■■■■■ :|i^ hbl, stx QH 325.H37 Problem des Lebens; 3 T153 0G7b3ßM7 3 ->3 7^'^+p DAS PROBLEM DES LEBENS BIOLOGISCHE STUDIEN VON EDUARD VON HARTMANN'- ^^^4J--o BAD SACHSA IM HARZ 1906 HERMANN HAACKE VERLAGSBUCHHANDLUNG H57 Spamersche Buchdruckerei, Leipzig-R. Vorwort. Dieses Buch schließt sich an die „Weltanschauung der mo- dernen Physik" an. Wie ich dort auf den Ansichten der heutigen theoretischen Physik eine Naturphilosophie des Unorganischen zu errichten versuchte, so hier auf den Ansichten der modernen Bio- logie eine Naturphilosophie des Organischen. Beide Bücher bilden die beiden zusammenhängenden Teile meiner Naturphilosophie. Während aber jener erste Teil ziemlich vollständig die philo- sophisch wichtigen Seiten der unorganischen Natur behandelte, mußte ich in diesem zvi^eiten Teil mich auf ausgewählte Kapitel beschränken, insbesondere auf solche, die ich in meinen früheren naturphilosophischen Schriften i) noch nicht oder nicht ausführ- lich genug behandelt hatte, oder die infolge der Fortschritte der Biologie im letzten Menschenalter eine nochmalige Erörterung unter neuen Gesichtspunkten erheischten. Anderenfalls würde ich den Lesern meiner früheren Werke zu viel Wiederholungen haben zumuten müssen. Ich bitte also diejenigen Leser, die in diesem Buche manches für eine vollständige Naturphilosophie Unentbehr- hche vermissen, auf meine früheren Werke, insbesondere auf den 3. Band der Phil. d. Unb., zurückgreifen zu wollen. Das vorliegende Buch zerfällt in einen historischen und einen systematischen Teil. Der erstere sucht festzustellen, wie die bio- logischen Wissenschaften sich im Laufe des letzten halben Jahr- hunderts zu dem Probleme des Darwinismus und zur mecha- nistischen Weltanschauung gestellt haben. Durch diese historische Untersuchung wird erst die Bahn frei gemacht zu den zusammen- hängenc'en Betrachtungen des zweiten Teils. So lange der Dar- ') Philosophie des Unbewußten, 11. Auflage in 3 Bänden; Kategorien- lehre; Gesammelte Studien und Aufsätze, 3. Aufl., Abschnitt C. — IV - winismus die Köpfe beherrschte und durch ihn die Entstehung zweckmäßiger Ergebnisse ohne zwecktätiges Prinzip für erklärt galt, konnte das Problem des Lebens gar nicht ernstlich ins Auge gefaßt werden. Das Leben war vielmehr aus der Natur hinweg- dekretiert, indem sein Schein in ein bloßes Produkt aus dem zufälligen Zusammentreffen lebloser Elemente umgewandelt war. Meine früheren naturphilosophischen Bestrebungen waren als außerhalb der wissenschaftUchen Zeitströmung stehend und ihr zuwiderlaufend ohne weiteres gerichtet, weil sie dem letzten Men- schenalter unter der Kritik und keiner Diskussion würdig er- schienen. Das hat sich nun geändert. Ich bin weit entfernt, mich über die bisherige Nichtbeachtung von Seiten der Natur- forscher zu beklagen, weil diese das allgemeine und notwendige Schicksal aller gegen den Strom ankämpfenden Schwimmer ist; ich betrachte es vielmehr als einen ganz seltenen und ungewöhn- lichen Glücksfall, daß es mir noch vergönnt ist, den Umschwung der Zeitströmung zu erleben und mich dessen zu freuen, daß die Mehrzahl der Biologen den Darwinismus heute so beurteilt, wie ich ihn vor zweiunddreißig Jahren beur- teilt habe, und daß der so lange als unwissenschaftlich ver- pönte Vitalismus mehr und mehr fachwissenschaftliche Anhänger und eifrige und geschickte Vertreter findet. Noch ist zwar die herrschende Richtung in der Biologie schroff antivitalistisch ; aber die so lange Zeit abgeschnittene Dis- kussion über das Problem des Lebens ist doch wieder eröffnet. Der Unfehlbarkeitsdünkel der mechanistischen Weltanschauung ist ins Schwanken geraten, eine gewisse Bescheidenheit und skep- tische Unsicherheit ist an seine Stelle getreten, und vielen öffnen sich wiederum die Augen vor den Problemen, die man ge- schlossenen Auges so lange als nicht existierend betrachtet hatte. Die neuauftretende qualitative Energetik hat mit dazu beigetragen, das Gefühl der Notwendigkeit zu stärken, daß man den bisher für absolut gewiß gehaltenen Standpunkt der mechanistischen Welt- anschauung einer Revision unterziehen müsse, und auch auf dem Boden der Energetik hat sich ein Gegensatz aufgetan zwischen solchen, die die physiko-chemischen Gesetze für ausreichend zur Hervorbringung der Lebenserscheinungen ansehen, und solchen, die sie für nicht ausreichend hierzu halten. Nichts dürfte ge- eigneter sein, dem Denken der Zeitgenossen die Unbefangenheit — V — gegenüber den Zeitvorurteilen zurückzugeben, als eine geschicht- liche Übersicht über die Wandelungen, die die Denkweise der letzten zwei Menschenalter durchgemacht hat, über die Denk- motive, durch welche die mechanistische Weltanschauung dereinst zum Siege geführt wurde, über die Voraussetzungen, auf die sie sich stützen, und über die Erschütterungen, die diese Denkmotive und Voraussetzungen inzwischen erfahren haben. Jeder Leser, der die unentbehrliche Unbefangenheit des Den- kens mitbringt oder durch die Lektüre des ersten historischen Teils wiedererlangt hat, wird die biologischen Studien des zweiten Teils wenigstens nicht unter der Kritik finden, trotzdem jede ver- sucht, dem Problem des Lebens von einer anderen Seite her näher zu kommen, und jede zu dem Ergebnis gelangt, daß die physiko-chemischen Kräfte und Gesetze nicht ausreichen, um die Erscheinungen des Lebens hervorzubringen. Jede Studie stützt sich im Sinne der induktiven Methode auf die bisherigen Er- gebnisse der biologischen Wissenschaften, jede weist aber auch über das Gebiet der Naturwissenschaften hinaus in dasjenige der Naturphilosophie. Die letzten Abschnitte suchen einige Andeu- tungen darüber zu geben, welche naturphilosophischen Annahmen zur Ergänzung der organischen Naturwissenschaften erforderlich sind, und wie dieselben mit der Metaphysik und Psychologie Fühlung gewinnen. Die genauere Ausführung dieser Zusammen- hänge ist in meinen metaphysischen und psychologischen Werken zu finden („Kategorienlehre'* und „Die moderne Psychologie"), auf die an geeigneter Stelle verwiesen ist. Die Naturforscher werden binnen kurzem sich an den Ge- danken gewöhnen müssen, daß die teleologische Betrachtungs- weise die ätiologische zwar in keiner Weise stört oder durchbricht, dafür aber nicht bloß mit ihr gleichberechtigt, sondern sogar ihr übergeordnet ist, und daß ein naturphilosophischer Vitalismus das Arbeitsgebiet und die Methoden der exakten Naturwissen- schaften weder berührt noch einschränkt, daß sie also auch gar kein fachwissenschaftliches Interesse daran haben können, ihn zu bekämpfen und abzuwehren. Sobald diese Einsicht zur Herrschaft gelangt sein wird, wird auch der Friede zwischen Naturwissenschaft und Naturphilosophie wiederhergestellt sein. Seit einem halben Jahrhundert gibt es keine andere Naturphilo- sophie mehr, als eine induktive, die auf den letzten Ergebnissen _ VI - der Naturwissenschaften hypothetisch weiterbaut, also diese vor- aussetzt, ohne sie meistern zu wollen. Von dieser Seite her be- steht also schon lange kein Hindernis der freundschaftlichen Ver- einigung mehr. Nur auf Seiten der Naturwissenschaften besteht ein solches so lange fort, als sie ihren Standpunkt für den allein möglichen und alle menschliche Naturerkenntnis erschöpfen- den halten und darum der Naturphilosophie jede Daseinsberechti- gung neben ihnen bestreiten und sie als Unsinn verachten und verspotten. Vielleicht wird das 20. Jahrhundert reif werden, die im 18. Jahrhundert allerdings noch zu frühe kommende, im 19. Jahr- hundert aber tatsächlich vollzogene Verbindung zwischen Natur- wissenschaft und Naturphilosophie als legitime Ehe anzuerkennen und in das Zeitbewußtsein aufzunehmen. Groß-Lichterfelde im März 1906. Eduard von Hartmann. Inhalt. A. Historisches. I. Die Abstammungslehre seit Darwin Seite 1 1. Darwin 1 2. Moritz Wagner 4 3. Haecl