BDlBDrSLISTJAN 1 1925

DAS KONTINUUM

Kritische Untersuchungen über die Grundlagen der Anal^sis

von

Dr. Hermann Weyl

Professor der Mathematik a. d. Eiligen. Technischen Hochscluile Zürich

Leipzig

Verhi}^ von Veit l^ Comp. 1918

/,

llnick vnn ^r^-(z;;t»r A- Willig in Leijizisi

Vorwort.

fn (lieser Schrift handelt es sich nicht darum, den »sicheren Fels«, auf den das Haus der Aualysis gegründet ist. im Sinne des Formalismus mit einem hölzernen Schaugerüst zu umkleiden und nun dem Leser und am Ende sich selber weiszumachen: dies sei das eigentliche Fundament. Hier wird vielmehr die Meinung ver- treten, daß jenes Haus zu einem wesentlichen Teil auf Sand gebaut ist. Ich glaube, diesen schwankenden Grund durch Stützen von zuverlässiger Festigkeit ersetzen zu können; doch tragen sie nicht alles, was man heute allgemein für gesichert hält; den Rest gebe ich ))rei3, weil ich keine andere Möglichkeit sehe.

Im Mittelpunkt meiner Betrachtungen steht jenes uns durch das Kontinuum aufgegebene begrifiliche Problem es verdiente, den Namen des Pi/thagoras zu tragen , das wir durch die arithmetische Theorie der Irrationalzahlen zu lösen versuchen. Die Hauptgedanken sind in Kap. I entwickelt, absiclitlich in solcher Fassung, daß dieser Teil für sich ein abgeschlossenes. Ganzes bildet. Dort werden die Prinzipien aufgestellt, mit Hilfe deren dann in Kap. II der Aufbau der Analysis systematisch begonnen und in seinen ersten Anfängen durchgeführt wird. Es ließ sich im II. Teil nicht vermeiden, daß einiges schon oft Gesagte in etwas verändertem Ausdrucks-Ge- wand wiederholt werden mußte: es geschah so knapp, wie es möglich ist, ohne die Geschlossenheit des entworfenen Bildes zu gefährden. Immerhin möchte ich gerne nicht bloß auf den Kathedern, sondern auch von allen Studierenden verstanden sein, die mit den heute gelehrten „strengen" Grundlagen der Analysis bekannt geworden sind.

Der Tag ist noch nicht gekommen, wo in der Priuzipienforschung ein Autor auf den Ergebnissen des andern weiterbauen kann. Es geht darum auch nicht gut an, die systematische Darstellung der eigenen Gedanken durch Hinweise auf die Stellung anderer Forscher

IV Vorwort.

ZU denselben Fragen und Auseiiiandersetzungeii mit iliiien zu niitor- hreriuMi; so habe ich ca vorj^ezogen, nur in den SehlußbenuMkiin^en des l. Klip, darüber kurz Rechenschaft zu geben.

Wenngleich diese Schrift vor allem mathematische Ziele ver- folgt, so bin icii doch jil/ilosojthischrn Fragen nicht aus dem W ege gegangen und habe nicht versucht, sie durch jene rohe und ober- llächliche Veri|uickung von Sensualismus und Formalismus aus der Welt zu scharten . die [von Frege in seinen „Grundgesetzen der Arithmetik" (Jena 18!).")) mit erfreulicher Deutlichkeit bekämpft] unter Mathematikern immer noch großes Ansehen genießt. Was die erkenntnistheoretiscbe Seite der Logik betrifft, so stimme ich mit denjenigen Auffassungen überein, von denen Husserls „Logische Untersuchungen" (2. AuH., Halle 1913) getragen sind; ich verweise auch auf die vertiefte und das Logische an seinem Ort in den Kabmen einer umfassenden Philosophie eingliedernde Darstellung in Husserls „Ideen zu einer reinen Phänomenologie und pbäno- meuologiscben Philosophie" (Jahrbuch f. Philos. u. phänomen. For- schung, Bd. 1, 1913). Unsere Betrachtung des Kontinuumproblems liefert einen Beitrag zu der erkenntniskritischen Frage nach den Beziehungen zwischen dem unmittelbar (anschaulich) Gegebenen und den formalen Begriffen (der mathematischen Sphäre), durch welche wir in Geometrie und Physik jenes Gegebene zu konstruieren suchen.

Zürich, November 1917.

lIoriiiaiDi WoyL

Inhaltsverzeichnis.

Kapitel I. Metigre uud Funktiou. (Analyse der mathomatisclien Beiniffsblidang.)

Logischer Teil. (jati»

i^ 1. Eigenschaft, Relation, Existenz 1

§ 2. üie Prinzipien der Urteilskomhination 4

i^ 3. Logisches Buiiließon. Axioniatischo Methode 8

klutheniutischer Teil.

% 4. Mengen 13

i; 5. Die natürlichen Zahlen. Kichardsche Antinomie 17

S 6. Iteration des niathcinatiscl.cn Prozesses. Der circulus viliosu»

der Analysis 19

§ 7. Substitutions- und Iterationsprinzip 26

S 8. Endgültige Fornmlirrung der Gnindlngt^ii. Einfühnuifjf idealer

Elemente 2'.i

Sehluübemerkuugen 34

Kapitel II. ZahlbegrifT und Kontinauni. (Grundlagen der Inßnitcsiniaircchnunf.)

S 1. Natürliche Zahlen und Anzalilon 3tt

i^ 2. Brüche und rationale Zahlen 44

i5 3. Reelle Zahlen 51

ji 4. Zahlfolgen. Konvcrgen/priiizij» ö7

S ö. Stetige Funktionen ... 61

§ 6. Anschauliches und mathematisi-hfs Kontinimm 05

J:^ 7. Größen. MaÜzahlcn 74

<5 b. Kurven und Flächen 77

Kapitel I.

Menge und Funktion.

(Analyse der niatlieniatisclien Begriffsbildimg.) Logischer Teil.

§ 1. Eigenschaft, Relation, Existenz.

Ein Urteil behauptet einen Sachverhalt; besteht dieser Sach- verhalt, so ist das Urteil wahr, andernfalls unwahr. Eine besonders wichtige Kategorie von Sachverhalten die von den Logikern oft allein ins Auge gefaßt wurde, obwohl sie keineswegs allumfassend ist wird von den Eigenschafts -Sachverli alten gebildet: ein Eigen- schafts-Urteil behauptet, daß ein gewisser Gegenstand eine gewisse Eigenschaft besitzt. „Dies (mir in einem gegenwärtigen Akt der Walirnehmung gegebene) Blatt hat diese bestimmte (mir in eben die- ^er Wahrnehmung gegebene) grüne Farbe'* mag als Beispiel dienen. Eine Eigenschaft ist allemal bezogen auf eine gewisse Gegenstands- kategorie, derart, daß der Satz: »a hat jene Eigenschaft« nur dann sinnvoll ist, d. h. ein Urteil ausspricht und damit einen Sachverhalt behauptet, Avenn a ein Gegenstand jener Kategorie ist. So ist die Eigenschaft »grün« auf die Kategorie »Seh-T)ing« bezogen; ein Satz wie der, daß ein ethischer Wert grün sei, ist weder wahr noch falsch, sondern sinnlos. Nur einem sinnvollen Satz entspricht ein Urteil, nur einem ivahren Urteil ein Sachverhalt; ein Sachverhalt aber besteht schlechthin. Vielleicht können sinnlose Sätze nur im sprachlichen, nie im sachlichen Denken auftreten; jedenfalls liegt darin eine große Gefahr der Sprache, daß sie sinnlose Kombinationen, der Wort- Symbole von Urteils- Bestandstücken ermöglicht, und zwar Korabinationen, die in formal -grammatischer Hinsicht genau so aus- sehen wie die Wort- Formulierungen echter Urteile. Ein Satz, in dessen ,.grammatischer" Struktur es noch nicht liegt, daß er sinidos ist (wie ein Satz der Form ,,Der Gegenstand a hat die Eigen- schaft E"), braucht darum nicht sinnvoll zu sein so wenig ein

Weyl, Das Kontinuuiii. 1

•J Kapitel I. Mi'iii;i' iiiui Fuuktiou.

l rteil. ila> nicht loj^isch iridcrsinnii/ ist (^als uuwalu- erkannt ^virll, uuabhän{j;ig von seinem materialeu Uehalt, rein auf Urund seiner ,, logischen*" Struktur; vgl, § 3), darum schon irahr sein niulJ, Spricht aber ein Satz ,,a hat die Kigeuscliai't F/^ ein Urteil aus, su gilt das gleiche von dtMu entsprechenden negativen ,.a hat uiclit die Eigen- schaft !<?'. und lue formale Logik ist dann voUkoninien im ilechl mit ihrer Hehauptung, daß von diesen beiden Urteilen immer d.i- eine wahr, das andere falsch sei.

Sätze, die ein Eigenschaftsurteil enthalten (übrigens nur diese , haben die bekannte \Suhjekt- Kopula -Prädikat\-'!iiv\\ki\\v. In welchen Unsinn man sich aber verstricken kann, wenn mau nicht darauf Bedacht nimmt, daß ein Satz solcher Struktur eventuell sinnlos sein kann, möge durch eine bekannte, im wesentlichen von Russell her- rührende »Paradoxie« belegt werden. Ein Eigenschaftswort heiße autologisch, wenn dieses Wort selber die Eigenschaft besitzt, die seine Bedeutung ausmacht; falls es sie nicht besizt, heterologisch. Das Wort „kurz'- z. B. ist selber kurz (ein nur aus 4 Buchstaben bestehendes Wort wird man in der deutschen Sprache ohne Frage als ein kurzes zu bezeichnen haben*)), daher autologisch; das Wort „lang" hingegen ist selber nicht lang, daher heterologisch. Wie steht es nun mit dem Wort „heterologisch"? Ist es autologisch, so hat es die Eigenschaft, die es aussagt, ist also heterologisch: ist es hingegen heterologisch, so hat es diese Eigenschaft nicht, ist also autologisch. Der Formalismus sieht sich hier einem unlösbaren Widerspruch gegenüber; in Wahrheit aber handelt es sich um Scholastik schlimm- ster Sorte: die geringste Besinnung zeigt, daß si;h mit der Frage, ob das Wort „hcterolugisch" selbst auto- oder heterologisch sei. schlechterdings kein Sinn verbinden läßt. Auf eine letzte Klärung des Wesens von Sachverhalt, Urteil, Gegenstand, Eigenschaft können wir hier nicht ausgehen; diese Aufgabe führt in metaphysische Tiefen; über sie muß man sich bei Männern Rats erholen, deren Namen man unter Mathematikern nicht nennen darf, ohne ein mit- leidiges Lächeln einzuheimsen Fichte z. B.

Neben den Eigenschafts-Urteilen sind für uns von Wichtigkeit die Relation^- Urteile. Beispiele: Der Mann dort ist ein Onkel von mir; der Punkt A liegt zwischen B und C; die Zahl 5 folgt auf 4.

*) Daß die meisten Begriffe (und zwar ihrem Wesen nach und ohne daß man darin einen Mangel erblicken dürfte; inexakt sind, ihren Umfang im Fließenden haben, ist gleichfalls etwas, was der formale Logiker gern ignoriert. Vgl. Husserl, „Ideen", pag. 1.S6 ff. In der Mathematik haben wir es nur mit exakten Wesen zu tun.

j5 1. Eigenschaft, Relation. Existenz. 3

Hierzu ist ähnliches zu bemerken wie zu den Eigenschaftssätzeu. Der Beziehung, von der in dem letzten Beispiel die Rede ist, können wir das die „Unbestimmten" x. y enthaltende Urteils- Schema: »:<; folgt auf ?/« zuordnen. Es entsteht aus ihm ein .bestimmtes Urteil, weuu wir für die Unbestimmten irgend zwei Zahlen einsetzen; so behaupten wir z.B., jenes Urteil sei wahr „i\ir' x=iy, /y = 4. Jede Unbestimmte, jede „Leerstelle'* des Urteilsschemas ist bezogen auf eine bestimmte Gegenstandskategorie (in uuserm Beispiel auf die Kategorie «Zahl«): nur wenn sie durch einen Gegenstand dieser Kategorie ausgefüllt wird, ergibt das Schema einen sinnvollen Satz, über den sich dann die Frage erhebt, ob er wahr ist oder nicht. Der Einfachheit wegen spreche ich hier nur von solchen Relationen, für w^che jede Leerstelle des ihnen zugehörigen Urteilsscheraas auf dieselbe Gegeustandskategorie bezogen ist. Entgegen mathematischen Ausdrucks-Gewohuheiten muß noch betont werden, daß die Sätze »5 folgt auf 4a und »4 geht 5 voran« einer und derselben Beziehung zwischen 4 und 5 Ausdruck geben und daß da nicht von zwei ver- schiedenen Relationen die Rede sein kann, deren eine die „inverse'" der andern ist. Das zugehörige Urteilsschema enthält zwei (natür- lich nicht „gleichberechtigte'' I Leerstellen; wenn ich für sie die eine oder die andere bestimmte Reihenfolge festsetze und ich werde durch die sprachliche Symbolisieruug dazu gezwungen, eine solche festzusetzen , erhalte ich jene zwei Formulierungen; in dem Re- lations-Sachverhalt liegt aber evidentermaßen von einer solchen Reihenfolge nichts.*)

Es sei ,. unmittelbar gegeben* (in der Anschauung aufgewiesen; eine bestimmte Gegenstandskategorie [z. B. »Raumpunkt«] und an Gegenständen dieser Kategorie nur von ihnen reden wir im folgenden) aufgewiesen gewisse einzelne Eigenschaften und Relationen [R\ welche auf die vorliegende Gegenstandskategorie (mit allen Leerstellen ihrer Urteilsschemata, bezogen sind [z. B. die Relation »liegt zwischen«] Neben den zum Teil wahren, zum Teil falschen Eigenschafts- und

*) Bei Vei'weudung anderer als PFbr/-Symbole hätte man event. die Vor- nahme einer solchen Anordnung der Leerstellen gar nicht nötig. Man stelle sich 7.. B. das Urteilsschema einer Relation dar durch eine Holzplatte mit ein- zelnen, den Leerstellen korrespondierenden Pflöcken: die Gepenstiinde durch kleine, mit einem Loch versehene Kugeln, welche auf diese Pflöcke gesteckt werden können (entsprechend der „Ausfüllung" der Leerstellen). Das sind ,.an sich" eben so brauchbare Symbole wie die Worte. Die Eigenschaften können wir in demselben Sinne mit zu den Relationen rechnen (nämlich als diejenigen, deren Urteilssehema nur eine Leerstelle besitzt), wie wir die 1 (entgegen dem Brauch der Griechen) mit unter die Anzahlen aufnehmen.

4 Kapitel I. Menge und Funktion.

Relations-Urteilen, die daraus eutspringen, daß man die zu den ein- zelnen [li) gehörigen ürteilsscliemata durch irgendwelche unmittelbar aufgewiesene Gegenstünde der in Rede stehenden Kategorie ausfüllt, spielen für die Mathematik die größte Rolle die Existential- Urteile. Der Begrift" der Existenz ist mit metaphysischen Rätseln überladen. Hier genügt uns folgendes. Wenn £'(.r), /," (a;), 72 (.r t/) z. B. einige der Urteilsschemata [R] sind {x,y bedeuten Leerstellen), a ein einzelner gegebener Gegenstand, S(i sollen solche Sätze wie: »Es gibt einen Gegenstand [unserer Kategorie), für den sowohl E{x) als E' {x} zu- trifft (der sowohl die Eigenschaft E als auch E' hat)«; »es rjiht Gegenstände ./;, die zu a in der Beziehung l>[xa) stehen« sinnvoll sein, d. h. be&timmte (Existential-) Sachverhalte behaupten , von denen nun eben die Frage ist, ob sie bestehen oder nicht.*) In diesem Sinne verstehen wir die Voraussetzung, daß die Besonderungen des kategorialcn Wesens, um welches es sich handelt, ein gesclüossenes System bestinanler, an sich existierender Gegenstände ausmachen sollen. Man wird unsere Ausführungen leicht auf kompliziertere Fälle über- tragen, bei denen von vornherein nicht eine, sondern mehrere be- stimmte Gegenstandskategorien zugrunde liegen (wie z. B. in der Geometrie des Euklid: Punkt, Gerade, Ebene).

§ 2. Die Prinzipien der Urteilsi(ombination.

Als einfache oder ursjjriingliche Urteilsschemata (oder auch kurz „einfache Urteile", indem wir das Wort «Urteil« für den Augenblick in einem weiteren Sinne nehmen als bisher) bezeichnen wir die- jenigen, welche den einzelnen unmittelbar gegebenen Eigenschaften und Relationen entsprechen. Ihnen fügen wir noch die Identität Jixy) (x ist identisch mit y, x=y) hinzu. Aus diesen einfachen lassen sich zusammengesetzte Urteilsschemata ableiten nach den folgenden Prinzipien.**)

1. Aus dem Urteilsschema U seine Negation U. Z. B. U[xy) bedeute: x folgt auf y Ü[xy)\ x folgt nicht auf y.

3. In einem Urteilsschema mit mehreren Leerstellen kann man einzelne dieser Leerstellen miteinander zur Deckung bringen, „identi- fizieren'* und erhält dadurch ein neues Urteilsschema; z.B. aus dem

*J Ob wir mit gewissen Hilfsmitteln imstande sind, diese Frage zu ent- scheiden — darauf kommt es natürlich nicht an.

**) Diese Prinzipien werden später durch Angabe ihrer Nummern in Fett- druck zitiert.

§ 2. Die Prinzipien der L'rteilbkumbiuation. 5

Relationsurteils- Schema X[xy): »x ist der Neffe von y<iX(xx): »x ist Neffe von sich selber.«

3. Man kann zwei Urteile durch ein ■ound'f. miteinander ver- knüpfen. — Beispiele. E[x}: »./; ist rot«, E'^X): «x ist kugelförmig" ; das zusammengesetzte Urteil r>x ist rot und kugelförmig« bezeichnen wir mit E{x)-E'{x). U(a;?/): »o; ist der Vater von //«. y(xy): j>x ht Neffe von ?/«; das zusammengesetzte Urteil: »r ist Vater von // und // Neffe von xa, das eine Beziehung zwischen drei Personen x, y, x aussagt, wird mit V{xy)' N(yz) zu bezeichnen sein. So entspringt aus zwei Urteilen V und ,Y^ indem man die Leerstellen des einen teilweise mit denen des andern zur Deckung bringt und dann die «/j(i-Verknüpfung herstellt, ein neues zusammengesetztes Urteil. In welcher Weise die Leerstellen der beiden Ausgangsurteile zur Deckung gebracht werden sollen, kann in der Symbolik, wie unser Beispiel zeigt, dadurch ausgedrückt werden, daß sich deckende Leerstellen durch den gleichen Buchstaben gekennzeichnet werden. Durch die «»<^- Verknüpfung können aus zwei gegebenen Urteilen im allgemeinen nicht nur eines, sondern mehrere neue hergestellt werden, je nach der "Weise, in der man die Leerstellen des einen und andern gar nicht, teilweise oder ganz zur Deckung bringt. Natürlich sind auch solche W7?f/-Verknüpfungen eines Urteils mit sich selbst möglich wie etwa X{xy)'N{yx) {»x ist Neffe von y und gleichzeitig // Neffe von xa[.

4. Neben die Verknüpfung durch ..und-- tritt die Verknüpfung durch „oder", für welche wir das Zeichen + benutzen. Beispiele: E{fc) + E'u-) T>x ist rot oder kugelförmig«, V{xy) -^ N{yx) i>x ist der Vater von // oder y Neffe von z«, N xy) 4- Xiyx) j>x ist der Neffe von y oder y Neffe von x«, »x ist Neffe oder Onkel von //«. Auch zu dieser Verknüpfung gehört die Angabe, in welcher Weise einzelne der Leerstellen des einen Urteils mit denen des andern sich in Deckung befinden sollen.

'), Ist z. B. U{xyz) ein Urteil mit drei Leerstellen und a ein gegebener Gegenstand unserer Kategorie, so ist das durch Aiisfülluny entstehende Urteil Uixya) ein solches mit nur zwei Leerstellen. Insbesondere entsteht aus einem Urteilsschema durch Ausfüllung aller seiner Leerstellen mittels gewisser gegebener Gegenstände unserer Kategorie ein ausgefülltes Urteil ohne Leerstellen, ein Urteil im eigentlichen Sinne, das einen Sachverhalt behauptet.

0. Ist U{x y z) wiederum ein Urteil mit drei Leerstellen z. B., 80 bilde man U(xy^)= V{xy)\ das bedeutet: «es gibt einen Gegen- stand z (unserer Kategorie) von solcher Art, daß die Relation U[xy i) besteht«; oder U{^y^]: «es gibt einen Gegenstand x und einen

6 Kapitel 1. Menge und Funktion.

Gegenstand ; so beschaften, daÜ U{xy%) gilt.« Auch durch An- wendung dieses Prinzips wird die Zahl der Leerstellen eines Urteils- schenias vermindert; bleibt überhaupt keine Leerstelle übrig, so entsteht auch hier ein Urteil im eigenthchen Sinne, von dem dann zu fragen sein wird, ob es wahr ist oder nicht, Beispiel: V{xy) »a* ist Vater von //« ; r(ich, _y) »ich bin Vater von /y« ; r(ich, *) »es gibt einen Menschen, dessen Vater ich bin«, »ich bin Vater«.

Hinsichtlich 5. und 6. beachte man, daß z. B. aus U{xy]'V{;xy) = ]V{x>j), wenn a einen gegebenen Gegenstand bedeutet, folgt: U{xa)' V{xä) = W{xa), aber keineswegs U[x^)- V{x^) = TF(a;*); viel- mehr ist, wenn man U[xi/)' Tio; r) = T(xy^) einführt, U{xiv:)-Vix^) = T{x^^). Von den Prinzipien 3. und 4. läßt sich das eine auf das andere mit Hilfe der Negation 1. zurückführen (siehe § 3).

Indem man diese Prinzipien 1. bis 6. auf die einfachen ürteils- schemata zur Anwendung bringt, gewinnt man aus ihnen neue. Auf diese und die ursprünglichen kann man die gleichen Prinzipien abermals anwenden und damit wiederum neue Urteilsschemata ge- winnen. Und so fort in beliebig-oftmaliger Wiederholung und Kom- bination. Diejenigen aus der unendlichen Fülle der so zustande- kommenden Urteilsschemata, welche eine Leerstelle besitzen, sind die Urteilsschemata abgeleiteter Eigenschaften; diejenigen, welche zwei oder mehr Leerstellen besitzen, die Urteilsschemata ahgeleiieter Fe- latio?ien. Diejenigen aber, welche gar keine Leerstelle besitzen, also Urteile sind im eigentlichen Sinne und damit einen Sachverhalt behaupten"^), nennen wir die einschlägigen Urteile unseres Sachgebietes. Wenn wir von jedem dieser einschlägigen Urteile wüßten, ob es wahr ist oder nicht, so besäßen wir eine vollkommene Kenntnis über die Gegenstände der zugrunde gelegten Kategorie hinsichtlich der an ihnen unmittelbar aufgewiesenen Eigenschaften und Rela- tionen, von denen wir ausgingen. Unsere Prinzipien legen die lo- gische Funktion der Begriffe ^^nichi«. »und^, »oclera uud des Exisfenz- Begriffs in exakter AVeise fest. Die einschlägigen Urteile lassen sich ihrer logischen Form nach keineswegs etwa in Eigenschafts-, Ee- lations- und Existential-Urteile einteilen, oder in bejahende uud verneinende, oder was es dergleichen traditionelle Einteilungen mehr gibt. Vielmehr ist ein solches Urteil im allgemeinen von sehr kom- plexer logisclier Struktur, die nur dadurch vollständig beschrieben

*) Diese vollständig ausgefüllten ürteilsschemata sind an sich nur Sä/xe; daß sie alle einen Sinn haben, ein Urteil aussprechen das ist in präziser Fassung die am Schluß von § 1 erwähnte Voraussetzung des „geschlossenen Systems an sich existierender Gegenstände".

;i 2. Die Prinzipien der Urteilskombination. 7

werden kann, daß man angibt, in welcher Weise, Reihenfolge und Kombination jenes Urteil durch Anwendung unserer 6 Prinzipien aus den zugrunde liegenden einfachen Urteilsschemata entspringt. Von der alten Lehre, daß ein Satz immer aus Subjekt, Prädikat und Kopula bestehe, sind wir hier unendlich weit entfernt.

Betrachten wir ein paar Beispiele der kombinierten Anwendung der ^aufgestellten Prinzipien. Vorweg bemerken wir, daß wir dabei das die Allgemeinheit ausdrückende »a//e« durch Kombination von 1. und 6. i^Negation und »es gibt«) ersetzen müssen. „Jeder Gegen- stand hat die und die Eigenschaft^' besagt: „Es gibt keinen Gegen- stand, der nicht die betrefi'ende Eigenschaft hätte." In der Mathe- matik kommen häufig Urteile der folgenden Gestalt vor {Tj[xy) bedeute das Urteilsschema einer Relation mit zwei Leerstellen x, y) : „Zu jedem x gibt es ein y, so daß U{xf/) besteht.*' Aus U(xy) bilden wir ü{x^) = A{x); davon die Negation Äix) = B[x), daraus B{^) und dessen Negation 5(*) [nicht zu verwechseln mit ß{^), d. i. .4 (*)!]: dies ist die Behauptung (die natürlich keine „Leerstelle" mehr enthält).

Beispiel A. Gegenstandsbereich: Punkte der ebenen Geometrie. Eixyx) bedeute: x und y sind von ;; gleichweit entfernt. Erklärung: xyz liegen auf einer Geraden oder es besteht die Relation G{xyz] , wenn es zwei verschiedene Punkte;; und q gibt derart, daß p und g von x gleichweit entfernt sind, ebenso von y, ebenso von X. Nach den Prinzipien 3. und 1. haben wir unter Heran- ziehung der Identität J zu bilden:

£{p q x) E{p q y) E{pqz)- .Tip q) = F[x yxpq)\

dann ist F[xyz=^^)= G[xyx).

Beispiel B. Gegenstandsbereich: reelle Zahlen. f{x) sei eine Funktion des reellen Arguments x. Wir wollen das Urteil analy- sieren: r>f ist gleichmäßig stetig«. Nach der üblichen Erklärung besagt dies: Zu jeder positiven Zahl s gibt es eine positive Zahl ö derart, daß für irgend zwei Zahlen x und ■?/, welche die Ungleichung x y < A erfüllen, allemal auch die Ungleichung f{x) f(y) <e besteht.

A{xye] bedeute die Relation \x //| < e , Fixy^) ,. \f[x]-f(y)\<e,

P{e) bedeute: e ist positiv.

Wir bilden zunächst mittels 1. und 3.

A {xy d) ' F{x// e) = B{xy e (i) , daraus B{^^ed) = 0(6 0) und dessen Negation 0[eÖ)] daraus C{b d') - P{rf) = Q{ed) und Q{e^) = BU) ; '

8 Kapitel I. Menge und Fuuktion.

aus dessen Negation: ll{e) r{e) = S{e) und daraus das ausgefüllte Urteil f^ = ^ (*).»/* ist gleichmäßig stetig« besagt: die Negation U desselben ist wahr.

Beispiel C. Stellen wir daneben die Erklärung des Satzes: »/' ist für alle Argumentwerte stetig.«

B[xyt8) wie soeben: dann

B{x^ eö) ■= C{xed) und dessen Negation 0{xed):

clxsS) P{d) = 0(a; £()'); 0 («£*)=/?(« e) ;

aus R{xe) P{s) = S{xe): <S(**) = V .

Die Negation T' von V ist unsere Behauptung.

Die verwendete Symbolik, das zeigen unsere Beispiele, ist schwerfällig; aber an ihr liegt uns nichts. Hingegen ist die Auf- stellung der 6 Definitiousprinzipien selber (sofern wir uns darin nicht irren, daß sie vollständig ist) von erheblicher Wichtigkeit für die Logik.

§ 3. Logisches Schließen. Axiomatische Methode.

Ein Urteil*), bei dessen Aufbau das Pr. 5 nicht mit heran- gezogen wird, die Ausfüllung der Leerstellen also immer nur durch den T-f »es gibta geschieht, nennen wir generell. In der Mathematik handelt es sich nur um solche Urteile; sie können mit gutem Grund auch als Existential-Urteile bezeichnet werden. Wird aber das Pr. 5 verwendet und gehen in das Urteil somit einzelne, unmittelbar auf- zuweisende Gegenstände unserer Kategorie ein, so sprechen wir von einem jmrtikulären Urteil.**) Ist £[x) ein Urteilsschema mit einer Leerstelle, das aus den ursprünglichen Eigenschaften und Rela- tionen vermöge unserer Prinzipien unter Ausschaltung von 5. entsteht, und gibt es einen und nur einen Gegenstand x = a, für welchen E{x) besteht, so heiße a ein (durch seine Eigenschaften charakterisierbares) Individuum. Die Ausschaltung von Pr. 5 ist dabei natürlich wesent- lich: denn sonst bezeichnete, unter ./ wde oben die Identität ver- standen, das Urteilsschema J{xa) mit der Leerstelle x eine Eigen-

*) Von jetzt ab gebrauchen wir den Terminus »Urteil« ausschließlich iu seinem eigentlichen Sinne und nicht mehr für Urteilsschemata, die Leerstellen enthalten.

**) Man könnte unter partikulären Urteilen auch ausschließlich solche ver- stehen, bei deren Aufbau Pr. 6 überhaupt nicht zur Anwendung kommt; dann gibt e^ neben den ,, partikulären" und ,, generellen" Urteilen aber noch ge- mischte „generell-partikuläre".

§ 3. Logisches Schließen. Axiomatische Methode. 9

Schaft, das »a-seina, die nur dem Gegenstände a zukommt, und der Begrifl" des Individuums wäre nichtssagend.

Fassen wir z. B. die Arithmetik der natürlichen Zahlen ins Auge; ihr liegt als einzige Urbeziehung diejenige f [n,n') zagrunde, welche besteht, wenn n' die unmittelbar auf n folgende Zahl ist. Dann ist 1 charakterisiert durch die Eigenschaft I: es gibt keine Zahl, auf welche 1 folgt (mit 1 hebt die Zahlenreihe an); d. i.

/ (*, x) = l [x).

Es ist eine Tatsache, daß es eine und nur eine Zahl mit dieser Eigenschaft I gibt: wir nennen sie 1. Jetzt läßt sich 2 charak- terisieren durch die Eigenschaft II, auf die eben definierte Zahl 1 unmittelbar zu folgen:

I iy) f (// xi = F^_ in, «) ; f 2 (*' ^) = II [^) '

Analog 3, 4, usw. Mau sieht: jede Zahl ist ein Individuum. Der Satz 1-1-2 = 3 enthält ein i^artikuläres Urteil, wenn 1,2,3 un- mittelbar aufgewiesene Zahlen sind. Tatsächlich ist es aber un- möglich, eine Zahl anders zu geben als vermöge ihrer Stellung m der Zahlenreihe*), d. h. durch Angabe der für sie charakteristischen Eigenschaft. Interpretieren wir daher jenen Satz folgendermaßen: Es gibt drei Zahlen x. y, %, für welche I (a;), II Q/), ni(x) und x -\- // = r gilt, so enthält er ein ., generelles'" Urteil. Dem Fall, wie er in der Arithmetik vorliegt, daß alle Gegenstände der betrachteten Kategorie „Individuen" sind (in der hier genau bezeichneten Be- deutung), steht der andere diametral gegenüber, daß jedes eine einzige Leerstelle enthaltende Urteilsschema E{x). das ohne An- wendung von Pr. 5 aus den Ur-Eigenschaften und -Beziehungen entspringt, immer entweder für alle oder keinen Gegenstand wahr ist. Dann werden wir unsere Kategorie (hinsichtlich dieser Ur-Eigen- schaften und -Relationen) als homogen bezeichnen dürfen. Dieser Fall liegt z. B. für die Raumpunkte der Euklidischen Geometrie vor, und aus keinem andern Grunde nennen wir den Raum in der Geo- metrie homogen.'^*]

Unter den einschlägigen Urteilen gibt es solche, die wir als wahr erkennen rein auf Grund ihrer logischen Struktur ganz unabhängig davon, um was für eine Gegenstandskategorie es sich

•) Wenigstens scheint es mir so; doch kann man darüber auch anderer Ansicht sein.

**) Das Verhältnis dieser begrifflic/ien zur am'chunlichen Homogenität des Raumes lasse ich unerürtert.

10 Kapitel I. Menge und Funktion.

luindelt, was die zugrunde liegenden Ur-Eigenschafteu und -Relationen bedeuten und welche Gegenstiinde bei Anwendung des Fr. '> zur ..Ausfüllung'' benutzt sind. Solche rein ihres formalen (logischen) Baus wegen wahren Urteile (die daher auch keinen »niaterialen Gehalt« besitzen) wollen wir (logiscli) selbst rerstämüich nennen. Ein Urteil, dessen Negation selbstverständlich ist, heiße sinnwidrig. Ist U'V sinnwidrig, so ist das Urteil V eine Jogische lulge'' von T: ist U wahr, so können wir sicher sein, daß dann auch F-wahr ist. Ist r eine logische Folge aus U und umgekehrt U eine lo- gische Folge aus V, so sind die beiden Urteile U und V sinnesgleich. Ks ist eine Hauptaufgabe der Logik (der Lehre von den Schlüssen), diejenigen Urteilsstrukturen vollständig zu beschreiben, welche die Selbstverständlichkeit des Urteils gewährleisten. Sie stellt gewisse „elementare" Strukturen dieser Art auf, aus denen alle solchen Urteilsstrukturen mittels einer näher zu charakterisierenden ., Kom- position" entspringen. Ob die traditionelle oder die sog. mathematische Logik diese Aufgabe wirklich schon in völlig befriedigender Weise gelöst hat, lassen wir dahingestellt: wir erinnern nur an einige Beispiele.

Unter U irgendein Urteil verstanden, ist U-\-f' selbstverständ- lich, U- U ist sinnwidrig. Die Urteile U und U sind sinnesgleich. Bei zwei Urteilen U, V ist ü V sinnesgleich mit Ü -f- V. Sind U'x), y{x), W{x) irgend drei Urteilsschemata mit einer Leerstelle, so lautet die Formel des »Syllogismus:

U'V{^) . V'W[^) {ü-W(^)) ist sinnwidrig.

ü' V{r^) bedeutet nämlich: es gibt keinen Gegenstand x, für Avelcheu U[x) wahr, V[x) hingegen nicht wahr ist; d. h. allen Gegenständen, welche die Eigenschaft U besitzen, kommt auch die Eigenschaft V zu. Die erkenntnistechnische Bedeutung des logischen Schließens liegt auf der Hand und ist jedermann geläufig. Auch weiß man, welche Rolle das deduktive Verfahren gerade für die Mathematik spielt. Die mathematischen Sachverhalte, von den allereinfachsten abgesehen, sind so kompliziert, daß es praktisch unmöglich ist, sie sich im Bewußtsein zu voller Gegebenheit zu bringen und dergestalt in freier Einsicht zu eigen zu machen. Vielmehr liegen die Dinge in der Mathematik so: Es handelt sich um die einschlägigen, ge- nerellen, wahren Urteile; unter ihnen gibt es einzelne wenige, in unmittelbarer Einsicht als wahr erkannte, die Axiome, etwa t/,, TJ^, Tg, U^, von der Art, daß alle jene Urteile logische Folgen sind aus diesen wenigen, d. i. aus U-^ L\ - U^ U^ . Die Aufzeigung der Tat-

§ 3. Logisches Schließen. Axiomatische Methode. 11

Sache, daß ein Urteil U Folge der Axiome ist, kann und muß gemäß einer eben gemachten Bemerkung über die Beschaffenheit der logischen Gesetze durch einen im allgemeinen vielverzweigten Organismus ,, elementarer" Schlüsse geschehen, der dann noch zum Zwecke der Mitteilung künstlicherweise in eine Glied an Glied schließende Kette umgewandelt werden muß. So kommt der ma- thematische Beweis zustande; alle zu vollziehende Einsicht kon- zentriert sich in ihm auf die logischen Schlüsse und ist nicht mehr auf die beurteilten Sachen und Sachverhalte gerichtet.*) (Es braucht nicht gesagt zu werden, daß es beim Auffinden mathematischer Wahrheiten und ihrem nachschaffenden Verstehen viel ..sachlicher- und weniger „formal" zugeht; hier ist von der systematischen Dar- stellung die Rede.) Es muß jedoch betont werden, daß die Über- zeugung, es ließen sich alle einschlägigen, generellen, wahren Urteile über Punkte, Geraden und Ebenen z. B. aus den geometrischen Axiomen durch logische Schlüsse herleiten, ein wissenschaftlicher Glaube ist; wir sind außerstande, wirklich einztisehen, daß §s sich so verhält, oder dies gar aas den logischen Gesetzen selber auf logischem Wege zu „beweisen". Gelänge dies eines Tages, so würde sich in dieser Einsicht uns ein Weg öffnen, über jedes geometrische (d. h. einschlägige, generelle) Urteil durch ein bestimmtes metho- disches Schlußverfahren (,,in endlichvielen Schritten") die Entschei- dung herbeizuführen, ob es wahr ist oder nicht: die Mathematik wäre, prinzipiell gesprochen, trivialisiert.

Es wird heute vielfach der Standpunkt vertreten, die Axiome seien Festsetzungen, und der Fermatsche Satz beispielsweise (Es gibt keine ganzen Zahlen

x + 0, 1/4=0, z^O, n>2

von der Art, daß .r" -f //" = z" wird) behaupte lediglich, daß dieses

*) „Was beweisbar ist, soll in der Wissenschaft nicht ohne Beweis geglaubt werden", beginnt die berühmte Dedekindsche Schrift „Was sind und was sollen die Zahlen?'' (Vorwort zur I. Auflage). Diese Äußerung ist ^ewiß charakte- ristisch für die Denkweise der meisten Mathematiker, dennoch ist das ein ver- kehrtes Prinzip. Als ob ein solcher mittelbarer Begiüindungszusammenhang, wie wir ihn als »Beweis« bezeichnen, irgend "Glauben« zu wecken imstande ist, ohne daß wir uns der Richtigkeit jedes einzelnen Schrittt^s in unmittelbarer Einsicht versichern! Diese (und nicht der Beweis) bleibt überall letzte Rechts- quelle der Erkenntnis, sie ist das „Erlebnis der Wahrheit". Wer als Mathe- matiker an andere Wissenschaften, etwa an die Philosoi)hic, mit der Forderung nach Definitionen und Deduktionen mathemati.schen Stils herantritt, handelt nicht klüger, als wenn ein Zoologe die Zahlen ablehnte, weil sie kein«' Iplii-nilm Wesen sind.

12 Kapitel I. Menge und Fimktiou.

Urteil eiue Folge der aritbnietischeu Axiome sei. Die Axiome de- Hnieren danu ge^Yissermaßon den Sinn des »es gibt« (es existiert, wessen Existenz aus den Axiomen logisch gefolgert werden kann). Aber ganz abgesehen davon, daß ein solches „hypothetisch-deduktives Spiel-' ohne jeden Wert ist (wenn es keinen für die Erkenntnis be- deutungsvollen, die Axiome erfüllenden Sinn gibt), ist dieser Stand- punkt auch logisch unhaltbar. Ein Beispiel: Definieren wir die Irrationalzahlen nach Dedekind, so wird di^rch die Definition ohne weiteres mit festgelegt, wann eine rationale Zahl kleiner {<,) heißt als eine reelle. Sind a, ß irgend zwei reelle Zahlen deren jede man sich als Individuum definiert denken muß durch eine ihr und nur ihr zukommende Eigenschaft , so ist 6? < /?, falls es eine rationale Zahl r gibt, so daß u < r und r < ß ist. Interpretiert man hier das »es gibt« dem obigen Standpunkt gemäß, so gilt ß^cc nur dann, wenn aus den Axiomen folgt, daß es keine rationale, den Ungleichungen a < r, r <C ß genügende Zahl r gibt. Die Urteile « < /9, ß ^ a bilden mithin keine vollständige Alternative, da es sich sehr wohl ereignen kann, daß weder die Existenz noch die Nicht- Existenz einer solchen rationalen Zahl /• eine Folge der arithmetischen Axiome ist. Nur dann zeigt sich die in Rede stehende Auffassung als durchführbar, wenn man weiß: die Axiome sind in dem Sinne widerspruehsfrei und rollständig, daß von zwei „entgegengesetzten'* einschlägigen Urteilen U und U immer eines und nur eines eine logische Folge der Axiome ist. Dies aber wissen wir nicht (wenn wir es vielleicht auch glauben). Und wird dieser Glaube einmal in Einsicht verwandelt werden, so ist es wohl sicher, da das logische Schließen aus der Iteration ge- wisser elementarer logischer Schlüsse besteht, daß wir zu dieser Einsicht nur gelangen werden auf Grund der Anschauung der Iteration, des unendlichen Fortgangs in einer Reihe. Dieser Anschauung aber entnehmen wir auch gerade die grundlegenden arithmetischen Einsichten über die natürlichen Zahlen, auf denen sich die gesamte Mathesis pura logisch aufbaut.

§4. Mengen, 13

Mathematischer Teil.

i? 4. Mengen.

Endliche Mengen kann man aut zweierlei Art beschreiben: ent- weder mdividuell, durch Aufzeigung jedes einzelnen ihrer Elemente, oder generell, gesetzmäßig, durch Angabe von Eigenschaften, die den Elementen der Menge und keinen andern Gegenständen zu- kommen-. Bei unendlichen Mengen (darin liegt eben das Wesen des« Unendlichen) ist der erste Weg unmöglich. Zwecks ihrer generellen Beschreitung kommen .^Is ..charakteristische Eigenschaften" der Ele- mente die ursprünglichen und die aus den ursprünglichen Eigen- schaften und Relationen nach § 2 abgeleiteten in Frage ; sie machen den Kreis der ..angebbaren" Eigenschaften aus. Mithin:

Jeder ursprünglichen oder abgeleiteten Eigenschaft E entspricht ei)» ^^fenge (£). Die Ausdrücke y>ein Gegenstand a hat die Eigenschaß '»das zugehörige, eine Leerstelle enthaltende Urteilsschetna E(x) ist uahr für X = a«) und »a ist Element der Menge (/i)« siyid gleichbedeutend. Zwei solchen Eigenschaften E und E' entspricht dann und nur dann dieselbe Menge, ivenn jeder Gegenstand {unserer Kategorie), dem die Eigenschaft E zukommt, auch die Eigenschaft E' hat, und umgekehrt.

Für die Identität zweier Mengen ist also (im Gegensatz zu den Ligenscliaften) nicht entscheidend, wie sie definiert sind [auf Grund der Ür-Eigenschaften und -Beziehungen und einzelner aufgewiesener Gegenstände mittels der Prinzipien des § 2], sondern allein der aus der Definition rein logisch nicht abzulesende sachhaltige Umstand, ob jedes Element der einen Menge auch Element der andern ist und umgekehrt. Wir sehen übrigens, daß die individuelle Be- schreibung einer endlichen Menge, formal betrachtet, nur ein Sonder- fall der gesetzmäßigen ist. Sind z, B. a, b. c drei Gegenstände unserer Kategorie, so ist

E[x) = J{xä) + ./(x b) -H J[xc)

das Urteilsschema der abgeleiteten Eigenschaft, »o oder b oder c zu sein«: ihr entspricht die aus jenen drei Gegenständen als ihren Elementen bestehende Menge.

Denselben Standpunkt, daß für die Identität nicht die Art der Definition (der Sinn), sondern der sachliche Gültigkeitsbereich maß- gebend ist, können wir den Relationen und ihren Urteilsschemeu gegenüber vertreten. Wie jeder Eigenschaft eine Menge, so entspricht dann jeder Relation ein funktionaler Zusammenhang. Dies Wort (für

14 Kapitel I. Menge und Fnnktion.

welches ich kein kürzeres und treffenderes finde) soll von vornherein daran erinnern, daß hier die Wurzel der mathematischen Begriffe »Funktion, Zuordnung, Abl)ildung« liegt. Man kann aber statt dessen auch, je nach der Zahl der Leerstellen, von einer 2,3,4...- dimcnsionalcn Menge sprechen; was wir oben eine Menge nannten. muß dann genauer als „eindimensionale Menge" gekennzeichnet werden. Nach der Wahl des einen oder andern Terminus richtet sich die übrige Ausdrucksweise. Stehen z. B. a, h in der binären Relation 1\ zueinander, so werden wir sagen: a, h bilden ein Ele- mentensystem der korrespondierenden zweidimensionalen Menge [li] oder erfüllen den funktionalnn Zusammenhang (/>').

Es ist bei den mehrdimensionalen Mengen aber noch ein wich- tiger Umstand zu beachten. Seien etwa U{xii) und V{xy) zwei bi- näre Urteilsschemata. Wenn es keine Gegenstände .r = a, 1/ = b unserer Kategorie gibt von solcher Art, daß i[7(a&) besteht, V{ab) liingegen nicht, oder V{ab) besteht, U{ab) hingegen nicht: so ent- spricht diesen beiden Relationen derselbe funktionale Zusammenhang. Nun drückt aber die Forderung, welche wir hier hinsichtlich der beiden Urteilsschemata U und V erheben, gar keine Beziehung aus, die an sich zwischen ihnen besteht, sondern setzt offenbar voraus, daß deren Leerstellen auf eine bestimmte Weise vollständig mit- einander zur Deckung gebracht sind. Soll dennoch dem einzelnen Urteilsschema U[xy) ein funktionaler Zusammeohang so korrespon- dieren, daß der ausgesprochenen Forderung Genüge geschieht, ?o müssen wir annehmen, daß in dem Urteilsschema die Leerstellen bereits in einer bestimmten Reihenfolge geordnet sind: alsdann wollen wir es ein subjekt- geordnetes nennen. In Schriftsymbolen soll diese Ordnung einfach durch die Reihenfolge der die Leerstellen vertretenden Buchstaben (von links nach rechts, unsern Schrift- gewohnheiten entsprechend) angedeutet werden. Für suhjekt-geordnete binäre Relationen erst hat unsere Forderung einen klaren Sinn : es sind die Gegenstände a und b beidemal in derselben Reihenfolge in die geordneten Leerstellen der beiden Urteilsschemata einzusetzen.

Jedem subjekt-geord7ieien Urieilsschema einer ursprünglichen oder ab- geleiteten Relation entspricht ein futiktionaler Zusammenhang , eine mehrdimensionale Menge; zivei derartigen Urieilsschemata [mit der gleichen Anzahl von Leerstellen) dann und nur dann derselbe funktionale Zusainmenhang , wenn irgendwelche Gegenstände unserer Kate- gorie, für rcelche die eine Relation besteht, in der gleichen Reilien folge immer auch die andere e?- füllen und umgekehrt.

Die in § 2 aufgestellten Prinzipien verwandeln sich jetzt in

§ 4. Mengen. 15

solche, welche die ,,Krzeugung'' von ein- und mehrdimensionalen Mengen regeln. Der Negation (Pr. 1) entspricht im Gebiet der Mengen die Komjylementhildnng. Nach Pr. 3 und 4 entstehen Durch- schnitt und Summr zweier Mengen. Führt man in einer ternären Relation U[xyz) z. B. für z den gegebenen Gegenstand a ein, so entsteht aus der entsprechenden dreidimensionalen Menge der „Qtier- sclniiü" z a ^ welcher eine zweidimensionale Menge ist. Pr. 0 könnte man, in Anlehnung an die analytische Geometrie, das Prinzip der Projektion nennen.

Die ein- und mehrdimensionalen Mengen bilden über dem ur- sprünglich gegebenen Gegenstandsbereich ein neues abgeleitetes System idealer Gegenstände; es entsteht aus dem ursprünglichen, wie ich mich ausdrücken will, durch den mathematischen Proxeß. In der Tat glaube ich, daß sich in dieser Begriffsbildung das Charak- teristische der mathematischen Denkweise äußert. Es versteht sich von selbst, daß diese neuen Gegenstände, die Mengen, von den ur- sprünglichen durchweg verschieden sind; sie gehören einer ganz andern Existenzsphäre an.

Niemand kann eine unendliche Menge anders beschreiben als durch Angabe von Eigenschaften, welche für die Elemente der Menge charakteristisch sind: niemand eine Zuordnung zwischen unendlich vielen Dingen stiften ohne Angabe eines Gesetzes, d. h. einer Relation, welche die zugeordneten Gegenstände miteinander verknüpft. Die Vorstellung der unendlichen Menge als einer durch unendlich viele einzelne willkürliche Wahlakte zusammengebrachten, kolligierten und nun vom Bewußtsein als Ganzes überblickten „Ver- sammlung'' ist unsinnig; die „ünerschöpflichkeii" liegt im Wesen des Unendlichen. Unsere Auffassung ist die: der Übergang von der ,, Eigenschaft-' zur ,, Menge" (derjenigen Dinge, welche die Eigen- schaft besitzen I bedeutet lediglich, daß man dem rein logischen gegen- über den sachlichen Standpunkt zur Geltung bringt, d. h. die sach- liche — und nur auf Grund von Sachkenntnissen festzustellende Übereinstimmung (im „Umfang", wie die Logiker sagen) anstatt der logischen Sinnesgleichheit als maßgebend betrachtet. Darum stelle ich den hier formulierten exakten Mengen- und Funktionsbegriff dem völlig vageu Funktionsbegriff gegenüber, der seit Dirichlet in der Analysis kanonisch geworden ist, und dem der heut daneben übliche Mengenbegriff gleichartig zur Seite tritt. Elementare Geo- metrie, Arithmetik, rationale Algebra diese Hauptteile des ma- thematischen Gebäudes sind in gutem Stand: nicht so aber die Analysis und die Mengenlehre (vgl. namentlich § 6). Die vielgerühmte

If) Kapitel I. Meiigo uiul Funktion.

Kritik, welche das 10. Jahrhunrlert au den Grundlagen der klassischen Analysis geübt hat, war berechtigt, wie niemand bestreiten wird; und gewiß ist durch sie ein ungeheurer Fortschritt in der Strenge des Denkens bewirkt worden. Was man aber positiv an die Stelle des Alten gesetzt hat. ist, wenn man deti Blick auf die letüen Prin- Jpien richtet, unklarer und anfechtbarer als dieses so wenig daran zu zweifeln ist, daß der größte Teil des von der modernen kritischen Forschung Erarbeiteten sich bei einer endgültigen Fundierung der Analysis von neuem als Bauzeug verwerten läßt. So wie die Dinge jetzt stehen, muß aber konstatiert werden: Die große Aufgabe, welche seit der Pythagoreischen Entdeckung des Irrationalen gestellt ist, das uns (namentlich in der tließenden Zeit und der Bewegung) unmittelbar anschaulich gegebene Stetige nach seinem in „exakten" Erkenntnissen formulierbaren Gehalt als Gesamtheit diskreter »Sta- dien« mathematisch zu erfassen, dieses Problem ist trotz Dedekind, Cantor und Weierstraes heute so ungelöst wie je. Systeme mehr oder minder willkürlicher Festsetzungen können uns da nicht weiter helfen (mögen sie noch -so ., denkökonomisch*' und ., fruchtbar" seiu); wir müssen versuchen, zu einer auf Sacheinsicht gegründeten Lösung zu gelangen. Hier sollen die Konsequenzen unserer Auffassung des Mengen- und Funktionsbegritfs für die Grundlagen der Analysis und Mengenlehre noch einige Schritte weiter verfolgt werden.

Soviel im allgemeinen vorweg: Da wir von einem bestimmten Operationsbereich ausgehen müssen und die existierenden Mengen und Zuordnungen bestimmt sind durch die sachlichen, mittels der zugrunde liegenden Ur-Eigenschaften und -Relationen ausdrückbaren Zusammenhänge, welche zwischen den Gegenständen der gegebeneu Kategorien bestehen, wird unbeschadet der Möglichkeit einer allgemeinen Mengenlehre keine universelle, gleichmäßig für alle Operationsbereiche gültige Skala unendlicher Kardinal- und Ordi)/ol- xahlen existieren können, wie sie Cantor aufgestellt hat. Der durch die Mengenlehre scheinbar ausgefüllte Abgrund zwischen dem End- lichen und Unendlichen tritt wieder in seiner klaffenden Tiefe zu- tage. Eine solche mengentheoretische Behandlung der natürlichen Zahlen, wie sie Dedekind in seiner Schrift ,,Was sind und was sollen die Zahlen?'' gibt, mag im Interesse der mathematischen Systematik von Wert sein*); sie darf aber nicht darüber hinwegtäuschen wollen,

*) Es fällt mir natürlich nicht ein, die große historische Bedeutung dieser Dedekindschen Schrift für die Entwicklung des mathematischen Denkens an- zutasten.

§ 5, Die natürlichen Zahlen. Richardsche Antinomie. 1 7

daß man sich für die Grundbegrifle der Mengenlehre bereits auf die Anschauung der Iteration und der natürlichen Zahlenreihe stützen muß.

§ 5. Die -natürlichen Zahlen. Richardsche Antinomie.

Wir können unsere Ausführungen insbesondere anwenden auf jene Kategorie idealer Gegenstände, die wir natürliche Zahlen nennen; als einzige, ihrem Sinn nach unmittelbar aufzuweisende Urbeziehung liegt dabei diejenige f{xy) zugrunde, welche zwischen zwei natür- lichen Zahlen x, ij besteht, von denen y die auf x )iäohstfulgende ist. Es bestehen dann die einfachen Tatsachen: Zu jeder Zahl x gibt es eine und nur eine //, für welche f[xy) zutrifft. Es gibt eine einzige Zahl 1, zu der sich keine Zahl findet, auf welche sie un- mittelbar folgt; zu jeder von 1 verschiedenen Zahl aber existiert eine und nur eine solche. Auf dem Umstand endlich, daß man, von 1 ausgehend und von jeder Zahl zur nächstfolgenden fort- schreitend, schließlich zu jeder beliebigen Zahl gelangen kann, be- ruht der wichtige Schluß der vollständigen Induktion.

Für jede mathematische Disziplin ist es charakteristisch, daß 1) für sie ein derartiger Operationsbereich zugrunde liegt, wie wir ihn hier von Anfang an vorausgesetzt haben, daß diesem 2) stets die natürlichen Zahlen samt der sie verknüpfenden Beziehung / assoziiert werden, und daß 3) über diesem kombinierten Operations- bereich durch den ev. sogar beliebig oft iterierten mathematischen Prozess ein Reich neuer idealer Gegenstände, von Mengen und funktionalen Zusammenhängen, aufgebaut wird. Die alte Erklärung der Mathematik als der Lehre von Zahl und Eaum hat man, der neueren Entwicklung unserer Wissenschaft entsprechend, für zu eng befunden; dennoch ist kein Zweifel, daß auch in solchen Disziplinen wie der reinen Geometrie, der Analysis situs, der Gruppentheorie usw. zu den behandelten Gegenständen von vornherein die natürlichen Zahlen in Beziehung gebracht werden. Wir setzen daher fortan voraus, daß unserer Untersuchung eine oder mehrere Gegenstands- kategorien zugrunde liegen, deren eine jedenfalls die der natürlichen Zahlen ist. Für solche gemischten Bereiche erinnern wir an die Bemerkung von § 1 , daß allgemein jede Leerstelle des Urteils- schemas einer ursprünglichen oder abgeleiteten Relation auf eine ihr eigene bestimmte Gegenstandskategorie bezogen ist. Ist der zugrunde- liegende Operationsbereich der am Anfang dieses Paragrai)hen be- schriebene der natürlichen Zahlen, ohne daß noch etwas W^eiteres

Weyl, Das Kontinuum. 2

IS Kapitel i. Mongf> und Fuuktiou.

liinzukommt, so gelangen wir zur irincn Zahlenlehrc, welche das Kernstück der Mathematik ausmacht; ihre Begrifl'e und Tatsachen sind offenbar für jede mathematische Disziplin von Bedeutung.

Gehören die natürlichen Zahlen zum Operationsbereich, so tritt zu den in § 2 aufgezählten I)efinitionsj)rinzipien ein neues wichtiges, spezifiscli mathematisches hinzu, das Prinzip der Iteration (Definition durch vollständige Induktion), vermöge dessen die natür- lichen Zahlen erst mit den Gegenständen der übrigen Kategorien des zugrunde liegenden Operationsbereichs (wenn solche vorhanden) in Verbindung treten. In der reinen Zahlenlelue ist es z. B. er- forderlich, um aus f die fundamentalen arithmetischen Relationen

m < w I m + n = p \ m n = p

herstellen zu können (vgl. Kap. II, i> 1). In den Grundlagen der Geometrie muß es zur Begründung des Messens herangezogen werden. Dabei handelt es sich darum, aus der Relation o -}- b = c für irgend drei Vektoren a, b, c die Relation na = h herzuleiten, in welcher n eine beliebige natürliche Zahl ist. Die erste Relation möge auch mit (7(abc), die zweite mit M[(ihn) bezeichnet werden; diese wird rekursiv auf jene zurückgeführt durch die Forderungen:

il/(obl) bedeutet a = h [oder J{a.^\\

J/(a6,w + 1) bedeutet: es gibt einen Vektor j, so daß If(ajw) (T[o.ih).

Eine allgemeine Formulierung des hier in Funktion tretenden Ite- rationsprinzips müssen wir bis zum § 7 verschieben.

An der natürlichen Zahlenreihe hängt der Cantorsche Begriff der Äbzählbarkeit , der bekanntlich zu der Mchardscheti Antinomie Veranlassung gegeben hat. Deren gewöhnliche Fassung lautet so: Die möglichen Kombinationen endlichvieler Buchstaben bilden eine abzählbare Menge, und da jede bestimmte reelle Zahl sich durch endlichviele Worte definieren lassen muß, kann es nur abzählbar viele reelle Zahlen geben im V^iderspruch mit Cantors klassischem Theorem und dessen Beweis. Zur Diskussion dieser Antinomie er- setzen wir den Begriff ,, reelle Zahl" durch „Menge natürlicher Zahlen''. Wir legen als Operationsbereich die natürlichen Zahlen zugrunde mit der einzigen ursprünglichen Relation /. Die natür- lichen Zahlen sind dann samt und sonders Individuen, und wir können daher das Pr. 5 von § 2 bei der Bildung der abgeleiteten Eigenschaften und Relationen ganz ausschalten. Hingegen fügen wir das noch nicht endgültig formulierte Iterationsprinzip hinzu. Es ist dann gewiß, daß sich der „Erzeugungsprozeß" der ürteils- schemata der abgeleiteten Eigenschaften und Relationen so regeln

§ 6. Iteration des mathematischen Prozesses. 19

läßt, daß diese dabei in eine ., abgezählte" Reihe geordnet werden. Den auftretenden Eigenschaften entsprechen gemäß § 4 die ein- dimensionalen Zahlmeugen, und durch den angedeuteten Prozeß werden also im gleichen Sinne auch alle möglichen Mengen natür- licher Zahlen in eine abgezählte Eeihe geordnet. Dies, scheint mir, ist der richtige Kern der Richardschen Antinomie, wie wir ihn hier auf Grund unserer durch die Erzeugungsprinzipe geleisteten sach- lichen Präzisierung des Begrifis der „endlichen Detinition" heraus- schälen können. Dagegen wird die Abzählbarkeit aller Zahlmengen in einem ganz andern und, wie ich glaube, für die Mathematik allein in Frage kommenden Sinn durch den Cantorschen Beweis in der Tat widerlegt. Es existiert in unserem Operationsbereich keine binäre Zahlrelation Ii{xy) von folgender Art: zu jeder (einer ab- geleiteten Eigenschaft entsprechenden eindimensionalen) Zahlmenge existiert eine Zahl a so beschaffen, daß jene Zahlmenge mit der- jenigen identisch ist, welche der Eigenschaft R[xa) entspricht [der Menge aller Zahlen x, die zu a in der Beziehung R[xa) stehen). Der Cautorsche Beweis dieses Satzes besteht einfach darin, daß man die der Eigenschaft E(xx) entsprechende Zahlmenge betrachtet: ihr kann gewiß eine Zahl a in der geforderten Weise nicht zugehören. Fassen wir den Begriff der Abzählbarkeit der Anweisung dieses Beispiels gemäß, so liegt natürlich gar knn Grund vor, anzunehmen, daß in jeler unendlichen Menge eine ahxählbare Teilmenge enthalten sein müßte: eine Konsequenz, vor der ich durchaus nicht zurückschrecke.

y

§ 6. Iteration des mathematischen Prozesses. Der circulus vitiosus der Analysis.

Wir gingen aus von einem Operationsbereich, d. i. von einer oder mehreren einzelnen Gegenstandskategorien, ^qh „Grundkategorien'', und gewissen einzelnen, an Gegenständen dieser Kategorien un- mittelbar aufgewiesenen „ursj)rihiglicli('n'- Eigenschaften und Rela- tionen. Jede der einzelnen „Leerstellen" einer Relation (sowohl der ursprünglichen als der abgeleiteten) ist bezogen auf eine be- stimmte Gegenstandskategorie, derart, daß sinnvoUerweise nur ein Gegenstand dieser Kategorie zur Ausfüllung der betr. Leerstelle dienen kann. Die Kategorie »natürliche Zahl« zusammen mit der auf sie bezüglichen ursprünglichen Relation / nennen wir den nh- fiohäen Operationsbereich. Wir nehmen an, daß der zugrunde liegende Operationsbereich diesen absoluten (in einem ohne weiteres ver- ständlichen Sinne) enthält. Aus den ursprünglichen Eigenschaften

20 Kapitel I. Menge und Funktion.

und Relationen gingen die abgeleiteten hervor, und jeder ursprüng- lichen oder abgeleiteten subjekt-geordneten Relation entsi^rach durch den mathematischen Prozeß eine ein- oder mehrdimensionale Menge. Dil' Kategorie, welcher eine solche Menge zugehört, bestimmt sich durch die Zahl der Leerstellen derjenigen Relation, aus welcher sie entspringt, und durch die Gegenstandskategorien, auf welche jede dieser Leerstellen in der festgesetzten Keilienfolge bezogen ist. Alle diese Eigenschaften und Relationen, korrespondierenden Mengen und funktionalen Zusammenhänge wollen wir für den Augenblick genauer als solche der 1. Stufe bezeichnen.

Daß a, b . . ein Elementensystem einer Menge M bilden, ist eine Relation zwischen den Gegenständen a, b . . und der Menge J/. die wir durch den Buchstaben e kennzeichnen wollen. V^on den Leerstellen dieser Relation s bezieht sich also die eine auf eine ge- wisse Kategorie von Mengen L Stufe, die andere der Reihe nach auf dieselben Grundkategorieu, auf welche die Leerstellen der Mengen jener Kategorie (bzw. der Relationen, welchen sie korrespondieren) bezogen sind. Den Grundkategorien fügen wir jetzt die verschiedenen Kategorien ein- und mehrdimensionaler Mengen hinzu, den auf die Grundkategorien bezüglichen ursprünglichen Eigenschaften und Rela- tionen die Relation s, durch welche die Gegenstände jener Grund- kategorien mit den Mengen verknüpft werden. Auf diese Weise ent- steht ein erweiterter Operationsbereich, auf den wir von neuem den „mathematischen Prozeß" anwenden können; wir gelangen dadurch zu (ein- und mehrdimensionalen) ..Mengen 2. Stufe", deren Leerstellen, allgemein zu reden, zum Teil auf Grundkategorien, zum Teil auf Kategorien von Mengen I.Stufe bezogen sind. Solchergestalt kann der mathematische Prozeß nicht nur einmal, sondern beliebig oft iteriert werden.

Wir müssen dem Umstände Beachtung schenken, daß auf der 2. Stufe auch neue Mengen auftreten können, deren Leerstellen, alle auf Grundkategorien bezogen sind. Dies wird insbesondere dann geschehen, wenn beim Aufbau einer zu dem „erweiterten" Operationsbereich gehörigen Relation R nach den Prinzipien des § 2 gewisse auf Kategorien von Mengen 1. Stufe bezogene Leer- stellen durch den * »es gibt« ausgefüllt werden, F selber aber keine derartige Leerstelle mehr enthält. Das Bestehen dieser Re- lation („2. Stufe'-) i? ist alsdann daran geknüpft, daß es eine Menge d. h. daß es eine Relation 1. Stufe gibt von solcher Beschaffenheit, daß . Es ist klar, daß R den Relationen der 1. Stufe als eine solche von völlig andrer Art gegenübertritt. In Zirkel ohne Ende würde man

^ 6. Iteration des mathematischen Prozesses. 21

sich verstricken, wenn mau hier, die Stufenunterschiede nicht be- rücksichtigend, von einer Relation sprechen wollte, deren Bestehen daran geknüpft ist, daß es eine Relation gibt, so beschafien, daß ... in Sinnlosigkeiten und Widersprüche völlig analog dem liekannten Russellschen, welcher von der Menge aller Mengen handelt, die sich nicht selbst als Element enthalten. (Ich behaupte und werde dies alsbald näher ausführen, daß sich unsere heutige Analysis auf Schritt und Tritt in solchen Zirkeln bewegt.) Bei der Bildung der Relation R wird der Existenzbegriff in der gleichen Weise auf die Eelatiotioi (l. Stufe) wie auf die Gegenstände der Grundkategorien angewendet, insofern Pr. (> (Ausfüllung durch »es gibt«) sowohl für Leerstellen Verwendung findet, die sich auf eine Grundkategorie beziehen, wie für solche, die auf eine Kategorie von Mengen I.Stufe bezogen sind. Es erscheint natürlich, diese Verwendung des Existenzbegriffs auf die Gegenstände der Grundkategorien zu beschränken und dement- sprechend bei der Iteration des mathematischen Prozesses sich der beiden Ansfüllnngsprinxipe 5. und 6. immer nur für Leerstellen zu be- dienen, die auf eine Grundkategorie bezogen sind.*) Bei diesem ,,engeren Verfahren'^ ist es dann klar, daß mit den Mengen und funktionalen Zusammenhängen I.Stufe diejenigen, welche zwischen Gegenständen der Grundkategorien bestehen, erschöpft sind, so daß auf der 2. und den höheren Stufen neue Mengen und funktionale Zusammenhänge dieser Art nicht mehr hinzukommen. Bei Befolgung des engeren Verfahrens brauchen wir demnach die verschiedenen Stufen nicht mehr zu unterscheiden, da die Stufe, auf der eine Menge steht, bereits durch die Kategorie, der sie zugehört, mitbestimmt ist. Eine dreidimensionale Menge z. B.. in der die ersten beiden Leer- stellen auf Grundkategorien, die letzte aber auf eindimensionale Mengen von Gegenständen einer gewissen Grundkategorie bezogen ist, wird zur 2. Stufe zu rechnen sein.

Wir gehen dazu über, diese Betrachtungen auf die Grundlagen der Analysis anzuwenden. Um uns nicht mit Außerwesentlichem aufzuhalten, wollen wir dabei sogleich unsern Ausgang von den

*) Die prinzipielle Bedeutung des engeren Verfahrens geht am deutlichsten aus folgender Bemerkung hervor: Nur bei Befolgung des engeren Vorfahrena bleiben die Gegenstände der Grundkategorien unverrückt das eigentliche Objekt unserer Untersuchung: andernfalls wird die Fülle der abgeleiteten Eigenscliaften und Relationen ebf^nso.sehr zum Erkenntniaobjekt wie das Reich jener ursprüng- lichen Gegenstände. Finite Urteile, d. h. solche, die unter den Einschränkungen des engeren Verfahrens gebildet sind, setzen z>i ihrer Entscheidung nur die Überblickung dieser Grundgegenstände voraus, »transfinitci außerdem die volle Überblickung aller abgeleiteten Eigenschaften und Relationen.

22 Kiipitel 1. Menge und Fuiiktion.

rationalcN Zahlen nelinuMi und nicht ab ovo mit den natürlichen Zahlen beginnen.*) Den zugrunde liegenden Operationsbereich be- sclireibe ich demnach folgendermaßen: 1. die Kategorie „natürliche Zahl'' und die auf sie bezügliche binäre Relation /; 2. die Kate- gorie „rationale Zahl"**), die ternärea Relationen

(T [x y 0 : X -\- ;i = r. , i 'x y%): x y = z

und die Eigenschaft P(a;) : »;ß ist positiv«, deren Leerstellen sich auf diese Kategorie beziehen.

Nach Dedekind wollen wir eine reelle Zahl u charakterisieren durch die Menge derjenigen rationalen, welche kleiner sind als a. Wir definieren demnach: Unter reeller Zahl verstehen wir eine (eindimensionale) Menge « rationaler Zahlen mit folgenden Eigen- schaften:

a) ist r ein Element von a, so auch jede rationale Zahl r', für welche r r' positiv ist; h) es gibt jedoch zu jedem Element r von u eine der Menge a als Element angehörige rationale Zahl ?•*, für welche r* r positiv ist; c) es gibt Elemente von «, aber nicht jede rationale Zahl ist Element von a.

Der Umstand, daß r Element von u ist, werde auch durch die Worte ausgedrückt: r ist kleiner als u, in Zeichen: r <^ u.

Wie aber soll hier der Begriff »Menge« verstanden werden? Es ist, um zur Analysis zu gelangen, gewiß nicht ausreichend, den mathematischen Prozeß nur einmal anzuwenden ; denn es gilt, nicht bloß reelle Zahlen, sondern auch Mengen reeller Zahlen und funk- tionale Zusammenhänge zwischen ihnen zu studieren. Sollen wir nun bei der Iteration das „engere Verfahren" befolgen oder nicht? Tun wir es nicht, so kommen wir zu einer Analysis „mit Stufen- bildung,'' in der es reelle Zahlen 1., 2., 3., . . . Stufe gibt und ebenso Punktionen verschiedener Stufen, derart, daß z. B. eine Funktion der 2. Stufe nur einen Sinn hat für Argumentwerte der 1. und 2. Stufe. Diese Analysis würde freilich dann in die uns vertraute übergehen, wenn wir überall, wo von Mengen und funktionalen Zusammenhängen die Rede ist (namentlich in Verbindung mit dem Wörtlein »es gibt«), den Zusatz »der 1. (oder der 2., . . .) Stufe« unterdrücken dürften, wenn wir so verfahren würden, als ob die Eigenschaften 2, Stufe (die doch erst auf Grund der Gesamtheit der Eigenschaften 1. Stufe

*) Eingehender und systematisch wird der Aufbau des ZahlbegriflPs in Kap. II. vollzogen werden.

**) Die natürlichen Zahlen betrachte ich hier als eine eigene, nicht in der der rationalen Zahlen enthaltene Kategorie.

§ 6. Iteration des oiathematiscben Prozesses. 23

definiert werden können) mit zu diesem ursprünglichen Kreis von Eigenschaften I.Stufe gehörten. Aber gerade dadurch würden alle Definitionen und Beweise die Form des circulus vitiosus annehmen. Sei z. B. M eine beschränkte Menge von reellen Zahlen 1. Stufe. Um ihre obere Grenxe zu konstruieren, hat man eine Menge / von rationalen Zahlen zu bilden, der eine rationale Zahl r dann und nur dann als Element zugehört, falls es eine zu J/ gehörige reelle Zahl der 1. Stufe gibt, welche größer ist als r. Diese Menge ;- hat die Eigenschaften a), b), c), und ist mithin eine reelle Zahl, abe7- eine solche der 2. Stufe, da bei ihrer Definition das »es gibt« in Verbindung mit »eine reelle Zahl der 1. Stufe« (d. h. »eine Menge 1. Stufe von rationalen Zahlen« oder »eine ursprüngliche oder ab- geleitete Eigenschaft 1. Stufe«) auftritt. Der durch die nebelhafte Natur des üblichen Mengen- und Funktionsbegrifi's verhüllte circulus vitiosus, auf den wir hier hinweisen, ist nicht etwa ein leicht zu beseitigender formaler Fehler im Aufbau der Analysis. Die Er- kenntnis seiner fundamentalen Bedeutung ist etwas, was sich nun eben nicht durch viele Worte an den Leser heranbringen läßt. Je deutlicher man sich aber das logische Gewebe der ^Analysis zur Gegebenheit bringt, je tiefer und vollständiger der Bewußt- seinsblick es durchschaut, um so klarer wird es, daß bei der heutigen Begi'ündungsweise sozusagen jede Zelle des gewaltigen Organismus von diesem Gift des Widerspruchs durchsetzt ist; und daß eine durchgreifende Kontrolle nötig ist, um hier Abhilfe zu schafi'en.

Eine Analysis „mit Stufenbildung" ist künstlich und unbrauchbar. Sie verliert ihr eigentliches Erkenntnisobjekt, die Zahl, aus dem Auge (vgl. die Anm. auf S, 21). Es ist klar, daß wir den andern Weg einschlagen müssen nämlich den Existenzbegrifi nur hinsichtlich der Grundkategorien (hier der natürlichen und rationalen Zahlen), nicht aber mit Bezug auf das System der Eigenschaften und Rela- tionen (oder der ihnen korrespondierenden Mengen, reellen Zahlen u. dgl.) anzuwenden haben; mit andern Worten: es ergibt sieh als das einzig Natürliche, das engere Iteralion.sver fahren xu befolgen. Nur dies Verfahren garantiert auch dafür was mit Rücksicht auf die Anwendungen von entscheidender Bedeutung ist , daß alle Begrifie und Tatsachen, Größen und Operationen einer solchen „Präzisions- analysis" als Idealisierungen analoger Dinge in einer mit .,Ungefähr- Zahlen" operierenden Api)roxiniiitionsniathematik zu fassen sind. Ein Satz wie der oben erwähnte, daß jede beschränkte Menge re- eller Zahlen eine obere Grenze besitzt, muß dann freilich preis-

24 Kapitel I. Meugc und Funktiüu.

gegeben werden; wir lassen uns durch solche Opfer au dem Wege, den wir eingeschlagen, nicht irre machen.*)

Es fragt sich noch, wie wir den Funktion sbegrilJ zu fassen haben. Es handle sich etwa um Funktionen x{t), deren unabhängige Vari- able t irgend eine Gegenstandskategorie f durchläuft (z. B. die na- türlichen Zahlen), deren Wert aber eine reelle Zahl ist. Sei R{xl) eine binäre Relation, deren Leerstelle x sich auf eindimensionale Mengen von rationalen Zahlen, deren Leerstelle t sich auf die Kate- gorie l bezieht. Gehört zu jedem Gegenstand t dieser Kategorie oder zu jedem Element / einer eindimensionalen Menge solcher Gegenstände eine und nur eine Menge x von rationalen Zahlen mit den Eigenschaften a), b), c) derart, daß jene Relation i»' besteht, so ist diese ,, reelle Zahl'* x eine Funktion von t: das wäre die eine mögliche Fassung des Funktionsbegritis. Natürlicher erscheint die folgende: Eine reelle Zahl x ist gegeben als eine Menge rationaler Zahlen, welche durch eine gemeinsame Eigenschaft charakterisiert sind: x wird abhängig von t sein, wenn in diese Eigenschaft ein willkürlicher Gegenstand t der Kategorie l eingeht, d. h. wenn jene Eigenschaft aus einer binären Relation S{oo) deren erste Leerstelle auf die Kategorie der rationalen Zahlen, deren zweite auf t bezogen ist dadurch hervorgeht, daß die zweite Leerstelle durch t aus- gefüllt wird: die der Eigenschaft «S (o i) entsprechende Menge ic ratio- naler Zahlen ist von t abhängig oder eine Funktion von t. Insbesondere kann es sich ereignen, daß für jeden Gegenstand t der Kategorie f oder auch nur für jedes Element t einer aus Gegenständen dieser Kategorie bestehenden Menge jene zugehörige Menge x die Eigen- schaften a), h), c) einer reellen Zahl hat.

Bei der ersten Fassung würde nicht einmal der Satz richtig sein, daß die Summe zweier Funktionen wieder eine Funktion ist. Sind nämlich 7? I^a;^), B'[xt) die beiden Relationen, welche den Funk- tionen zugrunde liegen, und bezeichnet -2" (ajya;) die Relation a; -\- g = z für reelle Zahlen, so entspringt die Summe der Funktionen aus einer Relation, die folgendermaßen zu bilden wäre:

JR{x t) . B' {g t) ' ^{xgz) = RR' :E{xgx t] ; RR' ^"(* ^zt).

Zu ihrer Bildung müßte demnach der * »es gibt« zur Ausfüllung

*) In der Wissenschaft gibt es nur „Gesetze", keine „Gebote". So soll denn auch hier nicht etwa „verboten" werden, den Terminus «es gibt« in Ver- bindung mit Gegenständen zu gebrauchen, die nicht zu den Grundkategorien gehören. Es ist natürlich durchaus möglich (und zulässig), das weitere Verfahren zu befolgen; tut man es, so tue man es aber in zirkelfreier Weise!

§ 6. Iteration des mathematischen Prozesses. 25

einer Leerstelle benutzt werden, welche sich nicht auf die Griiud- kategorien bezieht; das ist aber bei Befolgung des engeren Ver- fahrens, für das wir uns entscheiden muBten, unzulässig. Hingegen ist bei der zweiten Fassung des Funktionsbegriffs evidentermaßen die Summe zweier Funktionen wieder eine Funktion. Ferner zeigte sich im vorigen Paragraphen: Cantors Beweis des Satzes, daß das Kontinuuai nicht abzählbar ist d. h. daß es keine Funktion T{n), welche jeder natürlichen Zahl n eine Menge T natürlicher Zahlen zuordnet, von solcher Art gibt, daß dabei jede Menge von natürlichen Zalilen als Funktionswert auftritt , setzt voraus, daß der Begriff »Funk- tion« im zweiten Sinne genommen wird. Auch gilt was natürlich für den Aufbau der Analysis ausschlaggebend ist für die zweite Fassung das Cauchy'sche Konvergenzprinzip (vgl. Kap. II).

Durch alle diese Umstände lassen wir uns zu dem folgenden Funktionsbegriff" führen (einmal auf ihn aufmerksam geworden, er- fassen wir auch unmittelbar seine Bedeutsamkeit): Die Leerstellen einer Relation. z.B. R{uv\xyx), seien in zwei geordnete Gruppen, die abhängigen uv und die unabhängigen Leerstellen x'/z, geteilt. Dadurch, daß wir die unabhängigen Leerstellen je durch einen be- liebigen Gegenstand x bzw. // bzw. % ihrer Kategorie ausfüllen, entsteht aus 7.' eine Relation 7»'(oo xyz), welche nur noch die (ge- ordneten) ,, abhängigen" Leerstellen besitzt; ihr entspricht eine zwei- dimensionale Menge (p{xy%), welche von x, //, z abhängt oder eine Funktion der „Werte" der unabhängigen Variablen x, y, z ist. (Wäh- rend aber so von den zur Ausfüllung benutzten Gegenständen den Werten der unabhängigen Variablen die sich ergebende Menge der „Funktionswert'' abhängig ist, ist die Kategorie, welcher sie angehört, an sich bestimmt, nämlich die Kategorie der- jenigen zweidimensionalen Mengen, deren Leerstellen sich auf die gleichen Gegenstandskategorien beziehen wie u und v in 1\) Ge- mäß unserer Erklärung sind die Beziehungen

R{uv xyz) und e(u,v: <P{xyz))

gleichbedeutend.

Beispiel: Wir nehmen für 7/ die Negation der Beziehung c: l[xX), in der sich die Leerstelle x auf eine bestimmte Gegenstandskategorie bezieht, die Leerstelle A' auf diejenige Kategorie eindimensionaler Mengen, deren Elemente der eben genannten Gegenstandskategorie angehören. Nehmen wir x als Abhängige, A" als Unabhängige, so erhalten wir daraus die Funktion 0(X), deren Wert für jede Menge A' die Koni ijlenientär menge X von X ist. Hier haben wir eine der ein-

26 Kapitel I. Menge und Funktion.

lachsten Funktionen einer Variableu, bei welcher das unabhängige „Argument" uutl der Fuuktionswert der gleichen Kategorie augehören.

§ 7. Substitutions- und Iterationsprinzip.

Der natürliche Funktionsbegriif, auf den unser Blick jetzt ge- lenkt ist, gestattet die endgültige und allgemeine Formulierung des Prinzips der Iteration, auf das schon in § 5 hingewiesen "wurde. Wir nehmen damit unsere allgemeinen, von einem beliebigen Ope- rationsbereich ausgehenden Betrachtungen wieder auf. Dem Itera- tionsprinzip muß das der SuhstUution vorausgeschickt werden.

7. R[uv\xyx) und S{xwU) seien zwei Relationen, die Leer- stelle U (in S) beziehe sich auf diejenige Kategorie zweidimensionaler Mengen, deren Leerstellen auf die zu den Leerstellen u, v in /.' gehörigen Kategorien bezogen sind; die mit x bezeichneten Leer- stellen in E und S beziehen sich beide auf dieselbe Gegenstands- kategorie. Fasse ich in der Relation R die Leerstellen uv als die abhängigen auf, so entspringt aus ihr die Funktion (li{xyz), deren Wert der zur Leerstelle ü gehörigen Mengenkategorie angehört.*) Wir bilden die Relation S (x, w, (Pixyz)) (mit den vier Leerstellen X y z w).

Um der einfacheren Ausdrucksweise willen haben wir das Prinzip an einem Beispiel formuliert; es ist aber ohne weiteres klar, wie es allgemein verwendet werden soll. Wir lassen als Grenzfall auch den zu, daß R gar keine unabhängigen Leerstellen besitzt, für die Leerstelle Z7 in *S demgemäß eine bestimmte, durch eine gegebene subjekt-geordnete Relation R definierte Menge eintritt. Das Sub- stitutionsprinzip spielt mithin für Leerstellen, die sich auf Kategorien von Mengen beziehen, die gleiche Rolle wie Pr. 5 in § 2 für die Ausfüllung solcher Leerstellen, die sich auf eine Grundkategorie beziehen; es führt aber die Erweiterung' mit sich, daß zur Sub-' stitution nicht nur eine bestinimie Menge, sondern auch eine Funktion verwendet werden kann.

8. {Prinzip der Iteration.) B{xx' \ X) sei eine Relation^ deren Leer- stellen in die beiden geordneten Gruppen der abhängigen xx' und der unabhängigen X geteilt sind; die unabhängige Leerstelle A' beziehe sich auf diejenige Kategorie von zweidimensionalen Mengen, deren Leerstellen ihrerseits sich auf dieselben Gegenstandskategorien be-

*) Man hüte sich, die durch U = 0 {x y x) ausgedrückte Relation zwischen X, y, X und U einzuführen ! Man würde sich von neuem in die Zirkel verstricken, denen wir kaum entronnen sind. Vgl. § 8.

§ 7. Substitutions- und Iterationsprinzip. 27

ziehen wie die abhängigen Leerstellen xx' in J'. Die aus Jl ent- springende Funktion werde mit 0(A') bezeichnet: ihr Wert ist eine Menge derselben Kategorie wie der Wert des Arguments A' (vgl. das Beispiel am Schluß des § 6). Gemäß dem Substitutionsprinzip kann man bilden

h\{xx' X)= Ii(xx"\0{X))

[die aus E.^ entspringende Punktion ist die iterierte 0(0 (X))]. Die Relation B werde auch mit F^ bezeichnet. Aus R^ kann man wiederum

R^{xx' X) = R.^ [xx' <Ii{X))

bilden usf.: derart, daß allgemein für jede natürliche Zahl n

Rn + i{xx'\ X) = R^ [xx'^^^miX))

ist und 7?j mit R übereinstimmt. Wir fassen 7/j, i?,, R^, . . . auf als diejenigen Relationen, welche aus einer einzigen

R[n\xx' X)

dadurch entspringen, daß die auf die Kategorie ,, natürliche Zahl'' be- zogene Leerstelle n der Reihe nach ausgefüllt •wird durch 1, 2, 3, . Dieses Prinzip bringt die Bedeutung der natürlichen Zahlen zur Geltung; denn deren Reihe ist das allgemeine abstrakte Schema eines Vorgangs, der aus der Iteration (immer wiederholten Ausübung) eines elementaren Prozesses besteht. Das Prinzip muß aber noch in dreierlei Hinsicht erweitert werden, um seine allgemeinste Form zu erhalten. Erstens können in R neben der unabhängigen Leer- stelle A'' noch andere vorkommen, welche von der Iteration nicht mitbetroffen werden. Zweitens können statt X mehrere Leerstellen simultan der Iteration unterworfen werden. Beispielsweise seien

R{xx' XY), S(y\XY) zwei Relationen, deren Leerstelleu in der angedeuteten Weise in die abhängigen und unabhängigen geteilt sind; daraus entspringen dann zwei Funktionen «"(Z Y), bzw. H[X Y). Die Leerstelle X möge sich auf diesellje Kategorie zweidimensionaler Mengen beziehen, welcher der Funktionswert =" angehört; die Leerstelle 1' auf die- jenige Kategorie eindimensionaler Mengen, welcher der Funktions- wert H angehört. Damit sind die Bedingungen für die Bildung iterierter Relationen gegeben:

Ä(l; xx'\XY) = R{xx'^XY)\ R{n+l; xx'\XY) = Hin; xx'\S(XY), H{XY)) N(l; y\XY)= S{y\XY); i> + 1 ; y\XY) = S{n; >j\i:{XY), JHXY)).

Endlich kann drittens die beim «ten Schritt zu substituierende Funk- tion selber von n abhängen. Es sei also R{xx'\Xn) eine Relation.

28 Kapitel I. Menge und Funktion.

deren letzte Leerstelle n sich auf die Kategorie »natürliche Zahl«' bezieht; für die übrigen Leerstellen mögen dieselben Annahmen zu- treffen Avie oben. Die entspringende Funktion -werde mit Qi[Xn] bezeichnet. Die Iteration, welche zur Bildung der Relation R* führt, wird beschrieben durch die Formeln

B*[xx'\X\) = B[x.x' X\) , /?* (;r r' I X, w + 1) = R* {x x' I 0 {X, w + 1), n) . Das Iterationsprinzip, bei weitem das komplizierteste von allen, ist das in spezifischem Sinne matliematische. Als Beispiel seiner Anwendung betrachten wir die in § 5 erwähnte Vektor- Vervielfältigung. Kleine deutsche Buchstaben bedeuten Leerstellen, die sich auf die Kategorie »Vektor« bezJ^ien, mit großen deutschen Buchstaben bezeichnete Leerstellen sind auf die Kategorie »zweidimensionale Vektor-Menge« bezogen. ■V^, bedeute diejenige dieser Mengen, welche der Relation a (j \) j) entspricht. Man bilde

daraus durch Iteration: R[n \ jlj|X). R{n\ Jij^^'o) ^^^ ^^^ ^®" Ziehung t) n-^ .

Ein anderes Beispiel! Wir wollen zeigen, daß die Anzahl einer aus Elementen einer bestimmten Grundkategorie bestehenden Menge eine Funktion dieser Menge ist und wollen diese Funktion kon- struieren. Kleine lateinische Buchstaben beziehen sich auf jene Gruudkategorie, große lateinische auf eindimensionale Mengen von Gegenständen jener Kategorie, große griechische auf eindimensionale Mengen solcher Mengen. £2 bedeutet in der letzten Kategorie die „Allmenge" (in jeder Mengenkategorie gibt es eine Nullmenge und eine Allmenge). In der Relation 6 (y A') . J{x }j) \d. h. 1/ ist Element von X und verschieden von x]

betrachte man ?/ als die Abhängige; es entspringt daraus die Funk- tion F{x X) |.,die Menge aller von x verschiedenen Elemente von X";. Diese substituiere man in e{U^)iür U: e {F{xX),B) und bilde

6 {F[x X) , =') 6 [x X) I _^. ^ ^ = ö (Z { B)

;,,es gibt ein Element ./• von Ä' derart, daß alle von x verschiedener Elemente der Menge X ihrerseits eine Menge bilden, welche Ele- ment von =■ ist'^J. Die Beziehung wird iteriert :d[n \ XB] d (n ; X Q) = a{nX) bedeutet dann: X besteht aus mindestens n Elementen („es ist möglich, wmal hintereinander ein Elemenl aus X fortzustreichen"). Die Nullmenge in der Kategorie der ein dimensionalen Mengen natürlicher Zahlen nennen wir die „Anzahl 0"

§ 8. Endgültige Formulierung der Grundlagen. 29

die Allmeuge die ..Anzahl oc'': die Menge der natürlichen Zahlen die „Anzahl n'' [es ist die Normalmenge von n Elementen, auf die jede andere durch das Zählen zurückgeführt wird). Betrachten wir in der Relation a\nX} n als die Abhängige, X als die Unabhängige, so entspringt aus ihr die Funktion 9t f A') = Anzahl der Elemente von X Sie ist 0 nur für die Nullmeuge, oc für alle unendlichen Mengen, j Wir sehen so in exakter Weise, wie die Rolle, welche die Zahlen als „Kardinalzahlen'- zur Anzahlbestimmung spielen, auf ihre ursprüngliche, die Iteration in abstrakter Reitiheit darzustellen, zurückgeführt werden kann.**]

Mit der Erweiterung der Tafi.l unserer Detinitionsprinzipieu ist naturgemäß zufolge der Ausführungen des § 3 über Logik eine Erweiterung der Schluß formen verbunden. So führt insbesondere das Iterationsprinzip den BernouUischen »Schluß von n auf n+ oder »Sciiluß durch vollständige Induktion«) mit sich,

§ 8. Endgültige Formulierung der Grundlagen. Einführung idealer Elemente.

Wir müssen uns, da ich hier von einer überlieferten Vorstellung zu einer neuen hinüberzuführen habe, die freie Aussicht erst durch Gestrüpp hindurch erkämpfen; darum ist unser Weg nicht eben der geradeste. Wir sehen jetzt, nachdem das Substitutions- und das Iterationsprinzip hinzugetreten sind, daß der Gedanke einer Erzeugung der Relationen und zugehörigen Mecgen in einzelneu Stufen (wobei auf der I.Stufe alle Mengen auftreten, deren Elemente den Grundkategorieu angehören, auf der 2. alle solchen Mengen, deren Leerstellen teils auf Grundkategorien, teils auf Kategorien von Mengen I.Stufe bezogen sind, usf.', nicht mehr aufrechtzuerhalten ist. Durch das Substitutionsprinzip können nämlich offenbar „Rück- schläge" in frühere Stufen erfolgen. Doch sind wir hier gegen Defi- nitionen, die infolge auftretender Zirkel sinnlos werden, gleichwohl gesichert, da die Anwendung des Existentialpriuzips (> auf die Grund- kategorien beschränkt ist. Denken wir uns, was der Anschaulichkeit wegen zweckmäßig ist, die Relationen und zugehörigen Mengen ge- netisch „erzeugt", so geschieht diese Erzeugung nicht stufenweise,

*) Ea ist klar, daß die Dedekindsche Definition des Unendlichen („äqui- valent einer echten Teilmenge") für meinen Standpunkt nicht in Frage kom- men kann.

**) Jedenfalls läßt sich dieser Standpunkt logisch vollständig durchführen. Ob nicht erkenntnistheoretisch doch der Anzahlbegriff etwas Primäres und vom Hegriff der Ordinalzahl Unabhängiges ist, will ich hier nicht erörtern.

30 Kapitel 1. Menge und Funktion.

durcli Iteration des iu § 4 besprochenen mathematischen Prozesses; sondern sozusagen in lauter parallelen Einzelakten. Es handelt sich um die Gesamtheit aller Kelatiouen, die sich aus den auf die Gruiidkategorieu bezüglichen ursprünglichen Relationen und aus c durch die aufgestellten Deönitionsprinzipe herleiten lassen. Dabei hat man jeder subjekt-geordneten Relation zunächst rein formal im Reiche der Gegenstände eine „Menge" entsprechen zu lassen,^') Zwischen sinnesgleichen Relationen bzw. zwischen den ihnen" korre- spondierenden Mengen braucht nicht unterschieden zu werden; aber darüber hinaus bleibt es vorerst völlig dahingestellt, ob die zwei siunesverschiedenen Relationen entsprechenden Mengen gleich sind oder nicht. Bei der Definition der Relationen darf man demgemäß niemals von der Beziehung der Gleichheit zwischen Mengen Gebrauch machen. Ist nun R irgendeine so gebildete Relation, deren Leer- stellen alle auf Grundkategorien bezogen sind, so ist die Behauptung, daß irgendwelche bestimmte Gegenstände dieser Kategorien die Relation U erfüllen, sinnvoll und an sich wahr oder falsch. Es ist demnach auch an sich wahr oder falsch, ob alle Elementensysteme, welche die Relation R erfüllen, eine gewisse ebensolche Relation R' erfüllen und umgekehrt; ist dies wahr, so hat man die beiden ent- sj)rechenden Mengen zu identifizieren. Nachdem so die Identifizierung der Mengen „1. Stufe" geleistet ist (ich drücke mich wieder genetisch aus), kann man zu Relationen übergehen, deren Leerstellen teils auf Grundkategorien, teils auf Kategorien von Mengen L Stufe bezogen sind; und es hat nun seinen guten Sinn, für irgend zwei solche Relationen zu fragen, ob die sämtlichen Elementensysteme, welche die eine erfüllen, auch der andern genügen. Danach vollzieht sich die Identifizierung der Mengen auf der 2. Stufe usf. Das Wesentliche ist, daß von den Be- griffen der Gleichheit und Existenz für Mengen bei der Definition der ^Relationen kein Gebrattch gemacht mird; dadurch, aber auch nur da- durch vermeiden wir die Sinnlosigkeit der Zirkeldefinition.

unter Aufhebung alles Provisorischen, d. h. des ganzen Inhalts von § 4 an, stellen wir jetzt die Prinzipien zur Bildung von Rela- tionen in ihrer endgültigen Fassung zusammen.

L Der Ausgangspunkt.

1) Eine oder mehrere einzelne Kategorien von Gegenständen, die „Grundkategorien'' \ einzelne an ihnen unmittelbar aufgewiesene Eigen-

*J Die Mengen dienen an dieser Stelle nur dazu, dem Umstände Rechnung zu tragen, daß Relationen zwischen Gegenständen ihrerseits auch wieder Gegen- stände sind zwischen denen neue Relationen bestehen können.

§ 8. Endgültige Formulierung der Grundlagen. 31

Schäften und ßelatiouen, die ,, ursprünglichen },'ela(ionen" bilden die Grundlage. [Jede Leerstelle einer Relation (bezw. ihres Urteils- schemas) ist bezogen auf eiue bestimmte Gegenstandskategorie so daß das ürteilsschema nur dann einen sinnvollen Satz ergibt, weun jede Leerstelle durch einen Gegenstand der betr. Kategorie .ausgefüllt wird.] Die Leerstellen der ursprünglichen Relationen sind jeweils bezogen auf bestimmte Grundkategorien. Den ursprüng- lichen Relationen fügen wir die Identität •/(.'.//) hinzu, deren beide Leerstellen x und y auf dieselbe Grundkategorie bezogen sind (die Beschränkung auf Grundkategorien ist dabei sehr wesentlich).

'Z) Jeder subjekt-geordneteu Relation (mit einer oder mehreren Leerstellen) entspricht im Reich der Gegenstände eine Menge. Er- füllen z. B. die Gegenstände a. b, c in dieser Reihenfolge die ter- näre subjekt-geordnete Relation li, so sagen wir, a, h, c bildeten ein Elementensystem der entsprechenden Menge P. Die Kategorie, welcher diese Menge zugehört, ist bestimmt durch die Kategorien, auf welche bezw. die erste, zweite und dritte Leerstelle von U be- zogen sind. Als weitere Grundbeziehung führen wir die Relation c ein, die z. B. zwischen a^ b, c und P besteht, wenn a, b, c ein Ele- mentensystem der Menge P bilden. '

II. Die allgemeinen Prinzipien.

Es sind dies Pr. 1 bis 4 von §2. Zu 2., 3.. 4-. ist dabei noch zu bemerken, daß selbstverständlich diejenigen Le"^erstellen, welche „in Deckung gebracht" werden, auf dieselbe Gegenstandskategorie bezogen sein müssen.

IIL Prinzips der Ausfüllung. Pr. 5 und G von § 2 mit der Einschränkung, daß die Leerstellen, welche durch unmittelbar aufgewiesene Gegenstände oder »es gibt« ausgefüllt werden, auf eine Grundkategorie bezogen sein müssen.

IV. Substitutions- und Iterationsprinzip.

Pr. 7 (in § 7). Dazu kommt, wenn der Operationsbereich, von dem wir ausgehen, wie wir jetzt annehmen wollen den „abso- luten" enthält (vgl. § 6, Anfang), das Iteratiunsprinzip S in seiner durch die Zusätze festgelegten allgemeinsten Form.

V. Identifizierung. Mengen. Funktionen.

Wir betrachten die (Eigenschaften und) Relationen, welche ge- mäß I die Grundlage bilden, und alle, welche sich aus ihnen durch

32 Kapitel I. Menge und Funktion.

Anwendung der in II, III, IV zusammengestellten Prinzipien ergeben; wo ein kurzes Wort erwünscht ist, nenne ich sie „finite" Relationen. Gilt für zwei subjekt-geordnete Relationen dieser Art, deren Leer- stellen sich in der festgesetzten Reihenfolge je auf die gleichen Gegenstandskategorien beziehen, der Satz, daß jedes Elementen- system, welches der einen genügt, auch die andere erfüllt und um- gekehrt, so sind die beiden korrespondierenden (,,finiten") Mengen miteinander identisch; andernfalls sind sie verschieden.

Jeder Relation Ji der geschilderten Art, deren Leerstellen in die zwei geordneten Gruppen der „abhängigen" und „unabhängigen" geteilt sind, entspricht eine Funktion </>. Füllt man die unabhängigen je durch irgend einen Gegenstand ihrer Kategorie aus, so ist die Menge, welche der dadurch aus li hervorgehenden Relation entspricht, der Wert der Funktion 0 für das zur Ausfüllung benutzte „Argument- system". — Zwei (verschieden definierte) Funktionen sind dann und nur dann miteinander identisch, wenn ihre Werte für jedes System von Argumentwerten miteinander identisch sind.

Damit ist der „mathematisch erweiterte" Operationsbereich festgelegt; zu den Gegenständen der Grundkategorien sind die Mengen und Funktionen als Gegenstände neuer idealer Kategorien hinzugetreten ; zu den ursprünglichen Eigenschaften und Relationen die Beziehung e und diejenige, welche zwischen einer Funktion (p (von zwei Argu- menten z. B.), den Gegenständen a, h und dem Wert der Funktion 0 für das Argumentsystem a, h besteht. Dieser erweiterte Operations- bereich umfaßt im Sinne des § 1 ein geschlossenes System bestimmter, an sich existierender Gegenstände. Machen wir dieses System zum Objekt unserer Untersuchung, so handelt es sich, wenn wir hin- sichtlich seiner zu einer vollkommenen Erkenntnis gelangen wollen, darum, von jedem, dieses System betreffenden einschlägigen Urteil- zu entscheiden, ob es wahr oder falsch ist. Was dabei unter „ein- schlägigem Urteil" zu verstehen ist, geht aus § 2 hervor: es sind diejenigen Urteile (im eigentlichen Sinne, ohne Leerstellen), welche durch uneingeschränkte Anwendung der Prinzipien 1 bis 6 von § 2 aus den eben aufgezählten Grundrelationen des erweiterten Opera- tionsbereichs entspringen; wobei diesen Grundrelationen gemäß § 2 die Identität (deren beide Leerstellen auf dieselbe, jetzt beliebige Gegenstandskategorie des erweiterten Bereichs bezogen sein können) hinzuzufügen ist. Zum Pr. 5 ist dabei noch zu bemerken: es geht aus der Natur der Mengen und Funktionen hervor, in welcher Weise

§ 8. Endgültige FormulieruDg der Grundlagen. 33

sie „unmittelbar aufgewiesen" werden können nämlich dadurch, daß die Relationen, denen sie entsprechen, angegeben, d. i. mittels der unter II, III, IV zusammengestellten Prinzipien aus den unter I verzeichneten Grundlagen konstruiert werden. Beispielsweise wird zu fragen sein, ob von zwei gegebenen Mengen die eine eine Teil- menge der andern ist, ob eine gegebene Funktion einer reellen Variablen stetig sei u, dgl; jedoch existiert eine »Menge aller Teil- mengen einer gegebenen Menge«*) oder eine »Menge aller stetigen Funktionen einer reellen Variablen« in unserem Operationsbereich nicht: sie ist nicht „tinit", sondern ,,transfinit". In das Gebiet der durch ufieingeschränkte Anwendung der Prinzipien des i? 2 ent- springenden, event. transfiniten Urteile und Urteilsschemata greifen wir bereits mit dem unter V. formulierten Kriterium für die Gleichheit zweier verschieden definierten Mengen oder Funktionen hinüber.

Hiermit glaube ich eine einfache, vernünftige, ausreichende und widerspruchsfreie Grundlage für den Aufbau der Analysis gewonnen zu haben im Gegensatz zu der bisher üblichen Begründung, welche sich zufolge ihres vagen Begrifi's von Menge und Funktion und durch die Art und Weise, wie sie (namentlich auf reelle Zahlen) die Begriffe der Existenz und Gleichheit anwendet, in einen circulus vitiosus verwickelt sieht. Mau kann die Prinzipien zur Bildung abgeleiteter Relationen, die wir aufgestellt haben, als Axiome über Mengen und thinktionen formulieren; und in der Tat wird die Mathematik so verfahren, daß sie die logischen Konsequenzen dieser Axiome zieht.

Zum Schluß noch einige Worte über die Einführung idealer Elemente in der Mathematik! Nehmen wir als Beispiel die Ideale in der Theorie der algebraischen Zahlkörper. Diese werden folgender- maßen definiert. Jedes System § endlichvieler ganzer algebraischer Zahlen bestimmt ein Ideal (§). Der Satz U: „die algebraische Zahl a ist teilbar durch das Ideal (§)" soll besagen, daß zwischen u und » eine gewisse Relation R[u^ §) besteht, die wir hier nicht näher zu erklären brauchen. Die Ideale erschöpfen ihre Bedeutung in ihrer Eigenschaft als Zahlteiler, d. h. in der Verwendung zu Aussagen der eben erwähnten Form U. Dementsprechend sind zwei Ideale (§) und (§') dann und nur dann als identisch zu betrachten, wfnn jede durch (5) teilbare Zahl auch durch (§') teilbar ist und umgekehrt. Der Eigenschaft einer willkürlichen algebraischen Zahl, zu dem System § in der Beziehung R zu stehen: R{o, 8) entspricht also das Ideal (s) in der Weise, daß zwei Eigenschaften dieser Art dani^

*) Wenn die letztere nicht aus Elementen einer Grundkategorie besteht.

Weyl, Das Kontinuum. 3

34 Kapitel 1. Meuge imd Funktion.

und nur dann dasselbe Ideal korrespondiert, wenn diese beiden Eigenschaften, obwohl au sich verschiedenen Sinnes, materiell den gleichen Geltungsuiufaug haben. Gerade dies aber haben wir für den Mriujenhe griii als das allein Wesentliche hingestellt in aus- gesprochenem Gegensatz zu der üblichen Vorstellung der Menge als einer vom Bewußtsein überblickten „Versammlung" aller ihrer Ele- mente. Demgemäß können wir das Ideal geradezu als die der Eigen- schaft yi'(o, §) korrespondierende Menge i¥(§) ansprechen, wie dies auch von Dedekind geschehen ist.. Da die Einführung idealer Ele- mente in der Mathematik immer nach dem gleichen Schema vor sich geht insbesondere auch dann, wenn sie mittels der sog. „Definition durch Abstraktion'' geschiehf^) , ist der Mengen- und Funklionsbegriff völlig ausreichend, um allen derartigen ,, Neubildungen'-'' gerecht "xu werden-^ nur wird man. sich natiirlich von Fall zu Fall anderer Terminologien •von größerer Prägnanz bedienen als jedesmal der mengentheore- tischen, wie dies unser Beispiel ebenfalls deutlich macht.

Schluß bemerkun gen.

Historisch hat der Funktionsbegriff eine doppelte Wurzel. Zu ihm führten erstens die in der materiellen Welt herrschenden Tanatur- gegebenen Abhängigkeiten«, die einerseits darin bestehen, daß Zustände und Beschaffenheiten realer Dinge veränderlich sind in der Zeit, der unabhängigen Veränderlichen xar ^io/i/v, anderseits in den kausalen Zusammenhängen zwischen Ursache und Wirkung. Eine zweite, von dieser ganz unabhängige Wurzel liegt in den arithmetisch- algebraischen Operationen. Der älteren Analysis schwebt demgemäß als Funktion ein Ausdruck vor, der aus den unabhängigen Variablen gebildet wird durch endlichmalige Anwendung der vier Spezies und einiger weniger elementarer Transzendenten. Zwar sind diese ele- mentaren Operationen niemals klar und vollständig bezeichnet worden, und die historische Entwicklung hat immer wieder über allzu eng gezogene Schranken hinausgedrängt, ohne daß dies den Trägern der Entwicklung jedesmal zum Bewußtsein kam. Die Stelle, an der die beiden einander zunächst ganz, fremden Quellen des Funktions- begriffs in Beziehung zueinander treten, ist der Begriff des Natur- gesetzes: sein Wesen besteht eben darin, daß im Naturgesetz eine naturgegebene Abhängigkeit als eine auf rein begrifflich-arithmetische

*) Das Prinzip dieser Definition ist meines Wissens zuerst von Frege (Die Grundlagen der Arithmetik, §§ 63-68) aufgestellt worden mit größerer Klarheit als von irgend einem Späteren und in vollem Bewußtsein der großen Bedeutung dieser Definitionsweise für die gesamte Mathematik.

SchluBbemerkuDgen. 35

Weise konstruierte Funktion dargestellt wird, Galileis Fallgesetze sind das erste große Beispiel. Die moderne Entwicklung der Mathe- matik hat zu der Einsicht geführt, daß die speziellen algebraischen Konstruktionsprinzipien, von denen die alte Analysis ausging, viel zu eng sind sowohl für einen logisch-natürlichen und allgemeinen Aufbau der Analysis wie auch mit Rücksicht auf die Rolle, welche der Funktionsbegriff für die Erkenntnis der das materielle Geschahen beherrschenden Geset/e zu übernehmen hat. An die Stelle jener algebraischen müssen allgemeine /o^/sc/^e Konstruktionsprinzipieu treten. Auf eine solche Konstruktion gänzlich verzichten, wie es die moderne Analysis dem Wortlaut ihrer Definitionen nach prinzipiell tun will (glück- licherweise ist auch hier das, was man sagt, und das, was man tut. zweierlei), hieße aber, sich ganz im Nebel verlieren; zugleich verHüch- tigte sich damit der allgemeine Gedanke des Naturgesetzes ins Leere.

Mag es mir nun hier bereits gelungen sein, die erforderlichen allgemeinen logischen Konstruktionsprinzipien welche einerseits auf den Begriffen »und. oder, nicht, es gibt« beruhen, anderseits auf den spezifisch mathematischen der Menge, der Funktion, der natürlichen Zahl (Iteration) in ihrem ganzen Umfange ausfindig zu machen oder nicht (ihre Aufstellung ist jedenfalls nicht eine Sache der Konvention, sondern der logischen Erkenntnis): das Eine ist völlig gewiß, daß es mit dem negativen Teil meiner Ausführungen, der Kritik an den bisherigen Grundlagen der Analysis, dem Hinweis auf ihren Zirkelgang, seine Richtigkeit hat und man so verfahren muß, wie ich hier vorgegangen bin, um einen Ausweg zu finden.

Durch Tradition eingesponnen in jenen ja heut in der Mathe- matik zur unbedingten Herrschaft gelangten Gedankenkomple.x, der vor allem an die Namen Dedekind und Cantor anknüpft, habe ich für mich den aus diesem Kreise herausführenden Weg gefunden und durchmessen, den ich hier abgesteckt habe. Erst nachdem dies ge- schehen, wurde ich mit den Ideen von Frege und liussell bekannt, welche durchaus in die gleiche Richtung weisen. Sowohl in seiner bahnl)rechenden kleinen Schrift „Die Grundlagen der Arithmetik'' (Breslau 1884) als auch in dem ausführlichen Werk „Grundgesetze der Arithmetik" (Jena 1893) betont Frege ausdrücklich, daß unter «Menge« nur der Umfang eines Begriffs, unter »Zuordnung« nur der Umfang oder, wie er sagt, der »Wertverlauf« einer Relation verstanden werden darf. Russells Theorie der logischen Typen*)

*) Siehe z. B. Mathematical Logic as based on tbe Thoory of Types, American Journal of Mathpinaticö, Vol. XXX; oder Russell und Wliitclicad, Priii- cipia Mathematica, Vol. 1. (Cambridge, University Press).

3*

30 Kapitel I. Menge und Funktion.

entspricht der Stul'eubildung, von der wir iu § 6 gesprochen haben; er formuliert das «vicious-circle priiiciple«: No totality can contaiu niembers defined in terms of itself. Auch Poincarös allerdings sehr unsichere Ausführungen über nicht-prädikative Definitionen gehören hierher.*) Freilich: der Punkt, der für mich der ent- scheidende ist, daß man die Delinitionsprinzipe dazu benutzen muß, den Kreis der Eigenschaften und Relationen, denen die Mengen und Zuordnungen korrespondieren, in exakter Weise abzustecken, fehlt hier noch überall. Russells Äquivalenzdefinition der natürlichen Zahlen, die er vonFrege übernimmt, und sein »Axiom of Reducibility« zeigen deutlich, welche Kluft mich trotz allem noch von Russell trennt; von dem „engeren Verfahren" und jenem besonderen Funk- tiousbegriff, den ich am Schluß von § 6 einführe, ist deshalb ver- ständlicherweise auch bei ihm nicht die Rede.

Ich bin ursprünglich ausgegangen von den Zermeloschen Axiomen der Mengenlehre**), in denen die Grundlagen der Dedekind-Cantor- scheu Theorie eine exakte und vollständige Formulierung erfahren haben. Mir lag daran, den Begriff der „definiten Klassenaussage'', von' welchem Zermelo in dem entscheidenden »Untermengen«- Axiom III***) Gebrauch macht, genauer zu fixieren, als es durch die mir unbefriedigend scheinende Zermelosche Erklärung geschehen war; und so wurde ich zu den Definitionsprinzipien des §2 geführtr Der Versuch, diese Prinzipien als Axiome der Mengenbildung zu formulieren und der Forderung Ausdruck zu verleihen, daß keine andern Mengen existieren als die, welche durch endlichmalige An- wendung der in den Axiomen enthaltenen Konstruktionsprinzipien gebildet werden können, und zwar dies zu tun, ohne den Begriff der natürliclien Zahlen vorauszusetzen, trieb mich zu einer weitgehenden und immer komplizierteren Formalisierung, ohne daß ein endgültiges Resultat erreicht werden konnte. Erst im Zusammenhang mit all- gemeinen philosophischen Erkenntnissen, zu denen ich mich durch die Abkehr vom Konventionalismus durchrang, gelangte ich zur Klarheit darüber, daß ich hier einem scholastischen Scheinprobiem

*) Les mathematiques et la logique, Revue de Metapliysique et de Morale. t. 13, 14; Eeflexiona sur les deux uotes precedentes, Acta Mathematica, Bd. 32. S. 198—200.

**) Mathematisclie Annalen, Bd. 65: Untersuchungen über di& Grundlagen der Mengenlehre. ■***) 1. c, S. 263.

t) Vgl. meinen in Jahrg. 7 der Mathenaatisch-Naturwisseuschaftlichen Blätter abgedruckten Habilitationsvortrag ,,Uber die Definitionen der mathe- matischen Grundbegriffe.''

Schlußbemerkungen. 37

nachjagte, und gewann die feste Überzeugung (in Übereinstimmung mit Poincar^, so wenig ich dessen philosophische Stellung im übrigen teile), daß die Vorstellung der Keration, der yialürliehen Zahlenreihe, ein letztes Fundament des mathematischen Denkens ist trotz der Dedekindschen »Kettentheorie«, die darauf hinzielte, die Definition und den Schluß durch vollständige Induktion syllogistisch ohne Be- nutzung dieser Anschauung zu begründen. Wenn es nämlich wahr ist, daß die Grundbegriffe der Mengenlehre nur durch Vollzug dieser »reinen« Anschauung aufgefaßt werden können, ist es überflüssig und irreführend, den Begriff der natürlichen Zahl seinerseits nun wieder mengentheoretisch zu fundieren; außerdem muß ich von meinem Standpunkt aus gegen die Kettentheorie den Vorwurf des circulus vitiosus erheben.*) Um mittels unserer Prinzipien eine mathematische Theorie aufstellen zu können, bedarf es eines Funda- ments: einer Grundkategorie und einer Urrelation. Ich erblicke das Große der Mathematik gerade darin, daß in fast allen ihren Theoremen das seinem Wesen nach Unendliche zu endlicher Ent- scheidung gebracht wird; diese „Unendlichkeit" der mathematischen Probleme beruht aber darauf, daß die unendliclie Reihe der natürlichen Zahlen und der auf sie bezügliche Existenxbegri/f ihre Grundlage bilden. Der ., große Fermatsche Satz" z. B. ist an sich sinnvoll und wahr oder falsch. Aber dadurch, daß ich in einem geordneten Verfahren der Reihe nach alle Zahlen in beide Seiten der Fermatschen Glei- chung einsetze, kann ich die Frage nicht zur Entscheidung bringen. Trotzdem die Aufgabe demnach eigentlich eine unendliche ist, wird sie durch den mathematischen Beweis (der uns freilich in diesem Falle noch immer fehlt) als eine endliche vollbracht.

Fassen wir den Mengenbegriff in dem präzisen Sinne, wie ich es hier befürwortet habe, so gewinnt die Behauptung, daß jedem Punkte einer Geraden (nach Wahl eines Anfangspunktes und einer Einheitsstrecke) als Maßzahl eine reelle Zahl [= Menge rationaler Zahlen mit den in § 6 erwähnten Eigenschaften a) b) cj] entspricht und umgekehrt, einen schwerwiegenden Inhalt. Sie stellt eine merk- würdige Verknüpfung her zwischen dem in der Raumanscluiuung Gegebenen und dem auf logisch-begrifflichem Wege Konstruierten. Offenbar aber fällt diese Aussage gänzlich aus dem Rahmen dessen heraus, was uns die Anschauung irgendwie über das Kontinuum lehrt und lehren kann; es handelt sich da nicht mehr um eine

*) Ebenso luitürlich gegen die Theorie der endlichen Mengen, die Zermelo in Acta Matliematica, Bd. 32, S. 185 ff. aufatellt.

38 Ka])itel 1. Menge und Funktion.

morphologische Beschreibung des in der Anschauung sich Dar- bietenden (das vor allem keine Menge diskreter Elemente, sondern ein llieüendes Ganzes ist), vielmehr werden der unmittelbar gegebenen, ihrem Wesen nach inexakten Wirklichkeit exakte Wesen substruiert ein Verfahren, das für alle exakte (physikalische) Wirklichkeits- erkenntnis fundamental ist und durch welches allein die Mathematik Bedeutung für die Naturwissenschaft gewinnt. Von diesem Konti- nuumproblem wird noch im II. Kap. ausführlicher zu handeln sein. Man hat neuerdings öfter eine Schwierigkeit darin gefunden, die Mathematik von der formalen Logik abzugrenzen. Bei unserer Auffassung ist es ohne weiteres verständlich, daß sie dieser, so eng sie ihr auch verwandt ist, als eine Wissenschaft von deutlich aus- geprägter Eigenart gegenübertritt.

Kapitel IL

Zahlbegriff und Kontinuum.

(Grundlagen der Infinitesimalrechnung.)

§ 1. Natürliche Zahlen und Anzahlen.

Aus der Gründrelation / im Gebiet der natürlichen Zahlen entspringen die fundamentalen Operationen der Addition und Multi- plikation, wie folgt.")

Diejenige Zahl, welche aus m dadurch entsteht, daß mau. mit m beginnend, «-mal hintereinander von einer Zahl zur nächst- folgenden übergeht, ist m + n. Sorgfältiger: Ist X eine beliebige Doppelmenge (= zweidimensionale Menge; natürlicher Zahlen, so bedeute B*[pm X), daß die p unmittelbar vorangehende Zahl q und m ein Elementenpaar von bilden:

t^{pm\li) = i{qm \ y.)' f {qp)\q = *

Diese Relation wird iteriert: e*{j>m Ti, n) und für X die der Iden- tität 3=y im Gebiet der natürlichen Zahlen entsprechende Doppel- menge gesetzt. Dadurch entsteht die Beziehung (r[pmn), welche keine andere ist als die durch die Gleichung^ = m -\- n ausgedrückte. Man zeige (durch vollständige Induktion), daß zu je zwei Zahlen m und n stets eine und nur eine p gehört, welche zu ihnen in der Relation <> steht. Die Detinition der Addition besagt (wenn der Akzent den Übergang zur nächstfolgenden Zahl ausdrückte

wi -}- 1 = w' , m -\- n' = [m -\- n)' .

Durch den Schluß der vollständigen Induktion, angewendet auf ti, folgt das assoziative Gesetz

{l -{- m) -^ n = l -\- (m -{- n] : gehe ich in dei Zahlenreihe von / aus erst m , dann n Schritte

*) Vgl. Dedekind, Was sind und was sollen die Zahlen?, 4}?; 7, 11, 12.

40 Kapiti'l 11. Zalilbt'griff und Kontinuum.

weiter, so komme ich zu derjenigen Zahl, die ich von l aus in m + w Schritten erreiche. Der Beweis des kommutativen Gesetzen

m -}- n = n -{- m

muß in zwei Schritten erbracht werden: daß es für n = 1 gültig ist, ergibt sich durch den auf m anzuwendenden Induktionsschluß: und damit ist der Ausgangspunkt gewonnen, um es durch eine auf// angewendete vollständige Induktion allgemein sicherzustellen.-

Eine Zahl, zu der ich gelange, wenn ich, mit m beginnend, von jeder Zahl zur nächstfolgenden übergehe, heißt größer als (in Zeichen: >) ni. Die Anschauung lehrt, daß die drei Möglichkeiten

(1) »^ > m } w = m I m > w

eine vollständige Disjunktion bilden; und daß im 1, Fall eine und nur eine Zahl s existiert, für welche m -\- s = n. Man kann dies auch durch Induktion beweisen, wobei man sich lediglich auf die Grundtatsachen zu stützen braucht, daß zu jeder Zahl eine einzige nächstfolgende und zu jeder außer zu 1 eine einzige unmittelbar vorhergehende existiert. Man gehe von der Erklärung aus: n > ni besagt, es gibt eine Zahl s, so daß m + s ■= n ist. Man beweist zunächst, daß allgemein m -\- s :^ m ist (die Zahlenreihe läuft nicht in sich zurück, oder: keine Zahl ist größer als sie selbst). Dies ist wahr für m = 1 , da

- 1+5-5+1= S'=|=l

ist (denn zu s', nicht aber zu 1 gehört eine nächstvorhergehende Zahl). Ist die Behauptung wahr für m, so auch für m'; denn wäre m' + 5 = w', so folgte

m' = s + w' = (s + m)' und daraus m = s -\- m m -\- s .

Weiter: Ist n eine natürliche Zahl, so gibt es keine Zahl x, für die nicht entweder x'^n oder w > a; wäre. Dies trifft zu für n = \ y denn jede Zahl x ist ^1. Gilt es für n, so auch für w'. Ist nämlich n > x oder n = x, so ist n' > a; ; ist aber a; > n , x = n -\- s , so ist entweder s = 1 und dann x = n' oder 6- > 1 , nämlich = ^ + 1 , und dann

X = tr -{- s = n + (1 + ^) = n' -{- t > n' .

Aus dem assoziativen Gesetz der Addition schließt man: Wenn P > n und n > m ist, so gilt j) > m. Daraus ergibt sich ferner, daß keine zwei der Möglichkeiten (1) zusammen bestehen können, und daß aus s < s* die Ungleichung w + s < m + s * folgt (Eindeutig- keit der Subtraktion).

§ 1. Natürliche Zahlen und Anzahlen. 41

Der Sinn der Multiplikatian geht aus den Formeln hervor: 1 . m = m , n' ' m = {n m) + m .

Die Relation i^ = n- m kann aus a mit Hülfe unserer Prinzipien in ganz analoger Weise gebildet werden, wie das in Kap. I, § 7 für die Vektormultiplikation geschildert ist. Durch den auf n ange- wendeten Induktionsschluß ergibt sich sofort das distribntive Gesetx

(«j -\- 7i)'m = {n^ m) -\- {n m) und daraus durch dasselbe Verfahren das assoziative Gesetx,

{n'p)-q = fi'ip-q) . Etwas komplizierter gestaltet sich der Beweis des koinmutaticen. Er stützt sich darauf, daß

n-\ = n ist und n [in + 1) = [n ni) + n . Beide Tatsachen werden vermittels der auf u anzuwendenden voll- ständigen Induktion bewiesen. Aus ihnen geht hervor, daß n-x für X = 1 denselben Wert hat wie x n und beide Produkte sich in der gleichen Weise ändern (nämlich sich um n vermehren), wenn man von einer Zahl x zur nächstfolgenden ./•' übergeht; darum stimmen sie überein für alle x. Aus s < s* folgt s- n < s'^ n .

Eine Zahlmenge (eindimensionale Menge natürlicher Zahlen) nennen wir einen Abschnitt der Zahlenreihe, wenn es keine zwei Zahlen m und n gibt von der Art, daß m < n und n Element, aber m nicht Element der Menge ist. In diesem Sinne ist die Nullmenge und die Allmenge im Gebiet der natürlichen Zahlen ein Abschnitt. Ist A ein Abschnitt, der weder die Null- noch die Allmenge ist. so gibt es eine Zahl n von der Art. daß A xusammen fällt mit der Menge aller Zahlen, welche ^n sind. Beweis: 1 ist Element von A. (Denn ist m irgend ein Element von A, so ist entweder m 1 oder w > 1 : wäre im letzten Fall 1 nicht Element von A, so wider- spräche das der Abschuitts-Forderung.] Es gibt eine Zahl n, die Element von A ist, ohne daß die nächstfolgende Zahl n' diese Eigen- schaft hat. Existierte nämlich eine solche Zahl nicht, so ergäbe sich durch vollständige Induktion, daß jede Zahl Element von A wäre. Jenes n hat die geforderten Eigenschaften : jede Zahl ^ n ist Element von A, aber keine der Zahlen, welche >n sind. Wir sehen somit, daß der Begriff des Abschnitts genau mit dem in § 7 eingeführten der Anzahl zusammenfällt. Die »Anzahl werde im folgenden, mit n bezeichnet.

Ist der Abschnitt A eine Teilmenge des Abschnitts B, ohne daß A mit B identisch ist, so wollen wir sagen, .1 sei kleiner als B

42 Kapitel II. ZahlbegrifF und Koutinuum.

und B größer o/.< A, imd wollen hierfür auch dieselben Zeichen < , > benutzen wie oben. Von je zwei verschiedenen Abschnitten ist immer der eine der kleinere und der andere der größere. Die Nullmenge 0 ist kleiner, die Allmenge oo größer als jeder andere Abschnitt; ist die natürliche Zahl m < n, so gilt das Gleiche für die entsprechenden Anzahlen: m < n.

Die Zahlen können (in einem beliebigen Operationsgebiet) zur Anzahlbestimmung der Mengen von Gegenständen irgend einer Grundkategorie benutzt werden. Gegenstände der in Frage kom- menden Kategorie wollen wir mit kleinen griechischen, eindimen- sionale Mengen solcher Gegenstände mit großen griechischen Buch- staben bezeichnen, natürliche Zahlen wie bisher mit kleinen lateini- schen. In Kap. I, § 7 ist die Relation « (w 3) erklärt worden, die wir in den Worten »H besteht aus mindestens n Elementen« aussprechen.

Besteht H aus mindestens n' Elementen, so besteht es auch aus mindestens n Elementen.

Dies ist wahr für w = 1. Gilt es für n, so auch für n'.. Be- steht nämlich !E aus mindestens n' -\- \ Elementen, so gibt es ein Element | von B solcher Art, daß die Menge aller nicht mit | zu- sammenfallenden Elemente von B aus mindestens n', mithin aus mindestens n Elementen besteht. Gemäß der Erklärung besagt das aber, daß B aus mindestens n' Elementen besteht.

Besteht B nicht aus mindestots m Elementen, so besteht es auch nicht aus mindestens m -\- n Elementen.

Dies ist nach dem Obigen richtig für ;? = 1. Durch den auf w angewendeten Schluß der vollständigen Induktion ergibt es sich allgemein. Dieser Satz läßt sich in positiver Fassung so aus- sprechen: Ist m<.]) und besteht B aus mindestens ^Elementen, so besteht es auch aus mindestens m Elementen. Oder: Diejenigen natürlichen Zahlen n, für welche bei gegebener Menge B die Rela- tion a[nB) besteht, bilden einen Abschnitt. Dieser Abschnitt ist eben die Anzahl von B. Ist sie = 7^, so heißt das: es besteht die Relation u[nB), nicht aber a{n' B).

Durch vollständige Induktion beweist man den Satz: Ist B eine Teilmenge von H und besteht B aus mindestens n Elementen, so besteht H gleichfalls aus mindestens n Elementen. Daraus ergibt sich, daß die Anzahl eines Teiles kleiner oder höchstens gleich der Anzahl des Ganzen ist. Eine Menge, die eine unendliche Teilmenge besitzt, ist selber unendlich.

§ 1. Natürliche Zahlen und Anzahlen. 43

Aus der Definition folgt sofort: Fügt mau zu einer Menge =". die aus mindestens n Elementen besteht, ein neues Element hinzu, so besteht die erweiterte Menge B' aus mindestens //' Elementen. Es ist das also insbesondere dann der Fall, wenn =" genau aus n Elementen besteht, d.h. wenn die Anzahl von =* gleich n ist, Nicht ganz so selbstverständlich ist die UnikeLrung.

U. Nimmt m,an von einer Menge E', die aus mindestens n' Ele- menten bestellt, ein beliehiges Element | fort, so bleibt eine Menge B von mindestens n Elementen übrig.

In der Definition liegt nur, daß es ein Element ^^ gibt, so daß die durch Fortlassen von ^^ aus ="' erzeugte Menge E^^ aus min- destens n Ellementen besteht. Trotzdem ist U. allgemein richtig. Wir zeigen das mit Hülfe des Satzes über den Austausch von Ele- menten: Ersetzt man in einer Menge E, die aus mindestens n Ele- menten besteht, eines ihrer Elemente durch einen neuen Gegenstand (der in Rede stehenden Kategorie unter Beibehaltung der üb- rigen), so besteht die modifizierte Menge B* gleichfalls aus min- destens n Elementen. Dieser Satz trifft zu für « = 1. Nehmen wir an, er gelte für die natürliche Zahl n. H sei eine Menge, die aus mindestens n' Elementen besteht. Es gibt ein Element tj von ti derart, daß die Menge =" aller Elemente von H, die =}= r] sind, aus mindestens n Elementen besteht. Wir ersetzen jetzt in H ein Ele- ment //(, durch einen von den übrigen Elementen verschiedenen Gegenstand 7/,,* ; dadurch verwandle sich H in IL". Wir haben zwei Fälle zu unterscheiden: entweder ist ?/^ = 7/ oder =j= 7/. Im ersten Fall entsteht //* aus =" durch Hinzufügung eines neuen Elementes t]*, und demnach besteht H* aus mindestens n' Elementen. Im zweiten Fall verwandeln wir E dadurch in eine neue Menge .= *, daß wir das Element rj^ von =" durch ij* ersetzen ; ="* besteht nach Voraus- setzung aus mindestens n Elementen. II* enthält außer allen Ele- menten von =■* noch das in ="•' nicht vorkommende 7;; demnach besteht auch in diesem Falle H" aus mindestens n' Elementen.

Daraus geht die Richtigkeit von U. unmittelbar hervor. Denn =" wird aus ^^ erzeugt, indem man | gegen ^^ austauscht; infolgedessen besteht auch E. wie E^ aus mindestens // Elementen. -- Weiter gilt jetzt: Fügt man zu einer Menge, die aus genau n Elementen be- steht, ein weiteres hinzu, so geht eine solche hervor, die aus genau n Elementen besteht. Nimmt man von einer Menge r', die aus genau n,' Elementen besteht, eines fort, so bleibt eine Menge =" von genau // Elementen übrig. (Nimmt man von einer unendlichen Menge ein Element fort, so bleibt eine unendliche Menge übrig.) Darauf,

44 Kapitel 11. Zuhlbegriff und Kontinunm.

daß dieser Satz gilt, gleichgültig, welches Element von ^' fort- genommeu wird , beruht offenbar das bekannte Zählverfahren und die Tatsache, daß sich durch dieses Verfahren ein von der Reihen- folge des Zählens unabhängiges Resultat ergibt. Zugleich ist damit bewiesen: Tauscht man in einer Menge, die aus genau n Elementen besteht, eines ihrer Elemente gegen einen von den übrigen Elementen verschiedenen Gegenstand aus, so besteht die neue Menge wiederum genau aus ti Elementen; was man auch in der Form aussprechen mag: Die Anzahl einer Menge ist unabhängig von der Natur ihrer Elemente. Endlich findet man durch vollständige Induktion (da die Behauptung durch das Vorige für n = l sichergestellt ist): Fügt man eine Menge ^ die aus genau m Elementen besteht, mit einer Menge zusammen, die aus genau n, von denen der ersten Menge durchweg verschiedenen Elementen besteht, so geht eine Menge hervor, deren Anzahl =?» + /* ist.

Man kann die Grundkategorie, von der wir sprachen, mit der Kategorie der natürlichen Zahlen selbst zusammenfallen lassend insbesondere Mengen natürlicher Zahlen zählen. In dieser Hinsicht gilt der Satz, daß der Abschnitt n der natürlichen Zahlenreihe aus genau n Elementen besteht (Beweis durch Induktion, auf Grund unserer Ergebnisse). Bei solcher Verwendung des Anzahlbegriffs überzeugt man sich weiter davon, daß z.B. die Anzahl ffi{n) der zu n primen natürlichen Zahlen, die < n sind, in unserm präzisen Sinne eine Funktion von n ist; und so für alle andern ,, zahlen- theoretischen Funktionen".

Auf die beschriebene Art und in der angegebenen Reihenfolge kann man die elementaren Wahrheiten über die Zahlen unter stän- diger Heranziehung des Schlusses der vollständigen Induktion logisch herleiten aus den beiden „Axiomen": Zu jeder Zahl gibt es eine einzige nächstfolgende; zu jeder, außer zu 1, eine einzige unmittelbar vorhergehende.

§ 2. Brüche und rationale Zahlen.

Die Brüche treten, im täglichen Leben und wo immer sie zur Messung addierbarer Größen dienen, als Multiplikatoren auf. Sprechen wir etwa von den Vektoren auf einer Geraden, so entspringt durch wiederholte Addition eines Vektors zu sich selbst (siehe Kap. I, § 7) die Vervielfältigung; für jede natürliche Zahl m bedeutet danach ma, das m-fache des Vektors a, wiederum einen bestimmten Vektor. Es gestattet diese Operation eine eindeutige Umkehrung, die Teilung: Ist a ein Vektor, n eine natürliche Zahl, so gibt es einen und nur

§ 2. Brüclie und rationale Zahlen. 45

einen Vektor x =■ --, für welchen njc = a ist. Die Operation der

Vervielfältigung kann man mit der der Teilung kombinieren; so

entsteht , das » fache« von a. Das Bruchzeichen dient als n n n

Symbol der zusammengesetzten Operation, in dem Sinne, daß zwei Brüche gleich sind, wenn die beiden durch sie bezeichneten Ope- rationen für jeden Vektor a zum gleichen Resultat führen. Statt von der »Operation«, die aus dem willkürlichen Vektor .r den Vektor

,-,, inx

(2) V=-„

erzeugt, sprechen wir lieber von der durch diese Gleichung (2) oder

(3) ny -^ mx

ausgedrückten subjekt- geordneten »Relation« zwischen dc und y. Den Relationen dieser Form gehören die Brüche in solcher Weise zu, daß zwei Relationen des gleichen Geltungsumfanges derselbe Bruch

korrespondiert. Der Bruch ist demnach nichts anderes als die

der Relation (3) entsprechende Doppehnenge von Vektoren. ^ Die Multiplikation von Brüchen bedeutet die Hintereinanderausführung der zugehörigen Vektoroperationen; die Gesetze der Multiplikation ergeben sich aus der grundlegenden Tatsache, daß Vervielfältigung und Teilung miteinander vertauschbar sind. Daß Brüche sich addieren lassen, beruht darauf, daß die (in ihrer Anwendung auf a) durch

m d j. tn* a

n "^ "«^~

ausgedrückte Operation durch einen einzigen Bruch repräsentiert

'werden kann, der als die Summe 1 - bezeichnet wird. So, wie

hier dargelegt, fassen wir die Addition und Multiplikation der Brüche in den konkreten Anwendungen auf, wo wir uns ihrer bedienen.

Es ist nicht augebracht, für jedes Größengebiet eigene Rrüclie einzuführen; sondern, da ihre Gesetze unabhängig sind von der Natur des Größengebiets, ist es zweckmäßiger, die Brüche rein arithmetisch zu definieren in solcher Weise, daß sie hernach für jedes Größengebiet geeignet sind, den kombinierten Prozeß der Vervielfältigung und Teilung in seinen unendlichvielen möglichen Besouderungen zu symbolisieren. Das kann nun einfach dadurch geschehen, daß wir die obigen Überlegungen anwenden insbesondere auf das Sustem der natürlichen Zahlen, die ja selber ein Gebiet addier- barer Größen ausmachen. Daß in diesem Gebiete die Beziehung (3)

40 Kapitel II. Zahlbegriflf und Kontinuum.

sich nicht immer nach y auflösen läßt, ist für die Entwicklung der Theorie unwesentlich. Damit ergibt sich folgender Aufbau.

Die Relation a-b ■= c zwischen natürlichen Zahlen werde mit n{ahc) bezeichnet. Wir bilden die Relation

7t (w ic z] ;r (n ?/ *) ; ; = , (d. i. m x = n y) .

Setzen wir hierin für vi und n zwei bestimmte natürliche Zahlen, so entspricht der so hervorgehenden binären Relation zwischen x und y eine Doppelmeuge natürlicher Zahlen: diese nennen wir den

Bruch . Zugleich ist das Zeichen für eine bestimmte Funktion

n n

die «Bruchfunktion«) der beiden unabhängigen Argumente m und n. Brüche kennzeichnen wir fortan durch die ersten Buchstaben des kleinen griechischen Alphabets. Bilden x, y ein Elementenpaar des Bruches (der Doppelmenge) a, so drücken wir dies durch die Worte

aus: y steht zu x in dem Verhältnis a. Ist « = , so steht ins-

besondere 7n zu n in dem Verhältnis a. Auf Grund der Multi- plikationsgesetze der natürlichen Zahlen beweise man: Zwei Brüche

und - sind dann uijd nur dann miteinander identisch, wenn ?i n

mn* m"" n ist.

Die Relation a- ß = y besagt: immer, wenn x zu ?/ in dem Ver- hältnis a steht und y zu z in dem Verhältnis ß, steht a; zu r in dem Verhältnis y. Man beweise: zu irgend zwei Brüchen u, ß gibt es stets einen und nur einen Bruch / derart, daß diese Beziehung zwischen ihnen besteht. Er heißt das Produkt von a und ß und

wird mit u 8 bezeichnet. (Ist cc = , ß = -— , so hi

' n n*

Die Relation u -\- ß = y besagt: immer, wenn x zn z in dem Verhältnis a und «/ zu « in dem Verhältnis ß steht, steht a: + ^ zu z in dem Verhältnis y. Man beweise hier das Entsprechende (und die Rechenregel

, ^ (m n*) + (m* n) >

cc + p = ' - \. . )

' n n- '

Leicht ergeben sich aus diesen Definitionen die fundamentalen Ge- setze für Addition und Multiplikation.

Auf Grund der Addition lassen sich wie bei Vektoren die Ver- vielfältigung und Teilung von Brüchen erklären; in ihrem Bereich

§ J. Brüche uud ratiouale Zahlen. 47

erweist sich die Teilung als eine stets und eindeutig ausführbare Operation. Man stelle fest, daß

^ mit vo

n n '

übereinstimmt.

Sind a, ß irgend zwei Brüche und gibt es einen Bruch ;', d. h.

gibt es zwei natürliche Zahlen m und n, so daß ^ -^ y =. a •\- ' = « ) ist, so sagen wir, u sei größer als ß, in Zeichen: u > ß , und ß kiewer als a{ß<,a). Es gibt in diesem Falle nur einen solchen Bruch;'. Die Möglichkeiten

ay, ß a = ß u

bilden eine vollständige Disjunktion.

Zwischen den natürlichen Zahlen m und den korrespondierenden

Brüchen mit dem Nenner 1 besteht eine vollkommene Isomorphie:

die Beziehungen der Summe, des Produkts und des größer-kleiuer. die zwischen den natürlichen Zahlen besteheu, spiegeln sich genau wider in den gleichbenanuten Beziehungen der korrespondierenden Brüche. Trotzdem dürfen wir sie nicht miteinander identifizieren: was nicht identisch ist, können wir nicht identisch „machen". Immer- hin ist zu bemerken, daß bei der Verwendung der Zahlen zum Messen

die natürliche Zahl m und der Bruch beide denselben Prozeß

bezeichnen, nämlich die „Ver-7w-fachung'\

Wir könnten jetzt weiter so verfahren, wie wir uns das in Kap. I, § 6 vorgestellt haben: nachdem wir die Stufe der Brüche erstiegen haben, die Treppe, die uns hinaufgeführt, sozusagen abbrechen und in der gewonnenen Höhe von neuem das Fundament zu einem um- fassenderen Gebäude legen, indem wir jetzt von vornherein von den natürlichen Zahlen und den BriicJcen als Grundkategorien ausgehen. Freilich würde dann die Kategorie »zweidimensionale Mengen natür- licher Zahlen« die zweite Grundkategorie umfassen, und dieses Über- decken einer Grundkategorie durch eine abgeleitete läßt sich gewiß durch kein Kunststück beseitigen (was nicht verschieden ist, können wir nicht verschieden machen): aber wir können es dennoch „ignorieren", da zur Entscheidung aller einschlägigen Fragen niemals die Identität oder Verschiedenheit von Gegenständen festgestellt zu werden braucht, die verschiedenen Kategorien angehören. Immerhin käme so ein verwickeltes Dopi)elspiel zustande; und es steckte nicht mehr in ihm, als uns die direkte Fortführung unseres auf der Basis der einzigen Grundkategorie »natürliche Zahla begonnenen Aufbaus liefert, nur

48 Kapitel II. ZahlbegriflF und Kontinuum.

zum Teil in doppelter Terminologie. Was diese doppelte Terminologie aber etwa au Ausdrucks-Bequemlichkeiten mit sich bringt, können )vir uns, das Fundament der „reinen Zahlenlehre" nicht verlassend, viel einfacher folgendermaßen verschaffen.

Wo immer die Wendung auftritt -»es gibt einen Bruch mit den und den Eigenschaften«, hat sie den Sinn (und kann sie keinen an- dern haben als den): es gibt zwei natürliche Zahlen 711 und n von

der Art, daß der Bruch « = die betr. Eigenschaft besitzt. Eine Doppelmenge*) M natürlicher Zahlen sei so beschafien: wenn w,_w

ein Elementenpaar von ihr bilden und der Bruch —^ = ist, so bil-

n* n

den auch immer nf, n* ein Elementenpaar von M. Alsdann heiße M ein Bereich von Brüchen ; und daß m, n ein Elementenpaar von M

bilden, drücken wir so aus: der Bruch a = geliört dem Bereich M

an. (Der Bereich von Brüchen, dem a und nur u angehört, ist mit a identisch.) Eine analoge Benennung wenden wir an, wenn die Menge M außer den beiden auf die Kategorie »natürliche Zahl« bezogenen Leerstellen noch weitere, auf irgendwelche Kategorien bezogene Leer- stellen enthält. Auch wird klar sein, was wir unter einem „Doppel- bereich" von Brüchen zu verstehen haben: es ist eine quaternäre Menge natürlicher Zahlen; und immer, wenn m,n\p,q ein Elementen- system derselben bilden und

■m* w, p* p

n* n ' q* q

ist, gilt das Gleiche für m* n*; p*, q*. Unter diesen umständen bilden « = -- und ß = - (in der angegebenen Reihenfolge) ein zu dem Doppelbereich gehöriges Bruchpaar.

Existiert in einem Größengebiet, wie das z. B. für Vektoren auf einer Geraden der Fall ist, die singulare Größe 0, welche dem Gesetz

a-\-0 = 0 + a = a

genügt, und zu jeder Größe a die entgegengesetzte a:

a + (— a) = 0 ,

so tritt zu den Prozessen der Vervielfältigung und Teilung die Ope- ration der „Umklappung"' hinzu, welche a m a verwandelt, und

*) Die Bedeutung des Wortes »Menge« ist hier wie im folgenden durchaas auf finiie Mengen beschränkt. Vgl. Kap. I, -i 8.

55 2. Brüche und rationale Zahlen. 49

der Xullprozeß, welcher jede Größe in 0 überführt. Um auch diese Prozesse und ihre Kombinationen mit Vervielfältigung und Teilung durch „Zahlen"' darzustellen, muß das Reich der Brüche erweitert werden durch Hinzufügung der Null und der negativen zum Reich der rationalen Zahlen.*) Rein-arithmetisch gewinnen wir die rationalen Zahlen aus den Brüchen in ganz analoger Weise wie die Brüche aus den natürlichen Zahlen, indem wir nur an die Stelle der Multiplikation die Addition treten lassen.

Sind a, ß zwei Brüche, so ist die der Relation

zwischen den natürlichen Zahlen x t/; u c korrespondierende vier- dimensionale Menge ein Doppelbereich von Brüchen; ihn heißen wir die rationale Zahl u -^ ß \ das Bruchpaar |, ?/ gehört ihm dann und nur dann an, wenn

« + ^; = /? - I

ist (wir sagen dann, | und i, „differieren" um die rationale Zahl a -=r ß\ Rationale Zahlen werden im folgenden mit /., /i, r, ... be- zeichnet. Man beweist leicht, daß dann und nur dann

u-=r ß = cc ^ ß' ist, wenn a -{- ß' = a' -\- ß .

Insbesondere ist die durch ' = - definierte vierdimensionale

y V

Menge natürlicher Zahlen eine rationale Zahl; 0 sei ihr Schriftname (Verwechslung mit der Anzahl 0 ist nicht zu befürchten); a -^ a = 0 . Ist a ein Bruch, so ist derjenige Doppelbereich von Brüchen, dem ein Bruchpaar |, i] dann und nur dann angehört, wenn

« -r '/ = I ist, eine rationale Zahl: sie heiße +a; ebenso ist der durch

definierte Doppelbereich von Brüchen eine rationale Zahl: sie werde mit a bezeichnet. Aus den Beziehungen des »größer-kleiner«. die zwischen Brüchen bestehen, folgt, daß zu jeder von 0 verschiedenen rationalen Zahl ein und nur ein Bruch u gehört (ihr „absoluter Betrag'* I derart, daß sie entweder = + « oder = « ist; danach unterscheidet man positive und negatire rationale Zahlen.

*) Ich halte es nicht bloB für eine historische Zufälligkeit, daB die Brüche vor den negativen Zahlen auftreten. Üiesein historischen Gang entspricht unsere systematische Entwicklung hier: über (\ig Brüche (nicht über die ^an^e;? Zahlen) zu den rationalen.

Weyl, Das Koutinuuni. "i

50 Kapitel 11. Zahlbegritt' und Koiitiuuuin.

Die Gleichung '/,-{- /x = i' zwischeu rationalen Zahlen besagt, daß immer, wenn die Brüche ^, ij um /L differieren und ?/, l^ um /i. dann ^, (!; um /' differieren. Zu irgend zwei rationalen Zahlen X, ^j gibt es stets eine und nur eine /', welche zu ihnen in diesem Ver- lüUtuis steht. Die Addition genügt dem assoziativen und koramu- tativen Gesetz. Sie gestattet eine eindeutige Umkehrung, die Sub- traktion. Es ist A -f 0 = Ä .

Die rationalen Zahlen machen unter Zugrundelegung dieser Erklärung ein Gebiet addierbarer Größen aus, in welchem die Ope- rationen der Vervielfältigung, Teilung und „Umklappung'' stets ein- deutig ausführbar sind. Ist 7n eine natürliche Zahl, u = ein Bruch, fi .eine rationale Zahl, so ergibt sich daraus der Sinn der Symbole (4) m f.1 und = a pi \

die sämtlichen Bruchpaare des Doppelbereichs in (i bzw. an und nur diese werden aus den sämtlichen, /x an gehörigen Bruchpaaren |, /; gewonnen, indem man

?w I , mr] , bzw. « | ? f^ ">/ bildet. Sind l, fi und v rationale Zahlen, so bedeutet '/.■ f.i = v , daß entweder Ä = 0 , v = 0 ist, oder daß es einen Bruch « gibt, so daß

K = -\- a , V = a fjL ist. oder daß ein Bruch </. existiert, für den

'A= - a , V = - {u [C] ist. Damit ist die Multiplikation der rationalen Zahlen auf Grund der Addition erklärt. Die Rechengesetze ergeben sich aus der Ver- tauschbarkeit der drei Elementaroperationen Vervielfältigung, Teilung und Umklappung. Im Reiche der rationalen Zahlen sind die vier Spezies, mit Ausnahme der Division durch 0, eindeutig ausführbar. 1 heißt größer als ju, wenn L ja positiv ist. Wo immer der Ausdruck begegnet »es gibt eine rationale Zahl von der und der Beschaffenheit«, bedeutet er: es gibt vier natürliche Zahlen m, n: j), q, so daß die rationale Zahl

w ^ p n ' ^— "

jene Eigenschaft besitzt. Nach Analogie des hinsichtlich der Brüche eingeführten Sprachgebrauchs verstehen wnr ferner unter einem Bereich von rationalen Zahlen einen Doppelbereich von Brüchen mit der Eigenschaft, daß immer, wenn das Bruchpaar <^, /9 jenem Doppelbereich angehört und , „,

§ 3. Reelle Zahlen. 51

ist, das Bruchpaar «', ß' ihm gleichfalls angehört. Eiu Bereich von rationalen Zahlen ist also eine vierdimeusionale Menge natürlicher Zahlen.

§ 3. Reelle Zahlen.

Während als Brüche und rationale Zahlen nur solche Mengen auftreten, die sich als Werte zweier bestimmter Funktionen

und ^- "^

n n q

für Argumentwerte ergeben, die natürliche Zahlen sind, ist es, um den Begriff der reellen Zahl in voller logischer l'estimmtheit fassen zu können, nötig, sich darüber Rechenschaft zu geben, was unter „allen möglichen^^ Mengen einer bestimmten Kategorie zu verstehen ist. Wir haben darauf durch die Aufstellung unserer Definitions- prinzipien geantwortet; erst das Problem der reellen Zahlen erfordert dieses Eingehen auf das Fundament, auf die Prinzipien der logischen Urteilskombiuation; die Aualysis der reellen Zahlen hat bis in die Tiefe ihrer logischen Wurzeln hinein einen völlig andern Charakter als die Arithmetik der rationalen. Wir wollen die ersten Elemente einer Theorie der reellen Zahlen und Funktionen auf unserer Basis hier entwickeln und darauf das Verhältnis dieser Theorie zur Größenlehre und zur Anschauung des Kontinuums einer Prüfung unterziehen.

Fahren wir also zunächst fort in unserm Aufbau der reinen Zahlenlehre! Einen Bereich rationaler Zahlen, dem mit einer ratio- nalen Zahl /. immer auch alle rationalen Zahlen < l angehören, nennen wir (analog wie im Gebiet der natürlichen Zahlen) einen Ab- schnitt. Dieser Abschnitt ist offen, wenn keine grüßte, ihm angehörige rationale Zahl existiert. Eiu offener Abschnitt rationaler Zahlen, der weder der Nullbereich noch der Allbereich ist, heißt eine reelle Zahl. Die reellen Zahlen sind demnach besondere vierdimeusionale Mengen natürlicher Zahlen; die Kategorie dieser Mengen wollen wir darum als »Kategorie E Za bezeichnen, Gegenstände, welche in diese Kate- gorie gehören, aber durch kleine deutsche Buchstaben angeben. ^)Reelle Zahl zu sein«, ist eine finite Eigenschaft eines solchen Ge- genstandes j; es existiert demnach in unserm Operationsbereich die »Menge aller reellen Zahlen«

Sei ][t) eine Funktion (in dem Sinne, wie wir diesen Begriff in Kap. I festgelegt haben), deren Argument t eine beliebige Gegenstands- kategorie K durchläuft und deren Wert immer der Kategorie // Z angehört; es sei ferner T eine eindimensionale Menge von (Tegen- ständen der Kategorie K und für jedes Element t von T der Funk-

52 Kapitel II. Zahlbegritt und Koutinuum.

tionswert f(/) eine reelle Zahl: dann ist f »m« der Menge T eine reellwertii/c Funktion. Zu beachten ist, daß eine Funktion wie \{t) immer definiert ist für alle Gegenstände einer bestimmten Kategorie (deon das bringen unsere Definitionsprinzipien so mit sich); natürlich aber ist es sehr wohl möglich, daß der Funktionswert, stets eine vierdimensionale Menge natürlicher Zahlen, nicht immer eine reelle Zahl ist; diejenigen Argumentwerte, für welche das der Fall ist, bilden eine finite Menge. Ist die Kategorie A insbesondere die der natürlichen Zahlen und \ [t] für alle natürlichen Zahlen t reellwertig, so heißt diese Funktion eine Folge reeller Zahlen (oder kurz: eine Zahlenfolge). Ist K die Kategorie HZ und die oben erwähnte Menge T eine solche, deren Elemente samt und sonders reelle Zahlen sind, so ist f eine in T existierende reelle Funktion einer reellen Veränder- lichen. Entsprechendes ist zu sagen über Funktionen mit mehreren Argumenten.

Die Summe zweier reeller Zahlen j und \) ist eine Funktion von r und 1). Hier ihre Erklärung (wobei j, l; Leerstellen sind, die sich beziehen auf die Kategorie F Z; m^ , n^ , m^ , n^ auf die Kategorie »natürliche Zahl«): Die Relation

2[m^ , n^ \ m^ , n^ J, \))

bedeute: es gibt ein Elementensystem p^ , 9, ; j?2 ' ?2 ^^^ i' ^^^ ^^^ Elementensystem )\ , s^ ; r.^ , s.^ von i), so daß

Indem man in JS" die Leerstellen, wie durch den senkrechten Strich angedeutet, in die Gruppe der abhängigen und unabhängigen trennt, erhält man eine Funktion y -f t), deren Wert stets eine vierdimensio- nale Menge natürlicher Zabilen, genauer: stets ein rationaler Zahl- bereich ist. Für Argument werte j und t), die selber reelle Zahlen sind, ist dieser Zahlbereich insbesondere stets ein offener Abschnitt, der vom Null- und Allbereich verschieden ist, also wieder eine reelle Zahl. Es gilt das kommutative und assoziative Gesetz. Ferner gestattet die Addition eine eindeutige ümkehrung, die Subtraktion, a < b bedeutet: a ist Teilmenge von b, ohne mit b identisch zu sein. Wiederum ergeben die drei Möglichkeiten

a<ba = b b<a(a>b)

im Gebiet der reellen Zahlen (nicht in dem umfassenderen der ra- tionalen Zahlbereiche) eine vollständige Disjunktion. Jede derselben drückt eine finite Relation zwischen a und b aus, da a und b vier-

§ 3. Reelle Zahlen. 53

(limensionale Mengen von Elementen der Grundkategorie »natürliclie Zahl« sind.

Ist /. eine rationale Zahl, so machen diejenigen rationalen Zahlen, welche < A sind, einen offenen Abschnitt aus, der weder der Null- noch der Allbereich ist: diese reelle Zahl werde mit */. bezeichnet und selber rational genannt; sie ist eine Funktion von /.. Verschiedenen rationalen Zahlen entsprechen in dieser Weise ver- schiedene reelle. Es gilt allgemein für jede reelle Zahl a:

a + *0 = a .

Eine reelle Zahl, welche > *0 ist, heißt positiv; eine solche, die < '0 ist, negativ.

Der Begriff des offenen Abschnitts geht in den des offenen Restes über, wenn man in der Definition durchweg < durch > ersetzt. Zu jedem offenen Abschnitt a gehört als »Ergämungi( ein offener Rest: dies ist der Bereich, dem eine rationale Zahl dann und nur dann angehört, wenn sie größer ist als eine nicht zu dem Abschnitt a gehörige rationale Zahl, umgekehrt entspricht jedem offenen Rest als seine Ergänzung ein offener Abschnitt; das Verhältnis der Er- gänzung ist ein gegenseitiges.

Die reellen Zahlen formen ein Gebiet addierbarer Größen, in welchem Vervielfältigung, Teilung und „Umklappung" eindeutig aus- führbar sind. Die Abschnitte (reellen Zahlen) m y. a j erhält man aus dem offenen Abschnitt j, indem man jede zu y gehörige rationale Zahl mit der natürlichen m, bezw. dem Bruch a multipliziert. Ist /. eine beliebige rationale Zahl, so ist \) = /. j, wenn entweder /. = 0 . X) = {) ist, oder es einen Bruch a gibt, so daß / = + a , t} = a^ ist. oder ein Bruch u existiert, für den /. = oc , i) = («j) ist. Das Produkt Äj ist eine eindeutig durch /. und y bestimmte reelle Zahl. Sind endlich a und j reelle Zahlen und x positiv, so ist a-y der Bereich, dem die rationale Zahl u dann und nur dann angehört, wenn es eine zu a gehörige rationale Zahl /. von der Art gibt, daß 1.1 dem Bereich /. r angehört. Ist y negativ, so muß hier a er- setzt werden durch den n ergänzenden offenen Rest; dann ist a r stets wiederum eine reelle Zahl, a *0 bedeutet die reelle Zahl *0 . Man kann dieser Definition leicht die wesentlichen Eigenschaften der Multiplikation entnehmen. Man überzeugt sich ferner, daß das Produkt zweier reeller Zahlen, ebenso wie die Summe, eine Funktion dieser Zahlen ist; denn man l)eachte, daß sich alle unsere Defi- nitionen Schritt für Schritt aus den Prinzipien des Kap. I aufbauen lassen (wenn ich es auch in der Darstellung, aus Gründen der Kürze

54 Kapitel IF. '/alilbcgvift' und Kontiiuiuiu.

uiul Verständlichkeit, nicht für nötig befunden habe, so pedantisch zu verfahren). Die Difterenz und der Quotient von zwei reellen Zahlen sind gleichfalls Funktionen ihrer beiden Argumente; der Quotient ist freilich nur dann wiederum eine reelle Zahl, wenn der Nenner =|: *0 ist. Die Funktion d Quotient« kann man beispielsweise so erklären: sie korrespondiert der Relation

Q{m^, n^\ m^,n.^ i, t)) , welche bedeutet, daß j;, ^ und die rationale Zahl

folgender Bedingung genügen: es ist entweder \) positiv und /l ^ < r oder \) negativ und A. t) > y .

Aus dem Substitutionsprinzip (Kap. I, § 7) folgt jetzt: Sind f und g ^„ioei in derselben Menge existierende reellwertige Funktionen, so sind ihre Stimme, Differenz, Produkt und Quotient ebensolche Funktionen; für den Quotienten gilt das jedoch wieder nur mit der Einschränkimg, daß g im ganzen Existenzbereich 4= 0 sein muß. Hier haben wir die einfachsten Beispiele vor uns, in welcher Weise unsere logischen Konstruktionsprinzipien in besonderer Anwendung zu jenen alge- hraischen führen, welche der älteren Analysis beim Funktionsbegriff vorschwebten. Zwei andere derartige, immerfort verwendete Grund- sätze fließen unmittelbar aus den Pr. 2 und 7: 1) Man erhält aus einer Funktion von mehreren, dieselbe Kategorie durchlaufenden Argumenten eine neue, indem man diese Argumente y>xur Deckung bringt« so entsteht aus ^{s, t] die Funktion \{t, t) —; 2) Man kann z. B, iu einer für alle reellen Argumentwerte existierenden reell- wertigen Funktion für das Argument eine andere reellw^ertige Funk- tion substituieren.

unsere Definitionen der Brüche, rationalen und reellen Zahlen sind sicher bis zu einem gewissen Grade willkürlich. Ihre eigent- liche Bedeutung liegt in der Rolle, welche sie zur Messung von' Größen in irgend einem Größengebiete spielen, in der Art und Weise, wie sie zur abstrakten Darstellung gewisser zwischen Größen be- stehender Relationen dienen. Es ist aber unbedingt erforderlich, daß der Begriff der Zahl zu diesem Zwecke zunächst rein begrifflich- arithmetisch festgelegt wird; doch ist jede Definition recht, welche Gebilde liefert, die jene erwähnten „Verhältnisse" von Größen ein- deutig zu charakterisieren vermögen. Immerhin darf behauptet werden, daß die von uns gewählten Definitionen die einfachsten und natürlichsten sind, welche zu diesem Ziele führen. Von den Be- ziehungen zur Größenlehre wird hernach ausführlicher die Rede sein.

§ 3, Reelle Zahlen. 55

Wir benötigen für das Folgende die Funktion j" der reellen Zahl y und der natürlichen n. Sie läßt sich durch Rekursion auf Grund des Umstandes gewinnen, daß i^' + ^t) aus j"t) durch die Sub- stitution von jt) an Stelle von t) hervorgeht. Es sei also n[X f^) jene Relation, welche besagt, daß y und t) reelle Zahlen sind und

Element des Abschnitts y-t) ist; /. steht in Wahrheit für die vier, auf die Kategorie »natürliche Zahl« bezogenen Leerstellen m^, n^\ tn^, w, . Aus dieser Relation entspringt bei der angedeuteten Ein- teilung der Leerstellen in die abhängigen und die unabhängigen die Funktion y-i). Wir iterieren die Relation in der Weise, daß diese Funktion immer wieder für die Leerstelle i) eingesetzt wird:

und substituieren darin schließlich für t) die reelle Zahl *1 . Der so hervorgehenden Relation korrespondiert die Funktion y".

Hieran knüpfen wir noch die Erörterung des Begriffs der alge- h-aischen Zahl. Eine reelle Zahl a heißt bekanntlich „algebraisch höchstens vom Grade w", wenn n rationale Zahlen /.^ A.,, . . ., A,, existieren, so daß

a" = \ a"-i + /.2 a"-2 -)-... -|- A_

ist. »Algebraisch höchstens vom Grade zu sein, ist demnach gewiß eine tinite Eigenschaft reeller Zahlen: und so wie für 3, für jede andere bestimmte natürliche Zahl. Daß aber der Satz: »a ist algebraisch höchstens vom Grade n<i das Urteilsschema einer finiten Relation zwischen a und n und demnach »algebraisch zu sein« (ohne Gradbeschränkung) auch noch eine finite Eigenschaft ist, scheint auf den ersten Blick nicht zuzutreffen. Vielmehr scheint es so, als müßte man, um dies zu erzwingen, Relationen einführen mit einer ,,unbestimniten-' Anzahl von Leerstellen (ein in logischer Hinsicht sehr fataler Schritt) und die Prinzipe, namentlich das der Iteration, in höchst komplizierter Weise auf solche Relationen erweitern. Dies ist aber keineswegs der Fall. Der Begriff" der algebraischen Zahl soll mir dazu dienen, zu zeigen, wie man auch unter solchen Um- ständen durchaus mit unsern Definitionsprinzipien ausreicht.

Wie wir die Potenz q" durch Iteration auf Grund der Produkt- Funktion a-h erklären konnten, so denken wir uns ein Polynom m'*" Grades in a mit rationalen Koeffizienten analog durch Iteration aus der Funktion

(a h) */. von n, b, /.

56 Kapitel II. Zahlbegriff und Kontinuuni.

gebildet, in welcher /. eiue beliebige rationale Zahl bedeutet. Sie entspringt aus der Relation

i^(/i 1 A ; a , b) :

die Summe der rationalen Zahlen /i, ?, i^A Element des Abschnitts ii b (A und |W stehen hier wiederum für je vier, auf die Kategorie der natürlichen Zahlen bezogene Leerstellen). Die im folgenden mit L bezeichnete Leerstelle bezieht sich auf zweidimensionale Mengen von Gegenständen der Kategorie R Z. Wir bilden

es gibt eine rationale Zahl /, so daß a und (a b) *l ein Elementen- paar von L bilden. Indem wir die Leerstellen von J in der an- gedeuteten Weise in die abhängigen und unabhängigen teilen, sind die Bedingungen für die Iteration gegeben; es entspringt dadurch die Relation J{a , h L; n)\ sie besagt: es gibt n rationale Zahlen /j , A, , . . , A^ , so daß a und

(ö) a" b - (A^ a«-^ + /., a»-- + . . . + ÄJ

ein Eleraentenpaar von L bilden. Den Ausdruck (5) muß man sich dabei so geschrieben denken:

a.(...(a.(a.(a-b-%)-%)-%)...)-*A„.

Man braucht jetzt nur für b die reelle Zahl *1 zu substituieren und für L = L{a,h) diejenige spezielle zweidimensionale Menge L^ , welche der Relation

a ist eine reelle Zahl und b = *0

korrespondiert; die entstehende Relation

A{(x,*\\Lq\ n) = A{a, n)

bedeutet: a ist algebraisch höchstens vom Grade n. A{a, *) ist das Urteilsschema der Eigenschaft von a, algebraisch zu sein.

Die komplexen Zahlen führen wir in üblicher Weise als Paare' reeller ein. Unter Paarbildung verstehen wir dabei ganz allgemein dieses. Ist z. B. A eine dreidimensionale, ^ eine zweidimensionale Menge (irgend einer Kategorie; doch möge weder A noch B in ihrer Kategorie die Nullmenge sein), so existiert die fünfdimensionale Menge A»B , von der q, er, t \ |, /; dann und nur dann ein Elementen- system bilden, wenn o, a, r ein solches von A und |, ?; ein solches von B ausmachen (Pr. 3 ohne Deckung von Leerstellen): A»B nennen wir das aus A und B gebildete Paar. Lassen wir die Mengen A und B jede in ihrer Kategorie unbestimmt, so ist dies Paar eine Funktion von A und B. Sind die ^4 und B Mengen von Gegenständen der Grund-

S 4. Zahlfolgeu. Konvergeazpriuzip. 57

kategorien, so sind auch umgekehrt die „Glieder'" A und ß Funktionen des Paares A B. Ist F nämlich eine beliebige Menge der Kategorie, welcher A»B zugehört, so betrachte man die Relation R[o(tt r>, welche besagt: es gibt zwei Gegenstände | und t], so daß « ö- r ; | /; ein Elementensystem von F bilden. Die aus ihr entspringende Funktion von F liefert, wenn man für /' das Paar A* B einsetzt, das erste Glied A dieses Paares. Unter den bezeichneten Umständen fallen daher zufolge des Substitutioüsprinzips die Begriüe »Funktion von A und £'« einerseit>s, »Funktion des Paars A»B^ anderseits im wesentlichen zusammen. Nach dieser Auffassung sind die komplexen Zahlen achtdimensionule Mengen natürlicher oder genauer: Doppelbereiche rationaler Zahlen.

§ 4. Zahlfolgen. Konvergenzprinzip. i'm sei eine reelle Zahlenfolge, R{X n) jene Relation zwischen der rationalen Zahl Ä und der natürlichen n, aus welcher die Funk- tion i[n) entspringt; i{n) ist also für jedes n der Bereich derjenigen

rationalen Zahlen, welche zu n in der Beziehung /.' stehen /. = ^ H-

vertritt wiederum vier, auf die Kategorie »natürliche Zahl« bezogene Leerstellen j)^ , q-^\ p^,, lo)- ^^^ konstruieren in bekannter Weise den limes inferi&f dieser Zahlenfolge; das ist ein Bereich rationaler Zahlen, welchem /. dann und nur dann angehört, wenn eine rationale Zahl /.'>/, von folgender Art existiert: es gibt eine natürliche Zahl n, so daß für alle m > n die Beziehung Ri'/.' m\ statthat. Dieser Bereich a ist ein otfener Abschnitt, also entweder eine reelle Zahl oder der Nullbereich (für den in diesem Zusammenhang das Zeichen cc üblich ist) oder der Allbereich -f- cc ; wir schreiben

iim inf. f [m = q .

n = oc

Bedeutet R zugleich den der Relation R'^/. n) entsprechenden „Be- reich'- (eine fünfdimensionale Menge natürlicher Zahlen), so ist, wie man sieht, dieser lim inf. eine Funktion von R,'*]

Aus der Existenz des lim inf. ergibt sich die Gültigkeit des Cauchyscheu Konvergenxprinxips. Man nennt bekanntlich unsere reelle Zahlenfolge konvergent, wenn zu jedem Bruch u eine natürliche Zahl // existiert derart, daß für alle p und 7, welche > n sind, dem Be- reich \[jj) ][q) die rationale Zahl (/. , nicht aber -\- a angehört. Mau sagt ferner, die Folge konvergiere gegen die reelle Zahl c, wenn

") Nur in einein durchaus übertragenen Sinne kann man hier, wie das heutzutage geschieht, von einer Funktion der unendlichvielen Variablen f(l), f(2), f(B), . . . reden.

58 Kapitel II. Zahlbegriff und Koutinuum.

ZU jedem Bruch a eine natürliche Zahl ti existiert, so daß für alle p y- n dem Bereich f (/j) c die rationale Zahl u angehört, hin- gegen + a nicht. Bei allen diesen Erklärungen treten die logischen Termini »es giht« und »alle« oder »jeder« nur in Verbindung mit natürlichen Zahlen auf. Das Konvergenzprinzip lautet: Es gibt dann nnd nur dann eine reelle Zahl c, gegen tvelche die Zahlenfolge f(>?) kon- vergiert, wenn diese Folge konvergent ist. Zutreffendenfalls ist c mit dem lim iuf. der Zahlenfolge identisch und heißt dann einfach der Limes oder Grenzwert. Alles dies überträgt sich sinngemäß auf Funktionsfolgen, d. h. auf den Fall, daß in der Relation R{1 \ n), welche die Folge definiert, außer den angedeuteten Leerstellen noch weitere vorkommen. Tritt darin z. B. noch eine auf die Kategorie FZ bezogene Leerstelle y auf, so entspringt aus ihr die Funktionsfolge f(jw); dann ist auch

lim inf. f(y,w) = g(f)

n = CO

eine Funktion des reellen Arguments j. Hier haben wir das ana- lytische Konstruktionsprinzip des Grenzübergangs vor uns. Es ist meist üblich, das Argument n als Index zu schreiben. Mau muß aber selbstverständlich im Auge behalten, daß die Konstruktion des Grenz- übergangs nicht ausgeübt werden kann auf eine von irgendwoher, ich weiß nicht wie, zusammengelesene unendliche Reihe von Funktionen

sondern nur eine Funktion f„(jj von j und n betriifft, die gesetzmäßig gebildet ist in dem durch Kap. I präzise festgelegten Sinne.

Statt des Cauchyschen Konvergenzprinzips hat man verschiedene andere Grundsätze, die ihm vermeintlich äquivalent sind, zum Aus- gangspunkt der Analysis gewählt. Ich führe einige derselben an:

I. Eine Folge ineinander eingeschachtelter Intervalle, deren Länge unter jede Grenze sinkt, fängt eine bestimmte Zahl a^b. (Das findet z. B. bei der Dezimalbruchentwicklung Verwendung.)

IL Zu einer reellen, monoton wachsenden Zahlenfolge, deren sämtliche Zahlen unterhalb einer bestimmten Grenze bleiben, gibt es eine Zahl, gegen die sie konvergiert.

III. Das Dedekindsche Schniiiprinzip : Sind A und B zwei Mengen reeller Zahlen, so daß jede Zahl, die Element von A ist, kleiner ist als jede zu B gehörige und es ferner zu jedem Bruch a eine zu Ä gehörige Zahl j und eine zu B gehörige Zahl t) gibt, derart daß -|- a dem Bereich ^ y nicht angehört: so gibt es eine und nur eine reelle Zahl c von der Art, daß keine Zahl, die Element

§ 4. Zahlfolgen. Konvergenzprinzip. 59

von A ist, größer und keine, die Element von B ist, kleiner ausfällt als c .

IV. Eine beschränkte Menge reeller Zahlen hat eine präzise obere und untere Grenze.

V. Jede beschränkte unendliche Menge reeller Zahlen hat einen Verdichtungswert.

Von diesen Sätzen sind in der hier auf sicherem Fundament errichteten Analysis I. und IL gültig. Unter »Folge ineinander ge- schachtelter Intervalle« verstehe man dabei zwei Zahlenfolgen i(«), g^w) mit den Eigenschaften ^

fW < f(^') > sJN > 9(^0 > {"'' ^^^ ^"^ ^ unmittelbar f (m) < 9 (n) . folgende natürliche Zahl \

Die andern Behauptungen III. bis V. sind jedoch ungültig; sie werden aber, gültig, wenn man sie in der Weise modifiziert, daß die Mengen reeller Zahlen, von denen in ihnen die Rede ist, durch Bereiche rationaler ersetzt werden.

Dem sog. Heine- Boreischen Theorem geben wir folgende Fassung:

VI. Es liege eine Folge von Intervallen A^^ vor: jede reelle Zahl des »Einheitsintervalles« *0^5^*1 liege im Innern eines der Intervalle dieser Folge. Dann existiert eine natürliche Zahl n. so daß jede solche reelle Zahl bereits im Innern eines der eudlich- vielen Intervalle J, , A.^, ... . J„ Hegt.

Dieser Satz erweist sich auch hier als gültig, wenn man den Begriff »Intervallfolge« in richtiger Weise interpretiert. Denn als- dann drückt der Satz: »Die der rationalen Zahl A korrespondierende reelle */. ist negativ oder liegt im Innern eines der Intervalle

A^, A^ zJ.j , und das Gleiche trifft auch für jede rationale

Zahl < /. zu« eine finite Relation F{X,n) zwischen A und n aus. Wäre die Behauptung falsch, so wäre die der Eigenschaft J,'[l,^^] korrespondierende Menge ein offener Abschnitt, dem alle negativen rationalen Zahlen augehören, die rationale Zahl 1 aber gewiß nicht; er wäre also eine reelle Zahl des Einheitsintervalls. Betrachtet man dasjenige der Intervalle A^, welches nach Voraussetzung diese reelle Zahl in sein Inneres aufnimmt, so ergibt sich ein. Wider- spruch. — Hingegen wird das Heine-Borelsche Theorem falsch, wenn man in ihm die gegebene Intervall/o/^e durch eine beliebige Intervall- menge ersetzt oder statt des in A^ durch den Index n gekenn- zeichneten Arguments n ein solches tritt, das sich nicht auf die Grundkategorie »natürliche Zahl« bezieht. Insbesondere läßt sich folgendes nichl behaupten: Liegen zwei im Einheitsintervall e.\i-

t)0 Kapitel II. Zahlbegiiff und Kontinuutn.

Stierende reellwertige Funktioneu f(j), g (y) vor, die für alle Argument- werte die Ungleichung

f(r)<i-<9(j)

erfüllen, so gibt es endlicliviele reelle Zahlen im Einheitsintervall Qj , Q., , ... , a,^ von der BeschaÖ'enheit, daß zu jeder Zahl j desselben unter den a^ sich eine Zahl findet, für welche

fK)<i-<9(a.) gilt.

Die Ungültigkeit einiger der Grundsätze, deren man sich bisher bei der Herleitung aller Behauptungen in der Analysis zu bedienen pflegte, hat natürlich zur Folge, daß die gegenwärtig anerkannten' Begritl'sbildungen und Beweise zum Teil eine Modifikation erfahren, zum Teil aber auch ganz aufgegeben werden müssen. Von besonders einschneidender Wirkung zeigt sich dabei die Ungültigkeit des Grund- satzes IV; die Schlußweise des y>Dirichletsclwii Prinxipcsa, selbst in der bescheideneren, der Weierstrass'schen Kritik Rechnung tragenden Formulierung, welche nicht mehr die Existenz eines „Minimums'-, sondern nur die einer „unteren Grenze" behauptet, kann nicht auf- recht erhalten werden. Man hat ferner, wenn man von den Denk- gewohnheiteu der heutigen Analysis ausgeht, beständig im Auge zu behalten, daß, wenn eine unendliche Menge reeller Zahlen vorliegt, damit die Existenz einer Folge f i^n) , die lediglich aus Zahlen dieser Menge besteht, noch keineswegs gesichert ist.

Die Lehre von den uncndlichrn Reihen (Summen) wird auf die Theorie der Zahlfolgen zurückgeführt durch Bildung der Partial- summen. Sei also f (//) eine reelle Zahlenfolge, und U[l j b, n) bedeute die Relation: b ist eine reelle Zahl, und die rationale l gehört zu dem Abschnitt f(??)-f b; d.i. diejenige Relation, aus welcher die Funktion \[)i) + b entspringt. Nach dem Iterationsprinzip (seiner dritten Erweiterung, vgl. pag. 28) bilden wir daraus F(/'. i b , n): F(Ä b, l)=L'(/|b, 1); V{1 h, n')==V{l\\{n') + b, n) . Die aus V[}, *0 , n) entspringende reelle Zahlenfolge §(//) ist dann mit der gegebenen durch die Rekursionsformeln verknüpft:

§(i)^f(i); §(>^ + i) = §('0 + f(" + i)

Der Zusammenhang zwischen Reihe und Folge überträgt sich sinngemäß auf Reihen, deren Glieder Funktionen einer oder mehrerer reellen Veränderlichen sind. Beachten wir z. B., daß die Potenz j ", wie im vorigen Paragraphen festgestellt wurde, eine Funktion von j und n ist, so ergibt sich, daß die Partialsummen der Potenxreihe

i^ 5. Stetige Funktionen. 61

eiue Fanktiouenfolge bilden, wenn i[n) eine Folge reeller Zahlen be- deutet; ihr Limes ist daher, wo er existiert, eine reellwertige Funktion von f. Entsprechendes ist über unendliche Produkte zu bemerken. Die elementaren Funktionen, vor allem die Exponentialfunktion, kön- nen durch irgendeinen der auch sonst dazu verwendeten unendlichen Prozesse detiniert werden; der Logarithmus als inverse der (stetigen monotonen) Exponentialfunktion (betrefis Inversion siehe den nächsten Paragraphen).

§ 5. Stetige Funktionen.

Wir befassen uns mit einer für die reellen Argumentwerte r lies .Einheitsintervalls existierenden reellwertigen Funktion f(j): sie entspringe aus der Relation R{k\i). Die Gleichung

9 = f(l-) drückt eine tinite Relation zwischen j: und t) aus; denn sie besagt, daß alle und nur diejenigen rationalen Zahlen )., welche zu i; in der Relation /i'(/'. |j) stehen, dem Bereich l) angehören (und hier wird in der Tat der Begriff »alle« nur in Verbindung mit »rationaler Zahl« gebraucht). Aus diesem Grunde bilden bei gegebenem i) so- wohl diejenigen Zahlen r des Einheitsintervalls, für welche iix) = i) ist, als auch diejenigen, für welche

f(r)> l) (oder f(j)< t))

ist, eine Zahlmenge, die eine Funktion von t) ist. Hingegen ist im allgemeinen der Wn-trvorraf der Funktion f keine finite Zahlmenge; und es existiert im allgemeinen auch, wenn f eine beschränkte Funk- tion ist, für sie keine prä-zise obere und untere Grenze.

Imsbesondere handle es sich um die stftigen Funktionen. Wir führen das Zeichen y ^ a ein, welches bedeuten soll: r ist eine reelle Zahl, und die dem Bruch u korrespondierende rationale Zahl + « gehört nicht zum Bereich f , wohl aber jede rationale Zahl, welche kleiner ist als —u. Die bekannte Erklärung der Stetigkeit lautet*): f (j) ist stetig für die (im Eiuheitsintervall gelegene) Zahl a, wenn zu jedem Bruch a ein Bruch ß existiert derart, daß

f (r) - f (oj i ^ « ist für alle reellen Zahlen j des Einheitsintervalls, die der Ungleichung

*) Nachdem wir in Kap. I, i? 2 an ihr bereits unsere Symbolik dor Rela- tionen exemplifizicirten, wiederholen wir sie hier nur deswegen nocli einmal, weil es uns darauf ankommt, die rechten Seiten «, ß der charakterisierenden Ungleicliungen von vornherein als Brüche (und nicht als positive reelle Zahlen) anzunehmen.

(52 Kapitel 11. ZablbegiitV niul Kuutiniuim.

genügen. Die Eigenschaft einer Funktion, für einen Wert a stetig zu sein, ist, wie mau sieht, transfinü (und damit abhängig von einer genauen Abgrenzung des Umfangs des Begriffs »reelle Zahl«); über die groBe Bedeutung dieses Umstandes für die Analysis und ihre Anwendungen wollen wir uns erst im nächsten Paragraphen Rechen- schaft geben. f(j) ist stetig im Einheitsintervall, wenn sie für jeden Wert a desselben stetig ist. Sie ist daselbst gleichmäßig stetig, wenn zu jedem Bruch « ein Bruch ß gehört, so daß

f(l-)-f(9)i^« ist für alle reellen Zahlen i;, t) des Einheitsintervalls, die der Un- gleichung ! j t) ^ /9 genügen.

Wir wollen die folgenden Hauptsätze über stetige Funktionen beweisen:

^4. Eine stetige Funktion nimmt alle Zwisohenwerte an; d. h. ist ] eine stetige Funktion und

f(Q)<ü<f(b),

SO gibt es eine reelle Zahl c zwischen a und b (o < c < b) , so daß f (c) = ü ist.

B. Eine stetige Fu7iktion im Einhcitsintervall hat daselbst ein Maximum und ein Minimum; d. h. es gibt zwei Argumentwerte a und b derart, daß im ganzen Einheitsintervall die Ungleichung

gilt.

C. Eine im EinheitsintervaU stetige Funktion ist daselbst gleich- mäßig stetig.

Die üblichen Beweise dieser Sätze müssen hier insofern modi- fiziert werden, als man zunächst immer nur die Werte der im Ein- heitsintervall existierenden, reellwertigen, stetigen Funktion f(r) für rationale Argumentwerte zu betrachten hat. Wir bilden also

frA) = f*(Ä)

(wobei man beachte, daß die reelle Zahl *X eine Funktion der ratio- nalen l ist); f*(A) steht hier in Wahrheit für eine Funktion von vier, auf die Kategorie »natürliche Zahl« bezogenen Argumenten.

Beweis von A. Es genügt, unter der Annahme, daß fC'O) ne- gativ, f(*l) positiv ist, die Existenz einer Zahl c im Einheitsintervall darzutun, für welche f(c) verschwindet. Wir bilden denjenigen Be- reich rationaler Zahlen, dem A dann und nur dann angehört, falls es eine rationale Zahl 7/ > l im Einheitsintervall gibt, für welche f*(7/) negativ ist. Dieser Bereich ist eine reelle Zahl c. Man zeigt

§ 5. Stelige Funktionen. 63

in bekannter Weise auf Grund der Stetigkeit von f für den Argument- wert c, daß f(c) weder negativ noch positiv sein kann und daher = *0 ist. (Die Beweismetbode besteht in der Konstruktion der größten Nullstelle von f.)

Beweis von B. Die obere Grenze m von \*[X) im Einheitsinter- vall ist derjenige rationale Zahlbereich, dem fi angehört, falls eine lationale Zahl A im Einheitsintervall existiert von der Art, daß //<f*(A) ist. m ist entweder eine reelle Zahl oder der Allbereich (+ oo). Aus der vorausgesetzten Stetigkeit von ffj.) folgt sofort, daß für all) reellen Argumeotwerte y, nicht bloß für rationale, die Ungleichung f (j) ^ m besteht.

Ist i irgend eine reelle Zahl > *0 und ^*1, so kann man ebenso die obere Grenze ntff) von f*(A) bilden für alle nicht-negativen /., welche dem Bereich x angehören; sie ist eine Funktion von y. Wir unterscheiden zwei Fälle:

entweder ist für jede positive rationale Zahl A ^ 1 die obere Grenze m(*/) = ni, dann verstehen wir unter a die reelle Zahl ;

oder das Gegenteil ist der Fall: dann bilden wir denjenigen Be- reich a rationaler Zahlen, welchem l angehört, wenn eine positive rationale Zahl A' > /, (und ^1) existiert, für die m(*A')<m ist: dieser Bereich ist eine reelle Zahl.

Auf jeden Fall ergibt sich aus der Stetigkeit von f (j) für j = a sogleich, daß f(a) nicht kleiner als m sein kann; mithin muß f (a) = m sein. Damit ist zugleich bewiesen, daß m nicht der Allbereich -f- zx: sein kann. (Wir haben den kleinsten Wert a konstruiert, für welchen \ sein Maximum erreicht. Auf dieselbe Weise konstruiert man die Zahl b, in welcher \ sein Minimum annimmt.)

A. und B. kann man dahin zusammenfassen: Der Wertevorrat einer stetigen Funktion in einem abgeschlossenen Intervall ist wiederum ein abgeschlossenes Intervall.

Zum Beweise von G. ist es zweckmäßig, vorauszusetzen, daß \ [x) nicht konstant ist und für negative j gleich f(*0), für Argument- werte > *i aber = f (*1) ist; dies kann ohne Einschränkung der Allgemeinheit geschehen. Es sei j eine reelle Zahl, a ein Bruch. Wir bilden die obere Grenze des absoluten Betrages der Differenz

für alle rationalen Zahlen A und _u, welche den Bedingungen genügen: /. gehört zum Bereich j und | A |U | ist < «. Diese obere Grenze ist eine reellwertige P'unktion b(i:, a) von j und u. Lassen wir die

ß4 Kapitel II. Zablbegriff und Konlinuum.

Kinsclnänkuug, daß ). zu j; gehören soll, fort, so möge die dann hervorgehende obere Grenze mit b(a) bezeichnet werden. Es ist

b (a) ^ b (/?)(> *0) , wenn u > ;; ist , und b (j, a)^^ [a] . Wir haben zu zeigen, daß

lim b [a) = *0 Wird.

Zu diesem Zwecke bilden wir den Bereich y («) rationale? Zahlen, dem /. angehört, wenn eine rationale Zahl // > /. existiert, für welche

b (*/', a)<h [a]

ausfällt. j(a) ist eine reellwertige Funktion von a. Sind b, h' irgend zwei x (a) zwischen sich enthaltende reelle Zahlen:

b < i-(«)< b',

so ist b (ß) die obere Grenze von (6) für rationale /., /< , welche den Bedingungen

b ^*/. < b'(A gehört zu b', aber nicht zu b) und ,a /. < c/ genügen.

Es sei ,

lim inf. r ( -| = o .

y ein beliebiger Bruch. Dann existieren wegen der Stetigkeit von f (j) für y = a reelle Zahlen b und b', welche a zwischen sich ent- halten, und eine reelle positive Zahl e von der Beschafienheit. daß

ist für alle j des Intervalls

b - e < i- < b' + e . Aus (7) folgt

(8) i f (?) - f (9) ! ^ /' , wenn b ^ i" ^ b' und j i; - j < e

ist. Es existiert weiter eine natürliche Zahl n von der Art, daß die

rationale Zahl -\ dem Bereich e angehört und J (— ) zwischen b

und b' liegt. Wegen der für die erwähnten j und t) gültigen Un- gleichung (8) kann dann / nicht kleiner sein als die zu dem be- treffenden n gehörige obere Grenze M— ; mithin ist

b [ci] < y , sobald « < ist.

Satz A. kann auf stetige Funktionen mehrerer reeller Argumente übertragen werden. Der Fundamentalsatz der Algebra ist in unserer Analysis gültig.

$ 6. Autfchauliehes und mathematisches Kontinuum. 65

Zu einer Funktion f (r) existiert im allgemeinen keine „inverse'' , selbst dann nicht, wenn die Tatsache besteht, daß zu jeder reellen Zahl t), die Element einer gewissen Menge T ist, eine und nur eine Zahl X gehört, für welche die Gleichung

9 = f(i) stattfindet. Hingegen läßt sich die Existenz einer Inversen beweisen, wenn f (j) eine im Einheitsintervall existierende stelige monotone Funk- tion ist. Sie sei etwa monoton wachsend, d. h. es sei

f(a)<f(t'). jedesmal wenn a und b zwei reelle Zahlen des Einheitsintervalls sind, von denen a die kleinere ist. Ist ^ irgend eine reelle Zahl, so bilden wir denjenigen Bereich rationaler Zahlen, dem jedes negative /. angehört und außerdem jedes /. < 1, für das f*(/)<5 gilt. Dieser Bereich ist eine reelle Zahl, und zwar der Wert einer bestimmten E'unktion 13(1)' für den Argumentwert t}. Beschränken wir die Variablen r und X) auf die Intervalle

*0^y^*l. bzw. fro)^9^fri),

so sind die Funktionen f und g invers zueinander:

f(ga)') = 9 ; s(i(y)) = i-

r>ie Rolle der Diffrrerdiaiion und Integration als funktionserzeu- gender Prozesse läßt sich im Gebiet der stetigen Funktionen in dem- selben Umfange aufrecht erhalten wie in der bisherigen Analysis; an den Begründungen ist nichts Wesentliches zu ändern. Weniger einfach liegen die Dinge freilich in den weitergehenden Integral- und Maß-Theorien von Riemann, Darboux, Cantor, Jordan, Lebesgue und Carath6odory.

§ G. Anschauliches und mathematisches Kontinuum.

Wir haben bisher, mit den natürlichen Zahlen beginnend, den Aufbau der reinen Zahleulehre ins Werk gesetzt, indem wir, dem Leitfaden der historisch vorliegenden Arithmetik und Analysis folgend. Schritt für Schritt mit Hilfe unserer Detinitionspritizipien vorrückten, sozusagen ohne dabei nach links und rechts zu schauen. Jetzt wollen wir Halt machen und uns Rechenschalt darüber zu geben versuchen, wo wir eigentlich stehen.

Die Stetigkeit einer Funktion, sahen wir, ist eine transf-initr Eigenschaft; d. h. die Frage, ob eine mit Hilfe unserer Prinzipien definierte Funktion stetig sei oder nicht, erfordert zu ihrer Entschei- dung nicht nur die volle Überblickung der natürlichen Zahlen, sondern

Weyl, Da» KontiDuuui. •'

66 Kapitel IL Ziihlbegrifif und Kontinuum.

ebenso die volle Überblickuug derjenigen Mrngru (genauer: derjenigen vierdimensionalen Mengen natürlicher Zahlen), welche durch kombi- nierte Anwendung jener Prinzipien in beliebiger Komplikation ent- springen. Nehmen wir die Definitionsprinzipien als ein s>offenes<i Sy- stem, d. h. behalten uns vor, sie ev. durch Hinzufügung neuer zu erweitern, so muß im allgemeinen auch die Frage, ob eine gegebene Funktion stetig sei, offoi bleiben (im Gegensatz zu der Entscheidung in allen /?//<>// Fragen): eine Funktion, die gemäß unseren Erklärungen stetig ist, könnte dieser Eigenschaft verlustig gehen, wenn unsere Definitionsprinzipien eine Erweiterung erführen und demgemäß zu den »jetzt« vorhandenen reellen Zahlen weitere hinzuträten, bei deren Bil- dung die neu hinzugefügten Definitionsprinzipien eine Rolle spielen^)

Es möge jene Funktion etwa den Ort eines Massenpunktes als Funktion der Zeit darstellen. Vergleichen wir unsere begriffliche Aussage, daß die Funktion stetig sei, oder noch einfacher: daß die Funktion für alle reellen Argumeutwerte eines gewissen Intervalls ihrerseits nur Werte annimmt, die einem gewissen Spielraum an- gehören, mit dem anschaulichen Befund, dessen wie auch immer »ob- jektivierter«, »idealisierter«, «schematisierter« Ausdruck jener Satz bei der mathematischen Darstellung der Wirklichkeit sein soll! Ich seJw z. B. während einer gewissen Dauer beständig diesen Bleistift vor mir auf dem Tische liegen; diese Wahrnehmung gibt mir ein. wenn auch nicht absolutes, so doch vernünftiges und gut begründetes Recht zu der Behauptung, daß während einer gewissen Dauer dieser Bleistift sich auf dem Tische befunden hat. Es ist offenbar absurd, zu meinen, daß dieses Recht durch eine „Erweiterung unserer Definitions- prinzipien'' ins Wanken gebracht werden könnte als ob da neue, von meiner Anschauung übersehene Zeitmomente hinzukommen könnten, in denen sich der Bleistift vielleicht in der Nähe des Sirius, oder wer weiß wo, befand. Soll sich das Zeitkontinuum durch eine die reellen Zahlen durchlaufende' ' Variable darstellen lassen, so, scheint es, ist damit gegeben, wie eng oder weit wir den Begriff der reellen Zahl zu fassen haben, und die Entscheidung darüber dürfe nicht logischen Erwägungen über Detinitionsprinzipien u. dgh anheimgestellt werden.

*) Freilich: bei allen stetigen Funktionen, die man von der Aualysis her kennt, bleibt diese Frage nicht oflFen, weil für sie das in der Behauptung ihrer Stetigkeit enthaltene negative Existentialurteil eine logische Folge der „Axiome" ist. in welche die Definitionsprinzipien übergehen, wenn man sie als positive Existentialurteile über Mengen formuliert. Aber das ist eben eine besondere Eigentümlichkeit dieser »unbedingt« stetigen Funktionen.

§ 6. Anschaulicbeä und mathematisches Kontinuum. 67

Bleiben wir, um das Verhältnis zwischen einem anschaulich gegebenen Kontinuum und dem Zahlbegritf besser zu verstehen (Lachdem das obige Beispiel die Diskrei)anz zwischen beiden fühlbar gemacht hat, bei der Zeit als dem fundamentalsten Kontinuum: halten wir uns, um durchaus im Bereich des unmittelbar Gegebenen zu bleiben, an die phänomenale Zeit (im Gegensatz zur objektiven), an jene durchgängige Form meiner Bewußtseinserlebnisse, welche mir diese als in einem Ablauf aufeinanderfolgend erscheinen läßt. (Unter »Erlebnissen« ist damit das verstanden, was ich erlebe, genau so wie ich es erlebe nicht aber ihnen etwa korrespondierende reale, in einem bestimmten seelisch-leiblichen Individuum statt- findende, einer realen Welt zugehörige psychische oder gar physische Torgänge.; Um zunächst einmal überhaupt die Beziehung zur mathe- matischen Begrifiswelt herstellen zu können, sei die ideelle Möglich- keit, in dieser Zeit ein streng punktuelles »Jete^« zu setzen, seidie Auf- weisbarkeit von Zeitpunkten zugegeben. Von je zwei verschiedenen Zeitpunkten ist dann immer der eine der frilhrre, der andere der spätere. Zwei Zeitpunkte A, ß, von denen .4 der frühere ist, be- grenzen eine Zeitstrrcke A B; in sie hinein fällt jeder Zeitpunkt, der später als A. aber früher als B ist. Der Erlebnisgehalt, welcher die Zeitstrecke AB erfüllt, könnte »an sich«, ohne irgendwie ein andrer zu sein als er ist, in irgend eine andere Zeit fallen; die Zeitstrecke, die er dort erfüllen würde, ist der Strecke AB gleich. Diese Beschreibung des zeitlichen »gleich« ist vielleicht sehr an- fechtbar: aber auch damit will ich mich nicht auflialten es sei zugegeben, daß für irgend zwei Zeitstrecken die Behauptung, sie seien einander gleich, einen in der Zeitanschauung gegründeten exakten Sinn hat. r)amit ist dann die Möglichkeit des Messens gegeben; es ist die Möglichkeit gegeben, auf dem augedeuteten Fundament: der Grundkategorie »Zeitpunkt«, der binären Relation ».4 ist früher als Ba und der quaternären j>AB ist gleich A'B'c (unter Assoziation der natürlichen Zahlen und ihrer Grundrelation /) eine mathematiscJie Zeitlrkrc aufzubauen. Die Diskrepanz, von der oben die Rede war, würde nun überwunden werden können, wenn man den unmittelbaren Ausdruck des anschaulichen Befundes, daß ich während einer gewissen Dauer den Bleistift da liegen sah. 1. so auslegt, daß man den Terminus »während einer gewissen r>auer« ersetzt durch »in jedem Zeitpunkt, der in eine gewisse Zeitstrecke ') E iiineinfällt« dies gibt zwar das anschaulich Vor- liegende nicht mehr wieder, man wird es aber gelten zu lassen haben, wen)i rs iibertiaupt mit der Anflösiing in Zeitpunkte seine Uichtig-

5*

(38 Kapitell!. Zahlbegiüft' und Kontimmm.

hrit hat; 2. müßte aber folgendes wahr sein: Ist P ein Zeitpunkt, so läßt sich derjenige Brreich rationaler Zahlen, dem l dann und nur dann angehört, falls es einen Zeitpunkt L früher als P gibt, für den

0L = X-OE

ist, auch arithmetisch in der reinen Zahlenlehn auf Grund unserer Definitionsprin/.ipien konstruieren und ist damit eine reelle Zahl in, unscrni Sin)ie; ferner: es gehört in dieser Weise, bei Zugrundelegung der Zeitstrecke OE als Einheit, nicht nur zu jedem Punkt P eine bestimmte reelle Zahl als seine »Abszisse«, sondern auch umgekehrt /.u jeder reellen Zahl ein bestimmter Zeitpunkt.

Können die Zeitpunkte mit ihren Relationen des »früher« und »gleich« wirklich das Fundament einer reinen Zeitlehre abgeben, so muß es in der Zeitanschauung liegen, ob diese Korrespondenz zwischen Zeitpunkten und reellen Zahlen besteht oder nicht. Besteht sie nicht, so wäre zu versuchen, unsere Definitionsprinzipien so zu erweitern oder zu modifizieren, daß die gewünschte Konkordanz zustande kommt. Sollte sie aber auch so nicht zu erzielen sein, so wäre eine rein arithmetische Analysis ohne wirklichen Wert und müßte man eine Lehre voar Kontinuum selbständig neben die Zahlen- lehre stellen. Sei dem, wie ihm wolle; immer aber müßte auf die Frage: Verhält es sich so, wie unter 2. behauptet? oder doch auf ähnliche Grundfragen (etwa: gilt das Dedekindsche Schnittprinzip für Zeitpunkte? oder das Cauchysche Konvergenzprinzip?) Antwort gegeben werden; auf Fragen, bei denen wir, wie wir uns auch drehen und wenden mögen, um den Begriff der Menge (oder Folge) nicht herumkommen; und dessen Umfang hängt an den Deßnitionsprinzipien !

Nun, ich denke, das Alles, was wir da verlangen, ist evidenter Unsinn', auf diese Fragen bleibt die Zeitanschauung die Antwort von der wir gerade die begriffliche Aufklärung über das Wesen ihres stetigen Flusses erwarten schuldig; wie einer die Antwort auf Fragen schuldig bleibt, die offenbar an ihn nur aus einer Verweclis- lung heraus gerichtet und darum, an ihn gerichtet, unverständlich sind. Wohl die Kategorie der natürlichen Zahlen, nicht aber das Kontinuum, wie es in der Anschauung gegeben ist, kann das Fun- dament einer mathematischen Disziplin abgeben. Die Voraus- setzungen dafür (vgl. Kap. 1, § 1) sind nicht erfüllt; bereits dem Begriff des Punktes im Kontinuum mangelt es dazu an der nötigen Stütze in der Anschauung. Es ist ein Verdienst der Bergsonschen Philosophie, mit Nachdruck auf diese tiefe Fremdheit der mathe-

§ 6. Anschauliches uud mathematisches Kontinuuin. (59

matischen Begrirtswelt gegenüber der immittelbar erlebten Kontinuität der phänomenalen Zeit (»la dur^e«) hingewiesen zu haben.*;

Worin liegt es, daß das ßewußtseins-Gegebene nicht als ein Sein schlechthin sich gibt (wie etwa das logische Sein der Begriffe), sondern als ein fortdauerndes und sich wandelndes Jetzt-sein so daß ich sagen kann: Dies ist jetzt doch jetzt nicht mehr? Reißen ■wir uns in der Reflexion heraus aus diesem Strom und stellen uns däs einen sich wandelnden Erlebnisgehalt umspannende beständige Jetzt als Objekt gegenüber, so wird es uns zu einem Ablauf, in dem wir Punkte setzen können. Jedem Punkt entspricht ein bestimmtes Erlebnisganze: steht das Bewußtsein in- diesem Punkte, so hat es das entsprechende Erlebnisganze; nur dieses ist. Und woher nun doch die konkrete Dauer jeden Erlebens? Halten wir fest an den einzelnen, gegeneinander isolierten Punkten**), so kann es nur eine Antwort geben: Ich habe zwar nur die Erlebnisse dieses Zeitpunktes; zu ihnen gehört aber eine mehr oder minder deutliche Erinnerung, deren intentionaler Gegenstand das Erlebnis ist, das ich in einem vergangenen Zeitpunkt hatte. Wir lassen das Problem unerörtert, woher dieser Erinnerung ihre Triftigkeit kommen soll. Mache ich daher etwa eine Lichtwahrnehnmng von kurzer Dauer, so habe ich in einem Moment A nicht nur dieses Wahrnehmungserlebnis, sondern gleichzeitig die Erinnerungen »an« die Wahrnehmungserlebnisse aller vergangenen Momente, welche in diese kurze Dauer hineinfallen: aber nicht nur das: ich erinnere mich in diesem Moment A nicht nur an das Wahrnehmungserlehms in dem kurz vergangenen Moment B, sondern an das gesamte Erlebnis dieses Moments B, und das enthält nun seinerseits außer der Wahrnehmung die Erinnerungen an die in allen früheren Momenten gehabten Erlebnisse in sich. Die konti- nuierliche Wahrnehmung bestünde so aus unendlichvielen, ineinander geschachtelten und aufeinander bezogenen Systemen unendlichvieler Erinnerungen; das Frühere ist das „Eingeschachtelte". Nun: es ist klar, daß unser Erleben davon nichts enthält; und zudem ist ein solches Gefüge punktueller, ineinander ohne Ende eingeschachtelter Erlebnismomente als abgeschlossen erfaßte Einheit widersinnig. Die Auffassung eines aus Punkten bestehenden und darum auch in Punkte

*) Vpl. z. B. die ersten Seiten seiner „Evolution creatrice" (antli in deutscher Übersetzung erschienen, Jena, Diederichs, 1912).

*•) Man vergesse nicht, daß im „Kontinuum'' der reellen Zahlen in drr 'J'at die einzelnen Elemente genau .so isoliert gegeneinander stehen wie etwa die ganzen Zahlen.

70 Kapitel II. Zaiilbeeriff und Kontinuum.

xerfallendrn Ablaufs erweist sich als verfehlt. Es entgeht uns eben das, was die Kontinuität ausmacht, das Hinüberüießen von Punkt zu Punkt, das, was die beständig dauernde Gegenwart beständig hinüber- und hinabgleiten läßt in die absinkende Vergangenheit. Wie es in Wahrheit sich verhält, erlebt ein jeder in jedem Moment unmittelbar; es zu beschreiben, ist, in Anbetracht der echten ür- sprünglichkeit der phänomenalen Zeit, unmöglich. Es genügt uns das Folgende. Was ich im Bewußtsein habe, ist mir in einem: .letzt-seiendes und als das, was es ist, mit seiner Zeitstelle Ent- i:;leitendes ; und darum ist das beständig Daseiende: ein immer Neues, das da dauert und sich wandelt. Das Entschwundene kann auftauchen zwar nicht als ein Erlebnis, das ich von neuem habe, wohl aber als Inhalt einer (triftigen) Erinnerung: dann ward es das Vergangene; in dem objektiven Bild des Lebensablaufs, das ich mir mache, ist es gegenüber dem, was jetzt da ist, als das Frühere zu setzen. Für die objektiv vorgestellte Zeit resultiert daraus soviel: 1. ein einzelner Punkt in ihr ist unselbständig, d.h. für sich genommen das reine Nichts und existiert nur als »Durch- gangspunkt« (was sich natürlich mathematisch gar nicht fassen läßt); 2. es ist im Wesen der Zeit begründet (und nicht in zufälligen UnvoUkommenheiteu unserer Mittel), daß sich ein bestimmter Zeit- punkt durchaus nicht aufweisen läßt, daß immer nur ein opp7-oxi- niatives, kein exaktes Fixieren möglich ist.*) Das Entsprechende gilt für jedes anschaulich gegebene Kontinuum, insbesondere auch für das Kontinuum der räumlichen Ausbreitung.

Wie es kommt, daß wir uns dabei nicht beruhigen, daß wir, nachdem uns unser Erleben zu einem realen Vorgang in einer realen Welt geworden und unsere phänomenale Zeit sich als kosmische über diese Welt ausgespannt hat, nun doch dem Kontinuum den exakten Begriff der reellen Zahl unterschieben, der aus dem Ge- gebenen nicht wegzuleugnenden wesentlichen Inexaktheit zum Trotz, wie in dem allen nicht bloß schematisierende Vergewaltigung oder eine zur Erfüllung unserer praktischen Aufgaben und Zwecke er- sonnene Denkökonomie sich kund tut, sondern echte Vernunft am Werke ist, den der Wirklichkeit einwohnenden »Logos« heraus- zuschälen (so rein, wie es dem Bewußtsein, das ja nicht „über seinen eigenen Schatten springen" kann, eben möglich ist) das zu erörtern, kann hier nicht unsere Aufgabe sein. Gewiß: das an-

*) Über das Zeitproblera vgl. Husserl, Ideen, §§81, 82; Linke, Die phänomenale Sphäre und das reale Bewußtsein (Halle 1912), Kap. VI.

?J 6. Anschauliches und nmthomatisched Kontiuuum. 71

schauliche und das mathematische Kontinuum decken sich nicht; zwischen ihnen ist eine tiefe Khift befestigt. Aber doch sind es vernünftige Motive, die uns in unserm Bestreben, die Welt zu be- greifen, aus dem einen ins andere hinübertreiben *J; die gleichen vernünftigen Motive, welche die Naturforschung von der in Er- fahrungsakten sich aufbauenden Wirklichkeit, in der wir als natür- liche Menschen leben, hinüberdrängt zu der »hinter« ihr steckenden D wahrhaft objektiven«, exakten, qualitätslosen physikalischen Welt von den Farbqualitäten der Sehdinge z.B. zu den Ätherschwingungen oder den entsprechenden mathematischen Funktionsverläufen des elektromagnetischen Feldes. So liegt in unserm Aufbau der Ana- lysis, wenn man will, eine Theorie des Koutinimms, die sich (über ihre logische Folgerichtigkeit hinaus) in der gleichen Weise ver- nünftig auszuweisen hat wie eine physikalische Theorie. Der Be- griff der reellen Zahl ist dariu das abstrakte Schema des Konti- uuums mit seinem unendlichen Ineinander möglicher Teile, der Be- griff der Funktion das Schema der Abhängigkeit sich »überdeckender« Kontinuen (von der ein Einzelfall z. B. in einem sich bewegenden Punkte gegeben ist: Überdeckung eines Zeitkon tinuums durch ein lineares räumliches). Ich kann es hier nicht tiefer begründen, aber t's wird ohne weiteres verständlich sein, wie in dem Umstand, daß für die Begriffe der reellen Zahl und der (stetigen) Funktion, so wie wir sie hier gefaßt haben, der Satz A. des vorigen Paragraphen gültig ist, ein sehr wesentliches Stück solcher vernünftigen Recht- fertigung vorliegt: er ist ein Beleg dafür, daß diese Begriffe zur exakten Erfassung dessen geeignet sind, was »Bewegung« in der Welt physikalischer Objektivität bedeutet.

So liegt denn der exakte Zeit- oder Raunipunkt nicht in der gegebenen Dauer oder Ausbreitung als deren letztes unteilbares Element, sondern erst die durch dies Gegebene hindurchgreifende Vernunft vermag jene Ideen zu erfassen und erst an dem der rein formalen Sphäre zugeh()rigen arithmetisch-analytischen Bogriff der reellen Zahl kristallisieren sie zu ihrer vollen Bestimmtheit aus. Beschränken wir uns hinsichtlich des Raumes auf die Geometrie der Geraden! ^\'ill man nun doch versuchen, eine Zeit- und Raum- lehre als selbständige mathcmatisch-axiomatische Wissenschaft auf- zurichten, so muß man immerhin folgendes beachten.

•) Beispielsweise liegt es nicht in unserer Willkür . daß wir das Stetige nicht an das Schema df>r ganzen Zahlen zu knüpfen vermögen. Immerhin: wer weiß, was auf physikalischem Gebiet noch im Schöße der Zukunft und und der Quantentheorie schlummert!

72 Kapitel II. Zalilbegritt' iiml Koutiuuuin.

1. Die Aufweisimg eines einzelnen Punktes ist unmöglich. Auch sind die Punkte keine Individuen und können daher nicht durch ihre Eigenschaften charakterisiert werden. (Während das ,.Kontinuum" der reellen Zahlen aus lauter Individuen besteht, ist das der Zeit- oder Kaumpunkte homogen.) Punkte und Punktmengen lassen sich deshalb niemals absolut festlegen, sondern immer nur in Abhängigkeit (als Funktionen) von einem Koordinatensystem." (Das Koordinatensystem ist das unvermeidliche Residuum der Ich- Vernichtung in jener geometrisch-physikalischen Welt, welche die Vernunft aus dem Gegebeneu unter der Norm der »Objektivität« herausschält letztes dürftiges Wahrzeichen noch in dieser objek- tiven Sphäre dafür, daß Dasein nur gegeben ist und gegeben sein kann als intentionaler Inhalt der Bewuütseinserlebnisse eines reinen, sinngebenden Ich.)

2. Das Stetigkeitsaxiom muß dahin formuliert werden, daß mit Bezug auf eine Einheitsstrecke OE jedem Punkt P eine reelle Zahl als Abszisse entspricht und umgekehrt. Nur zufolge dieses Axioms haben alle einschlägigen Urteile (bei deren Bildung das Pr. 5 [Kap. I, § 2j ausgeschaltet bleibt) trotz des unter 1. erwähnten üm- standes einen klaren Sinn.

3. Wenn wir in der reinen Zahlenlehre auf der Stufe, die wir in § 3 dieses Kapitels erreichten, ein neues Fundament legen, indem wir neben den natürlichen die reellen Zahlen als eine neue Grund- kategorie aufnehmen ähnlich wie wir es in § 2 für die Brüche in Erwägung zogen , so errichtet sich auf dieser Basis ein Lehr- gebäude, das wir einen Augenblick als »Hyperanalj'sis« bezeichnen wollen. Es deckt sich keineswegs mit unserer Analysis; vielmehr existieren in der Hyperanalysis z. B. mehr Mengen reeller Zahlen als in der Analysis, indem diejenigen hinzutreten, bei deren Defi- nition das »es gibt« in Verbindung mit »eine reelle Zahl« auftritt. In der Hifperanalysis gelten infolgedessen weder das Cauchysche Kon- vergenzpi'inzip noch die Sätze über stetige Funktionen allgemein (sie gelten eben nur für diejenigen Funktionen und Folgen, die schon in der Analysis auftreten). Darum: der immer sich erneuernden Versuchung, von einem höheren Niveau als der Grundsohicht der natürlichen Zahlen den Ausgang zu nehmen, müssen wir immer wieder von neuem widerstehen: nur die Analysis, nicht die Hyperanalysis liefert eine brauch- bare Theorie des Kontinuums und der zwischen sich überdeckenden Kontinuen möglichen Abhängigkeiten. Nun liegt die Sache aber so: Zufolge des unter 2. angegebenen Axioms besteht bei Zugrundelegung eines bestimmten Koordinatensystems OE eine durchgängige Korre-

S 6. Anschauliches und mathematisches Kontinuum. 73

spondenz nicht nur zwischen den Punkten einerseits, den reellen Zahlen anderseits, sondern auch zwischen den Punktmengen, Mengen von Punktmengen, überhaupt zwischen allen Mengen der Raum- oder Zeitlehre einerseits und allen Mengen der Hi/pcranalysis anderseits; oder noch genauer ausgedrückt, es besteht diese Korrespondenz zwischen den Mengen der Hyperanalysis und den Funktionen von O, E in der Raum- oder Zeitlehre. Darum kann das erwähnte Axiom nicht etwa durch das (in der Hyperanalysis ja ungültige) Cauchysche Konvergenzprinzip oder irgend eine ähnliche, Insher beim axiomati- schen Aufbau der Geometrie übliche Formulierung ersetzt werden (vom Hilbertschen Vollständigkeitsaxiom ganz zu geschweigen). Und weiter geht daraus wegen der Unbrauchbarkeit der Hyperanalysis hervor, daß es überhaupt nicht angeht, Zeitlehre und Geometrie als selbständige axiomatische Wissenschaiten zu betreiben. Wohl mag elementare Geometrie, d. h. Geometrie, soweit sie sich ohne das Stetigkeitsaxiom begründen läßt, synthetisch aufgebaut werden eig< ntliohe Kontinuitäts-Gromiirir laßt sich ininur nur analytisch hehandrln, d. h. indem man die Analysis als einen Teil der reinen Zahlenlehre entwickelt und ihre Sätze hernach mit Hilfe des im Koordinatenbegriff enthaltenen Ubertragungsprinzips geometrisch wendet: nur so gelangt man zu vernünftigen Begriffen von Kurven, Flächen usw. in der exakten Sphäre. Es gehört zu unserer Theorie des Kontinuums die Behauptung: ein Raumstück, ebenso die das Raumstück begrenzende Fläche, ein Stück dieser Fläche oder wiederum dessen begrenzende Linie sind Gebilde von der Art, daß die Gesamtheit der in sie hinein- fallenden Punkte sich arithmetisch als dreidimensionale Menge reeller Zahlen konstruieren läßt. Diese Behauptung ist von der gleichen Art wie die, daß jedem Punkt auf einer Geraden eine reelle Zahl entspricht: sie wird so wenig wie diese durch das unmittelbar Ge- gebene bestätigt oder widerlegt; sie ist aber die vernünftige Kon- sequenz der Konzeption des exakten Raumpunktes. Die geometrischen Axiome haben dabei lediglich die Aufgabe, jenes Übertragungsprinzip aus gewissen, als unmittelbar gegeben anzusehenden Relationen heraus zu formulieren.

Betrachten wir von unserm Standpunkt die heutige Analysis, so müssen wir sagen, daß sie auf dem Wege von der Anschauung zum formalen Begriff mit ihren Prinzipien in einer nebelhaften Mitte hängen geblieben ist, während sie selbst sich unter dem Deck- mantel ihrer vagen Vorstellungen von Menge und Funktion als eine im Formal-begriftlichen operierende Wissenschaft ausgeben kann. Doch muß zugestanden werden: was sie im einzelnen leistet, wird

74 Kapitel 11. Zjililbegiirt' und Kontinuum.

von dieser Kritik des Fundaments zum größten Teil nicht mit- betrotfen und läßt sich ohne Mühe von dem noch anhaftenden Erdenrest befreien, wenn einmal jener Nebel zerstreut ist.

Die in diesem Paragraphen angestellten tJberlegungen t^iud gewiß nur ein wenig aufschlußreiches Surrogat für eine echte Philo- sophie des Kontinuums. Da nichts Eindringendes darüber vorliegt und unsere Aufgabe hier nicht auf erkenntnistheoretischem, sondern auf mathematischem Gebiete liegt, mag es dabei aber sein Be- wenden haben.

§ 7. Größen. Maßzahlen.

Halten wir uns noch einen Augenblick bei jenem, Raum und Zeit einerseits, die Zahlen anderseits verknüpfenden Übertragungs- prinzip auf, von dem soeben die Rede war!

Einen Zeitpunkt P auf begriffliche Weifte relativ zu einer „Ein- heitsstrecke'' OE festlegen, heißt, aus den Urrelationen »früher« und »gleich« mit Hilfe der Detinitionsprinzipien (unter denen Pr. 5 ausfällt) eine Relation A{OEP) konstruieren von der Art, daß zu je zwei Punkten O und E, von denen 0 der frühere ist, ein und nur ein dieser Relation genügender Punkt F gehört. Erfüllen auch die Punkte 0' E' P' jene Relation, so sagt man, P' stünde in dem- selben Verhältnis zu O' E' wie P zu OE: dies scheint uns der ur- sprüngliche Sinn des Verhältnisbegrifi's zu sein. Es ist dabei zu beachten, daß es nicht zwei Relationen A und A* von verschiedenem Geltungsumfang geben kann (denen verschiedene dreidimensionale Punktmengen korrespondieren), so daß derselbe Punkt /' zu der Einheitsstrecke 0 E sowohl in dem Verhältnis A -wie A" steht. Denn fände dies statt, so bildeten diejenigen Zeitstrecken OE, zu denen ein Punkt P von der Art gehört, daß sowohl die Relation A{OEP) wie auch A*[OEP) besteht, eine Streckenmenge, welche weder die Null- noch die Allmenge ist. Aber es sind nicht nur alle Zeitpunkte, sondern auch alle Zeitstrecken in dem Sinne einander wesensgleich, daß eine solche Menge (die einer abgeleiteten binären Punktrelation unseres Operationsgebiets entspricht immer unter Ausschaltung des Aufweisungsprinzips 5) nicht existiert. Das Stetigkeitsaxiom be- sagt, daß alle diese Relationen A, welche wir hier als Verhältnisse bezeichnet haben, oder vielmehr ihre Geltungsumfänge umkehrbar- eindeutig durch reelle Zahlen repräsentiert werden können.

Um diese Fassung des Begriffs »Verhältnis«, die uns die Be- deutung der Zahlen für die Größenmessung ins rechte Licht zu stellen scheint, noch etwas genauer durchzuführen, wollen wir aber

§ 7. Größen. Malizahlen. 75

nicht von den Zeitpunkten, sondern den Zeitstrecken ausgeben. Die Theorie, die wir so entwickelo, ist, unter einen allgemeineren Gesichts- punkt gerückt, zugleich die Theorie einer beliebigen linearen positiven Größe. Unsern Ausgangspunkt legen wir folgendermaBeu fest.

Gegenstandskategorie: Zeitstrecken. Ursprüngliche Relationen: 1) a=h. Diese «Gleichheit« von Zeitstrecken, die den bekannten Axiomen des »gleich« genügt (jede Strecke ist sich selber gleich: ist a = b , so b = a\ ist a = b und b = c , so ist a = c] darf nicht mit der Identität verwechselt werden. 2) a -^ b = c . Diese Beziehung bleibt erhalten, wenn man die drei Strecken a, b, c je durch eine ihr gleiche ersetzt. Besteht sie zwischen rt, ö, c und auch zwischen a, b , c', so ist c = c'. Die Addition genügt dem kommutativen und dem assoziativen Gesetz. Die wichtigste abgeleitete Relation ist die, welche durch die Formel a <. b oder b y- a ausgedrückt wird: sie besagt: es gibt eine Strecke d, so daß a -\- d = b ist. Aus dem Umstände, daß von je zwei ver- schiedenen Zeitpunkten immer der eine der frühere, der andere der spätere ist, ergibt sich hinsichtlich dieser Relation die Grundtatsache, daß von den drei Möglichkeiten

a < b a = b a > b

stets eine und nur eine zutrifft.

Auf dem bescliriebenen Fundament bauen wir jetzt (unter Assoziation der natürlichen Zahlen) nach den Grundsätzen des I. Kap. eine mathematische 1 )isziplin auf, wobei aber ein für allemal das Aufweisungsprinzip 5 ausgeschaltet bleiben soll. Es ist dann eine weitere Grundtatsache, daß unser Operationsfeld homogen ist, d. h. daß außer der Null- und Allmenge keine eindimensionale Streckenmenge existiert. Es ist demnach unmöglich, eine ein- zelne Strecke absolut in begrifflicher Weise, d. i. durch eine für sie charakteristische Eigenschaft festzulegen. Vielmehr kann eine Strecke immer nur relativ zu einer andern bestimmt werden, auf Grund einer binären Streckenrelation J,'{a.b). Man erkennt leicht, daß jede solche Relation, die zwischen a und b besteht, erhalten bleibt, wenn man diese Strecken je durch eine ihr gleiche ersetzt.'') W ir verstehen unter »Verhältnisa oder »Proportion« eine binäre Streckeu- relation R{a, b) von der Art, daß zu jeder Strecke a eine und im Sinne der Gleichheit nur eine Strecke b gehört, für welche diese Relation statthat. Vom formal-logischen zum sachlichen Standpunkt

*) Natürlich betrifft das nur die Relationen unsere.-^ Operationsgebietes, zu denen z. B. die, daß zwei Strecken getrennt liegen, nicht mitgehört.

7G Kaititcl 11. ZahlbegritV und Kontinuum.

übergehend, unterscheiden wir Proportionen nicht, welche den gleiclien Geltungsumtang haben, d. h. wir ersetzen jede Proportion durch die ihr korrespondierende zweidimensionale Streckenmenge: sie nennen wir die Maßzahl der Proportion. Daß ct, 0 ein Elementensystem dieser Maßzahl ^1 bilden, drücken wir durch die Formel aus:

b = aA ,

oder in Worten: h steht zu a im Verhältnis A. Es gilt dann: Stehen zwei Strecken sowohl im Verhältnis A als im Verhältnis ^i* zueinander^ so fällt A mit A* zusammen. Denn andernfalls bildeten diejenigen Strecken a. für welche a A = a A* ist, eine von der Null- und Allmenge verschiedene eindimensionale Streckeumenge. Maßzahlen kann man midtiplixiercn und addieren. Die Erklärung dieser Operationen liegt in den Gleichungen

'{a A) M = a[A'M): [a A) + (a iW) = a[A + M) .

Der damit aufgestellte natürliche Begriff der Maßzahl hat an sich nichts mit den Zahlen der reinen Zahlenlehre zu tun. Wir erkennen nun aber, daß jene »reinen« Zahlen, voran die natürlichen, das unumgängliche begriffliche Mittel sind, eine Maßzahl fest- zulegen. — Die Beziehung der Gleichheit a = 6 ist eine Proportion ; ihre Maßzahl bezeichnen wir mit 1. Allgemeiner entspringt aus der Addition, wie schon wiederholt erörtert, die Beziehung b = na, in der n eine beliebige natürliche Zahl ist. Sie ist eine Proportion; ihre Maßzahl, welche durch die natürliche Zahl /i bestimmt ist, werde gleichfalls mit n bezeichnet. Aber auch die inverse Be- ziehung a = // b oder /> = ist eine Proportion. Dazu muß gezeigt

werden: Zu jeder Strecke a existiert 1) eine und 2) im Sinne der Gleichheit nur eine b, so daß a = nb ist. Ist c eine beliebige Strecke, so kommt die unter 1) für <i behauptete Eigenschaft gewiß der Strecke n c zu. Da nun aber eine Eigenschaft, die einer Strecke zukommt, wegen der Homogen eität allen Strecken gemeinsam ist, folgt die 1. Behauptung. Der 2. Teil ergibt sich daraus, daß, wenn b <C b' ist, auch nb < nb' wird. Infolge des Bewiesenen drückt für irgend zwei natürliche Zahlen m und n die Gleichung

b =

n

eine durch ni und 7i bestimmte Proportion aus; ihre Maßzahl hängt

nur von dem Bruche = a ab und werde demgemäß selber mit a n

bezeichnet. Die Addition und Multiplikation der den Brüchen korre- spondierenden Maßzahlen geht vollkommen parallel der Addition

?} S. Kurven und Flächen. 77

und Multiplikation dieser Brüche selbst vor sich. Es gilt das (nicht auf einfachere Tatsachen zu reduzierende) Archimedische Axiom: Sind a und b irgend zwei Strecken, so existiert eine natürliche Zahl n von der Art, daß )i a ^ b ist.

Wir sahen oben, daß zwei Strecken gewiß nur in emrm Verhältnis zueinander stehen; stehen sie aber auch immer in einem Verhältnis? Wir wissen, daß diese Frage auf Grund des Stetigkeitsaxionis mit Ja zu beantworten ist, nämlich in folgender Weise. Sind a und b irgend zwei Strecken, so läßt sich derjenige Bereich von Brüchen, dem y dann und nur dann angehört, wenn y a y b ist (und der ein „offener Rest" im Gebiet der Brüche ist\ auch rein arithmetisch definieren, d. h, dieser Bruchbereich tritt in der reinen Zahlenlehre auf und kann in un- mittelbar ersichtlicher Weise durch eine positive reelle Zahl vertreten werden. Ist umgekehrt I in der reinen Zahlenlehre ein offener Rest von Brüchen, der weder der Null- noch der Allbereich ist, so ist die Relation b = {a , welche besagt, daß für alle und nur die zu ( gehörigen Brüche y: ya > b ist, eine Proportion: ihre durch l be- stimmte Maßzahl werde gleichfalls mit l bezeichnet. In dieser Weise „fallen'' die Maßzahlen mit den positiven reellen Zahlen ,, zusammen'*; Addition und Multiplikation gehen in beiden Gebieten vollkommen parallel vor sich.

Da mit diesen ganz speziellen Proportionen alle Maßzahlen bereits erschöpft sind, so kommt unsere allgemeine Auffassung dieses Begriffs bei der Durchführung der Theorie des Messens sozusagen gar nicht zur Entfaltung, sondern spielt lediglich die Rolle einer richtunggebenden Idee.

§ 8. Kurven und Flächen.

Als ein Beispiel dafür, in welcher Weise geometrische Vorstel- lungen durch analytische Begriffe ihre exakte Fassung erfahren, wollen wir zum Schluß dieser Untersuchungen über das Kontinuuui vom Begriff der ebenen Kurve und der Raumfläche handeln.

Wir haben in der ebenen Geometrie zwei ganz verschiedene Vorstellungen zu unterscheiden, für die beide das Wort Kurve ge- bräuchlich ist; ich verwende, um sie auseinanderzuhalten, die Ter- mini yiLinie(t und nKurrea. Roh gesagt, handelt es sich um den Unterschied zwischen dem Straßennetz einer Stadt oder einer Trani;. bahn-»Linio« einerseits und dem Weg (= »Kurve«), den ein Fuß- gänger in den Straßen dieser Stadt zurücklegt (und der während der Zeit des Spazierganges in statu nascendi ist), bzw. dem Weg, den ein fahrender Trambahnwagen beschreibt, anderseits. »Linien« treten

78 Kapitel II. Zahlbegriff und Kontinuum.

z, B. auf als Begrcnxungcn von Gebietsteilen der Ebene, eine »Knrira ist die Bahn eines sich bewegenden Punktes. Indem wir die Ebene auflösen in isolierte Punkte, wird eine Linie als eine bestimmt ge- artete Mrngr solcher Punkte zu fassen sein oder noch genauer, wenn wir gemäß dem Übertragungsprinzip der analytischen Geometrie die Punkte der Ebene durch Paare reeller Zahlen repräsentieren und in dem Glauben an die Allmacht des Logos beharren: als eine in der reinen Zahlenlehre auftretende Doppelmenge reeller Zahlen, die einer bestimmten binären Kelation zwischen reellen Zahlen (».impliziten Gleichung") korrespondiert. Es wird richtig sein, daß die Gesamtheit derjenigen Punkte der Ebene, welche ein in ihr sich bewegender Punkt »passiert«, eine Linie in diesem Sinne ist; dennoch muß man zwischen dem Weg des Punktes und jener Linie (die man als »Spur« oder »Geleise" der Bewegung bezeichnen kann) unter- scheiden. Ein Güterwagen kann, wenn die Geleise, auf welchen er laufen soll, gegeben sind, beim Rangieren noch sehr verschiedene Wege, insbesondere Wege von sehr verschiedener Länge durchmessen. Eine »Kurve« [im zweiten Sinne) ist ihrem Wesen nach nur an einer Bewegung als ein abstraktes (unselbständiges) Moment derselben aufzuweisen. Um aber eine Bewegung exakt zu geben, muß der Ort des beweglichen Punktes in seiner Abhängigkeit von der Zeit durch zwei rein arithmetisch konstruierte Funktionen eines reellen Arguments dargestellt werden; wobei die Werte des Arguments den Zeitpunkten, die Werte der Funktionen aber der 1. und 2. Koordi- nate des Ortes entsprechen („Parameterdarstellung"). Nur von diesem eigentlichen Kurvenbegriff, mit dem man es auch in der Infinitesi- malgeometrie zu tun hat. wollen wir hier handeln. Der Weg selber ist ein eindimensionales Kontinuum von n Bahnpunkten v, jeder Bahnpunkt befindet sich an einer bestimmten Stelle, koinzidiert mit einem bestimmten Punkt der Ebene, ohne aber selbst dieser Punkt der Ebene zu sein. Die Bahnpunkte, als die »Stadien« der Bewegung, stehen ganz analog wie die Zeitpunkte in der Beziehung des »früher« und »später« zueinander; in der Bewegung überdeckt das Kontinuum der Bahnpunkte in stetiger monotoner Weise das Kontinuum der Zeitpunkte. Durch diese Auffassung gelingt es, den »Weg« von der Bewegung, die ihn erzeugt, gewissermaßen abzulösen. Sie über- trägt sich auf Kurven im dreidimensionalen Raum; sie wird aber vor allem wichtig für die Definition des Begriffes nFlächea, und für diesen schwierigeren Fall wollen wir sie vollständig mathematisch durchführen.

Es handelt sich um den der »Kurve«, nicht den der »Linie«

!^ 8. Kurven und Flächen. 79

analogen Flächenbegrifi", um Flächen der Art, wie sie die Intinitesi- malgeometrie durch die Parameterdarstellung wiederzugeben versucht. Ich behaupte, daß man zu einer alle möglichen Arten von Durch- dringungen und dergl, einschließenden Detinition dieses Flächen- begriffs nur dann gelangen kann, wenn man die Fläche auffaßt als bestehend aus »Flächenpunkten«, Elementen sui generis, die ein zweifach ausgebreitetes Koutinuum, die »Fläche an sicho, bilden. Diese Fläche ist aber in den Raum eingebettet, und damit korre- spondiert jedem Flächenpunkt als die Raumstelle, an welcher er sich befindet, ein bestimmter Raumpunkt. In der üblichen Para- meterdarstelluug

(9) r = y (u, ö , \) = i) (ii, ü) , ä = ä (u, to)

charakterisieren die drei reellen Zahlen r t) 5 als Cartesische Koor- dinaten den Raumpunkt, die Zahlen u, ö jedoch als .,Gauß'sche" Koordinaten den Flächenpunkt, die Funktionen legen die erwähnte Korrespondenz mathematisch fest. Die Repräsentation der Flächen- punkte durch Zahlenpaare ist jedoch, wie man weiß, nicht allgemein genug, um alle Flächen auch hinsichtlich ihrer Zusammenhangs- verhältnisse »im Großen« darzustellen. Zur mathematischen Formu- lierung übergehend, ersetzen wir daher die »Bräche an sich« durch eine (in der reinen Zahlenlehre auftretende) Menge 'J von Gegen- ständen irgrndeinrr bestimmten Kategorie; die Elemente dieser Menge siud die. Flächenpunkte. [Das »Übertragungsprinzip«, das uns auf Grund innerer, zwischen den Flächenpunkten bestehender Bezie- hungen in ähnlicher Weise von den Flächenpunkten zu diesen Gegen- ständen der reinen Analysis hinüberführt, wie der Koordinatenbegriff von den Raumpunkten zu den Tripeln reeller Zahlen, lassen wir unerörtert] Wie aber den stetigen Zusammenhang zwischen diesen Punkten fassen, der sie zur zweidimensionalen Fläche eint? Nach- dem wir das Kontinuum in isolierte Punkte zerrissen haben, fällt es jetzt schwer, den auf der Unselbständigkeit der einzelnen Punkte beruhenden Zusammenhang nachträglich durch ein begriffliches Äquivalent wiederherzustellen. Ich schlage im wesentlichen dasselbe Verfahren ein, das ich in dem Analysis-situs-Teil meines Buches .,Die Idee der Riemaunschen Fläche" befolgt habe.*)

Daß im Zeitkontinuum ein einzelner Punkt nur als »Durchgangs-

*) Siehe namentlich Kap. I, § 4 „Begriff der Fläche'". Vgl. ferner llaus- dorff, Gnindzüge der Mengenlehre (Veit, 1914), Kap. VII und VIII, vor allem pag. 213.

80 Kapitel 11. Zahlbegriflf und Koutiinmm.

punkt« existiert, bringen wir, nachdem wir den Punkt dieser Tat- sache zum Trotz zu einem selbständigen Individuum, einer reellen Zahl Q, gemacht haben, innerhalb der Analysis dadurch zur Geltung, daß wir ihn relativ zu der unendlichen Folge seiner durch die Un- gleichungen

j - a < i {n=\, 2, 3, . . .)

definierten, sich immer enger um a zusammenziehenden Umgebungen betrachten. Von diesem Ersatz des kontinuierlichen Zusammenhangs machen wir insbesondere bei der exakten Definition der Stetigkeit (der stetigen Funktion) Gebrauch. Der Begriff des »Unendlichnahen«, mit dem die alte Analysis auf eine nicht widerspruchsfrei durchführ- bare Weise jener Unselbständigkeit beikommen wollte, mußte in der modernen Analysis jener unendlichen Folge immer engerer Um- gebungen Platz machen. Dementsj^rechend erklären wir: Eine » Fläche an sich« ist gegeben, wenn (in der reinen Zahlenlehre) eine bestimmte Menge ^' (durch eine für ihre Elemente, die Flächen- punkte, charakteristische Eigenschaft) gegeben ist und dazu eine Relation U (P, Q; n), deren Bestehen für zwei Flächenpunkte P, Q und die natürliche Zahl oi durch die Worte ausgedrückt wird : Q liegt in der ■niQM Umgebung von P. An diese Relation stellen wir ge- wisse Anforderungen:

1) P liegt in jeder Umgebung von P. Die (w + l)te Umgebung von P ist ein Teil der wten Umgebung von P.

Wie die Menge aller reellen Zahlen welche der Eigen- schaft ß (u): »u ist eine reelle Zahl« mit der Leerstelle u korre- spondiert — in der Zahlenlehre als Typus des eindimensionalen Kontinuums fungiert, so ist die analoge Doppelmenge welche der binären Relation R (u) R (d) mit den beiden Leerstellen u und o entspricht , die sog. »Zahlenebene«, der Typus der zweidimensio- nalen Mannigfaltigkeit. Wir verlangen daher, daß jede Umgebung sich durch stetige Abbildung in das Innere des Einheitsquadrats

u < 1 , t)| < 1

dieser Zahlenebene verwandeln läßt; was dabei »stetige Abbildung« bedeutet, kann mit Hilfe des Umgebungsbegrifls selber festgelegt werden. Diese Forderung formuliert sich daher genau folgender- maßen :

2) Ist Pq ein Flächenpunkt, so existieren zueinander inverse stetige Funktionen

P=P(uö) I u = u(P), >o = \^{P)^ 1^(0 0) = Pol

i; 8. Kurven und Flächen. 81

durch welche eine umkehrbar-eindeutige Abbildung der 1. Umgebung U vf)n P„ auf das Innere des EiDheitS([uadrat.s K der Zahlenebcnc vermittelt wird. Die Bedingung der Stetigkeit liesagt für die Funktion /'(uü), daß, wenn n irgendeine natürliche Zahl ist und n, \) ein Punkt des Einheitsquadrats, dann ein Bruch r/ existiert, so dab r[n'o') für alle den Bedingungen

u' u < f<r , o' ü < a

genügenden reellen Zahlen u', ü' in der //ten Umgebung von /'(üb) liegt. Sie besagt für die Funktion ii{J), diS zu jedem Punkt P von U und jedem Bruch « eine natürliche Zahl it derart vorhanden ist, daü alle Punkte f, welche der //ten Umgebung von /' angehören, in U liegen und der Bedingung

u (P') - u {!') < a

genügen. Das Entsprechende gilt für ö(/')-

Um Sätze über stetige Funktionen auf unserer Fläche in ähn- licher Weise begründen zu können, wie das in § 5 für die Funk- tionen eines reellen Arguments geschah, müssen wir noch voraus- setzen:

3) Es gibt eine Funktion /'(/.) von einem oder mehreren, durch das Zeichen 1 angedeuteten, auf die Kategorie der natürlichen Zahlen bezogenen Argumenten, von folgender Art: für alle Argu- mente ist P^Ä) ein Flächen])unkt; zu jedem Flächenpunkt P und jeder natürlichen Zahl // existiert ein /., für welches Fi).} in der //ten limgebung von /' liegt (die Werte von P(/.) liegen auf der Fläche »überall dicht«).

% braucht, um das noch ausdrücklich hervorzuheben, nicht eine eindimensionale, sondern es kann auch eine mehrdimensionale Menge sein. Das Zeichen V vertritt dann mehrere Leerstellen; aber alles, was wir hier ausgeführt haben, behält durchaus seinen Sinn.

Von der »Fläche an sich« gehen wir zur Raumfläche über: ^ wird in den Raum eingebettet, indem jedem Flächenpunkt /' mit- tels dreier (rein arithmetisch definierter; Funktionen

i- = j(Pi. i) = i)(/'), ä = ä(n,

die für alle /' reellwertig und stetig sind, seine Stelle im Kaum an- gewiesen wird. 'Beschränkt man sich auf die Umgebung eines Punktes, untersucht man also, wie man sich auszudrücken pflegt, die Fläche nur »im Kleinen«, so ergibt sich <iline weiteres mit Hilfe der oben gestellten Bedingung 2) eine stetige Parameterdarstellung der Fläche von der üblichen Form (0).J

Wuyl, Da> Kuiiiiiiuuni. Ö

8li Kapitel II. Zulilbogriff uiul Kuiitinuuin.

Die Zurückfülirung des stetigen Zusammenhangs auf den Um- i;el)ungsbegriff leidet an einem Übelstand: durch die Festlegung der //teu Umgebung mittels einer Relation \ [P, Q; ») geschieht viel mehr, als durch den stetigen Zusammenhang selber gegeben ist. Kür die Ebene können wir /,. H. als nie Umgebung eines Punktes

das Innere des Kreises vom Radius um diesen Punkt wählen,

ebensogut aber den Kreis vom Radius -^ ; ferner können wir statt

der kreisförmigen auch elliptische, quadratische oder anders aus- sehende Umgebungen benutzen. Wir nehmen diese Willkür (ebenso wie die Willkür der Gegenstände, die wir als Flächenpunkte figu- rieren lassen) in Kauf, weil hier offenbar doch noch keine reinliche Lösung der Frage vorliegt, wie das Band zwischen dem Gegebenen und dem Mathematischen in klarer Weise zu knüpfen sei. (Irgendwo bricht die unaufhebbare Diskrepanz immer wieder durch, die zwischen dem' wahren Kontinuum und einer Menge isolierter Elemente besteht.) Wir fügen nur nachträglich die Bedingungen hinzu, unter denen sich zwei analytische Raumflächen in Deckung befinden, d. h. Re- präsentationen derselben Raumtläche im anschaulichen Sinne sind: Ist eine mittels der Funktionen

x:{P), \){P), ä(/o

m den Raum eingebettete Fläche'^ gegeben und eine zweite Fläche "J^**, deren Punkte durch die Funktionen

f(p*), t{pn, ä*(n

ihre Stelle im Raum erhalten; liegen ferner zwei zueinander inverse

stetige*) Funktionen

(10) P* = F*{P), P=^F{P*)

vor, welche eine umkehrbar-eindeutige Abbildung der beiden Men- gen ^' und ^'^ aufeinander vermitteln, derart, daß für zwei durch (10- verbundene Punkte P , P* stets

i- in = f {p*} , i) [p) = t (n , h {p) = f iP')

gilt so sagen wir: die beiden Raumflächen befinden sich zufolge der Transformation (10) miteinander in Deckung.

Hier brechen wir unsere Entwicklungen ab. Wir halTen ge- sehen, daß sich auf unseren Prinzipien sehr wohl eine Analysis auf-

'^1 Was liier »stetig« bedeutet; wird ohne weiteres verstäudlieh sein.

S K. Kurven und Flächen. 83

l)Huen läUt und hüben diesen Aufbau in seinen ersten Stadien voll- zogen — soweit, als es uns nötig schien, um das Pythagoreische rroi)lem voll zu erfassen. Dem Vorwurf gegenüber, daß von jenen logischen Prinzipien, die wir zur exakten Definition des Begriffs der reellen Zahl heranziehen müssen, in der Anschauung des Kontiuuunis nichts enthalten sei, haben wir uns Rechenschaft darüber gegeben, daß das im anschaulichen Kontinuum Aufzuweisende und die ma- thematische Begrifllswelt einander so fremd sind, daß die Forderung des Sich-Deckens als absurd zurückgewiesen werden muß. Trotzdem sind jene abstrakten Schemata, welche uns die Mathematik liefert, erforderlich, um exakte Wissenschaft solcher Gegenstandsgebiete zu ermöglichen, in denen Kontinua eine Rolle spielen.

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