- '^ Ki.\mm-'^mmmi,nmu DAS SINNESLEBEN DER INSEKTEN ^ Eine Sammlung von experimentellen und kritischen Studien über Insektenspychologie von Professor Dr. AUGUST FOREL Vom Verfasser durchgesehene und durch zahlreiche Zusätze vermehrte Übersetzung von Maria Semen Mit 2 lithographischen Tafeln MÜNCHEN 1910 Verlag von ERNST REINHARDT Vorwort zur deutschen Übersetzung. Die vorliegenden Studien besitzen eine eigenartige Geschichte. Ihr Beginn wurde 1878 in deutscher Sprache zuerst in den Mit- teilungen des Münchener entomologischen Vereins publiziert, einer Zeitcshrift, die sehr bald einging. Die bezüglichen Experimente waren im Garten der Kreisirrenanstalt München gemacht worden. Später, besonders im Jahre 1886, habe ich sie namentlich in Fisibach (Kanton Zürich) fortgesetzt und im „Recueil Zoologique suisse" von H. Fol in französischer Sprache nochmals veröffentlicht. Auch diese Zeitschrift ging bald ein, und meine Versuche waren dadurch wieder begraben, bis in den Jahren 1900/01 Herr Dr. Celesia in Como dieselben in seine „Rivista di Biologia generale" wiederum in erweiterter Form in französischer Sprache aufnahm. Aber auch diese Zeitschrift ging ein. Seitdem kam noch einiges hinzu. Nun hat Herr Macleod Years- ley, 1908, in Buchform und in besserer Anordnung eine englische Übersetzung dieser meiner Arbeiten unter dem Titel: „The senses of Insects" gemacht und herausgegeben. Als Buch im gewöhnlichen Sinn möchte ich die vorliegenden Arbeiten jedoch nicht aufgefasst wissen. Es sind eben „Studien" — Experimente, Kritiken und Überlegungen — die zu sehr verschiedenen Zeiten gemacht, resp. geschrieben wurden. Das ganze als Buch umzuarbeiten und zu disponieren war mir aus Zeitmangel unmöglich. Ich bin Frau Maria Semon ungemein zu Danke verpflichtet, dass sie sich dazu entschlossen hat, diese Studien unter einem entsprechenderen Titel ins Deutsche zu übersetzen, wozu meine eigne Zeit und meine Kräfte nicht ausreichten. Es wurde aber unbedingt nötig, das ganze nochmals gründlich zu revidieren und zum Teil zu korrigieren und zu ergänzen, da im Laufe von 30 Jahren manches sich ändert und dann nicht mehr stimmt. Diese Revision habe ich vorgenommen und auch die Kritik neuerer Arbeiten hinzugefügt, ohne jedoch den Yl Vorwort Charakter der einzelnen Studien als solcher zu ändern. Dieser Cha- rakter hat sein Missliches, das erkenne ich völlig an; er hat aber auch seine gewissen Vorzüge, weil er dem Leser gestattet, unmittelbar das Fortschreiten in der Erkenntnis des Verfassers zu verfolgen. Yvorne, den 4. September 1909. Dr. A. Forel. Einleitung. Wenn wir die Sitten der Insekten beobachten, sind wir zunächst von ihren wunderbaren und komplizierten Instinkten verblüfft. Einer- seits kommen sie uns dadurch sehr gescheit, anderseits aber furchtbar dumm vor, letzteres nämlich dann, wenn wir die Kette jener Instinkte unterbrechen, denn sie scheinen dann zuerst total hilflos und jeder Über- legungunfähig. Dieser Kontrast desorientiert den ungeübten Beobachter völlig. Er steht da vor einem Rätsel, dessen Lösung er vergebens sucht. Die Ameisen scheinen ihm völlig zwecklos herum zu laufen, Fliegen und Wespen sich blödsinnig an der Lampe und am Fenster abzu- flattern und dergleichen mehr. Deshalb sind auch so widersprechende und so unsinnige Ansichten über das Geistesleben der Insekten ver- öffentlicht worden. Für die Einen sind sie Automaten oder Maschinen, während Andere Miniaturmenschen mit den wunderbarsten Schlau- heiten und Überlegungen in ihnen erblicken. Von frühester Kindheit an mit den Sitten der Ameisen vertraut, wurde es mir allmählich, nach Beendigung meiner medizinischen Studien, immer klarer, dass die Instinkte der Insekten von Sinnesreizen aus- gelöst werden und dass man sie nicht begreifen kann, solange man die Sinnesorgane und ihre speziellen Funktionen bei den Insekten nicht kennt. Man muss ferner den Zusammenhang der wechsel- seitigen Tätigkeit verschiedener Sinne unter sich studieren. Der Ein- blick in diesen Zusamenhang führt uns dann direkt zur „Insekten- seele", d. h. zum Verständnis des Ablaufs der hauptsächlich instinktiv automatisch vererbten Intelligenz dieser Tiere. Man sieht, es handelt sich hier um ein ganzes Kapitel der experimentellen vergleichenden Psychologie, in welcher alle in Betracht kommenden Faktoren sorg- fältig erwogen werden müssen, und bei der man sich sozusagen auf das Niveau der Insektenseele hinunter zu arbeiten hat, um vor allem alle die absurden Vermenschlichungen zu vermeiden, die die älteren Arbeiten über diesen Gegenstand füllen. Man muss aber auf der YIII Einleitung andern Seite ebensosehr die entgegengesetzte Übertreibung, nämlich die mechanistische Tendenz vermeiden, die mit aller Gewalt in einem lebenden Organismus eine Maschine sehen will und dabei vergisst, dass eine Maschine, die lebt, d. h. sich vergrössert, sich vermehrt, sich selbst ernährt, die Bilanz ihrer Ausgaben und Einnahmen selbst reguliert, mit einem Wort, sich beständig selbst wiederaufbaut und neu erzeugt, keine Maschine ist, sondern etwas ganz anderes. Es ist in der Tat ein „Etwas", dessen Schlüssel uns fehlt. Wir können nur seine Form und seine Funktion studieren, ohne bis jetzt seine tiefere Kausalität ergründen zu können, die keine andre ist als die des Protoplasmalebens überhaupt. Mit einem Wort, wir müssen vermeiden, erstens die Insektenseele mit der unsrigen zu identifizieren, und zweitens uns einzubilden, dass wir dieselbe mit unsern jetzt bekannten chemischen und physikalischen Gesetzen restlos ergründen können. Dagegen muss man anerkennen, dass sowohl diese Seele als auch die Funktion der Sinne, durch die ihre Geschehnisse geweckt werden, genau wie bei uns Menschen aus dem Primordialleben des Protoplasmas sich ableiten. Dieses Leben wird dann allerdings im Nervensystem durch den Nervenreiz oder die Nerven- welle (Neurokym) und durch seine Beziehungen zur Zusammenzieh- barkeit des Muskelsystems spezialisiert. Das spezialisierte Nervenleben manifestiert sich nun auf zwei verschiedene Arten, die sozusagen zwei Äste eines gleichen Stammes bilden: a) Komplizierte, zweckmässige und mehr oder weniger genau fixierte und angepasste Automatismen, die man Instinkte und Gewohn- heiten nennt. Dieselben verlaufen wie maschinenmässig, zwangsartig, immer auf die gleiche Art, und dieser Umstand ist es, der die eben angeführten Trugschlüsse bei so vielen Gelehrten zur Folge hatte. Instinkt nennt man den angeborenen, erblichen Automatismus, der bei allen Individuen der gleichen Art sich in nahezu gleicher Weise vollzieht und auch zeitlich immer in der gleichen sukzessiven Ab- wicklungsweise vor sich geht. Der instinktive Automatismus liegt fertig, zum Funktionieren bereit, im reifen Ei oder in der reifen Puppe, bevor das Tier ausschlüpft. Sofort nach dem Ausschlüpfen genügen die entsprechenden Sinnesreize, um die ganze Kette der bezüglichen Automatismen in Bewegung zu setzen. Bei der Gewohnheit (erworbener Automatismus) liegt die Sache anders. Sie ist die Folge der Wiederholung individuell erworbener plastischerTätigkeiten (siehe^b), aber — und darin liegt das Interessante — Einleitung IX die lange und häufige Wiederholung derselben Nerventätigkeit erzeugt sekundäre Automatismen, die denjenigen des Instinkts oft fast aufs Haar gleichen. „Die Gewohnheit wird zur zweiten Natur". Sie wird es durch das Mittel des Gedächtnisses (siehe R. Semon: Die Mneme). So automatisch er auch erscheint, ist aber der Instinkt durchaus nicht absolut unveränderlich. Zunächst zeigt er sich im Fluss be- griffen bei Betrachtung von der phylogenetischen Seite, wo sich überhaupt in der Reihenfolge der Generationen eine gewisse plastische Ummodelungsfähigkeit der Instinkte verrät. Ausserdem findet man beim Instinkt viele individuelle Variationen, die um so auffälliger hervortreten, je weniger tief er durch Vererbung fixiert ist. Wenn wir sorgfältig die Handlungsweise eines jeden Individuums einer mit hochentwickeltem Gehirn versehenen Insektenart beobachten, wie dies z. B. Peter Huber, Lubbock, Wasmann, v. Buttel-Reepen, Miss Fielde und ich selbst für die sozialen Hymenopteren getan haben, so entdecken wir bald erhebliche Unterschiede, besonders wenn wir durch kleine Kniffe die Abwicklung der instinktiven Ketten vereiteln. So zwingen wir die Nerventätigkeit dieser Tierchen, uns ihre zweite Manifestationsart, nämlich die plastische, zu offenbaren, die sich sonst so leicht unter der enormen Entwicklung des Instinkts unsrem Blick entzieht. b) Die plastische oder der Umgebung anpassbare Betätigung ist durchaus nicht, wie man es oft behauptet hat, ein sekundäres Derivat des Instinkts. Sie ist primordial und ist sogar die Grundbedingung der Lebensevolution. Durch seine Adaptation an die Umgebung differenziert sich allmählich das lebende Wesen. Auch die Lebens- tätigkeiten der einfachsten einzelligen Lebewesen besitzen eine ge- wisse Plastizität, aber diese ist ungeheuer primitiv und arm an Möglichkeiten. Damit ein Organismus sich — wie dies besonders bei höheren Säugetieren und vor allem beim Menschen der Fall ist — einer Unzahl verschiedener Bedingungen und Möglichkeiten anpassen kann, bedarf er eines „Gehirns", d. h. des mächtigen An- passungsapparats eines zentralen Nervensystems, einer enormen Zahl von Nervenelementen, was für die erblich fixierte und spezialisierte Anpassung des Instinkts nicht entfernt in diesem Grade der^Fall ist. Somit differenziert sich zunächst das protoplasmatische Urleben zu einem einfachen neuromuskulären System, das einerseits der Aufnahme von Reizen und andrerseits der Leitung der Bewegungen vor- X Einleitung Steht. Bei weiterer Differenzierung lassen sich zwei Hauptbetätigungen dieses Systems unterscheiden. 1. Eine plastische Betätigung, mit welcher das Individuum ganz urwüchsig auf neue, unerwartete Reize reagiert, an welche es sich so gut es geht anpasst; je weniger an- passungsfähige Elemente es besitzt, desto schlechter. Diese Betätigung ist langsamer, ungeschickter und erfordert viel mehr Energie. Aber sie bietet den grossen Vorteil, dass sie durch Wiederholung neue Bahnen einschlägt und dass sie sich dem Unvorhergesehenen an- passt. Aus ihr bilden sich beim Individuum durch Wiederholung die sekundären Automatismen oder Gewohnheiten und bei der Spezies mittels erblicher Anpassungen (erblicher Engraphie und Zuchtwahl) ebenfalls durch Wiederholung die Instinkte. 2. Die letztgenannten Instinkte und Gewohnheiten sind offenbar sekundär aus den pla- stischen Betätigungen entstanden, was bei den Gewohnheiten ohne weiteres ersichtlich ist. Durch ihre ewige Wiederholung in den gleichen Bahnen brauchen sie immer weniger Energie. Es ist mir unmöglich, hier auf die grossen Theorien der Ver- erbung, auf den Lamarekismus und den Darwinismus einzugehen. Nach meiner Überzeugung wirkt die Engraphie der Umgebung auf die Lebewesen (Lamarck, Semon) gemeinsam mit der Zuchtwahl (Darwin, Weismann), um die Arten und infolgedessen die Instinkte allmählich umzubilden. Es kann sich da nicht um eine Alternative handeln, die für so viele einseitige Menschen zwischen Lamarekismus und Darwinismus besteht, sondern vielmehr um eine Kombination der beiden verschiedenen Faktoren, wie dies auch Semon in seiner Mneme völlig anerkennt. Die Engraphie baut auf und die Zuchtwahl wählt aus. Während aber bei den Insekten der spezialisierte Instinktautomatis- mus seine höchste Entfaltung erreicht und fast unbeschränkt vor- herrscht, sehen wir umgekehrt bei den höheren Säugetieren, besonders aber beim Menschen, auf Grund der ungeheueren Entwicklung des Gehirns, das plastische Betätigungsvermögen alles beherrschen. Beim Menschen endlich nimmt mit Hilfe der Schriftsprache die graphische Fixation des Denkens die Stelle des sekundären Automatismus zu einem grossen Teil ein. Dies gestattet eben dem Menschen, ausser- halb seines Gehirns die Kenntnisse früherer Generationen massenhaft aufzuspeichern. Dadurch behält das Denkorgan genügend Nerven- energie, um in jedem Augenblick seine plastische und kombinatorische Anpassbarkeit neuen Verhältnissen zu widmen. Trotzdem wimmelt unser Gehirn von automatisch gewordenen Gewohnheiten. Einleitung XI Diese Verhältnisse haben wiederum die Psychologen zu einer irrigen Antithese zwischen Instinkt und InteHigenz geführt. In der Form von erblichen Anlagen besitzt der Mensch ungeheuer viele, wenn auch nicht ganz fertige erbliche Instinkte. Und andrerseits besitzen die Insekten mehr plastische Fähigkeit als es beim ersten Blick den Anschein hat. Zweck der folgenden Studien ist es zu- nächst, durch genaue Untersuchung der Sinnesempfindungen der Insekten und ihrer geistigen Verwertung durch das Gehirn dem ganzen Problem näher zu kommen und von dem Sinnesleben der Insekten aus in ihr gesamtes Seelenleben einzudringen. Von der so gewonnenen Basis aus werden wir dann zur Beantwortung allgemeiner Fragen, der Berechtigung der vergleichenden Psychologie, der Begründung der monistischen Identitätstheorie schreiten. Yvorne, den 4. September 1909. Dr. A. Forel. Inhalt Erste (einleitende) Studie. Allgemeine Betrachtungen 1 Zweite Studie. Gesichtssinn 6 Facettenaugen und Ocellen. Musivisches Sehen. Experimentelle Ausschaltung erstens der Augen, zweitens der Fühler. Dritte Studie. Gesichtssinn (Fortsetzung) 24 Farbensehen; ultraviolettes Sehen; Formensehen. Vierte Studie. Gesichtssinn (Fortsetzung) 45 Wahrnehmung des Ultraviolett. Experimentelle Nachprüfung. Photo- dermatische Empfindungen. Wiedererkennen bei Ameisen. Röntgen- strahlen. Frontal-Ocellen. Fünfte Studie. Geruch und Geschmack 80 Nervenendorgane der Antennen. Geruchs- oder Fühlersinn. Grabers Experimente sowie seine und anderer Autoren Ansichten. Eigene Experimente. Die Lehre vom Kontaktgeruch. Der topo- chemische Geruchssinn. Geschmack. Sechste Studie. Hör- und Tastsinn und ihre Derivate 121 Nachweis von Hörorganen bisher noch nicht gelungen. Fragliche Gehörswahrnehmungen. Wahrnehmung von mechanischen Er- schütterungen. Temperatursinn. Schmerzempfindung. Photo- dermatische Empfindungen. XIV Inhalt Siebente Studie. Allgemeine Betrachtungen über die Sinne. Beziehungen zwischen den Sinnen und den geistigen Fähigkeiten der Insekten . .133 Kombiniertes Zusammenwirken verschiedener Sinne. Abhängigkeit des Intelligenzgrades von der Entwicklung der Sinne und des Gehirns. Gedächtnis, Instinkt und plastische Urteilskraft. Achte Studie. Weitere Experimente über den Gesichtssinn der Ameisen . .142 Ausschaltung teils der Augen, teils der Antennen. Verschieden- artige Bedeutung des Gesichtssinns und des topochemischen Ge- ruchssinns für die Orientierung bei den verschiedenen Ameisenarten. Neunte Studie. Kritische Bemerkungen über einige seit 1887 publizierte Ex- perimente andrer. Eigene Experimente über den Gesichtssinn der Insekten, ihr Farbensehen, ihr Fernsehen 149 Kritische Bemerkungen: Exner; Lubbock; Plateau. Eigene Ex- perimente zur Kritik Plateaus. Das Sehen aus der Ferne. Funktio- nelle Blindheit durch absolute Enthaltung vom Sehen. Zusammen- fassender Rückblick. Anhang (kritische Besprechung der wichtigsten seit 1900 erschienenen Arbeiten von Miss Fielde, Kathriner, Andreae, Wery, Pieron, Plateau, v. Buttel-Reepen, Krause). Zehnte Studie. Die Orientierung im Raum 238 A. Bewegungs-, Drehungs- und Gleichgewichtssinn. Sensomotilität: Mach-Breuer; Cyons vermeintlicher Raumsinn. Eigene Experimente bezüglich des Nervus vestibuli. B. Fähigkeit der Orientierung ausserhalb des Körpers und ver- meintlicher Richtungssinn. Experimente mit Brieftauben von Cyon und Exner. Die experimentellen Grundlagen von Bethes Reflex- theorie. Eigene Experimente und Anschauungen. Anhang. Ex- perimente von V. Buttel-Reepen. Elfte Studie. Mitteilungsfähigkeit bei Bienen. Orts- und Zeitgedächtnis . . 300 V. Buttel-Reepens Experimente über Mitteilungsfähigkeit. Echtes oder unechtes Gehör der Bienen? Ortsgedächtnis bei Bienen. Assoziationen. Zeitgedächtnis. Urteilsvermögen. Inhalt XV Zwölfte Studie. Seele und Reflex 333 Ist eine vergleichende Psychologie zulässig und existiert eine solche? Weitere Kritik von Bethes Reflextheorie. Anschauungen Wasmanns. Eigene Anschauungen. Pseudoexaktheit. Psycho- physische Identität und Parallelismus. Kritisches. Schluss. Sachregister 387 Autorenregister 392 Erste (einleitende) Studie. Allgemeine Betrachtungen. Zu Beginn dieser Ausführungen möchte ich auf einige wichtige Punkte hinweisen, die meiner Meinung nach bisher viel zu sehr vernachlässigt worden sind. Bei einer Besprechung des Empfindungsvermögens niederer Tiere müssen wir zunächst feststellen, dass uns jede sichere morpho- logische Homologie zwischen ihren Sinnesapparaten und den uns- rigen fehlt. Wir können nur von Analogien oder von annähernder Homologie der Funktion reden. Diese kann aber nur direkt ex- perimentell oder durch Beobachtung des lebenden Tieres nach- gewiesen werden. Es ist folglich ein Unding, aus zufälligen Ähnlich- keiten der Lage und Form gewisser Organe bei Wirbeltieren und Insekten auf ihre physiologische Gleichwertigkeit schliessen zu wollen. So z. B., wenn Wolff^ und Paasch* das Riechorgan der Insekten in der Medianlinie des Gesichtes finden wollen, weil beim Menschen die Nase so gelegen ist, oder wenn ersterer (a. a. O. S. 63) den chitinösen Kopfschild (Clypeus) Nasenbein nennt und dabei auf das Fehlen des Zwischenkiefers bei den Insekten aufmerksam macht (!). Ich erwähne diese krassen Absurditäten nur, um den Leser besser auf weniger augenfällige Fehler dieser Art aufmerksam zu machen. Kaum viel mehr Wert haben physiologische Voraussetzungen rein hypothetischer Natur, die auf ähnlichen Analogien fussen. Wenn * Das Riechorgan der Biene. Nova Acta der K. L. Car. deutschen Akad. der Naturforscher. Bd. 38. Nr. 1. 1875. * Troschels Archiv für Naturgeschichte. 1873. Bd. 1 p. 248. Forel, Das Sinnesleben der Insekten. 1 Allgemeine Betrachtungen z. B. gesagt wird (Wolff, Paasch u. a.), dass zum Riechen notwendig eine feuchte Schleimhaut gehört, so ist dies durchaus nicht erwiesen. In der Tat wissen wir nur, dass dies für das Riechorgan der Wirbel- tiere zutrifft, sonst gar nichts. Worauf die Riechempfindung selbst beruht, wissen wir^ nicht. Ebensowenig sind wir berechtigt, zu be- haupten, dass eine gespannte Membran zum Hören notwendig sei. Bei Beurteilung der Sinnesempfindungen der Tiere überhaupt, besonders aber der wirbellosen, deren Sinnesorgane mit den uns- rigen keinerlei morphologische Homologie zeigen, können wir nie über die eigentliche Qualität dieses Empfindens etwas sagen. Wir können zwar für das Auge infolge des Mangels oder des Vorhan- denseins gewisser optischer Apparate auf das Zustandekommen oder NichtZustandekommen eines deutlichen Bildes, sowie auf die Grösse und Stellung desselben, nicht aber auf die Art, wie dasselbe emp- funden wird, schliessen. Wir können aber über die Art der Re- aktion des Tieres auf bestimmte Reize urteilen und infolge unserer Experimente sagen: dieses oder jenes Organ hat die Fähigkeit, über diese oder jene physikalischen Vorgänge, über das Vorhandensein dieser oder jener Substanzen oder Gegenstände auf diese oder jene Art dem Tiere Aufschluss zu geben. Und hier sind wir wieder ganz abhängig von unseren eigenen Sinnen und können nur dort im einzelnen genommen per Analogie urteilen, wo wir selbst genau die Einzelheiten empfinden; so ganz besonders im Gebiet des Seh- vermögens. Was dieses letztere bei den Tieren betrifft, so können wir experimentell nachweisen, ob ein tierisches Organ Licht und mit Hilfe desselben Farben, Bewegung, geformte Gegenstände empfindet oder nicht, ob es sie von der Ferne oder nur in der Nähe, deutlich oder undeutlich unterscheidet etc. Beim Gehörssinn ist es schon kaum möglich zu sagen, inwiefern ein Tier qualitative Unterschiede der Schallwellen empfindet. Beim sogenannten Geruchsvermögen können wir nur sagen: diese und jene Substanzen, Wesen oder Gegen- stände werden, ohne Schall oder Gesichtsempfindung oder mecha- nische Erschütterung der zwischenliegenden Körper zu erzeugen, le- diglich infolge ihrer besonderen (chemischen) Ausdünstungen von diesem Organ, bei dieser oder jener Entfernung, durch diese und jene Media hindurch, unter diesen oder jenen Umständen empfunden und dann gesucht oder gemieden. Eine andere nachweisbare De- finition von Geruchsorganen und Geruchsvermögen bei niederen Tieren gibt es nicht; alles übrige beruht auf Hypothesen. Was das Allgemeine Betrachtungen Tastvermögen betrifft, so können wir nur aus der Reaktion des Tieres auf unmittelbare Berührungen, Erschütterungen, Luftbewegungen, Ein- wirkung scharfer Substanzen u. dgl. urteilen. Temperatursinn ist leicht nachzuweisen. Auf Schmerzempfindung kann jedoch nur im Sinne höchster Wahrscheinlichkeit geschlossen werden, und zwar direkt aus einer Reaktion des Tieres, welche der unsrigen bei ähnlichen Reizen ähnlich ist; ein bestimmtes objektives Kriterium fehlt uns hier. Ge- schmackssinn können wir nur als die Fähigkeit definieren, gewisse Eigenschaften der bereits den Mund berührenden Speisen zu unter- scheiden. Sowie aber die direkte Berührung fehlt, können wir nur mehr von Geruch sprechen. Aber Kontaktgeruch und Geschmack sind nicht genauer zu unterscheiden. Die Mangelhaftigkeit dieser Kriterien springt in die Augen. Es ist also möglich, wie es besonders Leydig oft mit Recht betont hat, dass niedere Tiere einen 6., 7. Sinn haben, ohne dass wir es nach- weisen können, also dass sie eine qualitativ bestimmte Empfindung für eine bestimmte Gruppe adäquater Reize haben, die wir entweder gar nicht oder nicht verschieden von andern Reizen empfinden. Es ist z. B. möglich, dass bei den Insekten, abgesehen vom Sehen und Hören, die Wahrnehmungen aus der Ferne, die wir alle aus Veriegenheit als Geruchswahrnehmungen bezeichnen müssen, auf zwei oder drei bestimmte Weisen, durch verschiedene Sinnesendigungen und qualitativ verschiedene Empfindungen stattfinden, entsprechend verschiedenen bekannten oder unbekannten physikalischen oder chemischen Vor- gängen. Direkt können wir uns dieses freilich nicht vorstellen. Auf zwei Grundfehler im Experimentieren, die leider fort- während noch mit erstaunlicher Einsichtslosigkeit gemacht werden, haben bereits sorgfältige Beobachter wie Duges S Perris ^ Graber ^ aufmerksam gemacht. Erstens kann man durch Anwendung scharfer Mittel, wie Ammoniak, Chloroform, Terpentin usw., keinen Auf- schluss über Geruchsempfindungen niederer Tiere erhalten, indem durch den scharfen Dampf, den sie entwickeln, auch die ungemein empfindlichen Tastnerven, und zwar meist in schmerzhafter Weise, ^ Ant Duges, Traite de physioIogie comparee de Thomme et des animaux. Montpellier et Paris 1838. ' Ed. Perris, Mem. sur le siege de l'odorat dans les Articules. Extr. des Actes de la Soc. Linneenne de Bordeaux, t. 16 livr. 3 et 4. 1850. ' GrabeF, Die tympanalen Sinnesapparate der Orthopteren. Denkschriften der k. k. Akad. der Wissenschaften in Wien. Bd. 36. 1* Allgemeine Betrachtungen direkt erregt werden können. Man muss vielmehr solche Substanzen anwenden, die dem betreffenden Tiere oder seinem Jungen als Nahrung dienen, die es überhaupt im natürlichen Zustand aufsucht oder die es zum Zweck der Selbsterhaltung fürchten muss, wenn auch alle diese Dinge für uns vielfach geruchlos sind. Unser Mass- stab ist hier durchaus unmassgeblich. Denkt denn jemand daran, die Schärfe des Geruchsvermögens eines Hundes mit Terpentin, Kampfer und dergleichen zu prüfen? Und doch, um wieviel näher steht uns der Hund als die Insekten ! Zweitens darf man nicht, wie dies Leon Dufour S Paasch (1. c), Landois* und andere beständig tun, und wie es selbst einmal Lubbock ^ passiert ist, die Wirkung mechanischer Erschütterungen auf die Tastnerven mit Gehörsempfindungen verwechseln. Dazu gehören allerdings sehr sorgfältige Experimente, und ich kann nur jedem die Lektüre der gerade in dieser Hinsicht äusserst klaren und genauen Experimente Grabers (a. a. O., am Schluss) empfehlen. Endlich bildet der Nachweis eines peripheren Nervenend- organes an der experimentell als Sitz einer Sinnesempfindung nach- gewiesenen Körperstelle eine recht notwendige Bestätigung. Jedoch muss man die positive Wichtigkeit dieses Nachweises weder über- schätzen noch aus demselben gleich Schlüsse auf die Funktion ziehen, denn solche Nervenendorgane kommen so häufig und in so merk- würdigen Variationen an allen möglichen Stellen des Insektenleibes vor, dass man stets in Verlegenheit ist, eine Bestimmung für sie zu ^ Leon Dufour, Quelques mots sur l'organe de l'odorat et sur celui de l'ouie dans les insectes. Actes de la Soc. Lin. de Bordeaux, t. 16, livr. 3 et 4. 1850. = H. Landois, Tierstimmen. Freiburg i. Br. 1874, S. 129—134. Auch den ersteren Fehler hat Landois (Archiv f. mikrosk. Anatomie v. Schnitze. Bd. 4, S. 88) begangen. " Lubbock, On some points in the Anatomy of Ants. The monthly micro- scopical Journal, Sept. 1877, S. 132—133. Lubbock zitiert hier einige von meinen Beobachtungen, aus welchen er gegen mich (Fourmis de la Suisse, S. 1 21) schiiessen zu können glaubt, dass die Ameisen hören. Nun erklären sich, nach meiner, wie ich hier wohl behaupten zu dürfen glaube, massgebenderen Erfahrung, alle diese meine Beobachtungen sehr gut, teils durch Gesichtswahrnehmungen (d/fe Bewegungen), teils durch mechanische Erschütterungen der Unterlage, teils durch rasch einander mitgeteilte Berührungen. Und ich kann Lubbock erwidern, dass es vielmehr seine eigenen Beobachtungen sind, (Linn. Soc. Journal, V. XH: Observ. on Bees and Wasps), wonach er fand, dass der grösste Lärm, den er machte, von Bienen und Wespen nicht bemerkt wurde, welche gegen seine spätere Ansicht sprechen. Allgemeine Betrachtungen finden. Dass aber, wenn ein Sinnesapparat wirklich Vermittler einer bestimmten Empfindung ist, derselbe bei denjenigen Insektenarten stärker entwickelt sein muss, bei welchen das betreffende Sinnes- empfindungsvermögen stärker vorhanden ist, dies ist eine Forderung, deren Berechtigung kaum angezweifelt werden dürfte. Wie oft jedoch dieselbe nicht beachtet wird, werden wir zur Genüge sehen. Die konstantesten und wichtigsten sensiblen Nervenendorgane finden wir 1. in den Netzaugen (Facettenaugen), 2. in den Antennen (Fühlern). Einem jeden dieser Apparate kommt ein dicker Nerv und eine eigene Anschwellung des Gehirns zu, was sie von allen anderen unter- scheidet. Ferner finden wir solche 3. in den Ocellen, 4. in den Mundtastern oder Palpen, 5. in verschiedenen Nervenpapillen der Mundorgane, besonders der Zunge, des Unterkiefers, des Pharynx. Ausserdem kommen Nervenendorgane oft in den Tarsen, an Halteren oder an der Basis der Flügel, an der Seite des Leibes, in den Vorder- tibien etc. vor. Je nach den Familien, Gattungen und Arten der Insekten sind verschiedene Sinnesvermögen ganz verschieden entwickelt. Es kommen in dieser Beziehung die grössten Gegensätze vor, was nicht genug her- vorgehoben werden kann. Gewisse Insekten, Libellen z. B., finden sich fast nur durch ihren Gesichtssinn zurecht. Andere sind blind oder nahezu blind und sind fast ausschliesslich Geruchs- und Gefühls- tiere (Höhleninsekten, die meisten Ameisenarbeiter etc.). Der Gehörs- sinn scheint bei gewissen Formen gut entwickelt, bei den meisten jedoch gar nicht oder mindestens sehr schwach. Bei fast allen ist aber, auch durch den dicksten Chitinpanzer hindurch, ein ungemein feines Tastvermögen vorhanden, bei den meisten auch sicher Ge- schmacksempfindung. Die Raupen scheinen sich hauptsächlich durch Geschmacks- und Tastempfindung zurecht zu finden. So gross nun die Literatur unseres Gegenstandes ist, so besteht sie leider grösstenteils nur aus theoretischen Auseinandersetzungen, kühnen Hypothesen, wie Lubbock (a. a. O. Observ. on Bees etc.) richtig bemerkt, sowie aus neuen Abschriften einzelner alter Beobachtungen, die seit fast einem Jahrhundert in allen Schriften herumkursieren. Folgende Mitteilungen, die sich auf das sachlich und gut Beobachtete beschränken sollen, dürften daher nicht ohne Nutzen sein. Zweite Studie. Gesichtssinn. Hier haben wir einen bestimmten adäquaten Reiz, das Licht, mit zwei Modifikationen desselben : den Farben und der Bewegung. Die entsprechenden Sinnesorgane sind bekanntlich zweierlei: das Facetten- oder Netzauge und das einfache Auge (Stemma, Ocelle). Es sind hier wesentliche Fortschritte unserer Erkenntnis gemacht worden. Grenacher^ hat zunächt infolge grosser umsichtiger Unter- suchungen endgültig nachgewiesen, dass Facettenaugen und Ocellen morphologisch aus einem und demselben Gebilde entstehen, erstere durch vielfache Wiederholung desselben, letztere durch einfache Ver- mehrung seiner histologischen Elemente.^ Er hat gezeigt, dass die Facettenaugen verschiedener Insekten sehr verschieden gebaut sind und durch alle Übergänge zur Ocelle ^ Grenacher, Zur Morphol. u. Physiol. des facett. Arthrop. Auges. Vorl. Mitteilungen, in Nachr. v. d. K. Gesellsch. der Wissensch. a. d. G. A. Universität in Göttingen. Nr. 26, 23. Dez. 1874. Ferner: Grenacher: Untersuchungen über das Arthropodenauge, im Auszuge mitgeteilt. — Beilageheft zu den Klin. Monatsblättern für Augenheilkunde. Mai-Heft, 15. Jahrgang. Rostock 1877. ' Grenacher führt nebenbei an, dass die Ocellen nicht immer einen mor- phologisch andern Sitz haben als die Netzaugen, dass der Fleh z.B. Ocellen an der Stelle der Netzaugen hat. Dasselbe kann ich von der amerikanischen Ameisengattung Bei ton anführen, deren allein bekannte Arbeiter, bei den meisten Arten, an Ort und Stelle eines jeden Netzauges je eine grosse schöne Ocelle mit ganz grosser, fast kugeliger Cornea besitzen, während die nächst verwandten Gattungen gewöhnliche Netzaugen haben oder ganz blind sind. Stirn- Ocellen haben aber die E cito n nicht. Die diesen Ameisen verwandten Formen sind teils blind, teils mit Facettenaugen versehen. Gesichtssinn zurückzuführen sind. Man glaubte früher, alle Facettenaugen hätten Kristallkegel und einen zentralen Sehstab (Rhabdom) in der Retinula einer jeden Facette. Grenacher wies nach, dass dem nicht so ist, dass bei den Wanzen, den Nemoceren, den niederen Käfern, kein Kristallkegel vorhanden ist, und jede Zelle der Retinula, wie bei den Ocellen, ihr eigenes Stäbchen hat, dass die dabei immer vor- handenen vier Matrixzellen des fehlenden Kristallkegels einer jeden Facette, den sogenannten Glaskörperzellen einer Ocelle entsprechen, dass die Retinula einer jeden Facette dieses von ihm „acones Auge" genannten Netzauges der Retina einer Ocelle ebenfalls vollständig entspricht, und endlich, dass die Glaskörper resp. Kristallzellen sowie die Retinazellen (wenigstens deren periphere Stäbchenhälfte) alle nur modifizierte, eingestülpte und abgeschnürte Matrixzellen der äusseren Chitinhaut sind, gerade so wie die Cornea nichts anderes ist als die modifizierte Chitinhaut selbst. Bei den Augen mit gewöhn- lichem Kristallkegel (eucone Augen) lässt das die einzelnen Facetten isolierende Pigment an der hinteren Spitze eines jeden Kristallkegels nur ein winziges Löchlein zum Durchtritt des Lichtes, und die Retinula einer Facette besteht nur aus ganz wenig Zellen, die zentral- wärts sich in die Fasern des Sehnerven fortsetzen und deren peri- phere Stäbchen zu einem grossen Stabe (Rhabdom) verschmelzen. Infolge aller dieser Verhältnisse sind sowohl die Projektion des allenfalls durch die Cornea^ hervorgebrachten, umgekehrten Bildchens eines Gegenstandes, als die Detailwahrnehmung eines solchen durch die mit zu wenigen Elementen versehene Retinula Dinge der Un- möglichkeit. Letztere Verhältnisse sind, unabhängig von Grenacher, in einer Arbeit des Physiologen Exner* auf das schönste aufgeklärt worden, und die völlige Übereinstimmung der Resultate dieser beiden, von ganz verschiedenen Gesichtspunkten aus unternommenen Arbeiten ist der beste Beweis ihrer Richtigkeit. Exner weist nach, dass das Bildchen, das in der Tat von der Cornea der Facetten hervorgerufen wird, durch den Kristallkegel zerstört wird, und dass der ganze Apparat nur dazu dient, möglichst viel Licht auf einen Punkt, näm- ^ Grenacher macht darauf aufmerksam, dass die Hyperiden, die doch recht gut sehen, flache Corneae besitzen, die l^ein Bildchen zu erzeugen vermögen. ' Sigmund Exner, Über das Sehen von Bewegungen und die Theorie des zusammengesetzten Auges. Aus dem 72. Bande der Sitz.-B. der K. Akad. der Wissensch., 3. Abt. Juli-Heft 1875. Gesichtssinn lieh auf das hintere Ende des Kristallkegels durch vielfache Reflexion der Lichtstrahlen zu konzentrieren. Exner bestimmt das Brechungs- vermögen, die Brennpunkte etc. der Facettencornea des Hydrophilus piceus und zeigt, dass selbst wenn durch den Kristallkegel hindurch ein deutliches Bildchen noch entstehen könnte, dasselbe weit hinter der Retina zu liegen kommen würde. Er weist ferner durch Ver- suche nach, dass die Bewegungsempfindung auch beim Menschen- auge eine Empfindung für sich ist, dass dieselbe aber vornehmlich in den seitlichen Feldern der menschlichen Retina stattfindet und durch- aus unabhängig ist vom scharfen Sehen. Beim Facettenauge, das also nicht ein Bild auf eine Stelle einer Retina projiziert, sondern in seinen vielfachen Retinulae Licht aus vielen verschiedenen Punkten erhält, wird somit jede Bewegung eines Objekts in vielen Facetten durch vermehrte, verminderte oder qualitativ veränderte Lichtzufuhr empfunden, und demnach muss dieses Auge, durch die Vielheit der zugleich in ihrem Erregungszustand veränderten Elemente, für Em- pfindung der Bewegung äusserst günstig sein. Endlich hat Oskar Schmidt^ ohne die Arbeiten Grenachers und Exners zu kennen, eine Mitteilung über gewisse Arthropodenaugen gemacht, in welcher er ebenfalls zu dem Schlüsse kommt, dass kein Bild durch die Kristall- kegel hindurch zur Retinula gelangen kann. Exner und Grenacher müssen somit beide auf die alte Theorie vom musivischen Sehen von Johannes Müller^ zurückkommen. Es bildet eben nicht jede Facette ein Bild, sondern das Gehirn des Tieres erhält nur dadurch ein mehr oder weniger deutliches, mosaikartiges Bild, dass jede Facette einen anderen Teil der vom Objekt entsendeten Lichtstrahlenkomplexe empfindet. Es folgt nun daraus notwendig, wie es auch J. Müller (a. a. O. S, 373) schon sagt, folgendes: Da das deutliche Sehen, das Lokalisieren, nur durch die Gesamtheit der gesonderten Wirkungen einzelner Facetten ermöglicht wird, muss vor allem dafür die Zahl der Facetten mass- gebend sein. Ferner aber, je kleiner die Facette und je länger der Kristallkegel, desto weniger, aber auch desto bestimmtere Lichtstrahlen, desto begrenztere Teile der Aussenwelt wird sie erhalten ; je grösser sie ist und je kürzer ihr Kristallkegel, desto mehr Lichtstrahlen, also desto in- und extensiver, aber auch desto diffuser wird der sie ^ Oskar Schmidt, Vortrag der Sektion für Zoologie in der 50. Versamm- lung deutscher Naturforscher und Ärzte in München, 1877. * J. Müller, Zur vergleichenden Physiologie der Gesichtssinnes. Leipzig 1826. Gesichtssinn treffende Strahlenbüschei sein. Also viele kleine Facetten vermindern zwar die Intensität des Lichts, vergrössern aber dafür die Deutlich- keit des Sehens, die Lokalisation. Wenn nun dazu das ganze Auge nicht flach, sondern stark gewölbt ist, kann es Licht aus um so verschiedeneren Einfallswinkeln erhalten. Dadurch wird das gemein- same Gesichtsfeld grösser und werden auch, wie ich meine, weniger Facetten von den Lichtstrahlen eines und desselben Punktes eines Objektes getroffen ; das Gesichtsfeld jeder Facette scheidet sich mehr von dem der anderen, was noch deutlicheres Sehen zur Folge haben muss. Max Schulze ^ führt an (Exner), dass die Nachtschmetterlinge grössere Facetten haben als die Tagschmetterlinge, was mit obiger Ansicht völlig übereinstimmt. Dieselben brauchen eben nachts mehr Lichtstrahlen, um überhaupt das Licht durch eine Facette zu empfinden. Dasselbe bewirken wir durch Erweiterung unserer Pupillen. Wenn dieses alles nun richtig ist, müssen wir durch die Beobachtung nachweisen können, dass diejenigen Insekten, welche viele kleine Facetten und stark gewölbte Netzaugen haben, am deutlichsten sehen, da bei letzteren zugleich auch meistens die längsten Kristallkegel vorkommen. Und dass dieses der Fall ist, kann ich aus meinen eigenen Beobachtungen bestätigen, sowie auch, dass von den Insekten im allgemeinen ganz besonders die Bewegungen empfunden werden. Ein sehr deutliches Sehen ist bei den allerwenigsten Insekten vor- handen. Ich beobachtete eines Tages eine Vespa germanica, die, wie so oft im Spätsommer und Herbst, an der Wand einer Veranda nach Fliegen jagte. Sie stürzte sich mit ungestümem Flug auf die an der Wand sitzenden Fliegen (Musca domestica und Stomoxys calcitrans), die jedoch meist entkamen. Trotzdem setzte sie mit merkwürdiger Ausdauer ihre Jagd fort und fing auch einige Male eine Fliege, die sie tötete, verstümmelte und in ihr Nest trug. Sie kam aber stets bald darauf wieder und jagte w^eiter. Es sass nun an einer Stelle in die Wand eingeschlagen ein schwarzer Nagel, der gerade die Grösse einer Fliege hatte, und ich beobachtete, wie die Wespe, dadurch getäuscht, sich sehr oft auf diesen Nagel stürzte, denselben aber sofort nach der Berührung wieder verliess. Sie wurde indessen doch nach kurzer Zeit durch denselben wieder irre geführt. Ähnliche Beobachtungen habe ich oft genug gemacht. Man kann in ^ M. Schulze, Die zusammengesetzten Augen der Krebse und Insekten, Bonn 1868. 10 Gesichtssinn diesem Fall mit aller Sicherheit sagen, dass die Wespe einen Gegen- stand von der Grösse einer Fliege sehen konnte, die Details desselben aber nicht unterschied, folglich, dass sie denselben ungenau sah. Eine fliegende Wespe sieht also nicht nur Bewegungen, sondern auch begrenzte Gegenstände. Als ich einer andern Wespe auf einem Tisch getötete Fliegen vorlegte, holte sie dieselben nach einander ab, ebenso Spinnen und andere Insekten von nicht zu verschiedener Grösse. Viel grössere und viel kleinere Insekten beachtete sie dagegen nicht. Dieses letztere Experiment ist auch sehr günstig, um nebenbei Wespen mit leblosen Gegenständen von Grösse und Farbe einer Fliege zu täuschen. Wie fein und sicher die Libellen, die gewiss von allen unseren Insekten am besten sehen und auch die meisten Facetten an ihren kolossalen Augen haben, die kleinsten Tierchen im Flug unterscheiden, dieselben verfolgen und fangen, ist eine von den meisten Entomologen beobachtete Tatsache.^ Man kann sie hierbei am besten mit den Schwalben vergleichen. Wie sehr derjenige, der sie fangen will (ich spreche besonders von Aeschna, Gomphus Libellula u. dgl.), von ihnen gefoppt wird, und wie genau diese Tierchen dabei die Ent- fernungen bemessen, davon kann sich jeder leicht selbst überzeugen. Die Libellen richten sich dabei immer so ein, knapp an die Grenze des Bereichs, wo man sie fangen kann, heranzufliegen und machen dabei recht wohl den Unterschied, ob man mit einem Netz bewaffnet ist oder nur mit der Hand. Am besten lässt sich dies beobachten, wenn man um einen Teich herum jagt. Eine optische Erklärung hierfür kann ich nicht wagen und nur bemerken, dass das aus einem Punkte ausgehende Licht desto mehr Facettenretinulae treffen wird, je entfernter dieser Punkt sein wird, was, wie schon Johannes Müller (a. a. 0. 378) sagt, ein allmähliches Diffuserwerden des Sehens bei wachsender Entfernung bewirken muss. Möglicherweise wird die Entfernung daraus berechnet und zwar bei grösserer Nähe am besten (indem dann die Winkel stärker variieren). Jeder, der Schmetterlinge und Fliegen beobachtet hat, wird bestätigen, dass auch diese Insekten die Entfernung näherer Gegenstände gut taxieren können. Wie mir scheint, können wir uns auf diesem Wege in durchaus * Vergl. Meyer-Dür in: Mitteilungen der schweizerischen entomologischen Gesellschaft. Vol. 4. Nr. 6, 1874. S. 320 und 337. Mit ausgezeichneter Sach- kenntnis und Wahrheit beschreibt Meyer-Dür das Treiben der Libelluliden und ihr scharfes Sehvermögen; ich kann seinen Angaben aus eigner Erfahrung nur beistimmen. Gesichtssinn 1 1 befriedigender Weise die Mittel erklären, durch welche Insekten die Entfernung von Dingen abschätzen, die sich nicht zu weit von ihnen befinden. Die Deutlichkeit des Bildes wird dabei im unmittelbaren Verhältnis zu der Abnahme der Entfernung zunehmen, und die Qualität des durch das Bild übertragenen Gehirnreizes wird sich demnach (vom Gesichtspunkte der Deutlichkeit aus) ebenfalls in gesetzmässiger Weise mit dem Grade der Entfernung verändern. Diese Veränderungen sind um so bemerkbarer, je kürzer die Entfernung ist, und schwinden bei grösseren Distanzen völlig oder doch nahezu vollkommen. Nun ist es aber hinlänglich bekannt, dass gerade die regelmässigen Ver- änderungen der durch die Sinnesorgane übermittelten Reize in Zu- sammenhang mit den ihnen entsprechenden, regelmässigen Ver- änderungen äusserer Faktoren es sind, die das Gehirn in den Stand setzen, sich über die letzteren zu orientieren, und zwar auf Grund der von den Individuen erworbenen Gewohnheit oder des von vielen Generationen durch Vererbung erworbenen Instinkts (in beiden Fällen auf Grundlage häufiger Wiederholung entsprechender Reize). Für irgend ein gegebenes Insekt werden also die Konturen eines Gegenstandes auf einen Meter Entfernung einen bestimmten Grad von Deutlichkeit besitzen, eine bestimmte und zwar viel grössere Deutlichkeit auf einen Dezimeter Entfernung, weil in letzterem Falle die von den einzelnen Teilen des Gegenstandes ausgehenden Strahlen sich auf die Sehfelder einer geringeren Zahl von Facetten verteilen, die Gesamtheit des Gegenstandes aber gleichzeitig das Sehfeld einer grösseren Anzahl von Facetten treffen wird. Entfernung er- weitert das Sehfeld der einzelnen Facette, verwischt es aber gleich- zeitig mit dem der Nachbarfacette. Auf Grund dieses Unterschiedes wird also ein gegebenes Insekt zu unterscheiden vermögen, ob ein Gegenstand einen Meter, einen halben Meter oder einen Dezi- meter usw. von ihm entfernt ist. Dieselben Regeln gelten sicherlich auch für die Wahrnehmung von Bewegungen, was auch Exner mit Energie vertritt. Eine wenn auch nur geringfügige Lageveränderung eines innerhalb des Sehfeldes befindlichen Objekts dürfte genügen, in dem Zustand der Retinulae Veränderungen eintreten zu lassen, falls das Objekt sich nähert, indem die von den einzelnen Teilen des Objekts nach den verschiedenen Facetten ausgesandten Strahlen um so grössere Winkel bilden, je kürzer die Entfernung zwischen dem Objekt und dem Auge wird. Daher wird das Insekt die Be- wegungen eines sich entfernter befindenden Gegenstandes weniger 12 Gesichtssinn deutlich wahrnehmen. In Summa kann zugegeben werden, dass wohl alle Insekten mehr oder weniger kurzsichtig sind, so dass, je weiter entfernt sich ein Gegenstand befindet, um so verschwom^ mener er in seinen Umrissen erscheinen wird und umgekehrt. Ferner geht aus dem oben Gesagten hervor, dass ihr Sehvermögen nicht nur schärfer, sondern gleichzeitig ihre Kurzsichtigkeit geringer ist im Verhältnis 1. zur Zunahme der Zahl der Facetten und 2. zur grösseren Länge des Kristallkegels und zur stärkeren Konvexität des Auges. Natürlich darf man diese Verhältnisse nicht ohne weiteres mit der Kurzsichtigkeit des Menschen vergleichen; beim Insektenauge haben wir es mit einem relativen Grad der Deutlichkeit zu tun, die ihr Maximum direkt vor dem Auge erreicht. Bei Mensch und Wirbel- tier gibt es allerdings eine gewisse Analogie in dem Sinne, dass Gegenstände, je weiter entfernt sie sich befinden, einen um so kleineren Raum im Gesichtsfeld füllen und infolgedessen weniger retinale Elemente in Anspruch nehmen, wodurch ihre Wahrnehmung an Deutlichkeit verliert. Indessen bringt es die Fähigkeit der Akkomo- dation, durch welche wir unsern Blick auf Gegenstände in verschie- denster Entfernung willkürlich einzustellen vermögen, mit sich, dass wir die erwähnte Eigentümlichkeit weniger für die Abschätzung der Distanz auszunützen lernen. Und schliesslich wird ein Facettenauge — jedenfalls bis zu einer gewissen Entfernung hin — leichter grosse als kleine Gegenstände wahrnehmen können, indem die ersteren eine grössere Anzahl Facetten in Anspruch nehmen als die letzteren. Dies ist eine Tatsache, die ich bei Ameisen oft bestätigt gefunden habe. Kleine, sich bewegende Gegenstände werden von ihnen nur in nächster Nähe wahrgenommen, weil die Facette, in deren Achse solch ein Gegenstand projiziert wird, sonst zu viele Strahlen von anderen umgebenden Körpern, die sich in einiger Entfernung be- finden, erhält. Alle Tatsachen, die ich bei meiner Beobachtung des Insekten- lebens sammelte, scheinen mir auf die geschilderte Form des Sehens hinzuweisen. Jene Insekten, die grosse konvexe Augen mit vielen Facetten besitzen, sehen offenbar nicht nur sehr deutlich, sondern auch in viel grössere Entfernung, als solche mit kleinen flachen Augen. Jeder Insektensammler wird z. B. bestätigen, dass Libellen und Tages- schmetterlinge ihn aus viel grösserer Entfernung erblicken als Käfer und die Mehrzahl der Hymenopteren. Dass Männchen und Weibchen von Bienen und Ameisen im Flug Gesichtssinn 13 einander sehen, beweisen ihre Schwärme, wobei sich selten ein Indi- viduum vom Haufen verliert; und dass dies nicht etwa auf Geruchs- vermögen beruhen kann, werden wir später zur Genüge nachweisen. Bei allen ähnlichen Beobachtungen ist es ferner leicht zu sehen, dass die Insekten weder eigentlich kurz- noch weitsichtig sind, son- dern dass sie aus sehr verschiedenen Entfernungen Objekte sehen können, trotzdem sie keine Akkomodation besitzen. Dieses weist wieder auf die Richtigkeit der Müllerschen Theorie und der Resultate Grenachers und Exners hin. Dass Insekten, deren Netzaugen wenig Facetten haben, undeutlich sehen, ist für mich schon lange eine ausgemachte Tatsache, die ich auch früher in bezug auf Ameisen aussprach.^ Ich setzte damals einen grossen Haufen an Schatten gewöhnter Ameisen (Lasius fuli- ginosus) plötzlich mitten auf eine sonnige Strasse und hockte mich dann selbst in der Nähe nieder. Ohne sich miteinander zu ver- ständigen, liefen sofort alle Ameisen mit gehobenen Antennen, wie von mir magnetisiert, auf mich zu, obwohl, da es Mittag war, kein Schatten vorhanden war. Ich rückte nun etwas weiter, und so- fort folgten mir wieder alle Tierchen. Ich setzte mich dann auf die entgegengesetzte Seite ihres Haufens. Sofort kehrte die ganze Ge- sellschaft wieder um und lief zurück, gerade auf mich zu. Und so wurde ich weiter, trotz meiner Ortsveränderungen, verfolgt, bis die Ameisen sich fünf Meter von ihrem ursprünglichen Sitz entfernt hatten. Erst als ich mich dann an den Baum eines dicht dabei liegenden Lustwäldchens anlehnte, verliessen mich die Tierchen und spazierten in dasselbe hinein. Es wurde mir nun klar, dass ich von den Ameisen zwar bemerkt, aber verkannt und für einen Baum oder einen ähnlichen Gegenstand gehalten worden war, den sie als Schutz gegen die Sonnenstrahlen zu erreichen trachteten. Sehr kleine Gegen- stände werden von diesen Ameisen zumeist gar nicht bemerkt, ausser wenn man die Sachen dicht vor ihren Augen bewegt. Bei den Ameisen haben, wie ich früher (a. a. O.) gezeigt habe, die Männchen die grösste Anzahl Facetten und zugleich die am stärksten gewölbten Augen. Sie müssen aber auch befähigt sein, im Flug ihre Weibchen zu verfolgen. Letztere, die nur sehr kurze Zeit in der Luft leben und dort nur eine passive Rolle spielen, haben schon viel weniger Facetten und flachere Augen. Die flachsten und facetten- * A. Forel, Les Fourmis de la Suisse. Neue Denkschriften der schweizeri- schen naturforschenden Gesellschaft. Bd. 26, 1874. S. 118, 120, 121. 14 Gesichtssinn ärmsten Augen haben die Arbeiter, die stets am Boden, oft grössten- teils unterirdisch leben. Es gibt sogar Arten, bei welchen der unter- irdisch lebende Arbeiter ganz blind ist, während das Männchen mächtige Augen besitzt. Dies stimmt durchaus mit den anatomischen und physiologischen Ergebnissen überein. Allerdings muss hier nicht vergessen werden, dass, gleiche sonstige Verhältnisse vorausgesetzt, die absolute Grösse des Körpers immer eine Vermehrung der histo- logischen Elemente überhaupt und somit auch der Augenfacetten ^ zur Folge hat. Es mag dieses Verhältnis durch folgende Tabelle, wobei die Facetten von mir so gut wie möglich gezählt wurden, versinnlicht werden : Formica pratensis Solenopsis fugax Messor barbarus Grosser Arbeiter Weib- chen Männ- chen Arbeiter Weib- chen Männ- chen Kleiner Arbeiter Grosser Arbeiter Körperlänge Zahl d. Facetten 9 mm 600 10 mm 830 10 mm 1200 2 mm 6-9 6,5 mm 200 4,2 mm 400 4 mm 90 12 mm 230 Es sei noch hierzu bemerkt, dass sowohl kleine als grosse Arbeiter von Messor barbarus in gleicher Weise ausgehen und am Lichte arbeiten, während der Arbeiter von Solenopsis fugax nahezu immer unter der Erde lebt. Das Männchen von S. fugax, das sein Weibchen in der Luft, und zwar oft bis sehr hoch hinauf verfolgt, hat also nur 400 Facetten, somit weniger als der flügellose, aber grössere Arbeiter der Formica pratensis. Das Auge des S. fugax- Männchens ist aber halbkugelig, das des F. pratensis-Arbeiters dagegen ziemlich flach. Übrigens ist der letztere einer der am besten sehenden Ameisenarbeiter. Man kann an Ameisenarbeitern, welche in Glaskästen eingesperrt sind, besonders an Formica-Arten (rufa etc.), leicht beobachten, wie dieselben durch das Glas jede Bewegung merken und wie sie darauf sofort mit ihrer bekannten Kampfstellung (Aufrichten auf die Hinterbeine) reagieren. Bewegungslose Gegenstände bemerken sie ^ Indem ja die Zahl der Elemente einer Facette nicht erheblich vermehrt werden kann, ohne ihre optischen Verhältnisse zu ändern. Die Kristallzellen sind immer 4 an Zahl. Gesichtssinn 15 viel weniger, obwohl die oben erwähnteBeobachtung mit Lasius fuligi - nosus zeigt, dass sie solche auch sehen. Wie oft Ameisen (F. rufa) z. B. ihre ganz in der Nähe, innerhalb ihres Gesichtsfelds verstreut umherliegenden Puppen oder Larven, die sie doch mit grosser Geduld suchen, übersehen, habe ich tausendmal beobachtet. Bewegt man dieselben etwas, so werden die Ameisen schon eher darauf aufmerk- sam. Ganz kleine Gegenstände, sehr kleine andere Ameisen oder parasitische Fliegen, von welchen sie oft verfolgt werden, sehen sie kaum oder gar nicht. Wie schlecht eigentlich die kleinen, nur mit einfachen Augen (Ocellen) bewaffneten Springspinnen sehen, kann man recht gut beobachten, wenn eine solche auf einer Fensterscheibe nach einer Fliege jagt. Aus mehr als 4—5 cm Entfernung sieht sie ihre ersehnte Beute nicht mehr, trotzdem diese in der Richtung ihrer Augen ruhig herumspaziert; sie sucht dieselbe in ganz falschen Richtungen etc. Wenn aber die Fliege ruhig sitzt, kann sie noch viel näher unbemerkt sitzen bleiben. Wären diese Tiere nicht so dumm und so unvor- sichtig, so brauchten sie sich nie fangen zu lassen. Einer andern Springspinne, die ihren weissen Eierstock auf dem Rücken trägt, nehme man denselben ab und lege ihn ganz in die Nähe (4 — 5 cm entfernt). Sofort wird die Spinne anfangen, denselben überall zu suchen, und man wird sehen, wie lange sie gewöhnlich braucht, um ihn wieder zu finden. Johannes Müller (a. a. O.) meint, dass die Ocellen für das deutliche Sehen in nächster Nähe eingerichtet seien, was recht plausibel erscheint. Ich kann indessen nichts Sicheres darüber sagen, da bei grosser Nähe andere Sinnesorgane dem Ex- periment störend in den Weg treten. Duges (a. a. O.) findet, wie Reaumur und Marcel de Serres S dass bei Insekten, welche Ocellen und Netzaugen besitzen, der Verlust der ersteren fast ohne Folgen bleibt, die der letzteren dagegen von schweren Folgen begleitet wird. Ich kann dies nur bestätigen. Nach Exstirpation oder Bedeckung der Ocellen finden sich Wespen, Hummeln, Ameisen etc., soweit ich darüber urteilen konnte, im Fluge wie am Boden gerade so gut zurecht wie vorher. Ganz anders war es nach Bedeckung oder Exstirpation der Netz- augen bei fliegenden Insekten. Am 2. Oktober 1877, einem sonnigen Tage, waren viele Fliegen ^ Marcel de Serres: Memoire sur les yeux composes et les yeux lisses des Insectes. Montpellier 1813. 15 Gesichtssinn unterwegs, u. a. Calliphora vomitoria, Lucilia caesar und noch eine Museide. Da diese Tiere das Wegrasieren der Augen schwer ertragen, bedeckte ich ihnen die Augen vollständig mit einem un- durchsichtigen Lack, wonach ich ihnen die Vorderbeine abschnitt, um das Wegputzen des Lackes zu verhindern. Das Resultat dieses sehr oft wiederholten Experiments war fast stets dasselbe. Die Tiere, am Boden gelassen, flogen nicht fort. In die Luft geworfen, fingen sie an, rasch hin und her, seitlich oder nach unten zu fliegen, und stiessen dabei entweder an den Boden oder an die Mauer des Hauses. Im letzteren Falle stürmten sie so heftig dagegen an, dass sie nie zum Sitzen gelangten, sondern stets an den Boden geworfen wurden und dort still blieben oder mit den Flügeln flatterten oder auch etwas herumzuspazieren begannen. ^ Beim Gehen am Boden verhielten sie sich ähnlich wie normale Fliegen, aber etwas langsamer und vor- sichtiger. Als ich jedoch eine solche Fliege wiederholt aufhob und nach Besichtigung der Augen, nötigenfalls auch nach frischer Be- deckung mit Lack, dieselbe immer wieder in die Luft warf, erfolgte meist entweder schon beim zweiten, oft aber erst beim 4., 5., auch wohl erst nach dem 10. Male, wo sie immer wieder am Boden oder an der Mauer angestossen war, ein neues Manöver. Das Tier flog wieder hastig, zuerst unsicher und zickzackartig, sehr bald aber direkt in die Höhe und hielt dabei, entweder schnurgerade fliegend oder schrauben- förmig rotierend, ziemlich dieselbe Richtung ein, bald mehr schief, bald mehr senkrecht gegen den Himmel strebend, und zwar bis zu einer solchen Höhe, dass es der Entfernung halber, trotzdem ich recht scharfe normalsichtige Augen habe, als immer kleiner werdender Punkt für mich unsichtbar wurde, ich konnte dennoch die grossen Calliphora vomitoria (Schmeissfliege), die sich besonders gut zu diesem Experiment eignen, bis zu einer ziemlichen Höhe in dieser Weise verfolgen. Denselben Erfolg hatte ich mit einem Schmetterling (Noctua gamma) und mit einer Hummel, die beide auf dieselbe Weise in dem blauen Himmel verschwanden, nachdem sie zuvor wiederholt auf den Boden gestürzt waren. Nun fliegen alle diese Tiere, wenn sie sich im Besitz ihrer Augen befinden, nie gegen den freien Himmel hinauf, wo sie zu leicht Beute der Vögel werden, sondern halten sich hauptsächlich zwischen Laub und Mauern auf, ^ Daraus ersieht man auch, dass eine im raschen Flug begriffene Fliege, die an eine Mauer fliegt und sich doch dort ganz geschickt setzt, nicht nur sehen, sondern auch die Entfernung der Mauer gut berechnen können muss. Gesichtssinn 17 wo sie in mehr horizontaler Richtung herumliegen; ihre Bh'ndheit allein kann dies ihr neues Gebaren erklären. Im Frühjahr 1878 wiederholte ich dieselben Experimente an Mai- käfern und erhielt dabei dieselben Resultate. Nur waren diese grossen Tiere bei ihrem langsamen Flug viel leichter in der Luft zu verfolgen. Den einen nahm ich nur beide Fühlhörner fort. Sie flogen wie gewöhnlich von meinem Finger weg und erreichten sehr bald das Laub eines Baumes, wo sie sich niedersetzten; es war gar nichts Abnormes an ihnen zu bemerken. Den andern wurden die Netz- augen gefirnisst. Diese flogen ebenso schnell fort wie die ersten. Als sie aber in der Luft waren, konnten sie sich nicht mehr dirigieren und flogen entweder bald abwärts, um schleunigst zu Boden zu fallen, oder in die Höhe, und zwar schraubenförmig, genau so wie die gefirnissten Fliegen, aber so langsam, dass man alle Spiraltouren deutlich sehen konnte. Dazwischen flogen sie wieder unregelmässig, doch meist so, dass sie wieder mehr oder weniger an den alten Punkt zurückkamen ^ Sie stiessen auch häufig an die Anstaltsmauer an und fielen schliesslich zu Boden, jedoch oft erst nach mehreren Minuten. Einmal gelangte ein solcher Maikäfer zufällig ins Laub eines Baumes, stiess mehrmals an den Ästen und Blättern an, war jedoch nicht fähig, sich darauf zu setzen, und flog schliesslich auf der anderen Seite wieder hinaus. Sobald der Firniss von den Augen entfernt wurde, flogen die Tiere v/ieder richtig zum Laub hin, wo- rauf sie sich setzten. Die an der Oberfläche einer Pfütze befindlichen Wasserwanzen (Hydrometra lacustris), die bekanntlich sehr schnell rudern und sehr scheu sind, wurden ganz unfähig, einen Feind zu bemerken, als sie auf obige Weise geblendet worden waren. Sie konnten zwar ebenso schnell rudern wie vorher, blieben jedoch ruhig, bis man sie berührte und Hessen sich fangen wie Schnecken. Die geblendeten Wespen und Hummeln sind schwerer und seltener als die Dipteren zum Fliegen gegen den Himmel zu bringen; sie stossen fast stets gleich in der Nähe an irgend einen Gegenstand oder fallen hin. Beobachtet man nun das Gebaren aller so er- blindeten Insekten am Boden, so ist dasselbe ganz anders als im ^ Ähnlich erging es mir selbst, als ich einmal nach Verlassen einer Dorfes, in stockdunkler Nacht und bei strömendem Regen herumirrte und mich nach Ablauf einer Stunde wieder am Rande desselben Dorfes fand, von dem ich ausgegangen war. Forel, Das Sinnesleben der Insekten. 2 ;I3 Gesichtssinn Fluge. Sie sind zwar gemessener, langsamer in ihren Bewegungen, aber finden sich meist mit Hilfe ihrer Fühler, Palpen und Tarsen, je nach der besseren oder schlechteren Entwicklung der entspre- chenden Sinnesorgane, mehr oder weniger zurecht. Gerne suchen sie sich dann Schlupfwinkel auf, um sich darin zu verstecken. Auf die erwähnte Weise geblendete Fliegen, Wespen etc., die ich im Zimmer fliegen Hess, flogen nie mehr wie früher gegen das Fenster, sondern irgendwo gegen die Wand oder gegen den Boden, ein Beweis, dass sie wirklich keinen Lichtschein mehr hatten; anders veriief die Sache natüriich bei unvollständig geglückter Operation. Eine interessante Illustration zu unserem Thema bietet die ameri- kanische Ameisengattung Eciton (Army Ant, Driver Ant, Tauoca). Die Eciton-Arten führen ein Nomadenleben, sind karnivor und jagen in grossen Heeren nach Käfern, Orthopteren, anderen Ameisen etc. Die meisten Eciton-Arten besitzen zwei Ocellen an Stelle der Netz- augen; einige aber sind augenlos. Während nun erstere (E. homa- tum etc.) im offenen Felde jagen, jagt die fast blinde Art E. praedator nach Bates^ stets in überwölbten Gängen, die sie mit reissender Schnelligkeit über Wege und Lichtungen baut, bis sie verwitterte Stämme u. dgl. erreicht, in deren Höhlungen und Spalten sie ihre Beute findet, während der ganz blinde E. carolinense, wie die Derglus-Arten, ganz unterirdisch jagt. Insekten, die sehr grosse Augen haben und ausgesprochene Luft- tiere sind (Libellula, Tabanus, Bombylius etc.), haben meist sehr schwach entwickelte Fühler und sind in der Dunkelheit total unbeholfen. Sie trauen sich dann kaum zu gehen. Ähnlich geht es den Tagschmetteriingen. Bei andern Insekten dagegen, wie bei den Ameisenarbeitern, spielen die Augen eine untergeordnete Rolle; es sind dies Antennentiere (vgl. weiter unten meine Experimente mit Abnahme der Fühler). Daher arbeiten dieselben bei tiefster Nacht und unterirdisch so gut wie am Tag, was ich wiederholt beobachtet habe (a. a. O.) Es ist bekannt, dass viele Insekten nachts blindlings gegen ein Licht fliegen und sich stets wieder darauf stürzen, bis sie verbrennen. Dies wird oft mit Unrecht als Blendung bezeichnet. Solche Lichter wie unsere sind in der Natur kaum vorhanden. Das Tageslicht ist ^ Bates, Der Naturforscher am Amazonenstrom. Deutsche Übersetzung. Leipzig 1866. S. 388. Ich habe seitdem Gelegenheit gehabt, in den Urwäldern Columbiens diese Tatsachen bestätigt zu finden (1930). Gesichtssinn 19 also nicht so auf einem Punkt konzentriert, und die Tierchen sind daran gewöhnt, wenn sie im Dunkeln (in der Erde, unter Rinde etc.) sind und nach dem Licht streben, ins Freie zu geraten, wo das Licht überall zerstreut ist. Nachts nun meinen sie offenbar, wenn sie auf eine Lampe zufliegen, aus einem dunklen Ort an das Tages- licht zu gelangen, und begreifen das Wesen dieser auf einem Punkt konzentrierten Lichtquelle durchaus nicht. Daher die wiederholten misslungenen Anläufe, welche die armen Verirrten immer wieder in die Flamme hineinhetzen und schliesslich meist ihre Verbrennung zur Folge haben. Insekten, die infolge allmählich vererbter Anpassung an das künstliche Licht gewöhnt sind, wie die Hausfliege (Musca domestica), werden durch dasselbe nicht mehr getäuscht. Höhleninsekten sind blind. Blinde Arthropoden, z. B. eine blinde Varietät oder Subspezies des Gammarus puteanus Koch finden sich in grossen Tiefen der Seen, wo das Licht nicht mehr eindringt, sowie in unterirdischen Gewässern ^ Die ausschliesslich unterirdisch lebenden Tiere, z. B. gewisse Ameisenarbeiter, werden auch nahezu oder gänzlich blind, und wir sehen bei diesen europäischen Arten der letzteren die Facettenzahl von 600 bis zu 30, 6, 4, 1 und schliess- lich bis 0 (bei Leptonilla Emercy u. a.) hinabsteigen. Lubbock hat durch sehr fleissige und sinnreiche Experimente (a. a. O. Obs. on. Bees etc. Pt. 1 und 2) das Farbenunterscheidungs- vermögen der Bienen und Wespen nachgewiesen. Er nahm gleich- massige rote, gelbe, grüne und blaue Scheiben, legte z. B. auf eine rote etwas Honig und dazu eine Biene, die er mit Ölfarbe markierte. Die Biene flog fort zu ihrem Nest, kam aber bald nach Entleerung ihres Vormagens zurück und strebte stets geradenwegs auf die rote Scheibe zu. Nun nahm L. während ihrer Abwesenheit die rote Scheibe fort, setzte an deren Stelle eine blaue Scheibe mit Honig und eine andere rote, der ersten gleich, aber ohne Honig, daneben. Die Biene kam zurück, ging aber stets zur roten Scheibe, wo sie ' 1885. Ich hatte ursprünglich geschrieben „nicht mehr eindringt". Nun ist es, dank den Mitteilungen von Fol vor der Schweizer Naturwissenschaft- lichen Gesellschaft in Locle (August 1885) bekannt geworden, dass das Licht viel tiefer als bis zum Grunde fast aller unsrer Süsswasserseen zu dringen vermag. Obwohl es im Meer nicht tiefer als 400 m eindringt, finden wir dennoch in einer Tiefe von mehreren tausend Metern noch gewisse mit Augen bewaffnete Seetiere. Diese eigentümliche Tatsache lässt sich durch die Phosphoreszenz einer grossen Anzahl von Seetieren erklären, welche die Räume jener unge- heuren Tiefen aufzuhellen imstande ist. 2» 20 Gesichtssinn nichts fand, und war absolut nicht imstande, den Honig auf der nebenstehenden blauen zu finden. Dies ist nun zugleich ein Beweis ihres schlechten Geruchsvermögens. Die in dieser Weise weiter vari- ierten Experimente von Lubbock zeigen, dass die Bienen alle Farben unterscheiden und nur blau und grün miteinander verwechseln, während die Wespen auf Farbenunterschiede fast gar nicht reagieren, um so mehr aber die Form des Gegenstandes und den Platz, wo der Honig liegt, beachten und sich merken, so dass der Wechsel der Farben sie nicht stört. Auch ist ihr Geruchsvermögen feiner als das der Bienen. Diesen schönen Resultaten scheinbar widersprechend sind Ex- perimente von Plateau \ der durch sehr gut nachgemachte künst- liche Blumen die Insekten (Bienen, Schmetterlinge u. a.) zu täuschen versuchte, was ihm jedoch fast nie gelang. Die Tiere flogen fast immer, ohne diese Kunstprodukte zu beachten, darüber hinweg. Ab- gesehen von dem geringeren Wert eines negativen Resultates ist hier noch manches, was das Experiment unrein macht, besonders aber der Umstand, dass, so genau auch die Nachahmung unseren Augen erscheinen mag, es immer noch möglich ist, dass die Nuancen und Formen von dem Insektenauge zum Teil auf qualitativ andre Weise unterschieden werden, und dass dasselbe dort Unterschiede wahr- nimmt, wo wir es nicht tun. Ausserdem fehlt den Kunstblumen der Geruch, was übrigens, wie wir schon sahen und gleich noch sehen werden, nicht massgebend ist. Ferner und vor allem zeigen die Experimente Lubbocks, wie sehr die Bienen und Wespen sich an den gewohnten, von ihnen gekannten Wegen zu halten pflegen, so dass deshalb plötzlich neu erscheinende Blumen ihre Aufmerksamkeit weniger fesseln als die alten, bekannten. Sie üben sich aber erst dann auf einen Weg ein, wenn sie an dessen Ziel etwas, nämlich Honig, gefunden haben, was bei den künstlichen Blumen nicht der Fall ist. Ein Hummelnest, das ich vor Jahren auf einem Fenster der Fassade eines Hauses aufgestellt hatte, gab mir Gelegenheit zu sehen, welche Mühe die von ihren Ausflügen zurückkommenden Hummeln hatten, um das richtige Fenster von den anderen zu unterscheiden. Besonders die ersten Male flogen sie lange Zeit an falschen Fenstern herum, bis sie das richtige fanden. Lubbock (a. a. O) erwähnt manche ähnliche Beobachtungen. * Plateau, L'instinct etc. mis en defaut par les fleurs artificielles? Asso- ciation fran(;aise pour i'avancement des Sciences. Congres de Clermond- Ferrand, 1876. Gesichtssinn 21 Am 1. September 1877, einem halb schönen Tage nach längerer Regenzeit, befanden sich auf zwei, rechts und links von dem Tor der Irrenanstalt in München gelegenen, hauptsächlich aus roten, weissen und blauen Windenblüten bestehenden Blumengruppen viele Hummeln (Bombus terrestris, pratorum etc.), Arbeiter, Weibchen und Männchen, welche sehr hungrig zu sein schienen und mit Eifer die Windenblüten besuchten. Sechs derselben wurden gefangen ; ich schnitt ihnen die beiden Antennen (Fühler) an der Basis ab und liess sie wieder fliegen. Nach 5 Minuten kam eine derselben (ein Männchen) zurück und saugte an 8 bis 10 Windenblüten nacheinander. Jedesmal flog die Hummel ganz direkt, ohne eine Sekunde zu schwanken, in die nächste Blüte. Ich fing sie wieder, konstatierte nochmals, dass nichts mehr von den Fühlern vorhanden sei und liess sie wieder los. Sie flog diesmal nur in kurzem Schwünge nach oben und kam sofort wieder zu den Blüten, wo sie weiter saugte wie zuvor. Ich fing nun andere Hummeln und schnitt denselben mit der Schere den ganzen Vorderkopf bis zu den Netzaugen ab. Nach dieser Operation zog ich den Rest der zurückgezogenen Unterlippe heraus und exzidierte denselben mitsamt dem ganzen Pharynx* mit einer spitzen Schere. Die so verstümmelten Tierchen wurden wieder freigelassen und flogen fort. Zwei derselben, zwei Männchen, kamen jedoch nach einiger Zeit zurück und fingen wieder an, genau so wie normale Hummeln, von Blüte zu Blüte zu fliegen, hielten sich aber in jeder nur ganz kurz auf. Die armen Geschöpfe konnten natürlich trotz allen Hungers nicht fressen, erkannten aber den Grund davon nicht und verliessen immer wieder die einzelnen Blüten, um zu andern zu fliegen. Zu gleicher Zeit kehrten noch mehrere von den Hummeln mit abgeschnittenen Fühlern zu den Windenblüten wieder. Sie legten ihre Rundreise von Blüte zu Blüte wenn möglich mit noch grösserer Sicherheit zurück als die normalen. ^ Somit waren alle Nervenendigungen des Mundes, der Zunge, des Pharynx etc. fortgenommen, ebenso die der Taster. Nun soll sich nach Wolff (a. a. O.) das Riechorgan in den Nervenendigungen des sog. Gaumensegels befinden, was, wie wir sehen werden, irrig ist. Das Wolffsche Riechorgan war natürlich eben- falls völlig weggeschnitten und konnte an dem abgetrennten Stück präpariert werden. Ferner aber war durch das Ausschneiden des Pharynx jede Möglich- keit einer Kopfrespiration, wie sie Wolff (a. a. O.) beschreibt, völlig ausgeschlossen. Und dennoch flogen die Tierchen ganz munter herum. Ihre Augen hatten gewiss auch nicht gelitten, sonst hätten sie die Blumen nicht so sicher gefunden. 22 Gesichtssinn Am Nachmittage desselben Tages operierte ich wieder viele Hummeln auf die beiden genannten Weisen. Jedoch kam keine zurück. Der 2. September war ein Regentag. Am 3. September war das Wetter wieder schön, und ich ging zu den Winden zurück, wo ich bald mehrere von den Hummeln wiederfand, welchen ich zwei Tage vorher beide Antennen abgeschnitten hatte. Es waren sowohl Arbeiter als Männchen und sie flogen mit auffallender Sicherheit und Rasch- heit von Blüte zu Blüte. Nun fing ich einige Männchen von Bombus pratorum, welche sehr selten zu den Winden, fast stets zu den sparsam vorhandenen Blüten einer exotischen blauen Veronika flogen, und schnitt den- selben sowohl beide Fühler als den Vorderkopf mit dem Pharynx, wie oben angegeben, ab. Einer derselben flog, als er losgelassen wurde, in die Luft, aber nicht weit, kehrte dann im Bogen zu den Blumen zurück und flog direkt zu den blauen Veronikablüten. Er versuchte nun, dort zu fressen, was ihm nicht gelang, weshalb er hastig von einer Blume zur andern wanderte und dann zur nächsten Veronikatraube flog. Schliesslich besuchte er noch einige Windenblüten, ohne jedoch in dieselben einzudringen und flog dann fort. Sein Benehmen war genau dasselbe wie das der früher operierten. Bald darauf kam ein andrer der so operierten B. pratorum wieder direkt zu den Veronikablüten geflogen und benahm sich genau so wie der erste; nur ging er nicht zu den Winden. Ich fing ihn und konstatierte die Abwesenheit beider Fühler und des Vorderkopfes. Arbeiterinnen, die ich in derselben Weise operierte, kamen nie zurück. Es scheint, dass dieselben sich mehr Rechenschaft über ihre Verstümmelung gaben, da ja die Arbeiter bei den geselligen Hymenopteren stets viel intelligenter sind als die Männchen. Ich habe auch nachgewiesen, dass das eigentliche Gehirn (corpora pedunculata) der Ameisenarbeiter viel grösser ist als das der Männchen). Ich operierte nun auf dieselbe Weise mehrere Pollistes gallicus (eine Wespe), welche Resedablüten besuchten. Dieselben benahmen sich genau so wie die Hummeln. Einige kamen zurück und flogen direkt zu den Resedablüten, die sie nacheinander aufsuchten und wo sie sich vergebens bemühten zu fressen. Bei diesen Versuchen, deren unvermeidliche Grausamkeit ich selbst am meisten bedauere, und noch mehr bei Amputation der Gesichtssinn 23 Fühler, die ich früher an Bienen und Wespen vornahm, bemerkte ich gewöhnlich, dass infolge des Verlustes der Fühler diese Tiere nicht etwa unsicherer, sondern im Gegenteil scheinbar sicherer in ihrem Flug werden. Sie schwanken nicht mehr hin und her, bevor sie sich irgendwo niedersetzen, wie man dies ja besonders bei Wespen meistens beobachtet, sondern fliegen schnurgerade auf einen Punkt und setzen sich sofort nieder, wie die Fliegen und Wasser- jungfern. Der Unterschied im Benehmen ist hier besonders bei Vespa- Arten auffallend. Es scheint mir klar darauf hinzudeuten, dass das Hin- und Herschwanken beim Fliegen den Tieren dazu dient, mittels ihrer Fühler gewisse Substanzen zu wittern. Daher käme es dann auch, dass dieses Schwanken bei den besser riechenden und schlechter sehenden Wespen viel auffallender als bei den schlechter riechenden und besser sehenden Bienen ist. Es sind dennoch weitere Versuche über diesen Punkt sehr notwendig. Aus den beschriebenen Beobachtungen und Versuchen geht nun klar hervor, dass es die Netzaugen allein sind, welche sowohl Fliegen als auch Schmetterlinge, Maikäfer, Libellen, Hummeln und Wespen bei ihrem Fluge leiten. Damit allein erkennen sie die Blumen sowie überhaupt die Gegenstände und ihren Weg in der Luft. Der Geruch kann zwar, wie wir sehen werden, gewisse fliegende Insekten in eine gewisse Richtung locken, so z. B. die oben erwähnte Calliphora vomitoria, aber ohne Augen können sie doch nicht fliegend ihren Weg finden, während sie sich, nach Verlust ihrer sonstigen wichtigsten Sinnesorgane, mit den Augen allein vollständig gut im Flug zurecht- finden, natürlich aber nicht mehr versteckte Substanzen wittern. Endlich geben uns die erwähnten Tatsachen wenigstens annähernd Aufschluss über den verschiedenen Grad der Deutlichkeit des Sehens bei einigen Insekten sowie über deren Fähigkeit, Farben zu unter- scheiden, in der Nähe und in der Ferne zu sehen und die Entfernung zu berechnen. Dritte Studie. Gesichtssinn (Fortsetzung). Farbensehen; ultraviolettes Sehen; Formensehen. An den obigen Ausführungen, die ich im Jahre 1878 niederschrieb, und die ich hier als erste und zweite Studie wiedergegeben habe, brauchte ich wesentliche Änderungen nicht vorzunehmen. Die haupt- sächlichste Entdeckung, die seit jener Zeit gemacht wurde, verdanken wir Lubbock. ^ Dieser Autor beobachtete, dass Ameisen die ultravioletten Strahlen des Spektrums, die wir selbst nicht oder kaum zu sehen imstande sind, wahrzunehmen vermögen. Lubbock gründete seine Versuche in äusserst scharfsinniger Weise auf die Furcht der Ameisen, ihre Puppen dem Lichte auszusetzen. Einige Ameisen hatten, dank den von Lubbock getroffenen Einrichtungen, ihre Puppen in eine Abteilung des künstlichen Nestes deponiert, die sich unter einem leicht mit Karton oder dgl. zu bedeckenden Glasdeckel befand. Sobald der undurchsichtige Deckel weggezogen wurde, nahmen die Ameisen ihre Puppen weg, sobald er wieder angebracht war, brachten sie dieselben wieder zurück. Darauf brachte Lubbock seine Ameisen in eine verdunkelte Kammer und setzte den betreffenden Qlas- deckel nacheinander den verschiedenen Farben des Sonnen- spektrums aus. Die Ameisen liessen ihre Puppen unter den roten Strahlen ruhig liegen, trugen sie jedoch davon, wenn andersfarbige Strahlen auf den Deckel fielen, und schienen in besonders heftiger Weise von den violetten und noch mehr von den ultravioletten Strahlen beunruhigt zu werden, die wir Menschen überhaupt nicht oder doch kaum gewahr werden. Sobald der ultraviolette Teil des ^ Lubbock, Ants, Bees and Wasps. London 1882. S. 207. Gesichtssinn 25 Spektrums aus der Dunkelheit auf das Glas gerichtet wurde, schleppten die Ameisen geschwind ihre Kokons davon. Lösungen, die, für unser Auge durchsichtig, die ultravioletten Strahlen resor- bierten, wirkten auf die Ameisen als Schatten. Diese Tatsache ist von grösstem allgemeinem Interesse, denn, obwohl sie nicht gerade für das Vorhandensein eines sechsten Sinnes spricht, zeigt sie uns doch, dass die Ameisen gewisse Arten von Licht, für die wir unemp- findlich sind, gewahren, während die roten Strahlen von ihnen anders als von uns selbst empfunden werden.^ Bis zu welchem Grade empfinden nun die Insekten die Form, das heisst also die Dimensionen und Konturen derjenigen Gegen- stände, die ihrem Auge begegnen? Offenbar unterscheiden sie diese Dinge nicht mit derselben Schärfe wie wir selbst ; trotzdem erscheint es mir zweifellos, dass, sofern sie gut ausgebildete Netzaugen besitzen, sie die Grösse und auch die Konturen der Gegenstände mehr oder minder deutlich wahrzunehmen vermögen. Wie könnten sie auch sonst Entfernungen bemessen, aus vollstem Fluge heraus mit so viel Sicherheit auf bestimmten Gegenständen Fuss fassen, sich so vorzüglich orientieren, z. B. mit solcher Sicherheit diesen oder jenen Stein, ein bestimmtes Fleckchen Erde, ein bestimmtes Stückchen Holz wiederfinden, und das, obwohl ihnen der Geruchssinn abgeht? (Man vergleiche den ersten Teil dieser Experimente mit den hinsicht- lich des Geruchssinns angestellten.) Der folgende Versuch, der nach Lubbocks Methode ausgeführt wurde, scheint mir zu beweisen, dass Wespen und Hummeln die Form der Gegenstände zu unterscheiden vermögen, was übrigens auch Lubbocks Ansicht entspricht. Ich setzte eine Wespe (V. germanica) auf ein Tröpfchen Honig, das ich auf einer Scheibe weissen Papiers, etwa 3 cm im Durch- messer, deponiert hatte. (Das ganze Experiment fand auf dem Deckel eines Koffers statt.) Nachdem die Wespe in Honig geschwelgt hatte, flog sie davon, kehrte aber alsbald zu der weissen Papierscheibe zurück, wo sie sich ein zweitesmal am Honig gütlich tat. Ich er- setzte sodann die weisse Papierscheibe durch eine ebensolche, aber ^ Graber (Sitzungsber. der mathem.-naturw. Klasse der k. k. Akademie d. Wissenschaften, Wien, Bd. 87, Abt. 1 1883) bezweifelt die Resultate von Lubbock und glaubt, dass die Empfindung der ultravioletten Strahlen mittels der Haut stattfindet. Er zeigt durch scharfsinnige Experimente, dass Würmer und ge- blendete Tritonen das Licht und selbst Unterschiede der Farbe mittels der Haut empfinden. 25 Gesichtssinn ohne Honig, und rückte die erste honigbestrichene Scheibe auf die Seite in etwa 3—4 cm Entfernung. Als die Wespe nun zurückkam, wandte sie sich zunächst zu der leeren, an dem alten Platz befind- lichen Scheibe, hob sich sodann, als sie hier nichts fand, in die Luft, schwebte dort zwei bis dreimal auf und ab, erblickte sodann die zweite Scheibe, Hess sich darauf nieder und überliess sich nun abermals dem Genuss des Honigs. Ich benutzte ihre nächste Abwesenheit, um den Honig nunmehr auf ein Kreuz aus weissem Papier zu streichen, dessen Arme 1 1 cm lang und 27* cm breit waren. Das Kreuz mit und die Scheibe ohne Honig legte ich nun ziem- lich nahe voneinander zu beiden Seiten der Stelle, wo die Wespe vorher ihre Labung gefunden hatte. Als sie jetzt zurückkam, suchte sie ein wenig, fand aber den Honig bald genug. Ich dachte nun, dass vielleicht das Kreuz der Scheibe zu ähnlich sei und schnitt des- halb einige Streifen Papier von 10 cm Länge und 8 mm Breite. Nach dem Wegfliegen der Wespe entfernte ich das Kreuz und legte nun auf jede Seite der Stelle, wo dasselbe gelegen hatte, und zwar 3 — 4 cm von dieser entfernt, eins meiner Präparate : auf die eine Seite die Scheibe ohne Honig, auf die andere einen Streifen mit Honig. Sobald die Wespe sich nahte, flog sie stracks zu der weissen Scheibe, die sie lange Zeit vergeblich nach Honig absuchte. Dann suchte sie die leere Mitte, also das Stück grauen Koffers, wo das Kreuz gelegen hatte, ab und flog, da sie auch dort nichts fand, wieder fort. Sehr bald kehrte sie indessen zurück, suchte nochmals auf der weissen Papierscheibe, nochmals auf dem leeren Stück grauen Koffers und roch und suchte so hartnäckig und eifrig nach rechts und links, dass sie schliesslich doch den Honig ausfindig machte. Ich legte nun einen zweiten schmalen Papierstreifen ohne Honig neben den ersten (den ich sodann entfernte) und strich etwas Honig auf das grosse Kreuz, das ich auf die andere Seite legte, beide Gegen- stände in der gleichen Entfernung von der Stelle, wo die Wespe das letztemal gefressen hatte. Jetzt kam die Wespe zurück und flog geradenwegs zu dem neuen schmalen Papierstreifen. Da sie hier nichts fand, suchte sie in der Umgebung und fand sehr schnell das Kreuz. Es ist interessant zu beobachten, wie dieselbe Wespe (sie brachte keine Gefährten mit) sich bei jeder Gelegenheit des Papiers erinnerte von dem sie ihren letzten Imbiss genommen hatte, und zwar nach Gesichtssinn 27 seiner Form und Grösse, denn ich ersetzte das honigbestrichene Papier jedesmal durch ein andres, das genau nach demselben Muster geschnitten war. Am folgenden Tage kehrte meine Wespe zweimal wieder, um von dem an derselben Stelle belassenen Papierkreuz zu naschen. Ich nahm sie nun und schnitt ihr beide Fühler ab. Sie flog wieder fort, kehrte aber nach einer halben Stunde schon wieder nach dem Kreuz, das ich liegen gelassen hatte, zurück, um sich Honig zu holen. Als sie nun wieder abgeflogen war, legte ich ein gleiches Kreuz, jedoch ohne Honig, an die Seite des ersten und an dessen andre Seite einen schmalen Streifen mit Honig, dagegen entfernte ich das Honigkreuz. Jetzt kehrte die Wespe zurück, flog schnur- stracks nach dem leeren Kreuz, setzte sich in die Mitte desselben (an dieselbe Stelle, wo auf dem gleichen Kreuz der Honig angebracht gewesen war), und suchte es vergebens eine Zeitlang ab. Hierauf begann sie, obwohl ihrer Antennen beraubt, herumzusuchen, offenbar unter dem Eindruck, dass die Papierstücke, die ihr den Honig boten, schon mehrfach ihre Stelle und ihre Form geändert hatten. ^ Immerhin fand sie den Honig ziemlich schnell auf dem schmalen Streifen, doch erst nachdem sie zwei oder dreimal, ohne ihn zu bemerken, in einer Entfernung von wenigen Millimetern daran vor- über gegangen war, was sicher nicht geschehen wäre, hätte sie ihre Antennen noch besessen. In der Tat fand sie den Honig erst, als ihr Mund ihn zufällig berührte. Ich hatte an demselben Morgen eine Hummel (Bombus) gefunden, die, gelähmt von der Kälte, sich noch immer kalt und starr anfühlte, und hatte diese auf eine blau angestrichene und mit Honig versehene Scheibe gesetzt; diese Scheibe legte ich auf den Koffer in meinem Zimmer. Nachdem die Hummel sich gelabt hatte, wollte sie fort- fliegen, doch versagten ihre Flügel; sie fiel zur Erde und kletterte dann an meinem schwarzen Beinkleid herauf, wo ich sie einige Zeit auf und ab spazieren liess. Dann setzte ich ihr nochmals ihre blaue Scheibe ^ Das Unbequeme dieser Experimente ist, dass man sie nicht allzu oft an demselben Insekt vornehmen kann, ohne dass sie ihre Schärfe und ihren Wert vedieren. Es ist klar, dass, wenn man die Form des Papiers mehrfach abändert, das Insekt sich bald erinnern wird, den Honig einmal auf dieser, einmal auf jener Form gefunden zu haben. Es wird dann bald so weit sein, sich über- haupt nicht mehr irreführen zu lassen. Man muss deshalb höchst vorsichtig sein, die Tiere nie fortscheuchen, sehr genau beobachten und womöglich seine Beobachtungen niederschreiben. 28 Gesichtssinn vor, auf die sie kletterte und wo sie sich von neuem labte. Ich setzte sie nun sanft auf den Kofferdeckel und sah sie bald darauf fortfliegen, nicht ohne dass sie zuvor einige Touren in der Luft gemacht hätte, um sich den Augenschein der Lokalität vor dem Ver- lassen derselben noch einmal einzuprägen, wie das Hummeln ge- wöhnlich zu tun pflegen. Nach Ablauf einiger Zeit kehrte unser Tierchen zurück, flog nach dem Fenster zu, vermochte aber den Koffer nicht wiederzufinden. Ich selbst trat durch eine diesem Fenster benachbarte Glastür an derselben Hausfront ins Freie, und siehe da, die Hummel holte mich ein und begab sich nach meinem Beinkleid, das sie zu erkennen schien, denn sie liess sich darauf nieder und begann dort Entdeckungsreisen zu unternehmen. Ich betrat nun wieder das Zimmer, ohne dass mich die Hummel sogleich verlassen hätte. Bald indessen begann sie im Zimmer herumzufliegen und entdeckte auf meinem Schreibtisch eine blaue Scheibe ohne Honig, auf die sie sich stürzte. Ich dirigierte sie sodann nach dem Koffer, wo sie ihren Honig fand. Nachdem sie davon genascht, entfernte sie sich nach abermaliger Beaugen- scheinigung der Lokalität und kehrte zum Neste zurück, um dort den Honig zu deponieren. Seitdem hat sich die Hummel niemals verirrt, sondern suchte des öfteren die blaue Scheibe auf dem Koffer wieder auf. Ich ersetzte hierauf, ähnlich wie beim vorhergehenden Experiment, die blaue Scheibe durch einen blauen, mit Honig ver- sehenen Streifen und legte die blaue Scheibe ohne Honig etwa 9 cm entfernt nieder. Bei ihrer nächsten Wiederkehr flog die Hummel geradenwegs nach der Scheibe, obwohl diese sich jetzt an einem andern Ort befand. Doch machte sie hier nur eine einzige Tour und begab sich dann nach dem schmalen Streifen, an dessen süssem Anstrich sie sich ergötzte. Nun gab ich ihr wieder die erste Scheibe mit Honig, zu der sie mehrfache Beutezüge unternahm. Nach zwei Stunden legte ich den blauen honigbestrichenen Streifen genau dort- hin, wo zuvor die blaue honigbestrichene Scheibe gewesen war, und eine blaue Scheibe ohne Honig in zirka 6 cm Entfernung. Diesmal flog meine Hummel zunächst zu dem schmalen Streifen (also an den vorherigen Platz), doch verweilte sie hier kaum einen Augenblick, sondern begab sich sogleich nach der leeren Scheibe, die sie von allen Seiten untersuchte und um die sie zwei bis drei Mal herum- flog. Nun erst ging es zu dem schmalen Streifen zurück, wo sie nunmehr den Honig ausfindig machte. Hieraus kann man ersehen. Gesichtssinn 29 dass die Farbe für die Hummel das Wichtigste war und dass, wenn einer der blauen Gegenstände keinen Honig aufwies, sie sofort ein gleichfarbiges Objekt aufsuchte. An dieser Hummel erprobte ich auch ein wohlbekanntes Experi- ment von Lubbock: Ich ersetzte die blaue Scheibe des öfteren durch eine rote honigbestrichene und legte die blaue ohne Honig in 11—12 cm Entfernung. Jedesmal flog die Hummel geradenwegs zu der blauen Scheibe, untersuchte sie von allen Seiten und kümmerte sich nicht um den Honig auf der roten Unterlage, obwohl diese sich an dem bereits gewohnten Platze befand. Ein einziges Mal nur stiess sie ganz zufällig beim Herumschwirren auf den Honig der roten Scheibe, nahm sich jedoch kaum Zeit daran zu nippen, so sehr war sie von Assoziation der Vorstellungen „Honig und Blau" beherrscht; vielmehr brach sie sofort wieder auf, um auf der blauen Scheibe nach Honig zu fahnden und fand sich zu dem Honig auf der roten überhaupt nicht wieder zurück. Überhaupt scheint es mir ausgemacht, dass im allgemeinen die Hummeln ein viel schlechteres Ortsgedächtnis haben als die Wespen. Sie müssen wiederholt an einem Orte gewesen sein oder einen Gegenstand wiederholt gesehen haben, ehe sie ihn ohne sehr starkes Zögern wiederzufinden vermögen, während für die Wespen eine einmalige Beaugenscheinigung genügt. Der Einfluss der Farbe ist in der Tat frappant. Die Hummel vermochte den Honig auf der roten Scheibe nicht einmal dann zu finden, als ich sie dicht heran brachte, ihr sozusagen den Lecker- bissen unter die Nase hielt. Sie fuhr fort, mit einer Hartnäckigkeit, die wenig Intelligenz bewies, auf der blauen Unterlage herumzu- stöbern. Es ist evident, dass die Farbe viel intensiver von ihr empfunden wurde als die Form des Papiers. Noch eines von Lubbocks Ergebnissen habe ich ganz scharf nach- zuprüfen vermocht: Während Hummeln ebenso wie Bienen Farben ausgesprochenermassen gut erkennen, wenden die Wespen den Farben wenig Aufmerksamkeit zu, dagegen richten diese sich ganz offenbar nach der Lokalität, die sie in erstaunlicher Weise wiederzuerkennen wissen. Als ich das blaue Papier mit Honig durch ein rotes Papier mit Honig ersetzte, daneben aber ein blaues Papier ohne Honig legte, begab sich eine Vespa rufa, die einige Male das blaue Honigpapier besucht hatte, sofort zu dem roten Papier, weil es an dessen Stelle lag. Das blaue Papier ohne Honig beachtete sie kaum und dann 30 Gesichtssinn nur einen Augenblick lang. Man kann Wespen nicht so wie Bienen oder Hummeln mit Farben täuschen, doch genügt diese Tatsache nicht etwa als Beleg dafür, dass sie die Farben schlecht unterscheiden. Wenn aber das farbige Honigpapier in eine grössere Entfernung — etwa 30 cm weit — von der Stelle, wo es ehedem lag, gebracht wurde, suchte es die Wespe umsonst an dem alten Platz; sie findet es häufig nicht oder nur ganz zufällig, indem sie in der Nachbar- barschaft umhersucht, wobei sie ihr Geruchssinn unterstützt.^ Die Hummel dagegen, die sich nach der Farbe richtet, findet diese schneller wieder. Die Tatsache, dass Wespen, die ihrer Antennen beraubt wurden, sich beim Fliegen so gut zu orientieren wissen, obwohl sie, wie Lubbock zeigte, nur einen unscharfen Farbensinn besitzen, ist einer der klarsten Beweise dafür, dass sie die Formen und Umrisse der Dinge unterscheiden. Der Einwand, dass ein anderer Sinn sie leiten könnte, ist hinfällig, denn wir haben gesehen, dass sie ganz hilflos wurden, sobald ihre Facettenaugen gefirnisst waren, während sie dagegen ohne Antennen, Mund oder Pharynx ihren Flug ebenso gut wie ohne diese Organe zu dirigieren vermögen. Seit 1878 hat Exner zwei neue Werke über Facettenaugen ^ ver- öffentlicht. Er hat die Verhältnisse dieser Organe klargelegt und gezeigt, dass beim Leuchtkäfer die Kristallkegel den Corneae so dicht anhaften, dass sie mit den letzteren zugleich entfernt und das Ganze gleichzeitig unter dem Mikroskop untersucht werden kann. Auf diese Weise kann man sich überzeugen, dass kein Bild, sondern nur ein leuchtender Punkt auf dem Boden jedes Kristallkegels vor- handen ist. Die von Leeuwenhoek und Gottsched beobachteten win- zigen Bilder werden erst dann, und zwar von der Hornhaut erzeugt, wenn die Kristallkegel entfernt sind, da diese sie zerstören. Die beobachteten Bilder haben daher keinen grösseren Wert als solche, die von einem kleinen Tropfen oder irgendeinem anderen konvexen Körper erzeugt werden. Weiterhin zeigt Exner, dass die langen und gebogenen Kristall- ^ Jedesmal, dass eines dieser Insekten vergebens an der Stelle, wo er früher zu finden war, nach einem ersehnten Gegenstand gesucht hat, begibt es sich auf eine- Entdeckungsreise in der Nachbarschaft; mit jedem Male werden diese Entdeckunü^sfahrten hastiger, flüchtiger und fahriger ausgeführt. ' Exner, 1. Die Frage von der Funktionsweise der Facettenaugen. Bio- logisches Zentralblatt, B. 1, S. 272 (1881—82). 2. Ein Mikrorefraktometer. Archiv f. mikroskop. Anatomie. 25. Bd. » Gottsche, Müllers Archiv, 1852. Gesichtssinn 3| kegel der Gattung Phronima, die Oskar Schmidt^ als Beweise gegen Johannes Müllers Theorien anführt, trotz ihrer Biegung sehr gut Licht zu den Retinulae zu leiten vermögen, so dass sie, statt J. Müllers Theorie zu widerlegen, dieselbe stützen. Endlich wider- legt Exner verschiedene Hypothesen von Notthaft^ so z. B. dessen Ansicht, dass Insekten die Distanz nach der Intensitätsabnahme des Lichtes bei Entfernung von den Gegenständen bemessen. Exner selbst glaubt, dass die eigene Bewegung des fliegenden Insekts diesem hilft, die Distanzen abzumessen. Er erblickt auch in der Tatsache, dass das gemeinsame Gesichtsfeld der beiden Augen bei Insekten grösser ist als bei Wirbeltieren, einen gewissen Grad von Über- legenheit beim Abmessen von Entfernungen. Mir selbst scheint es allerdings, als ob, was den letzteren Gesichtspunkt betrifft, man unsere binokulare, stereoskopische Sehweise (Konvergenz der Achsen und deutliche Bilder) kaum mit dem mosaikartigen Sehen des Facetten- auges vergleichen dürfte. Fernerhin stimmt es nicht absolut, dass das gemeinsame Gesichtsfeld beider Augen bei allen Insekten grösser ist als bei den Wirbeltieren. Es ist, je nach der Art, enorm ver- schieden, z. B. ungeheuer gross bei Libellen, verschwindend klein bei gewissen Cryptocerus-Arten (s.Fig. 6, a u. b, Taf. 1), wie es ja auch bei Wirbeltieren ausserordentlich variiert. In seinem zweiten Werk verbessert Exner mit Hilfe eines Mikrorefraktometers einen Irrtum, der ihm bei seiner ursprünglichen Berechnung des Brechungsver- mögens und Brennpunkts der Cornea von Hydro philus unter- gelaufen war; letzteres ändert jedoch seine Ansichten über den Sehvorgang bei Facettenaugen in keiner Weise. Ich möchte an dieser Stelle bemerken, dass die Meinung von Gottsche, wonach die Insekten ebenso viele deuth'che Bilder sehen, wie sie Facetten besitzen, die Zustimmung von Max Schulze ^ Leydig^ Dor^ und überhaupt der meisten Naturforscher gefunden hat, ja dass auch Joh. Müller (wie eine Notiz in dem Gottscheschen Werke besagt), dieser Ansicht zuletzt beigestimmt haben soll. Boll^ war der erste, der dieses Geleis verliess und wieder zu ' Oskar Schmidt, Zeitschrift f. Wissensch. Zoologie, 30. Bd. Suppl. ^ Notthaft, Abhandl. der Senkenbergschen naturf. Gesellsch. 12. Bd. • M. Schulze, Untersuch, üb. d. zusammenges. Augen der Krebse u. Insekten. * Leydig, Das Auge der Gliedertiere, 1864. " Dor,Dela Vision chezIesArthropodes.Arch.des Sciences physiquesetnat.,1861 6 Archiv von Reichert und Dubois-Reymond, 1871. 32 Gesichtssinn der Müilerschen Theorie zurückkehrte. Doch bedurfte es der Werke von Grenacher und Exner sowie direkter biologischer Beobach- tungen, um der Theorie des musivischen Sehens eine wirklich solide Grundlage zu geben. Ich möchte ein paar weitere Bemerkungen beifügen. Beobachtung hat uns gelehrt, dass verschiedene Insekten, selbst wenn sie kurze Zeit ruhig sitzen, die Entfernung bewegungsloser Gegenstände abzuschätzen vermögen. Dies lässt sich am deutlichsten bemerken an der Präzision, mit der sich eine männliche Fliege aus dem Ruhestand heraus auf eine weibliche stürzt, oder an den „Flug- sprüngen" gewisser Insekten wie Cicindela, Buprestis usw. Solche Bewegungen sind das Werk eines Augenblicks. Wenn jedoch das Insekt nicht im Momente des Losschnellens die Entfernung genau abgemessen hätte, so würde es sein Ziel unbedingt verfehlen. Dieser Vorgang beweist uns, dass es nicht die Eigenbewegung des Insekts allein ist, aus der sich das Abschätzen der Distanz erklärt. Die Tatsache, dass Insekten, insbesondere solche, die eine relativ beschränkte Zahl von Facetten besitzen, besser Bewegungen als still- stehende Gegenstände wahrnehmen, ist unbestreitbar. Während meiner unzähligen Beobachtungen an Ameisenarbeitern habe ich immer ge- funden, dass Bewegungen, selbst solche von Gegenständen, die kleiner waren als sie selbst, ihre Aufmerksamkeit am meisten erregten. Im Gegensatz dazu haben wir gesehen, dass Insekten hundertmal achtlos an ruhenden Gegenständen vorbeigehen können, die sie eifrig suchen und die oftmals grösser waren als sie selbst. Ja, ich glaube, dass es gar nicht leicht ist, bei den meisten ungeflügelten Insekten zu beweisen, dass sie überhaupt die Umrisse der Gegenstände wahrnehmen, so un- vollkommen und unsicher ist ihr Sehvermögen. Wenn zwei Kolonien Ameisen von annähernd gleicher Grösse miteinander kämpfen, ist es erstaunlich zu sehen, wie schnell und deutlich sich die Feinde gegenseitig erkennen und mit welch sicherem Griff sie sich bei verschiedenen Teilen des Körpers zu fassen kriegen. Aber wenn man ganz genau zusieht, wie ich es vor kurzem gelegentlich einer Schlacht zwischen zwei Kolonien von Formica pratensis getan habe, wird man sich bald davon überzeugen, dass der Feind bloss aus nächster Nähe und nur dann, wenn er sich bewegt, gesehen wird; so lange er sich ruhig verhält, wird er nur auf Grund von Berührung mit den Fühlern bemerkt. In einem Abstand von mehreren Zentimetern bleiben selbst seine Bewegungen unbeachtet. Andrerseits Gesichtssinn 33 bemerkte dieselbe Formica pratensis regelmässig die Bewegungen meines, einen Meter hoch über ihr gehaltenen Armes, weil er gross war, nicht aber die eines kleinen Gegenstandes in derselben Höhe und an derselben Stelle. Eine sehr kleine Ameise, Solenopsis fugax Latr. (Länge 2 mm, Breite V3 mm), die häufig in den von ihr ausgehöhlten Zwischenwandungen des Nestes einer grossen feind- lichen Spezies zu finden ist, wird, selbst wenn sie sich bewegt, kaum von der grossen Spezies bemerkt. Freilich muss hinzugefügt werden, dass ihre Beinchen kurz und ihre Bewegungen langsam sind. Nichts nimmt sich wunderbarer aus als ein Kampf zwischen Solenopsis und den grossen Ameisen. ^ Diese Ameisenzwerge packen die Glieder ihrer grossen Feinde un- entwegt an, während die letzteren, zappelnd und mit Wut um sich beissend, sich der kleinen Bösewichte zu erwehren suchen, dabei aber beständig daneben greifen und nur hie und da zufällig einen ihrer kleinen Feinde zu fassen kriegen. Diese grossen Ameisen vermögen andrerseits eine, die Solenopsis fugax an Grösse nur wenig über- treffende Ameise,z.B.Tetramori um caespitum (Länge2,5 — 3,5mm) zu erkennen und richtig zu packen, sobald sie sich bewegt. Die Nützlichkeit der Stirn-Ocellen für Insekten, die mit Facetten- augen versehen sind, ist mir heute noch ein Rätsel. Bei einigen Formen, z. B. bei den männlichen Doryliden, sind diese Ocellen ausserordentlich gross. Bei Dorylus helvolus (Männchen) besitzt die Hornhaut einen Durchmesser von nahezu einem halben Milli- meter. Fig. 4 unserer Tafel I zeigt das Verhältnis der Grösse der Ocellen o zu den Facetten eines Facettenauges f bei einer Dorylide, Eciton coecum Latr. (Männch.) [Labidus Latreilles Jur.] in 24facher Vergrösserung. Dienen diese Ocellen nur dazu, um Licht von Finsternis zu unterscheiden? Oder nehmen sie Bilder wahr? Die Anzahl der Nervenelemente ist hier viel grösser als bei einer Facette oder einer rudimentären Ocelle, auch sind keine Glaskörper vorhanden, die eine Tube bilden und das Bild zerstören. Wie wir bereits oben ^ Forel, Observations sur les moeurs du Sol. fugax. Mitteilungen der Schweiz, entom. Gesellschaft, 1869. In dieser Arbeit (dem ersten derartigen Versuch meiner Jugend) habe ich fälschlich den Ocellen oder einfachen Augen eine deutliche Wahrnehmung der Gegenstände zugeschrieben. Trotzdem war die Beobachtung, auf die ich fusste (das äusserst scharfe Sehvermögen der mit Ocellen versehenen europäischen Ameisen), wohlbegründet. Ich hatte indessen vergessen, in Betracht zu ziehen, dass jene Ameisen, die drei Ocellen an der Stirne haben, daneben auch die am besten ausgebildeten Facettenaugen besitzen. Forel, Das Sinnesleben der Insekten "J 34 Gesichtssinn sahen, bringt der Verlust der Ocellen bei dem Insekt — soweit unsere bisherigen Beobachtungen reichen — keinerlei bemerkbare Störung hervor, und dieser Umstand spricht nicht gerade für die Wahrnehmung von Bildern. Arthropoden, die nur Ocellen besitzen (Spinnen etc.), scheinen sehr schlecht zu sehen. Gewebeverfer- tigende Spinnen erkennen ihre Beute durch das Erzittern ihres Netzes, also vermittelst des Tastsinns. Die kleinste aufmerksame Beobachtung kann uns hierüber Aufschluss geben. Was die springenden Spinnen betrifft, so erblicken sie ihre Beute nur dann, wenn sie sich in nächster Nähe von ihnen bewegt. Sie wenden sich dann derselben zu und springen auf sie drauf. Da diese Spinnen mehrere Gruppen von Ocellen haben, so kann man gut verstehen, wie diese es den Tieren ermöglichen, die Richtung der wahrgenommenen Bewegung zu verfolgen und sie in den Stand setzen, ihr Opfer mit einem einzigen, über dem Boden hinschnellenden Sprunge zu erreichen. Und doch kommt auf 50 Fliegen, die sie verfehlen, kaum eine, die sie erfassen, auch spinnen sie im Gehen einen Faden, der es ver- hindert, dass sie, falls sie an eine vertikale Wand springen und schlecht Fuss fassen, zu jäh herunterfallen. Prof. Dr. Eugen Bleuler, damaliger Direktor der Irrenanstalt zu Rheinau, dem ich diese Arbeit zeigte, hat zu der Angelegenheit einige Beobachtungen gemacht, die er mir gestattete einzuschalten und für die ich ihm zu Dank verpflichtet bin. 1. Die relative Stellung eines Gegenstandes zum andern variiert vom Standpunkt eines fliegenden Insekts um so stärker und in demselben Verhältnis, als die Entfernung zwischen Insekt und Objekt sich verringert. Dieser Umstand dürfte bei der Abschätzung der Entfernungen um so wichtiger für das Insekt sein, als es ja, wie wir sahen, die Bewegung (Verschiebung der Gegenstände oder relative Bewegung) ganz besonders gut wahrnimmt. 2. Nicht nur die Bewegung eines Gegenstandes als solche dürfte besonders gut vom Facettenauge wahrgenommen werden, sondern sie muss bei ihm die Schärfe der Formen- und Umrisswahr- nehmung vergrössern. Gesetzt den Fall, dass z. B. irgendein Vor- sprung eines Gegenstandes nur eben in den Rand des Gesichtsfeldes einer Facette hineinragt; dann wird eine Bewegung jenes Gegen- standes ihn entweder daraus verschwinden oder noch tiefer in das Gesichtsfeld hineinragen lassen. Auf diese Weise werden Unter- schiede in der Intensität und Qualität der Helligkeit, eventuell auch Gesichtssinn 35 in der Farbe des von der betreffenden Facette erfassten Gegenstandes erzeugt werden. Diese Unterschiede müssen nun von dem Hirn des Insekts zu einer Wahrnehmung des Umrisses verarbeitet werden. 3. Die Aufmerksamkeit der Insekten dürfte hauptsächlich deswegen durch die Bewegung der Gegenstände erregt werden, weil sie nicht, wie die Wirbeltiere, eine Sehachse für deutliches Sehen besitzen, welche bei diesen Tieren, dank der Beweglichkeit ihrer Augen, sich frei bewegt und ihre Aufmerksamkeit auf diejenigen Gegenstände lenkt, über die sie hinwandert. Dieses ist ungemein wichtig. 4. Notthafts Ansicht, nach welcher die Lichtmenge, die eine Facette von einem Gegenstand empfängt, mit Zunahme der Entfernung von demselben abnimmt, sollte nicht so absolut zurückgewiesen werden, wie dies von selten Exners geschieht. Das Gesichtsfeld jeder ein- zelnen Facette wird notwendig mit der grösseren Entfernung umfang- reicher; so wird z. B. ein Gegenstand, d. h. die Strahlen, die von einem solchen ausgehen, bei 10 cm Entfernung das volle Gesichtsfeld einer Facette einnehmen, dieses aber, sobald die Entfernung 10 m beträgt, mit vielen anderen Gegenständen teilen. Dieser Umstand nun vermindert relativ die Lichtwirkung des Gegenstandes auf die Facette. 5. Lubbocks Experimente über Farbenwahrnehmung besagen noch nicht mit mathematischer Gewissheit, dass es wirklich Farben sind, die wahrgenommen werden. Man könnte die Einwendung machen, dass es vielleicht nur Unterschiede der Helligkeitsgrade sind, die von den Insekten empfunden werden. Können doch selbst Farbenblinde sehr ausgesprochenen Grades mehr oder minder Farben und Schattie- rungen voneinander unterscheiden, indem sie dieselben freilich nicht als verschiedene Farben, sondern als leichte Intensitätsschwankungen zwischen Hell und Dunkel empfinden. Ich befinde mich in voller Übereinstimmung mit den Bemerkungen Bleulers, deren letzte indessen nur theoretischen Wert besitzt. Lubbocks Experimente sind so zahlreich und die Wirkungen der Farben auf Bienen und Hummeln so ausgesprochen, dass die Eigentümlichkeiten Farbenblinder nicht genügen, diese Tatsachen' zu erklären. So zum Beispiel suchte und fand meine oben erwähnte Hummel, nachdem ich die Honigrationen von dem Koffer entfernt hatte, jedes einzelne blaue Papierstückchen, das in verschiedenen Ecken des Zimmers verstreut war, mochte die Form der Papierschnitzel und ihre direkte Umgebung noch so verschieden geartet sein. Ein ganz farbenblinder 36 Gesichtssinn Mensch kann dies nie und nimmer fertigbringen. Ich habe gesehen» wie ein Farbenblinder unfähig war, eine grell rote Rose von ihrem grünen Laube zu unterscheiden, weil für ihn die Rose genau so dunkel erschien wie ihre Blätter. (Dagegen hat der Farbenblinde vor dem Insekt den Vorzug, die Formen durchaus deutlich zu sehen.) Es steht somit für mich fest, dass meine Hummel, wäre sie farbenblind gewesen, die blauen Papierstückchen zwischen so vielen anderen, teils helleren, teils dunkleren, teils gleich dunklen Gegenständen nicht mit solcher Sicherheit und Schnelligkeit entdeckt haben würde. In demselben Augenblick, in dem ich diese Arbeit abzuschliessen im Begriff war, erhielt ich Kunde von neuen Experimenten Plateaus ^ über diesen Gegenstand, und bald darauf hatte der Verfasser selbst die Güte, mir seine Originalmitteilung zuzusenden, die in jenem Jahr (1885) der Kgl. Belgischen Akademie vorgelegt worden war. Anstatt nun die Herausgabe meines eigenen Werkes zu verhindern, regte mich Plateaus Veröffentlichung sehr stark in der entgegenge- setzten Richtung an; sah ich mich doch bewogen, seine Behauptungen in grossem Umfang zu bekämpfen. Plateau beginnt mit der Feststellung, dass die Müllerschen Theorien über das musivische Sehen nun endgültig widerlegt seien, und das auf Grund jener hier erwähnten Arbeiten von Exner! Dies ist ein absoluter Irrtum. Wir haben, ganz im Gegenteil, gesehen, dass Exner, nicht minder aber auch Grenacher, J. Müllers Theorien aufs neue bestätigt, sie geradezu rehabilitiert hat. Plateau scheint somit die Arbeiten Exners absolut missverstanden zu haben, denn er fügt weiter hinzu, dass Exner den theoretischen Schluss gezogen habe, dass die Insekten die Form der Dinge nicht zu sehen vermögen, was wiederum ganz irrtümlich ist. Plateau behauptet: Die alte Hypothese von J. Müller, wonach das Mosaikbild zustande kommt durch die Aneinander- reihung von kleinen Teilbildchen, deren jedes den Grund eines der gesonderten Einzelelemente des Facettenauges einnimmt, ist endgültig widerlegt . . . .usw. Dies aber ist Gottsches und absolut nicht J. Müllers Theorie des musivischen Sehens. Müllers Theorie des musivischen Sehens nimmt nicht die Anwesenheit winziger Bildchen in jeder einzelnen Facette an, sondern die eines einzigen ^ Plateau, Recherches experimentales sur la vision chez les insectes. Les insectes, distinguent-ils la forme des objets?. — Bulletin de rAcademie royale de Belgique, 3me se'rie, T. X., n. 8., 1885. Gesichtssinn 37 Mosaikbildes, das durch die Aneinanderreihung der durch die ein- zelnen Facetten empfangenen Lichtstrahlen verschiedener Qualitäten zustande kommt. Da die Theorie des musivischen Sehens, wie es scheint, so miss- verständlichen Deutungen ausgesetzt ist, habe ich mich bemüht, sie durch eine, ihre Prinzipien annähernd verkörpernde Abbildung zu er- läutern (s. Tat. I, Fig. 1, 2 und 3). ich habe darin ein Segment aus dem Facettenauge der Hausbiene, mit den Facetten a, b, c, d, e (Fig. 1) wiedergegeben. Nehmen wir einmal an, dass dieses Auge dem blauen Himmel entgegen gerichtet ist, und dass ein kleines geflügeltes Insekt — sagen wir eine Hymenoptere — , schwarz mit gelbem Hinterleib, von der Sonne beschienen, vor demselben vorbeifliegt (auf der Tafel ist die Hymenoptere im Verhältnis zu den Facetten viel zu klein abge- bildet, doch vereinfacht dies die Darstellung). Denken wir uns nun die Seiten der Facetten verlängert und nehmen wir an, dass diese verlängerten Seiten die respektiven Grenzen der einzelnen Gesichts- felder wiedergeben (in Wirklichkeit ist das Gesichtsfeld der einzelnen Facette grösser und empfängt noch weitere schrägeinfallende Strahlen, welche durch die Hornhaut gebrochen und der Retinula zugeworfen werden ; daher darf man unsrer Darstellung nur relative Treue beimessen). Stellen wir uns die Hymenoptere in der dargestellten Lage vor (Fig. 1). Ihr Kopf und Thorax nehmen das Gesichtsfeld der Facette d, ihr Ab- domen das der Facette c ein. Das Gesichtsfeld der Facette b wird teil- weise von den blauen Strahlen des Himmels, teilweise von den gelben Strahlen des Hinterendes des Hymenopterenkörpers eingenommen sein; dies, da auf der Retinula kein Bild irgendwelcher Art erzeugt werden kann, bewirkt für das Insekt eine Mischung von Gelb und Blau, höchst wahrscheinlich einen grünen Ton. Die übrigen Facetten erhalten nur blaue Strahlen. Übertragen wir dies Ergebnis nun auf das durch die Gesichts- felder der einzelnen Facetten gebildete Mosaik, so erhalten wir die Bilder b', c', d' von Fig. 2, eine freilich nur andeutungsweise und ver- schwommene, aber immerhin doch erkennbare Wiedergabe des Insekts und der Anordnung seiner Farben. Die Facette b' wird wahrschein- lich, je nachdem sie mehr Strahlen von dem blauen Himmel oder dem Insekt empfängt, ein mehr ins Bläuliche oder ins Gelbliche schimmerndes Grün aufweisen. In Wirklichkeit wird das Insekt die sechseckigen Formen der Fig. 2 oder die Einteilung des Himmelsblaus in Sechsecke nicht wahrnehmen, denn: 38 Gesichtssinn 1. haben Gewohnheit und Vererbung es gelehrt, die Grenzen der einzelnen Facetten zu ignorieren, gesetzt den Fall, dass diese jemals für das Insekt wahrnehmbar gewesen sein sollten; 2. verschwimmen die Grenzpartien der Facetten mehr oder weniger dank der schrägeinfallenden Strahlen, die in um so grösseren Mengen auf die Retinula einwirken, je grösser und flacher die Facetten und je weiter die Entfernung von dem gesehenen Gegenstande ist. Hierdurch wird um die zentrale Gesichtslinie jeder Facette herum eine Art Nebel von Farben oder gemischten Helligkeiten erzeugt, so dass das Bild, das unsre Biene erblickt oder das ihr doch als Basis für ihre Wahrnehmungen dient, ungefähr dem gleichen dürfte, was ich auf Fig. 3 darzustellen versucht habe. So nebelhaft dies sich auch ausnimmt, so sehen wir doch darin die Wiedergabe einer Form. Denken wir uns nun unter dem Insekt eine Libelle mit ihren 20 000 Facetten, und denken wir uns ferner, dass eine Fliege vor ihr vorbeifliegt, von der auf 1000 dieser Facetten Strahlen fallen (je nach der Entfernung, in der die Fliege sich befindet, werden mehr oder weniger Facetten von den Strahlen der Fliege getroffen werden). Hier haben wir es nun mit langen, aber schmalen Facetten zu tun, die ein äusserst kleines Lichtbündel scharf isolieren. Die Zahl der Strahlen, die über die Grenze einer jeden Facette hinüberquellen, wird gering sein, besonders sofern sich die Fliege in der Nähe befindet. Es wäre überflüssig, durch eine weitere Zeich- nung darzutun, dass in diesem Falle die Zahl der kleinen, durch die von den verschiedenen Teilen der Fliege ausgehenden Strahlen ge- troffenen Sechsecke es bewirken wird, dass ein treues und ziemlich deutliches, wenn auch in seinen Umrissen noch nicht ganz scharfes Bild seitens der Libelle wahrgenommen wird. Das Bild aber wird dennoch die einzelnen Teile der Fliege getreu wiedergeben. Diese Darstellung deckt sich genau mit den Ergebnissen der Untersuchungen von Exner und Grenacher. Falls jemand einwenden sollte, dass Exner die Zerstörung des Bildes durch den Glaskörper nicht klar genug dargelegt hat, und dass man immerhin noch das Vorhandensein eines kleinen „Teil- bildes" (und nicht eines blossen Farbenflecks) auf dem Boden jeder einzelne Facette annehmen könnte, woraus dann durch Anein- anderreihung dieser Teilbilder ein volles musivisches Bild entstehen würde, so antworte ich hierauf, dass dieser Möglichkeit zwei Tat- sachen im Wege stehen : Gesichtssinn 39 1. Die Tatsache, dass die Vermehrung der Facettenzahl die Seh- schärfe der Insekten enorm vergrössert, was nicht der Fall sein würde, wenn jede Retinula (Facettennetzhaut) imstande wäre, ein deutliches Teilbild aufzunehmen. 2. Die Tatsache, dass (nach Oskar Schmidt) die Gattung Phronima gebogene Glaskörper aufweist, was bei ihr die Sache ganz unmöglich machen würde. Schliesslich möchte ich hier noch auf die oben zitierten Argumente von Exner und Grenacher selbst hinweisen. Kehren wir nun zu den Experimenten Plateaus zurück, auf Grund derer er zu zeigen versucht hat, dass Insekten keine Form wahr- zunehmen vermögen. Diese Experimente sind sehr einfach. Plateau brachte in dem geschlossenen Fensterladen einer sonst dunklen Kammer eine einzige Öffnung von solcher Grösse an, dass mehrere Insekten im Fluge leicht durchzupassieren vermochten. In einer gewissen Entfernung von dieser verfertigte er eine Gruppe von kleinen Spalten und Löchern, die zusammengenommen ebensoviel Licht durch- liessen wie die grosse Öffnung, einzeln genommen jedoch zu eng waren, um den Insekten den Durchgang zu gestatten. Plateau Hess nun innerhalb der Kammer eine Anzahl geflügelter Taginsekten los und fand, dass diese regellos sowohl nach der grossen Öffnung, die sie durchliess, wie auch nach den kleinen Öffnungen, die zu eng waren, hinflogen. Die Gesamtheit der kleinen Öffnungen ergab naturgemäss eine grössere Oberfläche als die eine Hauptöffnung. Wenn dagegen eine Öffnung im ganzen mehr Licht durchliess als eine andere, so fand er, dass die Insekten mehr auf die erstere zuflogen, unbe- kümmert darum, ob sie es mit einer einzigen grossen Öffnung oder mit einem Netzwerk von kleinen zu tun hatten. Plateau hat während dieses Experiments dauernd die Lichtmengen mit Rumfords Photo- meter nachgemessen, um jedem Vorwurf ungenauer Bestimmungen von vornherein die Spitze abzubrechen. Er schliesst aus diesem Ergebnis, dass die Insekten die Formen nicht sehen! Ich bezweifle nun in der Tat keinen Augenblick die Genauigkeit seiner Beob- achtungen, deren Ergebnis ich ihm leicht hätte voraussagen können. Ich habe nur einen Einwand, und zwar einen sehr wesentlichen, zu machen: die Experimente Plateaus beweisen absolut nicht das, was er zu beweisen wünscht, sie zeigen uns nur, dass Plateau den In- sekten eine Fähigkeit der Logik zuschreibt, die sie keineswegs besitzen. Ich gehe noch weiter, indem ich bestimmt glaube, dass mehr als ein 40 Gesichtssinn Wirbeltier mit Augen in der Art der unsrigen in derselben Lage die- selben Fehler machen würde. Plateau zieht die Bestürzung und Angst, die ein Insekt in solch einer Situation empfinden muss, über- haupt nicht in Betracht. Er übersieht die Gedankenlosigkeit oder besser die ausserordentliche Urteilsschwäche solcher Insekten und verlangt, dass diese auf den ersten Blick, und zwar aus einer be- trächtlichen Entfernung beurteilen sollen, ob sie eine Öffnung passieren können oder nicht. Er verlangt ferner, dass die Insekten sehen oder vielmehr erraten sollen, dass die Öffnungen sich alle auf derselben Ebene befinden, sowie, dass sie voneinander durch unver- rückbare Hindernisse getrennt sind. Das heisst wahrhaftig, vom Insektenauge und Insektenhirn etwas verlangen, was selbst der Mensch in gewissen Fällen nicht leisten kann, denn es gibt eine Menge Leute, die die Grösse einer Öffnung aus einer Entfernung von mehreren Metern nicht abzuschätzen vermögen und sich in- folgedessen unklar darüber sind, ob oder ob nicht ihr Körper eine solche Öffnung zu passieren vermag. Und schliesslich hat Plateau diesen Insekten nicht Gegenstände vorgeführt, sondern Löcher, durch die Licht eindrang! Nun brauchen wir aber nur an das zu denken, was wir über die Wirkung des schräg einfallenden diffusen Lichts beim musivischen Sehen gesagt haben, um einzusehen, dass in dem vorliegenden Falle die Insekten die Trennungsflächen zwischen den Löchern nur mehr oder minder verschwommen sehen konnten. Man müsste daher von vornherein annehmen, dass die Insekten der ausgedehnteren Lichtfläche zufliegen würden, ohne die Gestalt und Grösse der einzelnen Löcher zu studieren, und nichts wundert mich mehr, als dass Plateau etwas anderes überhaupt erwarten konnte. Wir können auf keinem andern Wege Aufschluss darüber gewinnen, ob Insekten Formen sehen oder nicht, als indem wir sie irre führen, wenn sie nach etwas suchen, wobei wir natürlich mit äusserster Sorgfalt alle andern Sinnesorgane ausschalten müssen. Sie müssen gezwungen werden, das fragliche Objekt rein nach Grösse und Form zu erkennen, und dieses Erkennen muss als Bedingung vor der Er- reichung ihres Zieles stehen. Vor allem sollte man keine Versuche machen, bei deren Ausfall die Überlegung oder das Gedächtnis der Versuchstiere eine wesentliche Rolle spielt, auch darf man negativen Resultaten, die auf andern Ursachen als solchen des Gesichtssinnes beruhen könnten, keine zu grosse Wichtigkeit beimessen. Ich möchte hier darauf hinweisen, dass ich im ersten Teil dieser Gesichtssinn 41 Arbeit, der 1876 erschien und der bei andrer Gelegenheit (Palpes des insectes broyeurs, 1885) von Plateau zitiert wird, bereits auf Grund meiner Beobachtungen sowie direkter Experimente an leben- den Insekten gezeigt habe, dass ihre Gesichtswahrnehmungen fast immer undeutlich bleiben, was sich natürlich auf das Formensehen bezieht, so z. B., wenn die fliegenhaschende Wespe von einem Nagel getäuscht wird usw. Plateau bestätigt des weiteren, dass das Vorhandensein von Ocellen das Ergebnis seiner Experimente in keiner Weise beeinflusst, und schliesst daraus, dass wir in den Ocellen rudimentäre Organe zu erblicken haben. Ich hingegen ziehe es vor, sie als akzessorische Organe zu bezeichnen, jedenfalls sind dies die frontalen Ocellen, die sicherlich nicht rudimentären oder primitiven, sondern im Gegenteil sekundären Ursprungs sind. Plateau schliesst ferner aus seinen Experimenten, dass Taginsekten einer ziemlich grossen Helligkeit bedürfen, um ihren Weg zu erkennen, und sich im Halbdunkel nicht zurechtfinden, eine Tatsache, die man oft fälschlicherweise dem Sinken der Temperatur zugeschrieben habe. Zunächst glaube ich, dass jedermann stets gewusst hat, dass z. B. Tagschmetterlinge nachts in der Regel nicht fliegen, während umge- kehrt es viele sogenannte Nachtschmetterlinge gibt, die fast nie ausser bei Nacht fliegen. Ferner weiss jeder, dass in einer warmen Nacht Erde und Luft von munteren Nachtinsekten wimmeln, und dass man infolgedessen die verschiedenen Gewohnheiten der Tag- und Nacht- insekten den Helligkeitsverhältnissen und nicht der Temperatur zu- schreiben muss, indem der Einfluss der Temperatur ja auf beide Kategorien in gleicher Weise einwirken würde. Doch ist Plateaus Schlussfolgerung überhaupt eine zu absolute. Aus der Tatsache, dass verschiedene Taginsekten nicht fliegen, wenn die Sonne unter- gegangen oder das Licht überhaupt schwach ist, darf man keines- wegs schliessen, dass sie es nicht vermöchten, sich zurechtzufinden. Es können andere Gründe vorhanden sein, so z. B. Anpassungen, die mit der Erhaltung der Art zusammenhängen und die das Insekt verhindern, zu einer Zeit zu fliegen, wo die Schärfe seines Sehens durch die verminderte Helligkeit beeinträchtigt ist. Doch gibt es daneben gewisse Insekten (Sphinx, Melolontha solstitialis usw.), die nur zu einer bestimmten, regelmässigen Abendstunde fliegen, und zwar nur ganz kurze Zeit. Diese nämlichen Insekten können aber, im Falle der Not, sehr gut auch zu anderen Tagesstunden und unter 42 Gesichtssinn ganz anderen Lichtverhältnissen ihren Flug dirigieren. Wahrschein- lich hat der Tagschmetterling das instinktive Gefühl, dass es gefähr- lich für ihn ist, zu fliegen, wenn es zu dunkel wird. Indessen ist es wohl möglich, dass Plateau bis zu gewissem Grade recht hat: die äusserst kleinen Facetten der konvexen Augen haben bei aus- gesprochenen Taginsekten sehr lange und schmale Glaskörper, die, besonders gut isoliert, wenig Licht durchlassen. Diese Tatsache ist bereits von Max Schulze bei einer Betrachtung über Nachtschmetter- linge hervorgehoben worden (s. oben). Ich selbst bin der Meinung, dass geflügelte Insekten mit Nacht- und Dämmerungsgewohnheiten sich beim Fluge ihrer Augen bedienen, ebenso wie dies bei Tag- insekten, aber auch bei Katzen und Eulen der Fall ist. Plateau schliesst, nachdem seine vorhergehenden Besprechungen nur der NichtWahrnehmung der Form gegolten haben, seine Aus- einandersetzungen mit den Worten: Alles in allem, vermögen sie (die Insekten) die Form der Gegenstände nicht oder nur sehr undeutlich zu sehen. Mit letzterer Fassung kann ich mich, was die Insekten mit flachen Augen und wenig Facetten betrifft, eher einverstanden erklären, gegen eine summarische Verallgemeinerung muss ich aber Protest einlegen. Was wir bis jetzt über das Sehen der Insekten wissen, können wir in folgende Sätze zusammenfassen: 1. Die Insekten orientieren sich beim Fliegen fast ausschliess- lich, beim Gehen auf dem Boden teilweise, mit Hilfe ihrer Facetten- augen. Ihre Fühler und ihre Mundsinnesorgane sind ihnen bei der Flugorientierung von keinem Nutzen. Eine Ausschaltung letzterer Organe ändert in nichts die Fähigkeit der Insekten, ihren Flug zu dirigieren. 2. Die Johannes Müllersche^ Theorie des musivischen Sehens liefert die einzige wahre Erklärung des Sehens der Insekten. Die Retinulae der einzelnen Facetten empfangen kein Bild, sondern jede ein einzelnes Strahlenbündel, dessen Quelle von derjenigen der Bündel der benachbarten Facetten mehr oder minder deutlich abgegrenzt ist. Die Theorie von Gottsche ist absolut falsch (J. Müller, Exner, Gre- nacher). 3. Je grösser die Anzahl der Facetten und je länger die Glas- körper, desto deutlicher wird das Sehen (J. Müller, Exner) und desto weiter reicht das relativ deutliche Sehen. 4. Insekten nehmen besonders deutlich die Bewegung der Gegen- Gesichtssinn 43 Stände wahr, d. h. die Verschiebung der Gesichtsbilder in ihrem Ver- hältnis zum Facettenauge. Sie sehen deshalb besser im Fluge als im Ruhezustand, weil während des Fluges das Bild selbst unbewegter Gegenstände im Verhältnis zum Auge Verschiebungen erleidet (Exner). Diese Wahrnehmung der Bewegung von Gegenständen nimmt ebenso wie ihre relative Verschiebung im Verhältnis zum Auge in demselben Grade ab, wie sich die Entfernung vergrössert. 5. Insekten sehen die Umrisse und Formen der Dinge in mehr oder minder undeutlicher Weise, und zwar um so undeutlicher, je kleiner die Zahl der Facetten, je kürzer die Glaskörper, je weiter entfernt oder je . kleiner der gesehene Gegenstand ist. Insekten mit grossen Augen und mehreren tausend Facetten vermögen ziemlich scharf die Formen zu erkennen. 6. Insekten erkennen die Richtung und Entfernung der Gegen- stände während des Fluges mit Hilfe ihrer Facettenaugen sehr deut- lich, wenigstens soweit nicht zu grosse Entfernungen in Betracht kommen. Aber auch im Ruhezustand wissen manche derselben die Entfernung unbewegter Gegenstände recht gut abzuschätzen. 7. Gewisse Insekten (z. B. Bienen und Hummeln) unterscheiden Farben sehr gut und vermögen besser Farben als Formen 'wiederzu- erkennen. Bei andern hingegen (z. B. bei Wespen) ist der Sinn für Farben sehr mangelhaft. Ameisen sehen ultraviolette Strahlen (Lubbock). 8. Die Ocellen stellen ein sehr unvollkommenes Sehorgan 'dar und dürften bei Insekten mit Facettenaugen nur akzessorische Be- deutung haben. Immerhin ist es möglich, dass sie dem Betrachten sehr naher Gegenstände in einer dunkeln Umgebung dienen; die Tat- sache, dass sie besonders stark bei solchen fliegenden Insekten ent- wickelt sind, die komplizierte, dunkle Nester bewohnen, scheint mir hierauf hinzudeuten. Die Ocellen wären dann als eine gewisse Er- gänzung des Riechorgans anzusehen (s. Anhang zur IV. Studie). 9. Die Geschwindigkeit, mit welcher im genauen Verhältnis zur Grösse der Entfernung die Schärfe der Umrisse abnimmt, muss dem Insekt sehr wesentlich dazu behilflich sein, Entfernungen abzu- schätzen. Erklärung zu Tafel I. Fig. 1, 2, 3. S. Erklärung im Text. Fig. 1 zeigt eine sehr kleine Hymenoptere, die vor dem Facettenauge einer Biene vorbeifliegt. Fig. 2 zeigt das vereinfachte Schema des theoretischen Bildes, das in 44 Gesichtssinn diesem Auge entsteht. Fig. 3 soll eine Idee davon geben, wie even- tuell das wirkliche von der Biene gesehene Bild beschaffen ist. Fig. 4. Kopf von Eciton coecum Latr. — Labidus Latreillei, Männchen, von vorn gesehen, um die relative Grösse der Augen und der Frontal-Ocellen zu demonstrieren. Der Durchschnitt einer Ocelle ist ungefähr 33 mal so gross als der einer Facette. Ungefähr 24 fache Vergrösserung. f = Facettenauge; o = Ocellen. Blind ist hier der Arbeiter und nicht das Männchen. Fig. 5. Kopf von Eciton lugubre (Soldat); hier soll vor allem die Stellung der zwei lateralen Ocellen (Ol.) demonstriert werden, die bei dieser Gattung der Facettenaugen homologe Organe bilden. Ungefähr 4 V2 fache Vergrösserung. Fig.6. KopfvonCryptocerus discocephalusSmit. a=Vorder- ansicht; b ^= Hinteransicht, um die Unmöglichkeit eines beiden Augen gemeinsamen Sehfeldes bei dieser Spezies zu demonstrieren. Es darf hierbei nicht vergessen werden, dass die Rückseite des Kopfes sich direkt dem grossen Thorax angliedert, so dass ein gemeinsames Gesichtsfeld hinter dem Kopfe ausgeschlossen ist. 1 1 fache Vergrösse- rung. f = Facettenaugen. Bei Fig. 6 a bezeichnet f nur die Richtung, in der sich die Facettenaugen befinden, da diese selbst vollständig hinter der frontalen Scheibe verschwinden. Forel, Das Svaieslehnn der Inseclerv Lith. U-Dmck, Reichholi t Lang, München Vierte Studie. Wahrnehmung des Ultraviolett und photo- dermatische Empfindungen. Wiedererkennen bei Ameisen. Zunächst möchte ich damit beginnen, zur Ergänzung unserer ersten Studie zu konstatieren, dass, nachdem ich die Augen verschiedener Nachtschmetterlinge gefirnisst hatte (gewisser Noctuae, die sich tags- über an dunkeln Plätzen verstecken und erst nachts fliegen, wobei sie häufig gegen brennende Lampen usw. anfliegen), diese Tiere sich genau so ungeschickt beim Fliegen benahmen wie die Tagschmetter- linge. Sie stiessen immerfort gegen die Wände und fielen dann zu Boden. Ehe wir unsere Betrachtungen über den Gesichtssinn beenden, müssen wir einer Frage näher treten, die vor kurzem von Vitus Gräber^ aufgeworfen worden ist, nämlich die Frage nach den als dermatoptisch oder besser photodermatisch zu bezeichnenden Er- regungen oder Empfindungen, die man mittels der sogenannten photo- kinetischen Reaktion der Tiere untersucht, d. h. ihrer Stellungsver- änderung infolge von Lichtempfindungen. Graber zeigt, dass Regen- ' Vitus Graber, Biologisches Zentralblatt, 2. Bd. Nr. 4, S. 114. — Derselbe, Fundamentalversuche über die Heiligkeits- und Farbenempfindlichkeit augen- loser und geblendeter Tiere. In Sitz.-Ber. der math. naturw. Klasse der K.Aka- demie der Wissensch. Wien, 5. April 1883. Derselbe, Grundlinien zur Erforschung des Heiligkeits- und Farbensinnes der Tiere, 1884. Derselbe, Biol. Zentralblatt 5. Bd., l.Sept. 1885. 46 Wahrnehmung des Ultraviolett Würmer, die zuvor geköpft, und Tritonen, deren Augen entfernt worden waren, die belichtete Abteilung des Behälters verliessen, um sich in die dunkle zurückzuziehen. Dieselben Tiere verlassen das vom Tageslicht beleuchtete Abteil, um ein anderes aufzusuchen, von dem die ultravioletten Strahlen durch Kohlensulfid abgehalten werden. Sie verlassen Blau, um sich nach Grün oder Rot zurückzuziehen. Kurz gesagt, benehmen sie sich, als ob sie sähen, und verlassen das in kürzeren Wellen ein- fallende Licht, um sich unter ein in längeren Wellen einfallendes zu begeben; sie verlassen den chemisch-wirksamen Teil des Spek- trums, um den thermisch-wirksamen Teil desselben aufzusuchen. Graber schliesst hieraus, dass die Tiere das Licht vermittelst ihrer Haut empfinden und dass der Eindruck desselben ihr „Sensorium" erreicht, wir selbst würden sagen „dass es von ihrem Zentralnerven- system empfunden wird". Th. W. Engelmann ^ demonstriert dieselbe Wirkung des Lichtes auf die niederen Organismen. Erfand bei späteren Versuchen, dass die Innenglieder der Zapfen der Netzhaut beim Frosch sich nicht nur unter dem direkten Einfluss des Lichtes, sondern auch in dem unbelichteten Auge kontrahieren, wenn das andre Auge belichtet wird, ja sogar in beiden, völlig dunkel gehaltenen Augen, sobald man direktes Sonnenlicht eine Viertelstunde lang auf die gleichmässig feucht gehaltenen Beine und den Bauch des Froschs einwirken Hess. Dieser letzte Versuch zeigt in unwiderlegbarer Weise eine Übertragung der auf die Haut einwirkenden Lichtreize von dieser auf die Retina durch Vermittlung des Nervensystems. Und schliesslich erinnert Graber an die Tatsache, dassdieActinozoen,gewisseblindeMollusken(Dentalium nach Lacaze-Duthiers) sowie die Protozoen (nach Haeckel, s. Kosmos 4. Bd.) und andre Organismen unzweifelhafte Anzeichen von teils Lust- teils Unlust-Reaktionen unter Einwirkung des Lichtes von sich geben, das einige dieser Tiere aufsuchen, andere vermeiden. Unter Seetieren fand Graber einige photophobisch, andre photophil geartet. Die letzteren pflegen dann im Gegensatz zu den ersteren Blau dem Rot vorzuziehen und so fort. Man kann daher die Existenz photodermatischer Empfindlichkeit bei gewissen Tieren nicht ernstlich in Zweifel ziehen, obwohl Engel- mann nicht gerade sehr bedacht darauf gewesen zu sein scheint, 2 Th. W. Engelmann, Über Licht- und Farbe nperzeption niederster Organis- men. Pflügers Archiv f. Physiologie, 29. Bd., S. 387, 1882. — Derselbe: Über Bewegungen der Zapfen- und Pigmentzellen der Netzhaut unter dem Einfluss des Lichtes und des Nervensystems. Pflügers Archiv, 35. Bd., S. 498, 1885. Wahrnehmung des Ultraviolett 47 den Faktor der Wärme, der dem des Lichtes stets eng verbunden zu sein pflegt, auszuschalten. Graber indessen hat besonders darauf geachtet, dass seine Behälter mit Regenwürmern nach der Nordseite, wo also diffuses Licht herrschte, aufgestellt waren. Er hat sogar ein Kontroll-Experiment mit einer Petroleumlampe und einer Alaun- lösung gemacht; so lange der Unterschied der Temperatur einen Grad Celsius nicht überschritt, zeigten die geblendeten Tritonen keine Reaktion. Fast alle die Tiere, mit denen diese Experimente ausgeführt wur- den, waren entweder direkt Wassertiere oder lebten doch an feuchten Orten. Ihre Haut war jedenfalls durchweg feucht. Nun kennt man die Rolle, welche die Chromatophoren in vielen dieser Hautbildungen spielen. Trotzdem hat aber Graber ganz dieselben Erfolge mit ge- blendeten Exemplaren von Blatta germanica erzielt, Nachtinsekten von zwar ziemlich weichem Körper, aber doch ausgesprochen chiti- nöser Haut. Graber glaubt nun, dass die Wahrnehmung der ultravioletten Strahlen, die Lubbock zuerst bei Ameisen nachgewiesen hat, gänzlich oder teilweise auf photodermatischem Wege vor sich geht. Er gibt dabei vollständig zu, dass die Reaktion sehender Tiere auf Licht lebhafter und energischer auftritt, doch schreibt er diesen Umstand der Tatsache zu, dass geblendete Tiere mehr Mühe haben, ihren Weg zu finden (eine nicht ganz logische Erklärung, indem damit zuge- geben würde, dass diese Tiere doch sehen). Sei dem wie es wolle, jedenfalls geht aus allen diesen Tatsachen die Möglichkeit hervor, dass die Reaktion der Ameisen auf Ultra- violett dermatischer Natur sei, und dass sie nicht im eigentlichen Sinne auf einen optischen Gesichtsreiz reagieren, so dass wir nicht mehr das Recht haben, ohne weiteres mit Lubbock zu behaupten, dass sie eine Farbe sehen, die für uns unsichtbar ist. ich selbst habe, um dies etwas heikle Problem näher zu ergründen, einige Ex- perimente gemacht. Ehe ich diese beschreibe, möchte ich darauf hinweisen, dass Professor L. Soret^ (Genf) durch Experimente ge- zeigt hat, dass die lichtbrechenden Medien des Wirbeltierauges, be- sonders die Linse, das Ultraviolett in hohem Grade resorbieren, d. h. die ultravioletten Strahlen, die über den U-Strahl des Spektrums ^ J. B. Soret, Recherches sur l'absorption des rayons ultra-violets par diverses substances, 5me Memoire. Archives des Sciences physiques et naturelles de Geneve, X., p. 429, 1883. 48 Wahrnehmung des Ultraviolett hinausgehen, und alle die, welche sich zwischen Q und U befinden. Nur die Strahlen von H bis Q erreichen teilweise unsere Netzhaut, werden aber auch nicht als besondere Farbe empfunden. Immerhin gibt es gewisse jugendliche Individuen, die in sehr dunklem Violett das Ultraviolett, das für andere unsichtbar ist, zu erkennen vermögen. Andrerseits hat man beobachtet, dass Menschen nach Starope- ration die ultravioletten Strahlen als einen lavendelgrauen Grund- ton erblicken, von dem sich die Strahlen L bis Q — ja sogar bis zum Strahl S — des Sonnenspektrums etwas deutlicher abheben (Chardonnet). Diese letztere Tatsache deutet darauf hin, dass, wenn wir das Ultraviolett sonst nicht wahrnehmen, wir dies zum grossen Teil der Resorption durch die lichtbrechenden Medien des Auges zu- schreiben müssen. Mein Plan war äusserst einfach. Ich wünschte Grabers Studien über die photodermatischen Empfindungen der Küchenschaben usw. weiter zu verfolgen, indem ich prüfte, ob die ultravioletten Strahlen Ameisen, die der Augen beraubt worden waren, ebenso belästigten, wie vor dieser Operation. Doch war das Experiment dadurch ausser- ordentlich erschwert, dass es nicht möglich ist, die Augen der Ameisen zu entfernen, ohne die Tierchen zu töten oder doch so krank zu machen, dass die Beobachtungen allen Wert einbüssen. Man wird mir einwenden: Warum gerade Ameisen wählen? Hierauf möchte ich antworten, dass ich deren Gewohnheiten am besten kenne, so- wie, dass gerade ihre so sehr komplizierten Lebensgewohnheiten es mir, wie ich zeigen werde, ermöglichten, diese Experimente in äusserst günstiger Weise zu variieren. Diese Variationen wären mit so dummen Geschöpfen wie Regenwürmern usw. gar nicht zu bewerkstelligen gewesen. Nun zu meinen Versuchen selbst. Ich hatte zunächst eine ziemlich grosse Spezies, Camponotus ligniperdus Latr., gewählt, die ausser ihrer Grösse den Vorzug aufweist, keine frontalen Ocellen zu besitzen. Nun bemühte ich mich, die Augen des Tieres völlig zu firnissen. Da die Ameisen sich sehr zu beeilen pflegen, den Firnis mit den Kämmen ihrer vorderen Füsse abzuwischen, so wählte ich einen alten undurchsichtigen, gut eingetrockneten Firnis (Frankfurter Firnis der Hirsch-Apotheke, sonst für mikroskopische Präparate bestimmt). Ich löste diesen in etwas Chloroform und brachte ihn ganz geschwind mit einer Star- nadel auf das Auge des Tierchens, dessen Füsse ich so lange festhielt: er trocknete sehr schnell und haftete sehr fest, so dass die Ameise Wahrnehmung des Ultraviolett 49 sich vergebens bemühte, ihn zu entfernen. Dieser Teil des Experi- ments war also glücklich vonstatten gegangen. Nur musste ich mich stets von neuem mit einer Lupe davon überzeugen, dass jedes Auge vollständig von einer dicken Lackschicht überdeckt war. Leider ist nun selbst die stärkste Lackschicht nicht ausreichend, um eine starke, wenn auch diffuse Belichtung gänzlich unwirksam zu machen. Ich habe bei meinen letzten Experimenten an einigen Formica san- guinea und verschiedenen Arbeitern sowie einem Weibchen von For- mica fuscaL. mich bemüht, diesen Missstand dadurch zu beseitigen, dass ich meinem Lack eine starke Dosis trockenen Teers beimischte, so dass der erstere dadurch beinahe schwarz wurde. Ich erhielt auf diese Weise eine beträchtliche, wenn auch nicht ganz absolute Un- durchsichtigkeit. Es ist nun äusserst interessant, das Benehmen solcher nahezu oder gänzlich blind gemachten Ameisen zu beobachten. Wir haben im ersten Teil dieser Studien gesehen, dass Fluginsekten, deren Augen geblendet worden waren, die Fähigkeit, sich in der Luft zu dirigieren, vollständig verloren hatten , während der Verlust der Fühler ihre Orientierung nicht oder doch kaum beeinträchtigte. Hier nun haben wir das gerade Gegenteil vor uns, wie ich schon in meinem Buch Fourmis de la Suisse (1874) beschrieben habe. Damals indessen konnte ich nur zeigen, dass ihrer Fühler beraubte Ameisen die Fähig- keit, sich zu dirigieren oder ihre Freunde zu erkennen, verloren hatten. Dieses Mal aber konnte ich in unwiderlegbarer Weise dartun, dass das Überfirnissen ihrer Augen sie weder hindert, sich zurecht- zufinden, noch ihre Freunde von ihren Feinden zu unterscheiden oder ihre Larven und Puppen zu pflegen. Meine Camponotus ergriffen und töteten trotz ihrer gefirnissten Augen mit der grössten Behendig- keit eine Formica fusca, die ich in ihre Nähe brachte, und die sie beinahe so geschickt zu packen wussten, wie es ihre ungeblendeten Art- genossen taten. Ferner transportierten sie einen Haufen Larven mit so- viel Umsicht von einer Ecke des Behälters in eine andre, als ob sie im vollen Besitz ihrer Augen wären. Ich brachte sie später mit dem ungefirnissten Rest der Kolonie zusammen in einem Erdloch an einem Waldrande unter. Hier konnte ich nun genau beobachten, wie meine gefirnissten Arbeiter ganz allein den Eingang des Nestes zu finden wussten, wie gut sie zu kämpfen und überhaupt sich fast ganz wie normale Arbeiter zu benehmen verstanden. Indessen waren sie im ganzen genommen etwas weniger lebhaft bei ihrer Arbeit, 4 Forel, Das Sinnesleben der Insekten ^ 50 Wahrnehmung des Ultraviolett hielten sich auch mehr im Freien (also im Tageslicht) auf als die andern. Während die ungefirnissten das Herannahen einer Pinzette oder eines ähnlichen in gewisser Entfernung gehaUenen Gegenstandes bemerkten und unter drohenden Bewegungen ihrer Kiefer davor retirierten, verhielt sich dies bei den gefirnissten anders; diese be- merkten den betreffenden Gegenstand nur aus allernächster Nähe (entweder durch ihren Geruchs- oder Tastsinn). Auch ist es wichtig zu konstatieren, dass, wenn man Ameisen, die unter Glas gehalten werden, plötzlich aus dem Dunkeln in starke Helligkeit bringt, die gefirnissten sich ruhig verhalten, während die andern, geängstigt, schnell davonlaufen. Um nun die ultravioletten Strahlen gänzlich auszuschalten, be- nützte ich einen hohlen Glasdeckel von 1 cm Dicke, der mit einer konzentrierten wässrigen Lösung von Aeskulin, einer Substanz, die aus der Rinde der Rosskastanie gewonnen wird, gefüllt war, und zwar auf die Empfehlung Prof. Sorets (Genf), der, in diesen Dingen eine weit- bekannte Autorität, mir in liebenswürdigster Weise seinen Rat bei meinen Experimenten zuteil werden liess und dem ich sehr zu Dank verpflichtet bin. Das von Lubbock benützte Kohlensulfid hat, wie Soret mich ver- sichert, den Nachteil, dass es die infraroten Wärmestrahlen durch- gehen lässt und die ultravioletten Strahlen nur dann völlig absorbiert, wenn es unrein und gelblich ist. Um nun umgekehrt, während ich die übrigen Strahlen des Spektrums tunlichst fernzuhalten suchte, so viel wie möglich von den ultravioletten Strahlen zu erhalten, habe ich, auf den Rat Sorets, ebenso wie Lubbock, ein dunkles kobalt-violettes Glas benützt. Um ferner die Wärmestrahlen mög- lichst auszuschalten, benützte ich eine 6 — 8 cm starke Wasserschicht, die nach Sorets Erfahrung nachweisbar die Hälfte der totalen Wärme- ausstrahlung der Sonne abfängt. Ein dunkles rotes Glas dient mir für Kontroll-Experimente. Es lässt speziell die Wärmestrahlen durch- gehen, hat aber ausserdem eine ähnliche Wirkung auf die Ameisen wie das Aeskulin oder das Kohlensulfid (wie Lubbock bereits ge- zeigt hat). Um völlige Dunkelheit zu erzeugen, benützte ich schliess- lich eine Papptafel von 3 mm Stärke. Der Kürze halber will ich die Ameisen, deren Augen ich gefirnisst hatte, als „Gefirnisste", die, welche nicht gefirnisst waren, als „Normale" bezeichnen. Meine Versuchsmethode macht keinen Anspruch auf Originalität; sie ist die, ursprünglich von Lubbock, dann auch von Graber angewandte, wurde aber von mir selbst mit den genannten Modifikationen versehen. Wahrnehmung des Ultraviolett 51 Erste Versuchsreihe. Camponotus ligniperdus, normale Arbeiter und Weibchen, ich setzte meine Ameisen ohne Puppen oder Larven in einen 4 cm hohen, 13,5 cm breiten und 22 cm langen Kasten, auf dessen Boden ich etwas feuchte Erde legte. Der Kasten war mit einer Glasscheibe zugedeckt, auf die ich je nachdem, einmal auf die eine Stelle, einmal auf die andere das Kobaltglas, die Wasserschicht, die Papptafel, den zentimeterdicken, mit Aeskulinlösung gefüllten Glas- deckel brachte usw. 1. Ich legte auf eine Seite des Behälters das Aeskulin-, auf die andere Seite das Kobaltglas und stellte den Kasten in die Sonne. Die Am.eisen scharten sich unter dem Aeskulin, und zwar dort, wo die Wand des Kastens etwas Schatten erzeugte. Ich drehte den Kasten darauf nach verschiedenen Richtungen, legte auch die Kobalt- und die Aeskulinplatte verschiedentlich um — stets begaben sich die Ameisen auf die unterhalb der Aeskulinplatte gelegene Seite ihres Kastens. 2. Ich legte auf eine Seite das Aeskulin, auf die andre den Papp- deckel. Die Ameisen begaben sich nunmehr in die Mitte des Kastens, unter den Pappdeckel. Bei diesen beiden Experimenten hatte ich die Wärmeverhältnisse nicht in Rechnung gezogen, wodurch ihr Wert verringert wird. 3. Ich legte auf eine Seite das Aeskulin-, auf die andere das Kobaltglas. Die Kobaltseite schützte ich durch eine prismatische, mit Wasser gefüllte Flasche vor dem Einfluss der Sonnenwärme. Nun verteilten sich die Ameisen sowohl unter dem Kobalt- wie unter dem Aeskulinglas. 4. Ich schützte die ganze der Sonne zugekehrte Wand des Kastens durch die 4 cm starke Wasserschicht. Nun legte ich auf eine Seite das Kobalt-, auf die andere das Aeskulinglas. Die Ameisen scharten sich unter dem Aeskulin. 5. Experiment 4 wird unter diffusem oder reflektiertem Licht nach Umlegung des Kobalt- und Aeskulinglases wiederholt. Fast alle Ameisen wanderten nach und nach von dem Kobalt nach dem Aesku- lin hinüber. 6. Experiment 5 abgeändert, die Kobaltplatte wird durch eine Wasserschicht von 3,5 cm Dicke ersetzt. Diffuses Licht. Fast alle Ameisen begeben sich von der Wasser- nach der Aeskulinseite. Bei allen diesen Experimenten habe ich es eigens so eingerichtet, 52 Wahrnehmung des Ultraviolett dass ich das Aeskulin auf die Seite legte, wo die Ameisen sich nicht befanden, so dass ihre Bewegungen ein klares Resultat ergaben. Ich möchte"^noch hinzufügen, dass Camponotus ligniperdus eine Waldameise ist, die den Schatten liebt und stärkere Hitze meidet, ferner, dass ich diese Experimente im Sommer, bei starker Hitze unternahm. Zweite Versuchsreihe. ich firnisste die Augen von 14 Arbeitern und 1 Weibchen von Camponotus ligniperdus und setzte diese sowie ausserdem noch 10 normale Arbeiter in den Kasten. 7. Direktes Sonnenlicht, durch weisse Wolken einigermassen diffus gemacht. Ich legte über die eine Seite 2 prismatische Flaschen mit parallelen Wänden, von denen die eine 6, die andere 8 cm Dicke hatte. Resultat: Wasserschicht (6 — 8 cm) links Pappdeckel rechts 11 gefirnisste Arbeiter 3 gefirnisste Arbeiter 1 gefirnisstes Weibchen 9 normale Arbeiter 1 Arbeiter, der sich an die beschattete Wand klammert. 8. Das vorhergehende Experiment nach Auswechslung der Wasser- schicht und des Pappdeckels. Resultat: Pappdeckel links Wasserschicht (6 — 8 cm) rechts 1 1 Arbeiter u. 1 Weibch. (gefirn.) 3 gefirnisste Arbeiter 7 normale Arbeiter 3 normale Arbeiter, herumlaufend. Wir sehen hieraus, dass die normalen Ameisen vom Licht beein- flusst wurden, die gefirnissten hingegen nicht. Bei den folgenden Experimenten gab ich jdem Kasten eine der- artige Stellung, ^dass die Hervorbringung von Schlagschatten durch seine Wände vermieden wurde. 9. Wiederholung von Experiment 8 nach Ablauf einer Viertel- stunde, ohne Auswechslung der Platten, aber kurz nach der durch die Stellungsänderung des Kastens bedingten Aufregung der Ameisen.. Resultlat: Pappdeckel Ijinks Wasserschicht (6—8 cm) rechts 6 Arbeiter u. 1 Weibch. (gefirn.) 5 gefirnisste Arbeiter 9 normale Arbeiter 1 normaler Arbeiter, herumlaufend- 10. Um 2 Uhr 50 Min. nachm., stets bei direktem, aber durch Wahrnehmung des Ultraviolett 53 weisse Wolken diffus gemachtem Lichte, wechselte ich die Wasser- und Pappschicht des vorhergehenden Experiments. Resultat um 3 Uhr: Wasserschicht (6 — 8 cm) links Pappdeckel rechts 11 Arbeiter u. 1 Weibch. (gefirnisst) 3 gefirnisste Arbeiter 2 normale Arbeiter, von denen der 8 normale Arbeiter eine versucht, den Firnis eines Gefährten abzureiben. 11. Um 3 Uhr ersetzte ich das Wasser durch Aeskulin und den Pappdeckel durch Kobalt. Resultat um 3 Uhr 15 Min.: Aeskulinschicht (1 cm dick) links Kobalt rechts IOV2 Arbeiter und 1 Weibchen (gefirnisst) 3V2 gefirnisste Arbeiter 8V2 normale Arbeiter IV2 normale Arbeiter. Ein gefirnisster und ein normaler Arbeiter standen demnach auf der Grenze. Es ist wichtig, zu beachten, dass jede Änderung der obenaufgelegten Gegenstände bei den normalen Arbeitern eine leb- hafte Beunruhigung hervorrief, die sich in Herumlaufen äusserte, während die gefirnissten Arbeiter sich passiv verhielten. Dahingegen aber bemerkten die gefirnissten Arbeiter sofort die Bewegung und die frische Luftzufuhr, sobald ich die bedeckenden Gläser abnahm, um etwas im Kasten zu ändern. Sie wurden dann genau so auf- geregt wie die normalen Ameisen, und ihre Bemühungen zu ent- kommen, zeigten genau dieselbe Behendigkeit; wenn es ihnen aber gelang, zu entweichen, verstanden sie es nicht so gut wie die nor- malen, sich zu verstecken. 12. Ich teilte den Kasten mittels eines Pappstücks in zwei getrennte Abteilungen und liess nur einen kleinen Spalt am unteren Rande der Zwischenwand, durch den die Ameisen passieren konnten, offen. Diffuses Licht. ich schaltete nun das 11. Experiment ein, ersetzte aber die Kobaltscheibe durch die 6 — 8 cm starke Wasserschicht. Resultat um 4 Uhr 30 Min. nachm.: WasseYjschichlt (6 — 8 cm) links Aeskulin (ljcm)*rechts 9 Arbeiter und 1 Weibch. (gefirnisst) 5 gefirnisste Arbeiter 4 normale Arbeiter 6 normale Arbeiter. Da nun das Licht zu schwach wurde, bedeckte ich den ganzen Kasten mit dem Pappdeckel. 13. Am Morgen des folgenden Tages fand ich 6 gefirnisste Arbeiter 54 Wahrnehmung des Ultraviolett und 1 normalen links, die übrigen alle rechts. Der Himmel war bewölkt, ich stellte den Kasten an mein Fenster und bedeckte ihn um 8 Uhr morgens wie zuvor mit den Kobalt- und Aeskulinplatten. Resultat um 9 Uhr 30 Min. vorm.: Kobalt + Wasserschicht Aeskulin + Wasserschicht (6 cm) links (3 cm) rechts 3 Arbeiter u. 1 Weibchen (ge- 11 gefirnisste Arbeiter firnisst) 13 normale Arbeiter. 2 normale Arbeiter 14. Voriges Experiment um 9 Uhr 30 Min. umgeschaltet. Resultat um 11 Uhr 45 Min. vorm.: Aeskulin + Wasserschicht Kobalt + Wasserschicht (3 cm) links (6 cm) rechts 8 Arbeiter u. 1 Weibchen (ge- 5 gefirnisste Arbeiter firnisst) 3 normale Arbeiter. 12 gefirnisste Arbeiter tot 15. Ohne im übrigen Experiment 14 zu ändern, ersetzte ich um 11 Uhr 45 Min. das Aeskulin durch eine 6 cm dicke Wasserschicht und das Kobalt durch den Pappdeckel. Resultat um 12 Uhr 25 Min.: Wasserschicht (6 cm) links Pappdeckel rechts 9 Arbeiter u. 1 Weibchen (ge- 4 gefirnisste Arbeiter firnisst) 12 normale Arbeiter. 3 normale Arbeiter 16. Um 12 Uhr 25 Min. habe ich, ohne Experiment 15 sonstwie zu verändern, das Wasser entfernt, um der Wirkung des Lichtes die- jenige der Sonnenwärme beizugesellen. Die Sonne war ein wenig aus den Wolken getreten, aber immerhin verschleiert geblieben. Kaum hatten die gefirnissten Ameisen die Wärme gespürt, als sie flugs unter den Pappdeckel zu laufen begannen. Resultat um 12 Uhr 55 Min. nachm.: Nichts ausser dem Glas- Pappdeckel rechts deckel links 13 Arbeiter u. 1 Weibchen (ge- Keine gefirnisste Ameise firnisst) 2 normale Arbeiter, die die Wasser- 13 normale Arbeiter, tropfen am Glase aufsaugen 17. Bald nach Experiment 16, um 1 Uhr, ersetzte ich den Papp- deckel durch die Kobalt-Wasser-Zusammenstellung und auf der linken Seite, wo nur 2 normale Arbeiter sich befanden, bedeckte ich den Wahrnehmung des Ultraviolett 55 Glasdeckel mit der Aeskulinplatte. Sofort begannen die Ameisen, zum Teil veranlasst durch eine leichte Erschütterung des Kastens, sich zu bewegen. Sonne bei weisser Bewölkung ziemlich trübe. Resultat um 1 Uhr 55 Min. nachm.: Aeskulin + Wasserschicht Kobalt + Wasserschicht (3cm) links (6 — Sern) rechts 1 Weibchen u. 4 Arbeiter (ge- 9 gefirnisste Arbeiter firnisst) 2 normale Arbeiter. 13 normale Arbeiter Einer der gefirnissten Arbeiter benahm sich so aufgeregt und rannte so wild umher, dass es unmöglich war, seinen Platz anzu- geben. 18. Um 1 Uhr 55 Min. nachm. schaltete ich Experiment 17 ganz einfach um. Sonne sehr verschleiert. Resultat um 2 Uhr 35 Min. nachm.: Kobalt + Wasserschicht Aeskulin + Wasserschicht (6 — 8 cm) links (3 cm) rechts 4 gefirnisste Arbeiter 9 Arbeiter u. 1 Weibchen (ge- 3 normale Arbeiter firnisst) 1 gefirnisster Arbeiter, der wild 12 normale Arbeiter, umherrennt. 19. Nochmalige Umschaltung von Experiment 18, doch verletzte ich während meiner Manipulationen einen normalen Arbeiter, den ich daraufhin entfernte. Sonne sehr trübe. Regen. Resultat um 3 Uhr 8 Min. nachm.: Aeskulin + Wasserschicht Kobalt + Wasserschicht (3 cm) links (6— 8 cm) rechts 3 gefirnisste Arbeiter 11 Arbeiter u. 1 Weibchen (ge- ll normale Arbeiter firnisst) 3 normale Arbeiter. 20. Umschaltung von Experiment 19, unter grosser Vorsicht, folglich ohne irgendwelche Störung für die Ameisen. Sonst nichts geändert. Resultat um 3 Uhr 13 Min. nachm.: Kobalt -f- Wasserschicht Aeskulin + Wasserschicht (6 — 8 cm) links (3 cm) rechts 3 gefirnisste Arbeiter 11 Arbeiter u. 1 Weibchen (ge- 1 normaler Arbeiter firnisst) 13 normale Arbeiter. 55 Wahrnehmung des Ultraviolett 21. Am folgenden Morgen befanden sich die meisten der Arbeiter und das Weibchen rechts. Während der Nacht war alles mit Pappe bedeckt gewesen. Um zu sehen, ob bei Experiment 16 die Hitze und nicht das Übermass von Licht die gefirnissten Ameisen von der sonnigen Seite vertrieben hatte, legte ich auf die linke Seite ein rotes Glas ohne Wasser und auf die rechte eine 6 cm dicke Wasserschicht ohne etwas anderes, und zwar um 8 Uhr früh, an einem nebligen Morgen. Resultat um 9 Uhr 25 Min., nachdem eine milde Sonne den Nebel durchbrochen hatte; angenehme Wärme: Rotes Glas ohne Wasser links Wasserschicht(6— 8cm)rechts 3 gefirnisste Arbeiter 1 Weibchen u. 10 Arbeiter (gefir- 12 normale Arbeiter nisst), 2 normale Arbeiter. (IgefirnissterArbeiterentschlüpfte) 22. Um 9 Uhr 25 Min. schaltete ich das vorige Experiment, da die Sonne inzwischen leuchtend und heiss geworden war und direkt auf meine Ameisen niederbrannte, um. Resultat um 12 Uhr 30 Min. bei heller, leuchtender Sonne: Wasserschicht (6— 8cm) links Rotes Glas ohne Wasser Alle 13 Arbeiter und 1 Weibchen rechts (gefirnisst) Keine gefirnisste Ameise 10 normale Arbeiter. 4 normale Arbeiter in eine Ecke geduckt. Das Resultat dieser letzten Experimente 21 und 22 ist äusserst klar. Bei Experiment 21 flohen die normalen Arbeiter das Licht, zogen indessen etwas grössere Wärme vor. Später aber, als die Wärme immer intensiver wurde, verliessen sie grösstenteils die rote Abteilung, um sich unter die Wasserschicht zu begeben, da sie nun doch die stärkere Helligkeit der Backofenhitze vorzogen. Aber selbst dann noch blieben 4 von ihnen unter dem roten Glas. Die gefirnissten Arbeiter aber hielten sich immer an den kühleren Stellen auf. Dritte Versuchsreihe. Nachdem ich mir einige frische Camponotus ligniperdus mitsamt ihren Larven und Puppen geholt hatte, firnisste ich die Augen von 11 Arbeitern und 1 Weibchen. Ich gab ihnen eine reichliche Anzahl Larven und Puppen, die in einem Haufen auf der rechten Seite des Kastens lagen; auf der andern Seite lagen dann noch 3 verlassene Puppen (dies während der Nacht). Wahrnehmung des Ultraviolett 57 23. Resultat um 7 Uhr 45 Min. vorm.: Pappdeckel links. Wasserschicht(6 — 8cm)rechts. 3 gefirnisste Arbeiter und die 1 Weibchen und 8 Arbeiter (ge- 3 verlassenen Puppen. firnisst) mit sämtlichen Larven und den übrigen Puppen. Einige der Arbeiter befanden sich unmittelbar unter einem Strahl der auf- steigenden Sonne. Die Arbeiter schleppten die Larven und Puppen von einer Ecke in die andre, blieben aber unter der Wasserschicht. 24. Ich gesellte den Ameisen von Experiment 23 einen normalen Arbeiter zu, liess aber alles übrige unverändert. Das Licht war zu- nächst diffus. Dann schien die Sonne auf den Kasten. Um 1 Uhr 15 Min. waren alle Larven und Puppen nach dem Raum unter dem Pappdeckel geschleppt worden, wo sich auch sämtliche Ameisen befanden. 25. Ich schaltete um 1 Uhr 15 Min. nachm. das vorige Experiment nach Entfernung des einen normalen Arbeiters um und liess den Kasten in der Sonne stehen. Resultat um 2 Uhr 30 Min. nachm.: Wasserschicht (6— 8cm) links. -Pappdeckel rechts 1 oder 2 gefirnisste Arbeiter Sämtliche Larven und Puppen waren hierher geschafft worden, ausserdem befanden sich hier fast sämtliche gefirnisste Ameisen. Hieraus sieht man, dass die gefirnissten Ameisen den Transport der Puppen und Larven allein bewerkstelligt hatten. Man muss immer- hin bei diesem Versuch mit dem Einfluss der Sonnenwärme rechnen. Es steht fest, dass unter der 6—8 cm dicken Wasserschicht die Hitze grösser gewesen sein muss als unter dem 3 mm starken Pappdeckel, wenn wir bedenken, dass die mittägliche Sommersonne (zwischen 1 und 2 Uhr!) direkt auf meine Ameisen niederschien. Einige thermo- metrische Messungen, die ich anstellte, zeigten mir einen Unterschied von ca. 1^ Celsius zwischen der Temperatur unter der Wasserschicht und der unter dem Pappdeckel (während unter dem Kobaltglas die Wärme eine viel höhere war). Dieser Unterschied ist nun allerdings nicht gross, und so muss ich wohl eingestehen, dass es die Helligkeit 58 Wahrnehmung des Ultraviolett gewesen sein wird, die die gefirnissten Arbeiter zur Bewerkstelligung des Puppentransports bewegte. Dieses Resultat beeinträchtigt indessen die vorhergehenden in keiner Weise, denn wir haben es hier mit einer starken und langanhaltenden Einwirkung des direkten Sonnen- lichts zu tun, die wohl durch den Firnis hindurch verspürt werden, ferner auch photodermatische Reize ausüben konnte, die ein schwä- cheres Licht nicht zu erzeugen vermöchte. Um nun den Wärmefaktor nach Möglichkeit auszuschalten, wandte ich von da ab ausschliesslich das indirekte oder reflektierte Tages- licht an, das ich als diffuses Licht bezeichnen werde. 26. Um 2 Uhr 50 Min. nachm. änderte ich das vorige Experiment, indem ich den Versuchskasten in indirektes Licht brachte. Der Papp- deckel lag links, die Wasserschicht rechts. Larven und Puppen blieben rechts, wo sie gelegen hatten. Die Ameisen waren nun sehr lebhaft, liefen kreuz und quer im ganzen Kasten umher, Hessen aber Larven und Puppen an ihren alten Plätzen. Resultat um 3 Uhr 30 Min. nachm.: Pappdeckel links. Wasserschicht (6 — 8 cm) rechts 5 gefirnisste Arbeiter Alle Larven und Puppen ; 6 Ar- beiter und 1 Weibchen (gefirnisst). 27. Um 3 Uhr 30 Min. setzte ich einen kleinen normalen Arbeiter in den Kasten, ohne sonst etwas an dem vorigen Experiment zu än- dern. Erst lief er ruhelos herum, von einer Seite des Kastens nach der andern; nach Ablauf von vier Minuten begann er die Larven von der Wasserseite nach der Pappdeckelseite zu tragen, obwohl die Erde auf der Pappdeckelseite ganz trocken war, während sich unter der Wasserschicht noch etwas feuchte Erde, die sonst von den Ameisen sehr bevorzugt wurde, befand. Dieser Arbeiter transportierte unter meinen Augen 8 Larven hintereinander in die andere Abteilung. Auch die gefirnissten Arbeiter ergriffen hie und da einige Larven, doch trugen sie dieselben nur von einer auf die andere Seite des unter der Wasserschicht befindlichen Haufens. Der normale wurde von einem der gefirnissten Arbeiter auch einmal veranlasst, Honig von sich zu geben, ein Zeichen, dass der letztere sich im Besitze seiner ge- wöhnlichen Energien befand und sich behaglich fühlte. Ich befeuch- tete nun die Erde auf der Pappdeckelseite des Kastens ein wenig, um die Verhältnisse in den beiden Abteilungen besser in Überein- stimmung zu bringen. Bis 4 Uhr hatte der normale Arbeiter alle die 13 Larven und eine kleine Puppe unter den Pappdeckel trans- Wahrnehmung des Ultraviolett 59 portiert. Die übrigen Puppen, besonders die grossen weiblichen, hatte er indessen dort gelassen, wo sie waren, d. h. also auf der Seite unter der Wasserschicht. Ich beobachtete ferner, wie einer der gefirnissten Arbeiter eine der Larven, die der normale Arbeiter nach der Pappdeckelseite 'geschleppt hatte, wieder zurück zu den üb- rigen Puppen brachte. Abend-Resultat: Pappdeckel links Wasserschicht(6 — 8cm)rechts 13 Larven und 1 kleine Puppe Die übrigen Puppen 7 gefirn. Arbeiter, 1 normaler 4 gefirn. Arbeiter, 1 gefirn. Arbeiter. Weibchen. Es muss bei dieser Gelegenheit bemerkt werden, dass die kleinen Arbeiter von Camponotus es kaum fertig bringen würden, die grossen weiblichen Puppen fortzutragen. 28. Ich setzte einen normalen Arbeiter mittlerer Grösse zu den andern in den Kasten: Sonderbarerweise trug der kleine normale Arbeiter nun die 13 Larven und die Puppen wieder unter die Wasser- schicht. Da es Nacht war, befanden sich beide Seiten des Kastens im Dunkeln. Nun das Nacht-Resultat: Pappdeckel links Wasserschicht(6 — 8cm)rechts 1 — 2 gefirn. Arbeiter. Fast alle Arbeiter, das Weibchen, die Larven und Puppen. 29. Resultat des vorigen Experiments um 7 Uhr 30 Min. früh des folgenden Tages. Diffuses Licht. Die normalen Arbeiter hatten bereits fast alle Larven und Puppen unter den Pappdeckel getragen. Pappdeckel links Wasserschicht(6— 8cm)rechts 10 Larven und nahezu alle Puppen 7 Puppen und 3 Larven 4 gefirn. Arbeiter und 2 normale 7 gefirn. Arbeiter, 1 gefirn. Weibch. Arbeiter. 30. Resultat desselben Experiments um 9 Uhr 45 Min. vorm. Diffuses Licht. Pappdeckel links Glasdeckel (ohne Wasser) Alle Larven und Puppen, mit Aus- rechts nähme einer einzigen. Eine grosse weibl. Puppe 7 gefirn. und 2 normale Arbeiter. 1 gefirn. Weibch. und 4 gefirn. Arbeiter. Wir dürfen nun nicht vergessen, dass ruhende Ameisen es lieben, dort zusammenzuhocken, wo sie ihre Puppen und Larven haben, 50 Wahrnehmung des Ultraviolett Nachdem die normalen Arbeiter die Larven und Puppen nach der Pappdeckelseite gebracht hatten, verspürten demnach die gefirnissten Arbeiter und das gefirnisste Weibchen eine natürliche Neigung, sich ebendorthin zu begeben, ohne dabei die Dunkelheit überhaupt zu berücksichtigen. Man darf demnach die relative Häufigkeit, mit der die gefirnissten und normalen Arbeiter bei den letzten Experimenten die Pappdeckelseite aufsuchten, nicht zu Schlussfolgerungen ver- wenden, ohne diese Tatsache mit in Erwägung zu ziehen. Vierte Versuchsreihe. Ich teilte nunmehr den Kasten in drei Abteilungen, und zwar mittels Pappwänden, unter denen sich gerade genug Zwischenraum befand, dass die Ameisen herüber- und hinüberlaufen konnten. Ich bereitete darauf eine neue Aeskulinlösung, die ich diesmal in eine 3,8 cm starke, prismatische Flasche mit parallelen Wänden einfüllte. Als Versuchsobjekte nahm ich wieder dieselben gefirnissten und normalen Camponotus ligniperdus. 31. Nach Experiment 30 befanden sich sämtliche Larven und Puppen bis auf eine links. Um 10 Uhr vorm. ordnete ich das Experiment in der eben geschilderten Weise. Resultat um 11 Uhr vorm.: Links Mitte Rech.ts Kobalt + Wasserschicht Aeskulinlösung (3,8 cm) Wasserschicht (6— 8 cm) 1. Sämtliche Puppen (34) (6— 8 cm) 0 2. Sämtliche Larven (13) Einige gefirnisste 3. Die 2 normalen Arbeiter Arbeiter. 4. Das Weibchen und einige gefirnisste Arbeiter. Wenige Minuten, nachdem ich das Experiment wie oben geschildert geordnet hatte, begannen die 2 normalen Arbeiter, die Larven vom Kobalt nach dem Aeskulin hinüberzutragen, indem sie die mittlere Abteilung passierten, ohne sich dort aufzuhalten. Dieser Transport wurde von den zwei normalen Arbeitern allein vollzogen. Die 11 gefirnissten beteiligten sich dabei in keiner Weise. Sie trugen wohl zuweilen eine Larve von einer Ecke der Abteilung in die andere, weiter fort bewegten sie sich aber nicht. Ein einziges Mal, gegen das Ende des Transports, sah ich einen gefirnissten Arbeiter, wohl durch das Beispiel der anderen angeregt, eine kleine Larve von dem Kobalt nach dem Aeskulin hinübertragen (man weiss, dass Ameisen Wahrnehmung des Ultraviolett 5| es nicht lieben, eine Larve vereinzelt liegen zu lassen). Dieser Trans- port von 47 Larven und Puppen war eine gehörige Leistung, denn es bedurfte der heftigsten Anstrengungen seitens des mittelgrossen Arbeiters, um die grossen weiblichen Puppen unter der Pappzwischen- wand hindurch, die kaum genug Platz dafür übrig liess, von einer Abteilung in die andere zu schleppen. Diese Schwierigkeit erhöhte das Frappante des Gegensatzes zwischen dem Benehmen der nor- malen und der gefirnissten Arbeiter. Um 11 Uhr waren alle Larven und Puppen unter das Aeskulin hinübergetragen. 32. Ich versuchte, diese Experimente fortzusetzen, doch gelangen sie mir nicht mehr. Meine Camponotus, sowohl die gefirnissten wie die normalen, schienen einer gewissen Mutlosigkeit verfallen, was in solchen Fällen öfters vorzukommen pflegt. Sie Hessen ihre Larven und Puppen gänzlich im Stich und suchten nur mit mög- lichster Geschwindigkeit zu entkommen, ohne der Belichtung und sonstigen Reizen irgend welche Beachtung zu schenken. Ich ver- suchte es also nun mit einer anderen Spezies. fFünfte Versuchsreihe. Formica fusca L., normale Arbeiter und Weibchen, brachte ich in meinen 3-geteilten Kasten, zugleich mit zahlreichen Puppen, die ich zunächst in die mittlere Abteilung, unter eine 6 — 8cm dicke Wasserschicht, legte. (Formica fusca lebt in Wäldern und aufwiesen, in Erdnestern oder morschen Baumstämmen). 33. Um 1 1 Uhr vorm. bei diffusem Licht. Die Puppen in dem Mittel- abteil unter der Wasserschicht. Resultat um 11 Uhr 30 Min. vorm.: Kobalt links Aeskulinlösung(3,8cm)rechts 0 Alle Puppen unter dem Aeskulin Wasserschicht (6 — 8 cm) Mitte 0 34. Das vorige Experiment um 1 1 Uhr 30 Min. umgeschaltet. Dif- fuses Licht. ^ ,, . , ,,, Resultat um 1 Uhr.: Aeskulinlösung (3,8 cm) links Alle Puppen waren hierher trans- Kobalt rechts portiert. ^ Wasserschicht (6 — 8 cm) Mitte 0 52 Wahrnehmung des Ultraviolelt 35. Ich mischte so viel Tinte unter das Wasser, dass dieses ent- schieden dunkler und undurchsichtiger wurde als das Aeskulin. Dann schaltete ich Experiment 34 wie folgt um (und zwar um 1 Uhr), Diffuses Licht. Resultat um 2 Uhr 15 Min. nachm.: Geschwärztes Wasser (6 cm) Kobalt links rechts 0 0 Aeskulinlösung (3,8 cm) Mitte Alle Ameisen waren mit allen Puppen hierher gewandert. 36. Experiment 35 wie folgt umgeschaltet. Diffuses Licht. Resultat um 2 Uhr 45 Min. nachm.: Askulin (3,8 cm) rechts Kobalt links Alle Ameisen mitallen Puppen hier- ^ her gewandert Geschwärztes Wasser (6 cm) Mitte 0 37. Experiment36 um 3 Uhr wie folgt umgeschaltet. Diffuses Licht, Resultat um 3 Uhr 27 Min. nachm.; Rotes Glas rechts Aeskulinlösung (3,8 cm) links ^jj^ y^^^eiter und alle Puppen ^ blieben unter dem roten Glas Geschwärztes Wasser (6 cm) 0 38. ich liess Experim.ent 37 unverändert, ausser dass ich um 3 Uhr 27 Min. nachm. das rote Glas durch das Kobaltglas ersetzte. Diffu- ses Licht. Resultat um 3 Uhr 40 Min. nachm.: Kobalt rechts Aeskulinlösung (3,8 cm) links Einem Teil der Ameisen gelang es, Ein Teil der Ameisen wanderte sich mitsamt den Puppen unter ei- sofort mit einem Teil der Puppen nem vorstehenden Papierstreifen zu hierher verbergen, und so blieben sie auf dieser Seite Geschwärztes Wasser (6 cm) Mitte 0 Wahrnehmung des Ultraviolett 63 39. Ich entfernte den vorstehenden Papierstreifen des Experiments 38, h'ess aber im übrigen alles wie es war. Resultat um 4 Uhr 30 Min. nachm.: Aeskulinlösung (3,8 cm) links Kobalt rechts Alle Puppen und alle Ameisen hier. 0 Geschwärztes Wasser (6 cm) Mitte 0 40. Um 4 Uhr 50 Min. nachm. entfernte ich die Aeskulinschicht des vorigen Experiments. Resultat um 5 Uhr 30 Min. nachm.: Kobalt rechts Einfaches Glas links WenigeArbeitermit2od.3Puppen ^ hier. Geschwärztes Wasser (6 cm) Mitte Fast alle Arbeiter und Puppen hier. Diese letzte Versuchsreihe (Nr. 33 bis 40) beweist so klar und un- widerleglich die Abneigung der normalen Ameisen gegen die ultra- violetten Strahlen, dass ich es unnötig fand, sie fortzusetzen. Sie bestätigt aufs vollkommenste die Resultate Lubbocks. Der Wärme- faktor erwies sich als gänzlich ausgeschaltet, denn wäre es den Amei- sen zu heiss gewesen, so wären sie unter die Wasserschicht, wäre es ihnen zu kalt gewesen, unter das Kobaltglas gegangen. Die ultra- violetten Strahlen allein genügten, wie man sieht, um auf die Ameisen nahezu dieselbe Wirkung wie das volle Sonnenlicht auszuüben. Sechste Versuchsreihe. Formica fusca, Arbeiter und Weibchen, mit gefirnissten Augen und Ocellen und mit ihren Puppen versehen. (Das Firnissen der Augen und Ocellen war schwierig.) 41. 4 gefirnisste Arbeiter mit 47 Puppen in einer Pappschachtel. Ich legte die Puppen um 11 Uhr 30 Min. vorm. auf die unter dem Glas gelegene Kastenseite. Diffuses Licht. Resultat um 1 Uhr: Pappdeckel links. Einfache Glasplatte rechts. 0 Die 4 Arbeiter m.it allen Puppen waren hier geblieben. 42. Ich stellte den Kasten in die Sonne, ohne das Experiment sonstwie zu verändern. 64 Wahrnehmung des Ultroviolett Resultat um 2 Uhr 15 Min. nachm.: Pappdeckel links. Einfache Glasplatte ohne Die 4 Arbeiter trugen 27 Puppen Wasser rechts, in den Schatten des Pappdeckels, Die 20 Puppen, die übrig blieben, wo sie auch selbst verblieben. lagen in etwas dürrem Zustand unter der Glasplatte. 43. Eine weitere Reihe von Versuchen an diesen gefirnissten Formica fusca sowie schon (s. oben) die 4. Versuchsreihe an ge- firnissten und normalen Exemplaren von Camponotus gab infolge der Entmutigung der Ameisen und ihrer daraus hervorgehenden Vernachlässigung ihrer Puppen keine reinen Resultate mehr. Glücklicher verlief ein Versuch mit einem flügellosen Weibchen, das, nachdem ich es mit einem sehr dunkeln Firnis gründlich überzogen hatte, sich sehr geduldig mit den Puppen, die ich ihm gab, beschäftigte. (Die Weibchen besitzen nach Lubbock, Mac Cook und Blochmann die Kraft, auf eigene Hand neue Kolonien zu gründen. Dieser Instinkt lässt sie, wenn allein gelassen, sich der Puppen der Arbeiter getreulich annehmen, bis deren Zeit zum Ausschlüpfen gekommen ist. Die Arbeiter hingegen verlieren, wenn^ allein gelassen, leicht den Mut.) 44. Um 1 Uhr 15 Min. nachm. am 5. August war meine gefirnisste Fusca (Weibchen) mit den Puppen zusammen rechts unter der ein- fachen Glasplatte, in einem starken, aber diffusen Licht. Links war das rote Glas. Um 2 Uhr 15 Min. nachm. war das Weibchen noch an dem- selben Platz. Um 3 Uhr nachm. hatte es sich unter den Rand des roten Glases begeben. Um 5 Uhr nachm. war es, nachdem ich umgeschaltet hatte (rotes Glas rechts, Glasplatte links), wieder unter das rote Glas zurückgekehrt. ich ersetzte das rote Glas durch Aeskulin. Um 5 Uhr 30 Min. nachm. war das Weibchen unter dem Aeskulin (rechts). Um 6 Uhr nachm. war es unter dem einfachen Glas. Am 6. August. Um 7 Uhr 30 Min. nachm. Diffuses Licht. Das Weibchen befindet sich unter dem Aeskulin rechts. Ich schalte nun das Expe riment um, indem ich rechts eine 6 cm dicke Wasserschicht auflege. (Aeskulin war links.) Darauf kam die Sonne durch. Um 9 Uhr 30 Min. vorm. hatte das Weibchen, unter der direkten Wahrnehmung des Ultraviolett 65 Einwirkung der Sonne, die Puppen von der Wasser- nach der Aeskulinseite transportiert. Ich versetzte es darauf wieder in diffuses Licht und schaltete das Experiment um (Wasser links). Um 1 Uhr mittags fand ich, dass das Weibchen unter der Wasser- schicht links verblieben war. Ich rüttelte den Kasten ein wenig, um es zu wecken. Um 2 Uhr 7 Min. nachm. war das Weibchen noch immer unter der Wasserschicht links. Um 2 Uhr 30 Min. nachm. ging es unter das Aeskuh'n rechts. Ich schaltete wiederum um. Um 2 Uhr 53 Min. nachm. war das Weibchen unter dem Wasser geblieben. Um 3 Uhr 10 Min. ebenso. Um 4 Uhr nachm. war es unter das Aeskulin gegangen. Um 4 Uhr 12 Min. nachm. war es von selbst unter das Wasser gegangen. Um 4 Uhr 25 Min. nachm. unter dem Wasser. Um 4 Uhr 42 Min. ebenso. Ich stellte den Kasten in das Fenster, um ein starkes diffuses Licht zu erhalten. Gegen Abend ging das Weibchen dann zwischen Wasser und Aeskulin hin und her und nahm hie und da eine Puppe auf, ohne sie jedoch weit fortzutragen. 7. August. Um 8 Uhr vorm. Weibchen unter dem Aeskulin. Diffuses Licht. Um 1 Uhr nachm. Weibchen unter dem Wasser. Diffuses Licht. 8. August. Um 8 Uhr vorm. Starkes diffuses Licht. Das Weibchen hatte fast alle Puppen unter dem Wasser, jedoch dicht an der Grenze des Aeskulin- abteils aufgehäuft, ich schob die Aeskulinlösung etwas zurück, so dass die Puppen ausgesprochen unter das Wasser zu liegen kamen. Um 2 Uhr nachm. Das Weibchen hatte ein Häufchen Puppen abge- sondert und unter das Aeskulin, aber dicht an die Grenze des Wasser- abteils getragen. Ich schaltete die Versuchsanordnung um und legte das Aeskulin auf die linke Seite. Bald nach dieser Änderung sah ich das Weibchen nach einer kurzen Ruhepause in ihrem Puppentransport fortfahren, als ob ich keinerlei Änderung gemacht hätte. Anstatt die Gruppe von Puppen, die es abzu- sondern begonnen hatte, dorthin zurückzuschaffen, wo das Aeskulin jetzt lag und wo sich der grössere Puppenhaufen noch immer be- fand, begann es überall unterhalb des Aeskulins nach verstreuten Forel, Das Smnesleben der Insekten ^ 56 V/ahrnehmung des Ultraviolett Puppen Umschau zu halten und sie auf ein Sonderhäufchen (jetzt unter dem Wasser) zu sammeln. Daraus sah ich, dass diese Um- räumung nicht aus den Lichtverhältnissen, sondern aus dem Ord- nungssinn des Tierchens hervorging. Um 3 Uhr nachm. befand sich das Weibchen in der Mitte, unter dem Wasser, mit einem grossen Haufen Puppen. Um 3 Uhr 40 Min. nachm. ebenso. 9. August. 2 Uhr 15 Min. nachm. Seit dem gestrigen Tag befindet sich das Weibchen noch immer mit sämtlichen Puppen unter dem Wasser und zwar trotz einer starken diffusen Belichtung. Eine Änderung im Experiment war nicht gemacht worden. 10. August. 10 Uhr vorm. Das Weibchen noch immer mit den Puppen unter der Wasserschicht. Ich gab ihm zu fressen und zu trinken. 2 Uhr nachm. Das Weibchen war mit den Puppen innerhalb des Bezirks von Wasserschicht und einfachem Glas geblieben, den Aes- kulinbezirk vermeidend. 11. August. Das Weibchen blieb noch immer unter dem Wasser (ich möchte bemerken, dass das Wasser immer noch rechts, die Aeskulinlösung links war, ebenso, dass die Aeskulinlösung sich in einem gut kon- servierten Zustand und in völliger Fluoreszenz befand). 12. August. 8 Uhr vorm. Diffuses Licht. Ich ersetzte die Aeskulinlösung durch rotes Glas. Um 9 Uhr 30 Min. vorm. befand sich das Weibchen mit ihrem Puppenhaufen unter dem Wasser, während es zuvor zeitweilig unter dem roten Glas herumspaziert war. Um Mittag blieb das Weibchen, trotzdem ich durch Reflektierung mittels eines Spiegels die Sonne auf den Kasten gelenkt hatte, mit- samt ihren Puppen unter dem Wasser. 13. August. Das Weibchen blieb den ganzen Tag bei diffusem Licht mit seinen Puppen unter der Wasserschicht. 14. August. Um 7 Uhr 30 Min. vorm. Das Weibchen noch immer unter der Wasserschicht, ohne Neigung, unter das rote Glas zu gehen. Man könnte meinen, dies geschähe aus Gewohnheit, Gleichgültigkeit oder Wahrnehmung des Ultraviolett 67 Entmutigung. Dass dies nicht der Fall war, merkte ich daran, dass das Tierchen, als ich den einfachen Glasdeckel vom Kasten empor- hob, in äusserstem Schrecken und grösster Eile die Puppen ergriff und sie nach der Seite des Kastens schleppte. Um 2 Uhr nachm. Das Weibchen hatte die Puppen von der Mitte nach der Seite des Kastens getragen, doch immer noch innerhalb des Wasserbezirks. Da ich nochmals die Wirkung der direkten Sonnenstrahlung er- proben wollte, Hess ich die Sonne ziemlich kräftig auf meinen Kasten scheinen, was wahrscheinlich den Tod meines F. fusca-Weibchens veranlasste. Ich verleibte sie meiner Ameisensammlung ein; Augen und Ocellen befanden sich in tadellos gefirnisstem Zustand. 45. Am 7. August hatte ich die Augen von verschiedenen Formica sanguinea und ihren Fusca-Sklaven gefirnisst. Ich setzte sie mit zahlreichen Puppen in eine, in drei Abteilungen getrennte Schachtel. Zuerst benahmen sie sich, ebenso wie einige normale Arbeiter, die ich noch hinzufügte, gleichgültig, fingen jedoch schliesslich an, sich mit den Puppen abzugeben und sie zu einem Haufen zu vereinigen. Am 10. August begannen die normalen Ameisen, ihre Aufmerk- samkeit dem Lichte zuzuwenden. Sie transportierten die Puppen ganz konsequent von dem Kobalt- und dem Wasserbezirk nach dem Aeskulinbezirk. Indessen war es auffallend, dass sich ganz besonders die gefirnissten Arbeiter, mehr noch als die normalen, mit den Puppen plagten. Am 11. August beseitigte ich alle normalen Ameisen. Um 8 Uhr vorm. befinden sich alle Puppen auf der linken Seite. Resultat um 10 Uhr vorm. Kobalt links Aeskulin (3,8 cm) rechts Alle Puppen hier, und zwar in der hellsten Ecke. Wasserschicht (6 cm) Mitte 0 Um 10 Uhr vorm. ersetzte ich die Kobaltplatte durch eine 6 cm dicke Wasserschicht und öffnete den Kasten ein wenig, um etwas feuchte Erde hineinzutun. Sofort begannen, nachdem sie etwas Un- ruhe an den Tag gelegt, die gefirnissten Sanguinea und Fusca die Puppen von der hellen Seite nach der vom Schlagschatten der Kastenwände verdunkelten Seite des Lichteinfalls zu transportieren. Da diese Kastenwand durch eine äussere Schutzwand vor dem 68 Wahrnehmung des Ultraviolett direkten Einfiuss der Sonnenstrahlen geschützt war, so war eine grössere Wärmeentwicklung ausgeschlossen. Dieser Transport ging direkt unter meinen Augen, bei bedecktem Himmel (lichter, hellgrauer Bewölkung), aber vollem Tageslicht vor sich. Als der Transport beendigt war, stellte ich den Kasten in eine umgekehrte Position, und sofort begann der Transport von neuem in entgegengesetzter Richtung; war doch jetzt die zuvor beschattete Seite zur beleuchteten geworden. Ich wiederholte diese Umkehrung zweimal mit dem gleichen Erfolg, stets bei einer ziemlich diffusen, aber kräftigen Beleuchtung. Noch muss ich bemerken, dass die Wände dieses Kastens hoch waren, was die Intensität des Schlagschattens erhöhte. Wir haben es in diesem Falle sehr wahrscheinlich mit photodermatischen Empfindungen zu tun. Eigentümlicherweise aber blieben die Ameisen stets unter der Wasserschicht, also unter der Einwirkung der ultravioletten Strahlen, und versuchten nie, ihre Puppen unter die Aeskulinlösung zu bringen, obwohl sie selbst oft darunter hin- und her spazierten, ebenso wie ihre nichtgefirnissten Kameraden es am Tag zuvor getan hatten. Um noch klarer zu sehen, legte ich jetzt die bisher rechts befindliche Aeskulinlösung in die Mitte. Die Puppen lagen bis dahin in dem Wasserbezirk links, einige wenige von ihnen aber in den Mittelbezirk hinein versprengt. Nachdem ich nochmals den Kasten so gedreht hatte, dass die Puppen in das Licht kamen, transportierten die Ameisen sie wiederum auf die schattige Seite, aber weg vom Aeskulin und unter die Wasserschicht. Ja, sie nahmen auch die wenigen Puppen, die, in den mittleren Bezirk hinüberversprengt, nunmehr unter dem Aeskulin lagen, von dort weg und schleppten sie nach der andern Seite unter die Wasserschicht. Um 3 Uhr 30 Min. nachm., als das Licht schwächer geworden war, hörten die Ameisen mit ihren Um- räumungsarbeiten auf und verblieben mitsamt den Puppen auf der hellen Seite unter der Wasserschicht. Am nächsten Tag stellte ich den Kasten in entgegengesetzter Richtung auf; die Aeskulinlösung befand sich nun in der Mitte, so dass die Ameisen, um an die schat- tige Seite, die jetzt rechts unter der Wasserschicht lag, zu gelangen, mit den Puppen, die zunächst noch links lagen, darunter durchpassieren mussten. Sie taten dies, ohne sich dort aufzuhalten und brachten sämtliche Puppen von dem linken nach dem rechten Wasserbezirk. Einige F. sanguinea, F. pratensis, C. ligniperdus und Lasius niger mit abgeschnittenen Antennen, aber normalen Augen, die ich gleich, nachdem ich meine gefirnissten Ameisen entfernt hatte, in den- Wahrnehmung des Ultraviolett 69 selben Kasten tat, begannen um 5 oder 6 Uhr abends, trotzdem das Licht schon sehr schwach war, sich allmählich unter die Aeskulin- lösung, die noch immer den Mittelbezirk deckte, zu gruppieren, ohne sich indessen mit den Puppen zu befassen. Als die Nacht hereinbrach, verstreuten sie sich wieder. Eine weitere Versuchsreihe mit gefirnissten C. ligniperdus ergab dieselben Resultate wie die erste. Sie zeigten keine Bevorzugung des roten Glases, das ich diesmal, anstatt der Aeskulinlösung, neben dem Kobaltglase anwandte. Die Einzelheiten sind unwichtiger Natur. Auch mit dem Sonnenspektrum habe ich eine Reihe von Versuchen gem.acht, ja ich habe mit gerade diesen Versuchen begonnen. Die Herren Professoren Hofmeister und Weilenmann (Zürich) waren so freundlich, mir ihren Apparat zu leihen und mir zu helfen, ein hori- zontales Spektrum zu erzeugen. Mit Hilfe des Helioskops, und indem ich nicht von der Stelle wich, war ich imstande, der Erdbewegung das Gegengewicht zu halten. Im Verlauf dieser Versuche, deren Ergebnis ein nahezu negatives war, habe ich eingesehen, warum Lubbock bei seinen Versuchen mit dem Spektrum verhältnismässig unpräzise Resultate erhalten hat. Lubbock benützte das Spektrum eines elektrischen Bogenlichts, das den Vorzug bietet, unbeweglich zu sein. Um ein ganz deutliches Spektrum zu erhalten, darf man nur ein sehr schmales Band von Sonnenstrahlen nehmen. Zum Spektrum aus- gebreitet, verliert dieses Band viel von seiner Intensität. Ferner wirft, während es den Kasten beleuchtet, das Spektrum noch reflektierte Strahlen auf die Umgebung, was man trotz aller Sorgfalt nicht ver- hindern kann. Dabei erwähne ich noch nicht einmal alle die übrigen Reflexe, die abgefangen werden müssen. Ferner ist zu bedenken, dass, um damit zu experimentieren, ein Spektrum eine beträchtliche Grösse besitzen muss, was in entsprechendem Grade die Intensität beein- trächtigt, und dass, ungeachtet des Helioskops, der Einfluss der Erd- bewegung bei den Versuchen sehr hinderlich ist. Um mich kurz zu fassen, möchte ich konstatieren, dassLasius niger und Formica fusca mit ihren zahlreichen Puppen der Ein- wirkung des Spektrums, das ich auf sie einfallen Hess, wenig Beach- tung schenkten. Allerdings beobachtete ich mehrere Wanderungen vom Ultraviolett und Violett nach dem Rot, aber auch einige in umgekehrter Richtung. Da die normalen Ameisen eine so schwache Reaktion betätigten, habe ich es gar nicht erst unternommen, die Augen andrer Exemplare zu firnissen. Vielleicht ist an der Ergebnis- 70 Photodermatische Empfindungen losigkeit dieser Versuche zum Teil der Umstand schuld, dass ich sie im Herbst unternahm, einer Jahreszeit, in der die Ameisen über- haupt gleichgültiger werden. Ich glaube, mit wenigen Worten die Resultate der obigen Experi- mente zusammenfassen zu können: 1. Die Ameisen spüren das Licht und besonders das Ultraviolett, wie schon Lubbock gezeigt hat. 2. Sie scheinen das Ultraviolett hauptsächlich mittels der Augen wahrzu- nehmen, d. h. also es zu sehen, da sie sich, wenn ihre Augen gefirnisst sind, fast unempfindlich dagegen zeigen; deutlich reagieren sie in diesem Zustand nur auf direktes oder mindestens kräftiges Sonnenlicht. 3. Meine Versuche scheinen mir zu beweisen, dass die photodermatischen Empfindungen bei den Ameisen schwächer vertreten sind, als bei den von Graber untersuchten Tieren. Es ist klar, dass diese Fragen noch vieler weiteren Untersuchungen zu ihrer völligen Lösung bedürfen. Man könnte annehmen — und diese Annahme scheint mir manches für sich zu haben — dass die photodermatischen Empfindungen von besonderer Wichtigkeit für Tiere sind, die ein nächtliches oder unterirdisches Dasein führen oder in dunklen Gewässern leben. Sie würden diesen Tieren behilflich sein, das Licht im allgemeinen zu meiden, und in demselben Grade wie die Tiere ein Tagesleben führen und Augen besitzen, überflüssig werden. Ist es nun wahr, dass mehr oder weniger viele Tierarten, wie die Ameisen, das Ultraviolett sehen, so haben die Nachttiere schliesslich ebensoviel Ursache, die ultravioletten wie die andern Strahlen zu meiden. Die starken chemischen Eigenschaften des Ultravioletts scheinen ihnen besondere Wirkungen auf das Nerven- system zu verleihen. Und es ist möglich, dass seine Unwirksamkeit unserer eigenen Netzhaut gegenüber auf den Umstand zurückzuführen ist, dass, wie Soret bereits gezeigt hat, die lichtbrechenden Medien des Wirbeltierauges die ultravioletten Strahlen zum grössten Teil ab- sorbieren. Die eben verzeichneten Experimente und die sich daraus ergebenden Überlegungen legten mir die Frage nahe, ob denn nicht auch der Mensch photodermatischer Empfindungen fähig ist. ich befragte hierüber einen Ophtalmologen, der mich auf eine Äusserung Schmidt- Rümplers hinwies, wonach die Blinden wissen, ob sie sich in einem „hellen, luftigen" Raum oder in einem „dunkeln engen" Zimmer Photodermatische Empfindungen 71 befinden. Andrerseits habe ich selbst eine bh'nde Persönh'chkeit nach diesem Gegenstand befragt und die Antwort erhalten, dass sie unfähig sei, zu fühlen, ob sie sich in einem hellen oder dunklen Zimmer befinde, ich bat den Betreffenden, sich einigen Experimenten zu unterwerfen, was er mit grosser Bereitwilligkeit tat. Ich liess ihn aus hellen in völlig verdunkelte Zimmer treten. Ich war im Verlauf dieser Experimente ausserordentlich überrascht über die Schärfe, mit der er den allerleisesten Luftzug, die minimalsten Temperatur- schwankungen, die mir selbst entgingen, verspürte, und besonders, wie er sich sofort über die Dimensionen eines Raumes, nach dem Klang der Stimmen und Tritte sowie vielleicht auch mittels der Luftschwingungen klar war. Andrerseits zeigte er, sobald ich mir die Mühe gab, alle Faktoren des Geräusches, der Temperatur und Luftbewegung auszuschalten, völlige Ratlosigkeit bezüglich der Hellig- keit oder Dunkelheit eines Raumes. Er war genötigt, zu „raten", ob ein Zimmer, in dem er sich befand, hell oder dunkel sei, fast regelmässig aber riet er falsch. Diese Beobachtungen dürften kaum auf photodermatische Empfindungen beim Menschen schliessen lassen. Doch ist weiteres Forschen nach dieser Richtung hin zu empfehlen. Denn die Tatsache, dass jene blinde Person keiner derartigen Emp- findungen sich bewusst war, schliesst die Möglichkeit, dass photo- dermatische Erregungen irgend ein unterbewusstes, ganglionäres oder selbst subkortikales Zentrum erreichen, nicht aus. Im allgemeinen kann man nicht sagen, dass die Ameisen das Licht fürchten. Sie meiden es nur, wenn sie ruhen und auch wegen ihrer Larven und Puppen. Bei seinen Forschungen an Seetieren fand Graber verschiedene Arten, die das Licht lieben und die Dunkelheit fliehen, so z.B. den roten Seestern (Asteracanthion rubens, Retz.). Eine grosse Anzahl von ihnen zieht blaues und violettes Licht dem roten vor. Einige scheinen sogar das Ultraviolett allen andern Strahlen vorzuziehen, indessen wird dieser Punkt in Grabers Arbeit nicht mit genügender Klarheit dargelegt.^ Um nochmals zu der wichtigen Frage der Wärme zurückzukehren, so glaube ich, dass meine Versuche Nr. 30 bis 40 und einige andere ^ An dieser Stelle möchte ich auf diejenigen Experimente hinweisen, die Lubbock mit dem Spektrum an Daphnia vornahm und bei denen er bemerkt zu haben glaubt, dass diese Tiere zwischen Strahlen von verschiedener Wellen- länge zu unterscheiden vermögen und dass sie „jene vorziehen, die unseren Augen als grün und gelb erscheinen". S. „Senses of Animals". 1888, S. 211 u. folg. 72 Photodermatische Empfindungen uns genügende Klarheit über diesen Punkt verschaffen. Da alle diese Versuche im Sommer und bei grosser Hitze gemacht wurden, flohen alle die Ameisen vor der stärksten Hitze und suchten die gelindere auf. Wenn wir nun aber annehmen wollen, dass die schwachen Wärmeunterschiede, die durch die drei vorhandenen Bedeckungen des Kastens (d. h. also die Kobaltplatte, die 3,8 cm dicke Aeskulinschicht und die 6 cm dicke Schicht geschwärzten Wassers) erzeugt werden, die Ameisen beeinflusst hätten, so müssten wir annehmen, dass sie unter das geschwärzte Wasser geflüchtet sein würden, weil dieses die Hitze am stärksten dämpfte. Die Tatsache, dass das rote Glas (ohne Wasser), das die Hitze am meisten durchlässt, auf die Ameisen fast dieselbe Wirkung hatte wie die Aeskulinlösung, die die Hitze noch viel mehr dämpft als Kobalt, zeigt uns weiterhin, dass wir zweifellos dem Licht und nicht der Wärme den Haupteinfluss auf die Ameisen in den obigen Experimenten zuzuschreiben haben. Und schliesslich beweist die Tatsache, dass die gefirnissten Ameisen sich meistens den Einflüssen des Lichtes gegenüber gleichgültig verhielten, während sie auf Temperaturunterschiede sehr gut und prompt reagierten, dass es bei normalen Ameisen das Licht und nicht die Wärme ist, die sie vor allem beeinflusst hat. Wie haben wir uns nach alledem die photodermatischen Empfin- dungen zu denken? Dürfen wir sie dem Gesichtssinn vergleichen? Jedenfalls können die ersteren nur einen ganz allgemeinen Eindruck von Licht und Farbe, ohne irgend eine Andeutung von Form u. dergl., bewirken. Aber es ist ja überhaupt noch in keiner Weise bewiesen, dass die photodermatische Empfindung irgendwelche Energien auf- weist, die man als optische bezeichnen könnte. Was Graber gefunden zu haben glaubt, beschränkt sich, ebenso wie bei seinen Untersuchungen über das von ihm angenommene Geruchsvermögen der Insekten, auf die Tatsache, dass Licht in einer ziemlich allgemeinen Art und Weise empfunden wird, manchmal mit mehr Unlustgefühlen, wenn vom roten Ende des Spektrums, und Lustgefühlen, wenn vom violetten Ende aus- gehend (photophile Tiere) und manchmal gerade in umgekehrtem Sinne (photophobe Tiere). Graber hat keineswegs zu beweisen ver- mocht, dass die Empfindungen, die durch Licht auf der Haut erzeugt werden, eine besondere, spezifische Eigenschaft aufweisen, die sich von den Empfindungen des Schmerzes, der Hitze, der Kälte, der Be- rührung unterscheidet. Er hat uns nicht gezeigt, dass das Tier mit Hilfe jenes Sinnes irgend einen Gegenstand erkennen, dass es z. B. Wiedererkennen bei Ameisen 73 einen blauen von einem roten Gegenstand unterscheiden könne. Die Qualität der photodermatischen Eindrücke könnte danach ebensogut unsern Empfindungen von Wärme und Kälte oder von Schmerz und angenehmem Streicheln verwandt und äusserst verschieden von unsern optischen Empfindungen sein. Letzteres erscheint mir sogar ziem- lich wahrscheinlich. Auch ich ziehe übrigens die von Graber benutzte Bezeichnung« photodermatischeEmpfindungen" dem Ausdruck „dermatoptische Empfindungen" vor, der meiner Ansicht nach zuviel bedeutet. Mit einem Worte: das Tier „sieht" nicht vermittelst der Haut, es „fühlt" nur das Licht, seine Intensitätsabstufungen und die Länge der Lichtwellen. Als Nachtrag zu diesem Kapitel möchte ich noch einige Beob- achtungen an meinen Camponotus ligniperdus berichten. Ich hatte diese Insekten mitsamt einem Teil ihres Nestes aufgenommen und sie in einer Schüssel etabliert. Nach 41 Tagen leerte ich den ganzen Inhalt dieser Schüssel an einem Waldrand aus, dicht an einem Erd- loch, das geeignet war, sowohl den gefirnissten wie den normalen Ameisen Unterkunft zu gewähren, ich nahm nun einen zweiten Teil des genannten Nestes mit Larven, Puppen und viel mehr Arbeitern als das erste Mal an mich, um sie auch wieder in meiner Schüssel einzuquartieren. Da es diesmal zuviele Einwohner für die Schüssel waren, schüttete ich die Hälfte wieder neben den alten Versuchstieren in die Nähe jenes Erdloches auf die Erde. Ich dachte, dass, wie dies meist der Fall ist, die Ameisen die Ankömmlinge schnell als Ge- schwister und Koloniegenossen erkennen würden. Statt dessen be- gann eine Reihe höchst lebhafter Einzelkämpfe, wie ich sie in meinem Buch „Fourmis de la Suisse" als „Kämpfe bei kaltem Blut" bezeichnet habe. Die neuen Ameisen zeigten zunächst starkes Misstrauen, wenn sie einer alten begegneten und umgekehrt. Sie zogen sich hierhin und dorthin zurück, drohten mit den Kiefern, prüften die andern gründlich mit Hilfe ihrer Fühler und bissen sogar zu. Mehrere Hessen sich von ihrer Erregung fortreissen, einige ihrer früheren Kameraden und Schwestern köpfen zu wollen, ja auch in der Tat zu köpfen, und zwar mittels ihrer Kiefer (der Hauptwaffe von Camponotus). Die gefirnissten Ameisen beteiligten sich an diesen Scharmützeln ebenso lebhaft wie die ungefirnissten, ja ich sah sie in aggressivster Weise attackieren und das kaum weniger behend als ihre sehenden Kameraden. Der Kampf erreichte sein Ende erst nach Ablauf zweier Tage, und nachdem am ersten Tage die erwähnten Schlachtopfer 74 Wiedererkennen bei Ameisen gefallen waren, löste sich das Ganze wieder in gutes Einvernehmen auf. Nach acht Tagen schüttete ich den Rest der zweiten Camponotus- Serie, die ich inzwischen in jener Schüssel beobachtet und zu Ex- perimenten benützt hatte, wieder vor dem Ameisennest aus, darunter eine beträchtliche Anzahl neuerdings gefirnisster Exemplare. Dies- mal gab es kein Gefecht, sondern die Ameisen erkannten einander schnell. Es war also nicht der „Geruch der Schüssel" gewesen, der, an Stelle des ursprünglichen Nestgeruchs getreten, die Feindschaft erzeugt hatte. Hingegen war im ersten Falle die Trennung eine 41 tägige, im zweiten Falle eine nur Stägige gewesen. Diese Beobachtung bestätigt völlig, was ich schon anderen Orts gesagthabe. (S.Bulletin dela Soc. vaud.dessciences naturelles, XX. 91, 1885, S. 7, und „Fourmis de la Suisse".) Es ist ganz unmöglich, für die Erkennung unter Ameisen Regeln aufzustellen; selbst individuelle Unterschiede müssen berücksichtigt werden, sowie auch äussere Umstände viel dazu beitragen, bezüglich der Feindlich- keit oder Freundlichkeit einer Begegnung den Ausschlag zu geben, über Krieg oder Frieden zu entscheiden. Eine gemeinsame kritische Situation zweier Ameisenvölker, ihr schnelles Durcheinandergeraten, erzeugt zuweilen ein Bündnis zwischen solchen, die sich, träfen sie sich unter normalen Bedingungen, aufs schärfste und bis zur Vernichtung einer der beiden Parteien bekämpfen würden. Diese Tatsache bestätigt, wie ich schon bemerkte, die grossen Unter- schiede zwischen den verschiedenen Spezies, besonders aber zwischen den verschiedenen Gattungen von Ameisen. Ich hatte bis zu dem eben geschilderten Fall noch keine Experimente bezüglich dieser Eigenschaften an Camponotus ligniperdus vorgenommen, die sonach ein sehr kurzes Gedächtnis zu besitzen und ihre alten Kame- raden äusserst schnell zu vergessen scheinen. Ferner zeigen diese Tatsachen, wie berechtigt meine, in „Fourmis de la Suisse" ausge- sprochene Vermutung war, dass das Spiel der Antennen und das gegenseitige Untersuchen und Betasten zwischen Ameisen, die sich nach längerer Trennung wiedersehen, als Zeichen von Furcht und Misstrauen und nicht als eine frohlockende und liebevolle Gestikulation anzusehen ist, als welche Huber sie betrachtet hat. ich muss hin- zufügen, dass zu der Zeit, wo jener Schwesterkrieg stattfand, noch keine Arbeiterpuppe dieses Jahrgangs ausgeschlüpft war. Die Kom- battanten hatten also bis zu ihrem erwachsenen Zustand und bis 6 Wochen vor diesem feindlichen Renkontre friedlich als gute Schwestern Wiedererkennen bei Ameisen 75 unter einem Dache zusammen gehaust. Lubbock beobachtete, im Gegensatz zu dieser Episode, Ameisen, die sich nach mehr als einem Jahr der Trennung wiedererkannten. Lubbock (1. c.) glaubt bewiesen zu haben, dass Ameisen, die im Puppenzustand aus dem Neste genommen werden und fern von dem- selben ausschlüpfen, trotzdem von ihren Kameraden erkannt werden, wenn sie diesen begegnen, ich glaube, in meinen „Fourmis de la Suisse'' das Gegenteil gezeigt zu haben. Hier ein Experiment, das ich kürzlich, an einem 7. August, machte. Ich tat einige dem Aus- schlüpfen nahe Puppen von Formica pratensis zu mehreren For- mica sanguinea in einen Kasten. Am Q.August schlüpften einige aus. Am 11. August morgens nahm ich eine von diesen nur zwei bis drei Tage alten Pratensis und trug sie nach ihrem heimatlichen Ameisenhaufen, den sie als Puppe erst vier Tage zuvor verlassen hatte. Sie wurde dort sehr übel aufgenommen. Ihre Pflegerinnen von ehedem (bis vor 4 Tagen !) packten sie, eine am Kopf, eine an- dere am Thorax, eine dritte bei den Füssen und krümmten ihren Leib in drohendster Weise. Zwei von ihnen zerrten sie lange Zeit in entgegengesetzter Richtung, jede an einem andern Fuss, als ob sie das arme Geschöpf auseinanderreissen wollten. Indessen endete die Sache doch damit, dass sie geduldet wurde, wie es bei anderen ebenso jungen gelblich-weissen Ameisen oft zu geschehen pflegt, selbst wenn sie von andern Ameisenkolonien der gleichen Art herstammen. Ich wartete nun weitere zwei Tage, um meine frisch ausgeschlüpften Ameisen etwas härter werden zu lassen. Dann setzte ich zwei von ihnen in den Haufen zurück. Sie wurden aufs heftigste angegriffen. Eine von ihnen wurde mit Gift überwältigt, herumgezerrt und zuletzt getötet. Die andere wurde lange Zeit hin und her gezogen und gebissen, zu- letzt aber in Ruhe gelassen und schliesslich toleriert. Man könnte mir einwenden, dass der Geruch der Sanguniea, die vier Tage lang mit den ersten und sechs Tage lang mit den letzten beiden jungen Ameisen zusammengelebt hatten, die Ursache der Feindschaft gewesen sei. Auf diesen Einwurf möchte ich durch die, auf den Seiten 278 bis 282 meiner Fourmis de la Suisse geschilderten Experimente antworten. Dort erkannten zwei erwachsene Formica pratensis, die eine von mir verursachte zweimonatliche Trennung von ihren Kameraden und ein ebenso langes gezwungenes Zusammenleben mit F. sanguinea durchgemacht hatten, ihre alten Hausgenossen sofort wieder und wurden auch ohne ein wesentliches unliebsames Inter- 76 Röntgen-Strahlen mezzo von diesen aufgenommen. Ich halte demnach an meiner alten Ansicht fest, dass Ameisen sich ganz allmählich nach dem Ausschlüpfen kennen lernen. Auch bin ich der Meinung, dass dies auf dem Wege der Kontaktgeruchsempfindungen (siehe unten) geschieht. Ich verweise hier auf die später zu besprechenden Experimente der Frl. Adele Fielde. I.Anhang zur IV. Studie. Ultraviolett und Röntgen-Strahlen (1902). Man hat mir eingewendet, das Glas, welches das Aeskulin um- hüllte, und die Fluoreszenz des Aeskulin selbst gäben nicht volle Ge- währ für die Ausschaltung aller ultravioletten Strahlen. Ferner ent- stand die Frage, ob die Ameisen vielleicht die Röntgen-Strahlen sehen. Um die Schwierigkeiten der Spektrumexperimente zu über- winden, nahm ich die Hilfe meines geschätzten und so tüchtigen Kollegen, des Physikprofessors Dr. Henri Dufour in Lausanne in An- spruch. Das Resultat unserer Experimente wurde wie folgt 1902 im Band Vi!, Heft 2 der Zoologischen Jahrbücher resümiert (S. 336). „Im physikalischen Laboratium zu Lausanne wurde bei voll- ständiger Verdunkelung des Zimmers ein Sonnenspektrum durch eine kleine Öffnung am schwarzen Fentervorhang mittels eines Rowland- schen Gitters (== 4 oder 5 Quarzprismen) erzeugt, und von diesem Spektrum wurde der ganze sichtbare Teil (325 mm) verdeckt und nur der unsichtbare Teil, von der Linie H an (173 mm) auf die Ameisen geworfen. Die Länge der Wellen (\) beträgt bei H 305 wi und in der Nähe der Linie U 298 hu Zur Kontrollierung des Ultraviolett- Spektrums wurde die Fluoreszenz eines Schirmes von Baryum- Platincyanur benützt. Auf diese Weise konnte bewirkt werden, dass das Ultraviolett vollständig isoliert die Ameisen traf, indem Prof. Dufour selbst die beständige Regulierung des Spektrums übernahm." „Prof. Forel hatte seinerseits in zwei rechteckigen Schachteln zwei Ameisensorten mit Puppen in Bereitschaft, welche durch genügende Flüssigkeit und gute Fütterung in möglichst normalem Zustande er- halten worden waren. Um jeder Störung der Lichtstrahlen vorzu- beugen und dennoch das Entfliehen der Ameisen zu verhindern, waren die Schachteln mit Gelatinplatten bedeckt und so gestellt, dass die durchsichtige Gelatinwand senkrecht stand, die horizontal ver- laufenden Strahlen direkt empfangend." „Der Lasius flavus zeigte eine mangelhafte Reaktion und be- achtete weder die ultravioletten noch die anderen Strahlen des Spek- Röntgen-Strahlen 77 trums, während er auf direktes diffuses Sonnenlicht reagiert hatte. Dies zeigt deutlich, wie abgeschwächt die Spektrumstrahlen sind, trotz aller Mühe, die man sich gibt, um sie zu verstärken." „Dafür gelang das Experiment bei der Formica sanguinea mit Sklaven (Formica fusca) und Puppen zweimal ganz gut. Nach Einwirkung der reinen, isolierten ultravioletten Strahlen (von H nach U und weiter) während zirka einer Viertelstunde waren die in einer Ecke der Schachtel mit ihren Puppen konzentrierten Ameisen alle in den vom Spektrum nicht getroffenen Teil der Schachtel geflohen. Wir müssen noch hinzufügen, dass, um jedes trotz der Verdunkelung des Zimmers reflektierte Licht fern zu halten, ein Kartonschirm vor die Schachtel gestellt v^^urde, der nur eine rechteckige Öffnung von der Grösse des ultravioletten Spektrums besass. Durch diese Öff- nung allein traten die Strahlen in die Schachtel ein." „Zur Konstatierung des Resultates musste man schnell dies Fenster öffnen und den Schirm entfernen." „Es scheint nun wohl jeder noch mögliche Zweifel über das Sehen der ultravioletten Strahlen von selten der Ameisen damit beseitigt zu sein, besonders wenn man die vollständige Übereinstimmung dieses Resultats mit den früheren Experimenten von Lubbock, Graber und Forel beachtet." „Eine weitere Frage hatte sich Herr Prof. Forel vorgelegt, näm- lich diejenige, ob die Ameisen für Röntgen-Strahlen empfänglich seien, d. h. ob die Einwirkung solcher Strahlen auf diese Tierchen bei denselben irgendwelche Sinnesreaktion hervorrufe. A priori erwartete er ein negatives Resultat, obwohl man vielleicht meinen möchte, dass, weil diese Tiere für kurze Lichtwellen wie die ultravioletten so ausserordentlich empfindlich sind, dies bei noch viel kürzeren erst recht der Fall sein sollte. Aber die Röntgen-Strahlen sinrd im Sonnen- licht nicht enthalten und werden nicht gebrochen. Somit hat es keinen Sinn, dass irgendein Tier sich an ihre Empfindung und Wahr- nehmung im Kampf ums Dasein anpasst, denn das Tierleben ist eben nur an das Sonnenlicht angepasst. Es erschien daher Forel ausser- ordentlich unwahrscheinlich, dass die Röntgen-Strahlen sinnlich per- zipiert werden können. Dennoch wünschte er eine Prüfung der Frage, und diese gab die erste Veranlassung zu den hier vorge- tragenen Versuchen." „Die gleichen, oben erw^ähnten Formica sanguinea mit Sklaven und Puppen wurden in ihrer Zigarrenschachtel als Experimentobjekte 78 Frontal-Ocellen gebraucht. Die Röntgen-Strahlen wurden durch eine Spule erzeugt, die einen 20 cm langen Funken gibt. Die Quelle war somit ziem- lich stark. Die Tatsache benützend, dass Zigarrenschachtelholz für Röntgen-Strahlen durchaus durchsichtig ist, wurde die Strahlen- quelle unten placiert, während die Ameisenschachtel oben auf zwei, für Röntgen-Strahlen vollständig undurchlässigen Metallschirmen stand. Die Ameisen waren wiederum in einer Ecke mit Puppen ver- sammelt, und direkt auf dieselben wurden die X-Strahlen eine Viertel- stunde lang durch eine Spalte zwischen beiden Schirmen geworfen." „Der Erfolg war durchaus negativ. Mittels des oben erwähnten Baryum-Platincyanurschirmes konnte die richtige Beleuchtung der Ameisen und die absolute Durchsichtigkeit des Schachtelbodens fest- gestellt werden. Aber die Ameisen rührten sich absolut nicht; sie blieben der Einwirkung der X-Strahlen gegenüber vollständig gleich- gültig." „Auch abgesehen davon schienen die X-Strahlen nachträglich keine üble Wirkung auf die Gesundheit der Ameisen ausgeübt zu haben, denn 8 Tage nachher waren sie noch vollständig munter und gesund." „Ein solches Experiment allein ist natürlich nicht absolut mass- gebend, aber es lässt wenig Hoffnung übrig für die Annahme, dass Röntgen-Strahlen von Ameisen und überhaupt von Tieren sinnlich perzipiert werden können." 2. Anhang zur IV. Studie. Frontal-Ocellen. Noch ein letztes Wort über diese Organe: Nach reiflichem Nachdenken bin ich zu dem Schluss gekommen, dass sie solchen Insekten, die im übrigen ein gutes Sehvermögen durch Facettenaugen haben, dazu dienen, in einer relativ dunklen Umgebung das Licht sowie auch nahe von ihnen stattfindende Be- wegungen zu unterscheiden. Wir haben gefunden, dass Insekten von relativ deutlichem Sehvermögen sehr lange und sehr schmale Kristallkegel besitzen. Dies verursacht, wie auch Plateau bemerkt, einen grossen Verlust an Licht, erfordert demgemäss ein sehr inten- sives Licht. Deshalb bedürfen Insekten mit scharfem Sehvermögen stärkerer Lichtmengen als solche mit unscharfem Sehvermögen, die kürzere Kristallkegel besitzen. Wir finden nun die Frontal-Ocellen bei Insekten, die einerseits ein scharfes Sehvermögen brauchen, weil sie z. T. ein Luftleben führen, andrerseits sich im Halbdunkel Frontal-Ocellen 79 zurechtfinden müssen, weil sie mehr oder minder duni^le Nester bewohnen. Dies ist der Fall bei Bienen, Wespen, männlichen und weiblichen Ameisen. Bei den Ameisenarbeitern dagegen sind die Ocellen bis zu gewissem Grad überflüssig, da ihre Netzaugen flach werden (mithin kurze Kristallkegel bekommen). Immerhin finden wir Ocellen bei den Ameisenarbeitern mit schärferem Sehvermögen, die entwickeltere Augen besitzen, so z.B. bei Gigantiops, Polyergus und Pseudomyrma. Selbst wenn diese Hypothese zutrifft, ist es klar, dass die Rolle der Ocellen eine sehr bescheidene bleibt, denn im Halbdunkel auf oder in der Erde sind es stets die Fühler, denen das Führeramt hauptsächlich obliegt. Den meisten Luftinsekten fehlen die Ocellen, da sie der doppelten Adaptation an ein starkes Licht und gleichzeitig an ein schwaches Licht (auf oder in der Erde) nicht bedürfen. — Bei Nachtinsekten sind die Facettenaugen, wie wir sahen, an das nächtliche Sehen adaptiert. Fünfte Studie. Geruch und Geschmack. Der Geruchssinn der Insekten hat seine Organe in den Fühlern (Antennen), meistens an deren Keule bezv/. in deren Porenplatten und Geruchskolben. Durch seine äussere Lage an der Fühlerspitze besitzt er, wenigstens bei Insekten mit beweglichen Fühlern, zwei Eigenschaften, die dem Wirbeltier und besonders dem Menschen abgehen: 1. Die Fähigkeit, beim direkten Kontakt die chemischen Eigenschaften eines Körpers zu erkennen (Kontaktgeruch). 2. Die Fähigkeit, den Raum und die Form seiner Objekte sowie auch die Form der eigenen Spur mittels des Geruchs zu erkennen und zu unterscheiden. Die Geschmacksorgane liegen in den Mundteilen. Ehe wir uns nun zur experimentellen Untersuchung des Geruchs- und Geschmackssinns wenden, möchte ich einige Worte über die Organe voranschicken, die diesen Sinnen bei den Insekten dienstbar sind, und statt längerer Beschreibung den Bau dieser Organe dem Leser in Bildern vorführen, die früheren morphologischen Unter- suchungen von mir ihre Entstehung verdanken. Die Fühler (Antennen) spielen neben den Augen bei den Insekten die wichtigste Rolle als Sinnesorgane, und zwar besitzen je nach den Arten einmal der Gesichtssinn, das anderemal die Sinnesfunktionen der Antennen die grössere biologische Bedeutung. Jede der beiden Antennen enthält einen wichtigen, vom Gehirn ausgehenden Nerven, der mit einer Ganglienanschwellung endet. Letztere steht unmittelbar mit den Sinnesorganen in Verbindung, die ihrerseits wiederum umgewandelte Chitinhaare darstellen. Geruch und Geschmack gl Ich habe ganz besonders die Antennen der sozialen Hymenopteren untersucht. Doch sind die Sinnesendigungen andrer Insekten damit nahe verwandt. Bei den sozialen Hymenopteren (Ameisen, Wespen, Bienen usw.) besitzt die Antenne ein langes erstes Glied (Fühler- schaft), das ohne differenzierte Sinnesorgane ist und nur zur Be- wegung dient. Der vielgliedrige Rest des Fühlers ist von diesem Schaft winkelig abgeknickt und wird als Fühlergeissel bezeichnet. Sein sehr oft keulenförmig angeschwollenes Ende enthält die Gang- lienanschwellung des Fühlernerven und ist Träger der meisten Sinnes- endorgane. Von Sinnesendorganen unterscheiden wir folgende fünf Haupt- formen : 1. Die gewöhnlichen Tasthaare (p auf unsren Figuren), die sich von denen an anderen Körperstellen nicht unterscheiden. Sie sind spitz und besitzen keine auffällige Struktur. 2. Die Riechkolben Leydigs (vgl. die Figuren 3, 5 (7), 10, 12 unsrer Tafel S. 83, wo die Riechkolben mit m bezeichnet sind) sind dicke, mehr oder weniger stumpfe oder konische Gebilde. Trotz ihrer Dicke besitzen diese Kolben eine nur sehr feine und durch- sichtige Chitinhaut. 3. Die Poren platten Kraepelins (vgl. die Figuren 3, 5, 6, (7), 10, 11, 12, 13, 16, 18 unsrer Tafel S. 83, wo die Porenplatten mit p. c. bezeichnet sind). Es sind dies meist plattenförmige Gebilde, die einem geknickten, anliegenden, abgeplatteten und verbreiterten Haar entsprechen. Sie liegen in einem länglichen Grübchen und besitzen in der Regel keine Haarähnlichkeit mehr, sondern erinnern an Gräten oder Platten. Zu diesen drei Formen von Sinnesendorganen kommen nun noch zwei andre, die ich in meinen „Fourmis de la Suisse" S. 145 als im Innern der Ameisenantenne befindlich beschrieben habe, und die früher nur von Hicks in unvollkommener Weise erkannt worden waren. 4. Die Champagnerpfropforgane (Figur 1, 2, 4, 15, 17: ch), die einem nach innen eingestülptem Haar entsprechen, das jedoch noch dicht unter dem Chitin liegt. 5. Die Flaschenorgane (Figur 1, 2, 8, 9, 14: bt), die viel tiefer eingestülpt sind und nur durch einen langen, mit Luft gefüllten Kanal mit der Oberfläche zusammenhängen. Gewöhnlich findet man alle fünf Sorten von Sinnesorganen, Forel, Das Sinnesleben der Insekten 6 82 Geruch und Geschmack jedenfalls aber die drei ersten in allen Gliedern der Fühlergeissel. Am zahlreichsten finden sich, wie schon erwähnt, die Organe im Endglied der Geissei. Unsere Tafel zeigt die gröbere Struktur und Verteilung aller dieser Organe bei einigen Hymenopteren. Die Ganglienzellen und ihre Struktur habe ich weggelassen. Wer sich für diese weiteren Details interessiert, möge die Arbeit von K. Kraepelin, Über die Geruchs- organe der Gliedertiere, Hamburg 1883, nachschlagen. Auch Prof. W. Bugnion (Le Systeme nerveux et les organes sensoriels du Fulgora maculata, Journal für Psychologie und Neurologie, Bd. XIII, S. 326 und Figur 19—22) gibt eine vorzügliche Beschreibung und Abbildung der Antennenriechorgane und Tast- organe sowie auch der Augen und Ocellen dieses Tiers. Die oben unter Nr. 2 und 3 aufgeführten Organe stellen zweifel- los Riechorgane dar. Sie stehen mit grossen Ganglienzellen, die ihnen ihre peripheren Fortsätze zusenden, in unmittelbarer Verbindung. Nur ein äusserst dünnes Chitinhäutchen trennt sie von der Luft, so dass ein Autor sogar irrtümlicherweise angegeben hat, sie lägen völlig bloss. Die Bedeutung der unter Nr. 4 und 5 aufgeführten Organe ist noch nicht mit Sicherheit festgestellt. Unverständlich ist es mir, dass Kraepelin den Flaschenorganen drüsige Funktionen zuschreibt, während er in den Champagnerpfropforganen Nervenenddrgane sieht. Entweder sind beide drüsige Gebilde oder beide Nervenendorgane. Weder meine noch Kraepelins Befunde über das schliessliche Verhalten der Nervenendigungen gestatten es bisher, die Frage vom histologischen Standpunkt aus zu entscheiden. Für die Natur beider Sorten von Organen als drüsiger Gebilde scheint zu sprechen ihre bedeutende Ähnlichkeit mit vielen einzelligen Hautdrüsen der Insekten. Doch sprechen, wie ich anderwärts^ aus- geführt habe, auch triftige Gründe dagegen. Übrigens gestehe ich, dass man allerdings nur schwer versteht, wie Organe als Sinnesorgane funktionieren können, die in die Tiefe versenkt sind und mit der Aussenluft nur durch ein so dünnes Luftfädchen in Verbindung stehen, dass eine Zirkulation der Luft ausgeschlossen ist. Wenn ihre Funk- tion also eine sensorielle sein sollte, so ist doch sicher, dass sie weder in die Sphäre des Geruchs noch des Geschmacks fällt. Lubbock ^ A. Forel, Etudes myrmecologiques en 1884 avec une description des organes sensoriels des antennes. Bull. Soc. Vaud. Sc. nat. XX. 91. Forel,ßas Sinnesleben/ der Inseclero. LithuDnick, Reichhold i Lang, Manchen Geruch und Geschmack 33 liält sie für Gehörorgane (kleine Stethoskope). Meiner Ansicht nach hat man die Frage vorläufig noch als eine offene zu betrachten und muss ihre Entscheidung weiteren histologischen Untersuchungen an- heimstellen. Bei der Honigbiene sind alle Endorgane auf die eine Seite der Fühlergeissel konzentriert. Die Figur 19 unsrer Tafel zeigt die Verteilung der Endorgane des Geschmacks im Unterkiefer einer Ameise in Verbindung mit den Verzweigungen des Maxillarasts des Geschmacksnervs. Ganz ähnliche Geschmackspapillen befinden sich auf den Seiten der Zunge und im Gaumen oder Schlundkopf (Wolffsche Organe). Für weitere Details verweise ich auf die Erklärung von Tafel H. Erklärung zu Tafel IL chit. = Chitinhaut; p = gewöhnliches Tasthaar; m = Riechkolben s = Kuppelmembran ; p. c. = Porenplatte; p. c. m. = Organ, das zwischen Riech- kolben und Poren platte in der Mitte steht; ch = Champagnerpfropforgan; bt = Flaschenorgan; f = ofienes Grübchen, das sich aus der Einbettung eines Sinneshaars in das Chitin erklärt; f. ch = Grübchen bei den Champagnerpfropf- organen: f. bt = Grübchen bei den Flaschenorganen; ff := Verlängerung des Grübchens zu einem nach innen führenden Kanal; p. int = ins Innere der Antenne eingestülptes Haar; chit. inv. = eingestülpte Chitinhaut der Cham- pagnerpropf- und Flaschenorgane; por = Porenkanal und sein Inhalt; cell = Zellenmasse in Verbindung mit der Basis der F'laschenorgane. Fig. 1. Konturen der Fühlergeissel von Lasius flavus (Arbeiter). Nur die Flaschenorgane und Champagnerpfropforgane, die sämtlich mit Luft gefüllt sind, sind abgebildet, um ihre Zahl und Verteilung in der Antenne deutlich zu zeigen. Vergr. 135. Fig. 2. Letztes Glied der Geissei der anderen Antenne desselben Lasius flavus. Vergr. 270. Fig. 3. Letztes Glied der Fühlergeissel von Bothriomyrmex meridionalis (Arbeiter), von oben gesehen, um die äusseren Sinnesorgane zu zeigen. Vergr. etwa 230. Fig. 4. Querschnitt durch die Chitinhaut des Endes einer Antenne von Lasius flavus (Arbeiter). Zeigt zwei Champagnerpfropforgane, deren eines mit Luft, das andre mit Flüssigkeit gefüllt ist, und die Mündung f.bt eines luft- gefüllten Flaschenorgans mit einem Teil seines langen Kanals. Vergr. etwa 900. Fig. 5. Längsschnitt durch die Chitinhaut des letzten Gliedes der An- tenne von Polyergus rufescens (Arbeiter). Zeigt einen Riechkolben und eine Porenplatte, beide mit ihrem Porenkanal. Vergr. 760. Fig. 6. Poren platte von Polyergus rufescens (Arbeiter), von oben gesehen. Vergr. etwa 1200. Fig. 7. Organ, das zwischen Riechkolben und Porenplatte in der Mitte steht, bei einer Myrmicide. Vergr. etwa 900. 34 Geruch und Geschmack Fig. 8. Flaschenorgan von Formica rufibarbis (Arbeiter), teilweise mit Luft erfüllt, mit dem Anfang seines langen Kanals. Vergr. etwa 1200. Fig. 9. Flaschenorgan von Formica rufibarbis (Arbeiter), etwa median so vom Schnitt getroffen, dass die Spitze des eingestülpten Haares (p. int.) entblösst ist und über die Bruchstelle herausragt. Vergr. etwa 1600. Fig. 10. Abschnitt des letzten Antennengliedes von Vespa vulgaris (Arbeiter), von aussen gesehen, 'um die äusseren Sinnesorgane zu zeigen. Vergr. etwa 200. Fig. 11. Abschnitt des letzten Antennengliedes von Vespa vulgaris (Arbeiter), von innen gesehen, um die innere Mündung der Porenkanäle zu zeigen. Vergr. etwa 200. Fig. 12 A. Längsschnitt durch die Fühlergeissel von Vespa vulgaris (Arbeiter). Das Sinneshaar der Porenplatte, das hier zu einer Gräte um- gewandelt ist, ist durch den Schnitt völlig isoliert: p c. Man sieht deutlich den Zusammenhang der Riechkolben und Porenplatten mit dem Chitin der Antenne. o = Hinterende, i = Vorderende des Sinnesorgans p c. Vergr. etwa 250. Fig. 12 B. Eine Gräte oder Porenplatte von Vespa vulgaris von oben gesehen. Vergr. etwa 250. Fig. 13. Porenplatte von Vespa vulgaris auf dem Querschnitt. Man sieht auf beiden Seiten das Grübchen (nach Kraepelin). Fig. 14. Flaschenorgan von Bombus terrestris, Männchen, das eine Luftblase enthält, mit dem Anfange seines langen Kanals und der Zellenmasse (cell), die seiner Basis anliegt. Vergr. etwa 1000. Fig. 15. Abschnitt der medial -dorsalen Fläche des Endes des letzten Fühlergliedes von Apis mellifica (Arbeiter), von innen gesehen, um die gedrängte Gruppe der Mündungen der Champagnerpfropforgane zu zeigen. Die Organe selbst sind mit Ausnahme von fünf sämtlich entfernt worden, um die Figur nicht durch den Wirrwarr der in Wirklichkeit dicht aneinander gedrängten Organe zu überlasten. Von denselben sind drei liegend, eines halbliegend und das fünfte aufgerichtet gezeichnet. Die Öffnungen der entfernten Organe unter- scheiden sich durch ihre doppelte Kontur leicht von den übrigen Porenkanälen (por). Vergr. etwa 400. Fig. 16. Sinneshaar von Megachile, das in eine Porenplatte umgewandelt ist, von oben gesehen, x = Zentralteil, an den die Endigung des Stäbchens angrenzte, a := intermediärer Chitinring. Vergr. etwa 550. Fig. 17. Cham pagner pfropf Organ von Apis mellifica (Arbeiter), aufgebrochen, um das nach innen eingestülpte Haar zu zeigen. Vergr. etwa 900. Fig. 18. Abschnitt einer Antenne eines kleinen Ichneumoniden, von aussen gesehen, um zwei in sehr verlängerte Gräten (Porenplatten) umgewandelte Sinneshaare mit ihren Porenkanälen zu zeigen. Vergr. etwa 450. Fig. 19. Endstück des Unterkiefers von Formica rufibarbis (Arbeiter)» von innen (der konkaven Fläche) gesehen, um die Geschmacksorgane zu zeigen, palp = Basis des Kiefertasters; piq — Endreihe von Stacheln; peign==Kamm; gust = Geschmackspapillen; nerv, gust == Geschmacksnerv. Vergr. etwa 200. Geruch und Geschmack 85 Geruchs- oder Fühlersinn. Es ist schon so viel über den Geruchssinn der Insekten geschrieben worden, dass es fast scheint, als wolle man offne Türen einrennen, wenn man nochmals zu diesem Gegenstand zurückkehrt. Ich habe indessen zwei Gründe für mein Vorgehen : 1. möchte ich verschiedene Experimente schildern, die ich in dieser Sache vorgenommen habe; 2. könnte ein Werk von Graber\ obwohl es unsre Kenntnisse um eine grosse Anzahl neuer Experimente und mehrere neue Tatsachen be- reichert, leicht zu Missverständnissen in dieser Angelegenheit führen. Was versteht man unter „Geruch" bei niederen Tieren? Ich komme hier auf das zurück, was ich beim Ausgangspunkt meiner Experimente gesagt habe, und glaube, dass wir diesen Sinn am besten in folgender Weise definieren können: Wir haben es hier zu tun mit einem besonderen Sinn, der das Tier in den Stand setzt, aus der Entfernung vermittelst einer sogen, spezifischen Energie die (chemischen) Eigenschaften eines bestimmten Körpers aus Ausdünstungen desselben zu erkennen. Um den Geruchs- sinn zu demonstrieren, muss man nun zunächst unsere beiden andern physikalischen, d. h. für Empfindung von Wellenbewegungen organi- sierten Distanzsinne, nämlich Gesicht und Gehör, mit Sicherheit aus- geschaltet haben. Dies jedoch genügt noch nicht. Unzählige chemische Substanzen, die sich in gasförmigem Zustand, frei oder absorbiert, in Luft oder Wasser befinden, vermögen bekanntlich, wie ich schon zu Beginn meiner Experimente von 1878 gezeigt habe, durch irgend eine ätzende Wirkung noch andre als die dem Geruch dienenden Nervenendigungen zu erregen, und zwar — soweit dies den Menschen betrifft — gewöhnlich in schmerzhafter oder doch unangenehmer Art. Dies ist besonders der Fall bei den Schleimhäuten, wohl am stärksten bei der Konjunktiva des Auges. Bringt man nur ein wenig Ammoniak, Benzin, Chloroform, Essig oder Schwefelsäure in die Nähe des Auges, so wird sofort eine schmerzhafte Erregung der Konjunktiva empfunden, die mit dem Geruch nichts zu tun hat. Während wir indessen z. B. den Geruch des Benzins aus beträchtlicher Entfernung spüren, muss man diese Flüssigkeit schon sehr nahe ans Auge heranführen, um eine Irritation der Konjunktiva zu veranlassen. Man kann im allgemeinen behaupten, dass, um diese herbeizuführen, die irritierende Substanz ^ V. Graber, Vergleichende Grundversuche über die Wirkung und die Auf- nahmestellen chemischer Reize bei den Tieren. Biologisches Zentralblatt, 1. Sept. 1885. 86 Geruch und Geschmack entweder sehr konzentriert oder äusserst nahe sein muss. Der Geruch hingegen ist ein unendh'ch viel feinerer Sinn, der aus grossen Ent- fernungen auf Substanzen, selbst wenn sie bis zum äussersten ver- dünnt sind, reagiert. So geht es uns Menschen z.B. mit dem Moschus- geruch. Wir wissen ferner, dass ein gewisser pathologischer Zustand gesteigerter Erregbarkeit des Gehirns, die sogen. Hyperaesthesie, uns veranlasst, Dinge zu spüren, die uns für gewöhnlich nicht bemerklich werden, oder Dinge, die wir wohl auch normalerweise empfinden, selbst wenn sie in einem ungewöhnlich verdünnten Zustand vorhanden sind, bereits wiederzuerkennen. Dieses ist besonders der Fall bei den (nicht auf Geruch beruhenden) Tastreizen, von denen wir eben ge- sprochen haben. Es sind jedoch nicht nur graduelle Unterschiede seines Wahrnehmungsvermögens, es ist vor allem seine „spezifische Energie", die den Geruchssinn von den genannten Reizungen der Schleimhäute durch gasförmige Substanzen oder flüssige Lösungen unterscheidet. Nun kennen wir diese „spezifische Energie", die es uns ermöglicht, hunderte von Gerüchen zu unterscheiden, sehr gut bei uns selbst durch unsre eignen Empfindungen. Wie schwer ist es da- gegen , sie bei andern zu demonstrieren ! Wenn wir uns damit begnügen, wie es unsre Vorgänger so oft getan haben und wie es Graber auch wieder tut, in die Nähe eines Tieres gewisse Stoffe zu bringen, die für unser Empfinden Geruch besitzen, und dann zu sehen, ob das Tier sie vermeidet oder nicht, so haben wir damit durchaus noch keine Prüfung des Geruchssinnes vollzogen. Wir haben im besten Falle gezeigt, dass die betreffenden Stoffe das Tier in einer oder der andern Weise erregt haben. Kommt das Tier näher an die Substanzen heran, anstatt sie zu fliehen, so gibt uns das den Beweis, dass die Erregung eine angenehme war. Dies kommt allerdings dem Geruch schon nahe, ist jedoch keineswegs ein Beweis für Geruchsempfin- dungen, denn gewisse Reize auf die Haut können angenehm sein, ohne deshalb mit dem Geruch etwas zu tun zu haben. Es ist daher, wie ich schon sagte, unbedingt nötig, zu beweisen, dass die beob- achtete Erregung das Tier in den Stand setzt, diesen oder jenen Stoff zu erkennen, ihn in unzweifelhafter und konsequenter Weise von an- dern Stoffen zu unterscheiden. Erst dann haben wir das Recht, von Geruchssinn zu sprechen, ja dies ist meiner Meinung nach der einzige Beweis, die einzige Definition jenes Sinnes, die wir für Tiere besitzen. Wenn ich z. B. zeige, dass ein geblendeter Hund, der in einen Kasten geschlossen und darin weit weg getragen worden ist, trotzdem den Rück- Geruch und Geschmack 87 weg findet und schleunigst nach seinem Ausgangspunkt zurückkehrt, so habe ich den Beweis, dass dieser Hund seine eigene Spur gerochen und erkannt hat. Übrigens könnte man diesen Versuch noch schlagen- der gestalten. Man brauchte nur, nachdem man ihn, unter Wechseln des Orts, mehrere Male wiederholt hätte, die Bulbi olfactorii des Hundes zu entfernen, ich weiss nicht, ob dieses Experiment schon gemacht worden ist, aber ich bin fest überzeugt, dass er danach seinen Rückweg nicht mehr finden würde. Wenn ich zeigen kann, dass eine männliche Saturn ia (Nacht- pfauenauge), die in den Wäldern oder doch auf dem Lande lebt, sich aufmacht, um ein Weibchen, das in meinem eigenen Zimmer mitten in der Stadt aus der Puppe ausgeschlüpft ist, zu suchen, dass das Männchen — buchstäblich — an mein geschlossenes Fenster pocht und versucht, in mein Zimmer einzudringen; wenn ich zeige, dass dies nicht nur ein Männchen tut, sondern dass ein ganzer Schwärm von Saturnia carpini in dieser Weise auf mein Zimmer Sturm läuft — so habe ich wohl das Recht, bei diesem Schmetterling die Anwesenheit eines Sinnes vorauszusetzen, der unserem Geruchs- sinn entspricht. Ich machte diese Beobachtung in der Tat in Lau- sanne an Saturnia carpini, von welchen ich eine Anzahl in meinem Zimmer gezüchtet hatte. Der Schwärm von Männchen, der nach dem Ausschlüpfen der Weibchen mein Fenster belagerte, war so gross, dass er einen Zusammenlauf von Gassenbuben veranlasste. Diese versuchten der herrlichen Schmetterlinge habhaft zu werden und waren höchlich erstaunt, sie an meine Fenster pochen und in mein Zimmer hereinfliegen zu sehen, sobald ich dieses öffnete. Ganz ähnliche Beobachtungen sind übrigens von anderen Autoren schon viel früher gemacht worden. Wenn ich weiter zeigen kann, dass der Verlust eines bestimmten Organes stets den Verlust dieses Erkennungsvermögens nach sich zieht, so habe ich dadurch bewiesen, dass das Organ der spezielle Sitz der Geruchswahrnehmung ist, wie ich diese definiert habe; daran ändert es nichts, wenn die dieses Organs beraubten Tiere auch weiter- hin noch auf gewisse schmerzhafte chemische Reize oder selbst auf gewisse angenehme Reize reagieren. Ich habe oben erwähnt, dass, ebenso wie dies bei den Gesichts- wahrnehmungen der Fall ist, ein bestimmter Gehirnteil den Ge- ruchsfunktionen entspricht, der bei Insekten ebenso wie bei Wirbel- tieren sich am vordersten Ende des Gehirns befindet, von wo ein 88 Geruch und Geschmack besonderer grosser Nerv, der Geruchsnerv oder Antennennerv, ausgeht. So gross nun auch unsere Vorsicht beim Feststellen morpho- logischer Homologien zwischen so verschiedenen Geschöpfen wie Wirbeltieren und Wirbellosen sein soll, muss ich an dieser Stelle doch die Tatsache betonen, dass Bulbus und Lobus olfactorius zu den konstantesten Sinneszentren innerhalb der Welt der Wirbel- tiere bis zu ihren niedersten Formen herab gehören, sowohl was die Stellung und morphologische Einordnung als was die Struktur dieser Organe betrifft. Es muss besonders beachtet werden, dass selbst bei den niedersten Formen sich stets diese eigenartige Beziehung zwischen der Geruchswahrnehmung und diesen zwei spezialisierten Gehirn- teilen, dem Bulbus olfactorius und dem Lobus olfactorius, vorhanden zeigt. Gleichviel, ob man nun die Wirbeltiere von den Würmern oder den Ascidien abstammen lässt, scheint mir diese Homologie die gleiche zu bleiben. Diese Tatsache ist, wiewohl nicht absolut beweisend, von entschiedenem Wert und darf nicht aus den Augen gelassen werden. Je stärker sich nun bei einem Wirbeltier das Geruchsver- mögen entwickelt zeigt, desto grösser sind Bulbus und Lobus ol- factorius. Der Mensch ist, ausser den Walen, vielleicht dasjenige unter den Wirbeltieren, dessen Bulbus und Lobus olfactorius am rudimentärsten gestaltet sind. Wir können uns deshalb nur ein ganz schwaches Bild machen von der Welt des Wissens und der Vorstel- lungen, welche die Geruchseindrücke z. B. einem Hunde, einem Maulwurf, einem Igel vermitteln! Bilden doch bei diesen Tieren Bulbus und Lobus olfactorius einen der umfangreichsten Teile des Gehirns. Nun kommt eine fundamentale Tatsache, die Graber anerkennt, obwohl sein ganzes Experimentiersystem auf einer Ignorierung der- selben basiert. Wir haben die schlechte Gewohnheif angenommen, als Riechstoff jene Substanzen zu bezeichnen, die für uns Menschen Geruch besitzen. Doch zeigt uns das Studium de" Tierwelt sehr bald, dass hierin die grössten Verschiedenheiten zwischen den Tier- arten bestehen, so dass eine bestimmte Substanz" für eine Spezies ausserordentlich starken, für eine andere schwachen Geruch besitzen kann und umgekehrt. Der Hund,; z. B., dessen Geruchssinn äusserst fein auf gewisse Spuren reagiert, die wir unfähig sind wahrzunehmen, ist unempfänglich für Gerüche, die uns im höchsten Grad affizieren. Sehr bald wird man bemerken, dass bei den Insekten die Fähigkeit, Geruch und Geschmack 89 gewisse Ausdünstungen zu riechen, äusserst innig mit ihrer Lebens- weise zusammenhängt, mit ihren Bedürfnissen sowohl als mit den Gefahren, die sie zu vermeiden haben. Das Weibchen einer Spezies besitzt meistens für das Männchen derselben Spezies besondere und starke Geruchseigenschaften. Die Pflanze, die ihm zur Nahrung dient, übt auf den Geruchssinn eines gewissen Insekts schon von weitem eine Anziehungskraft aus, während sie von andren Insekten igno- riert wird und uns Menschen oft absolut geruchlos erscheint. Grabers Versuchssystem ist ebenso einfach wie einförmig. Er wendet seine Methode der photodermatischen Untersuchung (die derjenigen Lubbocks ähnlich ist) auch auf die Erforschung der Geruchsvorgänge an. Er setzt verschiedene Insekten in die Mitte eines Kastens, der in zwei, nur unten in Verbindung stehende Abteilungen zerfällt. Oben in eine dieser Abteilungen befestigt er eine riechende Substanz und beobachtet nun nach Ablauf einer bestimmten Zeit, in welcher der beiden Abteilungen sich die Tiere zahlreicher angesammelt haben. Er notiert die Zahlen und schliesst auf Geruchseindrücke, falls die grössere Mehrzahl der Insekten sich wiederholt in derselben Abtei- lung, sei es in der riechenden, sei es in der indifferenten zusammen- findet. Graber hat zu diesem Zweck lauter Substanzen mit starken, oft ätzenden Ausdünstungen und sehr intensivem Geruch benutzt. In vielen Fällen fand er, dass Insekten nach Abschneiden ihrer An- tennen sich ebenso benahmen wie Insekten mit Antennen. Doch verhielt sich das nicht immer so, wie Graber selbst zugibt, so z. B. hörte Aphodius, der sich sonst in Massen unter Kuhdünger aufzu- halten pflegt, hiermit auf, wenn man ihn seiner Antennen beraubte. Hier hatte nun Graber endlich einmal ein Objekt gewählt, das von dem betreffenden Insekt im normalen Zustand aufgesucht wird. Er gibt auch schliesslich zu, dass ein gewisses Geruchsempfinden wirklich in den Antennen seinen Sitz haben muss. Prüfen wir nunmehr noch einige der Graberschen Experimente, die uns beweisend erscheinen. Graber setzte eine Anzahl Goldfliegen (Lucilia Caesar) in seinen Kasten und fand nach einiger Zeit, dass 169 Exemplare sich in der Abteilung, wo sich zersetzende Nahrungsmittel befanden, und nur 92 in der andren Abteilung niedergelassen hatten. Dann schnitt er den Fliegen die Antennen ab und fand hierauf 101 Tiere bei den Nahrungs- stoffen und nur 39 auf der andren Seite. Er glaubte damit unwider- leglich bewiesen zu haben, dass sie das Futter auch ohne die An- tennen erkannten. Ich möchte hierauf erwidern: 90 Geruch und Geschmack 1. Dass die Zahlen in den beiden Fällen zu wenig verschieden sind, um beweisend zu wirken. 2. Dass faulende Nahrungsstoffe, in einem Kasten eingeschlossen, ein Reizmittel von solcher Intensität darstellen, dass es durchaus nicht unwahrscheinlich erscheint, dass dies bei den Insekten Gefühls- und Geschmacksempfindungen auslöst, ohne dass ihr Geruchsorgan im eigentlichen Sinne dabei eine Rolle spielt. 3. Hauptsächlich muss man bedenken, dass Fliegen, die in einem Kasten eingeschlossen sind, sich unter so abnormen Verhältnissen so verstört, „so verraten und verkauft" fühlen, dass ihre Handlungs- weise eine dementsprechend ratlose ist. Ausserdem ist das mit den antennenbesitzenden Fliegen erzielte Resultat (Verhältnis 169 zu 92) meiner Meinung nach als nahezu negativ zu betrachten. 4. Endlich stehen beide Kasten unten in Verbindung, so dass der Geruch des einen in den andern durchdringen muss. In bezug auf Formica ruf a fand Graber heraus, dass diese eine Ab- neigung gegen Rosenessenz habe, undich glaube daswohl, dennAmeisen gehen nicht an Rosen. Er fand nun, dass 515 Ameisen in dem leeren Kastenabteil und nur 42 in dem, diese Essenz enthaltenden sich befanden. Dann nahm er Ameisen mit abgeschnittenen Antennen und fand nun 165 bei der Essenz und 299 auf der andern Seite. Es scheint mir, dass dies Resultat als Beweis dafür, dass die Ameisen ein andres Geruchsorgan als die Antennen besitzen, nicht ausreicht. Dergleichen Zahlenverhältnisse können ebensogut das Gegenteil von dem beweisen, was Graber damit zeigen will. Aber selbst die Mög- lichkeit zugegeben, dass die auf diese Art einwirkende Rosenessenz den Mund und die Taster der antennenberaubten Ameisen in un- angenehmer Weise reizt, so hat Graber durch sein Experiment durch- aus nicht einwandfrei bewiesen, dass Ameisen mit oder ohne Antennen imstande seien, die Rosenessenz als solche zu erkennen, sie von andern Substanzen zu unterscheiden oder sie, falls sie verborgen, aufzufinden. Trotzdem scheint mir Graber im wesentlichen auf meinem Standpunkt zu stehen, und wenn ich z. B. die Seite 454 seines Werkes durchlese, verstehe ich nicht, wie er bei seinen Experimenten durchweg von Geruch und von riechenden Substanzen reden kann, denn er selbst gibt an dieser Stelle zu, da^ wir es hier mit Wahrnehmungen analog denen der Konjunktiva unsres Auges zu tun haben, und dass es ausserdem für das Tier auf das Erkennen, auf das Unterscheiden der ein- Geruch und Geschmack 91 zelnen Wahrnehmungen ankommt, wenn das Tier sich derselben mit Nutzen bedienen soll. Graber fand, dass F. rufa in grossen Mengen in die Abteilung wanderte, wo sich eine bestimmte Blume, Philadelphus coro- narius, befand. Diese Tatsache beruht wahrscheinlich auf einer, der eigentlichen Qeruchsempfindung nahe verwandten Erregung, Es wäre nun sehr interessant zu beobachten, ob die Tiere dasselbe tun würden, wenn sie ihrer Antennen beraubt wären. Leider sagt uns Graber hierüber nichts. An sich ist die geschilderte Tatsache nicht weiter verwunderlich, da die Ameisen den Nektar verschiedener Blumen einzuheimsen pflegen. Was wir als das Resultat von Grabers Experimenten ansehen dürfen, ist die Erkenntnis der Tatsache, dass eine grosse Anzahl von Substanzen, die für unser Empfinden penetrante Ausdünstungen oder starken Geruch besitzen, auf die Insekten einen allgemeinen Unlustreiz ausüben, und dass dieser Eindruck häufig auch dann empfunden wird, wenn die Antennen beseitigt sind, dies vor allem bei sehr penetranten Substanzen, wie Terpentin, Buttersäure und Rosmarinessenz. Während nun Rosmarinessenz eine sehr prompte Reaktion bei Silpha thoracica, selbst wenn sie ihrer Antennen beraubt ist, hervorruft, übt Asa foetida durchaus nicht dieselbe Wirkung aus. Wenn hingegen das Insekt sich im Besitz seiner Antennen befindet, erfolgt auf Asa foetida ebenso schnell eine Reaktion wie auf Rosmarin. Wir wollen jetzt auf einige grundlegende Experimente zurück- kommen, die von Vorläufern Grabers angestellt worden sind. Alex. Lefebvre^ zeigte durch einen äusserst fein durchdachten Versuch, dass eine in den Genuss von Zucker vertiefte Biene eine mit Äther benetzte Nadel nicht eher bemerkte, als bis sie ganz dicht an ihren Kopf herangeführt worden war, und zwar waren es dann die Antennen, die sich in der Richtung der Nadel bewegten. Wenn Lefebvre die Nadel in die Nähe des Abdomens, der Stigmen brachte, ja selbst wenn er diese berührte, zeigte die Biene keinerlei Reaktion; allerdings war darauf geachtet worden, die Nadel von hinten, unter dem Abdomen, heranzuführen und die Antennen (wie auch die Augen) zu vermeiden. Er fand ferner, dass Wespen, denen die Antennen genommen waren, den Äther überhaupt nicht bemerkten. ^ A. Lefebvre, Note sur le sentiment olfactif des antennes. Annales de la Societe entomologique de France. 4. Juillet 1838. 92 Geruch und Geschmack Perris^ hat in seiner ausgezeichneten Schrift über den Sitz des Geruchssinns bei den Articulaten deuth'ch gezeigt, dass die Erfahrung jedes Entomologen, der selbst und mit einem gewissen Eindringen die Gewohnheiten der Insekten beobachtet, ihn überzeugen müsse, dass der Geruchssinn dieser Tiere in den Antennen zu suchen sei. Er zeigte, dass Cynips, Leucospis, Bembex mit Hilfe ihrer Antennen ihre unter der Erde oder im Wald verborgene Beute aufzufinden wissen. Er täuschte einige Dinetus, indem er mit der Hand über die Stelle strich, wo sie ihr Ei oder ihre Beute versteckt hielten, oder indem er die Ausdünstungen der letzteren mit einem unter die Erde versteckten Blatt Papier auffing etc. Ferner wiederholt er die Experimente Lefebvres in ähnlicher Weise und mit demselben Re- sultat. Perris schreibt übrigens den Fühlern nur ein schwaches Geruchsvermögen auf ganz kurze Strecken zu. Er weisst auch darauf hin, dass die Arachniden, die einzigen antennenlosen Arti- culaten, ein ganz rudimentäres Geruchsvermögen zu besitzen scheinen. Ich möchte noch kurz bemerken, dass die folgenden Autoren ebenfalls für die Antennen als Sitz der Geruchswahrnehmung ein- getreten sind: Roesel,^ de Blainville,^ Robineau Desvoidy,* Erichson,^ A. Duges,^ H. Küster,^ Slater,^ Vogt,^ Dönhoff,'^ Cornalia,^^ Balbiani,^^ * Ed. Perris, Memoire sur le siege de i'odorat dans ies Articules. Acte de la Societe Linneenne de Bordeaux, T. XVI. Sme et 4me livraison, 1850. ^ Roesel, Insektenbelustigungen. * De Blainville, Principes d'anatomie comparee, I. p. 339. * Robineau Desvoidy, Recherches sur l'organisation vertebrale des crusta- cees et des insectes. * Erichson, De fabrica et usu antennarum in insectis. Berlin bei ünger, 1847. * A. Duges, Traite de Physiologie comparee. Montpellier et Paris 1838, voI.VII. p. 161. ' Küster, Zoologische Notizen. Isis von Oken, 1844, S. 647—655. (Zitiert be Plateau . ^ Slater, Über die Funktion der Antennen bei d. Insekten. Frorieps Notizen, 1848, in. Nr. 155, S. 6-8. « C. Vogt, Zoologische Briefe, Bd. I., S. 516. ^° Dönhoff, Bienenzeitung, 1854, S. 231, u. 1851, S. 44. ^^ Cornalia, Monografia del Bombice del gelso. — Mem. d. R. Istit. Lombardo di scienze, VI. pp. 304, 305. Milano 1856. " E. G. Balbiani, Note sur le role des antennes dans la recherche de sexes. Ann. soc. ent. de France 4me serie, Tome VI, Bull: XXXVIII. Geruch und Geschmack 93 Häuser/ Kraepelin,^ Lubbock,* Schiemenz* und ich selbst.^ Be- sonders möchte ich auf die sehr bemerkenswerte Arbeit Kraepelins hinweisen, die eine vollständige und äusserst kritische Berücksichtigung aller der vorhergehenden Werke in sich schliesst und ausserdem vor- zügliche anatomische Beschreibungen mit Tafeln enthält. RosenthaF glaubt das Qeruchsorgan in einer zwischen den zwei Antennen der Dipteren befindlichen Membran, Kirby und Spence,*^ Wolff^ und Gräber^ dagegen, es in den Nervenendigungen des Gaumens (am Pharynxrücken) gewisser Insekten entdeckt zu haben. Treviranus (s. Carus, Vergleichende Anatomie, Bd. I) sucht das Ge- ruchsorgan im Oesophagus, Baster,^*^ Lehmann, ^^ Cuvier,^^ Dumeril,^* Burmeister^* und Joseph^^ glaubten es hingegen in die Stigmen oder die Tracheen verlegen zu müssen. Joseph war der Überzeugung, Nervenendigungen in den Stigmen entdeckt zu haben, doch sind seine * Hauser, Physiolog. u. histolog. Untersuchungen über d. Geruchsorgan d. Insekten. Zeitschr. für wiss. Zoologie, Bd. 34, 1880; n. Bullet, de la Soc. des amis des sciences naturelles de Ronen, 1881. ' Kraepelin, Über die Geruchsorgane der Gliedertiere. Osterprogr. d. Real- schule des Johanneums, S. 25. Hamburg 1883. ' Lubbock, Ants, Bees and Wasps. London 1882. * Schiemenz, Über das Vorkommen des Futtersaftes etc. der Biene. Dis- sertation Leipzig 1883 (Engelmann). ' A. Forel, Les fourmis de la Suisse, S. 119. Geneve, 1874. Derselbe, Zeitschr. f. wiss. Zoologie 30. Suppl., S. 61. 1878. Derselbe, Beitr. z. Kenntnis d. Sinnesempf. d. Insekten. Mitt. d. Münch. entom. Vereins 1878 S. 18. Derselbe, ßt. myrmecol. en 1884. Bull. Soc. vaudoise des sc. nat. XX, Nr. 91. p. 334. Feb. 1885. « Rosenthal, Reils Archiv für Physiologie, Bd. X, S. 427. ' Kirby and Spence, Introduction to the Entomology, T. IV., S. 263, u. T. III S. 454. * O. J. B. Wolff, Das Riechorgan der Biene. Nova acta d. K. L. Car. deutsch. Akad. f. Naturf. Bd. 38, Nr. 1, 1875. ^W Graber, Naturkräfte. Bd. 21. Insekten. Teil 1. S. 304. (Es ist eigen, wie Graber in diesem Werk den Begriff der Antennen als Geruchsorgan lächer- h*ch macht und Wolff überschwänglich lobt, in seinem späteren Werk, wo er selbst sich zu veränderten Ansichten bekennt, zitiert er dies frühere nicht mehr.) ^° Baster bei Lehmann, De sensibus externis animalium exsang., insectorum scilic. ac vermium, commentatio. Göttingen 1798. " Lehmann, De usu antennarum, S. 27. ^' Cuvier, Le?on d'anatomie, comparee, t. II, S. 675. " Dumeril, Considerations generales sur les insectes, S. 25. '* Burmeister, Handbuch der Entomologie, Bd. I, S. 196 u. 277. " Joseph, G. Tageblatt d. 50 deutschen Naturf.-Versammlung in Mün- chen 1877. 94 Geruch und Geschmack Präparate sowie auch die andrer Forscher ungenügend, wovon ich mich selbst überzeugt habe, und beweisen nichts von dem, was sie beweisen sollen. Bonnsdorfs Marcell de Serres* und Knoch' betrachten die Taster (Knoch nur die Maxillar-Taster) als Qeruchsorgane. Schliesslich waren Perris (1. c.) und Comparetti* der Meinung, dass die Taster (Palpi) neben den Antennen der Geruchswahrnehmung dienen. Comparetti verlegte ausserdem (ebenso wie Graber dies in seinen letzten Arbeiten getan zu haben scheint) den Geruch je nach den verschiedenen Familien in verschiedene Organe; in die Antennen- keulen der Lamellicornen, in den Rüssel der Schmetterlinge, in die Stirn der Orthopteren u. s. f. Ehe ich in diesen Irrgarten der Meinungen weiter vordringe, möchte ich hier einige der Experimente anführen, die ich da und dort publi- ziert habe. Ich vereinigte in einer Schüssel Ameisen von gänzlich verschie- denen Arten, ja selbst Familien (Camponotus ligniperdus, Tapi- noma erraticum, verschiedene Arten Lasius uud Formica), nach- dem ich bei sämtlichen Tieren beide Antennen entfernt hatte. Sie vermischten sich gründlich und ohne Unterschiede zu machen; ich sah wie die Lasius einige Formica und Camponotus beleckten, ja ich beobachtete, wie sich ein Arbeiter von Lasius fuliginosus und ein Arbeiter von Camponotus ligniperdus gegenseitig von Mund zu Mund fütterten. Diese Ameisen bemerkten die Anwesenheit von Honig nur, wenn ihr Mund zufällig damit in Berührung kam. Sie begannen dann ihn zu lecken, aber in ziemlich ungeschickter Weise und nie, ohne dabei ihre Vorderfüsse (mit denen sie in Abwesenheit der An- tennen zu tasten suchten) zu beschmieren. Diesen Ameisen merkte man deutlich an, dass ihre Intelligenz gar nicht gelitten hatte, dass sie aber feinerer Unterscheidungen nicht mehr fähig waren. Sie plagten sich, mit Hilfe ihrer Füsse, ihrer Taster und ihres Kopfes eine gewisse Orientierung zu erlangen, indem sie mit allen diesen Organen ungewohnte und ungewöhnliche Bewegungen ausführten. ^ Bonnsdorf, Fabrica, usus et differentiae palparum in insectis. Dissertatio Aboae, 1872. ^ Marcel de Serres, De l'odorat et des organes qui paraissent en etre le siege chez les orthopteres. Annales du Museum, XVII, 1811. ■ Knoch, bei Lehmann, De sensibus externis, etc. * Comparetti, Dinamica animale degli insetti, II. S. 442. Padua 1800. Geruch und Geschmack 95 Wenn sie sich begegneten, betasteten sie sich mit ihren Tastern und Vorderfüssen und endeten oft, wie wir schon sahen, damit, sich für Freunde zu halten, obwohl sie vor der Operation grimmige Feinde waren. Allerdings sah ich auch bei mehreren Gelegenheiten gewisse ausgesprochene Zeichen des Misstrauens, z. B. ein plötzliches Zurück- weichen unter Drohen mit den Kiefern, aber etwas Ernsteres wurde nie daraus. Ein andermal setzte ich einige Arbeiter von F. fusca aus dem- selben Nest, deren Antennen ich zuvor entfernt hatte, mit ihren Larven, ihren Kokons und etwas Erde in ein und dieselbe Schüssel. Sie machten nicht den mindesten Versuch zu graben oder sich ihrer Larven anzunehmen, die infolgedessen auch bald zugrunde gingen. Sie hockten nun in absoluter Untätigkeit während zweier Wochen, meist ganz unbeweglich in meiner Schüssel, wo sie einen äusserst desolaten Anblick gewährten. Ich hatte ausserdem noch einen Arbeiter der ihnen feindlichen F. pressilabris, dem ich gleichfalls die Antennen entfernt hatte, zu ihnen hineingesetzt. Sie liessen ihn völlig unbehelligt. Ein genau paralleles Experiment, bei dem ich die Vorderfüsse von einigen F. fusca oberhalb des Sporns entfernt hatte, zeigte ein andres Resultat. Sie töteten umgehend eine F. pressilabris, die ich ihnen gab, und später, als ich beide Gruppen vereinte, auch das- jenige Exemplar, das ich den antennenberaubten Kameraden hinein- gesetzt hatte. Auch bemühten sie sich, allerdings vergebens, zu graben und Wohnungen zu bauen. Sie beschmutzten sich über und über, fehlten ihnen doch ihre Sporen, um ihre Kauwerkzeuge usw. zu putzen. Ferner versuchten sie ihre Larven zu pflegen, wobei sie diese aber ebenfalls vollkommen beschmutzten. Sie gingen schliess- lich zugrunde, da sie den Verlust ihres Werkzeugs und ihres, zu- sammen mit den Kiefern wichtigsten Stützpunktes nicht zu über- stehen vermochten.^ Die physiologischen Schlussfolgerungen von Wolff in seiner bereits oben zitierten Arbeit (Über das Riechorgan der Biene) sind nach meinem Dafürhalten zum grössten Teil ebenso unglücklich, als seine rein anatomischen Forschungen gründlich und wertvoll sind. Er findet nämlich bei der Biene im sogenannten Gaumensegel einer zarten Chitinfalte, die hinter dem Labrum gelegen ist (seiner Riech- ^ Ich hatte sie, wie schon gesagt, mit ihren antennenlosen Kameraden vereinigt, doch wussten sich die beiden Gruppen von Krüppeln nicht gegen- seitig zu helfen, wie es der Blinde und Gelähmte in der Fabel verstanden. 96 Geruch und Geschmack Schleimhaut), einen nervösen Endapparat, den er für das Riechorgan hält, und in den Seiten des Kopfes die bereits von Meinert beschriebene Oberkieferdrüse, ^ seine Riechschleimdrüse, deren Sekret nach ihm auf die Riechschleimhaut sich ergiesst. in diesem Sekret findet er chemische Eigenschaften, an der Hand welcher er auf die ganze Physiologie des Geruchs, sogar bei den Wirbeltieren und beim Menschen, das wichtigste Licht zu werfen glaubt. Vor allem aber hätte Wolff sich vorher experimentell versichern sollen, ob sein Riechorgan wirk- lich Riechorgan ist, statt Beweise dafür in unvollkommenen Experi- menten von Autoren aus dem Anfang des 19. Jahrhunderts (z. B. F. Huber) zu suchen. Ja, hätte er die Resultate der von ihm selbst gemachten vergleichenden Untersuchungen ohne Vorurteil betrachtet, so wäre er notwendig zu dem Schluss gekommen, dass er im Irr- tum sei. Wolff findet nämlich das am stärksten entwickelte Riech- endorgan bei der Bienenkönigin; dann kommt die Arbeitsbiene, und ferner hat er das Organ bei einer grossen Anzahl von Hym enopteren untersucht, wo es sich immer schwächer entwickelt zeigt, bis es bei gewissen Braconiden zu einem einzigen Paar Nervenendigungen, bei andren sogar zu völliger Verkümmerung herabsank. Nun müssen aber die bekanntlich in der kompliziertesten Weise parasitisch lebenden Braconiden notwendig gut riechen können, um ihre oft sehr ver- borgenen Opfer aufzufinden, während von Lubbock (Observations on Bees and Wasps: Linnean Society's Journ. Zoology, Vo 1. XII.) auf das schlagendste durch äusserst sinnreiche Experimente nachgewiesen worden ist, dass die Bienen sehr schlecht riechen. Freilich muss man dabei nicht mit Terpentin, Ammoniak oder ähnlichen scharfen Mitteln arbeiten, welche auch die Tastnerven erregen. Wolff aber urteilt folgendermassen : „Das nervöse Organ des Pharynx ist bei den Braconiden rudimentär — folglich kann auch ihr Geruchssinn nichts taugen!" Ich erlaube mir hier zwei kleine einfache Experimente mitzu- teilen, die ich in Gegenwart der Gesellschaft für Morphologie und Physiologie in München am 12. Juni 1876 wiederholt habe, und die von den Anwesenden überzeugend gefunden wurden. 1. Drei Wespen, Polistes gallicus, die vorher etwas gefastet haben, werden zur Untersuchung benutzt. Die eine wird intakt ge- lassen, der andren werden beide Fühlhörner (Antennen) an der Wurzel ^ Meinert, Bidrag til de danske Myrers Naturhistorie. In Kgl. danske Videnskabernes Selskabs Skrifter, 5. Raekke, nat. og. mat. Afd. V. Bind., 1860- Geruch und Geschmack 97 abgetrennt, der dritten wird der Vorderkopf bis zu den Netzaugen abgeschnitten und dazu noch der Rest des Pharynx ausgezogen und abgetragen. Nach einer kurzen Ruhezeit nimmt man eine Stecknadel, deren Kopf vorher in Honig getaucht worden ist, und nähert dieselbe den jetzt ruhigen Wespen. Eine Annäherung bis zu 1 cm ist nötig, um die Aufmerksamkeit der normalen Wespe zu erwecken. Sowie sie aber Notiz von dem Honig genommen hat, dirigiert sie ihre beiden Fühler mit rasch abwechselnden Bewegungen auf die Stecknadel. Wird nun dieselbe langsam und nicht zu weit entfernt, bevor sie berührt worden ist, so wird sie von der Wespe verfolgt; ist sie erreicht, so fängt die Wespe an zu fressen. Ganz genau das- selbe wird beobachtet, wenn man die Nadel einer Wespe mit abge- schnittenem Vorderkopf nähert, der somit alle Nervenendorgane des Mundes und des Pharynx, auch das Wolffsche Riechorgan fehlen. (Letzteres kann in dem abgeschnittenen Stück leicht in toto gefunden und präpariert werden.) Diese Wespe verfolgt ganz wie die erste auch die Nadel, und wenn man sie den Honig erreichen lässt, ver- sucht sie zu fressen, indem sie ihre Wunde an das Futter bringt, kann aber natürlich nichts schlucken. Ganz anders ist das Verhalten der dritten Wespe ohne Fühler. Sie bleibt auch bei der grösstmöglichen Annäherung der Nadel regungslos, sie merkt absolut nichts vom Honig. Erst wenn derselbe in direkte Berührung mit ihrem Mund gebracht wird, fängt sie an zu fressen. Entfernt man die Nadel auch nur ein wenig, so kann sie dieselbe nicht mehr verfolgen. Wird nur ein Fühler abgetragen, so riecht die Wespe fast noch so gut, wie wenn beide da sind. Noch besser, d. h. in noch grösserer Entfer- nung, konnte ein Sphex den Honig riechen. Mit den Bienen hin- gegen lässt sich wegen allzu stumpfen Geruchssinns nichts Sicheres nachweisen. 2. Man bringt in ein Glaskästchen einen Tropfen Honig, den man dann mit einer kleinen Drahtnetzhaube bedeckt, so dass keine Biene aus Zufall direkt dahin gelangen kann, dass aber der Tropfen so nahe an der Drahthaube liegt, dass jede Biene mit Leichtigkeit ihren Rüssel durch die weiten Maschen derselben schieben und so den Honig erreichen kann. Setzt man dann in das Kästchen eine Anzahl Arbeits- bienen, die vorher etwas gefastet haben, so kann man sich von der überraschenden Tatsache überzeugen, dass keine einzige davon irgend etwas von dem Honig merkt und dass alle ruhig neben und über 7 F 0 r e 1 , Das Siuneslebeu der Insekten ' 98 Geruch und Geschmack dem Drahtnetz spazieren, ohne sich auch nur einen Augenbh'ck auf- zuhalten. Nimmt man die Drahthaube weg, so finden bald die Bienen zufällig den Honig und fressen begierig davon. Dieser Versuch be- stätigt einfach die Ergebnisse, zu denen Lubbock durch mannigfaches Experimentieren stets gekommen ist, beweist auch zugleich, wie sehr Wolff irrt, wenn er den Bienen ein ausgezeichnetes Riechvermögen zuschreibt. Nach Lubbocks Ergebnissen, die ich nur bestätigen kann, finden sich die Bienen fast ausschliesslich mit ihrem Gesichts- sinn zurecht. Aus diesen Experimenten sowie aus vielen anderen Beobachtungen von den verschiedensten Autoren und von mir, auf welche ich hier nicht näher eingehe, schliesse ich: a) Das Riechorgan der Bienen von Wolff ist kein Riechorgan, sondern dient höchst wahrscheinlich, wie dieses auch von Dr. Joseph auf Grund seiner Untersuchungen und Beobachtungen in einem Vor- trag auf der Naturforscherversammlung zu München, Sektion für Anatomie, am 19. Sept. 1877 dargestellt wurde, ebenso wie andre ähnliche Organe an der Zunge, den Unterkiefern etc., zu Geschmacks- empfindungen. (Meinert 1. c, Forel, Fourmis de la Suisse, S. 117 und Fig. 9 und 10; Wolff selbst, 1. c.) b) Die Oberkieferdrüse (Riechschleimdrüse von Wolff) ist bei der Biene wahrscheinlich einfach eine Stinkdrüse, mag aber unter Um- ständen wichtige Funktionen übernehmen, z. B. bei einer Ameise (Lasius fuliginosus), wo sie nach Meinert (1. c.) sehr bedeutend entwickelt ist; diese Ameise baut bekanntlich ebenso wie die Wespen ihre Nester aus einem eigenen Karton, den sie aus Holzpartikeln ver- fertigt, die wahrscheinlich vermittelst des Sekrets der genannten Drüse zusammengekittet werden. (Vergl. Meinert, 1. c, und meine schon oft zitierte Arbeit, S. 181 u. f..) c) Der Sitz des Geruchs bei den Hymenoptera aculeata ist trotz allen den aprioristischen Gründen, die von Wolff (1. c), Landois (Archiv für Mikroskop. Anatomie von Max Schultze, Bd. 4, S. 88) Paasch (Troschels Archiv für Naturgeschichte, 1873, Bd. 1, S. 248) und andern in der letzten Zeit dagegen geltend gemacht worden sind^ in den Fühlern zu suchen. Schiemenz (1. c. 1883) kommt in seiner, von Leuckart inspi- rierten, interessanten Arbeit über den Futtersaft der Bienen, ohne übrigens meine eigenen Arbeiten oder die wichtigen Untersuchungen von Meinert zu kennen, in vielen Beziehungen zu denselben Resultaten Geruch und Geschmack 99 wie ich selbst, sowohl was die Geruchsempfindung (wo er ganz wie ich selbst Wolff entgegentritt), als auch was das Wesen der Ober- kieferdrüsen betrifft (s. sein System IV der Speicheldrüsen). Er fand auch, ebenso wie ich (Fourmis de la Suisse und Etudes myrmecolo- giques 1878, Bull. Soc. vaud. scienc. nat.. Vol. 15, Nr. 80), dass es die Funktion des Organs ist, das er, bei der Biene ebenso wie bei der Ameise als „Vormagen** oder „Verschlusskropf'* bezeichnet, und das ich Kaumagen, Emery Pumpmagen nannte, die Verbindung zwischen Kropf und Magen, wenn nötig, vollkommen abzuschliessen. Schiemenz beschreibt hier auch die Endorgane der Antennen, die durch mich (Fourmis de la Suisse) und Micks ^ schon zuvor, zugleich mit fast allen den andern Sinnesorganen, beschrieben worden waren ^ ' Hicks, Trans. Linn. Soc, June 17, 1856, June 2, 1857, May 5, 1859, May 3. 1860, und June 20, 1861. ^ Ich möchte hier aus dem Schiemenzschen Werk eine Entdeckung von Fischer (Eichstädter Bienenzeitung 1871, S. 130 ff., S. 230) zitieren, nach wei- cher der Futtersaft der Bienen nicht, wie Leuckart glaubte, aus dem Magen, sondern aus den Supramaxillardrüsen von Meckel herrührt, Drüsen, die Fischer stets bei den jungen Bienen, welche die Larven füttern, feucht und voller Sekret fand, während sie bei alten Bienen leer und atrophisch zu sein pflegen; kümmern sich doch diese letzteren nicht mehr um die Fütterung der Larven, sondern beschäftigen sich mit den Beutezügen im Freien. Schiemenz teilt diese Anschauung. Nun habe ich auch bei den Ameisen beobachtet, dass es die alten sind, die ausziehen, und die jungen, die sich mit den Arbeiten des inneren Haushalts befassen. Man sollte auch bei diesen vergleichende Untersuchungen über die Supramaxillardrüsen anstellen, was bisher noch nicht geschehen ist. Diese grossen, gelben Drüsen, die den vordem Teil des Hirns bedecken, und die von Meinert (1. c.) sehr gut beschrieben worden sind, sind bei allen Arten von Ameisen so gut entwickelt, dass mir Fischers Ansicht auch für diese Tiere Geltung zu haben scheint. Bei den Ameisen kann es sich kaum um ein Von- sichgeben des Mageninhalts handeln, da hierdurch der Inhalt des Kropfs un- rein und trübe werden würde, was nicht der Fall ist. Da die Ameisen ihre Larven ebenso wie ihre erwachsenen, zu Hause gebliebenen Gefährten von Mund zu Mund füttern, so ist es sehr schv/ierig, das Wesen des Futtersafts näher zu untersuchen. Soviel können wir aber sagen, dass dieser Saft von ganz andrer Beschaffenheit sein muss als der für gewöhnlich traubenzucker- haltige Inhalt des Kropfs, mit welchem die Ameisen ihre erwachsenen Ge- fährten füttern; er enthält sicher mehr Eiweiss. Z. B. wissen wir, dass die Wespen sich gegenseitig mit süssen Dingen, ihre Larven aber mit Fliegen und andern Insekten füttern. Ich selbst werde, bis ich nicht Beweise vom Gegen- teil erhalte, daran festhalten, dass Ameisen ihre Larven, zum Teil wenigstens, ebenso wie Bienen, mit dem Sekret ihrer Supramaxillardrüsen füttern. Doch darf man hierbei den sogen. Mundsack des Hypopharynx nicht vergessen, der 7* -[QQ Geruch und Geschmack Die nun folgenden Experimente sind bisher noch nicht veröffent- licht worden: 1. An Ameisen, denen die Antennen entfernt worden waren. Am 12. August 1886 wiederholte ich meine oben geschil- derten Experimente, ich entfernte die Antennen einer grossen An- zahl von Formica sanguinea, Formica pratensis, Campono- tus ligniperdus und Lasius niger und tat sie alle zusammen in einen Kasten. Genau dieselben Vorgänge, die ich oben beschrieben habe, wiederholten sich nun. Man fühlte sich notgedrungen in Oberländers Tierparadies versetzt, wo Katzen, Mäuse, Füchse, Löwen und Hühner sich gegenseitig belecken und aus einer Schüssel Milch trinken. Ich bemerkte, wie ein Camponotus, den ich mit Honig gefüttert hatte, diesen an eine F. sanguinea von sich gab. Ein Lasius niger stand ganz stolz zwischen den Beinen einer F. pratensis und eines Cam- ponotus ligniperdus. Nach und nach ballten sich meine Ameisen höchst gemütlich alle zu einem Haufen zusammen, wobei manche von ihnen ganz vergnügt auf dem Rücken andersartiger Exemplare sassen. Einige wenige Fälle von Zweifel, einige schwache Drohbewegungen bemerkte ich wohl, doch kam dies ebensogut zwischen Schwestern derselben Ameisenkolonie, wie zwischen Individuen verschiedener Gattungen vor. Ich hatte übrigenszunächst versucht, eben- so wie Hauser, die Antennen mit Paraffin zu überziehen anstatt sie abzu- schneiden. Der Erfolg ist derselbe, jedoch nicht so absolut sicher, auch scheinen die Ameisen mehr durch diese Manipulation zu leiden als durch die Amputation. Meine Ameisen achteten nicht im geringsten auf ihre Larven oder Puppen, ja sie nahmen sie nicht einmal an sich, wenn ich sie mit einer Pinzette einige Zeit dicht vor ihre Mund- öffnung hielt. Sie erkannten somit dieselben nicht mehr. Ich entferntesodann die Antennen einer grossen Anzahl von Myrmica ruginodis von einer und derselben Ameisenkolonie und vermengte diese Tiere mit den anderen Ameisen. Diesmal war der Erfolg ein diametral verschiedener. Die Myrmica griffen alle Ameisen, die ihnen begegneten, an und bissen sie, und das sowohl Campono- tus wie Formica und Lasius; sie bäumten ihren Abdomen und bei Ameisen stets voll von festen, dem Inhalt des Kropfes sehr unähnlichen, eher dem Mageninhalt verwandten Brocken ist, und der möglicherweise einen Teil des Futtersafts, mit dem die Larven genährt werden, beisteuern dürfte. Allerdings hat seither Janet nachgewiesen, dass die Ameisen ausserdem gewöhn- lich ihren Larven erbeutete Insekten als Futter reichen. Geruch und Geschmack 101 kämpften mit voller Wut. Äusserst überrascht durch diesen uner- warteten Anblick, war ich dies nicht minder, als ich gleich darauf be- merkte, dass die Myrmica ruginodis, die ich doch soeben erst ihrem Nest entnommen, wo sie in süssester Harmonie gelebt hatten, plötzlich begannen, sich gegenseitig zu beissen, übereinander her- zufallen und ebenso wütend wie mit den anderen unter sich zu kämpfen. Ich nahm sie nun alle aus dem gemeinsamen Kasten heraus und tat sie zusammen in einen Kasten für sich. Hier setzte nun ein regelrechtes Gemetzel ein, es bildeten sich Gruppen von drei oder vier Ameisen , die sich untereinander befehdeten etc. Dieser sonderbare Vorgang erinnerte mich sofort an die interessanten Experimente von Belt mit Ameisen derselben Kolonie, die anfingen sich gegenseitig zu beissen, sobald man sie mit ein wenig pulver- förmigem Sublimat bestreut hatte, ein Experiment, das ich (Etudes myrm., 1884) selbst nachgeprüft und beschrieben habe. Dies gelang mirindessennurmit Ameisen derGattung Myrmica. Dereben erwähnte Vorgang scheint mir sehr bemerkenswert und ich glaube durch ihn den Schlüssel zu dem Rätsel der Sublimatwirkung gefunden zu haben. Wie ich es in der zitierten Arbeit bereits vorausgesetzt hatte, wirkt das Sublimat auf den Antennensinn, nunmehr aber sieht man, dass es temporär einen ähnlichen Effekt wie eine Amputation hervor- bringt. Es liegt offenbar ganz einfach eine momentane Lähmung eines Teils des Riechvermögens der Antennen durch das Sublimat vor, eine Lähmung, die durch die Dünste dieses Stoffes — selbst in kleinsten Dosen angewendet — erzeugt wird, ich sage mit Willen „eines Teils des Riechvermögens", da die Ameisen ja noch ihren Weg zu finden vermögen. Diese Tatsache scheint mir einen nicht unbeträchtlichen physiologischen Wert zu besitzen. Man ersieht aus dem vorhergehenden, dass die kriegerische Wut der ihrer Antennen beraubten Myrmiciden ebenso blind, ebenso unter- scheidunglos zu Werke geht wie das sanftidyllische Gebaren der Camponotiden. Woher aber diese sonderbare Verschiedenheit? Man muss sich hier auf Mutmassungen beschränken. Es ist sehr eigen- tümlich, dass der Verlust des Riechvermögens in den einen kriege- rische, in den andern freundschaftliche Stimmungen erzeugt, die sich den lebenden Wesen gegenüber, denen sie begegnen, ohne sie nun- mehr zu erkennen, kundgeben. Vielleicht hängt die Sache mit dem überhaupt kampflustigenTrieb der Myrmiciden, wahrscheinlicher jedoch mit einer ihnen eigentümlichen, aber noch unbekannten Eigenschaft 102 Geruch und Geschmack zusammen. Übrigens gelang das Experiment nicht immer in gleichem Masse, sowohl wenn ich die Antennen amputierte, als auch wenn ich sie mit Sublimat bestreute; den Grund wüsste ich nicht zu sagen. Meine Myrmica beruhigten sich schliesslich nach ein oder zwei Stunden, möglicherweise unter der Einwirkung der Kälte und nicht ohne etliche Zwischenfälle. Wollte man mir einwenden, dass der Wutzustand der Myrmica eine Folge der Verletzung ihres Nerven- systems und der aus dieser resultierenden Erregung gewesen sei, so müsste ich erwidern, dass ich hierin keine Lösung der Frage er- blicken kann, indem die Amputation einer einzigen Antenne keine ähnlichen Wirkungen hervorzubringen vermag. 2. Versuche an Fliegen. Am 3. Juli 1876 um 11 Uhr 30 Min. vorm. legte ich (in München) in mein Fenster einen in Zersetzung befindlichen, aufgeschwollenen Maulwurf, über den ich eine Halb- kugelförmige Glocke aus Drahtgaze stülpte. A. Bald kam eine Sarcophaga vivipara herbeigeflogen und suchte unter der Glocke durchzukriechen, konnte jedoch keinen Ein- gang finden. Ich ergriff sie und schnitt ihr mit dem Rasiermesser beide Augen ab. Nun flog sie wild in meinem Zimmer umher, stiess gegen die Decke und gegen die Wände und fiel schliesslich auf den Fussboden. Nachdem sich dies drei- oder viermal wieder- holt hatte, nahm ich die Fliege und entfernte ihren einen Flügel. Ich setzte sie nun dicht zu dem Maulwurf, den ich inzwischen aufgedeckt hatte. Nun beruhigte sich die Fliege, spazierte auf den Maulwurf zu, erklomm ihn, senkte ihren Rüssel in diese und jene Stelle und entdeckte schliesslich eine Wunde, durch die ich das Gehirn des Tieres entfernt hatte. Hier machte sie halt, sog mit ihrem Rüssel an zwei oder drei Stellen, erhob dann ihren Ovipositor und depo- nierte im Laufe eines Augenblicks drei oder vier lebende Larven (diese Art legt keine Eier, sondern lebende Larven). Ich entfernte nun schnell die Fliege und schnitt ihr vorsichtig beide Antennen ab. Von diesem Augenblick angefangen schenkte die Fliege, trotz mehr- facher Anspornungen meinerseits, dem toten Maulwurf nicht mehr Aufmerksamkeit als wenn er ein Stein oder ein Stück Holz gewesen wäre. Ganz nahe neben ihn hingesetzt, dachte sie gar nicht daran, sich in der Richtung des Leichnams zu bewegen. Sie war absolut unfähig sich zu orientieren, machte auch keinen Versuch nochmals zu legen. In einen Kasten gesetzt, legte sie dort schliesslich noch Geruch und Geschmack 103 zwei oder drei Larven. Bei der Autopsie aber fand ich ihre Ovarien vollgepfropft mit Eiern und Larven. B. Bald darauf kam eine kleine blaue Fliege, Weibchen, ange- flogen, eine Verwandte von Calliphora vomitoria. Ich entfernte einen ihrer Flügel. Nachdem sie den Maulwurf gekostet hatte, ver- suchte sie an verschiedenen Stellen zu legen, fand schliesslich die erwähnte Wunde, führte ihren Ovipositor ein und legte ein Ei. Jetzt ergriff ich sie und schnitt ihr beide Antennen ab. Von diesem Augen- blicke an hörte sie auf zu legen, schenkte auch dem Maulwurf keine Beachtung mehr. Kurz, obwohl im Besitz beider Augen, benahm sie sich genau so wie die frühere Fliege. C. Jetzt kam eine neue Sarcophaga vivipara, Weibchen, an- geflogen. Ich entfernte ihre Flügel. Sie kostete den Maulwurf kurz an verschiedenen Stellen und legte eine Larve. Sofort schnitt ich ihr die Antennen ab. Nun rannte sie an allen möglichen Orten um- her und kümmerte sich trotz meiner Bemühungen, sie zu ihm zurück- zuführen, nicht weiter um den Maulwurf. Endlich gelang es mir, sie bis auf den Rücken des Maulwurfs zu dirigieren und sie zu veran- lassen, hier zu verweilen; nach Ablauf geraumer Zeit legte sie denn auch einige Eier auf den Pelz, legte indessen auch hinterher welche auf meine Finger. Es war ein forciertes Legen, wie man es öfters bei Fliegen in der Gefangenschaft sieht, ein zweckloser Akt. Nach- her legte sie nicht mehr, verstand es aber (sicher mit Hilfe ihrer Augen) den Schatten aufzufinden und sich vor der glühenden Sonne zu schützen. D. Eine kleine Sarcophaga vivipara, Weibchen, stellte sich bei dem toten Maulwurf ein. Ich schnitt ihr die Flügel ab. Sie begann sofort auf den Maulwurf zu legen. Ich entfernte nun ihre Antennen, worauf sie nichts mehr tat als planlos umherlaufen, ob- wohl ich sie wenigstens zwanzigmal wieder auf den Maulwurf setzte. E. Eine Lucilia Caesar, Weibchen, kam, begann zu fressen und legte Eier auf den Maulwurf. Ich schnitt ihr die Antennen ab, setzte sie auf den Maulwurf, wo sie mit grösster Gleichgültigkeit herum- spazierte, ihre Füsse rieb, aber weder frass noch legte, obwohl bisher ihr Tatendrang nach diesen beiden Richtungen wahrhaft fieber- haft gewesen war. F. Eine andere Lucilia Caesar, Weibchen, kam heran und legte mit verzweifelter Energie, ohne indessen zu fressen. Ich entfernte einen ihrer Flügel, sie legte aber gemütlich weiter, gerade als ob 104 Geruch und Geschmack nichts geschehen wäre. Ich störte sie nun wiederholt, indem ich sie zwischen meine Finger nahm. Jedesmal strebte sie eilig wieder zum Maulwurf zurück und setzte ihre unterbrochene Eierlegerei fort. Jetzt schnitt ich ihr die Antennen ab und sofort hörte sie mit Legen auf; sie tat nun weiter nichts als sich die Füsse reiben, ja sie schien gar nicht mehr zu wissen, dass sie sich auf einem verwesenden Maulwurf befand. Sie benahm sich wie eine Fliege, die sich behaglich sonnt. Q. Noch einer Sarcophaga vivipara, Weibchen, schnitt ich die Flügel ab. Diese konnte überhaupt den Maulwurf nicht berühren, ohne drei oder vier Larven zu legen. Ich entfernte ihr die Fühler, und sofort hörte das Legen auf, auch war es mir nicht möglich, die Fliege zu bewegen, in der Nähe des Maulwurfs zu bleiben. Diese Experimente scheinen mir klar zu beweisen, dass Fliegen stinkendes Fleisch mittels ihrer Antennen riechen. Sie zeigen ferner, dass der Trieb zu legen bei ihnen aus einer Art Gefühl hervorgeht, das man am ehesten einer sexuellen Begierde vergleichen kann und das durch einen Geruchsreiz geweckt wird, denn es hört sofort nach Entfernung der Antennen auf, während andere Verletzungen, ja selbst die Entfernung der Augen, die doch eingreifender und gefährlicher ist, ihm keinen Eintrag tun. Das matte Legen an irgendeinen Ort, das gelegentlich noch nach Entfernung der Antennen stattfindet, trägt nicht mehr den Charakter jener energischen und leidenschaft- lichen Willenshandlung, sondern erscheint nur als die automatische Entleerung des übervollen Ovidukts. 3. Versuche an Käfern. Ein faulender Igel und eine faulende Ratte dienten mir als Versuchsobjekte, und zwar in dem zum damaligen Münchner Irrenhause gehörenden Garten, am 12. Juni 1878. Eine ganze Schar von Silpha sinuata und reticulata, drei Silpha thoracica, drei Creophilus maxillosus, verschiedene Philonthus und zahlreiche AI eochara wimmelten in diesen Kadavern. Ich entfernte die Antennen aller der Silphen (ungefähr 35 Stück), der drei Creo- philus, und von fünf oder sechs Philonthus. Dann setzte ich die Käfer alle an eine Stelle ins Gras, die Tierkadaver aber trug ich etwa 28 Schritt weit fort und legte sie dort zwischen Unkraut auf die Erde. Am nächsten Tag, also am 13. Juni, sah ich nach den Kadavern. Keine Silpha, kein Creophilus. Einige Philonthus waren anwesend, doch nur solche mit Antennen. G eruch und Geschmack 105 Am 14. Juni, einem heissen, etwas feuchten Tag, waren zwei Silpha reticulata auf der Ratte, doch befanden sich beide im Besitz ihrer Antennen. Ich schnitt letztere ab und setzte die Silphen in eine gewisse Entfernung; keines der antennenlosen Exemplare fand sich zu der Ratte hin. ich entfernte darauf an 7 oder 8 Exemplaren von Aleochara und einigen Philonthus 2 bis 3 Füsse an derselben Körperseite, Hess ihnen aber die Antennen. Darauf entfernte ich mich. Bei der Fortsetzung dieses Versuches unterbrochen, nahm ich ihn erst am 22. Juni wieder auf. Keiner der verstümmelten Käfer war da. Darauf schnitt ich einem Dutzend Aleochara (Silpha waren nicht mehr vorhanden) je 3 Füsse an derselben Körperseite ab und setzte die Insekten in eine gewisse Entfernung von den Kadavern, die ich mit Blättern zudeckte. Am nächsten Tage fand ich fünf von den Aleochara, denen drei Füsse abgeschnitten waren, in dem Kadaver des Igels. Ich nahm sie weg und setzte sie wieder in einiger Entfernung nieder. Am 26. Juni besuchte ich wieder den Igelkadaver und fand dort abermals eine der Aleochara mit drei Füssen. Ein andermal, im Juli, liess ich einen Necrophorus vespillo 24 Stunden lang fasten. Ich gab ihm dann einen noch ziemlich frischen Kaninchenkopf, den er mit Gier attackierte. Als ich dann den Necrophorus einige Zentimeter weit weggesetzt hatte, zeigte er ein unruhiges Benehmen, stöberte hier und dort herum, suchte und fand auch schliesslich seine eigne Spur wieder und bald auch den Kopf des Kaninchens. Nun schnitt ich ihm die Kolben beider An- tennen ab und setzte ihn wieder ein Stückchen weit fort. Jetzt machte er keine Miene zu suchen, jegliche Orientierung schien ihm zu fehlen und eine Art von Betäubung an Stelle des vorherigen Benehmens getreten zu sein. Als ich ihn aber selbst auf den Kaninchenkopf setzte, fing er sofort an, mit wahrem Heisshunger zu fressen. Wenn ich ihn aber nur ein winziges Endchen abrückte, zeigte er sich völlig unfähig, den Kaninchenkopf wiederzufinden. 4. Versuche an Bombyx mori (Seidenraupe). Ich setzte ein oder zwei Weibchen auf die Erde. Die Männchen bemerkten sie schon von weitem und liefen eilig auf sie zu, indem sie, ähnlich wie die Strausse, ein wenig mit ihren Flügeln beim Laufen nachhalfen. Nachdem ich die Antennen der Männchen abgeschnitten hatte, ver- mochten sie nicht mehr die Richtung, in der sich die Weibchen be- fanden, zu erkennen. Wenn man sie jedoch direkt neben diese setzte, 106 Geruch und Geschmack paarten sie sich mit derselben Lebhaftigkeit wie diejenigen, die sich noch im Besitz ihrer Antennen befanden. Diese letzteren dienen den Männchen also nur, die Weibchen zu entdecken, sie zu riechen, während es beim Akt der Kopulation selbst die Berührung ist, die bei den Bombyx-Männchen die Hauptrolle spielt. ich möchte an dieser Stelle darauf aufmerksam machen, dass weder das Firnissen der Augen, noch das Abtragen der Antennen, nicht einmal das Entfernen aller buccalen Organe (siehe oben und in den ersten, die Gesichtswahrnehmungen betreffenden Abschnitten dieses Buches) den Insekten das Gefühl des Hungers oder den Trieb, diesen zu stillen, zu rauben vermochte. Doch scheint es mir un- m.öglich, einwandfrei zu beweisen, dass der Appetit noch besteht, wenn diese sämtlichen Sinnesorgane auf einmal entfernt werden. Allerdings haben wir beobachtet, wie Bombus und Pollistes ihren Appetit trotz der gleichzeitigen Abtragung der Antennen und des ganzen vorderen Kopfteiles beibehielten. Es scheint mir unwahr- scheinlich, dass die allein übrig gebliebenen Gesichtswahrnehmungen, die ihnen gestatteten, die Blumen zu sehen und zu ihnen hinzufliegen, es gewesen sein sollten, die das Gefühl des Hungers verursachten. Dieses wird vielmehr sicherlich, wie bei uns selbst, durch Reflexe von Seiten der im Zustand der Leere befindlichen Verdauungsorgane her- vorgerufen. Diese Experimente, die ich soeben wiedergegeben habe, und die ich vor acht bis zehn Jahren unter Notierung aller Einzelheiten an- stellte, bestätigen, wie noch gezeigt werden wird, völlig die von Lefebvre, von Perris usw. angestellten Versuche. Auch Gustav Hauser (1. c. 1880) hat ähnliche Experimente unternommen und ist zu denselben Resultaten gelangt. Doch konnte der Umstand, dass er seine Versuche mit in einem Kasten eingeschlossenen Tieren (Silpha, Maikäfern und Schmetterlingen) unternahm, dazu führen, dass sie rein aus Zufall, trotz ihrer abgeschnittenen Antennen, mit den begehrenswerten Objekten — sei dies nun ein Kadaver oder ein Weibchen — in Berührung kamen. Hauser wusste, ebenso wie Schiemenz, weder etwas von meinen bereits' erschienenen Experi- menten, noch von den von mir beschriebenen 'Antennen-Organen, noch hatte er Kenntnis von jener oben genannten, mir selbst ent- gangenen Arbeit von Hicks. Seine Beschreibung der Nervenendi- gungen der Antennen beruht zum grossen Teil auf Irrtum und ist Geruch und Geschmack 107 von Kraepelin (I. c.) und von mir selbst (Etud. myrm. 1884) bereits richtiggestellt worden. Ich habe oben gezeigt, dass sämtliche fünf Kategorien der Antennen- organe aus mehr oder weniger modifizierten Borsten (oder Haaren) hervorgegangen sind. Öfters treten die Endigungen der antennalen Ner- ven nur in der Form einer kolbigen oder mehrblättrigen Anschwellung des Fühlers auf. Dann stellt diese Partie allein das Geruchsorgan dar. So ist es z. B. bei den Lamellen der Lamellicornier, bei den Verzweigungen der kammförmigen Antennen von Bombyx, dem ge- schwollenen Glied der Dipteren-Antenne, der Antennenkeule der meisten Käfer und Hymenopteren. Somit genügt die Abtragung der Fühlergeissel oder überhaupt der Geruchsnervenanschwellung voll- ständig, um die Insekten ihres Geruchssinns und ihrer Fähigkeit, einander zu erkennen, zu berauben. Bei den sogenannten faden- förmigen Antennen z. B. der Ichneumoniden, der Lokustiden, der Noctuiden, der Bockkäfer etc. sind im Gegensatz zu den be- schriebenen, die Geruchsorgane meistens über die ganze Länge der Antenne verteilt. Ich bin nun auf Grund des morphologischen Tatbestandes sowie der experimentellen Ergebnisse ganz wie Schiemenz zu der Ansicht gelangt, dass wir in den sogenannten Poren platten (s. oben) das wesentliche Geruchsorgan zu suchen haben. Diese Sinneshaargebilde sind — obwohl unter allen möglichen Modifikationen — bei allen Insekten zu finden, und zwar um so zahlreicher, je ausge- sprochener der Geruchssinn derselben ist. Sie sind ausserdem, wie Schiemenz sehr treffend hervorhebt, zahlreicher bei den Männchen als bei den Weibchen. Bei den Ichneumoniden, die einen ausser- ordentlich scharfen Geruchssinn besitzen müssen, sind einzig sie entwickelt, und dabei von ganz unverhältnismässiger Länge. Dasselbe ist der Fall bei den Fühlerblättchen der Bombyciden, besonders der Männchen. Die beiden andern Kategorien von Sinnes- haaren, die „Riechkolben" von Leydig sowie die schmalen oder spitzen Sinneshaare, scheinen mir, besonders die letzteren, mehr als Tastwerkzeuge zu dienen. Vielleicht dienen indessen die erwähnten „Riechkolben" in einem gewissen Sinn der Geruchswahrnehmung, denn wie mir scheint, findet man sie bei jenen Insekten, die ihre An- tennen dazu benützen, die chemischen Eigenschaften der Gegenstände, denen sie begegnen, tastend zu untersuchen, so z. B. bei den geselligen Hymenopteren. Trifft diese Vermutung zu, so wären sie als Organe 108 Geruch und Geschmack des Kontaktgeruchs (siehe später) zu betrachten. Die sonderbaren inneren oder eingestülpten Organe (Champagnerpfropforgane und Flaschenorgane) sind uns, physiologisch gesprochen, noch ein Rätsel. Ihre sehr ungleiche Verteilung, die Tatsache, dass man sie selten, ausser bei Ameisen und Bienen, findet, dass sie bei der Hausbiene massenhaft, bei der Hummel sehr vereinzelt auftreten, bei der Wespe aber fast oder gänzlich fehlen, beweist mir, dass sie mit dem Geruchs- sinn nichts zu tun haben, ihre Verbindung mit dem antennalen Nerven ist noch nicht festgestellt (vgl. darüber meine Ausführungen oben S. 82). Vergegenwärtigen wir uns zum Schluss nochmals, zu welchen Folgerungen wir hinsichtlich des Geruchssinns der Insekten gelangt sind. Ich möchte dies in der Form einer Rekapitulierung verschie- dener Tatsachen tun: 1. Bei vielen Insekten, die sich im wesentlichen durch den Gesichtssinn leiten lassen, wie z. B. bei Libellen und Zikaden, sind sowohl die Fühler (Antennen) als auch der Geruchssinn rudimentär. Diese Insekten halten sich nachts unbeweglich. Am Tag werden ihre sämtlichen Tätigkeiten vom Auge dirigiert; bei einigen, wie z. B. den Heimchen, vielleicht auch vom Gehör. 2. Der Geruchssinn hat, allem Widerspruch und allen Experi- menten Grabers zum Trotz, seinen Sitz in den Antennen, und zwar besonders in den blättrigen oder anders geformten Anschwellungen dieser Organe, also in den Teilen, wo sich der Antennennerv ver- zweigt und wo er endigt. 3. Bei gewissen Insekten, so z. B. bei den meisten Dipteren (Fliegen), sind die Antennen steif und dienen wahrscheinlich völlig oder doch nahezu völlig der Geruchswahrnehmung im engsten Sinn. 4. Bei andern Insekten sind sie beweglich und dienen diesen dazu, sowohl aus einer gewissen Entfernung zu riechen als auch das, was sie berühren, tastend zu prüfen (Kontaktgeruch). Dies ist bei den Hymenopteren in sehr hohem Grade der Fall. Wir haben gesehen, dass vermittelst der Antennen die männlichen Bombyciden ihre Weibchen aus grosser Entfernung zu wittern vermögen, ebenso wie Fliegen und verschiedene Käfer das in Zersetzung befindliche Fleisch auf demselben Wege schon von weitem spüren; fernerauch, dass mit Hilfe dieser Organe Pimpla, Leukopsis, die Parasiten der Cynipsarten und, wie Fahre es so gut in seinen „Souvenirs ento- mologiques" gezeigt hat, auch Anthrax und viele andere parasitische Geruch und Geschmack 109 Insekten durch trockenes Holz, durch saftige Gewächse, ja selbst durch eine starke Mörtelschicht hindurch ein tief verstecktes Opfer aufzuspüren vermögen, das sie sodann allen Hindernissen zum Trotz ihrer Nachkommenschaft zur Beute weihen. Diese „Hörner", diese „Ohren" stellen also, was auch Wolff und Graber dagegen sagen mögen, ganz vorzügliche Nasen dar. Machen wir einmal die ausserordentlich kühne, natürlich rein fiktive Annahme, dass der Bulbus olfactorius und die Riechschleimhaut der Wirbeltiere aus der Einstülpung der Antenne und dem antennalen Ganglion eines Wirbellosen entstanden seien. ^ Die früher hervor- stehenden Nervenendigungen wären dann in eine Höhlung versenkt, die durch sie ausgefüttert wird, und die mit dem Atmungsorgan, der Lunge, in Verbindung steht; diese letztere führt durch einen stets er- neuten Luftstrom den Nervenendigungen immer neue Gerüche zu. Das antennale Ganglion würde sich dann in den Bulbus olfactorius, seine Nervenendigungen in die zahlreichen kleinen Geruchsnerven, der Antennennerv in den Tractus olfactorius verwandeln, während sich aus dem zerebralen Antennenlappen der Riechlappen heraus- gebildet haben würde, v. Gudden hat gezeigt, dass der periphere Teil des Bulbus olfactorius der Wirbeltiere, die Glomeruli, von den peripheren Nerven aus in die Gehirnanlage hineinwächst und sich erst sekundär mit dem Lobus olfactorius der Hemisphaere verbindet. Die kürzeste Überlegung genügt, um uns zu sagen, dass, wenn ursprünglich das antennale Geruchsorgan spezifische, aus der unmittel- baren Berührung mit den Gegenständen erwachsende Energien besass, diese infolge seiner Einstülpung verloren gegangen sein müssen, ein Fall, der bei Fliegen und Libellen aus einem anderen Grunde, nämlich, infolge der Steifheit ihrer Antennen eingetreten ist. Dies erklärt mir auch, warum wir keine Geruchsempfindung haben, wenn die Nasen- schleimhaut berührt wird; dies würde keinen Nutzen haben. ^ Nach Abschluss der vorliegenden Arbeit fand ich, dass Bellonci (Atti dei Lincei Ci. sc. fis. ecc. Ser. 3a, vol. XIII. p. 555) diesen Gegenstand bereits be- handelt hat, indem er vergleichend anatomisch den Riechlappen (Lobus olfactorius) der niederen Wirbeltiere und den antennalen Lappen der Insekten untersucht. Er fand eine starke Verwandtschaft zwischen dem histologischen Bau dieser Organe bei den Arthropoden und dem des Riechlappens beim Wirbeltier und schliesst daraus auf eine, wenngleich nicht morphologische, doch physiologische Homologie. \\Q Geruch und Geschmack Andrerseits bin ich ganz ausgesprochen der Meinung, dass wenig- stens bei den Hymenopteren die Geruchswarnehmungen nicht nur aus einer gewissen Entfernung, sondern auch beim direkten Kontakt mit dem zuerst aus der Ferne wahrgenommenen Gegenstand statt- finden. In der Tat verrät die Methode, wie z. B. Ameisen sich gegen- seitig vermittelst ihrer Antennen erkennen, wie sie eine Menge ver- schiedener Objekte voneinander unterscheiden, nachdem sie sie auf diesem Wege geprüft haben, etwas mehr als blosses Tastgefühl, mit einem Wort eine Riechfähigkeit, die sich durch den direkten Kontakt verfeinert, resp. verbessert. Weiterhin ist es aber sicher, dass Tasteindrücke im eigentlichen Sinn, die durch eine besondere Art antennaler Endorgane bewirkt werden, den Geruchssinn unterstützen. Um eine richtige Vorstellung von der Wichtigkeit der Antennen für die meisten flügellosen Insekten zu erhalten, sollte jeder Lern- beflissene die bewundernswerten Darlegungen Hubers ^ über die An- tennensprache der Ameisen lesen, sowie Lubbocks^ Versuche über die Fähigkeit der Mitteilung und der Orientierung bei den gleichen Insekten. Er möge diese sodann mit meinen oben geschilderten Experimenten an antennenberaubten Ameisen vergleichen. Denken wir einmal sorgfältig darüber nach, was es für ein gesel- liges Geschöpf wie die Ameise bedeutet, des Mittels zur Erkennung seiner Freunde und Feinde, sowie der Kleinsten des Stammes (der Larven und Puppen), und zum Finden seines richtigen Weges auch nur auf 2 mm Entfernung verlustig gegangen zu sein. Es bleiben ihr nur Geschmack, Hunger und allgemeiner Tastsinn übrig, lauter Dinge, die ihre Orientierung wenig unterstützen, ausserdem eine vage Sehfähigkeit, die gerade so weit reicht, dass das Tier erschrickt, wenn irgend etwas sich vor ihm bewegt, nicht aber ihm die Mittel verleiht, vor diesem Etwas zu fliehen. Demgemäss erfolgt auch, wenn dieser Fall eintritt, nur ein plötzliches Zusammenschrecken und ein drohendes oder vielmehr defensives Öffnen der Kiefer. Die arme, ^ P. Huber, Recherches sur les moeurs des fourmis indigenes, Geneve, 1810. ' Die wundervollen Experimente von Lubbock (I. c), die ich als bekannt voraussetze, haben ihn bezüglich der Entwicklung der Sinne bei Ameisen zu genau denselben Schlüssen geführt, die ich bereits vor geraumer Zeit in meinen „Fourmis de la Suisse" 1874, S. 118 und 121, gezogen hatte. Er findet, ganz wie ich, dass die Ameisen sich hauptsächlich mittels ihres Geruchssinns leiten, und dass sie schlecht sehen. Geruch und Geschmack Hl ihrer Antennen beraubte Ameise ist also ebenso verloren wie ein blinder Mann, der zugleich taub und stumm ist. Dies tritt uns aus ihrer absoluten sozialen Passivität, ihrer Vereinsamung, ihrer Unfähig- keit, sich selbst zu dirigieren und sich Nahrung zu suchen, entgegen. Wir dürfen deshalb kühnlich annehmen, dass die Antennen mit ihrem Kontakt- und Ferngeruchssinn dem sozialen Sinn der Ameisen dienen, dem Sinne also, der sie einander erkennen, helfen, ihre Larven pflegen lässt, dem Sinne, der ihre heftigen Begierden, ihren wütenden Mass auf jedes der Kolonie fremde Individuum erweckt, und der sie (ein wenig, besonders bei bestimmten Arten, vom Gesichtssinn unterstützt) auf den langen und mühseligen Reisen, die sie zu machen haben, leitet, sie ihren Rückweg finden, sowie auch die Blattläuse und andre Existenzmittel entdecken lässt. Wie der Philosoph HerbertSpencerklar gezeigt hat, vermögen die viszeralen Empfindungen des Menschen uns nur wenige oder gar keine Mitteilungen über den Raum zu liefern. Dasselbe gilt für diejenigen Sinne, deren Organe in die Tiefe des Körpers versenkt sind, wie die des Geruchs, die gleichzeitig nur einen einzigen auf den Raum bezüg- lichen Eindruck zu fassen vermögen. Können doch zwei gleichzeitig auftretende Gerüche von uns nur als Mischung empfunden werden. Unser Gesichtssinn hingegen, der gleichzeitig und in scharfen Form- verhältnissen die Strahlen von zahlreichen voneinander entfernten Punkten des Raums nach zahlreichen Punkten der Netzhaut hin zu lokalisieren vermag, ist, um Spencers eignen Ausdruck zu gebrauchen, unser „relationellster'' Sinn, also derjenige, welcher uns die um- fassendsten Vorstellungen des Raums in zahlreichen bestimmten Ver- hältnissen vermittelt. Die Antennen der Hymenopteren hingegen sind nach aussen ge- kehrte Geruchsorgane; sie ragen in den umgebenden Raum hinein und sind ausserdem noch äusserst beweglich. Dies gestattet uns die Annahme, dass der Geruchssinn jener Geschöpfe weit mehr ein Raum- sinn ist als der unsre, und dass die durch ihn erregten Empfindungen den Tieren Vorstellungen von Raum und Richtung geben dürften, die qualitativ von den unsrigen verschieden sind, so dass man diesen anten- nalen Geruchssinn mitRechttopochemischen Geruchssinn nennen kann. ^ ' Es lohnt sich, diesen Punkt ausdrücklich zu betonen. In Wahrheit repräsentiert ein Geruchssinn, der ein Erkennen des Raumes vermittelt, eine Art sechsten Sinnes, der sehr schwer zu beschreiben ist. Doch deuten alle Zeug- nisse auf die Tatsache hin, dass Insekten mit beweglichen Antennen diesen 112 Geruch und Geschmack Ich fühle mich nicht berechtigt, mit absoluter Bestimmtheit das Vorhandensein einer dem Geruchssinn verwandten Fähigkeit in den Tastern (Palpen) zu leugnen, besonders bei solchen Insekten, wie den Spinnen etc., die lange Taster und kurze Antennen haben. Trotzdem haben meine Experimente mir gezeigt, dass Empfindungen, die schein- bar in den Tastern lagen, sich statt dessen als in den buccalen Ge- schmacksorganen, von denen wir noch sprechen werden, lokalisiert erwiesen. Die Nerven der Taster aber kommen nicht aus dem Gehirn, sondern aus dem unteren Schlundganglion. Ich neige dahin, wie Plateau, in den Nervenendigungen der Taster einfache Tastorgane zu erblicken. Die ganze Organisation der Spinnen, ebenso v^ie ihre Ge- wohnheiten zeigen uns diese Tiere als in hohem Grade von ihren äusserst feinen Tastempfindungen abhängig, die nur ein wenig von ihrem sehr schwachen Gesicht unterstützt werden. Kehren wir nun zu Graber zurück. Im Biologischen Zentralblatt, Bd. 5, Nr, 13, 1. Sept. 1885, spricht er mit folgenden Worten von seinen Experimenten über den Geruchssinn: „Es ist nicht zuviel be- hauptet, wenn ich sage, dass neben den von mir ermittelten Tatsachen- reihen die landläufigen Anschauungen, Vorurteile und Meinungen, mögen sie auch noch so tief eingewurzelt sein, nicht länger mehr bestehen können." Was denkt sich Graber hierbei? Was will er mit „landläufigen Meinungen" über den Geruchssinn der Insekten sagen? Solche Meinungen gibt es nicht. Seine verächtlichen Worte können folglich nur auf die Werke seiner Vorläufer in diesen Studien ge- richtet sein. Hat aber Graber wirklich ein Recht, in solchen Aus- drücken von so vortrefflich ausgeführten Experimenten und von so scharfsinnigen Urteilen zu reden, wie wir sie Perris, Kraepelin, Lub- bock und Hauser verdanken? Grabers Experimente haben die Zahl für sich, soviel ist wahr. Andrerseits aber muss man von ihnen sagen, dass sie eine sehr oberflächliche Kenntnis des Lebens der Insekten bekunden, dass es ihnen häufig an der richtigen Kontrolle, besonders aber Beurteilung fehlt, dass sie der Vielseitigkeit ermangeln, und dass Sinn wirklich besitzen. Und ein Sinn von dieser Art wird ihnen viel besser zur Orientierung dienen als ein blosses Wahrnehmen von Gerüchen. Diese Tatsache erklärt uns auch, dass Ameisen rechts und links, vorwärts und rück- wärts unterscheiden und dass sie, wenn sie einer Spur nachgehen, wissen, in welcher Richtung sie diese verfolgen. Und schliesslich, infolge der Gesetze der Assoziation, bildet sich in diesen Insekten eine Geruchserinnerung für Örtlichkeiten aus, wie sie nur ein relationeller Raumsinn besitzen kann (1900). Geruch und Geschmack ||3 die benützten Mittel und Reagenzien häufig sehr grob und ohne Berücksichtigung der Gewohnheiten und Bedürfnisse der Spezies ge- wählt sind. Auch sind wir berechtigt, Gräber seine eigenen Wider- sprüche zu Gemüt zu führen. Zuerst glaubte er, wie Wolff, den Geruchssinn im Gaumen gefunden zu haben. Jetzt wieder wünscht er ihn überall zu finden, muss aber dennoch zugeben, „dass es In- sekten gibt, bei denen die Antennen beim Erkennen der schwächeren Gerüche, der Nahrung etc. eine herrschende Rolle spielen." Meiner Meinung nach ist der grobe Geruchssinn, den Graber in den Anal- anhängen (Cerci) der Orthopteren, den Stigmen etc. gefunden zu haben glaubt, nur als ein neues Beispiel der in so vielfältiger Form auftretenden allgemeinen Tastempfindung anzusehen, die aus der Ein- wirkung starker chemischer Reize auf die zarten Nervenendigungen erwächst. Diese hat mit dem Geruchssinn gerade soviel zu tun, wie eine Reizung der Konjunktiva unsrer Augen durch Chloroform, Ammoniak und Schwefelsäure. Wenn der Leser meine oben geschil- derten Experimente an Lucilia Caesar mit Grabers Versuchen an derselben Fliege vergleicht, so wird er wohl ohne Bedenken meiner Ansicht beipflichten. Noch stärker widerspricht sich indessen Graber hinsichtlich des Gehörs. Hierauf werden v^ir später zurückkommen, ich möchte indessen durch diese kritischen Bemerkungen keineswegs die wichtigen Ergebnisse Grabers auf dem Gebiet der photoder- matischen Empfindungen herabsetzen, sondern nur ihm das Recht absprechen, so wie er es getan, die Untersuchungen seiner Vorgänger, die zum grossen Teil besser sind als seine eignen, mit einer gewissen Verachtung beiseite zu schieben. Übrigens hat Plateau (Bulletin de la Societe entomologique de Belgique vom 5. Juni 1886) die Experimente Grabers an Peri- plan eta (Küchenschabe) durch ein Gegenexperiment, ähnlich dem, das ich selbst mit Bienen unternommen habe, widerlegt. Er legte diesen Insekten in ihren Behälter einen Köder inmitten eines Papp- rings von solcher Höhe, dass er den Köder völlig verbarg und der- selbe auch nicht so leicht zufällig gefunden werden konnte. Auf diese Weise war es ausgeschlossen, dass die Periplaneten anders als mit einem bestimmten Zweck den Papprand erkletterten. Diejenigen Exemplare unter ihnen, denen er die Antennen nicht amputiert hatte, fanden den Köder ohne weiteres. Dagegen war keins derjenigen, die der Antennen beraubt waren, imstande, ihn zu finden, ausser ein ein- ziges Mal, ganz zufällig, bei Beginn des Experiments. Forel, Das Sinnenleben der Insekten. o 114 Geruch und Geschmack Geschmack. Dieser Sinn hat bisher im Verhältnis zu den andern wenig Beach- tung gefunden. Können wir ihn bei uns selbst ja oft kaum vom Geruchs- sinn unterscheiden. Auch müssen wir annehmen, dass der Geschmacks- sinn bei einem Insekt von um so geringerer biologischer Bedeutung ist, in je höherer Ausbildung bei dem Tier sich der Kontaktgeruchs- sinn der Antennen befindet. Trotzdem bedürfen offenbar zahlreiche Insekten eines Sinnes, der ihnen erlaubt, gewisse chemische Qualitäten ihrer Speisen zu prüfen, ehe sie diese verschlucken. Ist es doch möglich, dass diese Dinge eine ätzende oder giftige Substanz ent- halten, die nicht flüchtig ist und sich folglich der vorhergehenden Wahrnehmung durch den Geruchssinn entzieht. Der Geschmack beim Menschen ist nichts als ein chemischer Kontaktsinn, der dem Erkennen der chemischen Eigenschaften nicht flüchtiger, aber löslicher Substanzen und dem Unterscheiden derselben voneinander dient, und zwar vermittelst einer spezifischen Energie, die in ihren Eigenschaften derjenigen des Geruchs verwandt ist. In folgendem gebe ich, z. T. nach, Will, ein Verzeichnis der bisher erschienenen, vom Geschmackssinn der Insekten handelnden Werke: Leydig S Meinert ^ Aug. Forel ^ O. J. B. Wolff*, G. Joseph ^ Kunkel u. Gazagnaire^ Breitenbach ^ Huxley■^ Becher ^ Kraepelin^^ G. Haller ^S Kirbachl^ Bela Haller ^^ * Leydig, Zur Anatomie der Insekten. Reicherts Archiv für Anat. u. Physiol. 1859, Heft 1, S.62— 65 u. pl. VI. 2 Meinert (1. c), Bidrag etc. 1860, S. 6 u. 66. « Aug. Forel, Les Fourmis de la Suisse. 1874. S. 117, 121, 377, 446. — Derselbe, Zeitschrift f. wiss. Zoologie, Bd. 30, Suppl. S. 60, 1878. — Derselbe, Etudes myrm^cologiques. 1884. S, 19. * O. J. B. Wolff, Das Riechorgan der Biene (a. a. O.), S.92 u. 176. ^ G. Joseph, Zur Morph, des Geschmacksorgans bei d. Insekten. Amtlicher Bericht d. 50. deutschen Naturf.-Versammlung, München 1877, S. 227. ® Kunkel et Gazagnaire, Du siege de la gustation chez les insectes dipteres. — Comptes rendus des Sc. nat. Bd. XCV., 1881, S.347. ' Breitenbach, Beitrag z. Kenntn. des Baues d. Schmetterling-Rüssels. — Jenaische Zeitschrift. Bd. 15, S. 154. ^ Huxley, The crayhsh. * Becher, Zur Kenntnis d. Mundteile d. Dipteren, Denkschr. d. Akademie d. Wissensch. Wien, Bd. 45, 1882, S. 123. ^° K. Kraepeh'n, Über die Mundwerkzeuge d. saugenden Insekten. Zool. Anzeiger, 1882, Nr. 125, S. 575. — Derselbe, Zur Kenntnis der Anatomie und Physiologie d. Rüssels v. Musca. Zeitschr. f. wiss. Zooig. Bd. 39, 1883, S. 713. Geruch und Geschmack ]15 Will ^\ J. Gazagnaire^^ F. Plateau ^^ auch möchte ich hier auf die Ansichten einiger anderer Autoren, Knoch ^', Lesser ^^ Leon Du- four ^^ Packard ^^ und Treviranus ^^ hinweisen (nach Plateau a. a. O.). Leydig und Meinert " haben zum erstenmal gute Beschreibungen jener Organe geliefert, die ich als Geschmacksorgane betrachte und die an den Kinnladen und der Zungenwurzel gelegen sind. Meinert hat auch bereits die Ansicht ausgesprochen, dass es sich hier um Geschmacksorgane handle. In meinen „Fourmis de la Suisse" habe ich ferner eine Anzahl solcher Organe an der Spitze der Zunge konstatiert, die ich ebenso wie die letzterwähnten als Geschmacks- organe gedeutet habe. Darauf habe ich den Geschmack bei Ameisen experimentell nachgewiesen. Joseph sowohl wie ich selbst (Zeitschr. f. wiss. Zool.) haben auch dem im Gaumen gewisser Insekten vor- kommenden Wolffschen Organ Geschmacksfunktionen zugeschrieben. Wenn man Morphium oder Strychnin mit Honig vermischt, so bemerken dies die Ameisen mittels ihrer Antennen nicht sogleich. Der Geruch des Honigs zieht sie an und sie beginnen zu fressen. Kaum aber haben sie davon gekostet, so hören sie mit Fressen auf. Die Bevorzugung gewisser Speisen durch Ameisen kann man leicht beobachten ; sie fressen zwar wohl das eine, wenn vom andern nichts " G. Haller, Z. Kenntn. d. Sinnesborsten d. Hydrachniden. — Wiegmanns Arch. f. Naturgesch., 1882, Heft 1, S.43. ^2 Kirbach, Mund Werkzeuge d. Schmetterlinge. Zool. Anz., 1883, Nr. 151, S. 556. " Bela Haller, Untersuch, üb. marine Rhipidoglossen. — Morphol. Jahrb., Bd. IX., 1884, S. 76. '* F. Will, Das Geschmacksorgan der Insekten. Zeitschr. f. wiss. Zool., Bd. 42, 1885. *^ J. Gazagnaire. Orig. de la gustation chez les coleopteres. — Proc. verb. de la Soc. zool. de France 11. mars 1886. — Derselbe, Du siege de la gustation chez les coleopteres. — Comptes rendus de l'Acad. d. Sciences 15. mars 1886. ^® F. Plateau. Palpes des insectes brageurs. — Bull, de la Soc. zool. de France. T. X. 1885. ^' Knoch, in Lehmann (a. a. O.), De sensibus externis etc. 1798. ^" Lesser, Theologie des insectes, IL, S. 8, 1742. ^® Leon Dufour, Recherches anat. sur les carabiques et sur plus, autres coleopt. — Ann. des Sc. nat. VIII., 1826. ^° Packard, First ann. Report of the U. S. Ent. Commiss. for 1877, S.272, 1878. " Treviranus, Verm. Schriften anat. u. physiol. Inhalts. II. S. 150, 1817. 2' Auch Braxton Hicks (a. a. O.) hat in demselben Jahre wie Meinert (1860) die an der Basis der Zunge gelegenen Organe einer Megachile mit Worten und vermittelst einer Zeichnung beschrieben, jedoch ohne bei den Einzelheiten des Baues dieser Organe zu verweilen. 8* 1 ] 6 Geruch und Geschmack da ist, für Honig indessen lassen sie alles, selbst manchmal ihre Pflichten und die Verteidigung ihres Nestes im Stich. Ich habe Ameisen, die in ihrem Haufen angegriffen und hart bedrängt wurden, trotz aller Gefahren einen Augenblick verweilen sehen, bloss um etwas Honig, den ich ihnen bot, zu naschen, um einen Mund voll derheissbegehrten Leckerei zu sich zu nehmen. (Forel, Fourmis de la Suisse, S. 117, 121, 377, 446.) Geschmack und Geruch der ihnen schädlichen Dinge vermögen Ameisen nicht immer zu unterscheiden. Einige Arbeiter von F. pra- tensis stopfte ich förmlich mit Honig und Phosphor, den ich ihnen gab. Nach dieser Fütterung verweilten sie längere Zeit regungslos, mit aufgesperrtem Mund, offenstehenden Kiefern und gänzlich abge- stumpft gegen ihre Umgebung. Die, welche am meisten gefressen hatten, gingen zugrunde, die andern erholten sich nach und nach. Wir können uns indes ein Bild machen von der grossen Verschieden- heit der Einwirkung giftiger Substanzen auf diese Insekten und auf uns selbst, wenn wir die folgenden Tatsachen betrachten, die ich zu wiederholten Malen beobachtet habe. Während Arsensäure die Fliegen tötet, die davon fressen, stopften sich Hunderte von Myrmica sca- brinodis mit Honig, welchem ich diese Substanz beigemengt hatte, voll, ohne dass einem einzigen von den Tierchen übel zu werden schien. Strychnin, den ich in starken Dosen in kleine Verletzungen einführte, rief keine krampfartigen Erscheinungen bei den Ameisen hervor, die nur ganz langsam daran zugrunde gingen. Kleine Dosen Morphium, die ich in eine Wunde und zwar am Abdomen einführte, genügten andrerseits, um äusserst rasch, nach vorhergehendem tetanischen Zu- stand, die heftigsten und sonderbarsten Konvulsionen herbeizuführen. Jeder Mensch weiss, wie gut Raupen diejenigen Pflanzen, die ihnen zusagen, durch Geschmack zu erkennen wissen. Wenn sie hungrig sind, so probieren sie nacheinander verschiedene Blätter, ver- lassen aber eins nach dem andern, bis sie endlich dasjenige oder die- jenigen gefunden haben, die ihnen zusagen. Wir würden nie zu Ende kommen, wenn wir es unternähmen, den Insekten auf den Wegen des Geschmacks zu folgen, so vielfältig sind ihre Liebhabereien, sei es für bestimmte Blumen, sei es für bestimmte Sorten Blätter, Holz, Körner, Wurzeln, Tiere, Kadaver oder Exkremente. Dies wäre ein Gegenstand für Brillat-Savarin gewesen, um Bände darüberzuschreiben! Diese Liebhabereien beruhen aber auf wohlbegründeten phylogene- tischen Anpassungen. Geruch und Geschmack 117 Wo ist nun der Sitz dieser Geschmacksempfindung? Perris (a.a. O) berichtet, dass es, nach Abtragung der Taster (Palpi) oft mögh'ch war, mit stark riechenden Substanzen befeuchtete Pinzetten dicht vor die Mundöffnung der Insekten zu bringen, ohne dass diese davon affiziert wurden. „Hie und da zeigt sich indessen eine leichte Empfindh'chkeit, da es nämlich sehr schwierig ist, diese Organe radikal zu entfernen." Perris glaubt demnach an eine in den Tastern lokali- sierte Empfindlichkeit für Geruch in nahem Abstand, ich habe bereits gezeigt, dass ich diese Art von Experiment für wenig überzeugend halte. Plateau fand, dass bei fünfzig Individuen verschiedener Spezies von Coleopteren und Orthopteren die Amputation der vier Taster von keinerlei nachweisbarem Erfolg begleitet war. Die Insekten zeigten Geruchssinn genau wie vorher. Sie frassen genau so gut und unter- schieden ihre Nahrung ebenso exakt wie vor der Amputation. Auch Will (a. a. O.) gelangt in seinem gleichzeitig erscheinenden Werk zu denselben Resultaten wie Plateau. Ich selbst kann in Beziehung auf Wespen und Ameisen diesen Befund voll bestätigen. Die Amputation der Taster beeinträchtigt die Geruch-, Geschmack- oder Kaufähigkeit in keiner Weise. Ich habe sogar die Experimente von Plateau und Will in einem wichtigen Punkte ergänzt. Vor allem kann man jenen Autoren entgegenhalten, dass ihrer Taster beraubte Insekten die Nahrung nach ihrem vermittelst der Antennen wahrgenommenen Geruch erkennen, ein Einwand, der mir äusserst gewichtig erscheint. Ich habe deshalb bei einer Anzahl von Wespen beide Antennen und sämtliche 4 Taster amputiert. Dann gab ich ihnen ein Gemisch von Honig und Chinin. Natürlich war es hierfür notwendig, den Honig dicht an ihren Mund heranzuführen, da sie nicht in der Ver- fassung waren, ihn von selbst zu finden. Sie kosteten also, Hessen aber jedesmal sofort wieder von dem Gebotenen ab. Gab ich ihnen hingegen reinen Honig, ohne Chinin oder Morphium, dann frassen sie ihn mit grösstem Eifer. Dies zeigt deutlich, dass das Geschmacks- empfinden unabhängig von sowohl den Tastern als auch den Fühlern ist und dass es seinen Sitz im Munde selbst hat. Plateau fand, dass die Taster beim Prozess des Kauens gar keine Rolle spielen. Ich selbst habe schon gezeigt (Fourmis de la Suisse, S. 108), dass die Ameisen fast ausschliesslich mittels der Zunge fressen, resp. schlürfen, wie schon Lespes gesehen und Mac Cook bestätigt hat. Ihre schwachen Kiefer, kurz und zahnlos wie sie sind, sind 118 Geruch und Geschmack nicht imstande, die Speisen zu zermahlen, und ihre Mandibeln sind während des Fressens überhaupt passiv. Deshalb vermögen sie nur flüssige oder schleimige Substanzen zu schlürfen. Bei den beissenden Insekten (Coleopteren, Orthopteren, Raupen) dienen die Kiefer und Mandibeln zum Zermahlen und zum Zerkauen fester Substanzen, die sodann verschluckt werden. Die Mandibeln der Ameisen dienen nur zum Tragen, Zerbeissen, Zerreissen, Zersägen und Modeln, niemals zum Kauen. Die Taster aber hängen, meiner Erfahrung nach, bei allen Insekten während des Fressens einfach unter der Mundöffnung herab, wie auch Plateau erwähnt hat. Dieser Umstand sowie die Beobachtungen, die wir gelegentlich unserer Studien über den Geruchssinn gemacht haben, bestärken mich in der Annahme, dass wir es in den Tastern, den Tarsen, sowie den analen Anhängseln gewisser Insekten mit speziellen Tastorganen zu tun haben. Wie Will betont hat, ist es so gut wie unmöglich, die Zunge und den Epipharynx eines Insekts zu entfernen, ohne ihm zugleich die Fähigkeit des Fressens zu nehmen. Ich sehe infolgedessen keinen Weg, durch ein „experimentum crucis" den Sitz der Geschmacks- empfindung zu ermitteln, sondern glaube, dass man hier nur durch ein Ausschlussverfahren zum Ziel kommen kann. Letzteren Weg hat Plateau eingeschlagen, und ich selbst habe ihn in meinen Ver- suchen mit Wespen noch etwas weiter verfolgt. Ich betrachte infolgedessen als Geschmacksorgane: 1. Die Nervenendigungen des Rüssels der Fliegen, die von Leydig (a. a. O.) beschrieben wurden, und welche homolog sind den 2. Nervenendigungen der Kiefer und der Zungenbasis der Ameisen, die Meinert (a. a. O.) beschrieben hat, sowie den 3. von mir selbst (s. Fourmis de la Suisse) beschriebenen Nerven- endigungen der Zungenspitze bei Ameisen und dem 4. Nervenendorgan des Gaumens oder Epipharynx, dessen Be- schreibung wir Wolff verdanken. Dieses letztere scheint mir, jedenfalls bei gewissen Insekten, eine beherrschende Rolle zu spielen, und nicht umsonst finden wir es so entwickelt bei den Bienen, die den Honig aus so vielen verschiedenen Blumen zu schlürfen haben. F. Will hat über den uns hier beschäftigenden Gegenstand eine Monographie geschrieben und eine Serie sehr sorgfältiger und scharf- sinniger Versuche angestellt, um den Geschmackssinn der Insekten zu ergründen. Zur Kontrolle hat er verschiedene Substanzen an- gewendet. Nachdem er Wespen daran gewöhnt hatte, von einem be- Geruch und Geschmack HQ stimmten Korbe Honig zu holen, ersetzte er diesen plötzh'ch durch Alaun. Die Wespen kamen wie gewöhnh'ch, naschten, durch die Gewohnheit getäuscht, von dem Alaun, wandten sich aber, unter heftigen Ver- krümmungen sehr energisch wieder ab. Ferner täuschte er Bienen und Hummeln damit, dass er Honig in Blumen deponierte und diesem dann hinterher Chinin, Salz usw. zusetzte. Jedesmal begannen die Insekten damit, von dem Honig zu naschen und jedesmal ver- liessen sie die Blume, sobald sie den bitteren Geschmack verspürt hatten. Ferner fand Will, dass die unangenehme Geschmackswahrnehmung längere Zeit bestehen bleibt, indem er beobachtete, dass die Insekten mehrere Minuten lang damit beschäftigt sind, sich ihren Mund usw. zu putzen. Gibt man ihnen nach diesen Versuchen reinen Honig,, so kosten sie diesen erst mehrere Male, ehe sie sich entschliessen, an seine Verspeisung heranzugehen. Alle Hymenopteren haben einen Widerwillen gegen Chinin, die meisten Insekten auch gegen Tabak, Trotzdem leben gewisse Brenthiden von Chinarinde und gewisse Anobien im Tabak. Will fand, dass im allgemeinen die Larven in bezug auf Nahrungsstoffe schwieriger zu befriedigen sind als die aus- gewachsenen Insekten. Will gibt schliesslich der allgemeinen, von ihm zuerst ausge- sprochenen Anschauung Ausdruck, dass „bei den meisten In- sekten die Grenzen der deutlichen Wahrnehmung sehr eng gezogen sind, dass jedoch innerhalb dieser Grenzen die Unterscheidungsfähigkeit eine äusserst feine ist". Diese Schlussfolgerung ist sehr interessant, doch halte ich sie für verfrüht. Ihr erster Teil allein scheint mir einige Wahrscheinlichkeit zu besitzen, trotzdem auch er, falls den Graberschen Experimenten der Wert innewohnt, den ihr Autor ihnen zuschreibt, Zweifeln unterworfen ist. Will glaubt (ebenso wie Hauser bezüglich der Endorgane der Antennen), dass das Chitin der Geschmackshaare, welche den Poren- kanal des Nervenendorgans überragen, entweder von einem Loch oder einem kleinen Kanal durchbohrt ist, und dass der Achsenzylinder frei an der Oberfläche liegt. Ich selbst betrachte diese Anschauung überhaupt und auch bezüglich der Antennenorgane als irrtümlich. Das Chitin ist in der Tat sehr dünn und biegsam, ebensowohl an den Enden der Leydigschen Riechkolben, wie auch im Zentrum der (olfaktorischen) Porenplatten der Antennen bei den Apiden und an der Spitze oder der einen Seite der Geschmackshaare der Hy- menopteren. Eine Endosmose durch diese feine Membran hindurch 120 Geruch und Geschmack würde genügen, um ebensowohl die Empfindung als auch die Sekre- tion durch das Chitinende des Ausführungskanals der Drüsenzellen hindurch zu erklären (vgl. Leydig, a. a. O., und Forel, Zeitschrift f. wiss. Zoologie, Bd. 30). Will glaubt, indem er der obigen Anschauung folgt, behaupten zu können, dass die Organe der Kiefer sowie der Zungenbasis und Zungenspitze die einzigen Geschmacksorgane sind. Er spricht dem Wolffschen Organ diese Eigenschaft in sehr bestimmter Weise ab, ohne dafür andere Gründe zu haben, als dass die in den anderen Organen von ihm behauptete freie Öffnung hier fehlt. Gazagnaire hält im Gegenteil (a. a. O.) bei Käfern die hintere Region der dorsalen Pharynxwand (also das Wolffsche Organ) für das einzige Geschmacks- organ der Insekten. Er findet hier eine Gruppe von einzelnen Drüsen, deren Ausführungskanäle um jede Nervenendigung herum Öffnungen zeigen, die der Befeuchtung dienen. Ich für mein Teil bin der Meinung, dass alle diese Organe dem Geschmack dienen. Zunächst zeigen sie schon eine bemerkens- werte Ähnlichkeit unter sich. Ausserdem sehe ich nicht ein, welche Bedeutung ein anderer Sinn im Mundinnern haben könnte. Hier könnte höchstens noch der Tastsinn in Frage kommen. Aber dieser ist dort ja schon durch die einzelnen Tasthaare vertreten und hat ausserdem in dem Gaumen einer Biene (in Anbetracht ihres Rüssels und der Flüssigkeit ihrer Nahrung) überhaupt keine eigentliche Existenz- berechtigung. Sechste Studie. Hör- und Tastsinn und ihre Derivate. Gehör. Viel ist schon über das Gehör der Insekten geschrieben worden. Sulger, Scarpa, Schneider, Bonsdorff (a. a. O.), Carus, Strauss-Dürck- heim, Oken, Burmeister, Kirby und Spence, Newport, Leon Dufour, Hicks (a. a. O.), Lespes, Goureau, Lacordaire, Paasch, Landois, Wolff (a.a.O.) und Graber haben allesamt die Antennen als das Gehörorgan, als das „Ohr" der Insekten hingestellt. Welche Fülle angesehener Namen als Stützen einer Hypothese, die sich so weit von der Wirklichkeit entfernt! Sehen wir uns die Schlussfolgerungen dieser Forscher genauer an, so finden wir, dass sie weniger auf Experimenten als auf gewissen vorgefassten Meinungen und theo- retischen Erwägungen beruhen, so auf der Abwesenheit einer „feucht schleimigen Membran" an den Antennen und auf dem Vorhandensein kleiner mehr oder weniger flacher Membranen gewisser Antennen- endorgane (den „tympanules" von Lespes etc.). Verschiedene ober- flächliche und falsch verstandene Experimente, wobei mechanische Vibrationen regelmässig als Geräusch aufgefasst wurden (Newport, Paasch, Landois a. a. O.), ^ schienen dieser Theorie recht zu geben * Siehe dessen Tierstimmen, 1874, Freiburg i. Br. In diesem Werk glaubt Landois zu beweisen, dass Ameisen hören, weil sie ihr Nest in Angst und Aufregung verlassen, wenn man eine Kreuzspinne darauf wirft. Es spricht wirklich von sehr wenig Überlegung, sich solche Sachen auszudenken. Würde doch ein Taubstummer, selbst wenn er obendrein blind wäre, ohne weiteres die Flucht ergreifen, wenn man ihm einen Ochsen auf sein Dach würfe. 122 Gehör und wurden überall zitiert und abermals zitiert. Es ist auch sehr beachtenswert, dass kein einziger dieser Autoren Entomologe, Jäger, oder ein Biologe gewesen ist, der mit den Gewohnheiten der Insekten in ihrem Freileben gründlich vertraut gewesen wäre. Ich werde mich nun sehr kurz fassen, denn alles, was ich über diesen Gegenstand zu sagen habe, ist absolut negativ. Scheinen mir doch Grillen und einige andere Orthopteren sowie vielleicht die Singzikaden die einzigen Insekten zu sein, bei welchen ein Gehör- vermögen nachweisbar sein dürfte. P. Huber (a. a. O.), Perris (a. a. O,), Duges (a. a. O.), Lubbock (a. a. O.) und ich selbst haben uns bemüht, alle nur erdenklichen Geräusche hervorzubringen. Alle andern Insekten, ausser den genannten, schienen absolut taub, solange wir nämlich mechanische Erschütterungen, gegen die Insekten äusserst empfindlich sind, vermieden. Lubbock hat sogar versucht. Töne von einer Höhe, die für unser Ohr nicht mehr wahrnehmbar sind, zu produzieren. Es ist ihm dies auch gelungen, doch hat kein Insekt darauf reagiert, und so musste auch er schliesslich Hubers, Perris' und meiner Anschauung beipflichten, dass sich Gehör bei Bienen, Wespen und Ameisen nicht nachweisen lässt. Trotzdem blieb er beharrlich bei seiner Meinung, dass Insekten Laute zu hören vermögen, die für uns selbst nicht hörbar sind. Ich selbst habe die höchsten Töne von einer Violine heruntergekratzt, 3 — 4 cm von Bienen entfernt, die mit dem Plündern von Blumen beschäftigt waren; auch habe ich in einem Abstand weniger Zentimeter von den verschiedensten Insekten Schreie und Pfeiftöne hervorgebracht, indem ich dabei die Tiere aufs sorgfältigste vor einer Berührung durch meinen Atem schützte. Solange sie mich nicht sahen, schenkten sie der Sache nicht die mindeste Beachtung. Was soll man zu Leon Dufour sagen, der bei Grillen und Anobien Gehör festgestellt zu haben glaubt, weil die ersteren ihr Lied beendeten, wenn er, in 2 — 3 m Abstand von ihnen auf die Erde stampfte, und weil die letzteren verstummten, wenn ein Stuhl gerückt wurde, wo doch bekanntermassen Taubstumme das weit entfernte Rollen eines Wagens zu empfinden vermögen? Das Gehör ist insofern ein mehr mechanischer Sinn, als Gehör- wellen, besonders die von tiefen Tönen erzeugten, den grossen mechanischen Erschütterungen näher stehen als Licht-, Wärme- oder elektrische Wellen. Das Gehör muss demnach seiner Entstehung nach eng mit dem Tastsinn verknüpft sein, trotzdem wir Menschen subjektiv einen sehr scharfen Unterschied zwischen der Empfindung Gehör 123 eines leisen Geräusches durch den Tastsinn (Erschütterung) und der- jenigen des gleichen Geräusches durch das Gehör machen. Auch dürfen wir nie vergessen, dass die Differenzierung des Gehörorgans beim Menschen eine derartig feine und detaillierte geworden ist, wie wir sie kaum bei irgendeinem niedrigeren Wirbeltier finden dürften- Es ist dies meiner Ansicht nach derjenige Sinn, der uns am stärksten von den niedrigeren Tieren unterscheidet. Schon bei Tieren von der Stufe der Fische ist der Gehörnerv von den anderen Nerven noch nicht getrennt, und die Schnecke (Cochlea), das bei unserem Hörprozess am meisten in Mitleidenschaft versetzte Organ hat sich bei ihnen noch nicht herausdifferenziert. Gräber^ hat, wie er es in seiner schönen Arbeit über die tym- panalen Organe der Orthopteren ausführlich beschreibt, den Versuchs- tieren diese Organe exstirpiert, so z. B. Lokusten und Grillen die Vorderfüsse abgeschnitten und dann gefunden, dass die Tiere nach der Operation das Schreien andrer Grillen und die Töne einer Vio- line ebensogut, wenn nicht besser zu hören vermochten als vorher. Dann entfernte Graber die Antennen seiner Grillen. Sie hörten, d. h. sie reagierten durch Aufschrecken, genau wie zuvor. Er ent- fernte ihren Kopf, auch dieser reagierte noch, wie sich durch die Zuckungen der Antennen kundgab, auf ein Geräusch, während der Körper nur noch auf mechanische Erschütterungen reagierte. Die Logik zwingt uns also zu dem Schluss, dass das Gehörorgan sich irgend- wo im Kopfe befinden muss. Graber aber besteht trotz allem darauf, es in den Antennen zu suchen, und in einer späteren Arbeit^ glaubt er in einem an der Antenne der Fliegen befindlichen Organ, das schon längst von Micks (a. a. O) und Leydig beschrieben worden war, einen Otolithen gefunden zu haben, tauft darauf dies Organ „Otocyst" und erklärt es für das Hörorgan. Paul Mayer^ widerlegt ihn. Graber jedoch verliert keineswegs den Mut. Ihm scheint es eine ausgemachte Sache, dass Insekten hören. In seinen letzten Arbeiten behauptet er,* dass ein geköpfter Körper von Periplaneta ^ Graber, Die tympanalen Sinnesapparate etc. Denkschriften der k. k. Akad. d. Wissensch. in Wien, Bd. 36. ^ Graber, Über neue otocystenartige Sinnesorgane der Insekten. Arch. f. mikr. Anat. 1878, Bd. 16, S. 36. ^ Paolo Mayer, Sopra certi organi etc. Reale Academia dei Lincei, Anno CCLXXVI, 1878—79. * Graber, Arch. f. mikr. Anat., Bd. 20 u. 21. 124 Gehör auf Geräusche reagiert, und folgert nun wieder hieraus, dass bei diesen Insekten kein spezifisches Gehörorgan vorliegt, sondern dass bei ihnen die Gehörsempfindung sich über den ganzen Körper verteilt findet. Kein Mensch kann seine Meinung öfter wechseln, als Graber es hier getan hat. Was ist nun aus seinen früheren Experimenten ge- worden ? ! Oder glaubt er wirklich, dass Grillen mit dem Kopfe, Küchen- schaben mit dem ganzen Körper und Fliegen mit den Antennen hören (ohne der tympaniformen Organe an den Vorderfüssen der Grillen und Lokusten und am Abdomen der Acridier zu gedenken)? Man möchte wirklich ausrufen: welch eine Menge von Ohren für so taube Leute! Will (a. a. O. S. 9) zitiert im Vorübergehen ein Experiment, das er an Cerambyx scopoli gemacht hat. Er schloss ein Weibchen dieser Spezies in einen Kasten und behauptet nun, dass jedesmal, wenn er es mittels einer durch die Kastenwand gesteckten Nadel reizte und es infolgedessen zu zirpen anfing, das Männchen, das sich 15 cm vom Kasten entfernt befand, dies hörte, in Erregung geriet und sich dem Kasten näherte. Er ist der Meinung, dass die Insekten nur das Zirpen ihrer eignen Spezies hören. Ich muss seinem Expe- riment das von Perris (a. a. O.) entgegenhalten, der in einiger Ent- fernung von Individuen derselben Spezies, aber des entgegengesetzten Geschlechts, Fliegen summen, Bockkäfer ihr Brustschildchen kratzen liess etc., ohne dadurch irgendeine besondere Wirkung zu erzeugen. In Summa: Was vielen Autoren als ein Beweis von Gehör er- scheint, glaube ich (ebenso wie Duges) mit wenigen Ausnahmen fast sicher auf mechanische Vibrationen der Luft oder des Bodens zu- rückführen zu können, die von den Tastorganen der Insekten einfach als Erschütterungen empfunden werden. Dies würde übrigens so ziemlich mit Grabers letzter Meinung über das „Hören" von Periplaneta übereinstimmen. Nur ist es nicht richtig, solche Empfindungen „Gehör" zu nennen. Deshalb wollen wir die Frage offen lassen, bis sie durch gewissenhafte und entscheidende Versuche ihre Lösung findet. Spätere Arbeiten. ' G. Parker (nach Wasmann), Peckham (s. unten), Wil. Nagel (Die niederen Sinne der Insekten 1892) und Miss Adele Fielde (The Reaction of Ants to material Vibrations; Proc. Acad. Nat. Sei. Philad. 1904) haben sich seither meiner Skepsis bezüglich des Gehörssinns bei Ameisen ^ Zusatz des Verfassers zur deutschen Übersetzung (1909). Gehör 125 angeschlossen und die bezüghchen Reaktionen auf mechanische Er- schütterungen zurückgeführt. Dagegen haben Wasmann, Adlerz und Tauet (letztere zitiere ich nach Wasmann) die Hörfähigkeit der Ameisen verteidigt. Tauet (1904) hat an der Basis der Fühler ein Sinnesorgan (Organe preantennaire) entdeckt, das er für ein Gehörorgan hält. Dies würde mit Grabers Experiment bei Grillen übereinstimmen, deren abgetrennter Kopf auf Gehörreize reagiert, und die auch ohne Fühler darauf reagieren. In der Rivista di Fisica, Matematica e Scienze natural! An. IX, Dez. 1908, No. 108 (Pavia) hat Wasmann die Frage resümiert. Im Journal für Psychologie und Neurologie II. 1903, S. 66 (Ethnological Observations on American Ants) ist W. M. Wheeler auf Grund zahlreicher Beobachtungen zur Überzeugung gekommen, dass viele Myrmiciden einander durch Zirpen anrufen, so dass viele Ge- fährtinnen einer zirpenden Ameise zur Hilfe eilen. Das gleiche erklärt V. Buttel-Reepen bezüglich des Summens der Bienen. — Zweiffellos ist es, dass Zirp- und Summorgane bei Insekten überhaupt sehr verbreitet sind. Viele Ponerinen und Myrmicinen haben Zirporgane zwischen dem 1. und 2. Hinterleibsring. Wasmann (1. c.) hat, bei Ausschluss aller Gesichtswahrnehmungen, und obwohl eine Glasplatte dazwischen lag, deutliche Reaktionen von Formica sanguinea, pratensis etc. beobachtet, als er (z. B. mit einer Feile) schrille Geräusche in massiger Entfernung (3 Dezimeter) erzeugte. Man darf also behaupten, 1. dass viele Insekten zirpen oder sum- men, 2. dass sie viele Geräusche wahrnehmen, 3. dass Ameisen und Bienen auf Zeichen, wie Summen und Zirpen ihrer Gefährtinnen, die von uns als Geräusche oder Töne gehört werden, reagieren. Es bleibt dagegen fraglich, ob man sagen soll, die Insekten hörten in unserem Sinne die betreffenden Schwingungen der Luft bezw. der festen Medien, oder ob es nicht unverfänglicher ist zu sagen, dass sie diese nur durch eine besondere Modalität des Tastsinns spüren. Man darf nicht vergessen (siehe Tastsinn), dass die meisten Insekten so klein und so leicht sind, dass Schallwellen viel eher sie als Ganzes mitschwingen lassen werden, als eine mikroskopische Membran eines ihrer Sinneshaare. W. Nagel (Die niederen Sinne der Insekten, Tü- bingen 1892) hat bereits darauf aufmerksam gemacht. Unsere Gehörs- wahrnehmungen werden vom Trommelfell durch die Gehörknöchelchen unserem Cortischen Organ übermittelt. Viele Insekten sind aber kleiner und leichter als unser Trommelfell, selbst als unsere Gehör- 126 ^^r Tastsinn und seine Derivate knöchelchen. Daran hat man viel zu wenig gedacht. Ich will gerne die Beobachtungen so vorzüglicher Forscher wie Wheeler, Adlerz und Wasmann anerkennen. Ihre Deutung als Gehör in unserem Sinn bleibt mir jedoch nach wie vor sehr zweifelhaft, und ich neige immer noch, wie Duges, zur Annahme einer Art pseudakustischer Modi- fikation des Tastsinnes für Erschütterungen der Luft und der Grund- lage. Dass eine solche die Funktionen unseres Gehörs mehr oder weniger vertreten mag, das gebe ich gern zu. Der Tastsinn und seine Derivate. Alle Autoren sind sich darin einig, dass Insekten Tastreize mit grösster Schärfe empfinden. Trotzdem ist dies nicht bei allen oder stets der Fall. Gewisse Käfer, die sich eines enormen Chitinpanzers erfreuen, erscheinen weniger empfindlich gegen leichte Berührungen als jene, die eine dünne Haut besitzen. Unter den Insekten, die überall mit einem feinen Tastsinn versehen sind, wären in erster Linie die Raupen zu nennen. Meistens ist nun die Tastempfindlichkeit unregelmässig über die Oberfläche des Körpers verteilt. Gewisse Teile, so z. B. die Flügeldecken und die Flügel, erscheinen in hohem Grade unempfindlich. ^ So habe ich selbst einmal mit bestem Erfolg die Flügel honigsaugender Wespen, die mich nicht sehen konnten, in der Mitte durchgeschnitten, ohne dass die Tiere irgend etwas ge- merkt hätten. Der feinste Tastsinn scheint mir, zusammen mit dem Geruchssinn, in den Antennen lokalisiert zu sein. Danach kommen die Taster, die Trochanter und die Tarsen, die alle zahlreiche Nerven- endigungen aufweisen und äusserst empfindlich gegen Berührung sind. Dasselbe ist auch der Fall beim Abdomen sowie bei den Anal- anhängen, wo solche vorhanden sind, überhaupt bei allen weichen Partien des Körpers. Trotzdem kommt es vor, dass auch berührungs- empfindliche Körperstellen eine starke Chitinbedeckung zeigen. Buguion (1. c. V. Studie) hat auf der Seitenlinie des Abdomens bei Fulgora Tastorgane sehr hübsch beschrieben und abgebildet. Wie Leydig und Micks gezeigt haben, dienen der Berührungs- empfindlichkeit die Sinneshaare. Unter jedem derselben befindet sich eine Pore des Chitins, die einer Nervenendigung zum Durchtritt dient. Doch ist die allgemeine Sensibilität der Insekten durch be- sondere Eigenschaften charakterisiert, die sie von einem, dem unsrigen ^ Hicks hat trotzdem Nervenendorgane in der Nervatur der Flügeldecken und der Flügel angetroffen. Der Tastsinn und seine Derivate 127 analogen Tastsinn unterscheiden. Wir müssen bedenken, dass die Insekten äusserst kleine und ausserdem, dank ihrem Tracheensystem, sehr leichte Geschöpfe sind. Andrerseits ist ihre Körperoberfläche gewöhnlich starr und hart. Aus dieser Starrheit ergibt es sich, dass eine Berührung oder ein Hauch nicht so sehrdadurch wirkt, dass eine lokal begrenzte Stelle ihrer Haut (d. h. ihrer Sinneshaare) und ihrer Nervenendigungen zusammen- gedrückt wird, wie dies bei Wirbeltieren und Mollusken der Fall ist, sondern dass viel eher durch den Stoss das ganze Insekt fortbewegt wird. In Anbetracht der ausserordent- lichen Leichtigkeit der meisten Insekten genügt nun ein wahres Nichts, der schwächste Lufthauch, die unbedeutendste mechanische Er- schütterung, einen solchen Effekt hervorzubringen und das Gleich- gewicht dieser Geschöpfe aufs erheblichste zu stören. Jedenfalls steht fest, dass eine derartige erschütternde Einwirkung auch die Nervenendigungen, besonders die der Tarsen, durch Reibung reizen muss. Wir sehen uns zu dem Schlüsse gezwungen, dass diese Art von Empfindungen, besonders aber diejenige Empfindung, welche die zur Herstellung des Gleichgewichts benötigte Muskelanspannung be- gleitet, bei den Insekten eine sehr erhebliche Rolle spielen muss. Auch ist es leicht zu beweisen, dass dies der Fall ist. Jeder Ento- mologe wird mir aus seinen Erfahrungen heraus bestätigen, dass der leiseste Hauch, die minimalste Erschütterung die Insekten veranlasst, zu fliehen oder sich vom Zweig oder Blatt, wo sie gerade sassen, fallen zu lassen, während die lautesten Rufe sowie der Anblick eines Menschen, wofern sich dieser nur vorsichtig bewegt, sie gleichgültig lässt. (Ich spreche hier nicht von Insekten mit besonders scharfem Gesichtssinn.) Und mehr als das: Man kann häufig bemerken, dass bei ziemlich starkem Winde Käfer, die auf einem Strauche sitzen, nicht herunterfallen, während sie sofort fallen, wenn wir den Strauch nur aufs leiseste erschüttern. Dies rührt daher, dass die Insekten zwischen den beiden Formen des Schütteins sofort zu unterscheiden wissen. Die eine Form ist harmlos, die andere verrät ein lebendes, ihnen ungemütliches Individuum. Kaum sind sie sich der Nähe des letzteren bewusst, so legen sie schnell ihre Füsse zusammen und lassen sich fallen. Wenn jemand sich für die Fülle von Kenntnissen interessiert, die derartige Erschütterungen den kleinen Gliedertieren verschaffen, so möge er einmal etwas eingehender die Gewohnheiten der Spinne studieren. ]28 Der Tastsinn und seine Derivate Ich halte es für irrig, den Spinnen ein feines Gehör zuzuschreiben. Auch in diesem Fall ist wieder einmal der Gehörssinn mit der Wahr- nehmung mechanischer Erschütterungen verwechselt worden. Es ist absolut nötig, wenn man diese oder auch andere Insekten beobachtet, sie durch Vorhalten der Hand oder irgend eines schirmenden Gegen- standes vor der Einwirkung des Atems aus Mund und Nase des Beobachters zu schützen. Wenn man ferner Obacht gibt, dass die Luft oder die Zimmerwände nicht erschüttert werden, indem man die Türen recht sacht öffnet und leise auftritt, so wird man- sehen, dass in einem Zimmer voller Spinnen eine infernalische Katzen- musik mit Violinen oder dergleichen vollführt werden kann, ohne dass diese Tiere das leiseste Zeichen der Aufmerksamkeit von sich geben. Doch muss ich wiederholen, dass die grösste Zurückhaltung in den Bewegungen, sowohl unsrer Körper wie der Musikinstrumente dabei beobachtet werden muss, damit die Luft oder die Wände nicht zu stark bewegt werden, ich jedenfalls habe nie eine Spur des musikalischen Sinns der Spinnen entdeckt, der ihnen von manchen Seiten zugeschrieben worden ist. Man kann sich auch damit unterhalten. Spinnen zu füttern, indem man ihnen verschiedene Insekten in ihr Netz wirft. Dann kann man ihnen zusehen, wenn sie ihre Netze spinnen oder wenn sie in der Luft von einem Baume zum andern wandern, indem sie sich zu- nächst spinnend am eigenen Faden herablassen, indessen sie mit ihren anderen Seidendrüsen ein zart gelocktes, schlingenförmiges Fädchen erzeugen, das der Lufthauch sanft zur Seite weht, während sie selbst ruhig daran weiter spinnen. Dieses Fädchen kann, trotz seiner ausserordentlichen Zartheit, die Länge von mehreren Metern erreichen. Unsre Spinne bleibt indessen bewegungslos mit ausge- streckten Füssen in der Luft hängen und spinnt weiter an ihrer Fadenschlinge. Ganz plötzlich, ohne dass wir selbst etwas sehen, rafft sie sich zusammen, krallt ihre Füsschen um die Basis der aus ihrem Hinterleib tretenden Fadenschlinge und wickelt mit flinken abwechselnden Bewegungen ihrer Füsse die Fadenschlinge an sich auf. Das Tierchen hatte eben gefühlt, dass das ferne Ende seiner Fadenschlinge mehrere Meter weit entfernt irgend etwas berührt hatte. Dies „Irgendetwas" aber war der Zweig eines fernen Baumes, an den der Faden sich angeheftet hatte. Während die Spinne nun den Faden mit ihren Füsschen aufwickelt, verkürzt sich dieser nach und nach, haftet fester an dem neuen Baum, und nicht lange, so Der Tastsinn und seine Derivate 129 hat unser Seiltänzerlein hoch in der Luft eine Reise von einem Baum zum andern vollzogen. Wenn wir recht verschiedenartige Insekten in ein Spinngewebe hineinfallen lassen, werden wir bald bemerken, dass die Spinne durch die Art des Anpralls, durch die mehr oder minder starke Spannung des Netzes ohne hinzusehen unterscheidet, ob die Insekten gross oder klein, schwer oder leicht sind, und dass sie ihre sämt- lichen Bewegungen bemerkt. Ja, es ist mir stets so vorgekommen, als ob sie Hymenopteren von Dipteren zu unterscheiden wüsste, denn während sie mit den für sie oft gefährlichen ersteren äusserst behutsam verfährt, wirft sie sich auf die letzteren ohne jedes Be- denken und ohne die leiseste Spur von Vorsicht. Trotzdem diese Insekten ungefähr dieselbe Grösse aufweisen, sind die Hymenopteren doch viel gewichtiger als die Dipteren, auch sind ihre Bewegungen — sowohl der Flügel wie der Körper — ganz anders geartet. Sobald die Spinne die kleinste unerwartete Erschütterung ihres Netzes verspürt, schrickt sie zusammen. Manche (so z. B. Epeira) fassen ihr Netz fester, ja schütteln es förmlich; man hat den Eindruck, dass sie auf die Bewegungen, die ihre Beute ausführt, aufpassen, ja dass sie solche Bewegungen sogar zu provozieren versuchen. Immer aber sind es die Bewegungen des gefangenen Insektes, durch welche die Spinne sich leiten lässt. Diese Bewegungen sind es, die sie ver- anlassen, vorzugehen und die ihr die Richtung, in welcher sich die Beute befindet, zu erkennen geben. ^ Andere Spinnen, z. B. solche, die ihr Netz in Zimmerecken anlegen, schütteln es nicht, sondern be- gnügen sich damit, die Bewegungen des zappelnden Insekts zu be- lauschen. Solange letzteres sich ruhig verhält, wartet auch die Spinne, ohne sich zu bewegen. Ist die Bewegung zu heftig, so dass sie durch ein allzugrosses Insekt veranlasst erscheint, zieht sich die Spinne zurück oder bleibt regungslos sitzen, ja es kommt vor, dass die Spinne dann ihr Netz abschneidet, um solche unheimlichen In- sekten los zu werden. Ich habe auch beobachtet, wie sie dies be- stimmten kleinen Insekten z. B. Ameisen gegenüber taten, vor denen sie sich sehr fürchten, sobald sie dieselben an ihren Bewegungen erkannt hatten. Aber selbst wenn ein sehr kleines, hartes Insekt, wie z. B. ein Rüsselkäfer, sich in das Gespinst einer grossen Spinne ^ Dies wird von Boys in seinen Notizen über den Einfluss einer Tongabel auf eine Gartenspinne bestätigt. Nature, Bd. 23, S. 149. F 0 r e 1 , Das Sinnesleben der Insekten 130 ^^^ Tastsinn und seine Derivate verirrt, wird dies von der letzteren nicht immer ignoriert, sie begibt sich zu dem Eindringling, löst ihn von dem Netz ab, und wirft ihn hinaus. In Summa: Jeder, der Spinnen in ihren Hantierungen verschie- denster Art mit Gewissenhaftigkeit und Geduld beobachtet, wird bald heraus haben, dass es die mechanischen Erschütterungen sind, die Spannung, der Widerstand des Netzes, was sie leitet, und keineswegs ihr Geruchssinn, oder gar ein Gehörssinn. Der Gesichtssinn ist sehr schwach, sie sehen kaum etwas anderes als Bewegungen und ar- beiten bei völliger Dunkelheit ebensogut wie bei Tage. Duges hat (a. a. O.) das von uns besprochene Phänomen, das in einer Wahr- nehmung mechanischer Erschütterungen vermittelst des gesamten Körpers besteht, ein „Pseudo-Gehör" genannt, Der Temperatursinn scheint bei den Insekten ebenso stark oder ebenso wenig wie bei uns entwickelt zu sein. Das heisst soviel wie, dass dieser Sinn ihnen ebensowenig wie uns bestimmtere Auskünfte über irgend etwas anderes als die Höhe der Temperatur, der Kälte wie der Hitze zu geben vermag. Trotzdem lässt sich, besonders bei den Ameisen, beobachten, dass diese Kenntnisse sehr sorgfältig für das Aufziehen von Larven und Puppen verwendet werden, die einer möglichst milden und gleichmässigen Wärme bedürfen. Die Ameisen räumen ihre Pfleglinge demgemäss fortwährend, je nach den Tages- stunden oder den Jahreszeiten, um, und tragen sie, je nach der Temperatur, von den unteren nach den oberen Schichten ihres Haufens und umgekehrt, schleppen sie von den Regionen unter dem Dach ihrer Kuppel, auf das die Sonne scheint, nach den beschatteten Ab- teilungen desselben usw., wie Huber (a. a. O.) bereits gezeigt hat. Beim ersten Frühlingssonnenschein transportieren sie die Puppen allesamt unter die oberste Decke des Nests und bringen sie bei An- bruch der Nacht wieder nach unten in die Tiefe der Erde. Strahlt aber eine glühende Julisonne herab, so geschieht das Gegenteil, und es wird über Mittag wenigstens alles nach unten getragen. Die für jede Art passende Temperatur variiert, je nach der Spezies, unge- heuer. Während verschiedene Nebria- und Dichotrachelus-Arten unter dem Schnee oder dicht an seinem Rande leben, spazieren Bembex, Anthrax, Pimelia, Myrmecocystus bombycinus und viele andere Insekten ganz munter in mittäglicher Glut, oder in der Sahara bei einer Hitze, die uns selbst an den Rand des Ver- gehens bringen würde, über brennend heissen Sand. Gewisse In- Der Tastsinn und seine Derivate 131 Sekten können sogar (Fourmis de la Suisse S. 432 u. f.) eine ziem- lich stark unter den Nullgrad sinkende Temperatur ertragen, andere sterben schon bei viel weniger strenger Kälte. Dasselbe gilt auch für hohe Temperaturen. Schmerzempfindung lässt sich bei Insekten sehr schwer von Tast- empfindung unterscheiden, immerhin geben die Tierchen häufig ganz unmissverständliche Zeichen von Unlust von sich, besonders wenn man ihre Antennen zwickt oder ihre Nervenendigungen mit bestimmten ätzenden Substanzen oder scharfen Gerüchen reizt. Das- selbe kann man beobachten, wenn man einen widerlichen Geschmack, besonders eine bittere Substanz, wie z. B. Chinin, in ihre Speisen mischt (s. Will). Wenn man indessen alles zusammen berücksich- tigt, so kann man wohl behaupten, dass die Schmerzempfindung bei den Insekten viel weniger entwickelt ist als bei den warmblütigen Wirbeltieren. Sonst könnte man es nicht erleben, dass eine Ameise, der soeben Antennen und Abdomen abgeschnitten worden sind, in Honig schwelgt; oder dass eine Hummel, der die Antennen oder gar der Vorderkopf gänzlich entfernt worden ist, sofort wieder zu den Blumen zurückfliegt, um sich zu erlaben; oder dass eine Kreuzspinne, deren Fuss abgebrochen worden ist, sich sofort über diesen ihren eigenen Fuss hermacht und ihn auffrisst (ein Vorgang, den ich selbst beobachtet habe); oder dass endlich, wie ich mehr als einmal ge- sehen habe, eine dicht am Anus verwundete Raupe sich, von hinten anfangend, selbst auffrisst. Wir müssen endlich sowohl die photodermatischen Empfindungen als auch die Empfindungen für starke (ätzende) Ausdünstungen durch die verschiedenartigsten Nervenendigungen (mit andern Worten jene von Graber in seinen letzten Arbeiten behandelten Empfindungen), der umfassenden Domäne der Tastempfindlichkeit im weiteren Sinne, mit ihren verschiedenen Varietäten, zurechnen. Willibald Nagel (Die niederen Sinne der Insekten 1892 und Er- gebnisse vergl. physiol. und anat. Unters, über den Geruchs- und Geschmackssinn und ihre Organe, Biol. Zentralblatt 1. August 1894, Autoreferat) spricht von einem Universalsinnesorgan, das nicht recht differenziert sei und als Gleichgewichts- und Gehörssinn bei Insekten funktioniert, was Duges' und meiner Ansicht nahekommt. Die Taster dienen seiner Ansicht nach einem chemischen Sinn. Er betont, dass es oft schwer ist, bei Insekten zwischen Geschmack und Geruch zu unter- scheiden. Wenn er bei Raupen einen stark entwickelten Ge- 9* ^32 Der Tastsinn und seine Derivate ruchssinn finden will, kann ich ihm nicht beipflichten, denn wäre dies der Fall, so würden die Raupen nicht allerlei Fressversuche bei ihnen nicht zukömmlichen Blättern machen, Versuche die sie dann freilich sofort wieder aufgeben. Siebente Studie. Allgemeine Betrachtungen über die Sinne. Beziehungen zwischen den Sinnen und den geistigen Fähigkeiten der Insekten. Wir sehen aus dem Vorhergehenden, dass die Insekten dieselben fünf Sinne wie wir besitzen (ausser vielleicht das Gehör), und zwar in wohl differenziertem Zustand und mit denselben oder wenigstens mit sehr nahe verwandten, spezifischen Energien. Die Eigenschaften ihres Gesichtssinns sind allerdings nach verschiedenen Richtungen hin von denen des unseren verschieden. Gewisse Arten sehen die ultravio- letten Strahlen, die uns selbst verborgen sind. Ferner besitzen viele In- sekten eine Art „Kontaktgeruch", den wir selbst nicht haben, und der u.a. die Ameisen in den Stand setzt, ihre Kameraden von ihren Feinden zu unterscheiden und die chemischen Eigenschaften der Gegenstände, die sie mit ihren Antennen betasten (in denen dieser Sinn lokalisiert ist), zu erkennen. Es möchte uns scheinen, als ob ihr Geruchssinn, sowohl aus der Entfernung wie beim Kontakt, in direkter Beziehung zum Räume stehe, d. h. dass er das Insekt über die Stellung der Gegenstände im Raum und zu einander orientiert. Besitzen nun die Insekten ausserdem noch Sinne, die uns selbst fehlen? Diese so oft schon, u. a. auch von Leydig, aufgeworfene Frage ist noch nicht entschieden. Es ist indes möglich, dass sie zu bejahen sein wird; bildet doch z. B. das ultraviolette Sehen, dessen wir selbst er- mangeln, ganz bestimmt eine besondere Abart ihres Gesichtssinnes. Als solche könnte man auch die photodermatischen Empfindungen bezeichnen. 134 Allgemeines über die Sinne Die Entwicklung jedes Sinnes, ja jeder Einzelart spezifischer Energie (s. Farben, Gerüche), variiert unendlich, nicht nur nach Familien und Gattungen, sondern selbst bei sehr nahe verwandten Arten, ja sogar bei den verschiedenen Geschlechtern derselben Art. Eine blinde Ameise, Eciton Hetschkoi Mayr weist ein Männchen (vormals als be- sondere Gattung Labidus beschrieben) auf, das enorme Augen sowie drei grosse Ocellen besitzt; desgleichen die Arten der Gattungen Dorylus und Aenictus. Neben den blinden Arbeitern gewisser Ponerinenarten gibt es eine Kategorie Arbeiter, die grosse Augen haben. Der Geruchssinn variiert bei verwandten Arten weniger. Immerhin ist Eucera longicornis mit ihren riesigen Antennen ziemlich nahe mit der Biene verwandt, deren Geruchssinn relativ wenig entwickelt ist. Es ist, wie Will (a. a. O.) betont hat, richtig, dass bei manchen Insekten ein bestimmter Sinn oder die spezifische Energie eines Sinnes, verglichen mit den übrigen, unver- hältnismässig entwickelt erscheint. Dies ist jedenfalls das Resultat der Anpassung an eine bestimmte, arterhaltende Funktion. Unter diesen speziellen Anpassungen möchte ich den Geruchssinn der Silpha für faulendes Fleisch und von Aphodius für Dünger anführen, sowie die Geruchsempfindlichkeit vieler männlicher Insekten, die das Weibchen, kraft ihrer feinen Empfänglichkeit für gewisse Gerüche, schon aus den grössten Entfernungen aufspüren. Es genügt häufig, das Weibchen einer sehr seltenen Spezies ans Fenster zu setzen, um das Männchen schleunigst erscheinen zu lassen. Dann haben wir den wunderbaren Geschmackssinn der Raupe für ihre spezielle Pflanze oder Pflanzen, ferner die enormen Augen der Libellen, die diesen Tieren für ihre Jagdflüge im Luftgebiet dienen. Die Hausbiene wiederum unterscheidet fast alle die uns bekannten Farben, was bei der Wespe nicht der Fall ist usw. Trotz alledem dürfen wir die Wichtigkeit dieser Dinge nicht überschätzen. Es gibt viele Insekten, bei denen sich die verschiedenen Sinne so ziemlich die Wage halten. Ich greife aus der grossen Zahl der Beispiele dafür nur die Wespen, Hausfliegen und Formica rufa heraus. Die Tätigkeiten der Insekten benötigen natürlicherweise ein kombiniertes Zusammenwirken ihrer verschiedenen Sinne. Doch ist es von den verschiedenen Sinnen häufig (nicht immer!) einer, der, wie z. B. beim Menschen das Auge, das Führeramt übernimmt und den ich als „führenden Sinn" bezeichnen möchte. So spielt bei den luftlebenden Insekten, besonders den Libellen und Schmetterlingen, Allgemeines über die Sinne 135 der Gesichtssinn diese Rolle, bei den Arbeiterameisen der Geruchs-, bei den Spinnen der Tastsinn, bei den Raupen Geschmackssinn und Tastsinn vereint. Beim Fliegen gebrauchen diejenigen Insekten, die einen scharfen Geruchssinn haben, diesen nicht eigentlich, um ihren Flug selbst zu dirigieren, sondern nur, um das Ziel dieses Fluges, einen vermittelst der Antennen entdeckten, von einer bestimmten Seite her ausstrahlenden Geruch zu bestimmen. So wittert z. B. eine Wespe in einer gewissen Entfernung Honig. Sie fliegt nach dieser Richtung doch werden alle die einzelnen Richtungsbewegungen, die sie in der Luft vollführt, vom Gesichtssinn geleitet; auch habe ich bereits oben gezeigt, dass nach Entfernung der Augen ein zielbewusster Flug zur Unmöglichkeit wird. Um gewisse Substanzen ausfindig zu machen, schweben manche Insekten, so z. B. die Wespen, in der Luft über dem betreffenden Gegenstand her und hin. Bei den flügellosen Insekten ersetzt gewöhnlich ein Zusammenwirken von Geruchs- und Tastsinn das Zusammenwirken von Gesichts- und Geruchssinn, doch spielt auch bei ihnen das Auge eine Rolle. Mit Wasserinsekten habe ich nicht experimentiert. Graber (a. a. O.) fand, dass sie auf starke Gerüche, die durch die Luft und eine dünne Wasserschicht zu ihnen drangen, reagierten. Das beweist, dass die Stoffe, die er anwandte, schnell vom Wasser absorbiert wurden. Der Geruchsvorgang im Wasser (so z. B. bei Dytiscus) findet offenbar vermittelst der Antennen statt, durch welche die Insekten die im Wasser aufgelösten Stoffe wahrzunehmen vermögen. Hier haben wir also einen Fall, wo der Geruchssinn sich dem Geschmackssinn nähert, ja es wäre möglich, dass hier das Geschmacksorgan eine verhältnis- mässig wichtigere Rolle spielt als die Antennen. Zum Schlüsse dieser Untersuchungen möchte ich noch ein Wort über den Zusammenhang zwischen den Sinnen und dem Verstand der Insekten, oder mit anderen Worten, den Funktionen ihres Zentral- nervensystems sagen. Unsere Vorstellung eines Insektes zaubert uns eine Vision von „Instinkten" vor Augen. Instinkte aber sind stets aufs engste an sinnliche Wahrnehmungen gebunden. Ich glaube, hierfür in den obigen Experimenten schlagende Beispiele beigebracht zu haben, so z.B. durch die Schilderung der Amputation der Antennen bei Aasfliegen und des Einflusses dieser Prozedur auf das Eierlegen, ebenso durch die Schilderung der sozialen Instinkte bei Ameisen. Sinnliche Wahrnehmung ist sozusagen die Triebfeder, welche die Instinkt- maschinerie in Bewegung setzt. Doch darf man nun nicht denken. 136 Sinne und geistige Fähigkeiten dass hiermit alles gesagt sei. Viele Instinkte existieren sicher in la- tentem Zustande, selbst wenn der ihnen entsprechende Sinn zerstört worden ist. Wir haben dies sehr deutlich in den feindseligen resp. freund- schaftlichen Beziehungen der antennenberaubten Ameisen zueinander gesehen. Auch ihre Larven und Puppen konnten diese Tiere nur deshalb nicht pflegen, weil sie dieselben nicht mehr erkannten. Wenn eine von diesen Ameisen auf einer Puppe sass, so merkte sie dies nicht, obwohl sie vielleicht von dem lebhaftesten Wunsch, eine solche zu besitzen, verzehrt wurde. Andrerseits spendete sie ihren Honig einer feindlichen Ameise, deren Bewegungen ihre Auf- merksamkeit erregten, weil sie dieselbe für eine Freundin hielt. Mit einem Wort: wenn einerseits Instinkte nicht ohne die Mit- wirkung der Sinne aktiviert werden können, so sind andrerseits die Sinne, auch die bestentwickelten, von wenig Nutzen, falls das Insekt dumm ist, d. h. ein wenig entwickeltes Gehirn besitzt. Eines der schlagendsten Beispiele für diese Behauptung wird ebenfalls von den Ameisen geliefert. Hier sind die Männchen in bezug auf die Ent- wicklung der Sinne das bevorzugte Geschlecht. Sie besitzen gut entwickelte Augen und eine lange Fühlergeissel. Trotzdem sind es sehr einfältige Geschöpfe und so unbeholfen wie nur möglich. Sie kennen nicht einmal ihr Nest, verirren sich bereits 5 cm vom Nest- eingang, vermögen nicht ihre Freunde von Ameisen einer feindlichen Kolonie zu unterscheiden, sind gänzlich arbeitsunfähig und lassen sich von den Arbeiterinnen ernähren. Ihr einziger Instinkt besteht in der Befruchtung der Weibchen. Der Schlüssel dieses Rätsels liegt darin, dass ihr eigentliches Hirn (Corpora pedunculata) unendlich viel kleiner ist als das der Arbeiterinnen, obwohl ihre Körpergrösse die der letzteren häufig übertrifft. Je komplizierter sich die intellektuellen Fähigkeiten eines Insektes (und somit auch sein Gehirn) gestalten, desto besser versteht es, seine Sinne in vielseitiger Weise zu gebrauchen. Worin bestehen nun aber die Fähigkeiten eines Insektengeistes? Der Plan dieser Studie erlaubt mir nicht, mich in die Probleme der vergleichenden Psycho- logie zu vertiefen, trotzdem kann ich mit wenigen Worten darlegen, dass die Insekten über folgende Fähigkeiten verfügen: 1 . Bewegungen, die nicht etwa bloss auf Reflexen oder einfachen Automatismen beruhen, sondern die auf entferntere Ziele gerichtet sind. Sie sind sehr gut koordiniert und gehen fast alle aus Kom- binationen einer instinktiven Überlegung hervor, die von Sinnes- Sinne und geistige Fähigkeiten 137 eindrücken geleitet werden und ihrem Ziel bewunderungswürdig angepasst sind. Wir sprechen hier von "zielbewussten Handlungen des Insektenindividuums oder der Insektengemeinschaft, von dem „Willen" dieser Geschöpfe, der, wenn er auch zweifellos hinter dem der Wirbeltiere zurückbleibt, doch keineswegs in fundamentalem Gegen- satz zu letzterem steht. 2. Ein häufig sehr gutes Gedächtnis für Gegenstände, Örtlich- keiten und — fast möchte ich sagen „Individuen". Es genügt, daran zu erinnern, wie gut es Bienen und Wespen verstehen, auch ohne Antennen ihren Weg zu finden. Hier kann man nicht mehr von einem „blinden Instinkt" sprechen, denn es fehlt der sinnliche Ein- druck, durch den ein solcher bedingt sein würde. So z. B. muss meine antennenlose Wespe die verschiedenen, an ihrem Weg ge- legenen Gegenstände direkt dem Aussehen nach „erkannt" haben, denn ohne das würde sie den Rückweg durch mein Fenster hin- durch nach dem Honig auf meinem Koffer nie gefunden haben; sehen aber konnte sie diesen Honig nicht, ehe sie in das Zimmer hineingeflogen war. Es konnte also weder direkter Geruchs- noch direkter Gesichtssinn sein, der die Wespen nach meinem Zimmer zurückgeführt hatte, sondern die Erinnerung der gehabten Gesichtsein- drücke. Das Gedächtnis der Insekten zeigt viele Varianten. Wir haben gesehen, dass gewisse Ameisen ihre Gefährten nach Ablauf mehrerer Monate erkennen, während andere sie nach sechs Wochen bereits ver- gessen hatten. Ich selbst habe (s. oben) beobachtet, dass Wespen ein viel besseres Ortsgedächtnis haben als Hummeln (Bombus), obwohl der Gesichtssinn der letzteren eher schärfer ist, und ferner haben wir soeben gesehen, dass das Gedächtnis unabhänging von den Antennen ist. Die Männchen der Ameisen zeigen kaum die leiseste Spur eines Gedächtnisses, und dasselbe zeigt sich bei manchen, obwohl durch- aus nicht bei sämtlichen einzellebenden Insekten. Es hängtdies zweifel- los wiederum mit der Entwicklung des Gehirnes zusammen. So z.B. wurde ein Dytiscus marginalis, den ich in einer Schüssel hielt, und den ich, wenn ich nach Hause kam, regelrecht zu füttern pflegte, schliesslich einigermassen zahm. Statt, wie zu Anfang, nach dem Boden der Schüssel zu fliehen, wenn ich ins Zimmer trat, schnellte er jetzt sofort zur Oberfläche des Wassers empor, fast als wolle er herausspringen, und schnappte eifrig nach dem, was ich ihm hinhielt, ja sogar nach den Spitzen meiner Finger. Hatte er bis dahin ruhig gesessen, so begann er sich umherzubewegen, sobald 138 Sinne und geistige Fähigkeiten er mich hereinkommen sah. Er erinnerte sich offenbar, dass ich es war, der ihm sein Futter gab (womit ich natürlich keineswegs sagen will, dass er mich von andern Menschen unterschieden haben würde)! Ja ich brachte es dahin, dass dieses Wassertier an meinem Tische einen Imbiss zu sich nahm, nur benahm es sich dabei instinktiv so, als befände es sich im Wasser, streckte seine Vorderfüsse nach vorn von sich weg und fiel dadurch regelmässig auf den Rücken; dies hinderte den Käfer jedoch keineswegs, sein Mahl in dieser abnormen Stellung zu vollenden. Wenn wir uns alle diese Tatsachen vor Augen halten, so erkennen wir, dass, wenn die Insekten ihren Weg finden, dies nicht nur des- halb geschieht, weil sie jedesmal von neuem von demselben Gegen- stand „angezogen" werden oder gedankenlos einer „Spur" folgen,, sondern dass sie von ihren Erinnerungen Gebrauch machen. Folg- lich steht es fest, dass die im Laufe ihres individuellen Daseins auf- genommenen sinnlichen Eindrücke von den Insekten aufbewahrt und dann verwertet werden, wenigstens gilt dies für die intelligenteren unter diesen Tieren. Noch ein Fall, der dies beweist. Wenn man im Herbst einen Teller mit Honig an eine bestimmte Stelle setzt, so kommen die Wespen, zunächst durch den Geruch angelockt, immer wieder geflogen, um zu naschen. Nimmt man dann diesen Teller weg und ersetzt ihn durch einen leeren, so kommen die Wespen trotz- dem mit unfehlbarer Sicherheit wieder, wenn auch gar kein Honig mehr auf dem Teller ist. Dies hat Lubbock, ebenso wie ich selbst, durch Experimente festgestellt. Insekten denken demnach, ja die intelligentesten unter ihnen, die sozialen Hymenopteren, vor allem Wespen und Ameisen, denken noch viel mehr, als man zunächst anzunehmen pflegt, wenn man den regelmässigen Ablauf des Mechanismus ihrer Instinkte allein beachtet. Um das Arbeiten ihres Verstandes klar zu beobachten, muss man, wie ich es in meinen „Fourmis de la Suisse" gezeigt habe, ihre Instinkte irreführen. Man kann alsdann gelegentliche kleine Ausbrüche pla- stischer Urteilskraft, ja Kombinationsgabe — natürlich in sehr be- grenztem Umfang — beobachten, die, indem sie das Insekt für einen Augenblick von den gebahnten Wegen seines Automatismus ablenken, ihm helfen, Schwierigkeiten zu überwinden, sich zwischen zwei Ge- fahren oder zwischen zwei Lösungen einer Schwierigkeit zu ent- scheiden usw. Vom Standpunkt des Instinkts und der Intelligenz, richtiger der Vernunft, lassen sich folglich absolute Gegensätze Sinne und geistige Fähigkeiten 139 zwischen Insekt, Wirbeltier und Mensch nicht feststellen. Beim Insekt spielt der ererbte, in einem fabelhaften Grade entwickelte und differenzierte Automatismus eine hervorragende Rolle und gelangt merkwürdigerweise häufig genug zu Resultaten, die denen, welche der Mensch mit seiner plastischen Urteilskraft erreicht, sehr ähnlich sind. Denken wir z. B. an die Sklavenhalterei, an die Webkunst mit Hilfe der eigenen Larven, an die Pilzzucht und an das Aufziehen von Nutzvieh (in Gestalt von Blattläusen) bei den Ameisen. Wie Pouchet sehr schön gezeigt hat, treten Instinkt und Verstand keines- wegs in einem gegensätzlichen Verhältnis zueinander auf. Sind doch die intelligentesten (plastischsten) Insekten gewöhnlich — wenn auch nicht immer — diejenigen, die zugleich die mannigfaltigsten und kompli- ziertesten Instinkte besitzen. Meiner eignen Meinung nach stehen diese beiden Arten der Veranlagung in keinem Verhältnis zuein- ander. Wasserkäfer und Ameisen sind relativ intelligente Insekten ; trotzdem besitzen Wasserkäfer durchaus keine sehr komplizierten, Ameisen dagegen, wie jeder weiss, ausserordentlich entwickelte In- stinkte. Gewisse Raupen, die mit äusserst komplizierten Instinkten ausgestattet sind, vermögen nicht im geringsten ihre Handlungsweise den jeweiligen Umständen anzupassen, sondern sind, sobald ihre instinktiven Tätigkeiten im mindesten gestört werden, wie man so sagt, verraten und verkauft. Ihre Intelligenz erweist sich hier- nach als äussert gering. Auch Apoderus coryli besitzt sehr kom- plizierte Instinkte, ohne gleichzeitig intelligent zu sein. Instinkt ist organisiertes, systematisiertes, automatisch gewordenes erbliches Denken. Es gehört zur erblichen Mneme Semons. Es erfordert scheinbar viel weniger Hirnsubstanz, derart fixiert oder instinktiv zu denken, als aktuelle, individuelle, neue und kombina- torische Denkarbeit zu leisten; beide Faktoren finden sich vereint bei allen mit einem Nervensystem versehenen Tieren, doch tritt beim Insekt das plastische Denken nur einem Funken gleich auf, der als Anregung für eine neue Erweiterung des bereits so hoch entwickelten Instinktsystems dient. Der Vogel ist schon plastischer in seinen Instinkten, der Hund plastischer als der Vogel, der Affe plastischer als der Hund. Das Weib ist, durchschnittlich gesprochen, mehr Instinktwesen als der Mann, weniger plastisch, weniger kombinatorisch beanlagt. Und dennoch ist auch der Mann noch vollgepfropft mit Automatismen. Sein Nervensystem besitzt die potentielle Fähigkeit, durch Erziehung sowie durch individuell erworbene Gewohnheiten 140 Sinne und geistige Fähigkeiten eine fast unbegrenzte Menge von sekundären Automatismen hervor- zubringen, die durch oft wiederholte plastische Handlungen vorbereitet werden. In Wirklichkeit tritt im einzelnen menschlichen Hirn nur eine relativ kleine Menge solcher Automatismen in Erscheinung, wie z. B. technische Geschicklichkeiten oder Kenntnisse aller möglichen Art; doch ist diese kleine Menge verhältnismässig ungeheuer, ver- glichen mit dem engbegrenzten Instinktkreis eines Insekts, so wunder- bar auch letzteres den Bedürfnissen seines spezialisierten Zwecks angepasst erscheint. Offenbar ist es gerade diese potentielle Fähigkeit, welche die grosse Masse Hirn benötigt, die der menschliche Organis- mus aufweist — oder vielmehr die grosse Hirnmasse ist es, die sich im Zusammenhang mit jener Fähigkeit entwickelt hat, während beim Insekt das kleine Hirn nur einer sehr geringen Anzahl fester Auto- matismen zu dienen vermag, wobei die vollkommene Anpassung an einen ganz bestimmten Zweck den Mangel aufwiegt, der in ihrer relativen Unveränderbarkeit besteht. Schliesslich besitzen die Insekten noch Leidenschaften, die mehr oder weniger an ihre Instinkte geknüpft sind. Diese Leidenschaften sind je nach der Spezies ungeheuer verschieden. Manche Arten sind ausserordentlich reizbar und cholerisch, so z. B. die Wespen, ferner Formica rufa, Formica exsecta, Polyergus rufescens, über- haupt, wenn auch in sehr verschiedenem Grade, die meisten Ameisen; unter den Käfern besonders Ocypus olens. Dennoch gibt es auch Ameisenarten, wie Myrmecina graminicola (Latreillei) (Fourmis de la Suisse, S. 351), die sanft, friedliebend und schüchtern sind. Die Carabidae, obwohl ebensolche Fleischfresser wie Ocypus, sind gar nicht reizbar. Der Jähzorn von Polyergus rufescens ist imstande, aus dieser Ameise ein wahnwitziges Wesen zu machen, das mit Berserkerwut um sich beisst und sogar seine eigenen Sklaven tötet. In meinen „Fourmis de la Suisse" habe ich folgende Charakter- züge oder Leidenschaften bei den Ameisen aufgezählt: Zorn, Hass, Hingebung oder soziales Pflichtgefühl, Tätigkeitstrieb, Ausdauer und Naschsucht. Ich habe dann noch die Entmutigung erwähnt, die in so ausgesprochener Weise im Anschluss an eine Niederlage zum Ausdruck kommt und zuweilen in regelrechte Verzweiflung übergeht; ferner die Angst, die Ameisen häufig zeigen, wenn sie allein, und die sofort verschwindet, wenn sie in Gesellschaft von ihresgleichen sind. Und schliesslich die plötzliche Tollkühnheit, mit der sich gewisse Ameisen, so besonders die Formica sanguinea, Sinne und geistige Fähigkeiten 141 sobald sie erkennen, dass der Feind geschwächt und entmutigt ist, allein auf die schwarzen Haufen der ihnen an Grösse überlegenen Gegner stürzen und diese bedrängen, ohne im geringsten an ihre eigene Sicherheit zu denken oder irgendwelche Vorsichtsmassregeln zu ergreifen. Ähnliche Züge von Übermut kann man auch oft bei Wespen beobachten. Wenn man sich den unintelligenteren Typen zuwendet, so bemerkt man ausser Hunger, Durst, Angst und den sexuellen Begierden keine eigentlichen Leidenschaften mehr. So finden wir es z. B. bei den Männchen der Ameisen, den Chrysomeliden und bei den entwickelten Bombyciden, trotz der wohlausgebildeten Sinnesorgane dieser Tiere. Es ist eigentümlich, dass bei gewissen Insekten die Intelligenz im Larvenzustand viel entwickelter erscheint als im ausgebildeten Zustand, so z. B. bei den Ephemeriden (Eintagsfliegen) und den Phryganiden (Köcherfliegen). Es ist dies aber die Ausnahme. Wir müssen somit bei einem Studium der Lebensäusserungen oder Sitten der Insekten ebensowohl ihre geistigen Fähigkeiten wie ihre Sinnesorgane im Auge behalten. Indem die intelligenteren In- sekten besseren Gebrauch von ihren Sinnen machen, besonders indem sie ihre Sinneswahrnehmungen in verschiedenartigster Weise zu zweckmässigen Handlungen kombinieren, ist es auch möglich, die bezüglichen Erscheinungen bei ihnen in vielfältigerer und voll- kommenerer Weise zu studieren, was uns gestattet, unsere Beob- achtungen besser zu kontrollieren und richtiger zu deuten als bei dummen Lebwesen. Am Schlüsse dieses Kapitels muss ich noch kurz der eigentüm- lichen Sinnesorgane gewisser Insekten gedenken, die von verschiedenen Autoren beschrieben worden sind. Es sind dies u. a. die tympani- formen Organe der Hinterfüsse der Grylliden und Lokustiden, die des Abdomens bei Acridiern und der eigenartige Apparat der Schwing- kölbchen (Halteren) bei Dipteren. Da jedoch Zweck und Funktion dieser Organe bisher noch unbekannt sind,^ so enthalte ich mich eines näheren Eingehens auf dieselben, zumal mir das Aufstellen ge- wagter Hypothesen nicht zusagt. ^ Einige Autoren, so Lubbock, Müller, Mensen, Schmidt, halten sie für Gehörorgane. Achte Studie. Weitere Experimente über den Gesichts- sinn der Ameisen. Zwei Werke, das eine von einem amerikanischen, das andere von einem deutschen Forscher verfasst, dienen zur Bekräftigung und Ergänzung meiner eigenen Experimente. S. W. Peckham („Some Observations on the Special Senses of Wasps"; Proceedings of the Natural History Society of Wisconsin, April 1887) hat zahlreiche gute Experimente über die Sinne der Wespen gemacht. Ohne Fabres Experimente an Chalicodoma zu kennen, die ich bereits 1886 genauer besprochen und gedeutet habe (wir kommen in einer späteren Studie über den sogenannten Richtungs- sinn darauf zurück), hat Peckham sehr zahlreiche analoge Versuche an Wespen (Vespa) gemacht, infolge derer er, ebenso wie ich, den mysteriösen Richtungssinn, die „Bienen-Linie" (Bee-line) und die „Wespen-Linie" (Wasp-line) Lubbocks leugnet. Wespen fliegen, wenn man sie weit genug von ihrem Nest entfernt, zunächst gänzlich ver- wirrt und in falscher Richtung umher und finden ihre Heimat schliesslich nur durch Suchen. Peckham fand ebenso wie ich, dass Wespen nicht in unserem menschlichen Sinn hören, dass sie Gedächtnis besitzen, dass sie den Geruch der Dinge, die sie brauchen und suchen, wahrnehmen, während sie verschiedenen Gerüchen, die uns Menschen intensiv erscheinen, keine Beachtung schenken. Handl (Über den Farbensinn der Tiere und die Verteilung der Energie im Spektrum, in Bd. 94 der Sitz.-Ber. d. k.k. Akad. d. Weitere Experimente über den Gesichtssinn 143 Wissensch., Wien, 2. Abt., Dez.-Heft 1886) stellt, im Anschluss an die Experimente Grabers, über die photodermatischen Empfindungen gewisser Tiere eine physikalische Theorie auf, die von Grabers Anschauung, solche Tiere zerfielen in zwei Kategorien, eine licht- freundliche und eine lichtscheue, ausgeht. Die erstere Kategorie sucht die Farben im relativen Verhältnis ihrer Annäherung an das Ultraviolett. Die zweite flieht sie um so weniger, je mehr sie sich dem Infrarot nähern. Graber glaubte schliessen zu müssen, dass die betreffenden Insekten die Farben mittels der Haut empfinden. Handl teilt diese Meinung nicht, sondern spricht sich wie folgt über die Frage aus: „Viel ein- facher und ohne alle Schwierigkeiten lassen sich die Graberschen Gesetze erklären, wenn man annimmt, dass die Versuchstiere über- haupt keinen Farbensinn besitzen, wohl aber einen Helligkeitssinn von der Art, dass die Stärke ihrer Empfindungen der wahren Energie der Ätherschwingungen (der absoluten Lichtintensität) genau oder wenigstens annähernd proportional sei. Da nach den oben (Absatz III) vorgetragenen Erörterungen die Energie der Schwingungen von der Wellenlänge abhängt und höchst wahrscheinlich mit abnehmender Wellenlänge zunimmt, so erscheint es wie selbstverständlich, dass die lichtfreundlichen Tiere die kürzeren Wellen, d. h. die grössere Energie, den längeren Wellen vorziehen und die lichtscheuen sich gerade umgekehrt verhalten." Ohne an dieser Stelle auf die mathematischen Gedanken Handls einzugehen, möchte ich konstatieren, dass seine Meinung identisch ist mit der, die ich selbst (siehe oben, Studie IV gegen Schluss) über die photodermatischen Empfindungen ausgesprochen habe. Es ist klar, dass die Untersuchungen und das Urteil Handls sich nur auf diejenigen photodermatischen Empfindungen erstrecken, die durch eine Methode der Anziehung undAbstossung ermittelt w^erden konnten, und nicht auf das Farbensehen vermittelst der Augen, über das Lubbocks Methode Aufschluss gibt (durch das Suchen nach Honig auf verschiedenfarbigen Pappscheiben, die das Insekt immer wieder findet, selbst wenn der Platz und die Umgebung verändert werden). Ich habe im Sommer 1887 Gelegenheit gehabt, in Schliersee (Ober- bayern) mehrere Experimente über die Art, wie durch Firnissen der Augen geblendete Ameisen ihren Weg finden, an Ameisen der Gattung Formica zu m.achen. 144 Weitere Experimente über den Gesichtssinn 1. Am 6, August um 8 Uhr früh stellte ich mich an den Rand einer der wohlbekannten Ameisenstrassen auf, die zu einem Nest von Formica pratensis führten, und zwar 7 Schritt vom Nest ent- fernt, dort wo sich die Ameisenstrasse mit einem menschlichen Fuss- pfad kreuzte. Ich nahm mehrere der Ameisen, die mit stark ange- schwollenem Hinterleib (somit mit prallgefülltem Kropf) von ihren Blatt- läusen zurückkehrten und deren Ziel folglich zweifelsohne das Nest war, auf und schnitt bei einigen die beiden Antennen ab, während ich bei andern nach der oben geschilderten Methode Augen und Ocellen firnisste. Die ihrer Antennen beraubten Ameisen irrten in allen Richtungen umher, verliessen den Pfad vollständig und verblieben endlich unbeweglich in irgendeinem Eckchen. Die Ameisen mit den gefirnissten Augen benahmen sich zunächst ganz ähnlich wie die ersteren, mehrere von ihnen starben sehr bald infolge der Manipu- lationen, die ich mit ihnen vorgenommen hatte. Die Ameisen der Gattung Formica sind gleichzeitig sehr empfindlich und cholerisch, wodurch die Operation des Firnissens bedeutend erschwert wird, ja sie ätzen sich häufig dabei, indem sie sich, während man sie hält, mit dem eignen Gift bespritzen. Die drei überlebenden und in gutem Zustand befindlichen gefirnissten Tiere waren nun offenbar in grosser Verlegenheit. Sie machten alle möglichen Versuche am Rande des Fusswegs, irrten hin und her, kreuzten zu verschiedenen Malen die von ihren Gefährten getretene Spur, kamen von dieser ab, kehrten wieder zu ihr zurück, schienen jedoch ausserstande, die Richtung zu erkennen, in der das Nest lag. Nach geraumer Zeit, während ich selbst mit einer andern Ameise an einem kahlen Erdhaufen in der Nähe der Ameisenspur experimentierte (zwischen dem Fussweg und dem Nest), kam auf einmal die erste von den gefirnissten Ameisen, die ich an dem Fusspfad zurückgelassen hatte, angewandert und — siehe da — auf der richtigen Ameisenspur. Ich verfolgte sie nun mit ge- spannter Aufmerksamkeit^ Freilich beschrieb sie bedeutende Meander- linien, lief viel mehr als normale Ameisen tun jetzt hinauf, jetzt hin- unter. Je näher sie aber an das Nest kam, desto besser ging die Sache, ja zuletzt ging es ganz ausgezeichnet. Geschah es ja einmal, dass sie wieder in eine rückwärtige Richtung geriet, so war es doch nur wenige Schritte weit, gleich fand sie wieder die Richtung nach dem Nest. Ich ging ihr nach bis zu einem der Nesteingänge, in dem sie verschwand. Ich folgte ihr mit dem Finger und holte sie wieder heraus. Gewissenhafte Untersuchung mittels einer Lupe erwies, dass Weitere Experimente über den Gesichtssinn 145 in der Mitte des einen Auges, am Ende eines kleinen Tunnels, der durch eine Lücke in dem Überzug schwarzen Lacks entstanden war, zwei oder drei Facetten freilagen. Diese zwei oder drei Facetten, umschlossen von einem hohen Wall von schwarzem Firniss, können meiner Meinung nach nicht zu einer Orientierung der Ameise aus- gereicht haben. Trotzdem wurde das Experiment durch diesen Zu- fall verpfuscht. Die beiden andern gefirnissten Ameisen, die schneller entmutigt worden waren, verweilten noch immer unter Blättern und waren nicht zu bewegen, sich auf den Marsch zu begeben. Ich selbst aber hatte keine Zeit mehr zum Warten. 2. Die folgenden Experimente wurden am S.August an der Ameisen- strasse zu einem Nest von F. pratensis gemacht, die viel länger war als die vorige und sich 40 Schritt (vielleicht 34 Meter) oder noch weiter von dem Nest weg hinzog. Das Nest selbst befand sich auf einer Wiese, die von der Ameisenstrasse bald verlassen wurde, da die letztere einen Fahrweg kreuzte. Jenseits des Fahrwegs lief die Ameisenstrasse längs eines kleinen, kaum bemerkbaren Pfades hin, der rechtwinklig auf den Fahrweg stiess und von Strauchwerk begleitet war; zwischen Pfad und Gesträuch zog sich noch ein schmaler Grasstreifen hin. Die Ameisenspur befand sich in diesem Grasstreifen und gelegentlich auf dem Rande des Fusspfades selbst. Hier war es, wo ich zunächst experimentierte und zwar immer an Arbeitern, die, das Abdomen gefüllt mit dem Saft der Blattläuse, nach dem Nest zurückwanderten. a. Ich verfolgte zunächst, um einen Vergleich zu haben, einen normalen Arbeiter ungefähr sieben Schritt weit. Er lief ohne zu stutzen oder zu zögern geradeaus seines Wegs. Nur einmal kehrte er um, doch nur 2 — 3 cm weit, dann fand er sofort wieder die Richtung nach dem Nest. b. Ein Arbeiter war dabei, eine Raupe nach dem Nest zu tragen. Mit einer Schere schnitt ich ihm beide Antennen ab. Eiligen Schritts brachte er sich seitwärts in Sicherheit und blieb dort regungs- los sitzen. Ich gab ihm die Raupe zurück, legte sie ihm zwischen die Füsse usw. Er schenkte seiner Beute nicht die geringste Auf- merksamkeit mehr und war absolut unfähig, die Richtung nach dem Nest wiederzufinden. c. Ich schnitt verschiedenen Arbeitern beide Antennen ab (meist sogar nur die Fühlergeissel, was, wie wir sahen, gleichbedeutend ist). Der Effekt war immer derselbe. Sie verloren gänzlich die Richtung, Forel, Da« Sinnesleben der Insekten *" 146 Weitere Experimente über den Gesichtssinn machten Umweg auf Umweg, kreuzten die von ihren Kameraden begangene Strasse ohne dies zu beachten oder indem sie vor ihren Kameraden davonh'efen, und zuletzt suchten auch sie stets ein Eckchen, wo sie still und unbeweglich verweilten. d. Ich nahm einen neuen Arbeiter, dem ich Augen und Ocellen aufs gründlichste firnisste. Darauf setzte ich ihn wieder auf die Ameisenstrasse neben den Fusspfad, nicht weit von dem Ort, wo ich ihn aufgenommen hatte, aber immerhin etwas näher nach dem Neste hin (etwa 40 Schritt von diesem entfernt). Er zögerte ein wenig, schlug dann aber den richtigen Weg ein. Immerhin lief er viel dabei hin und her, kehrte auf der eigenen Spur zurück und machte Abschweifungen, die ihn fast bis in das Gesträuch hinein oder auf den Fusspfad führten. Stets kehrte er aber auf die richtige Ameisenstrasse, die hier, so weit vom Nest, nur von einigen Arbeitern begangen war, zurück, und blieb dieser im ganzen genommen treu, wenn er hie und da auch einige Schritte rückwärts machte, oder 10 — 20 cm weit seitlich abwich. Seine Absicht war offenkundig: er strebte nach dem Neste zurück, doch wurde ihm diese Reise un- endlich viel saurer als den normalen Ameisen. Auf diese Weise folgte er unter meiner Kontrolle der richtigen Spur etwa 7 Schritt weit und näherte sich um so viel seinem Nest. Nun erreichte er den oben erwähnten Fahrweg und begann zunächst ganz munter, ihn zu überqueren. In seiner Mitte angelangt fing er jedoch an, von der Linie, längs deren seine Gefährten gewandert waren, abzu- weichen und den Fahrweg entlang zu laufen. Dann begann ein grosses Suchen, ein nach allen Seiten Hin- und Herlaufen, ein gänz- liches Abirren vom Wege, bis zuletzt eine sich rechtwinklig zu der richtigen Spur verhaltende Richtung eingeschlagen wurde. Die erste, ungefähr einen Meter betragende Abweichung von dieser Spur hatte genügt, sie ganz zu verlieren. Nach langem fruchtlosen Herumirren lief unser armer Arbeiter aufs Geratewohl den Fahrweg weiter entlang, bis er sich ungefähr 7 Schritte von der richtigen Spur ent- fernt hatte. Schliesslich verlor er sich in dem den Weg umrandenden Gesträuch, wo er sich ermüdet niederliess. Ich muss noch bemerken, dass der ganze Rand des Fahrwegs von Gefährten aus demselben Nest belebt war, die dort Beute suchten. Dieser Umstand und das Nichtvorhandensein einer erkennbaren Ameisenspur auf dem Fahr- weg hatten in ganz natürlicher Weise das Verlieren der Richtung veranlasst. Weitere Experimente über den Gesichtssinn 147 e) Ich firnisste nochmals zwei Arbeiter in gleicher Weise und tat sie dann zurück, einen auf dieselbe Stelle, von wo ich ihn genommen hatte, einen andern viel näher nach dem Neste zu. Es war dies schon später am Tage und bei grösserer Hitze. Sie suchten beide lange Zeit umher, kehrten aber mehr oder weniger zu ihren respek- tiven Ausgangspunkten zurück. Es schien mir nach der Art ihrer Bewegungen, dass, sobald sie auf die Spur ihrer Kameraden gerieten, sie dies merkten und ihr zu folgen bemüht waren. Auch merkten sie, wenn sie zu weit vom richtigen Wege abgekommen waren, denn dann pflegten sie ihre Schritte zurückzuwenden. Zweimal gerieten sie in die verkehrte Richtung, d. h. sie folgten pünktlich der Spur ihrer Gefährten, jedoch in der dem Neste abgewandten Richtung. Zuletzt Hessen sich beide, ermüdet von ihrem Zick-Zack-Kurs und entmutigt durch ihre Irrtümer, unterBlättern oder Steinen, die sich auf der Ameisen- strasse befanden, nieder. Einer der beiden wurde von einem Gefährten bemerkt, aufgelesen und gemäss dem üblichen „gegenseitigen Trans- portinstinkt'* der Gattung Formica nach dem Nest zurückgetragen. Das Resultat der hier geschilderten Experimente scheint zunächst meinen früheren Versuchen an Camponotus ligniperdus sowie an Formica sanguinea und fusca zu widersprechen, die, nachdem ich ihnen die Augen gefirnisst, sich ebensogut zurechtzufinden, ihre Puppen mit derselben Sicherheit nach der oder jener Stelle des Behälters zu tragen wussten wie ihre ungefirnissten Gefährten (dies war be- sonders markant bei Experiment 45, S. 67 u. f.). Die gegen- wärtigen Versuche lehren uns, Fall für Fall, dass der Gesichtssinn bei Formica pratensis eine grössere Rolle spielt, als ich zuvor ange- nommen hatte, und dass der Verlust dieses Sinnes sie ausserordentlich behindert, falls man sie nur weit genug von ihrem Nest entfernt, selbst wenn sie sich auf der Spur, die sie kennen und der sie einen Augenblick vorher folgten, befinden. Und dennoch habe ich die fundamentale Tatsache, die sich bereits aus meinen früheren Expe- rimenten ergab, bestätigt gefunden: ohne Antennen sind die Ameisen ganz verloren; ohne Augen finden sie noch so ziemlich ihren Weg, vorausgesetzt, dass die ihnen gestellte Aufgabe keine zu schwierige ist. Für gewöhnlich aber bedient sich Formica dieser beiden Sinne zusammen, um sich zu orientieren, und in diesem Punkte muss ich meine frühere Ansicht, die den Antennen eine ab- solute Omnipotenz bei der Orientierung in bezug auf alle Ameisen zuschrieb, in Hinblick auf gewisse Gattungen (Formica) modifizieren. 10* 148 Weitere Experimente über den Gesichtssinn Ziehen wir indessen die folgenden Tatsachen in Betracht, so be- schränkt sich der scheinbare Widerspruch auf ein verschwindend geringes Mass: Formica pratensis (wie die ganze Gattung Formica) gehört zu denjenigen Ameisen, die sich des bestentwickelten Gesichtssinns erfreuen, und die sich bei ihren Expeditionen, wie ich schon oft be- merkt habe, vor allem auf diesen Sinn verlassen. Bei Ameisen der Gattung Formica finden wir in den Antennen einen relativ wenig entwickelten Geruchssinn (auf diesen Umstand habe ich schon früher einmal hingewiesen) ; sie verirren sich infolge- dessen ziemlich häufig, selbst ohne dass man sie ihrer Augen oder irgend eines andern Sinnes beraubt. Sie werden dann, ebenso wie das eine gefirnisste Exemplar des obigen Experiments, von ihren Gefährten aufgelesen und nach Hause gebracht. Die von dem Insekt zu überwindenden Schwierigkeiten waren gross in der letzten Versuchsreihe, klein dagegen in der früheren soeben erwähnten (besonders auch bei dem S. 147 zitierten Experi- ment 45). Es ist verhältnismässig sehr leicht für eine Ameise, in einem Kasten ihren Weg auch ohne Augen zu finden, sehr schwer aber im Freien und auf weite Entfernung von ihrem Nest. Tatsache ist es, dass völlig blinde Eciton, Aenictus und Do ryl US-Arten sich mit Hilfe ihrer Fühler allein vortrefflich und rasch auf grosse Entfernungen zurechtfinden. Ihre Fühler haben aber sehr stark entwickelte Geruchsorgane. Dieses beweist unzweideutig den topochemischen Geruchssinn. Daraus ist aber zugleich zu schliessen, dass bei Formica, Myrmecocystus u. dgl. Formen mit relativ guten Augen das Orientierungsvermögen auf einem kombinierten Gebrauch beider Sinne beruht, so dass das Fehlen des einen grosse Störungen hervorruft. Die Formica-Arten sind unfähig, einander direkt mittels des Geruches zu folgen, was dagegen Lasius, Tapi- noma, Myrmica etc. können. Deshalb müssen sie bei Umzügen das erstemal ihre Gefährtinnen um den Mund gerollt zum neuen Nest hintragen. Obige Versuche beweisen mir nun, dass die so Ge- tragenen sich unterwegs Gesichtsbilder des Weges, wenn auch un- scharfe, merken und mit deren Hilfe die topochemische Geruchs- spur dann leicht wieder finden, die bei ihnen unvollkommener ist als bei den schlechter oder gar nicht sehenden oben erwähnten Gattungen.