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Hanus, Ignac Jan

Das Schriftwesen und Schrifttum

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Das

CHRIFTWESEN UND SCHRIFTTUM

der

böhmisch-slovenischen Völkerstämme

1 der Zeit des Ueberganges aus dem Heidentume in das Christentum.

Eine literaturhistorische Abhandlung

Dr. I. J. Hanus.

ir Jubilaeums-Feier der Auffindung der Grünb erger und Königin- hofer Handschrift.

PRAG, 1867.

In Kommission bei F. Eivnac, Kolowratsstrasse Nr. 858.

Das

SCHRIFTWESEN UND SCHRIFTTUM

der

böhmisch-sloveiiischen Völkerstämme

in der Zeit des Ueberganges aus dem Heidentume in das Christentum

Eine literaturhistorische Abhandlung

Dr. I. J. Hanus.

Zur Jubilaeiims-Feier der Auffindung der Grünberger und Königin* hofer Handschrift.

PRAG, 1867.

Druck und Verlag- der Buchdruckerei von Dr. Fr. Skrejöovsk^.

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Vorwort.

Titel und Inhaltsübersicht berichten von selbst über den Zweck der vorliegenden Abhandlung: eine Grundlage abzugeben zur ältesten böhmisch-slovenischen Literatur-Geschichte in Form einer Monographie.

Da nun derselben zugleich der Nebenzweck unterliegt, zur Brücke für deutsche Leser zu dienen, welchen daran liegt, das gegenwärtige Gebiet dieses Grundteiles der böhmischen Literatur- Geschichte kennen zu lernen: so wurden bei der Darstellung der Grün berger und Königinhofer Handschrift teils nur Sum- marien, teils fast wörtliche Uebersetzungen gegeben, selbst auf die Gefahr hin, stylistische Correctheit der Treue zu opfern. Falls nun diese beabsichtigte, dem Sinne nach genaue Darstellung der beiden Handschriften nur etwas gelungen sein sollte, dann dürfte wol diese Monographie zur fünfzigjährigen Jubilaeums-Feier der Auffindung dieser Handschriften nicht unwürdig sein.

Prag, Collegium Clementinum im März 1867.

Ilanus.

1. Kannten die böhniisch-slovenischen Volksstämme im Heidentume eine eigene Lautschritt ?

Unter dem Ausdrucke böhmisch- slovenische Vülkerstämme verstehen wir die sprach- und stammverwandten Slavenvölker der Böhmen (Öe§i), Mährer (Moravane), Schlesier (Slezäci) und Slovenen (Slovaci) in Ungarn.

Die Frage, ob diese im Heidentume eine Lautschrift kannten, ist enge verbunden mit der Frage, ob die Slaven überhaupt, ehe das Chris- tentum au sie herantrat, eine Lautschrift hatten, welche Frage jedoch nicht identisch ist mit der Frage: hatten die Slaven der Urzeit, ehe sie nämlich eine den geschichtsschreibenden Griechen und Römern bekannte historische Völkergruppe wurden - - also noch in ihren hinterkarpathischen Wohnsitzen eine Lautschrift ?

Den hier festgesetzten Uibergang von den Böhmen- Slovenen ins- besondere zu den Slaven im Allgemeinen rechtfertigt das Resultat ver- gleichender Slavistik : dass die Grundlagen der Bildung aller Slavenstärame je altertümlicher, desto gleichförmiger waren.

Die eben so schwierige als wichtige Beantwortung dieser Frage scheint ein altes bekanntes Zeuguiss, nämlich das des Mönches Clirabr, der am Anfange des 10. Jahrhundertes in Bulgarien noch lebte und über die sogenannte Schrifterfindung KyriVs schrieb (Vgl. Ilattala, musejn. 1858. S. 116), ganz einfach mit wem zu beantworten, da er gleich am Anfange seines Aufsatzes sagt: „Vordem (früherhin) hatten die Slovienen (Slovöne) heine Schriften (Bücher, knigx), denrr als sie Heiden waren, zählten (cttechfi) sie mit Striche7i (critami) und ioahrsa<jten (gataacha) mit (aus) Riszen (Einschnitten, rözami)." Allein die Deutung dieses Aus- spruches enthält in sich fast so viele Schwierigkeiten, als sie Worte in sich fasst.

Denn der Ausdruck Sloveninx, Slovene, bezieht sich wahrscheinlich nur auf die südlichen Alt-Slovenen (Bulgaren), nicht auf Slaven überhaupt -- auch kann dem Mönche Chrabr keine Kenntniss über das Schriftaltertum aller Slaven, namentlich der hinterkarpathischen Slaven zugemutet wer- den. Er sagt von diesem seinen Slovienen aber weiter : „Als sie aber Christen geworden, mühten sie sich ab, mit römischen und griechischen Buchstaben (pismeny) ihre slovienische Sprache (sloveninska recb) zu schreiben (pisati) und das ohne Organisation (bezi ustrojenia) der Buch-

Stäben." Erst der h. Kyril hätte ihnen sodann ein eigenes Alphabet gegeben. (Vgl. Safafik: Starozitnosti, 1. Aufl. S. 995. 2. Aufl. S. 739.)

Könnte man nun Chrabr's ,jSlovenin" auch auf den bölimisch-slo- venischen Völkerstamm und zwar aus dem Grunde beziehen, weil die Ein- führung des Christentums duixb Kyril undMethud wenigstens bei einem Teile desselben feststeht: so hätte mau vorläufig ei7i Zeugniss, dass sie als Heiden nm* Striche (crity) zum Zählen imd Risze, EinscJinitte (rezy) zum Wahrsagen gehabt haben. Das Wort cbtöcha, das nun allerdings auch den Sinn des Lesens hat, kann denselben im Sinne Ciu'abr's unmöglich haben, da er ja ausdrücklich sagt, dass sie keine Bücher, Schiliften (knigi), also nichts Lesbares gehabt hätten.

Die Näherrückung der Slovönen zu den Böhmen-Slovenen durch die Einführung des slav. Christentums Methods wird aber gewaltig ge- hindert durch Chrabr's ferneres Wort, dass die christlichen Slovenen grie- chisch und lateirisch geschrieben hätten, denn von grie^-ldschen Schriften weiss man bei den Böhmen-Slovenen schlechthin nichts, wol aber bei den Südslaven, die vor allen Chrabr im Auge gehabt haben mag. Notiren wir daher vorläufig Chrabr's Gegensatz der knigy oder Pergament-Laut- schrift zu einer Einschnitt- (rezy), sohin zu einer Holztafel- Schrift, die zum Wahrsagen diente und zu Strichen (crity), welche zum Zählen bestimmt waren. Diese Einschnitte können wii* uns als Grundlage des Wahrsagens (Vorher-Denkens) unmöglich ohne Bedeutung (Sinn), sohin nur als Bilder oder Denkmale vorstellen.

Um nun den Böhmen- Slocenen näher zu kommen, citirt man häu- fig eine altslavische Handschrift, verfasst um 1200, geschrieben aber zu Ende des 14. oder im Anfange des 15. Jahrhunderts (Wiener J. B. d. Lit 53. B. 1831. Anz. Bl. N. 79. S. 29. Safafik, starozitn. Editio prmceps. S. 997), welche da sagt, dass zu den halbgläubigen Völkern, welche Schriften (Bücher, knigb) haben, die Frauken, Allemanen, Ungarn (v^grLska) Böhmen (cesska), Armenier gehören. Allein das hat offen- bar keine Beziehung zu den heidnischen, sondern zu den römischkatho- lischen Böhmen, weil sie eben halbgläubig, nicht rechtgläubig (griechisch- katholisch), genannt werden und ist nichts als ein Beweis, dass man von diesen Böhmen zu Ende des 12. Jahrh. wusstc, dass sie bereits eine christliche Literatur, ^^'ol die ganze Bibel oder doch einige Teile der- selben hatten, was auch sonst sichergestellt ist.

Um also auf eine andere Weise eine heidnische Schrift und zwar eine Lautschrift für die Böhmen sicherzustellen, macht man auf die na- hen Beziehungen der Böhmen imd Elbeslaven aufmerksam, die allerdings ähnliche Kulturzustände bei beiden voraussetzen lassen und citirt den Chronisten Thietmar (f 1018), der sagt, dass in der Stadt Riedegost (Katara, Rhetra) m einer Ai't slavischen Pantheons, worm „Zuarasici" (d. i. Svarozic) der oberste Gott war, Götterstatuen stünden, mit einzeln eingegrabenen Namen (nominibus insciüptis). Wagner's Ausgabe VL B. S. 150. 151. Allein dieser Beweis für eine Lautschrift bei den Nord- slaven ist nicht stichhältig genug, denn das Zeugniss Thietmar's fällt ja in das Ende des 10. christlichen iahrhmiAcviQ^, wo allerdings Lautschrif-

teil uüd zwar die Glagolica, Kyrilica oder wenigstens das römische Alpha- bet bei den Nordslaveu in Gebrauche sein konnten, ja auch Runenalpha- bete, ohne dass diess einen Beweis für eine Lautschrift in wahrhaft heidnischer Zeit abgeben würde. Im 10. christl. Jahrhunderte sind Schrift- vermittlungen durch Fremde bei den Nordslavcn nichts sonderbares (Sa- fafik, Star. 2. Ausg. IL B. S. 742). Wie muss auch das Heidentum schon im Verfalle gewesen sein, wenn man Göttcrstatucu Unterschriften beifügen durfte oder musste? Auch spricht Thietmar nur von einge- grabenen Namen, was nicht durch förmliche Worte, worum es sich aber hier handelt, sondern auch durch mythische Götterzeichen (Göttermale) bewerkstelliget werden konnte. So hatte z. B. der slavische Blitzgott sein Götterdenkmal in zwei sich kreuzenden Blitzen ^, wie dies noch an einzelnen Todtenurnen vorkömmt, so z. B. bei der in IIole§ovic ge- fundenen (Kaliua, Opferplätze, S. 125, 126). Eine solche Eingrabung von Göttermaleu wäre dann allerdings echt heidnisch, wie denn nur we- nige Zeilen voran derselbe Thietmar sagt, dass die Wände dieses Svaro- zic-Tempels dm-cli wunderbar (sonderbar?) eingegrabene Götterbilder ge- ziert waren (mirifice inscupltae). Für eine heidnische Lautschrift der alten Böhmen folgt endlich aus allem dem gar nichts.

Aehnliche späte Zeugnisse über die ft-agliche Slavenlautschrift sind die von reisenden Arabern erhaltenen z. B. von Fadhläu, Masoudy, Ne- dim u. a. m. (Mem. de l'acad. de St. Petersb. VL Ser. 2. Seite 319. 513.) ; denn wenn schon die Ostgothen im 4. christl. Jahrhunderte eine eigene christl. Schrift besassen, warum sollten im 9. 10. Jahrb. nicht auch unter die Russen schon Schriftzeichen eingedrungen sein (Zur slav. Runenfrage. S. 65), die in so nahen Berührungen mit den Normannen sowohl als mit den Griechen (im Süden) stunden. Aus solchen besonde- ren Verhältnissen würde dazu noch nichts für die Böhmen folgen.

Fast dasselbe gilt von den Schriftzeichen bei diplomatischen Ver- handlungen, wie wenn z. B. Konstantin Porphyrogeneta (er schrieb zw. 945 959 ) bezeugt, dass die Chorvaten (Kroaten) in eigenen Handschrif- ten (chirographis propriis) den römischen Kaisern um das Jahr 635 Treue angelobten, lieber die nähere Beschaffenheit dieser Handschriften, die dreihundert Jahre vor Konstantin geschrieben waren, sagt er natür- lich nichts, auch würden sie, wenn das Wort „eigene" (propriis) auch auf die Kroaten, und nicht auf die Treue-Versprechung sich beziehen würde, nichts beweisen, da am Hofe der Herrscher, wenn sie mit andern kultivir- ten Potentaten in politische Beziehungen treten, manche Kulturmoinente herrschen mussten, die dem Volke selbst fehlen. So verhandelt nun der türkische Hof mit den europäischen Mächten französisch, woraus aber nur durch einen Irrschluss sieb ergäbe,^ dass auch das türkische Volk französisch schreibe und spreche. Vgl. Safaf. Staroz. 2. A. S. 738.

Der Ausdruck: „eigene Schriften" kömmt in einem anderen Sinne in einer viel älteren QueUe, nämUch in dem Chronicon paschale vor (354—630), wo von den Sarmaien und Skythen gesagt wird, dass sie ihre eigenen Schriften hatten (ayrciv 7pa[j.[i.aTa). Allein dieser Ausdruck bedeutet hier wie oben in der citirten altslav. Handschrift Schriften

christlicher^ Zeiten und wenn auch der Ausdruck: Sarmateu und Skythen anstandslos auf Slaveu bezogen werden könnte, so ist doch hier von kei- nen heidnischen Slaven, um die es sich handelt, die Rede. Dass emzelne Slaven ün 4. Jahrh. bekehrt waren, unterliegt keinem Zweifel, ebenso, dass das Christentum nicht ohne Schrift sich werde verbreitet haben. Vgl. Safafik 1. c. S. 737.

Auch Nestor spricht bei den J. 912 und 945 von schriftlichen Verträgen zwischen Russen und Byzantinern, ohne natürlich dadurch für heidn. Slavenschrift etwas beweisen zu können, wie Konstantin oben bei den Kroaten.

In dem Jahrhunderte, von welchem Nestor spricht, erwähnen nicht ganz unglaubwürdige Sagen in Böhmen sogar schon Schreibschulen zu Budec und Vysehrad mit heidnischem Anstriche, allein niemand wird daraus auf eme heidnische Lautschrift schliessen dürfen, die etwa schon in der karpathischen Heimat oder in Böhmen wenigstens vor der Zeit der Concentration der slavischen Stämme zum einigen Böhmervolke um die Doppelburg Vysegrad-Praga geherrscht hätte. Denn um die Zeit der Con- centi-ation trat nicht nur die Berührung der Böhmen mit fremden, schrift- kundigen Völkern des europäischen Südens, sondern auch mit dem Chris- tentume statt, das, wie gesagt, ohne Schriftkunde nicht recht möglich ist, da sich seine Lehre eben auf „Schriften" gründet.

Wenn man endlich die Vinda-runir" d. i. die Slaven-Runeu ins Feld fühi-t, um abermals emen Schluss von den Nordslaven auf die Böh- men zu tun: so zeigt die nähere Betrachtung derselben den Fehlschluss offenbar. Denn von den Vinda-runir spricht nur Thuniaann in seinen Untersuchungen über die alte Geschichte einiger nord. Völker (Berlin, 1772. S. 283), belegt sie jedoch durch kein altes Zeugniss, sondern be- hauptet nur, dass auch die isländischen Schriftsteller dieselben kannten. Wir zweifehl nun keineswegs an dem Dasein von Slavenruuen, halten dieselben jedoch, wie gleich des Nähern gezeigt werden soll, für keine Lautschrift. Was aber die Thunmann'schen „Vindarunir" betrifft, so kann dies Wort auch den Sinn : Slavische (wendische) Gesänge und Sagen haben, wobei dann der Behauptung: die Isländer hätten auch slavische Sagen gekannt, natürlich nichts entgegensteht.

Wenn nun alle diese Zeugnisse die Sache, nämlich die altheidnische Lautschrift, und die Person, nämlich die alten heidnischen Böhmen nicht treffen: so kann wohl behauptet werden, dass dieoe keine Lautschrift kannten, oder doch, dass man es bisher nicht beweisen konnte.

t. Die heidnischen böhmisch * slovenischen Völker kannten eine Bilderschrift.

Eine Bilderschrift, die als Sach- oder Gegenstands-Schrift der Zau^Schrift geradezu, und zwar wie Natürliches dem Künstlichen, ent- gegensteht, bei den genannten Völkern bezweifeln zu wollen, hiesse ge-

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radezu ohue Grund Kulturausnahmen setzen, da eine solche zu den all- gemeinen Momenten jeder indoeuropäischen, wenn nicht gar jeder mensch- lichen Kultur überhaupt gehört

Denn so wie das emphatisch ausgesprochene Wort dem Natur- menschen psychisch imponirte, weil es in seiner flüchtigen Gehörform unmittelbar und gleichsam geistig die Sache selbst in sich zu bergen schien, wie solches das altertümliche Wünschen und Verwünschen na- mentlich beweist: so imponirte ihm auch das gegenständliche Bild, das dem Auge den Gegenstand selbst wiederzugeben schien, imd dazu noch objectiver, als das Wort dem Ohre. Auge und Ohr sind aber die zwei Haupterkenntnissquellen des sinnlichen Menschen, der die unendlich vielen Processe der Anschauungsentstchungen nicht einmal ahnt.

Da nicht alle Gegenstände ehrfurchtsgebictend waren, so mussten auch die Bilder, welche den ebcnberührtcn Eindruck machen sollten, einen ehrfurchtgebietenden Inhalt haben : und diess waren yi iftldsche Bilder, die in irgend einer Beziehung zur Volksreligion, dem Inbegriffe eben all der erfurchtgebietenden Naturanschauung stunden. So ist es z B. Tat- sache, dass das Gorgonen- oder Medusen-llaupt nichts anderes war, als das personificirte Bild der wilddrohenden Gewitterwolke, der sich ohne Gefahr eigenen Schadens ni.chts nahen durfte: aber eben so ist es Tat- sache, dass bei Griechen und Römern solche Bilder an Stadttore ange- bracht wurden, um Feinde vor dem Eintritte abzuhalten. In der naiven Scheu oder in der naiven Ehrfurcht vor solchen Bildern liegt ein grosser Teil religiöser Gefühle geborgen, die eine ganz eigentümliche Art psy- chischer Zustände bilden. Auf ihrer Grundlage ist daher alles, was ein solches Bild an sich trägt, ebenso geschützt, als dasjenige, was mit mythi- schen Worten besprochen (beschrieen) wurde. Das Bezeichnen scheint dem Naiven ebenso schutzkräftig zu sein, wie das Beschreien Schreiben wir ja noch an unsere Türen: C M. B.

Gibt man daher die selbstständige Entwicklung v.gthischer Aus- drücke bei einem Volke überhaupt zu : so gibt man damit auch die Ent- wickelung mythischer Bilder bei demselben zu : womit man sohin, nach unsern Begriffen zu reden, zauhei te, nach mythisch naiven Begriffen aber feite oder heiligte.

Ob diese Bilder nun roh oder fein ausgeführt, ob sie ganz oder nur verkürzt gegeben sind, ist dem naiv gläubigen Gemüte gleichgültig, da dieses ohnehin nicht das kalte Objcct, sondern darin nur sein gefärb- tes Herzensbild sieht.

Aus der ähnlichen Anschauung der ehrfurchtgebietenden Dinge, welche eben die Veranlassung der mythischen Bilder waren, eben so wie aus der ähnlichen Anschauungsweise der Naturvölker ergibt sich die Menge des Gemeinsamen bei allen heidnischen Religionen, ohne an äussere Entlehnung denken zu müssen. Das Bündlein Blitze, das Griechen und Römer ihrem Zeus oder Jupiter in die Hand oder dessen Adler (d. i. dem Thierbilde des Zeus, des Gewittergottes) in die Krallen gaben, er- scheint bei Deutschen und Slaven in dem Bilde des Hammers, des Schwer- tes, der Axt oder ganz abgekürzt in dem oben besprochenen Andreaskreuze,

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dem mythischen Fruchtbarkeits- oder Multiplicationszeicheu. Der Ger- raane legte der Neuvermählten einen Hammer in den Schoss, um sie da- mit zu segnen, der Slave richtet während des Gewitters Aexte vor seinem Hause auf, um dasselbe zu schützen, oder legt eine Axt (sekyra) unter den Türpfosten, worüber die Braut schreiten muss, um sie zu feihen, bezeichnet endlich auch die Todtenurne mit dem geheiligten Zeichen.

Wie unterscheiden sich die Slaven von den Griechen, und doch er- zählt uns Homer, dass Proitos dem Bellerophon auf einer zweiteiligen Tafel Zeichen eingrub, die angeschaut seinem Schwäher Verderben brin- gen soUten (Ilias, VI. 168. 173.).

Bei Tacitus aber lesen wir, dass bei den Germanen entweder der Hausvater oder der Burgpriester (sacerdos civitatis), je nachdem es sich entweder um Familienangelegenheiten oder um öffentliche Dinge handelte, die Losstäbchen mit verschiedenen Zeichen versah (sm'culos, notis qui- busdam discretos), um dann daraus wahrsagen zu können (Germ. 10.), derselbe Tacitus, der da behauptet, dass bei den Germanen weder Män- ner noch Weiber die Geheimnisse unserer Schrift (literarum secreta) ge- kannt hätten.

Wenn wir nun damit den oben berührten Ausspruch des Mönches Chrabr vergleichen, dass die Slovenen vor dem Christentume keine Schriften (knigi) kannten, sondern nur mit Strichen und Einschnitten (Riszen) zählten und wahrsagten: so haben wir ein gleiches, gemeinsames Kulturraoraent europäischer Völker im Heidentume vor uns, um mit Grund von viythischen Zeichen der böhmisch-slovenischen Völker sprechen zu können-

Eine LautschriftQwi'siQimn^, ist aber kein solches gemeinsames Kul- turmoment, da es linguistisch-analytische Studien und scliarfe Beobachtung der einfachen Sprachlaute voraussetzend, von der natürlichen Bezeichnungs- weise der Gegenstände zu der künstlichen Bezeichnung der analysirten Laute übergeht. Griechen und Römer, gewiss wenigstens ebenso kuitureutwicke- lungsfähig, wie Slaven und Germauen, entwickelten aus und in ihrer hei- mischen Kultur keine Lautschrift, sie empfmgen dieselbe von den Aegypto-Phöniziern : mit welchem Rechte setzt man daher bei den Slaven im Heidentume eine solche Lautschrift voraus, ohne deren historisches Dasein strenge beweisen zu können : während das Nichtdasein einer Bil- derschrift bei denselben gerade so aucli bewiesen werden raüsste, da diese im Entwickelungsprocesse europäischer Völker mit Notwendigkeit anzu- nehmen ist.

Wenn man nun die obige Nachricht Homers über die verderblichen Zeichen auf einer Doppeltafel mit der Nachricht des Saxo Grammaticus (t um 1204) vergleicht, die er im 3. Buche seiner Geschichte Däne- marks von mythischen Zeichen gibt, die man in hölzerne Tafeln schnitt (ligno insculptae), eine Schriftart, die einst berühmt war (quondam cele- bre chartarum genus) : so hat man Zeugnisse aus dem Süd und Nord und wenigstens tausend Jahre vor und tausend Jahi-e nach Christus! über Bilderschriften. Ja mau kann aus allen diesen Zeugnissen sogar

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zwei Formen derselben unterscheiden: nämlich vereinzebite Zeichen und Zeichen in grösseren Gruppen beisammen.

3. Sprachliche Belege für das Dasein sowohl verein- zelter Zeichen als von fiiruppenzeichen bei den böh- misch-slovenischen Völkerstäninien.

Vor allem sind die vom INIönche Chrabr für solche mythische Zei- chen gebrauchten Ausdrücke auch den böhmisch-slovenischen Völkerstäm- men bekannt.

Den Stamm des Ausdruckes crU-y kennt man nämlich in verbaler Form als a•^ati oder cert-üX\, Striche, Linien, Furchen ziehen, in sub- stantiver Form aber als cert-ez, Abrisz, Bild, ceri-a-dlo, Furchenmacher, Pflugschar, Slovenisch bedeutet nun cri-eziti auch strattiren. Der einfachere Stamm dieser Wörtergruppe findet sich aber im böhm. als c«r-a, Linie, car-y, pl. Striche, aber zugleich aucli Zauberei, altslav. car-5, ra. Zauberer, incantator, böhm. caro-dej, wörtlich Strichemacher, mit dem Sinne Zau- berer, ebenso wie im altslav. caro-tvortcL Dieselbe Analogie ergibt sich im böhm. Diminutiv des altslav. Wortes crbt-a, nämlich tT^ka, f.. Eingegrabenes, Zeichen überhaupt bedeutend, während die Form cert^ ra. nur im Sinne der Teufel bekannt ist, während die ältere Wortform da- von, nämlich krl, den Maulwurf, also Wühler bedeutet. Auf diese äl- tere Wortform führt auch Miklosich den polnischen Ort- und Familien- namen Carto-ryi m., C'erio rjja, f. (Car^o-ryjski, m.) nämlich auf krto- rjja, Maulwurfsgewühle zurück (lexic. 1123), und zwar mit Grund, wemi die Naturdeutung den Ausschlag gebeu soll : wenn aber die Deutung im menschlichen Tun gesucht werden sollte, dann würde der Ortnarae einen Platz bezeichnen, worin „Striche gewühlt", gegraben würden und der Personennamen einen Menschen, der einem solchen Orte augehörte. Vgl. Erben, regesta 389. 722. v. Safafik: Rozvötveni slov. kofene car a cer. Starozit. 2. Aufl 1862. IL B. S. 744.

Würde aber jemand einwenden, dass Mönch Chrabr ohne alle Ro- mantik das Wort crUy mit dem Worte cbteclia verbindet, das wir: sie zählten mit Strichen, übersetzten, so würden wir antworten, dass wir da- durch nm- die Mitbedeutuüg des Lesens ausschliessen wollten, keineswegs aber die zweite Mitbedeutung des Verehrens, da cis-ti (für cit-ti stehend) wohl numerare und legere, aber auch colere bedeutet: auch Chrabr cn>ty 7iicht geradezu mit cisti verbindet, da er icörtUch sagt: den mit Stri- chen und Schnitten (critami i rezami) verehrten und wahrsagten sie (cbtScha i gataachjj), ohne entscheiden zu können, was Chrabr wirklich meinte, da sich Gründe für und dagegen anführen lassen. Wir deuteten dies oben schon mit den Worten an: dass in dem Berichte Chrabr's fast eben so viel Schwieriglceiten, als Worte enthalten wären. Eine solche Vieldeutigkeit liegt auch in dem Worte carovaii, das bei den Böhmen nun nur zaubern, bei den Slovaken aber ändern, tauschen bedeutet.

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Lassen wir vorläufig diese Schwierigkeiten auf sich beruhen und wenden uns zum zweiten Ausdrucke Chi-abr's, zum Worte rez-y. Es ist desselben Stammes wie das deutsche Risz z. B. in Ab-risz, Gruud-risz, das sich im goth. v-rit-s, Schnitt, Buchstabe, dem altd. ?v'c:-an, schi-eiben, wiederfindet Der slav. Stamm kömmt gleichfalls in zwei Formen vor : rat und raz, wie es z. B. die Wörter altsl. ratb, Schlacht, böhm. ratiste, ratisko Lanze und raz-\i\, sclilagen (z. B. Geld) oh-raz, Bild ausweisen. Das poln. raz^ Schlag, wii'd zum Zählen : raz, dva razy eben so gebraucht wie das deutsche ein-?/ia^, zwei-?wa^, und das böhm. jeden-Ä.'ra^, dva-Ä;rai. Die Form rez-a, fem. sing., rez-y pL, böhm. fez-ati, fiz-novX\ (schneiden), ist nur die im Vocale potenzirte Form von raz, rat.

Dass aber in der Tat in Böhmen beiderlei Arten von Schriftzei- chen: einzelne und zu Gruppen verbundene im Gebrauche waren, er- hellet u. a. auch aus der Grünberger Handschrift. Dort nämlich sam- meln zwei sondernde Jungfrauen (deve sudue) die Stimmen der am Land- tage versammelten in h. Gefässe, welche dann von Radovan gezählt wer- den. Es waren daher wohl die abgegebenen Stimmen eine Art Lose, greb-y, hfeby (wörtlich soviel als EingegrabenesJ mit unterscheidenden Malen versehen, wie wir solche auch in des Tacitus citirten „surculi notis qui- busdam (iiscreiis" wahrnehmen; mit Malen, wovon das eine etwa die Un- teilbarkeit der väterlichen Verlassenschaft, das andere aber deren Teil- barkeit u. dgl. bedeuteten. Das waren also crt-ky. Gruppenzeichen lie- gen hinwiederum angedeutet in den Worten derselben HanJschi-ift, die so lauten : Zwei hocliweise Jungfrauen (erschienen vor dem Gerichte), bei der einen sind die rechtaussagenden Holztafeln (desky pravdo-datne), bei der anderen das Unrecht strafende Schwert. Unter dem Ausdi'ucke desky, fem. pl ursprünglich geschnittenes (vgl. das lat. discus) bedeutend, da die Wurzel dieselbe ist wie im skr. dag, griech. 8ax, können wohl nur Holz- platten, Holztafeln verstanden werden. Noch heut zu Tage nennt man in Böhmen und Mähren die Landesgrundbücher, die Hof- und Lehen- Tafeln desky oder abgekürzt dsky, Landtafeln. Die Jungfrauen werden sohin in dem Gedichte als die Hüterinen, daher wohl als die Bildnerineu der alten Rechtstafeln bezeichnet in analoger Weise, wie die alte Edda Frauen mythische Zeichen schneiden und lesen lässt (Atamäl hin gron- lensku S. 4. 35.). Solche Tafeln kannten jedoch auch andere Slaveu, z. B. die Russen. Die Novgoroder Annalen bezeugen nämlich zum J. 1208, dass bei einem Aufrühre die Bürger von Novgorod „cto na disctkachx, was auf den Tafeln stund, dem Fürsten überliessen," (Safarik, starozitn. 2. A. 2. Bd. S. 743 744). Diese russischen Tafeln waren fi-eilich schon in Lautschrift abgefasst, woraus man jedoch nicht schliessen kann, dass die böhm. Tafeln der Grünberger Handschrift, gleichfalls in Lautschrift verfasst waren, denn was vom 13. christl. Jahrhunderte in Russland gilt, kann nicht ohne weiteres vom heidn. Böhmen vor dem Chi'istentume gelten: wohl aber beweiset es die alte slav. Sitte: festes, zu Recht be- stehendes in Tafelform zu verwahren.

Mönch Chrabr läugnet den heidn. Slaven die Lautschrift unter dem Namen knigy ab. Dieses Wort kommt im altsl. auch in der Form kmig-a

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vor (Miklosich, lexic. 293) und ist in weibl. Form ausschliessend den Slaven eigentümlich. Der Wurzel oder vielmehr dem Stamme nach schliesst es sich wohl an das deutsche kunig, kunitui, m. A i. König an, welches Wort lautlich herabgesunken sich in dem slav. kngzb, böhm. knez, Füi-st, demiu, knize, wiederfindet. Wir behaupten sclion seit manchem Jahre, dass die Wurzel aller dieser Wörter dieselbe ist, wie in dem slav. Worte kon-ati gestalten, schneiden, allsl. kond und konh Anfang, Gestal- tung, böhm. zk-kov, Gesetz, kon-ec, Spitze, Ende: so dass das Wort kniga, wenn auch nicht in dem Sinne Lautschrift, Bücher, Biblia, doch in dem Sinne: gestaltet, wohlgestaltet, bekannt gewesen sein muss, wie das Wort knez, Fürst, im ursprünglichen Sinne: activ, den Schneidenden, Bildenden, passiv : den gestalteten, wohlgestalteten bedeutot. Fs ist bekannt, dass auch das Wort Sajiskrit urs])rünglich nichts andoi'cs bedeutet als sam-s-krt, gestaltet, wohlgestaltet. Dieselbe Wurzel bilden, gestalten be- dentend, finden wir auch in den deutschen Wörtern : Kunst, Künstler, können und kennen.

Dies vermittelt uns nmi eine Transgression zu dem böhm. Worte demo-kniznik, Schwarz-Künstler, das man gleichfalls als einen Beweis- grund aufstellte für die Behauptung : die lieidn. Bithmen hätten eine Laut- schrift gekannt. Dies Wort ist nämlich ^Gmuraltes, sondern kömmt zum erstenmale in der „Mater verborum" vor, welches Wörterbuch wir aus guten Gründen erst in das J. 1302 versetzen. Wäre es alt, so käme es auch im Jaroslav der Kön. Handschrift vor, da diese von den Jaro-deje, hddaci, livezddri und küzelnicv' spricht. Es wird in der Mater Verbo- rum mit mogi übersetzt und ist wol nichts anderes als die mittelalter- liche Uibersetzung des deutschen ^Schwarz- Künstler,'' weil dies Lexicon knizn^ als scitus, doctiis gibt. Die wörtliche Uibersetzung desselben, als einen, der schcarze Buchstaben macht, ist sohin eine petitio principii, die dazu nichts beweiset, weil diese sogenannten schwarzen Buchstaben auch schwarze Bilderzeichen und nicht Lautzeichen sein könnten.

4. Alte Ausdrücke, die sich ebenfalls auf die Beg^riffe Zeichen, Sclireiben beziehen.

Wahrhaft uralte Ausdrücke für Schrift und verwantes sind : altslav. pis-arh, m. der Schreiber, pis-me, n., der Buchstabe, pzs-ati, schreiben, ü/5-anije, n. das Schreiben, allen Slaven bekannt. Allein die gegenwar- tige Bedeutung kam ihm wol erst mit dem Christentume zu, da die Wurzel pis ursprünglich graben, stechen, dann erst mahlen und endlich schreiben bedeutete. Es ist nämlich Wurzel pis nur eine Nebenform der Wurzel pich, stechen, altslav. pich-aü ferire, trudere, böhm. pchäti. Das Wort beweiset schin für eine ursprüngliche Lautschrift nichts, wol aher für eine derlei Bilderschrift. In der Tat bedeutet noch jetzt in Mah- ren pisati färben, malen (z. B. pisana jaja, rote Eier, Ostereier^ NN^e auch in Böhmen im 1 4, Jh. noch pismo und psdfi Gemälde und schreiben bedeutete.

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Derselbe Fall tritt im Deutsclieu eiu, wo gotb. meZ-jan, ahd. 7näl- an auch schreiben bedeutet, jedoch nicht ursprünglich in unserer Bedeu- tung, sondern als malen während man /?<?' die auch den heidnischen Deutschen unbekannte Sache des Schreibens mit Lautzeichen den latein. Ausdruck smbere, schreiben, mit aufnahm.

Die Slaven haben wol auch denselben Stamm m?, mal, was vieL- leicht eine Nebenform von mr, mar, verderben ist, allein er verblieb bei den Slaven in der ursprünglichen Bedeutung: zerstücken, klein machen, wie im Deutschen in den Worten : Mühle, mahlen, Mehl, bei den Slaven in denselben Bedeutungen in mhjn, mliti und inal, der kleine. Den Be- griff des Zeichens : Mal z. B. in Denk-Mal, Mutter-Mal kann man durch den Uibergang der Bedeutungen: zertrümmernj verkleinern, eingraben, Zeichen machen vermitteln, aber auch so, dass ursprünglich Mal das ver^ kleinerte Bild der abzubildenden Sache war.

Den berühmten deutschen Ausdruck Rune, unbekannter Urbedeu- tung, kennen die Slaven nicht, obschon sie dieselbe ähnliche Form, run-o, aber in der Bedeutung vcUus, Vliess haben. Es wäre indess immer mög- lich, dass beide Ausdi'ücke derselben Wurzel ru entsprängen. Denn das slav. leitet man in der That von derselben Wurzel ab, indem altslav. der verstärkte Stamm rg-v-ati, böhm. r-väti für die Urbedeutung: runo zum Grunde gelegt wird, nämlich ausreissen, wie latein. vellus mit vello ver- wandt ist. Im Slovenischen heisst run-o, eine Furche im Weinberge. Die- selbe Wurzel ru bedeutet aber in der geschwächten Form r^/-ti auch graben (rov, das Grab), es könnte sohin auch ru-n-o, n. die Bedeutung: zerstückt, getheilt und mit dem deutschen run-n, f. dieselbe Urbedeutung haben. Doch man vergl. darüber auch W. Grimm über deutsche Runen S. 67. u. folgg.

Neben den Chrabr'schen Ausdi-ücken : crUa, und rha kennen Böh- men und Russen noch ein Wort ähnlicher Bedeutung, womit man auch versucht werden könnte, das deutsche run-a f. wiederzugeben, nämlich meta Zeichen, Mal. So kennt die Mater verborum pa?nc7-a, f. oder pa- met, f. (denn das End-e ist im Codex fraglich), welches Wort Safafik mit dem russischen po-met-a, f. Signum, nota (S. 228) zusammenstellt. Den Russen bedeutete in den ältesten Rechtsbüchern met-Qlhmkh, notarius, po-met-a Signatur, met-a Zeichen Doch ist die Geschichte dieser Wör- ter noch nicht völlig aufgehellt. Ilire slavische Urform wäre mait-% das sich im goth. mait&xi hauen, fällen, wiederspiegeln könnte.

Ebenso fraglich ist altslav. buk-y, f. Buche und Buchstaben bedeu- tend (Miklos. Icxic. 48). In der B^rm hnkvy bezeichnet es auch Briefe. Miklosich hält es für ein Lehnwort des deutschen bucha. Buche, böhm. buk, m. ; ebenso wie schon Safafik das altslav. bukarb, grammaticus, mit dem goth. bokareis, librarius, verglich. Allein das deutsche Buche ist ja selbst nicht speciell deutsch, sondern indoeuropäisch (fagus), warum sollte daher das slav. buk dies nicht auch sein, sohin auch die damit zusammenhängenden Ausdrücke nicht entlehnt ? Ihikvarb ist slav. Alpha- bet, bukvica heisst bei Kroaten das glagolische Alphabet. Wie man im deutschen Buche, Buchenstab mit rün-stab, skand. rünastafr, ags. rün-staef,

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rou-tafel mit einander vermittelt ((.Jrimm, Kiineu, (!1. 71- 73) und auf die bekannte Stelle bei Vcnantius Fortunatus in dessen Briefe an Flavus (6. Jahrhundert) : „barbara fraxineis pingatur mna tabellis" hinweiset : ebenso konnte man im slavischen buky, bukvy mit dem nachgewiesenen deshy^ Tafeln vermitteln, die immerhin von Buchholz gewesen sein konn- ten. Den späteren Lautbuchstaben benennen jedoch die Slaven auch^w-mg, n., böhm. pis-me und pis-men-o, n. ursprünglich gemaltes, buntes bedeu- tend : buk-y und bukvy können sohin ursprünglich in Buchenholz geschnit- tenes bedeuten, wie das altslav. hikva auch tabula und pyxis bedeutet. Ganz aufgeklärt ist, wie gesagt, die ganze Sache noch nicht, wie überhaupt das meiste wahrhaft altertümliche: durch Annahme einer Laut- scbi'ift im Heidentume würde aber dieses Dunkel zur viilligcn Finster- niss werden.

5. Deutsche und slavische Runen.

Allem diesem, was hier über die blosse Zeichenschrift im Heiden- tume gesagt wurde, stellt man aber die sogenannte Tatsache deutscher und slavischer Runenschrift als Instanz entgegen.

Aber diese ^/Tatsache"' ist ja eben erst noch zu beweisen, in wie ferne man sie ins hohe Altertum, d. i. ins wahre Heidentum versetzt. Keichen ja doch selbst in Scandinavien die Runendenkmale nicht über das 10. Jahrhundert hinaus, ob schon die meisten davon Steindenkraale sind. Warum gelingt es mit den Futhork's oder Runenalphabetcn solche Runendenkmalc späterer Zeit gut und gleichförmig zu lesen: während man Runen auf altertümlicheren Gegenständen noch nicht ein einzigesmal mit voller Sicherheit und in Uebereinstimmung mit Andern las. Erklärt sich diese Tatsache nicht genügend durch die Hypothese, dass die alten, heidnischen Runen nicht Buchstaben in unserem Sinne, d. i. nicht Laut- zeichen waren ? Die Runenalphabete kommen tatsächlich erst in christ- lichen Zeiten vor und sind durch ihre IG Zeichen schon im Verdachte, doch im Grunde nichts, als ein semitisches (aegyptisch-phönizisches) Al- phabet zu sein (Dieterich: Enträthsehmg des odinischen Futhork durch das semitische Alphabet. Stockh. und Leipzig, 1864.). In der Tat ist die Entstehung der Lautschrift, wie wir oben schon hervorhoben, etwas so eigenthümliches, dass es kein Wunder nehmen würde, wenn sie ein ein- zigesmal in der Kultiu-geschichte vorkäme, wie dies z. B. in anderer Hinsicht mit der siebentägigen Woche und mit dem Planetennamen der Tage der Fall ist. Nach A: Webers Forschungen (Indische Skizzen, 127.) soll ja auch das indische Devanagari dem allgemeinen und ein- zigen ägyptisch-semitischen Alphabete entspriessen Die Futhorke haben nun in der Tat ihre Eigentümlichkeiten, da sie nicht nur die Namen der Zeichen, sondern auch deren Aufeinanderfolge so bedeutend geän- dert vorweisen, ganz abgesehen von der Figur der Zeichen. Ein blosser Abklatsch des semitischen Alphabetes, wie es das griechische ist, sind die

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Runen auf keinen Fall. Man vergleiche nur die Forschungen Jul, Za- cher's darüber in seinem Werke : das goth. Alphabet und das Runen- alphabet (Leipz. 1855). Wir denken uns nun deren Entstehung etwa auf folgende Weise. Das tiefe heidnische Altertum in Nordeuropa hatte eine unbestimmbare Menge mythischer Zeichen, und keine Lautschrift. Als Phönizier (Karthager), Griechen, Römer, endlich das Christentum in historische Berührungen mit dem Norden Europas kamen, den wir uns als einen autochthonen denken (Sitzungsberichte der kön. böhm. Ge- sellsch. d. W. in Prag, 1865. 4. Dezember S. 80 87.), entstand das Lautschriftbedürfniss durch die sichtbaren Vorteile des mitgebrachten semitisch- griechischen und die alte mythische Bilderschrift kam in den Kampf mit der mitgeteilten Neuerung, die desto dringender wurde, je mehr sich gegen die christlichen Zeiten hin der Nord Europa's mit dem Süden berührte. Weil eben der Nord an der Bilderschrift hieng, gieng eine Vermittlung zwischen beiden durch die Namen der semitischen Buch- staben vor sich, welche ursprünglich Gedankenbilder enthielten, Semiten erklärten z B. ihr Aleph als Stier, Rind, der Normann setzte dafür sein Faihu (feoh, fO) und nahm das Zeichen dafür entweder aus dem Bereiche seiner Runenmythenbilder, oder aus dem Bereiche der semitischen Zei- chen, aus Gründen, die wohl nie mehr klar werden werden. So mag es gekommen sein, dass die Futhorke mit dem Buchstaben / begannen, d. h. mit faihu, Vieh, Wcährend die Semiten gleichfalls ihr Aleph (Rind) an der Spitze des Alphabetes hatten. Dadurch wurde das semitische Al- phabet gewisscrmassen umgestürzt, d. i. von links nach rechts gelesen, d. i. die letzten semitischen Buchstaben wurden die ersten runischen.

Bekanntlich ist das Zeichen für Runen-F6 dasselbe wie das für das phönizische Aleph. Das Werk Avar dann zu Ende gebracht, als man die 16 Rimenzeichen und Namen mit den 16 phönizischen Zeichen imd und Namen ausglich.

Ob auch die Slaveu ihre Futhork's hatten, ist eine noch ganz un- entschiedene Sache. Einzelne für slavische Runen ausgegebene Zeichen und Zeichenreihen sind teils, wie die Obotritischen, äusserst verdächtig, an- dere sind eine offenbare Täuschung seiner selbst und anderer, wie z. B. die Zeichen am Bamberger Höllenhunde. Zur sicheren Tatsache ist hier noch nichts geworden. (Zur slavischen Runenfrage, Wien 1855. Archiv für Kunde östcrr. Geschichtsquellen, 18. Band.) Unwahrscheinliches, oder gar unmögliches liegt nichts im Wesen eines slavischen Futhork: da Sla- ven und Deutsche so viel gemeinschaftliches in ihren alten Kulturzustän- den nachweisen : eine feurige Phantasie könnte sogar im Namen des sla- vischen Alphabetes, nämlich Bukvar', die sechs ersten slavischen Runen eben so erblicken, wie im Namen Futhork die sechs ersten deutschen. Dass die oben genannten Alphabet führenden Völker auch an die Slaven herankamen, dass gleichfalls bei den Slaven das Schriftbedürfniss entstund, dass gleiche Ursachen gleiche Wirkungen haben u dgl., das alles kann mit Recht geschlossen werden : allein gegeben sind nur im Slavischen d. h. nachweisbar des Mönches Chrabr örsti/ (crtky, cary), wie z. B. an den Königgräzer Goldgewinden und den slavischen rovase, roba§e d. i. Kerb-

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hölzeru, die zum Teile noch jetzt im Gebrauche sind und die rezy, mety, pisnwia (im Sinne von Bildern) auf den slavischen desky, z. 13. im Libu§in soud.

Wäre wahre Lautschrift-Anwendung bei Deutschen und Slaven im Heidentume im Gebrauche gewesen, dann gäbe es gewiss auch bestimm- tere Nachrichten darüber : gerade das Spärliche der Quellen hierüber lässt sich nur durch eine Bilderschrift erklären, die man sich jedoch durchaus nicht als ein allgemeines Gedächtniss- und Industrie-Mittel vorstellen kann, wie es die Lautschrift ist.

6. Die glagolische Schrift (Glagolica).

Wäre walu-e Lautschrift- Anwendung, wiederholen wir nochmals, bei Deutschen und Slaven im lebendigen Gebrauche gewesen, dann hätte gewiss der gothische Bischof Ulßlas nicht nötig gehabt mit der gothi- scheu Schrift bei den Gothen und der Slavenapostel Kyril mit der (jla- golischen Schrift bei den Slaven aufzutreten. Da dies aber geschah, so ist es auch ein Grund mehr, unter den wahren Runen Rözy nur Bilder- zeiclien zu denken.

Der Ursprung des glagolischcn Alphabetes selbst ist sehr dunkel, da die Nachrichten über dessen Urheber nur Legenden und diese selbst nichts weniger als klar sind. Dass der glagolische Bukvarh eine Art Transscription der slavischen Möty oder Runenzeiclien in Lautzeichen sei, lässt wenigstens die Form, in der wir dies Alphabet erhalten haben, nicht zu, so sehr auch B. Kopitar und ./. Grimm dafür gesprochen. Es kommen nämlich unter dessen Buchstabemiamen Wortformen voi', die nicht slavisch sind, z. B. Frxt^ für das unslavische ph. Auch dadurch unterscheidet sich der Buk\ar' von den Futhorks und dem gothischen Alphabete, dass deren Buchstabennamen sinnliche Gemeinhilder zur Be- deutung haben, sohin auf ehemalige Runennamen deuten können, während die Glagolica-Namen dohro, das gute, ize, dieser, hako, wie, nash, der unsere, ohi, jener u, dgl. zu solchen durchaus nicht taugen. Vgl. Fr. Miklosich Glagolitisch, in der Ersch- und Gruber'schen Encyclopaedie. Leipzig 1858. Darum hat man auch unsere Gestaltung der Glagolica für eine Verunstaltung eines früheren Alphabetes erklärt und z. B. Friti als Missklang für goth. pairthr, asi. als solchen für den Runen- namen ans (ös), Btjt als faihu (feoh), r.iaro.ib als ags. caic, iivko als goth. eis (is), Humb als goth. nauths, ()T^ als othal, epx als Runennaraen yr oder als goth. urus u. dgl. mehr' erklärt, welche Worte in der Tat sinn- liche Gemeinbilder zur Bedeutung haben, allerdings aber der Glagolica den Charakter eines slavischen Alphabetes abstreifen. Das gilt nun von den Buchstabennamen: was aber die Zeichen betrifft, so scheint der Gla- golica als Vorbild ein semitisch-griechisches Alphabet von 22 Zeichen vorgelegen zu sein, welche es später bis auf 31 einheimisch- slavische Zeichen, dann mit Ligaturen (Compendien) und fremden Zeichen auf 40

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Buchstaben vermehrte, indem es entweder unslavische Lautzeichen z. B. ph, fr%t%, 0 (griech. o), otx, ih (ohne Namen!) aufnahm, oder echt sla- vische Lautzeichen ganz am Ende und zwar meist namen- oder doch zahlen- los anfügte, z. B. s, sa, verklingendes i, u\ dann das im Sla- vischen so wichtige e (ursprünglich wohl ai, ia, eä, ja, je (daher auch wohl der Name jaf, jef). Der Schluss ist sohin gerechtfertigt, dass die ältere Glagolica einst im Dienste einer unslavischen Sprache gewesen sei, ehe sie mit manchen unorganischen Unförmlichkeiten durch K}Till einer altslavischen Sprache (altbulgarisch'? alslovenisch ?), die zumeist an Uebersetzungen aus dem Griechischen angewiesen war, adaptirt wurde. Solche Unförmlichkeiten sind z. B. das doppelte e, wovon das eine mit dem Zahlenwerte 20 eigentlich die slavi sehe Spirans ^' zu sein scheint, da kurz i im Grunde der Buchstabe jerb ist: daneben kommen noch die ungeschickten Ligaturen ju, ja u.dgl. vor, gleichfalls hat die Glagolica ein dreifaches z oder- z, und wenn auch das eine davon ein sibillirtes g (dz) sein sollte, so steht wiederum ein Doppel-g mit dem Zahlenwerte 4 und 30 zu Gebote, wovon wenigstens das letztere, manchmal djervb genannt, als Jj, j nur durch schwächere Sibillation sich vom obigen dz, z unter- scheidet. Die erwähnte Spirans j (Z. 20.) hat zum Zeichen das umge- kehrte Zeichen der Sibillans s (Z. 200.). Die einfachen Lautzeichen der zusammengesetzten Laute cund c stehen dazu noch neben den zusammen- gesetzten Zeichen 57 (sc).

Die Illusion, in der Glagolica ein reinslavisches Alphabet vor sich zuhaben, ist sohin gestört: allein auch die Illusion hat kein Bleiben, dass es auch in der ihm äusserlich gegebenen Form eines slavischen Alpha- betes für die vielen hühmisch-slovakischen (slovenischen) Dialecte nach dem J. 862 vollkommen gepasst hätte, zu denen es schon fertig (und zwar mit geschriebenen teilweisen Bibelübersetzungen) gebracht, unter diesen Dialecten in sein drittes Benützungsstadium trat, in welchem es eigentlich erst historisch geworden. Denn über die beiden vorherge- henden Stadien sind nur Vermutungen möglich. Nach diesen Vermu- tungen läge der Glagolica ein altarmenisches oder aeihiopisches Alphabet zu Grunde, das vielleicht bei der Bekehrung der Chazaren benützt wurde (erstes Stadium), dann wurde es bei der Rückkehr in die Heimat sla- visirt und bei der Bekehrung der Bulgaren (Boris) angewendet (zweites Stadium), wornach es erst in Grossmähren in sein drittes Benützungstadium trat. Aber gerade in diesem dritten Stadium war die slavische Glagolica so wie die Sprache der Bekehrer in manchem Missverhältuisse zu den slavischen Dialecten in Mähren und Pannonien. Die Sprache der Be- kehrer war nämlich die sogenannte altbulgarische (altsüdslovenische), welche in den zu bekehrenden Ländern nicht zu den Volksdialecten zählte, die unter andern selbst schon im 9. Jahrhunderte die Nasalen e, ij, jg, jcj nicht so auszeichneten, wie der Bekehrer Sprache und Schrift, und wohl auch den Unterschied der Halbvocalc jeri und jerb nicht mehr so einhielten wie diese, sie verhallen lassend oder durch andere Vocale er- setzend, auch ganz abgesehen von den Dialectverschiedenheiten der Formeubildung und des Lexicons. Wenn auch nicht aZ/e Völkerdialecte gleich

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weit von der Sprache der Bekehrer entfernt gewesen sein mochten, so ist es doch nur eine Fictiou, den grüssten Teil dieser Völker zu Süd- slovenen umzutaufen, denn das wüi-de man doch noch den heutigen Dia- lecten anmerken. Die ültcste christliche Literatur des böhmisch-sloveni- schen Stammes ist sohin in einem yiicht böhmisch-slovenischen Dialecte ins Leben getreten. Die glagolischen Prager-JYagmente und das älteste Johannesevangelium bestätigen dies schlagend, die Fragmente in Sprache und Schrift, das Evangelium wenigstens seitens der Sprache.

7. Die lateinische Schrift.

Dass die lateinische Schrift bei der Christianisirung des böhmisch- slovenischen Stammes mit der ghgolischen um die Ober-, oder gar um die Allein-Herrschaft kämpfte, ist wohl eine so unläugbare Tatsache, wie der Umstand, dass die Glagolica bei dem Kampfe den kurzem zog. Streitig ist nur der Umstand, ob die lateinische Sprache und Schrift schon vor der glagolischen oder neben ihr oder gar erst nach ihi' bei den genannten Stämmen herrschte. Jeder dieser fraglichen Momente fand schon seine Verteidiger und Gegner.

Man wolle bei diesen Streitfragen ja nicht aus den Augen lassen, dass die genannten slavischen Stämme selbst während der Dauer des grossmährischen Reiches wohl nie ein politisches Ganzes bildeten, dass sie, wie schon gesagt, dialectisch unterschieden und über einen sehr grossen geographischen Raum verbreitet waren, in welchem östlich ganz andere Einflüsse wirken konnten, als welche westlich wirkten.

Die Behauptung daher, dass alle diese Slavenstämme und überall bis zur Ankunft der Slavenapostel reine Heiden geblieben, ist sehr un- wahrscheinlich, wenn man bedenkt, dass sie fast ringsum von chrisiiaui- sirten Völkern umgeben waren. Kam daher das Christentum vor dem 9. oder im Beginne des 9. Jahrhundertcs an manche dieser slavischen Völker heran, so ist es keinem Zweifel unterworfen, dass es in der Form des römischen Katholicismus, also mit lateinischer Schrift an sie heran- kam. Es ist sohin wahrscheinlich, dass in manchen Puncten der weiten Räume, -worin diese slavischen Völkerschaften wohnten, die lateinische Schrift früher eingeführt war, als die glagolische.

Es bleibt aber noch fraghch, ob sich das IFo und Tlann" dieser Schrifteinführung nicht eiuigermassen näher bestimmen lasse.

Emer der frühesten Versuche der Christianisirungen Böhmeus ist jener, den man dem h. Emeramus zuschreibt, welcher zw. 60.5 652 lebte. Dieser Versuch ist jedoch historisch nicht näher zu beglaubigen. Die Biographien des Heiligen sind in den Actis Sanctorum äusserst lücken- haft und disharmonisch. Es scheint nur fest zu stehen, Emeramus sei als Bischof von Aquitanien (Poitiers ?) in fremde Länder gezogen, uui sie zu christianisireu. Sein Ziel soll vor allem Avarien gewesen sein, wor- unter man wohl damals Pannonien gemeint hat. Doch wurde er in

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y,Bajoarien^ in diesem Berufe festgehalten, wol nur darum, weil damals d. i. um das J. 649 eine Cbristianisirung der wilden Avarenhorden eine Unmöglichkeit zu sein dünkte. Ob Emeramus nun von Baiern auch nach Böhmen gekommen, ist durchaus ungewiss (Homiliar des Prager Bischofs. Einleitung von Pr. Hecht, S. XXVn. Prag, 18 03). Es ist nun wol wahr, dass er in diesem sogenannten Homiliare, das, im 12. Jahrh. geschrieben, in der Univ. Bibliothek zu Prag u. d. Signatur 3. F. 6. auf- bewahrt wird, patronus noster, ja sogar praedicuior nosier (fol. 120. v.) genannt wird : allein eben die ganze Supposition, dass dieses Homiliare in Böhmen von einem böhm. Bischöfe herrühre, ist irrig (Wiener kathol. Kirchenzeitung, 1862. Nr. 33. 37. Sitzungsberichte der kön. böhm. Ges. d. Wiss. 1866. 12. Nov.); denn das sogenannte Ilomiliar enthält drei Sammlungen von Canones und Musterhomilien, ja überhaupt von merkwürdigen Kirchenschriften (so kömmt z. ß. auch Jonas der Vulgata darin vor), ist dazu noch eine üble Copio, wohl veranlasst durch eiaen deut- schen Abt, und kem. Original. Der h. Emeramus wurde in Regeiishurg, wohin man Böhmen, so lange es kein Bistum hatte, deutscherseits zu zählen pflegte, so wie in Mainz, wohin Böhmen als Bistum gehörte, vor- züglich verehrt, so dass auch die citirte Homilie nur eine (in Böhmen?) transscribirte, nicht aber auf Böhmen sich beziehende Homilie ist. In der Charta divisionis Francorum regni, 817. (Erben regesta, I. 18. H. Jirecek codex juris bohemici, S. 8) wird Bajoaria von Böhmen ausdrück- lich unterschieden. Aus den Biographien des h. Emeramus geht sohiu nur so viel hervor, dass er in dem Complex der böhmisch slovenischeu Länder wirken loollte, factisch aber wohl nur in Bajoarien wirkte. In späterer Zeit, in der Zeit des h. Wetizel, war in der Tat ein Eme- ramusfest in Böhmen gefeiert, denn die sogenannte Petersburger Legende vom h. Wenzel sagt ausdrücklich: „pride ze denb svjatago Emxraama, kl njemuze obescani sv. Vjaceslavb, " (Slavische Bibl. II. B. S. 274). Allein darin liegt kein Beweis, dass der h. Emeram zu seinen Lebzeiten in Böhmen gewesen, sondern nur, dass Böhmen einst wirklich zu Re- gensburg und Mainz gehörte.

Ein anderer Versuch einer Chi-istianisirung Böhmens ist der in der Königinhöfer Handschrift im Gesänge Zaboj und Slavoj erwähnte, den wir noch weiter unten näher kennen lernen werden. Tomek versetzt diese Tatsache zwischen die Jahre 728 748 (Abhandl. d. kön. böhm. G. d. W. 7. Band, S. 45, 46). Das Gedicht endet jedoch mit der Ver- treibung und Vernichtung der fremden Schaaren, die mit Gewalt das Christentum einführen wollten. Eine dritte Christianisirung ist die all- gemein bekannte der 14 böhm. Lechen im J. 845 in Regeusburg. Allein diese fand nicht im Centrum des Landes statt, da der damalige Central- fürst Hostivit noch Heide blieb, auch ist es ganz unbekannt, loo die da- dm-ch etwa veranlasste latein. Schrifteinführung partiell in Böhmen ein- geführt wurde, ob und wie lange sie andauerte. In Mähren ist eine „rudis christianitas'^ im J. 851 nachweisbar und zwar in der Mainzer Synode (Monum. Gcrman. Leges I. 414. Wattenbach, die slav. Li- turgie in Böhmen. 1857. S. 209.). Aber trotz derselben sandte Rastislav

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im J. 863 ura glagolisclie Lehrer. So ist auch in der Slovakei u. zw. in Neitra der Fürst Privina sogar im Beginne des \). Jh. nach latein. Ritus getauft worden, allein von .l/oi'miV vertrieben fand er erst m Moxburg einen ruhigeren Sitz, wo sein Sohn Kocel einer der eifrigsten Förderer der Glagolica wurde. Gerade darum, weil das Christentum iu dentsch- lafein. Form unter den Slaven nicht gedeihen wollte, mochten die sla- vischen Fürsten um slavische Lehrer gebeten haben. Und so ist denn doch der latein. Schriftgebrauch in den böhm.-slovenischen Ländern erst nach dem Falle der Glagolica daselbst allmählig als gemeingiltig nachweisbar.

8. Die Glagolica verbreitet sich von Paiinonien nach den süclslav. Ländern und von Grossmähren nach

Böhmen.

Wir setzen hier als bewiesen voraus, dass die ursprüngliche Schrift der Slavenapostel Konstantin (Kyril) und Methud die Glagolica gewe- sen, obwohl wir wissen, dass diese Behauptung noch viele ehrenwerte Bekämpfer findet: wir setzen dies deshalb hier voraus, weil es unsere festeste Ueberzeugung ist und in so dunklen Dingen ein objectiver Beweis wohl nie hergestellt werden wird.

Für das Erscheinen der Glagolica in Böhmen setzen wir jedoch nicht das J. 871 als das Jahr der Taufe Bofivoj's in Velehrad fest, aus dem Grunde nicht, weil einerseits das eigentliche Taufjahr unbekannt ist, andererseits aber bei den damaligen disharmonischen Verhältnissen in Böhmen es mehr als wahrscheinlich ist, dass schon vor Bofivoj auch einige Lechen in Grossmähren zum slav. Christentume übertreten sein werden. Wie weit sich die Glagolica in Grossmähren und noch irüher im Pannonischen Gebiete des Fürsten Kocel und von da aus nach den Südslavischen Ländern (Kroatien) verbreitet hatte, ist im einzelnen wol nicht mehr nachweisbar. Sicher ist es jedoch, dass sie von den Für- Sienhöfen (grady) aus in Pannonien, Grossmähren und Böhmen sich über das Land verbreitete und unter dem politischen Fürstenschutz e stand. In diesem dreifachen Ländcrc^nir'Mm bildeten sich natürlich auch förm- liche glagolische Schnftschulen, wie dies für Böhmen wol die am Hrad- cin (Hradcany) aufgefundenen glagolischen Prager Fragmente schlagend nachweisen, die schon ins neunte oder 10 Jh fallen Noch viel früher müssen derlei an den Höfen des mährischen Fürsten Rastislav und des pannonischen Fürsten Kocel, der schon 873 oder anfangs 874 starb, be- standen haben, da sich ohne sie die tatsächliche Verbreitung des Chri- stentums mit slavischer Liturgie gar nicht denken lässt. Man vgl J. Srieznievskij in den Izviestija archeol. obscestva vom J. 1861. 1862., wovon sich ein Auszug in Schmaler's Slav. Jahr-Büchern, 1862, L B. S. 170; n. Band S. 5 befindet. Dann äafarik: Strucny pi'ehled liturg. kneh.Musejn. 1862. S. 291. Schmaler's slav. J. B. 1864. IL B. S. 27.

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In den Prager glagolischen Fragmenten, welche in Böhmen ge- funden, auch wohl in Böhmen geschrieben sein mögen, wenn auch nicht gerade in Sazava, finden wir die oben berührten drei z, z, neben dj (g), eben so das doppelte i neben ju, ji^^ jq^ daher natürlich auch die Na- salen §, a, die Halbvocale s und b, die unslavischen Laute ph, th : also kurz die altbulgarische Glagolica, so dass wohl auch angenommen werden kann, das zufällig in den Fragmenten fehlende s'. (sc) wäre auch darin gewesen. Es bestätigen diese Fragmente die obige Behauptung, dass die pannonisch-mährischen Bekehrer in einem fremdartig slavischen Dialecte das Christentum in Ungarn, Mähren und Böhmen verbreiteten, dass sohin auch die slavische Kirchensprache ursprünglich nicht der Landesdialect war. Vergl. jedoch Miklosich über die Nationalität der alten Mährer. (Svetozor 1860. S. 5). Dies musste notwendig zur gegenseitigen Assimi- lation drängen, wie man es denn auch wirklich in den obengenannten glagolischen Fragnenten, mit Miklosich zu reden, mit Formen zu tun hat, welche keinen Zweifel darüber aufkommen lassen, dass man es mit einem Slaven cechischen Stammes als Abschreiber zu tun habe (Ersch. Encycl 420. b.). Wie weit und wie tief sich die glagolische Liturgie von den drei Fürstensitzen aus gegen die Landesperipherien hinverbreitet hatte, ist im einzelnen wohl unbestimmbar. Die entferntesten Gränzen mögen gegen Norden Lausitz und Polen, gegen Süden Dalmatien ge- wesen sein Vgl. J. E Schmaler: Die Lausitzer Serben erhielten das Christenthum von den Slaven, dann von den Deutschen (J. B. 1864. IL B, S. 33). V. Zelen^: de relig. Christianae in ^oÄemw principiis. Prag, 1855 (Programm des acad. Gymn.) gegen E. Dümmler: de Bohem. cou- ditione Carolis imperitantibus, Lips. 1854., welcher jede slav. Liturgie sogar in Böhmen läugnete.

9. Die Kyrilica in Böhmen und Mähren.

Die Keime, welche die Slavenapostel von der Glagolica, was wört- lich Lautschrift bedeutet, in Bulgarien im zweiten Stadium ihrer Wirk- samkeit zurückgelassen hatten, müssen tiefe Wurzeln gefasst haben, wenn man aus der Menge der aus dem Glagolischem transscribirten kjTilischen Handschriften und aus dem Vorkommen glagolischer Zeichen, Zahlenwerte und Worte in kyrilischeu Handschriften einen Schluss ziehen darf. Auch der Name des bekannten „Abecedarium hulgaricum"' bestätigt dieses. Wie aber die Glagolica in Grossmähren einen Kampf auf Tod und Leben mit der lateinischen Schrift zu bestehen hatte : so kam in einen ähnlichen Kampf die Glagolica in Bulgarien mit dem griechischen Alphabete. Schon Chrabr erwähnte, dass christliche Slaven vor der Entdeckung der Gla- golica Slavisches mit griechischen Lettern schrieben. Das griechische siegte auch hier insoferne, als man in das griechische Alphabet nur die- jenigen glagolischen Lautzeichen aufnahm, welche es selbst, als Zeichen ungriechischer, wohl aber als slavischer Laute nicht besass. So entstand

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die Kyrilica, die griechischen Zahlenwert neben glagolischen Buchstaben- namen in sich aufnahm, also auf eine ähnliche Weise wie einst das yo- ikische Alpliabet, das man mit dem Namen des Bischofes Ullihis verband. Dieser Ausgleich scheint rasch den Slavenai)osteln nach Paimonien und Mähren auf dem Fusse gefolgt zu sein, ja es ist eben die Frage, ob nicht schon vor oder doch unmittelbar nach dem 'J'ode Methud's die Kyrilica über Pannonien sich auch in Böhmen und INIühren einfand, da man sich die Wirksamkeit der Slavenapostel in Pannonien und IVIähren wül nicht ohne Zu- und iVac/t-Züge christlich-slavischer Bulgaren denken kann. In ihr, der Kyrilica nämlich, erwuchs dort von einer unerwarteten Seite ein neuer Feind der Glagolica, wie sie einen erwarteten Feind von Seite des Lateinischen bereits hatte. Die Kyrilica, als griechische Schrift, mag bei dem beginnenden griechisch-römischen Kirchenschisma dio sla- vische Liturgie mit in den Verdacht der Heterodoxie gebracht haben. Wo das Griechische nicht vorherrschte, wie z. B. in Dalmatien, Kroatien, wohin die Glagolica wol auch von Kocel's Hof aus sich verbreitet hatte, was einigermassen die Sage von ihrem alten Ursprünge durch Hieronym erklärt, da blieb die Glagolica aufrecht, ja sie ist es noch in unseren Tagen, und selbst in Prag erweckte sie im Slavenkloster Emaus Karl IV. wie- der, wo sie sich gleichfalls vielleicht bis auf unsere Tage erhalten hätte, wenn die Husitenstürme nicht gekommen wären, und Hus sie nicht latein- hühmisch transscribirt hätte (M. J. Husi Orthographie ceska. Slav. Bibl. IL S. 173).

Ein Beweis der alten Herrschaft der Kyrilica in Böhmen liegt in der schon genannten Wenzelslegende, die man irrig die Petersburger- legende nennt, da sie doch zuerst Vostokov im Jahre 1827 im Moskauei- Viestnik (Nr. 17. S. 85—94) veröffentlichte. Vergl. Musejn. 1830. IV. 453 462. Slav. Bibl. H 270. Sie ist, obschon um* in einer Abschrift des 15. Jahrhunderts bekannt, in althirchenslavisch-höhmischer Sprache geschrieben und scheint ganz nahe an das Leben des hl. Wenzels, also an das 10. Jahrhundert der Sprache nach hinaufzureichen. Das Original scheint sohin irgendwo in Böhmen oder Mähren glayolisch verfasst und dann kyrilisch transscribirt zu sein, in welcher Form sie sich nach Russ- land hin verbreitete, da die kyrilische Schrift als griechische endlich dort- hin flüchtete, wo die griechisch-katholische Kirche herrschte. Selbst in der kyrilischen Abschrift sind noch die Bohemismen deutlich sichtbar (Safafik, Staroz. edit. princeps, S. 779. Musejn. 1837: S. 408. M. Büdinger: zur Kritik altböhm. Gesch. 1857. Zeitschr. f.d. österr. Gymn. VII. Heft.). W. Waüenbach verarbeitete sie kulturhistorisch m^den Ab- bandlungen der bist, phil, Gesellschaft in Breslau, I Bd 1857. In dieser Legende wird nun erzählt, dass den hl. Wenzel seine Grossmutter Ljudmila nach Art eines Priesters in skioischer Schrift, sein Vater aber in Budec in latein. Schrift unterrichten Hess ferner dass er latei- nische Bücher zu verstehen begann, wie ein tüchtiger Bischof oder Priester und falls er ein griechisches oder slavisches Buch aus der Hand legte, er es aus dem Gedächtnisse ohne Mühe recitiren konnte. Es lauten die Ausdrücke über die Schriften im Originale so: nauciti

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knigamö slovenbskims po sledu popovu - uciti sja knigara^ latijnbshinw i naca ie uraeti knigi Za^yw6skija, jakoze dobryj episkopx ili popx da a§öe ja vizmjase ja greceskija knigi ili sloveniskija (nach Miklosich: „quando depouebat graecum librum vel slovenicum").

Diesem nach schildert diese böhm.-russische Legende den hl. Wenzel hinsichtlich der Schriftaufnahme als ein Bild des böhm.-slovenischen Volkes, das eben zur Zeit Wenzel's schon dreierlei Alphabete kannte : das glago- lische hier unter dem Namen slavische Schriften (Bücher) begriffen, dann das kyrilische^ hier griechische Schrift genannt, endlich das lateinische, das siegreich über beide erstehen sollte Zugleich hören wir aus der Legende noch den ursprünglichen Namen der Glagolica, unter welchem sie durch die Slavenapostel eingefiihrt wurde, heraus, nämlich „knigi slovenöskija." Es ist dies derselbe Ausdruck, den Pabst Johann VIIL im J. 880 gebraucht, nämlich „litteras sclaviniscas a Constantino quondam repertas," als er die Glagolica Methud's billigte (Palacky ital. Reise. Abh. 1841. L B. Facsimile) und derselbe Ausdi'uck, den der Mönch aus Sazava in seiner Chronik von dem Stifter des slavischen Klosters zu Sazava, dem hl. Prokop nämlich, gebraucht, wenn er von demselben sagt, er wäre ,.canonice admodum imbutus" gewesen ,,sclaronicis litteris a sanctissimo Quirillo episcopo quondam inventis et statutis" (Monum. Germ. Script. IX. 149): als slavische Lettern standen ja eben die glagolischeu entgegen den graecisirten sogenannt kyi'ilischen, als auch den lateinischen. An wahrhaft griechische Bücher in der Hand "Wenzels ist gewiss nicht zu denken.

10. Das Altkirclienslavisclie in lateinischer Schrift in Böhmen u. s. w.

Wir haben schon oben berührt, dass die Glagolica viel Unförmliches an sich trägt, als dass sie für eine angenehme Schriftart erklärt werden könnte. Als nun auch die Kyrilica nach Böhmen gelangte, die, wie ge- sagt, nur eine griechische Tratisscription der Glagolica ist, sahen darin die Geistlichen Böhmens einen Fingerzeig, wie auch sie sich von derselben befreien konnten. Nicht etwa durch blinde und allgemeine Annahme der Kyrilica, die wol nur hie und da gepflegt sein mochte und immerhin im Verdachte blieb, das Kirchenschisma zu fördern, sondern durch lateinische Transscription der Glagolica suchte man sich von der Glagolica und Kyrilica ganz zu befreien, und zwar dadurch, dass man hlos mit lateini- schen Buchstaben die bereits vorhandenen glagolisch oder kyrilisch ge- schriebenen heiligen Schriften überschrieb. Diese Methode beweiset schla- gend das Fragment des Johannisevangeliums, welches man beschrieben und fascimilirt in Palacky's und Safafik's ältesten Denkmalen der böhm. Sprache (Prag, 1840, S. 105 1G6) findet. Die Sprache darin ist noch die Sprache der Slavenapostel mit Bohemismen vermengt, allein die Schrift der Intcrlinearversion ist durchaus, ebenso wie der Text der Vul-

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gata, nur lateinisch. Dieses Schriftstück ist ein Beweis, dass die alt- slovenische Sprache der Slavenapostel tiefo Wurzehi in den bekehrten Ländern muss getasst haben, da man Bestandteile der röraisch-hateinischen Liturgie mit altkirchenslavischen Formen übersetzte. Man kann dieses merkwürdige Schriftstück in das 10. oder 11. Jahrliundert aus diploma- tischen und sprachlichen Gründen versetzen. Der Ucbersetzcr hatte schon die Vulgata vor sich, war soliin ein römisch katholischer Geistlicher, der aber noch der alten slovenischen Kirchensprache mächtig war, indem er darin das Latein übersetzte. Der Ort, wo dies gescliah, ist unbekannt, denn das Pergamentfragment bildete den Einband eines Görlizer Buches. Wie unter den Kusinen in Galizien die Geistlichkeit unter sich modern rusinisch spricht, aber altkirchenslavisch betet: so sprach auch in Böhmen die Geistlichkeit böhmisch, verrichtete jedoch die Liturgie altkirchen- slavisch, so lange, bis auch böhmische Uebersetzungen der heil. Schriften die altslovenischcn verdrängten. Wir können hier wol den Namen: ^.Böhmen"' nennen, ja sogar auch Mähren^ Schlesien^ die Lausitz und Slovakei hinzufügen, ohne auch den Ort, wo die Interlincarversion statt- fand, zu kennen; weil in all' den genannten Ländern noch andere Beweise von der Herrschaft des Altkirchenslavischen bei römisch-katholischer Liturgie sich vorfinden.

So ist nach Jos. Jirecek's Forschung ein ganz ähnlicher Text, wie im ebenerwähnten Johannesevangelium (Jungm. histor. liter. S. 16, N 3) auch im Olmüzer Evangeliare vom J. 1421 (o ceskem püvodnim pfe- klade evang. 1859. S. 5 9) und im Evangeliare., das Jungm. S. 16. N. 4 verzeichnete (Rozbor z lit. ßeske, 2. Heft S. 33), denn obwol dies Evangeliar nicht vor dem 14. Jh. überschrieben ist, so weisen doch manche Ausdrücke wie z. B. samoho, samomu, samiem auf nicht böhmische Urformen hin.

In dem ganzen Bereiche der böhm.-slovenischen Völker kennt die kathol Kirche auch das uralte Kirchenlied Gospodi pomHuj ny, das dem Inhalte und der Form nach ein Rest slavischer Liturgie ist. Bei dem andern gefeierten Kirchenliede : Svati) Vaclave ist in dem erhal- tenen Texte allerdings kein Altbulgarismus mehr vorzufinden : doch einer- seits die Reimlosigkcit, andererseits die einfache Dreistrophenform, worauf sich dies Kirchenlied zurückführen lässt (Sembcra Döjiny fcci a liter. 2. Aufl. S 193 und J. Feifalik altcechischc Leiche, Wien 1862, S. 9 (oder 643 der Sitzungsberichte. Dalibor. 1862. S. 201), lassen dies Kirchenlied gleichfalls als einen Rest der slav. Liturgie erscheinen. Von andern sprachlichen Resten in der Kirchenterminologie, die von den Sla- venaposteln herrühren, spricht Jirecek im Wiener S\etozor 1858. S. 27. Aber auch noch die sogenannte Mater verborum, die wir erst in das J. 1302 verlegen, hat in ihren Interlinearglossen genug Ausdrücke, welche auf die slav Liturgie hinweisen. Dahin rechnen wir z. B. BlaJiodohe, eufemia ; blaJwvole eudochia ; blahoslove, eulogium, bledi (d. i. blgdi) stulti ; pravoslavni), orthodoxus (gerade wie es noch die griech. Kirche nennt) u. a.

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11. Glagolica und Kyrilica neben lateinischer Schrift.

Gewöhnlich leitet man den Fall der Glagolica und der slav. Li- turgie in Böhmen und Grossmähren von der Vertreibung der Nachfolger und Anhänger des h. Methudius ab. Kyril sei schon im J. 869, Methud aber im J. 885 gestorben, was zugleich als Signal galt, dass mit der persönlichen Autorisinmg der Apostel die objective Autorisirung der slav. Liturgie gefallen wäre. Allein in Kroatien und Dalmatien erhielt sich diese Liturgie in glagolischer Form bis auf unsere Tage, sogar trotz manchem päbstlichen Verbote. Es muss sohin mit dem Falle derselben in Mähren und Böhmen ein eigenes Bewandniss gegeben haben. Uns dünkt, dass dies in einem zweifachen Umstände gelegen war. Die Be- rufung der Slaveuapostel war nämlich selbst, wie es scheint, mehr ein politischer, als wie ein kirchlicher Act: die slavische Liturgie sollte den Innern Verband des zu gründenden slavischen Reiches abgeben: wogegen die Deutschen von allen Seiten, die Magyaren aber von Osten her Ein- sprache taten, obschon, wie ihre Sprache ausweiset, sie selbst von sla- vischen Kulturmomenten gehoben worden waren. Die slavische Liturgie war auch zu künstlich eingeführt worden, sie basirte mit ihrem fremd- artigen Dialccte mehr in dem "Willen der Fürstenhöfe, als im Gemüte des Volkes und ihre Vertreter waren, wenn auch Slaven, doch zumeist wol Fremde. Den andern Umstand deuteten wü' schon oben an : nämlich in dem Eindringen der Kyrilica, die wir in Grossmähren noch vor der Vertreibung der Anhänger Methuds bereits vermuten. Denn die Kyrilica schien dmxh ihre griechischen Buchstaben und Kirchentexte das Kirchen- Schisma zu fördern, so dass die Fürsten, falls sie dieselbe begünstigten, die Billigung Rom's einbüssen zu müssen vermutet haben mögen. Als daher die Fürsten ihre schützende Hand davon abzogen, da traten die durch die slav. Liturgie ohnehin nur momentan zurückgedrängten Deutschen auch als politisch und römisch gesinnte Partei hervor. Die Anhänger der slav. Liturgie waren vermutlich selbst in 2 Parteien : in die der Kyrilica günstige und in die Partei geschieden, welche die Gla- golica aufrecht erhalten wollte: die Kyrilisten mögen sohin auf ihrer Flucht nach Bulgarien, wo die Kyrilica gewiss weit vor dem J. 9 IG, dem Todesjahre Bischof jSr/g?we?is, schon bekannt und von ihm nur weiter begründet war, sich gewendet haben und zur eifrigen Transscription gla- golischer Schriften in k}Tilische geschritten sein. Die Glagolisten aber mögen durch die ehemaligen Besitzungen des Fürsten Kocel, worin kern griechischer Einfluss sie hemmte, gegen den Süden Europas vorge- drungen und dort die Hen'scliaft der Glagolica bedeutend gefördert haben. Dass nicht alle Verfolgten geflohen, sondern dass heimliche Anhänger in Mähren und Böhmen zurückgeblieben, so wie dass auch von den Flie- henden sehr viele in den Klöstern Pannonieus nur einen günstigen Um- schwung der Verhältnisse abgewartet haben mögen, liegt nicht nur in der Natur der Sache, sondern lässt sich auch aus manchen historischen Andeutungen erschliessen. So ist es z. B. Tatsache, dass in Bulgarien und Russland die Kyrilica die Glagolica ganz verdrängte, während von

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Kroatiea die Glagolica sich bis nach Dalmaticn hinzog und im Süd- Westen fasst allein herrschte, während gegen den Süd-Osten zu die Ky- rilica vorherrschte und einen Hinterhalt an den Bulgaren fand: in Pan- nonieu aber hielt sich die Glagolica und Kyrilica lange Zeit, bis in das 13. Jahrh. hin, das Gleichgewicht. Dass zwischen dem bühm. Sazava- kloster und den slavischen Klöstern im nördlichen Ungarn enge Baude noch zur Zeit Spitihnev II. und König Vratislavs bestanden, zeigen die Scriptores rerum Boheraicarum deutlich genug (I. S. 97, 9^,102,204). Dass zwischen den geflohenen und den rückgebliebenen heimlichen An- hängern Verbindungen fort erhalten wurden, lehrt ebenfalls die Natur der Sache, namentlich da man sich im 10. und den nächsten Jahrhunderten Böhmen und Mähren weder politisch vollständig centralisirt, noch auch dialectisch vereinigt denken darf.

Dass die Kyrilica neben der Glagolica in diesen Ländern zugleich herrschte, siebet man u. a. in dem Riesencodex, den aus Podlazice in Böhmen die Schweden nach Stockholm entführten (Dobrovsky's literar. Nachrichten. Pg. 1796. S. 35 47. Pecirka's Referat im Musejnik, 1851.

I. und 2. Heft.). Dieser Codex, der dem 13. Jahrh. angehöret, hat näm- lich auf dem Deckel em kyrilisches und ein glagolisches Alphabet, etwa um das J. 1400 hinein geschrieben (Dobrovskj', Gesch. d. Lit. 1h18. S. 57). Auch in manchen Handschriften der Prager Univ. Bibliothek findet man solche Alphabete noch aus husitischen Jahrzehenden: ja das Alphabet, welches man dem Hus zuschreibt, ist, wie oben schon angedeutet wurde, offenbar nur nach dem Muster der slavischen Alphabete hergestellt und sind die fremdartigen Buchstaben-Namen in böhmische Namen verwandelt worden. Die aufgeschriebenen kyril. und glagolischen Alphabete setzen einerseits (wie ehemals die von Mönchen aufgeschriebenen Futhorke) schon einen Mangel an der Fertigkeit im Lesen voraus : aber doch noch den Besitz von glagolischen und kyrilischen Codices, da niemand einen Schlüssel verwahren wird, dessen Schloss schon ganz verloren gegangen wäre. So ist in der Tat in der glagolisch geschriebenen böhmischen Bibel (l7. A. 1.) vorn am Deckel ein glagolisches Alphabet zugeschrieben, aber von einer ganz andern Recension, als der Bibel selbst zu Grunde liegt. In dieser glagolischen Bibel, welche 141 G in Emaus beendet wurde („unter dem slavischen Abte Kfiz. Diese Bibel ist geschrieben von den Klosterbrüdern, aber nicht von kroatischen Schreibern," u.zw. ist der Text böhmisch-kroatisch), wird der altertümliche Laut g mit dem glagolischen Zeichen, das böhm. ä, das erst aus altslav, g wurde, jedoch mit kyrili- schem Zeichen kennzeichnet, wie es auch der Fall ist in der Handsclirift

II. A. 14. Blatt 242 vom J. 1436, wo in dem glagolisclien Alphabete dem kyrilischen g das glagoliäche g voransteht, gewiss ein Zeichen, dass in Böhmen das Andenken an den Gebrauch der Glagolica und Kyrilica bis in die Mitte des 15. Jahrhund ertes nicht erlosch. Der Text der gla- golischen Bibel enthält noch viele Archaismen der altslav. Liturgie, ob- schon er im ganzen in der böhm. Sprache des 15. Jahrh. geschrieben ist. Der Text des Codex 11. A. 14. aber, worin das glagol. Alphabet geschrieben ist, ist selbst eine böhm. Bibel mit folgendem Explicit: „A

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psany su na Kosti hradu in rubea turri per Andream Figuli de Roki- cano plebanura in Zerfic a. d. 1436... Vgl. J. Jireöek im Musejuik 1864 II. 144 und Koläf in den Sitzungsberichten d. königl. böhm. Ges 3 Decemb. 1866. In Raigern (Rajhrady) in Mähren verwahrt man wie-* darum das latein. Martyrologium, „Odonis" genannt, das aus dem 10. Jh. stammen soll. Es enthält mitunter kyrilische Zeichen und altslavische Randglossen. Dort verwahrt man auch den Anfang einer Homilie des Job. Chrysostomus mit hyriliseher Schrift. Er soll einem latein. Codex des 9. Jh. beigeschrieben sein.

12. Text du Sacre oder das slavische Evaiigeliar zu

Rlieims.

Dem ersten Anscheine nach könnte man auch das in der Aufschrift genannte Evangeliar als einen Beweis des Vorhandenseins der Glagolica und Kyrilica neben einander in Böhmen anführen, da dies Evangeliar in der Tat aus einem glagolischen und aus einem kyrilischen Teile besteht. Dies ist aber aus inneren Gründen untunlich.

Der erste mit dem zweiten, glagolischen Teile, nicht zusammen- hängende kyrilische Teil ist sogar unter dem Namen des St. Prokops evangeliums bekannt, unter welchem Namen es dem Kaiser Karl IV., welcher, wie schon das Marcus - Evangelium im Prager Domschatze be- weiset, in diesen Dingen nicht kritisch genug vorgieng (Liter, püsobeni J. Dobrovsk6ho. 1867. S. 7. Abhandl. d. kön. böhm. Gesell, zu Prag. 15. Band), verkauft wurde. Da Procop, erster Abt des berühmten sla- vischen Sazavaklosters, schon 1053 starb, müsste dies Evangeliar von ihm etwa in den Jahren 1030-1053 geschrieben worden sein. Das ist nun, weder aus inneren, noch aus äusseren Gründen möglich. Es scheint nämlich der kyrilische Teil nicht einmal von einer Hand geschrieben zu sein, da u. a. z. B. mit dem Bl. 17. Pergamen und Äc/irz/i{ sich ändern. Im 11. Jahrhunderte hätte auch niemand eine so verderbte altslav. Sprache sprechen und sclu-eiben können, wie solche die einzelnen Frag- mente ausweisen. Es ist wohl nur ein Produkt aus dem Anfange des 14. Jh. und Karl IV. offenbar unterschoben worden. Vgl. B. Kopitari: prole- gomena histor. in Evangelia Remcnsia. Slav. Bibliothek, I. S. 80. Der facsimilirte Text ist in der Präger Univ. Bibliothek (26. C. 57). Die Beschreibung siehe im Prager Muscjnik, 1840. S. 188. Ausführlich schrieb aber über den kyril. Teil- P Biljarski in seinen Sudbby cer- kovnago jazyka. St. Petersburg, 1848. 2. B. S. V VII. Dort findet man auch die gesammtc Literatur über dies crcignissvolle Evangeliar und dann S. 283. das kurzgefasstc Urtheil darüber, welches dahin lautet, dass der kyrilische Teil eine Copie aus dem 14. Jh. sei, die irgendwo im Süden Europas (Wallachci) nach einem mittelbulgarischen Originale ver- fertigt wurde. Der glagolische Teil aber ist mit der kroatischen Gla- golica von einem Mönche im Slavenkloster zu Emaus, dem Karl IV. das

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sogenaDüte Procopö Evangelium geschenkt hatte, im J. 1395 hinzu geschrieben.

Immerhin hat es aber liir die Geschichte der Glagolica und Ky- rilica in Böhmen eine grosse Bedeutung, namentlich in Anwendung auf den Ruf des Prokopsklostcrs in Sazava. Man kann nämlich wol folgende Momeiite desselben unterscheiden.

1. Der h. Procop schrieb glagolisch. Dies folgt einerseits aus der gegenwärtig herrschenden Ansicht von der Priorität der (llagolica in Ver- bindung mit den Worten des Mönches von Sazava: Procopius, nationc Bohemicus, sclavonicis literis a S. Quirillo - inventis admodura in- butus (Script, rer. Bohem. I. 90).

2. Im J. 1079, also 26 Jahre nach dem Tode des h. Prokop's bat Vratislav den Papst Gregor VII. um die allgemeine Wiedereinführung der noch hie und da giltigen slav. Liturgie, „quod secundum sclavonicam linguam ap^ul vos (also auch am Hofe) divinum celebrari annueremus officium," was jedoch der Pabst als eine vana temeritas verwarf mit der Bulle vom 2. Jänner 1080.

3. Vratislav hob jedoch darum doch die slavische Liturgie im Sa- zavakloster nicht auf: sondern führte sie nur nicht allgemein ein. Da- gegen wird jedoch von Uneinigkeiten unter den Mönchen im Sazavaklostcr Erwähnung getan, die wir uns nicht blos in der Eifersucht der Mönche mit dem Abte, sondern auch in dem Streite der Glagolisten und Kyri- listen in dem Kloster gegründet vorstellen. Denn dass in irgend einer Zeit auch die Kyrilica im Prokopskloster Eingang gefunden haben musste, folgt schon daraus, dass man ein kyrilisches Evangeliar, als Prokops- Evangelium, dem Kaiser Karl IV. zu unterschieben wagte, welches er dem glagolischen Emauskloster schenkte.

4. Erst nach dem Tode Vratislav's vertrieb Bfetislav die hadernden Mönche und setzte den Abt Diethhard aus dem Bfevnoverkloster als Vorstand ein. Dieser scheint selbst die slavisch geschriebenen Bü- cher nicht gleich vertilgt zu haben, sondern neben ihnen (praeter scla- vonicos) sich um lateinische Piitualbücher bekümmert zu haben, wie er denn auch noch dann einige slavische Mönche aus Barmherzigkeit im Kloster duldete (Palacky, dejiny, 1848. S. 359).

5. Es ist die Frage, ob nach der Umwandlung des Slavenklosters zu Sazava an andern Orten Böhmens doch nicht noch einige Reste der slavischen Liturgie sich vorfanden, welche auch zu Zeiten Karl IV. noch einige Wurzehi hatten, um es erklärlich zu machen, dass Pabst und Kaiser im J. 1347 ein glagolisclies Kloster zu Prag ,,na Slovanech'' unbedenklich gründeten, welchem Karl IV. das kyrilische Prokops-Evan- gelium als Geschenk verehrte.' In Ungarn erhielten sich factisch einige Klöster slav. Liturgie unter der Oberhoheit Roms bis in's 13. Jh. (Pa- lacky 1. c. S. 359.) Anm. 358.'. Im Grunde kann man auch schon aus der päbstlichen Bulle, womit das Prager Bistum gegründet wurde, das damalige Vorhandensein der Ki/rilica und Glagolica in Böhmen er- schliessen; denn da heisst es, es solle das Bistum nicht beruhen secun- dum ritiis aut sectam Bulgarice gentis vel Ruzice, was auf die KjtI-

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lica deutet, aut slavonicae Unguae, was wiederum auf die Glagolica weiset, sed magis sequens instituta et decreta apostolica u. s. w., wie es Cosmas anführt. Offenbar, und zwar mit Recht, ist hier der ritus Bulga- ricus oder Russicus entgegengesetzt dem o^itiis slavonicae linguae: auch wird im Grunde nur befohlen, es solle das Bistum „magis'' (nicht also schlechthin) nach latein. ritus geordnet werden und in der Tat finden sich, wie oben angedeutet wurde, noch heut zu Tage Kirchen- Itymneii im lat. Ritus, die dem slav. Ritus entsprangen. "Was eigent- lich Karl IV. mit dem slav. Prager Kloster zu Emaus bezweckte, ist noch nicht mit Sicherheit zu bestimmen. Man vergleiche z. B. seine Bestimmungen in der goldenen Bulle zu Gunsten der slav. Sprache mit seiner neuen Gründung des slavischen, ja specifisch böhmischen Chorherrn- stiftes zu l7)f/elheim, dem heil. Wenzel geweiht, wohin der Pfalzgraf (pa- latinus) das Handbuch (viaticum) des Hus, worin dieser sich im Kerker zu Konstanz Notate machte, nach dem Tode des Hus sendete. Diese Notiz ist von der Hand (^es Kfiz z Telce, welcher zu Ende des 15. Jh. lebte, erhalten, ein Beweis, dass noch in dieser Zeit die Schöpfung Karl's zu Ingelheim in Beziehungen zu Böhmen stund. Vgl. die Sitzungsberichte der kön. böhm. Gesell, zu Prag am 3. Juni 1867. Das Ingelheim'sche Kloster war nur ein Abzweig des Karlhofs Klosters zu Prag (am Karlov).

13. Die lateinische Schrift im Dienste des weltlichen

Böhmens.

Bisher betrachteten wir die Glagolica und Kyrilica im Dienste der Liturqie. Eine andere Frage entsteht nun in Beziehung des weltlichen Schriftgebrauches.

Alle k)Til. und glagolischen Schriftreste, die sich bisher in der Oeffentlichkeit zeigten, waren kirchlichen Inhaltes (Hanka : Ostatky slovan- sk6ho bohosluzeni V Öechäch, Prag, 1859.J. Erhalten hat sich sohin nichts "Weltliches in glag. oder kyril. Form. Es ist wol nichts unmögliches, anzimohmen, dass die einzelnen geistl. Personen glagoL und kyril, Litur- gie mit ihres Gleichen in Böhmen, Mähren, Pannouien ja sogar mit solchen in Bulgarien, Kroatien und Dalmatien im Briefverkehr waren, der immerhin zum Teile ein weltlicher gewesen sein mag. Allein einen tatsächlichen Beweis eines solchen herzustellen, ist bisher nicht möglich geworden. In südslavischen Ländern, sowohl kyrilischer als glagolischer Litiu-gie, ist ein solcher Schriftgebrauch nichts seltenes, wie es sich noch neulich in der Sitzung der kön. böhm. Gesellschaft zu Prag 1865. 30. Oktober an der glagolischen Urkunde aus Voksic vom J. 1484. in kroa- tischer Sprache zeigte, welche gegenwärtig in der Univ.-Bibliothek auf- bewahrt wird. Doch auch beim weltlichen Gebrauch der Schrift ist noch ein Unterschied zwischen öf eidlichem und diplomatischem Schriftgebrauche der Höfe, wie oben berührt wiu-de, und jenem der Privaten zu machen.

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Die Untersuchungen über den fraglichen Privatgebrauch der Glagolica und Kyrilica müssen vor der Hand auf sich beruhen.

Dass die Glagolica und Kyrilica nicht zum diplomatischen Schriften- wechsel bei den Höfen gelangte, ist mehr als wahrscheinlich, da sie auch im Süden wohl nur Schrift der Geistlichkeit blieb. In Bezug auf die böhmisch- slovenischen Länder ist die lateinische Schrift und Sprache tatsächlich die diplomatische, sowohl an den Fürstenhöfen als auch am Hofe des Papstes gewesen, und zwar sogar noch vor der vollen Christiani- sirung dieser Länder. 1. So schrieb z. B. Papst Gregor UI. an alle deutschen und slavischen Fürsten im J. 739, dass sie dem (h.) Bonifac Gehorsam leisten sollten, auch sollten sie verabscheuen alle Zauberer und Losicerfer^ alle Todtenopfer^ den gesammten Wahl- und Quellen- Dienst, die Anaehinde, Bezauherungen, so wie überliaui)t alle gottlosen Gebräuche. Der h. Bonifac führt in seinem Erraahnungsbriefe an den sittenlosen Ethibald im J. 745 die heidn. Slaven als ein Cluster auf, in- dem er an die wendische Sitte, dass das slav. Weib mit dem Manne beim Verbrennen des Leichnams sich mit verbrenne, anspielt ; obschon er des slavischen Heidentums halber die Slaven die hässlichste und ärgste Men- schengattuug nennt. Papst Johannes YHL sagt dagegen in der Zuschrift 2lu Kocel (Cozili) zwischen den J. 873— 882, dass der Gebrauch, Frauen zu Verstössen oder noch bei ihren Lebzeiten neue Ehen zu schliessen, ein Rest heidnischer Sitten sei (Erben: Regesta, S. 2. 15). Auch an den mähr. Herzog Svatopluk schreibt Papst Joaiines IX., er berufe den Erz- bischof Methud nach Rom, da er vernommen, Methud lehre anders, als er sollte. In dem Briefe an Methodius selbst (von demselben Datum, 18. Juni 879) wiederholt er nicht blos dies, sondern sagt auch, dassMethod „die Messe slavisch lese." Es war diese Berufimg nach Rom wohl die Folge überti'iebener Denunciationeu. Als der Papst nun den Method in Rom orthodox befunden, empfahl er ihn im J. 880 dem Svatopluk und unterordnete demselben sogar den deutschen Bischof von Neutra Wiching. In demselben Briefe belobt er die oben schon genannten „litteras sda- vijiiscas" (1. c. S. 17. 18). Diese Urkunden und Briefe weisen sohin nicht nur die latein. Schrift und Sprache als die diplomatische nach, son- dern lassen auch Einblicke in das precäre der slav. Liturgie tun, um annehmen zu können, dass sich die Glagolica zur weltlichen Schrift nicht habe herausbilden können, wir sagen die Glagolica, weil diese vorzugs- weise die slavische Schrift „sloveniska,'* wie sie Method selbst vor dem Papste mag genannt haben, hiess, da diese unlateinische, wohl aber slavische Wort/orm in der latein. Urkunde des Papstes noch durchklingt. Die Ur- kunde vom J. 971, wodurch das Prager Bistum sammt dem Georgs- kloster am Hradcin gegründet wurde (1. c. S. 29.), haben wir schon oben angeführt. Von der Zeit an wurde also mit dem Bischof Thietmar, der ein geborener Sachse war, im Centrum des Landes das latein-germa- uische Christentum eingefüint. Dass der Herzog einen Deutschen wählte, da der Papst doch nur einen Jatinis adprime libris eruditum'' haben wollte, weiset wohl darauf hin, dass die meisten Slaven in Böhmen noch Anhänger der slav. Liturgie waren Nun wurde vom Landes-Centrum aus

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dasselbe nötig, was wir oben im Sazavakloster den ersten lateinischen Abt auch üben sahen, nämlich slavische Manuskripte ins Latein zu über- tragen. So sagt z. B. in den Actis sanctorum der RoUandisten 2. Juli, S. 140 der latein Legendist beim Leben des h. Procop, dass er diese Biographie einer Prager Handschrift entnehme, die „slavonicis literis^"' also glagolisch abgcfasst war.

Als eine Art diplomatischer Urkunden sind auch 2. die Münzen anzusehen. Die älteste Form derselben, die Goldgewinde enthalten nur Gewichtszeichen (Die alterthüraliche Sitte der Augebinde bei Deutschen, Slaven und Litauern. Prag 1855. S. 2G.). Die eigentlichen böhm. und mähr. Münzen beginnen mit Boleslav im J. 936. In deren lateinischen Legenden sind literaturhistorisch die Personen und Ortsnamen wichtig. Doch ist dieser ganze Zweig, auch in Hinsicht der Literaturgeschichte, noch einer genauen Kritik zu unterziehen. Glagolische oder kyrilische Legenden fand man in Böhmen und Mähren nicht. (Vgl. Hanka in den Pamatky archael. 18:)r>. S. 234— 328; 1856. S. 42— 336; 1859, S. 41 369; 1860. S. 85—184).

3. Stiftimgsurkunden von Bistümern, Klöstern bilden eine Art Uebergang von wahrhaft diplomatischen Urkunden der Höfe, zu Privatur- kunden. Auch sie, welche für Kultur- und Literaturgeschichte auszubeuten selbst an einer unterschobenen Urkunde, dem Bfevniover Stiftungsbrief vom J. 993, Dobrovsky gelehrt (Abband, der kön. böhm. G. zu Prag. 1785. I. Bd. S. 101. dann 1867. 15. Bd., Dobrovsky's literarische Wirk- samkeit. S. 18. 30.), sind bisher nur in latein. Sprache und Schrift be- kannt geworden, doch enthalten die Formen der Personen- und Ortsna- men gar oft wichtige Beiträge zur Linguistik und Literaturgeschichte (Vgl. Sembera: dejiny. 2. Aufl. 1859. S. 56. 57.). Die hauptsächlichsten aus den älteren Zeiten sind etwa :

a) Der Leitmerize7' Stiftungsbrief angeblich zw. den J. 1055 1061 aufgesetzt. Er ist allerdings seitens dieses Alters unterschoben, doch ge- treu genug aus einem alten Originale copirt, wie u. a. alte Namensformen beweisen (Dobrovsky in den Abb. 1785. 193. 194. Geschichte d. böhm. Spr. u. Liter. 1818. S. 80. 81. Aelteste Denkmäler. 1840. 199.): so z. B. die Locale Doljas (Doleas) in Doljany, Trnovas (Trrnovas) in Tir- novany, Worte mit g statt h, z. B. gostinnö, Zollgefälle der Fremden, Kaufleute, f/mecn^., Zoll für Gefässverkauf u. dgl.

ß) Die Urkunde Vratislav's bei der Stiftung der Vy^ehrader Col- legiatkirche v. J. 1088, die jedoch nur aus spätem Abschriften zusam- mengestellt ist (Erben, regesta. S. 77.).

y) Die Zusatzurkunde zur Vysegrader Stiftung unter Sobeslav im J. 1135. (Erben. 99.).

h) Urkunde über die Uebertragung des Bischofsstuhls von S. Peter zu S Wenzel in Olmütz, 1131. (Erben, 96.). Ausführlich spricht davon Öerabera in der 2. Ang. d. Lit. Gesch. S 56. 57.

4. Mortuarieti, Nekrologien, so z B. das Mortuarium im oben ge- nannten codex giganteus, es enthält eine Menge linguistisch und kulturhisto- risch sehr interessanter Mönch- und Nonnennaraen z. B. Bezded, Deua,

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Diua, Podiua, Godek, Gostek, Deuik, Gostak, Gostik, Deuic, Modlac, Ladec, Rajca, Marena, Modlena, Perun, Deuna. Trebata, Vrbata, Radost, Radosta, Trebaua, Dnepr, Ilraber, Bogdal, Bogdalec, Bogdan, Dobrogost, Hualibog, Modlibog, Radgost, Vacemil, Vacemila, Radoslau, Vaczlau, Radowit u.dgl. Dobrovsky Gescb. 1818. 91 103. Jungm. bist, liter. S. 16. N. 7.

5. Privaturkunden z. B. Kauf-, Pacbt-, Borgbriefe u. dgl. Deren gibt es in latein. Sprache eine staunenswerte Menge. Die relativ älteste höhm. Urkunde wurde im Jahre 1861 in der Pragor Univ.-Bibliothek entdeckt : es ist des Ritters Thomas v. ^iitny Vertragsurkunde mit seiner Schwester vom J. 1373. Sie ist dem vollen Inhalte nach abgedruckt im Musejnik 1861. S. 349. Diese Urkunde ist ein Beweis, dass sich die böhmische Sprache in Angelegenheiten des Volkes und der Privaten viel früher von den Banden des Latinismus befreite, als die öffentlichen An- gelegenheiten, die unter dem Einflüsse der latinisirten Höfe und der la- teinischen Kirche stunden. Diese Urkunde Ötitny's hat bereits eine ge- regelte Orthographie^ obwol sie sich nur des latein. Alphabetes bedient, ein Beweis, dass böhm. Schulen der Schreiber (Notai'e) schon längst un- ter dem Volke tätig gewesen sein mussten, und man mit Recht den Be- ginn der böhm. Privaturkundenliteratur, nicht wie bisher in das Ende des 14. Jhrh., sondern sicher in den Beginn des 13. Jahrb. versetzen kann, da die Urkunde Stitny's schon eine völlige Reife der juridischen Termi- nologie ausweiset, die doch nicht in wenigen Jahrzehenden zur Reife gelangt.

6. Ein ähnliches Resultat der Selbstbefreiung der böhmischen Sprache von der lateinischen findet man bei den Annalisten oder Geschieht^' Schreihern. Wem es darum zu tun ist, die ältesten böhmisch- slo venischen Namen von Orten, Flüssen, Bergen, Personen, Dingen udgl. zu sammeln, der findet deren genug bei griechischen und lateinischen Geschichtsschrei- bern. So beginnt z. B. Sembera seine Literaturgeschichte mit dem J. 58! vor Christus, weil er bereits im Julius Caesar slavische Namen z. B. der Donau fand. Doch hat man sich dabei vor Extravaganzen zu hüten, in welche z. B. KoUar in seiner Staroitalia Slovanskä verfiel, und soll nicht vergessen, dass es auch bei Namen ein indoeuropäisches Gemeindegut gibt. Die mittelalterlichen Annalisten waren zumeist Geistliche, z. B. Cosmas, der erste Geschichtsschreiber Böhmens, welches Wunder dann, dass eine solche Menge und eine so geraume Zeit die Geschichte der böhm.-sloven. Länder in der Hand der Lateiner blieb. Und doch haben wir eine schon im Jahre 1314 beendete böhmische Kronik in gereimten Versen, wir meinen den sogenannten Dalimil, der sich auf viel frühere Kroniken be- ruft (Musejn. 1861. S. 116).

7. Am ersichtlichsten ist die Selbstbefreiung der böhm. Sprache von der lateinischen in den theologischen Schriften. Denn nicht nur dass die slavische Liturgie bei den böhm.-sloven. Völkern die heimische Sprache mit dem Gottesdienste bei weitem mehr versöhnte, als z. B. bei den be- nachbarten Deutschen: so ist auch die hieratsche Uebersetzungsliteratur der Böhmen, namentlich des Psalters und der Evangelien, so in das

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Altertum greifend, dass man daraus auf die frühe Notwendigkeit der böhm. Bibelübersetzungen mit Recht schliessen kann, die wiederum den früheren Gebrauch der böhm. Sprache bei der Liturgie auch der lateini- schen Kirche voraussetzt.

8. Diese kultur- und literaturhistorischeu Deductionen bestätigen auch die so frühen und häufigen Glossen und Interlinearversionen in theolo- gischen Schriften, z. B. Predigten, die lateinisch verfasst, böhmisch gehal- ten wurden. Am frühesten sehen wir dies in einer lateinischen Pergamen- handschrift aus dem 12. Jhrh. (Signatur 3. F. 6. der Universitätsbiblio- thek zu Prag). Die Geschichte dieser Handschrift findet man in den Sitzungsberichten der könig. böhm. G. d. W. zu Prag vom 12. Novbr. 1866, worin gezeigt wird, dass diese Schrift nicht ein Homiliare eines Prager Bischofes ist, sondern eine Art theologischer Chrest07nathie, und zwar dazu nur einer ^6scÄnyif von wenigstens 3 4 theologischen Muster- sammlungen. Die Glossen, welche bisher nur in den Sitzungen der kön. böhm. Gesellschaft zu Prag besprochen worden sind, sind nicht von einer Hand und auch nicht in einer Zeit geschrieben. Manche sind auch nur mit Blei, wie hingehaucht geschrieben. Ihre eigentümliche Orthographie gibt auch ein hinreichendes Zeugniss ab, wie sehr die Fülle böhmischer Laute mit dem relativ ärmlichen latein. Lautalphabete zu kämpfen hatte. Der Satz z. B. v kteryz kolivek den obrätil se bude hriesnik od sve zle cesty, ist wie folgt geschrieben: „wterizqoliuek den obratilse bude hresni od suve zlechesty." Wie schon hieraus ersichtlich, enthält der Codex ei- gentlich Fragmente von Interlinearversionen.

Von den Glossen desselben mögen nur wenige dastehen: Fol. 130 vita vivet: ziuotem ziu bude vocari filii: lozviuati sa (se?) sinoue pater omniura nostrum: othcch ws<h nass. Von einer anderen, viel altern, fast vollständigen Interlinearversion, nämlich des Fragmentes des Johannes i'vangeliums aus dem 10. Jhrh. gaben wir schon oben Kunde, hier erinnern wir daran, dass diese letztgenannten noch halb kirchenslavisch, jene des Codex 3. F. 6 aus dem 13. Jhrh. herrührend schon rein böh- misch ist. Es entstund in den spätem Jahrhunderten in Böhmen, nament- lich bei theologischen Schriftstellern, auch ein widerliches Ding einer ma- caronischen latein. böhm. Mischsprache, wie man solche in Predigtform im Maly vybor, Prag, 1863. S. 31—37., in Form von Sprichwörter- erklärungen in der Litcratura pfislovnictvi (Prag, 1853. S. 25. 26) be- rührt findet. Auch Rechts- Formelbüch r finden sich in solcher Weise vor, da die Latinität in manchen Kreisen eine Art Zwangskurs hatte.

Wir müssen hier noch einmal der verschiedenen Orthographien gedenken, die bei diesen literarischen Selbstbefreiungsprocessen des Böh- mischen aus den Banden des Lateinischen tatsächlich sind. Ihre Formen lassen sich nach Klassen unterscheiden und werden einst eine Geschichte der böhm. Ortliographie zu Stande bringen. Bei den einen herrscht z, B. nur das lateinische Alphabet, bei den anderri aber schon das ger- mcmmr^ -lateinische Alphabet vor, z. B. mit dem Doppel -m oder w. So kennt z. B. die Interlinearversion des Johannes-Evangelium noch kein w, «ben so wie die Grünberger Handschrift, zu welcher wir sogleich ge-

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langen. Sie schreibt z. B. iiueri (uveri, nun uvefi), uace (viace, nun vice), uecinu (nun vecinu), tdetauo (Vletavo, nun Vltavo). Das oben erwähnte relativ älteste Daliinilfragment schreibt aber im Anfange des 14. Jh schon wie folgt: ziw (ziv), kralowslw (krälovstvu), modlitw (modlitvu), loaczla- uoui (Vaclavovi), mhinithi (mluviti). S. Musejn. 1861. S. 117. Dabei sind wiederum zwei Formen in der Beziehung zu unterscheiden, dass die einen (altern) Formen der Orthographie nur durch lateinisch dnfache Buchstaben die bölim. Töne andeuten, die andern jedoch durch Zusam- mensetzungen die böhra. Toneigentümlichkeit auszudrücken sich bemühen, z. B. othech für otec, 7iass für nas. Diakritische Zeichen erfand erst Hus füi- das böhm. Alphabet (Slav. Bibl. II. 173), das in den neuesten Zeiten zu einer Art Pasü/raphie verwendet wurde. Schreibschulen muss man sohin über alle Länder der böhm. slovenischen Stämme und zu allen Zeiten sich verbreitet denken, so dass die Geschichte der böhra. Ortho- graphie einst zu wichtigen llesiütaten des Entwicklungsgeschichte der lateinisch-böhra. Schrifttumes selbst führen wird.

14. Die lateinische Schrift im Dienste der heidnisch- böhmischen Literatur.

Die oben erwähnte Orthographie dm'ch einfache Lautzeichen des ÄeicZwisc/i -lateinischen Alphabetes ist insofern noch insbesondere beachtens- wert, als sie die Schreibweise des noch vorchristlichen heidnischen Böhmens gewesen zu sein scheint. Denn das lateinische Christentum kam ja an die Böhmen in römisch-germanischer Form, sohin auch mit dem germa- nisirt-lateinischen Alphabete, mögen wir dabei schon an die Tatsache vom J. 845 in Rcgenshurg oder aber erst an die Tatsache vom J, 973 in Prag (Gründung des Bistums) denken; die erste Tatsache brachte das germanisirte Alphabet in eine Seite der Peripherie des Landes, die zweite aber in das Centrum, das da bestimmt war, kirclilich nicht nur über ganz Böhmen, sondern auch über Mähren und Schlesien, ja auch über die Slovakei und einen Teil Polens zu herrschen. In allen diesen Län- dern finden wir bis auf den heutigen Tag noch die Wirksamkeit des germanisirien Alphabetes, z. B. in dem Gebrauche des germanischen W bei den Polen.

Wenn nun tatsächlich die älteste böhm. Literatur ein nichtgerma- nisches und insofern nichtkirchliches, rein lateinisches Alphabet auf- weiset: so ist der Schluss erlaubt, dass man auch noch vor der Chri- stianisirung in Böhmen in reinweltlichen d. i. heidnischen Angelegenheiten lateinisch schrieb, nicht etwa in dem Sinne, als ob das Latein die Scln-ift des heidnischen Volkes gewesen wäre, sondern in dem Sinne, dass ein- zehie Böhmen, in wie ferne sie in den christlichen Jahrhunderten immer mehr in nähere Verhältnisse mit schriftführenden Völkern gekommen, ge- nötigt waren, die lateinische Schrift in ihre Kulturzuständc aufzunehmen.

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was etwa nicht blos an den Höfen der Fürsten (in den 2upenburgen) not- wendig gewesen sein wii*d.

Wir stehen sohin durchaus nicht an zu behaupten, dass schon in den Zeiten, als das Christentum an Böhmen in glagolischer, dann kyrili- scher Form herangerückt war, hie und da im Lande und zwar in welt- lichen Dingen böhmisches mit lateinischer Schrift sich aufgezeichnet fand, d. h. dass es eine böhm. heidnische Literatur mit lateinischen Schriftcharakteren gab. Ja in der Zwischenzeit als das Glagolische und Kyrilische um die Autorität kam das germanisirte Alphabet aber noch nicht in Uebung war, transscribirte man sogar selbst aükirchenslavisches, z. B. in dem Johannisevangeliumfragmente, mit heidnisch-lateinischer Orthographie.

Alle Schriftsteller sind darüber einig, dass das Heidentum in Böh- men im ganzen ersten christlichen Jahrtausende und weit darüber hinaus noch starke Wurzeln im Volke hatte, die man von allen Seiten durch christliche Völker, namentlich seit Karl der Grosse das weltl. Schwert des röm.- katholischen Christentums geworden war, bedroht fand. Wie sollten also in solchen drängenden Verhältnissen die selbstbewussten An- hänger des Heidentums wenigstens darauf nicht ihre Aufmerksamkeit ge- richtet haben, durch die Mittel, welche ihnen die drängenden Christen selbst boten, durch die latemische Schrift nämlich, die heidnischen Natio- naläusserungen wenigstens aui ideeUeiyi Gebiete, nämlich seitens der altna- tionalen Sagen und Erinnerungen, zu fixiren und den späteren IS achkom- men zu erhalten, besonders , da sie eingesehen haben mochten, dass sich auf realem Gebiete das Heidentum, wol nicht mehr werde halten lassen.

Ein solches Bestreben und Bemühen sehen wir eben in der Samm- lung heidnischer Nationalsagen, wovon sich leider nur die beiden Fragmente der Grünberger Handschrift erhielten. Sie werden aus palaeographischen und linguistischen Gründen in das Ende des 9. oder den Anfang des 10. Jahrhunderts verlegt.

Die G. H. ist das natürlichste Kulturphänomen, das man in der Uebergangszeit des Heidentums in das Christentum erwarten kann ; sie ist eine ähnliche Erscheinung, wie auf slavischera Gebiete noch das rus- sinischc Epos: Slovo o phku Igorove (Kalajdovic: parajatniky ross. slovesn. 12. veka. Moskau. 1822. Hattala, Prag, 1858), auf germa- nischem Boden aber u. a. das Nibelungenlied ist. Ja sie ist dieselbe Erscheinung, wie Cosmas Kronik, indem demselben derselbe Beweggrund, allerdings vom christlichen Standpunkte, zum Grunde lag, nämlich der Drang, das Geschehene dem Gedächtnisse der Zukunft aufzubewahren. Nur war Cosmas, der schon im J. 1125 starb, obschon verheirathet, Canonicus des Prager Domcapitels (Dobrovsky : de sacerdotum in Bohe- mia coelibatu. Pragae. 1787), sah daher mit Verachtung auf das Heiden- tum herab und verfiel in den allgemeinen Fehler der mittelalterlichen Chronisten, das Heidentum nur als Zustand der Rohheit aufzufassen. Sonst zeigt seine oft geschnörkelte Schreibweise deutlich genug, dass ihm Salust, Vergil und Boctliius geläufig genug waren, dass sohin das Studium römisch- heidnischer Classiker bei hervorragenden Männern Böhmens gepflegt genug

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war, um das lateinische Alphabet dazu benützen zu können, alte poetisch erfasste Nationalsagen in kunstgerechter Form der Vergessenheit zu ent- reissen. Konnte ja doch der greise Cosmas, ein so erklärter Feind des Heidentums, nicht umhin, von der fabulosa senu/n relatione d. i. von den mythischen Sagen, wie sie die ältesten Böhmen erzählten, wenigstens einzebe Momente uns aufzuzeichnen. Ach ! hätte er es nur in vollerem Masse getan.

15. Heidnischer Fortbestand des christianisirten

Böhmens.

Es ist schwierig, selbst nach dem 10. Jahrh. Böhmen schon als in allen Schichten der Bevölkerung christianisirt sich zu denken. Tatsäch- lich war ja auch Böhmen politisch nicht so concentrirt, keine solche po- litische Einheit, wie sie es im Verlaufe der Pfemyslidenherrschaft erst wurde, dass eine Aenderung im Centrum des Landes, wie z. B. die Chri- stianisirung des Hofes unter Bofivoj, auch schon eine durchgreifende Aenderung gegen die Peripherie des Landes hin zur Folge hätte haben können, oder gar haben müssen.

Böhmen war seit jeher, d.h. seit die ausserarischen Völker Eui'opa's den arischen, aber gleichfalls autochthoneu Völkern, und zwar vorzugsweise denen litauischen Stammes, haben weichen müssen, von Slaven bewohnt, die sich schon in Urzeiten aus ihrer karpatischen Heimat bis dahin er- streckten. Sie waren jedoch in ihrer nationalen Entwickelung nach- einander durch die kriegerische Besitzname der Länder und als Folge derselben durch die Oberherrschaft der Bojer, Markomannen, endlich der Avaren gestört, ohne je das Land völlig verlassen zu haben, bis in der Mitte des 7. Jahrhunderts diese fremden Völker und Horden aus der kriegerischen Geschichte herausgedrängt, den slaviscben durch sie bisher unterdrückten Böhmen die gestörte uralte Verbindung mit ihren slaviscben Verwandten in den Karpateuläudern ermöglichten. Durch neu angekommene Stämme verstärkt begannen sie sich was sie vielleicht schon oft versucht hatten slavisch zu orgauisiren, d. i. in Zupen zu gliedern, welche i^upen, obschon dialektisch und sohin auch national eigen- tümlich von einander unterschieden, doch durch das allgemeine Slaven- beiousstsein und gemeinsame religiöse Verehrung um eine Centralzupa (wahrscheinlich Vysegrad, die Hochbm-g, wo die religiöse Verehrung ihren Hauptsitz hattej sich gruppirteu, wie dies in allen anderen slaviscben Ländern auf ähnliche Weise der Fall war. Weil eben die hindernden kriegerischen Besatzungen Böhmens von dem historischen Schauplatze schwanden, trat mit und nach Samo's Auftreten, der das letzte Hindernis, die Avarenbesatzung, beseitigt hatte, in Böhmen die slavische religiös- politische Organisation in den Vordergrund der Geschichte: es werden nämlich nationale Sagen, nationale Gebräuche und eine nationale Central- regierung sichtbar, d. h. es beginnt in Böhmen die wahre Geschichte,

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das wahre slavische Leben der Böhmen, wobei anfänglich die Ceclien nur die Bewohner der Centralzape waren, während andere slavische Stämme die Peripherie des Landes bewohnten. Daher auch die Erschei- nung in der Geschichte, dass mit der Mitte des 7. Jahrhunderts die frem- den Quellen über Böhmen zu sprechen aufhören und ainheitnische Quel- len, zunächst in Sagenform, in das Innere der Geschichte Böhmens einen Blick gewähren. Kaum hatte diese Art heimischer, heidnischer Organi- sation, oder slavischer Centralisation, wobei nicht alle Zupen als gleich fügsam sich bewiesen, da sie auch aus nicht ganz gleichartigen Elementen bestehen mochten, einige Festigkeit zu erlangen begonnen, so kam an Böhmen eine neue Einwirkung von Aussen, diesmal kulturhistorischer Wesenheit heran, nämlich das Christentum.

Es ist daher gleich zum vornherein , anzunehmen, dass dasselbe nur Schritt für Schritt und mit innerem Widerstände sich verbreitete und dass es Jahrhunderte lang Teile von Böhmen, entfernt von dem christianisirten und christianisirenden Centrum gegeben hatte, die da bei den alten heimisch-heidni- schen Sitten geblieben waren und diese zu erhalten trachteten. Belege dafür anzuführen ist eigentlich überflüssig, da noch bis auf den heutigen Tag un- glaublich viele heidnische Gebräuche, wenn auch meist nur in abergläubischer Form, sicherhalten haben (Bajeslovny kalendäf. Prag, 1860). Beleg-Stellen aus Concilienbeschlüsseu, Synodalresultaten, Poenitentialen, falls sie nicht eigentümliches geben, sind jedoch nur sehr vorsichtig zu benützen, da sie gewöhnlich nur in hieratisch feststehenden Formen sich bewegen und Jahrhunderte lang unverändert sich fortpflanzen, ohne ein bestimmtes Land und eine bestimmte Zeit im Auge zu haben. Also nur Specialitäten sol- cher Belege sind für das Bestehen des Heidentumes in Böhmen bewei- send. Darunter verdient denn Cosmas den ersten Platz, da er von seiner eigenen Zeit (1045 bis 1125) sagte: dass viele Landbewohner geradezu wie Heiden lebten; deshalb hätte schon Herzog Bfetislav (1092) Zauberer und Wahrsager aus Böhmen ausgewiesen, Haine und heidnisch verehrte Bäume ausgerodet, die Gewohnheit in Wäldern und Feldern die Toten zu bestatten, nicht geduldet, so wie auch die Sccnen auf Kreuzwegen (in biviis et in triviis), die gleichsam zur Beruhigung der Seelen vorgenom- men wurden (quasi ob animarum pausationem) .

In Bezug auf Concilienbeschlüsse führen wir aus dem J. 1366 eine merkwürdige Specialität als Beispiel an: „In einigen Burgen, Städten und Dörfern nahm der Missbrauch bei Klerikern und Laien überhand, dass sie in der Mitte der Fastenzeit Bilder in der Gestalt des Todes (im- maglnes in figura mortis) durch die Burgen unter abergläubischen Ge- sängen und Spielen (cum rythmis et ludis supcrstitiosis) zum Flusse tra- gen, um sie dort gewaltsam (cum impetu) zu untertauchen, wornach sie behaupten, dass ihnen fortan der Tod nicht schaden könne, da sie ihn aus ihrem Bezirke ausgeschieden und vernichtet hätten." (C. Hößer: Concilicn. S. 10. N. 8). Wer würde in diesen Worten nicht die noch herrschende Sitte des slavischen „Todansiragens^^, d. i. die Verwand- lung der Morana in die Vesna wiedererkennen, nur dass jetzt nicht mehr

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Kleriker, sondern blosse Kinder daran Teil nehmen und auch nicht mehr durch Burgen (die Sitze ehemaliger Heiligtümer) zum Flusse ziehen. Diese Sitte verbot auch noch die Prager Synode vom J. 1384 (1. c. S. 31. N. 13). Ja in der Synode vom J. 1407 heisst es noch, dass viele "Weissager aus Losen, Beschreier und Beschreierinnen in verschiedenen Pfarreien sich aufhalten und üftentlich geduldet werden und zwai- selbst von den Pfarrern (1. c. S. 59. N. 6.).

In Handschriften des lö.Jahrh. finden sich häufig Namensverzeich- nisse solcher Personen, welche nicht zur Communion zugelassen werden sollen. Darunter kommt viel ins Heidentum Einschlagende vor. Wir füh- ren davon nur das an, was mit böhmischen Namen begleitet ist. So heisst es z. B. im Codex der Univ.-Bibliotliek 5. H. 27. Blatt 170 : Incanta- tores, zaklinaci (eigentl. Fluchende) ; sortilegi, carodejnlci (würtl. Striclie- machende) ; divini, hddaci ; koriagi (karagi), navdzaci (eigentlich Anbin- dende) et sunt qui characteres (also Zeichen-Schriften) aut evangelium circa se ligant; arioli, svatokuzedlnici, cum consceratis rebus nefanda operantes ; casokuzelni, qui dies et horas observant eundi et revertendi u. s. w. Im Codex 9. B. 9. finden wir u. a. folgende Sondernamen : neben: kuzedlnici^ hddaci, darodejnici, viesci (Wahrsager), zaklinaci, le- kovnici (Wunderdoctoren), es werden nämlich noch genannt : baby (Matronen) et qui ad eas vadant, ancillae cum famnlis (junge Mägde u. Diener) vel viri cum mulieribus risus velcachinos etpohddkij (d. i. Märchen) proferentes. "

Wenn man nun daraus auch nicht den Schluss auf das Dasein vie- ler von einander gesonderten Arten von Zauberern machen darf, so die- nen sie doch zum Beweise, dass selbst noch im 15. Jahrh. heidnische Ansichten und Sitten in Böhmen herrschten. Die „pohddki/" d. i. Mär- chen z. B. sind in der gelehrten Literatur Europas in neuerer Zeit als Stücke heidnischer Theologie bereits anerkannt.

Unbefangene und den Kulturprocessen mit Verständniss folgende Denker werden sich daher nicht wundern, in der Literatur der Böhmen vom 9, 13. Jahrh. epische Gesänge oder Epe7i-, und Liedercyklen zu finden, wie sie in der Grünberger- und Küniginhofer Handschrift ent- halten sind, zu welchen wir uns nun insbesondere wenden wollen.

16. Aeussere Vorgänge bei der Auffiiidung der Grün- berger Handschrift, früher „Gericht Libusa's" genannt.

Im J. 1816 wurde der bisherige Oberamtsschreiber der Colloredo- Mansfeld'schen Herrschaft Grünberg (Zelena hora), bei Nepomuk in Böh- men, zum Rentmeister befördert. Als solcher hatte er auch die beiden Wirtschaftsgewölbe des Schlosses, worin damals auch das alte Schloss- archiv reponirt war, unter seiner Aufsicht. In dem rückwärtigen etwas finstern, aber grösseren Gewölbe fand er im J. iVl 7 unter anderen alten Schriften und Büchern, in Staub und Schmutz gehüllt, vier Blätter kleinen Quartpergamens oder wenn man will in Gross-Octavform, die er, ohne

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sie entziffern zu können, dem Dechant von Nepomuk, Franz Bauhel brachte. Dieser entzifferte so viel heraus, dass es sich darin um ein Ge- richt der Lubusa handle und dass, wie er meinte^ mehrere Ortsnamen darin vorkämen, die in der Umgebung von Nepomuk wohl bekannt waren. Das Jahr darauf ergieng am 15. April im Namen des obersten Burggrafen Franz Karl von Kolovrat die feierliche Bekanntmachung der Gründung des böhmischen Museums in Prag zugleich mit der Aufforderung zu Bei- trägen für dasselbe, woran in der Tat die edelsten Geschlechter Böhmens und die ausgezeichnetsten Patrioten den eifrigsten Anteil nahmen. S. dar- über Jungmann in Kramerius Vlastenecke noviny, 1818. N. 17. 25. April. Es riet sohin auch der Dechant von Nepomuk, Koväf möge die aufge- fundenen Pergamenblätter dem böhm. Museum einliefern. Mit dem un- ordentlichen und oft trunkenen Koväf war indess seine Herrschaft unzu- frieden, sohin auch er mit ihr. Und so schrieb er denn in einem unüber- legten Zustande voll Unmut folgenden Brief an den obersten Burggrafen und dazu nur mit Bleistift: „Ew. Exe. In uuserm Hausarchive lagen anliegende vier Blatt Pergament vielleicht Jahrhunderte lang im Staube verworfen. Da ich aber die erhabenen Gesinnungen meines Herrn, der ein eingefleischter deutscher Michel ist, in Rücksicht des Nationalmu- seums kenne, denn er würde es lieber verbrannt oder verfault sehen, als selbes dieser Anstalt zu schenken, so verfiel ich auf den Gedanken, diese Blätter an Ew. Exe. anonym zu senden, denn unter meinem Namen liefe ich Gefahr meines Dienstes verlustigt zu werden (sie) und bitte selbe diesem vaterländischen Institute von einem ungenannten loahren Patrioten zu verehren. Ihren Inhalt konnte ich nicht, obwol ich weder Zeit noch Mühe sparte, zusammen bringen und bin sehr neugierig darauf. Ich hoffe, der böhmische Professor oder ein anderer böhm. Gelehrte wird es nicht so schwierig finden. Schade, dass sich die Schwärze, wie ich den Staub mit feuchtem Schwämme abwischte, nachher ins Grüne verwandelte." Der Oberstburggraf übersendete den Brief und die 4 Pergamen- blätter, welche Koväf ^ in Prag angekommen, selbst in den Briefkasten der Kleinseitner Post geworfen, als er Ende October 1818 nach Prag ge- fahren war, an den Grafen Caspar Sternberg, welcher die Seele des jun- gen Museums war, und Sternberg sandte alles wieder an Ant. Jaroslav Puchmayer (1769 tl820), deu Pfarrer seiner Herrschaft zuRadnice bei Prag. Puchmayer bog jedoch die Blätter irrig um, so dass ihm die 3. Seite zur ersten ward und er, obwohl der Buchstaben fast überall Herr geworden, doch nicht Herr weder des Sinnes einzelner Worte noch des ganzen Zusammenhanges werden konnte. Er übersendete daher am 20. December sein Facsimile sammt' einem umständlichen Berichte an den Linguisten Jos Bobrovski) (1753 f 1829), der in seinem höheren Alter oft verdrüsslich, je gemüthskrank war, und den Missgriff Puchmayer's nicht erkennend, das Original im Jahresanfänge 1819 für unterschoben erklärte. (Literdrnl püsobeni Jos. Dobrovskeho. Prag, 1867. Abhandl. d. böhm. Gesellschaft etc. 15. B.). Jos. Jungmann und V. Hanka gelang es aber die Blätter, in die rechte Lage zu bringen und zu erklären, wor- auf Dobrovsky- beide sammt dem bei Hanka wohnenden Linda, einem Ama-

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nuensis der Prager Univ. -Bibliothek, geradezu für die Fälscher erklärte (Musejn. 1837. S. 244). Jungmauns bekannte edle Haltung und Ottenbeit vernichtete gar bald diesen Verdacht, den das unbeholfene Benehmen Hanka's leider nur nährte.

Als endlich nach manchen literarischen Kämpfen pro und contra Palack^ und Safafik im J. 1840 in den „Aeltesten Denkmälern der böhm. Sprache" mit wissenschaftlichen Gründen jeder Art die Echtheit nachgewiesen hatten, verstummte durch 18 Jahre jeder wissenschaftliche Angriff, bis endlich im J. 1858 ein Anonymus in dem Prager politischen Blatte „der Tageshote'' wiederum gegen Hanka auftrat. Hanka hatte in- dess auf Privatwegen, namentlich durch den gräflich CoUoredo'schen Ge- mäldegallerie Aufseher Franz Horcicka, den wahren, oben geschilderten Her- gang der Auffindung erfahren, und klagte, besonders da er eines einträglichen Falsificirens und Verkaufens böhm. Manuscripte zunächst nach Russland mit beschuldigt worden war, mit Erfolg auf Ehrenbeleidigung. Das Gericht Hess nun die eingehendsten Untersuchungen über Hanka's Entdeckung der König. Handschrift im J. 1817 anstellen, womit seitens der Grünherger Handschrift Privaterkundigungen und Zusammenstellungen von Zeugnissen Hand in Hand giengen. Diese, meist auf Aussagen noch lebender Zeugen, die sonderbarer Weise bis jetzt geschwiegen hatten, sammt den Gerichts- resultaten, stellten den geschilderten Tatbestand des Einsendens und die Unschuld Hanka's seitens der Kön. Handschrift vollständig an das Licht. Dies hatte die Veurteilung des Redakteurs, welcher sich mit dem Ano- nymus identificirt hatte, zur Folge.

Die Literatur über diese Vorgänge und die Geschichte der noch späteren Angriffe wird unten angeführt werden.

17. Aeussere Beschaffenheit der Orüiiberg^er Fragmente nach Pergamen und Schrift.

Eine ganz genaue diplomatische Beschreibung der Handschrift wäre itzt überflüssig, als solche in den ältesten Denkmälern der böhm. Sprache seit 1840 bereits vorliegt. Es sind sohin* nur Zusammenfassungen und Nachträge nötig. Die erhaltenen vier Quartblätter waren einst ein Duer- nion in einem grösseren Pergamencodexe, der wie viele andere durch den Buchbinder zerstört und verbraucht wurde. Aber eben darum ist es noch immer möglich, dass in bisher unbeachtet gebliebenen jüngeren Hand- schriften oder älteren Druckbüchern einst ergänzende Fragmente werden gefunden werden. Der Buchbinder beschnitt aucli die vorliegenden Blätter, um sie als Vorsetzblätter (pfideSti ) eines Quart-Buches von 1 00 Pariser Linien Höhe und 71 Linien Breite zu benützen, wobei jedoch glücklicher Weise nur auf der 3. Seite einige Buchstabenteilchen ergriffen \\-urden. Ob der Auffinder Kovär die Fragmente aus dem Buclie schon losgelöst vorfand oder selbst erst daraus befreite, ist nie bekannt geworden ; wahr- scheinlicher ist jedoch das letztere, weil sonst die Erhaltung zweier losen

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Blätter schwerer zu erklären wäre. Es befanden sich in der Tat in dem gräflichen Archive von Grünherg auch Codices in Quartform, wie Tomek (Musejn. 1859. S. 44.) berichtet. Würden nun in dem dort erwähnten Codex, der über die Templer gehandelt haben soll, die Pergameublätter zu Vorsätzblättern gedient haben, dann könnte man fast sicher sein, dass man darin auch die Fortsetzung der Handschrift auffinden würde, da die Buchbinder dasselbe Manuscript auch, zu Streifen geschnitten, dazu ver- wendeten, um die Nat der Duernionen u. dgl. zu befestigen.

Das Pergamen der Handschrift selbst ist nun schmutzig rothbraun, worauf sich die grüngewordenen Buchstabenreete kaum leserlich abheben, sohin auch den zweimal wiederholten Versuch, das Manuscript, wie es mit der K. H. glückte, photographisch aufnehmen zu lassen, vereitelten. Die Schrift, welche man in dem Facsimile der „ältesten Denkmäler" ziem- lich getreu, obschon viel härter und leserlicher lithographirt vorfindet, läuft ohne Wort- und Satz -Abtheilung ununterbrochen fort. Man hat je- doch dabei auf ein dreifaches Moment zu achten:

a) Vor allem finden sich in der Schrift keine Rubriken oder (rote) Aufschriften vor, ja es werden auch durch Majuskeln keine Abteilungen im Texte angedeutet und dies zwar mit Ausnahme des relativ grössten A der ersten Seite beim Anfange des zweiten Gesanges: Aiuletauo d. i. AI! Vletavo (Zeile 10. 11.). Durch alle anderen Majuskeln wurden, wie es scheint, nur zur Verzierung ohne eine innere organische Unterscheidung damit andeuten zu wollen, die Worte Griue (kfive), Visegrade (Vy§egrade) und Due (dve, Zeile 23, 24, 39, 50, 62, 63) ausgezeichnet, wovon nur das letztere bei einem Hauptabschnitte des Gedichtes zu stehen scheint. Aber auch die kleinste Gattung der Majuskeln scheint ganz unorganisch mit Minuskeln abzuwechseln, so dass die ganze Handschrift ein deutlicher Zeuge des Uiberganges der Majuskeln in die Minuskelschrift ist.

b) Unterscheidungszeichen (delidla) finden sich, äusserlich betrachtet, zwar vor, aber sonderbare, nämlich ein, drei und vier Punkte, allein selbst diese sind nicht syntaktische Unterscheidungszeichen, sondern dienten, wie wir unten finden werden, einem ganz anderen Zwecke. Ein einziger Punkt, der das erste Fragment vom zweiten trennt, kann syntaktisch als an seinem Ort stehend betrachtet werden,

f) Dafür sind aber die Anlaute aller Worte durch rote Striche kennzeichnet, was man bis zum J. 1859 nicht einmal bemerkt hatte (Tomek, musejn. 1859. S. 105). Diese Rubricirung scheint ursprünglich nicht in der Handschrift gewesen zu sein, da der dadurch erreichte Zweck der Wortabtheilung, wenn er in der Absicht des ursprünglichen Schreibers gewesen wäre, durch einfachere Mittel zu erreichen war. Diese Rubricirung geschah wol erst dann, als man beim Gebrauche der Hand- schrift auch manche andere Besserungen darin vornahm, um dieselbe leserlicher zu machen, was, obschon sie nicht durchgängig gelang, in späterer Zeit vor sich gehen musste. In der 4. Zeile wird so geteilt: sbozie mu iedno uladu; 20. Z secruto; 33. Z. otnezlate; 37. Z. sestra- rodna; 41. Z bratrueia; 42. Z. zaconucasecnezna ; G8. 69. Z. niraa- zuatocudua; 73. Z. prauduiasc; 86. Z. govori titicho; 128. Z. i use.

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Manchem dieser Missgiüffe (wie sie wenigstens uns erscheinen) mag etwa eine andere Leseart, als es nun unsere ist, zu Grunde gelegen sein, manchem eine andere Ursache, wenn man nicht alle fiir zufällige Nicht- durchführungen ansehen will, wie z. B. titicho für govoriit ticho.

d) Es kommen aber noch andere gar sonderbare /eichen in der Handschrift vor, die Ton- oder Gesantjs zeichen zu sein scheinen. Es sind dies zioölf verschiedene Arten von seltsamen Buchstahenformeii mitten in und oberhalb des Schrifttextes hingesetzt. Die genannten Zeichen der Anlaute sind mit Zinnober gerötet, diese Gesangzeicheu aber mit Mennig. Die Form dieser Buchstaben ist nicht mehr die runde Antiqua wie im Grundtexte, sondern eine viel spätere Letternform, ihr Hineingezeichnet-sein in den Text gehört daher auch einer viel spätem Zeit an. Man sieht die Formen dieser spätem Schrift nicht blos im ge- nannten Facsiraile, sondern auch S. 28- im Texte der „ältesten D. M." Wenn man nun in Erwägung zieht, dass diese Tonzeichen sich besonders in der Gegend der vier Majuskeln und dann der sogenannten Unterscheidungspuncte, die alle ebenfalls mit Zinnober gerötet sind, häufen, so kann man wol nicht umhin, auch in den Anlautzeichen eine Ait Accentzeichen zu erblicken und die genannten drei Unterscheidungs- puncte selbst für eine Art Tonzeichen zu halten, wodurch auch deren scheinbare Unregelmässigkeit mit einem Male ihr Ende nähme.

Wir hätten demgemäss eine doppelte Art von Notenzeichen in un- serer Handschrift: eine uralte mit Zinnober gefärbte und eine spätere, mit Mennig angelegte ; jeneist sehr einfach, diese aber zusammen- gesetzt. Diese beiderlei Notenzeichen sind aber wiederum ein Beweis, dass wir in der G. H, nicht blose epische Gedichte, sondern, wie es sich im Altertume ohnehin anders nicht erwarten lässt, altböhmische epische Gesänge vor uns haben, die Jahrhunderte lang in Uibung ge- wesen sein mögen. Dies wird vollständig begreiflich, wenn man erwägt, dass im tiefen Altertume jeder pathetische Vortrag gesangartig war und zugleich mit Musik begleitet wurde. So hören wir z. B. in der Kön. H. den den Aufstand leitenden Zäboj einerseits „kurze Worte zu den einzelnen Männern sprechen {rece}', aber anderseits auch, wenn er er- griffen die Lage des unglücklichen Vaterlandes schildert „das tönende Varyto ergreifen und aus dem tiefsten Grunde seines Herzens das Leid- lied singen (peju piesn)."' Ob und inwieferne man auch schon hier von rlem Unterschiede eines blossen Liedes {pisen, carraen, Recitativ) und Gesanges [zpev, cantus, Melodie) sprechen solle und dürfe, überlassen wir zu entscheiden gerne den Versbau- und Musik- Kundigen (Jirecek Echtheit der K. H. S. 79). Uibrigens müssen wir ja selbst noch diesen Gegenstand weiter unten und zwar bei der K. H. berühren.

Die Schrift der Fragmente ist, wie schon gesagt, die rM?irfe latei- nische oder Antiqua, wärend die Menniggesangsbuchstaben schon in die eckige Mönchsschrift hinüberstreifen. Die Form der Antiqua ist aber m vielen Zügen uralt und ganz eigentümlich. Die gerundete Form des Buchstabens S, die manche an das kyrilische Sigma (Slovo) erinnerte, findet sich auch in anderen, alten böhm. Handschriften. Die Buchstaben

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selbst entbehren aller diakritischen Zeichen, alle böhmischen Laute sind mit den wenigen lateinischen Lautzeichen, wie Mönch Chrabr sagen würde, bez ustrojenia, ohne Organisirung oder mit abstrakter Einfach- heit geschrieben. Abbreviaturen kommen nur sehr spärlich vor, da sie sich nur auf die Sylben pra, pro, pre, pri beziehen. Sie sind sodann von derselben Form, wie in alten lateinischen Handschriften, nur be- zeichnet die latein. Abbreviatur für die unböhmischen Sylben par undper hier die Sylben pre, pri. Sohin sehen wir auch hier bei den Abbre- viaturen, so wie bei den Schriftzügen keine passive Aufnahme des Latein, sondern eine eigentümliche Anwendung, welche auch in späteren böhm. Handschriften noch fortlebt, sohin auf böhmische Schulen schliessen lässt.

18. Uiber das Zeitalter der Entstehung der Gr.

Handschrift.

Die Begebenheit, die in dem längern Fragmente besungen wird, ist zwar zumeist mythisch : in wie fern aber dem Mythus, in Form der Nationalsage, ein historischer Kern zu Grunde liegen kann, verlegt man diesen gewöhnlich in das achte Jahrhundert n. Chr. Möglich, dass die Böhmen in diesem Jahrhunderte den mythischen Ursprung nicht mehr kann- ten und die ganze Sage eben so für historisch hielten, wie unser Volk im Cec/t und Ärok nur historische Personen sieht.

Wir haben schon oben die Gründe berührt, welche altböhmischen, iveltUchen Gedichten die lateinische Schrift näher brachten, als die gla- golischen und später die kyrilischen Zeichen, ja es ist nichts unm.ögliches, dass auch vor Anwendung der glagolischen Zeichen in kirchlichen Ange- legenheiten, in Böhmen bei weltlichen Angelegenheiten die lateinische Schrift in Uibung war.

Was aber das Alter der Sprache der Handschrift betrifft, zeigt es uns das böhmische in den ältest bekannten reinsten Formen, deren Correktheit nur die, bei uns so spät in die Wirksamkeit getretene, ver- gleichende Linguistik im letzten Decennium zu würdigen wusste. Diese alten Formen sind rein böhmisch, keine Spur des Altkirchenslavischen zeigt sich darin, etwa so, wie in dem Johannisevangeliumfragmente das- selbe vorherrscht. Das Gedicht ist sohin in einer Zeit entstanden, wo Böhmen noch nicht vom Altkirchenslavischen berührt war, oder doch in solchen Schichten der Bevölkerung, welche mit den christianisirenden Bekehrern noch in keine Beziehung kamen. Aber man findet darin auch keine Ausdrücke, welche etwa auf den Einfluss lateinischen Christentums hindeuten könnten.

Der Inhalt sind wol Natioualsageu, die gar weit verbreitet sein konnten, da man ähnliches selbst in den Sagen der Karpatenländer fin- det ; die Form aber ist eine so kunstgerechte, dass man das Gedicht mit Recht als ein Geistesprodukt heidnischpatriotischer Laien oder mit an- deren Worten als ein heidnischepisches Kunstgedicht betrachten muss.

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Sieht man nuQ einerseits auf die Altertümlichkeit der Sprachformen des- selben (Hattala, musejn. 1858. S. 603. 604), andererseits auf die scriptio continua der Wörter und Sylben, welche bei romanischen und germani- schen Nationen schon mit dem Anfange des 9. Jahrhundertes aufzuhören pflegt, endlich auf die Mengung der Majuskeln und Minuskeln mit Aus- schluss jeder Currentschrift: so ist die Entstehungszeit des Schriftstückes spätestens in das Ende des U. oder in den Anfang des 10. Jahrhunderts zu setzen.

Doch haben wir kein Original vor uns, sondern eine Abschrift. Darauf weisen 1. die Unregelmässigkeiten, ja Fehler und Lücken der Schrift hin, welche zu späteren Ergänzungen aufforderten, wie z. B. die Ergänzung der fehlenden Versbruchstücke (IL Fragm. V. 45. 49.), da von manchen Forschern von Versen gesprochen wird. Diese dachten die Ergänzungen „v Libusine sedlc" und „vi/süipiste'' hinzu; 2) ein schlagen- der Beweis, dass das Gedicht nur Abschrift ist, deutet auch der Umstand an, dass es schon in einer Sammlung epischer Gedichte, in einem Cydus von Epopöen vorkömmt.

Der Charakter der Abschrift erfordert es, sie, wie gesagt wenig- stens in den Anfang des 10. Jahrh. zu verlegen, in welcher Zeit man ohnehin an einen Abschluss des epenbildendan heidnischen Geistes zu denken hat, den das sich verbreitende Christentum in Böhmen veranlasste. Epencyklen setzen nämlich stets schon einen Abschluss des schaffenden Geistes voraus, sei es auf nationalem, sei es auf dem Kunstgebiete, das dem Volksgeiste nachbildet. Es ist nun allerdings das 10. Jahrb., in welchem mit dem heil. Wenzel, als seinem christl. Hauptrepräsentanten, der christliche Geist im Centrum des Landes zu walten begann, die Zeit, wo man den Q^enhildenden heidnischen Geist in Böhmen verstummen zu machen begann, wie z. B der h. Wenzel durch die Grundlegung der Veitskirche den heidnischen Svato-Vit's-Sagen die christhchen Sagen vom Svaty-Vit entgegensetzte (vgl. Sitzungsberichte der kön. böhm. G. d. W. 1865. 3. April): allein darum verschwand doch nicht der heidnische Geist selbst d. i. das Bestreben, die heidnischen Anschauungen und Sitten der Altvordern wenigstens in Reminiscenzen lebendig im Bewusstsein zu erhalten, eben weil das Christentum mit fremden, nicht nationalen Mo- menten an die Böhmen herantrat. Denn im Ceutrum des Landes oder am Fürstenhofe konnte ein ganz anderer Geist herrschen, als in der Peri- pherie des Landes und in den vielen Schichten des Volkes, welche dem Hofe und seinem Anhange fern stunden, imd nichts ist irriger, als ganz Böhmen in jenen Tagen schon als durchaus in der Kulturstufe gleichartig sich zu denken. Gerade als man wahrnahm, dass im Centrum des Lan- des und am Hofe die entschiedene Opposition gegen das Heidentum be- gann, suchte man in den entgegengesetzten Kreisen alles dasjenige zu sammeln und zu verbreiten, worin sich der heidnischnationaie Geist ge- äussert hatte.

Eine solche Sammlung haben wir in der Grünherger- und (muta- tis mutandis), einige Jahrhunderte später, in der Königinhofer-IIandschrift vor uns: die erstere scheint vorzugsweise die Taten der mythischen Ce-

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chiden, die zioeite die Taten der PremysUden verherrlicht zu haben. Solcher Sammlungen kann, ja muss es gar viele gegeben haben.

Da in der Grünb. Handschrift die erste und ältere Art der Zinno 6er-Notenzeichen mit dem Texte gleichzeitig ist, so ist, wie schon angedeutet, die Sammlung eine künstlich sehniger echte, da anfangs, so lange das Recitativ oder der einfache Gesang im Volke selbst lebte und daher öffentlich ohne Anstand zu finden erschallte, au Notenzeichen wol eben- sowenig zu denken war, wie noch bei lebenden Volksliedern der Neuzeit, die durch Tradition die Modulation sicherer als den Text an die Nach- kommenschaft brmgen. Ein lehrender Kunstsänger aber konnte sich allerdings gleich mit dem Texte auch entsprechende Tonzeichen fixiren lassen oder selbst fixiren und zwar besonders bei einer Copic der Urschrift.

Wir haben sohin in der Grünb. Handschrift wol unmittelbar die literarisch-musicalische Aeusserung einer uationalheidnischen Scinde vor uns, die nicht mehr durch mündliche, unbeanständigte Tradition, sondern durch eigentümlich 3 Schrift- und Noten-Zeichen künstlich das Alte zu erhalten und zu verbreiten suchte.

Die Eigentümlichkeiten der Schrift, wovon oben schon Erwähnung getan wurde, ziehen sich in manchen Einzelnheiten in böhmischen Hand- schriften bis in das 14. Jahrh. fort. So findet sich das gebogene S auch in der König. Handschrift, in den neuaufgefundenen Dalemilfragmeuten (musejn. 1861. S. 209), in den böhmischer Handschrift des 14. Jahrb., welche die Signatur der Universitätsbibliothek 17. A. 12. hat. Dies lässt auf böhm. *Sc/^/•e^Asc/mZen zuverlässlich schliessen, wie denn auch im 15. Jhrh. noch bei den böhm. Incunabeln die Regeln der blos allgemeinen Palaeo- graphie bei deren Beurteilung nicht hinreichen.

Da jedoch die zweite oder spätere Art der Notenzeichen, die näm- lich mit Mennig geschriebenen, einige Hundert Jahre später sein können (Cor da in Palacky und Safafik"s ältesten Denkmäler. S. 23. 24. 33), als die ZinnoheriQ\c\x&n : so zeigt diess die Tatsache an, dass auch noch im 12. oder etwa im 13. Jahrh. in Böhmen Kunstschulen vorhanden wa- ren, in welchen altheidnischc Epopoeen geschätzt, ja gesanglich einge- übt wurden.

Früge man nach einem Orte dieser Kunstschulen, so würden wir ohne jedes Bedenken irgend eine der vielen Zupenburgen Böhmens in der Peripherie des Landes nennen, weil diese nicht blos die politische, sondern auch die Kulturmacht jeder Zupe in sich centralisirten und gar häufig mit der Centralzupeuburg in Ojiposition stunden. Welche Zupen- burg es jedoch gewesen, dos anzugeben ist allerdings unmöglich, weil aus jenen fernen Zeiten nur dunkle Nachrichten und in spärlicher Zahl an uns gelangten (man vgl. Tomeks Apologie der ältesten Geschichte Böh- mens gegen die neueren Anfechter derselben. Prag 1863).

Altböhmen war in stammlicher und religiöser Hinsicht keineswegs ein gleichförmiges Ganze, was es erst durch politische Concentration wurde; es konnte sohin in einer oder der andern Zupe noch national- heidnisches pflegen und schützen, wenn in anderen Zupen auch schon christliche Zustände blühten und dies umsomehr, als seitens des Heidnischen

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das Christliche, seitens des Nationalen z. B. der alten Rechte, aber das Deutsche immer drohender auch an die Peripherie des Landes lioran- drcängte. H. Jirecek: Das Recht in Böhmen und Mähren geschichtlich dargestellt. I.Abt. Die ersten Nachrichten bis zum Schlüsse des 10. Jhrh. 2. Abt. Bis zum Schlüsse des 12. Jahrb. (Prag, isn.ö. 1866).

19. Inhalt der Grünber^eiiiaiulschrift - Fragmente im

Ganzen.

Die Gr. Handschrift besteht aus zwei ungleich grossen Fragmenten : das erste ist neunzeUig, es fehlt ihm der Anfang und die Mitte, das zweite lODzeilig, es fehlt demselben das Ende. Da man nun beide nicht einmal ganz kennt, so ist daraus um so schwerer zu entnehmen, durch welche Inhaltsgattung der Cyklus aller der fehlenden Gedichte zum Ab- schlüsse kam. In beiden Fragmenten kommen Schilderungen von Land- tagen vor, besucht von drei Arten von Ständen: Knieten, Lecken und Viadyken genannt; der Cyklus der Epen konnte sohin die epische Ent- stehungsgeschichte der einzelnen Hauptlandesgesetze: Pravdy, sohin die Geschichte der Gründung der centralen Krokidenmacht Böhmens ent- halten. Da nun das grössere Fragment von einer Art gesetzgebenden Tafeln spricht, die zweifelsohne in Bilderschrift bestunden, so wird man vielleicht nicht weit von der Wahrheit abweichen, wenn man den Cyclus der Landtag shilder, den die epischen Gedichte enthielten, selbst eine Art Landrechtstafeln, desky pravdo-datne, aber in epische T^autschrift transferirt, nennt. In der Tat ist die Schilderung darin so concret leben- dig, dass man sie heutzutage wieder in Bilder zurück umwandeln könnte, und wir wundern uns wirklich, dass noch kein heimischer Künstler es bisher versucht hatte, die ganze Grünb. Handschr. in ein cyclisches Ge- mälde- oder Statuenepos umzuwandeln.

Das erste Fragment lautet nun: „Jeder Vater waltet über seinen Familienmitgliedern: (ixQ Männer ackern, die IFeiier bereiten die Kleider, stirbt aber das Haupt der Familie, dann verwalten alle Kinder in Ein- heit das Vermögen, indem sie sich aus dem Stamme den Vladyka (Herr- scher) auswählen, welcher Wohlfahrtshalben die feierlichen Landtage be- sucht und zwar mit den Knieten, frechen und Viadyken. Es stunden auf die Kmeten, Lechen und Viadyken und billigten diese Rechtsbestim- mung nach dem Gesetze.'"''

Da nun etwas ähnliches auch im 2. Fragmente vorkömmt, so hat es den Anschein, als ob durph Landtage, sohin mit Zustimmung der Volksrepräsentanten eine Revision der uralten, früher zumeist nur religiös geltenden Landessitten vorgenommen worden wäre, wodurch diese zu po- litisch giltigen Rechtssatzungen umgewandelt wurden. Die Krokidenmacht beruhte nun zumeist auf solchen religiös geltenden Gesetzen (zäkony vöko- ziznych bogov), mit der Pfemyslidenmacht aber begann die politische Centralisation der Zupen Böhmens: der Epencyclus konnte sohin auch

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die epische Ueberführung des mythischen Böhmens in das politische Böh- men besingen. Fasst man jedoch die Sache etwas äusserlicher, aber praktischer an, so kann dabei die Meinung vertreten werden : die einzelnen Epen erhielten das Andenken an die bedeutendsten Rechtsstörungen und deren Lösungen mittels der Landtage, wie denn in der Tat das zweite Fragment, das man früher mit Unrecht Libusas Gericht nannte denn Libuäa richtet ja darin nicht den Erhrechtsstreit zweier Brüder dar- stellt, wovon der ältere Bruder Chrudos nach germanischem, der jüngere, Stiaglav aber nach böhmischem (slavischem) altem Rechte erben wollte: jener nahm nämlich das fremde Recht der Erstgeburt: prvencu dedinu däti pravda (v. 98.), dieser die heimische Sitte der gemeinsamen Ver- waltung in Anspruch. Der Landtag entscheidet für diese. Dadurch führt nun auch Chrudos die Katastrophe des Ueberganges der Krokiden- in die Premysliden-MsiChi herbei, indem er zugleich das Recht der Lubusa, den Landtag zu berufen, abläugnet. Frauen und Jungfrauen konnten nur etwa nach mythischem, nicht aber nach politischem Rechte auf dem Für- sten-Throne sitzen und Lubusa zeigt auch beleidigt den Antritt der neuen Dynastie der Pfemyslideu au. Dieses Epos konnte eben das Ende des Krokidenepencyclus bilden.

Der Form nach bewegen sich, wie man allgemein lehrt, diese Epen- fragmente in dem sogenannt slavisch-epischen Versmasse d.i. in lOsylbi- gen Verszeilen hin. Indessen ist dies noch etwas problematisch, da die Sylben nur gezählt, nicht gewogen werden, auch die Vollverse nur durch Hinzufügungen zu Stande gebracht werden können, welche man bei einem so langen Gesangsgebrauche des Fragmentes nicht leicht entbehrt haben würde. Manche Zeilen enthalten wieder auch mehr als zehn Sylben, z. B. im U. Fr. v. 109. Die edle, gewählte Sprache, die Menge künstlicher Figuren und Tropen, der gleichförmige in's Einzelne ausgearbeitete Fort- schritt des Ganzen lassen den Gedanken eines im Volksmunde entstandenen Epos, d. i. eines blossen Volksgesa?iges nicht aufkommen. Wir haben hier keinen Naturdichter, sondern einen Kunstdichter vor uns und zwar, wenn der Vermutung Raum gegeben werden darf, den aus der K. H. bekannten Sänger Lumir selbst, der da mit seinen „Gesängen ganz Vyse- grad bewegte und das gesammte Vaterland!" Und in der Tat war der hier so feierlich besungene Vysegrad der Sitz der Krokidenmacht. Solcher Kunstdichter gab es gewiss viele. So wird in dem Gesänge Igor der Dichter Bojan genannt. „Bojau, ihr Brüder! pflegte seine sagen- kundigen Finger an lebende Saiten zu legen und diese tönten dann von selbst die Herrlichkeit der Fürsten : Bojan, der Sänger (die Nachtigall) der alten Zeiten." Auch hierin ist sohin die gemeinsame Grundlage je- der echten slavischen alten Kultur nicht zu verkennen. Lumir war der Sänger der Krokidenmacht am geheiligten Vyäegrad, Bojan der Sänger ru- siuischer Fürsten, Zdboj der Sänger einer Gränziupe Nord-Böhmens, die mit deutschen Gränznachbaren zu kämpfen hatte.

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20, Eiiizeliierkläruiigen zu den Fraginoiiteii der iir.

Handschrift.

Der Inhalt der Grüiib. Handschrift ist aus Uebersetzungen so weit bekannt, dass dieser nicht eigens im einzelnen hergesetzt zu werden braucht: Erklärungen sollen in schwierigen Punctcn eben nachhelfen. Das wahre Verständniss desselben wächst eben allmälig mit der Zunahmo der Kenntniss vergleichender Slavistik, dann mit der Zunahme der Er- kcnntniss böhmischer Archaeologie überhaupt und böhmischer Kultiu*ge- schichte insbesondere.

Ersü'S Fragment. V. 1. Der Ausdruck: ot voie-vodi bedeutet aller- dings soviel, als: der Vater führt (i\Q Streitbaren an, aber die Streitbaren (voie) sind nicht unmittelbar die Bewaffneten oder gar die Heere : son- dern die Männer der Familiencommunc (celed) überhaupt: es liegt dar- in enthalten der Vorzug der Männer vor den Weibern, oder mit andern Worten, dass auch dem böhm. Altertume nur der tätige Mann Volhnensch war. Die Wiu'zel von voic ist vi, winden, im Sinne von geben, tätig sein, daher voie die Aktiven.

Der so strittige Unterschied und Zusammenhang der Kmety, Lechy (Le§i) und Vlaclyhj ist wol am besten etwa so aufzufassen: Vladyka (Waltende) war ursprünglich mehr ^\?, voivoda (Führer der Aktiven) oder ot (Vater) oder batja (Herr, vgl. bäöa) der Familienlenker : er war das Haupt (glava) mehrerer Familien, den diese aus sich d. i. aus dem Stamme (rod), nicht aus der Familie (öeled, rodina) zu wählen hatten, damit er eben als Stamrarepräsentant die Landtage besuche. Schwieriger ist schon das Wort Ljach, Lech zu erklären, dessen Wurzel ganz zweifelhaft ist, da das Wort zumeist aus unursprüngliclien Lauten besteht. Lochen waren ursprünglich wol selbstständige Anführer mehrerer Stämme oder doch mehrerer Familiencommuncn: ein Lech scheint sohin über mehreren Vla- dyken gestanden zu sein : als Besitzer oder besser gesagt, als Lenker grösserer Landesbez\vkQ mögen sie auch zemanS geheissen haben, wie sie als Lenker der Personen hiezi (Fürsten d. i. Fürdersten, später mit dem Diminutiv verschönernd hüzata) genannt WTirden. Der knez erkannte keinen Oberherrn mehr über sich, denn sein Landesbezirk d. i. seine Zupa stand ursprünglich unter keiner Oberzupe : der Fürsten Länder und ihre Leute bildeten zusammengenommen die slavische selbstständige politische Persönlichkeit (Individualität),^ oder mit einem älteren Ausdrucke : die moralische Person. Eine solche Zupe unter Zdhoj und eine andere unter Sldvoj werden in der K. H. besungen als zwei föderirte politische Individualitäten: solchergestalt waren wol alle 2upen des alten Böhmens gedrückt in der kriegerischen Unterjochungs-Zeit der Bojer, Marko- mannen und Avaren welche endlich befi'eit unter die religiöse Gn* traUupe des Centralf ürsten zu Vysegrad frei (insoferne Religionsverhält- nisse frei genannt werden können) sich einordneten. Wie aber an die Stelle der religiösen Öechideumacht die politische Premyslidenmacht trat, verloren die Zupen der Peripherie nicht ohne Widerspruch und Kampf ihre Selbstständigkeit, denn sie wurden statt pares (pairs) mit dem ehc-

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maligen Fürsten Pfemysl und dessen Nachkommen zu bleiben, zum hoben Landadel (päni) dem Klein-Landadel der Vladtjken gegenüber, bis sie sich endlich in die hohen Beamten des Centrallandesfürsten verwandelten. Man vergl. die Erklärungen Safai-ik's im Musejnik 1864. S. 9. und H. Jireceh in: Das Recht in Böhmen und Mähren. Die Lechen verkündig- ten am Landtage auch den Beschluss : die veiina (Mehrheit, Majorität) oder die veisma, Ausspruch? eminentia? altslav. v^stbsina: aus der Schreib- weise allein: „uecina" kann man sich weder für das eine noch für das an- dere mehr entscheiden. Das urälteste Böhmen hatte sohin als blosser innerer Föderativstaat keine Landtage es hatte natürlich auch keine Landtage, so lange die Fremdherrschaft z. B. der Bojer Böhmen unter- jocht hielt. Im religiös unter Vysegrad centralisirten Böhmen war aber der Landtag aus dem hohen und niederen Adel, eben weil dieser Schützer der Heiligtümer und der Hüter der Gesetze der ewig lebenden Götter war, zusammengesetzt, sohin weder demokratisch noch aristokra- tisch in unserm Siine, weil der sogenannte Adel eben nur die gewälte Familien- und Volksrepräsentanz war.

Der dritte sogenannte Stand, die Kmeti^ die Senatoren sind wol ein späteres Produkt der Centralmacht, nämlich ein vom Fürsten selbst- erwählter Beirat, den man in Mähren u. d. N. Pdni hospoddri findet. Sie scheinen ihren festen Sitz am Fürstenhofe oder doch in dessen Nähe gehabt zu haben, um auch ausserhalb des Landtages Bat erteilen zu kön- nen. So kommen z. B. die Ä'meigw im 2. Fragmente am Vy§egrad nicht zusammen, sondern nur die Lechen und Vladyken (IL v. 44, 45.), wahr- scheinlich weil sie am Vysegrade selbst wohnten. So fragt z. B. noch bei Dalemil Drahomira bei den Kmeteu an, wer bei der Minderjährig- keit ihres Sohnes herrschen solle. Die Kmeten, nachdem sie sich be- raten hatten (potazachu), antworteten, sie solle ihren Sohn wol pflegen und bis zu seiner Mündigkeit das Land verwalten. Drahomira erscheint nur als zeitioeilige Fürstin, oder aber vielmehr nui" als Erzieherin des jimgen Fürsten. Es scheint, dass der einmütige Beschluss der Kmeten für den Fürsten bindend war, wie es der Landtagsbeschluss aller drei Stände gleichfalls war (ndrod k rozsüzeniu na snem sboren). Am äussern Range scheinen die Kmeti allen Ständen vorangegangen zu sein, wenig- stens spricht Libusa die Stände so üi der Ordnung an : Kmete, Lesi i Vladyky. Vgl. PalackJ^ dejiny L 2. S. 233. 234. So lange die Central- macht des Fürsten nicht erstarkt war, mag es noch keine Kmeten am Landtag gegeben haben, und auch der Dichter unseres Epos scheint mehr die Landtage seiner Zeit, wenigstens zumeist, zu schildern, als die zur Zeit der mythischen Ljubusa, wo es, einen historischen Kern überhaupt vorausgesetzt, kaum etwas mehr als religiöse Versammlungen am Vy§e- grad gegeben haben mag. Der Ursprung des "Wortes Kniet ist fraglich : eine slavische Wurzel ist unbekannt : das lateinische comes, comites nicht recht passend. Ueber Kmet bei d^n Serben s. V. St. Karadzic im 1. B. der Slav. Bibliothek (Wien, 1851. S. 85.), bei den Polen s. Ossolinski. Bibliothek IX. B.

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Ziveites Frayme)it. „Aj! Vlctavo! warum trübst du dein Gewässer, dein Gewässer sonst so silberscliäumig." Der Name Vlet-ava. nun Vlt-ava, ist eine Sinn Reduplication, Flut-fluss oder Fluss-flut bedeutend, da <iva dasselbe im arischen bedeutet, was vlei, vlt im altböhm. nämlich thessen- des Wasser (vgl. latcin. a(iua mit fluctus). Es ist ein Wortrest, das auf uralten Volkswcchsel in ßölnnen deutet (wie ähnliches auch anderwärts häufig vorkommt z. B. Mar morja Meer). Das arische Urvolk nannte nämlich die Flüsse ava oder aha, die später aus demselben ari- schen Urvolk, wol dm'ch Vermittlung der Litauer^ sich entwickelnden sla- vischen Böhmen, welche wenigstens teilweise aus den Karpathenländern sich hierher verbreiteten, nahmen es schon unverstanden für einen Eigen- namen und nannten daher den Strom : „Fluss Ava", die flutende Ava. Vgl. Saz-ava für Sad-ava ; Mor-ava; Fuld-aha u. dgl.

Die Moldau wird aber hier als Hauptfluss der Krokidenma.cht, der damaligen religiösen Landeseinheit, also als der Centralhaupttluss an- gesprochen, aber nicht als solcher, sondern nur als belebendes Naturbild des böhm. Ccniralvolke^ selbst. Es ist somit der antithetische Tropus wol den Worten, nicht aber den Gedanken nach darin übergangen, nämlich der Tropus: Es war aber nicht der Fluss Vltava, es war die bewegte Flut des Volkes in der Mitte Böhmens, die sich so betrübte. Daher antwortet auch die Moldau bereits als Volksflut : „Wie sollte ich denn meine Flu- ten nicht trüben, wenn zwei leibliche Brüder um ihr väterlich Erbteil streiten." Beachtung verdient auch hiebei das Zurückdrängen der Elbe, und in Wahrheit fällt auch die Elbe in die Moldau und nicht die Moldau in die Elbe.

Die schwierige Stelle: „priletiese ditnink vlasiovica ■,"" als die gesel- lige Schwalbe herangeflogen war (priletie sie, in ähnlicher Construction, wie in der E. H. : ^letie mlat" und , priletie holub") wurde vom Prof. Hattala (musejn. 1857.) mit Recht gleichfalls durch den ebenberührten Naturtropus d. 1. durch die den Slaven so geläufige Gedankenwendung von der Natur zu der ihr ähnlichen Menschheit, erklärt, aber auf eine ganz eigentümliche Weise, nämlich: es war keine Schwalbe, sondern das im Verhältnisse des Posesirimstco (Schwestertum, s. Vuk Stef. Karad. rjecnik) zur leiblichen Schwester der hadernden Brüder, welche am Vy§e- hrade wohnte, stehende Mädchen. Schon Jos imd Ant. Jungraann hielten die Schwalbe für das Bild einer aber leiblichen Pchwester (Krok, 1822. I. 3. S. 60. Vgl Susil, mor. pisne, 1860. S. 424. 425.).

Wir halten diese Erklärungen jedoch nicht für ganz zureichend, da auf die Angabe eines Mädchens gewiss kein so politischer Act, wie die Zusammenberufung des ganzen richtenden Landtages erfolgt wäre. Wir nehmen hier die Schivalbe, einen durch den Volksglauben geachte- ten Vogel, als ein Bild des Volksrufes selbst (vlastovica heisst wörüich wirklich die heimatliche), als ein Bild des mit der Schnelle des Vogel- fluges an den aufmerksamen Vysegrad (na okence rozlozito) sich ver- breitenden Trauer gerächtes: dasss die alten Rechtsgebräuchc und heimi- schen Sitten zu sinken begännen, welche Erklärungsweise die böhmische

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sprüchwörtliche Redensart : po ptacku se dozvödeti, durch den Vogel etwas erfahren, unterstützt.

Wie sehr in der Tat dieser Brüderstreit den Bruch alter heimischer Volkssitte andeutete, hat J. P. ^afarik in den Sitz.-Ber. d kön. böhm. G. d. W. in Prag (1859. 19. Decenib. Prazske novin. 1859. Nro. 310. 21. Decerab.) genugsam angedeutet: es handelte sich nämlich um nichts geringeres als darum, ob die deutsche Sitte des Erstgeburtsvorrech- tes („prev^ncu dedinu dati") wenigstens einzelner, mit den Böhmen grän- zender Völker, oder aber das slavische Recht des Vereineigentums bei Erbschaften künftighin gelten sollte. Diesen drohenden Bruch sollte Lu- busa „po-praviti," d. 1. wieder zu Rechte machen, darum berief sie den Landtag. Die Ansicht, dass im 1. Fragmente „die Darstellung des Haders zwischen den Brüdern und die zwischen beiden getroffene Vereinbarung, ihren Streit vor Libu§a's Gericht zu bringen, erzählt wor- den sei (Tagesbote, 1858. N* 292, 22. Oct.), ist wol nicht sachlich be- gründet.

Das Gedicht nennt nur sieben Landtagsmitglieder, vielleicht nur bei- spielsweise, um etwa den Umkreis der damaligen Centralfürstenmacht an- zuzeigen : denn die am Landtage versammelten werden Ndrod, Volk, ge- nannt. Schwerlich ist aber die Siebenzahl hier mythisch gesetzt. Die Namen der Berufenen bestehen bis auf den Namen Radovan aus blossen Wortcompositionen, worunter drei: Luto-bor, HaXibor und Strezi-6or nämlich, sogar gemeinsam mit „bor" auslauten. Dies weiset auf historisch- linguistische Culturschichten hin, da der Dichter als solcher gewiss derlei Wiederholungen vermieden hätte. Die Berufenen treten unter Förmlich- keiten, nach dem Alter (Geburt?) nämlich (rozenia die), in den Saal, zuletzt besteigt die Fürstin (knezna) im weissglänzenden Gewände den vä- terlichen Thron.

Hiebei, wie im folgenden, ist schwer zu sondern, was dabei auf Wahrheit und was auf Dichtung hinweiset, möge man sich nun auf den Standpunkt der Geschichte oder der Sage stellen, denn Ljubusa ist in beiden eine sehr fragliche Gestalt, ob man nun auf ihre beiden Schwestern Kasi und Teta mit Rücksicht nimmt oder nicht. Was sol- len auch die beiden iceissagicngskundigen Jungfrauen in einem historisch und politisch geschilderten Landtage, der sogar feste Formen des Ver- fahrens hatte ? Kamen sie auch beim Landtage des ersten Fragmentes vor ? war dort noch Krok der Fürst? oder auch schon Ljubusa die Für- stin? welches Gesetz galt : umre-li glava des fürstlicheii celMina'? herrsch- ten auch da die „deti vsie \ jedno,'' y,vladyku si z rodu vyberücc," war dieser Fürst-Vladyka hier Ljubusa und die zwei andern Jungfrauen etwa ihre Schwestern: „die heilkundige Zauberin Kasi, die fromme Deuterin des religiösen Kultus und Reglerin der heil. Gebräuche Teta,"^ wie Safa- fik sie nennt? Wie sagenhaft stechen Krok's drei Töchter gegen die derbe historische Menge der Kinder des Samo ab : hier (bei Samo) ist Ge- schichte, dort (bei Krok) Mythe! sohin zwei ganz verschiedene Kultur- kreise. Krok's drei alrunenhafte Töchter sehen wir dem Landtage vor- stehen : Libu§a, die weise Richterin und mythische Nachfolgerin des weisen

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Krok, sehen wir aber niclit selbst richten, sondern geltende Reclitsformen dem Landtage vorlegen, und die zwei anderen Jungfrauen weder die desky pravdodatue befragen, noch das Unrecht strafende Schwert führen: son- dern die Stimmen in geheiligte Gefässe sammeln und sie den Lechcn zum Verkündigen vorlegen.

Die Mythe ist aber hier ganz wie wirkliches Geschehen behandelt und namentlich die Sonderbarkeit, dass drei Jungfrauen als Reglerinnen eines nationalen Landtages vor uns L.-scheiuen, wol nur so historisch zu erklcären, dass in Wirklichkeit die durch den Oechcnstanim begründete Einheit der vielen Stämme Böhmens auf einer religiösen Gtnindlaqe be- ruhte. Die drei Schwestern werden wol nur die drei Seiten oder Be- ziehungen einer und derselben mythischen Wesenheit sein, die unter dem Namen Wanda in polnischen Mythus als Tochter des Krakus erscheint. Wanda bedeutet aber, nach der litauischen Form vandü zu schliessen, urspsünglich wol Wasser (slav. voda d. i. v-od a, skr. ud-a, lat. unda). Die Massen Burgen um den alten Vy§egrad herum weisen schon durch sich selbst auf eine Masse Heiligtümer im Centrum des Landes hin, Krakov, Kaziii, Tetin, Vysegrad (Praga) zeigen auch topographisch auf eine Centralstätte von Kultusheiligtümern des Öechenstammes hin, deren persönliche Repraesentanten hier die drei Jungfrauen sind: so wie als sachliche Repraesentanten die geheiligten „Iiu7ien'' oder „Gesetztafeln"' (wie Safafik die desky nennt), die rechtverhündigende Flamme und das heilig reinigende Wasser, endlich das sühnende Straischiüeri fungirten (Ordalien. J. Slavicek, Prävnik, 18GL S. 70. H. Jireöek, Das R. in B. und M. S. 63 65).

Das Schwert, welches ursprünglich bei den Slaven, wie der Hammer bei den Deutschen, ein geheiligtes Zeichen die Waffe des Blitzgottes nämlich war, das Wasser und Feuer sind hier schon zu Rechtssym- bolen herabgedrückt, so wie die drei Jungfrauen, die vielleicht ursprünglich nur das waren, was sachlich Wasser, Feuer und Blitzschwert ist, zu das Recht vermittelnden Persönlichkeiten, um einigermassen die historische Färbung des Landtages zu begründen. Das Schwert, das Feuer und Wasser sind auch sonst als Rechtssymbolc bekannt, die desky prai'dodatn6 und die beiden in rechtskundigen Liedern unterrichteten Jungfrauen (Jirecck 1. c, S. 44.) sind, persönlich betrachtet, hier etwas eigentümliches. Vgl. oben Wanda als Wasser und die Anrufung der Vlet-Ava sodann über Öech, Krok, Libusa und Pfemysl die Sitzungsberichte der kön. böhm. Gesellschaft 1866. 12. Februar.

Uiber die desky sprachen wir uns schon oben aus, die Deutung der Veschy vitzovy"- (vaticinia, vatum cantus) als rechtskundige Gesänge, statt blossen Helden- Gesängen (carmiua heroica) ziehen wir hier, als mehr zur Rechtssache gehörig, vor: ^m besangen wahrscheinlicli dasjenige episch, was die desky graphisch vorstellten: ja wir haben auch schon oben unsere Fragmente selbst als Reste solcher vescby vitzovy hingestellt (Palacky u. Safarik 1. c. 96 99.). Volle Klarheit wird wol in alle diese Einzelnheiten niemals dringen.

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Unsere ebenfalls oben schon geäusserte Ansiebt von der religiös begründeten Oberherrschaft der Öechen oder Krokiden über die anderen böhmischen Volksstämme finden wir auch noch bestättiget in den Worten der Ljubu§a, womit sie sich au den Landtag wendet: Ihr Kmeten, Le- chen und Vladyken ! habt zu Recht zu sprechen : ob die streitenden Brü- der „nach dem Gesetze „wiserer"' ewig lebenden Götter" entweder ge- meinsam die väterlichen Güter verwalten, oder ob sie dieselben zu glei- chen Teilen besitzen werden. Der zweite Fall mag nur ein Ausnahmsfall gewesen und die Gemeinsamkeit der Güter eben nach den Gesetzen „unserer'* ewig lebenden Götter religiöse Sitte gewesen sein. Immer- hin ist es aber bedeutungsvoll, dass schon der Landtag befragt wird, ob die heilige Sitte fortbestehen solle oder nicht, denn Ljubu§a sagt aus- drücklich: „Schienen Euch aber meine Vorlagen (vypovedi) nicht nach der Vernunft zu sein (po rozumu), dann werdet Ihr eine 7ieue Entschei- dung (novy nälez) treffen "^ (v. 64 67). Libusa richtet sohin nichts gibt jedoch selbst die Möglichkeit eines Abfalls von der alten heiligen Sitte zu. Der Schluss des Fragmentes weiset auf die fremde Ursache dieser Möglichkeit in den Worten des Ratibor ot gor krekouosi hin : „Unrühm- lich wäre es für uns bei den Deutschen das Recht zu finden : bei uns gilt das Recht nach dem heiligen Gesetze, das unsere Väter (in dies Land brachten)", welche Worte den Cechenstaram wol als einen Central- heiligtümer in das Land bringenden und sich eben deshalb in der Mitte des Landes ansiedelnden Volksstamm nachweisen. „Unsere Väter", „otci nasi'* sind dies Stammväter oder Penaten ? Diedci ? und die drei Flüsse ? sind sie geographische Ströme oder mythisches Gewässer, über welches allerdings alle Penaten herüber müssen. Allerdings waren wol seit jeher Heiligtümer im Lande, allein die vielhundertjährige Herrschaft der Bojer und Markomannen hat eben deren Herrschaft erdrückt, die sohin durch die Ankunft der Öechen neu belebt werden konnten (Aelteste D.M. 99. 100. Vymesky o dedicnem pravu v Öechach pod. Safafik museju. 1864. Seite 3.).

Es scheint jedoch, dass auch diese Heiligtümer, obschon sie ihre Macht gegen den deutschgesinnten Chrudos noch werktätig bewiesen, doch schon als schwach angesehen wurden, um dauernd das Land organi- siren zu können : denn mit Lubusa trat das religiöse Böhmen der Ce- chen in den Hintergrund und das politische Böhmen der Premfjsliden in den Vordergrund.

Am Schlüsse muss noch auf eine scheinbare Differenz zwischen dem ersten und zweiten Fragmente aufmerksam gemacht werden. Im ersten Fragmente heisst es nämlich : Es stunden auf die Kmeten, Lechen und Vladyken und billigten den Rechtsspruch als gesetzlich: während im 2. Fragmente nur die Lechen und Vladyken stille unter einander sich zu besprechen beginnen und die Aussprüche Lubu§a's belobten. Allein im ersten Fragmente handelte es sich wahrscheinlich weder um einen Rechts - streit noch um einen neuen Beschluss (novy nalez): sondern nur um die Anerkennung eines alten Rechtes, als heimische Satzung, was allerdings auch Sache der Kmeten gewesen sein konnte, während das eigentliclie,

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die strittigen Augelegcnheiteii entscheidende Volk dodi nur Leeben und Vladyken repracsentirten.

21. Allgriffe der Echtheit der Grüiib. und Königinh.

Handschrift.

Es hiesse gewiss die Zeit nur mit Nutzlosem zubringen, wollte man noch heutzutage alle die Angriffe gegen die Acclithcit der G. H. im einzelnen widerlegen: die gleich unten folgende Literatur gibt das Quantum und Quäle derselben andeutend an.

Wurden andere Handschriften angegriti'en, so wurden sie dies ein- mal und sanken in ihr verdientes Nichts (z. B. Pertz, Archiv, IX. 4 Co. Sybel, Zeitschr. I. 127. X. 171. Springer, Gesch. Oesterr. II. 12) : die G. und K. Handschriften kehrten jedoch nach jedem Angriffe nur um so sieghafter zurück: man hatte sie irtümlich nur todgesagt.

Es ist auch jetzt der Standpunkt der Angritfe und ihrer Wieder- legungen ein ganz anderer, als er noch vor einigen Jahrzehenden war : die Kenntnisse in der Palaeographie, comparativen Linguistik und Geschichte der Psychologie und Poesie sind in uusern Togen so erstarkt, dass man mit Sicherheit behaupten kann, ein solches Geistes- und Schriftprodukt, wie es die genannten Handschriften sind, war zu fälschen vor fünfzig Jahren eine Unmöglichheit. Ja es kann die erste Academie der Welt auch noch heutzutage welchen Preis immerhin auf die Nachahmung einer ähnlichen Grünberger und Königinhofer Handschrift aussetzen und Niemand wird ihn verdienen!

So lange dies nicht geschieht, wäre ein Wort über die Angriffe zu verlieren, rein eitel: heati Bohemi possidentes.

22. Literatur über die Grünberger und Königinhofer

Handschrift.

Es stehe hier auch eine Uebersicht der ausgebreiteten Literattir, die sich bereits über beide Handschriften, zum Teile für, zum Teile ge- gen dieselbe herangebildet hat. Wir nehmen hier vorgreifend die Lite- ratur der K. H. mit, einerseits um .uns einen Weg zm' nachfolgenden Betrachtung dieser Handschrift selbst zu bahnen, andererseits weil die Literaturen beider, ohne sich grosser Wiederholungen schuldig zu machen, nicht gesondert gegeben werden können.

Jahr 1817.

Aufgefunden wurden beide Handschriften in demselben Jahre, aber die Gr. H. im Südwesten, die K. H. im Nordosten Böhmens. Die K. H. erfreute sieh jedoch eines viel besseren Geschickes, einer

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viel freundlicheren Aufnahme als die Gr. H. wegen der anonymen und ungeschlachten Form der Einsendung-.

Jabr 1818.

Denn obgleich erst im Spätherbste aufgefunden, wurde die K. H. doch schon im J. 1818 von Banka, dem Auffinder, in seineu Starobyla skladanie (II. B. S. X.) probeweise dem böhm. Publikum vorgeführt, was durch W. Svoboda in den vaterländischen Blättern (Wien S. 52.) und Li7ida (Prazske noviny, S. 115) weiter verbreitet wurde. In demselben Jahre bewillkommnete sie selbst Jos Dobrov- sk'y in seiner zweiten (eigentlich dritten) Ausgabe der Gesch. der böhm. Sprache und Literatur (S. 385 390) auf das wärmste, wie dies auch von ästhetischer Seite Damheck im Hesperus (N. 71) und in literarhistorischer Hinsicht die damals in Wien erscheinen- den Srbske noviny (S. 87. 88.) taten. Die Gr. H. kam aber in diesem Jahre erst heimlicher Weise nach Prag.

Jahr 1819.

In diesem Jahre gab schon Hanka die editio prineeps der K. H. heraus, die nun eine der grössten Seltenheiten wird (kl. 8*^ 2 Bl. Vorwort, 119 S. Text, 3 uugezeichnete Seiten die Versfrag- mente (Streifen), und 4 eben solche Seiten Erklärungen: worauf dann unter eigener Paginirung die deutsche Uibersetzung Prof. Wenzel Svoboda s von Navarov folgt Diese Uibersetzung hatte ein erklärendes Vorwort, das aber einem Auszuge aus Dobrovsky's Gesch. d. böhm. Sprache weichen musste. Die Uibersetzung selbst füllt 62 S.). Diese Ausgabe ist unter allen spätem Angaben Hankas die wissenschaftlichste, weil er darin den Text unverändert gibt, allerdings nur, wie er ihn damals selbst lesen konnte, und sich darin nur in der Nachahmung des kleinen Formates der Hand- schrift und der Starobyla Skladanie, als deren besonderer Teil, dil zvlästni, die K, H. erschien, dann in der Vorrede und in den Erklärungen unbekannter Worte äussert. Wie fern sein Geist dem Wesen der Handschrift stund, zeigt die Vorrede, in welcher ihm Lumir und Zäboj dobrodruzstvi d. i. Abenteur besingen. Sie waren ihm also eine Art Troubadoure und Minnesänger. Zdvise von Ko- senberg (Vitkovic) dichtete, oder sammelte doch (nach Hanka) diese Gesänge. Tiefer beurteilte allerdings der tüchtige und warmfülende MemertAn Hormayer's Archiv (1. H.) diese Gedichte und fand sein Echo sowol im Präger Hyllos (N. 15-17), als auch in der Prager Zeitung (N. 84. 85). Ja selbst ein Kopiiar rühmte zumeist mit Worten Dambeck's die K. H. in den erneuerten vater- ländischen Blättern (Wien. Chronik. S. 34).

Jahr 1820.

Starb Ant. Puchnayer^ der zuerst durch den Grafen Stern- berg die Gr. H zum Entziffern erhalten und nach Prag gesendet

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hatte. Ant. Jiingmann verfertigte sich eine Abschrift von einer Abschrift seines Bruders Josef, des Slavisten, und sendete dieselbe an den Polen Val. Sliorochod Majevski, und erstaunte niclit wenig, als er in J. B. Rahovieckis Pravda ruskaja (^^'ars(•llau) seinen Brief und die Abschrift abgedruckt fand, während der Busse Siikor die K. H. böhmisch und russisch in den Izvestija rossijskoj akadeniiji in Petersburg (Vlll. S. 47—215) abdrucken Hess.

Jahr 1821.

Liess der als Gelehrte und Minister rühmlichst bekannte .Si.s- kov auch die Gr. IL in die genannte akademische Schrift (im IX. Hefte) nach Rakoviecki abdrucken.

Jahr 1822.

Erschien von den Brüdern Jungmann in Prag (Krok, 1. B. 3. H.) die erste wissenschaftliche Ausgabe der Gr. H. mit neu-böhm. Texte und Anmerkungen (S. 48—61).

Jalir 1823.

Liess der Russe Nie. Grammatin mit seiner Ausgabe des Igor zugleich die russische ^Übersetzung von der Gr. 11. in Moskau erschei- nen, während zugleich in der Prager Zeitschrift: der Kranz die erste deutsche Uibersetzung derselben erschien.

Jahr 1824.

Es brachen die heftigen Angriffe des damals gemütskranken Dobrovsk^ g'^gew die Gr. H. öffentlich aus (Hormayer's Archiv, N. 46), die er bisher nur privatim in Prag geäussert hatte. W. Svo- hoda replicirte daselbst (N. 64), was aber Dobrovsky nur kampf- lustiger machte, da er im Archiv (N. 79) und zugleich in den Wie- ner Jahr-Büchern (27. B. S. 95—100-114) die Handsehriit an- griff. Siehe : Literärni püsobeni Jos. Dobrovskeho (Abhandl. d. kön. böhm. G. d. W. 1867. 15. Band).

Jahr 1825.

Dobrovsky setzte die Angriffe fort (Archiv 11. Fcl)cr) und .schrieb an den Engländer Boioring, der in demselben Jahre in the föreigu quarterly review (III.) seine Anerkennung der K. H. bezeugt hatte und auch eine Anthologie böhm. Gedichte heraus- geben wollte, er möge sich- vor den böhmischen Fälschern in Acht nehmen.

Jahr 1829.

Dohrovshj starb und TTanka gab mit Svohorla die zweite Aus gäbe der K. H. oder eigentlich die erste populäre Ausgabe heraus, die obschon sie sich den Anschein einer wissenschaftlichen üab, nichts- destoweniger aber mit dem Texte oft ganz willkürlich umsprang.

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Die Gr. H. ist darin als kurzer „Anhang (pridavek)" mit aufgenom- men, ja sogar das gefälschte Lied an den Vysehrad und das Miune- lied König Wenzels, obschon die Herausgeber selbst gelinde Zwei- fel darüber äusserten (S. 183. 184 deutsch, S. 191. böhmisch). Bei Gelegenheit dieser Ausgabe erschien ' in den Wiener J. B. (48. B. S. 138 169, insbesondere aber S. 164— 166) die erste vollständige Kritik und Analyse der beiden Handschriften, namentlich aber der verletzten Grünb. Handschrift durch Fr. Palacki^. welcher Analyse jedoch der damalige Redakteur der J. B. Kopitar eine bittere Nach- schrift zufügte.

Jahr 1832.

Bowring gab zwar seine augekUndete Cheskian anthology sammt dem warnenden Briefe Dobrovsky's (S. 7—9.) heraus, jedoch nicht darauf achtend; aber von einer andern Seite erschien ein unerwarte- ter Angriff. Denn G. Palkovic gab in seinem Almanache Tatränka in Pressburg beissende Bemerkungen über die Gr. H. zur Schau, die jedoch alsobald ihre gebührende Abfertigung durch Jos. Jung- mann im Prager Musejnik (H. S. 239 248) fanden, wo auch in- teressante Aufschlüsse über das Gedicht „an den Vysehrad^' zu finden sind. Seitens der Fälschungen vergleiche die Sitzungsbe- richte d. kön. böhm Ges. d. Wissensch. vom 6. Juli 1863 und 31. Oktober 1864.

Jahr 1833.

Palkovic verstummte jedoch nicht sogleich, wie die Tatränka bewies, und verbarg sich, während er seine gehässigen Pfeile gegen Böhmen losschuellte, hinter den Schild Dobrovsky's, woher ihn jedoch Fr. Palacky im Musej-n. 1834. (S. 462—465) nicht nur glücklich heraustrieb, sondern auch zum endlichen Verstummen brachte (Pal- kovic starb 1850).

Jahr 1834.

Palacky begleitete auch in demselben Jahre den Zigeuner- aufsatz Eduard Quinet's im de Varro's Almanach de Carlsbad (S. 181) mit seinen treffenden Bemerkungen; in demselben Jahre also, in welchem er von der Echtheit der Gr. H. fest überzeugt zu sein, öffentlich erklärte (Musejn. 1834. S. 464. 465).

Jahr 1830 bis 1839.

Sehr edle Namen unter den Kusinen (z. B. Saskievic, Vahy- levic), Russen (z. B. Bodjanski) und Pohn (z. B, A. Bielovski) hatten, durch die Angriffe sich nicht irre machen lassend, die be- deutendsten Teile beider Handschriften gewürdigt und zum Teile in ihre Sprache übertragen. Wir führen als Beispiele an : den Lem- berger Halicanin (1830. T. 202. H. 93), Zievonia (1834. S. 229), bis endlich L. Sieminski im J. 1836 die ganze K. H. übersetzte.

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Siehe darüber die Kvety vom J. 183G Beil. S. Id. 79. üiber diese und andere Uibersetziingen und Bearbeitungen siehe auch den Auf- satz KanheTcs und NebesJafs im Musejnik 1838. S. 303. 307. 18Ö2. S. 144. 1853. 1. 124. 136. 142. Im J. 1838 veranstaltete auch Sreznevsky in Prag (bei Spurny, VIII. 75) eine Ausgabe d(!r K. H. und Igor's für Russen. F. G. Eichhof machte mit den Handschrif- ten die Franzosen durch sein Werk bekannt: bist de la langue et de la literature des Siaves. Paris 1839. Während sich die IJibcr- setzungeu und Erklärungen mehrten, so ruhte doch Kopitar nicht, in- dem er im J. 1837 in dem Aufsätze: de vetenim codicimi bohe- micorum insperatis invenHonibus non sine causa suspec'is, welcher im Hesychii glossographi discipulus (Wien, S. 58) erschien und den skeptischen Bemerkungen nachfolgte, die im 14. Baude von Gersdorfs Repertorium desselben Jahres erschienen. Diese waren nämlich von Kopitar schon ein Jahr früher geschrieben worden, blieben aber liegen.

Jahr 1840.

Das grosse Werk Palackfs und Safank's: die ältesten Denk- mäler der böhm. Sprache (Prag in den Abhandlungen der küu. böhm. Gesell, der Wiss.) machte Frieden auf fast 18 Jahre, da selbst Kopitar verstummte (geb. 1780 f 1844). Die „Denkmäler'' standen damals aufder vollständigen Höbe der Wissenschaft und waren so der erste Anlauf zu einer wissenschaftlichen Literaturgeschichte, die fortgesetzt werden sollte, was leider nicht geschah, da Safafik von allen historischen Arbeiten sich zurückzog, um fortan seiner Lieblingswissenschaft, der Linguistik, zu leben. Leider sind sie formal sehr ungleichartig gearbeitet, indem der Anfang viel zu breit gehalten, das Ende jedoch zu sehr praecipitirt ist. DieK. H. blieb dabei so ziemlich ausser Betracht, einerseits weil die Gr. H. relativ schon den meisten Raum absorbirt hatte, andererseits weil man Hanka im ruhigen Alleinbesitze der K. H. nicht stören wollte. Für die Gr. H. sind sie die einzige kritische Ausgabe derselben, sie geben deren vollständige Literatur, Transscription in der Kyri- lica, deutsche und lateinische Uibersetzung derselben, so wie eiu litographirtes Facsimile, das ziemlich geeignet ist, den Einblick in das Original zu ersetzen. Auch noch heutzutage sind sohin die „Denkmäler" ein gesuchtes und geschätztes Werk.

Jahr 1845.

'Ein eben solches, obsöhon für weitere Kreise berechnet, ist das Werk des hochherzigen Grafen Jos. Math. Thun, das unter dem Titel : Gedichte aus Böhmens Vorzeit, in Prag bei Tempsky erschien. Die literatnrhistorische Einleitung schrieb mit Mcistcrliaiul Safafik. Die Gedichte der Gr. und K. H. sind darin nach ihrem mulhmasslichem Alter gereiht, mit altböhmischem, jedoch neuböh- misch transscribirtem Texte und einer Uibersetzung des Grafen ab-

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gedruckt. Diese Uibersetzung* zeichnet sich durch grössere Ge- nauigkeit aus, als die frühere Uibersetzung Svoboda's, die zu sehr modernisirt ist. Leider kommen mitten unter den Gesängen der K. H. (S. 105) die gefälschten Lieder an den Vysehrad und das Minnelied König Wenzel's vor, das jedoch bescheiden mit dem Anhange vorlieb nehmen musste (S. 179). Man vgl. damit 0. ScJmielhr in den Münchner gelehrten Anzeigen, 1846. In demselben Jahre 1845 erhielten beide Handschriften einen wissenschaftlich besorg- ten Text im Vybor literatury ceske, obschon nun bei dem grossen Fortschritte der Slavistik in den letzten 20 Jahren eine neue Auf- lage derselben höchst erwünscht wäre.

Jalir 1844-1852.

Um diese Zeit herum waren wiederum Erklärer und Uiber- setzer sehr tätig. So hatte schon im J. 1844 Kaiina (geb. 1816 t 1846) in der Piager Zeitschr. Ost und West die einzelneu Lieder der K. H. gewürdigt, der Musejnik (1845. S. 586) brachte süd- slavische Uibersetzuugen derselben von Stanko Vraz, während auch Berlic eben solche vom J. 1848 50 zuerst eiuzelnweis, dann 1852 gesammelt in Prag erscheinen liess. Im J. 1846 gab auch Nik. Berg in Moskau eine Uibersetzung der K. H. heraus, die 1851 wiederholt wurde. Im Musejnik 1847 (II. 225) findet man ober- lausitzische Uibersetzungen J. Buk's (III. 122), serbische^ aber nur vereinzelt. In den „neueren Gedichten" Mor. Hartmanns (Leipzig 1847) findet man gleichfalls treffliche Paraphrasen der K. H. ; in welchem Jahre dixxah Peitz selbst seine Stimme /«?' die K. H., aber zugleich gegen die Gr. H. abgab. Archiv der Gesell, für ältere deutsche Geschichtskunde, 9. B. B. S. 465). In eben demselben Jahre feierte man gemütlich die 30jährige Auffindungsfeier in Kö- niginhof, wie dies Brdickds Venecek uvit 16. zäri 1847 kundtut. Nach Pertz entschied sich auch Wattenbach in Deutschlands Ge- schichtsquellen im Mittelalter (S. 447). Im Musejnik 1849 gab V. V. Tomek historische Erläuterungen zu einzelnen Teilen der K. IL In ihrem Histor. view gibt die begabte Schriftstellerin Talvj (v. Jakob) ihre Meinung über beide Handschriften ab, eingehender aber A. IL Vratislav, ein Nachkomme vertriebener böhm. Familien, sowohl in seiner Lyra 1849, als im Patriotism 1852, und endlich in der ganzen Herausgabe des Queen's court manuscr. (1852 in Cambridge).

Jahr 1852.

Dies Jahr macht in der Geschichte der K. IL Epoche, da in demselben V. Ne.beshj im Musejnik (III. S. 125, IV. 129. 1853. I. IIG. IL 335.) seinen referireuden und kritisircnden Aufsatz; Krälodvorsky rukopis erscheinen liess, den er 1853 beendigte. Er enthält in der Tat die ganze Geschichte nicht nur der K. H. son- dern auch des Grünberger Manuscriptes in ein literaturhistorisches

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Bild zusaniuiengefasst und bietet mit Ausnahme eini^^r Längen bis auf unsere Tage neben den Scbriften Safafik's das beste, was über beide Handschriften gesehrieben wurde. In de ms. Jahre hielt Tomek am 3. Feb. in d. gel. G. einen Vortrag über Zäboj, worin er das darin genannte, sonst unbekannte Faelum in d. erste Hillflo des 8. Jhhr. u. zw. etwa 728—748 setzt, stat in.s 0. Jhr. wie gewöhnlich (Act. 7 B. S. 45. 46.). Der Streit über die Handschrif- ten schien aufgehört zu haben, so wie zugleich der naive Gcnuss an dem Besitze der herrlichen Denkmale, denen wol kein modern europäisches Volk etwas ähnliches an die Seite setzen kann, ge- sichert schien. Dies zeigt die Analyse vom „Zäboj" in der Ko- leda, 1854. S, 88. dann von „Zäboj" und „JaroslaV durch Vocel im Musejn. 1854. S. 410. Act. Bd. 'iX. 1855. S. 41.

Jahr 1857.

Aber Fnfalik bereitete schon in den Sitzungsberichten der Wien. Acad. einen geschärften Angriff vor. Auch als V. Rnijt in dem Znaymer Gymn. Progr. die K. H. in deren Verhältnisse zur Liter. Gesch besprach, griff dasselbe Feifalik 1858 im 5. B. S. 420 der „Gymn. Zeitschr." an.

Jahr 1858 und 1859.

Wärend im Wiener „Svetozor" mit dem im J. 1858 die interes- santen Studien über die K. H. durch Jirec^'k begannen, um auch in den folgenden Jahren fortgesetzt zu werden, erscholl in Prag ein gar arger Misston. Denn es gab ein Ajiomjmus in der Prager politischen Zeitung: Tagesbote aus Böhmen einen Aufsatz unter dem Titel heraus: Handschriftliche Lügen und palarographische Wahr- heiten, der in den Nummern 276, 285, 289 die Gr. H., dann in der Nummer 299 die K. H. und die wirklich gefälschten Lieder heftig angriff. Nicht nur die Sache sondern auch die Person Ilan- kas wurde verdächtig gemacht. Hanka in seiner bürgerlichen Ehre sich mit Recht gekränkt fühlend, und im Privatwege indess zu wichtigen Auffindungsnachrichten gekommen, klagte gerichtlich, und so hatten die Böhmen das seltene Schauspiel, dass auch die Ge- richtshöfe für die altertümlichen Handschriften, namentlich aber für die K. H. wirksam eintraten und den Gegnern ihr Unrecht Juri- disch beweisen mussten. Während nun die Gerichte in voller Tä- tigkeit waren, versäumten die böhm. Literaten nicht vom wissen- schaftlichen Standpunkte dem Anonymus einerseits seine Seichtig- keit der Beurteilung, andererseits aber die Nichtigkeit seiner sitt- lich unberechtigten Verdächtigung öffentlich nachzuweisen.

Den Reihen führte Palack^ an, der seine Verteidigung in die vielgelesene Zeitschrift Bohemia und zwar seitens der Gr. H. in den Nummern 288, 289, seitens der K. H. aber in der Nummer 292 tibergab. Die Worte, welche Palacky der Unbeholfenheit Hau- ka's sagen musste, waren allerdings nur wenig milder, als es die

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Worte waren, welche schou im J. 1851 Fr. Miklosich in seiner „Slavischen Bibliothek" (I. 267) gegen die Unwissenschaftlichkeit Hanka's vorbrachte (vgl. auch kritische Blätter. Prag. 1858. 2. Jg. Nr. 12. S. 291. 292. Nr. 17. S. 89. Nr. 21. S. 188), allein seitens der Auffindung der K. nnd Gr. H. stand Hanka ganz rein da.

Der schon genannte Svetozor bewies im Frühjahre 1858 (Nr. 8, S. 61), wie der Wortschatz der K. H. sich in der Alexandreis fortsetzte eben so wie er an der Neige des Jahres 1858 (Decem- ber) nachwies, wie die Altertümlichkeit der Rechtsanschauungen im Libusin soud selbst schon für seine Echtheit sprechen.

Professor Martin Hattala^ die erste Autorität wissenschaft- licher Slavistik in Böhmen, ein Slovene (siehe desen Biographie in von Wurzhaclis biograpb. Lexicon, welche dessen Controversen ausführlich berührt), schrieb zur Verteidigung beider HandscJiriften mehrere gediegene Artikel, z. B. in die „Prager Morgenpost" und zwar in den Nuiumern 317. 318. 325. 335. vom J. 1858 natürlich zumeist linguistischer Natur, worauf nach einer Sitzung in der kön. böhm. Gesellschaft der Wissenschaften am 3. Jännei- 18öÖ seine Verteidigung der Gr. H. von poetischer Seite in derselben „Prager Morgenpost" (Nr. 8 und 9) erschien. Doch dies alles war zur Orientirung des grösseren Publicums bestimmt. Die eigentliche wissenschaftliche und zwar schlagende Obrana d. i. Verteidigung Hattala's erfolgte im Musejnik 1858. S. 600 und 1859. S. 326. 1860. S. 59 und 313—321.

Auch im Svetozor wurde, wio gesagt, 1858 die Gr. u. K. H. eingehend besprochen St. 177. 185., worauf H. Jirecek's klassische Studien darüber 1858 S. 43—185 folgten.

K. 3. Erben gab imLumirl859. S. 423 die Erklärung schwie- riger Stellen d. K. H. (sipäse).

In demselben Jahre veröffentlichte Nebeskp im Mus. seine nova acta ve pH. 1859. S. 198 397.

Ein Jahr zuvor gab Ida v. Düringsfdd ^le manuscrit de Kö- niginhof französ. in Brüssel 1858 heraus, in demselben Jahre als Reinherg's literature Tcheque ebendaselbst erschien.

Doch auch die Gegner waren nicht untätig. M. Büdinger griff nämlich in der histor. Zeitung von Sybel's im J. 1859 (I. B. S. 127), in demselben Jahre also, in welchem Siegfried Kapper's ge- wandte Uibersetzung der Handschriften in Prag erschien, „die Kö- niginhofer Handschrift nnd ilire^ Sclnoestern'-' heftig an, und ward darob sowol von der officiellen Wiener Zeitung ( 1 859. Nr. 23), als von der officiösen Augshurger Allgemeinen (16. April) unterstützt und laut gepriesen. Das führte denn Fr. Palackij noch einmal rüstig auf den Kampfplatz und zwar in v. Sybel's genannter Zeitschrift, wie der Aufsatz unter dem Titel : „die altböhmischen Handschriften und ihre Kritik" 1859. HI. S. 89— 111) beweisen. Büdinger wehrte sich aber nicht blos in der „Entgegnung (ibid. S. 112— 117), son-

dern auch m einer eigeneu VerteidigUDgssclirift „die K. II. und ilir neuester Vertlieidiger," die iu demselben Jahre 1859 in Wi'ju erschien.

Denn auch die Verteidiger der Handschriften mehrten sich. So trat V. Nehesky in der Sitzung der bühm. Gesellschaft am 20. Juni 1859 (Sitzungsber. S. 41.) für die K. H. namentlich seitens des Gedichtes: über die Vertreibung der Polen aus Prag auf, wel chen Aufsatz der Musejnik (1850. S. 198 235) brachte. Ma.\ Krup- sk^ gab im Bühm.-Leipacr Gym. Progr. 1859 den „Kozi)(»r Jaro- slava" d. i. die Analyse des Gedichtes Jaroslav heraus.

Auch ein Anonymus (man nannte in Prag Baron JJel/ei-t als Autor) Hess in Prag eine Broschüre erscheinen, „Max Blidinger und die Königiuhofer Geschwister", welche auf humoristische Weise einige schielende Schlüsse der Büdingerschcn Einwürfe hervorhob.

Der Svetozor brachte ebenfalls (1859. S. 237— 239) einen Auf- satz gegen Büdinger. llattala hielt im J. 1860 in der kön. böhm. Gesellschaft am 9. Jänner, 6. Feber, 2. April Vorträge gegen Bü- dinger, die dann zur genannten Obrana verarbeitet wurden (Sitz. Ber. S. 14. 28. 74), ja selbst der grosse &afnrik verteidigte in der Sitzung vom 19. December 1859 (S. 90), in der letzten Sitzung vor seiner gefärlichen Erkrankung, die Grünberger Handschrift, in- dem er das altgermanische, sonderbarerweise in den Einzelnhciteu noch so wenig durchforschte Erbrecht in originelle Untersuchung zog. Damals fand Büdinger eine Unterstützung nur an E. J. Schwam- mel, der die Erzählung der K. H. von dem Mongoleneinfalle angrift' (Sitzungsberichte der kais. Academie in Wien. 1860. 33. Band. 1. H. S. 179—218). Siehe dsn-üher Jiredek : Echtheit der K. H S. 161. K. J. Erben begann eine illustrirte Prachtausgabe der K. H. bei Bell- mann 1860, welche jedoch bald eingieng.

Zum Teile behufs des Processes gegen den Anonymus, zum Teile um selbstständige äussere Mittel gegen die Angriffe zu ge- winnen, fing man an, die Aussagen von Augen- und Ohrenzeugen der Auffindung der K. und Gr. H. zu sammeln, die noch im J. 1859. V. V. Tomek imMusejnik (S. 28 und 102) chronologisch ge- ordnet abdrucken liess, ebenso auch 1859 im Lumir (Zeugniss des Jos. Koläf) S. 135.

Alle diese „Zeugnisse der Auffindung der Gr. H." übersetzte ebenfalls noch in demselben Jahre J. Maly ins Deutsche, wozu man auch den genannten Aufsatz V. Nehesky s: Neue Acta bei dem Processe über die K. H." im Musejnik 1859. S. 397—106 zu zählen hat.

In späteren Jahren traten zum Uiberflusse noch zwei Zeugen auf, und zwar im J. 1863 Franz P^tera, der in der Prager Zeit- schrift „Beseda'' das Zeugniss Alizar s veröffentlichte, das da nach- wies, dass zu Ende des vorigen Jahrhundertes noch alle drei Band- chen der K. H. vorhanden waren, deren kleinen Rest im J. 1817 Hanka dort auffand.

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Das zweite Zeug-niss gab erst im J. 1864 Dr. Legis Glück- selig durch den Aufsatz ab : „Die K. H. Offenes Sendschreiben zur end^'Itigen Lösung' der Echtheitsfrage,'' welcher in der Wiener- Oesterreichischen Zeitung (26. 27 29. und 30. Novemb. N. 276— 279) erschien. Er nennt sich darin den „letzten lebenden Gedenk- mann'^ (Glückselig ist 1806 in Prag geboren und starb im Jänner 1867) der Begebenheiten und war selbst dabei, als Hauka die eben aufgefundene Handschrift noch im J. 1817 dem Altmeister Dobrov- sky vorlegte. Er nennt sie „ein ausschliessendes Product des cechi- schen Nationalgeistes, woran die Deutschen nur durch den Schimpf beteiligt sind, der ihnen darin gezollt wird." Sonderbarerweise und inconsequenterweise wirft jedoch Dr. Glückselig doch noch schie- lende Blicke gegen die Gr. H. Viele hielten ihn einst für den Ano- nymus selbst, der im „Tagesboten" auftrat, für den jedoch der Re- dakteur, sieh mit ihm identificirend, einstund.

Jaür 1860.

Doch es sollte nochmals zu einem letzten, aber entscheiden- dem Kampfe kommen. Den bisherigen Angreifern von deutscher Seite hatte man nämlich ünkunde im Slavischen im allgemeinen und im BöJimisclien insbesondere vorgeworfen, als dass sie für würdig und fähig sollten gehalten werden, als Kämpfer gegen Handschriften aufzutreten, deren Sprache sie nicht verstunden.

Das war denn nun bei Julius Fcifalik aus Brunn nicht der Fall. Dieser hatte nämlich nicht nur in der böhm. Literaturge- schichte schon bedeutendes geleistet, sondern es war ihm auch ge- lungen, das WentelsUed'-' als ein gefälschtes nachzuweisen. Da nun seit Hanka's Vorgang im J. 1829 unter die echten Perlen der K. H. auch die unechten der gefälschten Lieder gemengt worden waren : so schloss Feifalik, dass auch die Perlen gefälscht seien. Darin liegt der Grundirrtum der Schrift: „Uiber die K. H." Wien. 1860, der schwächsten Schrift Feifalik's.

Jahr 1801.

Inzwischen hatte M. Hattala im populären Tone in den I^d- rodnl noviny im 1. Semester die Haltlosigkeit aller bisherigen An- griffe an den Tag gelegt, nachdem er ein Jahr zuvor im Musejnik S. .ol3 durch den Aufsatz: über enclitisches z und f, die Echtheit der K, H. dargetan: in demselben J. 1860, in welchem Jos. Jirecek in den Rozpravy ruhig die Ausdrücke der Gr. H. „ot, oten und Tetva'' auseinandersetzte. In der Prager Zeitschrift Pravnik setzte Dr. Slavidek (S. 70) die Spuren slavisch heidnischer Ordalien in der Gr. Handschrift auseinander.

Jahr 1862.

In diesem Jahre erschien der Gebrüder Jirecek Schrift: Die Echtheit der K. H. in Wien, welche von Grund aus die Einwürfe

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Feifalik's gegen dieselbe widerlegte. Sie nimmt auch auf Ein- würfe Anderer Rücksicht, z. B. auf Büdinger's und Schwamniers Einwürfe, belehrt jedoch dabei zugleich, so dass sie als literarisches Magazin dieses Sc'hriftentumsc3'clus angesehen werden kann und eindringlicher wirkte, als Dr. Kvk's etwas matte aesthetische Ana- lyse der K. H., die im J. 1861 in Prag erschien. Den reichhalti- gen Umfang der Schrift der Jireeek's setzte auch Vocel den böhmi- schen Lesern im Musejnik 1803 auseinander (S. 100 115).

In demselben Musejnik war im J. 1862 mehr als eine Probe der K. H. ins Finnische durch Dr. A. M. Ählquisi (S. 275. 312) er- schienen, in demselben Jahre, als auch Dr. K. Collan's Proben schwedischer Uibersetzuug darin erschienen.

Jahr 1863.

An die Seite der Gegner der K. H. und Gr. H. trat nun auch sogar noch Wattenbach auf und zwar in Sybel's liistor. Zeit.schrift (III. S. 172 175), welcher die Widerlegungen der Gebrüder Jire- cek nur „Scheingefechte^' nennt, dass Festhalten an der G. H. dazu noch ,,bUnden Eifer'' zuschreibt, welcher der ,,besser fabricirten'' K. H. nur schaden kann, denn jenes Maclmerk (die Gr. H ) sei dem Inhalte nach so unmöglich und palaeographisch so stümperhaft, dass nur arge Befangenheit und die leider nun einmal dabei com- promittirten Namen es erklären können, dass man diesen verlorenen Posten nicht lieber gleichfalls aufgibt" (S. 174). Solche Worte würde noch die Unkenntniss im Altböhmischen einigermassen ent- schuldigen, allein wenn Wattenbach einen neuen Grund gegen die K. H. in den Initialen derselben finden will „die allein zur palaeo- graphischen Verdammung hinreichen, da sie den Charakter einer spätem Zeit an sich tragen, als diejenige ist, welcher die Minuskel des Textes nachgeahmt ist'' (;S. 176) dann sieht man deutlich, wie nur Vergesslichkeit einen Mann, wie Wattenbach, so reden lassen kann-, denn gerade die Initialen sind der noch runden, heid- nischen Antiqua entnommen, während die Minuskeln der gebrochenen oder Mönchsantiqua sich etwas nähern.

Solchen palaeographischeu licschuldigungen machte am besten Bibliothekar Vrtdtho im J. 1862 dadurch ein Ende, dass er durch H, Staatsanwalt Rokos eine photographische Abbildung der gesammten K. H. verfertigen Hess und r.uf der Grundlage derselben eine genaue Beschreibung der Handschrift herausgab. In derselben zählt er alle die Misshan'^lungen auf, die an der Handschrift selbst im Alter- tume schon, wie er meint, in der Neuzeit aber, wie uns bedünken will, verübt wurden, als da sind: Uiberstreichungen verblasster Züge, Radirungen einzelner Buchstaben, um teils die alte Ortho- graphie, teils einige alte Accusative angeblich zu bessern, kindische Uibermalung und Vergoldung mancher beschädigten Uncialen und ungeschickte Einzeich nung plumper Arabesken in leer gebliebene kleine Räume der Handschrift u. dgl. Zugleich machte aber Vrfätko

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auf die Hauptsache aufmerksam, dass die gut ausgeführte Photo- graphie manche Schriftzüge so hervortreten liess, dass dadurch erst nun bessere Lesearten erzielt werden konnten.

Eben so aufrichtig beschrieb im J. 1863 V. Nebeski) im Na- ucn^ slovnik (4 Band S. 941 951) die K. H., wodurch beide den besten Beweis dafür lieferten, dass der böse Zufall die Entdeckung der K. H. in die unrechten Hände gespielt hatte. Dasselbe Jahr brachte noch die Zeitschrift Beseda in Prag Beiträge zur Geschichte der K. H. von F. Petera (S. 49) und Proben einer altgriechischen Uibersetzung durch J. Sasha imMusejnik S. 217. Früher gab auch schon Riedel Proben magyarischer Uibersetzung.

Jahr 1805.

Anfangs dieses Jahres kam die 18. Ausgabe der K. H. her- aus, noch ganz in der Form, Avie sie einst Hanka herauszugeben pflegte, während zugleich Jos. Kofinek in Neuhaus eine mit An- merkungen, zumeist linguistischer Art, versehene Schulausgabe der Gr. u. K. H. veranstaltete, die an scientifischer Formung alle Han- ka'schen Ausgaben weit hinter sich liess.

Im demselben Jahre (verspätet, sohin noch unter der Jahres- zahl 1864) erschien im Musejnik und dann auch in den Sebran6 spisy (1864. III.) äafaHUs letzte Vorlesung über die Gr. H. unter dem Titel : V;y^raesky o dedicnöm präve v Cechäch, welche er schon im Jahre 1859 in der köu. böhm. G. d. W. vortrug (19. Dezemb.). Es sind wie gesagt Betrachtungen und Forschungen über das böh- mische und deutsche Erbrecht, wie es die Gr. H. in deren gegen- sätzlicher Verschiedenheit hinstellt. Schade, dass es dem greisen und kranken Safafik nicht mehr vergönnt war, wenigstens noch diese letzte Arbeit vollenden zu können. Auch für deutsches Recht waren Beiträge seltener, ja oft einziger Art im Vortrage SafaHk's angedeutet.

Die Zeitschrift Kvety meldete in ihrer Nr. 3 im J. 1865. dass die Umelecka beseda d. i. der Künstler- und Literaten-Verein in Prag eine Polyglotten- Ausgabe der K. H. vorbereitCj um das 50jähr. Jubiläum der Handschrift würdig zu begehen (S. 34). Der Pra- ger Lumir brachte Beitr. zum Streite über die Echtheit der K. H. (S. 15), während die wissenschaftliche Zeitschrift Krok das aus- führliche Urteil über Kofinek's Ausgabe durch Dr. Jedlidka brachte.

Gegen Ende des Jahres d. i. am 30. October hielt H. Koma- rek in der kön. böhm. Gesell, -d. W. zu Prag einen Vortrag über die Verfasser und den Sammler der K. H., welcher auch interes- sante Beiträge zur Datirung der Entstehungszeit der einzelnen Ge- dichte brachte (Sitz.-Ber. 1865. 2. Heft S. 40).

Jahr 1806.

In Paris erschien in diesem Jahre eine neue Uibersetzung unserer Handschriften durch Louis Leger u. d. T. Chants heroiques

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et chansons populaires de Sluves de Boheme. Die Beurteilung dieser Schrift siehe in d. Revue criti(|ued'i)i8toire et de Htterature. Paris, 1866. N. 46. 17. Novemher von O. Paris, wek-her zug^leich eine kurze Geschichte der Auffindung- beider Handschriften und der ihr parallel laufenden Fälschungen gibt. Derselbe L. Leger gab im J. 1867 auch den Dalimil in Paris heraus.

In demselben Jahre wurde auch der ^lusealbibliothekar Vr- fdtko für die überreichte photographirte Ausgabe der K. 11. durch den Kaiser von Oesterreich Franz Josef nach dessen Besuche in Prag mit einer goldenen Medaille ausgezeichnet.

Jahr 1807.

Hermenegild Jirecek, der Gründer böhm. slavischer Rechtsge- schichte, gab in seinem Codex juris bohemici (Pragae) auch die Gr. H. als die älteste Quelle bölimischer Rechtsgebräuche heraus, nachdem alle seine früheren jurid. Schriften und Studien Erklärun- gen darüber geliefert hatten.

Am 11. März wurde in der böhm. Ges. d. W. ein Vortrag über die K. H. gehalten, welcher die Fortsetzung war von dem Vortrag über die Gr. H. im J. 1866, 14. Mai, beiden lag der In- halt gegenwärtiger Monographie zu Grunde, teils um auf die bevor- stehende Jubiläumsfeier beider Handschriften aufmerksam zu ma- chen, teils um noch durch Kritik der versammelten Mitglieder der Gesellschaft die letzte Feile au diese Monographie anzulegen.

Endlich forderte Prof Martin Hattala in seinem Werke : de contiguarum consonantium mutatione in Unguis Slavicis (Pragae, 1865, erschien jedoch erst Juni 1867) alle Sla\n8ten auf, etwaigen Bedenken gegen die beiden Handschriften öffentlich Ausdruck zu geben, um den Sieg ihrer Echtheit vor der ganzen "Welt feiern zu können. Auch erschienen zur Feier die D6jiny Kr. Dvora.

23. Aeussere Geschichte und Beschreibung der Kgh.

Handschrift.

In der Mitte des vorigen Jahrhimdertes lebte zu Köuiginhof, das einst wol Chvojnov, dann Bvür genannt, der ehemalige Landsitz der Pfe- mijsliden war, ein alter Kaplan in Pension, der unter anderen alten Bü- chern auch drei Bändchen altböhm. Poesien auf Pergaraen, klein S'^ und nett geschriel}en, immerfort vor sich auf seinem Schreibpulte stehen hatte. Nach seinem Tode wurden dieselben mit seinen andern alten Büchern in das untere Gewölbe des Kirchturmes gebracht, wo man verschiedene Kirchenparamente und Altertümer aufzubewahren pflegte. Dort verbrauchte zwei Bcäudchen Pergamen, der Sage nach, der Kirchendiener zumeist zum Befestigen der Kerzen in den Kirchenleuclitcrn, bis ein geringer Rest des 3. Bändchens hinter einen Schrank verworfen wurde, wo er bis zum

5*

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16. Semptember 1817 sich erhielt, an welchem Tage ihn dort eben V. Hanka (geb. 1791 f 12. Jänner 1861) auffand (Beseda 1863. N. 7.).

Die früheste Nachricht davon gab Hanka öffentlich erst am 1. Feb. 1818 im 2. Teile seiner „Starohyld skladanie" (S. VI. VII.) heraus, indem er dort sagt: „Auch mir gelang es im Herbste zu Königinhof ober- halb der Elbe die schätzbare älteste Handschrift dem Staube und den Motten zu entreissen. Ich werde dieselbe nächstens prächtig (ozdobne) herausgeben. "

Hanka's weitere Behauptung (Nebesky, musejn. 1852. HI. S. 149), auch auf den im Kirchengewölbe aufgefundenen Pfeilen wären Streifen der K. H. als Pfeilflügeln befestigt gewesen, ist gewiss ein lapsus memo- riae, denn einerseits hätte selbst ein Hanka nicht Teile der K. H. ver- schenkt (angeblich an den Fürsten Rud. Kinsky), da er die beiden Strei- fen so sorgsam aufbewahrte, andererseits wären „husitische" Pfeile längst abgeschossen worden und nicht mit ihren Pergamenflügeln neben der K. H. liegen geblieben. Woher sah man es auch den Pfeilen an, dass sie insbesondere Jmsitische^'' Pfeile waren ?

Einige nähere Umstände des in "Wahrheit und Dichtung durch Hanka nicht ganz aufgehellten Fundes machte am 11. April 1818 Linda, der Redakteur der k. k. böhm. privilegirten Zeitung bekannt. Er nennt die Handschrift „12 Pergamenblätter, das Bruchstück (odtrzek) irgend eines Buches, worauf zur grossen Verwunderung böhniisch und zwar mit gros- ser Vorzüglichkeit geschrieben ist (a to velikä vybornost psäna)." „Der Finder, schliesst Linda, gedenkt dies Uiberbleibsel durch den Druck be- kannt zu machen und es mit einer russischen und deutschen Uibersetzung zu versehen. Indess ist er gerne bereit, dies Altertum allen Patrioten zu zeigen, die es zu sehen begierig wären." Die Herausgabe erfolgte auch, nach dem Vorworte zu schliessen, in demselben Jahre am 16, September 1818, also gerade ein Jahr nach der Entdeckung, obschon das Titelblatt der editio princeps die Jahreszahl 1819 mit dem irrigen Titel zeigt: eine Sammlung lyrisch- epischer National- Gesänge. Man hielt nämlich damals und lange noch hin die Poesieen naiv genug für Volkslieder.

Von Notenzeichen, welche wir in der Gr. H. wol aufgefunden hat- ten, ist in der K. H. keine Spur. Der Schrift nach gehören die Reste entweder in das Ende des 13 oder in den Anfang des 14. Jhrh. Es ist dies eine späte Abschrift und Sammlung altböhmischer Poesien verschie- dener Autoren, verschieden in der Altertümlichkeit der Sprache und ver- schieden in der poetischen und natürlichen Weltauftassung. Ein Teil ge- hört noch dem Heidentume, ein anderer Teil aber dem Christentume an, obschon kein Gedicht davon, Avenigstens der Form nach oder nach ein- zelnen Momenten, den Einfluss des Ileidentumes verläugnet.

Als eine ahsichtliche Sammlung und Sichtung von Gedichten kündi- get sie sich schon durch die Rubriken an: z. B. „Pocina sie kapitule Sestmezcietma tfetiech knih o pobiti sasikov" (es beginnt das 26. Kapi- tel der dritten Bücher: von der Miederlage der Sachsen). Gold und far- big verzierte Buchstaben gibt es im Ganzen auf den 12 Octavblättern nur 7, doch kommen im Contexte noch 45 minirte Majuskeln vor, welche

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teils die einzelnen Abschnitte der grösseren Gedichte, teils aber die An- fange der lyrischen Gesänge andenten.

Die Gesänge selbst führen die Aufschrift: pocina sie kapitule osra mezcietma tfietiech knih, o piesniech, es beginnt das 28. Kap. von den Gesängen. Dazu wird aber auch Zbyhon ein episches Gedicht gezählt, so dass unter pieseii, Gesang, wol alles gezählt wurde, wovon eine Me- lodie bekannt war. Doch davon noch unten.

Die Aufeinanderfolge der Gedichte ist folgende: 1. Blatt o vyhndni Polanü. 1. Bl. V. 26. Kap. o pobiti Sasikov. 2. Bl. o velkych bojech Kfestan s Tatary. 5. Bl. v. o vicestvi nad Vlaslavem. 7. B. v. o slav- n6m seddni. 8. Bl. v. o veliUm pobiti Bl. 10. v. 28. Kap. o pimkh, acht Lieder mit dem Anfange eines 9. zakrakocie v hradie vr(äna) ; es krächzte in der Burg (eine Krähe).

Herr Komdrek bestimmte in der philologischen Sitzung der k. b. G. d. W. am 30, Oct. 1865 die Verfassungszeit der Gedichte, wie folgt: Zdboj um 806, Öestmir um 830, Jelen im 9 Jhrh., Oldfich um 1004, Zbyhori zwischen dem 11. und 12. Jhrh., Bene,^, 1203, .faroslav, nach 1261 oder 1264, Ludise 1270 80. Die kleinern, sogenannt lyrischen Gedichte sollen nicht über das 12. Jhrh. reichen, Jaliody, Roze, Skri- vdnek und die Opuscena gehören dem 13. Jhrh. Wenn wir nun auch diese zu concreten Datirungen zu beweisen uns nicht getrauen würden, so ist doch aus ihnen schon ersichtlich, dass in der wirklichen Sammlung diese Poesieen nicht nach ihrer Altertüralichkeit geordnet sind, ja es ist, weil man nicht einmal weiss, ob in den beiden zu Grunde gegangenen Büchern lauter Poesien und nicht etwa auch Prosa vorhanden war, über- haupt das Princip nicht recht aufzufinden, wornach die Sammlung entstund.

Die Orthographie ist in den Fragmenten schon sehr complicirt und ruht bereits auf dem germanisch -latein. Alphabete, da z. B. das w oft ganz unorganisch neben v und u gebraucht wirJ. Die böhmischen Aspi- raten oder späteren Sibillanten werden zumeist durch Buchstabencombina- tionen wiedergegeben, z. B. cz-ö, rs, rz-f, d. i ursprünglich cj, cb, rj oder rb. Sie bleiben jedoch auch öfters ganz unbezeichnct, was auf Ab- schriften aus älteren Manuskripten mit einfachen Alphabeten und nicht auf die Aufnahme aus dem Volkmunde deutet. So sind auch die Laute i und z, die zur Zeit der Abschrift m'oI noch den mildern Ton von S und z (st, zl) gehabt haben mögen, ganz unbezeiclinet geblieben, sohin von s und z schriftlich noch nicht unterschieden. Die manchmal vor- kommende Dopplung des r deutet auf den ehemal geltenden Unterschied eines langen und kurzen Halbvocales r und l Abkürzungen kommen nur selten vor, wie überhaupt in allen alten böhmischen Handschriften und weisen solche diplomatischen Eigentümlichkeiten vor, dass man auch da noch von einer böhmischen Schreib.sc/m/g mit vollem Rechte sprechen muss. Doch war der, zwar genug geübte Schreiber der Handschrift doch kein Schreiber von Profession, wie es die Ungleichheit der Schrift und die mannigfachen Schreibfehler dartun. Die Correcturen mancher Geni- tive und Accusative fallen wie gesagt wol dem Auftinder zur Last. Eine genaue Darlegung der Schreibweise gibt Nebesk^ im Mus. 1852. HL S.

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171 174. Facsimilia gab Hanha in jeder seiner Ausgaben, die besten sind natürlich die photographirten Vrfdtkos. Gut gelungen ist auch die Lithograpliie, welche I. L. Koher in die Kronika präce (5. Heft 1866) einrücken liess.

Ganz getreu und genau ist noch keine Uibersetzung, weder eine slavische noch eine deutsche und wird es wol auch nie werden: einer- seits der innern Schwierigkeiten wegen : altböhmische ganz eigentümliche Gedanken- und Sprachwendmigen in einer modernen Sprache wiederzu- geben, deren Lexicon und Sprachlehre so verschieden von der altböhrai- schen ist: anderseits bezugs älterer Uibersetzungeu auch des äussern Umstandes halber, weil einerseits erst in der neuesten Zeit die vorgerück- ten Sprachstudien und die photographirte Ausgabe neue, bessere Lese- arten an den Tag gebracht haben, andererseits man aber noch vom Vor- urteile abhieng, geverstes oder gar gereimtes sei besser als sogenannte prosaische üibersetzungen.

Offen zu warnen ist jedoch vor der teilweiseu Uibersetzung Julius Feifalik's in seiner polemischen Schrift, nicht so sehr darum, dass er des Slavischen nicht völlig Meister gewesen, sondern seiner ÄbsichtUch- keit halber, die Anmut der böhm. Diction ins geraeine deutsche herab- zuziehen. Er selbst sagt wol : „Ich ziehe dort, wo ich eine Uibfersetzung beizufügen für nötig hatte, prosaische und luörtliche vor (S. 18)." Allein in der Tat gieng er anders vor. Vergleichen wir nur. Der Text sagt z. B. „wo ist meine Mutter, die gute Mutter! junges Gras (trävka) wächst über ihr," um anzudeuten, dass der Schmerz noch frisch, sohin auch tief sei. Feifalik übersetzte jedoch ganz derb : „auf ihr wächst das Gras.'^ Der Text sagt: „Bruder und Schwester hatt' ich nie imd den Jüng- ling (junosu) nahm man mir weg." Fejfalik übersetzt : „den Burscheii haben sie mir genommen." Der Text lässt das Mädchen (deva) dem Geliebten durch die Lerclie einen Gruss überbringen, weil sie kein Brief- chen schreiben könne : Feifalik erklärt dies aber wie folgt : „diese schrei- bende Gänsekiel inhxcw^Q Bauer ndirne des 13. Jhhr. allein würde, denke ich, genügen, die K. H. in den Augen der Klardenkenden zu Grunde zu richten" (S. 21). Deva, Maid, eine so edle Wortform, die man von der Jungfrau Maria gebraucht, und perce, Federchen ist also ,,iüörtlich"' Baicemdirne und Gänsekiel! „Po pi'di vsej z Vesny po Moranu," d. i. auf dem ganzen Wege von der Vesna bis zur Morana, übersetzt Feifalik : ..auf iln-er Wallfahrt von der Vesna nach der Morana," da doch put, Weg, hier Lebensweg bedeutet und derselben indoeuropäischen Wurzel ist, wie das Deutsche Pfad (5. 33). Er verwandelt sohin den heid- nischen Lebensweg von der Geburtsgöttin zur Totengöttin in eine christ- liche „Wallfahrt." „Diva tura" übersetzt F. „wilder Ochs,'- da tur nur llr oder Auerochs bedeutet (S. 53.). „/^m/m/e" d. i. die ge- heiligten oder mythischen Sperber oder Falken in den Hainen verwandelt Feifalik in einfache „Krähen" (S. 39) u, dgl.

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24. Uiber das Wesen und die innere Einrichtung der Königinliofer Sammlung.

Wie die Grünb. H. so ist aucli die K. II. noch Gegenstand fort- gesetzter Studien der Zukunft und erst eine wahre kritische Ausgabe derselben wird alle die Schwierigkeiten aufdecken, welche im Inhalte und der Form der Sammlung liegen.

Dass im äussern Baue der Gedichte oin auffallender Unterschied bestehe ist augenscheinlich, so dass man dieselben von der Stufe völliger Verslosigkeit bis zur Stufe zergliederten Stroplienbaues, und von der Stufe mythischer Altertümlichkeit bis zur Stufe naiver Gemütlichkeit gruppiren kann. Allein tiefer gefasst bleibt auch hier wie bei der Gr. H. die Frage über das Metrum erst der Zukunft zu beantworten übrig, da die Beant- wortung Entscheidungen voraussetzt die keineswegs leicht und schon von der Gegenwart angebahnt sind.

Eine solche Sclmierigkeit bietet die Frage, in welchem Grade der Unv er ander lichkeit die K. H. uns überliefert wurde. Solcher Geistespro- ducte entstehen nämlich und circuliren immer viele, ja verschiedenartige Copien und wir haben doch seitens der ältesten Gedichte darin nur eine sehr späte Abschrift von wer weis wie viel älteren Abschriften. Es scheinen hie und da nicht bloss Worte, sondern ganze Sätze zu fehlen : sind wir jedoch nicht aller Sylben, Worte und Sätze gewiss, dann können wir es auch gewiss nicht in Bezug auf das Metrum sein.

Eine andere solcher schwierigen Fragen ist die, ob das altböhmische denselben Accent und dieselben Längen und Kürzen hatte, wie das neu- böhmische. Die altbulgarische Sprache der Bekehrer hatte sicher auch auf den Accent und die Längen der böhmischen Sprache, sohin auch auf die abschreibenden Christen seinen Einfluss ausgeübt. Wer bürgt dafür, dass Quantität und Qualität der Sylben beim Versemachen bekannt und ob das Versemachen überhaupt den Heiden bekannt war. Wir können das altböhm. Metrum nur höchstens aus einigen kirchlichen Poesien studiren, haben aber durchaus kein Recht, daraus einen Schluss auf vorchristliche Poesien zu tun.

Eine dritte Frage ruht darin, ob in dem Metrum der K. H. noch kein Einfluss griechischer und römischer Studien der letzten Abschreiber wahrzunehmen ist wenn wir auch nicht minutiös so tief gehen wollen, zu fragen, ob zu den Zeiten der Markomannen nicht an einzelnen Punc- ten von Böhmen römische Metrik bekannt gewesen war. Auch die sla- vische Liturgie selbst, so wie das lateinischgermauische Christentum konn- ten wie schon gesagt in den. letzten dreihundert Jahren vor der letzten Abschrift der K. H. auf die Umarbeitung schon vorhandener und die Schaffung neuer böhmischer Gedichte seitens des Metrums vom Einflüsse gewesen sein. Man denke z. B. an das edle Metrum des Liedes : Gos- podi pomiluj ny und an den gar verschiedenartigen Bau der Gedichte der K. H. Die Hymnen der griechisch-katholischen Kirche, wie sie sich in den Prager glagolischen Fragmenten kundtun, sind viel einfacher und

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eines andern Metrums, als die lateinischen oder späteren griechischen Kirchenlieder.

Keime finden sich allerdings und glücklicherweise noch keine dar- in, auch nach unserer innigsten Uiherzeugung keine Stabreime, keine Alliterationen, sohin kein Einfluss germanischer Metrik. Ob es überhaupt ein altslavisches oder ein altböhm. Metrum im Sinne unserer heutigen Sylbenwägung und Sylbenmessuug gegeben, ist wie gesagt unbekannt: da nicht nur Poesie, Lied, sondern sogar auch Sang recht wol mit unge- bundener Rede (in uaserm Sinne) bestehen kann (vgl. über Singen und Sagen von K. Lachmann 1833. Act. Band der Berliner Acad.).

Eine vierte Frage ruht wiederum darin, wie weit im Altböhmiscben der Unterschied zwischen piseii (penii und zpev ("zpeväui) d.i. zwischen Lied und Gesang, blossem Recitativ (Carmen recitare) und wirklicher Melodie (cantare) m das böhmische heidnische Altertum zurückreicht. So ist das „pienie" des Zäboj gewiss nur ein Recitativ, kein förmlicher Ge- sang gewesen, wie schon die Analogie der russinischen Dumy und der serbischen pesrae junacke (Mannslieder, Heldenlieder) erfordert. In der Tat ist auch das Lied (piesii ide z srdce raeho), was Zäboj z. B. in den Worten ,,dva syny" bis ,.byvsie blahost" singt, jedes Metrums bar und doch heisst es eben so gut .,piesü,''' wie die sogenannten lyrischen Gesänge der K. H. nach der Aufschrift; „o piesniech^', die doch wol schon zpevy, zpievanie, cantiones, cantilenae sein sollten.

Durch das Näherrücken der Begriffe Recitativ und Gesang, des Sagens und Singens wird jedoch durchaus nicht die musicalische Beglei tung in Zweifel gezogen, denn auch bei blossem Sagen kann das ohnehin äusserst einfache Instrument, Varyto in der Handschrift genannt, mit- tönen oder nachtönen. Auch konnte der Vortrag stellenweise zur blossen Rede (zum Sagen), stellenweise aber zum erhabenem Singen werden, welchen Wechsel von Diction man eben in den ältesten Liedern der K. H. bemerkt, die bald ruhiger und gemessener, bald feuriger und mass- loser wird, je nachdem es der Inhalt erheischt. Das schliesst oben jedes constante Metrum aus, das hohes und niedriges nivellirt und alles un- poetisch uniformirt. Die echte alte slavische Poesie suchte wol die Schön- heit nicht so sehr in äusserlicher Anordnung der Sylben als in dem Quäle der Diction { Safai^ik-Thun, S. 33. Jirecek: Echtheit §. 43. S. 92. und §.44 S. 94 K Je mehr daher manche Gedichte der K. H. ihrer Form nach an europäische Metra mahnen, desto misstrauischer müssen wir gegen ihre Altertümlichkeit und reine Slavicität sein Wie unförmlich sind auch bis auf den gegenwärtigen Augenblick manche böhm. Volks- lieder und wie herrlich ist doch ihre Melodie, über deren Altertümlich- keit freilich leider keine Belege vorliegen. Lassen wir daher die Me- trumfragp noch der Zukunft anheimgestcllt sein, wie es schon im J. 183G der l'olo r.uc. Siemirfiski bei seiner Uibersetzung der Iv H. (Krakau bei Fricdlein) sagte und Fr. L. Öelakovsk^ durch die Tat bewies, als er in seinem „Maly vybor" nR',]) ,,7Jhoj und Slävoj" ohne alle Zeilen- abteilung abdrucken Hess.

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Dies gilt jedoch auch teilweise von den pisne im engeren Sinne. Wir statuiren da einerseits mit Recht, dass in altslavischer Poesie jede Verszeile ihren abgeschlossenen Sinn (wenigstens relativ) haben müsse, d. h. dass sie ein kleines poetisches Bild gebe : teilen aber deraungeachtet die Zeilen z. B wie folgt ab: ach! ty röze, krAsnä roze na zelena borka z borek vymyteno v zelene borecce, po tichünku v borce za striebrnü uzdu nemütilo srdce. Es ist in einem solchen Ver- fahren offenbar das Bemühen ersichtlich, alles in eine mittelalterliche oder gar moderne Versforra hineinzudrängen, was gewiss vom Uibel ist, da man aus dem eigentümlichen Alten lernen, nicht aber es auf dem Pro- crustesbette martern soll.

Den natürlichen Versfall, den jede Sprache hat, wie z. B. die alt- böhmische Sprache zumeist irochaeisch, die neuböhmische daktylisch, die npudeutsclie jambisch ist, vermengen wir mit den Längen und Kürzen, Hebungen mid Senkungen, die loir allerdings darin hören und gehen über kleine Unreg Imässigkeiten durch gemachte X?<c^ n-Annahmen leichthin hinaus, um nur ein beliebtes Versschema in dem Gedichte wiederzufinden, und das' liebe Altertum in den modernen, kindischen Verszeilena5<et7wn^gw vor uns zu sehen. Dabei bedenken wir gar nicht, in welche Schwierig- keiten wir uns dadiurch hineinversetzen. Denn die Fragen: woher rührt eine so kunstgerechte Metrik her, ist sie den Böhmen angelernt und von wem, oder ist sie ein heimisches Erzeugniss und zwar wieder : noch im Heidentume oder schon in christlichen Zeiten heimisch geworden, sind nicht so leicht zu beantworten, namentlich wenn man sie wie gesagt mit der einfachen Metrik alter christlicher Lieder und Legenden und deren verwahrlostem Zustande in späteren Zeiträumen vergleicht. Ja wenn alle die kleineren Lieder erst in das 13. Jahrh. versetzt werden könnten, wie z, B. „Jaroslav", dann wäre eine gekünstelte Metrik eher begreiflich, aber dann wäre sie auch schwerlich ein heidnisches Product der pevci, pesnotvorci (Safafik, staroz edit. princ S. 194), sondern Nachahmung romanisch deutscher Dichtung, wobei wiederum die Reimlosigkeit nicht recht begreiflich wäre So aber ist z. B. der Jelen offenbar noch heid- nisch und so andere kleinere Lieder gleichfalls, die wir mit Unrecht mit dem gemachten Mäntelchen gekünstelter Metrik umgeben. Und da hat z. B. Safafik vollständig Recht, beim Jelen nur von einem sogenannten orientalischen Rhythmus (Thun, 30). d. h. einer der Innern Gedanken- Symmetrie entsprechenden äussern Wort- und Satzgruppirung zu sprechen. Dieselbe Behauptung gilt jedoch gewiss auch von vielen anderen der klei- neren Gedichte.

Trotz der Kunstmetrik, welche man in die Gedichte der K. H. hineinlegte und dann bewunderte, hört man doch noch hie und da die Behauptung, alle Gedichte der K. H. seien Volh- oder Nationallieder, namentlich aber die kleineren. Das sind sie jedoch gewiss nicht.

Im Zaboj wird z. B. geradezu auf Lumir hingedeutet und Zäboj mit ihm verglichen, obschon das Gedicht ganz objektiv beginnt. So liegt auch dem Öestmir und dem Bene5 troz ihres objectiven Beginnes ein dichtendes künstlerisches Subject zu Grunde, das sich im ^^Jaroslav'" so-

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gar hervordrängt {Zvestnju Vdm povest veleslavnü), ja auch in der „Lu- dise" (Znamenajie stafi, miadi). Die meisten kleineren Lieder sind jedoch zu selir nett ausgeführt und organisch durchgedacht, um sie als blosse Volkslieder gelten zu lassen. Wenn wir sie jedoch auch sämmtlich als Kunstlieder ansehen, so soll dadurch durchaus nicht behauptet werden^ dass sie

1. nicht zu Volksliedern hätten werden können, wenn ihr Inhalt und ihre Form Anklang beim Volke fand,

2. dass in unsere Sammlung der K. H. manche in der Tat nur aus dem Volksmunde aufgenommen wurden, worauf auch die Lückenhaftigkeit mancher deutet,

3. dass die meisten von ihnen im Gegensatze der Kunstpoesieen des christlichromantischen Zeitalters z. B, der Legenden, der Alexandreis nach unserem Kunstgeschmacke wahre echt böJünische (patriotische) Na- turlieder sind. Denn so verschieden auch die einzelnen Gedichte der K. H. sowol in der Erfassung als Durchführung der poetischen Idee sind, so zeichnen sie sich doch durch natürliche Auffassung humaner Momente seitens des Inhaltes eben so aus wie seitens der Form durch schlichte Lieblichkeit und natürliche Einfachheit.

Man vgl. z. B. nm* Dalemil's täppische Ungeschlachtheit selbst mit dem gedi'illten Gedichte: Ludise und dem etwas klagsüchtigen Jaroslav, und man wird vom Hauche natürlicher Anmut angeweht, obgleich die beiden letztgenannten Gedichte die geziertesten der K. H. sind.

Diese Humanität der i&edichte kann aber noch zu anderen Betrach- tungen führen, die sich auf die Einleitung oder Gliederung der K. H. beziehen.

Die kleinern Gedichte nämlich, welche unter der Aufschrift „o piesniech'^ im 28. Kapitel vorkommen, fassen den Menschen als eine Ein- zelnperson zumal in seinem geschlechtlichen Verhältnisse auf, ohne ge- rade Lieheslieder im spätem lüsterneu Sinne zu sein. Sie sind auch nicht reiydyrisch^ sondern zumeist episch oder dramatisch.: indem sich der Gemütsinhalt derselben natürlich an eine Tatsache oder ein Gespräch sohin an einen ohjectiven Inhalt anzulehnen pflegt. Alle Gedichte, welche dem 28. Kapitel vorangehen, fassen jedoch den Menschen als ein Glied der Gesellschaft, als sociale Person auf. Hieraus Hesse sich auch schliessen, dass es in der Sammlung auch eine Abteilung wird gegeben haben, deren Gedichte den Menschen als Erdenbewohner, im Verhältnisse zur sichtba- baren Naturwelt d. i. in heidnischreligiöser Beziehung aufgefasst haben. Das wären Gedichte gewesen, deren Inhalt eine Fülle von Mythen- oder Götter sag eng eschichie gewes-en wäre, und welche in den beiden ersten Büchern hinreichend Raum gehabt hätten.

Würde man sich zu dieser Ansicht bequemen können, dann könnte man das erste Buch sich erfüllt denken mit Theogonien oder, populärer gesprochen, mit Mi/then im engereu Sinne oder mit Märchen das ziveiie Buch mit der (mythischen) Sagengeschichte des böhmischen Volkes, wie dies Libu^in süd ist. Siehe die Sitzungsberichte d. köu. bühm. G. d. W. v. 9. Oct. 1865. Ueber das Wesen und den Ursprung der slav. Mythologie. Das drüte

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Buch mag in 27. Kapiteln die historischen Begebenheiten zumeist des politisch-socialen Lebens der Böhmen, vom 28. Kapitel an aber Bege- benheiten des Privatlebens politisch aufgefasst enthalten haben. Wäre dem so, dann hätten wir keine willkürlich entstandene Sammlung von Poesien vor uns, sondern ein Ganzes, das nach einem tief und wol durchdachten Plane gegliedert, das poetische Echo der höhmischen Vorzeit gewesen wäre, weil es vom eigentlichen Mythus beginnend durch die Geschichte bis ins Privatleben eingedrungen wäre. Daraus wäre dann ersichtlich, dass

1. die von Hanka eingeführte, noch immer giltige Sitte, die histo- rischen Poesien nach den Namen der darin handehiden Personen zu benennen, z. B. Benes Hefmanov, Jaroslav, im Grunde nur eine Unsitte sei, da es sich darin um politische Taten handelt, wobei der Einzelne nicht als Person sondern als Moment des politischen Ganzen erscheint. Darin hatte also der alte Sammler mehr Tact bewiesen, als wir, da wir uns mit Persönlichkeiten vordrängen, wo sie nicht am Orte sind, z. B. Ludise und Lubor, weil es sich da um Schilderung des altertümlichen, feierlichen Zweikampfes: ,^0 slavnSm siedanie'''' oder „o potky a siedanie''' handelt und das Verhältniss Lubor s zur Ludise nur am Ende als Knospe hervorblüht. Wo die Nennung der Persönlichkeit nottat, da finden wir sie auch schon in der alten Ueberschrift z. B. „ovicestvie nad Vlaslavem.'"''

2. dass auch die „piesnie,'' wie bereits angedeutet wurde, nicht als blos lyrische, oder gar romantische Gedichte aufzufassen seien, indem hinter oder mit den Persönlichkeiten derselben zumeist ernste Privatver- hältuisse geschildert werden. Wir befinden mis in ihnen stäts m der wirk- lichen und in keiner zauberhaft verklärten Welt, wenn auch manche einen mythischen Hintergrund haben können, der es wieder erklären würde , dass unter den Liedern anderer Slavenstämme so viele Analogien dersel- ben sich vorfinden (Jirecek, Echtheit. S. 53 55. 63 66.]. Denn auch dem Mythus liegt ja nur das allgemeine Verhältniss des Menschen (hier als Privatperson) zur Natur zu Grunde. Daraus ist auch erklärlich, dass in den Liedern (piesnie) ebenfalls das national böhmische Bewnsstseiu des Hasses gegen die unterdrückenden Fremden und zwar namentlich der Deutschenhass schwindet, wärend die rein menschhche Persönlichkeit hervortrit, allerdings in speciell böhmischen Verhältnissen (z. B. ach ! vy lesy Miletinsti !), wie dies jedes concreto Kunstwerk fordert.

3. Wenn Safaink die Kytice und Jirecek die Zezulice ein Hoch- zeitslied nennt, so ist zu bedenken, ob nicht alle „piesnie'* des 28. Kap. Pisne svatebni d. i. Braut- und Hochzeitslieder gewesen sind. Alle besingen nämlich, wie gesagt, einzelne Beziehmigen der Geschlechtsver- hältnisse, von welchen wir nicht aburteilen können, ob sie nicht zu den einzelnen Momenten altböhmischer Hochzeitsgebräuche passten. War z. B. der Scheinkampf und die Scheinentführung der Braut ein Hoch- zeitsmoment, wie es in der Tat noch alte Sitten nachweisen, dann ist Zbyhoh ein Gegenbild der hochzeitlichen Entführung, der .Jelen (Hirsch) ein Gegenbild des Kampfes um die Braut, wobei natürlich der Bräuti- gam siegen musste. Wer weis, ob dem Bräutigam und der Braut nicht zur Folie ihres Glückes halbironisch Gegenbilder vorgehalten wurden,

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wie es z. B. in der Zarmoucnd (Betrübte) geschieht, worin besonders die Ansprache an eine Menge (Versammlung?) auffällt („a rieknete, dobfi ludie'^). Die Jahody (Erdbeeren) könnten an die Brautmutter ge- richtet sein, welche ihr Kind frohsinuig dem Bräutigam übergibt, wärend die Mutter im Liede ihr Kind vor den Jünglingen warnt. Man unterlege der Kytice (Sträusschen) in der Zmiltka eine Braut und man wird die naive Schalkheit fühlen, die in den Worten liegt: Dem gäbe ich mein Kränzchen vom Kopfe.

Waren aber die Lieder des 28. Kapitels Braut- und Hochzeits- lieder, so konnte ein 29. Kapitel Familienlieder, z. B. Kinder, Postfiäiny- lieder, ein 30. 31. 32 ... . ntes Kapitel Totenlieder udgl. Gesänge enthalten haben, die man öffentlich bei den Zusammenkünften in den Rajhrady sang (Safafik Thun. 32). Aus allem dem könnte man aber auch schliessen, dass selbst diese „piesnie" mehr heidnisches enthalten, als man gewöhnlich dafür hält. Das gibt uns nun Gelegenheit, das Heid- nische der K. H. näher zu berühren.

25. Heidnisches und Christliches in der K. H.

Es kann kein Zweifel darüber vorwalten, dass die Reste der K. H., wie wir sie vor uns haben, entweder am Ende des 13. oder im Anfange des 14. Jh. geschrieben sind. Genauer irgend ein Jahrzehend anzugeben, worin die Abschrift vollbracht wurde, dünkt uns unsicher und unnötig zu sein, da es mit der böhmischen Palaeographie noch durchaus nicht so sicher steht, dass mau mit Sicherheit Jahrzehende bestimmen könnte. Dass auch das Original, woraus abgeschrieben wurde, bereits christlich germanischen Zeiten angehörte, ist schon, wie gezeigt, aus der Ortho- graphie und den Uiberschriften ersichtlich. Diese enthalten nämlich das latein. Wort „kapitule^'' als Abteilungswort, auch der Eingang: „poöina sie" ist nur die Üibersetzung des lateinisch üblichen: incipit, oder des deutschen: „/ae hebet an." Die deutsche Wortform heim, helmice, statt des slavischen slemx, weisst entweder auf die germanischen Ritterzeiten des Sammlers oder Abschreibers hin, oder es rührt noch aus den Mai'- komanenzeiten als ein übriggebliebenes Fremdwort her, da auch schon im althochdeutschen die Form heim (goth, hilms) gebräuchlich war.

Das Wort tvrdost, die Feste, muss jedoch keine blosse Uebersetzung des lateinischen firmamentum sein, sondern kann entweder aus dem Heiden- tum selbst herrühren, da allen Heiden der sichtbare Himmel ein Gewölbe oder eine Feste zu sein schien, wie z. B. bei den Griechen die Gestirne am oupavoi; sogar befestigt waren : oder aber es ist eui Rest der slavi- schen Bibelübersetzung, da es in der russischen Kirchensprache tvrdh lautet. Diese wenigen, zum Teile nur gemutraassten Fremdwörter der Handschrift sind FCrscheinungen nur späterer Abschriften, späterer Re- dactioncn, deren es viele gegeben haben muss: der Kern der Gedichte und die ganze Tendenz der Sammlung zeigen ein rm6ö7tmiWi6s na^ionaZ-

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gefärbtes heidnisches Gemüt. Selbst das Gedicht: „o velikych bojech hfesfan s Tctary'-^ oder der Jaroslav zeigt mehr Hass gegen die Tata- ren als Unterdrtlcker slavischer Nationen, denn als Verwüster christlicher Länder: die verächtlichen Ausdrücke ^Jcfestensti lucU zabili,'"'' christliche Leute töteten sie, sind eben nicht christenfreundlich gesagt, das Gebet am Hosty^n wird ganz objectiv erfasst, ja es kommen sogar Anklage an heidnische Momente vor. Denn auch die Heiden glaubten an eine Mäti hozia e'ne Göttermutter, welche Wunder wirkte, die Christen am Hostj^n versprachen Gott (o ! Hospodine!) fast auf heidnische Art eine ^Jilaso- nosnd obef,^^ hostia vociferationis (Psalm. XXVL 6), wenn er helfe, zu bringen (vzdamy, imolabimus), und das ganze Wunder besteht in einer Naturerscheinung, nämlich in einem 'E.oc\\%omm&Y- Geioitter\ Auf die hlasonosnd obef vergisst dann das Gedicht ganz, vielleicht weil sie nur Psalmgebet war. Psalmen waren unter allen Bibelteilen zuerst und zu- meist unter den ersten Christen verbreitet. Da ist also von einer wahrhaft christlichen Innigkeit keine Rede: auch ein Heide könnte so über leibliche Lebensgefahr von und über Christen berichten. Nun meinen wir allerdings nicht, dass im J. 1241 in Böhmen noch Heiden gewesen wären, wol aber, dass an gar vielen Orten das Christentum nur äusserlich an- genommen worden war, dass der altnationale böhmische Geist das ni- vellirende Christentum, das dazu noch im deutschen Gewände heran kam, nicht freudig begrüsste, dass es sohin getaufte Heiden auch im 13. Jh. in Böhmen genug gegeben haben mag.

Diese dürfen wir uns allerdings wol nicht im Centrum des Landes, in und um Prag denken, eben weil da sowol der königliche als auch der bischöfliche Hof den christlich germanischen Geist förderte. Der Sammler der K. H. kannte aber auch Prag gar nicht, wie es das Gedicht: j,o pobitie Polanöv"' ganz deutlich zeigt, da es die Stadt Prag (subur- blum) mit der Burg Prag (castrum, castellum, Hradcany), den Fluss, welcher die Burg im Burggraben vom Pohofelec abschloss, mit dem Moldaustrom und sohin auch die Schlossbrücke mit der Moldaubrücke gründlich verwechselte, was doch stark genug ist wie jeder bezeugen wird, der Prag gesehen. Beiläufig fragen wir hier die Fälschungsgläubi- gen, ob denn bei solchen und ähnlichen Mängeln der K. H. ein Impostor sich so benommen hätte?

Aber die Peripherie Böhmens atmete einen ganz andern Geist als das Centrum, die Peripherie hielt noch am Nationalen und Altertümlichen fest, als das Centrum schon entnationalisirt und modernisirt war. Dies gilt zumeist von dem Jiordöstlichen Böhmen, wo schon die ungeheueren Waldstrecken Heimisches pflegen Hessen imd es vor Fremden schützten. Und in der Tat gedenken die Gedichte der lieblichen Gegenden Nord- böhmens im einzelnen, sie erwähnen der Sommer und Winter grünen Miletiner Wälder, sie kennen die Trosky, die Hrubd Skala sehr gut nicht aber die entfernten Gegenden, eben so wie gegen Prag, so auch gegen Olmüz zu: sie verlegen z. B. den Berg Hostj^n nahe zu an Olmüz, bezeichnen ihn als nicht hoch, vermengen die Enkelin des russi- schen Fürsten Michal Väevladovic, die vor den Tartaren durch Schlesien

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floh, mit emer Tochter des Tataren-Chans selbst. Die Nähe wird wahr und concret geschildert, die Ferne irrig und matt. Dort im nordöstlichen Böhmen entstand die Sammlung, dort wurde sie auch gefunden.

Von diesem nordöstlichen Puncte aus muss wol auch der Ausdruck : knez Zalahsk^ im Gedichte: o slavnem sedäni beurteilt werden: ein Fürst jenseits oder hinter der Elbe (Labe), wobei gewiss nicht die Elbe innerhalb Böhmen gemeint ist. Denn auch dies Gedicht kargt mit der topograi'hischen Beschreibung, es spricht so unbestimmt von Herren ferner Länder, ferner Heimat (z dalnych zemi, z dalnj'ch vlasti), es nennt den Adel bald pdni, bald starosty, bald zemanS^ was vom böhmischen Adel fast unmöglich gewesen wäre, da man ihn i^äher bestimmt haben müsste. Auch da scheint also eine Entfernmig gegen den Nordwest, nämlich zu nördlicheren, ausser Böhmen liegenden Elbeländern hin die sonderbare Fremdheit und Unbestimmtheit des Gedichtes hervorgebracht zu haben, bis zu welchen Ländern hin z. B. über Meissen, Thüringen, die böh- mische, oder doch eine nahverwante slavische Sprache reichte.

Aber gerade dieser Unterschied in der concreten Auffassung der Gedichte nach den topograijhischen Verschiedenheiten zeigt ihren concen- trischen heimischen Ursprung, weist aber auch auf verschiedene Ver- fasser hin, wenn auch der Sammler nur eine Person an einem bestimm- ten Orte (wahrscheinlich Chvojnov-Dvür-Kralove, Nebesky, musejn. 1852. H. Jirecek, Slov. Nov. 1856. N. 106. Svetozor S. 71. Komdrek: aforismy rukopisu Krälodvor. v Pamatkäch. 1867. 13. rocnik. sv. 1.) ge- wesen sein mag, obschon auch da die Ansicht von einer allmäligen An- sammlung der Dichtungen durch Mehrere die natürlichere wäre. Diese verschiedenen Dichter und Sammler wurden dadurch zu geistig einigen und sich gleichsam fortsetzenden Persönlichkeiten, dass sie eben der altnationale höhmische Geist, der eben so dem Deutschtum als dem Christentum abhold war, zusammenhielt. Je mehr die Kirche solchen Ge- dichten ganze Lefiendencyklen imd ascetische Gedichte, der königliche Hof aber die schulmässigen, abenteuernden und ülfmwe-lieder entgegen- stellte: desto mehr mögen Patrioten auf die Erhaltung^ Verbreitung und Sammlung ihrer alten, heimischen Gedichte gedacht haben, desto mehr mögen ihre Sänger und Schreiber von nationaler Seite geehrt worden sein (Jirecek, Echtheit. S. 99.). Männer, wie Zdvise von Rosen- berg, können sohin weder Sammler noch Dichter solcher Gesänge ge- wesen sein, welche viel weiter und tiefer reichen und gänzlich der schul- mässigen Bildung des 13. Jh. ferne stehen (Safai-ik-Thun, S. 16. J. Feifalik: Sitzung der bist. stat. Scction am 25. Juni 1858 in Brün). Solche jimdckS und zenske pisne der Gr. und K. H. sind der Schoa- nengesang des alten, heidnischen Böhmens, sie sind Geistes-Reste aus dem Heidentume, die meisten auch direct daraus rührend, indirect aber alle. Die Gränzc beider strenge anzugeben, ist wol unmöglich. Das Metrum allein darüber entscheiden zu lassen geht offenbar nicht an. Denn in der Gr. H. will man z. B. ein Metrum gefunden haben, ohne dass es dem Heidnischen daiün Abbruch täte, warum sollte dies auch nicht bei Zhy- hon der Fall sein, wenn man auf den Geist des Gedichtes, die freie

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Sinnlichkeit preisend, sieht. Wie viel dhristliches findet man denn in den kleineren Liedern ? Das künstlichere Metrum, wenn ja eines wirk- lich darin ist, könnte nur für eine spätere kunstgeübte Hand bei der letzten Umarheiiung sprechen. Reimen sich sogar oft offenbar heidnische Sprüche z. B. proti Mofene, neni kofenc, durch die Umformung nämlich späterer Tage. In solchen Fragen kann nie die veränderliche äussere Form, sondern nur der Inhalt, der Geist entscheidend sein. So ist z. B. seitens der Tüchtigkeit des Styles, seitens der Uibereinstimmung in ein- zelnen poetischen Tropen wol eine Analogie zwischen den Gedichten der K. H. und der geversten Alexandreis, so wie zwischen manchen Legen- den herzustellen (äafafik, musejn. 1847. I, 339. Nebesky musejn. 1852. EL 159), der Gedankengang aber, der Geist gehört schon einer ganz andern Welt an, einer Welt, welcher das Jenseits erst die wahre Welt ist, während in allen Gesängen der K. H. die Natürlichkeit und indivi- duelle Humanität im Diesseits gepriesen wird (Dambeck-Kopitar : Vaterl. Blätter, 1819. Wien. Chronik. S. 34). Vergleiche auch die nachfolgende Anmerkung. Dieses allein verführte Dobroiski) (G. d. b. Liter. 1818. 385 390) zu der Behauptung, dass „der Ton des nationalen Volkslie- des in ihnen nicht zu verkennen sei," was wiederum Spätere zu der noch irrigeren Behauptung : es seien dies Volkslieder, verleitete.

Wir wollen nun hier die einzelnen Lieder der Handschrift analy- sirend dem Leser vorführen und zwar nach dem von uns vermuteten Alter derselben manchmal wörtlich übersetzend, manchmal nur contrahirend.

Anmerkung. Wenn wir im obigen hie und da gegen die Verse auf- traten, so geschah das nur seitens der extremen Richtung, die kein Gedicht ohne Verse (und Reime) sich denken kann oder will. Wir sind nämlich über- zeugt, dass auch in sehr alten Zeiten in Böhmen und den anderen dazu gehö- renden Ländern fleissig Verse gemacht wurden, ja dass man auch Reime, wo man nur konnte, anbrachte. Haben wir doch, auch abgesehen vom Dalimil und den -4Zecca?^cZ?'el's-Fragmenten, sowie selbst der Anzahl gereimter Legen- den, selbst von einem altertümlichen Gedichtfragmente Bericht erstattet (Sitz. Ber. d. kön. böhm. G. d. W. 3. Februar 1862), das nach den aufeinander fol- genden Worten: spevati (zpgvati), tcitati (vitati), snati (znäti), picati (py- kati) zu schliessen, nicht sehr zart gereimt war. Es wurde an einer Incunabel, die einst in der Bibliothek des letzten Rosenbergers war, aufgefunden (Fr. Pfeifers : Germania, Wien, 1863. S. 187.) und ist unter anderen auch darum interessant, weil es an einem Fragmente der Nibelungen geschrieben vorge- funden wurde. Es hat nun in der Prager Univ. Bibliothek die Signatur 17. J. 17. Nro. 3. Doch da es im Leime lag, litt es bei der obschon sehr sorg- fältig vorgenommenen Lösung so, dass kaum der dritte Teil lesbar ist. Es sind des Fragmentes Schriftzüge noch viel altertümlicher, als die der K. H. Es ist in einem slavischen Dialecte verfasst, der manches unböhmische hat z. B. die Formen heu, (chcu, chci) sicaki narod, duorzwo und kann sohin denjenigen zum Belege dienen, die da mit Recht von verschiedenen Stämmen in Böhmen und Mähren sprechen. Da es sich an einer abgeschabten Seite eines iVü6e/Mw</ere-Fragmentes erhalten hat und zwar gerade des Anfangs der Nibelungen, so meinte Fr. Pfeifer, es sei ein Versuch der Uibersetzung der Nibelungen, was jedoch sowol zu behaupten als zu läugnen schwer hält, da eben fast kein Satz mit Sicherheit festgestellt werden kann. Der Beginn: Höret zu, ich will euch wunderbares singen oder: höret zu, ich hab' euch wunderbares zu singen, lauten allerdings wie der Beginn eines epischen Lie- des. Aber die ganze Natur des Liedes ist schon gekünstelt angelegt und

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die Reime drängen sich zu sehr hervor: als dass es im entferntesten mit ei- nem Liede der Königinhofer Handschrift verglichen werden könnte. Es ist mit Ausnahme des Anfangs- P (Posluchajte) in zwei Langzeilen ohne Inter- punctation geschrieben, mit einer wahren Perlschrift, die eine sehr geübte Hand verrät. Ob sohin gerade Böhmen das Vaterland des Liedes ist, muss dfihin gestellt bleiber, wenn auch manche der sonderbaren Formen in anderen böhmischen Handschriften sich vorfinden, z. B. in den Offenbarungen der h. Brigitta im Manuscripte 17. E. 8. N. 18. fol. 133 „a na v§aku hodinu myslila sem". In der Handschrift 17. F. 1. d. i. in den Stitny'schen Offenbarurgen der h. Brigitta, fol. 7. v. ..jesto mie mas na vSak den ku obieti na oltäfi." Dvorzvo kann verschrieben für dvorstvo sein.

26. „O velik^m pobiti", Zäboj und Slävoj (oder von der g:rossen siegreichen Schlacht).

Dies Gedicht ist in unserer Sammlung eine Art Anhang der histo- rischen Lieder, da es den Hochzeitsliedern unmittelbar vorangeht. Da es nun das älteste der Zeit der Entstehung nach zu sein scheint (Komärek versetzt den Ursprung gegen das Jahr 806), so mag es zu einer frühern, schon abgeschlossenen Sammlung aus einer andern Sammlung lierüberge- Dommen worden sein. Es besteht aus folgenden Abteilungen.

Erstes Bild.

Der starke Zäboj betrachtet von einem hohen Waldfelsen ringsum die Gegenden seiner unglücklichen Heimat (krajiny, hier wahrscheinlich nur Natnrgegenden, nicht ^upengebiete). Nach langer wehmutsvoller ' etrachtung aller dieser Gegenden eilt er durch die Wälder zu all den Mannen, die sich darin bergen und sammt ihren Schutzgöttern (bozi) darin als in einem noch nicht von den Feinden eroberten Teile der Heimat (po vsickej vlasti) weilten. Er spricht nur weniges und dies im Stillen zu ihnen, weil wol der Hanptentschluss längst gefasst war, neigt sich vor lien Göttern, um wieder weiter zu eilen. Seine Worte betrafen eine geheime Zusammenkunft in der Nacht des dritten Tages beim Mondscheine im Waldesdunkel.

Zweites Bild.

Zäboj führt die nächtlich Versammelten in ein tiefes Tal und zu Unterst stehend singt er „den Männern von Bruderherzen und funkelnden Augen," den innig Verbündeten und Feurigen bei Begleitung des Varyto einen Gesang, w^orin die trübe Lage des Vaterlandes und sein trauerndes Gemüt dargelegt wird. Es starb uns, sagte er, der Vater, er hinterlicss seine Kinder (Penaten?) und die Frauen (Inbicc) ohne einen Nachfolger zu bestimmen, der mit Vaterworten za ihnen gesprochen hätte. Da drang der Fremde (cuzi)

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(der Deutsche) mit Gewalt ins Land und mit fremden (deutschen) Worten gebietet er über Familiensitten und über den Götterglau- ben. Nur ein Weib sollen wir durch unser ganzen Leben haben, wenn wir von der Vesna zur Morana wandern, aus den Hainen vertrieb er alle Sperber (krahuje), fremden Göttern sollen wir uns neigen, ihnen opfern: dort, wo wir uns vor unseren Göttern bis zur Erde beugten (se hiti v celo pfed bohy), wo wir ihnen Speise hin- legten und laut zu ihnen saugen, dort fällten sie die (heiligen) Bäume und zertrümmerten die Götterbilder.

Anmerlcung. Nicht etwa romantisches Waldesdnnkel war der Grund der Waldverehrung, sondern die Wälder galten als mythische Metamorphosen der Wolken, hinter denen sich die Götter zu bergen pflegten : eben so waren die Sperber bei den Böhmen dieselbe Blitzmetaraorphose gewesen, wie der picusdes Lateiners überhaupt und der Adler des Zeus insbesondere. Der mythische Gedankengang versetzt nämlich die Bilder der Gegenstände des Unten auf die Erscheinungen des Oben, nennt z. B. die dichten Wolken Wäl- der oder Berge, was eigentlich im Altertum dasselbe war (hory = bewaldete Berge), sah aber wiederum in den Bergwäldem des Unten seine Wolkenberge des Oben, und wie er in den Wolken die zerreissenden Blitze in Gestalt von reissenden Vögeln sich dachte, pflegte er in den Bergwäldern in heiliger Scheue die Sperber (Vgl. Wesen und Ursprung der slavischen Mythologie in den Sitzungsberichten, Ibßö 9. October. 1866. Prag).

Drilles Bild.

Ein zweiter Atiführer, Slavoj, äussert nun den Eindruck des ebengesungenen Liedes im Namen aller durch die Worte : Ja, Zäboj ! du bist ein Göttersänger, wie es einst Lumir war, wel- cher durch Spruch und Sang Vysegrad und dessen Gebiet be- wegte. Als Zäboj die feurig erregten Blicke des zweiten Führers verstand, fuhr er im Gesänge fort: Wir beide sind die zwei Söhne des dahingeschiedenen Vaters, noch jung übten wir uns mit Schwert, Hammer (mlat) und Speer heimlich in den Wäldern: doch als unsere Arme männlich wurden, und eingeübt (umy) gegen die mörderischen Feinde und auch die anderen Brüder nachgewachsen waren, da brachen wir gegen die Feinde los und unsere Wut war die des wetternden Himmels. Das Wol kehrte in unsere Erb- güter zurück. Als auf diese Weise Alle im Gesänge Zäboj's die Gegenwart und Zukunft vorgebildet hörten: eilten alle erregt zu Zäboj hinab: die Hände gehen von Brust zu Brust und mit klugen Worten wird die dritte Nacht zum Aufbruche gegen den Feind bestimmt.

Doch die Nacht wich schon dem Morgen, alles eilt sohin aus dem tiefen Tale gegen die Bäume der Höhen und verliert sich durch den Wald nach allen Seiten.

Anmerkung. Nirgend ist so deutlich, wie in diesen Stellen, das Ge- fühl der slavischen Autochthonenschaft der Böhmen in der Peripherie Böhmens ausgesprochen, wärend die Gr.^H. der Einwanderung mancher Stämme, na- mentlich des Centrums der Cechen mit deren Heiligtümern ausdrücklich gedenkt.

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Anmerkung. 2. Es ist die Frage, ob auch nicht in dem zweiten Bilde dieses Gesanges, wie im Dalemil, statt „dietky'* Kinder, gelesen werden sollte „ostavi f//erf/v7/, Penaten, svoieisvoie lubice'-, ferner „tako so zdieti died- Icom (für dietkam) i zenam": denn es ist wahrlich sonderbar, dass im Ge- sänge die Kinder vorangehen sollten den Müttern, auch greift der erobernde Fremde tatsächlich nur die Gebräuche seitens der Götter, Penaten, diedky, und der Weiber an: in der detaillirten Klage ist auch ferner von den im Altei turne ohnehin stets untergeordneten Kindern keine Rede mehr. Der Ausdruck: mluvi k nira oteckymi slovy, wäre dann gleich bedeutend mit dem Ausdrucke: „otcik k nim hläsat chodivase." „Bozi'^ Götter und „Z)ie<:^- Ä:?/," Penaten wären hier synonym gebraucht, wodurch es eben erklärlich würde, däss der Hausvater ihnen in der Dämmerung Speise reichte, was wohl bei Penaten, nicht aber bei wahren Göttern zu geschehen pflegte, denen man wol opferte, die man jedoch nicht /w^^e;'^e, wie das allerdings bei den verstorbenen Vorältern, den Diedky zu geschehen pflegte. Man vgl. das Verbot des alten Poenitendale (12 Jh. Sign. 3 F. 6.) „teuflische (d. h. heidnische) Lieder zur Nachtszeit über den Toten abzusingen" mit dem „chodivase hldsat' er pflegte die Penaten laut zu rufen. Der Ausdruck der K. H. : ,, otcik zajde k otcem" das Väterchen gieng hjim zu den Vätern, ist sohin gleich dem Ausdruke der Gr- H. „i umre-li glava celedina', stirbt das Haupt der Familieneinheit.

Anmerkung 3. Die Erwähnung der Sängers Lumtr (wol verkürzt für Lubomir oder Lutomfr) in poetischer und politischer Beziehung zum Vyse- hrad ist nicht nur eines der Zeichen, dass unser Gedieht selbst eine bestimmte historische Begebenheit besingt, sondern auch ein Beweis, wie viele Vyse- grad-Sagen für uns verloren gegangen sein mögen. Die Erwähnung des „Vysehrad i vsie vlasti,'^ soll jedoch nicht als ein Beweis angesehen wer- den, dass auch im Zäboj das mittlere Böhmen gemeint sei, sondern gerade umgekehrt, dass der Pfemyslidensänger des fernen Krokidensängers gedachte und zwiir in so uralter Zeit,- in welcher wol Vysehrad die gemeinsame Cul- tusstätte, aber noch nicht die politische Centralstätte von Böhmen war, was wol Frag wurde, das allerdings als Znpenburg auch Heiligtümer in sich fassen musste, wie denn im Böhmischen der lateinische Name der Burg, ca- stellum in den Begriff Kirche, kostel übergieng.

Der sonderbare Ausdruck im fi5. v. „pfichäzese noc pfied iutro" sollte vielleicht der Leseart weichen: pfie hazi sie pHed iutro, eben so wie es im Ja- roslav V. 140. 141. heisst: noc rozvali sie k zemi" oder noch besser im Ja- romir und Oldfich : „noc sie pfevali sie pfes pölnoci, pokroci siekiatru sedosern" (v. 13. 14.): da noc, die Nacht, hier nicht der abstracte Begriff der Zeit ist, sondern der concrete Begriff des Nacht-Dunkels, so wie iu-tro (Diu-tro) ur- sprüglich der Licht-Bringer ist.

Viertes Bild.

Die Verbündeten versammeln sich in zwei Heeresabteilun- gen im dunklen Walde unter Zäboj und Slavoj's Anführung-, treu denselben ergeben und voll Hass gagen den König (kräl), sowie scharf bewaffnet. Zäboj gibt den Rat auf verschiedenen Wegen gegen den „blauen Berg" hinzuziehen, da dort das Haupt der Schlange sei, die zertreten werden solle, während der rasche Slavoj zum so- gleichen Angreifen drängt. Docb wird der klügere Rat Zäboj's befolgt. Nach fünf Tagen sind beide mit ihren Heeren beim blauen Berge, dort vereinigen sie sich und erscbeinen mit besonnenem Antlize so gewendet vor den Königsheeren, dass deren Anführer Ludek genötigt wird, seine Heere auf einen Punct zusammenzu- ziehen. Damit dies so rasch als möglich geschehe, lässt Zäboj

dem Anführer die Verhöhnung zurufen : Aj ! Ludek, du bist ein Knecht von des Königes Knechten, sage nur deinem Wüteriche, dass seine Befehle uns nur Rauch sind. Ludek vor Zorn entbrannt ruft in der Tat seine Heere gleich zusammen: vom Sonnen- und vom Waffen-GIauze wird die ganze Gegend erhellt. Die Königs- heere stehen in Schlachtordnung, den Fuss zum Schritt, die Hand zum Waffengebrauche bereit.

Anmerkung. Die Handschrift hatte ursprünglich v. 77 krala (kralja) oder kralle, das a oder ie erscheint nun ausradirt, wol durch Hanka, um den Accusativ nach alter ? Art dem Nominative gleich zu machen, ein töricht Beginnen, da ursprünglich jede Endung ihr eigenes Suffix hatte und der Ge- nitiv doch um nichts schlechter ist als der Nominativ. Die Führer nennen sich gegenseitig Bruder, trotz dem dass Zäboj der eigentliche Oberanführer ist, welchem Slavoj sich fügt, was etwas gezwungen durch das Verhältniss des pobratimstvo gedeutet wird. Das Wor(; kräl wurde als Metathesis des Eigennamens Carolas (magnus) gedeutet, auch das Gedicht fast schon deshalb in den Anfang des 9. Jh. versetzt. In der Apologie der böhm. Geschichte (1863 S. 48) findet nämlich Tomek, dass die geschilderten Begebenheiten in keinen andern Zeitraum mit solcher Wahrscheinlichkeit gesetzt werden können als in die nächsten Jahre nach dem Feldzuge Pipins im J. 797. Tomek, scheint das Gedicht jedoch früher hin mit Recht in eine höhere Zeit hinaufgerückt zu haben und zwar zwischen die J. 728-748 (Abhandl. VII. B. S. 45. 46). Dass Karolus und Kräl etymologisch dasselbe Wort sind, als veraltete par- ticipia praeteriti activi, den Geritzt- oder Gewült- oder den Geschlagen-haben- den, den siegreichen, den Sieger bedeutend, daran ist wol kein Zweifel, allein die Würze! kar ist ja indoenropaeisch, (litauisch karälius, altslav., also von den Deutschen fern: kralb, magyarisch, von den Slaven entlehnt, kiraly). Kräl ist sohin ein selbständig slavisches Wort. Ein anderes Participium, aber praet. passivi und zwar derselben Wurzel ist krat in dva-Zcra^ u. d. gl., dessen Bedeutung man im Vergleiche des polnischen dva-razy leicht ersieht Dass Kräl die obige Bedeutung habe, zeigt auch der Name kral-ik der kleine Wühler, das Kaninchen, den man doch nicht mit Carolus Magnus in Bezie- hung wird setzen wollen. Im Gedichte kömmt das Wort Kräl auch nur als appellativum im Gegensatze zum Vojevoden vor: jedermann war Freund des Vojevoden und Feind des Kräl als appellativum zeigt es auch die Con-

struction „z krdlevych vojev" (v. 110). Pet sliinci, fünf Sonnen stat

fünf Tage, sohin slunce noch in der Urbedeutung: leuchtend.

Fünftes Bild.

Zäboj bricht stürmend geradezu gegen den Feind los, wärend Slavoj denselben von der Seite angreift. „Ihr Brüder (bratfie!)'' ruft Zäboj zu den Seinen, „diese da sind es, die uns die Götter- bilder brachen, sie sind es. die unsere Bäume fällten und die Sperber aus den Hainen trieben.'' Allen ihren Mannen voran treffen Ludek und Zäboj zusammen. Ludek hieb mit seinem starken Schwerte gegen Zäboj, drei Häute des auffangenden Schildes zer- sprangen; Zäboj warf aber seinen Hammer (mlat) gegen Ludek, doch da Ludek behende zur Seite sprang, so traf der Hammer einen Baum, dieser fiel zu Boden und riss dreissig Feinde zu den Vätern. Das machte Ludek noch unbändiger, so dass er Zäboj zu rief: 0 du Vertierter (zhovadily), du grosses Schlangenunge- türa, mit dem Schwerte kämpfe gegen mich. Dieser Schwertkarapf

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beginnt, allein auch die Heere kämpfen schon, da bereits ebenfalls Slavoj die Schlacht begann. Es dunkelte bereits, alles war schon bluto'etüncht, doch der Kampf noch nicht entschieden. Da ruft nun Zäboj dem Ludek zu: „Du Mörder! Bcs soll dich schlagen! Warum trinkst du unser Blut!" Nun greift Zäboj wieder zum Hammer. Als Ludek abermals zur Seite springt, wirft Zäboj den wuchtigen Hammer hochgezückt so gegen Ludek, dass dessen Schild zer- springt, hinter dem Schilde aber auch Ludök's Brust. Seine Seele flog heraus vor dem schweren Hammer, doch ward Hammer uod Seele hinaus getrieben und fünf Klafter weit ins Heer getragen. Strach (Furcht) treibt den Mördern (Feinden) Geschrei aus den Kehlen, Radost (Freude) aber ertönt aus dem Munde von Zäboj's Heer und Freude funkelt aus ihren Augen.

Anmerkung. Gewöhnlich übersetzt man die Sfelle über die Seele so: „Es erschrickt die Seele vor der schweren Axt, doch diese fliegt, die Seele mit sich nehmend, mit ihr noch fünf Klafter zu den Kriegern." Das Erschreken wäre hier bei der Heftigkeit und Schnelligkeit der Handlung nur ein läh- mpndes Bild, wir lesen sohin für ulecie sie ,,uletiesie," und finden darin dann den Sinn, nach dem Schlage auf Ludek's Brust fliegt die Seele (durch den Hals) heraus, doch wird sie vom die Brust durchdringenden Hammer ereilt und mit ihm (im Luftzuge) bis fünf Klafter unter die Krieger getragen. Würde der Hammer die Seele passiv heraustreiben, dann würde auf orientalische Art die Seele im Blute geroeint sein, während in der indoeuropäischen An- schauungsweise die Seele (dnch, duchja, dusa) als wai-mer Atem immer fliegt. In dem höhnend scheltenden Ausrufe, wodurch Zäboj den Ludek zum Jäh- zorn treiben will, hebt Zäboj nUr die Störung der (xöY^erverehrung hervor, was die obige Leseart diedky für dietky unterstüzt. Die grossartigen Hy- perbeln stimmen gut zu dem naivcolossalen Bilde von Zäboj, der wie ein Riese gegen Ludek (Ludovikus?) kämpft. Die Verfluchung mit dem Bies (Bojas, der Schlagende) ist höchst altertümlich, und doch eben so wie die Redensart: „Parom do tebe" noch heutzutage den Slovaken bekannt. Wir leiten bßs, aus der Wurzel, bi, boj, schlagen, andere aus der Wurzel ba, boj- ati fürchten, ab und glauben Recht zu haben, da boj auch Schlacht bedeutet. Den dem Bes entgegenstehenden Das sehen wir wieder für eine Kürzung von div-n8 an, der leuchtende, so dass uns die ursprüngliche Bedeutung von das, der leuchtende Blitz, von bes aber der Donnerschlag ist.

Sechstes Bild.

vAj, Brüder! die Götter verliehen uns den Sieg." Pferde werden aus allen Tälern auf den Walplaz gebracht, doch Slavoj mahnt, noch nicht abzulassen vom Kampfe gegen die Mörder (büf'it V vrahy). Da wirft denn Zäboj den Schild weg, in einer Hand den Hammer, in der andern das, Schwert bricht er ganze Reihen der Feinde durch, die nun Tras von der Walstätte jagt, wärend ihnen Sirach Klagerufe aus den Kehlen treibt.

Anmerkung. Die Götter (bozi), welche den Sieg verleihen, sind nicht abstract geh.iUene Siegesgötter überhaupt, sondern die heimischen. Götter, die Penaten i)der Diedky, welche die Heimat vor den Fremden schützen. Tfas, das Zittern, Strach, das Fürchten, Radost, die Freude sind objecti- virte Geraüfsznstände und machen fast mehr den Eindruck von poetischen Personificationen, als von echten Göttergestalten. Tfas wird in alten Bibeln

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für tremor häufig gebraucht und vollkommen personificirt. Solche Gestalten kommen auch in anderen Liedern der K. H. vor.

Slcbentfts Bild.

Die siegenden Heere verfolgen nun zu Pferde die Reste der geschlageneu Feinde. Ebenen, Berge und Wälder eilen hinter die verfolgenden Sieger. In einem wildtosenden Flusse gehen viele Feinde zu Grunde, doch die Bekannten (sv6 zvesty) tragen die Wellen (vody) auf das andere Ufer. Darauf nehmen in den Ebenen die Verfolgenden eine stets grössere Breite der Schlachtlinie an, wie wenn ein wilder Falke (ostfiez) seine langen Flügel ausge- breitet hat und eilends hinter den Vögeln dahin jagt. So geht es nachts wild unter dem Monde (nocü pod lunii), so tags wild unter der Sonne (pod sluncem) und abermals eine finstere Nacht durch und früh noch bei grauem Dämmern, bis abermals ein tosender Fluss viele Feinde verschlingt, und die Seinen hinüber trägt. „Dort, bei dem grauen (Gränz) Gebirge", ruft Zäbqj, soll unsere Rache zu stürmen aufhören." Doch selbst Slavoj rät nun schon, dass sie hier, so nahe den Gränzgebirgen, den kleinen Haufen der fliehen- den Feinde, die so kläglich bitten, nicht weiter verfolgen.

Anmerkung. Die Lebhaftigkeit der Schilderung ist im Original wahr- haft grossartig, trotz der merkwürdigen Kürze der Diction, z. B. „Es^ toset ein wilder Strom, Wellen wälzen sich auf Wellen, es tosen alle Heere, Sprung auf Sprung jagt alles über den stürmenden Strom." Nach den beiden Flüssen die Gegend bestimmen zu wollen, wird wol nicht gelingen, da hier nur stür- zende Frühlings-Berggewässer geschildert zu sein scheinen, deren Furt wol die Heimischen, nicht aber die Fremden (cuzi) fanden. Vgl. Jir. Echtheit.

Aeliles Bild.

Zäboj stellt die Verfolgung ein. Doch teilt er das Heer aber- mal, damit es nun in zwei Teilen zu verschiedenen Seiten im Rück- wege alles Königliche ausrotte, bis beide Heere wiederuni beim grauen Berge sich vereinigen werden, dort wo der Hauptsieg er- föchten wurde. „Aj ! ihr Brüder (bratfi)!" ruft Zäboj, „dort ver- liehen uns die Götter den Sieg, dort flattern scheu noch viele See- len auf den Bäumen hin und her : Vögel und wild Getier fürchten sie, nur die Eulen nicht. Dort gibt es Leichen berghoch zu be graben (k vrchu), dort ist Nahrung den Penaten und Opfer den Heil-Göttern darzubringen, den Göttern unseren Ueübringem (spä- säm), milde Worte sind jenen zuzurufen und diesen widmend zu weihen der mörderischen Feinde Waffen."

Anmerkung. Die Schilderung mit dem grauen Gebirge hat gewiss einen topographischen Hintergrund: es sind bestimmte uns aber m'oI für immer unbestimmbare Oertlichkeiten gemeint, da es nicht feststeht, ^üo in Böh- men, ja o5 überhaupt im, wie gegenwärtig, abgegränzten Böhmen dieTatliand- lung vor sich gieng. Die Erwähnung Vysegrad's im Beginne des Gedichtes tut natürlich nichts, weder für noch gegen Böhmen als den Ort der Hand- lung, da Vysehrad auch über die Gränzen Böhmens bekannt war.

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Das Gedicht geheint seiner ursprünglichen Form etwas bestimmter ge- fasst gewesen zu sein. Zu solchen etwas unbestimmten, weil später vielleicht nicht mehr verstandenen Stellen, zählen wir auch den Schluss namentlich über das Flattern der Seelen auf den Bäumen (velie dns tekä semo tamo po dfe- vech), das dem oben erwähnten Erschrecken der Seelen, sowie dem Heraus- schlagen derselben aus dem Leibe, der Seelen also in Blutgestalt, falls man die vorgeschlagene Aenderung nicht annähme, zuwider läuft. Da Bäume auch mythische Bilder der Wolken sind, so können darunter auch die Wol- ken ursprünglich verstanden worden sein als mythische Sitze der unruhigen Seelen. Eiden waren gleichfalls mythische Bilder aber der Getvitterwolken (Medusenköpfe haben z. B. Eulen in ihrem wirren Haare) und ihr Blick ward dem Blitz verglichen: darum fürchten sich auch Eulen vor den flatternden Wolkenseelen nicht; denn in den Gewitterwolken dachte man sich Seelen selbst, welche beim Blitzen neu zur Erde sich senkten, um neugeborene Kinderkörper zu beleben. Wie die Seelen mit dem Feuer (mit dem Blitze) aus den Wolken un l aus dem ßäj zur Erde fuhren, so fuhren sie mit dem Feuer (des Leichenbrandes) wahrscheinlich wieder gegen den Himmel, djiher der Ausspruch: sie flattern in den Wolken bis der Tote verbrannt ist (Cest- mir a Vlaslav). Im Zäboj ist jedoch vom Brande keine Rede, sondern nur vom Begraben. Den Ausdruck: Je vrchu pohrebat mrch" deuten wir Jedoch nicht wie gewöhnlich durch das Begraben beim Berge, sondern durch das Aufwerfen einer berghohen Mogyla und wundern uns nur, dass man im Ge- dichte mit den Leichen (mrchy, Wurzel: 7«r = töten) so wenig Umstände macht, da doch Leichen von Freund und Feind beisammen waren : oder sollte dadurch angedeutet werden, dass kein Freund fiel? Ungeheuere Hyperbeln liebt aller- dings das Gedicht. Darum verbrannte man wol auch die Leichen nicht, da man eine Sicges-mohyla haben wollte. Die Götter werden hier offenbar in einfache bozi, bohove d. h. nach unserer Ansicht in Penaten, denen man Nahrung (pokrm) gab und in wahre Götter, bohove sjjäsjj (Siegesgötter) unter- schieden, denn man opferte, (dat mnostvie obeti). Das Wort obef, obiet für obviet bedeutet eigentlich Versprochenes faltsiav. vcti. Vertrag), dann Ge- lübde, Votum, endh'ch erst Opfer und ist altertümlich ; die Christen nahmen es später als ein unblutiges Opfer an, um es eben von dem heidnisch-blutigen Opfer zu unterscheiden. Aber auch dieses, das blutige Opfer, das Brand- opfer oder die zertva, war obiet, in wie ferne dabei gebetet oder Geliibde gemacht wurden, wie es denn in Vlaslav (v. 11 . nusdrücklich heisst : „ez nepäli obiet bohöra." Das Gedicht in der gegenwärtigen Form vergass auch ganz auf die Leiche Ludek's. Nahmen sie etw;i die Feinde mit? Ob in dem Worte Ludek der Name Lurhvig und der irgend eines fränkisch-historischen Ludwigs sich berge, ist schwer zu entscheiden: es wäre auftauend, wenn die Namensform Chluodovig oder Chlodwig im 8. oder 9. Jh. schon so gekürzt popularisirt gewesen wäre.

27. 0 viccstvic nad Vlasltivem (Sieg^ über Vlaslav) oder Cestmfr und Vlaslav.

Das religiöse Band, welches unter den Krokidcn die vielen Zupen Bölirnens mit den Centralzupen Vyselirad-Prag vereinte, scheint unter der beginnenden politischen Concentration der Pfcmysliden öfters durch Versuche von Decentralisationen gelockert worden zu sein. Waren ja doch diese politischen Centralisationen der Beginn der Nachahmung der deutscli enVoWiWs. (des Königstums): da die alten, wahren Slaveu nur durch Heiligtümer und Natio ualsitte Zupe mit Zupe zu verbinden pflegten und

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auch nur insoferue eine Centralzupe verehrten, als mehreren Stämmen gemeinswne Heiligtümer zu Grunde lagen („v svcte Vysegradö"). Das vorliegende Gedicht erzählt eben einen solchen, aber misslungenen Ver- such unter dem politischen Centralfürsten Neklan, der am Kampfe nicht selbst teilnehmend, durch seineu Foldherrn Cestrnlr die Widerspänstigen zur Unterwerfung bringen lässt. Dieser Cestmir. im Original aucli (Jtsmir geschrieben, doch auch Ctmir, wird von Dalemil und Iläjek sammt An- hang Stir. von Kosmas aber noch sonderbarerweise l^yr genannt, er- scheint, wie die mythisch positive Seite Neklan's, wie denn überhaupt in den alten lat. und böhm. Kroniken diese ganze Begebenheit mit gar man- chen mythischen Momenten geschmückt geschildert wird, die jedoch unser Gedicht zumeist abgestreift hat. Es bestätigt sich durch das unbedingte Lob J^eHarts die oben berührte Ansicht, dass die Gedichte der K. II. das Lob der Pfemysliden besangen.

Erstes Bild.

Vlaslav (Vlasti-slav) in Verbindung mit Kruvoj rühmten sich laut der siegreichen Oberherrschaft (vicestviem) über Neklan, den ruhmreichen Fürsten und betätigten sie, Neklan damit höhnend, durch feindliche räuberische Einfälle in dessen Prager Gebiet. Ne- klan übergibt persönlich den Rachezug den Händen des Vojevodeu Cestmir (Ehren-reich ?).

Zweites Bild.

Cestmir langt freudig seinen schwarzen zwei Zähnigen (dvu zubü) Schild von der Wand herab, so wie den Hammer und den undurchdringlichen Helm {mlat i hehn). Unter alle Bäume legt er Opfer (obieti) den Göttern (bohöm) hin. Freudig folgen die Heere ihrem Führer gegen das Gebiet des aufständigen Luca- ner Fürsten Vor Tagesanbruch beginnt der Zug, und dauert bis nach Sonnenuntergang. Da nehmen sie schon den Eauch brennen- der Dörfer wahr, vernehmen das Stöhnen klagender Stimmen. „War es Vlaslav, der eure Dörfer zündete" (frug Cestmir), „war es Vlaslav. der euch zum Weinen brachte?" (der euere Stimmen so weich machte ?) „es ist dies sein letzter Mordzug. Rache und Verderben tragen für ihn meine Heere !'' Sie antworteten aber dem Vojvoden Ctmir: Kruvoj^ der hässliche, war es, der uns die Heerden wegtrieb, der mit Feuer und Schwert Schmerz in unsere erblichen Sitze brachte. Alles, was uns nützlich war, hat seine wilde Bosheit vernichtet: sogar den Vojevoden nahm er uns ge- fangen.'^ Hoeherzürnt lässt Cestmir seine Heere ausruhen; denn früh morgens sollte der Rachezug vorerst gegen Kruvoj beginnen.

Drittes Bild.

Kaum bescheint die Sonne die höchsten Bergesgipfel, als schon die Heere durch zwei Gebirgszüge znr Felscnburg Kruvoj's

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ziehen. Dort hielt er den Vojmir und dessen schöne Tochter ge- fano-eu, welche er zur Verhöhnung Neklan's, im dichten Walde dort unter dem grauen Felsen festhielt und fortführte. Kriivoj schwur Treue dem Neklan und gab ihm auch den treuen Handschlag, aber derselbe Mund und dieselbe Hand brachte doch das Volk Neklan's ins Elend. „Stürmet Männer! die Höhere-Burg (Vyseü-Hrad).'' be- fielt Öestmir seinen Heeren, welche nun, geschützt von Schilden und Bäumen, die Höhen erklimmen und einen wütenden Schwert-^ kämpf beginnen. Einem Stiere gleich, brüllte Kruvoj, hoch auf der Burg, Tapferkeit in die Seinen und sein Schwert fiel schwer auf die Präger, wie ein Stamm, der vom Felsen herabfällt : doch Neklan's Krieger drängen sich in dichten Reihen wie Eichen gegen die Höhen. Nun befielt Cestrair auch von rückwärts die Burg anzugreifen, zugleich aber die höheren Vorderburgraauern zu über- steigen. Mit Hilfe zusammengebundener Bäume und Speere steigt Mann auf Mann, bis die fünften oben die Burghöhe einnehmen und mit Schwert, Pfeiien und selbst mit Balken die Verteidigenden zu- rückdrängen. Wie ein FrUhlingsstrom (jarno) drängen nun die Prager über die Mauern in die Burg und bewältigen kraftvoll alles in der festen Burg.

Viertes Bild.

Öestmir ruft nun vor dem Turme, worin Vojmir gefangen gehalten ward: „Trete hervor o Vojmir, trete hervor mit deiner holden Tochter, schreite aus dem Turme in die Morgenfrische her- aus. Dort auf dem Felsen wirst du erblicken Kruvoj schon blu- tend unter der rächenden Axt. Vojmir kömmt hervor in die wul- tuende Morgenfrisehe, er kömmt hervor mit seiner schöngeforraten Tochter und siebet bluten seinen Mörder Kruvoj Die Beute lässt Cestmir dem Volke wiederbringen, zu welchem sich auch das Hebliche Mädchen heim begiebt.

Vojmir hätte nun in dieser Stunde, auf diesem Platze den Göttern (bohöm) das Opfer (obiet) gerne gebracht, doch Cestmir mahnt mit dem Dankfeste (sluzba) einzuhalten und lieber rasch zum Siege über Vlaslav zu schreiten, damit noch nachmittags die Heere an demjenigen Orte zurück sein könnten, an dem als dem Opferorte ihre Stimmen den vollen. Sieg verkündigen sollen, da sichtbarlich die Götter auch den Vlaslav niederschlagen wollen. Nimm diese Watfen deines Feindes, Vojmir, und komm. Freudig hocherregt ruft Vojmir von einem Felsen im Walde aus vollem Halse so den Göttern zu, dass darob alle Bäume des weiten Wal- des erzitterten: „Zürnet nicht ihr Götter! euerem Diener, dass er das Brandopfer euch beim Tageslichte nicht bringet." „In der Tat schulden wir den Göttern das Opfer", sagt auch Cestmir, „doch uns ist zu eilen gegen die Mörder. Du aber besteige schnelle Pferde, gleich eile mit ihnen durch die Wälder hirschesgleich hin in den

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Eichenhain (dubravu), wo wegwärts der den Göttern genehme Felsen steht. Auf dessen Gipfel (na jeje vrchu) magst du den Göttern, den siegenden Rettern (späsäm) opfern, für den eifoch- tenen Sieg und für den Sieg, der noch zu erfechten ist. Ehe die Sonne merkbar auf der festen Hiinmelsbalin weiter geschritten ist, be- steigst du schon den Ort, und ehe die Sonne den zweiten und den dritten Schritt hoch über die Bergwälder wird getan haben, wird auch mein Heer dort augelangt sein, wo dein Oj)fer bereits in Rau- chessäulen wehet, damit das Heer im Vorbeigehen davor sich beuge."

Fünftes Bild.

Vojmir opfert eine mutige Kuh von roter glänzender Farbe: er kaufte sie, die Gelte, dort im Tale hohen Grases voll vom Hir- ten, dem er dafür ein Pferd sammt dem Zaume hingab Das Opfer brannte schon in Flammen, als sich das Heer dem Tale und talaufwärts dem Eichenhaine nahte. Geräuschvoll, weil die Waffen tragend, geht jeder Mann um das Opfer, Heil den Göttern rufend, wenn er abtrat. Doch als schon die letzten vorbeikamen, schwingt auch Vojmir sich aufsein schnelles Ross: die mächtigen Fleisches- teile der Kuh werden von sechs Reitern dem Heere nachgeführt.

Sechstes Bild.

Das Heer (voisko) schreitet mit der Sonne fort, bis es mit- tags in der Ebene ankömmt, wo der kampfbegierige Vlaslav es schon erwartet. Sein Heer fünfmal so stark als das der Prager stund von einem Walde bis zum andern und wie aus Gewitterwolken hört man daraus Getöse schallen und das Gebelle grosser Men- gen Hunde.

„Sorgen schaffet es mit solchen Mördern zu kämpfen" sagt Vojmir, „da selten ein Stab gegen eine Keule aufkömmt." Darauf erwiedert Öestmir: „Es ist klug, solches wol heimlich aaszuspre- chen, doch sich auf alles vorzubereiten," Darauf entgegnete Voj- mir: „Es ist ja nicht nötig, mit der Stirne gegen den Felsen vor- zudringen: ein Fuchs überlistet oft den hartköpfigsten Auerochsen. Schritten wir geradezu vor, dann sähe hier Vlaslav unsere Schwäche, lassen wir daher neunmal das Heer so um diesen Berg herumge- hen, dass die, welche die ersten waren, an die letzten sich im Marsche talwärts wiederholt anschliessen, um ihn zu täuschen. Dies geschah nun von Vojmir und Cestmir. Im niedern Gebüsche traten sie sodann auseinander, damit ihre Waffen erglänzten vor dem Angesichte der Mörder. Und in der Tat war der ganze Berg voll vom Waffenglanze.

Auf einmal bricht Öestmir mit vier Haufen hervor und mit ihm Tfas (das Bangen) aus Waldesdunkel, Tfas bemächtigt sich der Mördermenge, die in Gruppen zurück in die Wälder weichen^

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doch auch dort durcli Strach (das Fürchten) gelähmt sind. Voj- mir sperrt nun gegen Aufgang das halbe Tal und mit tapferer Hand greift er in seitlicher Richtung die Mörder an. Aj! aus dem ganzen Walde brüllt es heraus, als ob Bergwälder mit; Bergwäldern kämpften und alle Bäume zerbrächen. Doch Vlaslav dringt eilend gegen Cestmh- hervor im wilden Kampfe bis nach Hieb auf Hieb Vlaslav verwundet am Boden liegt. Fürchterlich, doch vergeblich windet sich am Boden Vlaslav, er kann sich nicht mehr erheben, denn Morena schläfert ihn schon in das schwarze Dunkel ein. Blut tritt schäumend aus dem kräftigen Vlaslav und fliesst über das grüne Gras in die lockere Erde. Aj ! aus brüllendem Munde tritt schon seine Seele hervor und fliegt baumwärts, dann vom Baume zu Baume, hierhin, dorthin, bis verbrannt ist der Tote. Die mit Vlaslav halten, eilen seitwärts in die Gebirge um gedeckt zu sein vor dem Blicke Ctmir's, vor Ctmir dem Vlaslavatödter. Bald vernimmt Neklan's erfreutes Ohr die Siegesnachricht, bald erblickt sein freudiges Auge die Beute.

Anmerlamg. In den geschilderten Gegenden erblicken manche das Egertal bei Klösterle, in Kvnvoj's Burg die Buigtrümmer des Himmelsteines, in dem Opfersteine den freistellenden Felsen dos Furberges und im Wal- platze selbst die Gegend um Winterniz : andere aber nach der Weisung der Kronikenschreiber die Gegend um Tursko, nahe bei Prag (Svetozor, 1858. S. 90. 91. Nebesky's musejn. 1853. S. 478. Tomek: Apologie. 1863. S. 16.) Paiacky bestimmt den Ort nicht (Dejiny I. 1. S. 110—112).

Vlaslav, der wol auch Gin Piemyslide war, scheint selbst eine Haupt- burg-Centraiisation argestrebt zu haben, in welcher die Vysegrad-Prager auf- gehen sollte. Nach den Kronikenschrcibern scheint er viel Raubvögel und Hunde mit im Heere geführt zu haben, was vielleicht noch ein Rest kelti- scher Xriegsführung im Ivando war (Diefenbach, Origines S. 169), Das Ge- dicht deutet dies auch an durch den jeket der Vögel und das Idnip. der Hunde im v. 151. Verszeilen werden hier allerdings im uneigentlichen, doch gewöhnlichen Sinne genommen, da es im Gedichte keine wahren Verse gibt, so wie auch im Zäboj, allein manche Poetiker würden gar kein Gedicht vor sich zu haben glauben, wenn sie keine Zeilenahteilungen vor sich sehen würden. Die Landschaft V'laslav's, nämlich Lucko, später Zatecko genannt, erscheint in der Gr. H. noch nicht am Vysehrader Landtage vertreten: auch ist es beachtenswert, dass Neklan's Heere nur die „Prager" (Prazane) heis- sen, Wysehrad's altertümliche Bedeutenheit scheint sohin in den Hintergrund getreten zu sein.

Vojmfr erscheint durch sein Drängen zum Opfer, sowie durch sein Verhalten beim Opfern selbst mehr als ein Ober-Priester, denn als Vojevode zu fungiren ; die Worte der Verszcilen KU. und 110., dass er so die Götter anrief, dass davor die Waldcsbäume erzitterten, erklärt den Sinn der Worte hläsuti bohöm. Vojmir scheint sohin der Hüter der Central-Hciligtümer ge- wesen zu sein in Neklan's Prager Burg, durch dessen Gefimgenname Vlaslav eben den Neklan beschimpfte (pohanß).

Die (Jestalten; Tran und Strach kehren auch wieder mit eben der Unbestimmtheit: auf, die ungewiss lässt ob sie als mythische Wesen oder nur als psychisch poetische Personificationen aufzufassen sind: doch Morena ist als mythische (iestalt auch anderwärts sichergestellt. Unsicher ist jedoch durch die karge Ortliographie des Originals ihre Tätigkeit, denn das Wort „Morena iei sipase^ (v. 193) kann sypd.^e, schläfert ein, oder SipaSe sie schnellt (ihn in die dunkle Nacht) gelesen werden. Die älteste Leseart und

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Deutung: sie streut ihn in schwarze Nacht, wird wol niemand mehr ver- teidigen. Es ist zu beachten, dass an der betreffenden Stelle noch vom ganzen Vlaslav die Rede ist, wäre von der Seele allein die Rede, dann könnte cerna noc das Wolkendunkel bedeuten und sipase allerdings die Bedeutung des Schnellens habon, da böse Seelen wol in den lichten Räj nicht dringen konnten, sondern in den Wolken blieben, was noch in der spätem Sage, dass die Vodnici, die Wassergötter in ihren Palästen Menschenseelen bärgen, wie- der erscheint. Man vergleiche auch das serbische Volks-Lied, wo die Dje- vojka (Sßirtholka) „den lebenden Cär ergreift, dem lebenden Cäre die Augen blendet, ihn auf den grünen Berg hinlässt (pustila ga u goru zelenu), wo er gehet von Baum zu Baume, wie ein Vogel von Zweig zu Zweige (D6va zla- tovlasä. 1^60. S. 24)." Dies Flattern der leblosen Seelen ist auch im Ge- dichte von der Seele Vlaslav's gesagt: doch wird nicht mehr, wie im Zäboj, vom Begraben sondern vom Verbrennen des Toten gesprochen (zzhati). Dies zu erklären lässt sich verschiedenartig versuchen. Es waren nämlich in Böhmen verschiedene slavische Volkstämme, die gewiss auch verschiedene religiöse Bräuche gehabt hatten, was vielleicht eben der Grund war, dass die religiöse Centralisirung unter den Krokiden nicht völlig gelang, auch kann das Jahrhundert, welches zwischen der Zeit Zäboj's und Öestmir's zu liegen scheint, viel geändert haben. Doch ist auch hier nur vom Verbrennen des Vlaslav's die Rede und nicht im allgemeinen : so dass man ganz natur- gemäss annehmen kann. Vornehmere wären verbrannt und erst in Aschenform begraben worden: grössere Leichenmassen aber unmittelbar mohylenartig be- graben worden. Auch schliest das Begraben, wie eben einzusehen, nicht ge- radezu das Verbrennen aus, da man wol Aschenurnen (popelnice) als auch ganze Knochengerüste beisammen begraben findet. Wenn es nun wahr ist, was Comas „referente foma" (Pcrtz, IX. B. S. 21— 3i) berichtet, was aber hier der Kunstdichter poetisch verschweigt, dass nämlich auch Öestmir^ an den erhaltenen Wunden starb, worauf ihm das Volk eine hohe Mohyla „Cest- mir's mohyla, bustum Tyri''- vom spätem Volke genannt, errichtete : dann Hesse sich der scheinbare Widerspruch auch so erklären: Vlaslav kann ver- brannt und seine Urne mit den Leichen der gefallenen Feinde in einer grossen Mohyla begraben worden sein, die, weil sie eigentlich Oestmir's Siegesdenk- mal war, immerhin Cestmir's Mohyla genannt worden sein konnte. Ja aus dem Vorhandensein dieser Mohyla und ihres Namens kann auch erst die Sage vom Tode Öestmir's entstanden sein: man schloss vielleicht aus der an der Walstäte befindlichen Mohyla Cestmir's auf seinen Tod. Die vielen Leich- name „bergeshoch, k vrcJiu, pohrebat," zu begraben, ist etwas so natürliches, dass es hier, wenn auch nicht wie im Zäboj ausdrücklich mitgesagt, doch gewiss auch mitgedacht ist. Die supponirte Identität zwischen Tyr und Cestmir erheischt jedoch noch eingehende Untersuchungen, linguistisch und sachlich. Ebenso auch das oben angedeutete Verhältniss Vojmir' s zw Neklan : war etwa unter den Krokiden der Knez Oberpriester und Fürst zugleich in einer Person, unter den Pferaysliden jedoch der knez hauptsächlich nur Fürst und der Oberpriester ihm Untertan ? Dies würde das Verhältniss Vysehrads zu Frag bestimmen. Vysehrad sank mit dem Sinken der Centralheiligtümer, Prag erstund mit dem Entstehen politischer Fürstenmacht.

Anmerkung 2. Im ganzen weiset das vorliegende Gedicht eine ganz andere Natur aus als das Gedicht Zäboj, es ist nämlich, ob schon ohne Verse geschrieben, viel zusammengesetzter, in manchen Puncten undeutlicher, über- haupt nicht so altertümlich einfach wie Zäboj. So undeutlich sind z. B. die Einzelnheiten der Erstürmung und Eroberung von Kruvoj's Burg geschildert. In Zäboj weht ein noch altertümlicherer Geist als selbst in der Gr. H. ob- schon die Sprache unserer Abschrift Formen des 12. 13. Jh. an sich trägt. Die Gestalt Zäboj's: Sänger und Held zugleich, ohne wie Orpheus mythisch zu sein, verbürgt dem Gedichte die grösste Altertümlichkeit, auch ist von der spätem, Pfemyslidschen Einteilung in Zupengebiete mit untergeordneter Fürstengewalt im Gedichte Zäboj keine Rede. Zäboj war nämlich kein sol-

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eher Teilfürst im spätem Sinne, er reicht in die Zeiten vor Krok, er kennt Vy§egrad, als noch der Sän.^er und Held Lumir dort wirkte, von den Kro- kiden, die mit Culfusheiligtümern nach demCenlrum Böhmens zogen, ist noch keine' Rede, Zäboj und Shivoj kämpfen als Aiitochthonen der Peripherie Böh- mens für die uralten Volkssitten gegen die Deutschen, wie Chrudos sich ge- gen die Volkssitten und für die Deutschen erklärt. Im Cestmir wird schon nir die Unterordnung unter den Pfemysliden Neklan gekämpft. Die Riesen- hyperbeln im Zuboj fehlen hier, Zaboj, der wie ein Riesengott gegen die Scharen der Feinde mit Hammer und Schwert zugleich kämpft, weicht dem klugen Cestmir und der feurige Slavoj dem priesterlichen Vojmir, der zu dem klugen, doch kleinlichen, sohin unpoetischen Mittel des neunmaligen Bergumgaiiges rät. Der Anfang des Gedichtes Cestmir's ist viel poetischer als das Ende: der zweizackige Schild und der Streithammer Cestmir's ver- lieren sich jedoch im Gi^dichte spurlos: alles kämpft nur mit Schwertern, nur Kruvoj wird mit einer Axt (sekyra) hingerichtet. Und doch ist das ganze edel und altertümlich gehalten, wenn man es mit der Erzählung des Cosmas oder Dalemil vergleicht Bezugs der äusseren Form finden manche Mikros- kopiker fünfsylbiges Metrum darin: wir schliessen uns aber denen an, die mit Recht keine Verse darin finden. Eine stümperhafte Hand hat auch da die alten Genitiv-Accusative wegradirt z. B. v. 31 Kruvoj tür früheres Kru- voja oder Kruvoje, v. 47 Vojmir für Vojmira, v. 58. Neklan knez für Neklana knßzie, u. s. w. Manchmal steht aber wirklich ohne Rasur der Nomin. Accus. : Kruvoj z. B. im Verse 91. auch köö, im Verse 139.

28. Jelen a juiioäe, der Hirsch und der Jüngling.

Erstes Bild.

Uiber Höhen und Flächen pflegte ein Hirsch hinzueilen, in Sprüngen über Berg und Tal; schöne Geweihe trägt er, mit den Geweihen durchbricht er den dichten Wald, worin er mit flinken Läufen umherspringt. Ajta! auch ein Jüngling pflegte über Berge zu steigen, durch Täler zu schreiten zu wilden Kämpfen, stolze Waff'en trägt er bei sich und mächtige Waffen, um damit des Fein- des (Mörders) Schaaren durchzubrechen.

Zwciles Bild.

Dieser Jüngling ist nicht mehr in den Bergen: ein wilder Mörder hatte ihn hier hinterlistig überfallen, Bosheit brannte die- sem dabei im trüben Auge, mit wuchtigem Streithammer (ralat) schlägt er ihm so gegen die Brust, dass die betrübten Wälder im Trauerschalle ertönen. Er schlug aus dem Jünglinge die Seele heraus, die junge, liebe Seele (dusu, dusicu), sie flog heraus durch den schöugcformten Hals, aus dem Halse durch die schönen Lip- pen. Aj ! da liegt er. Warmes Blut strömt hinter der jungen Seele, welche weggeflogen war, der öde Boden saugt das heisse Blut ein 5 in einem jeden Mädchen gab es ein trauerndes Herz.

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Drittes Bild.

Der Jüngling liegt in kühler Erde, über dem Jünglinge wächst eine junge Eiche, sie ward zur Eiche, die in ihren Aesten sich immer breiter und breiter entfaltet. Der Hirsch mit den schönen Geweihen wandelt in»mer noch einher, er springt mit seinen behen- den Läufen, er pflegt emporzustrecken den langgezogenen Hals zu der BlätterftiUe. Docli zu dieser Eiche fliegen her nun nur Scharen der klugen Sperber (krahujcev) aus allen Teilen des Wal- des : auf der Eiche oben pflegen sie alle zu rufen: „Der Jüngling fiel durch Bosheit des Mörders (vraha)/' Den Jüngling beweinen alle Mädchen."

Anmerkung. Das Gedicht atmet einen so altertümlichen Geist, wie Zäbqj, ja es scheint ein Epitaphium desselben zu sein : wenigstens erinnern die Worte: er durchbrach mit mächtigen Waffen die dichten Scharen der Feinde, gewaltig an ihn. Den Streithammer, die Totenbestattungen und die Sperber finden wir auch hier, wie im Gedichte Zäboj. Die Seele fliegt jedoch frei (ohne Morenai fort, sie flattert nicht vom Baum, zu Baum, aucli ist das Blut hier deutlich von ihr geschieden. Die Sperber verkündigen von der Toteneiche die ruchlose Tat. Man vergleich« sie mit der verkündigenden Schwalbe in der Gr. H. Aber auch der Hirsch langt nach den Blättern der Toteneiche. Alle Mädchen weinen um den schönen Jüngling, er scheint sohin allgemein bekannt, z. B. ein Volks-Anführer gewesen zu sein. Das letzte Wort „dievie"' scheint ursprünglich in der Handschrift „dievicie" geschrieben gewesen zu sein, beide verhalten sich zu einander wie Maid und Mädchen. Glücklicher Weise finden selbst Mikroskopiker in diesem altertümlichen Ge- dichte kein Versmass. Liegt dem Gedichte keine historische Beziehung (z. B, auf Zäboj) zu Grande, so könnte es auch mythischen Sinnes sein und ein slavisches Linos-lied oder eine slavlsclie Adonisklage darstellen. Natürlich wäre dann alles Beiwerk auch mythisch z. B. die Eiche u. s. f weil dann der Jüngling der Sommergott wäre, der plötzlich vom Winterriesen überfal- len wurde.

29. Holub a juno§e : Der Tauber und der Jüngling.

Erstes Bild.

Ein Tauber flog unruhig im Walde her und hin, von Baum zum Baume, klagend, dass der arge Zbyhon seine Taube in der festen Burg (u hrad tvrdy) gefangen hatte. Auch ein Jüngling um- kreiset unruhig die feste Burg und klagt trauernd um seine teure Geliebte (drahä milä). Er ersteigt sodann einen Felsen, der Burg gegenüberliegend und trauert .schweigsam mit dem stummen Walde. Da fliegt zu ihm der klagende Tauber, Der Jüngling erhob sein Haupt gegen ihn und sprach: Wenn dir der Sperber deine Taube ergriffen, würdest du sie wohl zurückerkärapfen und den boshaften Sperber (krahujce zlobneho) getötet haben, falls du nur ein rautig Herz und scharfe Waffen hättest. Du Zbyhoii dort auf deiner fe- sten Burg: du hast meine Teuere, viel Teuere ergriffen und entführt

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auf die Burg, ach ! auf die feste Burg ! Auf, o Jüngling, breche auf gegen Zbyhoü, du hast ja ein mutig Herz, scharfe Waffen und den schweren eisernen Hammer (tezek zelezny mlat) dem Zbyhon damit den Kopf zu spalten.

Zweites Bild.

Gerüstet und mit dem Streithammer auf dem Arme schreitet der Jüngling im Tale durch den dunklen Wald hin zur Burg. Nachts, als alles schon finster war, kam er zur festen Burg. Mit kräftiger Faust schlägt er an das Tor. „W>r ist da?" ruft man von der Burg herab. „Ein irrer Jäger" (lovec). Das Tor wird ge- öffnet. Er schlägt mit kräftiger Faust an das zweite Tor. Das Tor öffnet sich. „Wo ist der Vladyka Zbyhoö." „Hinter dem grossen Saale!" „Dort also ist der wüste Zbyhon (vilny), dort weint das Mädchen?" „Aj ! mache dem Jäger auf" Doch Zbyhoü öffnet nicht. Ein Schlag des «tarken Jünglings mit dem Hammer zertrüm- mert die Türe, und zertrümmert mit dem Hammer das Haupt dem Zbyhon. Durch die ganze Burg eilet der Jüngling und schlägt alles nieder (pobi). Bei seinem schönen Mädchen ruhet er bis zum Morgen (leze).

Drittes Bild.

Die Morgensonne dringt durch die Gipfel der Bäume zur Burg, es dringt auch eine neue Freude in das Herz des Jünglings, denn in seinen starken Armen hält er sein schönes Mädchen. „Wessen ist diese Taube ?^ „Zbyhoü fieng sie ein, mich, so wie sie hielt er in der festen Burg gefangen." „Fliege hin aus der Burg in die Wälder." Sie flog hin und mit ihrem Tauber flog sie von Baum zu Baume und schlief auf einem Zweige mit dem Tauber. Auch das Mädchen wird von Freude ergriffen, frei eilt sie mit ihrem Jünglinge, wohin sie nur will und schläft mit ihrem Geliebten auf einem Lager.

Anmerkung. Das ist ein gar sonderbares Gedicht, das wol an Recensionen späterer Zeit gelitten. Es ist in gegenwärtiger Redaktion in aechs- oder zicölf-silhigc Verszeilen liineingepfercht, die es gewiss ursprünglich nicht hatte. Sechssylbige gäben in den wenigsten Fällen einen relativ abgeschlos- Benen Sinn für sich, wie altslavische Verszeilen doch sollen, die zwölfsyl- bigen aber gäben wieder mehr als einen Sinn, z. B. Ja jsem lovec bludn^. Otvofie vrata (v. 33), Aj ! otvori lovcii. Neotvofi Zbyhoii (v. 37). Auch war schwerlich gleich ursprünglich der Vers 13. so lautend: „ty hohibce mutny, tobß mutno sanin," eben so der Vers 17 „a otnese, ach! u hrad, u hrad « tvrd^'," da die Wiederholung der Vorwörter (dreimal) sehr kakopho- nisch wirkt. Etwas ähnliches ist im v. 4 „s holubicu drahu s miln s pi'e- i.nlitku" (was im Text verschrieben wol: pfesmilitku lautet. V. 22. lautete "''^K-i f ^^ Pliotograhie ursprünglich mit dem Geaitiv-Accusativ : ti by si byl zabil krahujce zlobm^ho, was neuerer Zeit genial in krahujec zlobn^ geän- dert wurde. Eben so erscheint der Ausdruck: vezde temno im 31. Verse

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sonderbar zu sein, wenn man: u hrada tvrda nocjHiesst, da eben unmittel- bar bereits vorausgeht, dass es nachts war. Besser ist daher die Leseart (Svö- tozor 185S. S. 170) : u hrada tvrda. Nocü vezdö temno, d. i. bei vorge- rückter Nacht war äusserlich vor der Burg alles finster, so dass man den Jüngling nicht erkannte. Wäre es jedoch auch im Schlosse überall finster gewesen, so hätte der Jüngling wol nicht so rasch vorwärts schreiten und mit einem Schlage das Haupt Zbyhon's treffen können. Sonst enthält das Gedicht in sich viel poetisches. Der Naturparallelismus ist gut durchgeführt, die unge- nirte Natürlichkeit atmet heidnischen Geist. Manche Sonderbarkeiten lassen sich verteidigen.

1) Dass krahuj und krahujec als Raubvogel und nicht mehr als hei- liger Vogel erscheint, ist an und für sich noch kein Beweis, dass das Gedicht im christlichen Zeitalter entstanden, denn auch im Zäboj und im Jelen wird ja nicht, und kann auch nicht, im Verhältoiss zur Taube die reissende Natur des Sperbers geläugaet werden, wie dies z. B. auch beim mythischen Gewit- tervogel des Zeus nicht geschah, der sogar den Ganymedes in den Krallen gegen den Olymp trug.

2.) Durch die Entgegenhaltung des gefeierten Sperbers und des Vla- dyken Zbyhon soll nur dieser gehoben und zu so einem Priestervladyken gemacht werden, wie es Vojmir war. Es scheint auch in diesem Gedichte keine feste Unterordnung der Vladyken unter dea Knöz angedeutet zu sein, wie im Zäboj, was nur für die Altertümlichkeit des Gedichtes spräche. Wie Kruvoj die Tochter des Vojmir im Walde gefangen nahm und in der Burg einsperrte, so tat es auch Zbyhon mit der Deva. Doch Zbyhon nimmt im Gedichte, wenn man die Sache tiefer anfasst, ganz die Gestalt des mythischen Winterriesen oder Wintergottes an, welcher die jungfräuliche Sommerlicht- göttin gefangen hält, (man vergl. den Vers 47 rVeza") und der Jüngling ist wie der junge Frühlingsgott, der sie mit seinen Donnerschlägen befreit. Die- ser „juno§e" wäre sohin, wenn die mythische Deutung des Gedichtes: „Der Hirsch und der Jüngling" Platz greifen sollte, nur der dort erschlagene, aber wie jede Naturkraft wieder erwachte Jüngling und Zbyhon dort sein Mörder. Darum kann auch

3.) die feste Burg des Zbyhon nicht Wundernehmen, denn „Burgen im Walde" sind ja die mythischen Bilder des Wolkenverhüllten Winters, in dem es daher auch „vezde temno" ist, nur nicht für den Frühlingsgott, der seinen sichern Gang geht. So findet der mythische Standpunkt das not- wendig, was der blos nüchterne Standpunkt anzuzweifeln berechtigt ist. Wer die Masse mythischer Erzählungen kennt, die bei allen Völkern zu gewöhn- lichen Erzählungen herabgedrückt wurden, wird sich auch über diese Erzäh- lung gewiss nicht wundern, die auch das geschlechtliche Verhältniss, wie es sich mythisch gebürt, hervorhebt: alle Winterriesen halten Jungfraiien ge- fangen, die bei ihnen traurig sind, ohne dass ihnen j edoch üebles widerführe, da sie ja eben nur von „Winter-Riesen gefangen" („vgza" v. 47) gehalten wer- den, so dass erst der Frühlingsgott sie als jungfräuliche Bräute heimführt. Auf keinen Fall kann aber: tamo Zbyhoii vilni (dort schwelgt Zbyhon) gelesen werden, da sonst der poetische Reiz der Jungfräulichkeit der DSva schwände, gleichviel ob diese mythisch oder nur natürlich ist. Aber auch wenn man das Gedicht als blosse Erzählung nimmt, und sie in heidnische Zeiten ver- setzt, ist eine „feste Bnrg", hrad tvrdy nichts in Böhmen sonderbares, da solcher aus den Bojer- und Markömanen-Zeiten, eben weil diese Völker Höhmen nur militärisch besetzt hatten, in Böhmen genug übrig geblieben waren. Da aber auch die Slaven selbst ihr sociales Leben ura feste Burgen herum gründeten, ist die Erwähnung einer Burg, bezugs der Altertümlichkeit des Gedichtes nichts ausschliesliches, eben so wie die Erwähnung des Streithammers allein dessen Altertümlichkeit nicht beweisen würde, da auch die Alexandreis und der Da- lemil den mlat noch kennen.

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30. 0 pobitie Polanöv i vylinanie z Prahy, oder 01-

dfich und Jaromir (von der Niederlage der Polen und

deren Vertreibung aus Prag).

Uiber die historische Grundlage dieses Gedichtes spricht Palwkij (Dejiny, 1848. I. 1. 285), nachdem auch schon die „ältesten Denkmale" im J. 1841. (I. Bd. der Abhand. der kön. böhm. G. d.W. S. 180) der- selben gedachten. Die Einzeluheiten des Vorganges werden jedoch bis jetzt noch verschieden aufgefasst, da das Gedicht in seiner gegenwärtigen Form einige topographischen Unrichtigkeiten darbietet. Man vergleiche nur die Auflassungen von Tomek im Musejn 1849. 11. S. 20. dann die von Neheshj, Musejn. 1852. IE. S. 169. 1853. S. 351.; und endlich die Auflassung von Jireceh im Svetozor, 1858. N. 14. S. 106.

Der Zweck und Kern der Handlung besteht darin, die missliebig gewordene polnische Besatzung der Prager Burg durch einen listigen Uiber- fall daraus zu vertreiben und Jaromir, den Sohn Boleslav II. wieder ein- zusetzen, nachdem auch in anderen Teilen von Böhmen die Polenscharen bereits vertrieben worden waren. Wir erwähnten schon oben, dass der von Prag weit entfernte Dichter oder Sammler der Königinhofer Gedichte die Stadt Prag (suburbium) mit der Burg Prag, mit dem jetzigen Hrad- cany, mengte, auch den Fluss Moldau, mit dem Flüsschen, das etwa die Hradcany ehemals vom Pohofelec durch den Burggraben trennte, identi- ficirte Noch auf Sadeler's Prag vom J. 1606 sieht man unter Nr. 10. die Gräben der porta arcis, wo die verabredete Handlung mit dem Hirten beginnen konnte. Dem Gedichte fehlt der Anfang, da es das erste in der Sammlung der K. H. steht.

Erstes Bild.

(Oldfich begab sich) in den Schvrarzwald (am Petrin, Lau- renziberg) dort, wohin auch sieben Vladyken mit ihren Scharen sich versammelt hatten. In tiefer Nacht eilt voll Sehnsucht der Vladyke Vyhon Dub mit ihm bin, der hundert treuergebene und scharfbewaffnete Männer anführte. Als alle mitten im Walde bei den Andern ankamen, reichten sie sich ringsum die rechten Hände und flüsterten im stillen miteinander. Inzwischen war die Nacht über die Mitternacht gewichen und genahet dem Morgengrauen. Da sprach Vyboii zum Fürsten Oldfich: Dir gab Gott (böh) Körper- und Geisteskraft, du sei unser aller Anführer gegen die bösen Polen. Deinem Worte nach werden wir folgen, rechts oder links, vor oder zurück in alle wilden Kämpfe. Auf! rege werde der Mut in den kühnen Herzen. Ajta! da ergreift mit starker Hand der Fürst die Fahne und „mir nach, mutvoll gegen die Polen" rufend „gegen die Feinde unserer Heimat," eilt er mit allen acht Vla- dyken und ihren drei Hunderten und dem halben Hundert tapferer Mannen gegen den Ort, wo die Polcnscharcn noch im Schlafe

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zerstreut herum lagen. Als sie aus dem Walde herausgetreten waren, aj, da lag ganz Piag ruhig noch im Morgenschlummer, die Vltava rauchte vor Morgennehel und hinter Prag , hinter den blau- schimmernden Bergen begann der graue Ost aufzuleuchten. Sie eilen (vom Petrin) herab: überall ist noch alles tiefstill, im stillen Prag bergen sie sich vorsichtig und bergen auch die Waffen unter ihren Gewändern.

Zweites Bild.

Da geht, noch im Morgengrauen, ein Hirte, und ruft, dass ihm erhoben werde die Torwehre Die Wache vernimmt das Rufen des Hirten und öffnet ihm die Torwehre (über die Vltava, sagt die Handschrift, stat : über den Wassergraben der Burg). Der Hirt betritt die Brücke und blaset laut. Da springt der Fürst hin auf die Brücke, hinter ihm sieben Vladyken, jeder eilends mit allen seinen Mannen. Donnernd ertönen die Trommeln, die Trompeten ertönen dröhnend, die Fahnen mit allen Mannen stürzen auf die Brücke und die Brücke erzittert unter dem Drängen der Schaaren. Streich wirft sich auf alle Polen. Aj ! wie sie da zu ihren Waffen eilen, aj! wie die Vladyken da Hiebwunden schlagen: die Polen aber eilen hierhin, dorthin, bis sie im Schwall über die Burg- gräben zur Hinter-Pforte drängen weithin, weit vor den tapferen Hieben.

Drilles Bild.

Aj ! Gott verlieh den Sieg. Eine Sonne erhebt sich am ge- sammten Himmel, ein Jarmir steht wieder über dem ganzen Lande, Freude verbreitet sich über ganz Prag, sie verbreitet sich rings um Prag, und sie fliegt vom erfreuten Prag über das ganze Land, ja über das ganze Land.

31. O pobitie Sasiköv (von der Niederlage der Sach- sen) oder Bene§ Hermanöv.

Hier sind wir bei einem Gedichte angelangt, wo der Dichter Ge- gend und Begebenheit aus unmittelbarer Erfahrung genau kennt, sohin richtig alles ins einzelne zeichnet und malt, denn, wie schon oben ange- deutet wurde, war der Dichter oder doch der letzte Sammler der K. H. wol wirklich in dem ehemaligen Fürsteusitze Clwojnov, später Dvür Krälov6 oder Königinhof genannt (H. Jirecek: über die Oertlichkeiten der Kön. Handschrift. Slovenske noviny, Svetozor 1856. Nr. 106. S. 71. Ko~ mdreJc, Pamätky arch. 1867. 14. Jhrg. 1. H. Dejiny Krälove Dvora. Prag. 1867.). Wärend Jaromir im J. 1004 zum zweitenmal über Böhmen

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zu herrschen begann, fällt die zu schildernde Begebenheit zwei Jahrhun- derte später, ins J. 1203 nämlich. Palachj, Dejiuy. I. 2. S. 115. Ne- beshj, Musejn. 1852. III S 170. IV. S. 1G5. 1853. S. 367. Jiredek, Svetozor, 1858. S. 106.

Erstes Bild.

Aj ! du Sonne, liebe Sonne, bist auch du betrübt? warum leuchtest du auch uns, uns so elend gewordenen Leuten. Wo ist unser Fürst, wo unser bewaffnet Volk? Weit bei Otto (IV. von Baiern) ! wer wird verlassenes Vaterland uns den Räubern ent- reissen? Denn im langen Zuge zogen die Deutseben, welche Sachsen sind, über die alten Görlizer Gebirge her in unsere Land- schaften. Ihr Armen, gebet nur, gebet euer Silber und Gold, ja euere Waaren her, dann brennen sie nieder euere Höfe, euere Hütten ! Ja, alless haben sie uns ausgebrannt, Silber und Gold weg- genommen, die Heerden hatten sie uns weggetrieben und sind dann weiter bis gegen die Trosky hin gezogen.

Zweites Bild.

Ihr Landleute (kmetie) trauert nicht mehr, trauert nicht, seht euer Gras erhebt sich wieder, das so lange durch fremden Huf niedergetreten ward, Alis Feldblüten windet Kränze euerem Be- freier, die Herbstsaat grünt schon, alles änderte sich gar schnell. Ajta! Benes, des Hcrmans Sohn, lud das Volk heimlich zu- sammen gegen die Sachsen, es hatte sich das Landvolk (kmetsti lud6) im Walde unter Hrubä-Skäla (Gross-Skal) zusammen ge- rottet, doch als Waffe haben sie nur die Flegel ergriffen gegen ihre Räuber. Da reitet Benes, Benes vor dem gesammten aufge- regten Volke. Rache! ja Rache! ruft er, allen plündernden Sachsen. Ajta! da werden Freund und Feind von grauser Wut ergriffen, das Innere der erbosten Männer wühlet die Wut auf: es lodern die Blicke beider Seiten furchtbar gegen einander auf und Keulen über Keulen erstehen, so wie Speere über Speere

Drittes Bild.

Wie wenn ein Wald gegen einen andern sich erhöbe: so werfen sich beide Heere gegen einander. Der Abglanz der Schwerter ist gleich dem Glänze des Gewitters (hroraa) am Himmel: ein furchtbares Aufschreien ertönt, welches das gesammte Wild aus dem Walde und alle Vögel des Himmels bis zum dritten Berge hin verscheucht. In allen Tälern wiederhallt von den felsigen Höhen her hier das Getöse der Keulen, dort das der Schwerter, ähnlich wie wenn man altgewordene Bäume fällte. Und beide Heere stunden sich entgegen ohne zu weichen, fest gestützt auf den

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Fersen und den strammen Waden. (Hier ist ein Widerspruch der Schilderung:, denn kämpfende Scharen können nicht stehen fest gestützt auf den Fersen und strammen Waden ) Da wendet sich Benes in die Höhe empor; er schwenket das Schwert gegen die rechte Seite: da drängt sich die kräftige Menge rechts hin; er schwenket dann das Schwert nach links und auch dahin stürmt die Menge. Zugleich werfen sich auch von rückwärts die Mengen gegen den Steinbruch und schleudern alles Gesteine gegen die Deutschen. Der Kampf zieht sich so vom Berge hingegen das Tal: die Deutschen mussten da stöhnen, die Deutschen mussten fliehen und erschlagen werden.

Anmerkung. Die historische Gruudlage des Gedichtes findet man in Palacky's Dejiny I. 2. S. Ii5. Wärend im Zäboj die Detitschen noch cuzi d. h. ursprünj^lich tjudt (vergleiche thiuda, Volk) genannt werden, erscheinen sie hier schon mit dem Jetzt allgemeinen Namen der Deutschen, als Netnci und zwar zugleich specificirt als Sachsen, Sasici, nicht aber etwa Sachsen, die in den Görlizer Gebirgen der Oberlausitz wohnen, denn darin waren da- mals nur Sorbenwenden, sondern Sachsen, die aus der Richtung oder Ge- gend der Görlizer Berge herkamen. Hory heissen an und für sich und ur- sprünglich nur Gebirgsivälder, nicht kahle Gebirge, so dass dfevny hier eher uralt, als tvaldig bedeutet. Das Wort Görliz ist nur das verdorbene slavische Zgorelice, Zhofelice, was eine Brandstätte, einen Brandort bedeutet. Trosky sind die bekannten Burg- und Fehen-Trüinmer, denn das bedeutet das Wort trosky, mit den mythischen Namen ihrer beiden äussersten Felsen- höheu: Baha und Deva genannt, die auf ehemalige angesehene Heiligtümer weisen, da sich in der slavischen Mythologie die genannten mythischen Ge- stalten zu einander verhalten, wie etwa Ceres zur Proserpina. Die Ord- nung der Verse scheint jedoch in unserem Gedichte durch einen unaufmerk- samen Abschreiber gestört zu sein. Denn hinter den Vers 48. vstanu kyji nad kyje, kopie üad kopie scheint gleich Vers 61. kommen zu sollen: tako stasta obö stranö und zwar bis zum Verse 73 jde pötka z chluina v rovnu, worauf erst Vers 49. kommen sollte : srasistö ^'t („v rovnu") obß stranö bis zum Verse 60. jak kot velkych diev, worauf erst Vers 74. i by Nßmcöm üpöti kommen sollte. Dann wäre der Ideengang in der Uibersetzung folgender:

Drittes Bild.

So stunden beide S^i^on regungslos einander gegenüber, fest gestützt auf den Fersen und strammen Waden. Da wendet sich Benes von der Höhe zu den Seinen, winket mit dem Schwerte nach rechts: dorthin wril/.et sic-h eine starke Masse, er winket nach links und auch nach der linken Seite stürmt eine starke Menge : (er rufet:) „von rückwärts nach dem Steinbruche hin" und auch vom Steinbruche wälzet mau alle Steine gegen die Deutschen. Nun bewegt sich aber die Schlacht von den Höhen gegen die Ebene hin. Hier stosseu beide Seiten an einander, wie wenn ein Wald gegen einen andern sich erhöbe Der Glanz der Schwerter ist gleich dem Blitze des donnernden Gewitters : ein furchtbares Auf- schreien ertönt, welches alle Waldtiere und alle Vögel des Himmels bis zum dritten Berge hin verscheucht. Das Getöse der Keulen hier, dort das Getöse der Schwerter wiederhallt von den Felsen- höhen in allen Tälern, wie wenn man altgewordene Bäume fällte.

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Und da mussten stöhnen die Deutschen, die Deutschen mussten fliehen, sie mussten erschlagen werden.

Diese Umstellung der Verse scheint notwendig zu sein, da bei der jetzigen Aufeinanderfolge zwischen den Versen 60. u. 61. d. i. zwischen der Beschreibung der regen Schlacht und der ruhigen erwartenden Stellung ein offenharer Widerspruch, so wie dazu noch zwischen den Versen 73. und 74., nämlich zwischen den Sätzen: „Und die Schlacht bewegt sich von den Höhen in die Ebenen'': „und die Deutschen mussten stöhnen" gewiss wenig Zut^animenhang ist, sondern eben die schon vorangehende Schilderung der Schlacht erheischt, wornach erst die Deutschen zu fliehen genötigt werden. Veigl. Sitz. Ber. d. kön. böhm. G. d. W. 1867. 29. Juli. Wir sprachen von Vers- ahteilungen u. zw. wie sie in Ausgaben von Safafik-Thun und J. Kofi- nek vorkommen, zweifeln aber gewaltig, mag nun die eben vorgeschlagene Aendcrung gebilligt werden oder nicht, dass sich ein so gekünsteltes un- slavisches Metrum (Strophen zu 4 Versen, wovon der erste acht, der 2. und 3. sieben, der 5. Vers aber fünf Sylben zählen soll) in der Tat im böhmi- schen Altertume nachweisen Hesse. Welcher alte Slave hätte wol einen Vers gemacht wie : cuziem kopytem protiv Sasiköm protivo vrahöm kopie nad kopie udgl. das klingt ja wie die Endverse der Hexameter ! Mussten jedoch die Versabteilungen bleiben, dann müsste allerdings auch der V. 73 beim 74. Verse bleiben und nur die Verse 61. 72. würden eingeschoben werden.

32. Von dem Festeszweikampfe (o slavn^m sedanie) oder Lubor und Ludise.

Erstes Bild.

Vernehmet ihr Alten und ihr Jünglinge von den Zweikämpfen, ja von den Zweikämpfen zu Pferde. Es gab einst einen Fürsten hinter der Elbe, ruhmesvoll, reich uud tapfer, der hatte eine ein- zige Tochter, ihm und allen anderen lieb. Dies Mädchen war wun- derbar lieblich, ihr Leib war schön gewachsen, das Antliz hatte sie sehr weiss, doch an den Wangen blute die Röte, die Augen wareu wie der klare Himmel und über ihren weissen Nacken wallen goldglänzende Haare zu Ringen gekräuselt. Aj, da befahl einst der Fürst dem Boten: alle Herren möchten sich ver- sammeln auf der Burg zu grossen Festlichkeiten. Als nun der be- stimmte Tag heran gekommen war, da versammelten sich aus fernen Landen, aus ferner Heimat all die Herreu hieher, auf der Fürstenburg zu diesen Festen. Der Schall von Trompeten und Pauken ertönet.

Zweites Bild.

Die Herren (päni) eilen hin zum Fürsten, sie verneigen sich da vordem Fürsten (knezu), der Fürstin (kneni) und vor der lieblichen Tochter (dcefi). Zu überlangen Tischen setzen sie sich ein jeder einzelne nach seiner Geburt. Da trug man ansehnliche Speisen auf (oder Wildbraten?), man trug auf Honiggetränke: da ward das festliche

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Mal laut, da ward das festliche Mal ruhmvoll. Kraft verbreitete sich in allen Gliedern und reger Sinn verbreitete sich über jedes Gemüte. Bei dieser Gelegenheit sprach der Fürst zu den Herren : Ihr Männer! es bleibe euch nicht verborgen, aus welchen Gründen ihr euch versammelt. Edle Männer, ich möchte erfahren, welche aus euch die tüchtigsten seien: weise ist es wärend des Friedens an den Krieg zu denken und stäts haben wir die Deutschen (Nemci) zu unseren Nachbarn. So sprach der Fürst. Die Stille wird unterbrochen, von den Tischen stehen auf die Herren, sie verneigen sich da vor dem Fürsten, der Fürstin und vor der lieb- lichen Tochter. Pauken und Trompeten höret man wieder.

Drittes Bild.

Alles rüstet sich zum Pferde-Zweikampfe dort vor der Burg auf der weiten Wiese. In der Höhe am geschmückten Balkone sass der Fürst mit den Starosten, sass die Fürstin mit den Edel- frauen (zemankami) und Ludise mit den Jungfrauen (devicemi). Da verkündete der Fürst seinen Grundbesitzern (zemanöm): Die da die ersten zum Zweikampfe wollen, die bestimme ich als Fürst selbst. Da ruft der Fürst den Stfebor und Stfebor nennt den Lu- dislav. Beide setzten sich zu Pferde, ergriffen Schafte von Holz mit scharfer Spitze, jagten hastig gegen einander, kämpften so lange mit einander, bis beider Schafte zerbrachen und beide gleich ermüdet aus der Kampfbahn traten. Es erschallen die Töne der Trompeten und Pauken.

Viertes Bild.

Da verkündet der Fürst seinen Grundbesitzern: Welche die zweiten zum Zweikampfe wollen, diese mag die Fürstin bestimmen. Die Fürstin ruft den Srpos und Srpos nennt den Spytibor. Beide setzten sich zu Pferde und ergriffen die hölzernen Schafte mit scharfer Spitze. Srpos jagt gegen Spytibor hin und hebt ihn aus dem harten Sattel. Behende springt er selbst vom Pferde. Beide ziehen ihre Schwerter: Hieb auf Hieb fällt auf die schwarzen Schilde und aus den schwarzen Schilden springen Funken hervor. Spytibor schlägt da gegen Srpos, Srpos fällt zur kühlen Erde. Doch beide sind so ermüdet, dass sie aus der Kampfbahn traten. Es erschallen die Töne der Trompeten und Pauken.

Fünftes Bild.

Da verkündet der Fürst seinen Grundbesitzern : Welche die do^tten zum Zweikampfe wollen, diese mag die Fürstentochter (knezna) bestimmen. Die Fürstentochter ruft den Lubor und Lubor nennt den Bolemir. Beide setzen sich zu Pferde, beide griffen zu

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hölzernen Schäften mit scharfen Spitzen, eilends jagten sie in die Bahn, stellten sich zielend gegen einander auf und stiessen mit den Speeren gegen einander. Bolemir stürzt vom Pferde, der Schild flog weit von ihm und Knechte trugen ihn aus der Bahn. Es er- schallen die Töne der Trompeten und Pauken.

Lubor ruft nun den Rubos. Rubos springt behende auf das Pferd und jagt scharf gegen Lubor. Lubor hieb ihm den Speer mit dem Schwerte durch und bringt ihm gewant einen Schlag auf den Helm bei, so dass Rubos rücklings vom Pferde fallt. Knechte tragen ihn aus der Bahn. Es erschallen die Töne der Trompeten und Pauken.

Lubor ruft nun zu den Grundbesitzern: Die gewillt wären, sich mit mir zu schlagen, mögen hieher in die Bahn reiten. Eine Unterredung unter den Herren beginnt, Lubor harret auf der Bahn. Zdeslav sucht hervor einen langen Schifc und auf diesem ist der Kopf eines Auers. Zdeslav springt auf einen jungrautigen Hengst und spricht in hochmütigen Worten: Der Urahn schlug nieder einen wilden Auer, das Väterchen verjagte der Deutschen Schaaren, Lubor wird meine Tapferkeit erfahren. Und da jagten sie gegen einander, stiessen mit den Köpfen in einander, aj ! beide fielen von den Pferden. Da griffen behende beide zu den Schwertern, kämpften zu Fusse, schwangen rührig mit den Schwertern, rings um sie wiederhallten die Schläge. Lubor nähert sich ihm seitwärts, hauet gewaltig ihm in den Helm, der Helm zerspringt in Stücke, mit dem Schwerte schlägt er noch einmal gegen dessen Schwert, aber das Schwert fliegt über die Bahn hinaus, Zdeslav wirft sich zur Erde. Es erschallen die Töne der Trompeten und Pauken.

Sechstes Bild.

Die Herren Schäften (panstvo) umringen den Lubor und führen ihn vor den Fürsten, vor die Fürstin und vor Ludisa. Ludisa setzt ihm den Kranz auf, einen Kranz aus Eichenblättern. Es erschallen die Töne der Trompeten und Pauken.

Anmerkung. Dies Gedicht hat etwas Fremdartiges, ja Eauhes an sich, zum Teile auch gar viel Unschönes. Der Fürst hinter der Elbe, oder der Fürst Za/o6.s7ij/ ? gehtniit „seinen Grundbesitzern" (zemanö) um, wie mit ein- fachen Mannen, er befielt und sie wirken, er zieht die Maschine auf und sie wird in ihrer Art wirksam. Auch Widersprüche finden sich vor: „welche die Ersten ivoUeu zu dem Kampfe, die bestimme ich, der Fürst selbst" (V. 54. 55.). Dieser Widerspruch wiederholt sich dazu rinigpuial iV. 66. 84.). Wie hart und schal sind Lubors Worte 'V. 106. 107): „die sich mit mir schlagen wollen, die müssen hieher auf die Bahn reiten " Syntaktisch macht der Man- gel fast aller Partikel den Satzbau sehr eintönig, ja mechanisch. Wärend man im Gedichte Benei^ Hefmanov schon Strophen zu vier Zeilen finden will, wovon die erste Zeile 8-, die zweite und dritte 7, die vierte aber 5-sylbig ist, geht das Gedieht „o sedani"' nur in zerhackten 8-sylbigen Zeilen vor sich, welche strophenartig nur durch das Getöne der Pauken und Trompeten unterbrochen werden. Man siehe über das Gedicht, welches einer der Hauptan-

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griflf^puncte Fejfalik's war, der darin irrig ein Zerrbild der Turniere (klänie) sah, wärend es das nationale Vorbild derselben, d. i. das Bild des Zwei- kampfes zu Pferde (sedanf) ist, Nebesky : Musejn. 1852. IV. S. 165. 1853. S. 384. Jirecek: Svetozor 1858. Nro. 19. S. 14'.^. Echtheit, S. 122. Wie dies Gedicht das letzte ist in der Sammlung der historischen Lieder der K. H., so ist es wahrlich auch das letzte nach dem Gehalte seiner Poesie: seine for- melle Ungeschlachtheit ist entweder ein Zeichen seiner Altertümlichkeit oder aber schon des Verfalles nationaler Poesie. Wir würden für das erstere stimmen, dazu bestimmt uns die Einfachheit, ja, langweilige Einförmig- keit der inneren Momente, da es fast alle möglichen Vorfälle beim Pler- dezweikampfe besingt, dafür die Ausdrücke: jedenie divä (V. 2-), pitie mednä (V. 29), zkakych pficin (V. ;3ti. Jaroslav nennt schon statkako jako), vezdy näm süsede Ne'mci (V. 40. im 13. Jh. würde wol niemand in Böhmen so gesprochen haben, da das Deutschtum wenigstens in das Centrum von Böhmen förmlich hereingezogon wurde), pradäd zbi divatura (V. 114), otcik zahna Neincev sbory, mein Väterchen vertrieb dfr Deutschen Schaaren, mein Urahn erschlug einen wilden Auer (V. 115.); das Wort heim statt des sla- vischen slemi> erinnert allerdings an deutschen Einfluss, allein wir haben ja nicht das Original, sondern eine Abschrift vor uns. Vgl. jedoch auch Ko- mdrek's Aphorismen aus der K. H. in den Prager Pamätkyarchaeologickö 14. Jg. 1. Heft. 1867. Ludise u. Lubor.

33. Das Mädchen und der Gukuck.

Erstes Bild.

Im weiten Felde steht eine junge Eiche (dübec), auf der jun- gen Eiche klagt weinend der Grukuck (zezhulice, im Slavischen weiblich), dass der Frühling nicht ewig dauere. (Es war jedoch kein Gukuck, es war ein Mädchen, dass ewig schön und frei blei- ben wollte).

Zweites Bild.

Gäbe es einen ewigen Frülding, wie würde da das junge Ge- traide am Felde je reifen, gäbe es einen stäten Sommer^ wie würde da der Apfel im Garten je reif, gäbe es einen stäten Herbst (jesen), wie durchfrören die Aehren im Schober? Wie würde dem Mäd- chen bange werden, das immer Mädchen (sama) bliebe?

Anmerkung. Obwol die Sprache des Gedichtes Spuren des 18. Jh. an sich trägt, reihen wir es doch vor die anderen kleinen Gedichte, weil wir die ursprüngliche Grundlage desselben für eine mythische halten. In der Tat ist für die Natürlichkeit aller Lieder der K. H. der Wunsch eines Mädchens, stäts Mädchen bleiben zu wollen ohne eine mythische Grundlage anzunehmen unerklärlich. Es scheint jedoch unter der dSva, dem Mädchen, die Dieva (Dzieva, „Siwa") die Götterjungfrau gemeint zu sein, wilche dem polnischen Chronisten Prokos gemäss jährlich in einen Gukuck sich zu verwandeln pflegte. Siehe über sie die „Deva zlatovlasä" (Prag, 1860, S. 8. 38 im Se- paratabdrucke), S. 2«6. (im Actenbande) und zugleich die Sitzungsberichte der kön. böhm. G. d.W. zu Prag, 1865. 19. Juni. Kvgt: aestheticky rozbor R. K. 1861. 152. 153. Die Jungfräulichkeit der Pallas (Athene), des grie- chischen Gegenbildes der (slavischen) Deva, Dievica (beim Chronisten Siva

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ßtat Dsiva, Dzieva) ist sattsam bekannt, obwol diese Art mythischer Jungfräu- lichkeit einen ganz andern Sinn hat und darum auch nicht absolut ist, als wie eine klösterliche Jungfräulichkeit. Diese mythische Grundlage würde dies Lied gut eignen zu den religiösen Gebräuchen einer Hochzeit. Von den Jahrszeiten ist jaio, l§to und jesen genannt, die vierte Jahrszeit, zima, ist aber durch den Ausdruck : kakby mrzli klasi v stozö angedeutet. Der Form nach hat das Gedicht einen schönen trochäischen Rhythmus, doch zwingt man es auch in acht- und siebensylbige Zeilen, und zwar unslavisch, wenn man z. B. an den auch relativ unabgeschlossenen Vers : „na dubci zezhulice" denkt.

34. Der Jüngling^ und das Mädchen.

Erstes Bild.

Meine Geliebte pflückte im Föhrenwäldchen Erdbeeren. Da verletzte sie ihr Fiisschen an einem scharfen Dornstrauche. Sie konnte nicht auf das Füsschen auftreten. Du Dorn! du scharfer Dorn wirst ausgerodet werden aus dem Wäldchen, da du dem Mädchen Schmerz verursachtest ; du aber, Liebe! verweile etwas in dem schattigen Föhrenwäldchen bis ich mein weisses Rösslein von der Wiese hole.

Zweites Bild.

Das Rösslein weidet im dichten Grase, das Mädchen harrt des Geliebten im schattigen Wäldchen. Ein leiser Vorwurf steigt in ihr empor: Ach ich unglückliches Mädchen (roba), was (cie) wird die Mutter sagen, die mir immer rät, vor Jünglingen sich zu hüten! Warum sich aber auch hüten vor so guten Menschen.

Drittes Bild.

Da kam ich an zu Pferde, das weiss wie Schnee war. Ich sprang herab. Mit dem silbernen Zaume band ich es au einen Ast fest. Ich umarmte das Mädchen, drückte es ans Herz, küsste es und sieh! das Mädchen vergisst den Schmerz. Es war uns so wol, es war uns so lieb, doch da ist die Sunne schon nah dem Untergange. Lieber ! reite eilends nach Hause, die Sonne beginnt uns zu untergehen. Ich sprang behende auf das Rösslein weiss wie Schnee, und nahm die Liebe in die Arme, ritt mit ihr nach Hause.

Anmerkung. Man teilt die Worte dieses Gedichtes in acht- und sieben- silbige Verszcilcn, ja sogar in Strophen ein. Doch das ist alles noch frag- lich, da sodann die erste Strophe sechs- die andere vierzeiiig wären, auch einzelne Wörter, z. B. i-de oder jde, za-dfi-e-sc oder za-dfi-se verschieden syllahirt gedacht werden können. Wir würden es in Langzeileu lesen: .Jde uiä mihi na iahody na zelenä borka zadfiese si ostre trnie v bßlitku no- zicu u. gl. Die alte Verskunst verträgt satzlose d. i. gedankenlose Verszeilen nicht, wie z. B. v zeleuc boreciö po tichünku v borcö za stfiebrnü

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uzdu u. dgl. Inhaltlich ist das Gedicht ein liebes (Jemälde zwar schüchterner, aber naiv sinnlicher Liebe. Der Liebende mit seinem schneeweissen Pferde trägt das Gepräge eines Götterjüuglings, das 'Mädchen einer märchenhaften Schönen und die Erdbeeren, wie gHwöhnlich in den IMärchon, das Gepräge roter Biitzfunken an sich: bekanntlieh geht auch in den slavischen Märchen das Mädchen auf Erdbeeren in den Wald oder wird um Erdbeeren geschickt (Kvet: Aestheticky rozbor K R. 186L str. 148. Slovenske pohädky od Boz. Nömcovö. 1857. str. 29G o 12 mösickäch).

35. Die Rose und das Mädchen.

Erstes Bild.

Ach du Rose, schöne Rose, warum blühest du so frühzeitig (jetzt ?) auf: der Frost ergriff dich, du welktest hin und welk fielst du ab. Abends sass ich, sass gar lange, sass bis zum Hahnengesange und doch harrte ich vergebens, alle Späne und aller Kien war schon verbrannt.

Zweites Bild.

Da schlief ich ein. Im Traume träumte mir armen, dass mein Goldring der rechten Hand entgleite, dass auch der Edelstein her- ausfalle. Ich erwachte. Den Edelstein fand ich nicht, denn auf meinen Geliebten hatte ich vergeblich gewartet.

Anmerkung. Es ist fraglich, ob im Texte ranie (früh, frühzeitig oder nynie{mmQ) jetzt, gelesen werden solle, da der Sinn und die verwischte Schreib- weise beides möglich macht. Nynie, das jetzige nyni, würde auf ein Herbst- lied deuten, dass besser zum zweiten Bilde passte. Die vielen verbrannten Späne und Kiene deuten gleichfalls auf lange Herbstnächte. Liesst man ranie (ranö), dann schildert das Gedicht eine vorzeitige Liebe, liesst ma.nnynie, so ist es ein Bild unbefriedigter Liebe. Natürlich muss man bei dem Bilde der Rose nach sla- vischem Gebrauche hinzudenken : doch es war keine Rose, sondern ein Mäd- chen, das gerade zur LTnzeit blühte. Wie nach abgestreifter mythischer Farbe das Mädchen (N. 34) ein Bild glücklicher ^ Liebe schildert, so ist dieses ein Gemälde unbefriedigter Sehnsucht. Vgl. Celakovsky närodni pisnö, I, 122. 123. in. 132. 229. Stur, S. 45. 72. Uebrigens trägt das Gedicht, wie wir es vor uns haben, deutliche Spuren bedeutender Umarbeitung auf sich : denn die verbalen jüngeren Formen, wie rozkvetla, opadla, smekl, svlekl passen gar nicht zu den älteren : sedech, sezzech, nedozdech n. dgl. Nur gezwun- gen lässt es sich auch in sieben- und acht-zeilige Verssylben unterscheiden. Uns will bedüuken, dass auch hier ursprüglich in Langzeilen gelesen wurde, denn Verszeileu wie : „na pravej ruce s prsta" „iako by mne, nebozce" sind wie gesagt gewiss nicht ursprünglich, da sie keinen relativ einheitlichen Sinn in sich einschliessen.

36. Der Blumenstrauss und das Mädchen.

Erstes Bild.

Ein Lüftchen weht aus den fürstlichen Wäldern : ein liebes Mädchen eilt zu dem Flusse, schöpft Wasser in die beschlagenen

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Eimer, Ein Stränsschcn (kytice) schwimmt auf dem Wasser hin zu dem Mädchen, ein Sträusschen aus Veilchen und Rosen. Das Mädchen bemüht sich, das Sträusschen zu haschen: sie fällt, ach! sie fällt in das kühle Wasser.

Zweites Bild.

Wenn ich wüsste, ihr schönen Blumen, wer euch pflanzte in das fruchtbare Erdreich, dem gäbe ich dies goldene Ringlein: wenn ich wüsste, ihr schönen Blumen, wer euch mit weichem Baste zu- sammenband, dem gäbe ich die Ziernadel aus den Haaren; wenn ich wüsste, schöner Blumenstrauss, wer dich auf kühlem Wasser hierher Hess, dem gäbe ich mein Kränzchen vom Kopfe.

Anmerkung. Das Anfangsbild vom Lüftchen aus den fürstlichen Wäldern ist wiederum der slavische Tropus des Naturparallelismus : kein Lüftchen war es nämlich, sondern der Gruss eines Jünglings aus den (dem Dichter so bekanntenj fürstlichen Wäldern des alten Fürstensitzes von Chvoj- nov, mitgeteilt durch das Sträusschen. Das Mädchen weiss auch recht gut, dass es eben ihr gelte, sie hascht nach dem Sträusschen und fallt dabei in das Wasser, Doch erreicht sie ihren Zweck und spricht dann den Blumen- strauss schalkhaft an, als ob sie nicht wüsste, von wem er käme. Göthe ver- änderte daher ganz den Charakter dieses Gedichtes, als er das Moment des ins Wasserfallens an das Ende desselben setzte, denn aus einem neckischen Zufall machte er einen Furcht erregenden Unfall, der dem heiteren Tone des Ganzen nur zum Abbruche gereicht. Wenn das Mädchen den Blumenstrauss so freundlich anspricht, dann ist er auch schon in ihrer Hand und damit jede Gefahr vorüber. Gerade der Fall in das Wasser zeigt die grosse Neigung des Mädchen zum Urheber des Blumengrusses, indem sie die Wassergefr.hr nicht achtend, ja den Fall ins Wasser gleich vergessend, in der neckischen Gra- dation Ring und Zicrnadel dem zurückgebeu will, von dem sie diese Liebes- male wol empfangen, indem sie sich demselben ohnehin ganz hingeben will. Setzt man den Sturz ins Wassers an das Ende des Gedichtes, so würde man fost komisch, indem man das Mädchen zu dem ihr enteilenden Sträusschen sprechen Hesse, abgesehen davon, dass man mit trauriger Prosa die heitere Poesie enden würde.

37. Das Mädchen und die Miletiner Wälder.

Erstes Bild.

Ach, ihr Wälder, ihr dunklen Miletiner Wälder, warum grünet ihr im Sommer und Winter so gleich. Auch ich würde gerne mit dem Weinen aufhören und mein Herz nicht so betrüben. Aber sprechet, ihr guten Leute, wer würde hier nicht weinen ?

Zweites Bild.

Wo ist mein Väterchen, mein liebes Väterchen. Begraben ist er in dem niedrigen Grabe. Wo ist meine Mutter, meine gute

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Mutter? Junges Gras wachset auf ihr. Brüder und Schwestern habe ich nicht: den Jüngling nahmen sie mir.

Anmerkung. Die grünenden Miletiner Wälder sind hier wol die Na- turrepräsentiinten der stets heitern „guten Leute' dieser Gegend des Riesen- vorgebirges und das Gedicht muss auf ein uns unbekanntes Factum sich gründen, das eine Aufforderung zur Heiterkeit an das Mädchen stellte. „Den Jüngling nahmen sie mir," auch dieser Gedanke basirt sich auf ein uns unbe- kanntes Factum, denn wer sind diese „sie nahmen" (vzechu) ? und wozu? nahmen sie ihn. Der Form nach findet man in dem Gedichte einen Wechsel von acht- und sechs sylbigen Zd^ilen, muss aber zu manchen Künstlichkeiten greifen, die nicht altertümlich erscheinen z. B. man muss raoje wie moj' lesen, die Zeilen: ,,a feknSto dobfie ludie, kdo by neplakal zdö" haben dazu keinen Versrhytmus. Das vorangehende Gedicht aber nennt man in zehn- sylbigen Zeilen geschrieben, die zweite Zeile aber: „beze zmilitka ku potoku" zählt jedoch nur neun Sylben.

38. Das Mädchen und die Lerche. Erstes Bild.

Ein Mädchen jätet Hanf im herrschaftlichen Garten. Eine Lerche fragt sie, warum sie so klage. Wie könnte ich froh sein, du kleine Lerche: sie führten ja meinen Geliebten fort auf die kleine Burg von Stein.

Zweites Bild.

Halte ich ein Federchen, schrieb ich ein Briefchen, du kleine Lerche, du würdest damit hinfliegen. Ich habe jedoch weder Fe- der, noch ein Schreib-Häutchen (da), worauf ich ein Briefchen schriebe. Erfreue den Teueren durch den Gesang: dass ich hier vor Trauer schmachte,

Anmerkung. Auch hier sind unbekannte Tatsachen vorauszusetzen. Vielleicht ist hier dasselbe Mädchen (döva) gemeint, wie im vorangehenden Gedichte. „Pansky sad" die Pflanzung des Herrn, könnte auch herrschaft- licher Garten übersetzt werden, wenn man wüsste, was ,, Herrschaft" hier be- deute, da doch wol nicht an feudale Verhältnisse der spätem Zeit gedacht werden darf. Ist noch etwa von der Zeit der Markomannenherrschaft im Gedichte eine Spur zurückgeblieben, sammt der gemauertun Burg, der Burg von Stein? Die Lerche „skr ivanek'' ist im böhmischen männlich. Es muss nicht angenommen werden, dass das Mädchen selbst schreiben konnte, sondern dass sie nur wusste, zum Schreiben sei Feder und Pergamen nötig. Nimmt man im Gedichte Strophen von vier Zeilen an; so ist die erste und dritte sieben- die zweite und vierte sechs-sylbig: dann aber gelten Zeilen wie „u panskeho sada, u kamenny hradek" obschon sie keinen relativ abgeschlos- senen .^Jatzsinn geben, doch für alte Verse.

Unmittelbar an dies Gedicht schliessen sich im Texte die Worte: „zahrakocie v hrade vr(dnay\ „es kräht in der Burg eine Krähe," als Anfang eines neuen Gedichtes, dessen Fortsetzung je- doch zu Grunde gieng.

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39. O velikycli boitcli kr est'an s Tatary (von den gros- sen Kämpfen der Christen mit den Tataren) oder

Jaroslav.

Erstes Bild.

Ich verkündige euch eine sehr berühmte Sage von grossen Kämpfen, wilden Schlachten. Werdet ruhig und sammelt all eure Aufmerksamkeit, bleibt ruhig und eurem Gehöre wird Wunder- bares geboten werden.

In der Heimat, wo Olomüc der Anführer ist, gibt es einen nicht gar hohen Berg, nicht hoch, Hostainov ist sein Name, die göttliche Mutter (mäti bozia, die Mutter Gottes) wirket alldort Wunder.

Lauge waren unsere heimatlichen Länder im Frieden, lange blute der Wohlstand unter den Leuten, ehe vom Aufgange in den Ländern ein Sturm entstand, und zwar der Tochter des Tataren- Chames halber, welche Christenleute der Edelsteine, Perlen und des Goldes halber töteten.

Die angenehme Kublajevna, der Luna ähnlich, hatte ver- nommen, dass es westliche Länder gäbe, dass in diesen westlichen Ländern viele Menschen lebten und bereitete sich, fremde (cuziech, ursi)riinglich deutsche) Sitten kennen zu lernen; zu ihrer Beglei- tung springen zehn Jünglinge auf die Füsse und zwei Jungfrauen, sie häufen zusammen, was notwendig war und alle setzten sich auf behende Pferde und reiseten dorthin, wohin die Sonne enteilet.

Wie das Licht am Morgen (po jutru) erglänzet, wenn es sich über dunkle Wälder erhebt: so glänzte die Tochter des Ta- taren-Chams durch natürliche und bereitete (künstliche) Schönheit. Angekleidet war sie ganz mit Goldgewändern, die Kehle, den Busen hatte sie enthüllt und mit Edelsteinen und Perlen umwunden. Eine solche Schönheit bewunderten die Deutschen (Nemci), beneideten deren Reichtum sehr, sie beobachteten den Weg ihres Zuges (ihrer Reise), überfielen sie im Walde, töteten sie und nahmen ihren Reichtum (ihre Waaren) weg.

Zweites Bild.

Als das der Tataren-Cham Kublaj vernahm, was sich alles mit seiner teueren Tochter zugetragen, da sammelte er aus allen bevölkerten Landen Heere und zog mit den Heeren dorthin, wohin die Sonne eilet. Dies vernahmen die Könige im Westen, dass der Cham nach ihren bevölkerten Ländern eile, sie verschworen sich einer mit dem andern, brachten eine sehr starke Mannschaft zu- sammen und zogen zu Felde gegen ihn. Sie lagerten in, einer

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grossen Ebene, lagerten und erwarteten da den Cham. Kublaj beruft alle seine Sehwarzkünstler, Wahrsager, Sterndeuter und Zauberer, damit sie vorher verkündeten und errieten, welches Ende die Schlacht nehmen werde. Flugs fanden sich die Schwarzkünstler, Wahrsager, Sterndeuter und Zauberer zusammen, traten aus dem Kreise nach zwei Seiten, legten der Länge nach ein schwarzes Schilfrohr hin, zerteilten es in zwei Teile, der einen Hälfte gaben sie des Kublaj 's Namen, der andern Hafte des Königs Namen, raunten darüber altertümliche Worte, Beide Schilfe begannen mit einander zu kämpfen und das Schilf des Kublaj siegte.

Drittes Bild.

Es erfreute sich die Menge des gesamraten Volkes, jeder eilet behende zu seinen Pferden und die Heere stellen sich in Reihen: die Christen hatten nicht einmal eine Verabredung (Plan) und jagten ohne Verstand in die Reihen der Heiden mit so einem Uibermute, als sie Stärke (Macht) hatten. Da drängt sich zusammen der erste Kampf wie in einen Haufen, Pfeile regneten wie Wolken- brüche, das Brechen der Lanzen glich dem Donnergetöse, der Glanz der Schwerter dem Feuer des Wetters. Beide Seiten wehrten mit jungkräftiger Macht, dass eine der andern nicht vorankomme. Doch verfolgte schon eine Menge Christen die Heiden und sie hätte ihnen schon Widerstand geleistet, wenn nicht die Schwarz- künstler von neuem gekommen wären und die zerteilten Schilfe nicht mit sich gebracht hätten.

Das entbrannte gewaltig die Tataren, wild fielen sie gegen die Christen aus, jagten sie die einen nach den anderen so ge- waltsam, dass sie diese wie ein scheues Wild auseinander stäubten. Da liegt ein Schild, da ein teuerer Helm, da schleift ein Pferd einen Vojevoden in den Bügeln, da jagt dieser eitel gegen die Tataren, der andere fleht um Gotteswillen um Erbarmen, dadurch entflammten (roz-noi ichu) die Tataren sich nur noch mehr. Zwei Königreiche unterwarfen sie sich: das alte Kyjev und das geräu- mige Novyhrad,

Viertes Bild.

In kurzem verbreitet sich Elend über all die Länder, man erhebt sich, um in jeder Heimat Leute zu werben, vier starke Heere stellte man auf, erneuerte das Gekämpfe gegen die Tata- ren. Die Tataren bewegten sich nach der rechten Seite. Wie eine schwarze Wolke, wenn sie mit Hagel droht, die Früchte üppiger Felder verwüstet, so war der Tataren Schwärm schon vom ViTeiten zu hören.

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Flugs treten die Ungarn in Scharen za hunderten zusammen, flugs treten die (regelmässig) Bewafifoeten (oruzeni) zu ihnen, doch eitel war ihr Mut, ihre Tapferkeit, eitel all ihr kühnes Wider- stehen: in dem die Tataren gegen die Mitte der Reihen hin stür- men, zerstreuen sie alle ihre zahlreichen Heere und verwüsteten alles, was im Lande war.

Fünftes Bild.

Alle Hoffnung verlässt die Christen und es war ein Elend grösser jedes (andern) Elendes, wehklagend beteten sie gegen Gott empor, damit er sie rdte vor diesen böswilligen Tataren: Stehe auf o Herr (hospodine!) in deinem Zorne, befreie uns von den Räubern, befreie uns von ihnen, die uns verfolgen, sie wollen unsere Seele erdrücken, da sie uns so umzingeln, wie die Wölfe die Schafe.

Die er^ite Schlacht ist für uns verloren, verloren auch die zweite. Sechstes Bild.

Die Tataren lagerten schon in ganz Polen, näher und näher her verwüsteten sie alle Länder und drängten sich wild zu Olomüc (Olmtiz). Ein hartes Elend erhebt sich über all die Landschaften, nichts war mehr sicher (frei) vor den Heiden.

Einen Tag wurde gekämpft, gekämpft ward auch den andern Tag: der Sieg neigte sich nirgend hin.

Ajta! der Tataren Menge nimmt zu, wie im Herbste das Abenddunkel zunimmt. Und bei dieser Uiberschwemmung (Flut) der wilden Tataren bewegte in der Mitte sich das Heer der Christen , nur mit Mühe sich durchdrängend, zu dem Berge, worauf die Mutter Gottes Wunder wirket.

Hinauf ihr Brüder ! hinauf, rufet Vneslav, schlägt mit seinem Schwerte auf sein silbernes Schild und schwingt die Fahne hoch über seinem Kopfe. Alles ermannt sich, alles drängt gegen die Tataren, indem sie sich zu einer starken Macht vereinten. Als solche brachen sie wie ein Feuer aus der Erde dort gegen den Berg aus den Tatarenmassen heraus. Gegen die Höhe über den Bergabhang schreiten sie rücklings, am Bergabhange oben (pod chlumi) traten sie der Breite nach auseinander, unterhalb ver- engten sie sich zu einer scharfen Spitze, deckten sich rechts und links mit Schildern, die Speere, scharf gespitzt, legten die zweiten den ersten auf die Schultern, so wie die dritten den zweiten; worauf ganze Wolken von Geschossen hernieder fielen auf die Tataren.

Indes bedeckte die dunkle Nacht die ganze Erde, sie ver- breitet sich zur Erde, so wie zu den Wolken und trennet die ge-

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gen einander erglühten Blicke sowol der Christen als der Tata- ren. In dichter Finsterniss werfen die Christen Wälle auf, Wälle die gegraben waren rings um den Berg. Als im Osten ücht zu werden begann, erhob sich das ganze Lager der Mörder. Dies Lager war furchtbar: Rings um den Hügel bis zur unsichtbaren Ferne. Dort schwärmten sie auf raschen Pferden und trugen auf- gespiesste Christen-Köpfe hoch zum Zelte des Cham. Da drängt sich eine Menge zu einer Kraft zusammen, alle zielen gegen eine Seite hin und stürmen den Hügel hinauf auf die Höhe, und schrien auf mit einem schrecklichen Schrei, so dass es in den Bergen und Tälern wiederhallte.

Die Christen stunden ringsum auf den Wällen, die Mutter Gottes mehrte ihren Mut, stramme Bogen spannten sie behende und schwenkten kräftig mit scharfen Schwertern so, dass die Ta- taren zurück weichen mussten. Darob ergrimmt das Volk der wilden Tataren, der Cham erglüht vor wildem Zorne: in drei Ströme teilt sich das ganze Lager und alle drei Ströme richten sich wild gegen den Hügel. Zwanzig Bäume fällten die Christen, alle zwanzig, die da gestanden, wälzten sie an den Rand der Wälle.

Schon, schon stürmen die Tartaren gegen die Wälle furcht- bar gegen den Himmel schreiend und brüllend, schon begannen sie die Wälle zu zerstören: als von den Wällen, die mächtigen Baumstämme herabgerollt wurden und die Tartar^n gleich Wür- mern zerdrückten, ja noch ferne auf der Ebene sie niederwarfen. Lange ward so und hart gekämpft bis wieder der Nacht Dunkel dem Kampfe ein Ziel setzte.

Siebentes Bild.

0 Gott! aj! da sehet! der ruhmvolle Vneslav, der ruhmvolle Vneslav stürzt getroffen vom Pfeile von den Wällen : wilder Schmerz zerwühlt das bange Herz. Ein peinlicher Durst trocknet schmerz- haft alles innere aus: bei heisser Kehle labt man sich mit betau- tem Grase. Der stille Abend übergeht in eine kühle Nacht, die Nacht wandelt sich zum grauen Morgen, auch im Lager der Tata- ren war es noch ruhig. Gegen Mittas: wird es immer heisser, vor peinigendem Durste fielen Christen nieder, öffneten ihren ausge- trockneten Mund und sangen heiser zu der Gottesmutter, zu der sie auch ihre matten Augen richteten, klagend ihre Arme gegen den Himmel streckend, auch ängstlich von der Erde gegen die Wolken blickend.

„Unmöglich ist es uns länger in diesem Durste auszuhalten, unmöglich vor Durst zu kämpfen : wem Gesundheit, wem das liebe Leben wert ist, der erflehe Gnade bei den Tataren!"

So sprachen schon die einen, die anderen aber: „Peinlicher sei es durch Durst zu Grunde zu geben, als durch das Schwert: in

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der Sclaverei werde es wenigstens genug Wasser geben." „Mir nach, der so gesinnt !" ruft VestoTi, „mir nach der unter euch von Durst gequält wird."

Da springt Vratislav wie ein junger Auer herbei, ergreift den Vestoii bei der starken Schulter und spricht: „Du Verräter, du ewiger Schandfleck aller Christen, in das Verderben willst du wer- fen die tüchtigen Leute? Von Gott Gnade zu erflehen ist wol löb- lich, nicht aber Gnade in der Gefangenschaft der wilden Tataren. Wollt doch nicht, ihr Brüder! hineilen in euer Verderben. Die wildeste Schwüle haben wir schon überstanden, Gott hat uns ja gestärkt im erhitzten Mittage, Gott wird uns auch, wie wir hofi'en, noch Hülfe senden. Ihr Männer schämt euch solcher Reden, wenn ihr ja Helden noch genannt sein wollet. Gehen wir vor Durst hier am Hügel zu Grunde, so ist unser Tod hier von Gott bestimmt, ergeben wir uns jedoch den Schwertern unserer Feinde, dann verübten wir selbst den Mord an uns. Sclaverei ist ein Gräuel vor dem Herrn, Sünde ist es, willkürlich den Nacken der Gefangenschaft zu bieten. Folget mir, ihr Männer! die so gesinnt sind, folgt mir hin zum Throne der Gottesmutter."

Eine Menge geht hinter ihm zur heiligen Kapelle. „Steh auf! 0 Herr in deinem Zorne und eri-öhe uns in diesen Ländern über die Mörder, ei^iöre unsere Stimmen, die zu dir flehen: umzingelt sind wir von den wildem Mördern, errette uns aus den Schlingen der grausamen Tataren und verleihe Labung uuserm Innern : dann widmen wir dir ein Ruhmverbreiteud Opfer! Schlage nieder die Feinde in unseren Ländern, vertilge sie auf ewig ewige Zeiten. !"

Aj, sieh ! da zeigt sich auf dem heissen Himmel ein Gewölke, die Winde sausen, ein schreckbarer Donner ertönet, Gewitterwolken überziehen schwarz den ganzen Himmel, Blitze schlagen Schlag auf Schlag hin in die Zelte der Tataren: ein reicher Wolkenbruch belebt neu die Hügelquelle.

Acutes Bild.

Die Gewitter sind vorüber. Die Heere eilen zu den Reihen, aus allen Ländern aus allen Gegenden des Landes wehen gegen Olomüc hin ihre Fahnen.

Schwere Schwerter hängen ihnen an der Seite, volle Köcher rasseln auf den Schultern, glänzende Helme haben sie auf ihren mutigen Kfipfen und unter ihnen springen rasche Pferde. Ausge- tönt hatten schon die Töne der Waldhörner, die Laute der lauten Trommeln hörten bereits auf geschlagen zu werden, als auf einmal beide Seiten auf einander stiessen. Vom Staube erhebt sich schon eine ganze Wolke und zuletzt entstund ein grausamer Kampf. Ein Getöse und Gerassel bilden die scharfen Schwerter, ein Gezische

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furchtbar anzuhören, briug-en die geschärften Pfeile hervor, ein Gelärme aber das Brechen der Speere und der scharfen Lanzen. Da gab's des Stechens, da gab's des Hauens, da gab's des Stöhnens, da gab's des Frohlockens (sie). Bhit wälzt sich fort wie Regen- güsse, Leichen gab es, wie im Walde Stämme. Dem ward der Kopf entzwei gespalten, jenem beide Hände abgehauen, dieser wälzet sich über den andern von dem Rosse herab, wäreud dieser so wütend seine Mörder zerhauet, wie der wilde Sturm die Felseu- stämme: doch diesem wird ins Heiz das Schwert bis an den Grriff geboret, aber auch diesem haut der Tatare das Ohr rein weg. Ah! das war ein Schrein, das war ein kläglich Stöhnen! denn schon begannen die Christen zu fliehen und die Tataren sie im wilden Schwalle zu verfolgen.

Neuiiles Bild.

Ajta! da fliegt Jaroslav wie ein Adler herbei, harter Stahl deckt seine mächtige Brust, unter dem Stahle ist Mut, ist Tapfer- keit, unter dem schönen Helme eine gar scharfsinnige Einsicht und Jugendmut entflammt den glühenden BKcken. Erregt jagt er wie ein gereizter Löwe, wenn es ihm zufiel, warmes Blut zu er- blicken, als ihn der Jäger anschoss, hinter diesem jagt, so erzürnt war er, so stösst er gegen die Tartaren hin. Die Böhmen (Cesie) sind hinter ihm wie ein Hagelwetter. Jaroslav stosst wild gegen den Sohn des Kublaj und ein äusserst wilder Kampf entspinnt sich nun. Mit Speeren stiessen beide gegen einander, beide zer- brachen di3se mit grossem Gekrache. Jaroslav schon ganz, sammt dem Rosse, blutbesprengt, erreicht mit dem Schwerte den Kublaj- Sohn und hieb ihn oben von dem Arme bis zu Weiche quer durch, so dass er entseelt unter die Leichen fällt. Ober ihm rasselte der Köcher mit dem Bogen. Da erschrack das gesammte Volk der wilden Tataren, warf von sich die klafterlangen Schafte und ent- floh, wer überhaupt noch fliehen konnte, dorthin, woher die Sonne hell (iasno) aufgehet. So ward die Hana frei von den mörderi- schen Tataren.

Anmerkungen. Schon oben wurde bemerkt, dass historische Untersu- chungen über den Inhalt dieses Gedichtes zum Teile Wahrheit zum Teile aber nur Dichtung nachgewiesen haben. Palacky, döjiny I. 2. 176. Nebesky', Musejiiik, ]85•^. III. S. 161. 1853. S. 370. Svetozor. 18.58 Nr. 17. S 129. Palacky, Mongoleneinfall S 405 Musejn. 1842 S. 23). Wir setzten dies Gedicht als das letzte in der Reihe der anderen, weil es uns bedünken will, es habe im ganzen schon eine Form, die mehr Nachahmung romanischer oder deutscher Formen ist, als ein rein einheimisches Formgebilde. Das ist nun zum Teile auch bei dem Gedichte „die Zweikämpfe" (siedanie) der Fall, allein noch nicht in dem Grade, wie hier, wo manches schon an die Bänkel- sängerei erinnert. Die Verszeilen sind, wenn man hie und da nachhilft, zehn- sylbig. Im einzelnen lässt sich jedoch noch genug altertümliches und schönes darin vorfinden. Wenn es wahr ist, dass einerseits Kublaj ein eigener Name, Bohin ausschliesslich persönlich und nicht als appellativum der Name einer

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Würde ist, andererseits aber, dass Chan Kublaj bis zum J. 1294 lebte: dann wäre dies Gedicht mit Sicherheit erst in dem letzten Jahrzehende des 13. Jahrhunderts verfertigt worden, sohin auch nach dieser Begründung das letzte der uns erhaltenen Fragmente. In der Sammlung jäerselben steht es aber sonderbarer Weise zwischen Benes^ Hefmanov und Cestmir, jedoch so, dass Jaroslav das 26. Kapitel schloss, Cestmir aber das 27. Kapitel begann: ob durch Zufall, oder regelmässige Berechnung, ist schwer zu sagen.

Die cumulative Anführung der carodeji, hädaci, hvezdäfi, ki'izelnici im Verse -18. 49. beweiset, dass der Dichter nur dunkle Kunde haben musste von den Zaubervorhersagungen der Tataren, denn er nennt fast alle Arten der heimischen AVahrsager, so dass es den Anschein hat, als wolle er, man möge sich daraus diejenigen auswählen, welche von ihnen den ihm unbekann- ten tatarischen Zauberern am ähnlichsten gewesen sind. So k;uin auch die Teilung des Schilferohres in 2 Teile eine Art einheimischer Loswerfung ge- wesen sein. Bemerkenswert ist auch, dass die Betenden sowol das erstemal V. 108 als das zweitemal V. 222, als sie schon in der Mariencapelle sind und zur Mutter Gottes sich wenden, nur mit den Worten des Psalters und nur zu Gott (hospodine!) beten. Y. 189 steht freilich ausdrücklich pevse chra- pave k raatefi hoziej zur Mutter Gottes, nicht aber luas sie beteten. Das Wort hospodin ist im böhmischen noch ein Rest der alten slavischen Liturgie. Auch Vratislav (V. 206; sagt: von Gott Gnade zu erwarten ist löblich. D^r Mariencultus war sohin in der Liturgie noch nicht sehr hervorgehoben. Nicht weit von Olmüz ist wie gesagt auch ein Marienberg, svaty kopecek, hMliger Hügel genannt, den der Dichter wol mit Hostajnov mengte, denn dieser ist nahe und nicht hoch, wie schon das Wort kopecek Hügelchen andeutet. Der Berg Hostajnov nun Hostyn genannt, der im V. 6. ein ,, nichthoher Berg,"^ im Texte nur Chlum d. i. Höhe, Anhöhe, genannt wird, ist 2317 Fuss hoch. Er ist ebenso mythenvoich., wie der Rad-/)os-^ in Mähren. Die Marienkapelle am Hostyn ist wol an die Stelle eines heidnischen Heiligtums der Deva ge- setzt worden, worauf auch noch die Quelle, der Bach am Berge zeigt, dem das Landvolk noch jetzt Heilkraft zuschreibt. Auch das Gedicht erwähnt noch seiner im V. 230. und der üppige Regenguss lässt wieder die „Hügel- quelle'' aufleben. Das Wunder, das nach dem Gebete entstehet, passt ganz zur altertümlichen Deva, der Tochter des Donnerers: die späteren christlichen Marienwund' r sind sanfterer, innerer, geistiger Art. Historisch mag der Kampf um Hostyn nur eine Parcelle d* s ganzen Siegeskampfes gewesen sein, den der Dichter hier unrichtig concentrirte Altertümlich ist die Trennung von Hrom und Blesk, Donner und Blitz, ja die Voranstellung und Selbstständig- machung des Hrom. In den Mytüen wird ia der Tat der Hrom dem Blitze vorangestellt und der Gewittergott heisst vorzugsweise Hromnik, Donner- gott. Denn die mythischen Momente des Gewitters sind 1; die bewtgte Luft, 2) die Auftürmung von Gewitterwolken, 3) der Donner, 4) die Blitze, 5) der Regenguss. Das Bild von dem ergrimmten Löiren (V. 271.) weiset noch an die Rückerinnerungen, teils Erfahrungen, teils Sagen, der ehemaligen Krenzzüge.

So ist das Gedicht wirklich ähnlich dem Janusgesichte : es sieht gegen das Heidentum nach der einen Seite und gegen das Christentum nach der andern Seite hin : es ist der Absclduss der alt-höhm. Poesie und zugleich der AufscIUuss der cliristlich-böhvuschen Poesie oder mit anderen Worten: es ist der Wendepunkt zwischen heidnischem und christlichem Schrifttume.

Inhalts - Uibersicht.

Seite

1. Kannten die böhmisch- slovenischen Volksstämme im Heidentume eine eigene Lautschrift 5

2. Diese Stämme kannten im Heidentume nur Bilderschriften . 8

3. Sprachliche Belege für das Dasein solcher vereinzelnter und Gruppen-Bilder 11

4. Alte Ausdrücke, die sich auf die Begriffe, Zeichen und Schrei- ben beziehen 13

5. Deutsche und slavische Runen 16

6 Die glagolische Schrift in Böhmen und Mähren . . . . 17

7. Die lateinische Schrift in Böhmen und Mähren . . . . 19

8. Die Glagolica verbreitet sich von Pannonien nach den süd- slavischen Ländern und von Grossmähren nach Böhmen . . 21

9. Die Kyrilica in Böhmen und Mähren 22

10. Das Altkirchenslavische in lateinischer Schrift in Böhmen, Mähren u. s. w 24

1 1 . Glagolica und Kyrilica neben lateinischer Schrift in Böhmen, Mähren u. s. w 26

12. Text du Sacre oder das slavische Evangelium zu Rheims . . 28

13. Die lateinische Schrift im Dienste des weltlichen Böhmens . 30

14. Die lateinische Schrift im Dienste der heidnisch-böhm. hiteratur 35

15. Heidnischer Fortbestand des christianisirten Böhmens ... 37

16. Aeussere Vorgänge bei dev Aufßndung der Grünb. Handschrift 39

17. Aeussere Beschaffenheit der Grünberger Fragmente nach Per- gamen und Schrift 41

18. Uiber das Zeitalter der JEJntstehung der Gr. Handschrift . 44

19. Inhalt der Gr. Fragmente im Ganzen 47

20. Einzelnerklärungen zu den Fragmenten der Gr. H. . . .49

21. Angriffe der Echtheit der Gr. H 55

22. Literatur über die Gr. H, und die Königinhofer Handschrift 55

23. Aeussere Geschichte, und Beschreibung der K. H 67

24. Uiber das Wesen und die innere Einrichtung der K. Sammlung 71

Seite

25. Heidnisches und Christliches in der K. H 76

26. Von den einzelnen Gedichten der K. H 7 9

a) Zäboj und Slavoj 80

h) Cestmir und Vlaslav 86

c) Der Hirsch und der Jüngling 9J

d Der Tauber und der Jüngling 93

e Oldfich und Jaromir 96

/) Benes Hefmanov 97

g) Lubor und Ludise 100

/() Das Mädchen und der Gukuck 103

i) Der Jüngling und das Mcädchen 104

h) Die Eose und das Mädchen 105

l) Der Blumenstrauss und das Mädchen 105

m)Das Mädch'^n und die Miletiner Wälder 106

n) Das Mädchen und die Lerche 107

o) Jaroslav 108

Druck von Dr. Fr. Skrejäovsk^.

Hanus, Ignac Jan

Das Schriftwesen und Schrifttum

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