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DAS WIENER KABINETT
UND DIE ENTSTEHUNG
DES WELTKRIEGES
Mit Ermächtigung des Leiters des Deutsch- österreichischen Staatsamtes für Äußeres auf Grund aktenmäßiger Forschung dargesteUt von
DR RODERICH GOOSS
485227
5- 7.-49
9 1 9
VERLAG VON L. W. SEIDEL UND SOHN IN WIEN
Alle Rechte, insbesondere das der Obersetzung in fremde Sprachen,
vorbehalten
Copyright by L. W. Seidel & Sohn, Wien 1919
Deutschösterreichische Staatsdruckerei. 780619
VORWORT
Der Verfasser vorliegender Arbeit erhielt unmittelbar nach erfolgtem Zusammenbruche der österreichisch- ungarischen Monarchie vom Deutschösterreichischen Staats- amt für Äußeres den Auftrag, eine Zusammenstellung der diplomatischen Aktenstücke zur Vorgeschichte des Krieges 1914 aus den Beständen des politischen Archivs des ehe- maligen k. u. k. Ministeriums des Äußern in Wien zu besorgen. Bei der Durchführung dieser Aufgabe mußte er sein Augenmerk auch auf alle jene Dokumente richten, die zwar nicht direkt in den Rahmen seiner Arbeit fielen, deren Heranziehung sich aber zum erschöpfenden Ver- ständnis des ursächlichen Zusammenhanges der diplo- matischen Aktionen als unerläßlich erwies.
In der vorstehenden Publikation werden die aus dem erwähnten Aktenmaterial gewonnenen Forschungsergebnisse bekanntgegeben. Zu einem richtigen Verstehen der Ereignisse bloß auf Grund der gedruckten Urkundentexte — in erster Linie also der bisherigen amtlichen Veröffentlichungen der einzelnen Staaten (Buntbücher) — zu gelangen, erscheint (schon mit Rücksicht auf ihre jeweilig zurechtgelegten Texte) ausgeschlossen; erst das eingehende textkritische Studium der Originaldokumente selbst eröifnet die Möglichkeit eines klaren Erkennens. Hiebei kommt den Entwürfen eines Dokumentes vielfach die gleiche Bedeutung wie seiner endgültigen Fassung zu. Denn die letzten Ideen und Absichten staatsmännischer Konzeption erhellen gelegentlich nicht aus der Reinschrift eines Aktes, wohl aber aus seiner
111
Vorlage und den daran vorgenommenen inhaltlichen und formalen Umänderungen. Der Schlußfassung eines Doku- mentes (wie sie beispielsweise in den amtlichen Publika- tionen zum Ausdrucke gelangt) ist also als Quelle geschicht- licher Erkenntnis gegenüber dem Konzepte ein nur bedingter Wert einzuräumen; ein zutreffendes Bild ergibt sich bloß aus dem Studium aller Entstehungsphasen und der sämtlichen inneren und äußeren Merkmale eines Aktes.
Die Grundlage der Darstellung bildet der Text der Dokumente selbst — wörtlich zitiert dort, wo jedem einzelnen Worte eine Bedeutung zukommt. Da ein erheblicher Teil — auch entscheidender — diplomatischer Aktionen nur mündlich durchgeführt wurde, beziehungs- weise einen aktenmäßigen Niederschlag nicht hinterlassen hat, bleibt der restlosen Feststellung aller Geschehnisse von- vornherein eine Grenze gezogen. Immerhin führt eine gewissenhafte Durchforschung sämtlicher ein- schlägigen Stücke zu Resultaten, denen sich kein prüfen- der Leser wird entziehen können.
Als besondere Aufgabe hat sich der Autor die Klar- legung der diplomatischen Beziehungen des Wiener Kabinetts zur Deutschen Regierung gesetzt. Daneben läuft die Dar- stellung der Verhandlungen mit den übrigen Kabinetten der europäischen Großmächte. Die Verhandlungen mit der Türkei und den Balkanstaaten — Serbien ausgenommen — werden nur im unerläßlich notwendigen Ausmaße berück- sichtigt. Die Darstellung selbst umfaßt den Zeitraum von der Ermordung des Erzherzog-Thronfolgers Franz Ferdinand (28. Juni 1914) bis zur Kriegserklärung des Deutschen Reiches an Rußland (1. August 1914). (Die weitere Ent- wicklung der internationalen Konflagration entsprang dem herrschenden Bündnissystem der europäischen Mächte.) Unsere Arbeit bietet also eine quellenkritische Darstellung der als unmittelbarer Kriegsanlaß zu betrachtenden Ereignisse und der daraus ent- springenden diplomatischen Aktionen, nicht aber etwa eine erschöpfende Darlegung der Kriegs- ursachen. Diese selbst erstrecken sich zeitlich auf voran- gehende ganze Jahrzehnte und umspannen die Staatskanzleien
IV
aller an dem Weltkrieg beteiligten Mächte'. Hierüber wird volle Klarheit erst zu gewinnen sein, wenn die diplomatischen und militärischen Archive sämtlicher in Betracht kommen- den Staaten ihre Bestände einer objektiven, nach wissen- schafdichen Grundsätzen arbeitenden Geschichtsforschung rückhaltslos zugänglich gemacht haben werden.
Wien, im September 1919.
Der Verfasser
' Vgl. hiezu die Ausführungen von Jean Debrit: et ce fut la
Guerre! (Genf 1917):
Durant 45 ans, on nous repeta: Le veritable auteur d'une guerre, ce n'est pas celui qui la declare, mais celui qui la rend in6vitable. Ce principe nous a toujours semble juste. Nous demandons la permission de l'appliquer ä la grande guerre et nous demandons non pas: Qui a declare la guerre? mais: Qui donc a rendu la guerre inevitable? Et, jusqu'ä l'arrivee de preuves decisives venant modifier nos convictions, nous sommes tentes de repondre aujourd'hui: Tout le monde, ä des degres, divers peut-etre, mais d'une diversite insuffisante pour nous autoriser a condamner Tun des accuses comme le seul auteur du crime.
INHALT
Seite
I. Von der Ermordung des Erzherzog -Thronfolgers Franz Ferdinand (28. Juni 1914) bis zur Überreichung der öster- reichisch-ungarischen Note an Serbien (23. Juh 1914) . . 1 — 137
A. Die Verhandlungen des Wiener Kabinetts mit der Berliner Regierung (28. Juni bis Mitte Juli) 3 — 45
1. Die Denkschrift des Wiener Kabinetts über die
europäische Lage 3 — 30
2. Die Stellungnahme Kaiser Wilhelms und der
deutschen Regierung zur Denkschrift des Wiener Kabinetts 30— 37
3. Das nächste Ziel des Wiener Kabinetts 37 — 45
B. Der Ministerrat für gemeinsame Angelegenheuen vom
7. und 19. Juli 45— 91
1. Die bosnisch-herzegowinischen Angelegenheiten . . 45 — 50
2. Der Ministerrat für gemeinsame Angelegenheiten
vom 7. Juli 50— 62
3. Der Sonderstandpunkt des Grafen Tisza 62 — 70
4. Die k. u. k. Regierung und die europäischen Kabinette 70— 83
Belgrad 70— 72
Berlin 73— 75
Rom 75— 79
Paris 79-^ 81
London 81— 82
St. Petersburg 82— 83
5. Der Ministerrat für gemeinsame Angelegenheiten
vom 19. Juli 84— 91
C. Die österreichisch-ungarische Note an Serbien vom
23. Juli 1914 ... 91 — 137
1. Die Genesis der Note 91 — 101
2. Die Überreichung der Note in Belgrad (23. Juli,
6 Uhr nachmittags) 102—109
3. Die österreichisch-ungarische Zirkularnote an die
Signatarmächte vom 24. Juli 1914 109—136
Berlin 110-114
Rom 114—127
Paris 128—130
London 130—134
St. Petersburg 134—136
Verständigung der übrigen k. u. k. Missionen . . 137
VII
Seile
U. Von der Überreichung der österreichisch-ungarischen Note in Belgrad (23. Juli) bis zur Kriegserklärung Österreich- Ungarns an Serbien (28. Juli) 139—220
A. Die Aufnahme der österreichisch-ungarischen Zirkular-
note vom 24. Juli und die Maßnahmen der europäischen
Kabinette , 141—164
Berlin 141 — 144
Rom 144—146
Paris 146—148
London 148—150
St. Petersburg • 150—164
B. Die serbische Antwortnote an Österreich-Ungarn vom
12.25. JuH 1914 und der Abbruch der diplomatischen Beziehungen Österreich-Ungarns zu Serbien (25. Juli, 6 Uhr nachmittags) 165—168
C. Die k. u. k. Regierung und die europäischen Kabinette 168 — 216
Berlin 168—183
Rom . .-■ 183—193
Paris 193—197
London 197—205
St. Petersburg 205—216
D. Die Kriegserklärung Österreich-Ungarns an Serbien
(28. Juli 1914) 216—220
III. Von der Kriegserklärung Österreich-Ungarns an Serbien (28. Juli) bis zur Kriegserklärung des Deutschen Reiches an Rußland (1. August) 221—312
A. Das Berliner Kabinett 223—256
Beziehungen Berlin— Wien— Rom 223—227
Beziehungen Berlin — Paris 227 — 228
Beziehungen Berlin— Wien— London 228—243
Beziehungen Berlin — Wien — Petersburg 243 — 256
B. Das Wiener Kabinett 256—312
Verhandlungen mit Italien . 256 — 266
Verhandlungen mit Frankreich 266 — 270
Verhandlungen mit England 270 — 284
Verhandlungen mit Rußland 284—301
Der Ministerrat für gemeinsame Angelegenheiten vom
31. Juli 301—306
Die österreichisch-ungarische allgemeine Mobilisierung 306 — 312
vm
I
Von der Ermordung des Erzherzog-Thron- folgers Franz Ferdinand (28. Juni 1914) bis zur Überreichung der österreichisch-ungari- schen Note an Serbien (23. JuH 1914)
A. Die Verhandlungen des Wiener Kabinetts mit der Berliner Regierung (28. Juni bis Mitte Juli)
1. Die Denkschrift des Wiener Kabinetts über die europäische Lage
Das Attentat, dem der Erzherzog- Thronfolger Franz Österreich- Ferdinand in Sarajevo am 28. Juni 1914 zum Opfer fiel, "i°^7o°ß""^ hatte weitgehenden inner- und außenpolitischen Plänen "ein serbische Ende bereitet. Seit der Ermordung des Königs Alexander '"■""p-'s"""^^ von Serbien und insbesondere seit den letzten beiden Balkan- kriegen hatte sich für Österreich-Ungarn der Schwerpunkt der orientalischen Frage mehr und mehr nach Belgrad, dem Zentrum der großserbischen Aspirationen, verschoben. Hier wieder waren die serbischen Staatsmänner eifrig bemüht, eine Anlehnung an das rumänische Königreich zu suchen, dessen — vor allem aus der Nationalitätenpolitik des König- reiches Ungarn entspringende — Animosität gegen die bundesgenössische Monarchie seit den Tagen des Bukarester Friedens eine stete Verschärfung erfahren hatte. Eine Klar- legung der Beziehungen der Monarchie zu Serbien und zu Rumänien erschien am Ballhausplatze unaufschiebbar geboten.
Noch im Mai 1914 war durch den im k. u. k. Ministerium Das Memoire des Äußern in Dienstesverwendung stehenden außerordent- '^"'"'°''""
o ordentlichen
liehen Gesandten und bevollmächtigten Minister Baron Flotow Gesandten ein Memoire aufgesetzt worden, das die Rumänien und ""'"";™""
ö ' machligtea
Serbien gegenüber einzuschlagende Politik der Monarchie Ministers zum Gegenstande hatte:
Die äußere politische Lage der Monarchie kranke an der trotz des geheimen Bündnisses bestehenden Unklarheit ihres Verhältnisses zu Rumänien. Es müsse die Tatsache festgestellt werden, daß die Monarchie im Falle eines kriegerischen
Baron Flotow
Konflikts mit Rußland gegenwärtig trotz der über jeden Zweifel erhabenen Loyalität des Königs Carol nicht nur nicht auf die rumänische Hilfe zählen könnte, sondern im Gegenteil eine etwaige feindselige Aktion Rumäniens in Rechnung ziehen müßte. König Carol habe zwar dem k. u. k. Gesandten in Bukarest erklärt, so lange er lebe, würde die rumänische Armee nicht gegen Österreich-Ungarn ins Feld ziehen; der König habe aber auch offen zugegeben, daß er gegen die gegenwärtig herrschende öffentliche Meinung Rumäniens nicht Politik machen könne.
In Anbetracht nun der augenfälligen, durch Frankreich energisch unterstützten Bemühungen Rußlands, ein rumänisch- türkisches Bündnis zustande zu bringen, die Gegensätze zwischen der Türkei und Griechenland — hauptsächlich durch die Vermittlung Rumäniens — auszugleichen und sohin, dank der rumänisch-griechischen Beziehungen, Griechenland und weiters das mit ihm verbündete und mit Rumänien gleichfalls befreundete Serbien zu einem poli- tischen Block zu vereinigen, stehe die Monarchie vor der drohenden Gefahr des Wiederauflebens eines unter russi- scher Patronanz sich bildenden Balkanbundes, dessen Spitze sich nur gegen Österreich-Ungarn wenden würde und dessen Stoßkraft in dem Augenblicke erreicht wäre, als das auf die Kniee niedergedrückte Bulgarien sich — notgedrungen — dieser Gruppierung anschließen müßte. Das Entstehen eines derartigen Balkanbundes könnte geradezu die Existenz des Dreibundes in Frage stellen.
Es ergebe sich daher die ernste Notwendigkeit, die mög- lichen diplomatischen Vorkehrungen in Erwägung zu ziehen, die den auf die Bildung eines derartigen Balkanbundes hinzielenden Bestrebungen Rußlands und Frankreichs ent- gegengesetzt werden könnten.
Im traditionellen Geiste der äußeren Politik der Monarchie erschiene als erste und vor allem anzustrebende Möglichkeit eine Klärung ihres Verhältnisses zu Rumänien. Diese Klärung würde das Wiener Kabinett in einer unzweideutigen Mani- festation König Carols, beziehungsweise seiner Regierung zugunsten des Dreibundes erblicken, in einer Manifestation, die durch das öffentliche Bekenntnis der Zugehörigkeit zum
Dreibunde dem russischen Gegenspiel den Boden abgraben würde.
Eine solche Erklärung sei indessen in Rumänien höch- stens und nur gegen weitere politische Zugeständnisse zu erreichen. Als ein solches Zugeständnis könnte in Betracht kommen: eine Erweiterung des bestehenden Bündnis- vertrages nach der Richtung, daß Österreich-Ungarn Rumänien seine gegenwärtige Grenze Bulgarien gegenüber garantiere.
Mit Rücksicht auf das freundschaftliche Verhältnis Ru- mäniens zu Serbien könnte es König Carol beziehungsweise seiner Regierung überlassen werden, sich für eine Annäherung Serbiens an die Monarchie zu verwenden, wobei von selten der' Monarchie (im Rahmen einer solchen, von ihr selbst angenommenen politischen Konstellation) Serbien gegenüber das loyalste Entgegenkommen bewiesen werden würde. .
Sollte man in Bukarest auf die von Österreich-Ungarn als unumgänglich nötig erkannte öffentliche Klarlegung des Verhältnisses zu Rumänien nicht eingehen, so wäre die Monarchie gezwungen, sogleich und ohne Verzug alle Kon- sequenzen zu ziehen, die sich für dieselbe einem gegebenen- falls sogar feindlich auftretenden Nachbarn gegenüber als notwendig ergeben würden '.
Gleichzeitig mit den militärischen Vorkehrungen müßten die diplomatischen Bemühungen der Monarchie einerseits auf das Zustandebringen einer bulgarisch-türkischen Allianz, andrerseits auf eine bündnismäßige Heranziehung Bulgariens an Österreich-Ungarn und an den Dreibund gerichtet sein.
Es erschiene verderblich, durch eine untätige Politik des Abwartens die Dinge heranreifen zu lassen und allen jenen freies Spiel zu gewähren, deren sich immer mehr und mehr verdichtende Arbeit auf eine Zertrümmerung der Macht- stellung der Monarchie hinweise.
Wenn in dem gegenwärtigen politischen Augenblicke, in dem Rußland und Frankreich so intensiv an der Arbeit seien, Rumänien der Monarchie nicht die Garantie gebe oder geben zu können glaube, daß der Bündnisvertrag, der
1 An dieser Stelle sollten in ein im Konzept freigelassenes Spatium die gegenständlichen militärischen Erwägungen eingefügt werden.
bilateral geschlossen wurde, auch bilateral gehalten werde, so dränge sich der Monarchie die Pflicht auf, sich eines- teils gegen feindliche Angriffe zu sichern, andrerseits sich anderer Hilfen zu vergewissern.
Diese Darlegungen Baron Flotows wurden in der Folge durch Notizen des kompetenten Referenten, des k. u. k. außerordentlichen Gesandten und bevollmächtigten Ministers Pogatscher ergänzt. Sie pflichteten den ursprünglichen Aus- führungen ohne jede namhafte Änderung bei.
Aus den Erwägungen der angeführten Denkschrift erhellt die beachtenswerte Tatsache, daß sie in ihrer Argumen- tation einer Annäherung Serbiens an die Monarchie auf dem Wege einer Vermittlung durch König Carol die Bahn frei ließ. Abskhi des Jn der FoTge wurde der im k. u. k. Ministerium des ,ener a- y^yßg,.^ bestehende Vorsatz' ein Elaborat über die Fragen
binetts, ein ' o
Eiaboratüber dcr BalkanpoHtik in Berlin vorzulegen, der Verwirklichung
fra fnTn" zugcführt. Mit der Abfassung der geplanten Denkschrift
Berlin vorzu- bctrautc Graf Berchtold — ungefähr gegen Mitte Juni 1914 —
'°*" den k. u. k. Sektionsrat Baron Matscheko. Bei fallweiser
Verwertung des Flotow-Pogatscherschen Memoires sollten
die gegenständlichen Gedankengänge des Wiener Kabinetts
auf breiterer Basis auseinandergesetzt werden.
Denkschrifi, Das vor dcm 24. Juni im Konzept erliegende — und
k"v'^l 's^el!- '" ^^^ Hauptsache auch in der endgültigen Fassung bei-
tionsrat behaltene ~ Elaborat- ging von einer Beurteilung des Ge-
■ Baron Mai- samtcrgcbnisses der Balkankrise, vom Standpunkte Öster-
scheko. Erste ö 7 r-
Fassung rcich-Ungams sowie des Dreibundes betrachtet, aus:
I Vgl. den Passus eines Schreibens des Chefs des Kabinetts* des Ministers, k. u. k. Legationsrates Grafen A. Hoyos, an den k. u. k. Bot- schafter in Konstantinopel Markgrafen Pallavicini d. d. Wien, 26. Juni 1914: ,, Unterdessen wird ein langes Memorandum für Berlin ausgearbeitet, das demnächst abgehen soll, und der Minister (Graf Berchtold) tut sein Mögliches, Tschirschky die Augen zu öffnen . . . ." (C. d. M. 465,1914. »
- Da die Denkschrift von anderer Seite in der Zeitschrift „Deutsche Politik" (1919, Heft 21, Seite 649 bis 659), ferner im Weißbuch betreffend die Verantwortlichkeit der Urheber am Kriege (Berlin, Juni 1919), Seite 61 bis 69, veröffentlicht wurde, beschränken wir uns hier auf die Wieder- gabe ihrer für unsere Darstellung wichtigen Ausführungen.
Den Aktivposten der Bilanz stünden nachteilige gegen- über, die schwerer als jene ins Gewicht fielen.
Serbien, dessen Politik seit Jahren von hostilen Tendenzen gegen Österreich-Ungarn geleitet werde und das ganz unter russischem Einfluß stehe, habe einen Zuwachs an Gebiet und Bevölkerung erreicht, der die eigenen Erwartungen weit übertroffen hätte; durch die territoriale Nachbarschaft mit Montenegro und durch das allgemeine Erstarken der großserbischen Idee sei die Möglichkeit einer weiteren Ver- größerung Serbiens im Wege der Union mit Montenegro wesentlich nähergerückt. Rumänien sei durch die Ereignisse zu einer Kooperation mit Serbien gedrängt worden, aus welcher eine dauernde, wenn auch auf bestimmte Fragen beschränkte rumänisch-serbische Solidarität zurückgeblieben sei. Dies und der gleichzeitig in der öffentlichen Meinung Rumäniens eingetretene Umschwung zu Gunsten Rußlands ließen es zum mindesten als zweifelhaft erscheinen, ob Rumänien im gegebenen Moment nicht statt als Freund, als Gegner des Dreibundes auftreten werde.
Während die Balkankrise somit zu Resultaten geführt habe, die an sich schon für den Dreibund keineswegs günstig seien und den Keim einer speziell für Österreich-Ungarn bedenklichen weiteren Entwicklung in sich trügen, ^ehe man andrerseits, daß die russische und französische Diplo- matie eine einheitliche und planmäßige Aktion eingeleitet habe, um die errungenen Vorteile weiter auszugestalten und einzelne noch ungünstige Momente zu modifizieren.
Ein flüchtiger Überblick über die europäische Lage lasse klar erkennen, weshalb sich die Ententemächte — hierunter seien vor allem Rußland und Frankreich zu verstehen, denn England habe seit der Balkankrise eine reservierte Haltung eingenommen — mit den zu ihren Gunsten ein- getretenen Verschiebungen am Balkan noch keineswegs zufrieden geben könnten.
Der Gedanke, die christlichen Balkanvölker von der türkischen Herrschaft zu befreien, um sie dann als Waffe gegen. Zentraleuropa zu gebrauchen, sei von altersher der realpolitische Hintergrund des traditionellen Interesses Rußlands für diese Völker. In neuerer Zeit habe sich
hieraus die Idee entwickelt, die Bailianstaaten zu einem Balkanbund zu vereinigen, um auf diese Weise die mili- tärische Superiorität des Dreibundes aus der Welt zu schaffen. Die erste Vorbedingung für die Verwirklichung dieses Planes, die Türkei aus den von den christlichen Balkannationen bewohnten Gebieten zu verdrängen, damit die Kraft dieser Staaten vermehrt und nach Westen hin frei werde, sei durch den letzten Krieg im Großen und Ganzen erfüllt worden.
Es erscheine durchaus verständlich, daß Rußland und Frankreich, wie aus übereinstimmenden Meldungen und markanten äußeren Vorgängen zu ersehen sei, seit Monaten am Bosporus wie in allen Balkanhauptstädten eine intensive diplomatische Tätigkeit entfalteten, um die Zweiteilung der Balkanstaaten (die Türkei und Bulgarien einerseits, Serbien, Montenegro, Griechenland und Rumänien andrerseits) zu beseitigen und sie alle, oder doch die entscheidende Mehr- zahl von ihnen, zu einem neuen Balkanbund mit der Front gegen Westen zu vereinigen.
Über die Grundlage, auf welcher sich nach den Ab- sichten der russischen und französischen Diplomatie der neue Balkanbund aufbauen solle, könne kein Zweifel be- stehen. Ein Bündnis der Balkanstaaten könne sich unter den gegebenen Verhältnissen, da eine gemeinsame Aktion gegen die Türkei nicht mehr in Betracht komme, nur gegen einen Gegner, nämlich gegen Österreich-Ungarn, richten, und andrerseits könne ein solches Bündnis nur auf der Basis eines Programms zustande gebracht werden, das in letzter Linie auf Kosten der territorialen Integrität der Monarchie allen Teilnehmern durch eine stafFehveise Verrückung der Grenzen von Ost nach West Gebiets- erweiterungen in Aussicht stelle. Eine Einigung der Balkanstaaten auf einer anderen Grundlage sei kaum denkbar, auf dieser Basis aber gewiß nicht ausgeschlossen, ja ohne wirksame Gegenaktion nicht einmal unwahr- scheinlich.
Daß Serbien unter russischem Druck darauf eingehen würde, für den Eintritt Bulgariens in ein gegen die Monarchie gerichtetes, auf den Erwerb Bosniens abzielendes Bündnis
in Mazedonien einen angemessenen Preis zu bezahlen, sei wohl nicht zu bezweifeln.
Größer seien die Schwierigkeiten in Sofia.
Mazedonien spiele in der inneren und äußeren Politik Bulgariens eine eminente Rolle und dessen Wiedergewinn sei geradezu eine nationale Forderung. Wenn es sich daher einmal herausstellen sollte, daß der von Rußland proponierte friedliche Ausgleich und das Bündnis mit Serbien der ein- zige Weg seien, um wenigstens Teile Mazedoniens für die bulgarische Sache zu retten, werde trotz der erlittenen Enttäuschungen keine bulgarische Regierung es wagen können, diese Kombination zurückzuweisen. Nur eine Aktion, die Bulgarien den russischen Drohungen und Lockungen gegenüber das Rückgrat stärke und das Land vor Isolierung bewahre, könnte somit verhindern, daß Bulgarien schließlich auf die Balkanbundpläne einginge.
Was nun Rumänien anbelange, so habe dort die russisch- französische Aktion schon während der Balkankrise mit voller Intensität eingesetzt; sie habe die öffentliche Meinung durch erstaunliche Verdrehungskünste und durch geschickte Anfachung der unter der Oberfläche stets fortglimmenden großrumänischen Idee in eine feindselige Stimmung gegen die Monarchie hineingetrieben und die auswärtige Politik Rumäniens zu einer mit dem Bündnis mit der Monarchie kaum in Einklang stehenden Kooperation und Solidarität mit Serbien veranlaßt.
Die Unklarheit, die sich daraus bei unverändertem for- mellen Fortbestand des Bündnisses in dem Verhältnisse Rumäniens zu Österreich-Ungarn entwickelte, stelle an sich schon einen höchst wichtigen Erfolg der russisch-französischen Machenschaften dar. Damit konnte sich die Diplomatie Ruß- lands und Frankreichs jedoch nicht begnügen, da es sich ihr ja darum handelte, Rumänien zu einer offensiven Politik gegen die Monarchie und zum eventuellen Anschluß an den neu zu errichtenden Balkanbund zu bewegen. Die beiden Entente- mächte seien deshalb auch weiter eifrigst bemüht, die Regierung und die öffentliche Meinung Rumäniens für ihre Ziele zu gewinnen. Obwohl hiebei zu so eindrucksvollen und demonstrativen Mitteln, wie dem Besuche des Zaren in
9
Constantza, gegriffen wurde, habe diese Aktion, wie ja bei der Loyalität König Carols und angesichts des bestehenden Bünd- nisses mit dem Dreibunde nicht anders zu erwarten, ein volles Abs(^hwenken der offiziellen rumänischen Politik zur Entente bis jetzt nicht erreicht. Dagegen könne nach den Äußerungen der Presse und den Demonstrationen, die sich in den letzten Monaten in verschiedenen Orten ereigneten, nicht daran gezweifelt werden, daß es den planmäßigen Einflüssen der Ententemächte gelungen sei, weite Kreise der Armee, der Intelligenz und des Volkes für eine neue Orientierung der rumänischen Politik zu gewinnen, die sich die „Befreiung der Brüder jenseits der Karpathen" zum Ziele zu setzen hätte. Es müsse sich erst zeigen, ob sich die von König Carol per- ^ sönlich geleitete auswärtige Politik Rumäniens auf die Dauer dem Einfluß dieser populären nationalen Strömungen ent- ziehen könne.
Resümierend lasse sich feststellen, daß Rußland und Frankreich auf der ganzen Linie und mit großen Aussichten auf Erfolg intensiv bemüht seien, die Balkanstaaten zu einem Bündnis zu vereinigen, das sich zunächst gegen Österreich- Ungarn richten würde, in letzter Konsequenz aber das Mittel darstelle, Rußland und Frankreich im Vereine mit dem Bal- kanbunde das militärische Übergewicht über den Dreibund zu verschaffen.
Abgesehen von dieser für die Zweibundmächte günstigen, für Österreich-Ungarn wie für Deutschland und den Drei- bund überhaupt nicht unbedenklichen Perspektive für die Zukunft, hätten Rußland und Frankreich es auch verstanden, aus der infolge der Balkankrise eingetretenen Entwicklung schon für die Gegenwart einen wichtigen positiven Vorteil zu ziehen. In der auswärtigen Politik Rumäniens habe sich hauptsächlich durch russischen und französischen Einfluß eine Schwenkung vollzogen und damit sei das Bündnis- system an einem sehr empfindlichen Punkt geschwächt worden, auf welchem die Sicherheit der Machtstellung der Monarchie, gleichzeitig aber auch die Stabilität der be- . stehenden politischen Verhältnisse in Europa beruhe.
Die Änderung des Kurses der rumänischen Politik sei allerdings nicht so weit gegangen, daß Rumänien von der
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bisherigen Dreibundpolitiiv ganz abgeschwenict und Ruß- land und Frankreich gegenüber bindende Verpflichtungen eingegangen wäre. Allein, während früher kein Grund be- stand, an der integralen Erfüllung der aus dem geheimen Bündnis mit dem Dreibund entspringenden Verpflichtungen durch Rumänien zu zweifeln, hätten kompetente rumänische Stellen in letzter Zeit mehrfach die öffentliche Erklärung abgegeben — und eben infolge der Geheimhaltungsklausel des Bündnisvertrages konnten die Dreibundmächte hiegegen keine Rekriminationen erheben — , daß der leitende Gedanke der rumänischen Politik das Prinzip der freien Hand sei. Ebenso habe schon vor Jahresfrist König Carol mit der Loyalität und Offenheit, die seiner vornehmen Gesinnung entspreche, dem k. u. k. Gesandten erklärt, die rumänische Armee werde zwar solange e r lebe, gegen Österreich- Ungarn nicht ins Feld ziehen, allein gegen die öffentliche Meinung des heutigen Rumänien könne er nicht Politik machen, und es sei daher im Falle eines Angriffes Rußlands gegen die Monarchie trotz des bestehenden Bündnisses an eine Aktion Rumäniens an der Seite Österreich-Ungarns nicht zu denken. Um einen Schritt weiter sei — be- zeichnenderweise unmittelbar nach dem Zarenbesuche in Constantza — der rumänische Minister des Äußern gegangen, indem er in einem Interview offen zugab, daß eine An- näherung Rumäniens an Rußland erfolgt sei, ja daß eine Interessengemeinschaft zwischen den beiden Staaten bestehe. Das Verhältnis Österreich-Ungarns zu Rumänien sei somit gegenwärtig dadurch charakterisiert, daß die Monarchie ' ganz auf dem Boden des Bündnisses stehe und nach wie vor bereit sei, Rumänien im Falle des Casus, foederis mit ganzer Macht zu unterstützen, daß Rumänien aber sich von den Bündnispflichten einseitig lossage und der Monarchie lediglich eine neutrale Stellung zugestehe. Selbst die bloße Neutralität Rumäniens sei der Monarchie nur durch eine persönliche Zusage Königs Carols garantiert, die natürlich nur für die Dauer seiner Regierung von Wert sei, deren Erfüllung aber überdies davon abhänge, daß der König die Leitung der auswärtigen Politik stets vollkommen in der Hand behalte ~ eine Aufgabe, die in Zeiten nationaler
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Erregung des ganzen Landes die Kraft eines dem Volke nicht stammverwandten Monarchien leicht übersteigen könnte.
Sich mit dieser einseitig verschobenen Situation ruhig abzufinden und abwartend der weiteren Entwicklung gegen- überzustehen, verbiete der Monarchie nicht nur die Rück- sicht auf ihr Prestige als Großmacht, dies sei ihr auch aus militärisch-politischen Gründen unmöglich. Der militärische Wert des Bündnisses mit Rumänien bestand bisher für die Monarchie darin, daß sie im Konfliktsfalle mit Rußland gegen dieses von der rumänischen Seite her völlig freie Hand gehabt hätte, während ein ansehnlicher Teil der russischen Heeresmacht durch den Angriff der flankierenden rumänischen Armee gebunden worden wäre. Das heutige Verhältnis Rumäniens zur Monarchie hätte jedoch, würde jetzt zwischen ihr und Rußland ein bewaffneter Konflikt ausbrechen, so ziemlich das Gegenteil zur Folge. Rußland hätte nun auf keinen Fall einen Angriff Rumäniens zu befürchten und würde gegen Rumänien kaum einen Mann aufstellen müssen, während Österreich-Ungarn der rumäni- schen Neutralität nicht ganz sicher sein könnte und deshalb gezwungen wäre, ein entsprechendes Aufgebot an Truppen gegen das jetzt an seiner Flanke befindliche Rumänien zurückzubehalten. Die Fortdauer der ungeklärten Beziehungen zu Rumänien wäre daher damit gleichbedeutend, daß der Wert des rumänischen Bündnisses für die Monarchie illu- sorisch, ja negativ bliebe, während sie ihrerseits eben durch die Rücksicht auf das formell noch bestehende Bundesver- hältnis zu Rumänien daran gehindert wäre, rechtzeitig politische Aktionen, wie die Heranziehung anderer Staaten, und militärische Maßnahmen, wie die Befestigung der sieben- bürgischen Grenze, einzuleiten, um die nachteiligen Wir- kungen der Neutralität und eventuellen Feindseligkeit des Nachbarkönigreiches aufzuheben oder wenigstens abzu- schwächen.
Die Monarchie habe di^ Schwenkung der rumänischen Politik in Bukarest bisher nicht in nachdrücklicher Weise zur Sprache gebracht, sondern sich von der auch vom deutschen Kabinett vertretenen Auffassung leiten lassen, daß es sich um Folgeerscheinungen gewisser Mißverständ-
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nisse aus der Zeit der Krise liandle, die sich automatisch zurückbilden würden, wenn man ihnen gegenüber Ruhe und Geduld beobachte. Nunmehr habe sich aber ergeben, daß von einer Taktik ruhigen Abwartens und freundschaftlicher Vorstellungen eine Besserung nicht zu erwarten sei.
Es wäre daher eine nicht zu verantwortende Sorglosig- keit, die wichtige Interessen der Reichsverteidigung aufs Spiel setzen würde, wenn sich die Leitung der auswärtigen Politik der Monarchie gegenüber den in Rumänien zutage getretenen Erscheinungen weiterhin mehr oder weniger passiv verhalten und nicht in der energischesten Weise auf eine Klärung der Situation dringen würde.
Mit der Notwendigkeit, zu diesem Zwecke Maßnahmen zu ergreifen, falle sachlich wie zeitlich zusammen die Not- wendigkeit, eine Aktion einzuleiten, um die von den Zwei- bundmächten planmäßig betriebene Errichtung eines Balkan- bundes zu vereiteln. Beide Fragen hingen dadurch aufs Innigste zusammen, daß es von der positiven oder negativen Klarstellung des Verhältnisses zu Rumänien abhinge, von welchem Punkte aus und in welcher Richtung den Balkan- bundplänen entgegenzutreten sein werde. Weitere Passivität in der rumänischen Frage würde eine wirksame Gegenaktion hinsichtlich des Balkanbundes ausschließen und den inten- siven Bestrebungen Rußlands und Frankreichs vollkommen freies Spiel lassen. Die Situation sei heute so weit gediehen, daß eine solche Gegenaktion ohne Aufschub einsetzen müsse, solle sie sich nicht von vornherein vor vollendete Tat- sachen gestellt sehen.
An den langjährigen Traditionen ihrer auswärtigen Politik festhaltend, würde die Monarchie mit einer offenen Aus- sprache mit Rumänien in erster Linie das Ziel verfolgen, das Königreich für eine Politik des ehrlichen Anschlusses an Österreich-Ungarn wieder zu gewinnen und verläßliche Bürgschaften für die volle Erfüllung der Bündnispflichten von ihm zu verlangen. Es müßte in Bukarest das Verlangen gestellt werden, daß Rumänien auf die Geheimhaltung des Bundes- verhältnisses zum Dreibund verzichte und daß diese Tatsache durch eine unzweideutige Manifestation König Carols oder der rumänischen Regierung öffentlich, bekanntgegeben werde.
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Nur wenn die öffentliche Meinung in Rumänien auf diese Art über die politische Zugehörigkeit des Königreiches orien- tiert würde und diese Politik durch ihre Zustimmung ge- wissermaßen ratifiziert hätte, wäre dem russisch-französischen Gegenspiel Einhalt getan und könnte Österreich -Ungarn wieder vertrauensvoll das Bundesverhältnis zu Rumänien zum Angelpunkt seiner Balkanpolitik machen.
Bei der heutigen Situation sei es ohne weiteres klar, daß das vom Zweibund umworbene Rumänien, wenn überhaupt, so nur gegen gewichtige Vorteile zur Wiederaufnahme seiner offenen Dreibundpolitik zu bewegen wäre und daß daher ein solches öffentliches Bekenntnis zum Dreibund und damit zur öster- reichisch-ungarischen Monarchie nur durch weitere, über den Rahmen des gegenwärtigen Bündnisvertrages hinausgehende politische Zugeständnisse erlangt werden könnte.
Die Monarchie wäre daher geneigt, Rumänien als Gegen- leistung ihrerseits die Garantie des rumänischen Besitzstandes gegenüber Bulgarien anzubieten. Sollte Rumänien auf den Fortbestand seines gegenwärtigen freundschaftlichen Verhält- nisses zu Serbien Gewicht legen, so könnte Österreich- Ungarn in Bukarest auch die Versicherung abgeben, daß es eine von Rumänien in Belgrad unternommene Aktion, welche auf eine Änderung der Haltung Serbiens gegenüber der Mon- archie abzielen würde, seinerseits durch eine entgegenkom- mende Haltung Serbien gegenüber auf politischem und wirf- schaftlichem Gebiete zu fördern bereit sei. Damit wäre aber das Maß der Zugeständnissei an Rumänien, die für die Mon- archie zum Zweck der Wiederherstellung eines beiderseits wirklich vertrauenswürdigen Bundesverhältnisses in Betracht kämen, erschöpft und es sei selbstverständlich, daß zum Bei- spiel die innerpolitischen Verhältnisse Österreichs oder Un- garns von den Besprechungen mit der rumänischen Regierung unbedingt ausgeschlossen bleiben müßten.
Österreich-Ungarn würde in Bukarest zwar einen durchaus freundschaftlichen Ton anschlagen, andrerseits aber Rumänien nicht darüber im Unklaren lassen, daß es eine Fortdauer des gegenwärtigen Zustandes, welcher eine einseitige Verschiebung der aus dem Bündnis entspringenden Rechte und Pflichten zu Gunsten Rumäniens bedeute, unter keinen Umständen
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zulassen könne. Rumänien würde auch darüber nicht im Unklaren gelassen werden, daß die Monarchie, falls man sich in Bukarest zu einer öffentlichen Manifestation für die Zugehörigkeit Rumäniens zum Dreibunde nicht ent- schließen könnte, daraus alle Konsequenzen hinsichtlich ihrer politischen Aktionsfreiheit ableiten müßte.
Politisch würde es sich darum handeln, ein Gegen- gewicht gegen das in das Lager des Zweibundes über- gegangene Rumänien zu schaffen. Dies könnte nur dadurch geschehen, daß die Monarchie auf die seit langer Zeit ge- stellten und mehrfach wiederholten Anerbieten Bulgariens einginge und mit diesem in ein vertragsmäßiges Verhältnis trete. Gleichzeitig müßte danach getrachtet werden, ein Bündnis zwischen Bulgarien und der Türkei zustande zu bringen.
Hand in Hand damit müßte die Monarchie unverzüglich daranschreiten, für den Fall eines europäischen Krieges mihtärische Vorkehrungen zum Schutze der Grenze gegen Rumänien zu treffen '. Auch in dieser Hinsicht sei es für die Monarchie dringend notwendig, die künftige Haltung Rumäniens ohne Verzug unzweideutig festzustellen, da die bisherigen militärischen Vorkehrungen für kriegerische Eventualitäten mit der gegenwärtigen Situation nicht im Einklang stünden und je nach dem Ergebnis der Aussprache mit Rumänien ohne Aufschub modifiziert werden müßten, wobei ganz besonders ins Gewicht falle, daß speziell fortifi- katorische Grenzschutzbauten eine beträchtliche Vorberei- tungszeit erforderten.
Die Frage der Klarstellung des Verhältnisses zu Rumä- nien sei jedoch, wenn sie auch ihre Interessen in erster Reihe berühre, nicht eine Angelegenheit der Monarchie allein, vielmehr eine solche des ganzen Dreibundes und vor allem des eng verbündeten Deutschen Reiches.
Das Gleiche gelte von den auf die Errichtung des Balkanbundes abzielenden Plänen des Zweibundes.
' Diese militärischen Maßnahmen (vor allem die Befestigung der siebenbürgischen Grenze) sollten — wie es an dieser Stelle im Entwürfe hieß — in einem beigelegten Memoire des Näheren dargelegt werden. (Vgl. Seite 5, 25 ff.)
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Nicht nur aus Rücksichten, die aus der Tradition und dem engen Bundesverhäitnis entsprängen, lege daher Öster- reich-Ungarn den größten Wert darauf, bevor es an die entscheidende Aussprache mit Rumänien herantrete, mit dem Deutschen Reiche ein volles Einvernehmen herzustellen, sondern auch darum, weil wichtige Interessen Deutschlands und des Dreibundes überhaupt hier mit im Spiel seien und weil eine erfolgreiche Wahrung dieser in letzter Konsequenz gemeinsamen Interessen nur zu erwarten sei, wenn der einheitlichen zielbewußten und planmäßigen Aktion Rußlands und Frankreichs eine ebenso einheitliche Gegenaktion des Dreibundes, insbesondere Österreich-Ungarns und des Deutschen Reiches, entgegengesetzt werde.
Denn, wenn Rußland, von Frankreich unterstützt, die Balkanstaaten gegen Österreich-Ungarn zu vereinigen trachte, wenn es die bereits erreichte Trübung des Verhältnisses zu Rumänien zu vertiefen bestrebt sei, so richte sich diese Feindseligkeit nicht allein direkt gegen die Monarchie, die allerdings durch tiefgehende Gegensätze von Rußland ge- trennt sei, sondern nicht zuletzt gegen den Bundesgenossen des Deutschen Reiches, gegen den durch seine geographische Lage und innere Struktur exponiertesten, Angriffen am meisten ausgesetzten Teil des zentraleuropäischen Blocks, der Rußland den Weg zur Verwirklichung seiner welt- politischen Pläne sperre.
Die militärische Superiorität der beiden Kaisermächte durch Hilfstruppen vom Balkan her zu sprengen, sei das Ziel Rußlands, aber nicht das letzte Ziel.
Wenn man die Entwicklung Rußlands in den letzten zwei Jahrhunderten überblicke, wenn man seinen enormen Aufschwung an Bevölkerung, Gebiet, wirtschaftlicher und militärischer Macht übersehe und bedenke, daß dieses große Reich noch immer durch seine Lage und durch Verträge vom freien Meer so gut wie abgeschnitten sei, dann erkenne man die Notwendigkeit des der russischen Politik seit jeher eigentümlichen aggresiven Charakters.
Trotz der enormen Rüstungen und kriegerischen Vor- bereitungen, wie dem Ausbau strategischer Bahnen gegen
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Westen, könne man Rußland vernünftigerweise Eroberungs- pläne gegen das Deutsche Reich nicht zumuten.
Allein Rußland habe erkannt, daß die Verwirklichung seiner einer inneren Notwendigkeit entspringenden Absichten in Europa und Asien, am Bosporus, in Persien, Kleinasien und Mesopotamien in erster Linie wichtige Interessen Deutschlands verletzen und daher auf dessen Widerstand stoßen müßte.
Die Politik Rußlands sei durch unveränderliche Ver- hältnisse bedingt und deshalb eine stetige und weitaus- blickende.
Die manifesten Einkreisungstendenzen Rußlands gegen die Monarchie, die keine Weltpolitik treibe, hätten den End- zweck, dem Deutschen Reich den Widerstand gegen jene Ziele Rußlands und gegen seine politische und wirtschaft- fiche Suprematie unmöglich zu machen.
Deshalb könne die Auffassung nur als kurzsichtig bezeichnet werden, von der ausgehend in jüngster Zeit gegen die Politik des Deutschen Reiches in Deutschland selbst der Vorwurf erhoben wurde, daß sie lediglich aus Bundestreue für spezifisch österreichisch-ungarische Inter- essen eintrete, welche dem deutschen Interessenkreis ferne lägen.
Und aus diesen Gründen sei die Leitung der auswärtigen Politik Österreich-Ungarns auch davon überzeugt, daß es ein gemeinsames Interesse der Monarchie wie nicht minder Deutschlands sei, im jetzigen Stadium der Balkankrise rechtzeitig und energisch einer von Rußland geförderten und angestrebten Entwicklung entgegenzutreten, die später vielleicht nicht mehr rückgängig zu machen wäre.
In seiner ersten Fassung wurde das Konzept der Denk- zweite Schrift vom Autor selbst mit einigen Abänderungen ver- ''"^^""^ sehen, deren — am 24. Juni fertiggestellte — Reinschrift die zweite Textierung des Elaborates darstellt. Hinsichtlich der die Entwicklung der europäischen Krise hauptsächlich bestimmenden Materie — der Regelung der österreichisch- ungarischen Beziehungen zu Serbien — behielt der Text die in der ersten Fassung vertretene, auf dem Wege über Rumänien zu bewirkende, freundschaftliche Beeinflussung
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told
Serbiens zu einer Änderung seiner Haltung der Monarchie gegenüber bei». Redaktion In ihrer zweiten Fassung wurde die DenlcscJirift Graf
l"rift'^du,ch Berchtold vorgelegt/ Er unterzog das Elaborat im Ver- Gr..f Bcroh. laufe der Tage nach dem 24. Juni einer Überprüfung und veranlage (nach Vornahme einiger sonstigen eigen- händigen Korrekturen) eine spezielle Neubearbeitung jenes Teiles der Ausführungen, der die Gestaltung der Beziehun- gen der Monarchie zu Rumänien behandelte. Der ein- schlägige Text lautete nunmehr in der endgültigen For- mulierung:
„Die Monarchie hat sich bisher darauf beschränkt, die „Schwenkung der rumänischen Politik in Bukarest in freund- „schaftlicher Weise zur Sprache zu bringen, sich im übrigen „aber nicht veranlaßt gesehen, aus dieser immer deutlicheren „Kursänderung Rumäniens ernste Konsequenzen zu ziehen; „das Wiener Kabinett hat sich hiezu in erster Linie dadurch „bestimmen lassen, daß die deutsche Regierung die Auffassung „vertrat, es handle sich um vorübergehende Schwankungen, „Folgeerscheinungen gewisser Mißverständnisse aus der Zeit „der Krise, die sich automatisch zurückbilden würden, wenn „man ihnen gegenüber Ruhe und Geduld bewahrt. Es hat „sich aber gezeigt, daß diese Taktik ruhigen Abwartens „und freundschaftlicher Vorstellungen nicht die gewünschte „Wirkung hatte, daß sich der Prozeß der Entfremdung „zwischen Österreich-Ungarn und Rumänien nicht zurück- „gebildet, sondern im Gegenteil beschleunigt hat. Daß von „dieser Taktik auch für die Zukunft eine Wendung im
1 Die betreffenden Ausführungen lauteten jetzt (sachlich analog der ersten Formulierung, vgl. Seite 14): .
Die Monarchie wäre geneigt, Rumänien als Gegenleistung (des öffent- lichen Bekenntnisses zum Dreibund) ihrerseits die Garantie des rumäni- schen Besitzstandes gegenüber Bulgarien anzubieten. Sollte Rumänien ferner mit Rücksicht auf seine freundschaftlichen Verhältnisse zu Serbien darauf Gewicht legen, so könnte die Monarchie in Bukarest auch die Versicherung abgeben, daß sie eine von Rumänien in Belgrad unter- nommene Aktion, welche auf eine Änderung der Haltung Serbiens gegen- über der Monarchie abzielen würde, ihrerseits durch Entgegenkommen auf politischem und wirtschaftlichem Gebiete Serbien gegenüber lu fördern bereit sei.
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„günstigen Sinne nicht zu erwarten ist, dafür spricht schon „der Umstand, daß die gegenwärtige Situation der „freien „Hand" für Rumänien durchaus vorteilhaft und nur für die „Monarchie nachteilig ist.
„Es drängt sich nun die Frage auf, ob Österreich-Ungarn „das' Verhältnis zu Rumänien noch durch eine offene Aus- „einandersetzung sanieren könnte, indem es das Königreich „vor die Wahl stellt, entweder alle Brücken zum Dreibund „abzubrechen oder — etwa durch Bekanntmachung seiner „Zugehörigkeit zum Dreibunde — ausreichende Bürgschaften „dafür zu geben, daß die aus der Allianz entspringenden „Verpflichtungen auch von seiner Seite voll und ganz erfüllt „werden würden. Eine solche Lösung der Frage, die eine ,, dreißigjährige Tradition wieder aufleben ließe, würde sicher- „lich den Wünschen Österreich-Ungarns am meisten ent- „sprechen. Unter de,n gegebenen Verhältnissen ist es aber „leider wenig wahrscheinlich, daß sich König Carol oder „irgendeine rumänische Regierung, selbst gegen eine even- „tuelle Erweiterung des gegenwärtigen Bündnisvertrages, dazu „bereit finden würde, der herrschenden Volksstimmung zum „Trotz, Rumänien öffentlich als Bundesgenossen des Drei- „bundes hinzustellen. Ein kategorisches aut-aut seitens der „Monarchie könnte daher zum offenen Bruch führen. Ob „es dem deutschen Kabinett durch ernste und nachdrück- „liche Vorstellungen, eventuell verbunden mit einem An- „erbieten im obigen Sinne, gelingen würde, Rumänien zu „einer Stellungnahme zu veranlassen, die als eine verläßliche „Garantie für seine dauernde und volle Bundestreue an- „gesehen werden könnte, läßt sich von Wien aus nicht leicht „beurteilen, erscheint aber wohl gleichfalls als zweifelhaft.
„Unter diesen Umständen kann die Möglichkeit praktisch „als ausgeschlossen gelten, das Bündnis mit Rumänien „wieder so verläßlich und tragfähig zu gestalten, daß es für ,, Österreich-Ungarn das Pivot seiner Balkanpolitik bilden „könnte. ,
„Es wäre nicht nur zwecklos, sondern bei der politischen „und militärischen Bedeutung Rumäniens eine nicht zu ver- „antwortende Sorglosigkeit, die wichtige Interessen der , Reichsverteidigung aufs Spiel setzen würde, wenn sich die
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„Monarchie gegenüber den in Rumänien zutage getretenen „Erscheinungen weiterhin mehr oder weniger passiv ver- „hahen und nicht ohne Aufschub die erforderlichen mili- „tärischen Vorbereitungen und politischen Aktionen einleiten „würde, um die Wirkungen der Neutralität und eventuellen „Feindseligkeit Rumäniens aufzuheben oder wenigstens „abzuschwächen.
„Der militärische Wert des Bündnisses mit Rumänien „bestand für die Monarchie darin, daß sie im Konfliktsfalle „mit Rußland gegen dieses von der rumänischen Seite her „militärisch völlig freie Hand gehabt hätte, während ein „ansehnlicher Teil der russischen Heeresmacht durch den „Angriff der flankierenden rumänischen Armee gebunden „worden wäre. Das heutige Verhältnis Rumäniens zur „Monarchie hätte jedoch, würde jetzt zwischen ihr und „Rußland ein bewaffneter Konflikt ausbrechen, so ziemlich „das Gegenteil zur Folge. Rußland hätte nun auf keinen „Fall einen Angriff Rumäniens zu befürchten und würde „gegen Rumänien kaum einen Mann aufstellen müssen, „während Österreich-Ungarn der rumänischen Neutralität „nicht ganz sicher und deshalb gezwungen wäre, ein ent- „sprechendes Aufgebot an Truppen gegen das jetzt an „seiner Flanke befindliche Rumänien zurückzubehalten.
„Die bisherigen militärischen Vorkehrungen Österreich- „Ungarns für den Fall eines Konfliktes mit Rußland basierten „auf der Voraussetzung der Kooperation Rumäniens. Ist „diese Voraussetzung hinfällig, ja nicht einmal eine absolute „Sicherheit vor einer rumänischen Aggression gegeben, so „muß die Monarchie für den Kriegsfall andere Dispositionen „treffen und auch die Anlage von Befestigungen gegen „Rumänien in Betracht ziehen.
„Politisch handelt es sich darum, Rumänien durch Taten „zu beweisen, daß wir in der Lage sind, für die Balkan- „politik Österreich-Ungarns einen anderen Stützpunkt zu „schaffen. Sachlich und zeidich deckt sich die zu diesem „Zweck einzuleitende Aktion mit der Notwendigkeit, gegen „die von den Zweibundmächten betriebene Errichtung eines „neuen Balkanbundes wirksame Maßnahmen zu ergreifen. „Das eine wie das andere kann bei der heutigen Lage am
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„Balkan nur dadurch erreicht werden, daß die Monarchie „auf die schon vor einem Jahre gestelhen und seither „mehrfach wiederholten Anerbieten Bulgariens eingeht und „mit diesem in ein vertragsmäßiges Verhältnis tritt. Gleich- „zeitig müßte die Politik der Monarchie danach trachten, „ein Bündnis zwischen Bulgarien und der Türkei zustande „zu bringen, wofür in beiden Staaten bis vor kurzem noch „so günstige Dispositionen herrschten, daß ein Vertrags- „instrument, wenn es auch später nicht unterzeichnet wurde, „bereits ausgearbeitet war.
„Auch in dieser Hinsicht könnte eine Fortsetzung der „bisherigen abwartenden Haltung, zu welcher sich die „Monarchie durch eine viel weitergehende Rücksichtnahme „auf das Bündnis, als sie in Bukarest an den Tag gelegt „wurde, bestimmen ließ, von nicht wieder gutzumachendem „schweren Nachteil sei,n. Weiteres Zuwarten und namendich „das Unterbleiben einer Gegenaktion in Sofia würde den „Intensiven und planmäßigen Bestrebungen Rußlands und „Frankreichs vollkommen freies Spiel lassen. Die Haltung „Rumäniens drängt die Monarchie geradezu mit Notwendig- „keit dahin, Bulgarien jene Anlehnung, die es seit langem „sucht, zu gewähren, um den sonst kaum abzuwendenden „Erfolg der russischen Einkreisungspolitik zu vereiteln. Dies „muß aber eben geschehen, solange der Weg nach Sofia „und auch nach Konstantinopel noch offen steht.
„Der Vertrag mit Bulgarien, dessen nähere Bestimmungen „noch eingehender zu prüfen sein werden, wird im allge- „meinen natürlich so abzufassen sein, daß er die Monarchie „nicht in Widerstreit mit ihren vertragsmäßigen Verpflich- „tungen Rumänien gegenüber zu bringen vermag. Auch „wäre dieser Schritt der Monarchie vor letzterem nicht „geheim zu halten, da ja darin keine Feindseligkeit gegen „Rumänien gelegen ist, wohl aber eine ernste Warnung, „durch die sich die maßgebenden Faktoren in Bukarest der „ganzen Tragweite einer dauernden einseitigen politischen „Abhängigkeit von Rußland bewußt werden könnten.
„Bevor Österreich-Ungarn aber an die in Rede stehende „Aktion herantritt, legt es den größten Wert darauf, mit dem „Deutschen Reiche ein volles Einvernehmen herzustellen,
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„und zwar nicht nur aus Rücksichten, die der Tradition und „dem engen Bundesverhäitnis entspringen, sondern vor allem „deshalb, weil wichtige Interessen Deutschlands und des „Dreibundes überhaupt hier mit im Spiele sind und weil „eine erfolgreiche Wahrung dieser in letzter Konsequenz „gemeinsamen Interessen nur zu erwarten ist, wenn der „einheitlichen Aktion Rußlands und Frankreichs eine ebenso „einheitliche Gegenaktion des Dreibundes, insbesondere „Österreich-Ungarns und des Deutschen Reiches, entgegen- „gesetzt wird.
„Denn wenn Rußland, von Frankreich unterstützt, die „Balkanstaaten gegen Österreich-Ungarn zu vereinigen „trachtet, wenn.es die bereits erreichte Trübung des Ver- „hältnisses zu Rumänien zu vertiefen bestrebt ist, so richtet „sich diese Feindseligkeit nicht allein gegen die Monarchie „als solche, sondern nicht zuletzt gegen den Bundesgenossen „des Deutschen Reiches, gegen den durch seine geogra- „phische Lage und innere Struktur exponiertesten, Angriffen „am meisten zugänglichen Teil des zentraleuropäischen „Blocks, der Rußland den Weg zur Verwirklichung seiner „weltpolitischen Pläne sperrt.
„Die militärische Superiorität der beiden Kaisermächte „durch Hilfstruppen vom Balkan her zu brechen, ist das „Ziel des Zweibundes, aber nicht das letzte Ziel Rußlands.
„Während Frankreich die Schwächung der Monarchie „anstrebt, weil es hiervon eine Förderung seiner Revanche- „bestrebungen erwartet, sind die Absichten des Zarenreiches „noch weit umfassender.
„Wenn man die Entwicklung Rußlands in den letzten „zwei Jahrhunderten, die stetige Erweiterung seines Gebietes, „das enorme, alle anderen europäischen Großmächte Weit „überflügelnde Anwachsen seiner Volkszahl und die ge- „waltigen Fortschritte seiner wirtschaftlichen Ressourcen und „militärischen Machtmittel überblickt und bedenkt, daß „dieses große Reich durch seine Lage und durch Verträge jjVom freien Meer noch immer so gut wie abgeschnitten „ist, dann begreift man die Notwendigkeit des der russischen „Politik seit jeher immanenten aggressiven Charakters.
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„Man kann Rußland vernünftigerweise territoriale Er- „oberungspläne gegen das Deutsche Reich nicht zumuten ; „trotzdem sind die außergewöhnlichen Rüstungen und „kriegerischen Vorbereitungen, der Ausbau strategischer „Bahnen gegen Westen etc., in Rußland sicherlich mehr noch „gegen Deutschland als gegen Österreich-Ungarn gerichtet.
„Denn Rußland hat erkannt, daß die VerwirkHchung „seiner einer inneren Notwendigkeit entspringenden Pläne „in Europa und Asien in erster Linie höchst wichtige Inter- „essen Deutschlands verletzen und daher auf dessen un- „ausweichlichen Widerstand stoßen müßte.
„Die Politik Rußlands ist durch unveränderliche Ver- „hältnisse bedingt und deshalb eine stetige und weitaus- „blickende.
„Die manifesten Einkreisungstendenzen Rußlands gegen „die Monarchie, die keine Weltpolitik treibt, haben den „Endzweck, dem Deutschen Reiche den Widerstand gegen „jene letzten Ziele Rußlands und gegen seine politische und „wirtschaftliche Suprematie unmöglich zu machen."
Den Appell an die Interessengemeinschaft der Monarchie und des Deutschen Reiches beibehaltend, schloß die Denk- schrift < :
„Aus diesen Gründen ist die Leitung der auswärtigen „Politik Österreich-Ungarns auch davon überzeugt, daß es „ein gemeinsames Interesse der Monarchie wie nicht „minder Deutschlands ist, im jetzigen Stadium der Balkan- „krise rechtzeitig und energisch einer von Rußland plan- „mäßig angestrebten und geförderten Entwicklung entgegen- „zutreten, die später vielleicht nicht mehr rückgängig zu „machen wäre."
In dem Kernpunkte ihrer Ausführungen lassen sich die gegenüber der Darstellung der beiden Entwürfe vollzogenen Umänderungen der Schlußredaktion dahin zusammenfassen:
Der Modalität einer Regelung der Beziehungen der Monarchie zu Serbien auf dem Wege über Bukarest
• Der in den beiden Entwürfen Baron Matschekos vorangehende Absatz — ablehnende Beui'teilung der ausschließlich deutsche Interessen vertretenden politischen Auffassung gewisser Kreise in Deutschland selbst (vgl. Seite 17) — entfiel aus naheliegenden Gründen.
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äer Denk- schrift
geschieht keine Erwähnung mehr, da die weitere Tragföhig- keit des Bündnisses der Monarchie mit Rumänien selbst in Frage gestellt erscheint. Als Ahwehrmittel der die Mon- archie von Seite Serbiens und durch die Errichtung eines neuen Balkanbundes bedrohenden Gefahren wird jetzt in erster Reihe der vertragsmäßige Anschluß Bulgariens an die eigene Kräftegruppe erachtet.
Die Denkschrift hatte kaum ihre endgültige Fassung gefunden, als in Wien die Nachricht von der Ermordung des Thronfolgers einlangte. Sie bot dem Wiener Kabinette Veranlassung, die folgenden Bemerkungen anzufügen: Postskript „Die vorliegende Denkschrift war eben fertiggestellt, als
„die furchtbaren Ereignisse von Sarajevo eintraten.
„Die ganze Tragweite der ruchlosen Mordtat läßt sich „heute kaum überblicken. Jedenfalls ist aber, wenn es „dessen noch bedurft hat, hierdurch der unzweifelhafte „Beweis für die Unüberbrückbarkeit des Gegensatzes zwischen „der Monarchie und Serbien sowie für die GePährlichkeit „und Intensität der vor nichts zurückschreckenden groß- „serbischen Bestrebungen erbracht worden.
„Österreich-Ungarn hat es an gutem Willen und Entgegen- „kommen nicht fehlen lassen, um ein erträgliches Verhältnis „zu Serbien herbeizuführen. Es hat sich aber neuerlich „gezeigt, daß diese Bemühungen ganz vergeblich waren und „daß die Monarchie auch in Zukunft mit der hartnäckigen, „unversöhnlichen und aggressiven Feindschaft Serbiens zu „rechnen haben wird.
„Um so gebieterischer tritt an die Monarchie die Not- „wendigkeit heran, mit entschlossener Hand die Fäden zu „zerreissen, die ihre Gegner zu einem Netze über ihrem „Haupte verdichten wollen." '
' Die sachlich und nach den Ergebnissen der Textkritik auch formell durchaus nicht ausgeschlossene chronologische Feststellung seitens einer Persönlichkeit, „die über die Politik des Wiener Auswärtigen Amtes in der Zeit vor Kriegsausbruch infolge ihrer damaligen Stellung aufs Genaueste orientiert ist" (vgl. „Neue Freie Presse" vom 16. Jänner 1919), die Schlußredaktion der Denkschrift sei erst nach dem 28. Juni besorgt worden, ließe sich restlos nur durch eine positive, auf den Tag bestimmte Angabe über die vollzogene Fertigstellung der endgültigen Fassung der
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Als Ergänzung dieser politischen Denkschrift hatte nach Ergänzendes der Absicht Graf Berchtoids ein Memoire zu dienen ', das, [)*7°'chef! gleichfalls für den Monarchen und für Kaiser Wilhelm des cenerai- bestimmt, die militärische Seite einer eventuellen Feindselig- '""'"'" keit Rumäniens in einem europäischen Kriege beleuchten sollte. Graf Rerchtold wandte sich zu diesem Zwecke am
1. Juli, auf ein seinerzeitiges Gespräch zurückgreifend, an den k. u. k. Chef des Generalstabes Freiherrn Conrad von Hötzendorf mit dem Anliegen, das gesagte Memoire je eher zur Verfügung zu stellen, da die Erörterung dieser Fragen mit dem deutschen Bundesgenossen dringend geboten sei und das Memoire Kaiser Wilhelm eventuell schon bei seinem bevorstehenden Aufenthalt in Wien unterbreitet werden solle.
Die abverlangte Ausarbeitung wurde Graf Berchtold am
2. Juli zugeschickt. Sie enthielt eine Darstellung der Wirkungen einer Neutralität oder der Feindseligkeit Rumäniens auf die militärische Lage der Monarchie und des Dreibundes und schloß ihre Erwägungen mit der Feststellung: „Die öster- „reichisch-ungarische Monarchie ist bei einem Abschwenken „Rumäniens außerstande, den Kraftzuschuß wettzumachen, „den Rußland durch seine neue Militärvorlage, aber auch „durch das Hinzutreten der bisher gegen Rumänien not- „wendigen Kräfte gewinnt.
„Die Monarchie vermöchte trotz großer Opfer für die „Grenzbefestigung und für die Formierung von Reserve- „formationen der Verschlechterung der Gesamtlage nicht vor- „zubeugen. Sie müßte aber ungesäumt und rasch die Vor- „kehrungen gegen Rumänien beginnen und voll ausführen, „denn nur ein offener und unbedingt bindender vertrags- „mäßiger Anschluß Rumäniens an den Dreibund könnte als „Gewähr gegen eine eventuelle Feindseligkeit gelten. Der
Denkschrift erhärten. Bis dahin muß für die zeitliche Bestimmung die Formulierung des ersten Satzes der Nachschrift wohl ihre Geltung behalten: „Die vorliegende Denkschrift war eben fertiggestellt, als die furchtbaren Ereignisse von Sarajevo eintraten" und der diesbezügliche Passus des Handschreibens Kaiser Franz Josephs an Kaiser Wilhelm „Die Denkschrift, die noch vor der furchtbaren Katastrophe in Sarajevo ver- faßt wurde . . ." (Siehe Seite 26.)
» Vgl. Seite 5, Anmerkung I; Seite 15, Anmerkung 1.
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Hand- schreiben Kaiser Franz Josephs an Kaiser Wilhelm (Entwurf, 2. Juli)
„geringste Zweifel in dieser Hinsicht fordert gebieterisch, die „militärischen Vorsorgen ungesäumt zu treffen." '
Unter dem Eindructce des Sarajevoer Ereignisses gedachte Kaiser Franz Joseph mit dem zur Teilnahme an den Trauer- feierlichlceiten in Wien erwarteten deutschen Kaiser eine die gesamte politische Lage umfassende Rücksprache zu pflegen. Da Kaiser Wilhelm indessen von seiner Absicht, nach Wien zu kommen, Abstand nahm, entschloß sich der Monarch, die nunmehr gänzlich fertiggestellte Denkschrift (wie es ohnehin beabsichtigt war) in Begleitung eines Handschreibens an Kaiser Wilhelm abzusenden.
Das Handschreiben gab dem Bedauern Ausdruck, daß Kaiser Wilhelm sich genötigt gesehen habe, seine Absicht, zur Trauerfeier nach Wien zu kommen, aufzugeben. Der Monarch hätte ihm sehr gerne persönlich seinen herzlichen Dank für die wohltuende Anteilnahme an seinem schweren Kummer ausgesprochen.
Kaiser Wilhelm habe durch sein warmes, mitfühlendes Beileid wieder bewiesen, daß Kaiser Franz Joseph in ihm einen treuen, verläßlichen Freund besitze und daß er in jeder ernsten Stunde auf ihn rechnen könne.
Es wäre dem Monarchen auch sehr erwünscht gewesen, die politische Lage mit Kaiser Wilhelm zu besprechen. Da dies jetzt nicht möglich gewesen sei, sende der Monarch Kaiser Wilhelm die anruhende, vom Minister des Äußern ausgearbeitete Denkschrift, die noch vor der furchtbaren Katastrophe in Sarajevo verfaßt wurde und die jetzt, nach diesem tragischen Ereignis, besonders beachtenswert er- scheine.
Das gegen den Erzherzog Franz Ferdinand verübte Attentat sei die direkte Folge der von den russischen und "serbischen Panslawisten betriebenen Agitation, deren ein- ziges Ziel die Schwächung des Dreibundes und die Zer- trümmerung des Reiches Kaiser Franz Josephs sei.
I Das Stück (Res. Gstbs. Nr. 2505) wurde mit dem Vermerke „ad acta" hinterlegt. Eine Verwendung Berlin gegenüber fand dasselbe, soweit sich dies aktenmäßig feststellen läßt, trotz der ursprünglich bestandenen Absicht, nicht.
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Nach allen bisherigen Erhebungen habe es sich in Sara- jevo nicht um die Bluttat eines einzelnen, sondern um ein wohlorganisiertes Komplott gehandelt, dessen Fäden nach Belgrad reichten, und wenn es auch vermutlich unmöglich sein werde, die Komplizität der serbischen Regierung nach- zuweisen, so könne man wohl nicht im Zweifel darüber sein, daß ihre auf die Vereinigung aller Südslawen unter serbischer Flagge gerichtete Politik solche Verbrechen fördere und daß die Andauer dieses Umstandes eine dauernde Gefahr für das Haus und die Länder Kaiser Franz Josephs bilde.
Diese Gefahr werde noch dadurch erhöht, daß auch Rumänien, trotz des bestehenden Bündnisses mit der Monarchie und mit Deutschland, sich mit Serbien eng be- freundet habe und auch im eigenen Lande eine ebenso gehässige Agitation gegen die Monarchie und Deutschland dulde, wie Serbien es tue.
Es werde dem Monarchen schwer, an der Treue und den guten Absichten eines so alten Freundes, wie Carol von Rumänien es sei, zu zweifeln; dieser selbst habe aber dem Gesandten Kaiser Franz Josephs im Laufe der letzten Monate zweimal erklärt, daß er angesichts der erregten und der Monarchie und Deutschland feindlichen Stiminung seines Volkes nicht in der Lage wäre, im Ernstfalle seinen Bundespflichten nachzukommen.
Dabei fördere die gegenwärtige rumänische Regierung ganz offen die Bestrebungen der Kulturliga, begünstige die Annäherung an Serbien und strebe mit russischer Hilfe die Gründung eines neuen Balkanbundes an, der nur gegen das Reich Kaiser Franz Josephs gerichtet sein könnte.
Schon am Beginne der Regierungszeit Carols hätten ähnliche politische Phantasien, wie sie jetzt von der Kultur- liga verbreitet würden, den gesunden politischen Sinn der rumänischen Staatsmänner getrübt, und es habe die Gefahr bestanden, daß das Königreich eine Abenteurerpolitik treiben würde. Damals habe der Großvater Kaiser Wilhelms in energischer, zielbewußter Weise durch seine Regierung eingegriffen und habe Rumänien so den Weg gewiesen, auf welchem es zu einer Vorzugsstellung in Europa gelangt und _zu einer verläßlichen Stütze aller Ordnung geworden sei.
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Jetzt drohe dieselbe Gefahr dem Königreiche; Kaiser Franz Joseph befürchte, daß Ratschläge allein nicht mehr helfen würden und daß Rumänien nur dann dem Drei- bunde erhalten werden könne, wenn die Monarchie und Deutschland einerseits das Entstehen eines Balkanbundes unter russischer Patronanz durch den Anschluß Bulgariens an den Dreibund unmöglich machten, und andrerseits in Bukarest klar und deutlich zu erkennen gäben, daß die Freunde Serbiens nicht die Freunde der Monarchie und Deutschlands sein könnten, und daß auch Rumänien nicht mehr mit der Monarchie und Deutschland als Bundes- genossen rechnen könne, wenn es sich nicht von Serbien lossage und die gegen den Bestand des Reiches Franz Josephs gerichtete Agitation in Rumänien mit aller Kraft unter- drücke.
Die auswärtige Politik der österreichisch-ungarischen Regierung am Balkan müsse in Hinkunft auf die Isolierung und Verkleinerung Serbiens gerichtet sein. Die erste Etappe auf diesem Wege könne nur in einer Stärkung der Stellung der gegenwärtigen bulgarischen Regierung bestehen, damit dieses Land, dessen reale Interessen mit denen der Mon- archie und Deutschlands übereinstimmten, vor der Rückkehr zur Russophilie bewahrt bleibe.
Wenn man in Bukarest erkenne, daß der Dreibund ent- schlossen sei, auf Bulgarien nicht zu verzichten, jedoch bereit wäre, Bulgarien dazu zu veranlassen, sich mit Rumänien zu verbinden und dessen territoriale Integrität zu garan- tieren, so werde man dort vielleicht von der gefährlichen Richtung zurückkommen, in welche man durch die Freund- schaft mit Serbien und die Annäherung an Rußland ge- trieben worden sei.
Wenn dies gelinge, so werde es vielleicht auch möglich sein, Griechenland durch einen billigen Gebietsaustausch mit Bulgarien und mit der Türkei zu versöhnen, und es würde sich dann unter der Patronanz des Dreibundes ein neuer Balkanbund bilden, dessen Aufgabe darin bestehen würde, dem Vordringen der panslawistischen Hochflut ein Ziel zu setzen und den Ländern Kaiser Wilhelms und Kaiser Franz Josephs den Frieden zu sichern.
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„Dieses wird aber", schloß das Handscrireiben, „nur „dann möglich sein, wenn Serbien, welches gegenwärtig den „Angelpunkt der panslawistischen Politik bildet, als politischer „Machtfaktor am Balkan nicht mehr gerechnet wird'.
„Auch Du wirst nach dem jüngsten furchtbaren Ge- „schehnisse in Bosnien die Überzeugung haben, daß an „eine Versöhnung des Gegensatzes, welcher Serbien von „uns trennt, nicht mehr zu denken ist, und daß die erhal- „tende Friedenspolitik aller europäischen Monarchen bedroht „sein wird, solange, dieser Herd von verbrecherischer „Agitation in Belgrad ungestraft fortlebt."
Dieser Entwurf des Handschreibens Kaiser Franz Josephs war im Kabinett des Ministers am 2. Juli aufgesetzt worden. Die Stilisierung des Handschreibens wurde vor dessen Absendung (4. Juli abends) noch einigen geringfügigeren Änderungen unterworfen -.
Von sachlichem Interesse, weil für die Mentalität ihres Bemerkun- Autors ebenso bezeichnend als zur Charakteristik des ^^"igi^^h Adressaten in Berlin dienend, waren die Bemerkungen des ungarische« ungarischen Ministerpräsidenten Grafen Stephan Tisza zu p^ideLn dem Texte des Handschreibens. Er telegraphierte am 5. Juli Grafen Tis^» vormittags (also nach bereits erfolgter Absendung) an Graf ^"™,^"^^'''
BerchtOld '■: Kaiser und
„Allerhöchstes Handschreiben an deutschen Kaiser. KonigFran,
Josephs
„Um Berlin nicht kopfscheu zu machen, rate ich dringend, „im vorletzten Alinea anstatt „als politischer Machtfaktor „am Balkan ausgeschaltet wird" zu sagen „genötigt wird, „seine aggressive Tätigkeit aufzugeben" und im letzten „Alinea die Worte: „daß an eine Versöhnung des Gegen- „satzes, welcher Serbien von uns trennt, nicht mehr zu „denken ist, und" wie auch das Wort: „ungestraft" weg- „zulassen."
1 Im Wortlaut des abgeschickten Handschreibens (Weißbuch be- treffend die Verantwortlichkeit der Urheber am Weltkriege, Seite 59, 60) lautet die korrespondierende Stelle: „als politischer Machtfaktor am Balkan ausgeschaltet wird". Vgl. hiezu die gegenständlichen Ausführungen des nachfolgend zitierten Telegramms des Grafen Tisza.
2 Vgl. Weißbuch 1. c.
•■>, Telegramm des Grafen Tisza d. d. Budapest, 5. Juli, 11 Uhr 50 Minuten a. m., ohne Nummer.
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Wir werden nunmehr festzustellen haben, welcher Auf- nahme die Denkschrift in Berlin begegnete und das Hand- schreiben Kaiser Franz Josephs, dessen Änderung Graf Tisza hinsichtlich der erwähnten Nuancen dringend anraten zu müssen glaubte, „um Berlin nicht kopfscheu zu machen".
2. Die Stellungnahme Kaiser Wilhelms und der deutschen Regierung zur Denkschrift des Wiener
Kabinetts
Legacionsrai Zur Überbringung des Handschreibens Kaiser Franz übTrbringi "'' Joscphs war Lcgationsrat Alexander Graf Hoyos ausersehen das Hand wordcn '. Der k. u. k. Botschafter in Berlin Graf Szögyeny K^seTfrini ehielt am 4. Juli die telegraphische Verständigung, Graf Josephs naoh Hoyos werde am Abend dieses Tages mit einem Hand- schreiben des Monarchen an Kaiser Wilhelm nach Berlin fahren. Dem Grafen Szögyeny habe Graf Hoyos Abschriften dieses Handschreibens und einer beigelegten Denkschrift zur Mitteilung an den Reichskanzler zu übermitteln. Falls ein persönlicher Empfang des Botschafters durch Kaiser Wilhelm ausgeschlossen sei, ersuche Graf Berchtold, unver- züglich Vorsorge zu treffen, daß das Handschreiben Kaiser Franz Josephs noch am 5. Juli Kaiser Wilhelm, der Zeitungs- nachrichten zufolge schon am 6. Juli die Nordlandsreise antrete, zugestellt werde.
Auch lege Graf Berchtold den größten Wert darauf,, daß Graf Szögyeny seinerseits am 5. Juli vom Reichs- kanzler empfangen werde; Graf Berchtold ersuche den k. u. k. Botschafter Herrn von Bethmann Holhveg eventuell auf dem Lande zu besuchen, denn er halte es für außerordent- lich wichtig, daß der Reichskanzler noch vor der Abreise Kaiser Wilhelms den Inhalt der überschickten Piecen mit Graf Szögyeny und dann mit dem Kaiser besprechen könne. Grafsz6- Der k. u."' k. Botschafter konnte den Vollzug seines
Ryany über- Auftragcs noch am 5. Juli abends melden -. Nachdem
reicht Kaiser ^-, « „ -, ...^ , , _x i f •
Wilhelm das Graf Szogyeny Kaiser Wilhelm zur Kenntnis hatte bringen
Hundsehrei-
bcn und die ' Ursprünglich war (Weisung nach Berlin d. d. Wien, 4. Juh', 5 Uhr p. m...
Denkschrift Nj-, 212) die Absendupg eines Kuriers geplant.
**■ J""' - Telegramm aus Berlin d. d. 5. Juli, 7 Uhr 35 Minuten p. m., Nr. 237.
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lassen, daß er ein Handschreiben des Monarchen, das ihm Graf Hoyos im Laufe des Tages überbrachte, Kaiser Wilhelm zu überreichen habe, erhielt er eine Einladung des deutschen Kaiserpaares für den 5. Juli mittags zu einem Dejeuner ins Neue Palais. Der Kaiser las in Gegenwart des k. u. k. Botschafters die beiden Schriftstücke mit größter Aufmerksamkeit. Zuerst versicherte er, daß er eine ernste Aktion von Seite Österreich-Ungarns gegenüber Serbien erwartet habe, doch müsse er gestehen, daß er infolge der Ausführungen Kaiser Franz Josephs eine ernste europäische Komplikation im Auge behalten müsse und daß er daher vor einer Beratung mit dem Reichskanzler keine definitive Antwort erteilen wolle.
Als Graf Szögyeny nach dem Dejeuner nochmals den Ernst der Situation mit großem Nachdruck betonte, ermächtigte ihn Kaiser Wilhelm, Kaiser Franz Joseph zu melden, daß man in Wien „auch in diesem Falle" • auf die volle Unter- stützung Deutschlands rechnen könne. Wie gesagt, müsse Kaiser Wilhelm vorerst die Meinung des Reichskanzlers anhören, doch zweifle er nicht im Geringsten daran, daß Herr von Bethmann Hollweg vollkommen seiner Ansicht zustünmen werde. Insbesondere gelte dies betreffs einer Aktion seitens der Monarchie gegen Serbien. Nach seiner Anschauung müßte aber mit dieser Aktion nicht zugewartet werden. Rußlands Haltung werde jedenfalls feindselig sein, doch sei Kaiser Wilhelm hierauf schon seit Jahren vor- bereitet, und sollte es sogar zu einem Kriege zwischen Österreich-Ungarn und Rußland kommen, so könne man in Wien davon überzeugt sein, daß Deutschland in gewohnter Bundestreue an der Seite der Monarchie stehen werde. Rußland sei übrigens noch keineswegs kriegsbereit und werde es sich gewiß noch sehr überlegen, an die Waffen zu appellieren. Doch werde es bei den anderen Mächten
' Die nicht eben präzise Fassung der Worte „auch in diesem Falle" ist vorläufig kurz anzumerken. Wir werden in weiterer Folge für die Eigen- art der Berichterstattung des bejahrten k. u. k. Botschafters in Berlin illustrierende Belege erbringen, aus denen sich wichtige Rückschlüsse für den Grad der Zuverlässigkeit seiner Meldungen schlechthin ergeben. Vgl. Seite 173 fp, 235 ff, 248, Anmerkung 3; 253, Anmerkung 2.
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der Tripleentente gegen die Monarchie hetzen und am Balkan das Feuer schüren.
Kaiser Wilhelm begreife sehr gut, daß es Kaiser Franz Joseph bei seiner bekannten Friedensliebe schwer fallen würde, in Serbien einzumaschieren, wenn man aber in Wien, wirklich die Notwendigkeit einer kriegerischen Aktion gegen Serbien erkannt hätte, so würde er es bedauern, wenn Österreich-Ungarn den jetzigen, für sich so günstigen Moment unbenutzt ließe.
Was Rumänien betreffe, so werde Kaiser Wilhelm für ein korrektes Verhalten König Carols und seiner Ratgeber Sorge tragen. Das Eingehen in ein Vertragsverhältnis mit Bulgarien „sei ihm keineswegs sympathisch"; nach wie vor habe er nicht das geringste Vertrauen weder zu König Ferdinand noch zu dessen früheren und jetzigen Ratgebern. Trotzdem wolle er nicht die geringste Einwendung gegen die Eingehung eines vertragsmäßigen Anschlusses der Monarchie an Bulgarien erheben, doch müsse dafür Vor- sorge getroffen werden, daß der Vertrag keine Spitze gegen Rumänien enthalte und — wie dies auch das Memorandum hervorhebe — Rumänien zur Kenntnis gebracht werde.
Kaiser Wilhelm beabsichtige, schloß Graf Szögyeny seine Meldung, sich am 6. Juli früh nach Kiel zu begehen und von dort seine Nordlandsreise anzutreten; zuvor aber werde der Kaiser mit dem Reichskanzler in der in Rede stehenden An- gelegenheit noch Rücksprache pflegen und habe Herrn Bethmann Hollweg zu diesem Zwecke von Hohenfinow für den 5. Juli abends in das Neue Palais bestellt. UnterreJung Der Unterredung des Grafen Szögyeny mit dem deutschen aesGrafen Kalscr folglc am 6. luli nachmittags eine lange Besprechung
Szögyeny mil ö .' o o r o
dem Reichs- dcs k. u. k. Botschafters (in Begleitung des Grafen Hoyos) kanzierund j^jj ^^^ Rclchskanzier und dem Unterstaatssekretär Herrn
dem Unter- staats- Zimmermann '.
""^^'.^r Zunächst stattete der Reichskanzler den vorerst mündlichen
(6. Juli)
Dank Kaiser Wilhelms für das Handschreiben des Monarchen ab; die schriftliche Beantwortung werde in einigen Tagen er- folgen. Des Weiteren sei der Reichskanzler von Kaiser Wilhelm
> Telegramm aus Berlin d. d. (i. Juli, 5 Uhr 10 Min. p. m., Nr. 239. 32
ermächtigt worden, dem Grafen Szögyeny die Stellungnalime der deutschen Regierung zu dem Handschreiben und zu der Dentcschrift zu präzisieren:
Die deutsche Regierung eri<enne die Gefahren, die für Österreich-Ungarn und somit auch für den Dreibund aus den Baliianbundplänen Rußlands erwüchsen; sie sehe auch ein, daß das Wiener Kabinett bei dieser Sachlage den formellen Anschluß Bulgariens an den Dreibund herbeiführen wolle, doch lege sie Wert darauf, daß dies — wie es ja auch beab- sichtigt sei — in einer Form geschehe, welche die gemein- samen Verpflichtungen gegenüber Rumänien nicht tangiere. Der deutsche Gesandte in Sofia sei auch schon bevollmächtigt worden, falls er von seinem österreichisch-ungarischen Kol- legen dazu aufgefordert werde, mit der bulgarischen Regierung in diesem Sinne zu verhandeln. Gleichzeitig beabsichtige der Reichskanzler, dem deutschen Gesandten in Bukarest die Weisung zu erteilen, ganz offen mit König Carol zu reden, ihn von den Verhandlungen in Sofia in Kenntnis zu setzen und ihn darauf aufmerksam zu machen, daß er die Fortdauer der gegen die Monarchie gerichteten Agitation in Rumänien unterdrücken solle. Auch werde der Reichskanzler mitteilen lassen, daß er nach Wien bisher stets den Rat erteilt hätte, sich mit Serbien zu vertragen, daß er aber nach den letzten Ereignissen einsehe, daß dies nunmehr nahezu ausgeschlossen sei. Dieser Tatsache sollte auch Rumänien Rechnung tragen.
Das Verhältnis der Monarchie zu Serbien betreffend, stehe die deutsche Regierung auf dem Standpunkte, daß man in Wien beurteilen müsse, was zu geschehen hätte, um dies Verhältnis zu klären; das Wiener Kabinett könnte dabei — wie auch immer seine Entscheidung ausfallen möge - mit Sicherheit darauf rechnen, daß Deutschland als Bundesgenosse und Freund der Monarchie hinter ihr stehe.
Im weiteren Verlaufe der Konversation stellte Graf Szögyeny fest, daß auch der Reichskanzler ebenso wie Kaiser Wilhelm ein sofortiges Einschreiten seitens der Monarchie gegen Serbien als radikalste und beste Lösung der Schwierigkeiten der Monarchie am Balkan ansehe. Den jetzigen Augenblick halte der Reichskanzler vom inter- nationalen Standpunkte für günstiger als einen späteren;
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auch sei er ganz damit einverstanden ', daß das Wiener Kabinett weder Italien nocii Rumänien voriier von einer eventuellen Aktion gegen Serbien verständige-. Dagegen sei Italien durch die deutsche und durch die österreichisch- ungarische Regierung schon jetzt von der Absicht in Kenntnis zu setzen, den Anschluß Bulgariens an den Drei- bund herbeizuführen.
Vord^hand solle nach der Meinung des Reichskanzlers und des Unterstaatssekretärs nur mit Bulgarien verhandelt und abgeschlossen werden und es sei der Zukunft zu über- lassen, ob sich dann die Türkei oder eventuell auch Griechenland mit Bulgarien verbinde.
Am Schlüsse der Unterredung erkundigte sich der Kanzler nach dem gegenwärtigen Stande der Dinge in Albanien und warnte eindringlichst vor irgendwelchen Plänen, durch welche das gemeinsame Verhältnis zu Italien und der Be- stand des Dreibundes gefährdet werden könnte ^
Graf Szögyeny beendete seinen Bericht mit der Mit- teilung, daß der deutsche Botschafter in Wien, Herr von
' Zur Phraseologie der Berichterstattung des Grafen Szögyeny ver- gleiche hinsichtlich der Ausdrücke „selbstredend" Seite HO Anmerkung 2; 111,225,227; „selbstverständlich" Seite 141; „vollkommen einverstanden" Seite 74, 188; „sehe vollkommen ein" Seite 75 und 236; „bedauere ganz außerordentlich" Seite 75; „teile die Ansicht vollkommen" Seite 171; „vollkommen recht", „vollkommen im Unrecht" Seite 246; „vollkommen berechtigt" Seite 249; „ganz kategorisch" Seite 223; „absolut nicht" Seite 175, 223; „auf das Bündigste" Seite 173; „auf das Ausdrücklichste" Seite 174; „auf das Nachdrücklichste" Seite 41.
- Vgl. hierzu die divergierenden Äußerungen Herrn von Tschirschkys Seite 39, ferner den Text der Weisung des Grafen Berchtold an Herrn von Merey in Rom d. d. Wien, 12. Juli, Nr. 801, Seite 75, 76.
•" In der in- und ausländischen Presse (unter anderem in einer Reutermeldung vom 15. Februar 1919) wird gelegentlich noch immer von einem Kronrate zu Potsdam am 5. Juli gesprochen, an dem auch verschiedene militärische und politische Funktionäre der Monarchie teil- genommen hätten (Erzherzog Friedrich, der k. u. k. Chef des General- stabes Freiherr von Conrad, der königlich ungarische Ministerpräsident Graf Tisza) und dessen Entschlüsse die vorbedachte Kriegspolitik Deutsehlands und der Monarchie dokumentierten. Diesem „Märchen von dem Pots- damer Kronrat" hat schon das Dementi des Grafen Berchtold in der „Neuen Freien Presse" vom 10. August 1917 ein Ende bereitet. Die von dem Grafen Szögyeny persönlich am 5. Juli mit dem deutschen Kaiser
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Tschirschky, von der gepflogenen Unterredung in Kenntnis gesetzt werden würde '.
Der Reichskanzler hatte Graf Szögyeny in der Unter- Amwon- redung am 6. Juli nachmittags von der Absicht Kaiser K^istr wn- Wilhelms verständigt, das Handschreiben des Monarchen heims an persönlich zu beantworten. Das aus Bornholm vom 14. Juli j^^^^" datierte Schreiben Kaiser Wilhelms gab der aufrichtigen (Bomhoim, Dankbarkeit Ausdruck, daß Kaiser Franz Joseph in den '■*■ ''"''* Tagen, in denen Ereignisse von erschütternder Tragik über ihn hereingebrochen seien und schwere Entscheidungen von ihm forderten, seine Gedanken auf ihre Freundschaft ge- lenkt und diese zum Ausgangspunkt seines Schreibens gemacht habe. Kaiser Wilhelm betrachte die vom Großvater und Vater auf ihn überkommene enge Freundschaft zu Kaiser Franz Joseph als ein kostbares Vermächtnis und erblicke in deren Erwiderung durch den Monarchen das sicherste Pfand für den Schutz ihrer Länder. Bei seiner verehrungsvollen Anhänglichkeit an die Person des Mon- archen werde dieser ermessen können, wie schwer Kaiser Wilhelm das Aufgeben seiner Reise nach Wien und der ihm dadurch auferlegte Verzicht auf die öffentliche Bekun- dung der innigen Anteilnahme an Kaiser Franz Josephs tiefem Schmerze bekümmern mußten.
Durch den bewährten und von ihm aufrichtig geschätzten Botschafter Kaiser Franz Josephs werde dem Monarchen die Versicherung Kaiser Wilhelms übermittelt worden sein, daß der Monarch auch in den Stunden des Ernstes den deutschen Kaiser und sein Reich in vollem Einklänge mit
und am 6. Juli (in Begleitung des Grafen Hoyos) mit Herrn von Beth- mann Hollweg und Herrn Zimmermann gepflogenen Besprechungen be- handelten vielmehr (wie» aus den angeführten beiden Meldungen Graf Szögyenys zu ersehen ist) die Gesamtmaterie der politischen Lage Europas in bloß informativer Weise.
Aufzeichnungen über eine spezielle Mission des Grafen A. Hoyos sind im politischen Archiv des ehemaligen k. u. k. Ministeriums des Äußern nicht vorhanden. (Vgl. unsere Feststellung, Seite 30, Anmerkung 1.) In den Seite 53, 112 und 118 erwähnten Ausführungen des Grafen A. Hoyos haben wir demnach bloß die eigenen Anschauungen dieses Funktionärs zu erblicken.
' Vgl. Weißbuch betr. d. V. d. U. a. Kr. Seite 70; unsere Ausführungen Seite 69 und Anmerkung 1 daselbst.
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ihrer altbewährten Freundschaft und Bündnispflicht treu an der Seite Kaiser Franz Josephs und der Monarchie finden werde. Ihm dies an dieser Stelle zu wiederholen, sei Kaiser Wilhelm eine freudige Pflicht.
Die grauenerregende Freveltat von Sarajevo habe ein grelles Schlaglicht auf das unheilvolle Treiben wahnwitziger Fanatiker und die den staatlichen Bau bedrohende pan- slawistische Hetzarbeit geworfen. „Ich muß", heißt es dann weiter, „davon absehen, zu der zwischen Deiner Regierung „und Serbien schwebenden Frage Stellung zu nehmen. Ich „erachte es aber nicht nur für eine moralische Pflicht aller „Kulturstaaten, sondern als ein Gebot für ihre Selbsterhaltung, „der Propaganda der Tat, die sich vornehmlich das feste „Gefüge der Monarchien als Angriffsobjekt ausersieht, mit „allen Machtmitteln entgegenzutreten. Ich verschließe mich „auch nicht der ernsten Gefahr, die Deinen Ländern und „in der Folgewirkung dem Dreibund aus der von russischen „und serbischen Panslawisten betriebenen Agitation droht, „und erkenne die Notwendigkeit, die südlichen Grenzen ,, Deiner Staaten von diesem schweren Drucke zu befreien." Kaiser Wilhelm sei daher bereit, das Bestreben der Wiener Regierung, das dahin gehe, die Bildung eines neuen Balkan- bundes unter russischer Patronanz und mit der Spitze gegen Österreich-Ungarn zu hintertreiben und als Gegengewicht ferner den Anschluß Bulgariens an den Dreibund herbei- zuführen, nach Tunlichkeit zu fördern. Demgemäß habe er trotz gewisser Bedenken, die in erster Linie durch die geringe Zuverlässigkeit des bulgarischen Charakters bedingt würden, seinen Gesandten in Sofia anweisen lassen, die diesbezüglichen Schritte des österreichisch-ungarischen Ver- treters auf dessen Wunsch zu unterstützen. Des Weiteren habe Kaiser Wilhelm seinen Geschäftsträger in Bukarest beauftragt, sich zu König Carol im Sinne der Anregungen Kaiser Franz Josephs zu äußern und unter Hinweis auf die durch die jüngsten Ereignisse neugeschaffene Lage die Notwendigkeit eines Abrückens von Serbien und einer Unter- bindung der gegen die Monarchie gerichteten Agitation hervorzuheben. Er habe gleichzeitig besonders betonen lassen, daß er den größten Wert auf die Erhaltung der bisherigen
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vertrauensvollen Bundesbeziehungen zu Rumänien lege, die auch bei einem eventuellen Anschluß Bulgariens an den Dreibund keinerlei Beeinträchtigung zu erleiden brauchen würden.
Das mit einer neuerlichen Betonung aufrichtiger Anhäng- lichkeit und Freundschaft schließende Antwortschreiben Kaiser Wilhelms ' wurde durch den deutschen Botschaftsrat Prinzen Stolberg dem Grafen Berchtold am 18. Juli zugestellt, der es dem Monarchen mittels eines Immediatvortrages noch am selben Tage vorlegte.
3. Das nächste Ziel des Wiener Kabinetts
Seit dem 6. Juli war die österreichisch-ungarische Re- gierung durch die Berichterstattung des Grafen Szögyeny in Kenntnis des von Kaiser Wilhelm und dem Berliner Kabinett der Wiener Denkschrift gegenüber eingenommenen Standpunktes. Am Ballhausplatze konnte man nun daran- gehen, die eigenen Absichten zu verwirklichen. Welches nächste Ziel sich das Wiener Kabinett gesteckt hatte, ließ der markante Schlußappell der Denkschrift an die Gemeinschaftlichkeit der Interessen Deutsch- lands und der Monarchie in den Konturen bereits erkennen. Und jede weitere Aktion des Wiener Kabinetts schuf eine immer klarere Abgrenzung dieses Zieles: sich der deutschen Unterstützung für alle Fälle zu versichern. Parallel damit mußten jene Hemmnisse und Widerstände überwunden werden, die dem Wiener Kabinett bei der Verwirklichung seiner Absichten vorderhand seitens der maßgeben- den Faktoren der Monarchie selbst hindernd im Wege standen -.
Eine Unterredung, die der deutsche Botschafter von Besprechung Tschirschky mit Graf Berchtold am 2. Juli hatte, ließ eine t'^^^IT-
' "^ ' Berchtold mit
Kongruenz der beiderseitigen Auffassungen vermissen ■■. Herrn von Graf Berchtold hatte im Laufe dieser Besprechung auf J^Jj."''"-' die Semliner Meldung hingewiesen, wonach 12 Mordbuben
' Vgl. Weißbuch betr. d. V. d. U. a. Kr., Seite 71, 72. 2 Vgl. die drei letzten Absätze der Anmerkung Seite 40. " Tagesbericht vom 3. Juli, Nr. 3095.
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unterwegs seien, mit der Absicht, ein Attentat auf Kaiser Wilhelm zu verüben, und hatte der Meinung Ausdruck gegeben, diese Nachricht werde doch vielleicht in Berlin die Augen öffnen über die Gefahr, die von Belgrad aus drohe.
Herr von Tschirschky stellte letzteres nicht in Abrede und versicherte, daß seiner Ansicht nach nur ein tatkräftiges Vorgehen gegen Serbien zum Ziele führen könne. Deutsch- land habe, wie Graf Berchtold wisse, mehrmals während der Krise erklärt, daß es hinsichtlich der Balkanpolitik stets hinter der Monarchie stehen werde, wenn es sich als notwendig erweisen sollte.
Auf die Bemerkung des Grafen Berchtold, daß ihm dies wohl wiederholt versichert worden sei, daß er aber in der Praxis nicht immer die Unterstützung des Berliner Kabinetts gefunden habe und daher nicht wisse, inwieweit er auf dasselbe zählen könnte, erwiderte der Botschafter, daß er — ganz privat gesprochen — die Haltung seiner Re- gierung damit erkläre, daß in Wien viel von Ideen gesprochen werde, daß aber niemals ein festumschriebener Aktionsplan formuliert werde, und daß das Berliner Kabinett nur im Falle ein solcher aufgestellt würde, voll und ganz für die Monarchie eintreten könnte.
Einen Krieg mit Serbien zu beginnen, ohne die Sicher- heit zu haben, nicht auch von Italien und Rumänien an- gegriffen zu werden, scheine eine sehr bedenkliche Sache.
Graf Berchtold erwiderte dem Botschafter, die Frage, wie weit man gehen wolle und was mit Serbien eventuell zu geschehen hätte, müßte im gegebenen Augenblicke den Umständen gemäß vom Wiener Kabinett entschieden werden. Die Frage des Schicksals Serbiens im Falle des Sieges stelle übrigens eine cura posterior dar. Was Rumänien anbelange, so könnte sich die Monarchie auf eine Anfrage daselbst nicht einlassen, die sie dem Verlangen unmöglicher Kompensationen aussetzen würde. Deutschland habe damals, als Rumänien, ohne die Monarchie zu fragen und gegen das ihm wohlbekannte Interesse der Monarchie, gemeinschaftlich mit Serbien über das wehrlose Bulgarien hergefallen sef, Rumänien gedeckt und nach Wien zu verstehen gegeben, daß man sich daselbst ruhig verhalten solle. Das Wiener
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Kabinett verlange von Deutschland auch nichts anderes, als daß es im gleichen Sinne auf Rumänien einwirke, wenn das Wiener Kabinett, um die Integrität der Monarchie zu schützen, gegen Serbien vorgehen sollte.
Auf die Bemerkung Herrn von Tschirschkys, daß er dies vollkommen berechtigt finde und eigentlich mehr an Italien gedacht habe, das mit Rücksicht auf das Bundes- verhältnis doch vor der Inangriffnahme einer kriegerischen Aktion befragt werden sollte, bemerkte Graf Berchtold, daß Italien, wenn die Monarchie diese Frage an das römische Kabinett stellen würde, vermutlich Valona als Kompensation verlangen würde, was die Monarchie aber nicht konzedieren könne.
Aus den Kreisen des Berliner Auswärtigen Amtes traf Äußerungen während der nächsten Tage die erste gegenständliche Äußerung z'^j^^"™ ein. Als in einigen Tageszeitungen die Nachricht von einem mann bei der Regierung in Belgrad unternommenen Schritte des *^' ■""''' Wiener Kabinetts gebracht worden war, versicherte nämlich Herr Zimmermann, wie Graf Szögyeny am 4. Juli meldete', dem k. u. k. Botschafter, er fände ein energisches entschiedenes Vorgehen der Monarchie, auf deren Seite zur Zeit die allgemeinen Sympathien der gesamten gesitteten Welt wären, gegen Serbien ganz begreiflich, doch würde er dies- bezüglich große Vorsicht empfehlen und raten, an Serbien keine demütigenden Forderungen zu stellen.
Es kann keinem Zweifel unterliegen, daß die Berliner Die „Lau- Regierung — ebenso wie es seitens der übrigen europäischen ^"^ ' Kabinette geschah- — die moralische Berechtigung Öster- Tschirschkys reich-Ungarns zu einer energischen Wahrnehmung seiner Interessen Serbien gegenüber anerkannte und unmittelbar einsetzende Schritte in dieser Richtung erwartete. In diese Gedankengänge des Berliner Kabinetts ist wohl auch die vom Grafen Szögyeny am 8. Juli übermittelte Meldung ein- zufügen, daß man in Berlin mit Ungeduld den Ent- scheidungen des Wiener Kabinetts entgegensehe.
Auch sei Graf Szögyeny im Auswärtigen Amte er- zählt worden, man habe aus einem Berichte Herrn von
" Telegramm aus Berlin d. d. 4. Juli, Nr. 236. ^ Vgl. Seite 80, 81, 82, 146, 289 und 301.
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Tschirschkys ersehen, daß derselbe mit einer gewissen
„Lauheit" gegenüber Graf Berchtold aufgetreten sei. Man
habe ihm darauf von Berlin aus einen Verweis erteilt '.
B;richi Graf Den Intcntionen des Wiener Kabinetts auf ganzem
szögy^nys \^ege entgegenkommend mußte der Bericht des k. u. k.
vjm 12. Juli ° * °
Botschafters erscheinen, der am 12. Juli in den Mittelpunkt
1 Telegramm aus Berlin d. d. 8. Juli, Nr. 243. Nach einem Tages- berichte vom 4. Juli 1914 (Nr. 3117) sollte übrigens Herr von Tschirschky einem Gewährsmann, „offenbar mit der Absicht, daß seine Äußerungen im Ministerium des Äußern wiedergegeben würden", erklärt haben, „Deutschland würde die Monarchie durch dick und dünn unterstützen, was immer auch dieselbe gegen Serbien beschließen sollte". „Je früher Österreich-Ungarn losgehe, desto besser. Besser wäre gestern gewesen als heute, besser aber heute als morgen. Selbst wenn die deutsche Presse, die, heute ganz antiserbisch sei, wieder zum Frieden blasen würde, sollte man sich in Wien nicht irremachen lassen, Kaiser und Reich würden unbedingt zu Österreich-Ungarn halten, offener könne eine Großmacht zu einer anderen nicht mehr sprechen." Inwieweit diese indirekt übermittelten Äußerungen Herrn von Tschirschkys richtig wiedergegeben sind, entzieht sich unserer Beurteilung. Auch im zutreffen- den Falle spiegeln sie bloß die subjektiven Gedankengänge des deutschen Botschafters und nicht etwa einen dienstlich an denselben ergangenen Auftrag wieder. (Vgl. Seite 69 und Anmer- kung 1 daselbst.)
Die Genesis und das weitere Schicksal des zitierten Tages- berichtes bieten einen beachtenswerten Fingerzeig, an welchen ver- fassungsrechtlich maßgebenden Stellen der Monarchie eine Beein- flussung im Sinne der eigenen Absichten am Ballhausplatz angezeigt erschien.
Das vom Leiter des Preßdepartements im Ministerium des Äußern mit dem ebenerwähnten Inhalte aufgesetzte Brouillon gelangte im Dienst- wege zur Einsicht an den ersten Mitarbeiter Graf Berchtolds, den Sektions- chef Johann Grafen Forgäch, der es seinerseits dem Minister mit der ein- begleitenden Notiz vorlegte: „Sollte es eventuell als Tagesbericht morgen in den Kaisereinlauf und an Tisza gehen?" Graf Berchtold griff die Anregung auf, indem er sich mit der Proposition betreffs des „sehr interessanten" Stückes einverstanden erklärte.
Wir dürfen also folgern, daß zu diesem Zeitpunkte, also im Anfangsstadium der Krise, der Monarch und der. ungarische Minister- präsident Graf Stephan Tisza (vergl. Seite 62 ff.) als jene Faktoren galten, die man am Ballhausplatze mit dem Hinweise auf das deutscherseits hegehrte energische Vorgehen gegen Serbien zu beeinflussen trachtete. (Vgl. hiezu die Ausführungen Seite 51 unten.)
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seiner Konsiderationen die Stellungnahme Deutschlands zur serbischen Krise stellte':
Wie Graf Berchtold aus der telegraphischen Bericht- erstattung der letzten Tage und aus den persönlich in Berlin gewonnenen Eindrücken des Grafen Hoyos entnommen habe, stünden sowohl Kaiser Wilhelm als auch alle anderen maßgebenden deutschen Kreise nicht nur fest und bundes- treu hinter der Monarchie, sondern sie ermunterten das Wiener Kabinett auch noch auf das Nachdrücklichste, den jetzigen Moment nicht verstreichen zu lassen, sondern energischest gegen Serbien vorzugehen und mit dem dor- tigen revolutionären Verschwörernest ein für allemal aufzu- räumen, es dabei gänzlich der Monarchie überlassend, welche Mittel sie dazu zu wählen für richtig halte-.
Daß Kaiser Wilhelm und das ganze Deutsche Reich in jedem Falle seine Bundespflichten der Monarchie gegen- über in loyalster Weise erfüllen werde, daran habe der k. u. k. Botschafter nie gezweifelt, und er habe an dieser seiner Überzeugung während seiner langjährigen Tätigkeit in Berlin jederzeit festgehalten. Er sei daher auch nicht im Geringsten erstaunt, daß Deutschland auch in dem jetzigen Momente die Monarchie sofort seiner vollkommensten Bundestreue und Mithilfe versichert habe.
Dagegen glaube Graf Szögyeny, daß es doch einer ge- wissen Erklärung bedürfe, daß die maßgebenden deutschen Kreise und nicht am wenigsten Kaiser Wilhelm selbst, die Monarchie — man möchte fast sagen — geradezu drängten, eine eventuell sogar kriegerische Aktion gegen Serbien zu unternehmen ■>.
Es liege auf der Hand, daß nach all den nicht genug zu beklagenden Ereignissen die Monarchie energisch gegen
> Bericht aus Berlin d. d. 12. Juli, Nr. 60 P.
- Vgl. hiezu die Forderung Herrn von Tschirschkys hinsichtlich der Aufstellung eines Aktionsprogramms durch das Wiener Kabinett (Seite 38), und den Rat Herrn Zimmermanns, „an Serbien keine demütigenden Forderungen zu stellen" (Seite 39).
■ Vgl. hiezu (Seite 36) die bezügliche Stelle in dem Antwortschreiben Kaiser Wilhelms an Kaiser Franz Joseph d.d. Bornholm, H.Juli: „Ich muß davon absehen, zu der zwischen Deiner Regierung und Serbien schwe- benden Frage Stellung zu nehmen."
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Serbien vorgehen müsse; daß die deutsche Regierung aber gerade den gegenwärtigen Moment auch von ihrem Stand- punkt aus poHtisch für den richtigsten halte, bedürfe einer stärtceren Beleuchtung.
Für die Wahl des jetzigen Zeitpunktes sprächen nach der deutschen — von dem k. u. k. Botschafter übrigens vollkom- men geteilten — Auffassung allgemein politische Gesichts- punkte und spezielle, durch die Mordtat in Sarajevo sich ergebende Momente.
Deutschland sei in letzter Zeit in seiner Überzeugung be- stärkt worden, daß Rußland zum Kriege gegen seine west- lichen Nachbarn rüste und denselben nicht mehr als eine zukünftige Möglichkeit betrachte, sondern direkt in seinen politischen Zukunftskalkül eingestellt habe. Doch nur in seinen Zukunftskalkül, daß es also den Krieg beabsichtige und sich mit allen Kräften dazu rüste, ihn aber für jetzt nicht vorhabe, oder besser gesagt, für den gegenwärtigen Augenblick noch nicht genügend vorbereitet sei.
Daher sei es absolut nicht ausgemacht, daß, wenn Serbien in einen Krieg mit der Monarchie verwickelt werde, Rußland demselben mit bewaffneter Macht beistehen würde, und sollte das Zarenreich sich doch dazu entschließen, so sei es zur Zeit noch lange nicht militärisch fertig und lange nicht so stark, wie voraussichtlich in einigen Jahren.
Weiters glaube die deutsche Regierung sichere Anzeichen dafür zu haben, daß England sich derzeit an einem wegen eines Balkanlandes ausbrechenden Kriege nicht beteiligen würde, selbst dann nicht, wenn er zu einem Waffengang mit Rußland, eventuell auch mit Frankreich führen sollte. Nicht nur, daß sich das englisch-deutsche Verhältnis soweit ge- bessert habe, daß Deutschland eine direkt feindliche Stellung- nahme Englands nicht mehr fürchten zu müssen glaube, vor allem sei England zurzeit nichts weniger als kriegslüstern und gar nicht gewillt, für Serbien oder im letzten Grunde für Rußland die Kastanien aus dem Feuer zu holen.
Im allgemeinen sei also nach dem Vorhergesagten die politische Konstellation gegenwärtig für die Monarchie so günstig wie nur irgend möglich.
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Dazu kämen noch die durch die Bluttat selbst ausgelösten speziell innerpolitischen Momente '. Während bisher ein großer Teil der Bevölkerung der Monarchie nicht an die monarchiefeindlichen separatistischen Tendenzen eines Teiles der eigenen Serben und an die nach dieser Richtung vom Königreiche Serbien in der Monarchie unterhaltenen Um- triebe glauben wollte, sei man nunmehr darüber in der Monarchie einig und verlange aus sich selbst heraus ein energisches Auftreten Serbien gegenüber, zur endgültigen Unterdrückung der von dort aus geschürten großserbischen Bewegung.
In ähnlicher Weise seien aber der ganzen zivilisierten Welt die Augen aufgegangen und jede Nation verdamme die Bluttat von Sarajevo und begreife, daß die Monarchie dafür Serbien zur Verantwortung ziehen müsse. Und wenn auch die auswärtigen Freunde Serbiens aus politischen Gründen nicht gegen das Königreich Stellung nehmen würden, so würden sie sich voraussichtlich im gegenwärtigen Augenblick auch nicht für dasselbe (wenigstens nicht mit Waifengewalt) einsetzen.
Dies dürften — nach der Meinung Graf Szögyenys — die politischen Gründe sein, deretwegen das Deutsche Reich in so richtiger Erfassung der derzeit der Monarchie gebo- tenen Gelegenheit unumwunden dafür eintrete, daß die • Monarchie nunmehr ihr, auch Deutschland als unhaltbar erscheinendes Verhältnis zu Serbien in einer Weise kläre, die für alle Zukunft den weiteren panslawistischen Umtrieben Serbiens einen Riegel vorschiebe.
Zu diesen politischen Gründen der deutschen Regierung komme aber bei Kaiser Wilhelm, wie der k. u. k. Bot- schafter von zuverlässigster, das Vertrauen des Kaisers in hohem Maße besitzender Seite erfahren habe, auch noch das rein persönliche Moment eines unbegrenzten Enthusiasmus für Kaiser und König Franz Joseph über die in dessen Handschreiben bekundete bewunderungswürdige Energie hinzu, mit der der Monarch für die vitalen Interessen und
' Im Originaltexte: speziell politischen Momente. Wie aus den nach- folgenden Ausführungen erhellt, soll es wohl sinngemäß heißen: speziell innerpolitischen Momente.
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das Prestige der ihm anvertrauten Länder einzutreten gewillt sei. Die Frag«. Dic Berichterstattung des Grafen Szögyeny bestätigt die
der dipio Annahme, daß im Berliner Auswärtigen Amte das Bestreben TniÜal^ivr obwaltete, der durch das Wiener Kabinett in der Denk- des wiiner schHft gekennzeichneten Auffassung der internationalen Lage Berliner Rcchnung ZU tragen. Vorderhand wurde dem Wiener Kabinett Kabinetts (jjg jj^ Anspruch genommene diplomatische Initiative ' ohne Widerrede der Berliner Regierung eingeräumt; die diplo- matischen Maßnahmen, die der Entwicklung der Krise die nächsten Wege wiesen, entsprangen den einseitigen Ent- schließungen der k. u. k. Regierung zu Wien.
Nebenher bestand die aus den Ergebnissen des Bukarester Friedens resultierende unterschiedliche Auffassung der beiden Kabinette in den Fragen der Balkanpolitik weiter fort. Sie trat am augenfälligsten in der rumänischen Politik der beiden Mächte zutage und in der ungleichen Einschätzung des Bündniswertes Bulgariens. Auch das aktuelle Problem der großserbischen Propaganda tangierte zunächst nur öster- reichische und namentlich ungarische Interessen und lag abseits des spezifisch deutschen Interessenkreises-.
In Berlin hatte man die Zusage der unveränderten Aufrechterhaltung der Bündnisverpflichtungen auch für die zu gewärtigende Belastung durch eine neuer- liche europäische Krise ohne Zögern und Zaudern gegeben. Hatte Herr von Tschirschky die Fixierung eines bestimmten Aktionsprogramms am 2. Juli bei Graf Berchtold angeregt, so hatte der Reichskanzler gleich bei erster Gelegen- heit (5. Juli) die ungeminderte Aufrechterhaltung des Drei- bundes in den Vordergrund jeder weiteren politischen Erwägung gestellt.
Das Wiener Kabinett hinwieder schritt, nunmehr im Besitze der generellen Zusage der deutschen Unterstützung, an die Durchführung der ei genen
' Vgl. Seite 38 und 53, 55.
- Es war daher bezeichnend, daß der ungarische Ministerpräsident Graf Stefan Tisza in einem Vortrag an den Monarchen vom 1. Juli die „Eingenommenheit'' Kaiser ^X'iIhelms für Serbien hervorheben zu müssen glaubte (vgl. Seite 63 unten).
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politischen Konzeption — im Einzelfall, auch bei entscheidenden Maßnahmen, ohne die mitbestim- mende (oder gelegentlich auch nur mitberatende) Beeinflussung von Seite der deutschen Regierung. Das Ausmaß der Aktivität und Passivität der beiden Kabinette wird sich aus den diplomatischen Aktionen selbst jeweilig feststellen lassen.
B. Der Ministerrat für gemeinsame Angelegen- heiten vom 7. und 19. Juli
1. Die bosnisch-herzegowinischen Angelegenheiten
Die Empörung der katholischen und der musli- Auffassung manischen Bevölkerung zu Sarajevo über die verübte Mordtat ''" ^andes- Princips und semer Gehilfen nahm am 29. Juni 1914 die Potiorek Form schwerer Exzesse gegen die Serben als Konnationale "^" '^'"' der Attentäter an. Nach Besprechungen, die der Landeschef von Bosnien und der Herzegowina Feldzeugmeister Potiorek am 30. Juni vormittags mit der Regierungskonferenz, nach- mittags mit dem Landtagspräsidium, am 1. Juli vormittags mit den Parteiführern der Arbeitsmajorität des Landtages (gouvernementale Serbenführer, moslimische und kroatische Parteiführer) gepflogen hatte, kennzeichnete er als Ergebnis aller seiner Wahrnehmungen den eigenen Standpunkt am 1. Juli in einem Bericht an den k. u. k. gemeinsamen Finanzminister (als den obersten Verwaltungsbeamten von Bosnien und der Herzegowina) Ritter von Biliiiski dahin:
Als erstes und wichtigstes Erfordernis für die Erhaltung der Ruhe im Lande und für die ersprießliche Weiter- entwicklung des Landes müsse es auch der Landeschef hinstellen, daß die Monarchie in entschiedener und aller Welt sichtlicher Weise dafür sorge, daß die von Belgrad ausgehende Wühlarbeit endgültig beseitigt werde. Insolange dies nicht erfolge, werde das bosnisch-herzegowinische Volk die Monarchie für schwach halten, und es würden alle sonstigen Bemühungen erfolglos bleiben. Im Orient — und
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Bosnien und die Herzegowina gehörten in vieler Hinsicht dazu — imponiere nur die volle Tat und nur sie gelte als Beweis einer wirklich vorhandenen Kraft. Der Landeschef könne dem von Dr. von Biliiiski geäußerten Verlangen nach Beibehaltung des alten Kurses [das heißt nach Weiterarbeit mit einer aus allen drei Konfessionen gebildeten Landtags- majorität] (sofern dies in Zukunft überhaupt erreichbar sei) nur dann entsprechen, wenn der im Gange befindliche Landtag geschlossen würde.
Die baldigste Schließung des Landtages anzuregen, er- achtete sich der Landeschef in einem besonderen Antrage vom 3. Juli neuerlich für verpflichtet, zumal mit dieser Frage auch wichtige Interessen der Reichsverteidigung in Verbindung stünden, unsiimmig- Rlttcr von Biliiiski hatte sich in einer Audienz beim
zw'isdien Monarchen am 29. Juni für ein Programm eingesetzt, das die dem Landes- Beibehaltung der Arbeitsmajorität empfahl und die Schließung '!,„"„""" des Landtages ablehnte. In einem mit Feldzeugmeister
gemeinsamen ö o
Finanz- Potiorek diesbezüglich eingeleiteten Depeschenwechsel gab Dr. von Biliiiski seiner Anschauung unter anderem dahin Ausdruck: Aus dem für das Kaiserhaus und die Monarchie entstandenen Unglück müsse die Lehre gezogen werden, daß nunmehr, sechs Jahre nach vollzogener Annexion, endlich einmal mit dem Prinzipe gebrochen werden dürfe, daß die radikalen Serben in Bosnien und der Herzegowina unter allen Völkern der Monarchie das Recht haben sollen, irredentistische hochverräterische Aktionen öffentlich zu voll- ziehen '.
In einer am 3. Juli abgesendeten Depesche nahm Dr. von Biliriski Gelegenheit, eine Art Inkrimination gegen den Landeschef zu erheben-:
Die Untersuchung gegen die Attentäter in Sarajevo habe in allen leitenden Kreisen der Monarchie durch die Art ihrer Führung, insbesondere aber durch den Mangel jed- weder Diskretion, berechtigtes Aufsehen erregt. Aber auch die sonstigen Gebiete der Verwaltung hätten Blößen auf-
' Telegramm des gemeinsamen Finanzministers Ritter von Bilinski d. d. Wien, 30. Juni, an den Landeschef Feldzeugmeister Potiorek. ^ Item d. d. Wien, 3. Juli.
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gedeckt, deren Kenntnis wohl von vornherein gegen eine Reise Erzherzog Franz Ferdinands hätte sprechen müssen. Es sei ja dem Landeschef am besten bekannt, daß das Zustandekommen und die Durchführung der Reise aus- schließlich vom militärischen Gesichtspunkte zwischen dem Erzherzog und ausschließlich dem Landeschef ins Werk gesetzt wurde.
Dr. von Biliriski sei der Einfluß hierauf so sehr ent- zogen worden, daß das ihm unterstehende Ministerium sogar aus dem Verteiler des Programms ausgeschaltet worden sei. Am wenigsten hätte Dr. von Biliiiski annehmen können, daß dem militärischen Programm ein nicht militärischer Besuch Sarajevos eingefügt werden sollte. Hätte Dr. von Bilinski aus den Berichten des Landeschefs Kenntnis davon gehabt, daß die Polizeiverwaltung ihrer Aufgabe durchaus nicht gewachsen sei, so wäre es offenbar ihrer beider Pflicht gewesen, die Reise unter allen Umständen zu hinter- treiben. Schon die in Zeitungen aus Sarajevo offiziös ge- meldete Tatsache, daß die politische Behörde über bloß 120 Polizeileute zu verfügen hatte, habe auf Dr. von Biliriski erschreckend gewirkt. Jede diesfällige Kreditanforderung auf Vermehrung der Wache wäre doch selbstverständlich sofort bewilligt worden. Auch glaube Dr. von Biliriski, daß die Gendarmerie eine ausgezeichnete Ergänzung der Wache hätte abgeben können. Zu alledem stelle sich noch heraus, daß unter dem Eindrucke der Katastrophe Aufruhr und Plünderung in der Stadt ausgebrochen seien, denen gegen- über sich die Polizeigewalt, selbst nach Zuhilfenahme der spärlichen, in Sarajevo befindlichen Truppen ohnmächtig erwiesen habe.
Bei dieser Kritik falle es Dr. von Biliriski durchaus nicht ein, die Verantwortung etwa ganz auf den Landes- chef zu überwälzen; er sei sich im Gegenteile der auf ihm lastenden konstitutionellen Verantwortlichkeit für alle Ge- schehnisse in der bosnisch-herzegowinischen Verwaltung voll bewußt. Die Vorgänge der letzten Zeit würden ihn den Entschluß fassen lassen, die Teilung der Agenden zwischen dem Ministerium (in Wien) und der Landesregierung (in Sarajevo) einer eingehenden Revision zu unterziehen.
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Idcnliläl di-T- Auffassung des k. u. k. Chefs des General- stabes und des k. u. k. Kriegsmini- sters m Anscliau- ungen des Landeschefs
Klaffte zwischen den Anschauungen Dr. von Biliriskis und der Auffassung des Landeschefs ein sachhcher Gegen- satz, so begegnete Feldzeugmeister Potiorek bei seinen militärischen Kollegen, dem k. u. k. Kriegsminister und dem Chef des Generalstabes, einem um so volleren Ein- "'"'■ Verständnis. Baron Conrad pflichtete in einem Schreiben
il den „ ^
an Graf Berchtold der Überzeugnng des Feldzeugmeisters Potiorek in weitestem Maße bei"; auch hatte das k. u. k. Kriegsministerium am 2. Juli ein detailliertes Elaborat mit der Bestimmung der Kenntnisnahme durch den Grafen Berchtold verfassen und zugleich das k. u. k. Ministe- rium des Äußern ersuchen lassen, die aufgezählten, dem Kriegsminister unerläßlich erscheinenden Maßnahmen im eigenen Wirkungskreise zu treffen, beziehungsweise so weit als notwendig, bei dem Monarchen anzutragen. Die Vor- schläge erschienen ihrem Inhalte nach in folgende Punkte zusammengefaßt -:
1. Erweiterung der vom Landeschef in Sarajevo bereits durch die Verhängung des Standrechtes getroffenen Ver- fügungen durch die Erlassung der im Gesetzes- und Ver- ordnungsblatt für Bosnien und die Herzegowina vorgesehenen Ausnahmsverfügungen im ganzen Bereiche von Bosnien und der Herzegowina.
2. Unbedingte Auflösung des Landtages.
3. Auflösung aller serbischen Vereine.
4. Übertragung aller polizeilichen Agenden an den höchsten militärischen Befehlshaber in Bosnien und der Herzegowina, das ist an den Landeschef.
5. Ausweisung aller Reichsserben aus Bosnien und der Herzegowina.
6. Ausschließung aller serbischen Hoch- und Mittel- schüler, die sich in letzter Zeit irgendwie an staatsfeind- lichen Demonstrationen beteiligten, von allen Schulen der Monarchie.
7. Strengste Überwachung der Geistlichen, Lehrer und Studierenden serbischer Nationalität.
1 K. u. k. Chef des Generalstabes Res. Gstbs. Nr. 2381 d. d. Wien, 3. Juli.
- K. u. k. Kriegsministerium, Präs. Nr. 8618 d. d. Wien, 2. Juli.
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8. Untersagung, die Namen der verhafteten Personen in irgendeiner Zeitung der Monarchie zu publizieren, weil nur hiedurch und im Wege der an solche Personen einlan- genden Korrespondenzen alle Fäden einer ohne Zweifel bestehenden staatsfeindlichen Bewegung aufgedeckt werden könnten.
9. Den in Belgrad oder überhaupt in Serbien erworbenen Schulzeugnissen österreichischer oder ungarischer Staats- angehörigen oder bosnisch-herzegowinischer Landesange- hörigen wäre in der Monarchie die Anerkennung zu ver- sagen.
Graf Tisza sah sich bei Kenntnisnahme des auch ihm Standpunkt zugestellten Elaborates des Kriegsministeriums veranlaßt ', t'sza ge-Tn- gegen den größten Teil der angeregten Maßnahmen sowohl uberdenvor- vom Standpunkt der Notwendigkeit und Zweckmäßigkeit ^^u.T" als auch der Durchführbarkeit Bedenken zu erheben. Es Knegsmini- wäre seiner- Ansicht nach ein arger. Fehler, das zweifellos ^"""^'^•■''''" Versäumte durch übereilte Anwendung zum Teil weit über das Ziel schießender Kraftrnittel nachholen zu wollen, welche das Übel nur vergrößern, das In- und Ausland beunruhigen und dem Prestige der Monarchie Abbruch tun würden.
Auch bei dem gemeinsamen Finanzminister begegneten Standpunkt die Vorschläge des Kriegsministers keinem willfährigen ^.^^ gili^^i.; Echo. Dr. von Biliiiski erachtete die vorgeschlagenen Maß- (3. juio nahmen so weit über seine eigenen Absichten hinausgehend, daß er sich bemüßigt sah, an den Grafen Berchtold wegen Einberufung einer gemeinsamen Ministerkonferenz heran- zutreten, in welcher der Inhalt der Vorschläge des Kriegs- ministers einer eingehenden Beratung unterzogen werden sollte -.
Schließlich erfuhren die Vorschläge des Kriegsministeriums steiiung- im juristischen Departement des Ministeriums des Äußern ^"'rkML- eine kritische Kommentierung ^: steinums des
Äußern
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' M. kir. min. ein. d. d. Budapest, 4. Juli.
M. E. II.
2 Präs. des k. u. k. Gemeinsamen Finanzministeriums, Z. 790 Pr. BH. ex 1914.
3 Notiz d. d. 6. Juli, o. Nr.
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(6. Juli)
Ad 3. Die Auflösung aller in Bosnien und Herzegowina befindlichen serbischen Vereine dürfte zu weit gehen und nur die Auflösung jener Vereine gerechtfertigt sein, in denen staatsfeindliche Tendenzen zutage getreten sind oder deren maßgebende Funktionäre solchen Gesinnungen huldigen.
Ad 5. Die unterschiedslose Ausweisung aller serbischen Staatsangehörigen aus Bosnien würde als Verletzung des österreichisch-ungarischen Handelsvertrages mit Serbien erscheinen.
Ad 6. Die Relegierungen der erwähnten serbischen Studenten und Lehrer von allen Schulen der Monarchie würde die Gemaßregelten geradezu nach Serbien treiben und zu Märtyrern machen.
Ad 9. Dasselbe gelte sinngemäß für die generelle Ver- weigerung der Nostrifizierung serbischer Schulzeugnisse.
Überhaupt müsste es bei allen zu unternehmenden Maß- nahmen als Richtschnur dienen, daß sie nur die staatsfeind- lichen Elemente — diese mit aller zulässigen Strenge — träfen und daß durch diese Maßnahmen nicht etwa die in Europa für die Monarchie bestehenden Sympathien ver- scherzt würden.
2. Der Ministerrat für gemeinsame Angelegenheiten
vom 7. Juli
Aufgabe des DcHi Ministerrat für gemeinsame Angelegenheiten vom Ministerrates ^_ j^,j j,^, ^j^ Aufgabe ZU, für dic vom k. u. k. Ministerium
des Äußern in Aussicht genommene diplomatische Aktion gegen Serbien das Votum der in gemeinsamen Angelegen- heiten verfassungsmäßig verantwortlichen Minister einzu- holen. Den Gegenstand der Beratung bildeten: die bos- nischen Angelegenheiten und die diplomatische Aktion gegen Serbien '.
' G. M. K. P. Z. 512, d. d. 7. Juli 1914. In dem während der Sitzung selbst vom Schriftführer Legationsrat Grafen A. Hoyos auf- gesetzten Konzept des Protokolls besitzen wir einen über alle Phasen der Verhandlung orientierenden Wegweiser. Von nicht geringem sach- lichen Interesse sind die an diesem Konzept von Graf Berchtold eigen- händig vorgenommenen Textänderungen, sei es, daß ganze Sätze oder
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Ministerrates
Als Konferenzteilnehmer waren am 7. Juli vormittags außer Graf Berchtold als dem Vorsitzenden erschienen: der k. k. (österreichische) Ministerpräsident Graf Stürgkh, der kgl. ung. Ministerpräsident Graf Tisza, der k. u. k. Finanzminister Dr. von Biliiiski, der k. u. k. Kriegsminister Feldzeugmeister Ritter von Krobatin, der k. u. k. Chef des Generalstabes G. d. I. Freiherr von Conrad und der Vertreter des k. u. k. Marinekommandanten Konteradmiral von Kailer i.
Nach Eröffnung der Sitzung- bemerkte der Vorsitzende, Verlauf des der Ministerrat sei einberufen worden, um über die Maß- nahmen zu beraten, welche zur Sanierung der anläßlich der Katastrophe in Sarajevo zutage getretenen innerpolitischen Übelstände in Bosnien und der Herzegowina angewendet werden sollten. Es gebe seiner Ansicht nach verschiedene interne Maßnahmen in Bosnien selbst, deren Anwendung ihm gegenüber den krisenhaften Zuständen geboten erscheine; vorerst sollte man sich aber klar werden, ob der Moment nicht gekommen sei, um Serbien durch eine Kraftäußerung für immer unschädlich zu machen. Ein solcher entschei- dender Schlag könne nicht ohne diplomatische Vorberei- tungen geführt werden, daher habe er mit der deutschen Regierung Fühlung genommen. Die Besprechungen in Berlin hätten zu einem sehr befriedigenden Resultate geführt, indem sowohl Kaiser Wilhelm als Herr von Bethmann Hollweg der Monarchie für den Fall einer kriegerischen Komplikation mit Serbien die unbedingte Unterstützung Deutschlands mit allem Nachdrucke zugesichert hätten •'. Nun müßte die Monarchie noch immer mit Italien und
einzelne Worte fortgelassen beziehungsweise hinzugefügt, sei es, daß (abgesehen von belanglosen stilistischen Ausfeilungen) auf ganze Text- abschnitte sich erstreckende Umformungen vorgenommen wurden. Wir verzeichnen die gegenständlich wichtigen Varianten zwischen dem Konzept und der Reinschrift des Protokolls.
' Die beiden Letzteren nahmen nur an dem am Nachmittage erfolgten Wiederzusammentritte des Ministerrates Anteil und verließen die Kon- ferenz gleich nach Erörterung der militärischen Fragen.
- Wir verfolgen den Verlauf der Sitzung ausschließlich in seinen Hauptphasen.
" Der Satz „indem sowohl Kaiser Wilhelm" bis „zugesichert hätten" nachträgliche Ergänzung im Konzepte von der Hand des Grafen Berchtold.
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Rumänien rechnen, und da sei er in Übereinstimmung mit dem Berliner Kabinett der Ansiciit, daß es besser wäre^ zu handeln und etwaige Kompensationsansprüche abzuwarten.
Er sei sich klar darüber, daß ein Waffengang mit Serbien den Krieg mit Rußland zur Folge haben könnte. Rußland treibe aber gegenwärtig eine Politik, die, auf lange Sicht berechnet, den Zusammenschluß der Balkanstaaten, Ru- mänien inbegriffen, zum Zwecke habe, um dieselben sodann im geeignet scheinenden Momente gegen die Monarchie ausspielen zu können. Er sei der Ansicht, daß sich die Monarchie darüber Rechenschaft geben müsse, daß ihre Situation sich einer solchen Politik gegenüber immer mehr verschlechtern müsse, um so mehr als ein untätiges Gewähren- lassen bei den Südslawen und Rumänen der Monarchie als Zeichen der Schwäche ausgelegt werden und der werbenden Kraft der beiden angrenzenden Staatswesen Vorschub leisten würde.
Die logische Folge, die sich aus dem Gesagten ergebe, wäre, den Gegnern zuvorzukommen und durch eine recht- zeitige Abrechnung mit Serbien den bereits in vollem Gang befindlichen Entwicklungsprozeß aufzuhalten, was später zu tun nicht mehr möglich sein würde '.
Der königlich ungarische Ministerpräsident stimmte damit überein, daß die Lage sich in den letzten Tagen durch die in der Untersuchung festgestellten Tat- sachen und durch die Haltung der serbischen Presse ver- ändert habe und betonte, daß auch er die Möglichkeit einer kriegerischen Aktion gegen Serbien für näher gerückt halte, als er es gleich nach dem Attentat von Sarajevo geglaubt
1 Ursprünglich im Konzept:
„Er sei sich klar darüber, daß der Krieg mit Rußland infolge unseres „Einmarsches in Serbien sehr wahrscheinlich wäre. Rußland treibe aber „gegenwärtig mit seinen Balkanbundplänen eine Politik, die indirekt gegen „den Bestand der Monarchie gerichtet sei. Er sei der Ansicht, daß wir „uns darüber klar sein müssen, daß unsere Situation sich durch diese „Politik von Tag zu Tag verschlechtern würde und daß wir schon jetzt „die letzten Konsequenzen ziehen und einen Schlag gegen Serbien führen „müßten, um diesen Entwicklungsprozeß aufzuhalten, weil dies später „nicht mehr möglich sein würde." Umänderung von der Hand des Grafen Berchtold.
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habe. Er würde aber einem überraschenden Angriff auf Serbien ohne vorhergehende diplomatische Ai<;tion, wie dies beabsichtigt zu sein scheine und bedauerlicherweise auch in Berlin durch den Grafen Hoyos besprochen wurde i, niemals zustimmen, weil die Monarchie in diesem Falle, seiner Ansicht nach, in den Augen Europas einen sehr schlechten Stand hätte und auch mit großer Wahrschein- lichkeit mit der Feindschaft des ganzen Balkans — außer Bulgariens — rechnen müßte, ohne daß Bulgarien, das gegen- wärtig sehr geschwächt sei, die Monarchie entsprechend unterstützen würde.
Österreich-Ungarn müßte unbedingt Forderungen gegen Serbien formulieren und erst ein Ultimatum stellen, wenn Serbien sie nicht erfülle. Diese Forderungen müßten zwar harte, aber nicht unerfüllbare sein. Wenn Serbien sie an- nehme, würde die Monarchie einen eklatanten diploma- tischen Erfolg aufzuweisen haben und ihr Prestige würde am Balkan steigen. Nehme man die Forderungen der Mon- archie aber nicht an, so würde auch er für eine kriegerische Aktion sein, müsse aber schon jetzt betonen, daß die Mon- archie mit einer solchen zwar die Verkleinerung, nicht aber die vollständige Vernichtung Serbiens bezwecken dürfte, weil einerseits diese von Rußland ohne einen Kampf auf Leben und Tod niemals zugegeben werden könnte und weil auch er als ungarischer Ministerpräsident es niemals zu- geben könnte, daß die Monarchie einen Teil von Serbien annektiere.
Es sei nicht Sache Deutschlands zu beurteilen, ob die Monarchie jetzt gegen Serbien losschlagen sollte oder nicht. Er persönlich sei der Ansicht, daß ein Krieg im jetzigen Augenblicke nicht unbedingt geführt werden müsse. Gegen- wärtig müsse man damit rechnen, daß die Agitation gegen die Monarchie in Rumänien eine sehr starke sei, daß Öster- reich-Ungarn angesichts der aufgeregten öffentlichen Meinung, mit einem rumänischen Angriffe würde rechnen und auf jeden Fall eine beträchtliche Macht in Siebenbürgen würde halten müssen, um die Rumänen einzuschüchtern. Jetzt, wo
' Vgl. Seite 34, Anmerkung 3, letzter Absatz.
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Deutschland erfreulicherweise die Bahn zum Anschluß Bul- gariens an den Dreibund freigegeben habe, eröffne sich der Monarchie ein vielversprechendes Gebiet zu einer erfolg- reichen diplomatischen Aktion am Balkan. Graf Tisza müsse daher darauf zurückkommen, daß er sich trotz der Krise in Bosnien, die übrigens auch durch eine energische Ver- waltungsreform im Innern saniert werden könnte, nicht unbedingt für den Krieg entschließen wolle, sondern auch einen entsprechenden diplomatischen Erfolg, der eine starke Demütigung Serbiens mit sich brächte, für geeignet halte, die Stellung der Monarchie zu verbessern und ihr eine ersprießliche Balkanpolitik zu ermöglichen.
Der Vorsitzende bemerkte hiezu, die Geschichte der letzten Jahre hätte gezeigt, daß diplomatische Erfolge gegen Serbien zwar das Ansehen der Monarchie zeitweilig gehoben, aber die tatsächlich bestehende Spannung in den Bezie- hungen zu Serbien sich nur noch verstärkt hätte '. Weder der Erfolg Österreich-Ungarns in der Annexionskrise, noch jener bei Schaffung Albaniens, noch das spätere Nachgeben Serbiens infolge des österreichisch-ungarischen Ultimatums im Herbste vorigen Jahres hätte an den tatsächlichen Ver- hältnissen etwas geändert. Eine radikale Lösung der durch die systematisch von Belgrad aus betriebene großserbische Propaganda aufgeworfenen Frage, deren zersetzende Wirkung in der Monarchie bis nach Agram und Zara gespürt werde, sei wohl nur durch ein energisches Eingreifen möglich.
Bezüglich der vom königlich ungarischen Ministerpräsi- denten erwähnten Gefahr einer feindseligen Haltung Rumäniens bemerkte der Vorsitzende, daß derzeit eine solche weniger zu befürchten sei als für die Zukunft, wo sich die rumänisch- serbische Interessengemeinschaft immer mehr herausbilden werde. König Carol habe allerdings gelegendich Zweifel in
' Der folgende Teil bis zum Abschnitte: „Der k.k. Ministerpräsident" etc. (Seite 55) lautete ursprünglich im Konzepte:
„Weder unser Erfolg in der Annexionskrise, noch das spätere Nach- ,^eben Serbiens in der Adriafrage oder nach unserem Ultimatum im „Herbste vorigen Jahres hätten an den tatsächlichen Verhältnissen etwas ,jgeändert, noch die großserbische Agitation beseitigen können. Dies wäre „nur durch einen Krieg möglich, durch welchen die großserbische Bewe- „gung ein für allemal aufs Haupt geschlagen würde."
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der Richtung ausgesprochen, gegebenenfalls seiner Bundes- pflicht gegenüber der Monarchie durch aktive Hilfeleistung nachkommen zu können. Dagegen sei es kaum anzunehmen, daß er sich zu einer kriegerischen Operation gegen die Mon- archie hinreißen lassen, beziehungsweise einer darauf hinaus- gehenden Stimmung der öffentlichen Meinung nicht Wider- stand leisten könnte. Übrigens komme auch die Furcht Ru- mäniens vor Bulgarien in Betracht, welche ersteres in seiner Bewegungsfreiheit selbst unter den heutigen Verhältnissen einigermaßen behindern müßte.
Der k. k. Ministerpräsident bemerkte, es sei jetzt eine psychologische Situation geschaffen, die seiner Ansicht nach unbedingt zu einer kriegerischen Auseinandersetzung mit Serbien hindränge. Er stimme mit dem königlich ungarischen Ministerpräsidenten zwar darin überein, daß die Monarchie und nicht die deutsche Regierung beurteilen müßte, ob ein Krieg notwendig sei oder nicht; er müsse aber doch be- merken, daß es auf die Entschließung der Monarchie einen sehr großen Einfluß ausüben sollte, wenn an der' Stelle, welche Österreich-Ungarn als treueste Stütze seiner Politik im Dreibunde ansehen müßte, ihm rückhaltlose Bündnis- treue zugesagt und überdies nahegelegt werde, sofort zu handeln, nachdem man sich dort angefragt habe. Graf Tisza sollte diesem Umstände doch Bedeutung beimessen und in Erwägung ziehen, daß die Monarchie durch eine Politik des Zauderns und der Schwäche Gefahr laufe, dieser rück- haltlosen Unterstützung des Deutschen Reiches zu einem späteren Zeitpunkte nicht mehr so sicher zu sein. Wie der Konflikt begonnen werde solle, sei eine Detailfrage, und wenn die ungarische Regierung der Ansicht sei, daß ein überraschender Angriff „sans crier gare", wie Graf Tisza sich ausgedrückt hätte, nicht gangbar sei, so müsse man eben einen andern Weg finden.
Der gemeinsame Finanzminister führte aus, auch er hege gleich dem Landeschef Feldzeugmeister Potiorek die Überzeugung, daß der Entscheidungskampf mit Serbien früher oder später unvermeidlich sei. Wenn auch der königlich unga- rische Ministerpräsident sich jetzt mit einem diplomatischen Erfolg zufrieden geben würde, so könne er dies vom
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Standpunkte der bosnischen Interessen nicht tun. Das Uhimatum, welches die Monarchie im vorigen Herbste an Serbien richtete, habe die Stimmung in Bosnien verschlechtert und den Haß gegen dieselbe nur gesteigert. Dort erzähle man sich allgemein im Volke, daß König Peter kommen und das Land befreien werde. Der Serbe sei nur der Gewalt zugänglich, ein diplomatischer Erfolg würde in Bosnien gar keinen Eindruck machen und wäre eher schädlich als etwas anderes.
Nach einer Bemerkung des königlich ungarischen Minister- präsidenten gab der k. u. k. Kriegsminister der Ansicht Ausdruck, daß ein diplomatischer Erfolg keinen Wert habe. Ein solcher Erfolg werde nur als Schwäche ausgelegt. Vom militärischen Standpunkte müsse er betonen, daß es günstiger wäre, den Krieg sogleich als zu einem späteren Zeitpunkte zu führen, da sich das Kräfteverhältnis in der Zukunft unverhältnismäßig zu Ungunsten der Monarchie verschieben, werde. Die Monarchie hätte schon zwei Gelegenheiten ver- säumt, um die serbische Frage zu lösen, und jedesmal die Entscheidung hinausgeschoben. Wenn sie es jetzt wieder täte und auf diese neuerliche Provokation gar nicht reagierte, so würde dies in allen südslawischen Provinzen als Zeichen der Schwäche aufgefaßt werden und die Monarchie würde eine Stärkung der gegen sie gerichteten Agitation herbei- führen.
Es entspann sich hierauf eine Diskussion über die Ziele einer kriegerischen Aktion gegen Serbien, wobei der Stand- punkt des königlich ungarischen Ministerpräsidenten, daß Serbien zwar verkleinert, mit Rücksicht auf Rußland aber nicht ganz vernichtet werden dürfe, angenommen wurde.
Der königlich ungarische Ministerpräsident be- harrte noch immer bei der Ansicht, daß eine erfolgreiche Balkanpolitik für die Monarchie durch den Anschluß Bul- gariens an den Dreibund möglich wäre und verwies auf die furchtbare Kalamität eines europäischen Krieges unter den derzeitigen Verhältnissen. Es möge nicht übersehen werden, daß allerhand Zukunftseventualitäten denkbar seien — wie Ablenkung Rußlands durch asiatische Komplika- tionen, Revanchekrieg des wiedererstarkten Bulgariens gegen
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Serbien usw. — , welche die Stellung der Monarchie gegen- über dem großserbischen Probleme wesentlich günstiger gestalten könnten, als dies heute der Fall sei.
Hiezu bemerkte der Vorsitzende, daß man allerdings verschiedene Zukunftsmöglichkeiten ausdenken könne, die eine der Monarchie günstige Situation ergeben würden. Er befürchte aber, daß für eine solche Entwicklung keine Zeit vorhanden sei. Man müsse mit der Tatsache rechnen, daß von feindlicher Seite ein Entscheidungskampf gegen die Monarchie vorbereitet werde und daß Rumänien der russi- schen und französischen Diplomatie Helfersdienste leiste. Man dürfe nicht annehmen, daß die Politik mit Bulgarien der Monarchie einen vollen Ersatz für den Verlust Ru- mäniens bieten könne. Rumänien sei aber seiner Ansicht nach nicht wiederzugewinnen, solange die großserbische Agitation existiere, da diese auch die großrumänische Agi- tation zur Folge habe und Rumänien ihr erst dann entgegen- treten könnte, wenn es sich durch die Vernichtung Serbiens am Balkan isoliert fühlen und einsehen würde, daß es nur am Dreibunde eine Stütze finden könne. Auch dürfe man nicht übersehen, daß bezüglich des Anschlusses Bulgariens an den Dreibund noch nicht der erste Schritt geschehen sei. Man wisse in Wien nur, daß die jetzige bulgarische Regie- rung vor Monaten diesen Wunsch ausgesprochen habe und damals auch im Begriffe stand, eine Allianz mit der Türkei einzugehen. Letzteres sei bisher nicht erfolgt, die Türkei vielmehr seither mehr unter russischen und französischen Einfluß geraten. Die Haltung des Ministeriums Radoslawoff gebe allerdings keinen Grund, daran zu zweifeln, daß das- selbe auch heute noch entschlossen sei, positiven Vor- schlägen, die von der Monarchie in der angedeuteten Richtung in Sofia gemacht werden könnten, ein williges Ohr zu leihen. Als sicheren Baustein in der österreichisch- ungarischen Balkanpolitik könne man diese Orientierung aber derzeit noch nicht einschätzen; dies um so weniger, als die gegenwärtige bulgarische Regierung doch auf sehr schwacher Grundlage stehe, der Anschluß an den Dreibund von der stets bis zu einem gewissen Grade unter russischem Einfluß stehenden öffentlichen Meinung desavouiert und das
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Ministerium Radoslawoff über den Haufen geworfen werden könnte. Auch sei zu bedenken, daß Deutschland die bul- garische Aktion vorderhand nur unter der Bedingung an- genommen habe, daß die' Abmachungen mit Bulgarien keine Spitze gegen Rumänien haben dürften. Es werde nicht leicht sein, diese Bedingungen ganz zu erfüllen und es könnten daraus für die Zukunft unklare Situationen sich ergeben '. Es wurde hierauf in längerer Debatte die Kriegsfrage eingehend diskutiert. Am Schlüsse dieser Erörterungen konnte konstatiert werden:
1. Daß alle Versammelten eine tunlichst rasche Ent- scheidung des Streitfalles mit Serbien im kriegerischen oder friedlichen Sinne wünschten;
2. daß der Ministerrat bereit wäre, sich der Ansicht des königlich ungarischen Ministerpräsidenten anzuschließen, wonach erst mobilisiert werden solle, nachdem konkrete Forderungen an Serbien gerichtet und dieselben zurück- gewiesen worden seien, sowie ein Ultimatum gestellt worden sei.
Dagegen waren alle Anwesenden mit Ausnahme des könig- lich ungarischen Ministerpräsidenten der Ansicht, daß ein rein diplomatischer Erfolg, wenn er auch mit einer eklatanten Demütigung Serbiens enden würde, wertlos wäre und daß daher solche weitgehende Forderungen an Serbien gestellt werden müßten, die eine Ablehnung voraussehen ließen, damit eine radikale Lösung im Wege militärischen Eingreifens angebahnt würde -.
' Die Stelle von: ,,Auch dürfe man nicht übersehen" (Seite 57 Mitte) bis „sich ergeben" lautete in der Fassung des Konzepts: „Auch dürfe man „nicht vergessen, daß Deutschland die bulgarische Aktion vorderhand nur „unter der Bedingung angenommen habe, daß die Abmachungen mit Bul- „garien keine Spitze gegen Rumänien haben dürften. Es würde nicht „leicht sein, diese Bedingungen ganz zu erfüllen, auf jeden Fall sei es „aber fraglich, ob die deutsche Regierung eine Gegenüberstellung Bul- „gariens und der Türkei gegen Serbien und Rumänien gerne sehen würde. „Darum habe man auch in Berlin sich dahin ausgesprochen, daß eine „Abrechnung mit Serbien die beste Lösung wäre." (Umänderung von der Hand des Grafen Berchtold.)
- Ursprünglich im Konzepte: „und daß daher ganz unannehmbare „Forderungen an Serbien gestellt werden müßten, damit es bestimmt „zum Kriege komme." Umänderung von der Hand des Grafen Berchtold.
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Graf Tisza bemerkte hierauf, er sei bestrebt, dem Standpunivte aller anderen Anwesenden entgegenzukommen und daher auch insofern eine Konzession zu machen, als er zugeben wolle, daß die an Serbien zu richtenden For- derungen sehr harte sein sollten, jedoch nicht solcher Art, daß man die Absicht Österreich-Ungarns, unannehmbare Forderungen zu stellen, klar erkennen könne. Sonst hätte die Monarchie eine unmögliche rechtliche Grundlage für eine Kriegserklärung. Der Text der Note müsse sehr genau studiert werden und er würde jedenfalls Wert darauf legen, die Note zur Einsicht zu erhalten, bevor sie abgesendet werde. Auch müsse er betonen, daß er für seine Person genötigt wäre, die Konsequenzen daraus zu ziehen, wenn sein Standpunkt nicht berücksichtigt werde.
Hierauf wurde die Sitzung bis zum Nachmittag unter- brochen.
Beim Wiederzusammentritte des Ministerrates waren auch der Chef des Generalstabes und der Stellvertreter des Marine- kommandanten anwesend.
Der Kriegsminister ergriff auf Wunsch des Vorsitzen- den das Wort, um an den Chef des Generalstabes nach- stehende drei Fragen zu richten:
1. Ob es möglich wäre, zuerst nur gegen Serbien zu mobilisieren und erst nachträglich, wenn sich die Notwen- digkeit dazu ergäbe, auch gegen Rußland;
2. ob man zur Einschüchterung Rumäniens größere Truppenmengen in Siebenbürgen zurückhalten könnte und
3. wo man den Kampf gegen Rußland aufnehmen würde.
Der Chef des Generalstabes gab auf diese Anfragen geheime Aufklärungen und ersuchte, dieselben nicht in das Protokoll aufzunehmen.
Es entspann sich auf Grund dieser Aufklärungen eine längere Aussprache über die Kräfteverhältnisse und den wahr- scheinlichen Verlauf eines europäischen Krieges, die wegen ihres geheimen Charakters nicht in das Protokoll auf- genommen wurden. Am Schlüsse der Debatte wiederholte der königlich ungarische Ministerpräsident seinen früheren Stand- punkt hinsichtlich der Kriegsfrage und richtete einen neuen
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Appell an die Anwesenden, ihre Entscheidung sorgfdhig zu' prüfen.
Hierauf wurden die Puntcte besprochen, welche als Forderungen an Serbien in die Note aufgenommen werden könnten. Bezüglich dieser Punkte wurde im Ministerrat kein definitiver Beschluß gefaßt; sie wurden nur aufgestellt, um ein Bild darüber zu erlangen, welche Forderungen gestellt werden könnten '.
Nach einer Debatte über die bosnischen Angelegenheiten konstatierte der Vorsitzende, daß, wenn auch noch immer eine Divergenz zwischen den Ansichten aller Teilnehmer und jener des Grafen Tisza bestehe, man sich näher- gekommen sei, nachdem auch die Vorschläge des königlich ungarischen Ministerpräsidenten aller Wahrscheinlichkeit nach zu der von ihm und den übrigen Mitgliedern der Konferenz für notwendig gehaltenen kriegerischen Aus- einandersetzung mit Serbien führen würden.
Das Protokoll schloß mit der Mitteilung des Grafen Berchtold an den Ministerrat, daß er gesonnen sei, sich zur Vortragerstattung am 8. Juli nach Ischl zu begeben. Im Zusammenhange mit dieser Äußerung bat Graf Tisza den Minister des Äußern, eine von ihm selbst zu ver- fassende Eingabe über seine Auffassung der Lage dem Monarchen zu unterbreiten-.
Hierauf wurde die Konferenz nach Aufsetzung eines für
die Presse bestimmten Communiques vom Grafen Berchtold
aufgehoben.
Zirkulation Das Protokoll zirkulierte in den Tagen vom 8. Juli bis
desProto- 2um 14. August bei den einzelnen Konferenzteilnehmern und
kolls bei den ^ * « t • t i . j
Konferenz- gelangte crst am 16. August zur Unterzeichnung durch den
leiinehmern Monarchcn. Zur mündlichen Berichterstattung beim Monarchen
ni"nahmr meldete sich Graf Berchtold in einem Immediatvortrage
desselben ^och am 7. JuH an.
durch den Monarchen
Das Ergebnis Der Ministerrat für gemeinsame Angelegenheiten vom
des Minister- 7_ j^^\■^ j^at als die erste Bekanntgabe der Absichten des
Wiener Kabinetts in foro interno zu gelten. Graf Berchtold
1 Vgl. Seite 93, Anmerkung 1. - Siehe Seite 65 unten.
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bemühre sich in diesei» Sitzung, das Einverständnis der in den gemeinsamen Angelegeniieiten verantwortlichen Falctoren der Monarchie für seine Intentionen zu gewinnen. Diese Maßnahmen Hefen nach der Formulierung des Protokolls dahin hinaus, den Gegnern der Monarchie zuvorzukommen und durch eine rechtzeitige Abrechnung mit Serbien den bereits in vollem Gange befindlichen Entwicklungsprozeß (des Zusammenschlusses der Balkanstaaten, Rumänien inklu- sive) aufzuhalten. Der durch einen Waffengang mit Serbien bedingten Möglichkeit eines Krieges mit Rußland müsse die stetige Verschlechterung der Lage der Monarchie durch eine Politik des untätigen Gewährenlassens gegenüber der eigenen südslawischen und rumänischen Bevölkerung der Monarchie entgegengehalten werden.
Nach längerer Erörterung des Sachlage konnte kon- statiert werden, daß von allen Anwesenden eine tunlichst rasche Entscheidung des Streitfalles mit Serbien im kriege- rischen oder im friedlichen Sinne gewünscht werde und daß erst nach der Aufstellung von konkreten Forderungen an Serbien und nach Übermittlung eines Ultimatums im Falle ihrer Abweisung die Mobilisierung eingeleitet werden solle. Auch in der Frage der Unzulänglichkeit eines rein diplomatischen Erfolges begegneten sich die Meinungen aller Konferenzteilnehmer mit Ausnahme jener des Grafen Tisza, dem es gelang, den Ministerrat für seinen Standpunkt der Notwendigkeit der Formulierung bestimmter Forderungen und der Stellung eines Ultimatums erst nach deren Ablehnung zu gewinnen. Über die Art dieser Forderungen sprach sich das Protokoll — insbesondere in der Fassung seines Konzeptes — eindeutig genug aus'. Bloß Graf Tisza verharrte (wenigstens teilweise) in Opposition; auch seine Vorschläge wurden indessen von dem Vorsitzenden dahin charakterisiert, daß sie aller Wahrscheinlichkeit nach zu der vom Grafen Berchtold und den übrigen Mitgliedern der Konferenz für notwendig gehaltenen kriegerischen Aus- einandersetzung mit Serbien führen würden.
Sofern Graf Berchtold die Bedenken Graf Tiszas be- kämpfen zu müssen glaubte, benützte er als Argumentation
' Vgl. Anmerkung 2, Seite 58.
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den Hinweis auf die unbedingte Lfhterstützung der Mon- archie seitens der deutsciien Regierung. Hiebei sekundierte dem Grafen Berchtold der k. k. Ministerpräsident Graf Stürgkh, der die Notwendigkeit der Verwertung der gegen- wärtig bestehenden, in einem späteren Zeitpunkt aber nicht mehr so sicheren deutschen Hilfe besonders hervorhob.
Hier also, in diesem in Wien am 7. Juli abge- haltenen Ministerrat für gemeinsame Angelegen- heiten, wurde die folgenschwere Beschlußfassung eingeleitet, die der weiteren Entwicklung des österreichisch -ungarisch -serbischen Konfliktes die Wege wies.
3. Der Sonderstandpunkt des Grafen Tisza
Vortrag di-s Noch am 1. JuH hatte Graf Tisza dem Monarchen seine u^juiir"" Auffassung der politischen Lage in einem schrifdichen Vorirage dargelegt ' und erklärt, er könne der Absicht des Grafen Berchtold, die ihm dieser soeben persönlich eröffnet habe, die Greueltat in Sarajevo zum Anlasse der Abrechnung mit Serbien zu machen, nicht beipflichten. Er habe dem Grafen Berchtold gegenüber kein Hehl daraus gemacht, daß er dies für einen verhängnisvollen Fehler halte und die Verantwortung keinesfalls teilen würde. Erstens hätte die Monarchie bisher keine genügenden Anhaltspunkte, um Serbien verantwortlich machen zu können und um trotz etwaiger befriedigender Erklärungen der serbischen Regierung einen Krieg mit diesem Staate zu provozieren. Die Staats- männer der Monarchie würden den denkbar schlechtesten Locus standi haben, würden vor der ganzen Welt als die Friedensstörer dastehen und einen großen Krieg unter den ungünstigsten Umständen anfachen. Zweitens halte Graf Tisza diesen Zeitpunkt, in dem die Monarchie Rumänien so gut wie verloren habe, und Bulgarien, der einzige Staat, auf den sie rechnen könne, erschöpft darniederliege, überhaupt für einen recht ungünstigen.
Bei der jetzigen Balkanlage wäre es der geringste Kummer Graf Tiszas, einen passenden Casus belli zu finden.
' Kopie des Vortrages Graf Tiszas d. d. Budapest, 1. Juli. fi2
Sei einmal der Zeitpunkt zum Lossciilagen getcommen, so könne man aus den verscliiedensten Fragen einen Kriegs- fall aufrollen. Vorher müsse jedoch eine politische Kon- stellation geschaffen werden, die das Kräfteverhältnis weniger ungünstig für die Monarchie gestalte.
Der definitive Anschluß Bulgariens, in einer Weise, welche keine Spitze gegen Rumänien habe und zu einer Verständigung sowohl mit diesem Staate wie mit Griechen- land die Türe offen halte, werde von Tag zu Tag drin- gender; es müßte demnach ein letzter Versuch mit Deutsch- land gemacht werden, um den offenen Anschluß Rumäniens an den Dreibund durchzuführen. Wolle oder könne aber Deutschland diese Mission nicht erfüllen, so müsse es hinnehmen, daß die Monarchie wenigstens Bulgarien dem Dreibunde sichere.
Versäume die Monarchie dies Rumänien zuliebe noch länger, so würde nur sie die Schuld tragen, wenn Bulgarien — von der Monarchie verlassen — eines schönen Tages sich dem gegen die Monarchie gebildeten Bündnisse an- schließe und Österreich-Ungarn ausplündern helfe, um ein Stück mazedonisches Land zu erhalten. Schließlich glaube Graf Tisza, ein Bündnis der Monarchie mit Bulgarien biete die einzige Möglichkeit, Rumänien zurückzugewinnen. Bei allem Größenwahn der Rumänen sei nämlich die ent- scheidende Triebkraft in der Psyche dieses Volkes die Angst vor Bulgarien. Würden die Rumänen sehen, daß sie die Monarchie vor einem Bündnisse mit Bulgarien nicht zurückhalten konnten, so würden sie vielleicht suchen, in den Bund aufgenommen zu werden, um auf diese Weise vor bulgarischer Aggression geschützt zu werden.
Dies seien die Hauptgesichtspunkte, welche eine ener- gische Aktion seines Erachtens zu einer dringenden Not- wendigkeit machten, und da der bevorstehende Besuch Kaiser Wilhelms möglicherweise Gelegenheit hiezu bieten werde, so habe sich Graf Tisza für verpflichtet gehalten, an den Monarchen mit der Bitte heranzutreten, die An- wesenheit Kaiser Wilhelms in Wien dazu benützen zu wollen, „um die Eingenommenheit dieses hohen Herrn für Serbien „an der Hand der letzten empörenden Ereignisse zu bekämpfen"
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und ihn zur tatkräftigen Unterstützung der österreichisch- ungarischen Balkanpoiitii<: zu bewegen '.
Graf Tiszo In dem Ministerrat für gemeinsame Angelegenheiten vom
und die aus- 7^ jy]j hatten sich die Konferenzteilnehmer dem Standpunkt tikderMon. des Grafen Tisza akkommodiert und damit eine gewisse archie Anerkennung seiner geistigen Führerschaft an den Tag gelegt.
Der ganze Einfluß des Grafen Tisza läßt sich aber nicht ausschließlich aus der Eigenart seiner Persönlichkeit er- klären; erst wenn man sich vor Augen hält, daß man es hier mit dem zielbewußten Exponenten der ungarischen Staatspolitik zu tun hat, gewinnt man den Maßstab für eine richtige Beurteilung seiner dominierenden Geltung auch in der auswärtigen Politik der Monarchie. Die Interessen, die Graf Tisza dabei vertrat, waren von den Ideen des einheit- lichen ungarischen Nationalstaates diktiert.
Unter diesem Gesichtswinkel betrachtet, erklärt sich auch die Divergenz der österreichisch-ungarischen und der deutschen Balkanpolitik. Die von Budapest aus beeinflußte politische Kon- zeption des Ballhausplatzes erforderte — eingedenk der öster- reichisch-ungarischen Stellungnahme beim Bukarester Vertrag das Jahres 1912 — eine Hintanhaltung jeden Machtzuwachses Rumäniens und eine um so intensivere Bevorzugung Bulga- riens. Eine forcierte Erstarkung Bulgariens sollte gleichzeitig auch dem Machtbegehren Serbiens einen Riegel vorschieben. Dem spezifisch ungarischen Staatsinteresse konnte aus offen- liegenden Gründen eine andere Richtlinie der österreichisch- ungarischen Balkanpolitik nicht entsprechen.
Wenn demnach Kaiser Wilhelm durch den Grafen Tisza einer „Eingenommenheit" für die Serben geziehen wurde, so hätte der gleiche Gedanke in anderer Fassung als Mangel einer Animosität Rumänien gegenüber formuliert werden können. Denn da die rumänisch-sirbische Annäherung (durch die
' Worauf sich die Bemerkung des Grafen Tisza liinsielitlich einer Art Serbenfreundlichkeit Kaiser Wilhelms stützt, ist aus dem zur Ver- fügung stehenden Aktenmateriale nicht zu ersehen. Jedenfalls bietet sie eine bemerkenswerte Parallele zu dem Herrn von Tschirschky gegenüber erhobenen Vorwurfe des Grafen Berchtold von der in praxi bei Deutsch- land nicht immer gefundenen Unterstützung der österreichisch-ungarischen Balkanpolitik. (Vgl. Seite 38.)
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chauvinistischen Auswüchse einer politisch sterilen Oppo- sition des ungarischen Reichstages mitveranlaßt) in erster Reihe eigenstaatliche Interessen Ungarns berührte, lag für Deutschland der Grund zu einer besonderen Gegner- Schaft, sei es gegen Serbien, sei es gegen Rumänien, tat- sächlich nicht vor. Nach den Erwägungen des Grafen Tisza durfte weiters ein Balkankrieg der Monarchie, sofern das damit verbundene Risiko einer europäischen Kon- flagration mit allen ihren verheerenden Folgen überhaupt zu verantworten war, folgerichtig selbst bei glücklichem Aus- gange keinen territorialen Zuwachs erbringen, weil ein solcher den kardinalsten Forderungen der ungarischen Nationalitätenpolitik widersprochen hätte; von den unaus- bleiblichen Folgen eines ungünstig ausgehenden Krieges gar nicht zu sprechen.
Deshalb stand Graf Tisza auf einem die Politik des Grafen Berchtold — anfänglich wenigstens. — ablehnenden Standpunkte. Am Ballhausplatze aber versäumte man keine Gelegenheit, diesen Widerstand zu verringern, und bediente sich dazu als erfolgverheißenden Mittels der vorsätzlichen Betonung des Drängens Deutschlands zu einer radikalen Lösung der serbischen Krise'. Es war also nur konsequent gehandelt, wenn Graf Berchtold durch den ungarischen Exponehten im Ministerium des Äußern, Grafen Forgäch, die Nachricht von den Besprechungen des Grafen Szögyeny mit Kaiser Wilhelm dem Grafen Tisza in zweckdienlicher Formulierung unverzüglich übermittelte-.
Vorläufig freilich verharrte Graf Tisza auf seinem im Ministerrat vom 7. Juli zum Ausdrucke gebrachten Sonder- standpunkte. Zur Erhärtung seiner Ansichten unterbreitete er dem Monarchen am 8. Juli den im Ministerrate vom 7. 1. M. angekündigten Vortrag':
Die allerdings sehr erfreulichen Nachrichten aus Berlin, Vortrag des verbunden mit der sehr gerechten Entrüstung über die Vor- *^'"'''^'" ^'"^
(8. Juli)
' Vgl. Anmerkung 1, Seite 58.
2 Telegramm an den Grafen Tisza d. d. Wien, 6, Juli, 1 Uhr 30 Minuten p. m., Pr. Nr. 4529.
"■ Vortrag des Grafen Tisza d. d. Budapest, 8. Juli, Kabinettsarchiv. (Auszugsweise wiedergegeben.)
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kommnisse in Serbien, hätten bei allen anderen Teilnehmern der gestrigen gemeinsamen Ministerkonferenz die Absicht reifen lassen, einen Krieg mit Serbien zu provozieren, um mit diesem Erzfeinde der Monarchie endgültig abzurechnen.
Graf Tisza sei nicht in der Lage gewesen, diesem Plane in vollem Umfange zuzustimmen.
Das Wiener Kabinett habe gerade jetzt den langersehnten vollen Erfolg in Berlin auch in jener Richtung erzielt, daß einer konsequenten, aktiven, Erfolg versprechenden Politik am Balkan von dort aus kein Hindernis mehr im Wege stehe; die Monarchie habe somit gerade jetzt die Mittel in die Hände bekommen, einen maßgebenden Einfluß auf die Entwicklung am Balkan auszuüben und eine der Mon- archie günstigere Konstellation daselbst durchzuführen. Dies berechtige zu der Hoffnung, daß die Monarchie, wenn ihr der Entscheidungskampf später aufgenötigt würde, denselben mit besseren Chancen aufnehmen könne. Auf die Frage des Grafen Tisza, wie sich die Kräfteverhältnisse bei den Großmächten infolge der überall vorgenommenen Rüstungen im Laufe der nächsten Jahre verschieben würden, habe der Chef des Generalstabes nach einigem Nachdenken ge- antwortet: „Eher zu unseren Ungunsten." Aus dieser Ant- wort könne wohl mit Recht gefolgert werden, daß diese Verschiebung keine allzu wesentliche sein und durch die günstigere Ausgestaltung der Verhältnisse am Balkan mehr als wettgemacht werde.
Wenn Graf Tisza neben den politischen Gesichtspunkten die Lage der Staatsfinanzen und der Volkswirtschaft in Be- tracht ziehe, welche die Kriegführung kolossal erschweren und die mit dem Kriege verbundenen Opfer und Leiden beinahe unerträglich für die Gesellschaft machen würde, so könne er nach peinlich gewissenhafter Überlegung die Verant- wortung für die in Vorschlag gebrachte militärische Aggression gegen Serbien nicht mittragen.
Es stehe ihm ferne, eine energielose und untätige Politik gegenüber Serbien empfehlen zu wollen. Er plaidiere daher keineswegs dafür, daß die Monarchie diese Provokationen einstecken solle, und er sei bereit, die Verantwortung für alle Konsequenzen eines durch die Zurückweisung der
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gerechten Forderungen der Monarchie verursachten Krieges zu tragen. Es müsse aber seines Erachtens Serbien die Möglichiceit gegeben werden, den Krieg im Wege einer aller- dings schweren diplomatischen Niederlage zu vermeiden; und wenn es doch zum Kriege komme, solle vor alier Welt Augen bewiesen werden, daß sich die Monarchie auf dem Boden gerechter Notwehr befinde.
Es wäre also eine in gemessenem, aber nicht drohendem Tone gehaltene Note an Serbien zu richten, in welcher die konkreten Beschwerden der Monarchie aufzuzählen und präzise Forderungen mit denselben zu verbinden wären. Würde Serbien eine ungenügende Antwort geben oder die Sache verschleppen wollen, so wäre mit einem Ultimatum und sofort nach Ablauf desselben mit der Eröffnung der Feindseligkeiten zu antworten.
Ein solches Vorgehen seitens der Monarchie würde die Chancen der deutschen Aktion in Bukarest jedenfalls stark vermehren und vielleicht auch Rußland von einer Beteiligung am Kriege abhalten. Es sei vorauszusehen, daß England aller Wahrscheinlichkeit nach einen Druck in diesem Sinne auf die übrigen Ententemächte ausüben und daß auch bei dem Zaren der Gedanke in die Wagschale fallen würde, daß es kaum seine Aufgabe sei, anarchistische Wühlereien und antidynasiische Mordanschläge unter seinen Schutz zu nehmen.
Um jedoch Verwicklungen mit Italien aus dem Wege zu gehen, der Monarchie dife Sympathien Englands zu sichern und es Rußland überhaupt zu ermöglichen, Zuschauer des Krieges zu bleiben, müßte durch das Wiener Kabinett in entsprechender Zeit und Form die Erklärung abgegeben werden, daß die Monarchie Serbien nicht vernichten, noch weniger annektieren wolle.
Das wäre die Ausgestaltung der Verhältnisse, auf die für den Kriegsfall hinzuarbeiten wäre. Sollte Serbien nachgeben, so müßte die Monarchie freilich auch diese Lösung bona fide hinnehmen und ihm den Rückzug nicht verlegen. In diesem Falle hätte sie sich mit einer starken Knickung des serbischen Hochmutes und einer schweren diplomatischen Niederlage dieses Staates zu begnügen und die bewußte intensive Aktion in Bulgarien und den anderen Balkanstaaten um so energischer
Schreiben Graf Berch- tolds an Graf Tisza <S. Juli)
in die Hand zu nehmen, da der soeben erreichte diplomatische Erfolg jedenfalls günstig auf das Ergebnis dieser Verhand- lungen wirken würde.
Graf Tisza habe sich erlaubt, seine Anschauung dem Monarchen eingehend vorzulegen. Er sei sich der schweren Verantwortung bewußt, die in diesen kritischen Zeiten ein jeder zu tragen habe, der das Vertrauen des Herrschers besitze. Im vollen Bewußtsein, daß die Last dieser Verant- wortung dieselbe bleibe, ob man sich für's Handeln oder für's Unterlassen entscheide, glaube er, nach peinlicher Erwägung aller einschlägigen Momente, den in diesen Aus- einandersetzungen beschriebenen Mittelweg anraten zu sollen, der einen friedlichen Erfolg nicht ausschließe und die Chancen des Krieges — sollte er doch unvermeidlich sein — in mancher Beziehung bessere.
Es werde seine Pflicht sein, in dem für morgen einberufenen Ministerrate die Stellungnahme des ungarischen Kabinetts zu veranlassen; einstweilen könne er im eigenen Namen die Erklärung abgeben, daß er, trotz seiner Hinneigung an den Dienst des Herrschers — oder besser gesagt gerade infolge derselben — , die Verantwortung für die ausschließlich und aggressiv kriegerische Lösung nicht mittragen könnte.
In der Argumentation seines Vortrages erschien dem Grafen Tisza (soweit er diesen Gegenstand berührte) die Berliner Balkanpolitik als eine die Interessen der Monarchie noch immer nicht hinlänglich genug fördernde; wenigstens kann die eingangs seiner Ausführungen gebrauchte Wendung von den „allerdings sehr erfreulichen Nachrichten aus Berlin" dahin verstanden werden. Graf Berchtold mußte es sich also um so angelegener sein lassen, Graf Tisza gerade mit dem Hinweise auf die günstigen Dispositionen des Berliner Kabinetts zu beeinflussen; ein übriges sollte die Vorstellung tun, daß eine schwankende Haltung der Monarchie unerwünschte Rückwirkungen auf die Politik Deutsch- lands selbst ausüben könnte. Die Mitteilung über eine mit Herrn von Tschirschky am 8. Juli gepflogene Besprechung bot dazu neuerdings die Gelegenheit ':
' Hausabschrift eines Briefes des Grafen Berchtold an den Grafen Tisza d. d. Wien, 8. Juli 1914.
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Herr von Tschirschky habe Graf Berchtold verständigt, ein Telegramm aus Berlin erhalten zu haben, demzufolge Kaiser Wilhelm ihn beauftragt hätte, in Wien mit allem Nachdruck zu erklären, daß man in Berlin eine Aktion der Monarchie gegen Serbien erwarte und daß es in Deutschland nicht ver- standen würde, wenn die Monarchie die gegebene Gelegenheit vorübergehen ließe, ohne einen Schlag zu führen •.
Auf die Bemerkung des Grafen Berchtold, daß es dem Wiener Kabinett bei Fassung endgültiger Entschlüsse natür- lich von großer Wichtigkeit wäre zu wissen, inwieweit das- selbe auf die Einwirkung Deutschlands in Bukarest rechnen könnte und was von derselben zu erhoffen wäre, habe der Botschafter bemerkt, man halte es in Berlin für aus- geschlossen, daß Rumänien in diesem Falle gegen die Monarchie Stellung nehmen könnte. Übrigens habe sich Kaiser Wilhelm auch brieflich an König Carol gewendet und man könne sich denken, „daß dieser Brief an Deudich- keit nichts zu wünschen übrig gelassen habe!"
Aus den weiteren Ausführungen des Botschafters habe Graf Berchtold ersehen können, daß man in Deutschland ein Transigieren seitens der Monarchie mit Serbien als Schwächebekenntnis auslegen würde, was nicht ohne Rück- wirkung auf die Stellung der Monarchie im Dreibunde und auf die künftige Politik Deutschlands bleiben könnte.
Die vorstehenden Eröffnungen Herrn von Tschirschkys erschienen Graf Berchtold von solcher Tragweite, daß sie eventuell auch von Einfluß auf die Schlußfassung der vom
1 In dem Telegramme des Reichskanzlers an den deutschen Bot- schafter in Wien d. d. Berlin, 6. Juli 1914 (Weißbuch, betr. d. V. d. U. a. K., Seite 70) lautet die gegenständliche Stelle: „Was endlich Serbien anlange, so könne Seine Majestät zu den zwischen Österreich- Ungarn und diesem Lande schwebenden Fragen naturgemäß keine Stellung nehmen, da sie sich seiner Kompetenz ent- zögen. Kaiser Franz Joseph könne sich aber darauf verlassen, daß Seine Majestät im Einklang mit seinen Bündnispflichten und seiner alten Freundschaft treu an Seite Österreich- Ungarns stehen werde." Unser Text stellt also die durch den Grafen Berchtold vollzogene Niederschrift der von Herrn von Tschirschky gegebenen Interpretation des angeführten Passus der offiziellen Weisung dar.
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Graf Tisza
revidiert
seine
Grafen Tisza beabsichtigten Eingabe an den Monarchen sein könnten. Er habe daher dem Grafen Tisza ungesäumt davon Mitteilung machen wollen und bitte ihn, wenn er es für angezeigt finde, ihm diesbezüglich nach Bad Ischl zu tele- graphieren. Graf Berchtold verbringe den 9. Juli daselbst und könnte sich zum Interpreten der Auffassung des Grafen Tisza beim Monarchen machen '.
Unmittelbar bewirkten die Mitteilungen Graf Berchtolds keine Veränderung der Auffassung des Grafen Tisza. Erst Anschauung am 16. JuM traf eine Meldung des Grafen Szögyeny aus Berlin ein -, Graf Tisza habe während seines letzten Auf- enthaltes in Wien Herrn von Tschirschky aufgesucht und ihm versichert, daß er nunmehr alle seine anfänglich aller- dings bestandenen Bedenken aufgegeben habe und mit einer energischen Aktion einverstanden sei. Die im ungarischen Parlament am 15. Juli abgegebenen Erklärungen seien bereits der neuen Anschauungsweise des ungarischen Minister- präsidenten entsprungen.
Da am 14. Juli eine Besprechung des Grafen Berchtold mit den beiden Ministerpräsidenten und dem königlich ungarischen Minister am allerhöchsten Hoflager stattgefunden hatte % war die Änderung der Stellungnahme Graf Tiszas wohl hier erfolgt.
Offizielle
Stellung- nahme der serbischen Regierung
4. Die k. u. k. Regierung und die europäischen
Kabinette
Belgrad
Eine von dem königlich serbischen Preßbureau am I.Juli 1914 veröffentlichte Erklärung der serbischen Regierung gab dem Abscheu Serbiens über die in Sarajevo verübten Morde und dem Willen der serbischen Regierung Ausdruck, die Umtriebe verdächtiger Elemente mit Aufmerksamkeit zu
' Zu dem Bemühen Graf Berchtolds, die Gedankengänge des Vor- trages Graf Tiszas zu beeinflussen oder aber selbst heim Monarchen als Dolmetsch der Auffassung des ungarischen Ministerpräsidenten zu dienen, vgl. Seite 40, Anmerkung 1, Absatz 2 — 4.
" Telegramm aus Berlin d. d. 16. Juli, Nr. 259.
3 Vgl. Seite 85 tf.
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verfolgen und nichts zu unterlassen, was zur Beruhigung der Geister beizutragen vermöchte.
Die offizielle „Samouprava" legte den eigenen Standpunkt dahin fest: Nicht nur Serbien, sondern auch Österreich- Ungarn werde dem Urteile der zivilisierten Welt nicht entgehen können. Zugleich wurde der Hoffnung Ausdruck gegeben, daß die Beziehung zwischen den beiden Nachbarstaaten nicht weiter durch unbedachte und ungerechtfertigte Äußerungen und journalistische Verdächtigungen gestört würden.
Auch sollte die serbische Regierung, wie der k. u. k. Angebliche Geschäftsträger in Belgrad auf Grund einer Nachricht der zirkuiamoie „Politika" vom 7. Juli meldete', in einer Zirkularnote an sJbischen ihre Vertreter ihren Standpunkt des Weiteren bekannt- Regierung gegeben haben:
Das offizielle sowie das nichtoffizielle Serbien verurteile das Attentat in der entschiedensten Weise. Trotzdem wünsche man österreichisch-ungarischerseits Verhältnisse zu schaffen, die den gutnachbarlichen Beziehungen zwischen **
Serbien und der Monarchie zuwiderlaufen würden.
Die serbische Regierung lehne die Anklage ab, daß sich auf serbischem Territorium anarchistische Elemente ver- sammelten, und füge hinzu, dies würde in Serbien niemals gestattet sein. Außer einem bereits vorbereiteten Gesetze gegen die Anarchisten gedenke man auch Maßregeln zu ergreifen, damit sich die exaltierten Elemente, die sich in Serbien aufhielten, möglichst beruhigten.
Alle Angriffe der Wiener und der Budapester Presse weise die serbische Regierung im Namen des offiziellen Serbien zurück und sie füge hinzu, daß an dem Sarajevoer Attentat die Schuld nur einen einzigen Menschen treffe, der dazu ein Staatsangehöriger der Monarchie sei-.
Große Indignation riefen am Ballhausplatze die in der imerviews Petersburger „Wetschernoje Wremja" vom 29. Juni repro- serbischer duzierten Äußerungen aus serbischen diplomatischen Kreisen hervor, die tags darauf in der ganzen Presse dem serbischen Gesandten in Petersburg, Herrn Spalajkovic, zugeschrieben
' Bericht aus Belgrad d. d. 8. Juli, Nr. 108/P. A— B. 2 Der Attentäter Gavrilo Princip stammte aus Grahovo, Bezirk Livno, Bosnien.
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Diplomaten im Auslande
wurden und ohne ein Dementi blieben. Die Ausführungen gipfelten in der Kontclusion, die Reise des Thronfolgers sei in Bosnien schon lange kommentiert worden und habe feindselige Proteste hervorgerufen. Der Boden des Attentates sei die lokale Unzufriedenheit gewesen.
Tags darauf brachte die „Nowoje Wrenija" ein anderes
Interview eines serbischen Diplomaten mit ähnlicher Tendenz'.
Als der k. u. k. Legadonsrat und interimistische
Geschäftsträger in St. Petersburg, Graf Otto Czernin, in
einer Unterredung mit Herrn Sazonow (6. Juli) die
Äußerungen des Herrn Spalajkovic zur Sprache brachte,
vermied der russische Minister jedwede Inschutznahme des
serbischen Diplomaten-.
Die Haltung Dcr Vertreter panslawistischer Interessen, der russische
■"^ . , Gesandte in Belgrad Herr von Hartwig, legte seiner zur
russischen ^ oi o
Gesandten Schau getragenen Gegnerschaft gegen die Monarchie auch in Belgrad u^tgp (jg^n Unmittelbaren Eindruck des Sarajevoer Attentats keine Hemmungen auf. Nach einer Meldung des k. u. k. Geschäftsträgers in Belgrad ^ solle er beim Eintreffen der Todesnachricht in die Worte ausgebrochen sein: „Au nom du Ciel! Pourvu que 9a ne soit pas un Serbe." Die Gesell- schaft, die Herr von Hartwig für den Abend des 28. Juni zu sich geladen hatte, wurde trotz der schon am Nachmittag bekannten Nachricht des Attentats nicht abgesagt, und zur Zeit des Requiems für den ermordeten Thronfolger wurde die russische Gesandtschaftsflagge, als die einzige der fremden Vertretungen, nicht auf Halbmast gehißt.
Es war wohl — wie der k. u. k. Geschäftsträger mel- dete* — das Unbehagen, daß nicht nur diese Verletzung des internationalen Taktes, sondern auch seine Schmähungen des österreichisch-ungarischen Herrscherhauses zu den Ohren des k. u. k. Gesandten in Belgrad gekommen sein könnten, das den russischen Gesandten veranlaßte, sich sofort nach der Rückkehr des Freiherrn von Giesl auf die k. u. k. Gesandtschaft zu begeben, um das Prävenire zu spielen.
' Telegramm aus St. Petersburg d. d. 3. Juli, Nr. 136.
= Telegramm aus St. Petersburg d. d. 7. Juli, Nr. 139.
•1 Bericht aus Belgrad d. d. 29. Juni, Nr. S7iP. A— B.
* Bericht aus Belgrad d. d. 13. Juli, Zahl 117P.
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kanzler (8. Juli) ■
Berlin
Die Zusage der bundesgenössischen Unterstützung Dank des Deutschlands quittierte Graf Berchtold mit einer dem ^™'^" , .
T Berchtold an
k. u. k. Botschafter in Berlin am 8. Juli aufgetragenen, denReichs- dem Reichskanzler abzustattenden Versicherung ' des wärmsten Dankes für die vom Geiste reinster Bundestreue getragenen Erklärungen.
Graf Berchtold erblicke in der Bereitwilligkeit, mit der sich die deutsche Regierung seinen Ausführungen an- geschlossen habe, einen neuen Beweis dafür, daß die Ziele und die großen Richtlinien der Politik, weiche die beiden ver- bündeten Mächte auf dem Balkan verfolgten, identisch seien.
Graf Szögyeny wolle Herrn von Bethmann Hollweg noch mitteilen, daß am 7. Juli in Wien ein gemeinsamer Ministerrat wegen der weiter zu ergreifenden Maßnahmen stattgefunden habe und daß sich Graf Berchtold nach Ischl begebe, um dem Monarchen Vortrag zu erstatten.
Sobald endgültige Entschließungen gefaßt seien (der Zeitpunkt hänge auch noch von der Beendigung der Unter- suchung in Sarajevo ab), werde Graf Berchtold dieselben unverweilt zur Kenntnis der deutschen Regierung bringen-. "Was die in Anregung gebrachte diplomatische Orien- tierung des Dreibundes Bulgarien gegenüber anbelange, glaube Graf Berchtold der Ansicht Ausdruck geben zu sollen, es würde sich empfehlen, vorläufig noch mit den diesbezüglichen Eröffnungen in Bukarest zuzuwarten, da, im Falle es jetzt zu einer Aktion gegen Serbien kommen sollte, die fragliche Mitteilung in Bukarest eine unfreund- schaftliche Haltung Rumäniens zur Folge haben könnte.
Graf Szögyeny ließ diese Dankesbezeugung durch die Vermittlung des von seinem Urlaube eben zurückgekehrten Staatssekretärs dem Reichskanzler, der sich in Hohenfinow befand, unverzüglich abstatten.
Der Staatssekretär sei, telegraphierte Graf Szögyeny (9. Juli) ■, wie er sich überzeugen konnte, mit der gemeldeten
1 Weisung nach Berlin d. d, Wien, 8. Juli, Nr. 220.
2 Vergleiche unsere Ausführungen Seite 110 ff.
3 Telegramm aus Berlin d. d. 9. Juli, Nr. 244.
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Stellungnahme der deutschen Regierung vollkommen ein- verstanden und habe ihm in sehr entschiedener Weise ver- sichert, daß auch seiner Ansicht nach die in Aussicht gestellte Aktion gegen Serbien ohne Verzug in Angriff genommen werden sollte.
Der deutsche Gesandte in Bukarest sei beauftragt, die Demarche an König Carol vorerst auf die Verhandlungen mit Bulgarien zu beschränken, die, soweit der Staats- sekretär selbst informiert sei, bisher in konkreter Form noch nicht begonnen hätten. Das Wiener Als Tag für Tag Verging, ohne daß die unmittelbar Kabinett be- gewarteten Maßnahmen der Wiener Regierung gegenüber
gründet die ö & 6 &
Verzögerung Serbien in Berlin mitgeteilt wurden, sah sich Graf Berchtold !f'"" bemüßigt, am 15. Juli die notwendigen Aufklärungen durch
Demarche b ■> o & ö
(15. Juli) den k. u. k. Botschafter abzugeben ':
Graf Berchtold habe Herrn von Tschirschky bereits die Gründe mitgeteilt, die die Verzögerung der bevorstehenden Auseinandersetzung mit Serbien verursachten. Graf Berchtold würde aber Wert darauflegen, daß der k. u. k. Bot- schafter dem Reichskanzler, beziehungsweise Staatssekretär in der Sache Nachstehendes streng geheim zur Kenntnis bringe:
Wenn auch die bisherige Untersuchung in Sarajevo ge- nügendes Material liefere-, so glaube das Wiener Kabinett dennoch mit der sehr energisch gedachten Demarche in Belgrad noch solange zuwarten zu müssen, bis der eben auf der Reise nach Petersburg begriffene Präsident der französischen Republik wieder den russischen Boden ver- lassen haben werde. Die ins Auge gefaßte Aktion in einem Augenblicke zu beginnen, in dem der Präsident als Gast des Zaren in Rußland gefeiert werde, könnte begreiflicher- weise als ein politischer Affront aufgefaßt werden, was das Wiener Kabinett gerne vermieden sehen möchte. Andrer- seits scheine es dem Wiener Kabinett auch unklug, den komminatorischen Schritt in Belgrad gerade zu einer Zeit zu machen, in der der friedliebende, zurückhaltende Kaiser Nikolaus und der immerhin vorsichtige Herr Sazonow dem
I Weisung nach Berlin d. d. Wien, 15. Juli, Nr. 234. - Vgl. Seite 91 fF.
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unmittelbaren Einflüsse der beiden Hetzer Iswolslcy und Poincare ausgesetzt wären.
Unter diesen Umständen glaube das Wiener Kabinett, vor Ende der nächsten Woclie nicht an die Ausführungen des mit Herrn von Tschirschtcy bereits besprochenen Planes » gehen zu können. Aus dieser auch dem Wiener Kabinett nicht erwünschten Verzögerung lasse sich auch die Haltung der Wiener offiziösen Presse unschwer erklären. Man müsse in Wien momentan einerseits ein Abflauen der der offiziellen Politik günstigen öffentlichen Meinung der Monarchie verhindern, andrerseits nicht durch eine die Situation systematisch zuspitzende Sprache der österreichi- schen und ungarischen Presse bei anderen Mächten etwa einen Mediationsgedanken aufkommen lassen.
Der Staatssekretär, meldete Graf Szögyeny am 16. Juli-, sehe zwar vollkommen ein, daß mit der in Aussicht genommenen energischen Demarche in Belgrad bis zur Abreise des Präsidenten der französischen Republik aus Petersburg zugewartet werden müsse, bedauere aber diese Verzögerung ganz außerordentlich. Auch befürchte Herr von Jagow, daß die sympathische Zustimmung und das Interesse für die Demarche auch in Deutschland durch diese Verzögerung abflauen werde.
Rom
Über die in Aussicht genommene Demarche des Wiener Die Frage Kabinetts wurde der k. u. k. Botschafter Herr von Merey ''"^'"•
weihung der
durch ein Privatschreiben des Sektionschefs Grafen Forgäch italienische« unterrichtet. Eine am 12. Juli nach Rom übermittelte "'^s'"""« Weisung ■'■ verständigte den k. u. k. Botschafter, daß die geplante Aktion gegen Belgrad wahrscheinlich gegen Ende des Monats stattfinden werde; die Details würden in der laufenden Woche fixiert werden. Die deutsche Regierung, mit welcher in vollkommenem Einvernehmen vorgegangen
< Im Konzept ursprünglich: „ausführlich besprochenen Planes" (das Wort „ausführlich" nachträglich gestrichen).
- Telegramm aus Berlin d. d. 16. Juli, Nr. 259. ■i Weisung nach Rom d. d. Wien, 12. Juli, Nr. 801.
werde, sei der vom Grafen Berchtold geteilten Ansicht', daß die italknisclie Regierung nicht eingeweiht und durch das sehr ernste Auftreten der Monarchie in Belgrad vor eine unabwendbare Situation gestellt werde. Doch werde die maßgebende Ansicht des k. u. k. Botschafters erbeten, ob es nicht nützlich wäre, Marquis di San Giuliano einen Tag oder einige Stunden vorher zu verständigen, um ein Froissement des italienischen Ministers zu vermeiden, und damit dieser in der Lage sei, eine Einwirkung auf die italienische Presse und Öffentlichkeit in bundestreuem Sinne zu veranlassen.
Was den Anschluß Bulgariens an den Dreibund an- belange, werde der k. u. k. Gesandte in Sofia während der laufenden Woche vorsichtige Pourparlers mit dem bulgarischen Kabinett beginnen. Sobald man in Wien zur Überzeugung gelange, daß vertragsmäßige Abmachungen derzeit bereits möglich seien, werde die italienische Regierung vom Wiener Kabinett verständigt und zu der notwendigen Kooperation aufgefordert werden. Äußerungen Hcrr von Mcrcy äußerte seine Anschauung dahin Bo^is'lhafiers (^4. Juli) ■, Wenn er auch für den Fall, daß die Monarchie den <i4. Juli) kriegerischen Konflikt mit Serbien forcieren wolle, der Ansicht sei, von aussichtslosen vorherigen Verhandlungen mit Italien abzusehen, würde er doch, um ein allzuarges persönliches Froissement Marquis di San Giulianos zu vermeiden, unbe- dingt anraten, die Ermächtigung zu erhalten, diesem die Aktion des Wiener Kabinetts etwa einen Tag vorher anzu- kündigen. Eine Einwirkung auf die römische Presse im Sinne der Monarchie verspreche sich der k. u. k. Botschafter von Seite des italienischen Ministers des Äußern allerdings auch in diesem Falle nicht, aber die Ausschaltung und Überrumpelung des römischen Kabinetts wäre immerhin ein klein wenig
' Zu der Stilisierung des Satzes: Die deutsche Regierung sei der vom Grafen Berchtold geteilten Ansicht, vergleiche die Meldung Graf Szögyenys vom 6. Juli: „Auch sei er (der Reichskanzler) ganz damit einverstanden, daß das Wiener Kabinett weder Italien noch Rumänien vorher von einer eventuellen Aktion gegen Serbien verständige." (Seite 34 oben.) Die gegenständliche Anregung ging also von Wien und nicht von Berlin aus.
- Telegramm aus Rom d. d. 14. Juli, Nr. 512.
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gemildert. Bei dem bezüglichen Auftrage sei zu berück- sichtigen, daß der Minister des Äußern sich gegenwärtig in Fiuggi aufhalte und sich gegen Ende der nächsten Woche nach Vallombrosa bei Florenz begeben dürfte, daß dem k. u. k. Botschafter also die Möglichkeit der rechtzeitigen Reise geboten sein müßte.
In Erledigung seiner Meldung erhielt der k. u. k. Bot- Weisung an schafter am 15. Juli den Bescheid ', [der gegenwärtig in Wien gJJ^'^Jf,^^; weilende, in Diensteseinteilung bei der k. u. k. Botschaft am ds. juid Quirinal stehende k. u. k. außerordentliche Gesandte und bevollmächtigte Minister] Graf Ambrözy sei zur Beschleu- nigung seiner Rückkehr verhalten worden, um dem k. u. k. Botschafter einige geheime, auf die Verhandlungen mit Deutschland bezügliche, die bevorstehende Aktion betreffende Piecen zu überbringen-. Graf Ambrözy sei über die Ab- sichten des Wiener Kabinetts vollkommen aufgeklärt worden, um Herrn von Merey alle notwendigen Informationen geben zu können. Weitere Instruktionen, speziell den Text einer der italienischen Regierung zu überreichenden Note, werde ein voraussichtlich am 21. Juli abends in Rom eintreffender Kurier überbringen.
Graf Berchtold erkläre sich einverstanden, daß Herr von Merey Marquis di San Giuliano die bevorstehende Aktion des Wiener Kabinetts einen Tag früher ankündige -^
Doch seien die Daten noch nicht endgültig fixiert; der k. u. k. Botschafter werde rechtzeitig telegraphisch avisiert werden, damit er seinen Besuch beim italienischen Minister des Äußern mit demselben telegraphisch vereinbaren könne. Die Überreichung der Note an Serbien dürfte wahrscheinlich am 24. oder 25. JuU erfolgen.
~ I Weisung nach Rom d. d. Wien, 15. Juli, Nr. 820.
- Gemeint sein können kaum andere als die von uns bisher behan- delten einschlägigen Aktenstücke.
2 Im Konzept folgte an dieser Stelle der nachträglich durchstrichene Absatz: „Es dürfte sich wahrscheinlich dann darum handeln, daß Eure „Exzellenz Marquis di San Giuliano nächsten Mittwoch, Donnerstag oder „Freitag [22., 23. oder 24. Juli] in seinem Sommeraufenthalt aufsuchen. „Schritt in Belgrad würde an dem darauffolgenden Tage, Überreichung „der an die Mächte gerichteten Note am selben Tage oder am Tage nach ,,dem Schritte in Belgrad erfolf t."
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Fesistcl- lungcn des k. u. k. Botschafters <I6. Juli)
Angebliche Konfidenzen des deut- schen Bot- schafters in Rom
Wie Herr von Merey in einem Berichte vom 16. Juli hervorhob ', besitze er bisher über den Charakter und den Inhalt der bevorstehenden Demarche in Belgrad sowie speziell darüber, ob sich das Wiener Kabinett mit der Er- füllung gewisser legitimer Forderungen begnügen oder die kriegerische Abrechnung mit Serbien bei diesem Anlasse unbedingt forcieren werde, ob es sich also dem Wiener Kabinett um einen kleinen diplomatischen oder um einen großen militärischen und politischen Erfolg handle, nur so geringe und vage Informationen, daß er bei Beurteilung der ganzen Angelegenheit auf bloße Hypothesen angewiesen sei.
Einer Meldung des Grafen Szögyeny vom 16. Juli zufolge - zeigte sich der italienische Botschafter in Berlin während der letzten Tage über die Situation höchst be- unruhigt, wenn er auch in den Nachrichten über den Urlaub des k. u. k. Kriegsministers und des k. u. k. Chefs des Generalstabes ein ihm offenbar sehr erwünscht erscheinen- des, beruhigendes Symptom erblicke.
Den Schlüssel zur Erklärung dieses Umstandes bot nach der Auffassung des Wiener Kabinetts der Inhalt einer tele- graphischen Meldung Herrn von Mereys vom 18. Juli-:
Aus Äußerungen des deutschen Botschaftssekretärs Grafen Berchem gegenüber zwei Herren der k. u. k. Bot- schaft hatten letztere den Eindruck, als ob der seit vierzehn Tagen gleichfalls in Fiuggi befindliche deutsche Botschafter dem italienischen Minister des Äußern bereits Konfidenzen über die Absichten des Wiener Kabinetts gegenüber Serbien gemacht hätte.
Es wäre - äußerte sich Herr von Merey - nicht das erstemal, daß man deutscherseits in heiklen Fragen zwischen der Monarchie und Italien letzterem einen Liebes- dienst zu erweisen trachte.
Vielleicht im Zusammenhange hiermit stehe der Umstand, daß Marquis di San Giuliano, der gegen Ende nächster Woche seine Kur in Fiuggi abschließen, für zwei Tage nach Rom kommen und sich dann nach Vallombrosa begeben
< Bericht aus Rom d. d. 16. Juli, Nr. 32,P. A— O. - Telegramm aus Berlin d. d. 16. Juli, Nr. 259. ■ Telegramm aus Rom d. d. 18. Juli, Nr. 523.
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sollte, dem k. u. k. Botschafter soeben schreibe, er werde seine Kur am Dienstag den 21. 1. M. unterbrechen und Dienstag nachmittags für 24 Stunden in Rom eintreffen. Erst um den 27. 1. M. dürfte er Fiuggi definitiv verlassen.
Der k. u. k. Botschafter müsse somit darauf gefaßt sein, daß der Minister ihn am 21. Juli bezüglich der Spannung zwischen der Monarchie und Serbien interpelliere, wie dies schon der Generalsekretär de Martino zu tun versucht habe. Vorbehahlich anderweitiger Instruktionen werde sich der Botschafter ganz uninformiert stellen, was allerdings recht peinlich werden könne, wenn er etwa aus den Aus- führungen des Ministers entnehme, daß dieser bereits (etwa von deutscher Seite) eingeweiht sei. '
Paris
Herr Poincare, dem der k. u. k. Botschafter Graf Äußerungen Szecsen am 4. Juli den Dank der k. u. k. Regierung für p"^,,"^ das Beileid der französischen Regierung übermittelte, benützte (* jniii diesen Anlaß, um seine wärmste Teilnahme für Kaiser und König Franz Joseph und die Monarchie neuerlich zum Ausdruck zu bringen.
Auf die serbenfeindlichen Demonstrationen in der Mon- archie anspielend, erwähnte Herr Poincare, daß nach der Ermordung des Präsidenten Carnot in ganz Frankreich alle Italiener den ärgsten Verfolgungen seitens der Bevöl- kerung ausgesetzt waren. Der k. u. k. Botschafter machte darauf aufmerksam, daß die damalige Bluttat mit keinerlei antifranzösischer Agitation in Italien im Zusammenhange stand, während man jetzt zugeben müsse, daß in Serbien seit Jahren mit allen erlaubten und unerlaubten Mitteln gegen die Monarchie gehetzt werde.
' Zu den angeblichen Konfidenzen des deutschen Botschafters in Rom vergleiche die Ausführungen Seite 117 ff.
Daß die italienische Regierung auch auf anderem Wege über die Absichten der Wiener Regierung orientiert sein konnte, besitzt nach dem Inhalte der Anmerkung 2, Seite 84, immerhin einen gewissen Grad der Wahrscheinlichkeit. Ferner müssen wohl auch die von Graf Berchtold dem italienischen Botschafter in Wien selbst gemachten diesbezüglichen Eröffnungen in Betracf zogen werden. (Vgl. Anm. 1, Absatz 5, Seite 142.)
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Zum Schlüsse sprach Herr Poincare die Überzeugung aus, die serbische Regierung werde der Monarchie bei der gerichtlichen Untersuchung und der Verfolgung eventueller Mitschuldiger sicher das größte Entgegenkommen zeigen. Es sei dies eine Pflicht, der sich kein Staat entziehen könne '. Verstand!- Wie den k. u. k. Botschafter in Rom, so unterrichtete
«uns des Sektionschef Graf Forgäch auch Graf Szecsen in einem
k. u. k. Bot- '^
schafters Privatschreibcn vom 8. Juli über die vom Wiener Kabinett (8 und 10. beabsichtigten Schritte. Zur weiteren Verständigung erhielt
Juh) über " o o
die vom Graf Szecsen am 10. Juli die Mitteilung, daß mit Deutsch- wiener Ka- j^^^^ bezüglich dcr aus dem Sarajevoer Attentat erwachsenen
bmett ge- ^
planten Maß- außcrpoHtischen Situation und aller ihrer eventuellen Kon- nahmen sequcnzcn ein vollkommenes Einvernehmen erzielt worden
sei -. situations- Ein Bericht des Grafen Szecsen vom 18. Juli besagte =,
meidung des ^ ß ^^j j^gj ^jj j^^ Ministerpräsident Graf Tisza die im
k, u. k. Bot- ' "^
schafters ungarlschcn Abgeordnetenhause eingebrachten Interpella- (18- Juli) tionen über das Attentat von Sarajevo und die Beziehungen der Monarchie zu Serbien beantwortete ">, in Paris einen entschieden guteii Eindruck gemacht hätte.
Die Zeitungen anerkannten die sachliche Art und die Mäßigung, mit der Graf Tisza die Vorfälle der jüngsten Zeit besprochen habe, und zeigten auch ein gewisses Ver- ständnis für die Erklärung, daß die Monarchie ihre Inter- essen und ihre staatliche Würde unter allen Umständen zu wahren wissen werde. Sogar der „Temps" habe einige anerkennende Worte für die k. u. k. Regierung gefunden. Natürlich seien aber die Pariser Zeitungen bestrebt, auf den Widerspruch hinzuweisen, der zwischen den Erklärungen des Grafen Tisza und der Sprache gewisser österreichischer und ungarischer Zeitungen bestehe. Sie zögen daraus den Schluß, daß man noch immer unliebsame Überraschungen der österreichisch-ungarischen Politik befürchten müsse, und daß
1 Telegramm aus Paris d. d. 4. Juli, Nr. 100.
2 Weisung nach Paris d. d. Wien, 10. Juli, Nr. 142.
52 - Bericht aus Paris d. d. 18. Juli, Nr. p — E-
4 Vgl. Seite 70. 80
schließlich die Vorfälle von Sarajevo als Vorwand benutzt werden würden, um Serbien zu „vergewaltigen".
Graf Szecsen sei bestrebt, in seinen Konversationen mit Politikern und Journalisten dieser Auffassung entgegen- zutreten. In einer Besprechung mit Herrn Pichon [damals an der Spitze des „Petit Parisien"] habe er diesen\ aus österreichischen und ungarischen Zeitungen die Auszüge serbischer Blätter vorgelesen, deren maßlos provokatorische Sprache sichtlich einen gewissen Eindruck machte. Herr Pichon habe schließlich gesagt: „En somme, chaque fois que „vous avec parle serieusement avec la Serbie, eile a fini par „entendre raison; je suis convaincu que ce sera aussi le „cas maintenant."
Leider sei, schloß Graf Szecsen seinen Bericht, Herr Pichon momentan nicht Minister des Äußern.
London
Während eines Besuches bei Sir Edward Grey amocrk. u. k. 16. Juli streifte der k. u. k. Botschafter Graf Mensdorff, ^°'l^^'^^"^'
•^ ' bei Sir
als das Ereignis von Sarajevo besprochen wurde, das Edward Thema der Beziehungen der Monarchie zu Serbien. Als er °';", ,.
» (16. Juli)
von dem beispiellosen Tone der serbischen Presse sprach und die Bemerkung machte, Sir Edward Grey sei hierüber wohl durch die Berichte aus Belgrad unterrichtet, fragte der Staatssekretär, ob nicht ein. einziges dortiges Blatt eine anständige Sprache geführt hätte. Der k. u. k. Botschafter erwiderte, vielleicht ein von der serbischen Regierung inspirierter Artikel; jedenfalls sei aber im übrigen die ge- samte Belgrader Presse ganz zügellos und von einer Heftigkeit, die in ihren Anklagen und Insinuationen alles übersteige, was man noch erlebt habe.
Im weiteren Verlaufe der Unterredung wies Graf Mens- dorff darauf hin, daß die großserbische Propaganda vor allem darauf abziele, revolutionäre Bewegungen in Gebieten hervorzurufen, die einen integrierenden Bestandteil der Monarchie bildeten, was doch kein Staat — und sei er noch so friedliebend — zugeben könne '. Sir Edward gab dies
• Bericht aus London d. d. 17. Juli, Nr. 34/P— E. 6 81
zu, ging aber in eine weitere Erörterung über diesen Gegen- stand nicht ein. Die englische Die HaltuHg der maßgebenden englischen Blätter der Monarchie gegenüber war eine völlig objektive. Graf Mens- dorfF berichtete hierüber am 16. Juli<:
Der Leitartikel der „Times" von diesem Tage erkenne das volle Recht der Monarchie an, auf eingehender Unter- suchung aller Verästelungen zu bestehen, die unzweifelhaft der Verschwörung zugrunde lägen, auch daß die Monarchie berechtigt sei, Garantien gegen Agitationen zu fordern, die von Serbien an ihre Grenzen getragen würden.
Die provokatorische Sprache der serbischen Presse er- fahre eine energische Verurteilung. Vorübergehend werde aber auch auf die heftige Sprache einzelner österreichischer Zeitungen und Zeitschriften hingewiesen.
Mr. Steed habe auch diesmal nicht ganz darauf verzichten können, einige Belehrungen an die Adresse der Monarchie zu richten, doch sei der diesbezügliche Artikel viel günstiger als alles, was seit langem aus seiner Feder gekommen.
St. Petersburg
Konversation In dcr Unterredung, die Herr Sazonow mit dem k. u. k. Ge^schäfis"^ Legationsrate Grafen Otto . Czernin in Angelegenheit des irägersmii Intervicws des Herrn Spalajkovic am 6. Juli gepflogen hatte,
Herrn
Sazonow
hatte sich der russische Minister als warmer Freund der (i4.jui!) Monarchie bekannt.- Am 14. Juli teilte Herr Sazonow dem Grafen Czernin gesprächsweise mit, er gehe dieser Tage aufs Land und werde erst am 19. Juli, am Tage vor der Ankunft des Präsidenten der französischen Republik, zurückkehren. Aus der gleichzeitigen Abwesenheit der stellvenretenden Beamten des Ministers, Herrn Neratows und des Fürsten Trubetzkoj, lasse sich nach Graf Otto Czernins Ansicht schließen, daß man in Petersburg die äußere politische Lage ruhig auffassen dürfte. Dem deutschen Botschafter, der Graf
' Telegramm aus London d. d. 16. Juli, Nr. 98.
■i Telegramm aus St. Petersburg d. d. 7. Juli, Nr. 139.
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Czernin fragte, ob die ihm zu Ohren gelcommenen Gerüchte wahr seien, wonach Graf Czernin als k. u. ic. Geschäftsträger auftragsgemäß die russische Unterstützung zur Durchsetzung der österreichisch-ungarischen Forderungen bei der serbi- schen Regierung angesucht hätte, gab Graf Otto Czernin eine kategorisch verneinende Antwort '.
Mit Herrn Sazonow, der dem deutschen Botschafter Besprechung Grafen Pourtales gegenüber hervorgehoben hatte, daß ihn i"^'"l^'
o ö o ' Botscharters
das Beileid des k. u. k. Kabinetts anläßlich des Todes Herrn mit Herrn von Hartwigs besonders angenehm berührt habe, hatte Graf ^^g''Zu) Friedrich Szäpdry am 18. Juli eine Besprechung -. Der russische Minister vermied es dabei, die Beziehungen der Monarchie zu Serbien von sich aus zur Sprache zu bringen. Graf Szäpdry erwähnte, wie sehr in der Monarchie alles noch unter dem traurigen Eindrucke der jüngsten Katastrophe stehe, auch hob er hervor, welch bedenkliches Symptom das Eindringen terroristischer revolutionärer Methoden in das Nebeneinanderleben der Völker bilde und welche Gefahr dies für alle Staaten, vor allem aber auch für Rußland, bedeute.
Der Minister stellte dies nicht in Abrede, bemerkte aber, daß ihn die letzten Nachrichten aus Wien etwas beunruhigt hätten und sprach seine Überzeugung aus, es werde niemals ein Beweis für die Tolerierung solcher Machenschaften seitens der serbischen Regierung erbracht werden können. Graf Szäpäry erwiderte, die bisherigen Resultate der dies- bezüglichen Untersuchung seien ihm zwar unbekannt, jede Regierung aber müsse bis zu einem gewissen Grade ver- antworten, was auf ihrem Territorium vorgehe. Übrigens sei man in Wien überzeugt, daß die serbische Regierung sich den eventuellen Forderungen gegenüber entgegenkommend zeigen werde. Seiner unmittelbar vorhör dem Grafen Pour- tales gegenüber geäußerten Besorgnis über die Folgen dieser Forderungen gab Herr Sazonow dem k. u. k. Botschafter gegenüber keinen Ausdruck.
I Telegramm aus Petersburg d.d. 14. Juli, Nr. 143. - Telegramm aus Petersburg d. d. IS. Juli, Nr. 146.
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5. Der Ministerrat für gemeinsame Angelegenheiten
vom 19. Juli --
Bcmer- Dcr k. u. k. Chcf des Generalstabes fühlte sich hin-
Tu^r " sichthch seiner in dem Ministerrate für gemeinsame An-
chefsdes geiegenheitcn vom 7. Juli gebotenen Darlegungen veranlaßt,
General- ^^^ ^j^ Rücksicht auf Seine dienstliche Funktion vertretenen
Stabes (bei- läufig Standpunkt auch noch schrifdich niederzulegen':
'"■■'"''' Für ihn als Chef des Generalstabes komme nur
, die präzise Formulierung der Entscheidung in Betracht,
ob auf den Ausbruch eines Krieges gegen Serbien direkt
hingearbeitet oder ob nur mit der Möglichkeit eines Krieges
gerechnet werde.
In welcher Weise das eine oder das andere diplomatisch behandelt werde, entziehe sich selbstverständlich seiner Ingerenz; nur müßte er erneuert hervorheben, daß bei dem diplomatischen Wege alles vermieden werden müsse, was durch Hinausziehen und etwa nur sukzessives Ein- setzen der diplomatischen Aktion den Gegnern Zeit zu militärischen Maßnahmen geben würde, so daß die Monarchie dadurch militärisch in die Nachhand käme — was überhaupt von Nachteil sei, es ganz besonders aber Serbien und Montenegro gegenüber wäre.
In diesem Sinne wäre auch alles zu vermeiden, was die Gegner vorzeitig alarmieren und zu Gegenmaßnahmen veranlassen könnte-; es müßte vielmehr in jeder Hin-
' K. u. k. Chef des Generalstabes, Gstb. Nr. 2508 res., ohne Datum.
- Der k. u. k. Chef des Generalstabes streifte hiemit einen heiklen Gegenstand. Mitteilungen in gewissen Organen der österreichischen und der deutschen Presse (9. und 10. Juli) besprachen die Angelegenheit des fraglichen diplomatischen Schrittes in einer Weise, die direkt auf das Konferenzzimmer des Ministerrates für gemeinsame Angelegenheiten vom 7. Juli als den Ort der Provenienz dieser Informationen hinwies. Graf Berchtold fand sich denn auch veranlaßt, diesbezüglich an ein Mitglied des Ministerrates selbst am 11. Juli ein Privatschreiben zu richten. (Haus- abschrift des Schreibens d. d. Wien, 11. Juli 1914.) Auch Graf Tisza sah sich bemüßigt, auf Abstellung gewisser — aus einer dem Generalstabe naheliegenden Quelle herrührender, die Sachlage tendenziös entstellender, alarmierender — Nachrichten zu dringen, deren Veröffentlichung in einem Budapester Blatte er selbst hintangehalten habe. (Telegramm d. d. Buda- pest, 17. Juli, 8 Uhr 50 Minuten p. m., o. Nr.)
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sieht ein durcliaus friedliches Gepräge zur Schau getragen werden.
Stehe aber der Entschluß zur Demarche fest, dann müsse dieselbe im Hinblick auf die militärischen Interessen in einem einzigen Akt mit kurz befristetem Ultimatum geschehen, dem, wenn es abschlägig beschieden werde, der Mobilisierungsbefehl zu folgen hätte.
In dem Ministerrat vom 7. Juli hatte Graf Berchtold Besprechung die eigenen Absichten in großen Konturen gezeichnet und ßj^chtoids bis auf die Meinung des Grafen Tisza die Zustimmung der mit den üorigen Konferenzteilnehmer gefunden. Es oblag ihm ^'."'.'"
o & o Minister-
nunmehr die Aufgabe, die Formulierung der von der Präsidenten Monarchie an Serbien zu stellenden Forderungen vorzu- ""''/p"'
ö königlich
nehmen. Hierüber war in einer Besprechung des Grafen ungarischen Berchtold mit den beiden Ministerpräsidenten und dem '^'"'^"=''
* am aller-
königlich ungarischen Minister am allerhöchsten Hoflager höchsten (14. Juli) eine vollkommene Übereinstimmung erzielt "°"!^" worden.
Es werde nun, wie Graf Berchtold in einem Immediat- immediat- vortrage an den Kaiser am 14. Juli berichtete', an die ™"™^ ''^^ Redaktion der an Serbien zu richtenden Note geschritten, Berchtoia deren Überprüfung in einer Sonntag, den 19. Juli -, statt- *'■*■ •'"''* findenden gemeinsamen Besprechung erfolgen werde. Nach erzielter Übereinstimmung über die Form dieser Note werde dieselbe Samstag, den 25. Juli, in Belgrad überreicht ^ und der serbischen Regierung gleichzeitig eine Frist von 48 Stunden gegeben werden, innerhalb welcher sie die Forderungen der Monarchie annehmen müsse.
Dies Datum * sei mit Rücksicht auf den Besuch des Präsidenten der französischen Republik bei dem Zaren gewählt, der vom 20. bis 25. Juli dauern solle, da alle Anwesenden die Auffassung des Grafen Berchtold geteilt hätten, daß die Absendung des Ultimatums während dieser Zusammenkunft als Affront angesehen werden würde, und
1 Konzept des Immediatvortrages d. d. 14. Juli, C. d. M. - Im Konzept ursprünglich: Samstag, den 18. Juli. 3 Vergleiche den Antrag Graf Berchtolds in dem Ministerrat vom 19. Juli, Seite 87, 88.
* Im Konzept ursprünglich: „Dies späte Datum" etc.
8S
daß eine persönliche Aussprache des ehrgeizigen Präsidenten der Republiii mit dem Zaren über diellurch die Absendung des Ultimatums geschaffene internationale Lage die Wahr- scheinlichkeit eines kriegerischen Eingreifens Rußlands und Frankreichs erhöhen würde '.
Graf Tisza habe seine Bedenken gegen ein kurzfristiges Ultimatum aufgegeben, da Graf Berchtold auf die mili- tärischen Schwierigkeiten hingewiesen habe, die sich aus einer Verzögerung ergeben würden. Auch habe Graf Berch- told geltend gemacht, daß selbst nach erfolgter Mobilisierung eine friedliche Beilegung möglich wäre, falls Serbien noch rechtzeitig einlenken würde. In diesem Falle müßte die Monarchie allerdings von der serbischen Regierung fordern, daß sie die Kosten ersetze, welche der Monarchie durch die Mobilisierung erwachsen seien, und sie müßte bis zur Erfüllung dieser Forderungen ein Faustpfand in Serbien besetzen.
Graf Tisza habe ferner ausdrücklich betont, daß er seine Zustimmung zu dem beabsichtigten Vorgehen nur unter der Bedingung erteilen könne-, daß noch vor Stellung des Ultimatums in einem gemeinsamen Ministerrate der Beschluß gefaßt werde, daß die Monarchie — abgesehen von kleineren Grenzregulierungen — keinen Ländererwerb aus dem Kriege gegen Serbien anstrebe -^
' Der Abschnitt: „Dies späte Datum. . ." bis „erhöhen würde" nach- trägfiche Einfügung im Konzept.
~ Hierauf ursprünglich im Konzept: „nur unter der Bedingung „erteilen könne, daß vor Stellung des Ultimatums ein einheitlicher „Beschluß gefaßt werde, dahin gehend, daß die Monarchie.... anstrebe". Sodann geändert in: „nur unter der Bedingung erteilen könne, daß noch ,,vor Stellung des Ultimatums in einem gemeinsamen Ministerrate ein „einheitlicher Beschlufi gefaßt und von Eurer Majestät allergnädigst zur „Kenntnis genommen werde, daß die Monarchie .... anstrebe". Die end- gültige Fassung siehe oben.
3 Im Konzept folgte ein nachträglich durchstriehener Absatz: „Ich „wage es daher, Eurer Majestät treugehorsamst um die allergnädigste „Ermächtigung zu bitten, einem solchen Beschlüsse meinerseits zustimmen „zu dürfen, weil ich der Ansicht bin, daß eine Annexion größerer serbischer „Gebiete an die Monarchie in Ungarn sehr großen Schwierigkeiten be- „gegnen würde und daß die diesbezügliche Auffassung des Grafen Tisza „von der Mehrzahl der ungarischen Politiker geteilt wird." (Vergleiche
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Der heute (14. Juli) festgesetzte Inhalt der nach Belgrad zu richtenden Note sei ein solcher, daß mit der Wahr- scheinlichkeit einer kriegerischen Auseinandersetzung ge- rechnet werden müsse '. Falls Serbien aber trotzdem nachgeben und den Forderungen entsprechen sollte, so würde ein solches Vorgehen des Königreiches nicht nur eine tiefe Demütigung desselben, pari passu damit eine Einbuße des russischen Prestiges am Balkan bedeuten, sondern auch für die Monarchie gewiße Garantien in der Richtung der Eindämmung der großserbischen Wühlarbeit auf ihrem Boden involvieren.
Die Aufgabe des für den 19. Juli anberaumten Minister- Verlauf des rates für gemeinsame Angelegenheiten bildete die Über- '"■"'-"^™'=;'
° o o vom 19. Jiih
Prüfung der an Serbien zu richtenden Note und die defi- nitive Festsetzung ihres Textes.
Als Gegenstand der offiziellen Beratung war: „Die bevorstehende diplomatische Aktion gegen Serbien" ange- setzt. Die Konferenzteilnehmer waren die gleichen wie gelegentlich der Sitzung vom 7. Juli -.
Der Vorsitzende eröffnete den Ministerrat» und bean- tragte, daß die Note der königlich serbischen Regierung am Donnerstag, den 23. Juli, um 5 Uhr nachmittags über- reicht werde, so daß die 48stündige Frist am Samstag, den 25. 1. M., um 5 Uhr nachmittags ablaufe und die Mobili- sierungsverordnung noch in der Nacht von Samstag auf Sonntag hinausgegeben werden könne. Seiner Ansicht nach sei es nicht wahrscheinlich, daß der Schritt des Wiener Kabinetts noch vor der Abreise des Präsidenten der fran- zösischen Republik von Petersburg bekannt werden werde, aber selbst wenn dies der Fall wäre, würde er hierin keinen großen Nachteil erblicken, nachdem das Wiener
unsere Ausführungen Seite 65 und das Votum des Grafen Tisza Seite 89.)
' Die beiden ursprünglichen Fassungen dieses vom Grafen Berchtold selbst umredigierten Satzes lauteten: „daß ein Krieg mit Serbien sehr ■wahrscheinlich erscheint"; sodann: „daß eine kriegerische Auseinander- setzung höchst wahrscheinlich erscheint".
- Vgl. Seite 51 oben.
3 Wir verfolgen den Verlauf des Ministerrats ausschließlich in seinen Hauptphasen.
87
Kabinett den Courtoisie-Rücksichten genügt hätte, indem es das Ende des Besuches abgewartet hätte. Dagegen würde sich Graf Berchtold aus diplomatischen Gründen ent- schieden gegen eine weitere Verschiebung aussprechen müssen, da man schon jetzt in Bedin nervös zu werden beginne und Nachrichten über die Intentionen der Mon- archie schon nach Rom durchgesici^ert seien, so daß Graf Berchtold nicht für unerwünschte Zwischenfälle gutstehen könnte, wenn man die Sache noch hinausschieben würde.
Mit Rücksicht auf diese Erklärung des Vorsitzenden wurde einstimmig beschlossen, daß die Note am 23. Juli um 5 Uhr nachmittags zu übergeben sein werde.
Der königlich ungarische Ministerpräsident behielt sich vor, falls die Nachricht von der Überreichung des Ultima- tums noch am Donnerstag abends aus Belgrad nach Buda- pest gelangt sein sollte, im ungarischen Abgeordnetenhause eine Erklärung abzugeben.
Der Chef des Generalstabes betonte, daß er auch aus militärischen Gründen eine möglichst rasche Initiierung der Aktion für wünschenswert halten würde.
Der k. u. k. Kriegsminister gab hierauf Aufschlüsse über die verschiedenen Mobilisierungsmaßnahmen, welche er vorbereitet habe. Aus seinen Äußerungen ging hervor, daß alles Erforderliche Mittwoch, den 22. 1. M., der Sank- tion des Monarchen unterbreitet werden solle, und daß das Einvernehmen mit den beiden Regierungen bezüglich der von den Verwaltungsbehörden vorzunehmenden Amtshand- lungen bereits hergestellt worden sei.
Hierauf beschloß der Ministerrat, den Landeschef von Bosnien und der Herzegowina durch Privatschreiben des gemeinsamen Finanzministers von den Absichten der k. u. k. Regierung gegenüber Serbien in Kenntnis zu setzen.
Auf Wunsch des königlich ungarischen Ministerpräsi- denten gab der Chef des Generalstabes sodann geheime Auskünfte über die Mobilisierung und erklärte über eine Anfrage des Grafen Tisza, daß die im Falle einer allge- meinen Mobilisierung in Siebenbürgen verbleibenden Siche- rungsbesatzungen weitaus genügten, um die innere Ruhe des Landes bei lokalem Aufruhr zu sichern.
88
Auf Verlangen des k. k. Ministerpräsidenten Grafen Stürgkh wurde hierauf die Frage akademisch erörtert, was die k. u. k. Regierung zu unternehmen hätte, wenn Italien eine Expedition nach Valona entsenden sollte.
Der Vorsitzende verwies darauf, daß er eine solche Aktion seitens Italiens nicht für wahrscheinlich halte, und daß auch diplomatisch einer solchen entgegengearbeitet werde. Sollte sie dennoch stattfinden, so müßte die k. u. k. Regie- rung wahrscheinlich pro forma an derselben teilnehmen, doch sei es noch verfrüht, dies ernstlich ins Auge zu fassen.
Hierauf ersuchte der königlich ungarische Minister- präsident die Anwesenden, den Beschluß zu fassen, von dem er, wie er bei der letzten Besprechung betont hätte, die Zustimmung der königlich ungarischen Regierung zur ganzen Aktion abhängig machen müsse. Der Ministerrat hätte nämlich noch einstimmig auszusprechen, daß mit der Aktion gegen Serbien keine Eroberungspläne für die Mon- archie verknüpft seien, und daß dieselbe, bis auf aus militärischen Gründen gebotene Grenzberichtigungen, kein Stück von Serbien für sich annektieren wolle. Er müsse unbedingt darauf bestehen, daß ein solcher einstimmiger Beschluß gefaßt werde •.
Hiezu erklärte der Vorsitzende, daß er sich dem Stand- punkte des königlich ungarischen Ministerpräsidenten nur mit einer gewissen Reserve anschließen könne. Auch er sei der Ansicht, daß, wie die politische Lage jetzt sei, die Monarchie, im Falle sie in einem Kriege mit Serbien den Sieg davontrage, von diesem Lande nichts annektieren, sondern trachten sollte, es durch möglichst große Abtretung von serbischen Gebieten an Bulgarien, Griechenland und Albanien, eventuell auch an Rumänien so zu verkleinern, daß es nicht mehr gefährlich sei. Die Situation am Balkan könne sich ändern, es sei immerhin nicht unmöglich, daß es Rußland gelinge, das jetzige Kabinett in Sofia zu stürzen und dort wieder ein der Monarchie feindselig gesinntes Regime an die Macht zu bringen; Albanien sei auch noch kein verläßlicher Faktor, und er müsse als Leiter der
I Vgl. hiezu unsere Ausführungen Seite 65 ff.
89
auswärtigen Politik mit der Möglichkeit rechnen, daß es der Monarchie am Ende des Krieges wegen der dann vorhan- denen Verhältnisse nicht mehr möglich sein werde, nichts zu annektieren, wenn die Monarchie bessere Verhältnisse an ihrer Grenze schaffen wollte, als wie sie jetzt bestünden.
Zu diesem Gegenstande führte derköniglich ungarische Ministerpräsident aus, er könne die Reserven des Grafen Berchtold nicht gelten lassen und müsse mit Rücksicht auf seine Verantwortlichkeit als ungarischer Ministerpräsident darauf bestehen, daß sein Standpunkt einstimmig von der Konferenz angenommen werde. Er stelle dies Verlangen nicht nur aus Gründen der inneren Politik, sondern insbesondere auch, weil er persönlich überzeugt sei, daß Rußland sich ä outrance zur Wehr setzen müßte, wenn die Monarchie auf der vollständigen Vernichtung Serbiens bestehen würde und weil er glaube, daß eines der stärksten Atouts, um die internationale Situation der Monarchie zu verbessern, darin bestehen würde, daß die Monarchie möglichst bald den Mächten erkläre, keine Gebiete annektieren zu wollen.
Der Vorsitzende erklärte hiezu, ohnedies die Absicht zu haben, diese Erklärung in Rom abzugeben.
Hierauf verwies der k. k. Ministerpräsident Graf Stürgkh auf den Umstand, daß, wenn auch die Besitz- ergreifung serbischen Territoriums durch die Monarchie aus- geschlossen bleiben solle, es doch noch möglich sein werde, Serbien durch die Absetzung der Dynastie, eine Militärkonven- tion und andere entsprechende Maßregeln in ein Abhängig- keitsverhältnis zur Monarchie zu bringen. Auch dürfe der Beschluß des Ministerrates nicht etwa notwendig erscheinende strategische Grenzberichtigungen unmöglich machen.
Nachdem der k. u. k. Kriegsminister erklärt hatte, daß er diesem Beschlüsse zustimmen würde, jedoch nur unter der Bedingung, daß außer einer Grenzberichtigung auch die dauernde Besetzung eines Brückenkopfes jenseits der Save, etwa des Schabatzer Kreises, hiedurch nicht ausgeschlossen werden dürfe, wurde der nachstehende Beschluß einstimmig gefaßt:
„Der gemeinsame Ministerrat beschließt auf Antrag des „königlich ungarischen Ministerpräsidenten, daß sofort bei
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„Beginn des Krieges den fremden Mächten erklärt werde, „daß die Monarcliie tceinen Eroberungskrieg fülirt und niclit „die Einverleibung des Königreiches beabsichtigt. Natürlich „sollen strategisch notwendige Grenzberichtigungen sowie die „Verkleinerung Serbiens zu Gunsten anderer Staaten sowie „eventuell notwendige vorübergehende Besetzung serbischer „Gebietsteile durch diesen Beschluß nicht ausgeschlossen „werden."
Der Vorsitzende konstatierte hierauf, daß in allen Fragen vollständige Einmütigkeit erzielt worden sei, und hob den Ministerrat auf'.
Graf Berchtold konnte jetzt, gestützt auf die Stimmen- einhelligkeit des k. u. k. Ministerrates, an die Durchführung der von dem engsten Stabe seiner Mitarbeiter- vorbereiteten •diplomatischen Aktion in Belgrad herantreten.
C. Die österreichisch-ungarische Note an Serbien vom 23. Juli 1914
1. Die Genesis der Note
Von Seite de§ k. u. k. Ministeriums des Äußern war ßerichi des •der im Rechtsdepartement eingeteilte Sektionsrat Ritter von s^J[io„srates "Wiesner nach Sarajevo delegiert worden, um Einsicht in vonWiesnc. die Untersuchungsakten zu nehmen. Er berichtete am "''"''*^
ö Saraievoer
1 Das vom Schriftführer Grafen A. Hoyos verfaßte Protokoll dieses chunzs- Ministerrates zirkulierte während der nächsten zwei Wochen bei den Kon- material ferenzteilnehmern und gelangte am 5. August zur Unterzeichnung an den Monarchen, elf Tage früher als das Protokoll des Ministerrates vom 7. Juli. (Vgl. Seite 60 unten).
~ Hiezu gehörten: k. u. k. Sektionschef Johann Graf Forgäch von ■Ghymes und Gäcs (seinerzeit aus dem ungarischen Komitatsdienste in das k. u. k. Ministerium des Äußern übernommen), außerordentlicher Gesandter und bevollmächtigter Minister Alexander Freiherr Musulin von Gomirje (vor seinem Eintritte in das k. u. k. Ministerium des Äußern im Dienste bei der königlich kroatisch-slawonisch-dalmatinischen Landes- regierung). Graf Berchtold selbst erscheint in seiner Eigenschaft als lt. u. k. Minister des k. u. k. Hauses und des Äußern — neben den beiden andern gemeinsamen Ministern, den Österreichern, k. u. k. Kriegsminister FZM. von Krobatin, und k. u. k. gemeinsamer Finanz- minister Dr. von Bilinski — als Ungar.
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13. Juli, vor allem die außenpolitische Seite der Unter- suchung berücksichtigend, teiegraphisch über seine an Ort und Stelle gewonnenen Eindrücke':
Daß die großserbische Propaganda in Bosnien und der Herzegowina von Serbien aus — abgesehen von der Presse auch durch Vereine und sonstige Organisationen — be- trieben werde, und daß dies unter Förderung sowie mit Wissen und Billigung der serbischen Regierung geschehe, sei die Überzeugung aller maßgebenden Kreise.
Das Sektionsrat von Wiesner als Basis dieser Über- zeugungen von Zivil- und Militärbehörden vorgelegte Material qualifiziere sich wie folgt: Das Material aus der Zeit vor dem Attentat biete keine Anhaltspunkte für eine Förderung der Propaganda durch die serbische Regierung. Dafür, daß diese Bewegung von Serbien aus, unter Duldung seitens der serbischen Regierung, von Vereinen genährt werde, sei das Material, wenn auch dürftig, doch hinreichend.
Zur Untersuchung über das Attentat: Die Mitwissenschaft der serbischen Regierung an der Leitung des Attentats oder dessen Vorbereitung und die Beistellung der Waffen sei durch nichts erwiesen oder auch nur zu vermuten. Es bestünden vielmehr Anhaltspunkte, dies als ausgeschlossen anzusehen.
Durch Aussagen von Beschuldigten sei es kaum anfecht- bar festgestellt-, daß das Attentat in Belgrad beschlossen und unter Mitwirkung des serbischen Staatsbahnbeamten Ciganovic und des Majors Tankosic vorbereitet wurde, von welchen beiden auch die Bomben, Brownings, Munition und Zyankali beigestellt worden seien. Die Mitwirkung des Sekretärs der „Narodna Odbrana", Pribicevic, sei nicht festgestellt.
Der Ursprung der Bomben aus dem serbischen Armee- magazin Kragujevac sei objektiv einwandfrei erwiesen, doch bestünden keine Anhaltspunkte dafür, daß sie erst jetzt, ad hoc, Magazinen entnommen worden seien, da die Bomben auch aus Vorräten der Komitatschis vom Kriege her stammen können.
1 Telegramm aus Sarajevo d. d. 13. Juli, 1 Uhr 10 Minuten p. m., ohne Nummer. Vgl. den Auszug im Weißbuch b. d. V. d. U. a. Kr. Seite 33.
~ Telegramm aus Sarajevo d. d. 13. Juli, 2 Uhr p. m., ohne Nummer. (Fortsetzung und Schluß des vorhergehenden Telegramms.)
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Auf Grund der Aussagen der Beschuldigten sei es kaum zweifelhaft, daß Princip, Cabrinovic und Grabez mit Bomben und Waffen auf Veranlassung des Ciganovic von serbischen Organen geheimnisvoll über die Grenze nach Bosnien geschmuggelt worden seien. Diese organisierten Transporte seien von den Grenzhauptmännern zu Schabatz und Loznica geleitet und von Finanzwachorganen durchgeführt worden. Wenn es auch nicht festgestellt sei, ob diese den Zweck der Reise kannten, hätten dieselben doch eine geheimnisvolle Mission annehmen müssen.
Die sonstigen Erhebungen nach dem Attentate gäben einen Einblick in die Organisierung der Propaganda der „Narodna Odbrana". Sie enthielten wertvolles verwertbares Material, das jedoch noch nicht nachgeprüft worden sei; schleunigste Erhebungen seien im Zuge.
Sodann äußerte sich Sektionsrat von Wiesner bezüglich der an Serbien zu richtenden Postulate. Falls die bei seiner Abreise bestandenen Absichten noch bestünden, könnten die Forderungen erweitert werden:
A. Unterdrückung der Mitwirkung serbischer Regierungs- organe am Schmuggel von Personen und Gegenständen über die Grenze.
B.Entlassung der serbischen Grenzhauptmänner zu Schabatz und Loznica sowie der beteiligten Finanzwachorgane.
C. Strafverfahren gegen Ciganovic und Tankosic.
Eine ihm selbst notwendig erscheinende mündliche Er- gänzung seines Berichtes wollte Sektionsrat von Wiesner sofort nach seiner Ankunft in Wien, am 14. Juli abends, nachtragen.
Für die Beurteilung der österreichisch-ungarischen Be- Entstehung gehrnote in Staats- und völkerrechtlicher Hinsicht ist die ''" ^"'^ Kenntnis ihrer Entstehung nicht ohne Belang. Bereits in dem Ministerrate vom 7. Juli waren gewisse Punkte in unverbindlicher Weise besprochen worden, die als Forderungen an Serbien in die zu überreichende Note auf- genommen werden könnten '. An der Hand der aufbewahrten
' Die punktweise Formulierung erscheint bloß im Konzept des Ministerratsprotokolls. Die Punkte betrafen: 1. Bestrafung oder Ausstoßung
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Entwürfe läßt sich die Entwici^lung »nd Ausgestaltung dieser Postulate nach ihrer chronologischen Reihenfolge feststellen. Entwürfein In dcm zeitüch ersten Entwürfe ' erklärte die k. u. k.
deuischer Regierung, von dem Hinweis auf die Unzulänglichkeit der Erster Erklärung des serbischen Preßbureaus vom 1. Juli aus-
Enwurf gehend, sich mit .den daselbst gegebenen platonischen Ver- sicherungen nicht zu begnügen - und darauf bestehen zu müssen, daß die serbische Regierung ihren guten Willen, mit der österreichisch-ungarischen Monarchie im Frieden zu leben und ihren völkerrechtlichen Pflichten zu entsprechen, durch geeignete Maßnahmen auf dem Gebiete der inneren Politik Ausdruck gebe.
Als solche geeignete Maßnahmen erachte die k. u. k. Regierung:
1. die Erlassung von Ausnahmsbestimmungen zur Be- schränkung der Preßfreiheit,
2. die Überwachung der Tätigkeit der politischen und kulturellen Vereine und die Auflösung jener Vereine, die wie die „Narodna Odbrana", eine gegen den Bestand der Mon- archie gerichtete Tätigkeit entfalteten,
3. das Verbot der Waffenausfuhr nach der Monarchie,
4. die sofortige Zensur der an den königlich serbischen Schulen eingeführten Lehrmittel mit großserbischem Inhalte.
Daran schloß sich das Anliegen: Die k. u. k. Regierung dürfe einer gefälligen Rückäußerung der königlich serbischen Regierung über den Zeitpunkt entgegensehen, bis zu dem
an der großserbischen Propaganda beteiligter Offiziere aus der Armee; 2. Entschuldigung der serbischen Regierung wegen der Äußerungen dcs Herrn Spalajkoviö; 3. Forderung einer Untersuchung über die Lieferung der Bomben; 4. Dienstesenthebung gewisser administrativer Beamten (Affäre Pokrajac); 5. Votierung eines neuen Preßgesetzes. Einschreiten gegen das Blatt „Piemont"; 6. Revidierung des serbischen Vereinsgesetzes; 7. Verbot des Abonnements Österreich-Ungarn feindlicher Blätter für Offiziersvereine und öffentliche Anstalten.
' Gemäß der Ausführungen des Immediatvortrages des Grafen Berch- told vom 14. Juli wurde unmittelbar nach der an diesem Tage statt- gehabten Besprechung mit den beiden Ministerpräsidenten und dem königlich ungarischen Minister am allerhöchsten Hoflager an die Redaktion der Note geschritten. Entwurf 1 und 2 sind, wie aus inhaltlichen Gründen gefolgert werden kann, wohl früheren Datums.
2 Vgl. Seite 70, 71.
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diese in der Lage sein werde, die eben angefülirten Maß- nahmen durchzuführen '.
Während der erste Entwurf von der vom königlich zweiicr Em- serbischen Preßbureau am I.Juli veröffentlichten Erklärung *"''^ der königlich serbischen Regierung ausging, machte der einleitende Absatz des zweiten Entwurfes die der öster- reichisch-ungarischen Regierung übergebene Note der ser- bischen Regierung vom 18./31. März 1909 (Anerkennung der durch die Annexion Bosniens und der Herzegowina geschaifenen Rechtslage) zum Ausgangspunkte seiner Argu- mentationen. An der ursprünglichen Fassung dieses zweiten Entwurfes wurden durch den Fachreferenten, den außer- ordentlichen Gesandten und bevollmächtigten Minister Baron Musulin, den eigentlichen Autor der Note, vielfache Änderungen vorgenommen. Der Hauptinhalt lautete vor Vornahme der Korrekturen-:
Die königlich serbische Regierung erklärt, die sogenannte großserbische Propaganda, das ist die Gesamtheit jener Bestrebungen zu verurteilen, welche auf die Losreißung. von Teilen der österreichisch-ungarischen Monarchie abzielen, und ihrerseits auf serbischem Territorium mit allen Mitteln auf die Unterdrückung dieser Propaganda hinzuwirken. Insbesondere verpflichtet sie sich:
1. Das Erscheinen und die Verbreitung von Preßerzeug- nissen großserbischcr Tendenz zu verhindern.
2. Sofort mit der Auflösung des Vereines „Narodna Odbrana" vorzugehen und die gleiche Maßregel überdies gegenüber all jenen serbischen Vereinen zu treffen, die sich
1 Auf einem beigelegten Bogen findet sicli der folgende Blei- stiftvermerk von der Hand des Grafen Forgäch: „Es kämen noch als „Forderungen eventuell hinzu:
„I. Ausstoßung aus der Armee der kompromittierten Offiziere, Major „Tankosic, Pribicevio (?).
„2. Entlassung aus dem diplomatischen Dienste jener serbischen „Diplomaten in Petersburg und Berlin, welche unziemliche Interviews ver- „öffentlichten über Attentat und unsere inneren Zustände.
„3. Zuziehung unserer Staatsanwälte und Untersuchungsrichter zur „Untersuchung des Komplotts in Serbien."
- Die vollzogenen Änderungen erhellen aus dem Text des dritten Entwurfes. (S. Seite 97 ff.)
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mit der Förderung und Verbreitung der großserbischen Idee befassen.
3. Aus dem gesamten Unterriciite in Serbien, sowohl was das Lehrpersonal als auch die hiebei verwendeten Lehrbehelfe anbelangt, alles zu eliminieren, was der groß- serbischen Idee in irgend einer Form dient.
4. Gegen jene Organe der serbischen Zivil- und Militär- verwaltung, welche dieser Propaganda in irgendeiner Form Vorschub leisten, mit deren Entfernung aus dem königlich serbischen Dienste vorzugehen.
Mit Rücksicht darauf, daß eine im Sinne der groß- serbischen Idee erfolgte Betätigung der Herren
bereits festgestellt ist, wird die königlich serbische Regie- rung die eben genannten Funktionäre aus ihrem Dienste entlassen ',
Als Bleistiftnotiz des Barons Musulin erscheint die For- mulierung der folgenden Punkte nachgetragen;
5. Die Mitwirkung der k. u. k. Regierung bei den von der königlich serbischen Regierung zur Unterdrückung der großserbischen Bewegung eingeleiteten Maßnahmen nach im besonderen zu vereinbarenden Modalitäten zu akzeptieren.
6. Mit Rücksicht auf den Gang der Untersuchung . . .
und endlich:
7. Die k. u. k. Regierung binnen Monatsfrist von den zur Durchführung der in der Note bezeichneten Forde- rungen getroffenen Maßnahmen zu verständigen.
Als Schlußbemerkung hatte der folgende, ebenfalls nach- träglich niedergeschriebene Passus zu gelten:
Die k. u. k. Regierung erwartet die gefällige Antwort der königlich serbischen Regierung auf die vorliegende
Note bis längstens
Dritter Eot- Für die Datierung des nächsten Entwurfes läßt sich ein
Anhaltspunkt aus der von der Hand des Barons Musulin niedergeschrieb'enen Kopfnotiz gewinnen: Entwurf einer
' Der zweite Absatz des Punktes 4 wurde später durchstrichen. Inhaltsgemäß sollte er unter Punkt 6 Verwertung finden.
~ Zur Ausfüllung dieses Rahmens sollte vermutlich der (durch- , strichene) zweite Absatz des Punktes 4 dienen.
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wurf
Note an Serbien auf Grund der Beschlüsse des gemein- samen Ministerrates vom 14. Juli 1914 '. Dieser dritte Ent- wurf basierte auf den an dem zweiten Entwürfe vorge- nommenen Änderungen und bezieht sich in seinem Schluß- absatze bereits auf den eventuell vorzunehmenden Abbruch der diplomatischen Beziehungen. Der Text der als tele- graphische Weisung an den k. u. k. Gesandten in Belgrad gedachten Note lautete nunmehr:
„Wien, am . . . Juli 1914.
„Ich ersuche Euer Hochwohlgeboren, die nachfolgende ,,Note an die königlich serbische Regierung zu richten =:
„Die Entwicklung der letzten Jahre, insbesondere aber „die Ereignisse der jüngsten Tage, haben gezeigt, daß unter „den Augen der serbischen Regierung von serbischem „Boden aus eine Bewegung in die Gebiete der öster- „reichisch-ungarischen Monarchie getragen wird, die in „ihren Endabsichten auf eine Losreißung einzelner Teile „der Monarchie abzielt und die sich bereits in hochver- „räterischen, auch vor gemeinem Morde nicht zurück- „schreckenden terroristischen Taten äußert.
„Nach den Erklärungen, welche der königlich serbische „Gesandte in Wien namens seiner Regierung mit Note vom „18./31. März 1909 der k. u. k. Regierung abgegeben hat", „und die in der Anerkennung der durch die Annexion „Bosniens nnd der Herzegowina an Österreich-Ungarn „geschaffenen neuen Rechtslage gipfelten, war es Pflicht der „serbischen Regierung, im Geiste der von ihr feierlich ver- „sprochenen guten nachbarlichen Beziehungen zur Monarchie „derartige Bestrebungen auf serbischem Boden nicht zu dulden.
' Unter dem hier genannten gemeinsamen Ministerrate kann, sofern das Datum, 14. Juli, richtig ist, nur die Besprechung Graf Berchtolds mit den beiden Ministerpräsidenten und dem königlich ungarischen Minister am allerhöchsten Hoflager gemeint sein. (Vgl. Seite 85.)
= Nachträgliche Änderung von der Hand des Baron Musulin: „die
nachfolgende Note der königlich serbischen Regierung am 1. M.
zu übergeben".
3 Änderung in: „Nach den Erklärungen, die die königlich serbische Regierung am 18.31. März 1909 in Wien abgeben ließ," von der Hand ■des Baron Musulin.
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„Da aber die serbische Regierurig in dieser Richtung , nichts unternommen hat, im Gegenteil ihrer Verpflichtungen ,uneingedenk, die Verherrlichung und Förderung aller gegen ,die Monarchie gerichteten Tendenzen in ihrer Presse, in ,ihren Vereinen und in ihren Schulen Jahre hindurch und ,bis auf den heutigen Tag geduldet und hiedurch eine , Mitschuld' an den Ereignissen vom 28. Juni 1. J. auf sich , geladen hat, sieht sich die k. u. k. Regierung genötigt, um ,der Fortsetzung der von außen in die Gebiete der ,Monarchie getragenen anarchistischen Bewegung ein für , allemal ein Ende zu bereiten und um der Verführung und ,Verhetzung ihrer Staatsangehörigen endgültig zu steuern, ,von der königlich serbischen Regierung die Abgabe der ,nachstehenden Erklärung und die Übernahme der folgenden , Verpflichtungen zu verlangen:
„Die königlich serbische Regierung erklärt feierlichst, ,die gegen die benachbarte Monarchie gerichtete Propaganda, ,das heißt die Gesamtheit jener Bestrebungen zu verurteilen, ,welche auf die Losreißung von Teilen der österreichisch- , ungarischen Monarchie abzielen, und gibt ihrem ent- ,schiedenen Willen Ausdruck, ihrerseits auf serbischem ,Territorium mit allen Mitteln auf die Unterdrückung dieser, ,mit terroristischen Mitteln arbeitenden Propaganda hin- ,wirken zu wollen. Zu diesem Ende verpflichtet sich die ,serbische Regierung, die nachfolgende Erklärung im , Amtsblatte- zu veröffentlichen, eine Erklärung, die gleich- , lautend auch durch einen Armeebefehl Seiner Majestät des , Königs zur Kenntnis der Truppen gebracht werden wird:
,Die königlich serbische Regierung, die die gegen die benachbarte Monarchie gerichtete Propaganda, das heißt die Gesamtheit jener Bestrebungen, die auf die Losreißung ' von Teilen der österreichisch-ungarischen Monarchie ab- zielen, auf das schärfste verurteilt und die beklagenswerten
' Zusatz von der Hand des Baron Musulin: „und hiedurch eine moralische Mitschuld".
= Zusatz von der Hand des Baron Musulin: „die nachfolgende Erklärung am an der ersten Stelle im Amtsblatte".
" Zusatz von der Hand des Baron Musulin: „die in letzter Linie auf die Losreißung".
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/
,Folgen einer verbrecherischen Agitation auf das tiefste , bedauert, warnt ^ ihre Staatsangehörigen vor der weiteren ,Teilnahme an solchen Bestrebungen und macht die Bevöl- ,kerung des Königreiches darauf aufmericsam, daß sie gegen ,die eventuellen Schuldtragenden mit wirksamer und voller ,Strenge vorgehen wird.'
„Abgesehen von dieser Erklärung, verpflichtet sich die „königlich serbische Regierung:
„1. Das Erscheinen und die Verbreitung von Preßerzeug- „nissen, die eine gegen die territoriale Integrität der Mon- „archie gerichtete Tendenz aufweisen, in Zukunft zu ver- „hindern,
„2. sofort mit der Auflösung des Vereines „Narodna „Odbrana" vorzugehen und die gleiche Maßregel überdies „all jenen serbischen anerkanhten und geheimen Vereinen „gegenüber zu treffen, die sich mit der Förderung und Ver- „breitung der eben gekennzeichneten Tendenzen befassen ',
„3. aus dem gesamten Unterrichte in Serbien, sowohl „was das Lehrpersonal als auch die hiebei verwendeten „Lehrbehelfe anbelangt, alles zu eliminieren, was der Agita- „tion gegen den Besitzstand der Monarchie in irgendeiner „Form dient;
„4. gegen jene Organe der serbischen Zivil- und Mili- „tärverwaltung, welche dieser Propaganda in irgendeiner „Form Vorschub leisten, mit deren Entfernung aus dem „königlich serbischen Dienste vorzugehen;
„5. die Mitwirkung von Organen der k. u. k. Regierung „bei den von der königlich serbischen Regierung zur Unter- „drückung der großserbisehen Bewegung- einzuleitenden „Maßnahmen nach im besonderen zu vereinbarenden Modali- „täten zu akzeptieren;
„6. mit Rücksicht auf den Gang der Untersuchung' ... „ , und endlich
' Zusatz von der Hand des Baron Musulin: „überdies auch die Bildung neuer solcher Vereine nicht zuzulassen".
- „der großserbischen Bewegung" geändert in „der gegen die Mon- archie gerichteten Bewegung", von der Hand des Baron Musulin.
" Vgl. Punkt 6 des zweiten Entwurfes, Seite 96, und Anmerkung 1 daselbst.
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„7. die k. u. k. Regierung von den zur Durchführung „der im Vorstehenden bezeichneten Forderungen getroffenen „Maßnahmen unverzüglich zu verständigen.
„Die k. u. k. Regierung erwartet die gefällige Antwort „auf die vorliegende Note bis längstens
„Euer Hochwohlgeboren wollen gelegentlich der Über- „gabe dieser Note mündlich hinzufügen, daß Sie beauftragt „seien — falls Ihnen inzwischen nicht eine zustimmende „Antwort der königlich serbischen Regierung zugekommen „sein sollte — , nach Ablauf der in der Note vorgesehenen, „vom Tage und von der Stunde Ihrer Mitteilung an zu „rechnenden 48stündigen Frist Ihre Pässe zu verlangen".'
Entwürfe in
französischer
Sprache
Endgültiger Text
Die in französischer Sprache aufgesetzten Entwürfe der Begehrnote fußten im Großen und Ganzen auf der gemäß der Festsetzungen der Mmisterbesprechung vom 14. Juli erfolgten Redaktion des dritten deutschen Entwurfes der Note.
In dem an die Adresse des k. u. k. Gesandten gerich- teten Schlußabsatze dokumentiert die Einschaltung eines einzigen Wortes die Verschärfung des Tenors der Note: „Gelegentlich der Übergabe der vorstehenden Note wollen „Euer Hochwohlgeboren mündlich hinzufügen, daß Sie „beauftragt seien — falls Ihnen nicht inzwischen- eine vor- „behaltlose- zustimmende Antwort der königlichen Regie- „rung zugekommen sein sollte — , nach Ablauf der in der „Note vorgesehenen, vom Tage und von der Stunde Ihrer „Mitteilung an zu rechnenden 48stündigen Frist, mit dem „Personal der k. u. k. Gesandtschaft Belgrad zu verlassen."
Das Protokoll des Ministerrates für gemeinsame Ange- legenheiten vom 19. Juli führt eingangs an, daß, bevor der Ministerrat sich konstituiert und der Vorsitzende die Sitzung eröffnet hatte, eine formlose Besprechung über die Redaktion
' Geändert in „vom Tage und von der Stunde Ihrer Mitteilung an zu rechnenden 48stündigen Frist mit dem Personal der k. u. k. Gesandt- schaft Belgrad zu verlassen", von der Hand des Baron Musulin.
~ Das Wort „vorbehaltlose", Einschaltung von der Hand des Baron Musulin.
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der Note stattgefunden habe und daß deren definitiver Text festgestellt worden sei. Im offiziellen Teile der Konferenz wurde sodann auf Antrag des Grafen Berchtold einstimmig . beschlossen, die Note solle am 23. Juli, um 5 Uhr nach- mittags, in Belgrad überreicht werden. Die in Form eines "an den k. u. k. Gesandten in Belgrad, Freiherrn von Giesl, zu richtenden Erlasses gehaltene Note erlangte damit ihre endgültige Fassung '. Nach dem Wortlaute der Einbegleitung erhielt der k. u. k. Gesandte den Auftrag, die Note am Donnerstag, den 23. Juli nachmittags, jedenfalls zwischen 4 und 5 Uhr, der königlich serbischen Regierung zu über- reichen'-.
Ein aus Ischl am 20. Juli vormittags von dem Chef der Audienz des Kabinettskanzlei Baron Schießl aufgesetztes Telegramm '^''^'^"
° ° Berchtold
unterrichtete den Grafen Berchtold, der Monarch inter- beim essiere sich zu erfahren, ob die Angelegenheit der Note '«<"'"':i>en
' *= ^ (21. Juli)
am 19. d. M. zum Abschlüsse gelangt sei, und wann das Operat in Ischl einlangen könne. ' Laut Antwort Graf Berchtolds war die fragliche Angelegenheit zu Ende gediehen; das bezügliche Elaborat, das am 19. Juli nicht fertiggestellt werden konnte, werde mit dem am 20. Juli abgehenden Kurier unterbreitet werden. Graf Berchtold selbst gedenke am 21. Juli früh in Begleitung des Grafen Hoyos in Bad Ischl einzutreffen und noch vormittags vor dem Monarchen zu erscheinen *.
1 Die lithographierte Vorlage trägt den von der Hand des Baron Musulin geschriebenen Vermerk: Letzte definitive Fassung vom Sonntag, den 19. Juli. Sie weist mehrere, von Graf Berchtold nachträglich vor- genommene stilistische und sachliche Korrekturen auf. Diese letzteren beziehen sich zum großen Teile auf die Behebung von Verstößen, auf die vom Standpunkte der ungarischen Eigenstaatlichkeit hätte hingewiesen werden können. Der französische Text der Note ist abgedruckt im öster- reichisch-ungarischen Rotbuch Nr. 7, in deutscher Sprache in der Volks- ausgabe des österreichisch-ungarischen Rotbuches unter der gleichen Nummer, mit der vorsätzlichen Datierung auf den 22. Juli, statt der tat- sächlichen und zutreffenden vom 20. Juli. (Vgl. Seite 109, Anmerkung 2.)
• Die Fixierung des Datums erscheint als nachträglicher Bleistift- vermerk von der Hand des Baron Musulin.
■■ Telegramm aus Bad Ischl d. d. 20. Juli, 11 Uhr a. m., o. Nr.
* Telegramm an Baron Schießl d. d. Wien, 20. Juli, 1 Uhr 30 Minuten p. m., C. d. M.
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2. Die Überreichung der Note in Belgrad (23. Juli, 6 Uhr nachmittags) verhaitungs- Dic speziclIcn Weisungen, die dem k. u. k. Gesandten füfdefk^. Freiherrn von Giesl für den Fall der Überreichung der k. Gesandten Bcgehmote erteih wurden, gingen ihm in einem Privat- rli'ehung der schrcibcn des Grafen Berchtold vom 20. Juli zu '. No'E Danach stelhen die Forderungen das Minimum dar, das
die Monarchie verlangen müsse, damit ihr gegenwärtig ganz unhaltbares Verhältnis zu Serbien' geklärt werde. Auch müsse die Monarchie darauf bestehen, daß ihr die Ent- scheidung der serbischen Regierung innerhalb der Frist von 48 Stunden bekanntgegeben werde; eine Verlängerung dieser Frist könnte keinesfalls — etwa unter dem Vorwande, daß die serbische Regierung nähere Auskünfte über die Trag- weite und den Sinn einzelner unter diesen Forderungen zu erhalten wünsche — zugestanden werden.
Das Wiener Kabinett könne sich bezüglich seiner For- derungen auf keine Verhandlungen mit Serbien einlassen, nur deren bedingungslose Annahme innerhalb der vorge- sehenen Frist könne genügen und das Wiener Kabinett davon abhalten, die weiteren Konsequenzen zu ziehen.
Was die Schritte, welche die k. u. k. Regierung nach dem Abbruch der diplomatischen Beziehungen zu unter- nehmen gedenke, betreffe, so wolle der k. u. k. Gesandte erklären, hierüber keine Informationen erhalten zu haben. Aus eigener Initiative und ohne sich auf einen Auftrag zu berufen, könne der Gesandte hinzusetzen, daß die Monarchie in den letzten Jahren wegen der feindseligen Haltung des Königreiches schon zweimal zu kostspieligen militärischen Maßregeln genötigt worden sei, und daß sie sich, falls dies neuerlich geschehen sollte, jedenfalls genötigt sehen würde, , die serbische Regierung für alle der Monarchie hiedurch
verursachten Auslagen haftbar zu machen.
Eine Diskussion über den Inhalt der Note und die Inter- pretation der einzelnen Forderungen wolle der k. u. k. Ge- sandte vermeiden und Herrn Pasic, wenn dieser insistieren
1 Privatschreiben des Grafen Berchtold an Baron Giesl d. d. Wien, 20. Juli, C. d. M.
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sollte, erklären, daß er zu einer weiteren Diskussion nicht ermächtigt sei, vielmehr die Annahme pur et simple verlangen müßte. Mündlich müßte der Gesandte von Herrn Pasic auch verlangen, daß ihm die serbische Übersetzung der im Amtsblatte zu publizierenden Deklaration sowie der ■serbische Text des Armeebefehls vorgelegt werde, damit sich der Gesandte überzeugen könne, daß die Übersetzung richtig sei.
Wie sich der Gesandte im Falle des Abbruches der diplomatischen Beziehungen zu verhalten habe, darüber sei er bereits durch frühere Weisungen genau instruiert.
Sobald die 48stündige Frist, von der Überreichung der Note an gerechnet, verstrichen sei, ohne daß eine Annahme eingelangt wäre, habe der Gesandte daher der serbischen Regierung mittels einer Note mitzuteilen, daß er mit Rück- sicht auf den Ablauf des Termins, seinen Instruktionen gemäß Serbien mit dem Personal der Gesandtschaft verlassen und den Schutz der österreichisch-ungarischen Konnationalen und Interessen in Serbien auftragsgemäß der . . . [noch zu bestimmenden fremden] Gesandtschaft übergebe, der ein k. u. k. Kanzleisekretär in dienstlicher Eigenschaft zugeteilt werde. Hiemit seien die diplomatischen Beziehungen Öster- reich-Ungarns zu Serbien abgebrochen.
Der Gesandte wolle sich darauf nach genauer Durch- führung seiner bereits früher erhaltenen Instruktionen zu- sammen mit dem Personal der Gesandtschaft mit nächstem Schiffe nach Semlin begeben.
Die Tatsache, daß Serbien die Forderungen des Wiener Kabinetts nicht erfüllt habe, beziehungsweise daß die Frist ohne Annahme der Note abgelaufen sei, wolle der k. u. k. Gesandte mittels Chiffretelegramms noch aus Belgrad tele- graphieren.
Eine Weisung an Freiherrn von Giesl vom 21. Juli führte ergänzend aus: '
Da sich Zeitungsmeldungen zufolge Ministerpräsident Pasic in Wahlangelegenheiten nach Ostserbien begeben haben und erst Ende der Woche nach Belgrad zurückkehren solle,
1 Weisung an Baron Giesl d. d. Wien, 21. Juli, 7 Uhr p. m., Nr. 76.
103
erscheine es, falls sich diese Meldungen bestätigten, dem Wiener Kabinette notwendig, daß der k. u. k. Gesandte in Belgrad dem ersten Beamten des serbischen Auswärtigen Amtes am 23. Juli früh in einem Briefe, den ein Konzepts- beamter der k. u. k. Gesandtschaft zu überbringen hätte, die Verständigung zugehen lasse, der k. u. k. Gesandte sei beauftragt, der königlichen Regierung am Nachmittag eine wichtige Mitteilung zu machen. Der k. u. k. Gesandte würde zu diesem Zwecke zwischen 4 und 5 Uhr nachmittag im Auswärtigen Amte vorsprechen. Seine Mitteilung werde vor- aussichtlich die schleunige Rückkehr Herrn Pasic' notwendig machen. Der Leiter des Auswärtigen Amtes solle, falls er es für nützlich erachte, sich diesbezüglich sofort mit dem Ministerpräsidenten in Verbindung setzen.
Um jedes Mißverständnis zu vermeiden, sei ausdrücklich zu bemerken, daß dieser Brief des k. u. k. Gesandten nur als ein Akt der Courtoisie zu betrachten sei, um die je frühere Rückkehr und Informierung des Ministerpräsidenten zu ermöglichen, daß aber die Übergabe der Note seitens des k. u. k. Gesandten unter allen Umständen am Nachmittag zwischen 4 und 5 Uhr, und zwar im Falle der Abwesenheit des Herrn Pasic an dessen Vertreter oder an den rang- höchsten anwesenden Beamten des Auswärtigen Amtes, zu erfolgen habe.
Die vollzogene Übergabe der Note wolle der k. u. k. Gesandte durch vorher vorbereitete Expreßchiffretelegramme in duplo sowohl aus Belgrad als auch aus Semlin in drin- gendster Weise nach Wien melden. Wegen der Publi- kation und anderer Maßnahmen wünsche Graf Berchtold die Nachricht noch am 23. Juli vor 7 oder 8 Uhr abends in Wien zu erhalten.
Über ein eventuelles Gespräch bei der Übergabe wolle
der k. u. k. Gesandte getrennt ebenfalls sofort telegraphisch
berichten.
situations- Scinc eigene Auffassung der politischen Sachlage in
benchtdes Sgpj^jgj, jggjg (jg^ j^_ ^^ j^ Gcsandtc in einem Berichte vom
Gesandten 21. JuH ' nicdcr:
(21. Juli)
' Bericht aus Belgrad d. d. 21. Juli, Nr. 131/P. 104
Die Besorgnis, die nach dem Attentate iierrsclite, die Monarchie würde scharfe Forderungen stellen, beginne sich mit dem verzögerten Abschlüsse der Untersuchung und dem Ausbleiben der befürchteten Demarche von Tag zu Tag immer mehr zu verflüchtigen und werde bald wie ein böser Traum beim glücklichen Erwachen verschwinden.
Seine Gedankengänge zusammenfassend, stellte der k. u. k. Gesandte fest: Das Prinzip der Nichteinmischung oder der Intervention erst nach hergestelltem Einvernehmen zwischen allen Großmächten habe die Balkankrise ver- schuldet, nur ein selbständiges Eingreifen der Macht, die hier allein bedroht sei, unter dem Motto: „Wer nicht mit mir ist, ist gegen mich", könne der Meinung des k. u. k. Gesandten nach, den Feind, der sich drohend vor die Monarchie gestellt habe, niederwerfen und dem Reiche nach jahrelangen Krisen die Ruhe geben.
Halbe Mittel, ein Stellen von Forderungen, langes Parla- mentieren und schließlich ein fauler Kompromiß wären der härteste Schlag, der Österreich-Ungarns Ansehen in Serbien und seine Machtstellung in Europa treffen könnte.
Hinsichtlich der von der serbischen Regierung vor- serbische genommenen Orientierung teilte Herr von Tschirschky am ^"^''"''"■"'"« 21. Juli dem Grafen Berchtold den Inhalt einer Depesche Herrn von Jagows mit \ derzufolge der königlich serbische Geschäftsträger in Berlin, in Entsprechung einer wahr- scheinlich an alle serbischen Vertreter ergangenen Zirkular- weisung, dem Staatssekretär erklärt habe, Serbien beab- sichtige, die besten und korrektesten Beziehungen mit der Nachbarmonarchie zu unterhalten und sei bereit, alle For- derungen Österreich-Ungarns nach einer strengen Unter- suchung des Attentats von Sarajevo zu erfüllen, soweit sie mit der Ehre und Souveränität des Königreiches vereinbar seien. Der königlich serbische Geschäftsträger habe die kaiserlich deutsche Regierung gleichzeitig gebeten, auf das Wiener Kabinett versöhnlich einzuwirken.
Die Antwort Herrn von Jagows an den Vertreter Serbiens hätte, so fügte Herr von Tschirschky bei, dahin
' Tagesbericht vom 21. Juli, Nr. 3444.
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gelautet, daß nach Ansicht der deutschen Regierung Serbien es an einem korrekten nachbarlichen Verhaken Österreich- Ungarn gegenüber gerade in den letzten Jahren derart habe fehlen lassen, daß es nur zu begreiflich sei, wenn das Wiener Kabinett bei Bekanntgabe seiner Forderungen eine sehr energische Sprache führen sollte. Die s.unde Sclt dcm 21. JuH, 11 Uhr nachts, befand sich der k. u. k.
der nJis^" "^ Gesandte in Belgrad im Besitze des die Begehrnote ent- wird ver- haltenden Erlasses '.
Die Überreichung sollte, wie bisher bestimmt worden war, Donnerstag den 23. Juli, nachmittags zwischen 4 und 5 Uhr, stattfinden. Eine am Vormittage des 23. Juli erlassene telegraphische Weisung - an den k. u. k. Ge- sandten schuf in dem zeitlichen Arrangement zwischen Tür und Angel noch eine Verschiebung. 9 Uhr 30 Minuten ging an Freiherrn von Giesl die Weisung ab, die für Nachmittag anberaumte Demarche keinesfalls um 4 Uhr, sondern frühestens einige Minuten vor 5 Uhr vorzunehmen. Falls es dem Gesandten möglich sei, wolle er die Demarche auf 6 Uhr verschieben, in welchem Falle auch in der Note der Ablauftermin der 48stündigen Frist auf Samstag, den 25. Juli, 6 Uhr, zu ändern wäre.
Zur Informierung des k. u. k. Gesandten werde hinzu- gefügt, das Wiener Kabinett wolle tunlichst verhindern, daß die Nachricht über die erfolgte Demarche noch am selben Abend in Petersburg eintreffe, da Präsident Poincare noch bis 11 Uhr abends daselbst verweile.
Der k. u. k. Gesandte wolle sofort dringendst telegra- phieren, ob er die Demarche um 5 Uhr ausführen werde oder ob er sie auf 6 Uhr verschieben könne.
Freiherr von Giesl meldete um 2 Uhr 30 Minuten nach- mittags, er werde alles aufbieten, um die Demarche erst um 6 Uhr durchzuführen. ■'
t Erlaß nach Belgrad d. d. Wien, 20. Juli, Nr. 3400, Empfangs- bestätigung Telegramm aus Belgrad d. d. 22. Juli, 1 Uhr p. m., Nr. 168.
s Weisung nach Belgrad d. d. Wien, 23. Juli, 9 Uhr 30 a. m., Nr. 80.
•' Telegramm aus Belgrad d. d. 23. Juli, 2 Uhr 30 Minuten p. m., Nr. 172.
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Um einem eventuellen Schachzug des serbischen Minister- Angebliche Präsidenten, der angeblich im Momente der Übernahme der „b^XhÜnd« Note zu demissionieren beabsichtige, zuvorzukommen, er- serbischen ging noch am 23. Juli, 2 Uhr nachmittags, an Freiherrn von prälidente« Giesl die Weisung': Die Demission des Kabinetts könnte natürlich weder die Stellung der österreichisch-ungarischen Forderungen, noch den Lauf der 48stündigen Frist beein- flussen, da bekanntlich ein demissioniertes Kabinett die Geschäfte bis zur Bildung des neuen Ministeriums mit voller Verantwortlichkeit weiterzuführen habe.
Seit dem 22. Juli war mittels Dekretes der königlich ^.^^ q^^_. serbische Finanzminister Pacu mit der Vertretung des reichung der Regierungschefs und des Ministers des Äußern betraut 23°'juii, worden. In einer Besprechung mit Freiherrn von Giesl am euhrp. m. 23. Juli vormittags hatte Herr Pacu die vom k. u. k. Ge- sandten betonte Notwendigkeit der Verständigung des abwesenden Ministerpräsidenten Pasic mit der Motivierung der durch ihn selbst besorgten Stellvertretung afs unnötig abgelehnt-.
Freiherr von Giesl ließ sich vormittags durch Herrn Pacu, nachdem derselbe eine Weile gezögert hatte, eine Unterredung für 6 Uhr nachmittags anberaumen und wurde mit dem Glockenschlage in Gegenwart des Generalsekretärs Gruic (da Pacu nicht französisch sprach) empfangen.
Der k. u. k. Gesandte übergab die Note^ und fügte bei, daß die Antwort bis Samstag, den 25. Juli, 6 Uhr abends, befristet sei, zu welchem Zeitpunkte er, wenn keine oder eine ungenügende Antwort eintreffe, mit dem Personal der Gesandtschaft Belgrad verlassen würde und erklärte, daß er gleichzeitig mit der Antwort die Übergabe des serbischen Textes der beiden offiziellen Enunziationen wünsche, um dieselben kontrollieren zu können.
Minister Pacu bemerkte, ohne die Note gelesen zu haben, daß jetzt die Wahlen stattfänden und daß ein Teil der Minister abwesend sei; er fürchte die physische Unmöglichkeit
' Weisung nach Belgrad d. d. Wien, 23. Juli, 2 Uhr p. m., Nr. 81.
2 Telegramm aus Belgrad d. d. 23. Juli, 2 Uhr p. m., Nr. 171.
3 Telegramm aus Belgrad- Semlin d. d. 23. Juli, 7 Uhr p. m., Nr. 173.
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Nichl Ulti- matum, son- dern : Be- fristete De- marche
Verständi- gung des Monarchen
den vollständigen Ministerrat rechtzeitig zu der augen- scheinlich wichtigen Entscheidung einberufen zu können.
Der Ministerrat war schon seit 5 Uhr versammelt. Freiherr von Giesl entgegnete, daß die Rückkehr der Mi- nister im Zeitalter der Eisenbahnen, des Telegraphen und Telephons bei der Größe des Landes nur die Affäre einiger Stunden sein könne und daß er bereits vormittags die even- tuelle Verständigung des Herrn Pasic als nützlich angeregt habe. Im übrigen sei dies eine interne Angelegenheit der serbischen Regierung, die der k. u. k. Gesandte weiter nicht zu beurteilen habe. Eine andere Diskussion hatte nicht stattgefunden ".
Freiherr von Giesl hatte in seiner telegraphischen Berichterstattung vom 23. Juli zur Bezeichnung der Note das Schlagwort „Ultimatum" benützt. Der k. u. k. Gesandte erhielt diesbezüglich — noch nach erfolgter Übergabe der Note — die Direktive =, daß die von ihm gewählte Be- nennung insofern unrichtig sei, als auf den fruchtlosen Ablauf der Frist nur der Abbruch der diplomatischen Be- ziehungen, nicht auch sofort der Eintritt des Kriegszustandes folgen werde. Der Kriegszustand werde erst mit der Kriegs- erklärung, beziehungsweise mit dem serbischen Angriff auf die Monarchie eintreten.
Nach der im k. u. k. Ministerium des Äußern angewandten Terminologie war der in Belgrad vollzogene Schritt der k. u. k. Regierung als eine' „befristete Demarche" zu bezeichnen.
Die Nachricht von der vollzogenen Durchführung der diplomatischen Aktion in Belgrad wurde noch^ am 23. Juli, 11 Uhr 50 Minuten nachts, telegraphisch an den Chef der Kabinettskanzlei des Monarchen übermittelt, mit der gleich- zeitigen Verständigung, daß die 48stündige Frist am Samstag, den 25. Juli ■■, 6 Uhr abends, ablaufe *.
' Telegramm aus Belgrad d. d. 23. Juli, 8 Uhr p. m., Nr. 175.
- Weisung nach Belgrad d. d. Wien, 23. Juli, 1 1 Uhr 20 Minuten p. m., Nr. 83.
■' Im Konzepte irrtümlich: „Samstag, den 26."
* Telegramm an Baron Schießl, Bad Ischl, d. d. Wien, 23. Juli, 11 Uhr 50 Minuten p. m., C. d. M.
108
Die Beschlußfassung des gemeinsamen Minister- rates vom 7. und 19. Juli hatte ihre Realisierung gefunden. Die zu gewärtigenden Konsequenzen — Eintritt des Krieges mit Serbien und Wahr- scheinlichkeit einer kriegerischen Auseinander- setzung mit Rußland - waren bereits in der Sitzung vom 7. Juli ins Auge gefaßt worden. Zu der Frage, welche Stellungnahme die serbische Regierung bekunden werde, gesellte sich die gleich wichtige: welches Echo der Schritt der k. u. k. Re- gierung bei den europäischen Kabinetten auslösen werde.
3. Die österreichisch-ungarische Zirkularnote an die Signatarmächte vom 24. Juli 1914
Bei der Abfassung der an die Signatarmächte zu rieh- Aufgabe der tenden Note war am Ballhausplatze der Grundsatz maß- ^'"■^"^^'•""^ gebend, die Zirkularnote habe den Mächten eine bereits vollzogene Tatsache einfach zur Kenntnis zu bringen und es keineswegs einzuräumen, die Begehrnote an Serbien selbst zum Gegenstande von Erörterungen zu machen.
Die verschiedenen Entwürfe der Zirkularnote — in deutscher und französischer Sprache — dürften zeitlich parallel mit denen der Begehrnote aufgesetzt worden sein '.
Die Zirkularnote wurde den k. u. k. Botschaftern bei den Signatarmächten am 20. Juli mittels Kuriers zugestellt. Sie trug die Vordatierung auf den 24. Juli, den Tag, an dem ihre Übergabe stattzufinden hatte -,
Die Instruktion, die den k. u. k. Botschaftern aus Anlaß der Überreichung der Zirkularnote an die Signatarmächte übermittelt wurde, wies eine für die einzelnen Kabinette ver- schieden gehaltene Formulierung auf.
' Die Zirkularnote ist in französischer Sprache im österreichisch- ungarischen Rotbuch unter Nr. 8, in deutscher Sprache unter derselben Nummer in der Volksausgabe des österreichisch-ungarischen Rotbuches abgedruckt.
- Die Datierung der Zirkularnote an die Signatarmächte ist im österreichisch-ungarischen Rotbuche Nr. 8, wie jene der Begehrnote vor- sätzlich auf den 22. Juli, verlegt. (Vgl. Seite 101, Anmerkung 1.)
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Berlin
begleitende Weisung
Kon- statierungen des k. u. k. Botschafters
Für Berlin besagte der einbegleitende Text ': Wenn der k. u. k. Botschafter den offiziellen Erlaß der deutschen Regie- rung am Freitag, den 24. Juli vormittags, persönlich zur Kenntnis bringen werde, wolle er nur bemerken, daß das bereits erzielte vollständige politische Einvernehmen mit dem deut- schen Kabinett ihn der Mühe einer weiteren vertraulichen und mündlichen Begründung des Schrittes des Wiener Kabinetts in Belgrad enthebe K
Die Gründe, deretwegen das Wiener Kabinett die Demarche in Belgrad erst gestern unternehmen konnte, seien Herrn von Tschirschky bereits seinerzeit mündlich dargelegt worden und inzwischen auch durch Graf Szögyeny selbst zur Kenntnis der kaiserlichen Regierung gebracht worden.
Graf Szögyeny sah sich veranlaßt, nach Erhalt des Er- lasses, am 21. Juli, 7 Uhr 50 Minuten p. m., telegraphisch festzustellen':
Dem Erlasse vom 20. Juli entsprechend, könnte die beigeschlossene Note erst am 24. Juli vormittags der Berliner Regierung zur Kenntnis gebracht werden.
Wördich fährt Graf Szögyeny in seinem Telegramm fort: „Nach meiner ergebensten Meinung hielte ich es für „unbedingt nötig, Inhalt dieses Erlasses der hiesigen Re- „gierung sofort, also bevor er auch den anderen Kabinetten „mitgeteilt wird, in vorläufig streng vertraulicher Weise zur „Kenntnis zu bringen. In dieser Ansicht werde ich bestärkt „durch eine in meiner heutigen Unterredung fallengelassene Be- „merkung des Staatssekretärs, der mich fragte, ob ich schon „eine Mitteilung aus Wien über den Inhalt der für Belgrad
1 Erlaß nach Berlin d. d. Wien, 20. Juli, Nr. 3426.
- Vergleiche hiezu die Stelle im Privatschreiben des Grafen Szögyeny an Graf Berchtold vom 21. Juli (Seite 111 unten): Auch glaube der k. u. k. Botschafter noch hervorheben zu sollen, der Staatssekretär habe ihm klar zu verstehen gegeben, „daß Deutschland selbstredend unbedingt und mit aller Kraft hinter der Monarchie stehen werde, daß es aber für die deutsche Regierung gerade aus diesem Grunde von vitalem Interesse sei, beizeiten darüber informiert zu werden, wohin unsere Wege führen.''
3 Telegramm aus Berlin d. d. 21. Juli, 7 Uhr 50 Minuten p. m.. Nr. 271.
110
„bestimmten Note erhalten habe. Er habe durch Herrn „von Tschirschky erfahren, daß dieselbe bereits am 23. ,,d. M. überreicht würde, und er glaube doch erwarten zu „können, daß man die deutsche Regierung als Bundes- „genossin früher als die anderen Kabinette von dem Inhalte „und den Modalitäten unseres Belgrader Schrittes benach- „richtigen werde." '
In einem besonderen Schreiben an Graf Berchtold gab Graf Szögyeny noch am selben Tage seiner Ansicht über die unleidliche Situation Ausdruck, die dem Wiener Kabinett (und dem k. u. k. Botschafter selbst) aus der erst zum ange- gebenen Zeitpunkte vorzunehmenden Durchführung des Er- lasses erwachsen könnte:
Mit seinem heutigen Telegramm- habe Graf Szögyeny dem Grafen Berchtold gemeldet, daß es nach seiner An- sicht dringend notwendig wäre, die von der Wiener Regie- rung am 23. 1. M. an Serbien zu übergebende Note früher als den anderen Kabinetten, und zwar ehestens, dem von Berlin mitzuteilen.
„Da von Kaiser Wilhelm angefangen", setzt Graf Szögyeny sein Schreiben fort, ,,alle maßgebenden hiesigen Kreise unserer „Aktion Serbien gegenüber von dem ersten Moment an ohne „weitere Bedenken in loyalster Weise ihre Unterstützung „zugesagt haben, so glaube ich, daß wir eine Verstimmung „hier vermeiden sollten, die dadurch entstehen könnte, daß „wir durch gleichzeitige Bekanntgabe unserer Note an „Serbien an alle Kabinette, dasjenige Deutschlands, unseres „Bundesgenossen, auf die gleiche Linie mit den Regierungen „der anderen Großmächte stellen würden. Ich rechne daher „zuversichtlichst darauf, daß Euer Exzellenz mir die Er- „mächtigung erteilen werden, die betreffende Mitteilung der „hiesigen Regierung sofort zu machen."
„Zum Schlüsse", beendete Graf Szögyeny sein Schreiben, „glaube ich noch hervorheben zu sollen, daß der Herr „Staatssekretär mir klar zu verstehen gab, daß Deutschland „selbstredend unbedingt und mit aller Kraft hinter der „Monarchie stehen werde, daß es aber für die deutsche
' Vgl. die Ausführungen Seite 73 Mitte. - Vgl. Seite 110, Anmerkung 3.
111
„Regierung gerade aus diesem Grunde von vitalem Interesse
„sei, beizeiten darüber informiert zu werden, wohin unsere
„Wege führen, und insbesondere, ob wir eine provisorische
„Besetzung serbischen Gebietes vor hätten oder ob wir,
„wie dies auch Graf Hoyos bei seiner letzten Unterredung
„mit dem Reichskanzler durchblicken ließ, eine Aufteilung
„Serbiens als ultima ratio beabsichtigten."
Weisung Den telegraphisch übermittelten Erwägungen Graf Szö-
G"-»f gyenys begegnete Graf Berchtold am 22. luli mit der Fest-
andenk. u.k. Stellung': „Der bewußte Erlaß hatte Deutschland gegenüber
Botschafter ^^ledigHch formalc Bedeutung: Die offizielle Übergabe
„unserer Note sollte in Berlin unter denselben Modalitäten
„erfolgen, wie bei den anderen Signatarmächten. Streng
„vertraulich haben wir Herrn von Tschirschky die er-
„wähnte Note (die bekanntlich auch jene an Serbien textuell
„anführt) schon gestern [21. Juli] mitgeteilt; sie ist durch
„den .Herrn Botschafter jedenfalls bereits nach Berlin vor-
„gelegt worden."
Das Berliner Gemäß dicscr Ko n s 13 ti er u n ge n des Wiener
Kabinett KabiRetts selbst muß an dieser Stelle die Tatsache
ohne Kennt-
nisdeswori- festgehalten werden, daß dem Berliner Kabinett lautes der dcrWoTtlaut der österreichisch-ungarischen Begeh r-
österrei- ^ "
chisch-unga- note (a u c h in dem - tatsächlich erfolgten - Falle, rischenNote (jgß jj g ^ Jext vom dcutschcH Botschafter nach Er-
an Serbien
halt unverzüglich nach Berlin weitergeleitet wurde) doch erst zu einem Zeitpunkte zukommen konnte, in dem eine Beeinflussung des Wiener Kabinetts seitens der deutschen Regierung durch eingehende Be- ratung und Antragstellung nicht mehr möglich war-.
' Weisung nach Berlin d. d. Wien, 22. Juli, 1 Uhr p. m., Nr. 249.
2 Vgl. Seite 142, Anmerkung 1. — Dali in eingeweihten deutschen Kreisen auch späterhin der Eindruck vorherrschend blieb, das Berliner Kabinett sei bei der Festsetzung der Modalität des Vorgehens der Monarchie gegen Serbien nicht aktiv beteiligt, geschweige denn der drängende Teil gewesen, erhellt unter anderem aus dem instruktiven Depeschenwechsel des k. u. k. Ministers des Äußern Grafen Ottokar Czernin mit dem k. u. k. Botschafter in Berlin Prinzen zu Hohenlohe vom Anfang April 1918.
Graf Czernin telegraphierte am 2. April an den k. u. k. Botschafter in Berlin:
112
Gab es also, wie wir früher feststellen konnten, niemals einen Kronrat zu Potsdam, der den Krieg gegen
„Während meines Aufenthaltes in Bukarest hat Staatssekretär „von Kühlmann die Vorgeschichte des Krieges zur Sprache gebracht und „hiebei die Anschauung geäußert, daß Deutschland lediglich aus Bundes- „treue uns gegenüber sich mit unserem Ultimatum an Serbien einver- „standen erklärt, uns aber keineswegs zu einem energischen Vorgehen „ermutigt habe.
„Da mir bekannt war, daß diese Auffassung sich durchaus nicht mit „den Eindrücken decke, welche unsere damalige Leitung der auswärtigen „Angelegenheiten von der Haltung der maßgebenden Faktoren des Deutsehen „Reiches, speziell in dem entscheidenden Monat Juli des Jahres 1914 „gewonnen hatte, habe ich mit Herrn von Kühlmann vereinbart, daß ich „nach meiner Rückkehr nach Wien die betreffenden Akten durchsehen „und ihm dann weitere Mitteilungen zukommen lassen werde.
„Die beiliegenden Piecen [es waren dies 7 Kopien; soweit es sich „konstatieren läßt, partielle Abschriften der folgenden Stücke: Tagesbericht „Nr. 3117 (vgl. Seite 40, Anmerkung 1); Telegramm aus Berlin Nr. 237 „(vgl. Seite 30, Anmerkung 2); Telegramm aus Beriin Nr. 239 (vgl. Seite 32, „Anmerkung 1); Telegramm aus Berlin Nr. 244 (vgl. Seite 73, Anmer- „kung 3); Brief Graf Berchtolds an Grafen Tisza (vgl. Seite 68, An- „merkung 1); Bericht aus Beriin Nr. 60/P (vgl. Seite 41, Anmerkung 1); „das 7. Stück ist nicht feststellbar], welche sämtlich aus der ersten Hälfte „des Monats Juli stammen, bestätigen nun in unzweifelhafter Weise „die von mir Herrn von Kühlmann gegenüber vertretene Auffassung, „daß uns nämlich Deutschland zu einem scharfen Auftreten geradezu „gedrängt hat.
„Ich ersuche Euer Exzellenz, dem Staatssekretär unter Betonung des „streng geheimen und rein persönlichen Charakters dieser Mit- „teilung Einsicht in diese Schriftstücke zu geben, ihm dieselben jedoch nicht „zu überiassen, falls dies ohne Kränkung des Herrn Staatssekretärs möglich „ist. Euer Exzellenz wollen beifügen, daß auch Graf Wedel schon vor einiger „Zeit auf Grund eines Auftrages des Auswärtigen Amtes dieses Thema „hier zur Sprache gebracht hatte, und daß ihm speziell das Schreiben des „Grafen Berchtold an den Grafen Tisza vom 8. Juli 1914 mitgeteilt „worden ist."
Herr von Kühlmann ließ seinen Dank für die „hochinteressanten Mitteilungen" übermitteln und wollte anläßlich des bevorstehenden Zusammentreffens in Bukarest noch Gelegenheft nehmen, den Inhalt der Dokumente zu besprechen. (Telegramm des k. u. k. Botschafters aus Beriin d. d. 8. April 1918.)
Graf Czernin scheint übrigens von der Beweiskraft der ausgewählten Aktenstücke nicht durchaus überzeugt gewesen zu sein. Wenigstens muß, da die meisten der erwähnten Dokumente in mehrfachen Kopien vorhanden waren und etwa die Preisgabe des Chiffregeheimnisses
^ 113
Serbien beschlossen hätte, wohl aber einen k. u. k. Ministerrat in Wien am 7. Juli, der diese Materie behandelte, so sehen wir uns jetzt der Tatsache gegenübergestellt, daß die Berliner Regierung an der Abfassung der österreichisch-ungarischen Note an Serbien keinerlei Anteil hatte.
Rom Ein- Herrn von Merey wurde die Zirkularnote der Wiener
weilung'*'^ Regierung am 20. Juli mit der Weisung zugesendet ', die
praktisch nicht in Frage kam, der Mangel eines sachlich bedingungs- losen Vertrauens zur Erklärung der immerhin auffallenden Tatsache herangezogen werden, daß Graf Czernin eigenhändig in dem Konzepte der Weisung die Einschaltung des Passus vornahm: „ihm dieselben (die „Abschriften dem Staatssekretär) jedoch nicht zu überlassen, falls dies „ohne Kränkung des Herrn Staatssekretärs möglich ist".
Auch ersche'nt noch ein weiterer Umstand beachtenswert. Das Konzept des oberwähnten Telegramms an den Priiizen Hohenlohe d. d. 2. April 1918 war von dem in Dienstesverwendung im k. u. k. Mini- sterium des Äußern stehenden ehemaligen k. u. k. Botschafter in Rom, Herrn von Merey, aufgesetzt worden. Derselbe Diplomat legte seine eigene Auffassung über die Stellungnahme des Deutschen Reiches zum Konflikt der Monarchie mit Serbien während der kritischen Tage im Juli 1914 selbst in folgender Zusammenfassung dar (Bericht aus Rom d. d. 27. Juli, Z. 34 P.):
„Mein Gefühl geht sonach dahin, daß das deutsche Kabinett über „die Situation in Petersburg und Paris hinlänglich informiert und beruhigt „ist, um ein Eingreifen von diesen Seiten nur im alleräußersten Falle zu „fürchten, daß es auf verschiedenen Wegen, zum Beispiel in Rom und „Bukarest, auch unserem kriegerischen Konflikt mit Serbien entgegen- „zuarbeiten trachtet und sich mit der Hoffnung trägt, es würden auf diese „Art in der Zeit zwischen der Obergabe unseres Ultimatums in Belgrad „und dem Ausbruche der Feindseligkeiten von allen Seiten, von Freund „und Feind, genügende diplomatische und politische Barrieren aufgerichtet „werden, um das Losschlagen zu verhindern. Gelänge dies, so würde „schließlich Serbien in der Hauptsache nachgeben, in der Form aber eine „gewisse Schonung seiner staatlichen Würde zugebilligt erhalten. Es wäre „dies schließlich jener von Euer Exzellenz vorläufig so perhorreszierte „Ausgang, welcher in der Tat für uns eine gegenüber der dermaligen „noch weit verschlechterte Situation schaffen würde.
„Deutschland würde aber wieder in Wien einen billigen und unver- „dienten Jubel über sein Eintreten für uns ,in schimmernder Wehr' ein- „heimsen."
1 Erlaß nach Rom d. d. Wien, 20. Juli, Nr. 3427.
114
Übergabe, die, falls Marquis di San Giuliano noch von Rom abwesend sein sollte, auch an seinen Stellvertreter erfolgen könne, am Freitag, den 24. Juli, durchzuführen. Nähere mündliche Erläuterungen des k. u. k. Botschafters dürften sich bei diesem Anlasse kaum noch als notwendig erweisen, da Herr von Merey den italienischen Minister des Äußern ohnehin erst kurz vorher gesehen und ihn auf das Kom- mende vorbereitet habe.
Bevor noch diese Weisung an den k. u. k. Botschafter instruk- am 20. Juli mittels Kurierpost abgesendet worden war, hatte ^""/d! san das römische Kabinett einen Schritt unternommen, der sich ciuiianos an für die beiden Kaisermächte von folgenschwerer Bedeutung j^^en ve"' erwies. Er entsprang der Kenntnis Marquis San Giulianos treter in über die Absichten der Monarchie gegen Serbien und über '"'''"^''"''s
ö o und Bukarest
die bundestreue Entschlossenheit des Berliner Kabinetts, für (vor2o. jum alle eventuellen Konsequenzen einzustehen. Marquis di San Giuliano hatte unverzüglich nach Petersburg und Bukarest Instruktionen erteilt, die dortigen Regierungen auf Umwegen zu veranlassen, in Berlin und Wien drohend aufzutreten, um die österreichisch-ungarische Aktion zu verhindern •. Selbst- verständlich — so hieß es in einer diesbezüglich Herrn von Merey noch am 20. Juli zugeschickten Instruktion - — würden eventuelle Intimidierungsversuche in Wien wirkungs- los bleiben.
Bei seiner voraussichdich am 21. Juli stattfindenden versiändi- Zusammenkunft mit Marquis di San Giuliano habe der fg^fsehen k. u. k. Botschafter ungefähr folgende Sprache zu führen»: Kabinetts
Über den Abschluß der Untersuchung in Sarajevo und über die in Belgrad aus diesem Anlasse beabsichtigten Schritte des Wiener Kabinetts seien dem k. u. k. Bot- schafter noch keine präzisen Informationen zugekommen. Doch sei derselbe verständigt worden, daß das bereits vor- liegende Material sowie die seit Jahren fortgesetzten
' Wir werden die Folgewirkungen dieser Demarche in der Gestaltung der Krise verschiedentlicli zu konstatieren haben. (Vgl. Seite 164, Anmer- kung 3, und Seite 201, Anmerkung 1.)
2 Weisung nach Rom d. d. Wien, 20. Juli, 5 Uhr 30 Minuten p. m., Nr. 842.
= Weisung nach Rom d. d. Wien, 20. Juli, Nr. 843.
115
(21. Juli)
Wühlereien das Wiener Kabinett zu einer ernsten Sprache in Belgrad zwingen würden.
Der k. u. k. Botschafter sei ermächtigt worden, dies Marquis di San Giuiiano mitzuteilen und hinzuzufügen, das Wiener Kabinett erachte bei seinem Schritte in Belgrad den friedlichen Erfolg als durchaus im Bereiche der Mög- lichkeit gelegen. Jedenfalls sei das Wiener Kabinett über- zeugt, daß es bei Klärung des Verhältnisses der Monarchie zu Serbien auf die bundestreue und loyale Haltung Italiens rechnen könnte. Marquis di San Giuiiano hätte in richtiger Beurteilung der internationalen Lage sowohl öfters Herrn von Merey, als auch Graf Berchtold in Abbazia erklärt, Italien brauche ein starkes Österreich-Ungarn. Die Klärung des so mißlichen Verhältnisses der Monarchie zu Serbien erscheine als eine absolute Notwendigkeit zur Erhaltung der gegenwärtigen Situation der Monarchie und der derzeitigen Widerstandskraft des Dreibundes, auf dessen Pestigkeit der Friede und das Gleichgewicht Europas beruhe. Im gegen- wärtigen Augenblick sei es auch im Interesse Italiens, daß dasselbe offensichtlich die Partei der Monarchie ergreife. Miiieiiungen Herr von Tschirschky eröffnete dem Grafen Berchtold T^hTrs'chkvs '" cincr Besprechung am 20. Juli ', man sei in Berlin sehr ,20. Juli) besorgt wegen der Haltung Italiens angesichts der geplanten Aktion der Monarchie gegen Serbien. Der deutsche Bot- schafter in Rom hätte unter dem 15. Juli berichtet, daß man in der Umgebung des Marquis di San Giuiiano infolge pessimistisch lautender Berichte des Herzogs von Avarna beunruhigt sei. San Giuiiano vermeide eine diesbezügliche eingehende Konversation mit Flotow; Luzzati und andere aus der Umgebung des Ministers ließen sich aber dahin vernehmen, daß Österreich-Ungarn sich durch zu weit- gehende Forderungen ins Unrecht setzen würde und nicht auf die Unterstützung Italiens rechnen könne.
Unter dem 16. 1. M. hätte dann Herr von Flotow ge- meldet, daß Marquis di San Giuiiano ein völkerrechtliches Gutachten seitens Fusinatos eingeholt habe, ^demzufolge Reklamationen an einen fremden Staat nur wegen gemeiner
1 Tagesbericlit d. d. 20. Juli, Nr. 3425. 116
Verbrechen, nicht wegen politischer Propaganda zulässig seien. Die Ermordung des Thronfolgers sei nicht von Unter- tanen Serbiens begangen worden, daher könne sie nicht zum Gegenstande einer Reklamation gemacht werden.
Der italienische Minister des Äußern hätte sich auch dahin geäußert, daß Italien unmöglich eine Politik der Unter- drückung der nationalen Idee mitmachen könne. Zwischen Wien und Rom hätten sich seit den Triester Erlässen des Prinzen Hohenlohe, die in ganz Italien peinlichstes Aufsehen hervorgerufen hätten, wiederholte Differenzen ergeben, unter deren Einfluß sich eine Stimmung gegen die Monarchie herausgebildet habe, gegen welche anzukämpfen vergebliche Arbeit wäre. Marquis di San Giuliano sehe so viele schwarze Punkte am Horizont der wechselseitigen Beziehungen, daß er an der weiteren Arbeit zur Erhaltung des Einvernehmens beinahe verzweifle. Auch fürchte er, Italien werde die öster- reichischen Reklamationen nicht unterstützen können, ohne sich in Gegensatz mit den tief eingewurzelten Prinzipien des italienischen Volkes zu setzen.
Herr von Jagow komme angesichts dieser Meldungen zum Schlüsse, daß eine Aktion Österreich-Ungarns nicht nur keiner Sympathie in Italien begegnen, sondern eventuell direkten Widerstand finden würde. Der deutsche Staats- minister würde daher dringend raten, daß sich das Wiener Kabinett mit Italien ins Einvernehmen setze, wobei er der Ansicht Ausdruck gebe, daß eine Aktion Italiens gegen Valona (welche Italien zwar nicht intendierte und auch nicht gerne unternehmen würde, zu welcher es aber ä titre de compensation genötigt werden könnte) geeignet wäre, Italien zu „beschäftigen", und dessen Aufmerksamkeit von der serbischen Aktion der Monarchie abzulenken.
Graf Berchtold machte in seiner Erwiderung vor allem geltend, es sei sehr bedauerlich, daß Italien allem Anscheine nach bereits Wind von dem geplanten Vorgehen der Mon- archie gegen Serbien erhalten habe. Von Wien aus, wo dem italienischen Botschafter keinerlei Andeutung gemacht worden sei ', könne die italienische Regierung ihre Informa- tion nicht gewonnen haben.
' Vgl. Seite 142, Anmerkung 1, Absatz 5.
117
Die Versicherung Herrn von Tschirschkys, das deutscher- seits auch keine gegenständliche Mitteilung erfolgt sei, quit- tierte Graf Berchtold mit der Bemerkung, daß Flotow vielleicht von sich aus einiges erzählt haben könnte. Solche Konfidenzen an Italien, von welcher Seite sie auch aus- gegangen sein mögen, erschienen dem Grafen Berchtold höchst bedenklich, und es stünden ihm schon jetzt Anhalts- punkte zur Verfügung, daß es sich Italien angelegen sein lasse, die Aktion des Wiener Kabinetts zu durchkreuzen. Graf Berchtold könnte sich daher auch nicht entschließen, sich jetzt- schon in einen Gedankenaustausch über die ge- plante Aktion mit der italienischen Regierung einzulassen, (was übrigens in dieser Weise seinerzeit in Berlin zwischen Unterstaatssekretär Zimmermann und Graf Hoyos be- sprochen worden sei) '. Das Wiener Kabinett beabsichtige, einen Tag vor Mitteilung der Note an Serbien das Kabinett von Rom diesbezüglich zu informieren, was dem Grafen Berchtold als Courtoisieakt einem unverläßlichen Verbün- deten gegenüber vollkommen hinlänglich erscheine.
In merito machte Graf Berchtold geltend, daß durch einen Ministerratsbeschluß bereits festgestellt worden sei, die Monarchie würde kein serbisches Gebiet annektieren, wodurch italienische Kompensationsansprüche, selbst wenn man solche aus einer willkürlichen Interpretation des Artikels VII 3, herleiten wollte, in sich selbst zusammen- fielen. Was speziell Valona anbelange, bestehe in der Mon- archie eine so starke Strömung in der öffentlichen Meinung gegen die Zulassung einer italienischen Festsetzung auf der jenseitigen fKüste der Adria an der Straße von Otranto, daß sich Graf Berchtold auf eine Transaktion über diesen Punkt nicht einlassen könnte ".
Wenn kalienischerseits das Nationalitätenprinzip in den Vordergrund gestellt werde, so sei darauf zu erwidern, daß die Monarchie nichts anderes anstrebe, als ihren serbischen Staatsangehörigen weitgehende Freiheiten zu geben, bezie- hungsweise die bereits denselben konzedierten Freiheiten
' Die eingeklammerte Bemerkung nachträglicher Zusatz im Konzept.
- Vgl. den Text Seite 119, Anmerkung I.
- Vgl. Seite 309.
118
ungeschmälert zu erhalten, daß die Monarchie aber eben hieran durch die großserbische Wühlarbeit gehindert werde, gegen welche sie Stellung nehmen müsse. Graf Berchtold legte Herrn von Tschirschky auch nahe, über Berlin Mar- quis dl San Giullano auf den Widerspruch aufmerksam zu machen, der darin gelegen sei, daß dieser einerseits versichere, Italien brauche ein starkes Österreich-Ungarn als Schutz- wall gegen den Slawismus, anderseits in kritischen Mo- menten eine Politik mache, die ihn mit Rußland, der Vor- macht des Slawismus, zusammenführe und darauf ausgehe, der Monarchie die Möglichkeit zu benehmen, ihren gegen- wärtigen Besitzstand zu erhalten.
Schließlich betonte Graf Berchtold, daß sich das Wiener Kabinett durch solche Machinationen Italiens nicht ein- schüchtern und sich vom vorgesteckten Pfade nicht ablenken lassen dürfte, um so weniger als er aus der Bericht- erstattung des k. u. k. Botschafters am Quirinal ersehe, daß Italien derzeit infolge des lybischen Feldzuges noch keineswegs aktionslustig sei und seinem Unmut gegen die Monarchie wohl in Worten, kaum aber in Taten Luft machen werde.
Da in Wien mit der wachsenden Wahrscheinlichkeit noUz und
gerechnet werden mußte, daß die italienische Regierung für sJhtH"hder
den Fall einer kriegerischen Komplikation zwischen der imerpretie-
Monarchie und Serbien den Artikel VII des Dreibund- AriLis"vii
Vertrages " in einem ihr genehmen Sinne zu interpretieren des Drei- bund- vertrages
' Der Text des Artikels lautet: „L'Autriche-Hongrie et l'Italie, n'ayant „en vue que le maintien autant que possible du statu quo territorial en „Orient, s'engagent ä user de Leur influence pour prevenir toute modifi- „cation territoriale qui porterait dommage a l'une ou ä l'autre des Puis- „sances signataires du present Traite. EUes se communiqueront ä cet „efFet lous les renseignements de nature ä s'eclairer mutuelleinent sur „Leurs propres dispositions ainsi que sur Celles d'autres Puissances. „Toutefois dans le cas oü, par suite des evements, le maintien du statu „quo dans les regions des Balcans ou des cötes et lies ottomanes dans „l'Adriatique et dans la mer Egee deviendrait impossible et que, soit en „consequence de l'action d'une Puissance tierce soit autrement, l'Autriche- „Hongrie ou l'Italie se verraient dans la necessite de le modifier par une „occupation temporaire ou permanente de Leur part, cette occupation „n'aura lieu qu'apres un accord prealable entre les deux Puissances, base
119
versuchen und die Kompensationsfrage aufwerfen werde, wurde dem k. u. k. Botschafter in Rom am 20. Juli eine Notiz zugestellt, die ihm als Richtschnur dienen sollte, um einer allenfalls von Marquis di San Giuliano gesprächsweise vorgebrachten italienischen Interpretation des obgenannten Artikels entgegentreten zu können.
Die Ausführungen der Notiz gipfelten in der Auf- fassung:
Es hieße den Geist des Dreibundvertrages gründlich verkennen, wenn man Artikel VII dahin interpretieren wollte, daß die temporäre Besetzung von Gebieten eines mit der Monarchie im Kriegszustande befindlichen benach- barten Balkanstaates von einem vorherigen "auf Grund einer Kompensation erzielten Einverständnisse mit Italien ab- hängig wäre.
Der Wortlaut des Artikels VII ließ es indessen fraglos erscheinen, daß man sich in Rom zur österreichisch- ungarischen Interpretierung desselben nicht bequemen werde. Der k. u. k. Botschafter erhielt darum am 21. Juli die Weisung ', daß er, sofern Marquis di San Giuliano auf seinem Standpunkte verharre, eine weitere Diskussion zu vermeiden habe und sein Verhalten damit begründen solle, es werde wohl keinem der beiden Teile gelingen, den anderen zu seiner Interpretation zu bekehren. Vielmehr schiene es in beiderseitigem Interesse gelegen, anstatt einer juridischen Diskussion über die Auslegung eines Artikels die Situation vom Standpunkte der großen Interessen Österreich-Ungarns und Italiens als Freunde und Bundes- genossen zu besprechen. Auch erscheine es dem Grafen Berchtold nicht unbedenklich, wenn eine Aussprache über den Artikel VII in Rom eine gereizte Stimmung hervor- rufen und in der letzten Konsequenz sich vielleicht sogar zu einer Gefährdung des gesamten Vertrages zuspitzen könnte.
„sur le principe d'une compensation reciproque pour tout avantage, terri- „toriale ou autre, que chacune d'Elles obtiendrait en sus du statu quo „actuel et donnant satisfaction aux interets et aux pretentions bien fond^es „des deux Parties."
1 Weisung nach Rom d. d. Wien, 21. Juli, Nr. 848.
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Zum selben Gegenstande erhielt Graf Szögyeny die Instruktion ', sich dem Staatssekretär gegenüber dahin aus- zusprechen, daß eine Diskussion zwischen Italien und der Monarchie über die Auslegung des Artikels VII im gegen- wärtigen Augenblicke nach Ansicht des Wiener Kabinetts lieber unterbleiben sollte.
Herr von Merey erhielt in seiner Besprechung am Unterredung Nachmittage des 21. Juli Gelegenheit, den Standpunkt des "^revsTit' italienischen Ministers des Äußern kennen zu lernen-. Der Marquis di Minister zeigte sich hinsichtlich der bevorstehenden De- f,7 jun,'""" marche des Wiener Kabinetts in Beigrad sehr präokkupiert. Er hörte den Ausführungen Herrn von Mereys aufmerksam zu und machte sich Notizen. Was die Klärung des Ver- hältnisses der Monarchie zu Serbien anbelange, setzte der Minister weitläufig auseinander, könnte die Monarchie eine Sanierung nicht mit Demütigung und Gewalt, sondern nur mit Konzilianz herbeiführen. Für national gemischte Staaten, wie für die Monarchie, sei dies die einzige Politik, und bei den Deutschen und Polen sei dies der k. u. k. Regierung auch gelungen. Herr von Merey erklärte dies oft vorge- brachte Raisonnement für rein theoretisch und überdies falsch; die Wirklichkeit sehe anders aus. Auch versäumte er es nicht, auf alles, was die Monarchie für Serbien seit dem Berliner Vertrage getan habe, auf ihre Konzilianz während des Balkankrieges und auf die immer heftigere panserbische Offensive hinzuweisen.
Italien, fuhr der Minister fort, wünsche ein starkes Öster- reich-Ungarn, aber so wie es sei, ohne territoriale Ver- größerung. Jede solche — das müsse er mit aller Offenheit erklären — würde von Italien, welches eine Politik der Konzilianz und des Gleichgewichtes befolge, als seinen Interessen abträglich betrachtet werden. Die Ausführungen des k. u. k. Botschafters, daß das Wiener Kabinett keine Gebietseinverleibung anstrebe, nahm der Minister mit Be- friedigung, eine weitere Bemerkung, daß die Monarchie keinen Überfall auf den Lovcen plane, mit schlecht ver- hülltem Jubel auf.
' Weisung nach Berlin d. d. Wien, 22. Juli, Nr. 250. " Telegramm aus Rom d. d. 21. Juli, Nr. 525.
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Marquis di San Giuliano erklärte schließlich, es sei seine entschiedene Absicht, das Wiener Kabinett zu unter- stützen, wenn dessen Begehren an Serbien ein solches sei, daß seine Erfüllung legitim erscheine. Andernfalls hätte er die Stimmung seines ganzen Landes gegen sich, das nun einmal liberal seines revolutionären Ursprunges eingedenk sei und für irredentistische Manifestationen, wo immer, Sympa- thien habe. Er betonte, seine Haltung werde erleichtert, wenn die österreichisch-ungarische Demarche in Belgrad sich, wenn nicht ausschließlich doch worwiegend, auf die Katastrophe in Sarajevo und weniger auf sonstige Agi- tationen stützen werde.
Herr von Merey argumentierte gegen alle diese Ein- schränkungen, die er theoretisch als verfehlt (weil Serbien auf das Niveau eines modernen Kulturstaates stellend), praktisch als ungenügende Freundschaft und Solidarität bezeichnete.
Schließlich bemerkte Marquis di San Giuliano, sein Vertrauen auf die Mäßigung des Wiener Kabinetts gegen- über Serbien gründe sich vor allem auf die Weisheit des Monarchen.
Der k. u. k. Botschafter empfing aus dieser Unterredung im Ganzen wohl den Eindruck vieler freundlichen Phrasen, aber ebenso vieler mentalen Reservationen sowie die Über- zeugung, der Minister glaube offenbar vorläufig nicht an den Krieg, sondern an ein Einlenken Serbiens, wobei er vermutlich auf ein intensives diplomatisches Einwirken der Mächte in Wien und Belgrad rechne. Wider- Am 22. Juli, 7 Uhr abends, erging die Weisung an Herrn
dcn"weilun- ^"^^ Mcrey s Marquis di San Giuliano im Verfolge der bereits gen an den gemachten Mitteilungen streng vertraulich zu eröffnen, daß k u. k. Bot- jjg Demarche des Wiener Kabinetts in Belgrad nunmehr
scnaller o
für Donnerstag, den 23. Juli nachmittags, festgesetzt sei. Die Verständigung der Signatarmächte erfolge am Freitag, den 24. 1. M., und es werde der k. u. k. Botschafter an diesem Tage auch in der Lage sein, der italienischen Regierung offizielle Kenntnis von der^ österreichisch-ungarischen
' Weisung nach Rom d. d. Wien, 22. Juli, 7 Uhr p. m., Nr. 852. 122
Demarche in Belgrad zu geben. Der heutige Schritt erfolge nur in Rom, Berlin und Bulcarest, mit spezieller Rücksicht auf das Bundesverhältnis.
Herr von^Merey wolle diese Mitteilung womöglich Marquis di San Giuliano persönlich (wenn dies unmöglich, seinem Vertreter) erst nachmittags (23. Juli) machen. Das Wiener Kabinett wolle nämlich unbedingt vermeiden, daß die Nach- richt noch am selben Tage von Rom nach Petersburg gelange.
Bevor noch diese Instruktion in Rom eintraf, hatte Herr von Merey am 23. Juli, [12 Uhr 10 Minuten ,vormittags, ein Telegramm nach Wien expedieren Jassen', 'das der augen- blicklich unklaren Situation Ausdruck gab, in der sich der k. u. k. Botschafter zufolge der erhaltenen gegenständlichen Instruktionen befinde: Graf Berchtold habe den k. u.'k. Bot- schafter in Rom mittels Telegramms vom 15. Juli ermächtigt -, Marquis di San Giuliano die Demarche in Belgrad (und da die Tatsache einer solchen längst [notorisch sei, könnte es sich nur um ihren Inhalt handeln) einen Tag früh.er an- zukündigen. Hierüber sei Herr von Merey ein telegraphisches Aviso hinsichtlich der bezüglichen Daten in Aussicht gestellt worden.
Im Widerspruch mit diesem bisher nicht widerrufenen Auftrag entnehme Herr von Merey dem heute — am 22. Juli — durch Kurier übermittelten Erlaß vom 20. Juli, daß, obwohl die Demarche in Belgrad schon am 23. stattfinde,, dem Minister des Äußern die betreffende Mitteilung am 24. 1. M., also nicht einen Tag früher, sondern sogar einen Tag später zu machen sei.
Angesichts dieser Aktenlage, und da er, Herr von Merey, in seiner am 21. Juli mit dem Minister gepflogenen Unter- redung instruktionsgemäß erklärt habe, über den Schritt in Belgrad noch ohne Informationen zu sein, werfe sich die Frage auf, ob der k. u. k. Botschafter nicht doch die in Rede stehende Mitteilung nicht erst am 24. d. M., sondern schon am 23. machen solle.
» Telegramm aus Rom d. d. 22. Juli. Expediert 23. Juli, 12 Ultr 10 Minuten a. m., Nr. 528. 2 Vgl. Seite 77.
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Herr von Merey glaube annehmen zu sollen, daß Graf Berchtold — leider ohne ihn zu informieren — seine Ansicht geändert habe und daß er selbst sich daher an den Erlaß vom 20. Juli halten solle.
Als die Weisung des Grafen Berchtold vom 22. Juli, 7 Uhr abends ', am 23. Juli morgens in Rom anlangte, glaubte Herr von Merey erstens konstatieren zu müssen -, daß die ihm mit dem Telegramm vom 15. Juli zugesagte rechtzeitige Verständigung (um seinen Besuch bei Marquis di San Giuliano in Fiuggi telegraphisch vereinbaren zu können) nicht erfolgt, sondern daß ihm der Auftrag erst am 23. Juli, also dem Tage, an dem die Demarche bereits ausgeführt werden sollte, zu- gekommen sei. Zweitens könne von einem Courtoisieakte gegenüber Italien nicht mehr die Rede sein, da entgegen der einschlägigen Verabredung und entgegen den dem deutschen Botschafter am 20. Juli in Wien gemachten Eröffnungen, die Mitteilung über die Belgrader Demarche in Rom nicht einen Tag vor derselben, sondern erst am 23. Juli nachmittags, also gleichzeitig mit derselben, angeordnet wurde.
Hiezu trete noch unglücklicherweise der Umstand, daß der k. u. k. Botschafter krankheitshalber die Durchführung der Demarche dem Grafen Ambrözy überlassen müsse, der sich nach erfolgter telephonischer Verständigung mit Marquis di San Giuliano heute — am 23. Juli — nachmittags per Automobil nach Fiuggi begeben und dem Minister die anbefohlene Mitteilung machen werde. Äuoerunjen Bei dcm Mlßgcschlck, das die Verhandlungen zwischen italienischen Wicn Und Rom von Anfang an begleitete, konnten die Botschafters bundesfreundlichcn Äußerungen des italienischen Bot- schafters in Wien, Herzogs von Avarna, die dem Grafen Berchtold durch Herrn von Tschirschky am 21. Juli mit- geteilt wurden -^ keine hinlängliche Garantie eines gedeih- lichen Einvernehmens gewähren. Herr von Tschirschky hatte Graf Berchtold zunächst neuerlich verständigt, Marquis di San Giuliano zeige sich über den zu gegenwärtigenden Schritt Österreich-Ungarns gegen Serbien sehr erregt. Doch
I Siehe Seite 122 unten.
- Telegramm aus Rom d. d. 23. Juli, 4 Uhr 15 Minuten p. m., Nr. 531,
^ Tagesbericht vom 21. Juli, Nr. 3443.
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habe Herr von Tschirschky kürzlich ein Gespräch mit dem Herzog von Avarna gehabt, der seiner Überzeugung Ausdruck gegeben habe, die italienische Regierung werde in dem österreichisch-ungarisch-serbischen Streitfalle ihre Bundespflicht getreu erfüllen und — sollten in der italienischen Öff^entlichkeit auch gegenteilige Stimmen laut werden — auf der Seite Österreich-Ungarns stehen.
Die Absicht Graf Berchtolds, dem k. u. k. Botschafter Begründung ' in Rom eine Darstellung der Politik des Wiener Kabinetts t"/!^'"'" ^
" Politik durch
in ihrer speziellen Rückwirkung auf die Beziehungen zu Graf Italien zu geben, zeitigte am 21. Juli die Abfassung eines 2'='"'='"°''' Schreibens an Herrn von Merey, in dem Graf Berchtold die eigenen Anschauungen begründete und charakterisierte':
Für die Haltung des Wiener Kabinetts seien inner- wie außenpolitische Motive maßgebend: die zunehmende Gewiß- heit, daß die in erschreckendem Maße betriebene Minier- arbeit auf bosnisch-herzegowinischem Boden mit Verästelungen nach Dalmatien, Kroatien, Slawonien und Ungarn nur durch energisches Einschreiten in Belgrad, wo die Fäden zusammen- liefen, aufgehalten werden könne, und daß unter rumänischer und russischer Konnivenz eine Orientierung am Balkan im Werdeprozesse sei, deren Endziel die Zertrümmerung der Monarchie bilde. Dessen, daß die Verantwortung bei der exponierten Lage der Monarchie, der Unverläßlichkeit und Eifersucht des italienischen Verbündeten, der Hostilität der rumänischen öffendichen Meinung und dem Gewichte der slawophilen Ratgeber am Zarenhofe keine leichte sei, sei sich Graf Berchtold bewußt. Die Verantwortung dafür, nichts zu tun und weiter die Dinge gewähren zu lassen, bis die Fluten über die Monarchie zusammenschlügen, scheine dem Grafen Berchtold aber noch gewichtiger — wenn auch für den Moment bequemer — als jene, der Gefahr die Stirne zu bieten und die Konsequenzen auf sich zu nehmen.
Bei der Redigierung der an Serbien zu richtenden Note sei für das Wiener Kabinett der Gesichtspunkt maßgebend
' Abschrift eines Sclireibens Graf Berchtolds an Herrn von Merey, Konzept d. d. Wien, 21. Juli, expediert 23. Juli.
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gewesen, das gute Recht der Monarchie, an Serbien ge- wisse Forderungen zur Sicherung der inneren Ruhe der Monarchie zu stellen, vor aller Welt zu dokumentieren, diese Forderungen aber derart zu formulieren, daß von Serbien in unzweideutiger Weise gegen die monarchiefeind- liche Propaganda pro praeterito und pro futuro Stellung genommen und der Monarchie die Möglichkeit geboten werde, von nun an diesbezüglich mitzusprechen. Es sei dem Wiener Kabinett nicht darum zu tun gewesen, Serbien zu demütigen, sondern hinsichtlich seines nachbarlichen Ver- hältnisses zur Monarchie eine klare Situation zu schaffen und als praktisches Resultat — entweder bei Annahme der Forderungen einen gründlichen Säuberungsprozeß in Serbien unter Mitwirkung der Monarchie oder bei Ablehnung des- selben eine Auseinandersetzung mit den Waffen und in weiterer Folge — die tunlichste Lahmlegung Serbiens zu erzielen.
Wie sich Herr von Merey denken könne, war es nicht ganz leicht, eine Einigung im gemeinsamen Ministerrate über die Textierung der Note zu erzielen, zumal ein gewisser Unterschied in der Auffassung der Situation zwischen dem Grafen Berchtold und Grafen Stürgkh einerseits und dem Grafen Tisza andrerseits zutage getreten sei, indem letzterer auch in einem bloßen diplomatischen Erfolge ein Mittel zur Befestigung der österreichisch-ungarischen Stellung am Balkan sehe und den Bruch tunlichst vermieden haben wolle, während Graf Berchtold auf Grund des 1909 und 1912 errungenen diplomatischen Erfolges, der der Monarchie auf die Dauer nicht genutzt, sondern das Verhältnis zu Serbien nur verschärft habe, einem neuen friedlichen Triumph äußerst skeptisch gegenüberstehe. Hierüber teile auch Graf Stürgkh vollkommen die Ansicht des Grafen Berchtold. Durch schrittweises Entgegenkommen de part et d'autre sei es schließlich gelungen, diesbezüglich eine Über- einstimmung herzustellen, wie auch hinsichtlich des End- zieles des eventuellen Waffenganges, bezüglich dessen Graf Tisza absolut festgelegt haben wollte, daß eine Annexion serbischen Gebietes an die Monarchie als j ausgeschlossen erklärt werden müsse, . wozu ;.,Graf Berchtold schließlich
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tinter der Voraussetzung seine Zustimmung gegeben habe, daß strategisclie Grenzrelctifikationen und gewisse Garantien für die zukünftige Haltung Serbiens (Militärkonvention und dergleichen) zu verlangen wären, abgesehen von Gebietsabtretungen an andere Balkanstaaten.
Dem k. u. k. Botschafter in Rom werde nun die gewiß nicht leichte Aufgabe zufallen, die italienische Regierung an der Seite der Monarchie zu erhalten, was, wie Graf Berch- told der telegraphischen Berichterstattung Herrn Mereys entnehme, vorläufig dem Anscheine nach der Fall sei. Das Wiener Kabinett habe den Italienern gegenüber die Allianz, das territoriale Desinteressement und den albanischen Akkord und, was den Artikel VII anbelange, die italienische Okkupation von Inseln im Aegäischen Meere als Atouts in der Hand.
Eine Sonderaktion Italiens gegen Valona würde in der Monarchie den peinlichsten Eindruck hervorrufen. Graf Berchtold glaube, man dürfe in Rom keinen Zweifel darüber aufkommen lassen, daß eine solche Aktion, die den albanischen Akkord zunichte machen und die Londoner Beschlüsse verletzen würde, die größten Komplikationen involvieren könnte. Sollte Italien die Monarchie zu einer Kooperation auffordern, wäre dies allerdings eine Verlegenheit für das Wiener Kabinett und ein nicht ungefährliches Experiment; es scheine dem Grafen Berchtold aber kaum vermeidlich, darauf einzugehen.
Graf Berchtold wolle sich nicht länger in Erörterungen aller der verschiedenen Möglichkeiten und Eventualitäten, die in dieser oder in einer anderen Richtung während der nächsten Wochen an das Wiener Kabinett herantreten könnten, einlassen, da dieses dem Spaziergange in einem Labyrinth gleichkäme.
„Vorderhand habe ich", schloß Graf Berchtold den politischen Teil seiner Ausführungen, „das Gefühl, von der „Vorsehung dazu ausersehen worden zu sein, mich den „Ministern, die Friedenspolitik treiben wollten und Kriegs- „politik machen mußten — von Kardinal Fleury bis Lambs- „dorff — , anzuschließen, hoffentlich mit mehr Erfolg als „der letzte Exponent dieser Richtung!"
127
Paris
Ein»"^- Graf Szecsen hatte auftragsgemäß der Pariser Regierung
\\'e''"^E ^^^ Zirkularnote der i^. u. k. Regierung am Freitag, den 24., vormittags, zur Kenntnis zu bringen. Die Darlegung dieser Staatsschrift sei so beredt, hieß es im Texte der ein- begleitenden Weisung', daß sie den Grafen Berchtold der Aufgabe enthebe, den k. u. k. Botschafter in Paris auch mit einer mündlichen Begründung des Vorgehens gegen- über Serbien zu betrauen. Es werde aber jedenfalls nützlich sein, wenn Graf Szecsen gelegentlich der Übergabe dieser Note daran erinnern wolle, daß sich Frankreich anläßlich der Schwierigkeiten, die in der europäischen Politik der letzten Jahre zutage getreten wären, stets in dankenswerter Weise im Sinne eines Ausgleiches der Gegensätze zwischen den beiden Mächtegruppen betätigt habe.
Graf Szecsen glaubte sofort nach Erhalt des mittels Kuriers am 22. Juli zugestellten Erlasses vom lokalen Ge- sichtspunkte aus erwähnen zu sollen-, daß die Koinzidenz der Wiener Demarche in Belgrad mit der Abreise des Präsidenten aus Petersburg, die am 23. Juli abends erfolgen sollte, in Paris wahrscheinlich vielfach kommentiert und als Überrumpelung ausgelegt werden würde. Herr Poincare verlasse Kronstadt am 23. Juli abends programmäßig und solle am 25. Juli, 10 Uhr früh, in Stockholm eintreffen. Während der Überfahrt dürfte ein telegraphischer Meinungs- austausch ziemlich beschwerlich sein.
Gleichzeitig bat Graf Szecsen um telegraphische Antwort, ob er bei der Übergabe der Kopie der Note eventuell eine vertrauliche Behandlung des Textes verlangen solle oder nicht. Einige der an Serbien, gestellten sehr scharfen For- derungen dürften nämlich in der Pariser Presse recht ab- fällig beurteilt werden, und es wäre vielleicht erwünscht, daß die Pariser Zeitungen den amdichen Text nicht sofort besäßen. Falls die Veröffentlichung in Wien beabsichtigt sei, so wäre das Verlangen nach vertraulicher Behandlung natürlich zwecklos. Übrigens brächten die Pariser Zeitungen
1 Erlaß nach Paris d. d. Wien, 20. Juli, Nr. 3428.
- Telegramm aus Paris d. d. 22. Juli, Nr. 114 und 115.
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bereits Informationen über den Inlialt der an Serbien zu überreiclienden Note.
In Wien hatte sicii der französische Botschafter Herr Unterredung Dumaine bei Graf Berchtold am 22. Juli auf das Ange- ßerch.^id" lesentlichste nach dem Stande des Verhähnisses Öster- mit detn reich-Ungarns zu Serbien erkundiet '. Er icam hiebei auch ^TTT ''"
o '-' rSotscnatter
auf alle Eventualitäten zu sprechen, die sich aus einem (22. jun) energischen Schritte der Wiener Regierung beim Belgrader Kabinett ergeben könnten und auf die Gefahr eines Krieges Österreich-Ungarns mit Serbien, besonders mit Rücksicht darauf, daß dieser den Charakter eines Rassenkrieges des serbischen Volkes gegen die Monarchie annehmen könnte. Diese Gefahr malte Herr Dumaine in den drastischesten Farben aus. Trotzdem schloß er seine Ausführungen damit, daß er auf ein kürzliches Gespräch mit seinem russischen Kollegen hinwies, wobei die in Rede stehende Frage erörtert worden sei und er die Überzeugung gewonnen habe, daß Rußland nicht gesonnen sei, für Serbien anläßlich der be- vorstehenden Auseinandersetzung mit Österreich-Ungarn stark einzutreten und ihm mehr als eine moralische Unter- • Stützung zu gewähren. Im Falle eines Waffenganges zwischen der Monarchie und Serbien würde Rußland, nach Ansicht des französischen Botschafters, nicht aktiv eingreifen, sondern vielmehr anstreben, daß der Krieg lokalisiert bleibe.
Dem k. u. k. Botschafter in Paris beantwortete Graf Koinzidenz Berchtold am 23. Juli die erbetenen Auskünfte dahin-, daß oJ^^J"^^^,,™ "" eine vertrauliche Behandlung des Textes der Zirkularnote mit der nicht verlangt zu werden brauche, da das Wiener Kabinett p"^^^^J"" den betreffenden Text am 24. Juli den Blättern selbst mit- teilen werde.
Was die Koinzidenz der Demarche in Belgrad mit der Abreise Herrn Poincares von Petersburg anbelange, so sei zu bemerken, daß das Wiener Kabinett die Demarche immer für den Moment ins Auge gefaßt habe, in dem — was inzwischen geschehen sei — die Voruntersuchung in Sarajevo
1 Tagesbericht d. d. 22. Juli, Nr. 3487.
- Weisung nach Paris d. d. Wien, 23. Juli, Nr. 152.
9 129
abgeschlossen sein werde. Es wäre übrigens noch viel weniger liebenswürdig gewesen, wenn das Wiener Kabinett durch ein früheres Vorgehen die Festesfreude in Petersburg gestört hätte, während es andrerseits auch dem Wiener Kabinett keineswegs hätte passen können, den Schritt in Belgrad zu machen, während Kaiser Nikolaus und die russischen Staats- männer den Einflüssen der zwei Hetzer Poincare und Iswolsky ausgesetzt gewesen wären.
London
Eiabegiei- Bei dcr Übergabe der Zirkularnote in London sollte
T^^ Graf Mensdorff am Freitag, den 24. Juli vormittags, dem
Staatssekretär oder dessen Stellvertreter darlegen ', daß die englische Politik und die der Monarchie in den letzten Jahren erfreulicherweise auch in den Fragen des nahen Orients eine konvergierende Tendenz gezeigt hätten; das gegenseitige Vertrauen sei wieder hergestellt und auch die englische Öffentlichkeit zeige (nach einer jetzt ganz überwundenen Periode der Schwankungen) wieder volles Interesse für die Bedeutung der österreichisch-ungarischen Großmachtstellung und für die Lebensinteressen der Monarchie. Bei der in die Wege geleiteten Aussprache mit Serbien handle es sich nun eben um ein solches Lebensintqresse. Die Ermordung des Erzherzog-Thronfolgers, die in Serbien beschlossen und geleitet wurde (ein zur Verfügung der Mächte stehendes Dossier gebe darüber erschöpfende Auskünfte-), habe deut- lich gezeigt, wessen man sich zu versehen habe, wenn man Serbien nicht zwinge, alle Verbindungen abzubrechen, die von den politischen Verschwörerzentren (wie der „Narodna Odbrana") nach den Ländern und Gebieten der Monarchie hinüberführten. England, in dem der serbische Königsmord die Gemüter auf das tiefste aufgewühlt habe, werde gewiß begreifen, daß die öffentliche Meinung der Monarchie gebieterisch eine Sühne für die moralische Mitschuld und das verbrecherische Geschehenlassen der Belgrader Kreise fordere. Wie wenig diese Kreise bisher zur Kenntnis der
1 Erlaß nach London d. d. Wien, 20. Juli, Nr. 3429.
2 Vgl. hiezu Seite 134, 152, 153, 161, 167, 197 oben, 202.
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Verwerflichkeit des Sarajevoer Attentats gelangt seien, bewiesen die Äußerungen serbischer Diplomaten und Offiziere nach dem Attentat, beweise jede Zeile, die in den Belgrader Blättern geschrieben werde, und die Tatsache, daß die serbische Regierung noch keinen Finger gerührt habe, um auf serbischem Boden gegen die serbischen Mitschuldigen des Verbrechens vom 28. Juni vorzugehen.
Als Graf Mensdortf (nach Erhalt des Erlasses am Nach- Anfrage des mittag des 22. Juli) eine telephonische Aufforderung Sir jvtensdorn Edward Greys erhielt, am 23. um 3 Uhr nachmittags bei betreffs vor- ihm vorzusprechen, und da er es immerhin für möglich "(',„„"^6" erachtete, daß ihm der englische Staatssekretär in An- zirkuumote gelegenheit des bevorstehenden Schrittes in Belgrad Mit- *^^- ••"''' teilungen machen wolle, erbat sich der k. u. k. Botschafter von Graf Berchtold telegraphisch die Autorisierung ', eventuell statt am 24. früh schon am 23. nachmittags dem Staatssekretär den offiziellen Erlaß mitzuteilen, mit der Bitte, ihn bis zum 24. vertraulich zu behandeln. Die Antwort- depesche des Grafen Berchtold besagte, daß Graf Mensdorff bei seiner am 23. Juli stattfindenden Unterredung mit Sir Edward Grey die offizielle Übergabe der Zirkularnote für den 24. Juli vormittags ankündigen und ihm gleichzeitig streng vertraulich und mit der ausdrücklichen Bitte um vertrauliche Behandlung den Inhalt derselben mitteilen könne =.
Am 23. Juli nachmittags unterrichtete Graf Mensdorff Unterredung nach erhaltener Weisung den Staatssekretär auftragsgemäß BM^^^^af^rs dahin, er werde die Zirkularnote am 24. Juli überbringen, mit sir Ed- Unterdessen wolle er ihm streng vertraulich einiges über '^23'^, '^iT den Inhalt derselben mitteilen. Befrisiungs-
Seinerseits äußerte Sir Edward, er habe bisher dem k. u. k. Botschafter gegenüber von dieser Frage nicht gesprochen, weil man die Note in Wien wohl als eine Sache zwischen Serbien und der Monarchie betrachten dürfte und er auch nicht wisse, inwieweit das Wiener Kabinett Beweise von der Mitschuld Serbiens besitze. Man habe ihm aber viel und mit lebhafter Besorgnis davon gesprochen, und
' Telegramm aus London d. d. 22. Juli, 7 Uhr 30 p. m., Nr. 106. - Weisung nach London d. d. 23. Juli, 9 Uhr a. m., Nr. 158.
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diese Besorgnis sei nicht auf eine Mächtegruppe beschränkt. Seine Antwort sei gewesen, es werde davon abhängen, inwieweit die österreichisch - ungarischen Ani^iagen gegen Serbien ernsdich begründet seien und welche Genugtuung die Monarchie verlange. Seien ihre Beschwerden gut fundiert und das, was sie von Serbien fordere, für diesen Staat ausführbar, so könne man hoffen, daß Rußland auf die Belgrader Regierung mäßigend einwirken werde. Die Gefahr sei das Aufflammen der slawischen Erregung in der öffent- lichen Meinung Rußlands.
Über das, was ihm Graf Mensdorff von der bevor- stehenden Demarche mitteilte (die wichtigsten Punkte der Note), wollte sich Sir Edward nicht äußern, bevor er die Note selbst in Händen hätte. Als Graf Mensdorff noch erwähnte, er glaube, es würde auch eine Frist zur Beant- wortung gesetzt werden, könne ihm das Nähere aber erst morgen mitteilen, bedauerte Sir Edward die Befristung, weil dadurch die Möglichkeit benommen würde, die erste Er- regung zu beruhigen und auf Belgrad einzuwirken, dem Wiener Kabinett eine befriedigende Antwort zu geben. Ein Ultimatum könne man immer noch stellen, wenn die Antwort nicht annehmbar sei.
Graf Mensdorff bemühte sich des Längeren, den öster- reichisch-ungarischen Standpunkt zu vertreten. Sir Edward anerkannte auch die Schwierigkeiten der Stellung des Wiener Kabinetts, sprach aber nachdrücklich von dem Ernste der Situation. Wenn vier große Staaten, Österreich- Ungarn, Deutschland, Rußland und Frankreich, in einen Krieg verwickelt würden, so folge ein Zustand, der einem wirtschafdichen Bankerott Europas gleichkomme. Ein Kredit sei nicht mehr zu erlangen, die industriellen Zentren in Aufruhr, so daß in den meisten Ländern, gleichgültig ob Sieger oder Besiegte, „so manche bestehende Institution weggefegt" werden würde. Noch gab Graf Mensdorff seiner Ansicht Ausdruck, die Monarchie müsse in vorliegendem Falle trotz ihrer bekannten Friedensliebe Serbien gegenüber „sehr fest" bleiben. Er rechne dabei auf Sir Edward und dessen objektives und fairesUrteil.DerStaatssekretär erwiderte, es sei mit einer einfachen Vorstellung in Petersburg diesmal
132
nicht zu machen. Man müsse Rußland beweisen können, daß die österreichisch-ungarischen Beschwerden wohl- begründet und die Forderungen für einen Staat wie Serbien ausführbar seien. Das beste wäre wohl, wenn zwischen Wien und Petersburg ein direkter Gedankenaustausch ge- führt werden könne.
Graf Mensdorff fand den englischen Staatssekretär kühl und objektiv wie immer, freundschaftlich und nicht ohne Sympathie für die Monarchie. Über die möglichen Folgen schien Sir Edward unzweifelhaft sehr besorgt. Insbesondere aber befürchtete Graf Mensdorff, Sir Edward werde den Charakter eines Ultimatums der österreichisch-ungarischen Demarche und die kurze Frist kritisieren.
In einer dem k. u. k. Botschafter am 23. Juli vormittags Motivierung zugeschickten "Weisung begegnen wir der folgenden Argu- 'l"'^""'^«"
* ö ö O ö ö Befristung
mentation des Wiener Kabinetts': durch das
Da unter den Ententemächten England am ehesten für KabiTe« eine objektive Beurteilung des Schrittes zu gewinnen sein dürfte, den das Wiener Kabinett am 23. Juli in Belgrad unternehme, solle Graf Mensdorff bei der Besprechung, die er am 24. Juli gelegentlich der Überreichung der Zirkular- note im Foreign Office haben werde, unter anderem auch darauf hinweisen, daß es Serbien in der Hand gehabt hätte, den ernsten Schritten, die es von Seite der Monarchie er- warten mußte, zu begegnen, wenn es seinerseits spontan das Notwendige vorgekehrt hätte, um auf serbischem Boden eine Untersuchung gegen die serbischen [Teilnehmer am Attentat vom 28. Juni einzuleiten und die Verbindungen auf- zudecken, die hinsichtlich des Attentats erwiesenermaßen von Belgrad nach Sarajevo führten.
Die serbische Regierung habe bis heute, obwohl eine Anzahl notorisch bekannter Indizien nach Belgrad weise, in diesem Belange nicht nur nichts unternommen, sie habe vielmehr die vorhandenen Spuren zu verwischen getrachtet. Was die kurze Befristung der österreichisch-ungarischen Forderungen anbetreffe, so sei dieselbe auf die langjährigen
I Weisung nach London d. d. Wien, 23. Juli, Nr. 159.
133
Erfahrungen serbischer Verschleppungskünste zurückzu- führen.
Das Wiener Kabinett könne die Forderungen, deren Erfüllung es von Serbien verlange und die eigentlich im Verkehre zweier Staaten, die in Frieden und Freundschaft leben sollen, nur Selbstverständliches enthielten, nicht zum Gegenstande von Verhandlungen und Kompromissen machen und könne es mit Rücksicht auf die volkswirtschaftlichen Interessen der Monarchie nicht riskieren, eine politische Methode zu akzeptieren, die es Serbien freistellen würde, die entstandene Krise nach seinem Belieben zu verlängern.
St. Petersburg Ein- Bei der Überreichung der Zirkularnote in Petersburg
we'lun"''^ hatte Graf Szäpdry am 24. Juli vormittags mündlich aus- zuführen >:
Die k. u. k. Regierung wisse sich frei von jedem Gefühl der Mißgunst und des Übelwollens Serbien gegenüber; noch während der Krise vom Jahre 1912 habe es die k. u. k. Regierung durch ihre wohlwollende und territorial des- interessierte Haltung Serbien möglich gemacht, sein Gebiet um fast das Doppelte zu vergrößern. Auch heute sehe sich die Monarchie zu den ernsten Schritten, die sie in Belgrad unternehme, nur aus Gründen der Selbsterhaltung und der Selbstverteidigung genötigt.
Es sei der k. u. k. Regierung lediglich darum zu tun, das Territorium der Monarchie vor dem Eindringen insurrek- tioneller Miasmen aus dem benachbarten Königreiche zu sichern und der nachsichtigen Duldung zu steuern, die die königlich serbische Regierung bisher allen Bestrebungen ent- gegengebracht habe, die auf serbischem Boden durch Wort und Tat gegen die Integrität der Monarchie gerichtet waren.
Mit der von Belgrad aus geleiteten Ermordung des Erzherzog-Thronfolgers (ein zur Verfügung der kaiserlichen Regierung stehendes Dossier - gebe über die aufgedeckten Zusammenhänge und die Mithilfe der „Narodna Odbrana"
' Erlaß nach St. Petersburg d. d. Wien, 20. Juli, Nr. 3430. - Vgl. Seite 130, Anmerkung 2.
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erschöpfende Aufschlüsse) mußte die Langmut der k. u. k. Regierung den serbischen Umtrieben gegenüber ein Ende erreichen.
Die Mordtat von Sarajevo müsse aber auch gleichzeitig das Solidaritätsgefühl der großen Monarchien erwecken, deren gemeinsames Interesse es sei, sich gegen den Königs- mord zur Wehr zu setzen, von wo er auch komme und wen er auch zunächst treffe.
Der auf Besuch in St. Petersburg weilende Präsident der Ansprache französischen Republik, Herr Poincare, hatte am 21. Juli das p„7™ar6s an diplomatische Korps, und zwar die Botschafter einzeln, in dasdipio- Anwesenheit des französischen Ministers des Äußern, Viviani, K^"p°i^ und des französischen Botschafters, Paleologue, empfangen/, st. Peters-
Der Präsident drückte dem k. u. k. Botschafter in ^"'^ warmen Worten seine Sympathie]^anläßlich des Sarajevoer Attentats aus und ging dann auf das politische Gebiet über, indem er nach der Situation in Albanien fragte, worüber sich eine längere Konversation entspann. Sodann erkundigte sich Herr Poincare hinsichtlich des österreichisch-ungarisch- serbischen Verhältnisses, bemerkte, daß man in Serbien beun- ruhigt sei, und fragte, welche Auffassung man diesbezüglich in Wien hege. Graf Szäpdry erwiderte, man betrachte dort die Sache mit Gelassenheit, weil man überzeugt sei, daß sich Serbien dem, was das Wiener Kabinett zu verlangen haben würde, nicht verschließen werde. Auf die weitere Frage, welche Forderungen man denn an Serbien richten wolle, beschränkte sich Graf Szäpäry, darauf zu verweisen, daß die diesbezügliche Untersuchung noch im Gange und ihm über deren Resultat nichts bekannt sei.
Herr Poincare erging sich hierauf in einem mit großem oratorischen Aufwand und Nachdruck gehaltenen Vor- trag, in dem er auseinandersetzte, daß es wohl nur dann zulässig sei, eine Regierung für etwas verantwortlich zu machen, wenn konkrete, gegen dieselbe sprechende Beweise vorlägen; es sei denn, daß es sich um einen bloßen Vor- wand handeln würde, was er doch Österreich-Ungarn gegen- über einem so kleinen Lande nicht zumute. In einem solchen
' Telegramm aus St. Petersburg d. d. 21. Juli, Nr. 148.
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Falle aber dürfe man nicht vergessen, daß Serbien Freunde habe und daß hiedurch eine für den Frieden gefährliche Situation entstehen würde. Graf Szäpäry beschränkte sich auf eine sachliche Erwiderung und hob hervor, daß jede Regierung bis zu einem gewissen Grade für alles verant- wortlich sei, was auf ihrem Gebiete vorgehe. Der Präsident suchte diese These durch Konstruktionen analoger Fälle zwischen anderen Staaten zu entkräften, so daß Graf Szäpäry sich genötigt sah, darauf zu verweisen, daß alles auf die Umstände ankomme, daß solche Analogien unvoll- kommen und Generalisierungen untunlich seien. Herr Poincare schloß die Unterredung, indem er dem Wunsche Ausdruck gab, die Untersuchung werde nicht zu Ergebnissen führen, die zu einer Beunruhigung Anlaß gäben.
„Das vom Standpunkt eines auf ' Besuch weilenden „fremden Staatsoberhauptes", schloß Graf Szäpäry seinen Bericht, „taktlose, wie eine Drohung klingende Auftreten „des Präsidenten, welches von der reservierten, vorsichtigen „Haltung Herrn Sazonows so auffällig absticht, bestätigt die „Erwartung, daß Herr Poincare hier nichts weniger als „kalmierend einwirken werde. Bezeichnend ist die Verwandt- „schaft der juristischen Deduktionen des Präsidenten mit „den Exkursionen Herrn Pasic' in den „Leipziger Neuesten „Nachrichten". Herr Spalajkovic, den mir Herr Sazonow „noch neulich als „desequilibre" bezeichnete, dürfte dabei „die Hand im Spiele haben."
Aus der Übereinstimmung der Sprache, die Herr Sazonow schon vor der Ankunft Herrn Poincares geführt hatte, mit jener des Präsidenten schloß der deutsche Botschafter, daß letzterem von Sazonow die Lektion gemacht worden sei, um auf diese Weise größeren Eindruck hervorzurufen.
Bezeichnend sei, wie Graf Späpäry am 23. Juli meldete ', daß Sazonow verbreite, Herr Poincare habe Graf Szäpäry gegen Serbien sehr aufgebracht gefunden, während sich dieser „aus naheliegenden Gründen der größten Zurückhaltung" hätte befleißigen müssen.
' Telegramm aus St. Petersburg d. d. 23. Juli, 1 Uhr 25 Minuten p. m., Nr. 152.
136
Verständigung der übrigen k. u. k. Missionen.
Ein am 23. Juli nacli 10 Uhr abends zu expedierendes Zirtculartelegramm teilte allen nicht speziell benachrichtigten k. u. k. Missionen die in Belgrad vollzogene Übergabe der österreichisch-ung^arischen Note mit '.
Endlich trug eine noch am 23. Juli, 11 Uhr mitternachts, aufgegebene telegraphische Weisung den k. u. k. Bot- schaftern, den Vertretern bei den Balkanmissionen und Graf Hadik in Stockholm auf-, in Anbetracht der um eine Stunde verschobenen Demarche in Belgrad in dem zur Mit- teilung an die bezüglichen Kabinette bestimmten Texte die sinngemäße Korrektur vorzunehmen: die Frist der Beant- wortung der österreichisch-ungarischen Begehrnote laufe bis Samstag, den 25. Juli, nachmittags 6 Uhr.
< Zirkulartelegramm an alle Missionen (mit Ausnahme der Signatar- botschaften, der Balkangesandtscliaften, der Botschaft [in Madrid, Rom I Vatikan], Washington, Tokio und der Gesandtschaft in Stockholm) d. d. Wien, 23. Juli, Prot. -Nr. 5108 bis 5129.
~ Weisung an die Signatarbotschaften, Balkanmissionen und Gesandt- schaft Stockholm d. d. Wien, 23. Juli, Prot.-Nr. 5136 bis 5147.
137
II
Von der Überreichung der österreichisch- ungarischen Note in Belgrad (23. Juli) bis zur Kriegserklärung Österreich-Ungarns an Serbien (28. Juli)
A. Die Aufnahme der österreichisch-ungarischen
Zirkularnote vom 24. JuH und die Maßnahmen
der europäischen Kabinette
Berlin
Graf Szögyeny überreichte — laut eigener Meldung — über- die Zirkularnote des Wiener Kabinetts dem deutschen Staats- 7 'f 711"
Zirkularnoie
Sekretär am 23. Juli und gab ihm am 24. früh die Ver- schiebung der Ablaufstunde für die Befristung der Begehr- iVOte an Serbien bekannt ^ Herr von Jagow nahm diese Mit- teilung mit Dank entgegen und versicherte, gemäß der Berichterstattung Graf Szögyenys -, die deutsche Regierung sei mit dem Inhalte dieser Note „selbstverständlich ganz ein- verstanden" 3.
Die eigenartige Lage, in welche die deutsche Regierung Äußerungen als erster und engster Bundesgenosse durch die so spät ^"^J"" erfolgte Mitteilung der österreichisch-ungarischen Note gegenüber versetzt wurde, zeitigte, wie Graf Szögyeny richtig ver mutete, sehr bald ein unleidliches Zwischenspiel. schafier
Am 25. Juli teilte Herr von Jagow dem Grafen Szögyeny mit*, der italienische Botschafter in Berlin habe sich
1 Dem gegenständlichen Erlasse und der besonderen Weisung gemäß (Seite 110 und 112) war die Zirkularnote erst am 24. Juli vormittags zur Kenntnis zu bringen. Nach Th. von Bethmann Holhveg: Betrachtungen zum Weltkriege, I, Seite 138, 139, und G. von Jagow: Ursachen und Ausbruch des Weltkrieges, Seite 109, hat Graf Szögyeny den Text der österreichisch-ungarischen Note an Serbien Herrn von Jagow tatsächlich bereits am 22. Juli spät nachmittags mitgeteilt. Der k. u. k. Bot- schafter trug damit offenbar seinen im Privatschreiben an Graf Berchtold vom 21. Jun (vgl. Seite 111, 112) geäußerten Bedenken Rechnung.
- Telegramm aus Berlin d. d. 24. Juli, Nr. 279.
s Vgl. Seite 34, Anmerkung 1. — Im englischen Blaubuch Nr. 18 ist (die Angaben Th. von Bethmann Hollwegs 1. c. Seite 139, 140 und G. von Jagows 1. c. Seite HO bestätigend) die gegenteilige Feststellung ent- halten. '
* Telegramm aus Berlin d. d. 25. Juli, Nr. 283.
141
dem italieni- schen Bot-
darüber verwundert gezeigt, daß Graf Berchtold der italienischen Regierung als verbündeten Macht nicht früher Mitteilung von dem Belgrader Schritte gemacht hätte.
Herr von Jagow antwortete, daß auch Deutschland nicht früher von Wien verständigt worden sei, was er auch für die richtige Vorgangsweise, halte, da der jetzige Konflikt als eine Angelegenheit zwischen Österreich-Ungarn und Serbien zu betrachten sei.
Es mag Herrn von Jagow nicht leicht gefallen sein, diesen Ausweg der Billigung des Vorgehens des Wiener Kabinetts einzuschlagen, da er doch vor knappen vier Tagen über die bloße Gleichstellung der eigenen Regierung mit den Kabinetten der übrigen Mächte dem k. u. k. Bot- schafter gegenüber Beschwerde geführt hatte ^
1 Vgl. Seite HO, 111. — Eine weitere Bestätigung, daß die serbische Aktion des Wiener Kabinetts keineswegs mit der deutschen Regierung einverständlich vorbereitet wurde, bietet übrigens eine Feststellung Graf Berchtolds selbst. In der italienischen Presse machte, wie Graf Ambrözy am 9. August 1914 meldete (Telegramm aus Rom, Nr. 640) die Meldung der „Tribuna" großen Eindruck, laut welcher es aus dem deutschen Weißbuch hervorgehe, daß das Wiener Kabinett seine Aktion gegen Serbien lange vor- her und in allen Details mit Deutschland besprochen habe, während Italien davon erst nach dem Beginne derselben in Kenntnis gesetzt worden sei.
Graf Berchtold sah sich veranlaßt, zu diesem Gegenstande Graf Ambrözy telegraphisch zu erwidern (Weisung nach Rom d. d. Wien, 10. August, Nr. 990):
„Die Textierung des deutschen Weißbuches ist in der Tat geeignet, „den Eindruck hervorzurufen, als ob unsere Aktion gegen Serbien lange „vorher und in allen Details mit Deutschland besprochen worden wäre.
„Darin liegt ebenso eine gewisse Übertreibung, als es andrerseits „nicht ganz den Tatsachen entspricht, daß Italien erst'nach dem Beginne „der Aktion von derselben Kenntnis erhalten habe.
„Ich würde Wert darauf legen, daß Euer Hochgeboren sich in diesem „Sinne bei Marquis di San Giuliano vernehmen lassen. Dem Minister „kann der Inhalt meiner einschlägigen Eröffnungen an Herzog Avarna „nicht unbekannt geblieben sein, dem ich wiederholt von unserer Enquete „in Sarajevo wie von dem beabsichtigten Schritte in Belgrad zwecks „Schaffung entsprechender Garantien für die Zukunft gesprochen habe, ,,deren genaue Formulierung jedoch erst kurz vor der Übergabe möglich „und daher auch dem deutschen, gleichwie dem römischen Kabinett erst „in letzter Stunde bekanntgegeben wurde.
„Der Umstand, daß wir erst nach der Ablehnung unserer Forde- „rungen seitens Serbiens zu einer teilweisen Mobilisierung schritten, für
142
Bei Gelegenheit einer Unterredung, die der deutsche Unterredung Botschafter Graf Pourtales mit Herrn Sazonow nach er- q^"^"^' folgter Überreichung der österreichisch-ungarischen Note Pourtaus gepflogen hatte <, erging sich der russische Minister, wie der *"*' •'"''* deutsche Botschafter meldete, in maßlosen Ausfällen gegen Österreich-Ungarn. Die rechtliche Frage müsse von der politischen vollkommen getrennt werden, dann könne Serbien eventuell in den bewiesenen rechtlichen Fragen nachgeben. Die Resultate der österreichisch-ungarischen gerichtlichen Untersuchung würden Herrn Sazonow aber mehr als zweifelhaft erscheinen.
Die ganze Frage müsse vor die Großmächte zur Über- prüfung gebracht werden. Serbien hätte sich nicht Öster- reich-Ungarn, sondern allen Großmächten gegenüber im Jahre 1909 verpflichtet, also sei die Angelegenheit eine internationale und nicht eine zwischen Österreich-Ungarn und Serbien allein zu regelnde. Die Monarchie wolle An- kläger und Richter zugleich sein, was unstatthaft sei. Wenn Österreich-Ungarn Serbien „verschlinge", sagte Sazonow weiter, so müsse Rußland absolut eingreifen. Allen diesen Angriffen Sazonows auf Österreich-Ungarn trat Graf Pour- tales energisch entgegen; er erhielt, als er auch das mon- archische Prinzip vorbrachte, vom russischen Minister des Äußern die ablehnende Antwort, „das habe mit dem mon- archischen Prinzip gar nichts zu tun, das sei eine politische Frage".
Der deutschen Regierung, die die Sache Öster- Bemühender reich-Ungarns in St. Petersburg bundesgenössisch ''^"'^chen
Regierung,
zu vertreten gesonnen war, schwebte wie bisher, auch den Konflikt weiterhin als Ziel die Lokalisierung des Konflikts ™'schen
Osterreicli-
zwischen der Monarchie und Serbien vor=. Sie be- ungam und rücksichtigte bei diesem Bemühen das dem Bundesgenossen serwen zu
lolvalisieren
„welche vorher keinerlei vorbereitende 'Maßnahmen getroFFen worden „waren, beweist zur Genüge, daß wir mit der Wahrscheinlichkeit der „Annahme unserer Forderungen gerechnet hatten und keinerlei Detail- „vorbereitungen verfügt, geschweige denn mit Deutschland einverständlich „vorbereitet hatten."
' Telegramm aus Berlin d. d. 25. Juli, Nr. 290.
= Vgl. Seite 144, Anmerkung 1; 147, 150, 173, 227.
143
als Großmacht zukommende Prestige und suchte gleich- zeitig die Gefahren einer europäischen Verwicklung durch ihre Einwirkung auf das mobilisierende Rußland zu bannen'.
Rom
(jbfr- In Rom übergab Graf Ambrözy am 24. Juli um 11 Uhr
reichung der: SOMinutcn vormittags die österreichisch-ungarische Zirkular-
Zirkularnole' ..
note in Abwesenheit des Ministers des Äußern und des Unterstaatssekretärs dem Generalsekretär de Martino^
Dieser machte bei Beginn der Lektüre die Bemerkung, es sei sehr geschickt, die Note mit der Zitierung der ser- bischen Note aus dem Jahre 1909 zu beginnen. Im weiteren Verlaufe der Lektüre sagte er, den persönlichen Charakter dieser Bemerkung betonend, es scheine ihm, daß die Monarchie Serbien geradezu als Großmacht behandle,
1 In der Berichterstattung des k. u. k. Gesandten in München spiegelt sich die Haltung der Berliner Regierung in folgender Weise wieder:
„Nach vertraulichen Meldungen, die aus Berlin hier eintrafen, erblickt „man daselbst in der drohenden Sprache Frankreichs und Rußlands den „Versuch, Österreich-Ungarn durch Bluff einzuschüchtern. Mitte nächster „Woche werde man wahrscheinlich sehen, daß Rußland Reserven ein- „berufe. Dann heiße es für Wien, wie für Berlin, die Nerven nicht zu „verlieren, „denn jede Gegenmaßnahme würde eine Atmosphäre erzeugen, „bei der die Lokalisierung des Konflikts unmöglich werden könnte". „Deutschlands Bestrehen müsse sein, bei den Kabinetten, vor allem in „London, sowie in der Presse den Standpunkt zu vertreten, daß es sich „um eine Auseinandersetzung handle, die nur Österreich-Ungarn und „Serbien angehe und zu der die Monarchie nach dem Vorgefallenen „unbedingt berechtigt sei. Als mot d'ordre gehe: Volle moralische Unter- „stützung Österreich-Ungarns, aber kein Säbelgerassel deutscherseits und „keine Anspielung auf , Entscheidung zwischen Deutschtum und Slawentum', „noch auch Hinweise auf die Nibelungentreue mit Spitze gegen Rußland."
(Bericht aus München d. d. 25. Juli, Nr. 69 P.)
Tags darauf (26. Juli) meldete der k. u. k. Gesandte aus München:
„Es ist bezeichnend, daß die in meiner gestrigen Relation gemeldeten „Berliner Beschwichtigungsnachrichten heute nochmals auf das Nachdrück- „lichste wiederholt und appuyiert wurden. Danach wären den russischen „Annoncen über Mobilisierung großer Truppenmassen deutscherseits nur „kühles Zuwarten, keineswegs aber Gegenrüstungen entgegenzustellen."
(Bericht aus München d. d. 26. Juli, Nr. 70 P.)
ä Telegramm aus Rom d. d. 24. Juli, Nr. 535.
144
indem sie sich durch die auf seinem Territorium betriebene Agitation als gefährdet erachte. Über die Publikation, die das Wiener Kabinett von Serbien verlange, bemerkte er, dieses Petitum könne und müsse die Belgrader Regierung annehmen. Zu Punkt 4 der Forderungen äußerte er sich, daß dessen Annahme der serbischen Regierung schwer fallen würde. Als er die Notiz über das Untersuchungs- ergebnis in Sarajevo gelesen hatte* schien er sehr über- rascht.
Am Schlüsse der Lektüre meinte Herr de Martino: „Wir scheinen an einem Wendepunkte der Geschichte angekommen zu sein." Der Antwort Graf Ambrözys, der Generalsekretär müsse den rein defensiven Charakter der österreichisch-ungarischen Aktion zugeben, stimmte dieser mit den Worten zu: „Certainement, je n'aurais cru „que Ton puisse constater et prouver !a culpabilite d'offi- „ciers et de fonctionnaires serbes dans le drame de Sara- „jevo." Schließlich versicherte Herr de Martino noch, daß er die Abschrift der Note ehestens an Marquis di San Giuliano leiten werde.
Als Widerhall auf die Mitteilung der österreichisch- offizielle ungarischen Zirkularnote in Rom erfolgte in Wien die offi- ')'""f"'s
o *^ des Kompen-
zielle Anmeldung des Kompensationsrechtes Italiens '. Herzog saiions- von Avarna erschien am 25. Juli beim Grafen Berchtold 7?'" <■
^ Italiens auf
und teilte ihm aus Anlaß des Konflikts zwischen der Mon- Grund des archie und Serbien mit, die königlich italienische Regierung jJ^dJ.^;^" behalte sich für den Fall, als dieser Konflikt eine kriege- bundver- rische Wendung nehme und zu einer — wenn auch nur '"^°' provisorischen — Besetzung serbischen Territoriums führen sollte, vor, das ihr auf Grund des Artikels VII des Drei- bundvertrages zustehende Kompensationsrecht in Anspruch zu nehmen. Die italienische Regierung sei überdies auf Grund des eben angeführten Vertragsartikels der Ansicht, daß das Wiener Kabinett sich vor der eventuellen Besetzung serbischen Gebietes mit ihr ins Einvernehmen setzen müßte. Im übrigen beabsichtige die italienische Regierung, in dem eventuell bewaffneten Konflikt zwischen Österreich-Ungarn
I Tagesbericht d. d. 25. Juli, Nr. 3539. 10 145
und Serbien eine freundsciiaf'tliche und den Bündnispflichten entsprechende Haltung einzunehmen.
Paris über- In Paris übermittelte Graf Szecsen am 24. Juli dem mit
reichung der Zirkularnole
re.chung er ^^^ Vertretung des abwesenden Ministers des Äußern be
trauten Justizminister dun Zirkularerlaß, indem er ihm den- selben vorlas und eine Abschrift desselben einhändigte'. Herr Bienvenu Martin, der durch die Pariser Morgenblätter vom Inhalte der Demarche in Belgrad beiläufig informiert war, schien durch die Mitteilung des Grafen Szecsen ziem- lich beeinflußt. Er ließ sich in keine nähere Erörterung des Textes ein, gab aber bereitwillig zu, daß die Ereignisse der letzten Zeit und die Haltung der serbischen Regierung ein energisches Einschreiten seitens der Monarchie ganz begreiflich erscheinen ließen. Der Punkt 5 schien dem Minister besonders aufzufallen, denn er ließ sich denselben zweimal vorlesen. Im übrigen dankte er für die Mitteilung des k. u. k. Botschafters, die, wie er sagte, eingehend geprüft werden würde.
Graf Szecsen nahm die Gelegenheit wahr zu betonen, daß es sich hier um eine Frage handle, die direkt zwischen Serbien und der Monarchie ausgetragen werden müsse, daß es aber im allgemeinen europäischen Interesse liege, wenn die Unruhe, die seit Jahren durch die serbischen Stänke- reien gegen die Monarchie aufrecht erhalten werde, endlich einem klaren Zustande Platz mache. Alle Freunde des Friedens und der Ordnung — und zu diesen zähle er Frankreich in erster Linie — sollten daher Serbien ernstlich raten, seine Haltung gründlich zu ändern und den berech- tigten österreichisch-ungarischen Forderungen Rechnung zu tragen.
Der Minister gab zu, daß Serbien die Pflicht habe, gegen etwaige Komplizen der Mörder von Sarajevo energisch vorzugehen, eine Pflicht, der es sich wohl nicht entziehen werde. Unter nachdrücklicher Betonung der Sympathie Frankreichs für Österreich-Ungarn und der zwischen den
' Telegramm aus Paris d. d. 24. Juli, Nr. 119. 146
beiden Ländern bestehenden guten Beziehungen sprach Herr Bienvenu die Hoffnung aus, daß die Streitfrage fried- lich in einer den Wünschen der Monarchie entsprechenden Weise ausgetragen werden möge. Der Minister vermied dabei jeden Versuch, die Hahung Serbiens irgendwie zu verteidigen und zu beschönigen.
Auf die Leitung der auswärtigen Politik — schloß Graf Szecsen seinen Bericht — habe Herr Bienvenu natürlich keinen Einfluß.
Zur Bekundung der Solidarität mit der Monarchie hatte Demaivhe
'ö
des deut-
der deutsche Botschafter Baron Schön den Auftrag erhalten,- , „
o ' sehen Bot-
in Paris mitzuteilen ^, nach Ansicht des Berliner Kabinetts schafters in
sei die Kontroverse der Monarchie mit Serbien eine An- ^"'^ ,
(24. Julil
gelegenheit, die nur die beiden beteiligten Staaten angehe. Anknüpfend hieran sollte er auch zu verstehen geben, daß, falls sich dritte Staaten einmischen wollten, Deutschland, seinen Allianzpflichten getreu, auf der Seite der Monarchie zu finden sein werde.
Baron Schön führte die ihm aufgetragene Demarche am 24. Juli aus=. Herr Bienvenu ließ sich dabei vernehmen, er könne sich noch nicht definitiv äußern; soviel könne er aber schon jetzt sagen, daß die französische Regierung ebenfalls der Ansicht sei, die österreichisch-ungarische Kon- troverse mit Serbien ginge nur Belgrad und Wien an, und daß man in Paris hoffe, die Frage werde eine direkte und friedliche Lösung finden.
Dem serbischen Gesandten sei bereits der Rat erteilt worden, seine Regierung möge in allen Punkten, soweit als nur möglich, nachgeben, „insofern ihre Souveränitäts- rechte nicht tangiert würden".
Herr Berthelot, der dieser Unterredung beiwohnte, schien zu befürchten, daß die öffentliche Meinung in Ruß- land einen starken Druck zugunsten des Eingreifens aus- üben würde. Könne die russische Regierung diesem Drucke widerstehen, so halte er eine friedliche Verständigung für möglich.
1 Telegramm aus Paris d. d. 24. Juli, Nr. 120. - Telegramm aus Paris d. d. 24. Juli, Nr. 121.
147
Bezüglich der österreichisch-ungarischen Forderungen meinte er, die serbische Regierung sollte eine prinzipielle Annahme derselben sofort erklären, hinsichtlich einzelner Punkte aber nähere Details und Aufklärungen verlangen, zum Beispiel über die Art und Weise der Mitwirkung^ österreichisch-ungarischer Organe bei der in Serbien vor- zunehmenden gericTitlichen Untersuchung.
London
Autviarun- Der engUschc Staatssekretär hatte sich bei der vertraur
EdwÜrdGrey, 'ichen Mitteilung, die ihm Graf Mensdorff am Nachmittag betreffend die des 23. JuH Über die österreichisch-ungarische Note machte, mimn/der '" cincm Sinnc geäußert, der es Graf Mensdorff naheliegend Note erscheinen ließ, Sir Edward werde sich insbesondere an der
kurzen Befristung der Note stoßen '. Graf Mensdorff erhielt darauf unverzüglich den Auftrag -, den englischen Minister darüber aufzuklären, daß die in Belgrad vollzogene De- marche nicht als formelles Ultimatum zu betrachten sei, sondern daß es sich um eine befristete Demarche handle, die — wenn die Frist fruchtlos ablaufe — einstweilen nur von dem Abbruche der diplomatischen Beziehungen und von dem Beginne notwendiger militärischer Vorbereitungen gefolgt sein werde, da Österreich-Ungarn unbedingt ent- schlossen sei, seine berechtigten Forderungen durchzusetzen. Graf Mensdorff wolle gleichzeitig als seine persönliche Meinung beifügen, daß die Monarchie allerdings Serbien, wenn es nach Ablauf des Termins nur unter dem Drucke der militärischen Vorkehrungen der Monarchie nachgeben würde, zum Ersätze der ihr erwachsenen Kosten verhalten müßte, da die Monarchie bekanndich 1908 und 1912 zwei- mal Serbiens wegen habe mobilisieren müssen. Cbei- Sir Edward Grey las die ihm am 24. Juli überreichte
reichung der zjrkulamote aufmerksam durch =. Bei Punkts fragte er, wie
iirkularnote *-"
(24. Juli). die Einsetzung der Organe der österreichisch-ungarischen Eru-agunK RegieruHg in Serbien zu verstehen sei; das wäre gleich-
eines Ge- ö o 7 o
1 Vgl. Seite 132 ff.
- Weisung nach London d. d. Wien, 24. Juli, Nr. 161.
• Telegramm aus London d. d. 24. Juli, Nr. 108.
148
lands
bedeutend mit dem Aufhören der staatlichen Unabhängigkeit Jankenaus- Serbiens. Graf Mensdorff erwiderte, die Kollaboi-ation, zum "J^f^enden Beispiel von Polizeiorganen, tangiere keineswegs die Staats- Aiiiienen
Österreich- Souveränität. Ungarns imd
Des "Weiteren wiederholte der Staatssekretär seine jenen ruij- gestrigen Bedenken gegen die kurze Befristung, die die Einwirkung anderer Mächte nahezu unmöglich mache. Er bezeichnete die Note als das formidabelste Dokument, das je von einem Staate an einen anderen gerichtet wurde, er anerkannte aber, daß das über die Mitschuld an dem Ver- brechen von Sarajevo Gesagte sowie manche der Forde- rungen berechtigt seien.
Das Hauptbedenken zur Annahme scheine ihm Punkt 5, sodann die kurze Befristung und der Umstand zu sein, daß eigentlich der Text der Antwort diktiert werde.
Was ihn ernstlich beunruhige, sei die Rückwirkung auf den europäischen Frieden. Wenn dieser nicht gefährdet wäre, würde er bereit sein, die Angelegenheit als eine solche zu betrachten, die nur Österreich-Ungarn und Serbien be- rühre. Er sei aber sehr „apprehensiv", daß mehrere Groß- mächte in einen Krieg verwickelt werden könnten. Von Ruß- land, Deutschland und Frankreich sprechend, bemerkte Sir Edward, die Bestimmungen des französisch-russischen Bünd- nisses dürften ungefähr so lauten, wie die des Dreibundes.
Graf Mensdorff legte dem Staatssekretär ausführlich den Standpunkt des Wiener Kabinetts dar. Er begreife, daß Sir Edward zunächst nur die Frage der Rückwirkung auf den europäischen Frieden erwäge, der Staatssekretär müsse aber auch, um den Standpunkt des Wiener Kabinetts zu würdi- gen, sich in die Lage der Monarchie versetzen.
Sir Edward wollte in eine nähere Diskussion über dieses Thema nicht eingehen; er müsse die Note auch noch genauer studieren. Jetzt handle es sich darum, zu versuchen, was man noch tun könne, um der drohenden Gefahr zu begegnen. Er habe zunächst den deutschen und den fran- zösischen Botschafter zitiert. Mit den Alliierten Österreich- Ungarns und Rußlands, die aber selbst keine direkten Interessen in Serbien hätten, müsse er vor allem in Gedankenaustausch treten.
14Ö
Zwischendurch wiederholte Sir Edward häufig, er sei hinsichtlich der Erhaltung des Friedens zwischen den Groß- mächten sehr besorgt. Äußerungen Dcm Fürstcn Lichnowsky gegenüber, der Sir Edward Sir Edward instruktionsgemäß den Standpunkt der deutschen Regierung
Greys gegen- ° '^ es o
über dem mitgeteilt hatte, äußerte sich der Staatssekretär, wie Graf deutschen Mcnsdorff gleichfalls am 24. Juli ' meldete, sehr perplex und
Boischafler ° ^ t f r
(24. juiii. beunruhigt. Es sei noch nie in solch einem Tone zu einem Erste An. Unabhängigen Staate gesprochen worden. Sir Edward kriti-
regung einer ^ " o r
Vermittlung sicrtc die Form noch mehr als den Inhalt; die kurze Frist
zu viert mache jede Einwirkung unmöglich. Wenn die deutsche
Regierung darauf einginge, möchte er gemeinschaftlich mit
ihr eine kurze Fristerstreckung vorschlagen, um noch etwas
zu versuchen.
Wenn es nur eine österreichisch-ungarisch-serbische Frage wäre, würde, sich der Staatssekretär nicht weiter darum kümmern. Er wisse noch nichts von Petersburg; sollte aber die den Slawen sympathische Strömung einsetzen, so könne er mit Ratschlägen nichts ausrichten.
Den Eindruck seiner Unterredung mit dem englischen Staatssekretär resümierte Fürst Lichnowsky dahin, daß sich Sir Edward mit der deutschen Regierung im Wunsche begegne, den Konflikt zwischen der Monarchie und Serbien zu lokalisieren.
Sollte aber ein Konflikt zwischen der Monarchie und Rußland entstehen, so würde Sir Edward Grey an eine Ver- mittlung ä quatre (England, Deutschland, Frankreich und Italien) zwischen Wien und Petersburg denken.
St. Petersburg
Oberrci- Dcu erhaltenen Weisungen entsprach der k. u. k. Bot-
chung der gchaftcr Graf Szäpäry auftragsgemäß am 24. Juli -.
Zirkularnote f j ö o ^
i24. juiii Der Minister empfing Graf Szäpäry mit den Worten '•,
er wisse, was den k. u. k. Botschafter zu ihm führe, und
I Telegramm aus London d. d. 24. Juli, 8 Uhr 48 Minuten p. m., Nr. 109.
- Telegramm aus Petersburg d. d. 24. Juli, Nr. 156.
■ Telegramm aus Petersburg d. d. 24. Juli, Nr. 157.
150
er müsse ihm gleich eritlären, er werde zu der öster- reichisch-ungarischen Demarche iceine Stellung nehmen. Graf Szäpary begann mit der Verlesung seines Auftrages. Der Minister unterbrach ihn zum ersten Male bei der Erwähnung der Serie von Attentaten und fragte, ob denn erwiesen sei, daß diese alle in Belgrad ihren Ursprung hätten. Graf Szäpäry betonte, sie seien der Ausfluß der serbischen Auf- wiegelung. Im weiteren Verlaufe der Vorlesung äußerte Herr Sazonow, er wisse, worum es sich handle: Die Mon- archie wolle Serbien den Krieg machen und die angegebenen Gründe sollten der Vorwand sein. Graf Szäpäry replizierte, die Haltung der Monarchie [in den letzten Tagen sei ein hinreichender Beweis, daß sie Serbien gegenüber Vorwände weder suche noch brauche. Die seitens Österreich-Ungarns von der serbischen Regierung geforderten solennen Enun- ziationen riefen merkwürdigerweise den Widerspruch des Ministers nicht hervor; er versuchte nur immer wieder zu behaupten, daß Pasic sich bereits in dem gewünschten Sinne ausgesprochen habe, was Graf Szäpäry richtigstellte. „II dira cela 25 fois, si vous voulez" sagte er. Bei der Erwäh- nung der Publikationen meinte Herr Sazonow nur, ob dies auf Gegenseitigkeit beruhen werde. Graf Szäpäry erwiderte darauf, niemand wende sich' in der Monarchie gegen Serbiens Integrität oder Dynastie. Am lebhaftesten erklärte sich Herr Sazonow gegen die Auflösung der „Narodna Odbrana", die Serbien niemals vornehmen werde. Weiteren Widerspruch von Seite des Ministers löste die Beteiligung von k. u. k. Funktionären an der Unter- drückung der subversiven Bewegung aus. Serbien werde also daheim nicht mehr der Herr sein. „Sie werden dann „immer wieder intervenieren wollen und welches Leben „werden Sie da Europa bereiten!" Graf Szäpäry erwiderte, es werde, wenn Serbien guten Willen habe, ein ruhigeres sein als bisher.
Die Beilage mit den Ergebnissen der Untersuchung trachtete Herr Sazonow zu zerpflücken und die Richngkeit der angeführten Resultate in Zweifel zu ziehen. Warum habe man die Serben nicht zu Worte kommen lassen, und ■wozu die Ultimatumform? Serbien könne vielleicht die
151
Unrichtigkeit der Anklagen beweisen. Graf Szäpäry machte gegenständliche Einwendungen.
Den an die Mitteilung der Note angefügten Kommentar hörte der Minister ziemlich ruhig an; bei dem Passus, daß sich die Monarchie in ihren Gefühlen mit allen zivilisierten Nationen eins wisse, meinte er, dies sei ein Irrtum. Graf Szdpdry wies mit allem ihm zu Gebote stehenden Nach- druck darauf hin, wie traurig es wäre, wenn die Monarchie in dieser Frage, bei der alles im Spiele sei, was sie Heiligstes hätte und — was immer der Minister sagen wolle — auch in Rußland heilig sei, in Rußland kein Verständnis fände. Der Minister suchte die monarchische Spitze der Angelegen- heit abzubrechen. „L'idee monarchique n'a rien ä faire avec cela."
Das zur Verfügung der Regierung gehaltene Dossier betreffend, meinte Herr Sazonow ', weshalb sich das Wiener Kabinett diese Mühe gegeben habe, da es doch bereits ein Ultimatum erlassen hätte. Dies beweise am besten, daß man in Wien eine unparteiische Prüfung des Falles gar nicht anstrebe. Graf Szäpäry entgegnete, daß für das Vorgehen in dieser zwischen Österreich-Ungarn und Serbien spielenden Angelegenheit die durch die eigene Untersuchung der Monarchie erzielten Resultate genügten und daß das Wiener Kabinett bereit sei, den Mächten weitere Aufschlüsse zu geben, weil es nichts zu verstecken hätte, falls dieselben sie interessierten.
Herr Sazonow meinte darauf, jetzt, nach dem Ultimatum, sei er eigentlich gar nicht neugierig: „C'est que vous voulez „la guerre et vous avez brüle vos ponts." Graf Szäpäry erwiderte, die Monarchie sei die friedliebendste Macht auf der Welt, was sie wolle, sei nur die Sicherung ihres Territoriums vor der Revolution und der Dynastie vor Bomben. „On voit „comme vous etes pacifiques puisque vous mettez le feu ä l'Europe" meinte Herr Sazonow.
Was die Monarchie wolle, entgegnete Graf Szäpäry noch- mals, sei, Ruhe zu haben, und seine Regierung habe dazu die zweckdienlichen Maßnahmen gewählt.
1 Telegramm aus Petersburg d. d. 24. Juli, Nr. 159. 152
Auch den von Graf Szäpäry auftragsgemäß mündlich vor- getragenen Kommentar hörte der Minister ruhig an, versuchte aber hiebei wieder die Ablehnung des letzten, den Königs- mord betreffenden Passus.
An die Ausführung des Auftrages des Grafen Szäpäry schloß sich eine längere Diskussion an, in welcher Herr Sazonow unter anderem die Politik des Wiener Kabinetts dem Grafen Forgäch unterschieben wollte. Im Verlaufe der weiteren Erörterung ließ Sazonow nochmals die Bemerkung fallen, daß das Wiener Kabinett jedenfalls eine ernste Situation geschaffen habe. Rußland, das Slawentum, die Orthodoxie wurden dabei von ihm nicht genannt; er sprach nur immer von England, Frankreich, Europa und dergleichen, und von dem Eindruck, den der Schritt des Wiener Kabinetts in Petersburg und anderwärts machen werde.
Trotz der relativen Ruhe des Ministers war seine Stellung- nahme eine durchaus ablehnende und gegnerische. Nach eineinhalbstündigem Verweilen verließ Graf Szäpäry das Arbeitskabinett des Ministers.
Nach fünfstündigem Ministerrate empfing Herr Sazonow Besprechung am 24. Juli abends den deutschen Botschafter, mit dem er sazonow- eine lange, zum Teil sehr erregte, schließlich aber freund- Pounaies schaftlich endende Unterredung hatte '.
Der Minister verfocht Graf Pourtales gegenüber die wahrscheinlich als Resultat des Ministerrates zu betrachtende — Ansicht, der österreichisch-ungarisch-serbische Streit sei keine auf diese beiden Staaten beschränkte Angelegenheit, sondern eine europäische, da der im Jahre 1909 durch eine serbische Deklaration erfolgte Ausgleich unter den Auspizien ganz Europas vollzogen worden sei. Herr Sazonow hob hervor, es habe ihn insbesondere der Umstand unangenehm berührt, daß Österreich-Ungarn die Prüfung eines Dossiers angeboten habe, während bereits ein Ultimatum ergangen sei. Rußland würde eine internationale Prüfung dieses Dossiers verlangen. Graf Pourtales machte Herrn Sazonow sofort darauf aufmerksam, daß Österreich-Ungarn eine Einmischung
I Telegramm aus Petersburg d. d. 24. Juli, Nr. 160.
153
Abgabe einer Erklärung hinsichtlich des terri- torialen Des- inleresse- menls seitens der Monarchie. Anregung des Grafen Späpäry (24. Juli)
Weisung an den k. u. k. Botschafter (25. Juli)
in srein Verhältnis zu Serbien nicht akzeptieren werde und daß auch Deutschland seinerseits eine Zumutung nicht an- nehmen könne, die der Würde des Bundesgenossen als Großmacht zuwiderlaufe.
Im weiteren Verlaufe des Gespräches erklärte der rus- sische Minister, daß dasjenige, was Rußland nicht gleich- gültig hinnehmen könne, die eventuelle Absicht Österreich- Ungarns wäre „de devorer la Serbie". Graf Pourtales er- widerte, er nehme eine solche Intention bei Österreich- Ungarn nicht an, da dies dem eigensten Interesse der Mon- archie zuwiderlaufen würde. Österreich-Ungarn sei wohl nur daran gelegen, „d'infliger a la Serbie le chätiment justement merite". Herr Sazonow drückte darauf seine Zweifel aus, ob es sich Österreich-Ungarn, selbst wenn hierüber Erklä- rungen vorliegen würden, hieran genügen lassen werde.
Die Unterredung schloß mit einem Appell Herrn Sazonows, Deutschland möge mit Rußland an der Erhaltung des Friedens zusammenarbeiten. Der deutsche Botschafter versicherte dem russischen Minister, daß Deutschland gewiß nicht den Wunsch habe, einen Krieg zu entfesseln, daß es aber selbstverständlich die Interessen seines Bundesgenossen voll vertrete.
Diesem am 25. Juli, 2 Uhr 30 Minuten a. m., expedierten telegraphischen Berichte fügte Graf Szäpäry die Anfrage an Graf Berchtold bei, ob und wann er zur Verwertung des — Italien gegenüber ohnehin unentbehrlichen — Momentes des territorialen Desinteressements der Monarchie ermächtigt werde.
Ohne bis jetzt Ursache für die Annahme zu haben, daß Marquis Cariotti diesbezüglich im Zweifel sei, erscheine Graf Szapäry eine Andeutung darüber sehr angezeigt, ob er sich seinem italienischen Kollegen gegenüber auf den Standpunkt der territorialen Uninteressiertheit stellen dürfe.
Auf die Anregung des Grafen Szäpäry erfloß am 25. Juli der Bescheid Graf Berchtolds, das Moment des territorialen Desinteressements vorläufig weder Herrn Sazonow noch dem italienischen Botschafter gegenüber zu berühren'.
1 Weisung nach Petersburg d. d. Wien, 25. Juli, Nr. 175. Expediert 26. Juli, 7 Uhr 40 Minuten a. m.
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Am Vormittag des 24. Juli, an dem Graf Szdpäry in Besprechung Petersburg die Zirtcularnote überreichte, erhielt Graf " .™,';"
o ' Berchtold
Berchtold den Besuch des russischen Geschäftsträgers mit dem Fürsten Kudascheif '. Graf Berchtold versicherte ihm, er rT'T-e^"
' Oeschaits-
habe ein spezielles Gewicht darauf gelegt, ihn sobald als irager möglich von dem Schritte des Wiener Kabinetts in Belgrad KuTasoheff in Kenntnis zu setzen und ihm diesbezüglich den ein- (24. juii) genommenen Standpunkt darzulegen.
Fürst Kudascheff dankte für diese Aufmerksamkeit, verhehlte jedoch dem Grafen Berchtold seine Beunruhigung über das kategorische Vorgehen des Wiener Kabinetts gegen Serbien nicht, wobei er bemerkte, daß man in St. Peters- burg immer besorgt gewesen sei, ob nicht die Demarche die Form einer Demütigung für Serbien haben werde, was nicht ohne Rückwirkung auf Rußland bleiben könnte.
Graf Berchtold ließ es sich angelegen sein, den russischen Geschäftsträger in dieser Richtung zu beruhigen. Nichts liege dem Wiener Kabinett ferner, als Serbien demütigen zu wollen, woran es nicht das geringste Interesse hätte. Auch sei das Bestreben dahin gegangen, nichts in die Note aufzunehmen, was einen solchen Eindruck erwecken könnte. Das Ziel des Wiener Kabinetts bestehe lediglich darin, das unhaltbare Verhältnis Serbiens zur Monarchie zu klären, und zu diesem Zwecke die dortige Regierung zu veranlassen, einerseits die gegen den derzeitigen Bestand der Monarchie gerichteten Strömungen öffendich zu des- avouieren und durch administrative Maßnahmen zu unter- drücken, andrerseits die Möglichkeit zu bieten, der Monarchie von der gewissenhaften Durchführung dieser Maßnahmen Rechenschaft zu geben. Graf Berchtold führte des Längeren aus, welche Gefahr ein weiteres Gewährenlassen der groß- serbischen Propaganda nicht nur für die Integrität der Monarchie, sondern auch für das Gleichgewicht und den Frieden in Europa nach sich ziehen würde, und wie sehr alle Dynastien, nicht zuletzt die russische, durch die Ein- bürgerung der Auffassung bedroht erschienen, daß eine Bewegung ungestraft bleiben könne, die sich des Mordes
1 Tagesbericht vom 24. Juli, Nr. 3578.
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als eines nationalistischen Kampfmittels bediene. Schließlich verwies Graf Berchtold darauf, daß die Monarchie keine Gebietserwerbung, sondern bloß die Erhaltung des Bestehen- den bezwecke; ein Standpunkt, der bei der russischen Regierung ebenso Verständnis finden müsse, wie es in Wien selbstverständlich erscheine, daß Rußland keinen Angriff auf seine territoriale Integrität gewähren lassen würde.
Fürst Kudascheff bemerkte darauf, er kenne den Stand- punkt seiner Regierung nicht und wisse auch nicht, wie sich Serbien zu den einzelnen Forderungen stellen werde. Sein persönlicher Eindruck gehe dahin, daß das Wiener Kabinett von der Regierung eines konstitutionellen Staates Unmögliches verlange. Es komme ihm vor, als ob von jemand gefordert werden würde, zuerst zum Fenster hinaus- zuspringen und dann über die Stiege zurückzukommen. Daß der Wortlaut der Regierungserklärung und des Armee- befehles von dem Wiener Kabinett vorgeschrieben werde, erscheine ihm als eine starke Demütigung Serbiens. Weiter sei ihm der Punkt aufgefallen, wonach die Monarchie die Mitwirkung ihrer Organe bei der Unterdrückung der gegen die Monarchie gerichteten Propaganda verlange; dies sei wohl nicht mit dem Völkerrecht in Einklang zu bringen. Rußland habe allerdings auch Abmachungen mit Frankreich und Deutschland wegen Etablierung russischer Sicherheits- organe in diesen Staaten. Dies bilde aber ein „Privileg" und kein „Recht". Nicht minder sei es völkerrechtswidrig, die Bestrafung der Schuldigen auf serbischem Boden zu begehren, man könnte höchstens die Auslieferung ver- langen. (Was Fürst Kudascheff damit meinte, erschien Graf Berchtold nicht recht klar; doch ließ sich der russische Geschäftsträger auf die Einwendung, daß sich dieses Petit nicht im Widerspruche mit dem Völkerrecht befinde, nicht näher ein.) Auch die kurze Befristung flöße dem russischen Geschäftsträger große Besorgnis ein. Was werde geschehen, wenn dieselbe verlaufe, ohne daß eine zufriedenstellende Antwort von Serbien gegeben werde? Auf die Erwiderung des Grafen Berchtold, daß dann der österreichisch-ungarische Gesandte und das Gesandtschafts-
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personal abzureisen hätten, reflektierte Fürst Kudasclietf mit dem Bemerken: „Alors c'est la guerre."
Zum Schlüsse der Unterredung betonte der Geschäftsträger, daß er nicht ermangeln werde, seiner Regierung die Aus- künfte zur Kenntnis zu bringen, die ihm Graf Berchtold über den Schritt des Wiener Kabinetts gegeben habe, namentlich auch in der Richtung, daß von Seite der Monarchie keine Demütigung Serbiens beabsichtigt sei.
Die kurze Befristung der österreichisch-ungarischen Note Russischer hatte auch anderwärts, insbesondere aber bei Sir Edward |,°"5i,tHch Grey Bedenken hervorgerufen. Herr Sazonow hatte seine einer Frist- diesbezüglichen Befürchtungen sowohl dem Grafen Szäpäry fürstrhiTn^ als dem deutschen Botschafter gegenüber betont. In 120. juii» Wien vollzog der russische Geschäftsträger am 25. Juli positive Schritte zur Erwirkung einer Fristverlängerung für Serbien.
Zu diesem Zwecke richtete Fürst Kudascheff an den in ' Bad Ischl weilenden (oder eventuell noch auf der Hinreise begriffenen) Grafen Berchtold am 25. Juli vormittags ein dringliches Telegramm '.
Auch sprach der russische Geschäftsträger bei dem ersten Sektionschef Baron Macchio vor-, dem er den Wunsch seiner Regierung ausdrückte, die in der Note an Serbien ange- gebene Frist möge verlängert werden. Dieses Ersuchen werde damit begründet, daß die Mächte von dem Schritte des Wiener Kabinetts vollständig überrascht worden seien, und daß die russische Regierung es als eine natürliche Rück- sicht des Wiener gegen die anderen Kabinette betrachten würde, wenn den letzteren Gelegenheit gegeben würde, die Grundlage der Mitteilung des Wiener Kabinetts an die Mächte zu prüfen und das in Aussicht gestellte Dossier zu studieren.
1 Telegramm an Graf Berchtold in Ischl d. d. Wien, 25. Juh, 11 Uhr 5 Minuten a. m., Telegraphenamt 49, Nr. 2089; Telegramm an Graf Berchtold, Schnellzug 109, Linz, d. d. Wien, 25. Juli, 10 Uhr 50 Minuten a. m., Telegraphenamt' 49, Nr. 2085.
2 Telegramm an Graf Berchtold in Ischl d. d. Wien, 25. Juli, 1 Uhr 45 Minuten p. m., Prot. Nr. 5241.
157
Baron Macchio antwortete dem Geschäftsträger, er werde seine Ausführungen sofort zur Kenntnis des Grafen Berchtoid bringen; er könne ihm aber schon jetzt sagen, es bestehe keine Aussicht, daß von Seite des Wiener Kabinetts eine Verlängerung der angegebenen Frist gewährt würde. Was die Gründe anbelange, die die russische Regierung zur Erhärtung des von ihf vorgebrachten Wunsches angeführt habe, so beruhten dieselben anscheinend auf einer irrtüm- lichen Voraussetzung, da die Note an die Mächte keines- wegs den Zweck verfolgt hätte, dieselben einzuladen, ihre gegenständliche Auffassung bekanntzugeben, sondern nur den Charakter einer Information habe, die das Wiener Kabinett als eine Pflicht internationaler Höflichkeit angesehen hätte. Im übrigen betrachte das Wiener Kabinett die Aktion als eine nur Österreich-Ungarn und 'Serbien berührende Ange- legenheit, zu der die Monarchie sehr gegen ihren Wunsch und trotz ihrer seit Jahren bekundeten Langmut und Geduld durch die Entwicklung der Verhältnisse zur Verteidigung ihrer vitalsten Interessen gezwungen worden sei.
Baron Macchio versprach dem russischen Geschäfts- träger, ihm eine möglichst baldige Antwort mitzuteilen, und bat daher um eine telegraphische Benachrichtigung, ob Graf Berchtoid die erteilte Erwiderung billige. Depeschen- DicsB von Baron Macchio am 25. Juli, 1 Uhr 45 Minuten
Wechsel Graf nachmittags, ausgestellte Depesche kreuzte sich mit einer Baron" sus Lambach um 2 Uhr nachmittags expedierten, für Baron Macchio in Macchlo bestimmten Weisung '. Graf Berchtoid ersuchte de?FriTt" darin Baron Macchio, dem russischen Geschäftsträger in erstreckung seinem Namen zu antworten, er könne eine Verlängerung der Frist nicht zugeben. Baron Macchio wolle hinzufügen, daß Serbien auch nach dem Abbruche der diplomatischen Beziehungen durch uneingeschränkte Annahme der Forde- rungen des Wiener Kabinetts eine friedliche Lösung herbei- führen könne, doch würde das Wiener Kabinett in diesem Falle genötigt sein, den Rückersatz aller der Monarchie durch militärische Maßnahmen verursachten Kosten und Schäden von Serbien zu verlangen.
1 Telegramm des Ministers des Äußern an Baron Macchio d. d. Lambach, 25. Juli, 2 Uhr p. m., ohne Nummer.
158
Der deutsche Botschafter sei von Vorstehendem zu ver- ständigen '.
Noch am selben Tage, nachmittags 6 Uhr 40 Minuten, setzte Graf Berchtold in Bad Ischl ein weiteres Telegramm an Baron Macchio auf, das die entschiedene Erwiderung des ersten Sektionschefs dem russischen Staatsträger gegenüber vollkommen billigte und Baron Macchio ersuchte, Fürst Kudascheff dies mitzuteilen s. Auch wurde Graf Szäpäry am 25. Juli, 9 Uhr abends, von der erfolgten Ablehnung des russischen Vorschlages zur eigenen Orientierung unter- richtet"'.
Für das Wiener Kabinett begann sich der Schwerpunkt Instruktion der Krise von Belgrad mehr und mehr nach Petersburg für den zu verschieben. Es oblag dem Grafen Berchtold, dem k. u. k. schafter in Botschafter in Petersburg eine Instruktion zu erteilen, die s«- Peters-
. , . , ....'<..■.■ • L • L T^.pp burg(2S.JuIi)
Sich mit der Möglichkeit eines aus aer serbischen Diffe- renz hervorgehenden Konflikts mit Rußland befaßtet In dem Augenblicke besagte der Text ^ — , in dem sich das Wiener Kabinett zu einem ernsten Vorgehen gegen Serbien entschlossen habe, sei es sich natürlich auch der Möglichkeit eines sich aus der serbischen Differenz ent- wickelnden Zusammenstoßes mit Rußland bewußt gewesen. Das Wiener Kabinett konnte sich aber durch diese Eventualität in seiner Stellungnahme gegenüber Serbien nicht beirren lassen, weil grundlegende staatspolitische Konsiderationen
' Eine frühere Benachrichtigung des deutschen Botschafters hinsichtlich dieses Gegenstandes ist nicht feststellbar.
• Telegramm aus Bad Ischl d. d. 25. Juli, 6 Uhr 40 Minuten p, m. ohne Nummer. In dem Konzept dieses Telegramms war der folgende Abschnitt nachträglich gestrichen worden:
„Ich ersuche Euere Exzellenz, wenn Sie im Sinne meines Telegrammes „über die Möglichkeit eines späteren Nachgebens Serbiens und über die „Kosten sprechen, dies in inoffizieller Weise zu tun, damit nicht der ,,Anschein erweckt werde, als sollten wir weitere Verhandlungen mit „Serbien möglich machen."
= Weisung nach St. Petersburg d. d. Wien, 25. Juli, 9 Uhr p. m., Nr. 173.
■4 Erlaß nach St. Petersburg d. d. Wien, 25. Juli, Nr. 3530.
^ Das Konzept dieser Instruktion weist verschiedene Zusätze, Aus- lassungen und Änderungen der ursprünglichen Vorlage auf. An der Redaktion waren mit eigener Handschrift Graf Berchtold, Graf Forgäch und Baron Musulin beteiligt.
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die Monarchie vor die Notwendigkeit stellten, der Situation ein Ende zu machen, daß ein russischer Freibrief Serbien die dauernde, ungestrafte und unstrafbare Bedrohung der Monarchie ermögliche.
Für den Fall, als Rußland den Moment für die große Abrechnung mit dpn europäischen Zentralmächten bereits für gekommen erachten sollte und daher von vorneherein zum Kriege entschlossen wäre, erscheine die nachstehende Instruierung des k. u. k. Botschafters in Petersburg aller- dings überflüssig.
Es wäre aber immerhin möglich, daß Rußland die ge- gebene Gelegenheit als eine Verlegenheit empfinde, daß es nicht so angriffslustig und kriegsbereit sei, wie die „Nowoje Wremja" und die „Birschewija Wjedomosti" es glauben machen wollen und wie es Herr Poincare und Herr Iswolsky vielleicht wünschen mögen.
Es wäre denkbar, daß Rußland, nach der eventuellen Ablehnung der österreichisch-ungarischen Forderungen durch Serbien und angesichts der sich für das Wiener Kabinett ergebenden Notwendigkeit eines bewaffneten Vorgehens, mit sich selbst zu, Rate ginge und daß es sogar gewillt sein könnte, sich von dem aufbrausenden slawischen Solidaritäts- gefühl nicht mitreißen zu lassen. Dieser Situation seien die nachfolgenden Darlegungen angepaßt, die der k. u. k. Bot- schafter im gegebenen Falle und in der ihm geeignet er- scheinenden Weise und nach der von ihm zu ermessenden Opportunität bei Herrn Sazonow und dem Ministerpräsi- denten verwerten wolle:
Graf Berchtold setze im allgemeinen voraus, daß der k. u. k. Botschafter unter den gegenwärtigen Verhältnissen ein enges Einvernehmen mit seinem deutschen Kollegen hergestellt habe, der seitens seiner Regierung gewiß beauf- tragt worden sein dürfte, der russischen Regierung keinen Zweifel darüber zu lassen, daß Österreich-Ungarn im Falle eines Konflikts mit Rußland nicht allein stehen würde.
Den Schritt des Wiener Kabinetts in Belgrad dem russi- schen Minister des Äußern zu erklären und in überzeu- gender Weise verständlich zu machen, werde dem k. u. k. Botschafter wohl kaum gelingen.
160
Es gebe aber ein Moment, das seinen Eindruck auf den russischen Minister des Äußern nicht verfehlen könne, und das sei die Betonung 'des Umstandes, daß die österreichisch- ungarische Monarchie dem von ihr seit Jahrzehnten fest- gehaltenen Grundsatze entsprechend, auch in der gegen- wärtigen Krise und bei der bewaffneten Austragung des Gegen- satzes zu Serbien keinerlei eigennützige Motive verfolge.
Die Monarchie sei territorial gesättigt und trage nach serbischem Besitz kein Verlangen. Wenn der Kampf mit Serbien der Monarchie aufgezwungen werde, so werde dies für sie kein Kampf um territorialen Gewinn, sondern ledig- lich ein Mittel der Selbstverteidigung und Selbsterhaltung sein.
Der Inhalt des Zirkularerlasses, der an sich schon beredt genug sei, werde in das rechte Licht gerückt durch das Dossier über die serbische Propaganda ' gegen die Monarchie und die Zusammenhänge, die zwischen dieser Propaganda und dem Attentat vom 28. Juni bestünden.
Auf dies Dossier, das dem k. u. k. Botschafter mit einem speziellen Erlasse zukomme (um Mißverständnissen vorzubeugen, werde bemerkt, daß das Dossier den Mächten nur für den Fall einer Ablehnung der Forderungen an Serbien übermittelt werden solle), wolle der k. u. k. Bot- schafter die Aufmerksamkeit des Herrn russischen Ministers ganz speziell lenken und dartun, es sei eine in der Geschichte singulare Erscheinung, daß eine Großmacht die aufrührerischen Umtriebe eines angrenzenden kleinen Staates durch so lange Zeit mit so beispielloser Langmut geduldet hätte, wie Österreich-Ungarn jene Serbiens.
Die Hauptursache, warum die Monarchie so lange gleich- mütig geblieben wäre, sei darin zu suchen, daß sie Serbien nicht während jener Periode seiner staatlichen Entwicklung zur Rechenschaft ziehen wollte, in der es dem alten türkischen Erbfeinde gegenüberstand.
Die Monarchie wollte keine Politik gegen das Aufstreben der christlichen Balkanstaaten machen und habe es daher — trotzdem ihr der geringe Wert serbischer Versprechungen bekannt war — nach der Annexionskrise vom Jahre 1908
' Vgl. Anmerkung 3, Seite 167. 11 161
zugelassen, daß sich Serbien beinahe um das Doppelte vergrößere.
Heute lägen die Dinge anders: Serbien habe seine Aspirationen der Türkei gegenüber durchgesetzt und die Monarchie könne gegen Serbien vorgehen, ohne sich dem Vorwurf auszusetzen, daß sie die freie Entwicklung des serbischen Staates behindern wolle.
Andrerseits habe die subversive Bewegung, die in Serbien gegen die Monarchie genährt werde, inzwischen so exzessive Formen angenommen, daß das monarchische und dynastische Interesse durch die serbische Wühlarbeit bedroht erscheine.
Das Wiener Kabinett müsse annehmen, daß das konser- vative kaisertreue Rußland ein energisches Vorgehen von Seite der Monarchie gegen diese Bedrohung aller staatlichen Ordnung begreiflich und sogar notwendig finden werde. Daß das Wiener Kabinett bei seinem Vorgehen nicht von dem Wunsche einer Zurückdrängung des orthodoxen Slawentums geleitet sei, sei schon früher angedeutet worden.
Der k. u. k. Botschafter könne dies Moment dem russischen Minister des Äußern gegenüber auch mit dem Hinweise darauf entsprechend illustrieren, daß sich die Monarchie derzeit nur in einem Gegensatze zu Serbien befinde, während ihre Beziehungen zu Montenegro normal und freundnachbarlich geblieben seien.
Das Wiener Kabinett habe sich in der Tat — was die nach Österreich-Ungarn getragene großserbische Agitation anbe- lange — über Montenegro nicht zu beklagen und auch das Dossier, das der k. u. k. Botschafter Herrn Sazonow zu übergeben habe, enthalte kein Material gegen das genannte Königreich. Wenn der k. u. k. Botschafter in seinem Ge- spräche mit Herrn Sazonow an diesem Punkte angelangt sei, werde der Moment gekommen sein, an die Aufstellung der Beweggründe und Absichten des Wiener Kabinetts den Hinweis zu knüpfen, daß es zwar — wie der k. u. k. Bot- schafter bereits in der Lage gewesen sei, darzulegen ' —
I Graf Szäpäry harte inzwischen die Weisung erhalten, die Frage des territorialen Desinteressements nicht zu streifen. (Siehe Seite 154 unten.)
162
keinen territorialen Gewinn anstrebe und auch die Sou- veränität des Königreiches nicht anzutasten gedächte, daß es aber andrerseits zur Durchsetzung seiner Forderung bis zum Äußersten gehen und auch vor der Möglichkeit euro- päischer Verwicklungen nicht zurückschrecken würde.
Daß das Wiener Kabinett bisher, soviel an ihm lag, bestrebt war, den Frieden zu erhalten, den man auch in Wien als das kostbarste Gut der Völker betrachte, zeige der Verlauf der letzten vierzig Jahre und die geschichdiche Tatsache, daß sich der Monarch den Namen eines Hüters des Friedens erworben hätte.
Das Wiener Kabinett würde eine Störung des euro- päischen Friedens schon deshalb auf das Lebhafteste be- dauern, weil es stets der Ansicht gewesen sei, daß die Aufteilung des türkischen Erbes und das Erstarken der Balkanstaaten zur staatlichen und politischen Selbständig- keit auch alle Möglichkeit eines Gegensatzes zwischen der Monarchie und Rußland beseitiget hätte; und weil das Wiener Kabinett immer bereit war, die wohlverstandenen großen politischen Interessen Rußlands bei der eigenen politischen Orientierung zu berücksichtigen, und weil es endlich immer gehofft hätte, daß die gleichen konservativen monarchischen und dynastischen Interessen der drei Kaiserreiche nicht für alle Zukunft ohne heilsame Rückwirkung auf ihre politischen Beziehungen bleiben würden.
Eine weitere Duldung der serbischen Umtriebe hätte die staatliche Existenz der Monarchie untergraben, ihren Bestand als Großmacht, daher auch das europäische Gleichgewicht in Frage gestellt. Das Wiener Kabinett aber sei überzeugt, daß es Rußlands eigenstes, von seinen friedlichen Staatsleitern wohlverstandenes Interesse sei, daß das gegenwärtige euro- päische, für den Weltfrieden so nützlicheGleichgewicht erhalten bleibe. Die Aktion gegen Serbien, in welcher Form immer sie erfolge, sei eine durchaus konservative und ihr Zweck dte notwendige Erhaltung der europäischen Stellung derMonarchie.
Eine spezielle Weisung trug Graf Szäpäry am 25. Juli Weisung hm- noch auf', sich über den Punkt der Beteiligung von k. u. k. p''''1',"\''h"
' o o Punkteso der
1 Weisung nach St. Petersburg d. d. Wien, 25. Juli, 1 Uhr p. m., ^'^sehrnoie Nr. 172.
163
Funktionären bei der Unterdrückung der subversiven Be- wegung in Serbien (Punkt 5 der Note), der den besonderen Widerspruch Herrn Sazonows hervorgerufen hatte, dahin zu äußern, daß dessen Einschaltung lediglich praktischen Rücksichten entspringe und keineswegs der Absicht, die Souveränität Serbiens zu tangieren. Das Wiener Kabinett denke bei Punkt 5, „collaboration", an die Errichtung eines geheimen „bureau de sürete" in Belgrad, das nach Art der analogen russischen Einrichtungen in Paris und Berlin funktionieren und mit der serbischen Polizei und Verwal- tungsbehörde kooperieren würde. Anzeichen Ein im amtlichen Organ der russischen Regierung am
^'""y^""', 24. lull veröffentlichtes Communique besagte, die kaiser-
scharfungder ^ t o ^
Situation liehe Regierung verfolge, lebhaft besorgt durch die über- raschenden Ereignisse und durch das an Serbien gerichtete Ultimatum Österreich-Ungarns, mit Aufmerksamkeit die Entwicklung des österreichisch-ungarisch-serbischen Kon- flikts, in dem Rußland nicht indifferent bleiben könne '. Tags darauf erschien die Haltung der Petersburger Presse geändert; auch räumte die bisher beobachtete vollkommene Gleichgültigkeit der öffentlichen Meinung einer bemerk- baren Erregung den Platz. Noch vermochte Graf Szdpäry nicht zu entscheiden, ob dies alles als Begleitmusik zu den russischen Demarchen geplant war, die bestimmt waren, die Entschließung des Wiener Kabinetts zu verzögern, oder ob ein noch ernsterer Hintergrund vorhanden sei -. Gerüchte Sclt dem 25. Juli wurden in Petersburg sowohl in
"" ^ diplomatischen wie in russischen Kreisen mit großer
militärische *^
Maßnahmen Bestimmtheit Nachrichten über militärische Maßnahmen
Rußlands Rußlands kolportiert. So wollte der dänische Gesandte aus
ganz verläßlicher Quelle wissen, daß noch am 24. Juli
abends die Mobilisierungsordre für die Grenzbezirke gegen
Österreich-Ungarji und Deutschland erflossen sei •".
I Vgl. Rotbuch, Nr. 15.
- Telegramm aus St. Petersburg d. d. 25. Juli, Nr. 182.
•■• Telegramm aus St. Petersburg d. d. 25. Juli, Nr. 161.
In Wien glaubte man (Tagesbericht vom 11. Februar 1915, Nr. 965) annehmen zu können, „daß nach der Überreichung des Ultimatums in „Belgrad der italienische Botschafter das Petersburger Kabinett autoritativ
164
B. Die serbische Antwortnote an Österreich- Ungarn vom 12. 25. Juli 1914 und der Abbruch der diplomatischen Beziehungen Österreich- Ungarns zu Serbien (25. Juli, 6 Uhr nachmittags)
Am 24. Juli, morgens 5 Uhr, war Herr Pasic nach Belgrad Ministerui zurückgekehrt; seit 10 Uhr vormittags tagte ein Ministerrat, I24 j'^," der aber bis zum Abend noch keine Beschlüsse gefaßt haben sollte ".
Aus Diplomatenkreisen hatte Freiherr von Giesl gehört, daß die Verlegung der Regierung nach Nisch geplant sei. Das Regierungsorgan brachte eine kurze Meldung über die am 23. Juli erfolgte Übergabe der Note, welche schwerste Bedingungen enthalte, und bezeichnete die Situation als äußerst ernst und kritisch. Alle übrigen Blätter, von denen einige wegen allzu heftiger Ausfälle gegen die Monarchie konfisziert wurden, gaben der übereinstimmenden Ansicht Ausdruck, daß sich Serbien nur einer Forderung fügen könne, die die Selbständigkeit nicht tangiere.
In Beamtenkreisen wurde am 24. Juli das Gerücht lanciert, daß die Regierung bereits gestern abends aus Petersburg ein Telegramm erhalten habe, wonach Serbien unbedingt auf Rußland zählen könne. Demgegenüber konnte Freiherr von Giesl konstatieren, daß die serbische Regierung vom Inhalte der österreichisch-ungarischen Note augenscheinlich vollkommen überrascht wurde. Nach über- einstimmenden Informationen hatte denn auch der Ministerrat unter Vorsitz des Kronprinzen bis abends keine bindenden Beschlüsse gefaßt.
„von der unerschütterlichen vereinbarten Entschlossenheit der deutschen „und österreichisch-ungarischen Regierungen verständigen konnte und daß „dies dazu beigetragen haben mag, daß in Rußland die allgemeine Mobili- „sierung ohne Zaudern sofort angeordnet wurde." (Vergleiche die angeblichen Konfidenzen des deutschen Botschafters in Rom (Seite 79, Anmerkung 1) und die Demarchen Marquis di San Giulianos (Seite 115).
' Telegramm aus Belgrad d. d. 24. Juli, 6 Uhr 40 Minuten p. m. Nr. 180.
165
Es wurde erklärt, daß die Antwort auf keinen Fall noch am 24. Juli erteilt würde, da noch nicht sämtliche Minister anwesend seien '. Weisungen Am Ballhausplatz setzte man voraus, daß Freiherr von
Gesandten Gicsl auf Grund der ihm zuteil gewordenen Instruktionen (24. Juli) bereits alle Vorkehrungen getroffen habe, um nach eventuell fruchtlosem Ablauf der 48stündigen Frist Belgrad mit dem Personal der Gesandtschaft sofort verlassen zu können -. Das Ergebnis der 48stündigen Frist, das nur die vorbehalt- lose Annahme der österreichisch-ungarischen Forderungen oder die Ablehnung derselben sein könne (jede bedingte oder mit Reserve begleitete Annahme habe der k. u. k. Gesandte als Ablehnung aufzufassen), sollte sofort in wenigen Worten von Semlin aus in claris an die Kabinetts- und an die Militärkanzlei des Monarchen nach Ischl und sowohl in claris von Semlin, wie in Ziffern von Belgrad aus an das Ministerium des Äußern und an Graf Tisza nach Buda- pest telegraphiert werden.
Fortdauer Am 25. JuH, I Uhr nachmittags, depeschierte der k. u. k.
des Minister- Gesandtc-^:
rates in
Belgrad Qgj. Ministerrat sei am 24. Juli abends und 25. Juli
abends, morgcns abermals zusammengetreten. Die Antwort auf die -"^•J"" f'"*" österreichisch-ungarische Note solle nach mehrfachen Ver- sionen noch vor dem Ablaufe der Frist übergeben werden. Freiherr von Giesl höre, daß ein Hofzug zusammengestellt werde; das Geld der Nationalbank und der Eisenbahn sowie die Akten des Ministeriums des Äußern würden in das innere des Landes gebracht. Ein Teil der Diplomaten sei der Auffassung, der Regierung folgen zu müssen; speziell auf der russischen Gesandtschaft werde eifrig gepackt. • Die Garnison habe in Feldausrüstung die Stadt ver- lassen. Die Munitionsdepots der Festung würden evakuiert. Am Bahnhof herrsche starker militärischer Verkehr. Die Sanitätskolonnen hätten Belgrad in der Richtung nach Süden verlassen. Freiherr von Giesl gedenke im Falle des Abbruches
' Telegramm aus Belgr.-id d. d. 24. Juli, Nr. 181.
"• Weisung nach Belgrad d. d. Wien, 24. Juli, Nr. 85.
= Telegramm aus Belgrad-Semlin d. d. 25. Juli, 1 Uhr p. m., Nr. 182.
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der Beziehungen Belgrad mit dem Zuge 6 Uhr 30 Minuten zu verlassen.
Am 25. Juli, 7 Uhr 45 Minuten abends, wurde vom Abbruch Legationssekretär Franz Graf Kinsky in Wien die nach- ^l^^i^^^rn folgende Telephondepesche zur Weiterleitung an den in Beziehungen Bad Ischl weilenden Grafen Berchtold aufgenommen: östl?re"ch-
„Gesandter Baron Giesl telephoniert aus Semiin nach ungam und Budapest: Zwei Minuten vor 6 Uhr abends wurde. Antwort- ^'"''"^" note überreicht; da sie in mehreren Punkten unbefriedigend, hat Baron Giesl die Beziehungen abgebrochen und ist abgereist.
Um 3 Uhr nachmittags wurde in Serbien die allgemeine Mobilisierung angeordnet.
Regierung und diplomatisches Korps sind nach Kragu- jevac abgereist."
Die instruktionsgemäß aus Semiin in claris aufgegebene Depesche des Freiherrn von Giesl lautete': „Ich habe „infolge ungenügender Antwort der königlich serbischen „Regierung auf unsere am 23. 1. M. gestellten Forderungen „die diplomatischen Beziehungen mit Serbien für abgebrochen „erklärt und mit dem Personal der Gesandtschaft Belgrad „verlassen."
Die telegraphische Verständigung vom Abbruche der zirkulär- diplomatischen Beziehungen zu Serbien an alle k. u. k. änXTT k Missionen erfolgte noch am Abend des 25. Juli -. Missionen
Ebenfalls noch am 25. Juli wurde an die k. u. k. Das Dossier Funktionäre das in der Zirkularnote an die Signatarmächte Kabiülit"" angekündigte Dossier, das die großserbische Propaganda und ihre Zusammenhänge mit dem Sarajevoer Attentate zum Gegenstand hatte =, abgeschickt*, um dem Eindruck der serbischen Antwortnote im Auslande zu begegnen.
1 Telegramm aus Semiin d. d. 25. Juli, 8 Uhr p. m., ohne Nummer.
- Zirkulartelegramm an die k. u. k. Missionen d. d. Wien, 25. Juli, Prot. Nr. 5240.
3 Das weitläufige Dokument ist abgedruckt im österreichisch-ungari- schen Rotbuch Nr. 19. Über die Verwertung des Dossiers vergleiche die Ausführungen Seite 130, 134, 152, 153, 161, 197 oben, 202, 209, 210 und 285.
* Protokoll Nr. 3540 bis 3560 und 3569, 3570, d. d. 25. Juli.
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Dieserbischc Die vom k. u. k. Gesandten als unzulänglich erachtete Antwortnote der serbischen Regierung ' kam den öster- reichisch-ungarischen Forderungen in weitem Umfange ent- gegen. Die Argumentation der Note brachte gewisse Vor- behalte zum Ausdrucke, insbesondere hinsichtlich des Punktes 4: Endassung der durch die gerichdiche Unter- suchung kompromittierten Offiziere und Beamten aus dem Militär- und Zivildienste; Punkt 5: Mitwirkung von k. u. k. Organen bei der strafprozeßlichen Untersuchung auf dem Gebiete des Königreiches Serbien; Punkt 7: Bekanntgabe der Schuldbeweise gegen Ciganovic; Punkt 9: Beweise und Überführungsmittel hinsichtlich der Interviews serbischer Diplomaten; und schloß ihre Ausführungen mit der Bereit- willigkeitserklärung, eine friedliche Lösung anzunehmen, sei es durch Übertragung der Entscheidung dieser Frage an das internationale Gericht im Haag, sei es durch Über- stellung der Entscheidung an die Großmächte, welche an der Ausarbeitung der von der serbischen Regierung am 18./31. März 1909 abgegebenen Erklärung mitgewirkt hatten. Das Dokument selbst wurde von Graf Berchtold als „sehr geschickt verfaßt" bezeichnet-.
C. Die k. u. k. Regierung und die europäischen
Kabinette
Berlin Bekanntgabe Die offiziellc Vcrständigung von dem Abbruche der diplo- ches^dlTBe- matischcn Beziehungen zwischen Wien und Belgrad wurde Ziehungen zu dcm k. u. k. Botschafter in Berlin am 26. Juli nachmittags
Serbien . • i ^ .
, . . zugeschickt-:
durch das &
Wiener Nachdem Serbien die von der Monarchie aufgestellten
Forderungen abgelehnt habe, habe die Monarchie die Be- ziehungen zu diesem Lande abgebrochen.
' Vgl. den Originaltext in französischer Sprache im österreichisch- ungarischen Rotbuche Nr. 25, in deutscher Sprache unter derselben Nummer in der Volksausgabe des Rotbuches.
2 Vgl. Seite 217 unten.
■: Weisung nach Berlin d. d. Wien, 26. Juli, Nr. 270.
168
Kabinett
i
Die königlich serbische Regierung habe die Erfüllung der Forderungen, welche die Monarchie zur dauernden Sicherung ihrer durch Serbien bedrohten vitalsten Interessen stellen mußte, abgelehnt und damit bekundet, daß sie nicht willens sei, ihre subversiven, auf die stete Beunruhigung einiger Grenzländer der Monarchie und ihre schließliche Lostren- nung aus dem Gefüge der Monarchie gerichteten Bestrebungen aufzugeben.
Zu seinem Bedauern und sehr gegen seinen Willen sei daher das Wiener Kabinett in die Notwendigkeit versetzt worden, Serbien durch die schärfsten Mittel zu einer grund- sätzlichen Änderung seiner bisherigen feindseligen Haltung zu zwingen. Der kaiserlich deutschen Regierung sei es wohl bekannt, daß der Monarchie hiebei aggressive Tendenzen fern- lägen, und daß es ein Akt der Selbstverteidigung sei, wenn sich das Wiener Kabinett nach jahrelanger Duldung endlich entschließe, den großserbischen Wühlereien auch mit dem Schwerte entgegenzutreten.
Es gereiche dem Wiener Kabinett zur aufrichtigen Ge- nugtuung, bei der deutschen Regierung und dem ganzen deutschen Volke volles Verständnis dafür zu finden, daß das nach den Ergebnissen der Untersuchung in Belgrad vor- bereitete und von dortigen Sendlingen ausgeführte Attentat von Sarajevo die gegen Serbien bisher bewiesene Langmut der Monarchie erschöpfen mußte, und daß die Monarchie jetzt mit allen Mitteln bestrebt sein müsse, sich Garantien gegen die Fortdauer der gegenwärtigen unleidlichen Ver- hältnisse an ihrer südöstlichen Grenze zu verschaffen. Das Wiener Kabinett hoffe zuversichtlich, daß die bevorstehende Auseinandersetzung mit Serbien zu keinen weiteren Kompli- kationen Anlaß geben werde; sollte dies aber dennoch der Fall sein, so stelle das Wiener Kabinett mit Dankbarkeit fest, daß Deutschland in oft erprobter Treue seiner Bundes- pflichten eingedenk sein und die Monarchie in dem auf- gezwungenen Kampfe gegen einen anderen Gegner unter- stützen werde.
Der Umstand, daß es das Wiener Kabinett unterließ. Die deutsche die serbische Antwortnote der Berliner Regierung ^rw'ttavom unaufgefordert mitzuteilen, bildet ein auffallendes wiener
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Kabineiiden Gcgcnstück ZU der Tatsache, daß das Berliner serbischen K- 3 D 1 H c 1 1 cpst gleichzeitig mit den übrigen Machten Antwortnoie vom WoFtlautc d c p ö s t c Tf c i c h i s c h - u H ga T i s c h e n Be- (27J"i') gehrnote in Kenntnis gesetzt wurde. Wie damals (21.Juh) der k. u. k. Botschafter in Berlin die unverzügliche Mitteilung der Begehrnote urgierte, so erhielt jetzt Herr von Tschirschky den telegraphischen Auftrag (27. Juli), Graf Berchtold zu ersuchen, den Wortlaut der serbischen Antwortnote ehestens mitzuteilen '. Es wäre dies, wie Herr von Jagow dem Grafen Szögyeny sagte, aus dem Grunde erwünscht, um England gegenüber der Unrichtigkeit der erhobenen Behauptung ent- gegenzutreten, daß die serbische Antwort in den Haupt- punkten den Wünschen des Wiener Kabinetts entspreche.
Bisher hatte bloß der serbische Geschäftsträger den an- geblichen Inhalt der Antwort des Herrn Pasic am 27. Juli mittags Herrn Jagow mitgeteilt -.
' Telegramm aus Berlin d. d. 27. Juli, 5 Uhr 50 Minuten p. m., Nr. 303.
- Kaiser Wilhelm erhielt den Text der serbischen Antwortnote erst am 28. Juli morgens zur Einsicht. Er charakterisierte ihren Inhalt mit der eigenhändigen Bemerkung:
„Eine brillante Leistung für eine Frist von 48 Stunden. Das ist mehr, als man erwarten konnte. Ein großer moralischer Erfolg für Wien. Damit fällt jeder Kriegsgrund fort und Giesl hätte ruhig in Belgrad bleiben sollen. Daraufhin hätte ich niemals Mobilmachung befohlen."
An den Reichskanzler erfloß gleichzeitig der Bescheid des Kaisers: „Neues Palais, 28. Juli 1914, 10 Uhr vormittags.
Eure Exzellenz! Nach Durchlesung der serbischen Antwort, die ich heute morgen enthielt, bin ich überzeugt, daß im Großen und Ganzen die Wünsche der Donaumonarchie erfüllt sind. Die paar Reserven, welche Serbien zu einzelnen Punkten macht, können meines Erachtens durch Verhandlungen wohl geklärt werden. Aber die Kapitulation liegt darin urbi et orbi verkündet und durch sie entfällt jeder Grund zum Kriege. Dennoch ist dem Stück Papier wie seinem Inhalt nur beschränkter Wert beizumessen, solange er nicht in die Tat umgesetzt wird. Die Serben sind Orientalen, daher verlogen, falsch und Meister im Verschleppen. Damit diese schönen Versprechungen Wahrheit und Tatsache werden, muß eine douce violence geübt werden. Das würde dergestalt zu machen sein, daß Österreich ein Faustpfand (Belgrad) für die Erzwingung und Durchführung der Versprechungen besetzte und solange behielte, bis tatsächlich die Petita durchgeführt sind. Das ist auch notwendig, um der zum drittenmal umsonst mobilisierten österreichischen Armee eine äußere Satisfaktion
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In Berlin setzte man — wie Graf Szögyeny meldete — Die Frage allgemein als sicher voraus ', daß auf die eventuell abweisende ^1%"^'."^ Antwort Serbiens sofort die Kriegserklärung der Monarchie, ■väreigenden verbunden mit kriegerischen Operationen, erfolgen werden. J^^jf^„„g Man sehe in jeder Verzögerung des Beginnes der kriegerischen Österreich- Operationen eine große Gefahr betreffs der Einmischung ^„"l^^bL anderer Mächte. Man rate dringend, sofort vorzugehen und die Welt vor ein Fait accompli zu stellen. Graf Szögyeny teile diese Ansicht des Auswärtigen Amtes vollkommen.
Der hiezu erst am 27. Juli nachts nach Berlin abgeschickte Bescheid Graf Berchtolds führte aus^, die Kriegserklärung
d'honneur zu geben, den Schein eines Erfolges dem Ausland gegenüber und das Bewußtsein, wenigstens auf fremdem Boden gestanden zu haben, ihr zu ermöglichen. Ohne dies dürfte bei Unterbleiben eines Feldzuges eine sehr üble Stimmung gegen die Dynastie aufkommen, die höchst bedenklich wäre. Falls Eure Exzellenz diese meine Auffassung teilen, so würde ich vorschlagen, Österreich zu sagen, der Rückzug Serbiens sei erzwungen und man gratuliere dazu. Natürlich sei damit ein Kriegs- zustand nicht mehr vorhanden, wohl aber eine Garantie nötig, daß die Versprechungen ausgeführt würden. Das würde durch die vorübergehende Besetzung eines Teiles von Serbien wohl erreichbar sein, ähnlich wie wir im Jahre 1871 in Frankreich Truppen stehen Heßen, bis die Milliarden bezahlt waren. Auf dieser Basis bin ich bereit, den Frieden mit Öster- reich zu vermitteln. Dagegen lautende Vorschläge oder Proteste von anderer Seite würde ich unbedingt abweisen, umsomehr, als alle mehr oder weniger offen an mich appellieren, den Frieden erhalten zu helfen. Das werde ich tun nach meiner Manier so schonend für das öster- reichische Nationalgefühl und für die Waffenehre seiner Armee als möglich. Denn an letztere ist schon bereits seitens des obersten Kriegs- herrn appelliert worden und sie ist dabei, dem Appell zu folgen. Also muß sie unbedingt eine Satisfaction d'honneur haben. Das ist eine Vor- bedingung für meine Vermittlung, daher wollen Eure Exzellenz mir in dem skizzierten Sinne einen Vorschlag unterbreiten, der nach Wien mit- geteilt werden soll. Ich habe im obigen Sinne an den Chef des General- stabes durch Plessen schreiben lassen, der ganz meine Ansicht teilt.
Gez.: Wilhelm I. R."
(Veröffentlicht in den Tagesblättern nach der Wiedergabe in der Zeitschrift „Deutsche Politik".)
1 Telegramm aus Berlin d. d. 25. Juli, 2 Uhr 15 Minuten p. m., Nr. 285. Vgl. Weißbuch betreffend d. V. d. U. a. Kr., Seite 33.
- Daß eine analoge Überzeugung auch anderwärts vorherrschte, er- hellt aus den Feststellungen Seite 192 unten, 211 Mitte, 213, 215.
3 Weisung nach Berlin d. d. Wien, 27. Juli, Nr. 274. Expediert 27. Juli, 11 Uhr 10 Minuten p. m.
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erfolge in den nächsten Tagen. Der Beginn der Kriegs- operationen müsse jedoch bis zur Beendigung des Auf- marsches verzögert werden, um dann mit voller Kraft den entscheidenden Schlag führen zu können. Hiezu werde noch eine gewisse Zeit erforderlich sein, da das Wiener Kabinett, durch die Erfahrungen der letzten Jahre gewitzigt, mit den militärischen Maßnahmen in größerem Stile nicht beginnen wollte, bevor es feststand, daß es tatsächlich zum Kriege kommen werde.
Den zutreffenden Grund gab wohl präziser eine Mit- teilung Herrn von Jagows an Graf Szögyeny vom 27. Juli nachmittags an': Herr von Tschirschky habe telegraphiert, General Conrad von Hötzendorf hätte ihm vertraulich mit- geteilt, daß, um mit entsprechendem militärischen Nach- druck gegen Serbien vorgehen zu können, die österreichisch- ungarische Mobilisierung erst am 12. August perfekt werden könnte.
Der Staatssekretär habe gleichzeitig bedauert, daß der
Termin des Beginnes des militärischen Eingreifens der
Monarchie so lange hinausgeschoben werden müsse.
Das Berliner In ciner Unterredung mit Fürst Lichnowsky hatte Sir
Kabinett und g^j^^j-d Grcv am 24. luli die Anregung einer Vermitt-
die engli* ' rx
sehen ver- lung ZU vlcrt (England, Frankreich, Italien und Deutsch- mittiungs- \2,^^ gegeben und sich bemüht, die Zusicherung der
anregungen ' o o
(24., 26. juiii Unterstützung seitens Deutschlands zu erlangen-.
Überdies hatte Sir Edward Grey am 25. Juli an Fürst Lichnowsky in einem Privatschreiben das Ersuchen gestellt, das Berliner Kabinett wolle sich in Wien für eine wohl- wollende Berücksichtigung der serbischen Antwortnote ein- setzen.
Dies Anliegen Sir Edward Greys war seitens der Berliner Regierung an das Wiener Kabinett weitergeleitet worden».
Von Sir Edward Grey war sodann am 26. Juli nach Paris, Berlin und Rom dem Anliegen Ausdruck gegeben
' Telegramm aus Berlin d. d. 27. Juli, 5 Uhr 50 Minuten p. m., Nr. 305.
2 Vgl. Seite 149 unten, 150.
■" Vgl. die Ausführungen Seite 198.
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• worden I, durch die Abhaltung einer Botschaftericon- ferenz (England, Deutschland, Frankreich und Italien) den nötigen Zeitvorsprung zu gewinnen, um die zwischen Österreich-Ungarn und Serbien obschwebende Angelegenheit bei Enthaltung jeglicher militärischen Operationen seitens Serbiens, Österreich-Ungarns und Rußlands zur Regelung zu bringen.
Dieser Vorschlag Sir Edward Greys war seitens der deutschen Regierung mit der Begründung abgelehnt worden, es erscheine Deutschland nicht angängig, den Bundes- genossen wegen seiner Auseinandersetzungen mit Serbien gleichsam vor einen europäischen Schiedsgerichtshof zu ziehen -. Die deutsche Vermittlungstätigkeit habe zuvörderst die Behebung der Gefahr eines österreichisch-russischen Konflikts zum Ziele.
An dieser Stelle wird eine vom k. u. k. Botschafter in Die eng Berlin am 27. Juli um 9 Uhr 15 Minuten p. m. nach ^'^'^'"' Wien übermittelte Depesche eingehend zu berücksichtigen miniungs- sein\ deren Inhalt — ohne kritische Überprüfung vorschlage
angebliche
seiner Angaben — danach angetan erscheint, em ver- steiiung- zeichnetes Bild der Stellungnahme der deutschen Regierung ""'""=
Herrn von
gegenüber den englischen Vermittlungsvorschlägen zu geben, j^gows Das Dokument lautet in wörtlicher Wiedergabe: „Staatssekretär erklärte mir in streng vertraulicher Form „sehr entschieden, daß in der nächsten Zeit eventuell Ver- - „mittlungsvorschläge Englands durch die deutsche Regierung „zur Kenntnis Eurer Exzellenz gebracht würden.
„Die deutsche Regierung versichere auf das Bündigste, „daß sie sich in keiner Weise mit den Vorschlägen „identifiziere, sogar entschieden gegen deren Berück- „sichtigung sei und dieselben, nur um der englischen Bitte „Rechnung zu tragen, weitergebe.
„Sie gehe dabei von dem Gesichtspunkte aus, daß es „von der größten Bedeutung sei, daß England im jetzigen
« Blaubuch Nr. 36.
= Vgl. Blaubuch Nr. 43; ferner Seite 196 unten.
3 Telegramm aus Berlin d. d. 27. Juli, 9 Uhr 15 Minuten p. m., Nr. 307. Eingetroffen am 28. Juli, 9 Uhr a. m. Vgl. Weißbuch betreffend d. V. d. U. a. Kr., Seite 33.
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„Momente nicht gemeinsame Sache mit Rußland und Frank- „reich mache. Daher müsse alles vermieden werden, daß „der bisher gut funktionierende Draht zwischen Deutsch- „land und England abgebrochen werde. Würde nun Deutsch- „land Sir Edward Grey glatt erklären, daß es seine „Wünsche an Österreich-Ungarn, von denen England glaubt, „daß sie durph Vermittlung Deutschlands eher Berück- „sichtigung bei uns finden, nicht weitergeben will, so würde „eben dieser vorerwähnte, unbedingt zu vermeidende Zustand „eintreten.
„Die deutsche Regierung würde übrigens bei jedem „einzelnen derartigen Verlangen Englands in Wien dem- „selben auf das Ausdrücklichste erklären, daß sie ' in keiner „Weise derartige Interventionsverlangen Österreich-Ungarn „gegenüber unterstütze und nur um Wunsch Englands zu „entsprechen, dieselben weitergebe.
„So sei bereits gestern die englische Regierung durch „den deutschen Botschafter in London und direkt durch „ihren hiesigen Vertreter an ihn, Staatssekretär, heran- „getreten, um ihn zu veranlassen, den Wunsch Englands „betreffs unserseitiger Milderung der Note an Serbien zu „unterstützen. Er, Jagow, habe darauf geantwortet, er wolle „wohl Sir Edward Greys Wunsch erfüllen, Englands Be- „gehren an Euer Exzellenz weiterzuleiten, er selbst könne „dasselbe aber nicht unterstützen, da der serbische Konflikt „eine Prestigefrage der österreichisch-ungarischen Monarchie „sei, an der auch Deutschland partizipiere.
„Er, Staatssekretär, habe daher die Note Sir Edward „Greys an Herrn von Tschirschky weitergegeben, ohne „ihm aber Auftrag zu erteilen, dieselbe Euer Exzellenz „vorzulegen; darauf hätte er dann dem englischen Kabinett „Mitteilung machen können, daß er den englischen Wunsch „nicht direkt ablehne, sondern sogar nach Wien weiter- „gegeben habe.
„Zum Schlüsse wiederholte mir Staatssekretär seine „Stellungnahme und bat mich, um jedwedem Mißverständ- „nisse vorzubeugen. Euer Exzellenz zu versichern, daß er
' In der Vorlage: daß es .. 174
„auch in diesem eben angefülirten Fall, dadurch, daß er „als Vermittler aufgetreten sei, absolut nicht für eine „Berücksichtigung des englischen Wunsches sei."
Zunächst erscheint die Feststellung notwendig, daß der eigentliche Gegenstand, das ist der materielle Inhalt des englischen Vorschlages vom 26. Juli, in unver- ständlicher Weise wiedergegeben ist.
Das Telegramm Graf Szögyenys formuliert nämlich den Vorschlag Sir Edward Greys dahin, daß Deutschland den Wunsch Englands hinsichtlich einer von Öster- reich-Ungarn vorzunehmenden Milderung der Note an Serbien unterstützen möge'. Was wollte dieser am 27. Juli aufgesetzte Satz besagen, da doch die Note bereits am 23. Juli, 6 Uhr abends, in Belgrad überreicht und am 25. der Abbruch der diplomatischen Beziehungen vollzogen worden war? Entgegen den Ausführungen des k. u. k. Botschafters müssen wir konstatieren, daß es sich an dieser Stelle sinn- gemäß nur um den Konferenzvorschlag Sir Edward Greys (vom 26. Juli) handeln kann, der von Deutschland mit der obenerwähnten Begründung allerdings Sir Edward Grey gegenüber direkt abgelehnt worden war-.
Eine .weitere unrichtige Angabe sachlichen Belanges in der vorliegenden Berichterstattung Graf Szögyenys wird durch das Zeugnis der Tatsachen selbst widerlegt und auf- geklärt.
Nach den Ausführungen des Telegramms habe Herr von Jagow dem Grafen Szögyeny erklärt, es würden in der nächsten Zeit eventuell Vermitdungsvorschläge Englands durch die deutsche Regierung zur Kenntnis des Grafen Berchtold gebracht werden;
„Die deutsche Regierung würde übrigens bei jedem ein- „zelnen derartigen Verlangen Englands in Wien demselben
' Vgl. Seite 174 Mitte. — Diese Formulierung kann als weiterer Beleg (siehe Seite 31, Anmerkung 1) für die mit fortschreitender Krise sich steigernde Ungenauigkeit der Berichterstattung des bejahrten k. u. k. Botschafters in Berlin dienen. Ist nun freilich der Mangel an positiver Zuverlässigkeit in der Berichterstattung des Grafen Szögyeny einmal fest- gestellt, so werden auch die bisher auf Grund ausschließlich seiner Meldungen gezogenen Schlüsse einer Revision zu unterziehen sein.
■i Vgl. Blaubuch Nr. 43.
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„auf das Ausdrücklichste erklären, daß sie in keiner Weise „derartige Interventionsverlangen Österreich-Ungarn gegen- „über unterstütze und nur, um dem Wunsche Englands zu „entsprechen, dieselben weitergebe."
Welches Maß von Zuverläßlichkeit kommt diesem Teil der Meldung Graf Szögyenys angesichts der Tatsache zu, daß die deutsche Regierung einen weiteren Vor- schlag Sir Edwards, und zwar hinsichtlich der Annahme der serbischen Antwortnote oder ihrer Geltendlassung als Grundlage für Besprechungen, in Wien am 28. Juli tatsächlich zur Erwägung vor- legen ließ und gleichzeitig erklärte, die Rolle des Vermittlers nicht abweisen zu können?
Noiiz der Hcrr von Tschirschky überreichte nämlich an diesem
BMlchir ^^§^ ^^^ Grafen Berchtold die folgende Notiz der deutschen
in Wien Botschaft in Wien:
(28. jui,) „Der kaiserliche Botschafter in London meldet:
,Soeben ließ mich Sir E. Grey zu sich kommen und ,bat, Eurer Exzellenz von Nachstehendem Kenntnis zu ,geben:
,Der serbische Geschäftsträger habe ihm soeben den ,Wortlaut der serbischen Antwort auf die österreichische ,Note übermittelt. Es gehe aus derselben hervor, daß Serbien ,in einem Umfange den österreichischen Forderungen ,entgegengekommen sei, wie er es niemals für möglich ,gehalten habe; bis auf einen Punkt, der Teilnahme öster- ,reichischer Beamten an den gerichtlichen Untersuchungen, ,habe SerbieA tatsächlich in alles eingewilligt, was von ihm ,verlangt worden ist. Es sei klar, daß diese Nachgiebigkeit ,Serbiens lediglich auf einen Druck von Petersburg zurück- ,zuführen sei.
,Werde sich Österreich nicht mit dieser Antwort be- jgnügen, beziehungsweise werde diese Antwort vom Wiener , Kabinett nicht als Grundlage für friedliche Unterhand- ,lungen betrachtet oder gehe Österreicji gar zur Besetzung ,von Belgrad vor, welches vollkommen wehrlos daliege, ,so sei es vollkommen klar, daß Österreich nur nach einem ,Vorwand suche, um Serbien zu erdrücken. In Serbien ,solle aber alsdann Rußland und der russische Einfluß auf
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,dem Balkan getroffen werden. Daß Rußland dem nicht ,gleichgültig zusehen könne und es als eine direkte Heraus- ,forderung auffassen müsse, sei klar. Daraus würde der jfürchterlichste Krieg entstehen, den Europa jemals gesehen ,habe, und niemand wisse, wohin ein solcher Krieg führen , könne.
, Deutschland hätte sich, so meinte der Minister, wieder- ,holt und so noch gestern mit der Bitte an ihn gewandt, in , Petersburg in mäßigendem Sinne Vorstellungen zu erheben. , Diesen Bitten habe er stets gern entsprochen und sich ,während der letzten Krise Vorwürfe aus Rußland zugezogen, ,daß er sich zu sehr auf die deutsche und zu wenig auf die , russische Seite stelle. Nun wende er sich mit der Bitte an ,die deutsche Regierung, ihren Einfluß beiin Wiener Kabinett , dahin geltend zu machen, daß man die Antwort aus Belgrad ,entweder als genügend betrachte oder aber als Grundlage ,für Besprechungen. Er sei überzeugt, daß es in der Hand ,der kaiserlichen Regierung liege, die Sache durch ent- , sprechende Vorstellungen zu erledigen, und er betrachte es ,als eine gute Vorbedeutung für die Zukunft, wenn es uns ,beiden abermalig gelänge, durch unseren beiderseitigen , Einfluß auf unsere Verbündeten den Frieden Europas gesichert ,zu haben. Ich fand Sir Edward Grey zum ersten Male ver- ,stimmt. Er sprach mit großem Ernst und schien von der jdeutschen Regierung auf das Bestimmteste zu erwarten, ,daß es ihrem Einfluß gelingen möge, die Frage beizulegen. ,Er wird noch heute ein Statement im House of Commons , machen, worin er seinen Standpunkt zum Ausdruck bringt. ,Ich bin auf jeden Fall der Überzeugung, daß, falls es jetzt ,doch noch zum Kriege käme, wir mit den englischen Sym- ,pathien und der britischen Unterstützung nicht mehr zu , rechnen hätten, da man in dem Vorgehen Österreichs alle ,Zeichen üblen Willens erblicken würde.'
Fortfahrend sagt die Notiz:
„Nachdem wir bereits einen englischen Konferenzvorschlag „abgelehnt haben, ist es uns unmöglich, auch diese englische „Anregung a limine abzuweisen. Durch eine Ablehnung jeder „Vermittlungsaktion würden wir für die Konflagration vor „der ganzen Welt verantwortlich gemacht und als die eigent-
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„liehen Treiber zum Kriege hingestellt werden. Das würde „auch unsere eigene Stellung im Lande unmöglich machen, „wo wir als die zum Kriege Gezwungenen dastehen müssen. „Unsere Situation ist um so schwieriger, als Serbien scheinbar „sehr weit nachgegeben hat. Wir können daher die Rolle „des Vermittlers nicht abweisen und müssen den englischen „Vorschlag dem Wiener Kabinett zur Erwägung unterbreiten, „zumal London und Paris fortgesetzt auf Petersburg ein- „wirken.
„Erbitte Graf Berchtolds Ansicht über die englische „Anregung, ebenso wie über Wunsch Herrn Sazonows, mit „Wien direkt zu verhandeln.
„gezeichnet: Bethmann Hollweg. „Wien, den 28. Juli 1914." '
Die Überreichung dieser — inhaltlich wortgemäß angeführten — Notiz der deutschen Botschaft in Wien widerlegt also ihrerseits die Richtigkeit der in der fraglichen Depesche des Grafen Szögyeny vom
27. Juli enthaltenen diesbezüglichen Ausführung-.
Weisungen Mlttcls einer am 28. Juli, 11 Uhr 50 Minuten p. m.,
t^[dl an'den exp^dlerten Weisung •"• beauftragte Graf Berchtold den k. u. k. k. u. k. Bot- Botschafter in Berlin, Herrn von Jagow in seinem Namen ^t^^^'" für die Mitteilung der Gründe, die das deutsche Kabinett
(28. Juli) o '
bestimmten, die englischen Vermitdungsvorschläge an das Wiener Kabinett weiterzuleiten, bestens zu danken und bei- zufügen, daß Graf Berchtold die Motive für diese Haltung des deutschen Kabinetts vollauf würdige.
Mittlerweile habe auch Herr von Tschirschky die eng- lische Anregung zur Kenntnis gebracht; Graf Berchtold werde den deutschen Botschafter am 29. Juli von den
1 Die seitens des Wiener Kabinetts am 29. Juli besorgte Erledigung dieser Notiz, siehe Seite 229 ff.
~ Damit erscheinen auch die im Weißbuch betreffend d. V. d. U. a. Kr., Seite 39, mitgeteilten, auf Grund der Auskünfte des Reichskanzlers von Bethmann Hollweg und des Staatssekretärs von Jagow erbrachten, Angaben bestätigt.
•" Weisung nach Berlin d. d. Wien, 28. Juli, Nr. 284. Expediert
28. Juli, 11 Uhr 50 Minuten p. m.
178
Gründen unterrichten ', die ihm die Annahme derselben untunlich erscheinen lassen -.
Um 1 1 Uhr nachts war überdies der Bescheid Graf Berchtolds an den k. u. k. Botschafter in Berlin ergangen ', der englische Konferenzvorschlag, insoweit er den Konflikt der Monarchie mit Serbien im Auge habe, sei angesichts des bereits eingetretenen Kriegszustandes durch die Er- eignisse überholt. •
Noch waren diese beiden Depeschen Graf Berchtolds Meldung des nach Berlin nicht abgeschickt, als vom k. u. k. Botschafter ll^'^f^f^^ am 28. Juli, 7 Uhr 40 Minuten p. m., die Nachricht über- über die Ab- mittelt wurde *, daß der englische Vermittlungsvorschlag, e'^fli^Xn''" laut welchem Deutschland, Italien, England und Frankreich Vorschlages zu einer Konferenz in London zusammen treten sollten, um *='"" ^°''
' Schalter-
die Mittel zur Beilegung der jetzigen Schwierigkeiten zu konferenz finden, deutscherseits mit der Begründung abgelehnt worden B^diner"
Regierung
1 Vgl. Seite 229 ff. (2S- Juü»
- Im Konzept ursprünglich: „Mittlerweile hat mir Herr von „Tschirschky die englische Anregung im Wege einer schriftlichen Notiz „zur Kenntnis gebracht und ich habe Veranlassung genommen, den Herrn „kaiserlich deutschen Botschafter auf demselben Wege von den Gründen „zu unterrichten, die uns die Annahme derselben untunlich erscheinen „lassen."
Sodann geändert in:
„Mittlerweile hat mir Herr von Tschirschky die englische Anregung „zur Kenntnis gebracht und ich "werde den Herrn kaiserlich deutschen „Botschafter morgen von den Gründen unterrichten, die uns die Annahme „derselben untunlich erscheinen lassen."
Wir werden auf den Umstand der Auslassung der Worte „im Wege einer schriftlichen Notiz" und auf die Textesänderung hinsichtlich der Modalität der Beantwortung in der Folge noch hinzuweisen haben. (Vgl. unsere Ausführungen Seite 229 ff. und 231 und Anmerkung 3 daselbst.) Auch muß weiters vermerkt werden, daß das Wiener Kabinett (soweit sich dies aus dem gegenständlichen Aktenmaterial feststellen läßt) den k. u. k. Botschafter in Berlin von der durch Graf Berchtold selbst bereits (28. Juli) vollzogenen Ablehnung des englischen Ver- mittlungsvorschlages Sir M. Bunsen gegenüber (vgl. Seite 203 ff.) nicht verständigte.
3 Weisung nach Berlin d. d. 28. Juli, Nr. 283. Expediert 28. Juli, 11 Uhr p. m.
* Telegramm aus Berlin d. d. 28. Juli, 7 Uhr 40 Minuten p. m., Nr. 314.
179
Militär- attaches)
sei, daß eine Konferenz nicht das geeignete Mittel wäre, um
einen Erfolg zu erzielen '. nie Wie der deutsche Militärattache aus Petersburg am
russischen 26. JuH meldete -, habe das Gardekorps Ordre erhalten,
Rüstungen ^ j r )
(Meldung des oach Krasnojc Selo zurückzukehren, desgleichen sollten deutschen g||g Regimenter in ihre Garnisonen wieder einrücken; die Manöver sollten abgebrochen werden.
Bei dem deutschen* Generalstab war die — allerdings nicht als sicher zu betrachtende — Nachricht eingelaufen, daß vier Jahrgänge russischer Reserve einberufen worden seien. Sollte dies wirklich zutreffen, so käme es nach Ansicht des Großen Generalstabes einer allgemeinen Mobilisierung Rußlands gleich.
Weiters war in Berlin die — übrigens auch nicht als feststehend geltende — Nachricht eingelangt, daß die Militärbezirke Moskau, Warschau, Kiew und Odessa mobilisiert wurden.
Dem Grafen Szögyeny wurde am 27. Juli im Aus- wärtigen Amte die Eröffnung gemacht ', daß sich nach neuesten Nachrichten die Meldung der Einberufung von vier Jahrgängen der Reserve und die Mobilisierung der russischen Militärbezirke nicht zu bewahrheiten scheine.
Herr Sazonow habe dem deutschen Botschafter erklärt, er könne ihm „garantieren, daß russischerseits keine Mobili- „sierung vorgenommen worden sei."
Weiters habe sich der russische Minister des Äußern Graf Pourtales gegenüber geäußert, „daß Rußland nur dann
' Da die Ablehnung des englischen Vorschlages einer Botschafter- konferenz deutscherseits bereits am 27. Juli erfolgt war (Blaubuch Nr. 43), (vgl. Seite 173), erfolgte die Berichterstattung Graf Szögyenys vom 28. Juli, 7 Uhr 40 Minuten p. m., etwas verspätet.
Zur Tatsache, daß das Wiener Kabinett dieses Telegramm Graf Szögyenys — und nicht die vom Grafen Berchtold direkt vorgenom- mene Ablehnung des englischen Vermittlungsvorschlages gegenüber Sir M. Bunsen (vgl. Seite 203) — den k. u. k. Missionen am 29. Juli mitteilte, vgl. unsere Ausführungen Seite 229 ff.
= Telegramm aus Berlin d. d. 26. Juli, 8 Uhr 38 Minuten p. m., Nr. 297.
= Telegramm aus Berlin d. d. 27. Juli, 4 Uhr 20 Minuten p. m., Nr. 301.
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„mobilisieren würde, wenn Österreich-Ungarn eine feind- „liche Haltung gegen Rußland einnehmen werde. Rußland „wünsche den Frieden und hoffe, daß Deutschland es darin „unterstützen werde".
Der deutsche Militärattache in Petersburg habe auch gemeldet, der russische Kriegsminister habe ihm sein Ehrenwort gegeben, daß weder ein Mann noch ein Pferd mobilisiert seien, doch seien natürlicherweise gewisse militä- rische Vorsorgen getroffen worden; Vorsorgen, die, wie der deutsche Militärattache seiner Meldung als von sich aus hinzugefügt habe, allerdings ziemlich weitgehend seien.
In Erwiderung des vorstehenden Telegramms Graf Weisung an Szögyenys führte Graf Berchtold am 28. Juli aus': Vom Bo"scha"Jer k. u. k. Militärattache in Petersburg lägen analoge Mel- in Berlin düngen über russische Rüstungen vor. *^^' •*"'''
Der k. u. k. Botschafter wolle sich sofort zum Reichs- kanzler oder Staatssekretär begeben und ihm folgendes im Namen des Grafen Berchtold mitteilen:
Nach übereinstimmenden Nachrichten aus Petersburg, Kiew, Warschau, Moskau und Odessa treffe Rußland umfangreiche militärische Vorbereitungen. Herr Sazonow habe zwar ebenso wie der russische Kriegsminister unter Ehrenwort versichert, daß eine Mobilisierung bisher nicht angeordnet wurde, der letztere habe jedoch dem deutschen Militärattache mitgeteilt, daß die gegen Österreich-Ungarn gelegenen Militärbezirke Kiew, Odessa, Moskau und Kasan mobilisiert werden würden, wenn österreichisch-ungarische Truppen die serbischen Grenzen überschritten.
Unter diesen Umständen halte es der k. u. k. Chef des Generalstabes für unbedingt nötig, darüber ohne Verzug Klarheit zu gewinnen, ob die Monarchie mit starken Kräften gegen Serbien marschieren könne oder ob sie ihre Haupt- macht gegen Rußland zu verwenden haben werde. Von der Entscheidung dieser Frage hänge die ganze Anlage des Feldzuges gegen Serbien ab. Falls Rußland die erwähnten
I Weisung nach Berlin d. d. Wien, 28. Juli, Nr. 282. Expediert 28. Juli, 11 Uhr p. ni.
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Militärbezirke tatsächlich mobilisiere, wäre es schon mit Rücksicht auf die große Bedeutung des Zeitgewinnes für Rußland unerläßlich, daß sowohl Österreich-Ungarn als, nach der ganzen Situation, auch Deutschland sofortige weitestgehende Gegenmaßregeln ergriffen.
Die Ansicht des Barons Conrad scheine dem Grafen Berchtold höchst beachtenswert, und er würde das Berliner Kabinett dringend ersuchen, der Erwägung näherzu- treten, ob nicht Rußland in freundschaftlicher Weise darauf aufmerksam gemacht werden sollte, daß die Mobilisierung der genannten Bezirke einer Bedrohung Österreich-Ungarns gleichkäme und daher, falls sie tatsächlich erfolge, sowohl von der Monarchie als vom verbündeten Deutschen Reiche mit den weitestgehenden militärischen Gegenmaßregeln beantwortet werden müßte.
Um Rußland ein eventuelles Einlenken zu erleichtern, scheine es dem Wiener Kabinett angezeigt, daß ein solcher Schritt vorerst von Deutschland allein unternommen werden sollte, doch wäre das Wiener Kabinett natürlich bereit, den Schritt auch zu zweien zu machen.
Eine deutliche Sprache scheine dem Grafen Berchtold in diesem Augenblicke das wirksamste Mittel, um Rußland die ganze Tragweite eines drohenden Verhaltens zum Bewußt- sein zu bringen.
Auch wäre zu überlegen, oh nicht die günstigen Dis- positionen, die nach den dem Berliner Kabinett zu- gekommenen Nachrichten in Bukarest bestünden, zu benützen wären, um auch von Rumänien her einen Druck auf Ruß- land auszuüben. Zu diesem Zwecke scheine es dem Grafen Berchtold wünschenswert, daß der k. u. k. und der deutsche Gesandte in Bukarest unverzüglich angewiesen würden, an König Carol mit dem Ersuchen heranzutreten, sei es durch eine solenne Demarche in St. Petersburg (eventuell auch ein geheimes Telegramm König Carols an Kaiser Nikolaus) oder durch die öffentliche Bekanntgabe des Bündnisses, offen zu erklären, daß Rumänien im Falle einer europäischen Konflagration an der Seite des Dreibundes gegen Rußland kämpfen würde.
182
Diese Klarstellung müßte, um ihrem Zweck zu ent- sprechen, bis spätestens 1. August erfolgen '.
Graf Szögyeny wolle schließlich bemerken, Graf Berch- told nehme an, daß die maßgebenden deutschen Faktoren angesichts des die beiden Reiche bedrohenden Verhaltens Rußlands seinen Vorschlägen zustimmen würden.
Rom
Dem römischen Kabinett wurde die Abweisung der offizkiie
serbischen Antwortnote mit folgender Motivierung offiziell '^'"=''""s
ö ö des Ab-
mitgeteilt-: Der königlich italienischen Regierung sei es bruches der wohl bekannt, daß dem Wiener Kabinett aggressive Ten- ^"''"""f"
' öö Osterreich-
denzen ferne lägen, und daß es ein Akt der Selbstverteidigung Ungarns zu sei, wenn es sich nach jahrelanger Duldung endlich dazu %''"^"|;, entschließe, den großserbischen Wühlereien eventuell mit dem Schwerte entgegenzutreten. Man werde dem Wiener Kabinett in Rom das Zeugnis nicht versagen können, daß es trotz der schwersten Provokationen Serbien gegenüber seit einer Reihe von Jahren die größte Langmut habe walten lassen, obwohl ihm die immer kühner auftretende groß- serbische Propaganda die schwersten Besorgnisse einflößen mußte. Nachdem nunmehr aber das nach den Ergebnissen 3er Untersuchung in Belgrad vorbereitete und von den dortigen Sendungen ausgeführte Attentat in Sarajevo deutlich beweise, daß man in Serbien zur vermeintlichen Förderung seiner Ziele auch vor den gewalttätigsten Mitteln nicht zurückschrecke, sei das Wiener Kabinett zur Erkenntnis gelangt, es sei höchste Zeit, sich mit allem Nachdrucke Garantien gegen den Fortbestand der gegenwärtigen unleid- lichen Verhältnisse an der südöstlichen Grenze der Monarchie zu verschaffen.
Da nun die friedlichen Mittel, um Serbien zu einer Änderung seiner Haltung zu bewegen, erschöpft seien, sei die Entscheidung durch die Waffen voraussichtlich.
' Der Satz: „Diese Klarstellung müßte, um ihren Zwecken zu ent- sprechen, bis spätestens 1. August erfolgen", erscheint im Konzept als nachträglicher Zusatz von der Hand Graf Berchtolds.
2 Weisung nach Rom d. d. Wien, 26. Juli, Nr. 884.
183
Als Italien vor kurzer Zeit genötigt war, zur Befestigung seiner Stellung im Mittclmeer und zur Wahrung seiner wirtschaftlichen Interessen Krieg zu führen, habe die Monarchie in bundesfreundlicher Gesinnung die Erfolge seiner Waffen mit Freuden begrüßt und die sich hieraus ergebende Erweiterung der italienischen Machtsphäre bereitwilligst anerkannt.
Dem freundschaftlichen Charakter des Bundesverhält- nisses entsprechend, habe nunmehr Herzog von Avarna die offizielle Erklärung abgegeben, daß Italien im Falle des Ein- tretens eines kriegerischen Konflikts zwischen der Monarchie und Serbien seiner Bundespflichten eingedenk sein werde. Hievon nehme das Wiener Kabinett mit dankbarer Genug- tuung Kenntnis.
Rekrimiaa- Dcm k. u. k. Botschaftcr in Rom stattete der Sekretär
lioncn der ^^^ Minlstcrs dcs Äußern, Biancheri, am 26. luli einen
Italienischen ' j ^
Regierung Krankcttbesuch ab.
(26. Juli)
In einer längeren unverbindlichen Konversation über den Konflikt der Monarchie mit Serbien' hob der italienische Funktionär, der hiebei offenbar die Auffassung seines Chefs zum Ausdrucke brachte, den für jeden Staat inakzeptablen Ton der Note und den Umstand hervor, daß letztere den Kabinetten nicht früher mitgeteilt worden sei, so daß die- selben jeden Engagements frei seien; daß ihnen die Note nachträglich aber dann doch mitgeteilt worden sei, was ihnen Gelegenheit zur Einmischung gebe und mit der These unvereinbar sei, es handle sich um eine ausschließlich die Monarchie und Serbien angehende Angelegenheit. Wozu dann die Mitteilung an die Signatarmächte? Auch von Italien, das man früher weder gefragt noch verständigt habe, könne man nicht verlangen, daß es eventuell im weiteren Verlaufe des Konflikts für die Monarchie vom Leder ziehe. Käme es zu zeitweisen oder definitiven Okkupationen von öster- reichisch-ungarischer Seite, so stehe das Anrecht Italiens auf Kompensationen außer Zweifel.
' Telegramm aus Rom d. d. 26. Juli, Nr. 541. Expediert 27. Juli, 2 Uhr a. m.
184
Herr von Merey trat allen diesen Thesen nachdrück- lichst entgegen, wobei er aber, wie er in seiner Meldung feststellte, die zwar nicht überraschende, aber höchst be- dauerliche Konstatierung machte, daß sich Herr Biancheri sowohl hinsichtlich der Kritik der Redaktion der öster- reichisch-ungarischen Note, wie bezüglich der Unterlassung ihrer früheren Mitteilung, wie vollends betreffs der Kompen- sationen theoretisch auf die Übereinstimmung zwischen Rom und Berlin berief.
Herr von Merey war überzeugt, Italien werde an das Wiener Kabinett mit allerlei dasselbe irgendwie bindenden Anträgen hinsichtlich einer Mediation oder Kompensation herantreten. Seines Erachtens sollte sich die Monarchie absolut ablehnend verhalten, ja keinerlei Engagements ein- gehen und die römische Presse und Regierung sich gebär- den lassen. Je entschlossener und unerschütterlicher man in Wien sei, desto mehr werde dies in Italien nützen.
Der deutsche Botschafter in Wien hatte am 26. Juli un,erredung bei Graf Berchtold vorgesprochen ' und ihm auftrags- Herrn von gemäß den Inhalt eines Telegramms des deutschen Bot- J^G^Tf schafters in Rom mitgeteilt, worin der Letztere über eine ßerchtoid Unterredung mit Marchese di San Giuliano betreffs der Deuts"hiand österreichisch-ungarisch-serbischen Krise referierte. "kUrt sich
Darnach solle der italienische Minister des Äußern in sehr "älien^iLhen gereiztem Tone den österreichisch-ungarischen Schritt in interpreta- Belgrad besprochen und betont haben, derselbe stelle sich Artikels vii als ein aggressiver Akt dar, für dessen Konsequenzen die solidarisch italienische Regierung nicht herangezogen werden könne. Der Dreibundvertrag sei rein defensiver Natur, der Vorstoß der Monarchie gegen Serbien aber offensiv; wenn Rußland dadurch in den Kampf hineingezogen werden sollte, wäre für Italien der Casus foederis nicht gegeben und es würde sich passiv verhalten.
Baron Flotow bemühte sich im Laufe der mehrstündigen Unterredung, den Minister von seinem Standpunkt abzu- bringen, ihm die österreichisch-ungarische Aktion als einen Akt der Notwehr und Selbsterhaltung darzustellen und den
1 Tagesbericht d. d. 26. Juli, Nr. 3577.
185
defensiven Charakter einer eventuellen militärischen Stellung- nahme Deutschlands und Österreich-Ungarns gegen ein Eingreifen Rußlands hervorzuheben, wodurch Italien nach dem Bündnisvertrage verpflichtet werde, an der Seite Österreich-Ungarns und Deutschlands zu kämpfen.
Marchese di San Giuliano, der seine Anschauungsweise mit großer Zähigkeit vertrat und auf die außerordent- lichen Schwierigkeiten verwies, die ihm seitens der öffent- lichen Meinung seines Landes angesichts dieses Konflikts bereitet würden, bei welchem die Sympathien nicht auf österreichisch-ungarischer, sondern auf gegnerischer Seite stünden, habe schließlich geltend gemacht, daß die Mon- archie nach Artikel VII des Dreibundvertrages auch im Falle vorübergehender Besetzung eines Gebietes am Balkan Italien gegenüber kompensationspflichtig sei, daß also Italien die Erfüllung der Stipulationen dieses Abkommens ver- langen müßte.
Herr von Tschirschky betonte hiebei, daß sich die deutsche Regierung in letzterer Beziehung mit der italie- nischen Regierung solidarisch erkläre, da nach dem Wortlaute des Allianzvertrages, so ungelegen dies im gegenwärtigen Falle erscheinen möge, für jede auch vorübergehende Okkupation von Gebieten „dans les regions des Balcans" -- sei es von Österreich-Ungarn, sei es von Italien — vom anderen Kontrahenten Kompensationsansprüche auf Grund vorher- gehenden Übereinkommens gefordert werden könnten.
Auf die Entgegnung Graf Berchtolds, daß das Wiener Kabinett diesbezüglich anderer Auffassung sei, da dem Geiste des Dreibundvertrages und speziell des Artikels VII zufolge die fragliche Kompensationsbestimmung sich bloß auf türki- sches Gebiet beziehen könne, replizierte Herr von Tschirschky mit der Bemerkung, daß die Abfassung des Artikels VII „unglücklicherweise" eine solche sei, den Anspruch der italienischen Regierung vollkommen zu rechtfertigen, und daß daher die deutsche Regierung in dieser Frage sich auf Seite der italienischen Regierung stellen müsse, somit zwei Stimmen gegen eine in die Wagschale fallen würden.
Graf Berchtold verhehlte dem Botschafter sein Befrem- den über die starre Haltung des römischen Kabinetts in
186
dieser Frage nicht. Während des lybischen Feldzuges hätten die italienischen Truppen eine Reihe von ottomanischen Inseln im Ägäischen Meere besetzt, was für die Monarchie einen Kompensationsanspruch begründet habe. Graf Berch- told hätte damals zugegeben, daß man Rhodus, Karpathos und Stampalia, welche am Ausgange des Ägäischen Meeres in das Mittelmeer gelegen seien, noch ausschalten könne, die übrigen aber unbedingt als in das Gebiet des Ägäischen Meeres fallend rechnen müsse, für welche der Monarchie ein Kompensationsanspruch zustehe. Graf Berchtold hätte letzteren damals nicht geltend gemacht, müßte aber nun, falls Italien eine so weitgehende und intransigente Inter- pretation für sich in Anspruch nehmen sollte, die Gegen- rechnung der Monarchie präsentieren. Im übrigen sei er der Ansicht, daß die Frage jetzt, da die. Monarchie ja nicht die Absicht hätte, weder temporär noch definitiv serbische Ge- biete zu besetzen — (vorübergehende Kriegsoperationen könnten doch nicht als temporäre Besetzung klassifiziert werden) — nicht auf die Tagesordnung zu stellen wäre.
Der italienische Botschafter, Herzog von Avarna, der Unterredung ebenfalls am 26. Juli bei Graf Berchtold erschienen war', ß^chwid" teilte aus Anlaß des Konflikts zwischen der Monarchie mit dem und Serbien mit, daß sich die italienische Regierung für B^„','"hlte7 den Fall, als dieser Konflikt eine kriegerische Wendung (26. jun) nehmen und zu einer — wenn auch nur provisorischen — <'"''^"
reklamiert
Besetzung serbischen Territoriums führen sollte, vor- seinKom- behalte, das ihr auf Grund des Artikels VII des Dreibund- p'^n^"'!»"^-
recht für den
Vertrages zustehende Kompensationsrecht in Anspruch zu paii einer nehmen. Die italienische Regierung sei überdies auf Grund ««""'""^h
nur provi-
des eben angeführten Vertragsartikels der Ansicht, daß sich sorischen die Monarchie vor der eventuellen Besetzung serbischen ^""^""g
serbischen
Gebietes mit ihr ins Einvernehmen setzen müßte. Terri-
Im übrigen beabsichtige die italienische Regierung in dem eventuell bewaffneten Konflikt zwischen Österreich- Ungarn und Serbien eine freundschaftliche und den Bündnis- pflichten entsprechende Haltung einzunehmen.
• Weisung nach Rom d. d. 26. Juli, Nr. 887. Expediert 26. Juli, 1 1 Uhr 45 Minuten p. m.
187
Weisung an den k. u. k. Botschuflcr in Rom (26. Juli)
Ratschläge Herrn von Jagows an das Wiener Kabinett <27. Juli)
Ausführung der Weisung vom 26. Juli (2S. Juli)
Dem k. u. k. Botschafter in Rom ließ Graf Berchtold die Information über die Mitteilung des Herzogs von Avarna noch in der Nacht des 26. Juli zukommen, wobei er bemerkte, er habe noch keine Gelegenheit gefunden, Herzog von Avarna den eigenen Standpunkt gegenüber dessen Erklärungen darzulegen.
Da es heute noch ungewiß sei, ob und in welchem Ausmaße sich die Monarchie zu einer provisorischen Besetzung serbischen Gebietes veranlaßt sehen werde, scheine Graf Berchtold eine Diskussion über diesen Gegenstand verfrüht und er werde bestrebt sein, eine solche vorläufig noch hinauszuschieben.
Herr von Jagow erklärte sich (27. Juli) mit der ihm durch Graf Szögyeny mitgeteilten Stellungnahme Graf Berch- tolds dem italienischen Standpunkte gegenüber vollkommen einverstanden' und fand es ganz angezeigt, daß derselbe vorerst in keine Auseinandersetzung über die Interpretation des Artikels VII eingegangen sei. Trotz alledem sei Herr von Jagow der Meinung, daß Graf Berchtold schon jetzt, ohne Berufung auf den Artikel VII, in ausdrücklicher Weise der italienischen Regierung erklären solle, daß er, falls eine als nicht nur vorübergehend anzusehende Okkupation serbischen Gebietes gegen den Willen des Wiener Kabinetts doch als unvermeidliche Verfügung erachtet würde, mit einer Kompensation (ohne irgendwelche Angabe über ihren Umfang) an Italien einverstanden sein werde.
Durch eine derartige Erklärung, meinten Herr von Jagow und Herr Zirrunermann, würde Italien, das fort- während in Berlin in diesem Sinne Vorstellungen erhebe, beruhigt werden.
Den mit der Instruktion vom 26. Juli erhaltenen Auftrag - ließ Herr von Merey, der noch bettlägerig war, durch Graf Ambrözy ausführen 3. Zugleich wies er Graf Ambrözy an, um den Auftrag, angesichts der nicht unbedenklichen Haltung der italienischen Regierung in der Kompensations- frage, nicht in einen unverdienten Dank ausklingen zu lassen.
1 Telegramm aus Berlin d. d. 27. Juli, Nr. 302.
= Siehe Seite 183, 184.
= Telegramm aus Rom d. d. 28. Juli, Nr. 546.
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beizufügen, Graf Berchtold behalte sich vor, in eine Dis- icussion der Kompensationsfrage in einem gefahrlosen Zeit- punkte einzugehen. Der Minister des Äußern, bei dem sich Graf Ambrözy seines Auftrages entledigte, bat, die Mit- teilung einem seiner Sekretäre zu wiederholen, der sich darüber Notizen machte. Die eigene Antwort versprach Marquis di San Giuliano eventuell am 29. Juli zu erteilen.
Nach seiner Kenntnis der Sachlage und auf Grund seiner Besprechung mit Herrn Biancheri, glaubte Herr von Merey vor einer mißverständlichen oder allzu optimistischen Auf- fassung der durch den Herzog von Avarna vollzogenen Demarche warnen zu sollen'.
Dieselbe habe offenbar in erster Linie, um nicht zu sagen ausschließlich, der Ankündigung der Kompensationsansprüche gegolten und die daran geknüpfte freundschafdiche, übrigens sehr vage und unverbindliche Phrase, sei wohl nur eine captatio benevolentiae gewesen.
Die teilweise überschwengliche Quittierung der letzteren bei gleichzeitiger Vermeidung der Diskussion über das schwierige Thema erscheine Herrn von Merey bedenklich, da sie italienischerseits entweder als eine stillschweigende Zustimmung oder dahin interpretiert werden könnte, daß die Monarchie mit einem militärischen Konflikt selbst nicht rechne und daher die Kompensationsfrage als gegenstandslos betrachte.
Charakteristischerweise sei die Nachricht über die bundes- freundlichen Äußerungen Italiens nur von Wien aus in die römischen Journale gelangt, während sie von der Consulta der Presse bisher vorenthalten wurde. Das ceterum censeo Herrn von Mereys bleibe daher, Kompensationsansprüche rundweg in Abrede zu stellen und sich ja in keine heiklen Verhandlungen oder Engagements einzulassen. Gegenteiligen- falls würde die Monarchie Italien die Rolle eines Mannes einräumen, der seinem in die Donau gestürzten Freunde sagen würde: „Ich ziehe dich nicht heraus. Wenn du dir „aber aus eigener Kraft heraushilfst, dann müßtest du mir „eine Entschädigung geben."
' Telegramm aus Rom d. d. 28. Juli, Nr. 547.
189
Demarchen Wclchc Bcsorgnissc die Berliner Regierung hinsichtlich
Herrn von (jgj. östcrreichisch-ungarisch-italienischen Unstimmigkeiten in
bei Graf der Kompensatiünsfragc bereits hegte, dokumentieren die
Berchioid in j,^ 27. und 28. Juli bei Graf Berchtold unternommenen
der Kompen- ^ ^r- <
saiionsfrage Demarchen Herrn von Tschirschkys '.
(27. und Beide Male erschien der deutsche Botschafter im persön-
lichen Auftrage Kaiser Wilhelms, des Reichskanzlers sowie des Staatsministers, um den Grafen Berchtold angesichts der ernsten Lage und der drohenden Gefahren „um Himmels- willen" zu bitten, sich mit Italien über die Interpretation des Artikels VII des Dreibundvertrages ins Reine zu setzen. Italienischerseits werde das Vorgehen der Monarchie gegen Serbien als ein aggressiver Akt auch gegenüber Rußland angesehen und daher der Standpunkt vertreten, Italien könne sich bei dem defensiven Charakter des Dreibundvertrages nicht als verpflichtet ansehen, in einem eventuell daraus entstehenden Kampfe mit Rußland auf die Seite der Monarchie zu treten. Weiter sei erklärt worden, und zwar sowohl durch den italienischen Botschafter in Berlin wie durch San Giuliano und Salandra in Rom, daß Italien nur dann eine freundschaftliche Haltung einnehmen könnte, wenn das Wiener Kabinett die italienische Interpretation des Artikels VII des Dreibundvertrages akzeptieren würde.
Herr von Tschirschky, der beauftragt war, Graf Berchtold zu erklären, die deutsche Regierung interpretiere den Artikel VII in der gleichen Weise wie die italienische, richtete (wie die gegenständliche Aufzeichnung des k. u. k. Ministeriums des Äußern besagt) einen feierlichen und nachdrucksvollen Appell an den Grafen Berchtold, diese Situation tunlichst bald ins klare zu bringen, da die ganze militärische Aktion Deutschlands aufs Spiel gesetzt würde, wenn Italien den Casus foederis nicht anerkennen sollte.
Erklärungen Hcrzog von Avama, der gleichfalls am 28. Juli bei
des Herzogs Qj.gf ßcrchtold vorsprach, gab im Auftrage seiner Regierung
von Avarna i i-v r-i
(28. Juli) eine analoge Erklärung ab, wie kürzlich (25. Juli) Baron Macchio gegenüber, dahingehend, man hätte in Rom erwartet,
1 Weisung nach Rom d. d. Wien, 28. Juli, Nr. 892, und Weisung nach Berlin d. d. Wien, 28. Juli, Nr. 280. E.\pediert am 28. Juli, 1 Uhr p. m.
190
das Wiener Kabinett würde in einem Falle, wie der gegen- wärtige (Demarche in Belgrad), der unter die Bestimmung des Artiivels VII des Dreibundvertrages („dans les Balcans") falle, zuerst das Einvernehmen mit den beiden Verbündeten pflegen; daß ferner die italienische Regierung für den Fall, als der drohende Konflikt eine kriegerische Wendung nehmen und zu einer, wenn auch nur provisorischen Besetzung serbischen Territoriums führen sollte, sich vorbehalte, das ihr auf Grund des Artikels VII des Dreibundvertrages zu- stehende Kompensationsrecht in Anspruch zu nehmen, worüber vorhergehend ein Einvernehmen herzustellen wäre, schließlich, daß die königlich italienische Regierung in dem eventuellen Waffengange zwischen Österreich-Ungarn und Serbien eine freundschaftliche und den Bündnispflichten entsprechende Haltung einnehmen wolle.
Graf Berchtold erwiderte dem italienischen Botschafter, daß der Streitfall der Monarchie mit Serbien nur diese und Serbien angehe und daß das Wiener Kabinett übrigens an keine territoriale Erwerbung dächte; eine Besetzung serbischen Gebietes daher nicht in Frage käme.
Auf die Bemerkung des Herzogs von Avarna, daß es den Mächten gegenüber von großem Vorteil wäre, wenn das Wiener Kabinett eine bindende Erklärung hierüber abgeben würde, entgegnete Graf Berchtold, dies sei aus dem Grunde nicht möglich, da man derzeit nicht voraus- sehen könne, ob die Monarchie nicht durch den Verlauf des Krieges in die Lage gebracht würde, gegen ihren Willen serbisches Territorium okkupiert zu halten. Bei normaler Abwicklung sei dies allerdings nicht zu erwarten, da die Monarchie absolut kein Interesse hätte, die Zahl ihrer serbischen Untertanen noch zu vermehren.
Graf Berchtold ersuchte Herrn von Merey (28. Juli) ', Eereitwiiiig- Marquis di San Giuliano von der abgegebenen Erklärung I^^L/^^ des Herzogs von Avarna und der darauf erteilten Antwort Kabinetts, Mitteilung zu machen und hinsichtlich der aus dem Artikel VII „^^^''^^'i- au des Dreibundvertrages abgeleiteten Kompensationsansprüche vorüber- Nachstehendes zu bemerken: !ehenden"^"
1 Weisung nach Rom d. d. Wien, 28. Juli, Nr. 892.
191
Okkupation
serbischen Gebietes in Meinungs- austausch über die Kompen- sationsfrage zu treten
Weisung an den k. u. k. Botschafter in Berlin (2S. Juli) (Trentino)
Zweifel "der
italienischen
Presse an
einer Kriegs-
absicht
Osterreicli-
Ungarns
Wie bereits dem italienischen Botscliafter gegenüber erlilärt wurde, lägen territoriale Erwerbungen durchaus nicht in den Absichten des Wiener Kabinetts. Sollte es sich aber dennoch wider Erwarten gezwungen sehen, zu einer nicht als nur vorübergehend anzusehenden Okkupation serbischen Gebietes zu schreiten, so sei es bereit, für diesen Fall mit Italien in einen Meinungsaustausch über eine Kompensation zu treten. Auf der andern Seite erwarte man in Wien von Italien, daß das Königreich den Verbündeten in den zur Erreichung seiner Ziele nötigen Aktionen nicht hindern, sondern ihm vielmehr die in Aussicht gestellte bundesfreundliche Haltung unentwegt bewahren werde.
Graf Berchtold fügte noch als geheim hinzu: er habe sich zu diesem Entgegenkommen entschlossen, weil es sich gegenwärtig um ein großes Spiel handle, das an sich mit bedeutenden Schwierigkeiten verbunden, ohne festes Zu- sammenhalten der Dreibundmächte gänzlich undurchführbar wäre.
Diese für den k. u. k. Botschafter in Rom bestimmte Instruktion wurde gleichzeitig Graf Szögyeny nach Berlin mit dem Auftrage übermittelt', sich im erwähnten Sinne Herrn von Jagow gegenüber auszusprechen und sich weiters dahin vernehmen zu lassen, das Wiener Kabinett habe den Eindruck, daß an manchen Stellen Italiens an Kom- pensationen auf Kosten von Gebieten der Monarchie, speziell der mit italienischer Bevölkerung, etwa des Tren- tino, gedacht werde. Demgegenüber wolle Graf Szögyeny auf das Nachdrücklichste erklären, daß die Frage einer Loslösung irgendeines Teiles der Monarchie nicht einmal Gegenstand einer Erörterung bilden dürfe.
Die Tatsache, daß Österreich-Ungarn nach Ablehnung der serbischen Antwortnote nicht sofort durch operative militärische Maßnahmen vollendete Tatsachen schuf, wurde nicht bloß in Berlin releviert-, sondern wurde auch — -wie Herr von Merey am 27. Juli berichtete ^ — von der ge- samten römischen Presse mit Erstaunen registriert und in
1 Weisung nach Berlin d. d. Wien, 28. Juli, Nr. 280. = Vgl. Seite 171 oben, 211 Mitte, 213, 215. 3 Telegramm aus Rom d. d. 27. Juli, Nr. 548.
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dem Sinne kommentiert, daß Österreich-Ungarn offenbar doch eine friedliche Beilegung des Konflikts anstrebe.
Paris
In Paris hatte Graf Szecsen den Abbruch der diplo- matischen Beziehungen Österreich-Ungarns zu Serbien neben dem Hinweise auf die allgemeinen Gründe der Ab- lehnung noch im besonderen mit folgender Erwägung zu motivieren ':
Infolge der Unzulänglichkeit der serbischen Antwortnote Instruktion und infolge der immer kühner auftretenden Provokationen BotsThaf.e,- und der daraus hervorgehenden Bedrohung der Integrität anläßlich der der Monarchie sei das Wiener Kabinett in die Notwendigkeit deTAb"^ versetzt worden, Serbien durch die schärfsten Mittel zu '"■"'^hes der einer grundsätzlichen Änderung seiner bisherigen feind- ,i's''(,heTBe- seligen Haltung zu zwingen. Ziehungen zu
Die französische Regierung werde begreifen, daß die Monarchie nun endlich den Augenblick für gekommen halten müsse, um sich mit dem größten Nachdrucke Garan- tien zu verschaffen, die in absoluter Weise die Unter- drückung der serbischen Aspirationen und damit die Ruhe und Ordnung an den südöstlichen Grenzen der Monarchie gewährleisten würden.
Da die zu diesem Zwecke aufgewendeten friedlichen Mittel erschöpft seien, müsse eventuell die Entscheidung durch die Waffen angerufen werden. Die österreichisch- ungarische Regierung habe sich hiezu nicht leicht und nur darum entschlossen, weil ihr Vorgehen, dem jede aggressive Tendenz fernliege, nicht anders als ein unaufzuschiebender Akt der Selbstverteidigung dargestellt werden könne und weil sie einem europäischen Interesse zu dienen glaube, wenn sie Serbien die Möglickeit benehme, auch fernerhin wie seit den letzten zehn Jahren ein Element der allge- meinen Beunruhigung zu sein.
In der Haltung Prankreichs während der Annexions- krise, in den wertvollen, von dem Wiener Kabinett dankbar
• Weisung nach Paris d. d. Wien, 26. Juli, Nr. 163.
^^ 193
anerkannten Beweisen einer gerechten Würdigung der politischen Bestrebungen zu jener Zeit, dürfe das Wiener Kabinett ein Unterpfand dafür erblicicen, daß ihm die französische Regierung auch in einem aufgezwungenen Kampfe ihre Sympathien nicht versagen und daß sie die auf dessen Lokalisierung gerichteten Bemühungen vor- kommenden Falles unterstützen werde. Äußerungen Noch bcvor Griif Szecscn diese am 26. Juli, 4 Uhr
ITheTMini- ^^ Minuten nachmittags, abgegangene telcgraphische Weisung sterium des zugckommcn War, wurde ihm anläßlich eines Besuches im ^^r'^T'!, französischen Ministerium des Äußern am 26. Juli ver-
(26. Juli) ■J
traulich Einsicht in ein Telegramm des französischen Ver- treters in Belgrad gewährt, das den Inhalt der serbischen Antwortnote zusammenfaßte'.
Laut dieser Darstellung akzeptiere Serbien alle Wünsche des Wiener Kabinetts rückhaltlos, erkläre sich bereit, das Preßgesetz zu modifizieren und bitte nur hinsichtlich der Teilnahme von österreichisch-ungarischen Organen an der Untersuchung in Serbien, die es im Prinzip auch annehme, um nähere Auskünfte.
Als Herr Berthelot sein Erstaunen darüber aussprach, daß diese Antwort, die einer vollkommenen Kapitulation gleichkomme, nicht akzeptiert wurde, antwortete Graf Szecsen, er kenne den Text der serbischen Note nicht, müsse aber vermuten, daß in derselben Reserven enthalten seien, die deren anscheinend entgegenkommenden Charakter modifizierten und die Antwort als unannehmbar erscheinen ließen.
Sollte, führte Graf Szecsen in seiner Meldung aus, Serbien die österreichisch-ungarischen Wünsche wirklich rückhaltslos akzeptiert haben, so würde die intransigente Haltung des Wiener Kabinetts in Paris, so fürchte er, einen sehr ungünstigen Eindruck machen.
Die Sprache Herrn Berthelots sei sonst sehr versöhnlich gewesen; er habe die Hoffnung ausgedrückt, das jedenfalls sehr große Entgegenkommen Serbiens werde eine Basis für weitere Verhandlungen bieten.
< Telegramm aus Paris d. d. 26. Juli, Nr. 125. 194
Die erwähnte Depesche aus Belgrad scheine 20 Stunden unterwegs gewesen zu sein, ein Umstand, den Herr Berthelot relevierte, ohne daran einen Kommentar zu knüpfen.
Bei dieser im Pariser Auswärtigen Amt vorherrschenden Mitteilung Stimmung hatte Graf Szecsen, als er am 27. Juli auftrags- Bruches d;- gemäß die Mitteilung des Abbruches der diplomatischen dipiomaü- Beziehungen der Monarchie zu Serbien erstattete, keinen ^'i!I,'u"ngen zu leichten Stand '. Herr Bienvenu Martin schien peinlich über- serwen rascht und äußerte sich, die serbische Regierung habe in *"'' so weitgehendem Maße den österreichisch-ungarischen Wünschen Rechnung getragen, daß die übriggebliebenen Differenzen so unbedeutend erschienen, daß niemand ver- stehe, warum es wegen derselben zum Bruche und zur Anwendung schärfster Maßregeln kommen könne.
Ohne es direkt zu sagen, schien Herr Bienvenu Martin anzunehmen, der Ausbruch der Feindseligkeiten mit Serbien müsse einen allgemeinen Krieg zur Folge haben. Er äußerte sich, Österreich-Ungarn würde eine furchtbare Verantwortung auf sich laden, wenn es, nachdem Serbien so viel nach- gegeben habe, v/egen der verbleibenden kleinen Differenzen einen Weltkrieg hervorrufe. Graf Szecsen erwiderte, das ganze Bestreben der Monarchie sei darauf gerichtet, ihrer- seits den Konflikt mit Serbien zu lokalisieren; die Gefahr weiterer Komplikationen würde nur eintreten, wenn eine dritte Macht sich in diesen Konflikt einmischen würde. In dieser Hinsicht könne Frankreich sehr nützlich wirken.
Der Minister versicherte, Frankreich höre nicht auf, in Belgrad zur Nachgiebigkeit zu raten. Er gebe die Hoffnung nicht auf, Serbien werde Mittel und Wege finden, um das Wiener Kabinett ganz zufriedenzustellen.
Wenn Serbien die Note nachträglich ohne Vorbehalt akzeptieren würde, müsse dies doch genügen. Ferner fragte der französische Minister Grafen Szecsen, was unter dem von Graf Berchtold erwähnten „schärfsten Mitteln" zu verstehen sei, worauf der k. u. k. Botschafter entgegnete, er könne dieselben nicht näher präzisieren. Herr Bienvenu Martin hoffte, es werde nur ein Ultimatum sein, um Serbien
1 Telegramm aus Paris d. d. 27. Juli, Nr. 131.
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die Möglichkeit zu geben, seine Antwort in befriedigendem Sinne zu ergänzen.
Die weitgehende Nachgiebigkeit Serbiens, die in Paris für unmöglich gehalten wurde, habe, meldete Graf Szecsen des Weiteren, starken Eindruck gemacht. Angesichts der Haltung des Wiener Kabinetts verbreite sich die Ansicht, daß die Monarchie den Krieg um jeden Preis wolle, was die Stimmung ungünstig beeinflusse.
Herr Poincare habe den Besuch in Kopenhagen und Christiania abgesagt, was ihn sicher sehr verstimmen werde. Er treffe am 29. Juli in Paris ein, Herr Iswolsky am 27. oder 28. Juli. „Wir werden jetzt wahrscheinlich", schloß Graf Szecsen seinen Bericht, „eine schärfere Tonart zu hören bekommen." Demarche BaFOH SchÖH brachte auftragsgemäß im Pariser Aus-
"•^ wärtigen Amt am 26. Juli zur Sprache, die Monarchie wolle
deutschen t r> t t^
Botschafters die territoriale Integrität Serbiens nicht antasten. Diese Mit- (26. juiii teilung wurde (gemäß einer Meldung Graf Szecsens vom 26. Juli ') vom stellvertretenden Minister des Äußern mit sichtlicher Freude zur Kenntnis genommen. Der deutsche Botschafter knüpfte hieran das Ansuchen, Frankreich möge, wie dies auch die deutsche Regierung tue, in Petersburg einwirken, daß Rußland den Serben zur Nachgiebigkeit rate. Der Minister versicherte, daß Frankreich lebhaft die Beilegung des Konflikts wünsche und war erstaunt, daß die serbische Note, die, wie er sagte, allen Wünschen der Monarchie Rechnung trage, nicht annehmbar befunden wurde.
Er kam auch auf die Idee Herrn Sazonows zu sprechen, daß, nachdem die serbische Erklärung vom März 1909 den Mächten notifiziert worden sei, diese berufen seien, die Haltung Serbiens zu prüfen und zu diesem Zweck die Mitteilung des betreffenden Dossiers verlangen sollten.
Baron Schön legte Herrn Bienvenu Martin die Undurch- führbarkeit dieser Idee dar, worauf der Minister zugab, die Monarchie könnte sich in dem vorliegenden Falle einem europäischen Areopag nicht unterwerfen.
' Telegramm aus Paris d. d. 26. Juli, Nr. 128. 196
Am 28. Juli wurde Graf Szecsen, der in einer Meldung «eisung an vom 26. Juli auf die Notwendigkeit der Bekanntgabe des t" ''ü 1' ^'
^ ö ö Botschafter
offiziellen Textes der serbischen Antwortnote hingewiesen as. juid hatte ', beauftragt =, das ihm mit Postsendung übermittelte Dossier und die an diesem Tage ebenfalls im Postwege abgehenden kritischen Bemerkungen zu der serbischen Anrwortnote sowohl den französischen Staatsmännern wie der Öffentlichkeit gegenüber nach TunHchkeit zu verwerten. Speziell wolle er auf das Moment den Nachdruck legen, daß Senbien, nur um Europa irrezuführen, in seiner Note sich den Anschein der Nachgiebigkeit gegeben, aber keinerlei Garantien für die Zukunft geboten habe; nahezu jede seiner Zusagen sei durch Vorbehalte und Reserven wertlos gemacht. Seine wahre Gesinnung habe es durch seine Mobilisierung gezeigt, während die Monarchie vor Ablauf der befristeten Note keine militärischen Maßnahmen ge- troffen hatte.
London
Graf Mensdorff hatte bei Bekanntgabe des Abbruches Weisung an der diplomatischen Beziehungen Österreich-Ungarns zu ßmseha'frer Serbien dieselbe Sprache zu führen wie sein österreichisch- ausAniaOder ungarischer Kollege in Paris. "J"';';"^
'Nach der Darlegung der Motive, die das Wiener Kabinett bruches der zu seinem ablehnenden Standpunkt gedrängt hatten, sollte Graf .'l'J'JheTBe- Mensdorff an die Adresse Sir Edwards Greys folgende Ziehungen spezielle Ausführungen richten ^: ^u serhien
Das hochentwickelte Gerechtigkeitsgefühl des englischen Volkes und seiner leitenden Staatsmänner könne dem Wiener Kabinette nicht Unrecht geben, wenn es sich dazu entschließen müßte, mit dem Schwerte zu verteidigen, was der Monarchie sei; wenn sich diese endlich mit einem Lande auseinandersetze, dessen feindselige Politik die Mon- archie seit Jahren zu den kostspieligsten Maßregeln zwinge, die den Wohlstand derselben auf das empfindlichste beein- trächtigten. Im Vertrauen auf die glücklicherweise wieder
i Telegramm aus Paris d. d. 26. Juli, Nr. 129.
2 Weisung nach Paris d. d. Wien, 28. Juli, Nr. 169.
3 Weisung nach London d. d. Wien, 26. Juli, Nr. 172.
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hergestellten traditionell freundschaftlichen Beziehungen zu England dürfe das Wiener Kabinett auf die Sympathien der königlich großbritannischen Regierung bei einem der Mon- archie aufgezwungenen Kampfe hoffen und darauf rechnen, daß sie die auf dessen Lokalisierung gerichteten Bestre- bungen Vorkommendenfalls unterstützen werde. Durch- Instruktionsgemäß verständigte Graf Mensdorff die
Weisung " Londoner Regierung am 26. Juli von dem Abbruch der (28. Juli. diplomatischen Beziehungen Österreich-Ungarns zu Serbien '. Sir A. Nicolson, den der k. u. k. Botschafter in Abwesen- heit Sir Edward Greys sprach, war sehr beunruhigt, hoffte aber noch immer, daß irgendein Mittel gefunden werde, um den Beginn der Feindseligkeiten zu verhindern. Herrn von In Wien hatte Herr von Tschirschky dem Grafen
Muteuunger Bcrchtold am 26. Juli auftragsgemäß mitgeteilt -, daß laut über das cines in London am 25. 1. M., 3 Uhr nachmittags, aufge- si^r'EdJa"rd gebcncn Telegramms des Fürsten Lichnowsky, Sir Edward Greys an den Grey dicscm die Skizze einer Antwortnote Serbiens über- Ro'IchlLr sendet und in dem begleitenden Privatschreiben bemerkt in London habc, cr hoffc, das Berliner Kabinett würde sich angesichts ''■'''''' des versöhnlichen Tenors dieser Antwort in Wien für deren Annahme verwenden ^
Graf Berchtold halte es für angezeigt, daß Graf Mens- dorff dem Staatssekretär gegenüber auf die Sache zurück- komme und ihn darauf aufmerksam mache, daß fast zu derselben Zeit, als er dies Schreiben an Fürst Lichnowsky richtete, nämlich am 25. Juli um 3 Uhr nachmittags, Serbien bereits die allgemeine Mobilisierung seiner Armee angeordnet habe, was beweise, daß in Belgrad zu einer friedlichen Austragung der Sache keine Neigung bestand. Die, wie es scheine, schon vorher nach London telegraphierte Antwort sei mit einem den Anforderungen des Wiener Kabinetts nicht entsprechenden Inhalte erst um 6 Uhr nach erfolgter Ausschreibung der Mobilisierung dem k. u. k. Ge- sandten in Belgrad überreicht worden.
1 Telegramm aus London d. d. 2ö. Juli, Nr. 112. - Weisung nach London d. d. Wien, 26. Juli, Nr. 170. Expediert 27. Juli, 12 Uhr 10 Minuten a. m. " Vgl. Seite 172.
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Am 27. Juli vormittags hatte Fürst Lichnowsky mit Äußerungen Sir Edward Grey ein Gespräch geführt, über das Graf ^b'^r^di^HT- Mensdorff nachmittags berichtete '. Die serbische Antwort tung öster- nehme alles an bis auf einen Punkt, über den man sich '^"^ ' '"'
„ garns
noch verständigen könnte. Wenn Österreich-Ungarn mit 127. jum dieser unerhörten Demütigung Serbiens nicht zufrieden sei, so beweise es, daß dies nur ein Vorwand gewesen sei und darauf abziele, Serbien und den russischen Einfluß zu ver- nichten. Die Okkupation Belgrads wäre ein sehr unüber- legter Schritt und würde die größte europäische Kon- flagration herbeiführen. Sir Edward werde eine Erklärung im Unterhause abgeben und proponiere Mediation und Konferenz Englands, Deutschlands, Frankreichs und Italiens in London.
Sir Edward sei sehr bestimmt gewesen und habe erklärt, man bitte ihn immer, in Petersburg zu beruhigen; nun sei der Moment gekommen, daß Deutschland in Wien kalmiere. Der deutsche Botschafter erschien, wie Graf Mensdorff meldete, sehr beunruhigt und überzeugt, daß wenn die Monarchie in Serbien einmarschiere, England vollständig in das andere Lager hinüberschwenke.
Am gleichen Tage (27. Juli) fand Graf Mensdorff Ge- umemedung legenheit, Sir Edward persönlich den Abbruch der diplo- G^ef-Graf matischen Beziehungen zu Serbien mitzuteilen -. Mensdorn
Daran anknüpfend erklärte der k. u. k. Botschafter aus- Der führlich, die Aktion der Monarchie sei keine aggressive, ="g>'S':iie sondern Selbstverteidigung und Selbsterhaltung; die Mon- lungsvor- archie beabsichtige weder territoriale Eroberungen noch ^'^'''"s <c°"- die Vernichtung der serbischen Unabhängigkeit. Sie wolle ^uaire) eine gewisse Genugtuung für die Vergangenheit und Garantien für die Zukunft.
Sir Edward äußerte sich, er sei sehr enttäuscht, daß das Wiener Kabinett die serbische Antwort so behandle, als wenn sie ganz ablehnend wäre, indeß sie doch die größte
• Telegramm aus London d. d. 27. Juü, 2 Uhr 12 Minuten p. m., Nr. 113.
- Telegramm aus London d. d. 27. Juli, 8 Uhr 5 Minuten p. m., Nr. 114.
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Demütig'ung bedeute, der sich ein unabhängiger Staat jemals unterworfen habe und eigentlich alle Punkte annehme. Graf Mensdorff' verwies darauf, daß gerade die Auslassung des Punktes über die Teilnahme der österreichisch-ungarischen Organe geeignet erscheine, alle übrigen Zusicherungen illusorisch zu machen.
Sir Edward sagte weiter, der deutsche Botschafter habe ihn vor zwei Tagen gebeten, seinen mäßigenden Einfluß in Petersburg geltend zu machen. Er habe geantwortet, es wäre nicht möglich, von Rußland zu verlangen, daß es auf Serbien einwirke, noch weiter zu gehen, als es dies in seiner Antwort bereits getan habe.
Sir Edward hätte geglaubt, diese Antwort würde eine Basis liefern, auf der die vier anderen Regierungen ein befriedigendes Arrangement ausarbeiten könnten.
Das sei seine Idee beim Vorschlage einer Konferenz gewesen.
Die Konferenz würde sich versammeln unter der Vor- aussetzung, daß sowohl Österreich-Ungarn wie Rußland sich jeder militärischen Operation enthalten würden während des Versuches der anderen Mächte, einen befriedigenden Ausweg zu finden.
Die Erklärung Sir Edwards im Unterhause am 27. Juli habe dies Konferenzprojekt erörtert. Als Sir Edward vom Enthalte militärischer Operationen seitens der Monarchie gegen Serbien sprach, machte Graf Mensdorff die Bemerkung, er fürchte, es sei vielleicht schon zu spät. Der Staats- sekretär meinte, wenn das Wiener Kabinett entschlossen sei, unter allen Umständen mit Serbien Krieg zu führen, und voraussetze, daß Rußland ruhig bleiben werde, so nehme es ein großes Risiko auf sich. Könne man in Wien Rußland dazu bewegen, ruhig zu bleiben, sei alles gut und er habe nichts mehr zu sagen. Wenn nicht, seien die Mög- lichkeiten und die Gefahren unberechenbar.
Als Symptom der Beunruhigung bezeichnete es ferner Sir Edward, daß die große Flotte, die nach den Manövern in Portsmouth konzentriert wurde und am 28. Juli aus- einandergehen sollte, vorläufig dort bleiben werde.
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i
Die Bedeu- tung dieser
„Wir hätten keine Reserven einberufen, aber nachdem „sie versammelt sind, können wir sie in diesem Augenblicke „nicht nach Hause schicken" '.
Der Staatssekretär war betrübt und beunruhigt, aber nicht gereizt, wie Fürst Lichnowsky Grafen Mensdorff morgens gesagt hatte.
Die Idee Sir Edwards einer Konferenz habe den Zweck, wenn möglich, die KoUission zwischen den Großmächten hintanzuhalten; Sir Edward dürfte also auf Isolierung des Konflikts hinzielen. Falls aber Rußland mobilisiere und Deutschland in Aktion trete, so falle die Konferenz von selbst in die Brüche.
Sowohl dem deutschen als dem k. u. k. Botschafter Dieensiische gegenüber hatte sich Sir Edward -am 27. Juli geäußert -, daß ^"^ "y "^"° ihm bereits von Rußland vorgeworfen werde, daß er sich geschoben- zu sehr auf die Seite Österreich-Ungarns stelle. öTierrelh.
Ungarns durch
< Die Erklärung zu diesen Maßnahmen Sir Edwards bieten, wie der Deutschland. bereits zitierte Tagesbericht vom 11. Februar 1915, Nr. 965 (Seite 164, Anmerkung 3| feststellen zu können glaubt, die angeblichen Konfidenzen des deutschen Botschafters in Rom an Marquis di San Giuliano (Vgl. Seite 79, Anmerkung 1). Der erwähnte Tagesbericht sagt hierüber:
„Wie wir [das Wiener Kabinett] von sehr beachtenswerter und voll- „kommen glaubwürdiger Seite erfahren, hat sich Sir Edward Grey einem „seiner politischen Freunde gegenüber dahin geäußert, daß ihn unsere „[Österreich-Ungarns] Aktion gegen Serbien keineswegs überrascht habe, „da er durch den italienischen Botschafter auf unsere bevorstehende „Aktion aufmerksam gemacht worden war. Marquis Imperiali habe damals, „um die englische Regierung zu einer je energischeren Einsprache in „Berlin und Wien zu bewegen, auch auf die Möglichkeit einer Über- „rumpelung durch die deutsche Flotte hingewiesen. Hieraus erklärt sich — „laut eigener Aussage des englischen Staatssekretärs — , „daß die englische Flotte, die Mitte Juli bei Spithead konzentriert worden „war, bis über den ursprünglich beabsichtigten Termin zusammenbehalten „wurde.
„Sir Edward habe sich durch die Mitteilung des italienischen Bot- „schafters veranlaßt gesehen, die oberwähnte Maßregel, trotz der Über- „raschung seiner Ministerkollegen, vor denen er die streng vertraulichen „Informationen des Botschafters seinem Versprechen gemäß damals ge- „heim halten mußte, im Ministerrate zu verlangen und durchzusetzen."
- Telegramm aus London d. d. 28. Juli, Nr. 115.
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Graf Mensdorff glaube, Sir Edward wolle mit Deutsch- land in friedlicher Absicht zusammenarbeiten, wenn er aber Mißtrauen hege, daß Deutschland das Wiener Kabinett „vor- geschoben" habe ' oder überhaupt den Krieg mit Rußland zu provozieren wünsche, so würde Sir Edward sehr ab- schwenken und, wie Graf Mensdorff befürchte, sich viel entschiedener auf die russische Seite stellen. Weisungen Dcr Inhalt der Berichterstattung des k. u. k. Botschafters
oenk. u. k. in London bestimmte Graf Berchtold zur Abfassung fol- (28. Juli) gender Weisung (28. Juli) ■:
Da das Wiener Kabinett das größte Gewicht darauf lege, daß Sir Edward das Vorgehen der Monarchie gegen Serbien im allgemeinen und speziell die Ablehnung der serbischen Antwort in unparteiischer Weise würdige, ersuche Graf Berchtold den k. u. k. Botschafter, Gelegenheit zu nehmen, Sir Edward das dem Grafen Mensdorff auf dem Postwege übermittelte Dossier im Detail und unter Hervorhpbung der besonders markanten Stellen auseinanderzusetzen. In dem- selben Sinne wolle Graf Mensdorff die kritischen Bemer- kungen zu der serbischen Note mit Sir Edward durch- sprechen und ihm darlegen, daß das serbische Entgegen- kommen nur ein scheinbares war, bestimmt, Europa zu täuschen und daß es für die Zukunft keinerlei Garantien geboten hätte.
Da die serbische Regierung wußte, daß das Wiener Kabinett nur eine vorbehaltlose Annahme seiner For- derungen befriedigen könne, sei die serbische Taktik klar zu durchschauen: Serbien akzeptierte, um Eindruck auf die europäische Öffentlichkeit zu machen, mit allerlei Vor- behalten eine Anzahl der Forderungen, darauf bauend, daß es nicht in die Lage kommen werde, seine Zusagen zu erfüllen. Ein Hauptgewicht bei seiner Besprechung mit Sir Edward Grey wolle Graf Mensdorff auf den Umstand legen, daß die allgemeine Mobilisierung der serbischen Armee für den 25. Juli, nachmittags 3 Uhr, angeordnet worden sei, während die Beantwortung der österreichisch-ungarischen
1 Vergleiche hiezu die Ausführungen Seite 271, 276, 279 oben. = Weisung nach London d. d. Wien, 28. Juli, Nr. 178. Expediert 28. Juli, 12 Uhr 40 Minuten p. m.
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Note erst knapp vor Ahlauf der Frist, das heißt wenige Minuten vor 6 Uhr, erfolgte. Die Monarchie habe vorher keine militärischen Vorbereitungen getroffen, sei aber durch die serbische Mobilisierung zu denselben in großem Aus- maße gezwungen worden.
Am 28. Juli sprach der englische Botschafter Sir Maurice orezieiie Bunsen bei Graf Berchtold vor, um auftraggemäß den Stand- Übermittlung
der eneli-
punkt Sir Edward Greys zum Konflikt der Monarchie mit sehen ver Serbien auseinanderzusetzen': Die englische Regierung habe m-"'""?«- mit lebhaftem Interesse den bisherigen Verlauf der Krise ver- ,„ wien. folgt und lege Wert darauf, das Wiener Kabinett zu ver- Ablehnung sichern, daß sie Sympathien für seinen Standpunkt hege durch crar und seine Beschwerden gegen Serbien vollkommen ver- B^rehtow stehe. Auch wolle sie betonen, daß sie keine warmen Gefühle für Serbien übrig habe, vielmehr wohl wisse, was sich letzteres in der Vergangenheit zuschulden habe kommen lassen.
Wenn somit England keinen Grund habe, den Streitfall der Monarchie mit Serbien an sich zum Gegenstande besonderer Präokkupation zu machen, so könne derselbe doch nicht der Aufmerksamkeit des Londoner Kabinetts entgehen, weil dieser Konflikt weitere Kreise ziehe und dadurch den europäischen Frieden in Frage stellen könne.
Nur aus diesem für England in Betracht kommenden Grunde habe sich Sir Edward veranlaßt gesehen, eine Ein- ladung an die Regierungen jener Staaten zu richten, die an dem Konflikt nicht näher interessiert seien (Deutschland, Italien und Frankreich), um gemeinschaftlich mit ihnen, im Wege fordaufenden Gedankenaustausches, die Möglichkeiten zu prüfen und zu erörtern, wie die Differenz möglichst rasch ausgeglichen werden könnte. Nach dem Muster der Londoner Konferenz während der letzten Balkankrise sollten nach der Anschauung des englischen Staatssekretärs die Londoner Botschafter der genannten Staaten sich zu dem angegebenen Zwecke in fortlaufendem Kontakt mit ihm halten. Sir Edward Grey habe bereits von den betreffenden Regierungen
I Weisung nach London d. d. Wien, 28. Juli, Nr. 179. Expediert 29. Juli, 1 Uhr a. m.
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sehr freundschaftlich gehahene Antworten erhalten, worin dieselben dem angeregten Gedanken zustimmten. Gegen- wärtig wäre es der Wunsch des Staatssekretärs, wenn mög- lich den Ausbruch der Feindseligkeiten zwischen Österreich- Ungarn und Serbien in elfter Stunde zu verhindern, wenn dies aber nicht tunlich wäre, doch vorzubeugen, daß es zu einem blutigen Zusammenstoße komme, eventuell dadurch, daß die Serben sich zurückziehen und den Kampf nicht aufnehmen könnten. Die von Serbien nach Wien gelangte Antwort scheine die Möglichkeit zu bieten, eine Basis für eine Verständigung abzugeben. England sei gerne bereit, hiebei im Sinne des Wiener Kabinetts und nach dessen Wünschen seinen Einfluß zur Geltung zu bringen.
Graf Berchtold dankte dem Botschafter für die Sympathie- kundgebung Sir Edward Greys und erwiderte ihm, daß er der Auffassung des Staatssekretärs volle Würdigung zu zollen wisse. Der Standpunkt des englischen Premiers sei aber von dem des Grafen Berchtold naturgemäß verschieden, da England an dem Streitfalle zwischen der Monarchie und Serbien nicht direkt interessiert sei und der Staatssekretär wohl kaum gründlich orientiert sein könne über die schwerwiegende Bedeutung der zu lösenden Fragen für die Monarchie. Wenn Sir Edward Grey von der Möglichkeit rede, den Ausbruch der Feindseligkeiten zu verhindern, so komme dieser Gedanke zu spät, da bereits gestern (27. Juli) serbischerseits auf österreichisch-ungarische Grenzsoldaten geschossen ' und heute vom Wiener Kabinett der Krieg an Serbien erklärt worden sei. Was die Idee eines Transi- gierens auf Grund der serbischen Antwortnote anbelange, müsse Graf Berchtold eine solche ablehnen, das Wiener Kabinett hätte die integrale Annahme gefordert, Serbien habe sich durch Winkelzüge aus der Verlegenheit zu ziehen gesucht; dem Wiener Kabinett seien diese serbischen Methoden nur zu gut bekannt. Man dürfe nicht glauben, daß man es mit einer Kulturnation zu tun habe, und dürfe nicht übersehen, wie oft die Langmut des Wiener Kabinetts getäuscht worden sei.
1 Vgl. Seite 218, 219. 204
Sir Maurice Bunsen könne dies nun durch seine eigenen in Wien erworbenen Lokalkenntnisse gewiß richtig ein- schätzen und werde in der Lage sein, dem Staatssekretär hierüber ein genaues Bild zu geben. Sir Edward Grey wolle dem europäischen Frieden dienen, was gewiß nicht auf Widerstand beim Wiener Kabinett stoßen würde. Sir Edward müsse jedoch bedenken, daß der europäische Friede nicht dadurch gerettet würde, daß sich Großmächte hinter Serbien stellten und für dessen Straffreiheit einträten. Denn selbst wenn die Monarchie auf einen solchen Aus- gleichsversuch eingehen wollte, würde dadurch Serbien nur um so mehr ermutigt, auf dem bisherigen Pfade weitergehen, was den Frieden binnen der allerkürzesten Zeit abermals in Frage stellen würde.
Der englische Botschafter versicherte Graf Berchtold zum Schlüsse, er verstehe den Standpunkt des Wiener Kabinetts vollkommen, er bedauere aber andrerseits, daß unter diesen Umständen der Wunsch der englischen Re- gierung, einen friedlichen Ausgleich zu erzielen, für den Augenblick keine Aussicht auf Verwirklichung habe. Er hoffe, weiterhin mit dem Grafen Berchtold im Kontakt bleiben zu dürfen, was ihm wegen der großen Gefahr einer europäischen Konflagration von besonderem Wert wäre.
Mit der Versicherung, Graf Berchtold stehe dem Bot- schafter jederzeit zur Verfügung, schloß die Konversation.
St. Petersburg
Dem Grafen Szapäry war am 27. Juli, 12 Uhr 40 Minuten Weisung an vormittags, die Weisung zugeschickt worden ', eine Ge- ^^" ^- "• ''■
Botschafter
legenheit herbeizuführen, um sich Herrn Sazonow gegen- ,26. juiü über im Sinne des am 25. Juli von Wien abgegangenen Erlasses- auszusprechen.
' Weisung nach St. Petersburg d. d. 26. Juli, Nr. 185. (Expediert 27. Juli, 12 Uhr 40 Minuten vormittags).
- Siehe Seite 159 Mitte. Die Instruktion ' selbst traf erst am 27. Juli abends in St. Petersburg ein. (Siehe Seite 210 Mitte.)
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Unterredung des k. u. k. Boischafrers mit Herrn Sazonow (27. Juli). Durch- sprechung des Te.\tes der öster- reichisch- ungarischen Note
Die Unterredung Graf Szdpärys mit Herrn Sazonow fand am 27. Juli mittags statt'.
Der deutsche Botschafter hatte Graf Szäpäry bereits vormittag mitgeteilt, er habe Herrn Sazonow heute früh viel ruhiger und entgegenkommender gefunden und habe diesem geraten, eine Aussprache mit Graf Szäpäry zu suchen, denn er wisse, daß der k. u. k. Botschafter gegen- über Rußland von den besten Dispositionen beseelt sei, und wie sehr er es bedauere, daß die österreichisch-ungarische Aktion gegen Serbien in Petersburg auf so wenig Ver- ständnis stoße. Herr Sazonow empfing Graf Szäpäry im Gegensatze zu seiner Haltung vom 24. Juli sehr liebens- würdig. Er berief sich auf die Mitteilungen des Grafen Pourtales und sagte, er würde den Grafen Szäpäry, wenn dieser sich nicht selbst angesagt hätte, gebeten haben, zu ihm zu kommen, um einmal offen mit ihm zu sprechen. Er selbst sei am 24. Juli etwas überrascht gewesen und habe sich nicht soweit beherrscht, als er gewünscht hä"tte, und dann sei ihr Gespräch doch nur ein ganz offizielles ge- wesen •.
Graf Szäpäry erwiderte, auch er hätte den Wunsch gehabt, mit Herrn Sazonow einmal aufrichtig zu sprechen, da er den Eindruck habe, daß man über den Charakter der österreichisch-ungarischen Aktion in Rußland in Irrtümern
• Telegramm aus St. Petersburg d. d. 27. Juli, 2 Uhr 15 Minuten p. m., Nr. 165.
- Aus Kopenhagen langte am 27. Juli in Wien eine Nachricht ein, die vielleicht den Schlüssel zur Erklärung des dem k. u. k. Bot- schafter in Petersburg und auch Grafen Pourtales unverständlichen Ver- haltens und Stimmungswechsels (vgl. Seite 210 unten) des anfänglich erregten russischen Ministers abgeben könnte. Wie der k. u. k. Gesandte Graf Sz6chenyi aus Hofkreisen erfuhr, beginne der König die Situation zuversichtlicher zu beurteilen, seitdem er wisse, daß England die Neutralität wahren wolle, da Dänemark nur im Falle eines aktiven Eingreifens des Inselreiches der Gefahr ausgesetzt sei, in einen Krieg verwickelt zu werden. Diese Aussage wurde durch vertrauliche Mit- teilungen bestätigt, vom dänischen Gesandten in Petersburg sei der tele- graphische Bericht eingelaufen, daß England bei der russischen Regierung Erklärungen abgegeben habe, sich neutral verhalten zu wollen. (Tele- gramm aus Kopenhagen d. d. 27. Juli, 11 Uhr 56 Minuten a. m., ohne Nummer.) (Vgl. Seite 271, Anmerkung 2.)
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befangen sei. Man imputiere dem Wiener Kabinett, hiemit einen Vorstoß auf den Balkan unternelimen und den Marsch nach Salonii^i oder gar nach Konstantinopei an- treten zu wollen. Andere wieder gingen so weit, die öster- reichisch-ungarische Aktion nur als den Auftakt eines von Deutschland geplanten Präventivkrieges gegen Rußland zu bezeichnen. All dies sei teils irrig, teils geradezu unver- nünftig. Das Ziel der österreichisch-ungarischen Aktion sei Selbsterhaltung und Notwehr gegenüber einer feindseligen, die österreichisch-ungarische Integrität bedrohenden Pro- paganda des Wortes, der Schrift und der Tat. Niemandem in Österreich-Ungarn falle es ein, russische Interessen zu bedrohen oder gar Händel mit Rußland suchen zu wollen. Das Ziel jedoch, das sich das Wiener Kabinett vorgesetzt habe, sei es unbedingt entschlossen zu erreichen, und der Weg, den es dazu gewählt hätte, scheine demselben der zweckdienlichste. Da es sich aber um eine Aktion der Not- wehr handle, könne Graf Szdpäry Herrn Sazonow nicht verhehlen, daß man bei einer solchen jede wie immer geartete Konsequenz in Betracht ziehe. Trotzdem sei sich Graf Szäpäry darüber klar, daß, wenn es zu einem Konflikt mit den Großmächten käme, dies die fürchterlichsten Folgen haben müsse und dann die religiöse, moralische und soziale Ordnung auf dem Spiele stehen würde. Graf Szäpäry 'führte sodann in lebhaften Farben den Gedanken an die Kon- sequenzen eines europäischen Krieges aus.
Herr Sazonow stimmte Graf Szäpäry eifrig zu und zeigte sich über die Tendenzen seiner Ausführungen un- gemein erfreut. Er erging sich in Versicherungen, daß in Rußland nicht nur er, sondern das ganze Ministerium und, was am meisten ins Gewicht falle, der Souverän von den gleichen Gefühlen gegen Österreich-Ungarn beseelt seien. Er könne nicht leugnen, man habe in Rußland alte Rankünen gegen die Monarchie; er gestehe, er habe sie auch; doch gehöre dies der Vergangenheit an und dürfe in der prakti- schen Politik keine Rolle spielen. Und was die Slawen anbelange, so sollte er dies dem österreichisch-ungarischen Botschafter zwar nicht sagen, aber er habe gar kein Gefühl für die Balkanslawen. Diese seien für Rußland sogar eine
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schwere Last und man könnte sich in Wien itaum vorstellen, was man von ihnen schon zu leiden gehabt habe. Das österreichisch-ungarische Ziel, wie Graf Szäpäry es ihm geschildert habe, sei ein vollkommen legitimes, aber er meine, der Weg, den die Monarchie zu dessen Erreichung verfolge, sei nicht der sicherste. Die Note, die das Wiener Kabinett in Belgrad überreicht hätte, sei in der Form nicht glücklich. Er habe sie seitdem studiert, und wenn Graf Szäpäry Zeit hätte, möchte er sie nochmals mit' ihm durch- schauen. Graf Szäpäry bemerkte, daß er zu seiner Disposition stehe, aber weder autorisiert sei, den Notentext mit Herrn Sazonow zu diskutieren, noch denselben zu interpretieren. Herrn Sazanows Bemerkungen seien aber natürlich von Interesse. Der Minister nahm sodann alle Punkte der Note durch und fand jetzt von den zehn Punkten sieben ohne allzu große Schwierigkeiten annehmbar. Nur die zwei Punkte, betreffend die Mitwirkung von k. u. k. Funktionären in Serbien, und den Punkt, betreffend die Entlassung von durch Österreich -Ungarn ad libitum zu bezeichnenden Offizieren und Beamten, fand er in dieser Form unannehm- bar. Bezüglich des fünften Punktes war Graf Szäpäry bereits in der Lage, eine authentische Interpretation zu geben'; bei den beiden anderen meinte der k. u. k. Botschafter, daß el" deren Interpretation durch die Wiener Regierung nicht kenne, daß aber beide notwendige Forderungen seien. Herr Sazonow memte, man könnte zum Beispiel eine konsularische Intervention bei Untersuchungen ins Auge fassen, und was die Entlassung anbelange, müßte man doch Beweise gegen die Betreffenden vorbringen. Sonst würde König Peter sofort riskieren, umgebracht zu werden. Graf Szäpäry erwiderte, diese Einschätzung durch den Minister bilde die beste Begründung der österreichisch-ungarischen Aktion gegen Serbien. Herr Sazonow meinte ferner, die Monarchie müsse sich vor Augen halten, daß die Dynastie Karageorgevic wohl die letzte serbische Dynastie sei, und daß die Monarchie doch nicht einen anarchischen Hexen- kessel an ihrer Grenze schaffen wolle? Graf Szäpäry
1 Vgl. Seite J63 unten. 208
entgegnete, Österreich-Ungarn habe gewiß an der Erhahung der monarchischen Staatsform ein Interesse; aber auch diese Bemerisiung des Ministers beweise, wie notwendig ein ent- sprechendes Auftreten der Monarchie gegen Serbien sei. Resümierend ertclärte der Minister, er finde, daß es sich eigentlich in der Angelegenheit der Note nur um Worte handle und daß sich vielleicht ein dem Wiener Kabinett ge- nehmer Weg finden ließe, wie man über diese Schwierigkeiten hinwegkommen könnte. Würde das Wiener Kabinett die Mediation seines Alliierten, des Königs von Italien, annehmen oder die des Königs von England? Graf Szäpäry erwiderte, daß er hierüber nicht in der Lage sei, eine Ansicht zu äußern, daß ihm die Dispositionen seiner Regierung unbe- kannt, die Dinge im Rollen seien, und daß gewisse Sachen nicht rückgängig gemacht werden könnten. Überdies hätten die Serben schon gestern mobilisiert, und was sich seither noch ereignet habe, sei ihm unbekannt.
Herr Sazonow äußerte am Schlüsse seiner Unterredung nochmals in den wärmsten Worten seine Freude über die Aufklärungen, die ihm Graf Szäpäry gegeben habe und die ihn wesentlich beruhigt hätten. Er werde auch Kaiser Nikolaus Meldung erstatten, den er an dessen Empfangs- tage, am 29. Juli, sehen werde.'
Seine Gedanken über diese Besprechung resümierte Graf Szäpäry dahin:
Der Weg, den die russische Politik in zwei Tagen von der ersten schroffen Ablehnung des österreichisch-ungari- schen Vorgehens und der Anregung einer Gerichtssitzung über das österreichisch-ungarische Dossier bis zum Vor- schlage der Europäisierung der ganzen Angelegenheit und von da wieder bis zur Anerkennung der Legitimität der österreichisch-ungarischen Ansprüche und zum Suchen nach Mediatoren zurückgelegt habe, sei ein weiter. Trotzdem dürfe nicht übersehen werden, daß neben der rückläufigen diplomatischen Bewegung eine lebhafte militärische Aktivität einhergehe, durch die sich Rußlands militärische und somit auch diplomatische Situation täglich zu Ungunsten der Mon- archie zu verschieben drohe.
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Gesprächsweise hatte Herr von Sazonow noch erwähnt,
ob Graf Szapäry ihm Einsicht in das angei<ündigte Dossier
geben könne, und hatte auf dessen Erwiderung, er sei noch
nicht im Besitze desselben, gefragt, ob dasselbe nicht Herrn
Schebeko in Wien zugänglich gemacht werden könnte.
Der k. u. k. Am 27. Juli, abends 10 Uhr 20 Minuten, ging an den
wu-dtr^ ^- "• ^- Botschafter die ermächtigende Weisung ab, ohne
mäehiigt, die irgendein bindendes Engagement einzugehen', Herrn Sazo-
bln-effraes ""w und Marquis Carlotti gegenüber sich dahin auszu-
lerritormien sprcchcn, daß die Monarchie, solange der Krieg zwischen
«"m"'ms Österreich-Ungarn und Serbien lokalisiert bleibe,
abzugeben keinerlei territoriale Eroberungen- beabsichtige''.
127. juii) j-jgj. J.JJJ. ^^^ ^ ^ ^ Botschafter bestimmte Erlaß vom
des'Eriasses -^- J"" '^igf^ ^m 27. juli erst spät nachmittags in Peters- vora 25. Juli bürg ein; das angekündigte Dossier war auch um diese Zeit k"u.''k"Bot. "^^h ausständig. Graf Szäpäry gedachte sich am 28. Juli schafter bei Herrn Sazonow im Sinne der eben erhaltenen Weisung ''JehmÜC^' auszusprechen \
optimisti- ^'^ ^^^ ^- "• ^- Botschafter am 28. Juli morgens meldete ■,
sehe Auf- habe ihm Graf Pourtales, der am 27. Juli Herrn Sazonow
Fassung der
Situation 1 Weisung nach St. Petersburg d. d. Wien, 27. Juli, Nr. 187. Expe-
diert 27. Juli, 10 Uhr 20 Minuten p. m. Die Formulierung „ohne irgendein bindendes Engagement einzugehen" erscheint im Konzept als nach- träglicher Zusatz von der Hand des Grafen Forgäch.
- Im Konzept ursprünglich: territorialen Gewinn; von Graf Forgach geändert in: territoriale Eroberungen.
3 Diese Weisung verdankte — einer der wenigen feststellbaren Fälle — ihre Entstehung einer direkten Anregung des Monarchen. Am 26. Juli hatte der Kabinettsdirektor Freiherr von Schießl an das Ministerium des Äußern jenes Telegramm zurückgestellt, in dem Graf Szäpäry um Andeutung darüber bat, ob er sich seinem italienischen Kollegen gegen- über auf den Standpunkt der territorialen Uninteressiertheit stellen dürfe. (Vgl. Seite 154 Mitte.) Freiherr von Schießl teilte gleichzeitig Graf Berchtold mit, der Monarch lasse Graf Berchtold auf den angestrichenen [einschlägigen] Passus dieses Berichtes des Grafen Szäpäry aufmerksam machen. Ohne die Entscheidung des Grafen Berchtold beeinflussen zu wollen, scheine es dem Monarchen, als ob Graf Szäpäry ermächtigt werden könnte, in dem von ihm beantragten Sinne seinem italienischen Kollegen gegenüber sprechen zu dürfen.
* Telegramm aus St. Petersburg d. d. 28. Juli, Nr. 172. Expediert 28. Juli, 1 Uhr 20 Minuten a. m.
' Ebendort.
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durch Herrn Sazonow
gesprochen hatte, mitgeteilt, der russische Minister verharre in optimistischer Auffassung, deren Gründe weder dem deutschen Botschafter, noch Graf Szäpäry erfindlich seien. Auch die bei dieser Gelegenheit geführte ernste Sprache des Grafen Pourtales sei an Herrn Sazonow ziemlich wirkungslos abgeprallt.
Die Petersburger Presse vom 27. Juli sei voll Nachrichten, daß die bisherige Sprache der deutschen Diplomaten, weil sie sich als politischer Fehler herausgestellt habe, verändert werde, daß Deutschland einer Mediation nicht ablehnend gegenüberstehe, daß mit einem Ausgleiche zu rechnen sei usw. Emmissäre und Politiker würden auf der k. u. k. Botschaft die Haltung Deutschlands zu denunzieren versuchen. Da die Annahme einer tatsächlichen Abschwenkung ausgeschlossen sei, bleibe nur die Hypothese eines Versuches übrig, in letzter Stunde zwischen Österreich-Ungarn und Deutschland einen Keil zu treiben.
Nach der Anschauung Graf Szäpärys scheine das Aus- bleiben der im Auslande gleich für die allerersten Tage nach Ablauf des Ultimatums erwarteten militärischen Operationen den Anlaß zu der irrigen Interpretation zu bilden, Österreich- Ungarns Entschlossenheit sei — vielleicht infolge der Haltung Deutschlands — nicht unabänderlich, und es sei noch Gelegenheit zu Verhandlungen geboten.
Am 28. Juli erschien der russische Botschafter beim Unterredung Grafen Berchtold, um ihm seine Rückkehr von seinem "^^ ''''"'"
sehen Bot-
Urlaub in Rußland mitzuteilen und um gleichzeitig einem schafiers telegraphischen Auftrage Herrn Sazonows nachzukommen '. "'" *^'°''
° "^ '^ Berehtold
Letzterer hätte ihm mitgeteilt, daß er eine längere, sehr (zs.juii,. freundschaftliche Aussprache mit Graf Szäpäry gehabt hätte, ^"'■'=s""g in deren Verlaufe Graf Szäpäry mit großer Bereitwilligkeit fühnmg des die einzelnen Punkte der serbischen Antwortnote durch- ^"'s«^"""-
menen
gesprochen hätte-. Herr Sazonow sei der Ansicht, daß Gedanken- Serbien in weitgehendem Maße den österreichisch-ungarischen ""^'"""^hes-
° ° Durch-
Wünschen entgegengekommen sei, daß aber einige Forderungen sprechung ihm ganz unannehmbar erschienen, was er auch Graf Szäpäry ''"
"^ serbischen
' Weisung nach St. Petersburg d. d. 28. Juli, Nr. 191. Expediert *"'*''""»"= 28. Juli, II Uhr 40 Minuten p. m. 2 Vgl. Seite 206 ff.
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nicht verhehlt habe. Es scheine ihm unter diesen Umständen, daß die serbische Antwortnote geeignet sei, den Ausgangs- puniit zu einer Verständigung abzugeben, wozu die russi- sche Regierung gerne die Hand bieten möchte. Herr Sazonow wolle daher dem Grafen Berchtold vorschlagen, daß der so glücklich aufgenommene Gedankenaustausch mit Graf Szapäry eine Fortsetzung finde und daß der k. u. k. Botschafter diesbezüglich mit Instruktionen ver- sehen werde.
In seiner Entgegnung betonte Graf Berchtold, daß er auf einen derartigen Vorschlag nicht eingehen könne. Eine Verhandlung über den Wortlaut der vom Wiener Kabinett als unbefriedigend bezeichneten Antwortnote könne in der Monarchie niemand verstehen und niemand billigen. Es wäre dies um so weniger möglich, als sich, wie der Botschafter wisse, bereits eine tiefgehende allgemeine Erregung der öffentlichen Meinung sowohl in Ungarn wie in Österreich bemächtigt hätte, überdies seitens der Monarchie heute der Krieg an Serbien erklärt worden sei.
Auf die mit großer Eloquenz vorgebrachten Auseinander- setzungen des Botschafters, die hauptsächlich darin gipfelten, daß die Monarchie die durchaus nicht abgeleugnete feind- selige Stimmung in Serbien durch eine kriegerische Aktion nicht niederringen, im Gegenteil nur steigern würde, gab Graf Berchtold Herrn Schebeko einige Streiflichter hinsicht- lich des derzeitigen Verhältnisses der Monarchie zu Serbien, das es unvermeidlich mache, ganz gegen den eigenen Willen und ohne jede egoistische Nebenabsicht, dem unruhigen Nachbar mit dem nötigen Nachdrucke die ernste Absicht zu zeigen, nicht länger eine von der Regierung geduldete, gegen den Bestand der Monarchie gerichtete Bewegung zuzulassen. Die Haltung Serbiens nach dem Empfang der österreichisch- ungarischen Note sei übrigens nicht danach gewesen, eine friedliche Beilegung zu ermöglichen, indem Serbien, noch bevor es der Monarchie seine ungenügende Antwort über- geben ließ, die allgemeine Mobilisierung angeordnet und schon dadurch der Monarchie gegenüber einen feindseligen Akt vorgenommen habe. Trotzdem hätte das Wiener Kabinett noch drei Tage zugewartet. Am 27. Juli seien nun serbischerseits
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gegen die Monarchie die Feindseligkeiten an der ungarischen Grenze eröffnet worden'. Dadurch sei der Monarchie die Möglichkeit benommen, bei ihrer Serbien gegenüber bewiesenen Langmut weiter zu beharren. Die Herbeiführung einer gründlichen, aber friedlichen Sanierung des Verhält- nisses Österreich-Ungarns zu Serbien sei der Monarchie nunmehr unmöglich gemacht worden und die Monarchie sehe sich gezwungen, den serbischen Provokationen in der Form entgegenzutreten, die unter den gegebenen Umständen allein ihrer Würde entspreche.
Die durch das russische offizielle Communique vom Die russi- 24. Juli angedeutete Stellungnahme Rußlands, einem öster- ^''"'" """
»^ o o ' stungen
reichisch-ungarisch-serbischen Konflikt nicht teilnahmslos gegenüberzustehen, erfuhr während der nächsten Tage ihre Bestätigung dadurch, daß die Vornahme weitgehender russischer Rüstungen immer mehr erkenntlich und bald auch offiziell nicht mehr in Abrede gestellt wurde.
Am 26. Juli telegraphierte der k. u. k. Militärattache in Meldungen Petersburg: Nachrichten verdichten sich dahin, daß die ^" ''• "■ '
o ' Militar-
Militärbezirke Kiew, Warschau, Odessa und Moskau Mobi- auaches lisierungsbefehl erhielten, bei gleichzeitiger Einziehung von '-^- -•"''* Reservisten; Bezirke Petersburg, Wilna, wahrscheinlich auch Kasan, Befehl zur Vorbereitung der Mobilisierung, jedoch ohne Reservisten. Im ganzen europäischen Rußland erhielten die Truppen Befehl zur Einrückung aus den Lagern in ihre Standorte. Diese Verfügung werde naturgemäß in den nächsten Tagen vielfache Meldungen von Truppenbewegungen im ganzen Reiche zur Folge haben, wobei es sehr schwer sein werde, zu kontrollieren, ob es Einrückungs- oder Mobilisierungstransporte seien. Die Stimmung im Lager bei der Parade am 12. Juli (a. St.) im Gegensatze zu jener am 11. erregt und aggressiv; doch scheine man zum Teil in militärischen Kreisen doch an einen Bluff der Monarchie zu glauben. Es sei schwer, ein Urteil darüber zu fällen, ob eine Geneigtheit Rußlands bestehe, aktiv einzugreifen. Die sehr aggressive Kriegspartei scheine an der Arbeit, die
1 Siehe Seite 21«, 219.
213
„Stimmung in der ÖPFcntlichkeit, von der dann die Regierung mitgerissen werden soll", vorzubereiten '.
Bei der Theatervorstellung im militärischen Theater von Krasnoje Selo am 25. Juli abends kam es zu einer spontanen Ovation seitens der Offiziere für den Zaren. Die Offiziere verlangten beim Erscheinen des Kaisers, ganz gegen alle Gebräuche, das Abspielen der Hymne, worauf ein nie enden- wollendes Hurra angestimmt wurde. Der Gehilfe des französischen Militärattaches begründete diese Ovation mit Bekanntwerden des Mobilisierungsbefehles „pour quelques circonscriptions". Die Stimmung in Militärkreisen stehe danach mit dem weniger aggressiven Ton, den die Regierung anzuschlagen scheine, im Widerspruche -. vorstei- Bisher hatte Graf Szdpäry Herrn Sazonow gegenüber
lungen des hinsichtlich der russischen Mobilisierungsmaßnahmen ab- deutschen '-^ Botschafters sichtUch kcinc Erwähnung getan, um seinem deutschen
Kollegen die Vorhand zu lassen '.
In den Aussprachen, die Graf Pourtales mit Herrn Sazonow am 28. Juli pflog, verwies derselbe neuerlich in energischer Weise auf die Gefährlichkeit der russischen Rüstungen, da dieselben unversehens deutsche Gegenmaß- nahmen hervorrufen könnten. Herr Sazonow suchte die vom Grafen Pourtales vorgebrachten Tatsachen abzuleugnen, worauf ihn der deutsche Botschafter auf das Dringendste ersuchte, die militärischen Faktoren scharf zu kontrollieren, damit nicht etwa hinter seinem Rücken gehandelt werde *.
Ebenso nachdrücklich verwahrte sich Graf Pourtales gegen die Versuche der russischen Presse, Deutschland und Österreich-Ungarn zu verhetzen. Dies werde nicht gelingen, dazu bedürfe es feinerer Finger als die, welche solche plumpe
I Telegramm aus St. Petersburg d. d. 26. Juli, 4 Uhr 20 Minuten p. m., Nr. 163.
- Telegramm aus St. Petersburg d. d. 26. Juli, 10 Uhr 50 Minuten p. m., Nr. 167.
- Telegramm aus St. Petersburg d. d. 26. Juli, Nr. 168. E.\pediert 27. Juli, 4 Uhr 30 Minuten a. m.
4 Telegramm aus St. Petersburg d. d. 28. Juli, Nr. 175. Expediert 29. Juli, 1 Uhr 15 Minuten a. m.
214
Manöver inszenierten. Der russische Minister suchte jede Verantwortung in Abrede zu stellen, worauf Graf Pourtales noch darauf verwies, warum der Minister, wenn er mit diesen Treibereien nicht einverstanden sei, es unterlasse, denselben entgegenzutreten.
Wie dem k. u. k. Ministerium des Äußern am 27. Juli Dismssi- aus Odessa telegraphiert wurde, war der Mobilisierungs- !.^^ru"n'"s°'"'' befehl für die Militärbezirke Odessa, Kiew und Warschau maßnahmen bereits ergangen, wenn auch noch nicht publiziert ^^'j"",^ worden '.
Die im russischen Generalstabe am 27. Juli abends vor- herrschende Stimmung war — wie der k. u. k. Militär- attache meldete - — kompliziert, da einerseits nicht recht an die Energie Österreich-Ungarns, andrerseits auch an eine europäische Beilegung des Konflikts geglaubt werde. Nun- mehr würden auch die vorbereitenden Mobilisierungsmaß- nahmen im europäischen Rußland — jedoch ohne spezielle Ausnahme gegenüber der deutschen Grenze — zugegeben. Der k. u. k. Militärattache unterließ es nicht, auf die Bedenk- lichkeit solcher Maßnahmen, die deutscher- und österrei- chisch-ungarischerseits ähnliche „Vorbereitungen" provozieren könnten, aufmerksam zu machen. Übrigens äußerten sich mehrere russische Generalstabsoffiziere dem türkischen Militärattache gegenüber, daß ein österreichisch-ungarischer Bluff noch immer sehr möglich sei, da die Kriegsoperationen ja noch immer nicht begonnen hätten.
Seit dem 26. Juli war das den europäischen Frieden unmittelbar gefährdende Moment einge- treten: die positiven, Offensivabsichten gegen Österreich-Ungarn und Deutschland bekundenden großzügigen Mobilmachungsvorbereitungen Ruß- lands. Der Monarchie, mittelbar auch dem an der Krise noch nicht direkt beteiligten Deutschen Reiche,
I Telegramm aus Odessa d. d. 27. Juli, 1 1 Uhr 25 Minuten p. m., Nr. 8544.
- Telegramm aus St. Petersburg d. d. 27. Juli, 1 1 Uhr 22 Minuten p. m., Nr. 170.
215
Begründung der Ableh- nung der serbischen Antwortnote. Communique |27. Juli)
Die kriti- schen Be- merkungen des k. u. k. Ministeriums des Äußern zur serbi- schen Ant- wortnote
Partielle Mobi • sierung in Österreich- Ungarn. 2.S. Juli abends.
wurde hiedurch die Einleitung der ersten ab- wehrenden militärischen Schutzmaßnahmen gegen Rußland im Interesse der Selbstverteidigung in der Folge aufgedrängt '.
D. Die Kriegserklärung Österreich-Ungarns an Serbien
(28. Juli 1914)
Um die öffentliche Meinung auf die bevorstehende Kriegserklärung an Serbien vorzubereiten, brachten die Wiener Abendblätter vom 27. Juli ein offizielles Communique, das auch den k. u. k. Botschaftern bei den Signatarmächten und den diplomatischen Funktionären bei den Balkanstaaten zur Verwertung mitgeteilt wurde.
Ein Zirkularerlaß übermittelte ferner am 28. JuH sämtlichen k. u. k. Missionen die wortgetreue Übersetzung der ser- bischen Antwortnote sowie die kritischen Bemerkungen des k. u. k. Ministeriums des Äußern-. Den letzteren sollten die k. u. k. Funktionäre zur Verwertung die Gründe entnehmen, die das Ministerium veranlaßt hätten, die Note als unbe- friedigend zu qualifizieren.
Noch am 24. Juli hatte sich Graf Tisza an Graf Berchtold mit dem Ersuchen gewendet s, nötigenfalls auch in seinem Namen beim Monarchen zu betonen, daß im Falle einer unbefriedigenden Antwort Serbiens die unverzügliche An- ordnung der Mobilisierung unbedingt zu erfolgen hätte. Dieser Auffassung gab Graf Tisza in einem Vortrage an den Monarchen am 25. Juli neuerlichen Ausdrucke
1 Wie sehr ein gegen Rußland ~ schon gar in einigen wenigen Tagen — vorzunehmender Angriffskrieg außerhalb der Konzeption der Generalstäbe der beiden Zentralmächte lag, erhellt aus der Seite 311, Anmerkung 1, behandelten Feststellung. (Vgl. auch Seite 306 und 307.)
i Zirkularerlaß an alle Missionen d. d. 28. Juli, Nr. 3581 bis 3612, 3612a. Die Bemerkungen abgedruckt bei Nebeneinanderstellung mit der serbischen Antwortnote im österreichisch-ungarischen Rotbuch, Nr. 34.
3 Telegramm des Grafen Tisza d. d. Budapest, 24. Juli, 12 Uhr 50 Minuten p. m., ohne Nummer.
* Vortrag des Grafen Tisza d. d. 25. Juli, Kabinettsarchiv.
216
Der k. u. k. Chef des Generalstabes richtete in der Nacht vom 24. zum 25. Juli (12 Uhr) an den Grafen Berchtold die Verständigung ', er habe soeben die tele- graphische Meldung erhalten, daß in Schabatz am 24. Juli, 4 Uhr nachmittags, die Mobilisierung proklamiert wurde. Serbien scheine also das Ultimatum mit der Mobilisierung zu beantworten. Dies erfordere seitens Österreich-Ungarns sofortiges Handeln; er (der Chef des Generalstabes) erachte es daher für notwendig, daß auch in der Monarchie die Mobilisierung sofort — also nicht am 26., sondern schon am 25. Juli - befohlen werde. Erster Mobilisierungstag hätte der 28. Juli zu sein.
Am 25. Juli abends wurden hierauf die für den Kriegsfall am Balkan vorgesehenen 8 Armeekorps samt den dazugehörigen Landwehr- und Landsturm- formationen, u. zw.: VIIL (Prag), IX. (Leitmeritz), HL (Graz), XIIL (Agram), IV. (Budapest), VII. (Temes- vär) und die beiden Korps in Bosnien und der Herzegowina, XV. und XVI. mobilisiert.
Den Entwurf der Kriegserklärung an Serbien unter- immediat- breitete Graf Berchtold dem Monarchen am 27. Juli mit ^«"■"■"s "^'^
Grafen
folgendem Immediatvortrage -: Berchtoia
„Ich nehme mir die ehrerbietigste Freiheit, Euer Majestät (27- Jui: )
" & ' ' Kriegs-
„in der Anlage den Entwurf eines Telegramms an das erkiarungan „serbische Ministerium des Äußern zu unterbreiten, welches serwen
(Entwurf»
„die Kriegserklärung an Serbien enthält, und erlaube mir „alleruntertänigst anzuregen, Euer Majestät wollen geruhen, „mich zu ermächtigen, dieses Telegramm morgen früh ab- „zusenden und die amtliche Verlautbarung der Kriegs- „erklärung in Wien und Budapest gleichzeitig zu veranlassen. „Mit Rücksicht auf die dem k. u. k. Gesandten Baron „Giesl am 25. d. M. durch Herrn Pasic übergebene, sehr „geschickt verfaßte Antwortnote der serbischen Regierung, „welche inhaldich zwar ganz wertlos, der Form nach aber „entgegenkommend ist, halte ich es für nicht ausgeschlossen, „daß die Tripelententemächte noch einen Versuch machen
I Schreiben des k. u. k. Chefs des Generalstabes an Graf Berchtold d. d. Wien, nachts vom 24. auf den 25. Juli, 12 Uhr.
- Konzept von der Hand des Legationsrates Grafen A. Hoyos.
217
„könnten, eine friedliche Beilegung des Konflikts zu erreichen, „wenn nicht durch die Kriegserklärung eine klare Situation „geschaffen wird.
„Einer Meldung des 4. Korpskommandos zufolge haben „serbische Truppen von Donaudampfern bei Temes-Kubin „gestern unsere Truppen beschossen und es entwickelte sich „auf die Erwiderung des Feuers hin ein größeres Geplänkel. „Die Feindseligkeiten sind hiemit tatsächlich eröffnet worden „und es erscheint daher um so mehr geboten, der Armee in „völkerrechtlicher Hinsicht jene Bewegungsfreiheit zu sichern, „welche sie nur bei Eintritt des Kriegszustandes besitzt.
„Die Notifikation des Kriegszustandes an die neutralen „Mächte würde, vorbehaltlich der allerhöchsten Genehmi- „gung Eurer Majestät, gleichzeitig mit der Kriegserklärung „an deren hiesige Vertreter abgesendet werden.
„Ich erlaube mir zu erwähnen, daß Seine k. u. k. Hoheit „der Oberkommandant der Balkanstreitkräfte, Erzherzog „Friedrich, sowie der Chef des Generalstabes gegen die „Absendung der Kriegserklärung morgen Vormittag nichts „einzuwenden hätten.
In tiefster Ehrfurcht
(gez.) Berchtold."
Der beigelegte Entwurf, der als Telegramm in claris an das königliche Ministerium des Äußern in Belgrad, even- tuell in Kragujevac, abgesendet werden sollte, lautete:
„Le Gouvernement Royal de Serbie n'ayant pas re- „pondu d'une maniere satisfaisante ä la Note qui lui avait „ete remise par le Ministre d'Autriche-Hongrie ä Beigrade „ä la date du 23 juillet 1914, le Gouvernement Imperial „et Royal se trouve dans la necessite de pourvoir lui-meme „ä la sauvegarde de ses droits et interets et de recourir ä „cet effet ä la force des armes, et cela d'autant plus que „des troupes serbes ont dejä attaque pres de Temes-Kubin „un detachement de l'armee Imperiale et Royale. L'Autriche- „Hongrie se considere donc de ce moment en etat de guerre „avec la Serbie.
„Le Ministre des Affaires Etrangeres d'Autriche-Hongrie,
Comte Berchtold."
218
Der Monarch setzte in Bad Ischl am 28. Juli seine Entschließung zum Vortrage Graf Berchtolds mit den Worten auf:
„Ich genehmige den beiliegenden Entwurf eines Tele- „gramms an das serbische Ministerium des Äußern, „welches die Kriegserklärung an Serbien enthält und erteile „Ihnen die erbetene Ermächtigung
(gez.) Franz Joseph."
Ungeachtet dieser Genehmigung durch den Monarchen Textes wurde der endgültige Text der Kriegserklärung nicht im jerTnegs. präzisen Wortlaute des vorgelegten Entwurfes abgesendet, erkiärung Graf Berchtold sah sich nämlich genötigt, den Satz „et cela „d'autant plus que des troupes serbes ont dejä attaque pres „de Temes-Kubin un detachement de l'armee Imperiale et „Royale" aus dem bereits genehmigten Entwürfe zu streichen und diese nachträgliche Änderung dem Monarchen gegen- über mit der folgenden Argumentation in einem Immediat- vortrage vom 29. Juli zu begründen:
„Allergnädigster Herr ! „Nachdem die Nachrichten von einem Gefechte bei „Temes-Kubin keine Bestätigung erfahren haben, hingegen „bloß eine Einzelmeldung über ein geringfügiges Geplänkel „bei Gradiste vorlag, die wohl nicht geeignet erschien, zur „Begründung eines gewichtigen Staatsaktes herangezogen zu „werden, habe ich es in Anhoffnung der nachträglichen „allerhöchsten Genehmigung Eurer Majestät auf mich ge- „nommen, aus der an Serbien gerichteten Kriegserklärung „den Satz über den Angriff serbischer Truppen bei Temes- „Kubin zu eliminieren.
In tiefster Ehrfurcht
Berchtold." „Wien, am 29 Juli 1914.
Die Kriegserklärung selbst war also unter Auslassung des vom Grafen Berchtold eliminierten Satzes ' am
1 Gewissermaßen als Gegenstück der Begründung einer Kriegs- erklärung kann auf die Einleitungsargumentation hingewiesen werden, mit
219
28. Juli vorYnittags an das königliche Ministerium des
Äußern abgegangen. Tciegraphi- Dlc Zustellung der Kriegserklärung an die serbische
mi'iMun''"er Regierung begegnete mancherlei Schwierigkeiten. Der ge- Kriegs- wohnliche Weg der persönlichen Überreichung an den erkiarung Minister des Äußern des gegnerischen Staates durch einen
an die ~ o
serbische diplomatischcn Vertreter konnte nicht in Frage kommen, Regierung j^ ^^^ ^ ^^ ^ Gesandte mit dem Personal der Mission nach Erhalt der Antwortnote Belgrad verlassen hatte. Es wurde daher die Kriegserklärung von Wien aus auf tele- graphischem Wege nach Belgrad an die Adresse des Aus- wärtigen Amtes gerichtet. Da jedoch die direkte Drahtver- bindung von Wien nach Belgrad, wohl von serbischer Seite selbst, außer Funktion gesetzt war, nahm die Kriegserklä- rung den Weg über Czernowitz und Bukarest. Eine Art Empfangsbestätigung, daß das die Kriegserklärung enthal- tende Telegramm am 28. Juli, 1 Uhr 20 Minuten nachmit- tags, im serbischen Ministerium des Äußern übernommen wurde, langte aus Nisch am 1. August an die Adresse des Grafen Berchtold ein '.
der Graf Berchtold in einem Inimediatvortrage vom 27. August dem Monarchen gegenüber die Kriegserklärung an Belgien motivierte:
„Obwohl Österreich-Ungarn nach dem Dreibundvertrage „verpflichtet gewesen wäre, Belgien den Krieg zu erklären, „sobald das Deutsche Reich sich mit diesem Lande im Kriegszustande „befand, hat die Monarchie die diplomatischen Beziehungen zu Belgien „trotz der ihrer Vertretung bereiteten großen Schwierigkeiten nicht abge- „brochen ".
Es ist unerfindlich, auf welchen Punkt des Dreibundvertrages diese Argumentation Graf Berchtolds Bezug haben soll.
I Telegramm d. d. Nisch, Eingangsnummer 220, Wien, 1. August 1914.
220
III
Von der Kriegserklärung Österreich-Ungarns an Serbien (28. Juli) bis zur Kriegserklärung des Deutschen Reiches an Rußland (1. August)
A. Das Berliner Kabinett
Beziehungen Berlin — Wien — Rom.
Hinsiclitiich der von Herrn von Tschirschky am 27. und Der umer 28. Juli am Ballhausplatze gemachten Mitteilungen, Italien 1'^^^^'^^^^ werde ein kriegerisches Vorgehen seitens der Monarchie pflichtet der gegen Serbien als aggressiven Akt auch gegen Rußland B°™|,?oTd" betrachten und sich daher seiner Dreibundverpflichtung im an itaiien Konfliktsfalle mit Rußland für entbunden erachten, scheine, fs=.e=''="'="
' ' Erklärung
wie sich Herr Zimmermann in einer Besprechung am 29. Juli bei (29. juni Graf Szögyeny gegenüber äußerte ', ein Mißverständnis ob- zuwalten. Dies sei allerdings im Anfang der österreichisch- ungarischen Kontroverse mit Serbien italienischerseits einmal gesagt, seitdem aber nicht wiederholt worden.
Auch der italienische Botschafter, dem Graf Szögyeny rein persönlich den vorerwähnten Standpunkt der italie- nischen Regierung als ein ihm zugekommenes Gerücht mitteilte, habe sich geäußert, dies sei allerdings einmal von einem italienischen Vertreter im Auslande erklärt worden, derselbe habe aber dafür sofort von Rom einen Verweis erhalten, und es sei dies, wie er Graf Szögyeny „ganz kategorisch" versichere, absolut nicht die Auffassung des italienischen Kabinetts.
Was die vom Grafen Berchtold der italienischen Regie- rung durch Herrn von Merey abgegebene Erklärung be- treffe, sei der Unterstaatssekretär damit einverstanden und glaube sicher annehmen zu können, die italienische Regie- rung werde sich damit begnügen, daß Graf Berchtold erklärt habe, territoriale Erwerbungen lägen nicht in den Absichten
I Telegramm aus Berlin d. d. 29. Juli, Nr. 317.
22^
Die Berliner Regierung rät eine „large" In- lerpretalion der Kora- pensations- frage an (3ü. Juli)
der Monarchie, und daß das Wiener Kabinett, sollte Öster- reich-Ungarn sich dennoch zu einer nicht als nur vorüber- gehend aufzufassenden Okkupation serbischen Gebietes gezwungen sehen, für diesen Fall mit Italien in einen Meinungsaustausch über eine ihm zu gewährende Kompen- sation treten werde.
Nachrichten, laut welchen man an manchen Stellen in Italien als Kompensation an Gebietsteile Österreich-Ungarns denke, seien auch in Berfin eingelangt. Daß die Loslösung eines Gebietsteiles der Monarchie nicht einmal zur Dis- kussion gestellt werden dürfe, sei jedoch auch die Berliner Ansicht.
Über einen entscheidenden Stimmungswechsel der Ber- liner Regierungskreise hinsichdich der österreichisch-unga- risch-italienischen Beziehungen referierte Graf Szögyeny am 30. Juli I. Während er noch bis vor kurzem bezüglich der Eventualität eines europäischen Konfliktes bei allen maß- gebenden Berliner Kreisen die größte Ruhe konstatieren konnte, müsse der k. u. k. Botschafter gestehen, nunmehr das Gefühl zu haben, daß dieselben in den allerletzten Tagen eine nicht bloß auf die größere Aktualität der Frage zurück- zuführende Nervosität ergriffen habe.
Der Grund dieses Umschwunges der Stimmung der Berliner Kreise liege unbedingt in der durch die tele- graphische Berichterstattung des Grafen Szögyeny bereits gemeldeten begründeten Angst, daß Italien seine Bündnis- verpflichtungen dem Dreibund gegenüber in einem allge- meinen Konflikt nicht einhalten werde, ja, daß sogar seine allgemeine Haltung der Monarchie gegenüber eine direkt zweifelhafte sein könnte. Sei aber, der Dreibund, so argu- mentiere die deutsche Regierung weiter, nicht als geschlos- senes Ganzes zu betrachten, so würden die Chancen für Deutschland und Österreich im großen Konfliktsfalle bedeu- tend verschlechtert werden. Es müsse also Italien unbedingt dem Dreibund, und zwar als aktiver Faktor, erhalten bleiben.
Deshalb rate man Graf Berchtold auf das Allerdringendste, in der Auslegung des Artikels VII des Dreibundvertrages
< Telegramm aus Berlin d. d. 30. Juli, Nr. 328.
224
möglichst „large" zu sein und Italien, was die Kompen- sationsfrage anbetreffe, größtes Entgegenkommen zu be- kunden und so schnell wie möglich zu erklären, daß man sofort im Sinne großzügigsten Entgegenkommens auf Ver- handlungen über Auslegung des Artikels VII der Kompen- sationsverpflichtungen einzugehen bereit wäre, wobei selbst- redend auch nach Berliner Überzeugung von dem Trentino keine Rede sein könne.
Dieser Wunsch Deutschlands beruhe nach der fest- stehenden Meinung des Grafen Szögyeny absolut nicht auf einem Abflauen seiner Bündnistreue Österreich- Ungarn gegenüber, sondern einzig und allein auf der Über- zeugung, daß Österreich-Ungarn und Deutschland unbedingt Italien brauchten, um in den allgemeinen Konflikt mit Sicherheit eintreten zu können.
Die nach Berlin bekanntgegebenen Zugeständnisse seien nach Meldungen des deutschen Botschafters in Rom von dem italienischen Kabinett als nicht genügend betrachtet worden. Wie der k. u. k. Militärattache dem Grafen Szögyeny berichte, habe sich der Generalstabschef Graf Moltke in demselben Sinne hinsichtlich der unbedingten Notwendigkeit eines sofortigen Verständnisses mit Italien geäußert. In Anbetracht des großen Ernstes der Lage schließe sich der k. u. k. Botschafter vollinhaltlich der vorberichteten Überzeugung der deutschen Regierung an.
Zu einer Richtigstellung seiner letzten Äußerungen ' sah Meidungen sich der Unterstaatssekretär in einer Unterredung mit Graf ■*"
^ deutschen
Szögyeny am 30. Juli veranlaßt-. Herr Zimmermann las dem Botschafiers k. u. k. Botschafter ein soeben eingelangtes Telegramm des '" ""^
° '^ ° (30. Juli)
deutschen Botschafters in Rom vor, laut welchem Marquis di San Giuliano ihm jetzt doch erklärt habe, daß „Italien das kriegerische Vorgehen gegen Serbien als aggressiven Akt gegen Rußland ansehe und sich daher für den daraus eventuell entstehenden Konflikt als von seinen im Drei- bunde vorgesehenen Unterstützungsverpflichtungen entbunden
• Siehe Seite 223.
■^ Telegramm aus Berlin d. d. 31. Juli, 12 Uhr 35 Minuten a. m., Nr. 334.
•^ 225
betrachte". Auch müsse Italien unbedingt auf Kompensationen auf Grund des Artikels VII bestehen.
Auf die energischen Einwendungen des deutschen Bot- schafters habe der italienische Minister des Äußern erwidert, er behaupte ja nicht, daß Italien seine Bundes- genossen eventuell nicht unterstützen werde, er sage nur, daß es in diesem Falle auf Grund des Dreibundvertrages nicht verpflichtet sei, Deutschland und Österreich-Ungarn zu unterstützen. Herr von Flotow habe sein Telegramm mit der Bemerkung geschlossen, Österreich-Ungarn solle unbedingt schon jetzt Kompensationen für die eventuelle Besetzung serbischen Gebietes Italien zusichern. Italien Von Hcrm von Jagow erhielt Graf Szögyeny am
erachtet sich j August vormittags die Mitteilung' von einem Telegramm BündDis- des deutschen Botschafters in Rom, demzufolge Marquis di pflichten ent- gan GiuUano ihm erklärt habe, daß sich Italien seiner (""August) Dreibundpflichten für entbunden erachte, da Österreich- Ungarn auf eine Kompensationsgewährung nicht ein- gegangen sei.
Italien würde, so meinte Marquis di San Giuliano, nicht aktiv mit Deutschland und Österreich-Ungarn gehen, aber unbedingt neutral bleiben. Vor- Als Graf Szögyeny dem Staatssekretär ein Telegramm
Stellungen (jgg Grafen Berchtold vom 31. Juli zwecks Erzielung eines jagows™in- Einvernehmens in der Kompensationsfrage vorlas -, bat sichtlich" der Herr von Jagow den k. u. k. Botschafter dringendst, Graf it.''u'!"k^ '^ Berchtold zu melden, daß, laut übereinstimmender Meldungen Botschafters Hcrm von Flotows aus Rom und des italienischen Bot- u. A^l^ust) schafters in Berlin, Herr von Merey den Vorschlag des Grafen Berchtold (vom 28. Juli) in der Kompensationsfrage^ der italienischen Regierung nicht mitgeteilt habe, daß Herr von Jagow also die berechtigte Furcht hege, der k. u. k. Bot- schafter werde auch diese letzte Eröffnung in der Kompen- sationsfrage nicht machen, was von katastrophaler Wirkung sein könnte. Herr von Merey sei gegen die Gewährung von
• Telegramm aus Berlin d. d. 1. August, 2 Uhr 50 Minuten p. m., Nr. 348.
= Vgl. Seite 259 ff.
s Vgl. Seite 191 unten.
226
Kompensationen und führe daher die diesbezüglichen Anträge nicht aus.
Graf Szögyeny widersprach „selbstredend" dieser An- schuldigung und beeilte sich, nach einem inzwischen mit Graf Forgäch gepflogenen telephonischen Gespräche neuer- lich den Staatssekretär aufzusuchen, um diesem die Zu- sicherung hinsichtlich der Ausführung des Auftrages Graf Berchtolds durch die k. u. k. Botschaft in Rom bekannt- zugeben.
Beziehungen Berlin — Paris
Nach der Meldung des k. u. k. Botschafters ' schien Demarche es unzweifelhaft, daß Frankreich im Einvernehmen mit ^^„,55^60 Rußland seit dem 29. Juli gewisse militärische Vorbereitungen Botschafters treffe. Graf Szecsen erfuhr an diesem Tage vertraulich, der *^' deutsche Botschafter solle diese Vorbereitungen bei Herrn Viviani zur Sprache bringen und darauf hinweisen, Deutsch- land könnte unter diesen Umständen gezwungen werden, ähnliche Maßnahmen zu treffen, die natürlich nicht geheim bleiben könnten und deren Bekanntwerden in der Öffent- lichkeit große Aufregung verursachen würde. So könnten beide Länder, trotzdem sie nur den Frieden anstrebten, zu einer wenigstens teilweisen Mobilisierung gedrängt werden, was gePährlich wäre. Baron Schön solle weiters erklären, daß Deutschland lebhaft wünsche, den Konflikt zwischen der Monarchie und Serbien lokalisiert zu sehen, und hiebei auf die Unterstützung Frankreichs zähle.
Baron Schön hatte übrigens im Auftrage des Berliner Kabinetts am Quai d'Orsay bereits mitgeteilt, die Monarchie habe in Petersburg erklärt, keine Eroberungsabsichten in Serbien zu haben. Der deutsche Botschafter habe dieses Argument seither wiederholt verwertet. Die Nachricht war, wenn auch nicht in offizieller Form, in die Zeituiigen ge- drungen und es wurde in denselben auf die früheren wieder- holten Erklärungen des Wiener Kabinetts, die Monarchie sei territorial saturiert, hingewiesen. Ein Abgehen von diesem Standpunkt würde, nach Graf Szecsens Ansicht^ jedenfalls
* Telegramm aus Paris d. d. 29. Juli, Nr. 136. 2 Telegramm aus Paris d. d. 30. Juli, Nr. 137.
227
Anfrage des
deutschen
Botschafters
betreffs der
Neutralität
Frankreichs
(31. Juli)
in Frankreich und auch in England den denl<har schiechtesten Eindruclc machen.
In ein Icritisches Stadium traten die deutsch-französischen Beziehungen, als Baron Schön am 31. Juli auftragsgemiäß erklärte, daß wenn die angeordnete allgemeine russische Mobilisierung nicht binnen zwölf Stunden eingestellt werde, Deutschland gleichfalls mobilisiere. Baron Schön fragte gleichzeitig an, ob Frankreich im Falle eines deutsch- russischen Krieges neutral bleibe. Die diesbezügliche Ant- wort werde binnen achtzehn Stunden erbeten, der Termin laufe am 1., August, 1 Uhr nachmittags, ab'.
Auf diese Anfrage erhielt Baron Schön den Bescheid: Frankreich würde in diesem Falle das tun, was seine Interessen erheischen.
Die Formulierung dieser Antwort erklärte Herr Viviani, nach der Meldung Graf Szecsens vom 1. August- damit, daß ein neuer Vorschlag Sir Edwards vorliege, alle Mächte sollten gleichzeitig die kriegerischen Vorbereitungen ein- stellen. Rußland habe, falls andere Mächte das gleiche täten, den Vorschlag akzeptiert. Da überdies jetzt die österreichisch-ungarische Erklärung vorliege, die staadiche Souveränität Serbiens nicht antasten zu wollen, scheine Herr Viviani eine Verständigung für nicht unmöglich zu halten.
Änderung der Auffassung in Berlin
Beziehungen Berlin — Wien — London
Die optimistische Auffassung, zu der man sich in Berlin hinsichdich der Haltung Englands in einem europäischen Konflikt bisher bekannte, erfuhr durch die seit dem 29. Juli einlangenden Nachrichten eine Erschütterung. Wie Herr Zimmermann dem k. u. k. Botschafter am 29. Juli mitteilte, habe der französische Botschafter erklärt, daß sich England ganz zweifellos „des le premier coup de notre cote" (Frankreich, Rußland) stellen werde'. Der italienische Botschafter habe Herrn von Jagow gegenüber derselben
1 Telegramm aus Paris d. d. 31. Juli, Nr. 143.
- Telegramm aus Paris d. d. 1. August, 1 Uhr 35 Minuten p. m., Nr. 146.
3 Telegramm aus Berlin d. d. 29. Juli, II Uhr 40 Minuten a. m., Nr. 324.
228
Überzeugung Ausdruck gegeben. Der Unterstaatssekretär, der bisher von der wenigstens anfänglichen Neutralität Englands überzeugt schien, sprach sich seit dem 29. Juli abends in dieser Hinsicht im pessimistischen Sinne aus.
Am 29. Juli erging an die k. u. k. Signatarbotschaften DieM»- und Balkanmissionen die telegraphische Verständigung, nach I^'|""^^/" einer Meldung des Grafen Szögyeny aus Berlin vom 28. Juli' Kabinetts an sei der englische Vermittlungsvorschlag, laut welchem Eng- „^Jj^^''' land, Deutschland, Italien und Frankreich zu einer Konfe- hinsichtlich renz in London zusammentreten sollten, um Mittel zur Bei- ^"^^ ^^^^' legung der jetzigen Schwierigkeiten zu finden, deutscher- englischen seits mit der Begründung abgelehnt worden, daß eine (jaTui'r^" Konferenz nicht das geeignete Mittel wäre, um einen Erfolg zu erzielen -.
Herrn von Tschirschky war am nämlichen Tage von Memoire des Graf Berchtold in Beantwortung des zur Kenntnis gebrachten Ka'wnetts zur englischen Vermittlungsvorschlages ein die ablehnende Haltung Begründung des Wiener Kabinetts motivierendes Memoire überreicht ^l[^ ^Jj. '
worden*^; durch Herrn
„Die k. u. k. Regierung hat mit dem ergebensten Danke ^""i^irscbiiy „von der Mitteilung* Kenntnis genommen, welche ihr der ubermitieiten „Herr kaiserlich deutsche Botschafter am 28. 1. M. gemacht p"^pos'^,^i"„ „hat in betreff des Ersuchens des englischen Kabinetts % i29. juü)
1 Vgl. Seite 179.
2 Zirkularerlaß an die Signatarbotschaften und die Balkanmissionen d. d. 29. Juli, Protokoll Nr. 5814 bis 5822. Es muß auffallen, daß sich diese Mitteilung an die k. u. k. Missionen auf die deutscherseits bereits am 27. Juli erfolgte Ablehnung des englischen Konferenzvor- schlages berief und nicht auf die von Graf Berchtold selbst dem englischen Botschafter in der Besprechung am 28. Juli gegenüber voll- zogene Abweisung der Vermittlungsvorschläge. (Vgl. Seite 203 ff.)
•' Der wörtlichen Zitierung der im Konzepte dieses Memoires vor- genommenen Änderungen kommt ein sachliches Interesse zu. Wir ver- zeichnen daher die gegenständlichen Vermerke.
* Ursprünglich im Konzepte: „von dem Inhalte der Notiz"; sodann von der Hand Baron Musulins: „von dem Inhalte des Aide-memoires"; zuletzt Korrektur des Grafen Berchtold: „von der Mitteilung".
■' Ursprünglich im Konzept: „die ihr der Herr kaiserlich deutsche Botschafter am 28. 1. M. zur Verfügung gestellt hat und die das Ersuchen des englischen Kabinetts betraf". (Umänderung von der Hand des Grafen Berchtold.)
229
„die kaiserlich deutsche Regierung möge ihren Einfluß beim „Wiener Kabinett dahin geltend machen, damit dieses die „Antwort aus Belgrad entweder als genügend betrachte oder „aber als Grundlage für Besprechungen annehme'. Zu der „Aussprache des Herrn englischen Staatssekretärs zu Fürst „Lichnowsky möchte die k. u. k. Regierung zunächst darauf „aufmerksam machen, daß die serbische Antwortnote keines- „wegs, wie dies Sir Edward Grey anzunehmen scheint, „eine Zustimmung zu allen unseren Forderungen mit einer „einzigen Ausnahme impliziere, daß vielmehr in den meisten „Punkten Vorbehalte formuliert sind, welche den Wert der „gemachten Zugeständnisse wesentlich herabdrücken. Die „Ablehnung betreffe aber gerade jene Punkte, welche einige „Garantie- für die faktische Erreichung des angestrebten „Zweckes enthalten."
„Die k. u. k. Regierung kann ihre Überraschung über „die Annahme nicht unterdrücken, als ob ihre Aktion gegen „Serbien Rußland und den russischen Einfluß am Balkan „trefl^en wolle, denn dies hätte zur Voraussetzung, daß die „gegen die Monarchie gerichtete Propaganda nicht allein „serbisch, sondern russischen Ursprunges sei. Wir sind „bisher vielmehr von der Auffassung ausgegangen, daß das „offizielle Rußland diesen der Monarchie feindlichen Ten- „denzen fernstehe, und es richtet sich unsere gegenwärtige „Aktion ausschließlich gegen Serbien, während unsere „Gefühle für Rußland, wie wir Sir E. Grey versichern „können, durchaus freundschaftliche sind.
„Im übrigen muß die k. u. k. Regierung darauf hin- „weisen, daß sie zu ihrem lebhaften Bedauern nicht mehr „in der Lage ist, zu der serbischen Antwortnote im Sinne „der englischen Anregung Stellung zu nehmen, da im
1 An dieser Stelle folgte im Konzept ein mit den Worten eingeleiteter Absatz: „In Beantwortung dieser Notiz beehrt sich die k. u. k. Regierung mitzuteilen, daß sie zu ihrem lebhaften Bedauern nicht mehr in der Lage ist, . . . ." (Fortsetzung in unserem Texte Seite 230, Zeile 2 von unten). Der Passus von: „Zu der Aussprache" bis: „Im übrigen muß die k. u. k. Regierung darauf hinweisen": Einschaltung auf einem besonderen Bogen.
- Im Konzepte: „jenen Punkt, welcher die wirksamste Garantie für die faktische Erreichung des angestrebten Zweckes enthält". (Korrektur von der Hand Graf Berchtolds.l
230
„Zeitpunkte des hier gemachten deutschen Schrittes ' der „Kriegszustand zwischen der Monarchie und Serbien bereits „eingetreten war und die serbische Antwortnote demnach „durch die Ereignisse bereits überhoh ist.
„Die k. u. k. Regierung erlaubt sich bei diesem Anlasse „darauf aufmerksam zu machen, daß die königlich serbische „Regierung noch vor Erteilung ihrer Antwort mit der Mobili- „sierung der serbischen Streitkräfte vorgegangen ist und daß „sie auch nachher drei Tage verstreichen ließ, ohne die Ge- „neigtheit kundzugeben, den Standpunkt ihrer Antwortnote „zu verlassen % worauf unsererseits die Kriegserklärung er- folgte.
„Wenn im übrigen das englische Kabinett seinen Einfluß „auf die russische Regierung im Sinne der Erhaltung des „Friedens zwischen den Großmächten und der Lokalisierung „des uns durch die jahrelangen serbischen Umtriebe aufge- „zwungenen Krieges geltend zu machen sich bereit findet, „so kann dies die k. u. k. Regierung nur begrüßen."
Dies Memoire, das eine direkte Bezugnahme auf die deutsche schriftliche Notiz — bei Benennung als einer solchen — vorsätzlich vermied (wie es aus den diesbezüglich konsequent vorgenommenen Änderungen im Konzept er- hellt) 3, wurde am 29. Juli, 11 Uhr 40 Minuten nachmittags, den k. u. k. Botschaftern in Petersburg, London, Paris und Rom telegraphisch zugestellt*. Ein weiteres Exemplar
• Ursprünglich im Konzepte: „Im Zeitpunkte des Einlangens der dortigen Notiz". (Korrektur von der Hand des Grafen Forgäch.)
- Im Konzepte hierauf die folgenden Worte durchstrichen: „sondern mit der Eröffnung der Feindseligkeiten begonnen hat".
3 Die gleiche Absicht erkennen wir in dem Bestreben des Wiener Kabinetts, in dem Konzept der Weisung an den Grafen Szögyeny vom
28. Juli (vgl. Seite 178) jede ursprüngliche Erwähnung der deutschen schriftlichen Notiz umzuformulieren. (Vgl. Seite 179, Anmerkung 2.)
* Weisung nach St. Petersburg d. d. Wien,
29. Juli, Nr. 193. Weisung nach London d. d. Wien, 29. Juli,
Nr. 182.
Weisung nach Paris d. d. Wien, 29. Juli, Nr. 172.
Weisung nach Rom d. d. Wien, 29. Juli, Nr. 900.
231
Expediert 29. Juli,
11 Uhr 40 Minuten
p. m.
ging am gleichen Tage mit Depeschenkasten an Graf Szögyeny ab; ein Exemplar endlich wurde Herrn von Tschirschky selbst ausgefolgt. Derengiische Der Ausbruch dcs Krieges zwischen Österreich-Ungarn vermiti- ^^^ Serbien, im Gefolge damit die offenkundige Aussicht- schlag vom losigkcit direkter Besprechungen zwischen Petersburg und 29. Juli Wien, vollends die Einleitung der russischen Mobilisierung, hatten die Gefahr einer internationalen Konflagration in greifbare Nähe gerückt. Am 29. Juli vormittags war vom englischen Staatssekretär dem deutschen Botschafter Fürsten Lichnowsky neuerlich eine Formel vorgeschlagen worden, mittels welcher die vier an der Krise nicht direkt beteiligten Großmächte — England, Deutschland, Frankreich und Italien — in den Stand gesetzt werden sollten, den schwergefähr- deten Frieden zu erhalten.
In der an den englischen Botschafter in Berlin, Sir E. Goschen, zu diesem Gegenstande gerichteten Weisung Sir Edward Greys vom 29. Juli lautete der dem Fürsten Lichnowsky zur Weiterleitung nach Berlin übermittelte Vorschlag:
„I pointed out, however, that the Russian Government, „while desirous of mediation, regarded it as a condition „that the military Operations against Servia should be sus- „pended, as otherwise a mediation would only drag on „matters, and give Austria time to crush Servia. It was, of „course, too late for all military Operations against Servia „to be suspended. In a short time, I supposed, the Austrian „forces would be in Beigrade, and in occupation of some „Servian territory. But even then it might be possible to „bring some mediation into existence, if Austria, while saying „that she must hold the occupied territory until she had „complete satisfaction from Servia, stated that she would not „advance further, pending an effort of the Powers to mediate „between her and Russia." '.
Dieser Vorschlag Sir Edward Greys war nach der Aussage des deutschen Botschafters' unverzüglich nach Berlin telegraphiert worden-.
1 Blaubuch Nr. 88.
2 Daselbst Schlußabsatz.
232
Im Auftrage des Reichskanzlers machte der deutsche Intervention Botschafter in Wien Herr von Tschirschicy am 30. Juli deutschen Graf Berchtold Mitteilung über die erwähnte Unterredung Regierung zwischen Sir Edward Grey und Fürst Lichnowsky. Diese Jj^ j^°.^ Besprechung hatte nach dem Wortlaute der im k. u. k. Ministerium des Äußern aufgesetzten gegenständlichen Auf- zeichnung — Tagesbericht vom 30. Juli; Weisung an die k. u. k. Botschafter in London, Berlin und Petersburg vom 31. Juli' — folgenden Inhalt:
„Sazonow habe die englische Regierung wissen lassen, „daß er nach der Kriegserklärung Österreich-Ungarns an „Serbien nicht mehr in der Lage sei, mit Österreich-Ungarn „direkt zu verhandeln und daher die Bitte ausspreche, England „möge seine Vermittlung wieder aufnehmen. Als Voraus- „setzung betrachte die russische Regierung die vorläufige „Einstellung der Feindseligkeiten.
„Zu dieser russischen Eröffnung bemerkte Sir Edward „Grey zu Fürst Lichnowsky, England denke an eine Ver- „mittlung ä quatre und halte dieselbe für dringend geboten, „wenn nicht ein Weltkrieg entstehen solle.
„In privater Weise hat Sir Edward Grey dem deutschen „Botschafter zu verstehen gegeben, daß England zwar, wenn „es sich nur um ein Eingreifen Rußlands handeln würde, „neutral bleiben könnte, daß es aber, wenn auch Deutschland „und Frankreich- in die Aktion trete, nicht untätig bleiben, „sondern zu sofortigen Entschlüssen und Handlungen ge- „zwungen wäre. Das englische Kabinett müsse mit der „öffendichen Meinung rechnen, die wegen der österreichi- „scherseits bewiesenen Hartnäckigkeit umzuschlagen beginne.
„Dem italienischen Botschafter, den Sir Edward Grey „kurz nach dem Fürsten Lichnowsky empfing, sagte der „englische Staatssekretär, er glaube Österreich-Ungarn jede „mögliche Genugtuung verschaffen zu können. Ein demütiges „Zurückweichen Österreich-Ungarns käme nicht in Frage,
' Weisung nach London d. d. Wien, Nr. 194; nach Berlin, Nr. 308, nach St. Petersburg, Nr. 208, alle drei d. d. 31. Juli, expediert 1. August 3 ühr 45 Minuten a. m.
- Die Worte „Deutschland und" Zusatz im Konzept von der Hand des Grafen Forgäch.
233
„da die Serben auf alle Fälle gezüchtigt und mit Zustimmung
„Rußlands genötigt würden, sich den österreichisch-ungari-
„schen Wünschen unterzuordnen. Österreich-Ungarn könne
„also, auch ohne einen Weltkrieg zu entfesseln, Bürgschaften
„für die Zukunft erlangen."
Befür- Herr von Tschirschky war beauftragt, an die im Vor-
rruschen" stehenden wiedergegebenen Äußerungen Sir Edward Greys
Vorschlages die nachstehenden Konsiderationen des deutschen Reichs-
demsch? kanzlers zu knüpfen':
Regierung „Wenn Österrcich-Ungam jede Vermittlung ablehne,
„würden Österreich-Ungarn und Deutschland einer Koalition „von ganz Europa gegenüberstehen, da auch Italien und „Rumänien nicht mit ihnen gingen.
„Österreich-Ungarns politischem Prestige, der Waffen- „ehre seiner Armee und seinen berechtigten Ansprüchen „Serbien gegenüber könnte durch die Besetzung Belgrads „und anderer Punkte Genüge getan werden. Auch seine „Stellung am Balkan — Rußland gegenüber — würde Öster- „reich-Ungarn durch die erfolgte Demütigung Serbiens zu „einer starken machen. Unter diesen Umständen müsse „es das deutsche Kabinett dringendst und nach- „drücklichst der Erwägung der k. u. k. Regierung „anheimstellen, die Vermittlung Englands unter „den angegebenen ehrenvollen Bedingungen anzu- „nehmen. Es wäre für Österreich-Ungarn und „Deutschland ungemein schwer, die Verantwortung „für die Folgen einer ablehnenden Haltung zu „tragen"^.
Dieser durch Herrn von Tschirschky dem Wiener Kabinett „dringendst und nachdrücklichst" übermittelte Vor- schlag Sir E. Greys, im Anschlüsse an die Eröffnungen Herrn Sazonows einer Vermittlung ä quatre zuzustimmen, erfuhr durch Graf Berchtold die folgende, mit Rücksicht auf ihre Folgenschwere eine ausführlichere Darlegung er- heischende Erledigung.
' Fortsetzung der eben zitierten Weisung nach Londen, Berlin und St. Petersburg vom 31. Juli. - Vom Autor gesperrt.
234
Mittels der vorerwähnten, am 31. Juli aufgesetzten Weisung «n und erst am 1. August um 3 Uhr 45 Minuten vormit- Bo"sj,|,"f,er tags expedierten telegraphischen Weisung wurde den in Berün k. u. k. Botschaftern in London, Berlin und Petersburg von *■"■ •'"''^ der Demarche Herrn von Tschirschkys in Angelegenheit des englischen Vermittlungsvorschlages und von den diesbezüg- lichen Erwägungen der deutschen Regierung zur persönlichen Information Mitteilung gemacht. Der k. u. k. Botschafter in Berlin Graf Szögyeny erhielt hiebei den Auftrag:
„Ich ersuche Euer Exzellenz, dem Herrn Staatssekretär „für die uns durch Herrn von Tschirschky gemachten Mit- „teilungen verbindlichst zu danken und ihm zu erklären, „daß wir trotz der Änderung, die in der Situation seither „durch die Mobilisierung Rußlands eingetreten sei, in voller „Würdigung der Bemühungen Englands um die Erhaltung des „Weltfriedens gerne bereit seien, dem Vorschlag Sir E. Greys, „zwischen uns und Serbien' zu vermitteln, näher- „zutreten -.
„Die Voraussetzungen unserer Annahme seien jedoch „natürlich, daß unsere militärische Aktion gegen das König- „reich einstweilen ihren Fortgang nehme, und daß das „englische Kabinett die russische Regierung vermöge, die „gegen uns gerichtete Mobilisierung seiner Truppen zum „Stillstand zu bringen, in welchem Falle wir selbstverständ- „lich auch die uns durch die russische Mobilisierung auf- „gezwungenen defensiven militärischen Gegenmaßregeln in „Galizien sofort rückgängig machen würden."
Graf Berchtold erklärte also „in voller Würdigung der DerChiirre- Bemühungen Englands um die Erhaltung des Weltfriedens", J"J'Q^^f^„ das Wiener Kabinett sei gerne bereit, dem Vorschlag Sir szögytny E. Greys, zwischen der Monarchie und Serbien zu ver- mitteln, näherzutreten. Worauf gründete er diese — mindestens unpräzise — Formulierung des englischen Vermittlungs- vorschlages?
In den Ausführungen Herrn von Tschirschkys war unmißverständlich von der Absicht Englands die Rede, eine
• Im Original gesperrt.
2 Ursprünglich im Konzept „anzunehmen". Die Formulierug „näher- zutreten" Änderung von der Hand des Grafen Forgäch.
235
Vermittlung ä quatre herbeizuführen. Den Schlüssel zu der überraschenden Konzeption des Grafen Berchtold bietet der — Chiffre-Irrtum in einem Telegramm des k. u. k. Botschafters in Berlin. Graf Szögyeny hatte nämlich — ebenfalls in Angelegenheit des Greyschen Vorschlages — am 30. Juli, 5 Uhr 15 Minuten nachmittags, depeschiert:
„Nr. 327
„Chiffre.
„Geheim.
„Staatssekretär hat, wie er mir sagt, Herrn von Tschirschky „beauftragt. Euer Exzellenz mitzuteilen, daß laut eines Tele- „gramms Fürsten Lichnowsky Sir E. Grey das Ersuchen „an die deutsche Regierung gestellt habe, Euer Exzellenz „nahezulegen, nach eventueller Besetzung Belgrads und „auch anderer strategischer Punkte Halt zu machen und in „Verhandlungen mit Serbien einzutreten.
„Herr von Jagow sieht es vollkommen ein, daß nach „unserer erfolgten Kriegserklärung und Mobilisierung unserer „Armee wir eine militärische Genugtuung haben müssen, „was durch die Besetzung in Serbien dann erlangt sei, so „daß wir darauf nach seiner Ansicht in die Pourparlers „eintreten könnten."
Dieses Telegramm traf in Wien am 30. Juli, 8 Uhr nach- mittags, ein.
Der unterlaufene Chiffre-Fehler war von Graf Szögyeny bemerkt und noch am selben Tage in einem um 7 Uhr 15 Minuten nachmittags nach Wien abgeschickten Tele- gramm richtiggestellt worden, das folgendermaßen lautet:
„Nr. 330.
„Chiffre.
„Zu meinem Telegramm 327 von heute. Nach erstem „Absatz soll es nicht heißen „in Verhandlungen mit Serbien „einzutreten", sondern „mit den Mächten einzutreten"."
In dem ersten Telegramm des Grafen Szögyeny (vom 30. Juli, 5 Uhr 15 Minuten nachmittags) hat Graf Berchtold das Wort „Serbien" eigenhändig durchstrichen und darüber mit Bleistift das Wort „Mächten" gesetzt. Es ist also aus- geschlossen, daß Graf Berchtold, der die sinngemäße Korrektur des Textes selbst besorgte, sich von dem Irrtum
236
in der chiffrierten (ersten) Depesche des Grafen Szögyeny nicht überzeugt hätte. Da das i^orrigierende (zweite) Tele- gramm Graf Szögyenys bereits am 30. Juli, 10 Uhr abends, in Wien eingelangt war, hätte dieses als Basis der am 31. Juli aufgesetzten und gar erst am 1. August - früh- morgens expedierten Weisung nach Berlin dienen müssen'.
Als nun die deutsche Regierung im Laufe des Die deutsche 30. und 31. Juli von Seite des englischen Bot- ^'^^^^^ schafters wiederholte Male um Antwort befragt wien keine wurde, vermochte sie, da sie physisch noch nicht ^"^"„'„^ im Besitze der von Wien erst am Morgen desihrerAn- 1. August expedierten Erledigung ihrer Befürwor- j^/^'j^'g,""^ tung des englischen Vorschlages sein konnte, bloß sehen ver- zu konstatieren, daß ihr trotz wiederholter dring- ["„'^"'"^"^^^3 lieber Anfragen- eine gegenständliche Antwort aus vom 29. ju« Wien nicht zugekommen sei''. In mittelbarer Folge aber mußte in London während dieser entscheidenden Stunden die unerschütterliche Überzeugung von der mala fides der deutschen Regierung erstehen*.
Wie wehrlos die deutsche Regierung dem Verdachte der ihrerseits beabsichtigten und durchgeführten Vereitlung dieses Vermittlungsvorschlags Sir Edward Greys auch in der Folgezeit gegenüberstand, erweist sich aus den weiteren
' Wir sind auf Grund unserer Feststellungen nunmehr in der Lage, auf die im Weißbuch betreffend d. V. d. U. a. K., Seite 41, in den Schlußfolgerungen offengelassene Frage, warum die Antwort des Wiener Kabinetts auf den Vorschlag Sir Edward Greys vom 29. Juli nachmittags „nicht sofort erfolgt ist", genauen Aufschluß zu geben und erhellen damit diesen „einen der wesentlichsten Punkte, der noch der Auf- klärung bedarf". (Vgl. ebendort.)
'-' Es wäre sachlich wichtig festzustellen, welche Erledigung die von der Wiener deutschen Botschaft im Auftrage der Berliner Regierung voll- zogenen gegenständlichen Urgenzen im einzelnen gefunden haben.
■1 Blaubuch Nr. 98, 107, 112.
* Vgl. hiezu das Telegramm des Grafen Szögyeny d. d. Berlin, 31. Juli, 12 Uhr 35 Minuten a. m. Nr. 333: „Wie mir Unterstaatssekretär heute „abends (30. Juli) versicherte, sei die deutsche Regierung auf Grund zu- „verlässiger Nachrichten nunmehr, im Gegensatze zu ihrer kürzlich noch „gehabten Oberzeugung leider sicher, daß England unbedingt sofort gegen „Deutschland und Österreich-Ungarn losgehen werde, wenn der „kriegerische Konflikt mit Frankreich und Rußland ausbrechen würde."
237
Konsequenzen der vom Wiener Kabinett in der geschilderten Weise durchgeführten Erledigung der englischen Ver- mittlungsanreguDg.
Am 4. November 1916 teilte der deutsche Botschaftsrat PrinzStolberg — laut Tagesbericht ' — dem k. u. k. Ministerium des Äußern auftraggemäß mit, der Reichskanzler habe die Absicht, in seiner nächsten Rede auf die letzten Äußerungen Lord Greys zurückzukommen und im Gegensatz zu den Anschuldigungen des englischen Ministers, daß Deutschland durch seine Weigerung, an der Erhaltung des Friedens mit- zuarbeiten, den Ausbruch des Weltkrieges veranlaßt habe, den Beweis zu erbringen, daß die deutsche Regierung bis zum letzten Augenblick ihre Bemühungen zwecks Erhaltung des Friedens fortgesetzt habe, daß dieselben aber durch die russische Mobilisierung gescheitert seien. Herr von Beth- mann wolle hiebei auch seine unterm 30. Juli an Herrn von Tschirschky erlassene Instruktion (vide h. a. Telegramm nach London, Berlin, Petersburg d. d. 31. Juli 1914) ver- werten und speziell den nachstehenden Passus aus derselben wörtlich verlesen:
„Wir stehen somit, falls die österreichisch- „ungarische Regierung jede Vermittlung ablehnt, „vor einer Konflagration, bei der England gegen „uns, Italien und Rumänien nach allen Anzeichen „nicht mit uns gehen würden, so daß wir mit Öster- „reich-Ungarn drei Großmächten gegenüberstünden. „Deutschland würde infolge der Gegnerschaft „Englands das Hauptgewicht des Kampfes zu- „fallen. Das politische Prestige Österreich-Ungarns, „die Waffenehre seiner Armee sowie seine berech- „tigten Ansprüche gegen Serbien könnten durch „die Besetzung Belgrads oder andrer Plätze hin- „reichend gewahrt werden. Wir müssen daher der „Erwägung des Wiener Kabinetts dringend und „nachdrücklich zur Erwägung geben, die Ver- „mittlung zu den angegebenen Bedingungen an- „zunehmen. Die Verantwortung für die sonst ein-
' Tagesbericht d. d. 4. November 1916, Nr. 5418. 238
„zutretenden Folgen wäre für Österreich-Ungarn „und uns eine ungemein schwere."
Zu diesem von ihm beabsichtigten Vorgange erbitte er sich die Zustimmung des Herrn Ministers.
An vorstehende Ausführungen icnüpfte Prinz Stolberg die Bemerkung, daß es aus den Ai^ten des Auswärtigen Amtes hervorgehe, daß das Wiener Kabinett den auf Grund der obenerwähnten Instruk- tion unternommenen Schritt Herrn von Tschirschkys unbeantwortet gelassen hätte.
In wörtlicher Fortsetzung sagt der Tagesbericht:
„Es wurde dem deutschen Botschaftsrat sofort erwidert, „daß diese Annahme nur auf einem Irrtum beruhen könne. „Graf Szögyeny sei sofort i beauftragt worden (h. a. „Telegramm nach Berlin Nr. 308 d. d. 31. Juli 1914), dem „Herrn Reichskanzler für seine Mitteilungen zu danken und „ihn über die Auffassung zu informieren, die seine Anregung „in Wien gefunden hätte. Auch sei der Schritt Herrn von „Tschirschkys und die an Graf Szögyeny ergangene gegen- „ständliche Weisung des Wiener Kabinetts in der Piece „Nr. 51 des über die diplomatische Vorgeschichte des Krieges „vom Wiener Kabinett herausgegebenen Rotbucnes ver- „wertet."
Hier lautet das ebengenannte Dokument — ohne der Das ein- deutschen Befürwortung irgendwie Erwähnung zu tun: schiägige
° ° » Siück des
Graf Berchtold an die k. u. k. Botschafter in London retchisch- und St. Petersburg. ungarischen
Roibuches
Telegramm. Wien, 31. Juli 1914.
„Ich telegraphiere wie folgt nach Berlin : „Herr von Tschirschky hat auftraggemäß gestern hier „Mitteilung über eine Unterredung zwischen Sir E. Grey „und Fürst Lichnowsky gemacht, in welcher der englische „Staatssekretär dem deutschen Botschafter das Nachfolgende „eröffnete:
,Sazonow habe die englische Regierung wissen lassen, ,daß er nach der Kriegserklärung Österreich-Ungarns an
' Vom Autor gesperrt.
239
,Serbien nicht mehr in der Lage sei, mit Österreich-Ungarn ,direl^t zu verhandeln und daher die Bitte ausspreche, , England möge seine Vermittlung wieder aufnehmen. Als ,Voraussetzung betrachte die russische Regierung die vor- ,läufige Einstellung der Feindseligkeiten.
,Zu dieser russischen Eröifnung bemerkte Sir E. Grey ,zu Fürst Lichnowsky, England denke an eine Vermittlung ,ä quatre und halte dieselbe für dringend geboten, wenn ,nicht ein Weltkrieg entstehen solle.'
„Ich ersuche Euer Exzellenz, dem Herrn Staatssekretär „für die uns durch Herrn von Tschirschky gemachten Mit- „teilungen verbindlichst zu danken und ihm zu erklären, „daß wir trotz der Änderung, die in der Situation seither „durch die Mobilisierung Rußlands eingetreten sei, gerne „bereit seien, dem Vorschlag Sir E. Greys, zwischen uns „und Serbien zu vermitteln, näherzutreten.
„Die Voraussetzungen unserer Annahme seien jedoch „natürlich, daß unsere militärische Aktion gegen Serbien „einstweilen ihren Fortgang nehme und daß das englische „Kabinett die russische Regierung bewege, die gegen uns „gerichtete russische Mobilisierung zum Stillstand zu bringen, „in welchem Falle selbstverständlich auch wir die uns durch „dieselbe aufgezwungenen defensiven militärischen Gegen- „maßregeln in Galizien sofort wieder rückgängig machen „würden" '.
Weiters wurde - setzt der erwähnte Tagesbericht fort — dem Prinzen Stoiberg gesagt, seine Demarche würde sofort zur Kenntnis des Ministers gebracht und die Stellungnahme
• Auch in foro interne erwuchsen dem k. u. k. Ministerium des Äußern aus der in der geschilderten Weise vollzogenen Erledigung des englischen Vorschlages vom 29. Juli Schwierigkeiten. Auf der für den Druck des österreichisch-ungarischen Rotbuches vorbereiteten, die In- struktion für den k. u. k. Botschafter in London, Berlin und Petersburg (siehe Seite 233 ff.) enthaltenden Kopie findet sich der vom Referenten aufgesetzte Bleistifrvermerk: „Die englische Anregung muß irgend- wie in diesem Telegramm zum Ausdruck kommen, ebenso Deutschlands Anempfehlung, und [soll] doch nicht uns mit schwerer Verantwortung belasten. Erbitte Besprechung."
In welcher Weise es versucht wurde, diesen Gesichtspunkten zu entsprechen, zeigt der oben abgedruckte Text.
240
desselben zum Wunsche des Reichskanzlers ihm noch am morgigen Tage mitgeteilt werden.
Dem am 5. November abermals erschienenen deutschen Botschaftsrat wurde, wie der gegenständliche Tagesbericht feststellt', auf seine gestern gestellte Anfrage im Auftrage des Ministers geantwortet, daß Baron Buridn gegen die Absicht des Reichskanzlers, in seiner nächsten Rede die unter dem 30. Juli 1914 an Herrn von Tschirschky er- gangene Instruktion zu verwerten und speziell den von ihm bezeichneten Passus derselben zu verlesen, unter der Vor- aussetzung nichts einzuwenden habe, daß er auch die zwei letzten Alineas der Piece Nr. 51 des vom Wiener Kabinett über die diplomatische Vorgeschichte des Krieges heraus- gegebenen Rotbuches ausdrücklich erwähne und zur Ver- lesung bringe, da diese Piece die Antwort des Wiener Kabinetts auf den erwähnten deutschen Schritt enthalte.
„Dies" — schließt der Wortlaut des gegenständlichen Tagesberichtes — „würde sicherlich auch den Intentionen „des Reichskanzlers entsprechen, da er dadurch hervorheben „könne, daß nicht nur Deutschland, sondern auch die öster- „reichisch-ungarische Monarchie, welche durch die serbische „Angelegenheit und Greys Vorschlag am unmittelbarsten „betroffen war, bereit ;gewesen sei, jede Möglichkeit zur „Verhütung des Weltkonflikts aufzugreifen. Die russische „Mobilisierung und Kriegsabsicht habe jedwede Verhand- „lung verhindert"-.
Überblicken wir das Schicksal dieses in den folgenschwersten Stunden der Weltkrise vorge- brachten Vermittlungsvorschlages Sir E. Greys, so kann es fortab keinem Zweifel unterliegen, daß die deutsche Regierung denselben nach Wien unver- züglich weitergeleitet und daselbst nachdrücklich befürwortet hat. Ebenso unverkenntlich erscheint die weitere Tatsache, daß der englische Vorschlag
< Tagesbericht d. d. 5. November 1916, Nr. 5419.
- Der letzte Absatz („Dies würde" bis „Verhandlung verhindert") erscheint im Konzept als nachträglicher Zusatz von der Hand des Crafen Forgäch.
16 241
infolge der dilatorischen und unsachlichen Behand- lung seitens des Wiener Kabinetts keine Annahme fand'. BrsprechunR Fürst Lichnowsky hatte am 31. Juli Gelegenheit, Sir E. mu^dcm'^"* Grey zu sprechen-. Der Staatssekretär insistierte wieder, deutschen daß, wenn die allgemeine Konflagration überhaupt noch mT"ui[|'" verhütet werden könne, etwas in Petersburg von Seite der Monarchie geboten werden müsse, „das denjenigen, der es nicht annehme, ins Unrecht setzen würde". Dies würde ihm ermöglichen, in Petersburg und Paris sowie auf die öffentliche Meinung, in der sich ja keine Animosität gegen Deutschland geltend mache, einzuwirken.
Der vorstehende Ausspruch erscheine dem Fürsten sehr bezeichnend und als dem Charakter des Staatsseksetärs- entsprechend. Fürst Lichnowsky sei überzeugt, daß Sir E. Grey auch in letzter Stunde alles benützen werde, womit man ihm an die Hand gehen könnte.
Übrigens sollte nach dieser Meldung des Grafen Mens- dorff Sir Edward nurmehr sehr wenig Hoffnung haben und auch der deutsche Botschafter ganz entmutigt sein. Im Londoner Auswärtigen Amte werde die Situation als nahezu hoffnungslos angesehen, namentlich infolge der Reuter- meldung über die deutsche Mobilisierung. Nur die vom Fürsten Lichnowsky am 31. Juli morgens überbrachte Meldung von neuerlichen direkten Besprechungen zwischen Wien und Petersburg hätte Sir Edward wieder etwas Hoff- nung gegeben ^
< Vergleiche die Ausführungen Graf Berchtoids in dem Ministerrat für gemeinsame Angelegenheiten vom 31. Juli: „Seine Maiestät habe „den Antrag genehmigt, daß wir es zwar sorgsam vermeiden, „den englischen Antrag in meritorischer Hinsicht anzu- „nehmen, daß wir aber in der Form unserer Antwort Entgegen- „kommen zeigen und dem Wunsche des deutschen Reich s- „kanzlers, die Regierung nicht vor den Kopf zu stoßen, auf „diese Weise entgegenkommen. Er (Graf Berchlold) beab- , .sichtige daher, auf den englischen Vorschlag in sehr ver-
„bindlicher Form zu antworten, dabei aber zu
„vermeiden, auf den meritorischen Teil einzugehen." (G. M. K. P. Z. 514, vgl. Seite 302, 303.)
- Telegramm aus London d. d. 31. Juli, 3 Uhr 55 Minuten p. m., Nr. 125.
• Telegramm aus London d. d. 31. Juli, 4 Uhr 30 Minuten p. m., Nr. 126.
242
Wie Graf Mensdorff am 1. August telegraphierte', scliien Frage der Sir Edward Grey dem deutschen Botschafter angedeutet zu ^lllZT' haben, England wäre geneigt, neutral zu bleiben, daß aber im Falle der Verletzung der Neutralität Belgiens die eng- lische Meinung völlig auf Seite Frankreichs schwenken würde. Der Staatssekretär habe anfragen lassen, ob Deutsch- land eine Erklärung abgeben wolle, die Neutralität Belgiens zu respektieren, wie dies Frankreich getan habe. Die deutsche Antwort habe ausweichend gelautet. Sir Edward Grey rege noch eine gegenseitige Zusicherung an, daß sich die an der Grenze massierten deutschen und französischen Truppen nicht angreifen sollten.
Beziehungen Berlin — Wien — Petersburg
Herr von Tschirschky brachte am 29. Juli Graf Berch- Anregungen told eine ihm soeben zugekommene Depesche des Reichs- deutschen kanzlers zur Verlesung-, die den Gedanken erörterte, ob es Regierung nicht zweckmäßig wäre, wenn die k. u. k. Regierung in Ka^nltr"^"^ Petersburg ihre Erklärung wiederholen ließe, daß ihr terri- (29. juM) toriale Erwerbungen in Serbien durchaus fernelägen und daß ihre militärischen Maßnahmen lediglich eine vorübergehende Besetzung Belgrads und anderer bestimmter Punkte des serbischen Gebietes bezweckten 3, um Serbien zur völligen Erfüllung der österreichisch-ungarischen Forderungen und zur Schaffung von Garantien für sein künftiges Wohlver- halten der Monarchie gegenüber zu zwingen, Garantien, auf die Österreich-Ungarn nach den mit Serbien bisher ge- machten Erfahrungen unbedingt Anspruch hätte. Die mili- tärische Besetzung wäre gedacht in der Art, wie die deutsche Okkupation in Frankreich nach dem Frankfurter Frieden zur Sicherstellung der Kriegsentschädigung. Sobald diese Forderung erfüllt wäre, würde die Räumung vollzogen werden \
< Telegramm aus London d. d. 1. August, 11 Uhr 16 Minuten p. m., Nr. 132.
2 Tagesbericht d. d. 29. Juli, Nr. 3632.
3 Vergleiche den englischen Vermittlungsvorschlag vom 29. Juli (Seite 232 ff.) und das Telegramm Kaiser Wilhelms an Kaiser Franz Joseph vom 30. Juli, Seite 246, 247.
'> Vgl. Seite 170, Anmerkung 2.
243
„Der Herr Reichskanzler würde", heißt es im Tages- bericht wörtlich weiter, „in einem solchen Vorgehen Ruß- „land gegenüber ein zweckdienliches Mittel erblicken, um „gegebenenfalls das Odium eines Weltkrieges, das bei der „gegenwärtigen Stimmung vielleicht uns ' treffen könnte, „einzig und allein auf Rußland zu schieben. Die Anregung- „zu der eben erwähnten Demarche beim Petersburger „Kabinett bittet der Reichskanzler durchaus nicht dahin zu „verstehen ■, als würde er damit einen Druck auf uns aus- „üben wollen, oder als läge ihm der Wunsch nahe, uns von „unserer Aktion* zurückzuhalten. Es leite ihil hiebei nur das „Bestreben, eine Besserung der Bedingungen, unter denen „wir einen Weltkrieg führen müßten, und eine Verallge- „meinerung der Sympathie unserem Standpunkte gegenüber „zu erzielen. Hauptsächlich mit Rücksicht auf die öffentliche „Meinung in England würde es von großem Werte sein, „wenn durch unser konziliantes Vorgehen Rußland gegen- „über es allenthalben klar würde, daß im Falle eines Über- ,,greifens unseres Krieges gegen Serbien nicht uns, sondern „Rußland allein die Schuld trifft".
Setzte die deutsche Regierung die Verfolgung ihres haupt- sächlichsten Zieles, den bereits ausgebrochenen Krieg der Monarchie gegen Serbien zu lokalisieren, bei den euro- päischen Kabinetten mit unvermindertem Bemühen fort, so trat sie in Wien mit einem bei fortschreitender Krise wachsenden Nachdrucke für die Wiederaufnahme des unterbrochenen Meinungsaustausches mit St. Peters- burg ein. Graf Am 29. Juli abends war in Berlin ein Telegramm des
Grafen Pourtales eingelangt und von Graf Szögyeny um
Pourtales meldet den
Mangeleines 10 Uhr 35 Minuten abends nach Wien weitergeleitet worden.
Gedanken- austausches
Die Depesche hatte nach der Meldung Graf Szögyenys zwischen „Ungefähr" folgenden Inhalt':
Wien und
Petersburg ' ^^^ ^^''''i t'^i ''S"! Ausdrucke „uns" („wir"), („unser") zu unter-
(29. Juli) scheiden haben, wann derselbe sinngemäß auf die Monarchie allein und
wann auf Österreich-Ungarn und Deutschland gemeinsain zu beziehen ist.
- Im Konzept ursprünglich: Empfehlung.
3 Im Konzept ursprünglich: nicht dahin auszulegen.
* D. h. der österreichisch-ungarisch-serbischen Aktion.
5 Telegramm aus Berlin d. d. 29. Juli, 10 Uhr 35 Minuten p. m., Nr. 320.
244
„Herr Sazonow habe sich Graf Pourtales gegenüber auf „das Schärfste darüber ausgesprochen, daß die k. u. k. Re- „gierung keinen Gedankenaustausch mit Rußland suche. „Graf Szäpdry erkläre immer, er habe keine Instruktionen, „und Herr Scheheko habe aus Wien gemeldet, daß bei „seinem Besuche bei Graf Berchtold ebenfalls kein Ge- „dankenaustausch stattgefunden habe."
Die zu diesem Gegenstand an den Grafen Szögyeny Gegen- erlassene Weisung Graf Berchtolds besagte': wdsu'nVan
Es scheine dem Grafen Berchtold notwendig, daß Graf den k. u. k.
„ ,__^ ..1JC Botschafter
Pourtales beauftragt werde, Herrn Sazonow gegenüber darauf j^ b^^,.„ hinzuweisen, daß Graf Szäpäry mit eingehenden Instruk- oo. juio tionen - für eine Aussprache mit dem russischen Minister versehen sei, die sich dahin zusammenfassen ließen, daß die Monarchie bei ihrer Aktion gegen Serbien keinerlei terri- torialen Erwerb beabsichtige und auch die selbständige Existenz des Königreiches ganz und gar nicht vernichten wolle '. Das Vorgehen der Monarchie richte sich überhaupt nicht gegen das Serbentum, sondern gegen die die Mon- archie bedrohende, von Belgrad ausgehende subversive Propaganda.
In Berlin, wo man jede Gelegenheit der Vermitdung Nachdrück- zwischen Wien und St. Petersburg auch v. eiterhin bereit- s^eiLgln willig aufgriff*, wo man aber den Widerspruch zwischen der Berliner den gegenständlichen Meldungen Graf Pourtales' und den f^^l^^^ Mitteilungen des Wiener Kabinetts konstatieren mußte, oo. juU) bezeichnete man nunmehr die Verweigerung jedes Gedankenaustausches mit St. Petersburg als einen
1 Weisung nach Berlin d. d. 30. Juli, I Uhr p. m., Nr. 293.
- Vergleiche hiezu den Passus in der Meldung Graf Szäpärys vom 31. Juli, daß er „heute (30. Juli) für Herrn Sazonow keine Aufträge" besitze. (Seite 295.)
■■ „ . . . und auch die selbständige Existenz des Königreiches ganz und gar nicht vernichten wolle". Ursprünglich im Konzepte „und auch die Souveränität des Königreiches nicht antasten wolle".
* Bei der Obergabe einer Notiz über den Inhalt der eben erwähnten Weisung durch Graf Szögyeny sprach sich Herr Zimmermann über die darin für Rußland bestimmten Erklärungen erfreut aus und sagte dem k. u. k. Botschafter zu, Graf Pourtales hierüber Mitteilung zu machen (Telegramm aus Berlin d. d. 31. Juli, 12 Uhr 35 Minuten a. m., Nr. 335).
245
Mitteilungen Herrn Zim- mermanns über den Depeschen- wechsel zwischen Kaiser Wil- helm und Kaiser Nikolaus <39. Juli)
Depeschen- wechsel Kaiser
Wilhelms mit Kaiser Franz Joseph (30.u.31.JuIi)
Übermittlung der Anregung des Zaren durch Kaiser Wilhelm an Kaiser und König Franz Joseph
schweren Fehler und ließ das Wiener Kabinett mit allem Nachdrucke wissen: „Wir sind zwar bereit, unsere Bündnispflicht zu erfüllen, müssen es aber ablehnen, uns von Wien leichtfertig und ohne Beachtung unserer Ratschläge' in einen Weltbrand hineinziehen zu lassen"-.
Wie Herr Zimmermann dem k. u. k. Botschafter am 29. Juli mitteilte ■■, sei an diesem. Tage an Kaiser Wilhelm eine Depesche von Kaiser Nikolaus eingetroffen, die sich mit einem Telegramme des deutschen Kaisers gekreuzt hatte. Kaiser Wilhelm habe dem Zaren telegraphiert, er solle sich doch nicht der Serben, die es jetzt nicht verdienten, an- nehmen; Österreich-Ungarn habe vollkommen recht, jetzt energisch gegen dieselben vorzugehen. Zum Schlüsse seiner Depesche habe Kaiser Wilhelm an Kaiser Nikolaus einen warmen Appell zur Erhaltung des Friedens gerichtet.
Der Zar habe hinwieder in seiner Depesche Kaiser Wilhelm geschrieben, daß die österreichisch-ungarische Mon- archie vollkommen im Unrechte sei, in dieser Weise über Serbien herzufallen. „Rußland stehe hinter Serbien", er appelliere an die Friedensliebe Kaiser Wilhelms, auf Öster- reich-Ungarn kalmierend einzuwirken.
Ob noch Weiteres in den beiden Kaiserdepeschen gestan- den, habe Graf Szögyeny nicht konstatieren können, da ihm der Unterstaatssekretär über deren Inhalt nicht mehr mitgeteilt habe.
Dem Anliegen Kaiser Nikolaus', zwischen Wien und Petersburg zu vermitteln, leistete Kaiser Wilhelm am 30. Juli,
7 Uhr 18 Minuten nachmittags, Folge, indem er an Kaiser Franz Joseph nach Wien, Schönbrunn, die dortselbst um
8 Uhr 10 Minuten abends eingetroffene Depesche richtete:
„Die persönliche Bitte des Kaisers von Rußland, einen „Vermittlungsversuch zur Abwendung eines Weltenbrandes „und zur Erhaltung des Weltfriedens zu unternehmen, habe „ich nicht ablehnen zu können geglaubt und Deiner Regie- „rung durch meinen Botschafter gestern und heute Vor- „schläge unterbreiten lassen. Sie gehen unter anderem dahin,
' Vgl. Seite 232 ff.
^ Vgl. Weißbuch, betr. d. V. d. U. a. Kr., Seite 38.
" Telegramm aus Berlin d. d. 29. Juli, 1 1 Uhr 40 Minuten p. m., Nr. 321.
246
„daß Österreich nach Besetzung Belgrads oder anderer „Plätze seine Bedingungen kundgäbe.
„Ich wäre Dir zu aufrichtigstem Dank verpflichtet, wenn „Du mir Deine Entscheidung möglichst bald zugehen lassen „könntest.
In treuester Freundschaft
Wilhelm." Als Erwiderung auf diese Depesche setzte Graf Berchtold Amwo«- den Entwurf folgender Antwort auf: '="^"T
o Kaiser Franz
„Ich beeile mich, Dir für Dein freundschaftliches Tele- jjssphs „gramm verbindlichst und wärmstens zu danken '. f uh!"p' m i
„Gleich nachdem Dein Botschafter meiner Regierung „gestern den Vermittlungsvorschlag Sir E. Greys über- „mittelt hatte, ist mir die offizielle Meldung meines Bot- „schafters in St. Petersburg zugekommen, wonach der „Kaiser von Rußland die Mobilisierung aller Militärbezirke „an meinen Grenzen angeordnet hat -.
„Graf Szögyeny meldet mir. Du hättest Kaiser Nikolaus „in einzig treffender Weise schon gesagt, daß die russischen „Rüstungen einzustellen seien, weil sonst die ganze Ver- „antwortung für einen Weltkrieg auf seine Schultern falle.
„Im Bewußtsein meiner [schweren Pflichten für die „Zukunft meines Reiches habe ich die Mobilisierung meiner „ganzen bewaffneten Macht angeordnet 3.
„Die im Zuge befindliche Aktion meiner Armee gegen „Serbien kann durch die bedrohliche und herausfordernde „Haltung Rußlands keine Störung erfahren.
' Dieser Satz wurde dem mit Maschinenschrift geschriebenen Kon- zept von Graf Berchtold nachträglich beigefügt.
- Am'^30. Juli langte — soweit sich dies aus dem einschlägigen Material feststellen läßt — bloß ein einziges Telegramm des Grafen Szdpäry aus Petersburg ein und dies '^behandelte die Taktik Herrn Sazonows. (Vgl. Seite 291.) Es ist daher anzunehmen, daß es sich um die durch den k. u. k. Botschafter eingesandte Meldung des öster- reichisch-ungarischen Militärattaches vom 29. Juli handelt (vgl. Seite 250), die am 29. Juli, 10 Uhr abends, in Wien eintraf.
'■' „Habe ich die Mobilisierung meiner ganzen bewaffneten Macht angeordnet." Ursprünglicher Wortlaut des Konzeptes: „Habe ich verfügt, daß meine ganze bewaffnete Macht mobilgemacht und die Konzentrierung aller nicht in Serbien verwendeten Truppen an der russischen Grenze ■durchgeführt werde."
247
Kaiser Nikolaus
„Eine neuerliche Rettung Serbiens durch Rußlands „Intervention müßte die ernstesten Folgen für meine Länder „nach sich ziehen, und ich kann daher eine solche Inter- „vention unmöglich zugeben.
„Ich bin mir der Tragweite meiner Entschlüsse bewußt „und habe dieselben im Vertrauen auf Gottes Gerechtigkeit „gefaßt, mit der Sicherheit, daß Deine Wehrmacht in un- „wandelbarer ßundestreue für mein Reich und für den „Dreibund einstehen wird." ' Meldung Auf dcm Auswärtlgcn Amte erfuhr Graf Szögyeny am
^''f . 31. Juli von Herrn von lagow -, Kaiser Wilhelm habe dem
Szogyenys "^ k> o j
über einen Zarcn „zugcsagt", daß er, dem Wunsche des letzteren ent- neueri.chen sprcchcnd, ZU Vermitteln suchen werde. Es müsse ein
Depeschen- '^ '
Wechsel direktes Einvernehmen zwischen Österreich-Ungarn und zwischen Rußland hergestellt werden, doch müsse Rußland seine
Kaiser " - '
Wilhelm und militärischen Rüstungen einstellen, da dies sonst von Seite Österreich-Ungarns ebensolche zur Folge haben würde, die dann seine — Kaiser Wilhelms ^ — Rolle als „Mediator" unmöglich machen würden.
Darauf antwortete Kaiser Nikolaus, die Sprache Kaiser Wilhelms differiere sehr bedeutend von der seines Bot- schafters Graf Pourtales, er bitte diesbezüglich um Auf- klärung und schlage vor, daß der österreichisch-ungarisch- serbische Streitfall vor das Haager Schiedsgericht gebracht werde*.
In der darauf erfolgten Antwort habe Kaiser Wilhelm den Zaren nochmals darauf aufmerksam gemacht, daß die russischen Rüstungen einzustellen seien, da sonst die ganze Verantwortung eines Weltkrieges „auf seine — des Zaren — Schultern falle".
' Dieses Antworttelegramm Kaiser Franz Josephs ging am 31. Juli, I Uhr nachmittags, von Schönbrunn ab; Kaiser Wilhelm hatte eine möglichst baldige Entscheidung erbeten.
" Telegramm aus Berlin d. d. 31. Juli, 12 Uhr 38 Minuten a. m., Nr. 332.
3 Im Originaltelegramme : „die dann seine — Kaiser Nikolaus' — Rolle als Mediator unmöglich machen würden." Sinngemäß kann hier nur von Kaiser Wilhelm die Rede sein; ein neuerliches Beispiel für die Eigenart der Meldungen Graf Szogyenys (vgl. Seite 31, Anmerkung 1).
•> Vgl. Weißbuch betreffend d. V. d. U. a. K., Seite 39.
248
In dem in englischer Sprache abgefaßten und von Herrn Zimmermann dem k. u. k. Botschafter vorgelesenen Depeschenwechsel zwischen den beiden Monarchen werde in jedem einzelnen Telegramm an die besondere persönliche . Freundschaft und an die Erhaltung des Friedens in empha- tischen Worten appelliert'.
Kaiser Wilhelm habe es in keinem seiner Telegramme unterlassen, besonders hervorzuheben, daß Österreich-Ungarn zu seinem Schritt den „Mörder"-Serben gegenüber voll- kommen berechtigt sei.
Über den Depeschenwechsel zwischen dem Zaren und GrafSzäpsry
und dem Zaren
dem Deutschen Kaiser berichtete der k. u. k. Botschafter in d/p^^^^\"^„. Petersburg am 31. Juli abends-: »echsei
Kaiser Wilhelm hatte sich mit einem Telegramm an K^iter" Kaiser Nikolaus gewendet, dessen Inhalt Graf Szäpäry zwar wuheim nicht genaiP feststellen konnte, das aber auf die Gefahr der russischen Mobilisierung in einem Augenblick hingewiesen haben dürfte, in welchem Österreich-Ungarn noch geneigt sei zu verhandeln, und in welchem die Notwendigkeit der Einstellung der russischen Mobilisierung betont gewesen sein dürfte.
Graf Pourtales entschloß sich am 31. Juli mittags, wie er behauptete ohne Auftrag, um eine Audienz in Peterhof anzusuchen, wo er die gleichen Argumente bei Kaiser Nikolaus angeblich verwendet haben wollte. Graf Szäpäry glaube, der "deutsche Botschafter sei einfach beauf- tragt gewesen, das Telegramm zu überbringen. Kaiser Nikolaus scheine Kaiser Wilhelm ungefähr geantwortet zu haben, daß die Sistierung der verordneten Mobilisierung aus technischen Gründen unmöglich sei, daß er aber sein Wort verpfände,
' Zu dem Depeschenwechsel der beiden Herrscher meldete der k. u. k. Gesandte in München unterm 31. Juli (Bericht Nr. 77, P.): „Der Befehl „zur allgemeinen Mobilmachung wird, wie mir mitgeteilt wurde, binnen „der nächsten 24 oder 48 Stunden erwartet, da Seine Majestät der Deutsche „Kaiser noch gewünscht haben, über das Ergebnis der in Wien eingeleiteten „freundschaftlichen Anfrage auf Basis der Greyschen Vorschläge zunächst „noch einen Depeschenwechsel mit dem Zaren, als ein Mittel in zwölfter „Stunde zur Abwendung des europäischen Krieges, durchzuführen."
- Telegramm aus St. Petersburg d. d. 31. Juli, 1 1 Uhr 17 Minuten p. m., Nr. 189. Eingetroffen in Wien, 2. August, 9 Uhr a. m.
249
Die russische Mobili- sierung
Erklärungen Herrn Sazonows <29. Juli)
Meldung des k. u. Militär- Attaches (29. Julii
die Armee werde nichts unternelimen, wenn Österreich- Ungarn geneigt sei, mit RuIMand in Verhandlung zu treten.
Noch am 26. Juli hatte die deutsche Regierung in Peters- burg erklären lassen, daß eine russische Mobilisierung die deutsche nach sich ziehen werde. Daraufwar die ausweichende Antwort Herrn Sazonows erfolgt, er könne dem deutschen Botschafter garantieren, daß russischerseits keine Mobilisierung vorgenommen worden sei; allerdings wären gewisse not- wendigste militärische Vorsorgen getroffen. Am 29. Juli erhielt hierauf Graf Pourtales den Auftrag, in Petersburg wissen zu lassen, daß auch die Fortsetzung der jetzigen militärischen Rüstungen Rußlands Deutschland zur Mobili- sierung veranlassen könnte'.
Am nämlichen Tage erklärte Herr Sazonow dem deutschen Botschafter, der Umstand, daß Österreich ganze acht Korps mobilisiert habe, sei ein Beweis, daß diese Maßregel nicht allein gegen Serbien gerichtet sei, sondern auch eine Spitze gegen Rußland habe. Aus diesem Grunde werde noch am 29. Juli abends der russische Mobilisierungsbefehl an die an der südwestlichen Grenze gegen Öster- reich-Ungarn gelegenen Militärbezirke erfolgen.
Herr Sazonow setzte hinzu, daß in Rußland eine Mobili- sierung nicht so wie in westeuropäischen Ländern bereits den Krieg bedeute; der russische Soldat könne Monate lang Gewehr bei Fuß an der Grenze stehen. Herr Sazonow habe bis auf Weiteres auch nicht die Absicht, Herrn Schebeko aus Wien abzuberufen. Graf Pourtales antwortete, daß dann Deutschland wohl auch in den Kriegsvorbereitungs- zustand übergehen müsse. Dies sei absolut keine Drohung gegen Rußland, „aber Deutschland würde seine Bundes- pflichten Österreich-Ungarn gegenüber einhalten" =.
Hinsichtlich der russischen Rüstungen meldete der k. u. k. Militärattache unterm 29. Juli^:
„Herr Sazonow gab heute vormittags deutschem Bot- „schafter zu, daß Mobilisierungsbefehl im Sinne, wie
' Telegramm aus Berlin d. d. 29. Juli, 6 Uhr 13 Minuten p. m., Nr. 319. - Telegramm aus Berlin d. d. 29. Juli, 10 Uhr 35 Minuten p. m., Nr. 320. '■'■ Telegramm aus St. Petersburg d. d. 29. Juli, 4 Uhr 26 Minuten m., Nr. 178. Eingetroffen in Wien 29. Juli, 10 Uhr p. m.
250
„Kriegsminister für den Fall einer Überschreitung serbischer „Grenze in Aussicht hat, ergangen sei, motiviert damit, daß „Österreich-Ungarn acht Korps mobilisiert, was gegen „Serbien zu viel sei; es sei noch immer kein „Grund zur „Beunruhigung".
„Generalstab leugnet weiter Tatsache Mobilisierungs- „befehls und spricht noch immer von Vorbereitungen gegen „Monarchie im Umfang, wie Kriegsminister sich äußerte, was „aber mit einlaufenden Meldungen aus allen Teilen des „Reiches im Widerspruch scheint.
„Meiner Ansicht nach geschieht soviel, daß man, obwohl „Reservisteneinziehung noch nicht konstatiert, dieselbe jeden „Moment erwarten kann.
Hohenlohe."
Die Mitteilungen Herrn Sazonows an Graf Pourtales Eröffnungen erfuhren noch am 29. Juli eine Bestätigung durch die Er- ""^ . .
' o o russischen
Öffnungen, die Herr Schebeko dem deutschen Botschafter Boischafiers in Wien machte. Herr von Tschirschkv verständigte Graf '" ^ '.^"
o gegenüber
Berchtold am selben Tage, Herr Schebeko habe ihm Herrn von berichtet, er habe von seiner Regierung die Verständigung ^^^'^jun)''''' erhalten, daß die Militärbezirke von Kiew, Odessa, Moskau und Kasan mobilisiert würden. Rußland sei in seiner Ehre als Großmacht gekränkt und genötigt, entsprechende Maß- nahmen zu ergreifen.
In der Weisung, die an Graf Szögyeny in Erledigung Weisung dieser Mitteilung Herrn von Tschirschkys am 30. Juli, 1 Uhr s"ggj.7ny morgens, expediert wurde, führte Graf Berchtold, an die <29. juii) : Nachricht des deutschen Botschafters anknüpfend, aus': Regierung""
möge in
I Weisung nach Berlin d. d. Wien, 29. Juli, Nr. 291, nach Rom d. d. Petersburg Wien, 29. Juli, Nr. 904, expediert 30. Juli, 1 Uhr a. m. Das Ursprung- erklären, daß liehe Konzept dieser Weisung lautet: '^ ° ' .
'^ " Setzung der
„Herr von Tschirschky hat mir soeben mitgeteilt, der russische russisehen „Botschafter sage ihm, er habe von seiner Regierung die Verständigung MobUisie- „erhalten, daß die Militärbezirke von Kiew, Odessa, Moskau und Kasan rung Gegen- „mobilisiert würden. Rußland sei in seiner Ehre als Großmacht gekränkt "" '"''^^ " '"
" Deutschland
„und genötigt, entsprechende Maßnahmen zu ergreifen. Die russische „„^j öster- „Mobilisierung wird von unseren galizischen Korpskommanden bestätigt reich-Ungam „und wurde, einer Meldung des k. u. k. Militärattaches zufolge, heute auch zur Folge „von Herrn Sazonow dem deutschen Botschafter gegenüber nicht mehr „geleugnet.
251
„Die russische Mobilisierung wird von unseren galizi- „schen Korpsicommanden bestätigt und wurde, einer Meldung „des k. u. k. Militärattaches zufolge, heute auch von Herrn „Sazonow dem deutschen Botschafter gegenüber nicht mehr „geleugnet. Ich ersuche Eure Exzellenz, vorstehendes unver- „züglich zur Kenntnis der deutschen Regierung zu bringen „und hiebei zu betonen, daß, wenn die russischen Mobili- „sierungsmaßnahmen nicht ohne Säumen eingestellt werden, „unsere allgemeine Mobilisierung aus militärischen Gründen „unverzüglich veranlaßt werden muß.
„Als letzten Versuch, den europäischen Krieg hintanzu- „halten, hielte ich es für wünschenswert, daß unser und der „deutsche Vertreter in St. Petersburg, eventuell auch in „Paris, sogleich angewiesen werden, den dortigen Regierungen „in freundschafdicher Weise zu erklären, daß die Fortsetzung „der russischen Mobilisierung Gegenmaßregeln in Deutsch- „land und Österreich-Ungarn zur Folge haue, die zu „ernsten Konsequenzen führen müßten.
„Eure Exzellenz wollen hinzufügen, daß wir uns selbst- „verständlich in unserer kriegerischen Aktion in Serbien ,,nicht beirren lassen werden.
„Die k. u. k. Botschafter in St. Petersburg und Paris „erhalten unter einem die Weisung, die vorerwähnte
„Ich beabsichtige, den k. u. k. Botschafter in Petersburg unverzüglich „zu beauftragen, die Anfrage an die russische Regierung zu richten, was „diese Maßnahmen zu bedeuten haben, und hinzuzufügen, daß wir uns in „unserer Aktion gegen Serbien hiedurch nicht beirren lassen werden.
„Ich ersuche Eure Exzellenz, vorstehendes unverzüglich zur Kenntnis „der deutschen Regierung zu bringen und hiebei zu betonen, daß, falls „die russische Mobilisierung tatsächlich erfolgt, der Rest unserer Armee „sofort mobil gemacht wird.
„Ich erachte es für dringend notwendig, daß Deutschland in Rußland „und Frankreich kategorisch erkläre, daß selbst die einseitige Mobilisierung ,, Rußlands gegen Österreich-Ungarn die Mobilmachung Deutschlands gegen „Rußland auslösen müßte.
„Eine sofortige Demarche Deutschlands in Petersburg und Paris ist „deshalb unerläßlich, weil, wenn die russischen Mobilisierungsmaßnahmen „nicht ohne. Säumen eingestellt werden, unsere allgemeine Mobilisierung „aus militärischen Gründen sofort veranlaßt werden muß."
Das Weitere wie in der an Graf Szögyeny abgeschickten Instruktion.
252
(30. Juli)
„Erklärung abzugeben, sobald ihr deutscher Kollege analoge „Instruktionen erhält'.
„Wir überlassen es der deutschen Regierung, ob Italien „von diesem Schritte zu verständigen wäre. Herr von Merey „erhält für jeden Fall eine Abschrift dieses Telegramms „mit der Weisung, die italienische Regierung zu informieren, „sobald deutscher Botschafter hiezu beauftragt wird."
Diese Weisung an Graf Szögyeny fand durch eine am nie Berliner 31. Juli, 12 Uhr 38 Minuten vormittags, aufgegebene ^'^i'J^"^^^ Depesche des k. u. k. Botschafters die Beantwortung, daß wiener An- Herr von Jagow nach Rücksprache mit dem Reichskanzler ^'„^"pfj^''|;' den k. u. k. Botschafter ersucht habe, Graf Berchtold zu zu können, melden, daß die deutsche Regierung zu ihrem lebhaftesten "l^f^Jl"^^^. Bedauern der Anregung des Grafen Berchtold nicht ent- sieiiung
, . .. eines
sprechen könne. direkten E.n-
Motiviert werde die Haltung der Berliner Regierung mit vemehmens dem Hinweise auf die vom Kaiser Wilhelm über Wunsch ö^'.'f^"^^. Kaiser Nikolaus' übernommene Vermittlungstätigkeit und ungam und mit der Betonung der Notwendigkeit der Herstellung eines ''"'"^"'* direkten Einvernehmens zwischen Österreich-Ungarn und Rußlands
1 Weisung nach St. Petersburg d. d. Wien, 29. Juli, Nr. 196, nach Paris d. d. Wien, 29. Juli, Nr. 175. Expediert 30. Juli, 12 Uhr 30 Minuten a. m.
• Telegramm aus Berlin d. d. 31. Juli, 12 Uhr 38 Minuten a. m., Nr. 332. Diese Antwortdepesche Graf Szögyenys wies im Wortlaute ihres ersten Absatzes einen durchaus unklaren Inhalt auf:
„Nach Rücksprache mit dem Reichskanzler ersuchte mich Staats- „sekretär, Eurer E.\zellenz zu melden, daß deutsche Regierung zu ihrem „lebhaftesten Bedauern Eurer Exzellenz Anregung nicht entsprechen kann, „da sie noch vor kurzem ihre Vertreter in Petersburg und Paris ange- „wiesen habe, den dortigen Regierungen zu erklären, daß die Fortsetzung „der russischen Mobilisierung Gegenmaßregeln in Deutschland und „Österreich-Ungarn zur Folge hätte, die zu ernsten Konsequenzen führen „müßten."
Der Inhalt der übrigen präzis formulierten Absätze erhellt aus unseren obenstehenden und den auf Seite 248 gebrachten Ausführungen.
In dem zitierten Texte des ersten Absatzes der Antwort des Grafen Szögyeny begegnen wir gewissen Sätzen aus der korrespondierenden ■Weisung Graf Berchtolds (vgl. Seite 252). Es liegt also eine — vielleicht technischen Gründen — entspringende Unstimmigkeit vor.
Bestätigt wird der Mangel einer unbedingten sachlichen Klarheit in der Darstellungsweise des k. u. k. Botschafters in Berlin übrigens auch
253
Allgemeine Dufch die am 30. Juli abends ausgegebene und am
"e?üng in ^^- J"" ^'""'^ "^'^ Maucranschiag kundgegebene allgemeine
Rußland Mobilisierungsordre für die gesamte Armee und Flotte
irendsl' Rußlands wurde jede Möglichkeit einer in Wien seitens der
durch ein im Anschlüsse an die nachstehende Episode erfolgtes Ein- geständnis des k. u. k. Botschafters selbst:
Graf Szögyeny hatte am 27. Juli Erklärungen des russischen Kriegs- ministers an den deutschen Militärattache in Petersburg nach Wien telegraphisch gemeldet. (Telegramm aus Berlin d. d. 27. Juli, Nr. 301.) Die diesbezügliche Depesche schloß mit den Worten: „Ich ersuche Eure „Exzellenz, vom Berichte des deutschen Militärattaches auch Herrn von „Tschirschky gegenüber keine Erwähnung zu machen."
Graf Berchtold ersuchte am 29. Juli Grafen Szögyeny hierüber mit dem Hinweise um Aufklärung, daß die Konversationen mit dem deutschen Botschafter, die derzeit sehr vertraulich und rege seien, durch derartige Einschränkungen naturgemäß erschwert würden. Übrigens habe Herr von Tschirschky aus Berlin von der Meldung des deutschen Militärattaches in Petersburg Kenntnis erhalten und auch Graf Kageneck dem k. u. k. Kriegsministerium hierüber Mitteilung gemacht. (Weisung nach Berlin d. d. Wien, 29. Juli, Nr. 289.)
Graf Szögyeny erwiderte am 30. Juli: „Ich habe Eure Exzellenz „ersucht, Herrn von Tschirschky von der Meldung kaiserlich deutschen „Militärattaches keine Erwähnung zu tun, weil mich Unterstaatssekretär „bei Verlesung derselben bat, von der Bemerkung des Militärattaches „„Vorsorgen, die allerdings ziemlich weitgehend seien", Eurer Exzellenz „keine Erwähnung zu tun, da dieselben in Wien vielleicht unnötig ,,alarmieren könnten. Ich hielt es daher für zweckmäßiger und auch dem „zwischen mir und dem Auswärtigen Amte bestehenden, auf persönlichem „Vertrauen basierten Einverständnis dienlicher, wenn das Auswärtige „Amt nicht durch Herrn von Tschirschky erfährt, daß Mitteilungen, die „mir mit der Bitte, sie nicht weiterzugeben, gemacht wurden, selbst- „verständlich von mir doch gemeldet werden. Wobei ich zugeben muß. „daß die Fassung des in Rede stehenden Passus meines Telegramms „vom 27. 1. M. vielleicht nicht ausführlich genug war; um so mehr als „mein Ersuchen um Nichtmitteilung sich nur auf die persönliche Impression „des deutschen Militärattaches beziehen sollte." (Telegramm aus Berlin „d. d. 30. Juli, Nr. 326.)
Sachlich verdient in der eben erwähnten Depesche Graf Szögyenys der Umstand festgehalten zu werden, daß Herr Zimmermann den k. u. k. Botschafter mit der Begründung ersuchte, von der bewußten Bemerkung des deutschen Militärattaches über die russischen „Vorsorgen, die aller- dings ziemlich weitgehend seien", dem Grafen Berchtold gegenüber keine Erwähnung zu tun, „da dieselben in Wien vielleicht unnötig alarmieren könnten".
254
Berliner Regierung vorzunehmenden weiteren Vermittlung ausgeschaltet'. Der Befehl zur allgemeinen Mobilisierung dürfte, nach Ansicht Graf Szdpdrys, dem Zaren mittels falscher Nachrichten über die deutsche und österreichisch- ungarische Mobilisierung abgerungen worden sein-.
In der Nacht vom 31. Juli auf den 1. August erhielt Äußerungen der deutsche Botschafter in Petersburg den Auftrag ^ Herrn """" Sazonow in nachdrücklichster Weise auf die Gefährlichkeit über die der russischen Mobilisierung aufmerksam zu machen * und 'ruT'"'
° mobilisie-
ihm mitzuteilen, daß man deutscherseits einstweilen zwar rung(3i.juii noch keine Mobilisierung, jedoch den „Schutz gegen Kriegs- ''^•"""'"^''t) gefahr" verfügt habe. Der russische Minister, den Graf Pourtales um Mitternacht wecken ließ, verwies darauf, daß die Sistierung der Mobilisierung unmöglich sei, daß Kaiser Nikolaus aber bereits so bindende Zusagen erteilt habe, „daß zu einer Beunruhigung doch kein Anlaß sei".
Am 1. August, 12 Uhr 52 Minuten p. m., erhielt Graf Eintritt des Pourtales den Auftrag, falls die russische Regierung hin- ^"'"s^-
ö' o o zuStandes
sichtlich der Einstellung ihrer Kriegsmaßnahmen bis 5 Uhr zwischen nachmittags keine befriedigende Antwort erteile, zu dieser '^""Tll!''"'!
ö *= ' und Rußland
Stunde offiziell bekanntzugeben, daß sich Deutschland nach (i. August Ablehnung seiner Forderungen mit Rußland als im Kriegs- ' """"
o ö o nachm.)
zustande befindlich betrachten
Hierüber traf in Wien am 2. August, 4 Uhr p. m., das folgende Telegramm Graf Szögyenys ein«:
Der Staatssekretär erklärte mir soeben: Von Rußland ist keine Antwort auf die deutsche Anfrage eingelangt.
Russische Truppen haben die deutsche Grenze bei Schwidden (südöstlich Bialla) überschritten.
< Telegramm aus St. Petersburg d. d. 31. Juli, 11 Uhr 25 Minuten a. m., Nr. 183. EingetrofPen am 1. August, 9 Uhr a. m.; Telegramm aus Berlin d. d. 31. Juli, 7 Uhr p. m., Nr. 340. (Vgl. Weißbuch betr. d. V. d. U. a. Kr. S. 50.)
- Telegramm aus St. Petersburg d. d. 31. Juli, 2 Uhr 5 Minuten p. m., Nr. 185. Eingetroffen 1. August, 2 Uhr 30 Minuten a. m.
■■! Telegramm aus Petersburg d. d. 1. August, 2 Uhr 20 Minuten a. m., Nr. 192.
< Vgl. W.eißbuch 1914, Anlage Nr. 24. •• Weißbuch 1914, Anlage Nr. 26.
« Telegramm aus Berlin d. d. 2. August, 3 Uhr 6 Minuten a. m., Nr. 357.
255
Rußland hat daher Deutschland angegriffen.
Deutschland betrachtet sich daher im Kriegszustande mit Rußland.
Deutscherseits erfolgt keine Kriegserklärung mehr'.
Russischer Botschafter hat heute vormittags Pässe zuge- stellt erhalten und reist voraussichtlich heute abends ab."
Weisung an den k. u. k. Botschafter (29. Juli); Die Geneigt- heit des Wiener Kabinetts, in Kompen- Sationsver- handlungen einzutreten, ist geheim zu halten
Antwort der italienischen Regierung hinsichtlich des Aner- bietens der k. u. k. Regierung, auf Kompen- sationsver- handlungen einzugehen <29. Juli)
B. Das Wiener Kabinett
Verhandlungen mit Italien
Von seiner ursprünglichen Politik des Ablehnens jeglicher Kompensation an Italien war Graf Berchtold unter deutscher Beeinflussung soweit abgewichen, daß er am 28. Juli nach Rom die Geneigtheit des Wiener Kabinetts zu Kompen- sationsverhandlungen auch für den Fall einer nur als pro- visorisch anzusehenden Besetzung serbischen Territoriums mitteilen ließ-. An Herrn von Merey war in dieser Ange- legenheit am 29. Juli die nachträgliche Weisung ergangen ■% Graf Berchtold betrachte es als selbstverständlich, bitte dies jedoch Marquis di San Giuliano ausdrücklich zu sagen, daß die Mitteilung betreffs der eventuellen Aufnahme von Kompensationsverhandlungen als streng geheim zu betrachten sei, und daß wegen der in der Monarchie herrschenden öffentlichen Meinung derzeit von einer Verlautbarung der- selben als äußerst bedenklich unbedingt abzusehen wäre.
Herr von Merey hatte in seinem Telegramm vom 28. Juli die Antwort der italienischen Regierung auf die Vorschläge des Wiener Kabinetts in Aussicht gestellt*. Diese Antwort wurde ihm am 29. Juli durch den Kabinetts- chef des Ministers in schriftlicher Form, aber mit dem Bemerken, sie habe als mündlich erteilt zu gelten, zugestellt.
Diese Antwort bestätige, wie der k. u. k. Botschafter am 29. Juli nachmittags meldete-, vollständig den Eindruck,
' Eine neuerliche Bestätigung der mangelnden Exaktheit in Berichterstattung des k. u. k. Botschafters in Berlin. - Vgl. Seite 191.
■■ Weisung nach Rom d. d. 29. Juli, Nr. 896. * Vgl. Seite 189. ;• Telegramm aus Rom d. d. 29. Juli, Nr. 552.
der
256
daß es der italienischen Regierung vor allem andern auf die Kompensationsfrage ankomme, daß sie dieselbe jetzt forcieren wolle, daß sie sich hiebei auf Deutschland berufe, und daß sie charakteristischerweise die betreffenden Kon- versationen in Wien und Berlin führen wolle.
Je entgegenkommender, zufriedener, dankbarer sich das Wiener Kabinett gegenüber der Haltung Italiens zeigen werde, desto weitgehender und insistierender würden die römischen Prätensionen werden.
Ohne noch im Besitze der vom 29. Juli datierten Mel- Aufforderung düng Herrn von Mereys zu sein, hatte sich Graf Berchtold B",s''"i,^f,",.''' unter dem Eindrucke der vom k. u. k. Botschafter in zur Kompen. Berlin und von Herrn von Tschirschky mitgeteilten Besorg- s^^nuf^u^ nisse der deutschen Regierung veranlaßt gesehen, am nehmen 30. Juli an Herrn von Merey das Ersuchen zu stellen, ''^^ ■'"'" seine Anschauung hinsichtlich der Haltung Italiens gegen- über der Kompensationsfrage wie auch bezüglich seiner Bündnispflichten mitzuteilen und sich darüber zu äußern, ob, beziehungsweise in welcher Weise er eine Lösung dieser hochaktuellen Frage für möglich halte '.
Herr von Merey hatte inzwischen (29. Juli) den italie- Unterredung nischen Minister des Äußern von der Erklärung des Herzogs "^"" ™"
o o Mereys mit
von Avarna, von der Antwort des Grafen Berchtold bezüg- Marquis di lieh der Frage der territorialen Erwerbungen und von dem sa"Giuiiano
° ö (29. Juli)
Standpunkte desselben bezüglich der Kompensationsfrage samt der daran geknüpften Erwartung-, mündlich, aber ganz exakt in Kenntnis gesetzt.
Der Minister, der sich die Materie mit Schlagworten notierte, sagte, er müsse, da es sich um schwerwiegende und delikate Angelegenheiten handle, dieselben überlegen und mit dem Ministerpräsidenten besprechen, bevor er antworte. Hiebei bemerkte Marquis di San Giuliano neuer- lich, diese Frage sollte (da er jetzt nach der Kur leidend sei) in Wien verhandelt werden =.
• Weisung nach Rom d. d. 30. Juli, Nr. 908. E.xpediert 31. Juli, 2 Uhr a. m.
- Vgl. Seite 191 unten.
= Telegratnm aus Rom d. d. 30. Juli, Nr. 554.
»7 257
Krieges (30. Juli)
.Marquis di Djc HaltUHg Itaücns im Falle eines europäischen Krieges
San G.uhano gpQptertc def italienische Minister bei einer Unterredung
II Der üie o
HaiiunK mit Herrn von Merey am 30. Juli aus eigenem Antriebe': riaiicns ,m jj^ ^^^ Drcibund rein defensiven Charakter habe, und
ralle eines '
europäischen da das Wiener Kabinett durch sein violentes Vorgehen gegen Serbien die europäische Konfiagration provoziert und sich überdies mit der römischen Regierung nicht vorher ins Einvernehmen gesetzt habe, obliege Italien keine Ver- pflichtung, an dem Kriege teilzunehmen. Damit sei aber nicht gesagt, daß Italien bei Eintritt dieser Eventualität sich nicht die Frage stellen werde, ob es seinen Interessen besser entspreche, sich militärisch an die Seite der Monarchie zu stellen oder neutral zu bleiben. Marquis di San Giuliano persönlich neige mehr der ersten Alternative zu und halte dieselbe auch für die wahrscheinlichere, vorausgesetzt daß Italiens Interessen am Balkan dabei gewahrt werden und daß die Monarchie dort nicht Veränderungen anstrebe, welche ihr eine Vormachtstellung — zum Schaden Italiens — einräumen würden. .Standpunkt Dcr Instruktion vom 30. Juli kam Herr von Merey
Herrn von niittcls clncs am 31. Juli, 1 Uhr nachmittags, aufgegebenen
Mereys hin- -j f o » o o
siehiiich der Telegrammes nach-. Unter Hinweis auf seine bisherigen, in Kompensa- ^^^ einschlägigen Telegrammen und Berichten niederge-
tionsfrage o o o o
iM. juiii legten Ansichten führte Herr von Merey aus, daß entgegen seinen Ratschlägen, Graf Berchtold unter dem Drucke der deutschen Regierung dem römischen Kabinett in der Kom- pensationsfrage bereits zu Dreivierteln entgegengekommen sei. Eine zum großen Teil gelungene Chantage setze aber bezüglich des Restes natürlich um so stärker ein. Tatsäch- lich habe auch am 31. Juli Marquis di San Giuliano bemerkt, er habe in Beantwortung der Erklärung Graf Berchtoids nach Wien mitgeteilt, daß dieselbe vag und ungenügend sei. Es sei daher augenblicklich eine besonders schwierige Aufgabe für Herrn von Merey, einen Rat in einer Situation zu erteilen, in die sich das Wiener Kabinett gegen seine Ansicht und gegen seine wiederholte Warnung begeben habe.
I Telegramm aus Rom d. d. 30. Juli, Nr. 560. - Telegramm aus Rom d. d. 31. Juli, Nr. 569.
258
Nach der Überzeugung des k. u. k. Botschafters hänge die Frage, ob Italien am Kriege teilnehme oder neutral bleibe, nicht wirklich von der Kompensation ab, sondern hauptsächlich von der in Rom herrschenden Beurteilung der ganzen europäischen Situation und von militärischen Erwägungen. Das Wiener Kabinett könnte daher riskieren, in der Kompensationsfrage weitgehende Engagements ein- zugehen, ohne vielleicht den Zweck, die militärische Koope- ration Italiens, zu erreichen.
Nachdem sich ferner das Wiener Kabinett über das Kompensationsobjekt offenbar nicht im Klaren sei oder doch nicht im Voraus eine Kompensation fixieren könne, insolange es selbst nicht wisse, was die Monarchie be- komme, so könne das Wiener Kabinett nach dem Erachten des k. u. k. Botschafters äußerstenfalls nur noch einen Schritt weitergehen und erklären, daß die Monarchie nach .Abschluß des lokalisierten oder allgemeinen Krieges bereit sei, Italien im Sinne des Artikels VII des Dreibundver- trages eine adäquate Kompensation einzuräumen, falls die Monarchie selbst Territorien auf dem Balkan, sei es definitiv, sei es in einer die italienische Okkupation des Dodekanes übersteigenden Dauer okkupieren sollte und falls Italien seine Bundespflichten exakt erfülle.
Während man sich in Rom anschickte, den in der p«P'-"'""'g
Herzog von
Kompensationsfrage eingeschlagenen Weg zielsicher weiter Avama- zu verfolgen, glaubte Graf Berchtold in seiner Besprechung ^"' mit dem Herzog von Avarna am 31. Juli die Angelegenheit über die zu einer befriedigenden Lösung, das heißt zum Stillstande, ■^"■"p^^"-
^ ^ tionsrrage
gebracht zu haben. Ein am 31. Juli aufgesetztes Telegramm (si. juii). Graf Berchtolds orientierte Herrn von Merey und Graf ''"'^'"'"''"g
einer Ver-
Szögyeny hierüber ': einbarung
Graf Berchtold habe am 31. Juli über die Kompen- '^'"■'^'"''"
* Herzog von
sationsfrage eine lange Unterredung mit dem Herzog von Avama und Avarna gehabt, bei welcher ein vollkommenes Einvernehmen "'"'''" ™"
° ' Tschirschky
erzielt worden sei. Der deutsche und der italienische Bot- schafter hätten darauf auf Basis dieser Unterredung eine den Herzog von Avarna vollständig befriedigende Textierung
1 Weisung nach Rom d. d. 31. Juli, 11 Uhr 30 Minuten p. m., Nr. 914; Weisung nach Berhn d. d. 31. Juli, 1 1 Uhr 30 Minuten p. m., Nr. 307.
259
ausgearbeitet, welche morgen (1. August) nach Rom tele- graphiert werde '.
Graf Berchtold hoffe, daß die Frage nunmehr im Ein- vernehmen aller Dreibundmächte gelöst erscheine. Herr von Merey wolle Marquis di San Giuliano von Vorstehen- dem sofort in Kenntnis setzen und hinzufügen, das Wiener Kabinett würde nunmehr (woran Graf Berchtold übrigens nie gezweifelt hätte) mit Bestimmtheit darauf rechnen, daß Italien seine Bündnispflicht voll und ganz erfüllen werde. Eine zur Absendung an die k. u. k. Botschafter in Rom und Berlin vorbereitete, den Text der Vereinbarung in der Kompensationsfrage enthaltende, aber nicht abgeschickte Instruktion führte aus-: Texidervom Der italienische Botschafter habe Graf Berchtold am Herzog von ^j . |j auftraggemäß mitgeteilt, angesichts der Möglichkeit
Avarna und ■^ ö=> ° .. =' "
Herrn von einer territorialen Erwerbung Österreich-Ungarns am Balkan müsse die italienische Regierung geltend macnen, daß nach
Tschirschky aufgesetzten,
von Graf Artikel VII des Dreibundvertrages einem solchen Erwerb Berchtold ^j^^ Akkord mit Österreich-Ungarn auf Grund wechselseitiger
akzeptierten '-' ^
nach Rom Kompcnsationcn vorhergehen müsse.
Italien wolle jedoch den Kriegsoperationen Österreich-
nichl über- mittelten
Vereinbarung Ungams keinerlei Schwierigkeiten bereiten, unter der Reserve m der Korn- ggjj|gp g^p ^jg^p, zitierten Artikel basierenden Ansprüche.
pensations- ^
frage Hinsichtlich der Kompensationen halte es Marquis di
131. juh) g^j^ Giuliano für dringend, daß von Seite der Monarchie die italienische, auch von Deutschland akzeptierte Inter- pretation des Artikels VII angenommen werde, dahingehend, daß Italien für jede Akquisition Österreich-Ungarns am Balkan (Serbien, Montenegro etc.) ein Kompensations- anspruch zustehe.
Es sei für die italienische Regierung notwendig, dies- bezüglich eine explizierte Antwort von Österreich-Ungarn zu erhalten, weil der gegenwärtig bestehende Zweifel jede Aktion Italiens paralysiere.
Wenn Österreich-Ungarn diese Idee nicht akzeptieren könnte, müßte Italien eine Richtlinie verfolgen, die jedem
1 Vgl. Seite 262 unten.
2 Konzept (in der Hauptsache) von der Hand des Grafen Berchtold.
260
Gebietserwerb Österreich-Ungarns am Baltcan entgegen- gesetzt wäre.
Hinsiclitlich der als Antwort dem italienischen Botschafter abzugebenden Erklärung Graf Berchtolds hätten Pourparlers zwischen ihm, dem Herzog von Avarna und Herrn von Tschirschky stattgefunden. Graf Berchtold habe den von den beiden Botschaftern formulierten Text akzeptiert. Der- selbe laute:
Si cependant par la force des choses TAutriche-Hongrie serait obligee ä faire des acquisitions territoriales dans la Peninsule Balcanique, notamment en Serbie et au Monte- negro, le Gouvernement I. et R. est pret ä se concerter avec ritalie au sujet des compensations ä lui accorder, soit que ritalie prete son concours ä l'Autriche-Hongrie dans le cas que se presente le casus foederis vise par le traite, soit qu'elle prete son concours sans que le casus foederis se presente.
Cette declaration contient les Clements qui constituent la substance meme de Tinterpretation que Vous donnez ä l'Art. VII et que je consens ä Vous faire, bien que je ne par- tage pas cette interpretanon meme.
Obigen NX'ortlaut habe Herzog von Avarna gebilligt.
Wie dem k. u. k. Botschafter bekannt sei, bestünden zwischen den Verbündeten militärische Abmachungen betreffs Beistellung italienischer Truppenkontingente an den Rhein für den Kriegsfall mit Frankreich. Überdies habe der Chef des Generalstabes, Baron Conrad, bei seiner letzten Be- gegnung mit dem seither verstorbenen italienischen General- stabschef Pollio mündlich verabredet, daß bei Eintritt des Casus foederis italienische Truppenkontingente der Mon- archie nach Galizien zur Verfügung gestellt würden.
Angesichts der nun kaum mehr ausweichlichen euro- päischen Konflagration lege die österreichisch-ungarische wie die deutsche Armeeleitung das größte Gewicht darauf, daß Italien seinen Engagements nachkomme und baldigst darüber Klarheit geschaffen werde, umsomehr als Rumäniens Haltung, nach geheimen Informationen, zum Teil von Italiens Stellungnahme bedingt sein werde.
261
Der k. u. k. Botschafter wolle Marquis di San Giuliano von der zwischen Graf Berchtold und dem itah'eni^chen Botschafter vereinbarten Formel Kenntnis geben und unter Hinweis auf den Umstand, daß der Minister die Führun-;; der Verhandlung in Wien ausdrücklich gewünscht habe, sowie darauf, daß das Wiener Kabinett die von Herzog von Avarna mit dem deutschen Botschafter formulierte Erklärung an- genommen habe, bei dem Minister des Äußeren nach- drücklich dahin wirken, daß Italien sich raschestens ent- schließe, seinen Bundespflichten vollinhaltlich nachzukommen. Graf Berchtold halle es nicht für ausgeschlossen, daß Marquis di San Giuliano an dem Wortlaute des oben- stehenden französischen Textes einiges auszusetzen haben werde, und ermächtige den k. u. k. Botschafter für diesen Fall zur Abgabe folgender Interpretationen:
Der Ausdruck „acquisicions territoriales" sei Graf Berch- told vorgeschlagen worden. Er habe denselben angenommen, sei aber bereit, denselben über Verlangen San Giulianos durch „occupations" zu ersetzen.
Die ausdrückliche Erwähnung Serbiens und Montenegros könnte den Anschein erwecken, als ob die Monarchie einen Angriff gegen Montenegro beabsichtigen würde. Dies sei nicht der Fall und es könnte nach dem Worte „Monte- negro" eingeschoben werden „si le Montenegro prenait part ä la luttc".
Zur Information des k. u. k. Botschafters füge Graf Berch.old noch bei, daß das Wiener Kabinett Italien das Recht einer Kompensation auch für den allerdings unwahr- scheinlichen Fall einer Lokalisierung unseres Konflikts mit Serbien zuerkenne, sofern die Monarchie zu einer nicht als nur vorübergehend anzusehenden Okkupation serbischen Gebietes schreiten müsse. Mitteilung an Dem k. u. k. Botschaftcr in Rom wurde am 1. August Brnschafier ^'" Telegramm des Grafen Berchiold mit dem Auftrage daß das zugesicUt ', cr wolle sich sofort zu Marquis di San Giuliano wienerKabi. j-jgge^gr, ypp j^m zu eröffnen, daß Graf Berchtold mit dem
neitdic Italic- » ' '
nische Inier. Herzog vou Avama und Herrn von Tschirschky vereinbart
pretation des
Artikels VII ' Weisung nach Rom d. d. Wien, 1. August, Nr. 916, expediert
annehtne 12 Uhr 15 Minuten p. m.
<1. August;
282
habe, die italienische Interpretation des Artikels VII des Dreibundvertrages anzunehmen unter der Voraussetzung, daß Italien seinen Bündnispflichten in dem gegenwärtigen Konflikt voll nachkomme.
Die dem Herzog von Avarna gegebene Erklärung lautete ':
„Je considere qu'une divergence de vue sur l'inter- „pretation de l'article VII forme un Clement d'incertitude „pour nos relations du present et de l'avenir qui pourraic „etre prejudiciable aux rapports intimes entre les deux „Puissances. J'accepte l'interpretatiön donnee ä l'article VII „par ritalie et l'Allemagne ä condition que l'Italie observe ,
„une attitude amicale par rapport aux Operations de guerre „engagees actuellement par TAutriche-Hongrie et la Serbie „et remplira ses devoirs d'allie dans le cas oü le conflit „actuel pourrait amener une conflagration gc^nerale."
Herr von Merey wolle diese Erklärung Marquis di San Giullano unverzüglich zur Kenntnis bringen. Zur persön- lichen Information des k. u. k. Botschafters füge Graf Berchtold bei, er habe diese Erklärung dem italienischen Botschafter deshalb abgegeben, weil ihm die deutsche Regierung in allerernstester Weise zu verstehen gab, San Giuliano habe gestern erklärt, sich infolge der Weigerung des Wiener Kabinetts, die italienisch-deutsche Auslegung des Artikels VII anzunehmen, an den Vertrag nicht gebunden zu erachten.
Noch am Abend des 1. August wurde dem Grafen xonstatie- Szögyeny im Auswärtigen Amte der Text des von Herrn k"Tk. " von Tschirschky aufgesetzten und dem Grafen Berchtold Botschafters übermittelten Entwurfes der an Italien hinsichtlich der Aus- '" legung des Artikels VII zu übergebenden Antwort vor- gelesen-.
Wenn derselbe auch in merito, meldete Graf Szögyeny, mit dem Inhalte der ihm von Wien aus übermittelten, nach
1 Weisung nach Rom d. d. Wien, 1. August 1 [vj^ Q^-j I Beide expediert
Weisung nach Berlin d. d. Wien. 1. August ( ' ^^^ ^^ Minuten Nr. 313. I P- "1-
- Telegramm aus Berlin d. d. 1. August, Nr. 355. E.xpediert 2. August 1 Uhr 57 Minuten a. m.
263
italienischer Ministerrat 11- August)
Begründung der Haltung Italiens liurch den k. u. k. Bot schaftcr U. August)
Rom gegebenen Antwort, soweit er es in der Schnelligkeit habe feststellen können, übereinstimme, so sei die Tex- tierung doch eine sehr verschiedene gewesen.
In einem am 1. August abgehaltenen Ministerrate zeigte sich, wie Marquis di San Giulano Herrn von Merey mit- teilte ', die Tendenz, daß Italien im Falle eines europä- ischen Krieges neutral bleibe. Maßgebend hiefür sei die Erwägung gewesen, daß Italien weder die Verpflichtung noch das Interesse habe; an dem Kriege teilzunehmen. Der Dreibund sei rein defensiv, der Krieg aber von der Monarchie provoziert worden, ohne daß das Wiener Kabinett früher die italienische Regierung von der Aktion verständigt hätte. Wie könne man Italien zumuten, daß es Gut und Blut opfere und bei seiner Küstenentwicklung die größte Gefahr laufe? Dies alles, um ein Kriegsziel zu erreichen, das seinem Interesse direkt zuwiderlaufe, nämlich eine Verän- derung des Status quo am Balkan, sei es zum. materiellen, sei es zum moralischen Vorteil Österreich-Ungarns. Nach- dem Marquis di San Giuliano und Herr von Merey fast eine ganze Stunde hierüber lebhaft debattiert hatten, wobei der italienische Minister unter andern auch die „chikanöse" Politik Österreich-Ungarns in Albanien sowie die Behandlung der Italiener in der Monarchie erwähnt hatte, meinte er schließlich, es sei noch immer nicht gesagt, da ein formeller Beschluß noch nicht vorliege, daß Italien nicht doch — eventuell vielleicht erst später — an dem Kriege teilnehme. Dabei fiel wieder das Wort Kompensation.
Zur Motivierung der Haltung Italiens meldete der k. u. k. Botschafter -:
Obwohl er selbst sowohl wie sein deutscher Kollege (für Deutschland habe ja die Sache ungleich mehr praktische Bedeutung) alles aufböten, um auf die Regierung im Sinne der Kooperation einzuwirken, neige vorläufig die Wage weitaus mehr nach der Neutralität.
Für diese eigentlich erst in den letzten Tagen durch- gedrungene Tendenz sei der vollen Überzeugung des k. u. k.
' Telegramm aus Rom d. d. 1. August, 1. Uhr 50 Minuten a. m., Nr. 570.
= Telegramm aus Rom, 1. August, 9 Uhr 45 Minuten p. m., Nr. 575.
264
Botschafters nach in allererster Linie der Umstand ent- scheidend gewesen, daß, entgegen der italienischen (und der Berliner) Annahme, England nicht neutral bleibe, sondern eingreife. Seine ausgebreiteten und schlecht geschützten Küsten dem Bombardement englischer Schiffe auszusetzen und die samt der österreichisch-ungarischen Flotte, der ver- einigten französischen und englischen Mittelmeerflotte doch inferiore italienische Marine den Kampf aufnehmen zu lassen, erscheine in Rom als eine entsetzliche Perspektive.
Hiezu trete der infolge des lybischen Feldzuges (60.000 Mann seien noch in Lybien) ganz desorganisierte Zustand der Armee und, wie der k. u. k. Botschafter bestimmt erfahre, die Angst vor inneren Unruhen.
Das letzte Wort sei noch immer nicht gesprochen, aber vorläufig laute die Losung: Neutralität.
Vielleicht könnte daran gedacht werden, daß Österreich- Ungarn und Deutschland Italien erklärten, sie würden, falls Italien seiiie Bundespflicht nicht bis auf den letzten Mann loyal erfülle, sondern neutral bleibe, sich, gleichfalls von ihren Allianzpflichten völlig lossagen und Italien als aus dem Dreibunde ausgetreten betrachten.
Die Anordnung der allgemeinen russischen Mobilisierung Depeschen-
Wechsel
veranlaßte Kaiser Franz Joseph, am 1. August' die nach- „„isehen stehende Depesche an König Viktor Emanuel zu richten: Kaiser und
T r^ . . , « 1 - 1 ,. • 1 König Franz
„La Russie qui s arroge le droit de s immiscer dans Joseph und „notre conflit avec la Serbie a mobilise son armee et sa '^""■s >'''<""■ „Hotte et menace la paix de lEurope. ,,. „„j
„D'accord avec l'Allemagne je suis decide de defendre ^- Augus» „las droits de la Triple Alliance et j'ai ordonne la mobilisation „de toutes mes forces militaires et navales. Nous devons „trente annees de paix et de prosperite au traite qui nous „unit et dont je constate avec satisfaction l'interpretation „identique par nos gouvernements.
„Je suis heureux en ce moment solennel de pouvoir „compter sur le concours de mes AUies et de leurs „vaillantes armees - et je forme les voeux les plus chaleureux
' Expediert 5 Uhr p. m.
-' Im Konzept folgen an dieser Stelle die nachträglich ausgestrichenen Ausführungen: Je recommande tout particulidrement l'archiduc Frederic
265
Viviani (30. Juli)
„pour le succes de nos armes et pour un glorieux avenir „de nos pays."
Der italienische König beantwortete die Depesche am 2. August': „J'ai re^u le teiegramme de Votre Majeste.
„Je n'ai pas besoin d'assurer Votre Majeste que i'Italie „qui a fait tous les efforts possibles pour assurer le maintien „de la paix et qui fera tout ce qu'elle pourra pour contribuer „ä la retablir aussitöt que possible gardera une attitude „cordialement amicale envers ses allies conformement au „traite de la Triple Alliance, ä ses sentimente sinceres et aux „grands interets qu'elle doit sauvegarder".
Verhandlungen mit Frankreich
Unterredung Der Umschwung der öffentlichen Stimmung zu Ungunsten des k u k. jgj. jviQnarchie, der sich seit dem 27. luli in der Pariser
Botschallers ' ^
mit, Herrn Pressc geltend zu machen anfing, spiegelte sich bis zum 30. Juli in den Unterredungen des k. u. k. Botschafters mit den französischen Staatsmännern nicht wieder.
An diesem Tage hatte Graf Szecsen mit Herrn Viviani eine lange, friedlich und versöhnlich geführte Unter- redung -. Der französische Staatsmann hörte die Ausfüh- rungen des k. u. k. Botschafters über die Haltung Serbiens, über die Ursachen, die das Wiener Kabinett bestimmten, die Antwort des Herrn Pasic nicht zu akzeptieren, sehr aufmerksam an. Seine Hauptthese war, man wisse jetzt nicht, was die Monarchie wolle, und so sei jeder Vermitt- lung der Weg gesperrt. Graf Szecsen erwiderte, die Mon- archie habe Serbien ihre Forderungen sehr deutlich mit- geteilt; nachdem sie nicht erfüllt wurden, sei der Kriegs- zustand eingetreten.
Als persönliche Ansicht fügte Graf Szecsen bei, daß, wenn Serbien geneigt wäre, nachzugeben, es leicHt Mittel
qui se trouve ä la tete de mes troupes ä la bienveillance de Votre Majeste et je regrette que le precipitation des evenements ne lui aie pas permis d'aller presenter ses hommages a Votre Majeste et de se faire aupres d'Elle Tinterpr^te de mes voeux les plus chalereux.
1 Hausabschrift des Telegramms des Königs von Italien an Kaiser und König Franz Joseph d. d. Rom, 2. August.
- Telegramm aus Paris d. d. 30. Juli, Nr. 139.
266
finden könnte, um in Wien anzufragen, weiche Bedingungen die Monarcliie jetzt steile. „Was gescliielit aber mii Ruß- land?", fragte Herr Viviani. Graf Szecsen antwortete, die Monarchie hätte von Rußland nichts verlangt und wünschte nur, daß es sich nicht einmische. Der Minister meinte, man müsse trachten, eine Lösung zu finden, die Rußland eine Demütigung erspare und kam auf den englischen Vor- schlag der Beratung der vier Botschafter zurück, worauf Graf Szecsen erklärte, derselbe sei bisher nicht sehr klar.
Die Pariser Zeitungsnachrichten über eine französische Mobilisierung dementierte der Minister auf das Ent- schiedenste. Graf Szecsen wies auf das diesbezügliche, von Rußland gegebene Beispiel hin, dessen mögliche Folgen der Minister als sehr gefährlich bezeichnete. Noch erwähnte Graf Szecsen, es sei sehr nützlich, wenn Rußland die Mobilisierung nicht fortsetze und wenn es diesbezüglich eine beruhigende Erklärung abgeben würde. Herr Viviani bemerkte hiezu, zuerst müsse Rußland darüber beruhigt werden, daß die Monarchie Serbien nicht vernichten wolle.
In Paris war übrigens vielfach die Ansicht verbreitet, die Angebliche
Monarchie strebe die Wiedereroberung des Sandschaks an '.
Absichten
der
Dies würde, sage man, für Rußland den Krieg bedeuten. MonNrchie, Graf Szecsen werde von Regieruneskreisen und anderen t^" , . , Politikern vielfach gedrängt, irgendwelche beruhigende wiedcrzu- Aufklärungen über die österreichisch-ungarischen Absichten ^j^'jul'i^ abzugeben, die den russischen Alarmnachrichten gegenüber verwertet werden könnten. Die Hauptbesorgnis in Paris heiße: Sandschak, Annexion gewisser serbischer Distrikte, Antasten der staatlichen Unabhängigkeit, Protektorat , über Serbien. Viele Leute in Paris, auch in Regierungskreisen, wünschten den Frieden und möchten Argumente haben, die sie den russischen und den französischen Hetzereien entgegenstellen könnten.
Auf Grund dieser Meldungen ermächtigte Graf Berchtold insiruk- am 3L Juli den k. u. k. Botschafter, sich den französischen ''""l" ."'
*-' ' Graf Szecsen
Staatsmännern gegenüber in folgendem Sinne zu äußern-: oi. juiü
' Telegramm aus Paris d. d. 30. Juli, Nr. 141.
- Weisimg nach Paris d. d. 31. Juli, 7 Uhr p. m. Nr. 181.
267
Durchfüh- rung des Auftrages (31. Julil
Situations- bericht des l(. u. k. Bot- schafters (30. Juli)
Was die von Herrn Viviani ausgesprochene Befürchtung betreffe, die Monarchie wolle Serbien vernichten, so wolle Graf Szecsen Herrn Viviani unverzüglich darauf aufmerksam machen, daß das Wiener Kabinett in Petersburg bereits offiziell mitgeteilt hätte, bei seiner Aktion gegen Serbien auf keine territoriale Erwerbung auszugehen und die staat- liche Souveränität des Königreiches nicht antasten zu wollen. Ebenso sei der Ansicht mit Nachdruck entgegenzutreten, als ob die Monarchie eine Wiederbesetzung des Sandschaks beabsichtige. Es sei aber natürlich, daß alle auf das Des- interessemeat Österreich-Ungarns gegebenen Erklärungen nur für den Fall gelten würden, daß der Krieg zwischen der Monarchie und Serbien lokalisiert bleibe.
Den erhaltenen Auftrag führte Graf Szecsen noch am Abend des 31. Juli aus. Da der Ministerpräsident nicht erreichbar war, teilte er den Inhalt seiner Instruktion Herrn Berthelot mit. Derselbe nahm die Äußerungen des k. u. k. Botschafters zur Kenntnis und brachte seine persönliche Ansicht zum Ausdruck, daß die serbische Frage angesichts der heute unternommenen deutschen Demarche' ganz in den Hintergrund trete-.
Aus einem Situationsbericht Graf Szecsens vom 30. Juli ergajb sich das folgende Bild über die Stimmung und Haltung Frankreichs':
Die Stimmung in Frankreich der Monarchie gegenüber habe sich in den letzten Tagen entschieden verschlechtert.
Die Ablehnung der serbischen Antwort, die man zu Anfang nicht recht begreiflich fand und die man nun, da die Gründe dafür in den Zeitungen dargelegt wurden, nicht verstehen wolle, die österreichisch-ungarische Kriegs- erklärung an Serbien, die russische Mobilisation hätten die Gefahr einer allgemeinen Konflagration viel nähergerückt, und da es sich nicht leugnen lasse, „que c'est nous qui avons declenche le mouvement", so werde natürlich die
Vgl. Seite 228.
Telegramm aus Paris d. d. 31. Juli, Nr. 144.
56 Bericht aus Paris d. d. 30. Juli, Z. -- — B.
268
Monarchie für alle Gefahren und deren schon jetzt zutage tretende finanzielle Folgen verantwortlich gemacht.
Die Rückkehr der Herren Poincare und Iswolsky habe die Zeitungskampagne gegen die Monarchie auch gefördert.
Man habe in Frankreich trotz chauvinistischen National- stolzes, trotz berechtigten patriotischen Selbstgefühls mit vollem Recht Angst vor dem Kriege und dessen unabseh- baren Folgen. „Mais la peur est une mauvaise conseillere."
Der allgemeine Eindruck sei, daß Serbien sich in seiner Antwortnote so tief gedemütigt habe, wie dies selten ein Staat getan. Man glaube, daß die zwischen den österreichisch- ungarischen Forderungen und der serbischen Antwort be- stehenden Differenzen, für die man übrigens kein besonderes Verständnis zeige, durch Verhandlungen leicht geregelt hätten werden können. Man hätte, glaube Graf Szecsen, nichts dagegen gehabt, wenn Serbien die österreichisch- ungarische Note tale quäle angenommen hätte. Aber man könne nicht begreifen, daß wegen gewisser redaktioneller Fragen ein Weltbrand entstehen solle.
Graf Szecsen sei vielfach befragt worden, was nun geschehen solle, was die Monarchie jetzt verlange. Er habe stets darauf geantwortet: Die Monarchie hätte Forderungen an Serbien gestellt, die es nicht erfüllt habe, dies habe schließlich zum Kriegszustande geführt. Es sei nun an Serbien, wenn es ein Ende dieses Kriegszustandes herbei- führen wolle, anzufragen, welches jetzt die Forderungen der Monarchie seien. Je länger die kriegerischen Operationen dauerten, je größere Opfer sie erforderten, desto schwerer dürften die Bedingungen Österreich-Ungarns werden.
Frankreich hatte am 1. August die allgemeine Mobili- Die franzosi- sierung angeordnet. Herr Margerie, der dies Grafen Szecsen ^!''"' '^°'"''' mitteilte ', erklärte gleichzeitig, die französische Regierung habe dem Vorschlage Sir Edwards betreffs gleichzeitiger Einstellung der militärischen Maßnahmen zugestimmt. Die französische Mobilisierung sei rein defensiv und sei nur eine Antwort auf die deutschen Maßnahmen. Sobald Deutsch-
1 Telegramm aus Paris d. d. I. August, 10 Uhr 50 Minuten p. m., Nr. 148.
269
land den Greyschen Vorschlag annehme und die militäri- schen Maßnahmen einstelle, werde Frankreich ein gleiches tun. Von der Mobilisierung bis zu der Kriegserklärung sei übrigens ein langer Weg, speziell in Frankreich, wo die Zustimmung des Parlaments nötig sei, das bisher nicht ein- berufen wurde. Zwischen Deutschland und Frankreich bestünden gar keine Streitfragen und man könne sich in Paris die deutsche Haltung und die Sprache des Botschaf- ters nur mit dem Wunsche Deutschlands, den Krieg herbei- zuführen, erklären.
Graf Szecsen trat dieser Anschauung entgegen. Herr Margerie erwähnte mit Befriedigung die Besprechung Graf Szäpärys mit Herrn Sazonow in Petersburg und betonte nachdrücklichst den französischen Wunsch, eine Detente herbeizuführen. BespieehuiiK In cincr Konversation, die Graf Szecsen am 1. August P"*^ mi: Herrn Iswolskv pflog ', setzte der k. u. k. Botschafter
Szecsens • ^ o ^
mii Herrn dcn russlschcn Diplomaten in Kenntnis von der Mitteilung, iswoisky jjg gj, ^^ ^^^ j^lj hifisichdich des territorialen Desinteresse-
(1. AugUST) ^'
ments der Monarchie Herrn Viviani gemacht hatte. Der rus- sische Botschafter zeigte lebhaftes Interesse und behauptete, von einer Mitteilung seitens der Monarchie in Petersburg, daß sie die staatliche Souveränität des Königreiches nicht an- lasten wolle, bisher nichts gehört zu haben. Herr Iswoisky erwähnte die Pourparlers in Petersburg, welche eine Ver- ständigung nicht unmöglich erscheinen ließen. Das deutsche Ultimavum, sagte er, habe die Siiuation äußerst kritisch gestaltet. Herr Iswoisky, der die russische Mobilisierung, außer jener von dreizehn Korps an der österreichisch-ungari- schen Grenze, noch immer leugne, schloß seine Ausführungen mit dem Bemerken, er wisse, Herr Sazonow sei noch immer zu einer Konversation bereit.
Verhandlungen mit England
Die hishcriRc Wescntüch entscheidend für die Wendung, welche die Hallung des gy^ ^jg^ österreichisch-ungarisch-scrbischen Konflikt er-
Londoner ...,,-. , j. ii < r~
Kabinet.s wachsenc europaische Krise nahm, war die Haltung hng-
I Telegramm aus Paris d. d. 1. August, Nr. 145. 270
lands. In Wien und Berlin glaubte man bisher Grund zur Annahme zu haben, das Londoner Kabinen werde sich letzten Endes im Sinne der Neutralität aussprechen. Auf dem Wege über Kopenhagen war man in Wien am 30. Juli zur Kenntnis gelangt, daß England in Petersburg vor drei Tagen seine Neutralität hatte mitteilen lassen und konnte sich nun- mehr auch die bis dahin unerklärlich erscheinende entgegen- kommende Art Herrn Sazonows zurechtlegen '. Der unver- . mittelt zutage getretene Umschwung in der Haltung des russischen Ministers schien auf die inzwischen erfolgte Zurückziehung der Neutralitätserklärung Englands zurück- zuführen zu sein -.
Wo lag das psychologische Moment, das Sir Edward Die Frage Grey veranlaßte, den anfänglich eingenommenen Standpunkt g^s^hobTn- der Neutralität aufzugeben? Es scheint letztlich in der vor- «erdens" de.- herrschend gewordenen Überzeugung des englischen Staats- ^J'^,""" '^ Sekretärs begründet gewesen zu sein, daß die Monarchie bei Deutschland ihrer Aktion gegen Serbien durch Deutschland „geschoben" werde. Wiederholtemale hatte der k. u. k. Botschafter Graf Mensdorff hingewiesen, er glaube, Sir Edward wolle mit Deutschland friedlich zusammen arbeiten. Sollte der englische Staatssekretär aber das unbehebbare Mißtrauen hegen, daß Deutschland die Monarchie vorgeschoben habe oder über- haupt einen Krieg mit Rußland zu provozieren wünsche, so würde Sir Edward abschwenken und sich viel entschiedener auf Rußlands Seite stellen ■'.
Zu der vom k. u. k. Botschafter befürchteten Auffassung scheint Sir Edward - spätestens seit dem 30. Juli — tatsächlich gelangt zu sein. Die Überzeugung Sir Edwards resultierte aus
' Vgl. Seite 206 ff.
- Zu diesem Gegenstande meldete der k. u. k. Gesandte Graf Szechenyi aus Kopenhagen am 30. Juli, der deutsche Gesandte habe aus dänischen Hoflvreisen die Nachricht erhalten, daß England allerdings vor drei Tagen in Petersburg eine Neutralitätserklärung abgegeben habe, daß es jedoch 48 Stunden später — walirscheinüch über Pression aus Paris — nachgegeben und seinen Standpunkt mit der Motivierung geändert hätte, daß es inzwischen zu einer anderen Auffassung seiner Bündnis- pflichten gelangt sei. (Telegramm aus Kopenhagen d. d. 30. Juli, 6 Uhr 16 Minuten p. m., Nr. 9.) (Vgl. Seite 206 Anmerkung 2; Seite 229 oben.)
■■■ Siehe Seite 201, 202, 276, 279 oben.
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dem Schicksale seiner Vermittlungsvorschläge in Berlin und Wien, wobei sich die Eindrücke des Staatssekretärs offenbar dahin verdichteten, das Berliner Kabinett sei der Spiritus rector der auf eine europäische Kon- flagration zusteuernden Politik der beiden Zentral- mächte. Daß Sir Edward zu einer solchen Anteilsbemessung der Initiative und politischen Führung zwischen dem Wiener und dem Berliner Kabinett gelangen konnte und geradezu gelangen mußte, war, da der englische Staatsmann die Geschehnisse bloß nach ihrer Erscheinungsform, nicht aber nach ihren letzten Zusammenhängen zu beurteilen vermochte, durchaus begreiflich. Weisung an Um sclncn in nachdrücklicher Weise geäußerten Er- ßlischafte^ wägungen und Bedenken Rechnung zu tragen, wurde Graf (29. Juli) Mensdorff am 29. Juli beauftragt ', mit allen zur Verfügung „Österreich- stchendcn Argumenten den Staatssekretär darüber aufzu- "u?^"*''' l^lären, daß das Wiener Kabinett bei seiner Aktion gegen niemanden Serbien durch niemanden geschoben werde, sich viel- geschoben" ^gj^p lediglich von dem vitalen Interesse der Monarchie beraten lasse, das es ihr zur Pflicht mache, der groß- serbischen Wühlarbeit in ihren Grenzländern in energischer Weise ein Ziel zu setzen.
Es sei ebenso der Monarchie wie Deutschlands auf- richtigster Wunsch, daß das gute Verhältnis zwischen den europäischen Großmächten nicht gestört werde und der Weltfriede erhalten bleiben möge.
Die durch die jahrelangen Provokationen seitens Serbien erzeugte Mißstimmung gegen dieses Land habe sich aber unter dem Eindrucke der furchtbaren Bluttat in Sarajevo zu einer derartigen Empörung gesteigert, daß besonders die kaisertreue eigene südslawische Bevölkerung es nicht mehr verstanden hätte, wenn das Wiener Kabinett das bisherige Geschehenlassen noch weiter fortgesetzt hätte. Bcspre.iiung Bci clncr Besprechung Graf Mensdorffs mit Sir Edward Graf Mens- Qpgy gp-, £9. luH- erklärte dieser, die Situation sei viel
dorff— Sir ' ■'
Edward Grey
(29. Juli) ' Weisung nach London d. d. 29. Juli, Nr. 184. Expediert 30. Juli,
2 Uhr 20 Minuten a. m.
- Telegramm aus London d. d. 29. Juli, 4 Uhr 32 Minuten p. m., Nr. 119.
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ernster geworden, und er sei heute sehr besorgt. Von BerHn melde man die russische Mobilisierung, von Wien die seitens der k. u. k. Regierung erfolgte Ablehnung, mit Rußland direkt zu verhandeln; somit rücke die Gefahr einer großen europäischen Komplikation immer näher.
Sir Edward sagte wiederholt, die Monarchie würde voraussichtlich die Unterstützung und Sympathie aller Mächte haben, wenn sie sich damit begnügen würde, daß Serbien alle ihre Forderungen akzeptiere und daß der Monarchie nebstdem noch eine Garantie der Mächte für die Einhaltung der Versprechungen gegeben werde.
Graf Mensdorff wies darauf hin, daß es dazu nach der Kriegserklärung und dem Beginne der Feindseligkeiten wohl zu spät sein dürfte. „Dann ist es vielleicht auch zur Ver- hütung des allgemeinen Krieges zu spät", rief Sir Edward aus.
Graf Mensdortf kam immer wieder darauf zurück, daß man die Frage des österreichisch-ungarisch-serbischen Kon- fliktes von der Frage des allgemeinen Krieges trennen und darauf einwirken müsse, daß Rußland nicht denselben durch seine Intervention herbeiführe.
Hierauf bemerkte Sir Edward: „Wenn die Mächte nur in Rußland raten sollten, daß es passiv bleibe, so ist es gleichbedeutend, Ihnen freie Hand zu geben, was Ruß- land nicht annehmen wird. Irgend etwas müßten Sie uns zum mindesten geben, das wir in Petersburg verwerten können."
Sir Edward wolle die Pro und Kontra des öster- reichisch-ungarischen Standpunktes nicht diskutieren. Was ihn beschäftige, seien Fakten und das Wichtigste: Wie kann ein europäischer Krieg noch verhindert werden? Auch ohne territoriale Erwerbungen könnte die Monarchie Serbien in das Verhältnis eines Vasallen bringen und dadurch Rußland vollständig vom Balkan eliminieren.
Graf Mensdorff erwiderte, nach den ehemaligen Ab- machungen der Monarchie mit Rußland, von denen Sir Edward am 27. Juli gesprochen habe, wäre ja Serbien in die Einflußsphäre der Monarchie gerückt. Es wäre absurd zu glauben, daß der russische Einfluß am Balkan aus- geschaltet würde, wenn Belgrad aufhöre, das Pivot der
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russischen Balkanpolitik zu sein. Vielmehr sei es die Monarchie, die sich jetzt in legitimer Verteidigung befinde; der Versuch, alle ihre kleinen Nachbarstaaten zu ihren Feinden zu machen, und die ganze Agitation gegen die Monarchie bedrohe ihre Großmachtstellung und daher das Gleichgewicht der Mächte in Europa, für das Sir Edward immer eintrete.
Der Staatssekretär war sehr pessimistisch: „Heute spreche Petersburg noch mit Berlin; wie wird es morgen sein?" Er erwähnte auch, er sei in steter Fühlung mit dem Reichskanzler, der auch ein Mittel suche, um zwischen Wien und Petersburg zu vermitteln.
Der Privatsekretär Sir Edwards, Tyrrell, den Graf Mensdorff später sprach, bestätigte, der Staatssekretär sei sehr beunruhigt und suche fort nach einem Ausweg, um die Konflagration zu verhindern.
Seinen Eindruck betreffs der Haltung des Londoner Kabinetts faßte Graf Mensdorff dahin zusammen: wenn irgend möglich, jeder europäischen Komplikation ferne zu bleiben; russische Interessen ließen England kühl, wenn es sich aber um ein vitales Interesse Frankreichs oder gar um seine Machtstellung handle, so sei keine englische Regierung in der Lage, eine Beteiligung Englands an der Seite Frank- reichs zu verhindern. Resume des In ErgänzuHg Seiner telegraphischen Berichterstattung o "\''', bot Graf Mensdorff am 29. Juli eine zusammenfassende
Botschaners ^
über seine Darstellung seiner mit Sir Edward in der Zeit vom 22. bis Bcsprechun- 29. juü gepflogenen Unterredungen':
gen mit Sir »^ ö r' ö ö
Edward Grey ^^^1 Mlttwoch, den 22. Juli, abends habe der k. u. k. Bot-
(22 bis 29.
Juli, schafter durch Kurier die Zirkulardepesche an die Mächte
erhalten, die er Freitag, den 24. Juli, mitzuteilen beauftragt war.
Am selben Abend habe Sir Edward Graf Mensdorff aufgefordert, ihn am nächsten Tag zu besuchen.
Daraufhin erbat und erhieh der k. u. k. Botschafter die Ermächtigung, dem Staatssekretär schon Donnerstag, den 23. Juli, zu sagen, daß er ihm am nächsten Vormittag die
' Bericht aus London d. d. 29. Juli, Z. 36 P. A.-D. 274
Note überbringen würde, deren wesentlichen Inhalt er ihm streng vertraulich skizzieren durfte.
Diese Ermächtigung sei für Graf Mensdorff von größtem Werte gewesen, denn er hatte die Erwartung, die, wie er konstatieren konnte, vollständig begründet war, daß Sir Edward am vorigen Donnerstag (23. Juli) durch Graf Mensdorff einen Appell oder dringende Ratschläge an die k. u. k. Regierung richten wollte, damit dieselbe ihre De- marche in Belgrad in einer konzilianten Form mache, um es der serbischen Regierung zu ermöglichen, darauf einzu- gehen.
Graf Mensdorff habe eine Wiederholung des Vorganges vom Oktober 1908 befürchtet, als Sir E. Grey den ver- storbenen Grafen Aehrenthal in letzter Stunde ersuchte, „to reconsider his decision".
Dadurch, daß Graf Mensdorff Sir Edward habe sagen können, die österreichisch-ungarische Demarche in Belgrad sei zur Stunde, als das Gespräch geführt wurde, wahr- scheinlich bereits erfolgt, sei für ihn jede Veranlassung, bezüglich derselben noch Ratschläge zu erteilen, entfallen.
Sehr beunruhigt war Sir Edward, als Graf Mensdorff sagte, daß das Wiener Kabinett eine Frist zur Beantwortung der Note stellen würde.
Als Graf Mensdorff dann Freitag vormittags (24. Juli) die Zirkulardepesche übergab, war es wieder die kurze Frist zur Beantwortung, die die Hauptbesorgnis Sir Edwards hervorrief. Es wäre unmöglich für die anderen Mächte, in dieser kurzen Spanne Zeit in Belgrad ihren Einfluß geltend zu machen.
Er bezeichnete die Note an Serbien als „the most formi- dable document ever addressed by one State to another" und eine Annahme derselben kaum vereinbar mit der Existenz eines unabhängigen Staates, nachdem das Wiener Kabinett ihm ja den Text der Antwort sogar diktiere.
Die Hauptsorge des Staatssekretärs sei aber die Rück- wirkung auf den europäischen Frieden gewesen. In allen seinen Konversationen habe Sir Edward betont, daß er, so- lange als es nur eine Frage zwischen der Monarchie und Serbien sei, keine Veranlassung habe, sich einzumischen.
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Ihn beschäftige nur die Möglichkeit des Eingreifens Rußlands, was zu unabsehbaren Folgen führen könnte, die für ganz Europa verhängnisvoll werden müßten. Er sprach zunächst stets von der Eventualität eines Kampfes zwischen vier Großmächten, Österreich-Ungarn, Rußland, Deutschland und Frankreich (auch Fürst Lichnowsky gegenüber tat er das), und nannte weder England noch Italien.
Ein derartiger Krieg würde mit dem Bankerott Europas enden, die Industrien in allen Ländern lahmlegen. Es würde kein Kredit mehr existieren, die Industriearbeiter, ohne Broterwerb, würden losbrechen und so manche bestehende Institution (das heißt das monarchische Prinzip) würde ein- fach weggefegt werden.
Fürst Lichnowsky, der überhaupt schlechte Nerven habe, sei durch die bestimmte Sprache Sir Edwards sehr im- pressioniert gewesen, die der englische Staatssekretär führte, als er hörte, das Wiener Kabinett hätte die serbische Ant- wort als unbefriedigend zurückgewiesen, nachdem er die- selbe als die weitestgehende Demütigung ansah, der sich jemals ein unabhängiger Staat unterworfen habe.
Fürst Lichnowsky habe stets die Besorgnis, England werde sich vollständig und demonstrativ auf die Seite seiner Ententefreunde stellen, wenn man den Eindruck habe, daß die Monarchie nur einen Vorwand gesucht habe, um Serbien zu vernichten.
Wenn gar das Mißtrauen in London Platz greife, daß Deutschland die Monarchie vorschiebe ' und einen Krieg mit Rußland provozieren wolle, so würde England unbe- dingt diese befürchtete Schwenkung vollziehen. (In diesem Punkte könne Graf Mensdorff seinem deutschen Kollegen nur beipflichten, denn wenn man einmal in London glaube, Deutschland treibe zum Kriege, könne die Stimmung sehr gefährlich werden. Bezeichnend sei der Appell an Kaiser Wilhelm, der in zahlreichen Artikeln Londoner Blätter zu finden sei, er möge seinen ganzen Einfluß im Interesse des Friedens geltend machen.)
1 Siehe Seite 201, 202, 271, 279 oben. 276
Am Sonntag, den 26. Juli, war Sir E. Grey nicht an- wesend und Graf MensdorfF sah nur Sir A. Nicolson ganz kurz, um Ihm offiziell den Abbruch der diplomatischen Beziehungen Österreich-Ungarns mit Serbien mitzuteilen.
Montag, den 27. Juli, habe Sir Edward den k. u. k. Bot- schafter nachmittags im Parlamentsgebäude empfangen, kurz nachdem er seine Erklärung im Unterhause abgegeben hatte.
Er kam immer darauf zurück, daß Serbien ja beinahe alle österreichisch-ungarischen Forderungen angenommen habe, jedenfalls viel mehr, als man der serbischen Regierung zumuten konnte.
Graf Mensdorff versuchte, an der Hand der einzelnen Punkte nachzuweisen, daß gerade die Reserven und Aus- lassungen In der Antwort geeignet seien, die Durchführung aller österreichisch-ungarischen Forderungen illusorisch zu machen, und betonte, daß nach allen traurigen Erfahrungen der letzten Jahre eine endgültige Regelung des Verhältnisses der Monarchie zu Serbien für dieselbe eine vitale Frage sei. Die Monarchie könnte nicht zugeben, daß in einem kleinen Nachbarstaate der baldige Zusammenbruch der Monarchie auf der Tribüne, in der Presse, in der Armee und in der Schule als Dogma verkündet werde und, als ob die Monarchie in einem schlechteren Zustande als die Türkei wäre, die Territorien bezeichnet würden, die den habgierigen, von Größenwahn erfaßten kleinen Anrainern zufallen sollten.
Keine Großmacht könne sich das bieten lassen. Die Monarchie verteidige ihre Lebensinieressen, für Rußland sei es höchstens eine Prestigefrage.
Sir E. Grey erwiderte, das Prestige spiele am Balkan eine große Rolle, und wenn die österreichisch-ungarische Politik dahin abziele, den russischen Einfluß ganz vom Balkan auszuschalten, so könne man nicht von der rus- sischen Regierung verlangen, daß sie das akzeptiere.
Er sprach noch von den früheren Abmachungen (Mürz- steg), wodurch gerade eine billige Teilung des Einflusses der Monarchie und Rußlands herbeigeführt werden sollte.
Graf Mensdorff verwies darauf, daß bei diesen Ab- machungen und namentlich noch weiter zurück, Serbien
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stets als in die Einflußsphäre der Monarchie gehörend an- gesehen wurde. Jetzt habe, im Gegensatze dazu, Rußland gerade Belgrad zum Hauptzentrum seines Einflusses machen wollen.
Sir Edward Grey brachte ferner wiederholt — unzweifel- haft von Petersburg suggeriert — das Argument vor, daß die Monarchie ohne direkten Territorialerwerb einen Zustand schaffen wolle, der Serbien jeder staatlichen Unabhängigkeit beraube und es in ein Vasallenverhältnis zur Monarchie bringe.
Resümierend bemerkte Graf Mensdorff, Sir Edward sehe heute sehr schwarz, weil die direkten Besprechungen zwischen Wien und Petersburg abgehrochen scheinen.
Er sei in steter Verbindung mit Berlin und gebe sich die größte Mühe, im Verein mit dem deutschen Reichs- kanzler ein Mittel zu finden, um den Bruch zwischen der Monarchie und Rußland zu verhindern.
Vom englischen egoistischen Standpunkt betrachtet, handle es sich für die englische Regierung darum, daß Frankreich nicht hineingezogen werde. Wie Graf Mensdorff wiederholt telegraphisch gemeldet habe, dürfte England wegen eines russischen Interesses nicht aus seiner Neutralität heraustreten. Sobald aber Frankreich in Aktion trete, ändere sich die Lage bedeutend. Keine englische Regierung könne sich dem entziehen, Frankreich beizustehen, wenn es in einem vitalen Interesse bedroht sei. Die absolut unge- schwächte Erhaltung der Großmachtstellung Frankreichs sei ein unverrückbares Grundprinzip der englischen Politik aller Parteien. Das müsse man stets und unentwegt vor Augen halten, wenn man die Haltung Englands in großen europäischen Fragen in Betracht ziehe. Besprechung Bei cincr Besprechung mit Sir Edward am 30. Juli ' ir war s ^^achtc Graf Mensdorff neuerlich auf den unbefriedigenden
mit dem o
k. u. k. Charakter der serbischen Note aufmerksam und erklärte
3o"T"°i)" '^''' gi^ößtem Nachdrucke, die Monarchie hege ebenso wie
Deutschland den aufrichtigen Wunsch, die guten Beziehungen
unter den Großmächten nicht gestört zu sehen. Auch
1 Telegramm aus London d. d. 30. Juli, 10 Uhr p. m., Nr. 121. 278
betonte Graf MensdorfF, das Wiener Kabinett werde durcii niemand gesclioben ', was Sir Edward aucli anerkannte. Trotzdem war seine Beurteilung der Lage eine sehr pessi- mistisclie und er meinte, wir steuerten einem allgemeinen Kriege entgegen. Die Versicherungen des Grafen Mensdorff, daß die Monarchie gezwungen sei, sich mit Serbien aus- einanderzusetzen, daß sie aber keinen Streit mit irgend- einer Großmacht habe, beantwortete der Staatssekretär stets damit, daß es dann unbegreiflich sei, warum man es in Wien absolut abgelehnt habe, die glücklich 'begonnene Kon- versation zwischen Herrn Sazonow und Graf Szäpdry fort- zusetzen, die wie ein Hoffnungsstrahl auf ganz Europa gewirkt hätte. Jetzt mobilisiere Rußland, morgen vielleicht Deutschland und Frankreich. Auch die Konversation zwi- schen Berlin und Petersburg scheine nicht einen günstigen Verlauf zu nehmen.
Auf die Bemerkung Graf Mensdorffs, er rechne auf Sir Edward, um in Petersburg zu beruhigen, erwiderte der Staatssekretär, es würden ihm zwei entgegengesetzte Stand- punkte angeraten: sich unbedingt auf die Seite Rußlands und Frankreichs zu stellen, wodurch der Krieg verhindert werden könnte (Graf Mensdorff warf ein, das würde wohl höchstens das Gegenteil herbeiführen), oder zu erklären, daß England unter keiner Bedingung an einem Kriege Frankreichs und Rußlands teilnehmen würde. Letzteres, ver- sicherte er, würde den Krieg auch nicht verhindern.
Sir Edward sei stets mit Berlin in Verbindung und bemühe sich noch weiter im Interesse des Friedens. Um in Petersburg etwas zu erwirken, müsse er aber irgend etwas haben; wenn er mit leeren Händen käme und nur verlange, Rußland solle bei Seite stehen, bis die Monarchie mit Serbien abgerechnet habe, werde er nichts durchsetzen können. ,
Graf Mensdorff verwies wieder ausführlich darauf, daß für die Monarchie die Austragung ihrer Differenzen mit Serbien eine Existenzfrage sei, für alle andern höchstens eine Prestigefrage. Sir Edward meinte, er müsse mit Fakten rechnen, und wenn das Wiener Kabinett glaubte, Rußland
1 Siehe Seite 201, 202, 271, 276.
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würde die Vernichtung Serbiens ruhig hinnehmen, so sei dies ein Irrtum. England icümmere nicht der Kampf der Monarchie mit Serbien, nur dessen Rüci^wirtcung auf das Verhähnis zwischen den Großmächten. Das Wiener Kabinett aber habe die Konversation mit Petersburg abgebrochen und brächte auch den anderen Mächten nichts, was sie in Petersburg verwerten könnten.
Auf diesen letzten Punkt antwortete Graf Mensdorff, es sei jetzt, da der Krieg begonnen habe, für die Monarchie schwer, irgend etwas zu sagen. Was könnte denn das Wiener Kabinett Sir Edward zur Vermittlung an die Hand geben? Der Staatssekretär erwiderte, er wolle lieber keine Anregung machen, nachdem eine solche in der Monarchie wie eine unberufene Einmischung angesehen werden könnte. Graf Mensdorff versicherte, alles von Sir Edward Kommende würde in Wien stets mit Rücksicht und freundschaftlicher Sympathie aufgenommen werden, drang aber nicht weiter, da er eine Anregung jetzt für vielleicht nicht erwünscht hielt. Im Laufe der Konversation konnte Graf Mensdorff indessen konstatieren, es erscheine nach Ansicht Sir Edwards irgendeine Erklärung seitens der Monarchie, daß sie nach Besetzung der Hauptstadt und eines Teiles des Landes ^s Pfand innehalten würde, falls Serbien die Forderungen befriedige (etwa mit Garantie der Mächte, daß Serbien seine Versprechungen einhalte), als einziges Mittel, den großen Konflikt zu verhüten. Sir Edward verwahrte sich aber ausdrücklich dagegen, irgendeine Suggestion zu machen. Sowohl Sir Edward wie sein Privatsekretär be- urteilten die Lage sehr ernst. Auch letzterer beklagte haupt- sächlich den Abbruch der direkten Konversation mit Sazo- now. Auch meinte Tyrrell, Deutschland habe nicht sehr -glücklich seine Besprechung mit Petersburg begonnen. Sazonow sei entschlossen, unter keiner Bedingung die Rolle Iswolskys im Jahre 1909 zu spielen. Kaiser Nikolaus solle diesmal auch sehr aufgebracht sein. Auch bemerkte Tyrrell, wenn Frankreich in Aktion trete, werde die Stellung der britischen Regierung eine sehr schwierige sein.
Der Eindruck Graf Mensdorffs ging dahin, daß man sich in London eifrigst bemühe, den Frieden zu erhalten, und
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jedem Versuch, der dahin ausgehe, vollste Unterstützung angedeihen lassen werde. Auch sei man bestrebt, der Monarchie sehr weitgehende Satisfaktion und Garantien für die Zukunft gegenüber' Serbien zu verschaffen, wenn, wozu es vielleicht jetzt zu spät sei, das Wiener Kabinett irgendeine Erklärung bezüglich der künftigen Existenz Serbiens als unabhängiger Staat geben könnte, die für Rußland irgend- wie akzeptabel wäre.
Die von dem k. u. k. Botschafter im letzten Absätze Weisung an seiner Meldung gegebene Anregung wurde vom Grafen ß^tschaflir Berchtold insofern aufgegriffen, als Graf Mensdorff am betreffs der 1. August, 7 Uhr morgens, eine am 31. Juli aufgesetzte I;','','^^""^''^ Weisung zugestellt wurde ', der zufolge der k. u. k. Bot- Desimer- schafter nochmals aufmerksam machen sollte, das Wiener "j^^ju,"!^ Kabinett habe Rußland und allen Mächten offiziell erklärt, daß die Monarchie Serbiens Existenz als unabhängiger Staat nicht anzutasten gedenke und daß ihre Aktion auf keinen territorialen Gewinn abziele. Trotzdem habe Rußland die die Monarchie bedrohende Mobilisierung schon seit mehreren Tagen angeordnet.
Fürst Lichnowsky hatte sich in einer Unterredung mit Besorgnisse Graf Mensdorff am 30. luli sehr beunruhigt und aufgeregt ""„
*^ tj ö o Stellungen
gezeigt. Der deutsche Botschafter sehe, meldete Graf Mens- des Fürsten dorff am 30. Juli \ die letzte Hoffnung, den Weltkrieg zu l^o""/^''^' verhüten darin, daß die k. u. k. Regierung die Suggestion annehme, auf dem Wege über Berlin mit St. Petersburg zu verhandeln. Österreich-Ungarn sollte sich mit der bisherigen Besetzung serbischen Gebietes als Pfand begnügen und seine Bedingungen stellen, über welche mit Rußland ver- handelt werden könnte. Am besten sei es, neue Bedingungen zu formulieren und nicht auf das Ultimatum zurückzu- kommen, was nur zu irritierenden Rekriminationen Anlaß geben würde. Diesmal hätte man sich in Berlin ebenso wie in Wien verrechnet, in der Annahme, Rußland werde nicht eingreifen. Es sei nur mehr ein letzter Hoffnungsstrahl, Europa vor der Katastrophe eines allgemeinen Krieges zu
< Weisung nach London d. d. Wien, 31. Juli, Nr. 195. Expediert 1. August, 7 Uhr a. m.
- Telegramm aus London d. d. 30. Juli, Nr. 122.
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bewahren. Sir Edward habe ihm in freundschaftlichster Weise, aber ganz klar zu verstehen gegeben, daß, wenn Frankreich in den Krieg gezogen würde, die englische Flotte sogleich eingreife.
Der Pessimismus des Fürsten Lichnowsky wurde übrigens auch von dem russischen Botschafter in London, Graf Benckendorff, geteilt, der seine letzte Hoffnung auf das Ver- meiden des allgemeinen Krieges in die Wiederaufnahme einer direkten Konversation zwischen Wien und St. Peters- burg setzte '. Demarche Graf Mcnsdorff führte am 1. August vormittags die ihm
jesk.u.k. 21 juij übermittelten beiden Aufträge aus-. Der erste
Botschatiers '^ "
<i. August) betraf die Bekanntgabe der neuerlichen Erklärung des Wiener Kabinetts hinsichtlich des territorialen Desinteressements in Serbien'; der zweite ging dahin, Sir Edward über die bezüglich der Aussprache Graf Berchtolds mit Herrn Schebeko russischerseits obwaltenden Mißverständnisse auf- zuklären *. Der Staatssekretär bemerkte hiezu, er setze seine Bemühungen unentwegt fort und verwerte alles, was man ihm an die Hand gebe.
Das an den k. u. k. Botschafter in Berlin, in London und in Petersburg am 1. August morgens, 3 Uhr 45 Minuten, expedierte Telegramm, das Graf Mensdorff über die Erledigung des deutscherseits in Wien vorgebrachten englischen Ver- mitdungsvorschlages (vom 29. Juli) orientieren sollte '■, traf in London am 1. August nachmittags ein. Graf Mensdorff beeilte sich, dasselbe, da Fürst Lichnowsky noch ohne Instruktion war, mit dessen Wissen sofort Sir Edward Grey informativ und vertraulich vorzutragen. Der Staatssekretär versprach, ohne die erhaltene Nachricht als Mitteilung der k. u. k. Regierung durch Graf Mensdorff zu bezeichnen, den Inhalt als von zuverlässiger Seite kommend zu verwerten. Er wiederholte auch jetzt, daß er auch in letzter Stunde bereit sei, alles aufzubieten, um den Frieden zu erhalten.
' Telegramm aus London d. d. 31. Juli, Nr. 123. - Telegramm aus London d. d. 1. August, Nr. 131.
3 Vgl. Seite 267 unten.
4 Vgl. Seite 211 If, 292 ff. ■^ Vgl. Seite 233 ff.
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Die inzwischen in Wien bekannt gewordene Geste Eng- Auftrag »n lands, alctiv in den Weitkrieg einzugreifen, veranlaßte Graf Bo"s^hafier Berclitold, dem k. u. k. Botscliafter in einer am 1. August, England die 11 Ulir nactits, übermittelten Weisung anheimzustellen, in Neu^r'amär seiner nächsten Konversation mit Sir Edward Grey oder vorzuhalten anderen englischen Politikern die folgenden Argumente zu "' *"^"^" verwerten '.
Durch ein Jahrhundert sei die englische Politik von dem Gegensatze zu Rußland beherrscht gewesen. Erst nach dem Burenkrieg und den ostasiatischen Niederlagen Rußlands habe England den Kurs geändert und sich die diplomatische Eindämmung des deutschen Einflusses zum Ziel gesetzt. Seither habe sich Rußland jedoch nicht nur ganz erholt, sondern es nehme gegenwärtig militärisch wie wirtschaftlich eine fast präponderierende Stellung ein. Entspreche es unter solchen Umständen den englischen Interessen, sich aktiv an einer Aktion zu beteiligen, deren eventueller Erfolg nur darin bestehen könne, die Macht Rußlands enorm zu steigern und die Aufrollung der Meerengen- und der kleinasiatischen Fragen näherzurücken? Wäre es vom Standpunkt Eng- lands nicht gefährlich, eine Entwicklung zu fördern, die in letzter Konsequenz zu einer Bedrohung der englischen Stellung in Indien führen müsse?
Durch eine abwartende und neutrale Haltung im Falle des europäischen Konflikts würde England vollkommen freie Hand behalten, zu dessen Ergebnis seinen Interessen entsprechend Stellung zu nehmen, ohne durch frühere Parteinahme gebunden zu sein. Hiedurch würde Eng- land sich auch die Möglichkeit offen halten, bei den späteren Friedensverhandlungen im Interesse des euro- päischen Gleichgewichtes die vermittelnde Rolle fortzusetzen, in der es sich während der Balkankrise so große Ver- dienste erworben habe.
Bis zum 31. Juli bestanden laut Meldung des k. u. k. Militärische Botschafters die militärischen Maßnahmen in England in J^"""^'"""-"
^ in hnpiand
der Kriegsausrüstung der Befestigungen, im Vorkaufsrecht auf die Walliser Kohlenreservoire, in der Annahme eines
' Weisung nach London d. d. Wien, 1. August, 11 Ulir p. m., Nr. 199.
283
in England
Anregungen des russi- schen Bot- schafters in seiner Besprechung mit Graf Berchiold (28. Juli)
Besprechung
des ic. u. k.
Botschafters
mit Herrn
Sazonow
(29. Juli).
Graf Szäpäry
ohne
Weisung
hinsichtlich
der von
Herrn
Sazonow
angeregten
Mediation
Bereitschaftszustandes regulärer und auch eines Teiles der Territorialarmee, ohne eine ausgesprochene Mobilisierung'.
Verhandlungen mit Rußland
Im Verlaufe seines mit dem Grafen Berchtold am 28. Juli geführten Gespräches- hatte Herr Schebeko bemerkt, es wäre nicht unmöglich, daß eine zwischen den Kabinetten von Wien und Petersburg eingeleitete Konver- sation über die serbische Frage auch zu einer Besprechung jener Angelegenheiten führen könne, welche die Beziehungen zwischen Rußland und Österreich-Ungarn direkt beträfen, was diesen Beziehungen zum Vorteil gereichen könnte.
In seiner Erwiderung an den russischen Botschafter hatte Graf Berchtold zwar eine weitere Konversation über den Streit der Monarchie mit Serbien als untunlich bezeichnet, die weitere Anregung Herrn Schebekos bezüg- lich einer Besprechung der beide Kabinette direkt berühren- den Fragen jedoch nicht abgelehnt, da er es für nützlich hielt, die Frage noch offen zu lassen und auf diese Weise dem Wiener Kabinett die Möglichkeit zu wahren, die Kon- versation hierüber fortzusetzen, wenn sich hiezu eine Gelegenheit ergäbe.
Die ihm mit dem Erlasse d. d. 25. Juli am 27. d. M. abends zugekommenen Aufträge führte Graf Szäpäry in einer Besprechung mit Herrn Sazonow am 29. Juli durchs
Da Graf Szäpäry schon am 27. Juli aus eigenen Stücken die meisten in der zitierten Weisung enthaltenen Konsi- derationen vorgebracht hatte, wiederholte er dieselben präziser, mit dem Hinweis, daß er nunmehr im selben Sinne und auf Grund von Instruktionen sprechen könne. Der Minister schien entäuscht, da er erwartet hatte, Graf Szäpäry werde zu der von ihm am 27. Juli angeregten Mediation Stellung nehmend Er fragte, ob Graf Szäpäry auf seine diesbezügliche Meldung Antwort erhalten hätte,
1 Telegramm aus London d. d. 31. Juli, Nr. 124.
^ Tagesbericht d. d. 29. Juli, Nr. 3631. — Vgl. Seite 211.
■> Telegramm aus St. Petersburg d. d. 29. Juli, 10 Uhr a. m., Nr. 173.
* Vgl. Seite 206 ff.
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was dieser verneinte. Sazonow meinte, dies bedeute nicht allzu viel Gutes und konstatierte, daß die Situation jeden- falls ernst sei. Die serbische Antwort sei so konziliant gewesen, daß er erstaunt sei, daß man dieselbe als ungenügend angesehen habe. Graf Szapäry kritisierte die Note des Herrn Pasic und hob hervor, daß besonders der am meisten im Vordergrund stehende Punkt der Mit- wirkung bei der Untersuchung über das Attentat unglaub- licherweise glatt abgelehnt worden sei. Wenn sich die serbische Regierung wenigstens auch hier auf eine Bitte um Interpretierung beschränkt hätte! Herr Sazonow erklärte hierauf, die Monarchie sei also nur wegen des einen Punktes mit Serbien uneinig. Graf Szäpdry korrigierte, die serbische Regierung sei auch bei vielen anderen Punkten nur der Form nach entgegengekommen, daß aber die Ablehnung dieses Punktes wohl den schlechtesten Eindruck hervor- rufen müsse. Sodann bat Herr Sazonow nochmals dringend um die Übermitdung des Dossiers, welches den Mächten versprochen worden sei und noch nicht vorliege. Man wolle dasselbe doch sehen, bevor der Krieg mit Serbien begonnen habe. Wenn der Kriegsausbruch einmal erfolgt sei, sei es zu spät, Dossiers zu prüfen. Dies alles besprach der Minister trotz sichtlicher Enttäuschung in ziemlich ruhiger und freundschaftlicher "\yeise, so daß der k. u. k. Bot- schafter den Eindruck hatte, Herr Sazonow setze noch Hoffnung darauf, im Dossier etwas zu finden, was ihm das Abrücken von Serbien ermöglichen könnte.
Die Erklärung des territorialen Desinteressements, dessen Ankündigung Herrn Sazonow wohl ohnehin erwartet hatte, machte ihm nicht viel Eindruck. Daß das Wiener Kabinett die Souveränität Serbiens zu schonen gedenke, wollte er unter Hinweis auf die Natur der österreichisch-ungarischen Forderungen nicht recht gelten lassen. Daß die Monarchie nicht eine gegen Rußland gerichtete Balkanpolitik machen wolle, führte zu einer längeren akademischen und historischen Erörterung über die Reformära, Sandschakbahn usw. Die ganze Unterredung spielte sich in vollkommen freundschaft- licher Form ab. Graf Szäpäry verabschiedete sich sodann, da der Minister zum Zaren nach Peterhof beschieden war.
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Graf Szäpäry bitter um Instruk- tionen
zwecks Rück- .lußerung auf die Mediations- anregung Herrn Sazonows (29. Juli)
Weisung an Graf Szäpäry
Nach Graf Szäpdrys Ansicht klammere sich der Minister bei der vorhandenen Unlust, mit der Monarchie in Konflikt zu geraten, an Strohhalme, in der Hoffnung, doch noch der gegenwärtigen Situation zu entkommen. Der k. u. k. Botschafter müsse speziell konstatieren, daß Herr Sazonow im Gegensatze zu früheren Spannungsperioden diesmal nie von öffentlicher Meinung, Slawentum, Orthodoxie gesprochen habe und stets politisch sachlich diskutiere, indem er besonders das Interesse Rußlands an dem Unterbleiben einer Infeodierung Serbiens hervorhebe. Die seither erfolgte Kriegserklärung an Serbien werde nunmehr bald die wahren Absichten Rußlands in Erscheinung treten lassen.
Die öffentliche Meinung sei bis jetzt merkwürdig ruhig gewesen, so daß eine Berufung auf dieselbe einstweilen schwer gewesen wäre; die Kriegserklärung Österreich- Ungarns an Serbien dürfte allerdings eine starke Reper- kussion hervorbringen.
In diplomatischen Kreisen sei die Stimmung im allge- meinen sehr pessimistisch. Der die englischen und die Petersburger Verhältnisse sehr genau kennende japanische Botschafter halte ein Eingreifen Rußlands für unver- meidlich.
Um eine Kränkung Herrn Sazonows, der irgendeine Rückäußerung auf seine Mediationsanregung erwarte, zu vermeiden und um dem Anscheine zu entgehen, als ob die österreichisch-ungarische Kriegserklärung sozusagen die Antwort auf seinen Vorschlag gewesen sei, richtete Graf Szäpäry am 29. Juli vormittags die unvorgreifliche Anfrage an Graf Berchtold ', ob er dem russischen Minister sagen könne, die Erklärung des Kriegszustandes sei schon „be- schlossen gewesen, als Graf Szäpdrys Telegramm in Wien eingetroffen sei, beziehungsweise als Herr Schebeko die analoge Anregung machte. Sollte Herrn Schebeko irgend- welche Antwort auf die russischen Vorschläge zuteiT ge- worden sein, so erbitte Graf Szäpäry hierüber Mitteilung.
Dieses am 29. Juli um halb vier Uhr nachmittags in Wien einlangende Telegramm des k. u. k. Botschafters
I Telegramm aus St. Petersburg d. d. 29. Juli, 11 Uhr 27 Minuten a. m., Nr. 176.
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beantwortete Graf Berchtold mit einer am 29. Juli, 1 1 Uhr <3o. juii): 45 Minuten nachmittags, expedierten Depesche '. ceLndc" ^'
Der k. u. k. Botschafter könne jedenfalls der Wahrheit ''""" ^''="-
tuell auf eine
entsprechend Herrn Sazonow gegenüber darauf hinweisen, umerbind- daß, als die Meldung Graf Szäpärys über die Mediations- ''""''^ ""■
' " ^ ' gemein
anregung Herrn Sazonows eintraf-, „die Erklärung des gei,aitene Kriegszustandes bereits endgültig beschlossen gewesen E'^önerunR sei" K
Eine zweite hinsichtlich der Vermittlungsanregung Herrn Sazonows an Graf Szäpdry ergangene Weisung führte aus *:
Aus dem Telegramm des Grafen Szäpäry vom 29. Juli ersehe Graf Berchtold, daß Herr Sazonow die Antwort Graf Berchtolds betreffs der Proposition des russischen Ministers zur Fortführung der mit dem Grafen Szäpäry eingeleiteten Konversation möglicherweise mißverstanden habe.
Graf Berchtold sei selbstverständlich nach wie vor bereit, die einzelnen Punkte der durch die Ereignisse übrigens bereits überholten, an Serbien gerichteten Note Österreich-Ungarns durch den Grafen Szäpäry Herrn Sazonow zu erläutern. Auch würde Graf Berchtold beson- deren Wert darauf legen, bei dieser Gelegenheit der ihm durch Herrn Schebeko verdolmetschten Anregung des russischen Ministers des Äußern entsprechend, auch die die Beziehungen der Monarchie zu Rußland direkt be- rührenden Fragen einer freundschaftlichen und vertrauens- vollen Ausspräche zu unterziehen, wovon eine Behebung der in diesem Belange bedauerlicherweise bestehenden Unklarheiten und die Sicherstellung der so wünschenswerten friedlichen Entwicklung der nachbarlichen Verhältnisse zu erhoffen wäre.
' Weisung nach St. Petersburg d. d. 29. Juli, 1 1 Uhr 45 Minuten p. m., Nr. 194.
2 27. Juli, 4 Uhr 30 Minuten p. m. (Telegramm aus St. Petersburg d. d. 27. Juli, Nr. 165). (Vgl. Seite 206.)
'■'• Die Worte „beschlossen gewesen" stehen im Konzepte auf Rasur.
* Weisung nach St. Petersburg d. d. 30. Juli, 1 Uhr 20 Minuten p. m., Nr. 198.
287
Zweite Be- sprechung des k. u. k. Botschaflers mit Herrn Sazonow (29. Juli)
Grat' Szäpdry wolle Herrn Sazonow von sich aus fragen, welche Belange der Minister dieser Konversation zugrunde legen würde, eventuell auch auf eine unverbind- liche, allgemein gehaltene Erörterung, die natürlich jeden Gegensatz zu russischen Interessen a limine ausschalten müßte, eingehen und die Bereitwilligkeit aussprechen, dem Grafen Berchtold hierüber Meldung zu erstatten.
Da der deutsche Botschafter dem Grafen Szdpäry mit- geteilt hatte, Herr Sazonow zeige sich über das Refus des Grafen Berchtold, den Gedankenaustausch mit Rußland fortzusetzen und über die angeblich weit über das not- wendige Maß hinausgehende und daher gegen Rußland gerichtete Mobilisierung Österreich-Ungarns sehr aufgeregt, suchte Graf Szdpäry Herrn Sazonow am 29. Juli neuerlich auf, um einige vorhandene Mißverständnisse aufzuklären und hiebei näheren Einblick in die russischen Pläne zu gewinnen*.
Herr Sazonow begann damit zu konstatieren, daß Öster- reich-Ungarn kategorisch einen weiteren Gedankenaustausch ablehne. Graf Szdpdry stellte richtig, daß Graf Berchtold es zwar abgelehnt hätte, nach allem was vorgefallen, über die Notentexte und den österreichisch-ungarisch-serbischen Konflikt überhaupt zu diskutieren, daß Graf Szdpdry aber feststellen müsse, er sei in der Lage gewesen, eine viel breitere Basis des Gedankenaustausches dadurch anzuregen, daß er erklärte, das Wiener Kabinett wünschte keine russischen Interessen zu verletzen, hätte nicht die Absicht, serbisches Territorium an sich zu bringen und gedächte auch nicht, die Souveränität Serbiens anzutasten. Graf Szdpdry sei überzeugt, daß Graf Berchtold über öster- reisch-ungarische und russische Interessen immer bereit sein würde, mit Petersburg Fühlung zu nehmen.
Herr Sazonow meinte, in territorialer Hinsicht habe er sich überzeugen lassen, aber was die Souveränität anbelange, müsse er den Standpunkt festhalten, die Aufzwingung der österreichisch-ungarischen Bedingungen sei ein Vasallentum.
I Telegramm aus St. Petersburg d. d. 29. Juli, 1 1 Uhr p. m., Nr. 180. EingetrofFen am 30. Juli, 1 1 Uhr a. m.
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Dieses aber verstoße gegen das Gleichgewicht am Balkan, und letzteres sei das in Frage kommende russische Interesse. Darauf kam Herr Sazonow wieder auf die Diskussion über die Note, auf die Aktion Sir E. Greys zurück und wollte Graf Szapary neuerlich nahelegen, daß man das legitime Interesse der Monarchie zwar anerkenne und voll befriedigen wolle, daß dies aber in eine für Serbien annehmbare Form gekleidet werden sollte. Denn man streite sich da wirklich nur um Worte herum. Graf Szdpäry meinte, das in Frage stehende Interesse sei kein russisches, sondern ein serbisches und versuchte, als Herr Sazonow geltend machte, russische Interessen seien in diesem Falle eben serbische, dem circulus vitiosus durch den Übergang auf ein anderes Thema ^in Ende zu machen.
Der k. u. k. Botschafter erwähnte weiter, er habe gehört, man sei in Rußland beunruhigt, daß die Monarchie für die Aktion gegen Serbien acht Korps mobilisiert habe. Herr Sazonow bestätigte, daß nicht er, der hievon gar nichts gewußt habe, sondern Kaiser Nikolaus, auf eine Information des Generalstabschefs, diese Bedenken geäußert habe. Graf Szäpäry suchte dem Minister darzulegen, daß auch ein militärisches Kind sich leicht überzeugen könne, daß die südlichen Korps der Monarchie keine Bedrohung Rußlands bedeuten könnten. Auch machte Graf Szäpäry Herrn Sazonow auf die Erfahrung Österreich-Ungarns im bosni- schen Feldzuge aufmerksam. Bei diesem Anlasse erwähnte er auch die ungewisse Haltung Montenegros, bezüglich welcher Herr Sazonow einwarf, Herr von Giers habe tele- graphiert, der König habe seiner Abneigung gegen Serbien und seiner austrophilen Gesinnung laut Ausdruck gegeben. Graf Szäpäry erwiderte, daß die Monarchie bei allem Ver- trauen in König Nikolaus hierin noch keine militärische Garantie erblicken könnte, und bedeutete dem Minister, daß es gut wäre, wenn sein kaiserlicher Herr über die wahre Situation informiert würde, um so mehr, als es dringend geboten sei, wenn man den Frieden wolle, dem militärischen Lizitieren, das sich jetzt auf Grund falscher Nachrichten einzustellen drohe, ein rasches Ende zu bereiten. Herr Sazonow meinte (wie der k. u. k. Botschafter in seiner
»9 289
Meldung bemerkte: sehr charakteristischerweise), er könne dies dem Genralstabschef mitteilen, denn dieser sehe den Zaren alle Tage. Der Minister hingegen gehe in einer Zeit wie in der gegenwärtigen zum normalen Dienstag- empfang und erfahre erst durch den Zaren, was die Militärs demselben zutrügen.
Herr Sazonow teilte ferner mit, es werde heute ein Ukas unterzeichnet, der eine Mobilisierung in ziemlich weitem Umfange anordne. Er könne dem Grafen Szdpäry aber auf das Alleroffiziellste versichern, daß diese Truppen nicht dazu bestimmt seien, über die Monarchie herzufallen; sie würden nur Gewehr bei Fuß bereit stehen für den Fall, als Rußlands Balkaninteressen gefährdet würden. Eine note ex'plicative werde dies feststellen, denn es handle sich nur um eine Vorsichtsmaßregel, die Kaiser Nikolaus gerecht- fertigt gefunden habe, da die Monarchie, die ohnedies den Vorteil rascherer Mobilisierung habe, nunmehr auch den so großen Vorsprung hätte. Graf Szdpäry machte Herrn Sazonow in ernsten Worten auf den Eindruck aufmerksam, den eine solche Maßnahme in der Monarchie erwecken werde. Er könne nur bezweifeln, daß die note explicative diesen Eindruck zu mildern geeignet sein werde, worauf der Minister sich nochmals in Versicherungen über die Harm- losigkeit dieser Verfügung erging.
Während der Minister mit Graf Szdpäry solcherart in vertraulichem Gedankenaustausch stand, erhielt Herr Sazonow durch das Telephon die Nachricht, Österreich- Ungarn hätte Belgrad beschossen. Herr Sazonow war auf Grund dieser Mitteilung wie ausgewechselt und meinte, indem er seine bisherigen Argumente wieder aufnahm, er sehe jetzt, wie Kaiser Nikolaus recht gehabt habe. „Sie wollen nur Zeit mit Verhandlungen gewinnen, aber Sie gehen vorwärts und beschießen eine ungeschützte Stadt!" „Was wollen Sie eigentlich noch erobern, wenn Sie die Hauptstadt im Besitz haben?" Das Argument, daß ein solches Vorgehen gegen Serbien das Gegenteil einer Bewegung gegen Rußland bilde, störte den Minister wenig, „Was sollen wir noch konversieren, wenn Sie so vor- gehen", sagte er. Als Graf Szdpäry Herrn Sazonow
290
Taktik Herrn Sazonows
verließ, befand sich dieser in äußerst aufgeregter Stimmung, und auch Graf Pourtales, der den russischen Minister nachher neuerlich aufsuchte, mußte wenigstens für diesen Tag (29. Juli) auf eine ruhige Konversation verzichten.
Die sich häufenden Indizien diplomatischer und mili- Ansichten tärischer Natur ermöglichten es, wie Graf Szäpdry in Fort- g^s^hafiers Setzung seines Berichtes meldete ', nunmehr eine Vermutung über die über die von Herrn Sazonow beabsichtigte Taktik auszu- sprechen. Der Minister scheue den Krieg ebenso wie sein (m. juin kaiserlicher Herr und suche, ohne aus dem serbischen Feld- zug Österreich-Ungarns die sofortige Konsequenz zu ziehen, der Monarchie die Früchte desselben, wenn möglich ohne Krieg, streitig zu machen, sollte es aber zum Kriege kommen, in denselben besser als jetzt gerüstet einzutreten. Durch eine von friedlichen Erklärungen begleitete, scheinbar nur gegen Österreich-Ungarn gerichtete, zugleich Rumänien eine Rückendeckung bietende Mobilisierung solle Deutschland tunlichst ausgeschaltet, auf Österreich-Ungarn in der serbi- schen Kampagne möglichst ein Druck ausgeübt und, sobald die Operationen zu einem Erfolge geführt hätten, die Rettung Serbiens durch Rußland vorgenommen werden. Sollten die übrigen Balkanstaaten sich rühren und aus dem Vorgehen der Monarchie Profit ziehen wollen, so würde Rumänien zum Schutze des Bukarester Friedens vorgeschoben. Wollte Österreich-Ungarn hiegegen Stellung nehmen, könnte es zum europäischen Kriege mit Rumänien auf russischer Seite kommen. Wollte aber Österreich-Ungarn und Deutschland aus der russischen Mobilisierung schon jetzt die Konse- quenzen ableiten und einen militärischen Vorsprung Rußlands nicht aufkommen lassen, stünde das friedliche Rußland als angegriffen da und hätte mehr Aussicht, auf diese Weise Frankreich und vielleicht sogar England mitzureißen, und die günstige moralische und militärische Situation der Monarchie würde geschädigt. Rußland umgehe die Klemme, die sich aus der Berechtigung des österreichisch-ungarischen Vorgehens gegen Serbien ergebe, und wäre doch in der Lage — vielleicht sogar ohne Krieg zu führen — seine
1 Telegramm aus St. Petersburg d. d. 30. Juli, 1 Uhr a. m., Nr. 181.
291
ßalkaninteressen zu wahren. Unter Anführung solcher
Konsiderationcn dürfte Kaiser Nikolaus für die ihm gewiß
wenig sympathische Mobilisierung gewonnen worden sein.
Daß die militärischen Kreise eifrig am Werk sein dürften,
diesen komplizierten politischen Kalkül, wenn nur irgend
möglich, auf eine einfachere Form zu reduzieren und durch
Stimmungmachen und Einwirkung auf den Kaiser im Wege
falscher Nachrichten, sobald eine gewisse Kriegsbereitschaft
erreicht sei, die Ereignisse nach Tunlichkeit zu überstürzen,
sei allerdings keineswegs ausgeschlossen.
Besprechung Dic Mitteilungen, die Graf Szäpäry auf die eigenen Wahr-
Bcrchi'Jid" nshmungen und auf seine Verständigungen durch Graf
mit dem Pourtalcs basicrt hatte, bewirkten, daß Graf Berchtöld am
russischen 3^^ j^jj i^^^^^ Schebcko ZU slch bitten ließ ', um ihm aus-
Botscnarter ^ '
(30. Juli), einanderzusetzen, daß allem Anscheine nach ein Mißver-
uZl ^"t ständnis über die Konversation am 28. Juli vorliegen müsse,
lungnahme indem Graf Berchtöld gemeldet worden sei, Herr Sazonow
schwtrde- ^^' ^°" ^^^ glatten Ablehnung seiner Proposition bezüglich
führung dcr Aussprachc mit Graf Szäpäry peinlich berührt, wie
Herrn Sazonows
nicht minder davon, daß kein Gedankenaustausch zwischen i.betreffsder Graf Berchtold und Herrn Schebeko stattgefunden habe. Ablehnung ^^^ ^^^ ^^^^^^^ p^^^^ anbclangc, habe Graf Berchtold
semer Propo- ^ '
aiiion hin- dcm Grafen Szäpäry bereits telegraphisch freigestellt, auch sichtlich weiterhin etwa seitens Herrn Sazonows gewünschte Er-
einer Aus- o
spräche mit läutcrungcn der Note — welche übrigens durch den Krlegs- dem k. u. k. ays^^pm^i^ übcrholt erscheine — zu geben. Es könne sich
Botschafter 0
in Peters- dics allerdings nur im Rahmen nachträglicher Aufklärungen ^"^' , bewegen, da es niemals in der Absicht des Wienes Kabinetts
Z. es hatte ö '
kein Gedan- gelegen habe, von den Punkten der Note etwas abhandeln kenaustausch j^ ^ j^ j^^ ^^ f Bcrchtold dcn Grafen Szäpäry
zwischen ,. t^ J
Graf ermächtigt, die speziellen Beziehungen Österreich-Ungarns
Berciitoid ^^ Rußland mit Herrn Sazonow freundschaftlich zu be-
und Herrn
Schebeko sprechen. (Wie Graf Berchtold bei dieser Gelegenheit habe stattgefunden fggt^tgUgr, ^önncn, stammte die Anregung hiezu nicht von Herrn Sazonow, sondern war eine gesprächsweise fallen- gelassene Idee Herrn Schebekos-.)
1 Weisung nach St. Petersburg d. d. 30. Juli, Nr. 202. Expediert 31. Juli, 1 Uhr 40 Minuten a. m.
2 Vgl. Seite 287.
292
Daß Herr Sazonow sich darüber beklagen konnte, es hätte kein Gedankenaustausch zwischen Herrn Schebeko und Graf Berchtold stattgefunden ', müsse auf einem Irrtum beruhen, da sie beide — Schebeko und Graf Berch- told — am 28. Juli nahezu dreiviertel Stunden lang die aktuellen Fragen durchgesprochen hätten-, was Herr Schebeko dem Grafen Berchtold mit dem Bemerken bestätigte, er habe Herrn Sazonow in ausführlicher Weise über diese Unterredung referiert.
Herr Schebeko habe dann ausgeführt, warum man in Petersburg das Vorgehen der Monarchie gegen Serbien mit solcher Besorgnis betrachte. Österreich-Ungarn sei eine Großmacht, die gegen den kleinen serbischen Staat vor- gehe, ohne daß man in Petersburg etwas darüber wisse, was das Wiener Kabinett mit demselben vorhätte, ob die Monarchie dessen Souveränität tangieren, ihn ganz nieder- werfen oder gar zertreten wollte. Durch historische und andere Bande mit Rußland verbunden, könne letzterem das weitere Schicksal Serbiens nicht gleichgültig sein. Man habe es sich in Petersburg angelegen sein lassen, mit allem Nachdrucke auf Belgrad einzuwirken, daß es alle For- derungen der Monarchie erfülle, allerdings zu einer Zeit, wo man nicht wissen konnte, was für Forderungen die Monarchie nachmals gestellt habe. Aber selbst bezüglich dieser Forderungen würde man alles einsetzen, um wenig- stens das Mögliche durchzubringen.
Graf Berchtold erinnerte den Botschafter daran, daß das Wiener Kabinett wiederholt betont hätte, die Monarchie wolle keine Eroberungspolitik in Serbien treiben, auch dessen Souveränität nicht antasten, sondern bloß einen Zu- stand herstellen, der ihr Sicherheit biete gegen Beunruhi- gung seitens Serbiens. Hieran knüpfte Graf Berchtold eine längere Erörterung des unleidlichen Verhältnisses der Monarchie zu Serbien, auch gab er Herrn Schebeko deut- lich zu verstehen, in welch' hohem Maße die russische Diplomatie an diesen Zuständen schuld sei, was Herr
' Vgl. Seite 286. » Vgl. Seite 211 ff.
293
Der k. u. k. Botschafter glaubt ohne neuerlichen ausdrück- lichen Auf- trag die am 30. Juli auf- getragene Demarche < eventuelles Eingehen auf eine unver- bindliche allgemein gehaltene Erörterung) unterlassen zu sollen
Schebeko durchaus nicht ableugnete, nur nahm er seinen Minister in Schutz und stellte ihn als Antagonisten einer solchen Politik hin.
Im weiteren Verlaufe der Unterredung erwähnte Graf Berchtold die nunmehr zu seiner Kenntnis gelangte russi- sche Mobilisierung. Nachdem sich dieselbe auf die Militär- bezirke Odessa, Kiew, Moskau und Kasan beschränke, trage sie einen hostilen Charakter gegen die Monarchie. Was der Grund hievon sei, wisse er nicht, da ja gar kein Streitfall zwischen der Monarchie und Rußland existiere. Öster- reich-Ungarn habe ausschließlich gegen Serbien mobilisiert, gegen Rußland nichts, was schon allein aus dem Umstände zu ersehen sei, daß das erste, zehnte und elfte Korps nicht mobilisiert worden seien '. Bei dem Umstände jedoch, daß Rußland offensichtlich gegen die Monarchie mobilisiere, müßte auch die Monarchie ihre Mobilisierung erweitern, wobei Graf Berchtold jedoch ausdrücklich erwähnen wolle, daß diese Maßnahme selbstverständlich keinen feindseligen Charakter gegen Rußland trage und lediglich als die not- wendige Gegenmaßnahme gegen die russische Mobilisierung zu betrachten sei.
Graf Berchtold bat schließlich Herrn Schebeko, dies nach Petersburg zu melden, was der russische Botschafter ihm auch zusagte.
Sobald Graf Szäpäry in den Besitz der an ihn am 30. Juli, 1 Uhr 20 Minuten nachmittags, expedierten Weisung gelangt war-, telegraphierte er am 31. Juli, 2 Uhr 45 Mi- nuten nachmittags ■■, daß er, wie Graf Berchtold seiner Berichterstattung vom 29. Juli habe entnehmen können, ohne einen diesbezüglichen Auftrag abzuwarten, die Kon- versation mit Herrn Sazonow nahezu auf der ihm nunmehr aufgetragenen Grundlage wieder aufgenommen habe, ur.d daß dieselbe, ohne daß sich die beiderseitigen Standpunkte wesentlich genähert hätten, auf die inzwischen eingetroffene
I D. h. die galizischen Korps. (Vgl. Seite 307.1 - Vgl. Seite 287 ff.
•■ Telegramm aus St. Petersburg d. d. 31. Juli, 2 Uhr 45 Minuten p. m., Nr. 186.
294
Nachricht von der Beschießung Belgrads, die Herr Sazonow wohl als Beweis des tatsächlichen Ausbruches der Feind- seligkeiten betrachtete, vom Minister in brüsker >X'''eise ab- gebrochen worden sei.
Mit Rücksicht darauf, daß sich inzwischen aus der von dem deutschen Botschafter mit dem russischen Minister des Äußern geführten Konversation ergeben habe, daß Rußland sich selbst mit einer formellen Erklärung, Österreich-Ungarn werde weder das serbische Territorium schmälern, noch die serbische Souveränität antasten, noch russische Balkan- oder sonstige Interessen verletzen, nicht zufrieden geben würde und daß seither russischerseits die allgemeine Mobili- sierung angeordnet worden sei, glaube der k. u. k. Bot- schafter ohne einen neuerlichen ausdrücklichen Auftrag des Grafen Berchtold die anbefohlene Demarche unterlassen zu sollen.
Ein am 31. Juli, 2 Uhr 55 Minuten nachmittags auf- suuaiions- gegebenes — vom k. u. k. Botschafter offenbar noch am k"u\' b". 30. Juli verfaßtes — Telegramm des k. u. k. Botschafters schafters besagte ', daß sich Graf Szdpäry, da er heute für Herrn Sazonow keine Aufträge besaß und seine gestrige Konver- sation mit Herrn Sazonow ein durchaus negatives Resultat hatte, nicht veranlaßt gesehen habe, das Auswärtige Amt aufzusuchen.
Die Situation sei übrigens heute noch unklarer als bisher. Dem italienischen Botschafter habe Fürst Trubetzkoj erklärt, die Situation sei eine durchaus veränderte, da die Monarchie Belgrad, „eine offene Stadt", an dem Tage be- schossen hätte, an dem das Wiener Kabinett die Anwendung der ein solches Vorgehen angeblich verbietenden Haager Bestimmungen in Aussicht gestellt hätte. Dieses Argument scheine ein vorbedachtes, weil Herr Sazonow Graf Szäpäry gegenüber in dem Momente, als er die Nachricht von der Beschießung Belgrads telephonisch erhielt, eine analoge Bemerkung gemacht habe.
' Telegramm aus St. Petersburg d. d. 31. Juli, 2 Uhr 55 Minuten p. m., Nr. 182.
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Der deutsche Botschafter, der den russischen Minister heute vor dem Kronrate gesehen und ihm neuerlich ins Gewissen geredet hatte, habe Herrn Sazonow nach dessen Rückkehr vom Kronrate aus Peterhof nochmals gesprochen, ohne daß die Konversation neue Momente auf- gewiesen hätte. Der hieraus zu ziehende Schluß scheine der zu sein, daß man auch in der heutigen Beratung in Peterhof zu keiner klaren Stellungnahme gel^ommen sei.
Auffallend sei es, daß, während man bisher täglich stundenlang vor der k. u. k. Botschaft das Gejohle demon- strierenden Pöbels (wie es verlaute, durch Herrn Maklakow - bezahlte Hooligans) hören konnte, heute um die Botschaft fast vollkommene Stille herrsche. Der mit dem Auswärtigen Amte in engsten Beziehungen stehende Journalist Bogacki, Korrespondent des „Russkoje Slowo", habe sich abends per- sönlich auf der Botschaft eingefunden und sich sehr auf- geregt erkundigt, ob die in der Stadt umlaufenden Gerüchte von einem österreichisch-ungarischerseits wegen der russi- schen Mobilisierung ergangenen Ultimatum richtig seien; dies wäre doch bedauerlich, da es ein irreparabler Schritt sei. Auch die Zeitung „Rjetsch" habe sich auffallend erkundigt, ob Nachrichten aus Wien eingetroffen seien.
Die Stimmung in der ruhigen Bürgerschaft, besonders in industriellen und finanziellen Kreisen, weise seit dem 31. Juli eine Reaktion auf, da die Furcht vor den ökono- mischen Folgen eines Krieges um sich greife.
Im Ministerrate sollten sich Herr Sazonow und der sehr maßgebende Herr Kriwoschein gegen den Krieg einsetzen, auch der Handelsminister Timaschow solle unter dem Ein- drucke der Mißstimmung der wirtschaftlichen Kreise stehen. An der Spitze der Kriegspartei gehe neben den Militärs der Minister des Innern Maklakow einher, der auch die, übrigens unglaublich matten, Demonstrationen durch Verteilung von ein bis drei Rubeln organisieren solle. Merkwürdigerweise solle auch Ministerpräsident Goremykin für die Opportunität eines Krieges im Ministerrate eingetreten sein.
Eine Klärung der Situation, die allerdings auch sehr unvermittelt eintreten könne, müsse bis auf Weiteres noch abgewartet werden.
296
Sollte der Zustand der Unentschlossenheit andauern, werde Graf Szäpäry versuchen, auf den Ministerpräsidenten durch Vorweisung der Wiener Publikation über die serbische Note einzuwirken.
Von der zur Aufklärung der russischen Mobilisierung in Aussicht gestellten note explicative verlaute bisher in Petersburg nichts.
Im Laufe des 31. Juli erhielt Graf Szdpdry die an ihn Entschluß am 30. Juli, 1 Uhr 20 Minuten nachmittags, und die am ß^schafters 31. Juli morgens, 1 Uhr 40 Minuten, expedierten beiden die am Weisungen'. Er entschloß sich, dieselben ohne Rücksicht^'.',/"''"'"''''
o ' mittags er-
auf die seit deren Abgang verfügte allgemeine Mobilisierung haucnen in Rußland und den Abbruch des vertraulichen Gedanken- aJ^Tifg" austausches dennoch auszuführen, weil er einerseits die achtet der Behauptung Kaiser Wilhelms, die Monarchie sei noch immer ^obm'" bereit zu könversieren, nicht desavouieren wollte und weil sierung es ihm andrerseits schon zur Feststellung der eigenen tak- rühren" tischen Stellung, als angegriffen zu erscheinen, opportun (si- Juid dünkte, noch einen äußersten Beweis guten Willens ge- geben zu haben, um Rußland tunlichst ins Unrecht zu setzen.
Graf Szäpäry fragte demnach bei Herrn Sazonow an -, Letzte bc- der ihn unverzüglich empfing'. Graf Szäpäry legte dem ^erk^"u^k Minister dar, daß er chiffrierte Instruktionen erhalten hätte, Botschafters daß er aber vorausschicken müsse, die augenblickliche, "J^oJ^" durch die russische allgemeine Mobilisierung geschaffene (3i. jum
1 Telegramm aus St. Petersburg d. d. 31. Juli, 11 Uhr 17 Minuten p. m., Nr. 189. Eingetroffen 2. August, 9 Uhr a. m.
' Telegramm aus St. Petersburg d. d. 1. August, 10 Uhr 45 Minuten a. m., Nr. 190. Eingetroffen 1 Uhr p. m. Fortsetzung des Telegrammes Nr. 189.
" Im österreichisch-ungarischen Rotbuch Nr. 56 ist diese Besprechung (bei gleichzeitiger Änderung der einleitenden Worte des Telegrammes) auf den 1. August verlegt. Das zitierte Telegramm stellt die am Schlüsse des (am 31. Juli, 11 Uhr 17 Minuten p. m., expedierten) Telegrammes Nr. 189 angekündigte Fortsetzung der Berichterstattung dar. Da nun Graf Szäpäry bereits in der Depesche Nr. 189 die vollzogene Durchführung der an diesem Tage (31. Juli) erhaltenen Weisungen meldet (vgl. den Passus: . . . weil es ihm opportun erschien, „noch einen äußersten Beweis guten Willens gegeben zu haben"), so ist das Telegramm Nr. 190 bloß als die detaillierte Wiedergabe eben der Besprechung mit Herrn Sazonow am 31. Juli zu betrachten.
297
Lage in Wien sei ihm gänziicli unbekannt, so daß er von dieser bei Verdolmeischung seiner noch vorher abgegangenen Weisung vollkommen absehen müsse. Der Minister unter- brach ihn lebhaft mit den Worten, die Mobilisierung habe nichts zu bedeuten, und Kaiser Nikolaus habe Kaiser Wilhelm sein Wort verpfändet, die Armee werde sich solange nicht rühren, solange eine auf eine Verständigung gerichtete Konversation mit Wien im Zuge sei. Übrigens hätte die Monarchie zuerst mobilisiert, eine Behauptung, der Graf Szäpäry lebhaft widersprach, so daß der Minister sagte: „Lassen wir die Chronologie." Man solle nicht fürchten, daß die Gewehre von selber losgehen würden; denn was die russische Armee betreffe, sei diese so diszi- pliniert, daß der Kaiser sie durch ein Wort noch von der Grenze zurückziehen könne. Graf Szäpäry fuhr fort und sagte, daß die beiden letzten Weisungen des Grafen Berchtold das Mißverständnis behandelten, als ob Österreich-Ungarn weitere Verhandlungen mit Rußland abgelehnt hätte. Dies sei, wie Graf Szäpäry Herrn Sazonow schon ohne Auftrag mitgeteilt hätte, ein Irrtum. Graf Berchtold sei nicht nur gerne bereit, mit Rußland auf breitester Basis zu verhandeln, sondern auch speziell geneigt, den Notentext einer Be- sprechung zu unierziehen, sofern es sich um dessen Inter- pretation handle.
Graf Szäpäry sei sich allerdings bewußt, daß Rußland auf dem Standpunkt stehe, die Form der Note sollte ge- mildert werden, während Graf Berchtold der Ansicht sei, der Sinn derselben könne erläutert werden. Dies ergebe eine Diskrepanz, die nicht übersehen werden dürfe, obwohl es dem Grafen Szäpäry im Wesen auf dasselbe heraus- zukommen scheine.
Herr Sazonow meinte, dies sei eine gute Nachricht, denn er hoffe noch immer, daß auf diese Weise die Angelegen- heit auf jenes Terrain gelenkt werden könne, welches ihm von Anfang an vorgeschwebt habe. Graf Szäpäry betonte, wie sehr die Instruktionen des Grafen Berchtold einen weiteren Beweis guten Willens böten, wenn freilich der k. u. k. Botschafter Herrn Sazonow auch nochmals in Erinnerung rufen müsse, daß ihm die durch die seitherige
298
allgemeine Mobilisierung geschaffene Situation unbekannt sei. Graf Szäpäry könne ' nur hoffen, daß der Gang der Ereignisse die Monarchie nicht schon zu weit geführt habe; jedenfalls hätte er es für seine Pflicht gehalten, im gegen- wärtigen hochernsten Augenblicke den guten Willen der k. u. k. Regierung nochmals zu dokumentieren. Herr Sazonow erwiderte, er nehme von diesem Beweise guten Willens mit Befriedigung Kenntnis; auch möchte er Graf Szäpäry auf- merksam machen, daß ihm Unterhandlungen in St. Peters- burg aus naheliegenden Gründen weniger Erfolg versprechend erschienen, als solche auf dem neutralen Londoner Terrain. Graf Szäpäry erwiderte, Graf Berchtold gehe, wie Graf Szäpäry selbst schon dargelegt hätte, vom Gesichtspunkte einer direkten Fühlungnahme mit St. Petersburg aus, so daß der Botschafter nicht in der Lage sei, zu Sazonows Anregung bezüglich Londons Stellung zu nehmen; doch werde er nach Wien hierüber Meldung erstatten.
Herr Sazonow schien (laut dieser Meldung Graf Szäpärys) durch die eben empfangenen Eröffnungen wesentlich er- leichtert und maß denselben offensichtlich eine übertriebene Bedeutung bei, so daß Graf Szäpäry immer wieder auf die geänderte Situation, auf die Diskrepanz der beider- seitigen Ausgangspunkte u. dgl. verweisen mußte. Außer- dem wurden bei der Konversation zwei Hauptpunkte voll- kommen umgangen: von Seite des Grafen Szäpäry der ihm aus den Telegrammen des Grafen Berchtold hervor- zugehen scheinende rein rückblickende und theoretische Charakter einer Konversation über den Notentext, von Seite Herrn Sazonows die Frage, was während der etwaigen Verhandlungen bezüglich der militärischen Operationen geschehen solle?
Im Hinblick auf den Vorbehalt, den Graf Szäpäry bezüglich der russischen allgemeinen Mobilisierung machte, sei — nach Graf Szäpärys Ansicht — Graf Berchtold voll- kommen in der Lage, die gemachten Eröffnungen als gegen- standslos zu erklären. Andrerseits scheine es dem Grafen Szäpäry vom Standpunkte der Rollenverteilung , überaus wichtig, noch einen Schritt gemacht zu haben, der wohl als das Äußerste an Entgegenkommen bezeichnet werden könne.
299
Sollte Graf Berchtold jedoch diplomatische Verhandlungen auch heute noch für tunlich odep opportun halten, so wäre hietür eine Unterlage geboten. Aus diesen Gründen hoffe Graf Szäpäry, daß sein Vorgehen die Billigung des Grafen Berchtold finden werde. Leizic Der russische Botschafter suchte Graf Berchtold am
Besprechung j y^yg^gj j^, freundschaftUchcr Weise auf, um sich, wie er
Graf Berch- o ■ 7 J
toids mii sagte, nach etwaigen Neuigkeiten zu erkundigen '. Er hoffe
schXko "^'^^ immer, daß es gelingen werde, den'bestehenden Streit-
(1. August), fall durch direkte Verhandlungen zu beheben. Bei der gegen-
.E.geniiich bärtigen Lage der Dinge wäre es wohl besser, sich hiezu
handle es ö ö & '
sichzwischen auf neutrales Terrain zu begeben, wofür London besonders ostcrre.ch- „ggjg^gj wäre. Es sei überaus bedauerlich, daß man in
Ungarn und o o
Rußland um Deutschland anscheinend den Krieg forcieren wolle-. Rußland MmveT-"^^ hätte ja in Berlin bereits die bündigsten Versicherungen siändnis" abgegeben, daß seine militärischen Maßnahmen keinen feind- lichen Charakter gegen die Monarchie oder Deutschland trügen. Allerdings müßte man in Petersburg nach wie vor darauf bestehen, daß die Monarchie den Konflikt mit Serbien nicht löse, ohne Rußland zu konsultieren, dessen Interesse bei dieser Frage im Spiele sei.
Graf Berchtold ging auf diese Darlegung Herrn Schebekos nicht weiter ein, begann jedoch ein freundschaftliches, nicht offizielles Gespräch, in dessen Verlauf er den russischen Botschafter auf die vielfachen Torheiten der russischen Balkanpolitik aufmerksam machte. Es gäbe eine weit breitere Grundlage zu einer Auseinandersetzung zwischen der Mon- archie und Rußland, wenn man sich nur einmal in Peters- burg dazu entschließen könnte, nicht immer und ausschließ- lich das Schicksal der Balkanstaaten zum Angelpunkte des Verhaltens gegen die Monarchie zu machen. Herr Schebeko antwortete gleichfalls sehr freundschaftlich, erörterte in akademischer Weise die mannigfachen Verpflichtungen Ruß- lands als orthodoxer und slawischer Staat, verwies auf gewisse sentimentale Veranlagungen des russischen Volkes
' Tagesbericht d. d. 1. August, Nr. 3737.
- Ursprünglich im Konzept: „in Deutschland anscheinend den Kopf verloren habe". „Den Krieg forcieren wolle", Umänderung von der Hand des Grafen Berchtold.
300
und verließ Graf Berchtold mit der Bemerivung, eigentlicli handle es sich zwischen der Monarchie und Rußland um ein großes Mißverständnis.
Unmittelbar darauf erhieh Graf Berchtold den Besuch Herrn Dumaines, der ebenso friedliche Töne anschlug wie sein russischer Kollege, mit wehmütigem Bedauern auf das kriegerische Vorgehen Kaiser Wilhelms verwies und seiner Überzeugung Ausdruck gab, es müsse eine Formel gefunden werden, die den gerechten Ansprüchen der Monarchie Rechnung trage ', Rußlands Interesse an Serbien befriedige und den Weg zum Frieden eröffne.
Der Ministerrat für gemeinsame Angelegenheiten
vom 31. Juli
Die Wichtigkeit der zu behandelnden Materien veranlaßte Graf Berchtold, für den 31. Juli einen Ministerrat für gemein- same Angelegenheiten einzuberufen-. Als Konferenzteilnehmer erschienen die Minister und Funktionäre, die auch dem Ministerräte vom 7. und 19. Juli beigewohnt hatten, mit Ausnahme des k. u. k. Chefs des Generalstabes. Anwesend war diesmal auch der königlich ungarische Minister am allerhöchsten Hoflager Freiherr von Buriän; als Schrift- führer fungierte wieder Legationsrat Graf A. Hoyos. Den Gegenstand der Tagesordnung bildete die Beratung über den englischen Vermittlungsvorschlag und über an Italien zu gewährende Kompensationen.
Der Vorsitzende, Graf Berchtold, eröffnete die Sitzung und verlas den den englischen Vermittlungsvorschlag ent- haltenden Tagesbericht vom 30. Juli-.
Hieran anknüpfend erklärte Graf Berchtold, er habe dem deutschen Botschafter, als dieser ihm den englischen Vorschlag vorlegte, sogleich erklärt, daß eine Einstellung der Feind- seligkeiten gegen Serbien unmöglich sei. Über den Ver- mittlungsvorschlag könne er nicht allein entscheiden, sondern
' „die unseren gerechten Ansprüchen Rechnung frage". Zusatz im Konzept von der Hand des Grafen Berchtold. 2 G. M. K. P. Z. 514 d. d. 31. Juli 1914. •■> Vgl. Seite 233 ff.
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er müsse hierüber die Befehle des Monarchen einholen und die Angelegenheit im Ministerrate besprechen.
Er habe dann über den Inhalt der Demarche des deutschen Botschafters dem Monarchen Vortrag erstattet, der sofort erklärt habe, daß die Einstellung der Feindseligkeiten gegen Serbien unmöglich sei. Der Monarch habe hingegen den Antrag genehmigt, daß das Wiener Kabinett es zwar sorgsam vermeide, den englischen Antrag in meritorischer Hinsicht anzunehmen, daß es aber in der Form seiner Antwort Entgegenkommen zeige und dem Wunsche des deutschen Reichskanzlers, die Regierung' nicht vor den Kopf zu stoßen, auf diese Weise entgegenkomme.
Die Antwort an die deutsche Regierung sei noch nicht ausgearbeitet, er könne aber jetzt schon sagen, daß bei ihrer Textierung auf drei Grundprinzipien Bedacht zu nehmen sein werde, nämlich:
1. Die kriegerischen Operationen gegen Serbien müssen fortgesetzt werden;
2. Das Wiener Kabinett könnte über den englischen Vorschlag nicht unterhandeln, solange die russische Mobili- sierung nicht eingestellt werde, und
3. die Bedingungen Österreich-Ungarns müßten integral angenommen werden und es könnte sich die Monarchie in keine Verhandlungen über dieselben einlassen -;
Erfahrungsgemäß würden die Mächte in solchen Fällen immer Abstriche bei Weitergabe seitens einer Macht auf- gestellter Bedingungen zu machen versuchen; es sei sehr wahrscheinlich, daß man dies auch jetzt versuchen würde, wo bei der jetzigen Zusammensetzung Frankreich, England und auch Italien den russischen Standpunkt vertreten würden und die Monarchie an dem gegenwärtigen deutschen Vertreter in London eine sehr zweifelhafte Stütze hätte. Von dem Fürsten Lichnowsky sei alles andere zu erwarten,
' Im Konzept ursprünglich: „daß wir aber in der Form unserer Ant- wort Entgegenkommen zeigen und die englische Regierung nicht vor den Kopf stoßen dürften".
- Vergleiche die Textierung der Antwort an die deutsche Regierung. Seite 235.
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als daß er die Interessen Österreich-Ungarns warm ver- treten würde. Wenn die Aktion jetzt nur mit einem Prestige- gewinne endete, so wäre sie nach der Ansicht des Vor- sitzenden ganz umsonst unternommen worden. Die Mon- archie hätte von einer einfachen Besetzung Belgrads gar nichts, selbst wenn Rußland hiezu seine Einwilligung geben würde. Alles dies wäre Flitterwerk, Rußland würde als Retter Serbiens und namentlich der serbischen Armee auf- treten. Letztere würde intakt bfeiben und die Monarchie hätte in zwei bis drei Jahren wieder einen Angriff Serbiens unter viel ungünstigeren Bedingungen zu gewärtigen. Graf Berchtold beabsichtige daher, auf den englischen Vorschlag in sehr verbindlicher Form zu antworten, dabei aber die vorerwähnten Bedingungen zu stellen und zu vermeiden, auf den meritorischen Teil einzugehen.
Der gemeinsame Finanzminister Ritter von Biliriski wies darauf hin, daß durch die Mobilisierung der Mon- archie eine ganz neue Situation geschaffen worden sei. Vorschläge, die in einem früheren Zeitpunkte akzeptabel gewesen wären, seien jetzt nicht mehr annehmbar.
Der königlich ungarische Ministerpräsident er- klärte, er schließe sich den Ausführungen des Vorsitzenden vollkommen an und sei auch der Ansicht, daß es verhängnis- voll wäre, auf das Meritum des englischen Vorschlages einzugehen. Die Kriegsoperationen gegen Serbien müßten jedenfalls ihren Fortgang nehmen. Er frage sich aber, ob es notwendig sei, schon jetzt die neuen Forderungen der Monarchie an Serbien den Mächten überhaupt bekannt- zugeben, und er würde vorschlagen, die englische Anregung dahin zu beantworten, daß die Monarchie prinzipiell bereit wäre, derselben näherzutreten, jedoch nur unter der Be- dingung, daß die Operationen gegen Serbien fortgesetzt werden und die russische Mobilisierung eingestellt werde.
Der k. k. Ministerpräsident führte aus, der Gedanke einer Konferenz sei ihm so odios, daß er selbst ein schein- bares Eingehen auf denselben vermeiden möchte. Er halte daher den Vorschlag des Grafen Tisza für den richtigen. Die Monarchie müßte den Krieg mit Serbien fortsetzen
303
und sich bereit ericlären, mit den Mächten weiter zu ver- handeln, sobald Rußland seine Mobilmachung einstelle.
Herr von Biliriski fand die Anregung des Grafen Tisza außerordentlich geschickt; die Monarchie würde durch das Stellen der erwähnten zwei Bedingungen Zeit gewinnen. Auch er könnte sich mit der Idee einer Konferenz nicht befreunden. Der Verlauf der Londoner Konferenz stünde in so entsetzlicher Erinnerung, daß sich die ganze Öffentlichkeit gegen die Wiederholung* eines solchen Schauspieles auf- lehnen würde. Auch er sei der Ansicht, man solle den englischen Vorschlag nicht schroff ablehnen.
Nachdem noch Freiherr von Burian sich in zustim- mendem Sinne geäußert hatte, wurde der Vorschlag des Grafen Tisza einstimmig angenommen und festgestellt, daß prinzipielle Geneigtheit bestehe, auf den englischen Vor- schlag unter den zwei vom Grafen Tisza aufgestellten Bedin- gungen einzugehen.
Der Vorsitzende hob hierauf hervor, wie wichtig es sei, Italien beim Dreibund zu erhalten. Nun hätte sich aber Italien auf den Standpunkt gestellt, der Konflikt sei von der Monarchie provoziert worden und ihr Vorgehen gegen Serbien habe eine aggressive Spitze gegen Rußland. Aus allen Äußerungen des Marquis di San Giuliano gehe klar hervor, daß die ganze italienische Haltung von dem Ver- langen nach einer Kompensation getragen sei. Italien stütze dieses sein Verlangen auf den Wortlaut des Artikels VII des Dreibundvertrages. Die Auffassung des Wiener Kabinetts sei, daß laut dieses Artikels das Recht auf eine Kompensation nur dann bestünde, wenn die Monarchie türkisches Gebiet auf dem Balkan dauernd oder vorübergehend besetzen würde, da dem Geiste des Vertrages nach nur von Gebieten des „Empire Ottoman" die Rede sein könne. Italien behaupte dagegen, daß, nachdem an einer Stelle auch die Worte „dans les Balcans" vorkommen, die ganze Balkanhalbinsel gemeint sei. Wenn sich auch die italienische Auffassung durch eine Reihe von Gründen bekämpfen ließe, so müsse er doch darauf hinweisen, daß die deutsche Regierung sich die An- schauung Italiens zu eigen gemacht habe. Im Laufe der letzten Woche seien täglich Demarchen bei ihm gemacht
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worden, um zu erreichen, daß sich die k. u. k. Regierung der Auffassung der Kompensationsfrage seitens der zwei anderen verbündeten Mächte anschließe.
Der k. u. k. Kriegsminister erwähnte dazu, daß ihm der k. u. k. Militärattache in Berlin über Untferredungen be- richtet habe, die dieser mit Kaiser Wilhelm und dem General- stabschef Grafen Moltke gehabt habe, in welchen beide in eindringlicher Weise hervorgehoben hätten, wie wichtig ein aktives Eingreifen Italiens in dem bevorstehenden Konflikt sei, und daß es daher äußerst wünschenswert wäre, wenn die k. u. k. Regierung Italien in der Kompensationsfrage ent- gegenkommen würde.
Der Vorsitzende erkläre darauf, man hätte ihn von Rom aus wissen lassen, der bevorstehende Krieg widerstreite den italienischen Interessen, da durch einen günstigen Ausgang desselben die Machtstellung der Monarchie am Balkan ver- mehrt würde. Unter diesen Umständen könne Italien nur dann aktiv eingreifen, wenn seine Ansprüche anerkannt würden. Graf Berchtold habe den k. u. k. Botschafter in Rom bisher beauftragt, mit vagen Phrasen auf die Kompen- sationsforderungen zu antworten und dabei immer wieder nachdrücklich zu betonen, daß dem Wiener Kabinett der Gedanke an territoriale Erwerbungen fernliege. Wenn die Monarchie aber dazu gezwungen würde, eine nicht nur vor- übergehende Okkupation vorzunehmen, so wäre noch immer Zeit, der Kompensationsfrage näherzutreten.
Graf Berchtold sehe nun zwei Wege, die man hier ein- schlagen könne. Entweder auf der eigenen Auslegung des Artikels VII zu beharren, aber mit einem „beau geste" Italien eine Kompensation zuzusprechen, oder aber die italienische Auslegung des Artikels VII anzunehmen, wobei ausdrücklich hervorzuheben wäre, daß Italien nur dann Anspruch auf eine Kompensation hätte, wenn die Monarchie zu einer dauernden Besitzergreifung eines Gebietes auf der Balkanhalbinsel schreiten würde. Zum Schlüsse wolle er darauf hinweisen, daß die Monarchie während des libyschen Feld- zuges den Artikel VII in sehr rigoroser Weise ausgelegt hätte.
Freiherr von Buriän und Graf Tisza betonten, daß man nicht nur die italienische Interpretation des Artikels VII
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des Vertrages anfechten könne, sondern auch die Auffassung der italienischen Regierung, daß der Casus foederis für ^ie nicht gegeben sei. Daher soHte man nur unter der Bedingung sich zu Konzessionen entschließen, daß die italienische Kooperation im Falle eines großen Krieges tatsächlich Platz greife.
Herr von Biliriski wies darauf hin, daß der große Kampf, der bevorstehe, für die Monarchie ein Existenzkampf sei. Wenn die effektive Hilfe Italiens in diesem Kampfe wirklich von so großem Werte sei, so werde man wohl ein Opfer bringen müssen, um dieselbe zu erkaufen.
Graf Stürgkh vertrat den Standpunkt, daß Italien keinen , Anspruch auf eine Kompensation erheben könne, wenn es nach Ausbruch des großen Krieges seine Bundespflichten nicht erfülle.
Der Ministerrat erteilte hierauf dem Vorsitzenden die prinzipielle Ermächtigung, Italien für den Fall, als die Mon- archie eine dauernde Besetzung serbischen Territoriums vornehmen sollte, eine Kompensation in Aussicht zu stellen, und wenn es die Umstände erheischen sollten und Italien seine Bundespflicht tatsächlich erfülle, auch über die Ab- tretung Valonas an Italien zu sprechen, in welchem Falle Österreich-Ungarn sich den ausschlaggebenden Einfluß in Nordalbanien sichern würde.
Hierauf erklärte der Vorsitzende die Beratung für be- endet.
Das Protokoll dieses Ministerrates unterzeichnete der Monarch am 21. August.
Die österreichisch-ungarische allgemeine Mobilisie- rung
Militärische Seit der Mobilisierung der für den Krieg gegen Serbien I^Te'Tüt bestimmten 8 Armeekorps am 25. Juli abends ' wurden vom 25. bis bis zum 31. Juli militärische Maßnahmen (Ausnahmsgesetze ^'' •*"'' u. dgl.) zwar in beträchtlichem Umfange vorgenommen, doch betrafen sie ausschließlich die Kriegsbereit- schaft nach dem Südosten.
1 Vgl. Seite 216, 217. ,
306
Eine weitere Teilmobilisierung fand in keiner Weise statt. Auch die drei nordöstlichen Korps (I., X. und XI.) wurden erst auf Grund des allgemeinen Mobilisierungsbefehls „alarmiert".
Am 30. Juli nachmittags fand zwischen dem Chef des Unterredung deutschen Generalstabes und dem k. u. k. Militärattache ''" ''""'"
sehen (jene-
eine wichtige Unterredung statt. Als Ergebnis wurde an raistabschefs Baron Conrad durch den k. u. k. Militärattache ein Tele- ™' ''''"
k. u. k.
gramm abgesendet, das den dringenden Ratschlag der so- MUitär- fortigen allgemeinen Mobilisierung enthielt'. """'*'*
Dieses am 30. Juli, abends 10 Uhr 20 Minuten, in Wien Allgemeine eingetroffene Telegramm Graf Szögyenys wurde von Graf "^i'^^js^h. Berchtold mit folgender am 31. Juli, 8 Uhr vormittags, ungariscive expedierten Weisung an den k. u. k. Botschafter in Berlin ^.°_,JJg erledigt: (3'- J""
„Freiherr von Conrad telegraphiert gleichzeitig, in Be- '"""s^* „antwortung einer Anfrage, an den Chef des deutschen „Generalstabes:
„Auf Grund Allerhöchster Entscheidung ist Entschluß: „Krieg gegen Serbien durchführen. Rest der Armee mobili- „sieren und in Galizien versammeln. Erster Mobilisierungs- „tag 4. August. Mobilisierungsbefehl ergeht heute 31. Juli. „Erbitte Bekanntgabe dortseitigen ersten Mobilisierungs- „tages" K
Der Befehl zur allgemeinen Mobilisierung langte von der Militärkanzlei des Monarchen am 31. Juli, 12 Uhr 23 Minuten mittags, im Kriegsministerium und beim Chef des Generalstabes ein und wurde sofort ausgegeben.
Zur Begründung der militärischen Maßnahmen in Gali- Motivierung zien erhielten die Signatarbotschaften, die Balkanmissionen, '^"."'l''
o ' ' tanscnen
der Gesandte in Stockholm und der Botschafter in Tokio Maßnahmen eine am 1. August, 7 Uhr morgens, expedierte Instruktion ^i '"^^ jj,'p"
1 Telegramm aus Berlin d. d. 30. Juli, 7 Uhr 40 Minuten p. m., Nr. 331.
2 Weisung nach Berlin d. d. 31. Juli, 8 Uhr a. m., Nr. 302.
3 Zirkulartelegramm d. d. 31. Juli, Prot. Nr. 5955—5965. Expediert 1. August, 7 Uhr a. m.
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„Da die russische Regierung Mobilisierungen an unserer „Grenze angeordnet hat, werden wir zu militärischen Maß- „nahmen in Galizien gezwungen. Diese Maßnahmen haben „einen rein defensiven Charakter und sind lediglich unter „dem Drucke der russischen Vorkehrungen erfolgt, die wir „sehr bedauern, da wir selbst keine aggressiven Absichten „gegen Rußland haben und die Fortdauer der bisherigen „guten nachbarlichen Beziehungen wünschen. Die der Situation „entsprechenden Besprechungen zwischen dem Wiener und „Petersburger Kabinett, von denen wir uns eine allseitige „Beruhigung erhoffen, gehen inzwischen in freundschaftlicher „Weise weiter." immediat- Die großcn Probleme und Ereignisse dieses schicksal-
vorirag des schwcreu Tagcs faßte Graf Berchtold in einem (am Abend
Grafen
Berchiow dcs 31. JuU mundicrten) Immediatvortrage zusammen:
(31. Juli» Qpgf Berchtold nehme sich die Freiheit zu melden, daß
(Entwurf) '
der kaiserlich deutsche Botschafter ihm soeben ' im Auftrage der deutschen Regierung mitgeteilt habe, der deutsche Kaiser habe den Übergang der deutschen Armee und Marine in den „drohenden Kriegszustand" am 31. Juli vormittags an- geordnet -.
Es sei dies, wie der deutsche Botschafter hinzufügte, die in der Monarchie als „Alarm" bezeichnete Vorbereitung zur allgemeinen Mobilisierung, welche in zwei Tagen beginnen werde.
Man rechne, wie der deutsche Botschafter noch bemerkte, im deutschen Generalstabe damit, daß die österreichisch- ungarische Armee bei Fortsetzung der Aktion gegen Serbien auch die kriegerische Aktion gegen Rußland möglichst bald beginnen werde.
Auch habe Herr von Tschirschky am 31. Juli morgens auf Grund einer telephonischen Verständigung aus Berlin mitgeteilt, der Reichskanzler beabsichtige, sofort ein Ulti- matum an Rußland wegen Einstellung der Mobilmachung zu richten.
' Am Abend des 31. Juli.
- Vgl. Seite 310. — Nach der Feststellung im Weißbuch betr. d. V. d. U. a. Kr., Seite 48, erfolgte die Erklärung des Zustandes drohender Kriegsgefahr am 31. Juli nachmittags.
308
In einer am 31. Juli vormittags stattgehabten gemein- samen Ministerkonferenz sei der Beschluß gefaßt worden, den englischen Vermittlungsvorschlag, der gestern von dem deutschen Botschafter vorgelegt wurde, in sehr verbind- licher Weise dahin zu beantworten, daß die Monarchie zwar nicht abgeneigt sei, den englischen Vermittlungsvorschlag in Erwägung zu ziehen; ihre kriegerische Aktion gegen Serbien dürfe hiedurch jedoch keine Unterbrechung erfahren, und die Monarchie müßte überdies es zur Bedingung für ihr Eingehen auf den Vermittlungsantrag Sir E. Greys machen, daß Rußland alle Mobilisierungsmaßnahmen sofort einstelle und seine Reserven endasse.
Die Konferenz habe außerdem über eine Italien zu gewährende Kompensation für den Fall beraten, daß sie zu einer dauernden Besitzergreifung am Balkan genötigt wäre. Es sei beschlossen worden, daß es angesichts der bedroh- lichen Lage unbedingt notwendig sei, sich die loyale Koope- ration Italiens zu sichern und zu diesem Ende, obwohl der Artikel VII des Dreibundvertrages nach der eigenen Inter- pretation auf den Kriegsfall mit Serbien nicht zur Anwendung kommen könne, der hievon divergierenden Anschauung Italiens — welcher sich auch Deutschland angeschlossen habe — Rechnung zu tragen.
Hiebei sei namentlich die Eventualität der Zedierung des albanischen Hafens von Valona in Erörterung gezogen worden, wogegen seitens des anwesenden Admirals Kailer unter der Voraussetzung keine schwerwiegenden Bedenken erhoben worden seien, daß dieser Hafen nicht zu einem Kriegshafen ausgestaltet werden dürfte.
Baron Conrad hoffe, Italien dazu zu bewegen, außer der Erfüllung der Bundespflichten gegen Frankreich, der Monarchie auch Truppen für Galizien zur Verfügung zu stellen. Selbstredend könnten Kompensationen für Italien nur dann ins Auge gefaßt werden, wenn es der Monarchie gegenüber im Falle des lokalisierten Krieges eine freund- schaftliche Haltung entgegenbringe, im Falle des euro- päischen Krieges aber seinen Bundespflichten effektiv nachkomme.
309
K«iser Wil- helm im Gespräche mit dem k. u. k. Le- gationsrat Grafen Larisch (1. August)
Depeschen- wechsel zwischen den beiden Herrschern. Telegramm Kaiser Wilhelms (31. Juli und 1. August)
Bei einem Spazierritte, den Kaiser Wilhelm am 1. August im Tiergarten unternahm, fand er Gelegenheit, den k. u. k. Legationsrat Grafen Larisch in ein längeres politisches Gespräch zu ziehen '. Kaiser Wilhelm betonte zu wieder- holten Malen, daß Österreich-Ungarn unbedingt seine Haupt- macht mit allen verfügbaren Mitteln gegen Rußland richten müsse, da nach den ihm zukommenden Nachrichten die Truppenansammlungen an der russischen Grenze Riesen- dimensionen annähmen. Weiters erwähnte der deutsche Kaiser, daß die Tatsache der allgemeinen Mobilisierung Rußlands ihn vollkommen überrascht hätte. Was die Haltung Englands betreffe, so hätte König Georg selbst dem Prinzen Heinrich bei dessen vor kurzem stattgefundenen Besuch in England versichert, England werde bei einem Konflikt der vier Kontinentalmächte nicht aktiv eingreifen; diese königliche Versicherung habe jedoch Sir Edward Grey 24 Stunden später desavouiert, indem er dem deutschen Botschafter erklärte, England könne nicht ruhig bleiben und müsse seine „Alliierten" unbedingt unterstützen.
An Kaiser Franz Joseph war am 31. Juli nachmittags von Kaiser Wilhelm das nachstehende Telegramm abge- sendet worden:
„Der heute von mir angeordneten einleitenden Mobil- „machung meines gesamten Heeres und meiner Marine - „wird die definitive Mobilmachung in kürzester Frist folgen =. „Ich rechne mit dem 2. August als ersten Mobilmachungstag „und bin bereit, in Erfüllung meiner Bündnispflichten sofort „den Krieg gegen Rußland zu beginnen. In diesem schweren „Kampfe ist es von größter Wichtigkeit, daß Österreich seine „Hauptkräfte gegen Rußland einsetzt und sich nicht durch „eine gleichzeitige Offensive gegen Serbien zersplittert. Dies „ist um so wichtiger, als ein großer Teil meines Heeres „durch Frankreich gebunden sein wird. Serbien spielt „in dem Riesenkampfe, in den wir Schulter an Schulter
1 Telegramm aus Berlin d. d. 1. August, 2 Uhr 50 Minuten p. m., Nr. 350.
- Übergang in den „drohenden Kriegszustand" am 31. Juli. (Vgl. Seite 308.)
" Mobilmachungsbefehl 1. August 5 Uhr nachmittags.
310
„eintreten, eine ganz nebensächliche Rolle, die nur die
„allernötigsten Defensivmaßregeln erfordert. Ein Erfolg des
„Krieges und damit der Bestand unserer Monarchien kann
„nur erhofft werden, wenn wir beide den neuen mächtigen
„Gegnern mit voller Kraft entgegentreten. Ich bitte Dich
„ferner, alles zu tun, um Italien durch möglichstes Entgegen-
„kommen zur Teilnahme zu bewegen. Alles andere muß
„zurücktreten, damit der Dreibund gemeinsam in den Krieg
„eintritt.
Wilhelm." •
Am 1. August, 5 Uhr 45 Minuten nachmittags, wurde an Antwo«- den Grafen Szögyeny von Wien aus der Auftrag erteilt', '^°ZTZd das folgende Antworttelegramm Kaiser Franz Josephs un- König verzüglich an Kaiser Wilhelm gelangen zu lassen: Josephs
„Ich danke Dir, teuerer Freund, für Deine herzerfreuende ('• August) „Mitteilung und bin in dieser ernsten Stunde mit Dir vereint ' „und bete zu Gott, daß er unseren verbündeten Armeen „in ihrem Kampfe um die gerechte Sache den Sieg verleihe.
„Sobald mein Generalstab erfahren hat, daß Du ent- „schlossen bist, den Krieg gegen Rußland sogleich zu be- „ginnen und mit aller Kraft durchzuführen, stand auch hier „der Entschluß fest, die überwiegenden Hauptkräfte gegen „Rußland zu versammeln -. Mit Italien sind seitens meines „Generalstabes Verhandlungen angebahnt, welche auf eine „weitere Teilnahme italienischer Truppen am Dreibundkriege „abzielen; eine fördernde Einflußnahme Deinerseits in dieser „Hinsicht wäre dringend erwünscht.
' Entwurf des Telegramms d. d. 1. August, Protokoll Nr. 6073. Expediert 1. August, 5 Uhr 45 Minuten p. m.
2 Die militärischen Ausführungen des Telegramms waren den Er- ,
wägungen entnommen, die der k. u. k. Chef des Generalstabes am 1. August eigenhändig auf einem besonderen Blatte aufgesetzt hatte. Diese Aufzeichnungen hatten ursprünglich den folgenden — wegen der daraus zu ziehenden Schlußfolgerungen — bemerkenswerten Wortlaut:
„Auch hier stand mit dem Momente, als Deutschland seinen Willen „bestimmt kundgab, den großen Krieg tatsächlich sogleich zu beginnen, „der Entschluß fest, die überwiegenden Hauptkräfte gegen Rußland zu „versammeln, trotz der großen technischen Schwierigkeiten, welche da- „durch entstehen, daß die Transporte nach Süden bereits im Laufen sind, „was vor zwei Tagen noch hätte inhibiert werden können.
311
„Du kannst versichert sein, daß seitens meiner Armee „das Äußerste geschehen wird, um den großen KampF zum „erfolgreichen Ausgang zu führen. Mein Militärattache in „Berlin berichtet heute über seinen gestrigen Empfang durch „Dich. Ich bin hocherfreut und begeistert über Deine um- „fassenden Vorkehrungen, um unsere Streitmacht durch den „Anschluß neuer Verbündeter zu stärken '.
„Angesichts des Ernstes der Lage erhielt mein Bot- „schafter in Rom bereits den Auftrag, der italienischen „Regierung zu erklären, daß wir bereit sind, deren Inter- „pretation des Artikels VII des Vertrages zu akzeptieren,* „falls Italien seinen Bundespfiichten jetzt voll entspricht. „Ich telegraphiere auch selbst an den König von Italien, um „ihm zu sagen, daß wir nach dreißigjähriger Friedensarbeit „darauf rechnen, daß die drei Verbündeten ihre Heere zu „diesem Entscheidungskampfe vereinigen werden"-.
(Die Bemerkungen „trotz der großen technischen Schwierigkeiten . . . ." bis: „inhibiert werden können", ebenso wie unten: „man ist . . . ." bis: „Deutschlands dient" wurden im Ministerium des Äußern gestrichen.)
„Mit Italien sind seitens meines Generalstabes Verhandlungen an- „gebahnt, welche auf eine weitere Teilnahme italienischer 'Truppen am „Dreibundkrieg abzielen; eine fördernde Einflußnahme deutscherseits in ,dieser Hinsicht wäre dringend erwünscht.
„Deutschland möge versichert sein, daß hierorts militärischerseits „das Äußerste geschehen wird, um den großen Kampf zum erfolgreichen „Ausgang zu führen — man ist sich hier bewußt, daß die Aufnahme des „Krieges durch die Hauptkräfte in Galizien zunächst vor allem der Rücken- „deckung Deutschlands dient."
Aus diesen Ausführungen Baron Conrads ergibt sich die sachlich wichtige Schlußfolgerung: Der deutsche Generalstab hat eine Beein- flussung der Instradierung der österreichisch-ungarischen Armee nach dem serbischen Kriegsschauplatze nicht vorgenommen; eine Maßnahme, die für den Fall eines beabsichtigten gemeinsamen Angriffskrieges gegen Rußland nicht hätte unterlassen werden können.
Die — im k. u. k. Ministerium des Äußern aus wohlverständlichen Gründen gestrichene — Notiz Baron Conrads hinsichtlich der großen technischen Schwierigkeiten, „welche dadurch entstehen, daß die Transporte nach Süden bereits im Laufen sind, was vor zwei Tagen noch hätte inhibiert werden können", involviert indirekt einen Hinweis auf diese Unterlassung. (Vgl. Seite 181, 182.)
' Es handelt sich um die Bemühungen Kaiser Wilhelms zur Gewin- nung Italiens, der Türkei, Griechenlands, Rumäniens und Bulgariens.
- Vgl. Seite 265.
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