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Das Problem der Willensfreiheit in der Scholastik

Auf Grund der Quellen dargestellt und kritisch gewürdigt

von

Johannes Verweyen

Privatdozenten der Philosophie

Heidelberg

Carl Winter's U niversitätsbuchhandlung

Verlags-Archiv Nr. 305 1909

Meiner treu sorgenden Mutter

in herzlicher Dankbarkeit zugeeignet.

Inhaltsverzeichnis.

Seite

Vorwort VII

Einleitung.

Sokrates 1

Piaton 3

Aristoteles 6

Epikureer, Stoiker, Neuplatoniker 11

Griechische und lateinische Kirchenlehrer 14

Augustinus 15

Johannes Damascenus 23

Erstes Kapitel. Augustinische Periode.

1. Scotus Eriugena 39

2. Anseimus 44

0. Petrus Abaelard 51

4. Petrus Lombardus 54

5. Magister Bandinus 59

6. Hugo Amhianensis 61

7. Bernhard von Clairvaux 64

8. Hugo von St. Victor 69

9. Eichard von St. Victor 73

Zweites Kapitel. Die Übergangsperiode.

1. Alexander von Haies 79

2. Wilhelm von Auvergne 86

3. Magister Praepositinus 91

4. Bonaventura 99

VJ

Inhaltsverzeichnis.

Drittes Kapitel. Die angustinisch-aristotelische Periode.

I. Dreizehntes Jahrhundert. geite

1. Albertus Magnus 112

2. Thomas von Aquino 127

3. Heinrich von Gent 156

4. Siger von Brabant 164

5. Duns Scotus 170

II. Vierzehntes Jahrhundert.

1. Thomas von Straß bürg 197

2. Thomas Bradwardinus 206

3. Raymundus Lullus 215

4. Johannes Buridanus 218

5. Petrus Aureolus 229

6. Durandus von St. Pourgain 232

7. Wilhelm Occam 238

III. Fünfzehntes Jahrhundert.

1. Pierre d'Ailly 242

2. Gabriel Biel 243

Schluß.

Zusammenfassender kritischer Rückblick 254

Vorwort.

Jährlich kommt eine neue Flut von Schriften und Aufsätzen für und wider den Determinismus bzw. Indeterminismus.

Indes, nicht wenige dieser literarischen Produktionen kämpfen gegen Windmühlen, indem sie von vornherein einer klaren Formulierung der genannten strittigen Begriffe aus dem Wege gehen.

Da eine allgemein anerkannte Bedeutung der letzteren bis heute noch nicht vorhanden ist, so tut jeder Autor gut, den von ihm gemeinten Sinn mit unzweideutiger Bestimmtheit anzu- geben; sonst läuft er eben beständig Gefahr, in eine höchst un- fruchtbare Polemik zu geraten.

Nur ein Beispiel hierfür.

„Indeterministen" erklären: Lohn, Strafe, Lob und Tadel, kurz die sittliche Weltordnung, sind sinnlos, wenn der Wille unfrei ist und meinen damit vielfach: wenn der Wille durch Lohn, Strafe und dergleichen Faktoren nicht modifiziert, beein- flußt wird, vielmehr trotz aller dieser Einwirkungen einer gleich- sam als dunkles Verhängnis über ihm schwebenden und darum ungewollten Notwendigkeit folgen muß.

„Deterministen" begründen die gleiche Behauptung durch das scheinbar entgegengesetzte Argument: Lohn, Strafe, jegliche Zurechnung, die sittliche Weltordnung sind sinnlos, wenn der Wille frei ist und meinen damit, wenn der Wille schlecht- hin unabhängig von diesen Einflüssen sich ganz willkürlich, nach „Laune", nach „Belieben" entscheiden kann.

VIII

Vorwort.

Aus dieser Antinomie befreit sogleich eine klare und prä- zise Fassung des relativen Begriffs „frei", der bekanntlich stets die Bestimmung „wovon frei" erfordert.

Jedem, der das Wort Willensfreiheit im Munde führt, lege man die Frage vor, wovon denn der Wille nach seiner Auf- fassung frei sein soll. Man wird auf diese Weise einen ge- winnreichen Kampf wider die Unklarheit in der Diskussion um das Problem führen.

Da die genannten Schlagworte einmal im Umlauf sind, so wurde auch in dem vorliegenden Buche auf sie Bezug ge- nommen, indes stets der gemeinte Sinn genau umschrieben.

Gerade die scholastische Behandlung des Freiheitsproblems zum Gegenstande einer besonderen Untersuchung zu machen, wurde schon dadurch gefordert, daß in den historischen Ab- schnitten der betreffenden Literatur das Mittelalter durchweg nur in überaus knapper und unzulänglicher Weise behandelt zu werden pflegt. Eine Tatsache, die ihren Grund wohl darin hat, daß die meisten Autoren nur in oberflächlicher Weise mit der scholastischen Gedankenwelt vertraut sind, geschweige sie durch die Quellen selbst kennen gelernt haben.

Erst jüngst haben wiederum die Arbeiten von P. Minges1) gezeigt, welche irrige Auffassung unter Historikern und Theo- logen über Duns Scotus verbreitet sind, und haben dabei zu- gleich die beklagenswerte Enthüllung gebracht, daß nicht alle Darstellungen, die es zu sein schienen, direkt aus den Quellen geschöpft waren.

Außer diesem historischen Grunde spricht für die Be- handlung unseres Themas noch ein sachliches Motiv, das zu- gleich in lebendiger Beziehung zu Tagesfragen steht.

Die Scholastik bedeutet, insbesondere insofern sie als Thomis- mus die ihrem „Wesen" nach approbierte (offizielle) Philosophie der katholischen Kirche ist, bis in die Gegenwart hinein einen gewaltigen Machtfaktor im Geistesleben, der sich auch auf politischem Wege bei den praktisch bedeutsamen Reformen des Strafrechts und der Strafrechtspflege Geltung zu verschaffen sucht,

l) Vgl. unten S. 175, 177, 185, 193.

Vorwort.

IX

Nicht zum wenigsten gerade diesen Bemühungen um die Keform des Strafrechts will unsere Arbeit dienen, und zwar durch die kritische Festlegung, was die Scholastik für das Problem der Willensfreiheit geleistet hat; insbesondere mit welchem Kechte sie von den modernen Vertretern der Scholastik, wie etwa dem Jesuiten Victor Cathrein, wider den „Deter- minismus" des Strafrechtslehrers Franz von Liszt ins Feld geführt wird.

Der Leser wird selbst unschwer die Berechtigung oder Nichtberechtigung solcher scholastischer Ansprüche erkennen.

Um nicht zu sehr in theologische Fragen zu geraten, wurde vorwiegend die Stellung der Scholastik zu dem Probleme der menschlichen Willensfreiheit betrachtet. Die scholastische Lehre über die Freiheit der übrigen vernünftigen Wesen also Gottes, der Engel, des Teufels, der Seligen und Verdammten wurde nur insoweit berührt, als sie den Begriff der mensch- lichen Freiheit in ein helleres Licht rückt. Vielfach äußern die Scholastiker gerade in der Engel- und Gotteslehre prinzipielle Ansichten über den Begriff der Freiheit überhaupt. Natürlich fand sich auch vor allem in der theologischen Gnadenlehre manches Material für unsere Frage. Denn „Gnade" und „Frei- heit", „Übernatürliches" und „Natürliches" gehen ja nach scho- lastischer Auffassung im Menschen eine geheimnisvolle Ver- bindung ein.

Die Frage nach der Vereinbarkeit göttlichen Vorauswissens mit der menschlichen Freiheit wurde unberücksichtigt gelassen; sie verdiente indes auf Grundlage der vorliegenden Untersuchung zum Gegenstande einer besonderen Darstellung gemacht zu werden.

Es empfahl sich, vor der Behandlung des eigentlichen Themas die geschichtlichen Voraussetzungen darzulegen, unter denen die Scholastik an das Freiheitsproblem herantritt. Der Umfang der Einleitung wird durch dieses sachliche Motiv ge- rechtfertigt.

Dies um so mehr, als die vorliegende Arbeit zum ersten Male das Freiheitsproblem in der Scholastik (bis auf den soge- nannten „letzten Scholastiker", der in Wahrheit bekanntlich noch viele Nachfolger gehabt hat) und insbesondere die kri-

X

Vorwort.

tische Würdigung der dabei zutage geförderten Leistungen be- handelt.

Bisher erfuhren nur einige scholastische Freiheitslehren eine monographische Darstellung, so die des Anseimus, des Thomas von Aquino, des Duns Scotus und des Thomas Bradwardinus.

Erst nachträglich sehe ich, daß W. L. G. Freiherr von Eber stein in einer 1805 zu Leipzig erschienenen Schrift: „Natürliche Theologie der Scholastiker nebstZusätzen über die Freiheitslehre und den Begriff der Wahrheit bei den- selben" einen ersten sehr aphoristischen und nicht fehlerfreien Versuch gemacht hat, das Freiheitsproblem in seiner scholasti- schen Entwicklung zu verfolgen.

Zudem gibt auch diese Abhandlung, wie die schon erwähnten Monographien, lediglich eine Darstellung ohne Kritik. Gerade durch die letztere, d. h. durch die sachliche Prüfung der bis auf den heueigen Tag fortlebenden scholastischen Argu- mente zugunsten des „Indeterminismus" sollen die nachfolgen- den Untersuchungen Beziehung zu der gegenwärtigen Diskussion um das Problem der Willensfreiheit gewinnen.

Es versteht sich von selbst, daß allenthalben auf die Quellen zurückgegangen wurde, die zum Teil nur in un edierten Hand- schriften zugänglich waren.

Zum Schlüsse ist es mir eine angenehme Pflicht, dem gründ- lichen und allseitig geschätzten Kenner mittelalterlicher Philo- sophie, Herrn Professor Dr. Clemens Baeumker, aufrichtigen Dank zu sagen für das freundliche und tatkräftige Interesse, das er dieser Arbeit entgegengebracht hat.

Wenn letztere gleichwohl nicht in den „Beiträgen zur Ge- schichte der Philosophie des Mittelalters" erscheint, so hat dies seinen Grund lediglich darin, daß die „Beiträge- sich darauf be- schränken, in rein historischer Absicht zu schildern, „was war, wie es wurde und wie es einst lebendig sein konnte", das vor- liegende Werk dagegen auf den kritischen Ton gestimmt ist und sich an die unmittelbare Gegenwart wendet.

Bonn, 24. Oktober 1908.

Der Verfasser.

Einleitung.

Sokrates

ist der erste, der theoretische Erörterungen über den Willen und die Freiheit anstellt, und zwar auf Grund folgender psycho- logischer Voraussetzungen.1)

Es gibt im Menschen die psychische Grundfunktion des Strebens oder Wollens, das sich stets auf die Glückseligkeit oder, was dasselbe ist, auf ein Gut richtet.2)

Dieses allgemeine und als solches unveränderliche Streben wird durch Mitwirkung einer zweiten psychischen Grundfunktion, das Vorstellen, zu dem konkreten Wollen mannigfaltiger be- stimmter Güter.

Somit bestellt für den Intellektualisten Sokrates ein d u r c h - gängiger Parallelismus zwischen Vorstellen und Wollen. Der Wille erstrebt seiner Natur nach das, was die Vernunft befiehlt.3) Dem richtigen Vorstellen entspricht folg- lich das gute Wollen. Tugend und Wissen sind identisch.4) Dabei bedeutet richtiges Vorstellen im Gegensatze zu dem

1) Vgl. T. Wildaner, Die Psychologie des Willens bei Sokrates, Piaton und Aristoteles. Innsbruck 1877.

2) käv fiev dxpshfia r\ ravra, ßovlö/ue&a tzqcl-txeiv adrd, ßXaßeoä de ovra oi> ßovlöfiBd-a. yäo äya&ä ßovlö/nE&a. Sokrates Worte in Piatons Gorgias 466 E, 462 D, 468 D.

3) ä äv f\ enioTTjfir] xsXev?]. Protagoras 352 B, C, D.

4) ol äoa sldözEg . . . oiroi xal Svvaroi; Mövoi y scprj. Mem. IV, 6, 11 Yerweyen, Das Problem der Willensfreiheit. 1

2

Einleitung.

bloßen Meinen das Wissen von dem Nützlichen, die Erkenntnis des Mittels zur Erreichung eines Gutes.

Von zwei Gütern wählen wir stets das wirklich oder schein- bar Beste.1)

Die höchste, vollendete Tugend und damit die höchste Glückseligkeit werden wir demnach dann erreicht haben, wenn wir die ganze Sphäre menschlicher Betätigung mit unserem Wissen beherrschen.2)

In diesen psychologischen Bestimmungen ist nun bereits der Begriff der Freiheit enthalten. Er deckt sich nämlich mit dem der Tugend: frei oder stark ist, wer das Beste tut, unfrei oder schwach, wer dazu nicht imstande ist, weil er durch falsche Vorstellungen beherrscht wird.8)

Unwissenheit ist also die Ursache der Unfreiheit oder geistigen Knechtschaft. Sie hat ihre Wurzel in den körper- lichen Lüsten des Augenblicks, in der Gewalt des Sinnlichen, wodurch der Intellekt getrübt und in Irrtum über das Beste geführt wird, ein Analogon zu der optischen Täuschung: hier wie dort erscheint das unmittelbar Gegenwärtige, das Nahe größer als das Entfernte.

Der Unfreie handelt somit böse, insofern er nicht das Beste wählt; aber selbst der Unfreie und Böse folgt den Lüsten und begeht sein Unrecht nur in der, freilich irrigen, Voraussetzung

*) ovSeig ovre eiScbg ovre oiöiievog äXXa ßeXrico eivai rj « Ttoiei xai Svvaid, ETieira Ttoiei ravra, e£bv ßeXrico. Protagoras 358 C.

2) erex/tiaipero Se räg äyadäg (fvoeig ix rov . . . eTtid'vuelv rcöv [la&rjuctTtor Ttdvrcov, §1 cbv eonv olxiav rs xaXcög oixelv xai TtöXiv xai rb öXov dv&pcörcoig rexai rolg ävdpcbmvoig Tzpay/uaoiv ev ypf\od'ai rovg yäp rotovrovg rjyeiro Ttai- Sev&evrag ovx äv fiövov avrovg re evSai/uovag eivai xai rovg eavrcov oixovg xaXcög oixelv dXXä xai äXXovg av-dpcoTtovg xai TtöXeig Svvao&ai evSai/uovag Tioieiv.

Mem. IV. 6.

3) eXev&epog xai Övrcog ßaaiXevg apyjcov Ttpcorov rcöv ev dvrcp, äX.Xä ftrj SovXevcov. Alkibiades I, 122 A. äxpariqg . , . öorig apy^erai vTtb rcöv Siä rov ocofiarog fjSovcöv. Mem. IV, 5, 3. 4.

öorig otüv äp%erai vTtb rcöv Siä rov ocofiarog i]Sovcöv xai Siä ravrag «/) Svvaxai TCpdrreiv ßeXnora, vo/ui^eig rovrov eXev& e oov eivai; "Hxiora, iyr, *Iocog yäp eXevdepov yaiverai ooi rb Ttpdxreiv ßeXnora elra rb e%etv rovg xcoXvoavrag roiavra noielv dveX.evdepov vo/ut^eig ; TtavrdTtaoi ye, e<frt. Die Begierden bezeichnet Sokrates als SeoTtörag . . . ftev äoiora xcoXvovtag, Sk xdxiora dvayxa^ovrag. Mem. IV. 5; 3. 4. 5.

Sokrates. Platon.

3

eines dadurch zu erlangenden Gutes, in der Hoffnung- auf einen Zuwachs an Glückseligkeit.1)

Niemals kann der Mensch ein Übel als solches wollen. Er tut daher Böses nur im Widerspruche mit seiner Natur d. h. un willentlich.2)

In dieser sokratischen Lehre hat die Idee der inneren oder sittlichen Freiheit3) als der Unabhängigkeit des menschlichen Grundwillens von den flüchtigen Begierden des Augenblicks ihren historischen Ursprung.

In ethischer Beziehung: Herrschaft über die Begierden, in psychologischer Beziehung: Wahlfreiheit als Fähigkeit unter mehreren Gütern auszuwählen das ist der Kern der sokratischen Freiheitslehre. Sie hat durch die Bestimmung der Eudämonie als Endzweckes alles Strebens durch die Untersuchung des Ver- hältnisses zwischen Wollen und Vorstellen sowie durch die Schöpfung einer wissenschaftlichen Terminologie4) alle nach- folgenden Untersuchungen über das Freiheitsproblem aufs mächtigste beeinflußt.

Aber, indem Sokrates den Hauptnachdruck auf die Identi- fizierung von Tugend und Wissen legt, weicht er der genaueren psychologischen Untersuchung aus, wie die Freiheit entsteht.

Platon

suchte deshalb die Untersuchung seines Lehrers psychologisch zu vertiefen.

Auch er bestimmt die Glückseligkeit oder ein Gut als das allgemeine Ziel des Begehrens.5)

1) ertiye %a xaxä ovÖelg ixcbv sQ^erai ovSy sni ä oierai xaxä eivai ovS3 eori rovro . . . sv äv&Qd>7iov (fvoei sTtl ä oierai xaxä eivai edeleiv levai dvrl rcöv äya&wv. Protagoras 358 C. D. JElSörag §e ä Sei noielv oiei rivä oieo&ai Seiv firj TtoieZv ravra; oiix olfiai, etprj. Oidag nvag akXo noiovvrag ä ö'iovrai öelv; ovx eycoy ecprj. Mem. IV, 6.

2) Protagoras 345 D. E.

3) Vgl. Heinrich Gomperz, Die Lebensauffassung der griechischen Philo- sophen und das Ideal der inneren Freiheit, Jena 1904.

4) Man beachte vor allem die Termini elev&egog ävelevdegog ; excbv äxoiv ; dxQaxr]g äxpaola.

B) ovSev ye ällo eorlv oi) eqcöoiv av&QOJTtoi r} rov äya&ov. Symposion. 206 A. evSaipoveg eivai Ttgodvfiov/ueda Ttavxeg. Euthydemos 278 E. 282 A.

1*

4

Einleitung.

In jedem der drei Seelenteile, dem vernünftigen, dem mut- artigen oder affektiven und dem begehrenden Teile findet sich ein ihm eigentümliches Streben.1) Da nun das einem jeden Wesen Entsprechende ein Gut für dasselbe ist, so ist das höchste Gut des Menschen die Vernünftigkeit oder Gottähnlichkeit.2) Sie besteht in der Beherrschung der niederen Seelenteile durch die Vernunft.

Diese Harmonie heißt Selbstbeherrschung. Der Ausdruck „sich selbst beherrschen" ist „lächerlich", wenn er demselben Subjekt entgegengesetzte Prädikate, Herrschen und Beherrscht- werden, beilegt; er bezeichnet nicht ein neben den drei Seelen- teilen wirkendes, gleichsam übergreifendes Subjekt, sondern eine bestimmte Wechselwirkung der das einheitliche Subjekt aus- machenden drei Seelenteile, nämlich die Herrschaft des wahren „Selbst", der Vernunft, über die vernunftlosen Leidenschaften und Begierden.3)

So liegt also im Begriff des vernünftigen Wollens, daß es sich niemals auf das Böse richten kann: das Böse ist in diesem Sinne stets ungewollt.

Gewollt aber sind alle bösen Handlungen, sofern sie aus dem Wollen der beiden niederen Seelenteile stammen.4)

Gerät das Streben des einen Seelenteils mit dem des anderen in Konflikt, so findet ein „Wählen" statt. Bei diesem Vorgange steht das wählende Subjekt gleichsam an der Wage und be- stimmt die Gewichte durch abwägendes Urteilen über wirkliche oder scheinbare Lust der vorgestellten Güter.

*) Tq'icov ovtcov (ipvxrjs eidcövj TQirral xalrfiovai fiot (paivovrai, ivög iy.dorov fica iSia eTti&vfiiai iE cboavrcos xal do%ai. Rep. IX, 580 D.

8) Rep. IX 506 E; X, 613 A.

3) Rep. IV, 430. (f alverai f.ioi ßovXeodat ovros 6 Xöyos cogri ev avrcg reo dvd'Qcbnco TtEQc it]v ipvyjrj-v rb /uev ßeXnov evi, rb Se yelQOV xal brav fihv rb ßkX- norov yvoei rov yeegovos eyxgares rovro Xeyev rb y.oeirrco avrov. 431 A.

4) ixovoiov = rb xaxa rfjv ßovXrjoiv yiyvöftevov ; dvayxalov = Ttaoa rqv ßovXrtoiv Öv. Kratylos 420 D. excbv = ßovXöfievos ; äxcov = ovx e&eXcov, Gorgias 509 E. Leges 753 D. Dabei ist zunächst unter ßovXeo&ai irgend- ein Wollen der drei Seelenteile verstanden. Nur sofern von dem Grund- oder sittlichen Willen des Scavotjnxöv die Rede ist, gilt, daß das Böse dxovoiov ist. Im übrigen aber sind alle bösen Taten, sofern sie aus den beiden niederen Regelungen stammen, ixovoiai (ßXdßaiJ Leg. IX. 861 D. E.

Platon.

5

Der das Übergewicht erlangende Wille heißt Wahlwille.1)

Geraten beispielsweise das Streben nach Reichtum und Tugend in Widerstreit, so heben oder senken sich die beiden Schalen der Wage in gleichem Maße, als Reichtum oder Tugend als wertvoller erscheint.2)

In jedem Falle aber hat das Wollen seine Ursache: denn so erklärt Platon ausdrücklich, übrigens nicht im Einklänge mit dem bekannten Mythos am Ende der Politeia ein ursach- loses Geschehen gibt es nicht.3)

Bei der Freiheit des Menschen kann deshalb die Ursach- losigkeit des Wollens gar nicht in Frage kommen, vielmehr lediglich die Art der Ursache.

Freiheit ist nun nichts anderes als Tugend, mithin die Herrschaft der Vernunft über das Vernunftlose, die „Notwendig- keit einer Seele, die Vernunft besitzt".4)

Man sieht sogleich, daß der platonische Freiheitsbegriff sich sachlich mit dem sokratischen deckt: die sittliche Freiheit ist es, an der beide Denker interessiert sind, wobei sie zugleich beide die Fähigkeit des Wählens anerkennen.

Aber Plato gelangt zu seinem Resultate durch eine ein- gehendere psychologische Analyse. Er sucht den Begriff des Gutes inhaltlich genauer festzulegen und mit seiner Metaphysik in Verbindung zu bringen, wobei er vor allem in einer für die christliche Folgezeit vorbildlichen Weise bemüht ist, die Ursache des moralischen Übels, des Bösen, von der Idee des Guten, dem

x) fj ßovhjocg rfjg atosoecog. Protagoras 358 B; Leges V 733 A.

2) öocp äv rovzo (sc. %gr][iar'i£)sod'ai) rifiicbispov fjycovrai, roaovrqy dpsrrjv drifiorspav. B,ep. VIII, 550 E.

3) 7t äv de . . . yiyvöfisvov vti alriov rivog a £ dvdyxrj g yiy- vso&ai Ttdvri yäp ddtivarov %co plg alriov ysvsoiv o%slv. Tim. 28. A. wo die psychologische und mathematische Notwendigkeit unterschieden werden. Eros führt mit einer angeborenen, nicht mathematischen, sondern erotischen Notwendigkeit die Geschlechter zur Vereinigung, vti dvdyx^g . . .

rfjg 8{/,<pvrov dt-ovrai Ttpbg rrjv dkhqhtov fil^iv . . . ov ysco/usrpixaig ys . . . akV

ipconxaig dvdyxcug. Nur im Widerspruche mit der obigen Stelle des Timaeus könnte Platon im Ernste die ursachlose Wahl des Lebensloses, wie sie nach dem bekannten Mythos der Politeia die Seele in ihrem vorweltlichen Dasein trifft, theoretisch verfechten.

4) Leg. X 904 D.

6

Einleitung.

„gütigen Gott" auf den freiwählenden Menschen abzuwälzen.1; Er zerlegt ferner das Wollen in ein dreifaches Streben der drei Seelenteile und kommt infolgedessen zu einer tieferen Ein- sicht, in welchem Sinne das Böse ungewollt sei. Er erläutert den Vorgang des Wählens durch das berühmte Bild der Wage, wobei er die drei möglichen Fälle zwar erwähnt, jedoch über den dritten Fall der gleichen Stärke des verschiedenen Strebens hinweggeht bzw. dabei erklärt, über diesen Fall keinen Auf- schluß geben zu können.2) Endlich analysiert Piaton den wichtigen, in der ganzen Folgezeit wiederkehrenden Begriff der Selbstbeherrschung oder Selbstbestimmung und warnt vor Mißverständnissen. Sein Schüler

Aristoteles 8)

setzt die Untersuchung der Elemente des sokratisch-platonischen Freiheitsbegriffes fort. Er geht dabei von einer näheren Be- stimmung des „Freiwilligen" und „Unfreiwilligen" aus.

Freiwillig oder gewollt und deshalb lustvoll4) sind jene Handlungen, deren Prinzip oder Ursache in uns selbst liegt, so zwar, daß wir alle Einzelheiten, die mit der Handlung in Ver- bindung stehen, erkennen.5) Sind diese Bedingungen erfüllt, so liegen die Handlungen völlig „in unserer Gewalt",6) wir sind alsdann „Herr" derselben von ihren ersten Anfängen bis zur vollendeten Ausführung;7) d. h. wir können gut oder schlecht handeln8) und unterliegen deshalb dem Lob oder Tadel.9)

x) Tim. 42 D. E. Staat 617 E.

2) Leg, V 733 A. Protagoras 356 B. Zur sachlichen Seite der Frage vgl. etwa W. Windelband, Über Willensfreiheit, Tübingen 1905, S. 41 ; auch S. 77.

3) Vgl. R. Loening, Geschichte der strafrechtlichen Zurechnungslehre, Bd. I Die Zurechnungslehre des Aristoteles. Jena 1903.

4) Nie. Eth. III, 1111 a. 5) V, 1135 b.

6) tbv S* SP avjol fj äp%/j, e 7t* avrqj xal nodrreiv xal ferj. III, 1110 a.

') t&v fiep yoLQ nodl-ecov an dp%f]s f*t%ot to® reXovs xijqioi eofiev, e ld öreg xaO' exaora rtov e^ecov 8h ttjs dg%ijs, xa\P hxaoja Se i] Tigöod'eois oi) yvcooifios, Wimen trcl tcov doowoncor all1 otc e<f fj/uir rtv ovrojg fj /xij ovrojg '/gr\oa\tai, diä rovro exovatot. III 1115 a.

8) *T fifilv dk xal fj doerri, öaoUog de xal /; xaxia. III, 1113 b.

9) III, 7 1113 b 21.

Aristoteles.

7

Unfreiwillig, ungewollt oder widerwillig und deshalb auch unlustvoll sind dagegen jene Akte, die durch Gewalt d. h, durch eine äußere, dem tätigen Prinzipe widerstrebende Ursache oder durch Unwissenheit hervorgerufen werden.1)

Die gemischten Handlungen endlich geschehen halb ge- wollt, halb ungewollt, und zwar aus Furcht vor größerem Übel, wie wenn z. B. der Kaufmann beim Sturme Waren in das Meer wirft, um sein eigenes Leben zu erhalten. Freilich „scheinen" derartige Handlungen weniger ungewollt als gewollt zu sein, denn sie erfolgen auf Grund einer Wahl.2)

Diese aber ist stets ein gewollter Akt; nicht aber erfolgt umgekehrt jede freiwillige Handlung nach vorausgegangener Wahl: Kinder und unvernünftige Lebewesen handeln zwar frei- willig, ohne aber zu wählen.3) Denn ohne Vernunft kein Über- legen und darum auch kein Wählen. Vernünftige Fähigkeiten können sich im Unterschiede von den Unvernünftigen, die nur einen Akt setzen können, in entgegengesetzter Weise betätigen, wie es beim Wählen zwischen verschiedenen Handlungen der Fall ist.4)

Das Gewählte ist das auf Grund der Überlegung Vorge- zogene5) — also stets das wirkliche oder scheinbar größere Gut6) und bezieht sich stets nur auf das, was in unserer

1) III, 1109 b.

2) fitxral /uev ovv eialv ai roiavrai rtQd^Eig, söixaoi 8k [zäXXov ixovoicog' algerai ydo sioi rörs öte nodrrovrai, de reXog rrjg Ttod^scog xarä rbv xaiQÖv Eoriv. III, 1109.

3) tj TtooaioEOig 8t] exovoiov fiev cpaivsrai, od yäp ravröv 8e äXX' etu tzXeov exovoiov ' rov /lcev yd-Q exovoiov xal Ttalo eg xal räXXa t,ä>a xoi- vcoveI, TtQoaiQEOeojg (?bv xal E^aicpvrjg ixovoca fihv Xsyo/uEv, xarä nooai-

QEOIV S'ov. III, 1111 b.

4) od yäQ xoivbv fj TZQoaiosoig xal rwv äXöytov ETti&vfiia 8e xal &v/nög. III, 1111 b. f] yä.Q TTQoaioEOig fiErä Xöyov xal Siavoiag. 1112 a. at /uev fXErä Xöyov (dvvdfiEig) Ttäoai rtöv svavricov ai avrdt, ai 8' äXoyoc fiia ivög. Met. IX 1046 b.

5) yäo ex rrjg ßovXrjg TtQOxoidev TtQoaiQEröv konv. Nie. III, 1113 a.

6) 'X.QoaiQOvf.iEda fihv a fidXtora XofiEv dyad'd Övra, 8oxdt,of.t£v 8e et ov Ttdvv lofiEv. 8oxovoi rs ov% oi avröi TtQoaiQElodai rs ägtora xal So^d^siv, äXX' tvioi So^d^Etv fihv ä/LiEivov, 8iä xaxiav 8' alQElod'ai od% ä Sei. III, 1112. 1) tioo- aioeoig . . . ßovXsvnxrj öps^ig rtöv Ey r) fxlv ex rov ßovXsvoaodai yäo xocvavrsg ooEyö/Lteü'a xarä rr)v ßovXevatv. III, 1113 a.

8

Einleitung.

Macht liegt, das Wollen dagegen richtet sich auch auf Unmög- liches.1)

Gegenstand der Wahl sind ferner nur die Mittel zu be- stimmten Zielen.2) Letztere sind ihrerseits Objekt des Wollens und verschieden je nach der Beschaffenheit des wollenden Subjekts/5)

Das allgemeine Ziel jedes Strebens aber ist irgendein Gut oder, was dasselbe ist, die Glückseligkeit;4) denn diese besteht in der jedem Wesen angemessenen und ihm eigentümlichen Tätigkeit, also für den Menschen in dem vernunftgemäßen Leben; denn die Vernunft ist das eigentliche Wesen oder „Selbst" des Menschen.5)

Um seiner selbst willen d. h. frei6) handelt somit der Mensch, wenn er auf Grund vernünftiger Überlegung tätig ist. Vernunftgemäß und wahlfrei handeln ist also identisch: Ver- nunft und Wahl wille gehören untrennbar zusammen.7)

Die wahlfreie Handlung hat folglich ihre Ursache in den vernünftigen Überlegungen, unterscheidet sich dadurch von allen übrigen Handlungen, sofern sie ihre Ursache im Zufall, in der Natur d. h. in regelmäßig oder doch meistens erfolgenden Er-

1) III, 1111 b.

2) f] fiev ßovXr]otg rov riXovg eort /uäXXov, r) Se nooaiosois rwv Ttpbg tb reXog. III, 1111 b.

3) b'ftotög nod* kxaorög eonv, rovro xai rb riXog (pa'tvErai avriö . . . 7} 8k rov reXovg ecpsoig odx av&aigerog, dXXä (fvvat Sei wotzeq bxpiv s%ovra. III, 114 b. äXXot yaQ TtQog äXXa 7t s cpvx a {.i ev. 1109 b.

4) r) evSai/twvia rwv TtQaxrcov (ovoa) tsXog. I, 1097 b. 7t äoa reyvri xai Tiäoa fisdoSog ol/uoicog Sk TtQä^ig re xai TtQoäiQEOig, äyad'ov rivog ecfie- odat Soxsl 8ib xaXtog äTtsfrjvavro r äyad'ov oi) Ttdvr scpisrai. I, 1094 a. Ttäoa yvtöoig xai Ttooaiosoig äyad'ov rivog oQsysrai. I, 1095 a. ärtavra yaQ chg EiTtsiv irEQOv evsxa aiQovfxsda TtXijv rrjg svSai/uoviag rsXog yaQ avrrj. X, 1176 b.

ö) EQyov dvdQcbnov rpv%rjg eveoyeia xarä Xöyov rj_ fiif ävev Xöyov . . . hxaorov 8'sv xarä rt)v olxsiav äo£rr)v aTtorsXslrai. I, 1098 a. rb yäo oixetov exdorco rfj cfvoei xQarrtorov xai rjSioröv eonv exdorto xai r (o ävd QtÖTtto 8 t) 6 xarä rov vovv ßiog, eiTteQ rovro fidXiara ävd q cotio g. ovrog äoa xai evSaifioviozarog. X, 1178 a.

6) ävdQConög ipajuev eXev&eQog b iavrov svexa xai fit) äXXov a>v. Met. I, 2, 982 b.

7) 6 q exr txb g vovg t) 7t q o a i o s o ig t) b o £ | ig 8 1 av or\r ixt) xai t) roiavrrj äQ%r) avdQtoTtog.

Aristoteles.

9

eignissen, in der Gewalt, Gewohnheit, in Affekten oder in der sinnlichen Begierde haben können.1)

Sowenig wie seine Vorgänger stellt also Aristoteles die Alternative: kausale Bedingtheit oder Ursachlosigkeit des Willensaktes. Auch für ihn handelt es sich bei dem Freiheitsproblem lediglich um die Frage, welcher Art die Ursache des freiwilligen oder freien Wollens ist.

Bewußtes Handeln in Erkenntnis der begleitenden Um- stände auf Grund vorausgehender Überlegung der Mittel zu bestimmten Zwecken ist für ihn Wahlfreiheit und begründet Zurechnung: Unter der genannten Bedingung ist der Täter für seine Handlung als für die seinem eigensten Selbst entsprungene verantwortlich und wird entsprechend belohnt und bestraft.

Indes, ein Kriterium zur Unterscheidung, ob und inwieweit ein Verbrecher sei es nun ein „heilbarer", der dem Epi- leptiker vergleichbar nur aus Schwäche im Affekt handelt oder ein „unheilbarer", dem Schwindsüchtigen gleichender („unver- besserlicher") Verbrecher, dessen Erkenntnis des Richtigen völlig getrübt ist2) auf Grund natürlicher schlechter Anlage oder direkt bzw. indirekt frei gewählter Gewohnheiten die Tat be- geht, sucht man in dieser aristotelischen Lehre vergebens. Es liegt hier freilich ein wohl überhaupt unlösbares Problem vor.

Aber darüber hätte sich Aristoteles klar werden können, daß es verschiedene Grade der Freiheit gibt, weil die Erkenntnis der begleitenden Umstände stets nur eine unvoll- kommene ist, weshalb auch die entsprechende Handlung nur im relativen Sinne d. h. mit Rücksicht auf den jedesmaligen

*) ndvra öoa nQarrovoiv dvdyxrj Tiodrrsiv dt ah tag ETtrd' Sid rvyrjv. Siä cpvoiv, Sid ßiav, did e&og, Sid Xoyio f.iöv, Sid d'vf.iöv, Si Ejzidvuiav. Khet. I, 10. 1369 a, 5.

2) b jliev (dxöXaorog) dv ia.ro g , o S'iarog (dxqarrjg). VII, 1150 b. ovx bodoSö^siv tzeqi rrjv do%rjv VII, 1151 a. Ioixe yaQ fj (xev ^io%drjQLa rwv vooij- judrcov oiov vSeq(o xal cpd'iOEi, rj S1 dxQaoia rolg ETiiXrjTtrixoig- i) fiep yaQ ovve%rjg, fj S^oti ovvsxrjg novrjQia. VII, 1150 b. ö dxQarrjg ßeXr'uov rov dxoldarov ovSe yavkog drtXcog' oco&rai ydp ßsXnorov, rj dQyfj (sc. b öpd'bg Xöyog). VII, 1151 a. hv de roig Ttodl-eoi rb ov svsxa do'/rj, öjotzeq ev roig jua&rjftanxoig al vTiodsoaig. ovre Srj exeI b Xöyog SiSaoxaXixbg rcöv dq^tov ovre kvravda, dXX' äperij rj cpvoixr) rj e&iorrj rov oq&oSö^eiv tieq\ rrjv dqirjv. VII, 1151 a.

10

Einleitung.

Geisteszustand des Handelnden freiwillig sein kann und eine absolut freie Handlung dem Menschen unmöglich ist.

In anderem Sinne freilich lehrt Aristoteles verschiedene Grade der Freiwilligkeit. Auch die unvernünftigen Wesen können nach ihm freiwillige Akte setzen d. h. solche, deren Ursprung in jenen selbst liegt; aber aus Mangel an Vernunft wählen sie nicht und besitzen deshalb keine Wahlfreiheit. Auf Grund dieser aristotelischen Prinzipien können wir somit sagen: der Vernünftigste handelt im höchsten Sinne wahlfrei.

Aber trotz aller Lücken im einzelnen stellt doch das Ganze der aristotetischen Freiheitslehre gegenüber der sokratisch- platonischen eine Vertiefung des Problems dar, ohne in wesent- lichen Punkten eine abweichende Stellung einzunehmen.

Die Polemik gegen die sokratische Auffassung der Unfrei- heit des Bösen beruht auf einem Mißverständnis bzw. auf einer Verschiebung der Begriffe. Für Sokrates bedeutet freiwillig das dem Willen Entsprechende, insofern er seiner Natur und eigentlichen Tendenz nach stets ein Gut erstrebt. Aristo- teles dagegen wendet den gleichen Begriff auf jedes Begehren an und kommt infolgedessen zu der Behauptung, auch das Böse geschehe freiwillig. Pia tos Bemerkungen,1) inwiefern das Böse freiwillig geschieht, hätten den Schüler von dieser unfruchtbaren Polemik abhalten sollen. Sie ist indes offenbar nicht ohne histo- rische Nachwirkung geblieben. Denn an ihr fanden spätere theologische Interessen einen willkommenen Anknüpfungspunkt, um den Menschen auch für das Böse verantwortlich zu machen, um dadurch die Ursache des moralischen Übels von dem gütigen und heiligen Gott abzuwälzen.

Noch sei erwähnt, daß Aristoteles auf folgendes von seinem Lehrer ungelöste Problem eine Antwort gibt. Mit dem Falle, daß der Wille völlig gleichen „Motiven" gegenübersteht, hatte Piaton nichts anzufangen gewußt. Sein Schüler erklärt unzwei- deutig: unter dieser Voraussetzung kommt ein Willensakt über- haupt nicht zustande, während bei verschiedener Stärke der vor- handenen „Motive" das jeweils stärkste siegt.2)

*) Vgl. oben S. 41

2) K. Loening macht mit Recht nachdrücklich auf diesen Punkt auf-

Epikureer, Stoiker, Neuplatouiker.

11

Epikureer, Stoiker, Neuplatouiker.

Von der nacharistotelischen griechischen Philosophie genüge für unsere Zwecke die kurze Bemerkung, daß die Epikureer1) zum ersten Male Freiheit mit Ursachlosigkeit gleichsetzten. Sie wenden dabei ein ihrer kosmologischen Lehre entnommenes Prinzip auf den Willen an. Von Ewigkeit sind die an Schwere, Größe und Gestalt verschiedenen Atome in Bewegung. Einige von ihnen weichen von der senkrechten Fallrichtung ab und dafür gibt es keine Ursache; es entsteht eine Wirbelbewegung und dadurch die Welt.

Aus ethischen Gründen glaubten die Epikureer nun auch dem Willen Ursachlosigkeit zuschreiben zu müssen, weil sie nur so die Verantwortlichkeit des Menschen für seine guten und bösen Taten retten zu können glaubten. Ein solcher Indeter- minismus entsprach dem Streben Epikurs, dem Menschen selbst- herrliche Unabhängigkeit von übermenschlichen Gewalten zu sichern.

Obgleich auch die Stoiker in erster Linie ethische Inter- essen vertraten, gelangten sie doch zu einer ganz anderen Auf- fassung der Freiheit als die Epikureer. Ihrer metaphysischen Lehre, daß alles Geschehen eine Ursache habe und durch die höchste Vernunft, ihre abstrakte Gottheit, regiert werde, muß sich auch der Wille fügen: auch jeder Willensakt ist verur- sacht, verdient aber nur dann das sittliche Prädikat „frei", wenn er sich, wie die Stoiker fordern, in Einklang mit der Ver- nunft und durch sie mit der Gottheit befindet. 2)

Wie die Stoiker sind die Neupiatoni k er von der Ein- heit Gottes und der Welt sowie der in ihr waltenden ewigen

merksam. 1. e. S. 309. ±Jiö ovde äv äfia ßovlrjrac r/ sTtidvfxfi Ttoielv Svo /} xävawzia, ov tco ir\o e i' ov yao ovrcog e%si avxcov zijv dvva/uiv ov cV eort tov äfia Ttoielv f] §vva/uig, Met. VIII, 5 a.

x) Vgl. A. Trendelenburg, Historische Beiträge, II ; E. Zeller, Philosophie der Griechen, II, 2.

2) Vgl. A. Trendelenburg, 1. c. S. 179; Schmekel, Die Philosophie der mittleren Stoa, Berlin 1892 ; A. Dyroff, Die Ethik der alten Stoa, Berlin 1897 ; P. Barth, Die Stoa2, Stuttgart 1908; H. Arnim, Die stoische Lehre von Fatum und Willensfreiheit (Wissenschaftliche Beilage der philos. Gesellschaft a. d. Univ. Wien), Leipzig 1905.

12

Einleitung.

Notwendigkeit überzeugt und gelangen von hier aus zu einem entsprechenden Freiheitsbegriffe. Der Mensch, als vernünftig- sinnliches Wesen ein Mikrokosmos, hat die Bestimmung, die Körperlichkeit in sich zu überwinden und sein wahres Selbst, die Vernunft, zur Herrschaft über alles Äußere und über die blinden Begierden und Leidenschaften zu erheben. J) In dieser Bestimmung des Menschen liegt zugleich die Aufgabe der Frei- heit. Nur der Tugendhafte, vernünftig Handelnde ist also frei; der Böse folglich unfrei,2) aber gleichwohl verantwortlich für das Böse, 3) das in einer Abwesenheit und Beraubung des Guten besteht. 4)

Diese letztere Lehre Plotins von der Nicht -Wirklichkeit d. h. dem rein negativen Charakter des Bösen das Seiende ist als Werk des gütigen Gottes notwendig gut, lautet das stets wiederkehrende scholastische Axiom übernimmt der Neu- platoniker Proklos, von dem sie dann in vielfach wörtlicher Wendung übergeht auf den sog. Dionysius Areopagita von Athen. 5) Dieser aber hat die Lehre vom Bösen Augustinus vermittelt 6) und bildet im Mittelalter eine häufig zitierte Autorität.

Gleich hier sei noch der letzte Neuplatoniker des Altertums erwähnt, der römische Schriftsteller Boethius, der ebenfalls in unserer Frage von den Scholastikern öfter zitiert wird, und zwar einmal wegen seiner bekannten Definition der Glückselig- keit, 7) sodann wegen seiner Unterscheidung einer doppelten Not-

1) Plotin, Ennead. III, 2, 9; III, 1, 4.

2) l.öyov de brav rjys/ubva xadaQOv y.ai aTtad'f] rbv oixsTov e%ovoa oQiiä ravrrjv fi6vt]V ri]v oo/urjv (pariov elvai fj/iZv y.ai ty.ovoiov xal rovro sivai f] fiereQOV spyov, o /ui) ällodev ijl&ev, älV sv&ödev änö xadagäg rfjg yvxfis, ätf d^xvs TTQcörrjg rjyovuevr^g xal y.voiag, aW od Trldvrjv fi? äyvoiag Tza&ovoag y.rl. Enn. III, 1, 9; IV, 8, 5; VI, 8.

3) Enn. III, 2, 10.

4) äTTovoia äya&ov, oreprjoig. Enn. I, 8, 3 f.

r>) Vgl. J. Stiglmayr, Der Neuplatoniker Proklus als Vorlage des sog. Dionysius Areopagita in der Lehre vom Übel. Histor. Jahrbuch 1895, S. 253 ff.

6) Vgl. J. Stiglmayr, Das Aufkommen der Pseudo-Dionysischen Schriften und ihr Eindringen in die christliche Literatur bis zum Lateran-Concil 649, Feldkirch 1895.

7) Liquet igitur esse beatitudinem statum omnium bonorum congregatione perfectum. De consol. philos. III. 176.

Epikureer, Stoiker, Neuplatoniker.

13

wendigkeit, J) endlich wegen seiner Definition , das liberum arbitrium bestehe in einem „freien Urteile über den Willen".2)

Von den eklektischen römischen Philosophen sei ferner der dem Stifter der 3. Akademie, Karneades, in unserer Frage folgende Cicero3) genannt , und zwar vor allem aus einem dreifachen Grunde. Einmal, weil er im Anschluß an Plato den Begriff der Selbstbeherrschung bzw. Selbstbestimmung vor Ent- stellungen zu sichern sucht,4) sodann weil er den griechischen Termini unseres Problems eine lateinische Form gegeben hat und deshalb in terminologischer Beziehung für die Folgezeit bedeutsam ist. Es sei nur an den stets wiederkehrenden Begriff des liberum arbitrium erinnert, der dem griechischen Terminus TCQoalQsoig entspricht.

Endlich noch die Bemerkung, daß Cicero die Willenslehre des Aristoteles als Fatalismus bezeichnet. 5) Dies ist insofern interessant, als daraus hervorgeht, wie fern dem Eömer die Inter-

x) Duae sunt eteiiim necessitates, simplex una, veluti quod ne- cesse est omnes homines esse mortales, altera conditionis, ut si aliquem ambulare scias, eum ambulare necesse est. De cons. philos. V, 6.

2) Nos enim liberum arbitrium ponimus, nullo extrinsecus cogente in id, quod nobis faciendum vel non faciendum judicantibus per- pendentibusque videatur , ad quam rem praesumpta prius cogitatione per- ficiendam et agendam venimus, ut et id quod fit, ex nobis et ex nostro judicio principium sumat, nullo extrinsecus aut violenter co- gente aut violenter impediente . . . liberum voluntatis arbitrium non iddicimus, quod quisque voluerit, sed quod quisque judicio et exami- natione collegerit. Alioqui multa quoque animalia habebunt liberum voluntatis arbitrium. Illa enim videmus sponte quaedam refugere, quibus- dam sponte concurrere. Quod si aliquid velle vel nolle hoc recte liberi arbitrii vocabulo teneretur, non solum hoc esset hominum, sed ceterorum quoque ani- malium, quibus hanc liberi arbitrii potestatem abesse quis nesciat: sed est liberum arbitrium quod ipsa quoque vocabula produnt, liberum nobis de voluntate Judicium. De interpretatione lib. III, M.P.L. 64 S. 492.

3) Eeliquum est, ut tute tibi imperes: quamquam hoc nescio quomodo dicitur, quasi duo simus, ut alter imperet, alter pareat, non inscite tarnen dicitur. Est enim animus in partes tributus duas, quarum altera rationis est particeps, alter expers. Cum igitur praecipitur, ut nobismet ipsis imperemus, hoc praecipitur, ut ratio coerceat temeritatem. Tusc. disp. II, 20, 47.

*) Vgl. oben S. 6.

5) Vgl. R. Loening, 1. c. S. 311 f.

14

Einleitung.

pretation des aristote tischen Freiheitsbegriffes im Sinne der Ur- sachlosigkeit lag. Cicero aber übersieht, daß Aristoteles im Zu- sammenhange seiner Freiheitslehre niemals von e^iaQ^ievr] redet, weil er eben grundsätzlich keine direkte Beeinflussung des menschlichen Wollens und Handelns durch überirdische, göttliche Mächte kennt, sich vielmehr jeden Willensakt durch physisch- psychische Faktoren verursacht denkt.

Griechische und lateinische Kirchenlehrer.

Die sittlichen Interessen der Stoiker und Neuplatoniker er- fahren durch das Christentum ihre höchste Steigerung. Die „Rettung der Seele" gilt nunmehr schlechthin als der einzig unbedingte Wert des menschlichen Daseins, den selbst die „ganze Welt" nicht aufwiegt. Der Mensch ist so vor ein großes Ent- weder — Oder gestellt, vor die Wahl zwischen ewigem Leben und ewiger Verdammnis. Die eigene Tat des Menschen ent- scheidet über sein ewiges Los; denn der gütige Gott schafft nur Gutes. Der Mensch selbst muß folglich die Ursache des Bösen und der dafür eintretenden ewigen Höllenstrafen sein.

So ergibt die ganze christliche Grundauffassung ein energi- sches Betonen dieser Fähigkeit des Menschen, sich für oder gegen Gott zu entscheiden.

Diese Wahlfreiheit ist es darum, die von den alten Kirchenlehrern mit Nachdruck verteidigt wird, so von Justin, x) Tertullian, 2) Athanasius,3) Clemens von Alexandrien, 4) Origines, 6) Lactantius, G) Gregor von Nyssa. 7) Sie alle sind

*) Justin, Dial. c. Tryphone, c 31; c 80.

2) Tertullian, De an., c 16; Günther Ludwig, Tertullians Ethik, Leipzig (Diss.) 1885, S. 23 ff.

3) F. Lauchert, Die Lehre des heiligen Athanasius des Großen, Leipzig 1895, S 85 ff.

4) Clemens v. Alexandrien, Strom I, 17 ; vgl. auch P. Ziegert, Die Psycho- logie des T. Flavius Clemens Alexandrinus, Heidelberg 1894.

5) Origines, De princ. III; L. Klein, Die Freiheitslehre des Origines in ihren ethisch-theologischen Voraussetzungen und Folgerungen im Zusammen- hange mit der altgriechischen Ethik, Diss., Straßburg 1894; P. Mehlhorn, Die Lehre von der menschlichen Freiheit nach Origines' tisqI äQ%6iv in : Zeitschrift

Griechische und lateinische Kirchenlehrer.

15

indes nicht an einer rein psychologischen Untersuchung der Frage interessiert, sondern würdigen sie lediglich, von den wenigen an Piaton orientierten psychologischen Bestimmungen des Origines abgesehen, in ihrer Bedeutung für die sittlichen Aufgaben. Sie kommen daher sachlich auch nicht über die Wiederholung alttestamentlicher Aussprüche hinaus, als welche etwa diese genannt seien: „Der Sünde Begier soll unter dir sein und du sollst über sie herrschen" (1. Mos. 4, 7). „Der Mensch hat vor sich Leben und Tod; was er will, wird ihm gegeben werden" (Eccl. 15, 14). „Glückselig wer da sündigen konnte und nicht sündigte" (Sir. 31; 8; 10). „Bei allen deinen Werken folge treulich deinem Gewissen; denn das heißt in Gottes Geboten wandeln" (Eccl. 32, 27). „Ich (Moses) habe Leben und Tod, Segen und Fluch vorgelegt, daß du das Leben erwählest" (Deut. 30, 19).

Überdies läßt sich ein direkter Einfluß der alten Kirchen- lehrer auf die scholastische Entwicklung unseres Problems nicht nachweisen. Nur Hieronymus, Ambrosius und Origines finden gelegentlich flüchtige Erwähnung.

Eine bedeutungsvolle Ausnahme bildete der bei weitem größte Lehre der alten christlichen Kirche,

A u g u s t i n u s. 2)

In ihm kristallisiert sich gleichsam der ganze ihm voraus- gehende geistige Entwicklungsprozeß des Christentums. Zugleich kann seine Gedankenarbeit, was das Problem der Freiheit be- trifft, als eine Weiterentwicklung der aristotelischen Lehre be- trachtet werden.

Ist die Natur von Grund aus verderbt, wie es beim unheil- baren Verbrecher der Fall ist, so vermag nur die Gewalt die richtigen Ziele des Strebens oder die richtige Vernunft wieder

für Kirchenge schichte, II. Bd., S. 234; Kedepenning, Origines, eine Darstellung seines Lehens und seiner Lehre, Bonn 1841 -1846.

6) F. Marbach, Die Psychologie des Firmianus Lactantius, Halle 1889, S. 45 f.

7) W. Vollert, Die Lehre Gregors von Nyssa vom Guten und Bösen und von der schließlichen Überwindung des Bösen, Leipzig 1897, S. 44 f.

*) Vgl. J. Storz, Die Philosophie d. hl. Augustinus, Freiburg i. B. 1882.

16

Einleitung.

herzustellen lehrt Aristoteles. Augustinus kennt ein anderes Heilmittel: die Gnade Gottes.

Während ferner für Aristoteles die unheilbaren Ver- brecher zu den Ausnahmen zählen, bilden sie für Augustinus, von den Stammeltern abgesehen, die Regel ohne Ausnahme : nach dem Sündenfalle des ersten Paares sind alle Menschen aus sich unfähig Gutes zu tun. Durch Mißbrauch hat der Mensch das Wahlvermögen, sowohl das Gute als das Böse zu wählen, ver- loren. Infolgedessen vermag der menschliche Wille aus eigener Kraft in seinem jetzigen Zustande nur Böses zu tun, nur zu sündigen. Wer sich selbst getötet hat, kann sich aus eigener Kraft nicht zum Leben erwecken. *)

Daß aber der wirkliche Wille die Ursache des Bösen ist, sucht Augustinus durch das folgende, in ähnlicher Form später häufig wiederkehrende Beispiel deutlich zu machen. Zwei Men- schen von gleicher körperlicher und geistiger Beschaffenheit be- trachten dieselbe körperliche Schönheit. Worin liegt der Grund, daß der eine sie in unerlaubter Weise genießt, der andere da- gegen nicht? Lediglich darin, daß der eine es will, der andere es nicht will!2)

*) Per malum Teile perdidit (homo) bonum posse. Serm. XXX, 2.

Arbitrium, inquani liberum, sed non liberatum; liberum justitiae, peccati autem servium, quo volvuntur per diversas novas cupiditates, alii magis, alii minus, sed omnes mali et pro ipsa diversitate diversis suppliciis judicandi. De Corr. et grat. XIII.

Libero arbitrio male utens homo et se perdidit et ipsum. Sicut enim qui se occidit, utique vivendo se occidit, sed se occidendo non vivit nec se ipsum poterit resuscitare cum occiderit: ita cum libero arbitrio peccaretur arbitrio, victore peccato amissum est liberum arbitrium: a quo enim quis devictus est huic et servus addictus est. Euch, c 29.

2) Si enim aliqui duo aequaliter affecti animo et corpore videant unius corporis pulchritudinem, qua visa unus eorum ad illicite perfruendum moveatur. alter in voluntate pudica stabilis perseveret; quid putamus esse causae, ut in illo hat, in illo non fiat voluntas mala? . . . si eadem tentatione ambo ten- tentur et unus ei cedat atque consentiat, alter idem qui fuerat, perseveret; quid aliud apparet nisi unum voluisse, alterum noluisse a castitate deficere? Unde nisi propria voluntate, ubi eadem fuerat in utroque corporis et animi affectio? Amborum oculis pariter visa est eadem pulchritudo, ambobus pariter institit occulta tentatio : propriam igitur in uno eorum volun- tatem malam, quae res fecerit scire volentibus, si bene intueantur, nihil occurrit.

Augustinus. 17

Die Ursache eines solchen bösen Willens, insofern er böse ist, kann nicht die Natur des Willens sein; denn die ist, weil ein Werk des gütigen Gottes, gut. Aus der guten Natur aber kann nichts Böses entstehen; das wäre ein Widerspruch.

Es bleibt also nichts übrig als die Annahme, der böse Wille habe überhaupt keine bewirkende Ursache, sondern nur eine fehlende. Denn er bewirkt ja gar nichts, weil das Böse nichts Positives, sondern etwas Negatives ist, ein Abfall von dem höheren zu einem geringeren Gute. Für diesen rein pri- vativen Defekt aber kann so wenig eine Ursache angegeben werden, wie für die Finsternis, die nichts ist als das Fehlen, die Ab- wesenheit des Lichts. Nicht weil das gewollte Objekt als solches böse ist, ist der Wille schlecht, sondern deshalb, weil er statt des höheren Objekts das niedere erstrebt. Insofern d. h. wegen seiner falschen Eicht ung ist allerdings und zwar ausschließ- lich der Wille die Ursache des Bösen.1)

Si enim dixerimus quod ipse eam fecerit, quid erat ipse ante voluntatem malam nisi natura bona, cujus auctor Deus qui est incommutabile bonum? Qui ergo dicifc eum, qui consensit tentanti atque suadenti, cui non consensit alius, ad illicite utendum pulchro corpore, quod videndum ambobus pariter adfuit, cum ante illam visionem ac tentationem similes ambo animo et corpore fuerint, ipsum sibi fecisse voluntatem malam, quia utique bonus ante voluntatem malam fuerit ; quaerat cur eam fecerit, utrum quia natura est an quia ex nihüo facta est et inveniet voluntatem malam non ex eo esse incipere, quod natura est, sed ex eo quod de nihilo natura facta est. De civ. XII, 6.

*) Mala voluntas efficiens est operis mali, malae autem voluntatis efficiens est nihil. . . . Cum enim se voluntas relicto superiore ad inferiora convertit, ef ficitur mala : non quia malum est, quo se convertit, sed quia perversa est ipsa conversio. Idcirco non res inferior voluntatem malam fecit, sed rem inferiorem prave atque inordinate ipsa, quia facta est, appetivit. De civ. XII, 6.

Nemo igitur quaerat efficientem causam malae voluntatis: non enim est efficiens, sed deficiens, quia nec illa effectio est, sed defectio. Deficere namque ab eo, quod summe est, ad id quod minus est, hoc est incipere habere voluntatem malam. Causas porro defectionum istarum, cum efncientes non sint, ut dixi, sed deficientes velle invenire, tale est ac si quisquam velit videre tenebras vel audire silentium: quod tarnen utrumque nobis notum est; neque illud nisi per oculos neque hoc nisi per aures: non sane in specie, sed in speciei privatione. Nemo ergo ex me scire quaerat, quod me nescire scio, nisi forte ut nescire discat, quod sciri non posse sciendum est. ... Sic species intelligibües mens quidem nostra intelligendo conspicit; sed ubi deficiunt, Verweyen, Das Problem der Willensfreiheit. 2

18

Einleitung.

Aber auch der böse Wille ist wie der gute immer frei d. h. unabhängig vom Zwange etwas zu erstreben oder nicht zu erstreben. ])

Beweis dafür sind zahlreiche Aussprüche der Heiligen Schrift: ihre Gebote und Verbote hätten keinen Sinn, wenn nicht der menschliche Wille an dem Zustandekommen des Guten und Bösen beteiligt wäre. Wie könnte Gott ferner dem Menschen ewigen Lohn verheißen und geben, wenn der Wille ihn nicht durch seine Tat verdienen könnte.2)

nesciendo condiscit. Delicta enim quis intelligit (Psalm. XVIII, 13)? De civ. XII, 7.

Isti autem (angeli), qui cum boni creati essent, tarnen mali sunt, mala propria voluntate, quam bona natura non fecit, nisi cum a bono sponte defecit, ut mali causa non sit bonum, sed defectus a bono. De civ. XII. 9.

*) Semper estautemin nobis voluntas libera, sednonsemper est bona. De Gratia et lib. arb. c XV. Schon aus dieser Stelle erhellt, wie unzulänglich die allgemeine Behauptung ist, Augustinus leugne den „freien Willen". Voluntas est animi motus, cogente nullo, ad aliquid vel non amittendum vel adipiscendum. Serm. XXX, 2.

2) Nempe, ubi dicitur (in sacra scriptura): „Noli hoc et noli illud" et ubi ad aliquid faciendum vel non faciendum in divinis monitis opus volun- tatis exigitur, satis liberum demonstratur arbitrium. Nemo ergo Deum causetur in corde suo, sed sibi imputet quisque, cum peccat. Neque cum aliquid secundum Deum operatur, alienet hoc a propria voluntate. Quando enim volens facit, tunc dicendum est opus bonum, tunc ope- randa est boni operis merces ab eo, de quo dictum est: „Qui reddet unicuique secundum opera sua" (Math. XVI, 27). De Gratia et lib. arb. c II.

Revelavit (Deus) autem nobis per Scripturas suas sanctas esse in homine liberum voluntatis arbitrium. Quomodo autem revelaverit, commemoro vos non humano eloquio, sed divino. Pri- mum quia ipsa divina praecepta homini non prodessent, nisi haberet liberum voluntatis arbitrium, quo ea faciens ad promissa praemia perveniret. Ideo enim data sunt, ut homo excusationem de ignorantia non haberet; sicut Dominus dicit in Evangelio de Judaeis: Si non venissem et locutus eis fuissem, peccatum non haberent, nunc autem excusationem non habent de peccato suo (Joan. XV, 22). 1. c.

Sed metuendum est, ne ista divina testimonia et quaecunque alia sunt quae sine dubitatione sunt plurima, in defensione liberi arbitrii, sie intelligantur, ut ad vitam piam et bonam conversationem, cui merces aeterna debetur, adjutorio et gratiae Dei locus non reliquantur; et audeat miser homo, quando bene vivit et bene operatur vel potius bene vivere et bene operari sibi videtur, in se ipso, non iu Domino gloriari et spem recte

Augustinus.

19

Gerade deshalb hat der Mensch die Wahlfreiheit von Gott empfangen, damit er sich aus freien Stücken mit Hilfe der Gnade dem Guten zuwende. Denn das frei gewählte oder ge- wollte Gute ist wertvoller als das nicht gewollte, mit natürlicher Notwendigkeit d. h. zwangsweise ausgeführte Gute. *)

Freiheit und Notwendigkeit des Zwanges widersprechen sich schlechthin: das Gewollte kann nicht zugleich nicht gewollt sein. Umgekehrt kann das Nichtgewollte, beispielsweise der Tod, nicht zugleich gewollt sein. Wer etwas wider seinen Willen tut, unterliegt deshalb nicht der sittlichen Zurechnung.

Dagegen ist die gewollte oder freiwillige Notwendigkeit mit der Freiheit verträglich. Wer tut, was er will, handelt in jedem Falle frei und trägt die Verantwortung für seine Tat.2)

vivendi in se ipso ponere . . . sicut superioribus testimoniis sancta- rum Script urarum probavimus, ad bene vivendum et recte agendum esse in nomine liberum voluntatis arbitrium, sie etiam de gratia Dei sine qua nihil boni agere possumus, quae sunt divina testimonia videamus. 1. c. c IV.

J) Omne quod fit, ei a quo fit par esse non potest. Alioquin iustitia quae sua cuique tribuere debet, de rebus auferatur, necesse est. Hominem ergo Deus cum fecit, quamquam Optimum fecerit, non tarnen id fecit, quod erat ipse. Melior autem homo est, qui voluntate quam qui necessi- tate bonus est. Voluntas igitur libera danda homini fuit. De div. quaest. I, 2.

2) Non enim quisquam de vitiis naturalibus, sed de voluntariis poenas luit. De civ. XII, 3.

Si . . . necessitas nostra illa dicenda est, quae non est in nostra potestate, sed, etiamsi nolimus, efficit quod potest, sicut est necessitas mortis, manifestum est, voluntates nostras, quibus recte (vel perperam) vivitur, sub tali necessitate non esse. Multa enim faeimus, quae si nollemus, non utique faceremus. Quo primitus pertinet ipsum velle; nam si volumus, est; si nolumus, non est: non enim vellemus, si nollemus. Si autem illa definitur esse necessitas, secundum quam dieimus necesse esse, ut ita sit aliquid vel ita fiat; nescio cur eam timeamus, ne nobis libertatem auferat voluntatis? Neque enim et vitam Dei et praescientiam Dei sub necessitate ponimus, si dicamus necesse esse Deum semper vivere et cuneta praescire: sicut nec potestas eius minuitur, cum dieimus mori fallique non posse. . . . Dicitur enim omnipotens faciendo, quod vult, non patiendo, quod non vult: quod ei si accideret nequaquam esset omnipotens. Unde propterea quaedam non potest, quia omnipotens est. Sic etiam, cum dieimus necesse esse ut, cum volumus, libero velimus arbitrio, et verum proeul dubio dieimus et non ideo ipsum liberum arbitrium necessitati subjicimus, quae adimit libertatem. Sunt igitur nostrae voluntates et ipsae

2*

20

Einleitung.

In diesem Sinne handelt sogar im höchsten Sinne frei, wer das Gute mit gewollter Notwendigkeit tut.1)

Dabei kommt aber das gute Werk des Menschen stets durch ein geheimnisvolles Zusammenwirken von göttlicher Gnade und menschlichem Willen zustande, ohne daß die Gnade die Freiheit ausschlösse. *) Ja der Wille kann sogar der Gnade seine Mit- wirkung versagen. 8)

faciunt, quidquid volendo facimus, quod non fieret, si nollemus. . . . Nam si voluntas tantum esset nec posset, quod vellet, potentiore voluntate impediretur : nec sie tarnen voluntas, nisi voluntas esset; nec alterius, sed ejus esset, qui vellet, etsi non posset, implere quod vellet. Unde quidquid praeter suam voluntatem patitur homo, non debet tribuere humanis vel angelicis vel cujusque creati Spiritus volentibus .... Qui (sc. homo), si nolit, utique non peccat. 1. c.

x) Ad peccandum Uber est qui peccati servus est. Unde ad iuste facien- dum über non erit, nisi a peccato liberatus esse iustitiae coeperit servus. Ipsa est vera libertas propter recti facti laetitiam, simul et pia servitus propter praeeepti oboedientiam. Sed ad bene faciendum ista libertas, unde erit homini addicto et vendito, nisi redimat, cujus illa vox est: Si vos filius liberaverit, tunc vere liberi eritis .... Tunc ergo effieimur veri liberi, cum Deus nos fingit, id est format et creat, non ut homines, quod iam fecit, sed ut boni homines simus, quod nunc gratia sua facit, ut simus in Christo Jesu nova creatura. Euch, c 29. Prima ergo libertas voluntatis erat posse non peccare; novissima erit multo major non posse peccare. De Corr. et grat. c XII.

2) Ecce quemadmodum secundum gratiam Dei, non contra eam libertas defenditur voluntatis. Voluntas quippe humana non libertate conse- quitur gratiam. sed gratia potius libertatem. De Corr. et grat. c. VIII. Nec adjuvari potest nisi qui etiam aliquid sponte conatur. Quia non sicut in lapidibus insensatis aut sicut in eis, in quorum natura rationem volunta- temque non condidit, salutem nostram Deus operatur in nobis. De peccat. mer. et rem. II, 5. Vgl. übrigens dasselbe Bild bei Thomas, S. th. I, 2 q 6 a 1. Dicit mihi aliquis : Ergo agimur, non agimus. Respondeo, Imo et agis et ageris. Serm. CCLVII, 2. Quae (fides sana catholica) neque liberum arbitrium negat sive in vitam malam sive in bonam; neque tantum ei tribuit, ut sine gratia Dei valeat aliquid. Ad Valent, et mon. Epist, post. Ista quaestio, ubi de arbitrio voluntatis et Dei gratia disputatur, ita est ad discernendum difficilis, ut quando defenditur liberum arbitrium, negari Dei gratia videatur. quando autem asseritur gratia, liberum arbitrium putetur auferri. De Gratia Christ. XLVII. Necessarium est homini, ut gratia Dei non solum justificetur impius, id est, ex iinpio fiat justus, cum redduntur ei bona pro malis, sed etiam cum fuerit iam justificatus ex fide, ambulet cum illo gratia et ineumbat super ipsam, ne cadat. De Gratia et lib. arb. c VI. Qua (sc. gratia

Augustinus.

21

Ein Grund für das Widerstreben des Willens gegen die Gnade kann so wenig angegeben werden, wie ein von dem. Willen verschiedener Grund , warum Gott die Welt schuf.1) Daß Jen will' oder .Ich will nicht' ist ein Letztes, das nicht weiter erklärt d.h. auf ein anderes zurückgeführt werden kann.

Es ist ein Geheimnis göttlichen Katschlusses, warum ein Teil der Menschen der göttlichen Gnade ein Jch will nicht' ent- gegengesetzt 2), obgleich es doch der göttlichen Allmacht mög- lich wäre, den Widerstand des Willens völlig zu brechen.

Die augustinische Willen slehre steht also, um kurz zu- sammenzufassen, im engsten Zusammenhange mit theologischen Fragen. Schon insofern ist sie methodisch, nicht bloß sachlich, für das gesamte Mittelalter vorbildlich. Seitdem wird nämlich das Problem immer mit Bezug auf das Dogma also nicht mehr rein philosophisch behandelt, und die Bibel bildet die hauptsächliche Autorität für die Behauptung der Freiheit.

Der außerdem noch von iUigustinus versuchte Beweis be- ruht auf der unbewiesenen und naiven Voraussetzung, es gäbe

Bei) voluntas humana non tollitur , sed ex mala mutatur in bonam et, cum bona fuerit, adjuvatur. 1. c. c XX. Gratia vero non secundum merita hominum datur, alioquin gratia jam non est gratia (Rom. XI, 6): quia ideo gratia vocatur, quia gratis datur. 1. c. c XXI.

3) Consentire vel dissentire propriae voluntatis est. De spir. et litt. XXXIV.

Si ergo isti dixerint : quid placuit Deo faeere coelum et terram ? respon- dendum est eis, ut prius discant vim voluntatis humanae, qui voluntatem Dei nosse desiderant. Causas enim voluntatis Dei scire quaerunt, cum voluntas Dei omnium, quae sunt, ipsa sit causa. Si enim habet causam voluntas Dei, est aliquid, quod antecedat voluntatem quod nefas est credere. Qui ergo dicit: Quare fecit Dens coelum et terram? respondendum est ei: Quia voluit. Voluntas enim Dei causa est coeli et terrae et ideo major est voluntas Dei quam coelum et terra. Qui autem dicit: Quare voluit facere coelum et terram? majus aliquid quaerit, quam est voluntas Dei: nihil autem majus inveniri potest. De Genes, contra Manich. I, 2. Vgl. de civ. V, 9; de Trin. III, 7.

2) Hic si a me quaeratur, cur eis Dens perseverantiam non dederit, quibus eam, qua christiana viverent, dilectionem dedit; me ignorare respondeo. Non enim arroganter, sed agnoscens modulum meum, audio dicentem Apostu- lum: 0 homo, tu quis es, qui responcleas Deo? Et: 0 altitudo divitiarum sapientiae et scientiae Dei quam inscrutabilia sunt iudicia eius et investi- gabiles viae eius! De Corr. et grat. c. VIII. Vgl. de spir. et litt. 34.

22

Einleitung.

zwei Men sehen von völlig" gleicher körperlicher und geistiger Beschaffenheit.

Aber diese fingierte Voraussetzung einmal als wirklich zu- gegeben könnte doch lediglich dartun, daß der Wille des einen Menschen tatsächlich in unerlaubter Weise das schöne Ob- jekt begehrt, der des anderen dagegen nicht.

Über die Entstehung dieser Willensakte lehrt das Bei- spiel so wenig, wie irgendeine andere Bemerkung Augustins. Seine ganzen Ausführungen setzen eben stets einen fertigen Willensakt als letzte unerklärbare Tatsache, wie übrigens Augustinus selbst betont, voraus.

Der fertige Wille aber ist gemäß der augustinischen Definition seiner Natur nach frei d. h. unabhängig vom Zwange. Womit im Grunde nichts anderes gesagt ist als dieses : wenn ich will, so kann ich nicht zugleich und in demselben Sinne nicht wollen; denn gezwungen werden heißt nicht wollen.

Auf den so gefaßten Willensbegriff wendet Augustinus die ethische Wertung an.

Dann folgt natürlich analytisch, daß sowohl der gute als auch der böse Wille frei vom Zwange sein muß.

Mit dieser Freiheit ist die theologische Behauptung Augustins, der Wille des gefallenen Menschen sei aus sich bestimmt, durch seine eigene Natur gezwungen, Böses zu wollen, durchaus ver- einbar; denn dieser Zwang ist eben ein gewollter, dem gefallenen Willen gleichsam immanent. *)

Unfrei ist der Wille nach dem Sündenfalle, insofern er sich aus eigener Kraft nur dem Bösen, dem Guten dagegen nur mit Hilfe der göttlichen Gnade zuwenden kann. Anders gewendet: aus eigener Kraft besitzt der Wille in seinem jetzigen Zustande keine Wahlfreiheit, wohl aber unter Mitwirkung der Gnade. Tatsächlich besitzt also nach Augustinus der gefallene und erlöste Mensch die Wahlfreiheit, d.h. die Fähigkeit, zwischen gut und böse zu wählen.

l) Man muß also diesen „theologischen Determinismus" scharf von dem obigen „psychologischen Indeterminismus" Augustins scheiden. Die Bemerkung G. Aschaffenburgs, Augustinus leugne, wie Luther, „den freien Willen", ist also in dieser Allgemeinheit irreführend. Vgl. das sonst sehr lehrreiche Buch : Das Verbrechen und seine Bekämpfung, Heidelberg 1903, S. 193.

Johannes Damascenus.

23

Wobei die gewollte Notwendigkeit, das Gute zu wählen, den höchsten Grad sittlicher Vollkommenheit darstellt.

Es muß somit auch an dem Freiheitsbegriffe des Augustinus eine psychologische und ethisch-theologische Seite unterschieden werden; letztere nimmt offenbar das Hauptinteresse des christ- lichen Bischofs in Anspruch.

Gnade und Freiheit,1) Sünde und Rechtfertigung, Vorher- bestimmung und Verdammung2) da swaren die Punkte, die Augustinus als erster selbständiger theologischer Denker des Abendlandes in Angriff nahm.

Was Augustinus für den Okzident, das bedeutet nun

Johannes Damascenus für den Orient, als dessen klassischer Dogmatiker er sich bis auf den heutigen Tag behauptet hat. 3) Lange war er ohne Einfluß auf den Occident geblieben, weil die augustinische Doktrin sich schnell die Alleinherrschaft in der abendländischen Theologie erobert hatte. Erst unter Eugen III. (1144—53) kam die von einem Statthalter Barbarossas, Richard Burgundio von Pisa, an- gefertigte lateinische Übersetzung der Ttrjyrj tcIgteios ins Abend- land und wurde bald auch für unsere Frage eine viel benutzte Quelle theologischer und philosophischer Spekulation. Das dog- matische Hauptwerk des Damascenus, die ,Quelle der Erkennt- nis4 umfaßt drei Teile: die Dialektik, Geschichte der Haeresien und die orthodoxe Glaubenslehre. Auf den letzteren als ortho- doxafides zitierten Teil berufen sich die scholastischen Schrift- steller bei der Behandlung unseres Problems mit Vorliebe.

Ihre hohe geschichtliche Bedeutung mag deshalb die ein- gehende folgende Darstellung der Willenslehre des Johannes von Damaskus rechtfertigen.

Der Wille gehört zur natürlichen Ausstattung des Menschen ;

1) Vgl. zu dieser Frage Chr. E. Luthard, Die Lehre vom freien Willen und sein Verhältnis zur Gnade, Leipzig 1863.

2) Vgl. 0. Kottmanner, Der Augustinismus, München 1892, und neuer- dings K. Kolb, Menschliche Freiheit und göttliches Vorherwissen nach Augustinus, Freiburg 1908.

3) Vgl. J. Langen, Joh. v. Damaskus, eine patristische Monographie, Gotha 1873, S. 11.

24

Einleitung.

denn was sich in allen Wesen einer Gattung- findet, bezeichnet ein natürliches Merkmal derselben.1) Der Wille ist somit ein- mal das Vermögen des Wollens, sodann das aktuelle Wollen selbst,2) das aber so wenig ein integrierender Bestandteil der menschlichen Natur ist, wie das aktuelle Sehen. Das dem Menschen „angeborene" Willensvermögen") ist ein vernünftiges Begehrungsvermögen, 4) im Unterschiede von dem unvernünftigen sinnlichen,5) das der Mensch mit den vernunftlosen Lebewesen gemeinsam hat.6)

Das Spontane (spontaneum) , Freiwillige oder Gewollte alle drei Bezeichnungen sind identisch ist von Lustgefühlen, das Unfreiwillige d. h. die nicht gewollte Tätigkeit dagegen von Unlustgefühlen begleitet. Letzteres kann eine doppelte Ursache haben : Gewalt oder Unwissenheit. Im ersteren Falle liegt die Ursache der Handlung außer uns, im zweiten vollziehen wir die Handlung ohne Kenntnis der näheren Umstände. Ist die Un- kenntnis aber selbst frei gewollt, wie es beim Trunkenbolde zu- trifft, so ist die Handlung, etwa ein Mord, trotzdem eine frei- willige.7)

Nicht jede freiwillige Handlung aber beruht auf einer Wahl. Wer un erhofft einen Schatz findet tut dies zwar willent- lich, aber ohne vorhergehende Wahl, die ihrerseits wieder auf einer Überlegung beruht. Letztere ist das Wollen mit Beziehung auf einen bestimmten Fall. Während nämlich der Wille ein Ziel entweder ein erreichbares oder unerreichbares ergreift, bestimmt die Überlegung, welche Mittel zur Verwirklichung des Zieles führen : Unmögliches überlegt man nicht. 8)

Ist das zum Ziele führende Mittel in einem Urteilsakte erkannt

*) Natura igitur voluntarius hoino. De fid. orth. III, c. 14.

2) lib. II, c 22.

3) cognata virtus, II, 22; omni rationali naturae omnino insita est liberae potestatis voluntas. III, c. 18.

4) rationalis et naturalis appetitus. II, c. 22.

5) affectio sensualis . . . irrationalis motus animae ob boni aut mali opi- nionem. II, c 22.

6) III, c 18.

7) II, c. 24.

8) consilium appetitus inquisitivus de iis rebus agendis, quae in uobis sunt. II, c 22.

Johannes Damascenus.

25

und zugleich affektiv ergriffen,1) so folgt der eigentliche Wahl- vorgang2) und darauf die ausführende Handlung.

Urteilen, Beraten, Wählen aber ist eine Funktion des In- tellekts; dieser folglich das Prinzip unserer freiwilligen Hand- lungen, die Wurzel unserer Freiheit.3) Vernunftbegabte Wesen sind daher immer freie, ihre Handlungen beherrschende, weil nach dem Bilde Gottes geschaffene, Wesen;4) vernunftlose Ge- schöpfe darum stets ohne Freiheit, dem natürlichen sinnlichen Begehren des Augenblicks unterworfen.5)

Bei dem engen Zusammenhange aber zwischen dem er- kennenden und begehrenden Vermögen heißen frei alle Akte, auch die intellektuellen, die eine Handlung bedingen, deren Ursache wir selbst sind.6)

In dem Gesagten ist bereits der Begriff und zugleich der Beweis der Freiheit enthalten; denn wozu alle diese eben beschriebenen psychologischen Akte, wenn der Mensch nicht selbst die Ursache wenigstens gewisser Handlungen ist? Der vollkommene Gott kann doch nicht die Ursache der ungerechten und bösen Taten der Menschen sein! Aber auch die Not- wendigkeit nicht: denn jene zählen nicht zu dem, was sich immer auf dieselbe Weise verhält. Noch auch das Fatum ; denn dieses bewirkt nur Notwendiges, nichts Kontingendes. Noch auch die Natur: denn ihr Werk sind die Pflanzen und Tiere. Auch nicht das Glück : denn die Taten der Menschen sind nicht selten und unverhofft. Endlich auch nicht der Zufall : denn nur die vernunftlosen Wesen unterliegen dem Zufall.

*) affectio ad id quod indicatum est. II, c 22.

2) electio est duorum propositorum hoc eligere et retinere alternm. II, c 22.

3) electionem intellectus noster facit atqne ipse est principium actionum. II, c 26. 4) III, c 18.

5) rationis expertia non sunt libera arbitrii potestate donata. Nam ducuntur magis a natura quam ducunt. Quapropter non contradicunt resistuntve naturali appetitus: sed simulatque quippiam appetierint, impetu feruntur ad prosecutionem. II, c 27. Kationis autem Privilegium hoc est liberae potestatis voluntas liberumque arbitrium. III, c 18.

6) Quoniam autem coniunctae sunt cognoscitivae et appetitivae virtutes in eodem (homine), libera igitur potestate appetit et libere vult et libere in- quirit et considerat et libere consultat, libere indicat, libere amat, libere eligit et libere movetur et libere agit. in iis, quae sceundum naturam sunt. II, c 22.

26

Einleitung.

Per exclusionem ergibt sich somit : der Mensch selbst ist die Ursache gewisser Handlungen. Sonst wären ja Beratung und Überlegung völlig sinnlos. Die Existenz dieser Vorgänge, die doch einen Zweck haben muß, ist also der Erkenntnisgrund, die logische Voraussetzung, der e r s t e gleichsam teleologische Beweis dafür, daß gewisse menschliche Handlungen im Menschen selbst ihre Ursache haben,1) d. h. daß der Mensch die „freie Macht" 2) hat, etwas zu tun und nicht zu tun, etwa zu lügen oder nicht zu lügen, etwas zu erstreben oder nicht zu erstreben, kurz in dem auch die Künste umfassenden Gebiete des Kontingenten eine Wahl zu treffen.3) Das Kontingente ist eben dadurch charakterisiert, daß es sowohl sein als nicht sein kann, also nicht notwendig ist.

Der Umfang jener freien Macht aber ist durch die Gesamt- heit der freiwilligen Handlungen bestimmt. Denn im Begriffe des Freiwilligen ist ja enthalten, daß die Handlung in uns liegt dies der zweite logisch-grammatische Beweis für die Freiheit.4)

Dazu kommen drittens ethische Gesichtspunkte, aus denen die Freiheit erschlossen wird. Lob und Tadel, Lohn und Strafe, Gesetz und Tugend sind auf der Voraussetzung ge- gründet, m. a. W. der Erkenntnisgrund, daß der Mensch selbst die Ursache gewisser durch die Gesetze geforderter Handlungen ist,5) wie anderseits die Freiheit der Realgrund ethischer Be- wertung ist, weshalb letztere bei vernunftlosen Wesen nicht stattfindet.6)

Viertens ein der Theodizee entnommenes Argument: Gott hat alles gut geschaffen. Alle Verderbnis ist nicht sein Werk, sondern, indirekt wenigstens, das des Menschen. Der Sündenfall Adams, in dem alle Menschen gesündigt haben, hat den Tod und andere Übel als Zuchtmittel für die menschliche Natur not-

J) II, c 25.

2) libera potestas, II, c 26.

3) II, c 26.

4) II, c 24.

5) II, c 26. °) II, c 27.

Johannes Damascenus.

27

wendig gemacht. „In uns", den Adamskindern, liegende Ursachen" haben somit diese Strafen hervorgerufen.1)

Das bisherige Eesultat ist: mit der vernünftigen Natur ist die Freiheit gegeben.2)

Aber es gibt verschiedene Grade der Freiheit.

Man darf und muß zwar den Begriff des Willens auf Gott anwenden, nicht aber den des Wählens. Denn der Akt der Überlegung setzt Unwissenheit voraus: Gott aber erkennt schlechthin alles, braucht deshalb nicht zu überlegen. Die libera potestas aber eignet Gott supersubstantialiter. Den Engeln kommt sie ebenfalls von Natur zu, und zwar derart, daß sie keinen Widerstand von Seiten des Körpers oder Teufels erfährt.

Auch der Mensch besitzt von Natur die Freiheit, doch unterliegt er bei ihrer Betätigung dem Einflüsse des Körpers und den Einflüsterungen des Satans. Die Sünde Adams ist schuld daran, daß „unser Wille leidet".

Quellen.

Diese Freiheitslehre des Demascenas leitet sich aus den ver- schiedensten historischen Elementen her. Wie Johannes in der Vorrede zu seinem Hauptwerk ausdrücklich betont, will er keine originellen Gedanken entwickeln, sondern lediglich wie eine Biene aus den Schriften der heidnischen Philosophen alles, so- weit es für seine durch die christliche Lehre diktierten Zwecke brauchbar ist, zusammentragen und es in Verbindung mit den Lehren der Propheten, Aposteln und Kirchenvätern zu einem großen Sammelwerk vereinigen. Demnach muß im einzelnen nachgewiesen werden, woher Johannes seine Sätze über die Freiheit des Menschen genommen hat, um die geschichtlichen Voraussetzungen für die Stellung des Mittelalters zu unserer Frage darzulegen.

Wie der Dominikaner Michael Lequien in seiner Ausgabe der Ttrjyrj Ttioxewg (Paris 1712) bereits nachgewiesen hat, ist die Dialektik vorwiegend aus Aristoteles, Porphyrius und Amonius geschöpft; die Geschichte der Häresien fast nur eine Wieder-

1) II, c 24.

2) siquid rationale omnino et libere potens. III, c 14.

28

Einleitung.

holung der gleichnamigen Schrift des Epiphanius mit einigen Zusätzen aus Theodoret, dem Presbyter Timotheus von Kon- stantinopel, Sophronius und Leontius von Byzanz, während die orthodoxe Glaubenslehre den griechischen, nur selten auch latei- nischen Kirchenvätern folgt, und zwar in der Trinitätslehre be- sonders Gregor von Nazianz, daneben Athanasius, Basilius dem Großen, Gregor von Nyssa, Nemesius, Chrysostomus, Epiphanius, Cyrill von Alexandrien, Leontius von Byzanz, Dionysius Areo- pagita, Maximus Confessor, Leo dem Großen u. a. So stellt sich das Sammelwerk des Damasceners ganz auf den Boden des Traditionsprinzips und ist darum bis auf den heutigen Tag die klassische Dogmatik in der morgenländischen Kirche geblieben, deren Grundsatz von jeher war, „die Grenzsteine der Väter nicht zu verrücken."

Nur in ganz allgemeiner Weise weist Johannes in unserer Frage ein einziges Mal auf die Definition der „Vorfahren" hin, der Wille sei eine freie Fähigkeit.1) Ausdrücklich zitiert er gar keine Quellen, selbst den Aristoteles dort nicht, wo er wört- lich mit ihm übereinstimmt.

Freilich ist die Annahme, daß er direkt aus Aristoteles geschöpft hat, nicht notwendig. Die folgende Tabelle wird nämlich die fast wörtliche Übereinstimmung mit dem Bischof Nemesius ergeben.2) Dieser aber hat seine Ausführungen über die Willensfreiheit fast wörtlich Aristoteles entlehnt, ohne ihn freilich, von ganz vereinzelten Stellen abgesehen, auch seinerseits zu zitieren, abgesehen von den Stellen, an denen er ihn in anderem Zusammenhange bekämpft. Es ist begreiflich, wenn auch nicht zu billigen, wenn Nemesius, als christlicher Bischof der Zeit seinen Tribut zahlend, sich nicht offen als Anhänger des Aristoteles bekannte, da man damals die Irrlehren des Arius und Eunomius auf die aristotetische Philosophie zurück- führte.

So wird also die tatsächliche Übereinstimmung des Damas- ceners mit Aristoteles, dessen Ideen somit schon längst vor dem

') Liberam enim potestatein atque arbitrium esse Yoluntatem nostri diffiniere maiores. III, c 14.

2) Vgl. B. Domansky, Die Psychologie des Nemesius. Beiträge z. Gesch. d. Philos. d. M. A, Bd. III, 1.

Johannes Damascenus.

29

Bekanntwerden der nikomacliischen Ethik in die abendländische Bildung eingedrungen waren, aus seiner Bekanntschaft mit Nemesius verständlich. Des letzteren Werk ,über die Natur des Menschen' wurde um die Mitte des 11. Jahrhunderts von dem Arzte in Salermo und späteren Abte in Monte Cassino, Alfanus, ins Lateinische übersetzt,1) indes bis ins 16. Jahr- hundert dem Gregor von Nyssa zugeschrieben, der von den Scholastikern mehrfach als Autorität für die Freiheit erwähnt wird, in welchem Falle dann also immer Nemesius zitiert sein müßte.

Um die Abhängigkeit des Damasceners und den historischen Zusammenhang überhaupt besonders anschaulich zu erkennen, sei seine Lehre thesenartig in folgender Tabelle der des Aristo- teles, Nemesius, wie auch zur Erweiterung des historischen Rahmens einzelnen Aussprüchen des Origines, Alexander Aphro- disias und Plutarch gegenüber gestellt, welch letzterem Nemesius in seinen Ausführungen über das Mögliche wörtlich folgt.

In folgenden Punkten läßt sich nun deutlich die historische Kontinuität aufdecken:

(siehe Seite 30 ff.) l) Vgl. Cl. Baumker, Wochenschrift für klassische Philologie, 1896.

30

Einleitung.

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Verweyen, Das Problem der Willensfreiheit. 3

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Johannes Damascenus.

37

Fo lg- er u Dgeu.

Die vorstellende historische Analyse hat ergeben, daß die Freiheitslehre des Damasceners keine neuen Gesichtspunkte ent- hält — ein interessantes Resultat, insofern als gleich an dieser Stelle die Abhängigkeit des Mittelalters von Aristoteles deut- lich wird, weil eben die fides orthodoxa den mittelalterlichen Denkern als eine Hauptautorität für die menschliche Freiheit galt.

Es ist darum von Bedeutung, nunmehr den sachlichen Ertrag der obigen Willenslehre festzustellen.

Alle Beweise die übrigens aus zerstreuten Bemerkungen des Damasceners systematisch geordnet wurden können ledig- lich dies dartun, daß der Mensch die Ursache mancher Hand- lungen ist. Über die Entstehung des Willensaktes aber sagen sie gar nichts aus, lassen es völlig dahingestellt, wie er innerhalb des als „Mensch" bezeichneten Wirklichen entsteht.

Dies gilt vor allem von dem ersten Beweise, der aus der erfahrungsmäßigen Feststellung der psychischen Akte des Über- legens und Wählens den Schluß zieht, sie bildeten eine kausale Komponente der vom „Menschen" ausgehenden Handlung; wobei die teleologische Voraussetzung gemacht wird, daß die Existenz dieser Akte einen bestimmten Zweck hat, der per exclusionem als verursachende Beziehung zur Handlung des „Menschen" nicht etwa konkreter des Willens bestimmt wird.

Der zweite Beweis enthält die Behauptung, daß Lohn, Strafe, Lob, Tadel sowie alle ethischen und sonstigen Vor- schriften auf der Voraussetzung beruhen, daß der „Mensch" die Ursache gewisser Handlungen ist. Von einem tieferen Zu- sammenhang dieser pädagogisch - ethischen Erscheinungen mit dem Willensakte ist nicht die Rede so wenig es bei den Vorgängern des Damasceners der Fall ist. Dem gleichen Mangel d. h. der einfachen, ohne tiefere psychologische Analyse aufgestellten Behauptung werden wir bei seinen Nachfolgern begegnen.

Der dritte Beweis ist ein rein analytisch-formaler : aus dem Begriffe des Spontanen oder Freiwilligen wird gefolgert, daß wir die Ursache spontaner oder freiwilliger Akte sind. Es sei übrigens noch ausdrücklich bemerkt, daß Spontaneum und

38

Einleitung.

Inspontaneum die lateinische Übersetzung des griechischen l/jov bzw. exovowg und axiov bzw. Äzovoiog ist, mit willentlich bzw. un willentlich oder auch freiwillig bzw. unfreiwillig wieder- gegeben werden kann, jedenfalls mit frei im Sinne von Ursach- Iosigkeit nichts zu tun hat.

Der vierte Beweis enthält theologisch-dogmatische Voraus- setzungen, ist also philosophisch wertlos, aber insofern von historischem Interesse, als er zeigt, daß auch Damascenus, wie Augustinus, die Behandlung des Freiheitsproblemes in den Dienst religiös-theologischer Zwecke stellt, um die Verant- wortung für das Übel in der Welt von dem gütigen Gott auf den Menschen abzuwälzen.

Alle vier Beweise sind typisch für die ganze Folgezeit: die in ihnen enthaltenen Argumente kehren be- ständig wieder.

Diese eingehenden Darlegungen der geschichtlichen Voraus- setzungen ermöglichen nunmehr das historische Verständnis für die Stellung des Mittelalters zu dem Probleme der menschlichen Willensfreiheit.

Mit Johannes Scotus Eriugena, der freilich noch der Über- gangszeit angehört, pflegt man die scholastische Periode zu be- ginnen. Seine Freiheitslehre eröffnet deshalb den Hauptabschnitt unserer Darstellung.

Erstes Kapitel.

Die Augustinische Periode.

1. Johannes Scotus Eriugena.1)

Hatte Johannes Damascenus vorwiegend wegen seines Ein- flusses auf die Scholastik Interesse erweckt, so fällt dieser «Grund für die Erörterung der Freiheitslehre des Eriugena fort. Nicht einmal sein Name findet, soweit sich bis jetzt feststellen läßt, in der scholastischen Entwicklung des Problems Erwähnung. Dennoch verdient er Beachtung, weil er mit seiner Schrift de divina praedestinatione in den im neunten Jahrhundert zwischen Gottschalk einerseits, Eabanus Maurus und Hinkmar von Eheims2) anderseits tobenden Prädestinationsstreit eingegriffen hat (ob es nur eine Prädestination zur Seligkeit oder auch eine solche zur Verdammnis gebe) und in den dabei entwickelten Ansichten über die Freiheit des Willens für seine Zeit von Bedeutung gewesen ist.

Der vernünftige Wille, ein wesentlicher Bestandteil der menschlichen Natur, 3) schließt seiner eigenen Natur nach den Begriff der Notwendigkeit aus4) und zugleich den der Freiheit

1) Vgl. J. Huber, Jobs. Scotus Erigena, München 1861, S. 64 ff.

2) Vgl. H. Schroers, Hinkmar von Eheims, Freiburg 1884.

3) de div. praed. c VIII.

4) Ubi est necessitas, ibi non est voluntas. c II. Aus dem Zusammen- hange ergibt sich, daß hier unter Notwendigkeit die ungewollte d. h. die Not- wendigkeit des Zwanges verstanden ist.

40

Erstes Kapitel.

ein. Ginge dem Willensakte irgendeine Ursache voraus, die ihn „wider Willen" hervorriefe, so wäre damit Freiheit und Wille zugleich aufgehoben,1) wobei unter Freiheit die Unab- hängigkeit vom Zwange verstanden ist.

Es ist somit auch die Freiheit, wie der Wille, der mensch- lichen Natur wesentlich, ja jeder vernünftigen Substanz eigen- tümlich.2) Der menschliche Wille im besonderen hat von Natur zugleich die Eigenschaft der Veränderlichkeit, wodurch er sich von dem höchsten unveränderlichen göttlichen Willen unter- scheidet,^) Dann aber entsteht die Frage: wodurch wird der Wille verändert? wer bewegt ihn? Die Antwort lautet: er bewegt sich selbst; denn darin besteht gerade seine Freiheit.4)

Diese Freiheit ist zwar eine wahre, als Wahlvermögen dem Menschen von der göttlichen Güte gegeben, um sich Gott, nach dessen Ebenbild er geschaffen, zuzuwenden.5) Vor dem Falle vermochte sich der Wille denn auch in der Tat „durch seine eigene Bewegung" 6) für das Gute zu entscheiden. Aber durch die Sünde ist der Wille derart verdorben worden, daß er seit- dem aus eigener Kraft entweder nicht gut sein will oder, wenn er es will, nicht zu sein vermag. Indes, die natürliche Wahl- freiheit, das Vermögen zu wählen zwischen gut und böse, hat der Wille dabei so wenig eingebüßt wie seine eigene Natur.7) In diesem Sinne ist deshalb das Wort des Augustinus zu ver- stehen, der Mensch habe durch Mißbrauch die Wahlfreiheit eingebüßt: was die menschliche Natur ehedem aus eigener Kraft vermochte, nämlich das Gute wollen und es vollbringen, vermag sie jetzt nur mehr mit Unterstützung der Gnade.

Wie der Mensch in der Finsternis nichts sieht, obwohl er mit der Fähigkeit zu sehen ausgerüstet ist, aber sogleich zu

J) Tibi enim est causa, quae compellit. ibi non est natura, quae velit. 1. c. c V.

-) ubi est rationabilitas, ibi necessario erit libertas. c VIII.

5) c VI.

*) c VIII.

6) c VII und [V.

6) motu suo proprio 1. c.

7) Non enim in nomine creavit Deus voluntatem captivam. sert Uber am, quae libertas post peccatum rem ans it. c IV.

1. Johannes Scotns Eriugena.

41

sehen beginnt, wenn das Licht die Finsternis verscheucht, so vermag auch der Wille, obschon mit der Fähigkeit des Wahl- vermögens ausgerüstet, im Dunkel der Erbsünde so lange nichts Gutes zu tun, bis das Licht der göttlichen Barmherzigkeit den schwachen Willen heilt und ihn für gute Werke disponiert.

Und nun zu den Argumenten, durch die Eriugena seinen Freiheitsbegriff zu begründen versucht!

Es ist zunächst „gottlos", die Freiheit des göttlichen Willens zu leugnen; denn die Bibel lehrt ihn.1) Alles, was ist, muß zwar notwendig so sein, wie es ist, weil Gott es so gewollt hat. Für den göttlichen Willen selbst aber gibt es keine von seiner eigenen Natur verschiedene Notwendigkeit.2)

Desgleichen wird die Freiheit des menschlichen Willens aus der heiligen Schrift bewiesen; denn wiederum ist es gottlos, das „kommende Weltgericht" zu leugnen. Dieses Gericht wäre aber höchst ungerecht, bestände nicht „die freie Willkür des mensch- lichen Willens", sich für das Gute oder Böse zu entscheiden.3) Ohne gottlos zu sein, kann man also die Wahlfreiheit des Menschen nicht leugnen.

Nur sie vorausgesetzt, ist doch Lohn und Strafe denkbar! Wie kann Gott „die Krone des Lebens" jemandem geben, der ihm nicht treu gedient hat? Wer dient ihm aber treu, außer wer seine Gebote mit Hilfe der göttlichen Gnade hält, wer das Gute tut und das Böse meidet? Wie kann aber Gott gebieten oder verbieten, wenn der Mensch einem natürlichen Zwange unterworfen ist, der ihn hindert, die göttlichen Gebote zu er- füllen? Kein Christ darf also leugnen, daß Gott dem Menschen die Wahlfreiheit als Fähigkeit zwischen gut und böse zu wählen, verliehen hat.4)

1) Magna opera Domini ruft die Schrift aus exquisita in omnes voluntates eins . . . Omnia quaeunque voluit Dominus fecit. Die Schrift sage nicht : in omnes necessitates. sondern : in omnes voluntates quae omni carent necessitate. c II.

2) vera ratio suasit divinam voluntatem omnimodo cuncta necessitate carere, quae vel eam impelleret vel ei impediret, sed ipsa est sua ne- cessitas, tota igitur est voluntas. c III.

3) liberum voluntatis humanae arbitrium. c IV.

4) Nullus Christianorum dubitare debet Deum universitatis conditorem dedisse homini liberum arbitrium id est electionem boni vel mali. c V.

42

Erstes Kapitel.

Ja, die Existenz des moralischen Bösen ist überhaupt unver- ständlich ohne die Annahme des freien Willens. Man muß also entweder das Schlechte überhaupt leugnen was indes wider die heilige Schrift verstößt oder zugeben, daß das Böse bei Engeln wie Menschen durch die eigene Tat des Willens zustande kommt. Eine Ursache des bösen Willens selbst gibt es aber schlechterdings nicht.1) Denn das Böse besteht in der „verkehrten und unvernünftigen Bewegung des vernünftigen und freien Willens",2) also in einem Mißbrauche, einem Defekte des Wahlvermögens.3) Ein Defekt aber ist etwas Negatives, ein Nichts,4) hat folglich keine bewirkende Ursache. Demnach kann auch für den Defekt des Willens keine positive Ursache angegeben werden. Das Böse ist somit letzthin ohne Ursache.5)

Diese im Anschlüsse an die Bibel gewonnenen Argumente finden noch eine Ergänzung durch die Vernunfterwägung, welcher Wert dem Wahlvermögen zukommt. Wenn letzteres vom Menschen zur Sünde mißbraucht werden kann, war es dann nicht besser, wenn Gott einen der Sünde unfähigen Willen schuf? Diese Frage stellen, heißt in ihr sofort eine „verkehrte Meinung" erkennen.

Denn erstens können doch alle Güter, die größten wie kleinsten, mißbraucht werden. Der Mißbrauch ist kein Argument gegen die Güte eines Objektes.6)

Zweitens erstrebt der Wille von Natur die Glückselig- keit; diese aber existiert nicht, wenn man sie auf Grund eines Zwanges erstrebt, ohne Freiheit besitzt.

Drittens wäre die ewige Glückseligkeit ein unverdientes Gut, wenn der Mensch sie nicht durch eigenen Willen erobern könnte.

Viertens wäre unsere Freiheit nur eine unvollkommene,

l) causa malae voluntatis neque inYeniri neque sciri po-test. c X. - 1 iii perverse- et irrationali motu rationabilis liberaeque voluntatis, de div. Hat. IV, 16.

3) abusio liberi arbitrii. V, 36.

4) defectiones nihil sunt, de praed. c X.

) mal am incausale est, de div. nat, V, 36. °) c Vit

1. Johannes Scotus Eriugena.

43

könnte sich der Wille nicht ebensogut dem Bösen wie dem Guten zuwenden. Die Unfreiheit, Böses zu tun, kann nur von einer erstaunlichen und bemitleidenswerten Blindheit *) höher gewertet werden als die volle Freiheit, sowohl Gutes wie Böses zu tun.

Göttliche und menschliche Autorität,2) Offenbarung und Vernunft beweisen also die Freiheit des Willens.

Quellen.

Außer Schrift und Vernunft ist Augustinus die Autorität, auf die Eriugena sich allenthalben beruft. Ihm folgt er in der psychologischen Bestimmung der Substanz des Menschen, die ein Abbild der göttlichen Trinität sei,8) in der Darlegung der Natur des Willens vor und nach dem Sündenfalle,4) in der Be- tonung des Satzes, nur der freie Wille begründe die Sünde; in dem Argument, der Mißbrauch des Wahlvermögens beweise nichts gegen die natürliche Güte des letzteren;5) endlich in der Erörterung dessen, worin die Natur des Bösen bestehe.6) In diesem Zusammenhange erwähnt Eriugena auch die gleiche Lehre des Dionysius Areopagita, dessen W erk de divinis nomini- bus er ins Lateinische übersetzte.

Folgerungen. Gleich an der Schwelle der scholastischen Spekulation be- gegnen wir also der für das Mittelalter charakteristischen Methode bei der Behandlung unseres Problems. Religiös- theologische Motive sind es in erster Linie, die zur Unter- suchung drängen: es gilt die göttliche Offenbarung vor der Vernunft zu rechtfertigen. Der gütige Gott darf nicht die Ursache des moralischen Übels sein. Seine Gebote und Ver- bote, Belohnungen und Strafen haben, wie gleich Eriugena zu

x) misera caecitas atque potius miseranda. 1. c.

2) divina et humana auctoritas, c V, c II und IV.

3j c VII.

4) Wobei der bekannte Satz zitiert wird : Libero arbitrio male utens liomo et se perdidit et ipsum. c IV.

8) c V.

6) c X.

44

Erstes Kapitel.

zeigen sucht, nur einen vernünftigen Sinn unter der psychologischen Voraussetzung, daß ihnen im Menschen die „Fähigkeit" ent- spricht, dem göttlichen Befehle zu gehorchen oder zu wider- streben.

Gegenüber diesen ethischen Bemühungen um die Erhaltung und psychologische Begründung der sittlichen Weltordnung tritt die rein psychologische Erörterung der Frage schon gleich bei Eriugena in den Hintergrund.

Wenn er in seinem Freiheitsbegriffe die Unvereinbarkeit des Willens mit der Notwendigkeit des Zwanges betont, so drückt er damit lediglich die Selbstverständlichkeit aus, daß das Gewollte nicht zugleich ungewollt d. h. eben erzwungen sein kann.

Zwar fragt Eriugena auch nach der Ursache des Willens- aktes und findet sie in der Fähigkeit des „Willens", „sich selbst" zu bewegen. Er supponiert also ein allgemeines „Ver- mögen", durch dessen „SelbstbewTegung" der einzelne Willens- akt entstellen soll. Aber auf eine nähere logisch-psychologische Analyse dieses Begriffs läßt er sich nicht ein. Nur soviel be- merkt er: es widerstreite der Freiheit, daß dem Willensakte ein anderer „ungewollter" vorausgehe. Dabei denkt er indes nicht an die Möglichkeit, daß der Willensakt seine Ursache haben kann in anderen vorausgehenden u n bewußten psychischen Akten, die ihrerseits jenseits von gewollt und ungewollt liegen.

Dieser Fehler muß gleich hier mit Nachdruck betont werden : denn er zieht sich wie ein roter Faden durch die ganze folgende scholastische Entwicklung hindurch.

Die von Eriugena bereits tatsächlich versuchte Aussöhnung von Vernunft und Offenbarung gewinnt erst durch Anselm die spezifisch scholastische Formulierung in der berühmten Frage: Our deus homo? Die anselmische Willenslehre stellt sich des- halb von vornherein prinzipiell in den gleichen Dienst,

2. Anseimus.

Die Seele besitzt gewisse „Kräfte", die sie wie Instrumente zu verschiedenen Zwecken benutzt. Der Wille, so wTenig wie die Vernunft die ganze Seele, vielmehr nur ein Teil derselben.

2. Ansehnus.

45

ist eine solche „Kraft, durch welche die Seele will". In drei- fachem Sinne kann der Wille betrachtet werden : Als Instrument des Wollens im allgemeinen, als Affektion dieses Instrumentes und als Gebrauch desselben.1) Während die Affektion bestehen kann, ohne daß wir an das gewollte Objekt denken, setzt der Gebrauch des Instrumentes immer das Bewußtsein von dem gewollten Objekte voraus. Wie das Sehvermögen die doppelte Fähigkeit besitzt, das Licht wahrzunehmen und durch das Licht die Farben, so das Instrument des Wollens die beiden Fähigkeiten oder Affektionen,2) das Angenehme und das Gerechte zu wollen. Während die erstere Fähigkeit stets auf die Gluckse] igkeit gerichtet,3) somit unveränderlich ist, kann die zweite verloren gehen, wie es bei den Engeln und ersten Menschen einge- treten ist.

Durch seine Affektionen bewegt sich der Wille selbst.4) Zu- gleich bewegt er alle anderen Instrumente, die wir freiwillig benutzen, sowohl innere, wie Hände und Zunge, als auch äußere, wie das Beil. So ist er die Ursache aller gewollten Bewegungen.

Diese psychologischen Bestimmungen vorausgesetzt, wird die Freiheit zunächst negativ dahin bestimmt, daß ihr die Fähigkeit zu sündigen schlechthin unwesentlich ist. Sonst käme ja Gott und den guten Engeln die Freiheit nicht zu. Dies zu behaupten aber ist Sünde.5)

Positiv aber bedeutet Freiheit die Unabhängigkeit vom Zwange und von der Notwendigkeit. Dabei bedarf aber der Begriff der Notwendigkeit eine Erläuterung. Gott, sagen wir, ist notwendig unsterblich und gerecht; wenn ferner etwas ist, so ist es eben notwendig. In solchen Fällen ist die Notwendig- keit eine in der Natur der Sache liegende bzw. eine logische Notwendigkeit, die keinen Zwang ausübt.6) Hiervon durchaus

*) instrumentum volendi affectio instrumenti usus eiusdem in- stramenti. De lib. arb. c V.

2) aptitudines instrumenti volendi, quas voco affectiones 1. c.

3) semper vult homo beatitudinem et beatus esse. De conc. praesc. et praed. nec non Gratiae Dei cum lib. arb. q I, c 11; c 12.

4) voluntas instrumentum suis affectionibus seipsum moyens. c 11.

5) nefas est dicere 1. c.

e) haec necessitas non cogit nec prohibet aliquid esse aut non esse, 1. c. q I, c 2.

Erstes Kapitel.

verschieden ist aber jene Notwendigkeit, die durch einen äußeren Zwang zustande kommt.

Diese Unterscheidung auf den Willen angewandt, ergibt: wenn der Wille etwas will, so kann er es nicht zugleich nickt wollen, muß es also in diesem Sinne notwendig wollen. Aber nichts zwingt ihn zu wollen oder nicht zu wollen, bevor er er will. Darin besteht gerade seine Freiheit. In positiver Wendung bedeutet somit Freiheit das Handeln aus eigenem Antriebe. Frei ist das spontane Handeln, wobei spontan nichts anderes als gewollt bedeutet.1) Gefesselt, gefoltert, getötet werden kann der Mensch wider seinen Willen; nicht aber kann er wollen wider seinen Willen. -)

Auf den Einwurf des Schülers, man müsse demnach auch dem Pferde einen freien Willen zuschreiben, da es ja auch nicht wider Willen der fleischlichen Begierde folge, antwortet Anselm : nicht der Wille des Pferdes unterwirft sich, sondern er ist von Natur stets mit Notwendigkeit der Begierde des Fleisches unterworfen; wie ja auch der Stein nicht freiwillig, sondern natürlicherweise3) von oben nach unten fällt. Der menschliche Wille dagegen wird, solange er rechtschaffen ist, durch keine „fremde Gewalt" bestimmt, es sei denn, daß er in die letztere einwilligt, welchen Consensus der Wille dann aber nicht mit natürlicher Notwendigkeit wie das Pferd, sondern eben „aus sich" setzt. Selbst durch die stärkste Versuchung vermag der Wille nicht genötigt zu werden. Folgt er ihr, so hat er ihr eben zugestimmt: nicht durch eine fremde Gewalt wurde er dann besiegt, sondern durch seine eigene Macht, Nur in diesem Sinne kann überhaupt von einer Besiegung des Willens die Kede sein. 4) In Wahrheit ist also der Wille auch dann noch stärker als die Versuchung, wenn er ihr „erliegt".

Aber wendet der Schüler ein wäre mein Wille tat-

1) Yoluntarium s i v e spontaneum , quoniam spontanea voluntate tit.

q I, c 3.

2) velle autem non potest invitus. quia velle non potest nolens velle; nam omni* voieiis ipsnm suum velle vult. De lib. arb. c V.

8) naturaliter et non sponte, Dialogus de veritate, c XII.

*) voluntas non nisi sna vincitnr potestate. De lib. arb. c V.

2. Anseimus.

47

sächlich mächtiger als die Versuchung, so würde er doch nicht ihren Einflüsterungen gehorchen.

Anselm erwidert mit dem Hinweis auf die doppelte Be- deutung des Begriffs Willen, womit einmal die unveränderliche, in der Seele liegende Fähigkeit zu wollen, sodann das aktuelle, auf die einzelnen mannigfaltigen Objekte gerichtete Wollen ge- meint sein kann. Die Stärke des Wollens liegt nun aber, wie der Schüler zugibt, in der ersteren Fähigkeit, dem Instrument des Wollens. Unterliegt ein Mensch, bei gleichem Kraftauf- wand in beiden Fällen, dem Widder, während er über den Stier siegt, so war er doch offenbar jedesmal gleich stark. Ent- sprechend ist auch die Stärke des Willens, insofern er als unveräußerliches Instrument betrachtet wird, konstant und un- überwindbar durch eine „andere" Gewalt. Ändert sie sich, so geschieht es lediglich durch den Willen selbst, der bald stärker bald schwächer will, wobei aber das Wollen sein eigenes Werk ist.1) Deshalb kann nicht einmal Gott die Rechtschaffenheit dem Willen rauben, es sei denn, daß dieser es selbst will. 2) Es gibt schlechthin keine Notwendigkeit, durch die er gezwungen werden könnte, seine Rechtschaffenheit preiszugeben. Durch eine „fremde" Gewalt „wider Willen" vor die Wahl zwischen Lüge oder Tod gestellt, wird er doch durch nichts gezwungen, das Leben mehr als die Wahrheit zu lieben. Er selbst ist es vielmehr, der durchaus aus eigenem Antriebe und nicht wider Willen 3) das wählt, was er mehr liebt, die Wahrheit oder das Leben. 4)

Wie die Sehkraft in der Dunkelheit nicht schwindet, auch wenn kein aktuelles Sehen stattfindet, so geht auch jene Fähig- keit des Willens, die Rechtschaffenheit zu bewahren, selbst dann nicht verloren, wenn die letztere ihrerseits nicht mehr besteht. Jene Fähigkeit, die das Wesen der Wahlfreiheit ausmacht,5) ist ein schlechthin unverlierbares Gut der vernünftigen Natur,

1) Voluntas agit opus suum, cum aliquid vult. c VII.

2) c VIII.

3) De conc. praesc. Dei cum lib. arb. I, c 6.

4) sponte utique et non invita 1. c. 6) Dialogus de ver. c IX.

48

Erstes Kapitel.

wenn auch seine Erhaltung zuweilen mit Schwierigkeiten ver- bunden ist.1)

Nun heißt es aber Joh. 8. 34: Wer sündigt, ist ein Sklave der Sünde. Wie vereinigt sich Knechtschaft mit unverlierbarer Freiheit? Eine Unterscheidung löst die Schwierigkeit. Ohne Besitz jener Kechtschaffenheit ist der Wille sowohl Sklave als auch frei. Sklave; denn er kann sie nicht mehr ergreifen, wenn er sie nicht hat. Frei; denn es liegt stets in seiner Macht, sie zu bewahren, wenn er sie hat.2) Er hat sie aber nur durch die zuvorkommende Gnade gewonnen und gewinnt die verlorene Gerechtigkeit nur mit Hilfe der Gnade wieder ; denn hat er ein- mal die Eechtschaffenheit verloren, so bleibt er aus sich mit Notwendigkeit ein Sklave der Ungerechtigkeit.3)

Den Einfluß der Gnade4) betont die Bibel ebenso nach- drücklich, wie die Tätigkeit des Willens. 5) Zwischen Einseitig- keiten liegt also die Wahrheit: Gnade und Freiheit begründen die sittliche Güte des Willens.6)

In den für die Tätigkeit des Willens zeugenden biblischen Aussprüchen liegt zugleich ein Beweis für die Existenz der Wahlfreiheit.

1) c IV.

2) Semper habet rationalis natura liberum arbitrium, quia Semper habet potestatem servandi rectitudinem voluntatis propter ipsam rectitudiuem. quamvis aliquando cum dif f icultate. c X. Semper naturaliter über est ad servandam rectitudiuem, si eam habet : etiam, quando quam servet, non habet, c XI.

3) Per hoc quia redire non potest a peccato, servusest; et per hoc, quia abstrahi non potest a rectitudine, über est. c XI.

4) quantum in ipsa est necessitate iniusta et ancilla iniustitiae. c XIII. . B) Sine me nihil potestis facere (Joh. XV, 5). Et nemo venit ad me.

nisi Pater meus traxerit eum (Joh. VI, 44). Quid autem habes. quod non accepisti (I Cor. IV, 7). Cuius vult, miseretur, et quem vult indurat (Rom. IX, 18). Neque volentis neque currentis, sed miserentis est Dei. (1. c. 16).

6) Si volueritis et audieritis me, bona terrae comedetis (Isa. I, 19). Quis est homo, qui vult vitam, diliget dices videre bonos? Prohibe linguam tuam a malo et labia tua, ne loquantur dolum. Diverte a malo et fac bonum (Ps. XXXIII, 13, 14, 15). Venite ad me omnes, qui laboratis et onerati estis et ego reficiam vos. Tollite jugum meum super vos et discite a me, quia mitis sum et humilis corde et invenietis requiem animabus vestris (Math. XI, 28, 29).

2. Anselmus.

49

Ein weiterer Beweis liegt in der Tatsache des Bösen. Wo- her kommt die Ungerechtigkeit? Nur vom Willen! Denn der gütige Gott kann doch nicht schuld daran sein. Was er schafft, ist, insofern es ist, gut ; demnach auch der Wille, insofern er ist. Folglich ist der Mensch selbst schuld daran, daß er die Ge- rechtigkeit verlassen hat, obwohl er sie mit Hilfe der Gnade bewahren konnte. Mit Willen oder freiwillig ist also der Wille schlecht geworden; nicht allerdings, insofern er ist insofern kann er seine Güte nie verlieren aber insofern er aus freien Stücken ungerecht geworden ist. 1) Auch beim Sündenfalle der En gel war der Wille die einzige Ursache, der keine andere als die Fähigkeit d. h. die Möglichkeit des Sündigens vorausging.2)

Die bisher entwickelten Begriffe machen ohne weiteres die folgende Tabelle verständlich, in der die von Anselm unter- schiedenen Arten bzw. Grade der Wahlfreiheit zusammengestellt seien 3) :

Libertas arbitrii a se facta et accepta

(solius Dei) (angelorum et hominum)

habens rectitudienem carens rectitudine

separabiliter inseparabiliter recuperabiliter irrecuperabiliter

a) angelorum om- a) electorum an- a) omnium homi- a) reproborum an- nium, antequam gelomm post rui- mim in hacvitailla gelorum post rui- boni confirmaren- nam reproborum. carentium , quam- nam.

tur et mali cade- b) hominum post vis illam multi non b) reproborum ho-

rent- mortem suam. recuperent. minum post hanc

b) omnium homi- b) vitam. num ante mortem,

qui habent rectitu- dinum eandem.

r)xNon enim est culpa Dei, qui creavit in eo cum libertate arbitrii voluntatem et contulit ei iustitiam, ut nihil nisi iuste vellet, sed culpa hominis, qui iustitiam deseruit quam servare potuit. 1. c. XIV.

2) Angelus ideo deseruit justitiam, quia voluit, quod velle non debuit : et hoc modo id volendo, quod non debuit, deseruit illam. Nulla autem causa praecessit hanc voluntatem, nisi quia velle potuit. Liber de casu diaboli, c 27.

3) De lib. arb. c XIV.

Yer weyen, Das Problem der Willensfreiheit. 4

50

Erstes Kapitel.

Quellen.

Was die Quellenfrage bei Anselm betrifft, so zitiert er über- haupt keinen seiner Vorgänger. Mit ausdrücklicher Berufung entnimmt er nur der Bibel ein sehr umfangreiches Material, aus dem er seinen Freiheitsbegriff ableitet. Tatsächlich ist seine ganze Lehre im wesentlichen eine Wiederholung augustinischer Gedanken. Eine originelle Formulierung scheint die Wendung zu sein, Freiheit bedeute die Fähigkeit, die Rechtschaffenheit des Willens um ihrer selbst willen zu bewahren. Sachlich deckt sich dies freilich mit der augustinischen Fassung, der Wille könne sich, vor dem Sündenfalle aus eigener Kraft, nach dem- selben nur mit Hilfe der Gnade, dem Guten zuwenden. Als originell erscheint auch die später häufig zitierte Bezeichnung des Willens als eines „sich selbst und alle anderen seelischen Potenzen bewegenden Instrumentes", wobei aber wiederum der Begriff der Selbstbewegung ebenfalls schon von Augustinus be- tont war.

Folgerungen.

Diesen letzteren Begriff sucht Anselm wie Augustinus durch die klare Unterscheidung einer zweifachen Notwendigkeit zu verdeutlichen und erblickt die Eigenart des freien Aktes darin, daß demselben keine zwingende Notwendigkeit vorausgeht.

Aber, vielleicht entspringt der Willensakt einer gewollten Notwendigkeit, d. h. vielleicht fällt bei der Entstehung desselben die Notwendigkeit, das hic et nunc Nichtanders-sein-Können, mit dem bewußten Wollen zusammen, weshalb dann für das Bewußtsein natürlich nur eine gewollte d. h. freie Notwendigkeit vorhanden war, während der konkrete Willensakt tatsächlich aus unterbewußten anderen psychischen Vorgängen mit der Notwendigkeit, ob zwar nicht des Zwanges, so doch der des Nichtandersseinkönnens hervorginge.

Anselm hält sich mit solcher psychologischen Analyse nicht auf; um so nachdrücklicher betont er die begriffliche Unver- söhnlichkeit von Wille und Zwang und kommt infolgedessen zu der formal-logischen Behauptung, der Wille sei immer frei. Zwar redet Anselm, freilich nur im allgemeinen, von Zuständen, welche die Betätigung der Freiheit, also die Durchsetzung

2. Anseimus.

51

des Willens gegenüber anderen ungewollten psychischen Fak- toren, erschweren, ohne sie indes aufzuheben. Sein Disput mit dem Schüler kommt darum auf eine logische Spielerei hinaus. Wer, wie Anselm, behauptet, der Wille könne seiner Natur nach durch nichts besiegt werden, wird natürlich in jedem Falle, da der Wille tatsächlich, wie etwa in dem anselmischen Beispiele des Kampfes zwischen Leben und Wahrheit, unterliegt, mit der logisch zwar einwandfreien, aber psychologisch nichtssagenden Antwort aufwarten, die Niederlage sei eben gewollt. Denn psychologisch wird immer die Frage offen bleiben, wie in concreto die Niederlage, die doch stets das Nachgeben einer vorher auf ein anderes höheres Ziel gerichteten Willensenergie bedeutet, möglich ist. Antworten, darin bestehe eben die Selbstbewegung des Willens, heißt in doppeltem Sinne nichts anderes sagen als : stat pro ratione voluntas.

Nicht unerwähnt aber bleibe, daß Anselm, wohl zum ersten Male, den Willen nicht nur zu dem durch die Vernunft er- kannten Gerechten, sondern auch zum Angenehmen d. h. doch wohl zu den Gefühlen in Beziehung setzt. Aber über die all- gemeine abstrakte Definition, der Wille sei ein sich selbst durch seine Affektion des Angenehmen oder Gerechten bewegendes Instrument, gelangt auch Anselm nicht hinaus; über den kon- kreten Anteil der Gefühle oder sittlichen Wertvorstellungen an der Entstehung konkreter Willensakte verliert er kein Wort.

Die von Anselm inaugurierte scholastische Problemstellung erfuhr ihre Fortbildung durch die berühmte Methode des Sic et Non, die Aufzählung der für und wider eine Ansicht sprechenden Gründe, eine Methode, die Abaelard in die Theologie einführte. Darin liegt sein Hauptverdienst und Einfluß auf die Folgezeit. Seine Willenslehre tritt demgegenüber an Bedeutung zurück, verdient aber gleichwohl historische und sachliche Beachtung.

3. Abaelard.

Die Wahlfreiheit besteht ihrem Wesen nach in der Fähig- keit, das durch die Vernunft Erkannte und Beschlossene „willent- lich und ohne Zwang" auszuführen. Die Vernunft hat die Aufgabe zu überlegen, ob etwas zu tun oder zu unterlassen ist.

4*

52

Erstes Kapitel.

Dieser Urteilsakt ist die notwendige Bedingung der Freiheit, weshalb vernunftlose Wesen das liberum arbitrium nie besitzen können.

Soweit gilt die Definition für alle Vernunftwesen. Für solche mit veränderlichem Willen begründet nun aber jener Urteilsakt nur dann Freiheit, wenn das Vernunftwesen durch „keine Gewalt der Natur" getrieben wird, sondern es zugleich auch „in seiner Macht" hat, das Erkannte auszuführen oder zu unterlassen.

In diesem Begriffe der Macht muß nun aber das Können vom Tun unterschieden werden. Der Mensch kann d. h. hat die Fähigkeit zu gehen auch dann, wenn er gerade im Wasser schwimmt oder wenn er etwa noch ein Kind ist. Meint man aber die aktuelle Fähigkeit zu gehen, so muß man sie dem ab- sprechen, der gerade schwimmt oder als Kind wegen nicht ge- nügend entwickelter Körperkraft noch nicht gehen kann. Folg- lich kann man eine Fähigkeit besitzen, ohne sie in jedem Augenblicke ausüben zu können. Man kann etwas können, ohne in jedem Augenblicke die Möglichkeit zu haben, es zu tun. Das begründet an sich keine Un Vollkommenheit und Ohnmacht; denn es kann ein Tun in dem einen Augenblicke angebracht sein, in dem anderen dagegen nicht.1)

Was die Macht des Tuns anbetrifft, so muß dabei zwischen dem unveränderlichen göttlichen und dem veränderlichen mensch- lichen Willen unterschieden werden. Letzterer besitzt die Wahlfreiheit nur dann, wenn es erstens in seiner Macht steht, das Gewählte sowohl auszuführen als zu unterlassen, und wenn zweitens das Gewählte ohne Überlegung nicht zustande ge- kommen wäre. Diese Einschränkungen gelten jedoch nicht für den göttlichen Willen. Zwar kann auch Gott darin stimmt er mit dem Menschen überein in jedem Augenblicke, mensch- lich gesprochen, mehr als er wirklich aus Konvenienzgründen tut: wenn er aber etwas tut, so geschieht es mit schlecht- hiniger Notwendigkeit, während der menschliche Wille noch die minderwertige Fähigkeit besitzt, es auch unterlassen zu können. Denn die gleiche absolute Notwendigkeit, die der göttlichen

l) Introd. ad theol. III, c V.

3. Abaelard.

53

Natur eigen ist, kommt auch seinem Willen zu, weil er von ihr nicht verschieden ist. *) So tut denn Gott alles mit abso- luter Notwendigkeit und zugleich mit höchster Freiheit. Seine Güte ist ihm deshalb wesenhaft und un- wandelbar, nicht bloß per accidens eigen und verdient gerade darum auch die höchste Verehrung und Liebe.

Demnach gehört auch die Fähigkeit, sowohl Gutes wie Böses tun zu können, nicht zum Wesen des liberum arbitrium. Je weiter vielmehr ein Wesen von der Sünde entfernt ist, um so freier ist sein Urteil bei der Wahl des Guten. Die Unmöglich- keit zu sündigen also weit entfernt, die Freiheit aufzuheben, macht vielmehr deren höchste Vollendung aus; wofern es der eigene Wille, nicht irgendein Zwang ist, der jene Unmög- lichkeit begründet.

Quellen.

Auch Abaelard ist sehr karg in der Angabe seiner Quellen. Tat- sächlich wandelt auch er in den Bahnen Augustins. Ausdrück- lich beruft er sich a>uf ihn2) für die Behauptung, die gewollte, nicht erzwungene Unmöglichkeit zu sündigen, begründe die höchste Freiheit.

Die darin liegende Grundanschauung, zum Wesen des liberum arbitrium gehöre nicht die Möglichkeit, sowohl Gutes wie Böses zu tun, entnimmt Abaelard einer Homilie des Hieronymus.3)

Ganz allgemein gehalten ist das auf Boethius zurück- weisende Zitat, die „Philosophen" definierten das Freie als ein „freies Urteil über den Willen"4), wobei aber wieder in erster Linie an Augustinus zu denken ist.

Folgerungen. Trotz der verhältnismäßig kurzen Behandlung des Problems läßt Abaelard doch keinen Zweifel darüber, daß er das Wesen

1) nequaquam divinae naturae necessitas ab eins voluntate disiuncta est. III, c V.

2) III, c VII.

3) homilia de filio prodigo: Solus Deus est, in quo peccatum non cadit; caetera, cum sint liberi arbitrii, in utrumque possunt suam deflectere volun- tatem. III, c VII.

4) III, c VII.

54

Erstes Kapitel.

der Freiheit darin erblickt, daß ein Willensakt niemals von Zwangsgefühlen begleitet ist; doch kann er im übrigen schlechthin notwendig sein d. h. die Möglichkeit des Auch- anders-Seins ausschließen, ohne darum seine Freiheit einzu- büßen.

Ein theologisch-metaphysisches Motiv führt Abaelard zu dieser Begriffsbestimmung: Gott schwankt nie zwischen mehreren möglichen Handlungen, sondern setzt eine jede stets mit der gleichen Notwendigkeit, mit der er existiert. Oleich wohl oder vielmehr gerade deshalb ist Gott im höchsten Grade frei. Zu einer psychologischen Vertiefung dieser abstrakt-logischen Be- hauptung, der freie Willensakt könne zugleich ein notwendiger Vorgang sein, ist Abaelard indes nicht fortgeschritten.

Doch macht er den ersten Versuch einer psjrchologischen Analyse des traditionellen Begriffs „in der Macht haben". Er findet darin zwei verschiedene Begriffe, die Fähigkeit des Könnens und die des Tuns, m. a. W. die innere psychische Fähig- keit und die Möglichkeit, sie nach außen hin zu offenbaren. In dieser scharfsinnigen Unterscheidung hat Abaelard zum ersten Male den überaus wichtigen Unterschied der Freiheit des Wollens und des Tuns prinzipiell ausgesprochen.1)

Eine bedeutsamere Stellung als Abaelard nimmt Petrus Lombardus ein, wenn es sich darum handelt, die Quellen auf- zudecken, aus denen die folgenden Scholastiker ihre Ansichten über das Freiheitsproblem geschöpft haben. Sein Sentenzen- kommentar, die erste große systematische Darstellung der christ- lichen Lehren, soweit sie bis dahin entwickelt waren, blieb wäh- rend des ganzen Mittelalters im Gebrauche der Schulen und wurde von den verschiedensten Theologen kommentiert.

4. Petrus Lombardus.

Die menschliche Seele umfaßt zwei „Kräfte" : eine „niedere", die auch den Tieren zukommt und in dem sinnlichen Erkennt-

l) Erst in unseren Tagen ist dieser Unterschied in seiner ganzen Be- deutung für das Freiheitsproblem gewürdigt worden yon W. Windelband, Vorlesungen über Willensfreiheit, Heidelberg 1905.

4. Petrus Lombardus.

55

Bis- und Strebevermögen besteht, und eine „höhere Kraft", die Vernunft und den Willen. Als eine Fähigkeit der beiden letzteren und darum als eine ausschließlich der vernünftigen Seele innewohnende Potenz stellt sich die Wahlfreiheit dar,1) wobei das frei sich auf den Willen, die Wahl auf die Vernunft bezieht. Denn diese übt ein Schiedsrichteramt, indem sie zwischen gut und bös unterscheidet und entweder das Gute mit Hilfe der göttlichen Gnade oder das Böse aus sich wählt. Der Wille dagegen hat die Fähigkeit, sich „freiwillig, auf Grund eigenen Begehrens" dem erkannten Guten oder Bösen zuzuwenden,2) ohne dabei der Notwendigkeit des Zwanges unterworfen zu sein.3)

Gegenstand der Wahl ist nicht das Gegenwärtige dies muß ja, indem es ist mit logischer Notwendigkeit so sein, wie es ist; auch nicht das Vergangene, das eben als solches not- wendig ist, sondern das bedingt Zukünftige, insofern dessen Eintritt in unserer Macht liegt.

Die genannte Definition gilt nun aber nur für einen ver- änderlichen Willen, der sowohl das Gute wie Böse wählen kann.4) Gottes und der Auserwählten Wille aber ist im Guten derart befestigt, daß er gar nicht sündigen kann. Und doch kommt auch Gott die Wahlfreiheit zu, aber in einem anderen Sinne als dem Menschen. Das liberum arbitrium Gottes ist identisch mit seinem allweisen und allmächtigen Willen, der alles, was er will, „nicht mit Notwendigkeit, sondern mit freiem Willen" will.5)

1) Liberum arbitrium est facultas (oder : potestas et habilitas, II dist. 25, 1) rationis et voluntatis, qua bonum eligitur gratia assistente vel malum eadem desistente. Sent. lib. II, dist. 24, 5. Liberum videtur dici arbitrium, quia sine coactione et necessitate valet appetere vel eligere, quod ex ratione decreverit. 1. c.

2) voluntarie et spontaneo' appetitu voluntas ad utrumlibet flecti (mo- veri, ferri) potest. II; 24, 5. Gleich hier sei darauf hingewiesen, daß die in der Scholastik beliebten Termini ,moveri, ferri' in gleichem Zusammenhange von der neueren Philosophie angewandt werden, so beispielsweise von Descartes und Tschirnhaus; man vgl. hierzu des Verf. Abhandlung, E.W. von Tschirn- haus als Philosoph, Bonn 1905, S. 21, 29.

3) non pro necessitatis (sc. coactionis) obsequio. II; 25, 3.

4) bonum vel malum et utrumlibet secundum electionem facere vel di- mittere. 1, c.

5) Dei enim liberum arbitrium dicitur eius sapientissima et omnipotens

56

Erstes Kapitel.

Weil Gott keiner Sünde fähig und gerade darum im höchsten Sinne frei ist, so folgt, daß die mit dem eigenen Willen iden- tische Unfähigkeit zu sündigen die höchste Freiheit begründet.1)

Diese hier gemeinte Freiheit ist nun freilich eine andere als die Freiheit von der Notwendigkeit des Zwanges. Es gibt nämlich eine dreifache Freiheit.

Das allgemeinste Wesen jeder Freiheit besteht in der Un- abhängigkeit des Willens vom Zwange. 2) Diese Freiheit ist so- mit jedem Willen, dem bösen wie guten, eigen.

Ist der Wille somit zwar immer frei, so ist er darum doch nicht immer auch zugleich gut. Die Guten besitzen einen freieren Willen als die Bösen; denn sie besitzen neben der natürlichen Freiheit noch die Freiheit von der Sünde, die der Apostel II Kor. 3 andeutet mit den Worten: Wo der Geist des Herrn, dort Freiheit.

Diese zweite Freiheit hat nun der Mensch durch die Sünde verloren 3) damit zugleich auch die dritte Freiheit von dem Elende, den Sündenstrafen. Geschaffen mit der Fähig- keit des posse peccare, ist der Mensch durch die tatsächliche Sünde auf die Stufe des posse peccare et non posse non peccare gesunken, um dereinst die Stufe der Vollendung des non posse peccare mit Hilfe der göttlichen Gnade zu erreichen.

Die Möglichkeit der Sünde aber beruht auf der Verbindung von Sinnlichkeit und Vernunft im Menschen. Unter dem Bilde einer Ehe wird dieses Verhältnis deutlich: die Vernunft ist der Mann, das sinnliche Erkennen das Weib, das sinnliche Begehren die Schlange jede Sünde eine Wiederholung der Szene im

voluntas, quae non necessitate, sed libera voluntate omnia facit, prout vult. II; 25, 4. Voluntas merito apud Deum judicatur, quae Semper a necessitate libera et numquam cogi potest. II; 25, 9.

*) Quo enim quisque ab illa peccati Servitute, de qua scriptum est Joh. VIII: Qui facit peccatum, servus est peccati, longius absistit, tanto in eligendo bouum liberius habet iudicium. II; 24, 5.

2) Ubi necessitas (sc. coactionis !), ibi non est libertas nec voluntas. 25, 9. Haec libertas (sc. a coactione!) in omnibus est, tarn in malis quam iu bonis. 1. c. Voluntas est animi motus cogente nullo ad aliquid non admittendum vel adipiscendum. 26, 2.

3) libertas a peccato a miseria. 25, 8.

4, Petrus Lombardus.

57

Paradiese.1) So besteht das Wesen der Sünde in der „Zustim- mung" zu dem erkannten Bösen; sie ist das eigenste Werk des Menschen, während das Gute nur mit Hilfe der Gnade zustande kommt. In diesem Sinne offenbart sich demnach im Bösen noch eine größere Freiheit als im Guten. 2)

Quellen.

Lombardus gibt bei weitem genauer als seine Vorgänger die benutzten Quellen an. Auch er folgt Augustinus, mit dem er obere und niedere Teile der Seele unterscheidet3), den Willen als eine keinem Zwange unterworfene Bewegung der Seele4) und das liberum arbitrium als eine auf Vernunft und Willen be- ruhende Fähigkeit bezeichnet, das Böse selbständig und das Gute mit Hilfe der Gnade zu wählen.5) Seitdem wird diese Definition des liberum arbitrium von den Scholastikern stets als eine auf Augustinus zurückkehrende zitiert. In Wahrheit findet sie sich wörtlich gar nicht bei Augustinus, dem Inhalte nach nur insofern, als Augustinus lehrt, der Wille erstrebe nur ein erkanntes Gut. Damit drückt er ja freilich die Ansicht aus, daß Verstand und Willen in ihrem Zusammenwirken das liberum arbitrium ausmachen. Allein über die Frage, ob das liberum arbitrium eine Fähigkeit bezw. Potenz von Verstand und Willen sei, äußert sich Augustinus nirgends. Ihm ist Freiheit als Selbst- bestimmung wesentlich eine Eigenschaft des Willens.6)

Ferner führt Lombardus die Sünde unter Berufung auf den

*) Ut enim ibi (in paradiso) serpens suasit mulieri et mulieri viro, ita et in nobis sensualis motus, cum illecebram peccati conceperit, quasi serpens suggerit mulieri, scilicet inferiori parti rationis, id est rationis scientiae; quae si consenserit illecebrae, mulier edit cibum vetitum, post eodem dat viro, cum superiori parti rationis, id est rationi sapientiae, eandem illecebram suggerit, quae si consentit, tunc vir etiam cum femina cibum vetitum gustat. 24, 8.

2) Liberius est (sc. liberum arbitrium) ad malum, quod per se potest quam ad bonum, quod nisi gratia liberetur et ad juvetur, non potest. 25, 15.

3) II, dist. 24, 6.

4) cf. de duabus animabus c X; II, dist. 26, 2.

5) II, dist. 24, 5.

6) Vgl. A. Schneider, Die Psychologie Alberts des Großen, Beitr. zur Gesch. der Philos. des M.-A., Bd. IV, 6, S. 458 f.

58

Erstes Kapitel.

bekannten augustinischen Satz ]) auf einen Mißbrauch der Frei- heit zurück, wobei er ebenfalls die Sünde bildlich erläutert und wie jener lehrt, der Wille sei zwar stets frei, doch nicht immer gut. 2) Endlich folgt Lombardus auch der Gnadenlehre Augus- tins8) und behauptet mit ihm, auch Gott besitze das liberum arbitrium.4)

Als zweiten Kirchenvater zitiert Petrus den Hieronymus, und zwar eine Homilie, 5) in der es heißt, nur Gott könne nicht sündigen. Alle anderen Wesen dagegen könnten sich beiden Seiten, dem Guten wie Bösen, zuwenden. Auch in der Lehre von der Natur des Übels als eines Negativen folgt Lombardus bewußt Hieronymus0) zugleich natürlich auch Augustinus.

Wie Abaelard erwähnt Petrus endlich auch ganz allgemein die Definition der „Philosophen", daß Freie bestehe in einem „freien Urteil über den Willen", "') welche Bestimmung bekannt- lich zum ersten Male von Boethius ausgesprochen wurde.

Endlich muß auch der Apostel Paulus ein Argument für die göttliche Freiheit liefern, wenn er sagt: omnia operatur unus atque idem Spiritus dividens singulis prout vult, id est fügt Lombardus hinzu pro liberae voluntatis arbitrio, non pro necessitatis obsequio.8)

Folgerungen. Die Ausführungen des Lombarden bieten keinen Anlaß zu einer speziellen kritischen Wertung. Es wäre das Gleiche wie bei seinen Vorgängern zu sagen. Seine ganze sachliche Leis- tung in unserer Frage ist im Grunde nur die Wiederholung der alten Behauptung: der Wille ist frei vom Zwange, weil er Wille ist.

1) II, dist. 25, 8.

2) II, 25, 13.

3) II, 24, 5; 25, 7.

4) II, 25, 3.

6) II, 24, 5. Homilia ad Damasum papain, tom. 3: Solus Deus est, in quam peccatum non cadit nec cadere non potest. Caetera, cum sint liberi arbitrii in utramque partem flecti possunt.

«) II, 39, 1.

7) II, 25, 1.

8) II, 25, 3.

5. Magister Bandinus.

59

Wir können deshalb gleich zu einem anderen Sentenzen- kommentator des zwölften Jahrhunderts übergehen.

5. Magister Bandinus.

Der Wille ist eine Bewegung der Seele, die ohne irgend- welchen Zwang etwas erstrebt oder meidet.1)

Objekt des Willens ist das von der Vernunft erkannte Gute oder Böse. Ersteres kann der Wille nur mit Hilfe der Gnade, letzteres vermag „aus sich" zu wählen.

Die Wahlfreiheit, das liberum arbitrium, ist folglich eine Fähigkeit des Willens und der Vernunft.2)

Die natürliche Freiheit besteht also ihrem Wesen nach darin, daß das Wählen stets ohne Zwang geschieht.

Insofern der Wille nur dem Guten sich zuwendet, besitzt er zugleich die Freiheit von der Sünde und dem Elende, den Sündenstrafen.

Vor dem Sündenfalle besaß der menschliche Wille diese dreifache Freiheit; nach demselben hat er nur die natürliche Freiheit vom Zwange zurückbehalten.

Sofern es sich um die Freiheit von der Sünde und dem Elende handelt, ist der Wille um so freier, je mehr er dem Guten zuneigt sind also die Heiligen des Himmels freier als die Menschen.3)

x) Est autem vohmtas animi raotus nullo cogente ad aliquid non ad- mittendum vel adipiscendum. Ut autem malum non admittat et bonum adi- piscatur, gratia Dei praevenit eam et subsequitur. Sent. lib. II, dist. 26. M. P. L. 192, 1054.

2) Est autem liberum arbitrium in voluntate et ratione. Est enim facultas voluntatis et rationis, propter voluntatem, quae cogi non potest, liberum dic- tum : propter rationem vero arbitrium, quae arbitratur et dijudicat inter bonum et malum. Inde igitur dicitur liberum arbitrium, quod libere et spontanee ducatur, vel ad bonum eligendum, non tarnen sine auxilio gratiae. vel ad malum, in quod per se sufficit II, dist. 25.

3) In malis enim simpliciter est liberum per eam libertatem, quae est a necessitate. In redemptis vero iiberius est propter eandem et eam quoque, quae est a peccato: unde in eis liberatum dicitur: in glorificatis vero erit liberrimum, omni modam habens libertatem ad bona, non ad mala. II, 25.

patet duas esse libertates liberi arbitrii, malam scilicet et bonam. Mala igitur et non vera libertas est, cum ratio dissentit a voluntate

60

Erstes Kapitel.

Da das Gute in der Übereinstimmung des Willens mit dem von der Vernunft Erkannten besteht, so ist in dem genannten Sinne die „wahre" Freiheit dann vorhanden, wenn der Wille der Vernunft folgt.

Gegenstand des Wählens ist weder das Gegenwärtige noch das Vergangene denn beides ist bereits zu einem bestimmten Sein determiniert sondern das Zukünftige, insofern es von der Macht des Willens abhängt. l)

Quellen.

Bandinus stützt sich allenthalben auf Augustinus,2) mit dem er lehrt, der göttliche Wille sei die Ursache alles natür- lichen Geschehens, selbst aber ohne Ursache mit dem er ferner verschiedene Stadien der menschlichen Freiheit :i) sowie drei Arten von Freiheit überhaupt unterscheidet und endlich in der Bestimmung des Verhältnisses von Gnade und Willen übereinstimmt.4) Auch die Begriffsbestimmung der Freiheit ist augustinisch.

Ferner beruft er sich auf Hieronymus für die Ansicht, Gott und die im Guten befestigten Heiligen allein könnten nicht sün- digen, hätten keine Wahl zwischen gut und böse.

Trotzdem aber besitze Gott das liberum arbitrium, bemerkt er mit Ambrosius und wiederum Augustinus, weil er keinem Zwange unterworfen sei.

Folgerungen. Die kurze Freiheitslehre des Bandinus verdient höchstens insofern einige Beachtung, als sie erstens besonders nachdrück-

iudicans, quod vohmtas appetit non esse faciendum. Bona vero libertas vera est, ubi ratio voluntati concordat. 1. c.

*) liberum arbitrium nec ad praesentia pertinet nee ad praeterita: quod enim est vel fuit, sie determinatum est, ut non sit in libero arbitrio tunc, quando est vel fuit, ut sit vel non sit, fuerit vel non fuerit. Ad fntura igitur tantum pertinet, non tarnen ad ea, quae, an proveniant an non, in potestate non habet, sed ea tantum, quae ut sint vel non sint, bona malave voluntatis libertate potest eligere. 1. c.

2) I, dist. 45.

3) II, dist. 25. *) II, dist. 26.

6. Hugo Ambianensis

61

lieh das Wesen des Guten in der Übereinstimmung des Willens mit der Vernunft bestimmt und zweitens den Gedanken eines Stufenreiches im Gebiete der sittlichen Freiheit besonders deutlich zum Ausdruck bringt: um so größer die sittliche Frei- heit als die tatkräftige Ausübung des Guten durch den Willen. Auch Hugo Ambianensis, der ebenfalls dem XII. Jahrhundert angehört, äußert sich nur kurz über unser Problem.

6. Hugo Ambianensis.

Die Wahlfreiheit ist eine gewisse Bewegung der vernünf- tigen Kreatur mit der Möglichkeit, das Urteil der Vernunft auszuführen.1)

Somit wurzelt die Freiheit in der Vernunft, deren Urteil aber eben nur dann frei heißt, wenn es von dem Willen, der keiner Notwendigkeit des Zwanges unterliegt,2) in die Tat umgesetzt wird. 8)

Weil letzteres nur bei Gott stets geschieht, ist er der freieste. 4)

Im weiteren Sinne aber ist jede vernünftige Kreatur wahl- frei. 5)

Engel und Menschen haben die natürliche Bestimmung, die göttlichen Gebote zu erfüllen, können jedoch die Wahlfreiheit zum Bösen mißbrauchen, indem sie den eigenen Willen dem gött- lichen vorziehen.6)

1) Liberum, ut sentio, arbitrium est quidam motus intelligentiae ratio- nalis habens possibilitatem, quod iudicat, exsequendi. Dial. lib. III, 5. M. P. L. 192, 1168.

2) legentem qnippe voluntarie nulla necessitas (sc. coactionis! wie aus dem Zusammenhange hervorgeht ) facit legere; quem tarnen, dum scio legere, pro lege conditionis necesse est legere. III, 11 (1172).

3) Sed hoc eius (rationis) iudicium minime constat liberum nisi cum efficit, quod novit agendum. III, 5.

4) Privilegium sane voluntatis propriae soli convenit Creatori, qui nihil debet alicui, sed prout vult omnia, facit. III, 4 (1168).

5) vere iuxta Dei providentiam facta est angeli et hominis rationalis creatura et utrisque data liberi arbitrii facultas. III, 10 (1172).

ö) Peccatum omnino nihil aliud est nisi rationalis creaturae Vitium. Quae enim declinat a bono sibi a suo Conditore proposito, quo ipsum, qui summe

62

Erstes Kapitel.

Was speziell den Menschen betrifft, so hat ihm Gott das Wollen und Können des Guten verliehen. Nachdem aber der Mensch einmal das Böse gewollt hat, verlor er zugleich die Fähigkeit, das Gute tun zu können. Er wurde ein Gefangener des Bösen und vermag seitdem das Gute nur mit Hilfe der gött- lichen Gnade zu tun. Denn sein eigenes Wollen des Guten reicht nach dem Falle nicht mehr aus, es auch zu tun, wenn- gleich es eine notwendige Bedingung des mit Hilfe der Gnade zustande kommenden Heilsaktes ist.1)

Das Böse besteht somit in einem Abfalle vom Guten und hat deshalb gar keine Ursache.2) Es ist kein Sein denn dieses ist stets gut sondern etwas rein Negatives, ein Nicht- gutsein; wie sich die Begriffe Mensch und Nichtmensch zuein- ander verhalten, so Güte und Nichtgüte d. h. Sünde. 3)

Wer sich von der Sünde fernhält, besitzt „die der Welt unbekannte Freiheit der Kinder Gottes." 4)

Im weiteren Sinne bedeutet Freiheit auch die Unabhängig-

est, debuit amare et amando percipere et percipiendo beata manere, non in aliud ipsa condatur, sed arbitrii sui libertate privatur, dum propriam volun- tatem, quam creatura habere non debet, Creatori suo praeponere nititur. Qua- propter, non natura, non res aliqua, est istud, quod dicimus malum, sed abusio seu negligentia boni sortita est mali vocabulum. III, 4 (1168).

*) Habens itaque (sc. homo) a Deo posse bonum, non debuit apponere velle malum: quod quia transgressor apposuit, iusto Dei indicio miser accepit, ut per velle malum amitteret bonum posse. Factus itaque sub velle malo captivus, se non posse, quod velit, dolet: qui si oboediens mansisset sub Deo, posset omne, quod v eilet. 111,10(1172). Nullus (enim) potest salvari , nisi ipse velit. III, 14 (1175).

2) Causa ista quam quaeris (sc. malitiae), si diligenter attendis, nulla est; non effectus, sed defectus est. Defectus dico ab eo, quod bonum est, ad id, quod bonum non est vel ab eo, quod summe est ad id, quod minus est. Cum autem hoc modo voluntas deficit, non ad mala, sed (ad bona) male divertit. Nulla namque res mala est, sed omnis bona est secundum id, quod est. IV, 10 (1187).

3) malum dicitur, non quia est, sed quia bonum non est. IV, 11. Est enim, cum dico .malita', ac si dicerem non-bonitas, sicut homo et non-homo, sicut iustitia et iniustitia. IV, 12.

4) Prius itaque oportet te servare mandata, ut bene agendo ad in- telligendam quam mundus ignorat libertatemfiliorumDeiproficias... Mandatum itaque Domini, quia homo primus in paradiso noluit servare, iure libertatem perdidit, cuius et intelligentiam pariter amisit. V, 11

1205).

6. Hugo Ambianensis.

63

keit von äußerer Bedrängnis. Die Kirche Gottes hat beständig zu kämpfen gegen die Feinde des Gottesreiches, namentlich in den Tagen des Antichrists. Selbst die Gerechten würden als- dann — „wenn es möglich wäre" in die Irre gehen, wenn die Tage der Verfolgung nicht abgekürzt würden und die Freiheit der Kirche nicht zum Siege käme. *)

Quellen.

Zitate sucht man vergebens bei Hugo. Im wesentlichen sind es natürlich wieder augustinische Lehren, die er vertritt.

Folgerungen.

Nur einige neue und originelle Elemente scheint er aufzu- weisen; gleich terminologisch bei der Definition der Wahl- freiheit, indem er das Wesen derselben in der realen Möglichkeit sieht, das von der Vernunft Erkannte auszu- führen. Von hier aus gelangt er dann sofort zu der Bestimmung, nur die Wirklichkeit des vernunftgemäßen Tuns, also die sittliche Freiheit, sei die „wahre und herrliche Freiheit der Kinder Gottes".

Endlich bringt Hugo eine neue erweiterte Fassung des Freiheitsbegriffes, die Freiheit von äußerer Bedrängnis, das Gute auszuüben, mit anderen Worten die äußere Freiheit des Gut- Tuns.

Die innere Freiheit d. h. innere psychologische Möglichkeit des Guttuns setzt Hugo überall als eine dauernde unverlierbare Eigenschaft des Menschen voraus. Von etwaigen inneren Hem- mungen, das Gute zu tun, spricht er nicht.

Die dialektische Theologie des XII. Jahrhunderts fand eine energische Gegnerschaft an der mystischen, weniger dem be- grifflichen Wissen als dem unmittelbaren Schauen und der frommen Erbauung dienenden Richtung. Ihr erster Ver- treter ist

l) Sed Deo gratias breve tempus erit. Tolletur impius et Ecclesiae libertas stabit et cum Christo libera permanebit. Haec est libertas, quam Christus, de Virgine natus, mundo reparavit. Cum hac infernum victor intravit; cum hac surgens a mortuis suos ab inferis liberos eduxit et coelum gloriosus ascendit. Libertas haec thesaurus ille est, qui in agro abscon- ditus sapienter ab emptore quaeritur. V, 11 (1205).

64

Erstes Kapitel.

7. Bernhard von Clairvaux.

Von dem natürlichen Begehrungsvermögen, das uns mit dem vernunftlosen Lebewesen gemeinsam ist, muß der Wille als „ver- nünftige und das sinnliche Strebevermögen beherrschende Be- wegung" ') unterschieden werden. Diese Bewegung kommt stets durch die Vernunft zustande, wenn sie sich auch oft genug gegen das Urteil derselben richtet. Niemals aber erleidet sie durch die Vernunft eine Notwendigkeit; das würde ihr Wesen geradezu vernichten: Wille und Notwendigkeit schließen sich gegenseitig aus.2) Wo kein Wille, da auch keine Freiheit.3)

Im Begriffe des „zustimmenden" Willens ist die Freiheit oder das liberum arbitrium enthalten,4) wobei das Arbitrium sich auf die urteilende Vernunft, das liberum auf den ausführen- den Willen bezieht.5) Weil Wille und Notwendigkeit schlecht- hin unvereinbare Begriffe sind, so folgt, daß auch Freiheit und Notwendigkeit eine contradictio in adjecto ist.

Die Freiheit ist also eine unverlierbare Eigenschaft des Willens: Solange dieser selbst besteht, solange auch seine Frei- heit. Nur wenn der Willensakt selbst ausgeschlossen ist, wie bei Irren, Kindern und Schlafenden, kann auch von Freiheit keine Rede sein.

Diese, die Natur des Willens ausmachende Freiheit von der Notwendigkeit6) gilt unterschiedslos sowohl von Gott wie von jeder vernünftigen Kreatur, der guten wie bösen. Sie kennt keine verschiedenen Grade und wird durch Sünde und Elend weder verloren noch geschwächt. Das Gute wie Böse tut der

*) motus rationalis et sensui praesidens et appetitui. De gratia et lib. arb. c II, 1.

2) Ubi quippe necessitas, iam non vohmtas. c II, 2.

3) Ubi non est voluntas nec libertas, c VIII, 24.

4) Ubi voluntas, ibi libertas. Et hoc est, quod dici puto liberum arbi- trium. I, 1.

6) aliud est voluntarius consensus, aliud naturalis appetitus . . . Ubi autem voluntas non est, nec consensus. Non enim est consensus nisi volun- tarius. Ubi ergo consensus, ibi voluntas. Porro. ubi voluntas, ibi libertas Et hoc est, quod dici puto liberum arbitrium. I, 1.

6) libertas a necessitate (sc. coactionis!). IX, 30.

7. Bernhard von Clairvaux.

65

Wille „nicht wider Willen", x) sondern willentlich, 2) aus eigenem Antriebe, nicht von anderswoher gezwungen.3)

Wie Gott und die Engel freiwillig 4) weil sich ihr Wille im Guten befestigt hat5) nicht auf Grund irgendeiner „schwächlichen" äußeren Notwendigkeit6) gut sind, so verharrt der Teufel durch eigenen Willen,7) nicht durch „fremden gewalt- samen Antrieb" im Bösen.8)

Neben dieser Freiheit von der Notwendigkeit des Zwanges gibt es die Freiheit von der Sünde.

Wie die Bosheit des Teufels, so ist jede Sünde das Werk des Willens.9) Diesem ist die Vernunft als Begleiter zugegeben. Ihre Aufgabe ist es, das Erlaubte von dem Unerlaubten zu unterscheiden.'0) Dazu kommt die, „freie Überlegung" u) ge- nannte, Fähigkeit zwischen beiden zu wählen, endlich der „freie Entschluß",12) das Gewählte auszuführen.

Nur dann, wenn zu dem liberum arbitrium hinzukommt die libertas consilii, die in der Wahl des Guten, und die libertas complaciti, die in der energischen Ausführungen des erkannten Guten besteht,13) ist das volle Können14) und damit die mäch- tigste Freiheit15) gegeben. Welcher Mensch aber könnte sich solcher Vollkommenheit rühmen?16)

Mit dem Sündenfalle der ersten Menschen ging sie verloren; es blieb allein die libertas arbitrii zurück, deren Mißbrauch den

x) non invitus. IV, 9.

2) voluntarie L c.

3) sponte, non aliunde coactns 1. c.

4) libere, propria voluntate 1. c.

5) firma in bono voluntas et voluntaria firmitas. X, 35. (1) non aliqua extrinseca necessitate. IV, 9.

7) suo utique voluntario nutu. X, 35.

8) non alieno impulsu 1. c.

9) quodque is non valet in bonum respirare, non aliena facit vio- lenta oppressio, sed sua ipsius in malo obstinata volnntas ac volun- taria obstinatio. X, 35.

10) II, 1.

n) liberum consilium. IV, 11.

12) liberum complacitum. VI, 20.

13) IX, 30.

u) plenum Posse. VI, 20. ») IV, 9. 16 ) VI, 20.

V er weyen, Das Problem der Willensfreiheit. 5

66

Erstes Kapitel.

Verlust der libertas consilii und complaciti zur Folge hatte.1) Denn allein „durch seinen eigenen Willen" sank der Mensch in die Grube der Sünde hinab. '2) Die freiwillige, „ohne äußere Gewalt" 8) erfolgte Zustimmung zu dem erkannten Bösen macht das Wesen der Sünde aus.

Der eigene Wille dem Tode zu entgehen, keine Notwendigkeit, war es beispielsweise, was den heiligen Petrus zur Verleugnung Christi trieb. Übte auch das drohende Schwert einen Einfluß auf Petri Willen aus, es zwang ihn doch nicht.4) Verleugnete Petrus seinen Meister auch unter Schmerzen, so doch nicht wider seinen Willen. 5)

So stammt also alle Sünde aus der Schwachheit des Willens, alle Befreiung von der Sünde aber kommt vom heiligen Geiste. 6) Gott, die göttliche Gnade, ist der Ursprung unseres Heiles, das indes nur unter Zustimmung des Willens zustande kommt,7) welche letztere aber selbst schon wieder ein Werk der Gnade ist. Gott ist also der Urheber, der menschliche Wille der tätige Empfänger des Heiles:8) beide zusammen bringen den Heilsakt zustande.9)

Folglich ist erstens die Schöpfung des freien Willens, zweitens die Wiederherstellung und Befreiung des gefallenen Willens, und drittens die Vollendung des Willens, seine Befreiung von allem Elende im Zustande der kommenden ewigen Glück- seligkeit das Werk der göttlichen Gnade.10)

») VII, 21. 2) VII, 23. 3) nulla vi extrinseca. XIII, 42.

4) Porro talem esse illam voluntatem convincebat gladius, non cogebat. c XII, 40.

5) quidem dolens, non tarnen volens 1. c.

6) non liberi arbitrii, sed Domini est salus. VIII, 44. Sine me nihil potestis facere. Joh. XV, 5. Neque cwrentis neque volentis, sed miserentis est Dei. Rom. IX, 16.

') a Deo ergo sine dubio nostrae fit salutis exordium nec per nos utique nec nobiscum. Verum, consensus et opus, etsi non ex nobis, non tarnen sine nobis. c XIV, 46. Dens fecit volentem, hoc est suae voluntati con- sentientem. XIV, 51.

8) cooperator Spiritus Sancti, coadiutor Dei. XIII, 45.

9) Tolle liberum arbitrium et non erit, quod salvetur; tolle gratiam, non erit, unde salvetur. c I, 1.

10j ereatio reformatio consumatio in statu aeternitatis , in patria; libertas a miseria. XIV, 46.

7. Bernhard von Clairvaux.

67

Neben den bisherigen der Offenbarung entnommenen Ar- gumenten zugunsten der Freiheit kommen noch andere in Be- tracht.

Nur einem freien Willen kann das Gute und Böse zuge- rechnet werden. Die „Notwendigkeit" würde ja beides ent- schuldigen. 2) Nur die freie Zustimmung des Willens zu dem Erkannten begründet, abgesehen von der Erbsünde, die aus einem „anderen" Grunde eine Ausnahme bildet,2) Tugend, Schuld, Lohn und Strafe. Deshalb kann bei den Tieren und vollends leblosen Dingen von Verdienst und Schuld keine Eede sein; denn es fehlt ihnen das Vermögen der „Zustimmung".3)

Aber selbst der Mensch kann sich in Zuständen befinden, in denen er von Vernunft oder Willen oder beiden zugleich keinen Gebrauch machen kann und deshalb auch die Frei- heit entbehrt. Das gilt von den Irren, Kindern und Schlafen- den. 4)

Quellen.

Die einzige Quelle, die Bernhard zitiert, ist die Bibel. Tat- sächlich stimmt auch er mit Augustinus überein, dessen An- sichten er durch Petrus Lombardus mittelbar kennen lernen konnte. Daß er den Sentenzenkommentar des letzteren wirklich gekannt und benutzt hat ohne ihn freilich zu zitieren er- gibt sich mit hoher Wahrscheinlichkeit aus folgender wörtlicher Übereinstimmung :

Petrus Lombardus. Bernhard von Clairvaux.

ubi necessitas, ibi non est libertas ubi quippe necessitas, iam non nec voluntas et ideo nec meritum. voluntas.

Sent. lib. II dist. 25, 9. de gratia et lib. arb. II. 2.

ubi necessitas, libertas non est.

1. c. II, 5. ubi voluntas, ibi libertas.

1. c. I, 1.

1) quod sui liberum non esse cognoscitur, quo pacto vel bonum ei vel malum imputatur? Excusat nempe utrumque necessitas. II, 5.

2) alia ratione. II, 5.

3) Non habent quippe, unde bono malove consentiant. XIII, 45.

4j quia nimirum sicut suae non sunt compotes rationis, sie nec usum retinent propriae voluntatis ac per hoc nec iudicium libertatis. II, 5.

5*

68

Erstes Kapitel.

Folgerungen. Die Freiheitslehre Bernhards verdient insofern einige Be- achtung, als sie nicht, wie die seiner Vorgänger, die Freiheit als eine immer vorhandene Fähigkeit des Menschen bezeichnet, sondern wohl zum ersten Male, wenigstens in der Scholastik, ausdrücklich betont, daß es Zustände gibt, welche die freie Willensbestimmung ausschließen. Bei dem engen Zusammenhange von Vernunft und Willen findet Bernhard solche Zustände, außer bei vernunftlosen Wesen und den noch nicht zum Gebrauche ihrer Vernunft erwachten Kindern, bei den „geistesgestörten" erwachsenen Menschen. Eine nähere psychologische Erklärung dieser pathologischen Zustände gibt er jedoch nicht; wie er denn auch dem Beispiele seiner Vorgänger folgend die Begriffe von Schuld, Verdienst, Lohn und Strafe nicht kritisch untersucht und psychologisch analysiert, sondern in ihrer, dem christlichen Zeitbewußtsein entsprechenden, Fassung voraussetzt und ihren notwendigen Zusammenhang mit dem freien Willen einfach be- hauptet.

Auch bei dem Versuche der psychologischen Untersuchung und Begründung des freien Willens selbst kommt Bernhard darin zugleich in typischer Weise die Bemühungen seiner Vor- gänger kennzeichnend nicht über die Behauptung hinaus, es existiert ein seiner Natur nach vom Zwange freier Wille, weshalb er selbst ausdrücklich Wille und Freiheit gleichsetzt.

Bei der näheren Bestimmung der Leistungsfähigkeit des freien Willens verläßt Bernhard jedoch sogleich den rein psycho- logischen Boden der Erfahrung und begibt sich in die meta- physisch-christliche Gedankenwelt. Hier leiht ihm die theo- logische Gottes- und Engellehre das Motiv zur genaueren Fassung des philosophischen Freiheitsbegriffes: die Fähig- keit, in gleicher Weise zwischen Gut und Böse wählen zu können, kann nicht zum Wesen der Freiheit gehören denn „sonst" wären Gott und die Engel unfrei, weil sie des Bösen unfähig sind.1)

l) Alioquiu nec Deus nec angeli sancti, cum ita sint boni, ut non possint esse mali, ita angeli, cum ita sint mali, ut iam non valeant esse boni liberi arbitrii esse dicentur. X, 35.

8. Hugo von St. Victor.

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Von der Kraft des freien menschlichen Willens, das Gute zu tun, denkt Bernhard, wie seine theologischen Vorgänger, sehr gering: nichts Gutes kann der Mensch nach dem Sünden- falle ohne die göttliche Gnade wirken, die sich mit ihm zu dem einen Akte gleichsam vermählt weshalb übrigens nie fest- gestellt werden kann, wieviel an dem konkreten Willensakte auf Rechnung der mitwirkenden Gnade, wieviel auf die der eigenen Kraft des Willens zu setzen ist. Aber mit solchen psychologischen Reflexionen hält sich der Mystiker nicht auf: ihm steht das Zusammenwirken von Gnade und Freiheit oder Willen auf Grund der Offenbarung fest, mag es im übrigen auch , ein „Geheimnis" sein.

Bernhards Gesinnungsgenossen im Kampfe wider das Wissen um des Wissens willen sind die Viktoriner, zunächst der Mystiker

8. Hugo von St. Victor.

Die Wahlfreiheit ist jene „Geneigtheit des vernünftigen Willens, kraft deren das Gute mit Hife der Gnade bzw. das Böse bei fehlender Gnade gewählt wird".1) Dabei bezieht sich das Wählen auf die Vernunft, die den Gegenstand der Wahl zu untersuchen hat; das „frei" auf den Willen, der das Gewählte erstreben soll. Das Wahlvermögen kommt somit nur vernünftigen Wesen, die im Besitze von Vernunft und Willen sind, zu, während die Tiere nur ein sinnliches Erkenntnis- und Strebevermögen besitzen.

Zwar ist es Aufgabe der Vernunft, dem Willen gleichsam die Richtung zu weisen, indes braucht dieser darum doch nicht jener sklavisch zu folgen. 2) Oft genug befolgt der Wille nicht das Urteil der Vernunft, die sich ihm dann unterwerfen muß. Nur der Wille kann „durch keine Gewalt und Notwendig-

*) liberum arbitrium est habilitas rationalis voluntatis, qua bonum ele- gitur gratia cooperante vel malum ea deserente. S. Sent. III, c 8.

2) voluntas tamquam domina ducit secum rationem ... non eniin trahitur voluntas a ratione, sed solummodo monstrat ratio, quod appetere debeat voluntas. ]. c.

70

Erstes Kapitel.

keit" *) gezwungen werden , und zwar niemals : er ist also immer frei.2)

Dieser negativen Bestimmung, der Wille sei stets ohne Zwang, unabhängig von „fremdem Impuls",3) tritt die positive zur Seite: der Wille bewegt sich „durch sich selbst" „hierher und dorthin".4) Das liberum arbitrium ist folglich eine aus „eigenem Antriebe erfolgende Bewegung oder ein gewolltes Be- gehren".5)

Nur dem Geiste ist das liberum arbitrium eigen; denn nur ein Geist hat die Fähigkeit der Selbstbewegung.6) Gerade darin unterscheidet er sich vom Körper, der stets von einem anderen nämlich vom Geiste , und darum mit Notwendigkeit bewegt wird.7)

Es liegt darum im Wesen des Willens als einer Fähigkeit des Geistes begründet, daß er schlechthin keinem Zwange unterworfen ist; selbst dem höchsten Gute gegenüber, das ihn allein befriedigen kann, befindet er sich völlig frei: ohne einen Zwang zu erleiden, vermag er es in einem Akte der Liebe zu ergreifen.

Gegenstand der Wahlfreiheit ist das kontingent Zukünftige ; denn das Notwendige der Zukunft geschieht ja unabhängig von unserem Wollen, das Gegenwärtige aber ist, insofern es ist, not- wendig, kann nicht zugleich nicht sein; das wäre ein logischer Widerspruch. Unser Wille kann somit nur das bestimmen, was sowohl sein als nicht sein kann, d. h. das kontingent Zu- künftige.8)

l) nulla vi, nulla necessitate cogi. 1. c.

*) Ea (voluntas) Semper libera est. Ubi enim necessitas, ibi non est Jibertas nee voluntas. 1. c.

8) sine coactione et impulsu alieno. 1. c.

4) per se moveri et ferri in utrumque. De Sacramentis I, 5, c 20.

5) spontaneus motus vel voluntarius appetitus Voluntarie autem moveri vel ferri et spontaneo appetitu, hoc est potestate eligere et libertate iudicare, in quo constat liberum arbitrium. 1. c. XI, 21.

6) Quod mens movetur, libertate movetur, quia voluntarie movetur et per se movetur. De Sacr. I, 6, c 4.

7) Quod autem corpus movetur, necessitate movetur, quia ab alio. hoc est a mente. 1. c.

&) 1. c. 22.

8. Hugo von St. Victor.

71

Zweck der Freiheit ist, durch „gewolltes Begehren" x) sich für das Gute zu entscheiden und dadurch ein Verdienst zu be- gründen. Wie ein großer Teil der Engel, so entschied sich nun aber tatsächlich der menschliche Wille für das Böse, das in einer „ungeordneten Bewegung" des Willens besteht.2) Dieser ist an sich gut, desgleichen jede seiner einzelnen Bewegungen; nur die falsche Richtung und die Maßlosigkeit begründen das Böse.

Der Wille ist also die eigentliche Wurzel des Bösen. Gott bewirkt das Böse nicht, sondern läßt es nur zu, indem er den seinem Sein und seiner Tätigkeit als solcher nach guten Willen im Dasein erhält.3) Ja ohne Willen, ohne Freiheit gibt es gar kein Böses ; die Notwendigkeit kann weder Schuld noch Verdienst begründen.4)

Statt seine natürliche Bestimmung zu erfüllen, hat der Mensch das liberum arbitrium mißbraucht, das nunmehr ein dreifaches Stadium durchläuft, obwohl es seinem Wesen nach immer und unveränderlich dem Willen eigen ist. Nur in- sofern es mit seinem Zwecke verglichen wird, durchläuft es ver- schiedene Stadien.

Vor dem Sündenfalle vermochte der menschliche Wille mit Hilfe der Gnade das Gute zu tun, litt aber gleichzeitig an einer Schwachheit, auf Grund derer er sich für das Böse entscheiden konnte, ohne daran durch einen Zwang von Seiten Gottes ge- hindert zu werden. Es war das Stadium des posse peccare posse non peccare. Nach dem Sündenfalle, d. h. in seinem jetzigen Zustande gilt von dem menschlichen Willen das posse peccare non posse non peccare. In dem dritten Stadium der

1) spontaneus motus voluntarius appetitus voluntarie moveri vel ferri et spontaneo appetitu. De Sacr. I, 5, c 20.

2) vohmtas prava et iuordinata, non tenens modum et legem pulchritu- dinis suae. Sent. III, c 16. Secundum mensuram moveri secundum iustitiam. 1. e.

3) Malarum enim voluntatum ordinator est Deus, non Creator. De Sacr. I, 3, c 27.

4) Nec culpatur, qui ducitur, quia necessitate ducitur; sed cul- patur, qui ducit, quia in subiectum abutitar libertate. De Sacr. I, 6, c 4. In motu rationabilis voluntatis omne meritum. 1. c. 2, c 25. Ubi non est libertas nec voluntas et ideo nec meritum. Sent. III, c 8.

72

Erstes Kapitel.

Vollendung wird der Wille durch die Gnade derart im Guten befestigt sein, daß er gar nicht mehr zu sündigen vermag.1)

Quellen.

Neben Augustinus, dessen bekannten Satz über den Miß- brauch der Freiheit in der Sünde Hugo zitiert,2) mit dem er ferner die Definition des liberum arbitrium und die Lehre vom Bösen sowie die Unterscheidung der drei Stadien der mensch- lichen Freiheit gemeinsam hat, erscheinen Bernhard von Clairvaux und Petrus Lombardus als die Autoritäten, denen Hugo folgt. Ohne näher zu untersuchen, wer von beiden Hugo in unserer Frage direkt beeinflußt hat, wollen wir uns hier damit begnügen, die tatsächliche wörtliche Übereinstimmung zwischen den drei Denkern festzustellen :

Petrus Lombardus. Bernhard. Hugo von St. Victor.

Ubi necessitas, ibi non ubi quippe necessitas, voluntas semper a ne- est libertas nec voluntas iam non voluntas. cessitate libera est.

et ideo nec meritum. de gratia et üb. arb. Ubi enim necessitas,

Sent. lib. II dist. II, 2. ibi non est libertas; ubi

25, 9. ubi necessitas, libertas non est libertas nec vo-

non est (II, 5) ; ubi volun- luntas et ideo nec meri- tas, ibi libertas (I, 1). tum.

Sent. III, 8.

Folgerungen. Hugo gibt eine eigenartige und breitere psychologische Fundierung seines Freiheitsbegriifes, indem er mehr als seine Vorgänger den engen Zusammenhang der Freiheit mit der Natur des Geistes betont : weil dieser seinem Wesen nach sich selbst bewegt, während der Körper stets von ihm bewegt wird, bewegt sich auch der Wille, weil zur Natur des Geistes ge- hörend, selbst. Dabei läßt Hugo keinen Zweifel darüber, was er unter Selbstbewegung versteht, nämlich die ohne Zwang, ohne fremde äußere Hemmung erfolgende Tätigkeit. Im letzten Grunde deckt sich aber diese Formulierung mit den

1) De Sacr. c 16.

2) Sent. III, c 8.

9. Eichard von St. Victor.

73

bisher erörterten Bestimmungen; dasselbe gilt von seinen Aus- führungen über die ethische Bedeutung der Freiheit. Hugos Schüler ist der Mystiker

9. Richard von St. Victor.

Das Wesen der Freiheit besteht in der Unabhängigkeit des Willens vom Zwange.1) Diejenige Handlung ist frei, die gewollt ist, ganz gleichgültig, ob es in unserer Macht liegt, sie auszuführen; wogegen jene notwendig ist, deren Eintritt der Wille selbst dann keinen Widerstand entgegensetzen kann, wenn er will.2)

Im Begriffe der Freiheit liegt es somit, daß sie ein schlecht- hin unveräußerliches Gut des Willens ist.3) Nicht einmal Gott, geschweige die Kreatur vermag deshalb den Willen zu ver- gewaltigen.4)

An und für sich können drei Grade der Freiheit unter- schieden werden, je nachdem nämlich die Unabhängigkeit vom Zwange eine bloße Tatsache oder ein Müssen oder eine schlecht- hinige Unmöglichkeit ausdrückt. Von dieser letzteren Art ist die Freiheit des Willens: sie kennt keine Grade, ist folglich dieselbe bei den Guten wie Bösen.5)

Im Menschen tobt zwar ein beständiger Kampf; ein Wille streitet mit dem andern um die Herrschaft ; bald siegt der gute Wille, bald der böse. Aber immer ist es doch „der Wille", der siegt und besiegt wird. Von einem Zwange kann also dabei keine Eede sein, also auch nicht von einer Schwächung oder gar Aufhebung der Freiheit.6)

*) Libertatis est, quod ad aliquid volendum cogi non potest. De statu interioris hominis post lapsum. c 13. Cogi non posse est vere liberum esse, c 33. Illud in libertate habemus, ad quod aliena violentia cogi non possumus. 1. c.

2) In voluntate autem est, quod fieri velis, etiamsi id efficere non possis; in necessitate vero habes, cui etiam cum volueris, resistere non vales. 1. c. Also necessitas = coactio!

3) libertatem vero arbitrii, sicut numquam non habuit, sie numquam non habebit (sc. homo). c. 13.

4) c 3. 5) c 16.

6) Sed in huius congressionis certamine, sicut voluntas est, quae superat

74

Erstes Kapitel.

Daß jener Kampf und Zwiespalt unter den einzelnen Willens- akten besteht, ist die Folge der Sünde, die zwar nicht die Frei- heit als solche aufgehoben hat, aber doch die Macht, sie „aus sich" zum Guten zu gebrauchen.1)

Aber unter diesem Begriff der „Macht" oder Leistungsfähig- keit des menschlichen Willens kann nicht nur die Fähigkeit, das erkannte und gewollte Gut auch wirklich zu tun, sondern auch jene gewaltige äußere Herrschaft verstanden werden, die der Mensch ehedem vor dem Sündenfalle besaß, als er noch jene innere Macht nicht verloren hatte.2)

Aber durch die Sünde büßte der Mensch sowohl die äußere als auch die innere Macht ein. Worüber er ehedem herrschte, davon wird er nunmehr geplagt.3) Zudem ist sein „kranker Wille" aus sich, d. h. ohne die göttliche Gnade schlechthin un- fähig, „irgend etwas Gutes" zu tun.4)

et voluntas, quae oppugnatur, sie voluntas, quae superat et voluntas, quae superatur. Sed in his omnibus maiiet libertatis integritas, quia semper triumphat voluntas. c 23.

1) c 12.

2) Diese äußere Macht denkt sich Kichard gar gewaltig! Als Beleg für die Naivität, mit der er den biblischen Bericht interpretiert, möge folgende Stelle zugleich als Beitrag zur Geschichte der mittelalterlichen Exegese dienen: Nihil, quod in homine erat, eius imperio contradicebat. Omnia gubernabat, omnia disponebat, omnia imperabat. Nihil movebatur contra eius voluntatem. nihil praeter eius voluntatem. Omnis motus cor- poreus, omnis sensus, omnis appetitus, omnis affectus, omnis cogitatus ad eius nutum movebatur, dirigebatur, refrenabatur, reprimebatur. 0 quam sub- limis potestas! 0 quam potens sublimitas imperare bestiis terrae, volucres caeli et pisces maris sub potestate habere! 0 dignitas sublimi- tatis! 0 sublimitas potestatis, tot volatus avium, tot discursus bestiarum, tot natatus piscium, in tot studiis, tot exercitiis, tot oblectamentis sublimium, investigationum multiplicium affectionum, variarum voluptatum, sub arbitrii sui iure possidere et pro voluntate disponere et ad imperii sui nutum inclinare! c 14.

3) Es geschah gemäß dem Worte der Schrift: Devorabunt eos, inquit, aves morsu amarississo ; dentes bestiarum immittam in eos cum furore trahentium super terram atque serpentium. Deut. XXXII; 1. c.

4) Quid enim boni faciat (sc. voluntas infirm a) ex seipso, quando nec die er e potest „Dominus Jesus" nisi in Spiritu saneto? Et quidem movetur saepe ad bonum, numquam tarnen nisi per Spiritum sanc- tum. c 12.

9. Richard von St. Victor.

75

Indes, die Freiheit wurde durch die Krankheit des Willens nicht vermindert eine partielle, halbe Freiheit *) ist ein Unding geschweige denn, daß sie verloren ging. Immer muß fest- gehalten werden: der menschliche Wille büßte durch die Sünde seine frühere, innere und äußere Leistungsfähigkeit, aber nicht seine Freiheit ein.2)

Denn zum Wesen der Freiheit gehört nicht die Fähigkeit Böses oder Gutes zu tun, sondern dem Guten oder Bösen seine Zustimmung zu geben oder nicht. Die Fähigkeit zu diesem Konsens aber ist durch die Sünde nicht verloren gegangen. Auch nach dem Sündenfalle vermag der Wille noch entweder den Eingebungen Gottes oder den Einflüsterungen Satans zu- zustimmen, und zwar beides aus Freiheit, nicht aber aus Notwendigkeit.3)

In seinem ersten Stadium vor dem Sündenfalle hat der Wille die Gnade, immer und aus sich das Gute zu tun,4) durch die Sünde verloren.

In seinem jetzigen zweiten Stadium vermag der Wille mit Hilfe der Gnade 5) zwar Gutes zu tun, ja täglich mehr im Guten sich zu befestigen, sodaß er dem Feldherrn gleicht, der zu seinen Soldaten sagen kann: geh und er geht; komm und er kommt. Aber völlige Unterdrückung aller rebellischen Gewalten in seinem Innern gelingt dem Willen nicht mehr: der volle Friede ging durch die Sünde verloren: „das Fleisch gelüstet wider den Geist und der Geist wider das Fleisch," 6) Erst bei der himmlischen Vollendung wird des Menschen Friede voll und die Herrschaft seines Willens unumstritten sein; dann, wenn der Tod besiegt sein wird, besitzt der Wille die höchste und

1) ex parte liberum, c. 22; c 16.

2) Amisit (voluntas humana) potestatem, non libertatem. c 13.

3) Libertatis vero est, quod consensus eius extorqueri vel cohi- beri non potest. Potest enim consentire vel non consentire aspirationi divinae, similiter et suggestioni diabolicae. c 13.

4) gratia integra et stabilis. c 22.

5) gratia nec integra nec stabilis, 1. c.

6) Itaque liber illi arbitrii consensus totius terrae, tot cogitationum, tot affectionum, appetituum, sensuum imperator et Dominus, non potest interim omnia scandala de reguo suo auferre nec plenam perpetuamque pacem poterit firmare. c 16; c 17.

76

Erstes Kapitel.

unverlierbare Gnade, durch die er ewig im Guten befestigt wird.1)

Quellen.

Ausdrücklich beruft sich Richard auf keine Autorität in unserer Frage. Tatsächlich stimmt er mit Hugo und dessen Vorgängern überein, so vor allem gleich in der Begriffsbestimmung der Freiheit. Mit Sicherheit läßt sich deshalb nicht sagen, welcher Quelle er seine Sätze entnommen hat. Seine Bekannt- schaft mit Bernhard von Clairvaux ist deshalb wahrscheinlich, weil gerade diese beiden besonderen Nachdruck auf die Fähig- keit der Zustimmung legen und in diesem Zusammenhange beide den Ausdruck extorqueri benutzen:

Bernhard. Richard.

Consensus voluntarius . . . si quidem Libertatis vero est, quod consensus

non cogitur, non extorquetur. eius extorqueri vel cohiberi non potest.

de gratia et lib. arb. c I, 1. De statu etc. c XIII.

Die logische Spielerei Richards, durch die er die Unbesieg- barkeit des Willens nachweisen will, erinnert lebhaft an ein gleiches Kunststück Anselms.2)

Natürlich bildet eine viel genannte Hauptquelle Richards die Bibel. Mit besonderer Vorliebe verweilt er zum Nachweise, der Wille könne aus eigener Kraft nach dem Sündenfalle nichts Gutes mehr tun, bei der Stelle Jesaias 1, an der es heißt, von der Fußsohle bis zum Scheitel sei nichts Gesundes am Menschen.3)

Folgerungen. Schon gleich die Definition der Freiheit verrät deutlich ihren Ursprung aus einem theologischen Motiv. Definierte Richard: Freiheit ist die Fähigkeit, das Gute oder Böse zu tun anstatt ihm zuzustimmen so käme er mit der Kirchenlehre in Konflikt, die die doppelte Behauptung enthält,

J) gratia non solum stabilis, sed

2) vgl. oben S. 46 f.

3) Caput languidum et omne cor verticem non est in eo sanitas bonum torpet. c 11.

etiam immobilis; c 22.

moerens, a planta pedis usque ad . . . liberum arbitrium ad omne

9. Bernhard yon St. Victor.

77

daß der Mensch erstens nach dem Sündenfalle aus eigener Kraft nichts „Gutes" tun kann, aber zweitens trotzdem die Freiheit besitzt. Durch den Terminus der Zustimmung, die ein dem Tun vorausgehender Akt ist, vermeidet Richard den Wider- spruch mit der kirchlichen Lehre, die eben die unantastbare Voraussetzung seines Nachdenkens über die Freiheit bildet.

Hieraus wird zugleich verständlich, warum Richard nicht den mindesten Grund dafür anführt, weshalb die Freiheit nicht in der Fähigkeit besteht, das Gute oder Böse zu tun. Hätte er einen solchen Grund angeführt, so hätte er offenbar, wie z. B. sein Vorgänger Bernhard, den theologischen genannt: „sonst wären Gott und die Engel ja nicht frei."

Aber der Mystiker Richard empfindet gar nicht das Be- dürfnis nach eigentlichen Beweisen für die Freiheit. Auch er steckt eben, wie seine Vorgänger, so sehr im Banne des logisch- analytischen Verfahrens, daß er sich mit der logisch zwar ein- wandfreien, aber psychologisch wenig besagenden Definition be- gnügt: Freiheit bedeutet Unabhängigkeit vom Zwange und ist eine natürliche und unverlierbare Eigenschaft des Willens. Erst auf dem Boden dieser Definition kommt Richard überhaupt zu einer, freilich analytischen Begründung: im Kampfe der einzelnen guten und bösen Wollungen kann der Wille nie be- siegt werden und seine Freiheit verlieren, weil es eben immer „der Wille" ist, der siegt oder besiegt wird. Der Wille aber ist seiner Natur nach frei d. h. keinem Zwange unterworfen. Man sieht sofort, daß dieses „weil" lediglich die Behauptung wiederholt, also ein rein analytisches „weil" ist.

Die bisherige Entwicklung des Problems in der Scholastik geschah, so dürfen wir zusammenfassen, wesentlich unter dem Einflüsse Augustins, weshalb die ganze Periode als die augustinische bezeichnet wurde.

Dies geschieht mit um so größerer Berechtigung, als der sachliche Ertrag dieser ganzen Zeit für unsere Frage, von unwesentlichen Punkten abgesehen, nicht über die augustinische Definition hinausführt: der Wille ist von Natur mit Zwang unvereinbar und darum frei.

78

Erstes Kapitel.

Seit dem Bekanntwerden der Metaphysik, Physik, Psychologie und Ethik des Aristoteles gegen Ende des 12. Jahrhunderts kommen neben den augustinischen aristotelische Einflüsse bei der scholastischen Behandlung des Problems zur Geltung. Aber naturgemäß geht der völligen Durchdringung der aristotelischen Philosophie und ihre Ausbeutung für die Theologie eine Über- gangszeit voraus, in der sich das Neue Eingang zu verschaffen beginnt.

Als erster Vertreter dieser Übergangsepoche ist Alexander von Haies zu nennen. Auf Grundlage der Sentenzen des Petrus Lombardus hat er zum ersten Male die aristotelische Philosophie als Organ bei der systematischen Behandlung theologisch- philosophischer Fragen benutzt.

Von hier aus ergibt sich die historische Bedeutung seiner Freiheitslehre.

Zweites Kapitel.

Die Übergangsperiode.

1. Alexan4er von Haies.

Das Wesen der Freiheit besteht in der Unabhängigkeit von der Notwendigkeit des Zwanges, *) nicht aber auch von der Notwendigkeit der Unvermeidlichkeit,2) wofern nur diese Not- wendigkeit eine gewollte ist.3) In diesem Sinne muß der Wille notwendig d. h. er ist zu dem einen determiniert,4) ein Gut zu erstreben.5) Diese Notwendigkeit hat ihren Grund in einer natürlichen Eigenschaft jedes Begehrungsvermögens.6) Dagegen ist die Freiheit vom Zwange oder die Freiheit der Natur der ausschließliche Vorzug einer vernünftigen Natur, deren Tätigkeiten nicht in körperlichen Veränderungen bestehen.

Das sinnliche Erkennen und Begehren jedoch ist eine „Vollkommenheit des physisch-organischen Körpers" und des- halb dem Zwange unterworfen. Denn „die mit der Materie verbundenen Formen" bewegen sich nicht „aus sich selbst", sondern werden von etwas anderem bewegt. Darum ist das

*) necessitas coactionis; S. th. II, q. lrriiy, 6.

2) necessitas inevitabilitatis, 1. c.

3) II, q. 1 rr iiy, 3.

4) determinatum ad unum tantum ; II, q. 1 rr iy, 1 art. 2. 5j II, q rriy, y.

6) Omnia enim naturaliter Optant bonum , et rationabilia et irrationabilia . . . ita operatio non est nisi per voluntatem naturalem, 1. c.

80

Zweites Kapitel

Begehrungsvermögen der Tiere nicht frei, sondern sobald die Wahrnehmung eines Lust erweckenden Objektes erfolgt, durch den Naturinstinkt1) gezwungen, dasselbe zu erstreben.

Der Mensch dagegen hat neben dem sinnlichen Vermögen noch das unsinnliche Urteilsvermögen, wodurch er das natür- liche Begehren beherrscht, ihm widersprechen oder es aner- kennen kann.

Es gibt somit eine doppelte Veränderung des Begehrungs- vermögens; einmal eine solche, bei der es sich auf Grund voraus- gehender Überlegung der Vernunft sowohl für als gegen das Gute entscheiden kann: Darin besteht die Natur des freien Begehrungsvermögens. Erfolgt dagegen wie bei den Tieren die Veränderung des Strebevermögens derart, daß es aus sich keine andere als die erfolgte herbringen kann, so ist von Frei- heit keine Rede.2}

Demnach ist ungewollt alles, was auf Grund eines äußeren Prinzips, einer Gewalt, ohne Zutun dessen, der sie erleidet, geschieht,3) Freilich gibt es auch Handlungen, die halb gewollt, halb ungewollt sind. Solche Handlungen sind aber nie ganz zu „entschuldigen"; denn wenn der Wille auch „unter Schmerzen" will, so will er eben doch. Denn in seinem Wesen liegt es, daß er alles, was er will, frei d. h. ohne von etwas anderem gehindert zu werden, will.4)

Da der Wille nur Wille ist durch seine Verbindung mit der Vernunft, so ist die Freiheit als liberum arbitrium eine Fähigkeit beider, und zwar eine habituelle d. h. eine solche, die wegen ihrer immateriellen Natur sich leicht aktualisiert.5) Es heißt liberum arbitrium und nicht liberum iudicium, weil der Richter bestimmten Gesetzen folgen muß, der Schiedsrichter dagegen nicht. Das liberum arbitrium gleicht hinsichtlich der

1) instinctu naturae, 1. c

2) II, q. Irr iiy, 1.

3) involuntarium per violentiam, cuius principium est exterius, eo nihil conferente qui patitur. II, q. 1 rr iiy.

4) voluutas libere vult, quod vult nee ab alio potest impediri. II, q. rr iiy, 1 art. iy.

5) liberum arbitrium est potentia habitualis pro libito eligentis et ex hoc, quod facilis exeat in actum. II, q. lrriy, 1 art. 1.

1. Alexander von Haies. 81

nach Gesetzen beratenden Vernunft dem ersteren, hinsichtlich des frei wählenden Willens dagegen dem letzteren. Seine Tätig- keit gibt daher den Ausschlag, weshalb die Freiheit der Haupt- sache nach eine Fähigkeit des Willens ist.1)

Die Herrschaft des Willens erstreckt sich nur auf Kontingen- tes,2) und zwar auf innere und äußere Akte, sofern diese von jenem abhängen, nicht dagegen auf solche, die ausschließlich vom Körper ausgelöst und deshalb nicht gehindert werden können.3)

Damit von einer eigentlichen, sei es inneren oder äußeren Willenshandlung die Rede sein kann, müssen drei Bedingungen erfüllt sein: das Können, Wissen und Wollen.4)

Insofern die Freiheit als natürlicher, vom Zwange freier, Habitus und als „Fähigkeit zu entgegengesetzten Akten" 5) gemeint ist, findet sie sich in gleichem Grade in allen ver- nünftigen Geschöpfen.6)

Gott besitzt das liberum arbitrium aber weder univoce noch aequivoce, sondern analogice. Wählen kann nämlich ein Doppeltes bedeuten; zunächst unter zwei Möglichkeiten eine Bestimmung treffen.7) In diesem Sinne wählt auch Gott. Ferner kann damit gemeint sein, eine vorher unbekannte Sache bestimmen. Inso- fern kann dem allwissenden Gotte das Wählen natürlich nicht zukommen.8)

Von der natürlichen Freiheit vom Zwange ist nun die Freiheit der Gnade zu unterscheiden. Das liberum arbitrium hat nämlich die Bestimmung, sich nur auf das Gute zu richten. Tatsächlich vermag es „aus sich", frei sich dem Bösen zuzu-

1) Libertas arbitrii principaliter est ex potestate vohmtatis. II, q. 1 rr iy 3 art. 2.

2) II, q.lrrv. 3) II, q. lrrv, 3.

4) ubi est vohmtas, necessaria sunt scientia et potentia Propter hoc voluntas dicit causam totam, non potentia vel scientia, quia ad ipsum concurrunt scientia et potentia. I, q. rrr v, 2.

5) facultas voluntaria se habet ad opposita; II, q. lrriiy, 1 art. 2.

6) 1. c. art. 3; II, q. lrriy, 3 art. 1.

7) determinare seu difönire inter aliqua duo. II, q. 1 rr iiy, 1.

8) Electio est duobus proiacentibus alterum peroptare, sed hoc potest esse dupliciter: praecedente deliberatione vel praecedente certa cognitione. Primo modo electio in nobis, secundo modo in Deo. I, q rrr, lc.

Ver weyen, Das Problem der Willensfreiheit. 6

82

Zweites Kapitel.

wenden.1) Somit ist die Freiheit von der Sünde ein un- wesentlicher, akzidenteller Habitus des liberum arbitrium,2) das ohne Gnade jenen durch die Sünde verlorenen Habitus nicht wieder gewinnen kann. Dies wußten freilich „die Philosophen" nicht; denn sie kannten nur „Natur", nicht aber „Glauben und Gnade" und darum auch nicht den Begriff des „Verdienstes". Ihre Erkenntnis des liberum arbitrium war somit eine unvoll- ständige.3) Folglich wußten die Philosophen auch nichts von jener dritten herrlichen Freiheit von dem Elende.4) Während die natürliche Freiheit dieselbe ist bei allen ver- nünftigen Wesen, richtet sich die Freiheit der Gnade und Glorie nach dem Maße der sittlichen Vollkommenheit.

Quellen.

Alexander von- Haies ist der erste der mittelalterlichen Denker, der sich in unserer Frage auf Aristoteles beruft. „Wie der Philosoph sagt", ist das liberum arbitrium wegen seiner Immaterialität eine Potenz, die leicht in ihren Akt übergeht.5) „Der Philosoph" lehrt ferner, daß der Mensch zu gewissen Akten, eben zu den Willensakten, in keiner Weise gezwungen werden kann.0) Auch in der scharfen Scheidung des unfreien, körperlichen, sinnlichen Begehrens von dem freien, immateriellen, vernünftigen Willen macht sich der Einfluß der aristotelischen Psychologie geltend, zugleich aber auch der des Johannes von Damascus.

Denn ihm entlehnt Alexander ausdrücklich die Definition des Willens als eines vernünftigen Begehrungsvermögens, mit dem er das liberum arbitrium identifiziert.7) Hatte aber üamascenus behauptet, Gott wähle nicht und besitze deshalb nicht das liberum arbitrium, so sucht Alexander demgegenüber

J) ex se moveri libere in malum, consentire malo. II, q. 1 rr iy, 2 art. 3.

2) II, q. 1 rr iy 3 art. 1. s) II, q.lrriiy, 3 art. 5.

4) libertas gloriae-libertas a miseria II, q. 2 rriiy, 1 art. 2. &) II, q.lrry. «) II, q.lrriiy, 7. ) II, q-rriy, 2; II, q.lrriy, 1.

1. Alexander von Haies.

83

durch eine doppelte Fassung des Begriffs „wählen" das liberum arbitrium in Gott zu verteidigen.1) Endlich teilt Alexander die Ansicht des Damasceners, nur vernünftigen Wesen komme die Freiheit zu 2) und stützt diese Ansicht zugleich auf einen Aus- spruch des Origines.3)

Neben diesem kommt wiederum Augustinus oftmals zu Worte. Ihm entlehnt er die Identifizierung von Freiheit und Willen: „nichts ist so in der Gewalt des Willens als der Wille selbst, der nicht gezwungen werden kann." 4) „Wie Augustinus sagt", stammt ferner die Fähigkeit des Willens zum Guten von Gott, die Fähigkeit zum Bösen dagegen „aus dem Nichts",5) sodaß das Böse nur eine fehlende, aber keine bewirkende Ursache hat.6) Natürlich fehlt auch der bekannte augustinische Satz über den Mißbrauch der Freiheit nicht.7) Endlich auch nicht die augustinische Definition der Freiheit,8) der Alexander die kurze Erläuterung beifügt, die Vernunft bedeute in der Definition nicht die Erkenntnis des Wahren, sondern des Guten, insofern es durch den Willen verwirklicht werden solle. Durch diese Beziehung der Vernunft auf den Willen würden die beiden verschiedenen Potenzen gleichsam eine Potenz. Nach der augustinischen Definition verhielten sich Vernunft und Wille nach Art der Material Ursache, insofern sie von dem ersten Beweger durch die Gnade als Form zu ihren Zwecken bewegt würden.9)

Desgleichen erwähnt Alexander die Definition Bernhards und bemerkt dazu, der Konsensus entspreche der bewegenden Ursache,10) während die anselmische Definition mit Beziehung

*) II, q. lrriiy, 1.

2) 1. c. 2.

3) i. c: dicit Origines: Habet amplius caeteris animalibus homo vim rationis, quae dijudicare et discernere de motibus natalibus possit.

4) II, q. 1 rr iy, 3 art. 1 ; II, q. 1 rr iy, 1 art. 3.

5) II, q. rr iiy, 1 art. 6.

6) I, q. rrrv, 2.

7) Homo male utens libero arbitrio perdidit se ipsum. II, q. lrriy, 1 art. 2.

8) II, q. lrriy, 1 art. 2.

9) II, q. lrriy, 2 art. 3.

10) II, q. Irr iiy, 2 art. 1.

6*

84

Zweites Kapitel.

auf den Endzweck des liberum arbitrium gebildet sei, also der Zweck Ursache entspreche.1)

Im einzelnen beruft sich Alexander noch auf des Anseimus Behauptung, Menschen und Engel hätten ohne einem Zwange zu folgen, „aus freien Stücken" gesündigt und seien deshalb mit Recht dafür bestraft worden.2)

Ferner folgt aus der Autorität Bernhards, daß alle ver- nünftigen Wesen im gleichen Grade zwar die Freiheit des Willens vom Zwange besitzen, dagegen je nach ihrer sittlichen Vollkommenheit die Freiheit von der Sünde und vom Elende.3) Desgleichen muß mit Bernhard festgehalten werden, daß es Handlungen gibt, die halb gewollt halb ungewollt sind, wie der Verrat des Petrus.4) Alexander erwähnt den häufig im Mittel- alter zitierten Satz Bernhards: Cogebatur (Petrus) negare et dolens, sed tarnen nisi volens. Endlich bemerkt Alexander, mit dem Satze, die Freiheit liege wesentlich auf Seiten des Ver- standes, wolle Bernhard lediglich sagen, daß ohne Gebrauch der Vernunft kein freier Akt erfolgen könne, ohne damit zu leugnen, daß allein der Wille im eigentlichen Sinne frei sei,5) wobei die Freiheit als habitus d. h. dauernde Eigenschaft der Seele zu fassen sei. 6)

In diesem Zusammenhange wendet sich Alexander gegen Boethius' Definition, die Freiheit bestehe in dem „freien Urteile über den Willen". 7)

Es versteht sich von selbst, daß auch Alexander die heilige Schrift als Autorität heranzieht. Aus dem neuen Testamente leitet er den Begriif der Freiheit von der Sünde und vom Elende ab: „wo der Geist, dort Freiheit". „Wenn euch der Sohn befreit haben wird, werdet ihr wahrhaft frei sein". „Die Kreatur selbst wird befreit werden von der Knechtschaft und Verderbnis zur

1) 1. c.

2) II, q. rr iiy, 1 art. 1.

3) II, q. rriiy, 1 art. 2.

4) II, q. 1 rr iiy, 7.

5) II, q lrriy, 3 art. 3.

6) II, q Irr iiy, 1 art. 1.

7) II, q. lrriy, 3 art, 1.

1. Alexander von Haies.

85

herrlichen Freiheit der Kinder Gottes." *) „Er konnte Böses tun, tat es aber nicht, konnte das Gebot übertreten, übertrat es aber nicht" (Eccl. 31) diese Stellen liefern den Beleg für die Behauptung, der Mensch besitze die Fähigkeit, dem Guten wie Bösen zuzustimmen, auf welcher Fähigkeit sich das Verdienst gründe.

Folgerungen.

Der Freiheitsbegriff Alexanders bringt nichts Neues und bietet deshalb an sich keinen Anlaß zu einer kritischen Wieder- holung. Allein die Ausbeutung der erwähnten Bibelstelle Eccl. 31, die von Späteren gerne wiederholt wird, ist für die scholastische Behandlung des Problems typisch und darum gleich hier einer kritischen Beachtung wert. Es steckt nämlich in jenem Bibelwort der vage und darum verhängnisvolle Begriff des „Könnens", sowie die axiomatische Voraussetzung, daß ge- wisse sittliche Normen von allen Menschen erfüllt werden können. Mehr als diese unbewiesene und unbeweisbare Vor- aussetzung besagt der Begriff der Wahlfreiheit, wie ihn Alexander und seine Nachfolger aus jener Stelle ableiten, nicht. Sie sind eben noch nicht zu einer bewußt erfaßten Unterscheidung des logisch Abstrakten und des psychologisch Konkreten gelangt. Dieses letztere, das konkrete Leben aber ist es gerade, was die psychologische Tiefe des Freiheitsproblems ausmacht. Es gilt die Frage zu untersuchen, ob der konkrete Mensch hic et nunc sich für das Gute oder Böse entscheiden „könne". Denn es erhellt ohne weiteres, daß jener höchst abstrakte Begriff des „Könnens" seine reale Gültigkeit erst in einem kon- kreten psychologischen Falle erweisen muß. Aus der Forde- rung, alle Menschen müßten gewisse Normen erfüllen, oder selbst aus der Erfahrungstatsache, daß eine bestimmte Anzahl sie ver- wirklicht hat, folgt noch nicht, daß jeder Mensch, also auch dieser konkrete Mensch, in diesem konkreten Augenblicke, jene Normen erfüllen kann. Kurz: das logische Operieren mit dem allgemeinen Begriff des Könnens trübt von vornherein den Blick für die psychologische Frage nach den Bedin-

l) II, q. rriiy, 1 art. 2.

86

Zweites Kapitel.

gungen des konkreten Könnens. Bei der psychologischen Unter- suchung- dieser Frage stellt sich heraus, daß es in Wirklichkeit eine Fülle von seelischen und körperlichen Zuständen gibt, welche jenes abstrakte, sich auf die Menschennatur im allge- meinen oder einen menschlichen Durchschnittstypus beziehende Können in einem konkreten Falle an einem konkreten Menschen als ein tatsächliches Nichtkönnen entlarven.

Gleichzeitig mit dem Franziskaner Alexander von Haies wirkte an der Pariser Universität der Weltpriester Wilhelm von Auvergne, dessen Schrift de anima Aufschluß über seine Stellung zum Freiheitsprobleme gibt.

2. Wilhelm von Auvergne.1)

Der Wille ist in der menschlichen Seele jene Kraft, die allen anderen Potenzen befiehlt. 2) Er ist der König und Herr- scher; der Verstand sein Ratgeber; die Affekte und bewegenden Potenzen seine ausführenden Organe, seine „Minister".3)

Der Verstand ist die „Magd" des Willens, nach dessen Befehlen er denkt und überlegt, überhaupt alle seine Akte setzt. 4)

1) Vgl. auch K. Werner, Die Psychologie des Wilhelm von Auvergne, S. B. der phil.-hist. Kl. d. Wiener Ak. d. W. Bd. 73.

2) Id autem, quod est in ea (sc. anima humana) vel apud eam imperativum sive vis aut virtus imperativa nobilis atque superior, voluntas est. Tractatus de anima; c II pars 14. Cui (sc. virtuti istae, voluntati) si . . . constans est et erectum imperium necesse habent obedire omnes virtutes inferiores imperativae, quae sunt irascibilis et concupiscibilis et aliae, scilicet quas nobis dicunt Philosophi motu sive effectu pari obedientia praedictum huiusmodi virtutis imperium consequi . . . (voluntas, virtus ista nobilissima) nec probiberi potest ab operatione sua prima et immediata ac propria, quod est velle, neque cogi. III, 8.

3) in ea (anima humana) est voluntas tamquam rex et impe- rator et vis intellectiva seu rationativa sicut eonsiliarius Ulms; vir- tutes vero inferiores, videlicet irascibilis et concupiscibilis et motivae vires, quod est dicere, quae sunt executivae motus, sicut ministri sunt, quorum officium estiussaexequi voluntatis super easregnantis et imperantis. II, 15.

4) Dico insuper, quod virtus intellectiva servituti lege eius (voluntatis) etjurenaturae subditissimaest et propter hoc ad imperium eius omnia facit, quaecumque potest: Ex grege, cum imperateam cogitare,

2. Wilhelm von Auvergne.

87

Der Wille ist somit die vornehmste seelische Kraft; x) höher als das Wissen steht das Wollen; höher das Wissen, das sich auf den Willen, als jenes, das sich auf den Intellekt bezieht: folglich höher als die Wissenschaft, die Tugend, die praktische Tüchtigkeit.

Aber der Wille ist nicht „blind", sondern „denkend".2) Das ergibt sich aus Vielem.

Einem „blinden" König können die Untertanen nicht ge- horchen. Einen solchen wählen deshalb schon nicht die Men- schen, viel weniger geschieht es in der Natur.

Mit der höchsten Beredsamkeit könnte der Verstand als Eatgeber dem Willen nicht beistehen, wenn dieser nichts ver- stände, wenn er „blind" wäre. Ein solcher Ratgeber verfehlte gänzlich seinen Zweck.

Endlich heißt es in der Schrift : „die Liebe Gottes sei wert- voller als die Weisheit"; „Furcht des Herrn ist Weisheit." Da alle diese Affekte in der begehrenden Potenz ihren Sitz haben, die Weisheit aber nicht „blind"' ist, so kann auch ihr Sitz, der Wille, nicht „blind" sein.

dispntare, deliberare, necesse habet unuinquodque istorum facere instar consiliariorum , qui regi cuicumque vel imperatori assistere habent lege et jure imperii sui sive regni nec denegare se possunt, quin omnia ista exe- quantur ad regis imperium et mandatum; aiioquin injuste et injuriose agerent circa ipsum. Jure igitur et lege naturae virtuti isti servit ipsa mens sive ratio, quae subdita est eidem tamquani inferior et ancilla ipsius. III, 8.

*) Quapropter illa (voluntas) praestantior atque nobilior et superior est quam ipsa (sc. vis intellectiva); quare scientia de ipsa sive de vi intellectiva sive ratione modis omnibus postponenda est; et propter hoc scientia de ista virtute imperativa et nobili scientiae, quae est de virtute intellectiva tanto est praeferenda, quanto ancilla meliorem ac nobiliorem esse manifestum est : proportionales enim ex necessitate sunt scientiae subjectis suis atque materiis suis . . . III, 8. virtus ista imperativa est et vicem in nomine toto et in anima humana obtinet imperatoris et regis. Quapropter quemadmodum imperator sive rex in toto regno suo potestate, dignitate, officio, excellentia praecellentior est atque sublimior, sie istam virtutem tarn in nomine quam in anima humana regni vel imperii manifestam habet similitudinem . . , Quare virtutem istam nobilissimam et praestantissimam tarn in homine quam in anima humana esss necesse est. III, 8.

2) (quod) voluntas non est caeca, sed est cogitativa et apprehensiva. III, 9.

88

Zweites Kapitel.

Jene königliche Stellung des Willens im Seelenleben ist nun eine Folge seiner Freiheit.

„Wider seinen Willen" kann der Wille nicht an einer Tätig- keit gehemmt werden1): er unterliegt keinem Zwange.2) Da- rin besteht seine Freiheit, die ihm selbst der allmächtige Gott nicht nehmen kann, ohne zuvor die Natur des Willens zu zer- stören. Vermöge dieser Freiheit herrscht der Wille über seine eigenen Akte, vermag sich von dem einen Akte ab- und dem anderen zuzuwenden.

Das sinnliche Begehrungsvermögen dagegen ist unfrei: es richtet sich mit ^Notwendigkeit" auf seine Objekte. 3) Ein Hund beispielsweise kann die Peitsche nicht nicht fürchten ; er ist ein „Sklave" der Affekte der Furcht vor seinem Herrn oder der Liebe zu ihm.4)

1) Id vero, quod est imperativum in anima huniana sive vis imperativa ipsius non est possibile, ut prohibeatur invita operatione sua propria, quae est velle. Id autem, quod est in ea vel apud eam imperativnm sive vis aut virtus imperativa, nobilis atque superior voluntas est. 11,14.

2) (voluntas, virtus ista nobilissima) nec prohiberi potest ab operatione sua prima et immediata ac propria, quod est velle neque cogi ad eam invita sive volens, ea voluntate videlicet, qua veraciter dicere potest quid volo hoc' et idipsum similiter intelligendum est . . . de voluntate. III, 8.

3) Concupiscibilis namque inferior et irascibilis (sc. vis), quas cum brutalibus animabus et irrationabilibus communicare videtur (homo), inferiores sunt et ignobiliores imperativae; non enim liberae sunt neque suae potestatis, videlicet ut seipsas ab operationibus propriis avertere vel etiam compescere aut quocunque modo temperare se possunt: bruta quippe animalia non libertate se agunt aut ducunt ad ea, quae concu- piscunt, sed tamquam necessitate rapiuntur ad ea atque praecipitiimpetu ferunturin illa. Similiter et ab eis, quae fugiunt seu declinant non libere se avertunt, sed tanquam necessitate repelluntur ab ipsis. II, 14.

4) hoc disciplina (quae) apparet in canibus aut aliis animalibus, quae ad nutum vel jussum dominorum suorum venire ad eos et ab ipsis abire videntur multaque alia facere tamquam libere et voluntarie atque tamquam ex propria potestate. Scito igitur in hoc, quod amor et timor dominorum adeo dominatur hujusmodi canibus, ut eos juxta modum praedictum vel impellat iis ea, quae placere eis aestimant vel repellat ab iis, quibus per dominos absterrentur : non enim est in libera potestate ipsorum, ut timori vel amori hujusmodi non cedant ; niodis enim omnibus s e r v i sunt hujusmodi passionum, non habentes eis contradicere nec valentes eas avertere a se vel reprimere ullo modorum. II, 15.

2. Wilhelm von Auvergne.

89

Was die Beweise für die Freiheit betrifft, so ist der Wille in sich, seiner Natur nach, frei.1)

Zweitens aber wäre es höchst „frevelhaft", den Menschen wegen seiner Taten zu beschuldigen, wenn er „von Natur" dem Ansturm seiner Affekte erliegen müßte. 2) Täte der Mensch gar nichts frei, so könnte er nicht sündigen. Desgleichen wäre es unter dieser Voraussetzung „sehr töricht", ihn jemals zu loben; denn die „Notwendigkeit und natürliche Unmöglichkeit" schließen Lob sowie Tadel, Verdienst und Schuld gänzlich aus. Den Stein, der mit natürlicher Notwendigkeit fällt, lobt und tadelt man nicht. Ebensowenig spricht man bei den unfreien Tieren von Sitte, Tugend und Zurechnung; denn es fehlt ihnen jener „Lenker" und Herrscher über die Akte. 3) Der Mensch

*) Voluntas autem, quoniam in se est liberrima suaeque per omnia potestatis, quantum ad antedictam operationem suam et propter hoc suae correctionis est atque directionis. II, 15.

2) Qnod si homines Servitute passionum hujusmodi naturaliter depressi essent atque totaliter nihilque libere agerent, non esset possibile eos peccare esset iniquissimum culpare eos per quacumque actione. Quare et laudare eos similiter stuitissimum esset; necessitas enim et impossibilitas naturalis laudem penitus excludunt et vituperium meritumque et culpam ab hominibus circa hujusmodi. Quemadmodum enim non est laudandus lapis ex eo, quod descendit et movetur in deorsum neque culpatur, si moveatur in sursum, eum alterum faciat necessitate naturali, alterum vero violentia invincibili: sie neque homines laudandi vel vituperaudi essent, si necessitate naturali feruntur ad operandum vel impossibilitate naturali averterentur atque prohiberentur ab operando. II, 15.

3) Quapropter merito requiritur ab ea (sc. a voluntate) rectitudo in operatione sua, quae est velle meritoque culpatur in ea peccatum, quod est contrarium rectitudini: hinc est, quod cum brutis animalibus non agitur de moribus aut virtutibus. Et intendo, quia non requiritur ab eis rectitudo seu pulchritudo honestatis nec fuit adhuc aliquis adeo imbecillis iutellectus, ut ea peccare diceret aut aliquid, quod agerent, imputandum eis crederet ad peccatum. II, 15.

Praevalet autem et dominatur eis (sc. hominibus) imperativa nobilis superior et possibile est ei coercere eas et fraeuare impetum earum et avertere hominem, quominus sequatur eas: apud bruta autem animalia non est hujusmodi viribus rector aut moderator et propter hoc non est, propter quod imputari debeat in laudem vel vituperium, quidquid agunt. Quia igitur in hominibus est potestas, quas se regant et recte agant se seque contineant, ne post passiones huiusmodi justissimo judicio

90

Zweites Kapitel.

besitzt einen solchen in dem Willen und darum werden ihm alle Handlungen „zugerechnet" die gegen die Rechtschaffenheit und Sitten verstoßen.

Quellen.

Wilhelm macht in unserer Frage keine Quelle namhaft. Seine Ausführungen über den Zusammenhang von Freiheit, Lob, Tadel, Schuld und Verdienst klingen vor allem an Damascenus an, der ihn zuerst so scharf betonte und darin bei allen Nach- folgern Nachahmung fand.

Das politische Bild, unter dem Wilhelm die seelischen Tätig- keiten betrachtet, scheint seine eigene Erfindung zu sein, sowie auch die dabei durchgeführte These, der Wille sei nicht „blind", sondern „erkennend".

In der Bestimmung aber, der Wille sei seiner Natur nach f ei vom Zwange, schließt sich Wilhelm ganz seinen Vor- gängern an.

Folgerungen.

Aber in der Stellung, die er dem Willen im Seelenreiche zuweist, tritt zum erstenmal ein ausgesprochener Voluntarismus entgegen: der Wille, die „vornehmste" seelische Potenz, die allen übrigen gebietet, selbst aber nur herrscht. Dabei macht Wil- helm nun, wie es scheint, originelle und wertvolle Bemerkungen über den Zusammenhang von Wille und Intellekt. Er bekämpft die Auffassung eines „blinden" Willens und behauptet die innere, organische Zusammengehörigkeit von Wille und Intellekt: der Wille muß seiner Natur nach gleichsam die Sprache des Ver- standes verstellen, damit zwischen beiden eine Verständigung stattfinden kann.

So feinsinnig diese psychologischen Bemerkungen sind, so unzulänglich ist die bloße Behauptung: „Notwendigkeit und natürliche Unmöglichkeit schließen Lob, Tadel, Schuld und Ver- dienst aus." Statt positive Beweise zu erbringen, begnügt sich Wilhelm damit, die entgegengesetzte Meinung als „sehr töricht' und „sehr frevelhaft" zu brandmarken und wiederholt immer

imputatur eis, quidquid contra rectitudinem lionestatis et morum pulchritu- dinem agunt. II, 15.

3. Magister Praepositinus.

91

wieder die Behauptung: „Es ist möglich" daß „im Menschen" der Wille die Herrschaft gewinnt über die vernunftlosen Be- gierden und Affekte und leitet hieraus unmittelbar, selbst ohne den Versuch einer näheren Begründung, das Recht der Belohnung, Bestrafung und sittlichen Zurechnung ab.

Die Allgemeinheit dieses Möglichkeitsbegriffes sowie auch des Begriffes „Mensch" veranlaßt Wilhelm zu keinen weiteren Untersuchungen : der Scholastiker vertraut eben, daß das logisch Allgemeine sich auch in jedem besonderen Wirklichen wieder- findet. —

An Originalität steht hinter Alexander von Haies und Wil- helm von Auvergne weit zurück ein anderer Gelehrter des XIII. Jahrhunderts, der Dominikaner Vincenz von Beauvais, dessen Bedeutung lediglich auf seinen Zusammenstellungen aus den Kirchenvätern wie Arabern beruht. Schon der Titel seines Hauptwerkes, Speculum maius, deutet auf seinen enzyklopädischen Charakter: „wie in einem Spiegel" sei darin alles, was in der sichtbaren und unsichtbaren Welt von Anfang bis zum Ende gesagt oder getan worden sei, dargestellt bemerkt der Ver- fasser gleich in der Einleitung. Entsprechend seiner kompi- latorischen Tendenz bringt er auch in unserer Frage nichts Neues, sondern lediglich eine Zusammenstellung von Zitaten aus Agustinus, Damascenus, Anseimus u. a. Eine besondere Dar- stellung ist deshalb überflüssig.

In höherem Maße erregt unsere Aufmerksamkeit ein anderer Lehrer und Kanzler der Pariser Universität

3. Magister Praepositinus.1)

Die Seele besitzt fünf verschiedene „Kräfte". Durch das Vermögen der Sinne nimmt sie alles Äußere wahr; durch die Einbildungskraft nimmt sie nicht die Körper, sondern deren Bilder wahr. Durch die Sinnlichkeit fühlt sie den Körper und erstrebt das ihm Angenehme und Lustvolle. Dies ist die natürliche, aber wenig gebräuchliche, Bedeutung des

l) Vgl. über den Namen A. Schneider, Die Psychologie Alberts des Großen, ßeitr. z. Gesch. d. Phil. d. M.-A., Bd. IV, 6, S. 479.

92 Zweites Kapitel.

Wortes; im gewöhnlichen, aber weniger eigentümlichen Sinne bezeichnet Sensualitas den Inbegriff dessen, was wir mit den Tieren gemein haben, demnach auch die Einbildungskraft und das „Fleisch", die „Schlange" in uns. Endlich, in weniger eigen- tümlichem und weniger gebräuchlichem Sinne meint man mit Sinnlichkeit den niederen Teil der Vernunft. Diese ist jenes seelische Vermögen, das zwischen gut und böse, wahr und falsch unterscheidet; es besitzt „zwei Augen", das Auge der Liebe und der Erkenntnis. Die Sinnlichkeit sucht jenes durch die Begierde, die Einbildungskraft dieses durch den Irrtum auszureißen. Die Vernunft umfaßt zwei Teile oder Funktionen. Das Wissen das „Weib" die aut das „Niedere" und die Weisheit den „Mann" die auf das „Höhere" gerichtet ist. Auch die Ver- nunft wird in dreifachem Sinne genommen. Die genannte Bedeutung ist die eigentümliche, aber weniger gebräuchliche ; in der gewöhnlichen, aber weniger eigentümlichen Bedeutung be- zeichnet Vernunft das, was uns von den Tieren unterscheidet. Endlich ist in der weniger gebräuchlichen und weniger eigen- tümlichen Bedeutung mit Ratio nur der obere Teil derselben gemeint. Als fünfte Kraft besitzt die Seele noch den Intellekt, durch den sie das Unsinnliche, Unvorstellbare erfaßt.1)

J) Summa Praepositini, Paris Bibl. Mazarine 1004 (Bibl.nat.lat. 15738); notandum quod quinque sunt potentiae animae, scilicet sensualitas, seusus, imaginatio, ratio intellectus. Sensualitas est vis, qua anima sensi- ticat corpus et appetit ea, quae sunt commoda vel delectabilia corpori. Sen- sus est quaedam vis, qua anima percipit haec exteriora. Imaginatio est vis, quae anima non percipit corpora, sed imagines corporum. Eatio est vis, quae discernit inter bonum et malum, verum et falsum. Intellectus est vis, quae percipit ea, quae sunt remota a sensibus corporis absque omnibus imaginibus. Rationis autem duo sunt ocuH, scilicet oculus amoris et oculus cognitionis. Sensualitas nititur eruere oculum amoris per concupis- centiam, imaginatio nititur eruere oculum cognitionis per errorem; et cum ipsa, scilicet sensualitas, sit communis cum bestiis semper ad corporum ima- ginationes rationem trahere conatur. Dicamus igitur, quod ille modus ex imaginatione surgit.

Item notandum., quod sensualitas tribus modis accipitur, scilicet magis proprie et minus usitate; secundum quod superius diximus. Magis usitate et minus proprie: secundum quod comprehendit omne, quod habemus commune cum bestiis, et secundum hoc sensualitati imaginatio subicitur; et motus ille, sensualitas, potest dici minus proprie et minus

3. Magister Praepositinus.

93

In den genannten Potenzen sind offenbar die an anderer Stelle erwähnten drei seelischen Kräfte enthalten. x) Mit den letzteren meint Praepositinus die vis irascibilis d. h. die von einem Übel sich abwendende Bewegung, die vis concupiscibilis, die ein Gut erstrebende Bewegung und die vis rationalis, den Willen im eigentlichen Sinne.

Im übertragenen Sinne wird das Wollen von verschiedenen seelischen Potenzen ausgesagt. Die „Sinnlichkeit will" insofern sie Lustgefühle erzeugt und dadurch den Willen zum Wollen antreibt. 2)

Das Wollen der Vernunft besteht in der „Zustimmung" zu dem erkannten Gute.3)

Im eigentlichen Sinne aber will der Wille, 4) und zwar ent- weder schlechthin: Volo oder bedingt: vellem, si possem. Er erstrebt von Natur ein Gut ; 5) diese Richtung auf ein Gut heißt

usitate: secundum quod inferior pars rationis sensualitas vocatur. Duae enim sunt rationis partes vel officia, una quae inferior administrat, contemplatur ; una dicitur scientia, reliqua sapientia. Iuxta hunc modum distinguimus in nomine serpentem, mulierem et virum. Serpens est caro, quae nobis communis cum bestiis; mulier est inferior pars rationis et dicitur sen- sualitas; vir autem est superior pars rationis. Eatio similiter tribus modis accipitur: magis proprie et minus usitate, secundum quod ab intellectu distinguitur. Magis usitate et minus proprie secundum quod com- prehendit omne, quo a bestiis differimus; et ita rationi subest intellectus. Minus usitate et minus proprie, secundum quod nomine rationis su- perior pars eius intelligitur, iuxta praedictam divisionem serpentis mulieris et viri. fol. 17 ra.

1) Tres sunt vires animae, sc. vis irascibilis et vis concupiscibilis et rationalis. fol. 18 ra.

2) delectatio est voluntas sensu alitat is. fol. 18 vb.

3) consensus voluntas rationis. 1. c.

4) Ad hoc dicimus: concedendum, quod rationis est velle. Sed aliter voluntatis est velle, aliter rationis. Voluntatis enim est velle, quia motus ille surgit ex voluntate. tamquam ex radice; rationis autem dicitur velle, quia ratio impellit voluntatem ad hoc. Eodem modo sensualitas dicitur velle, quia sensualitas impellit voluntatem ad volendum. Ita etiam e con- trario voluntatis est discernere, quia voluntas movet rationem ad discernendum ; verbi gratia : ego habeo voluntatem faciendi aliquod bonum, sed modum faciendi nescio, sed voluntas impellit rationem ad discernendum et inveniendum modum faciendi, fol. 16 v b.

5j Velle naturae est, quo [quam] quis naturaliter vult bonum. fol. 17 rb. Naturaliter appetit (voluntas) bonum. L. c.

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Zweites Kapitel.

Absicht, wenn ihr Zweck ein bewußter ist, was nicht immer der Fall ist. 2)

Auf Grund dieser allgemeinen psychologischen Voraussetzung wird die folgende Erörterung des Freiheitsproblems verständlich.

Die Freiheit, liberum arbitrium genannt, hat ihren Sitz nicht im Willen, sondern in der Vernunft. Letztere urteilt frei über den Willen, indem sie zwischen gut und böse unterscheidet und auswählt. Solches vermag sie, denn es gibt ja einen „Willen der Vernunft". Demnach kann die Vernunft auch Quelle von Verdienst und Schuld sein.

Sie ist gleichsam der Baumeister, der den Plan entwirft; der WTille das ausführende Organ, das „Ministerium". Folglich hat die Vernunft den größten Anteil am Zustandekommen des Guten.

Was das Böse betrifft, so wird es stets von der Vernunft verabscheut. Doch kann die Vernunft indirekt die Quelle des Bösen sein, insofern sie es nicht verhindert. Aber selbst direkt trägt die Vernunft manches zum Zustandekommen des Bösen bei; sie erfindet etwa Zeit und Ort und nähere Ausführung des Mordes, so daß ihr mit Kecht der Mord zugerechnet wird.2)

1) Nobis autem videdur, quod omnis intentio est voluntas, sed non convertitur. fol. 19 ra.

2) dicimus, quod bona rationi rationabiliter attribmmtur , secundum proportionem, quae est inter artificem et rationem et inter ministerium et vohmtatem attendimus. Video enim, quod in aliquo opere artifex docet, quid faciendum sit et minister facit secundum quod ille docet; iUud tarnen opus magis attribuitur artifici quam ministro. Ita in bonis operibus ratio docet, quid faciendum sit et voluntas ad effectum ducit; unde magis attribuitur rationi bonum opus quam voluntati.

Sed de malis quid dicemus? Haec enim ratio in malis assignari non potest, quia illa Semper detestatur ratio. Ad hoc dicimus, quod est alia ratio de malis. Rationis enim est discernere, ut dictum est, et eligere bonum et cohibere malnm. Attribuitur ergo rationi malum, non quia faciat vel faciendum doceat, sed quia non cohibet; sicut regi attribmmtur mala, quae fiunt in sua civitate, non quia faciat, sed quia non cohibet. Et tarnen, si diligenter attendimus, multa in malis faciendis operatur ratio. Nam si velim hominem occidere, ratio invenit Opportunitäten! loci et temporis et modum faciendi; unde et ei factum convenienter imputatur: sicut si quis quaererit hominem ad occidendum et ego scienter locum et tempus et modum faciendi ostenderem, in meo iure imputaretur homicidium, licet mihi non placeret illud fieri. Iure ergo ratio dicitur consentire male. fol. 16 v a.

3. Magister Praepositinus.

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Die Vernunft kann die Freiheit nun aber in verschiedenem Sinne besitzen. Bald vermag sie zu unterscheiden und zu wählen, wie es bei jenen Guten der Fall ist, die keinem Irrtum unterworfen sind; bald hat sie, nämlich in den Bösen, nur die Fähigkeit auszuwählen, nicht aber zu unterscheiden oder sie vermag umgekehrt, wie beim Teufel, nur zu unterscheiden, ohne zu wählen. *)

Aber, die Notwendigkeit, nur Böses tun zu können, ist eine vom Teufel selbst verschuldete und wird ihm darum zugerechnet.2) Der Teufel braucht sein liberum arbitrium zum Bösen, obschon er nur das Böse tun kann; denn dem liberum arbitrium ist die Fähigkeit, sich sowohl dem Guten wie Bösen zuwenden zu können, nicht wesentlich. Sonst müßte ja auch geschlossen werden: Gott kann nicht nicht sein. Also ist er überhaupt nicht, was evident falsch ist. 3)

Wer das liberum arbitrium besitzt, hat damit natürlicher- weise auch die Fähigkeit das Gute zu tun und das Böse zu meiden, kann aber durch eigene Schuld jene Fähigkeit ein- büßen, ohne damit aber zugleich das liberum arbitrium zu ver- lieren. Von Natur hat der Mensch zwar Hände und Füße; verliert er sie, so hört er damit noch nicht auf, Mensch zu sein.4)

*) Dicimus, quod liberum arbitrium duplex est usus, scilicet discer- nere et eligere. In quibusdam habet usum ad discernendum inter bonum et malum et eligendum; in quibusdam ad discernendum et non eligendum; in quibusdam ad eligendum et non ad discernendum. In bonis, qui non invol- vuntur errore, habet utrumque usum, in diabolo ad discernendum et non eli- gendum, in malo tantum ad eligendum et non ad discernendum. fol. 17 r a.

2) Dicimus, quod ei (sc. diabolo) imputatur, quia culpa sua venit in hanc necessitatem. fol. 17 rb.

3) quattuor modis aliqua voluntas dicitur esse alicuius, sc. ratione flexi- bilitatis, ut in nobis, in quibus ad utrumque flecti potest; rigore necessi- tatis, ut in diabolo, qui non potest non velle malum; iure naturae, ut in eo velle, quo naturaliter bonum petimus; beneficio gratiae, ut in angelis. Et in his omnibus hoc argumentum falsum est: non potest non velle; ergo non est libera voluntas. Instantia. Deus non potest non esse; Deus ergo non est Deus. Potius enim deberet concludere: ergo est voluntas, etsi voluntas est, libera est. fol. 17 rb.

4) Dicimus, quod hae non dicuntur partes liberi arbitrii tamquam suffi- cienter constituentes illud, sed quicunque habet liberum arbitrium naturaliter

96

Zweites Kapitel.

Quellen.

Die Ausführungen des Praepositinus zeigen vor allem seine Bekanntschaft mit Augustinus, dessen Definition er gleich zu Anfang erwähnt, das liberum arbitrium bestehe in der Unter- scheidung des Guten und Bösen mit der Wahl des einen unter Hintansetzung des andern. *) Daß die sittliche Vollkommenheit die Freiheit aufhebe, sei gegen Augustinus, der sage: weit ent- fernt die Freiheit auszuschließen, begründe die Unmöglichkeit, Böses zu wollen, gerade die höchste Freiheit.2) Anderseits aber lehre Augustinus, nur das Gewollte könne gut oder böse sein,3) und fordere auf, die Begierde, die Quelle des Bösen, zu unterdrücken. 4)

Wenn Praepositinus die Definition, das liberum arbitrium sei eine Fähigkeit der Vernunft und des Willens als Ansicht' seiner „Lehrer" erwähnt,5) so ist darunter neben den Victorinern wohl vor allem Petrus Lombardus zu verstehen; denn die diesem entlehnten, gerade ihm eigentümlichen Stellen beweisen, daß Praepositinus ihn gekannt, vielleicht aus ihm indirekte Kenntnis des Augustinus gewonnen hat.

Mit Lombardus unterscheidet Praepositinus einen oberen

habet haec, etsi forte ex vitio suo non habet, sicuti (? instantia?) manus et pedes partes hominis sunt; sed iste non habet manus et pedes. Ergo iste non est homo. Iste enim naturaliter habet manus et pedes, quamvis ex naturae defectu non habeat. ful. 16vb.

*) Augustinus sie describit: liberum arbitrium est discretio boni et mali cum electione unius et detestatione alterius. fol. 16 va.

2) hoc est contra Augustinum dicentem: Non illi carent libero arbitrio, quia male velle non possunt Multo quippe liberius est arbitrium, quod non potest succumbere peccato neque culpanda est voluntas aut voluntas non est, aut libera dicenda non est, quia beati sie esse volunt, ut non solum miseri esse nolint, sed nec etiam velle possint. fol. 17 rb.

3) ut ait Augustinus, nullum bonum nisi voluntarium. fol. 17 va.

4) Quaclibet enim vis habet Vitium eam deformans. Vis irascibilis habet Vitium, quod dicitur ira seu irascibilitas ; vis concupiscibilis habet Vitium, quod dicitur coneupiscentia seu concupiscibilitas ; unde Augustinus: Est in nobis coneupiscentia, quae non est permittenda regnare. Ex qua surgunt actuales coneupiscentiae ; vim rationalem reformat error seu ignorantia. fol. 18 r b.

5) magistri nostri dicunt, quod nec est (sc. voluntas libera) hoc nec est illud, sed consistit in illis; unde dicunt, quod liberum arbitrium est facultas rationis et voluntatis. fol. 16 rb.

3. Magister Praepositinus.

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und „niederen" Teil der Vernunft *) und benutzt das gleiche von Augustinus zuerst angewandte Bild zur Veranschau- lichung des Bösen, wie die folgende Gegenüberstellung deutlich macht:

Petrus Lombardus. Ut erim ibi (in paradiso) serpens suasit mulieri et mulier vi™; ita et in nobis sensualis motus, cum ille- cebram peccati conceperit, quasi serpens suggerit mulieri, sci- licet inferiori parti rationis, id est rationis scientiae, quae si consenserit illecebrae, mulier edit cibum vetitum, post de eodem dat viro, cum supe- riori parti rationis sapientiae eandem illecebram suggerit, quae si consentit, tunc vir etiam cum femina cibum veti- tum gustat.

Sent. lib. II, dist. 24, 8.

Praepositinus. Dicitur, quod in homine sunt tria, scilicet serpens, mulier et vir: serpens, id est caro, quae suggerit, mulier id est sensualitas, quae appetit illicitum, vir id est ratio, quae con- sentit.

fol 16va; 17 ra.

Wenn endlich Praepositinus allgemein die „philosophische Beschreibung" erwähnt2) liberum arbitrium sei ein „freies Urteil über den Willen", so findet sich diese ebenfalls wört- lich bei Petrus Lombardus 3) zuerst bekanntlich bei Boethius.

Es war mir nicht möglich festzustellen, an wen Praeposi- tinus gedacht hat bei der Bemerkung, „Einige" bezeichneten das liberum arbitrium als „freien Willen, das Gute oder Böse zu tun" sowie bei der anderen, „Einige" sagen, das liberum arbitrium sei „die Vernunft, die zwischen gut und böse unter- scheide".4)

Erwähnt sei noch, daß Praepositinus die Unterscheidung

1) Sent. lib. II, dist 24, 8.

2) philosophica descriptio: liberum arbitrium est liberum de voluntate iudicium. fol. 16 rb.

3) Sent. lib. II, dist. 25.

4) quid am dicunt, quod liberum arbitrium est voluntas libera ad facien- dum bonum vel malum. Alii dicunt, quod liberum arbitrium est ratio, quae discernit inter bonum et malum. fol. 16 rb.

Verweyen, Das Problem der Willensfreiheit. 7

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Zweites Kapitel.

eines dreifachen Wollens, des natürlichen, guten und bösen, Ambrosius entlehnt.1)

Folgerungen. Die Freiheitslehre des Magister Praepositinus ist in mancher Hinsicht interessant. Zunächst trifft sie in systematischer Form eine ausführliche Klassifikation der seelischen Erfahrungstat- sachen und gelangt dabei zu einer mehrfachen Bedeutung des Begriffs „wollen". Merkwürdigerweise legt sie den Hauptnach- druck auf das Wollen der Vernunft und kommt infolgedessen zu der Behauptung: Träger und Wurzel der Freiheit ist die Vernunft, der Wille lediglich das ausführende Organ der freien Vernunft.

Zu dieser Behauptung konnte man nach dem Bisherigen leicht gelangen. Hatten doch alle Vorgänger die Zusammen- gehörigkeit von Vernunft und Willen betont, insofern nur ein erkanntes Gut Gegenstand des Wollens sein könne. Bei jeder Wahl, so hatte man gesagt, überlegt die Vernunft die Mittel zu einem bestimmten Zwecke, der freie Wille aber kann den ver- nünftigen Überlegungen entsprechend oder zuwider handeln.

Wenn nun Praepositinus die zeitlich früheren Akte der Vernunft als Wurzel und Träger der Freiheit bezeichnet, so be- findet er sich doch im Grunde in sachlicher Übereinstimmung mit seinen Vorgängern. Schließlich handelt es sich hier nur um eine terminologische Frage, ja geradezu um eine müßige Spitzfindigkeit.

Statt mit der Tradition von einem „vernünftigen Willen" zu reden, den Ausdrnck „Wille der Vernunft" zu prägen, scheint durch kein sachliches Motiv gerechtfertigt.

Man könnte entgegnen, Praepositinus unterscheide doch von dem Willen der Vernunft noch den eigentlichen Willen.

Aber dieser letztere, so wäre zu erwidern, ist entweder ein unvernünftiges Begehren was indes seinem Begriffe widerspricht oder ein vernünftiges d. h. eben ein Wollen der Vernunft. In keinem Falle führt die scheinbare Entdeckung des Praepositinus das Problem sachlich über die traditionellen

l) velle naturae, velle gratiae, velle vitii. fol. 17 rb.

4. Bonaventura.

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Leistungen hinaus. Aber schon gleich hier mag bemerkt sein, daß in dem späteren Streite zwischen Thomas von Aquino und Duns Scotus die Frage eine große Bedeutung gewinnt, ob die Vernunft oder der Wille Träger und Ursprung der Freiheit ist Doch zuvor müssen wir uns noch einem Schüler des Alexan- der von Haies, dem großen Mystiker Bonaventura, zuwenden.

4. Bonaventura.

Das Strebevermögen ist stets auf ein wirkliches oder schein- bares Gut gerichtet *) und zwar kann es sich in doppeltem Sinne auf ein Objekt richten: einmal auf Grund eines „natür- lichen Instinktes", sodann auf Grund einer Überlegung. Im letzteren Falle redet man im eigentlichen Sinne von einem Willen, der somit als „Wahlwille" von dem „natürlichen Willen" unterschieden werden muß. 2) In jedem Falle aber ist der Wille ein vernünftiges Begehrungsvermögen, ausgestattet mit der Kraft etwas zu erstreben oder zu fliehen.3)

Vernünftig heißt der Wille wegen seiner Beziehung zum In- tellekt. Ohne Gedanken kein Wille: Was wir nicht erkennen, können wir nicht wollen. Damit die Bewegung des Willens ent- steht, muß ein Akt der Vernunft vorausgehen, der dem AVillen befiehlt, etwas zu wollen.4)

Zur Natur des Willens gehört nun ferner dies, daß er in keiner Weise gezwungen werden kann.5)

Dieser Satz wird deutlich durch die Analyse des Be- griffs der Notwendigkeit, die dreifacher Art sein kann. Die rein äußere Notwendigkeit nimmt ihren Ursprung von einem äußeren Prinzip und heißt Zwang, wenn sie sich auf Willenshandlungen; Gewalt, wenn sie sich auf natürliche Vor- gänge bezieht, gegen die Natur eines Dinges gerichtet ist. Zweitens kann die Notwendigkeit teils eine innere teils eine äußere sein, wenn nämlich ein inneres Prinzip eines

1) Sent. lib. II, dist. 25, p. II, q. 3.

2) voluntas electiva voluntas naturalis. Brevil. p. II, c IX.

3) Sent. lib. III, dist. 33, q. 3.

4) Sent. lib. II, dist. 25, p. I, q. 6.

5) Brevil. p. II, c IX.

7*

100

Zweites Kapitel.

äußeren als seiner bewegenden Ursache bedarf. Insofern gibt es eine Notwendigkeit des Nichtvermeidenkönnens bzw. eine Notwendigkeit des Bedürfens. Die dritte, schlechthin innere Notwendigkeit der Unveränderlichkeit und Unabhängig- keit kommt einem Dinge auf Grund der ihm eigentümlichen Natur zu. Im gewissen Sinne findet sie sich auch in der Kreatur, schlechthin dagegen nur in Gott; denn nur er ist absolut un- abhängig von etwas Anderem.1)

Der Wille ist nun schlechthin unabhängig von der Not- wendigkeit des Zwanges. 2j Dabei ist zu unterscheiden zwischen äußerem und innerem Zwange. Äußerlich kann der Mensch zwar gezwungen werden, etwa sein Knie vor dem Götzenbilde zu beugen oder Weihrauch auf den Altar zu streuen; innerlich jedoch d. h. hinsichtlich seines Willens kann er in keiner Weise gezwungen, wohl aber „angetrieben" oder gehindert werden, indem nämlich dem Willen solche Objekte vorgestellt werden, denen er selbst zustimmt. Aber in solchem Falle kann von Zwang keine Rede sein, weil der Wille ja eben nicht seine Zu- stimmung gibt.3) Ja selbst Gott vermag den Willen nicht zu zwingen er müßte denn zuvor dessen Natur verändern, was seiner unendlichen Allmacht „ohne Zweifel an sich" möglich wäre.

Während also die Notwendigkeit des Zwanges schlechthin unverträglich mit der Freiheit des Willens ist, gilt dies nicht von der Notwendigkeit der Unveränderlichkeit. Denn nicht des- halb heißt der Wille frei, weil er, etwas wollend, zugleich dessen Gegenteil wrollen kann, sondern weil er alles, was er will, „nach seinem eigenen Befehle" will, indem er im Akte des Wollens „sich selbst bewegt und über sich die Herrschaft hat". Wenn der Wille „unabänderlich" auf ein Objekt gerichtet ist, wenn also der Akt des Willens „in sich notwendig" ist, so hebt dies doch seine Freiheit nicht auf.4)

Denn das Wesen der Freiheit besteht lediglich in der Un- abhängigkeit des Willens vom Zwange.5) Wegen des Zusammen-

1) de myst Trin., q. VII, art. 1,

2) Brevil. H, «

3i compcUere inducere. Sent. lib. II, dist. 25, p. II, q. 3.

4) Sent. lib. II, dist. 25, p. II, q. 2.

5; 1. c. dub. III.

4. Bonaventura.

101

banges zwischen Wille und Vernunft ist die Freiheit eine Fähig- keit beider und heißt deshalb liberum arbitrium oder Wahl- freiheit. *)

Folglich findet sich das liberum arbitrium nur in vernünf- tigen Substanzen. Nur diese haben die „volle Herrschaft" so- wohl über das Objekt als über den eigenen Akt".2) Über das Objekt: insofern sie nicht gezwungen sind, irgendeine be- stimmte Gattung von Objekten zu erstreben, sondern alles Er- strebenswerte erstreben und alles Fliehenswerte fliehen können. Über den eigenen Akt: insofern der vernünftige Wille nicht nur die äußeren Organe, wie Hände und Füße, sondern auch „sich selbst in der Gewalt" hat,3) derart, daß er oft zu hassen beginnt, was er früher liebte, während die unvernünftigen Wesen das, was sie lieben, nicht nicht lieben können, den eigenen Akt nicht zu unterdrücken vermögen.

Nur der vernünftige Wille hat die Fähigkeit, „sich zu diesem oder jenem zu bewegen";4) er ist eine Fähigkeit „zu Entgegengesetztem". Freilich ist er durch die Glückseligkeit determiniert,5) im übrigen aber indeterminiert6) d. h. nicht schlechthin durch ein Objekt determiniert,7) wie die „natür- lichen" Potenzen, wie etwa das Feuer notwendig wärmt. Der Wille wird eben nicht, wie jene, durch das Objekt bewegt, sondern er ist ein sich selbst bewegendes Instrument.8)

Sich selbst bewegen und die Herrschaft über den eigenen Akt haben ist eine identische Fähigkeit; sich selbst bewegen aber kann nur eine Potenz, die über sich selbst „reflektieren" kann. Das aber setzt Vernunft voraus, also eine von der Materie unabhängige Fähigkeit. Ohne Willen aber käme keine Bewegung zustande.

*) Liberum ergo dicitur arbitrium, quantum ad voluntatem, quia volun- tarie moveri et spontaneo appetitu ferri potest ad ea, quae bona vel mala iudicat (sc. ratio) vel iudicare valet. Sent. lib. II, dist. 25, p. L

2) 1. c. q. 1.

3) refrenare ex sui ipsins imperio et dominio. 1. c.

4) 1. c.

8) determinate inclinatur (voluntas) ad beatitudinem. I. c. -

6) indeterminate. 1. c.

7) determinata (potentia) ad unum. 1. c.

8) Brevil. p. III, c 10.

102

Zweites Kapitel.

Somit beruht die Freiheit oder Selbstbewegung oder Herrschaft über den eigenen Akt auf dem Zusammenwirken von Vernunft und Willen, wie das Schreiben auf der Verbindung von Auge und Hand und kann somit nur den vernünftigen Wesen zukommen.1)

Dabei ist das liberum arbitrium ein und dieselbe Potenz, die „natürlich" heißt, insofern sie die Glückseligkeit, „überlegend", insofern sie die auf die Glückseligkeit gerichteten Güter aus- wählt. 2) Nur begrifflich, nicht sachlich, ist das liberum arbitrium von Vernunft und Willen unterschieden; denn bei den geistigen Substanzen braucht kein substantieller, sondern nur ein begriff- licher Unterschied zwischen dem Bewegenden und dem Be- wegten zu bestehen.3) Am besten wird das liberum arbitrium als facultas rationis et voluntatis definiert, wobei facultas die Leichtigkeit andeuten soll, mit der das liberum arbitrium aktuell wird.4) Statt facultas kann man besser noch habitus sagen.5) Das liberum arbitrium fügt dem Willen und der Vernunft keine neue Wesenheit zu, sondern besteht lediglich in dem Zusammen- wirken beider zu einem Akte. 6) Dieser beginnt in der Vernunft alles Gewollte muß zuvor erkannt sein und endet im Willen, in welchem darum vornehmlich die Freiheit beruht. 7)

Ein erster Beweis für die Existenz der Freiheit liegt im Begriffe des liberum arbitrium. Etwas wollen und es

1) Sicut ex concursu virtutis manus et oculi resultat potestas scribendi ad quos altera earum non sufficeret: sie ex concursu rationis et voluntatis resultat quaedam libertas sive quoddam dominium ad aliquid faciendum et disponendum. Sent. lib. II, dist. 25, p. I, q. 3.

2) 1. c. dist. 24, p. I, art. 2, q. 3.

3) 1. c. dist. 25, p. I, q. 2.

4) optime definitur liberum arbitrium : facultas rationis et voluntatis. 1. c. q.3.

5) liberum arbitrium principaliter dicit habitum et complectitur rationem et volantatem, non tamquam una potentia, ex eis constituta, sed tamquam unus habitus, qui quidem recte dicitur facultas et dominium, qui consurgit ex coniunetione utriusque et potens est super actus utriusque potentiae, per se et in se consideratae ; sicut arbitraria potestas in duabus personis regimen habet super actus utriusque in se consideratae. Sent. lib. dist. 25, p. I, q. 3.

6) 1. c. q. 5.

7) quoniam penes illud principaliter residet penes quod consumatur, ideo principaliter libertas arbitrii et dominium in voluntate consistit. 1. c. q. 6.

4. Bonaventura,

103

frei wollen, ist identisch.1) Folglich ist es eine contradictio in adjecto, etwas wider Willen, gezwungen oder knechtisch wollen, so wahr sich freiwillig und unfreiwillig ihrem Begriffe nach ausschließen.

Zweitens aber muß gemäß der heiligen Schrift und der Kirchenlehre festgehalten werden, daß die vernünftige Seele im Besitze der Freiheit vom Zwange ist. Der Lohn der Glück- seligkeit, den uns die Offenbarung verheißt, ist nur ruhmvoll, wenn er sich gründet auf die erworbenen Verdienste, „Verdienst aber gibt es nur in dem, was gewollt und freiwillig geschieht". Darum mußte Gott der vernünftigen Seele die Freiheit ver- leihen.2) Freilich schließt nur jene Notwendigkeit Tugend und Verdienst aus, die gegen den Willen gerichtet ist, nicht aus dem Willen selbst stammt. Christus beispielsweise tat frei- willig Gutes und dennoch war es notwendig, daß er Gutes tat.3)

Desgleichen erklärt nur die Freiheit die Tatsache der Sünde : der Wille allein ist der Ursprung des Bösen,4) indem er die Ungerechtigkeit der Ordnung, der Gerechtigkeit vorzieht.5)

Im Begriffe der Freiheit liegt es vor allem, daß der Wille stets frei vom Zwange ist.6)

Aber an dem Gebrauche seiner Freiheit kann der Mensch, wie die Erfahrung an Kindern, Schlafenden und Trunkenen offen- kundig lehrt, gehindert werden. Insofern gibt es Hemmungen der Freiheit, die ihren Grund in einem körperlichen Defekte haben.

Aber das liberum arbitrium ist doch eine von den körper- lichen Organen unabhängige Potenz! Wie kann sie trotzdem durch jene beeinflußt werden? Darauf erwidert Bonaventura folgendes :

1) Ex hoc enim, quod liberum arbitrium liberum est, si aliquid vult, libere vult; et ex hoc, quod voluntarium est, si aliquid vult, voluntarie vult et se ipso movente vult. Sent. lib. II, dist. 25, p. II, q. 5.

2) Brevil. p. II, c 9 cum meritum consistat radicaliter circa liberum arbitrium, in solis illis potentiis habent esse virtutes sive cardinales sive theo- logicae, in quibus reperitur libertas arbitrii. Sent. lib. III, dist. 33, q. 3.

3j Sent. lib. III, dist. 18, art. 2, q. 2; lib. II, dist. 16, art. 1, q. 3.

4) Brevil. p. III, c 11.

5) 1. c. c 10.

6) voluntas semper libera a coactione. 1. c. p. II, c 8.

104

Zweites Kapitel.

1. Die Behauptung, innere organische Verletzung, wie bei Gehirnkranken, oder organische Unvollkommenheit, wie bei Kindern, fordere eine solch Aufmerksamkeit auf die Leitung des Körpers und die sinnliche Wahrnehmung von der Seele, daß diese sich gleichsam selbst vergesse und infolgedessen den Ge- brauch ihrer Freiheit einbüße, erklärt nichts. Denn erfahrungs- gemäß hebt ein heftiger Schmerz, der die Aufmerksamkeit der Seele doch auch intensiv beansprucht, den Gebrauch der Vernunft nicht auf.

2. Der Hinweis auf die Verbindung des Intellekts mit dem Körper, durch dessen Vermittlung der Geist die Phantasmen erhält und zur Tätigkeit angeregt wird, so zwar, daß eine Störung der Phantasmata infolge organischer Verletzung den Gebrauch des Intellekts und der Wahlfreiheit aufhebt, bietet ebenfalls keine Erklärung. Denn auch ohne organische Ver- letzung beobachten wir eine Hemmung der intellektuellen Tätig- keiten ; wie anderseits der Geist abstrakte Spezies in sich trägt, die er zum Gegenstande seiner Tätigkeit macht, ohne der körperlichen Organe zu bedürfen.

3. Man sagt: die Seele ist das Prinzip der vegetativen und sensitiven Tätigkeiten, die sie nur in dem Körper und durch ihn entfaltet, während sie zwar nicht durch den Körper er- kennt, aber doch in ihm und darum infolge körperlicher Störungen auch in ihren intellektuellen Äußerungen gehemmt werden kann. Aber auch diese Erklärung befriedigt noch nicht vollkommen: der Intellekt kommt „von außen" und ist nicht vermischt mit dem Körper. Wie kann er trotzdem durch dessen Störungen affiziert werden? Somit bleibt nur die

4. Erklärung übrig: die Vereinigung von Seele und Körper konstituiert eine neue dritte Wesenheit mit einer dreifachen Tätigkeit. Diese Vereinigung ist der Grund, weshalb die Seele als vegetatives und sensitives Prinzip in dem Körper und durch ihn, als intellektives Prinzip zwar in ihm, aber nicht durch ihn und seine Organe tätig ist. Obgleich eine nicht an die Materie gebundene Kraft, vollzieht die Seele ihre intellektuellen Funk- tionen doch nicht ohne den Körper und ohne irgendeine körper- liche Disposition; und zwar befindet sich diese Disposition in den „vornehmsten" Organen des Körpers, weil sie zu den vor-

4. Bonaventura.

105

züglichsten Äußerungen der Seele in Beziehung steht. Ein Gegenstand verliert nun stets zunächst seine vortrefflichste Eigenschaft. Eine Erkrankung am Fuße raubt zunächst die Fähigkeit schnell zu gehen, dann erst die Fähigkeit über- haupt zu gehen. Bei einer Verletzung büßt der Körper daher schneller jene Funktionen ein, die zu der denkenden Seele in Beziehung stehen als solche, die der empfindenden Seele dienen. Die denkende Seele selbst aber wird zunächst an ihrer vorzüg- lichsten Äußerung, an dem Gebrauche der Freiheit, gehindert.3) Bisher war nur von dem Sein, dem Wesen der Freiheit, die Eede. Es kann aber das Esse auch ein bene-esse sein. Inso- fern gibt es Grade der Freiheit. Die Existenz der letzteren geht durch die Sünde nicht verloren; aber das bene-esse wird durch die Sünde und deren Strafen vermindert und kann schließ- lich völlig schwinden, wie es bei den Verdammten der Fall ist, die notwendig dem Übel, der Schuld und der Strafe, unterworfen sind. 2)

Die Freiheit von derSünde ist folglich keine wesent- liche, sondern eine accidentelle und um so größer, je mehr der Wille die Herrschaft über die Sünde besitzt.3) Die Freiheit des Sündigens ist keine Freiheit, sondern ein Mangel der Freiheit.4)

Nur im Zustande der Unschuld, aber nicht im Zustande der gefallenen Natur, war bezw. ist der Mensch frei von der Sünde.5) Die Möglichkeit der Sünde aber beruht auf einem natürlichen Defekt des geschaffenen Willens, nämlich auf der Fähigkeit, die Gerechtigkeit zu bewahren oder nicht, den eigenen Willen dem göttlichen zu unterwerfen oder überzuordnen; das Nütz- liche dem Sittlichen, das Vergängliche dem ewigen Gute vorzu- ziehen. 6)

Insofern der Wille das Gute zum Objekt hat, findet er sich in gleicher Weise in Gott wie in den Geschöpfen ; 7) desgleichen,

*) Sent. üb. II, dist. 25, p. II, art. unicus, q. 6.

2) Sent. lib. II, dist. 25, p. II, dub. I,

3) Sent. lib. IV, dist, 18, p. II, dub. I.

4) libertas peccandi non est libertas, sed defectus libertatis. 1. e.

5) Brevil. p. II, c 9.

6) naturalis defectus, defectibilitas voluntatis; Brevil. p. III, c 7.

7) Sent. lib. II, dist. 25, p. II, q. 3.

106

Zweites Kapitel.

insofern er frei vom Zwange ist. An „Würde" aber überragt der göttliche Wille jeden geschaffenen, eben weil jener unge- schaffen, der Ursprung aller anderen Würde ist. Insofern ist der göttliche Wille zugleich der freieste, weil er der mächtigste, schlechthin von allem Äußeren unabhängige Willen ist.1)

Unter den Geschöpfen aber besteht kein Unterschied, inso- fern ihr Wille nach Gott das erste Prinzip ihrer Tätigkeiten ist. Verschieden aber ist der Wille in Gott sowohl als in den Geschöpfen, insofern die eine Kreatur mächtiger ist als die andere, die Rechtschaffenheit zu bewahren, und darum auch seliger als die andere ist.2)

Aus der Knechtschaft der Sünde befreit die Gnade, ohne die der menschliche Wille keine verdienstlichen Werke tun kann. 3) Indem er aber von der Gnade bewegt wird, verliert er seine Freiheit nicht.4) Die Gnade, die den Menschen zu Taten befähigt, zu denen er aus sich nicht fähig wäre, schafft be- stimmte Dispositionen, dispositiones, denen der WTille freiwillig zustimmt, ohne dabei gezwungen zu werden. Ja selbst dann bleibt der Wille noch frei, wenn er durch die Gnade derart „befestigt" ist, daß er „mit Notwendigkeit" auf das Gute ge- richtet — weil diese Notwendigkeit eben gewollt ist. Nur die natürliche, nicht dem Willen unterworfene ein- deutige Bestimmtheit, determinatio ad unum, hebt die Frei- heit auf.5)

Quellen.

Öfter noch als seine Vorgänger beruft sich Bonaventura auf Augustinus; so gleich, wenn er das liberum arbitrium als eine auf Verstand und Willen beruhende Fälligkeit bezeichnet. 6) Ferner folgt er ihm bewußt in der Lehre vom Übel als einer

*) de myst. Trin. q. VI, art. 1, 15.

2) Sent. Hb II, dist. 25, p. II, q. 1.

3) Sicut voluntas movet se ipsam ad opera naturalia, sie adiuta per gratiam movet se ipsam ad opera meritoria. 1. c. dist. 26, q. 6.

*) Sent. lib. IV, dist. 17, p. 1, art. 1, q. 3.

5) Sent. lib. III, dist. 18, art. 1, q. 2.

6) Brevil. p. II, c 9.

4. Bonaventura.

107

Privation des Guten,1) einem Defekte des AVillens, 2) erläutert mit jenem das Wesen der Sünde durch das Bild einer ehelichen Vereinigung zwischen dem sinnlichen und vernünftigen Begeh- rungsvermögen ; 3) erwähnt den augustinischen Satz, die Gnade verhalte sich zum liberum arbitrium, wie der Reiter zum Pferde.4) „Wie Augustinus sagt", gibt es geschaffene, aber nicht selbst- tätige Ursachen, die Naturursachen; geschaffene, die zugleich tätig sind, das liberum arbitrium und der Wille; endlich eine ungeschaffene, tätige Ursache, Gott.5) Ohne Quellenangabe er- wähnt Bonaventura endlich den bekannten Satz des Augustinus, nichts sei so in der Gewalt des Willens, wie dieser selbst,6) sowie den anderen, daß wir nur Erkanntes lieben können. 7)

Neben Augustinus ist Damascenus die Hauptquelle für Bonaventura. Ausdrücklich führt er auf ihn die Unterscheidung des natürlichen Willens von den überlegenden zurück;8) ferner den Satz, daß die Tiere mehr getrieben werden als handeln.9) Endlich stimmt Bonaventura auch in den Begriffsbestimmungen über Zwang und Gewalt, über das Freiwillige und Unfreiwillige und den Willen sozusagen wörtlich mit Damascenus überein, obwohl er diesen in den genannten Punkten nicht ausdrücklich zitiert.

Indirekt ist dadurch dann die Abhängigkeit Bonaventuras von Aristoteles dargetan, auf dessen Einfluß die Begriffe determinatio ad unnm und indeterminatio die Übersetzung der griechischen Termini dvvdueig twv evavTlwv und dvvd{.ieig evög hindeuten.

Als dritte Quelle kommt Anseimus in Betracht. Ihm entlehnt Bonaventura die Bestimmung, der Wille sei „ein sich

1) 1. c. p. III, c 10.

2) Sent. lib. II, dist. 34, c 10.

3) Sent. lib. II, dist. 24, c 8; de myst. Trin. lib. XII, c 3, n. 3.

4) Brevil. p. V, c 3 ut dicit Augustinus: gratia ad liberum arbitrium comparatur, sicut sessor ad equum.

5) de myst. Trin. q. VII, a. 1.

6) Brevil. p. III, c 11; 1 c. c 3, n 7.

7) Sent. lib II, dist. 25, p. I, q. 6.

8) Sent. lib. II, dist. 24, p. I, art. 2, q. 3.

9) bruta magis aguntur quam agunt; 1. c. dist. 25, p. I, q. 1.

108

Zweites Kapitel.

selbst bewegendes Instrument", l) daß seiner positiven Seite nach die Fähigkeit habe, die Rechtschaffenheit zu bewahren 2) und je nach der Ausbildung dieser Fähigkeit verschiedene Grade be- sitze. Was das Verhältnis von Notwendigkeit und Freiheit be- trifft, so ist Bonaventura mit Anselm der Meinung, nur die gegen den Willen gerichtete, nicht aus ihm stammende und ihm unterworfene Notwendigkeit d. h. die ungewollte Notwendig- keit sei wider die Freiheit und schließe den Begriff des Ver- dienstes aus.:i)

In besonderer Berufung auf Bernhard, und allgemeiner auf die Autorität der „Heiligen", bezeichnet Bonaventura die Freiheit von der Notwendigkeit des Zwanges als zum Wesen der Freiheit gehörig, wie sie allen vernünftigen Wesen in gleicher Weise zukomme.4) Nur der Gebrauch der Freiheit, nicht diese selbst, kann, „wie Bernhard sagt", unter Umständen ausgeschlossen sein, wie bei Kindern, Schlafenden und Irr- sinnigen. 5)

Auf die Bekanntschaft mit dem freilich nirgends genannten Alexander von Haies deutet die Bestimmung des liberum arbitrium als einer facultas rationis et voluntatis mit der be- kannten Begründung hin, es sei nämlich eine leicht in den Akt übergehende Potenz.

Die Bibel liefert natürlich auch Bonaventura den Begriff der Freiheit von der Sünde: „wer sich in Liebe unterwirft, wandelt in der Freiheit des Geistes". „Wo der Geist des Herrn, dort Freiheit (2. Korinther 3, 17)".6) Wo die Schrift Ausdrücke gebrauche, wie Gott „treibe" den Willen, „ziehe" ihn, sei nicht von Zwang die Rede, sondern von einer inneren Veränderung, der der Wille selbst zustimme eine Erklä- rung, der wir auch bei Thomas von Aquino begegnen werden.7)

l) Brevil p. III, c 10; Sent. lib. II, dist. 25, p. I, q. 2.

») Sent. lib. II, dist. 25, p. II, q. 1.

3) Sent. lib. III, dist. 16, art. 1, q. 3.

4) Sent. lib. II, dist. 25, p. II, q. 5.

5) 1. c. q. 6.

6) Sent. lib. II, dist. 25, p. II, q. 5.

7) de ver. q. 22, a. 5, 8; S. th. I, q. 105, a. 5; q. 111, a. 2.

4. Bonaventura.

109

Folgerungen. Bonaventura stellt klar und systematisch drei Begriffe der Notwendigkeit auf. Dadurch gewinnt er das Mittel, mit un- zweideutiger Bestimmtheit anzugeben, welche Notwendigkeit mit der Freiheit verträglich ist und welche nicht. Lediglich die. Notwendigkeit des Zwanges d. h. das Nicht-Wollen, sagt Bona- ventura mit allen Vorgängern, widerspricht der Freiheit, wo- bei er zum ersten Male die an sich wichtige Unterscheidung macht, zur Ausführung einer äußeren Handlung könne man zwar gezwungen werden, nie aber zu einer inneren Willens- zustimmung. x)

Hiermit ist nun freilich im Prinzip nichts als die tauto- logische Weisheit ausgesprochen: das Nicht- Wollen steht zudem Wollen in einem unversöhnlichen begrifflichen Gegensatze.

Wertvoller und interessanter ist deshalb die andere Be- merkung, daß die beiden übrigen Arten der Notwendigkeit die Freiheit nicht aufheben. Nach diesen Prämissen ist ein kon- kreter Willensakt deshalb, weil er nicht nicht sein kann, sondern schlechthin sein muß, noch nicht unfrei. Als Willensakt ist er eben gewollt und darum frei.

Von hier aus ergibt sich die Konsequenz: dem Begriffe dieser psychologischen Freiheit widerstreitet nicht die Annahme, daß alle guten und bösen menschlichen Willensakte, die sich jemals ereignet haben und noch ereignen werden, schlechthin solche sein mußten bzw. sein müssen, wie sie tatsächlich waren bzw. sein werden.

Die schlechthinige Notwendigkeit des Nicht- anders-sein-könnens aller konkreten Willenshand- lungen ist mit diesem Freiheitsbegriffe durchaus verträglich.

Bonaventura zieht tatsächlich diese Konsequenz, freilich nur teilweise, indem er zugibt, daß weder die Befestigung im Guten d. h. die Unmöglichkeit, Böses zu tun, noch die Verhär- tung im Bösen d. h. die Unmöglichkeit, Gutes zu tun, die Frei-

l) Es sei bei dieser Gelegenheit auf die fruchtbare Wundtsche Unter- scheidung innerer und äußerer Willenshandlungen hingewiesen.

110

Zweites Kapitel.

heit aufhebt wofern diese Unmöglichkeit nur keine natürliche, sondern eine gewollte ist.

Wie aber eine solche gewollte Notwendigkeit psychologisch zustande kommt, darüber stellt Bonaventura keine Untersuchung an. Indem er den Willen als das „erste Prinzip" unserer Hand- lungen definiert und dabei offenbar an das erste bewußte Prinzip denkt, übergeht er die Frage, ob der Willensvorgang seinerseits nicht vielleicht schon die erste bewußte Wirkung eines früheren unbewußten Prinzips ist.

Überall der schon öfter gerügte Fehler: nach dem Entste- hungsprozesse des konkreten Willensaktes wird nicht gefragt, sondern der fertige Willensakt stets vorausgesetzt und zum Gegenstande der Betrachtung gemacht!

Aber die Psychologie kennt keine ruhenden Objekte, sondern nur stetig fließende Vorgänge oder Ereignisse!

Wo Bonaventura eine Erklärung des fertigen bösen Willensaktes zu geben versucht, gerät er in das berüchtigte scholastische Verfahren einer rein analytischen Worterklärung.

Der Grund, warum der Wille Böses tun kann, soll in der „Defektibilität", also in der Fähigkeit, Böses tun zu können, liegen. Das heißt aber doch die Tatsache der Sünde erklären durch die hypostasierte Möglichkeit oder Fähigkeit zu sündigen!

Anerkennung verdient indes der Versuch Bonaventuras, mit Hilfe seiner methapysischen Körper- und Seelenlehre zu er- klären, warum der Gebrauch der Freiheit zuweilen aufgehoben ist, oder, was dasselbe ist, warum zuweilen die Entstehung eines Willensaktes unmöglich ist. In diesem Versuche ergänzt Bona- ventura die einfache Behauptung Bernhards von Clairvaux, der Wille sei, obzwar immer frei, so doch nicht immer im Gebrauche seiner Freiheit.

Ein kurzer Rückblick auf den sachlichen Ertrag dieser Übergangsperiode, in der die aristotelischen Einflüsse nur erst versteckt und im geringem Umfange zu den augustinischen treten,1) zeigt, daß unsere Untersuchung auch jetzt wesentlich

*) Vgl. K. Werner, Der Entwicklungsgang der mittelalterlichen Psycho- logie von Alcuin bis Albertus Magnus, Wien 18 < 6.

4. Bonaventura.

111

noch bei der Antwort steht: das Wesen des Willens und der mit ihm identischen Willensfreiheit besteht in der Unab- hängigkeit von der Notwendigkeit des Zwanges. Dazu kommt die Wahlfreiheit als die Fähigkeit, durch ver- nünftige Überlegung ein Mittel zu einem bestimmten Ziele aus- zuwählen, ohne daß auch hierbei der Wille als Wahlwille irgend- einem Zwange unterworfen wäre.

Verlieren wir nicht die Hoffnung, daß uns die folgende aristotelische Periode, die zu dem Höhepunkte der Scholastik führt, neue Resultate iefert.

Drittes Kapitel.

Die augustinisch-aristotelische Periode.

I. Dreizehntes Jahrhundert.

1. Albertus Magnus.

Es gibt ein doppeltes Strebevermögen : das eine richtet sich auf körperliche, sinnlich wahrnehmbare Dinge, die entweder erstrebt oder verabscheut werden ; *) das andere ist ein „ver- nünftiges Begehrungsvermögen" und heißt Wille.2) Jenes emp- fängt seine Objekte durch das „sinnliche Erkenntnisvermögen", dieses durch das unsinnliche, den Intellekt.3)

Was die Entstehung eines Willensaktes als solchen be- trifft, so ist der Wille „sich stets selbst Ursache"; denn „das Prinzip seiner Tätigkeit liegt in ihm selbst."4) Hiermit ist zu- gleich der Begriff des Freiwilligen umschrieben; während das Prinzip des Unfreiwilligen nicht in dem Tätigen selbst liegt.5)

1) appetitus rerum ad corpus pertinentium . . . concupiscibüis vel ira- scibilis. S. th. II 92, m. 1.

2) rationalis appetitus. S. th. I, q. 79, m. 1. Über voluntas accepta vgl. De causis et proc. I, tr. 1, c 6.

3) sicut in sensibili natura apprehendens et aestimans de nocivo vel con- vienti nuntiat et determinat id, ad quod movendum sit vel a quo fugien- dum et conjunctum sibi appetitum movet ad illud vel fugit ab eo, movetur autem impetum faciendo in illud : ita ex parte intellectualis naturae intellectus nuntiat et voluntas impetum facit. 1. c. m. 2.

3) voluntas sibi ipsi est causa in omnibus. S. th. II, q. 21, m. 3. 6) S. th. II, q. 99, m. 1.

1. Albertus Magnus.

113

Es gehört also zum Wesen des Willens, daß er alles frei will, was er will d. Ii. keiner von ihm verschiedenen Ursache bedarf, um das zu tun, was er will. Der Wille ist folglich causa sui, „Herr seiner Akte";1) er kann nicht „zu irgend- welchen Akten" gezwungen werden,2) vielmehr liegt das Tun oder Nichttun in seiner Freiheit.3)

Durch diese Fähigkeit zu entgegengesetzten Akten 4) unter- scheidet sich der Wille als ein ausschließliches Gut der ver- nünftigen Wesen von dem sinnlichen Begehrungsvermögen, das seine Akte „mit Notwendigkeit" setzt, das nicht zwischen Han- deln und Nichthandeln wählen kann. Die Tiere werden des- halb durch die sinnlich wahrgenommenen Gegenstände 5) und durch die sie hervorgerufenen Affekte zum Handeln getrieben;6) sie haben nicht „die Herrschaft über ihre Akte", 7) und zwar aus dem Grunde nicht, weil sie in allen ihren Betätigungen durchaus an die Materie gebunden sind. Jeder materielle Akt aber ist „eindeutig bestimmt". 8) Darin liegt zugleich der Grund, weshalb die Tiere weder gelobt noch getadelt werden. 9)

Ganz anders verhält es sich mit den geistigen Akten. Es gehört zum Wesen der vernünftigen Potenz, daß sie nicht ein- deutig bestimmt ist, sondern sich in entgegengesetzter Richtung betätigen kann,10) einen Akt setzen oder nicht setzen und einen von ihm verschiedenen setzen kann.11) Ihre Freiheit besteht gerade darin, daß sie dieses wollen und nicht wollen und etwas

*) libere (voluntas) potest agere, quod vult in ipsa est, quod vult, facere nee alia (sc- causa) indiget ad hoc. S. th. I, q. 79, m. 1.

2) S. th. II, q. 99, m. 1.

3) habet in libertate facere vel non facere. 1. c.

4) flexibilitas ad oppositos actus. S. de creatnris, p. II, q. 70, art. 4, part. 1.

5) passionibus sensibilium, hoc est a sensibilibus illatis. S. th. I, q. 91, m. 1.

6) impnlsu passionum irae et coneupiscentia impelluntur (sc. bruta) et aguntur. S. th. I, q. 79, m. 1.

7) dominium suarum actionum. S. th. I, q. 91, m. 1.

8) omne enim, quod est actus naturalis materiae et naturae obligatur ad hoc vel illud faciendum et non ad aliud. S. th. II, q. 16, m. 5.

9) S. th. I, q. 91, m. 1.

10) omnis potentia rationalis est ad opposita. Sent. lib. III, dist. 28, art. 2. ") posse hoc et posse cessare. 1. c.

Yerweyen, Das Problem der Willensfreiheit. 8

114

Drittes Kapitel.

von demselben Verschiedenes wollen kann.1) Das Freie handelt nicht auf Grund einer „Notwendigkeit der Natur", wie z. B. das Feuer verbrennt. 8)

Alle vernünftigen Wesen tun demnach eben wegen ihrer geistigen Natur nichts, was sie auch nicht tun könnten und ohne daß sie etwas anderes tun könnten/')

Aber diese Freiheit vom Zwange 4) ist nur notwendige, nicht hinreichende Bedingung des liberum arbitrium. Ein wahlfreier Akt ist nicht nur frei vom Zwange, sondern erfolgt auch aus freier Wahl und freier Überlegung.5)

Das Wählen kann in doppeltem Sinne gemeint sein. Ein- mal ist Wahl die gewollte Zustimmung zu dem, was der Wählende will und besteht in der „Freiheit des Urteils".6) Sodann kann Wahl, als Vorziehen, auch die Bestimmung des durch die richtige Vernunft Erkannten sein.7)

Während der Wahlakt im ersteren Sinne als spontaner Konsens „ohne irgendeine Regel" erfolgt und „deshalb frei" ist, ist der Wahlakt im zweiten Sinne an die „Regeln der Ver- nunft" gebunden und deshalb nicht frei, sondern eben „durch die richtige Vernunft gezwungen".8)

In jedem Falle aber besteht die Überlegung in Urteilsakten, die sich beziehen auf die Erforschung dessen, was und wie es getan werden soll. Während das Tier nur über das sinnlich Angenehme urteilen kann und dabei durch die jeweilige Beschaffenheit der körperlichen Organe zu einem bestimmten Urteile gezwungen wird, vermögen die vernünftigen Wesen auch über das sittliche zu urteilen, ohne daß das vernünftige

1) libertas eius cousistit in hoc, quod possit velle hoc et non velle hoc et posse velle diversum ad hoc. 1. c.

2) per necessitatem naturae. sicut comburit ignis. S. th. II, q. 94, in. 1.

3) nihil enim agunt, quin possint illud non agere et quin possint aliud agere. Sent. lib. II, dist. 25, art. 4.

4) libertas a coactione. 1. c. art. 7.

5) ex libera electione et libero consilio. S. th. II, q. 94, in. 1.

*) ex consensu spontaneo ... electio cuius, quod v alt, eligens et con- sistit in libertate arbitrii. 1. c.

7) determinatio melioris secundum rationera rectam eligibilis et sie est eligentiae. L c.

8) Sent. lib. II, dist. 24, art. 6.

1. Albertus Magnus.

115

Begehr uügs vermögen gezwungen ist, dem Urteile der Ver- nunft zu folgen. Gerade darin bestellt die Willens- freiheit. *)

Weil aber die Überlegung ein Akt der Vernunft ist und ein wesentlicher Bestandteil des Wahlvorganges, so ist die WTahl- freiheit eine Fähigkeit des Willens und der Vernunft.2)

Diese Fähigkeit ist eine aus dem Wesen der Seele flies- sende,3) darum eine dauernde Potenz,4) und zwar nur eine Potenz, weil Wille und Vernunft ihrerseits nicht völlig ge- trennte Potenzen sind, sondern solche, deren eine die andere informiert. 5)

Da also das freie Wahlvermögen weder mit der Vernunft noch mit dem Willen realiter identisch ist, so ist es ein Drittes, das zwischen bzw. über den genannten Vermögen steht; es nimmt die Rolle eines Schiedsrichters zwischen ihnen ein. Der Verstand ist durch die gedachten Inhalte schlechthin eindeutig bestimmt, determiniert der Wille kann dem Erkannten wider- streben ; das freie Wahlvermögen kann sich frei d. h. „nach Be- lieben", ohne weder organischem, körperlichem noch innerem Zwange von Seiten des Verstandes oder Willens folgen zu müssen, in diesem Streite entweder auf die Seite der Vernunft oder des Willens stellen ; 6) worauf dann endlich der vollen- dete Wille in Tätigkeit übergeht und das betreffende Gut er- strebt.

Somit umfaßt die Tätigkeit der vernünftigen Seele vier verschiedene Stadien: der Verstand betrachtet die Ob- jekte und erforscht, ob sie begehrenswert sind; der Wille stimmt dem Verstände zu oder nicht; das freie Wahlvermögen entscheidet sich entweder für Vernunft oder Willen; worauf

1) Libertas (enim) appetitus consistit in hoc, quod habet faeiütatem inclinandi se in judicatum vel deelinandi ab ipso. S. d. creaturis p. II, 70, art. 1.

2) facultas rationis et voluntatis . . . facultas . . . hoc est facilis liber- tatis potestas. S. th. II, q. 91, in. 2.

8) 1. c. m. 1.

4) potentia habitualis. 1. c. m. 2.

5) voluntas inforinatur ex parte voliti a ratione. S. th. II, q. 91, m. 4, a. 1.

6) S. de nomine, q. 68, a. 2; a. 4.

8*

116

Drittes Kapitel.

dann der vollendete Wille das frei Gewählte erstrebt und aus- führt,

Obwohl eine Fähigkeit des Verstandes und Willens, so ver- dankt das Wahlvermögen doch seine Freiheit dem Willen als der „höchsten und freiesten Kraft" in der Seele. *)

Indes, diese eine habituelle Potenz des liberum arbitrium teilt ihre Freiheit vom Zwange allen Potenzen und Tätigkeiten mit, die ihr unterworfen sind;2) wie wir die Wissenschaft frei nennen, insofern wir sie um ihrer selbst wollen, 3) so heißen frei alle Tätigkeiten, die „sich selbst Ursache" sind und nicht ge- zwungen werden. In dieser Herrschaft des liberum arbitrium über alle seelischen Tätigkeiten liegt zugleich der Grund, weshalb nur die Akte der Wahlfreiheit dem Lob oder Tadel unterworfen werden. 4)

Objekt der freien Tätigkeit kann nur das kontin- gent Zukünftige sein, insofern es in unserer Macht liegt. Denn das Gegenwärtige ist bestimmt, determiniert, zum Sein;5) das Vergangene zum notwendig -gewesen-sein: beides kann also nicht Gegenstand der Überlegung sein; aber auch das not- wendig Zukünftige kann dies nicht sein, wie z.B. der morgige Aufgang der Sonne.

Findet sich die Wahlfreiheit, wie die Willensfreiheit, aus- schließlich in vernünftigen Wesen,6) so doch nicht in allen in demselben Grade. Gott und der Kreatur kommt die Wahlfreiheit nicht univoce, auch nicht aequivoce, sondern analog zu.7)

*) haec (sc. voluntas) est vis altissima. Sent. lib. I, dist. 1, a. 12. Voluntas est causa prima libertatis; et liberum arbitrium participat libertatem. 1. c. II, dist. 25, a. 1. libertas primo est in voluntate, ut dicunt Sancti cum enim liberum arbitrium sit potentia consequens ad rationem et voluntatem accipit ab eis ea, quae habuit in ipso. S. de homine, q. 68, a. 4, part. 2. in veritate libertas est penes liberum arbitrium sequendi rationem vel voluntatem. 1. c. ad 2.

2) anima rationalis per liberum arbitrium movet omnia potentissime, quae sunt in regno auimae et disponit secundum arbitrium proprium et noncogitur aliqua necessitate. S. th. II, q. 91, m. 2.

3) S. th. II, q. 91, m. 1.

4) 1. c. m. 2.

6) S. th. II, q. 97.

6) liberum arbitrium in solis est rationabilibus. S. th. II, q. 94, m. 1. ') 1. c. m. 2.

1. Albertus Magnus.

117

Der Akt der Überlegung schafft in dem allwissenden Gott keine neue Erkenntnis, ist vielmehr in ihm nur eine Bestimmung der Handlungen,1) wie das göttliche Wählen lediglich in der Bestimmung des Gewollten besteht. Die göttliche Wahlfreiheit ist die denkbar höchste, weil Gott „immer alles tut, was er will" und weder aus Bedürfnis noch Notwendigkeit noch Müssen zu etwas gezwungen wird.

Auch die Seligen und Verdammten besitzen die Wahlfreiheit. Ihr Wille ist nämlich frei von jedem Zwange; nichts ist, was jene zum Guten und diese zum Bösen „antriebe". Allein „ihr Zustand" der Belohnung bzw. Bestrafung2) fordert, daß die Seligen das Gute wollen und das Böse nicht wollen können, und daß die Verdammten das Böse wollen und das Gute nicht wollen können; aber jene, wie diese, wollen ohne Zwang „das, was sie wollen".3) Somit fehlt den Seligen wie Verdammten gerade das, was die Freiheit allein ausschließt, nämlich die Notwendig- keit des Zwanges.

Die Notwendigkeit der Beharrung4) in ihrem Zustande hebt als Notwendigkeit der Unvermeidlichkeit5) ihre Freiheit in keiner Weise auf: sie entspricht zudem der göttlichen Gerechtig- keit, die Selige wie Verdammte nur in jenen Zustand versetzt, den sie mit dem Wahlvermögen sich selbst erwählen.6)

Die menschliche Freiheit durchläuft nun vier Stadien: vor der Sünde, im Zustande der Sünde, der Gnade und der ewigen Glückseligkeit. In allen diesen Stadien bleibt die Freiheit vom Zwange in gleicher Weise bestehen und zwar eben „wegen der Freiheit des Willens", ohne die von Sünde keine Rede sein kann.

Wird die Freiheit vom Zwange durch die Sünde zwar nicht beseitigt, so wird sie doch „verwundet" d. h. dem Guten immer

*) determinatio faciendorum. 1. c.

2) solus status praemii, in quo recipiunt, quod meruerunt. 1. c.

3) 1. c. m. 3.

4) necessitas confirmationis. 1. c.

5) necessitas inevitabüitalis. Sent. lib. III, dist. 28, art. 2.

6) ex facultate liberi arbitrii eligunt, quod volunt: ex quod adstricti sunt ad unum, sive bonum sive malum, ex ordine divinae iustitiae est, quae non impedit libertatem. 1. c.

IIS

Drittes Kapitel.

mehr entfremdet. Ganz aufgehoben durch die Sünde wird natürlich die Freiheit von der Sünde, und gerät immer mehr in die Knechtschaft der Sünde,1) die aber stets „aus Willen und nicht aus Notwendigkeit" geschieht.*2] Desgleichen geht die dritte Freiheit von dem Elende durch die Sünde verloren.'*)

So entsprechen diese Stadien der Freiheit den verschiedenen Stadien, welche die menschliche Natur seihst durchlaufen hat. Im Zustande der Unschuld konnte der Mensch nicht sterben, wenn er wollte, d. h. nicht sündigte; denn sein Wahlvermögen neigte aus sich nicht der Sünde zu. Nach dem Sündenfalle aber muß der Mensch mit Notwendigkeit sterben : er kann nicht nicht sterben und zugleich kann sein Wahlvermögen, durch die Sünde geschwächt, aus eigener Kraft der Sünde nicht mehr widerstehen, vielmehr nur durch die Gnade wieder hergestellt werden. Bei diesem Vorgang der Wiederherstellung oder Kecht- fertigung kann der WTille nur dieses leisten, daß er der Gnade keinen Widerstand entgegensetzt; er spielt also eine höchst passive Kolie, weil er selbst „in keiner Weise" ursächlich an dem Akte der Rechtfertigung beteiligt ist.4)

Aber selbst mit Hilfe der Gnade kann das Wahiverniögen sich jetzt nicht mehr von der „läßlichen Sünde" fernhalten, ohne daß es doch seine Freiheit vom Zwange eingebüßt hätte.

„Nach der Auferstehung" aber, wenn die Natur von dem Elende befreit und verherrlicht sein wird, dann wird mit dem Nicht- sterben können auch das Nicht- sündigen können ein- treten. 5)

Zu den beiden letzten Arten der Freiheit von der Sünde und dem Elende konnten die „Philosophen" deshalb nicht ge-

*) S. th. II, q. 95.

2) S. th. II, q. 95.

3) 1. c. q. 94.

4) motus liberi arbitrii ut causa, nihil facit ad iustincationem nec enim et causa efficiens nec formalis, sed sohis Deus efficiens et gratia operans et virtus formalis causa. Sed motus liberi arbitrii in Deum et in detestationem peccati non exigitur nisi, ut non ponatur obstaculum Spiritui sancto, qui neminem justificat in vi tum. S. th. II, q. 104, m. 3.

5) quia proportionalia sunt non posse mori et non posse peccare: et posse mori et posse peccare, eo quod mors causata est a peccato et sicut se peccatum habet ad liberum arbitrium, ita mors ad naturum. S. th. II, q. 100, m. 2.

1. Albertus Magnus.

119

langen, weil sie nichts von der „Sinnlichkeit", jenem Strebever- mögen wußten, daß den Gesetzen der Vernunft beständig ent- gegenwirkt.1) Mit anderen Worten, die „Philosophen" kannten nichts von der „Sünde", dem Bösen, das in der Herrschaft der Sinnlichkeit über die Vernunft besteht.

Während die Fähigkeit der Wahlfreiheit sich dem Guten •zuzuwenden, ihre letzte Ursache in dem höchsten Gute, in Gott, hat, ist die Fähigkeit, sich dem Bösen zuzuwenden, ohne be- wirkende Ursache. Denn das Böse ist ein Abfall von dem höchsten Gut, hat also nur eine fehlende Ursache.2) Diese be- steht in dem Irrtum des Intellekts über das Gut.3) Aber, weil der Wille nicht gezwungen ist, dem Erkannten zu folgen, so ist doch er in höherem Grade als der Intellekt die Ursache unserer bösen Werke.4)

Quellen.

In der Freiheitslehre des Albertus Magnus macht sich deut- lich der Einfluß der Bekanntschaft mit der Gesamtheit der aristotelischen Schriften geltend. Albertus ist nach Alexander von Haies der erste unter den mittelalterlichen Denkern, der sich in unserer Frage in ausgiebiger Weise auf Aristoteles beruft.

Im einzelnen folgt Albertus jedesmal unter genauer Quellen- angabe dem Stagiriten in der Begriffsbestimmung des Frei- willigen und Unfreiwilligen,5) der natürlichen Freiheit vom Zwange und ihrer Identifizierung mit dem Willen6) als einem vernünftigen, von dem sinnlichen Begehren unter- schiedenen Vermögen, dessen „Bewegung" stets auf das Urteil

1) nos sensuabilitatis nomine potentiam accipimus et appetitnm, qui ser- pentino suasu et deceptione se habet ad rationem; et hoc non cogno- yerunt philosophi. S. th. II, q. 92, m. 4. sicut mulier vjiro, ita debet esse subjecta sensualitas ordini rationis. 1. c. m. 3.

2) causa d e feciens non efficiens. S. th. II, q. 16, m. 5.

°) quod deficit (sc voluntas) a bono incommutabili, causa est intellectus errang et in errorem suum voluntatem inclinans. S. th. II, q. 21, m. 3. -) de anima III, c 10.

5) S. th. I, q. 27, n. 1, art. 1; 1. c. II, q. 99, m. 1. °) S. th. I, q. 79, m. 1; 1. c. II, q. 99, m. 1. 7) S. th. I, q. 7, m. 2.

120

Drittes Kapitel.

der Vernunft hin erfolge. l) Weiterhin erwähnt Albertus die aristotelische Bestimmung, der Wille könne auch auf Unmög- liches2), das liberum arbitrium dagegen nur auf das kontingent Zukünftige gerichtet sein, insofern es in unserer Macht liege.3) Zu diesen direkt auf Aristoteles zurückgeführten Elementen kommen solche, die Albertus indirekt d. h. durch Vermittlung des Johannes von Damascus gewann, den er ebenfalls öfters zitiert. Ihm entlehnt er die Definition des Willens als eines tätigen Prinzips,4) die Unterscheidung desselben von der sinnlichen, auf den Körper gerichteten Bewegung5) sowie die Unterscheidung eines natürlichen und überlegenden, wählenden Willens, 6) welcher letztere nur vernünftigen Wesen, nicht auch den Tieren zukomme. 7) Natürlich verfehlt Albert nicht den be- kannten Satz des Damasceners zu zitieren: brutum agitur et non agit, ducitur et non ducit. Anderseits folgt Albert dem Damascener auch in der „guten Einteilung'* des Willens in einen zuvorkommenden, der von Gott stammt und einen nachfolgenden, der als unsere Zustimmung „aus unserer Ursache" stammt8) und mit dem liberum arbitrium, dem Wahl- willen, identisch ist. Letzteres bezieht sich, „wie Damascenus sagt", nur auf kontingent Zukünftiges,0) sofern es in unserer Macht liegt.10)

Diese letztere Ansicht sowie auch die obige Unterscheidung des natürlichen und überlegenden Willens11) führt Albertus gleichzeitig auf Gregor von Nyssa zurück, der bekanntlich bis zum XVI. Jahrhundert als Urheber des von Nemesius ver- faßten Buches „Über die Natur des Menschen" galt. Die oben l2)

1) S. th. II, q. 91, m. 2.

2) S. th. II, q. 99, m. 1.

3) S. th. II, q. 97.

4) S. th. I, q. 15.

5) S. th. II, q. 92, m. 3.

6) S. th. I, q. 79, in. 1.

7) S. th. II, q. 94, m. 1.

8) S. th. I, q. 79, m. 2.

9) Sent. lib. II, dist. 25, art. 2.

10) S. th. II, q. 97.

n) S. de creat. p. II. q. 65, art. 1.

'*) S. 30 ff.

1. Albertus Magnus.

121

nachgewiesene Übereinstimmung zwischen Damascenus und Nemesius berechtigt deshalb dort, wo Albertus beide gleichzeitig erwähnt, in Nemesius den Vertreter der Gregor von Nyssa zu- geschriebenen Ansicht zu erblicken. So z. B., wenn Albertus gleichzeitig Damascenus und Gregor von Nyssa als Urheber der Ansichten nennt, wegen der Herrschaft über den eigenen Akt und der darauf gegründeten Möglichkeiten des Verdienstes sei der Mensch nach Gottes Bilde geschaffen;1) das Freiwillige sei dem aus Gewalt oder Unwissenheit geschehenden Unfreiwilligen entgegengesetzt und setze die Kenntnis der einzelnen Umstände der Handlung voraus.2)

Die dritte Autorität für Albertus ist Augustinus, der den Willen „am besten" definiere, nämlich als „Potenz, die sich in Aktualität oder Bewegung befinde" oder als „eine ohne Zwang erfolgende Bewegung der Seele", mit dem Zwecke etwas zu erstreben oder zu fliehen,3) derart, daß die Wahl des Bösen die Freiheit vom Zwange zum Guten einschließe, demnach, als „Zeichen der Freiheit" in der Definition enthalten sei.4) Das Böse selbst erklärt Albertus, auch darin Augustinus folgend, aus einer fehlenden Ursache des Willens,5) ohne den von Sünde keine Rede sei.6) Je nach Beziehung des Willens zum Bösen durchläuft die menschliche Freiheit vier Stadien, lehrt Albertus ebenfalls auf Augustinus sich berufend. 7) Ein historischer Irrtum aber ist es, wenn Albertus, wie vor ihm Alexander von Haies 8) und Bonaventura,9) die Definition, das liberum arbitrium sei eine Fähigkeit des Verstandes und Willens, auf Augustinus zurückführt. Tatsächlich geht diese Definition auf Petrus Lom- bardus zurück,10) der sie vielleicht Hugo von St. Victor11) ent-

*) S. th. I, q. 91, m. 1.

2) S. th. II, q. 16, m. 4.

3) S. th. II, q. 99, m. 1.

4) S. th. II, q. 91, m. 4, a. 1.

5) S. th. II, q. 16, m. 5.

6) S. th. II, q. 5.

7) Sent. lib. II, dist. 24, a. 7.

8) S. th. II, q. 73, a. 2.

9) Sent. lib. II, dist. 25, art. unicus, q. 1. ,0) Sent. lib. II, dist. 24, c. 3.

u) Sent. lib. III, c. 8.

122

Drittes Kapitel.

nommen hat, indes irrtümlich, wie bereits bemerkt wurde, *) dein Augustinus zuschreibt.

Daß die Fähigkeit zu sündigen, nicht zum Wesen der Frei- heit gehöre, sondern einen Defekt des Willens bedeute2) als des allgemeinen Bewegers aller seelischen Potenzen 3) der als Prinzip seiner Tätigkeit „sich selbst Ursache" ist;4) daß ferner zwischen der geschaffenen Freiheit der Engel und Men- schen und. der unerschaffenen Freiheit Gottes unterschieden werden muß, behauptet Albertus mit bewußter Anlehnung an A n s e 1 m u s.

Mit Bernhard trifft er die dreifache Unterscheidung der Freiheit vom Zwange von der Sünde und vom Elende, sowie die andere Unterscheidung der „Freiheit des Urteils, der Überlegung und des Beifalls" 5) und nennt endlich den Konsensus, die Zu- stimmung, eigene Ursache ihrer Akte.6)

Dem Sentenzenkommentar des Petrus Lombardus ent- nimmt Albertus die darin erwähnte, auf Boethius zurückgehende Definition, die Freiheit bestehe in einem freien Urteile über den Willen;7) ferner die bekannte Dreiteilung der Freiheit, wobei Albert auf die darin liegende Übereinstimmung zwischen Augusti- nus, dem Lombarden und Bernhard hinweist.8) Auch die Be- stimmung, Objekt des liberum arbitrium sei das kontingent Zu- künftige, entlehnt Albertus, unter Hinzufügung der gleichen Be- gründung, dem Magister. 9)

Dionysius Areopagita ist die Autorität für die nicht unwichtige Bestimmung, der göttliche Wille sei zwar die „not- wendige" Ursache des Kontingenten wie Notwendigen, doch be- ruhe die göttliche Notwendigkeit nicht auf Zwang oder Un- vermeidlichkeit.10) Auch erwähnt Albertus die von Dionysius

1) Vgl S. 57.

2) S. th. I, q. 50, m. 1; S. th. II, q. 91. m. 4, art. 1.

3) S. th. II, q. 99, m. 1.

4) S. th. II, q. 21, m. 3. 6) S. th. II, q. 94; q. 96.

6) S. th. II, q. 91, m. 3.

7) S. th. II, q. 94, m. 1.

8) S. th. II, q. 94. «) S. th. II, q. 97.

w) S. th. I, q. 79, m. 2, art. 2.

1. Albertus Magnus.

123

ausgeführte metaphorische Übertragung' des Willens auf das natürliche Streben aller Dinge.1)

Ferner verrät Albertus auch Bekanntschaft mit dem Magister Praepositinus, den er zweimal gleichzeitig mit einem gewissen Guilielmus de Altisidore zitiert. In der Frage, ob Gott den „Sohn" mit Notwendigkeit zeuge, ant- wortet Albert mit der von beiden getroffenen Unterscheidung einer vorausgehenden und mitfolgenden, d. h. mit dem Willens- akte gleichzeitigen Notwendigkeit, welche letztere für den vor- liegenden Fall zutrifft und die Freiheit nicht ausschließt.2) Ferner erwähnt Albertus die von beiden gegebene Bezeichnung Wollung, velleitas, für ein auf Unmögliches gerichtetes Streben.3) Schließlich führt er bezüglich des Verhältnisses von Gnade und Freiheit den Vers des Praepositinus an: Quidquid habes meriti praeventrix gratia donat Nil Dens in nobis praeter sua dona coronat.4)

Auf die bisherigen Autoritäten natürlich mit Ausnahme des Heiden Aristoteles beruft sich Albertus häufig ganz all- gemein als auf die „Heiligen".5)

Zu diesen gehört nun auch noch speziell der Apostel Petrus, dessen Definition Albertus allen anderen gegenüber den Vorzug gibt: das liberum arbitrium sei die „Fähigkeit der Seele sich zu den Akten zu neigen, zu denen sie wolle."6)

Endlich sieht auch Albertus einen Beweis für die Existenz der Wahlfreiheit in der Bibelstelle Eccl. 31 : „Er konnte die Ge- bote Gottes übertreten, übertrat sie aber nicht, konnte Böses tun, tat es aber nicht". 7)

Zum Schlüsse sei noch erwähnt, daß Albertus auch Piaton einmal zitiert, in dessen Menon es heiße, jedes Tier, wie jedes

*) S. th. I, q. 79, m. 1. *) S. th. I, q. 27, m. 1, art. 1. 3) S. th. II, q. 99, m. 12. *) S. th. II, q. 100, m 1.

5) S. th. II, q. 91; S. th. II, q. 91, m. 2.

6) Vgl. A. Schneider, Die Psychologie Alberts des Großen. Beitr. z. Gesch. d. Philos. d. M.-A., Bd. IV, 6, S. 474.

7) S. th. II, q. 91, m. 4, a. 1.

124

Drittes Kapitel.

Strebe vermögen, sei von Natur auf das ihm Zusagende gerichtet und meide das Schädliche. l)

Folgerungen.

Albertus äußert sich an den verschiedensten Stellen ver- schieden über unser Problem, insbesondere was das Verhältnis des freien Wahlvermögens zu Verstand und Willen betrifft, Bald behauptet er, das liberum arbitrium sei ein Mittleres zwischen beiden, das dem Verstände folge, dem Willen aber vor- ausgehe; bald erklärt er, daß es beiden nachfolge oder endlich, daß es seine Freiheit vor allem in jene beiden Potenzen ver- lege. A. Schneider hat bereits im einzelnen Widersprüche nachzuweisen gesucht.2) Freilich scheint er einen Punkt über- sehen zu haben, wenn er nämlich meint, da Verstand und Wille nach Albertus' ausdrücklicher Erklärung sich auf dasselbe Objekt bezögen, so müsse immer das gewählt werden, was der Verstand gebilligt habe. Es ergebe sich dann aber die Konse- quenz, daß der Verstand die Ursache auch der schlechten Wahl sei; dies sei aber „offenbar Alberts Ansicht nicht".

In Wahrheit bezeichnet nun Albertus ausdrücklich den irrendenlntellekt als Ursache des bösen, von dem höchsten Gute „abfallenden" Willens. Freilich nennt er wiederum an anderer Stelle3) den Willen die Ursache des Bösen, aber in einem anderen Sinne, nämlich insofern der Wille nie ge- zwungen ist, dem erkannten Gut zu folgen. In diesem Punkte scheint also ein Widerspruch nicht vorzuliegen.

Albertus selbst gibt leicht Anlaß zu der Annahme von Widersprüchen in seinen Ausführungen, weil er häufig an der einen Stelle nur eine Seite der Frage betont, woraus aber natürlich nicht ohne weiteres geschlossen werden kann, daß err die andere leugnet. Nur ein Beispiel. Einmal4) behauptet ei> das sinnliche Erkenntnisvermögen „verkünde" und „determiniere" das Objekt des sinnlichen Begehrens, der Intellekt ..verkünde"

*) S. th. II, q. 91, ra. 1. Piatons Menon war im 12. Jakrh. bekannt ge- worden.

2) 1. c. S. 463 ff.

3) de aniraa III, c. 10. *) S. th. II. q. 21, m. 3.

1. Albertus Magnus.

125

und der Wille „führe die Bewegung aus". Darin ist aber noch nicht gesagt, ob der Intellekt den Willen determiniert, es ist nur von einem zeitlichen Verhältnis die Kede. Aber an anderer Stelle1) fügt Albertus zu dieser zweiten Abhängigkeit die determinierende Beziehung hinzu: das liberum arbitrium wurzele im Willen als in dem bewegenden und tätigen Prinzipe, im Verstände dagegen als in dem urteilenden und „determinie- renden" Prinzip, was und wie etwas zu tun sei.

Bezüglich der sachlichen Seite dieses scheinbaren Wider- spruchs muß daran erinnert werden, daß Albertus zwischen der psychologischen und sittlichen Freiheit unter- scheidet. Im ersteren Sinne ist der Wille seiner Natur nach frei von jeglichem Zwange, einschließlich des von dem Ver- stände ausgeübten Zwanges; im letzteren Sinne dagegen ist der Wille durch das Urteil des Verstandes derart determiniert, daß er nicht die Möglichkeit zu dem entgegengesetzten Akte besitzt. Albertus drückt diesen Sachverhalt so aus:2) die freie psychologische Wahl erfolgt „ohne irgendeine Kegel", die „sitt- liche Wahl" dagegen folgt den „Regeln der Vernunft", wird durch die „richtige Vernunft" determiniert und ist deshalb in diesem Sinne unfrei.

Die sittliche Freiheit aber eben nur diese, nicht auch die psychologische, wie gegen die in diesem Punkte nicht ganz einwandfreien Ausführungen A. Schneiders3) bemerkt sei beruht demnach im Sinne Albertus' auf einem Intellektualismus und Determinismus oder auf einem intellektualistischen Deter- minismus.

Daß aber trotzdem die psychologische Freiheit in allen vier Stadien, welche die sittliche Freiheit durchläuft, „in gleicher Weise" bestehen bleibt, sucht der Scholastiker in einer durchaus formalistischen, rein analytischen Weise zu begründen.

J) S. th. I, q. 79, m. 1; S. th. II, q. 91, m. 2: liberum arbitrium dicitur facultas rationis et voluntatis, non quia sit ratio et voluntas, sed quia facultas ejus, hoc est facilis libertatis potestas ejus, maxime est in voluntate etratione: in voluntate sicut in movente et agente, in ratione sicut judicante et arbitrante et determinante, quid agendum sit et qualiter.

2) Sent. lib. II, dist. 2.

3) 1. c. S. 473 f.

126

Drittes Kapitel.

Die Freiheit vom Zwange, sagt er,1) bleibt in allen vier Stadien in gleicher Weise erhalten, „eben wegen der Freiheit des Willens"; „verlöre der Mensch sie, so wäre Sünde nicht mehr Sünde, wie Augustinus sagt".

Hier gehen Dialektik und Autoritätsbeweis in typischer Weise ihr scholastisches Bündnis ein. Zu- gleich macht sich dabei das überall wirksame ethische Motiv geltend, um jeden Preis die Sünde auf das Konto des Menschen zu setzen und die zu diesem Zwecke psychologisch notwendigen Mittel bezw. Voraussetzungen zu wählen. Die Unabhängigkeit vom Zwange gilt Albertus, wie seinem Vorgänger, als hinläng- liche Voraussetzung, um die Sünde als das eigene Werk des menschlichen Willens bezeichnen zu können ; zumal der Scholas- tiker ja diese psychologische Freiheit als eine dauernde und un- verlierbare Eigenschaft des Willens ansieht, als eine Potentia habitualis 2) eine logische Bestimmung, die natürlich von vorn- herein die Frage nach etwaigen Grenzen und Hemmnissen der psychologischen Freiheit abschneidet und nur die Frage nach den Graden der sittlichen Freiheit übrig läßt!

Ebenso logisch-abstrakt ist die andere Behauptung;3) Gott ist frei, „weil er immer tut, was er will", ohne eines anderen zu bedürfen. In dem Relativsatze „was er will", ist der fertige Willensakt als ein Letztes vorausgesetzt. Die ganze Behaup- tung besagt infolgedessen lediglich dies: Gott besitzt Frei- heit, weil in ihm Harmonie zwischen seinem Wollen und Tun besteht.

Man sieht sogleich, daß mit solchem Freiheits- begriffe die strengste kausale Notwendigkeit ver- einbar ist, wofern nur die letztere gleichsam in den Willen aufgenommen ist d. h. wofern jene nicht als etwas Fremdes, Außeres, sondern als etwas Inneres, Immanentes dem Willen angehört, mit ihm und seinen Akten geradezu iden- tisch ist.

Albertus hat diese letzten metaphysischen Konsequenzen

1) S. th. II, q. 95.

2) S. th. II, q. 91, m. 1.

3) S. th. II, q. 94, m. 2.

1. Albertus Magnus.

127

nicht gezogen. Und doch lagen sie gerade ihm so nahe, weil er in verdienstvoller Weise eine alte Distinktion Abaelards er- neuert, nämlich die Un t erscheidung zwischen der Frei- heit des Tuns und Könnens, d. h. zwischen der Möglich- keit, entgegengesetzte Akte zu setzen und der Fähigkeit, einen gewollten Akt auszuführen, eine innere Willenshandlung in eine äußere unizusetzen. l)

Was endlich die Frage nach der Ursache des Willens anbe- trifft, so sei zum Schlüsse mit Nachdruck darauf hingewiesen, daß Albertus immer wieder betont, wenn er überhaupt von der Entstehung des Willensaktes redet, der Wille sei „sich selbst Ursache, causa sui", womit gemeint ist, daß der einzelne Willens- akt die Wirkung eines allgemeinen Willensvermögens ist, das sich selbst aktualisiert.

Der aristotelische Einfluß macht sich noch entschiedener bei Albertus' großem Schüler, dem „Fürsten der Scholastiker", geltend.

2. Thomas von Aquino.

Den wahrnehmenden Potenzen entsprechen die begehrenden.2) Mit dem sinnlichen Wahrnehmungsvermögen, das der Mensch mit den Tieren teilt, ist ein sinnliches Strebevermögen verbunden, das sich in dem Begehren oder Verabscheuen eines Objektes äußert. 3)

Der Mensch aber besitzt dazu eine „Denk kraft". Ihr entspricht ein vernünftiges Begehren, dasW^ille heißt.4) Dieser setzt entweder unmittelbar von ihm selbst hervorgerufene Akte oder solche, die er mit Hilfe anderer Potenzen ausführt, wie etwa das Gehen oder Sprechen.5) In dem letzteren Falle kann der Wille an der Ausführung seiner Akte gehindert werden.

x) flexibilitas ad oppositos actus potestas faciendi, quod vult. S. de creat. II, q. 70, a. 4, p. 1.

2) potentiae apprehensiv&e potentiae appetitivae. S. th. I, q. 83, art. 3.

3) virtus aestimativa appetitus sensitivus concupiscibilis et irascibilis> S. th. I, q. 81, art. 3.

*) vis cogitativa appetitus rationalis voluntas. S. th. II, q. 8, art. 1. 3) actus elicitus actus imperatus. S. th. II, q. 6, art. 4.

128

Drittes Kapitel.

nämlich durch den Widerstand und die Gewalt der äußeren Glieder. Was aber den Willensakt als solchen betrifft, so unterliegt er schlechthin keinem Zwange; denn er ist eine „Neigung, die von einem inneren erkennenden Prinzip aus- geht".1)

Damit ein Akt als vom Willen gesetzt, als freiwillig oder willentlich bezeichnet werden kann, muß er somit zwei Bedingungen genügen: nämlich erstens aus einem inneren Prinzip hervorgehen, das zweitens das Ziel seiner Tätig- keit erkennt.

Wird der Stein in die Höhe geworfen, so liegt das Prinzip seiner Bewegung außer ihm, nicht in seiner Natur; fällt er dagegen zu Boden, so liegt es in ihm, d. h. es ist das „natür- liche" Ziel seiner Bewegung zu fallen. Aber der Stein er- kennt das Ziel seiner Bewegung nicht; er bewegt sich des- halb nicht selbst, sondern wird von etwas anderem be- wegt.

Selbstbewegung „Selbstbestimmung" ist dem- nach nur dort vorhanden, wo die Bewegung aus einem inneren Prinzip hervorgeht, das zugleich das Ziel seiner Tätigkeit er- kennt.2)

Eine gewollte oder freiwillige Tätigkeit ist folglich eine auf Selbstbewegung oder Selbstbestimmung beruhende Tätigkeit.

Jene Erkenntnis des Zieles kann nun aber eine unvoll- kommene oder vollkommene sein. Vollkommen ist sie nur in der vernünftigen Kreatur, die mit dem Ziele zugleich den Grund und die Mittel zur Erreichung desselben erkennen ; unvollkommen dagegen bei den Tieren, die durch die Sinne und den „natür- lichen Instinkt" lediglich das Ziel als solches ohne seinen Grund erkennen und das erkannte Ziel „sogleich" erstreben müssen, während die vernünftigen Wesen dasselbe zum Gegen- stande der Überlegung machen und erstreben oder nicht erstreben können.

1) actus voluntatis nihil aliud est quam inclinatio quaedam procedens ab interiori principio cognoscente. S. th. II, q. 6, art. 4.

2) Quae vero habent notitiam finis, dicuntur se ipsa movere: quia in ■eis est principium non solum, ut agant, sed etiam, ut agant propter finein. S. th. II, q. 6, art, 1.

2. Thomas von Aquino.

129

Folglich sind die Akte der Tiere nur im weiteren Sinne gewollt, spontan oder freiwillig; im eigentlichen Sinne sind es nur die Akte des vernünftigen Strebevermögens,1) und zwar so- wohl insofern sie direkt von demselben gesetzt als auch indirekt, indem sie unterlassen werden. 2)

Ungewollt oder unfreiwillig ist dementsprechend jene Be- wegung, die in einem äußeren Prinzip ihren Grund hat, somit -der „natürlichen Neigung" dem „natürlichen Streben"3) des tätigen Dinges widerspricht. Das Unfreiwillige geschieht also auf Grund von Zwang oder Gewalt.4)

Diese Notwendigkeit des Zwanges ist folglich der Natur, dem Wesen des Willens entgegengesetzt: ein erzwungener Willensakt eine contradictio in adjecto.5)

J) S. th. II, q. 6. art. 2.

2) S. th. II, q. 6, art. 3.

3) appetitus naturalis. S. th. II, q. 6, art. 4.

4) involuntarium coactio, violentia. S. th. II, q. 6, art. 4.

5) Haec igitur coactionis necessitas omnino repugnat vokmtati . . . Sicut ergo impossibile est, quod aliquid simul sit violentum et naturale; ita impossibile est, quod aliquid simpliciter sit eoactum sive violentum et volun- tarium. S. th. I, q. 82, art. 1. Deshalb nennt Thomas die Freiheit von der „Notwendigkeit des Zwanges" zuweilen auch die „natürliche" d. h. die dem Willen „von Natur" zukommende Freiheit: dicendum, quod homo peccando liberum arbitrium dicitur perdidisse, non quantum ad libertatem naturalem, quae est a coactione, sed quantum ad libertatem, quae est a culpa et miseria. S. th I, q. 88, a. 2 ad 3. Necessitas ist der allgemeine Begriff; die necessitas coactionis ein Spezialfall desselben. Nicht etwa bedeutet, wie meistens gesagt wird (vgl. u. a. A. Schneider, Die Psychologie Alberts des Großen. Beitr. z. Gesch. d. Phil d. M.-A., Bd. IV, 6, S. 477), necessitas die „innere Nötigung" im Ge gen s atze zur coactio! Albertus Magnus weicht deshalb gar nicht wie A. Schneider irrtümlich bemerkt (1. c.) von dem gewöhnlichen scholastischen Sprachgebrauch ab. Weder Thomas noch sonst irgendein Scholastiker bezeichnet „mit libertas a coactione die Freiheit von äußerem Zwang, mit libertas a necessitate die Frei- heit von innerer Nötigung" ; die ganze Scholastik weiß von einem solchen Unterschiede nichts, kennt vielmehr lediglich den Begriff der necessitas coactionis und meint damit einen der Natur des Willens wider- strebenden „Zwang". Dieser kann von außen wie von innen kommen. Indes, dieser Unterschied findet nirgends in der Scholastik seinen terminologischen Ausdruck in einem etwaigen Gegensatze zwischen coactio und necessitas. Wo necessitas allein gebraucht wird, ist durchgehends die necessitas coactionis gemeint.

Y er weyen, Das Problem der Willensfreiheit. 9

130

Drittes Kapitel.

Aber nicht jede Notwendigkeit ist mit dem Willensakte unverträglich: es müssen nämlich noch zwei andere Arten der- selben unterschieden werden. Natürlich oder schlechthin not- wendig ist das, „was nicht sein kann", was einem Dinge auf Grund eines inneren Prinzips zukommt, wie z. B. daß die Winkel- summe in einem Dreieck 2 E beträgt.

Um eines Zweckes willen notwendig ist alles, ohne das der Zweck nicht sein kann; wie das Leben beispielsweise nicht ohne Speise bestehen kann.

Diese beiden letzten Arten von Notwendig- keit sind mit dem Willen durchaus verträglich. Wenn der Wille die Überfahrt über das Meer will, so muß er necessitate finis das Schiff wollen. Desgleichen widerstrebt ..die natürliche Notwendigkeit" dem Willen nicht. Wie der Intellekt „mit Notwendigkeit" den ersten Prinzipien zu- stimmt, so erstrebt der Wille ..mit Notwendigkeit" d. h. von Natur1) sein letztes Ziel, die Glückseligkeit, und damit neces- sitate finis alles das, was nach dem Urteile des Verstandes in einer „notwendigen Beziehung" zu diesem Endziele steht.

Der Wille kann nur unter dem Gesichtspunkte eines wirk- lichen oder scheinbaren Gutes etwas erstreben. 2) Er will auf Grund eines „natürlichen Instinctes" 3) mit „Notwendigkeit" die Glückseligkeit: kann nicht nicht-glücklich oder unglücklich sein wollen.4)

Diese „natürliche Notwendigkeit" besteht somit in einer natürlichen Neigung des Willens, mit der er notwendig sein End- ziel erstrebt. Aber diese Neigung ist selbst ein Willensakt. darum frei von allem Zwange.5)

*) necessitas naturalis. S. th. I, q. 83, art. 1; q. 82, a. 1.

'-) voluntas in nihil potest tendere nisi sub ratione boni. S. th. I, q. 82. art. 2. Voluntas naturaliter tendit in bonum sicut in suum objectum. De ver. q. 24, art. 8. Unusquisque enim naturaliter appetit utilitatein suam. De ver. q. 24, art. 8. Per naturam de necessitate inclinatur voluntas in appetendum finem. De ver. q. 22, art. 9.

3) instinctus naturalis. S. th. I, q. 49, art. 10.

4) de necessitate beatitudinem homo vult nec potest veUe non esse beatus aut miser. S. th. II, q. 13, art. 6.

5) cum ipsa voluntas sit quaedam inclinatio eo quod est appetitus quidam.

2. Thomas von Aquino.

131

Die „Notwendigkeit der natürlichen Neigung" bezieht sich nun aber lediglich auf das Endziel als solches : nur dieses determiniert den Willen.1)

In dreifacher Hinsicht ist der letztere jedoch in- determiniert.2) „Auf vielen Wegen" kann er nämlich zu seinem Endziele gelangen, im Unterschiede von den „Natur- dingen" die ein bestimmtes Ziel nur auf einem schlechthin be- stimmten Wege 3) erreichen können und den Endzweck mit Not- wendigkeit erstreben. Dieser letzteren Notwendigkeit ist zwar auch der Wille unterworfen, indes steht es ..in seiner Macht",4) dieses oder jenes Mittel zur Erreichung des Endzieles zu er- streben — insofern ist der Wille erstens indeterminiert bezüglich des Objektes.5) Die gleiche Argumentation gilt übrigens für den göttlichen Willen. „Mit natürlicher Notwendigkeit" will Gott sein Endziel, seine eigene Güte, Weis- heit und Allmacht. Keine Kreatur aber steht im notwendigen Zusammenhange zu diesem Endziele. Darum wird keine Kreatur „mit Notwendigkeit", jede vielmehr „mit Freiheit" von Gott ge- wollt und geschaffen.6)

Zweitens aber ist der menschliche Wille indeter- miniert hinsichtlich seiner Tätigkeit als solcher: ein be- stimmtes Objekt kann er wollen oder nicht wollen. Der Grund dazu liegt in seiner Selbstbewegung. Da die Naturdinge diese Fähigkeit nicht besitzen, vielmehr immer von etwas Anderem bewegt werden, haben sie auch nicht die Möglichkeit, bewegt oder nicht bewegt zu werden. „Das Schwere fällt immer aktuell nach unten, wenn es nicht daran gehindert wird"; „das Feuer ist immer warm". 7)

Eine dritte Indeterminiertheit des Willes respectu

non potest contingere, ut voluntas velit et inclinatio eins non sit in ülud. Et ita non potest contingere, nt volnntas aliqnid coacte vel violenter velit? si aliquid naturali inclinatione velit. De ver. q. 22, art. 5. x) determinare. De ver. q. 12, art. 6.

2) indeterminata voluntas. 1. c.

3) certa et determinata via. 1. c.

4) in potestate eius. 1. c.

5) respectu objecti. 1. c. ") de ver. q. 22, art. 9. 7) de malo, q. 6, art. 1.

132

Drittes Kapitel.

ordinis ad linem besteht darin, daß das gewollte Mittel so- wohl richtig* als nicht richtig sein kann, und zwar infolge einer falschen „Wahrnehmung", eines Irrtums von Seiten der Vernunft. In dieser Beziehung ist der Wille indeterminiert hinsichtlich des Outen und Bösen.1)

Ein erster Einwan cl gegen den dreifachen Indeterminis- mus macht geltend:

Wenn sich die Prinzipien des Verstandes zu den mit Not- wendigkeit aus ihnen sich ergebenden Folgerungen verhalten, wie das Endziel des Willens sich zu den Mitteln zur Erreichung desselben verhält dann muß auch der Zusammenhang zwischen Endziel und Mitteln ein notwendiger sein.

Antwort: er ist deshalb nicht notwendig, weil der Wille eben „auf verschiedenen scheinbaren oder wirklichen Wegen" zu seinem Endziel gelangen kann, weshalb dieses mit keinem Mittel zu seiner Erreichung in einem notwendigen Zusammen- hange steht.

Was „von Natur zu etwas determiniert ist" lautet ein anderer Einwand erstrebt und erreicht dasselbe mit Notwendigkeit. Der Wille aber will von Natur, mit natürlicher Notwendigkeit, ein Gut, also will er es „unveränderlich".

Thomas erwidert: der Wille ist zwar im allgemeinen deter- miniert, ein Gut zu erstreben nicht aber „dieses oder jenes Gut" ; wie das Gesicht natürlicherweise die eine Farbe sieht, ohne zu jener oder dieser Farbe determiniert zu sein.-)

Auf dieser dreifachen Indeterminiertheit des Willens be- ruht nun das liberum arbitrium, die Wahlfreiheit. Denn insofern sind wir „Herren unserer iVkte", 8) als wir ..dieses oder jenes" als Mittel wählen können, um das Endziel zu erreichen, das selbst nicht Gegenstand des liberum arbi- trium ist.

Denn letzteres bezieht sich nur „auf das, was wir nicht notwendig oder aus natürlichem Instinkte wollen", 4) sondern auf

*) de ver. q. 12, art. 6.

2) visus naturaliter videt colorem, sed non hunc vel illum determi- nate. 1. c.

3) domini actuum nostrorum. S. th. I, q. 82, art. 1.

4) S. th. I, q. 49, art. 10. Ultimus finis nnllo modo sub electione cadit.

2. Thomas Ton Aquino.

133

Grund einer Wahl, die in dem Wollen des einen unter Hintan- setzung' des anderen besteht. 3)

Da die Wahl ihrem Wesen nach mehrere Objekte vor- aussetzt, die gewählt werden können, so folgt ohne weiteres, daß sie nicht jenen Wesen zukommen kann, die durch ein Ob- jekt determiniert sind, also in erster Linie nicht den Natur- dingen. Das sinnliche Strebevermögen „nimmt zwar nicht immer dieselbe Form auf", Avie es bei den Naturdingen der Fall ist, zeigt mithin schon ein mannigfaltigeres Verhalten : bald erstrebt es, bald verabscheut es etwas: 2) doch ist es ebenfalls von Natur auf ein besonderes Gut hingeordnet und darum ohne Wahl- freiheit.3)

Der Wille dagegen ist zwar durch ein Gut im allge- meinen, aber nicht hinsichtlich der besonderen Güter determiniert;4) wie wenn etwa der Baumeister zwar die all- gemeine Form eines Hauses erfaßt hat, doch noch zwischen einer runden, viereckigen oder anderen Figur wählen kann.5)

Darum ist das Wählen eine dem Willen nicht dagegen auch dem sinnlichen Begehrungsvermögen eigentümliche Funk- tion. 6)

Das Wählen geschieht nicht mit Notwendigkeit ; 7) denn was möglicherweise nicht ist, das ist nicht notwendig. Es ist

S. th. II. q. 13 art. 3. Electio autem non est de fiiie, sed de Iiis, quae sunt ad finem . . . Unde appetitus Ultimi finis non est de his, quorum domini sumus. S. th. I, q. 82, art. 1. Volimtas necessitate inhaeret ultimo rini, qui est beatitudo. 1. c. Natural iter homo appetit ultimum finem scilicet beati- tudinem. Qui quidem appetitus naturalis est et non subiacet libero arbitrio. S. th. I, q. 83, art. 1. Ea autem, ad quae naturaliter inclinamur, non subsunt libero arbitrio. S. th. I, q. 83, art. 2.

*) proprium liberi arbitrii est electio : ex hoc enim liberi arbitrii esse dicimur, quod possumus unum recipere alio recusato, quod est eligere. S. th. I, q. 83, art. 3.

2) de malo q. 6.

3) appetitus sensitivus est determinatus ad unum aliquid particulare secundum ordinem naturae. S. th. II, q. 13, art. 2.

4) volimtas determinata ad unum commune, quod est bonum. in- determinata se habet respectu p articularium bonorum. 1. c.

5) de malo q. 6, art. 1.

6) S. th. II, q. 13, art. 2.

7) homo non ex necessitate eligit. S. th. II, q. 13, art. 6.

134

Drittes Kapitel.

aber möglich, etwas zu wählen oder nicht zu wählen eine Möglichkeit, die in einer zweifachen Macht des Menschen ihren Grund hat. Er kann nämlich erstens wollen oder nicht wollen, handeln oder nicht handeln und zweitens dieses oder jenes wollen, dieses oder jenes tun. . Der Grund dieser zweifachen Macht liegt in der Vernunft. Was letztere als ein Gut erkennt, kann Gegenstand des Willens sein.1)

Nun kann aber die Vernunft sowohl das Wollen und Tun als auch das Nicht-wollen oder Nicht- tun dem Willen als ein Gut vorstellen.2) Desgleichen vermag sie in allen besonderen Gütern einen Defekt zu entdecken, der sie dem Willen als nicht erstrebenswert erscheinen läßt. Nur das schlechthin vollkommene Gut, die Glückseligkeit, Gott, wird von der Vernunft als schlecht- hin erstrebenswert erkannt.

Das keiner Notwendigkeit unterworfene Werturteil der Vernunft ist es somit, was von dem Wahlakte die Notwendig- keit fernhält. Die Vernunft ist folglich der Grund, die Wurzel des 1 i b e r u m a r b i t r i u m , der Wahlfreiheit. 8) W o V e r n u n f t , da auch Freiheit.4)

Denn das Urteil der Vernunft ist nicht „anderswoher deter- miniert", 5) sondern liegt in der Macht des Urteilenden, insofern er über das Urteil urteilen kann, d. h. also in der Reflexivität der Vernunft.0!

Weil aber das Urteil der Vernunft „in unserer Gewalt" liegt, darum auch das, was demselben notwendig folgt, nämlich

1) obiectum movens voluntatem est bonum eonveniens apprehensum. de malo q. 6, art 1.

2) repraesentare, proponere. S. th. II, q. 13, art. 1.

3) tota ratio libertatis ex modo cognitionis dependet . . . totius libertatis radix est in ratione constituta. de ver. q. 24, art. 2. quod ratio deliberans se habet ad opposita, voluntas in utrumque potest. S. th. II, q. 6. art. 2.

4) ubieu.m qu e est intellectns, est liberum arbitrium. S. th. I. q. 59, art. 3.

5) iudicium rationis non est aliunde determinatus. L. c.

°) iudicare autem de iudicio suo est solius rationis, quae super actum suum reflectitur. de ver. q. 24, art. 2.

2. Thomas von Aquino.

135

das Begehren und die Ausführung desselben in der Tätigkeit: drei Elemente, die zusammen unsere Tätigkeit ausmachen.1)

Den Tieren fehlt die Vernunft, darum auch das libe- rum arbitrium. Das Urteil des Tieres erstreckt sich nicht, wie das der Vernunft, „auf alles", sondern nur auf ein bestimmtes Objekt.

Während der Pfeil schlechthin jedes Urteils entbehrt und vom Schützen auf das Ziel hinbewegt wird, handeln die un- vernünftigen Lebewesen zwar auf Grund eines Urteils, aber eines „unfreien" Urteils. Das Schaf flieht den Wolf auf Grund eines gewissen natürlichen Urteils,2) aus natürlichem Instinkte,3) daß der Wolf ihm schädlich ist ; aber dieses Urteil ist nicht frei, sondern von der Natur bzw. Gott eingegeben.4) Während der Intellekt durch Vergleichung 5) urteilt und den allgemeinen Grund des Guten erkennt, woraus die Güte eines b es on deren Objekts beurteilt wird,6) ist das Urteil des sinnlichen Wahr- nehmungsvermögens auf ein einzelnes, gerade wahrgenommenes Objekt beschränkt. Diesem Urteil aber folgt notwendig der Affekt und das Begehren; mit Notwendigkeit fürchtet sich des- halb das Schaf vor dem Wolfe und flieht.7)

Nur die Vernunft besitzt einen „Weg zu Entgegengesetz- tem," und zwar insofern es sich um Kontingentes handelt. Die partikulären Güter aber zählen zu den Kontingenten. Des- halb ist hinsichtlich ihrer die Vernunft nicht determiniert und darum ist es auch der Wille nicht, der nur das von der Vernunft

1) ad operationem nostram tria concurrunt, scilicet cognitio, appetitus et ipsa operatio. 1. c. homo est dominus sui actus, quod habet delibe- rationem de suis actibus: ex hoc enim, quod ratio deliberans se habet ad opposita, voluntas in utrumque potest. S. th. II, q. 6, art. 2.

2) de ver. q. 24, art. 1.

3) ex naturali instinctu hoc indicat. S. th. I, q. 83, art. 1.

4) iudicium non liberum, sed a natura inditum. 1. c.

5) ex collatione. S. th. I, q. 83, art. 1. 8) S. th. I, q. 59, art. 3.

7) ovis viso lupu necesse habet timere et fugere. de ver. q. 24, art. 2. Ovis timens lupum statim fugit, quia non est in eis (sc. brutis animalibus) aliquis superior appetitus, qui repugnet. S. th. I, q. 83, art. 3.

136

Drittes Kapitel.

erkannte Gut wählen kann.1) So wahr der Mensch also vernünftig- ist, so wahr ist er frei.2)

Im einzelnen setzt sich somit der AVahl Vorgang- aus fol- genden Elementen zusammen: Zunächst erfolgt das Urteil der Vernunft und gibt einen Rat, auch Befehl genannt: darauf wählt der Wille, und nach der Wahl befiehlt ihm die Vernunft, durch welche Mittel das Gewählte auszuführen ist; dann erst beginnt der Wille den Befehl der Vernunft auszuführen sei es daß einer sich selbst oder einem fremden Willen befiehlt, den Befehl der Vernunft auszuführen.8)

Die Existenz des liberum arbitrium im Menschen unterliegt keinem Zweifel und zwar aus folgenden Gründen.4

Erstens zwingt der „Glaube" fides zur Annahme der Wahlfreiheit, „da ohne dieselbe Verdienst, Schuld, gerechte Strafe oder Belohnung nicht sein können". „Der Mensch be- sitzt das liberum arbitrium; denn sonst wären Ratschläge, Er- mahnungen, Vorschriften, Warnungen, Belohnungen und Strafen vergebens." 5) Wer behauptet, der Wille des Menschen bewege sich mit Notwendigkeit zur Wahl irgendeines Objektes, stellt eine „ketzerische Meinung" auf; „denn er hebt den Grund des Verdienstes und der Schuld in den menschlichen Handlungen auf. Denn was einer mit solcher Notwendigkeit tut, daß er es nicht vermeiden kann, scheint nicht verdienstlich oder schuld- voll zu sein".6)

1) ex hoc enim, quod ratio deliberans se habet ad opposita, voluntas in utrumque potest: (S. th. II, q. 6, art. 2) potens in diversa ferri. S. th. I, q. 83. art. 1.

2) Particularia autem operabilia sunt quaedam c-ontingentia; er ideo circa ea iudicium rationis ad diversa se habet et non est deter- minatum ad unum. Et pro tanto neeesse est, quod homo sit liberi arbitrii ex hoc ipso, quod rationalis est. S. th. I, q. 83 art. 1.

3) S. th. II, q. 17, art. 3.

4) de ver. q. 24, art. 1.

5) alioquin frustra essent. S. th. I, q. 83 art. 1. Aliquid exterius potest esse aliqua causa movens ad peccandum, non tarnen sufficienter ad peccandum inducens; sed causa sufficienter complens peccatum est sola voluntas. S. th. II, q. 75 a 3.

f>) Daß diese thomistischen Argumente noch heute in der katholischen Theologie wirksam sind, mögen die folgenden Sätze eines angesehenen Dogmatikers beweisen: „Die Heilige Schrift enthält manche Ansprüche,

2. Thomas von Aquino.

137

Die Leugming der Wahlfreiheit widerspricht somit nicht nur dem Glauben, sondern zerstört auch alle Prinzipien der Moralphilosophie." wie die Leugming' der Bewegung jede Natur- wissenschaft unmöglich macht.1)

Zweitens lassen sich „offenkundige Urteile" anführen, aus denen hervorgeht, daß der Mensch frei das eine wählt und das andere von sich weist.-) Der Sinn dieses Satzes wird an der betreffenden Stelle nicht erläutert, indes bezieht er sich offenbar auf das anderswo 3) erörterte Verhältnis von Intellekt und Willen zu dem sinnlichen Begehrungs vermögen.

welche die Willensfreiheit des Menschen als notwendige Voraussetzimg ein- schließen; sie redet von einer dem Menschen zustehenden Wahl in bezug auf seine Entschlüsse und sein sittliches Verhalten; von einer Herrschaft, die er über seine Begierden üben soll. Ferner bildet die Freiheit des Menschen eine Grundvoraussetzung der ganzen natürlichen und übernatür- lichen göttlichen Weltordnung. Das natürliche und das übernatür- liche Sittengesetz, das Gewissen, die göttliche Ordnung des Lohnes und der Strafe, der Begriff der Sünde und der Tugend, die Idee der Erlösung: alles das ist ohne die Freiheit unverständlich. Das tatsächliche Verhalten Gottes gegen den Menschen, wie die Heilige Schrift es uns darstellt, ist mithin ein vollgültiger Beweis für die Existenz der Freiheit. Die Tradition bezeugt das Dogma gleichfalls von Anfang an aufs bestimmteste, zunächst im Gegensatze zu den Verirrungen des heidnischen Fatalismus und des- Gnostizismus. Endlich ist zu bemerken, daß der Glaube an die Willensfreiheit ebenso wie das natürliche Gottesbewußtsein sich allzeit tatsächlich als eine unverwüstliche Mitgift der menschlichen Natur erwiesen hat. Die gesell- schaftliche Ordnung war selbst da, wo die Freiheit theoretisch geleugnet wurde, oder wo dem Glauben an dieselbe, wie im Heidentume, die größten Verirrungen unvermittelt gegenüberstanden, immerhin von jenem Glauben getragen: es wurde stets die Notwendigkeit sittlicher und politischer Gesetze, die Idee der persönlichen Verantwortlichkeit, die Idee der Sünde und der Tugend u. dgl. festgehalten." Th. H. Simar, Lehrbuch der Dogmatik, Frei- burg 1899, I S. 365. Unter „Freiheit" versteht Simar, im Einklänge mit dem katholischen Dogma, die libertas indifferentiae activae = libertas a ne- cessitate intrinseca; natürlich einschließlich der libertas a coactione 1 c. S. 362.

') Si enim non sit liberum aliquid in nobis, sed ex necessitate movemur ad volendum, tollitur deliberatio, exhortatio, praeceptum et punitio et laus et vituperium, circa quae moralis Philosophia consistit. Huiusmodi autem opinioncs, quae destruunt principia alicuius partis Philosophiae dicuntur positiones extraneae: sicut nihil moveri, quod destruit principia scientiae naturalis, de malo, q. 6 art. X.

2) eligere, refutare, de ver. q. 24 art. 1. 3) S. th. I, q. 81 art. 3.

138

Drittes Kapitel.

„Jeder kann in sich selbst erfahren, daß durch einige allgemeine Erwägungen Zorn oder Furcht oder andere Affekte besänftigt werden." Somit „erfahren wir", daß Vernunft und Wille die Herrschaft über die zwar widerstrebenden, aber nicht siegenden sinnlichen Regungen besitzen.

Drittens zwingt die Vernunft mit Evidenz zur An- nahme des liberum arbitrium im Menschen, indem sie den Ur- sprung der Wahlfreiheit aufdeckt. „Frei ist, was Ursache seiner selbst ist", d. h. was ..sich selbst bewegt".1) Der Mensch hat aber diese Fähigkeit in eminentem Sinne. Also ist er frei.

Nunmehr gilt es zu bestimmen, wieweit und worauf sich die Herrschaft der Freiheit erstreckt.

In dem zweiten Beweise für die Existenz des liberum arbi- trium wurde bereits der Einfluß betont, den dasselbe auf das Begehrungsvermögen, die Affekte, auszuüben vermag. Das Sinn- iiche im Menschen gehorcht dem Vernünftigen.

Aber kann eingewendet werden wir hören und sehen nicht, wann wir wollen.

Deshalb nicht lautet die Antwort weil die äußeren Sinne zu ihrer Betätigung der äußeren Objekte bedürfen, deren Vergegenwärtigung nicht in der Macht der Vernunft liegt. Aber die inneren Kräfte, sowohl die wahrnehmenden als be- gehrenden, bedürfen nicht dieser äußeren Objekte und sind da- rum der Vernunft unterworfen, die nicht nur die „Affekte des Begehr ungs Vermögens" beherrscht, sondern auch die „Bilder der Einbildungskraft" bilden kann.2)

1) In quibus (sc. principium est extra nil conferente vini passo) liberum Arbitrium pcmere non possumus, eo quod non sunt causa sui motus: liberum autem est. quod sui causa est secundum Philosoplmm in princ. Metapbys. . . . Unde nec in his (sc. animalibus) liberum arbitrium invenitur : quia non sunt sibiipsis causa agendi vel movendi; sed astringuntur ad agendum vel movendum per id, quod ab altero receperunt. . . . Homo vero per virtutem rationis judicans de agendis potest de suo arbitrio judicare, inquantum cognoscit rationem fmis et ejus, quod est ad linem, et habitudinem et ordinem unius ad alterum: et ideo non est solum causa sui ipsius in movendo, sed in judicando; et ideo est liberi arbitrii, ac si diceretur liberi judicii de agendo vel non agendo. De ver. q 24, art, 1.

2) aft'ectus appetitivae virtutis phantasmata imaginativae virtutis. S. tb. I, q. 81 art. 3.

2. Thomas von Äquino.

139

Zweitens gebietet der Wille den körperlichen Organen etwa zu gehen oder zu sprechen; wobei freilich die Gesundheit der Organe vorausgesetzt ist.1)

Drittens besitzt der Wille auch Einfluß auf den Intellekt, auf den Ablauf der Gedanken, er vermag z. B. den Verstand derart zu bewegen, daß er nicht an die Glückseligkeit denkt.2)

Viertens herrscht der Wille auch über angeborene oder erworbene Gewohnheiten. Sind sie angeboren, so braucht die Vernunft ihnen nicht zuzustimmen; sind sie erworben, dann unterliegen sie erst recht ihrer Herrschaft.3)

Die Herrschaft des Willens erstreckt sich also auf alle seelischen Potenzen, die er als bewegendes agens zu ihren Akten überführt. 4)

Dagegen sind die vegetativen Vorgänge derHerrschaft der Freiheit entzogen.5) Ferner kann der Wille Wider- stand finden in jenen körperlichen Organen, mit deren Hilfe er bestimmte Bewegungen ausführt, wie z. B. das Gehen und Sprechen. 6)

Immer aber richtet sich der vollständige Wille nur auf

1) S. th. II, q. 6 art. 4.

2) potest (sc. voluntas) avertere cogitationem beatitudinis , inquantum movet intellectum ad actum suum. De malo, q. 6 art. 1.

3) istae inclinationes (sc. ex quacimque impressione corporearum causaruin) subiacent iudicio rationis, cui obedit inferior appetitus. . . . Unde per hoc libertati arbitrii non praeiudicatur. Qualitates autem supervenientes sunt sicut habitus et passiones, secundum quae aliquis magis inclinatur in unum quam in alterum. Tarnen istae inclinationes subiacent iudicio rationis. Et huiusmodi etiam qualitates ei subiacent, inquantum in nobis est tales qualitates acquirere vel causaliter vel dispositive vel a nobis excludere. Et sie nihil est, quod libertati arbitrii repugnet. S. th. I, q. 83 art. 1.

4) Voluntas omnem potentiam applicat ad suum actum: Intelligimus enim, quia volumus, imaginamur, quia volumus et sie de aliis. S. contra Gent, I, 72.

a) Voluntas per modum agentis movet omnes animae potentias ad suos actus praeter vires naturales vegetativae partis, quae nostro arbitrio non subduntur. S. th. I, q. 82, a. 4.j

6) Quantum ad actus a voluntate imperatos, voluntas violentiam pati potest, in quantum per violentiam exteriora membra impediri possunt, ne imperium voluntatis exsequantur. S. th. II, q. 6, a. 4.

140

Drittes Kapitel.

etwas Mögliches, während der unvollständige Wille darin be- steht, daß etwas gewollt würde, wenn es möglich wäre. M

Ist die Existenz des liberum arbitrium und sein Umfang erwiesen, so fragt sich weiter, worin seine Natur besteht.

Entweder ist die Wahlfreiheit ein Habitus oder eine habituelle Potenz oder eine Potenz.

Die beiden ersten Möglichkeiten fallen fort; denn Habitus bedeutet einen natürlichen Zustand, wie den des Intellekts, daß er von Natur den ersten Prinzipien zustimmt, Das liberum arbitrium aber bezieht sich seinem Wesen nach nicht auf das, Avas von. Natur ist. Schon deshalb kann es kein Habi- tus sein.

Zweitens auch darum nicht, weil Habitus ein bestimmtes Verhalten der Seele den Leidenschaften wie dem Guten oder Bösen gegenüber bezeichnet. Das liberum arbitrium aber ver- hält sich unbestimmt gegenüber dem Guten oder Bösen: ist also auch darum kein Habitus.

Folglich ist es eine Potenz. Das Wahlvermögen bedarf von Seiten der Vernunft des Rates. Urteils; von Seiten des Willens der Annahme des von der Vernunft vorgestellten Guts. Dieses aber ist als solches ein Objekt des Begehrens,2) durch das die Wahl vollendet wird. Letztere ist darum ihrem Wesen nach nicht ein Akt der Vernunft, sondern des Willens d. h. des ver- nünftigen Begehrungsvermögens. :J)

Bisher war nur von der natürlichen Freiheit, der Unab- hängigkeit vom Zwange, die Rede; es gibt aber außerdem noch die Freiheit von der Schuld und vom Elende.4)

Der Wille ist nämlich indeterminiert hinsichtlich des Guten wie Bösen. „Von Natur" erstrebt der Wille zwar nur Gutes; tatsächlich richtet er sich aber auch auf Böses freilich nur insofern, als ihm dieses von der Vernunft unter dem Scheine

1) voluntas completa voluntas incompleta. velleitas. S. th. II. f. 18 art. ö.

2) S. th. I, q. 83 art. 3.

:5) electio substantialiter non est rationis. sed voluntatis: perficitur enim electio in motu quodam animae ad bonura, quod eligitur. Unde manifeste actus est appetitivae potentiae. S. th. II, q. 13 art. 1.

+) S. th. I, q. 83 art. 2.

2. Thomas von Aquino.

141

eines Gutes vorgestellt wird. Darum ist das Böse als solches ungewollt; der Wille als solcher immer frei von Sünde. Diese besteht somit ihrem Wesen in einem Defekte des Erkenntnisvermögens, der eine innere oder äußere Ursache haben kann.

Einmal kann er in der Vernunft selbst liegen. Sie erkennt zwar „von Natur und unveränderlich" ohne Irrtum das Gute im allgemeinen, sowohl das Endziel als die Mittel zu demselben, jedoch nicht im besonderen; im einzelnen Falle kann sie sich über ein besonderes Ziel und die Mittel zu seiner Er- reichung irren und so dem Willen ein bloßes Scheingut vor- stellen.

Ferner kann der Defekt der Vernunft einen äußeren Grund haben; es können nämlich die „niederen Kräfte" die Ver- nunft täuschen, so daß sie ihr Urteil nicht entschieden genug dem Willen gegenüber zur Geltung bringen.

Dieser doppelte Defekt ist in den Seligen des Himmels auf- gehoben; indem sie die göttliche Wesenheit schauen, erkennen sie zugleich, daß Gott als das Endziel am meisten geliebt werden muß, erkennen ferner im besonderen alles, was mit Gott vereint oder von ihm trennt. „Durch diese Klarheit der Er- kenntnis wird der Geist derart gestärkt werden, daß in den niederen Kräften sich keine Bewegung gegen die Kegel der Vernunft mehr erheben kann. So können die durch die Gnade Gestärkten in keine Sünde fallen." *)

Weil somit die Möglichkeit zu sündigen den W7illen nicht in jedem Stadium begleitet, darum ist das auf das Böse ge- richtete Wollen weder Freiheit noch ein Teil der Freiheit, viel- mehr nur ein gewisses Zeichen der Freiheit. 2)

Die Freiheit von der Sünde und vom Elende3) ist ein Werk der Gnade, die jedoch die „natürliche Freiheit" nicht aufhebt. Wie nämlich der Wille auf Grund seiner eigenen Natur, die ihm Gott verliehen hat, geneigt ist, etwas zu wollen, so wird er auf Grund eines noch „Hinzugefügten",

1) De ver. q. 24 art. 8.

2) De ver. q. 12 art. 6.

3) libertas a peccato et a miseria, 1. c.

142

Drittes Kapitel.

nämlich durch die Gnade, geneigt, noch dazu etwas zu wollen, wozu er vorher durch natürliche Neigung nicht determiniert war. Die „hinzugefügte Neigung" ist vollkommen, wenn sie, wie bei den Seligen eine „notwendige Neigung" be- wirkt, unvollkommen bei den Menschen wenn sie keine notwendige Neigung hervorruft. *)

Da die Neigung selbst ein Willensakt ist, so vermag Gott durch die Gnade den Willen zwar zu verändern, aber nicht zu zwingen.2)

Aber diese Änderung, die Gott durch die Gnade in dem Willen wirkt, ist nicht die einzige EinwirkungGottes auf den Willen.

Damit überhaupt ein Willensakt zustande kommt, bedarf es bereits göttlichen Einflusses. Denn auf Gott geht als auf den ersten Beweger jede Bewegung in der Natur , also auch die des Willes, zurück. „Die Natur ist gleichsam ein Instrument des bewegenden Gottes".3)

Aber das liberum arbitrium ist doch selbst die „Ursache seiner Bewegung" ! Nur deshalb heißt der Mensch ja frei so wurde gesagt „weil er sich selbst zum Handeln bewegt".

Freilich erwidert Thomas auf diesen Einwand aber es gehört nicht zum Begriff des Freien, daß es die „erste Ursache seiner" ist, wie ja dazu, daß ein Ding die Ursache eines anderen sei, nicht erfordert wird, daß es die erste Ursache desselben ist. Die erste bewegende Ursache ist nun eben Gott; und zwar bewegt er die natürlichen und freien Ursachen „je nach ihrer Eigentümlichkeit".4)

1) inclinatio superaddita perfecta imperfecta. De ver. q. 22 art. 9.

2) Cum igitur Deus voluntatem immutat, facit, ut praecedenti inclinationi succedat alia inclinatio et ita. quod prima aufertnr et secunda inanet. De ver. q. 22 art. 9.

Deus potest immutare voluntatem de necessitate, non tarnen potest eam cogere. De ver. q. 22 art. 8.

3) S th. IL q. 6 art. 1.

4) liberum arbitrium est causa sui motus, quia homo per liberum arbitrium se ipsummovet ad a gen dum. Non tarnen hoc est de necessitate libertatis, quod sit prima causa sui id quod liberum est; sicut nec ad hoc, quod aliquid sit causa alterius, requiritur, quod sit prima causa ejus. Deus igitur est prima causa movens et naturales causas et voluntarias. Et sicut

1. Thomas von Aquino.

143

Das nächste Prinzip der Willensbewegung liegt zwar in dieser selbst, allein das erste kommt „von außen". Denn alles, was bisweilen sich in actu befindet, tätig ist, bisweilen dagegen sich in potentia befindet d. h. ruht, kann seine Bewegung nur durch ein bewegendes d. h. selbst in Bewegung befindliches Prinzip erhalten.

Der Wille aber will nicht immer, ist nicht immer in Be- wegung. Damit er also will, muß er durch etwas anderes zum Wollen bewegt werden.

Wenn beispielsweise jemand gesund werden will, so be- ginnt er zu überlegen, durch welche Mittel er die Gesundheit erlangen kann; hat er sie gefunden, so will er sie. Aber da er nicht immer dieses Ziel gewollt hat, so muß der Wille gesund zu werden , gleichsam der „Wille zur Gesundheit" , seinen An- fang von irgendeinem Bewegenden genommen haben.

In der Reihe dieser bewegenden Ursachen „kann man aber nicht ins Unendliche fortschreiten". Demnach muß die erste Bewegung des Willens aus dem „Instinkte irgendeines äußeren Bewegenden" hervorgehen. x)

Dieser „Instinkt", der den Willen zum Wollen bewegt, kann nicht von einem „Himmelskörper" herrühren. Denn der „Wille ist in der Vernunft", die etwas Unkörperliches und von dem Sinnlichen Verschiedenes ist. Der Wille kann folglich keine direkte Einwirkung von den körperlichen Gestirnen empfangen.

Es „bleibt somit nur übrig", daß der über Wille und Ver- nunft stehende Gott der erste Beweger des Willens ist. Gott aber bewegt jedes Ding nach seiner Eigenart, folglich auch den Willen, d. h. er bewegt ihn so, daß er sich nicht not-

naturalibus causis, movendo eas, non aufert, quin actus earum sint naturales,, ita movendo causas voluntarias non aufert, quin actiones earum sint voluntariae. sed potius hoc in eis facit; operatur enim in unoquoque secundum eju? proprietatem. S. th. I, q. 83 art. 1.

Auch diese Stelle zeigt deutlich, daß Dörholts Polemik gegen Schells Auffassung des thomistischen Freiheitsbegriffes, der in Wahrheit „Selbst- ursächlichkeit" bedeutet, hinfällig ist. Vgl. Jhrb. für Philos. u. spec. Theo!. Bd. X S. 262 ff. Bei dem aristotelischen evexa = causa bleibt Thomas nicht stehen; er macht aus sui causa causa sui.

J) S. th. II. q. 9 art. 4.

144

Drittes Kapitel.

wendig, sondern indeterminiert Vielem gegenüber verhält.1) Der Grund der göttlichen Willensbewegung aber liegt in Gott selbst, in seiner ..Güte", die mit seiner Wesenheit iden- tisch ist. 2)

Quellen.

Noch bei weitem öfter als sein Lehrer stützt sich Thomas auf Aristoteles. Es ist von besonderem Interesse, die wört- licheÜbereinstimmung zwischen beiden durch die folgende Tabelle zu veranschaulichen, wobei aber ausdrücklich betont sei. daß alle diese Stellen von Thomas zitiert, nicht etwa bloß still- schweigend Aristoteles entlehnt sind.

T homas. Aristoteles.

1. Die Definition des liberum arbitrium :

Liberum arbitrium (quod) nihil TtqoaiQaoi* ßorlevrixi; öoeh g r öj >■

aliud est quam vis electiva (sc .eorum .«y' fjfi tv.

•quae sunt in nostra potestate). Nie. III. 5. S. th. I, q. 83 a 4.

Electio vel est intellectus appetitus 6 ögexriHÖg vövs i n^oaiQsois i;

vel appetitus intellectivus. öoetis biavoijriy.r^

1. c. a 3. Nie. VI, 2.

2. Objekt des liberum arbitrium und des Strebens überhaupt:

bonum est, quod omniaappe- Ttäoa tspnj aal Ttäoa pt&oSog b/ioia)?

tunt. 8e TtQä^is Tfc- xal Ttoodiyeois dyaOov

S. th. II, q. 9 a 3. rivog etf-ieod'ai Soy.el' 8ib y.aköis aTte- rpi'ivavto räya dbv oi- ti&vt? stpietai.

Nie. I. 1.

l) Dens qui, cum omnia moveat secundum rationem mobilhim . etiam levia sursum et gravia deorsum, etiam voluntatem movet secundum eius conditionem , non ut ex necessitate, sed ut indeterminate se habentem ad multa. De malo, q. 6 art. 1.

Deus est causa nobis non solum voluntatis. sed etiam volendi. c. Gent. III, 89.

Deus sicut naturalibus causis movendo eas non aufert. quin actus earum sient naturales, ita movendo causas voluntarias non aufert, quin actiones earum sint voluntariae, sed potius hoc in eis facit. S. th. I, q. 83 a 1.

*) ipsa bonitas, propter quam vult quiequid aliud a se vult; vult enim creaturas propter suam bonitatem . . . divina bonitas . . . eins voluntati ratio volendi omnia sicut sua essentia est ratio cognoscendi omnia. De ver. q. 22, art. 9.

2. Thomas von Aquino.

145

Thomas, finis est bonum vel apparens bonum.

h c

Aristoteles.

t) de ßovlnqaig , Sri f.isv tov TeKovg sotiv siorjrai, Soxsc de rote /usv dya- ■dov slvai, to Zs Ss tov <p aivo /nevov

r Nie. III, 6.

ÖTtoiös 7Cod? sxaorog eot'iv , toiovro y.ai to Tslog rfalvsTai avroT.

1. C.

Qtiaiis unuscumque est, talis finis videtur ei.

S. th. I, q. 83 al; II, q. 9, a 3.

3. Analogie zwischen theoretischen und praktischen Prin zipien :

finis se habet in operativis, sicut prineipium in speculativis. Electio autem non est de fine, sed de his, quae sunt ad finem.

S. th. I, q. 83 a 4; II, q. 13, a 6.

sv ös Taig Ttoa^eot to ov svexa apyt}, &OTCEQ sv TOlg fxadtj/uariy.olg al vtco- d'sosig.

Nie. VII, 1151 a.

ßovXsvöf.isd'a d'ov tcsq\ t(öv tsXüjv, dXXd Ttsol twv Tvoög to, tsXt].

Nie. III, 5.

4. Das Freiwillige und Unfreiwillige:

liberum est, quod sui causa est.

De ver. q. 23, a 1.

voluntarium (id), cuius prinei- pium est intra.

S. th. II, q. 2 a 7. Violentum est, cuius prineipium est extra nil conferente vim passo.

De ver. q. 22 a 5.

s Xsv & s q o g ö savrov svsxa xal fir] alXov ojv.

Met. I, 2.

sxovoiov ov rj äo'/rj sv avred et- doTi tcl xad* exaora sv olg fj Tzpä&g.

Nie. III, 3.

ßiatov ov st-co&sv rj äpxtf f^rjSlv ovfißalXofisvov tov ßiaodh'Tog.

Eth. III, 1.

5. Der Wille und erste Beweger:

Necesse est ponere quod primum motum voluntatis prodeat ex instinetu alicuius exterioris moventis, ut Aristoteles concludit in quodam capitulo Ethicae Eudemiae (vgl. Eud. Eth. VII, c 14). S. th. II, q. 9, a. 4.

Die Notwendigkeit eines ersten Bewegers ferner de malo q. 6, a. 1 unter Hinweis auf de anima III und de bona fortuna betont.

6. de ver. q. 24, a. 1 wird der Begriff der Selbst bewegung im An- schlüsse an Phys. VIII erörtert.

7. de malo q. 6 bezeichnet Thomas mit de anima III Intellekt und Willen als aktive Prinzipien im Menschen.

8. S. th. I, q. 13, a. 6 erwähnt Thomas die de caelo II nach Piaton ge- schilderte Lage des Esels, der sich zwischen zwei gleich großen, in gleichem Abstände von ihm liegenden Heubündeln befindet und verhungert. Thomas wendet dieses Beispiel auf den Menschen an und sagt: nichts hindere, daß zwei Objekte, die in der einen Beziehung völlig gleich, in einer anderen der-

Verweyen, Das Problem der Willensfreiheit. 10

146

Drittes Kapitel.

art verschieden sind, daß das eine das andere überragt und deshalb vom Willen begehrt wird. l)

Die energische Betonung der Unvereinbarkeit von Willen und Notwendigkeit stützt Thomas vor allem auf Augustinus, mit dem er den Zwang, nicht jedoch auch eine „natürliche Notwendigkeit", der Freiheit widersprechend erklärt.2) „Wie Augustinus sagt", ist die göttliche Güte der Grund, weshalb der göttliche Wille die Geschöpfe zwar ohne Zwang, aber doch mit der Notwendigkeit einer „natürlichen Ordnung" ins Dasein ruft. :{) Natürlich zitiert auch Thomas den augustinischen Satz vom Verlust der Freiheit von der Sünde und vom Elende durch den Mißbrauch der Wahlfreiheit.4)

Ebensowenig fehlt der berühmte Ausspruch des Johannes von Damascus: bruta non agunt, sed magis aguntur;5) ihm entlehnt Thomas auch den Gedanken, daß nur gewollte, freie Akte Lob oder Tadel verdienen, sowie den anderen, daß mit der Vernunft die Freiheit gegeben sei.0) Ferner erwähnt er die Unterscheidung von thelesis und bulesis 7) und führt auch die Begriffsbestimmung des Freiwilligen und Unfreiwilligen auf Damascenus und „Gregor von Nyssa" zurück; letzterer ist in Wahrheit bekanntlich Nemesius.

Gegenüber den bisher betrachteten Quellen treten die Ein- wirkungen von Seiten Anselms und Bernhards völlig in den Hintergrund. Nur ganz nebenbei werden sie zitiert, wie z. B. Anselm für die Ansicht, der Wille bewege den Intellekt und alle seelischen Kräfte als bewegende Ursache, während der Intellekt als Zweckursache bewege 8) ferner Bernhard

x) Nihil prohibet, si aliqua duo aequalia proponantur secunduin unam considerationein , qnin circa alterum consideretur aliqua conditio, per quam emineat et magis flectatur voluntas in ipsum quam in aliud. S. th. II, q. 13, a. 6, ad 3.

2) De ver. q. 22, a. 5; S. th. I, q. 82, art. 1; S. th. II, q. 6, a. 4.

3) De ver. q. 23, a. 4.

4) S. th. I, q. 83, a. 2: Homo male utens libero arbitrio et se perdidit et ipsum.

5) S. th. II, q. 6, a. 2.

6) S. th. I, q. 83, a. 3.

7) 1. c, a. 4.

8) S. th. I, q. 82, a. 4.

2. Thomas von Aquino.

147

für die Behauptung-, Gottes Wille sei der mächtigste, weil keinem fremden Einflüsse unterworfen. x)

Damit hängt die gelegentlich von Thomas erwähnte Ansicht des Avicenna zusammen, die göttliche Tätigkeit sei eine im reinsten Sinne „freigebige'', weil ihr durch die Schöpfung kein Zuwachs an Vollkommenheit erstehe.2)

Endlich noch die Bemerkung, daß Thomas mit Dionysius Areopagita lehrt, das Böse geschehe ungewollt,8) und die Definition der Glückseligkeit als eines „durch Vereinigung aller Güter vollkommenen Zustandes" Boethius entnimmt.4)

Folg e r u n g e n.

Man bezeichnet vielfach die thomistische Freiheitslehre als einen intellektuellen Determinismus oder Vernunft -Deter- minismus. Obwohl man dabei meistens diesen Terminus Un- definiert läßt,5) meint man damit doch wohl dies: Thomas lehre, der Wille werde stets durch die Vernunft determiniert.

Die so formulierte Behauptung ist richtig oder falsch, je nachdem man den Begriff der Determination deutet. Versteht man darunter die Lehre, der Wille sei seiner Natur nach determiniert, ein bestimmtes Gut oder eine bestimmte Gruppe von Gütern zu erstreben wie es für das sinnliche Begehrungsvermögen zutrifft so entspricht dies nicht der thomistischen Ansicht, so wenig wie der aristotelischen. Denn Thomas bezeichnet, wie Aristoteles, den Willen ausdrücklich als ein geistiges Strebevermögen mit der Fähigkeit zu entgegen- gesetzten Akten; anders gewendet: als eine Potenz, die hin- sichtlich ihrer Tätigkeit als solcher, wie auch unter Voraus- setzung der Tätigkeit hinsichtlich der einzelnen Objekte in- determiniert — ob zwar hinsichtlich des allgemeinen Charakters des Objektes durch ein Gut determiniert ist.

Man wird demnach den Ausdruck Determination am besten mit eindeutiger Bestimmtheit wiedergeben; letztere trifft

x) De ver. 12, a. 6.

2) actio (Dei) pure liberalis; de ver. q. 23, a. 4.

3) de ver. q. 24, a. 2; a. 8.

4) de malo, q. 6, a. 1.

8) Siehe unten die literarischen Belege zu Scotus.

10*

148

Drittes Kapitel.

also für den Willen in dem bezeichneten Sinne nicht zu. Und gerade darin besteht seine Freiheit, die ihrerseits in der Frei- heit des Intellekts wurzelt.

Denn der Verstand ist es, der dem Willen die Objekte des Begehrens vorstellt.

Nun ist aber der menschliche Verstand abgesehen von einem Gut im allgemeinen nicht eindeutig bestimmt, ge- rade dieses gute Objekt dem Willen als allein begehrenswert vorzustellen. Anders ausgedrückt: der menschliche Verstand fällt, soweit es sich wenigstens nicht um ein Gut schlechthin d. h. um das höchste Gut handelt, nie apodiktische, sondern nur problematische bzw. assertorische, nie unbedingte, sondern nur bedingte Werturteile.

In diesem Sinne unterliegt nach Thomas weder der Verstand noch der Wille einem Determinismus: ihnen beiden ist eine Mannigfaltigkeit von Akten möglich.

Mit dieser abstrakten Möglichkeit wäre nun an sich die konkrete eindeutige Bestimmtheit unter konkreten Be- dingungen vereinbar.

Thomas ist zu sehr Dialektiker, um nicht in den meisten Fällen nur von dieser allgemeinen, abstrakten, Möglichkeit zu reden.

Aber er übersieht allerdings nicht die psychologische Möglichkeit, daß der Verstand auf Grund irgendwelcher kon- kreter Bedingungen irrigerweise zu einem eindeutigen Werturteile über ein konkretes Objekt gelangt. Thomas ist Menschenkenner genug, um zu wissen, daß der Mensch häufig urteilt, ein konkretes Objekt, das er vielleicht im allge- meinen als Übel erkennt, bilde für ihn gerade in diesem Augenblicke ein Gut, und zwar nie et nunc das höchste Gut.

Die einzige Konsequenz aus den thomistischen Voraussetzungen lautet: in einem solchen Falle ist der Verstand und deshalb auch der Wille eindeutig bestimmt.

Thomas zieht ausdrücklich diese Konsequenz. Aber es darf nicht übersehen werden, daß ein solcher Determinismus nach ihm nur in dem Falle zustande kommt, wenn der Verstand sich irrt.

2. Thomas von Aquino.

149

Der Logiker und Metaphysik er Thomas betont: der Verstand wird hienieden durch kein endliches Objekt zu einem eindeutigen Werturteile bestimmt; nur die klare Anschauung des göttlichen, unendlich heiligen Wesens führt zu dem ein- deutigen Urteile: Gott ist das höchste Gut des Willens.

Aber der Psychologe Thomas weiß, daß der menschliche Verstand sich oftmals über den wahren Wert eines Objekts täuscht und bei diesem Irrtume oft so weit geht, es hic et nunc für das summum bonum zu halten.

Wenn der Verstand also ein solches irriges Werturteil fällt, dann ist der WTille durch dasselbe eindeutig bestimmt, determiniert, das betreffende Objekt zu erstreben: darin liegt der thomis- tisch e Determinismus.

Aber daß der Verstand zu einem solchen irrigen Wert- urteil kommt, ist nicht notwendig; möglich, und durch die meta- physisch-christliche Ethik gefordert, bleibt, daß der Ver- stand nur Gott dem Willen als das höchste Gut vorstellt: darin liegt das eine Moment des tho mistischen Indeter- minismus.

Das andere Moment liegt darin, daß der Wille, wie es im jenseitigen zukünftigen Leben der Fall sein wird, selbst unter der Voraussetzung einer richtigen Vorstellung von Seiten des Verstandes nicht eindeutig bestimmt ist, das höchste Gut zu erstreben, vielmehr den Verstand zur Betrachtung eines anderen begehrenswerten Gutes veranlassen kann. Also auch dann, wenn der Verstand eine unmittelbare Anschauung von Gott, dem höchsten Gute, hat, bleibt der Wille noch eine geistige Potenz mit der Fähigkeit zu Entgegengesetztem. Wenn der Wille in diesem Falle einen Akt setzt, so kann es nur das Be- gehren des höchsten Gutes sein insofern besteht alsdann eine Determination hinsichtlich des Objekts; aber er braucht nicht notwendig diesen Akt zu setzen, kann vielmehr den Ver- stand veranlassen, nicht an das höchste Gut zu denken inso- fern bleibt also auch dann noch eine Indetermination hin- sichtlich des Aktes bestehen.

Diese thomistische Lehre von dem Verhalten des Willens gegenüber dem klar erkannten und geschauten höchsten Gute

150

Drittes Kapitel.

ist schließlich eine einfache Konsequenz aus einem aristote- lischen Axiom und der thomistischen Metaphysik.

Jenes Axiom lautet: gut ist das Objekt des Begehrens und umgekehrt heißt das Objekt des Begehrens ein Gut. Gott aber ist nach thomistischer Metaphysik das unendlich voll- kommene Wesen, der Inbegriff aller Güte, die ihrerseits nur wiederum Güte hervorbringen kann.

Daraus folgt, daß alles Seiende ein Gut ist, also Objekt des Begehrens sein kann. Die Vielheit der konkreten existieren- den Dinge ermöglicht also eine Vielheit von Akten des Be- gehrungsvermögens. Die Gesamtheit, der Inbegriff alles Seienden, gleichsam die totale Güte, ist folglich das Totalobjekt des Be- gehrens.

Anders ausgedrückt: wenn das Begehrungsvermögen das höchste unendliche Gute, nämlich das göttliche Wesen, zum Gegenstande hat, so wird es gleichsam ganz ausgefüllt, ganz erschöpft: es begehrt alsdann, was es überhaupt begehren k a n n.

Dies ist der tiefere Sinn der thomistischen Lehre, daß Gott als das unbedingte Endziel den Willen mit Notwendigkeit be- wegt, daß ,.in Gott" alles Streben seine „Ruhe" findet.

Merkwürdigerweise aber hat Thomas ein anderes, von ihm sonst akzeptiertes, aristotelisches Axiom hier nicht ausgenutzt, nämlich dieses: daß die Glückseligkeit eines jedes Wesens in der eigentümlichen Tätigkeit besteht.

Dann hätte sich folgende Konsequenz ergeben: jedes Wesen strebt notwendig nach Glückseligkeit, die in der jedem Vermögen eigentümlichen Tätigkeit besteht.

Die Glückseligkeit oder das höchste Gut des Willens- vermögens besteht demnach auch in der Tätigkeit nicht in der Ruhe.

Nun ist aber Gott das höchste Gut des Willens, also be- wegt Gott, richtiger der klar erkannte und geschaute Gott, den Willen mit Notwendigkeit zur Tätigkeit, und zwar zu Akten, die sich eben auf das höchste Gut beziehen.

Zu dieser Konsequenz gelangt Thomas tatsächlich nicht, weil er jenes aristotelische Axiom, das er doch sonst erkennt, hier auf einmal unberücksichtigt läßt.

2. Thomas von Aquino.

151

Sonst könnte er ja nicht lehren: die klare Anschauung determiniert den Willen zwar hinsichtlich des Objekts, aber nicht seines Aktes; der Wille kann in diesem Falle den Ver- stand von der Betrachtung des höchsten Gutes ablenken und gar keinen Akt setzen, also in Ruhe verharren.

Die Hinzuziehung jenes aristotelischen Axioms hätte die Konsequenz ergeben : der Wille muß unter dieser Voraussetzung schlechthin notwendig tätig sein; ja, er ist alsdann im höch- sten Grade tätig und darum zugleich im Besitze der höchsten Glückseligkeit.

Praktisch redet freilich Thomas im Sinne dieser Konse- quenz, wenn er von dem Leben der Seligen des Himmels spricht, die zur glückseligen Anschauung Gottes gelangt sind.

Aber theoretisch gelangt er zu anderen Folgerungen.

Scotus übersah den Unterschied dieser beiden Folge- rungen, beachtete nur die praktische Konsequenz, an der somit allein seine Polemik einen Angriffspunkt hat; denn in der Theorie lehrt Thomas nichts anderes, wie Scotus selbst. Doch davon später.

Bisher war nur von jenen beiden indeterministischen Mo- menten die Rede, die sich aus der thomistischen Auffassung von der Beziehung des Willens zum Verstände ergeben.

Dazu kommt nun noch eindrittesindeterministisches Moment, das aus der Natur des Willens folgt.

Die natürliche Freiheit des Willens besteht nach Thomas in der Unabhängigkeit vom Zwange, einschließlich dem Zwange von selten des Verstandes.

Diese Art Indeterminismus vereinigt sich ohne Wider- spruch mit den obigen Fällen des Determinismus, nämlich durch den einfachen Hinweis darauf, daß nicht jede Determination von dem Gefühle des Zwanges begleitet zu sein braucht.

Über die psychologische Struktur des Zwanges gibt Thomas zwar nirgends näheren Aufschluß, allein es genügt in diesem Zusammenhange die Erinnerung daran, daß er unter Coactio etwas dem Willen Widerstrebendes, also ein Nicht-wollen, ver- steht.

Von hier aus löst sich der angedeutete scheinbare Wider- spruch so: wenn die Vernunft determiniert ist, d. h. zu

152

Drittes Kapitel.

einem eindeutigen Werturteile gelangt und den Willen dement- sprechend zu einem eindeutigen Akte bestimmt, so will eben der Wille jenes vorgestellte Objekt mit gewollter eindeutiger Bestimmtheit.

Anders gewendet: der natürlichen Freiheit des Willens widerspricht nicht jener Indeterminis- mus, der in einem gewollten Determinismus be- steht.

Noch eine andere vierte Art von Indeterminis- mus folgt aus der Natur des Willens. Seine Unabhängigkeit von jeglichem Zwange ist die natürliche Folge davon, daß das Wiilensver mögen durch nichts von ihm Verschie- denes aktualisiert wird, sondern sich selbst in den Akt- überführt.

In diesem Sinne behauptet der thomistische Indeterminismus also keineswegs, daß der Willensakt ohne Ursache auftritt, sondern dies, daß der einzelne Willensakt die Wirkung eines sich selbst aktualisierenden Willensvermögens ist.

Da aber dieses Vermögen nach thomistischer Psychologie nicht immer in Tätigkeit ist, so folgert Thomas auf Grund seines bekannten metaphysischen Axioms, daß es „durch ein an de res41 aktualisiert werden muß.

Damit sinkt der vorher aufgestellte Begriff der Freiheit als Selbst ursächlichkeit sogleich zu einem relativen herab, wird also strenggenommen, ganz aufgehoben.

Thomas entledigt sich dieser Schwierigkeit durch die ein- fache Verlegenheitsbehauptung: es gehöre zum Begriffe des Freien lediglich dies, daß es „Ursache seiner" sei, nicht aber, daß es „erste Ursache seiner" sei.

Damit bleibt doch im Grunde von der Selbstursächlichkeit nur die Unabhängigkeit von zwingenden d. h. ungewollten anderen Ursachen übrig.

Jenes „andere", wodurch das Willens vermögen aktuali- siert wird, ist nun wiederum ein Doppeltes, gleichsam ein All- gemeineres und Besonderes, ein Näheres und Entfernteres, ein Zeitliches und ein Ewiges. Einmal nämlich ist es der Ver- stand bzw. das einzelne erkannte Objekt, das den Willen ..be- wegt".

2. Thomas von Aquino.

155

Aber in jeder geschöp fliehen Ursache ist der erste ewige unbewegte Beweger tätig. Gott also ist nach Thomas in Wahr- heit der letzte bzw. erste Beweger des Willens Vermögens. Der Mensch merkt von diesem bewegenden Einflüsse Gottes nichts/ weil Gott jedes Ding gemäß dessen Natur bewegt, den Willen also, ohne einen Zwang auszuüben.

So verdienstlich einerseits dieser thomistische Versuch, den einzelnen Willensakt zu dem letzten Grunde der Wirklichkeit in eine ursächliche Beziehung zu bringen, so darf man sich anderseits doch durch die glatten scholastischen Formeln nicht zu einer Überschätzung dieses Versuches verleiten lassen. In Wahrheit versagt auch die thomistische Kausalerklärung an diesem Punkte gänzlich: auch sie verliert sich in den uner- gründlichen Tiefen Gottes und vermag darüber nicht durch einige schöne Worterklärungen hinwegzutäuschen. Denn mehr wird man schwerlich herausholen aus dem Satze: der letzte Grund der göttlichen Willensbewegung sei die göttliche „Güte". Wo- bei noch das besondere Problem entsteht, wie die Ewigkeit der göttlichen Güte mit der Zeitlichkeit ihrer Äußerung in der Wiilensbewegung vereinbar ist. Auch an diesem Punkte müßte Thomas, statt den intellektualistischen Anschein einer wirklichen Erkenntnis zu erwecken zu dem ..Glauben'* seine Zuflucht nehmen, wie er es beim Beweise für die Nicht-Ewigkeit der Welt tut: sola fide tenetur.

Die thomistische Lehre über den Einfluß Gottes auf die Handlungen der vernünftigen Geschöpfe ist be- kanntlich stets Gegenstand einer lebhaften Kontroverse gewesen. Namentlich, soweit es sich dabei um die Vereinigung von göttlicher Gnade und freiem Willen handelt, um den Gegensatz zwischen Molinisten und Thomisten bzw. Bannesianern, ist der Streit unter den katholischen Theologen bis auf den heutigen Tag noch nicht geschlichtet.1)

l) Vgl. neuerdings die in diesem Punkte höchst skeptische Abhandlung des kath. Theologen A. Bademacher, Gnade und Natur, ihre innere Harmonie im Weltlauf und Menschheitsleben, M. Gladbach 1908. Dort heißt es u a. S. 69: „Wie dem Verstände ein höheres Licht, so verleiht die Gnade dem Willen eine höhere Freiheit Daß die Gnade überhaupt eine Eealität ist, ist ein Fundamentalsatz des christlichen Dogmas, mit dessen.

154

Drittes Kapitel.

Hier sei nur kurz auf die philosophische Seite der Kontro- verse hingewiesen.

Kein Geringerer als Kardinal Josef Pecci suchte den Nachweis zu erbringen, daß die thomistische Lehre von der Vorausbewegung des Willens durch Gott im Grunde die Freiheit aufhöbe.

Der Dominikaner Gundislav Feldner1) hat gegen- über dieser Auffassung des späteren Papstes Leos XIII. das Gegenteil zu zeigen gesucht und die thomistische Lehre seinem Ordensgelübde getreu verteidigt. Er betont vor allem, daß die göttliche Vorausbewegung niemals gegen die Natur des Willens, also ohne Zwang, erfolgt, und das Willens- vermögen aus dem passiven Zustande in den aktiven erhebt, wodurch die so gewordene aktuelle Willenspotenz die Fähigkeit erhält, sich selbst zu bewegen d. h. freie Akte zu setzen. „Das- jenige, was sich tätig erweist, ist der Wille, dasjenige wo- durch dieses geschieht, ist aus sich die göttliche Kraft und jene des Geschöpfes, insofern sie von Gott bewegt wird." 2)

Leugnung die übernatürliche Lebensordnung selbst in Abrede gestellt würde ; daß die Gnade die Freiheit nicht aufhebt, ist eine Forderung der Vernunft wie auch des Dogmas; denn ohne Freiheit gäbe es weder Gutes noch Böses, weder Lohn noch Strafe. Beide müssen also miteinander in harmonische Ver- bindung treten, ohne sich gegenseitig aufzuheben Die Einsicht in die innere Harmonie von Gnade und Freiheit wird uns allerdings für immer verschlossen bleiben, obwohl die spekulative Geisteskraft von Jahrhunderten sich abgemüht hat, das Problem aufzuhellen. Sie bleibt deswegen ein Problem, weil die Gnade ein Mysterium und die Freiheit <ein Welt rät sei ist; wo aber die beiden zusammenwirkenden Faktoren in ihrem innersten Wesen undurchdringlich sind, wird auch die Art und Weise ihres Zusammenwirkens selbst ein Geheimnis bleiben müssen, mit dessen Vernunftgemäßheit sich der Denkgeist zufrieden geben muß." ?

1) Die Lehre des hl. Thomas über den Einfluß Gottes auf die Hand- lungen der vernünftigen Geschöpfe, dargelegt von Sr. Eminenz Kardinal Josef Pecci, kritisch beleuchtet von Fr. Gundislav Feldner, Graz 18<s9; Ders., Die Lehre des hl. Thomas von Aquin über die Willensfreiheit der vernünftigen Wesen. Graz 1890. Vgl. auch C. Urban, De concursu Divino scholastici quid senseriut, Parisiis, 1894. J. Mausbach, Divi Thomae A. de voluntate et appetitu sensitivo doctrina, Paderborn 1888.

2) Vgl. Feldner, 1. c (1890) S. 175.

2. Thomas von Aquiuo.

155

Offenbar stimmt unsere obige Auffassung, der Begriff der causa sui gehe, strenggenommen, durch die Annahme der gött- lichen Vorausbewegung, praemotio physica genannt, verloren, der Ansicht Leos XIII. zu, während wir anderseits mit Feldner darauf hinwiesen, daß Gott in keinem Falle nach Thomas auf das Willensvermögen einen Zwang ausübe und darum diese natürliche Freiheit nicht aufhebe.

Man sieht, es handelt sich bei dieser Kontroverse, wie so oft, um verschiedene Gesichtspunkte. Schließlich bleibt es der persönlichen Entscheidung des einzelnen an heim gegeben, ob und in welchem Grade er jene relative Seibstursächlichkeit des Willensvermögens noch als „Freiheit'-' bezeichnen will. Mit Feldner muß freilich gegen Kardinal Pecci betont werden, daß Thomas seinerseits keinen Augenblick an der Vereinbar- keit von göttlicher Vorausbewegung und menschlicher Freiheit zweifelt.

Sogar das Böse weiß der Aquinate in Einklang mit jener Bewegung des heiligen Gottes zu bringen , nämlich durch die bekannte Unterscheidung: jeder Willensakt ist seinem Sein nach gut; nur insofern er von der guten Eichtling abweicht, böse.1) Die falsche Richtung aber ist ein Abfall vom höchsten Gute, der als etwas Negatives keine positive Ursache hat, ge- schweige denn Gott, die unendliche und absolut vollkommene Ursache, zum Prinzip haben kann. Als etwas Negatives haftet sie vielmehr dem menschlichen Willen „akzidentell" an.

Auf eine nähere Kritik dieser Lehre vom Bösen kann hier nicht eingegangen werden. Nur soviel sei bemerkt, daß der Vergleich des Thomas an sich zwar sehr bestechend wirkt, allein das wichtigste Problem übersieht: wie das Krummgehen nicht von der vis motrix, der bewegenden Kraft, sondern von der schlechten Disposition des Fußes stamme, so komme im sündhaften Akte das Sündhafte nicht von Gott, der ersten be- wegenden Ursache, sondern vom Willen. Wie aller Defekt, so stamme auch der sittliche aus dem Widerstande der Kreatur bzw. des Willens gegen die göttliche Wirksamkeit.2)

Vgl. Feldner, 1. c. (1890) S. 223 ff. 2) c. Gent. III. 1B2; de malo q. 3 a, ad 8. Vgl. auch Simar, Lehrbuch der Dogmatik, Freiburg 1899, II 8. 576 ff.

156

Drittes Kapitel.

Aber, die Kreatur ist doch selbst ein Werk des gütigen und heiligen Gottes also doch auch jeder geschöpfliche Akt nach seinem ganzen positiven und negativen Charakter!1) Da- mit tritt erst die ganze Schwere des Problems zutage, an das später vor allem ßrad w ardin us anknüpft.

Ein Schüler des Thomas von Aquino ist

3. Heinrich von Gent.

Das sinnliche Begehren ist unfrei; denn es richtet sich so- gleich auf das stärkste, sinnlich wahrgenommene Gut, ohne es zuvor mit anderen Objekten zu vergleichen.2)

Der Wille dagegen wird nicht durch das vom Intellekt ihm vorgestellte Objekt bewegt,3) sondern ist ein sich selbst bewegendes Prinzip, dem kein „natürlicher Impuls" vorausgeht. wie es bei den Tieren der Fall ist.

Der Wille ist somit das erste Prinzip seiner Bewegung, ein ,.sich selbst bewegendes Instrument";4) eine „aktive Potenz",

1) Treffend bemerkt neuerdings Heinrich Gomperz: „Allein was würden wir zu einem Schuster sagen, der uns einen Stiefel mit Löchern lieferte, und sich nun darauf ausredete, erstens seien diese Löcher bloß etwas Negatives, und zweitens rührten sie von einem Lehrling her, dessen Fehler er nicht veranlaßt, sondern uur zugelassen habe?" Das Problem der Willensfreiheit, Jena 1907, S. 20.

2) appetitus sensitivus statim movetur impetum ad id, quod magis apparet delectabile sensui sine omni collocatione habitu de apprehensivis. Quodlibeta I, q. 16.

3) sine aliqua cognitione praecedente voluntatem impossibile est velle aliquid. Propter quod dicit Augustinus: Diligere invisa possumus, incognita nequaquam .... voluntatis actionem necessario praecedit cognitio intellectus sine qua praevia nihil potest velle. Unde in amentibus, in quibus est cor- ruptio intellectus nullus est appetitus voluntatis, sed solum sensualitatis bru- talis. Excepto enim eo, quod intellectus est, non manet homo nisi bestia: secundum quod dicit Philosophus in fine tertii Politicae : Qui intellectum iubet principari videtur iubere principari Deum et leges, qui autem hominem iubet apponit et bestiam. Quodl. I, q. 15.

4) in hoc solo (sc. consistit ratio libertatis), [sed] quod non impetu naturae prae cedente motum voluntatis et voluntatem in actum impellente vult homo, quae vult et quae appetit, quemadmodum appetunt bruta, sed desiderio et complacentia voluntatis praecedente: voluntas enim est instrumentum

3. Heinrich von Gent.

157

die sich selbst determiniert, nicht von etwas anderem deter- miniert wird.1) Der Wille setzt seine Akte, ohne einem Impulse zu folgen, und hört auf tätig zu sein, ohne von etwas anderem an seiner Tätigkeit gehindert zu werden. Er ist also ohne jeg- lichen Zwang tätig und deshalb frei.2)

Positiv besteht seine Freiheit in der Indifferenz zu ent- gegengesetzten Akten.3) Von zwei Objekten kann der Wille das eine annehmen, das andere verwerfen, d. h. er vermag zu wählen, ist wahlfrei.

Bei dem Wählen wirkt sowohl der Verstand mit als der Wille. Der Verstand; denn ohne Erkenntnis des Objektes kann der Wille es nicht wollen.4) Weil aber der Wille eines der vorgestellten Objekte auswählt, so ist die Wahlfreiheit oder das liberum arbitrium vor allem eine Fähigkeit des Willens. Denn der Verstand stellt ihm lediglich die Objekte vor, ist nur die notwendige Gelegenheit oder causa sine qua non;5) der Wille selbst dagegen die eigentliche Ursache des Wollens und Wählens,

seipsuin movens in objectum bonum, tarn quam primum principium motus. ijuodl. III, q. 17.

x) voluntas . . . potentia simpliciter activa ... determinat se ipsam XII, 26; nec determinata ab alio. XIV, 5.

2) Voluntas dicitur liberum arbitrium , quia absoluta est ab omni coactione ipsam impediente et contristante in sua actione. 1. c. Libertas voluntatis est facultas, qua potest in suum actum, quo acquirit bonum suum ex principio intra se ultraneo et absque omni impulsu et retractione ab altero. XV, 5.

3) voluntas dicitur libera, quia indifferens ad diversa et con- traria sine omni determinatione restringente ipsam ad alterum eorum. III, 17. Potentia autem voluntatis ad se movendum in actum de- terminationis secundum ipsum est liberum arbitrium, quod valet ad utrumlibet. XII, 26.

4) I, 15-

5) voluntas non dependet ab intellectu nisi sicut ex causa sine qua non. XIV, 5. Potentia autem voluntatis ad se movendum in actum determi- nationis secundum ipsum est liberum arbitrium, quod valet ad utrumlibet. Non ergo est magis inconveniens dicere, quod voluntas actuat seipsam quam quod determinat seipsam. Verum est tarnen, quod intellectus existens in actu praecedit omnem actum voluntatis ut causa sine qua non ... intellectus est potentia simpliciter passiva: voluntas autem est po- tentia simpliciter activa. XII, 26.

158

Drittes Kapitel.

und zwar von Anfang bis zu Ende.1) Er kann sich deshalb auch gegen das Urteil des Verstandes entscheiden.2)

Weit entfernt vom Verstände beherrscht, determiniert zu sein, „befiehlt" der Wille, wie den körperlichen Organen be- stimmte Bewegungen, so jenem an bestimmte Objekte zu denken.3) (ranz „nach Belieben" kann der Wille den Verstand von be- stimmten Akten ablenken und zu anderen antreiben.4) Gegen

1) a prineipio usque ad finem includendo omnes actus et priinos et medios et Ultimos. XII, 26.

2) sed quod libertas arbitrii, qua de proximo potest hoino aeeeptare vel renuere, quod cognitio propronit, principaliter fit ex parte volun- tatis et praecise: patere nobis potest maxime hoc modo. Cum enim ex hoc liberi arbitrii simus, quod duobus propositis unum possumus aeeeptare, alterum vero refutare et hoc est eligere: naturam liberi arbitrii ex electionis actu maxime oportet considerare, ut ibi magis prineipalius et immediatius ponamus libertatem arbitrii, ubi magis prineipalius et immediatius habet esse electio. Est igitur sciendum, quod ad actum electionis coneurrit ex parte intellectus, duo eligibilia proponere, ex parte voluntatis alterum alteri praeferre et si virtuosa sit illa electio illud praeferre libere, quod per consilium rationis iudicatam est esse melius ... Si ergo electio principaliter dependet a volun- tate: et ipsa ex natura sua libera est et quod principale in ipsa libertas eius est. Libertas ergo principaliter est ex parte voluntatis, ut, s i velit, agat per electionem sequendo iudicium rationis vel contra ipsum sequendo proprium appetitum, ita quod ad volendum nihil faciat sim- pliciter ratio, nisi quod proponat volibilia; licet ad volendum per elec- tionem necesse est praecedere rationis sententiam, quia aliter voluntatis appe- titus non esset electivus . . . Nullo modo ergo voluntas prineipium libertatis a ratione habet, sed a seipso primo et sie electio libera virtutes et malitiae morales non tantum non sunt in ratione cognitiva, ut in subiecto, sed nee ut in causa et in prineipio, sed solum sicut in occasione. I, 16.

3j ut dicit Augustinus libro 12 super Gen. ad litteram et Philoso pims libro de anima, Semper agens et movens nobilius est patiente. Voluntas autem est universalis et primus motor in toto regno animae et superior et primiuh movens omnia alia ad imum suum. Movet euim rationem et omnes vires animae, ut dicit Anseimus libro de similitudinibus et Augustinus libro 3 de üb. arb. Subiacet intentioni animi prius ipse animus: deinde corpus, quod administrat: unde voluntas rationi imperat, ut consideret, ratiocinetur et con- siiietur, quando vult et de quibus, et similiter, facit ut desistat ... Multo perfectior ergo et altior est operatio voluntatis quam intel- lectus: quanto melior est amor et dilectio Dei quam cognitio eius. I, 14.

4) intellectus ab exercitio sui actus potest retrahi per volnntatem et im- pelli in ipsum. Voluntatis enim imperior intellectus a dictis operibus suis retrahi tur et in ipsa impellitur ad libitum voluntatis secundum quod

3. Heinrich von Gent.

159

den Befehl des Willens vermag der Intellekt schlechthin nichts.1)

Freilich gilt diese Herrschaft des Willens über den Intellekt nur, insoweit es sich um unvollkommene Güter handelt. Das absolute Gut determiniert den Willen d. h. bestimmt ihn not- wendig.2)

Aber diese Notwendigkeit, die nicht auf einem Zwange oder Gewalt, sondern auf einer „natürlichen Disposition" des Willens, also auf einer inneren Notwendigkeit beruht, ist „sehr wohl verträglich" mit der Freiheit.3)

Die Fähigkeit, das mindere Gut das im Vergleich zum höheren ein Übel ist wählen zu können, gehört nicht zum Wesen der Freiheit: sonst wären ja Gott und die Seligen des Himmels unfrei. Wofern nur kein Zwang und keine Hemmung besteht, bleibt die Freiheit des Willens stets gewahrt.4)

Gerade dann ist der Wille am freiesten, wenn er nur Gutes tun kann, indem er alle anderen Vermögen völlig unter seiner Herrschaft hat, sodaß sie ihm nicht widerstreben. Dies trifft für die Seligen des Himmels zu, während der Mensch im gegenwärtigen Leben unter den ihm vorgestellten Gütern keines findet, daß schlechthin gut wäre, weshalb er eben keines not- wendig erstrebt.

Der erste Beweis für die Tatsache der Freiheit ist im Begriffe des Willens enthalten: Dieser ist „seiner Natur nach"

experimur in nobis. Voluntas autem tantam libertatem habet, quod a nullo in actum simm impelli potest nec ab ipso ab alio retrahi, sed absque impulsu vadit in suum actum et absque alio retrahente ab isto cessat a sua actu uitraneo. XIV, 5.

*) intellectus nec potest inchoare nec exercere potest ipsum (sc. actum suum) contra imperium voluntatis. XIV, 5.

2) voluntas necessario fertur in bonum absolutum. III, 17.

3) (sc. necessarium ex dispositione naturae) bene stat cum voluntario. 1. c.

4) Quod autem voluntas non habet se ad malum, in nullo derogat liber- tati, sicut patet in Deo et in beatis, et ex hoc maxime, quod in eis, in quibus est posse in malum. posse ex respectu illo, quo potest in malum, non habet rationem libertatis, sed magis defectus a motu in id, in quod iibere deberet ferri , dicente Anselmo de libero arb. : „Libertatem arbitrii non puto esse poteiitiam peccandi et non peccandi. Quod si haec esset eius definitio nec Deus nec Angelus, qui peccare nequeunt, liberum haberent arbitrium, quod nefas est dicere." III, 17.

160

Drittes Kapitel.

frei.1) Wie der Stein von Natur abwärts fällt, so bewegt sich der Wille von Natur durch sich selbst.2) Insbesondere ist die Determination durch den Intellekt gegen die Natur des Willens/3)

Zweitens beweist die Heilige Schrift die Freiheit; denn es heißt Eccl. 31: Er konnte die Gebote Gottes übertreten, übertrat sie aber nicht. Daraus folgt doch, daß der Wille die einzige Ursache seiner Akte, darum das Prinzip der Tugend und Sünde ist.'1) Würde der Mensch mit Notwendigkeit zum Guten oder Bösen hingetrieben, so würde er so wenig gelobt und getadelt werden, wie das Tier.

Drittens ist es auch „hinreichend" durch die Erfahrung verbürgt, daß der Geist nur durch den eigenen Willen zum Sklaven der Sünde wird, ohne dazu von einer oberen Ursache gezwungen zu sein das wäre „ungerecht" noch von einer niedrigen, was an sich unmöglich wäre.5)

*) voluntas ex sua natura libera est. I, 16.

2) volens habet moveri ipsa sua voluntate ut per instrumentum et pri- imirn prineipium movens in finem seipsum et illum, cuius est vel per delec- tatiouem praecedentem vel per conscnsum subsequentem, ita quod a nullo alio agente impellatur ad virtutes et vitia, neque a superiori neque ab inferiori, «ecundum quod dicit Augustinus lib. 3 de lib. arb. Et hoc convenit ei ex naturali proprietate voluntatis, ut cum vult ex se, per se sie moveatur. sie lapidi, quod Semper deorsum nitatur. I, 17.

3) Contra naturam voluntatis est (sit) determinari a ratio ne, sed potius naturae eins est libere moveri, etiam contra rationis determinationem. I, q. 17.

4) Potuit transgredi et non est transgressus et facere malum et non fecit. I, 10.

5) Credo, inquit (sc. Augustinus) satis expertum esse nulla re fieri mentem servam libidinis, nisi propria voluntate, neque a superiori neque ab aequali eam posse ad hoc dedecus cogi, quia iniustum est. neque ab in- feriori, quia non potest. Eestat ergo, ut eius sit proprius iste motus, non utique naturalis, sed voUmtarius; eoque similis est illi motui. quo deorsum versus lapis fertur, quia sicut iste proprius est lapidis sie ille animi, verum- tamen in eo dissimilis, quod in potestate non habet lapis, quo fertur inferius. Animus vero, dum non vult, non ita movetur et ideo lapidi naturalis est ille motus: animo vero iste voluutarius et hoc ita voluntarius, ut contra naturam voluntatis sit determinari a ratione (ut illi dicunt1, sed potius naturae eius est libere moveri, etiam contra rationis determinationem. I, q. 17.

3. Heinrich von Gent.

161

Viertens „erfahren wir in uns" den Einfluß des Willens &uf die Tätigkeit des Intellekts, ohne daß dieser seinerseits den Willen „wider Willen" zu bestimmen vermöchte.1)

Quellen.

Autorität ist für Heinrieh zunächst Aristoteles, mit dem er lehrt, der Wille erstrebe stets ein wirkliches oder scheinbares Out.2) „Der Philosoph sagt" ferner, bei Prinzipien habe die Warum-Frage keinen Sinn; darum sei der Wille selbst als letzte Ursache seiner Defekte, des Bösen, zu be- trachten.3) Dabei betont auch Heinrich die Analogie zwischen theoretischen und praktischen Prinzipien. Weiterhin führt er die Unterscheidung verschiedener Notwendigkeiten auf Met. V. zu- rück.4) erwähnt die aristotelische Bemerkung, das Gewollte ge- schehe stets mit Freude, das Erzwungene dagegen mit Trauer,5) bezeichnet mit Polit. III. den Intellekt als den Vorzug des Men- schen vor dem Tiere 6) und leitet endlich aus dem aristotelischen Axiom, das Tätige sei „vornehmer" als das Leidende, einen Voluntarismus ab.7)

Das zuletzt genannte Axiom zitiert Heinrich zugleich als Ausspruch des Augustinus, demzufolge „nichts so sehr in der Macht des Willens liege als dieser selbst",8) der nur ein er- kanntes Gut erstrebe,9) weshalb das Böse unfreiwillig sei10) für welche Ansicht zugleich auch Dionysius als Autorität -angerufen wird. Endlich behauptet Heinrich mit Augustinus,

:) Intellectus ab exercitio sni actus potest retrahi per voluntatem et im- pelli in ipsum. Vohintatis enim imperio intellectus a dictis operibus suis retrahitur et in ipsa inipellitur ad libitum voluntatis, secundum quod ■experiinur in nobis. XIV, 5.

2) Quodl. I, 17; III, 17.

3) Quodl. I, 16.

4) Quodl. III, 17.

5) 1- c

6) Quodl. I, 15.

7) Quodl. I, 14.

8) Quodl. I, 16.

9) Quodl. I, 15.

10) Quodl. III, 17.

Verweyen, Das Problem der Willensfreiheit. 11

162

Drittes Kapitel.

der Wille sei die letzte Ursache seiner Akte, der keine andere vorausgehe.1)

Mit Damascenus bezeichnet Heinrich das liberum arbi- trium als eine mit der Vernunft unmittelbar gegebene Fähig- keit, sowohl der Vernunft als auch des Willens,2) verschweigt dabei natürlich auch nicht den bekannten Satz: irrationalia aguntur magis quam agunt.

Wenn Heinrich mit dem Damascener den engen Zusammen- hang von Vernunft und Freiheit hervorhebt, so betont er doch auch mit Bernhard, daß der Wille gegen das Urteil zu handeln vermag.3) Aus der gleichen Quelle stammt wohl auch das von Heinrich gebrauchte, auf die aristotelische Ethik zurück- gehende Beispiel des Kaufmannes, der die Ware, obzwar ungern,, so doch mit Willen, ins Meer wirft, um sein Leben zu retten.4)

Auch Heinrich kann nicht umhin, Eccl. 31 als Beweis für die Freiheit anzuführen.

Was endlich seine Stellung zu Thomas von Aquino be- trifft, so beruft er sich nie auf ihn. Abgesehen von seinen Übereinstimmungen mit Aristoteles folglich indirekt auch mit Thomas scheint er seine Ausführungen über den Grund der Freiheit gegen Thomas zu richten; denn dieser ist der Hauptvertreter jener unter dem allgemeinen „man sagt" ange- führten Gedanken. Hatte Thomas behauptet, die Vernunft sei die „Wurzel der Freiheit", so bezeichnet es Heinrich als „falsch% „wenn man die ganze Freiheit des Willens auf Seiten der Ver- nunft annimmt". Vielmehr liegt nach ihm die Freiheit vornehm- lich auf seiten des Willens; denn dieser kann gegen die Vernunft handeln, worin gerade seine Freiheit besteht.5) Die Vernunft stellt dem Willen lediglich Objekte zur Wahl vor.

Aber neben diesem Gegensatze hinsichtlich des Trägers und Grundes der Freiheit seien vor allem zwei Punkte hervorgehoben, in denen der Schüler dem Lehrer folgt. Wie Thomas betont Hein- rich, der Wille sei nur das erste ge schöpf liehe Prinzip

1) Quodl. I, 17.

2) Quodl. III, 17; I, 16.

3) Quodl. I, 16.

4) Quodl. III, 17. 8) Quodl. I, 16.

3. Heinrich von Gent.

163

seiner Handlungen, das schlechthin erste dagegen sei Gott, der jedes Geschöpf der Natur desselben entsprechend bewege.1) Sodann erläutert Heinrich die Fähigkeit des Willens unter den partikulären Gütern „nach Belieben" auszuwählen durch das gleiche Beispiel wie Thomas; die allgemeine Idee eines Hauses vorausgesetzt, bleibe dem Künstler doch die Wahl unter den verschiedenen besonderen Formen.2)

Folgerungen. Besonderes Interesse erweckt die Freiheitslehre Heinrichs von Gent dadurch, daß sie im Gegen satze zum thomis ti- schen Intellektualismus einen Voluntarismus vertritt. Damit soll gesagt sein, daß Heinrich den Willen als Grund und Träger der Freiheit höher wertet als den Intellekt, während Thomas den letzteren und seine Akte über den Willen erhebt. Dabei stimmt aber Heinrich ganz mit seinem Lehrer in der Auffassung überein, daß der Intellekt dem Willen die Objekte des Begehrens vorstellt. Der Unterschied zwischen beiden Denkern liegt also lediglich in der verschiedenen Wertung des Willens.

Dies muß schon hier ausdrücklich betont werden, weil uns dasselbe Problem alsbald bei dem angeblichen Gegensatz zwischen Thomas und Scotus begegnen wird.

Im einzelnen sei noch hingewiesen auf die besonders t}^pische Stelle, an der die Voraussetzung eines fertigen Willensaktes besonders deutlich hervortritt. „Wenn der Wille etwas will" sagt Heinrich so will er es frei, ohne gezwungen zu sein. Aber wann denn der Wille will, unter welchen konkreten Bedingungen ein Willensakt zustande kommt, danach fragt der Scholastiker nicht.

Endlich macht sich auch bei Heinrich der metaphysisch- theologische Einschlag besonders deutlich geltend : Gott und die Seligen wären nicht frei heißt es wenn die sittliche Güte des Willens zum Wesen seiner Freiheit gehörte. Die theologisch-metaphysische Voraussetzung von der tatsächlichen

x) i. c.

2) Qnodl. III, 17.

11*

164

Drittes Kapitel.

Freiheit Gottes und der Seligen bildet also das Motiv für die psychologische Fassung* des Freiheitsbegriffes.

Gehört Heinrich trotz mancher Abweichungen doch im Grunde zur thomistischen Schule, so gilt dies nicht von einem anderen Denker des dreizehnten Jahrhunderts, der freilich auch lange als Thomist galt, sich aber später als Averroist ent- schleierte. Gemeint ist Siger von Brabant.

4. Siger von Brabant.

Die fünfte These, die der „Sophist" in der Versammlung der Pariser Magister aufstellt, behandelt das Grundproblem der Theodizee, wie das physische und moralische Übel der Welt mit der alles beherrschenden Kausalität Gottes und seiner Welt- regierung zu vereinigen sei. Über die bisherigen Versuche, die Vereinbarkeit göttlichen Urwirkens mit der Naturkausalität so- wie den freien - insbesondere bösen Willenshandlungen darzutun, schreitet der Sophist hinweg und stellt die These auf: „Unter den menschlichen Handlungen gibt es keine schlechte Handlung, sodaß wregen dieser Schlechtigkeit jene Handlung verhindert oder einer wegen derselben bestraft werden müßte, 21, 4-6." x)

Die beiden ersten hierfür angeführten Gründe beruhen auf einem theologischen Fatalismus und besagen: a 1 1 e menschlichen Handlungen sind doch ein Ausfluß der von der göttlichen Weis- heit festgesetzten Ordnung. Die göttliche Forderung zu strafen käme mithin einer Unterdrückung des eigenen Werkes gleich. Nimmt man aber eine solche Forderung an, so maß man eben jene erste Voraussetzung fallen lassen. Zweitens aber gibt es gar kein absolutes Übel: In dem Ganzen findet das relative

l) Vgl. zu dieser Darstellung: Die Impossibilia des Siger von Brabant, <ine philos. Streitschrift aus dem XIII. Jahrh. Zum estenmal vollständig herausgegeben und besprochen von Clemens Baumker, Beitr. z. Gesch. d. Philos. d. Mittelalters, II, 6, Münster 1898. GL Baumker, Zur Lebens- geschichte des Siger v. Br. (Arch. f. Gesch. d. Philos., Bd. 13, 1900, S. 73 ff.). P. Mandonnet, Polemique averroiste de Siger de Brabant et St. Thomas d'Aqu., Revue Thomiste, T. III— V. Ders., Siger de Brabant et l'averroisme latin au XIII siecle. Etüde critique et documents inedits, Fribourg en Suisse, 1899.

4. Siger von Brabant.

165

Übel, das der einzelne vollbringt, seine teleologische Be- gründung.

Die Erwiderung auf diese beiden Argumente interessiert in diesem Zusammenhange nicht; um so mehr aber verdient das dritte Argument Beachtung: alle menschlichen Handinngen ge- schehen mit Notwendigkeit und verdienen deshalb weder Lohn noch Strafe.

Die Widerlegung dieser Ansicht geht von einer dreifachen Deutung des Begriffs „notwendig" aus.1)

Ist Notwendigkeit identisch mit Zwang, so ist sie mit dem Willen schlechthin unverträglich und schließt deshalb auch jede Art von Bestrafung aus; denn nur die gewollte Handlung wird belohnt oder bestraft. Lohn und Strafe wollen ja die Wiederholung oder Vermeidung der Handlung erzielen. Wie könnten sie das aber, wenn die Entstehung der Handlung ganz unabhängig von dem handelnden Subjekte wider dessen Willen erfolgt ?

x^ber geschehe zweitens die Handlung zwar willent- lich, doch zugleich notwendig, weil verursacht durch eine Ur-

!) necessarium potest intelligi ad praesens tripliciter. Uno modo sicut et necessarium coactionis; et tale necessarium non potest cadere in volun- tate, quia voluntas in volendo cogi non potest. quicquid enim vult, apta vult et non contra eius impetum: necessarium vero coactionis cadens in actione hominis puniri non debet. non enim puniendus est aliquis nisi pro eo, quod facit. quod autem quis coactus facit, facere non videtur, eo quod volun- tarie non facit. punitur enim, ne iterum illud velit et faciat; nunc autem illud volens non faciebat et in ipso etiam non est nt eundem actum alias sie faciat vel non faciat, unde necessarium coactionis punitionem non habet.

Secundo modo potest intelligi necessarium in voluntate et actione humana, si quis ex causa, quae non potest impediri, velit aliquid et per conse- quens faciat. et si tale necessarium esset in actibus humanis, non punirentur. punitio enim a recta ratione ordinatur sicut impedimentum causae, ex qua homo aliquid voluit et per consequens fecit. quod si nostrae voluntaces et actiones iierent ex causis non natis impediri, otiose legumlatores punitiones ordinarent.

Tertio modo est necessarium in actibus, secundum quod effectus pro- veniens ex aliqua causa, quae nata est impediri, a qua tarnen existente in dispositione illa in qua effectus ab ea provenit et ipsa non impedita necesse est effectum evenire. sie enim omnis effectus respectu suae causae est neces- sarius, ut vult Avicenna aut a sua causa non eveniret. 1. c. S. 24 f.

166

Drittes Kapitel.

sache, die durch das handelnde Subjekt nicht beseitigt werden kann, so kann sie auch dann billigerweise weder Lohn noch Strafe finden.

Vollends notwendig aber sind drittens - diejenigen Wirkungen, die aus einer Ursache hervorgehen, die zwar an sich, jedoch nicht mehr in dem Augenblicke, da sie eine Wir- kung hervorruft, daran gehindert werden kann.

Die Verschiedenheit der beiden letzten Arten des absolut und hypothetisch Notwendigen erhellt aus einem Beispiele. Der Tod, als Folge der Zusammengesetztheit des Organismus aus Gegensätzen, tritt schlechthin mit Naturnotwendigkeit ein. Die tödlichen Folgen des Genusses von etwas Glühendem können dagegen durch Gegenmittel abgelenkt werden: es handelt sich somit in solchem Falle um ein hypothetisch Notwendiges.

Weil nicht schlechthin, sondern nur bedingt notwendig, werden die menschlichen Handlungen mit Eecht dem Einflüsse der Strafe und Strafandrohung unterworfen.

Mag auch die Wirkung mit Notwendigkeit aus der Ursache hervorgehen, sobald diese sich in dispositiver Bereitschaft be- findet d. h. unbehindert durch Gegenwirkung ihre Tätigkeit entfalten kann und muß, so fragt es sich eben doch speziell für die Willenshandlungen ob jene Ursache selbst eine Natur- notwendigkeit, „in sich notwendig", oder ob sie nicht vielmehr, weil an sich nicht zu einer bestimmten Wirkung determiniert, durch Gegenwirkung beeinflußt werden kann.

Das bereits erwähnte Beispiel dient abermals zur Erläute- rung. Das Glühende führt zwar als unbehindert wirkende Ursache naturnotwendig den Tod herbei, nicht aber an sich, wie die Erfahrung lehrt; denn der Arzt vermag durch Gegenmittel jene Wirkung zu verhindern.

Entsprechendes gilt für die Strafen als moralische Heilmittel : die Ursache der Willenshandlungen setzt zwar, sobald sie un- behindert — d. h. als Disposition tätig ist, mit Notwendig- keit ihre Wirkungen : an sich jedoch kann sie daran gehindert werden, z. B. durch Strafe und Drohung.

Wenn nun schlechthin notwendig nur jene Wirkung ist, die stets, unter allen Umständen, aus einer bestimmten Ursache hervorgeht, nicht dagegen jene, die durch die Ursache in dem

4. Siger von Brabant.

167

Äugenblicke eindeutig bestimmt, determiniert ist, wann sie von ihr ausgebt,1) so liegt die Folgerung nahe: also geht die Wirkung mit Notwendigkeit d. h. eindeutiger Bestimmtheit aus der unbehinderten Ursache hervor, und zwar stets, nicht nur •dann, wann sie sich im Zustande der Disposition befindet.

Aber der „Autor" erwidert: Die tätige und ungehinderte Ursache zieht freilich mit Notwendigkeit ihre Wirkung nach sich. Indes folgt daraus nicht, daß solche Wirkungen von ihrer Ursache an sich notwendig ausgehen.

Wäre die letztere Bedingung bei den menschlichen Hand- lungen erfüllt, so hätten Lohn und Strafe keinen Zweck.

Quellen.

Die Argumente, die der Sophist für die schlechthinige Not- wendigkeit aller menschlichen Handlungen anführt, sind der Metaphysik Avicennas entlehnt,2) deren Einfluß auf unser Problem wir somit an dieser Stelle zum erstenmal in der christ- lichen Scholastik begegnen.

Die offizielle kirchliche Autorität verhielt sich natürlich diesen Anschauungen Avicennas gegenüber ablehnend. Fast wörtlich mit den Argumenten des Sophisten übereinstimmende Thesen wurden 1270 und 1277 von dem Bischof Stephan Tempier von Paris zensuriert.3)

*) Unde dicentes, quod onmia de necessitate a suis causis eveniant propter lioc quod effectus respectu suae causae existentis in dispositione illa, a qua effectus evenit, necessarius sit ab eo, peccant. dicitur enim effectus necessario «venire ex causa, non quia necessario ab ea evenit, quando ab ea evenit, «ed quia Semper ab ea evenit, ita quod quandocumque ponatur causa, ponatur et effectus. 1. c. S. 25.

2) Homo in his, quae necessario vult et necessario facit, puniri non debet nec in hjs utilis punitio seu prohibitio. sed quaecumque vult liomo et facit, necessario vult et facit, quia nullus effectus evenit nisi a causa respectu cuius suum esse necessarium est, sicut et dicit Avicenna. Causa enim, ex qua res potest esse et non esse, non determinat rem ad esse. 1. c. S. 21.

Vgl. Avicenna Metapb. I, lib. II c 2 (ed. Venet. 1495, fol. 5*b): Igitur manifestum est quod quicquid possibile est esse non habet esse, nisi cum necessarium est respectu suae causae; Dicemus igitur quod oportet illud fieri necessarium esse per causam et respectu eius.

3) Vgl. darüber 1. c. S. 179 f., woselbst die betr. Sätze abgedruckt sind.

168

Drittes Kapitel.

Folgerungen. In der Tat bilden die philosophischen Lehren Sigers den schärfsten Gegensatz zu der katholischen Weltanschauung. Weiter konnte die radikale Skepsis nicht gehen als bis zur Leugnung des Daseins Gottes, des Prinzips vom Widerspruche und damit zur Leugnung jeglicher Gewißheit und schließ- lich zu der praktisch bedeutsamen Verneinung der moralischen Verantwortlichkeit in dem Sinne des christlichen Zeitbewußt- seins.

Mit großem Scharfsinne sucht Siger die Unfreiheit d. h. schlechthinige Notwendigkeit der menschlichen Handlungen zu begründen. Dieser Versuch ist um so interessanter, als er der erste ist, dem wir bisher in der Scholastik begegneten.

Der eigentliche Streitpunkt der Polemik ist nun im Grunde nichts anderes als die Berechtigung der Belohnung und Bestrafung.

Siger leugnet sie und beruft sich auf die „Notwendigkeit" alles Geschehens, einschließlich der Willenshandlungen. Wie kann man billigerweise belohnen oder bestrafen so scheint er argumentiert zu haben, wenn der Täter schlechthin so handeln mußte, wie er handelte?

Sein Gegner aber ist offenbar von vornherein, im Einklänge mit dem allgemeinen traditionellen Bewußtsein, von der Berech- tigung der Belohnung und Bestrafung überzeugt und sucht sie durch die scharfsinnige Unterscheidung einer dreifachen Not- wendigkeit psychologisch zu rechtfertigen.

Wie so oft, scheinen nun auch hier die Gegner ihr Ziel aus den Augen zu verlieren. Denn Siger betrachtet offenbar gleich- sam a parte ante, sein Gegner dagegen a parte post die in Frage stehende Berechtigung.

Hier nur einige Proben: Prop. 164: Quod homo in omnibus actio nibns suiä sequitur appetitum et Semper maiorem. Prop. 159: Quod Yoluntas hominis necessitatur per suam cognitionem sicut appetitus bruti. Prop. 160: Quod nulluni agens est ad utrumlibet, immo determin atur. Prop. 21: Quod nihil fit a causa libera, sed omnia de necessitate erunt et quae non erunt, impossibile est esse ; et quod nihil fit contingenter, considerando omnes causas. Prop. 128 i Quod illud, quod de sui natura non est determinatum ad esse vel non esse, non determinatur nisi per aliquid, quod est necessarium respectu sui.

4. Siger von Brabaut.

169

Siger behauptet: unter den vorhandenen konkreten Be- dingungen mußte gerade diese konkrete Handlung erfolgen. Sein Gegner erwidert: es hätte auch eine andere Handlung eintreten können, wenn der vorhandene Ursachen-Komplex eine Änderung erfahren hätte, z. B. eben durch Lohn oder Strafe.

Siger behauptet die absolute Notwendigkeit jeder kon- kreten Handlung unter ganz konkreten Bedingungen; sein Gegner redet von der bloß hypothetischen Notwendigkeit des konkreten menschlichen Handelns. Beide beziehen sich also, wie es bei der Erörterung des Freiheitsproblems meistens der Fall ist, auf eine ganz verschiedene Frage. Kein Wunder deshalb, wenn die Polemik kein Ende findet,

Die entscheidende Frage ist doch: Kann unter den glei- chen Bedingungen dieselbe Ursache sowohl die Handlung* X als auch Y hervorbringen?

Hätten die beiden Streiter das Problem so klar gestellt, so würden sie doch vielleicht beide mit einem entschiedenen „Nein!" geantwortet und in diesem Sinne jede Willenshandlung für notwendig erklärt haben.

Statt einer solchen unzweideutigen Problemstellung wieder- holt Sigers Gegner immer wieder: die Ursache der menschlichen Willenshandlung sei nicht derart, daß sie stets nur die Hand- lung X hervorbringe ; sondern, weil veränderlich, könne sie auch unter den veränderten Bedingungen die Handlung Y hervorrufen. In diesem Sinne sei also X nicht absolut, sondern nur hypothetisch notwendig.

Die Sache läßt sich auch so formulieren: es gibt unveränder- liche Ursachen, die mit eindeutiger Bestimmtheit immer dieselbe Wirkung hervorbringen und veränderliche Ursachen, wie die der menschlichen Willenshandlungen, die je nach den konkreten variablen Be clingun gen diese oder jene Wirkung hervorrufen.

Solcher Auffassung wäre wohl auch Siger beigetreten, wenn sie ihm klar formuliert worden wäre.

Es mußte um des sachlichen Interesses willen etwas aus- führlicher auf diesen Streit um die ,,Imp ossibilia Sigeri

170

Drittes Kapitel.

de Brabantia" eingegangen werden, da er Gesichtspunkte naherückt, die man in der Diskussion um das Problem der Willensfreiheit meistens nur höchst unklar hervorzuheben pflegt.

Zugleich dienen die letzteren Erörterungen in historischer Beziehung zum besseren Verständnisse der nunmehr folgenden Willenslehre des

5. Duns Scotus.

Der Wille ist so lehrt der Doctor subtilis eine aktive Potenz, d. h. ein Vermögen, das durch eigene Tätigkeit seinen Akt hervorbringt, wobei der Unterschied zwischen dem Passiven und Aktiven in der Potenz seine Analogie findet an dem Arzte, der ein anderer ist. insofern er krank, und ein anderer, insofern er heilt.1)

Diese Reflexibilität des Willens als eines vernünftigen Be- gehrungsvermögens2) beruht auf seiner Immaterialität.8)

Als die „Ursache seines eigenen Aktes"4) wird das Willensvermögen durch nichts anderes zum Handeln deter- miniert.'"')

Als geistige aktive Potenz ist es „aus sich nicht deter- miniert".6) sondern kann sowohl diesen als den entgegengesetzten Akt setzen, handeln oder nicht handeln.

Dadurch unterscheidet es sich von der zweiten Art von Potenz, die „Natur" heißt und „aus sich determiniert" ist, d. h. nicht handeln kann, wofern sie durch nichts Äußeres daran ge- hindert wird.7)

Jede „natürliche aktive Ursache" ist zu einem Effekte

1) Seilt, lib. II, dist. 25, q. 1, n. 24.

2) appetitus intellectivus. Seilt, lib. II, dist. 6, q. 2, n. 8. appetitus rationaiis. Disp. III, sect, XII, n. 1.

3) Seilt lib. II, dist. 38, q. 1, n. 3.

4) causa actus sui. Seilt, lib. II, dist. 7, q. 1, n. 5.

5) voluntas per nihil aliud determinatur ad agendum. Sent. lib. II, dist, 7, u. 6.

6) non ex se determiuata potentia. L c. <) Met. lib. IX. q. 15, n. 4.

5. Duns Scotus.

171

determiniert;1) wie z. B. das Warme aus sich determiniert ist zu erwärmen.2)

Diese „natürliche Notwendigkeit" ist mit Freiheit unver- träglich;3) denn das „natürliche agens" herrscht weder über seine Akte noch über die Art derselben: wohl aber das „freie agens".4)

Der Wille erstrebt jedes Objekt „frei".5)

Indes, diese Freiheit bezieht sich nicht auf die „natür- liche Bewegung oder Neigung des Willens" zu der Güte im allgemeinen, sondern auf die eigentlichen d. h. eben freien, nicht „natürlichen" Willensakte.6)

Zwar nicht als natürliche, wohl aber als freie Potenz betrachtet, erstrebt der Wille auch den Endzweck, das Gute, ohne „natürliche Notwendigkeit" d. h. frei.7) Er will schlecht- hin Nichts „notwendig",8) stimmt jedem Gute, dem größeren wie dem geringeren, „frei" zu;9) hat es „in seiner Macht",

1) omnis causa naturalis activa est determinata ad unum effec- tum: vel si causa naturalis est ind et er min ata, non potest se ipsam nec aliani determinare. Sent. lib. II, dist. 25, q. 1, n. 22.

2) calidum, quia est calidum. ex se determinate calefacit. Met. lib. IX, q. 15, n. 4.

3) Sent. lib. I, dist. 1, q. 4, n. 1.

4) (agens liberum) potest se refraenare in eliciendo actum. Sent. lib. II, dist. 6, q. 2, n. 8.

5) voluntas ...liberefertur in quodcumque obiectum. Sent. lib. II, dist. 7, n. 9. Modus agendi voluntatis est lib er e agere. 1. c. n. 22. Com.

6) omnis actus voluntatis elicitus est mere liber Sent. lib. IT, dist. 23, q. 1, n. 10. yoluntas naturalis, ut necessario tendit in volitum, non habet actum elicitum circa illud. Sent. lib. II, dist. 39, q. 2, n. 5. Nec natura- liter velle est velle, quoniam simpliciter velle est velle elicitum. Sent. lib. III, dist. 15, n. 37. Naturalis voluntas non tendit, sed est ipsa tendentia, qua voluntas absolute tendit et hoc passive ad recipiendum, sed est aliqua tendentia in eadem potentia, ut libere et active agat et tendat eliciendo actum, ita quod in una potentia est duplex tendentia, activa et passiva . . . voluntas naturalis secundum formale, quod importat, non est potentia vel voluntas, sed inclinatio voluntatis et tendentia, qua tendit in per- fectionem. Sent. lib. III, dist. 17, n. 5.

7) Sent. lib. I, dist. 1, q. 4, n. 1. 8) 1. c. n. 17.

9) voluntas libere assentit cuilibet bono et ita libere assentit maiori bono sicut minori. 1. c. n. 16.

172

Drittes Kapitel.

nicht nur so oder so zu wollen, sondern auch zu wollen odet" nicht zu wollen.1) M. a. W. er beherrscht nicht nur die Ob- jekte seiner Tätigkeit, sondern auch diese selbst: „nichts ist so in der Gewalt des Willens wie der Wille selbst".

Es bezieht sich nun diese „Fähigkeit zu Entgegengesetztem" sowohl auf verschiedene Augenblicke als auch auf ein und denselbenAugenblick.2) Jenes Vermögen heißt näm- lich frei, das, nachdem „alle" zum Handeln erforderlichen Be- dingungen erfüllt sind, sowohl handeln als nicht handeln kann.'1)

Indes ist die Freiheit zu entgegengesetzten Akten eine Unvollkommenheit des menschlichen Willens; Gott dagegen ist zwar auch wie der Mensch indifferent zu entgegengesetzten Wirkungen, nicht aber zu entgegengesetzten Akten; viel- mehr kann er durch einen einzigen Akt „beliebige Objekte" er- streben, während der Mensch dazu verschiedener Akte bedarf.4)

Das Wesen der Freiheit besteht darin, daß dem Willensakte keine äußere oder innere Notwendigkeit vorausgeht. Das Leichte und Schwere bewegt sich beispielsweise deshalb nicht frei, weil es von einer äußeren, vorausgehenden Gewalt bewegt wird, der es unterworfen ist.

Dagegen ist eine „spontane Notwendigkeit" d. h. eine mit der Tätigkeit unmittelbar gegebene, ihr nicht voraus- gehende Notwendigkeit des Gefallens5) mit der Freiheit ver- träglich.

1) 1. c. n. 18.

2) Libertatem voluntatis nostrae, inquantutn est ad oppositos actus con- comitatur potentia tarn ad opposita successive quam ad opposita pro eodem instant!. Sent. lib. I, dist. 39, q. 5 n. 16.

3) Notandum eara potentiam dici liberam, quae omnibus praerequi- sitis positis operari potest et non operari. Disp. III, sect. XV, n. 1 . Voluutas . . . potentia potens respectu oppositi ... ita quod prima determinatio et tempore et natura est in positione actus (sc. voluntatis). Met. lib. IX, q. 15, n. 13.

4) sicut voluntas nostra potest diversis volitionibus tendere in diversa volibilia; ita illa (sc. divina) voluntas potest unica volitione simplici illimi- tata tendere in quaecumque volibilia voluntas divina non est mdifferens ad diversos actus nolendi et volendi . . . libera est ad oppositus effectus . . . ad objecta opposita, Sent. lib. I, dist. 39, q. 5, n. 21.

B) necessitas complacentiae. Phys. lib. II, q. 4, n. 5. necessitas spon- tanea in actu. Collatio XVI, n. 4.

5. Duns Scotus.

173

Von der äußeren und inneren Notwendigkeit des Zwanges ist der Wille immer frei, sowohl der gute wie böse Wille.1) Nur der Gebrauch dieser Freiheit kann vorüber- gehend oder dauernd aufgehoben sein, wie bei den Gehirn- kranken.2)

Außerdem gibt es noch die Freiheit von der Sünde und vom Elende.

Diese beiden Arten von Freiheit hat der Mensch durch die Sünde verloren.3)

Während die natürliche Freiheit keine Grade kennt, ist der Wille hinsichtlich dieser Arten um so freier, je geneigter er zum Guten ist.

Wer vollends, wie die Engel und Heiligen des Himmels, weder sündigen kann noch will, besitzt darum doch noch das liberum arbitrium, zu dessen Wesen eben lediglich dies gehört, daß der Wille „ohne Zwang und Notwendigkeit" erstrebt oder auswählt, was die Vernunft bestimmt hat.4)

Hiermit ist die B e z i e h u n g d e s W i 1 1 e n s z u m I n t e 1 1 e k t schon angedeutet.

Irgendein Gedanke, ein „erster Gedanke" geht notwendig jedem Wollen, wenigstens der Natur nach, voraus.5)

Genügte die bloß habituelle Erkenntnis, so könnte auch ein Schlafender oder Zerstreuter etwas Gutes wollen. Doch braucht

x) Yohmtas semper a necessitate libera est et nunquam cogi potest. Sent. lib. II, dist. 25, litt. J.

2) in phreneticis et in habentibus usum rationis perpetuo impeditum . . . (voluntas) non est capax peecati nec actus meritorii cum illis circumstantiis. Sent. lib. II, dist. 23, q. 1, n. 8.

3) libertas a miseria et peccato. Sent. lib. II, dist. 25, litt. H. Über die Stellung des Duns Scotus zu dem Problem der Gnade orientiert neuerdings P. Minges, Die Gnadenlehre des Duns Scotus auf ihren angeblichen Pelagia- nismus und Semipelagianismus geprüft, Münster 1906; ferner P. Minges, Der Wert der guten Werke nach Duns Scotus (Tübinger Theol. Quartalsschr., 1907).

4) liberum videtur dici arbitrium, quia sine coactione et necessitate valet appetere vel eligere, quod ex ratione decreverit. 1. c. litt. E.

5) aliqua cogitatio (cogitatio prima) praecedit necessario omne velle, sal- tem natura. Sent. lib. II, dist. 42, q. 4, n. 5. Impossibile est voluntatem velle actu, nisi sit actualis intellectio in intellectu. 1. c. n. 7.

174

Drittes Kapitel.

die erforderliche P^rkenntnis des Objekts kein ..Urteil'4 zu sein; es genügt die „einfache Erfassung".1)

Das Objekt, das der Intellekt dem Willen vorstellt, übt indes keinen Zwang auf den Willen aus.2)

Der Intellekt ist nur eine partielle Ursache des Willens- aktes; die Hauptursache des letzteren ist der Wille selbst.3)

Es gibt keinen anderen Grund dafür, war um der Will e etwas will als den Willen selbst.4)

Weil die Haupt Ursache über Freiheit und Unfreiheit einer Tätigkeit entscheidet, deshalb bleibt die Willenshandlung frei mag auch die Partialursache, der Intellekt, unfrei sein, d. h. wie die naürlichen Potenzen zu ganz bestimmten Tätigkeiten ein- deutig bestimmt, determiniert, sein.5) Der Intellekt muß schlechthin den Prinzipien und den aus ihnen sich ergeben- den Folgerungen zustimmen.6)

Weit entfernt also vom unfreien Intellekt determiniert zu werden, determiniert vielmehr der freie Wille jenen, indem er

1) sufficit ad actum voluntatis simplex apprehensio et non requiritur iu- dicium compositionis. Disp. III, Sect. XIII, n. 12.

2) voluntas non cogitur ex bonitate objecti. Sent. lib. II, dist, 7, n. 27 impressum in voluntate est tantum inclinans ideo voluntas numquam necessi- tatur ab obiecto. Collatio XVI, n. 3.

3) die tarnen intellectus non est principalis causa respectu elec- tionis, sed voluntas, quae Semper libera est. Collatio IV, n. 4.

4) Dico ergo, quod nihil aliud a voluntate est causa totalis volitionis in voluntate. Sent. lib. II, dist. 25, q. 1, n. 22. Met lib. IX, q. 15 n. 4.

5) intellectus minime est causa indeterminata respectu alieuius effec- tus, sed determinata. Sent. lib. II. dist. 25, q. 1, n. 22. Intellectus . . . est mere natura et in eliciendo et in producendo. Quemcumque enim actum intelligendi producit cum objecto praesente in memoria, mere naturaliter producit et quameunque operationem operatur. Sent. lib. I, dist. 2, q. 7, u. 33. intellectus cadit sub natura. Met. lib. IX, q. 15, n. 6. Intellectus movetur ab objecto naturali necessitate, voluntas autem se libere movet. quaest. quodl. q. 16, n. 6. Intellectus, quantum est de se, naturaliter agit. Sent. lib. II, dist. 25, q. 1, n. 23.

6) Non est in potestate intellectus moderari assensum suum veris, quae apprehendit: nam quantum ostenditur veritas prineipiorum ex terminis vel conclusionem ex prineipiis tantum oportet assentire propter caren- tiam libertatis. Sent. lib. II, dist. 6, q. 2, n. 11. Necessitas est in in- tellectu ex evidentia obiecti, necessario causante istum assensum in intellectu. Sent. lib. I, dist. 1, q. 4, n. 16.

5. Duns Scotus.

175

die Aufmerksamkeit des Verstandes von dem einen Objekte ab- lenkt x) und auf das andere richtet. Anderseits kann der Wille auch die Aufmerksamkeit des Verstandes auf ein Objekt ver- stärken; freilich muß irgendein, wenn auch nur undeutlicher, Gedanke dem Willen vorausgehen.2) Dieser kann darauf an dem Gedanken „Gefallen" finden oder nicht. Im ersteren Falle wird die Aufmerksamkeit des Verstandes auf das vorgestellte Objekt erhöht, im letzteren Falle vermindert. Denn die Seele ist um so wirksamer tätig, je mehr Potenzen sich auf das gleiche Ziel richten. So kann also der Wille aus einem „unvollkommenen" einen „vollkommenen" Gedanken machen.3)

Wie den Verstand, so kann der Wille alle Seelenkräfte seinem Befehle unterwerfen, determinieren, ohne freilich die ihnen eigene Tätigkeitsweise zu verändern.4)

Einen ersten Beweis für die Existenz der Freiheit liefert die Erfahrung. Es ist eine „sichere Erfahrungstatsache", experientia certa, die jeder in sich erleben kann, daß der Wille in der oben geschilderten Weise den Intellekt beeinflussen, determinieren kann.

Ein weiteres aposteriorisches Argument für die Freiheit liegt darin, daß jeder, der will, in sich erfährt d. h. das Bewußt- sein hat, er könne auch nicht wollen.5)

Endlich zeigt !die Beobachtung an den Tugendhaften und Heiligen, daß es dem Willen nicht unmöglich wenn auch schwer ist, der sinnlichen Lust gegenüber, wie gegenüber dem letzten, nach Betrachtung aller Gründe gefällten, Urteile der Vernunft seine Freiheit zu behaupten.6)

1) Potest enim (sc. vohmtas) avertere intellectum, ne specnletur talia speeulabilia, circa quae inclinaretur. Seilt, lib. II, dist. 6, q. 2, n. 11. Voluntas per actum suum potest remittere actum intelligendi. Sent. lib. I, dist. 17, q. 4, n. 4.

2) intellectio indistincta et imperfecta simpliciter prior volitione. 1. c.

3) voluntas firmando intellectum mediante suo velle in tali cogitatione intendit illam et sie eadem cogitatio, ut imperfecta est prior volitione et ut perfecta est posterior. Seut. lib. II, dist. 42, q. 4, n. 10; n. 11.

4) Sent. lib. IV, dist. 49, q. 4.

5) experitur (enim), qui vult se posse non velle sive nolle. Met. IX, q. 15, n. 4.

6) Difficile est voluntatem non inclinari ad id, quod est dictatum a

.176

Drittes Kapitel.

Zweitens ist nach der Autorität der Schrift die Sünde das eigentliche Werk des freien Willens, der sich sowohl für das Gute wie Böse entscheiden kann. Denn es heißt Eccl. 31: Er konnte sündigen und sündigte nicht.1)

Drittens liegt die Freiheit im Begriffe des Willens: frei zu handeln ist eben der modus agendi des Willens.2)

Viertens findet die Tatsache des Kontingenten ihre Er- klärung nur in der Annahme der Freiheit des Willens.

Kontingent ist das, was auch nicht geschehen könnte.3)

Es gibt solche kontingente Ereignisse ; denn sonst brauchte man nicht zu überlegen. Worin liegt aber ihre Ursache? Nicht in einer „bestimmten Ursache'', die nur eine Wirkung haben kann;4) also nur in einer „unbestimmten Ursache", die sich ent- gegengesetzten Wirkungen gegenüber indifferent verhält 5) und sich selbst zu einer derselben determiniert, mit der gleich- zeitigen Möglichkeit, sich zu der entgegengesetzten deter- minieren zu können. Denn würde jene unbestimmte Ursache von einer natürlichen Ursache eine solche ist ja auch der Intellekt bestimmt, so würde sie „notwendig" determiniert; denn „jede natürliche Ursache determiniert zu einer Wir- kung". Also kann nur der Wille jene unbestimmte Ursache, d. h. die Quelle des Kontingenten sein.6)

Insbesondere kann die Kontingenz der Welt nur „gerettet" werden durch die Annahme, daß die erste Ursache „kontingent

ratione practica ultimatim, non tarnen inipossibile, sicut voluntas natura- liter inclinatur sibi dimissa ad condelectandum appetitui sensitive-, non tarnen impossibile, ut frequenter resistat, ut patet in virtuosis et sanetis. Rep. II, dist. 39, q. 2, n. 5.

1) Sent. lib. II, dist, 25, q. 1, n. 24.

2) modus agendi voluntatis est libere agere ; ergo nullus habitus in volun- tate quantumeumque intensus posset facere voluntatem velle aliquid necessario. Sent. lib. II, dist. 7, n. 22 Comment.

3) voco contingenter evenire evitabiliter evenire. Sent. lib. II, dist, 25, q. 1, n. 21.

*) Non a causa determinata, quia pro isto instanti, pro quo et sie determinata eöectus, non potest evenire contingenter. 1. c.

5) causa indeterminata ad alterutrum oppositoruni. 1. c.

G) tale (sc. se ipsum contingenter ad unum oppositoruni) determinans non potest esse nisi voluntas, quia omnis causa naturalis activa est determinata ad unum effectum. 1. c.

5. Duns Scotus.

177

verursacht". Nun ist aber, „wie die Katholiken annehmen"/) die erste Ursache, Gott, eine vollkommene Ursache, die durch Intellekt und Willen wirkt. Da der Intellekt mit „natürlicher Notwendigkeit" wirkt, so kann nur der göttliche Wille die letzte Ursache des Kontingenten sein; wobei zu bemerken ist, daß die Kontingenz des göttlichen Willens sich nicht auf die göttliche Wesenheit selbst, sondern lediglich auf die von Gottes Wesenheit verschiedenen Dinge bezieht.2)

So folgt also aus der Tatsache des Kontingenten die Frei- heit des Willens.

Wer aber die Existenz des Kontingenten leugnet, den soll man so lange foltern, bis er zugibt, es sei auch möglich, daß er nicht gefoltert werde.8)

Quellen.

Mit Aristoteles betrachtet Scotus die Fähigkeit des Wählens als besonderen Vorzug des Menschen, schreibt dagegen das Spontane auch den Kindern und Tieren zu;4) sieht einen Beweis für die Freiheit in den Akten des Überlegens, die zwecklos wären, wenn alles „unvermeidlich" geschähe;5) belegt seine Behauptung, daß der Wille den Intellekt zu beeinflussen vermag, durch den aristotelischen Satz: „wir denken, wann wir wollen" 6) und entnimmt seine Ausführungen über Aktualisierung vernünftiger Potenzen Met. IX, 4;7) insbesondere den Begriff der Selbstbewegung Met. V, 9.8j

Den aristotelischen Satz von der Bewegung des Willens durch den Intellekt läßt Scotus nur metaphorisch d. h. nicht

x) ut Catholici poniint. Seilt. Üb. I, dist. 39, q. 5, n. 16.

2) Voluntas rlivina nihil necessario viüt nisi essentiam divinam et omnia intrinseca illae essentiae: alia autem, quae sunt extra essentiam suam, vult tantnm contingenter. Sent. lib. I, dist. 39, q. 5, n. 3. Vgl. P. Minges, Der Gottesbegriff des Duns Scotus auf seinen angeblich exzessiven Indeterminismus geprüft, Wien 1907 (Theol. Studien der Leo-Gesellschaft, Heft 16).

3) Sent. lib. I, dist. 39, q. 5, n. 13.

4) Disp. III, sect. XV, n. 1.

5) Sent. lib. I, dist. 25, q. 1, n. 22.

6) De anima II; Sent. lib. II, dist, 42, q. 4, n. 5.

7) Sent. lib. I, dist. 2, q. 7, n. 33. s) Sent. lib. I, dist. 25, q. 1, n. 22.

Ver weyen, Das Problem der Willensfreiheit. 12

178

Drittes Kapitel.

im Sinne der bewirkenden-, sondern der Z w e c k - Ursache gelten.1)

Noch schwerer aber wiegt der andere Vorwurf, den er gegen Aristoteles erhebt: „der Philosoph hat zuwenig über den Willen gesagt, insofern er sich von dem Intellekt unterscheidet, vielmehr beide unter den Begriff eines aktiven Prinzips vereinigt. Die Phys. II gegebene Unterscheidung der aktiven Prinzipien in „Natur" und Intellekt darf nicht als eine Unterscheidung . des Intellekts von dem Willen betrachtet werden".2)

Die energische Betonung, der Intellekt sei im Gegensatze zu dem freien Willen eine rein natürliche Potenz, geht auf Augustinus zurück, den Scotus ausdrücklich für diese Be- hauptung ins Feld führt.3) Der gleichen Quelle entnimmt Scotus die häufig erwähnten drei Arten von Freiheit;4) den be- kannten Satz, nichts sei so sehr in der Herrschaft des Willens wie dieser selbst,5) sowie den anderen betreffend den Mißbrauch der Freiheit;6) den weiteren, daß wir nur ein erkanntes Objekt lieben können,7) und endlich auch diesen, daß wir die,; Objekte des Sehens nicht in der Gewalt haben.8) Einen Beweis für die Freiheit des Willens sieht Scotus mit Augustinus in der Tatsache, daß das gleiche Objekt der Schönheit, unter sonst v.ö 1 1 i g gleichen körperlichen und seelischen Bedingungen, den einen Willen zu Falle bringt, den anderen dagegen nicht.9) Endlich lehrt Scotus mit Augustinus, dabei zugleich auch Ambro- sius zitierend10) daß auch Gott das liberum arbitrium zu- kommt, trotzdem er nicht zu sündigen vermag, keine Wahl zwischen gut und böse hat.11)

Denn Scotus ist mit Anseimus der Meinung, daß das

1) Sent. lib. II, dist. 25, q. 1, n. 24.

2) Sent. lib. I, dist. 2, q. 7, n. 33.

3) Sent. lib. II, dist. 25, q. 1, n. 22. *) Sent. lib. II, dist. 25, litt. J.

5) Sent. lib. II, dist. 7, n. 22.

6) Sent. lib. II, dist. 25, litt. H.

7) De anima, q. 22, n. 4.

8) Sent. lib. II, dist. 42, q. 4, n. 5.

9) Sent. lib. II, dist. 25, n. 2.

10) Sent. lib. II, dist. 25. litt. C. ») 1. c.

5. Duns Scotus.

179

„Sündigen-Können weder Freiheit noch ein Teil der Freiheit" ist.1) Demselben Autor entlehnt Scotus den Begriff des Willens als eines sich selbst bewegenden Instrumentes/2) das sich von dem sinnlichen Begehrungsvermögen wesentlich unterscheidet.

Eine Behauptung, die der bekannte Satz des Damascenus erhärtet: sensitivus ducitur et non ducit, sed intellectivus ducit et non ducitur.3)

Den Gedanken, daß der Wille frei von der Notwendigkeit des Zwanges ist, teilt Scotus insbesondere mit den Victo- rinern; denn ihnen ist die folgende Wendung eigentümlich: ubi necessitas, ibi non libertas; ubi non est libertas nec voluntas et ideo nec meritum.4) Nur Hugo v. St. Victor wird ge- legentlich zitiert; ihm entnimmt Scotus die Unterscheidung der vier Status des menschlichen libernm arbitrium.5)

Die der letzteren Unterscheidung zugrunde liegenden Be- griffe der Freiheit von der Sünde und vom Elende gewinnt Scotus natürlich aus der Bibel und zwar aus den Briefen des Apostels Paulus: „Wo der Geist des Herrn, dort Freiheit".6) „Wer Sünde begeht, ist ein Sklave der Sünde"; woraus folgt, daß in diesem Sinne der Wille um so freier ist, je ferner er der Sünde und je näher er dem Guten steht.7)

Aus derselben Quelle folgt, daß es in uns ein doppeltes Be- gehren gibt: „Ich sehe ein anderes Gesetz in meinen Gliedern, das dem Gesetze meines Geistes widerstreitet" (Gal. V). „Das Fleisch gelüstet wider den Geist" (Math. 17).8) Endlich liefert Paulus einen Beweis für die Freiheit des göttlichen Willens: „ein und derselbe Geist wirkt alles, indem er den Einzelnen zu- teilt, wie er will, d. h. nach dem Belieben seines freien Willens, nicht der Notwendigkeit gehorchend".9)

x) Sent. lib. II, dist. 23, q. 1, n. 8.

2) Sent. lib. II. dist. 25, q. 1, n. 2.

s) Sent. üb. II, dist. 25, q. 1, n. 21.

,4) Sent. lib. II, dist. 25, litt. J.

5) Sent. lib. II, dist. 25, litt. G.

6) Sent. lib. II, dist. 25, litt. J.

7) 1. c. litt. E.

8) Disp. III, sect. XII, n. 1.

9) Qnia omnia operatur unns atque idem Spiritus dividens singiüis p r o u t

12*

180

Drittes Kapitel.

Die, „Katholiken" behaupten deshalb, daß Gott eine voll- kommene" Kausalität zukommt.1)

Den Beweis für die Tatsache der Kontingenz lehnt Scotus bewußt an Avicennas Met. I an, wo es heißt, daß die Leugner der Denkprinzipien solange Feuersqualen ausgesetzt werden sollen, bis sie den Unterschied von Verbrennen und Nicht- Ver- brennen zugeben.2)

Endlich muß Scotus noch des genaueren in seinem Verhält- nisse zu Thomas vonAquino betrachtet werden. Dabei er- geben sich

A. Übereinstimmungen. 1. Der Wille seiner Natur nach:

a) vernünftiges Begehren.

Scotus. Thomas, appetitus intellectivus. appetitus rationalis.

Sent. lib. II, dist. 6, q. 2 n. 8. S. th. II, q. 8, a. 1.

appetitus rationalis.

Disp. III, sect. XII, n. 1.

b) Beweger aller seelischen Potenzen.

dicit Anseimus: voluntas movet Voluntas movet intellectum et omnes nos tamquam sua instrumenta. animae vires, ut Anseimus dicit.

Sent. lib. II, dist. 25, q. 1 n. 2. S. th. I, q. 82, a. 4.

c) unabhängig vom Zwange.

voluntas Sempera necessitate libera coactionis necessitas omnino re- est et numquam cogi potest. pugnat voluntati.

Sent. lib. II, dist. 25, litt. J. S. th. I, q. 82, a. 1.

d) auf ein Gut gerichtet.

Objectum formale voluntatis est voluntas in nihil potest tendere nisi

bonum: ergo voluntas per actum suuin sub ratione boni.

libere attingit bonum sub ratione S. th. II, q. 82, a. 1.

boni- voluntas naturaliter tendit in bonum

Coli. 17, n. 8.

sicut in suum objectum.

De ver. q. 24, a. 8.

vult, id est pro liberae voluntatis arbitrio, non pro necessitatis obsequio. Sent. lib. II, dist. 25, litt. C.

1) Sent. lib. I, dist, 39. q. 5, n. 16.

2) 1. c. n, 13.

5. Duns Scotus.

181

e) durch das erkannte Gut als Zweckursache bewegt. Scotus. Thomas, appetibile movet appetitum tantum per modum finis . . . intellectus mo-

metaphorice ... causa (final is) .. . vet voluntatem; quia bonum intellec-

movet metaphorice. tum est obiectum voluntatis et movet

Seilt, lib. II, dist. 25, q. 1, n. 24. ipsam ut finis.

S. tb. I, q. 82, a. 4.

Objectum eius (voluntatis) est finis, quam vis intellectus non secundum causae efficientis etmoventis, sed secundum modum causae f i n a 1 i s mo veat voluntatem proponendo sibi suum obiectum, quod est finis.

c. Gent. I, c. 72.

Zuweilen redet Thomas allgemein von einem Bewegtwerden des Willens durch den Intellekt; z. B. wenn er einfach sagt: bonum intellectum movet voluntatem. (S. th. I, q. 82 a. 3 ad 2.)

Aber aus den angeführten Stellen erhellt deutlich, daß Thomas dabei nur an die Zweckursache, eine Bewegung im Sinne der causa finalis, nicht efficiens denkt.

Dies beachtet Scotus nicht, wenn er gegen Thomas pole- misiert, weil dieser den Intellekt als eine wie Scotus irrtüm- lich annimmt bewegende d. h. Wirkursache des Willens bezeichne.1)

Übrigens fühlt sich Scotus selbst nicht sicher bei der Wieder- gabe der thomistischen Ansicht. Denn er sagt sehr vorsichtig: Thomas „scheine der Ansicht des Heinrich von Gent zuzuneigen", der Wille werde „effektiv" durch das erkannte Objekt bewegt, wie das Vermögen der sinnlichen Wahrnehmung durch das sinn- liche Objekt.2)

Aber, so wenig wie Thomas, behauptet Heinrich von Gent, daß der Verstand als causa efficiens den Willen bewege.

Darum ist die scotistische Polemik auch gegen Heinrich von Gent in diesem Punkte ebenso unberechtigt, 3) wie in dem anderen,4) er begehe einen Widerspruch, wenn er lehre, der Wille erstrebe

x) Sent. lib. II, dist. 7, n. 3; n. 7.

2) Sent. lib. II, dist. 25, q. 1, n. 5, Scholium.

3) Sent. Hb. II, dist. 25, n. 5 ff.

4) Sent. lib. IV, dist. 49, q. 10, n. 4.

182

Drittes Kapitel.

die Glückseligkeit nur im allgemeinen, aber nicht im besondern. In Wahrheit lehrt Heinrich von Gent: der Wille erstrebt not- wendig die Glückseligkeit als absolutes Gut aber nicht notwendig die irdischen Güter, weil sich in ihnen ein gewisser Mangel findet.1) Also besteht der vermeintliche Widerspruch gar nicht.

Hier mag ferner gleich bemerkt werden, daß die Polemik des Scotus 2) gegen Gottfried von Fontaines, als lehre dieser, das Wollen werde von den Phantasiebildern effektiv hervorgerufen, ebenfalls unberechtigt ist. Klar und deutlich bezeichnet auch Gottfried den Willen als Total-Ursache seiner Akte.3)

Zum Beweise, daß Scotus bezüglich des Verhältnisses zwischen Verstand und Wille genau dasselbe wie Thomas lehrt, diene noch folgende Gegenüberstellung.

Scotus. Thomas,

dictamen intellectus non est prin- electio substantialiter non est ratio-

cipalis causa respectu electionis, sed nis, sed voluntatis; perficitur enim

voluntas, quae Semper libera est . . . electio in motu quodam animae ad

dictamen intellectus non . . . totalis bonum, quod eligitur. Unde manifeste

causa electionis . . . sed tarnen est actus est appetitivae potentiae.

causa per se et partialis, quae ad actio- S. th. II, q. 13, a. 1.

nem liberam voluntatis agit, sicut ad Intellectus movet voluntatem sicut

Imperium voluntatis agit potentia praesentans ei obiectum.

motiva. S. th. II, q. 9, a. 1.

Coli. IV, n. 4. iM , . . ' 1 .

liberum arbitrium (sc. appetitiva po-

voluntas, ut prior naturaler actu tentia - S. th. I, q. 83, a. 3) est causa

suo,nonutexistensactualitersubactu, gui motug? ^ homo per liberum

est causa actus sui, quod est ma- arbitrium seipsmü movet ad agendum.

nifestum ex hoc, quod est causa libera S th I q 83 a 1

actus sui. ' * Sent. lib. II, dist. 7, q. 1, n. 5.

f) durch die Gestirne zwar nicht genötigt, aber doch be- einflußt.

Concessum est, quod voluntas nostra . . . eo modo, quo voluntas movetur non subest regimini corporis coelestis; ab exteriori objecto, manifestum est.

l) Quodl. III, 17. *) Sent. lib. II, dist. 25, n. 3; n. 4.

3) voluntas movet alias potentias et eis imperat et a nullo movetur. sed se ipsam movet, alioquin periret liberum arbitrium; nec aliqua potentia ei imperat, quia ipsa sola dominium sui actus. Quodl. II, q. 9.

5. Duns Scotus.

183

Scotus. Thomas, verum est tarnen, quod corpus coe- quod voluntas potest moveri a leste agit iu voluntatem nos- corporibus coelestibus, in quan- tram quasdam inclinationes, median- tum scilicet corpora exteriora, quae tibus quibus voluntas facilitatur vel sensui proposita movent voluntatem et difficultetur in operando . . . Tales in- etiam ipsa Organa potentiarum sensiti- clinationes n o n i n c i t a n t voluntatem, varum subjacent motibus coelestium quin immo voluntas libere potest in corporum . . . eo quod res incorporeae oppositum illius, sed tarnen cum et immateriales sunt formalioris et maiori difficultate. universalioris virtutis quam quaecum-

Meteorolog. I, q. 3, a, 3. que res corporales; unde impossibile

est, quod corpus coeleste imprimat directe intellectum et voluntatem.

S. th. II, q. 9, a. 5.

appetitus sensitivus est actus organi corporalis ; unde nihil prohibet ex impressione corporum coeles- tium aliquos esse habiles ad irascendum vel concupiscen- dum vel aliquam huiusmodi p assione m. . . .

Sed tarnen . . . Sapiens domina- tur astris; scilicet quia resistens passionibus per voluntatem liberam et nequaquam motui coelesti subjectam.

2. Die Wahlfreiheit.

a) ihr Begriff.

liberum videtur dici arbitrium, quia sine coactione et necessitate valet «ppetere vel e 1 i g e r e , quod ex ratione decreverit.

Sent. lib. II, dist. 25, litt. E.

b) ihr Objekt.

(Voluntas) deliberativa non est re- spectu finis, sed est respectu eorum, «quae sunt ad finem.

Sent. lib. III, dist. 33, n. 22.

proprium liberi arbitrii est electio; ex hoc enim liberi arbitrii esse dici- mur, quod possumus unum recipere alio recusato, quod est eligere.

S. th. I, q. 83 a. 3.

ultimus finis nulio mode sub elec- tione cadit.

S. th. II, q. 13, a. 3.

Electio non est de fine, sed de Ms, quae sunt ad finem.

S. th. I. q. 82, a. 1.

184

Drittes Kapitel.

3. Das Endziel, die Glückseligkeit oder Gott:

Scotus. Thomas. Concedo, Deuni esse finein natura- ... in quo solo (Deo) vera beatiturio lern hominis, licet non naturaliter consistit.

adipiscendum , sed super natura- 8. th. I, q. 82, a. 2.

liter, et hoc probat ratio sequens de desiderio naturali, quam concedo.

Sent. lib. prolog. q. 1, n. 12 omnis nostra volitio potissimum ordi- nata est ad nnem ultimum, qui est alpha et omega, principium et finis, cui sit honor et gloria in saecula sae- culorum. Amen.

Sent. lib. I, dist, 48, n. 2.

a) von dem natürlichen Begehren notwendig erstrebt.

De illo appetitu naturali patet, quod voluntas necessario et perpe- tuo et summe appetit beatitudinem et hoc in particulari.

Sent. lib. IV, dist. 49, q. 10, n. 3.

voluntas necessitate inhaeret ul- timo fini, qui est beatitudo.

S. th. I, q. 82, a. 1.

naturaliter homo appetit ultimum linem, scilicet beatitudinem. Qui qui- dem appetitus naturaliter est et non subjacet libero arbitrio.

S. th. I, q. 83, a. 1. per naturam de necessitate in- clinatur voluntas in appetendum nnem.

De ver. q. 22, a. 9.

b) von dem Willen frei erstrebt.

De fine clare viso dico, quod volun- tas elevata non necessario fruitur, quantum est ex parte sua.

Sent. lib. I, dist. 1, q. 4, n. 13, 15. voluntas creata non necessario tendit in finem sibi ostensum nec in universali nec in particulari.

Sent. lib. II, dist. 23, q. 1, n. 8.

omnis actus voluntatis elicitus est mere Uber. { Q ß m

voluntas libera non tenetur omni modo velle beatitudinem, quo voluntas, si esset tantummodo appetitus intellec- tivus sine libertate, vellet eam . . . Sent. lib. II, dist. 6, q. 2, n. 9.

Si apprehenditur aliquid ut bonum conveniens secundum omnia parti- cularia, quae considerari possunt, ex necessitate movebit voluntatem et propter hoc homo ex necessitate appe- tit beatitudinem . . .

Dico autem ex necessitate, quan- tum ad determinationem actus, quia non potest velle opposi- tum, non autem quantum ad exer- citium actus, quia potest aliquis non velle tunc cogitare de beatitudine. quia etiam ipsi actus intellectus et voluntatis particulares sunt . . .

. . . bonum perfectum (quod) est bea- titudo, quod voluntas non potest non.

5. Duns Scotus.

185

Scotus.

Potest (sc. voluntas) enim aver- tere intellectum, ne speculetur talia speculabilia , circa quae inclina- retur.

1. c. n. 11.

vohmtas libere vult finem ; ergo non potest necessitate naturali velle finem : nec per consequens aliquo modo necessario.

Sent. lib. I, dist. 1, q. 4, n. 1.

voluntas volens ultimum finem sibi ostensum ex voluntate sua potest avertere se ab actu voleudi ultimum finem, quia potest impe- dire intellectum, ut non consideret ulti- mum finem, sed aliud objectum ... et ita potest se avertere a voli- tione ultimi finis; igitur voluntas ex sua natura, quantum est de se, non determinatur ad volendum ul- timum finem necessario.

Collatio XVIII.

Thomas, velle, ita scilicet, quod velit eius oppositum, potest tarnen non velle actu, quia potest avertere cogita- t i o n e m beatitudinis, inquantum movet intellectum ad suum actum et quan- tum ad hoc nec ipsam beatitu- dinem exnecessitate vult. Sicut etiam aliquis non ex necessitate cale- fieret, si posset calidum a se repellere cum v eilet.

De malo, q. 6, a. 1.

Si proponatur aliquod obiectum vo- luntati, quod sit universaliter bonum et secundum omnem considerationem, ex necessitate voluntas in illud tendit, si aliquid velit; non enim poterit velle oppositum.

S. th. II, q. 10, a, 2.

4. Die Unfreiheit des Tieres, bos videt herbam, quae movet ovis viso lupu necesse habet

appetitum suum et ex illo appetitu mo- vetur progressive ad herbam : sed si in motu illo occurrit obiectum magis de-

timere et fugere.

De ver. q. 24, a. 2. ovis timens lupum statim fugit,

lectabile, fortius movens appetitum, quja non est jn ejs (sc> brutis) aiiquis

superior appetitus, qui repugnet.

S. th. I, q. 83, a. 3.

tunc sistitur a primo motu et tarnen non libere, quia necessario rao- vetur ab illo maiori delectabili occu- rente quamquam casualiter occurrat.

Sent. lib. II, dist. 25, n. 8.

5. Der Begriff der Tugend.1)

In definitione virtutis cadit, quod sit (virtus) habitus electivus secun-

habitus electivus secundum rectam dum rationem rectam.

rationem. S. th. III. q. 85, a. 1. Sent. lib. III, dist. 36, n. 16. .

!) Vgl. auch P. Minges, Bedeutung von Objekt, Umständen und Zweck für die Sittlichkeit eines Aktes nach Duns Scotus (Philos. Jahrb. 1906).

186

Drittes Kapitel.

Aus den vorstehenden Stellen ergibt sich zur Genüge die Übereinstimmung' zwischen beiden Scholastikern in der Lehre, wie sich der Wille zum Endziele verhält.

Trotzdem kämpft Scotus gegen Thomas, weil er lehre, der Wille strebe notwendig nach dem in jeder Hinsicht als gut vor- gestellten Objekte.1)

Tatsächlich behauptet Thomas, wie aus der erwähnten Stelle deutlich hervorgeht, daß der Wille in einem solchen Falle nicht das Gegenteil wollen könne, ohne jedoch deshalb ge- zwungen zu sein, das allseitige Gut selbst zu wollen. Der Wille brauche eben in solchem Falle überhaupt keinen Akt zu setzen könne vielmehr den Intellekt zur Betrachtung eines anderen Gutes bewegen.

Daraus folgt, daß Scotus in diesem Punkte die tho- m istische Lehre nicht richtig wiedergegeben hat. daß er nur den ersten Teil des angeführten Satzes, nicht aber auch den zweiten beachtet hat. Der erste lautet: bonum per- fectum est beatitudo, quod voluntas non potest non velle, ita scilicet quod velit eius oppositum. Hätte Thomas nur soviel gesagt, dann befände er sich allerdings in einem Gegen- satze zu Scotus aber er fährt eben in einem zweiten Satze fort: potest (voluntas) tarnen non velle (sc. beatitudinem) actu, quia potest avertere cogitationem beatitudinis, inquantum movet intellectum ad suum actum et quantum ad hoc nec ipsam beatitudinem ex necessitate vult mit diesem zweiten Satze lehrt Thomas genau dasselbe wie Scotus.

Folglich beruht auch die weitere Polemik des Scotus gegen die von Thomas mit Aristoteles betonte Analogie zwischen theo- retischen und praktischen Prinzipien auf einem Mißverständnisse.2)

Nach den angeführten Stellen kann es ja keinem Zweifel unterliegen, daß Thomas den natürlichen nicht freien Willen meint, wenn er sagt: wie der Verstand naturnotwendig den ersten Prinzipien zustimmt, so stimmt der Wille naturnot- wendig seinem Endziele, der Glückseligkeit, zu.3)

1) Seilt, üb IV, dist. 49, q. 6, n. 6.

2) Sent. lib. I, dist. 1, q. 4, n. 2. s) 8. th. I. 1, q. 82. a. 1.

5. Duns Scotus.

187

Diese Notwendigkeit behauptet aber doch auch Scotus; wie er lehrt aber auch Thomas, daß der freie Wille sogar dem End- ziele und höchsten Gute gegenüber die Herrschaft über seinen Akt bewahrt also nicht naturnotwendig wirkt.

Damit wird endlich auch die folgende scotistische Polemik hinfällig, die dem Thomas Inkonsequenz zum Vorwurfe macht: wenn der Wille sein Endziel notwendig wolle, so müsse er auch alles, was in einem Zusammenhange damit stehe, notwendig wollen, könne nichts frei wollen wie Thomas trotzdem be- haupte.1)

Ganz abgesehen davon, daß Thomas die Indeterminiertheit des Willens nur bezüglich jener Mittel behauptet, die in keinem notwendigen Zusammenhange zu dem Endziele stehe, ist der Vorwurf des Scotus schon deshalb irrig, weil er auf einer falschen Voraussetzung beruht: Thomas lehrt gar nicht, der freie Wille erstrebe sein Endziel notwendig!

Bei dieser völligen materiellen Übereinstimmung zwischen beiden Denkern besteht freilich das muß zugegeben werden

B. eine formelle Verschiedenheit zwischen ihnen, die Scotus wohl zu seiner sachlich unberechtigten Polemik verleitet hat.

1. Thomas geht von dem Begriff der Notwendigkeit aus und behauptet: der Wille wird, wenn er einen Akt setzen will, durch das erkannte vollkommene Gut notwendig bestimmt (deter- minatio actus); behält aber die Freiheit bezüglich der Aus- übung eines Aktes (determinatio quoad exercitium actus). Denn der Wille kann die Vernunft in einem solchen Falle zur Betrachtung anderer Objekte bestimmen.

Thomas geht also von der Notwendigkeit aus, mit der die Vernunft über das allseitige Gut urteilt ohne aber die Notwendigkeit irgendeines Wille nsaktes zu behaupten.

Scotus geht den umgekehrten Weg und beginnt mit der schlechthinigen These: jeder Willensakt ist frei von Not- wendigkeit. Er kommt dann bei seiner Deduktion ebenfalls wie Thomas an den Fall, daß die Vernunft dem Willen ein

l) Senk lib. II, disk 5, q. 2, n. 6.

188

Drittes Kapitel.

vollkommenes Gut vorstellt; er behauptet wie Thomas: der Wille bleibt auch dann frei und führt wie Thomas als Grund an: der Wille kann in solchem Falle die Vernunft auf andere Objekte lenken.

Es zeigt sich somit, daß Scotus sein Interesse in erster Linie auf den Willen und dessen Freiheit richtet, Thomas da- gegen vor allem für die Vernunft interessiert ist. Es ist die Grundstimmung, gleichsam der persönliche Ton, zwischen beiden Scholastikern ein verschiedener.

Jene formelle Verschiedenheit in der Behandlung des Frei- heitsproblems findet demnach ihren speziellen Ausdruck und zu- gleich ihre psychologische Erklärung in einem anderen sach- lichen Gegensatze, nämlich in der verschiede nenWer tun g der beiden seelischen Vermögen.

2. Scotus behauptet den gewöhnlich als Primat bezeich- neten Vorzug des Willens, Thomas dagegen den Primat der Vern unf t.

I. Der Würde ihres Gegenstandes nach behauptet den Primat:

der Intellect: der Wille:

denn sein Objekt ist der Grund denn sein Objekt ist das Gute, bonum. des Guten, die ratio boni. Das Wahre aber ist nur eines von

Das Wahre aber steht über dem allen Gütern. Guten, das nur gut ist durch Teil- Also steht das Gute über dem nähme am Wahren. Wahren.

Thomas, S* th. I, q. 82, a. 3. Scotus, Sent. üb. IV, dist. 49, q. 4.

II. Dem Habitus nach ist „vornehmer":

der Intellect: der Wille:

denn höher als die Liebe steht die denn nach 1. Kor. 13 geht die Liebe Weisheit ; in ihr findet der Mensch seine über den Glauben, höchste Glückseligkeit. Scotus, 1. e.

T h o m a s , c. Gent. IV, 41 III, 25.

III. Ihrer gegenseitigen Einwirkung nach steht höher :

der Intellect: der Wille:

denn er bewegt den Willen als denn er ist die Totalursache seines

Z vv e c k Ursache , der seinerseits den Aktes und wirkt auf den Intellekt.

Verstand als Wirk Ursache bewegt. Scotus, 1. c. Höher aber als das agens steht der

Zweck' Thomas, 1. c.

5. Duns Scotus.

189

Diese Primat frage ist durchaus nicht identisch mit dem Problem der Willensfreiheit. Beide Fragen sind ganz ver- schiedener Natur, beziehen sich auf verschiedene Gesichtspunkte.

Thomas und Scotus lehren beide die Freiheit des Willens in dem Sinne, daß der Wille innerhalb gewisser Grenzen die letzte Entscheidung über unsere Handlungen, ihre letzte Ur- sache, ist ohne dabei durch irgend etwas eine Nötigung, einen Zwang, zu erfahren.

Davon verschieden ist die W e r t f r a g e. Unter diesem Ge- sichtspunkte wertet Thomas den Intellekt, Scotus dagegen den Willen höher.

Nur insofern hängt die Primatfrage mit dem Freiheits- probleme zusammen, als es gilt, die Ursache der Freiheit zu be- stimmen. Insofern besteht allerdings ein Unterschied zwischen de m Intellektualist en und Voluntaris ten: Thomas bezeichnet die Vernunft als die Ursache der Freiheit, den Willen dagegen als den Träger derselben.1) Scotus jedoch er- blickt in dem Willen sowohl Ursache als Träger der Freiheit und betont deshalb mit Vorliebe die Unabhängigkeit des Willens von den Entscheidungen des Intellekts. Aber dabei bezeichnet auch Scotus wie Thomas den Intellekt als Partialursache des freien Willens. Thomas seinerseits aber lehrt wie Scotus daß der freie Wille in keinem Falle schlechthin dem Intellekt folgen muß.

Anders gewendet: Thomas betont mit Vorliebe die Indiffe- renz des Vernunfturteiles, ohne die Indifferenz des Willens preiszugeben. Scotus betont mit Vorliebe die Indifferenz des Willens, ohne die Bedeutung des Vernunfturteils für das freie Wollen zu leugnen.

Aber aus dieser formellen Abweichung kann an sich, so wenig wie aus der verschiedenen Wertung des Erkennens und Wollens, weder der Determinismus des Thomas noch der In-

*) totius libertatis radix est in ratioiie constituta. de ver. q. 24, a. 2. Eadix libertatis est voluntas, sicut subjectum, sed sicut causa est ratio: ex hoc enim volimtas libere potest ad diversos ferri, quia ratio potest habere diversas conceptiones boni: et ideo philosophi definiimt liberum arbi- trium, quod est liberum de ratione Judicium, quasi sit ratio causa libertatis. S. th. I, 2, q. 17, a. 1, ad 2.

190

Drittes Kapitel.

determinismus des Scöttis erwiesen werden. Daß die Freiheits- lehre der beiden Scholastiker nicht als ein Gegensatz zwischen Determinismus und Indeterminismus charakterisiert werden darf, ist im Vorhergehenden bewiesen.

Die ganze seit Jahrhunderten tobende Streitfrage ist, so können wir nunmehr zusammenfassen, durch Scotus selbst ver- schuldet, der die thomistische Lehre einfach falsch verstanden hat und infolgedessen gegen Wind- mühlen kämpft. Seine ganze Polemik hat nur den sach- lichen Wert, daß sie seine eigene Meinung, d.h. die scholasti- sche Doktrin, in diesem Punkte zu klarem Ausdruck bringt.

Kein Wunder, wenn Theologen und Philosophen vielfach mit einem durch Quellenkunde wenig getrübten Blick bis in die jüngste Gegenwart hinein von einem diametralen Gegen- sätze zwischen thomistischer und scotistischer Freiheitslehre reden.1)

Bei der Wichtigkeit der Sache, die hiermit hoffentlich ein für allemal richtig gestellt ist und keine geistige Kraftvergeu- dung mehr hervorruft, mögen einige Proben solcher historischer Darstellung hier Platz finden, wobei die besonders auffälligen Bemerkungen unterstrichen seien.

Otto Willmann schreibt: „Die Lehre von der Frei- heit treibtScotus bis zum Indeterminismus hinauf. Das Erwägen, das Vorstellen eines Gutes als Willenszieles, die Maßbestimmung des Strebens durch die Einsicht, werden zu bloß vorbereitenden Momenten des Willensentschlusses her ab- gedrückt; der Verstand schafft nur das Material für diesen herbei, die Entscheidung trifft der Wille aus sich ; jener ist das an das Notwendige gebunden, das Gebiet des Willens ist das contingens et evitabile. Voluntas superior intellectu. Die

l) Vgl. auch die falschen Darstellungen bei E. Erdmann, Theologische Studien und Kritiken, 1863; Karl Werner, Johs. Scotus, 1881; Die Psychologie und Erkenntnisleb re des Johs. Duns Scotus, S. 77, S. 62 ff. ; J. Mausbach in Wetzer und Weltes' Kirchenlexikon, 2. Aufl. (1899), 1705: ferner die bekannten Werke über Geschichte der Philosophie von Kitter, Erdmann, Übenveg-Heinze u. a. Auch H. Gomperz bestimmt neuerdings das Verhältnis des Duns Scotus zu Thomas von Aquino nicht einwandfrei. Vgl. Problem der Willensfreiheit, Jena 1907, S. 26.

5. Duns Scotus.

191

sorgfältigen D i s tin ktione, welche Thomas ge- troffen, werden beiseite geschoben; die Hinterlage der Wahlfreiheit, der necessitier ende Zug zu Gott wird in Abrede gestellt; das Mystische dieser Anschauung war Scotus fremd und deren Tragweite entzog sich seinem scharf aber nicht zugleich weitblickenden Auge.1)

„Die Hinordnung des Menschen auf Gott oder die Seligkeit ist auch der Fußpunkt der scholastischen Freiheitslehre, welche in der thom istischen ihre vollkommenste Ausprägung

erhält In bezug auf das höchste Gut und letzte Ziel

ist der Mensch nicht unsicher und darum auch nicht wahlfrei: Beatitudinem omnes una voluntate appetunt, sagt (derselbe) Augustinus und Thomas baut darauf die Lehre, daß der Wille notwendig auf die Seligkeit gerichtet ist, nicht zwar necessitate coactionis, aber necessitate finis." 2)

H.Sieb eck meint: „es kommt ihm (Scotus) überall darauf an, im Gegensatze zur thomistischen Lehre von der Abhängigkeit des Wollens vom Erkennen den Willen als ein in letzter Instanz souveränes Prinzip aufzuweisen".3)

Vor allem aber ist es W. Kahl, der durch eine vielfach beachtete und wertvolle Schrift die Sage von dem determi- nistischen Thomas und dem indeterministischen Scotus in einen neuen und lebendigen Umlauf gebracht hat. Auch Kahl sagt: „die Definition des Willens als eines movens motum hatte innerhalb der Scholastik in diejenigen philo- sophischen Systeme Eingang gefunden, welche von Aristoteles abhängig waren; damit war ein Determinismus inaugu- riert, gegen den Scotus die ganze Schärfe seiner Polemik kehrt."4) „Duns Scotus geht von der Be- kämpfung des intellektuellen Determinismus aus, der unter bewußter Anlehnung an Aristoteles im

J) 0. Willmann, Geschichte des Idealismus, 1896, Bd. II, S. 509.

2) 1. c. S. 433.

3) Zeitschrift f. Philosophie u. philos. Kritik, Bd. 112, S. 186; vgl auch H. Siebeck, Die Anfänge der neueren Psychologie in der Scholastik (Zeitschrift f. Philos. und philos. Kritik, Bd. 93 u. 95).

4) W. Kahl, Die Lehre vom Primat des Willens bei Augustinus, Duns Scotus und Descartes, Straßburg 1886, S. 83.

192

Drittes Kapitel.

ThomismuszuniAusdruckgekommen war."1] „Es würde dem Indeterminismus, den Duns Scotus mit voller Entschiedenheit vertritt, widersprechen, wenn er wie Thomas, meint Kahl der Intellektion die totale Kassierung der Willensäußerung zugestehen wollte." 2)

Die Kahlsche Abhandlung hat augenscheinlich die volle Zu- stimmung W. Windelbands gefunden, dessen Darstellung unserer Frage im wesentlichen auf jener beruht.

W. Windelband schreibt: „Im einzelnen gibt nun zwar Thomas einen Einfluß des Willens auf die Bewegung nicht nur, sondern auch auf Bejahung und Verneinung der Vorstellungen zu. Insbesondere erkennt er einen solchen im Glauben durchaus an. Aber im allgemeinen betrachtet er doch ganz nach antikem Muster den Willen als durch die Erkenntnis des Guten be- stimmt. Der Verstand ist es nicht nur, welcher die Idee des Guten überhaupt erfaßt, sondern auch im einzelnen erkennt, was gut ist und dadurch den Willen bestimmt. Nach dem für gut Er- kannten strebt der Wille mit Notwendigkeit; er ist also vom Ver- stände abhängig. Aber gerade bei diesem Begriff der notwendigen Bestimmung der nach Windelband den intellektualistischen Determinismus des Thomas begründet setzten die Gegner ein . . .Der Indeter- minismus, wie ihn Duns und Okkam lehren, sieht also im Willen die Grundkraft der Seele und er behauptet nun um- gekehrt, daß tatsächlich der Wille seinerseits die Entwicklung der Ver Standestätigkeiten bestimme." 3)

Hören wir nunmehr noch, wie A. S t ö c k 1 unsere Frage be- handelt, wobei die folgende Gegenüberstellung äußerlich der Klarheit dienen möge! Stöckl sagt:

über Thomas:4) über Scotus:5)

„Die Erkenntnis des Gutes von Seite „Die Erkenntnis des Gegenstandes des Verstandes ist also im Grunde nur des Wollens von Seite unseres Ver- die conditio sine qua non des Standes kann also zu unserem Wollen

J) 1. c. S. 106.

2) 1. c. S. 96.

3) W. Windelband, Geschichte der Philos., 1900, S. 269 f.

4) A. Stöckl, Geschichte der Philos. des Mittelalters. 1866, Bd. II. S. 64(5. B) 1. c. S. 848 f.

5. Duns Scotus.

193

Willens, insofern nämlich der Wille nicht als die bewegende Ursache, son- nicht ein unbekanntes, sondern nur ein dem nur als die conditio sine qua vom Verstände erkanntes Gut anstreben non sich verhalten, insofern wir eben kann. Aber die Bestimmung zur Unbekanntes nicht begehren können: Tätigkeit geht nicht von diesem Gute und nur in diesem Sinne kann sie in der Erkenntnis aus, sondern sie ist als Teilursache unseres Wollens be- einzig und allein Sache des Willens." trachtet werden."

Stöckl hat, unter den Neueren wohl als Einziger über die Älteren sei hier kein Urteil abgegeben die thomistische und scotistische Freiheitslehre in einwandfreier Weise dargestellt. Aber obwohl er sie mit Recht fast mit denselben Worten wieder- gibt, betont er doch nicht ausdrücklich die tatsächliche Über- einstimmung zwischen Thomas und Scotus.

Dies geschah erst durch P. Minges,1) der das große Ver- dienst hat, die Scotusfrage aufs neue mit großer Sorgfalt auf Grund der Quellen untersucht zu haben. Indes auch Minges macht über die Übereinstimmung der beiden großen Scholastiker in unserer Frage nur verhältnismäßig kurze Bemerkungen. Erst im Vorhergehenden wurde sie ausführlich und quellenmäßig nachgewiesen.

Folgerungen. Aber, wenn nun Scotus auch materiell mit Thomas in der Freiheitslehre übereinstimmt, so nimmt er doch insofern eine Sonderstellung in der Scholastik ein, als er zum ersten Male mit voller Klarheit den Begriff der possibilitas ad utrumque ausgesprochen hat: unter völlig gleichen Bedingungen hat der Wille „in demselben Augenblicke" zwischen konträr und kontradiktorisch entgegengesetzten Akten die Wahl. „Nach freier ob zwar nicht unvernünftiger Willkür" kann €r sich für die eine oder andere Seite des Gegensatzes ent- scheiden.

In diesem Sinne kann vorher in keinem Falle mit ab- soluter Sicherheit d. h. mit logischer Notwendigkeit wenn -auch in vielen Fällen mit Wahrscheinlickheit ein Grund

l) P. Minges, Ist Duns Scotus Indeterminist ? Siehe Beitr. z. Gesch. d. Philosophie des Mittelalters, Bd. V, 4.

Verweyen, Das Problem der Willensfreiheit. 13

194

Drittes Kapitel.

(ratio) angegeben werden für die tatsächliche Entscheidung des Willens.1)

Versteht man daher unter „zureichendem Grund*' des Willensaktes einen denknotwendigen Grund, so muß aller- dings gesagt werden, daß der Willensakt nach Scotus grundlos erfolgt.

Zu diesem Resultate gelangen deshalb auch die an der modernen Philosophie orientierten Autoren, die beide Begriffe identifizieren.

So sagt beispielsweise W. Dil they: „die voluntas ist eben dadurch voluntas, daß eine ratio für den Zusammenhang, aus welchem der Willensakt hervorgeht, nicht aufgestellt werden kann".2) Auch R. Eucken meint, daß der Wille nach Scotus „einen entschiedenen Vorrang vor dem Intellekt und zugleich eine Freiheit der Entscheidung bis zu grundloser Willkür erhält".3)

Gegenüber solchen Darstellungen muß einmal betont werden, daß Scotus, wie gezeigt wurde, mit einer derartigen Lehre nicht allein in der Scholastik steht. Sodann aber erfordert die histo- rische Methode, die Ausdrücke in dem Sinne zu nehmen, in welchem sie von den Autoren selbst verstanden wurden.

Geschieht dies, so zeigt die oberflächlichste Kenntnis der Quellen, daß Scotus fortwährend von einem Grunde, der ratio, also einem „Motiv" des Willens redet. Nun ist aller- dings für ihn so wenig wie für Thomas „Grund" identisch mit „notwendiger Grund" oder Denknotwendigkeit,

Anders gewendet: Scotus verkennt nicht im mindesten, be- tont vielmehr fortwährend, daß der Wille seiner Natur nach bestimmt ist, nur erkannte Objekte zu erstreben, leugnet aber (wie die ganze Scholastik), daß der Verstand den Willen jemals derart determinieren d. h. eindeutig bestimmen kann, nur ein ganz bestimmtes Objekt und dieses notwendig zu er-

*) Ob und wie Scotus mit solcher Konsequenz die theologische Annahme von dem unfehlbaren göttlichen Vorauswissen der menschlichen Handinngen vereinigen kann, bleibe hier dahingestellt.

-') W. Dilthey, Einleitung- in die Geisteswissenschaften, 1883, I, S. 416.

3) K. Eucken, Die Lebensanschauungen der großen Denker, 4. Aufl. (1902). S. 258.

5. Dnns Scotus.

195

streben, ohne daß dem Willen die reale Möglichkeit bliebe, ein anderes Objekt zu erstreben oder überhaupt keinen Akt zu setzen.

Stets ist ausschließlich der Wille die volle und eigentliche Ursache seines Aktes. Nach der Ursache des Willens selbst aber darf man gar nicht fragen; denn der Wille ist ein Letztes. Nur „Ungelehrsamkeit" kann nach einem Grunde der Prinzipien fragen.

Scotus ist hier ein deutlicher Beleg für die schon öfter be- tonte Tatsache, daß die scholastischen Freiheitslehren entweder gar nicht ausdrücklich nach der psychologischen Entstehung des Willensaktes fragen oder aber ihn als Wirkung eines letzten, nicht weiter analysierten „Willens- Vermögens" ansehen. Wie Scotus sagt: „der Wille (also ein allgemeines Vermögen), insofern er der Natur nach früher ist als sein Akt, nicht inso- fern er als aktueller Akt existiert, ist Ursache seines Aktes, was daraus bewiesen wird, daß er eine freie Ursache seines Aktes ist" 2) wobei Scotus noch obendrein den Zirkel begeht, die Freiheit aus der Selbstursächlichkeit und diese aus jener abzuleiten.

Auch sonst nimmt es der Doctor subtilis mit seinen Be- weisen nicht sehr genau; so wenn er ganz abgesehen von der Beweiskraft der Autoritäts- und ethischen Gründe argu- mentiert:2) „daß der Wille das Ziel frei will, folgt daraus, daß es dieselbe Potenz ist, die das Ziel will und die Mittel zum Ziele; mithin besitzt sie dieselbe Tätigkeitsweise, denselben Modus agendi; denn verschiedene modi agendi erfordern ver- schiedene Potenzen. Frei aber wird gehandelt bezüglich der Mittel zum Ziel, also auch bezüglich des Zieles selbst."

Dabei macht Scotus doch die unbewiesene Voraussetzung, daß dieselbe Potenz das Ziel und die Mittel zum Ziele will; eine Voraussetzung, die Thomas und Aristoteles leugnen.

Von seiner Prämisse aus gelangt Scotus dann natürlich auch zu einer anderen Folgerung als Thomas und meint: wenn der Wille, wie Thomas behaupte, das Endziel notwendig erstrebe,

x) Sent. üb. II, dist. 7, q. 1, n. 5. 2) Sent. lib. I, dist. 1, q. 4, n. 1.

13*

196

Drittes Kapitel.

müsse er auch die Mittel zu denselben notwendig erstreben was Thomas in konsequenterweise leugne.

Auch dieser ganze Streit ist somit hinfällig, weil er mit zwei verschiedenen unbewiesenen, willkürlichen. Voraussetzungen rechnet.

Endlich sei noch darauf hingewiesen, daß Scotus in naiver Weise die Aussagen des Bewußtseins für ein getreues Abbild der realen seelischen Vorgänge ansieht, wenn er auf die Erfah- rung hinweist, das Bewußtsein sage uns, daß wir sowohl diese oder jene konträr oder kontradiktorisch entgegengesetzte Hand- lung setzen könnten.

Bei solcher Argumentation wird stets die Vorstellung von verschiedenen widerspruchslosen d.h. logisch möglichen Hand- lungen ohne weiteres der gleichzeitigen realen Möglichkeit gleichgesetzt, jede derselben auszuführen.

Werfen wir einen kurzen Kück blick auf das, was für unsere Frage während der ersten Epoche der augustinisch- aristotelischen Periode, im dreizehnten Jahrhundert,1) geleistet wurde, so können wir in der Tat eine gewisse Ver- tiefung des Problems entdecken. Gerade die Polemik des Scotus gegen Thomas hat, so unberechtigt sie an sich ist, doch den Gewinn gehabt, das Verhältnis zwischen Verstand und Willen zu einer bis dahin unbekannten Diskussion gestellt zu haben. Als scholastische Grundauffassung tritt dabei wieder mit aller Deutlichkeit die Ansicht zutage, daß der Wille unab- hängig vom Zwange aller anderen seelischen Potenzen, insbe- sondere des Intellekts, ist; ja daß der Wille nicht einmal von Gott gezwungen werden kann.

Thomas ist es vor allem, der das Verhältnis des Willens zum Schöpfer untersucht und dabei die Frage nach der Ursache des Willensaktes in einen weiteren kosmisch-metaphysischen Zusammenhang rückt. Überhaupt wirft er zum ersten Male die Frage nach dem Umfange der Willensfreiheit auf.

') Vgl. K. Werner, die Augustinische Psychologie in ihrer mittelalterlich - scholastischen Einkleidung nnd Gestaltung. Sitzungsber. d. Wiener Akad. d. Wissensch., 1882.

1. Thomas von Straßburg-.

197

Was die während dieser Epoche auftretende Formel, der Wille sei causa sui, betrifft, so bringt sie sachlich nichts Neues, deckt sich vielmehr mit dem überlieferten augustinischen Begriff der Selbstbestimmung.

Verfolgen wir nunmehr unser Problem durch das vierzehnte Jahrhundert hindurch !

Wenn in der zuletzt betrachteten Periode neben der au gus ti- nischen die peripatetische Doktrin einen Einfluß auf die Be- handlung des Freiheitsproblems gewann, so suchte insbesondere der Orden der Augustiner - Eremiten unter Führung des Aegydius de Colonna (f 1316, Aegydius Romanus), eines Zeit- genossen und Schülers des Thomas von Aquino die spezifisch augustinische Tradition fortzupflanzen. Eingehender als die übrigen Vertreter dieser Richtung, wie Jacob von Viterbo (f 1308), Augustinus von Ancona (Augustinus Triumphus f 1328) und Gregor von Rimini (f 1358), scheint der Schüler und Ordens- genosse des Aegydius, Thomas v. Straß bürg, das Problem der Willensfreiheit behandelt zu haben.

!!. Vierzehntes Jahrhundert

1. Thomas von Strafsburg.

Wie es vier Arten von Ursachen gibt, so auch eine vier- fache Notwendigkeit.

Die Materie bedarf zu ihrer Existenz der Form: necessitas indigentiae.

Die Form schafft die natürliche Notwendigkeit, wie z. B. das Feuer seiner Natur nach und deshalb notwendig warm ist: necessitas exigentiae.

Die bewirkende Ursache ist entweder mit einer inneren Notwendigkeit (necessitas immutabilitatis) tätig das Feuer muß, soviel an ihm liegt, wärmen oder mit einer äußeren Notwendigkeit (necessitas coactionis), die Zwang oder Gewalt heißt und gegen die Natur eines Dinges gerichtet ist.

Der Zweckursache entspricht die bedingte Notwendigkeit

198

Drittes Kapitel.

(necessitas conditionis sive conditionata) : wenn der Arzt be- stimmte Erfolge erzielen will, muß er gewisse Mittel anwenden.1)

Der Wille ist nun schlechthin frei von der Notwendigkeit des Zwanges.2)

Er wird durch nichts Anderes zum Handeln bestimmt, son- dern bewegt", „determiniert" sich selbst; denn er ist ein immaterielles und darum reflexives Vermögen, eine potentia reflexiva. Wie der Intellekt sich selbst erkennt, so will der Wille sich selbst.3)

Insofern der Wille, das unserer Seele von Natur inne- wohnende Prinzip aller ihrer Tätigkeiten,4) in Beziehung steht zum Intellekt, der ihm ein oder mehrere Objekte zur Wahl vor- stellt, heißt er Wahl vermögen, liberum arbitrium. Eealiter ist letzteres mit dem Willen identisch.5)

Demnach gilt auch vom liberum arbitrium, daß es keinem Zwange unterworfen ist.6)

Selbst Gott kann den Willen, ohne dessen Natur zu zer- stören, nicht zwingen;7) wohl aber kann er ihn durch die Gnade ändern, seine Richtung beeinflussen, indem er ihm Strafen oder Lohn vorstellt; „wie eine Amme den Knaben bewegt, indem sie ihm einen Apfel zeigt".8)

1) Com. in IV. libr. Senk, Genvae MDLXXXV, lib. I, dist. 6, q. 2, art. 1.

2) voluntas sie est libera, quod necessitari nullatenus potest necessitate coactionis. Senk lib. II, dist. 38, q. 1, art. 1.

3) Sent. lib. II, dist. 35, q. 1, art, 1.

4) prineipium operationis in anima. 1. c. liberum arbitrium dicit ipsam potentiam, quae est voluntas, ut habet ordinem ad iudicium intellectus de rebus eligendis. Sent. lib. II, dist. 39, q. 1, art. 3.

5) liberum arbitrium est idem realiter, quod potentia volitiva. Sent. lib. II, dist. 24, q. 1, art. 3.

6) liberum arbitrium quoad actum intrinsecum a nulla creatura cogi coactione absoluta et sufficienti. Sent. lib. II, dist, 25, q. 1, art. 3.

7) Sent. lib. II, dist. 25, q. 1, art. 4.

8) licet Deus possit immutare liberum arbitrium, tarnen ipsum modo praedicto non potest cogere, non propter impotentiam se tenentem ex parte Dei, sed propter repugnantiam se tenentem ex parte effectus ; quia nullius agentis est facere, quod repugnat effectui, sed absolute et sufficienter cogere volun- tatem simpliciter repugnat effectui, co actum enim est involuntarium et per consequens, si voluntas cogeretur ad hoc, quod vellet aliquid: tunc in- voluntarium esset voluntarium et nolitum esset volitum. Haec autem et multa

1. Thomas von Straßburg'.

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Denn das Objekt des Willens oder liberum arbitrium ist das erkannte Gut.1)

Sofern dieses Objekt das klar erkannte Endziel des Willens ist, nämlich die Glückseligkeit,2) wird es sowohl hier auf Erden als dereinst im Himmel3) mit natürlicher Notwendigkeit aber ohne allen Zwang gewollt. Denn jede Potenz wird •durch das ihr entsprechende natürliche Objekt notwendig aktuiert.4)

Sein Endziel kann der Wille nicht wollen, besitzt in dieser Hinsicht nicht die Freiheit des Gegenteils, libertas contra- dictionis, ist aber trotzdem bezüglich jenes im höchsten Maße frei, weil er es eben ohne Zwang will.5)

Wohl aber besitzt der Wille die libertas contradictionis hinsichtlich der Mittel zu jenem Endziele, d. h. insoforn er wählt.6)

Die Freiheit vom Zwange ist eine natürliche Eigenschaft -des Willens ; 7) ein gezwungener Wille eine contra- d ictio in adj ecto.8)

alia, quae sequerentur, contradictionem implicant et per consequens repugnat •effectui. Et haec est intentio Bernardi in libro de Hb. arb., ubi ait: Voluntas pro ingenita nobilitate nulla cogitur necessitate . . . Sent. lib. II, dist, 25, q. 1, art. 4.

*) boimm cognitum objectum voluntatis. Sent. lib. I, dist. 25, q. 1, art. 4.

2) Sent. lib. I, dist. 1, q. 2, 1 concl.

3) in patria. Sent. lib. I, dist. 1, q. 2, 3 concl.

4) Quod pro statu viae objecto frnibili apprehenso per intellectum sub ratione finis, de necessitate voluntas fruitur eo fruitione viae, non tarnen necessitate coactionis, sed necessitate naturalis immutationis. 1. c.

5) quamvis finem non possit non velle, vult tarnen ipsum non violenter, sed complacenter voluntarie et per consequens liberrime. Sent. lib. II, dist. 25, q. 1, art. 1. non omnis necessitas est contra naturam: ideo nec intellectus nec voluntas dicuntur proprie cogi, quamvis necessitentnr, quia non omnis necessitas est coactio, alias enim coactio caderet in ipsum Deum, quia necessitate immutabilitatis intelligit se et vult se. Sent. lib. II, dist. 25, q. 1, art. 4.

6) eligere. Sent. lib. II, dist. 38, q. 1, art. 4.

7) voluntas est potentia appetitiva secundum suam naturam libera. Sent. lib. II, dist. 25, q. 1, art. 4. (voluntas) potentia essentialis libera. 1. c. art. 1.

8) coactum enim est involuntarium et per consequens, si voluntas cogeretur ad hoc, quod vellet aliquid: tunc involuntarium esset voluntarium <et nolitum esset volitum. Haec autem et multa alia, quae sequerentur, con-

200

Drittes Kapitel.

Zweitens fordern ethische Rücksichten die Fähigkeit des Willens, sich gegen das Vernunfturteil entscheiden zu können. Denn sonst gäbe es weder Verdienst noch Schuld, die beide nicht sein können in dem. was notwendig geschieht.1)

Drittens beweist die Erfahrung die Freiheit. Wenn überhaupt, dann müßte der Wille doch sicher durch das schreck- lichste Ziel, den Tod, gezwungen werden können. Das ist aber nicht der Fall: die Märtyrer verharren trotz aller Qualen bei ihrem guten Willen.2)

Ist der Wille somit seiner Natur nach, also immer, frei, so gibt es doch Zustände, die den Gebrauch des freien Ver- mögens ausschließen, weil die Seele wegen ihrer Verbindung mit dem Körper nicht immer ungestört zu denken vermag,3) ander- seits aber zuweilen von dem Körper gezwungen wird, an andere Zustände zu denken als an das Endziel des Willens. Über die ersten Bewegungen des Intellekts, die „ersten Ge- danken", hat der Wille' überhaupt nie die Herrschaft, weshalb er auch nicht immer imstande ist, die Hemmungen zur Erreichung des Endziels zu beseitigen.4)

Endlich hat der Wille auch dann nicht die Freiheit des Gegenteils, wenn der Mensch, wrie es vorkommt, durch Affekte allzu sehr beherrscht ist.5)

tradictioiiem implicant et per consequens repugnat effectui. Sent. lib. II dist. 25, q. 1. art. 4.

*) Si Yoluntas non posset eligere contra iudicium rationis et necessario in omni sua electione se eonforniaret indicio rationis, tnnc periret omne meritnm et demeritum. Consequentia patet, qnia ex Iiis, qnae necessario- a nobis fiunt, nec meremur nec demeremur. Sent. lib. II, dist. 25, q. 1, art. 2.

2) Sent, lib. II, dist. 25, q. 1, art. 3.

3) usus liberi arbitrii potest tolli absque contradictione ; qnia anüna coniuneta non potest habere nsum rationis corrupta vel impedita phantasia, sient contingit in phreneticis et ebriosis et sie de aliis. Nec potest habere usum liberi arbitrii deficiente usu rationis: ergo impedita phantasia tollitur usus liberi arbitrii. Sent, lib. II, dist. 25, q. 1, art. 3.

4) voluntas non Semper habet plennm posse snper remotione illius pro- hibentis (sc. fruitionem Ultimi nnis) : quia non est in potestate nostra, a quo primo moveatur intellectus: etiam corporalis nostra necessitas nos cogit considerare quandoque de aliis quam de ultimo fine. Sent. lib. II, dist. 1, q. 2, 1 concl.

5) in statu viac quandoque animus amantis sie rapitur, quod

1. Thomas von Straßburg.

201

Quellen.

Mit Aristoteles unterscheidet Thomas verschiedene Arten von Notwendigkeiten,1) behauptet er ferner, der Wille sei auf ein Gut als Ziel,2) die Wahl auf die Mittel zu demselben gerichtet;3) und ferner: von Anfang bis zu Ende sind wir Herren unserer Akte;4) endlich: wegen rein „natürlicher" Akte werden wir weder gelobt noch getadelt.5)

Unter Berufung auf Augustinus bezeichnet Thomas den Willen, der von Natur die Glückseligkeit erstrebt,0) als König und Beweger der seelischen Kräfte 7) und erblickt einen Beweis für seine Freiheit in der verschiedenen Wirkung, die das gleiche Objekt unter sonst gleichen Umständen zur gleichen Zeit auf verschiedene Willen oder zu verschiedener Zeit auf denselben Willen ausübt.8) Ohne genaues Zitat, nur auf Augustinus hin- weisend, behauptet Thomas, die Freiheit komme formell und wesentlich, formaliter et essentialiter, allein dem Willen, nicht auch der Vernunft zu.0) Endlich ist nach Augustinus nichts so sehr in der Gewalt des Willens als dieser selbst.30)

Für diese Behauptung ist eine weitere Autorität Damas- cenus, der auch die anderen Potenzen als frei bezeichne, so- fern sie durch den freien Willen aktualisiert würden.11)

Als Ansicht des „Magister", also des Petrus Lombardus, erwähnt Thomas die tatsächlich auf Boethius zurückgehende

non potest non amare; ergo multo magis in patria, Sent, lib. I, dist. 1, q. 2, 2 concl. quae ex passione aguntur, non aguntur libere, nam appas- sionati non agunt libere, sed ex impetn et ideo magis aguntur quam agunt. 1. c.

J) Sent. lib. I, dist. 6, q. 2, a. 1.

2) Sent. lib. I, dist. 1, q. 2, 1 concl.

3) Sent. lib. II, dist. 24, q. 1, a. 3.

4) Sent. lib. II, dist. 25, q. 1. a. 3.

5) 1. c. a. 1.

6) Sent. lib. I, dist. 1, q. 2, 1 concl.

7) Sent. lib. II, dist. 24, q. 1, a. 3.

8) Sent. lib. II, dist. 25, q. 1, a. 1.

9) Sent. lib. II, dist. 24, q. 1, a. 3.

10) Sent. lib. II, dist. 25, q. 1, a. 1.

") Sent. lib. II, dist. 24, q. 1, a. 3; II, dist, 38, q. 1, a. 1.

202

Drittes Kapitel.

Definition, das liberum arbitrium bestehe in einem „freien Ur- teile über den Willen".1)

Dabei ist aber Thomas weiter mit Bernhard der Meinung-, daß die Vernunft in dem Willen keine Notwendigkeit hervor- ruft;2) sonst könnte von Verdienst keine Rede sein.3) Wille und Zwang- schließen sich aus.4)

Wenn der Wille trotzdem zuweilen unterliegt, so muß mit An selm us gesagt werden, daß er dann nicht durch fremde, sondern durch seine eigene Gewalt besiegt wird. In keinem Falle kann der Wille etwas wider Willen tun.5)

Während Thomas den bisher genannten Vorgängern bewußt folgt, polemisiert er gegen Scotus und wegen dessen Übereinstimmung mit dem Aquinaten damit zugleich sachlich auch gegen diesen. Wenn er sich nicht ausdrücklich gegen Thomas von Aquino wendet, so legt das die Annahme nahe, daß Thomas von Straßburg, irregeführt durch die scotistische Polemik, einen Gegensatz zwischen Scotus und Thomas von Aquino an- nahm.

Thomas von Straßburg behauptet: die Glückseligkeit ist das natürliche Ziel des Willens und wird deshalb von ihm schlechthin notwendig erstrebt.6) Gegen diese These läßt er Scotus den Einwand erheben:

Der Wille kann sich von einem Akte mittelbar abwenden, nämlich vermöge seiner Herrschaft über den Intellekt also kann er sich auch unmittelbar von einem Akte abwenden; denn nichts ist so sehr in der Gewalt des Willens, wie dieser selbst.

Thomas von Straßburg erwidert: wenn wir etwas mittel- bar können, so folgt daraus nicht, daß wir es auch unmittel- bar vermögen.

Ein zweiter Einwand des Scotus lautet nach Thomas: ein notwendig wirkendes Agens entfernt alle Hindernisse. Der

x) Seilt, lib. II. dist. 24, q. 1, a. 3.

2) Seilt, lib. II, dist. 25, q. 1, a. 1.

3) Sent. lib. II, dist. 38, q. 1, a. 1. *) Seilt, lib. II, dist. 25, q. 1, a. 4.

) Scut. lib. II, dist. 25, q. 1, a. 3; II, dist. 38, q. 1, a. 1.

c) Sent. lib. I, dist. 1, q. 2.

1. Thomas von Straßburg'.

203

Wille aber tut dies nicht, denn er hält den Intellekt nicht be- ständig zur Betrachtung des Endzieles an. Also wird letzteres vom Willen nicht notwendig erstrebt.

Antwort: der Wille hat nicht immer die volle Gewalt die Hemmnisse zu beseitigen ; denn die ersten Gedanken unterstehen nicht immer seiner Macht. Wir sind dabei oft auch von körper- lichen Einflüssen abhängig.

Aber selbst die Voraussetzung ist falsch: ein notwendig wirkendes Agens sucht nicht stets die Hemmnisse zu beseitigen. Alle Menschen streben von Natur, also notwendig, nach Wissen, ohne indes alle Hindernisse des Wissens zu beseitigen.

Zu dieser Polemik muß bemerkt werden, daß der erste Ein- wand, den Thomas von Straßburg Scotus erheben läßt, völlig unscotistisch ist. Scotus begründet die Behauptung, der Wille erstrebe sein Endziel nicht notwendig, durch den Hinweis auf die Macht des Willens, den Intellekt von der Betrachtung des Endzieles abzulenken, redet also lediglich von der indirekten, nicht aber auch, wie Thomas von Straßburg irrtümlich meint, direkten Macht des Willens, das Endziel nicht zu erstreben. Im Gegenteil sagt Scotus genau wie Thomas von Straßburg der Wille erstrebe von Natur die Glückseligkeit.

In dem zweiten Einwand und der Antwort auf ihn scheint in der Tat ein Gegensatz zwischen Thomas von Straßburg und Scotus zum Ausdruck zu kommen.

Thomas von Straßburg behauptet schlechthin: der Wille muß notwendig das Endziel erstreben; Scotus und mit ihm Thomas von Aquino kennt eine solche absolute Notwendig- keit nicht, redet vielmehr von der bedingten Notwendigkeit: wenn der Wille in solchem Falle überhaupt etwas will, muß er das höchste Gut wollen. Aber er muß nicht schlechthin wollen :

Thomas von Straßburg. Scotus. objecto fruibili clare viso in patria De fine clare viso dico, quod volun- voluntas necessario frueretur et tas elevata non necessario fruitur, non potest non frui, quantum de quantum est ex parte sua. se est ... objectum beatificum sive Sent. lib. I, dist. 1, q. 4, n. 13, 15.

fruibile clare visum excedenter et suffi- vgl. oben S. 184.

cientissime movet voluntatem, quantum ad se totam et quamlibet rationem

204

Drittes Kapitel.

sui tali motinne, quae est convenien- tissima voluntati; ergo voluntas actu sui perfectissimi amo-ris sive actu frui- tionis a tali obiecto non potest re- s i 1 i r e ; sed necessario tendet in ipsum. Lib. I, dist. 1, q. 2, 3 concl.

In der gleichen Kichtung liegt die Polemik gegen Aureo- lus, der nach Thomas von Straßburg so argumentiert:

a) Der Wille kann nicht notwendig jenes Gut erstreben, in dem er einen Defekt findet. Solange aber das höchste Gut nicht intuitiv als solches erkannt ist, erscheint es mit dem Defekt des nur Dunkel-Erkanntseins behaftet und wird deshalb nicht notwendig erstrebt.

Thomas erwidert: die dunkle Erfassung hindert nicht, daß das höchste Gut, weil alle Güte in sich enthaltend, den Willen notwendig bestimmt.

b) Erstrebte der Wille das Endziel notwendig, so müßte er es sogleich a k t u e 1 1 erstreben, sobald jemand an dasselbe denkt. Man kann aber, wie die Erfahrung lehrt, in der aristotelischen Ethik über das Endziel lesen, also an dasselbe denken, ohne es aktuell zu erstreben.

Thomas entgegnet: beim Lesen jener Stelle brauche man nicht notwendig aktuell das Endziel als solches zu erfassen. Wenn dies aber der Fall ist, dann muß der Wille es mit Not- wendigkeit erstreben.1)

Folgerungen.

Besondere Anerkennung verdient diese Freiheitslehre um deswillen, weil sie im weiten Umfange Hemmnisse der Willensfreiheit zugestellt.

Schon Bernhard von Clairvaux und Bonaventura hatten darauf hingewiesen, wegen der häufigen Unmöglichkeit des Vernunftgebrauches sei auch die Freiheit oftmals aufgehoben.

Thomas von Straßburg betont dies ebenfalls, fügt aber die neue, bis dahin noch nicht ausgesprochene, Bemerkung hinzu, daß auch der Ansturm der Affekte einen Zwang auf den Willen ausübt und deshalb die freie Willensbestimmung ausschließt;

l) Seilt, lib. I, dist. 1, q. 2.

1. Thomas von Straßburg.

205

wie das Beispiel des Liebenden, der durch das geliebte Objekt zur Liebe hingerissen wird, zugleich treffend veranschaulicht.

Mit diesem Zugeständnisse ist das Gebiet der unfreien Handlung außerordentlich erweitert. Wie viele Handlungen werden nicht im Affekt begangen! Ja, geradezu alle wenn man den Begriff Affekt, etwa im Sinne Wundts, weit genug faßt !

Thomas hat die Konsequenzen seiner Behauptung nicht weiter verfolgt. Daran hinderte ihn die Rücksichtnahme auf seine Metaphysik und die dadurch hervorgerufene psychologische Befangenheit.

Denn auch er hat trotz mancher wertvollen Ansätze zu einer psychologischen Betrachtung das Problem der "Willens- freiheit nicht von der religiösen Metaphysik losgelöst. So argu- mentiert er z. B.: nicht jede Notwendigkeit ist gegen die Natur, weshalb weder Intellekt noch Wille im eigentlichen Sinne ge- zwungen werden, obgleich sie genötigt werden ; denn sonst würde auch Gott dem Zwange unterworfen sein, weil er mit unveränder- licher Notwendigkeit sich erkennt und will.

Der Ausdruck das Sich- Wollens ist uns bisher noch nicht begegnet. Thomas von Straßburg scheint zum ersten Male wohl durch Augustinus beeinflußt die Selbstbestimmung des Willens der Reflexibilität des Intellekts, d. h. der Selbsterfassung des denkenden Subjekts, parallel gestellt zu haben, wobei er zugleich, wie Augustinus, das liberum arbitrium mit dem Willen identifiziert.

Aber über die Bedingungen des Sich-selbst- wollen«, über die Entstehung des Willensaktes, lehrt auch er nichts.

Die Nichtbeachtung dieses Kardinalproblems macht sich be- sonders an einem an Augustinus erinnernden Beispiele geltend: die Märtyrer sollen ein Beweis dafür sein, daß der Wille durch nichts, nicht einmal durch die Furcht vor dem Tode, „ge- zwungen" werden kann, also „frei" ist!1)

Dabei ist aber doch der „gute Wille" der Märtyrer als psychologischer Vorgang vorausgesetzt woraus dann aller- dings auf Grund der Erfahrung weiter geschlossen werden kann,

l) Sent. üb. II, dist. 25, q. 1, a, 4.

206

Drittes Kapitel.

daß jeuer gute Wille stärker als alle anderen Einwirkungen ist. durch nichts gezwungen wird.

Aber es fragt sich doch, wie der gute Wille seinerseits z u - stände kommt!

Und wie, wenn der Wille schwächer ist als die ein- stürmenden Beeinflussungen was ja nach Thomas eigener Er- klärung erfahrungsgemäß oft der Fall ist?

Dann würde sich analog dem vorigen Beispiel der gerade entgegengesetzte Schluß ergeben: also ist der Wille „unfrei", weil dem „Zwange" unterworfen.

Da beide Beispiele in der Erfahrung ihre Stütze haben, so kann das eine so wenig die „Freiheit", wie das andere die „Unfreiheit" des Willens beweisen.

Die naive Art, mit der der Scholastiker das Freiheitsproblem in Angriff nimmt, macht es erklärlich, daß er die Beweiskraft seines Märtyrer-Beispiels erheblich überschätzt hat.

Zu den Männern, welche wie Thomas von Straßburg im vierzehnten Jahrhundert, insbesondere pelagianistischen Tendenzen gegenüber, wieder auf die Autorität des Augustinus zurück- griffen, zählt auch der Lehrer der Theologie und Kanzler an der Oxforder Universität:

2. Thomas Bradwardinus.1)

Der göttliche Wille ist die bewirkende Ursache alles dessen, was ist und geschieht,2) folglich auch des menschlichen Willens und jedes einzelnen Willensaktes. Ohne in Widerspruch mit seinem eigenen Willen zu geraten, kann Gott nicht einmal wollen, der menschliche Wille könne ohne ihn einen Akt setzen.3)

*) Vgl. auch Hahn, Th. Bradwardinus und seine Lehre von der mensch- lichen Willensfreiheit, Beitr. z. Gesch. der Philos. d, Mittelalters, Bd. V, 2; ferner: K. Werner, Der Augustinismus in der Scholastik des späteren Mittel- alters, Wien 1883, S. 237 ff.

2) Divina voluntas est causa efficiens cuiuslibet rei factae, movens seu motrix cuiuslibet motionis ac universaliter omnium amantissima genetrix et vivifeca conservatrix. De causa Dei, London 1618, lib. I, c IX, D.

8) Non enim vult Deus nec velle potest creaturam . . . esse sie liberam, quod non Deo de necessitate subiecta aut quod possit agere sine eo; hoc

2. Thomas Bradwardinus.

207

Daraus, daß wir in unserem Bewußtsein nichts von der Nötigung des Willens durch die erste Ursache erfahren, folgt nicht, daß dieser Einfluß nicht vorhanden ist. Glauben doch auch Kinder, Tiere, Wahn- und Irrsinnige frei zu sein, während sie doch in Wahrheit allseitig dem Zwange unterliegen. Selbst ein Augustinus erfährt in sich lediglich dies, daß sein Wille von ungewolltem Zwange, nicht aber, daß er auch von der Abhängigkeit von Gott frei ist.1)

Die schlechthinige Abhängigkeit von Gott gehört deshalb zur Natur des menschlichen Willens, ja sie ist seine eigentliche Würde und weit entfernt, seine Freiheit aufzuheben ; 2) denn die Knechtschaft, in der sich der Wille Gott gegenüber befindet,3)

enini contradictionem includit . . . sicut etiam non potest velle se non esse aut Deum non esse . . . III, c 30, S. 744, A.

*) Quod autem arguitur de experientia libertatis, non certificat omni- quaque, quoniam . . . Experimentum fallax, iudicium difficile. Similem namque libertatem videntur bestiae, fnriosi, moriones et pueri experiri, qui tarnen non habent omnimodam libertatem, quia non libertatem contradictionis nec a necessitate respectu causarum superiorum nec etiam inferiorum. ... Nec Augustinus nec aliquis alius experitur se habere libertatem a subiectione Dei exemtam, sed voluntatem liberam a coactione invita. III, c 29 S. 738, D, E.

2) Imprimis igitur ostendendum Deum posse necessitare quodammodo omnem voluntatem creatam ad liberum, immo ad liberrimum actum suum simi- lem que cessationem et vacationem ab actu. III, c 1, S. 637, D. Illumnolo pro Deo nostro habere, qui non sit omnipotens in agendo, qui non habeat omnipotentissimum dominatum super meam debilem voluntatem, qui non posset omnipotentissime facere me velle et facere quicquid vellet, qui non habeat voluntatem universaliter efficacem infrustrabilem, indefectibilem et necessariam in causando, immo cuius voluntas non sit mihi necessitas (sc. secundum sen- satam sententiam huius scriptam). III, c 29, S. 738, D, E.

3) Verumtamen proculdubio Deas nullum invitum violenter impellit, sed omnes voluntarios spontanee impellit et trahit ad quoslibet liberos actus suos. Amplius autem pro isto et omnibus similibus de peccato et necessi- tatione peccandi seu ad peccandum aliter fortasse subtilius et proba- bilius dici potest, quod Deus necessitat quodammodo ad actum peccati secundum substantiam ipsius actus; non ideo tarnen videtur consequens, quod ipse necessitet ad peccatum vel ad deformitatem peccati, quatenus est peccatum. . . . Posset enim Deus omnipotens, ut apparet, separare substantiam ipsam actus et rem quamlibet positivam et deformitatem peccati, possetque producere et servare talem suum effectum realiter positivum et bonum absque tali defectu et malitia privativa, praesertim cum peccatum,

208

Drittes Kapitel.

ist keine erzwungene, sondern eine gewollte, die darin liegende Notwendigkeit ebenfalls eine gewollte, spontane und darum mit der Freiheit verträglich.1)

Das Gewollte, Spontane, geschieht stets frei: alle drei Begriffe sind identisch.2)

Der Einwand: wenn der Wille durch Gott genötigt wird, vermag er nie zu sündigen3) ist irrig; denn dann könnte der

deformitas, inalitia aut defectus non sit essentialiter ipse actus . . . Deo igitur bono reete agente, praeagente et necessitante quodammodo ad actum talera bonum secundura substantiam et naturam, uequaquara de necessitate consequitur malitia aut peccatum. Unde ergo sequitur nisi ex volun- tate libera creaturae deficientis spontanee voluntarieque peccantis. III, c 29, S. 739, C.

*) Necessitas enim spoutanea nequaquam libertati re- pugnat . . . quare nec merito repugnabit. Haec autem necessitas spotanea adhuc est duplex scilicet praecedens et sequens . . . sicut et libertas est duplex : una omnino simplex et penitus absoluta, altera verum secundum quid. Harum autem necessitatum neutra repugnat libertati contradictionis secundum quid dictae nec sequens repugnat libertati contradictionis simpliciter . . . necessitas autem p r a e cedens repugnat libertati contradictionis simpliciter ; necessitas etiam naturalis fatalis et violenta omnimode libertati contradictionis repugnant. III, c 10, S. 686, Cor.

2) quicumque agit aliquid libere, agit illud voluntarie, Deus autem agit libere quicquid agit ad extra ; perfectius est enim sie agere ; alias etiam irrationabiles essent gratiarum actiones et inanes preces omnium ergo Deum. I, c 9, S. 191, A. cum volumus, illud faeimus voluntarii, non inviti. Simpliciter autem et penitus absolute, antecedenter et sufficienter sine indigeutia scilicet alieuius, quod nostrae potestati seu voluntati non subia- eet, nihil omnino in nostra vere dicitur potestate. III, c 9, S. 675, C, D. cum vult (sc. homo), agit et cum non vult, non agit et hoc voluntarie, non invite nec coacte. III, c 9, S. 676, C. Constat (sc. ex I, 1, 2) . . . Deum omnia extra se servare facere et movere et hoc non ex necessitate naturae. sicut potentiae purae naturales coguitione carentes: nec ex sola cognitione sensitiva et appetitu naturali irrationali, sicut caeterae potentiae naturales irrationales, sed ex naturali iudicio seu arbitrio intellectus . . . nec ex illo solo, sed cum libera voluntate . . . Quare constat Deum habere arbitrium liberum voluntatis; arbitrium, inquam, propter iudicium rationis seu intellectus: et liberum propter sp ont an eu m voluntatis. Nam propter has duas operationes harum duarum potentiarum in una mente liberum arbitrium haec duo nomina pro uno nomine sibi sumpsit, sicut ipsa ratio nominis manifestat: et quia arbitrium rationis debet praecedere voluntatem, melius arbitrium liberum quam liberum arbitrium vocaretur. II, c 1, D.

8) Iam Pelagianorum clamosus insultus ingruit quaquaversum : quorum

2. Thomas Bradwardinus.

209

Wille auch nie Gutes tun, weil er dazu ja ebenfalls des gött- lichen, nötigenden Einflusses bedarf.

Ja gerade der Gedanke, daß Gott die Allursache ist, wird, weit entfernt, die Sittlichkeit zu zerstören, den Willen vielmehr gleichsam mit einer schützenden Mauer umgeben und vor dem Bösen bewahren.1)

Soweit die negative Bestimmung : Freiheit bedeutet nicht Unabhängigkeit von Gott. Vielmehr besteht sie nun posi- tiv — darin, daß der Wille schlechthin von keiner ge- schaffenen Ursache, den sogenannten zweiten Ursachen, zu einem Akte gezwungen werden kann.2) Weder von dem In- tellekt3) und dem größeren Gute4) noch etwa von dem natür- lichen Begehren, das sich unter dem Einfluß der Gestirne als Disposition („Charakter") in dem Menschen einstellt, kann der Wille gezwungen werden, wenngleich er durch alle diese Fak- toren beeinflußt wird und nur mit Mühe ihrer Herr zu werden vermag.5)

primum et acutisismum teluin est istud: ,Si liomo necessitetur ad quodlibet faciendum, non peccat'. III, c 29, S. 725, B.

*) Nec ista sententia sensate intellecta (NB. daß der Wille durch die erste Ursache genötigt wird) mores aut virtutes corrumpit. Non enim libertati arbitrii aut merito adversatur . . . immo sententia ista mores et virtutes for- tissime, quia muro divinae potentiae et necessitatis praedictae inexpugnabili protegit, munit et salvat. III, c 29, S. 734, A.

2) homo est dominus sui actus . . . tantummodo secundum quid, scilicet respectu causa r um omni um secundarum subserviens necessario causae primae. III, c 9, S. 776, C. natura voluntatis creatae est talis, ut in suis actibus liberis nulli causae secundae de necessitate subdatur. III, c 11, ■S. 687, D.

3) Bradwardin zitiert bei dieser Gelegenheit (III, c 6, S. 660, D; 661, B) von den 1277 durch den Bischof Stephan Tempier von Paris verurteilten Thesen Nr. 158: Quod post conclusionem factam de aliquo faciendo voluntas non manet libera. Nr. 159 : Quod voluntas hominis necessitatur per suam cogni- tionem, sicut appetitus bruti. Nr. 163: Quod voluntas necessario prosequitur, quod firmiter creditum est a ratione; et quod non potest abstinere ab eo, quod ratio dictat. Haec autem necessitas non est coactio, sed natura voluntatis.

4) Alias etenim philosophus incidit in illam sententiam insensatam Parisiis condemnatam (sc. Nr. 164 : Quod homo in omnibus actionibus suis sequitur appetitum et Semper maiorem), quod homo necessario obedit in omnibus rationi, sicut et Socrates videtur damnabiliter incidisse. II, c 3, S. 466, D.

5) Pro iudiciis autem Astrologorum , Physiognomicorum et caeterorum Verweyen, Das Problem der Willensfreiheit. 14

210

Drittes Kapitel.

Somit besitzt der Wille die dreifache Freiheit von der natürlichen Notwendigkeit, der die zweiten Ur- sachen unterworfen sind, von der necessitas fatalis d. h. dem nötigenden Einfluß der Gestirne und endlich vom Zwange- (irgendeines anderen psychischen Vorganges).1)

Die Freiheit von der natürlichen Notwendigkeit '2) heißt Freiheit des Gegenteils. Der Wille braucht nämlich nicht notwendig zu wollen, kann vielmehr selbst dann noch wollen oder nicht wollen, wenn alle Bedingungen zum Wollen vonseiten der zweiten Ursachen vorhanden sind.0')

Die Freiheit von natürlicher Notwendigkeit ist ein aus- schließlicher Vorzug des Willens; denn alle übrigen Potenzen auch der Intellekt sind „rein natürlich" und wirken mit natürlicher Notwendigkeit,4) d. h. sie können unter Voraus-

similium advertendum , quod stellae et virtutes coelestes multum dispommt et vehementer inclinant corpus humanuni ad aliqua con- venientia prosequenda et contraria fugienda. Et haec dispositio est virtus seu Vitium naturale de qua multi Philosophi naturales, morales et Astrologi saepe tractant. II, c 3, S. 466, D. Haec ergo pronitas, dispositio seu concupiscentia naturalis tarn firme inhaerens, tarn vehementer impellen& et tarn delectabiliter attrahens non avellitur, non vincitur, non subicitur, nisi cum forti pugna, cum tristi luctu, cum labore multiplici et dolore. II, c 3, S. 467, A.

x) creatura rationalis est libera triplici libertate, scilicet a necessi- tate naturali, fatali et violenta, immo et a necessitate respectu causarum omnium secundarum. . . . Irrationalia autem non sie, sed subduntur in omnibus necessitati naturae et, ut placet quibusdam, necessitati fati stellarum. III, c 2, S. 686, E.

2) S. Hahn (1. c. S. 36) gibt die Ansicht Bradwardins nicht ganz korrekt wieder, wenn er unter der libertas a necessitate naturali allgemein die Frei- heit von jeder Nötigung durch geschöpfliche Ursachen versteht. Im Texte ist der Begriff genauer im Sinne Bradwardins erläutert.

3) dicitur homo liber libertate contradictionis, quia positis om- nibus causis secundis naturaliter praeviis suae liberae volutioni cum omnibus dispositionibus necessario requisitis. non necessario sequitur ipsum velle, sed potest aequal'iter velle et non velle. III, c 11, S. 686, E; III, c 5. S. 653, A, C.

4) omnes enim aliae potentiae (sc. extra voluntatem) sunt pure naturales et voluntate remota, si agerent, pure naturaliter et necessario agerent. I, c 10. S. 197, D.

2. Thomas Bradwardinus.

211

Setzung aller erforderlichen Bedingungen nicht, wie der Wille, nicht tätig sein.1)

Der Wille ist somit die Ursache des Kontingenten,2) kann folglich zwischen gut und böse sich entscheiden, ohne mit natürlicher Notwendigkeit dem einen oder anderen sich zuwenden zu müssen.

Wäre der Wille jener dreifachen Notwendigkeit, von der er tatsächlich frei ist, unterworfen, dann wäre freilich die Sünde entschuldbar;3) denn dann fehlte dem Menschen die Möglichkeit des Anders-Handelns : er wäre, wie die vernunftlosen Wesen, durch eine absolute natürliche Notwendigkeit zu seinen Akten gezwungen.4)

Demnach kommt die Freiheit nur Vernunftwesen zu, die des Urteils fähig sind, und heißt darum auch liberum arbitrium. Dies ist somit seinem Wesen nach die vernünftige Potenz, ver- nünftig zu urteilen und das von der Vernunft erkannte Gut mit Willen auszuführen.5)

Daß der Mensch wirklich die Freiheit besitzt, ist erstens

*) causae naturales, quando possunt, debita dispositione passi supposita necessario Semper agunt. I, c 9, S. 190, E.

2) Contingens aequaliter et per se et primo acceptum potest sie con- grue definiri, quod est actus agentis liberi per se et primus, quo posito cum omnibus dispositionibus naturaliter praeviis, cum quibus illum producit, non necessario sequitur ipsum produci, sed utralibet partium potest stare aequaliter. III, c 4, S. 652, B.

s) Libertas dicitur contrarie iisdem modis; scilicet libertas a necessitate naturali, a necessitate fatali, a necessitate violenta, a necessitate praecedente et a necessitate sequente . . . necessitas naturalis, fatalis et vio- lentae coactionis libertati rationalis creaturae meritoque repugnant. Quare et bae tres possunt ad unum generalem adduci, ad necessi- tatem scilicet adversariam seu contrariam libertati, quae et ideo adimit liber- tatem ac peccatum excusat. III, c 10, Af.

4) Neque necessitas penitus absoluta compatitur meritum, quia si in actibus hominis esset talis necessitas nec in ipso nec in Deo esset ulla possibilitas aliter faciendi; quare Deus sie necessario ageret actus bumanos et eadem ratione quiequid agit ad extra; quare non esset agens rationale et liberum . . . sed agens irrationale et de necessitate naturae. III, c 11, S. 688, A.

5) liberum arbitrium seu potius arbitrium liberum potest definiri seu describi hoc modo : Quod ipsum est potentia Rationalis rationaliter iudicandi et voluntarie exequendi. II, c 1, S. 444, C.

14*

212

Drittes Kapitel.

innerlich möglich, weil ohne Widerspruch und auch realiter möglich, weil Gott allmächtig ist.

Daß aber Gott tatsächlich den Menschen das liberum arbi- trium verliehen hat, bezeugen zweitens einstimmig „alle Theologen, alle Logiker, alle Moralphilosophen und fast alle Naturphilosophen".1)

Quellen.

Gelegentlich bemerkt Bradwardinus , er wolle alle seine Ausführungen auf den „Regeln seiner Vorfahren" aufbauen, in den „Fußspuren der heiligen Väter" wandeln.2) Diesen Vorsatz hat er insofern getreu erfüllt, als sein ganzes Werk sozusagen ausschließlich eine Zitatensammlung darstellt, worunter die Klarheit und Durchsicht erheblich leidet. Im einzelnen alle Quellen zu erörtern, würde deshalb zu weit führen. Es seien nur kurz Namen genannt, die Bradwardinus zitiert: Sokrates. Plato, Aristoteles, Ammonius, Avicebrol, Avicenna, Avenpace, Algazel, Lactantius, Ambrosius, Hieronymus, Chrysostomus, Cyprian, Gregor von Nyssa, Augustinus, Boethius, Damascenus, Kassiodor, Beda, Anselm, Abaelard, Petrus Lombardus, Hugo von St. Victor, Bernhard von Clairvaux, Wilhelm von Auvergne. Thomas von Aquino, Duns Scotus u. a. :i)

Folgerungen.

In formeller Beziehung aber wreicht Bradwardinus insofern von seinen Vorgängern ab, als er bei der Bestimmung der menschlichen Freiheit von dem metaphysischen Axiom der gött- lichen Allwirksamkeit, nicht von einer Begriffsbestimmung des Willens, ausgeht.

Aus dieser Voraussetzung kann er dann ohne weiteres die negative Folgerung ableiten, daß die Freiheit des menschlichen

1) nulli dubium, quod aliquam creaturam esse liberi arbitrii est absolute possibile, cum nullam contradictionem includat; quare et possibile est Deum omnipotentem tale ereare : Nam alias non esset omnipotens. II, c 1, S. 444, B.

2) Quaedam enim praehabita videntur liberum arbitrium tollere: quaedam vero eius perimere libertatem: quae tarnen omnia maiorum meorum reg u Iis innitendo et sanctorum Patrum inhaerendo vestigiis. iuvante me Domino, pro suae libertatis arbitrio spero fideliter concordare. II, e. 1, C.

3) Vgl. S. Hahn, 1. c. S. 43.

2. Thomas Bradwardinus

213

Willens nicht in der Unabhängigkeit von jenem Einfluß bestehen kann, den Gott als Schöpfer auf jedes Geschöpf und jede Tätig- keit desselben ausübt.

Vielmehr erblickt Bradwardinus darin gerade eine Ehre und Auszeichnung des geschöpflichen Willens, daß er seinem Sein und Wirken nach schlechthin von der ersten Ursache ab- hängig ist.

So redet der Philosoph; aber der Theologe und Erzbischof kommt alsbald in die Schwierigkeit, die Tat- sache des Bösen mit jener Annahme vereinigen zu müssen. Sünde und göttliche Heiligkeit scheinen doch unversöhnliche Gegensätze!

Eine subtile Unterscheidung soll den Widerspruch beseitigen. Hatte der Philosoph vorher erklärt, der Willensakt ist schlechthin also seinem ganzen Sein nach von Gott ge- wirkt, so zerlegt nunmehr der Theologe und Dialektiker den einen realen Willensakt in ein substanzielles und akziden- telles Moment. Und nun heißt es plötzlich: nur das erstere, also das Sein des Willensaktes, wird durch Gott verursacht, nicht jedoch auch das letztere, der „Defekt", der seinerseits überhaupt nicht weiter erklärt, sondern lediglich als ein dem geschöpflichen Willen anhaftender Mangel bezeichnet wird.

Daß man bei diesem Probleme ohne klägliche Sophismen nicht um das „Entweder von Gott" oder „Nicht von Gott" gewirkt vorbeikommt, scheint der Erzbischof im Grunde selbst eingesehen zu haben; denn er fühlt sich schließlich veranlaßt, doch noch auf andere Weise das Böse und Übel mit der gött- lichen Heiligkeit und Güte in Einklang zu bringen, und zwar durch die ebenfalls hinfällige Unterscheidung: Gott v/olle das Übel nicht an sich, ordne es aber, wie etwa der Arzt das Gift zweckmäßig verwendet, der Güte und Harmonie des Weltganzen unter. Wobei der Theologe aber die bedenkliche Folgerung übersieht, daß sich alsdann bei dieser Annahme der allweise und allgütige Gott eines Übels bedient, um ein Gut zu erreichen, ein schlechtes Mittel einem guten Zwecke unterordnet und überdies einem Apotheker gleicht, der Gift verkauft, obgleich er klar voraussieht, daß es mißbraucht wird.

So verdienstlich also die Bemühung ist, den Ursprung des

214

Drittes Kapitel.

Willensaktes zu erforschen, sie leidet an dem Widerspruche, das Wollen bald schlechthin, bald nur „in gewisser Hinsicht'', secundum quid, auf die göttliche Ursache zurückzuführen.

Auch begründet Bradwardin nicht die Behauptung, der Ge- danke an die göttliche All Wirksamkeit sei, weit entfernt, eine Gefahr für die Sittlichkeit zu sein, vielmehr ein starker Antrieb zu einem tugendhaften Leben.

Gemeint ist damit wohl: der Gedanke an den heiligen, in mir wirkenden Gott wird mich zum Guten antreiben. Aber das wäre ja auch dann der Fall, wenn der Willensakt nicht direkt durch Gott hervorgerufen würde. Der Einfluß des Gedankens an die göttliche Heiligkeit oder allgemein an ein sittliches Ideal auf die sittliche Beschaffenheit des Wollens besteht i n jedem Falle. Somit erweist sich das Argument Bradwardins als leere Phrase, ersonnen zu dem Zwecke, seine Freiheitslehre vor dem Verdachte zu schützen, daß sie die sittliche Ordnung untergrabe.

Auf Grund aller dieser theologisch-metaphysischen Voraus- setzungen gelangt Bradwardin zu der positiven Bestimmung: der Wille ist frei, weil unabhängig vom Zwange sekundärer Ur- sachen. Wie vorher, so wird auch hier einfach eine Definition dekretiert: die Natur des Willens ist derart, daß eine solche Freiheit besteht. Die reale Gültigkeit der Definition steht von vornherein fest.

Die Tatsache der Freiheit ist für Bradwardin gar kein Problem: alle geistlichen und „fast" alle weltlichen Autoritäten bezeugen ihre Existenz. Insbesondere steht die Autorität des Erzbischofs von Paris, der die oben erwähnten averroisti- schen Sätze über den Willen zensurierte, hinter der Behauptung: der Wille werde nicht durch den Intellekt genötigt; „sonst" verfalle man in den zu Paris verurteilten Irrtum.

Die Frage nach den Gründen für die Existenz der Freiheit mußte Bradwardin schon um deswillen eingehender beantworten, als gerade er es ist, der, wie es scheint, zum ersten Male in der Scholastik eine Kritik des Bewußtseins-Argumentes gibt. Das Bewußtsein, die Selbstbeobachtung kann zum Beweise der Frei- heit nicht verwertet werden; denn das hieße ein „trügerisches Experiment" anstellen, ein „schwieriges" Urteil fällen.

2. Thomas Bradwardinus.

215

So bleibt es eine bloße Behauptung, wenn Bradwardin, um die Möglichkeit der Sünde im christlich-traditionellen Sinne zu retten, erklärt: unter Voraussetzung aller zum Handeln erforder- lichen Bedingungen kann der Wille sowohl handeln als nicht handeln, so oder anders handeln wobei der Scholastiker noch obendrein nicht zu der klaren Einsicht und psychologischen Würdigung der Tatsache kommt, daß der Wille selbst doch ■nach, und zwar in seiner gerade in diesem Augenblicke vor- handenen Beschaffenheit, zu den fortwährend sich ändern- den Bedingungen des Handelns zählt.

Wir können zum Schlusse die Freiheitslehre Brad ward ins auf die logische Formel bringen: Gott bewegt als Allbeweger den Willen, tut also, was Gottes ist; der Wille tut, was seiner Natur zukommt, nämlich spontane d. h. eben gewollte, durch die zweiten Ursachen nicht genötigte, und darum freie, Akte setzen. Was kann der Wille mehr beanspruchen, als zu wollen?

In solcher Formulierung erscheint die Theorie des Schola- stikers in ihrer ganzen dialektischen Nacktheit. Aber immerhin verdiente Bradwardin wegen seiner eingehenden Beschäftigung mit dem Freiheitsproblem eingehendere Betrachtung.

Geht durch die Freiheitslehre Bradwardins infolge seines Interesses an mathematischen Studien ein mathematischer Zug &us einem obersten allgemeinen Satze wird sie deduktiv abge- leitet — , so verrät die Theorie des Raj^mundus Lullus den Ver- fasser der „großen Kunst", durch rechnerische Kombination und Dialektik alle möglichen Beziehungen zwischen Begriffen aus- findig zu machen.

3. Raymundus Lullus.

Der Wille bezeichnet im weiteren Sinne das allen Dingen innewohnende natürliche Streben nach einem Ziele.1) Im engerenSinne ist der Wille das vernünftige Streben,

l) vohmtas vel appetitus est id, per quod omnes radices sunt amabiles, qui appetitus in oinnibus entibus reperitur. Opera, Argentorati 1617, S. 978. Volens est esse gratia, cuius omnia sunt volentia: esse igitur vohmtas est actus et perfectio volentis, ratione cuius volens non agit nisi volente et per ipsam voluntatem omnia sunt amabilia. 1. c. S. 57.

216

Drittes Kapitel.

das drei Elemente enthält: das wollende Subjekt, das Gewollte und den eigentlichen Akt,1) der entweder ein Wollen oder Nicht-wollen sein kann.-) Letzteres aber gehört nicht zum Wesen des Willens; denn es entstammt dem Einflüsse des simi- lichen Begehrens auf den Willen/5) der selbst etwas Geistiges ist und zum Weesen des Menschen gehört.4)

Der „Bruder" des Willens ist der Intellekt, der ihm ein Objekt vorstellt. Die Tätigkeit des Intellekts geht demnach der des Willens der Natur nach voraus.5) Aber der Wille seiner- seits befiehlt dem Intellekt, ihm das begehrte Objekt vor- zustellen.6) So findet eine Wechselwirkung zwischen Intellekt und Willen statt.

Aber ausschließlich dem Willen kommt die Funktion des- Wählens zu.7) Dabei bewegt sich der Wille frei zu seinem Objekte.8) Denn er ist das erste Prinzip seiner Akte,9}

*) Yolens, volibile et velle. S. 140.

2) volimtas . . . ens, cui competit Teile et nolle. S. 351.

3) nolle non est de essentia voluntatis ex eo, quia cum irascibilitate cau- satum est. Quae quidem irascibilitas est oppositum volibilitati. S. 351.

4) dixit volimtas . . . cum habeani altiorem naturam quam sensus et imaginatio et magis bonam per bonitatem spiritualem . . . jam quid mirum cum eo habeam objectum prinram diligendo, sensus autem non sentiendo nec imagibilis nec est imaginabilis : sed per me est intelligibilis et per meum patrem intellectum intelligibilis et per memoriam sororem meam reco- libilis. S. 142. Homo non potest esse absque voluntate. S. 351.

B) Volimtas potentia est quaedam intellectu posterior, non loco vel situ, sed ordine naturae vel praesuppoaitionis, quia huius virtutis ope ratio- intellectus operationem praesupponit. S. 1085.

6) Ait volimtas : sum potentia imperativa eo quod sum optativa. Impera- tiv» sum, quia impero intellectui et memoriae, ut objectent meum ob- jectum desideratum: intellectus autem et memoria imperant mihi, ut objectem objectum eis desideratum: et hoc naturaliter est ordinatum, ut bene nos agamus et in vice m coadiuvemus ad hoc, ut meritum beatitudinis acquiramus. S. 142.

7) Ait volimtas : ego sum potentia electiva et hoc duobus modis eligendo amando species aut odiendo, quas intellectus invenit et intelligibiles facit aut credibiles: ipsas autem species inventas per intellectum et per me electas ponimus in memoria sorore nostro. S. 142.

8) (Volimtas) est hominis, cum ipse moverat ipsam libere ad actum suum, sc. ad velle aut nolle. S. 351.

*) volimtas de quo est? . . . de seipsa: alioqui si esset de aliquo prin-

3. Kaymundus Lullus.

217

und zwar ist die Freiheit ein dem Willen eingeborener, ihm von Natur zukommender Habitus.1)

„Von Natur" ist der Wille stets auf ein Gut gerichtet; sein höchstes Objekt ist Gott.2)

Aber insofern der Wille „aus dem Nichts" geschaffen ist, vermag er auch Böses zu tun.3)

Daß der Mensch tatsächlich zwischen gut und böse wählen kann, folgt aus der Bibel; denn es heißt Eccl. 31: Er konnte das Gebot übertreten, übertrat es aber nicht.4)

Quellen.

Mit Zitaten hält sich Lullus nicht auf. Wir können uns im einzelnen die Untersuchung seiner Vorlagen ersparen, da er sich ganz in der traditionellen Bahn bewegt.

Folgerungen. Seine verhältnismäßig wenigen Bemerkungen über unser Problem haben entsprechend der geistigen Grundrichtung des Logikers und Verfassers der „großen Kunst" einen rein formalen Charakter.

Mehr als ein neues Wort ist auch damit nicht geboten, wenn der Intellekt als „Bruder" des Willens bezeichnet wird. Beide sollen sich, wie Geschwister, gegenseitig zu guten Taten fördern, um dadurch die ewige Glückseligkeit zu verdienen.

cipio sibi praejacente jam non esset primitiva ad volendum et noleudnm. S. 351.

1) voluntas cum quo objectat objectum? Et respondenduni est, quod cum sua libertate, quae quidem est sibi habitus innatus. S. 351.

2) Dixit voluntas ... in volendo habeo libertatem, duobus modis possum velle bonum: quia bona sum naturaliter et maxime, quia divina bonitas causat in me meam bonitatem naturalem et dat mihi liberum arbitrium ad volendum bonum, alio modo habeo in contrarium liberum arbitrium ad volendum malum et hoc quia sum de nihilocreata: malum autem est habitus privativus sicut bonum positivus et ideo homo, cujus sum una pars de me potest agere bene aut male . . . ego sum . . . subjectum justitiae Dei in tribuendo bonum pro bono et malum pro malo. S. 141.

3) Potestas animi est libertas arbitrii . . . hinc laus et vituperatio Eccle- siatici 31: potuit transgredi et non est transgressus. S. 217.

4) 1. c. S. 143.

218

Drittes Kapitel

Aber über die genauere psychologische Analyse der behaup- teten Wechselwirkung zwischen Verstand und Willen gleitet der Dialektiker sorglos hinweg. Ihn beunruhigt die Frage nicht, wie es möglich und psychologisch zu erklären ist, daß der Wille einen Einfluß auf den Vorstellungsverlauf zu gewinnen vermag.

Dieser Mangel wiegt um so schwerer, als er mit einem Widerspruche verbunden ist. Denn einmal soll der Wille dem Intellekt befehlen, ihm das begehrte Objekt vorzustellen, in welchem Falle also das gleichsam noch dunkle Begehren früher als das Vorstellen wäre, der Intellekt also in voluntaristischer Auffassung im Dienste des Willens stände; anderseits soll das Wollen bereits die Vorstellung von dem Objekte voraussetzen.

Ungleich größeres Interesse erweckt die folgende Freiheits- lehre des Johannes Buridanus, der 1327 Eektor der Pariser Universität war.

4. Buridanus.

Das natürliche Begehrungsvermögen erstrebt seine Objekte ohne irgendeine Erkenntnis derselben.

Auch die vernünftige Menschenseele besitzt solche natürliche Neigung zu den ihr eigentümlichen Tätigkeiten.

Das sinnliche und vernünftige Strebevermögen, der Wille, erfordern dagegen eine sinnliche bzw. geistige Erkenntnis ihrer Objekte, weshalb sie auch erkennende Begehrungvermögen heißen.1)

Das sinnliche Begehrungsvermögen strebt notwendig wo- fern sein Akt keine äußere Hemmung erfährt zu dem als gut wahrgenommenen Objekte.2)

Das Tier wird also durch das Objekt bzw. den natürlichen Instinkt determiniert oder genötigt.3)

*) appetitus naturalis sensitivus intellectivus ; iudiciuin sensuale intellectuale. Quaestiones in decem libros Ethicorum Aristotelis ad Niconiackum, Oxoniae 1637, Hb. III, q. 5, S, 177 ; lib. X, q. 3, S. 862.

2) appetitus sensitivus sibi derelictus necessario tendit in omne illud, quod est sibi praesentatum sub ratione boni, nisi sit actuale impedimentum vel actuale et sensibile malum, propter quod ab illius apparentis boni prose- cutione retrocedat. 1. c. III, q. 4, S. 174.

3) deterrainatur vel necessitatur. III, q. 14, S. 207.

4. Buridanus.

219

Anders verhält es sich mit dem vernünftigen Willen. Er vermag sich selbst frei zu bestimmen zu entgegengesetzten Akten, und zwar unter sonst gleichen Bedingungen.1) Das heißt: er vermag zu handeln oder nicht zu handeln, diese oder die entgegengesetzte Tätigkeit zu setzen, so oder anders zu handeln, wie er will.2)

Gerade durch diese Fähigkeit unterscheidet sich das freie agens von dem unfreien.3)

Während der göttliche Wille unveränderlich ist, nicht von der Potenz zum Akt übergehen kann,4) ist der menschliche Wille wandelbar, wechselt zwischen Euhe und aktuellem Wollen, ohne jedoch vor dem aktuellen Wollen durch irgendetwas Anderes bewegt,5) ohne durch eine voraus gehende Notwendig- keit bestimmt zu werden.0)

Darin besteht gerade die Freiheit des Willens, daß er zu keinem von zwei entgegengesetzten Akten genötigt ist,3) vielmehr über beide Akte die volle Herrschaft besitzt.7)

Ohne irgendeines Mittels zu bedürfen, aktuiert sich der Wille selbst durch immanente Tätigkeit 8) zu den Akten des Wollens oder Nicht- Wollens.9)

*) caeteris similiter se habentibus potest in oppositos actus. 1. c.

2) III, q. 2, S. 850; 1. c. S. 156.

3) kaec est differentia agentis voluntarii et non vohmtarii, quia agens voluntariuni potest se libere ad utrumque oppositorum determinare caeteris eodem modo se habentibus; ita est enini proprietas naturalis agentis voluntarii, sicut posse ridere hominis. III, q. 1, S. 152.

4) 1. c. S. 153.

5) III, q. 1, S. 153.

c) libere agens non p r a e necessitatur ad agendum per quodcumque. X, q. 1, S. 850. in voluntate nulla requiritur dispositio praevia de- terminans voluntatem ad necessario volendum aut nolendum. III, q. 3, S. 171.

7) ex alio non dicitur libera (sc. voluntas), quia ad neutrum oppositorum est necessitata. 1. c. S. 147; S. 155.

8) dicitur (sc. voluntas) libera loquendo de libertate oppositiouis, quia ipsa potest in oppositum: quia ipsa potest non velle, quod prima facie apparet bonum et nolle, quod prima facie apparet malum et quia potest illud velle aut nolle illud, in quo simul apparent rationes boni et mali. III, q. 5, S. 179.

9) producere in se actum volendi. X, q. 3, S. 864. volitio immanens. III, q. 8, S. 180.

220

Drittes Kapitel.

Von dieser libertas Opposition is ist die libertas sui ipsius gratia oder libertas finalis Ordination i s. das Handeln um seiner selbst, seiner eigenen Zwecke willen, das Freisein von aller Knechtschaft zu unterscheiden. In diesem letzteren Sinne ist Gott allein frei.1)

In jedem Falle aber kann der Wille nur ein Gut, kein Übel als solches, wollen letzteres nur insofern, als der Intellekt es als ein Gut erscheinen läßt.2)

Sobald der Intellekt ein Gut oder Übel oder ein aus beiden zusammengesetztes Objekt darbietet, entsteht sogleich in dem Willen mit natürlicher Notwendigkeit ein „Gefallen" oder „Miß- fallen" an demselben oder beides zugleich, aber in verschiedener Hinsicht.3)

Erst jetzt kann der Wille seine Freiheit betätigen, indem er dem natürlichen Gefallen zustimmt oder es verwirft oder seine Entscheidung hinausschiebt.4)

Denn nicht immer ist das auf den ersten Blick als gut erscheinende Objekt in Wahrheit gut. Oftmals zeigt es sich nachher als ein großes Übel und umgekehrt. Es ist also eine durchaus zweckmäßige und nützliche Fähigkeit, daß wir nicht sogleich das vom Intellekt vorgestellte Gut wollen müssen, vielmehr die Entscheidung des Willens noch suspen- dieren können, um zuvor die Güte des Objektes genauer zu unter- suchen.5)

Diese Untersuchung kann nun verschiedene Eesultate haben.

Ist das Objekt nur im allgemeinen als ein Gut erkannt, nicht aber auch im besonderen für diesen Willen (hic et nunc), so wird es nicht notwendig erstrebt. Ist dagegen die letztere Bedingung erfüllt, so entsteht notwendig das Gefallen aber der Wille kann vor der eigentlichen Annahme, der accep-

*) quaestionis politices super octo libros politicorum Aristoteles, lib. VII. q. 5; quaest. eth. lib. III, q. 2, S. 850.

2) impossibile est voluntatem ferri in malum sibi praesentatum sub ratione mali, quia objectum eius est bonum. III, q. 4, S. 174.

3) complacentia displicentia. III, q. 3, S. 168. acceptatio refutatio. III, q. 4, S. 175. dift'erre, distrahere. quaest. polit, VIT, q. 5.

4) quaest. eth. III, q. 5, S. 178.

5) 1. c. S. 169; quaest. polit, VII, q. 5.

4. Buridanus.

221

tatio, noch weiter untersuchen ob auch zukünftige Übel mit dem gegenwärtigen Gute verbunden sind.

Sobald irgendein Übel mit dem Gut verknüpft erscheint, so ist die acceptio nicht notwendig.

Ist jedoch ein Objekt in jeder Hinsicht, nicht nur als ein allgemeines, sondern auch ein spezielles Gut für diesen Willen mit Sicherheit erkannt, so wird derselbe Wille es „wohl" notwendig erstreben.1)

Somit ist die Erkenntnis des guten Objekts zwar not- wendige, aber nicht hinreichende Bedingung des entsprechen- den Willensaktes: vielmehr nur eine gewisse „Disposition" für ihn.

Die eigentliche Ursache des Wollens bleibt in jedem Falle der „Wille" selbst, der weder durch die Erkenntnis des Objektes noch durch das daran sich anschließende Wohl- gefallen genötigt, gezwungen wird, das Objekt zu wollen.2)

Unfrei also sind die „ersten Akte" des Willens, die com- placentia und displicentia, frei dagegen die acceptatio und refutatio.3)

Wollen und Nicht- Wollen sind die ersten Akte, über die wir die Herrschaft haben: diese actus eliciti heißen an sich frei.4)

Der Wille kann nun aber den anderen Potenzen befehlen; dem Verstände, sich diesem oder jenem Objekte zuzuwenden; dem sinnlichen Begehrungsvermögen, das Sittliche dem Ange- nehmen vorzuziehen; den Orgarien, bestimmte Bewegungen aus- zuführen.

1) quaest. eth. üb. VII, q. 8, S. 593.

2) illa intellectualis apprehensio .. . est dispositio animae, sine qua non potest anima agere vel recipere illam volitionem et sie necessario requi- sita; et non potest dici, quomodo sit necessario requisita nisi tamquam dis- positio seu instrumentum patientis ad patiendum . . . objectum volitum est non principale activum volitionis . . . anima libera potest producere volitionem per illam apprehensionem et complacentiam, non per complacentiam sine apprehensione nec per apprehensionem sine complacentia. X, q. 3, S. 862, 884. voluntas non necessario movetur ab appetibili quoad actum volendi aut nolendi. III, q. 3, S. 171.

3) III, q. 2, S. 852.

4) 1. c. S. 850.

222

Drittes Kapitel.

Solche vom freien Willen befohlenen Akte heißen ..mit- folgend frei".1) Sie können infolge Gewohnheit, auch ohne direkte und unmittelbare Wirkung von actus eliciti zu sein, auftreten. Ein Beispiel verdeutlicht dies.2) Sokrates er- wacht, sieht ein Lehrbuch der Geometrie, steht auf, liest und studiert in demselben. Es ist möglich, daß keiner dieser Akte frei ist. Das Erwachen erfolgt mit natürlicher Notwendigkeit oder etwa durch Gewalt; das Aufstehen und Gehen braucht ebenfalls nicht frei zu geschehen dieselben Akte beobachten wir ja an dem unfreien Hunde und dem noch nicht zum Gebrauche seiner Vernunft gelangten Kinde! Zu dem Lesen endlich ist Sokrates „infolge der Gewohnheit hinreichend durch den bloßen Anblick des Buches determiniert".3) Geschieht das Lesen auch nicht in ausdrücklicher Übereinstimmung mit dem Willen, so doch nicht wider Willen.

Sofern nun aber derartige gewohnheitsmäßige Akte ihren Ursprung ausdrücklich freien Akten, actus eliciti, verdanken, heißen sie eben im weiteren Sinne frei4) oder freiwillig.5)

Im weiteren Sinne heißt freiwillig überhaupt alles, was eben nicht unfreiwillig ist, sondern ohne Zwang, spontan d. h. „ursprünglich" geschieht. In diesem Sinne sind selbst die Äußerungen des sinnlichen Begehrens gewollt, handeln selbst die Tiere und Irren freiwillig. Ja, insofern sie das eine Objekt annehmen und das andere verwerfen, kommt ihnen sogar ein Wählen im weiteren Sinne zu. Aber eben nicht im eigentlichen Sinne; denn sie überlegen nicht vorher,6) ganz abgesehen davon, daß sie mit natürlicher Notwendigkeit durch das Objekt determiniert werden.

Überlegung setzt Vernunft voraus. Darum ist das Wählen im engeren Sinne ein Vorzug der vernünftigen Wesen,

*) liberum consecutive. 1. c. S. 855.

2) 1. c. S. 856.

3) satis determinatus (sc. Socrates) ad legendum ex objecti praesentia et assuetudine legendi illud. 1. c.

4) 1. c. S. 856.

B) III, q. 10, S. 191.

6) non omnis acceptatio unius prae altero est electio proprie, sed soluni, si fiat secundum praeviam deliberationem. III, q. 14, S. 207.

4. Buridanus.

223

des vernünftigen Begehrungsvermögens. Denn, obzwar die Wahl dispositiv in einem Urteile besteht, so doch formaliter in einem Begehren.1)

Die Wahl bezieht sich nun stets nur auf solche Akte, die uns möglich sind ; 2) während der Wille auch auf Unmög- liches gerichtet sein kann.3)

Über Notwendiges zu überlegen, hat ebenfalls keinen Sinn, da es ja unabhängig von unserem Willen doch ge- schehen muß.4)

So bleibt als Gegenstand der Wahl nur das Kon- tingente d. h. dasjenige, was sowohl sein als nicht sein kann und zwar nicht, insofern es sich in der Natur findet, sondern insofern es von unserem Willen abhängt.5)

Und nun zu den Beweisen für die Existenz der Freiheit!

„Alle geben zu", daß der Mensch frei ist.6) Die Schriften „der Heiligen und Philosophen", vor allem des Aristo- teles, lehren, daß der Wille unter sonst gleichen Bedingungen entgegengesetzte Akte setzen kann.

Die gleiche Lehre fordert auch der „Glaube".7)

*) electio est judicium antecedenter et dipositive, sed formaliter et completive ipsa est desiderium et non judicium. 1. c. S. 206.

2) nihil eligimus, nisi quod credimus esse possibile et per nos operabile. 1. c. S. 204.

3) 1. c. S. 206.

4) 1. c. S. 208.

5) consiliabile non' est quodcumque contingens, sed humanuni, id est per hominem operabile ... de talibus consiliamur bene, secundum quod sunt nata aliter vel aliter evenire propter nostram operationem. 1. e. S. 208.

6) omnes concedunt hominem esse liberum. X, q. 1, S. 846.

7) Sed proculdubio haec opinio est gravis et periculosa valde et in fide et in moribus: nec esse videtur de intentione Philo- sophi; cum ipse dicat, „quod operationum a principio usque ad finem Domini sumus, habituum autem principii". Et ante dixerat „in quibus enim in nobis operari et non operari et in quibus non". Et etiam dicitpost: „quemadmodum neque dimittendi lapidem adhuc ipsum possibile resumere, sed tarnen in ipso mittere et projicere, principium enim in ipso: sie autem in justo et in conti- nente, ex principio quidem inerat tales non fieri". Dicit etiam, quod „ebriis duplices debentur increpationes, principium enim in ipso, Dominus est enim eius, quod non inebriari": vult ergo manifeste, quod tunc, quando potavit

224

Drittes Kapitel.

Endlich zwingt auch die Ethik, das moralische Interesse, zur Annahme der Freiheit: die an einem Objekte erscheinende Güte determiniert den Willen nicht zu der complacentia hinsichtlich des Total Objektes, noch weniger zu der accep- tatio desselben; „denn sonst könnte der Wille zur Sünde genötigt werden, was schlechthin geleugnet werden muß." *)

Wenn auch die complacentia und displ icen tia, wie Freude und Trauer, mit natürlicher Notwendigkeit in dem Willen entstehen, so besitzt dieser doch die Herrschaft über die acceptatio und refutatio. Dies aber „scheint zu ge- nügen, damit der Wille Herr jener Akte ist, in denen Tugend oder Sünde besteht".2) Gerade deshalb wird uns, nicht dem Objekte, das Böse zugerechnet, weil wir „Herren unserer Akte" sind, darum auch das Gute hätten tun können/5) Die Behauptung, nicht die absolute Indifferenz des Willens be- gründe Lob und Tadel, Verdienst und Schuld, sondern das Gute und Böse sei an sich lobens- bzw. tadelnswert, ist als eine „glaubens - und sitten gefährliche", im Widerspruch mit den Lehren der „Heiligen und des Aristoteles" stehende An- sicht abzuweisen.4)

Dominus erat 11011 solum eius, quod est potare, sed etiam ejus, quod est non potare et non inebriari.

Et ideo simpliciter et firmiter credere volo fide una cum aliqua experientia ex actibus Sanctorum et Philosophorum huic credulitati concordantibus et firmiter adhaerentibus , quod voluntas caeteris omnibus eodem modo se habentibus potest in actus oppositos. III, q. 1, S. 152.

*) bonitas apparens in objecto non determinat voluntatem ad ipsius objecti acceptationem, immo nec in habendam in objecto toto, secundum ipsum totum complacentiam ; quin sie voluntas necessitari posset ad peccandum, quod omnino negare necesse est. III, q. 3, S. 170.

2) Hoc (sc. voluntas ipsa libere est Domina suae aeeeptationis aut refu- tationis) sufficere videtur, videlicet quod voluntas sit illorum actuum Domina, in quibus existit meritum vel peccatum. 1. c. S. 171.

3) mala actio imputatur non objecto, sed nobis ex eo, quod domini eramus ipsius et oppositae actionis. III, q. 2, S. 156.

4) opinio gravis et periculosa valde et in fide et in moribus. III, q. 1 S. 152.

4. Buridanus.

225

Viertens liefert die Erfahrung, das Bewußtsein, die Selbstbeobachtung ein Argument zugunsten der Freiheit. Es „scheint", daß „fast jeder Mensch" in sich erfahren kann, daß der Wille frei ein Objekt anzunehmen oder zu verwerfen oder die Entscheidung aufzuschieben imstande ist.1)

Sind somit alle einig in der Annahme der Freiheit, so doch nicht darin, ob der Intellekt oder der Wille oder beide frei sind; eine Frage, die darin ihre Lösung findet, daß Intellekt und Wille dasselbe sind.-) Woraus folgt, daß beide gleich frei sind, der Wille nicht nur, sondern auch der Intellekt.3)

Quellen.

Schon der Titel der beiden Hauptwerke Buridans weist auf seine Quellen hin. Im einzelnen die Abhängigkeit von Aristo- teles nachzuweisen ist überflüssig, da sie eine durchgängige ist. Nur gelegentlich wird Aristoteles ausdrücklich zitiert.4)

Die Wendung „alle geben zu" deutet ganz allgemein auf Abhängigkeitsbeziehungen hin und zeigt höchstens, daß Buridan auch in historischer Beziehung mit dem Probleme genau vertraut zu werden suchte.

Den berühmten „Buridanischen Esel" brauchen wir nicht auf seinen Ursprung zurückzuverfolgen ; denn dieses Beispiel entdeckten auch wir nicht in den Schriften Buridans.5)

1) quia acceptatio et refutatio sunt impetus ad actum prosequendum Tel fugiendum et isti motus, scilicet prosecutio vel fuga, propter contrarietatem sunt impossibiles in eodem: ideo etiam non possunt simul in voluntate fieri hujusmodi acceptatio et refutatio, sedvoluntas libere potest acceptare opus illud sine refutatione vel refutare sine acceptatione vel etiam nec refutare uec acceptare, sed diff erre ut videtur mihi quod quasi quilibet homo experiri potest in seipso. III, q. 3, S. 168.

2) in bomine intellectus et voluntas sunt eadem res, immo quod voluntas est intellectus et intellectus est voluntas. X, q. 1, S. 846.

3) 1. c. S. 848.

4) III, q. 4, S. 174; III, q. 14, S. 207.

5) Wenigstens nicht in den philosophischen Schriften; möglich, daß es sich in den physikalischen Werken Buridans findet.

Verweyen. Das Problem der Willensfreiheit. 15

226

Drittes Kapitel.

Folgerungen.

Buridans Freiheitslehre erweckt besonderes Interesse durch die Unsicherheit, mit der sie die Konsequenzen aus ihren Vor- aussetzungen zieht.

Der Kektor der Pariser Universität fürchtete offenbar mit der Zensurbehörde in Konflikt zu geraten und hielt es deshalb für ratsam, sich durch sehr vorsichtige Formulierung einen Aus- weg offen zu halten.

Fast noch mehr als bei allen seinen Vorgängern tritt bei Buridan das theologische Interesse, die Rücksicht auf das reli- giöse Zeitbewußtsein, als leitendes Motiv der Untersuchung über die Willensfreiheit zutage.

Als religiöses Axiom steht von vornherein fest: Nicht Gott, sondern der Mensch ist die Ursache des Bösen. Nun gilt es psychologische Bedingungen ausfindig zu machen, unter denen jene Voraussetzung gedacht werden kann. Zu dem Zwecke aber „scheint" die Annahme, der Wille sei „Herr der acceptatio und refutatio", zu genügen.1)

Damit soll gesagt sein, daß der Wille durch die scheinbare Güte eines Objektes nicht zur acceptatio oder totalen com- placentia desselben determiniert werden kann, weil er „sonst" auch zum Sündigen genötigt werden könnte, „was schlechthin zu leugnen notwendig ist"."2) Die Gründe, aus denen dieses der Fall ist, macht Buridan nicht ausdrücklich namhaft. Sie liegen eben in dem genannten theologischen Axiom.

Dies motiviert auch die andere einfache Behauptung, der Wille heiße nicht darum frei, weil er das Gute als Gutes, das Böse aber als Böses wählen könnte denn „dann" wäre ja der Wille als Werk des heiligen Gottes „aus sich", von Natur, zum Bösen disponiert; sondern lediglich deshalb, weil er sich ent- gegengesetzten Akten gegenüber indifferent verhalte.3)

Auf solche Weise werden „Glaube und Sitte ge- rettet".4)

1) III, q. 3, S. 171.

2) III, q. 3, S. 170.

3) III, q. 5, S. 179. *) III, q. 4, S. 175.

4. Buridanus.

227

Wo aber Buridan zu Konsequenzen geführt wird, die scheinbar diese seine heiligen Güter gefährden, schlägt er nicht, wie sonst, den kräftigen Ton einer Behauptung an, sondern flüchtet zu dem Piano einer höchst zaghaften Formulierung.

Schon die Behauptung, der Wille brauche ein Gut nicht notwendig zu akzeptieren, erklingt zuweilen in der bescheideneren Melodie: es „scheint mir", daß der Wille nicht notwendig ein Objekt zu akzeptieren braucht, das dem Verstände nur als ein zweifelhaftes Gut erscheint.1)

Wie aber, wenn der Verstand unzweideutig urteilt, irgendein Objekt sei in diesem Augenblicke für diesen Willen ein allseitiges Gut?

Dann sagt Buridan „glaube ich, müßte der Wille es notwendig akzeptieren".2)

Mit diesem Zugeständnisse aber räumt er, wenn auch nur zaghaft einen Determinismus ein, den er zuvor schlecht- hin in Abrede gestellt hat.

Möglicherweise ist ja jene Bedingung eines eindeutigen Werturteils für diesen Willen in diesem Augenblicke psy- chologisch — wenn auch vielleicht ohne logisch-meta- physische Eichtigkeit sehr häufig verwirklicht.

In allen diesen Fällen wäre dann der Wille eindeutig durch das eindeutige Verstandesurteil bestimmt, schlechthin deter- miniert.

Dies bedeutete nichts Geringeres als die Möglichkeit zu- geben, daß diese und jene gute, wie böse, Handlung ein schlechthin notwendiger Vorgang sein kann, für den nach buri- danischen Prämissen nicht der Mensch, sondern der Schöpfer des Menschen verantwortlich wäre.

Und welche Folgerungen erst, wenn man noch das von Buridan selbst wohl zum ersten Male in der Scholastik so nachdrücklich und anschaulich durch das Beispiel des erwachen- den Sokrates veranschaulichte Prinzip hinzunimmt, das ursprüng- lich gewollte, freie Handlungen die Tendenz haben, gewohn-

1) VII, q. 8. S. 593.

2) L c.

15*

228

Drittes Kapitel.

heitsmäßig, ohne ausdrückliche Absicht des Handelnden zu er- folgen ! *)

Wie, wenn jene nach buridanischen Prämissen möglichen, eindeutig bestimmten, determinierten, bösen Handlungen sich ohne Absicht des Handelnden zu gewohnheitsmäßigen modern gesprochen mechanischen Reflexhandlungen entwickelten?

Wäre dann nicht der heil ige Got t Urheber der so deter- minierten bösen Akte?

Buridan war zu sehr von der Theologie befangen, als daß er für diese Konsequenzen seiner Lehre einen freien Blick ge- habt hätte.

Ja nicht einmal das Freiheitsproblem als solches sieht er.

„Alle geben die Existenz des liberum arbitrium zu"2) damit ist für ihn die Tatsache außer Zweifel gestellt; zumal er noch, wenn auch nicht ohne Bedenken, auf die Erfah- rung hinweist, es „scheine" 3) jeder in seinem Bewußtsein beob- achten zu können, daß der Wille nicht sogleich die Akte der acceptatio und refutatio zu setzen braucht, vielmehr die Ent- scheidung hinausschieben kann, indem er den Verstand zu einer genaueren Betrachtung des fraglichen Objekts veranlaßt.

Denn der Wille hat die Macht, alle anderen seelischen Po- tenzen zu bewegen, „wohin er will".4)

Dieses Wollen selbst aber ist auch für Buridan ein Letztes, nach dessen Entstehung er nicht weiter fragt.

Was insbesondere die Bewegung des Intellekts durch den Willen betrifft, so verwickelt sich Buridan durch diese Behaup- tung noch in eine andere Schwierigkeit. Er erklärt wohl zum ersten Male in der Scholastik, hierin bereits an Spinoza er- innernd: Intellekt und Wille sind dasselbe. So konsequent Buridan nun auch, im Unterschiede von allen seinen Vorgängern, auch dem Intellekt Freiheit zuspricht, so widerspruchs- voll ist es, wenn er trotz der behaupteten Identität beider be-

*) Man vergleiche übrigens die moderne Verwertung dieses Prinzips vor allem in den Schriften Wundts.

2) X, q. 1, S. 848.

3) III, q. 3, S. 168. *) III, q. 2, S. 155.

5. Petrus Aureolus.

229

ständig von einer Bewegung des Intellekts durch den Willen redet.

Der von Buridan viel verwertete Begriff des „Gefallens" kehrt, freilich in veränderter Bedeutung, wieder in der folgenden Freiheitslehre des Franziskaners

5. Petrus Aureolus.

Die Freiheit besteht formell in dem Akte des Wohlgefallens.

Jede Potenz ist aus „Wohlgefallen" tätig. Der letzte Grund, warum jemand etwas tut, ist der, weil es ihm gefällt.1)

Die Konsequenz ist, daß auch die Tiere frei sind. Freilich wählen sie nicht und besitzen auch keine Herrschaft über ihre Akte.

Indes, diese beiden Momente gehören gar nicht zum Wesen der Freiheit; denn „sonst" würden der Vater und der Sohn den heiligen Geist nicht frei aushauchen was doch der Fall ist,

*) formalis ratio libertatis consistit in potentia et acta complacentiae et delectationis ; actus enim com place n t i a e est formaliter liber; potentia autem quicquid agit, agit ex complacentia, quae dicitur libera nec aliquid aliud exigitur ad rationem libertatis et quod hoc sit verum, potest multipliciter declarari: liberum enim dicitur, quod est gratia sui, ut patet primo Met. per oppositum ad servum, qui non est sui gratia, sed domini, ut dicitur I. Polit., sed solus actus complacentiae est gratia sui, quod patet, quia ultimo reducitur pro causa omnis actus. Interrogatus enim unusquisque de quovis opere, cur sie agit, respondebit, quia placet mihi; ulterius autem interrogatus, quare placet, respondebit, quia placet ac si sit per se notum, quod placere est gratia sui nec oportet, quod habeat aliam causam; nullus enim actus alius videtur esse gratia sui. Ergo solus actus complacentiae est liber formaliter, ut videtur. Commentatorium in libr. Sent., Eomae 1596, lib. I, dist. 1, art. 3. omnes actus voluntatis procedunt ex aliqua complacentia et amore: complacentiae vero primus actus est gratia sui; ex ea autem oritur desiderium habendi rem, qua complacet et si res eveniret ex amore oritur delectatio et similiter ex amore oritur odium omnium eorum, quae repugnant et ex amore oritur fuga contrarii et ex amore oritur tristitia, inquantum unusquisque tristatur in praesentia illius, cuius oppositum com- placet et cuius contrarium amat et hanc deduetionem ponit Augustinus 14. de civ. Dei, ubi concludit, quod mala sunt omnia, si amor malus est, bona autem, si amor sit bonus. 1. c.

230

Drittes Kapitel.

obwohl sie diesen Akt nicht unterlassen können, also ihn not- wendig setzen.1)

Aber wird eingewandt dann ist auch der Intellekt frei, denn er findet sein Wohlgefallen an der Wahrheit.

Antwort: nur der Wille hat Wohlgefallen am Wahren; denn das Wohlgefallen an der Wahrheit folgt dem Verlangen nach Wahr- heit; dieses aber ist ein Akt des Willens.2)

Frei oder spontan heißen also nur jene Akte, die aus dem Wohlgefallen des Willens hervorgehen, alle übrigen Akte sind, soweit sie nicht in Harmonie mit dem Wollen erfolgen, unfreiwillig oder gezwungen.3)

Während der Wille sich den endlichen, immer mit einem Übel behafteten Gütern, ja auch dem noch nicht intuitiv er- faßten höchsten Gute gegenüber, veränderlich verhält, nicht not- wendig Wohlgefallen an jenen Gütern findet, setzt er seinen Akt des Wohlgefallens im Himmel infolge der klaren Anschau- ung Gottes in unveränderlicher Weise. Allein in Gott kann der Wille „ruhen" d. h. seine Befriedigung finden.4) Die Seligen des Himmels können deshalb nicht mehr sündigen.

*) Nec obstat, si dicatur, quod secunduin hoc animalia, quae agunt, ex complacentia habebunt libertatem et appetitus sensitivus erit liber formaliter: nec etiam, si dicatur, quod intellectus erit liber, cum complaceat et delectetur in cognitione verae veritatis; nec si dicatur, quod secundum hoc non omnes actus voluntatis erunt liberi, puta tristitia vel dolor, cum nullus complacenter doleat vel tristetur. Primuin quidem non obviat, quia sine dubio verum est. quod pueri et animalia voluntarium et spontaneum participant et per conse- quens libertatem, sicut expresse dicit Philosophus; electionem autem et domi- nationem actus non participant pro eo, quo non habent actum in potestate sua ; non est autem idem liberum et dominativum actus, a Ii o quin Pater et Filius non spirarent libere, cum non possint dominatione suspendere actum spirationis nec etiam Deus libere se amaret. 1. c.

2) intellectus non complacet in vero, sed appetitus et voluntas : delectatio enim succedit desiderio, ut patet 2. Eth. ; cum ergo intellectus non desideret veritatem, sed voluntas eam sibi desideret, sequitur, quod nec etiam adepta veritate intellectus complaceat, sed tantummodo voluntas. 1. c.

3) omnes actus voluntatis oriuntur ex complacentia et üli, qui conso- nant, dicuntur spontanei et liberi; qui vero repugnant, involuntarii et per eandem rationem omnes actus aliarum potentiarum, qui fiunt ex compla- centia voluntatis, libere fiunt. 1. c.

4) voluntas immutabiliter elicit actum complacentiae circa Deum in patria clare visum. constat enim, quod voluntas Beati confirmata est, ut pec-

5. Peter Aureolus.

231

Quellen.

In bewußter Weise deduziert Aureolus seinen Freiheits- begriff aus der Definition des Aristoteles: „frei ist das, was um seiner selbst willen, gratia sui, tätig ist". In dem Wohl- gefallen findet Aureolus jenen um seiner selbst willen vor- handenen, darum freien Akt.

Den Gedanken, daß der Wille nur in Gott seine Ruhe findet, führt er auf Augustinus zurück; ihm entlehnt er auch die Äußerungen über die Liebe als seelischen Grundaffekt und ihre Identifizierung mit dem Wollen.

Im übrigen aber unterläßt er es, seine Quellen anzugeben.

Folgerungen. Wäre Aureolus mehr der augustinischen Terminologie ge- folgt, so hätte er den Schein eines originellen Freiheitsbegriffes vermieden.

Statt mit Augustinus Liebe und Willen gleichzusetzen, redet er von dem Wohlgefallen als dem letzten Grunde, warum der Wille etwas will.

Überdies ist diese Begründung eine rein begriffliche und analytische. Besagt sie doch schließlich nichts mehr als die triviale Weisheit : der Wille will, weil er will.

Statt des einen Ausdrucks „weil er will" den anderen „aus Wohlgefallen" setzen, macht zwar dem Dialektiker alle Ehre; aber sachlich ist ein derartiges Verfahren mehr als unzu- länglich

Denn entweder sind Wille und Wohlgefallen identische Be- griffe — dann kann der eine nicht ohne Zirkel durch den anderen erklärt werden. Oder aber das Wohlgefallen ist ein von dem

care non possit nec omittendo Dei dilectionem nec committendo aliquid oppo- situm dilectioni divinae ....

voluntas nostra est apta, nata quiescere in solo Deo et in nullo alio citra ipsum, sicut dicit Augustinus. Ergo voluntas ex natura sua habet immobili- tari in Deo ....

fine ultimo qualitercumque citra intuitivam notitiam apprehenso voluntas non de necessitate elicit actum complacentiae aut desiderii respectu illius: illud namque non necessario voluntas desiderat aut non in ülo necessario 4electatur, in quo defectum boni reperit et rationem alicuius mali. 1. c.

232

Drittes Kapitel.

Wollen verschiedener psychischer Vorgang dann bleibt die psychologische Frage übrig : wie entsteht das Wohlgefallen?

Eine Frage, deren Beantwortung zu den mannigfachen Ent- stehungsbedingungen der Gefühle überhaupt führt.

Dazu kommt noch ein weiterer innerer Widerspruch.

Aureolus sagt: der Wille ist es, der nach Wahrheit verlangt und an ihr sein Wohlgefallen findet.

Allein dieser Voluntarismus ist offenbar nur eine Ausflucht, um nicht auch den Verstand frei nennen zu müssen.

Von seinen Voraussetzungen aus hätte Aureolus diese Kon- sequenz ziehen müssen. Denn, wenn er jede, aus Wohlgefallen tätige, Potenz frei nennt, so muß er folgerichtig auch der ver- nünftigen Potenz, dem Verstände, Freiheit zusprechen.

Endlich sei noch darauf hingewiesen, daß auch für Aureolus der theologisch metaphysische Gottesbegriif den FreiheitsbegrifF bestimmt: Das Wählen und die Herrschaft über den Akt d. h. die Möglichkeit, ihn unterlassen zu können, gehören nicht zum Wesen der Freiheit. „Sonst" wäre ja die göttliche Trinität nicht frei; denn der Hervorgang des heiligen Geistes aus Vater und Sohn ist ein a b s o 1 u t n o t w e n d i g e r , ohne Wahl erfolgen- der, aber darum doch freier, weil eben von Wohlgefallen be- gleiteter Prozeß.

Untersuchen wir nunmehr die Freiheitslehre des Domini- kaners Wilhelm Durandus von St. Pourcain.

6. Durandus von St. Pourcain.

Notwendig kann etwas in dreifachem Sinne sein: aus einem inneren, in der Natur eines Dinges gelegenen Grunde der Mensch ist notwendig ein vernünftiges Sinnenwesen : wegen eines äußeren Zwanges, der gegen die natürliche Neigung gerichtet ist wenn z. B. der Stein aufwärts geworfen bzw. am Fallen gehindert wird ; endlich wegen eines bestimmten Zweckes oder unter einer bestimmten Voraussetzung wenn jemand läuft, kann er in demselben Augenblicke nicht nicht laufen.1)

') Sent. lib. I, dist. 6, q. 1; III, dist. 16. q. 1.

6. Durandus von St. Pourcun.

233

Desgleichen gibt es einen dreifachen Begriff der Freiheit.

Im Gegensatz zur Knechtschaft bedeutet sie zunächst, daß der Handelnde um seiner selbst, nicht um eines Anderen willen, tätig ist.1)

Zweitens kann frei gemeint sein im Sinne der Unab- hängigkeit von der Notwendigkeit des Zwanges. Darin be- steht das eigentliche Wesen der Freiheit.2)

Drittens kann Freiheit bedeuten die Fähigkeit zu Ent- gegengesetztem : das Nicht-Determiniertsein einer Potenz bezüg- lich entgegengesetzter Akte,8) die volle Herrschaft über dieselben, also das gerade Gegenteil einer passiven Potenz.4)

Diese letztere Fähigkeit heißt liberum arbitrium; sie bezieht sich auf den Willen und auf den Intellekt.5)

Wille bedeutet im eigentlichen Sinne das Streben der Seele nach dem Guten im allgemeinen , das den Willen mit natürlicher Notwendigkeit determiniert.

Nicht aber gilt dies von den partikulären Gütern. Unter ihnen kann er „dieses oder jenes" auswählen, ohne zu einem determiniert zu sein.6)

x) liber. qui est gratia sui finaliter. 1. c.

2) libertas arbitrii in cognoscente et volente non excludit nisi co ac- tio nem et necessitatem absolutaro. Senk lib. II, dist. 24, q. 2. aliud est enim cogi , aliud necessitari necessitate immutabilitatis, quae potest esse a natura tarn in voluntate quam in intellectu respectu aliquorum. II, dist. 25, q. 3.

3) immunitas a necessaria determinatione respectu oppositorum, quae nihil aliud est quam facultas ad opposita. II, dist. 24, q. 3.

4) potentia, quae de se est indifferens ad plura et nihil penitus agit nec agere potest ad suam determinationem, non est potentia liberi arbitrii, sed potentia pure passiva est huius modi. II, dist. 24, q. 2.

5) liberum arbitrium . . . id quo possumus exire in actum vel non exire . . . illud principium, per quod habemus dominium nostrorum actuum. libertas arbitrii est, qua quis in aliquem actum vel eius oppositum contrarie vel contra- dictorie. libertas arbitrii nihil aliud est quam facultas ad opposita absque necessaria determinatione ad alterum. II, dist. 24, q. 2; q. 3. per liberum arbitrium intelligimus illud principium, per quod habemus dominium nostrorum actuum sie, quod in potestate habentis tale principium est exire in actum vel non exire et exire in aliquem actum vel eius oppositum. II, dist. 24, q. 2. liberum arbitrium non inclinat determinate ad alterum (sc. bonum vel malum), sed indifferenter ad utrumque. 1. c. q. 1.

6) habet enim voluntas aliam habitudinem ad com mu nem rationem

234

Drittes Kapitel.

Diese Fähigkeit des Wählens ist nun eine Potenz des Willens und Intellekts eine Potenz, kein Habitus; denn, wo- fern ein solcher kein angeborener, also mit der dauernden Nei- gung- jener Potenz identisch wäre, müßte er durch voraus- gehende Akte erworben sein. Dann aber könnte er nicht das Prinzip freier Akte sein. Zudem ist ein Habitus stets determiniert. Somit kann das liberum arbitrium seinem Wesen nach kein Habitus, sondern nur eine Potenz sein.1)

Gegenstand des liberum arbitrium, der Wahl, kann nur das sein, was sich als Schluß eines „praktischen Syllogis- mus", einer Überlegung, die eben in Verstandes- Akten besteht, als Mittel zu einem gewollten und erkannten Zwecke ergibt.2)

Zeitlich folgt also die Wahl des Willens dem Urteile des Verstandes.-'5)

WTenn der Verstand uns darüber belehrt, daß der Zusammen- hang zwischen besonderen Gütern und dem aligemeinen Endziele kein notwendiger ist dann ist auch die Wahl nicht notwendig.

Folglich stammt die Fähigkeit des Willens zu entgegenge- setzten Akten aus der Indifferenz des Intellekts gegen- über den partikulären Gütern.4)

boni, respectu cuius necessitatur quadam immutabilitate et aliain respectu bonorum particularium contingentium , quibus admiscet ratio mali et fugibilis respectu quorum non necessitatur, sed potest hoc vel illud eligere vel refutare : et secundum primam habitudinem vocatur voluntas proprie: sed secundum secundam proprietatem vel habitudinem dicitur liberum arbi- trium, non ipsa sola, sed etiam intellectus respectu eorundem: libertas ergo nominat illam proprietatem voluntatis, quam habet respectu eorum, ad quae non necessitatur. Et liberum arbitrium nominat voluntatem et intellectum sub hac proprietate. Et utraque dictarum habitudiuum circa intellectum et voluntatem magis debet dici proprietas naturalis quam habitus, quia habitus Semper dicit aliquid additum potentiae: quia si quandoque dicatur habitus et improprie hoc quidem tolerandum et quoad primam habitudinem intellectus et voluntatis secundum quam determinatur ad unum. Sed nullo modo quoad secundam, secundum quam habent quandam indeterminationem: Semper enim habitus importat quandam determinationem potentiae. II. dist. 24, q. 1.

1) II, dist. 24, q. 1.

2) II, dist. 25, q. 2.

s) sequitur. 1. c. q. 2.

*) Ex eo enim, quod aliquid medium iudicatur non necessarium ad conse-

6. Durandus von St. Pourcain.

235

Wofern aber der Intellekt hic et nunc den notwendigen Zusammenhang* eines bestimmten Mittels zu dem Endzweck er- kennt, ist der Wille determiniert, das ihm vorgestellte Objekt zu wollen.1)

Demnach wurzelt die Freiheit des Willens in der Freiheit des Intellekts; das liberum arbitrium ist somit ein Vorzug vernünftiger Wesen.2)

Aber nicht in allen findet es sich in gleichem Grade.

Zu dieser Einsicht führt folgende Unterscheidung.

Der Zwang, von dem der Wille frei ist, kann ein doppelter sein; ein absoluter oder bloß ein gewisser (secundum quid), gleichsam ein indirekter.

Zweitens kann der Willensakt als solcher betrachtet werden oder insofern er den wahrnehmenden und bewegenden Potenzen befiehlt.3) Letztere können dem Willen Widerstand entgegen- setzen. Da der Wille nur ein erkanntes Gut erstreben kann, so hemmt den Willen alles, was den Verstand an seiner Tätig- keit hemmt, wie z. B. ein tiefer Schlaf.4) Ferner kann der

quendum, quem finem volumus, possumus sistere a iudicio concludente illud esse eligendum; et per consequens ab electione. II, dist. 24, q. 3.

*) voluntas non potest in oppositum neque respuere, quod est sibi pro- positum, si inteliectus iudicaverit finaliter et completive aliquid ut nunc eligendum ... Et sie tota libertas electionis continetur in über- täte iudici conclusivi. Et sie patet, quod inteliectus est liber per prius et prineipalius quam voluntas. II, dist. 24, q. 4. actus qui est secundum inclinationem rei non potest esse violentus vel coactus: sed omne intelligere est secundum inclinationem inteliectus: sicut velle est secun- dum inclinationem voluntatis : ergo nullum intelligere respectu inteliectus est coactum vel violentum : nec aliquod velle respectu voluntatis . . . Opponuntur enim esse secundum inclinationem rei et esse violentum seu coactum ... 1. c.

2) solum in habentibus intellectum est liberum arbitrium, scilicet in Deo, hominibus et angelis. Cuius ratio est, quod solum in illis est liberum arbi- trium, in quibus est iudicium de propria operatione, utrum sit bona an mala, expediens ad finem an impediens a fine, sed tale iudicium solum est in habentibus intellectum. Ergo. II, dist. 25, q. 2.

3) compulsio absoluta vel impedimentum impulsio secundum quid; actus elicitus actus imperatus. II, dist. 25, q. 3.

4) quod potest impedire Cognitionen!, potest impedire voluntatem ab omni actu suo: quia voluntas non potest ferri nisi in cognitum; sed multa possunt totaliter nos impedire a cognitione, sicut profundus somnus. II, dist. 25, q. 3.

236

Drittes Kapitel.

Wille durch widerstrebende sinnliche Begierden eine Hemmung- erfahren.1)

In allen diesen Fällen kann also der Wille einem Zwange, richtiger einer bald größeren bald geringeren Hemmung, unter- liegen. Somit ist er in diesem Sinne zu verschiedenen Zeiten verschieden frei.

Aber er ist es auch, insofern er durch die göttliche All- macht direkt an einem Wollen oder Tun gehindert werden kann.

Dies gilt auch von dem Willen der Engel. Der göttliche Wille dagegen kann schlechthin an keinem Akte gehindert werden und seinem Wollen entspricht stets das Können.2) Darum ist er, weil allmächtig, zugleich der freieste;3) mag er auch von Ewigkeit alles wollen, was er will, ohne das Gegenteil wollen zu können. Denn diese Unveränderlichkeit schließt die Freiheit des Willens nicht aus.4)

Einen ersten Beweis für die Freiheit liefert die Erfah- rung. „Wir erfahren in uns eine zweifache Freiheit." Die eine besteht darin, daß wir die Akte des Überlegens und Wählens haben oder nicht haben können ; die andere darin, daß wir diese Akte vorausgesetzt nicht absolut notwendig ihre Objekte erstreben.0)

1) L c

2) subest enim ei. si voluerit, posse. II, dist. 25, q. 3.

s) liberum arbitrium non est aequaliter in omnibus, sed est perfectius in Deo et liberius quam in Angelo et in angelo liberius quam in nomine. Et in uno homine liberius est in uno tempore quam in alio. 1. c.

4) II, dist. 25, q. 3; II. dist. 24, q. 2.

5) Quantum ergo ad istos actus, scilicet conclusivum iudicium intellectus et electionem voluntatis experimur in nobis duplicem libertatem. Una est, qua possumus hos actus habere vel non habere. Alia est, qua habentes tales actus non necessario tendimus per eos in eorum objecta loquendo de necessitate absoluta.

Et quod primum experimur in nobis, probo secundum quod in cognoscente et volente illi actus sunt liberi, quia absque coactione et absque necessaria habitudine potentiarum ad objecta loquendo de necessitate absoluta. Sed hic est in proposito : ergo etc. Maior patet, quod libertas arbitrii in cognoscente et volente non excludit nisi coactionem et necessitatem absoluta m. Minor declaratur: quia tendentia potentiae in obiecta per actus tales nec est coacta nec necessaria necessitate absoluta . . .

6. Durandus von St. Pourcain.

237

Zweitens fordern ethische Interessen die Annahme der Freiheit. Wäre das liberum arbitrium durch voraus- gehende Akte bestimmt und nicht „das erste Prinzip aller freien Akte, so könnten wir nicht sündigen." *)

Quellen. Durandus bietet nur wenige Zitate.

Den Begriff der Freiheit im Gegensatze zur Knechtschaft entnimmt er der aristotelischen Metaphysik.2)

Mit Augustinus lehrt er. jeder aus Intellekt und Wille zusammengesetzte Akt sei auch dann frei, wenn keine Möglich- keit zu dem entgegengesetzten Akte bestehe.3} Weshalb die Freiheit „wie Bernhard sagt" 4) allen, die über den Ge- brauch ihrer Vernunft verfügen, den Guten wie Bösen, in gleicher Weise zukomme. Ohne Quellenangabe beruft sich Durandus auf den augustinischen Satz: ohne freien Willen keine Sünde.5)

In den Bestimmungen über das Verhältnis der partikulären Güter zu dem höchsten Gute macht sich der thom istische Einfluß geltend, desgleichen in der Zurückführung und Begrün- dung der Willensfreiheit auf die Freiheit des Intellekts d. h. auf die Indifferenz des Werturteils hinsichtlich der endlichen Güter.

Aber im Unterschiede von Thomas, der unter allen Umständen die Herrschaft des Willens über seinen Akt ob- zwar nicht immer über sein Objekt fordert, lehrt Du- randus schlechtweg, der Wille könne dem höchsten Gute gegen- über nicht mit seinem Begehren zurückhalten.

sicut Deus ab aeterno libere decrevit ac voluit aliqna fieri in tempore nou quia potuit habere vel non habere actum talis iudicii vel electionis quantum ad essentiam actus : sed quia intellectus divinus practicus et voluntas non habent necessariam habitudinem ad talia volita: sicut nos habentes tales actus libere per ipsos iudicamus et volumus aliqua fieri praeter libertatem quam habemus respectu talium actuum. ... II, dist. 24, q. 2. *) II, dist. 24, q. 1.

2) 1. c. q. 3.

3) 1. c. q. 2.

4) II, dist. 25, q. 3. ») II, dist. 24, q. 3.

238

Drittes Kapitel.

Folgerungen.

Den von einigen Vorgängern gemachten Versuch, die Ent- stehung des Willensaktes metaphysisch zu verfolgen, beachtet Durandus nicht, geschweige, daß er ihn weiter entwickelt. Statt dessen wiederholt er nur die traditionelle, begriffliche, auf ihren psychologischen Wahrheitsgehalt nicht weiter untersuchte Formulierung: der Wille ist das erste Prinzip unserer Hand- lungen; auch Durandus setzt stets den schon vorhandenen Willensakt voraus, ohne weiter nach seiner Ursache zu fragen.

Diese Voraussetzung macht sich gleich geltend bei dem logischen Nachweis, das liberum arbitrium könne kein Habitus, kein dauernder Zustand, könne vielmehr nur ein Vermögen sein. Die Deduktion ist rein analytisch; denn sie setzt bereits die unbewiesene Annahme voraus, das liberum arbitrium sei das erste Prinzip unserer Handlungen.

Weiterhin behauptet Durandus ohne jede Spur eines Beweises und einer Analyse des Schuldbegriffs: wir könnten nicht sündigen, wenn dem liberum arbitrium bereits andere Akte vorausgingen, die es bestimmten.

Auch hier sehen wrir wieder das ethische Interesse an der Erklärung der Sünde im traditionellen christlichen Sinne die psychologischen Begriffe kritiklos beeinflussen.

W. Durandus und P. Aureolus sind die nominalistischen Vorläufer des Franziskaners Wilhelm von Occam, dessen Frei- heitslehre, wie seine logische Doktrin, manche neue Gesichts- punkte eröffnet.

7. Wilhelm Occam.

Die Freiheit kann in fünffachem Sinne gemeint sein.

Die Guten besitzen, im Unterschiede von den Bösen, die Freiheit von Schuld, Elend und Strafe.

Frei vom Zwange aber ist zweitens der Wille seiner Natur nach; insofern er nichts tun kann, was gegen seine innere Neigung ist.

Aber während drittens der Mensch lediglich zu keinem inneren Akte, selbst nicht von Gott, gezwungen werden

7. Wilhelm Occam.

239

kann, wohl aber zu äußeren Handlungen, sind viertens die guten Engel schlechthin weder innerem noch äußerem Zwange unterworfen.

Die fünfte Freiheit der Un Veränderlichkeit besitzt der Wille, wenn er, wie bei den im Guten befestigten Engeln, nicht mehr sündigen kann d. h. beständig auf das Gute gerichtet ist Welche Beharrlichkeit, weit entfernt, die Freiheit aufzuheben, vielmehr eine Vollkommenheit bedeutet.1)

Während das natürliche agens nur durch ein anderes äußeres agens von der Potenz zum Akt überfährt wird, ak- tuiert sich der Wille als freies agens selbst.

Sein Objekt ist das erkannte Gute.

Aber wenn auch diese Bedingung, wie alle übrigen Voraus- setzungen zum Handeln, erfüllt sind, so vermag der Wille trotz- dem seinen Akt nicht zu setzen. Wenn er ihn aber setzt, so tut er es ohne alle Mitwirkung eines äußeren agens.'2)

Gerade darin besteht die Freiheit des Willens: in der In- differenz desselben zu seinen Akten.3)

1) Libertas accipitur quinque modis; . . . uno modo ut opponitur servituti culpae, secundo ut opponitur servituti miseriae, tertio . . . poenae . . . coactioni . . . immutabilitati. Quaestiones et decisiones in IV. libros Sent., Lyon 1495, lib. II, q. 19.

2) Sed hic est dubium, quia impossibile est, quod agens, dum existit pro tempore in potentia essentiali ad actum, quod reducat se de potentia ad actum sine agente extrinseco. Sed voluntas potest esse per tempus in potentia essentiali ad volitionem. Ergo non potest educere seipsum.

Kespondeo et dico, quod argumentum est verum de agente naturali siye sit corporale sive spirituale. Sed in agente lib er o, cuiusmodi est volun- tas, est instantia manifesta, quia objectum potest esse cognitum et praesens voluntati et omnia alia requisita ad actum volendi possunt manere per tempus: et potest (sc. agens liberum) non elicere actum suum et deinde elicere sine omni actione extrinseca et hoc totum est propter libertatem suam.

Ad principale argumentum dico, qnod idem potest esse activum et passiv um respectu eiusdem; nec ista repugnant ad invicem. Quodli- beta septem, Straßburg 1491, Quodl. I, q. 16.

3) Voco libertatem potestatem, qua possum indifferenter et con- tingenter effectum ponere, ita quod possum eundem effectum causare et non causare, nulla diversitate circa illam potentiam facta. 1. c.

240

Drittes Kapitel.

Das natürliche agens dagegen muß tätig sein, wenn die Bedingungen für seine Tätigkeit gegeben sind.1)

Was die Beweise für die Willensfreiheit betrifft, so läßt die Vernunft dieselbe zweifelhaft; die Erfahrung aber läßt sie mit Evidenz erkennen. Denn der Mensch er- fährt in sich, daß der WTille, was immer die Vernunft auch be- fiehlt, wollen und nicht wollen kann.2)

(Die zweifelhafte Sicherheit der Vernunft in diesem Punkte bezieht sich wohl auf den „Beweis" der Freiheit aus der Tat- sache des Zufalls wie wenn jemand gräbt, um zu pflanzen, und dabei einen Schatz findet oder wie wenn jemand auf den Markt geht, um seinen Freund zu treffen und dort seinen Schuldner findet, der ihm Geld zahlt.)

„Zufall und Glück" können nur „gerettet" werden, wenn sich unter den bewirkenden Ursachen wenigstens ein freies agens findet.3) Denn natürliche Agentia bringen alle Wirkungen notwendig hervor; Zufall und Glück aber sind nicht notwendig.

Quellen.

Eine Angabe seiner Quellen umgeht Occam. Offenbar war es der offizielle Lehrer seines Ordens, Duns Scotus, mit dem er

1) agens naturale habens passivum sibi approximatum et non iinpedi- tum necessaria agit. Quaest. et dec. in IV. lib. Sent., II, q. 25.

2) dubiiim dici, quod non potest probari (sc. quod vohmtas sit libera) per aliquam rationem, quia omnis ratio probans accipit aeqne dubia et aeque ignotum conclusioni vel ignotius. Potest tarnen evidenter cognosci per experientiani, per hoc quod homo experitur, quod quantumcumque ratio dictet aliquid, potest tarnen voluntas hoc velle vel nolle . . . Quodl. I, q. 16.

3) onme quod fit ab agente vel ab agentibus mere naturalibus non potest nec potuit impediri nisi concurrat agens liberum . . .

f ortuna accidit ex hoc, quod accidit aliquis effectus a causa naturali et libera vel a duabus causis liberis praeter intentionem agentis. Exemplum primi : Si aliquis fodiat terram ad plantandum et inveniat praeter intentionem thesaurum: exemplum secundi: Si aliquis vadat ad forum ad videndum ami- cum et inveniant creditorem, qui solvit pecuniam. Sed casus potest con- currere immediate ex concursu causarum naturalium, sed Semper tarnen accidit mediate ex concursu causarum naturalium et partiatim a causa libera. Die kosmische, metaphysische Bedeutung des agens liberum beruht darauf, daß es dient: ad salvandum casum et fortunam in rebus. 1. c. q. 17.

7. Wilhelm Occam.

241

vor allem vertraut war. Daher auch die spezifisch scotistische Wendung des Freiheitsbegriffs.

Folgerungen. Gegenüber seinen Vorgängern bedeutet Occam in der Ge- schichte unseres Problems insofern einen wichtigen Fort- schritt, als er zum ersten Male die ausdrückliche Frage er- hebt: „ob es genügend bewiesen werden könne, daß der Wille frei ist".1)

Aber die Antwort auf die Frage fällt sehr dürftig aus.

Die Vernunft wird ganz abgewiesen als Erkenntnisprinzip der Freiheit während doch die Vorgänger mit Vorliebe ge- rade aus dieser Quelle ihre logisch-analytischen Argumente ge- schöpft hatten.

Die Abweichung von einem beliebten traditionellen Beweis- mittel erklärt sich wohl aus der allgemeinen pessimistischen Stellung des Franziskanerordens zu dem Leistungsvermögen der Vernunft.

Um so kräftiger aber wird die Erfahrung betont. Sie soll «die Willensfreiheit „evident" beweisen.

Indes, eine kritische Betrachtung muß auch gegen diese Evidenz Bedenken erheben.

Occam will die Willensfreiheit beweisen durch die „Erfah- rung, die der Mensch macht, daß der Wille wollen oder nicht wollen kann, was auch immer die Vernunft diktiert".

Diese Tatsache, hier einmal ohne Einschränkung zugegeben, könnte aber doch lediglich zu dem Schlüsse berechtigen: der Wille ist nicht der absoluten Herrschaft des Verstandes unterworfen und insofern frei.

Damit aber ist noch mit keinem Worte dargetan, daß der Wille seiner Entstehung nach nicht von anderen psychischen Faktoren bewußter oder unbewußter Art abhängt und in- sofern unfrei ist!

Auch Occam macht eben die unbewiesene traditionelle Voraussetzung, daß erstens im Laufe der seelischen

*) Utrum probari possit sufficienter, quod voluntas libere causat actus suos effective. 1. c. q. 16.

Verweyen, Das Problem der Willensfreiheit. 16

242

Drittes Kapitel.

Entwicklung jemals die völlig gleichen Bedingungen gegeben sind, und daß zweitens der Wille als ein sich nicht ver- änderndes „Vermögen" ihnen gegenübertritt mit der Fähigkeit,, sich so oder so zu entscheiden.

Der gleiche Mangel tritt uns bei seinem Schüler Gabriel Biel, dem sogenannten „letzten Scholastiker" entgegen. Doch/ zuvor noch einige Worte über den, ebenfalls dem Nominalismus huldigenden, Pierre d'Ailly, der bereits dem fünfzehnten Jahr- hundert angehört.

III. Fünfzehntes Jahrhundert

1. Pierre d'Ailly.

Eine „freie" Ursache kann im Gegensatze zu einer „natür- lichen" — selbst dann noch handeln oder nicht handeln, wenn „alle" zum Handeln erforderlichen Bedingungen erfüllt sind.1 Objekt des Willens ist nur ein aktuell erkanntes Gut.2) Nur gelegentlich zitiert Peter den Aristoteles3) und Augustinus.4) Im übrigen legt er auf Angabe der Quellen keinen Wert. Wir brauchen uns bei dieser Frage nicht lange aufzuhalten, zumal Peter in seinen knappen Ausführungen über das Problem nichts Neues bietet. Es sei nur darauf hingewiesen, daß seine Definition der Freiheit insbesondere der des Buridan und Occam entspricht.

*) causa libera in hoc differt a naturali, quod omnibus requisitis ad agendum potest agere et potest non agere. Non sie causa naturalis . . .

quamvis aliqua res contingens, quae est in aliquo instanti, de necessitate sit in illo instanti, s i est in illo instanti, non tarnen de necessitate est in illo instanti, sed contiugenter. Quaestiones super libr. sent., Argentorati 1490, I, q. 11.

2) quod voluntas non potest diligere seu velle incognituin, patet per Augustinum. Invisa diligere possumus, incognitum nequaquam . . .

ad hoc, quod voluntas eliciat actum volitionis non sufficit cognitio h a b i - tualis . . . non volumus nisi cum . . . distinete vel confuse actualiter cogitamus. I, q. 4.

') I, q- IL

4) I, q- 4.

2. Gabriel Biel.

243

Deshalb können wir hier auch auf eine sachliche Würdigung verzichten.

Bedeutender als Pierre d'Ailly, obzwar nicht hinsichtlich origineller Gedanken, so doch bezüglich einer systematischen Darstellung der Doktrin seines Lehrers W. Occam, ist Gabriel Biel, dem wir uns zum Schlüsse noch zuwenden.

2. Gabriel Biel.

Es gibt ein dreifaches Begehrungsvermögen: das natürliche, wie es sich in den „Naturdingen" findet, bedarf nicht der Erkenntnis seines Objekts; das sinnliche Begehren dagegen richtet sich nur, und zwar notwendig, auf das sinnlich wahrgenommene Objekt.

Das vernünftige Begehren, der Wille, setzt ein Urteil des Intellekts voraus.1)

Objekt des Willens ist stets ein erkanntes Gut,2) das als Partialursache des WTollens bezeichnet werden kann ; 3) die Hauptursache des Willensaktes aber ist der Wille selbst.

Der Intellekt kann also, so wenig wie irgendwelche Gefühle,4) den Willen nicht determinieren. Im Gegenteil vermag dieser im gewissen Grade jenen zu bestimmen.

Der erkannten Wahrheit muß zwar der Intellekt zustimmen; er kann daran direkt nicht durch den Willen gehindert werden : 5) wohl aber indirekt. Denn der Wille kann die Aufmerksamkeit

*) appetitus naturalis sensitivus rationalis, voluntas. Seilt, lib. III, q. 27; III, dist. 15.

2) III, dist. 23, q. 1.

3) causa partialis. II, dist. 25, q. 2.

4) voluntas ad ostensionem rationis non necessario, sed libere eligit operationem ipsam : hoc est libere vult ostensum vel dictum a ratione: non necessario ex surreptione vel passione, timore sc. aut dolore vel coactione . . . voluntas potest ex libertate sua velle aliquid contra con- scientiam erroneam, quod esset conforme rationi, si inesset. III, dist. 23, q. 1.

5) actus assentiendi vero evidenti et dissentiendi falso evidenti non subsunt voluntatis imperio. Nam intellectus non potest non assentire vero evidenti et apprehenso. Et sive voluntas velit sive nolit, intellectus assentit. III, dist. 23, q. 2.

16*

244

Drittes Kapitel.

des Verstandes von dem betreffenden Objekte ablenken und auf ein anderes richten.1)

Womit die Fähigkeit des Willens zusammenhängt, den an- geborenen Neigungen zum Bösen die also unfrei sind nicht zu folgen; er vermag eben die Aufmerksamkeit des In- tellekts auf andere Objekte, auf das Gute, hinzulenken.2)

Denn der Wille ist dem Guten wie Bösen gegenüber in- different, d. h. im Gegensatze zu einer natürlichen Potenz, die stets zu einem von zwei entgegengesetzten Akten determi- niert, also notwendig tätig ist unter Voraussetzung aller zum Tätigsein erforderlichen Bedingungen tätig sein muß eine freie Potenz, d. h. eine Potenz, die sich entgegengesetzten x\kten gegenüber indifferent verhält, ihrer Natur nach zu keinem derselben determiniert ist; eine Potenz, die es in ihrer Macht hat, diesen oder jenen Akt oder gar keinen derselben zu setzen und zwar, wie immer wieder betont sein muß, unter sonst völlig gleichen Bedingungen;3) denn der Wille ist die unmittelbare Ursache seiner Akte.4)

1) ille assensus non dependet ab imperio voluntatis immediate, nisi forte quantum ad sui continuationem, quantum voluntas potest intellectum avertere a consideratione veritatis evidentis et convertere ad aliorum con- siderationem : et tunc cessabit assensus ; tantum stante consideratione veri evidentis non potest intellectus non assentire secus de vero evidenti. 1. c.

2) licet voluntas non sit libera, quantum ad actum illius inclinationis (sc. habitus vitiosi), est tarnen libera ad non sequendum eum. Patet enim ex sua libertate secundum inclinationem gratiae actum contrarium elicere cum maiori conatu: et avertere intellectum a consideratione prioris objecti, ut esset primus actus sive inclinatio. III, dist. 23, q. 1.

3) Potentia autem libera, ut distinguitur contra naturalem, est po- tentia indifferens ad opposita: quae scilicet in sua potestate habet utrumque oppositorum, scilicet facere et non facere, quod sie intelligendum est: Potentia libera est, quae omnibus ad produetionem alieuius effectus requisitis, eodem modo se habentibus, nullo variato ex parte sui vel alterius, habet in potestate sua: ita non producere sicut producere: ita quod ex natura sua ad neutrum determinatur: et talis potentia dicitur contingenter produetiva. Non est autem hoc intelli- gendum, quod habeat in potestate sua illa opposita producere sc. et non produ- cere pro eodem instanti hoc enim implicat contradictionem sed pro diversis instantibus successive . . . Potentia naturalis opposito modo describi- tur: est potentia ad unum oppositorum determinata, quae non habet in sua potestate utrumque oppositorum ad sensum praeexpressum : et talis

2. Gabriel Biel.

245

Natürlich bezieht sich die Fähigkeit zu entgegengesetzten Akten nicht auf die gleichzeitige Ausführung derselben das wäre eine Unmöglichkeit, weil ein Widerspruch in sich sondern auf verschiedene Augenblicke.1)

Er wird durch nichts zu seinen Akten gezwungen. Darin besteht seine natürliche Freiheit, seine Unabhängigkeit von der Notwendigkeit des Zwanges. Nur sie ist dem Wesen der Freiheit zuwider; nicht dagegen auch die Notwendigkeit der Unveränderlichkeit oder des Nicht-vermeiden-könnens. Wenn etwas nicht nicht sein kann, so schließt dies an

potentia agit necessario , id est : positis omnibus ad productionem effectus requisitis non potest non agere . . . quod voluntas non est respectu cuiuslibet velle [est] causa libera, patet de obstinatis et damnatis : similiter de voluntate confirmatomm in beatis ... Sic etiam accipit Daraascenns libertatem, cum dicit: „lila, quae sunt in potestate nostra, si faciamus vel si non f aciamus, ea sunt objecta liberi arbitrii." Ait enim : „Eorum, quae fiunt. haec quidem sunt in nobis, haec non sunt in nobis. In nobis quidem sunt, ad quae nos sumus liberi arbitrii facere et non facere. Et simpliciter sunt in nobis, quae sequitur laus et vituperatio et lex. Principaliter autem sunt in nobis illa opera, de quibus consiliamur. II, dist. 25. arbitrii libertas potens omnibus aequaliter ge habentibus diverso modo se sistere vel movere. Sacri canonis missae expositio, Tübingen 1499, Lectio 52. Vgl. auch Collectorium lib. II, dist. 25.

4) Voluntas est causa immediata productiva volitionis et nolitionis. Probatur: quod tales actus sunt in potestate voluntatis im- mediate ; ergo est causa eorum immediata. . . . Secundum illud beati Augustini in retr. c XXII. „Hoc est in potestate nostra, quod, cumvolumus, facimus. Ergo si volitio nostra non est in nostra potestate: nec consequens actus erit in nostra potestate. Sent. lib. II, dist. 25.

*) Libertas sive contingentia agentis non stat in hoc, quod ipsa potentia activa possit in opposita s i m u 1 : ita quod pro illo instanti, pro quo producit aliquem effectum, pro eodem possit eum non producere . . . talis potentia hoc modo ad opposita est simpliciter impossibilis . . . Libertas potentiae activae non consistit in hoc, quod effectum, quem potest producere, priusquam producit . . . potest a productione cessare pro alio instanti. Libertas potentiae activae stat in hoc, quod sine omni Variation e ad- veniente sibi vel alteri et per non - cessationem vel absentiam alterius causae potest producere aliquem effectum pro certo instanti: et pro alio a productione cessare: vel quia omnibus eodem modo se habentibus habet facultatem producendi et non producendi effectum prius tarnen quam producat . . . per hunc modum sufficienter salvatur contingentia in rebus futuris: et differentia inter agentes naturaliter et libere. I, dist. 38

246

Drittes Kapitel.

sich doch seine Freiheit nicht aus. In diesem Sinne ist die Zeugung des Sohnes Gottes durch den Vater, obwohl not- wendig, doch frei, weil sie ohne Zwang geschieht.1)

Mit der natürlichen Freiheit des Willens, die keine Grade kennt, kann sich die Freiheit von der Sünde und von dem Elende verbinden.2)

Die beiden letzten Arten der Freiheit lassen verschiedene G r a d e zu. Je befestigter der Wille im Guten ist, um so freier ist er in dieser Hinsicht, um so weniger unterliegt er der Knechtschaft des Bösen und allen Einflüssen, die ihn am Guten hindern. Weil solche Einflüsse im Himmel gänzlich fehlen, so ist der Wille der Seligen freier (im sittlichen Sinne) als der menschliche.3)

Den ersten Beweis für die natürliche Freiheit des Willens liefert die Erfahrung. „Jeder Mensch erfährt in sich, daß der Wille wollen oder nicht wollen kann, was auch immer die Vernunft diktiert." 4)

1) Quamvis pater gennit Filium necessario necessitate inevitabili- tatis, non tarnen genuit necessario necessitate coactionis. I, dist. 6. multiplex est necessitas. Est enim necessitas absoluta vel simpli- citer dicta: cuius scilicet oppositum includit contradictionem. Alia est necessi- tas violentia sive coactionis, qualis est necessitas corruptionis ligni positi in ignem, quod violenter ab igne corrumpitur. Tertia est necessitas finis sive conditionata : sie necessarium est ad beatitudmem consequendam : et quaelibet duarum necessitatum ultimarum aeeipi potest secundum potentiam Dei ordi- natam vel absolutam. III, dist. 16.

2) libertas naturae (a coactione), gratiae (a culpa), gloriae (a miseria). II, dist. 25.

3) Liberior est voluntas confirmata in bono: non respectu illorum actuum, ad quos necessario determinatur, sed respectu aliorum actuum. Nam voluntas non potens peccare est liberior non ad peccandum, sed ad actus bonos, quia minus impedita per servitutem peccati : alioquin si necessi- tas, cui adjicitur voluntas, augeret libertatem, etiam voluntas damnati esset liberior. Non ergo intendunt saneti, quod voluntas respectu illius actus, ad quem necessario se habet, libere operetur, sed quod voluntas beati sit libera simpliciter et liberior quam prius ex eo, quod minus potest nunc impediri in executione multorum actuum a causis extrinsecis quam in vita propter ilbm confirmationein in bono. Poterat enim prius cogi ad actus indecentes im- peratos, tunc vero cogi non potest. I, dist. 10, q. 2.

4) hoino in se experitur, quod qantumeumque ratio dictet aliquid esse volendum, potest tarnen voluntas hoc velle vel nolle. II, dist. 25.

2. Gabriel Biel.

247

Ein zweiter Beweis liegt in dem Begriffe des Willens: frei handeln nnd wollen ist identisch ; *) wider Willen wollen, also gezwungen wollen, eine contradictio in adjecto.2) Seiner Natur nach ist der Wille zu keinem von zwei entgegen- gesetzten Akten determiniert.3)

Drittens fordern ethische Interessen die Freiheit des Willens. Von Verdienst könnte keine Rede sein; „Lob und Strafe, Lohn und Gebote wären vergeblich, wenn der Mensch nichts durch sein liberum arbitrium täte oder unterließe." 4j Nur der gewollte d. h. freie Akt wird „zugerechnet".5) Und „vieles andere Absurde" würde aus der Unfreiheit folgen, abgesehen davon, daß

viertens die Freiheit durch „zahllose Autoritäten der heiligen Schrift" bewiesen wird.

Fünftens spricht die Tatsache des Kontingenten für die Freiheit des Willens.

Denn die Kontingenz in der Welt, d. h. die Tatsache, daß nicht alles, was geschieht, schlechthin notwendig ist, kann

Magere libere est agere pervoluntatem. Etita omnis actio voluntatis, sive sit necessaria sive conthigens , dicitur libera : et ita libertas compatitur necessitatem. Et agere naturaliter est agere non per voluntatem ... I, dist. 10, q. 2.

2) Non potest Deus cogere voluntatem, ut invite velit. Patet, quod hoc videtur implicare contradictionem; nam invitus habet nolle, nolle est non yelle. II, dist. 25.

8) appetitus rationalis praesnpponens indicium intellectus natus libere actum suum elicere : et vocatur appetitus rationalis vel intellectivus seu voluntas. Et amor rationalis intellectivus est actus voluntatis, quo libere acceptat objectum per intellectum sibi praesentatum . . . Sunt autem in volun- tate tantum duo actus : scilicet velle et nolle . . . Velle, quo voluntas acceptat obiectum ut conveniens sibi vel alteri. Nolle similiter est actus positivus, quo voluntas fugit vel resilit ab objecto tamquam disconveniente. III, q. 27.

4) si homo nihil per liberum arbitrium ageret vel omitteret, frustra esset ■omne humanuni consilium, ut deducit Damascenus üb. II, c 28. Nullus etiam pro suis actibus mereretur praemium vel poenam: ut ostendit Augustinus lib. II de üb. arb. Sic etiam divina praecepta homini non prodessent, si non libere servando pervenirent ad praemium. Illud est etiam pene contra in- numerabiles sacrae scripturae auctoritates. Et alia pluria ab sur da induci possent. II, dist. 25.

5) Nullus a voluntate non elicitus neque imperatus est voluntarius nec imputatur. III, dist. 23, q. 1.

248

Drittes Kapitel.

nur „gerettet" werden durch die Annahme, daß es neben den natürlichen, mit eindeutiger Notwendigkeit wirkenden Ur- sachen freie Ursachen gibt.1)

Diese Beweise beziehen sich auf die natürliche Freiheit vom Zwange, die selbst Gott dem Willen nicht nehmen kann, ohne zuvor dessen Natur zu zerstören.'2)

Aber nicht gänzlicher Beeinflussung ist der Wille un- zugänglich.

Durch Überredung, Furcht, Versprechungen und ähnliche Mittel, auch durch „göttliche Erleuchtung" kann der Wille be- einflußt werden, etwas zu wollen, was er vorher nicht wollte. Dies ist jedoch nur möglich, insofern der Wille selbst der Über- redung zustimmt.

Allgemein gesprochen, der Wille kann sich ändern; wenn

1) inquirendum est quomodo et unde eontingat contingentia in rebus. Contingentia effectus praesupponit libertatem alicuius causae agentis. Probatur illa conclusio, quod, ubi omnes causae agentes concurrentes ad pro- ductionem alicuius effectus agunt naturaliter, agunt necessario . . . eadem necessitate est eius effectus, qua causae producentes agunt; alioquin causae producerent et tarnen nihil producerent, quod implicat (contradictionem). . . . Est opinio, quae ponit hanc conclusionem : contingentia non potest salvari nisi prima causa contingenter et libere agat. . . . Sed ... libertas voluntatis creatae videtur sufficere ad salvandain contingentiam. Nam ad hoc, ut effectus contingenter producatur, sufficit unam causam requisitam esse liberam; posito ergo per impossibile, quod prima causa naturaliter et necessario ageret ; quia tarnen voluntas creata cum causa prima partialiter ad multos effectus concurrit, nihilominus propter eius libertatem, cum libere, non necessario concurrit, potest poni vel impediri actio. Sicut actus intelligendi naturaliter et necessario causat volitionem et tarnen volito libere causatur propter libertatem voluntatis cum intellectione volitionem causantis. Nec ratio con- cludit : quia potest causa prior naturaliter movere et causa secunda non natura- liter moveri ad agendum ad bonum intellectum : potest enim prior causa facere, quod in se est et ita movere posteriorem et tarnen posterior propter sui liber- tatem non parere huic motioni. Sicut pulchritudo obiecti delectabilis natura- liter movet ad sui desiderii: et tarnen potest voluntas resistere per suam liber- tatem et non concupiscere illud, immo nolle ipsum. I, dist. 38.

2) Voluntas libera cogi potest a Deo, ut non possit velle obiectum voli- bile. Patet, quia potest annihüari; item potest ab ea rationis usus tolli. Item potest Deus . . . suspendere voluntatem ab eliciendo . . . Deus potest actum voluntatis, qui est velle, creare in voluntate. II, dist. 25.

2. Gabriel Biel.

249

er nämlich aus der Ruhe zur Tätigkeit oder aus dem Wollen zum Nicht- wollen übergeht.1)

Obgleich er bei jeder Veränderung der Mitwirkung der ersten bewegenden Ursache bedarf, so verliert er dabei doch nicht seine Freiheit. Denn Gott „wirkt frei mit",2) d. h. so, daß er die Freiheit des Willens nicht zerstört.

Quellen.

Mit Aristoteles nennt Biel die vernünftige Potenz eine solche ist der Wille eine Potenz zu entgegengesetzten Akten,3) derart, daß wir von Anfang bis zu Ende Herr über die Akte des Willens als des vernünftigen Begehrungsver- mögens sind.4)

Die Unterscheidung eines dreifachen Begehrungsvermögens entnimmt Biel dem Boethius.5)

Augustinus und Bernhard liefern den Autoritätsbeweis, daß die Freiheit wesentlich dem Willen, nicht der Vernunft an- gehört.

Daß die Freiheit von der Sünde und vom Elende verschie- dene Grade besitzt, lehrt Biel mit Augustin und Anseimus. Daß die Freiheit eine vernünftige Potenz ist, behauptet er mit Augustinus,6) dem er auch die weiteren Bestimmungen ent- lehnt: der Wille kann nur Bekanntes lieben;7) seine Freiheit folgt aus der verschiedenen Wirkung des schönen Objekts auf verschiedene Willen zur gleichen Zeit oder auf denselben Willen

1) refert dicere voluntatem induci et voluntatem mutari et voluntatem cogi. Inducitur persuasione, qua inclinatur ad aliquid, ad quod non inclinaretur nisi persuasa. Mutatur quando fit de volente non volens aut e converso . . . Cogitur dum invita aliquid vellet, id est, dum repugnante actu suae voluntatis ad oppositum compelleretur. II, dist. 25.

2) voluntas creata libere producit actum suum et divina libere coagit. Libere enim Deus se determinat producendo voluntatem liberam sibi coagere ad producendum quemcumque actum interiorem elicitum. II, dist. 37.

3) II, dist. 25.

*) III, dist, 23, q. 1.

5) III, dist. 27.

6) III, dist. 25.

III, dist. 23, q. 2.

250

Drittes Kapitel.

zu verschiedener Zeit;1) ohne Freiheit gibt es weder Lob noch Tadel, weder Verdienst noch Schuld,2) kurz keine sittliche Zu- rechnung*.

Letztere Ansicht entlehnt Biel zugleich dem Damascenus,3) dessen berühmter Satz: Bruta magis aguntur quam agunt natürlich auch nicht unter den Zitaten fehlt.

Ferner stützt Biel seine Ansicht, nur die Notwendigkeit des Zwanges, nicht auch die der Unveränderlichkeit schließe die Freiheit aus, auf Bonaventura.4)

Endlich gibt Biel gelegentlich auch einen allgemeinen Hin- weis auf seinen Lehrer Occam, so bei der Aufzählung der Be- weise für die Freiheit. Dabei erwähnt er ebenfalls flüchtig Gregorius Ariminiensis.5)

Folgerungen.

Es ist bezeichnend, daß erst gegen Ende der scholastischen Periode, im freieren Zeitalter des Nominalismus, die ausdrück- liche Frage nach der Möglichkeit eines Beweises für die Willensfreiheit aufgeworfen wird.

Der „letzte Scholastiker" folgt darin seinem Lehrer Occam und macht sich gleich diesem die Beantwortung der Frage nicht sonderlich schwer.

Der Wille ist frei ; denn sonst so heißt es in autoritativer Berufung auf Augustinus, Damascenus und die heilige Schrift wäre Lohn, Lob, Strafe, Schuld, Verdienst, kurz die sittliche Weltordnung, unmöglich. Überdies würde sich alsdann auch noch „vieles andere Absurde" ergeben.

Ganz abgesehen davon, daß diese letzte Phrase keine Er- klärung findet, fühlt sich Biel so wenig wie irgendeiner seiner Vorgänger veranlaßt zu einer philosophischen Ana- lyse jener sittlichen Grundbegriffe. Vielmehr setzt er ihre Berechtigung in der vulgären und traditionellen Form einfach voraus.

') I, dist. 28.

2) II, dist. 25.

3) II, dist. 25.

4) II, dist. 25.

5) II, dist, 25.

2. Gabriel Biel.

251

Ebenso unbewiesen ist das metaphysische Axiom, es gebe Kontingente Ereignisse d. h. Vorgänge, deren Gegenteil bzw. Nicht-sein realiter möglich sei.

Wenn Biel hieraus den Schluß auf die Existenz eines kon- tingenten oder freien agens schließt, das seinerseits nun wiederum die Tatsache des Kontingenten erklären soll, so bewegt er sich dabei olfenbar in einem groben Zirkel.

Endlich bleibe noch dieses dialektische Kunststück nicht unerwähnt. Biel behauptet, um die Indifferenz des Willens gegenüber dem Verstandesurteil und damit die Kontingenz zu „retten": das „Objekt" sei nicht aktiv an der Hervorbringung des Willensaktes beteiligt. Beweis: der Wille kann auch dann einen Akt setzen, wenn das betreffende „Objekt" gar nicht existiert.

Eine grobe Verwechslung des inneren vorgestellten und äußeren realen Objektes!

Ein Fehler, der um so schwerer wiegt, als später ausdrück- lich das vorgestellte Objekt als Partialursache des Wollens be- zeichnet wird.

Zugunsten des „letzten" Scholastikers wollen wir annehmen, daß sich ihm jene Verwechslung nur unbewußt als willkommenes Mittel zur „Kettung" der Kontingenz darbot. Aber in jedem Falle zeigt auch dieses Beispiel wieder den unheilvollen Einfluß der Metaphysik auf die psychologische Behandlung des Willens- problems.

Werfen wir einen kritischen Eückblick auf die Lei- stungen des vierzehnten und fünfzehnten Jahrhunderts für die Vertiefung des Freiheitsproblems, so tritt uns eine solche gleich bei Thomas von Straßburg entgegen.

Statt sich mit den traditionellen metaphysisch-logi- schen Bestimmungen über den verschiedenen Wert der Güter und der dadurch bedingten freien Stellung des Menschen ihnen gegenüber zu begnügen, macht er den Versuch einer psycho- logischen Betrachtung eines konkreten Willens in einem ganz bestimmten Augenblicke. Dies führt ihn sogleich zu

252

Drittes Kapitel.

der beispielsweise auch Thomas von Aquino nicht fremden Einsicht, daß das „höchste Gut" bereits oftmals hieniedenr nicht erst im Jenseits, obzwar nicht mit logisch-metaphy- sischer Richtigkeit, so doch mit psychologischer Wirklichkeit dem Willen gegenübertritt, in allen Fällen nämlich, wo der Handelnde durch Affekte, etwa durch leiden- schaftliche Liebe, hingerissen zu dem Urteile kommt: dieses Objekt ist hic et nunc für mich das höchste Gut.

Thomas von Straßburg braucht nun bloß die traditionellen Bestimmungen über das Verhalten des Willens gegenüber dem höchsten Gute auf diesen Fall anzuwenden, um zu der Konsequenz zu gelangen, daß der Wille in diesem empirischen, gegenwärtigen Leben oftmals schlechthin determiniert d. h. tatsäch- lich — obzwar nicht auch für eine abstrakt- logische Be- trachtung — häufig eindeutig bestimmt ist. Eine zur Be- urteilung menschlicher Dinge höchst folgenschwere Einsicht, die der Scholastiker freilich noch nicht in ihrer ganzen theoretischen und praktischen Bedeutung wie Konsequenz ahnen konnte!

Bradwardinus nimmt den Faden des Thomas von Aquino wieder auf und betont vor allem die Abhängigkeit des Willens- aktes von der ersten Ursache, wobei er freilich einer wider- spruchsvollen Theorie des Bösen nicht entgeht. Bedeutsamer ist die von ihm zum ersten Male gegebene negative, ganz modern klingende, Kritik des Bewußtseinsargu- mentes für die Willensfreiheit.

Lullus bereichert das Problem um die terminologische Neuheit, der „Bruder" des Willens sei der Intellekt.

Wichtiger ist Buridanus, der zum ersten Male zwei psychische Akte, nämlich das Gefallen oder Mißfallen, also Gefühlsvorgänge, der eigentlichen, freien d. h. durch die vor- hergehenden Vorgänge nicht notwendig (eindeutig) bestimmten Willensentscheidung voraus gehen läßt. Wobei Buridan wie die übrigen nur übersieht, daß auch „der Wille" eine, und zwar höchst variable, Bedingung der freien Entscheidung ist. Wegen Nichtbeachtung dieses Sachverhaltes ist es auch ihm nicht gelungen, den Beweis für die psychologisch Nicht- eindeutige-Bestimmtheit jedes Willensvorganges zu erbringen. Denn auch er bezieht die Nicht-eindeutige-Bestimmtheit des

2. Gabriel Biel.

253

Willens immer auf die vom „Willen", als dem allgemeinen Willens verm ögen, verschiedenen Bedingungen des konkreten Willensvorganges, ohne dabei die stete Veränderung des „Will ensvermö gen s" zu berücksichtigen bzw. als Problem zu erkennen.

Aureolus ist so originell, das „Wohlgefallen" als letzten Bestimmungsgrund des Wollens, m. a. W. das Wollen als Grund des Wollens anzugeben.

Occam und Biel sind die ersten, die die Möglichkeit eines Beweises für die Willensfreiheit zum Problem erheben und dabei zu einem partiellen Skeptizismus gelangen.

Trotz aller Mängel im einzelnen ist nicht zu verkennen, daß unser Problem am Ende der Scholastik in ungleich reicherer Entwicklung erscheint als zu Beginn. Bei allem Formalismus doch mannigfache Ansätze zu einer ersprießlichen psychologischen Behandlung der Frage, die erst in der Gegenwart zu einer aus- sichtsreichen Erörterung zu gelangen scheint.

Kritischer Rückblick.

Zum Schlüsse wird man die Beantwortung der Frage er- warten, ob die Scholastik demlndeterminismus oder Deter- minismus huldige.

Um nicht mit un erläuterten Schlagworten zu spielen, sei die Antwort so präzisiert:

Versteht man unter Determinismus die Lehre, daß auch der Willensakt seine Ursache hat, so lehrt auch die Scholastik einen Determinismus; denn überall hörten wir die Schola- stiker sagen: „der Wille ist sich selbst Ursache"; „er be- wegt, determiniert sich selbst". Dabei ist unter Wille, wie immer betont wurde, das allgemeine Willensvermögen verstanden, das sich zu einer Mannigfaltigkeit von einzelnen Akten determinieren kann.

Nun aber gilt es auch diesen scholastischen Begriff des Determinismus vor Mißverständnissen zu schützen.

Er bezeichnet in seiner allgemeinsten Form und ausschließlich in dieser findet er nach scholastischer Lehre auf den Willen Anwendung : Bestimmung eines vorher Unbestimmten.

Aber in seiner besonderen Bedeutung besagt er, als Determinatio ad unum, die eindeutige Bestimmtheit.

In diesem Sinne findet er auf den Willen keine Anwen- dung. Denn immer wieder betonen die Scholastiker: der Wille ist seiner Natur nach keine „natürliche" d. h. zu einem Akte (also keine eindeutig) bestimmte, sondern eben eine „freie"

Kritischer Rückblick.

255

Potenz, die sich entgegengesetzten Akten gegenüber indifferent verhält.

Somit lehrt die Scholastik einen Determinismus in dem Sinne, daß sie jeden konkreten Willensakt als die Wirkung eines allgemeinen Willensvermögens ansieht; aber einen Indeterminismus, insofern sie lehrt, daß dieses Willensver- mögen nicht eindeutig zu einem bestimmten Willensakte deter- miniert ist, vielmehr von Natur die Möglichkeit zu entgegen- gesetzten Akten besitzt.

Aber auch insofern vertritt zweitens die Scholastik einen Indeterminismus, als sie den Willen in keinem Falle durch einen von ihm verschiedenen psychischen Vorgang weder durch den Intellekt noch durch Gefühle oder Affekte kurz, durch nichts „Anderes", „Fremdes", wie es immer heißt, determiniert denkt.

Wenigstens wird ein solcher Indeterminismus von den hauptsächlichsten Scholastikern vertreten, also vor allem von Scotus und Thomas.

Das Mißverständnis des Scotus, als lehre Thomas eine ab- solute Determination des Willens durch das höchste Gut, war offenbar der Anlaß, weshalb Spätere die thomistische Freiheits- lehre in einem ihr völlig fremden deterministischen Sinne inter- pretierten.

So sagt z. B. Suarez, einer der hervorragendsten Vertreter der jüngeren Scholastik: „die Freiheit des Willens stammt aus der Indifferenz des Intellekts; hat demnach die Determination des Intellekts stattgefunden auf Grund des Urteils, dieses Objekt sei nützlicher, so kann der Wille nicht nicht wollen."1)

Dieser Satz ist durchaus unthomistisch. Es wurde in den Ausführungen über das Verhältnis zwischen Thomas und Scotus quellenmäßig nachgewiesen, daß weder Scotus noch Thomas jemals eine absolute Notwendigkeit oder Determi- nation des Wollens zugibt.

Man kann also unter Nichtbeachtung der Abweichungen

x) Libertas voluntatis oritur ex indif f er entia intellectus; ergo facta determinatione intellectus et posito iudicio denionstrante hoc esse utilius, voluntas non potest non velle. Suarez, Disp. met., Tract. II, disp. 8, sect. 4.

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Kritischer Rückblick.

einzelner Vertreter, wie Suarez und z. B. auch Thoraas von Straßburg, im allgemeinen den oben gekennzeichneten Indeter- minismus als Gemeingut der Scholastik betrachten.

Erblickt man in ihm den wahren Indeterminismus" oder „Selbstdeterminismus", so kann man mit Ph. Kneib auch so formulieren: „Nicht Ursachlosigkeit, sondern Selbstursäch- lichkeit lehrt der wahre Indeterminismus, der nur deshalb diesen Namen trägt, weil er die naturhafte, die mechanische Determination negiert. Selbstursächlichkeit , Selbstbestimmung ist eben auch eine Ursächlichkeit." *)

Aber was besagt denn im Grunde so müssen wir hier fragen der scholastische Begriff der „Selbstursächlichkeit"? Was ist m. a. W. der s ach Ii c he E rtrag des scholastischen Begriffs der „natürlichen Freiheit von der Notwendigkeit oder Unabhängigkeit vom Zwange"?

Zwang gilt seit Aristoteles als identisch mit nicht-gewollt.

Hieraus leiten die Scholastiker unter Hinzufügung einiger an sich überflüssiger, weil keine neue Erkenntnis bringender termini ab : der Wille ist seiner Natur nach unabhängig von der Notwendigkeit des Zwanges.

Hiermit ist im Grunde aber doch nichts anderes gesagt als dieses: der Wille kann, wenn er will, nicht zugleich nicht wollen. Das wäre ja wie die Scholastiker immer ganz richtig wiederholen eine contradictio in adjecto.

Dieser negativen Wendung geben sie nun eine positive Form und damit ist der Begriff des „sich-selbst-beherrschen", des „sich in der Gewalt haben", des „Herr über die eigenen Akte sein" und der „Selbstursächlichkeit" des Willens fertig.

Denn wenn ich negativ nicht durch etwas Anderes gezwungen werde, so bin ich eben positiv mein eigener Herr, ich herrsche über mich.

Wenn ich nicht durch etwas „Anderes", „Fremdes" zum Wollen bestimmt werde, nun, so heißt das eben, in posi- tiver Wendung: ich bestimme mich selbst.

Wenn nichts anderes die Ursache des Willensaktes ist,

*) Ph. Kneib, Willensfreiheit und innere Verantwortlichkeit, Mainz 189

S. 34 f.

Kritischer Rückblick.

257

so ist eben das „Willensvermögen" selbst die Ursache seiner Aktualisierung.

Man sieht: rein analytische, logisch- formale Bestimmungen, welche die psychologische Frage nach der Entstehung des konkreten Willensaktes ganz unberücksichtigt lassen!

Ausdrücklich muß nun aber darauf hingewiesen werden, daß die „Grille einiger scholastischer Metaphysiker, Freiheit des Willens als Ursachlosigkeit des individuellen Willens zu er- klären",1) daß genauer gesprochen der scholastische Be- griff der Selbstursächlichkeit des Willensvermögens mit dem modernen Begriff der Selbstbestimmung nichts zu tun hat.

Die moderne Philosophie versteht hierunter mit der alt- griechischen die nicht von Natur vorhandene, sondern durch des Menschen eigene Tat erkämpfte, also erworbene, sittliche Freiheit d. h. die Herrschaft unseres eigentlichen Selbst, der Vernunft, über die vorübergehenden sinnlichen Begierden, ein Freiheitsbegriff, der, wie vor allem das Beispiel Spinozas zeigt, nicht ausschließt, daß jeder konkrete freie Akt auftritt als Glied eines, strengster Gesetzmäßigkeit unterworfenen, psy- chischen Zusammenhanges.9)

Indes, auch jene „grillenhaften Spekulanten" so muß gegenPaulsen gesagt sein betonen neben dem erwähnten Freiheitsbegriffe im Sinne der „Selbstursächlichkeit" weiter „nach dem allgemeinen Sprachgebrauche aller Menschen die Fähigkeit, sein Leben unabhängig von den sinnlichen Antrieben und Neigungen durch Vernunft und Gewissen, nach Zwecken und Gesetzen zu bestimmen".3)

Dieser Freiheitsbegriff steckt nämlich in dem scholastischen Begriff der Freiheit von derSünde. Wobei freilich wieder der prinzipielle Unterschied besteht, daß der Mensch nach der Scholastik aus sich durchaus unfähig, nur mit Hilfe göttlicher Gnaden Wirkung imstande ist, die Selbstbestimmung im sitt- lichen Sinne zu erlangen und zu bewahren; während die mo- derne Philosophie wenigstens insofern sie den Immanenzstand-

1) Fr. Paulsen, System der Ethik, I (2. Aufl.), S. 389.

2) Die „Normen" gehören selbstverständlich auch zu den Komponenten der seelischen Gesetzmäßigkeit.

3) L c

Ver weyen, Das Problem der Willensfreiheit. 17

258 Kritischer Rückblick.

pnnkt vertritt, den Begriff der Gnade als eines transzen- denten Faktors zur Bildung der sittlichen Freiheit, der sittlich- freien Persönlichkeit, schlechterdings nicht kennt.

Die Frage liegt nahe, was die Scholastik im tiefsten Grunde veranlaßt hat, außer von dieser sittlichen Freiheit noch von jener ersten der „Indifferenz zu Entgegengesetztem" zu reden und gerade diese Freiheit als eine „natürliche" zur natürlichen, nicht erst durch die Gnade vermittelten, Ausstattung des Men- schen zu rechnen.

Nach unserer Untersuchung kann es keinem Zweifel unter- liegen, daß das Motiv hierfür vor allem ein theologisch- metaphysisches ist. Immer wieder vernahmen wir das Argu- ment: der gütige und heilige Gott kann nicht Urheber des Bösen sein. Woher dann aber die Sünde, wenn nicht vom Menschen? Wie kann aber der Mensch sündigen, wenn er nicht die Fähigkeit, zwischen Gut und Böse zu wählen, wenn er nicht die Indifferenz zu entgegengesetzten Akten besitzt; wenn er nicht sich selbst zu dem einen oder anderen Akte bewegen kann, ohne durch etwas Anderes bewegt, determiniert zu werden? Auf diese Weise wird der Mensch und im Menschen der Wille, das Willensvermögen zum Subjekte, zur Ursache des Bösen.

Hier hat der Antischolastiker Fr. Pauls en rich- tiger gesehen als der Scholastiker C. Gutberiet.

Die vorstehende quellenmäßige Untersuchung hat nämlich die folgende Auffassung Paulsens als vollkommen zutreffend er- wiesen: „Zwei feststehende Punkte waren (der kirchlichen Philo- sophie) gegeben: Gott hat durch seinen Willen den Menschen geschaffen ; er muß also ursprünglich gut sein. Anderseits steht nicht minder fest, daß der Mensch, wie er nun ist, von Natur böse ist. Dies zweite Stück ist die Voraussetzung von der Er- lösung, die Voraussetzung zugleich der Notwendigkeit der Kirche. Wie ist nun das Böse in die Welt hineingekommen? Durch Gott, ihren Urheber? Das ist unmöglich, Gott ist gut und allmächtig und also sind seine Werke als solche notwendig auch gut. Das Böse muß also hinterher in die Schöpfung ge- kommen sein. Nicht von außen, denn außer Gott und der Welt gibt es ja nichts, also durch die Geschöpfe selbst. Aber wie kann ein Geschöpf ein anderes werden als es ist, ein anderes.

Kritischer Rückblick.

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als wozu es vom Schöpfer gemacht worden ist? Hier ist der Punkt, wo die metaphysische Freiheit des Willens alsLösungsich darbot. Gott hat dem Menschen den freien Willen gegeben, damit er aus sich selbst sich für das Gute ent- scheide, ohne freie Entscheidung gibt es keine Sittlichkeit ; Freiheit ist aber der Natur der Sache nach die Möglichkeit, nach beiden Seiten sich zu wenden. Der Mensch nun machte von seiner Freiheit den Gebrauch, für das Böse sich zu ent- scheiden. Adam sündigte durch den Ungehorsam und mit ihm fiel das ganze Geschlecht. So ist das Böse nicht durch Gott, sondern durch den Menschen in die Welt gekommen, wenn auch mit Gottes Zulassung." x)

Gegen die Auffassung Paulsens somit implizite auch gegen die unsrige richtet C. Gutberiet2) die scharfe Absage, es sei „eine offenbare Unwahrheit, daß das ent- scheidende Motiv (für die scholastische Behandlung der Willens- freiheit) die Verteidigung eines Dogmas gewesen sei, daß sie (die Willensfreiheit) zum Zwecke der Theodizee erfunden worden sei. Paulsen muß eine Fälschung der allgemeinen Wortbedeutung vornehmen, um die Willensfreiheit als Grille der Scholastik gegenüber der allgemeinen Überzeugung der Menschheit ausgeben zu können".

Weiter meint Gutberiet: „Ein jeder, der nur einigermaßen mit den Riesengeistern derchristlichen Spekulation sich bekannt gemacht hat, muß eine gerechte Entrüstung emp- finden, wenn ein Pygmäengeschlecht, das infolge der intellektuellen Ausschweifungen des Idealismus notorisch an spekulativer Impotenz leidet, sie Grillenfänger schilt, Sätze derselben, die sie aufs schärfste aprioristisch und aus der Erfahrung beweisen und auf das sorgfältigste untersuchen und präzisieren, als Hirngespinste bezeichnen hört. In unserem Falle wird aber selbst der historische Tatbestand ganz ver- dreht. Das Problem der Willensfreiheit ist nicht durch die

1) 1. c. S. 375.

2) C. Gutberiet, Die Willensfreiheit und ihre Gegner, Fulda 1893, S. 222. Vgl. auch Gutberlets Buch „Der Kampf um die Seele", Mainz 1903, 9. Vortrag.

17*

260

Kritischer Kückblick.

Scholastik in die Welt gekommen, sondern die Scholastik hat sich die Überzeugung der gesamten Menschheit zu eigen gemacht. Solange die Welt steht, solange denkende und wollende Wesen von ihrem Tun Bewußtsein haben, solange ist auch die Tatsache der Freiheit allgemein anerkannt worden. Erst als einige absonderliche Köpfe durch ihre fatalistischen Systeme zur Leugnung der Willensfreiheit gedrängt wurden und andere ein Interesse daran hatten, ihr sittliches Tun der Verantwortlichkeit zu entziehen, begann die Willensfreiheit freilich immer nur in den interessierten Kreisen, ein Problem zu werden. Aus dem allgemeinen Bewußtsein eines jeden Einzelnen haben die Scholastiker die Lehre von der Freiheit des Willens entnommen."

Der aufmerksame Leser wird mit uns dieser Darstellung C. Gutberlets, der die Leistungen der Scholastik erheblich überschätzt, nicht beipflichten können.

Es wurde in den kritischen Bemerkungen zu den schola- stischen Freiheitstheorien immer mit Nachdruck betont, daß die Freiheit des Willens vom Zwange allerdings von allen Schola- stikern analytisch aus dem Begriffe des Willens abgeleitet wird.

Der Dialektiker mag diesen „aphoristischen Beweis" als „aufs schärfste" erbracht bezeichnen; der Psychologe kann damit leider nichts anfangen: er ist um keinen Schritt weiter gekommen, wenn er in seinen Untersuchungen statt „Wille" den identischen Begriff „Freiheit vom Zwange" einsetzt.

Kein Kenner der Quellen wird ferner behaupten, daß die „Willensfreiheit" im scholastischen Sinne von den Scholastikern „aufs schärfste aus der Erfahrung bewiesen wird".

Die oft wiederkehrende Formel lautet: jeder erfährt in sich, daß der Wille dem Urteile des Verstandes folgen oder nicht folgen kann.

Die Richtigkeit dieser Selbstbeobachtung zugegeben, folgt daraus doch lediglich die Unabhängigkeit des Willensaktes von den intellektuellen Vorgängen, m. a. W. die Variabilität jenes bezüglich dieser. Aber über die Bedingungen und Ursachen der Variabilität selbst lehrt die Scholastik nichts.

Ein Mangel, der uns in seiner ganzen Tragweite besonders deutlich entgegentritt in der von Duns Scotus zuerst formulierten,

Kritischer Eückblick.

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später vor allem von Buridan, Occam und Biel wiederholten These: unter Voraussetzung „aller" zum Handeln erforder- lichen Bedingungen kann der Wille handeln oder nicht handeln, so oder anders handeln.

Hier zeigt sich deutlich, daß der Wille, als allgemeines seelisches Vermögen zu wollen, sämtlichen übrigen seelischen Vorgängen bzw. Vermögen gegenübergestellt und zum Gegen- stande nachdrücklicher Betonung und Wertschätzung gemacht wird.

Unter solcher Voraussetzung ergibt sich die obige, zuletzt genannte, These natürlich mit sonnenklarer Selbstverständ- lichkeit.

Denn zu den Faktoren, welche eine Handlung bestimmen, gehört neben allen anderen Faktoren eben auch das Wollen.

Legt man nun auf den letzteren den Hauptnachdruck, betrachtet man die Entstehung des Produktes (d. h. der Handlung) gerade unter dem Gesichtspunkt dieses Faktors (nämlich des Willens, richtiger des Wollens), bezeichnet man von vorn- herein, axiomatisch ihn als den Hauptfaktor, so gelangt man selbstverständlich zu dem Möglichkeitsurteile: auch wenn „alle" zur Handlung erforderlichen Bedingungen vorhanden sind, kann der Willesich un abhängig von den bereits vorhandenen Faktoren noch so oder so, für diese oder jene Handlung oder für gar keine entscheiden.

Aber keinem Scholastiker ist die psychologische Frage in den Sinn gekommen und das wirft doch auf die Schärfe ihrer Beweise kein günstiges Licht ob das Willensvermögen denn in jedem Augenblicke dasselbe ist.

Hier zeigt sich mit aller Deutlichkeit die un- heilvolle Wirkung der Dialektik auf die Behand- lung des Freiheitsproblems.

Logisch ist natürlich das abstrakte „Willensvei mögen" ein unveränderliches, im gewissen Sinne ewiges „Gedanken- produkt". Kein Wunder, daß die scholastischen Dialektiker darüber ganz die Frage vergessen, ob dies auch in psycho- logischer Hinsicht, in der konkreten Wirklichkeit des Seelen- lebens, zutrifft, von dem jenes logische Gebilde abstrahiert wurde.

262

Kritischer Rückblick.

Zum mindesten hätte man doch die Möglichkeit einer steten Veränderung des Willensvermögens erkennen können.

Diese Möglichkeit als Wirklichkeit erkennen, heißt zu der Einsicht gelangen, daß die obige These nichteinmallogisch, geschweige psychologisch, einwandfrei ist.

Logisch ist sie es deshalb nicht, weil auch der Wille in jedem Falle zu den Bedingungen des Handelns gehört; weshalb der Ausdruck „unter Voraussetzung aller zum Handeln not- wendigen Bedingungen" von vornherein die gerade nach schola- stischer Ansicht letzte und entscheidende Bedingung, den „Willen", willkürlich ausschließt.

Wo diese logische Betrachtung der Handlung aufhört, setzt die psychologisc he (und erkenntnistheoretische) Frage der Willensfreiheit erst ein d. h. die Frage, ob und wo- von die konkrete letzte Entscheidung des Willens frei ist.

Einige Scholastiker, vor allem Scotus und Buridan, betonen freilich nachdrücklich, daß diese Entscheidung von allen vor- ausgehenden Akten unabhängig, durch sie nicht notwendig be- stimmt ist.

Aber wenn die Scholastiker so reden, denken sie immer an solche vorausgehende Vorgänge, die vom Willen verschieden sind. Unter Willen verstehen sie dabei bekanntlich das allge- meine Willensvermögen.

Von diesem behaupten sie immer wieder, daß es sich selbst zu den konkreten Akten aktuiere.

Indes, erhebt sich doch gerade als die wichtigste die psychologische Frage: wie vollzieht sich diese Selbst- aktuierung oder Selbstbestimmung des Willensvermögens?

Eine psychologische und erkenntnistheoretische Analyse dieser Begriffe bietet die Scholastik nicht

Was endlich den Zusammenhang zwischen Dogma und scholastischer Auffassung der Willensfreiheit anbetrifft, so mußten wir denselben überall konstatieren. Durch- gehends sahen wir religiös-theologisch-metaphysische Motive das Denken über das Freiheitsproblem bestimmen.

Mit diesen Motiven standen, wie sich uns ebenfalls überall ergab, die ethischen Interessen im engsten Zusammen- hange.

Kritischer Bückblick.

263

Weit entfernt so können wir nunmehr, zugleich eine irrige Auffassung Fr. W. Försters1) abweisend, zusammenfassen „daß der tiefe Zusammenhang des Problems der Willensfreiheit mit der Frage der Zurechnung und sittlichen Verantwortlich- keit in der gesamten Geschichte der Philosophie nirgends mit vollster prinzipieller Klarheit erfaßt und zum Ausgangspunkte der Lösung des Problems gemacht worden ist", ist er vielmehr zuerst von Piaton und Aristoteles und später von der ganzen Scholastik mit seltener Einstimmigkeit betont worden.

Sofern Gutberiet in seiner Polemik den Freiheitsbegriff als Wahlfreiheit faßt, als „Fähigkeit" zwischen gut und böse zu wählen, als Fähigkeit eine sittliche Persönlichkeit zu werden, kämpft er gegen Windmühlen! Denn diese Freiheit leugnet auch Pauls en in Übereinstimmung „mit der Überzeugung der gesamten Menschheit" nicht.

Daß aber der Begriff der Willensfreiheit als Selbstursäch- lichkeit eines allgemeinen Willensvermögens zum Inventar der „Überzeugung der gesamten Menschheit" zählt und nicht viel- mehr eine spezifisch „scholastische Grille" ist, setzt Gutb erl et in seiner Polemik voraus. Eine Annahme, deren historische Wahrheit schon durch die Einleitung zu der vorliegenden Unter- suchung nicht bestätigt wird. Wir müssen somit auch in diesem Punkte die Auffassung Paulsens teilen.

l) Fr. W. Foerster, Willensfreiheit und sittliche Verantwortlichkeit. Berlin 1898 (Züricher Habilitationsschrift), S. 7 f.

Lippeil & Co. (G-. Pätz'sche Buehdr.), Naumburg a. S.

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Philos.H Verweyen, Johennes Maria V5723pr Das Problem der Willensfreiheit in der Scholastik.

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