Te ! . U u - “ \ ea Pr 6 EN > . = Io BE & A DENRKSCHRIFTEN DER KÖNIGLICHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN ZU MÜNCHEN 814, Vu DD VERB, ——— BA, n.n,-.V, AGERON. ‚ano aannd DENRKSCHRIFTEN KÖNIGLICHEN ACADEMIE DER WISSENSCHAFTEN ZUM UNICHEN FÜRYDTLENJA HERE 1814 us» 1815. AGERON, MÜNCHEN, auf Kosten der Akademie, ı8ı7. pen inne, n: 3 ” 5 22; A FEN TER ae rd Geschichte der Akademie in den Jahren ı8:ı4 und ı8ı3. . Vorerinnerung. we. @ . Oeffentliche Versammlungen. c. Allgemeine Versammlungen. u . Philologisch-philosophische Classe und ihr Attribut, das Anti- quarium. e. Mathematisch-physikalische Classe und die ihr beygeordneten Attribute. f. Historische Classe und ihr Attribut, das königl. Münz- Cabinet. g- Preisaufgaben. h. Veränderungen im Personal. N Ab- Abhandlungen. EClasse der’ Philologie und Philosophie. Friedr. v. Jacoss über die Bildsäule- der schlafenden Ariadne, sonst Kleopatra genannt, auf einer selte- men AMinuze, 7 re re en .... PB ı—ıb (Hierzu der Kupferstich Tab. I.) Cajetan v. Weser über das menschliche Wahrnehmungs- p: 17— 62 Vermögen. . : x : R : x Glasse der Mathematik und Naturwissenschaften. ı. Fr. v. Paula v. Scarask, Anacis, eine neue Pflanzen- gattung. . . . . . . . . p- ı—8 a. S, Th. v. Sormmerrine, über den Crocodilus priscus, oder ein in Baiern versteint 'gefunrdenes schmalkie- feriges Krokodil, Gavial der Forwelt. -. . p- 9— 82 (Mit einem Steindruckblatt.) 3. Ignatz Pıczer’s theoretisch - praktische Abhandlung über die Natur, Beschaffenheit und bessere Werferligung der ungleicharmigen römischen oder unrichtig so- genannien Schnellwagen. . £ . £ . P- 83— 156 (Mit einem Kupferblatt,) 4. 8. Th. v. Sormmeanise über eine neue Art Wein zu veredeln. : - E & her - P-137—150 5. R. L. Runzano’s Beyträge zur Geschichte des Jods. p. ı51ı—ı60 6. Annotationes ad theoriam atque historiam perturbatio- num coelestium pertinentes. Auctore Carolo Guil. Andr. Prarr. . ; } RE 2 . p- ı61ı—ı74 7. Plantae nonnullae horti academici Monacensis de- scriptae. atque illustrataee Auctor C. Fr. Phil. Marriıvs. . B . . = - . . P.175—192 (Mit 4 Steindrucktafeln, Tab, IV. V. VI. VII.) 8. Bestimmung des Brechungs- und Farbenzerstreuungs- Vermögens verschiedener Glasarten, in Bezug auf - die Vervollkommnung achromatischer Fernröhre. Von Jos. Frausnorer in Benedictbaiern. . » pP: 193—226 p-29 (Mit drey Kupfertafeln,) Classe der Geschichte. ı. Fortsetzung der Geschichte des königl. baier. Münz- kabinets in München. Von Franz Ign. v. Sraeser. p. ı— 26 2. F. Ign. v. Srresers Erklärung einiger noch unedirten griechischen Münzen der königl. baier. Samm- lung. s b 3 - ° - B . Pı727—58 (Mit drey Kupfertafeln,) 3. Ueber den historischen Werth des in den baierischen Handschriften den Bajuvarischen Gesetzen voraus- gehenden Prologs. Von D. Jos, Mizsiuter. . . P.59—91 Verzeichnils- der zu diesem Bande gehörenden Abbildungen. ı. Kupfer zu Jacobs Abhandlung über die schlafende Ariadne. a. Steindruck zu Soemmerings Crocodilus priscus. 3. Kupfer zu Pickel über die römische VVage. 4—7. Vier Steindrucktafeln zu Martius Plantae. 8— 10. Drey Kupfertafeln zu Frauenhofer's Bestimmung des Brechungs- und Farbenzerstreuungs - Vermögen verschiedener Glas- Arten. 1, —ı3. Drey Kupfertafeln zu Strebers Erklärung einiger noch unedirten griechischen Münzen der königl. Sammlung. ee ee Ö Ze u nu nn nn. nn sn sw... na... an... an nn... Geschichte; der Akademie in den Jahren ı$8ı4 und ıßı3z. a) Vorerinnerung. De zuletzt erschienene Band der Denkschriften der Akade- mie enthielt die Geschichte derselben bis zu Ende des Jahres 1913; hier die Fortsetzung für die beyden obenbenannten Jahre, in den be- kannten Abtheilungen, nemlich: von den öffentlichen — dann von den allgemeinen Versammlungen in den Jahren ıg14 und 15; — von den drey Classen und den mit der Akademie verbundenen At- tributen und Sammlungen; — von den Preisaufgaben; — von den Veränderungen im Personal. b) Oeffentliche Versammlungen. Es wurden deren in diesen zwey Jahren an den bekannten feyerlichen Tagen der Akademie vier gehalten. [3 In II Geschichte "In der einen (der siebzehnten scit Erneuung der Akademie) zur 55sten Stiftungsfeyer, am 28. März ı814, las der Hr. Commenthur und Prof. Petzl eine Abhandlung über den gegenwärtigen Zustand der mineralogischen Sammlungen der Akade- mie, deren verdienter Conseryator derselbe ist, mit vorhergehender geschichtlichen Darstellung ihres Entstehens und Zuwachses. Es wurde der Reichthum des Ganzen in eine gedrängte Uebersicht ge- bracht, besonders beym zweyten Corridor verweilt, der eine orykto- gnostische Sammlung der baierischen Mineralien enthält, woran sich eine andere nach den Kreisen des Königreiches und nach den Rerie- ren eingetheilte, anschliefst. Diese Vorlesung kann vorläufig zu einem summarischen Wegweiser durch diese Sammlungen der Akademie die- nen, bis der Verf. den räsonnirenden Hatalog, die besondere ausführ- liche Anleitung zu nützlicher Beschauung derselben, an welcher er ar- beitet, in den Druck geben wird. (Gedruckt, und in Commission bey Lindauer.) Hr. Dir. von Weiller las eine Abhandlung „über das menschliche Vorhersehungsrermögen.“ Er bestimmte vor allem die Frage, um welche es sich hierin handelt, dadurch näher, dals er sie in ihre Theilfragen zerlegte, in die von der Vorempfindung oder Vorkenntnifs des Vergänglichen als solchen, von der Vorsehung, oder Vorkenntnils des Ewigen als solchen, und von der Weilsagung oder Vorkenntnils des vom Ewigen bestimmten Vergänglichen. Die eingelaufenen preiswerbenden Schriften in Bezug auf die 1812 aufgestellte Frage wurden angezeigt. (sieheunt.: Preisfragen.) . In der Akademie. 1 In der achtzehnten öffentlichen Sitzung, am 12. Oct. 1814, (nach bekanntgemachten Ausspruch über die Preisaufgabe)) las der Hr. Reichs- Archiv-Director von Lang: „Bruchstück einer baierischen Handelsgeschichte aus der Regierungszeit Herzog Ludwig des Strengen vom J. 1253— 1294.“— Da sich der ältere levantische Handel über Constantinopel nach der Krimm durch die Ukräne, Polen, Böhmen in Baiern herein und zwar als einer Haupthandelstadt nach Regensburg, und von da über Augsburg und Memmingen bis nach Frankreich zog, so hatte Hr. v. Lang die Gelegenheit ergriffen, aus einem im Reichs- archive befindlichen alten Landbuche vom J. 1278 und andern histori- schen Nachrichten von der Regierung Herzog Ludwig des Strengen, als der letzten Periode dieses levantischen Handels, alles dasjenige auszuheben und zusammenzustellen, was sich von den damaligen Was- ser- und Landstralsen in Baiern, von Märkten und Messen, Zoll- und Mautwesen, Aus- und Einfuhr, eigenen Erzeugnissen des Landes, Maas und Gewicht, Münzen und Preisen der Dinge, noch aufgezeich- net findet, aus welchen hervorzugehen scheint, dafs damals schon eine ziemliche Betriebsamkeit in Baiern geherrscht, in manchen Stücken wohl noch bedeutender als selbst heut zu Tage, dals aber der mittlere Wohlstand minder allgemein ausgebreitet und es unter geringscheinen- den Preisen im Grunde doch theurer als jetzt zu leben war. (Diese Abhandlung erschien gedruckt beyLindauer, München, 24 Seit. in 4.) Hierauf las Oberfinanzrath Roth „Bemerkungen über Sinn und Gebrauch des Wortes Barbar,“ worin der Ursprung der widrigen Begriffe, welche dieses Wort ausdrückt, umständlich entwickelt, so- dann der spätere Gebrauch erörtert und endlich der heutige auf fol- gende Art bestimmt wird: ‚‚In der Christenheit steht heutzutage kein a2 Volk IV Geschichte Volk zu dem andern in dem Verhältnisse der Griechen zu den Ungrie- chen. Aehnlichkeit aber hat die Stellung der christlichen Völker ge- gen einander mit derjenigen, die ein griechischer Staat gegen den an- dern einnahm, und ihr Verhältnifs gegen die benachbarten unchristli- chen Völker mit demjenigen, das zwischen Griechen und Barbaren bestand. In dem weiten Kreise der europäischen Bildung, dem größten, den die Weltgeschichte aufweist, ist keine Völkerschaft bar- barisch zu nennen; aber Einzelne sind es in allen Ländern und in allen Ständen. Ein Feind der Gelehrsamkeit, sagt Berkeley, ist ein Barbar; und da die ächte Bildung neuerer Zeit vornehmlich von der Gelehrsamkeit erzeugt, gepflegt und erhalten wird, so kommt diese auch in Teutschland am meisten übliche Bedeutung des Wortes der ursprünglichen, obwohl viel weitern, am nächsten, wenn man nur, wie sich gebührt, als Feind der Gelehrsamkeit nicht ihren Verächter allein, sondern auch denjenigen ansieht, der sie binden und zwingen will.“ — (Diese Abhandlung ist in der Felseckerschen Buchhandlung im Druck erschienen, ı6 Seiten, 4.) Hr. Director von Streber, Conservator des k. Münzkabine- tes, hatte von der, Herzog Albert V. betreffenden Preisfrage Gelegen- heit genommen, einigeZüge aus dem Leben diesesFürsten durch seltene, bis jetzt den Numismatikern noch nicht bekannte Schau- münzen zu erläutern, und eine Abhandlung darüber auch noch zur Feyer dieses Tages zu lesen. Die merkwürdigste darunter ist ein grolser, in dem kön. Münz-Cabinete sich befindender Medaillon, der in Bezug auf die Verschwörung geprägt ist, die in jener Periode, in welcher ganz Teutschland wegen Religions- Meynungen in Gährung gerathen war, von einigen unzufriedenen Vasallen gegen das Leben des Herzogs an der Akademie. V angesponnen worden. Diese Aufrührer hatten heimlich, und zwar unter dem Namen des Herzogs, Truppen im Auslande werben lassen, während sie im Lande selbst mit ihrem Anhange Alles zu einem grolsen Schlage vorbereiteten; aber die Falschwerber wurden ergriffen und zum Geständnis ihrer Mitschuldigen gebracht. Der grofsmüthige Fürst verzieh diesen rebellischen Edelleuten, befahl sogar, ihre Namen zu verheimlichen, alle Documente zu vernichten und dieser Sache nur im Allgemeinen zu gedenken, wie man es daher auch bey Bruner und Adlzreiter findet, Hier tritt nun der Fall ein, der für die Numis- matik immer so rühmlich ist, nemlich ein geschichtliches Factum mit einem geprägten Monumente belegen zu können. Jener grofse Me- daillon v. J. 1558 trägt nemlich auf der Hauptseite des Herzogs Bild, auf der Kehrseite zwey Löwen, deren einer den gegen ihn kämpfenden Stier zu zerreilsen droht, der andere ein Lamm in seinen Schutz nimmt, mit der Umschrift: Parcere subjectis et debellare superbos. — (Diese Abhandlung mit der Abbildung des Medaillons findet sich in dem drit- ten Bande der historischen Abhandlungen, München, 1815; auch ist eine Anzahl separater Abdrücke in das Publicum gekommen.) Die neunzehnte öffentliche Sitzung wurde am 31. März 1815 zur 56sten Feyer des Stiftungstages gehalten. Der Hr. Hofbibliothek- Custos und Adjunct der Akademie Docen las zuerst eine Abhandlung „über die Ursachen der Fortdauer der lateinischen Sprache seit dem Untergange des abendländischenRö- merreichs. “Nächst dem allgemeinen Gesichtspuncte, wie die Kultur der neuern Völker Europa’s in vielfältigster Beziehung von einer aus früher Zeit überlieferten fremden Erudition sich stets abhängig bewie- sen, und wie der Einflufs der lateinischen Sprache hier überall vor- herr- VI Geschichte herrschend gewesen, wurden, nach einem übersichtlichen Gemälde der altrömischen Literatur und Sprache, die Gründe untersucht, de- nen die Fortdauer derselben nach dem Umsturze des römischen Reichs durch die germanischen Völker beyzumessen sey. Als solche wurden angegeben: ı) die Einführung der christlichen Religion seit Constan- tin, deren Ritus in lateinischer Sprachform nun verändert auch von den fremden Völkern angenommen wurde; 2) in der Verbreitung des römischen Rechtes und den Vortheilen einer gebildeten Schriftsprache, die jetzt ebenfalls von den Franken, Gothen u. s. w. benützt wurden ; endlich 3) in den Bildungsanstalten der römischen Provinzen, deren Lehrgegenstände sich nun in den Benedictinerklöstern und Domschu- len forterhielten. Während im Mittelalter die lateinische Sprache ein so weites Gebiet beherrschte, suchte die Latinität der Scholastiker dasjenige nachzuholen, was einst in philosophischem Forschen von den Römern versäumet worden war. Die Zeiten der Wiederherstellung der Wissenschaften und des für die Landessprachen so schädlichen allgemeinen Lateinschreibens berührend gieng der Verf. auf den Zu- stand der humanistischen Studien in Teutschland über und den wün- schenswerthesten Gebrauch der römischen Classiker bezeichnend schlofs die Rede mit den Worten: ‚Um nun aus diesem Bezirke der jugendlichen Bildung in unsern Kreis zurück zu treten, so lassen Sie mich die Erinnerung erneuern, wie alle die Vortheile, die unser Zeitalter wissenschaftlichen Bestrebungen und gelehrtem Forschen ver- dankt, durch was immer für ein Band an den ununterbrochenen Fort- bestand der lateinischen Sprache und Literatur im westlichen Europa sich anknüpfen. Alles beynahe, was wir in unserer gesammten neuern Literatur Gutes und Vorzügliches besitzen, ist durch diese Stufen ge- gan- der Akademie Yu gangen, und ohne solche, mit Dank und Achtung anzuerkennende Zu- rückbeziehung wäre denn auch diese den ernsten Musen gewidmete Anstalt nicht gedenkbar. Gegründet von patriotisch - gesinnten Män- nern, die den Werth edler und nützlicher Kenntnisse empfanden, ist jetzo ihr Wirkungskreis einem vielseitigeren Betreben nicht nur in Er- forschung vieler wissenschaftlicher und gemeinnütziger Gegenstände, so wie der vaterländischen Geschichte, sondern auch der Kunde des klassischen Alterthums und der neuern Literatur gewidmet. Indem der heutige Tag uns an die vor 56 Jahren erfolgte Stiftung dieser Aka- demie erinnert, wünsche ich durch den aus der allgemeinen Literatur- geschichte bisher verhandelten Gegenstand in dieser Versammlung, zu allem, was in guten und schönen Künsten die früheren Zeiten uns überliefert haben, jene Empfindungen von Liebe und Achtung erregt zu haben, mit denen uns geziemt, den wohlthätigen Genius unseres allgeliebten Königes dankend zu verehren, der diese Stiftung Maxi- milian Joseph’s III. erneuert, erweitert, und mit den zahlreich- sten Hülfsmitteln aufs glänzendste ausgestattet hat.“ — (Gedruckt und bey Lindauer in Commission zu haben.) Hierauf las Hr. Dir. v. Schrank ein biographisches Denkmal auf den sel. Präsidenten von Schreber in Erlangen, ausw. Mitglied unserer Akad., und verweilte besonders bey der Beschreibung seines, in der That einzig zu nennenden Herbariums, das durch die Grofsmuth Sr. Maj. des Königes nun Eigenthum der Akademie ist, und wohlerhal- ten mit den Namen des unvergelslichen Sammlers unsern Nachfolgern überliefert werden wird. Der Gen. Secret. d. Akad., Dir. Schlichtegroll erläuterte einige antike Grabmäler und Inschriften, die sich in dem kön. Antiqua- rıum vIu Geschichte rium befinden, wobey ein sie darstellendes Steindruckblatt vertheilt wurde. Es wurde der Ausspruch über die 1812 ausgesetzte Preisfrage: Welches ist die Natur und Erzeugungsweise des Stickgases? — be- kannt gemacht, (s. unten: Preisfragen.) In der zwanzigsten öffentlichen Versammlung am ı1. Oct. 1815 handelte die Vorlesung desProf. Ellinger, ord.Mitgl. der math. physik. Classe, „von den bisherigen Versuchen über die längere Voraussicht ‚dier Witterung,“ in welcher er, den Gegenstand von den ältesten Völkern an, durch alle Jahrhunderte und die mehrsten cultivirten Länder verfolgend, aufwies, welche Mittel man bisher angewandt habe, um zu jener Voraussicht zu gelangen, und theilte diese in solche, bey welchen man bestimmte Ursachen der Wit- terungsveränderungen annahm, und in solche, die ohne dergleichen Annahme angewendet wurden. — Von denen der ersten (lasse erwies derselbe, dafs man bey den Erklärungen der Witterungsveran- lassungen aus blos physischen Gründen jedesmal die Unmöglichkeit fühlte, einen andern ersten Grund davon aufzufinden, als einen kosmi- schen, nemlich die gegenseitige Einwirkung der zu unserm Sonnen- systeme gehörigen Himmelskörper ; — dafs diese durch das im Univer- sum verbreitete, unwägbare Grundelement auf einander wirken, wel- ches bald unfühlbar ist, bald erscheinend als Wärme oder Licht, als Electricität oder Magnetität. Von den Versuchen der zweyten Classe, welche durch Vergleichungen des Hauptcharakters der Witte- rung mehrerer Jahre und Jahreszeiten geschehen, wies Hr. Ellinger bey jenen, welche sich bewährten, den kosmischen Grund auf; und bey der Akademie. IX bey den unstatthaften den Mangel eines solchen Grundes. Aus dem Ganzen ersieht man, dafs nach allen bisherigen Beobachtungen und Entdeckungen, bey der Beurtheilung und Vorherbestimmung der Wit- terung nicht blos auf physische, sondern auch auf kosmische Verhält- nisse Rücksicht genommen werden soll; indem Hr. Ellinger für das, was er zuvor in seinen Beyträgen über den Einflu/s der Him- melskörper auf unsre Atmosphäre (München, 1814 und 135.) aus den Vergleichungen der Mannheimer meteorologischen Ephemeri- den mit den Aspecten der Himmelskörper erwiesen hat, in dieser Ab- handlung noch falttische Beweise vieler andern Naturforscher aufführte.. (Gedruckt, in Commission bey Lindauer.) Dann las Hr. Director v. Schelling eine Abhandlung über die Gottheiten von Samothrace. Nach einer Einleitung, wel- che den Zuhörer in die Naturumgebungen jener merkwürdigen Insel versetzt und die Hauptzüge aus der Geschichte des samothracischen Dienstes enthält, erklärt der Verfasser, die bekanate, durch den Scholiasten des Apollonius erhaltene Nachricht von den Gottheiten Samothraciens der Untersuchung zum Grunde zu legen. Durch die Verbindung morgenländischer und griechischer Sprachkenntnisse wer- den hier von den bisherigen sehr abweichende Resultate gewonnen. Die Erklärungen des Verfassers stimmen jedock mehr, als die von Zoe@ga und andern versuchte, mit den Auslegungen überein, die der alte Geschichtschreiber von jenen Götternamen giebt. Entscheidend für den Sion der ganzen Lehre ist die Bestimmung von Kadmilos (Hermes), auf die sich vorzüglich der Beweis gründet, dafs die in der angeführten Stelle genannten Götter nicht in herabsteigender, b son- X Geschichte sondern in aufsteigender Ordnung sich folgend gedacht werden müs- sen. Dadurch tritt das samothracische System in ein völlig ande- res Licht, welches von da sich auf die übrigen griechischen Myste- rien und das ganze System des alten Götterglaubens verbreitet, über dessen Erklärung und geschichtliche Herleitung einige allge- meine Bemerkungen eingeflochten werden. Sodann erklärt sich der Verfasser über die Pygmäen-Gestalt der egyptischen Kabiren; zwi- schen diesen und altnordischen Vorstellungen (die auch früher schon verglichen worden) ist eine merkwürdige Verbindung aufgezeigt. Zuletzt sucht der Verf. den allgemeinen Kabiren-Namen auf eine neue, mehr der Eigenthümlichkeit jener Gottheiten angemessene Art zu erklären. (Diese Abhandlung, mit den reichhaltigen Anmer- kungen 117 Seiten stark, ist im Verlage der Cotta’schen Buchhand- lung in Stuttgard erschienen.) Nun erfolgte der Spruch über die, durch die Preisfrage, die Aechtheit der Platonischen Schriften betreffend, veranlafste Einsen- dung und wurde eine neue aufgestellt. (S. unten Preisfragen.) e) Allgemeine Versammlungen. Es wurden in den Jahren 1814 und ı5 deren siebzehn gehalten. Eine besondere Erwähnung unter den laufenden, grölsten- theils administrativen Gegenständen, welche in diesen Versammlun- gen zur Kenntnils der Akademie gebracht wurden, verdient, dafs der Akademie, XI dafs Hr. Prof. Thiersch und Hr. Bibliothekar Scherer durch Wahl der philolog. philosoph. Classe und dann der gesamm- ten Akademie, und auf erhaltene königl. Bestätigung derselben, zu ordentl. frequent. Mitgliedern der Akademie ernannt wurden; und dafs das zeitherige Ehrenmitglied der Akademie, Hr. Ober-Kirchen- Bath Wilsmair durch Entschliefsung Sr. königl. Maj. gleichfalls in diese Abtheilung dar Mitglieder versetzt wurde und in der histo- .zischen Classe Platz nahm; ferner dafs ein Freund der Wissenschaften, der sel. Beneficiat Plac. Scharl in seinem letzten Willen seine gesammelten Bücher, Hand- zeichnungen und Kupferstiche der k. Akad. d. W. als ein schätz- bares mit gebührendem Dank anerkanntes Legat vermacht hat. Von den Büchern wurden die Classiker an. die Bibliothek der k. Stu- dien-Anstalt abgegeben. Eine Handzeichnung wurde für werth er- kannt, in die königliche Sammlung der Handzeichnungen aufgenom- men-zu werden; aus den Kupferstichen wählte die k. Kupferstich- Sammlung dasjenige aus, was ihr noch mangelte. Die königl. Gentralbibliothek, die als das allgemeinste Attribut der Akademie nun zu erwähnen ist, machte in den Jahren 1814 und 15 sowohl in Absicht auf Anordnung, als Vermehrung die bedeutendsten Fortschritte. In Rücksicht auf erstere ergab sich das Bedürfnils immer mehr, baldigst einen allgemeinen alphabetischen Ka- talog des Ganzen herzustellen, da zeither blos dergleichen über ein- zelne Theile, aus denen die Bibliothek erwachsen ist, bestanden, und eine fortgesetzte systematische Katalogirung bey der Grölse der Biblio- b2 thek Xu Geschichte thek zu spät zum Ziel führen würde. Die Bibl. Administr. Commissior vereinigte sich daher über einen Plan, nach welchem die Bibliothek in zwölf grofsen und gegen zweyhundert Unter - Abtheilungen aufge- stellt, die Bücher in diesen Unter - Abtheilungen nach dem Alphabeth geordnet, zugleich beziffert und dann auf beweglichen einzelnen Quart- blättern katalogirt werden sollte. Dieser Plan wurde allerhöchsten Orts genehmigt und der Akademie die Erlaubnifs gegeben, die hierzu nöthigen geschickten Gehülfen auswählen und zu dieser bald möglichst zu beendenden vorübergehenden Arbeit anwenden zu dürfen. Dieses ist geschehen und bis zum Ende des Jahres 1815 war bereits ein grofser Theil dieser Arbeit unter der speciellen Leitung des Hrn. Bibliothekar und ordentl. frequent. Mitgliedes der Akad. der Wiss. Scherer ge- than.‘ Der Bibliothek - Administrations- Commission wurde in ihren Sitzungen, von denen in diesen Jahren die 57ste bis 66ste gehalten ward, Bericht über die fortgehende Arbeit erstattet, und sie fand nur immer Veranlassung, ihre Zufriedenheit mit dem consequenten Gang derselben zu bezeugen. Mehr hierüber wird sich in der Geschichte der Akademie für die nächstfolgenden Jahre finden. d) Philologisch-philosophische Classe und ihr Attribut, das Antiquarium. Die im vorigen Bande der Denkschriften erwähnte (p. IX) durch die Vorlesung der Hrn. Prof. Thiersch über die Bemühun- gen der Neu-Griechen auf dem Felde der Wissenschaften, mit mehrern Gelehrten in jenen Gegenden veranlafste Verbindung hatte Zur der Akademie. XII zur Folge, dafs Schreiben mit Dankbezeugungen von dem ehrwür- digen Patriarchen in Constantinopel, von Smyrna, Bucharest u. s. w. an die Akademie eintrafen, dafs junge Studierende nach München, Landshut, Würzburg und anderen teutschen Universitäten geschickt wurden, und dafs die Akad. der Wiss. in München von jenen nach wissenschaftlicher Fortbildung ihrer Landsleute strebenden edelge- sinnten Männern ihre Wohlthäterinn genannt ward. Der gleichfalls dort erwähnte Hr. Prof. Othmar Frank legte im Jul. 1814 der Akad. ein beschreibendes Verzeichnils der persischen Handschriften der königl. Bibliothek vor, dafs dann auf Kosten der Akad. zum Druck befördert wurde. — Im Herbste des- selben Jahres erhielt derselbe auf Bericht der Classe die Genehmi- gung S. M. des Königs zu einer, aus den Fonds der Akad. bestrit- tenen Reise nach .London, um seine Studien der Indischen Sprache und Literatur fortzusetzen, von denen er durch öftere Berichte der Classe Mittheilung machte. Von den Früchten seiner Bemühungen wird-in der akademischen Geschichte der folgenden Jahre noch öf- ters die Rede seyn. Die Spuren von römischen Gebäuden, die im Herbste 1815 auf dem Loigerfeld bey Salzburg gefunden worden waren, veran- lafsten die Classe durch Absendung erst des Hrn Prof. Thiersch, dann, als dieser mit dem Auftrag zur Reclamation der aus den hiesigen Bibliotheken ‚mitgenommenen Codices und Bücher nach Paris abge- ordnet wurde, des Conservators des Antiquariums, Hrn. Prof. Stark, die dortigen Aufgrabungen leiten zu lassen. Die bald darauf er- folg- XIV Geschickte folgten Gränzveränderungen, wo dieser Theil des Salzburgischen Gebietes wieder an Oesterreich abgetreten wurde, störten die Aus- führung der weitern Plane, die zur Erhaltung dieser merkwürdigen Alterthümer bereits in Rede waren. Doch wurde das Antiquarium mit einigen dort und in dem Rosenegger-Garten bey Salzburg gefundenen schätzbaren Al- terthümern bereichert. In den Classensitzungen fanden mehrere Vorlesungen philo- sophischen, philologischen, und antiquarischen Inhaltes statt, die von den Mitgliedern nur zur Mittheilung und nicht für die Denk- schriften bestimmt waren. So die des sel. Kirchenrath Martini über Horaz Od. IV, 3: Quod spiro et placeo etc., welches die letzte akademische Mittheilung dieses verehrten Mannes war, da durch dessen im Herbst 1515 erfolgten frühzeitigen Tod die Aka- demie einen empfindlichen, allgemein betrauerten Verlust erlitt. €) Mathematisch physicalische Classe und deren Attribute, Sie erstattete, in Folge erhaltener Aufträge von der Regie- zung, gutachtliche Berichte: über Dr. Ziegler’s in Waldmünchen, Zucker- und Gummi - Bereitung aus Ahornsaft; — über J. Holzner’s zu Ingolstadt neue Mahlmühle ohrre Wassertrieb;-— über Malter’s Abziehriemen für schneidende Instrumente; — über die Frage, ob und der Akademie. xXV und durch welche Methoden das in der Residenzstadt München zur Strafsenbeleuchtung verwendete Unschlitt so zubereitet und gerei- nigt werden könne, dafs es ohne beträchtliche Kostenvermehrung an Brauchbarkeit und Güte dem Rebsöle nahe gebracht oder gleich- gestellt werden könnte; — über Apotheker Stahl zu Augsburg Euft- verbesserung - Räucherungsmittel; — über Stain’s Feuerlöschpul- ver; — über Graf Arensberg’s Stahlfabricationsproben; — über Daisenrieder’s, Uhrmachers zu Gmünd, erfundene Räder- und Trieb-Schneidemaschine; und mehrere andere. Der geistliche Rath v. Imhof machte, zufolge eines Auftra- ges der Regierung, durch die Zeitungen eine Darstellung der Ursa- chen und Wirkungen meteorischer Feuerkugeln bekannt, um aber- gläubigen Sagen entgegen zu wirken; — er verfalste, gleichfalls in Auftrag der Regierung, einen populären Unterricht zur Errichtung und Unterhaltung von Blitzableitern, welcher auf Kosten des Staates gedruckt und ausgetheilt wurde. Aufser den in den Classensitzungen vorgelesenen in diesem Bande abgedruckten Abhandlungen erfolgten häufige Mittheilungen, die, nicht für die Denkschriften bestimmt, zum Theil in andern Sammlungen gedruckt erschienen. So las Hr. Dir. v. Schrank über die Beschreibung einiger Pflanzen aus Labrador mit Anmerkungen nach einer von Kohlmeister herrührenden kleinen Sammlung aus dem Nachlasse des Präsid. von Schreber, — über Hrn. Duyal’s zu Regensburg Beobachtungen der Ringelnatter, Coluber natrir; über Hrn. Prof. Hofsfeld zu Dreyfsigacker Beobachtungen und vVOor- XVI Geschichte vorläufige Resultate, betreffend vier neue Rosen-Arten nämlich Rosa constans, variabilis, decipiens und campanulata. — Hr. General- Salinen-Administrator von Flurl theilte mit: einen Aufsatz über ei- nen am Rathhausberge im Salzburgischen neuentdeckten Blauspath und noch einige andere daselbst vorkommende wenig bekannte Fos- silien. — So berichtete Hr, Gch. Rath v. Soemmerring, über, eine von Hrn. Dr. Albert zu Anspach eingesendete Zwillings- Mifsgeburt und die Hnochenreste einer Hirnyorlagerung, (Hernia cerebri;) er führte die bey Schriftstellern vorkommenden Beschrei- bungen ähnlicher Fälle an, und zeigte die ähnlichen Stücke von Menschen und Thieren aus seiner Sammlung nebst einigen Zeich- nungen vor; — über ein zu München gebornes Kind mit sechs Fingern und sechs Zehen; — über Hrn. Prof. Aberle’s Beschrei- bung und. Abbildung einer doppelköpfigen Mifsgeburt; er legte ferner 26 :Abbildungen vor, von menschlichen und. thierischen Mifsbildungen, chirurgischer Krankheiten und Heilungsarten, die ihm von Hrn. Joh. Rheineck, WVundarzt in Memmingen, zu diesem Zwecke übersendet worden; so wie nebst einer kurzen Schilderung verschiedene, ihm vom Bar. v. Cuvier geschenkte Reste vom Anoplo- therium eommune und Palaeotherium; er zeigte den von ihm in diesem Bande beschriebenen und abgebildeten Crocodilus priscus in dem Originalstein vor, zugleich sowohl mit Krokodilen 'in WVeingeist, als Krokodil-Skeleten und Schedeln aus seiner Sammlung nebst den Original-Zeichnungen vom Hrn. Adj. Oppel und Prof. Köck. — — Freyherr von Moll ertheilte Nachricht von Hrn. Cramers zu Berlin fruchtloser Wiederholung der Morecchinischen Versuche über Magnetisation durch violeten Lichtstrahl und von den Erfolgen seiner Ver- der Akademie. XYVl Versuche über die Indifferenz der elektrischen Spannung in Bezie- “hung auf Wärmestrahlung. — Hofr. Gehlen, der auf Einladung in Wien mit den k. k. Vorständen der Glasfabrication seine merk- würdigen Versuche über die Anwendung des Glaubersalzes bey der Glasbereitung vielfach wiederholt hatte, sandte einen Bericht dar- über an die Classe und lieferte einen Nachtrag zu demselben, worin er insbesondere von den Versuchen handelt, aus Glasscherben durch Wiedereinschmelzung mit etwas Braunstein im Ziegelofen weilses Glas zu erhalten, wobey er die ihm von den HHn. k. k. Hofrath und Dir. Niedermayer und dem Dir. Adj. Joris geleistete Hülfe dankbarlichst rühmte; er gab Nachricht von seinen Versuchen mit Arragon: aus Spanien und Frankreich, welche er in Gesellschaft des H. Hofr. Fuchs zu Landshut und Moser in Wien angestellt hatte; er fand späterhin wirklich Strontian im stängligen Arragon von Auvergne und Wolfstein, sowohl nach Strohmeyer’s als Buch- holzens Verfahren und bewies solches durch einen vorgezeigten Versuch. — Dieser unser verehrter College wurde im Lauf seiner rübmlichen Thätigkeit durch den, von der Akademie allgemein be- trauerten, im Jul. 1815 erfolgten Tod unterbrochen. — Hr. Steuer- rath Soldner machte eine neue Methode, beobachtete Azimuthe zu reduciren, bekannt. — Hr. Dr. Spix, Conservator der zoologi- schen Sammlung der Akad., berichtete über ein vom Pfarrer Lang- wert zu Lipprichhausen im Rezatkreise eingeschicktes Petrefact, welches ihm ein Labrus von Monte Bolca schien; er legte der Ak. seine Cephalogenesis sive capitis ossei structura c. tabb. Monach. 1815. fol. vor. — Hr. Adjunct Dr. Ruhland las eine Abhandlung „ über die Adhäsion, — begleitete seine (in diesem Bande abgedruckten c Bey- xVil Geschichte Beyträge zur Geschichte des Jode mit Vorzeigung der Entbindung des violetblauen Gases aus derselben, und der von ihm bewirkten Verbindung des Jode mit verschiedenen Metallen und brennbaren Körpern, Erden und Säuren; — er theilte eine vorläufige Nachricht über seine Versuche in Beziehung auf die Eigenschaften des See- beckschen Ammonium-Amalgams mit; desgl. eine durch ı2tägige Digestion des Phosphors mit Ammonium erhaltene Verbindung; er las einen Aufsatz über die Antiperistasis, einen Begriff der ältern Physik. — Hr. Adjunct Dr. Martius las eine Abhandlung über den Bau und die Natur der Charen, die er für ein Mittelglied zwi- schen den Conferren und Tangen ansieht und erläuterte sie durch vorgelegte Zeichnungen. — Die Administrations-CGommissionen über die mathe- matisch-physikalischen und naturhistorischen Attribute dieser Classe fuhren in ihren Sitzungen fort, über Vermehrung der Sammlungen und über Vervollkommnung dieser Attribute zu wachen. Wenn in der Geschichte der Akademie vor dem Bande für 1813 angeführt werden konnte, dafs der botanische Garten in jenem Jahre vorzügliche Fortschritte gemacht habe, so ist es die- sesmal die längst gewünschte Erbauung des chemischen Labo- ratoriums, welche ausdrückliche Erwähnung verdient. Noch im J. 1814 wurde der Grundstein dazu gelegt, und der Bau nach den, was die wissenschaftliche Einrichtung betrifft, von dem Hofr. Geh- len gemachten Vorschlägen und nach dem allerhöchst genehmigten Bauplan ausgeführt. Die Vollendung dieses wichtigen Attributes der Akad. der Akademie. XIX Akad. fällt in die Jahre 1816 und 17, so dafs in dem bald nach diesem herauszugebenden Sechsten Bande der akad. Denkschriften ausführliche Nachricht davon soll gegeben werden, so wie von J) der Historischen Classe und dem mit ihr verbundenen Münz-Cabinete, mit dessen Geschichte bis zum Jahre 1815 der verdienst- volle Aufseher, Hr. Dir. von Streber, die Freunde der Wissen- schaften in diesem gegenwärtigen Bande beschenkt, das aber bald darauf durch einen von Hrn. Cousinery erkauften Nachtrag grie- chischer Münzen, der über 4000 Stücke enthält, auf das Glücklichste ist vermehrt worden. g) Preisaufgaben. Ueber die am 28. März ıgı2 von der historischen Classe aufgegebene Preisfrage: „Was ist von den beyden Herzogen von Baiern, Wilhelm IV. und Albrecht V., unmittelbar selbst oder vermöge ihrer Unterstützung und Aufmunterung durch Andere, für Wissenschaften und Künste geschehen, und welches war überhaupt der Zustand der höhern Geistesbildung in Baiern in jener Periode? — waren -zwey Schriften eingelaufen, die eine mit dem Motto: Semper honos nomenque ducum laudesque manebunt; die andere mit: A Cicerone didieimus, quod ipse a Platone desumsit, artes ali honori- bus. Das Resultat der Prüfung, das in der ı$ten öffentlichen Ver- sammlung der Akad. am ı2. Oct. 1814 bekannt gemacht wurde, fiel c2 da- XX Geschichte dahin aus, dafs beyde Schriften den Forderungen der Akademie, welche bey einer erschöpfenden Benutzung der Quellen eine leben- dige Darstellung der wissenschaftlichen Kultur jener Periode durch diese Aufgabe veranlassen wollte, nicht entsprochen hätten. Die. sehr ausführliche Schrift mit dem Spruche: Semper honos etc. er- mangelt, nach dem Urtheil der Richter, der Verbindung der ein- zelnen Theile zu einem Ganzen, die vorhandenen Quellen sind nicht alle erschöpft, und dafür Vieles hieher nicht Gehörige einge- mischt, indem z.B. statt eines gedrängten Gemäldes von dem Zu- stande der Literatur bey dem Regierungsantritte Herzog Wil- helm IV., sogar bis in die Carolingische Periode hinaufgestiegen und damit ein Viertheil der weitläuftigen Schrift gefüllt wird. — Noch weniger Genüge that die zweyte Schrift mit dem Spruche: A Cicerone didiecimus etc. Nicht frey von _ einzelnen historischen Irrthümern gab sie in gedehnter, oft sehr incorrecter Sprache nur eine Compilation und Materialiensammlung, bey der gute Auswahl, Stellung und Anordnung noch durchgängiger, als bey der obigen vermilst wurde. Ueber die im Oct. 1812 aufgestellte physikalische Preisfrage: „Welches ist die Natur und Erzeugungsweise des Stickgases?“ — war bis zum Ablaufe des Termins nur Eine Schrift eingegangen, mit dem doppelten Spruche: ,‚Mit dem Genius steht die Natur im ewigen Bunde; was der eine verspricht, leistet die andre gewils;“ Schiller; — und: „Jemand, der die Theorien und 'Gemein- begriffe aus sich geülgt und den geraden frischen Verstand wieder von tn nn der Akademie. XXI von vorn auf das Besondere angewendet, ist bis jetzt nicht gefun- den worden.“ Baco. | In der ıgten öffentlichen Versammlung, 28. März 1815 machte die Altademie in Bezug auf diese preiswerbende Schrift folgenden Ausspruch bekannt: „Als die Ak. am 12. Oct. ıg12 jene Preisfrage aussetzte, erörterte sie dabey, dafs sie zur Beantwortung derselben erwarte: 1. eine so viel möglich vollständige, mit "Anführung der Quellen be- legte Geschichte und Würdigung der bisherigen Beobachtun- gen, Versuche und Betrachtungen über das Sticligas; 2. Neue Ver- suche, durch die man zur Lösung jener Aufgabe gelangen könnte, und durch welche sie auch so viele ältere zweifelhafte, nicht von allen Seiten betrachtete Versuche auf ihren wahren Werth gebracht zu sehen wünschte. Die Ak. erklärte, dafs für den Fall einer wirk- lichen und vollständigen Aufdeckung der Natur ‚und Erzeugungs- weise des Stickgases, wodurch der eigentliche Zweck der Aufgabe erreicht würde, sie nicht auf der historischen und: kritischen Ent- wickelung des Gegenstandes bestehe. Der Verf. der eingesandten Schrift giebt in folgenden Wor- ten der Einleitung die Art an, wie er jene Aufgabe aufgefalst: ‚‚Die Ak., sagt er, hat in ihrer Ankündigung eine geistvolle, sich auf un- trügliche Grundlagen stützende Bearbeitung des in Frage stehenden Gegenstandes, kurz eine ‚Theorie verlangt, die eine reine Aussage schon vorhandener, oder ganz neuer Thatsachen seyn sollte, und da- XXI Geschickte daher auch einen geringern Werth auf den historischen, als auf den wissenschaftlichen Theil dieser Arbeit gesetzt.“ Diese Deutung liegt durchaus nicht in den klaren Worten der Aufgabe, die von Geschichte und Würdigung der frühern Ver- handlungen spricht, welche Würdigung bey einem experimenta- len Gegenstande sich auch auf dem experimentalen Standpuncte halten, so wie die neue Bearbeitung desselben allerdings wissen- schaftlich, aber ebenfalls experimental seyn muls; und jener Ge- schichte und Würdigung begab sich die Akademie nur dann, wenn diese neue experimentale Bearbeitung geradezu, ohne dieselbe, zum Ziel führte und so den eigentlichen Zweck der Aufgabe erreichte. Der Verf. gesteht in eben dieser Einleitung, ‚‚dafs ‚er dem historischen Theile seine Vollendung nicht geben können, weil es ihm zu sehr an der Benutzung gröfserer Bibliotheken und an an- dern Mitteln fehle. Eben so wenig hat er Versuche anstellen kön- nen, zur Prüfung früherer Angaben oder zu Gewinnung neuer ent- scheidender Thatsachen, Hieraus geht hervor, dals der Aufgabe von keiner Seite ent- sprochen worden. Wie der Verfasser sich dennoch an\die Beantwortung der Frage wagen können, wird dadurch erklärlich, dafs er in seiner Schrift eine „Ansicht“ darlegt, wie er sie sich über die Natur und Genesis des Stickgases gebildet hat, welche er auf schr viele sei- der Akademie, XXIL seiner Meynung nach einfache und handgreifliche Thatsachen ge- gründet hält, und zu deren Durchführung ihm die bisher bekannt gewordenen Versuche genügten. Da eine solche Ansicht natürlich stets aus der jedesmaligen literarischen und wissenschaftlichen Indi- vidualität hervorgeht, so wird es genügen, hier nur zu bemerken, dafs ihr die alte Hypothese zum Grunde liegt, das Stickgas bestehe aus Sauerstoff und Wasserstoff, oder sey, wie der Verf. sich aus- drückt, ein durch Wasserstoffgas verfeinertes, höher gesteigertes oder erregtes Sauerstoffgas, dem er aber als Charakterisirendes noch einen feinen inponderabeln erdigen Stickstoff, (dem Uubekann- ten also ein anderes unbekanntes Etwas) beytreten läfst. Den Hauptbeweis für diese Ansicht findet er in dem Erfolg des bekann- ten Priestley’schen Versuches der Durchleitung von Wasser- dämpfen durch glühende irdene Röhren, und in der angeblichen Bildung von Stickgas beym Ablöschen glühender erdiger und ande- rer nicht entzündlicher Körper im Wasser. Diese im ersten Theile der Schrift aufgestellte partielle Ansicht über das Stickgas ist ’im zweyten Theile mit einer allgemeinen Weltansicht, die der Verf. sich entworfen hat, in Verbindung gesetzt. Um ein Urtheil über diese Schrift zu fällen, wenn man sie blofs an sich auf ihrem Standpuncte betrachtet, so zeigt sie, dals dem Verf. die Kenntnifs sehr vieler, selbst neuerer, Verhandlungen und durchdringendes Studium derselben mangele, und was ihm noch davon bekannt war, hat er nicht nach dem Wunsch der Aufgabe besonders aufgestellt und gewürdigt, um Resultate daraus zu zie- hen, sondern es in seine Bearbeitung verwebt, wie es ihm für seine be- XXIV Geschichte besondere und allgemeine Ansicht zu passen schien. Die Abhand- lung zeigt ferner, dafs es dem Verf. an Anschauung von physika- lisch-chemischen Versuchen, besonders der feinern Art, und an . eigner Gewandtheit in solehen, fehlen müsse, daher ihm auch der dadurch mitgegebene Tact und die Umsicht für die Beurtheilung und Schätzung fremder experimentaler Untersuchungen abgeht, und er Folgerungen als ganz gewifs ansieht, die auf Versuche sich gründen, welche durch die blofse Betrachtung der Umstände und zum Theil durch andere spätere Versuche längst als höchst unsicher oder selbst falsch dargethan sind. Der Darstellung gebricht es in hohem Maafse an Ordnung, logischer Bestimmtheit und deutlicher Entwickelung. — Die k. Akad. d. W. kann demnach in Folge des Gesagten dieser Schrift kein solches Verdienst zu erkennen, um ihr einen Preis zuzusprechen.‘“ In der 2osten öffentl. Versammlung, 12. Oct. 1815, ward der Ausspruch bekannt gemacht, über den mit: Copwrarov xXpovos dvev- pıoskcı yap ravra, — bezeichnete Schrift, welche in Bezug auf die von der philologisch- philosophischen Classe im J. 1813 gestellte Aufgabe: „In wiefern läfst sich nach innern und äufsern Gründen bestimmen, welche unter den Schriften, die dem Plato beygelegt werden, in An- sehung ihrer Acchtheit mit Recht als verdächtig anzusehen oder gera- dezu als unächt zu verwerfen, und in welcher Zeitfolge die als ächt anerkannten nacheinander abgefalst sind — Die der Akademie. i XXV Die Classe, hiefs es, verkiennt nicht den Fleifs und die Mühe, die der gelehrte Verfasser auf die Abfassung dieses ausführlichen, die Gränzen einer Abhandlung überschreitenden Werkes gewendet hat. Es scheint früher und unabhängig von der akademischen Auf- gabe entstanden zu seyn, welches jedoch, wenn übrigens die Erwar- tungen der Akademie erfüllt wurden, auf das Urtheil der Akad. Keinen Einfluß haben konnte. Allein indem es viel Mchreres ent- hält, als die Akademie forderte, übergeht es den wesentlichen Theil der Aufgabe, der die Zeitfolge der für ächt anerkannten Schriften betrifft. Die ausführlichen Inhaltsanzeigen und Auszüge aus den Platonischen Schriften, obwohl an sich nieht ohne Verdienst, kön- nen dafür nicht entschädigen. Im kritischen Theile der Abhand- lung spricht der Verf. dem Plato nebst andern Werken auch die Apologie des Socrates und die Bücher von den Gesetzen ab, mit Gründen, die der Classe so unstatthaft geschienen, dals sie diesel- ben auch selbst auf die schen der Aechtheit wegen verdächtigen Schriften des Plato nicht für anwendbar hält. Die Wahl der Auf- . gabe der Akademie wurde mit durch die Aussicht geleitet, der Ue- bertreibung der sogenannten höhern Kritik cher billige Gränzen zu setzen, als sie zu ermuntern. _ Es konnte daher die Akad. der in Frage stehenden Schrift den Preis nicht zuerkennen, hingegen findet sie wünschenswerth, dafs dieses ausführliche, viele neue Ver- muthungen und gewagte Behauptungen über die Schriften Platons aufstellende Werk gedruckt werde, um eine ins Einzelne gehende Prüfung desselben zu veranlassen. d Die XXYVl Geschichte Die Akad. setzte in diesen Jahren 1814 und I5 zwey neue Preisfragen aus. In der ıgten öffentlichen Versammlung machte die histori- sche Classe folgendes Programm bekannt: Da die Regierungsgeschichte sämmtlicher Söhne des Kaisers Ludwig des Baiern, ber ihren mannichfaltigen Erwerbungen, Abtheilungen, Umtauschungen und Entsagun- gen noch in vielen Punkten der Aufklärung und Ergänzung fähig und bedürftig ist, hierzu aber aus den neuern Forschungen, Werken und Urkundensammlungen über Bairische, Tirolische, Holländische, Brandenburgische und Böhmische Geschichte oder sonst aus unbenutzten Quellen sich vorzügliche Hülfsmittel darbieten könnten: so hält die historische Classe - eine vollständige und pragmatische Bearbeitung der Regierungs- geschichte sämmtlicher Söhne Kaiser Ludwig des Baiern für einen Gegenstand, der eine vielseitige Wichtigkeit darbietet, und durch welchen die vaterländische Geschichte nahmhaft gefördert werden kenn, Indem hierbey die auswärtigen Angelegenheiten von Holland, Seeland, Brandenburg, nur so weit zu er- örtern sind, als sie in Bezug auf Baiern treten, wird eine möglichst vollständige Dar- stellung der persönlichen Verhältnisse und Eigenschaften dieser Prinzen, ihrer Umge- bungen, ihrer Schicksale und Regierungshandlungen, nach freyer Wahl des zweck- mälsigsten Planes, erwartet, und besonders gewünscht, dafs dieser wechselvollen Ge- schichtperiode durch eine wohlgeordnete und geschmackvolle Bearbeitung gröfsere Ularheit und leichtere Uebersicht zu Theil werde, — DerEinsendungstermin wurde auf den 12. Oct. 1816 festgesetzt. Im Nor. 1815 machte die philologisch -philosophische Classe der Ak. eine literar-historische Preisaufgabe durch folgendes Pro- gramm bekannt: der Akademie. XXVı Der Mangel einer Geschichte der deutschen Literatur ist von Vielen bereits empfunden, von den ersten Schriftstellern unseres Volkes aueh oft schon zur Sprache gebracht worden. Aber nach einem befriedigenden Werke dieses Inhalts wird noch immer vergebens gefragt, Wahrscheinlich hat die ohnehin gewichtige Aufgabe, für welche noch so viele wesentliche Einzelheiten uncrörtert vorliegen, die meisten von , ausführlicher Behandlung des Ganzen abgeschreckt, Diefs die Ursache, warum die philologisch - philosophische Classe der k. b, Akad, der Wiss, für zweckdienlich und förderlich gehalten, zu veranlassen, dafs einzelne gröfsere Zeitabschnitte dieser Ge- schichte mit sorgfältiger Erforschung und Prüfung ihrer Erzeugnisse und des in ihnen vorherrschenden Geistes Jlargestellt, und beurtbeilt würden, Sie legt daher als Preis- Aufgabe vor: Die Geschichte der deutschen Literatur des sechzehnten Jahr- hundertes, Da hiebey vorzüglich gewünscht wird, eine lebendige Darstellung alles Bedeu- tenden, was damals in Literatur und wissenschaftlichem Streben geleistet worden, in kofern die eigenthümliche Bildung jener Zeiten dadurch beurkundet wird, mit einem gründlichen Urtheil verbunden zu sehen: so mufs hiedurch von selbst schon eine Be- handlung abgelehnt werden, die statt eines allgemein ansprechenden historischen Ge- mäldes etwa blofse literarische und bibliographische Aufzählungen darbieten würde. Die eigene, prüfende Anschauung der schriftlichen Denkmale der deutschen Kultur jenes Zeitalters möge das erste Ziel der Preiswerber seyn; literarische Vollständig- keit wird nur in so fern verlangt, dafs keine der eigenthümlichen Seiten des damali- gen Schriftwesens unberührt blejbe, Außer den allgemeineren Andeutungen über den, während des sechzehnten Jahrh, in Deutschland herrschenden öffentlichen Geist und den Einflufs der Religions- Angelegenheiten auf das nationale Leben; — wie ferner itzt deutsche Literatur und Bildung, trotz der so weit verbreiteten Herrschaft der lateinischen Sprache, dennoch in ihrem Kreise auf vielfältige Weise geschäftig waren, — mülste auch die Be. tung der hochdeutschen Sprache und ibre nach und nach errungenen Vorrechte vor den Neben-Mundarten in dem Gesammtgemälde der Literatur jener Zeit mit berührt da Wer- XXVII Geschi chte werden, Dieser Uebergang vom Besondern zum Aligemeinen wurde zunächst durch die Bibel-Uebersetzung Luthers veranlafst, deren allgemeine Würdigung in ästhe- tischer und sprachkundiger Hinsicht nicht fehlen darf. Unter den besondern Erscheinungen möchte vorzüglich alles dasjenige hervor- gehoben werden, was in der Mitte des damals so regsamen bürgerlichen Verkehrs, aus dem eigenen Leben des Volkes sich erzeugte: die damalige Poesie; die Theater- stücke; das altdeutsche Lied, nebst den übrigen unterhaltenden,, historischen und an- deren Schriften, In allem Uebrigen, was mehr der Mittel der Gelehrsamkeit und vor- bildender Studien bedurfte (wie z. B, die einzelnen deutschen philosophischen, theo- ‘ sophischen, spekulativ-theologischen u, a. Schriften, die Uebersetzungen alter Aucto- ren u. s. w,), sind nicht sowohl die Beziehungen zu den besondern wissenschaftlichen Fächern, als jene Verhältnisse darzulegen, wie das Zeitalter mehr oder weniger durch derley Versuche angeregt worden, und wie hierin durch deutsche Sprache und Schrift der Geist unserer Bildung sich offenbart habe. Durch vorstehende Andentungen soll übrigehs der freyen Anordnung und Be- bandlung der Preiswerber keineswegs zu strenge vorgegrtffen werden, Auch die An- knüpfung an die frühere und folgende Zeit wird nur in so weit, als es die Haltung des Ganzen erheischt, empfohlen. Die lateinische Literatur übrigens dürfte nicht näher eingreifen, als nöthig ist, ihre damalige Richtung überhaupt, und jene Wirkun- gen zu bezeichnen, welche die Werke eines Reuchlin, Erasmus, Ulr. von Hut- ten u. s, w. auf die Erregung der damaligen Zeit, dort in höherem, anderwärts in geringerem Grade, hervorkrachten, Der Einsendungstermin wurde auf den 28. März ı8ı17 festgesetzt. h) der Akademie. XXIX h) Veränderungen im Personal. Die Akad. verlor an dem 15. Jul. 1815 eins ihrer thätigsten Mitglieder in dem allgemein betrauerten Chemiker derselben, dem Hofr. Gehlen. An seinem Grabe, wohin ihn seine Collegen und eine grolse Anzahl derer, die seinen ausgezeichneten Werth w schätzen wufsten, begleiteten, wurde folgende biographische Nach- richt über ihn verlesen *): Hr. Adolph Ferdinand Gehlen war geboren in der Stadt Bütow in Preufsisch-Pommern, den 5. Sept. 1775. Sein Va- ter war Inhaber einer dortigen Apotheke, die jetzt an seinen Bru- der übergegangen ist, und so bestimmte auch er sich den hierzu nöthigen Studien. Der Umstand, dafs sein Vater zugleich Lände- reybesitzer war und ihn zu deren Verwaltung von Jugend auf bey- 205, gab seinem Geiste früh die Richtung auf alles Praktische, durch deren seltene Verbindung mit tiefer Erforschung der Gründe seiner Wissenschaft er sich nachher auszeichnete. Denn. darin be- stand eben die schöne Eigenthümlichkeit seines Wesens, von der viele Zeugen hier gerührt an seinem frühen Grabe stehen, dafs er unaufhörlich bemüht war, die Wissenschaft in das Leben herüber zu führen, und sie dadurch wohlthätig für die Welt zu machen. Nach einem gründlichen Unterricht in den gelehrten Spra- chen auf der Schule seines Geburtsortes begab er sich nach Kö- ® nigs- *) S, Grabesfeyer bey der Beerdigung unseres unvergefslichen Gehlen. Am 18, Jul. 1815. München, 8. 34 $., — welche die Grabesrede des Oberkirchen- ratı Dr. Schmidt und diese kurze Biographie enthält. XXX Geschichte nigsberg in Preufsen, und studirte und übte dort die Pharmacie ' unter dem berühmten Chemiker, dem gelehrten Apotheker Hagen. _ Hieran knüpfte er drey Jahre hindurch den eigentlichen akademi- schen Cursus auf der dortigen Universität, indem er mit seinen bis- herigen chemischen noch die allgemein naturhistorischen und lin- guistischen Studien verband; denn auch in diesen letztern besafs er so ausgebreitete Kenntnisse, dafs er in acht lebenden Sprachen den wissenschaftlichen Briefwechsel mit den vorzüglichsten Männern seines Faches in den verschiedenen Ländern von Europa führte. Die Kinderblattern hatten ihm die traurige Folge eines sehr schwe- ren Gehörs hinterlassen; indels überwand sein eiserner Fleifs doch alle daher entspringende Schwierigkeiten in Benutzung des münd- lichen Unterrichtes, nur dafs der großse Umfang seines gründlichen Wissens dadurch noch verdienstlicher wurde. Nachdem er in Königsberg die Doktorwürde der Medicin genommen hatte, begab er sich nach Berlin, um dureh die Verbin- dung mit einem der ersten Männer seines Fachs, dem Ob.Med.Rath Klaproth, in seinen chemischen Studien immer weiter fortzu- schreiten. Obgleich durch gehaltreiche Schriften sich jetzt schon einen rühmlichen Namen erwerbend, war doch sein ausgezeichneter Werth mehr denen bekannt, die durch persönlichen Umgang Zeu- gen der Zuverlässigkeit seiner scharfsinnigen Untersuchungen waren, oder durch Briefwechsel mit ihm in Verbindung standen; aber die Anerkennung dieser näher mit ihm Verbundenen war auch so allge- mein und ehrenroll, dafs sie ihm bald einen der ersten Plätze unter den lebenden teutschen Chemikern anwiesen. Als der Akademie. AXXI Als er sich zu Halle mit Lehre und Uebung der Chemie, besonders in dem von dem Geheimenrath Reil errichteten Institut rühmlichst beschäftigte, bekam er 1807 den Antrag, als Mitglied der königl. Akademie der Wissenschaften hieher zu gehen. Diese Gesellschaft besafs in ihm eines ihrer achtungswürdigsten Mitglieder. Zwar erlaubten die kriegerischen Zeitumstände nicht, ihm alsbald eine chemische Werkstätte, an welche Bedingung gleichwohl seine volle Wirksamkeit geknüpft war, zu erbauen; dennoch war er un- ter mannigfaltigen Aufopferungen, indem er mit Verzichtung aller Bequemlichkeit seine Wohnung ganz der Wissenschaft widmete, unermüdlich thätig für sein Fach. Die Beyträge, die er zu den akademischen Denkschriften lieferte, so reichhaltig sie auch sind, geben nur einen unvollkommenen Maalsstab für seine unschätzbare wissenschaftliche Wirksamkeit unter uns. Die Prüfungen und Un- tersuchungen, welche die königl. Regierung seit dieser Zeit der Aka- demie auftrug, waren zum grolsen Theil von der Art, dafs sie sein Fach betrafen oder berührten, und die höchst befriedigende Art, mit welcher er sich denselben unterzog, erwirkte ihm nicht nur die allgemeine Achtung seiner Collegen, sondern auch die wieder- holten Bezeugungen der Zufriedenheit unseres allergnädigsten Königes. Ein Ruf, den er unter den vortheilhaftesten Bedingungen vor drey Jahren an die Universität nach Breslau erhielt, ward von ihm abgelehnt, weil er Baiern und diese Stadt lieb gewonnen hatte, und ihm die Hoffnung gegeben wurde, eine, den Forderungen der Wissenschaft angemessene Werkstätte für seine höchst nützliche Thätigkeit baldigst erbaut und eingerichtet zu sehen. Er XXXU Geschichte Er besuchte, seiner immer schwachen, durch unaufhörliche Anstrengungen leidenden Gesundheit wegen, vor zwey Jahren, die Heilquellen zu Baden bey Wien, und wurde zugleich von den dortigen Chemikern eingeladen, einige seiner sehr wichtigen Versuche in den kaiserlichen Glasfabriken im Großen zu wiederholen. Die kaiserl. österreichischen Behörden liefsen ihm durch laute Anerkennung Ge- rechtigkeit widerfahren, und unser allergnädigster König gab ihm in Bezug hierauf, nicht blofs Seine hohe Achtung durch die ehrenvollsten mündlichen Aeufserungen erst noch vor kurzem zu erkennen, sondern auch dadurch, dafs mitten in einer, noch an den Folgen grofser An- strengungen leidenden Zeit, dennoch Mittel geschaflt wurden, den Bau des zu seiner ungehinderten Thätigkeit näthigen chemischen Laborato- ziums wirklich zu beginnen. Sich erfreuend der nahen Erfüllung des Wunsches, den er und alle, welche die Wichtigkeit der Sache zu beurtheilen vermögen, so lange gehegt hatten, fand er sich mit neuem Muth belebt, und schritt erst jüngst zur Ausführung mehrerer schriftstellerischer und prakti- scher Arbeiten, die er sich längst vorgenommen hatte: Sein Vorsatz war, nach einem nochmaligen ‘Gebrauch ‚jenes Bades, das ihm wohl- thätig war und in welches er noch in diesem Monat zu reisen gedachte, mit gestärkter Gesundheit jenes neue Gebäude, ein abermaliges Denk- mal der hohen Gesinnungen unserer erlauchten Regierung, für den Nutzen der Wissenschaft und dieses Königreiches durch eine weitver- breitete Thätigheit einzuweihen und nun mit voller Kraft und mit Hei- terkeit ganz seinem schönen Berufe zu leben. Seit der Akademie. XXXII Seit einigen Wochen war er mit einer wichtigen Untersu- chung arsenikhaltiger Metallmischungen beschäftigt, und diese mochte den Grund zu den heftigen Zufällen gelegt haben, die bey Gelegen- heit der Bereitung und Einathmung einer übrigens nicht beträchtli- chen Menge giftiger Dünste plötzlich einbrachen und am 135. Jul. Mittags nach neuntägigen unaussprechlichen-Leiden seinem thätigen Leben im gosten Jahre ein Ende machten. Die Hoffnung, die sich in den letzten Tagen vor seinem endlich schnell und sanft eintre- tenden Tode gezeigt hatte, als könne er durch die theilnehmendste Hülfe der Kunst und die sorgfältigste Pflege der Freundschaft noch ge- rettet werden, wurde grausam getäuscht; die Nachricht von seinem Tode wurde in engern und weitern Kreisen mit der tiefgefühltesten, sich mannigfaltig und auf das ehrenvollste für ihn äußsernden Theil» nahme vernommen, Denn aufser dem Institute, dem er zunächst angehörte, wa- ren allmählig noch viele unserer Mitbürger Zeugen seiner nützlichen Bestrebungen geworden. Der landwirthschaftliche Verein, - dessen rühmlichen Zweck er in seinem ganzen Umfang hoch schätzte, hatte seit seiner Entstehung an ihm eins der thätigsten Mitglieder. Die pharmaceutische Gesellschaft im Königreiche, die sich jetzt so eben bildet, und so vielen Nutzen verspricht, zählt ihn unter ihre Stifter und wirksamsten Beförderer; und wie viele einzelne Gelehrte, Künstler und Gewerbmänner, die sich über Bereitung von Heilmit- teln, von Farben und ähnlichen Gegenständen an. ihn als einen an- erkannten Meister wendeten, sind durch seine uneigennützige Bereit- willigkeit ihm zu Dank verpflichtet worden. e Viele XXXIV Geschichte Viele Verdienste, viele Hoffnungen, viele Tugenden werden in dieses Grab gelegt! Ein durchaus redlicher Charakter, der sich schon in seinen edlen Gesichtszügen verkündete, und dem Wahrheit über alles gieng; höchste Zuverlässigkeit im Leben und in der Wis- senschaft; männlicher Muth gegen alle Tücke und Bosheit; hohe Bescheidenheit; lebendige Gottes- und Menschenliebe; hülfreiche Unterstützung Verlassener und Nothleidender; Uneigennützigkeit bis zur Aufopferung; reger Sinn für die Erforschung der Tiefen seiner Wissenschaft verbunden mit thätiger Theilnehmung an Allem, was unmittelbar zum Besten des Bürgers und Landmannes unternommen wurde, — sind die Züge, die unbestritten sein ehrwürdiges Bild ausmachen, die Eigenschaften, durch die er im Leben der Gegen- stand aufrichtiger Hochachtnng war, und jetzt unseres gerechten Schmerzes ist. Seine weit entfernten, ihn zärtlich liebenden und hochach- tenden Geschwister und Verwandten, die er mit der ganzen Treue seines redlichen Herzens wieder liebte, und im künftigen Jahre noch einmal zu besuchen gedachte, seine vielen durch ganz Teutschland und aufserhalb desselben verbreiteten gelehrten Freunde, die nun allmählig die Nachricht seines frühen Todes mit Schrecken in den öffentlichen Blättern lesen, können einigen Trost darin finden, dafs er auch in diesem seinen neuen gewählten Vaterlande und unter den vorurtheilsfreyen edeln Bürgern -dieser guten Stadt viele, und‘ zwar in allen Ständen gefunden hatte, die mit jedem Jahre mehr seinen hohen Werth erkannten und ihm diese Achtung auf alle Weise zu erkennen gaben, und dafs ihm das Bedauern unseres huld- A Ä 3 4 der Akademie, XXXV huldreichen, auch von ihm mit aller Wärme seines schönen Gemü- thes verehrten Monarchen in sein allzufrühes Grab folgt. Er stand einsam da, ni seinem stillen Berufe und der Erforschung der Na- tur lebend; und doch wird er so theilnehmend, so schmerzlich be- trauert, als wenn er im Zirkel engverbundener liebender Verwand- ten entschlafen wäre. Ehre seinem Andenken! Bald darauf am Anfang des Septembers hatte die Ak. schon wieder eins ihrer gelehrtesten und verdienstvollsten Mitglieder, den HKreiskirchenrath Martini, zu beklagen. Auch zu seinem Anden- ken wurden einige Blätter gedruckt *), und darin folgende Bio- "graphie: Hr. Christoph David Anton Martini ward den 22. Januar 1761 in Schwerin, der Hauptstadt des Herzogthums Mecklenburg- Schwerin, geboren, wo sein Vater die erste geistliche Stelle als Ge- neralsuperintendent und Consistorialrath bekleidete, und in gröfstem Ansehen sowohl bey der, durch hohe Religiosität sich auszeichnen- den herzoglichen Familie als in dem ganzen Lande stand. Der Vater benutzte alle Hülfsmittel, die ihm durch eigene Gelehrsamkeit und durch die ansehnlichen, ihm anvertrauten Aemter zu Gebot standen, um seinen Söhnen eine gründliche literarische Bildung zu geben. Dieser zweyte. Sohn, obgleich seit den frühesten Jahren von e2 einer ®) Grabesfeyer bey der Beerdigung unseres unvergefslichen Martini, ord. Mitgl. - der k, Ak, d. Wiss., Kreiskirchenrathes und Professors am k. Lyceum zu Mün- chen. 8, 16. Vor der Biographie geht die Rede des Diak, Rabus voraus. XXXVI Geschichte .einer zarten Constitution und schwächlichen Gesundheit, erwarb sich in den alten Sprachen, besonders auch in den morgenländischen, und in den historischen Wissenschaften durch sorgfältig gewählte Priyatlehrer die gründliehsten Vorkenntnisse, und dadurch wurde die Richtung seiner künftigen gelehrten Ausbildung bestimmt. Er bezog die damalige Landesuniversität Bützow, und späterhin Göt- tingen; an beyden Orten benutzte er mit dem angestrengtesten Fleifse die berühmten Männer, die im Fache der Gottesgelehrsam- keit, der alten Sprachen und der Geschichte in den Jahren 1780 bis 34 jene Sitze der Wissenschaften verherrlichten. In Bützow besonders der ehrwürdige Tychsen, in Göttingen der Rit- ter Michaelis, der Hofrath Heyne und der Dr. Koppe, waren unstreitig unter seinen Lehrern diejenigen, die den entscheidensten Einflufs auf seine Studien hatten; sie erkannten bald in ihm den Mann, der einst unter den grofsen Gelehrten und Literatoren einen ehrenvollen Platz einnehmen würde, und munterten ihn, der ohne- diefs rastlos sich selbst trieb, zum Beharren auf dem mühsamen Wege auf. Zurückgekehrt nach Schwerin versah er einige Jahre die Stelle eines Lehrers und Aufsehers der herzoglichen Edelknaben; wurde dann Hofprediger, und seiner gründlichen Gelehrsamkeit we- gen berief man ihn bald zum ordentlichen Professor der Theologie nach Rostock. Dort nahm er erst die zweyte, dann die erste aka- demische Würde in der Gottesgelehrsamkeit an, und schrieb bey dieser Gelegenheit eine philologisch-kritische Abhandlung über ei- nige schwierige Stellen im Propheten Jesaias. Die Erklärung der bibli- der Akademie. XXXVI biblischen Bücher des alten und neuen Testaments, besonders aber die christliche Moral, die er mit einer glühenden Beredsamkeit, durch die er alle Herzen seiner jungen, empfänglichen Zuhörer zum Enthusiasmus entflammte, vortrug, und die Kirchen - Geschichte mach- ten die Gegenstände seiner sehr geschätzten Vorlesungen auf der Universität aus. Auch war er Beysitzer der theologischen Facultät und des herzogl. Consistoriums, Inspector des Seminariums und Vor- steher der Rostecker Kloster- Administration. Eine Gründlichkeit, die nichts zu wünschen übrig liefse, eine Vielseitigkeit in dem wei- ten Gebiete der theologischen Wissenschaften, die ihn den ersten Männern dieser Fächer an die Seite setzte, machten ihn zum Ge- genstand der Verehrung seiner Zuhörer und der hohen Achtung seiner Collegen; die reinste Moralität, die liebenswürdigste Beschei- denheit, die gröfste Verträglichkeit vollendete seinen Werth. Innigst durchdrungen von der Göttlichkeit des Christenthums war er in Wort und That em Verkündiger der hohen Lehren und der erstau- nenswürdigen Geschichte desselben, das Muster eines forschenden und dabey doch ächt frommen Gottesgelehrten, und stiftete durch Lehre und Beyspiel unzähliges Gute in jungen Gemüthern, die ihm mit unbedingter Liebe ergeben waren. Immer nur darauf hinge- richtet, durch unablässiges Schöpfen aus den Quellen seinen Durst nach Wahrheit in den wichtigsten Angelegenheiten des Menschen- geschlechts zu stillen, opferte er jeden ihm sonst auch noch so heilsamen Lebensgenufs auf, um die dazu erfoderlichen Hülfsmittel sich zu verschaffen. Nur in diesen höhern Freuden lebte er, und nur in diesem Bemühen ohne alle Nebenabsicht seine Belohnung und Befriedigung findend, war er weniger darauf, bedacht, sich einen aus- XXXVIN Geschichte ausgebreiteten Ruhm als Schriftsteller zu erwerben, was ihm bey seinen, auf eigene Forschungen gebauten Studien nicht schwer ge- wesen wäre; doch beschenkte er die gelehrte Welt, aufser jener kritisch -philologischen Abhandlung über denJesaias mit noch einem sehr gediegenen Werk: ‚Versuch einer pragmatischen Geschichte des Dogma von der Gottheit Christi u. s. w.‘ nebst noch mehreren mit allgemeinem Beyfall aufgenommenen Dissertationen und Gelegen- heitsreden. Die strengste Gewissenhaftigkeit aber in Verwaltung seines Lehr- Amtes erwarb ihm die höchste Achtung derer, die sol- chen Werth zu beurtheilen wissen, und so verbreitete sich dennoch sein Ruhm auch aufserhalb der Gränzen seines nächsten Wirkungs- kreises, Daher kam es, dafs, als unser allergnädigster König im Jahre 1803 die Universität zu Würzburg neu zu beleben und zu er- weitern den preiswürdigen Entschlufßs fafste, dieser bewährte Gelehrte und Lehrer mit dahin berufen wurde, um als evangelischer Theolog die Fächer der Kirchengeschichte und alttestamentlichen Exegese vorzutragen. Auch hier war sein literarischer und sittlicher Werth bald allgemein von den Studierenden, von seinen Collegen, von sei- men Obern und von dem Publikum der verschiedenen Confessionen anerkannt worden; denn er war ja ein ächter Schüler des Meisters, dessen Lehre, Leben und Tod der gemeinschaftliche Gegenstand der Verehrung und der Dankbarkeit aller Christen ist. Die Regierungsveränderung, welche in Absicht auf Würzburg im Jahre 1806 eintrat, bewirkte die Versetzung des Seligen auf die Uni- der Akademie, XXXIX Universität zu Altdorf, und/als diese hohe Schule eingieng, den eh- renvollen Ruf nach München, als ordentliches Mitglied der Akade- mie der Wissenschaften im Fache der morgenländischen und ge- lehrten Sprachen und der Geschichte, womit zugleich die Lehrstelle der letztern, auf dem hiesigen königl.Lyceum verbunden ward; dar- auf fügte das Vertrauen Sr. Majestät des Königes hierzu noch das Amt eines evangelischen Kreiskirchenrathes und Aufsehers über die Geistlichkeit dieser Confession im Isar-, Salzach- und lller - Kreise, einem Sprengel des Königreiches. In allen diesen Verhältnissen hat er den Ruhm bewährt, der vor ihm voraus gieng; in allen dieHoch- achtung vieler ‘edlen Menschen sich erworben und erhalten. Als bleibendes Denkmal seines Mitwirkens zum Ruhm der Akademie der Wissenschaften, die bey jeder Gelegenheit ihn zur thätigsten Theilnahme bereit fand, ist von ihm die an der 54sten Stiftungs- feyer derselben verlesene „Abhandlung über die Einführung der christlichen Religion als Staatsreligion im römischen Reiche durch den Kaiser Konstantin“ — vorhanden, die durch Erschöpfung und Unpartheilichkeit das ehrenvollste Zeugnils für die Fülle seiner Gelehrsamkeit und die Redlichkeit seines edela Gemüthes ablegt. Allzu anhaltende Anstrengungen und wenige Unterbrechun- gen seiner sitzenden Lebensart, zogen ihm bey einem von Natur schwächlichen Körper vieljährige Beschwerden zu, die endlich in bestimmte Leiden übergiengen, und im 54sten Jahre seines, den Wissenschaften gänzlich gewidmeten Lebens durch einen allgemei- nen Nachlafs aller Körperkräfte seinen Tod herbeyführten, der von einer liebenden Gattinn, die seine vieljährige treue Pflegerin war, von XL Geschichte von zwey hoffnungsvollen Söhnen, deren ältester auf der Universi- tät zu Erlangen, der zweyte auf dem hiesigen Gymnasium studirt, und von einer aus seiner ersten Ehe erzeugten, im Mecklenburg- schen zurückgebliebenen Tochter, dann von vielen ihn aufrichtig hochachtenden und seinen seltenen Werth erkennenden Freunden, — beklagt wird. Wären ausgebreitete, gründliche Kenntnisse vererblich, wie Viele hätte dieser edle, dieser in die verschiedensten Fächer der Wissenschaft so tief eingedrungene Mann bereichern können, des- sen sterbliche Hülle hier ein unscheinbarer Hügel decken wird. Aber er hinterläfst uns die Erinnerung an seine hohe Wahrheits- liebe, an seinen Hafs gegen jeden Betrug im Leben und Lehren, an seine rührende Bescheidenheit, an seine Milde, an seinen wahrhaft christlichen Sinn, dem die Liebe zu den Menschen, die lebendige Theilnahme an dem Wohl unseres Geschlechts, die edelste aller Tugenden ist. Dieses schöne Beyspiel kann sich vererben, kann noch fortwirken, wird noch fortwirken, wenn längst dichtes Moos sein Grab überzogen haben wird. Und darum Dank ihm und Ehre seinem Andenken! Unter den Ehrenmitgliedern verlor die Ak. den Geheimen- sath Fischer, Leibarzt I. M. der Königin. Unter den auswärtigen den Professor und Pfarrer Winter in Landshut. Zu der Akademie. XLI Zu Ehrenmitgliedern der Akademie sind in diesen Jah- ren erwählt worden Ihre Kaiserl. Hoheiten, die Erzherzöge von Oestreich Johann und Rainer; und Sr. Durchl. der Prinz Pius von Baiern, Zu den ordentl. besuchenden Mitgliedern sind gekommen: Hr. Prof. Thiersch und Hr. Bibliothekar Scherer, philologisch- philos. Classe; — Hr. Geheimerath von Leonhard, math. physical. Classe; — Hr. Legat.Rath Ritter von Kochsternfeld, historische Classe. — Hr. Ober-Kirchenrath Wiflsmayr, der bereits vor 1807 ord. besuchendes Mitglied der Ak., histor. Classe, gewesen war, dann aber unter den Ehrenmitgliedern aufgeführt wurde, nahm am 14. Sept. 1815 seinen Platz wieder als ordentliches besuchendes Mitglied in dieser Classe. - Zu den auswärtigen und correspondirenden Mitgliedern sind gekommen dieHHn.: Canonic. Stark in Augsburg, Cor.— v. Braune in Salzburg, Cor. — Cattaneo, Dir. des kais. Münz - Cabinetes zu Mailand, Cor. — Gen.Secret. Guizot in Paris, — Hofr. Tralles in Berlin —, — Hofr. und Prof. der Chemie zu Landshut, Fuchs, Cor. — v. Grotthufs in Bauske, Cor. — v. Nau, k. baier. Hofr. zu Aschaffenburg, Cor. — Baber, Bibliothekar des Mus. Brit. zu London, — Dr. König, Aufscher des Natur.Cabin. des Mus. Brit. zu London, — Abbate May, Bibliothekar zu Mailand, — Wilkins zu London. iR — \Venn N XLII Geschichte der Akademie. — Wenn die kurze Darlegung dessen, was in den benann- ten zwey Jahren zur weitern Ausbildung unseres Gesammt- Institu- tes und seiner Theile geschehen ist, sich nicht anders schliefsen kann, als mit dankbarster Erwähnung der Huld S. Maj. des Köni- ges, von welcher jene Unterstützung und Ermunterung ausgeht, so wird dieses in immer steigendem Mafse der Fall seyn, wenn in kur- zem die Geschichte der Ak. vor dem VIten Bande der Denkschrif- ten für 1816 und 17, der schon unter der Presse ist und bald nack Endigung des jetzt laufenden Jahres erscheinet, von diesen letztbe- nannten Jahren zu reden haben wird. München, den 30. Oct. 1817. Der General: Secretair der k. Ak. der Wiss. DENK. DENRKSCHRIFTEN KÖNIGLICHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN ZU MÜNCHEN FÜR BIE TeASHÜR-E 1SsSITE En BB 1815. ———n E LASSE DER PHILOLOGIE us» PHILOSOPHIE. I. Ueber die Bildsäule der schlafenden Ariadne, sonst Clieoöpatra vsenanht, auf einer seltenen Münze Von FRsEebe. JAcoss edermann kennt die berühmte Bildsäule einer schlummernden, zierlich umhüllten Frau, welche einige Jahrhunderte hindurch unter dem Namen der Cleopatra bewundert und in Liedern besun- gen, einer Galerie des Vatican’s, wo sie einen Brunnen schmückte, den Namen gab, und jetzt, nachdem sie dem päpstlichen Museum entführt worden, eine der schönsten Zierden des Museums zu Pa- ris ist ‘). Da diese Bildsäule ihren alten Namen lediglich dem AZ un- ı) Die Geschichte dieser Bildsäule seit dem Anfange des sechszehnten Jahrhunderts s. in Böttigers archäologischem Museum ]J. $. 29, wo sich auch eine Abbil- dung derselben findet. Musce Napoleon, T, I. p. 2ı. 4 unbedeutenden Merkmal einer den linken Arm umgebenden Schlan- ge verdankte, die nichts anders als ein dem Alterthum gewöhnlicher Schmuck ist ?), so verwarf schon Winkelmann die alte Deutung und wandelte die vermeintliche Königin von Aegypten in eine Nymphe um °). Die sorgfältige Umhüllung ist dieser Deutung, so wie die Sandalen, welche die Fülse schmücken, nicht angemessen. Daher der italienische Herausgeber der Kunstgeschichte auf eine Semele muthmafste, doch ohne, wie es scheint, dieser Muthmalsung ein besonderes Gewicht beyzulegen *). Während so die Deutung eines der merkwürdigsten Ueber- bleibsel der alten Kunst schwankte, fiel der grölste und gelehrteste Kenner derselben, Herr Ennie Quirino Visconti, in einem glückli- chen Augenblick auf den Namen Ariadne °). Da indefs auch hier kein näheres Attribut Sicherheit gab, so würde diese Benen- nung in der Olasse sinnreicher Vermuthungen geblieben seyn, wäre ihr nicht die Entdeckung eines halberhabenen Werkes zu Hülfe ge- kommen, welches eine vom Bacchus überraschte schlummernde Ariadne 3) Diese Art des Armschmucks, von seiner Gestalt 0915, dpanwv genannt, wird durch das, was Böttiger a.a. Orte S. 46. not. ı0. und in der Furien- maske $. 87 * beygebracht, hinlänglich erläutert. Solche Spangen von glei- cher Gestalt und Namen wurden auch um die Fülse gelegt. Brunk mifskannte sie in einemEpigramm des Antipater aus Sidon XXI. (Anal. V,P, T. II. p. ı1.) zov eUOREIPN ÖL Öpaxovra, xpvcsıov Padıv@v KOOuoV Erıoovpiwv. indem er an Schlangenhäute dachte, die wohl Gindanen in Libyen (Herodot, V. 156, S. 359.) nicht aber Hellenischen Jungfrauen zukamen. Dieser Irrthum ist von uns durch unzweydeutige Stellen der Alten hinlänglich widerlegt in Animadyerss. ad Anth Gr. T. IL P. I. p. 29. f. 8) oder in eine Venus. Winkelm. Gesch. der Künste II. Th. IV, S. 386. Dresdn, Ausg. ü 4) Fea in den Anmerkungen zu der Storia dell’ Arte, T. II. p. 330, not. a. S. unt, not, 9. 5) Museo Pio-Clementino Tav. XLIV. Spiegaz. T. II. p. 89. f., ee ee Me Di nn Sen ae ee Sa Ya I 0 A el 5 Ariadne fast in derselben Stellung zeigt, in welcher die Bildsäule ruht, doch weniger bekleidet und mit weniger Faltenwurf. Ein flie- gender Amor zieht das Gewand ein wenig von der Brust der Schlummernden hinweg, bedeutend auf den Gott zurückschauend, der nachlässig auf den Thyrsus gestützt, ohne sichtbare Theilnahme vor der Schlafenden steht °). Das Zusammentreffen dieses Steines mit der Bildsäule und und der Erwähnung eines Gemähldes in dem Tempel des Bacchus zu Athen, welches die schlummernde Ariadne und ‘den zu ihrer Entführung herbeykommenden Dionysos zeigte 7), mulste allerdings glücklich scheinen; daher denn auch Visconti’s Muthmafsung seit jener Zeit allgemein angenommen, und die Bildsäule ohne weitern Zweifel mit dem Namen einer Ariadne bezeichnet worden ist. Doch bedurfte jene Vermuthung der zufälligen Entdeckung des erhabenen Bildwerks zu ihrer Bestätigung nicht durchaus. Ein anderes Denkmal der Kunst, seit länger als einem Jahrhundert be- kannt, das aber, wie es scheint, der Aufmerksamkeit des gelehrten Römers entgieng, reicht zu ihrer Begründung hin, und giebt ihr auch jetzt noch einen zuverlässigeren und durchaus unerschütterli- chen Grund. Denn wie? könnte jemand sagen, weil die Schlummernde auf dem erhabenen Bildwerk ihren Umgebungen nach eine Ariadne ist, mu[s darum nothwendig auch die Bildsäule, welcher diese Um- gebungen fehlen, die Tochter des Minos seyn? Die Aehnlichkeit beyder beweist es, sagt ihr. Aber diese Aehnlichkeit ist überhaupt nur die, die sich zwischen zwey schlafenden Frauen finden wird, welche ihren WVuchs, ihre Arme und ihr Gesicht auf eine gefällige enter, Weise 6) Dieser Stein ist abgebildet T. II. Tavole aggiunte B. nr. 5. 7) Pausan, I, c, 20. 2. p. 73. ed. Fae. 6 Weise zeigen sollen. Der Unzleichheiten hingegen sind mancherley. Der Schlummernden des Reliefs fehlt der einfache, aber zierliche Schmuck des Hauptes, die schlangenförmige Spange um den Arm, die zierlich mit den Füfsen verbundenen Sandalen. Vor allem aber ist in dem Gewande eine sehr grofse Verschiedenheit. Mögen diese Unterschiede ihren Grund in der verschiedenen Art der Arbeit und ihres Umfanges haben; Eurem Beweise wird hierdurch keineswegs aufgeholfen.“ „Wenn nun aber, könnte der Zweifler weiter fortfahren, jene Achnlichkeit nicht grofs genug ist, um eine vollständige Ue- berzeugung herbeyzuführen, warum könnte denn die Schlafende des Vaticans nicht eben so gut jenes schlummernde Weib seyn, das auf einem bekannten Bildwerke von dunkler’Deutung °) einigen eine Thetis, andern eine Neriene ist? Oder die schlummernde Semele jenes ge- schnittenen Steines der Stoschischen Sammlung ?)? oder überhaupt eine Schlafende? Denn warum soll jedes Werk der Kunst einen Namen, und einen Namen aus der Mythologie haben ?“ Diesen und ähnlichen Einwendungen treten wir mit einer- Münze entgegen, die dem Zweifel keinen Raum übrig läfst, indem sie als bindendes Mittelglied zwischen die Bildsäule und das Basre- lief tritt. Diese 8) Monument, Mattheior, T. III. t. IX, Winkelm. monim. ined, t. 110. p, 145. 9) Wie Fea an der oben angeführten Stelle bey Gelegenheit der fälschlich soge- nannten Cleopatra und ihren Nachbildungen muthmafst: chi sa se non rappre- setino anche Semele: giache anno quasi una perfetta somiglianza alla Semele che vedesi nella gemma data dal nostro Autore nei monim, ant. ined. nr. ı. Ob die Schlummernde auf dem geschnittenen Steine eine Semele sey, ist nach dem, was Böttiger in Schlichtegrolls Dactylioth. Stosch,. I. Th.- 114. S. be- merkt, mehr als ungewils. Ihre Stellung ist der Stellung unsrer Ariadne ähn- lich, doch ist diese weit sorgfältiger drappirt, und liegt mit dem Oberleibe hö- her, als ob ein Anlehnen an einen Felsen gedacht worden. ei At 7 Diese Münze von Erz der grölsern Art gehört der Stadt Pe- rinthus in Thrazien am Propontis an. Sie zeigt auf der vordern Seite das nach der rechten blickende Brustbild des Kaisers Alexan- ders Severus mit dem Lorbeerkranze auf dem geschornen Haupte, wie.auf den meisten Münzen desselben Monarchen, im Panzer, das Gorgo- nenhaupt auf der Brust, mit der Umschrift: AT. K. M. ATP. ZETN. AAEZANJPOE ATT. Auf der reich geschmückten Rückseite liegt im Vordergrunde die schlummernde Ariadne, den rechten Arm über ihr Haupt gekrümmt, die Fülse gekreuzt, auf einem Polster; über ihr auf der Mitte der Fläche, steht Bacchus, ‚mit einem Kranz auf dem Haupte, von welchem Bänder herabfallen, die Rechte auf den Thyrsus gestützt, um die Schultern die Nebris, die Hüften mit ei- nem Sehurz umhüllt. Ihm zur Rechten, am äufsersten Rand, steht Silenus, den halben Leib bekleidet, vor sich den Hirtenstab auf die Erde stemmend. Ein hüpfender Satyr falst ihn mit der Rechten am Arm, um ihn, wie es scheint, nach der Hauptgruppe hinzuziehn. Dem Bacchus zur Linken steht eine jugendliche Figur, auf deren linken Schulter der Arm des Gottes ruht. Wie im Gehen begrif- fen und den Gott leitend, deutet sie mit ihrer Rechten (wie die Richtung des Oberarmes zeigt) nach der Schlafenden hin. Sie ist undeutlich ausgeprägt, so dals sowohl der linke Arm, als auch der untere Theil der Schenkel und Beine verloschen ist. Doch kann nicht gezweifelt werden, dafs es ein Satyr sey *°). Unmittelbar über dem Haupte der Schlafenden ragt eine andere, ohne Zweifel weibliche Figur hervor, mit leicht bekleidetem Oberleibe, den sie anmuthig überbiegt. Ihre Arme sind von einander gebreitet, als ob sie die Becken schlüge. Ihr Haupt ist nach dem Gotte gewendet. Sie 10) Die Attribute eines Satyrs sind auf unsrer Münze nicht zu erkennen; auf eini- gen, höchst ungetreuen Abbildungen derselben, zeigen sich Hörner. Sollten diese aber auch wirklich ein Zusatz des Zeichners seyn, so wird doch die Ver- gleichung mit einem halberhabenen Werke im Museo Pio, Clem. T. V. nr. VIII, die Richtigkeit unsrer Deutung zur Genüge beweisen. 8 Sie wird für eine Bacchantin zu halten seyn. Noch ist der vordere Theil eines Tigers zu bemerken, der an den Füfsen der schlafen- den Ariadne hervorblickt, und den Kopf nach dem Gotte kehrt. Die Umschrift ist: IIEPINOIRN B NERKOPRN IRNLN. So erscheint dieser merkwürdige Typus auf einem wohler- haltenen Exemplar des herzoglichen Münz-Cabinets zu Gotha "*), Die schlafende Ariadne auf dieser Münze ist eine so genaue Kopie der sogenannten Cleopatra, dals sie sogleich auf den ersten Blick als solche erscheint. Die ganze Lage der Figur, der reiche und zierliche Gewandwurf, das untergelegte und zum Theil über- ge ı1) Diese Münze Ist scit länger als hundert Jahren bekannt; aber fast alle Be- schreibungen derselben leiten mehr oder weniger irr. Am weitesten weicht die erste, mir bekannnte Abbildung und Beschreibung derselben von der Wahrheit ab, welche sich in Tristan’s Commentaires historiques T. II, p. 413. befindet, Durch ein schlechtes Exemplar irr geführt, setzte sie dieser gelehrte Mann nach Zakynthos; erblickt in der Schlafenden, die ihm halb nackt schien, eine verirrte, von Faunen umschwärmte Nymphe, in dem Bacchus eine ehrbar bekleidete Diana, mit einem Schlangenstab in der Rechten, welche die Nymphe mit Fülsen tritt. Man würde sebr irren, wenn man nach diesen Verschieden- heiten muthmafsen wollte, dafs Tristan vielleicht eine ganz andre Münze vor Augen gehabt, Die Vergleichung mit dem Original erklärt alle diese Verun- staltungen, die dem tiefgelehrten Herausgeber einen grofsen Aufwand unnütz verschwendeten Scharfsinns gekostet haben. Richtiger als sein Vorgänger sah Vaillant (in Numis Imperat. a PopulisRom, ditionis graece loquentibus p. 139.), doch glaubte er in dem Kopfe des führenden Satyrs einen Becher zu sehn; die Schlummernde schien ihm halb entblöfst. Die Fehler seiner Beschreibung sind in Gusseme Diccionario T. V. p. 390. wiederholt. Auch in einer Abbildung desselben Exemplars, welches Vaillant vor Augen gehabt (im königlichen Cabi- net) bey de la Boissiere medaillons antiques du Cabinet du Roi en XLI Planches. tab. XVII. ist den meisten Figuren etwas angedichtet. Richtig, aber nur zu kurz, beschreibt sie Mionnet Tom, I, p.4ı2, nr. 324. Bacchus debout, accom- pagne de Silene et de trois satyres; Ariane endormie par terre. Den Tiger hat er übersehn. 9 geschlagene Gewand, der über das Haupt herabfallende Schleyer, das Polster, auf dem sie ruht, alles ist mit der gröfsten Treue wie- dergegeben. Selbst von den Sandalen zeigt sich die Spur. Die Armyerzierung aber durfte, als ganz unbedeutend, dem Stempel- schneider füglich erlassen werden. Da nun diese Figur ohne allen Zweifel eine Ariadne ist, so darf auch nicht mehr gezweifelt werden, dafs Visconti dem Ori- ginal derselben den rechten Namen beygelegt habe. So könnte uns diese Münze schon als Bekräftigung einer glücklichen Hypothese werth seyn; aber sie scheint noch weiter zu führen. Auch die Vermuthung eines andern Gelehrten **), dafs die vaticanische Ariadne Theil eines gröfsern Kreises von Bildern ge- wesen, erhält durch unsre Münze einen hohen Grad von Wahr- scheinlichkeit. Oder wäre es glaublich, dafs der Zeichner dieser Münze oder ihr Erfinder, indem er die Hauptfigur seines Gemähldes nach einer wirklich vorhandenen Statue getreu copirte, alles übrige will- kührlich hinzugedichtet, mit so vieler Einsicht hinzugedichtet habe, dafs daraus ein, was die Anordnung betrifft, durchaus tadelloses Ganze hervorging "?)? Ist es nicht unendlich wahrscheinlicher, dafs er 12) Böttiger in dem archäolog. Museum ı. S. 84. 13) Man würde sehr irren, wenn man die Stempelschneider der Münzen zu den vorzüglichen Künstlern des Alterthums rechnen wollte. Sie machten gewils, wie auch Hr. Levezow in seiner Abhandlung über die knidische Venus $, 54. sagt, eine sehr untergeordnete Klasse aus, wodurch doch der verdienten Bewunderung schöner Münzen nichts entzogen wird. Dal; die Alten der Stem- pelschneider gar keine Erwähnung thun, ist gewils nicht ohne Bedeutung; und wir wülsten nicht, worauf sich Herrn Stieglitz Vermutbung (Versuch über die Einrichtung einesMünz-Cabinets $. 14.), dafs bisweilen grolse und berühm- te Künstler die Matrizen der Münzen ausgearbeitet, stützen könte, Dafs aber a Gemmen- 10 er alles zusammen nahm, wie er es vorfand? Das ganze, reiche, mannichfaltige Bacchanal, von dem die Schlafende nur ein Theil war? Und gewinnt nicht die herrliche Bildsäule ein ganz neues In- teresse, wenn wir sie, was sie auf der Münze ist, als den Schlufs- stein des Gruppo, und mit allen jenen Motiven umringt denken ? Allzugewagt wenigstens wird dieser Schlufs nicht scheinen: Die Figur der schlummernden Ariadne auf der Münze ist ein ge- treues Abbild einer wirklichen Statue; so werden also auch die um- gebenden Statuen Abbildungen wirklicher Bildsäulen seyn. Und wenn dieses war, wie konnten sie anders gedacht werden, als im Verein mit der Bildsäule der schlummernden Ariadne? Hat nun, wie zu erwarten steht, die Ausführung der umge- benden Bildsäulen der Einen entsprochen, die sich von diesem Ver- ein erhalten hat "*), so dürfte diese Gruppe für eine der schönsten des Alterthums gehalten werden müssen. Vielleicht aber dürfen wir auch von unsrer Münze mit Wahr- scheinlichkeit auf die ursprüngliche Heimath jener berühmten Bild- säule schliefsen. Was könnte wohl die Stadt Perinthus bewogen haben, eine Ehren-Medaille auf den Kaiser von Rom mit diesem Gruppo zu schmücken, wenn dieses nicht selbst ein Schmuck der Stadt und eine ihrer kostbarsten Besitzungen war? Dals Gemmenschneider auch dieses Geschäft verrichtet, möchte wahrscheinlicher seyn, da in der That der Typus mancher Münzen, von Grofßs-Griechenland ins- besondere, den schönsten Gemmen in Zeichnung und Ausführung gleichzustel- len ist. 14) So viel mir bekannt. Kenner der alten Kunst, denen ihre Ueberbleibsel bes- ser gegenwärtig sind als mir, werden vielleicht auch andre nachzuweisen im Stande seyn. 3 Bi B D ıı Dafs aber bey den Alten die Orte theils durch Abbildung der vorzüglich bey ihnen verehrten Gottheiten nach dem Muster der berühmtesten Tempelbilder eines Ortes, theils durch andre ausge- zeichnete Kunstwerke auf ihren Münzen bezeichnet wurden, kann man nach den Beyspielen, welche Herr Levezow in seiner Ab- handlung über die knidische Venus "?) zusammengestellt hat, als einen erwiesenen Satz annehmen; und unsre Münze selbst bestätigt seine Behauptung, dafs sich die alten Stempelschneider genau an die wirklichen Vorbilder der Sculptur hielten *°), auf das vollkom- menste. Es ist ferner nicht zu bezweifeln, dafs in Perinthus der Dienst des Bacchus einheimisch gewesen; daher es wahrscheinlich ist, dafs jene Gruppe einen ihrer Tempel des Dionysos geschmückt habe. Vom Herkules erbaut, wie einige behaupteten '7), weshalb sie auch Heraclea genannt worden *?), verehrte sie neben ihrem Erbauer den Bruder desselben, den thrazischen Bacchus. Beyde erscheinen daher auf ihren Münzen sowohl einzeln als vereint *?); auch Bac- chantinnen häufig. Be Zu- 15) S. 47. 16) S.64. 17) Ammian. Marcellin, L. XXII. ı2, Die Perinthier waren Jonier aus Samos. Vergl. Eckhel ad Num, vett, ined. p. 59. 18) Zosimus. I. 62, p. 80. Ötarpißovrı Ö: aur@ ward zyv Ilepıvdov, n von "Hparlsıa ustwvouaoraı. 19, Auf einer Seite Bacchus, auf der andern Herkules in Eckhel Num. vett. tab. 5. 6. p.59. Ein nackter Herkules und der Kopf einer Bacchantin ist auf einer Perinthischen Münze bey Gefsner Pop. tab. 56. ı5. Bacchus allein auf mehreren Münzen Trajans, Gordians, Caracalla’s. S. Patin. Impp. p. 302, fig. 6. Vaillant. „Append. Gr. tab.9. Mionnet Catal. T. ı. Thrace. nr. 354. 255, 208, 305. Ein nackter Bacchus mit dem Cantharus und Thyrsusstab ist auch auf einer Münze des Alexander Severus bey Harduin. Opp- Sel. p. 136: 12 Zunächst aber bietet sich die Frage dar, aus welchem Grunde wohl dieser Bilderverein eines Tempels zur Verzierung einer Münze des Kaisers Alexander Severus gebraucht worden. Eine vollkommen genügende Antwort möchte hierauf nicht wohl gegeben werden kön- nen, ob sich schon Vermuthungen darbieten. Die nächste Veran- lassung zu dieser Münze möchte wohl überhaupt in der Anwesen- heit des Kaisers zu Perinthus zu finden seyn, welche Stadt er, wie aus einer andern Münze bekannt ist *°), zweymal besucht hat. Es kann aber noch weiter vermuthet werden, dafs eben damals die schlummernde Ariadne mit ihren Umgebungen ihren ursprünglichen Sitz verlassen, um nach Rom zu wandern, indem sie die Stadt dem kunstliebenden Kaiser zum Geschenke dargebracht, und dieses Er- eignils durch eine Münze bezeichnet habe. Einige Umstände, welche der lateinische Biograph jenes Kai- sers erhalten hat **), kommen dieser Vermuthung ausnehmend zu stat- 20) $, Spanheim de Usu et Praest, Num, T, II, p. 624. 21) Lampridius in den Scriptt Hist, Aug. T. I, p. 921. Opera veterum principum instauravit: ipse nova multa constituit: in his thermas nominis sui juxta eas, quae Neronianae fuerunt, aqua inducta, quae Alexandrina nunc dieitur, Nemus thermis suis de privatis aedibus suis, quas emerat, dirutis aedifieiis fecit .... Antonini Caracalli tbermas additis sortionibus (porticibus verbessert Casau- „bonus) perfeeit et ornavit „ , . statuas colosseas in urbe multas locavit, artifi- eibus undique conquisitis.. . . . statuas summorum virorum in foro Trajani collocavit undique translatas. .. . Basilicam Alexandrinam iustituerat inter cam- pum Martium et septa Agrippiana in latum pedum ceatum, in longum pedum mille, ita ut tota columnis penderet; quam efficere non potuit morte praeven- tus. Isium et Serapium decenter.ornavit, additis signis et deliacis et omnibus ınysticis, In matrem Mammaeam unice pius fuit, ita ut Romae in Palatio face- ret diaelas uominis Mammaeae .,. Et in Bajano palatium cum stagno, quod Mammaeae nomine hodieque censetur. Fecit et alia in Bajano opera magnifica in honorem affınium suorum, et stagna stupenda admisso mari. .... (p. 929.) Statuas colosseas vel pedestres nudas, vel equestres divis imperatoribus in foro diviNervae, quod transitorium dieitur, locavit omnibus cum titulis, et columnis aereis, quae gestorum ordinem continerent exemplo Augusti, qui summorum vi- ro- : 13 statten. Durch ihn wissen wir, dafs der wohlgesinnte Fürst — wel- chen einige des Geizes beschuldigten, weil er sich selbst versagte, was er dem Staate grolsmüthiger zuwendete **) — während seiner vierzehnjährigen Regierung die Kunst mit rühmlichem Eifer begün- stigte, und die Hauptstadt vornemlich, obschon auch die Provinzen, - durch Bauten mancherley Art verschönerte. Er erneuerte die Wer- ke der alten Kaiser; schmückte das Forum Trajani mit Bildsäulen berühmter Männer, die er überall sammelte; und errichtete Colossen in mehrern Theilen der Stadt, wozu die Künstler von ihm in allen Gegenden des Reiches aufgesucht wurden. Unter seinen eignen Bauten aber werden vornemlich die Thermen erwähnt, welche sei- nen Namen führten und sich neben den Neronianischen erhoben ?3), weitläufig genug, um späterhin drey Kirchen in ihren Ringmauern einzuschlielsen. Es ist sehr wahrscheinlich, dafs diese Thermen, welche eine Münze des Kaisers verherrlicht **), nicht ohne den Schmuck plastischer Kunstwerke geblieben sind, mit denen selbst die rorum statuas in foro suo e marmore collocavit, additis gestis. . ,. . (p. 958.) Balnca omnibus regionibus addidit quae forte non haberent, Nam hodieque multa dieuntur Alexandri, Fecit et domos pulcherrimas, easdemque amicis suis maxime integris viris donavit. .. . (P.996.) Multis eivitatibus, quae post ter- rae motus deformes erant, ad instaurationem operum et publicorum et privato- rum pecuniam ex vectigalibus dedit, 22) Gegen diese Anklage und das geringschätzige Urtheil, welches Julianus in den Cäsarn Cap, XI, über diesen seineu Vorgänger fällt, hat Tristan mit über- mälsiger Ausführlichkeit gesprochen in den Comment. historique T, UI, p. 576. Vergl, Gibbon on the Decl, and Fall of the R, E, ch, VI. T, I, S, a00 ff. Basl. Ausg. 23) S. Fea Dissertaz, sulle Rovine di’ Roma (Storia dell’ Arti, T, III.) p- 356. Einige glaubten die Alerandrinischen Bäder seyen von den Neronianischen nicht verschieden gewesen, doch wahrscheinlich mit Unrecht. S, Alexandri Donati Roma vetus et recens L, III. 19. p. 41. 24) S. Vail’ant Numism. Praest, imper. Rom, T. II, p. 285. Beger. Thesaur. Bran- denb. T. II. p. 717. 14 die Bäder der Privatleute *°) angefüllt waren *°). In diesen Ther- men, oder in einem andern der zahlreichen, von Alexander errich- teten Gebäude konnte jener Statuen-Verein füglich einen Platz fin- den, und es fällt in die Augen, wie die Stadt veranlalst worden, den Kaiser durch ein solches Geschenk zu verpflichten. Und vielleicht hatten andere Städte ein Gleiches gethan. Es ist wenigstens der Bemerkung werth, dafs die Bestrafung der Dirce, ähnlich der, welche in dem Gruppo des Farnesischen Stieres zu sehen ist, auf einer, von der Stadt Thyatira geprägten Münze des- selben Kaisers gefunden wird ?7). Man 35) Seneca Epist, LXXXVI. 6, Quid quum ad balnea libertinorum pervenero? qwantum statwarum, quantum columnarum est nihil sustinentium, sed in Ornamentum positarum, impensae causa! Vergl. The Bath’s of the Romans by Ch. Cameron. London 1772, a6) Mehrere kostbare Ueberbleibsel der alten Kunst sind in dem neuern Rom an den Stellen ausgegraben worden, wo vormals Bäder gestanden hatten, 27) Bey Eckhel Num. vett. anecdot. tab. XV. ı. p. 269. und in der Doctrin. Num, Num. T. III. p. ı22. Doch darf hier nicht unbemerkt bleiben, dafs jenes Grup- po, so wie es im Farnesinischen Pallaste stand, mit der Abbildung auf der Münze nicht genau zusammenstimmt. Es ist aber auch bekannt genug, dafs je- nes Gruppo sehr restaurirt, und also seine ursprüngliche Beschaffenheit nicht hinlänglich bekannt ist. S. Heynens Antiq. Abhandl. II. S. ı82 ff. Ein solches Werk stand zu Plinius Zeit in einem Museo des Asinius Pollio (in monumen- tis Asinii Pollionis. L. XXXVI. s. 4. ro. worunter Heyne a. a O. S. ı85. die Bibliothek dieses Mannes versteht), und war, ein Werk des Apollonius und Tauriskus, von Rhodus nach Rom gebracht worden, Wäre dieses dasselbe Werk, welches die Münze abbildet, so liefse sich schlechterdings kein Grund ersinnen, wie es auf eine Münze der Stadt Thyatira gekommen, und warum es mit dem Brustbilde des Kaisers Severus Alexander verbunden worden, Es wird also dieser Gegenstand mehr als einmal bearbeitet und in Rom aufgestellt gewe- sen seyn. Uebrigens wurde der farnesische Stier in dem Umfange der Bäder des Caracalla ausgegraben, (Vasari Vite T. III. p. 267. ed. Bottari.), welche Alexander ebenfalls, wie unsLampridius belehrt, geschmückt und vollendet hat. Ich bemerke noch, dafs derselbe Gegenstand auch auf einer Münze Trajans vorkommt, die uns aber, als erwiesen falsch, nicht irre machen darf. S, Eckhel Doctr. V. N. T. VID. p. 287. er RE Zn . D NEE U ll un ze, Man darf aber wohl mit einiger Wahrscheinlichkeit muth- mafsen — und auch dieses kömmt unsrer Hypothese zu statten — dals jene bewundernswürdige Bildsäule zu einer Zeit nach Rom ge- kommen, wo es noch Künstler gab, die sie nachzubilden im Stande waren. Denn dafs sie öftrer nachgebildet worden, ist bekannt. Zwey solcher Copien fanden sich ehedem zu Rom, die eine in der Villa Medicis, wo Winkelmann sie noch sah *°), die andre im Mu- seum Odescalchi. Es ist aber nicht glaublich, dafs diese Abbildun- gen eher gemacht worden, ais das Original zu Rom der Bewunde- rung der Welt ausgestellt war. Wenigstens würde es überaus wun- derbar seyn, dafs sich zu Rom allein zwey dieser Nachbildungen aus entfernten Gegenden — wo sie verfertigt worden — mit dem Original zusammengetroffen hätten. Wir erwähnen noch zuletzt, dafs der Gedanke des Perinthischen Gruppo in mehrern Werken der spätern Kunst erscheint. Das schönste in dieser Art möchte das Basrelief eines Sarkophages im Museo Pio-Clementino *?) seyn, wo die Stellung der Schlummern- den ron der Stellung der Bildsäule nicht verschieden is. Bacchus tritt in ähnlichen Umgebungen auf, die sich nur — um den breiten Raum zu füllen — zahlreicher drängen; den rechten Arm um den Nacken eines jungen Fauns geschlungen, den linken auf den Thyr- sus gestützt, genau wie auf der Münze, nur mit veränderten Sei- ten ?°). Auch auf dem reichern Basrelief im Palazzo Mattei 3"), welches Winkelmann mit Viscontis Zustimmung 3?) auf eine Hoch- zeit des Peleus deutet, würde die Schlummernde von unsrer Ariadne nicht 28) Gesch. der Kunst S. 386. 29) Tom. V. tav. VIII. 30) Zwey andre Bacchanale in den Monim, Mattheian, T, III. tab. VII. ı, 2, erinnern nur schwach an unser Werk, 31) Monim. Matth, T.I, tab. XXXIII. Winkelm. Monim, Ined, tab ı00. Spence’s Poly- metis Tab. IX, 83) Muse. Pio-Clement, Tom, V, p. 16, ı6 nicht verschieden seyn, wenn das ihr abgezogene Gewand um den entblöfsten Körper gelegt würde. Gewils ist der ganze Gedanke von jener Ueberraschung der Tochter des Minos hergenommen. Eben dasselbe gilt von einem halb erhabnen Werke in dersclben Sammlung °?), auf welchem drey Figuren jener reichen Composi- tion wiederholt, die Schlafende aber ehıbarer, doch schlecht beklei- det ist. Unter den Herkulanischen Gemählden, auf welchen jener be- rühmte Gegenstand abgebildet ist, kömmt dasjenige, welches bey Piranesi 3*) auf der XVIten Tafel steht, mit der Darstellung auf der Münze am meisten überein. Ein Satyr zieht den Schleyer von dem Oberleibe der Schlafenden ab; Amor aber führt den Bacchus her- bey, der sich mit dem rechten Arm auf einen Silen stützt, der ihm den Thyrsus trägt. Ueber den Felsen schaun Amorn und Nymphen vor. Diese Gruppe ist der Perinthischen verwandt, aber doch so, dafs an eine Nachbildung nicht zu denken ist. Auch die Stellung der Ariadne ist verschieden, indem der Oberleib mehr herabgesun- ken ist, vielleicht um der Lage des Kopfes grölsere Anmuth zu ge- ben. Uebrigens wird auch Bacchus auf mehrern Kunstwerken in der Stellung gefunden, die er auf der Münze hat °°), und es wäre wohl möglich, dafs sich bey aufmerksamerm Nachforschen auch die übrigen Figuren jenes Vereins nachweisen lielsen. 33) Monim, Mattheian, T. III, tab, IX, 34) Antiquites d’Herculanum par Piranesi, T. II. 35) Unter andern in De la Chausse Muse. Roman, T. I. Sect. II. tab, 8, ev u er 27 — ——— un un nn ns ss an sn va nn nu nu na sa an vn nam d 11. Ueber das menschliche Wahrnehmungsvermögen. Von BAHR NV uW.ELLHE,;R Einleitung. D:. Ueberzeugungen der Menschen werden immer verschieden aus- fallen, wie ihre Gesichtsbildungen. Müssen sie aber nothwen- dig auch widersprechend seyn ? Herrscht auf dem Gebiethe un- sers Geistes nicht ebenfalls ein ewiges Gesetz, wie auf dem — unsers Körpers ? Es bilden sich in uns aufser den jedesmaligen offenbarern Ueberzeugungen immer auch einige geheimere, welche eben so sehr mit einander übereinstimmen, als jene von einander abweichen. Es hat jeder hinter seinen künstlichen Augen, über deren Her- kunft er sich (mehr oder weniger) zu rechtfertigen weils, ein Paar 3 na- 18 natürliche, die ihm gewachsen sind, ohne dafs er weiß, „wie“, Und so wie nun mit jenen — jeder seine eigene Welt (und man- cher gar keine) sieht, so sehen wir mit diesen — alle so ziemlich dieselbe, nur der eine klarer, der andere dunkler. — Ich brauche hierüber das Heer von Selbstwiderlegungen, die wir uns täglich zu Schulden kommen lassen, nicht ausführlicher zu berühren, und nicht erst darzuthun, dafs es eben diese Inkonsequenzen sind, durch welche die Trennung wieder verschwindet, die durch unsere Kon- sequenz einzutreten pflegt. Wir sollen also vorzüglich über den geheimen Theil unse- rer Kenntnisse wachen. Allein man fürchtet das Dunkel, welches auf diesem Gebiethe liegt. Mufs denn aber die Sonne immer schon über dem Horizont stehen, damit man die Wege unterscheiden kön- ne? Auch auf dem Felde unserer Ueberzeugungen geht dem Tage des Begriffes die Dämmerung des Gefühles voraus. Dieses Gefühl des Wahren giebt im Grunde überall die erste Anre- gung zu unsern Untersuchungen. Hier zeigt sich in dem Helldunkel der Ahnung derjenige Be- zirk, der unsere Aufmerksamkeit vorzüglich erfodert, sogar schon sehr bestimmt, Das Land der Wahrnehmung ist jene geheimnils- volle Gegend, aus welcher sich in uns die stillern Vorstellungen er- heben, die den lauten Begriffen so oft das Gleichgewicht halten oder das Uebergewicht abgewinnen. Die Wissenschaft ist zu sehr besorgt lediglich um die Er- klärung des schon Inne-gewordenen, und zu wenig um das In- newerden selbst. Die historische Kenntnifs ist diejenige, um welche sie sich allenthalben mehr anstrengen soll, damit sie dem Leben näher komme, also selbst lebendiger werde. Die ne u 5 h. EEE EOUEELLEL ZLERELE LVO a Die philosophische Untersuchung beschäftigt sich mit den ersten Gründen des Wissens und Seyns. Sie muls also ihre Auf- merksamkeit vor Allem auf die Quelle unserer Wahrnehmungen, auf unser Wahrnehmungsvermögen, wenden. Unser gesammtes Verstehen ruht auf unserm Selbstverstehen, und dieses — auf dem — unsers Wahrnehmens. H Die Natur unsers Wahrnehmens überhaupt. Ueber den allgemeinsten Charakter des Wahrnehmens hat im Grunde kein Streit Statt. So sehr die Ansichten über die tie- fere Natur und über die Gränzen desselben von einander abwei- chen, so ist man doch darüber einverstanden, dals sein unter allen Formen und in allen Ausdehnuugen immer wiederkehrendes Wesen — ein unmittelbares Vorstellen, ein ursprüngliches In- newerden sey. Aus diesem einfachen Grundmerkmahl ergeben sich auch schon die vorzüglichsten einzelnen Eigenheiten. Die Wahrnehmungen liefern zu dem gesammten Erkennen den Stoff, die Materie, das zu Erkennende. Dieser Stoff kann zwar zuletzt sehr unscheinbar werden. Vorhan- den mufs er aber doch immer in irgend einer Faser noch bleiben; sonst hat kein Erkennen, nicht ein Mahl ein Vorstellen mehr Statt. Selbst die negativen Vorstellungen sind nur dadurch möglich, dafs ein wahrgenommener Stoff als nicht vorhanden (entweder in dem Gebiethe dor Wirklichkeit, oder — der Möglichkeit) vor« 3m 5 20 gestellt wird. Aufserdem wären sie keine Vorstellungen des „Nichts,“ sondern Nicht- Vorstellungen, Die Wahrnehmungen erhalten daher in Anse- hung ihres Inhaltes Nichts von andern Vorstellungen. Defswegen lassen sich ihre Aussagen auch nur in ihnen selbst nach- weisen. Durch sie werden alle andere Vorstellungen, sie selbst aber werden nicht wieder durch andere ver- mittelt. Sie sind daher (in dem gewöhnlichen Sinne des Wortes) nicht weiter erklärbar. Man kann sie näm- lich nicht in andere klarere Vorstellungen auflösen. Vielmehr müs- sen alle übrigen, um ganz und gründlich klar zu seyn, zuletzt im- mer in sie aufgelöst, d. ı. auf sie zurückgeführt werden. Wessen sie in Rücksicht des Rlarwerdens fähig sind, ist nicht Erklärung, sondern Aufklärung. Nicht fremde hellere Vorstellungen, sondern sie selbst müssen heller in unser Bewulstseyn gebracht werden. Dazu haben wir dann allerdings auch noch fremde Vor- stellungen (z. B. Begriffe) nöthig. Aber wir theilen ihnen durch diese kein neues Licht mit, sondern wir machen nur, dals das ihrige bestimmter und reiner in unser Auge falle. Die Wahrnehmungen lassen sich darum auch nicht mittheilen. Sie müssen von jedem selbst gemacht werden. Was darüber durch blofse Mittheilung erhalten wird, ist sicher immer etwas Anders, als das, was mitgetheilt werden wollte. Das auf dem Felde der Wahrnehmung leuchtende Licht ist kein erst von uns anzuzündendes, sondern ein von selbst aufgehendes. Wem es daher nicht leuchtet, dem können wir es nicht leuchten ma- chen. Nur das können wir machen, dafs er sich klarer bewulst werde des insgeheim schon Gefundenen, dafs er das unrichtig Ge- deutete richtiger deute. Defswegen findet die Rede in den Wahr- nehmungen immer ihr Ende, oder (von der andern Seite betrachtet) sie i j 3 7 2ı sie nimmt in ihnen immer erst ihren Anfang. Sie geht nur von dieser Stelle aus, und kann also bey ihrer Rückkehr auch nicht weiter als wieder nur auf dieselbe zurück. Auf allen übrigen Fel- dern können sich die Worte noch weiter auf Worte berufen. Hier geht das nicht mehr an. Hier müssen sie durch die Dinge belegt werden. „Sehe! Höre! Fühle selbst!“ ist da immer das Letzte. Unser gesammtes Wissen ruht also im Grunde immer auf einem Faktum, und was wir Gesetz nennen, ist eigentlich nur ein uns schon länger bekanntes Ereignils, dessen Natur wir in jedem an- dern derselben Klasse wieder suchen. Unser Erklären ist ein lau- teres Vergleichen des Unbekannten mit dem Bekannten, und das erste oder ursprünglich Bekannte ist das Wahrgenommene. Es ist daher ein ganz eigener Zustand von Hell- dunkel, in welchem man sich in Ansehung der Wahr- nehmungen befindet. Licht und Schatten sind darin in grel- len Abstufungen gemischt. Es ist uns das, was wir mit Bewulst- seyn wahrnehmen, so bekannt, und wir können darüber doch fast nichts sprechen. Der Name desselben ist eigentlich alles, was wir vorzubringen vermögen. Es liegt uns einerseits so nahe, dafs wir es mit unserm lebendigen Geiste unmittelbar berühren, und es ist dann andrerseits doch auch wieder so entfernt, dafs wir es durch keine noch so ausgedehnte Erörterung erreichen können. Es ist uns so klar, dafs wir nicht begreifen, wie es uns zugleich so dun- kel seyn könne. Insbesondere ist die Entstehung der Wahrnehmungen ein Geheimnils. Wir können sie dabey nicht beobachten. Sobald wir sie beobachten können, sind sie immer schon entstanden. Wir se- hen nur das schon in Gang gekommene Leben, nie den Ursprung desselben. Wir mülsten, um diesen zu sehen, vor dem Wahrneh- men noch etwas Anderes als dieses, oder dasselbe wenigstens auch noch auf eine andere Weise, als auf die uns einzig mög- 223 mögliche können. Wir müfsten das vor und aufser unserm er- sten Vorstellen schon vorhandene nicht blols auffassen, sondern durch dieses Vorstellen erst selbst heruorbringen oder das Hören sehen und das Sehen hören können. Diese Dunkelheit des Ursprungs läfst sich auch nicht etwa mittelbar durch unser Denken aufhellen. Denn dieses Ableitungs- vermögen kann zwar immer weiter vorwärts, zurück aber nur bis zu einem gewissen Punkt, — bis zu dem der Wahrnehmung. Die Versuche, diesen Ursprung zu erklären, endigen defswegen im- mer in der Annahme irgend eines erst von uns gemachten Wahrnehmungsvermögens. Der Verstaud kommt nämlich zuletzt wenigstens in so ferne zur Besinnung, dafs er seine Unfähigkeit in dieser Hinsicht ahnet, sich aber der Phantasie übergiebt. Allein um was sind wir mit einem solchen erfundenen Vermögen besser daran? Die Wahrnehmung ist daher unläugbar die Gränze unsers Er- kennens. Wir können zwar unermelslich tief in sie hinein. Aber hinaus über sie — keinen Schritt. Wie die Entstehung, so ist auch die Wirkungsart der Wahrnehmungen geheimnifsvoll. Wie sie immer schon vorhanden sind, wenn man ihr Werden beobachten will, so haben sie immer auch schon gewirkt. Und auch diese Dunkelheit läfst sich nicht mittelbar aufklären, so dafs also für den Erklärungssüch- tigen überhaupt Nichts anders übrig bleibt, als die Wahrnehmungen, die er hat, durch andere, die er nicht hat, zu studiren und seinen Heifshunger nach Erklärungen durch die Einbildung zu stillen, weil er es durch die Wirklichkeit nicht kann. So geheim aber diese Wirkungsart ist, so kräf- tig ist sie auch, Man weils, welcher Nachdruck der sogenann- ten anschaulichen Erkenntnils eigen is. Die Stärke unsers gei- we a 1 u u ZZ ne 23 geistigen Daseyns steht mit der Anschaulichkeit unserer Vorstellun- gen im geraden Verhältnisse *), Eigentlich geht alle Kraft darum von den Wahrnehmunger aus, weil von ihnen alles Leben ausgeht. Die Wahrnehmungen sind für unsere ganze geistige Lebendigkeit von erre- gender Art. Sie sind zwar selbst auch wieder durch unsere übri- gen Geistes- Thätigkeiten weiter fort erregbar. In jedem organi- schen Ganzen hat eine gegenseitige Bedingung Statt. Allein die ursprüngliche Anregung kommt doch nur durch sie. Sie allein sind die ersten Funken für unser inwendiges Licht und Leben, und ohne sie ist es in uns lautere Nacht und lauterer Tod, — Nacht auch ohne die feurigen Spukgestalten der Träume, und Tod auch ohne das faulende Leben der Verwesung. Die Wahrnehmungen kündigen sich uns defswegen als solche Vorstellungen an, die sich selbst machen, indels die an- dern als erst von uns gemachte erscheinen. ” Die Einbil- dungen und Begriffe sind Wirkungen unserer eigenen Thätigkeit, die Wahrnehmungen aber — einer fremden. Wir verhalten uns bey diesen in der ‘Hauptsache nur leidend.. Wir werden inne. Wenn wir im Verfolge gleichfalls etwas dazu thun, so ist dieses eben kein Wahrnehmen mehr, sondern ein Bearbeiten (des schon Wahrgenommenen). Die Wahrnehmungen sind daher unwillkührlich. Sie gehen unserer gesammten Selbstthätigkeit vorher, also auch un- *) Die Kraft der Wahrnehmungen ist eben defswegen grofs, weil sie geheim ist. Sie ist dadurch jeder Schwächung durch unsere willkührliche Thätigkeit unzu- gänglich. Unsere freyen Entfaltungen sind gar zu oft nur Zersplitterungen, Wir geben den Regungen gewöhnlich blofse Ausführlichkeit, und die Kraft kommt von der Innigkeit, 24 ee unserer willkührlichen. Wir finden sie nur. Eigentlich finden sie uns, denn sie kommen ungesucht. So findet der Lichtstrahl unser Aug, der Schall unser Ohr, ohne dafs wir vor der Hand etwas anderes dazuthun, als mit offenem Auge und Ohre — dazuseyn. Sie dringen sich uns oft auch da noch auf, wo wir uns gegen-sie sträuben, wodurch dann die bekannten Gegenströmungen entstehen, die sich so häufig in dem Bette unsers geistigen Lebens- stromes zeigen, — die überraschende Flut zufälliger Gefühle, die so mächtig gegen die wohlbedächtlich eingeleitete Ebbe künstlicher Meinungen ankämpfen. Wenn wir auch manches Mahl glauben, die Wahrnehmungen erst suchen zu müssen, so mifsverstehen wir uns nur. Wir suchen blofs verlorne also schon gehabte. So sucht nur der Erblindete das Licht. Dem Blindgebor- nen fällt dieses von selbst nicht ein. Und theilen wir ihm den Einfall mit, so sucht er höchstens nur — — Etwas, aber defswe- gen noch nicht das Licht. Denn man lasse ihn von Geburt an z.B. auch des Geruchs entbehren, und nun auf ein Mahl an diesem Sinne geheilt werden, er wird nicht wissen, ob nicht etwa der nun entdeckte Wohlgeruch — unser Licht sey. In Ansehung des Grades der Ueberzeugung offenbaren die Wahrnehmungen ebenfalls einen eigenthümlichen Charakter. Sie sprechen immer kategorisch. Die übrigen Vorstellungen re- den jetzt von möglichen, ein andersmahl von nothwendigen Gegenständen und bald mit mehr, bald mit weniger Ge- wiflsheit; die Wahrnehmungen — stäts nur von wirklichen und mit immer gleicher Zuversicht aber auch ohne alle weitere Rechtfertigung. Ihr Sprechen ist ein Absprechen. Diese diktatorische Entschiedenheit der Wahrnehmungen erhält sich selbst gegen höhere spekulative Entschei- dungen. Der Ausspruch der ersten, „dals es so sey,‘ bleibt auch gegen den gewaltigern der Theorie, „dals es so — nicht seyn könne,‘ wenigstens insgeheim noch unerschüttertt. Wenn er et- 25 etwa auf Augenblicke schweigt, so widerspricht er sich doch nie, und er hört oft unvermuthet selbst zu schweigen auf. II. Der Umfang unsers Wahrnehmens. Dafs unser Wahrnehmungsvermögen mehrere Bezirke umfasse, wird allgemein anerkannt. Ueber einige derselben ist man in der Regel sogar namentlich einverstanden. Wir können — sehen, hören, riechen, schmecken, betasten, und unsereiin- nern Zustände auffassen, d.i. auf sechsfache Weise em- pfinden. Mit diesem Empfinden glaubt man aber gewöhnlich das Ganze auch schon geschlossen. Beynahe eben so allgemein, als die Uebereinstimmung ist, dafs man auf die berührten Weisen empfinden könne, ist in der Regel und in so ferne man sich darüber ausspricht, auch die Meinung, dafs man (im Fache des Wahrnehmens) sonst nichts könne, als empfinden. Allein einige zerstreute und dunkle Sagen von dem einen oder andern höhern Sinne giengen denn doch unter unserm Ge- schlechte immer herum. Es ward (und eben nicht sehr selten) von einem Moral-Sinne, von einem Sinne für Religion, von einem Ge- fühle für Wahrheit, von einem Gefühle für das Schöne und Erha- bene, von einem höhern Instinkte überhaupt die Rede. Hier und da ward wohl gar ein eigenes übermenschliches Vermögen -angenom- men, ein Visions- Vermögen, u. dergl. Man konnte sich also zwar bisher in Ansehung dieses höhern Sinnes (wenigstens auf dem Gebiethe der Theorie) nicht so allge- mein vereinigen, wie in Ansehung der niedrigen Arten. Aber dar- über, dafs es in uns aulser und über den offenbarern Wahrneh- 4 mungs- 26 mungsweisen noch eine geheimere gebe, war man doch sehr allge- mein, ohne es gerade immer selbst zu wissen, eben darum einig, weil man stäts gleich nach ihrer Beschaffenheit forschte, folglich im Glauben an ihr Daseyn jedesmahl schon befalst seyn mulste. Freylich! Als es mit der Erforschung jener Beschaffenheit gar nicht in’s Reine kommen wollte, ward endlich dort und da auch der Glaube an dieses Daseyn erschüttert, und jeder höhere Sinn für eine Chimäre erklärt. Einige von denen, welche diesen Sinn für eine Täuschung hielten, glaubten dessenungeachtet die Aussagen, die durch ihn kommen, noch retten zu müssen, und — zu können. Sie meynten, wir wülsten zwar von einemHöhern, — — aber durch keinen Sinn, sondern durch Schlüsse. Die andern waren konsequenter, und ver- warfen die Aussagen sammt dem Sinne. Allein es wollte mit den verschmähenden Erklärungen — so- wohl der einen als der andern Art — so wenig voran, als mit der Erforschung des verschmähten Sinnes. Jede Erklärung fand hier eigene Schwierigkeiten. Ueberall läfst sich das, was man wünscht, in der Regel so ziemlich leicht und bleibend her- und weg-erklä- und -beweisen. Hier geht das nicht an. Die Schönheit, die Tugend, die Gottheit, die man sich blofs aus Begriffen zusammensetzt, sind immer das nicht, was man sucht, nicht das wirklich Schöne, nicht das wahrhaft Edle, nicht der lebendige Gott. Man will sich hoher Wesenheiten bemächtigen, und es schweben am Ende nur schön- klingende Worte über die Zunge, für die es nirgends eine gerecht- fertigte Bedeutung giebt. Aber so leer die auf diese Art zu Stande gebrachten Bezeichnungen sind, so wesenlos also die Regionen er- schemen, worin die bezeichneten Mächte einheimisch seyn sollen, so ergreift uns von dorther doch eine geheime, und nicht selten unwiderstehliche Gewalt, und wir huldigen durch Thaten denselben We- <7 Wesen als höhern ehrwürdigen Mächten, denen wir in der Theorie als blofsen Gespenstern unsern Glauben aufkündigten. Sonderbar! Wir können es hierin weder zu einem reinen Wissen (zur vollendeten Wissenschaft im gewöhnlichen Sinne) noch zu einem reinen Nichtglauben (zu einer festen konsequenten Ver- läugnung) bringen. Wir können uns des Glaubens nie ganz entle- digen. Er ist immer schon früher da, als unser Wissen, und spä- ter, als unser Unglaube, auch noch. Es scheint daher einerseits al- lerdings eine Art von Sinn zu seyn, wodurch wir jene ausgezeich- neten Vorstellungen erhalten. Und anderseits können wir es doch in Ansehung dieses Sinnes nicht zur nötbigen Uebereinstimmung und Klarheit bringen. Es will weder das allgemeine Anerkennen des Sinnes noch das allgemeine Verwerfen der ihm zugeschriebenen Aussagen gelingen *). Die berührten schwierigen Vorstellungen betreffen das Schö- ne, Erhabene, Wahre, Gute und Heilige. Die daraus hervorgehen- den ästhetischen, metaphysischen, moralischen und religiösen Ueber- zeugungen sind es, welche, ohne eigentlich anschaulich zu seyn, doch eine Unmittelbarkeit zeigen, durch die sie über jede spekula- tive Begründung, und im Grunde auch über jede solche Erschütte- rung erhoben werden. Immer tritt die Spekulation (das Raisone- ment) erst, wenn sie schon vorhanden oder wieder erstorben sind, 4° hinzu, *) Die bekannte Erklärung, dafs die Rückfälle in den Gottesglauben u, s. w, nur Folgen der frühen Angewöhnung durch Erziehung seyen, wie die oft unvermu- thet wiederkehrenden Schauder des Gespensterglaubens — diese Erklärung ist in vielfacher Hinsicht gar zu seicht, Ich will nur ein Paar dieser Rücksichten berühren. Wird denn der Glaube an Gott im Kinde jemals so übermächtig, wie der — an Gespenster, dals er sich eben so tief und unvertilgbar eingra- ben kann? Und warum ist selbst der Wahnglaube an Gespenster einer solchen ungemeinen Gewalt fähig, als nur darum, weil’ er ein Mifsbrauch einer höhern Anlage, ein milsverstandener Gottesglaube ist? 28 hinzu, um ihr Recht zu proklamiren, oder ihnen den Stab zu brechen. Die Hauptschwierigkeit besteht darin, dafs man nicht bestimmt weils, in welchem Fache unsers Geistes sie eigentlich untergebracht werden sollen, ob in dem — der Anschauungen — oder der Ein- bildungen, oder der Begriffe; denn nur in diese drey Rlassen theilt man unsere Vorstellungen gewöhnlich. Ehe man sich um die Beschaffenheit und Abkunft der berührten schwierigen Vorstellungen genauer er- kundigte, lie[s man sie in der ersten Reihe, in der — unserer Anschauungen auftreten. Wenigstens ward ihnen vor der Hand so viel Zuversicht, als diesen zu Theil. Und als sich die erste bestimmtere Frage nach ihrem Herkommen meldete, wurden sie (von den Mystikern) ausdrücklich für Anschauungen erklärt. Als es in diesem Punkte unsers Forschens klärer zu werden begann, sah man, dafs sie sich dazu nicht rechtfertigen können. Man wollte und konnte sie aber nicht gleich ganz aufgeben. Man versetzte sie daher blos in eine andere Reihe, in die — der Begriffe. Die Metaphysiker (wenigstens die meisten) meyn- ten, sich dieselben Ueberzeugungen, die dem gemeinen Menschen- sinne zwar schon vor aller Metaphysik, aber nur verwirrt und un- sicher, beywohnen, durch ihre Schlüsse bestimmter und dauerhafter machen zu können. Da dieses zuletzt auch nicht angehen wollte, so war endlich keine andere Klasse mehr übrig, als die — der Einbildungen. Es standen daher unter den Metaphysikern endlich immer einige auf, welche die Unbegreiflichen — nur als Spiele der Phanta- sie begreifen zu können glaubten. Ge- DT ET ENTE ee ME 29 Gehören diese wichtigen Vorstellungen wirklich in keine der zwey ersten Klassen? Und wenn dieses der Fall ist, gehören sie alsdann nothwendig in die drit- te? Könnten sie nicht, wie jede der übrigen Arten, auch eine eigene Klasse für sich bilden? Man versuchte es schon manches Mahl, sie auf diese Weise auch auf dem Gebiethe der Wissenschaft auszuzeichnen. Insbeson- dere begann man in unsern Tagen eine solche Absonderung und Zusammenstellung derselben unter dem Namen „Ideen“ vorzu- nehmen. Allein gewöhnlich hielt man sich dabey zu sehr blofs an das Aeulsere. Und drang man tiefer, so ward ihrem Innern sehr oft nur eine fremde Natur angedichtet. Anschauungen sind sie sehr offenbar nicht. Wir verste- hen unter diesen solche unmittelbare Vorstellungen, welche den Gegenstand selbst (entweder an sich oder in seiner Erscheinung) vor unser Gemüth bringen. Anschauen ist uns also nicht überhaupt jedes erste Innewerden, sondern das bestimmtere — eines We- sens (und nichs etwa blofs einer Nachricht davon). Von dieser Art sind die Vorstellungen von Farben, von Tönen, u. s. w. Ganz anders kündigen sich uns aber die Ideen an. Wenn gleich auch sie eine Art von Unmittelbarkeit zeigen, also nicht erst aus andern Vorstellungen zusammengesetzt und abgeleitet werden kön- nen, so zeigen sie doch durchaus keine Anschaulichkeit. Sie stellen uns nämlich nie ihre Gegenstände selbst, sondern immer nur Aussagen, Nachrichten, Versicherungen davon dar. Wir sehen nicht Gott, hören nicht seinen heiligen Willen selbst. Wir vernehmen nur eine Stimme in uns, welche einen Gott, und sein heiliges Gesetz verkündet. Auch die Schönheit in ihrer eigenthüm- ‚lichen Fülle entzieht sich unserm geistigen Blicke, und unser Ge- fühl läfst uns blols in einem gebrochenen Widerstrahle ihr gehei- mes Daseyn ahnen. Ist 30 Ist dieKlasse der Begriffe geeigneter zur Aufnahme derIdeen ? Sie werden jetzt häufig dahiu gerechnet, und zwar sehr oft nur als Mifsgeschöpfe, entstanden durch Fehl-Schlüsse. Wir haben hier vorläufig nicht zu entscheiden, ob sie richtige oder unrichtige Begriffe, sondern ob sie überhaupt blofse Begriffe seyen. ı Der Begriff ist immer kleiner, als sein Gegen- stand. Er ist nie mehr, als höchstens der Titel des Buches. Je= ner mag aber noch so ausführlich seyn, das Buch ist doch immer ungleich reichhaltiger. Ich will nicht sagen, welche Definition, son- dern selbst, welche Beschreibung kann sich in Hinsicht des Reich- thums der Merkmahle mit dem definirten oder beschriebenen Ein- zelwesen messen? Der Inhalt des Begriffs kommt daher in jedem Wesen seines. Kreises immer ganz vor. — Er ist ferner nur durch die einzelnen Vorstellungen, wovon er eine Abstraktion ist, möglich. Man gelangt also zu ihm blofs dadurch, dafs man von den unzähligen durch die WVahr- nehmung gegebenen Merkmahlen die meisten liegen läfst, und nur einige auffasset und verbindet. Er ist daher nie eine erste Vorstellung. In keinem Fache unsers Erkennens erwachen wir durch ihn. Immer geht ihm irgend eine andere voraus. Er ist stäts nur die mittelbare Vorstellung einer unmittelbaren. Be ERERZFV,, Da er sich auf diese Weise erst durch unsere willkührliche Thätigkeit bildet, so geht sein Entste- hen nicht so geheim vor sich (wie das — der Wahrnehmung). Denn wenn wir gleich auch bey ihm die Firaft, durch die er wird, nicht schen, so sehen wir doch die Regung derselben, das Auf- merken, Reflektiren, Abstrahiren, Kombiniren. ‘ 9 Bey dieser Abhängigkeit des Daseyns und der ganzen Natur des Begriffs kann auch die eigenthümli- che Gewalt desselben nicht sehr grofs seyn. Er für j sich \ AI 20 — 3 ı sich allein vermag im Grunde gar nichts. So genommen kann er weder Klarheit im Kopfe, noch Wärme im Herzen bewirken. Dieses zeigt sich sehr auffallend in seinem gesteigerten Zustande. Die zu weit getriebene Spekulation verwirrt und lähmt. Es ist aber auch seine Bestimmung, die Gewalt der übrigen (an und für sich kräftigen) Vorstellungen der Wahrnehmung — zu schwä- chen. Er mufs das Licht und das Feuer der Anschauungen, wel- ches für uns, die wir nicht wahrnehmend allein zu erkennen gebaut sind, gar zu grell und angreifend wäre, einigermalsen hemmen. Er mufs der einströmenden Lebendigkeit das gerade für unsere Lebens- fähigkeit passende Verhältnifs geben. Eigentlich ist also sein Thun mehr ein Mildern einer fremden Kraft, als ein Wirken mit eigner. Was er etwa auch belebend wirkt, das thut er nur — als anschau- licher Begriff. Und als solcher wirkt er alsdann zunächst und am stärksten nur auf denKopf, und erst hinterher und schwächer auch auf das Herz. Klarheit unserer Ansichten ist seine erste, und eigentlich auch seine beste Gabe. Erregung zum Handeln ist erst seine zweyte, und in so ferne sie sein Antheil ist, nicht von grofsem Belange. Denn nicht er, sondern irgend eine andere Gewalt, irgend ein anderes Interesse zieht uns durch ihn an sich. Er hat es nur mit dem Lichte zu thun, und das Licht ist kein Feuer *). Auch gehört selbst das Licht zu- letzt nicht ihm an. Er vertheilt, verändert, modifizirt nur — das anderswoher kommende. Sei- *) Darum ist aber die Beschaffenheit des Begriffes in Rücksicht des Handelns nichts weniger als gleichgültig. Es wird dieses durch jenen sogar erst möglich, Wir können, ohne zu wissen, nicht handeln, und wir können ohne Begriff nicht wissen. Es ist daher selbst in Anschung unsers Handelns sehr wichtig, reine, bestimmte, scharfe Begriffe zu haben, wie es auch wichtig ist, — gute Vergrölserungs- oder Fern-Gläser zu haben, 32 m —— Seine Hauptwirkung auf den Kopf ist übrigens sehr zusammengesetzt. Wie vieler Einleitungen, Erörterun- gen, Deduktionen, Beweise bedarf er nicht immer? An wie vielen Fäden hängt daher sein jedesmaliges Resultat? Welche sonderbare Mischungen von Licht und Schatten, von Gewilsheit und Zweifel bringt er gewöhnlich zu Stande? Nicht weniger zusammengesetzt ist seine Neben- wirkung auf das Herz. Er kann dieses eben nur durch den Kopf erreichen, mufs also auch demselben nothwendig eine mehr- fache Richtung geben. Denn er hat immer allerley Ziele aufzu- stecken. Finden sich nun diese Eigenthümlichkeiten auch an der Idee? Es mufs hier vorläufig angemerkt werden, dafs es von den Gegen- ständen der Ideen auch Begriffe gebe. Wir haben Definitionen von der Schönheit, von der Tugend, von Gott. Aber diese sind so wenig das lebendige Schöne, das lebendige Gute, der lebendige Gott, wie sich uns diese Gegenstände durch die Ideen im Gefüh- le ankünden, als die Definitionen von Bäumen und Menschen — lebendige Bäume und Menschen sind, wie wir sie in den Anschauun- gen finden. Die Idee in diesem eigentlichsten Sinne tritt sehr bestimmt als etwas vom blofsen Begriffe wesentlich Verschiedenes auf. Sie ist erstens immer grölser, als jeder einzelne Gegen- stand, auf den wir sie beziehen. Kein einzelnes Meisterstück der Kunst oder der Natur erschöpft die Idee des Schönen. Kein einzelner Edle entspricht schlechthin allen Foderungen des Sittlich- guten. Nur bey Gott hat eine Ausnahme Statt. Er ist aber auch der einzige Gegenstand, worauf eine eigentliche Beziehung Statt hat. Alles übrige, worauf die Idee des Göttlichen uneigentlich bezogen werden kann, ist schon wieder kleiner als sie. Der EEE n 33 Der Inhalt der Idee findet sich nicht nur iniir- gend einem Einzelnen deruntergeordneten Gegenstän- de nicht, sondern nicht ein Mahl in allen zusammen. Nicht nur das einzelne Meisterstück, der einzelne Edle — erschöpfen die Idee des Schönen und Guten nicht. Auch alle zusammen blei- ben hinter dem Ideale zurück. Die Idee ist grölser, als all unser Grofses. Der einzige Namenlose, als der Gröfste und Höchste, macht die schon berührte Ausnahme, wodurch aber für den Begriff Nichts gewonnen ist *). Wenn also der Begriff nur durch die einzelnen Vorstellungen, die ihm untergeordnet sind, möglich wird, so sind hier umgekehrt die einzelnen Vorstel- lungen erst durch die Idee möglich. Die verschiedenen Schönheiten der Natur und Kunst, die einzelnen guten Handlungen und Menschen werden erst dann wahrgenommen, wenn. die Ideen des Schönen und Guten schon erwacht sind. Für den Thiermen- schen giebt es nirgends Etwas Schönes und Edles **). Ideen werden def[swegen durch blofse Abstra- etionen nie erhalten. Sollten die Ideen überhaupt erst ge- macht werden, so bedürfte es dazu vielmehr der Anhäufung, als der Absonderung. Aber auch durch diese kämen sie nie ganz zu Stan- de. Sie sind grölser, als Alles, was durch Zusammensetzung jemals ent- *) Die Idee spricht hier bestimmt nur von einem Einzigen, Das kann der Begrifl nie. Denn er bringt selbst da, wo er sich anstrengt, ebenfalls nur von Einem zu reden, blofs Solches vor, was auch auf Mehrere palst. Sein Gott verträgt sich daher im Falle der Noth auch mit Nebengöttern. Was Er von dem Einen auszusprechen vermag, lälst sich in Andern ebenfalls ganz finden, **) Wenn die Idee ein Mahl wach ist, dann entwickelt und stärkt sie sich aller- dings auch durch die einzelnen Wahrnehmungen ihrer Kreise immer mehr, Aber darum bildet sie sich nicht erst aus ihnen, sondern nur an ihnen aus sich selbst, 5, 34 entstehen kann. Es ist aber auch gar nieht nothwendig, sie zu machen. Sie sind schon gemacht. Und wir. brauchen nur, uns ihrer immer immer vollständiger und lebendiger bewulst zu werden *). Dieldee ist in ihrem Kreise eine erste Vorstellung, Ihr gehen keine einleitenden ihres Faches voraus. Alle Klarheit in demselben kommt ursprünglich nur durch sie. Heine Erörterung ist im Stande, demjenigen eine Vorstellung .des Schönen und Heili- gen zu verschaffen, in welchem das Gefühl dafür nicht rege ist, — so wenig, als irgend eine Beschreibung und Erklärung dem — eine Vorstellung des Lichts zu geben vermag, dessen Auge nie einen Strahl erblickte. Die Idee eilt darum unserer willkührlichen Thä- tigkeit zuvor. Sie dringt sich uns auf, oft sogar gegen unsere Anstrengung. Es ist bekannt genug, wie zahlreich und mächtig die Ueberraschungen des Schönen, des Gewissens und der Ehrfurcht für’ eine höhere geheimnifsvolle Macht sind — selbst in manchem der entschiedensten Zweifler, in manchem abgehärteten Bösewichte. Ich will von den unverdorbnen Menschen nicht reden. Offenbar er- wachen jene hohen Ideen unwillkührlich in uns, und zeigen uns eben so entschieden eine höhere Welt, als sich durch die sinnli- chen Anschauungen eine sinnliche öffnet. Die Willkühr vermag zwar hinterher so manches über die Fortdauer, Stärke und Klarheit dieses höhern Lebens. Aber zur ersten Anregung, des- selben vermag sie nichts, wie zur ersten Weckung des physischen. Wir *) Die Begriffe als unsere Produkte leiden daher immer eine Berichtigung. Sie werden von Zeit zu Zeit, oft ohne und selbst wider unsere Erwartung, durch die Wahrnehmung korrigirt. Die Ideen nicht, Nur die Begriffe davon sind gleichfalls einer Korrektur unterworfen, welche ihnen eben von den Ideen (durch das Gefühl) zu Theil wird. - Bee 7 37 35 Wir können eben so wenig zu unserm edlern Daseyn in den Re- gionen des Schönen und Heiligen, wie zu unserm gemeinen auf dem Boden der Gerüche und Betastungen erwachen wollen. Wir erwa- chen zu jedem, weil wir dazu geweckt werden. Das Entstehen der Idee ist darum auch ungleich verborgener, als das — des Begriffs. Indefs sich dieser durch unsere Selbsthätigkeit vor unserm innern Auge bildet, erhebt sich jene unerforschlich aus einer geheimnilsvollen Tiefe unsers Wesens. Sie steht, wie die gemeine sinnliche Wahrnehmung, im- mer schon entstanden da, wenn wir ihrem Entstehen zusehen "wollen *). Diese geheimnilsvolle Kraft der Idee ist auch ungewöhnlich grofs. Und es wird in dieser Hinsicht kaum nö- thig seyn, an den ungeheuern Abstand zu erinnern, der zwischen dem Enthusiasm, wozu uns die Idee begeistern kann, und zwischen der Kälte statt hat, worin uns der blofse Begriff frieren läfst. Die Opfer, zu welchen uns jene stärkt, und die Schewe vor jeder An- strengung in Handlungen, worin wir durch diesen (wenn er zur Al- leinherrschaft gelangt) herabsinken, sind bekannt genug **). En Es *) Diese geheimnifsvolle Geburt der Ideen war von Jeher der Grund der vorzüg- züglich auf diesem Gebiethe so leicht möglichen Schwärmerey. Selbst die je- desmaligen Verirrungen beweisen also für unsere Behauptung. So wie es dem nicht orientirten Begriffe eigenthümlich ist, uns zur Sophistik zu verführen, so verleitet uns die milsverstandene Idee zur Mystik, **) Selbst das Licht, das eigenthümliche Ziel der Begriffs-Thätigkeit , wie matt ist dasselbe, in so ferne es blofs sein Werk ist, gegen den Glanz, der uns aus der Idee entgegenstrahlt! Um wie viel weniger klar istes im Innern des Sophisten, der doch der Beleuchtung des Begriffes im Ue- berwalse geniefst, — alsim Gemüthe des Unverdorbenen, in welchem nur das reinere Gefühl dämmert! r 36 Es scheint freylich, auch Begriffe könnten den Menschen elektrisiren. _ Man wagt alles — für Meinungen. Allein geht denn in diesen Fällen die elektrische Kraft eigentlich von den Be- griffen aus — oder von jenem Höhern, was in Begriffen — nur gebrochen, und darum so oft mifsverstanden erscheint? Man entzie- he jenen diesen geheimen Einfluls, so bleibt höchstens noch — ein logischer Enthusiasm übrig. Auch in der Art und in dem Gänge der Wirkung ist die Idee das gerade Gegentheil des Begriffes. Die Idee kündigt sich uns vor Allem und-am nachdrücklichsten durch eine neue innigere Lebenswärme an. Ein Trieb ist es vorzüglich und nicht eben so sehr auch schon ein Licht, wodurch sie sich offen- bart. Das Licht (in demselben Grade) ist erst das zweyte. Wir haben vor den Hand nur eine Ahnung. Aber schon in dem Hell- dunkel dieser nur von Ferne sich öffnenden Aussicht fühlen wir uns ungewöhnlich selig und ungewöhnlich kräftig. Die weitere Be- leuchtung (durch den Begriff) wird viel später Bedürfnifs.. Ueber- haupt bleibt die Hauptwirkung der Idee immer vorzüglich auf das Herz gerichtet. So stark aber übrigens diese Wirkung ist, so ein- Jach ist sie auch. Bs ist zwar ein grofses, inniges, gewaltiges Bedürfnils, was durch sie geweckt wird, aber immer nur ein ein- ziges. Ein einziges ungetheiltes hohes Interesse ergreift uns im Gefühle des Schönen, des Wahren, des Heiligen. Es ist uns darin so sehr nur Eines wichtig, dafs selbst das Viele blofs durch die Richtung zu diesem Einen Bedeutung und Werth erhält. Eben so einfach ist die Wirkung auf den Kopf. Wie es nur ein einziger aber innigst belebender Funke ist, womit die Idee unsere Gefühle entzündet, so ist es auch nur ein einziger aber desto glänzenderer Strahl, womit sie unsere Ueberzeugungen be- 4 ö ; 37 beleuchtet. Der Begriff kann diesen Strahl zwar in mehrere Farben brechen, aber alle diese zusammen bilden doch nur das eine weilse Licht. Ist es zuletzt nicht offenbar ein grofses ewiges Eines. was wir theoretisch in der Wahrheit, und praktisch in der Tugend su- chen? Ist es nicht ein in aller Hinsicht Einziger, den wir in dem Glauben der Religion finden’? So wenig daher die Farbe ein Ton ist, so wenig ist die Idee — ein blofser Begriff. Die beyden ersten Arten von Vorstellungen sind sich sogar noch ähnlicher. Sie sind beyde — unmittelbare Vor- stellungen. Die Idee und der Begriff aber stehen nicht einmal in dieser entferntern Verwandtschaft. Es ist noch die dritte Klasse von Vorstellungen übrig, die — der Bilder. Die meisten der vorhin berührten allgemeinen Eigen- heiten der Begriffe zeigen sich modifizirt, auch an den Bildern. Die Einbildungen sind ebenfalls immer kleiner, als die durch sie bezeichneten Gegenstände. Mit den Regungen der sogenannten reproduktiven Einbildungskraft ist die- ses offenbar der Fall. Aber auch die produktiven Einbildungen sind, in so ferne sie etwas anderes als nur sich selbst bezeichnen, kleiner und ärmer, als die durch sie angedeuteten Gegenstände. Kein Bild des Schönen ist so schön, dals es keiner Erhöhung mehr fähig wäre. Der Inhalt der Einbildungen ist zwar, wenigstens dann, wenn die Phantasie ihre Produkte vollends aus- arbeitet, nicht so sehr in mehrern einzelnen Gegenstän- den enthalten, wie der Inhalt der Begriffe. Er kommt aber doch auch in diesem Falle noch in dem Einen Ge- genstand, woraufer sich dann einzig bezieht, ganz vor, und (die Sache strenge genommen) so lassen sich s0- 38 sogar mehrere Gegenstände, in welchen er ebenfalls wieder vorkäme, wenigstens denken. Auch kein Bild eines Individuums ist streng individuell, so wie es kein Begriff ist. — Uebrigens arbeitet aber die Phantasie nicht immer so sehr in’s Ein- zelne. Sie entwirft oft nur leichte Skizzen, blofse unbestimmte Bilder (in der Schulsprache — Schemate). Der Inhalt dieser allgemeinen Einbildungen kommt offenbar in allen Einzelwesen ihrer Kreise vor. Das Bild setzt daher immer einige Einzelvorstel- lungen voraus, ohne welche es selbst nie entstehen könnte, und es entstehet also — auch erst durch unsere Selbst- thätigkeit wie der Begriff. Beyde sind — (von uns) gemachte Vorstellungen, dieser dnrch Abstraktion, jenes durch Kombination. Die Einbildungen sind defswegen auch keine er- sten Vorstellungen. Wir können uns nur Wahrgenommenes einbilden. Zwar können wir jenes durch dieses auf die mannigfal- tigste Art zerstückeln oder zusammenfügen, aber auf keine Weise ersetzen. Wir können nicht aus freyer Hand einbilden. Die durch den Zauberstab der Phantasie hervorgerufenen Gebilde mö- gen noch so seltsam seyn. Sie sind doch immer nur neue Stellun- gen schon früher vorhandener Vorstellungen. In welchem Fache gar keine Wahrnehmung voräusgegängen ist, in diesem vermag auch die Phantasie Nichts hervorzuzaubern. Der Blinigeborne kann vom Lichte nicht ein Mahl träumen. Es ist defswegen unter denen, wel- che sich selbst verstehen, darüber auch kein Streit, in welchem Sinne die sogenannten Schöpfungen der Phantasie zu nehmen seyen. Diese in der That unermelslich gewaltige Kraft kann allerdings neue Welten hervorbringen, aber nur als Demiurg,, nicht als eigentlicher. o? Schöpfer. Dar- mW m) nn | —- ni 39 Daraus geht nothwendig hervor, dafs sich die Einbil- dungen im Grunde auch in unserer Willkühr befinden. Wir können sie wenigstens in der Regel nach Gefallen beginnen, fortsetzen, vermehren und unterbrechen. Und die Fälle, in welchen der Strom derselben gleichsam von selbst anschwillt und uns sammt unserer Willkühr mit sich fortreilst, sind gewöhnlich nur solche Ausnahmen, die selbst wieder auf die eine oder andere Art in frühern Akten unserer Wilkühr wurzeln. Defswegen ist auch ihre Verschiedenheit in Ansehung desselben Gegenstandes — sowohl bey verschiedenen Menschen, als auch in einem und demselben zu verschiedenen Zeiten so grols. Unmittelbare Vorstellungen weichen nie so sehr von einander ab. — Ob daher gleich das Entstehen der Einbildungen in mancher Hinsicht geheimnilsvoll ist, so ist es doch kein von allen Sei- ten undurchdringliches Geheimnils, wie das — der Ideen, deren Geburt unsern Augen ganz entrückt bleibt. Die Kraft, mit der sie wirken, ist allerdings grö- fser, als die — der Begriffe. Sie istin gewisser Hin- sicht unermef[slich. Aber verglichen mit der Kraft der Ideen ist sie nicht grofs, denn diese ist unendlich, Den Einbildungen kommt blofse Gewalt zu, d. i. blofse Stärke durch Umstände, z. B. durch Ueberrumpelung, durch Anstürmung. Ihre gewöhnliche ruhi- ge also innere Stärke ist so bedeutend nicht. Diese steht mit den übrigen Naturkräften in uns so ziemlich unter demselben Malse. Die Ideen entgegen zeigen eine innere Kraft, also eine eigentliche selbstständige Stärke, welche auch im ruhigen Zustande unbegün- stigt von Aulsen und sogar angefeindet von daher jede andere zu meistern vermag. Die Ideen wirken als Feuer vom Himmel, unwi- derstehlich und mit bleibender (wenn gleich oft lange unsichtbarer) Wirkung, indefs das Strohfeuer der Einbildungen zwar eine gewal- tige aber sich auch bald in blofsen Rauch auflösende Flamme giebt. _ Ue- 40 su Uebrigens halten die Einbildungeu mit den Be- griffen darin wieder ganz gleichen Schritt, dafs sie ebenfalls zuerst nur den Kopf, und erst hinterher das Herz, beyde aber sehr verwickelt berühren. Der Unter- schied ihrer Berührungen besteht blofs darin, dafs die von der Ein- bildung ausgehenden ungleich dunkler und darum auch ungeordne- ter sind. Die Phantasie bewirkt in der Regel nur ein dumpfes Hin- brüten unserer Vorstellungen und Neigungen über ihrem eigenen zufälligen Spiele. Die Einbildungen besitzen aber auch noch andere Eigenthüm- lichkeiten, welche den Begriffen mangeln, DasBildistnothwendig zusammengesetzt. Gewöhn- lich ist die Zusammensetzung desselben grols, oft ungeheuer. Sie kann aber auch klein seyn. Nur aufhören kann sie nie. Sonst hört das Bild selbst auf. Ein eigentlich einfaches Bild ist ein un- anschauliches, also — kein Bild. Das Bild kann sich daher unmöglich von allen Raum- und Zeit- Verhältnissen losmachen, so sehr es diesel. ben erweitern und verengen kann. Die Welten der Phan- tasie finden zwar in den Hüllen einer Milbe Raum genug, und ihre Wesen bedürfen kaum eines Augenblickes, um Sonnenbahnen zu- rückzulegen. Aber darum sind weder die Bande des Raumes noch der Zeit abgestreift, Die Einbildungen sind daher immer veränder- lich. Diese nur von ihrer eigenen Unruhe gebornen und getrage- nen Vorstellungen bilden unvermeidlich ein ewig bewegliches Meer, welches aufser dcs beständigen Wechsels von Ebbe und Fiut immer auch noch die ganze übrige Veränderlichkeit der Wellen und ihrer Wogenbrüche darbiethet. Da ee u 4ı Da sie auf diese Weise beständig unbeständig sind, so sind sie auch nothwendig zufällig. Es hängt immer blofs von den Umständen ab, wie sie beschaffen siud. Alles ist im Stande, ihnen (wenigstens für den Augenblick) ein Gesetz zu seyn. Nur sie selbst sind es nicht. Ohne innere Selbstständig- keit sind sie ewig das Spiel ihrer äufsern Anlässe. Sie sind daher ohne innere eigenthümliche Be- deutung. Sie erhalten immer erst auderswoher einen Sinn, als Reproduktionen — von der Wahrnehmung, die sie gleichsam in ef- ‚figie darstellen — als Produktionen, indem sie Symbole höherer Wesen und Beziehungen sind. Diese innere Bedeutungslosigkeit macht, dafs ihnen selbst der Widerspruch nicht gefährlich oder schädlich wird. Sie allein können in unserm Innern auch .da noch leben, wo alles Uebrige durch diesen Erbfeind jeder geistigen Regung getödtet wird. Sie allein können nicht nur sinnlos, sondern auch widersinnig, und zugleich doch sehr lebhaft seyn. Sie sind sogar gewöhnlich um so lebhafter, je widersinniger sie sind, und umgekehrt. Die Idee ist auch in allen diesen Rücksichten das gerade Gegentheil des Bildes. Es ist aber hier ebenfalls wieder nur von der eigentlichen Idee die Rede, und nicht etwa blofs von dem, was die Phantasie (wie der Verstand) ähnlich scheinendes hervorbringen kann. So wie wir uns nämlich von den Gegenständen der Ideen — Begriffe machen können (und müssen), so können (und müssen) wir uns davon auch Bilder (Symbole) entwerfen. Diese Bilder sind aber (eben so wenig, als jene Begriffe) schon die Ideen selbst. Sie sind nur ihre Ideale. 42 Die Idee ist nothwendig immer einfach, wie das Bild immer zusammengesetztist. Jener ist alle Zusammen- setzung nicht weniger unmöglich, als sie diesem wesentlich ist. Selbst in ihrer Anwendung auf die sinnliche Welt offenbart sich diese Eigen- thümlichkeit. Das Mannigfaltige gewinnt nur dadurch einen Antheil an dem Schönen und Heiligen , dafs es zu einem höhern Einen zusam- menstimmt. Die Idee ist daher von allen Raum- und Zeit-Ver- hältnissen frey. Selbst ihr blofser Wiederschein in den Räu- men und Zeiten ist nicht an die Ausdehnung derselben gebunden, son- dern haftet lediglich an der Harmonie ihres Inhalts. Nicht, weil Etwas grols ist oder klein, alt oder neu, ist es schön und gut, sondern weil es mit den Regeln des Schönen und Guten übereinstimmt, es mag dann übrigens den Raum einer Welt oder einer Blüthenknospe einnehmen, vor Jahrtausenden oder gestern geschehen seyn. Die Idee ist unveränderlich. Ihr Ausdruck kann wech- seln. Sie— nicht. Es ist immer dasselbe ewige Gesetz, das uns aus dem Schönen, durch das Gewissen, u. s. f. anspricht. So ver- schieden auch die Erklärungen und Symbolisirungen darüber an ver- schiedenen Orten und zu verschiedenen Zeiten ausfallen mögen, das über diese äufern Darstellungen erhabene Gefühl spricht im We- sentlichen immer gleich, — nur bald stärker, bald schwächer *). Die Idee ist also auch eben so nothwendig, als unver- änderlich. Es kommt nicht auf uns an, was sie uns seyn soll. Sie ist #) Der Text bleibt derselbe, Und weichen auch die Uebersetzungen oft sehr von einander ab, so dringt sich doch von Zeit zu Zeit eine Korrektur aus der Grundsprache sogar von selbst auf; daher — das „‚sich wieder finden‘ in Ge- fühlen und Handlungen, nachdem man sich in Spekulationen und Träumen ver- loren hat, EP — 43 ist uns ewig das, was sie ihrem innern Karakter nach seyn kann, Nicht wir ergreifen sie. Sie ergreift uns. Was wir von'ihr deutlich zu erfassen vermögen, ist nur ihre Hülle *). In Anschung des innern Gehaltes ist der Unterschied zwischen der Idee und dem Bilde so grols, dals eigentlich gar keine Verglei- chung statt hat. Die Idee hat nicht nur an und für sich die erhabenste Bedeutung. Sie giebt auch allem übri- gen erst eine wahre und eigentliche. Diese Gröfse ihres innern Reichthums wird gewissermalsen selbst von dem Unglauben an- erkannt. Selbst dieser nennt ihre hohen Aussichten wenigstens schö- ne und wohlthätige Träume. — Und wer an der Unentbehrlich- keit ihres Gehaltes für die Bedeutung alles Uebrigen zweifelt, der ver- nichte in Gedanken aus unserer Welt alle Spuren des Schönen, Wah- ren und Guten! Er vernichte aber mit strenger Konsequenz! Er vernichte ohne Ausnahme jede schöne Form und jede Anlage zu ir- gend einer möglichen Verschönerung! jede Faser des Glaubens an irgend ein ernstes Wahres und jede Möglichkeit zur künftigen Bil- dung einer solchen Faser! jeden auch den leisesten Keim irgend eines Edelmuthes und alle Hoffnung zu einem jemals zu erwarten- den Keim dieser Art! Er stelle sich mit seiner Einbildung hin auf den blofsen betastbaren Erdklumpen unter die blofs anzustaarenden Himmelsklumpen ohne irgend eine andere Fähigkeit und Bestim- mung, als um Futter zu suchen entweder grasend oder würgend, und dann um während der Verdauung und blofs zum Behufe der- selben zu schlafen, oder etwa auch noch zu träumen, aber nur von De ei- *) Eben dieser ihr unbeugsamer Karakter ist es, was uns an denIdeen so oft am meisten engt (genirt); die sinnlichen Wahrnehmungen gehen mit uns zwar ebenfalls herrisch genug um, Allein sie biethen uns doch auch manche sehr begreifliche Entschädigung dar. Wir möchten nun überhaupt allenthalben nur unsern Einfällen und Launen folgen. Und da stolsen wir denn gar zu oft auf irgend cine von den Ideen gesetzte Schranke, Dieses zieht ihnen so häufige Feindschaften zu, % 44 einem Traume und von keiner Wirklichkeit, durchaus von keiner, nicht ein Mahl von der Wirklichkeit seines Futters und seiner Ver- dauung, — — und seines Traumes selbst! Er versuche es sich so hinzustellen! — Wird es ihm möglich seyn, da zu verwei- len — nur zum ernstlich gemeinten Scherze? Wenn daher die Einbildung mit Ungereimtheit sehr wohl vereinbar und auf ihrem höchsten Grade so- gar nothwendig vereintist, so ist der Idee das Unge- reimte so entgegengesetzt, dals dieses allenthalben in demselben Malse verschwindet, in welchem jene hervortritt. Nicht nur innerlich verträgt sich der Widerspruch nicht mit ihr, sondern auch nicht ein Mahl in ihren äulsern Umge- bungen. Er mufs ihr überall weichen, und nur ihr weicht er wirk- lich. Nur durch die höhern Aussichten in die Regionen des Schö- nen und Heiligen kommt Sinn und Bedeutung in unser ganzes übri- ges Daseyn. Diese Unterschiede zwischen den Ideen, Einbildungen und Begriffen sind zwar charakteristisch genug. Wer aber zu seiner vollen Beruhigung aulser den tiefern Gründen der Spekula- tion auch noch handgreiflichere nöthig hat, der überlege Folgendes! Wenn die Ideen blofse Begriffe oder Einbildungen wären, so mülsten sie auf dem allgemeinen Wege der Abstraktion oder Kom- bination wenigstens insgeheim entstehen können. Allein auch das geheime Lebensspiel unsers Denkens und Einbildens kann sich von der Grundbedingung nicht losreilsen, Materialien zu ha- ben, woran es thätig sey, — von der Bedingung also, Etwas zu denken oder einzubilden, und zwar-Etwas, das wenigstens zuletzt nicht wieder blofs ein Gedachtes oder Eingebildetes, sondern ein Wahrgenommenes ist. In unserm Falle hier sind aber alsdann keine andern Materialien vorhanden, als die sinnlichen der Farben, Töne, Ge- rn ur ee 45 Gerüche. Wir besitzen unter dieser Voraussetzung nur das Wahr- nehmungsvermögen des Sehens, Hörens, Betastens u. s. f£ Wir können nur Sinnliches wahrnehmen. Allein die Ideen sprechen of- fenbar von einem Uebersinnlichen. Wie kommen sie dazu? Durch blofse Kombination und Abstraktion unmöglich. Die vollen- detste Kombination aus dem Sinnlichen giebt nur ein ungeheures * Sinnliches, und die vollendetste Abstraktion von allem Sinnlichen — nur Nichts. Heine von beyden Operationen vermag unter diesen Umständen die Vorstellung eines Uebersinnlichen zu Stande zu bringen, — eines Etwas, das nicht blo[s seltsam sinn- lich, sondern gar nicht sinnlich und doch noch Etwas ist. Will man der durch diese allgemeinen Richtungslinien be- zeichneten Betrachtung in das Einzelne folgen, so versuche man es, aus den Wahrnehmungen von Gold und Edelsteinen andere Himmel als goldene und diamantene zusammenzuphantasiren! Man versuche es, aus dem langen Sündenregister der Weltgeschichte eine Moral gegen die Sünde zu abstrahiren! Man sey aber dabey auf seiner Hut! Man gestatte also den Einlispelungen des Gefühles kei- nen Einfluls, streng genommen keinen! Man phantasire blols aus der Empfindung des Sicht- und Betast-baren das Heilige zu- sammen! Man abstrahire blols aus dem, was geschieht, und gesche- hen ist, das, was geschehen soll, und was schon immer hätte ge- schehen sollen, auch von dem Allerersten Menschen schon! Man versuche so sein Glück! Denn Glück gehört unstreitig dazu, ein beyspielloses sogar, wozu sich uns wenigstens auf allen andern Fel- dern nie irgend ein Strahl von Hofinung zeigt. Auf dem Felde 2. B. des Sehens vermag der Blindgeborne aus allen seinen Tönen ewig nie eine Farbe herauszubringen. Vergl. hierüber meine Schrift: Verstand und Vernunft S. 145 etc. und Ideen zur Ge- schichte der Entwickelung des religiösen Glaubens, 1. Theil, Einleitung. Die Ideen sind daher weder Begriffe noch Einbildungen. Sie sind aber, wie wir früher fanden, auch keine Anschauungen. Sie 46 Sie gehören also in keine der oben ängeführten Klassen unserer Vorstellungen. Wir erhalten sie nicht von Aufsen und wir machen sie uns nicht erst selbst. Sie bilden als eigenthümliche Vorstellungen, wie die übrigen Arten, eine eigene HRlasse für sich. Ohne durch die Sinnenwege in uns hineinzukommen, oder durch Denken und Einbilden von uns selbst hervorgebracht zu werden, sind sie immer schon gemacht in uns. Sie sind Lichtstrah- len, die aus unserm Innern aus den tiefsten Tiefen desselben kom- men. Sie gehören einer eigenen Anlage an, unserer eigenthümlich- sten. Nur wir Menschen sind unter den uns umgebenden We- sen — dieser Vorstellungen fähig, und wir sind es nur durch unser Erwachen zur eigentlichen Menschheit. Im thie- rischen Zustande zeigt sich von ihnen auch an uns keine Spur. Als diese uns eigenthümlich auszeichnende Anlage ward von jeher die Vernunft anerkannt. Wohl wurde diese im Gefühle anerkannte Eigenthümlich- keit durch die Erklärung oft wieder vernichtet. ° Man glaubte nämlich, in so ferne man deutlich zu sehen meinte, in der Vernunft nur einen gesteigerten Verstand zu sehen, den Verstand, in so ferne er Syllogismen macht. Allein man widerlegte sich immer bald selbst, denn man nannte die künstlichsten (sogenannten) Vernunftschlüs- se — sehr oft unvernünftig. Und wirklich ! die Vernunft ist nicht blofs eine geschärftere, künstlichere Vorstellungs- Weise, sondern ein neues höheres Vorstellungs- Vermögen. Sie ist eine eigene aus ganz andern Regionen unsers innern Da- seyns herrorschallende Stimme, welche eigenthümliche, nicht erst mühsam gelernte, auch nicht blofs selbst ersonnene, sondern aus ihrem Wesen kommende Aussprüche verkündet. Ob die Orakel, die sie spricht, wahr seyen oder nicht, das gehört eigentlich nicht wei- 6 u ee a nr Ze EU Zee 47 weiter in diese Untersuchung. Darüber mag sie sich, wenn sie an- gefochten wird, anderswo rechtfertigen. Hier liegt uns blofs daran, zu zeigen, dals sie nur Orakel spreche, dafs sie nicht erst, wie der Verstand zu suchen brauche, oft lange und mühsam und — doch vergeblich, sondern dafs sie immer schon ohne Suchen gefun- den habe, und dals sie dann ihren Fund nicht als irgend einer Vermittelung bedürftig, sondern als an und für sich ausgemacht vorlege, dals sie also eigentlich nicht docire, sondern weifsa- ge. Und thut sie denn das. nicht unstreitig? Predigt sie nicht un- bedingten Glauben und unbedingten Gehorsam. Der Ver- stand mag dafür auch Beweise suchen. Sie sucht keine. Sie ist ihrer Sache ohne weiters gewils, oft selbst gegen widerstreitende Beweise. Die Ahnung dieser eigenthümlichen Natur der Vernunft erhielt sich auch auf dem Felde der Spekulation wenigstens noch darin, dafs man die Vorstellungen unserer höchsten Einheiten gerade nur der Vernunft zuschrieb. Freylich wurden dann diese Ideen in der Regel blofse leere und im Grunde inhaltlose Formen, lediglich zum regulativen Gebrauche für die Zwecke des Systems bestimmt. Sie schwanden zu bloßsen Begriffen zusammen, aber doch zu ober- sten, und in diese Auszeichnung konnte sich im höchsten Noth- falle das Gefühl noch retten, und bey zunehmender Leerheit derje- nigen Vorstellungen, die unsere höchsten seyn sollen, die Aufmerk- samkeit auf den Irrthum wecken, worin man sich befand. Es mulste endlich klar werden, dafs es mit dem (schon uralten, und ungeachtet unserer Modenwechsel auch jetzt noch entehrenden) Brand- mahl der Unyernünftigkeit mehr auf sich habe, als eine blofßse logi- sche Ungewandtheit, dafs also die Vernunft so wenig eine blolse Anstrengung des Verstandes sey, als die Sinnlichkeit eine blolse Nachlassung desselben ist, dafs vielmehr die Vernunft für den Ver- stand eine Art eines höhern Sinnes ausmache, indem sie ihm zu sei- 48 seinem Denkgeschäft höhere Stoffe vorlege, -was schon durch die Bildung ihres Ausdrucks angedeutet werde *). Die Ideen sind daher Vernunft-Vorstellungen.— Wie wir nur durch das duge sehen, nur mit dem Verstande den- ken, nur mit der Phantasie einbilden, so vermögen wir auch nur durch die Vernunft zu glauben, zu hoffen, zu verehren, und — zu lieben. Diese Ideen kündigen sich uns übrigens ebenfalls auf dem Wege an, auf welchem ‘sich uns ursprünglich Alles einzig an- künden kann, auf dem Wege des Sinnes (diesen Ausdruck in seiner weitesten Bedeutung genommen). Esist zwar nicht die allbekannte. sogenannte Sinnlichkeit, nicht die Empfindung, wodurch wir sie inne werden. Es ist aber ein eigener höherer Sinn — das Gefühl. Durch das Gefühl des Schönen erwachen wir zur Aus- sicht auf höhere Beziehungen überhaupt; — durch das Gefühl des Rechts und Unrechts — zum Bewufstseyn von Tugend und Laster; durch das Gefühl von Ehrfurcht — zu dem Glauben an eine heili- ge Macht über uns. Wir können also nicht nur die Erscheinungen der gemeinen niedern Welt, sondern auch Regungen einer bessern und höhern, nicht nur Farben, Töne, Neigungen, sondern auch Gesetze des Schönen, des Rechts, der höhern Ordnung der Dinge wahrnehmen. Das Gefühl ist auch ein Sinn, aber nur für die Versiche- rungen, die sich in Ansehung des Uebersinnlichen in unserer Brust *) Vernunft von Vernehmen — ähnlich, aber nicht gleich, dem Wahrnehmen durch die Sinne, i | 8 ; 49 Brust vernehmen lassen. Wie die sogenannte Sinnenwelt mit ihren Eindrücken an uns spricht, so spricht auch die Vernunft mit ihren Weileagungen an uns. II. Der tiefere Charakter unsers Wahrnehmens. Die verschiedenen Gattungen unsers Wahrnehmens weichen in ihren Eigenthümlichkeiten sehr von einander ab. Allein in ihrem Grundcharakter stimmen sie mit einander überein. Das Empfinden und Fühlen jedes ist ein erstes Gewahrwerden. | Worin besteht nun dieses Vermögen eines unmittelbaren Vor- stellens eigentlich? Schon nach dem blofseu Sprachgebrauche in einem Wahrnehmen, — in einem Empfangen von Vorstellungen. Beobachtet man dieses Nehmen schärfer, so zeigt sich, dafs es kein ganz thätiges, kein blofs nehmendes Nehmen, sondern ein wenigstens zuerst nur leidendes, ein ursprünglich selbst genommenes sey. Sein tiefster wesentlichster Charakterzug ist also ein Ergriffen werden. Das Selbstergreifen, welches auch noch hinzukommt, liegt gröfstentheils schon über das blofse Wahrnehmen hinaus, ist schon der Anfang des Einbildens oder Denkens. Diese Natur unsers \Vahrnehmens verläugnet sich ne. Wir werden von den gewaltigern Wahrnehmungen himgerissen, und von den schwä- chern wenigstens noch angezogen, Das Wahrnehmen ist daher in seiner vorzüglichsten Wurzel ein Leiden, kein Thun. Wir können nur dann in einer Flamme aufbrennen, wenn ein Tunke auf unsern Entzündungs - Stoff fällt. Das Wahrnehmen ist mehr ein anderswoher kommendes unwillkühr- liches sich — Darstellen, als ein von uns selbst bewirktes freyes Vor- 7 stel- 50 stellen. Wenigstens stellen wir uns darin nur das sich selbst dar- stellende vor. Die erste und in so ferne vorzüglichste Thätigkeit hat daher, streng genommen, nur auf Seite des Wahrgenommenen, nicht — des Wahrnehmenden statt. Später zwar mufs zur Einleitung des Bewufstseyns auch von dem Wahrnehmenden eine eigene 'Thä- tigkeit (die — der Einbildungskraft und des Verstandes) hinzukom- men. Allein diese gehört dann eben nur zur Begebenheit des Be- wulstseyns des VVahrgenommenen, und nicht — der Wahr- nebmung selbst. Deswegen ist aber das Wahrnehmen doch nicht ein blofses Leiden. Nur sein Hauptcharakter besteht darin. Auch dar-. über erklärt sich der blofse Sprachgebrauch schon sehr bestimmt, indem er es ein Nehmen und nicht etwa nur ein „sich geben lassen‘ nennt. Es ist die Erscheinung eines geistigen Regens, aber auf eine organische Erde, nicht auf einen leblosen Stein- oder Metall-Grund. Die einfallenden Tropfen werden eingesogen. Das Ganze des Wahrnehmens ergiebt sich daher vollständig nur durch das Zusammenwirken des wahr- zunehmenden Gegenstandes und des wahrnehmenden Gemüthes. Von beyden Seiten hat eine Regung statt. Es offen- bart sich der Gegenstand dem Gemüthe, und das Gemüth öffnet sich den Offenbarungen des Gegenstandes. Eines ohne das andere würde zu Nichts führen. Jenes ist aber das Erste. Der Gegenstand ergreift uns, ehe wir ihn ergreifen, und er bringt dieses selbst erst durch das seinige hervor. Er öffnet sich uns dadurch, dafs er uns sich öffnet. Dieser inwendige Grundcharakter unsers Wahrnehmens bleibt sich auch im äufsern getreu. Die innere Bedingtheit tritt als eine äulse- EEE UN U 7 1 li - EEE Sr äufsere Beschränktheit auf. Wir können nur innerhalb gewissen Gränzen von Lebhaftigkeit, und nur auf bestimmten Wegen (mit- tels einer geschlossenen Anzahl von Organen) angeregt werden. Ueber jene Gränzen hinaus werden wir — aufwärts — betäubt, ab- wärts — nicht merklich berührt, und von den aufserhalb dieser ge- schlossenen Wege liegenden Wesen überhaupt gar nicht erreicht. Wir sind weder nach allen Seiten hin, noch auch an den uns geöffneten Seiten — unendlich reitzbar. Diese Beschränktheit nun verbunden mit dem zuvor berührten leidenden Charakter macht das, was man Sinnlichkeit nennt, aus. Unser Wahrnehmen ist ein sinn- liches, weil es kein blofs selbstthätiges, sondern ein immer erst an- derswoher anzuregendes, und kein unbegränztes, sondern an gewis- se Schranken der Innigkeit und des Umfanges gebunden ist. Die berührte Beschränktheit steht übrigens ei- ner eben so wesentlichen Unermelslichkeit nicht ent- gegen. Unsere Wahrnehmungen sind immer grölser, als unsere übrige (sie weiter bearbeitende) Geistesthätigkeit. Wir vermögen nie ganz in ihren Gehalt einzudringen. Ein einziger Blick auf den gestirnten Himmel, auf eine Flur,.auf eine Blume enthält der Merk- 'mahle so unzählige, dafs keine unserer Entwickelungen den dadurch gewordenen Knäuel von Vorstellungen jemals vollends abzuwinden im Stande ist. — Es ist ein wahres Meer was sich uns in der Wahrnehmung öffnet. Wenn gleich das Senkbley manches Mahl auf den Grund zu stofsen scheint, so ist das nur eine augenblick- liche Täuschung, die Folge einer zu kurzen Schnur. Man verlängere diese, und das Gewicht sinkt ohne Ende immer tiefer. Besitzen wir nicht schon wirklich aus so manchen einst für leer gehaltenen einzelnen Beobachtungen weitläufige und immer noch nicht geschlos- sene Wissenschaften? Unser Gemüth biethet in seiner Art das Schauspiel des gestirnten Himmels dar. Wie die Sterne, so schei- 7 z nen 523 nen dem ersten Blicke auch die Wahrnehmungen nur glänzende Punkte eines geistigen Firmaments. Sie sind aber tiefer durchspäht eben so viele Sonnen mit eigenen unermelslichen Welt- Systemen. Aus dieser Unermelfslichkeit geht eine andere Eigenheit her- vor, Durch die Wahrnehmungen allein entsteht in unserm Innern ein Gedränge und Gewirre, wodurch unser Bewulstseyn in demsel- ben Augenblicke betäubt werden muls, in welchem es geweckt wird. Wir können blofs wahrnehmend nicht bewulst wer- den des Wahrgenommenen. Wir müssen es zu diesem Be- hufe immer erst lichten und ordnen. Wie geschieht dieses? Die Wahrnehmungen sind unmittel- bare Vorstellungen, und eben ihrer blofsen Unmittelbarkeit wegen uns noch fremd, kein uns bekanntes Eigenthum, denn sie haben Nichts von uns an sich. Sie müssen also erst durch mittelbare zer- setzt und neuerdings verbunden und dadurch (zum Theil wenigstens) selbst mittelbar, d. i. unsere Produkte werden. Nur dadurch, dafs wir den sich selbst machenden Vorstellungen durch andere erst von uns gemachte zu Hülfe kommen, gelangen wir zum (geistigen) Besitze der Offenbarungen, die in jenen liegen. Dieser mittelbaren Vorstellungen sind — die Bilder und Be- griffe.e Wir müssen das Wahrgenommene, um davon zu wissen, uns immer erst einbilden und denken. Nur so viel kommt davon zur Klarheit unsers Bewulstseyns, als von der Phantasie und dem Verstande umfafst und herausgehoben wird. Da aber auf diese Weise das darin sich offenbarende Leben nothwendig unter dem Messer der Abstraktion wenigstens zum Theil erstirbt, und andrerseits in dem sehr veränderlichen Luftzuge der Phantasie nur mit unterbro- chener Flamme auflodert; so gelangt es nie in seiner vollen bleiben- den Fülle zu unserer Kenntnils, und wie ganz anders würde es um un- Ser 53 ser Wissen stehen, wenn wir wahrnehmend allein — wissen könnten ? Es geht deswegen für uns nothwendig immer Etwas nicht nur von dem Gegenstande an und für sich, sonderu auch von sei- ner Erscheinung verloren. Wir können uns blofse Bruch- stücke vorstellen, eigentlich gar nur Bruchstücke von Bruchstücken. Wir können weder Alles, was ist, auffassen, noch alles, was wir auf- fassen, zur Klarheit des Wissens bringen. Wir besitzen aber in den Erscheinungen doch keinen blofsen Schein. Dieser besteht le- diglich in einer Regung des Vorstellungsvermögens und ist mehr nicht als ein (regelloses oder geregeltes) Spiel leerer Täuschungen. DieEr- scheinung ist keine solche nur aus sich selbst kommende und zuletzt auch nur in sich selbst versinkende Bewegung des Gemüthes. In dem Scheine scheint blofs Etwas zu seyn. Inder Er- scheinung erscheint Etwas. Unser Wahrnehmen vermag uns daher seine Wel- ten zwar nicht vollständig zu öffnen, aber es täuscht uns doch auch nicht mit blofsen Trugbildern. Es zeigt uns von den wirklichen lebendigen Wesen so viel, als wir davon nach unserm geistigen Bau zu fassen im Stande sind. Diese Wesen können noch unendlich mehr seyn, als wir davon wissen, aber das, was wir von ihnen wissen, sind sie doch auch. Und so ist uns also zwar nicht das Loos gefallen, zu kennen dus Wahre, aber doch — ein Wahres. IV. Die verschiedenen Unterarten unsers Wahrnehmens. Empfindung und Gefühl bezeichnen die zwey Hauptgattun- gen unsers Wahrnehmens. Allein jede dieser Gattungen enthält mehrere Arten unter sich, Die 54 a Die verschiedenen Arten der Empfindung werden in der Regel allgemein anerkannt und richtig verstanden. Man ist darüber einig, dafs wir von der physischen Welt aufser uns auf fünf verschiedenen Wegen Kenntnisse erhalten, und uns selbst als Mitglieder dieser Welt empfinden können. - Nicht so einig ist man im Ganzen in Ansehung unsers höhern Wahrnehmungsvermögens, obwohl dasselbe im Grunde eine ähnliche Vielfältigkeit deutlich genug aufweist. - Wir können auch in Rücksieht der höhern Welt. nicht etwa nur über eine einzige Seite derselben, son- dern gleichfalls über mehrere und über unser Verhältnifs, dazu Nachrichten einziehen. Wir fühlen das Schöne und lernen in demselben die eigen, thümliche edlere Natur des Uebersinnlichen kennen, vor der Hand überhaupt in ihrem allgemeinern, aber doch schon jede der übrigen sinnlichen Welten übertreffenden Werthe. Das Schöne ist die erste Blüthe, welche uns neue und wun- derbare Pflanzungen verkündet. ‚ Wir fühlen das Erhabene. Hierin kündigt sich uns die hö- here Welt bestimmter an. Wenn sie im Schönen mit der physischen manchesmahl noch zusammenzurinnen scheint, so beginnt sie sich im Erhabenen schon sehr bestimmt davon zu trennen. Es thut sich uns nun insbesondere, ihre eigenthümliche Macht kund, mit der sich keine noch so grofse Naturkraft messen darf. Wir fühlen das Wahre. Dadurch offenbart sich uns aber- mahls ein neuer Charakter der höhern Welt, — ihre Ewigkeit. Indefs sich alles aufser und so Manches in uns in einem stäten Wech, sel hinabtreibt, zeigt sich in ihr ein über alle Zeiten und ihre Ver- wand- ET ce * Ar ren RUE TE Sn 55 wandlungen hinausragendes Bleiben, ein über Werden und Vergehen erhabenes Seyn. Wir fühlen das (sittlich) Gute. Durch die vorigen Offenba- rungen verkündet sich uns grölsentheils nur dasjenige, was der höhern Welt in Vergleichung mit der physischen Auszeichnendes zukommt. Hier beginnt sich aber das zu öffnen, was jener an und für sich eigen, und wovon in jeder physischen Nichts zu irgend einer möglichen Vergleichung vorhanden ist, — ihre freye Gesetz- lichkeit. Die höhere Welt fängt nun an, uns in ihrem tiefern Cha- rakter aufzugehen, als eine Welt, welche nicht blols einen grölsern Werth und eine grölsere Macht, denn jede andere der uns bekannten, sondern einen unbedingt grölsten Werth, ünd eine unbe- dingt gröfste Macht besitzt, welche — Würde hat sr ae (beyde im strengsten Sinne genommen). Wir fühlen das Heilige. In diesen höchsten Ahnungen of- fenbart sich uns der Allerhöchste in seiner eigenthümlichsten Natur, in seiner unbeschränkten Reinheit von allem Irdischen, in seiner unbe- dingten Lebendigkeit blofs aus und durch und für sein höchstes Ge- setz, — in seiner wahren Göttliehkeit. Wir fühlen endlich nicht nur diese Offenbarungen einer höhern Welt über uns, sondern überdiefs noch die Verkündigungen einer uns selbst beywohnenden höhern Natur — die Zeugnisse über unsere eigene höhere Freyheit, wodurch wir uns als Mitglieder auch dieser neuen erhabenen Welt finden. Diefs ist aber auch Alles, was wir in Ansehung des Höhern über und in uns inne zu werden im Stande sind. Der Glaube an dieses meldet sich in jedem ganz erwachten menschlichen Bewulstseyn von selbst. Mit dem Glauben an Mehreres aber (mit dem Aberglauben) mufs man sich immer erst eine unnatürli- che 56 che Gewalt anthun, wie mit dem Glauben an \Venigeres (mit dem Un- glauben. Insbesondere ist es Schwärmerey, unserm höhern Wahrnehmen (dem Gefühle) in derselben Be- deutung das Vermögen des Anschauens beyzulegen, in welchem es unserm niedern (der Empfindung) zu- kommt. Eigentlich ist diese Art von Schwärmerey die Quelle jeder andern. Durch diesen Grundirrthum werden nämlich der Phantasie die leitenden Zügel abgenommen, die ihr nirgends so nöthig sind als hier. Sie überläfst sich alsdann nothwendig den ungeheuersten Aus- schweifungen. Es ist daher vorzüglich nie zu vergessen, dafs uns das Gefühl nur die Zeugnisse der Vernunft zur An- schauung (unmittelbaren Auffassung) bringe, aber nicht auch die durch diese Zeugnisse angedeuteten Gegenstände selbst *). Dafs die Offenbarungen, welche uns durch das Gefühl werden, auch einer weitern Entwickelung fähig sind, versteht sich von selbst. Der Verstand kann bey ihnen, wie bey den Verkündigungen der Em- pflndung, durch tieferes Eindringen, Vergleiehen, Absondern — das Eine Wahre in mehrere Wahrheiten auflösen. Dann ent- stehen die einzelnen (an sich todten) Glaubensartikel unsers (von Innen lebendig kommenden) Glaubens, die einzelnen in Buch- staben zu fassenden Schönheitsregeln, Pflichten, Dogmen. Alle diese Entwickelungen sind aber keine neuen Offenbarungen, wie die Farben unter dem Prisma keine neuen Lichtstrahlen sind. Ue- *) Diese Behauptung könnte Manchem mit jener frühern S. 86 (nach welcher zur Hervorbringung der Wahrnehmung auch der wahrzunehmende Gegen- stand mitwirken mufs) zu streiten scheinen, Allein man braucht zur Vermei- dung dieses Scheines nur die zwey Seiten im Auge zu behalten, welche die Idee in dieser Hinsicht darbiethet. Sie ist in Beziehung auf den Gegenstand, von welchem sie spricht, blofse Vorstellung, Aber in Beziehung auf das Ge- fübl, von dem sie wahrgenommen wird, ist sie auch selbst Gegenstand. Baer 97 Uebrigens ist dieses höhere \Wahrnehmungsvermögen, — die- ser Sinn für die Offenbarungen des Uebersinnlichen, — keine Er- findung erst unserer Tage — auch auf dem Gebiethe der Schule nicht; denn auch diese sprach ja schon seit Langem von einem innersten Sinne (sensus intimus) hinter oder über dem äufsern (externus) und innern (internus), Im Ganzen ist hiemit der Weg bezeichnet, auf welchem al- lein gegen den zweyfachen Unglauben an die Realität der Sinnen- welt und der höhern, Rettung möglich ist. Nur auf diese Weise leuchtet es ein, dafs die uns umgeben- de Natur keine blofse Traumnatur sey, blofs von Träumen herge- zaubert; sondern eine wirkliche aufser uns vorhandene, von der wir wohl auch träumen, die wir aber nicht erträumen können, dafs also der Tag, der uns aufgeht, nicht die Wirkung nur unsers Sehens, sondern unser Sehen die Wirkung (zum Theil) dieses Tages. Al- lerdings könnte es, wenn wir blind wären, für uns nie Tag werden. Allein, wenn wir noch so scharfe Augen hätten, und es erschiene uns nie ein Lichtstrahl, so würden wir ebenfalls nimmermehr sehen. Wollt ihr uns aber fragen, wie denn (wenn es so ist) der Licht- strahl uns finden, und nachdem er uns gefunden hat, etwas zeigen könne, er, der nichts suchen, und dem selbst Nichts gezeigt werden kann? Wollt ihr fragen, wie uns er, der doch selbst Nichts weils, dessen ungeachtet etwas lehren, wie aus einer Nichtvorstellung (aus einem Eindrucke) eine Vorstellung hervorgehen könne? — So wol- len wir euch nur wieder fragen, wie denn im entgegengesetzten Falle der Lichtstrahl euch zwar nicht zu finden brauche, aber zu machen im Stande sey. Denn sey es auch, dafs er euch bloßs als Nlüchtige Gestalten an die Wand hinzaubert, wie kommt er nur zu dieser Hexerey? Er, an und für sich nicht einmahl ein wirklicher Hexenmeister, sondern selbst lediglich ein Zauberspiel? — Was ist 8 da- 58 damit gewonnen, dafs die endliche Antwort: „dieses läfst sich nicht weiter erklären‘ verschoben wird. Sie bleibt doch für jeden die allerletzte, und es kann daher nur noch davon die Rede seyn, wo sie eigentlich hingehöre, an die Gränze des Begriffes, oder — des Sinnes? Wer sie an die letzte Stelle versetzt, der will auch über das Gebieth des Begriffes hinaus — noch begreifen ; der wirft sich dem Ungereimten in die Arme, um dem Unbegreiflichen auszuwei- chen. Allerdings sind alle die gewöhnlichen Theorien über die Ge- burt unserer Vorstellungen voll Willkühr, Dunkelheit, Lächerlich- keit sogar. Sind es aber die ungewöhnlichen nicht auch? Mufs es nicht jede seyn, da sie das Unerklärbare erklären will?— Geburts- listen über unsere Vorstellungen mögen abgefalst werden können, und diese nicht: ein Mahl über alle; denn es sind auch Findlinge darunter. Mehr aber als solche Namenregister lassen sich über die erste Abkunft dieser Regungen unsers geistigen Lebens nicht ent- werfen. Alles was wir hierüber bey jeder möglichen Hypothese wissen, ist zuletzt immer nur: dafs aus dem Bewulstlosen endlich einmahl ein Bewulstseyn hervorgehe. Sollte Mancher diese Ansicht der Welt zu gemein, nämlich der blofs thierischen zu nahe finden, so wird es wohl nur der Er- innerung bedürfen, dafs der Charakter der Thierheit nicht darin bestehe, auch Augen und Ohren zu haben, und ihnen auch zu vertrauen, sondern darin, nur Augen und Ohren zu haben, und nur ihnen zu vertrauen. Eben so ergiebt sich nur bey der hier erörterten Ansicht die nöthige Klarheit und Bestimmtheit unserer höhern Ueberzeugungen. Sonst ist es für die Meisten eine ausgemachte Sache, dals der Kreis unsers unmittelbaren Auffassens mit den Empfindungen (des Lichts, der Töne u. dgl.) geschlossen sey. Dieser Meinung sind nicht etwa nur die Schlimmern, welche in ihrer traurigen Konsequenz den Men- schen zum blolsen Thier machen. Auch die Bessern, die inkonse- quent Jh 39 quent genug im Menschen dann doch noch an einen eigentlichen Menschen glauben, huldigen in der Regel jenem Vorurtheile.. Auch nach diesen können wir nur Sinnliches wahrnehmen, — — Ueber- sinnliches aber noch erschlielsen. Es gab zwar von jeher aufser diesen zwey Partheyen noch eine dritte. Allein diese war gewöhn- lich entweder zu klein, oder — in den Augen der Schule wenig- stens — zu unbedeutend, um die allgemeine Ansicht erschüttern zu können. Vielmehr mufsten die Irrthümer derselben den beyden an- dern nur zur Bestätigung ihrer Ueberzeugungen dienen. Die An- hänger des Glaubens an ein ausgedehnteres Wahrnehmungsvermögen gingen nämlich meistens zu weit. Sie schrieben sich für das Ue- bersinnliche sehr oft solche Sinne zu, wie für das Sinnliche. Es ist bekannt, wie man den Sophisticism *) gewöhnlich durch den Mysticism besiegen wollte. Allein damit war im Grunde Nichts ge- than. Diese beyden können einander ewig nur bekämpfen. Wie sich der letzte über den ersten am Ende immer nur ärgern kann, ‚so kann jener über diesen am Ende immer nur lachen. Der Un- glaube in Rücksicht unsers übersinnlichen Vermögens mufste durch den Wahn einer sinnlichen Uebersinnlichkeit nur noch hartnäckiger werden. Es geht auf diesem Gebiethe menschlicher Angelegenheiten, wie es auf so vielen andern geht. Jede Parthey hat Unrecht für sich, und Recht gegen die andere. Unser Wahrnehmungsvermägen muls defswegen, weil es sich auch auf das sogenannte übersinnliche Gebieth ausdehnt, für dieses nicht eben so beschaffen seyn, "wie az für *) Es giebt einen Sophisticism nicht nur gegen, sondern auch für das Wahre; der erste sucht das Wahre zu untergraben, der zweyte — zwar zu begründen, aber auf eine Art, auf welche es nicht begründet (sondern eigenllich nur un- tergraben) werden kann, Im Grunde untergräbt es also jeder, der eine unmit- telbar, und oft aus unreiner Absicht, der andere mittelbar und bey dem besten Willen. 60 für das Sinnliche; und es mufs defswegen, weil es für das Ueber- sinnliche anders beschaffen ist, nicht blofs auf das Sinnliche be- schränkt seyn. Es giebt allerdings keinen solchen Sian für das Höhere, wie für das Physische. Es giebt aber doch auch dafür einen Sinn. Zwischen der Wahrnehmung eines Gegen- standes und zwischen dem Schlufs über denselben liegt noch die Wahrnehmung blofser Zeugnisse davon. Ohne die übersinnliche Welt sehen zu können, oder sie erschliefsen zu müssen, können wir die Verheilsungen, die.darüber in unserer Brust vorkommen, fühlen. Dieses Gefühl nun wird gewöhnlich un- richtig gedeutet. Es wird von den Sophisten entweder für blolse Einbildung oder höchstens für einen Schlufs, aber für keinen Sinn gehalten, weil es kein solcher Sinn ist, wie der gewöhnlich soge- nannte, — und der Mystiker nimmt es immer gleich schon für einen gemeinen Sinn, weil es überhaupt auch ein Sinn ist. Wohl vermögen wir also hiemit noch nicht in das Heiligthum selbst einzutreten, und den Heiligen, der es bewohnt, von Angesicht zu Angesicht zu schauen. Aber in dem Vorhofe hinzustehen, -und den Zeugen zuzuhören, die von ihm weissagen, das vermögen wir. Unser Wissen von dem Uebersinnlichen ist kein anschauliches aber nichts desto weniger ein unmittelbares. Es ruht auf einem wirkli- chen Wahrnehmen, wie unser niederes; aber auf einem — anderer Art. Auch unser höherer Glaube wächst aus sich selbst hervor, wie der Glaube an das Physische. Wir erhalten in dem einen wie in dem andern Falle unsere Kenntnisse ursprünglich von Zeugen; darum unsere dadurch entstehende Gewilsheit auch jedesmahl — — eine Ueberzeugung heilst. : Der alte Streit zwischen den Partheyen dieses Gebiethes er- hält auf diese Weise einen andern Charakter, als er gewöhnlich zu haben pflegt. Man ist in der Regel — der Meinung, ‚dafs auf Seite des Glaubens nur das Recht, auf Seite des Aberglaubens und Un- glau- [4 Bi $ ’ En ee Flle A ne Zac = 61 glaubens durchaus Nichts als Unrecht sey. Allein dabey vergifst man, dafs ein reiner Irrthum nicht eben so möglich ist, wie eine reine Wahrheit. Es muls auch auf die feindliche Seite Etwas von Recht zu stehen kommen. Und trifft denn, der Sache auf den Grund gesehen, nicht wirklich etwas davon auch auf diese Seite? Der Aberglaube opfert freylich einem blofsen Gebilde seiner Phan- tasie oder seines. Verstandes. Aber irrt er denn hierin eines laute- ren Irrens? Hat er nicht nur darin Unrecht, dafs er einem Götzen ofert, sondern auch darin, dafs er überhaupt opfert? Auf eine ähn- liche Weise verhält es sich mit dem Unglauben. Dieser strebt un- streitig schr feindlich gegen das Heilige an, das sich ihm zur Ver- ehrung darstellt, und es ist nicht recht von ihm, dafs er seine Ehr- furcht verweigert. Allein erstreckt sich sein Unrecht weiter, als, dafs er überhaupt kein Heiliges anerkennt? auch dahin, dals er das- jenige, was ihm vom blofsen Bilde oder Begriffe als solches aufge- führt wird, nicht dafür nimmt? Ist denn dieses allein und selbst schon das Wahre? Wenn Gott, Vorsehung u. s. f. sonst Nichts sind, als was davon in einer Erklärung niedergelegt werden kann, so sind sie wirklich — Nichts, wie der Lichtstrahl, wenn er nur das ist, was wir davon sagen können. Die gewöhnlichen Bekehrungsarten können in der Regel zu keinem andern Zweck führen, als zu dem Gegentheil dessen, was man will, zur Verstockung des zu Belkehrenden. Man will diesem immer Alles, also auch das entziehen, was er sich nicht nehmen lassen darf, wenn er wirklich bekehrt werden soll, — das Wahre, welches auch in dem Irrthume noch vorhanden ist. — Wenigstens fängt man mit dem Entziehen an. Der Aberglaube soll vor Allem seine Ehrfurcht, der Unglaube — sein Urtheil aufgeben. Aber ge- rade das können sie schlechterdings nicht, wenigstens so lange sie unschuldig, also nur Irrthümer sind. Gäben sie unter diesen Um- ständen das wirklich hin, was man von ihnen verlangt, so würden sie zu ihrem Unglück nur auch noch Laster häufen. Der Aberglau- be 62 be würde frivol werden, wenn er das Gebilde nicht ehrte, welches ihm die Stelle des Heiligen vertritt. Der Unglaube müfste heucheln, wenn er sich einer Wahrheit unterwürfe, die für ihn noch keine ist. Man beginne daher überhaupt nicht mit einem blofsen Nehmen, sondern mit einem Geben! Man gebe dem Aberglauben einen rich- tigern Begriff, dem Unglauben ein lebendigeres Gefühl! Alsdann legt jeder von selbst dasjenige ab, was zu diesen bessern Gaben nicht palst. Ich glaube nur diese beyden Hauptfolgerungen berühren zu dürfen. Auch in die übrigen einzugehen, würde zu weit führen. Nach der hier erörterten Ansicht ergiebt sich eine sehr ausgedehnte Veränderung in dem Charakter und in der Stellung des gesammten Systems unserer WVissenschaften. DENK- DENRSCHRIFTEN KÖNIGLICHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN ZU MÜNCHEN 1,8 1A, un 'D. 108795, — GERN SSE DER MATHEMATIK uso NATURWV ISSENSCHAFTEN. 4 u. {i Fe a eimenneneibtlanzeneatiung T - \ Vorgelesen in der math. physik. Classe der k. akad. d. Wiss. am 28 Mai 1813 von Franz v. PavLA SCHRANK Es giebt künstliche Gattungen, bey welchen der wesentliche Cha- rakter nicht gerade in einem bestimmten Fruchtungstheile, sondern in dem Beysammenseyn dieser Theile liegt. Bey solchen Gattungen tritt wohl öfter ‘der Fall ein, dafs die Abweichung eines dieser Fruchtungstheile, wenn sie nicht sehr in die Augen fällt, vernach- lässiget, und die abweichende Pflanze immer noch in die künstliche Gattung aufgenommen werden darf; es giebt sogar Fälle, dafs man diesen Theil, welcher nach spätern Beobachtungen einigen der der Gattung -untergestellten Arten fehlt, in der Angabe des Charakters e ı ? füg- 4 ß füglich verschweigen kann, ohne dafs darum die Charakterbildung unzureichend oder mangelhaft ausfiel. Eine solche künstliche Gattung ist Amaryllis, wofür Linn den Charakter von Amaryllis formosissima abgezogen hat '), wel- chem aber mehrere Arten, die er später unter diese Gattung zu bringen für gut fand, sehr wenig entsprechen, weil verschiedene Eigenheiten , welche den Gesammt-Charakter ausmachen sollen, bey ihnen gar nicht, oder nur undeutlich vorkommen. Allein ich habe an einem andern Orte *) gezeigt, wie der allgemeine Charakter ver- einfachet, und dadurch die Gattung ungetrennt beybehalten werden könne. Anders ist es mit denjenigen Gattungen, welche einen so sprechenden Charakter in einem sonderheitlichen Fruchtungstheile besitzen, dafs es genüget, diesen Theil gesehen zu haben, um die Gattung zu bestimmen. Die ganz besonders ausgezeichneten Saamen der Gattungen Bidens, Verbesina, und Coreopsis, welche zusammen nur Eine na- türliche Gattung ausmachen, aber ganz richtig in drey künstliche getrennt werden müssen, sind ein solcher Charakter, gegen welchen der Nebenkelch, und der mit Spreublättchen besetzte Fruchtungs- boden, obgleich sehr vortreffliche, sehr unterscheidende Kennzei- chen, gleichwohl nur Charaktere der zweyten Ordnung seyn können, Wenn es nun Pflanzen gäbe, welche wohl diese Charaktere der zweyten Ordnung so ziemlich besitzen, denen aber dieses vor- züg- ı) Schwed, Abhandl, 1742, S, 116 ff, 3) Botan, Zeitung für 1807, S, 39 —44, EEE EEE m I zügliche Kennzeichen fehlt, so müfsten diese nach den Regeln der Kunst, und wenn man wissenschaftlich, nicht willkührlich, zu Wer- ke gehen will, davon getrennt, und, wenn sie sich nicht anderwär- tig schicklich unterbringen lassen, zu einer eigenen Gattung erhoben werden. Was diese Saamen so vorzüglich auszeichnet, sind 2 bis 4 steife Grannen, welche Fortsetzungen der Saamenhaut sind, und bald mehr, bald weniger auseinander fahren. Gewöhnlich sind zwar die Grannen, und öfters die Saamen selbst, nach ihrer ganzen Län- ge mit zurückgeschlagenen kleinen Stacheln besetzt, wodurch sie sich an die Kleider der Menschen, und den Pelz vorübergehender Thiere anhängen. Doch dürfen diese feinen Stacheln nicht mit in den Charaltter aufgenommen werden, weil das Mikrologie wäre, die nur dazu diente, ohne erhebliche Ursache die Gattungen zu vermeh- ren, indem es wirklich Arten giebt, welche keine solche Stacheln an ihren Grannen haben. Nun kenne ich wirklich solche Gewächse, welche man bisher unter der Gattung Coreopsis mit aufgeführet hat, welchen aber die- se Grannen gänzlich fehlen. Ich halte mich daher, weil sie auch unter eine andere Gattung nicht wohl gebracht werden können, für berechtiget, eine eigene Gattung für sie zu errichten, welcher ich den griechischen Namen Anacis geben will, der diese Eigenschaft ihrer Saamen ausdrückt ?). Im Deutschen möchte sie Ohnezahn heilsen. Der weitläuftigere Charakter der Gattung ist folgender: GEMEINSCH. KELCH: doppelt: der äufsere einblättrig, mehrthei- lig; der innere mehrblättrig, einreihig. BLUME: zusammengesetzt: zahlreiche Zwitter im Teller, etwa acht geschlechtslose Blüthchen im Umkreise. . Zwit- 8) Er ist zusammengesetzt aus dem a privativo und axıs, Ö05, eine Pfrieme, Zwitter: röhrig, fünfzähnig. Geschlechtslose: bandförmig, länglicht verkehrt eyförmig, gestreift, dreyzähnig. STAUBGEFÄSSE: der Mittelblüthchen: fünf, aus der Blüm- chenröhre; Beutel: in eine Röhre verbunden. Die der Stralblüthchen fehlen. STEMPEL: der Mittelblüthehen: Fruchtknoten: eyförmig, zu- sammengedrückt, oben abgestutzt. Griffel: fadenförmig, oben zweyspaltig: die Theile an den Seiten 'gefranset, am Ende zugespitzt. Narben: die Griffeltheile. An den Stralblütchen der Fruchtknoten, wie bey den Zwit- tern; Griffel und Narbe fehlen. FRUCHTUNGSBODEN: mit Spreublättchen besetzt. FRUCHT: ein nackter Saame: verkehrt länglicht eyförmig, oben abgestutzt und grannenlos. Die Randblüthchen unfruchthar. Der kurzgefalste Charakter ist: ANACIS. Flores radiati, ligulis neutris. Cal. commun. simplex, polyphyllus, calyeulatus. Semina compres- sa, apice truncata, edentulata. Recept. paleaceum. Gestralte Blüthen: der Stral geschlechtslos.. Gemeinsch. Kelch: einfach, vielblättrig, mit einem Nebenkel- che. Saamen: zusammengedrückt, oben abge- stutzt, zahnlos. Fruchtungsboden: spreuig. Ich kenne bisher nur zwo Arten dieser Gattung, welche ver- muthlich aus denen Arten der Coreopsis, die ich nicht gesehen habe, noch mehrere erhalten wird. Sie sind: Auri- ” 4 Auriculata A. foliis integerrimis, ovato-lanceolatis: inferioribus tri- Tripteris partito-auriculatis. 4. Heimat: Carolina, Virginien. Stral und Mittelblüthchen goldgelb. Acht Stralblüth- . chen. Ich habe diese Art vormals für den Garten von Lands- hut vom Hrn. Prof. Sprengel erhalten. Sie hält unsere Winter im Freyen aus. A. foliis petiolatis: inferioribus pinnatis, superioribus ter- natis, summis simplicibus : foliolis lanceolatis, integerrimis, obtusis. 4. Heimat: Carolina und Virginien. Der Nebenkelch in sechs linienförmige, zugerundete Zähne zerschnitten, die länger sind als der innere Kelch. Der innere Kelch mehrblättrig, einreihig: die Blättchen lanzettförmig, gestreift: wechselweise mehr einwärts gestellt, und häutig gerandet. Die Blume durchaus gelb. Der Fruchtknoten mit kurzen Haaren gefranset. Die Spreu- blättchen linienförmig, gestreift, oben zugerundet. Die Blätter sind eigentlich durchaus gefiedert, aber an den un- tern Sitzen zwey Blättchenpaare nebst dem Endblättchen, an den mittlern fehlt ein Blättchenpaar, und an den ober- sten ist lediglich das Endblättchen da. Ich verdanke diese Art dem Hrn. Prof. Kitaibel zu Pesth. Sie hält unsere Winter im Freyen gut aus. Unter den Arten, welche ich nur aus Büchern kenne, gehört noch hieher Co- Coreopsis latifolia Willd. vielleicht auch Coreopsis lanceolata Walld. und . Coreopsis cerassifolia Willd. Was aus Coreopsis baccata zu machen sey, wird die Zeit lehren. Aus der Beschreibung der Gattung erhellet, dafs bey den Pflanzen dieser Abtheilung der Syngenesie die Randblüthchen gerade das seyen, was bey den Bienen, Ameisen, Termiten, Mutillen die geschlechtslosen Individuen sind, durch frühzeitigen Mangel an Nahrung verkümmerte Wesen: wenn diesen in ihrem Larvenzustan- de die Nahrung nicht reichlich genug zugebracht wird, so raubt je- nen das üppig auswachsende Blümchen die übrigens reichlich zu- strömende Nahrung. 9 ——— nn nun nn nn... ...—.nn nn nn un nn nn nun nun 11. Ueber den (rose 1u,cu,s oder über ein in Baiern versteint gefundenes schmalkieferiges Krokodil *), Gavial der Vorwelt. Vorgelesen in der math. phys. Classe d. k. Ak. d. Wiss. am ı6. April 1814 von [2 SAmUEL THoMAs von SOEMMERRING. ger De Güte des Herrn Grafen Johann Adam Reisach, Land- zichters zu Monheim, verdanke ich das herrliche Petrefact, dessen Be- ı) Ich schreibe mit Vorbedacht durchaus „das Krokodil“, nicht nur weil ich darinn Vorgänger habe, z.B, Kundmann, und sogar den ehemaligen Profes- sor der Beredsamkeit zu Jena Walch; sondern auch weil ich es für die Re- gelmäfsigkeit unserer Sprache befördernd halte, das ungewisse Geschlecht über- all zu gebrauchen, wo es nur immer Statt haben kann, Auch schreibe ich es nur mit einem ], nach der Analogie sowohl der todten Griechischen und Latei- nischen, als der lebenden Englischen und Französischen Sprachen. Adelung, welcher das Krokodill mit zwey 1 zu schreiben lebrt, gewährt, mir wenig- stens, darüber keine Befriedigung. 2 10 Beschreibung und Abbildung, der königlichen Akademie der Wis- senschaften, zur Aufnahme in ihre Denkschriften, hoffentlich nicht unwillkommen seyn dürfte, indem dieses Denkmal der Vorwelt ei- nen, meines Wissens eben so neuen, als bedeutenden Beytrag zur ältesten geologischen Urgeschichte Baierns abgiebt. Dals Fische, Insekten, Conchylien und VVürmer in den Sohlenhofer Steinbrüchen häufig vorkommen, war längst allgemein bekannt, und unsere aka- demische Naturaliensammlung besitzt davon den ansehnlichsten Schatz, wie noch jüngst Hr. College Petzl in seiner Rede zeigte *). Al- lein, dafs auch die Ueberbleibsel eines für die jetzt lebende Schöpfung verschwunden scheinenden, wenigstens bis zur Stunde unbekannten, räthselhaften, aber wirklichen Säugethieres sich daselbst vorfanden, glaube ich in meiner Abhandlung über den Ornithocephalus an- tiguus zuerst ?) umständlich erwiesen zu haben. Als Gegenstück dazu, schildere ich nun das allererste, bis jetzt einzige, ganz unläugbare Beyspiel eines in Sohlenhofens Nach- barschaft aus dem Schoolse der Erde an Tages Licht gerathenen Amphibiums, nämlich eines Krokodiles von der seltensten, das ist der schmal- oder langkieferigen Art, welche man dermalen mit dem besondern Namen Gavial bezeichnet. N Unsere akademische Sammlung besitzt zwar Beyspiele theils in Weingeist, theils trocken aufgehobener Krokodile, allein keinen Gavial. Ja! nach Hrn. Oppel’s Versicherung, befindet sich selbst in der grolsen Naturalien-Sammlung zu Paris, kein so ansehnliches Beyspiel eines kleinen Gavial’s (Crocodilus tenuirostris), als ich hier sowohl im Weingeiste frisch, als auch auf gegenwärtiger Platte ver- steint, aus meiner Sammlung, vorzuzeigen die Ehre habe. So 3) Ueber den gegenwärtigen Zustand der mineralogischen Sammlungen der k, Aka- demie der Wissenschaften, Eine am 28, März ı8ı4 gehaltene Vorlesung, München, in 4. 3) Denkschriften der k. Akad, d, Wiss, Dritter Band, ı812, Seite 89. u a FE So allgemein bekannt auch seit Jahrtausenden die gewöhnli- chen Krokodile scheinen, so wenig scheinen es, noch heut zu Tage, die schmalkiefrigen oder langschnäbligen Gaviale, obgleich schon Aelian *) meldete, „dafs der Ganges zwey Arten von Krokodilen nähre.‘“ Allererst im Jahre 1756 lernte man in Europa durch Ed- wards einen Gavial kennen. Und noch im Jahre 1812, also vor wenig mehr als einem Jahre, klagte selbst Cuvier °), dafs wir über den Wohnort und die eigentliche Gröfse des kleinen Gavial’s bis jetzt noch keine authentische Nachrichten besäfsen; deshalb er auch nur vom grolsen Gayial anmerkte: habitat in Gange fluvio, und statt dessen beym kleinen Gavial nur auszufüllende Punkte hinsetzte. Um so weniger liefs ich’s mich verdriefsen, durch vorsichti- ges Meilseln und Feilen, das von dem harten Steine gröfstentheils verdeckt gehaltene, nur hin und wieder durch seine Decke hervor- blickende Gerippe, von dem kalkigen Ueberzuge zu befreyen, wel- cher es bedeckte, somit im eigentlichsten Verstande zu entdecken. Vielleicht kann dieses dreist scheinende Verfahren zum Vorbild für die Behandlung ähnlicher, grolsentheils verdeckter Versteinerungen dienen. $. 3 „Versteinte Krokodile,“ schrieb der ungenannte Verfasser der Beyträge zur Naturgeschichte, sonderlich des Mi- neralreichs, aus ungedruckten Briefen gelehrter Naturforscher °). ‘ (nach Cobres Angabe 7), Schröter) noch im Jahre 1774 „blei- „ben 4) De nat. anim- Lib. XII. cap. 8, Kpoxodeilos tv Taayyp. 5) Annales du Museum, Tome XI, S. 63, Im grofsen Werke sur les ossemens fossiles. Paris ı8ı2, V, Partie, p. 55. Il faudra que les voyageurs nous appren- nent dans quels pays le petit gavial habite principalement et & quelle taille il peut parvenir, Nous n’avons encore sur ces deux points aucun renseignement authentique, 6) Erster Theil, Altenburg. Seite 148, in 8, 7) Deliciae Cobresianae. Augsb, 1782, Seite 707. 22 12 „ben allemal eine grofse Seltenheit, und man hat aufser einigen „Knochen nur gar zu wenige vollständige Beyspiele dieser Art.“ Diese Bemerkung hat sich ungeachtet der grolsen Fortschritte, wel- che seit 1774, die Naturgeschichte im Allgemeinen und die Petre- factenkunde insbesondere nicht nur im verflossenen , sondern selbst in gegenwärtigem Jahrhunderte machte, als nur zu wahr bestätigt. Denn von den fünf Beyspielen, welche dieser Ungenannte anführt, kann kaum ein einziges, wie sich aus der näheren Betrach- tung derselben im Einzelnen ergeben wird, mit Zuverlässigkeit für ein Krokodil gelten. Der Verfasser des Artikels Crocodill-Versteinerungen in der deutschen Encyclopädie ®) behauptet sogar, dals von keinem einzigen dieser Beyspiele die Aechtheit apodictisch erwiesen werden könne, und dafs sie also sämmtlich zweifelhaft seyen. Selbst von den seit 1774 ferner bekannt gewordenen drey- zehn Beyspielen angeblicher fossiler Krokodile, reicht bey weitem keines an die Zuverlässigkeit und Vollständigkeit des Gegenwärtigen. 4 Unsere königliche Central-Bibliothek, welche erwünschter Weise fast sämmtliche, über ähnliche Erzeugnisse der Natur ver- fafste Abhandlungen und Abbildungen in den Originalen besitzt, setzt, nebst des Hrn. Baron yv. Moll collegialischer Unterstützung, mich zugleich in den Stand, die Geschichte der bis auf Hn. Cuvier’s Berichtigungen, für Krokodile gegoltenen Petrefacte, vollständig, chronologisch geordnet und mit dem gegenwärtigen Petrefacte ver- gleichend vortragen zu können. 5. Mit frohem Danke mufs ich vor Allem die Mühe, Genauig- keit und Gründlichkeit erkennen, womit unser College und Freund G. 8) Frankfurt bey Varrentrap und Wenner 1772, kl,Fol. Sechster Band, S, 520, 3 G. Cuvier, über die Unterschiede sowohl der in Afrika, Asien und Amerika noch wirklich lebend anzutreffenden, sogar sehr man- nichfaltigen, als der fossilen angeblichen und wahren Krokodile, das Licht verbreitete, welches mich vor Fehlschlüssen bewahrte, die nicht nur mehrere meiner älteren Vorgänger begingen, sondern vor welchen sogar in den neuesten Zeiten, trotz alles Reichthums an Hülfsmitteln, die grölsten Männer dieses Fachs nicht gesichert blieben. Ohne seine classischen Abhandlungen und kunstverständigen Abbildungen der Gebeine von frischen und fossilen Krokodilen, de- ren er allein über sechzig untersuchte, wäre ich bis jetzt weniger fähig, die strengsten Beweise über die Richtigkeit meiner Angaben und Deutungen, sowohl der Beyspiele meiner Vorgänger, als des vor uns in der Natur befindlichen Beyspieles zu führen. Auch Hn. Professors von Froriep freundschaftliche Güte mufs ich rühmen, welcher mir diese beyden niedlichen Skelete, von zwey verschiedenen Krokodilen (dem vulgaris und dem acutus), zur Vergleichung mit dem fossilen Skelete von Tübingen übersendete und mir dadurch manchen, ungeachtet aller eben genannter Hülfs- mittel noch übrig gebliebenen Zweifel lösen half. Gleichen Dank bin ich unserm Collegen Hn. Dr. Albers zu Bremen schuldig, der mir einen Crocodilus lucius aus Savannah von drey Fuls drey Zoll Länge zum skeletiren gefälligst überließ. 6. Der Beyspiele versteinter Krokodile, oder ihnen zunächst ver- wandter Reptilien, welche binnen hundert und vierzehn Jahren öf- fent- 9) Recherches sur les ossemens fossiles de Quadrupedes ou l’on etablit les ca- racteres de plusieurs espöces d’animaux que les revolutions du globe paroissent avoir detruites. Tome quatrieme, Paris 1812, in gr.4., Da sich diese durch- aus nämlichen Abhandlungen, welche dieser vierte Band enthält, in den Anna- les du Museum d’histoire naturelle, a Paris, mit fortlaufenden Seitenzahlen be- finden, so eilire ich der Kürze halber meistens letztere, 14 fentlich bekannt wurden, sind überhaupt nur neunzehn; ja! der zuverlässigen kaum sechs bis sieben. Von jedem derselben werde ich den Fundort, die Sammlung in welcher es aufbewahrt wurde, “ den Beschreiber und das Jahr der Bekanntmachung angeben, die davon vorhandenen Abbildungen vorzeigen, und einen kurzen, mit Bemerkungen begleiteten Auszug des wesentlichsten Inhalts der Schilderungen anführen. Nazi Fossiles Monitor-Gerippe von Kupfer- Suhl, uls Krokodil geschil- dert von Spener ıyıo *°). Zu der trefflichen Schilderung dieses ersten Beyspieles, eines fossilen, ein ganzes Jahrhundert lang für Krokodilartig gehaltenen Thiergerippes, hatte der grolse Leibnitz den Verfasser Christ. Maximilian Spener aufgefordert und ihm dafür auch öffentlich in einem eigenen sinnreichen Schreiben gedankt. Das wesentlichste, zu meinem Zwecke gehörende, aus Spe- ner’s ächt akademischer Abhandlung, ist folgendes: Dieses überaus nette Stück, welches wir in einer eben so netten Abbildung vor uns sehen, ward gefunden um das Jahr 1710 in der Grube zu Kupfersuhl, eine und eine halbe Stunde von Salzungen in Thürin- gen, in einer Tiefe von 50 Ellen in Kupferschiefer. Die Knochen- reste waren gleichsam in Metall verwandelte. Der Verf., ein sehr gelehrter angesehener Arzt zu Berlin, hielt dieses für das kostbarste Stück 10) Miscellanea Berolinensia ad inerementum scientiarum ex scriptis Societati Re- giae exhibitis. Berolini ı7ı0, in 4. S. 93, Fig. 24. 25. Ein neueres Exemplar der königl. Hofbibliothek führt die Jahrzahl 1749, welches nach Allem zu ur- theilen ein zweyter Druck seyn mufs, ungeachtet ich es nirgends bemerkt finde, Ia Münders Uebersetzung ı781, S..ı4, Fig. 5, ” 13 Stück seiner reichen Sammlung **) und wirft sich selbst die Fra- gen auf "?): num sit veri Crocodili sceleton, quod lapidi huic ad- haeret, cum lacertae majoris vel alius ex hoc animalium genere species fucum facile nobis hie facere possit, und schliefst end- lich, nachdem er dieses Stück, für die damalige Zeit ungemein genau und umständlich, mit Eidechsen, Stincis, Leguanen, Chamä- leonten, Salamandern und Krokodilen verglichen hat, verum esse Crocodili sceleton ex ossea in metallicam substantiam transmutatum. Ausführlich und gründlichst zeigt er, dafs dieses kein lusus naturae sey, weil man auch die feinsten Theilchen der Knochen, ihre Fort- sätze, Spitzen, Zellchen und Höhlen so deutlich wahrnehme, dafs sie kein Mahler genauer versinnlichen könnte. Durch M. B. Valentini ‘?), Kundmann "#), Buttner '3), J. J. Scheuchzer "°), Argenville '7), Brückmann *®), Joh. 11) Nach Kundmann Rariora naturae et artis, Breslau 1739. p. 76, schätzte es der Besitzer auf hundert Dukaten, 12) Seite 99 und 102, 13) Museum Museorum, Part, II, Tab, VIII. p. 40o dasselbe Bild genau wie in den Miscellaneis Berolinensibus nur verkehrt nachgestochen, 14) Kundmann handelte davon, mit eigenen Bemerkungen, in s, Rariora naturae et artis S. 76, 15) Rudera diluvii testes, Lips. 1710, 4, p 240. Tab, 26. 16) Querelae et Vindiciae Piseium, Tiguri 1708. Tab. V. hier so wie in seiner Physica sacra Tom, }. Aug. Vind, ı73ı, Tab. LI, ist diese Abbildung nicht nur ver- kleinert, sondern so entsetzlich roh copirt, dafs wohl Niemand auf das Original rathen könnte, wenn es nicht der Text besagte, ı7) Oryctologie, Paris 1755. $. 77. Scheleton a Spenero dictum, S, 333, c'est le squelette d’un Crocodille metallise et petrifie. 18) Epistolae itinerariae, Cent, 3tia, epist, 14 Tab. gut copirt. 16 Joh. Gesner *?), Walch *°), Schröter °*), Gmelin ??), Faujas-Saint-Fond *°) u.a. m. **) ward dieses Stück allge- mein bekannt. Bey dem allem zeigen uns, die Gestalt des deutlich wahrzu- nehmenden Kopfes, die langgestreckten Zehen, nebst den, zum Rumpfe verhältnifsmäfsig längern und stärkern, oberen und unteren Gliedmafsen, ganz augenscheinlich, wenn wir sie mit den, hier in der Natur im Weingeiste vor uns sich befindenden Krokodilen, und dem Monitor vergleichen, dafs Spener’s fossiles Gerippe wohl diesem Monitor, aber zuverlässig keinem Krokodile, weder diesem Afrikanischen, noch diesem Asiatischen oder diesem Amerikanischen Krokodile nahe kommt. Insbesondere bemerkenswerth scheint mir auch noch der, wie bey dem Ornithocephalus, aufgerissene Rachen, nebst den sehr gewaltsamen Verdrehungen des Rückgraths und Verrenkungen der Gliedmalsen. Herrn Cuvier’s Scharfsinne gebührt die Ehre, den von 1710 bis ıg08 *°), folglich wie gesagt, seit fast hundert Jahren fort- ge-. 19) Diss. physica de petrificatorum origine, Tiguri, ohne Jahrzahl, so wie in der späteren Diss. de petrificatorum variis originibus etc. Tiguri 1756. 4. p. 40. Beyde Dissertationen sind 1758 zu Leiden in 8, zusammen gedruckt worden, unter dem Titel: J. Gesneri tractatus physicus de petrificatis, 20) Sowohl in seiner Naturgeschichte der Versteinerungen, Nürnb, 1769, S. 190, als im Naturforscher. Neuntes Stück. Halle 1776, S. 284. a1) Lithologisches Reallexicon. ı. Band, S. 366. desgleichen (anonymisch) in den Beyträgen zur Naturgeschichte, sonderlich des Mineralreichs ı. Theil, Altenb, 1774. S. 148, 22) In seiner Ausgabe von Tasinbr s Systema Naturae. Lips. 1793. Tom. 3. p.388, 23) Hist. de la Montagne de St, Pierre, Paris 1799. — kl. Fol. desgleichen Essais de Geologie. Paris 1805, 8, p. 154. 24) Z. B. Journal de Scavans, 1723, Juillet, 25) Annales du Museum dHist, nat. Tome douxieme ı808. S, 8ı und 83, 7 gepflanzten Irrthum über die Deutung dieses Petrefacts, hoffentlich für immer, entfernt zu haben. Er bewies zuerst, dafs Spener's Original nichts anderes als eine Art Monitor gewesen seyn könne; und widerlegte besonders Hn. Faujas-Saint-Fond, welcher in zweyen seiner Werke *°) es für ein langkiefriges Krokodil, oder einen Gavial bestimmt erklärt hatte. a Fossiles Monitor-Gerippe von Suhl, als Krokodil geschildert von Link ı718. Der zweyte, welcher die fossilen Reste eines ihm ein Kro- kodil scheinenden Thieres, als sein kostbarstes Cabinet- Stück in einer eigenen Monographie *7) beschrieb und abbildete, war Hein- rich Link, ein gelehrter Apotheker zu Leipzig. Ungeachtet er schrieb: sceleton animalis, crocodili similis, guo nullum perfectius hactenus ab illorum rerum curiosis obser- va- 26) Sowohl in der bereits angeführten Histoire de laMontagne de St, Pierre. Par. 1799. p- 226. als in den Essais de Geologie 1805. Tom. I. p. 157, wo esausdrücklich heifst: La description (Spener’s nämlich) convient parfaitement ä un crocodile de Vespece du Gavial et la figure jointe a son memoire acheve de demontrer cette verite. 27) Epistola A. G. Woodwardum, de Crocodilo petrificato in lapide, Lipsiae 1718. 4. Das Original dieser Schrift habe ich noch nicht gesehen, sondern ich kenne blos die Excerpta, welche die Acta Eruditorum anno MDCCVII publicata. Lips. 1718. in 4. S, ı88 davon geben. Nach Kundmann’s (Rario- ra naturae et artis p. 77) Zeugnils ist die Kupferplatte Tabula II. in den Actis Erud. die Originalplattee Kundmann hatte in dem dritten Versuche der Brefslauer Sammlungen von Natur- und RKunstgeschichten schon im Jahre 1713 ınense Martio Cl. IV. art. 6. p. 517, so wie auch Brückmann in seinen Epi- stolis itinerariis, Centuria tertia, davon Nachricht gegeben. In J. G Scheuch- zevi Physica sacra, Tomo primo. Aug. Vind. 1731, fol. Tabula LU, ist diese Abbildung doch ein wenig zu nachlässig copirt. 3 18 vatum credo, und noch bekräftigend hinzufügte: habemus jam alias ejusmodi lapidum delineationes, doch ohne sie näher anzugeben, wahrscheinlich die Spenerische darunter meynend, sed omnes fa- cile huic cedunt, so zeigt doch die Betrachtung dieser Kupfertafel die Unvollkommenheit sowohl des Originales als der Abbildung des- selben. Glücklicherweise sind doch einige Hauptsachen wenigstens er- kennbar genug dargestellt, um sich von der Richtigkeit des Cuvier- schen Urtheils ?°) zu überzeugen; dafs nämlich, dieses fossile Ge- rippe keinem Krokodile, sondern einem Monitor angehöre. Alle drey vorhandene Fülse haben, wie auch die Beschreibung ausdrück- lich bemerkt, fünf Zehen. Da nun aber, wie wir auch sowohl an dem Afrikanischen als Asiatischen und Amerikanischen Krokodi- le in der Natur selbst schen, an allen bis jetzt bekannten Kroko- dilarten die Hinterfülse nicht fünf, sondern nur vier Zehen ha- ben, so konnte auch Link’s Skelet keinem Hrokodile angehören. Nehmen wir noch dazu, den ansehnlichen Unterschied in der Län- ge, zwischen den Zehen des Hinterfulses, so werden wir uns vol- lends überzeugen, dafs diese fossilen Reste nur etwa einem solchen Monitor angehörten, desgleichen ich hier einen im Weingeiste vor- zeige. Das Bruchstück eines Kopfes, welches auf der Platte vorhan- den seyn soll, erscheint in der Abbildung so undeutlich, dafs ich wenigstens nichts Hopfähnliches daran zu erkennen vermag. Wo der schwarze Schiefer, welcher diese Trümmer enthält, gebrochen ward, ist in den Actis Eruditorum nicht bemerkt. Dem In- 38) Annales du Museum d’Hist. nat, Tome douxieme. p. gı und 83 und im vierten Bande seines gröfsern Werkes. 19 Index Musaei Linckiani *?), so wie Kundmann’s 3°) und Walch’s ®*) Angaben zufolge, ward er bey Suhl gebrochen. $. 9. Fossiles Krokodil- (?) Gerippe von Fulbek, geschildert von W. Stukely ızı9. Gleich im nächsten Jahre nach Link, gab William Stuke- ly der königlichen Societät zu London, eine kurze Nachricht nebst einer Abbildung °*), von einem fast vollständigen in einem harten, bläulichem Thon -Steine (blue claystone) enthaltenen Gerippe eines grolsen Thieres. Die gar zu kleine Abbildung ist, wie wir hier sehen, fast noch roher und dürftiger als die vorhergehende Lin k’sche. Stukely erklärte dieses, vermuthlich aus den Steinbrüchen zu Fulbek in der Grafschaft Lincoln gekommene Gerippe, welchem jedoch der Kopf fehlte, und welches man anfänglich für ein menschliches gehalten hatte, für das Skelet eines Krokodils oder eines Meerschwei- > Ye nes 39) Im dritten Theil dieses Indicis, Leipz. 1786. 8. kommt $. ı83 folgende Stelle vor: Versteinte Amphibien, Amphibiolithi sceleti crocodili s. Amph. lacertae Linn. Versteintes Krokodillskelet in schwarzem Marmor, aus Suhl; ein sehr schönes und grolses Stück von zweySchulr und fünf und einen halben Zoll breit. Act, Erud. Lips. Mylii Memorab. Saxon. p. 86. Tom. 2. Tab. 9. Diese Tafel fehlt in beyden Exemplaren der k. Hofbibliothek. Scheuchzer Phys, sacra T.1. Tab. 52. Wallerii Min. Syst. 2. Theil p. 520. Linn. p. ı8 aufser der Schub- lade in einem Tische aufbehalten, 30) Rariora naturae et artis, $. 77. 3ı) Naturgeschichte der Versteinerungen S. ı90, und Naturforscher, Neuntes Stück $. 284. 32) An Account of the Impression of the almost Entire Sceleton of a large Ani- mal in a very hard Stone, in den Philosophical Transactions, N. 360. Vol. XXX for 1719, Tab. I. S’ 963. 20 nes (Delphinus phocaena), und nennt es: „ein nobles Monument, und „bedeutendes Zeichen einer allgemeinen Sündfluth, so dauerhaft als „der eitel gloriosen Egyptischen Monarchen Pyramiden zu Memphis.“ Er gedenkt des durch Link der königlichen Societät bekannt gewor- denen Stückes 33), doch ohne ihn selbst zu nennen. Bourguet er- wähnt dieses Fulbeksche Skelet in seinen M&moires pour servir ä Vhistoire naturelle des petrifications. ä la Haye 1742. 4. mit Beziehung auf Bibliotheque anglaise Tom. VI. p. 406. Hr. Cuvier 3*) hält diese Knochen - Trümmer für einem Kro- lkodile angehörend, ohne wegen des fehlenden Schädels die Species bestimmen zu Können. Da Stukely sich selbst in der Wahl die grolse Breite zwischen einem Krokodil und einem Meerschweine (to be a Crocodile or a Por- poise) läfst, er auch bey Haller’n ?°) zwar vir pius, aber non satis cautus heist, so wage ich bey der gar zu mangelhaften Beschaffenheit der vorliegenden Abbildung, eben so wenig für als gegen Hrn, Cuvier’s Deutung zu stimmen. $. : 10. Fossiles Monitor-Gerippe von Glücksbrunn, als ein animal marinum, amphibium, oder felis marina, geschildert von Em. Sweden- borg 1734. Ein treffliches grofses Blatt in Folio in Emanuel Sweden- borg's Werke ?°) schen wir den grölsten Theil eines, wie es scheint, un- 33) S. 964 a very little while ago, the Society had a Draught of a Crocodile, tho’ a small one, found after the like manner inelos’d in Stone , from a Quarry in the Mountains of upper Germany. 34) Annales du Museum Tome douxieme Seite 103 und ıı10 desgleichen in sei- nem gröfsern Werke. 35) Bibliotheca anatomica Vol, 2, S. 124. 36) Emanuelis Swedenborgii Principia rerum naturalium sive novorum ten- 21 unvergleichlich erhaltenen Gerippes darstellen, über welches der Ver- fasser nur folgendes im Texte schreibt: Volo figuram lapidi impressam et nuper ex terra aut fodina effo®- sam sistere; repraesentat animal quoddam marinum, amphibium vel aliud, ex cauda augurari licet Jelis marinae gquoddam genus fuisse: ipse lapis hie figuratus est scissilis niger ex strato guodam venae cupreae ad Glücksborn (auf dem Kupfer steht richtiger Glücksbrunn *) gesto- chen) anno praeterlapso 1733 erutus, ubi est fodina non proculab Alten- stein in territorio Saxo-Meiningensi, quae ad familiam TRIEREN- SEMin electorali Saxonia tanquam peculium pertinet hodie etiam a nobiliss. consiliario summi dicasterii Dresdensis ejus nominis, con- -servatur, ubi illam videre mihi contigit: et quia est inter omnes, quas vidi lapidibus impressas formas piscium et animalium exstantis- sima et integerrima, hinc etiam illam pictam hic transcribere cum ve- nia licuit, Hr. Cuvier nebst Anderen glauben, Swedenborg meynte unter Felis marina einen Affen oder Meerkatze, Guenon, Sapajou, oder Cercopithecus ?”). Allein mir scheint der Beysatz animal ma- rinum, amphibium zu zeigen, dals Swedenborg darunter die Pho- ca ursina verstanden haben wollte, welche z.B. bey Müller in seinen Sammlungen Russischer Geschichten ?°) Seekatze heilst: Mei- tentaminum phaenomena mundi elementaris philosophice explicandi. Dresd, et Lipsiae 1734. in Fol. p. 168. Tab. 2. de Cupro. In der Oryctologie par M** des Societes Royales des sc. de Londres et de Montpellier (Argenvil- le). Paris 1755. in4. wird dieses Petrefact mehreremale citirt S. 72 als Quadru- pedis caudei scheleton. Squelette d'un quadrupede a queue. S.33ı Le sche- leton d’un quadrupede a queue, qu’on croit avoir ete un Singe rapporte par Swendenborg. $. 384. Os tres-entiers et tres grands, trouvds dans une mine de Cuivre. Cet auteur (E. Svendenborgius) les croit d’un chat marin. *) Glücksbrunn liegt 6 Stunden von Gotha, zwey Stunden vom Fufse des Inselbergs, eine halbe Stunde von dem neuester Zeit berühmt gewordenen Badeorte Lie- benstein. 37) Annales du Muscum. Tome ı2, S. 79 und 8ı. 38) Petersburg 1732, Samml, III. $. 249. 22 Meines Wissens hat kein angeschener Schriftsteller Meerkatze felis marina übersetzt. % Hr. Cuvier, der ein Stück des unteren Theiles dieses Ge- rippes verkleinert nachstechen liels ®”), erklärt es für das Gerippe einer Art von Monitor. Schade, dals auch diesem Gerippe gerade der Kopf fehlt, welcher alles räthselhafte am leichtesten lösen könnte! Demungeachtet wäre es noch immer interessant genug, zu erfahren, wo dieses Prachtstück hingerathen seyn mag, um genaue- re Untersuchungen desselben nachholen zu können, da es unter an- dern offenbare Ungenauigkeit desZeichners verräth, dals die längste Zehe des linken Fufses aus sechs, die längste Zehe des rechten Fulses dagegen nur aus fünf Gliedern besteht. GEELT: Eidechse, wahrscheinlich von Suhl, im Kundmannschen Cabinet 1737. Joh. Christ. Kundmannn zu Breslau, besals in seiner Naturalien-Sammlung ‚eine schwarze Schiefertafel, darinn zwar,‘‘ wie er sich äufsert *°), ‚kein Krokodil sich abgedruckt, doch darauf eine ganz unbekannte grolsköpfichte metallisirte Lacerta befindlich ist.“ Da Kundmann manches unbedeutende Stück abbilden liefs, so ist es um so mehr zu bedauren, dals er dazu dieses nicht aus- wählte. Und weil er schreibt: „dafs er auch ein den beyden Suhli- schen von ihm umständlich angeführten Petrefacten (nämlich dem Link- 39) Annales du Museum, Tome ı2, planche ı0, fg. 2. auch im gröfseren Werke, 40) Rariora naturae et artis. Breslau 1737. in Fol, S. 88. 23 Link’schen und Spener’schen) ähnliches Petrefact besitze, “ so läfst sich vermuthen, dafs solches ebenfalls daher stammte. (A r2. Fossiles Monitor- (?) Gerippe, von Boll, für ein Krokodil gehalten in dem Dresdner Naturalien-Cabinet 1755. Sowohl nach Eilenburgs *') älterem als Dalsdorffs #?) neuerem Berichte, befindet sich zu Dresden in dem k. Naturalien- Cabinet, ein petrificirtes Gerippe von einem zwey Fufls zehn Zoll langen Thiere. Man fand solches zu Boll einem Dorfe im Wür- tembergischen, (nicht im Würzburgischen, wie Key/sler in seiner Reisebeschreibung irrig anführt). Nicht nur J. E. J. Walch #3) meynte im Jahre 1769, dals es allem Ansehen nach ein Krokodil gewesen, sondern selbst noch im Jahre 1783 ward es, ohne weiters, von Hn. Dalsdorff „ein Gerippe von einem Krokodil“ genannt, ungeachtet der Ungenannte Verfasser **) der Beyträge zur Natur- geschichte (vermuthlich Schröter) schon im Jahre 1774 öffentlich bekannt gemacht hatte: ‚Man will zwar zu Dresden ein versteintes „Krokodil vorzeigen, allein Kenner die es gesehen haben, behaupten „einstimmig, dals es viel zu dunkel sey, als dafs man hierinnen „etwas gewisses entscheiden könnte.‘ Poetzsch in seiner Beschreibung desselben Cabinets. Dresd. 1805. 8. $. ı5 —ıg macht Eilenburg’n den Vorwurf, dals er von 41) Description du Cabinet Royal de Dresde, touchant l’histoire naturelle, Dresde 1755, in 4. p. 27. desgleichen Eilenburgs Entwurf der königl. Naturalien- Kammer zu Dresden. S. 28, 42) Beschreibung der vorzüglichsten Merkwürdigkeiten der Residenz Dresden, Dresden 1782. in 8. S, 500, 43) Sammlung der Merkwürdigkeiten der Natur u. s, £ Nürnberg 1769, in Fol, S. 195, 44) Seite 148, 24 von einem ganzen Krokodile geredet habe, da doch nur der hin- tere Theil vorhanden sey; der Herausgeber nimmt aber Hr. Bi- lenburg in Schutz, indem er nur sagte, ein ganz versteiner- tes Gerippe; zugleich wünscht er, dafs ein Cuvier, Wiedemann oder Fischer das Stück untersuchte. Cuvier *°) glaubt, auch dieses Skelet gehörte nicht einem Krokodile, sondern einem Monitor, und bemerkt: par une negli- gence dont on ignore la cause, aucun de naturalistes de ce pays- la n’a decrit ni figure ce morceau, etc. Ich hoffe davon noch eine Zeichnung zu erhalten, weil ich mich vom Jahre 1792 her, wo ich diese Sammlung sah, nicht deut- lich mehr dieses Stücks erinnere. B. 1% Fossiler HKrokodil- (?) Schedel, von Erkerode im Braunschweigschen Naturalien-Cabinet' 1753. Obgedachtem ungenannten Verfasser der Beyträge zur Natur- geschichte — zufolge *°), ‚‚entdeckte man im Jahre 1755 zu Erkero- „de, eine halbe Stunde von Braunschweig, ein petrificirtes ganzes „HKrokodilskelet, von welchem aber nur der einen Fuls lange Kopf „mit allen Zähnen ins Herzogliche Naturalien - Cabinet kam.“ Auch über dieses Stück werde ich nähere Nachrichten einzu- ziehen suchen, um so mehr, da es ein Beyspiel ist, welches bis jetzt Hrn. Cuvier gänzlich unbekannt geblieben zu seyn scheint. $. 14. 45) Annales du Museum, Tome ı2, $, 83, 46) S. 148. . BES $. 14 Fossiles Krokodil- (?) Gerippe von Whitby, geschildert von Mill, Chapman und Wooller 1758. William Chapman *7) übersendete der königl. Societät zu London ein Schreiben, nebst einer Abbildung, auf einem kleinen Quartblättchen, von dem am Seeufer zu Whitby in Yorkshire, in ei- nem Alaunschiefer entdeckten Gerippe eines Alligators oder Krokodils. Seiner Schätzung nach mufste das Thier über zehn Fuls lang gewesen seyn. Der von dem Rumpfe verschobene Schedel zeigt seine untere Fläche. - . Eben dasselbe fossile Gerippe beschreibt nochmals Wool- ler *°), mit Beyfügung einer leider eben so kleinen, im Wesentli- chen sich fast durch nichts merklich unterscheidenden Abbil- dung, so sehr es auch zu wünschen gewesen wäre, dafs er eine deutlichere, oder auch nur nach einem gröfseren Maalsstabe ange- legte, Abbildung besorgt hätte. Nach Wooler’n mochte dies in einer Tiefe von 180 Fuls gefundene, um sich her Ammonshörner liegen habende, Gerippe, ı2 bis 14 Fuls Länge halten. Sechszehn Wirbel hatten noch keine zwey Fufs Länge. Wooller verglich ganz weislich dieses Gerippe mit der Edwardschen Abbildung *?) eines langkiefrigen Krokodils oder Gavials. Camper °°), der anfänglich dieses Gerippe für einem Kro- krodile angehörend hielt, änderte seine Meynung in der Folge da- 47) Philosophical Transactions for the Year ı758, Vol. 50, Art. 92: Tab. XXU. An Account of the fossilBones of an Allegator found on the Seashore near Whitby in Yorkshire, 48) In demselben 3osten Bande der Philosophical Transactions. Art, 108, Tab, XXX, a Description of the fossil Skeleton of an animal found in the Alum Rock near Whitby. 49) Philosophical Transactions, Vol. 49. p. 689, 50) Philosophical Transactions. Vol. 76. for the Year 1786, englisch, Kleine Schrif- 4 ten 26 dahin, dafs er bestimmt erklärte, ‚‚es wäre ohne Zweifel von einem Wallfische.“ Merck folgte Campern, und nannte es einen grolsen Irr- thum, diesen Kopf, der auf nichts anderes als auf eine Orca °*) oder Delphin °*) schlielsen lasse, für einen Krokodil anzusehen. Auch Faujas-Saint-Fond wiederholte diese Deutung °?) auf einem Physeter. Cuvier °*) findet den Kopf dieses Gerippes dem Kopfe desje- nigen Krokodils oder eigentlichem Gavials gleichen, welchen man zu Honfleur entdeckt, und beweist durch vier unwiderlegbare Gründe, dafs dieses Thier weder ein Physeter noch ein Cachalot gewesen seyn könne. Dieses wäre das erste Beyspiel eines fossilen, dem Gavial glei- chenden Krokodiles, wenigstens nach Hrn. Cuvier c’etoit reellement un crocodile °°). Allein nach Hrn. Blumenbach’s, der davon eine Zeichnung besitzt, neuester Deutung, ist es dennoch ein Cetaceum. $.15, Fossiles Wallfisch-Gerippe von Blenheim, als krokodilartig ehedem erwähnt von Blumenbach. Ein dem vorigen Petrefacte von Whitby ähnliches Stück, wel- ches zu Blenheim inEngland in dichtem Kalkstein ausgegraben wor- den, ten übersetzt von Herbell. DritterBand 1788, S. 4. teutsch. Oeuvres. Tome prem, 1803, p. 361. französisch. 51) Hessische Beyträge. Zweyter Band 1787. S. 31. 52) Troisieme Lettre sur les Os fossiles. Darmst. 1786. $, 27. 53) Essais de Geologie, p. 160. 54) Annales du Museum, Tome ı2. $. 107 und ı0g, 65) Annales du Museum, Tome ı2, p. 74 und 107. “ AR den, befindet sich nach Hrn. Blumenbach’s Anmerkung °°), der davon auch eine Zeichnung besitzt, in der Sammlung des Herzogs von Marlborough, zu Blenheim. Ich entsinne mich nicht mehr, ob dieses Stück schon 1778, als ich diese Sammlung sah, sich dort be- fand. $. „Im Fossiler. Krokodil- Schedel von Altdorf[, geschildert von Walch 1776. Walch handelt im Naturforscher °), von dem versteinten Kopfe eines Krokodils, welcher sich in Burgemeisters Bauders Sammlung zu Altdorff befand, lies aber nur das kleinere Bruchstück des Ober- und Unterkiefers , leider in jeder Rücksicht zu klein und zu roh abbil- den. Indessen bleibt selbst diese unvollkommene Schilderung schätz- bar, weil sie zum klaren Beweise eines zu Altdorff in Franken entdeck- ten fossilen Krokodiles hinreicht. Die Länge dieses Schedels beträgt 23 Zoll. Hr. Walch glaubt sich berechtigt, ‚es weder für ein Kro- „kodil aus dem Nil, noch für ein Afrikanisches, sondern für ein Ostin- „dianisches zu halten.“ Er gedenkt dabey des Linkschen, des Spe- nerschen, des Stukelyschen und des Dresdner Beyspieles. Schröter °®°) zweifelt, dafs dieses Petrefact von einem Krokodil herkomme. Allein Hrn, Cuviers Urtheile nach, gehörte dieser fossile Schedel einem Krokodile. A Es 56) Handbuch der Naturgeschichte, Vierte Auflage, Göttingen ı791. in der Note Seite 694. In den folgenden Ausgaben dieses classischen Handbuchs liels er diese Note weg, weil er, nach dem Briefe meinesSohnes an mich vom 26. März 1814, darinn ein Cetaceum wahrnimmt. 57) Der Naturforscher. Neuntes Stück, Halle 1776. 8. Seite 279, Tab. IV, Fig. 8. Von dem versteinten Kopfskelet eines Krokodils, 58) In seinem Journal für die Liebhaber des Steinreichs. Theil 6. S. 523, 28 Es wäre zu wünschen, der mir unbekannte dermalige Besitzer dieses Stückes, lielse nach behutsamer Wegmeilselung des Gesteins, ' welches den Rest des Schedels verbirgt, denselben genau in natürli- cher Gröfse abbilden. Das in Kalkstein, aus den Querfurtischen Steinbrüchen, ent- haltene fossile Bruchstück, welches eben dieser Walch im grolsen Knorr’schen Werke abbildet °?), ohne es zu deuten, scheint mir der halbe Unterkiefer eines dem Monitor ähnlichen Thieres. $. 17. Fossiler Gavial- (?) Kiefer von Dax im königlichen Cabinet zu Paris, erwähnt von de la Cepede 1788. Hr. de la Cepede gedenkt °°) desBruchstücks eines in Kalk- stein enthaltenen Unterkiefers mit halb versteinten Zähnen, welches man in der Gegend von Dax in Gascogne fand, im königlichen Na- . turalien-Cabinete zu Paris aufhob, und das ihm nach angestellter Untersuchung einem Gavial angehört zu haben schien. Da ich nirgends dieses Stück von Cuvier angeführt finde, se mufs ich die Richtigkeit der de la CGepedeschen Deutung desselben bezweifeln. $. 18. Fossiler Gavial- Schädel, von Altdorff, in der GH. Naturalien- Sammlung zu Darmstadt, geschildert von Merck ı786 und Faujas-Saint-Fond ı799. Kriegsrath Merck, der in seinen letzten Lebensjahren mit dem grölsten Eifer seine Liebhaberey an Petrefacten zu befriedigen , such- 69) Dritter Theil. Suppl. Tab. VIII. Fig. 2. S. 207. 60) Hist. nat. des quadrupedes ovipares, Paris 1788, gr, 4. Seite 238, = En ’ n 25 suchte, wulste sich auch einen fossilen Schädel zu verschaffen, wel- cher offenbar von einem dem Gavial gleichenden Thiere herkam, und sich in den Marmorbrüchen zu Altdorff vorgefunden hatte. Er schrieb darüber °”): ‚Dieses Stück ist die Zierde meiner ansehnlichen „Sammlung von fossilen Knochen und gehört gewils unter die sel- „tensten Monumente der Vorwelt, die wir auf teutschem Boden auf- „zuweisen haben.“ Im Vorbeygehen °?) gedenkt er mit zwey Zeilen, dreyer von ihm in Teutschland angetroffener, ähnlicher Stücke. Schade! dals er gar nichts Näheres darüber angab, da man seinem geübten Kenner-Auge richtige Beurtheilung füglich zutrauen durfte. Eines, von denen, die er gewils darunter meynte, war das Mannheimer Stück. Das zweyte nach Faujas-Saint-Fond’s Vermuthung °?) das Bessonsche von mir im (. 20 erwähnte. Das dritte sein ei- genes. Nach seinem Tode kam seine Sammlung in das G.H. Na- turalien-Cabinet im Schlosse zu Darmstadt, wo ich sie zuletzt noch vor vier Jahren wieder sah, In diesem Cabinet gestattete man Hrn. Faujas-Saint-Fond ‚die Abbildung, dieses nicht zu bezweifelnden Beyspieles eines fos- silen Gavials, welche er auf der letzten Tafel öffentlich bekannt machte. Hr. Cuvier °*) findet diese Abbildung so wenig genau, ja so schlecht, dals er nicht wisse, ob er dieses Stück für den Oberkiefer oder den Unterkiefer anzusehen habe, besonders weil auch die Beschreibung nichts darüber besage. Nach Faujas-Saint-Fond hat dieser Schädel einen Fuls zehn Zoll Länge, und zehn Zoll sechs Linien Breite in der Mitte der Kiefer. Nach 61) Hessische Beyträge, Zweyter Band. 1787. S, 81, 62) Lettre troisieme, sur les os fossiles, a Mr, Forster. Darmstadt 1786, 4. S.25. 63) Essais de Geologie p, 166, Ist nicht wahrscheinlich, weil Merck von dreyen in Teutschland spricht. 64) Annales du Museum, Tome ı2, Seite 84 und 86, 30 Nach Merck’s Handschreiben an mich vom rı. April 1783 hat das Stück 26 Zoll Länge mit 36 sichtbaren Zähnen und kostete ihm ein bedeutendes Kapital. In mehreren anderen Briefen ver- sprach er mir Zeichnungen davon, die ich jedoch nie erhalten habe. Dals er aber diese Versteinerung auf das sorgfältigste nicht nur mit seinem eigenen, sondern auch mit anderen Gavialen in Weingeist, und besonders noch mit den trefflichen Zeichnungen, welche P. Camper für ihn von einem Gavial-Schädel eigens gefertigt hatte, verglich, kann ich mit Wahrheit bezeugen. Dieses Stück ist eben- falls, so wie das zu Whitby, das zu Mannheim und das meini- ge, von Ammonshörnern umgeben. , Sollte es etwa gar mit dem im $. 16 geschilderten Stücke identisch seyn’? . 19. Fossiler Gavial- Schädel von Altdorff in der G.H. Naturalien- Sammlung zu Mannheim, geschildert von Collini ı784 und Faujas-Saint-Fond ı799. In der G.H. Naturalien-Sammlung zu Mannheim, befindet sich der obere Theil des fossilen Schädels eines langkiefrigen Kro- kodils. Dieses herrliche Bruchstück liels sowohl Collini im fünf- ten Bande der Actorum Academiae Theodoro- Palatinae nebst einer sehr genauen Beschreibung auf einer sehr fein gestochenen Kupfer- platte °%), als auch Faujas-Saint-Fond °°), nach einem weni- ger verjüngten Maafsstabe abbilden. Die Ungleichheit dieser Abbil- dungen ist durchaus so auffallend, dafs, wüfste man es nicht gewils, man nie errathen könnte, dafs diese beyden Abbildungen einen und denselben Gegenstand versinnlichen sollen. So finden wir hier gleich mit dem ersten vergleichenden Blicke die Figuren dieses Kiefers bey Collini um gar vieles schmäler als bey Faujas-Saint-Fond. Die 65) Tab. 3. Fig. ı und 2. S, 84, n 66) Histoire nat. de la Montagne de St, Pierre etc, Plauche LIII und Essais de Geologie p. 157. 4 31 Die Breite desKiefers nämlich, verhält sich zur Länge desselben In Collini’s Fig. ı. wie ı zu 25 ) bey Faujas -Saint-Fond In Collini’s Fig. 2. wie ı zu 33 in beyden Figuren wie ı zu 18. Folglich hat Collini den Kiefer in der zweyten Figur bald noch ein- mal so schmal als Faujas-Saint-Fond vorgestellt. So viel ich mich von 1786 her, wo ich diese Sammlung betrach- tete, erinnere, hat Hr. Faujas-Saint-Fond’s Zeichner das rich- tige Verhältnis näher getroffen *7). Sonderbar genug, harmonirt bey dem sonst so genauen Cel- lini die Anzahl der abgebildeten Zähne, weder mit seinem eigenen Texte, noch mit der Abbildung bey Faujas-Saint-Fond. Dieses Petrefact ward in den Steinbrüchen bey Altdorff in Franken in einem schwarzgrauen Kalkstein angetroffen. Es läfst sich von dem Steine (seiner matrix) abheben und besteht aus der Hirn- schaale und dem in drey Stücke zerbrochenen Oberkiefer. Der Unter- kiefer fehlt. Ueberhaupt ist es einen Fuls und sieben Zoll lang, und mit Ammonshörnern umgeben. Hr. Gollini rieth zwar auf einen Sägefisch; gestand aber doch aufrichtig,. das wahre Original des Thieres, welchem dieser Schädel zugehört haben mochte, nicht zu kennen. ’ r Hrn. Cuvier °°) scheint dieser fossile Mannheimer Schädel, wegen des Verhältnisses der Länge zur Breite wie 38 zu ı, der nicht _ abgesetzten, sondern gradweisen Verschmälerung der Kiefer, und der eyförmigen und länglichten Augenhölen, sich dem kleinen Gavial, we- gen seiner Grölse aber dem grolsen Gavial zu nähern. $. 20. 67) Cuvier schreibt von Kanjas-ÜiimtHamda Abbildungen „‚elles sont peu exactes,‘ Ann. du Mus.:Tome XII. p. 85. 68) Ebendaselbst. 32 $. 20. Fossiler HKrokodil- (?) Schädel von Altdorf, in Besson’s Sammlung als Gavial, erwähnt von Faujas-Saint-Fond 1799 und 1805. Herrn Faujas-Saint-Fond °°) Nachricht zufolge, besitzt Mr. Besson, Inspecteur des Mines zu Paris, „une portion de la machoire petrifiee de Gavial,“ welche ihm, wegen der Beschaffenheit des Steins, aus den Altdorfer Steinbrüchen hergekommen zu seyn scheint. Mich wunderts, dafs Hr. Cuvier 7°) dieses ihm so nahe sich befindenden Stücks nicht eigens gedenkt, es mülste denn seyn, dafs, indem er kategorisch erklärt, von den sieben 7°) von Hrn. Faujas- Saint-Fond angeführten Beyspielen, unter welchen er nothwendig auch dieses Stück mitzählte, sey keines ein Gavial „aucun n’est le ga-. vial,“ er seine Meynung darüber vernehmlich genug ausgesprochen haben wollte. Sas2t- Fersteinies Iirokodil aus dem Thal des Magdalenen-Flusses, er- wähnt von Alexander von Humboldt ı8o02. Alexander von Humboldt schrieb in einem Briefe aus Lima vom 25.November 1302 an seinen Bruder 7*): „Dafs man vor fünf- 69) Histoire de la Montagne de St. Pierre, S. 236, und Essais de Geologie pP 166, 70) Annales du Museum. Tome douzieme, S, 74. 71) Diese von ihm gemeynten sieben Beyspiele nämlich scheinen mir: ı, das von Merck, a. von Collini, 3, von Berettoni, 4. von Spener, 5. von F Chapman, 6. von Mästricht und 7, von Besson, wie dieses auch seine Essais de Geologie, p. 170 beweisen. 72) Annales du Museum. Tome second, ı803, p, 337. 33 fünfzehn Jahren im Thale des Magdalenenflusses ein ganzes Gerippe eines Krokodils in einem Kalkfelsen versteint entdeckt hatte; durch Unwissenheit ward es zerbrochen, und es ihm unmöglich sich den Kopf davon zu verschaffen, welcher noch vor kurzem existirte.‘* .$ 2r. Fossiler Monitor, aus dem Petersberge und von Seichem, bey Mae- stricht 7°; als Krokodil geschildert, von Faujas-Saint-Fond, 1790; berichtiget von G. Cuvier, 1808, und Adrian Camper ıßız. In den wundervollen Steingruben des St. Petersberges bey Maestricht, mit welchen uns Hr. Faujas-Saint-Fond, in einem eigenen Werke 7*), näher bekannt machte, so wie in dem benach- barten Dorfe Seichem 7°), findet man Bruchstücke versteinter Thier- gebeine, besonders ungeheure, bis 4 Fufs lange Kiefer, mit starken, spitzen Zähnen. Ungeachtet diese Knochen und Zähne gleich an- fänglich, so wie nachher z. B. von Hoffmann 7°) zu Maestricht, von Blumenbach 7”) und Brugmans °®), für krokodilartig ge- halten, auch mir als solche, von meinem grofsen Lehrer Petrus Cam- 73) Nach Daudin, des Reptiles., Tome huititme ı803. S, 286, kennt man diese Knochen erst seit 1766, 74) Histoire naturelle de la Montagne de Saint-Pierre de Maestricht, par B. Faujas-Saint-Fond, a Paris, An 7&me 1799. fol,, auch gr. 4. Ins Hollän- dische übersetzt von Pasteur, Amsterd, ı803,, desgleichen in seinen Essais de Geologie. TomeI. Paris. 1805. S. ı68. Planche VII, 615, 75) Minkelers und Hermans M&moire über die Knochen zu Seichem kenne ich blos aus Cuvier, 76) S. Jo. Mulder, oratio de meritis Petr i Camperi in anatomiam compara- tam, Groningae 1808. $, 75, 77) Handbuch der Naturgeschichte, Fünfte und BeaHiate Auflage, 78) Bey Mulder a. a, O, 5 34 Camper, im Jahre 1779, in seinem Cabinet zu Klein -Lankum bey Franecker gezeigt wurden, in der Folge dennoch, durch ihre be- sondere Gestalt, ganz eigene Befestigung und ausnehmende Gröfse, einige Naturkundige vom ersten Range so stutzig machten, dafs sie ihre Deutung auf Krokodil- oder Eidechsen-Knochen zurüch nahmen, und dadurch, dafs sie solche bald für Cetaceen- 7°) bald für Fischknochen erklärten, Ungewilsheit und Verwirrung so lange unterhielten, bis Adrian G. Camper’s des Sohnes °°) und G. Cuviers ®") ungemeine Bemühungen endlich die Sache ins Reine brachten. . | Hrn. Faujas-Saint-Fond bleibt das Verdienst, durch sei- ne Abbildungen, welche, theils Trümmer des Kopfes, theils Zähne, und Wirbelbeine darstellen, die anschaulichsten Begriffe von diesem Mae- 79) P. Camper in den Phil, Transact. 1786. Vol. 76. S, 446, Tab, ı5, ı6. teutsch, in den von Herbell übersetzten sämmtlichen kleinen Schriften, Leipzig 1788, dritter Band, ı. Stück, ı. und 2, Tafel, französisch, in seinen Oeuvres, Tome ı, 1803, p. 361. Pl. VI. VIL. Die eine dieser Tafeln hat auch Faujas-Saint- Fond, Hist, de la Montagne de St, Pierre. Pl, VI, nachstechen lassen. Cam- pern waren 1790 van Marum in den Verhand, der Teylerschen Gesellschaft und Blumenbach ı79ı in der vierten Auflage s. Handbuchs gefolgt, welcher aber gleich in der folgenden Ausgabe, wie ich schon in der vorigen Note be. merkte, die richtigere Ansicht wieder auffafste, 806) Sur les fossiles de Maestricht im Journal de Physique. An, IX, 1800, Tome 51. p- 278. Desgleichen in einem Briefe an van Marum over den oorsprong der witgedolven Beenderen van den St. Pietersberg im Ersten Theil der Verhande- lingen d, M, te Harlem, $S, 169. Desgleichen Description succeinete du Museum de Pierre Camper par son fils Adrien Camper. aAmsterdam ı8ıı, S.5o, wo er dieses Thier saurien gigantesque nennt, und Memoire sur quelques par- ties moins connus du Squelette des Sauriens fossiles de Maestricht in den An- nales duMuseum, im Neunzehnten Bande, Paris ı8ı2. mit den trefflichsten Abbil- dungen, 8) Sur le grand Animal fossile des Carrieres de Maestricht in den Annales du Museum, Tome douxieme ı808, S, 145. und in seinem grofsen Werke, desglei- chen in seinen Noten zu dem in der Note 80, angeführten Memoire des H, Adrien Campers sur q. p, d, Sq. des Sauriens fossiles. a BT 35 Maestrichter Thiere verbreitet zu haben. Insbesondere ist die ein und fünfzigste Tafel, welche eigentlich die vierte nur herrlicher wiedergiebt, mit einer Kraft und einem Glanze des Stiches gefertigt, dafs sie da- durch alle sechs °*), vor ihm gelieferten Abbildungen dieser Gebeine übertrifft. Lobenswerth scheint auch die Anfangs - Vignette, welche das Gröfsen- Verhältnils dieses riesenmälsigen Ungeheuers der Vor- welt zu dem Körper des Menschen, auf den ersten Blick versinnlicht, Vergleicht man, bey dem allen, jene prächtige, ein und fünf- zigste Faujas’sche Tafel ®°), mit der einfachen, prunklosen, um mehr als drey Viertel kleinern Cuvierschen Abbildung, gerade des nämlichen Stückes, aus der nämlichen Sammlung, so wird man recht auffallend wahrnehmen, wie gar viel, bey Abbildung selbst dieser al- lerstarresten, naturgeschichtlichen Gegenstände, wo keine Weichheit ein Niedersinken und Verbreitern, Keine Austrocknung ein Verschmä- lern und Verkleinern, keine Wärme ein Entfärben, Aufblähen, Zer- flielsen und Zerstören verursacht, auf eine mit Verstand und Sach- kenntnils angeordnete bildliche Darstellung ankommt, und wie sehr viel daran gelegen ist, mitunter manches überflüssige, den Beschauer nur hindernde oder verwirrende wegzulassen, um für das Wesentliche Raum und Licht zu gewinnen. - Wer von Uns würde wohl ohne die vorgängige Versicherung errathen, dafs diese beyden Abbildungen einen und denselben Gegen- stand vorstellen sollen? Das Bild bey Herrn Faujas, welches einen höchst vollendeten, ja selbst in seiner Art treuen Zeichner und Kupfer- stecher bewährt, zeigt uns nur lauter wild unter, über, und durch 5.” ein- 82) Die Citate über diese sechs andern Abbildungen, findet man bey Cuvier a, a.0. $. 157, genau angegeben, 83) Eben diese Tafel liefert Faujas-Saint-Fond zum drittenmal, verkleinert, auf einem Octavblättchen, in seinen Essais de Geologie. Tome ı. Planche VIII, (bis), auf welcher die Zähne unverhältnifsmäfsig dick erscheinen, 36 einander geworfene Trümmer, wenn aus Cuvier’s Abbildung, trotz der zertrümmerten und verschobenen Knochen, dennoch die Gestalt des Schädels, recht erfreulich, klar und deutlich hervorgeht, so weit nämlich zu ihrer Bezeichnung diese Trümmer hinreichen. Hr. Faujas-Saint-Fond lieferte ferner, mit rühmlichem Kostenaufwande, die bis jetzt grölsten und besten Abbildungen, vom Nil-Krokodile (Pl. XLIII.), vom grofsen Gavial (Pl. XLVYI.), vom kleinen Gavial (Pl. XLYIII.), von dem grölsten ganzen Gerippe ei- nes Krokodiles (Pl. XLIV.), von dem gröfsten Schädel eines Gavial’s aus der unvergleichlichen Brugmannschen Sammlung zu Leiden (Pl. XLVII.) und von mehreren einzelnen Knochen derselben (Schul- terblatt, Oberarm und Beckenbein Pl, XLV., Schädel und Unterkie- fer Pl. L., Zähne Pl. XLIX.), um dadurch die anschaulichsten Be- weise zu führen, dafs jenes Maestrichter Thier ein Krokodil gewe- sen seyn sollte. Allein gerade diese seine eigenen Tafeln dienten Hrn. Cuvier zum besten Gegenbeweise, dals es keinem Krokodile, sondern einem Monitor gleiche. Dieses würde weniger begreiflich scheinen, wenn Hr. Cuvier nicht zugleich augenscheinlich bewiese, dafs Hr. Faujas-Saint-Fond Planche X. Ein Oberarmbein einer Schildkröte für ein Schenkel- bein des Maestrichter Thieres; Pl. XI. Ein Schienbein eines Menitor-ähnlichen Thieres für ein Schulterblatt; Pl. XY und XV]. Ein Stück vom Brustschilde einer Schildkröte für ein Stück von der Hornschaufel eines Elends ; Pl. XVII. Ein Schulterblatt einer Schildkröte für ein Hirschge- weihe; Pl. XVI. Zwey Handwurzelknochen einer Schildkröte für ein Schaambein und Schlüsselbein eines HKrokodils angesprochen hätte. Dieses bis jetzt blofs in der Gegend von Maestricht, mitunter in einer Tiefe von neunzig Fuls, gefundene Thier, mochte im Gan- zen a En 37 zen die Länge von 23 Fufs haben, und der Kopf etwa ein Sechstel davon betragen. Durch seine an den Kiefern haftenden Zähne näherte es sich dem Monitor mehr als selbst der Iguan; durch seine am Gaumen haftenden Zähne hingegen auffallend dem Iguan, und scheint dem- nach Hrn. Adrian Camper und Cuvier zwischen den Monitor und Iguan zu gehören. Den Krokodilen dürfte man es nur in sofern nach Hrn. Cu- vier’s Urtheil beygesellen, als man diese im Allgemeinen zu der ' grofsen Familie der Eidechsen oder Saurier gewöhnlich zu rechnen pflegt. Auch die Anzahl seiner Hals- Rücken- Lenden- und Becken- wirbel beweist ihm, dafs es einem Monitor glich. WVahrschein- lich hatte es 22 bis 23 Paare Rippen, wenn dieKrokodile höchstens ı7 Paare haben. Ueberhaupt hatte es mehr als 113 Wirbelbeine, also fast noch einmal so viel, als die Krokodile, welche meistens nur sechzig °*) - oder acht und sechzig in allem haben, glich also auch dadurch den Monitoren, welche ııo Wirbelbeine besitzen. Er lebte nach Hrn. Cuvier’s Vermuthung im Meere, konn- te seinen Hals so wenig als ein Krokodil seitwärts biegen, und mit seinem mächtigen Schwanze wohl rechts und links, aber nicht füg- lich wie ein Wallfisch aufwärts und unterwärts rudern. Man brau- che sich übrigens nicht besonders zu wundern, einen Monitor so grols als ein Krokodil zu finden, da ja mehrere andere Thiere der Vorwelt, die ihnen ähnlichen dermalen lebenden an. ungeheurer Gröfse weit übertreffen. End- 84) Man vergleiche damit unten den 3ısten und 36sten $. 38 Endlich hat Hr. Cuvier sehr Recht, bey dieser Gelegenheit die Feststellung allgemeiner Naturgesetze einzuschärfen; da ein ein- zinziger, scharf ins Auge gefalster Zahn dieses Maestrichter Thie- res ihm sogleich den Schlüssel, gleichsam das Stichwort, zur Lösung des vor ihm so schwer geschienenen Räthsels verschaffte. N. #22, Fossile Bruchstücke von Krokodilkiefern aus dem Vicentinischen in Hrn. Beretoni’s Sammlung zu Scio, geschildert vom Grafen v. Sternberg ı806. Unserem geehrten Mitgliede demH. Graf. v.Sternberg verdan- ken wir die von unserm Münchner Künstler M en z in aqua tinta gefertigte, schöne, nur um die Hälfte der natürlichen Grölse des Originals klei- nere Abbildung °°) dreyer Bruchstücke eines Krokodilschädels, aus dem Naturalien-Kabinete des Hrn. Girolamo Beretoni zu Scio. Man fand dieselben in gelb -röthlichem Kalksteine, im Vicentinisehen, nahe bey Rozzo, in den sieben Gemeinen. Das längste Bruchstück - von der linken Hälfte des Unterkiefers, ıst 2 Schuh ı35 Zoll Wiener Maafs lang, und 3% Zoll breit: kürzer ist das zweyte Bruchstück, von der rechten Hälfte des Unterkiefers: das dritte kleinste Bruch- stück besteht aus dem vordern Stücke des vom Unterkiefer wegge- schobenen Oberkiefers. Die Zähne sind meistens herausgedrückt und umherliegend; nach denjenigen Zähnen, welche vollkommen er- halten sind, zu urtheilen, war das Thier noch jung. Ganz richtig, bemerkt der Hr. Verfasser, die gröfste Ueberein- kunft dieser Bruchstücke mit den von Hrn. Faujas-Saint-Fond auf der Planche IV. und LI. abgebildeten, aus dem Petersberge bey Maestricht, ins Pariser Musee d’Hist. nat. gebrachten Petrefakten. Hr. 85) Reise durch Tyrol in ‘die Oesterreichischen Provinzen Italiens, mit 4 Kupf, Regensburg ı806, in gr. 4. Tab, 2. $. 86, a en 39 Hr. Cuvier °°) erklärt diese drey Riefer-Bruchstücke zwar für einem Krokodile angehörend, aber nicht, wie Faujas-Saint- Fond meynte ®7), von der Art, die man Gaviale nennt, sondern viel- mehr von derjenigen Art, welche man zuHonfleur und zu Altdorff aus- grub. £ 93. Fossile Krokodile von Honfleur und Havre sowohl im Musde d’Hist. nat. als in Privat- Sammlungen zu Paris, geschildert von G. Cuvier ı80ı und ı808. Hr. Cuvier beschrieb ein fossiles Krokodil im Jahre ıgo1 °°), welches bey Honfleur vom Abbe Bachelet ausgegraben worden war, und sich jetzt zu Paris im Musee d’histoire naturelle befindet, indem er zugleich erklärte, dafs solches nicht zu den Gavial’s gehörte, ob es gleich in der Bildung manche Aechnlichkeit mit ihm zeigte. Man wird sich also durch Hrn. Faujas-Saint-Fond, der dem ungeachtet dieses Krokodil für einen Gavial ausgiebt °?) nicht irre machen lassen. Hrn. Guviers fernerer verständigen Benützung seines Reich- thums, an dem zu Havre und Honfleur gefundenen fossilen Krokodil- Kno- 86) Anmales du Museum, Tome 12, p. 87, 88. 109, 87) Essais de Geologie, p, 165, 88) Bulletin des sciences par la societ& philomatique , an IX, (1801, S.159. Da ich diese Zeitschrift nicht erhalten konnte, so wiederhole ich Hrn. Cuvier’s eigene spätere Worte über diesen Gegenstand aus den Annales du Museum, Tome XII, S, 74 und 75, un autre de ces animauz, deterre pres d’Honfleur par l’Abbe Bachelet, fut reconnu et annonce pour la premiere fois par moi, comme un crocodile et je declarai en möme temps que ee n’ctoit point le gavial, quoiqu'il eüt avec cette espece de nombreux rapports de conformatiion. 89) Hist, nat de la Montagne de St, Pierre etc, $, 225, Essais de Geologie p. 168, 49 Knochen sind wir die eben so genauen als gründlichen Belehrungen über diese bis zum Jahre 1808 wenig gekannten Versteinerungen schuldig. Diese Ueberbleibsel wahrer Krokodile nämlich finden sich in den bläulich grauen, harten, kalkigen Mergelbänken, längst den beyden Ufern der Seine-Mündung, und gehören überhaupt, so wie die Kno- chen der Thüringschen Eidechsen zu viel älteren Schichten der Erd- rinde, als diejenigen, welche selbst die ältesten Reste oder Ueberbleib- sel von Säugthieren enthalten. * Aufser mehreren Wirbelbeinen und einem Theile des Oberkie- fers bildet Hr. Cuvier das bedeutendste unter seinen Stücken, nämlich einen fast bis auf die Gelenkflächen ziemlich vollständig erhaltenen Unterkiefer, in ein paar Figuren treffendst ab °°). Seinem durch die sorgfältigsten Vergleichungen begründetem Urtheile nach gehörten diese Knochen unstreitig einem Krokodile, nicht wie Bachelet glaubte, einem Delphine oder Cachalot. Doch um die zu meinem dermaligen Zwecke dienlichen Haupt- sachen möglichst kurz zusammen zu fassen, sogeht ausHrn. Cuvier’s trefflicher, mit Abbildungen erläuterter, Abhandlung offenbar hervor: Dafs sich in den genannten Mergelbänken, die Ueberbleibsel von zwey verschiedenen, gänzlich unbekannten ?°*") Krokodil-Arten befinden, und dafs sich zwar beyde Arten, doch die eine Art der- selben, durch die Abplattung ihrer Kiefer ?*), mehr als die andere Art (deren Unterkiefer er abbildet) dem Gavialen nähert. Dieses be- 90) Annales du Museum, Tome XD, Planche I, Fig. ı und 2, gı) Seite 95. 92) Seite 94 und 109. FR I I Ze, [7 4ı beweise auch noch besonders die Vergleichung der bisher alldort gefundenen Wirbelbeine mit den Wirbelbeinen der jetzt auf der Erde lebenden Krokodile. Da sich aber leider keine deutliche Stücke des übrigen Schä- dels oder der eigentlichen Hirnschale bis jetzt zeigten, so lielsen sich auch diese beyden Arten nicht näher bestimmen. Abbe Tersan und Mr. Bexon zu Paris besitzen ebenfalls Bruchstücke von diesen fossilen Krokodilen, welche auch Hr. Cu- vier abbildet °°); nämlich das vordere Stück eines Oberkiefers, und das Stück, welches den Oberkiefer mit dem Stirnbeine verbindet. $. 24. Fossiles Iirokodil von Angers, von Alengon und von Mans, geschil- dert von Cuvier 1808. Frankreich scheint Hrn Cuvier ?*) noch an mehreren Or- ten, als zu Havre und Honfleur, z. B. zu Angers, Mans und Alencon in seinem Boden seit der Vorwelt begrabene Knochen zu enthalten, welche entweder zu einer der beyden zu Honfleur und Havre ent- deckten Krokodilarten oder nach den auch von ihm abgebildeten ?°) ersten und zweyten Halswirbel zu urtheilen, vielleicht gar zu einer dritten unbekannten Art gehörten. SHAaB: Fossiler Monitor von Rothenburg im königlichen Naturalien-Kabi- net zu Berlin, geschildert von Cuvier ı808. Im Jahre 1793 fand man zu Rothenburg an der Saale im Hallischen in einer 264 Fuls tiefen Grube Knochenreste auf einem Stei- 93) Annales du Museum, Tom, ı2, PlancheXI, S, 92, 94) Annales du Museum, Tome douxieme, p, 101, 95) Ebendaselbst, Planche ı. Fig, 7 und 8, 6 Az Steine, welcher sich jetzt im königlichen Naturalien-Kabinet zu Berlin befindet, und von welchem Hr. Cuvier auch eine Abbil- dung ?%) mittheilt. Ihm scheint das Thier, von dgssen Gerippe doch nur einige Rücken-, Lenden- und Schwanzwirbel, nebst Beckenlinochen und Beinen der Hinterfüfse erscheinen, der nämli- chen Species von Monitor anzugehören, von welcher Spener, Link und Swedenborg Beyspiele schilderten. $. 26... Fossile Krokodile an der Küste von Dorsethsire, geschildert von J. Parkinson ıßıı. James Parkinson *) sah nicht nur, sondern besitzt selbst einige Bruchstücke fossiler, an der Küste von Dorsetshire ge- fundener, Krokodile, welche durch ihre langen und schmalen Kiefer der ersten von Cuvier beschriebenen, zu Havre sich findenden, Species gleichen. Von drey Speciminibus, die er sah, enthielt das eine fast den ganzen Schädel. — die Vereinigung dieser Specimi- num beweisen ganz entschieden, dafs sowohl in England als auf dem Continent sich Ueberbleibsel von derjenigen Species des Kro- kodils finden, welche aller Annäherung ungeachtet sich dennoch von jeder bekannten Species desGavial’s wesentlich unterscheiden. Von dem Kopfe der zweyten Species von Krokodilen, welche sich zu Honfleur finden, sah er in England noch kein bestimmtes, Beleh- rung gebendes, Specimen, Hr. Pfarrer Hawker zu Woodchester in Glocester- shire besitzt vielleicht eines der schönsten Stücke von solchen in Eng- 96) Annales du Museum Tome XII. Planche Io. fig, 1. *) Organie Remains of a former World. Third Volume. London ı8ır. 4. p. 284. Ich verdanke die Mittheilung dieses in Teutschland noch wenig bekannt schei- nenden Prachtwerkes der freundschaftlichen Gefälligkeit des Hrn, 'B- v, Moll. { 3 f = 5 2 43 England gefundenen Krokodilen. Er fand es in der Nähe von Bath, und es enthält einen grofsen Theil des Kopfes und des Rumpfes, wie es scheint, auch von derjenigen Species, welche Cuviern zußel- ge gradweis sich verschmälernde Kiefer hatte. Es wäre sehr zu wünschen, dafs Hr. Parkinson von die- sen Stücken durch seine gar fürtrefllichen Künstler genaue Abbil- dungen in natürlicher Grölse verfertigen lielse. G, 26 b. Unbestimmte Nachrichten von versteinten Rrokodilen. In M. D. S. Buttners Rudera diluvi testes i. e. Zeichen und Zeugen der Sügdfluth, Leipzig. 1710. 4. finde ich Tab. X. fig. 6. die Abbildung eines nach S. 62 im Mansfeldischen Kalkstein ent- haltenen versteinten Knochens, welcher vielleicht ein Unterkiefer ei- ner Eidechsenart seyn mochte. In (Argenville’s) Oryctologie, Paris 1755, finde ich unter den Parties d’animaux inprimees sur la pierre, sowohl Seite 79. Xilosteon scheleti Crocodili, als Seite 82. Lacertus, seu Crocodilus in lapide scissili ex monte Bolca und S. 350 Crocodile ou Lezard petrifiE du mont Bolca aufgeführt, und dabey Lachmund citirt. Allein in Frid. Lachmund’s Opvxroypapıa Hildesheimensi, Hil- desheim 1669. in 4. finde ich wenigstens nichts davon. Was von Arduini, des dents de Crocodile trouvdes dans la Montagne de la Favorite etc. im Journal encycl. 1763. Jan. S. 146 — welche Bechstein S$. 382 citirt, zu halten sey, vermag ich _ nicht zu entscheiden. In G. Brocchi’s herrlich ausgestatteter Conchiologia fossi- le supapennina con osservazioni geolochiche sugli apennini. Milano De 1814, 4 en 1814, mit welcher mich ebenfalls Hr. Bar. v. Moll zuerst bekannt machte, finde ich Seite XLIX nun folgende Stelle: De’ contorni della Favorita, fece U’Arduini unc scoperta che fu allora quasi unica. Trovo denti di coccodrillo disseminati in una terra saponacea, ri- piena, com’ egli dice, di frammenti di ossa e di alcune ossetti in- tieri appartenenti alle articolazioni delle dita di questo animale. Di cotesti denti ne ebbe di piccioli, di mezzani e di grandi, e in- sieme con essi alcuni pezzi di cranio (Giornale del Griselini Vol. ı. pag. 204). Prima dell’ Arduini erasi parlato € vero, di ossa fossili di coccodrillo, e come tali si spacciarono quelle di due scheletri scavati nei monti della Turingia, Tuno dei quali fu fıgu- rato da Link, e l’altro nel primo volume delle Miscellanee di Ber- lino, indi copiato da Scheuchzer, da Valentini, da Buttner; ma Cuvier ha deciso che essi spetano ad un lycertolone del genere monitor. Im Siebenten Jahrgange von Hrn. G.R.v. Leonhard’s Taschen- “ buch für die gesammte Mineralogie 1813 finde ich S. 67 folgende Stelle von Hrn. v. Schlotheim: ‚Wir haben keine hinreichende „Auskunft, ob die Kalkschichten bey Kannstadt, in welchen sich ein „ganzer Wald von versteinerten Rohrgewächsen und Palmen, und „Beste vonsehr grolsen Krokodillen finden, zur Juraformation, „und vielleicht zu ihren Steinkohlenlagern gehört.“ Hier sollen sich also Palmen, Rohrgewächse und Krokodile zu- sammen finden! Auch Hrn. Med.R. Kopps zu Hanau mir in der Handschrift gefälligst mitgetheilte Vorlesung gedenkt dieser bey Kannstadt gefun- denen Krokodilpetrefakte. Allein als ich im Jahr 1813 zu Kannstadt war, besuchte ich die- se geologisch merkwürdige Gegend, sah und hörte aber weder dort noch zu Stuttgardt etwas von versteinten Krokodilen, Auch | 45 Auch ist nach Hn. v. Matthison’s Versicherung weder Cu- vier noch Hrn. Leibmedikus Jäger, der dieUmgebungen von Kann- stadt von allen Seiten, und so viel möglich in allen Tiefen studirt hat, etwas davon bekannt, dafs daselbst fossile Reste von Kroko- dilen zu Tage gekommen wären. Eben so wenig wissen des Hrn. L.M. Jäger Bruder, Hr. Dr. Jäger, noch Pfarrer Memminger, dem wir die neueste treffliche Beschreibung von Kannstadt verdan- ken, etwas von solchen Krokodilen, ‚ er. Versteinter Gavial von Daiting. So viel von den mir bis jetzt bekannt gewordenen angebli- chen und wahren Beyspielen versteinter Krokodile, von denen ge- rade die allervorzüglichsten sich im dermaligen Königreiche Baiern fanden. Sollten durch gefällige Mittheilung von Lesern, welche sich für die Vollständigkeit solcher Anzeigen interessiren, mir noch meh- rere bekannt werden, so will ich nicht säumen sie in einem Nach- trage mit Dank bekannt zu machen. Ich komme nun zur Schilderung des gegenwärtigen Petrefacts. Tabula ı. (Figura ı. 2. und 3.). Die zwey Steinplatten, zwischen welchen dieses Petrefact ent- halten ist, wurden gebrochen, vor zwey Jahren, ıg12, zu Daiting, zwey kleine Stunden von Monheim, im sogenannten Meulnhard, in einer nur wenige Fuls tiefen, bereits wieder verschütteten Bohnerz- Grube. N Als ich im May des Jahres 1814 diese mit schönen Buchen bewachsene, sanft hügelige Gegend besuchte, fand ich an mehreren ' angeschürften Stellen rechts und links der Stelle, wo man dieses Petrefact gebrochen hatte, zwischen den auch hier, so wie zu Soh- len- 46 lenhofen fast ganz horizontal brechenden, meist sehr mürben Kalk- schieferplatten häufig Ammoniten von zweyerley Arten nebst Fisch- schuppen. Diese Kalkschieferlagen sind hier häufiger als zu Sohlen- hofen von einem fetten mit Bohnerz untermengten Thone durch- klüftet. ! Beyde Steinplatten bestehen aus einem gelbgrauen, schiefri- gen, mergelartigen, häufig mit ziegelrothem, weniger mit gelbem Ei- senoxyd geflecktem Kalksteinee Hin und wieder zeigen sich kleine Theilchen Quarz eingesprengt. Im ganzen ist dieser Kalkschiefer von einem gröberen Gefüge, ungleichartiger und blassererFarbe, als der gewöhnliche, bekannte, fünf Stunden von Daiting, zu Sohlenho- fen, brechende, falbe Kalkschiefer. Die Schichten desselben sind nicht nur von verschiedener Dicke, sondern auch von verschiedener Farbe und Härte. Die äulserste, wahrscheinlich zu Tag gelegene, schmutzigere Schichte der dickeren, oder der Hauptplatte, ist bey weitem die allerhärteste, auch an Farbe dunkelste. Nach innen, gegen das Knochen-Gerippe zu, sind die Schichten im Ganzen stu- fenweis weniger hart, ja mitunter ziemlich mürbe. Zunächst um das Gerippe, besonders an den Stellen, wo vieles weiche oder dickes Fleisch des Thieres sich befunden haben mufste, ist die Steinmasse, meistens zugleich gelblich weils und merklich weicher, nach Hrn. College Petzl’s Vermuthung durch Einwirkung der Phosphorsäure. Mitunter gerieth ich beym Meilseln auf Stellen, die sich dem Geruche als stinksteinartig verriethen. Einige, sogar auch durch die Knochen selbst fortlaufende, schwarzglänzende, haarfeine Adern setzen durch den Stein seiner ganzen Länge und Dicke nach. Diese fast wie mit einer durchsichtigen, krystallinischen Masse an- gefüllt aussehende Risse oder Spalten, verursachen jedoch keine Trennung an diesen Stellen. In concentrirter Schwefelsäure löste sich sowohl diese Stein- masse EEE SEAGIERENG EN € 47 masse als die versteinten Knochen bis auf die quarzartigen Theil- chen auf ?7). Unser hochverehrter College Gehlen verpflichtete mich durch folgende Note: „Die kleinen Stückchen von dem Skelet des versteinten Ga- „vials wurden mit sehr verdünnter reiner Salpetersäure übergossen. „Sie wurden davon unter sehr mälsigem Aufbrausen angegriffen, das „nur an einigen Punkten, wo Theilchen der umhüllenden Kalkmas- „se salsen, lebhafter war. Die Auflösung ging langsam vor sich, „und während derselben sonderten sich kleine leichte Flocken ab, „welche die Flüssigkeit trübten. Von einem gröfsern Stückchen fand sich am folgenden Morgen noch eine dünne Scheibe unaufge- „löst, und an dieser konnte man schon mit blofsem Auge, noch „mehr aber mit der Lupe, sehr schön ein ganz organisches Gewebe „wahrnehmen. Die Auflösung wurde klar abgegossen und in drey „Theile getheilt: „Der erste Antheil wurde mit ätzendem Ammonium versetzt, „das einen Niederschlag gab von dem äufsern Ansehen, wie er dem „phosphorsauren Kalk unter diesen Umständen eigen ist. Er wurde „ausgewaschen, hierauf mit verdünnter Essigsäure aufgelöst, (was ohne „alles Aufbrausen geschah,) und die Flüssigkeit nun wieder mit so „viel Ammonium versetzt, dafs die über dem entstandenen Nieder- „schlage befindliche Flüssigkeit noch sauer blieb. Der Niederschlag „setzte sich bald krystallinisch-pulverig zusammen, und nach dem „Auswaschen und Trocknen vor dem Löthrohr geprüft, schmolz er ; „un- 97) Daudebard de Ferussac Allgemeine Bemerkungen über die Versteine- zungen des Erdreichs sülser Gewässer im Bulletin de la soc, philomatique 1812, August, ausgezogen in Gilberts Annalen der Physik, Band ı5, 4.Stück 1813, fährt an, dafs man Knochen von Krokodilen in Gyps gefunden habe, 48 „unter Phosphorescenz mit grüner Flammenspitze zu einem glasigen „Hügelchen: ein Kennzeichen des sauren phosphorsauren Kalls, „Ein zweyter Anheil der Auflösung wurde nach Abstumpfung „der überschüssigen Säure mit essigsaurem Bley versetzt, das einen „weilsen Niederschlag bewirkte, der nach dem Auswaschen und Trock- „nen vor dem Löthrohr zu dem polyedrischen gelblichen Kügelchen „fols, wodurch sich das phosphorsaure Bley kenntlich macht. „Der dritte Antheil gab, nach Neutralisirung der vorstehenden „Säure, mit salpetersaurem Quecksilber ebenfalls einen Niederschlag, „der im Platinlöffelchen vor dem Löthrohr geglühet nach Verflüchti- „gung des Quecksilbers glasige Phosphorsäure gab, die sich bey fort- „währenden Blasen mit grünem Phosphorschein verflüchtigte. „Allen bisher angeführten Erscheinungen nach verhalten sich „also die Theile des Skelets wie ein durch langdauernden Einflufs der „Atmosphärilien calcinirter Knochen, wie. sie sich auch durch Farbe, „Dichtigkeit des Gefüges und einen Grad von Durchscheinenheit von „dem sie umhüllenden Kalkmergel auszeichnen. Auch ist noch nicht „jede Spur organischen Stoffs aus ihnen verschwunden, wie die bey der „Auflösung sich absondernden Flocken zu zeigen scheinen, die auf „dem Filter eine bräunliche Farbe annahmen,, aber bey der kleinen „Menge Materials, die überhaupt zu dieser Untersuchung verwendet „werden konnte, zu unbedeutend waren, um von dem Papier abge- „sondert und weiter untersucht werden zu können.“ Diese Platten brachen nicht nur, sondern spalteten sich auch so wunderbar glücklieh von einander, dals darüber nur wenig zu wünschen übrig bleibt. Die gröfsere und dickere Hauptplatte von fast 3 Fuls Länge und ein Fufs und drey Zoll Breite nämlich, enthält nicht nur das ziemlich vollständige Gerippe von der Spitze der Kiefer an, bis TE nn 49 bis zur Spitze des Schwanzes, sondern selbst den aus seinem Ge- ‚lenke losgerissenen, und sogar über einen Schuh weit vom Rumpfe weggeschobenen rechten Hinterfuls (Fig. 2.). Die kleinere und dünnere Platte dagegen enthält aufser eini- gen Trümmern des Schädels, und einigen Spitzen der Zähne nur die Bruchstücke von vieren derLendenwirbel, von den zwey Becken- wirbeln und einem Schwanzwirbel (Fig. 1. zwischen 50 und 60). Rings um dieses Gerippc zeigen sich auf beyden Platten Spu- ren von äulserst platten Ammonshörnern, Fig. 6, auch auf der klei- nen Platte in der Gegend des Bauches ein Fischschwänzchen °®), Fig. 7, aulserdem die Spur eines Vermiculiten, eines Insektes, und hin und wieder ein glattes, halbdurchsichtiges, wie ein getrocknetes Leimtröpfehen aussehendes Fisch-Schüppchen. Die Knochen selbst unterscheiden sich von dem Gefüge des sie als sogenannte matrix umschlielsenden Steines, aufser den ihnen eigenthümlichen Gestalten durch ihre dunklere, gelb-bräunliche oder ‚bräunlich graue Umber-Farbe, durch ihre Glätte, ihre Dichtigkeit, ihre besondere Härte und Festigkeit. Am merklichsten unterschei- det sich dieses feinere Korn eines Knochens, von dem erdigen, san- dig rauhen, ungleichartigern Korne des Steines auf seiner mattglän- 'zenden Bruchfläche. Von völlig gleicher Beschaffenheit sind die Schilder (*) und Schuppen. Fig. 3. Die 98) Etwa von Russel’s scomber kurrah wodagehuah, Tab. 39, oder Balistes som- drum yellakah, Tab, 23, oder silurus cirris laevis, Tab, ı1.? Description of two hundred Fishes collected on the Coast of Coromandel, London 1809. fol. 7 50 Die Kalkmasse zunächst sowohl um mehrere der gröfsern Schilder, als um die letzten Wirbelbeine des Schwanzes war car- moisinroth tingirt. Etwas bräunlicher, fast durchsichtig und glänzend zeigen sich die Zähne. Benetzt man die Stellen, wo Knochen liegen, so unterschei- det sich die Knochen-Substanz noch merklicher von der Steinmasse, durch ihre alsdann dunkelbräunlich gelb werdende Farbe von der lichter bleibenden Steinmasse. Sämmtliche Knochen, sowohl des Gerippes als der Schilder und Schuppen, scheinen (aufser den Zähnen) durchaus von gleicher, oder ein und derselben Beschaffenheit, weder elfenbeinartig elastisch, noch calcinirt bröcklich, sondern wirklich chemisch verändert, oder wahrhaft versteint, daher weniger wasserlechzend und brüchig als andere fossile Knochen, z.B. die Knochen von Muggendorf. Hin und wieder entdeckt man auch wohl in ihren Zellchen kleine, glän- zende, weilse, fast durchsichtige Kalkkrystallen. Und gerade so ist auch das äufsere Ansehen der Knochen des Ornithocephalus beschaffen. Vielleicht dafs die veränderte, dunklere Farbe der Knochen mit von den Eisentheilchen der Steinmasse herrührt. Die Wegschaffung dieser Kalkkruste, womit der gröfste Theil des Gerippes, theils nur übertüncht, theils fest eingemauert war, erforderte viele Vorsicht, Behutsamkeit und Geduld. Ich bediente mich dazu verschiedener Meilsel, Grabstichel, Schabeisen und Messer. $. 28. Zu Be een WERL ZEN j A mag: Verhältnisse der Haupttheile des Gerippes unter einander. Die Länge des ganzen Gerippes, von dem vordersten Ran- de der Kiefer, bis zur äulsersten Spitze des Schwanzes beträgt, zwey Fuls eilf Zoll sieben Linien oder 427 Linien Pariser Maalses, würde also auf dem etwas kürzeren Steine keinen Platz haben, wenn nicht der Rückgrath gekrümmt, und die fünfzehn letzten Wir- belbeine des Schwanzes in einem Häufchen beysammen lägen. Die Länge des Kopfes von der Schnauzenspitze bis zum Kiefergelenlke (lm), (das über das Kiefergelenk hinterwärts vorragen- de Stück des Unterkiefers (mn) nicht mitgerechnet) beträgt, sechs Zoll vier Linien; verhält sich also zur Länge des ganzen Körpers, wie 76 zu 427, das ist, der Kopf hat zwischen einem Fünftel und Sechstel von der Länge des Körpers. — Mein kleiner Gavial im Weingeiste ist ı Fuls 9 Zoll (oder 252 Linien) lang. Sein Kopf (Fig. 4 und 5) 4 Zoll 2 Linien (oder 50 Linien); folglich hat der Kopf ungefähr wie beym fossilen gegen ein Fünftel von der Länge des ganzen Körpers; wahrscheinlich würde er das Ver- hältnifs des fossilen haben, wenn er mit zunehmendem Alter die Grölse des fossilen erreicht hätte. Im Skelete des Crocodilus lucius von 3 Fuls 23 Zoll, hat der Schä- del 55 Zoll; folglich ein Siebentel der ganzen Länge. Die Länge des Schwanzes ist ein Fufs fünf Zoll zehn Linien; folglich hat er nur eine Linie weniger als die Hälfte der Länge des ganzen Körpers beträgt. Das nämliche Verhältnils findet bey meinem frischen kleinen Gavial Statt. Die Länge des ganzen _ Körpers ist ı Fuls 9 Zoll (oder 252 Linien), die Hälfte davon 126 Linien, die Länge seines Schwanzes ist ıo Zoll $ Linien; folglich ist der Schwanz auch nur um zwey Linien länger, als die ' Hälfte der Länge des ganzen Körpers beträgt. 2 In 52 In dem 3 Fufs 3 Zoll langen Skelet des Crocodilus lucius ist der Schwanz um 27 Zoll kürzer als die Hälfte der ganzen Länge. Hrn. Cuvier *) zufolge soll der Schwanz der Krokodile um ein Siebentel länger als der übrige Körper seyn. Allein ich ver- muthe, dafs hier ein Druckfehler obwalte, und dafs man statt ein Siebentel (un septieme) ein Siebenzehntel (un dix septieme) setzen müsse. An Perrault’s jungem Krokodil von 3 Fuls 93 Zoll war der Schwanz so lang als der übrige Körper. Nach Hn, Daudin ?) ist die Länge des ganzen Körpers eines jungen Gavials im Pariser Museum 2 Fufls 4 Zoll 6 Lin., die Länge des Schwanzes ı Fuls 2 Zell, auch bey seinem Caiman aus Surinam und Crocodilus lati- rostris hat der Schwanz die halbe Länge des Körpers. An dem Gavial, den Hr. Bechstein °) besitzt, ist der Schwanz beträchtlich länger als die Hälfte der Länge des ganzen Körpers. Abbildungen ganzer Gerippe von frischen Krokodilen, wel- che ich mit meinem fossilen Gerippe aulser den beyden Froriep- schen von Crocodilus vulgaris, Crocodilus acutus und dem dritten von Crocodilus lucius in der Natur verglich, lieferten: Grew *) eine etwas rohe, welche Shaw °) schr verkleinert, aber sauber co- Pirte; ı) Annales du Museum, Tome douzieme, p. 173. 2) Histoire naturelle des Reptiles etc, Tome second, Paris an X, (1802) 8. p. 390. 3) Uebersetzung von de la Cepede’s Naturgeschichte der Amphibien, Weim, 1800. S, 432. 4) Museum Societatis Regiae, or a Catalogue and Description of the natural and artificial Rarities belonging to the R, S. London ı68ı, in fol. Tab. 4. 5) General Zoology by G. Shaw, Vol, III, amphibia, London ı802. gr. 4, Tab. 56. 53 pirte; Meyer 6), eine doch zu kleine; Faujas-Saint-Fond 7), die grölste und beste, auf einem Blatte in queer Folio. Die Abbildungen einzelner, frischer Krokodil-Knochen wer- den bey Gelegenheit der fossilen angeführt. 6700: R +0, Pr fh Der Kopf ist von den Halswirbeln nicht nur seitwärts abge- schoben, sondern auch in vier Bruchstücke zerschellt. Das erste Bruchstück des Kopfes oder (Fig.I. a.b.c.) Schä- dels besteht aus der Hirnschaale, die vom Oberkiefer in der Gegend der Nasenwurzel und des linken Augenhöhlrandes abbrach, und umgekehrt in schräger Richtung, mitten unter den Unterkiefer ge- rieth, so dafs man die meist zerbröckelte Grundfläche desselben nur undeutlich wahrnimmt. Desto deutlicher sieht man dafür sowohl den Gelenkknopf (c.) zur Verbindung mit dem Atlas, als die con- vexe Gelenkfläche zur Verbindung mit dem Unterkiefer (b. d.), vor- züglich auf der rechten Seite (b.) und den zwischen den Augen- höhlen befindlichen Theil der Stirne (e.e.). Das zweyte kleinste Bruchstück, einen Theil der Gaumen- knochen und den Jochbogen ausmachend, befindet sich nicht auf der grolsen Hauptplatte, sondern auf der kleineren, ist folglich auf der Abbildung nicht sichtbar. Das dritte Bruchstück des Kopfs (f.g.g.h.i.k.), der beyna- he ganze Oberkiefer, liegt nicht wie die Hirnschaale, von der er los- 6) Angenehmer Zeitvertreib mit Betrachtung allerhand Thiere, Nürnberg 1748, fol, Tab. LVII. 7) Hist. nat. de la Montagne de St, Pierre. Paris 1779, Tab, XLIV, 54 losbrach, umgekehrt, sondern nur mit seiner linken Seite (f.h.h.) etwas schräg in der Steinplatte. Daher zeigen sich nur die Zähne der rechten (f.s.t.i.), nicht der linken (f.h.g.) Seite desselben, Ueber- haupt ist er zwar hin und wieder gesprungen, doch dadurch nicht merklich verunstaltet. Unvergleichlich zeigt sich seine platt rundliche Beschaffenheit und das vordere kolbige oder spatelförmige einen Gavial charakterisirende Ende (f.h.i.) und die Nasenhöhlmün- dung des Oberkiefers (k.). Auch sein sanft regelmäfsig wellenförmi- ger Zähnerand (f.i.g.) ist sehr deutlich, Seine Breite beträgt 5 Linien oder ein und eine halbe Linie mehr, als die Breite des Unterkiefers in derselben Gegend. Das vierte Bruchstück des Kopfes (l.m.n.o.p.) ist’der sammt seinen meisten Zähnentrefflich erhaltene Unterkiefer. Er zeigt sehr deutlich seine ganze innere oder der Rachenhöhle zugewendet gewe- sene Fläche, so wie die rechte und linke vertiefte Gelenkfläche (m. m.) zur Verbindung mit dem Oberkiefer. Diese Gelenkfläche liegt, wie beym Gavial ®), höher als der Zahnfächerrand. Seine ganze Län- ge beträgt 6 Zoll 10 Linien. Das vereinigte Stück (I. p.) hält davon 3 Zoll 8% Linie, jeder Ast (p.m.) 3 Zoll 13 Linie, ganz dem Gaviale ähnlich ?). Seine Breite in der Gegend zwischen dem sechsten und achten Zahne beträgt 33 Linie. Von den sechs Stücken, aus wel- chen der Unterkiefer der Krokodile zusammengefügt ist, zeigen sich hin und wieder deutliche Spuren: besonders von dem sogenannten operculaire, und dem coronoidien Stücke (m.o.), am deutlichsten an dem über die Gelenkfläche hinterwärts vorspringendem Fortsatze (m.n.). Die Bogenform seiner beyden Aeste ist, gerade so wie bey meinem Gavial im Weingeiste (Fig. 5.), bey weitem nicht so auffallend als bey dem grolsen Gaviale *°). Auch der Winkel (p.), unter welchem diese Aeste 8) Annales du Museum, Tome XII, S. ı53. 9) Annal. d, M. XII. S. gı, ı0) Ann, d, M, XII, Planche I, fig, 7. S. 92, ‚ WTTENLTELERETTTTTTETTEET - Y Per Re 55 Aeste (m.p.) sich vereinigen, ist, gerade wie bey meinem kleinen Ga- vialim Weingeiste (Fig. 5.), nicht wie beym grolsen Gavial, 60 Grad '*), sondern höchstens einige 30 Grad, folglich fast um die Hälfte kleiner. ° Zum Beweise dieser beyden letzten wichtigen Umstände versinnliche ich solche in einer, nach meinem Gayiale im Weingeist genommenen, äufserst genauen Abbildung, von Hn. Oppelin der fünften Figur. $. 30. ZWEITEN e} Auf beyden Seiten des Unterkiefers, besonders seiner linken Seite (l.q.m.), zähle ich deutlich 25 bis 26 Zähne "*). In meinem kleinen Gaviale im Weingeiste (Fig.4.) hat der Oberkiefer auf jeder Seite 29, der Unterkiefer 26 Zähne. Merck *?) zählte bey seinem frischen Gavial oben 30, unten 29 Zähne auf jeder Seite, Hn.v.Schrei- bers gefälligen Mittheilung zufolge, hat der Gavial in der k.k. Natu- raliensammlung zu Wien, oben 28, unten 25 Zähne. Die Zahl der Zähne des Oberkiefers meines fossilen Gavials kann ich nicht angeben, _ theils weil der Oberkiefer nicht vollständig ist, theils weil sechs dem Oberkiefer zugehört habende Zähne ausgebrochen zwischen den Kie- fern sich befinden (r.). Ueberhaupt sind aufser den Vorderzähnen die oberen Zähne fast durchaus merklich stärker als die unteren. Der Oberkiefer hat vier Vorderzähne (s.), zwey auf jeder Seite, deren vor- derster der kleinste ist. Der Eckzahn (t.) des Oberkiefers ist der aller- stärkste und längste, über fünf Linien lang, und hat dicht hinter sich einen kleineren sitzen, gerade wie bey dem Gaviale im Weingeiste "*). ‚Nur die Vorderzähne des Unterkiefers scheinen weit gröfser, länger und 23) Annales du Museum XII, S. gr. 32) Wie Cuvier im Gavial $, ga. 33) Hessische Beyträge, 14) Siche Fig, 4, 56 und dicker, als die des Oberliefers; der Eckzahn nebst seinen Neben- zähnchen dagegen kleiner. Die folgenden Zähne sieht man in beyden Kiefern ganz deutlich, vorzüglich die achtzehn auf der linken Seite des Unterkiefers, an Grölse regelmäflsig alterniren, so dafs durchaus auf einen grölsern ein weit kleinerer, auf diesen wieder ein grölserer u.s. f.folgt. Die drey letzten wieder merklich kleinern Zähne scheinen gerader, kürzer und weniger spitz, als alle übrigen. In dem vereinten Stücke des Unterkiefers be- finden sich also aufjeder Seite 22 Zähne, in jedem Aste nur 3 oder 4, gera- de wie bey dem kleinen Gavial im VVeingeiste, und dem grolsen Gavial ‚bey Cuvier "°). Durch das regelmäfsige, ganz deutliche Alterniren grölserer Zähne mit kleinern Zähnen, unterscheidet sich also unser fossiler Ga- vial sehr. merklich von den Gavialen, von welchen Cuvier '°), wie auch mein Individuum im Weingeist und Fig. 4 und 5 der beylie- genden Zeichnung bestättigt, richtig bemerkte, dafs ihre Zähne nach dem vierten Zahne sich fast gleich blieben. Alle diese Zähne haften in den ihnen eigenen Fächern der Kiefer, gerade wie bey allen Krokodilen; auch sind sie auf gleiche Art hohl. Bis auf die drey hintersten Paare sind alle übrigen Zähne gekrümmt, die längern eine Strecke lang fast cylindrisch, auch sammt und sonders conisch oder pfriemartig zugespitzt. _Näher durchs Vergröfserungsglas betrachtet, erscheinen sie derLänge nach gestreift. Uebri- 15) Annales du Museum Tome XII Planche I. fig. 7: 16) Annales d. Museum XU. S. ı4. „Apres la quatriöme (dent), elles sont toutes presque egales dans les gavials, 87 Uebrigens scheinen mir ihre gewaltige Herausragungen anzu- zeigen, dafs sie völlig ausgebildet und das Thier somit erwachsen gewesen. ; (29T. Wirbelbeine im Allgemeinen. Von Wirbelbeinen sind, bis auf das Erste Halswirbelbein, ganz unverkennbar neun und siebenzig vorhanden, (1. 10. 20. 30. 40. 50. 60. 70.) Im Allgemeinen zeigen sie sich mit ihrer linken Seitenhälfte, bis auf die ı5 letzten losgerissenen, in natürlicher An- reihung und kaum bedeutend verrückter Lage. Von diesen 79 gehören, nach allen Kennzeichen, dem Schwan- ze allein, entschieden wenigstens 52. Vertheilen wir nun nach der Analogie bekannter Krokodil- Gerippe die 27 übrigen zu 7 für den Hals, ı2 für den Rücken, 5 für die Lenden, 2 fürs Becken, so bliebe gerade noch ein Wirbelbein übrig. Vielleicht hatte die- ser fossile Gavial 6 Lendenwirbel, oder welches mir wahrscheinlich dünkt, 13 Rippenwirbel, da sich an dem von mir skeletirten Croco- dilus lucius, so wie an Hrn. v. Frorieps Gerippe von Crocodilus _ vulgaris, links, wirklich 13 Rippen, freylich dafür aber auch nur 4 Lendenwirbel befinden. Die vordere Fläche des Körpers dieser Wirbelbeine ist con- _ cay, die hintere Fläche, wenn nicht convex, so doch weniger concar. 8 $.. 32. 58 $. 32. Halswirbel. Zu dem, aus sechs Stücken bey Krokodilen bestehenden, ersten Halswirbel (Atlas) gehörten, vermuthlich die zwischen dem Unterkiefer befindlichen Stücke (u.u.u.). Die übrigen sechs Halswirbel zeigen sich sehr schön in ihrer ganz natürlichen Gelenkfügung gegen einander. Sie bilden zu- sammen im Ganzen einen nach vorn oder unten gewölbten, nach hinten oder oben zu ausgehölten Bogen; letzterer Bogen dient zur Aufnahme der starken Nackenmuskeln. Der Körper jedes einzelnen Halswirbelbeines, so wie sein oberer Dornfortsatz und linker schräger Fortsatz sind voll- kommen gut erhalten. Der Querfortsatz dagegen, welcher mit einer Wurzel vom Körper, mit der andern vom Bogen entspringt und mit einem eigenen spornartigen Ansatze '7) einen kurzen Kanal bildet, ist an den meisten dieser Halswirbel zerbrochen. Einige dieser spornförmi- gen Ansätze (v.v.v.v.) liegen zwischen den Armen des Unterkiefers und längst dem Halse hin zerstreut, Von den unteren Dornfortsätzen bemerke ich nur an dem zweyten und dritten Halswirbel etwas analoges. An einem und andern Halswirbel erkennt man die Spur der feinen Naht zwischen dem Bogenstücke und dem Körper. Alles dieses harmonirt aufs beste mit Hrn. Guvier’s Schil- derungen der Halswirbel von Krokodilen *?). $. 33. 17) „Complemens d’apophyses transverses‘* Bey Cuvier Ann. duMus. Tome XII, S. 17. ı8) Ebend, S, ı5 und ı6. Planche 2. fig. a und 3, | 59 $. 33. Rippenwirbel oder Rückenwirbel. Die zwölf oder dreyzehn Rippenwirbel befinden sich rücksichtlich ihrer Körper ebenfalls so wie die Halswirbel in ganz na- türlicher Lage und gehöriger Gelenkfügung gegen einander. Sie bilden zusammen einen im Ganzen nach aufsen oder oben gewölbten, nach innen oder unten gegen die Brust- oder Bauchhöhle concaven Bogen. Ihre Körper nehmen, vom ersten bis zum zwölften, stuffen- weis an Länge ein wenig zu, so dals der Körper des letzten Rippen- wirbels um ı* Linie länger als der Körper des ersten erscheint. Sie sind, wie bey den meisten vierfülsigen Thieren, weniger rund als die Körper der Lendenwirbel, gleichsam von den Seiten zusammengedrückt. Ein unterer Fortsatz läfst sich an ihnen nicht deutlich er- kennen. Dieoberen (äufseren oderhinteren)Dornfortsätze sindam sten, zten, ztenund 4ten, so wie auch an den beyden letzten Wirbeln ziem- lich unversehrt. An dem folgenden sten, 6ten bis ı2ten sind sie, nebst den Querfortsätzen, welche gerade wie bey Krokodilen biszum gter immer breiter, länger und dicker, und dann gegen die Lenden hin wieder allmählig schmäler werden, abgebrochen, und theils aufwärts (w.w.w.) vom ten, zten, 6ten, 7ten, gten, gten theils unterwärts (vom ırten und ı2ten) verschoben, ja wohl gar merklich entfernt (vom roten) (2.). Dieschrägen Fortsätze (y.y.y.)(Processus obliqui), durch welche sich hier die Dornfortsätze dachpfannenartig verbinden, schei- nen absolut kleiner, als selbst in dem weit kleinern Skelete des Cro- crodilus vulgaris. ee Das 60 Das Bruchstück eines Bogens liegt so, dafs der halbe Kanal für’s Rückenmark offen wie eine Rinne erscheint (z). Uebrigens ist die auffallende Aehnlichkeit der Gestalt des Bo- genstückes der Rippenwirbel mit denen, welche die Krokodile haben, nicht zu verkennen, wir mögen nun diese fossilen Ueberbleibsel dersel- - ben, sowohl mit den drey frischen Krokodil-Gerippen in der Natur, als mit den trefflichen Abbildungen Curier’s '?) vergleichen. $. 34 Lendenwirbel. Von den vier oder fünf ?°) Lendenwirbeln haften nur ein und ein halber Wirbel auf der gröfseren oder der Haupt- platte des Steines; die übrigen drey und ein halber befinden sich auf der kleineren Platte, und sind daher in der Abbildung blos li- nearisch zwischen 50 und 60 angedeutet. Ihre Lage und Aneinanderreihung oder Gelenkfügung blieb die natürliche. An ihren Körpern läfst sich die Länge, Breite und Dicke, so wie die ihnen eigene Gestalt, ganz gut noch erkennen. Allein von ihren Bogen ist, aufser dem Dornfortsatze des ersten, auf der kleinen Platte, wegen der argen Zertrümmerung, weiter nicht viel erkennbar geblieben. Amiletzten oder hintersten Lendenwirbel ist der rechte Quer- fortsatz ganz deutlich und unverkennbar als letzter charakterisirt. $. 35. 19) Annales d. M, XII, Pl, 2, fig. 4. 20) Im Skelete des Crocodilus lucius sind nur vier Lendenwirbel vorhanden, g zu. Beckenwirbel oder Kreuzwirbel. Die Beckengegend hat leider so grofse Gewalt erlitten, dafs die beyden Beckenwirbel, zwar nur in ihren Trümmern, aber doch immer noch kenntlich genug auf der kleinern Platte erschei- nen, um mit völliger. Gewifsheit über ihre Lage und Gröfse wenig- stens urtheilen zu können. Zu ne ee ee See Auf der Hauptplatte befindet sich nur ein Stück eines Becken- wirbels, vermuthlich der Querfortsatz des vorderen derselben (A). $. 36. Schwanzwirbel. Von den zwey und fünfzig Schwanzwirbelbeinen (ıo. 15. 20. 30. 40. 50.) behielten 37 ihre natürliche Lage und Gelenkfü- gung. Nur die fünfzehn letzten derselben liegen zu dreyen, zu zweyen und vereinzelt unfern von einander. Hr. Cuvier setzt die Zahl der Schwanzwirbel der Krokodi- _ le an einer Stelle auf 34 *") an einer andern auf 35 ??). Allein nicht zu gedenken, dafs Faujas-Saint-Fond’s *°) Crocodile du Nil. Planche XLII . 1 48 Crocodile du Gange ou Gavial Pl. XLVI 39 . Petit Gavial Pl. XLYIII E . . 46 Abtheilungen, folglich so viele Wirbel desSchwanzes, sein Squelette du Crocodile d’Afrique Pl. XLIV 37 ganz deutliche Wirbelbeine des Schwanzes, Geof- 21) Annales du Museum Tome XI, Seite 15 „‚trente quatre caudales.‘* 22) Ebendaselbst Seite 170, „‚trente eing.“* 23) Histoire nat, de la Montagne St. Pierre. de 62 el ebene Geoffroy’s Saint Hilaire's Crocodile de St. Domingue **) . - 38 Crocodilus vulgaris ”°) . - e > 42 Seba’s Crocodilus Ceilanicus *°) . } 42 ganz deutliche Abtheilungen zeigt, so sehen wir hier in der Natur selbst sowohl an meinem Ga- vial im Weingeiste, . R 2 : N s 38 Abtheilungen als an Hn. Froriep’s Skelet von Crocodilus acutus 38 Ja! an dem von mir selbst skeletirten Crocodilus Tucius offenbar . . : : > - 42 Wirbel. In Hrn Oppel’s unvergleichlichen Abbildungen der im Pa- riser Museum befindlichen Krokodile, auf deren Richtigkeit und Ge- nauigkeit man sich vollkommen verlassen kann, hat Crocodilus trigonatus und Cr. palpebrosus 28 Croc. rhombifer, Cr. lucius und Cr. biscutatus 32 Croc. sclerops und Cr. acutus s a 34 j Der grolse, so wie der kleine Gavial *”) oder Croc. gangeticus und Cr. tenuirostris 38 Croc. vulgaris oder suchos hs A N 40 Eroc. biporcatus F . - . - 42 eine gleiche Anzahl Schwanzwirbelbeine anzeigende Abtheilungen. Folglich dürfen auch 10 Schwanzwirbel mehr, als z.B. sich an meinem Crocodilus lueius und bey Crocodilus biporcatus zeigen, unser fossi- les Gerippe aus der Familie der Gaviale um so weniger verbannen, als wir 24) Annales du Museum, Tome second, ı803, Pl. XXXVIIL Fig. ı. 25) Annales du Museum. Tome X. Planche 4. fig. ı und in dem gröfsten aller französischen‘ Werke: Descriptiom de l’Egypte. Paris ı814. Livraison ade A’bistoire naturelle, Reptiles, Pl, 2. 36) Locupl. rer. nat. Thesauri acc. descriptio, Amst. 1734, Tom. ı. Tab. CV. fig. 4, 27) Daudin schreibt von eben diesem petit Gavial: „‚la queue, qui elle seule est aufsi longue que tout le reste de l’animal, a soiwante et une rang&es de plaques‘ u, s. f£ Hist. nat. des Reptiles Tome 2, S. 390. Also hätte der Schwanz 6ı Wirbelbeine? Ich vermuthe daher hier einen Schreibfehler. 63 wir schon oben $. 28 sahen, dafs die verhältnifsmäfsige Länge des Schwanzes im Ganzen, zur übrigen Länge desKörpers, ungeachtet der tehrzahl der einzelnen Wirbel, bis auf eine Linie Unterschied mit der meines frischen Gavial’s zutriflt. Diese sämmtlichen 52 Schwanzwirbelbeine unseres fossilen Ga- vials sind durchaus bis auf ihre Querfortsätze und unteren Dornfort- sätze vorzüglich gut erhalten. An jedem einzelnen Wirbel erkennt man ganz deutlich und nett, die ganze linke Seite seines Körpers und seines oberen Dornfortsatzes. Sein linker Querfortsatz hingegen ist, aufser an einen ein- _ zigen dem 35sten, vom letzten an gezählt, an allen übrigen, fast bis zur Unkenntlichkeit der Stelle, wo er gesessen haben muls, wegge- brochen. Der untere bewegliche, gabelförmige Dornfortsatz ist nur am vierten Schwanzwirbel ganz deutlich vorhanden, und einem Y gleichend. An den übrigen Schwanzwirbeln ist dieser untere Dorn- fortsatz entweder verschoben, oder einfach und schr fein, oder gar fehlend. Diese Schwanzwirbel unseres fossilen Gavials gleichen übri- gens sowohl durch ihren platten, von den Seiten zusammengedrück- ten und tief eingefurchten Körper, als durch ihren (rücksichtlich des _ oberen mehr breiten als hohen Dornfortsatzes) nur kleinen unteren Dornfortsatz auffallend mehr dem Crocodilus aceutus, als dem Croco- dilus vulgaris. Beym Crocodilus vulgaris nämlich sind die Körper der Schwanzwirbelbeine nicht nur weniger platt, sondern auch der obere Dornfortsatz selbst ist durchaus mehr rundlich als platt, und mehr hoch als breit; und der untere Dornfortsatz nicht so auffallend in der Gestalt von dem oberen als bey Crocodilus acutus verschieden. 2 Man 64 Man kann daher mit Recht behaupten, so wie sich der Croco- dilus acutus im Kopfe dem Gavial nähert (und wahrscheinlich auch deshalb in Cuvier’s herrlicher Reihe von Krokodil-Schädeln ihm zunächst steht ?°), so nähert er sich ihm auch im ‚Knochenbaue des Schwanzes. Durch die Schwanzwirbel unterscheidet sich daher der Gavial von dem gemeinen Krokodile; daher es mit billiger Einschränkung verstanden werden mufs, wenn Cuvier behauptet: Selbst der Gavial habe die nämlichen Gestalten in seinen Gliedmafsenbeinen, so dafs man sie vom Gerippe gelöst, fast unmöglich von den ihnen analogen anderer Krokodile würde unterscheiden können: Le gavial lui-meme, et c’est une circonstance essentielle a remarquer pour nos recherches ulterieures, a les memes formes de vertebres et d’os des membres; il seroit ü-peu-pres impossible de distinguer ces pieces, une fois qu’elles seroient detachees du squelette, de leur analogues dans les autres ero- codiles ??). Endlich beweist die ganze Einrichtung des Knochenbaues im Schwanze, besonders die sehr ansehnliche Breite der oberen Dornfort- sätze*(30. 40. 50,), dals unser fossiler Gayial noch weit weniger als der Crocodilus vulgaris und acutus seinen Schwanz anders als seit- wärts, wie ein Steuerruder zu bewegen vermochte. $. 37- 109 Spnwe, It. Von den Rippen sind drey und zwanzig, verhältnifsmäfsig starke, deutlich vorhanden. Vielleicht dafs noch ein und andere Rippe in 28) Annales du Museum, Tome X, Planche I, N,5, Ein höchst lehrreiches, schö- nes Blatt, 29) Annales du Museum, Tome XII. Seite 24. Eee ET Ba en Ser 65 in der Steinmasse verborgen liegt. Die Sehne des Bogens der läng- sten ist beynahe einen und einen halben Zoll lang. Sie sind von verschiedener Länge, Breite, Dicke, Krümmung, sonstiger Gestalt, und liegen nach allen Richtungen zerstreut unter, über, auf und ne- ben einander. Im ganzen haben sie sich bis auf einige Ausbröcke- lungen gut erhalten. Nach Cuvier °°) haben die Krokodile siebenzehn Paare Rippen, wenn man die fünf kleineren falschen, dazu rechnet, Am Froriepschen Gerippe von Crocodilus vulgaris und an meinem von Cr. lucius zähle ich dreyzehn Paare an die Rücken- wirbel befestigter Rippen. Das von Faujas-Saint-Fond abgebildete Gerippe hat zwölf Paare. = a % 38 Brustbeine Von den Brustbeinen scheint nur ein kleines Bruchstück bey {B) sich zu befinden. $. 39. Hüft- oder Becken- Beine. Von den Beckenbeinen zeigen sich das linke os ilei (C) und linke os ischium (D) mit ihrer äufseren Fläche. Die auffallen- de Gleichheit mit Cuvier’s °*) Abbildungen der nämlichen Beine aus 30) Ann. d. M, XII. 9. 169. 31) Annal. d. M. XII. Planche 2. fig, ı5, 66 aus Krokodilen läfst sich um so weniger verkennen, als diese Ab- bildungen kaum ein Drittel grölser als unsere fossilen Originale seya dürften. $. 40. Vordere Gliedmafsen-Beine. Von den vorderen Gliedmalsen finde ich aufser dem gut erhaltenen rechten Schlüsselbeine (E), welches uns seine innere Flüche zuwendet, und dem vermuthlichen rechten Schul- terblatte auf der Kehrseite der Platte, und vielleieht dem Ellen- bogen (F) nur noch die Trümmer von drey Gliedern der Ze- hen (G) einer Vorderpfote. Ne Hintere Gliedma/fsen-Beine. Wunderbar vollständig sind die Knochen der ganzen, rech- ten hinteren Gliedmasse Fig.2 beysammen geblieben, ungeach- tet sie vom Rumpfe losgerissen, über dreyzehn Zolle weit von ihrer Pfanne, sogar auf die entgegengesetzte linke Seite geschoben, auch ein wenig verwendet und verrenkt wurden. Eine Vermuthung zur Erklärung dieses Umstandes wage ich unten im agsten , Wegen der so: auffallend guten Erhaltung, dieser so weit weg vom Rumpfe gerathenen rechten hinteren Gliedmafsenbeine könnte man sogar in Zweifel gerathen, ob sie denn auch wirklich zu diesem Gerippe gehörten, wenn nicht die ihr symmetrisch vollkommen gleichen Beine der linken hinteren Gliedmafse glücklicherweise sich noch an ihrer gehörigen Stelle in natürlicher Lage befänden, und dadurch jeden Zweifel entfernten. Nicht _ 67 / Nicht nur das Schenkelbein Fig. 2. (a), das Schien- bein (b), und Wadenbein (c), sondern selbst die fünf Fufs- wurzelknochen, (nämlich Cuvier’s calcaneus (d), astragale (e), cuboide (f), cuneiforme (g), und surnumeraire (h) °*), so wie die Mittelfulsknochen (i.k.l.m.) sind denen von Hrn. Guvier trefl- lichst abgebildeten, analogen, an Lage, Zusammenfügung und Ge- stalt durchaus höchst ähnlieh. . Von den vier Zehen hat die erste grolse Zehe (i) zwey Glieder, die zweyte (n) drey Glieder. Von der dritten (l) und vierten (m) Zehe sind die drey vorderen Glieder (n.o.p. q.r.s.) getrennt und entfernt. Welche von diesen sechs umherlie- genden Gliedern der vorletzten, und welche der letzten oder kleinsten Zehe zugehörten, wage ich nicht mit Gewifsheit zu be- stimmen, gehörten etwa die drey nächsten (n.op,) der vorletzten, und die drey entfernteren (q.r.s.) der letzten Zehe? so würde die letzte Zehe die längste seyn. Die erste oder stärkste Zehe (i) °??) hat mit ihrem Mit- telfufsknochen zusammengenommen, genau die Länge des Schienbei- nes, gerade wie in Cuvier’s Abbildung (fig. 16.) und am Gerippe des Crocodilus acutus. Allein bey Crocodilus vulgaris scheint die erste Zehe, auf gleiche Art gemessen, länger als das ‚Schienbein. Beym Crocodilus lucius ist umgekehrt das Schienbein länger als die erste Zehe. Noch finde ich an Hrn. v. Froriep’s Crocodilus vulgaris und an meinem Crocodilus lucius ganz deutlich, an beyden Hinter- Hr fülsen 33) Ann. d, M, XII Pl. 2, fig, 16, 33) Die Zehen der Hinterpfote meines kleinen Gavials in Weingeist gleichen der Fig. 30 bey Cuyier mehr als der ıg,.‘ Nur ist die grofse Zehe etwas länger, 68 fülsen, die kleinste Zehe aus vier Gliedern (vier Knochen), nicht blos aus drey, wie in Hrn. Cuvier’s (Fig. 16.) bestehen, Da nun beyde hintere Gliedmafsen unseres Gerippes oflenbar nicht mehr als vier Zehen hatten, so mufs man auch das Thier, dem es angehörte, Cuvier’s Bestimmung zufolge, den Krokodilen beygesellen. Denn überhaupt bestätigt auch unser fossiles Specimen, die Wahrheit seiner Bemerkung °*), dafs nämlich die Zehen der Krokodile weit weniger auffallend von einander verschieden seyen als bey den Monitors. Indessen weicht diese hintere Gliedmasse unseres fossilen Gavial’s von der von Guvier Fig. 12. 16 und 17 abgebildeten hin- teren Gliedmasse seines Krokodils darin merklich ab: ı) Dafs das Oberschenkelbein weit mehr als noch einmal so lang ist als der Unterschenkel (das Schienbein und das Wadenbein), da bey Cuvier das Schenkelbein um kein Drittel länger ist als das Schienbein. Auch an meinem kleinen Gavial in Weingeist, so: wie an den beyden Froriepschen Skeleten von Crocodilus vulga- ris und acutus, und an meinem von Cr. lucius ist der Unterschied der Länge zwischen dem Oberschenkel und Unterschenkel bey wei- tem nicht so beträchtlich als bey dem fossilen. 2) Dafs das Schienbein an Dicke weit weniger dem Schen- kelbein nachsteht, als bey Cuvier und den drey genannten Gerip- pen. Was dem Schienbein gleichsam an seiner Länge abgeht, hat dafür die Dicke desselben gewonnen. 3) Dafs das Mittelfulsbein der kleinen Zehe zwar etwas kür- zer ist als die der drey übrigen Zehen, aber doch: nicht um so vieles dünner als bey Cuvier und den gedachten Gerippen. 4) 34) Ann, d, M. XII, S, 82, 69 4) Dafs das erste oder Mittelglied der kleinen Zehe verhält- nilsmäfsig zu den übrigen Gliedern der drey übrigen Zehen merk- lich länger ist als bey Cuvier und an jenen drey Gerippen. Von den Knochen der linken hinteren Gliedmasse (HI.K.L.M.N.O.P.Q.) sind nur das Schenkelbein (H) fürtrefflich, und die vier Mittelfulsbeine, nebst den beyden Gliedern der grofsen Zehe ziemlich erhalten. Schon das Schienbein (l) und Wadenbein (lt) sind schadhaft, inzwischen doch immer noch deutlich genug, um was Gröfse, Gestalt, Lage und Verbindung betrifft, sie im Gan- zen, denen der rechten Gliedmafse (Fig. 2) nach den Regeln der Symmetrie, gleich und ähnlich zu “finden. Das Mittelfulsbein der grofsen Zehe (L) ist von den drey Mittelfufsbeinen der drey übrigen Zehen (M.N.O.) getrennt, schräg über die drey andern Mittelfufsknochen hingeschoben. Von den Gliedern der Zehen sind nur die zwey der grofsen Zehe (P.Q.,) vorhanden. Kurz, auch diese Reste der hinteren Gliedmafse allein wür- den schon hinreichend beweisen, dals dieses fossile Thier ein Kro- kodil gewesen seyn müsse. G. 22. Ka Schilder und Schuppen. Die Schilder (*.*.*)undSchuppen(t.t.}.), deren zwischen den Knochen zerstreute Menge, die Entdeckung oder die Bloslegung des Gerippes nicht wenig hinderte, entgingen wahrscheinlich nur durch ihr knöchernes Wesen der Zerstörung, weiche alle weichen Theile vernichtete. Die 70 Die breitesten, dicksten, kurz gröfsten und stärksten Schilder zeigen sich in der Gngend des Nackens. Sie sind im Ganzen mehr oder weniger rundlich viereckig, Ihre auswendig gewesene Seite unterscheidet sich gleich auf den ersten Blick, sowohl durch Rauhigkeit und leichte WVölbung, als durch eine erhabene schiffkiel- förmige Leiste, oder Erhöhung, vertiefte Punkte und einen abgerun- deten Rand, von der glatten, mitunter leicht ausgeschweiften, zase- rig geründeten, inwendigen Seite. In der Mitte scheinen sie am dieksten, an den Rändern am dünnsten. Die kleineren Schilder zeigen sich in der Gegend des Beckens und in dem Anfange des* Schwanzes. Die kleinsten, mitunter eine stumpfspitze Ecke habenden Schilder sind in der Gegend unter dem Schwanze gerathen. Von den Schuppen (t.t.), die sich durch ihre flache Beschaf- fenheit von den kielförmigen oder gekielten Schildern leicht unter- scheiden, zeigt sich ein Stück aus acht Reihen bestehend (bey Fig. 2). In fünfen dieser Reihen befinden sich vier Schuppen noch in ih- rer natürlichen Lage neben einander, Ihre Quadratform und Gröfse scheint zu verrathen, dafs sie aus der Gegend der Brust oder des Bauches hergekommen seyn möchten. 5 $. 43° Allgemeine Betrachtungen. Betrachtet man nun dieses nach seinen einzelnen Theilen ge- schilderte Petrefact im Ganzen und Allgemeinen, so verrathen die zur Grölse des ganzen Körpers überaus ansehnlichen, meistens vier- eckigen, im Leben knöchern gewesenenSchilder und Schuppen, wo- mit der Körper des Thieres, dessen Gerippe sie untermischt er- scheinen, gepanzert war, schon für sich allein unwiderleglich, die kro- A / krokodilartige Natur des Thieres, dem diese versteinten Ueberbleibsel in Gesammtheit angehörten. Denn auch Curvier’s ?°) ausdrücklicher Erklärung zufolge, gehören „viereckige Schuppen“ zu den Kennzeichen eines Kro- kodils. In keinem, der neunzehn einzeln angeführten Beyspiele , ist weder in den Abbildungen, noch in den Beschreibungen, aufser den zu dem eigentlichen Beingerippe gehörenden Knochen, sonst noch ir- gend ein besonderes knöchernes Schild oder eine knöcherne Schuppe angegeben. 44 Vergleichen wir a dieses fossile Gerippe mit dem hier im F Weingeiste befindlichen kleinen Gaviale, so ist gleich auf den ersten, vergleichenden, schärfern Ueberblick, die äufserst auffallende Aehn- lichkeit beyder Stücke mit einander wahrlich nicht zu verkennen. Näher beweisen dieses sowohl die Gestalt des Kopfes im Ganzen, als im Besonderen, Die Länge des Schädels zur Länge des Körpers wie ı zu 5. Das von dem Schädel nicht abgesetzte Fortgehen der Kiefer. Die Schmalheit des Raumes zwischen den Augenhöhlen. Das kolbige vordere Ende, sowohl des Oberkiefers als des Unter- kiefers. Die Gestalt des Unterkiefers, fen an seinem vereinten Stücke, als an seinen Aesten. Das Verhältnils dieses vereinten Stückes zu eben den Aesten, wie 44:37: Das 35) Annales du Museum, Tome XII, S, 2, 72 Der spitze Winkel von 30 Grad, unter dem sich diese Aeste verei- nigen. Die Gestalt, die Befestigungsart und die Zahl der Zähne. Die Länge des Schwanzes, welche die Länge des übrigen Körpers nur wenig übersteigt. Die Zahl, Gestalt und Aneinanderreihung der WVirbelbeine. Die Gestalt der Rippen. Die :Gestalt der hinteren Gliedmalsen. Alle diese Ansichten und Vergleichungen zusammengenommen lassen wohl nicht den allermindesten Zweifel übrig; dafs unser fossiles Gerippe einem dem kleinen Gavial auffallend gleichenden Krokodile angehört haben müsse: folglich dafs ich auch gegenwärtiges Petrefact nun, ohne Bedenken, ein ver- steintes Gavialgerippe nennen dürfe. Unsern, in der Reptilienltunde hocherfahrnen Hrn. Oppel, durchaus, hierüber mir beystimmend zu wissen, gereicht mir zu be- sonderem Vergnügen. 4. Um dieses versteinte Gerippe des kleinen Gavial’s des tenui- rostris von dem grolsen Gaviale, dem gangeticus bey Cuvier, sehr bald deutlich zu unterscheiden, ist schon die Vergleichung blos der Schädel überflüssig hinreichend. ı) Der Schnabel oder Ober- und Unterkiefer zusammenge- nommen des grofsen Gavial's, ist verhältnifsmälsig zum übrigen Schädel bey weitem nicht so schmal oder langgestreckit, folglich auch den specifischen Namen tenuirostris, durch welchen Cuvier den kleinen gangeticus von ihm benannten Gayial vom grölseren Gaviale unterscheidet, nicht in dem ausgezeichneten Grade verdienend. 2) uch ce SELTEN | i | 73 2) Geht der Schnabel, das ist sowohl der Oberkiefer als der Unterkiefer, des grofsen Gavial’s, abgesetzt, nicht wie der des klei- nen Gavial’s nur allmählich sich verdünnend vom übrigen Schädel ab. 3) Bilden die Aeste des Unterkiefers beym grofsen Gavial einen schr starkgewölbten Bogen, beym kleinen Gavial einen sehr flachen. 4) Sind die Augenhöhlen des grofsen Gavial’s verhältnifsmäfsig zum Schädel nicht nur auffallend kleiner als die des kleinen Ga- vial’s, sondern auch weiter von einander liegend. $. 46. Von dem kleinen Gavial, dem tenuirostris, unterscheidet sich unser fossiler Gavial zwar weniger als von dem grolsen gangeticus, aber doch immer kenntlich genug ı) durch seine regelmäfsig an Gröfse alternirenden Zähne; 2) durch die Menge seiner Schwanzwirbel, bey übrigens ver- ‚ hältnifsmäfsig gleicher Länge des Schwanzes im Ganzen. Deshalb erscheinen die einzelnen Wirbel des Schwanzes gewissermalsen ge- stauchter, mehr breit als lang; 3) durch die verhältnifsmälsig gröfsere Länge des Oberschen- kels zum Unterschenkel; 4) durch die verhältnifsmäfsige Dicke und Länge der klein- sten Zehe der Hinterpfote zu den übrigen Zehen derselben. Diesemnach wäre gegenwärtiges fossiles Krokodil etwa folgen- dermalsen zu characterisiren, und weil es, mehr als durch Brief und 10 Sie- 74 Siegel bewiesen, aus der Vorwelt stammte, hoffentlich nicht unschick+ lich mit dem specifischen Namen priscus zu bezeichnen. CROCODILUS PRISCUS (fossilis), *** Crocodilus longirostris rostro ‚elongato cylindrico dentibus alternis longiusculis Jemoribus dupla tibiarum longitudine ossibus metatarsi longitudine inter se fere aequalibus. $. 47. Die mächtig stark aus den Kiefern vorragenden Zähne; das eckige, sogenannte ausgewirkte Änsehen aller Knochen; die Ver- schmelzung aller Ansätze (Epiphyses); die groben, dicken und der- ben Knochenreste der Schilder; die dicht an einander liegenden Schuppenreste; scheinen zu beweisen, dafs dieses Individuum er- wachsen, somit auch sein Gerippe vollendet gewesen °*°). Der Beschaffenheit seiner Zähne nach zu urtheilen, lebte auch er, wie die bekannten Gaviale, vorzüglich von Fischen. Sollte etwa das im 27sten $. erwähnte Fischschwänzchen den Rest eines :verzehr- ten Fischchens verrathen ? Der ganze Bau der Krokodile scheint übrigens eine Schwer- fälligkeit zu schneller Bewegung auf dem trockenen Lande zu ver- rathen. Wenigstens das junge Krokodil, welches ich lebendig zu London sah, schien mir träge und unbehülflich: Andere zu Lan- de flinke Eidechsen haben offenbar längere und muskulosere Fülse, Merck 36) Dem Artikel Krokodil in der Deutschen Eneyclopädie, Frankfurt a.M, 1804. Band 23, Seite 330 zufolge, soll Pennant eines ostindischen Krokodiles, „wel- ches nie über 2 Fuls lang wird,‘ gedenken. Allein dies ist ganz unrichtig, Denn Pennant’s (Views of Hindostan Vol, ı1. pag, 207) kleinstes Krokodil hat zwölf Fuls (twelve feet), wie auch die Hallische Lit, Zeitung, 1799. Nr, 385, (nicht 335, wie in jener Eneyelopädie steht,) richtig anführt, aus wel- cher der Verf, dieses Artikels, ohne Pennant’s Werk selbst gesehen zu haben, „afüfsig‘ für „ı2füfsig‘ nachschreibend, entlehnte, 73 Merck 37) meynte, die Gaviale seyen vermöge des eigenen Baues ihres Körpers ungleich mehr als andere Krokodile unter Was- ser zu leben bestimmt. Die in dem Verhältnifs zu den mehr als doppelt so langen Oberschenkeln kurz zu nennenden Unterschenkel und die mehr breit als langen Schwanzwirbel scheinen mir ebenfalls eine gröfsere Ge- schicklichkeit zum Schwimmen und Rudern, als bey den übrigen Krokodilen anzuzeigen. Vergleichen wir ferner gegenwärtiges fossiles Gavialgerippe, in Rücksicht der Vollständigkeit mit den neunzehn bis jetzt bekannt gewordenen, vorhin von mir umständlich angeführten, an- geblichen und wahren, Beyspielen fossiler Krokodile, so finden wir sechs ?°) davon offenbar und fünf 3°) wahrscheinlich; folglich zusammen eilf oder über die Hälfte aller bis jetzt bekannten Beyspiele gar nicht zu den Krokodilen gehörend. Ueberaus ingeniös enträthselte Cuvier *°) aus den Bruch- stücken von vier verschiedenen dieser Individuen, derendaseine (Spenersche) den Kopf, Schwanz u. Vorderfufs, das zweyte (Linksche) einen Theil des Rumpfes, dasdritte (Berlinsche) das Becken, dasvierte (Swedenborgsche) die Hinterfülse enthielt, nach und nach die ganze Gestalt eines Monitors. Io ? Von 37) Hessische Beyträge, S. 86. 38) Das von Spener, Link, Kundmann, Swedenborg, Besson und Camper, 39) Das zu Berlin, Dresden und Braunschweig, Whitby und Blen- heim. 40) Annales du Museum, Tome XH. $, 80, 76 Von den sieben übrigen, für Krokodil anerkannten Beyspie- len, fehlt zweyen (dem von Fulbeck und von Angers) der Kopf gänzlich; von zweyen andern (dem Vicentinischen und dem von Honfleur) sind nur Unterkiefer und Wirbel vorhanden, und die drey letzten (das Walch’sche, das Mannheimer und das Darmstädtsche) bestehen nur in Bruchstücken des Schädels. In keinem dieser sieben Beyspiele fossiler Krokodile war man noch so glücklich ein Individuum zu erhalten, an welchem man Kopf, Rumpf und Gliedmafsen zugleich so vollständig und deutlich wie im gegenwärtigen vor sich hatte. Nach keinem liefs sich also auch mit solcher Zuverlässigkeit, Klarheit, Genauigkeit und selbst Vollständigkeit die wahre Gestalt und Gröfse des problematischen Thieres ausmitteln, als nach gegen- wärtigem. Denn sehr wahr bemerkte mein edler Freund Ebel: ir sei- nem nicht nach Würden bekannten Werke, über den Bau der Erde +"). „Es werden allerdings vollständige Gerippe, bisweilen „sogar mehre dicht bey einander gefunden; aber im Allgemei- „nen sind sie zerrissen, und die Knochen eines einzigen Gerippes „an hundert Orten in weiten Entfernungen ausgestreut. Deswegen „ist es so äulserst selten möglich, alle Gebeine des Gerippes eines „Thieres auffinden zu können, obgleich der fossilen Knochen genug „entdeckt werden. Auch liegen sehr häufig einzelne Knochen der „verschiedensten Land- und Seethiere, Holz- und Pflanzentheile, „Meermuscheln, Schlamm- und Steinschutt dergestalt unter einander „geworfen, dafs die Wirkung einer wilden Gewalt, welche diese „Ueberreste aus allen Naturreichen zusammenführte, nicht zu ver- „Kennen ist.“ $. 48. 4ı) Zürich, 1808, in 8, Zweyter Band. S, 278, er er en ae ee ‚ a ‚| u N K 3 sa a $. 48. So weit meine oryktognostischen Einsichten reichen, mus ich Hrn. Cuvier auch in Rücksicht unserer Gegend beystimmen : dafs nämlich der mergelartige oder bituminöse Schiefer, welcher von Thüringen aus, durchs Vogtland, und Hessen, bis nach Fran- ken und Baiern hin streicht, von Werner'n als die tiefste Erste Formation des secundairen Kalkes genannt wird, und ge- wöhnlich mit etwas silberhaltigem Kupferkies durchsprengt ist, die meisten Ueberbleibsel von Eidechsen und krokodilartigen Thieren enthalte *?), folglich dafs auch alle eyerlegende Vierfüfsler zu die- sen sehr alten secundairen Erdschichten gehören, welche denjenigen steinigen , regelmälsigen Lagern oder Schichten lange vorhergiengen, in denen man die Knochenreste gänzlich unbekannter Säugthiere, z. B, der Palaeotheriums und Anoplotheriums antrifit, welches je- doch nicht hindert, auch unter letzteren noch einige Spuren von Krokodilen anzutreffen *?). $. 49. Oftmals wunderte ich mich, wie es doch zugienge, dafs so leicht zerbrechliche Schieferplatten, nicht selten, so glatt und nett sich von einander lösten, dafs die zwischen ihnen befindlichen zar- ten Theile thierischer Gebilde, selbst der allerfeinsten Knochen un- versehrt blieben, und die zwischen ihnen befindlichen, vorher schon zertrümmerten Gerippe durch solche Spaltung nicht noch ferner zertrümmert werden, sondern gewöhnlich gröfstentheils auf der ei- nen derselben als Hauptplatte bleiben? und kann mir diese Erschei- nung noch nicht anders erklären, als die weichen, gallertartigen und fetten thierischen Theile, dienten, ungeachtet sie von der über sie hin- 42) Annales du Museum. Tome XII, S, 76, 43) Ebendaselbst $, 110, 78 hinströmenden Kalkmasse gänzlich, bis zum völligen Verschwinden zerstört und eingesogen wurden, als eine solche Art feiner, sich am Ende fast verlierender Zwischen- oder Trennungsschichte, derglei- chen man sich aus Oel beym Abformen in Thon bedient, wo näm- lich die Form aus mehreren, möglichst dicht an einander passen- den, aber doch trennbar bleiben sollenden Stücken besteht. Daher ist es auch begreiflich, wie sehr leises, vorsichtiges, behutsames, gleichsam nur Schwingungen oder Erzitterungen erre- gendes Klopfen nicht nur nettere, sondern selbst offenbar über ei- nen grölsern Umfang sich erstreckende Spaltungen solcher Schie- ferschichten bewirkt, als rasche, heftige, oder starke Schläge. Die Kraft eines heftigen Schlages verliert sich zu plötzlich blos ört- lich, um der beginnenden Spaltung‘ gehörige Zeit zur Ausdehnung oder Verbreitung zu lassen. Ein rascher Schlag bricht, so zu sa- gen, die angefangene Spaltung plötzlich ab. — Die durch angemes- senes Hlopfen dagegen bewirkte spaltende Kraft, schleicht sich gleichsam zwischen den Schichten fort, und wird (versteht sich bis auf einen gewissen Grad) durch fortgesetztes Klopfen weiter beför- dert, nicht plötzlich abgebyochen. 6. 50. Der Körper unseres Gavials erfuhr aber, wie der zerstückte Schädel, der fast zermalmte. Hirnkasten, die ausgebrochenen Zähne, die verletzten Halswirbel, die zerstreuten Rippen, die getrennten und zusammengeschobenen Glieder der Schwanz- spitze, das zerquetschte Becken, die vom Leibe weggerissene und mehr als einen Schuh weit auf - die ER TERT FREE u u 79 die entgegengesetzte Seite hingeschwemmte rechte Hinterglied- masse sattsam beweisen, eine grolse Gewaltsamkeit. Es entstehen daher die Fragen. Erlitt dieses Thier diese Gewaltsamkeit gleich bey seinem Tode, und war sie vielleicht selbst Ursache des Todes? Oder widerfuhr diese Gewaltsamkeit erst der Leiche dessel- ben nach einiger Zeit? Ich für mein Theil finde es, nach eigener Ueberlegung wahr- scheinlicher, dafs diesem Individuum nicht als lebendigem Thiere, sondern erst als theils verwestem, theils als vertrocknetem Leichna- me solche Gewaltsamkeit widerfuhr. Wenigstens scheint es mir begreiflicher, dafs in einem sol- ehen Zustande des Leichnames, die in heftig wirblender Bewegung über ihn hinströmende, flüssige Kalkmasse, indem sie die weichen Theile wegätzte und vernichtete, die festern, ihr an chemischer Be- schaffenheit gleichartigern, und deshalb ihrer Schärfe widerstehen- den Theile, (die kalkartigen Knochen und Schuppen nämlich) dafür aus einander rils, fortschwemmte und mitunter auch zertrümmerte, bis diese Kalkmasse ruhiger geworden, sich schichtenweis absetzte, und dadurch dieses Gerippe in sich einmauernd, gerade umgekehrt für aller ferneren Zertrümmerung auf beste schützte. Stelle ich mir vor, dafs während die wenig Weiches habende rechte Hinterpfote schon ausgetrocknet war, um den rechten Ober- schenkel herum alles durch die Verwesung noch feucht und aufge- lockert seyn mochte, so kann ich mir auch füglicher erklären, wie diese rechte hintere Gliedmasse gar leicht gänzlich losgerissen und über einen Schuh weit fortgeschwemmt werden konnte, ohne dals die 80 die Fulswurzelknoehen nebst den meisten Zehengliedern aus einan- der gingen. Denn eben die Austrocknung hatte sie so lange nur noch fester zusammenhaltend gemacht, bis die flüssige ätzende Kalk- masse, auch um sie alles wieder Weichgewordene gänzlich verzehrte. Die Steinplatten, zwischen welchen man die Reste von Thie- ren findet, verdienen demnach sowohl in dem gewöhnlichen, als in dem allrreigentlichsten Sinne oder Wortverstande den Namen Sar- kophag. Um jedoch allem Mifsverständnisse vorzubeugen, wiederhole ich, dafs ich diese Vermuthung blos über die individuelle Entste- hung des gegenwärtigen Gerippes zu äufsern wage, indem ich weit entfernt bin, irgend ein anderes fossiles Gerippe, aulser etwa dem Spener'’schen $. 7, geschweige andere Versteinerungen thierischer Körper, auf diese Art entstehen zu lassen. Doch dem sey nun wie ihm wolle, so scheint wenigstens ru- hige Betrachtung der Lage, worin wir das Gerippe unseres Gavials, besonders seine gröfsentheils in geradelinigter Richtung gebliebene sehr schlanke Wirbelsäule vor uns sehen, zu lehren: dafs auf keinen Fall, dieses Thier diese Lage behalten konnte, wenn es auch nur eini- ge Klafter weit hergeschwemmt seyn sollte. Schwerlich hätte das Thier oder sein Leichnam eine so heftige Gewalt, wie die seyn mulste, wel- che als Ueberschwemmung, Ueberschüttung oder Ueberstürzung mit einer Kalkauflösung, ihm den Schenkel vom Leibe rils und über den Kopf hinaus entführte, in einer Mitfortreilsung oder Mitfortschwem- mung nur wenige Klafter lang ausgehalten, ohne gänzlich in Trümmer aus einander zu gehen, und jede Ordnung seiner Theile zu verlieren. Höchst wahrscheinlich fand also unser Gavial seinen Tod an, oder doch unfern, der Stelle seiner Grabstätte. En nn En N Zi 81 Guss! So erweist mein Lehrer und Freund Blumenbach, in seinen beyden neuesten, wichtigen Abhandlungen; dafs so viele weiland tro- pische Thiere, deren Knochen jetzt in unsern nördlichen Zonen gegra- ben werden, nicht, wie noch neuerlich berühmte Geologen annahmen, durch eine Fluth aus Südindien 1500 Meilen weit hieher gewälzt wur- den, sondern dafs sie da im Leben hausten, wo man sie begraben wie- der findet ?*). Mittelst vergleichender Darlegung der interessantesten Beyspiele ist er so glücklich, in der Natur selbst nachweisen zu kön- nen, dals auch zu den colossalen Pflanzen der Vorwelt, (deren ver- steintg Ueberbleibsel z. B. aus den Brittischen Kohlenwerken ans Ta- ges Licht kommen) analoge Vorbilder, nur in St. Helena und Süd- indien existiren *°), i52: Auch wäre es wohl zu wünschen, dals die sinnreichen Ge- danken, welche ein Ungenannter, bey Gelegenheit der Anzeige von Ivory’s Abhandlung über die physischen Veränderungen unsers Planeten *°) äulsert, weiter ausgeführt würden, weil sie bey unge- meiner Gründlichkeit aus tiefem Nachdenken geschöpft scheinen. Ent up: Da nun bekannntlich alle Krokodile nur in grolsen Flüssen, z. B. dem Nil, dem Ganges, dem Niger, Senegal, Macassar, Missoun, dem Mis- 44) Göttingische Gel, Anzeigen. 1813. 88. Stück, S. 873. Specimen archacologiae telluris etc, 45) Ebendaselbst ı813. 207. St, S. 2063, 46) Ebend. ıg14. 22, Stück, James Ivory on the Grounds of the Method which La Place,hus given in his Mecanique Celeste for Computing the attractions of spheroids, in den Philosophical Transactions for the Year ı812, II 82 Missisippi, dem Amazonenflusse, dem Ohio, oder in Sümpfen und grolsen meist sülse Wasser - Seen *7) den Sayannen Florida’s Guyana’s den Morästen Paraguay’s, der heifsen Erdstriche, und die Gaviale ins- besondere blos in Ost-Indien leben, so konnte auch unser Crocodilus priscus, wohl nur in einem grolsen Flusse oder Sülswassersee unter einem heilsen Himmel gelebt haben. Da sich ferner, wie ich in meiner Abhandlung über den Orni- thocephalus schon bemerkte, wohl nichts Anderes annehmen läfst, als dafs die Thiere, welche man in unserer Gavials - Nachbarschaft zu Soh- lenhofen versteint findet, auch däselbst in der Vorwelt lebten, und und nicht aus weiter Ferne her dort hingeschwemmt wurden, unge- achtet man diesen Thieren analoge Thiere dermalen blos in Süd-In- dien lebend findet, so scheine ich mir auch zu dem Schlusse berechtigt. Dafs derjenige Theil des Königreiches Bayern, welcher in der Vorwelt aus dem Meere als fe- stesLand hervorragte, auch gro/lse Flüsse oder grolse Seen, besonders von sülsem Wasser, un- ter einem heilsen Himmel gehabt haben müsse, um Gaviale zu nähren. Die Aufstellung dieser, meines Wissens, neuen, wenigstens auf die Art nicht hergeleiteten, für die älteste geologische Urgeschichte Baierns wichtigen Vermuthung, war es hauptsächlich, was mich an- feuerte, gegenwärtige, diese Vermuthung höchst wahrscheinlich ma- chende stattliche Urkunde, aus dem Archive der Vorwelt, gehörig zu würdigen. » 47) Dafs die Krokodile auch in heifsen Kupfervitriolquellen lebten, scheint mir, so wie Mehreres, was Bartram in seiner Reise nach Florida von Krokodilen erzählt, etwas verdächtig, Daudin. führt Cook's zweyte Weltumsegelung zum Beweise an, dafs HKrokodile sich auch in den salzigen Seen und Flüssen Neu-Hollands aufhalten, Vrfiemte Rnochen 01105 dankte 47 7004 Arokodılas CROCODILVS PRISCVS maitiitler BG < 2 arte] did Wen} (1 Ar: 2. Cell LLC LH Janjl 1 ande das € ZZ he uff 2 [} 5 £ der € horngle Made LM a uch zu + Knlbent u 83 (m Im—— IIL | Theoretisch - praktische Abhandlung über die Natur, Beschaffenheit, und bessere Verfertigung der ungleicharmigen römischen, oder unrichtig so genannten Schnellwagen. Vierte a. ae t von Iawuatz Pıckeı, Professor der Mathematik und Physik in Eichstädt. \ 4 = Vorbericht. e Die in Italien, Oesterreich und auch andern Orten bekannten und beliebten, ungleicharmigen oder römischen Waagen werden in unserer und mancher anderer Gegend wenig gebraucht. Man be- dient sich derselben fast nur bey schr grolsen Lasten unter dem - Namen der Heuwaagen, wo eine gleicharmige Balkenwaage auf keine P Art mehr dienen kann. Eine Ursache davon mag sich wohl in der £ Anwendung selbst befinden. Sie ist nicht allgemein bekannt; und da man nicht von jeher über den Gebrauch so einer Waage unter- zichtet ist, sucht man sie nicht, oder hält sie wohl gar in ihrer "Wirkung für verdächtig. Doch dieses Vorurtheil würde bald ver- h schwinden, wenn nicht die unrichtige,, fehlerhafte, und dabey auch F ee un- 84 unbequeme Verfertigung derselben sie wider alle ihre Verdienste unwerth gemacht hätte. Man nennt sie nur Schnellwaagen, die fast gar nicht in der Ruhe stehen, immer überschlagen, und auf solche Art unrichtig das wahre Gewicht angeben. Daran haben sie aber keine Schuld, sondern der ungeschickte, unwissende Künstler, der sie nach einer unrichtigen Uebergabe auf eine fehlerhafte Art verfertiget. Die ungleicharmige oder römische Waage ist nicht nur aus ihrer Natur und Beschaffenheit gegen alle Vorwürfe geschützt; sie hat auch viele Vorzüge gegen die gemeine, gleicharmige Kramwaage, wie aus dieser Abhandlung erhellen soll. \Venn sie gleich diese nicht verdrängt, ja auch nicht kann oder will verdrängen, so steht sie doch gut und nützlich neben selber. Zum besondern Gebrauch einer Privathaushaltung soll sie wohl gar den Vorzug erhalten. Ich liefs schon- manche verfertigen, sowohl zu meinem als meiner Freunde Gebrauch. Ich habe ihre Eigenschaft nach theore- tischen Gründen untersucht, sie selbst getheilt, und zum sichern Ge- brauche hergestellt. Es kam mir auch manche zu Gesicht, bey wel- cher ich das Fehlerhafte einsehen, dagegen die bessere Einrichtung erkennen, und durch Erfahrung prüfen konnte. Es wird doch zum allgemeinen Besten nicht undienlich seyn, wenn ich bekannt mache, wie selbe nach richtigen Grundsätzen sol- len verfertigt, und auf die beste Art benutzt werden. Was hier zur Beurtheilung und Prüfung als ein ganz kleiner Beytrag zur Maschi- nenlehre gelehrten besseren Kennern vorgelegt wird, habe ich von keinem geborgt. Es ist auch, mir wenigst, nichts Bedeutendes be- kannt, was andere darüber verfasset haben. Ich gebe anfangs eine allgemeine Vorschrift zur richtigen Verfertigung; beweise sie hernach aus theoretischen Grundsätzen, und zeige zuletzt, wie man so eine Waage schon aus der Zeich- nung oder aus dem Modelle überschlagen, noch besser aber, die verfertigte ganz richtig berechnen, und zuletzt praktisch zum Gc- brauche herstellen und theilen solle. Be er ws: 2 fs, GE Allgemeine Vorschrift zur Verfertigung einer römischen Waage. 1. Die römische Waage unterscheidet sich wesentlich von der gemeinen durch die sehr ungleiche Länge, und gegen einander ganz verschiedene Form ihrer Arme oder Balken, wie man sie auch nennt. Der kürzere Arm hat eine seiner nöthigen Stärke angemes- sene Breite und Dicke zwischen zwey senkrechten Seitenflächen. Der längere Arm ist eine rechtwinklichte vierseitige Stange. Der Durchschnitt davon ist ein ordentliches Viereck, dessen eine Diago- nallinie in der Fläche des kürzern Arms liegt, die andere aber dar- auf rechtwinklicht gestellt ist. Der kürzere Arm hat insgemein drey, oder besser, wenigst bey kleinern Waagen, zu einem mehr vollständigen Gebrauche, vier schneidige Nägel. Die zwey äufsern sind für die VWVaagschüssel, und das Abzuwiegende bestimmt; der dritte macht die Gränzen zwischen dem kürzern und längern Arm. An ihm hängt und ruht die Waage selbst, und er wird defshalben der Ruhepunkt ge- nannt. Hat dieser noch einen entgegengesetzten unter sich, so kann auch an ihm in verkehrter Lage die Waage hängen. Der längere Arm bekommt ganz am Ende einen Nagel, der, wie es sonst gewöhnlich war, nicht wegbleiben sollte. So hat die Waage in al- lem 4 oder 5 Nägel. 2. Die erste Figur stellt nach der wahren Gröfse, mit Aus- nahme der ganzen Länge, den senkrechten Durchschnitt einer klei- "nen römischen Waage vor, die ich mir für meinen Gebrauch zur genauen Abwiegung kleiner Gewichte von ı bis 25 Pf. habe verfer- ligen 86 tigen lassen; und nach welcher schon etliche sind gemacht worden. Sie kann eben zur allgemeinen Vorschrift dienen bey Verfertigung soleher Waagen. Sie hat zwey Ruhepunkte, und also 6 Nägel. Zur Zeichnung‘ ihrer Lage und Gröfse kann man hier zum Maalsstabe sowohl, als hernach zum Gewicht das baierische oder auch ein anderes nehmen. In einer Entfernung von # Zoll oder 3 Linien werden 3 Parallel- linien gezogen, AE, ac und hk, Eine jede ist 217 Zoll lang. Nimmt man an einem Ende der obersten von A zu C 3 Zoll, und also von C zu E 185, so bestimmt die erste Distanz die Länge des kürzern, die andere des längern Arms. Die aus A, C und E auf die untere Parallellinie senkrechten Aha, Cc und Eke geben auf selber die den obern zutreffenden Punkte a, c, e. Theilt man CA und ca in ı2 Theile, und trägt davon 5 von C und c zu B und b, so ist aus den Ruhepunkten GC und c die Lage und Entfernung der zwey Nägel Aa und Bb für die Waag- schüssel bestimmt. Der dritte Nagel Ee am Ende des längern Waagarms gehört für ein beständiges Gewicht, das ich das Hülfs- gewicht nenne. 'Trägt man auf der mittlern Parallellinie aus h und i zu bey- den Seiten ı* Linie, und zicht aus den so gefundenen Punkten g, , m, n zu A und a, B und b Linien, so giebt diese Zeichnung den rautenförmigen Durchschnitt der Nägel mit einer hinlänglichen Stärke und Schärfe der Schneide bey A, a, Bund B. Für den äufsersten Nagel Ee, der nur ein geringes Gewicht zu tragen hat, kann der kleinere Durchmesser qg statt 3 nur 2 Linien haben. Die Nägel GC und c, weil sie die Waage sammt allen Gewichten tra- gen, bekommen 4 Linien zum Durchmesser rs.tv der halben Rou- te, So erhalten alle Nägel eine hinlängliche Stärke auch noch für beträchtlich gröfsere Waagen. Man siehet auch schon, dafs man i sich 87 ‚sich eben so streng an diese Zeichnung nicht zu binden habe, "wenn nur die Nägel keine stumpfe Schneide bekommen, und sich an die Ringe der daran hängenden Haken nicht so bald anlegen. Die Linien FD ünd fd, welche den Rücken des längern Woaagarms, und den Weg für das Gewicht des Läufers anzeigen, sollen sich allezeit genau durch die Punkte der Nägel A, B, E und a, b, e, und durch den Ruhepunkt C und c ziehen. Es gehet aber dieser Rücken in keine scharfe, sondern in eine, bey so kleinen Waagen auf £ oder 3 Linie flach abgestumpfte Schneide aus. So ist in die Quere der Durchschnitt dieses durchaus gleich dicken Wagarms mit Abrechnung der kleinen Abstumpfung des Rückens ein rechtwinklichtes gleichseitiges Viereck, dessen jede Seite sehr ‘nahe 4% Linie hat, und also zur Theilung sammt den dabey einzu- schlagenden Zahlen breit genug ist. Der kürzere Arm bekommt so viel Eisen IGF und KHF ober, unter und vor den Nägeln , dabey _ auch so eine Dicke, hier wenigst von $ Zoll, dafs diese mit gehöri- ger Festigkeit können eingesetzt werden. So wiegt dieser ganze kleine Waagbalken sehr nahe 27 Loth nach baierischen Gewicht, und hat einen körperlichen Inhalt nur von 4,2 Kubikzollen, weil der Kubikzoll Stabeisen, wie hier noch wird erklärt werden, 6,4 Loth wiegt. 3. Man siehet aus dieser Zeichnung schon die Absicht bey ‚so einer Waage. Da sie einen doppelten Rulıepunkt hat, und so- wohl bey C, als in umgewandter Lage bey c kann aufgehängt wer- den, haben auch die andern 3 Nägel eine doppelte, und auf dem _ längern Arm werden alle 4 Seitenflächen zur Thheilung benützt; nämlich die von F zu D beyderseits, wenn die Waage an C, und t das Abzuwiegende an A oder B hängt; hingegen äber die andern 2 zwey von f zu d, da c, b und a die Anhängpunkte sind. So viel ufir bekannt ist, hat man sich dieses Vortheils noch niemals bedient. - Es dürfen defshalben die Haken zur Aufhängung der Waage so- wohl, 88 wohl, als der Waagschüssel oder Gewichte keine geschlossene Rin- ge, sondern offene,haben, damit man sie nach Belieben von C auf c, und von A oder a auf B oder b einlegen, und auch bey E oder e anbringen, oder wegnehmen kann. Dem ohngeachtet erhalten sie die nöthige Stärke. Eben auch defshalben sind die Rückenlinien FD und fd genau mit einander parallel, und der Waagarm hat durchaus eine gleiche Dicke. Es hängt von den Absichten ab, wie man so eine Waage doppelt benutzen wolle. Ich habe auf der hier gezeichneten, bey dem nämlichen Gewichte des Laufers, eine Seite für das baierische, die andere für das nürnbergische in Eichstädt eingeführte Gewicht getheilet. Ein anderer wählte das baierische und das Apotheker- Gewicht; wieder einer liefs sich nebst der Theilung für das baieri- sche, auch eine für das Augsburger Kramgewicht anbringen. Man schafft sich dabey für ein jedes das Hülfsgewicht an, von dem noch wird gehandelt werden. Man kann auch für eine jede Waage ein besonderes Gewicht des Laufers anbringen. Da ich oft kleine Gewichte, die nicht über 4 oder 5 Pfund gehen, auf das Genaueste bis auf „; eines Loths abwiegen sollte, habe ich bey so einer andern kleinen Waage für einen Theil nur ein Gewicht von Io Lothen an den Aufsatz des Laufers angebracht. Mit diesem fängt die Waage an bey ız Pf., und geht etwas über 35, durch das Hülfsgewicht aber auf 55. Hier nimmt die Theilung für ı Pf. eine Länge von 84 Linien ein, und kommen auf 2 Loth noch 5%. Diese werden auf dem Sattel des Aufsatzes für den Laufer (Fig. II. A) noch in 8 Theile getheilt, wo- von einer + und durch ganz zuverlässige Schätzung noch weiter 5% Loth angiebt. Man kann auch von diesem noch das halbe be- stimmen, weil die Waage sehr empfindlich ist, und eine fast un- merkliche Verschiebung des Laufers einen beträchtlichen Ausschlag giebt. 4- —_ 89 4. Willman die Waage nur einfach benutzen, so bleibt beym kürzern Arm der untere T'heil abfHK weg, sammt der untern Schneide der Nägel. In diesem Falle ist es eben nicht gefehlt, wenn, doch aber bey unveränderter Lage des obern Rückens FD, unterhalb von f gegen d der längere Arm etwas dünner gemacht wird. Es soll aber dieses ohne Nachtheil der gehörigen Stärke ge- schehen, damit auch mit dem gröfsten, Gewichte, welches die Waa- ge noch tragen soll, sich der längere Waagarm nicht merklich biege. Durch dessen allmählige Verjüngung erhält man diesen, we- nigst bey kleinen Waagen unbedeutenden Vortheil, dafs der weni- ger überwiegende Waagarm mit einem kleinern am kürzern Arme bey A oder B angebrachten Gewichte das Gleichgewicht erhalte, und so die Waage früher zu dienen anfange. Ich liefs mir eine machen, mit der ich über 2 Centner richtig abwiegen kann. Der längere Arm war nach baierischem Maafse 33% Zoll lang. Im An- fange bey F hatte seine Dicke Ff ı0, am Ende bey D 77 Linie. Er war noch stark genug, und wog 2 Pf. ıg Loth, hatte auch durch diese Verjüngung kaum 3 Loth verloren. Ein Pfund von geschmiedetem Eisen hält 5 Kubikzolle, weil, wie schon gemeldet wurde, der baierische Kubiltzoll nach baierischem Gewichte sehr nahe 6.4 Loth wiegt. Es darf also ein Waagarm schon lang und dick seyn, wenn er gegen das Ende hinaus, ohne Nachtheil der gehörigen Stärke, dünner gemacht, um ein Pfund soll geringer werden, wodurch der Mittelpunkt seiner Schwere sich nur wenig gegen F nähert. Dabey ist es doch immer besser und siche- zer, dem Waagarm eine grölsere Stärke zu lassen, weil dadurch die Waage an ihrer Richtigkeit schr wenig oder wohl gar nichts verliert. . 90 5. Der Aufsatz, welcher das Gewicht des Laufers trägt, auf dem Rücken des längern Waagarms fortgeschoben wird, und dort das Gewicht des Abgewogenen angiebt, soll mit besonderm Fleilse verfertigt werden. Nach der Art, wie ich ihn verfertige, ist er Fig. II. A und B in jener Gröfse gezeichnet, die für kleinere sowohl, als" gröfsere Waagen beynahe unverändert verbleiben kann. Ein oberhalb durchbrochenes Stück von dünnem Messing ABCDEF trägt den Senkel EF. An dieses ist unter dem Senkel noch ein dünneres CDABGH bey AB am Rande des obern her- ausgebogenes Blech angeschraubet. Der Winkel Gah = HBH (Fig. II. A und B) ist eben jener, welchen die Seitenflächen am Rücken des langen Waagarms bilden. Es machen also diese zwey messingene Blätter den darauf passenden Sattel. Die Dicke des mittlern Messingblechs, an welches sie befestiget sind, trifft mit der abgestumpften Schneide am Rücken des Waagarms zu, weil sie auf selber aufliegt, und verschoben wird. Beyde Blätter des Sattels sind bey IK durchbrochen, etwa nach der halben Breite, oder etwas mehr von der Rückenfläche des Waagarms, und in so einer Länge, die sich wenigst auf 3 bis 4 oder 5 Theilungsstriche von selber erstreckt. Oberhalb der Oeffnung des Sattels in der Mitte ist abermal zu beyden Seiten ein stärkeres Messingstück LMNP angeschraubet, welches das Gewicht des Laufers trägt. Es steht bey NP (Fig. H. B) rechtwinklicht über den Rand des Sattels HBh vor. Die Lö- cher N und P, an welchen die Gelenkdräte R und R für den Bo- gen S zum Laufergewicht Q hangen, müssen am untern Rande ge- nau zutreffen mit der Linie AB (Fig. II. A), welche auf dem Rücken des Wagarms fortläuft. Dies ist das Wesentliche auf diesem Auf- satz. Von der Theilung, welche auf dem Sattel kommt, wird bey dem Yyı dem praktischen Unterrichte für die Theilung des Waagarms Meldung geschehen. i 6, Eine hölzerne, mit Eisen beschlagene, und an hanfenen Schnüren oder Stricken hangende Waagschüssel ist höchstens. bey grolsen Zentnerwaagen noch zu erdulden, wo die genaue Abwiegung auf etliche Loth, um welche sich ihr Gewicht bey trockenem und feuchtem Wetter leicht verändert, nicht erfodert wird. Bey kleinern Waagen soll sie von Eisen, oder besser von Messing oder Kupfer seyn. Sie soll auch nicht an dreyen, sondern an vier kleinen Het- ten hangen, wovon immer zwey mit einem Ringe verbunden sind, damit man zur Einlegung des Abzuwiegenden sie halb öffnen könne. 7. Ueber diese allgemeine Vorschrift zur Verfertigung der römischen Waagen können hauptsächlich drey Fragen gestellt wer- _ den. Die erste betrifft die Entfernung der zwey Nägel für die Waagschüssel vom Ruhepunkte, und das‘ Verhältnifs der Theilung auf dem Waagarm mit derselben. Die zweyte Frage beziehet sich auf das Hülfsgewicht und dessen Schwere. Die dritte erfodert eine richtige Erklärung, warum das Gewicht des Laufers genau an der Rückenlinie des Waagarms hängen, und diese sich durch den Ruhe- punkt über dieSchneide der Nägel ziehen solle. Die richtige Beant- wortung dieser dreyfachen Frage enthält die ganze Theorie der rö- mischen Waage, welche bis daher, so viel mir bekannt ist, mehr _ aus der Erfahrung, als aus bewiesenen Grundsätzen von der Natur des Hebels ist hergeleitet worden. 2 _ Entfernung der Nägel für die Waagschüssel vom Ruhepunkte der Waage; und Verbindung der, Theilung auf dem Waagarme mit selber. 8. Jede Waage ist ein Hebel, und zwar ein schwerer physi- scher Hebel, der ohne Schwerpunkte nicht zu denken ist. Er un- 222 ter- 9 2 terscheidet sich dadurch wesentlich von dem mathematischen, wo man sich nichts als die Länge allein vorstellt. Ist der beym Ruhe- punkt überwiegende Hebelarm durch ein Gegengewicht an dem ge- ringern in das Gleichgewicht gebracht, so wird er zwar nach den übrigen Eigenschaften als ein mathematischer Hebel betrachtet; es bleibt aber dennoch noch manches zu beweisen übrig, und eben diese Betrachtung selbst darf nicht so ganz frey angenommen wer- den. Da ich also vorher aus dem mathematischen Hebel beweise, in welcher Verbindung mit der Theilung einer römischen VVaage die Entfernung der Nägel für die Waagschüssel von dem Ruhe- punkte stehe, so ist auch hernach zu beweisen, dals diese unverän- dert bleibe, so bald, nach in. das Gleichgewicht gebrachtem überwiegenden Waagarme, das Gewicht des Laufers zu wirken an- fängt. 9. I. Lehrsatz. Wenn das nämliche Gewicht bald beym weitern, bald beym nähern Nagel einer römi- schen Waage, dessen Schwere nicht in Betracht ge- nommmen ist, abgewogen wird, haben die Theilungs- grölsen für die nämliche Differenz der Gewichte auf dem längern Waagarme das nämliche Verhältnils gegen einander, welches die Entfernungen der Nägel vom Ruhbepunkte haben. Bey Fig. III seyen die Punkte A, B, C, F, D, E die nämlichen, wie bey Fig. I. Wenn ein Gewicht — q in A abgewogen wird, habe des Laufers sein Gewicht — p damit das Gleichgewicht in N. Wird aber das nämliche Gewicht in B abgewogen, befinde sich der Laufer in M. Kommt zu q in beyden Fällen noch ein gleiches Ge- wicht hinzu, so wird zur Erhaltung des Gleichgewichts der Läufer von N in n, und von M in m verschoben werden. Ich sage, es sey Na:Mm=CA:CB. Beweis. Nach der Theorie des Hebels ist CN:CA=q:p, und CM:CB=q:p. Folglich ist CN:CA=CM:CB, und - CN:CM=CA:CB wird aber das Gewicht q um eine beliebige Gröfse vermehrt, und rückt in diesem Falle der Laufer von N in n, und von M in m, so ist abermal ’ CN+Nn:CM+ Mm=CA:CB—=CN:CM, oder CN+Nn:CN=CM+Mm:CM, und CN+Nn— CN:CN=CM+Mm-—CM:CM, das ist Nn:Mm=CN:CM, und weil CN:CGM=CA:CGB, so ist auch Nn:Mm=GA:CB wie der Lehrsatz lautet. 10. II. Lehrsatz. Wenn bey einer römischen Waage an dem nämlichen Nagel A oder B verschiede- ne Gewichte abgewogen werden, so sind dieTheilungs- grölsen auf dem längern Waagarme der Differenz die- ser Gewichte proportional. Beweis. Da an einem Nagel A ein Gewicht — 4 ange- bracht ist, sey der Laufer — pin N. Kommt aber an den nämli- chen ein anderes Gewicht — Q, werde jener zur Erhaltung des Gleichgewichts von N in n verschoben. So ist nach der Theorie des Hebels für das erste Gewicht NCOxp=CAxgq für das zweyte ne
27. Hat man aber bey Verschiebung des Laufers den gehörigen
Stand noch nicht vollkommen erhalten, se dals A gegen B noch etwas
zu gering oder zu fchwer ist, so würde die Ruhe ober- und unterhalb
der wagrechten Linie AB erfolgen, oder, wie wir sagen, die Waage
würde einen Ausschlag geben. Treibt das bey A zu schwere Gewicht
das andere bey B in die Höhe, so wird der von G in k gehobene
9 Schwerpunkt entgegen wirken, bis mit seiner Beyhülfe das in H etwas
zu geringe Gewicht in einer schrägen Lage ECH das Gleichgewicht
erhält: Wäre aber B gegen A etwas zu schwer, so würde es gegen
F herabsinken, und A in D, den Schwerpunkt aber von G in g erhe-
ben. Dieser wirkt nun mit A, ersetzt den kleinen Abgang, und bringt
das Gleichgewicht in einer andern schrägen Lage DF. Der Winkel
HCB=ACE oder FEB = ACD wird um so gröfser seyn, als B ge-
gen A geringer oder schwerer, und der Abstand C G des Schwerpunkts
vom Ruhepunkte grölser ist, oder, wie wir sagen, wenn die Waage
unterhalb mehr Eisen hat. Sie zeigt in diesem Falle ein etwas grölse-
zes Uebergewicht, sie überschlägt später, und ist nicht so empfindlich,
_ als wenn GG kleiner ist, wo der nämliche VVinkel eine kleinere Dif-
ferenz zwischen B und A angiebt, und die Waage sehr empfindlich
ist, folglich früher überschlägt. Die hier gemachte Erklärung ist bey
allen gleich- oder ungleicharmigen Waagen richtig, wenn die Waag-
linie AB durch den Ruhepunkt geht. Auf selche Art ist vollkommen
- bekannt das verlangte Gewicht aus: dem waagreehten Stande des He-
% belarms AB, wie es bey aller Abwiegung, vorzüglich‘ aber bey der
€ römischen Waage gesucht wird. Eben in diesem bestehet schen: das;
? Wesentliche einer jeden Waage. Leistet diels eine gemeine Kram-
waage nicht, so ist sie fehlerhaft, und’ eigentlich keine gleieharmige,
sondern eine ungleicharmige römische Waage,
da un 2 2 4 un En U Du
140 28.
108 ? =.
28. Nun wollen wir auch vor Augen legen, wie im Gegen-
theile es für die Waage sehr nachtheilig sey, wenn die Waaglinie
sich unter dem Ruhepunkte vorbeyziehet. Es ereignen sich hier
verschiedene Fälle. Da beym Gleichgewichte die Centrallinie CG
zugleich senkrecht auf der wahren Waaglinie AB stehet, geschieht
bey einer fehlerhaften Waage, dafs Gewicht und Gegengewicht sich
nicht in A und B befinden, sondern in N und L; in N und A; in
B und L; in M und L; in N und T, oder in M und T. In allen
diesen Fällen wird die Abwiegung mehr oder minder unbequem,
und nachtheilig ausfallen.
Bey manchen fehlerhaften römischen Waagen treten nach
verschiedenem Stande des Laufers auch zwey und drey Fälle ein.
Obwohl schon gegen die Nägel für die Waagschüssel der Nagel des
Ruhepunkts zu hoch gesetzt ist, so stehet doch anfangs derRücken
des längern Waagarms noch höher, senkt sich aber nachmals auch
bis unter die Linie der andern Nägel, weil er auch von oben her-
ab gegen das Ende zu verjünget und zugefeilt ist. Anfangs haben
Waagschüssel und Laufer gegen den Ruhepunkt die Lage LCM, nach-
mals LCB, und endlich LCN, wie es schon die ungleiche Ueber-
schnellung des kaum jemals in die Ruhe zu bringenden Waagarms an-
zeigt. Das Nachtheiligste ist noch dabey, dafs zuweilen an dem feh-
lerhaften Aufsatze das Gewicht des Laufers über der Rückenlinie hängt,
und die Waage zur Ueberschnellung ganz eignet, so dafs in der Lage
LCM der Ruhepunkt gar unter die Linie LM fällt. Ganz unnöthig
wäre es, alle Fehler von so verschiedener Lage zu entwickeln. Wir
wollen nur eine LCM untersuchen, die auch bey gemeinen gleichar-
migen Waagen die gewöhnlichste ist, da LN unter AB und dem Ruhe-
punkte C liegt.
Hat bey dieser Lage der Waaglinie die Waage eine Schwingung
erhalten, welche den Punkt Bin Fund Ninr; den Punkt‘A in D und
Liinl gebrachthat, sozieheman auf AB diesenkrechten Fb, rp, Da,
a Zu ws
ran
j PT u RR
109
ly, so ist das zum Gleichgewicht erfoderte Verhältnifs der Distanzen
CB:CA oder Cb:Ca gehoben, weil Cp gegen Cb kleiner, Cy aber
gegen Ca grölser geworden ist. So wird also das von L zu I gebrach-
te Gewicht in dieser Lage überwiegen, und das andere von r in N wie-
der erheben, und zwar um so schneller, weil auch der von Ging
gebrachte Schwerpunkt mitwirkt. Es bleibt also r in N nicht stehen,
sondern steigt mit erhaltener Schwunghraft in n, und bringt auf dem
andern Arm das Gewicht Lin v. Lälst man nun hier von n und y auf
AB die senkrechten nq und vz fallen, so hat Cq gegen Cb zugenom-
men, Cz aber gegen Ca abgenommen; der Schwerpunkt G ist auch
gegen k gestiegen. So senkt sich also jetzt n mit verdoppelter Kraft,
bringt v wieder in l, und das vorige Spiel fängt auf ein neues an. Das
Gleichgewicht ist kaum zu erwarten, bis endlich der Widerstand durch
die Reibung beyde Theile schwächt, und so die Schwingungen zu Ende
bringt.
Waren noch dabey, wie es auch anfangs besonders bey einer
römischen Waage kaum anderst zu erwarten ist, die Gewichte L und
N noch nicht in gehöriger Lage für das Gleichgewicht, so ist die Ue-
schnellung kaum zu vermeiden. Wenn das nur wenig überwiegende
von N in r sich senkende Gewicht, wo es an seiner Kraft etwas verliert,
das andere von L in l erhebt, so erhält dieses auch mit Beyhülfe des
Schwerpunkts das Uebergewicht, schwingt also das erste von rinn
hinauf, wo es schon vorhinein etwas überwiegend noch mehr Kraft
durch die Lage und den Schwerpunkt erhält. Dies bewirkt ein schnel-
les Herabfallen, so, dafs bey erhaltener Schwungkraft das andere sammt
der Waage wohl gar überschlagen wird. Geschiehet auch dieses nicht,
so wird nach langer Unruhe die Waage mit einem geringen Ausschlage
endlich stille stehen, weil einerseits das schwerere Gewicht N bey der
'Herabsinkung in seiner Kraft etwas verliert; das geringere Gehobene L
hingegen mit vermehrter Distanz und der Beyhülfe des Schwerpunkts
mehr Kräfte erhält.
29.
29. Es wäre unnöthig mehrere Fälle zu entwickeln. Man sicht
schon das Fehlerhafte in jeder Lage, wo der Ruhbepunkt nicht durch
die Waaglinie geht, Bey jeder Schwingung, es mögen Gewicht und
Gegengewicht das Gleiehgewicht haben oder nicht, wirkt nicht nur
der Schwerpunkt, sondern auch jedes Gewicht selbst, und zwar mit
immer veränderter, bald steigender, bald fallender Kraft. Dadurch
bleibt die Waage in langer Unruhe, überschlägt leicht, oder giebt
. nur einen kleinen, der ungleichen Kraft der Gewichte nicht anpas-
senden Ausschlag.
Liegt aber derRuhepunkt in der Waaglinie, so wirkt bey den
Schwingungen im Falle des Gleichgewichts der Schwerpunkt allein.
Fehlt das Gleichgewicht mit nicht zu grofsemUebermalse, so wirken
auch die Gewichte, aber immer gleich, und geben nach Verhältnifs
der gröfsern Kraft einen grölsern Ausschlag, weil in jeder Lage die
Entfernungen des Gewichts und Gegengewichts in unverändertem
Verhältnifs bleiben. Die römischen Waagen sind nur alsdann
Schnellwaagen, wenn sie gegen ihre, Natur und wesentliche Ei-
genschaft fehlerhaft verfertigt sind.
Eine kleine Abweichung, bey welcher der Ruhepunkt nur
ganz wenig über der Waaglinie stehet, hat nichts zu: bedeuten, und
bringt. die nachtheilige Wirkung nicht. Es ist doch jeder Waagarm
biegsam, und wenn, er eine schwere, Last, trägt, senkt er sich etwas
herab. Doch merklich darf das nicht, seyn, und über seine Kraft
soll der Arm keine Last tragen. Auch, eine gemeine VVaage. trägb
nur. ein. ihrer Stärke. anpassendes Gewicht, und wird durch ein
grölseges. verdorben.
30. Nach dieser theoretischen Abhandlung, über den physi-
schen, Hebel oder. die. römische \WVaage sind; noch praktische. Vor-
schriften und Bemerkungen übrig, die eigentlich in, 2 Theile zerfal-.
len. Der erste enthält die Art, wie man vorläufig über eine noch
nicht
N ak Ba a
un a
”
ı1ıı
nicht verfertigte Waage einen auf die Absichten passenden Ueber-
schlag machen, und in der Hauptsache berechnen könne. Sie be-
ziehet sich vorzüglich auf gröfsere Waagen, für die ein taugliches
Muster miangelt. Die andere Art giebt den ganzen Unterricht, wie
man eine Verfertigte behandeln, dafür das Laufergewicht bestimmen,
und nach der Auswahl von diesem die Theilung auf dem Waagarme
und auf dem Sattel des Aufsatzes für den Laufer machen solle.
Wenn hier mit der praktischen Ausübung auch die Rechnung ver-
bunden wird, wird es doch Jenem nicht unangenehm fallen, der
einsehen will, wie genau die Theorie mit der Ausübung zutreffe,
und wie diese durch jene geleitet und erleichtert werde.
$....5-
Vorläufiger Ueberschläag über eine römische Waage,
die man nach bestimmten Absichten will
verfertigen lassen.
31. Wenn man nicht schon ein geprüftes Muster vor sich
hat, so ist es rathsam, dafs man die Waage nach der wahren Gröfse,
wie es hier für eine kleine Fig. I geschehen, auf ein mit Papier
überzogenes Brett zeichne. Man kann dadurch aus der festgesetz-
ten Breite, Dicke und Länge aller Theile den körperlichen Inhalt
nach einem angenommenen Maalsstabe mit bekannter Art berech-
nen, und auch hinlänglich das Gewicht vom Eisen entdecken, wenn
die spezifische oder eigenthümliche Schwere von Stäbeisen, und
‚das absolute Gewicht von einem Kubikschuh Regenwasser be-
‚kannt ist.
Die erste, wie ich selbst im Mittel gefunden habe, darf man’
annehmen = 7,786. Der baierische Kuübikschuh Regenwasser wiegt
1420,5 Loth nach dem neuen baierischen Gewicht, eben, weil das
Pfund in Zukunft genau 560 Grammes enthält nach dem neu*
frän-
112
fränkischen Gewichtsystem. Es wiegt also der Kubikzoll Wasser
1420
er 0,82 sehr nahe. So ist das Gewicht von einem Kubikzoll
Stabeisen — 7,786 x 0,82 —= 6,38452 — 6,4 Loth beynahe, wie es
schon Nr. 4 angesetzt wurde. Multiplicirt man mit dieser Zahl den
durch Rechnung gefundenen körperlichen Inhalt der Waage in
baierischen Kubikzollen, so hat man schon vorläulig das Gewicht
des eisernen.
32. Wurde aber das Modell nach der wahren Grölse von
Holz gemacht, wie es für grolse Last- oder Heuwaagen geschehen
sollte, so erhält man noch leichter das Gewicht des Eisens, wenn
die specifische Schwere des Holzes bekannt ist. WVer diese nicht
selbst zu finden weils, oder mit einer guten Waage dafür nicht ver-
sehen ist, kann bey trockenem Tannenholz annehmen 0,55; bey
Lindenholz 0,604; bey Eichenholz 0,845. Dividirt man damit die
spezifische Schwere des Stabeisens — 7,786, so zeigt der Quotient
an, um wie viel der eiserne WVaagbalken schwerer sey als der höl-
zerne. Da man dieses Gewicht zur vorläufigen Rechnung so genau
zu wissen nicht nöthig hat, und nicht wissen kann, wenn nach dem
Modell der Wagbalken nicht so richtig geschmiedet und bearbeitet
wird, darf nur das Gewicht von diesem beym Tannenholz mit 14,2;
beym Lindenholz mit 12,9; beym eichenen mit 9,2 multiplicirt wer-
den, um das Gewicht des eisernen zu erhalten.
33. Bey grolsen Lastwagen ist es sehr vortheilhaft, wenn
man schon aus dem Modell ihre Wirkung beynahe übersehen kann.
Ich nehme also so eine zum Muster, und stelle darüber die Rech-
nung an. Der starke, bey 2 Zoll dicke, gegen 5 Zoll breite,
und mit dem vorstehenden Theile über 14 Zoll lange, sammt den
Nägeln von Tannenholz gemachte kürzere Waagarm wiegt 86 Loth.
So wird also der eiserne wiegen 86 X 14,2 = 1221 — 38 Pf.
5 Loth, oder gerade aus 38 Pf. Der äufsere Nagel steht ı2, der
%
3
3
we
N
x
ee 113
# innere 5 Zoll vom Ruhepunkte ab. Der Mittelpunkt der Schwere
ist von diesem entfernt durch 7 Zoll, wie man es entdeckte durch
Auflegung des Modells über die Schneide eines Messers. Diese
_ — Entfernung darf auch sicher für den eisernen Arm angenommen
werden,
N Der andere Waagarm ist vom Anfange bey C bis zum Nagel Fig.1.
- _E für das Hülfsgewicht 12 Schuh lang. Der Durchmesser Ff hat 2,
der äulsere Dd noch 2 Zoll. Das Modell von Tannenholz wiegt
212 Loth. Es wird also der eiserne Arm ein Gewicht haben von
212%X14,2=3010Loth=94Pf.; der Mittelpunkt der Schwere ste-
het vom Ruhepunkte ab durch 60 Zoll.
34. Wenn das an dem weitern Nagel A angebrachte Gewicht r;,, ıır.
_ = r mit dem längern Arm das Gleichgewicht haben soll, muls seyn
ir. 13)
CAXr=CR»xP—CSx p. oder hier
12 Xr= 6o X94— 7 x 38: daher wird
r = 448 Pf. Nach dem Verhältnifs 5: ı2 ist bey B für den nä-
hern Nagel t — 1075 Pf.
Die 4 starken bey 20 Schuh langen Ketten mit ihren Haken,
welche bey A oder B hängen, dürfen sicher auf ein Gewicht von 150
Pf. angesetzt werden. Ziehet man diese von den vorigen ab, so ist
das Gegengewicht mit dem längern Waagarme bey A = 298, bey
B = 025 Pf.
Das Gewicht des Laufers sammt dem Aufsatz, an welchem es
_ hängt, wird unterdessen auf einen Zentner angesetzt. Wenn es sich
also bey F dem er C auf 6 Zoll nähern kann, trägt es bey
0x6 100x6 ”
5 A ein Gewicht = -—— =50; beyB= = 120Pf. Esfängt
| h 15 also
114 Me EEE P
also bey A die Waage an mit 298450 = 348, bey B mit 925 + 120 I
= 1045 Pf.
Wird der über den Rücken des Waagarms auf Rollen ge-
setzte Laufer bis zu D verschoben, wo er von E noch 6 Zoll ab-
steht, so ist vom Ruhepunkte seine Entfernung CD = 144 — 6 = 138
. £ 138 x Ioo
Zoll, und er trägt da für sich allein ein Gewicht bey A = — —
138 > 100
5 -
298; bey B 925, so geht bey A die Waage bis 1448, bey B bis
3685 Pf.
= 1159, byB= — 2760 Pf. Setzt man dazu bey A
Das in E angebrachte Hülfsgewicht darf ohne Lücke (Nr. rg)
bey A tragen 1448 — 348= 1100, bey B= 3685 — 1045 — 2640Pf.
oder 2600 in ganzer Zentnerzahll. So kann man damit abwiegen
bey A 2548, bey B 6280. Weil der Abstand CE — 144 Zoll, ist
1100 xX12 2600
Wr Püne 913 Pf., fürB = are =
— 90 3% Pf. Wird es auf dieses justirt, so dürfen nur dazu noch
45 Loth sehr nahe gesetzt werden, damit es auch für A diene.
für A das Hülfsgewicht =
Vom kleinsten Gewichte — 348, mit welchem die Wage bey
A anfängt, bis zum gröfsten = 1448, wird der Laufer verschoben
durch ı32 Zoll. So viel nimmt also die Theilung ein für 1100 Pf.
Es kommen also auf ıo Pf. noch ı,2 Zoll zur Theilung auf dem
Rücken der Waage, und zur Theilung auf‘ dem Sattel für ı Pf.
noch 0,12 Zoll = 1,44 Linien. Für B ist die Theilung kleiner in
dem Verhältnifs 12:5 (Nr. 9). Sie ist also für 10 Pf. — ———
— # Zoll, und für 3 Pf. auf dem Sattel = 1,2 Linien.
35.
115
35. So wäre alles schon aus dem Modelle für eine grofse
Waage berechnet. Sollten damit mehr als 62 Zentner abgewogen
werden, so mülste dasGewicht des Laufers auf $ Zentner gesetzt, und
die Rechnung damit erneuert werden. Fängt beym weitern Nagel,
wie es kaum anders zu erwarten ist, die Waage zu spät an, so, dafs
} ein kleiner leerer Wagen damit kaum könnte abgewogen werden, so hängt
man da das Hülfsgewicht von go Pf. an, ohne auf die wenige Lothe
A zu schen, welche es darüber hat, und ziehet eben so viel vom Ge-
- wichte des Wagens ab, der doch eine Schwere haben wird von
348 — 90 = 258 Pf.
Die Auslage für so eine Waage ist grols, und es lohnt sich
wohl die Verfertigung eines auch doppelten Modells wenigst für den
längern Arm, damit man versichert sey, dafs die Absichten damit
erreicht werden. Wie man es aber mit einer wirklich verfertigten
anzugehen habe, und welche Rechnungen darüber anzustellen seyen,
ist noch zu erklären übrig.
G. 6.
Praktisches Verfahren bey einem verfertigten Waug-
balken zur Auswahl des Laufers und Theilung der
“ W auge.
36. Es soll hier zum Muster eine Waage dienen, die ich so
_ stark verfertigen liefs, dals auf selber 3 Zentner genau konnten ab-
_ gewogen werden. Sie war auf das Umwenden nicht eingerichtet,
und hatte nur 4 Nägel A, B, C und E. So genau waren sie nicht Fig. II.
eingesetzt, wie es die Zeichnung foderte; aber die Rückenlinie des
ängern Arms hatte die gehörige Lage, und die Waage machte gute
Dienste.
5 Bey
116
Bey der Beschreibung aller Theile nehme ich hier zum
Maalsstabe den in 1000 Theile getheilten Pariser Schuh; gebe auch
das Gewicht unbestimmt an, wenn es gleich das Nürnbergische war.
Kommen hier bey der Berechnung einige Wiederholungen vor, so möch-
te man bedenken, dafs sie der Zusammenhang des ganzen Verfah-
rens erfodert habe.
37. Nach der Ausmessung mit dem Zirkel war AC = 245,
BC=0g4, CE =3124. An dem Aufsatze des Laufers (Fig. II. A)
hatte der Sattel eine Breite AB— 2ı0. War dieser am Nächsten
bey F zum Ruhepunkt C geschoben, so stand sein Mittelpunkt davon
ab durch 175 Theile. In der weitern Entfernung bey D war der
Abstand von E — 145, und also CD = 2979. Wird von dieser
noch CF — 175 abgezogen, so giebt der Rest den Weg des Laufers
an dem längern Arm — 2804.
38. Der starke eiserne Waagbalken wog 5 Pf. g Loth; der
grölsere Haken für die Waagschüssel 18 Loth; der kleinere für das
Hülfsgewicht 43. Die eiserne Waagschüssel mit 4 Ketten und 2 ei-
sernen Ringen 448 — 14 Pf.; der messingne Aufsatz für den Lau-
fer 8 Loth.
Mit Ausnahme des Gewichts von der ganzen Waage, welches
doch unverändert bleiben wird, sollte jedes der dazu gehörigen
Stücke in der Beschreibung angemerkt werden, damit, wenn eines
verloren gieng, oder eine Reparation nöthig hätte, es wieder mit
unverändertem Gewichte könnte hergestellt werden. Sie werden
deshalb vorhinein, so viel es thunlich ist, auf bekannte Abtheilun-
gen eines Gewichts justirt.
Die Waagschüssel mit dem dazu gehörigen Haken, als ein
beständiges, von einem Nagel der Waage zum andern wanderndes
Gewicht, wird zwar nothwendig in die Rechnung gebracht; bey der
Ab-
Pe ee,
117
d
Abwiegung aber ist sie als ein Theil der Waage selbst schon abgezo-
gen, wenn nicht selbe ohne sie geschehen wäre, in welchem Falle ihr
Gewicht von 14 Pf. dem Abgewogenen mülste beygesetzt werden, doch
ohne Beyrechnung des verbleibenden Hakens, der, damit keine Ver-
wechselung geschehe, sich durch eine Endspitze von dem da abgerun-
deten für die ganze Waage unterscheidet.
Der Senkel EF (Fig. If. A) wird nach der bekannten Art, wie
bey allen Setzwaagen, durch [doppeltes verkehrtes Aufsetzen vorher
justirt, damit er genau die waagrechte Lage von AB und den Rücken
des Waagarms angebe.
39. Nach dieser vorläufigen Uebersicht der ganzen Waage
schreitet man zur Bestimmung des Laufergewichts, und hernach zur
Theilung. Der sich mit Rechnen nicht helfen kann oder will, geht es
praktisch also an. Er bringt an den Aufsatz des Laufers ein Gewicht,
welches er glaubt seinen Absichten angemessen zu seyn, und führt es
gegen F so nahe, als es der Aufsatz gestattet. Er legt alsdann in die
am nähern Nagel hangende Waagschüssel so viele Gewichte, bis er
das Gleichgewicht erhalten hat. So ist ihm das kleinste Gewicht be-
kannt, welches der Laufer abwiegt, oder mit welchem die Waage an-
fängt am nähern Nagel für grölsere Gewichte. Nach diesem werden
noch 2, 4 oder 6 Pf. in die Waagschüssel gebracht, und der Stand des
_ Laufers für das Gleichgewicht genau angemerkt. Der mit dem Zirkel
_ abgenommene Weg, welchen der Laufer vom kleinsten Gewichte bis
daher durchlaufen hat, wird an dem Waagarme weiter fortgetragen,
bis zum weitesten Stande des Laufers inD. Auf solche Art ist auch
das grölse Gewicht bekannt, welches er noch abwiegt. Die Differenz
vom vorigen kleinsten giebt an, wie viel das Hülfsgewicht tragen kön-
ne (Nr. 18). Macht dieses zum grölsten addirt eine Summe von 300
oder etwas darüber, so ist die Wahl für das Laufergewicht wohl ge-
troffen, Istsie aber zu klein oder zu grols, so muls der Laufer schwerer
oder
Fig. Il.
118
oder geringer werden. Man wiederholt also die Untersuchung, bis
das gefundene Gewicht den Ansichten entspricht.
40. Bey kleinern Waagen geht dieses praktische Verfahren ziem-
lich wohl an, und führt auch bald zum Zweck. Wären aber gröfse-
re Gewichte umzulegen, so könnte es nicht ohne längern Aufenthalt
und viele Beschwernils ausgeführt werden. Man hilft sich also mit
einer kurzen leichten Rechnung, mit welcher weitere Untersuchung,
besonders bey grolsen Heuwaagen, entbehrlich wird.
Man macht sich nur bekannt, welches Gewicht auch mit Bey-
rechnung der Waagschüssel sammt ihren Haken am nähern Nagel B
mit dem längern Waagarm ohne Laufer das Gleichgewicht halte.
Aus diesem erhält man hernach das Laufergewicht durch die Rech-
nung.
Es sey der nächste Standort für den Laufer — CF, der
weiteste — CD; das Gewicht des Laufers sammt dem Aufsatz = x.
” eg: n } CFxx ;
So trägt er in F ein bey B hangendes Gewicht — >70: weil
Gr xx
BC:CF=x: 0"
Gewicht, welches hier mit dem Waagarme das Gleichgewicht hält,
und macht es = b, so ist das kleinste Gewicht, welches der Lau-
’ CF xx $
fer x hier abwiegt, = ae + b= m, wie es Nr. 18 genannt
Setzt man dazu das vorhinein gesuchte
wurde. Eben so ist das gröfste Gewicht, wenn der Laufer in D
. CDxx R-
geführt wurde, — 30" +b-—M. DasHülfsgewicht in E=-M—m
soll mit M, wie hier verlangt wird, 300 Pf, = d machen. So ha-
ben wir also 2M—m=d, nämlich
2C0CDxx CFxx
ger tab BG — b, oder
(2
>
B
j
{
’
}
119
(2CD—CF)xx
BC
+b=d, und daher
BC
EM MASCD RR
Zu dieser allgemeinen Formel für das Gewicht des Laufers
gab Nr.37 die Ausmessung BC = 94, CF= 175, CD=2979. Es
wurde auch für diese Waage gefunden b — 43,5 Pf. sehr nahe.
Da also seyn soll d = 300, so ist
94
5783
dem Aufsatz. Weil es aber doch besser ist, dafs d etwas grölser
als genau nur — 300 erhalten werde, und dafs auch derLaufer da-
bey ein sonst noch brauchbares Gewicht erhalte, so wird dieses ohne
den g Loth wiegenden Aufsatz auf ganze 4 Pfund festgesetzt, und
so x = 4,25 Pf. angenommen.
= 256,5 X 22 = 4,1693 Pf. = 4. Pf. 5,4 Loth sehr nahe sammt
Setzt man diesen Werth in der aus der vorigen hergeleiteten Glei-
chung für das grölste Gewicht, welches die Waage sammt dem Hülfsge-
(.2CD—-CF)xx 5783x 425
wichte abwiegt, so wirdd = gi +b= 94 +43:5
= 305 sehr nahe. Eben dieser Werth von x giebt für das grölste
x CDxx 12660,75
Gewicht M= —5c tb = DE + 43,5 = 178,18; und
CF xx 743,75
für daskleinttem= gg +b= 94 —+ 43,5 =51,41. Es dürfte
‚also in E das ‚Hülfsgewicht abwiegen sehr nahe 178 — 51 = ı27 Pf,
und so gienge die Waage auf 178-4 127 = 305 Pf., wie vorher ge-
funden wurde. Ich wollte aber das Hülfsgewicht nur auf 125, und
so das ganze Gewicht auf 303 Pf. bestimmen und festsetzen.
41. Ehvor man nach dem so erhaltenen Gewichte des Lau-
fers zur Theilung schreitet, ist noch zu untersuchen, mit welchem
Ge-
120
Gewichte beym weitern Nagel A die Waage anfange, wie weit sie
dort gehe, und ob nicht im Uebergange von A zu B eine Lücke an
der Gewichtszahl vorkomme. Da man auch hier das Gewicht — b,
welches mit dem Waagbalken das Gleichgewicht hält, berechnen
will, so muls zum vorigen bey B — 435 Pf. = 1392 Loth das Ge-
wicht der Waagschüssel sammt dem Haken = ı4 Pf. ı3 Loth
= 456 Loth gesetzt werden, weil auch dieses zum Gleichgewichte
beyträgt, und nochmals von B zu A wandert. So war eigentlich
bey B das ganze Gewicht — ı858. Da nun diese Gewichte in B
und A gegen einander in verkehrtem Verhältnifs BC:BA (Nr. 13) sind,
oder hier 245:94 (Nr. 37), so ist 245 : 94 = 1858 :713 sehr nahe
— 22 Pf. 9 Loth. Ziehet man davon wieder ab das Gewicht der
Waagschüssel sammt dem Haken, bleiben 7 Pf. 23 Loth, welche
nebst der Waagschüssel in A mit dem Waagbalken das Gleichge-
wicht halten.
Für sich trägt am Nagel A der Laufer bey F ein Ge-
x<4H2
wicht — Fran — 3Pf. ı Loth sehr nahe. Kommen dazu
7 Pf. 23 Loth, so fängt hier die Waage an mit 10% Pf.
Wird hernach der Laufer bis an das Ende zu D geführt, so
; ; £ CD x 4,2 2 < 425
trägt er für sich bey A ein Gewicht — < 7% TR
— 51 Pf. 22 Loth sehr nahe. Kommen dazu die 7 Pf. 23 Loth, so
geht hier die Waage bis 59 Pf. 13 Loth. Da sie bey B anfängt
mit 51, so hat sie keine Lücke von 10% bis 178, und durch das
Hülfsgewicht bis 303 Pf.
42. Wie schwer aber dieses seyn solle, ist auch vorläufig zu
berechnen. Weil es, da der Waagarm schon horizontal ist, für sich
125 Pf. zu tragen hat, so ist GE