's „Nibelungenhort“ immerdar Eintrag. Diefer ‚„‚Nibelungenhort‘’ hatte das große Publicum gehabt durch feine erjten drei Acte und bejonders durch die Scenen zwifchen Siegfried und Chriemhilde, Liebesjcenen, welche mit unzweifelhaft jtarfem theatralifchen Ta— lente behandelt jind und welche eine allgemein günftige Wirkung gemacht hatten.

Noch jchwieriger ging es mit dem neuen Shafefpeare-Stüde, mit „König Richard dem Zweiten. Es gehört zu den „Hiſtorien“ und ijt aljo fein dramatifch componirtes Stüd. Dies war ein kaum bejiegbares Hinderniß bei dem dramatiſch gefchulten Publicum des Burgtheaters. Dies Publicum lieg fich abjolut nicht einreden, in dieſen Forderungen eine Nachjicht üben zu müſſen, weil ver berühmte Shakeſpeare Verfafler des Stüdes wäre. Bei allem Nejpect vor dem großen Namen blieb es auf jeiner dramatiſchen Forderung jtehen.

Wie vielfach, wie lebhaft war gerade dies Publicum heran-

410 Das Burgtheater.

gezogen und auch angezogen worden durch jo zahlreiche Shafefpeare- Aufführungen! Das Repertoire des Burgtheaters enthielt jiebzehn Shafejpeare-Stüde, und alle jo feſt und bereit, daß jedes in jeder Woche gegeben werden konnte. Das Bublicum war alfo mit diefem Dichter vertrauter als irgend eines umfonft! Es bewies ihm nicht die geringjte Deferenz, es entjagte auch ihm gegemüber feinen dramatifchen Anforderungen nicht um ein Jota. Im Gegentheile, es wurde von Jahr zu Jahr ſtrenger. Es jagte nicht gerade wie einjt Goethe: „Shakeſpeare und fein Ende!’ aber es fagte doch unverblümt: Allzuviel iſt ungeſund. Es Tieß „Richard ven Zweiten‘ ohne Zeichen bejonvderer Theilnahme an ſich vorüber: geben.

Der erjte Act befanntlich ijt dramatifh. Der jo rajch ein- geleitete und jo entjchlojjen verhinderte Zweikampf intereffirte auch. Der König wird gut eingeführt. Die Figur Gaunt’s im zweiten Acte ift ebenfalls ganz geeignet, Glück zu machen, und da König Richard confequent die Spite bietet, jo folgt man ihm aufmerkſam. Aber von da an verläuft das Drama in's Epos. Ohne hinveichen- den Kampf erliegt der König und jpricht nur viel, wenn auch jchön. Es folgt die große Abdanfungsfcene, welche jo prächtige Sachen enthält, aber fo ungenügend gefammelt ift zu fcenifchem Eindrude. Hier, und eigentlich nur hier, war ich mit der Bearbeitung leiſe eingejchritten, blos leife. Ich hatte Nichts zugethan, ſondern hatte nur zerjtrente Worte Shakeſpeare's aus anderen Scenen in Eine Scene zufammengetragen. Der Bijchof von Carlisle ijt vorhanden als Parteigänger für Richard; er jagt auch das Nöthige, aber er jagt e8 vereinzelt in mehreren Scenen und deßhalb fraftlos. Dieje feine Worte legte ich alle in die Abdanfungsfcene, um doch einen gejchlojfenen Widerftand zu haben für den wiederum blos jchön fprechenden König und erreichte damit die Hauptwirfung des Abends, Der letste Act mit dem geiftvollen Monologe Richard’s erwecte noch eine auffladernde Theilnahme, mehr nicht.

Das Burgtheater. 411

Das Ganze fand nur einen succes d’estime., Wir wieder holten das Stüd vor mäßig beſetztem Haufe und erhielten es durch Schonung.

Wenn ich vergleiche, wie jetst im Frühjahre 1868 ver beim Falle des Concordats endlich zugelaffene „König Johann“ hingenommen wurde, jo drängt fich ver Gedanke unabweislich auf: Dies iſt nicht mehr daſſelbe Bublieum! Nie hätte ich eine Shafe- jpeare- Hiftorie ungeftraft jo bringen dürfen mit ihrem ganzen Wortſchwalle, mit jo gar nicht ergänztem vramatifchen Gange, mit einem inconjequenten Könige, alfo ohne Mittels und Anhaltspunft, nie! Daneben war ja „König Richard” ein ſympathiſches Drama. Und „Richard“ wurde fühl aufgenommen, „Johann“ wurde unter mehrfachen Applauje hingenommen wie irgend ein anderes Theater: ſtück. Gar fein Urtheil machte fich geltend, gar fein Für und Wider, die Stadt Wien hat gar nicht erfahren, ob und wie das Stüd gewirkt hat die Unflarheit ift eingefehrt, das Publicum ericheint incompetent.

Dies ijt der Unterſchied zwijchen einem gejchulten Bublicum, wie es bis zum Winter 1867 im Burgtheater beftand, und einem zufälligen Bublicum, wie es ſich jett im Burgtheater zufammen- findet. Binnen einem halben Jahre tjt das alte, gejchulte, an Tradition jo reiche Bublicum aufgelöjt worden,

Innere und äußere Gründe haben das zuwege gebradt. Zu den inneren Gründen gehört eine neue DOber-Direction, welche die geiſtige Zeitung auf ven Proben ver banalen Gejchäftsführung über: lajjen hat, den Handgriffen ver Routine. Dadurch find die Schau jpieler, find die VBorjtellungen vajch verändert worden, und das fein gewöhnte Publicum hat das raſch empfunden und hat innegehalten im Zudrange. Gerade um viejelbe Zeit ijt ein äußerer Grund wirfjam geworden: die Einführung von Bormerfungen zu geiperrten Plätzen. Dadurch ijt weiteren Kreifen, die ſonſt nicht in’s Theater drangen, der Zutritt ermöglicht worden. Diefe Kreife verforgen

412 Das Burgtheater.

jich num beizeiten mit Plätzen ohne Rüdjicht auf befonvere Auswahl der Stüde, und wenn num die Intimen von früher doch einmal wieder zufchauen wollen, ob ihr altes Schaufpiel feine frühere Phyfiognomie zurüderhalten habe, da finden fie alle Plätze ver: geben, zuden die Achjeln und verzichten am Ende ganz fo ent- jteht ein zufälliges Publicum, und die traditionellen alten Maßſtäbe der Kritif verfchwinven, mit ihnen das alte Burgtheater.

Das dritte Trauerfpiel war „Andreas Hofer‘, wie Immer: mans „Trauerſpiel in Tirol‘ auf dem Theaterzettel heißt.

Ein vaterlindiiches großes Stüf war fo lange mein Wunjch ! Die Bühne ift ja am mächtigjten, wenn ſie waterländijche Dinge vorführen und ausjprechen kann. Jahrelang hatte ih um die Er- laubniß geworben für diefen „„Hofer‘‘ vergeblih! Da war der Pater Haspinger, da war der Schurfe Kolb, geiftlich verdächtig, wie jehr ich ihm verfleidete, da war Diefes und Jenes Grund zur Abweilung in Wahrheit blieb es die Scheu vor der Ummittel- barkeit. Solch ein Stück erichien zu unmittelbar. Nur Nichts direct ausiprechen auf der Scene, was politifch oder auch nur ſonſtwie treffen fünnte! Selbſt nicht patriotiih. Das hat feine Sonjequenzen. Wird heute das allenfalls Zuläffige ausgeiprochen, jo will morgen auch das faum Zuläffige, übermorgen das Un— angenehme ausgefprochen fein. Dazu iſt die Bühne überhaupt nicht da, am wenigjten die Hofbühne. Nır nichts Divectes!

Dieje Rüdfichten, der bare Gegenfaß zum Zwecke eines erſten Iheaters, waren tief eingewurzelt. Es war umd iſt ein Stand» punft der abonnirten Logen, welche nach Tiſche um Gotteswillen nicht erinnert fein wollen an etwas Wirfliches, wozu man den Kopf jehütteln oder wovor man gar erichreden müßte. Das it ja auch feine Poeſie! Die Poefie war eine verjchleierte Prin- zejfin geworden aus fernen, fernen Zeiten und fernen, fernen Yanden.

Da ſtarb mein langjühriger Chef, ein gebovener Pole, und

Das Burgtheater. 413

mein neuer Chef, endlich ein geborener Deutjcher, nahm leb— haften Antheil an dem Tiroler Traueripiele und gab jofert Die Erlaubniß.

Der verſtorbene Chef, Graf Lanckoronski, hatte übrigens die guten Eigenſchaften, welche ich zu Anfang dieſer Schilderungen an ihm preiſen konnte, ſtandhaft bewährt. Meinen Inſtructionen gemäß überließ er mir die artiſtiſche Leitung unverkürzt. Er war hundertmal unzufrieden mit meinem Geſchmacke in Wahl ver Stüde und in Beſetzung der Rollen, und er verhehlte das gar nicht, aber er ſetzte ftets hinzu: dies ift Ihr Fach und Ihre Ver: antwortung, ich greife da nicht ein. Er war ferner unzugänglich für irgend eine Klatſcherei und Verhetzung; er wies jeden unbegrüns deten Anfpruch auf Bergünftigung weit ab, und er war endlich immer bejtrebt, gerecht zu fein. Ich appellirte nie vergeblich an feinen edleren Sinn, wenn Heftigfeit unbillig handeln wollte ich verlor in diefem Manne meine ficherjte Stütze.

Mein neuer Chef, Fürft Vincenz Auersperg, gehörte jelbit zur Landesvertheidigung in Tirol, er erlaubte nicht nur, er fürderte lebhaft Immermann’s „Andreas Hofer’.

Wie war nun, wie ift dies Stüd? Karl Immermann hat es gejchrieben in früher Zeit und das Theater dabei gar nicht im Auge gehabt. Später, als er dem Theater nähergetreten, hat er mit einigen Strihen und Yinien jeine Arbeit der Bühne näher zu bringen gejucht, und jo lag jie unter dem neuen Titel „Andreas Hofer’ vor mir.

Es fehlt ihr zum Bühnenſtücke immer noch das oben erwähnte pramatifche Herz, ſie hat immer noch einige Aehnlichkeit mit einer Shakeſpeare-Hiſtorie. Manchen Abend hab’ ich vor ihr geſeſſen und habe erwogen, wo und wie weit geändert werden Dürfe, um fie, wie der Defterreicher jagt, „ſchneidiger“ zu machen, Aber das fonnte nur mit großer Dreijtigfeit geicheben, und Immermann war todt. Und er war erjt einige zwanzig Jahre todt. Ja, wären

414 Das Burgtheater.

e8 zweihundert Jahre gewejen! Mean ift viel dreijter, wenn uns Jahrhunderte vom Autor trennen, aber wenn man ihn felbjt noch gefannt, da ift man ſcheu, da hört man feine Klage über Gewalt- jamfeit, die ihm angethan würde,

Ach, wie leicht wäre es gewefen, wenn ich mit ihm hätte dar— über jprechen fünnen! Er war jo verjtändig und war jo praftifch geworden in der zweiten Hälfte feines Yebens, Es wurde ihm in ven fetten Jahren klar und klarer, daß er verführt worden ſei durch die romantische Kirche, und daß er jelbjt eigentlich gar feine gläubige Seele geweſen fein LYebenlang. Er war im Grunde ein ſehr flarer Kopf, diefer Juriſt in Düffeldorf.

Im Sahre 1839 Fam ich auf einer Reife nach Holland durch Düſſeldorf und lernte ihn fennen. in jtattliher Mann war er, mit ausgebildeten Antlige, prompt und ſtark in ver Rede, nach— drucksvoll in allen Behauptungen, und doch geneigt, allen beiteren Fragen des Lebens ihr fröhliches Recht angedeihen zu laſſen. Er fam mir viel mehr entgegen, als ich, ein junger, ausgelafjener Schriftiteller, anfprechen durfte; er zeigte eine unerwartete Neigung für die vreifte Natur des jungen Deutjchland. Sein Freundichafts- verhältniß zu Heine, aus dem gemeinfchaftlichen Zorne gegen Platen erwachien, wurde lebhaft von ihm betont, lebhafter, als e8 eigent- (ich ihren beiden verjchiedenartigen Naturen zuftand, und in all’ ven ausführlichen, lebendigen Gefprächen, welche wir damals einige Tage lang führten, zeigte Immermann das Bedürfniß, lebensvoll einzutreten in die Literatur der Gegenwart. Natürlich fam da auch das Theater in Rede, dem er eigentlich näher jtand als ih. Cr hatte aus freiem fünftleriihen Antriebe einige Zeit das fleine Düffeldorfer Stadttheater geleitet und manches phantaftifche Stück in Scene gejett. Deutlich zeigte fich’S, daß er die Direction des Berliner Hoftheaters gewünfcht hatte und wünſchte. Bitter und ſcharf ſprach er über die unfundige, hofmäßige Intendanzenwirtbichaft, und ich fah, daß er eigentlich die Iheaterführung in Düſſeldorf

Das Burgtheater. 415

wohl nur übernommen hatte, um dem Hoftheaterwejen darzuthun, wie viel ein echter Geift aus einem Theater machen könnte, auch aus einem fleinen und auch mit ven Fleinjten Mitteln, Cr war nicht im Geringften verblendet von dem Preife, welchen Literaten und Schaufpieler feinem Düfjeldorfer Theater bereitet und ver: breitet hatten; er geftand zu, daß Vieles unzureichend geweſen, was man feiner Bühne rühmend nachgefagt, und daß er auch in ver Scenirung blos literarifcher Stüde deutlich erfahren habe: dies jeien eben nur Uebungs-Experimente geweſen, und Aufflärungen über literarifche Träume, die Traumhaftigkeit derſelben habe jich auf der Scene nur zu jehr vargethan.

Bei Feithaltung höherer poetijcher Abjicht hatte er aus der Praxis nüchterne Lehren gezogen und wäre trefflich geeignet geweſen, ein erjtes Theater zu übernehmen und zu führen. Er jprach jehr gut, war eine talentvolle, geharnifchte Perfünlichfeit und wäre für die Schaufpieler ein unfchätbarer Führer geworden. Was er in romantischer Befangenheit früher als Theaterſtücke herausgegeben, wie „Cardenio und Celinde“ und „Die Opfer des Schweigens‘, das ſah er jett ziemlich unbefangenen Blides an und wies auf fleine Sachen hin, wie „Die Ichelmifche Gräfin”, um darzuthun, daß ja auch früher ſchon ver Sinn für das heutige Theaterjtüd in ihm lebendig gewejen.

Wie leicht wäre es geworden, mit dem jo gearteten Manne das „Trauerſpiel in Tirol” hieb- und ſchußfeſt zu machen!

Das Stück fam leider damals zwifchen uns gar nicht zur Sprache er jchrieb am „Münchhauſen“, und wenn ich ihn aus dem Schwurgerichte abholte und er feinen jchwarzen Nichtertalar auszog, um mit ung nach Neuß zu fahren, wo eine ſchmucke Wirthin den beiten Rheinlachs am beiten zu jerpiven verjtünde, da dachten wir an fein Trauerjpiel, ſondern da fehrte der ſaftvolle Magde— burger, der er war, feine finnlich behagliche Seite hervor und fchil- derte ung, was für Schwänfe er im Kopfe trüge fir Münchhaufen

416 | Das Burgtheater.

und deſſen Tochter Emerentia im Gegenſatze zu jeinem Meiſter— jtüde, dem „Oberhofe“, vejjen fernige Schilderung ev während feiner langen Dienjtzeit im rheiniſchen Wejtfalen erworben hatte. Nicht lange nachher fhiete er Heine und mir die erjten Bände ſeines „Münchhauſen“ nach Paris, und ehe wir uns deſſen wer: ſahen war er plöslich todt. Der rüftige, Fräftige Mann!

In ihm ift einer der wenigen Poeten gejtorben, welcher dem deutichen Theater ein bahnbrechender geiftiger Führer hätte werden fönnen. Gr hatte wohl noch mandes Schlingkfraut um ſich aus alter romantiſcher Zeit, aber fein Geiſt war frei geblieben, und eine große TIheaterpraris hätte ihn von poetifchen Schmaroter- pflanzen, welche die öffentlihe Schaubühne nicht verträgt, gänzlich befreien können.

Gerade wegen diejer perjünlichen Befanntichaft war ich jett ſchüchtern wor feinem Stüde und wagte feinen tieferen Eingriff, um ein fejtes Theaterjtüd daraus zu machen.

Der gute Inhalt trug uns doch unter jorgfältiger Darjtellung einen Chrenerfolg ein, und wir haben von Zeit zu Zeit das Trauer- jpiel wieder bringen fünnen. Es kann aljo auch in Zufunft erhalten. bleiben, wenn die Divection ihm Aufmerkſamkeit und Pflege wiomet. Die uns naheliegenden Berhältniffe und Namen üben ja doch auch bei jfizzenhafter Behandlung des dramatifchen Ganges einen erweckenden Einfluß auf unfere Theilnahme. Wenn von Innsbrud, Meran und vom Baijeierthale, von Hofer, Spedbacher und Pater Haspinger die Rede ift, da werden wir doch viel leichter getroffen, als wenn das Forum romanum und Antium oder Cominius und Aufivius an unjer Ohr flopfen.

XXXIV.

„Narciß“, „Hans Lange“, „Eglantine“, „Pitt und For“, die weiteren Driginal-Neuigfeiten von 1863 und 1864, bejtätigen recht deutlich meine frühere Behauptung: daß die Perfünlichfeiten unferer Dramatifer ungemein verfchieden von einander find.

Man jkizzire ſich nur die Charaftere und Schreibarten der jechs deutſchen Schriftjteller, welche im Yaufe eines Jahres unfer neues Repertoire gebildet, und jtelle fich daneben jechs Lebende franzöfifche Theater- Autoren zufammen. Wie einleuchtend wird fich herausjtellen, daß die jechs Franzojen eine auffallende Familien— Aehnlichkeit tragen in Wahl der Stoffe, in Form der Fafjung, im Gang der Rede; daß aber die jechs Deutjchen, hier aljo Hebbel, Immermann, Brachvogel, Heyſe, Mautner, Gottſchall, grundver— ſchieden von einander erjcheinen.

Hebbel, aus dem friefifchen Holftein, breitfpurig ohne Sorge um irgend eine Zier einhergehend, jucht nach unbehauenen Fels— jtücden für feinen Ausdrud, ift um Schönheit nicht nur unbefümmert, jondern ſucht nach Gelegenheiten, dieſe Unbefümmertheit nachdrücd- lich zu bethätigen. „Echtheit geht vor!” fann man herauslefen, und: „Schwächliche Nachfolger mögen unfere Originale zur Schön heit herausbürjten und putzen!“

Er jtammt aus germanifchen Urfreifen, welche von den Stän— den und Formen ver mittelalterlichen und modernen Welt eigentlich

nie berührt worden find. Er erwächſt aus dem Volke kleiner Ort— Zaube, Burgtheater. 97

418 Das Burgtheater.

ichaften, wo die Natur wenig fleine Reize zeigt, wohl aber eintönige große Verhältnijje, das ebene, weite Marjchland und das nahe Meer. Er fommt aus ver gelehrten Schule und ohne näheren Berfehr mit der gejelligen Welt an die literariiche Thätigkeit muß nicht diefe Ihätigfeit immer etwas Abgejondertes behalten, muß fie nicht immer Etwas behalten, was an ven Bauer erinnert, der in aller Biederfeit mißtrauifh und Liftig bleibt unter den Städtern, muß fie nicht immer Etwas behalten, was an den ein- jamen Zujtand des dichterifchen Denfers erinnert? Muß fie nicht auf dem Theater der Städter Fremdartiges und Unzugängliches entfalten ?

Wie anders Karl Immermann, der Bürgersfohn! Er geht aus den Stadtfreifen hervor, aus den engen Gejeten der preußifchen Beamtenwelt, welcher fein Bater angehörte, welcher er ſelbſt ange- hören follte. Dabei ift er mit allen Eigenfchaften und Trieben eines Lebemannes angethan, wächſt auf inmitten des fruchtbaren mittleren Norddeutſchland, wo das niedrige Harzgebirge mit feinen Wäldern ven Sinn wect für bejcheivene Naturreize, wo auf Schule und Univerfität, in Magdeburg und Halle, der Franzojenhaß gegen den Eroberer Napoleon zeitig genährt wird. Immermann gefellt ſich auch zu den freiwilligen Kriegern als ſiebzehnjähriger Jüngling, und wir fönnen das „Trauerſpiel in Tirol‘ in ihm wachſen ſehen, wie man das Gras wachjen ſieht. Nach feiner Rückkehr auf die Univerfität tritt er in die Kämpfe, welche das Wartburgfeit erregt, und tritt als eigenjinniger Erbe des engen Staatsdienjtes auf die unpopuläre Seite, ein harter Kopf, der jelbititändig Necht haben will, Trotzdem jchließt er fich der romantischen Schule an, welche innerlich der Wartburgfeter und der Burſchenſchaft nahe ſtand. Er giebt ſich jahrzehntelang jener künſtlich idealen Poeſie hin, welche gejuchte Studien, Stoffe und Formen pflegt. Und wiederum im Gegenſatze hiezu tritt er in die trodene Regierungslaufbahn eines Juriſten, in die ftrengen Verhältniſſe eines auf dem Buchjtaben ver

Das Burgtheater. 419

Verordnung ruhenden Staates. Welch eine perjönliche Stärfe gehörte dazu, um in dieſen Gegenfäten nicht verwirrt, nicht zer— trieben zur werden. Er wurde es nicht; er blieb ſelbſtſtändig jtrebend. Und num unterftütte ihn das Glück: es brachte ihn in. die weitlichen Lande, wo alte Neichsfitte lebendig geblieben im Gemeindeleben, wo öffentliches Gerichtsverfahren galt, wo ihn fein Amt in Verfehr fette mit den freimüthigen Menfchen Wejtfalens und der Rheinlande. Er fommt endlich nah Düſſeldorf, wo eine alte Malerſchule Traditionen ver Bildlichkeit pflegt er wird fo allmälig der fünftlichen Poeſie entrücdt, und feinem gejund ver- bliebenen Auge drängt fich die Bemerkung auf, dag auch die realen Dinge poetifch zu verwerthen find. Er jehreibt Bücher wie die „Epigonen“, welche einen Abjchluß feiner Vergangenheit, welche feinen Vebergang zur lebendigen Zeit befunden; er geräth am’s wirkliche Theater, er lebt auf im Mannesalter. Welch ein breites Stück deutſcher Geſchichte, mannigfaltig deutjcher Geſchichte jtellt ſich in dieſem Manne dar! Was hatte er Alles ſeinen Schau— ſpielern zu ſagen, als er im kleinen Düſſeldorfer Theater wunder— liche Stücke und daneben ganz praftifche Stücke in Scene fette. Unerbittliches Schickſal! Als ev auf dem Punfte angelangt war, die werjchiedenartigften Erfahrungen in gereiftem Sinne neu und deutlich in feiner Schrift auszudrüden, da reißt ihn ein Schlagfluß hinweg aus unferer Welt.

Wie lehrreich erſcheint jein Bild dem deutſchen Theater! Kaum Ein Stüd bleibt von ihm auf dem deutſchen Repertoire, aber mancher Schaufpieler verbreitet und vererbt Yehren von ihm, mancher Dichter lernt aus jeinen Stupdien.

Dicht Hinter diefem Manne, welcher durch fo viel Bildungs- Elemente geläutert worden, erjcheint auf dem Burgtheater das Stüd eines ganz neuen Dramatifers, Brachvogel geheigen. Da fehlt noch alle Läuterung, da brauft der erſte Gährungsproceß, und

c * 27

420 Das Burgtheater.

nicht ein Hauch erinnert an Immermann. „Narciß“ iſt ver Titel des Stüdes. Nicht Narciß aus dem Alterthume, ein Neffe Rameau’s aus der Orgienzeit Frankreichs, welche ven Toaſt ausbringt: ‚Nach uns die Sindfluth! Die Sündfluth fam in Geftalt der Revo— lution.

Dieſer „Narciß“ trägt Züge ſtarken Talentes, geiſtiger Roh— heit und doch auch geiſtigen Bedürfniſſes, welches in die Tiefe will, aber von der Phraſe aufgehalten wird. Brachvogel iſt eine blut— volle ſchleſiſche Natur, ganz im Gegenſatze zu Hebbel und Immer— mann ohne Spur gelehrter Erziehung, im Style oft voll Bombaſt und Schwulit, im Ziele dagegen oft hell und ſchneidend auf modern- jociale Ipeen losgehend ein begabter Naturalift.

Er bringt nach „Narciß“, welcher die Einleitung zur Revolu— tion in Frankreich blutrünjtig darftellt, ein Drama aus dem Mittel: alter: „Adelbert vom Babanberge”. in Jude trägt hier die Un— fojten der Berzweiflung, welche Brachvogel’s Stüde kennzeichnet. Die erjten Acte find von padender dramatiicher Kraft; die Folge fällt ab. Ein ferneres Stüd: „Salomon de Caus“, fucht neben Richelien den Erfinder der Dampfkraft tragifch Darzuftellen, und als die Bühnen daran vorübergehen, wendet er jich ärgerlich dem Romane zu. Er ergreift die größten Themata, behandelt jie leicht und vreift, findet aber immer einige Situationen für feine frappante Macht ver Erfindung, wirft dazwifchen ein Drama: „Der Tröpler”, welches zweiten Theatern einen willfonmenen grellen Stoff jocialer Natur bietet, und trifft neuerdings mit der „Prinzeſſin von Mont— penſier“ wiederum den interejianten Gang eines Theaterſtückes, welches originell genug in die aufwachjende Herrjcherjugend Lud— wig’s des PVierzehnten die demokratische Neigung einer jtolzejten Prinzeſſin zu verweben weiß.

Auch hier fpringen mitten in aufgebaufchter Rede einzelne treffende Neven empor, und mitten in verwirrt fich anlaffender

Das Burgtheater. 421

Handlung zeigt fich ein weit ausholendes Talent der Compofition, welches ven Plan behauptet. Es ijt überall bei ihm dreifter, mit- unter wüjter Naturalismus, welcher aber jtarfe Athemzüge hat für den Bruftfajten des Theaters.

Wir brachten „Narciß“ ſpäter als andere Theater, weil meine Behörde abgejchredt wurde durch dieje Athemzüge ver Revolution, welche in dem Stücke bemerflich find, und durch fede, unhiftorifche Motive, welche ver Autor fich herausnimmt, indem er auf fein natu— raliſtiſches Recht der Erfindung pocht. Auch die peinliche Stellung, welche der legitimen Königin angewiejen ift, war lange ein Grund der Ablehnung. Meaitrejien überhaupt, alfo auch die Pompadour, wurden früher auf dem Burgtheater nicht zugelaffer, und es war ein Ereigniß vor 1848, als man mit der „Marquiſe v. Villette“ eine Ausnahme geſtattete. Wie vorfichtig und behanlich war aber dort die wohlerzogene Maintenon neben diefer wilden Marguife v. Pompadour Brachvogel's! Es vergingen Jahre, e8 bedurfte immer iwiederfehrender Einveihung, ehe dieſem „garſtigen“ Stüde und das ift es auch im äjthetifchen Sinne der Zutritt erlaubt wurde,

Der Erfolg, welcher überall ein glänzender gewejen, war im Burgtheater viel weniger günftig. Der grelle Gejchmad wurde nur mit einigem Widerftreben hingenommen, Aber die Gewalt ver Compoſition erwies fich doch auch bei uns auf die Länge fiegreich ; das Stüc hat jich auf dem Repertoire erhalten.

Ebenſo und viel leichter die jpätere ‚‚Prinzeffin von Mont— penſier“, welcher die entjprechende naturaliſtiſche Kraft des Fräu— fein Wolter Lebenskraft verlieh. In Ermanglung folcher zupafienden Ichaufpielerifchen Begabung ift dies Stüd „draußen“ raſch vor: übergegangen.

Nun fam „Hans Lange”, Der BVerfalfer dejjelben, Paul Heyſe, ift wieder ein barer Gegenſatz zu Brachvogel, Im Hefe

492 Das Burgtbeater. wohnen alle feinen Neize ver poetischen Bildung, und wenn Etwas fehlt, fo ift es vie letzte Gewalt einer jtarfen Natur,

Wenn man ihn fieht und hört, dieſen Dichter mit dem ſchönen Rafaelskopfe, mit der wohlflingenden, fliegenden Rede, mit dem ganzen Zauber eines liebenswürdigen Menjchen, da findet man's begreiflih, daß er mit feinen poetifchen Arbeiten zahlreiche Anz Hänger gewinnen muß, namentlic) unter ven Frauen. Cr hat auch eine Stellung gefunden, wie Giulio Romano, ver Schüler Rafael's. Alles, was er bringt, ijt geiftvoll empfangen und Fünftlerifch durchgeführt.

In feiner TIhätigfeit für die Bühne thut ihm vielleicht Die vorherrſchende Anmuth und Feinfühligfeit ſeiner Natur einigen Abbruch, Die Bühne verlangt jtarfe, männliche Züge, jcharfe Umriſſe, rücdjichtstofes Wollen, Ich will nicht jagen, daß Dies Heyſe unerreichbar ſei; er ift zum Beiſpiele in „Hans Lange“ den Erforderniſſen eines Theaterſtückes ganz nahe gekommen. Aber er iſt, wie mir's ſcheint, bis jetzt durch ſeine Bildung noch zu tief im Eklekticismus verblieben, in der Neigung des vielfältigen Aus— wählens ſeiner Stoffe. Bald im alten Rom, bald im Mittelalter, bald in der Rococo-Zeit erbaut er ein Stück. Jeder Stoff, jede Zeit hat eigene Bedingungen; ein Dichter muß ſehr ſtark ſein, wenn er der Concentrirung ſeiner Fähigkeiten entbehren kann. Wir wiſſen's noch nicht, und Heyſe ſelbſt weiß es noch nicht, in welcher Gattung von Stoff und Form er all' ſeine Eigenſchaften zur vollen Geltung bringen mag als Dramatiker. Bei ſeinem un— abläſſigen Streben wird er wohl einen feſten Ausgangspunkt finden, und dann kann er uns jeden Tag mit einem Kernſchuſſe überraſchen.

„Hans Lange“ hat überall Glück gemacht. Auch bei uns. Warum er uns nicht dauernd verblieben, das iſt ſchwer zu ſagen. Er war dem Publicum wohlgefällig geweſen, aber nicht mächtig genug. Man ſprach nicht ungünſtig davon, aber man machte keine

Das Burgtheater. 423

Propaganda dafür; man empfand wohl, dag noch Etwas fehlte. Was denn? Vielleicht das, was Heyſe's Theater» Arbeiten bis jett überhaupt gefehlt hat: der letzte Wille, der unzweifel- hafte Nachdruck, der Stempel der Nothiwenpigfeit und der Erle— digung.

Ich habe manchmal ven Gedanken, Heyſe ſchreibe ſeine Stücke zu raſch. Die Fähigkeit der Hervorbringung in ihm iſt ſehr leb— haft, ſein Talent iſt für alle Formen geſchmeidig, und er behandelt ein Theaterſtück wie eine andere Schrift, indem er ſeiner natürlichen Fruchtbarkeit unverweilt nachgiebt, das Stück in die Welt ſetzt und es den Theatern überliefert, friſch, wie es aus der erſten Regung entſtanden iſt. Ein Theaterſtück darf aber nicht behandelt werden wie jede andere Schrift, ſondern es will reiflich ausgetragen ſein. Je tiefer ſein Organismus athmet, deſto tiefer dringt es in den Zu— hörer, deſto länger macht es ihm zu ſchaffen, deſto nachdrücklicher ſpricht der Zuhörer von ihm, deſto mehr macht er Propaganda für daſſelbe. Das Glückliche erobert ein Theater-Publicum, doch nur das Reife feſſelt es.

Ich weiß freilich nicht gewiß, ob Heyſe warten kann. Es giebt reichbegabte Menſchen, welche ſich der in ihnen wachſenden Früchte ohne Zögern entledigen müſſen, weil hinter dieſen Früchten ſchon wieder neue entſtehen. Solche Talente müſſen, um am günſtigſten für die Bühne zu ſchreiben, das Luſtſpiel erwählen wenn ſie luſtig ſein können, wenn ihnen Laune und heitere Charak— teriſtik zu Gebote ſtehen.

Mit „Hans Lange“ hat Heyſe ſchon eine unerwartete Wen— dung verſucht, und zwar recht glücklich. Er hat die appiiche Straße der „Sabinerinnen‘, er hat die ritterzeitlichen „Herren von der Eſche“ mit ihrem Burg-Pathos verlafien und hat die realijtiiche Charak- terijtif für einen Theil feines Stüdes ergriffen. Die Figuren im Bauernhauſe find ihm auch trefflich gelungen warum follte er auf dem Wege nicht weiterfchreiten! Ja, er hat es auch ſchon

424 Das Burgtheater.

gethan; er hat ein Schaufpiel, „Colberg“, gebracht, welches vater- ländifches Helvdenthum aus dem Franzofenfriege behandelt. Ein ganz richtiger, willfommener Stoff, welchen die Theater im deut— ihen Norden mit großem Beifalle begrüßt haben. Aber er hat es wiederum gethan, wie ich oben angedeutet: zu raſch, zu furz angebunden. Das Stüd ift nicht ausgetragen im Meutter- ſchoße.

Mautner's „Eglantine“ iſt ein eben jo leichtes Kind. Und doch find auch dieſe beiden Verfaſſer wieder grundverjchieden von einander. Heyſe ift veih an Talent, und feine Arbeiten können nur gediegener werden, wenn jie langjamer entjtehen. Dem Ber: faffer ver „Eglantine“ jteht jedoch im glücklichen Falle nur das Formengerüft eines Iheaterftüces zu Gebote. Er thut ganz wohl, raſch Hand an's Werf zu legen, wenn ihm eine Situation vorſchwebt. Das Warten auf tieferen Inhalt würde feinen Stüden faum nützen.

Er geht von einer Situation aus und gruppivt um fie; und daran thut er ganz Recht. Wollte er von einem eigentlichen Stoffe ausgehen und die Situationen aus demjelben organifch entwideln, jo würde ihm feine Fähigkeit die Hilfsmittel verfagen.

Das Verhältnig einer Künjtlerin zu einem vornehmen Manne und eine äußerliche Täuſchung, welche das Verhältnig zerftört das ift die Situation, won welcher „Eglantine“ lebt. Kritif und Publicum haben dies überall herausgefunden, auch in Wien, wo dies leicht befrachtete Stüd Zugftüd geworden. Außer Wien hat es nirgends bejtanden, und auch in Wien hat es bei aller Zugkraft nur eine geringe Schätung gefunden. Die Darftellung der Künft- lerin durch Fräulein Wolter und der abgerijfene Zettel in der Intrigue haben in Wien ven Erfolg hervorgebracht. Man fuchte ein Stück Lebensgefchichte ver darftellenden Schaufpielerin hinter dem Schickſale jener Eglantine, und man fand ich hinlänglich intriguirt durch jenen abgeriffenen Zettel.

Das Buratbeater. 425

Letsteres ift auch nicht zu verachten als Spannungsmittel; jede Kunst braucht ihr Handwerkszeug, und auch das Bedeutende verliert die Anziehungskraft, wenn die Hilfsmittel des Handwerks fehlen. Man nennt fie artigerweife Technif. "Was iſt denn auch gutes Malen, was ijt denn die wirffame Behandlung der Farben anders als Handwerf, artig ausgedrückt Technif?

Rudolph Gottichall, der Verfaffer von ‚Pitt und For’, hat mit Heyſe die vajche Production gemein und verjchmäht wie Mautner das Handwerkszeug nicht, und doch it auch er wiederum grundverfchieden von Beiden. Cr hat Etwas vom Converfations- Lerifon: Lyrik, Literatur-Geſchichte, Drama, Kritik, Journaliſtik, Berichterftattung in zahlreichen Journalen über einen umd ven: jelben Gegenftand Alfes ift ihm gleichzeitig geläufig, und bis auf einen gewijfen Grad gut geläufig. Er tit ſehr fleißig, fehr flüffig, zu mancherlei Hevvorbringung fähig. Noch in friſchem Mannesalter jtehend, wird er die Yöfung feiner Literarifchen Lebensfrage darin juchen müſſen und finden: ob er einen echtem Kern befitt und ob er viefen Kern mit innerer Ruhe entwiceln fann ?

„Pitt und For’ waren Schon jahrelang vorhanden, ehe jie im Burgtheater aufgeführt wurden, und die Verzögerung lag an mir. Dies Gebahren mit wichtigen hiſtoriſchen Staatsmännern erjchten mir zu leichtjinnig für unfere Bühne; ich meinte, unſer Publicum würde es nicht annehmen. Erſt als Sonnenthal jo weit entwidelt war, daß ich ihm den For geben fonnte, entjchloß ich mich zur Scenirung, weil ich in feinem gehaltvollen Weſen eine erhöhende Unterlage fand für die ausgelaffene Figur des berühmten Miniſters. Der Verfaſſer geftattete einige weitere Milderungen, und jo machte das Stüc gutes Glück.

Der Griff als Griff nach einem Luſtſpielſtoffe iſt gewiß rühmenswerth, und wenn man auch bedauern mag, daß die Gegen: jäte gar zu grell und bisweilen der Caricatur ähnlich gerathen

426 Das Burgtheater.

find, jo muß man doch vom Standpunfte des Theaters zugeftehen, daß das Material erfindungsreich angefaßt und behende aus— gebeutet tft.

Gottſchall hat früher in Stücken wie „Die Roje vom Kaukaſus“ den Iprifchen Ergüffen zu viel Spielraum gewährt, iſt aber neuer- dings in Stoff und Behandlung überraichend geſchickt den Bedürf— niffen ver Scene nahegerüct. Selbit in feiner ‚Katharina Howard’, welche durch Ungleichartigfeit ihrer Theile und vielleicht auch durch machtloje Darftellung des achten Heinrich feine Dauer bei uns fand, zeigte jih ein Trachten nach wirklichen Yebenspulfe. Er iſt ein ſehr aufmerffamer Beobachter für Motive und Technik und lernt jehr jchnell ; es tft gar wohl möglich, daß er noch ein wichtiger Producent wird für's deutjche Theater, In einem Stüde: ‚Die Diplomaten” Alberoni in Spanien —, welches mit „Pitt und For’ einige Berwandtichaft hat, ging die Yeichtfertigfeit noch über „Pitt und Fox“ hinaus; aber feine fette Arbeit, „Der Nabob“, beichäftigt ſich ſorgfältig mit einem reichhaltigen Thema. Yord Clive, der oftindifche Held, ift diefer Nabob, und fein Procek vor dem englifchen Parla- mentsgericht in Pondon, in welchen fein Heldenthum und fein Geld— nehmen in Oftindien einander vie Wage halten, bietet eine intereijante Aufgabe. Es wäre fehade, wenn jich Gottſchall nicht die Muße er— zwänge, dem Drama all’ vie tieferen Reize abzugemwinnen, welche namentlich in ſolchem, allerdings nicht leicht intereffant zu machen ven Helden und in folchen Vorgängen ruhen.

AL diefe deutſchen Dramatifer, welche fih auf dem Burg- theater binnen einem Jahre zufammenfanden, gehören zu ganz wer- ſchiedenen Negimentern, zum Fußvolfe, zur Neiterei, zum ſchweren Geſchütz, zur Genie- und zur Verpflegungstruppe. Welch ein volles Bild unferes Reichthums an Eigenthümlichkeit und Eigenfinn! Und jest, da ich fchliegen will, jeh’ ich in demfelben Jahre noch einen ganz neuen Kriegsmann zum erſtenmale auftreten, Morit Hartmann, einst lyriſcher Dichter und liberaler Flüchtling, welcher fo lange die

Das Burgtheater. 427

harten Stiegen des Erils getreten. Nothgedrungen hat er lange nur die fränfifche Bühne gefehen, und heitere Bilder find ihm ein- geprägt worden von der Scene. In einem zweiactigen Yuftjpiele, „Gleich und Gleich“, hat er diefe Eindrücke eingerahmt, aber der ernfte Dichter hat dem Thema doch einen gelehrten Untergrund ge— geben, auf welchem Sonnenblicde des Spottes und der Satyre jpielen fönnen. Die dichterifche Feder ift ſchärfer und fpiter geworden, je länger der Flüchtling erfahren Hat, auf welchen weiten Umwegen die Welt zu ihren Idealen marschirt, ach, marfchiren muß. Das Stüdchen machte mit feinen gelehrten und abjtracten Frauenzimmern eine heitere Wirkung, und wir hoffen, daß dieſe angenehme Antrittswifite einen weiteren Verkehr eingeleitet habe.

Solch ein mannigfaltiges Jahr, mannigfach an dichteriſchen Perſönlichkeiten, Stoffen und Formen, ift doch jehr anregend, und ein jchöpferifches Theater bietet doch eine außerordentliche Fülle von geiftigem Sauerſtoffe. Machen wir uns klar, daß dies in folchem Maße nur auf dem veutichen Theater erreichbar ift.

Aus diefer tiefen Verfchiedenheit der Autoren ergiebt ſich, daß unfer deutfches Theater zu einem viel größeren Inhaltsreichthume, zu einer viel größeren Mannigfaltigfeit ver Formen berufen ijt, als das franzöfifche, welches feiner Schablone fo ficher ift daß unfer Theater aber auch viel jchwerer in Gang zu bringen und im Gange zu erhalten ift, weil die allgemein giltige Form fo ſchwer entjteht bei fo verfchienenartigen Künftlern, bei jo eigenjinniger Gering— ſchätzung ver unleugbar nöthigen Theaterform.

Dieſe Theaterform, oder richtiger diefe Form des Theaterſtücks, ift ja nicht ein Werk des Zufalls oder der gedanfenlofen Ueber: lieferung. Das Bild, die Statue, Das Epos, der Roman, das Gedicht und jede Kunſtform haben ja tief liegende Gefeße, innerhalb welcher allein jie ihre Wirkung erreichen. So ift es auch mit dem Theaterſtück, und doch wird deſſen Technik faſt durchgängig von unſerer Kritik über die Achjel angejehen! Wohl ung, wenn unfere

428 Das Burgtheater.

jelbitjtändigen und charafterwollen Dichter ihre eigene Auffaſſung der Form im Sinne diefer technifchen Geſetze geltend machen. Wir werden dann das reichite Theater der Welt haben. Wehe uns aber, wenn unjere Charafter-Eigenheit diefe nothwendigen Gejete immer wieder despotifch migachten will. Wir werden dann ein jehr armes Iheater haben und vom Auslande borgen müfjen bei allem vaterländiſchen Ueberfluſſe an dichteriichen Originalen.

XXXV.

Das heitere Converſationsſtück und wirkliche Luſtſpiele belebten das Jahr 1864. Feuillet's „Vornehme Ehe“, die ſchon genannten „Pitt und Fox“, „Hans Lange“, „Gleich und Gleich“, kleine Ein— acte von Siegmund Schleſinger, „Die Dienſtboten“ won Benedix und der unglaublich einfache „Geadelte Kaufmann” von Görner füllten die Saiſon.

Sollte man’s glauben, daß jelbit einfache, unpolitifche, ganz moralifche Lujtipielitoffe jahrelang nicht zugelajjen wurden! Und doch ijt vem jo. Und zwar um focialer Principien halber. Solch eine Streitfrage legte fich zurückſtauend vor das fleine niederländijche Gemälde: „Die Dienftboten‘”, und es vergingen mehrere Sommer und Winter, ehe die Stauung befeitigt werden Fonnte.

Die harmlofen „Dienſtboten“ zurüdgewiejen? Ja. Und zwar aus Gründen, welche nicht unwichtig, welche wenigjtens charafteriftiich find. Hier folgen fie:

Sie entiprießen dem Gedanfen oder doc der Gewohnheit, daß ein Hoftheater im Grunde nur für ein exelufives Publicum vor: handen ſei. Wie oft, wenn ich mich auf Gefchmad und Urtheil des großen Publicums berief, wurde mir entgegnet: „Das Publicum hat Sie gar nicht zu kümmern!“ Und hier mit diejen „Dienſt— boten’ ftieß ich auf eine Anfchauung defjelben Gedanfens. Es war meine Schuld, daß ich überrafcht war; denn die Ablehnung diefes Stüdes war folgerichtig. Das Hoftheater ein ganzes Stüd lang

430 Das Burgtheater.

wenn auch nur ein einactiges der Dienerjchaft eines Haufes allein zu überlafjen, das das erſchien unanftändig. Vielleicht nicht geradezu gemein, aber unanjtändig. Dafür, hieß es, ijt ein jolches Theater nicht da!

Ich war verblüfft. Für die Kunſt iſt Alles da! wollte ich jagen, aber ich bemerfte jpät genug, daß ich eben einem Gedanfen- oder Gewohnheitsfreife gegenüberjtand, welcher aus einem Schloß- theater Pudwig’S XIV. das Wefen und den Charakter auch eines heutigen Hoftheaters ableitete, und dag all’ meine äjthetifche Beweis— führung unwirkſam verbleiben müßte, Ich flüchtete zu einem Bei— ipiele, von dem ich Wirfung verhoffte; ich berief mich auf nieder: ländiſche Bilder mit den gewöhnlichiten Bauernfiguren, Die hänge man ja doch auf in Galerien und vornehmen Salons als Kunjtwerfe ‚Aber diefe Bauernfiguren jprechen nicht!“ lautete die Ent— gegnung.

Das mußte ich zugeftehen und war gejchlagen. Es vauerte, wie gejagt, mehrere Jahre, ehe dies Vorurtheil verblaßte. ALS Symptom ift e8 gewiß intereffant. Es gehört zu den zahlreichen Conſequenzen eines Runft-Injtitutes, welches einen ſpecifiſch joctalen Charakter geltend macht.

Biel natürlicher war's, daß der folgende Chef den „Geadelten Kaufmann‘ beanjtandete. Ich hatte das ebenfalls Tange gethan. Eine ordinäre Komödie mit fo viel Trivialität erfcheint in der Lec— türe geradezu unmöglich für ein erſtes Theater. Dreimal hatte ich das Buch beifeitegelegt unter Kopfichütteln. Aber die Theater- berichte aus allen Städten meldeten fröhlichen Erfolg dieſer Komödie.

Ganz ebenfo erging es mir fpäter mit den „Zärtlichen Ver- wandten” won Benedir. Mehr als dreimal jchob ich ſie von mir, weil ich die alltäglichen, übertriebenen und abgebrauchten Figuren und Scenen gar zu abgejchmadt fand für's Burgtheater. Und auch von dieſem Stüce melveten die Zeitungen aus allen Windrofen Erfolg auf Erfolg.

Das Burgtheater. 451

Nun, ein Theater-Divector muß wie ein Regent die einjtimmige öffentliche Meinung vefpectiven: ev muß fich täglich jagen: Man (evnt nicht aus, und jede Theorie muß immer wieder neu bei der Praxis in die Lehre gehen!

Wir haben nachdem ich die Manuferipte jo weit als mög— lich zufammengeftrichen beide Stüde gegeben und haben mit beiden volljtändiges Theaterglüd gemacht.

Beim Luftipiele darf man um des Himmels willen nicht vor— nehm jein wollen. In Lujtipielen, welche von PBraftifern herrühren, wie hier von Görner und Benedix, muß man wagen, va banque zu jpielen, Denn da liegen oft Momente verborgen von populärer Wirkung, welche die Stimmung auch eines vornehmen Publicums gewinnen und dadurd die Beleuchtung des ganzen Bildes veräns dern, Das Bedürfniß der Heiterkeit ift ganz außerordentlich in einem Iheater-Publicum. Dies Bevürfnif iſt ſelbſt graufam gegen die Bildung. Es verichlingt Trivialitäten, wenn dies unter vollem Lachen geſchehen kann. Der römiiche Ruf: „Schafft Brod und Spiele!’ ijt ewig.

Je leichter obenein ein Publicum lacht, deſto vorfichtiger muß der Theater-Director fein mit Zurücdweifung von Luftjpielen ; denn es iſt unſchätzbar, fröhliche Unbefangenheit im Theater = Bublicum zu erhalten. Zwei Drittheilen des Publicums ift die Erwedung völliger Heiterfeit eine Haupteigenjchaft der Kunft. Und wer gut (acht, der weint auch gut, der gehört auch zum bejten Theile des Publicums im Schau: und Trauerjpiele.

Es iſt dies eben die freie Hingebung an das Spiel, das Grund» element aller Kunst, und eine ſolche Hingebung ift die Grundbe- dingung eines lebenswollen Theaters.

Kein Bublicum lacht jo leicht und jo gut wie das Wiener. Ich werde nie die Aufführung des „Marktes von Ellerbrunn‘‘ vergejfen, welche ich einmal im Dresdener Hoftheater geliehen. Während des ganzen Abends lachte im ganzen Haufe fein Menſch. Natürlich

432 Das Burgtheater.

fpielten auch die Schaufpieler vemgemäß. Wie es in ven Wald hin- ein fchallt, jo Schallt es heraus. Wenn die da unten feine heitere Wirfung melden, da werden ſie oben auch troden und trodener. Ih war alfo ver Meinung, das Stüc jet durchgefallen, denn das- jelbe Stück wird im Burgtheater fuftig geſpielt und luſtig aufge nommen. Keineswegs! Ich irrte mich, Das Publicum war zu— frieden; e8 ſchien nur gar nicht daran gewöhnt zu fein, daß man (aut lachen müffe, um fich luſtig zu unterhalten.

Hier fommen wir auf einen Punkt, wo wir der alten jtrengen Genjurzeit eine gute Seite abgewinnen. Weil dem Burgtheater jo fange alles Moderne vorenthalten wurde, entſchädigten fich Reper— toire, Schaufpieler und Publicum durch forgfältigite Ausführung und aufmerfjamjte Hinnahme alter Stüde, namentlich alter Luſt— ipiele. Mean lernte die Citrone ausprejjen. Unſchuldige Heiterkeit war nicht verboten, und fo cultivirte man fie geradezu mit Raffine- ment. Das ift wichtig geworden und geblieben für das Luſtſpiel im Burgtheater; es wird da ausgeführt und ausgefojtet bis in die fleinjte Faſer.

Sp haben denn auch die ärgſten Neider immer zugeben müfjen, daß im Burgtheater das Yuftipiel gut jet, weil weil es gut ges jpielt werde.

Der Tragödie im Burgtheater hat man nie fo viel Lob nach— jagen mögen, obwohl Sophie Schröder jo lange hier war, obwohl Anſchütz und Aulie Rettich feſte Stüten der Tragövdie hießen. Warum nicht? Das Publicum in Wien ift wirklich jehr lange fein Tra— gödien-Publicum geweſen. Der Unterhaltung nachjtrebend, hatte e8 feine Luft und hatte es wenig Uebung, fih in Schmerz zu vertiefen, den Schmerz in feiner läuternden Bewegung zu ſchätzen. Ein leich- ter Katholicismus, welcher das Gewiffen immer wieder leicht be— ruhigt, erzieht nicht für die Tragödie. Man findet fich ab mit ſen— timentaler Rührung und hat fein Verlangen nach gleichzeitiger Er— hebung. Dazu fam, daß man jahrzehntelang fein Tragödienherz

Das Burgtheater. 435

gehabt im Schaufpieler-Perfonale. Selbſt Sophie Schrövder hatte mehr die Größe und die Gewalt, als das Herz der Tragödie, umd namentlich tragijche Liebhaber und. Liebhaberinnen fehlten. Korn war ein trefflicher Puftipielfchaufpieler, nie ein tragifcher Liebhaber. Auch Löwe war eigentlich feiner bei all feinen glänzenden Eigen— Ichaften. Dieje Eigenschaften waren eben glänzend, aber niemals tief. Der. tiefe tragiiche Schmerz hat feine Seele nie berührt, Löwe hat ihn alfo auch nie den Zuhörern mittheilen fünnen, Nur Sophie Müller, welche ich leider nicht gefannt, hat, allen Schilverungen nach, ein tragifches Herz, einen tragifchen Ton beſeſſen. Sie wurde befanntlich nach wenigen Jahren in ven Tod geriffen. Ihre Nachfol- gerin Gley-Rettich hatte wohl alle geiftigen Mittel, aber die unmittel- bar fünftleriiche Macht einer tragischen Liebhaberin war ihr verfagt. Sie ſchil derte jchmerzliche Leidenſchaft, aber fie jtelfte fie nicht dar, Anſchütz Hatte einige Rollen, in denen er hochtragiſche Scenen traf, Zum Beifpiele die große Scene des zweiten Actes im „König Lear“, und wohl auch die letzte Scene. Was dazwifchen lag, fowie die Mehrzahl feiner fonftigen tragischen Rollen außerhalb der bürger- lichen Sphäre war immer reif und werthvoll, aber es entbehrte der Höhe. Figur und Sinnesart- unterjtüßten ihn dazu nicht hin— veichend. Die Sinnesart war bürgerlich und der poetifche Aus- druck war ein ſchulmäßig gebildeter, nicht ein direct aus feinem Wefen entjprofjener. Mean achtete das, man mußte es loben, aber den erwarteten Eindruck idealer Poeſie empfing man nicht,

So erklärt ſich's, daß die Tragödie in zweiter Linie blieb. Das lebte Jahrzehnt ift darin weiter gefommen. Nicht bles darum, weil alle übrigen deutjchen Theater zurücgeblieben find und ung die Behauptung des erjten Plates erleichtert haben. Nicht blos darum. Der Einn der Bevölferung ift in feiner Tiefe viel mehr bewegt worden als früher, das Publicum ift ernfter und nachdenf- licher, die Jugend ift bedeutender geworden. Und auch die tragischen

zum Theil ſchwächer in Behandlung der rednerifchen Laube, Burgtheater. 238

4534 Das Burgtheater.

Form find im Naturell echter tragiih. Herrn Wagner ift Mangel an geiftigerv Bewegung worzuwerfen, aber jeine tragiiche Leidenſchaft ift jtärfer als die feiner Vorgänger, Fräulein Wolter hat ebenfalls eine uͤnleugbar jtarfe tragijche Gewalt, und Lewinsky ijt hinzugefommen, ein Charafterjpieler in der Tragödie, an welchem es weit zurüd im Burgtheater ganz gefehlt. Ya Roche, ein treff- liches Luſtſpiel-Naturell, war ja nie ein tragifcher Charafterijtifer.

Darin alfo jind wir höher gerüdt, und im Luftipiel haben wir die Ueberlegenheit bewahrt. Namentlich in den eriten Sechsziger Jahren, als die alten Herren noch alle thätig waren,

Mit wenigen Ausnahmen gehörte das ganze männliche Per— jonal zu Trägern und Werkzeugen des Xuftipieles, Hiebei ver- werthete e8 fich Hundertfach, daß man bei Engagements immer vor— zugsweife auf lebensvolle Perjönlichkeiten Rücficht genommen und weniger auf fachmäßige Schulfenntnif. Das fam dem Lujftipiele zu ftatten, das Lujtjpiel-Contingent war äußerjt zahlreich. Nicht nur Fichtner und Ya Roche in erfter Linie, auch Löwe hatte fcharfe Luſtſpielrollen, auch Anfhüt war gediegenen Humors. Alsdann Bedmann, der Hauptfeuerwerfer; neben ihm Meirner, Baumeifter, Arnsburg, Sonnenthal, Föriter, Gabillon, Lewinsky in alten Knaben, und jüngjte Yeute, wie Schöne, Hartmann und Kraſtel; Franz Kierfchner in fleineren Chargen, ja Mitglieder dritter Kate— gorie jtellten ihren Mann im Luftipiele, Schmidt in natürlicher Laune, Stein in derben Epiſoden.

Wo war je ein deutſches Theater in ſolchem Umfange ausge— rüſtet für das Luſtſpiel! Die alten Herren in ihrer gefeſteten Macht ausgebildeter Perſönlichkeiten, in ihrer Macht langjähriger Uebung und Erfahrung, welche alle Neigungen des Publicums zu gewinnen wußten, und unter dieſen älteren Mitgliedern ein Mann wie Ficht— ner, ein Künſtler im Luſtſpiele ohnegleichen! Es vergehen oft Generationen, ohne daß der Bühne ein ſolches Talent ausgebildet wird ein Talent von ſo künſtleriſcher Strenge und Feinheit, und

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gleichzeitig von fo reiner Yiebenswürdigfeit, von jo anſpruchsloſem und doch fo wohlthuendem Humor. Neben diefen älteren Kräften aber ein Zuwachs junger Männer, welche Sinn und Geift ver neuen Zeit mitbrachten umd in täglicher Uebung, ich darf jagen in täglicher Anleitung dieſen Geijt entfalten lernten unter der täg- lichen Controle eines fejt gejchloffenen und dabei lebhaften Pu— blicums.

Man hat es geradezu ſehen können, Schritt für Schritt ſehen können, wie alte und neue Zeit da harmoniſch in einander übergingen, wie eine junge Kraft gleich ver Sonnenthal's die Grundlagen Ficht— ner'ſchen Talentes ich allmälig aneignete und doch jelbitjtändig im geiftigen Lebenskreiſe heutiger Welt eine ganz neue Figur aus jich gejtaltete. Rollen des ganz alten Repertoires wurden da nie er reicht, denn fie gehörten in ven eigentlichen Yebensfreis Fichtners; in Rollen neuerer Zeit wuchs ihm Sonnenthal dagegen bald bis an die Schultern, und in Rollen neneften Datums zum Beifpiele im „Geheimen Agenten”, im Konrad Bolz aus den „Sournalijten‘ war er ebenjo groß und war ganz anders. Die Uebung in mo- derner Geijteswelt brachte da ein neues, ein modernes Colorit.

Der Wiener, welcher diefe Uebergänge und Entwidlungen mit aufmerkſamem Auge angejehen und wie viele jolche Wiener giebt es! denn Wien ift jeßt der einzige Ort gewejen, in welchem ein mitjchaffennes Theater» Bublicum vorhanden geblieben ift ſolch ein Wiener hat eine dramaturgiſche Periode vurchgelebt, welche für Erziehung und Erhaltung eines erjten Theaters unjchätber ift. Dies war damals ein Luſtſpiel, wird er noch in fpäten Tagen fagen, und leider müſſen wir jetst jchon hievon wie von vergangener Zeit erzählen. Aeußere Störungen und der umerbittliche Tod haben den reichhaltigen Kreis gefprengt.

Der Tod hat uns auch Beckmann entrifjen.

Die wirklich komiſche Kraft wird am höchſten geichätt von der Welt, gewiß am febhaftejten. Die Mehrzahl der Menichen hat

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inftinetmäfßig das Bedürfniß, aufgeheitert zu werden. Jedermann jtrebt nach Glück, und heitere Stunden find für Jedermann ein Er— fat für Glück. Es giebt alfo nichts Populäreres als einen wirk- lichen Komiker.

Beckmann war einer. Er war ein fomifcher Künſtler, ev war ein fomifcher Schaufpieler. Ob er in vem Maße als Schaufpieler begabt war, wie er es als Komiker war das ijt allerdings eine weitere Frage. Er war immer Bedmann, heißt es. Das Kleid, die Masfe, welche -er trug, der Charakter, welchen er darſtellen jollte, mochten fein wie fie wollten, ev war immer Beckmann, jet man hinzıt.

An diefem Vorwurfe ift etwas Wahres. Im jedem Kleide, in jeder Maske, in jedem Wefen drängte er zu dem Bedmann hin, welcher im Beckmann'ſchen Weſen komiſche Wirkung machte, Es gelang ihm faum, ja ev verfuchte es jelten, verjchiedenartig zu charafterifiven. Es lag nicht ganz außer feiner Fähigkeit, aber es überjtieg die Enthaltjamfeit, deren er fähig war. Dft war jeine Rolle ganz charakteriftiich angelegt auf der Probe, ja zuweilen jogar ausgearbeitet, und oft jpiefte er fie auch den erjten Abend charafte- riſtiſch wenn fie in folcher Charakter-Begrenzung hinreichend wirkte, Hinreichend für feinen Hunger und Durjt nach fomijchem Effecte. Aber wenn viejer Effect ihm nicht füttigend genug ſchien, da warf er die Charafterfunft wie die Büchje in's Korn und rief flugs feinen Beckmann zu Hilfe, diefer Bedmann mochte zum Cha- rakter paffen wie die Fauft auf's Auge, um nur den fehlenden Effect einzuholen. „'s war nöthig, Doctor!” fagte er jehr ernithaft, wenn ich zu ihm trat und er Vorwürfe erwartete. Cr that's aber auch, wenn's nicht nöthig war, wenn Stüd und Rolle gefallen hatten; er begnügte fich bei ven Wiederholungen nicht mit jolchem harafteriftiichen Erfolge, ex befreite fich auch alsdann mehr und mehr von den Schranken, welche der Rollencharafter dem Beckmann auferlegte, und ein Feten nach dem anderen flog in die Yuft, bis

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bei der zehnten Vorjtellung der unverftellte Beckmann dajtand und als jolcher jeve Bedmann’ihe Wirkung machte, weit über bie Grenzen der Rolle und des Stüdes hinaus. Den alten Herrn v. Eifenftein zum Beifpiele in „Cato von Eifen” brachte er in den eriten Vorſtellungen ganz charafterijtiich, allmälig aber wiſchte er alle befonderen Züge radical aus und war zulett ein allerdings höchſt Fomifcher Beckmann, aber gar nicht mehr ver alte Herr v. Eiſenſtein.

Darin war er ganz wie ein Clown. Er fuchte und brauchte um jeden Preis großes Gelächter. Im Mittelalter, das nod) feine Hofichaufpieler fannte, wäre er gewiß ein Hofnarr geworden. Er hatte Dafür die ausgefprochenite Fähigkeit und auch die jtärfite Neigung. Die regierenden und vornehmen Herren waren ja auch heutigen Tages immer und überall beflifjen, ihn in ihrer Nähe zu haben, und er war äußerſt befliffen, in folche Nähe zu fommen. Er verjicherte zwar immer, wenn er aufgefordert wurde zu fomifchen Vorträgen, daß er leider gar feine Hilfsmittel, nicht einen lumpigen Zettel bei jich habe; aber wenn er num in Schuß fam, da zog er, wie Falſtaff, unbefümmert um die Fleine Lüge, aus allen Rocdtafchen die Zettel hervor, auf denen die Schwänfe und Wite ſkizzirt waren, welche er mit Meifterfchaft vortrug, völlig ein Herr v. Kreuzquer in den „„Pagenjtreichen‘‘, den er wie ein vwollendeter Tajchenfpieler daritellte,

Laſſe man ich jedoch durch diefe Ausstellungen nicht verleiten, jeine jchaufpielerifche Begabung geringzujfchäten. Er beſaß fie in hohem Grade. Er verleugnete fie nur vielfach aus Eitelfeit, aus Furchtfamfeit, aus Mangel an Charafterfraft.

Aus Eitelfeit, weil es ihm unerträglich war, auf der Scene nicht den entfcheivenden Ton angeben zu dürfen. Aus Furchtſam— feit, weil er jeinen Ruf, feine Bedeutung bedroht glaubte, jo lange er auf der Scene nicht der Hahn im Korbe wäre und in enger Be- grenzung erjcheinen müßte, Aus Mangel an Charafterfraft, weil

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er eben nicht ven fejten Sinn beſaß, fich mit dem zu begnügen, was irgend eine Entjagung heifchte. Seien wir billig! Sit denn auch fejter Sinn vereinbar mit der Fühigfeit, welche er bejaß? Dieje Fähigkeit bejtand ja vorzugsweile darin, auseinanderzugehen in leichter Anwendung feines flüjjigen, witigen Geiftes. Wäre er feften Sinnes gewejen, jo hätten ja eben die hundert Späße nicht heraus gefonnt, die ihm aus allen Knopflöchern fprangen.

Die komiſche Kraft in ihm beftand übrigens nicht aus dem groben Material eines urwüchjigen Komifers, der nur den Mund zu öffnen braucht, um Lachen zu erregen. Sie beſtand aus einer feinen Mifchung. Er war nicht nur behaglich, wie e8 der Komiker it, in feiner Komif war immer ein Funke Geift. Er war in der Behaglichkeit immer darauf bedacht, Sälz zu gewinnen und fein ausjtrömendes Behagen mit dem Salze zu würzen. Cr war immer auf den einzelnen Wit bedacht, und gerade deßhalb wurde er ein jo guter Unterhalter auch außer der Scene.

In diefem Sinne war er auch felfenfejt in wörtlicher Kenntniß feiner Rollen. Hinter den Coulifjen war er ununterbrochen mit feiner Rolle bejchäftigt, und nur mit feiner Rolle. Das Wort, das genaue Wort war feine Wehr und Waffe. Auch alle Extraſpäße waren genau notirt in jeinen Rollen.

Er ftammte aus Breslau. Sein Vater war Töpfer und hatte jeine Werfitatt in der Taſchengaſſe, dicht bei der fogenannten „falten Aſche“, dem alten Breslauer Iheater. Frübzeitig kroch Fritz da jeden Abend hinein, frühzeitig brachte er ſich da zu Fleinen Hilfsämtern. Zunächſt als Handlanger, denn der Handwerfers- ſohn griff Alles gefchiet an lange nicht als Schaufpieler. Aber aufgewecten Geiſtes, jah er jpannend wie ein „Schießhund“ aus der Couliſſe zu, und als einmal eine feine Lücke entſtand, ſagte er blinzelnd zum Regiſſeur: „Die könnt' ich ſchon ausfüllen“. Hinaus alſo! Und wie ein Schießhund ſprang er ein. Da zeigte ſich's

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denn, daß der frifche, exacte Burjche am Plate war und fich auch ven Plat bald erweitern fonnte.

Gr fam von da nah Berlin an’s Königsſtädter Theater, welches damals das Luſtſpiel des Tages einführte, indem es ſich die fomifchen Figuren von der Gaſſe holte. In diefem Luſtſpiele des Tages fand er feinen eigentlichen Beruf: die wirklichen Figuren und Vorgänge mit witiger Slluftration hinzuftellen. Glaßbrenner, der erite Erfinder Berliner Volfsfiguren und Titerarifcher Berliner Wite, wurde ihn eine wichtige Hilfskraft, indem er ihm namentlich den Eckenſteher Nante jchuf und fchaffen half, die erjte populäre Volksfigur, welche für alle Beckmann'ſche Fähigkeit erwünfchte Ge- fegenheit bot. Dort und jo wurde er ein erjter Nomifer.

Das war in den Dreifiger Jahren. Wir jungen Schriftjteller waren damals vielfach darauf bedacht, ihm Nahrung zuzuführen, weil er modernen Geijt in die Theaterfomif brachte. Ich ging ein- mal im Sommer 1839 zu Paris den Boulevard entlang und fah am „Vaudeville“, welches damals am Boulevard fein Haus hatte, ein kleines, neues Stüd angefündigt mit Arnal. Bei Arnal dachte ih an Bedmann und ging in’s Haus. Das neue Stücdchen war „Passe minuit‘“, und Arnal war überwältigend fomifh. Bon der Logenſchließerin erfaufte ich ein Eremplar, überjette e8 flugs, vie Handlung in unſere Heimath nach „Beuthen an der Oder“ ver: legend, und ſchickte es Beckmann unter dem Titel: ‚Nach Mitter- nacht” an die Königsftadt nach Berlin, Dreißig Jahre lang hab’ ich davon gelitten! Er war freilich fehr fomifch darin, aber er jpielte die Rolle durchaus nicht fo, wie ich es haben wollte. Ich verlangte paſſive Komif, da der ftörende nächtliche Bejucher die active Aufgabe hatte. Das war Bedmann nicht möglich; in paf- fiver Komik fühlte ev fich gedrückt; er mußte vordringen fünnen, er mußte die „Initiative haben auf der Scene, den Angriff, die Herausforderung mit Späßen, jonft verlor er Yaune und Muth. Beides verlor er auch unfehlbar, wenn ein neues Stüd nicht „ein—

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ſchlug“, wenn jeine Rolle nicht „packte“. Da wurde er ganz Hafenfuß, jtöhnte „sauve qui peut“ und gab eingejchüchtert die Schlacht auf.

1845 fand ich ihn im Theater an der Wien und gewann eine Einwirkung auf feine fernere Yaufbahn. Der damalige Chef des Burgtheaters, Graf Moritz Dietrichitein, der ein gewifjes Zutrauen in meine Theaterfenntniß zeigte, geſtand mir zu, daß eine Verjtärfung der fomifchen Kräfte deren Hauptvertreter damals Wothe wohl wünjchenswerth jei, daß er aber doch nicht ven Muth habe, den Poſſenſpieler aus der Vorſtadt hereinzunehmen. Ich fette ihm auseinander, daß Bedmann Fähigkeiten genug habe, nicht blos Poſſen zu jpielen, und daß er für das Burgtheater jehr erfrifchend jein würde. Nach wiederholter Unterredung jagte Graf Dietrichjtein: Sie werden Recht haben, und ich werd’ ihn engagiven. 1846 trat er ein und gehörte uns zwanzig Jahre lang zu unvergeßlicher Er- heiterung.

Im Juni 1866 verſprach er mir troß des ausbrechenden Krieges, wor dem er ſich jehr fürchtete, mit mir nach Karlsbad zu gehen. Im Letten Augenblice übermannte ihn die Furcht, er ver— zichtete auf das Mineralwaſſer, welches ihn jo oft ſchon von feinen Leiden befreit, er blieb zurüd, und ich ſollte ihn nicht wieder: jehen. Bielleiht hätte Karlsbad die Kataftrophe abgewendet! Als ic zurückkam, lag er im Sterben, und zwar unter grimmigen Schmerzen.

Welch ein Hohn des Schickſals! Er, der weichite, wehleidigſte Menſch, zu ſolcher Marter verurtheilt, er, der jo viel Tauſenden das Leben erfrifcht, mußte unter jo furchtbarer Pein aus dem Leben ſcheiden!

XXXVL

Im Damenperjonale war das Yuftipiel-Contingent viel ſchwächer. Der Humor ift ja wohl immer jpärlicher vertheilt unter Frauen, denn er jeßt Gegenſätze im Innern woraus, welche für die Weiblich- feit nicht ohne Gefahr find,

Die bejahrten Burgtheaterfreunde jprechen mit Entzüden von der Humoriftifchen Kraft der älteren Frau Koberwein. Ich habe fie leider nicht mehr gejehen, Seit ich das Perfonal genauer fenne, waren Frau Haizinger mit ihrer Tochter Louiſe Neumann und Fräus lein Wildauer die Anker für das Luftipiel, Und Fräulein Wildauer entwich uns leider frühzeitig. Sonftwar und ijt im Damenperjonale der ausgejprochene Humor ziemlich ſchwach vertreten. Frau Fichtner war nicht ohne ſarkaſtiſche Yaune; Frau Hebbel ift ferner, ven Meiſten unerwartet, für eine bejtimmte Gattung von Parodie und Charge wirfjam geworden ; Fräulein Grafenberg zeigte Anlage für fomijche Naturmädchen (Franzl im „Sonnwendhofe“); Fräulein Krat ent- wicelt merfwürdigerweife fajt nur dann Humor, wenn fie in Hoſen— rollen jpielt ein Zeichen, glaube ich, dag fie eine humoriſtiſche Zufunft in älteren Rollen hat, und Fräulein Baudius wird in Rollen von geijtvoller Yaune, bejonders wenn jie ein wenig Malice ver- tragen, eine Specialität werden. Die übrigen Damen find mehr um Converjations-Stüde als im eigentlichen Puftipiele von Be— deutung. Nur Fräulein Bognar gewinnt auch einen rein heiteren Ton, und Fräulein Wolter hat auch humoriſtiſche Wallungen,

442 Das Burgtheater.

Das ſtärkſte Naturell lebenswoller Luſtigkeit befitt Frau Hai— zinger, ein Naturell von unverwüftlicher Yebensfraft.

Ih habe jie jchon als Student, ſchon vor vierzig Jahren, ge- jehen. In Halle. Damals war fie jebsundzwanzig Jahre alt und war eine blendende Schönheit. Sie fang in der Oper, fie jpielte im Trauer, Schau- und Yuftipiele, wie dies in ökonomiſcher Zeit und bei reich ausgejtatteter Begabung Sitte war. Man wird jetst lächeln, wenn ih jage: Maria Stuart war die erite Rolle, welche ich die gefeierte Frau Amalie Neumann-Haizinger habe jpielen jehen. In einer verlafjenen Kirche ich kann nicht dafür, das rationaliftiiche Halle mag es verantworten war das Theater aufgejchlagen, und Bruder Studio ftrömte in hellen Haufen auch zur Probe hinem und machte der ſchönen ſüddeutſchen Blondine vie Cour. Es war mitten im Sommer, und e$ barrichte große Hite. Geiftreich beflagten wir darüber die junoniſche Königin von Schottland, und fie liſpelte erwidernd: „Auch diefer Kelch wird vorübergehen!“ und blidte da— bei mit jenem Lächeln, das ihr bis jekt treu geblieben ift, auf die bärtigen Jünglinge, unter denen nicht ein Frack zu finden war.

Gebt Acht! hieß es die ift morgen im „Sprudelköpfchen“ noch patenter dies war der damalige offtcielle Bea als beute in der Schiller'jchen Tragödie!

Die Luftipieldame wurde alfo gleich entdeckt, noch ehe fie ge— jpielt hatte.

Amalie Moritadt, verehelichte Neumann und Haizinger, 1800 in Karlsruhe geboren, figurivte ſchon als Backfiſchchen auf der Bühne und hat ihre ſchauſpieleriſche Ausbildung offenbar ganz naturaliſtiſch und vorzugsweile aus eigenen Kräften gewonnen. Am kleinen Hoftheater in Karlsruhe ſich entwidelnd, tft jie von eigentlicher Theaterfchule unberührt aeblieben. Ein wenig zu ihrem Nachtheile, aber auch fehr zu ihrem Frommen. Zum Nachtheile darin, daß fie fich die Kunjt des Sprechens nur durch Praxis hat aneignen müſſen. Aus ihrem guten Organe wäre noch viel mehr

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zu machen gewejen, wenn man jie zeitig darauf aufmerffam gemacht hätte, daß der Ton von Innen nach Außen gebildet werden müſſe, nicht von Außen nach Innen. Zu ihrem Frommen aber darin, daß fie von jever Manierirtheit frei geblieben ift.

Cie hat frühzeitig in Gaftjpielen ihr großes Talent geübt und namentlich in Berlin mit großem Glüde gefpielt. Dort fteht fie auch noch heute im beiten Angevenfen; das frifche, herzhafte, ſüd— deutſche Wefen, ver alemannifche, ſchwäbiſch angehauchte Ton voll freier Natürlichkeit ift ven dortigen Norddeutschen ein unvergeplicher Zauber gewefen.

As Mitglied ift fie erſt 1845 ins Burgtheater getreten, und fie wurde hier in den erjten Jahren unter der Regieherrichaft nicht fonderlich gefördert. Sie geht aus dem Nahmen hinaus! fagte man, indem man ihr fröhlich natürliches Gebahren zum VBorwande nahm, und ihre unnachahmlichen jauchzenden Töne, wenn eine Iujtige Kataftrophe eintritt. Der wahre Grund lag aber in dem jtillen Geſtändniſſe: fie zieht vie Aufmerkfamfeit zu jehr auf fich und zieht fie ab von „unſeren“ fomifchen Alten; fie nimmt ferner Rollen in Anſpruch, welche wir brauchen.

Ein Körnchen Wahrheit lag übrigens in jenem Vorwurfe vom „Rahmen“. Sie läßt jich gehen, wie es ihre Yebensfülle mit fich bringt; fie ift nicht ängſtlich mit Stichworten und überfpringt fie zuverjichtlich, fie hat endlich und das ift oft jehr komiſch feiner- lei Sorge um Localfinn und geht vergnügt durch die Wände ab, jtatt durch die Thür. Das ift aber auch Alles. Dies Körnchen Wahrheit geht unter in dem VBorzuge der Frau Haizinger, welcher gerade hiebei berührt wird. Ihr Grundvorzug bejteht nämlich darin, daß fie fich bis in ihr Alter die frifchefte Natürlichkeit bewahrt hat, daß fie immer unmittelbar lebendig erjcheint, niemals abge- dämpft durch irgend eine abjtracte Schaufpielerformel. Und ihre Natürlichkeit, ihre Lebendigkeit find zündend ; die Yebensfraft, welche von ihr ausjtrömt, iſt echt, iſt unverfälfchtes Quellwaſſer. Sie tft

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vielleicht nicht jo jehr humoriftifch als fröhlih. Der Zuhörer fühlt jich belebt und erfrifcht, er vergißt den Fünftlichen Begriff eines Theaters, er ruft ihr zu, er jauchzt mit ihr, wenn fie jauchzt. Und fie thut das oft. Darin ift fie dem verjtorbenen Wilhelmt nahe verwandt, Der erwedende Yuftzug des wahren Talentes tritt mit ihr auf die Scene und verbreitet fich im ganzen Haufe. Ach, diefe Kraft eines ſtarken Naturells wird leider immer feltener auf dem Theater! It denn wirklich die Begabung fo ausgeftorben? Dover wird fie geknickt durch lauter Bildung?

Es iſt wahr, diefe Art von Schaufpielern iſt durchſchnittlich nur begabt, jie belaftet und zerfplittert fich ven Sinn nicht durch Studien, fie macht fich nicht viel Gedanfen außerhalb ihres Derufs. Frau Amalie widmet ihre Mußezeit mit glücklichem Inſtincte dem „Fabuliren“, wie die Frau Rath, Goethes Meutter, gethan. Sie intereffirt fich für alle Vorgänge, fie Lieft alle Gattungen von Ro— manen. Die Fabel ift ja der ewige Neiz des Künftlerlebens ; wer ſich ihr Hingeben fannn unbefangen und ganz, der erhält fich den Zauber der Darftellung. An alles Mögliche glauben, mitunter auch an das Unmögliche, das gehört zum Odem eines Künftlers, welcher einen zuverfichtlichen Eindruck machen will durch feine Darjtellung, durch feine Täuſchung. Er foll uns ja täufchen, und je weniger er jelbjt an feiner Wahrhaftigfeit zweifelt, deſto beſſer täufcht er ung.

In diefer Zuverficht Liegt die Hauptmacht der Frau Haizinger, und wenn dennoch ein Zweifel in ihr auffteigt, ob wohl die Dinge, welche fie vorträgt, gar zu romanhaft feten, da lacht fie auf mit jener abjoluten Ehrlichkeit und Ungebundenheit des Yachens, daR alle Welt mitlachen muß. Wird dadurch auch manchmal die voman- hafte Täuſchung zerftört, indem man daran erinnert wird, es ſei ja doch Komödie, was man da vor fich habe, nım, fo läßt man fich das auch gefallen, denn für anſteckende Fröhlichkeit ift Jedermann danfbar.

Ein anderes wichtiges Mitglied des weiblichen Perjonals,

Das Burgtheater. 445

wecthvoll für ältere Charafterrollen im Converfationsjtüd und im Luſtſpiele, kündigte mir gegen Ende des Jahres 1864 fein Aus: ſcheiden an. Es war Frau Fichtner. Ich Hatte fie in ihrer Jugendzeit wenig oder gar nicht gejehen, aber ich glaube volljtändig der vielfachen DBerficherung, daß fie eine interejlante Luſtſpiel— Liebhaberin gewejen mit ihrem klaren Berftande und ihrer ficheren fünftlerifchen Haltung. Ich weiß nicht genau, war fie die Braut oder war fie die junge Frau Fichtner’s, als ich 1833 zum erſten— male im Burgtheater war und dies blonde Paar zum erjtenmale jah, ein Baar, fo friſch und vofig wie der junge Mai. Im Publicum börte ich lauter wohlwollende Bemerkungen über das intime Ver: hältniß diefer beiden jungen Yeute, die Heirath des Fräulein Koberwein und Fichtners war das allgemeine Gejpräch im Par- terre. Zum erjtenmale trat e8 mir damals nahe, wie familien- haft Publicum und Schaufpieler im Burgtheater zu einander gehörten.

Die Vorzüge der ſpäteren Frau Fichtner waren unjcheinbar. Ich muß mir ſelbſt vorwerfen, daß ich fie nur langjam bemerft habe in ihrer ganzen Bedeutung. Sie waren folid und werthvoll. Klar vorbereitet über das ganze Stüd und über ihre Aufgabe in demfelben kam die Dame auf die Probe; mit feſten Strichen legte jie ihre Rolle an und führte jie diefelbe durch. Als ich darüber aufgeklärt war, ging ich an die Erweiterung ihres älteren Faches, in welches fie noch faum eingeführt war, und gab ihr die Herzogin- Mutter im „Geheimen Agenten‘. Das war ein großer Gewinn. Ein wenig vorfichtig ging fie daran, weil jie von den ftrengen Eonvenienzregeln des Burgtheaters fait gar zu ſehr durchdrungen und dadurch geradezu beengt war. Sie fürchtete bei jedem leb— haften Schritte die hergebrachte Linie zu überfchreiten; war der Schritt aber einmal fejtgeitellt auf der Probe, dann that fie ihn zuverfichtlih und tüchtig. Die ganze Leijtung jener Herzogin: Mutter wurde eine treffliche und it nie überholt worden, Cine

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Darjtellerin älterer Damen mit bejtimmten Anfichten, mit eigenem Charakter, ja mit eigenfinniger Dartnäcigfeit, mit fchlagfertiger Aeußerung, mit wirffamen jarfaftiichen Tone jtand fertig da, wie fie in jo jcharfer Nuancirung und mit dergeftalt ſolider Zuverläſſig— feit jelten in viefem Nollenfache zu finden ift. Leider wurde jie bald durch Kränklichkeit jedem anjtrengenden Dienjte entzogen. Und der volle Theaterdienft nimmt viel mehr die phyſiſchen Kräfte in Anſpruch, als die Zufchauer ahnen. So entwich uns diefe haraf- terijtifche Kraft nur zu bald. Ich erwähne dabei nicht einmal der bejonderen Nervenſchwäche, welcher Frau Fichtner unterworfen war. Donnerwetter und Schießen fonnte fie niemals vertragen, jie war alſo von allen Stücken ausgefchloffen, in denen es donnert und fuallt. Immer fteigendes Nervenleiden verurfachte es, daR fie noch bei guten Jahren ven Penſionsſtand ſuchte. Und ad, dabei vernahm ich zum erjtenmale in bejtimmter Form, daß auch ihr Mann, daß auch Karl Fichtner zuriüctreten wollte. Cr hatte es oft angedeutet, indem er auf fein verfagendes Gehör und Ge dächtniß klagend hinwies jetzt wurde es alſo ſchwerwiegender Ernſt.

Der Abgang Fichtner's war der größte Verluſt, welchen das Burgtheater erleiden konnte. Er war ein Mittelpunkt der Kunſt, ein Mittelpunkt der Liebe im Burgtheater.

Solch ein Verluſt ijt nicht zu erſetzen. Ein voller Erfaß iſt freilich bei feiner ausgebildeten Künftlerperfönlichfeit möglich. Sie fommt nicht wieder, denn fie iſt das Ergebniß eigener Anlagen, eigener Studien, eigener Erfahrungen. Das Alles gehört einem Menſchen. Verſchwindet dieſer Menſch, dann tft es eine Täuſchung der hoffnungsbedürftigen Mitlebenden, er werde erjetst werden. Sein Fach wird wieder befegt, vielleicht auch gut wieder beſetzt; aber er ſelbſt verſchwindet, nım die Erinnerung an ihn bleibt, und dieſe kann als Beiſpiel fortwirfen. Der Neue, welcher an feine Stelle tritt, ſei er auch vortrefflich, ijt ein Anderer.

Das Burgtheater. 447

Und gerade Fichtner war ein Typus dejien, was jhön und lied am Wejen des Burgtheaters, ein Urbild des anmuthigen Schaufpielers, welcher milde Schönheit, liebenswürdige Menſch— lichkeit darftellt innerhalb bejtimmter Grenzen.

Diefe Grenzichranfen waren für ihn aufgerichtet zwifchen aus— gelafjenem Luftjpiele und höherem Trauerjpiele, Alles, was inner halb dieſer Schranfen liegt, fand in Fichtner einen vollendeten Schanjpieler.

- Und er war jo ganz ein Burgjchaufpieler, weil er feine ganze Entwicklung langjam und allmälig durchgemacht hatte unter all den Einflüffen, welche dem Burgtheater eigenthümlich find, Vom Theater an der Wien war er herübergefommen, ein jchmächtiger junger Menjch ohne Halt und Feftigfeit, welchem der vorlaute Spott noch öfters nahetrat. Yangjam und allmälig hatte fich jein Talent entwidelt, aber jtetig, vegelmäßig, gleichmäßig in allen Theilen jeiner Fähigkeit. Und deßhalb harmonisch. Alles an ihm war Talent; der Geift und die Yeidenjchaft oroneten fich bereit- willig unter, und da die innerjte Natur von Haufe aus rein und gut gewejen, in aller Folge vein und gut verblieben war, da die förperlihe Erjcheinung endlich von jeltenem Ebenmaße, durchweg von den Örazien begünjtigt war, jo erwuchs in ihm eine fünftlerijche Perfönlichfeit ohnegleichen.

Man hat wohl gefragt, ob jeine geiftige Kraft eben fo groß gewejen ei, wie die feines Talentes? Die Frage ift da faſt müßig, wo uns volle Harmonie im Kunſtwerke entgegentritt. Sie tft erit berechtigt, wenn es fich um die Größe des Kumjtwerfes handelt, und Fichtner entjagte nur zu gern Aufgaben, welche ihm über jeine Begabung hinaus zu liegen jchienen. Er war ganz Künjtler, Im einem jolchen find alle Theile ver Begabung, namentlich Geiſt und Talent, unfcheinbar wie untrennbar verbunden; der Geift ijt ein- verleibt, das Talent iſt vergeiltigt. Fichtner ijt, um es recht einfach auszudrüden, ein verjtändiger Mann, welcher bei der vorliegenden

448 Das Burgtbeater.

Aufgabe immer jehr gut wußte, was der Geiſt derſelben beveutete und forderte.

Als praftiiher Nachweis für diefe Frage um den Geift mag Folgendes dienen: Wenn Zweifel herrichten über die Wirfungs- fähigfeit eines neuen Stüdes oder auch eines neuen Menſchen, da wendete ich mich am Liebjten an die Männer des Talentes, wie Fichtner, mit einer Anfrage. Was die Leute von bios geiftiger Bildung zu jagen hatten, das genügte mir jelten; ich hatte das Bedürfniß nach einem Urtheile, welches aus einem ganzen, aus einem fFünjtleriichen Menfchen heraustritt. Und das bat ſich mir immer bewährt. Solche Menfchen zeichnen ſich allerdings nicht aus durch geläufiges Reden über Theorien ; ihre geijtige Kraft iſt eben tief verwachjen mit ihrem Talente, und gerade darum ift ihr Talent jo mächtig, und gerade darum find die theoretischen Redner gewöhnlich jo schlechte Muſikanten, weil fie nur geiftreich über das Spiel zu ſprechen, im Spiele jelbjt aber den Geift nicht einzuver- leiben wiſſen. Ginverleibt ijt ver Geijt eben nur beim wahren Künftler. Und ein ſolcher war Fichtner.

Wenn ich ſelbſt diefe oder jene Leiſtung Fichtner's niedriger jtelle, weil mir ver Geiſt in derjelben nicht ſcharf und leuchtend genug wiedergegeben erjcheint, jo iſt dies eine Abftufung, welcher jedes Talent, auch das größte, ausgeſetzt iſt. Jedes Talent hat jeine ftärferen und jchwächeren Seiten, und im Fichtner’fchen Talente jtand der rein geiftige Nachdruck nicht jo hoch, als der herzliche, der liebenswürdige und der heitere Nachdruck. Deßhalb entbehrte er des geiltigen Nachdrudes feineswegs.

Das ift aber Alles Splitterrichterei, wenn man Fichtner ſchildern will, Man ftelle fich ihn vor als Naturburſchen, als jungen Liebhaber, als luſtigen Yiebhaber, als ehrlichen, herzlich tüchtigen Ehemann, als gepeinigten und in jeiner Bein fein fomijchen Ehemann, als unbefimmerten, fröhlichen Yebemann, als edlen Dulder, welchem das Herz bricht, aber nicht das Wohlwollen für

Das Burgtheater. 449

die Menjchen, als Mann von warmer Begeifterung, als fomifchen Pedanten, als entrüfteten Verfechter der Wahrheit wie lange fönnte ih aufzählen! Und nun vergegenwärtige man fich dieſe Ihöne Gejtalt von Mittelgröße, diejes evel gefchnittene Antlitz mit guten oder mit lachenden Augen, dies milde, nach allen Richtungen hin ausgiebige Organ, dieſe Grazie in allen Bewegungen, auch in den ausgelafjenjten, dieſe wohlgebilvete, jo bereptjame Hand, und all dieje Eigenschaften immer in wohlthuender Bewegung durch ein Temperament, welches jeder Regung gejchmeidig angepaßt und hin- gegeben war, dem jchnurrigen Naturburfchen wie dem gemüthlichen Freunde, dem tüchtigen wie dem fomifchen Chemanne, dem luftigen Lebemanne wie dem janften Dulver, dem begeijterten Enthufiajten wie dem bornirten Kauze das war ein Schauspieler, wird man rufen, wie er der Kunſt nur in glücklichſter Stunde gefchenft werden fonnte, „So mifchten fich die Elemente in ihm“, daß Alles an ihm zur Anmuth und zur Wohlthat wurde,

Als er ſchied und die Ovationen ihn überjchütteten und man ringsum hörte: Alles, was Fichtner gejpielt, hat er ſchön gejpielt da rief ein Neivhammel im höchiten Aerger: Und warum? Weil er nie eine undanfbare Rolle gejpielt. Auch nicht die kleinſte bon den Fleinen, die er übernommen, war undanfbar!

Der Mann hatte Necht, aber gegen jeine Abficht. Alle Rollen wurden in Fichtners Händen danfbar. Sie waren in feine Yiebens- würdigfeit getaucht, fie waren belebt durch feinen Künftleriinn. Und bier fieht man's, was Künjtlerfinn bedeutet und bedeuten ſoll: was er angreift, ſoll ev weihen und erheben. Die Kunjt iſt eine Yäuterung. Das Schlimme macht fie deßhalb nicht gut; jie macht es bedeutend, fie zeigt es als treffenden Schatten einer lichten Sonne.

Fichtner hatte auch eine Flare Empfindung darüber, daß er

in der Wahl der Rollen eine gewiffe Grenzlinie nicht überjchreiten Zaube, Burgtheater. 29

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dürfe. Eine volle Schattenrolle war nicht für ihn, er hatte zu viel Sonne.

In Betreff diefes Punktes war ich zuweilen anderer Meinung als er. Es war herkömmlich, daß jede abjonderlihe Nolle, für welche fein Vertreter irgend eines Faces paſſen wollte, an Fichtner getwiefen wurde. Neben feinem großen Face jeglicher Liebens- würdigfeit wurde noch feine reiche Gejtaltungsfähigfeit in Anſpruch genommen. Man wuhte, daß eine unberechenbare Figur unter jeinen glücflichen Händen immerhin intereffant werden und jeden- falls die Wivderwärtigfeit verlieren würde. Da verneinte er num manchmal, was ihm angejonnen wurde, Zum Beifpiele den Hof- marichall Kalb. Ich bin nicht ganz im Neinen, ob da eine Fleine Schwäche ver Eitelfeit mitipielte von welcher er ſonſt gänzlich frei war oder ob e8 tiefer fünftlerifcher Injtinct war, den man durchaus refpectiren muß. Ich neige zu vem Glauben, daß er noch viel mehr gefonnt hätte, als er ſich zutraute, wenn er frühzeitig auch mitunter an herbe Charafteriftif gebracht worden wäre.

So wie er geworden war unter den Aufgaben eines Neper- toives, welches bis 1848 beichränft und namentlich in enge Bürger: fichfeit eingeengt wurde, war der große Umfang feines Talentes durch folgende Endpunfte begrenzt: im ernjten Drama durch die ideale Tragödie, im Yuftipiele durch Nichts. Das ältere Wiener Publicum wird mir Unrecht geben, wenn ich in der idealen Tra— gödie eine Begrenzung für ihn finde; es war auch da in Allent erbaut von ihm. Und er hatte auch in der ivealen Tragödie treff- liche Rollen. Ich nehme nur diejenigen Rollen aus, welche rein idealen Schwung des poetiichen Gedanfens erheifchen. Dieſen idealen Schwung verwandelte er in einen herzlichen. Es war ein Schwung des Gemüthes, nicht auch des Geiftes. Er fpielte in den eriten Fünfziger Jahren aus Gefälligfeit noch einmal den Don Carlos, und dies war ein Don Carlos früherer Zeit. Nicht wegen Mangels an jugendlichem Ausjehen und Weſen dies blieb ihm

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ja treu wie einem Halbgotte bis zu jeinem Abgange jondern wegen Mangels an Idealismus.

Diefer geijtige Hauch, welcher über alle Bedingungen des realen Yebens hinausweht, war ihm faum erreichbar, Und ein geiftiges Etwas, welches jchonungslos über die Gonvenienzen des gefellichaftlichen Yebens hinwegipringt, verjagte ihm auch bei Con— verjations-Nollen, jobald fie dies unverichämte Etwas abſolut brauchten. Zum Beijpiele beim Marquis v. Auberive in der „Deffentlichen Meinung‘. Das Publicum übrigens war auch da nicht von meinen Anjprüchen, es war von der allerdings blendenden Erſcheinung des alten Marquis jo befriedigt, daß es die unzureichend geichärften Worte dankbar hinnahm

Nach der heiteren Seite gab es feine Grenze für ihn, als die des Gejchmades. Sein wohlthuender Humor war unerjchöpf- (ih. Gr fonnte jo fröhlich und fo komiſch jein, wie es fein Tact nur zuließ.

Das Mafhalten war fein clafjiicher —— und durch ihn adelte er die ausgelaſſenſte Rolle.

Solch ein außerordentliches Talent zu verlieren außer— ordentlich durch die ihm innewohnende Liebenswürdigkeit —, war ein unbeſchreiblicher Berkuft für das Burgtheater. Er trat zurück, weil er müde war nach‘ vierzigjähriger Thätigfeit, weil ihm trotz größten Fleißes das erfchöpfte Gedächtnig unüberwindliche Schwie- rigfeiten machte. Wie oft fam er auf die Probe, fertig wie immer mit der ganzen Anlage der Rolle, fertig auch mit Einlernung der Worte, und nım beim Eintritt in das Getümmel des Stüces blieben ihm doch die Worte aus, und das Blut ftieg ihm zu Kopfe, und der Mißmuth über ſein Unvermögen brach aus. Geholfen aber konnte ihm nicht werden, der Souffleur war für ihn nicht vorhanden, ſchon darum nicht, weil ein Ohr für immer ſchwerhörig geworden und der Blutandrang ihm nun auch den Gebrauch des anderen

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befchränfte. Dann vief er wohl verzweiflungsvoll aus: Meine Zeit iſt um!

Er hat fie redlich benützt. Das Wiener Publicum, das Burg: theater, das deutſche Theater iſt ihm zu jtetem Danke verpflichtet ; er hat feine Zeit beglüden, ev bat feine Kunft fördern helfen als einer der Erjten in feiner menfchlichen Einfachheit, in feiner fünjtle- rischen Tüchtigfeit möge ihm die Muße den Yebensabend freund- lich vergolden!

XXXVIL

Gegen Enve dieſes Jahres 1865 verließ uns auch der Neftor unferes Schaufpiels Heinrich Anfhüt ſank in’s Grab. Hoc betagt, veich an Ehren, tief betrauert.

Seit 1821, alfo vierundvierzig Jahre, hatte er dies Haus am Michaelerplage tragen helfen, eine funftreiche, unerjchütterliche Granitſäule. Wirklich war er das granitene Fundament des höheren Schaufpiels gewefen für umd für. An Widerfachern hatte es auch ihm nicht gefehlt, denn „die ſchlecht'ſten Früchte find es nicht, woran die Wespen nagen“. Namentlich in den Bierziger Jahren war er durch den befannten Spott und Hohn Saphiv’s verfolgt und als Patron der Hausmeifter carifirt worden, weil er durch feine breite, langſame Sprechweife dafür forge, daß die Theaterabende erſt nach sehn Uhr zu Ende gingen und den Hausmeiftern dadurch die Sperr— frenzer der heimfehrenvden Theatergänger gefichert würden, Anſchütz jelbft hat mir mehrmals mit überlegener Ruhe erzählt: „Der garitige Mann ſaß öfters ganz vorn auf einem Sperrfite, die Uhr in der Hand, und zeigte die Uhr rechts und links, um nachzumweifen, wie viel Zeit ich ungebührlich in Anfpruch nähme, Ich mußte es jehen und ſah es; aber es hat mich nicht irregemacht“.

In der That hatte Anſchütz während der BVierziger Jahre weniger Gelegenheit, hervorzutreten, als ev während der folgenden Jahre unter meiner Direction gehabt hat, und man fchilverte mir ihn 1849, da ich eintrat, als einen Greis, der fehr nachgelaffen

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habe in Kraft und Friſche. Sch theilte dieſe Anficht gar nicht, ob- wohl ich über ven Kern feiner Wirffamfeit ganz andere Gejichts- punfte hatte, als feine Verehrer mir einräumten, und er ift von mir in feinen alten Tagen die fünfzehn Jahre lang ungemein und nach: drüdlich in Anfpruch genommen worden. Gr hat fehr viel gejpielt, mehr als in den vorhergehenden fünfzehn Jahren, und er hat Stand gehalten wie ein Jüngling.

Es gehört zu den abgeſchmackten Halbwahrheiten, daß ich die verdienten älteren Mitglieder zurücgejett hätte. Solcher Thorbeit habe ich mich nicht ſchuldig gemacht, vorhandene außerordentliche Kräfte nicht zu benügen. Ich habe fie im Gegentheile jtärfer be- nützt, als die mir vorausgehende Direction gethban. Nur habe ich fie vielfach anders benütt, als die Berehrer um jeden Preis ges wünſcht, ich habe fie bejchäftigt im Zufammenhange und Einflange mit unferer Zeit, im Zufammenhange und Einflange mit ihren ge- alterten Fähigkeiten. Zum nachwachjenden Perjonale und zu neuen Aufgaben mußten fie in ein neues Verhältniß treten. Das verfennt der oberflächliche Zufchauer Leicht, defjen Glaubensbefenntniß vie bloße Gewohnheit. Man verderbt, ja man vernichtet alte bewährte Kräfte am ficherften dadurch, daß man fie in hergebrachter Breite wirfen und ihnen auch alle die Aufgaben läßt, für welche frijche Kräfte nöthig geworden find; man zerbrödelt fie, wenn man fie nicht veranlaßt, neue Schöpfungen zu verfuchen, welche dem älteren Standpunkte ihrer Kräfte angemefjen find. Letzteres erfrijcht fie am meijten, und das ift mir bei Anfhüt und Fichtner oft in über: rajchender Weife gelungen. Fichtner zum Beifpiele hat mich in diefen fünfzehn Jahren um Nichts jo oft gebeten als darum, ihn doch etwas weniger in Anspruch zu nehmen. Seweilige Berjtim- mung diefer älteren Mitglieder ift vorzugsweife aus der Geldfrage entjtanden, auf welche ih nur einen ganz befchränften Einfluß hatte. Ihre Gehalte jtammten aus wohlfeilerer Zeit, und es war natürlich, daß ihnen die hohe Gage junger Mitglieder wie Ueberſchätzung er—

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ſchien. Die Preije waren eben geftiegen. Eben jo natürlich war es aber auch, daß die oberjte Direction bei voller Würdigung älterer Mitglieder fich nicht beeilte, ven Gehalt da zu erhöhen, wo jie des Befites ficher war. Der Etat geftattete es nicht, da man die neuen Kräfte nicht wohlfeil haben konnte.

Anſchütz namentlich mußte einen Theil feines Faches aufgeben, und das wirft nie erheiternd. Ich fand ihn noh im Befige aller älteren Helden, da Yöwe ihn hierin nirgends erjegen gefonnt, weder im Othello, noh im Macbeth, noch im Tell. Rollen aber, welche eine noch grünende Männlichkeit verlangten, wie Thejeus in der „Phädra“, der in Piebesfrage fteht mit feiner Gattin, paßten durchaus nicht mehr für ihn. Dafür fam neu ver Erbförfter an ihn, Mattathias in den „Makkabäern“ und eine große Anzahl ähn- licher Rollen.

Worin bejtand nım das Charafteriftifche des Anſchütz'ſchen Weſens? Er ftammte aus einem Bürgerhaufe, welches aus der Lauſitz nach Leipzig libergefievelt war, Im ver Fleinbürgerlichen Welt wurzelte feine Erziehung und in ver guten Schulbildung ſächſiſchen Unterrichts feine wiljenichaftliche Grundlage; in der be— geifterten Hingabe an poetifche Claſſiker aber erbaute fich feine ideale Welt. Goethe und Schiller ſtanden in voller Blüthe, als er ein junger Menſch war; Schiller's Tod erichredte die Welt, als An— fhüß ein angehenver Jüngling war. Die von 1799 bis 1805 all- jährlich erfcheinenden neuen Tragödien Schiller's von „Wallenſtein“ bis zum „Zell“ waren noch frifch und neu, als der Gymnafiaft Heinrich Anſchütz an die Lectüre derjelben fam, und auch der an- gehende Student wußte und fah den noch rüftigen Goethe in der Nähe. Weimar war nur zwölf Meilen weit. Während des Som- mers fam Goethe in's Bad Lauchſtädt, nur einige Meilen von Yeip- zig, und da hinüber vitten die Yeipziger Gymnaſiaſten, pen großen Dichter auf ver Promenade over im Theater zu jehen, wo jeine weimar’fchen Künftler jpielten. Cs war fein Wunder, daß Neigung

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zur Kunſt früh in Anſchütz erwachte, befonders Neigung zu Vortrag und Declamation er unterbrach die begonnene wiſſenſchaftliche Laufbahn und ging zur Bühne.

Er brachte alſo dieſer Laufbahn eine wiſſenſchaftliche Grund— lage zu und ein ideales Streben. In Nürnberg begann er, und hoch im Norden, in der Provinz Preußen, verbrachte er ſeine Lehr— zeit, wenn man bei ihm won Lehrzeit ſprechen darf. Er hatte früh— zeitig etwas Gefettes und Neifes und fpielte auch in feiner Jugend nicht das eigentliche Fach ver jugendlichen Liebhaber. Junge Hel- den, gute Charaftere waren feine Anfänge, und die Ausbildung des Bortrages iſt ein Ausgangspunkt für ihn gewejen.

Die weimar'ſche Schule hat ihm offenbar da vorgeſchwebt, der erhöhte poetifche Vortrag nämlich, welcher von Goethe gepflegt und eine Declamations- Schule geworden, ſpäter wohl auch in eine Declamir-Schule ausgeartet ift.

Ich halte es für ſchwer nachweisbar, daß dieſe Schule von Goethe jelbjt ausgegangen ſei; fie ift wohl nur unter feiner Dberaufficht entjtanden. Obwohl er jo lange Director gewejen, war er doch nie eigentlich ein Mann des Theaters. Man wird das nie, wenn man nicht ſelbſt gründlich ein dramatiſches Naturell ift, und das war Goethe nicht. Auf dem beften Wege zur dramatifchen Form, im „Clavigo“, wo große Scenen und der ganze vierte Act in echt dramatischer Form entjtanden, ließ er fih durch Merck ab- ſchrecken, und er ift nie wieder in diefen dramatifchen Gang zurüd- aefehrt. Er hatte in feinem umfajjenden Genius auch für dieſe Form große Anlagen, aber jeine Hauptneigung lag da nicht. Er hätte jich jonft gewiß nicht durch Merk's Spöttereien vom drama— tiichen Wege abwenden laſſen.

Sp fam es, daß der unmittelbare Ton, der jtreng dramatifche Ton ihm nicht im Vordergrunde jtand, als er das Theater leitete, Der erhöhte Ton wurde Hauptjtreben. Die Anfnüpfung an die alte Götterwelt war ja gäng und gäbe in der Poefie; das Alt

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elaffische ver griehifchen Welt war geläufig wie eine Claviatur, fie brachte von jelbft eine Steigerung des Tones mit ſich. Man jpricht von Zeus Kronion nicht in gelaffener Neve, und man jchrieb feine Proja. Der Vers war umerläßlih. Ihn getragen und ſchwung— haft zu jprechen war Hauptaufgabe; den Rhythmus ſchön zu bes tonen war ftetes Ziel und fo entjtand wie ein poetifches Natur: product die fogenannte weimar'ſche Schule, ein Gefchenf der clajji- ſchen Stimmung viel mehr als das Product eines dramatifchen Direc— tors, ein Geſchenk der Schönheit für uns, wie die unfterblichen Meifter- werfe Goethe's und Schiller’s aus jener Zeit für uns waren und find.

Schiller felbft übrigens, obwohl in der parhetifchen Rede viel hingebenver und klangvoller als Goethe, war auf dem Theater nicht jo hingebend an die blos rhythmiſche Vortragsweile. Das ent- nehme ich aus fleinen Notizen, welche aus einigen Theaterproben auf ung gefommen find. Schiller hielt diefe Proben auf der weis marichen Bühne und erwies fich bei diefer Gelegenheit abweichend von der eingeführten weimar'ihen Art. Eben weil er im Innerjten viel mehr Dramatifer war als Goethe, drang er auch beim Einftudiren viel mehr auf dramatische Einfchnitte, auf Abjonderung in der Rede, auf klare Ausicheidung des Bedeutenden, auf Unterbrechung der blos muſi— faliichen Declamation. Ich glaube wohl, daß die weimar’iche Schule eine jchärfere Phyſiognomie erhalten hätte, wenn ihm ein längeres Leben bejchieden gewejen wäre.

Diefe Declamations-Schule nun verbreitete fich gerade durch die überall mit Begeifterung aufgenommenen Schiller'fchen Stücke über das deutſche Theater. Zur einiger Beunruhigung für Männer wie Schröder und Iffland. Und diefe Beunruhigung hatte guten Grund. Die natürliche Rede, die einfache Nede war bedroht. Man fann die getragene rhythmiſche Rede pflegen, ohne die einfache Rede zu verlieren. Iffland fürchtete diefen Verluft. Bekannt ift ja, wie er ſich über die „Sungfrau von Orleans‘ äußerte. Der Krönungszug war ihm ein Gräuel; er fprach darüber, wie wir jet über Opernprumf fprechen.

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Pomp in der Rede, Pomp auf der Scene, das war dem damaligen Di- rector des Berliner Hoftheaters eine ſchwere Gefahr. Diefe Gegenfäte find weniger befannt geworden, weil die Schröder-Iffland'ſche Nich- tung fich nicht fchriftitellerifch geäußert hat; die geiftig beveuten- deren Schaufpieler jener Zeit aber wußten gar wohl davon, und die Tradition diefes Zwiejpaltes war unter den Veteranen der deutjchen Bühne noch vor zwanzig Sahren lebendig. Jetzt jtirbt fie aus; das moderne Theater bewegt ſich in anderen Gegenjäßen.

Heinrich Anſchütz iſt auch darum wichtig geworden für bie deutfche Bühne, weil er in beide Richtungen eingeführt wurde, in die weimar’fche und in die Schröder - Ifrland’sche, weil er ein fange lebender und wirfender Bertreter beider Richtungen ges wefen ift. Iffland dirigivte noch in Berlin, als der junge Anſchütz durchreifte, um nach Königsberg und Danzig zu gehen; die Schiller- fchen Stücke waren die Feſtſtücke, die Iffland'ſchen die Werfeltags- ſtücke des Nepertoires; der junge Schaufpieler mußte die jo ver: fchievenartige Vortragsweife in fich zu vereinigen trachten, Das hat Anſchütz zuwege gebracht, und dies befonders macht ihn zu einer fo beveutungsvollen Figur in der Gefchichte des deutjchen Theaters. Nach den franzöfiichen Kriegen finden wir ihn jahrelang am Bres- lauer Theater, und dort hat fich diefe Aufgabe einer Vermittlung zwifchen poetifcher und profaifcher VBortragsweife deutlich in ihm bewerfitelligt. Als Repräfentant folcher Vermittlung fam er 1821 an's Burgtheater.

Hier hat er das bürgerliche Wefen feiner Herkunft und die poetische Begeifterung feiner Jugend vwerwerthet, hier hat er für beide Richtungen, für die Schröver - Iffland’fche und für die wei- mar'ſche, wohlthuend gewirkt, indem er die profaifche Vortragsweife an geeigneten Stellen bedeutender gemacht hat, als fie gemacht zu werden pflegte, und indem er die poetifche Vortragsweiſe aus der blos mufifalifchen Singweife dadurch erlöfte, daß er fie zum klaren Ausdrucke des Sinnes nöthigte.

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Anſchütz Hat fich ganz fern zu halten gewußt von der Ausartung der weimar'ſchen Schule, welche jo viel Verſchwommenheit in die Theateriprache gebracht, den Sinn verwifcht und das hohle Trage: riven verschuldet: hat. Er wurde ein notabler Declamator, aber ein guter. Er trachtete nach Weihe und Schwung, aber nur auf dem Wege des Sinnvollen; er erflärte den Gedanken mit logifcher Sicherheit, er gruppirte die Nede mit ordnendem Berjtande und warf den jtarfen Hauch des Schwunges nur dahin, wohin er gehörte.

Bierzig Jahre lang galt er für die Hauptjtüge dev Tragödie im Burgtheater. Und er war es auch. Er war der Träger des Wortes, des beveutungswollen Wortes, er war der Träger des Ernftes und der Gewifjenhaftigfeit, ver Gewijjenhaftigfeit fir Sinn und Geift des erniten Stüdes. Er ließ nie mit fich marften über Würde und Wichtigfeit des Theaters, des Schaufpielers umd der Ichaufpieleriichen Aufgabe. Sie war ihm heilig. Der folide Sinn bürgerlicher Erziehung, die Grundlage wiſſenſchaftlicher Bildung blieben ihm treu fein Yebenlang.

Er war ebenjo, als ein Erbe der Schröder - Iffland’ichen Charafteriftif, eine Hauptftüge des bürgerlichen Schaufpieles. Seine Väter waren gediegene Bürger. Crhoben fie jih, wie im letten Acte von „Cabale und Liebe’, bis zur Frage um Leben und Tor, fo waren fie geradezu vortrefflich. In den großen Figuren der Tragödie war er einigermaßen beeinträchtigt durch fein Aeußeres, weil ihm die imponirende Ericheinung verfagt war. Cr war von kräftiger Mittelgröße, aber Hand, Bein und Hals fahen fürzer aus, als die Schönheitslinie verlangt.

Durch reiflih ausgebildete Haltung bejiegte er wohl ſolchen Mangel an Schönheit der Geftalt, aber es blieb immerhin ein Mangel für ven Eindrud der Größe, welchen man für folche Kollen verlangt. Im bürgerlichen Schaufpiele dagegen jtellt man fein jolches ideales Verlangen an das Aeußere des Schau— jpielers, und da traten all feine Vorzüge in volles Licht: ein aus:

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drucksvoller Kopf, ein ſonores Organ, eine flare, nachdrucksvolle Rede, ein warmes Herz, ein ehrliches Gemüth, eine begeifterte Hingebung an edle Zwecke. Vielleicht that er mitunter zu vwiel in technifcher Aus— führung der gemüthlichen Scenen, das heißt: er verriet zu deut- (ich, daß es eine technifche Ausbildung und Ausführung war. Er nahm zur viel Zeit dafür in Anfpruch , er breitete fich zu fichtlich aus in Gemüthlichfeit und Rührung und ftreifte dadurch an Manier, in jofern Manier ein zu ausgefahrenes Geleife ift. Aber das war doc immer nur ein Fehler von Momenten, Seine ganze Yeiftung verirrte fich nicht leicht, jondern fand immer auch aus folchen Mo- menten heraus den fejten Schritt in den Gang hinein, welchen die Rolle erbeifchte.

Endlich Hatte er auch noch in feiner tüchtigen, ferngefunden Natur eine jtarfe Begabung für's Luftfpiel. Cr fonnte von der an— genehmjten Heiterfeit fein, er beſaß den Kitzel eines Humors, welcher die fröhliche Negung wect im Zuhörer und welcher den Gegenjag luſtig aufftachelt zwifchen Bildung und Naturtrieb, Er lachte franf und frei aus vollem Halfe, er war im Stande, ganze Rollen wirf- jam zu fpielen, deren Grimdcharafter in vollem Lachen bejteht, im Lachen ohne Veranlaſſung, zum Beifpiele den Bauer Wählig in „Karl der Zwölfte auf Rügen”.

Welch ein Umfang fchaufpielerifcher Fähigkeit! Was für ein Schaf für das Theater mußte ein folher Mann fein! Und das war er auch. Selbſt hohes Alter ſchwächte feine Kraft kaum merk lich. Als ihm in den letten Jahren zum erjtenmale das Gedächtniß verfagte, nur für ven Augenblid und nur für ein Wort verfagte, da war er außer fich, der gewilfenhafte, immer gründlich worbereitete alte Herr, welcher im Gegenfage zu den fogenannten Genies immer Herr feiner Rolle war bis auf den legten Buchſtaben, ein getreuer Künſtler in feinem Berufe.

Er jpielte auch ſtandhaft bis zu dem Tage, wo die Kraft der Füße plößlich zu verfagen anfing und er fich niederlegen mußte,

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Seine Zeit war um, und das Ende trat an fein Haupt und Herz. Wir begruben in ihm beim Jahreswechjel von 1865 zu 1866 ven würdigen Vertreter eines breiten Abjchnittes von deutſcher Theater: gefchichte, eines Bindegliedes zwijchen alter und neuer Zeit; wir begruben in ihm einen fernhaften Ehrenmann, einen Künjtler von echtem Schrot und Korn.

Dieje beiden Veteranen, welche zu Anfang und zu Ende des Sahres 1865 ausjchieven, Fichtner und Anſchütz, waren nicht nur die erſten Kräfte, fie waren auch die beten Mitglieder. Pflicht getreu im ftrengften Sinne des Wortes, bejcheiden bei größten Leiftungen, bereit zu jeder Anftrengung, wenn dasWohl des Ganzen in Nede kam, furz in Allem hingebend an die guten Traditionen des Inſtituts.

Solche Hingebung an das geſchichtliche Leben einer Corpora— tion iſt faſt immer verbunden mit dem redlichen Triebe nach Schöpfung. Productive Menſchen ſind immer hingebende Kame— raden, bereitwillige Opferer. Selbſtſucht und Eigennutz ſind ihnen fremd; ſie ſind des Enthuſiasmus fähig, weil ſie warme Künſtler ſind, und ſie ſind eben Künſtler, weil ſie ſich enthuſiasmiren können für Gutes, Tüchtiges und Schönes.

Das alte Burgtheater verlor in dieſen beiden Männern ſeine edelſten Träger.

Das wurde nur zu bald deutlich; denn ein Unglück kommt ſelten allein von dieſem Jahre an datirt ein Zerbröckeln alter traditioneller Principien unſeres Inſtitutes.

Der langjährige oberſte Director, Graf Lanckoronski, welcher ſich feiner befonveren Popularität erfreut hatte, war doch in diefen traditionellen Prineipien eifenfejt gewejen und hatte dadurch dem Inftitute ungemein genüßt. Er gejtattete feinerlei perfönliche Be— günjtigung und Bevorzugung, er hielt das Geſetz aufrecht für Hoch und Niedrig, das Burgtheater war ein Fleiner Staat von unwan— delbarer Ordnung.

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Der neue Chef, Fürſt Bincenz Auersperg, war ein guter, über: aus liebenswürdiger Mann. Der perfönliche Verkehr mit ihm war für uns Alle ein Vergnügen durch die wohlthuende Yeutjeligfeit, welche ihm, wie ver Mehrzahl öfterreichifcher Cavaliere, in hohem Grade eigen war.

Aber feine Herzensgüte machte ihn zugänglich für alle Ein- flüffe. Das Geſetz trat in den Hintergrumd, die Gunft in den Vordergrund. Dies tft nirgends fo gefährlich wie im Schaufpieler- itaate. Der Schaufpieler ift mehr als irgend ein Künftler auf die Gunſt des Tages angewiejen, denn feine Leistung bleibt nicht bejtehen wie die des Malers, Bildhauers, Dichters; fie ift der bloßen Er— innerung überantwortet. Schaufpieler, welche nicht um Gunſt buhlen, find doppelt würdige Charaftere. Es fehlte uns jedoch nicht an folchen, welche auf diefe Würde feinen Anjpruch machten, ſon— dern auf Koſten des Ganzen ihren Bortheil fuchten. Sie fanden (eider jest Gehör. So wurden unfere traditionellen Geſetze durch: (öchert, es wırden befonvdere Urlaube bewilligt, e8 wurden Mono— pole auf Rollen zugeftanden, ja e8 wurde Einzelnen jogar einge: räumt, Stüce zu beftimmen, welche nur für fie einftudirt und in Scene geſetzt werden follten, lauter Dinge, die bis dahin unerhört gewefen am Burgtheater.

Sch hatte nicht die geringite Luft, an jolcher Auflöfung einer guten Ordnung theilzunehmen, und bat um meine Entlaffung.

Die Negierungsform mit einer oberjten Direction und einer untergeordneten artiftiichen Divection tft meines Erachtens eine gute, Jene herrſcht, diefe regiert. Letztere regiert in bejtimmt formulirtem Kreife innerhalb ihrer artiftifchen VBollmachten. Dies halte ich für befjer als das Syſtem der fogenannten Intendanzen bei den deut— ſchen Hoftheatern, weil diefe Intendanzen fich die Einmifchung in Alles vorbehalten, auch in das rein Artiftifche. Letzteres ijt aber ein Fachberuf, welcher gewiffe Kenntniffe, Fähigfeiten und Fertige feiten im fich ſchließt. Sich in den Fachberuf einmifchen ohne vie

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nothwendigen Kenntniffe, heißt den Dilettantismus in der Kunſt zum Herren machen und den Mißerfolg heraufbejchwören. Denn abgefehen von verfälichten Maßregeln, tritt dieſer Mißerfolg ſchon da immer ein, „wo Zwei regieren”, wie Shafejpeare nachdrüclich jagt im „Coriolanus“.

Die Entlafjung wurde mir damals noch nicht bewilligt, und die in der That verföhnliche und liebenswürdige Natur meines Chefs veranlaßte mich, ein Compromiß einzugehen, welches mir nur die wirklich unerläßlichen Befugniffe ließ. Ich arbeitete nach Kräften weiter, aber eigentlich war ich von da an verjtimmt, denn der Or— ganismus des Injtituts war befchädigt.

Das junge Gejchlecht von Künftlern nur, welches unter mir berangewachfen, und das Intereffe am Burgtheater ſelbſt ließen mich ausdauern. Das Intereffe am deutſchen Theater überhaupt. Denn das deutfche Theater hatte außer dem Burgtheater kaum noch irgendwo, oder wenigjtens doch nur an fleinen Orten eine gedeih— liche Stätte. Sch hielt es ſchon deßhalb für eine Pflicht, auf dem wichtigen Poſten zu bleiben, fo lange ich nur einigermaßen fürder- ſam wirfen könnte.

Unter dieſem jungen Geſchlechte des Burgtheaters ſind ſchöne Talente und tüchtige Menſchen, denen es ehrlich zu thun iſt um ihre Kunſt, und die meiner Thätigkeit bereitwillig entgegenkamen.

Ich habe die Meiſten von ihnen ſchon gelegentlich erwähnt und will jetzt am Ende dieſer Schilderungen nur in flüchtiger Porträ— tirung andeuten, daß ſie fachmäßig gewählt waren und bereits eine volle Schauſpielgeſellſchaft bildeten, welche das Inſtitut auf ihre Schultern nehmen konnte.

Die älteſten von ihnen, Herr Meixner und Herr Baumeiſter, find Schon 1850 und 1852 eingetreten. Beide vertreten die heitere Richtung. Herr Meiner in ftarf ausgefprochen fomifcher Kraft und mit bemerfenswerther Fähigkeit, jcharf und confequent zu harafterifiren, Ein gallichtes Temperament treibt ihn wohl leicht

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zu grellen Farben und zum Hervordrängen aus dem Enjemble. Er war der Einzige, welchem das Sprechen in’s Publicum jtatt zu den Mitjpielenden nicht völlig abzugewöhnen war. Aber dies ägende Etwas feiner Natur unterjtütte ihn doch auch zur Zeichnung und Färbung von Figuren wie Giboyer, welche milderen Komifern nicht erreichbar find. Herr Baumeiſter hat als fopfichüttelnder Liebhaber begonnen und allmälig feine Entwiclung gefunden in fröhlichen Yebe- männern und bebaglichen Charakteren, welche ein gefülliges Herz haben und gute Laune. Er ijt jchaufpielerifch jehr wohl begabt und jchwächt feine angenehmen Wirkungen nur zuweilen dadurch, daß er wunderlich abfürzt, wo er fih ausbreiten follte. Sein Ta- lent hat eine furz witige Neigung zum Aphoriſtiſchen.

Ebenfalls jeit 1850 ijt Herr Joſeph Wagner da, welcher über ein Sahrzehnt lang Yiebhaber und junge Helden mit fortreißender Begeijterung gejpielt hat und dann langſam in’s Fach der Helden— päter übergeleitet worden ilt. Langſam, weil vie ihm eigene Gluth tragifcher Leidenſchaft, jo jelten in heutiger Zeit!, für das ältere Fach nur in großen Scenen, wie die Verzweiflung König Lear's, ausjtrömen fann, ſonſt aber vorzugsweife ruhiger Motivirung weichen muß. Dieje ruhige Motivirung aber wird den Darjtellern heftiger Gefühle immer jchwer.

Bon 1856 an hat jih ein Kreis junger Talente gefammelt, in welchem Herr Sonnenthal, Herr Yewinsty und Fräulein Wolter am helliten glänzen. Sonnenthal als geijtvoller Liebhaber, begabt mit wohlthuender Liebenswürdigkeit, mit Feinheit des Herzens und mit den Formen eines edlen Wejens, der erjte Schaufpieler in diefem reichen Face, welchen Deutjchland jest befitt.

Lewinsky entwidelt das wolle Trachten eines joliden Charafter- jpielers, welcher unter eifernem Fleiße literarifcher Bedeutung nach— jtrebt in feiner Runjt und nie daran glauben wird, ausgelernt zu haben. Förſter hat die reihe Bildung eines begabten Menſchen, der für feinen fünftleriichen Beruf zu jeder Arbeit, zu jeder Hin-

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gebung beveit ift, und der für ven deutſchen Schauspieler durchweg die höhere und höchite Beventung in Anſpruch nimmt. Die Jüngften aber, Hartmann, Kraftel, Schöne, find ausgeftattet mit allen guten Eigenfchaften einer Jugend, welche Ideale im Herzen trägt und fich nie genug thut. Hartmann für anmuthige, geiftig bewegte Lieb- haber. Kraſtel für feurige und leidenjchaftlihe, ein Nachfolger des alternden Wagner. Schöne für jene ehrliche und bejcheivene Komik, welche uns lachen macht ohne Abfichtlichfeit und welche ung lachen macht unter herzlichem Wohlwolen.

Die jungen Damen endlich umfaſſen ven ganzen Umfang weib- licher Yiebenswirdigfeit und künſtleriſchen Reizes. Fräulein Wolter ijt das jtarfe Naturell ver Leidenſchaft, welches fich der artijtiichen Leitung bedürftig weiß und unter artijtifcher Zeitung dramatijche Wirkungen erreicht von eminenter Gewalt. Fräulein Bognar die anſprechende Weiblichkeit, welche fich im Yuft-, Schau> und Trauer: ipiele gleich wohlthuend ausprägt. Fräulein Baudius die junge Weltvame, welche, jelbjt geijtreich, mit ven geiltigen Hilfsmitteln einer Rolle behende zu jpielen verjtehbt und das moderne Stüd harakterijtiich zu beleben weiß. Endlich Frau Hartmann-Schnee- berger mit der gewinnenden Natürlichkeit eines unbefangenen fröh— lichen Wejens, welches echt empfindet und welches diefe Empfindung einfach ausprüdt.

Zaube, Burgtheater. 30

RENT

Die neuen Stüce, welche in ven drei Jahren 1865, 1866 und 1867 gegeben wurden, find großentheils Schon erwähnt bei Ge- legenheit der früher beiprochenen Autoren. Ich habe alfo vom fühnen „Wildfeuer“, von der theater-romantifchen „Pietra“ und von der modern sromantifchen „Katharina Howard“ nur die Titel anzuführen.

Doch nein! Bei „Wildfeuer“ müffen wir verweilen, um die ihon angeveutete Halm'ſche Richtung ganz zu charafterifiven. „Wild: feuer‘ ift ein Höhepunkt diefer Richtung, ein Höhepunkt deſſen, was eben die Literar-Geſchichte „Kunſtpoeſie“ nennt, und was ſie in allen Zeiten abfondert von den Dichtern der Nation, ein Höhepumft der talentwollen Unwahrheit. Gin erwachjenes Mädchen hält fich für einen Mann, und ihr Yiebhaber braucht fo und fo viel Stationen, um zu entdecken, daß ſie im Irrthume fei, er aber nicht mit feiner Neigung. Welch verfünfteltes Spiel jtarfer poetifcher Begabung!

Natürliche Poefie, nationale Poefie wird immer und wird mit Recht höher geitellt, als dieſe Kunftpoejie. Jene ſtrömt aus dem Herzen, der Kopf regelt fie nur, Kunſtpoeſie fommt aus dem Kopfe, und macht nur Zwangsanlehen beim Herzen. Sie erreicht mit diefem Anlehen höchſtens ein wärmeres Colorit, nicht aber Herzenswärme.

Daraus erklärt ſich's, daß unter Halm’s früheren Stücen die befferen wohl raufchende Erfolge erringen fonnten, daß ihnen aber

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eine Achte warme Theilnahme, eine erquickende Wirfung, die Zu: jtimmung der Kritif und eine wirkliche Dauer verfagt blieben. Sie ftammten nicht aus den Gefühlen und Gedanken unferer Nation. „Griſeldis“, „Sohn der Wildniß“ und dies „Wildfeuer“ fünnten gerade jo wie fie find englifch oder franzöfisch gefchrieben jein. Kunſt— poejie braucht fein Vaterland, fie entbehrt aber auch deßhalb vie tiefere Theilnahme des Vaterlandes.

Jene Stücde verdanken ihre Theatererfolge und ihr Intereſſe dem jchönen Talente ver Form, welches Halm in ungewöhnlich hohem Grade zu eigen ift, und welches er mit veiflicher Ueberlegung, mit gewandter Leberlegenheit handhabt. Er hat feine fünftlichen Stoffe immer mit fünftlerifcher Kraft componitt.

Das hat ihn wohl auch verleitet, zuweilen die Macht jeiner technifchen Mittel zu überſchätzen. Es eriftirt zum Beifpiel ein Stüd von ihm „Verbot und Befehl’, welches einen deutlichen Einblicd gewährt in feine Werfitatt. Er nennt es Luſtſpiel. Darin wird im eriten Act ein Mißverſtändniß aufgebaut aus leichten Yatten, und der Componift verläßt fich num auf die hierdurch errichtete Span— nung dergeſtalt, daß er uns ein Baar weitere Acte fortzuziehen meint im bloßen Vertrauen auf jene äußerliche Spannung. Das gelingt nicht, weil das Spiel der weiteren Acte fich zu breit macht im Ber: hältniffe zur Grundlage, und das ganze Stück zerbricht.

Ich führe dies Beifpiel an zum Beweife: daß folche fünftliche Compoſitionen jogleich im Ganzen verloren find, wenn ein Paar Latten des Gerüftes brechen. Das Gerüft jteht in erjter Linie, der Inhalt in zweiter,

Bei einem Luftipiele rächt fich denn das am Erſten. Da hilft die ſchöne Rede nicht, man verlangt die heitere Seele, das heißt etwas Innerliches; man verlangt das, was wir Humor nennen, Der Humor aber läßt fich nicht componiren.

Die Runftpoefie bildet deßhalb gern Mifchgattungen, welche

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nicht Tragödie und nicht Yuftipiel zu fein brauchen. Halm's Stüde beißen zumeift „dramatiſches Gedicht”.

Dieſe Poeten verpflichten jich heiter, irgend ein furiofes Thema aus der Yuft zu greifen Wildfeuer ift ein folches und aus demfelben ein wirkſames Theaterjtüc zu machen. Ob dieſe Effecte unerquiclich und ärgerlich werden, wie im „Sohn der Wildniß“, wo ein Mädchen den Mann hofmeijtert, oder wohl gar peinlich und marternd, wie in „Griſeldis“, das ſteht außer Sorge. Es handelt ſich um Wirkung überhaupt, nicht abfolut um gute und Schöne Wirkung,

Die ſchöne Wirkung ift eben auch nur zu erreichen, wenn In— halt und Form einander harmonisch deden. Sie deden jich aber nur dann harmonisch, wenn Kopf und Herz gleichmäßig betheiligt find bei der Geburt eines Kunftwerfs. Sie decken ſich nicht bei bloßer Kopfarbeit.

Daraus erflärt e8 fih, daß jo gut componirte und wirkſame Stücke allmälig ganz wieder verfchwinden können von den Neper- toiren. Sie haben fein Herz, und deßhalb feine volle Yebenskraft.

Daraus erflärt es ſich, daß die Kritif immer fühl verblieben iſt, ja oft unwillig wegwerfend fich geäußert hat gegenüber diefen Stüden. Sie thut das, oft nur inftinctmäßig, jederzeit bei den Arbeiten der fogenannten Kunſtpoeſie, weil diefe Gattung Poefie das Merkmal der Spielerei an fih trägt und in das Leben der Nation nicht eingreift.

Sch möchte nicht alle Vorwürfe, welche in unferer Literatur mit Recht feititehend geworden find gegen Kunftpoejie, ich möchte nicht alle auf Friedrich Halım bezogen ſehn. In Deutfchland thut man das, „Griſeldis“ und der „Sohn der Wildniß“ wurden bei ihrem Auftreten geradezu mit Grimm und Hohn behandelt von der Kritif, Dabei fpielte gewiß der Neid eine Rolle. Man ärgerte jich über die große Theaterwirfung, man ärgerte fich über das Talent Halms, welches er mißbrauchte, Und man unterließ dabei, das Talent

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hervorzuheben. Es gehört zu den größten dramatiichen Talenten, welche wir bejiten.

Zu den Kıumftpoeten gehört er allerdings. Betrachten wir, um dies fejtzuftellen, feine Stüde unter zwei Gefichtspunften, unter dem der Dauer und dem des Inhalts,

Ich nahm als Theaterdirector jene beiden Hauptjtüce won ihm, „Griſeldis“ und den „Sohn der Wildniß“, wieder ing Nepertoir, und fuchte fie alljährlich wieder aufzuführen. Was zeigte ſich? Auch hier in Wien, wo dieſe Stücde den größten Erfolg gehabt, fragte mich alle Welt: „Was wollen Sie jetst noch mit diefen Stücken?“ Der Beſuch im Haufe war ziemlich genügend für die Caſſe, aber die Lücken, welche ev zeigte, waren einmal wie das anderemal immer im eriten Barterre. Das große Publicum fam noch, das Publicum des eriten Parterres blieb aus. Welch ein Unterfchied von den Grillparzer'ſchen Stüden! Sie waren viel älter, fie waren viel länger ausgeblieben als die Halm'ſchen, fie fonnten vergefjen fein, Waren fies? Keineswegs! Und bei ihrer Wiederaufnahme lobte mich die ganze gebildete Welt, und das erſte Barterre war übervoll, und der Bejuc und der Beifall waren ftärfer, als va die Stüde neu und jung waren. Zu welchen Folgerungen führt das? Grill parzer’s Stüde find Vollgeburten eines echten Dichters, und alle Gebildeten wiljen, fie werden beim Anhören und Anſchauen derfelben einen ächten Genuß, fie werden eine Erquidung finden. Halm's Stücke dagegen find troß großer Theatererfolge für den Gebildeten von zweifelhaften Werthe geworden; er verhält fich ihnen gegenüber paſſiv.

Dieſe Erfahrung iſt eingetreten, obwohl man das Talent Halm’s nicht Läugnen fann, Der Urfprung der Stüde hat die Ent: iheidung gegeben, man hat allmälig entvedt, daß hier die Quelle nicht ganz echt ift, und daß man es nur mit Kunftpoefie zu thun hat. Diefe hat eben fürzere Dauer.

Fragen wir nun zweitens näher nach dem Inhalte. Sch habe

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oben gejagt, Runftpoefie habe fein Vaterland, und entbehre deßhalb auch die Theilnahme des Vaterlandes. Paßt denn das auf Halm, auf den VBerfaffer des „Sampiero” und des „Fechters von Ra— venna?“ Beide Stüde bejchäftigen fich ja doch nachdrücklich mit dem DVaterlande! Es paßt doch. Der Auf „Corſika! Corſika!“ wurde dem „Sampiero“ gefährlich ; man fand Uebertreibung in den grellen Wendungen des Stoffes und in den patriotifchen Aeußerungen. Das Stüc hatte feine wahrhaftige Empfängniß gehabt im Schooße des Dichters, der waterländifche Stoff war nur Kleid verblieben und nicht Fleiſch und Blut geworden.

Ich nahm das Stück wieder auf, und fpielte vor leeren Bänken. Das patriotiſche Thema papte nicht für dieſen Poeten, und errang ihm deßhalb auch feine Theilnahme.

Aber der ‚„‚Fechter von Ravenna!” Wie deutſch! Die Mutter erjticht ihren Sohn, weil er fein Deutjcher fein will! Was will man mehr an Patriotismus? Weniger wäre mehr. Man will nicht fo viel, Dies zu Viel ift ein Symptom, daß das Stüd nur im Kopfe entjtanden ift. Kopfpoefie wird im Trauerfpiele immer graus fam. Nein, diefe Stücke widerſprechen dem nicht, dag Kunftpoejie fein Vaterland braucht, und deßhalb auch nicht die Theilnahme eines Baterlandes findet.

„Wildfeuer“ hat außerhalb Defterreichs feine Stätte gefunden, und es hat im Burgtheater nur das obige „große Publicum“.

„Edda“, von Weilen, ijt noch bejonders zu nennen, da von diefem Dramatiker blos Studien mittelalterliher Romantik

„Triſtan“ und „Heinrich von der Aue“ erwähnt worden find,

= Meilen aber mit bewußter Abfiht von diefer Richtung abgegangen ift und fich neuerdings Themen erwählt hat, welche mit der heu- tigentags vorherrjchenden Gedanfenwelt im Zufammenhange ſtehen. Es ſind auch noch geſchichtliche Stoffe, dieſe „Edda“ und „Draho— mira“, aber ſie ſind mit der Abſicht gewählt, Ideen zu verkörpern, welche ein dauerndes, auch heute noch pulſirendes Leben haben. In

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Kriegstumultes, ift es die Frage um Heimath und Vaterland; in der „Drahomira“, einer altböhmijchen Fürftin, ift es die Frage um Religion und Mutterliebe. Beide Stüde haben vor dem Pu— blicum bejtanden und dem ſtrebenden Verfaſſer Anerfennung er- worben. Man folgt mit Aufmerkfjamfeit und Aufmunterung einem Schriftiteller, welcher ernjt und eifrig der Entfaltung jeines Talentes nachtrachtet.

Der Hauptzug in den Neuigfeiten dieſer Jahre war der, welchen das politifche und jociale over das ſocial-politiſche Stüd mit ſich bringt. Das Drama der Gegenwart, von welchem jo oft die Rede gewejen in dieſen Schilderungen, trat auf den Plan und behauptete ven Plan. Der Gegenwart auch in hiſtoriſchen Stüden, injofern das Thema auch eines hijtorifchen Stoffes noch voll und ganz ein Thema der Gegenwart tft.

Die Erfolge haben gezeigt, daß dieſe dramatische Richtung Die Theilnahme des Bublicums in ungemeinem Grade wedt und daß unſer Theater jujt durch dieſe Stüde eine Lebenskraft entzündete von unzweifelhafter Echtheit.

Der Mißverſtand liegt nahe, daß dieje Richtung vorzugsweije von Stich und Schlagworten des Tages leben, ven Beifall alſo in zufälligen Einzelheiten veränderlicher Art ſuchen wolle und könne,

Das wäre ein Mißgang, und diefem find wir nicht verfallen. Die Compofition als Ganzes war jtets entjcheidend für den Erfolg. Die äfthetiiche Genugthuung blieb ftets unerläßlich. Sie war nur erleichtert durch den Charakter des Stoffes, welcher einen allgemein verjtändlichen realen Boden darbot einen Boden, auf welchem man die Wahrheit der Motive, die Folgerichtigfeit ver Charaktere, die Angemefjenheit ver Rede leicht und jicher beurtheilen fonnte, da Motive, Charaktere und Worte aus dem wirklichen Yeben geſchöpft waren,

Dies moderne Drama wurde durch einige franzöfiiche Bear—

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beitungen: „Pelikan“, „Dageftolze‘‘, „Familie nach der Mode“, und durch zwei neue Stüde: „Aus der Geſellſchaft“ und „Der Statthalter von Bengalen‘‘, vertreten.

Der „Pelikan“ „Le fils de Giboyer“ von Augier ift an Geift und Compofition das beveutendfte von dieſen Stücen, und es brach die Bahn für die ganze Gattung. Es ſchildert die fran— zöſiſche moderne Geſellſchaft in ihren feineren Kämpfen zwijchen ab- jterbendem Adel, eitlem Bürgerthume, begabten, aber gewiljenlofen Piteratenthume, gemeiner Speculation und veiner Jugend und bringt diefe Schilderung nirgends abjtract, ſondern durchweg in ſceni— jcher Fülle und unter aufiteigendem dramatiſchem Intereſſe, gewürzt durch einen geiftiprühenven Dialog. Kurz, es ift, wie ſchon früher gejagt worden, eines der beiten Stüde neueiter Zeit.

Es wurde in fo jorgfältiger Bearbeitung auf dem Burgtheater dargeftellt, wie wohl auf feinem deutſchen Theater ein geiſtvolles Converſationsſtück dargeftellt werden fann, und hat eine unverwüſt— liche Anziehungskraft behauptet.

„Die Familie nach der Mode’ („La famille Benoiton“) ift von viel gröberer Factur, ift aber reich am intimen Zügen des mo— dernen Lebens. Der Conflict zwifchen einem Ehepaar heutiger Sorte ift auch von tieferer Bedeutung und wurde durch das meifter- hafte Spiel des Herren Sonnenthal und des Fräulein Wolter der Haltpunft des Ganzen, Ich habe die Hundert und jo und jo vielte Borjtellung diefes Stüdes in Paris gefehen und fann in voller Un— befangenheit jagen: es wird bei uns in der Hauptſache beſſer ge ipielt. Das hat eine weitere Bedeutung, infofern es den ober— flächlichen Vorwürfen gegen Benütung franzöfifcher Stücke ent- gegentritt. Wenn fremde Stücde roh und äußerlich nachgejpielt werden, dann haben die Vorwürfe gegen ausländijche Stüde nur zu vielfach Necht. Wer mag die gedanfenloje Uebertragung fremder Sitte, auch der gemeinen Sitte in Schuk nehmen! Dieſer Bor: wurf hat uns aber im Burgtheater nie getroffen. Wir haben ung

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franzöfifche Stücke immer nach Kräften zu eigen gemacht durch vor- fichtige Auswahl, durch Ausmerzung des Wildfremden und Un— nöthigen, durch Ausarbeitung alles deſſen, was uns naheliegt. Nie habe ich das mit fo lebhaftem Genüge empfunden, als da ich diefe „Familie Benoiton‘ in Paris geſehen. Jener Eheconflict wird nichtig und beiläufig in Paris vargejtellt, ev gewinnt gar feine Bedeutung bei uns erfcheint ex fein, tief, von fehlagender Wahr: haftigfeit und als das herrfchende Auge des Ganzen, Das ganze Stück iſt dadurch bei uns veredelt und gehoben.

„Die Hageſtolze“ („Les vieuxgarcons“) find als jociale Schil- derung moderner Egoiften werthvoll. Die Charafterzeichnung kann und wird manchem veutjchen Autor eine ergiebige Anregung werden,

„Aus der Gefellfchaft” war zuerjt nur ein zweiactiges Stüd, Es frappirte mich durch fein Thema: ein offenbar biefiger Fürft jollte eine Gouvernante heirathen, und heirathete fie. Die Zus faffung folhen Themas für das Burgtheater ſchien unerreichbar, denn dies Theater ift im Wefentlichen ariftofratiih. Ein hoher Cavalier fteht immer an der Spite und entjcheidet über die Zu— Läffigfeit neuer Stüde, faft fünmtliche Logen find im Abonnement des hohen Adels man fann eher eine mißliebige politiiche Ten- denz zugänglich machen, als eine ſociale, welche die Standesunter- fchiede der vornehmen Kreife herausforvdert. Ich war in Verlegen— heit. Bon Jugend auf indejjen daran gewöhnt, das Princip meiner . Aufgaben ftreng innezuhalten, auch auf Koften meines Wohlbe- hagens innezuhalten, fühlte ich mich doch verpflichtet, das Stüd ein- zuveichen, obwohl es mir nicht jonderlich gefiel. Es war mir als Compofition zu dünn und in Einzelheiten zu grell,

Dean mißverftehe mich übrigens nicht mit vem Worte Princip. Ich meine hier nicht ein politifches oder jociales Princip, ich meine ein äfthetifches, meine das Princip der Theaterleitung, welches ich mir ausgebilvet.

Das Theater ift mir ein voller, wahrer Spiegel des Lebens;

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es joll alfo auch nicht zurückweichen vor einem Spiegelbilde, welches uns augenblidlich unbequem ift. Nur echt und wahr ſoll dies Bild jein. Die Wahrheit ſorgt für ſich ſelbſt, beſſer als wir furzfichtigen Patrone es vermögen. Und auch in der Kunſt iſt Nichts nöthiger und förderſamer als Wahrheit. Hat ein Stück einen wahrhaftigen Stoff fünftlerifch bewältigt, dann darf man unbefümmert fein um Meinungsſätze. Cs lebt und dauert als Kunſtwerk troß aller ent- gegenjtehenden wiverwilligen Meinungen. Das Schelten der Bar: teimeinung verfängt nicht gegen ein Kunſtwerk, denn ein wirkliches Kunftwerf ift bereits eine Yäuterung der Meinungen. Die Kunjt macht veif, was die Discufjion unreif beläft.

Umgefehrt ebenfo: ift der Stoff des Stüdes und die Tendenz dejjelben übertrieben, aljo nicht ganz wahr, dann entjteht auch Fein Kunftwerf, und das tendenziöfe Machwerk hält nicht Beitand. Weder die Arijtofratie aljo, noch die Demokratie, noch ſonſt eine Kratie hat zu hoffen over zu fürchten, daß ein Theaterſtück für oder gegen jie Yeben gewinne, wenn es nicht in der Wahrhaftigfeit und in fünjtle- rischem Maße beruht.

Bon diefem Grundfage ausgehend, habe ich mich immer für ver— pflichtet erachtet ganz ohne Boreingenommenbheit für irgend eine Ten— denz—, jedes Stüd einzureichen, welches mir äfthetijch haltbar erſchien.

Sch hielt dies Bauernfelo’sche nicht für ſtark, aber nicht für unhaltbar, und reichte es aljo ein.

Mein Chef folgte ebenfalls einem Principe, Er erachtete e8 für feines ariftofratifchen Nanges unwürdig, ein Stüd blos deßhalb abzumweijen, weil es ariftofratifhe Gefühle verlegte; er bemerkte alfo nur, daß die überall eingejtreuten franzöſiſchen Broden nicht in gute Gejellfchaft paßten.

Daraufhin fchlug ich dem Verfaſſer vor, dieſe Broden zu be— jeitigen; wäre dies gejchehen, jo wollte ih das kleine Stüd im Frühherbſte aufführen. Ich wählte dieſe Zeit, weil da der Adel auf vem Lande ift und Aergerniß vermieden würde,

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Ich erhielt aber das Stüc nicht wieder zurüd, Erſt im Spät: berbite fand es fich wieder ein, und zwar um zwei Acte verlängert. In folher Ausführung war es noch empfindlicher geworden, aber ich hatte auch jetst meinem Principe gemäß fein Recht, es abzu- weifen: es erſchien mir nicht unwahr. Mein Chef ging aus Stolz nicht weiter ein auf neue Prüfung, und jo fam ein Stüd im Burg- theater zur Aufführung, welches ein bisher unzuläffiges Thema frei müthig und vreift behandelte. Das Publicum erklärte ſich beifällig dafür, und was ich ſelbſt bezweifelt hätte auch auf anderen deutschen Theatern fand es eine nicht ungünftige Aufnahme. Trotz feiner leichten Structur muß es alfo doch eine innere Lebensfähig— feit haben, welche über die beſonders hier in Wien hervortretende Tendenz hinausgeht; denn auf den deutfchen Theatern hat gerade diefe Tendenz geringere Anziehungsfraft.

Meine Bormeinung über innere Wahrhaftigfeit des Stückes hat ſich dadurch wohl beftätigt. Die Vormeinung vieler Wiener aber wird fih in obiger Darjtellung, wie und warum das Stüd auf's Burgtheater gefommen, nicht beftätigt finden, die Vormeinung nämlich, als ob gerade ver Tendenz wegen die Zulaffung des Stücdes von mir betrieben worden ſei. So furz und parteiijch bemejjen jind meine Abjichten nie gewefen.

Kun fan ver „Statthalter von Bengalen‘ hinzu. Jetzt jchien e8 unzweifelhaft, daß die Divection einen tendenziöfen Weg wandle. Und doch war dem nicht fo. ES war derjelbe Weg, den ich immer gewandelt: wahrhaftigem Yeben nachzutrachten für die Darjtellungen auf ver Bühne. Es vergehen oft viele Jahre, ohne daß gerade Stoffe gewählt und zu wirkſamen Stücken ausgebildet werden, welche juft herrſchenden Tendenzen entgegenfommen, Wie ich oben ge: jagt: das ijt nicht jo leicht, wie man denkt. Die tenvenziöje Ab- ficht genügt nicht; das fünftlerifche Gelingen muß dazutreten. Und das tritt eben nicht Hinzu für bloße Partei-Tenvenz. Das künftlerijche Gelingen ergiebt fich ext, wenn Tendenz und Talent im Kernpunkte

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der Aufgabe zufammentreffen. Dann aber läutert das Talent von ſelbſt die parteiifche Tendenz.

Das find die furzfichtigen Leute von beiden Parteiflügeln, e8 jind die links und rechts parteiifch Tendenziöfen, welche beim zufälligen Nebeneinander einiger Stücke von politifcher und foctaler Gattung die Schleufen des Willfommenen oder Unwillfommenen alle geöffnet und eine Sündfluth heranwogen ſehen. Die Kunſt— welt hat jehr fejte Grenzen und hat viel ftrengere Geſetze, als der Dilettant meint.

Selbſt diefer „Statthalter von Bengalen” traf dahin, wohin er gar nicht gerichtet gewefen war. Die Analogie, welche die eng— fifche Zeit der Junius-Briefe dvarbot, ging viel weiter, als das da- malige öjterreichifche Miiniftertum in Frage brachte. Das Minifte- rium wurde nur in einigen Punkten getroffen; es war alio ein Irrthum, die Entjtehung des Stückes nur in der Tendenz gegen ein Miniſterium zu ſuchen.

Freilich gehörte meine ganze Unbefangenheit dazu, gerade zur Zeit eines ſolchen Miniſteriums ein ſolches Stück einzureichen. Aber ich muß zum Preiſe des damaligen oberſten Directors hinzu— ſetzen, daß er das Stück eben ſo unbefangen aufnahm. Er erkannte natürlich auf der Stelle das für den herrſchenden Moment Unzu— kömmliche, aber er erkannte auch auf der Stelle, daß das Stück in ſeinem Kerne objectiv ſei und nicht von parteiiſcher Tendenz. Und ſo entſchied er ganz richtig: Das Stück iſt nicht opportun, iſt aber nicht abzuweiſen. Ich wartete geduldig auf den Eintritt opportuner Lage, und als das Miniſterium abgetreten war, erſchien ich mit neuer Anfrage. Sie begegnete keinem Hinderniſſe mehr, und der „Statthalter“ erſchien auf der Scene.

Die Darſtellung dieſer Stücke, durchweg von unſeren jungen Talenten getragen, hob unſer Theater außerordentlich. Es wurde nun auch den Mißwilligen klar, daß der ſorgſam erzogene Nachwuchs des Burgtheater-Perſonals fähig ſei, moderne Stücke, welche in

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Wahrheit wırzein, vollftändig varzuftellen, und daß unjer Theater troß jo jchmerzlicher Verluste, wie jie binnen zwei Jahren über das— jelbe hereingebrochen und ihm Fichtner, Anſchütz, Julie Nettich und Beckmann entriljen hatten, lebens: und friegsfühig geblieben wäre durch eine junge Garde, und daß diefe junge Garde hinreichend aus- gerüftet ſei mit Talent, Geift und Fleiß, um die Feldzüge des Burg- theaters weiterzuführen.

Eine jcharfe Probe trat fogleih noch 1867 an uns heran. Cine große römiſche Tragödie, „Brutus und Eollatinus”, follte auf- geführt und es follte dargethan werden, daß dieje junge Garde nicht blos das Converſationsſtück beherrjchte.

Dieſe Probe war darum ſehr willfommen, weil fie dem Irr— thume entgegentreten fonnte, als würde in der Vorliebe für moderne Stüde das übrige weite Neich pramatifcher Poefie, welches in der Gejchichte und im freien Fluge erfinderifcher Phantafie fich ergeht, von ung gering geachtet. in freilich ſehr wohlfeiler Irrthum! Als ob jolhe Berarmung mit irgend welchem äſthetiſchen Verſtande vereinbar wäre! Die ganze Welt gehört der dramatijchen Kunſt. Dieſe Kunjt wird aber im Stoffe jeglichen Zeitalters unter dem Grundſatze gedeihen, daß Wahrhaftigkeit in den Charakteren pulfiren jolle und in den. Handlungen, welche von den Charakteren erzeugt werden. Und die Darjtellung jeglichen Dramas wird dadurch ge- winnen, daß die Schauspieler auch an den Vortrag hoher und ferner Dinge mit der gefchulten Abficht geben, Sinn und Bereutung zu: nächit einfach und klar aufzufafjen und dann erjt an die Erhöhung des Tons, an die Steigerung der Empfindung bis zu poetijcher Höhe vorzudringen. So fann auf unferem Wege die Darftellung auch des erhöhten Dramas nur gewinnen, fie fann das wiedergewinnen, was durch unflares, oft finnlojes Declamiven auf den deutjchen Theatern ſeit Jahrzehnten verlorengegangen ilt.

Dieje Probe mit „Brutus und Collatinus‘‘ war aber doppelt ſchwer, weil die verdienſtliche Kompofition des Stückes an dem

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Uebeljtande leidet, einen doppelten Stoff bezwingen zu wollen. Mit dem Tode der Lucretia und der Vertreibung der Tarquinier iſt im dritten Acte der Grundftoff erledigt, und doch geht das Stüd noch an die Ausführung der erften republifanifchen Zeit, an ven Rücktritt des Collatinus und an das Schickſal des Brutus, welcher feine eigenen Söhne dem jungen Staate opfert. Dafür, für einen zweiten Theil der Tragödie vie Theilnahme des Publicums noch rege zu er— balten das ijt eine ſehr jchwere Aufgabe des Schaufpielers und der Infcenefeßung.

Wir haben die Aufgabe gelöft, wir haben die Probe fiegreich bejtanden: das Stüd errang einen wollen, einen tiefen Erfolg.

So meinten wir denn höchlich zufrieden jein zu dürfen mit uns, da erfuhren wir e8 war im September —, daß all unfer Arbeiten und Trachten für mißlich erachtet und gering gejchätt würde. Ein neuer Wechfel in der oberiten Direction ſchob zur Seite, was acht- zehn Sahre lang mit fo viel Eifer und fo viel gutem Glücke erjtrebt und erreicht worden war.

Erwarten wir, ob auch die Zufunft uns der Selbjttäufchung zeihen und ob fie betätigen wird, daß der forgjam gepflegte Drga- nismus eines dramatifchen Kunft-Inftituts wirklich etwas jo Ger ringes ijt, um wie ein Handſchuh gewechjelt zu werden.

Der bisherige Oberſtkämmerer und als folcher oberjter Director der Hoftheater, Fürft Vincenz Auersperg, war geftorben; der neue Oberſtkämmerer hatte die Theaterleitung abgelehnt, und jie war an das Oberfthofmeifter- Amt übergegangen. Der Herr Oberjthof- meijter aber hatte ebenfalls gewünfcht, nicht unmittelbar mit dem Theater in Berührung zu fommen, und um diefem Wunfche zu ge- nügen, war eine neue Stelfe gefchaffen worden. Sie hieß Inten- danz, und in diefe Stelle war als Intendant Freiherr v. Münch— Bellinghaufen, befannt unter dem Schriftitellernamen Friedrich Halm, eingetreten.

Er alſo war jetst mein nächiter Vorgefetter, und bei ihm mel-

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dete ich mich von Karlsbad aus nicht ohne den Ausdruck der Freude, daß ich nun unmittelbar mit einem dramatischen Poeten zu verhan- deln haben würde.

Ich erhielt zur Antwort, daß er fich freue, mich nicht zum Gegner zu haben. Warum hätte ich das fein follen?! Das Weitere des Briefes Härte mich darüber auf. Das Weitere befagte: er müſſe mir alle die Vollmachten entziehen, welche ich früher als artiftifcher Director innegehabt, nämlich die Wahl der Stüde, die Bildung des Repertoires, die Beſetzung der Rollen und die Ber fugniß zu einjährigen Engagements. Alle diefe Befugniſſe müſſe er für fich in Anfpruch nehmen, um genügende Macht und Bedeutung zu haben, da über ihm noch eine herrſchende Inftanz, das Dberit- hofmeiſter⸗Amt, walte.

Es war einleuchtend, daß nach Abgabe dieſer Bollmachten die artiftiihe Direction inhaltslos geworden und cafjirt ſei. Jegliche Gelegenbeit, jchöpferifch zu wirfen, war ihr entzogen. Was bleibt aber an einer Iheaterleitung, wenn fie nicht jchöpferifch wirfen kann? Der wiverwärtige Bodenſatz des Theaterwefens, widerwärtig ichon fo lange man mit einem gewiſſen Anfehen vegtert, unerträglich aber, wenn man dies Anfehen aufgeben und den ungemeſſenen An— ſprüchen machtlos gegenüberjtehen fol. Ein Director ohne ent iprechende Befugnig fann auch in der untergeordneten Sphäre, welche ihm überlaffen bleibt, nicht geveihlich wirken, weil ihm der Reſpect entzogen ift und mweil das Hin- und Herlaufen der Schau— jpieler von einer Inftanz zur andern, das erfolgreiche Verflatichen und Intriguiven, weil mit Einem Worte die formelle Anarchie in Blüthe fommt.

Hierin Liegt ver Grundfehler bei ven meijten Hoftheatern mit Intendanz. Der Intendant nimmt alle Befugniffe an fich, nicht nur die Befugniffe ver oberjten Herrichaft, welche ihm zuftehen, jondern auch die Befugniſſe zur Negierung in allen Zweigen, die Detail-Regierung. Ohne Fachfenntnig aber und ohne fleißige Hin-

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gebung an die Arbeit ver Zweigregierung, bejchädigt er alle Zweige, und was wird aus dem Baume, wenn alle Zweige bejcbädigt wer- den? Ein verfrüppeltes Gewächs. Die Alles in jich begreifenden Intendanzen der deutjchen Hoftheater tragen aus folchen Gründen die Schuld des Theaterverfalls.

Diejen Gedanfengang entwidelte ich bei meiner Rückkehr dem neu ernannten Intendanten. Er bevief fich darauf, daß er ja jelbit nicht Chef wäre und auch den artiftifchen Gang zu verantworten hätte, dieſen artijtiichen Gang aljo auch ſouverän leiten müßte. Kurz, es waren eben aus den früheren zwei Injtanzen jeßt drei In— tanzen geworden zur Freude bureaufratifcher Stellenhäufung, und die artitifche Divection war als dritte verurtheilt, fich mit den Be— fugnifjen einer Ober-Regie zu begnügen,

Diefe Begnügjamfeit war mir nicht angemejjen. Sie war. weder meiner Vergangenheit an diefem Injtitute angemefjen, noch meinem Charafter, noch meiner urjprünglichen Anftellung. Ich war vor achtzehn Jahren nur eingetreten, um als artiftifcher Director ſchaffend zu wirfen; ich hatte troß unbefchreiblicher Hindernifje achtzehn Jahre jelbjt nach dem Zeugniffe meiner Gegner jo gewirkt; ich hatte fein Interejfe an einem Theater-Amte, als das literariſch-künſtleriſcher Wirffamfeit, und ich mußte endlich die neue Einrichtung als ein Mißtrauensvotum gegen meine Wirffamfeit empfinden. Da blieb mir denn Nichts übrig, auch gegenüber allen Berficherungen, e8 ſei nicht auf ein Mißtrauensvotum und nicht auf meinen Abgang abgejehen, als in ver That abzugeben,

Dies Alles fette ich dem neuen Chef, dem Herrn Oberjthof- meijter Fürſten Conftantin zu Hohenlohe, auseinander, Er iſt ein junger Mann mit angenehmen Umgangsformen, welcher mir eröff- nete, daß er vom Theater Nichts verſtehe, und daß er mit der un— mittelbaren Leitung deſſelben Nichts zu thun haben wolle. Deß— halb habe er das neue Zwifchenamt einer General-dntendanz er: richtet, und den notablen dramatifchen Dichter Friedrich Halm

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Baron von Münc-Bellinghaufen mit diefem Amte betraut. Uebri— gens wünsche er wie Jedermann, daß meine Thätigfeit dem Hofburg- theater erhalten bleibe. Er finde auch meine Beweisführung in Betreff meiner Vollmachten ganz richtig, und werde fogleich einen Compromiß anbahnen mit dem neuen Herrn General-Intendanten, einen Compromiß, welcher mir die wichtigjten meiner Bollmachten, namentlich das Recht ver Nollenbejegung, wieder verleihen folfe.

Am andern Tage hatte ich dann eine Zuſammenkunft mit dem Herrn General-Intendanten, im welcher diefer Compromiß formulirt werden ſollte. Das erwies ſich unmöglich. Baron Münch be— hauptete noch jtarrer als er früher gethan jeinen Anſpruch auf aus: gedehntejte Souverainetät, Er müſſe der Herr fein auch über vie fleinjte Anordnung, auch über die geringfte Beſetzung das war fein Refrain.

Mit Einem Worte: die artiftiche Direction follte in eine bloße Dberregie verwandelt werden.

So bat ich denn zum zweiten Male um meine Entlafjung, Ich wurde num noch einmal jehriftlich befragt, ob ich mich wirffich nicht den neuen Inftructionen fügen wollte, und nachdem ich viefe formelle Frage mit einem formellen Nein beantwortet hatte, erbielt ich jet meine Entlaſſung.

Ginige Zeit nach meinem Austritte hatte einer meiner Freunde eine längere Unterredung mit dem Herrn Fürſten zu Hohenlohe über dies Thema, und da erklärte der Yestere unummwunden: „Es mußte ein Ende gemacht werden damit, daß der artiftiiche Director das Burgtheater zu liberalen politiichen Stücken mißbrauchte, wie „Statthalter von Bengalen” und „Aus der Gejellicaft‘‘.

Diefe Aeußerung war evjichtlich ernſt gemeint: Baron Münch hatte mir ſchon, als ich noch im Amte war, officiell aufge tragen, jene Stücke vom Nepertoive auszufchliegen.

Hierdurch wurde alſo doch ein politiiher Grund fichtbar.

Man hatte nicht an einen folchen geglaubt, weil um dieſelbe Zeit Laube, Furgtheater, 31

482 Das Burgtheater.

ein liberales Minifterium eingefest worden war, Mich jelbjt über- rafchte ev nicht; ich Hatte num zu oft erfahren, daß die Hoftheater- Intendanzen von einer alten Tradition nicht laſſen fünnen, welche den Todesfeim der Hoftheater im jich birgt. Dieje Travdition lautet: das Hoftheater ift nur für den Dof da, das Publicum, oder die Nation, oder wie man fonft die zufchauende Mafje nennen mag, iſt ein gleichgültiges Ding. ine Tradition, welche eben jo dem Hofe wie vem Theater ſchadet. Es fam nicht darauf an, daß Baron Münch das Verbot jener Stücke zunächſt nicht aufrecht erhalten fonnte vor der ſtürmiſch auftretenden öffentlichen Forderung. Das jonjt jo artige Publicum des Burgtheaters demonftrivte nämlich Wochen, ja Monate lang in unerhörter Weije gegen ſolchen Wechjel der Divection. Es fam nicht darauf an, daß man dem Sturme eine Zeitlang nachgab und jene Stüde noch aufführte; ein Theater: publieum wechjelt allmälig, und hat auf die Länge feine Macht gegen das Verfchwinden von Stüden. Meine Stüde verihwanden nach und nach ganz vom Repertoire. Jetzt, dir ich dies ſchreibe, iſt ungefähr ein Jahr lang Fein einziges mehr gegeben worden, Sa, ein neues Stüd von mir, welches „Böſe Zungen‘ geheißen, trieb die neue Intendanz zu einer ganz neuen herausfordernden Maß— regel. Baron Münch hatte vafjelbe angenommen, weil er fich, wie er fchrieb, große Wirkung davon verſprach. Die nachfolgende leberfegung oder höherer Befehl hatten ihm aber flar gemacht, daß die Aufführung eines neuen Stüdes von mir ein Fehler wäre, und als die Cenſur des Minifteriums die „Böſen Zungen” zufällig befunden hatte, ſchrieb er mir den berühmt gewordenen Abjagebrief. Der Kern vefjelben war: einem Gegner der hewrichenden Direction fann das Theater nicht eingeräumt werden zur Aufführung eines nenen Stüdes.

Baron Münch ſelbſt, welcher als Friedrich Halm da in eine mißliche Situation gerathen ift, und mit welchem ich obenein jeit dreißig Jahren befreundet geweſen, hat in diefer jähen Entwidelung

N

Das Burgtheater. 483

eine vielen Yeuten befremdliche Rolle übernommen, Wer ihn näher fennt, erklärt fie fich dadurch, dag Baron Münch von Jugend auf in bureaufvatifchem Dienjte aufgewachfen ift. Cr ſteht feinem vierzigjährigen Amtsjubiläum nahe, und Sinn wie Wefen des Bureaufratismus ift ihm grümdlich eingelebt. Auch einer Kunſt— anjtalt gegenüber ift ihm diefer Sinn und dieſes Wefen Eins und Alles. Gr übernimmt die Aufgabe, zu welcher er befohlen wird, und geht an die Thätigfeit wie ein Beamter, welcher dem Unter: gebenen feinen Hauch von Selbititändigfeit einväumt, ja feiner hietarchiichen Erziehung gemäß gar nicht einräumen kann. Der Organismus eines fünftlerifchen Imftitutes, welcher in gewiljen Bereichen eigen fchaffende Factoren braucht, ift ihm fremd, und das Selbjtgefühl eines ergranten Beamten bringt ihn leicht über die Sorge hinweg: ob er auch jelbft Hinveichende fpecifiiche Fähig— feit für die neue Aufgabe befiße, Er erflärte mir denn völlig-naiv, daß er mich zwar augenblicdtich für ven beiten Director des Burg- theaters hielte, daß er aber doch Generalintendant geworden, und als jolcher zuerjt und zulett auf Behauptung jeglicher Machtvoll- fommenheit verharren müſſe, auch wenn deßhalb das Theater meiner weiteren Mitwirkung entbehren Sollte.

Es liegen Nachrichten im Menge vor, welche für dieſen Directionswechjel noch andere Erflärungen aus perfönlichen Moti— ven beibringen. Dergleichen zu erörtern fcheint mir aber an diejer Stelle unangemeifen. Man hat es. vielfach und nachdrüdlich aus— geiprochen, dag ein jolches Umfpringen mit den Kunftinterefjen eines großen Injtitutes etwas Erſchreckendes habe, da diefe Kunſt— interejjen jelbjt gar nicht in Betracht gezogen würden. Man hat erſtaunt gefragt: wie das gejchehen fünne unter dem Widerſpruche alfer namhaften Kreife des Publicums, der hohen und höchiten ebenſo wie der mittleren und allgemeinen? Darauf antwortet man: die ganze Situation erklärt ſich dadurch, daß ver Kaiſer nicht ein—

greift in den Reſſort feiner oberiten Hofbeamten, auch dann nicht, 31*

484 Das Burgtheater.

wenn die Mafregeln derfelben feinen Beifall nicht haben. Der Herr Oberjthofmeijter wird alfo nicht geftört in feinen Handlungen, und übernimmt jelbjtweritändlich allein die Verantwortung der— jelben.

Was bedeutet diefe Verantwortung? Wer weiß es! Es fommt auf das Gewiſſen Tejjen am, welcher handelt, und es fommt auf den Charakter ver Zeitepoche an, in welche fo zuverfichtliche Hand— (ungen fallen, Graf Gzernin hat den Schreyvogel befeitigt, und durch die Leichtfertige Einſetzung Deinhardfteins das Burgtheater tief beſchädigt. Weiß Jemand, daß des Grafen Gzernin Gewiſſen hierdurch beunruhigt worden jei? Kaum. Das Gewiljen jett ja doch ein Wiffen voraus. Wird dies Wiſſen oft vorhanden fein, wenn zur VUebernahme einer Negierung feinerlei Fachfenntniß ges fordert wird? Jene Tleichtfertige Handlungsweife gegen Schrey— vogel fiel in eine anfpruchsiofe Zeitepoche. Erſt nach zwanzig Jahren wırde fie verurtheilt, als die tauben Früchte des Theaters für Sedermann reif waren, und zu der Nachfrage drängten: wer hat denn fo franfe Bäume gepflanzt ?

An ihren Früchten jollt ihr fie erfennen! fagt die Schrift, und damit müfjen wir uns bejcheiven.

Der Zweck dieſes Buches bringt es mit fich, daß ich das eben ablaufende Jahr der neuen Burgtheater-Direction, 1867 1868, noch ſchildre, und die Bejchaffenheit der neuen Früchte noch an— deute. Sch werde das fo unbefangen wie möglich thun, aber auch jo rückſichtslos wahr, wie es meiner Anſchauung entipricht. Denn ich will dem Inſtitute nüßen.

XXXIX.

Sch bin der Letzte, welcher gegen einen Divectionswechfel Etwas einzuwenden hat. Ein alter Practifus hat einmal gejagt: mon muß feinen Theaterdirector länger als jechs Jahre im Amte (afjen. Denn nad ſechs Jahren iſt feine Driginalität und Produc- tionsfraft erfchöpft; er copirt fich ſelbſt, und beeinträchtigt die Ent» wickelung des Inftitutes, welches frifche Säfte vonnöthen hat.

Der alte Bractifus hat gar nicht Unrecht, und ich perjönlich war fchon lange geneigt, und war ſchon einige Male pofitiv auf dem Punkte, aus eignem Bedürfniſſe zurüdzutreten, und einer frifchen Kraft Plat zu machen.

Wenn ich alfo eine veriprechende Perfon mit gutem Princip hätte auftreten fehn, damit ich ihr Raum gäbe für neue Wirkſam— feit, ich hätte es wahrlich mit ganzer Bereitwilligfeit gethan. Ja, ih kann ehrlich hinzufegen: mit Freude hätte ich dem neuen Director alle Erfahrungen und erprobten Hilfsmittel zu Dienjt ge- jtellt, damit das Inftitut gedeihe und weiter wachfe. Denn man liebt folch ein Inftitut wie man ein Kind liebt, das man erzogen hat, und dejjen gute Entwidelung Einem am Herzen liegt.

Aber dieſer Wechfel widerfprach Alledem,. Für die Behörde war augenblicklich fein Bedürfniß des Wechfels vorhanden, denn das Inftitut war im Gedeihn, es hatte die allgemeine Stimnumg für ſich, und der immer nothiwendige und wohl auch berechtigte Tadel ging nur auf Einzelnheiten, deren Berbejjerung aufmerkſam erjtrebt wurde.

Und welche Perfon, welches Princip wurde eiligit an die Stelle gefhoben ? Eigentlich feine Perſon und fein Princip.

486 Das Burgtbeater.

Baron Münch, als dramatiſcher Dichter Friedrih Halm ge- nannt, beſaß und bejitt als Dramaturg gar feine Phyſiognomie, und nachdem er an meine Stelle getreten, enthüllte er fein Princip dahin, dar er in jedem Tagesbefehle anordnete: es foll Alles fort- geführt werden wie unter Yaube.

Wozu alfo der Wechjel? Dazu: Mean hatte im Grunde ge- meint, es jollte nur die Herrichaft geändert, die mühjame Aus- führung aber von mir weiter geführt werden. Als ob das ginge, ſelbſt wenn ich“ mich dazu hergegeben hätte! Unreife Vorftellung von einem Organismus, der nur eine herrfchende Seele haben fann; unreife Velleitäten politiiher Wallung, nicht einmal eines politiichen Syſtems!

Ein fundiger Mann fagte: „Es iſt dies ein HDineintaften von Dilettanten, welche die Folgen nicht überfehn, denn auch Münch- Halm ift ein bloßer Dilettant als Director. Man verwechfelt, wie berfömmlich, den Titel mit der Fähigkeit“.

Baron Münch war berufen worden, und er hatte fich berufen laſſen, nicht weil er nebenher als Friedrich Halm dramatiſcher Dichter war jeder Laie weiß ja, daR ein dramatifcher Dichter nicht Dramaturg zu fein braucht —, ſondern weil feine Rangſtellung paßte für das neue Amt, und weil man einen gefügigen Mann ohne literarifche Grundſätze zu brauchen meinte.

Die Inſceneſetzung ſelbſt feiner eignen Stüde war nie feine beſondere Fühigfeit. Dieje dramaturgiſche Aufgabe hatte er immer praftifchen Yeuten überlaſſen. Dbenein hat er vorzugsweiſe Stüde geichrieben, welche phantaftiichen Boden haben; der ganze Pragma— tismus des Theaters, welcher mit hundertfachen Nealitäten zu rechnen hat, ift ihm fremd. Endlich hat er immer zurücigezogen gelebt, fajt einfiedlerifch,, und kennt weder das deutſche Theaterper- fonal, noch iſt ibm der dornenvolle Verkehr mit Schaufpielern ge— läufig er fennt Bücher, er war und ift aus der Hofbibliothef.

Nun regiert ev Theater.

Das Burgtheater. 487

Sn welcher Weiſe? Das deutſche Theater hat eine ſchwache titerarifche Production, es hat einen geringen Vorrath an dar— ftellenden Talenten, es hat namentlich in Wien ein anfpruch$- volles, Leben verlangendes Publicum. Der Leiter des Theaters muß für all Das helfend eintreten, muß alfo einige Fähigkeit haben für diefe Hilfsleiftung. Er muß zunächſt alle Stüde jelbjt in Scene feßen, er muß die Schaufpieler leiten und erziehen.

Dies hatte ih nach Kräften gethan, und an diefe Thätigfeit waren Dichter, Schauspieler und Publicum gewöhnt. Das Alles aber ift unter. der Winde und wohl auch unter der Fühigfeit des General-Intendanten. Gr leitet nur vom Bureau. Er ernennt eiligft einen früheren Schauſpieler, der als ſolcher noch dazu in un— günftiger Wiener Erinnerung jteht, zum nominellen Divector, und führt ihn am Leitfeile. Die Schaufpieler fühlen ſich ſolchem Quaſi— Director überlegen, und die Herrichaft auf der Scene zerfließt. Die neuen Stüde und neuen Injcenefeßungen werden oberflächlich in die Außerlichen Formen gefchoben, wie fie hergebracht find bet ven meiften Intendanztheatern, fie fommen zum Borfchein ohne jegliche Signatur und Ausarbeitung, fie bleiben wirkungslos für das Publi- cum, wirfen entmuthigend auf die Schaufpieler, welche die maß- gebende Leitung vermiffen, und das Ganze taumelt dem Verfalle zu.

Das Jahr vom Herbite 1867 bis zum Herbite 1868 hat das in einer Schnelligkeit dargethan, welche auch mich überrafht: Die alten Vorstellungen verfielen, die neuen Vorftellungen fielen durch, das alte gejchloffene, im Urtheile fein geübte Publicum 309 jich zurüd, und ein neues, ungejtaltes zog ein.

Unter den neuen Stüden war Halm's „Begum Somru’ das wichtigite. Es wurde vom Publicum parteiifch ungünstig behandelt; man ließ den Dichter entgelten, was man dem neuen Intendanten vorwarf: einen unnöthigen und unpopulären Wechjel ver Direction herbeigeführt zu haben. Die Wiederholungen des Stüdes, welche der Intendant mit Necht jtandhaft fortiette, haben die Stellung

488 Das Burgtheater.

des Stückes wohl einigermaßen verbefjert, es ift aber doch zweifelhaft geblieben, ob das Stück einen Plat im Repertoire behaupten fünne,

Sp wird man oft gerade da gejtraft, wo man Aufinunterung verdient hätte, Halm Hat in „Begum Sowmru“ ver blos virtuofen Dramatif den Rüden gefehrt, und einen befjeren Weg betreten. Der Inhalt ift hier wahrhaft, lebensvoll und wichtig. Auch die Form, bei Halın ftet8 von anmuthiger Vollendung, gebervet fich nicht despotifch und verläßt die Linien nirgends, welche das Wefen des Inhalts ſachgemäß vorfchreibt.

Eine indische Fürftin (Begum) hat in diefem Stüde ein Liebes— verhältnig mit vem Engländer Dyce, und wird von ihm betrogen. Der ganze Apparat englischer Annerionen in Indien fpielt da mit hinein, und Warren Haftings, der englifche Chef, fchreitet wie das Schickſal näher und näher, bis die Liebesfataftrophe ver Begum fo weit gediehen ift, daß fie mit ver Stataftrophe des Yandes zuſammen— fallen fann. Der Landsmann Dpce wird geopfert, die um ihren Liebesglauben betrogene Fürftin tödtet ſich, das Yand verfällt der ojtindischen Compagnie,

Diefer an fich reichhaltige Borgang wird belebt durch vie Liebesintrigue des Dyce mit einer Sclavin der Begum, Schirin, und durch die draſtiſche Entdeckung diefer Yiebesintrigue,

Man fieht, das Thema war wohl gewählt und gegliedert, Halm war gründlich abgegangen von der Art feiner früheren Com— pofitionen, und hatte jich der breiteren, mannigfach charafteriftiich die Menjchen wie die Vorgänge entwicelnden Form zugewendet, welche in unſrer dramatischen Yiteratur natürlich und claffiich ges worden ift. Möge es ihn nicht ivre machen, daß die Einführung des Stüdes nicht glüclich gediehen ift. Sein Uebergang zu ge— jünderer Form wird nicht ohne Lohn bleiben.

Frau Nettich hat das Stück zuerſt in Berlin als Gaſt gebracht, und feinen vollen Erfolg damit erzielt, weil die Meberrajchung der Liebenden, Schivin und Dyce, Anſtoß gegeben, und weil der da—

Das Burgtheater. f 489

malige letste Act feine Befriedigung gewährte. Frau Nettich jelbit war auch nicht geeignet, einer um Liebe verzweifelnden etwa dreißig— jährigen Fran den günftigften Ausdruck zu verleihn. Jene Ueber: raſchung der ſchlafenden Yiebesleute hat im Burgtheater feine Störung veranlagt, und Halm hat den lesten Act glücklich umge— arbeitet, Der jegige, tragiihe Schluß ijt eine gründliche Ver— bejferung. Den schlechten Dyce zuletst auch noch feig und das Ganze ohne eigentliche Kataftrophe ausgehen zu jehn, wie es in der Berliner Aufführung der Fall gewefen, mußte den Gefammteindrud ſchädigen.

Zu bemängeln bleibt am Stüd wohl noch, daß die Begum gar feinen nationalen Zufammenhang mit ihrer Heimath zeigt, daß ihr Sitte, Baterland und Staat gar Nichts bereutet, und daß ihr die Yiebe eines nichtswürdigen Patrones Alles ift. Da vieler Patron in allen Beziehungen nichtig, jo leidet ste felbit unter dem Rückſchluſſe von ſolchem Geliebten auf die Yiebende, Wie viel be— deutet jie jelbjt, wenn ein Wicht ihr Alles beveutet? Hier hängt der Autor noch in den Schlingen der alten Vorliebe für Capricen, und verliert dadurch an der Größe des Schluffes, welcher im Tode Befriedigung und Erquidung gewähren kann, ſobald ver fterbende Menſch für einen großen Zweck ſtirbt.

Halm mag ih auf, ‚Othello‘ berufen und auf die tragiſche Be— rechtigung jeder Leidenſchaft, und jedenfalls iſt ſolcher Schritt eines begabten Poeten zur Einfachheit und Wahrhaftigkeit von großem Werthe, Cr läßt uns hoffen, daß feine fernere Production fich von der blos fünftlich poetifchen Marotte, vom Kuhreigen einer lepiglich erträumten Welt ganz emancipiven, und uns nod) ganz gejunde Dramen jchenfen werde, Die deutjchen Theater werden ihn darin bejtärfen, und werden ihren eigenen Vortheil finden, wenn fie „Begum Somru“ ihrem Bublicum vorführen.

Der Sturz des Concordates gejtattete in dieſem Jahre endlich die Wiederaufnahme des „Königs Johann“, welchen ich des Ver: botes wegen damals nicht über die Yeleprobe hinausgebracht hatte.

490 Das Burgtheater.

Das Stüd fonnte jett gegeben werden, hat aber feinen klaren Ein- druck gemacht.

Das war vorauszufehen, jobalv das Originalftüd nicht einige Zuthat in der Compofition erhielt. Die „Hiſtorien“ Shafejpeares jind eben unverändert feine Theaterjtüde für uns, wenigſtens nicht vor einem lebensvollen Publicum, wie es in Wien ven Ton angiebt.

In dieſen „Hiſtorien“ ift der hifterifche Vorgang und bie Sharafteriftif der vorherrſchende Gefichtspunft, die dramatijche Sompofition fteht in zweiter Linie, und tritt mitunter ganz zurück. Es fehlt alfo der durchſtrömende, geichloffene Zug der Handlung. Es geichieht Viel, aber das Gejchehen jteht im VBordergrunde, das Handeln, die eigentlihe Macht des Dramas, die perjönliche Ent- wicelung des Menſchen durch folgerichtige Thätigfeit, der eigentliche pramatifche Quell des Gefchehens bleibt meiſt vervedt. Wir jind deßhalb zweifeldaft, für wen wir uns interejjiren jollen, und im Theaterſtück müſſen wir uns für Perfonen interefjiven; wir zer jplittern unfre Theilnahme auf Partien, auf einzelne Scenen wir bleiben ohne ven Einprud einer gefammelten Handlung.

Dazu hatte die Infcenefegung auch noch das Nüchitliegende verabſäumt: jie hatte auf den Proben nicht wahrgenommen, vaß die Perfonen viel zu viel Unflares und Schwülftiges jprechen, und das fie davon befreit werden mußten, wenn jie nicht ſämmtlich ihre Reden abjtumpfen und wirfungslos machen follten. Hätte das Stüd nicht den Namen Shafeipeares an der Stivn getragen, fo wäre die Auf- führung an dem überbaufchenden, fraujen Bombaft zu Grunde ges gungen.

König Sohann gehört nicht zu den befjeren Stüden Shake— ipeares, und man hat deßhalb auch früher die Echtheit deſſelben angezweifelt. Der Unterſchied im Ausprude iſt neben „Hamlet“, ‚Macbeth‘, „Othello“ ein jehr großer. Der Dichter des „Königs Johann“ ſteckt noch tief in der Modeform ver Eliſabeth-Zeit, welche über feine Nede, über fein Wort alatt hinweg kann, fondern Ana—

Das Burgtheater. 491

logien jucht, Vergleiche herbeizieht, über Witjteden jtolpert, furz nach unfern Begriffen ſchwülſtig, gefucht, gefhmadlos wird. Jede Einfachheit geht verloren, jeder Nachdrud mit ihr. Die Gedanfen, im eigentlichen Shafejpeare fpäterer Periode jo fein und fo groß, jo unicheinbar oft und doch jo mächtig fie verfrüppeln hier faſt alle im Entjtehen durch überbreite Ausführung, oder fie erfaufen im Wortſchwall. Fajt alle, denn die Klaue des Löwen iſt wohl einige Male fichtbar, und zwar in denſelben Wendungen, welche in jpäteren Stücken bündiger zum Vorſchein fommen, zum Beifpiele „Ungeduld hat ihr Vorrecht“.

Kommt nun hinzu, daß alle endlofen Kevden nicht ımterjtütt werden von dramatifcher Spannung, jondern im Grunde immer monologiſch ericheinen, wenn fie auch in Gegenwart andrer Per: jonen gefprochen werden, jo ergiebt fich die faum überwindliche Schwierigfeit, mit ſolchen Reden ein Theaterpublicum wirklich zu treffen. Dper find denn die großen tragifchen Reden Conjtanzens etwas Anderes als Monologe? Erſcheinen fie nicht wie Bravour— Arien? Auf den Gang ver Handlung üben fie nicht den geringiten Einfluß; ja, wir wiſſen's vorher, daß fie gar feine Wirfung haben fönnen, daß nur ‚die Mutter ihre Schulvigfeit thun muß. Wenn wir’s uns ganz überlegen, jo fommen wir jogar zu dem Refultate: die Figur der Conftanze kann ausgefchieden werben aus dem Per: jonal, ohne daß in den Vorgängen das Minvefte verändert wire. Sie hat num zu lagen. Solche Bemerfung ift aber wernichtend für den dramatiſchen Begriff und für den armen Schaufpieler, welcher außerhalb des organischen Verbandes einen blos declamatoriſchen Effect juchen und erzwingen muß. Im Laufe der Acte fommt man jelbjt beim Baſtard Faulconbrivge, einer vortvefflih gedachten Hauptfigur, auf den Gedanken, ob jie denn eigentlich nöthig fei, ob jie nicht durch einen Botenläufer erjett werden fünne, Er ipricht zu Allem mit, aber er gewinnt nirgends einen Einfluß auf die Handlung. Hier jtehen wir eben vor einem innerjten Gebrechen

492 Das Burgtheater.

einer „Hiſtorie“, welche den Vorgang in Begebenheiten und Ge: ihehnijjen vorüberführt, und nicht in Entwidelung der handelnden Perſonen. Und deßhalb haben die Schuufpieler einen fo trojtlos ihweren Stand in folcher „Hiſtorie“, deßhalb hat die Inſcene— jegung jolch einer Halbform vor allem Uebrigen darauf zu achten, daß die ohnehin in die leere Luft fprechenden Schaufpieler nicht auch noch breit und redſelig zu fprechen haben. Herr Baumeifter, welcher den Bajtard zuerjt gut jpielte, war zuletßt ohne Athem, Stimme und Wirkung, die leere Luft hatte Alles verzehrt,

Das Stüd ift reich an Stoff und Gegenfägen und Charafteren. Eine talentwolle Bearbeitung, welche fich zu Veränderungen im Gange entjchließt, zu fichtliher Motivirung in der Scenenfolge, fönnte wohl ein Kepertoivejtid für unfve Bühne gewinnen aus dieſer bloßen Hijtorie.

Am Schlufje ver Saiſon brachten die Schaufpieler endlich der Direction eine Borftellung zu Hilfe, welche die warme Theilnahme des Publicums gewann. Site hatten für fi das Fragment von Grillparzers „Eſther“ einjtudirt, und gaben es im Operntheater zum Beſten eines Wohlthätigfeitszwedes. Es fand enthufiaftifche Aufnahme, und ging dann in's Burgtheater über,

Wir hatten ſchon vor Jahren Grillparzer die Erlaubnig abge: rungen, dies Fragment aufzuführen. Sehr ungern gab er fi. Er (tebt es nicht mehr, an die Deffentlichfeit gezogen zu werden, und war herzlich froh, als die Beſetzung Schwierigfeiten zeigte, und das Unternehmen liegen bleiben mußte. Kine Schaufpielerin nämlich hatte fich die Rolle ver Ejther von ihm erbeten, welche ich ungeeignet fand für diefe Aufgabe; er aber wollte fich ven Aerger erjpart jehn, jein halb gegebenes Verjprechen zurüd zu nehmen.

Jetzt war dies Hinderniß veraltet, die Schaufpieler beriefen ſich auf die frühere Erlaubniß, und wir fahen im Opernhaufe den Vor— hang aufgehen zu dem zweiactigen Drama, ihm, dem alten Herrn, zur Sorge, ung Allen zu großer Freude. Trog der Mittagszeit

Das Burgtheater. 493

war das Opernhaus voll, Die Wiener willen e8 zu ſchätzen, wenn ihr größter Dichter eine Spende zuläßt, und fie hörten, fie hörten in einer Stille, daß auch nicht eine Sylbe verloren gehen fonnte. Am Hofe zu Suja find alle Parteien in Verwirrung, weil fich der König von feiner eigenfinnigen Gemahlin gefchievden hat. Was jollen jie thun? Was wird gejchehen? Auf welcher Seite ift Ge- winn zu erwarten? Letzteres fragt befonders Haman, ein hoher Staatsbeamter, ein Mujterbild von diplomatifcher Vorficht und Eigennügigfeit. Sich nirgendhin vergeben, Alles einleiten, für gar Nichts Verantwortlichfeit übernehmen, für Alles aber ſich den Lohn ſichern, wenn ver Erfolg eintritt das ift fein Weſen, reiflichſt vom Dichter gezeichnet, reiflich von Yewinsfy vargejtellt. In diefem Sinne hat Haman veranjtaltet, daß die ſchönſten Mädchen des Reichs an den Hof gebracht und dem Könige zur Wahl vorgeftellt werden. Er wird ja dann die neue Königin gefchaffen haben, und allen Danf ernten. Der König dagegen hat in einer großen Rede meilterhaft vorgetragen von Sonnenthal fich zornig ausgefprohen, daß er bei all jeiner Macht ein Sclave feiner Sclaven wäre, denn er müßte durch ihr Auge jehn, durch ihr Ohr hören, und fie zeigten und böten ihm ſtets Falfches, fie fuchten ihren Vortheil, nicht das Wohl des Volfes, nicht das Wohl des Königs, welcher wirkungslos jei mit aller Yiebe und mit allem Drange, feine Yiebe zu bethätigen, Bei diefer Stimmung hat die bloße Mädchen | ch au wenig Aus- Jicht auf eine Wahl. Ja, der Unmuth des Königs wird durch vie- jelbe nur gefteigert, und zu Hamans Verzweiflung will er auch das fette Mädchen von dannen ſchicken da gewahrt er, daß dies Mädchen jelbjt gar nichts Anderes will, als fortgefchieft zu werden, Es ijt Ejther, eine Jüdin, natürlich, Flug, faſt weile. Diefe Weisheit wäre eine Gefahr für ven Charakter des jungen Mädchens, wenn der Dichter nicht ein Poet erjten Nanges ift. Grillparzer hat jeine größte Kraft darin bewiefen, daß die Reden Ejthers nur an Weisheit jtreifen, und mit ver Jugend vereinbar find. Sie ent:

494 Das Burgtheater.

jpringen nicht aus bewußter Erfahrung, fie entjpringen aus einem glücklich begabten Naturell, welches neben Mardochai, einem jüdi— ihen Philofophen, aufgewachfen ift. Ejther hat Logik eingefogen ohne Abficht, und fo iſt fie jett verjtändig vor dem Könige ohne Abſicht, und da fie übrigens aut und liebenswürdig, und da der König ebenfalls gut und liebenswürdig, fo finden fich in einer langen Scene ein Meiſterſtück von feiner, echter Liebesfcene! die beiden Menfchen vergeftalt zu einander, daß Jedermann im Publicum innerlich zuftimmt und vuft: Sa, fo entjteht wahre Liebe, die Beiden lieben ſich, fie gehören zu einander, fie find König und Königin und fo fällt der Vorhang unter enthuſiaſtiſcher Zu— ſtimmung des ganzen Haufes; das Fragment ift zu Ende,

Das Fragment? Iſt es denn eines? ch finde, die Vorftellung hat erwiejen, daß es ein Stück ift, nicht blos ein Fragment. Einige breitere Borbereitungen tim erſten Acte, welche allerdings für ein längeres Stück angelegt find, brauchen nur abgefürzt zu werben, und e8 entjteht auch die wünjchenswerthe Symmetrie, und ein zwei— actiges Stück ift abgerundet. Es liegt da feit langen Jahren beim Dichter als Fragment, weil der Dichter klar oder unflar empfunden hat, daß er fich mit diefer großen, und was die Hauptfache ift, mit diejer abſchließenden Liebesicene die Fortſetzung erfchwert, wenn

nicht vergeben hat. Sch meine: vergeben. Die höchjte Karte ift

ausgefpielt, was kann nun fommen? Prüfungen? Rückgänge? Weil fie eine Jüdin ift, und die Juden fremd und verachtet waren? Das wird bei dem Sinne des Königs abfallend, nicht jteigernd er- ſcheinen. So wie König und Ejther angelegt find, müffen fie jchließ- [ich doch vereinigt werden, oder es muß ein Trauerjpiel entjtehn, deſſen wohlthuende Macht nicht abzufehen iſt nach dem, was vor— liegt, Hofintriguen, VBerhetung der beiden Hauptperjonen, ſchmerz— (ihe Trennung, welche nur auf gemachten Motiven beruht, alfo fein gutes Trauerfpiel. Das verlängerte Schaufpiel aber wird die Höhe diefer Liebesfcene faum wieder erreichen fünnen, und wenn es

*

Das Burgtheater. - 495

fie wieder erreicht, jo wird vie Steigerung fehlen, und wir werden den mühſamen Weg bedauern, der nur an daſſelbe Ziel führt.

In dieſem Gedanfengange wird wohl die Erklärung zu finden jein, daß Grillparzer die Arbeit hat liegen lafjen als Fragment. Wie dem auch ei, der alte Herr legt ſchwerlich nochmals die Hand an diejes Werf, und fo thun wir Recht, wenn wir ung Die veizende, mit vielfältiger Weisheit bedachte Gabe als zweiactiges Drama aneignen. Sie ijt eine ſchöne Bereicherung der Literatur und des Nepertoires.

Es iſt diefer König eine wortreffliche Kunftleiftung Sonnen— thals, und ich mußte mir eingeftehen: es war gut, daß wir damals gehindert wurden an der Inſceneſetzung diefer Ejther, Sonnenthal wäre noch nicht fo volljtändig ausgebildet gewejen für diefe Rolle, wie er es feit der Zeit geworden, nicht ganz jo ausgerüjtet, die Rolle in allen Theilen, in den vhetorifchen, wie in der allmäligen Ent: hüllung der Gefühle vollendet darzuftellen. Auch Fräulein Bognar traf Haltung, Sinn und Kern der Ejther in glücklichem Grade.

Alles Uebrige, was diefes Theaterjahr gebracht, iſt wie Spreu- vor dem Winde in die Luft der Vergefjenheit geflogen es war eine unfruchtbare Saifon. Und nicht blos unfruchtbar, jie war verwüftend. Namentlich find die Schaufpieler ſämmtlich zurückge— gangenz einzelne unter ihnen, und zwar unter den erſten, welche fortwährender Aufmerffamfeit bedurften, find dem Untergange naheges bracht das Burgtheater, die letste Haltejtätte des leider planlos hin- taumelnden deutjchen Theaters, treibt wie ein ſteuerloſes Floß auf den gefährlichen Wellen des Zufalls und ift in Gefahr verloren zu gehen.

Ich kann wohl mit Zujtimmung des ganzen alten Burgtheater: Publicums fragen: wo lag die Nothwendigfeit eines Wechjels, für deſſen Gelingen jo wenig ſachgemäße Sicherjtellung vorhanden war ?

Möge bald eine friſche Kraft zur Leitung gefunden werden, um einem Niedergange Einhalt zu thun, welcher nicht blos fin Wien, jondern für das ganze deutſche Schauſpiel ein Unglück ift.

Die Erfüllung diefes Wunfches würde freilich in gefährlicher

496 Das Burgtheater.

Weife vertagt, wenn die allgemeine Wiener Stimme Recht behielte in Erflärung der Abfichten, welche bei dieſem Directionswechſel im Hinter- grunte obgewaltet. Dann wäre felbjt Baron von Münd nur als Schwelle benützt worden für den Einzug eines Intendanzwefeng, wie es an Fleineren deutſchen Hoftheatern verwültend grafjirt hat. Dann folgte auf den Münch'ſchen Marasmus die galoppivende Schwindſucht.

Jenes alsdann zum erſten Mal in die Burg einziehende In— tendanzweſen iſt innerlich ganz ohne Intereſſe für das deutſche Schauſpiel, es hat nur die Tamtam-Schläge der Zeitungen vor Augen. Dem Grundcharakter des Burgtheaters läuft es ſchnur— ſtracks zuwider, indem es alle erſinnlichen Mittel äußerer Blendung herbeizieht, und das Einfache zerſtört, alſo gerade das zerſtört, wo— durch das Burgtheater Burgtheater geworden iſt.

Das einfache Wort, das intime Schauſpiel, die keuſche Claſſicität, welche jedem ſinnigen Menſchen verſtändlich ſie ſind die Grundele— mente des Burgtheaters. Dafür hat es Kaiſer Joſeph gegründet. Für die Erhaltung dieſes Inſtituts ſollen die regierenden Herren eintreten.

Hoffentlich werden die alten, echten Freunde des Burgtheaters wieder Einfluß gewinnen an entſcheidender Stelle, und werden die Wahl dahin lenken helfen, wo neben ver Friſche auch Liebe fürs deutihe Schaufpiel wohnt und wo das Bedürfniß dauernder Schöpfung walte, Nur dann fann der deutichen Bühne ihr ein- facher Tempel im Buratheater wieder erworben werden.

Sch perfönlich, in Sahren vorgerücdt, ſtehe dabei ganz außer Frage. Ich habe denn auch Nichts mehr hinzuzufegen als das Ge- ſtändniß, daß ich mit tiefem Schmerze vom Burgtheater geſchieden bin. An dieſem Schmerze hat die Beſorgniß den größten Antheil gehabt: es werde das fo eigenthümliche Iuftitut num wie jo manches deutfche Intendanztheater einer blos äußerlichen Führung über- liefert werden,

Drud von Otto Wigand in Leipzig.

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