Te ! . U u - “ \ ea Pr 6 EN > . = Io BE & A DENRKSCHRIFTEN DER KÖNIGLICHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN ZU MÜNCHEN 814, Vu DD VERB, ——— BA, n.n,-.V, AGERON. ‚ano aannd DENRKSCHRIFTEN KÖNIGLICHEN ACADEMIE DER WISSENSCHAFTEN ZUM UNICHEN FÜRYDTLENJA HERE 1814 us» 1815. AGERON, MÜNCHEN, auf Kosten der Akademie, ı8ı7. pen inne, n: 3 ” 5 22; A FEN TER ae rd Geschichte der Akademie in den Jahren ı8:ı4 und ı8ı3. . Vorerinnerung. we. @ . Oeffentliche Versammlungen. c. Allgemeine Versammlungen. u . Philologisch-philosophische Classe und ihr Attribut, das Anti- quarium. e. Mathematisch-physikalische Classe und die ihr beygeordneten Attribute. f. Historische Classe und ihr Attribut, das königl. Münz- Cabinet. g- Preisaufgaben. h. Veränderungen im Personal. N Ab- Abhandlungen. EClasse der’ Philologie und Philosophie. Friedr. v. Jacoss über die Bildsäule- der schlafenden Ariadne, sonst Kleopatra genannt, auf einer selte- men AMinuze, 7 re re en .... PB ı—ıb (Hierzu der Kupferstich Tab. I.) Cajetan v. Weser über das menschliche Wahrnehmungs- p: 17— 62 Vermögen. . : x : R : x Glasse der Mathematik und Naturwissenschaften. ı. Fr. v. Paula v. Scarask, Anacis, eine neue Pflanzen- gattung. . . . . . . . . p- ı—8 a. S, Th. v. Sormmerrine, über den Crocodilus priscus, oder ein in Baiern versteint 'gefunrdenes schmalkie- feriges Krokodil, Gavial der Forwelt. -. . p- 9— 82 (Mit einem Steindruckblatt.) 3. Ignatz Pıczer’s theoretisch - praktische Abhandlung über die Natur, Beschaffenheit und bessere Werferligung der ungleicharmigen römischen oder unrichtig so- genannien Schnellwagen. . £ . £ . P- 83— 156 (Mit einem Kupferblatt,) 4. 8. Th. v. Sormmeanise über eine neue Art Wein zu veredeln. : - E & her - P-137—150 5. R. L. Runzano’s Beyträge zur Geschichte des Jods. p. ı51ı—ı60 6. Annotationes ad theoriam atque historiam perturbatio- num coelestium pertinentes. Auctore Carolo Guil. Andr. Prarr. . ; } RE 2 . p- ı61ı—ı74 7. Plantae nonnullae horti academici Monacensis de- scriptae. atque illustrataee Auctor C. Fr. Phil. Marriıvs. . B . . = - . . P.175—192 (Mit 4 Steindrucktafeln, Tab, IV. V. VI. VII.) 8. Bestimmung des Brechungs- und Farbenzerstreuungs- Vermögens verschiedener Glasarten, in Bezug auf - die Vervollkommnung achromatischer Fernröhre. Von Jos. Frausnorer in Benedictbaiern. . » pP: 193—226 p-29 (Mit drey Kupfertafeln,) Classe der Geschichte. ı. Fortsetzung der Geschichte des königl. baier. Münz- kabinets in München. Von Franz Ign. v. Sraeser. p. ı— 26 2. F. Ign. v. Srresers Erklärung einiger noch unedirten griechischen Münzen der königl. baier. Samm- lung. s b 3 - ° - B . Pı727—58 (Mit drey Kupfertafeln,) 3. Ueber den historischen Werth des in den baierischen Handschriften den Bajuvarischen Gesetzen voraus- gehenden Prologs. Von D. Jos, Mizsiuter. . . P.59—91 Verzeichnils- der zu diesem Bande gehörenden Abbildungen. ı. Kupfer zu Jacobs Abhandlung über die schlafende Ariadne. a. Steindruck zu Soemmerings Crocodilus priscus. 3. Kupfer zu Pickel über die römische VVage. 4—7. Vier Steindrucktafeln zu Martius Plantae. 8— 10. Drey Kupfertafeln zu Frauenhofer's Bestimmung des Brechungs- und Farbenzerstreuungs - Vermögen verschiedener Glas- Arten. 1, —ı3. Drey Kupfertafeln zu Strebers Erklärung einiger noch unedirten griechischen Münzen der königl. Sammlung. ee ee Ö Ze u nu nn nn. nn sn sw... na... an... an nn... Geschichte; der Akademie in den Jahren ı$8ı4 und ıßı3z. a) Vorerinnerung. De zuletzt erschienene Band der Denkschriften der Akade- mie enthielt die Geschichte derselben bis zu Ende des Jahres 1913; hier die Fortsetzung für die beyden obenbenannten Jahre, in den be- kannten Abtheilungen, nemlich: von den öffentlichen — dann von den allgemeinen Versammlungen in den Jahren ıg14 und 15; — von den drey Classen und den mit der Akademie verbundenen At- tributen und Sammlungen; — von den Preisaufgaben; — von den Veränderungen im Personal. b) Oeffentliche Versammlungen. Es wurden deren in diesen zwey Jahren an den bekannten feyerlichen Tagen der Akademie vier gehalten. [3 In II Geschichte "In der einen (der siebzehnten scit Erneuung der Akademie) zur 55sten Stiftungsfeyer, am 28. März ı814, las der Hr. Commenthur und Prof. Petzl eine Abhandlung über den gegenwärtigen Zustand der mineralogischen Sammlungen der Akade- mie, deren verdienter Conseryator derselbe ist, mit vorhergehender geschichtlichen Darstellung ihres Entstehens und Zuwachses. Es wurde der Reichthum des Ganzen in eine gedrängte Uebersicht ge- bracht, besonders beym zweyten Corridor verweilt, der eine orykto- gnostische Sammlung der baierischen Mineralien enthält, woran sich eine andere nach den Kreisen des Königreiches und nach den Rerie- ren eingetheilte, anschliefst. Diese Vorlesung kann vorläufig zu einem summarischen Wegweiser durch diese Sammlungen der Akademie die- nen, bis der Verf. den räsonnirenden Hatalog, die besondere ausführ- liche Anleitung zu nützlicher Beschauung derselben, an welcher er ar- beitet, in den Druck geben wird. (Gedruckt, und in Commission bey Lindauer.) Hr. Dir. von Weiller las eine Abhandlung „über das menschliche Vorhersehungsrermögen.“ Er bestimmte vor allem die Frage, um welche es sich hierin handelt, dadurch näher, dals er sie in ihre Theilfragen zerlegte, in die von der Vorempfindung oder Vorkenntnifs des Vergänglichen als solchen, von der Vorsehung, oder Vorkenntnils des Ewigen als solchen, und von der Weilsagung oder Vorkenntnils des vom Ewigen bestimmten Vergänglichen. Die eingelaufenen preiswerbenden Schriften in Bezug auf die 1812 aufgestellte Frage wurden angezeigt. (sieheunt.: Preisfragen.) . In der Akademie. 1 In der achtzehnten öffentlichen Sitzung, am 12. Oct. 1814, (nach bekanntgemachten Ausspruch über die Preisaufgabe)) las der Hr. Reichs- Archiv-Director von Lang: „Bruchstück einer baierischen Handelsgeschichte aus der Regierungszeit Herzog Ludwig des Strengen vom J. 1253— 1294.“— Da sich der ältere levantische Handel über Constantinopel nach der Krimm durch die Ukräne, Polen, Böhmen in Baiern herein und zwar als einer Haupthandelstadt nach Regensburg, und von da über Augsburg und Memmingen bis nach Frankreich zog, so hatte Hr. v. Lang die Gelegenheit ergriffen, aus einem im Reichs- archive befindlichen alten Landbuche vom J. 1278 und andern histori- schen Nachrichten von der Regierung Herzog Ludwig des Strengen, als der letzten Periode dieses levantischen Handels, alles dasjenige auszuheben und zusammenzustellen, was sich von den damaligen Was- ser- und Landstralsen in Baiern, von Märkten und Messen, Zoll- und Mautwesen, Aus- und Einfuhr, eigenen Erzeugnissen des Landes, Maas und Gewicht, Münzen und Preisen der Dinge, noch aufgezeich- net findet, aus welchen hervorzugehen scheint, dafs damals schon eine ziemliche Betriebsamkeit in Baiern geherrscht, in manchen Stücken wohl noch bedeutender als selbst heut zu Tage, dals aber der mittlere Wohlstand minder allgemein ausgebreitet und es unter geringscheinen- den Preisen im Grunde doch theurer als jetzt zu leben war. (Diese Abhandlung erschien gedruckt beyLindauer, München, 24 Seit. in 4.) Hierauf las Oberfinanzrath Roth „Bemerkungen über Sinn und Gebrauch des Wortes Barbar,“ worin der Ursprung der widrigen Begriffe, welche dieses Wort ausdrückt, umständlich entwickelt, so- dann der spätere Gebrauch erörtert und endlich der heutige auf fol- gende Art bestimmt wird: ‚‚In der Christenheit steht heutzutage kein a2 Volk IV Geschichte Volk zu dem andern in dem Verhältnisse der Griechen zu den Ungrie- chen. Aehnlichkeit aber hat die Stellung der christlichen Völker ge- gen einander mit derjenigen, die ein griechischer Staat gegen den an- dern einnahm, und ihr Verhältnifs gegen die benachbarten unchristli- chen Völker mit demjenigen, das zwischen Griechen und Barbaren bestand. In dem weiten Kreise der europäischen Bildung, dem größten, den die Weltgeschichte aufweist, ist keine Völkerschaft bar- barisch zu nennen; aber Einzelne sind es in allen Ländern und in allen Ständen. Ein Feind der Gelehrsamkeit, sagt Berkeley, ist ein Barbar; und da die ächte Bildung neuerer Zeit vornehmlich von der Gelehrsamkeit erzeugt, gepflegt und erhalten wird, so kommt diese auch in Teutschland am meisten übliche Bedeutung des Wortes der ursprünglichen, obwohl viel weitern, am nächsten, wenn man nur, wie sich gebührt, als Feind der Gelehrsamkeit nicht ihren Verächter allein, sondern auch denjenigen ansieht, der sie binden und zwingen will.“ — (Diese Abhandlung ist in der Felseckerschen Buchhandlung im Druck erschienen, ı6 Seiten, 4.) Hr. Director von Streber, Conservator des k. Münzkabine- tes, hatte von der, Herzog Albert V. betreffenden Preisfrage Gelegen- heit genommen, einigeZüge aus dem Leben diesesFürsten durch seltene, bis jetzt den Numismatikern noch nicht bekannte Schau- münzen zu erläutern, und eine Abhandlung darüber auch noch zur Feyer dieses Tages zu lesen. Die merkwürdigste darunter ist ein grolser, in dem kön. Münz-Cabinete sich befindender Medaillon, der in Bezug auf die Verschwörung geprägt ist, die in jener Periode, in welcher ganz Teutschland wegen Religions- Meynungen in Gährung gerathen war, von einigen unzufriedenen Vasallen gegen das Leben des Herzogs an der Akademie. V angesponnen worden. Diese Aufrührer hatten heimlich, und zwar unter dem Namen des Herzogs, Truppen im Auslande werben lassen, während sie im Lande selbst mit ihrem Anhange Alles zu einem grolsen Schlage vorbereiteten; aber die Falschwerber wurden ergriffen und zum Geständnis ihrer Mitschuldigen gebracht. Der grofsmüthige Fürst verzieh diesen rebellischen Edelleuten, befahl sogar, ihre Namen zu verheimlichen, alle Documente zu vernichten und dieser Sache nur im Allgemeinen zu gedenken, wie man es daher auch bey Bruner und Adlzreiter findet, Hier tritt nun der Fall ein, der für die Numis- matik immer so rühmlich ist, nemlich ein geschichtliches Factum mit einem geprägten Monumente belegen zu können. Jener grofse Me- daillon v. J. 1558 trägt nemlich auf der Hauptseite des Herzogs Bild, auf der Kehrseite zwey Löwen, deren einer den gegen ihn kämpfenden Stier zu zerreilsen droht, der andere ein Lamm in seinen Schutz nimmt, mit der Umschrift: Parcere subjectis et debellare superbos. — (Diese Abhandlung mit der Abbildung des Medaillons findet sich in dem drit- ten Bande der historischen Abhandlungen, München, 1815; auch ist eine Anzahl separater Abdrücke in das Publicum gekommen.) Die neunzehnte öffentliche Sitzung wurde am 31. März 1815 zur 56sten Feyer des Stiftungstages gehalten. Der Hr. Hofbibliothek- Custos und Adjunct der Akademie Docen las zuerst eine Abhandlung „über die Ursachen der Fortdauer der lateinischen Sprache seit dem Untergange des abendländischenRö- merreichs. “Nächst dem allgemeinen Gesichtspuncte, wie die Kultur der neuern Völker Europa’s in vielfältigster Beziehung von einer aus früher Zeit überlieferten fremden Erudition sich stets abhängig bewie- sen, und wie der Einflufs der lateinischen Sprache hier überall vor- herr- VI Geschichte herrschend gewesen, wurden, nach einem übersichtlichen Gemälde der altrömischen Literatur und Sprache, die Gründe untersucht, de- nen die Fortdauer derselben nach dem Umsturze des römischen Reichs durch die germanischen Völker beyzumessen sey. Als solche wurden angegeben: ı) die Einführung der christlichen Religion seit Constan- tin, deren Ritus in lateinischer Sprachform nun verändert auch von den fremden Völkern angenommen wurde; 2) in der Verbreitung des römischen Rechtes und den Vortheilen einer gebildeten Schriftsprache, die jetzt ebenfalls von den Franken, Gothen u. s. w. benützt wurden ; endlich 3) in den Bildungsanstalten der römischen Provinzen, deren Lehrgegenstände sich nun in den Benedictinerklöstern und Domschu- len forterhielten. Während im Mittelalter die lateinische Sprache ein so weites Gebiet beherrschte, suchte die Latinität der Scholastiker dasjenige nachzuholen, was einst in philosophischem Forschen von den Römern versäumet worden war. Die Zeiten der Wiederherstellung der Wissenschaften und des für die Landessprachen so schädlichen allgemeinen Lateinschreibens berührend gieng der Verf. auf den Zu- stand der humanistischen Studien in Teutschland über und den wün- schenswerthesten Gebrauch der römischen Classiker bezeichnend schlofs die Rede mit den Worten: ‚Um nun aus diesem Bezirke der jugendlichen Bildung in unsern Kreis zurück zu treten, so lassen Sie mich die Erinnerung erneuern, wie alle die Vortheile, die unser Zeitalter wissenschaftlichen Bestrebungen und gelehrtem Forschen ver- dankt, durch was immer für ein Band an den ununterbrochenen Fort- bestand der lateinischen Sprache und Literatur im westlichen Europa sich anknüpfen. Alles beynahe, was wir in unserer gesammten neuern Literatur Gutes und Vorzügliches besitzen, ist durch diese Stufen ge- gan- der Akademie Yu gangen, und ohne solche, mit Dank und Achtung anzuerkennende Zu- rückbeziehung wäre denn auch diese den ernsten Musen gewidmete Anstalt nicht gedenkbar. Gegründet von patriotisch - gesinnten Män- nern, die den Werth edler und nützlicher Kenntnisse empfanden, ist jetzo ihr Wirkungskreis einem vielseitigeren Betreben nicht nur in Er- forschung vieler wissenschaftlicher und gemeinnütziger Gegenstände, so wie der vaterländischen Geschichte, sondern auch der Kunde des klassischen Alterthums und der neuern Literatur gewidmet. Indem der heutige Tag uns an die vor 56 Jahren erfolgte Stiftung dieser Aka- demie erinnert, wünsche ich durch den aus der allgemeinen Literatur- geschichte bisher verhandelten Gegenstand in dieser Versammlung, zu allem, was in guten und schönen Künsten die früheren Zeiten uns überliefert haben, jene Empfindungen von Liebe und Achtung erregt zu haben, mit denen uns geziemt, den wohlthätigen Genius unseres allgeliebten Königes dankend zu verehren, der diese Stiftung Maxi- milian Joseph’s III. erneuert, erweitert, und mit den zahlreich- sten Hülfsmitteln aufs glänzendste ausgestattet hat.“ — (Gedruckt und bey Lindauer in Commission zu haben.) Hierauf las Hr. Dir. v. Schrank ein biographisches Denkmal auf den sel. Präsidenten von Schreber in Erlangen, ausw. Mitglied unserer Akad., und verweilte besonders bey der Beschreibung seines, in der That einzig zu nennenden Herbariums, das durch die Grofsmuth Sr. Maj. des Königes nun Eigenthum der Akademie ist, und wohlerhal- ten mit den Namen des unvergelslichen Sammlers unsern Nachfolgern überliefert werden wird. Der Gen. Secret. d. Akad., Dir. Schlichtegroll erläuterte einige antike Grabmäler und Inschriften, die sich in dem kön. Antiqua- rıum vIu Geschichte rium befinden, wobey ein sie darstellendes Steindruckblatt vertheilt wurde. Es wurde der Ausspruch über die 1812 ausgesetzte Preisfrage: Welches ist die Natur und Erzeugungsweise des Stickgases? — be- kannt gemacht, (s. unten: Preisfragen.) In der zwanzigsten öffentlichen Versammlung am ı1. Oct. 1815 handelte die Vorlesung desProf. Ellinger, ord.Mitgl. der math. physik. Classe, „von den bisherigen Versuchen über die längere Voraussicht ‚dier Witterung,“ in welcher er, den Gegenstand von den ältesten Völkern an, durch alle Jahrhunderte und die mehrsten cultivirten Länder verfolgend, aufwies, welche Mittel man bisher angewandt habe, um zu jener Voraussicht zu gelangen, und theilte diese in solche, bey welchen man bestimmte Ursachen der Wit- terungsveränderungen annahm, und in solche, die ohne dergleichen Annahme angewendet wurden. — Von denen der ersten (lasse erwies derselbe, dafs man bey den Erklärungen der Witterungsveran- lassungen aus blos physischen Gründen jedesmal die Unmöglichkeit fühlte, einen andern ersten Grund davon aufzufinden, als einen kosmi- schen, nemlich die gegenseitige Einwirkung der zu unserm Sonnen- systeme gehörigen Himmelskörper ; — dafs diese durch das im Univer- sum verbreitete, unwägbare Grundelement auf einander wirken, wel- ches bald unfühlbar ist, bald erscheinend als Wärme oder Licht, als Electricität oder Magnetität. Von den Versuchen der zweyten Classe, welche durch Vergleichungen des Hauptcharakters der Witte- rung mehrerer Jahre und Jahreszeiten geschehen, wies Hr. Ellinger bey jenen, welche sich bewährten, den kosmischen Grund auf; und bey der Akademie. IX bey den unstatthaften den Mangel eines solchen Grundes. Aus dem Ganzen ersieht man, dafs nach allen bisherigen Beobachtungen und Entdeckungen, bey der Beurtheilung und Vorherbestimmung der Wit- terung nicht blos auf physische, sondern auch auf kosmische Verhält- nisse Rücksicht genommen werden soll; indem Hr. Ellinger für das, was er zuvor in seinen Beyträgen über den Einflu/s der Him- melskörper auf unsre Atmosphäre (München, 1814 und 135.) aus den Vergleichungen der Mannheimer meteorologischen Ephemeri- den mit den Aspecten der Himmelskörper erwiesen hat, in dieser Ab- handlung noch falttische Beweise vieler andern Naturforscher aufführte.. (Gedruckt, in Commission bey Lindauer.) Dann las Hr. Director v. Schelling eine Abhandlung über die Gottheiten von Samothrace. Nach einer Einleitung, wel- che den Zuhörer in die Naturumgebungen jener merkwürdigen Insel versetzt und die Hauptzüge aus der Geschichte des samothracischen Dienstes enthält, erklärt der Verfasser, die bekanate, durch den Scholiasten des Apollonius erhaltene Nachricht von den Gottheiten Samothraciens der Untersuchung zum Grunde zu legen. Durch die Verbindung morgenländischer und griechischer Sprachkenntnisse wer- den hier von den bisherigen sehr abweichende Resultate gewonnen. Die Erklärungen des Verfassers stimmen jedock mehr, als die von Zoe@ga und andern versuchte, mit den Auslegungen überein, die der alte Geschichtschreiber von jenen Götternamen giebt. Entscheidend für den Sion der ganzen Lehre ist die Bestimmung von Kadmilos (Hermes), auf die sich vorzüglich der Beweis gründet, dafs die in der angeführten Stelle genannten Götter nicht in herabsteigender, b son- X Geschichte sondern in aufsteigender Ordnung sich folgend gedacht werden müs- sen. Dadurch tritt das samothracische System in ein völlig ande- res Licht, welches von da sich auf die übrigen griechischen Myste- rien und das ganze System des alten Götterglaubens verbreitet, über dessen Erklärung und geschichtliche Herleitung einige allge- meine Bemerkungen eingeflochten werden. Sodann erklärt sich der Verfasser über die Pygmäen-Gestalt der egyptischen Kabiren; zwi- schen diesen und altnordischen Vorstellungen (die auch früher schon verglichen worden) ist eine merkwürdige Verbindung aufgezeigt. Zuletzt sucht der Verf. den allgemeinen Kabiren-Namen auf eine neue, mehr der Eigenthümlichkeit jener Gottheiten angemessene Art zu erklären. (Diese Abhandlung, mit den reichhaltigen Anmer- kungen 117 Seiten stark, ist im Verlage der Cotta’schen Buchhand- lung in Stuttgard erschienen.) Nun erfolgte der Spruch über die, durch die Preisfrage, die Aechtheit der Platonischen Schriften betreffend, veranlafste Einsen- dung und wurde eine neue aufgestellt. (S. unten Preisfragen.) e) Allgemeine Versammlungen. Es wurden in den Jahren 1814 und ı5 deren siebzehn gehalten. Eine besondere Erwähnung unter den laufenden, grölsten- theils administrativen Gegenständen, welche in diesen Versammlun- gen zur Kenntnils der Akademie gebracht wurden, verdient, dafs der Akademie, XI dafs Hr. Prof. Thiersch und Hr. Bibliothekar Scherer durch Wahl der philolog. philosoph. Classe und dann der gesamm- ten Akademie, und auf erhaltene königl. Bestätigung derselben, zu ordentl. frequent. Mitgliedern der Akademie ernannt wurden; und dafs das zeitherige Ehrenmitglied der Akademie, Hr. Ober-Kirchen- Bath Wilsmair durch Entschliefsung Sr. königl. Maj. gleichfalls in diese Abtheilung dar Mitglieder versetzt wurde und in der histo- .zischen Classe Platz nahm; ferner dafs ein Freund der Wissenschaften, der sel. Beneficiat Plac. Scharl in seinem letzten Willen seine gesammelten Bücher, Hand- zeichnungen und Kupferstiche der k. Akad. d. W. als ein schätz- bares mit gebührendem Dank anerkanntes Legat vermacht hat. Von den Büchern wurden die Classiker an. die Bibliothek der k. Stu- dien-Anstalt abgegeben. Eine Handzeichnung wurde für werth er- kannt, in die königliche Sammlung der Handzeichnungen aufgenom- men-zu werden; aus den Kupferstichen wählte die k. Kupferstich- Sammlung dasjenige aus, was ihr noch mangelte. Die königl. Gentralbibliothek, die als das allgemeinste Attribut der Akademie nun zu erwähnen ist, machte in den Jahren 1814 und 15 sowohl in Absicht auf Anordnung, als Vermehrung die bedeutendsten Fortschritte. In Rücksicht auf erstere ergab sich das Bedürfnils immer mehr, baldigst einen allgemeinen alphabetischen Ka- talog des Ganzen herzustellen, da zeither blos dergleichen über ein- zelne Theile, aus denen die Bibliothek erwachsen ist, bestanden, und eine fortgesetzte systematische Katalogirung bey der Grölse der Biblio- b2 thek Xu Geschichte thek zu spät zum Ziel führen würde. Die Bibl. Administr. Commissior vereinigte sich daher über einen Plan, nach welchem die Bibliothek in zwölf grofsen und gegen zweyhundert Unter - Abtheilungen aufge- stellt, die Bücher in diesen Unter - Abtheilungen nach dem Alphabeth geordnet, zugleich beziffert und dann auf beweglichen einzelnen Quart- blättern katalogirt werden sollte. Dieser Plan wurde allerhöchsten Orts genehmigt und der Akademie die Erlaubnifs gegeben, die hierzu nöthigen geschickten Gehülfen auswählen und zu dieser bald möglichst zu beendenden vorübergehenden Arbeit anwenden zu dürfen. Dieses ist geschehen und bis zum Ende des Jahres 1815 war bereits ein grofser Theil dieser Arbeit unter der speciellen Leitung des Hrn. Bibliothekar und ordentl. frequent. Mitgliedes der Akad. der Wiss. Scherer ge- than.‘ Der Bibliothek - Administrations- Commission wurde in ihren Sitzungen, von denen in diesen Jahren die 57ste bis 66ste gehalten ward, Bericht über die fortgehende Arbeit erstattet, und sie fand nur immer Veranlassung, ihre Zufriedenheit mit dem consequenten Gang derselben zu bezeugen. Mehr hierüber wird sich in der Geschichte der Akademie für die nächstfolgenden Jahre finden. d) Philologisch-philosophische Classe und ihr Attribut, das Antiquarium. Die im vorigen Bande der Denkschriften erwähnte (p. IX) durch die Vorlesung der Hrn. Prof. Thiersch über die Bemühun- gen der Neu-Griechen auf dem Felde der Wissenschaften, mit mehrern Gelehrten in jenen Gegenden veranlafste Verbindung hatte Zur der Akademie. XII zur Folge, dafs Schreiben mit Dankbezeugungen von dem ehrwür- digen Patriarchen in Constantinopel, von Smyrna, Bucharest u. s. w. an die Akademie eintrafen, dafs junge Studierende nach München, Landshut, Würzburg und anderen teutschen Universitäten geschickt wurden, und dafs die Akad. der Wiss. in München von jenen nach wissenschaftlicher Fortbildung ihrer Landsleute strebenden edelge- sinnten Männern ihre Wohlthäterinn genannt ward. Der gleichfalls dort erwähnte Hr. Prof. Othmar Frank legte im Jul. 1814 der Akad. ein beschreibendes Verzeichnils der persischen Handschriften der königl. Bibliothek vor, dafs dann auf Kosten der Akad. zum Druck befördert wurde. — Im Herbste des- selben Jahres erhielt derselbe auf Bericht der Classe die Genehmi- gung S. M. des Königs zu einer, aus den Fonds der Akad. bestrit- tenen Reise nach .London, um seine Studien der Indischen Sprache und Literatur fortzusetzen, von denen er durch öftere Berichte der Classe Mittheilung machte. Von den Früchten seiner Bemühungen wird-in der akademischen Geschichte der folgenden Jahre noch öf- ters die Rede seyn. Die Spuren von römischen Gebäuden, die im Herbste 1815 auf dem Loigerfeld bey Salzburg gefunden worden waren, veran- lafsten die Classe durch Absendung erst des Hrn Prof. Thiersch, dann, als dieser mit dem Auftrag zur Reclamation der aus den hiesigen Bibliotheken ‚mitgenommenen Codices und Bücher nach Paris abge- ordnet wurde, des Conservators des Antiquariums, Hrn. Prof. Stark, die dortigen Aufgrabungen leiten zu lassen. Die bald darauf er- folg- XIV Geschickte folgten Gränzveränderungen, wo dieser Theil des Salzburgischen Gebietes wieder an Oesterreich abgetreten wurde, störten die Aus- führung der weitern Plane, die zur Erhaltung dieser merkwürdigen Alterthümer bereits in Rede waren. Doch wurde das Antiquarium mit einigen dort und in dem Rosenegger-Garten bey Salzburg gefundenen schätzbaren Al- terthümern bereichert. In den Classensitzungen fanden mehrere Vorlesungen philo- sophischen, philologischen, und antiquarischen Inhaltes statt, die von den Mitgliedern nur zur Mittheilung und nicht für die Denk- schriften bestimmt waren. So die des sel. Kirchenrath Martini über Horaz Od. IV, 3: Quod spiro et placeo etc., welches die letzte akademische Mittheilung dieses verehrten Mannes war, da durch dessen im Herbst 1515 erfolgten frühzeitigen Tod die Aka- demie einen empfindlichen, allgemein betrauerten Verlust erlitt. €) Mathematisch physicalische Classe und deren Attribute, Sie erstattete, in Folge erhaltener Aufträge von der Regie- zung, gutachtliche Berichte: über Dr. Ziegler’s in Waldmünchen, Zucker- und Gummi - Bereitung aus Ahornsaft; — über J. Holzner’s zu Ingolstadt neue Mahlmühle ohrre Wassertrieb;-— über Malter’s Abziehriemen für schneidende Instrumente; — über die Frage, ob und der Akademie. xXV und durch welche Methoden das in der Residenzstadt München zur Strafsenbeleuchtung verwendete Unschlitt so zubereitet und gerei- nigt werden könne, dafs es ohne beträchtliche Kostenvermehrung an Brauchbarkeit und Güte dem Rebsöle nahe gebracht oder gleich- gestellt werden könnte; — über Apotheker Stahl zu Augsburg Euft- verbesserung - Räucherungsmittel; — über Stain’s Feuerlöschpul- ver; — über Graf Arensberg’s Stahlfabricationsproben; — über Daisenrieder’s, Uhrmachers zu Gmünd, erfundene Räder- und Trieb-Schneidemaschine; und mehrere andere. Der geistliche Rath v. Imhof machte, zufolge eines Auftra- ges der Regierung, durch die Zeitungen eine Darstellung der Ursa- chen und Wirkungen meteorischer Feuerkugeln bekannt, um aber- gläubigen Sagen entgegen zu wirken; — er verfalste, gleichfalls in Auftrag der Regierung, einen populären Unterricht zur Errichtung und Unterhaltung von Blitzableitern, welcher auf Kosten des Staates gedruckt und ausgetheilt wurde. Aufser den in den Classensitzungen vorgelesenen in diesem Bande abgedruckten Abhandlungen erfolgten häufige Mittheilungen, die, nicht für die Denkschriften bestimmt, zum Theil in andern Sammlungen gedruckt erschienen. So las Hr. Dir. v. Schrank über die Beschreibung einiger Pflanzen aus Labrador mit Anmerkungen nach einer von Kohlmeister herrührenden kleinen Sammlung aus dem Nachlasse des Präsid. von Schreber, — über Hrn. Duyal’s zu Regensburg Beobachtungen der Ringelnatter, Coluber natrir; über Hrn. Prof. Hofsfeld zu Dreyfsigacker Beobachtungen und vVOor- XVI Geschichte vorläufige Resultate, betreffend vier neue Rosen-Arten nämlich Rosa constans, variabilis, decipiens und campanulata. — Hr. General- Salinen-Administrator von Flurl theilte mit: einen Aufsatz über ei- nen am Rathhausberge im Salzburgischen neuentdeckten Blauspath und noch einige andere daselbst vorkommende wenig bekannte Fos- silien. — So berichtete Hr, Gch. Rath v. Soemmerring, über, eine von Hrn. Dr. Albert zu Anspach eingesendete Zwillings- Mifsgeburt und die Hnochenreste einer Hirnyorlagerung, (Hernia cerebri;) er führte die bey Schriftstellern vorkommenden Beschrei- bungen ähnlicher Fälle an, und zeigte die ähnlichen Stücke von Menschen und Thieren aus seiner Sammlung nebst einigen Zeich- nungen vor; — über ein zu München gebornes Kind mit sechs Fingern und sechs Zehen; — über Hrn. Prof. Aberle’s Beschrei- bung und. Abbildung einer doppelköpfigen Mifsgeburt; er legte ferner 26 :Abbildungen vor, von menschlichen und. thierischen Mifsbildungen, chirurgischer Krankheiten und Heilungsarten, die ihm von Hrn. Joh. Rheineck, WVundarzt in Memmingen, zu diesem Zwecke übersendet worden; so wie nebst einer kurzen Schilderung verschiedene, ihm vom Bar. v. Cuvier geschenkte Reste vom Anoplo- therium eommune und Palaeotherium; er zeigte den von ihm in diesem Bande beschriebenen und abgebildeten Crocodilus priscus in dem Originalstein vor, zugleich sowohl mit Krokodilen 'in WVeingeist, als Krokodil-Skeleten und Schedeln aus seiner Sammlung nebst den Original-Zeichnungen vom Hrn. Adj. Oppel und Prof. Köck. — — Freyherr von Moll ertheilte Nachricht von Hrn. Cramers zu Berlin fruchtloser Wiederholung der Morecchinischen Versuche über Magnetisation durch violeten Lichtstrahl und von den Erfolgen seiner Ver- der Akademie. XYVl Versuche über die Indifferenz der elektrischen Spannung in Bezie- “hung auf Wärmestrahlung. — Hofr. Gehlen, der auf Einladung in Wien mit den k. k. Vorständen der Glasfabrication seine merk- würdigen Versuche über die Anwendung des Glaubersalzes bey der Glasbereitung vielfach wiederholt hatte, sandte einen Bericht dar- über an die Classe und lieferte einen Nachtrag zu demselben, worin er insbesondere von den Versuchen handelt, aus Glasscherben durch Wiedereinschmelzung mit etwas Braunstein im Ziegelofen weilses Glas zu erhalten, wobey er die ihm von den HHn. k. k. Hofrath und Dir. Niedermayer und dem Dir. Adj. Joris geleistete Hülfe dankbarlichst rühmte; er gab Nachricht von seinen Versuchen mit Arragon: aus Spanien und Frankreich, welche er in Gesellschaft des H. Hofr. Fuchs zu Landshut und Moser in Wien angestellt hatte; er fand späterhin wirklich Strontian im stängligen Arragon von Auvergne und Wolfstein, sowohl nach Strohmeyer’s als Buch- holzens Verfahren und bewies solches durch einen vorgezeigten Versuch. — Dieser unser verehrter College wurde im Lauf seiner rübmlichen Thätigkeit durch den, von der Akademie allgemein be- trauerten, im Jul. 1815 erfolgten Tod unterbrochen. — Hr. Steuer- rath Soldner machte eine neue Methode, beobachtete Azimuthe zu reduciren, bekannt. — Hr. Dr. Spix, Conservator der zoologi- schen Sammlung der Akad., berichtete über ein vom Pfarrer Lang- wert zu Lipprichhausen im Rezatkreise eingeschicktes Petrefact, welches ihm ein Labrus von Monte Bolca schien; er legte der Ak. seine Cephalogenesis sive capitis ossei structura c. tabb. Monach. 1815. fol. vor. — Hr. Adjunct Dr. Ruhland las eine Abhandlung „ über die Adhäsion, — begleitete seine (in diesem Bande abgedruckten c Bey- xVil Geschichte Beyträge zur Geschichte des Jode mit Vorzeigung der Entbindung des violetblauen Gases aus derselben, und der von ihm bewirkten Verbindung des Jode mit verschiedenen Metallen und brennbaren Körpern, Erden und Säuren; — er theilte eine vorläufige Nachricht über seine Versuche in Beziehung auf die Eigenschaften des See- beckschen Ammonium-Amalgams mit; desgl. eine durch ı2tägige Digestion des Phosphors mit Ammonium erhaltene Verbindung; er las einen Aufsatz über die Antiperistasis, einen Begriff der ältern Physik. — Hr. Adjunct Dr. Martius las eine Abhandlung über den Bau und die Natur der Charen, die er für ein Mittelglied zwi- schen den Conferren und Tangen ansieht und erläuterte sie durch vorgelegte Zeichnungen. — Die Administrations-CGommissionen über die mathe- matisch-physikalischen und naturhistorischen Attribute dieser Classe fuhren in ihren Sitzungen fort, über Vermehrung der Sammlungen und über Vervollkommnung dieser Attribute zu wachen. Wenn in der Geschichte der Akademie vor dem Bande für 1813 angeführt werden konnte, dafs der botanische Garten in jenem Jahre vorzügliche Fortschritte gemacht habe, so ist es die- sesmal die längst gewünschte Erbauung des chemischen Labo- ratoriums, welche ausdrückliche Erwähnung verdient. Noch im J. 1814 wurde der Grundstein dazu gelegt, und der Bau nach den, was die wissenschaftliche Einrichtung betrifft, von dem Hofr. Geh- len gemachten Vorschlägen und nach dem allerhöchst genehmigten Bauplan ausgeführt. Die Vollendung dieses wichtigen Attributes der Akad. der Akademie. XIX Akad. fällt in die Jahre 1816 und 17, so dafs in dem bald nach diesem herauszugebenden Sechsten Bande der akad. Denkschriften ausführliche Nachricht davon soll gegeben werden, so wie von J) der Historischen Classe und dem mit ihr verbundenen Münz-Cabinete, mit dessen Geschichte bis zum Jahre 1815 der verdienst- volle Aufseher, Hr. Dir. von Streber, die Freunde der Wissen- schaften in diesem gegenwärtigen Bande beschenkt, das aber bald darauf durch einen von Hrn. Cousinery erkauften Nachtrag grie- chischer Münzen, der über 4000 Stücke enthält, auf das Glücklichste ist vermehrt worden. g) Preisaufgaben. Ueber die am 28. März ıgı2 von der historischen Classe aufgegebene Preisfrage: „Was ist von den beyden Herzogen von Baiern, Wilhelm IV. und Albrecht V., unmittelbar selbst oder vermöge ihrer Unterstützung und Aufmunterung durch Andere, für Wissenschaften und Künste geschehen, und welches war überhaupt der Zustand der höhern Geistesbildung in Baiern in jener Periode? — waren -zwey Schriften eingelaufen, die eine mit dem Motto: Semper honos nomenque ducum laudesque manebunt; die andere mit: A Cicerone didieimus, quod ipse a Platone desumsit, artes ali honori- bus. Das Resultat der Prüfung, das in der ı$ten öffentlichen Ver- sammlung der Akad. am ı2. Oct. 1814 bekannt gemacht wurde, fiel c2 da- XX Geschichte dahin aus, dafs beyde Schriften den Forderungen der Akademie, welche bey einer erschöpfenden Benutzung der Quellen eine leben- dige Darstellung der wissenschaftlichen Kultur jener Periode durch diese Aufgabe veranlassen wollte, nicht entsprochen hätten. Die. sehr ausführliche Schrift mit dem Spruche: Semper honos etc. er- mangelt, nach dem Urtheil der Richter, der Verbindung der ein- zelnen Theile zu einem Ganzen, die vorhandenen Quellen sind nicht alle erschöpft, und dafür Vieles hieher nicht Gehörige einge- mischt, indem z.B. statt eines gedrängten Gemäldes von dem Zu- stande der Literatur bey dem Regierungsantritte Herzog Wil- helm IV., sogar bis in die Carolingische Periode hinaufgestiegen und damit ein Viertheil der weitläuftigen Schrift gefüllt wird. — Noch weniger Genüge that die zweyte Schrift mit dem Spruche: A Cicerone didiecimus etc. Nicht frey von _ einzelnen historischen Irrthümern gab sie in gedehnter, oft sehr incorrecter Sprache nur eine Compilation und Materialiensammlung, bey der gute Auswahl, Stellung und Anordnung noch durchgängiger, als bey der obigen vermilst wurde. Ueber die im Oct. 1812 aufgestellte physikalische Preisfrage: „Welches ist die Natur und Erzeugungsweise des Stickgases?“ — war bis zum Ablaufe des Termins nur Eine Schrift eingegangen, mit dem doppelten Spruche: ,‚Mit dem Genius steht die Natur im ewigen Bunde; was der eine verspricht, leistet die andre gewils;“ Schiller; — und: „Jemand, der die Theorien und 'Gemein- begriffe aus sich geülgt und den geraden frischen Verstand wieder von tn nn der Akademie. XXI von vorn auf das Besondere angewendet, ist bis jetzt nicht gefun- den worden.“ Baco. | In der ıgten öffentlichen Versammlung, 28. März 1815 machte die Altademie in Bezug auf diese preiswerbende Schrift folgenden Ausspruch bekannt: „Als die Ak. am 12. Oct. ıg12 jene Preisfrage aussetzte, erörterte sie dabey, dafs sie zur Beantwortung derselben erwarte: 1. eine so viel möglich vollständige, mit "Anführung der Quellen be- legte Geschichte und Würdigung der bisherigen Beobachtun- gen, Versuche und Betrachtungen über das Sticligas; 2. Neue Ver- suche, durch die man zur Lösung jener Aufgabe gelangen könnte, und durch welche sie auch so viele ältere zweifelhafte, nicht von allen Seiten betrachtete Versuche auf ihren wahren Werth gebracht zu sehen wünschte. Die Ak. erklärte, dafs für den Fall einer wirk- lichen und vollständigen Aufdeckung der Natur ‚und Erzeugungs- weise des Stickgases, wodurch der eigentliche Zweck der Aufgabe erreicht würde, sie nicht auf der historischen und: kritischen Ent- wickelung des Gegenstandes bestehe. Der Verf. der eingesandten Schrift giebt in folgenden Wor- ten der Einleitung die Art an, wie er jene Aufgabe aufgefalst: ‚‚Die Ak., sagt er, hat in ihrer Ankündigung eine geistvolle, sich auf un- trügliche Grundlagen stützende Bearbeitung des in Frage stehenden Gegenstandes, kurz eine ‚Theorie verlangt, die eine reine Aussage schon vorhandener, oder ganz neuer Thatsachen seyn sollte, und da- XXI Geschickte daher auch einen geringern Werth auf den historischen, als auf den wissenschaftlichen Theil dieser Arbeit gesetzt.“ Diese Deutung liegt durchaus nicht in den klaren Worten der Aufgabe, die von Geschichte und Würdigung der frühern Ver- handlungen spricht, welche Würdigung bey einem experimenta- len Gegenstande sich auch auf dem experimentalen Standpuncte halten, so wie die neue Bearbeitung desselben allerdings wissen- schaftlich, aber ebenfalls experimental seyn muls; und jener Ge- schichte und Würdigung begab sich die Akademie nur dann, wenn diese neue experimentale Bearbeitung geradezu, ohne dieselbe, zum Ziel führte und so den eigentlichen Zweck der Aufgabe erreichte. Der Verf. gesteht in eben dieser Einleitung, ‚‚dafs ‚er dem historischen Theile seine Vollendung nicht geben können, weil es ihm zu sehr an der Benutzung gröfserer Bibliotheken und an an- dern Mitteln fehle. Eben so wenig hat er Versuche anstellen kön- nen, zur Prüfung früherer Angaben oder zu Gewinnung neuer ent- scheidender Thatsachen, Hieraus geht hervor, dals der Aufgabe von keiner Seite ent- sprochen worden. Wie der Verfasser sich dennoch an\die Beantwortung der Frage wagen können, wird dadurch erklärlich, dafs er in seiner Schrift eine „Ansicht“ darlegt, wie er sie sich über die Natur und Genesis des Stickgases gebildet hat, welche er auf schr viele sei- der Akademie, XXIL seiner Meynung nach einfache und handgreifliche Thatsachen ge- gründet hält, und zu deren Durchführung ihm die bisher bekannt gewordenen Versuche genügten. Da eine solche Ansicht natürlich stets aus der jedesmaligen literarischen und wissenschaftlichen Indi- vidualität hervorgeht, so wird es genügen, hier nur zu bemerken, dafs ihr die alte Hypothese zum Grunde liegt, das Stickgas bestehe aus Sauerstoff und Wasserstoff, oder sey, wie der Verf. sich aus- drückt, ein durch Wasserstoffgas verfeinertes, höher gesteigertes oder erregtes Sauerstoffgas, dem er aber als Charakterisirendes noch einen feinen inponderabeln erdigen Stickstoff, (dem Uubekann- ten also ein anderes unbekanntes Etwas) beytreten läfst. Den Hauptbeweis für diese Ansicht findet er in dem Erfolg des bekann- ten Priestley’schen Versuches der Durchleitung von Wasser- dämpfen durch glühende irdene Röhren, und in der angeblichen Bildung von Stickgas beym Ablöschen glühender erdiger und ande- rer nicht entzündlicher Körper im Wasser. Diese im ersten Theile der Schrift aufgestellte partielle Ansicht über das Stickgas ist ’im zweyten Theile mit einer allgemeinen Weltansicht, die der Verf. sich entworfen hat, in Verbindung gesetzt. Um ein Urtheil über diese Schrift zu fällen, wenn man sie blofs an sich auf ihrem Standpuncte betrachtet, so zeigt sie, dals dem Verf. die Kenntnifs sehr vieler, selbst neuerer, Verhandlungen und durchdringendes Studium derselben mangele, und was ihm noch davon bekannt war, hat er nicht nach dem Wunsch der Aufgabe besonders aufgestellt und gewürdigt, um Resultate daraus zu zie- hen, sondern es in seine Bearbeitung verwebt, wie es ihm für seine be- XXIV Geschichte besondere und allgemeine Ansicht zu passen schien. Die Abhand- lung zeigt ferner, dafs es dem Verf. an Anschauung von physika- lisch-chemischen Versuchen, besonders der feinern Art, und an . eigner Gewandtheit in solehen, fehlen müsse, daher ihm auch der dadurch mitgegebene Tact und die Umsicht für die Beurtheilung und Schätzung fremder experimentaler Untersuchungen abgeht, und er Folgerungen als ganz gewifs ansieht, die auf Versuche sich gründen, welche durch die blofse Betrachtung der Umstände und zum Theil durch andere spätere Versuche längst als höchst unsicher oder selbst falsch dargethan sind. Der Darstellung gebricht es in hohem Maafse an Ordnung, logischer Bestimmtheit und deutlicher Entwickelung. — Die k. Akad. d. W. kann demnach in Folge des Gesagten dieser Schrift kein solches Verdienst zu erkennen, um ihr einen Preis zuzusprechen.‘“ In der 2osten öffentl. Versammlung, 12. Oct. 1815, ward der Ausspruch bekannt gemacht, über den mit: Copwrarov xXpovos dvev- pıoskcı yap ravra, — bezeichnete Schrift, welche in Bezug auf die von der philologisch- philosophischen Classe im J. 1813 gestellte Aufgabe: „In wiefern läfst sich nach innern und äufsern Gründen bestimmen, welche unter den Schriften, die dem Plato beygelegt werden, in An- sehung ihrer Acchtheit mit Recht als verdächtig anzusehen oder gera- dezu als unächt zu verwerfen, und in welcher Zeitfolge die als ächt anerkannten nacheinander abgefalst sind — Die der Akademie. i XXV Die Classe, hiefs es, verkiennt nicht den Fleifs und die Mühe, die der gelehrte Verfasser auf die Abfassung dieses ausführlichen, die Gränzen einer Abhandlung überschreitenden Werkes gewendet hat. Es scheint früher und unabhängig von der akademischen Auf- gabe entstanden zu seyn, welches jedoch, wenn übrigens die Erwar- tungen der Akademie erfüllt wurden, auf das Urtheil der Akad. Keinen Einfluß haben konnte. Allein indem es viel Mchreres ent- hält, als die Akademie forderte, übergeht es den wesentlichen Theil der Aufgabe, der die Zeitfolge der für ächt anerkannten Schriften betrifft. Die ausführlichen Inhaltsanzeigen und Auszüge aus den Platonischen Schriften, obwohl an sich nieht ohne Verdienst, kön- nen dafür nicht entschädigen. Im kritischen Theile der Abhand- lung spricht der Verf. dem Plato nebst andern Werken auch die Apologie des Socrates und die Bücher von den Gesetzen ab, mit Gründen, die der Classe so unstatthaft geschienen, dals sie diesel- ben auch selbst auf die schen der Aechtheit wegen verdächtigen Schriften des Plato nicht für anwendbar hält. Die Wahl der Auf- . gabe der Akademie wurde mit durch die Aussicht geleitet, der Ue- bertreibung der sogenannten höhern Kritik cher billige Gränzen zu setzen, als sie zu ermuntern. _ Es konnte daher die Akad. der in Frage stehenden Schrift den Preis nicht zuerkennen, hingegen findet sie wünschenswerth, dafs dieses ausführliche, viele neue Ver- muthungen und gewagte Behauptungen über die Schriften Platons aufstellende Werk gedruckt werde, um eine ins Einzelne gehende Prüfung desselben zu veranlassen. d Die XXYVl Geschichte Die Akad. setzte in diesen Jahren 1814 und I5 zwey neue Preisfragen aus. In der ıgten öffentlichen Versammlung machte die histori- sche Classe folgendes Programm bekannt: Da die Regierungsgeschichte sämmtlicher Söhne des Kaisers Ludwig des Baiern, ber ihren mannichfaltigen Erwerbungen, Abtheilungen, Umtauschungen und Entsagun- gen noch in vielen Punkten der Aufklärung und Ergänzung fähig und bedürftig ist, hierzu aber aus den neuern Forschungen, Werken und Urkundensammlungen über Bairische, Tirolische, Holländische, Brandenburgische und Böhmische Geschichte oder sonst aus unbenutzten Quellen sich vorzügliche Hülfsmittel darbieten könnten: so hält die historische Classe - eine vollständige und pragmatische Bearbeitung der Regierungs- geschichte sämmtlicher Söhne Kaiser Ludwig des Baiern für einen Gegenstand, der eine vielseitige Wichtigkeit darbietet, und durch welchen die vaterländische Geschichte nahmhaft gefördert werden kenn, Indem hierbey die auswärtigen Angelegenheiten von Holland, Seeland, Brandenburg, nur so weit zu er- örtern sind, als sie in Bezug auf Baiern treten, wird eine möglichst vollständige Dar- stellung der persönlichen Verhältnisse und Eigenschaften dieser Prinzen, ihrer Umge- bungen, ihrer Schicksale und Regierungshandlungen, nach freyer Wahl des zweck- mälsigsten Planes, erwartet, und besonders gewünscht, dafs dieser wechselvollen Ge- schichtperiode durch eine wohlgeordnete und geschmackvolle Bearbeitung gröfsere Ularheit und leichtere Uebersicht zu Theil werde, — DerEinsendungstermin wurde auf den 12. Oct. 1816 festgesetzt. Im Nor. 1815 machte die philologisch -philosophische Classe der Ak. eine literar-historische Preisaufgabe durch folgendes Pro- gramm bekannt: der Akademie. XXVı Der Mangel einer Geschichte der deutschen Literatur ist von Vielen bereits empfunden, von den ersten Schriftstellern unseres Volkes aueh oft schon zur Sprache gebracht worden. Aber nach einem befriedigenden Werke dieses Inhalts wird noch immer vergebens gefragt, Wahrscheinlich hat die ohnehin gewichtige Aufgabe, für welche noch so viele wesentliche Einzelheiten uncrörtert vorliegen, die meisten von , ausführlicher Behandlung des Ganzen abgeschreckt, Diefs die Ursache, warum die philologisch - philosophische Classe der k. b, Akad, der Wiss, für zweckdienlich und förderlich gehalten, zu veranlassen, dafs einzelne gröfsere Zeitabschnitte dieser Ge- schichte mit sorgfältiger Erforschung und Prüfung ihrer Erzeugnisse und des in ihnen vorherrschenden Geistes Jlargestellt, und beurtbeilt würden, Sie legt daher als Preis- Aufgabe vor: Die Geschichte der deutschen Literatur des sechzehnten Jahr- hundertes, Da hiebey vorzüglich gewünscht wird, eine lebendige Darstellung alles Bedeu- tenden, was damals in Literatur und wissenschaftlichem Streben geleistet worden, in kofern die eigenthümliche Bildung jener Zeiten dadurch beurkundet wird, mit einem gründlichen Urtheil verbunden zu sehen: so mufs hiedurch von selbst schon eine Be- handlung abgelehnt werden, die statt eines allgemein ansprechenden historischen Ge- mäldes etwa blofse literarische und bibliographische Aufzählungen darbieten würde. Die eigene, prüfende Anschauung der schriftlichen Denkmale der deutschen Kultur jenes Zeitalters möge das erste Ziel der Preiswerber seyn; literarische Vollständig- keit wird nur in so fern verlangt, dafs keine der eigenthümlichen Seiten des damali- gen Schriftwesens unberührt blejbe, Außer den allgemeineren Andeutungen über den, während des sechzehnten Jahrh, in Deutschland herrschenden öffentlichen Geist und den Einflufs der Religions- Angelegenheiten auf das nationale Leben; — wie ferner itzt deutsche Literatur und Bildung, trotz der so weit verbreiteten Herrschaft der lateinischen Sprache, dennoch in ihrem Kreise auf vielfältige Weise geschäftig waren, — mülste auch die Be. tung der hochdeutschen Sprache und ibre nach und nach errungenen Vorrechte vor den Neben-Mundarten in dem Gesammtgemälde der Literatur jener Zeit mit berührt da Wer- XXVII Geschi chte werden, Dieser Uebergang vom Besondern zum Aligemeinen wurde zunächst durch die Bibel-Uebersetzung Luthers veranlafst, deren allgemeine Würdigung in ästhe- tischer und sprachkundiger Hinsicht nicht fehlen darf. Unter den besondern Erscheinungen möchte vorzüglich alles dasjenige hervor- gehoben werden, was in der Mitte des damals so regsamen bürgerlichen Verkehrs, aus dem eigenen Leben des Volkes sich erzeugte: die damalige Poesie; die Theater- stücke; das altdeutsche Lied, nebst den übrigen unterhaltenden,, historischen und an- deren Schriften, In allem Uebrigen, was mehr der Mittel der Gelehrsamkeit und vor- bildender Studien bedurfte (wie z. B, die einzelnen deutschen philosophischen, theo- ‘ sophischen, spekulativ-theologischen u, a. Schriften, die Uebersetzungen alter Aucto- ren u. s. w,), sind nicht sowohl die Beziehungen zu den besondern wissenschaftlichen Fächern, als jene Verhältnisse darzulegen, wie das Zeitalter mehr oder weniger durch derley Versuche angeregt worden, und wie hierin durch deutsche Sprache und Schrift der Geist unserer Bildung sich offenbart habe. Durch vorstehende Andentungen soll übrigehs der freyen Anordnung und Be- bandlung der Preiswerber keineswegs zu strenge vorgegrtffen werden, Auch die An- knüpfung an die frühere und folgende Zeit wird nur in so weit, als es die Haltung des Ganzen erheischt, empfohlen. Die lateinische Literatur übrigens dürfte nicht näher eingreifen, als nöthig ist, ihre damalige Richtung überhaupt, und jene Wirkun- gen zu bezeichnen, welche die Werke eines Reuchlin, Erasmus, Ulr. von Hut- ten u. s, w. auf die Erregung der damaligen Zeit, dort in höherem, anderwärts in geringerem Grade, hervorkrachten, Der Einsendungstermin wurde auf den 28. März ı8ı17 festgesetzt. h) der Akademie. XXIX h) Veränderungen im Personal. Die Akad. verlor an dem 15. Jul. 1815 eins ihrer thätigsten Mitglieder in dem allgemein betrauerten Chemiker derselben, dem Hofr. Gehlen. An seinem Grabe, wohin ihn seine Collegen und eine grolse Anzahl derer, die seinen ausgezeichneten Werth w schätzen wufsten, begleiteten, wurde folgende biographische Nach- richt über ihn verlesen *): Hr. Adolph Ferdinand Gehlen war geboren in der Stadt Bütow in Preufsisch-Pommern, den 5. Sept. 1775. Sein Va- ter war Inhaber einer dortigen Apotheke, die jetzt an seinen Bru- der übergegangen ist, und so bestimmte auch er sich den hierzu nöthigen Studien. Der Umstand, dafs sein Vater zugleich Lände- reybesitzer war und ihn zu deren Verwaltung von Jugend auf bey- 205, gab seinem Geiste früh die Richtung auf alles Praktische, durch deren seltene Verbindung mit tiefer Erforschung der Gründe seiner Wissenschaft er sich nachher auszeichnete. Denn. darin be- stand eben die schöne Eigenthümlichkeit seines Wesens, von der viele Zeugen hier gerührt an seinem frühen Grabe stehen, dafs er unaufhörlich bemüht war, die Wissenschaft in das Leben herüber zu führen, und sie dadurch wohlthätig für die Welt zu machen. Nach einem gründlichen Unterricht in den gelehrten Spra- chen auf der Schule seines Geburtsortes begab er sich nach Kö- ® nigs- *) S, Grabesfeyer bey der Beerdigung unseres unvergefslichen Gehlen. Am 18, Jul. 1815. München, 8. 34 $., — welche die Grabesrede des Oberkirchen- ratı Dr. Schmidt und diese kurze Biographie enthält. XXX Geschichte nigsberg in Preufsen, und studirte und übte dort die Pharmacie ' unter dem berühmten Chemiker, dem gelehrten Apotheker Hagen. _ Hieran knüpfte er drey Jahre hindurch den eigentlichen akademi- schen Cursus auf der dortigen Universität, indem er mit seinen bis- herigen chemischen noch die allgemein naturhistorischen und lin- guistischen Studien verband; denn auch in diesen letztern besafs er so ausgebreitete Kenntnisse, dafs er in acht lebenden Sprachen den wissenschaftlichen Briefwechsel mit den vorzüglichsten Männern seines Faches in den verschiedenen Ländern von Europa führte. Die Kinderblattern hatten ihm die traurige Folge eines sehr schwe- ren Gehörs hinterlassen; indels überwand sein eiserner Fleifs doch alle daher entspringende Schwierigkeiten in Benutzung des münd- lichen Unterrichtes, nur dafs der großse Umfang seines gründlichen Wissens dadurch noch verdienstlicher wurde. Nachdem er in Königsberg die Doktorwürde der Medicin genommen hatte, begab er sich nach Berlin, um dureh die Verbin- dung mit einem der ersten Männer seines Fachs, dem Ob.Med.Rath Klaproth, in seinen chemischen Studien immer weiter fortzu- schreiten. Obgleich durch gehaltreiche Schriften sich jetzt schon einen rühmlichen Namen erwerbend, war doch sein ausgezeichneter Werth mehr denen bekannt, die durch persönlichen Umgang Zeu- gen der Zuverlässigkeit seiner scharfsinnigen Untersuchungen waren, oder durch Briefwechsel mit ihm in Verbindung standen; aber die Anerkennung dieser näher mit ihm Verbundenen war auch so allge- mein und ehrenroll, dafs sie ihm bald einen der ersten Plätze unter den lebenden teutschen Chemikern anwiesen. Als der Akademie. AXXI Als er sich zu Halle mit Lehre und Uebung der Chemie, besonders in dem von dem Geheimenrath Reil errichteten Institut rühmlichst beschäftigte, bekam er 1807 den Antrag, als Mitglied der königl. Akademie der Wissenschaften hieher zu gehen. Diese Gesellschaft besafs in ihm eines ihrer achtungswürdigsten Mitglieder. Zwar erlaubten die kriegerischen Zeitumstände nicht, ihm alsbald eine chemische Werkstätte, an welche Bedingung gleichwohl seine volle Wirksamkeit geknüpft war, zu erbauen; dennoch war er un- ter mannigfaltigen Aufopferungen, indem er mit Verzichtung aller Bequemlichkeit seine Wohnung ganz der Wissenschaft widmete, unermüdlich thätig für sein Fach. Die Beyträge, die er zu den akademischen Denkschriften lieferte, so reichhaltig sie auch sind, geben nur einen unvollkommenen Maalsstab für seine unschätzbare wissenschaftliche Wirksamkeit unter uns. Die Prüfungen und Un- tersuchungen, welche die königl. Regierung seit dieser Zeit der Aka- demie auftrug, waren zum grolsen Theil von der Art, dafs sie sein Fach betrafen oder berührten, und die höchst befriedigende Art, mit welcher er sich denselben unterzog, erwirkte ihm nicht nur die allgemeine Achtung seiner Collegen, sondern auch die wieder- holten Bezeugungen der Zufriedenheit unseres allergnädigsten Königes. Ein Ruf, den er unter den vortheilhaftesten Bedingungen vor drey Jahren an die Universität nach Breslau erhielt, ward von ihm abgelehnt, weil er Baiern und diese Stadt lieb gewonnen hatte, und ihm die Hoffnung gegeben wurde, eine, den Forderungen der Wissenschaft angemessene Werkstätte für seine höchst nützliche Thätigkeit baldigst erbaut und eingerichtet zu sehen. Er XXXU Geschichte Er besuchte, seiner immer schwachen, durch unaufhörliche Anstrengungen leidenden Gesundheit wegen, vor zwey Jahren, die Heilquellen zu Baden bey Wien, und wurde zugleich von den dortigen Chemikern eingeladen, einige seiner sehr wichtigen Versuche in den kaiserlichen Glasfabriken im Großen zu wiederholen. Die kaiserl. österreichischen Behörden liefsen ihm durch laute Anerkennung Ge- rechtigkeit widerfahren, und unser allergnädigster König gab ihm in Bezug hierauf, nicht blofs Seine hohe Achtung durch die ehrenvollsten mündlichen Aeufserungen erst noch vor kurzem zu erkennen, sondern auch dadurch, dafs mitten in einer, noch an den Folgen grofser An- strengungen leidenden Zeit, dennoch Mittel geschaflt wurden, den Bau des zu seiner ungehinderten Thätigkeit näthigen chemischen Laborato- ziums wirklich zu beginnen. Sich erfreuend der nahen Erfüllung des Wunsches, den er und alle, welche die Wichtigkeit der Sache zu beurtheilen vermögen, so lange gehegt hatten, fand er sich mit neuem Muth belebt, und schritt erst jüngst zur Ausführung mehrerer schriftstellerischer und prakti- scher Arbeiten, die er sich längst vorgenommen hatte: Sein Vorsatz war, nach einem nochmaligen ‘Gebrauch ‚jenes Bades, das ihm wohl- thätig war und in welches er noch in diesem Monat zu reisen gedachte, mit gestärkter Gesundheit jenes neue Gebäude, ein abermaliges Denk- mal der hohen Gesinnungen unserer erlauchten Regierung, für den Nutzen der Wissenschaft und dieses Königreiches durch eine weitver- breitete Thätigheit einzuweihen und nun mit voller Kraft und mit Hei- terkeit ganz seinem schönen Berufe zu leben. Seit der Akademie. XXXII Seit einigen Wochen war er mit einer wichtigen Untersu- chung arsenikhaltiger Metallmischungen beschäftigt, und diese mochte den Grund zu den heftigen Zufällen gelegt haben, die bey Gelegen- heit der Bereitung und Einathmung einer übrigens nicht beträchtli- chen Menge giftiger Dünste plötzlich einbrachen und am 135. Jul. Mittags nach neuntägigen unaussprechlichen-Leiden seinem thätigen Leben im gosten Jahre ein Ende machten. Die Hoffnung, die sich in den letzten Tagen vor seinem endlich schnell und sanft eintre- tenden Tode gezeigt hatte, als könne er durch die theilnehmendste Hülfe der Kunst und die sorgfältigste Pflege der Freundschaft noch ge- rettet werden, wurde grausam getäuscht; die Nachricht von seinem Tode wurde in engern und weitern Kreisen mit der tiefgefühltesten, sich mannigfaltig und auf das ehrenvollste für ihn äußsernden Theil» nahme vernommen, Denn aufser dem Institute, dem er zunächst angehörte, wa- ren allmählig noch viele unserer Mitbürger Zeugen seiner nützlichen Bestrebungen geworden. Der landwirthschaftliche Verein, - dessen rühmlichen Zweck er in seinem ganzen Umfang hoch schätzte, hatte seit seiner Entstehung an ihm eins der thätigsten Mitglieder. Die pharmaceutische Gesellschaft im Königreiche, die sich jetzt so eben bildet, und so vielen Nutzen verspricht, zählt ihn unter ihre Stifter und wirksamsten Beförderer; und wie viele einzelne Gelehrte, Künstler und Gewerbmänner, die sich über Bereitung von Heilmit- teln, von Farben und ähnlichen Gegenständen an. ihn als einen an- erkannten Meister wendeten, sind durch seine uneigennützige Bereit- willigkeit ihm zu Dank verpflichtet worden. e Viele XXXIV Geschichte Viele Verdienste, viele Hoffnungen, viele Tugenden werden in dieses Grab gelegt! Ein durchaus redlicher Charakter, der sich schon in seinen edlen Gesichtszügen verkündete, und dem Wahrheit über alles gieng; höchste Zuverlässigkeit im Leben und in der Wis- senschaft; männlicher Muth gegen alle Tücke und Bosheit; hohe Bescheidenheit; lebendige Gottes- und Menschenliebe; hülfreiche Unterstützung Verlassener und Nothleidender; Uneigennützigkeit bis zur Aufopferung; reger Sinn für die Erforschung der Tiefen seiner Wissenschaft verbunden mit thätiger Theilnehmung an Allem, was unmittelbar zum Besten des Bürgers und Landmannes unternommen wurde, — sind die Züge, die unbestritten sein ehrwürdiges Bild ausmachen, die Eigenschaften, durch die er im Leben der Gegen- stand aufrichtiger Hochachtnng war, und jetzt unseres gerechten Schmerzes ist. Seine weit entfernten, ihn zärtlich liebenden und hochach- tenden Geschwister und Verwandten, die er mit der ganzen Treue seines redlichen Herzens wieder liebte, und im künftigen Jahre noch einmal zu besuchen gedachte, seine vielen durch ganz Teutschland und aufserhalb desselben verbreiteten gelehrten Freunde, die nun allmählig die Nachricht seines frühen Todes mit Schrecken in den öffentlichen Blättern lesen, können einigen Trost darin finden, dafs er auch in diesem seinen neuen gewählten Vaterlande und unter den vorurtheilsfreyen edeln Bürgern -dieser guten Stadt viele, und‘ zwar in allen Ständen gefunden hatte, die mit jedem Jahre mehr seinen hohen Werth erkannten und ihm diese Achtung auf alle Weise zu erkennen gaben, und dafs ihm das Bedauern unseres huld- A Ä 3 4 der Akademie, XXXV huldreichen, auch von ihm mit aller Wärme seines schönen Gemü- thes verehrten Monarchen in sein allzufrühes Grab folgt. Er stand einsam da, ni seinem stillen Berufe und der Erforschung der Na- tur lebend; und doch wird er so theilnehmend, so schmerzlich be- trauert, als wenn er im Zirkel engverbundener liebender Verwand- ten entschlafen wäre. Ehre seinem Andenken! Bald darauf am Anfang des Septembers hatte die Ak. schon wieder eins ihrer gelehrtesten und verdienstvollsten Mitglieder, den HKreiskirchenrath Martini, zu beklagen. Auch zu seinem Anden- ken wurden einige Blätter gedruckt *), und darin folgende Bio- "graphie: Hr. Christoph David Anton Martini ward den 22. Januar 1761 in Schwerin, der Hauptstadt des Herzogthums Mecklenburg- Schwerin, geboren, wo sein Vater die erste geistliche Stelle als Ge- neralsuperintendent und Consistorialrath bekleidete, und in gröfstem Ansehen sowohl bey der, durch hohe Religiosität sich auszeichnen- den herzoglichen Familie als in dem ganzen Lande stand. Der Vater benutzte alle Hülfsmittel, die ihm durch eigene Gelehrsamkeit und durch die ansehnlichen, ihm anvertrauten Aemter zu Gebot standen, um seinen Söhnen eine gründliche literarische Bildung zu geben. Dieser zweyte. Sohn, obgleich seit den frühesten Jahren von e2 einer ®) Grabesfeyer bey der Beerdigung unseres unvergefslichen Martini, ord. Mitgl. - der k, Ak, d. Wiss., Kreiskirchenrathes und Professors am k. Lyceum zu Mün- chen. 8, 16. Vor der Biographie geht die Rede des Diak, Rabus voraus. XXXVI Geschichte .einer zarten Constitution und schwächlichen Gesundheit, erwarb sich in den alten Sprachen, besonders auch in den morgenländischen, und in den historischen Wissenschaften durch sorgfältig gewählte Priyatlehrer die gründliehsten Vorkenntnisse, und dadurch wurde die Richtung seiner künftigen gelehrten Ausbildung bestimmt. Er bezog die damalige Landesuniversität Bützow, und späterhin Göt- tingen; an beyden Orten benutzte er mit dem angestrengtesten Fleifse die berühmten Männer, die im Fache der Gottesgelehrsam- keit, der alten Sprachen und der Geschichte in den Jahren 1780 bis 34 jene Sitze der Wissenschaften verherrlichten. In Bützow besonders der ehrwürdige Tychsen, in Göttingen der Rit- ter Michaelis, der Hofrath Heyne und der Dr. Koppe, waren unstreitig unter seinen Lehrern diejenigen, die den entscheidensten Einflufs auf seine Studien hatten; sie erkannten bald in ihm den Mann, der einst unter den grofsen Gelehrten und Literatoren einen ehrenvollen Platz einnehmen würde, und munterten ihn, der ohne- diefs rastlos sich selbst trieb, zum Beharren auf dem mühsamen Wege auf. Zurückgekehrt nach Schwerin versah er einige Jahre die Stelle eines Lehrers und Aufsehers der herzoglichen Edelknaben; wurde dann Hofprediger, und seiner gründlichen Gelehrsamkeit we- gen berief man ihn bald zum ordentlichen Professor der Theologie nach Rostock. Dort nahm er erst die zweyte, dann die erste aka- demische Würde in der Gottesgelehrsamkeit an, und schrieb bey dieser Gelegenheit eine philologisch-kritische Abhandlung über ei- nige schwierige Stellen im Propheten Jesaias. Die Erklärung der bibli- der Akademie. XXXVI biblischen Bücher des alten und neuen Testaments, besonders aber die christliche Moral, die er mit einer glühenden Beredsamkeit, durch die er alle Herzen seiner jungen, empfänglichen Zuhörer zum Enthusiasmus entflammte, vortrug, und die Kirchen - Geschichte mach- ten die Gegenstände seiner sehr geschätzten Vorlesungen auf der Universität aus. Auch war er Beysitzer der theologischen Facultät und des herzogl. Consistoriums, Inspector des Seminariums und Vor- steher der Rostecker Kloster- Administration. Eine Gründlichkeit, die nichts zu wünschen übrig liefse, eine Vielseitigkeit in dem wei- ten Gebiete der theologischen Wissenschaften, die ihn den ersten Männern dieser Fächer an die Seite setzte, machten ihn zum Ge- genstand der Verehrung seiner Zuhörer und der hohen Achtung seiner Collegen; die reinste Moralität, die liebenswürdigste Beschei- denheit, die gröfste Verträglichkeit vollendete seinen Werth. Innigst durchdrungen von der Göttlichkeit des Christenthums war er in Wort und That em Verkündiger der hohen Lehren und der erstau- nenswürdigen Geschichte desselben, das Muster eines forschenden und dabey doch ächt frommen Gottesgelehrten, und stiftete durch Lehre und Beyspiel unzähliges Gute in jungen Gemüthern, die ihm mit unbedingter Liebe ergeben waren. Immer nur darauf hinge- richtet, durch unablässiges Schöpfen aus den Quellen seinen Durst nach Wahrheit in den wichtigsten Angelegenheiten des Menschen- geschlechts zu stillen, opferte er jeden ihm sonst auch noch so heilsamen Lebensgenufs auf, um die dazu erfoderlichen Hülfsmittel sich zu verschaffen. Nur in diesen höhern Freuden lebte er, und nur in diesem Bemühen ohne alle Nebenabsicht seine Belohnung und Befriedigung findend, war er weniger darauf, bedacht, sich einen aus- XXXVIN Geschichte ausgebreiteten Ruhm als Schriftsteller zu erwerben, was ihm bey seinen, auf eigene Forschungen gebauten Studien nicht schwer ge- wesen wäre; doch beschenkte er die gelehrte Welt, aufser jener kritisch -philologischen Abhandlung über denJesaias mit noch einem sehr gediegenen Werk: ‚Versuch einer pragmatischen Geschichte des Dogma von der Gottheit Christi u. s. w.‘ nebst noch mehreren mit allgemeinem Beyfall aufgenommenen Dissertationen und Gelegen- heitsreden. Die strengste Gewissenhaftigkeit aber in Verwaltung seines Lehr- Amtes erwarb ihm die höchste Achtung derer, die sol- chen Werth zu beurtheilen wissen, und so verbreitete sich dennoch sein Ruhm auch aufserhalb der Gränzen seines nächsten Wirkungs- kreises, Daher kam es, dafs, als unser allergnädigster König im Jahre 1803 die Universität zu Würzburg neu zu beleben und zu er- weitern den preiswürdigen Entschlufßs fafste, dieser bewährte Gelehrte und Lehrer mit dahin berufen wurde, um als evangelischer Theolog die Fächer der Kirchengeschichte und alttestamentlichen Exegese vorzutragen. Auch hier war sein literarischer und sittlicher Werth bald allgemein von den Studierenden, von seinen Collegen, von sei- men Obern und von dem Publikum der verschiedenen Confessionen anerkannt worden; denn er war ja ein ächter Schüler des Meisters, dessen Lehre, Leben und Tod der gemeinschaftliche Gegenstand der Verehrung und der Dankbarkeit aller Christen ist. Die Regierungsveränderung, welche in Absicht auf Würzburg im Jahre 1806 eintrat, bewirkte die Versetzung des Seligen auf die Uni- der Akademie, XXXIX Universität zu Altdorf, und/als diese hohe Schule eingieng, den eh- renvollen Ruf nach München, als ordentliches Mitglied der Akade- mie der Wissenschaften im Fache der morgenländischen und ge- lehrten Sprachen und der Geschichte, womit zugleich die Lehrstelle der letztern, auf dem hiesigen königl.Lyceum verbunden ward; dar- auf fügte das Vertrauen Sr. Majestät des Königes hierzu noch das Amt eines evangelischen Kreiskirchenrathes und Aufsehers über die Geistlichkeit dieser Confession im Isar-, Salzach- und lller - Kreise, einem Sprengel des Königreiches. In allen diesen Verhältnissen hat er den Ruhm bewährt, der vor ihm voraus gieng; in allen dieHoch- achtung vieler ‘edlen Menschen sich erworben und erhalten. Als bleibendes Denkmal seines Mitwirkens zum Ruhm der Akademie der Wissenschaften, die bey jeder Gelegenheit ihn zur thätigsten Theilnahme bereit fand, ist von ihm die an der 54sten Stiftungs- feyer derselben verlesene „Abhandlung über die Einführung der christlichen Religion als Staatsreligion im römischen Reiche durch den Kaiser Konstantin“ — vorhanden, die durch Erschöpfung und Unpartheilichkeit das ehrenvollste Zeugnils für die Fülle seiner Gelehrsamkeit und die Redlichkeit seines edela Gemüthes ablegt. Allzu anhaltende Anstrengungen und wenige Unterbrechun- gen seiner sitzenden Lebensart, zogen ihm bey einem von Natur schwächlichen Körper vieljährige Beschwerden zu, die endlich in bestimmte Leiden übergiengen, und im 54sten Jahre seines, den Wissenschaften gänzlich gewidmeten Lebens durch einen allgemei- nen Nachlafs aller Körperkräfte seinen Tod herbeyführten, der von einer liebenden Gattinn, die seine vieljährige treue Pflegerin war, von XL Geschichte von zwey hoffnungsvollen Söhnen, deren ältester auf der Universi- tät zu Erlangen, der zweyte auf dem hiesigen Gymnasium studirt, und von einer aus seiner ersten Ehe erzeugten, im Mecklenburg- schen zurückgebliebenen Tochter, dann von vielen ihn aufrichtig hochachtenden und seinen seltenen Werth erkennenden Freunden, — beklagt wird. Wären ausgebreitete, gründliche Kenntnisse vererblich, wie Viele hätte dieser edle, dieser in die verschiedensten Fächer der Wissenschaft so tief eingedrungene Mann bereichern können, des- sen sterbliche Hülle hier ein unscheinbarer Hügel decken wird. Aber er hinterläfst uns die Erinnerung an seine hohe Wahrheits- liebe, an seinen Hafs gegen jeden Betrug im Leben und Lehren, an seine rührende Bescheidenheit, an seine Milde, an seinen wahrhaft christlichen Sinn, dem die Liebe zu den Menschen, die lebendige Theilnahme an dem Wohl unseres Geschlechts, die edelste aller Tugenden ist. Dieses schöne Beyspiel kann sich vererben, kann noch fortwirken, wird noch fortwirken, wenn längst dichtes Moos sein Grab überzogen haben wird. Und darum Dank ihm und Ehre seinem Andenken! Unter den Ehrenmitgliedern verlor die Ak. den Geheimen- sath Fischer, Leibarzt I. M. der Königin. Unter den auswärtigen den Professor und Pfarrer Winter in Landshut. Zu der Akademie. XLI Zu Ehrenmitgliedern der Akademie sind in diesen Jah- ren erwählt worden Ihre Kaiserl. Hoheiten, die Erzherzöge von Oestreich Johann und Rainer; und Sr. Durchl. der Prinz Pius von Baiern, Zu den ordentl. besuchenden Mitgliedern sind gekommen: Hr. Prof. Thiersch und Hr. Bibliothekar Scherer, philologisch- philos. Classe; — Hr. Geheimerath von Leonhard, math. physical. Classe; — Hr. Legat.Rath Ritter von Kochsternfeld, historische Classe. — Hr. Ober-Kirchenrath Wiflsmayr, der bereits vor 1807 ord. besuchendes Mitglied der Ak., histor. Classe, gewesen war, dann aber unter den Ehrenmitgliedern aufgeführt wurde, nahm am 14. Sept. 1815 seinen Platz wieder als ordentliches besuchendes Mitglied in dieser Classe. - Zu den auswärtigen und correspondirenden Mitgliedern sind gekommen dieHHn.: Canonic. Stark in Augsburg, Cor.— v. Braune in Salzburg, Cor. — Cattaneo, Dir. des kais. Münz - Cabinetes zu Mailand, Cor. — Gen.Secret. Guizot in Paris, — Hofr. Tralles in Berlin —, — Hofr. und Prof. der Chemie zu Landshut, Fuchs, Cor. — v. Grotthufs in Bauske, Cor. — v. Nau, k. baier. Hofr. zu Aschaffenburg, Cor. — Baber, Bibliothekar des Mus. Brit. zu London, — Dr. König, Aufscher des Natur.Cabin. des Mus. Brit. zu London, — Abbate May, Bibliothekar zu Mailand, — Wilkins zu London. iR — \Venn N XLII Geschichte der Akademie. — Wenn die kurze Darlegung dessen, was in den benann- ten zwey Jahren zur weitern Ausbildung unseres Gesammt- Institu- tes und seiner Theile geschehen ist, sich nicht anders schliefsen kann, als mit dankbarster Erwähnung der Huld S. Maj. des Köni- ges, von welcher jene Unterstützung und Ermunterung ausgeht, so wird dieses in immer steigendem Mafse der Fall seyn, wenn in kur- zem die Geschichte der Ak. vor dem VIten Bande der Denkschrif- ten für 1816 und 17, der schon unter der Presse ist und bald nack Endigung des jetzt laufenden Jahres erscheinet, von diesen letztbe- nannten Jahren zu reden haben wird. München, den 30. Oct. 1817. Der General: Secretair der k. Ak. der Wiss. DENK. DENRKSCHRIFTEN KÖNIGLICHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN ZU MÜNCHEN FÜR BIE TeASHÜR-E 1SsSITE En BB 1815. ———n E LASSE DER PHILOLOGIE us» PHILOSOPHIE. I. Ueber die Bildsäule der schlafenden Ariadne, sonst Clieoöpatra vsenanht, auf einer seltenen Münze Von FRsEebe. JAcoss edermann kennt die berühmte Bildsäule einer schlummernden, zierlich umhüllten Frau, welche einige Jahrhunderte hindurch unter dem Namen der Cleopatra bewundert und in Liedern besun- gen, einer Galerie des Vatican’s, wo sie einen Brunnen schmückte, den Namen gab, und jetzt, nachdem sie dem päpstlichen Museum entführt worden, eine der schönsten Zierden des Museums zu Pa- ris ist ‘). Da diese Bildsäule ihren alten Namen lediglich dem AZ un- ı) Die Geschichte dieser Bildsäule seit dem Anfange des sechszehnten Jahrhunderts s. in Böttigers archäologischem Museum ]J. $. 29, wo sich auch eine Abbil- dung derselben findet. Musce Napoleon, T, I. p. 2ı. 4 unbedeutenden Merkmal einer den linken Arm umgebenden Schlan- ge verdankte, die nichts anders als ein dem Alterthum gewöhnlicher Schmuck ist ?), so verwarf schon Winkelmann die alte Deutung und wandelte die vermeintliche Königin von Aegypten in eine Nymphe um °). Die sorgfältige Umhüllung ist dieser Deutung, so wie die Sandalen, welche die Fülse schmücken, nicht angemessen. Daher der italienische Herausgeber der Kunstgeschichte auf eine Semele muthmafste, doch ohne, wie es scheint, dieser Muthmalsung ein besonderes Gewicht beyzulegen *). Während so die Deutung eines der merkwürdigsten Ueber- bleibsel der alten Kunst schwankte, fiel der grölste und gelehrteste Kenner derselben, Herr Ennie Quirino Visconti, in einem glückli- chen Augenblick auf den Namen Ariadne °). Da indefs auch hier kein näheres Attribut Sicherheit gab, so würde diese Benen- nung in der Olasse sinnreicher Vermuthungen geblieben seyn, wäre ihr nicht die Entdeckung eines halberhabenen Werkes zu Hülfe ge- kommen, welches eine vom Bacchus überraschte schlummernde Ariadne 3) Diese Art des Armschmucks, von seiner Gestalt 0915, dpanwv genannt, wird durch das, was Böttiger a.a. Orte S. 46. not. ı0. und in der Furien- maske $. 87 * beygebracht, hinlänglich erläutert. Solche Spangen von glei- cher Gestalt und Namen wurden auch um die Fülse gelegt. Brunk mifskannte sie in einemEpigramm des Antipater aus Sidon XXI. (Anal. V,P, T. II. p. ı1.) zov eUOREIPN ÖL Öpaxovra, xpvcsıov Padıv@v KOOuoV Erıoovpiwv. indem er an Schlangenhäute dachte, die wohl Gindanen in Libyen (Herodot, V. 156, S. 359.) nicht aber Hellenischen Jungfrauen zukamen. Dieser Irrthum ist von uns durch unzweydeutige Stellen der Alten hinlänglich widerlegt in Animadyerss. ad Anth Gr. T. IL P. I. p. 29. f. 8) oder in eine Venus. Winkelm. Gesch. der Künste II. Th. IV, S. 386. Dresdn, Ausg. ü 4) Fea in den Anmerkungen zu der Storia dell’ Arte, T. II. p. 330, not. a. S. unt, not, 9. 5) Museo Pio-Clementino Tav. XLIV. Spiegaz. T. II. p. 89. f., ee ee Me Di nn Sen ae ee Sa Ya I 0 A el 5 Ariadne fast in derselben Stellung zeigt, in welcher die Bildsäule ruht, doch weniger bekleidet und mit weniger Faltenwurf. Ein flie- gender Amor zieht das Gewand ein wenig von der Brust der Schlummernden hinweg, bedeutend auf den Gott zurückschauend, der nachlässig auf den Thyrsus gestützt, ohne sichtbare Theilnahme vor der Schlafenden steht °). Das Zusammentreffen dieses Steines mit der Bildsäule und und der Erwähnung eines Gemähldes in dem Tempel des Bacchus zu Athen, welches die schlummernde Ariadne und ‘den zu ihrer Entführung herbeykommenden Dionysos zeigte 7), mulste allerdings glücklich scheinen; daher denn auch Visconti’s Muthmafsung seit jener Zeit allgemein angenommen, und die Bildsäule ohne weitern Zweifel mit dem Namen einer Ariadne bezeichnet worden ist. Doch bedurfte jene Vermuthung der zufälligen Entdeckung des erhabenen Bildwerks zu ihrer Bestätigung nicht durchaus. Ein anderes Denkmal der Kunst, seit länger als einem Jahrhundert be- kannt, das aber, wie es scheint, der Aufmerksamkeit des gelehrten Römers entgieng, reicht zu ihrer Begründung hin, und giebt ihr auch jetzt noch einen zuverlässigeren und durchaus unerschütterli- chen Grund. Denn wie? könnte jemand sagen, weil die Schlummernde auf dem erhabenen Bildwerk ihren Umgebungen nach eine Ariadne ist, mu[s darum nothwendig auch die Bildsäule, welcher diese Um- gebungen fehlen, die Tochter des Minos seyn? Die Aehnlichkeit beyder beweist es, sagt ihr. Aber diese Aehnlichkeit ist überhaupt nur die, die sich zwischen zwey schlafenden Frauen finden wird, welche ihren WVuchs, ihre Arme und ihr Gesicht auf eine gefällige enter, Weise 6) Dieser Stein ist abgebildet T. II. Tavole aggiunte B. nr. 5. 7) Pausan, I, c, 20. 2. p. 73. ed. Fae. 6 Weise zeigen sollen. Der Unzleichheiten hingegen sind mancherley. Der Schlummernden des Reliefs fehlt der einfache, aber zierliche Schmuck des Hauptes, die schlangenförmige Spange um den Arm, die zierlich mit den Füfsen verbundenen Sandalen. Vor allem aber ist in dem Gewande eine sehr grofse Verschiedenheit. Mögen diese Unterschiede ihren Grund in der verschiedenen Art der Arbeit und ihres Umfanges haben; Eurem Beweise wird hierdurch keineswegs aufgeholfen.“ „Wenn nun aber, könnte der Zweifler weiter fortfahren, jene Achnlichkeit nicht grofs genug ist, um eine vollständige Ue- berzeugung herbeyzuführen, warum könnte denn die Schlafende des Vaticans nicht eben so gut jenes schlummernde Weib seyn, das auf einem bekannten Bildwerke von dunkler’Deutung °) einigen eine Thetis, andern eine Neriene ist? Oder die schlummernde Semele jenes ge- schnittenen Steines der Stoschischen Sammlung ?)? oder überhaupt eine Schlafende? Denn warum soll jedes Werk der Kunst einen Namen, und einen Namen aus der Mythologie haben ?“ Diesen und ähnlichen Einwendungen treten wir mit einer- Münze entgegen, die dem Zweifel keinen Raum übrig läfst, indem sie als bindendes Mittelglied zwischen die Bildsäule und das Basre- lief tritt. Diese 8) Monument, Mattheior, T. III. t. IX, Winkelm. monim. ined, t. 110. p, 145. 9) Wie Fea an der oben angeführten Stelle bey Gelegenheit der fälschlich soge- nannten Cleopatra und ihren Nachbildungen muthmafst: chi sa se non rappre- setino anche Semele: giache anno quasi una perfetta somiglianza alla Semele che vedesi nella gemma data dal nostro Autore nei monim, ant. ined. nr. ı. Ob die Schlummernde auf dem geschnittenen Steine eine Semele sey, ist nach dem, was Böttiger in Schlichtegrolls Dactylioth. Stosch,. I. Th.- 114. S. be- merkt, mehr als ungewils. Ihre Stellung ist der Stellung unsrer Ariadne ähn- lich, doch ist diese weit sorgfältiger drappirt, und liegt mit dem Oberleibe hö- her, als ob ein Anlehnen an einen Felsen gedacht worden. ei At 7 Diese Münze von Erz der grölsern Art gehört der Stadt Pe- rinthus in Thrazien am Propontis an. Sie zeigt auf der vordern Seite das nach der rechten blickende Brustbild des Kaisers Alexan- ders Severus mit dem Lorbeerkranze auf dem geschornen Haupte, wie.auf den meisten Münzen desselben Monarchen, im Panzer, das Gorgo- nenhaupt auf der Brust, mit der Umschrift: AT. K. M. ATP. ZETN. AAEZANJPOE ATT. Auf der reich geschmückten Rückseite liegt im Vordergrunde die schlummernde Ariadne, den rechten Arm über ihr Haupt gekrümmt, die Fülse gekreuzt, auf einem Polster; über ihr auf der Mitte der Fläche, steht Bacchus, ‚mit einem Kranz auf dem Haupte, von welchem Bänder herabfallen, die Rechte auf den Thyrsus gestützt, um die Schultern die Nebris, die Hüften mit ei- nem Sehurz umhüllt. Ihm zur Rechten, am äufsersten Rand, steht Silenus, den halben Leib bekleidet, vor sich den Hirtenstab auf die Erde stemmend. Ein hüpfender Satyr falst ihn mit der Rechten am Arm, um ihn, wie es scheint, nach der Hauptgruppe hinzuziehn. Dem Bacchus zur Linken steht eine jugendliche Figur, auf deren linken Schulter der Arm des Gottes ruht. Wie im Gehen begrif- fen und den Gott leitend, deutet sie mit ihrer Rechten (wie die Richtung des Oberarmes zeigt) nach der Schlafenden hin. Sie ist undeutlich ausgeprägt, so dals sowohl der linke Arm, als auch der untere Theil der Schenkel und Beine verloschen ist. Doch kann nicht gezweifelt werden, dafs es ein Satyr sey *°). Unmittelbar über dem Haupte der Schlafenden ragt eine andere, ohne Zweifel weibliche Figur hervor, mit leicht bekleidetem Oberleibe, den sie anmuthig überbiegt. Ihre Arme sind von einander gebreitet, als ob sie die Becken schlüge. Ihr Haupt ist nach dem Gotte gewendet. Sie 10) Die Attribute eines Satyrs sind auf unsrer Münze nicht zu erkennen; auf eini- gen, höchst ungetreuen Abbildungen derselben, zeigen sich Hörner. Sollten diese aber auch wirklich ein Zusatz des Zeichners seyn, so wird doch die Ver- gleichung mit einem halberhabenen Werke im Museo Pio, Clem. T. V. nr. VIII, die Richtigkeit unsrer Deutung zur Genüge beweisen. 8 Sie wird für eine Bacchantin zu halten seyn. Noch ist der vordere Theil eines Tigers zu bemerken, der an den Füfsen der schlafen- den Ariadne hervorblickt, und den Kopf nach dem Gotte kehrt. Die Umschrift ist: IIEPINOIRN B NERKOPRN IRNLN. So erscheint dieser merkwürdige Typus auf einem wohler- haltenen Exemplar des herzoglichen Münz-Cabinets zu Gotha "*), Die schlafende Ariadne auf dieser Münze ist eine so genaue Kopie der sogenannten Cleopatra, dals sie sogleich auf den ersten Blick als solche erscheint. Die ganze Lage der Figur, der reiche und zierliche Gewandwurf, das untergelegte und zum Theil über- ge ı1) Diese Münze Ist scit länger als hundert Jahren bekannt; aber fast alle Be- schreibungen derselben leiten mehr oder weniger irr. Am weitesten weicht die erste, mir bekannnte Abbildung und Beschreibung derselben von der Wahrheit ab, welche sich in Tristan’s Commentaires historiques T. II, p. 413. befindet, Durch ein schlechtes Exemplar irr geführt, setzte sie dieser gelehrte Mann nach Zakynthos; erblickt in der Schlafenden, die ihm halb nackt schien, eine verirrte, von Faunen umschwärmte Nymphe, in dem Bacchus eine ehrbar bekleidete Diana, mit einem Schlangenstab in der Rechten, welche die Nymphe mit Fülsen tritt. Man würde sebr irren, wenn man nach diesen Verschieden- heiten muthmafsen wollte, dafs Tristan vielleicht eine ganz andre Münze vor Augen gehabt, Die Vergleichung mit dem Original erklärt alle diese Verun- staltungen, die dem tiefgelehrten Herausgeber einen grofsen Aufwand unnütz verschwendeten Scharfsinns gekostet haben. Richtiger als sein Vorgänger sah Vaillant (in Numis Imperat. a PopulisRom, ditionis graece loquentibus p. 139.), doch glaubte er in dem Kopfe des führenden Satyrs einen Becher zu sehn; die Schlummernde schien ihm halb entblöfst. Die Fehler seiner Beschreibung sind in Gusseme Diccionario T. V. p. 390. wiederholt. Auch in einer Abbildung desselben Exemplars, welches Vaillant vor Augen gehabt (im königlichen Cabi- net) bey de la Boissiere medaillons antiques du Cabinet du Roi en XLI Planches. tab. XVII. ist den meisten Figuren etwas angedichtet. Richtig, aber nur zu kurz, beschreibt sie Mionnet Tom, I, p.4ı2, nr. 324. Bacchus debout, accom- pagne de Silene et de trois satyres; Ariane endormie par terre. Den Tiger hat er übersehn. 9 geschlagene Gewand, der über das Haupt herabfallende Schleyer, das Polster, auf dem sie ruht, alles ist mit der gröfsten Treue wie- dergegeben. Selbst von den Sandalen zeigt sich die Spur. Die Armyerzierung aber durfte, als ganz unbedeutend, dem Stempel- schneider füglich erlassen werden. Da nun diese Figur ohne allen Zweifel eine Ariadne ist, so darf auch nicht mehr gezweifelt werden, dafs Visconti dem Ori- ginal derselben den rechten Namen beygelegt habe. So könnte uns diese Münze schon als Bekräftigung einer glücklichen Hypothese werth seyn; aber sie scheint noch weiter zu führen. Auch die Vermuthung eines andern Gelehrten **), dafs die vaticanische Ariadne Theil eines gröfsern Kreises von Bildern ge- wesen, erhält durch unsre Münze einen hohen Grad von Wahr- scheinlichkeit. Oder wäre es glaublich, dafs der Zeichner dieser Münze oder ihr Erfinder, indem er die Hauptfigur seines Gemähldes nach einer wirklich vorhandenen Statue getreu copirte, alles übrige will- kührlich hinzugedichtet, mit so vieler Einsicht hinzugedichtet habe, dafs daraus ein, was die Anordnung betrifft, durchaus tadelloses Ganze hervorging "?)? Ist es nicht unendlich wahrscheinlicher, dafs er 12) Böttiger in dem archäolog. Museum ı. S. 84. 13) Man würde sehr irren, wenn man die Stempelschneider der Münzen zu den vorzüglichen Künstlern des Alterthums rechnen wollte. Sie machten gewils, wie auch Hr. Levezow in seiner Abhandlung über die knidische Venus $, 54. sagt, eine sehr untergeordnete Klasse aus, wodurch doch der verdienten Bewunderung schöner Münzen nichts entzogen wird. Dal; die Alten der Stem- pelschneider gar keine Erwähnung thun, ist gewils nicht ohne Bedeutung; und wir wülsten nicht, worauf sich Herrn Stieglitz Vermutbung (Versuch über die Einrichtung einesMünz-Cabinets $. 14.), dafs bisweilen grolse und berühm- te Künstler die Matrizen der Münzen ausgearbeitet, stützen könte, Dafs aber a Gemmen- 10 er alles zusammen nahm, wie er es vorfand? Das ganze, reiche, mannichfaltige Bacchanal, von dem die Schlafende nur ein Theil war? Und gewinnt nicht die herrliche Bildsäule ein ganz neues In- teresse, wenn wir sie, was sie auf der Münze ist, als den Schlufs- stein des Gruppo, und mit allen jenen Motiven umringt denken ? Allzugewagt wenigstens wird dieser Schlufs nicht scheinen: Die Figur der schlummernden Ariadne auf der Münze ist ein ge- treues Abbild einer wirklichen Statue; so werden also auch die um- gebenden Statuen Abbildungen wirklicher Bildsäulen seyn. Und wenn dieses war, wie konnten sie anders gedacht werden, als im Verein mit der Bildsäule der schlummernden Ariadne? Hat nun, wie zu erwarten steht, die Ausführung der umge- benden Bildsäulen der Einen entsprochen, die sich von diesem Ver- ein erhalten hat "*), so dürfte diese Gruppe für eine der schönsten des Alterthums gehalten werden müssen. Vielleicht aber dürfen wir auch von unsrer Münze mit Wahr- scheinlichkeit auf die ursprüngliche Heimath jener berühmten Bild- säule schliefsen. Was könnte wohl die Stadt Perinthus bewogen haben, eine Ehren-Medaille auf den Kaiser von Rom mit diesem Gruppo zu schmücken, wenn dieses nicht selbst ein Schmuck der Stadt und eine ihrer kostbarsten Besitzungen war? Dals Gemmenschneider auch dieses Geschäft verrichtet, möchte wahrscheinlicher seyn, da in der That der Typus mancher Münzen, von Grofßs-Griechenland ins- besondere, den schönsten Gemmen in Zeichnung und Ausführung gleichzustel- len ist. 14) So viel mir bekannt. Kenner der alten Kunst, denen ihre Ueberbleibsel bes- ser gegenwärtig sind als mir, werden vielleicht auch andre nachzuweisen im Stande seyn. 3 Bi B D ıı Dafs aber bey den Alten die Orte theils durch Abbildung der vorzüglich bey ihnen verehrten Gottheiten nach dem Muster der berühmtesten Tempelbilder eines Ortes, theils durch andre ausge- zeichnete Kunstwerke auf ihren Münzen bezeichnet wurden, kann man nach den Beyspielen, welche Herr Levezow in seiner Ab- handlung über die knidische Venus "?) zusammengestellt hat, als einen erwiesenen Satz annehmen; und unsre Münze selbst bestätigt seine Behauptung, dafs sich die alten Stempelschneider genau an die wirklichen Vorbilder der Sculptur hielten *°), auf das vollkom- menste. Es ist ferner nicht zu bezweifeln, dafs in Perinthus der Dienst des Bacchus einheimisch gewesen; daher es wahrscheinlich ist, dafs jene Gruppe einen ihrer Tempel des Dionysos geschmückt habe. Vom Herkules erbaut, wie einige behaupteten '7), weshalb sie auch Heraclea genannt worden *?), verehrte sie neben ihrem Erbauer den Bruder desselben, den thrazischen Bacchus. Beyde erscheinen daher auf ihren Münzen sowohl einzeln als vereint *?); auch Bac- chantinnen häufig. Be Zu- 15) S. 47. 16) S.64. 17) Ammian. Marcellin, L. XXII. ı2, Die Perinthier waren Jonier aus Samos. Vergl. Eckhel ad Num, vett, ined. p. 59. 18) Zosimus. I. 62, p. 80. Ötarpißovrı Ö: aur@ ward zyv Ilepıvdov, n von "Hparlsıa ustwvouaoraı. 19, Auf einer Seite Bacchus, auf der andern Herkules in Eckhel Num. vett. tab. 5. 6. p.59. Ein nackter Herkules und der Kopf einer Bacchantin ist auf einer Perinthischen Münze bey Gefsner Pop. tab. 56. ı5. Bacchus allein auf mehreren Münzen Trajans, Gordians, Caracalla’s. S. Patin. Impp. p. 302, fig. 6. Vaillant. „Append. Gr. tab.9. Mionnet Catal. T. ı. Thrace. nr. 354. 255, 208, 305. Ein nackter Bacchus mit dem Cantharus und Thyrsusstab ist auch auf einer Münze des Alexander Severus bey Harduin. Opp- Sel. p. 136: 12 Zunächst aber bietet sich die Frage dar, aus welchem Grunde wohl dieser Bilderverein eines Tempels zur Verzierung einer Münze des Kaisers Alexander Severus gebraucht worden. Eine vollkommen genügende Antwort möchte hierauf nicht wohl gegeben werden kön- nen, ob sich schon Vermuthungen darbieten. Die nächste Veran- lassung zu dieser Münze möchte wohl überhaupt in der Anwesen- heit des Kaisers zu Perinthus zu finden seyn, welche Stadt er, wie aus einer andern Münze bekannt ist *°), zweymal besucht hat. Es kann aber noch weiter vermuthet werden, dafs eben damals die schlummernde Ariadne mit ihren Umgebungen ihren ursprünglichen Sitz verlassen, um nach Rom zu wandern, indem sie die Stadt dem kunstliebenden Kaiser zum Geschenke dargebracht, und dieses Er- eignils durch eine Münze bezeichnet habe. Einige Umstände, welche der lateinische Biograph jenes Kai- sers erhalten hat **), kommen dieser Vermuthung ausnehmend zu stat- 20) $, Spanheim de Usu et Praest, Num, T, II, p. 624. 21) Lampridius in den Scriptt Hist, Aug. T. I, p. 921. Opera veterum principum instauravit: ipse nova multa constituit: in his thermas nominis sui juxta eas, quae Neronianae fuerunt, aqua inducta, quae Alexandrina nunc dieitur, Nemus thermis suis de privatis aedibus suis, quas emerat, dirutis aedifieiis fecit .... Antonini Caracalli tbermas additis sortionibus (porticibus verbessert Casau- „bonus) perfeeit et ornavit „ , . statuas colosseas in urbe multas locavit, artifi- eibus undique conquisitis.. . . . statuas summorum virorum in foro Trajani collocavit undique translatas. .. . Basilicam Alexandrinam iustituerat inter cam- pum Martium et septa Agrippiana in latum pedum ceatum, in longum pedum mille, ita ut tota columnis penderet; quam efficere non potuit morte praeven- tus. Isium et Serapium decenter.ornavit, additis signis et deliacis et omnibus ınysticis, In matrem Mammaeam unice pius fuit, ita ut Romae in Palatio face- ret diaelas uominis Mammaeae .,. Et in Bajano palatium cum stagno, quod Mammaeae nomine hodieque censetur. Fecit et alia in Bajano opera magnifica in honorem affınium suorum, et stagna stupenda admisso mari. .... (p. 929.) Statuas colosseas vel pedestres nudas, vel equestres divis imperatoribus in foro diviNervae, quod transitorium dieitur, locavit omnibus cum titulis, et columnis aereis, quae gestorum ordinem continerent exemplo Augusti, qui summorum vi- ro- : 13 statten. Durch ihn wissen wir, dafs der wohlgesinnte Fürst — wel- chen einige des Geizes beschuldigten, weil er sich selbst versagte, was er dem Staate grolsmüthiger zuwendete **) — während seiner vierzehnjährigen Regierung die Kunst mit rühmlichem Eifer begün- stigte, und die Hauptstadt vornemlich, obschon auch die Provinzen, - durch Bauten mancherley Art verschönerte. Er erneuerte die Wer- ke der alten Kaiser; schmückte das Forum Trajani mit Bildsäulen berühmter Männer, die er überall sammelte; und errichtete Colossen in mehrern Theilen der Stadt, wozu die Künstler von ihm in allen Gegenden des Reiches aufgesucht wurden. Unter seinen eignen Bauten aber werden vornemlich die Thermen erwähnt, welche sei- nen Namen führten und sich neben den Neronianischen erhoben ?3), weitläufig genug, um späterhin drey Kirchen in ihren Ringmauern einzuschlielsen. Es ist sehr wahrscheinlich, dafs diese Thermen, welche eine Münze des Kaisers verherrlicht **), nicht ohne den Schmuck plastischer Kunstwerke geblieben sind, mit denen selbst die rorum statuas in foro suo e marmore collocavit, additis gestis. . ,. . (p. 958.) Balnca omnibus regionibus addidit quae forte non haberent, Nam hodieque multa dieuntur Alexandri, Fecit et domos pulcherrimas, easdemque amicis suis maxime integris viris donavit. .. . (P.996.) Multis eivitatibus, quae post ter- rae motus deformes erant, ad instaurationem operum et publicorum et privato- rum pecuniam ex vectigalibus dedit, 22) Gegen diese Anklage und das geringschätzige Urtheil, welches Julianus in den Cäsarn Cap, XI, über diesen seineu Vorgänger fällt, hat Tristan mit über- mälsiger Ausführlichkeit gesprochen in den Comment. historique T, UI, p. 576. Vergl, Gibbon on the Decl, and Fall of the R, E, ch, VI. T, I, S, a00 ff. Basl. Ausg. 23) S. Fea Dissertaz, sulle Rovine di’ Roma (Storia dell’ Arti, T, III.) p- 356. Einige glaubten die Alerandrinischen Bäder seyen von den Neronianischen nicht verschieden gewesen, doch wahrscheinlich mit Unrecht. S, Alexandri Donati Roma vetus et recens L, III. 19. p. 41. 24) S. Vail’ant Numism. Praest, imper. Rom, T. II, p. 285. Beger. Thesaur. Bran- denb. T. II. p. 717. 14 die Bäder der Privatleute *°) angefüllt waren *°). In diesen Ther- men, oder in einem andern der zahlreichen, von Alexander errich- teten Gebäude konnte jener Statuen-Verein füglich einen Platz fin- den, und es fällt in die Augen, wie die Stadt veranlalst worden, den Kaiser durch ein solches Geschenk zu verpflichten. Und vielleicht hatten andere Städte ein Gleiches gethan. Es ist wenigstens der Bemerkung werth, dafs die Bestrafung der Dirce, ähnlich der, welche in dem Gruppo des Farnesischen Stieres zu sehen ist, auf einer, von der Stadt Thyatira geprägten Münze des- selben Kaisers gefunden wird ?7). Man 35) Seneca Epist, LXXXVI. 6, Quid quum ad balnea libertinorum pervenero? qwantum statwarum, quantum columnarum est nihil sustinentium, sed in Ornamentum positarum, impensae causa! Vergl. The Bath’s of the Romans by Ch. Cameron. London 1772, a6) Mehrere kostbare Ueberbleibsel der alten Kunst sind in dem neuern Rom an den Stellen ausgegraben worden, wo vormals Bäder gestanden hatten, 27) Bey Eckhel Num. vett. anecdot. tab. XV. ı. p. 269. und in der Doctrin. Num, Num. T. III. p. ı22. Doch darf hier nicht unbemerkt bleiben, dafs jenes Grup- po, so wie es im Farnesinischen Pallaste stand, mit der Abbildung auf der Münze nicht genau zusammenstimmt. Es ist aber auch bekannt genug, dafs je- nes Gruppo sehr restaurirt, und also seine ursprüngliche Beschaffenheit nicht hinlänglich bekannt ist. S. Heynens Antiq. Abhandl. II. S. ı82 ff. Ein solches Werk stand zu Plinius Zeit in einem Museo des Asinius Pollio (in monumen- tis Asinii Pollionis. L. XXXVI. s. 4. ro. worunter Heyne a. a O. S. ı85. die Bibliothek dieses Mannes versteht), und war, ein Werk des Apollonius und Tauriskus, von Rhodus nach Rom gebracht worden, Wäre dieses dasselbe Werk, welches die Münze abbildet, so liefse sich schlechterdings kein Grund ersinnen, wie es auf eine Münze der Stadt Thyatira gekommen, und warum es mit dem Brustbilde des Kaisers Severus Alexander verbunden worden, Es wird also dieser Gegenstand mehr als einmal bearbeitet und in Rom aufgestellt gewe- sen seyn. Uebrigens wurde der farnesische Stier in dem Umfange der Bäder des Caracalla ausgegraben, (Vasari Vite T. III. p. 267. ed. Bottari.), welche Alexander ebenfalls, wie unsLampridius belehrt, geschmückt und vollendet hat. Ich bemerke noch, dafs derselbe Gegenstand auch auf einer Münze Trajans vorkommt, die uns aber, als erwiesen falsch, nicht irre machen darf. S, Eckhel Doctr. V. N. T. VID. p. 287. er RE Zn . D NEE U ll un ze, Man darf aber wohl mit einiger Wahrscheinlichkeit muth- mafsen — und auch dieses kömmt unsrer Hypothese zu statten — dals jene bewundernswürdige Bildsäule zu einer Zeit nach Rom ge- kommen, wo es noch Künstler gab, die sie nachzubilden im Stande waren. Denn dafs sie öftrer nachgebildet worden, ist bekannt. Zwey solcher Copien fanden sich ehedem zu Rom, die eine in der Villa Medicis, wo Winkelmann sie noch sah *°), die andre im Mu- seum Odescalchi. Es ist aber nicht glaublich, dafs diese Abbildun- gen eher gemacht worden, ais das Original zu Rom der Bewunde- rung der Welt ausgestellt war. Wenigstens würde es überaus wun- derbar seyn, dafs sich zu Rom allein zwey dieser Nachbildungen aus entfernten Gegenden — wo sie verfertigt worden — mit dem Original zusammengetroffen hätten. Wir erwähnen noch zuletzt, dafs der Gedanke des Perinthischen Gruppo in mehrern Werken der spätern Kunst erscheint. Das schönste in dieser Art möchte das Basrelief eines Sarkophages im Museo Pio-Clementino *?) seyn, wo die Stellung der Schlummern- den ron der Stellung der Bildsäule nicht verschieden is. Bacchus tritt in ähnlichen Umgebungen auf, die sich nur — um den breiten Raum zu füllen — zahlreicher drängen; den rechten Arm um den Nacken eines jungen Fauns geschlungen, den linken auf den Thyr- sus gestützt, genau wie auf der Münze, nur mit veränderten Sei- ten ?°). Auch auf dem reichern Basrelief im Palazzo Mattei 3"), welches Winkelmann mit Viscontis Zustimmung 3?) auf eine Hoch- zeit des Peleus deutet, würde die Schlummernde von unsrer Ariadne nicht 28) Gesch. der Kunst S. 386. 29) Tom. V. tav. VIII. 30) Zwey andre Bacchanale in den Monim, Mattheian, T, III. tab. VII. ı, 2, erinnern nur schwach an unser Werk, 31) Monim. Matth, T.I, tab. XXXIII. Winkelm. Monim, Ined, tab ı00. Spence’s Poly- metis Tab. IX, 83) Muse. Pio-Clement, Tom, V, p. 16, ı6 nicht verschieden seyn, wenn das ihr abgezogene Gewand um den entblöfsten Körper gelegt würde. Gewils ist der ganze Gedanke von jener Ueberraschung der Tochter des Minos hergenommen. Eben dasselbe gilt von einem halb erhabnen Werke in dersclben Sammlung °?), auf welchem drey Figuren jener reichen Composi- tion wiederholt, die Schlafende aber ehıbarer, doch schlecht beklei- det ist. Unter den Herkulanischen Gemählden, auf welchen jener be- rühmte Gegenstand abgebildet ist, kömmt dasjenige, welches bey Piranesi 3*) auf der XVIten Tafel steht, mit der Darstellung auf der Münze am meisten überein. Ein Satyr zieht den Schleyer von dem Oberleibe der Schlafenden ab; Amor aber führt den Bacchus her- bey, der sich mit dem rechten Arm auf einen Silen stützt, der ihm den Thyrsus trägt. Ueber den Felsen schaun Amorn und Nymphen vor. Diese Gruppe ist der Perinthischen verwandt, aber doch so, dafs an eine Nachbildung nicht zu denken ist. Auch die Stellung der Ariadne ist verschieden, indem der Oberleib mehr herabgesun- ken ist, vielleicht um der Lage des Kopfes grölsere Anmuth zu ge- ben. Uebrigens wird auch Bacchus auf mehrern Kunstwerken in der Stellung gefunden, die er auf der Münze hat °°), und es wäre wohl möglich, dafs sich bey aufmerksamerm Nachforschen auch die übrigen Figuren jenes Vereins nachweisen lielsen. 33) Monim, Mattheian, T. III, tab, IX, 34) Antiquites d’Herculanum par Piranesi, T. II. 35) Unter andern in De la Chausse Muse. Roman, T. I. Sect. II. tab, 8, ev u er 27 — ——— un un nn ns ss an sn va nn nu nu na sa an vn nam d 11. Ueber das menschliche Wahrnehmungsvermögen. Von BAHR NV uW.ELLHE,;R Einleitung. D:. Ueberzeugungen der Menschen werden immer verschieden aus- fallen, wie ihre Gesichtsbildungen. Müssen sie aber nothwen- dig auch widersprechend seyn ? Herrscht auf dem Gebiethe un- sers Geistes nicht ebenfalls ein ewiges Gesetz, wie auf dem — unsers Körpers ? Es bilden sich in uns aufser den jedesmaligen offenbarern Ueberzeugungen immer auch einige geheimere, welche eben so sehr mit einander übereinstimmen, als jene von einander abweichen. Es hat jeder hinter seinen künstlichen Augen, über deren Her- kunft er sich (mehr oder weniger) zu rechtfertigen weils, ein Paar 3 na- 18 natürliche, die ihm gewachsen sind, ohne dafs er weiß, „wie“, Und so wie nun mit jenen — jeder seine eigene Welt (und man- cher gar keine) sieht, so sehen wir mit diesen — alle so ziemlich dieselbe, nur der eine klarer, der andere dunkler. — Ich brauche hierüber das Heer von Selbstwiderlegungen, die wir uns täglich zu Schulden kommen lassen, nicht ausführlicher zu berühren, und nicht erst darzuthun, dafs es eben diese Inkonsequenzen sind, durch welche die Trennung wieder verschwindet, die durch unsere Kon- sequenz einzutreten pflegt. Wir sollen also vorzüglich über den geheimen Theil unse- rer Kenntnisse wachen. Allein man fürchtet das Dunkel, welches auf diesem Gebiethe liegt. Mufs denn aber die Sonne immer schon über dem Horizont stehen, damit man die Wege unterscheiden kön- ne? Auch auf dem Felde unserer Ueberzeugungen geht dem Tage des Begriffes die Dämmerung des Gefühles voraus. Dieses Gefühl des Wahren giebt im Grunde überall die erste Anre- gung zu unsern Untersuchungen. Hier zeigt sich in dem Helldunkel der Ahnung derjenige Be- zirk, der unsere Aufmerksamkeit vorzüglich erfodert, sogar schon sehr bestimmt, Das Land der Wahrnehmung ist jene geheimnils- volle Gegend, aus welcher sich in uns die stillern Vorstellungen er- heben, die den lauten Begriffen so oft das Gleichgewicht halten oder das Uebergewicht abgewinnen. Die Wissenschaft ist zu sehr besorgt lediglich um die Er- klärung des schon Inne-gewordenen, und zu wenig um das In- newerden selbst. Die historische Kenntnifs ist diejenige, um welche sie sich allenthalben mehr anstrengen soll, damit sie dem Leben näher komme, also selbst lebendiger werde. Die ne u 5 h. EEE EOUEELLEL ZLERELE LVO a Die philosophische Untersuchung beschäftigt sich mit den ersten Gründen des Wissens und Seyns. Sie muls also ihre Auf- merksamkeit vor Allem auf die Quelle unserer Wahrnehmungen, auf unser Wahrnehmungsvermögen, wenden. Unser gesammtes Verstehen ruht auf unserm Selbstverstehen, und dieses — auf dem — unsers Wahrnehmens. H Die Natur unsers Wahrnehmens überhaupt. Ueber den allgemeinsten Charakter des Wahrnehmens hat im Grunde kein Streit Statt. So sehr die Ansichten über die tie- fere Natur und über die Gränzen desselben von einander abwei- chen, so ist man doch darüber einverstanden, dals sein unter allen Formen und in allen Ausdehnuugen immer wiederkehrendes Wesen — ein unmittelbares Vorstellen, ein ursprüngliches In- newerden sey. Aus diesem einfachen Grundmerkmahl ergeben sich auch schon die vorzüglichsten einzelnen Eigenheiten. Die Wahrnehmungen liefern zu dem gesammten Erkennen den Stoff, die Materie, das zu Erkennende. Dieser Stoff kann zwar zuletzt sehr unscheinbar werden. Vorhan- den mufs er aber doch immer in irgend einer Faser noch bleiben; sonst hat kein Erkennen, nicht ein Mahl ein Vorstellen mehr Statt. Selbst die negativen Vorstellungen sind nur dadurch möglich, dafs ein wahrgenommener Stoff als nicht vorhanden (entweder in dem Gebiethe dor Wirklichkeit, oder — der Möglichkeit) vor« 3m 5 20 gestellt wird. Aufserdem wären sie keine Vorstellungen des „Nichts,“ sondern Nicht- Vorstellungen, Die Wahrnehmungen erhalten daher in Anse- hung ihres Inhaltes Nichts von andern Vorstellungen. Defswegen lassen sich ihre Aussagen auch nur in ihnen selbst nach- weisen. Durch sie werden alle andere Vorstellungen, sie selbst aber werden nicht wieder durch andere ver- mittelt. Sie sind daher (in dem gewöhnlichen Sinne des Wortes) nicht weiter erklärbar. Man kann sie näm- lich nicht in andere klarere Vorstellungen auflösen. Vielmehr müs- sen alle übrigen, um ganz und gründlich klar zu seyn, zuletzt im- mer in sie aufgelöst, d. ı. auf sie zurückgeführt werden. Wessen sie in Rücksicht des Rlarwerdens fähig sind, ist nicht Erklärung, sondern Aufklärung. Nicht fremde hellere Vorstellungen, sondern sie selbst müssen heller in unser Bewulstseyn gebracht werden. Dazu haben wir dann allerdings auch noch fremde Vor- stellungen (z. B. Begriffe) nöthig. Aber wir theilen ihnen durch diese kein neues Licht mit, sondern wir machen nur, dals das ihrige bestimmter und reiner in unser Auge falle. Die Wahrnehmungen lassen sich darum auch nicht mittheilen. Sie müssen von jedem selbst gemacht werden. Was darüber durch blofse Mittheilung erhalten wird, ist sicher immer etwas Anders, als das, was mitgetheilt werden wollte. Das auf dem Felde der Wahrnehmung leuchtende Licht ist kein erst von uns anzuzündendes, sondern ein von selbst aufgehendes. Wem es daher nicht leuchtet, dem können wir es nicht leuchten ma- chen. Nur das können wir machen, dafs er sich klarer bewulst werde des insgeheim schon Gefundenen, dafs er das unrichtig Ge- deutete richtiger deute. Defswegen findet die Rede in den Wahr- nehmungen immer ihr Ende, oder (von der andern Seite betrachtet) sie i j 3 7 2ı sie nimmt in ihnen immer erst ihren Anfang. Sie geht nur von dieser Stelle aus, und kann also bey ihrer Rückkehr auch nicht weiter als wieder nur auf dieselbe zurück. Auf allen übrigen Fel- dern können sich die Worte noch weiter auf Worte berufen. Hier geht das nicht mehr an. Hier müssen sie durch die Dinge belegt werden. „Sehe! Höre! Fühle selbst!“ ist da immer das Letzte. Unser gesammtes Wissen ruht also im Grunde immer auf einem Faktum, und was wir Gesetz nennen, ist eigentlich nur ein uns schon länger bekanntes Ereignils, dessen Natur wir in jedem an- dern derselben Klasse wieder suchen. Unser Erklären ist ein lau- teres Vergleichen des Unbekannten mit dem Bekannten, und das erste oder ursprünglich Bekannte ist das Wahrgenommene. Es ist daher ein ganz eigener Zustand von Hell- dunkel, in welchem man sich in Ansehung der Wahr- nehmungen befindet. Licht und Schatten sind darin in grel- len Abstufungen gemischt. Es ist uns das, was wir mit Bewulst- seyn wahrnehmen, so bekannt, und wir können darüber doch fast nichts sprechen. Der Name desselben ist eigentlich alles, was wir vorzubringen vermögen. Es liegt uns einerseits so nahe, dafs wir es mit unserm lebendigen Geiste unmittelbar berühren, und es ist dann andrerseits doch auch wieder so entfernt, dafs wir es durch keine noch so ausgedehnte Erörterung erreichen können. Es ist uns so klar, dafs wir nicht begreifen, wie es uns zugleich so dun- kel seyn könne. Insbesondere ist die Entstehung der Wahrnehmungen ein Geheimnils. Wir können sie dabey nicht beobachten. Sobald wir sie beobachten können, sind sie immer schon entstanden. Wir se- hen nur das schon in Gang gekommene Leben, nie den Ursprung desselben. Wir mülsten, um diesen zu sehen, vor dem Wahrneh- men noch etwas Anderes als dieses, oder dasselbe wenigstens auch noch auf eine andere Weise, als auf die uns einzig mög- 223 mögliche können. Wir müfsten das vor und aufser unserm er- sten Vorstellen schon vorhandene nicht blols auffassen, sondern durch dieses Vorstellen erst selbst heruorbringen oder das Hören sehen und das Sehen hören können. Diese Dunkelheit des Ursprungs läfst sich auch nicht etwa mittelbar durch unser Denken aufhellen. Denn dieses Ableitungs- vermögen kann zwar immer weiter vorwärts, zurück aber nur bis zu einem gewissen Punkt, — bis zu dem der Wahrnehmung. Die Versuche, diesen Ursprung zu erklären, endigen defswegen im- mer in der Annahme irgend eines erst von uns gemachten Wahrnehmungsvermögens. Der Verstaud kommt nämlich zuletzt wenigstens in so ferne zur Besinnung, dafs er seine Unfähigkeit in dieser Hinsicht ahnet, sich aber der Phantasie übergiebt. Allein um was sind wir mit einem solchen erfundenen Vermögen besser daran? Die Wahrnehmung ist daher unläugbar die Gränze unsers Er- kennens. Wir können zwar unermelslich tief in sie hinein. Aber hinaus über sie — keinen Schritt. Wie die Entstehung, so ist auch die Wirkungsart der Wahrnehmungen geheimnifsvoll. Wie sie immer schon vorhanden sind, wenn man ihr Werden beobachten will, so haben sie immer auch schon gewirkt. Und auch diese Dunkelheit läfst sich nicht mittelbar aufklären, so dafs also für den Erklärungssüch- tigen überhaupt Nichts anders übrig bleibt, als die Wahrnehmungen, die er hat, durch andere, die er nicht hat, zu studiren und seinen Heifshunger nach Erklärungen durch die Einbildung zu stillen, weil er es durch die Wirklichkeit nicht kann. So geheim aber diese Wirkungsart ist, so kräf- tig ist sie auch, Man weils, welcher Nachdruck der sogenann- ten anschaulichen Erkenntnils eigen is. Die Stärke unsers gei- we a 1 u u ZZ ne 23 geistigen Daseyns steht mit der Anschaulichkeit unserer Vorstellun- gen im geraden Verhältnisse *), Eigentlich geht alle Kraft darum von den Wahrnehmunger aus, weil von ihnen alles Leben ausgeht. Die Wahrnehmungen sind für unsere ganze geistige Lebendigkeit von erre- gender Art. Sie sind zwar selbst auch wieder durch unsere übri- gen Geistes- Thätigkeiten weiter fort erregbar. In jedem organi- schen Ganzen hat eine gegenseitige Bedingung Statt. Allein die ursprüngliche Anregung kommt doch nur durch sie. Sie allein sind die ersten Funken für unser inwendiges Licht und Leben, und ohne sie ist es in uns lautere Nacht und lauterer Tod, — Nacht auch ohne die feurigen Spukgestalten der Träume, und Tod auch ohne das faulende Leben der Verwesung. Die Wahrnehmungen kündigen sich uns defswegen als solche Vorstellungen an, die sich selbst machen, indels die an- dern als erst von uns gemachte erscheinen. ” Die Einbil- dungen und Begriffe sind Wirkungen unserer eigenen Thätigkeit, die Wahrnehmungen aber — einer fremden. Wir verhalten uns bey diesen in der ‘Hauptsache nur leidend.. Wir werden inne. Wenn wir im Verfolge gleichfalls etwas dazu thun, so ist dieses eben kein Wahrnehmen mehr, sondern ein Bearbeiten (des schon Wahrgenommenen). Die Wahrnehmungen sind daher unwillkührlich. Sie gehen unserer gesammten Selbstthätigkeit vorher, also auch un- *) Die Kraft der Wahrnehmungen ist eben defswegen grofs, weil sie geheim ist. Sie ist dadurch jeder Schwächung durch unsere willkührliche Thätigkeit unzu- gänglich. Unsere freyen Entfaltungen sind gar zu oft nur Zersplitterungen, Wir geben den Regungen gewöhnlich blofse Ausführlichkeit, und die Kraft kommt von der Innigkeit, 24 ee unserer willkührlichen. Wir finden sie nur. Eigentlich finden sie uns, denn sie kommen ungesucht. So findet der Lichtstrahl unser Aug, der Schall unser Ohr, ohne dafs wir vor der Hand etwas anderes dazuthun, als mit offenem Auge und Ohre — dazuseyn. Sie dringen sich uns oft auch da noch auf, wo wir uns gegen-sie sträuben, wodurch dann die bekannten Gegenströmungen entstehen, die sich so häufig in dem Bette unsers geistigen Lebens- stromes zeigen, — die überraschende Flut zufälliger Gefühle, die so mächtig gegen die wohlbedächtlich eingeleitete Ebbe künstlicher Meinungen ankämpfen. Wenn wir auch manches Mahl glauben, die Wahrnehmungen erst suchen zu müssen, so mifsverstehen wir uns nur. Wir suchen blofs verlorne also schon gehabte. So sucht nur der Erblindete das Licht. Dem Blindgebor- nen fällt dieses von selbst nicht ein. Und theilen wir ihm den Einfall mit, so sucht er höchstens nur — — Etwas, aber defswe- gen noch nicht das Licht. Denn man lasse ihn von Geburt an z.B. auch des Geruchs entbehren, und nun auf ein Mahl an diesem Sinne geheilt werden, er wird nicht wissen, ob nicht etwa der nun entdeckte Wohlgeruch — unser Licht sey. In Ansehung des Grades der Ueberzeugung offenbaren die Wahrnehmungen ebenfalls einen eigenthümlichen Charakter. Sie sprechen immer kategorisch. Die übrigen Vorstellungen re- den jetzt von möglichen, ein andersmahl von nothwendigen Gegenständen und bald mit mehr, bald mit weniger Ge- wiflsheit; die Wahrnehmungen — stäts nur von wirklichen und mit immer gleicher Zuversicht aber auch ohne alle weitere Rechtfertigung. Ihr Sprechen ist ein Absprechen. Diese diktatorische Entschiedenheit der Wahrnehmungen erhält sich selbst gegen höhere spekulative Entschei- dungen. Der Ausspruch der ersten, „dals es so sey,‘ bleibt auch gegen den gewaltigern der Theorie, „dals es so — nicht seyn könne,‘ wenigstens insgeheim noch unerschüttertt. Wenn er et- 25 etwa auf Augenblicke schweigt, so widerspricht er sich doch nie, und er hört oft unvermuthet selbst zu schweigen auf. II. Der Umfang unsers Wahrnehmens. Dafs unser Wahrnehmungsvermögen mehrere Bezirke umfasse, wird allgemein anerkannt. Ueber einige derselben ist man in der Regel sogar namentlich einverstanden. Wir können — sehen, hören, riechen, schmecken, betasten, und unsereiin- nern Zustände auffassen, d.i. auf sechsfache Weise em- pfinden. Mit diesem Empfinden glaubt man aber gewöhnlich das Ganze auch schon geschlossen. Beynahe eben so allgemein, als die Uebereinstimmung ist, dafs man auf die berührten Weisen empfinden könne, ist in der Regel und in so ferne man sich darüber ausspricht, auch die Meinung, dafs man (im Fache des Wahrnehmens) sonst nichts könne, als empfinden. Allein einige zerstreute und dunkle Sagen von dem einen oder andern höhern Sinne giengen denn doch unter unserm Ge- schlechte immer herum. Es ward (und eben nicht sehr selten) von einem Moral-Sinne, von einem Sinne für Religion, von einem Ge- fühle für Wahrheit, von einem Gefühle für das Schöne und Erha- bene, von einem höhern Instinkte überhaupt die Rede. Hier und da ward wohl gar ein eigenes übermenschliches Vermögen -angenom- men, ein Visions- Vermögen, u. dergl. Man konnte sich also zwar bisher in Ansehung dieses höhern Sinnes (wenigstens auf dem Gebiethe der Theorie) nicht so allge- mein vereinigen, wie in Ansehung der niedrigen Arten. Aber dar- über, dafs es in uns aulser und über den offenbarern Wahrneh- 4 mungs- 26 mungsweisen noch eine geheimere gebe, war man doch sehr allge- mein, ohne es gerade immer selbst zu wissen, eben darum einig, weil man stäts gleich nach ihrer Beschaffenheit forschte, folglich im Glauben an ihr Daseyn jedesmahl schon befalst seyn mulste. Freylich! Als es mit der Erforschung jener Beschaffenheit gar nicht in’s Reine kommen wollte, ward endlich dort und da auch der Glaube an dieses Daseyn erschüttert, und jeder höhere Sinn für eine Chimäre erklärt. Einige von denen, welche diesen Sinn für eine Täuschung hielten, glaubten dessenungeachtet die Aussagen, die durch ihn kommen, noch retten zu müssen, und — zu können. Sie meynten, wir wülsten zwar von einemHöhern, — — aber durch keinen Sinn, sondern durch Schlüsse. Die andern waren konsequenter, und ver- warfen die Aussagen sammt dem Sinne. Allein es wollte mit den verschmähenden Erklärungen — so- wohl der einen als der andern Art — so wenig voran, als mit der Erforschung des verschmähten Sinnes. Jede Erklärung fand hier eigene Schwierigkeiten. Ueberall läfst sich das, was man wünscht, in der Regel so ziemlich leicht und bleibend her- und weg-erklä- und -beweisen. Hier geht das nicht an. Die Schönheit, die Tugend, die Gottheit, die man sich blofs aus Begriffen zusammensetzt, sind immer das nicht, was man sucht, nicht das wirklich Schöne, nicht das wahrhaft Edle, nicht der lebendige Gott. Man will sich hoher Wesenheiten bemächtigen, und es schweben am Ende nur schön- klingende Worte über die Zunge, für die es nirgends eine gerecht- fertigte Bedeutung giebt. Aber so leer die auf diese Art zu Stande gebrachten Bezeichnungen sind, so wesenlos also die Regionen er- schemen, worin die bezeichneten Mächte einheimisch seyn sollen, so ergreift uns von dorther doch eine geheime, und nicht selten unwiderstehliche Gewalt, und wir huldigen durch Thaten denselben We- <7 Wesen als höhern ehrwürdigen Mächten, denen wir in der Theorie als blofsen Gespenstern unsern Glauben aufkündigten. Sonderbar! Wir können es hierin weder zu einem reinen Wissen (zur vollendeten Wissenschaft im gewöhnlichen Sinne) noch zu einem reinen Nichtglauben (zu einer festen konsequenten Ver- läugnung) bringen. Wir können uns des Glaubens nie ganz entle- digen. Er ist immer schon früher da, als unser Wissen, und spä- ter, als unser Unglaube, auch noch. Es scheint daher einerseits al- lerdings eine Art von Sinn zu seyn, wodurch wir jene ausgezeich- neten Vorstellungen erhalten. Und anderseits können wir es doch in Ansehung dieses Sinnes nicht zur nötbigen Uebereinstimmung und Klarheit bringen. Es will weder das allgemeine Anerkennen des Sinnes noch das allgemeine Verwerfen der ihm zugeschriebenen Aussagen gelingen *). Die berührten schwierigen Vorstellungen betreffen das Schö- ne, Erhabene, Wahre, Gute und Heilige. Die daraus hervorgehen- den ästhetischen, metaphysischen, moralischen und religiösen Ueber- zeugungen sind es, welche, ohne eigentlich anschaulich zu seyn, doch eine Unmittelbarkeit zeigen, durch die sie über jede spekula- tive Begründung, und im Grunde auch über jede solche Erschütte- rung erhoben werden. Immer tritt die Spekulation (das Raisone- ment) erst, wenn sie schon vorhanden oder wieder erstorben sind, 4° hinzu, *) Die bekannte Erklärung, dafs die Rückfälle in den Gottesglauben u, s. w, nur Folgen der frühen Angewöhnung durch Erziehung seyen, wie die oft unvermu- thet wiederkehrenden Schauder des Gespensterglaubens — diese Erklärung ist in vielfacher Hinsicht gar zu seicht, Ich will nur ein Paar dieser Rücksichten berühren. Wird denn der Glaube an Gott im Kinde jemals so übermächtig, wie der — an Gespenster, dals er sich eben so tief und unvertilgbar eingra- ben kann? Und warum ist selbst der Wahnglaube an Gespenster einer solchen ungemeinen Gewalt fähig, als nur darum, weil’ er ein Mifsbrauch einer höhern Anlage, ein milsverstandener Gottesglaube ist? 28 hinzu, um ihr Recht zu proklamiren, oder ihnen den Stab zu brechen. Die Hauptschwierigkeit besteht darin, dafs man nicht bestimmt weils, in welchem Fache unsers Geistes sie eigentlich untergebracht werden sollen, ob in dem — der Anschauungen — oder der Ein- bildungen, oder der Begriffe; denn nur in diese drey Rlassen theilt man unsere Vorstellungen gewöhnlich. Ehe man sich um die Beschaffenheit und Abkunft der berührten schwierigen Vorstellungen genauer er- kundigte, lie[s man sie in der ersten Reihe, in der — unserer Anschauungen auftreten. Wenigstens ward ihnen vor der Hand so viel Zuversicht, als diesen zu Theil. Und als sich die erste bestimmtere Frage nach ihrem Herkommen meldete, wurden sie (von den Mystikern) ausdrücklich für Anschauungen erklärt. Als es in diesem Punkte unsers Forschens klärer zu werden begann, sah man, dafs sie sich dazu nicht rechtfertigen können. Man wollte und konnte sie aber nicht gleich ganz aufgeben. Man versetzte sie daher blos in eine andere Reihe, in die — der Begriffe. Die Metaphysiker (wenigstens die meisten) meyn- ten, sich dieselben Ueberzeugungen, die dem gemeinen Menschen- sinne zwar schon vor aller Metaphysik, aber nur verwirrt und un- sicher, beywohnen, durch ihre Schlüsse bestimmter und dauerhafter machen zu können. Da dieses zuletzt auch nicht angehen wollte, so war endlich keine andere Klasse mehr übrig, als die — der Einbildungen. Es standen daher unter den Metaphysikern endlich immer einige auf, welche die Unbegreiflichen — nur als Spiele der Phanta- sie begreifen zu können glaubten. Ge- DT ET ENTE ee ME 29 Gehören diese wichtigen Vorstellungen wirklich in keine der zwey ersten Klassen? Und wenn dieses der Fall ist, gehören sie alsdann nothwendig in die drit- te? Könnten sie nicht, wie jede der übrigen Arten, auch eine eigene Klasse für sich bilden? Man versuchte es schon manches Mahl, sie auf diese Weise auch auf dem Gebiethe der Wissenschaft auszuzeichnen. Insbeson- dere begann man in unsern Tagen eine solche Absonderung und Zusammenstellung derselben unter dem Namen „Ideen“ vorzu- nehmen. Allein gewöhnlich hielt man sich dabey zu sehr blofs an das Aeulsere. Und drang man tiefer, so ward ihrem Innern sehr oft nur eine fremde Natur angedichtet. Anschauungen sind sie sehr offenbar nicht. Wir verste- hen unter diesen solche unmittelbare Vorstellungen, welche den Gegenstand selbst (entweder an sich oder in seiner Erscheinung) vor unser Gemüth bringen. Anschauen ist uns also nicht überhaupt jedes erste Innewerden, sondern das bestimmtere — eines We- sens (und nichs etwa blofs einer Nachricht davon). Von dieser Art sind die Vorstellungen von Farben, von Tönen, u. s. w. Ganz anders kündigen sich uns aber die Ideen an. Wenn gleich auch sie eine Art von Unmittelbarkeit zeigen, also nicht erst aus andern Vorstellungen zusammengesetzt und abgeleitet werden kön- nen, so zeigen sie doch durchaus keine Anschaulichkeit. Sie stellen uns nämlich nie ihre Gegenstände selbst, sondern immer nur Aussagen, Nachrichten, Versicherungen davon dar. Wir sehen nicht Gott, hören nicht seinen heiligen Willen selbst. Wir vernehmen nur eine Stimme in uns, welche einen Gott, und sein heiliges Gesetz verkündet. Auch die Schönheit in ihrer eigenthüm- ‚lichen Fülle entzieht sich unserm geistigen Blicke, und unser Ge- fühl läfst uns blols in einem gebrochenen Widerstrahle ihr gehei- mes Daseyn ahnen. Ist 30 Ist dieKlasse der Begriffe geeigneter zur Aufnahme derIdeen ? Sie werden jetzt häufig dahiu gerechnet, und zwar sehr oft nur als Mifsgeschöpfe, entstanden durch Fehl-Schlüsse. Wir haben hier vorläufig nicht zu entscheiden, ob sie richtige oder unrichtige Begriffe, sondern ob sie überhaupt blofse Begriffe seyen. ı Der Begriff ist immer kleiner, als sein Gegen- stand. Er ist nie mehr, als höchstens der Titel des Buches. Je= ner mag aber noch so ausführlich seyn, das Buch ist doch immer ungleich reichhaltiger. Ich will nicht sagen, welche Definition, son- dern selbst, welche Beschreibung kann sich in Hinsicht des Reich- thums der Merkmahle mit dem definirten oder beschriebenen Ein- zelwesen messen? Der Inhalt des Begriffs kommt daher in jedem Wesen seines. Kreises immer ganz vor. — Er ist ferner nur durch die einzelnen Vorstellungen, wovon er eine Abstraktion ist, möglich. Man gelangt also zu ihm blofs dadurch, dafs man von den unzähligen durch die WVahr- nehmung gegebenen Merkmahlen die meisten liegen läfst, und nur einige auffasset und verbindet. Er ist daher nie eine erste Vorstellung. In keinem Fache unsers Erkennens erwachen wir durch ihn. Immer geht ihm irgend eine andere voraus. Er ist stäts nur die mittelbare Vorstellung einer unmittelbaren. Be ERERZFV,, Da er sich auf diese Weise erst durch unsere willkührliche Thätigkeit bildet, so geht sein Entste- hen nicht so geheim vor sich (wie das — der Wahrnehmung). Denn wenn wir gleich auch bey ihm die Firaft, durch die er wird, nicht schen, so sehen wir doch die Regung derselben, das Auf- merken, Reflektiren, Abstrahiren, Kombiniren. ‘ 9 Bey dieser Abhängigkeit des Daseyns und der ganzen Natur des Begriffs kann auch die eigenthümli- che Gewalt desselben nicht sehr grofs seyn. Er für j sich \ AI 20 — 3 ı sich allein vermag im Grunde gar nichts. So genommen kann er weder Klarheit im Kopfe, noch Wärme im Herzen bewirken. Dieses zeigt sich sehr auffallend in seinem gesteigerten Zustande. Die zu weit getriebene Spekulation verwirrt und lähmt. Es ist aber auch seine Bestimmung, die Gewalt der übrigen (an und für sich kräftigen) Vorstellungen der Wahrnehmung — zu schwä- chen. Er mufs das Licht und das Feuer der Anschauungen, wel- ches für uns, die wir nicht wahrnehmend allein zu erkennen gebaut sind, gar zu grell und angreifend wäre, einigermalsen hemmen. Er mufs der einströmenden Lebendigkeit das gerade für unsere Lebens- fähigkeit passende Verhältnifs geben. Eigentlich ist also sein Thun mehr ein Mildern einer fremden Kraft, als ein Wirken mit eigner. Was er etwa auch belebend wirkt, das thut er nur — als anschau- licher Begriff. Und als solcher wirkt er alsdann zunächst und am stärksten nur auf denKopf, und erst hinterher und schwächer auch auf das Herz. Klarheit unserer Ansichten ist seine erste, und eigentlich auch seine beste Gabe. Erregung zum Handeln ist erst seine zweyte, und in so ferne sie sein Antheil ist, nicht von grofsem Belange. Denn nicht er, sondern irgend eine andere Gewalt, irgend ein anderes Interesse zieht uns durch ihn an sich. Er hat es nur mit dem Lichte zu thun, und das Licht ist kein Feuer *). Auch gehört selbst das Licht zu- letzt nicht ihm an. Er vertheilt, verändert, modifizirt nur — das anderswoher kommende. Sei- *) Darum ist aber die Beschaffenheit des Begriffes in Rücksicht des Handelns nichts weniger als gleichgültig. Es wird dieses durch jenen sogar erst möglich, Wir können, ohne zu wissen, nicht handeln, und wir können ohne Begriff nicht wissen. Es ist daher selbst in Anschung unsers Handelns sehr wichtig, reine, bestimmte, scharfe Begriffe zu haben, wie es auch wichtig ist, — gute Vergrölserungs- oder Fern-Gläser zu haben, 32 m —— Seine Hauptwirkung auf den Kopf ist übrigens sehr zusammengesetzt. Wie vieler Einleitungen, Erörterun- gen, Deduktionen, Beweise bedarf er nicht immer? An wie vielen Fäden hängt daher sein jedesmaliges Resultat? Welche sonderbare Mischungen von Licht und Schatten, von Gewilsheit und Zweifel bringt er gewöhnlich zu Stande? Nicht weniger zusammengesetzt ist seine Neben- wirkung auf das Herz. Er kann dieses eben nur durch den Kopf erreichen, mufs also auch demselben nothwendig eine mehr- fache Richtung geben. Denn er hat immer allerley Ziele aufzu- stecken. Finden sich nun diese Eigenthümlichkeiten auch an der Idee? Es mufs hier vorläufig angemerkt werden, dafs es von den Gegen- ständen der Ideen auch Begriffe gebe. Wir haben Definitionen von der Schönheit, von der Tugend, von Gott. Aber diese sind so wenig das lebendige Schöne, das lebendige Gute, der lebendige Gott, wie sich uns diese Gegenstände durch die Ideen im Gefüh- le ankünden, als die Definitionen von Bäumen und Menschen — lebendige Bäume und Menschen sind, wie wir sie in den Anschauun- gen finden. Die Idee in diesem eigentlichsten Sinne tritt sehr bestimmt als etwas vom blofsen Begriffe wesentlich Verschiedenes auf. Sie ist erstens immer grölser, als jeder einzelne Gegen- stand, auf den wir sie beziehen. Kein einzelnes Meisterstück der Kunst oder der Natur erschöpft die Idee des Schönen. Kein einzelner Edle entspricht schlechthin allen Foderungen des Sittlich- guten. Nur bey Gott hat eine Ausnahme Statt. Er ist aber auch der einzige Gegenstand, worauf eine eigentliche Beziehung Statt hat. Alles übrige, worauf die Idee des Göttlichen uneigentlich bezogen werden kann, ist schon wieder kleiner als sie. Der EEE n 33 Der Inhalt der Idee findet sich nicht nur iniir- gend einem Einzelnen deruntergeordneten Gegenstän- de nicht, sondern nicht ein Mahl in allen zusammen. Nicht nur das einzelne Meisterstück, der einzelne Edle — erschöpfen die Idee des Schönen und Guten nicht. Auch alle zusammen blei- ben hinter dem Ideale zurück. Die Idee ist grölser, als all unser Grofses. Der einzige Namenlose, als der Gröfste und Höchste, macht die schon berührte Ausnahme, wodurch aber für den Begriff Nichts gewonnen ist *). Wenn also der Begriff nur durch die einzelnen Vorstellungen, die ihm untergeordnet sind, möglich wird, so sind hier umgekehrt die einzelnen Vorstel- lungen erst durch die Idee möglich. Die verschiedenen Schönheiten der Natur und Kunst, die einzelnen guten Handlungen und Menschen werden erst dann wahrgenommen, wenn. die Ideen des Schönen und Guten schon erwacht sind. Für den Thiermen- schen giebt es nirgends Etwas Schönes und Edles **). Ideen werden def[swegen durch blofse Abstra- etionen nie erhalten. Sollten die Ideen überhaupt erst ge- macht werden, so bedürfte es dazu vielmehr der Anhäufung, als der Absonderung. Aber auch durch diese kämen sie nie ganz zu Stan- de. Sie sind grölser, als Alles, was durch Zusammensetzung jemals ent- *) Die Idee spricht hier bestimmt nur von einem Einzigen, Das kann der Begrifl nie. Denn er bringt selbst da, wo er sich anstrengt, ebenfalls nur von Einem zu reden, blofs Solches vor, was auch auf Mehrere palst. Sein Gott verträgt sich daher im Falle der Noth auch mit Nebengöttern. Was Er von dem Einen auszusprechen vermag, lälst sich in Andern ebenfalls ganz finden, **) Wenn die Idee ein Mahl wach ist, dann entwickelt und stärkt sie sich aller- dings auch durch die einzelnen Wahrnehmungen ihrer Kreise immer mehr, Aber darum bildet sie sich nicht erst aus ihnen, sondern nur an ihnen aus sich selbst, 5, 34 entstehen kann. Es ist aber auch gar nieht nothwendig, sie zu machen. Sie sind schon gemacht. Und wir. brauchen nur, uns ihrer immer immer vollständiger und lebendiger bewulst zu werden *). Dieldee ist in ihrem Kreise eine erste Vorstellung, Ihr gehen keine einleitenden ihres Faches voraus. Alle Klarheit in demselben kommt ursprünglich nur durch sie. Heine Erörterung ist im Stande, demjenigen eine Vorstellung .des Schönen und Heili- gen zu verschaffen, in welchem das Gefühl dafür nicht rege ist, — so wenig, als irgend eine Beschreibung und Erklärung dem — eine Vorstellung des Lichts zu geben vermag, dessen Auge nie einen Strahl erblickte. Die Idee eilt darum unserer willkührlichen Thä- tigkeit zuvor. Sie dringt sich uns auf, oft sogar gegen unsere Anstrengung. Es ist bekannt genug, wie zahlreich und mächtig die Ueberraschungen des Schönen, des Gewissens und der Ehrfurcht für’ eine höhere geheimnifsvolle Macht sind — selbst in manchem der entschiedensten Zweifler, in manchem abgehärteten Bösewichte. Ich will von den unverdorbnen Menschen nicht reden. Offenbar er- wachen jene hohen Ideen unwillkührlich in uns, und zeigen uns eben so entschieden eine höhere Welt, als sich durch die sinnli- chen Anschauungen eine sinnliche öffnet. Die Willkühr vermag zwar hinterher so manches über die Fortdauer, Stärke und Klarheit dieses höhern Lebens. Aber zur ersten Anregung, des- selben vermag sie nichts, wie zur ersten Weckung des physischen. Wir *) Die Begriffe als unsere Produkte leiden daher immer eine Berichtigung. Sie werden von Zeit zu Zeit, oft ohne und selbst wider unsere Erwartung, durch die Wahrnehmung korrigirt. Die Ideen nicht, Nur die Begriffe davon sind gleichfalls einer Korrektur unterworfen, welche ihnen eben von den Ideen (durch das Gefühl) zu Theil wird. - Bee 7 37 35 Wir können eben so wenig zu unserm edlern Daseyn in den Re- gionen des Schönen und Heiligen, wie zu unserm gemeinen auf dem Boden der Gerüche und Betastungen erwachen wollen. Wir erwa- chen zu jedem, weil wir dazu geweckt werden. Das Entstehen der Idee ist darum auch ungleich verborgener, als das — des Begriffs. Indefs sich dieser durch unsere Selbsthätigkeit vor unserm innern Auge bildet, erhebt sich jene unerforschlich aus einer geheimnilsvollen Tiefe unsers Wesens. Sie steht, wie die gemeine sinnliche Wahrnehmung, im- mer schon entstanden da, wenn wir ihrem Entstehen zusehen "wollen *). Diese geheimnilsvolle Kraft der Idee ist auch ungewöhnlich grofs. Und es wird in dieser Hinsicht kaum nö- thig seyn, an den ungeheuern Abstand zu erinnern, der zwischen dem Enthusiasm, wozu uns die Idee begeistern kann, und zwischen der Kälte statt hat, worin uns der blofse Begriff frieren läfst. Die Opfer, zu welchen uns jene stärkt, und die Schewe vor jeder An- strengung in Handlungen, worin wir durch diesen (wenn er zur Al- leinherrschaft gelangt) herabsinken, sind bekannt genug **). En Es *) Diese geheimnifsvolle Geburt der Ideen war von Jeher der Grund der vorzüg- züglich auf diesem Gebiethe so leicht möglichen Schwärmerey. Selbst die je- desmaligen Verirrungen beweisen also für unsere Behauptung. So wie es dem nicht orientirten Begriffe eigenthümlich ist, uns zur Sophistik zu verführen, so verleitet uns die milsverstandene Idee zur Mystik, **) Selbst das Licht, das eigenthümliche Ziel der Begriffs-Thätigkeit , wie matt ist dasselbe, in so ferne es blofs sein Werk ist, gegen den Glanz, der uns aus der Idee entgegenstrahlt! Um wie viel weniger klar istes im Innern des Sophisten, der doch der Beleuchtung des Begriffes im Ue- berwalse geniefst, — alsim Gemüthe des Unverdorbenen, in welchem nur das reinere Gefühl dämmert! r 36 Es scheint freylich, auch Begriffe könnten den Menschen elektrisiren. _ Man wagt alles — für Meinungen. Allein geht denn in diesen Fällen die elektrische Kraft eigentlich von den Be- griffen aus — oder von jenem Höhern, was in Begriffen — nur gebrochen, und darum so oft mifsverstanden erscheint? Man entzie- he jenen diesen geheimen Einfluls, so bleibt höchstens noch — ein logischer Enthusiasm übrig. Auch in der Art und in dem Gänge der Wirkung ist die Idee das gerade Gegentheil des Begriffes. Die Idee kündigt sich uns vor Allem und-am nachdrücklichsten durch eine neue innigere Lebenswärme an. Ein Trieb ist es vorzüglich und nicht eben so sehr auch schon ein Licht, wodurch sie sich offen- bart. Das Licht (in demselben Grade) ist erst das zweyte. Wir haben vor den Hand nur eine Ahnung. Aber schon in dem Hell- dunkel dieser nur von Ferne sich öffnenden Aussicht fühlen wir uns ungewöhnlich selig und ungewöhnlich kräftig. Die weitere Be- leuchtung (durch den Begriff) wird viel später Bedürfnifs.. Ueber- haupt bleibt die Hauptwirkung der Idee immer vorzüglich auf das Herz gerichtet. So stark aber übrigens diese Wirkung ist, so ein- Jach ist sie auch. Bs ist zwar ein grofses, inniges, gewaltiges Bedürfnils, was durch sie geweckt wird, aber immer nur ein ein- ziges. Ein einziges ungetheiltes hohes Interesse ergreift uns im Gefühle des Schönen, des Wahren, des Heiligen. Es ist uns darin so sehr nur Eines wichtig, dafs selbst das Viele blofs durch die Richtung zu diesem Einen Bedeutung und Werth erhält. Eben so einfach ist die Wirkung auf den Kopf. Wie es nur ein einziger aber innigst belebender Funke ist, womit die Idee unsere Gefühle entzündet, so ist es auch nur ein einziger aber desto glänzenderer Strahl, womit sie unsere Ueberzeugungen be- 4 ö ; 37 beleuchtet. Der Begriff kann diesen Strahl zwar in mehrere Farben brechen, aber alle diese zusammen bilden doch nur das eine weilse Licht. Ist es zuletzt nicht offenbar ein grofses ewiges Eines. was wir theoretisch in der Wahrheit, und praktisch in der Tugend su- chen? Ist es nicht ein in aller Hinsicht Einziger, den wir in dem Glauben der Religion finden’? So wenig daher die Farbe ein Ton ist, so wenig ist die Idee — ein blofser Begriff. Die beyden ersten Arten von Vorstellungen sind sich sogar noch ähnlicher. Sie sind beyde — unmittelbare Vor- stellungen. Die Idee und der Begriff aber stehen nicht einmal in dieser entferntern Verwandtschaft. Es ist noch die dritte Klasse von Vorstellungen übrig, die — der Bilder. Die meisten der vorhin berührten allgemeinen Eigen- heiten der Begriffe zeigen sich modifizirt, auch an den Bildern. Die Einbildungen sind ebenfalls immer kleiner, als die durch sie bezeichneten Gegenstände. Mit den Regungen der sogenannten reproduktiven Einbildungskraft ist die- ses offenbar der Fall. Aber auch die produktiven Einbildungen sind, in so ferne sie etwas anderes als nur sich selbst bezeichnen, kleiner und ärmer, als die durch sie angedeuteten Gegenstände. Kein Bild des Schönen ist so schön, dals es keiner Erhöhung mehr fähig wäre. Der Inhalt der Einbildungen ist zwar, wenigstens dann, wenn die Phantasie ihre Produkte vollends aus- arbeitet, nicht so sehr in mehrern einzelnen Gegenstän- den enthalten, wie der Inhalt der Begriffe. Er kommt aber doch auch in diesem Falle noch in dem Einen Ge- genstand, woraufer sich dann einzig bezieht, ganz vor, und (die Sache strenge genommen) so lassen sich s0- 38 sogar mehrere Gegenstände, in welchen er ebenfalls wieder vorkäme, wenigstens denken. Auch kein Bild eines Individuums ist streng individuell, so wie es kein Begriff ist. — Uebrigens arbeitet aber die Phantasie nicht immer so sehr in’s Ein- zelne. Sie entwirft oft nur leichte Skizzen, blofse unbestimmte Bilder (in der Schulsprache — Schemate). Der Inhalt dieser allgemeinen Einbildungen kommt offenbar in allen Einzelwesen ihrer Kreise vor. Das Bild setzt daher immer einige Einzelvorstel- lungen voraus, ohne welche es selbst nie entstehen könnte, und es entstehet also — auch erst durch unsere Selbst- thätigkeit wie der Begriff. Beyde sind — (von uns) gemachte Vorstellungen, dieser dnrch Abstraktion, jenes durch Kombination. Die Einbildungen sind defswegen auch keine er- sten Vorstellungen. Wir können uns nur Wahrgenommenes einbilden. Zwar können wir jenes durch dieses auf die mannigfal- tigste Art zerstückeln oder zusammenfügen, aber auf keine Weise ersetzen. Wir können nicht aus freyer Hand einbilden. Die durch den Zauberstab der Phantasie hervorgerufenen Gebilde mö- gen noch so seltsam seyn. Sie sind doch immer nur neue Stellun- gen schon früher vorhandener Vorstellungen. In welchem Fache gar keine Wahrnehmung voräusgegängen ist, in diesem vermag auch die Phantasie Nichts hervorzuzaubern. Der Blinigeborne kann vom Lichte nicht ein Mahl träumen. Es ist defswegen unter denen, wel- che sich selbst verstehen, darüber auch kein Streit, in welchem Sinne die sogenannten Schöpfungen der Phantasie zu nehmen seyen. Diese in der That unermelslich gewaltige Kraft kann allerdings neue Welten hervorbringen, aber nur als Demiurg,, nicht als eigentlicher. o? Schöpfer. Dar- mW m) nn | —- ni 39 Daraus geht nothwendig hervor, dafs sich die Einbil- dungen im Grunde auch in unserer Willkühr befinden. Wir können sie wenigstens in der Regel nach Gefallen beginnen, fortsetzen, vermehren und unterbrechen. Und die Fälle, in welchen der Strom derselben gleichsam von selbst anschwillt und uns sammt unserer Willkühr mit sich fortreilst, sind gewöhnlich nur solche Ausnahmen, die selbst wieder auf die eine oder andere Art in frühern Akten unserer Wilkühr wurzeln. Defswegen ist auch ihre Verschiedenheit in Ansehung desselben Gegenstandes — sowohl bey verschiedenen Menschen, als auch in einem und demselben zu verschiedenen Zeiten so grols. Unmittelbare Vorstellungen weichen nie so sehr von einander ab. — Ob daher gleich das Entstehen der Einbildungen in mancher Hinsicht geheimnilsvoll ist, so ist es doch kein von allen Sei- ten undurchdringliches Geheimnils, wie das — der Ideen, deren Geburt unsern Augen ganz entrückt bleibt. Die Kraft, mit der sie wirken, ist allerdings grö- fser, als die — der Begriffe. Sie istin gewisser Hin- sicht unermef[slich. Aber verglichen mit der Kraft der Ideen ist sie nicht grofs, denn diese ist unendlich, Den Einbildungen kommt blofse Gewalt zu, d. i. blofse Stärke durch Umstände, z. B. durch Ueberrumpelung, durch Anstürmung. Ihre gewöhnliche ruhi- ge also innere Stärke ist so bedeutend nicht. Diese steht mit den übrigen Naturkräften in uns so ziemlich unter demselben Malse. Die Ideen entgegen zeigen eine innere Kraft, also eine eigentliche selbstständige Stärke, welche auch im ruhigen Zustande unbegün- stigt von Aulsen und sogar angefeindet von daher jede andere zu meistern vermag. Die Ideen wirken als Feuer vom Himmel, unwi- derstehlich und mit bleibender (wenn gleich oft lange unsichtbarer) Wirkung, indefs das Strohfeuer der Einbildungen zwar eine gewal- tige aber sich auch bald in blofsen Rauch auflösende Flamme giebt. _ Ue- 40 su Uebrigens halten die Einbildungeu mit den Be- griffen darin wieder ganz gleichen Schritt, dafs sie ebenfalls zuerst nur den Kopf, und erst hinterher das Herz, beyde aber sehr verwickelt berühren. Der Unter- schied ihrer Berührungen besteht blofs darin, dafs die von der Ein- bildung ausgehenden ungleich dunkler und darum auch ungeordne- ter sind. Die Phantasie bewirkt in der Regel nur ein dumpfes Hin- brüten unserer Vorstellungen und Neigungen über ihrem eigenen zufälligen Spiele. Die Einbildungen besitzen aber auch noch andere Eigenthüm- lichkeiten, welche den Begriffen mangeln, DasBildistnothwendig zusammengesetzt. Gewöhn- lich ist die Zusammensetzung desselben grols, oft ungeheuer. Sie kann aber auch klein seyn. Nur aufhören kann sie nie. Sonst hört das Bild selbst auf. Ein eigentlich einfaches Bild ist ein un- anschauliches, also — kein Bild. Das Bild kann sich daher unmöglich von allen Raum- und Zeit- Verhältnissen losmachen, so sehr es diesel. ben erweitern und verengen kann. Die Welten der Phan- tasie finden zwar in den Hüllen einer Milbe Raum genug, und ihre Wesen bedürfen kaum eines Augenblickes, um Sonnenbahnen zu- rückzulegen. Aber darum sind weder die Bande des Raumes noch der Zeit abgestreift, Die Einbildungen sind daher immer veränder- lich. Diese nur von ihrer eigenen Unruhe gebornen und getrage- nen Vorstellungen bilden unvermeidlich ein ewig bewegliches Meer, welches aufser dcs beständigen Wechsels von Ebbe und Fiut immer auch noch die ganze übrige Veränderlichkeit der Wellen und ihrer Wogenbrüche darbiethet. Da ee u 4ı Da sie auf diese Weise beständig unbeständig sind, so sind sie auch nothwendig zufällig. Es hängt immer blofs von den Umständen ab, wie sie beschaffen siud. Alles ist im Stande, ihnen (wenigstens für den Augenblick) ein Gesetz zu seyn. Nur sie selbst sind es nicht. Ohne innere Selbstständig- keit sind sie ewig das Spiel ihrer äufsern Anlässe. Sie sind daher ohne innere eigenthümliche Be- deutung. Sie erhalten immer erst auderswoher einen Sinn, als Reproduktionen — von der Wahrnehmung, die sie gleichsam in ef- ‚figie darstellen — als Produktionen, indem sie Symbole höherer Wesen und Beziehungen sind. Diese innere Bedeutungslosigkeit macht, dafs ihnen selbst der Widerspruch nicht gefährlich oder schädlich wird. Sie allein können in unserm Innern auch .da noch leben, wo alles Uebrige durch diesen Erbfeind jeder geistigen Regung getödtet wird. Sie allein können nicht nur sinnlos, sondern auch widersinnig, und zugleich doch sehr lebhaft seyn. Sie sind sogar gewöhnlich um so lebhafter, je widersinniger sie sind, und umgekehrt. Die Idee ist auch in allen diesen Rücksichten das gerade Gegentheil des Bildes. Es ist aber hier ebenfalls wieder nur von der eigentlichen Idee die Rede, und nicht etwa blofs von dem, was die Phantasie (wie der Verstand) ähnlich scheinendes hervorbringen kann. So wie wir uns nämlich von den Gegenständen der Ideen — Begriffe machen können (und müssen), so können (und müssen) wir uns davon auch Bilder (Symbole) entwerfen. Diese Bilder sind aber (eben so wenig, als jene Begriffe) schon die Ideen selbst. Sie sind nur ihre Ideale. 42 Die Idee ist nothwendig immer einfach, wie das Bild immer zusammengesetztist. Jener ist alle Zusammen- setzung nicht weniger unmöglich, als sie diesem wesentlich ist. Selbst in ihrer Anwendung auf die sinnliche Welt offenbart sich diese Eigen- thümlichkeit. Das Mannigfaltige gewinnt nur dadurch einen Antheil an dem Schönen und Heiligen , dafs es zu einem höhern Einen zusam- menstimmt. Die Idee ist daher von allen Raum- und Zeit-Ver- hältnissen frey. Selbst ihr blofser Wiederschein in den Räu- men und Zeiten ist nicht an die Ausdehnung derselben gebunden, son- dern haftet lediglich an der Harmonie ihres Inhalts. Nicht, weil Etwas grols ist oder klein, alt oder neu, ist es schön und gut, sondern weil es mit den Regeln des Schönen und Guten übereinstimmt, es mag dann übrigens den Raum einer Welt oder einer Blüthenknospe einnehmen, vor Jahrtausenden oder gestern geschehen seyn. Die Idee ist unveränderlich. Ihr Ausdruck kann wech- seln. Sie— nicht. Es ist immer dasselbe ewige Gesetz, das uns aus dem Schönen, durch das Gewissen, u. s. f. anspricht. So ver- schieden auch die Erklärungen und Symbolisirungen darüber an ver- schiedenen Orten und zu verschiedenen Zeiten ausfallen mögen, das über diese äufern Darstellungen erhabene Gefühl spricht im We- sentlichen immer gleich, — nur bald stärker, bald schwächer *). Die Idee ist also auch eben so nothwendig, als unver- änderlich. Es kommt nicht auf uns an, was sie uns seyn soll. Sie ist #) Der Text bleibt derselbe, Und weichen auch die Uebersetzungen oft sehr von einander ab, so dringt sich doch von Zeit zu Zeit eine Korrektur aus der Grundsprache sogar von selbst auf; daher — das „‚sich wieder finden‘ in Ge- fühlen und Handlungen, nachdem man sich in Spekulationen und Träumen ver- loren hat, EP — 43 ist uns ewig das, was sie ihrem innern Karakter nach seyn kann, Nicht wir ergreifen sie. Sie ergreift uns. Was wir von'ihr deutlich zu erfassen vermögen, ist nur ihre Hülle *). In Anschung des innern Gehaltes ist der Unterschied zwischen der Idee und dem Bilde so grols, dals eigentlich gar keine Verglei- chung statt hat. Die Idee hat nicht nur an und für sich die erhabenste Bedeutung. Sie giebt auch allem übri- gen erst eine wahre und eigentliche. Diese Gröfse ihres innern Reichthums wird gewissermalsen selbst von dem Unglauben an- erkannt. Selbst dieser nennt ihre hohen Aussichten wenigstens schö- ne und wohlthätige Träume. — Und wer an der Unentbehrlich- keit ihres Gehaltes für die Bedeutung alles Uebrigen zweifelt, der ver- nichte in Gedanken aus unserer Welt alle Spuren des Schönen, Wah- ren und Guten! Er vernichte aber mit strenger Konsequenz! Er vernichte ohne Ausnahme jede schöne Form und jede Anlage zu ir- gend einer möglichen Verschönerung! jede Faser des Glaubens an irgend ein ernstes Wahres und jede Möglichkeit zur künftigen Bil- dung einer solchen Faser! jeden auch den leisesten Keim irgend eines Edelmuthes und alle Hoffnung zu einem jemals zu erwarten- den Keim dieser Art! Er stelle sich mit seiner Einbildung hin auf den blofsen betastbaren Erdklumpen unter die blofs anzustaarenden Himmelsklumpen ohne irgend eine andere Fähigkeit und Bestim- mung, als um Futter zu suchen entweder grasend oder würgend, und dann um während der Verdauung und blofs zum Behufe der- selben zu schlafen, oder etwa auch noch zu träumen, aber nur von De ei- *) Eben dieser ihr unbeugsamer Karakter ist es, was uns an denIdeen so oft am meisten engt (genirt); die sinnlichen Wahrnehmungen gehen mit uns zwar ebenfalls herrisch genug um, Allein sie biethen uns doch auch manche sehr begreifliche Entschädigung dar. Wir möchten nun überhaupt allenthalben nur unsern Einfällen und Launen folgen. Und da stolsen wir denn gar zu oft auf irgend cine von den Ideen gesetzte Schranke, Dieses zieht ihnen so häufige Feindschaften zu, % 44 einem Traume und von keiner Wirklichkeit, durchaus von keiner, nicht ein Mahl von der Wirklichkeit seines Futters und seiner Ver- dauung, — — und seines Traumes selbst! Er versuche es sich so hinzustellen! — Wird es ihm möglich seyn, da zu verwei- len — nur zum ernstlich gemeinten Scherze? Wenn daher die Einbildung mit Ungereimtheit sehr wohl vereinbar und auf ihrem höchsten Grade so- gar nothwendig vereintist, so ist der Idee das Unge- reimte so entgegengesetzt, dals dieses allenthalben in demselben Malse verschwindet, in welchem jene hervortritt. Nicht nur innerlich verträgt sich der Widerspruch nicht mit ihr, sondern auch nicht ein Mahl in ihren äulsern Umge- bungen. Er mufs ihr überall weichen, und nur ihr weicht er wirk- lich. Nur durch die höhern Aussichten in die Regionen des Schö- nen und Heiligen kommt Sinn und Bedeutung in unser ganzes übri- ges Daseyn. Diese Unterschiede zwischen den Ideen, Einbildungen und Begriffen sind zwar charakteristisch genug. Wer aber zu seiner vollen Beruhigung aulser den tiefern Gründen der Spekula- tion auch noch handgreiflichere nöthig hat, der überlege Folgendes! Wenn die Ideen blofse Begriffe oder Einbildungen wären, so mülsten sie auf dem allgemeinen Wege der Abstraktion oder Kom- bination wenigstens insgeheim entstehen können. Allein auch das geheime Lebensspiel unsers Denkens und Einbildens kann sich von der Grundbedingung nicht losreilsen, Materialien zu ha- ben, woran es thätig sey, — von der Bedingung also, Etwas zu denken oder einzubilden, und zwar-Etwas, das wenigstens zuletzt nicht wieder blofs ein Gedachtes oder Eingebildetes, sondern ein Wahrgenommenes ist. In unserm Falle hier sind aber alsdann keine andern Materialien vorhanden, als die sinnlichen der Farben, Töne, Ge- rn ur ee 45 Gerüche. Wir besitzen unter dieser Voraussetzung nur das Wahr- nehmungsvermögen des Sehens, Hörens, Betastens u. s. f£ Wir können nur Sinnliches wahrnehmen. Allein die Ideen sprechen of- fenbar von einem Uebersinnlichen. Wie kommen sie dazu? Durch blofse Kombination und Abstraktion unmöglich. Die vollen- detste Kombination aus dem Sinnlichen giebt nur ein ungeheures * Sinnliches, und die vollendetste Abstraktion von allem Sinnlichen — nur Nichts. Heine von beyden Operationen vermag unter diesen Umständen die Vorstellung eines Uebersinnlichen zu Stande zu bringen, — eines Etwas, das nicht blo[s seltsam sinn- lich, sondern gar nicht sinnlich und doch noch Etwas ist. Will man der durch diese allgemeinen Richtungslinien be- zeichneten Betrachtung in das Einzelne folgen, so versuche man es, aus den Wahrnehmungen von Gold und Edelsteinen andere Himmel als goldene und diamantene zusammenzuphantasiren! Man versuche es, aus dem langen Sündenregister der Weltgeschichte eine Moral gegen die Sünde zu abstrahiren! Man sey aber dabey auf seiner Hut! Man gestatte also den Einlispelungen des Gefühles kei- nen Einfluls, streng genommen keinen! Man phantasire blols aus der Empfindung des Sicht- und Betast-baren das Heilige zu- sammen! Man abstrahire blols aus dem, was geschieht, und gesche- hen ist, das, was geschehen soll, und was schon immer hätte ge- schehen sollen, auch von dem Allerersten Menschen schon! Man versuche so sein Glück! Denn Glück gehört unstreitig dazu, ein beyspielloses sogar, wozu sich uns wenigstens auf allen andern Fel- dern nie irgend ein Strahl von Hofinung zeigt. Auf dem Felde 2. B. des Sehens vermag der Blindgeborne aus allen seinen Tönen ewig nie eine Farbe herauszubringen. Vergl. hierüber meine Schrift: Verstand und Vernunft S. 145 etc. und Ideen zur Ge- schichte der Entwickelung des religiösen Glaubens, 1. Theil, Einleitung. Die Ideen sind daher weder Begriffe noch Einbildungen. Sie sind aber, wie wir früher fanden, auch keine Anschauungen. Sie 46 Sie gehören also in keine der oben ängeführten Klassen unserer Vorstellungen. Wir erhalten sie nicht von Aufsen und wir machen sie uns nicht erst selbst. Sie bilden als eigenthümliche Vorstellungen, wie die übrigen Arten, eine eigene HRlasse für sich. Ohne durch die Sinnenwege in uns hineinzukommen, oder durch Denken und Einbilden von uns selbst hervorgebracht zu werden, sind sie immer schon gemacht in uns. Sie sind Lichtstrah- len, die aus unserm Innern aus den tiefsten Tiefen desselben kom- men. Sie gehören einer eigenen Anlage an, unserer eigenthümlich- sten. Nur wir Menschen sind unter den uns umgebenden We- sen — dieser Vorstellungen fähig, und wir sind es nur durch unser Erwachen zur eigentlichen Menschheit. Im thie- rischen Zustande zeigt sich von ihnen auch an uns keine Spur. Als diese uns eigenthümlich auszeichnende Anlage ward von jeher die Vernunft anerkannt. Wohl wurde diese im Gefühle anerkannte Eigenthümlich- keit durch die Erklärung oft wieder vernichtet. ° Man glaubte nämlich, in so ferne man deutlich zu sehen meinte, in der Vernunft nur einen gesteigerten Verstand zu sehen, den Verstand, in so ferne er Syllogismen macht. Allein man widerlegte sich immer bald selbst, denn man nannte die künstlichsten (sogenannten) Vernunftschlüs- se — sehr oft unvernünftig. Und wirklich ! die Vernunft ist nicht blofs eine geschärftere, künstlichere Vorstellungs- Weise, sondern ein neues höheres Vorstellungs- Vermögen. Sie ist eine eigene aus ganz andern Regionen unsers innern Da- seyns herrorschallende Stimme, welche eigenthümliche, nicht erst mühsam gelernte, auch nicht blofs selbst ersonnene, sondern aus ihrem Wesen kommende Aussprüche verkündet. Ob die Orakel, die sie spricht, wahr seyen oder nicht, das gehört eigentlich nicht wei- 6 u ee a nr Ze EU Zee 47 weiter in diese Untersuchung. Darüber mag sie sich, wenn sie an- gefochten wird, anderswo rechtfertigen. Hier liegt uns blofs daran, zu zeigen, dals sie nur Orakel spreche, dafs sie nicht erst, wie der Verstand zu suchen brauche, oft lange und mühsam und — doch vergeblich, sondern dafs sie immer schon ohne Suchen gefun- den habe, und dals sie dann ihren Fund nicht als irgend einer Vermittelung bedürftig, sondern als an und für sich ausgemacht vorlege, dals sie also eigentlich nicht docire, sondern weifsa- ge. Und thut sie denn das. nicht unstreitig? Predigt sie nicht un- bedingten Glauben und unbedingten Gehorsam. Der Ver- stand mag dafür auch Beweise suchen. Sie sucht keine. Sie ist ihrer Sache ohne weiters gewils, oft selbst gegen widerstreitende Beweise. Die Ahnung dieser eigenthümlichen Natur der Vernunft erhielt sich auch auf dem Felde der Spekulation wenigstens noch darin, dafs man die Vorstellungen unserer höchsten Einheiten gerade nur der Vernunft zuschrieb. Freylich wurden dann diese Ideen in der Regel blofse leere und im Grunde inhaltlose Formen, lediglich zum regulativen Gebrauche für die Zwecke des Systems bestimmt. Sie schwanden zu bloßsen Begriffen zusammen, aber doch zu ober- sten, und in diese Auszeichnung konnte sich im höchsten Noth- falle das Gefühl noch retten, und bey zunehmender Leerheit derje- nigen Vorstellungen, die unsere höchsten seyn sollen, die Aufmerk- samkeit auf den Irrthum wecken, worin man sich befand. Es mulste endlich klar werden, dafs es mit dem (schon uralten, und ungeachtet unserer Modenwechsel auch jetzt noch entehrenden) Brand- mahl der Unyernünftigkeit mehr auf sich habe, als eine blofßse logi- sche Ungewandtheit, dafs also die Vernunft so wenig eine blolse Anstrengung des Verstandes sey, als die Sinnlichkeit eine blolse Nachlassung desselben ist, dafs vielmehr die Vernunft für den Ver- stand eine Art eines höhern Sinnes ausmache, indem sie ihm zu sei- 48 seinem Denkgeschäft höhere Stoffe vorlege, -was schon durch die Bildung ihres Ausdrucks angedeutet werde *). Die Ideen sind daher Vernunft-Vorstellungen.— Wie wir nur durch das duge sehen, nur mit dem Verstande den- ken, nur mit der Phantasie einbilden, so vermögen wir auch nur durch die Vernunft zu glauben, zu hoffen, zu verehren, und — zu lieben. Diese Ideen kündigen sich uns übrigens ebenfalls auf dem Wege an, auf welchem ‘sich uns ursprünglich Alles einzig an- künden kann, auf dem Wege des Sinnes (diesen Ausdruck in seiner weitesten Bedeutung genommen). Esist zwar nicht die allbekannte. sogenannte Sinnlichkeit, nicht die Empfindung, wodurch wir sie inne werden. Es ist aber ein eigener höherer Sinn — das Gefühl. Durch das Gefühl des Schönen erwachen wir zur Aus- sicht auf höhere Beziehungen überhaupt; — durch das Gefühl des Rechts und Unrechts — zum Bewufstseyn von Tugend und Laster; durch das Gefühl von Ehrfurcht — zu dem Glauben an eine heili- ge Macht über uns. Wir können also nicht nur die Erscheinungen der gemeinen niedern Welt, sondern auch Regungen einer bessern und höhern, nicht nur Farben, Töne, Neigungen, sondern auch Gesetze des Schönen, des Rechts, der höhern Ordnung der Dinge wahrnehmen. Das Gefühl ist auch ein Sinn, aber nur für die Versiche- rungen, die sich in Ansehung des Uebersinnlichen in unserer Brust *) Vernunft von Vernehmen — ähnlich, aber nicht gleich, dem Wahrnehmen durch die Sinne, i | 8 ; 49 Brust vernehmen lassen. Wie die sogenannte Sinnenwelt mit ihren Eindrücken an uns spricht, so spricht auch die Vernunft mit ihren Weileagungen an uns. II. Der tiefere Charakter unsers Wahrnehmens. Die verschiedenen Gattungen unsers Wahrnehmens weichen in ihren Eigenthümlichkeiten sehr von einander ab. Allein in ihrem Grundcharakter stimmen sie mit einander überein. Das Empfinden und Fühlen jedes ist ein erstes Gewahrwerden. | Worin besteht nun dieses Vermögen eines unmittelbaren Vor- stellens eigentlich? Schon nach dem blofseu Sprachgebrauche in einem Wahrnehmen, — in einem Empfangen von Vorstellungen. Beobachtet man dieses Nehmen schärfer, so zeigt sich, dafs es kein ganz thätiges, kein blofs nehmendes Nehmen, sondern ein wenigstens zuerst nur leidendes, ein ursprünglich selbst genommenes sey. Sein tiefster wesentlichster Charakterzug ist also ein Ergriffen werden. Das Selbstergreifen, welches auch noch hinzukommt, liegt gröfstentheils schon über das blofse Wahrnehmen hinaus, ist schon der Anfang des Einbildens oder Denkens. Diese Natur unsers \Vahrnehmens verläugnet sich ne. Wir werden von den gewaltigern Wahrnehmungen himgerissen, und von den schwä- chern wenigstens noch angezogen, Das Wahrnehmen ist daher in seiner vorzüglichsten Wurzel ein Leiden, kein Thun. Wir können nur dann in einer Flamme aufbrennen, wenn ein Tunke auf unsern Entzündungs - Stoff fällt. Das Wahrnehmen ist mehr ein anderswoher kommendes unwillkühr- liches sich — Darstellen, als ein von uns selbst bewirktes freyes Vor- 7 stel- 50 stellen. Wenigstens stellen wir uns darin nur das sich selbst dar- stellende vor. Die erste und in so ferne vorzüglichste Thätigkeit hat daher, streng genommen, nur auf Seite des Wahrgenommenen, nicht — des Wahrnehmenden statt. Später zwar mufs zur Einleitung des Bewufstseyns auch von dem Wahrnehmenden eine eigene 'Thä- tigkeit (die — der Einbildungskraft und des Verstandes) hinzukom- men. Allein diese gehört dann eben nur zur Begebenheit des Be- wulstseyns des VVahrgenommenen, und nicht — der Wahr- nebmung selbst. Deswegen ist aber das Wahrnehmen doch nicht ein blofses Leiden. Nur sein Hauptcharakter besteht darin. Auch dar-. über erklärt sich der blofse Sprachgebrauch schon sehr bestimmt, indem er es ein Nehmen und nicht etwa nur ein „sich geben lassen‘ nennt. Es ist die Erscheinung eines geistigen Regens, aber auf eine organische Erde, nicht auf einen leblosen Stein- oder Metall-Grund. Die einfallenden Tropfen werden eingesogen. Das Ganze des Wahrnehmens ergiebt sich daher vollständig nur durch das Zusammenwirken des wahr- zunehmenden Gegenstandes und des wahrnehmenden Gemüthes. Von beyden Seiten hat eine Regung statt. Es offen- bart sich der Gegenstand dem Gemüthe, und das Gemüth öffnet sich den Offenbarungen des Gegenstandes. Eines ohne das andere würde zu Nichts führen. Jenes ist aber das Erste. Der Gegenstand ergreift uns, ehe wir ihn ergreifen, und er bringt dieses selbst erst durch das seinige hervor. Er öffnet sich uns dadurch, dafs er uns sich öffnet. Dieser inwendige Grundcharakter unsers Wahrnehmens bleibt sich auch im äufsern getreu. Die innere Bedingtheit tritt als eine äulse- EEE UN U 7 1 li - EEE Sr äufsere Beschränktheit auf. Wir können nur innerhalb gewissen Gränzen von Lebhaftigkeit, und nur auf bestimmten Wegen (mit- tels einer geschlossenen Anzahl von Organen) angeregt werden. Ueber jene Gränzen hinaus werden wir — aufwärts — betäubt, ab- wärts — nicht merklich berührt, und von den aufserhalb dieser ge- schlossenen Wege liegenden Wesen überhaupt gar nicht erreicht. Wir sind weder nach allen Seiten hin, noch auch an den uns geöffneten Seiten — unendlich reitzbar. Diese Beschränktheit nun verbunden mit dem zuvor berührten leidenden Charakter macht das, was man Sinnlichkeit nennt, aus. Unser Wahrnehmen ist ein sinn- liches, weil es kein blofs selbstthätiges, sondern ein immer erst an- derswoher anzuregendes, und kein unbegränztes, sondern an gewis- se Schranken der Innigkeit und des Umfanges gebunden ist. Die berührte Beschränktheit steht übrigens ei- ner eben so wesentlichen Unermelslichkeit nicht ent- gegen. Unsere Wahrnehmungen sind immer grölser, als unsere übrige (sie weiter bearbeitende) Geistesthätigkeit. Wir vermögen nie ganz in ihren Gehalt einzudringen. Ein einziger Blick auf den gestirnten Himmel, auf eine Flur,.auf eine Blume enthält der Merk- 'mahle so unzählige, dafs keine unserer Entwickelungen den dadurch gewordenen Knäuel von Vorstellungen jemals vollends abzuwinden im Stande ist. — Es ist ein wahres Meer was sich uns in der Wahrnehmung öffnet. Wenn gleich das Senkbley manches Mahl auf den Grund zu stofsen scheint, so ist das nur eine augenblick- liche Täuschung, die Folge einer zu kurzen Schnur. Man verlängere diese, und das Gewicht sinkt ohne Ende immer tiefer. Besitzen wir nicht schon wirklich aus so manchen einst für leer gehaltenen einzelnen Beobachtungen weitläufige und immer noch nicht geschlos- sene Wissenschaften? Unser Gemüth biethet in seiner Art das Schauspiel des gestirnten Himmels dar. Wie die Sterne, so schei- 7 z nen 523 nen dem ersten Blicke auch die Wahrnehmungen nur glänzende Punkte eines geistigen Firmaments. Sie sind aber tiefer durchspäht eben so viele Sonnen mit eigenen unermelslichen Welt- Systemen. Aus dieser Unermelfslichkeit geht eine andere Eigenheit her- vor, Durch die Wahrnehmungen allein entsteht in unserm Innern ein Gedränge und Gewirre, wodurch unser Bewulstseyn in demsel- ben Augenblicke betäubt werden muls, in welchem es geweckt wird. Wir können blofs wahrnehmend nicht bewulst wer- den des Wahrgenommenen. Wir müssen es zu diesem Be- hufe immer erst lichten und ordnen. Wie geschieht dieses? Die Wahrnehmungen sind unmittel- bare Vorstellungen, und eben ihrer blofsen Unmittelbarkeit wegen uns noch fremd, kein uns bekanntes Eigenthum, denn sie haben Nichts von uns an sich. Sie müssen also erst durch mittelbare zer- setzt und neuerdings verbunden und dadurch (zum Theil wenigstens) selbst mittelbar, d. i. unsere Produkte werden. Nur dadurch, dafs wir den sich selbst machenden Vorstellungen durch andere erst von uns gemachte zu Hülfe kommen, gelangen wir zum (geistigen) Besitze der Offenbarungen, die in jenen liegen. Dieser mittelbaren Vorstellungen sind — die Bilder und Be- griffe.e Wir müssen das Wahrgenommene, um davon zu wissen, uns immer erst einbilden und denken. Nur so viel kommt davon zur Klarheit unsers Bewulstseyns, als von der Phantasie und dem Verstande umfafst und herausgehoben wird. Da aber auf diese Weise das darin sich offenbarende Leben nothwendig unter dem Messer der Abstraktion wenigstens zum Theil erstirbt, und andrerseits in dem sehr veränderlichen Luftzuge der Phantasie nur mit unterbro- chener Flamme auflodert; so gelangt es nie in seiner vollen bleiben- den Fülle zu unserer Kenntnils, und wie ganz anders würde es um un- Ser 53 ser Wissen stehen, wenn wir wahrnehmend allein — wissen könnten ? Es geht deswegen für uns nothwendig immer Etwas nicht nur von dem Gegenstande an und für sich, sonderu auch von sei- ner Erscheinung verloren. Wir können uns blofse Bruch- stücke vorstellen, eigentlich gar nur Bruchstücke von Bruchstücken. Wir können weder Alles, was ist, auffassen, noch alles, was wir auf- fassen, zur Klarheit des Wissens bringen. Wir besitzen aber in den Erscheinungen doch keinen blofsen Schein. Dieser besteht le- diglich in einer Regung des Vorstellungsvermögens und ist mehr nicht als ein (regelloses oder geregeltes) Spiel leerer Täuschungen. DieEr- scheinung ist keine solche nur aus sich selbst kommende und zuletzt auch nur in sich selbst versinkende Bewegung des Gemüthes. In dem Scheine scheint blofs Etwas zu seyn. Inder Er- scheinung erscheint Etwas. Unser Wahrnehmen vermag uns daher seine Wel- ten zwar nicht vollständig zu öffnen, aber es täuscht uns doch auch nicht mit blofsen Trugbildern. Es zeigt uns von den wirklichen lebendigen Wesen so viel, als wir davon nach unserm geistigen Bau zu fassen im Stande sind. Diese Wesen können noch unendlich mehr seyn, als wir davon wissen, aber das, was wir von ihnen wissen, sind sie doch auch. Und so ist uns also zwar nicht das Loos gefallen, zu kennen dus Wahre, aber doch — ein Wahres. IV. Die verschiedenen Unterarten unsers Wahrnehmens. Empfindung und Gefühl bezeichnen die zwey Hauptgattun- gen unsers Wahrnehmens. Allein jede dieser Gattungen enthält mehrere Arten unter sich, Die 54 a Die verschiedenen Arten der Empfindung werden in der Regel allgemein anerkannt und richtig verstanden. Man ist darüber einig, dafs wir von der physischen Welt aufser uns auf fünf verschiedenen Wegen Kenntnisse erhalten, und uns selbst als Mitglieder dieser Welt empfinden können. - Nicht so einig ist man im Ganzen in Ansehung unsers höhern Wahrnehmungsvermögens, obwohl dasselbe im Grunde eine ähnliche Vielfältigkeit deutlich genug aufweist. - Wir können auch in Rücksieht der höhern Welt. nicht etwa nur über eine einzige Seite derselben, son- dern gleichfalls über mehrere und über unser Verhältnifs, dazu Nachrichten einziehen. Wir fühlen das Schöne und lernen in demselben die eigen, thümliche edlere Natur des Uebersinnlichen kennen, vor der Hand überhaupt in ihrem allgemeinern, aber doch schon jede der übrigen sinnlichen Welten übertreffenden Werthe. Das Schöne ist die erste Blüthe, welche uns neue und wun- derbare Pflanzungen verkündet. ‚ Wir fühlen das Erhabene. Hierin kündigt sich uns die hö- here Welt bestimmter an. Wenn sie im Schönen mit der physischen manchesmahl noch zusammenzurinnen scheint, so beginnt sie sich im Erhabenen schon sehr bestimmt davon zu trennen. Es thut sich uns nun insbesondere, ihre eigenthümliche Macht kund, mit der sich keine noch so grofse Naturkraft messen darf. Wir fühlen das Wahre. Dadurch offenbart sich uns aber- mahls ein neuer Charakter der höhern Welt, — ihre Ewigkeit. Indefs sich alles aufser und so Manches in uns in einem stäten Wech, sel hinabtreibt, zeigt sich in ihr ein über alle Zeiten und ihre Ver- wand- ET ce * Ar ren RUE TE Sn 55 wandlungen hinausragendes Bleiben, ein über Werden und Vergehen erhabenes Seyn. Wir fühlen das (sittlich) Gute. Durch die vorigen Offenba- rungen verkündet sich uns grölsentheils nur dasjenige, was der höhern Welt in Vergleichung mit der physischen Auszeichnendes zukommt. Hier beginnt sich aber das zu öffnen, was jener an und für sich eigen, und wovon in jeder physischen Nichts zu irgend einer möglichen Vergleichung vorhanden ist, — ihre freye Gesetz- lichkeit. Die höhere Welt fängt nun an, uns in ihrem tiefern Cha- rakter aufzugehen, als eine Welt, welche nicht blols einen grölsern Werth und eine grölsere Macht, denn jede andere der uns bekannten, sondern einen unbedingt grölsten Werth, ünd eine unbe- dingt gröfste Macht besitzt, welche — Würde hat sr ae (beyde im strengsten Sinne genommen). Wir fühlen das Heilige. In diesen höchsten Ahnungen of- fenbart sich uns der Allerhöchste in seiner eigenthümlichsten Natur, in seiner unbeschränkten Reinheit von allem Irdischen, in seiner unbe- dingten Lebendigkeit blofs aus und durch und für sein höchstes Ge- setz, — in seiner wahren Göttliehkeit. Wir fühlen endlich nicht nur diese Offenbarungen einer höhern Welt über uns, sondern überdiefs noch die Verkündigungen einer uns selbst beywohnenden höhern Natur — die Zeugnisse über unsere eigene höhere Freyheit, wodurch wir uns als Mitglieder auch dieser neuen erhabenen Welt finden. Diefs ist aber auch Alles, was wir in Ansehung des Höhern über und in uns inne zu werden im Stande sind. Der Glaube an dieses meldet sich in jedem ganz erwachten menschlichen Bewulstseyn von selbst. Mit dem Glauben an Mehreres aber (mit dem Aberglauben) mufs man sich immer erst eine unnatürli- che 56 che Gewalt anthun, wie mit dem Glauben an \Venigeres (mit dem Un- glauben. Insbesondere ist es Schwärmerey, unserm höhern Wahrnehmen (dem Gefühle) in derselben Be- deutung das Vermögen des Anschauens beyzulegen, in welchem es unserm niedern (der Empfindung) zu- kommt. Eigentlich ist diese Art von Schwärmerey die Quelle jeder andern. Durch diesen Grundirrthum werden nämlich der Phantasie die leitenden Zügel abgenommen, die ihr nirgends so nöthig sind als hier. Sie überläfst sich alsdann nothwendig den ungeheuersten Aus- schweifungen. Es ist daher vorzüglich nie zu vergessen, dafs uns das Gefühl nur die Zeugnisse der Vernunft zur An- schauung (unmittelbaren Auffassung) bringe, aber nicht auch die durch diese Zeugnisse angedeuteten Gegenstände selbst *). Dafs die Offenbarungen, welche uns durch das Gefühl werden, auch einer weitern Entwickelung fähig sind, versteht sich von selbst. Der Verstand kann bey ihnen, wie bey den Verkündigungen der Em- pflndung, durch tieferes Eindringen, Vergleiehen, Absondern — das Eine Wahre in mehrere Wahrheiten auflösen. Dann ent- stehen die einzelnen (an sich todten) Glaubensartikel unsers (von Innen lebendig kommenden) Glaubens, die einzelnen in Buch- staben zu fassenden Schönheitsregeln, Pflichten, Dogmen. Alle diese Entwickelungen sind aber keine neuen Offenbarungen, wie die Farben unter dem Prisma keine neuen Lichtstrahlen sind. Ue- *) Diese Behauptung könnte Manchem mit jener frühern S. 86 (nach welcher zur Hervorbringung der Wahrnehmung auch der wahrzunehmende Gegen- stand mitwirken mufs) zu streiten scheinen, Allein man braucht zur Vermei- dung dieses Scheines nur die zwey Seiten im Auge zu behalten, welche die Idee in dieser Hinsicht darbiethet. Sie ist in Beziehung auf den Gegenstand, von welchem sie spricht, blofse Vorstellung, Aber in Beziehung auf das Ge- fübl, von dem sie wahrgenommen wird, ist sie auch selbst Gegenstand. Baer 97 Uebrigens ist dieses höhere \Wahrnehmungsvermögen, — die- ser Sinn für die Offenbarungen des Uebersinnlichen, — keine Er- findung erst unserer Tage — auch auf dem Gebiethe der Schule nicht; denn auch diese sprach ja schon seit Langem von einem innersten Sinne (sensus intimus) hinter oder über dem äufsern (externus) und innern (internus), Im Ganzen ist hiemit der Weg bezeichnet, auf welchem al- lein gegen den zweyfachen Unglauben an die Realität der Sinnen- welt und der höhern, Rettung möglich ist. Nur auf diese Weise leuchtet es ein, dafs die uns umgeben- de Natur keine blofse Traumnatur sey, blofs von Träumen herge- zaubert; sondern eine wirkliche aufser uns vorhandene, von der wir wohl auch träumen, die wir aber nicht erträumen können, dafs also der Tag, der uns aufgeht, nicht die Wirkung nur unsers Sehens, sondern unser Sehen die Wirkung (zum Theil) dieses Tages. Al- lerdings könnte es, wenn wir blind wären, für uns nie Tag werden. Allein, wenn wir noch so scharfe Augen hätten, und es erschiene uns nie ein Lichtstrahl, so würden wir ebenfalls nimmermehr sehen. Wollt ihr uns aber fragen, wie denn (wenn es so ist) der Licht- strahl uns finden, und nachdem er uns gefunden hat, etwas zeigen könne, er, der nichts suchen, und dem selbst Nichts gezeigt werden kann? Wollt ihr fragen, wie uns er, der doch selbst Nichts weils, dessen ungeachtet etwas lehren, wie aus einer Nichtvorstellung (aus einem Eindrucke) eine Vorstellung hervorgehen könne? — So wol- len wir euch nur wieder fragen, wie denn im entgegengesetzten Falle der Lichtstrahl euch zwar nicht zu finden brauche, aber zu machen im Stande sey. Denn sey es auch, dafs er euch bloßs als Nlüchtige Gestalten an die Wand hinzaubert, wie kommt er nur zu dieser Hexerey? Er, an und für sich nicht einmahl ein wirklicher Hexenmeister, sondern selbst lediglich ein Zauberspiel? — Was ist 8 da- 58 damit gewonnen, dafs die endliche Antwort: „dieses läfst sich nicht weiter erklären‘ verschoben wird. Sie bleibt doch für jeden die allerletzte, und es kann daher nur noch davon die Rede seyn, wo sie eigentlich hingehöre, an die Gränze des Begriffes, oder — des Sinnes? Wer sie an die letzte Stelle versetzt, der will auch über das Gebieth des Begriffes hinaus — noch begreifen ; der wirft sich dem Ungereimten in die Arme, um dem Unbegreiflichen auszuwei- chen. Allerdings sind alle die gewöhnlichen Theorien über die Ge- burt unserer Vorstellungen voll Willkühr, Dunkelheit, Lächerlich- keit sogar. Sind es aber die ungewöhnlichen nicht auch? Mufs es nicht jede seyn, da sie das Unerklärbare erklären will?— Geburts- listen über unsere Vorstellungen mögen abgefalst werden können, und diese nicht: ein Mahl über alle; denn es sind auch Findlinge darunter. Mehr aber als solche Namenregister lassen sich über die erste Abkunft dieser Regungen unsers geistigen Lebens nicht ent- werfen. Alles was wir hierüber bey jeder möglichen Hypothese wissen, ist zuletzt immer nur: dafs aus dem Bewulstlosen endlich einmahl ein Bewulstseyn hervorgehe. Sollte Mancher diese Ansicht der Welt zu gemein, nämlich der blofs thierischen zu nahe finden, so wird es wohl nur der Er- innerung bedürfen, dafs der Charakter der Thierheit nicht darin bestehe, auch Augen und Ohren zu haben, und ihnen auch zu vertrauen, sondern darin, nur Augen und Ohren zu haben, und nur ihnen zu vertrauen. Eben so ergiebt sich nur bey der hier erörterten Ansicht die nöthige Klarheit und Bestimmtheit unserer höhern Ueberzeugungen. Sonst ist es für die Meisten eine ausgemachte Sache, dals der Kreis unsers unmittelbaren Auffassens mit den Empfindungen (des Lichts, der Töne u. dgl.) geschlossen sey. Dieser Meinung sind nicht etwa nur die Schlimmern, welche in ihrer traurigen Konsequenz den Men- schen zum blolsen Thier machen. Auch die Bessern, die inkonse- quent Jh 39 quent genug im Menschen dann doch noch an einen eigentlichen Menschen glauben, huldigen in der Regel jenem Vorurtheile.. Auch nach diesen können wir nur Sinnliches wahrnehmen, — — Ueber- sinnliches aber noch erschlielsen. Es gab zwar von jeher aufser diesen zwey Partheyen noch eine dritte. Allein diese war gewöhn- lich entweder zu klein, oder — in den Augen der Schule wenig- stens — zu unbedeutend, um die allgemeine Ansicht erschüttern zu können. Vielmehr mufsten die Irrthümer derselben den beyden an- dern nur zur Bestätigung ihrer Ueberzeugungen dienen. Die An- hänger des Glaubens an ein ausgedehnteres Wahrnehmungsvermögen gingen nämlich meistens zu weit. Sie schrieben sich für das Ue- bersinnliche sehr oft solche Sinne zu, wie für das Sinnliche. Es ist bekannt, wie man den Sophisticism *) gewöhnlich durch den Mysticism besiegen wollte. Allein damit war im Grunde Nichts ge- than. Diese beyden können einander ewig nur bekämpfen. Wie sich der letzte über den ersten am Ende immer nur ärgern kann, ‚so kann jener über diesen am Ende immer nur lachen. Der Un- glaube in Rücksicht unsers übersinnlichen Vermögens mufste durch den Wahn einer sinnlichen Uebersinnlichkeit nur noch hartnäckiger werden. Es geht auf diesem Gebiethe menschlicher Angelegenheiten, wie es auf so vielen andern geht. Jede Parthey hat Unrecht für sich, und Recht gegen die andere. Unser Wahrnehmungsvermägen muls defswegen, weil es sich auch auf das sogenannte übersinnliche Gebieth ausdehnt, für dieses nicht eben so beschaffen seyn, "wie az für *) Es giebt einen Sophisticism nicht nur gegen, sondern auch für das Wahre; der erste sucht das Wahre zu untergraben, der zweyte — zwar zu begründen, aber auf eine Art, auf welche es nicht begründet (sondern eigenllich nur un- tergraben) werden kann, Im Grunde untergräbt es also jeder, der eine unmit- telbar, und oft aus unreiner Absicht, der andere mittelbar und bey dem besten Willen. 60 für das Sinnliche; und es mufs defswegen, weil es für das Ueber- sinnliche anders beschaffen ist, nicht blofs auf das Sinnliche be- schränkt seyn. Es giebt allerdings keinen solchen Sian für das Höhere, wie für das Physische. Es giebt aber doch auch dafür einen Sinn. Zwischen der Wahrnehmung eines Gegen- standes und zwischen dem Schlufs über denselben liegt noch die Wahrnehmung blofser Zeugnisse davon. Ohne die übersinnliche Welt sehen zu können, oder sie erschliefsen zu müssen, können wir die Verheilsungen, die.darüber in unserer Brust vorkommen, fühlen. Dieses Gefühl nun wird gewöhnlich un- richtig gedeutet. Es wird von den Sophisten entweder für blolse Einbildung oder höchstens für einen Schlufs, aber für keinen Sinn gehalten, weil es kein solcher Sinn ist, wie der gewöhnlich soge- nannte, — und der Mystiker nimmt es immer gleich schon für einen gemeinen Sinn, weil es überhaupt auch ein Sinn ist. Wohl vermögen wir also hiemit noch nicht in das Heiligthum selbst einzutreten, und den Heiligen, der es bewohnt, von Angesicht zu Angesicht zu schauen. Aber in dem Vorhofe hinzustehen, -und den Zeugen zuzuhören, die von ihm weissagen, das vermögen wir. Unser Wissen von dem Uebersinnlichen ist kein anschauliches aber nichts desto weniger ein unmittelbares. Es ruht auf einem wirkli- chen Wahrnehmen, wie unser niederes; aber auf einem — anderer Art. Auch unser höherer Glaube wächst aus sich selbst hervor, wie der Glaube an das Physische. Wir erhalten in dem einen wie in dem andern Falle unsere Kenntnisse ursprünglich von Zeugen; darum unsere dadurch entstehende Gewilsheit auch jedesmahl — — eine Ueberzeugung heilst. : Der alte Streit zwischen den Partheyen dieses Gebiethes er- hält auf diese Weise einen andern Charakter, als er gewöhnlich zu haben pflegt. Man ist in der Regel — der Meinung, ‚dafs auf Seite des Glaubens nur das Recht, auf Seite des Aberglaubens und Un- glau- [4 Bi $ ’ En ee Flle A ne Zac = 61 glaubens durchaus Nichts als Unrecht sey. Allein dabey vergifst man, dafs ein reiner Irrthum nicht eben so möglich ist, wie eine reine Wahrheit. Es muls auch auf die feindliche Seite Etwas von Recht zu stehen kommen. Und trifft denn, der Sache auf den Grund gesehen, nicht wirklich etwas davon auch auf diese Seite? Der Aberglaube opfert freylich einem blofsen Gebilde seiner Phan- tasie oder seines. Verstandes. Aber irrt er denn hierin eines laute- ren Irrens? Hat er nicht nur darin Unrecht, dafs er einem Götzen ofert, sondern auch darin, dafs er überhaupt opfert? Auf eine ähn- liche Weise verhält es sich mit dem Unglauben. Dieser strebt un- streitig schr feindlich gegen das Heilige an, das sich ihm zur Ver- ehrung darstellt, und es ist nicht recht von ihm, dafs er seine Ehr- furcht verweigert. Allein erstreckt sich sein Unrecht weiter, als, dafs er überhaupt kein Heiliges anerkennt? auch dahin, dals er das- jenige, was ihm vom blofsen Bilde oder Begriffe als solches aufge- führt wird, nicht dafür nimmt? Ist denn dieses allein und selbst schon das Wahre? Wenn Gott, Vorsehung u. s. f. sonst Nichts sind, als was davon in einer Erklärung niedergelegt werden kann, so sind sie wirklich — Nichts, wie der Lichtstrahl, wenn er nur das ist, was wir davon sagen können. Die gewöhnlichen Bekehrungsarten können in der Regel zu keinem andern Zweck führen, als zu dem Gegentheil dessen, was man will, zur Verstockung des zu Belkehrenden. Man will diesem immer Alles, also auch das entziehen, was er sich nicht nehmen lassen darf, wenn er wirklich bekehrt werden soll, — das Wahre, welches auch in dem Irrthume noch vorhanden ist. — Wenigstens fängt man mit dem Entziehen an. Der Aberglaube soll vor Allem seine Ehrfurcht, der Unglaube — sein Urtheil aufgeben. Aber ge- rade das können sie schlechterdings nicht, wenigstens so lange sie unschuldig, also nur Irrthümer sind. Gäben sie unter diesen Um- ständen das wirklich hin, was man von ihnen verlangt, so würden sie zu ihrem Unglück nur auch noch Laster häufen. Der Aberglau- be 62 be würde frivol werden, wenn er das Gebilde nicht ehrte, welches ihm die Stelle des Heiligen vertritt. Der Unglaube müfste heucheln, wenn er sich einer Wahrheit unterwürfe, die für ihn noch keine ist. Man beginne daher überhaupt nicht mit einem blofsen Nehmen, sondern mit einem Geben! Man gebe dem Aberglauben einen rich- tigern Begriff, dem Unglauben ein lebendigeres Gefühl! Alsdann legt jeder von selbst dasjenige ab, was zu diesen bessern Gaben nicht palst. Ich glaube nur diese beyden Hauptfolgerungen berühren zu dürfen. Auch in die übrigen einzugehen, würde zu weit führen. Nach der hier erörterten Ansicht ergiebt sich eine sehr ausgedehnte Veränderung in dem Charakter und in der Stellung des gesammten Systems unserer WVissenschaften. DENK- DENRSCHRIFTEN KÖNIGLICHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN ZU MÜNCHEN 1,8 1A, un 'D. 108795, — GERN SSE DER MATHEMATIK uso NATURWV ISSENSCHAFTEN. 4 u. {i Fe a eimenneneibtlanzeneatiung T - \ Vorgelesen in der math. physik. Classe der k. akad. d. Wiss. am 28 Mai 1813 von Franz v. PavLA SCHRANK Es giebt künstliche Gattungen, bey welchen der wesentliche Cha- rakter nicht gerade in einem bestimmten Fruchtungstheile, sondern in dem Beysammenseyn dieser Theile liegt. Bey solchen Gattungen tritt wohl öfter ‘der Fall ein, dafs die Abweichung eines dieser Fruchtungstheile, wenn sie nicht sehr in die Augen fällt, vernach- lässiget, und die abweichende Pflanze immer noch in die künstliche Gattung aufgenommen werden darf; es giebt sogar Fälle, dafs man diesen Theil, welcher nach spätern Beobachtungen einigen der der Gattung -untergestellten Arten fehlt, in der Angabe des Charakters e ı ? füg- 4 ß füglich verschweigen kann, ohne dafs darum die Charakterbildung unzureichend oder mangelhaft ausfiel. Eine solche künstliche Gattung ist Amaryllis, wofür Linn den Charakter von Amaryllis formosissima abgezogen hat '), wel- chem aber mehrere Arten, die er später unter diese Gattung zu bringen für gut fand, sehr wenig entsprechen, weil verschiedene Eigenheiten , welche den Gesammt-Charakter ausmachen sollen, bey ihnen gar nicht, oder nur undeutlich vorkommen. Allein ich habe an einem andern Orte *) gezeigt, wie der allgemeine Charakter ver- einfachet, und dadurch die Gattung ungetrennt beybehalten werden könne. Anders ist es mit denjenigen Gattungen, welche einen so sprechenden Charakter in einem sonderheitlichen Fruchtungstheile besitzen, dafs es genüget, diesen Theil gesehen zu haben, um die Gattung zu bestimmen. Die ganz besonders ausgezeichneten Saamen der Gattungen Bidens, Verbesina, und Coreopsis, welche zusammen nur Eine na- türliche Gattung ausmachen, aber ganz richtig in drey künstliche getrennt werden müssen, sind ein solcher Charakter, gegen welchen der Nebenkelch, und der mit Spreublättchen besetzte Fruchtungs- boden, obgleich sehr vortreffliche, sehr unterscheidende Kennzei- chen, gleichwohl nur Charaktere der zweyten Ordnung seyn können, Wenn es nun Pflanzen gäbe, welche wohl diese Charaktere der zweyten Ordnung so ziemlich besitzen, denen aber dieses vor- züg- ı) Schwed, Abhandl, 1742, S, 116 ff, 3) Botan, Zeitung für 1807, S, 39 —44, EEE EEE m I zügliche Kennzeichen fehlt, so müfsten diese nach den Regeln der Kunst, und wenn man wissenschaftlich, nicht willkührlich, zu Wer- ke gehen will, davon getrennt, und, wenn sie sich nicht anderwär- tig schicklich unterbringen lassen, zu einer eigenen Gattung erhoben werden. Was diese Saamen so vorzüglich auszeichnet, sind 2 bis 4 steife Grannen, welche Fortsetzungen der Saamenhaut sind, und bald mehr, bald weniger auseinander fahren. Gewöhnlich sind zwar die Grannen, und öfters die Saamen selbst, nach ihrer ganzen Län- ge mit zurückgeschlagenen kleinen Stacheln besetzt, wodurch sie sich an die Kleider der Menschen, und den Pelz vorübergehender Thiere anhängen. Doch dürfen diese feinen Stacheln nicht mit in den Charaltter aufgenommen werden, weil das Mikrologie wäre, die nur dazu diente, ohne erhebliche Ursache die Gattungen zu vermeh- ren, indem es wirklich Arten giebt, welche keine solche Stacheln an ihren Grannen haben. Nun kenne ich wirklich solche Gewächse, welche man bisher unter der Gattung Coreopsis mit aufgeführet hat, welchen aber die- se Grannen gänzlich fehlen. Ich halte mich daher, weil sie auch unter eine andere Gattung nicht wohl gebracht werden können, für berechtiget, eine eigene Gattung für sie zu errichten, welcher ich den griechischen Namen Anacis geben will, der diese Eigenschaft ihrer Saamen ausdrückt ?). Im Deutschen möchte sie Ohnezahn heilsen. Der weitläuftigere Charakter der Gattung ist folgender: GEMEINSCH. KELCH: doppelt: der äufsere einblättrig, mehrthei- lig; der innere mehrblättrig, einreihig. BLUME: zusammengesetzt: zahlreiche Zwitter im Teller, etwa acht geschlechtslose Blüthchen im Umkreise. . Zwit- 8) Er ist zusammengesetzt aus dem a privativo und axıs, Ö05, eine Pfrieme, Zwitter: röhrig, fünfzähnig. Geschlechtslose: bandförmig, länglicht verkehrt eyförmig, gestreift, dreyzähnig. STAUBGEFÄSSE: der Mittelblüthchen: fünf, aus der Blüm- chenröhre; Beutel: in eine Röhre verbunden. Die der Stralblüthchen fehlen. STEMPEL: der Mittelblüthehen: Fruchtknoten: eyförmig, zu- sammengedrückt, oben abgestutzt. Griffel: fadenförmig, oben zweyspaltig: die Theile an den Seiten 'gefranset, am Ende zugespitzt. Narben: die Griffeltheile. An den Stralblütchen der Fruchtknoten, wie bey den Zwit- tern; Griffel und Narbe fehlen. FRUCHTUNGSBODEN: mit Spreublättchen besetzt. FRUCHT: ein nackter Saame: verkehrt länglicht eyförmig, oben abgestutzt und grannenlos. Die Randblüthchen unfruchthar. Der kurzgefalste Charakter ist: ANACIS. Flores radiati, ligulis neutris. Cal. commun. simplex, polyphyllus, calyeulatus. Semina compres- sa, apice truncata, edentulata. Recept. paleaceum. Gestralte Blüthen: der Stral geschlechtslos.. Gemeinsch. Kelch: einfach, vielblättrig, mit einem Nebenkel- che. Saamen: zusammengedrückt, oben abge- stutzt, zahnlos. Fruchtungsboden: spreuig. Ich kenne bisher nur zwo Arten dieser Gattung, welche ver- muthlich aus denen Arten der Coreopsis, die ich nicht gesehen habe, noch mehrere erhalten wird. Sie sind: Auri- ” 4 Auriculata A. foliis integerrimis, ovato-lanceolatis: inferioribus tri- Tripteris partito-auriculatis. 4. Heimat: Carolina, Virginien. Stral und Mittelblüthchen goldgelb. Acht Stralblüth- . chen. Ich habe diese Art vormals für den Garten von Lands- hut vom Hrn. Prof. Sprengel erhalten. Sie hält unsere Winter im Freyen aus. A. foliis petiolatis: inferioribus pinnatis, superioribus ter- natis, summis simplicibus : foliolis lanceolatis, integerrimis, obtusis. 4. Heimat: Carolina und Virginien. Der Nebenkelch in sechs linienförmige, zugerundete Zähne zerschnitten, die länger sind als der innere Kelch. Der innere Kelch mehrblättrig, einreihig: die Blättchen lanzettförmig, gestreift: wechselweise mehr einwärts gestellt, und häutig gerandet. Die Blume durchaus gelb. Der Fruchtknoten mit kurzen Haaren gefranset. Die Spreu- blättchen linienförmig, gestreift, oben zugerundet. Die Blätter sind eigentlich durchaus gefiedert, aber an den un- tern Sitzen zwey Blättchenpaare nebst dem Endblättchen, an den mittlern fehlt ein Blättchenpaar, und an den ober- sten ist lediglich das Endblättchen da. Ich verdanke diese Art dem Hrn. Prof. Kitaibel zu Pesth. Sie hält unsere Winter im Freyen gut aus. Unter den Arten, welche ich nur aus Büchern kenne, gehört noch hieher Co- Coreopsis latifolia Willd. vielleicht auch Coreopsis lanceolata Walld. und . Coreopsis cerassifolia Willd. Was aus Coreopsis baccata zu machen sey, wird die Zeit lehren. Aus der Beschreibung der Gattung erhellet, dafs bey den Pflanzen dieser Abtheilung der Syngenesie die Randblüthchen gerade das seyen, was bey den Bienen, Ameisen, Termiten, Mutillen die geschlechtslosen Individuen sind, durch frühzeitigen Mangel an Nahrung verkümmerte Wesen: wenn diesen in ihrem Larvenzustan- de die Nahrung nicht reichlich genug zugebracht wird, so raubt je- nen das üppig auswachsende Blümchen die übrigens reichlich zu- strömende Nahrung. 9 ——— nn nun nn nn... ...—.nn nn nn un nn nn nun nun 11. Ueber den (rose 1u,cu,s oder über ein in Baiern versteint gefundenes schmalkieferiges Krokodil *), Gavial der Vorwelt. Vorgelesen in der math. phys. Classe d. k. Ak. d. Wiss. am ı6. April 1814 von [2 SAmUEL THoMAs von SOEMMERRING. ger De Güte des Herrn Grafen Johann Adam Reisach, Land- zichters zu Monheim, verdanke ich das herrliche Petrefact, dessen Be- ı) Ich schreibe mit Vorbedacht durchaus „das Krokodil“, nicht nur weil ich darinn Vorgänger habe, z.B, Kundmann, und sogar den ehemaligen Profes- sor der Beredsamkeit zu Jena Walch; sondern auch weil ich es für die Re- gelmäfsigkeit unserer Sprache befördernd halte, das ungewisse Geschlecht über- all zu gebrauchen, wo es nur immer Statt haben kann, Auch schreibe ich es nur mit einem ], nach der Analogie sowohl der todten Griechischen und Latei- nischen, als der lebenden Englischen und Französischen Sprachen. Adelung, welcher das Krokodill mit zwey 1 zu schreiben lebrt, gewährt, mir wenig- stens, darüber keine Befriedigung. 2 10 Beschreibung und Abbildung, der königlichen Akademie der Wis- senschaften, zur Aufnahme in ihre Denkschriften, hoffentlich nicht unwillkommen seyn dürfte, indem dieses Denkmal der Vorwelt ei- nen, meines Wissens eben so neuen, als bedeutenden Beytrag zur ältesten geologischen Urgeschichte Baierns abgiebt. Dals Fische, Insekten, Conchylien und VVürmer in den Sohlenhofer Steinbrüchen häufig vorkommen, war längst allgemein bekannt, und unsere aka- demische Naturaliensammlung besitzt davon den ansehnlichsten Schatz, wie noch jüngst Hr. College Petzl in seiner Rede zeigte *). Al- lein, dafs auch die Ueberbleibsel eines für die jetzt lebende Schöpfung verschwunden scheinenden, wenigstens bis zur Stunde unbekannten, räthselhaften, aber wirklichen Säugethieres sich daselbst vorfanden, glaube ich in meiner Abhandlung über den Ornithocephalus an- tiguus zuerst ?) umständlich erwiesen zu haben. Als Gegenstück dazu, schildere ich nun das allererste, bis jetzt einzige, ganz unläugbare Beyspiel eines in Sohlenhofens Nach- barschaft aus dem Schoolse der Erde an Tages Licht gerathenen Amphibiums, nämlich eines Krokodiles von der seltensten, das ist der schmal- oder langkieferigen Art, welche man dermalen mit dem besondern Namen Gavial bezeichnet. N Unsere akademische Sammlung besitzt zwar Beyspiele theils in Weingeist, theils trocken aufgehobener Krokodile, allein keinen Gavial. Ja! nach Hrn. Oppel’s Versicherung, befindet sich selbst in der grolsen Naturalien-Sammlung zu Paris, kein so ansehnliches Beyspiel eines kleinen Gavial’s (Crocodilus tenuirostris), als ich hier sowohl im Weingeiste frisch, als auch auf gegenwärtiger Platte ver- steint, aus meiner Sammlung, vorzuzeigen die Ehre habe. So 3) Ueber den gegenwärtigen Zustand der mineralogischen Sammlungen der k, Aka- demie der Wissenschaften, Eine am 28, März ı8ı4 gehaltene Vorlesung, München, in 4. 3) Denkschriften der k. Akad, d, Wiss, Dritter Band, ı812, Seite 89. u a FE So allgemein bekannt auch seit Jahrtausenden die gewöhnli- chen Krokodile scheinen, so wenig scheinen es, noch heut zu Tage, die schmalkiefrigen oder langschnäbligen Gaviale, obgleich schon Aelian *) meldete, „dafs der Ganges zwey Arten von Krokodilen nähre.‘“ Allererst im Jahre 1756 lernte man in Europa durch Ed- wards einen Gavial kennen. Und noch im Jahre 1812, also vor wenig mehr als einem Jahre, klagte selbst Cuvier °), dafs wir über den Wohnort und die eigentliche Gröfse des kleinen Gavial’s bis jetzt noch keine authentische Nachrichten besäfsen; deshalb er auch nur vom grolsen Gayial anmerkte: habitat in Gange fluvio, und statt dessen beym kleinen Gavial nur auszufüllende Punkte hinsetzte. Um so weniger liefs ich’s mich verdriefsen, durch vorsichti- ges Meilseln und Feilen, das von dem harten Steine gröfstentheils verdeckt gehaltene, nur hin und wieder durch seine Decke hervor- blickende Gerippe, von dem kalkigen Ueberzuge zu befreyen, wel- cher es bedeckte, somit im eigentlichsten Verstande zu entdecken. Vielleicht kann dieses dreist scheinende Verfahren zum Vorbild für die Behandlung ähnlicher, grolsentheils verdeckter Versteinerungen dienen. $. 3 „Versteinte Krokodile,“ schrieb der ungenannte Verfasser der Beyträge zur Naturgeschichte, sonderlich des Mi- neralreichs, aus ungedruckten Briefen gelehrter Naturforscher °). ‘ (nach Cobres Angabe 7), Schröter) noch im Jahre 1774 „blei- „ben 4) De nat. anim- Lib. XII. cap. 8, Kpoxodeilos tv Taayyp. 5) Annales du Museum, Tome XI, S. 63, Im grofsen Werke sur les ossemens fossiles. Paris ı8ı2, V, Partie, p. 55. Il faudra que les voyageurs nous appren- nent dans quels pays le petit gavial habite principalement et & quelle taille il peut parvenir, Nous n’avons encore sur ces deux points aucun renseignement authentique, 6) Erster Theil, Altenburg. Seite 148, in 8, 7) Deliciae Cobresianae. Augsb, 1782, Seite 707. 22 12 „ben allemal eine grofse Seltenheit, und man hat aufser einigen „Knochen nur gar zu wenige vollständige Beyspiele dieser Art.“ Diese Bemerkung hat sich ungeachtet der grolsen Fortschritte, wel- che seit 1774, die Naturgeschichte im Allgemeinen und die Petre- factenkunde insbesondere nicht nur im verflossenen , sondern selbst in gegenwärtigem Jahrhunderte machte, als nur zu wahr bestätigt. Denn von den fünf Beyspielen, welche dieser Ungenannte anführt, kann kaum ein einziges, wie sich aus der näheren Betrach- tung derselben im Einzelnen ergeben wird, mit Zuverlässigkeit für ein Krokodil gelten. Der Verfasser des Artikels Crocodill-Versteinerungen in der deutschen Encyclopädie ®) behauptet sogar, dals von keinem einzigen dieser Beyspiele die Aechtheit apodictisch erwiesen werden könne, und dafs sie also sämmtlich zweifelhaft seyen. Selbst von den seit 1774 ferner bekannt gewordenen drey- zehn Beyspielen angeblicher fossiler Krokodile, reicht bey weitem keines an die Zuverlässigkeit und Vollständigkeit des Gegenwärtigen. 4 Unsere königliche Central-Bibliothek, welche erwünschter Weise fast sämmtliche, über ähnliche Erzeugnisse der Natur ver- fafste Abhandlungen und Abbildungen in den Originalen besitzt, setzt, nebst des Hrn. Baron yv. Moll collegialischer Unterstützung, mich zugleich in den Stand, die Geschichte der bis auf Hn. Cuvier’s Berichtigungen, für Krokodile gegoltenen Petrefacte, vollständig, chronologisch geordnet und mit dem gegenwärtigen Petrefacte ver- gleichend vortragen zu können. 5. Mit frohem Danke mufs ich vor Allem die Mühe, Genauig- keit und Gründlichkeit erkennen, womit unser College und Freund G. 8) Frankfurt bey Varrentrap und Wenner 1772, kl,Fol. Sechster Band, S, 520, 3 G. Cuvier, über die Unterschiede sowohl der in Afrika, Asien und Amerika noch wirklich lebend anzutreffenden, sogar sehr man- nichfaltigen, als der fossilen angeblichen und wahren Krokodile, das Licht verbreitete, welches mich vor Fehlschlüssen bewahrte, die nicht nur mehrere meiner älteren Vorgänger begingen, sondern vor welchen sogar in den neuesten Zeiten, trotz alles Reichthums an Hülfsmitteln, die grölsten Männer dieses Fachs nicht gesichert blieben. Ohne seine classischen Abhandlungen und kunstverständigen Abbildungen der Gebeine von frischen und fossilen Krokodilen, de- ren er allein über sechzig untersuchte, wäre ich bis jetzt weniger fähig, die strengsten Beweise über die Richtigkeit meiner Angaben und Deutungen, sowohl der Beyspiele meiner Vorgänger, als des vor uns in der Natur befindlichen Beyspieles zu führen. Auch Hn. Professors von Froriep freundschaftliche Güte mufs ich rühmen, welcher mir diese beyden niedlichen Skelete, von zwey verschiedenen Krokodilen (dem vulgaris und dem acutus), zur Vergleichung mit dem fossilen Skelete von Tübingen übersendete und mir dadurch manchen, ungeachtet aller eben genannter Hülfs- mittel noch übrig gebliebenen Zweifel lösen half. Gleichen Dank bin ich unserm Collegen Hn. Dr. Albers zu Bremen schuldig, der mir einen Crocodilus lucius aus Savannah von drey Fuls drey Zoll Länge zum skeletiren gefälligst überließ. 6. Der Beyspiele versteinter Krokodile, oder ihnen zunächst ver- wandter Reptilien, welche binnen hundert und vierzehn Jahren öf- fent- 9) Recherches sur les ossemens fossiles de Quadrupedes ou l’on etablit les ca- racteres de plusieurs espöces d’animaux que les revolutions du globe paroissent avoir detruites. Tome quatrieme, Paris 1812, in gr.4., Da sich diese durch- aus nämlichen Abhandlungen, welche dieser vierte Band enthält, in den Anna- les du Museum d’histoire naturelle, a Paris, mit fortlaufenden Seitenzahlen be- finden, so eilire ich der Kürze halber meistens letztere, 14 fentlich bekannt wurden, sind überhaupt nur neunzehn; ja! der zuverlässigen kaum sechs bis sieben. Von jedem derselben werde ich den Fundort, die Sammlung in welcher es aufbewahrt wurde, “ den Beschreiber und das Jahr der Bekanntmachung angeben, die davon vorhandenen Abbildungen vorzeigen, und einen kurzen, mit Bemerkungen begleiteten Auszug des wesentlichsten Inhalts der Schilderungen anführen. Nazi Fossiles Monitor-Gerippe von Kupfer- Suhl, uls Krokodil geschil- dert von Spener ıyıo *°). Zu der trefflichen Schilderung dieses ersten Beyspieles, eines fossilen, ein ganzes Jahrhundert lang für Krokodilartig gehaltenen Thiergerippes, hatte der grolse Leibnitz den Verfasser Christ. Maximilian Spener aufgefordert und ihm dafür auch öffentlich in einem eigenen sinnreichen Schreiben gedankt. Das wesentlichste, zu meinem Zwecke gehörende, aus Spe- ner’s ächt akademischer Abhandlung, ist folgendes: Dieses überaus nette Stück, welches wir in einer eben so netten Abbildung vor uns sehen, ward gefunden um das Jahr 1710 in der Grube zu Kupfersuhl, eine und eine halbe Stunde von Salzungen in Thürin- gen, in einer Tiefe von 50 Ellen in Kupferschiefer. Die Knochen- reste waren gleichsam in Metall verwandelte. Der Verf., ein sehr gelehrter angesehener Arzt zu Berlin, hielt dieses für das kostbarste Stück 10) Miscellanea Berolinensia ad inerementum scientiarum ex scriptis Societati Re- giae exhibitis. Berolini ı7ı0, in 4. S. 93, Fig. 24. 25. Ein neueres Exemplar der königl. Hofbibliothek führt die Jahrzahl 1749, welches nach Allem zu ur- theilen ein zweyter Druck seyn mufs, ungeachtet ich es nirgends bemerkt finde, Ia Münders Uebersetzung ı781, S..ı4, Fig. 5, ” 13 Stück seiner reichen Sammlung **) und wirft sich selbst die Fra- gen auf "?): num sit veri Crocodili sceleton, quod lapidi huic ad- haeret, cum lacertae majoris vel alius ex hoc animalium genere species fucum facile nobis hie facere possit, und schliefst end- lich, nachdem er dieses Stück, für die damalige Zeit ungemein genau und umständlich, mit Eidechsen, Stincis, Leguanen, Chamä- leonten, Salamandern und Krokodilen verglichen hat, verum esse Crocodili sceleton ex ossea in metallicam substantiam transmutatum. Ausführlich und gründlichst zeigt er, dafs dieses kein lusus naturae sey, weil man auch die feinsten Theilchen der Knochen, ihre Fort- sätze, Spitzen, Zellchen und Höhlen so deutlich wahrnehme, dafs sie kein Mahler genauer versinnlichen könnte. Durch M. B. Valentini ‘?), Kundmann "#), Buttner '3), J. J. Scheuchzer "°), Argenville '7), Brückmann *®), Joh. 11) Nach Kundmann Rariora naturae et artis, Breslau 1739. p. 76, schätzte es der Besitzer auf hundert Dukaten, 12) Seite 99 und 102, 13) Museum Museorum, Part, II, Tab, VIII. p. 40o dasselbe Bild genau wie in den Miscellaneis Berolinensibus nur verkehrt nachgestochen, 14) Kundmann handelte davon, mit eigenen Bemerkungen, in s, Rariora naturae et artis S. 76, 15) Rudera diluvii testes, Lips. 1710, 4, p 240. Tab, 26. 16) Querelae et Vindiciae Piseium, Tiguri 1708. Tab. V. hier so wie in seiner Physica sacra Tom, }. Aug. Vind, ı73ı, Tab. LI, ist diese Abbildung nicht nur ver- kleinert, sondern so entsetzlich roh copirt, dafs wohl Niemand auf das Original rathen könnte, wenn es nicht der Text besagte, ı7) Oryctologie, Paris 1755. $. 77. Scheleton a Spenero dictum, S, 333, c'est le squelette d’un Crocodille metallise et petrifie. 18) Epistolae itinerariae, Cent, 3tia, epist, 14 Tab. gut copirt. 16 Joh. Gesner *?), Walch *°), Schröter °*), Gmelin ??), Faujas-Saint-Fond *°) u.a. m. **) ward dieses Stück allge- mein bekannt. Bey dem allem zeigen uns, die Gestalt des deutlich wahrzu- nehmenden Kopfes, die langgestreckten Zehen, nebst den, zum Rumpfe verhältnifsmäfsig längern und stärkern, oberen und unteren Gliedmafsen, ganz augenscheinlich, wenn wir sie mit den, hier in der Natur im Weingeiste vor uns sich befindenden Krokodilen, und dem Monitor vergleichen, dafs Spener’s fossiles Gerippe wohl diesem Monitor, aber zuverlässig keinem Krokodile, weder diesem Afrikanischen, noch diesem Asiatischen oder diesem Amerikanischen Krokodile nahe kommt. Insbesondere bemerkenswerth scheint mir auch noch der, wie bey dem Ornithocephalus, aufgerissene Rachen, nebst den sehr gewaltsamen Verdrehungen des Rückgraths und Verrenkungen der Gliedmalsen. Herrn Cuvier’s Scharfsinne gebührt die Ehre, den von 1710 bis ıg08 *°), folglich wie gesagt, seit fast hundert Jahren fort- ge-. 19) Diss. physica de petrificatorum origine, Tiguri, ohne Jahrzahl, so wie in der späteren Diss. de petrificatorum variis originibus etc. Tiguri 1756. 4. p. 40. Beyde Dissertationen sind 1758 zu Leiden in 8, zusammen gedruckt worden, unter dem Titel: J. Gesneri tractatus physicus de petrificatis, 20) Sowohl in seiner Naturgeschichte der Versteinerungen, Nürnb, 1769, S. 190, als im Naturforscher. Neuntes Stück. Halle 1776, S. 284. a1) Lithologisches Reallexicon. ı. Band, S. 366. desgleichen (anonymisch) in den Beyträgen zur Naturgeschichte, sonderlich des Mineralreichs ı. Theil, Altenb, 1774. S. 148, 22) In seiner Ausgabe von Tasinbr s Systema Naturae. Lips. 1793. Tom. 3. p.388, 23) Hist. de la Montagne de St, Pierre, Paris 1799. — kl. Fol. desgleichen Essais de Geologie. Paris 1805, 8, p. 154. 24) Z. B. Journal de Scavans, 1723, Juillet, 25) Annales du Museum dHist, nat. Tome douxieme ı808. S, 8ı und 83, 7 gepflanzten Irrthum über die Deutung dieses Petrefacts, hoffentlich für immer, entfernt zu haben. Er bewies zuerst, dafs Spener's Original nichts anderes als eine Art Monitor gewesen seyn könne; und widerlegte besonders Hn. Faujas-Saint-Fond, welcher in zweyen seiner Werke *°) es für ein langkiefriges Krokodil, oder einen Gavial bestimmt erklärt hatte. a Fossiles Monitor-Gerippe von Suhl, als Krokodil geschildert von Link ı718. Der zweyte, welcher die fossilen Reste eines ihm ein Kro- kodil scheinenden Thieres, als sein kostbarstes Cabinet- Stück in einer eigenen Monographie *7) beschrieb und abbildete, war Hein- rich Link, ein gelehrter Apotheker zu Leipzig. Ungeachtet er schrieb: sceleton animalis, crocodili similis, guo nullum perfectius hactenus ab illorum rerum curiosis obser- va- 26) Sowohl in der bereits angeführten Histoire de laMontagne de St, Pierre. Par. 1799. p- 226. als in den Essais de Geologie 1805. Tom. I. p. 157, wo esausdrücklich heifst: La description (Spener’s nämlich) convient parfaitement ä un crocodile de Vespece du Gavial et la figure jointe a son memoire acheve de demontrer cette verite. 27) Epistola A. G. Woodwardum, de Crocodilo petrificato in lapide, Lipsiae 1718. 4. Das Original dieser Schrift habe ich noch nicht gesehen, sondern ich kenne blos die Excerpta, welche die Acta Eruditorum anno MDCCVII publicata. Lips. 1718. in 4. S, ı88 davon geben. Nach Kundmann’s (Rario- ra naturae et artis p. 77) Zeugnils ist die Kupferplatte Tabula II. in den Actis Erud. die Originalplattee Kundmann hatte in dem dritten Versuche der Brefslauer Sammlungen von Natur- und RKunstgeschichten schon im Jahre 1713 ınense Martio Cl. IV. art. 6. p. 517, so wie auch Brückmann in seinen Epi- stolis itinerariis, Centuria tertia, davon Nachricht gegeben. In J. G Scheuch- zevi Physica sacra, Tomo primo. Aug. Vind. 1731, fol. Tabula LU, ist diese Abbildung doch ein wenig zu nachlässig copirt. 3 18 vatum credo, und noch bekräftigend hinzufügte: habemus jam alias ejusmodi lapidum delineationes, doch ohne sie näher anzugeben, wahrscheinlich die Spenerische darunter meynend, sed omnes fa- cile huic cedunt, so zeigt doch die Betrachtung dieser Kupfertafel die Unvollkommenheit sowohl des Originales als der Abbildung des- selben. Glücklicherweise sind doch einige Hauptsachen wenigstens er- kennbar genug dargestellt, um sich von der Richtigkeit des Cuvier- schen Urtheils ?°) zu überzeugen; dafs nämlich, dieses fossile Ge- rippe keinem Krokodile, sondern einem Monitor angehöre. Alle drey vorhandene Fülse haben, wie auch die Beschreibung ausdrück- lich bemerkt, fünf Zehen. Da nun aber, wie wir auch sowohl an dem Afrikanischen als Asiatischen und Amerikanischen Krokodi- le in der Natur selbst schen, an allen bis jetzt bekannten Kroko- dilarten die Hinterfülse nicht fünf, sondern nur vier Zehen ha- ben, so konnte auch Link’s Skelet keinem Hrokodile angehören. Nehmen wir noch dazu, den ansehnlichen Unterschied in der Län- ge, zwischen den Zehen des Hinterfulses, so werden wir uns vol- lends überzeugen, dafs diese fossilen Reste nur etwa einem solchen Monitor angehörten, desgleichen ich hier einen im Weingeiste vor- zeige. Das Bruchstück eines Kopfes, welches auf der Platte vorhan- den seyn soll, erscheint in der Abbildung so undeutlich, dafs ich wenigstens nichts Hopfähnliches daran zu erkennen vermag. Wo der schwarze Schiefer, welcher diese Trümmer enthält, gebrochen ward, ist in den Actis Eruditorum nicht bemerkt. Dem In- 38) Annales du Museum d’Hist. nat, Tome douxieme. p. gı und 83 und im vierten Bande seines gröfsern Werkes. 19 Index Musaei Linckiani *?), so wie Kundmann’s 3°) und Walch’s ®*) Angaben zufolge, ward er bey Suhl gebrochen. $. 9. Fossiles Krokodil- (?) Gerippe von Fulbek, geschildert von W. Stukely ızı9. Gleich im nächsten Jahre nach Link, gab William Stuke- ly der königlichen Societät zu London, eine kurze Nachricht nebst einer Abbildung °*), von einem fast vollständigen in einem harten, bläulichem Thon -Steine (blue claystone) enthaltenen Gerippe eines grolsen Thieres. Die gar zu kleine Abbildung ist, wie wir hier sehen, fast noch roher und dürftiger als die vorhergehende Lin k’sche. Stukely erklärte dieses, vermuthlich aus den Steinbrüchen zu Fulbek in der Grafschaft Lincoln gekommene Gerippe, welchem jedoch der Kopf fehlte, und welches man anfänglich für ein menschliches gehalten hatte, für das Skelet eines Krokodils oder eines Meerschwei- > Ye nes 39) Im dritten Theil dieses Indicis, Leipz. 1786. 8. kommt $. ı83 folgende Stelle vor: Versteinte Amphibien, Amphibiolithi sceleti crocodili s. Amph. lacertae Linn. Versteintes Krokodillskelet in schwarzem Marmor, aus Suhl; ein sehr schönes und grolses Stück von zweySchulr und fünf und einen halben Zoll breit. Act, Erud. Lips. Mylii Memorab. Saxon. p. 86. Tom. 2. Tab. 9. Diese Tafel fehlt in beyden Exemplaren der k. Hofbibliothek. Scheuchzer Phys, sacra T.1. Tab. 52. Wallerii Min. Syst. 2. Theil p. 520. Linn. p. ı8 aufser der Schub- lade in einem Tische aufbehalten, 30) Rariora naturae et artis, $. 77. 3ı) Naturgeschichte der Versteinerungen S. ı90, und Naturforscher, Neuntes Stück $. 284. 32) An Account of the Impression of the almost Entire Sceleton of a large Ani- mal in a very hard Stone, in den Philosophical Transactions, N. 360. Vol. XXX for 1719, Tab. I. S’ 963. 20 nes (Delphinus phocaena), und nennt es: „ein nobles Monument, und „bedeutendes Zeichen einer allgemeinen Sündfluth, so dauerhaft als „der eitel gloriosen Egyptischen Monarchen Pyramiden zu Memphis.“ Er gedenkt des durch Link der königlichen Societät bekannt gewor- denen Stückes 33), doch ohne ihn selbst zu nennen. Bourguet er- wähnt dieses Fulbeksche Skelet in seinen M&moires pour servir ä Vhistoire naturelle des petrifications. ä la Haye 1742. 4. mit Beziehung auf Bibliotheque anglaise Tom. VI. p. 406. Hr. Cuvier 3*) hält diese Knochen - Trümmer für einem Kro- lkodile angehörend, ohne wegen des fehlenden Schädels die Species bestimmen zu Können. Da Stukely sich selbst in der Wahl die grolse Breite zwischen einem Krokodil und einem Meerschweine (to be a Crocodile or a Por- poise) läfst, er auch bey Haller’n ?°) zwar vir pius, aber non satis cautus heist, so wage ich bey der gar zu mangelhaften Beschaffenheit der vorliegenden Abbildung, eben so wenig für als gegen Hrn, Cuvier’s Deutung zu stimmen. $. : 10. Fossiles Monitor-Gerippe von Glücksbrunn, als ein animal marinum, amphibium, oder felis marina, geschildert von Em. Sweden- borg 1734. Ein treffliches grofses Blatt in Folio in Emanuel Sweden- borg's Werke ?°) schen wir den grölsten Theil eines, wie es scheint, un- 33) S. 964 a very little while ago, the Society had a Draught of a Crocodile, tho’ a small one, found after the like manner inelos’d in Stone , from a Quarry in the Mountains of upper Germany. 34) Annales du Museum Tome douxieme Seite 103 und ıı10 desgleichen in sei- nem gröfsern Werke. 35) Bibliotheca anatomica Vol, 2, S. 124. 36) Emanuelis Swedenborgii Principia rerum naturalium sive novorum ten- 21 unvergleichlich erhaltenen Gerippes darstellen, über welches der Ver- fasser nur folgendes im Texte schreibt: Volo figuram lapidi impressam et nuper ex terra aut fodina effo®- sam sistere; repraesentat animal quoddam marinum, amphibium vel aliud, ex cauda augurari licet Jelis marinae gquoddam genus fuisse: ipse lapis hie figuratus est scissilis niger ex strato guodam venae cupreae ad Glücksborn (auf dem Kupfer steht richtiger Glücksbrunn *) gesto- chen) anno praeterlapso 1733 erutus, ubi est fodina non proculab Alten- stein in territorio Saxo-Meiningensi, quae ad familiam TRIEREN- SEMin electorali Saxonia tanquam peculium pertinet hodie etiam a nobiliss. consiliario summi dicasterii Dresdensis ejus nominis, con- -servatur, ubi illam videre mihi contigit: et quia est inter omnes, quas vidi lapidibus impressas formas piscium et animalium exstantis- sima et integerrima, hinc etiam illam pictam hic transcribere cum ve- nia licuit, Hr. Cuvier nebst Anderen glauben, Swedenborg meynte unter Felis marina einen Affen oder Meerkatze, Guenon, Sapajou, oder Cercopithecus ?”). Allein mir scheint der Beysatz animal ma- rinum, amphibium zu zeigen, dals Swedenborg darunter die Pho- ca ursina verstanden haben wollte, welche z.B. bey Müller in seinen Sammlungen Russischer Geschichten ?°) Seekatze heilst: Mei- tentaminum phaenomena mundi elementaris philosophice explicandi. Dresd, et Lipsiae 1734. in Fol. p. 168. Tab. 2. de Cupro. In der Oryctologie par M** des Societes Royales des sc. de Londres et de Montpellier (Argenvil- le). Paris 1755. in4. wird dieses Petrefact mehreremale citirt S. 72 als Quadru- pedis caudei scheleton. Squelette d'un quadrupede a queue. S.33ı Le sche- leton d’un quadrupede a queue, qu’on croit avoir ete un Singe rapporte par Swendenborg. $. 384. Os tres-entiers et tres grands, trouvds dans une mine de Cuivre. Cet auteur (E. Svendenborgius) les croit d’un chat marin. *) Glücksbrunn liegt 6 Stunden von Gotha, zwey Stunden vom Fufse des Inselbergs, eine halbe Stunde von dem neuester Zeit berühmt gewordenen Badeorte Lie- benstein. 37) Annales du Muscum. Tome ı2, S. 79 und 8ı. 38) Petersburg 1732, Samml, III. $. 249. 22 Meines Wissens hat kein angeschener Schriftsteller Meerkatze felis marina übersetzt. % Hr. Cuvier, der ein Stück des unteren Theiles dieses Ge- rippes verkleinert nachstechen liels ®”), erklärt es für das Gerippe einer Art von Monitor. Schade, dals auch diesem Gerippe gerade der Kopf fehlt, welcher alles räthselhafte am leichtesten lösen könnte! Demungeachtet wäre es noch immer interessant genug, zu erfahren, wo dieses Prachtstück hingerathen seyn mag, um genaue- re Untersuchungen desselben nachholen zu können, da es unter an- dern offenbare Ungenauigkeit desZeichners verräth, dals die längste Zehe des linken Fufses aus sechs, die längste Zehe des rechten Fulses dagegen nur aus fünf Gliedern besteht. GEELT: Eidechse, wahrscheinlich von Suhl, im Kundmannschen Cabinet 1737. Joh. Christ. Kundmannn zu Breslau, besals in seiner Naturalien-Sammlung ‚eine schwarze Schiefertafel, darinn zwar,‘‘ wie er sich äufsert *°), ‚kein Krokodil sich abgedruckt, doch darauf eine ganz unbekannte grolsköpfichte metallisirte Lacerta befindlich ist.“ Da Kundmann manches unbedeutende Stück abbilden liefs, so ist es um so mehr zu bedauren, dals er dazu dieses nicht aus- wählte. Und weil er schreibt: „dafs er auch ein den beyden Suhli- schen von ihm umständlich angeführten Petrefacten (nämlich dem Link- 39) Annales du Museum, Tome ı2, planche ı0, fg. 2. auch im gröfseren Werke, 40) Rariora naturae et artis. Breslau 1737. in Fol, S. 88. 23 Link’schen und Spener’schen) ähnliches Petrefact besitze, “ so läfst sich vermuthen, dafs solches ebenfalls daher stammte. (A r2. Fossiles Monitor- (?) Gerippe, von Boll, für ein Krokodil gehalten in dem Dresdner Naturalien-Cabinet 1755. Sowohl nach Eilenburgs *') älterem als Dalsdorffs #?) neuerem Berichte, befindet sich zu Dresden in dem k. Naturalien- Cabinet, ein petrificirtes Gerippe von einem zwey Fufls zehn Zoll langen Thiere. Man fand solches zu Boll einem Dorfe im Wür- tembergischen, (nicht im Würzburgischen, wie Key/sler in seiner Reisebeschreibung irrig anführt). Nicht nur J. E. J. Walch #3) meynte im Jahre 1769, dals es allem Ansehen nach ein Krokodil gewesen, sondern selbst noch im Jahre 1783 ward es, ohne weiters, von Hn. Dalsdorff „ein Gerippe von einem Krokodil“ genannt, ungeachtet der Ungenannte Verfasser **) der Beyträge zur Natur- geschichte (vermuthlich Schröter) schon im Jahre 1774 öffentlich bekannt gemacht hatte: ‚Man will zwar zu Dresden ein versteintes „Krokodil vorzeigen, allein Kenner die es gesehen haben, behaupten „einstimmig, dals es viel zu dunkel sey, als dafs man hierinnen „etwas gewisses entscheiden könnte.‘ Poetzsch in seiner Beschreibung desselben Cabinets. Dresd. 1805. 8. $. ı5 —ıg macht Eilenburg’n den Vorwurf, dals er von 41) Description du Cabinet Royal de Dresde, touchant l’histoire naturelle, Dresde 1755, in 4. p. 27. desgleichen Eilenburgs Entwurf der königl. Naturalien- Kammer zu Dresden. S. 28, 42) Beschreibung der vorzüglichsten Merkwürdigkeiten der Residenz Dresden, Dresden 1782. in 8. S, 500, 43) Sammlung der Merkwürdigkeiten der Natur u. s, £ Nürnberg 1769, in Fol, S. 195, 44) Seite 148, 24 von einem ganzen Krokodile geredet habe, da doch nur der hin- tere Theil vorhanden sey; der Herausgeber nimmt aber Hr. Bi- lenburg in Schutz, indem er nur sagte, ein ganz versteiner- tes Gerippe; zugleich wünscht er, dafs ein Cuvier, Wiedemann oder Fischer das Stück untersuchte. Cuvier *°) glaubt, auch dieses Skelet gehörte nicht einem Krokodile, sondern einem Monitor, und bemerkt: par une negli- gence dont on ignore la cause, aucun de naturalistes de ce pays- la n’a decrit ni figure ce morceau, etc. Ich hoffe davon noch eine Zeichnung zu erhalten, weil ich mich vom Jahre 1792 her, wo ich diese Sammlung sah, nicht deut- lich mehr dieses Stücks erinnere. B. 1% Fossiler HKrokodil- (?) Schedel, von Erkerode im Braunschweigschen Naturalien-Cabinet' 1753. Obgedachtem ungenannten Verfasser der Beyträge zur Natur- geschichte — zufolge *°), ‚‚entdeckte man im Jahre 1755 zu Erkero- „de, eine halbe Stunde von Braunschweig, ein petrificirtes ganzes „HKrokodilskelet, von welchem aber nur der einen Fuls lange Kopf „mit allen Zähnen ins Herzogliche Naturalien - Cabinet kam.“ Auch über dieses Stück werde ich nähere Nachrichten einzu- ziehen suchen, um so mehr, da es ein Beyspiel ist, welches bis jetzt Hrn. Cuvier gänzlich unbekannt geblieben zu seyn scheint. $. 14. 45) Annales du Museum, Tome ı2, $, 83, 46) S. 148. . BES $. 14 Fossiles Krokodil- (?) Gerippe von Whitby, geschildert von Mill, Chapman und Wooller 1758. William Chapman *7) übersendete der königl. Societät zu London ein Schreiben, nebst einer Abbildung, auf einem kleinen Quartblättchen, von dem am Seeufer zu Whitby in Yorkshire, in ei- nem Alaunschiefer entdeckten Gerippe eines Alligators oder Krokodils. Seiner Schätzung nach mufste das Thier über zehn Fuls lang gewesen seyn. Der von dem Rumpfe verschobene Schedel zeigt seine untere Fläche. - . Eben dasselbe fossile Gerippe beschreibt nochmals Wool- ler *°), mit Beyfügung einer leider eben so kleinen, im Wesentli- chen sich fast durch nichts merklich unterscheidenden Abbil- dung, so sehr es auch zu wünschen gewesen wäre, dafs er eine deutlichere, oder auch nur nach einem gröfseren Maalsstabe ange- legte, Abbildung besorgt hätte. Nach Wooler’n mochte dies in einer Tiefe von 180 Fuls gefundene, um sich her Ammonshörner liegen habende, Gerippe, ı2 bis 14 Fuls Länge halten. Sechszehn Wirbel hatten noch keine zwey Fufs Länge. Wooller verglich ganz weislich dieses Gerippe mit der Edwardschen Abbildung *?) eines langkiefrigen Krokodils oder Gavials. Camper °°), der anfänglich dieses Gerippe für einem Kro- krodile angehörend hielt, änderte seine Meynung in der Folge da- 47) Philosophical Transactions for the Year ı758, Vol. 50, Art. 92: Tab. XXU. An Account of the fossilBones of an Allegator found on the Seashore near Whitby in Yorkshire, 48) In demselben 3osten Bande der Philosophical Transactions. Art, 108, Tab, XXX, a Description of the fossil Skeleton of an animal found in the Alum Rock near Whitby. 49) Philosophical Transactions, Vol. 49. p. 689, 50) Philosophical Transactions. Vol. 76. for the Year 1786, englisch, Kleine Schrif- 4 ten 26 dahin, dafs er bestimmt erklärte, ‚‚es wäre ohne Zweifel von einem Wallfische.“ Merck folgte Campern, und nannte es einen grolsen Irr- thum, diesen Kopf, der auf nichts anderes als auf eine Orca °*) oder Delphin °*) schlielsen lasse, für einen Krokodil anzusehen. Auch Faujas-Saint-Fond wiederholte diese Deutung °?) auf einem Physeter. Cuvier °*) findet den Kopf dieses Gerippes dem Kopfe desje- nigen Krokodils oder eigentlichem Gavials gleichen, welchen man zu Honfleur entdeckt, und beweist durch vier unwiderlegbare Gründe, dafs dieses Thier weder ein Physeter noch ein Cachalot gewesen seyn könne. Dieses wäre das erste Beyspiel eines fossilen, dem Gavial glei- chenden Krokodiles, wenigstens nach Hrn. Cuvier c’etoit reellement un crocodile °°). Allein nach Hrn. Blumenbach’s, der davon eine Zeichnung besitzt, neuester Deutung, ist es dennoch ein Cetaceum. $.15, Fossiles Wallfisch-Gerippe von Blenheim, als krokodilartig ehedem erwähnt von Blumenbach. Ein dem vorigen Petrefacte von Whitby ähnliches Stück, wel- ches zu Blenheim inEngland in dichtem Kalkstein ausgegraben wor- den, ten übersetzt von Herbell. DritterBand 1788, S. 4. teutsch. Oeuvres. Tome prem, 1803, p. 361. französisch. 51) Hessische Beyträge. Zweyter Band 1787. S. 31. 52) Troisieme Lettre sur les Os fossiles. Darmst. 1786. $, 27. 53) Essais de Geologie, p. 160. 54) Annales du Museum, Tome ı2. $. 107 und ı0g, 65) Annales du Museum, Tome ı2, p. 74 und 107. “ AR den, befindet sich nach Hrn. Blumenbach’s Anmerkung °°), der davon auch eine Zeichnung besitzt, in der Sammlung des Herzogs von Marlborough, zu Blenheim. Ich entsinne mich nicht mehr, ob dieses Stück schon 1778, als ich diese Sammlung sah, sich dort be- fand. $. „Im Fossiler. Krokodil- Schedel von Altdorf[, geschildert von Walch 1776. Walch handelt im Naturforscher °), von dem versteinten Kopfe eines Krokodils, welcher sich in Burgemeisters Bauders Sammlung zu Altdorff befand, lies aber nur das kleinere Bruchstück des Ober- und Unterkiefers , leider in jeder Rücksicht zu klein und zu roh abbil- den. Indessen bleibt selbst diese unvollkommene Schilderung schätz- bar, weil sie zum klaren Beweise eines zu Altdorff in Franken entdeck- ten fossilen Krokodiles hinreicht. Die Länge dieses Schedels beträgt 23 Zoll. Hr. Walch glaubt sich berechtigt, ‚es weder für ein Kro- „kodil aus dem Nil, noch für ein Afrikanisches, sondern für ein Ostin- „dianisches zu halten.“ Er gedenkt dabey des Linkschen, des Spe- nerschen, des Stukelyschen und des Dresdner Beyspieles. Schröter °®°) zweifelt, dafs dieses Petrefact von einem Krokodil herkomme. Allein Hrn, Cuviers Urtheile nach, gehörte dieser fossile Schedel einem Krokodile. A Es 56) Handbuch der Naturgeschichte, Vierte Auflage, Göttingen ı791. in der Note Seite 694. In den folgenden Ausgaben dieses classischen Handbuchs liels er diese Note weg, weil er, nach dem Briefe meinesSohnes an mich vom 26. März 1814, darinn ein Cetaceum wahrnimmt. 57) Der Naturforscher. Neuntes Stück, Halle 1776. 8. Seite 279, Tab. IV, Fig. 8. Von dem versteinten Kopfskelet eines Krokodils, 58) In seinem Journal für die Liebhaber des Steinreichs. Theil 6. S. 523, 28 Es wäre zu wünschen, der mir unbekannte dermalige Besitzer dieses Stückes, lielse nach behutsamer Wegmeilselung des Gesteins, ' welches den Rest des Schedels verbirgt, denselben genau in natürli- cher Gröfse abbilden. Das in Kalkstein, aus den Querfurtischen Steinbrüchen, ent- haltene fossile Bruchstück, welches eben dieser Walch im grolsen Knorr’schen Werke abbildet °?), ohne es zu deuten, scheint mir der halbe Unterkiefer eines dem Monitor ähnlichen Thieres. $. 17. Fossiler Gavial- (?) Kiefer von Dax im königlichen Cabinet zu Paris, erwähnt von de la Cepede 1788. Hr. de la Cepede gedenkt °°) desBruchstücks eines in Kalk- stein enthaltenen Unterkiefers mit halb versteinten Zähnen, welches man in der Gegend von Dax in Gascogne fand, im königlichen Na- . turalien-Cabinete zu Paris aufhob, und das ihm nach angestellter Untersuchung einem Gavial angehört zu haben schien. Da ich nirgends dieses Stück von Cuvier angeführt finde, se mufs ich die Richtigkeit der de la CGepedeschen Deutung desselben bezweifeln. $. 18. Fossiler Gavial- Schädel, von Altdorff, in der GH. Naturalien- Sammlung zu Darmstadt, geschildert von Merck ı786 und Faujas-Saint-Fond ı799. Kriegsrath Merck, der in seinen letzten Lebensjahren mit dem grölsten Eifer seine Liebhaberey an Petrefacten zu befriedigen , such- 69) Dritter Theil. Suppl. Tab. VIII. Fig. 2. S. 207. 60) Hist. nat. des quadrupedes ovipares, Paris 1788, gr, 4. Seite 238, = En ’ n 25 suchte, wulste sich auch einen fossilen Schädel zu verschaffen, wel- cher offenbar von einem dem Gavial gleichenden Thiere herkam, und sich in den Marmorbrüchen zu Altdorff vorgefunden hatte. Er schrieb darüber °”): ‚Dieses Stück ist die Zierde meiner ansehnlichen „Sammlung von fossilen Knochen und gehört gewils unter die sel- „tensten Monumente der Vorwelt, die wir auf teutschem Boden auf- „zuweisen haben.“ Im Vorbeygehen °?) gedenkt er mit zwey Zeilen, dreyer von ihm in Teutschland angetroffener, ähnlicher Stücke. Schade! dals er gar nichts Näheres darüber angab, da man seinem geübten Kenner-Auge richtige Beurtheilung füglich zutrauen durfte. Eines, von denen, die er gewils darunter meynte, war das Mannheimer Stück. Das zweyte nach Faujas-Saint-Fond’s Vermuthung °?) das Bessonsche von mir im (. 20 erwähnte. Das dritte sein ei- genes. Nach seinem Tode kam seine Sammlung in das G.H. Na- turalien-Cabinet im Schlosse zu Darmstadt, wo ich sie zuletzt noch vor vier Jahren wieder sah, In diesem Cabinet gestattete man Hrn. Faujas-Saint-Fond ‚die Abbildung, dieses nicht zu bezweifelnden Beyspieles eines fos- silen Gavials, welche er auf der letzten Tafel öffentlich bekannt machte. Hr. Cuvier °*) findet diese Abbildung so wenig genau, ja so schlecht, dals er nicht wisse, ob er dieses Stück für den Oberkiefer oder den Unterkiefer anzusehen habe, besonders weil auch die Beschreibung nichts darüber besage. Nach Faujas-Saint-Fond hat dieser Schädel einen Fuls zehn Zoll Länge, und zehn Zoll sechs Linien Breite in der Mitte der Kiefer. Nach 61) Hessische Beyträge, Zweyter Band. 1787. S, 81, 62) Lettre troisieme, sur les os fossiles, a Mr, Forster. Darmstadt 1786, 4. S.25. 63) Essais de Geologie p, 166, Ist nicht wahrscheinlich, weil Merck von dreyen in Teutschland spricht. 64) Annales du Museum, Tome ı2, Seite 84 und 86, 30 Nach Merck’s Handschreiben an mich vom rı. April 1783 hat das Stück 26 Zoll Länge mit 36 sichtbaren Zähnen und kostete ihm ein bedeutendes Kapital. In mehreren anderen Briefen ver- sprach er mir Zeichnungen davon, die ich jedoch nie erhalten habe. Dals er aber diese Versteinerung auf das sorgfältigste nicht nur mit seinem eigenen, sondern auch mit anderen Gavialen in Weingeist, und besonders noch mit den trefflichen Zeichnungen, welche P. Camper für ihn von einem Gavial-Schädel eigens gefertigt hatte, verglich, kann ich mit Wahrheit bezeugen. Dieses Stück ist eben- falls, so wie das zu Whitby, das zu Mannheim und das meini- ge, von Ammonshörnern umgeben. , Sollte es etwa gar mit dem im $. 16 geschilderten Stücke identisch seyn’? . 19. Fossiler Gavial- Schädel von Altdorff in der G.H. Naturalien- Sammlung zu Mannheim, geschildert von Collini ı784 und Faujas-Saint-Fond ı799. In der G.H. Naturalien-Sammlung zu Mannheim, befindet sich der obere Theil des fossilen Schädels eines langkiefrigen Kro- kodils. Dieses herrliche Bruchstück liels sowohl Collini im fünf- ten Bande der Actorum Academiae Theodoro- Palatinae nebst einer sehr genauen Beschreibung auf einer sehr fein gestochenen Kupfer- platte °%), als auch Faujas-Saint-Fond °°), nach einem weni- ger verjüngten Maafsstabe abbilden. Die Ungleichheit dieser Abbil- dungen ist durchaus so auffallend, dafs, wüfste man es nicht gewils, man nie errathen könnte, dafs diese beyden Abbildungen einen und denselben Gegenstand versinnlichen sollen. So finden wir hier gleich mit dem ersten vergleichenden Blicke die Figuren dieses Kiefers bey Collini um gar vieles schmäler als bey Faujas-Saint-Fond. Die 65) Tab. 3. Fig. ı und 2. S, 84, n 66) Histoire nat. de la Montagne de St, Pierre etc, Plauche LIII und Essais de Geologie p. 157. 4 31 Die Breite desKiefers nämlich, verhält sich zur Länge desselben In Collini’s Fig. ı. wie ı zu 25 ) bey Faujas -Saint-Fond In Collini’s Fig. 2. wie ı zu 33 in beyden Figuren wie ı zu 18. Folglich hat Collini den Kiefer in der zweyten Figur bald noch ein- mal so schmal als Faujas-Saint-Fond vorgestellt. So viel ich mich von 1786 her, wo ich diese Sammlung betrach- tete, erinnere, hat Hr. Faujas-Saint-Fond’s Zeichner das rich- tige Verhältnis näher getroffen *7). Sonderbar genug, harmonirt bey dem sonst so genauen Cel- lini die Anzahl der abgebildeten Zähne, weder mit seinem eigenen Texte, noch mit der Abbildung bey Faujas-Saint-Fond. Dieses Petrefact ward in den Steinbrüchen bey Altdorff in Franken in einem schwarzgrauen Kalkstein angetroffen. Es läfst sich von dem Steine (seiner matrix) abheben und besteht aus der Hirn- schaale und dem in drey Stücke zerbrochenen Oberkiefer. Der Unter- kiefer fehlt. Ueberhaupt ist es einen Fuls und sieben Zoll lang, und mit Ammonshörnern umgeben. Hr. Gollini rieth zwar auf einen Sägefisch; gestand aber doch aufrichtig,. das wahre Original des Thieres, welchem dieser Schädel zugehört haben mochte, nicht zu kennen. ’ r Hrn. Cuvier °°) scheint dieser fossile Mannheimer Schädel, wegen des Verhältnisses der Länge zur Breite wie 38 zu ı, der nicht _ abgesetzten, sondern gradweisen Verschmälerung der Kiefer, und der eyförmigen und länglichten Augenhölen, sich dem kleinen Gavial, we- gen seiner Grölse aber dem grolsen Gavial zu nähern. $. 20. 67) Cuvier schreibt von Kanjas-ÜiimtHamda Abbildungen „‚elles sont peu exactes,‘ Ann. du Mus.:Tome XII. p. 85. 68) Ebendaselbst. 32 $. 20. Fossiler HKrokodil- (?) Schädel von Altdorf, in Besson’s Sammlung als Gavial, erwähnt von Faujas-Saint-Fond 1799 und 1805. Herrn Faujas-Saint-Fond °°) Nachricht zufolge, besitzt Mr. Besson, Inspecteur des Mines zu Paris, „une portion de la machoire petrifiee de Gavial,“ welche ihm, wegen der Beschaffenheit des Steins, aus den Altdorfer Steinbrüchen hergekommen zu seyn scheint. Mich wunderts, dafs Hr. Cuvier 7°) dieses ihm so nahe sich befindenden Stücks nicht eigens gedenkt, es mülste denn seyn, dafs, indem er kategorisch erklärt, von den sieben 7°) von Hrn. Faujas- Saint-Fond angeführten Beyspielen, unter welchen er nothwendig auch dieses Stück mitzählte, sey keines ein Gavial „aucun n’est le ga-. vial,“ er seine Meynung darüber vernehmlich genug ausgesprochen haben wollte. Sas2t- Fersteinies Iirokodil aus dem Thal des Magdalenen-Flusses, er- wähnt von Alexander von Humboldt ı8o02. Alexander von Humboldt schrieb in einem Briefe aus Lima vom 25.November 1302 an seinen Bruder 7*): „Dafs man vor fünf- 69) Histoire de la Montagne de St. Pierre, S. 236, und Essais de Geologie pP 166, 70) Annales du Museum. Tome douzieme, S, 74. 71) Diese von ihm gemeynten sieben Beyspiele nämlich scheinen mir: ı, das von Merck, a. von Collini, 3, von Berettoni, 4. von Spener, 5. von F Chapman, 6. von Mästricht und 7, von Besson, wie dieses auch seine Essais de Geologie, p. 170 beweisen. 72) Annales du Museum. Tome second, ı803, p, 337. 33 fünfzehn Jahren im Thale des Magdalenenflusses ein ganzes Gerippe eines Krokodils in einem Kalkfelsen versteint entdeckt hatte; durch Unwissenheit ward es zerbrochen, und es ihm unmöglich sich den Kopf davon zu verschaffen, welcher noch vor kurzem existirte.‘* .$ 2r. Fossiler Monitor, aus dem Petersberge und von Seichem, bey Mae- stricht 7°; als Krokodil geschildert, von Faujas-Saint-Fond, 1790; berichtiget von G. Cuvier, 1808, und Adrian Camper ıßız. In den wundervollen Steingruben des St. Petersberges bey Maestricht, mit welchen uns Hr. Faujas-Saint-Fond, in einem eigenen Werke 7*), näher bekannt machte, so wie in dem benach- barten Dorfe Seichem 7°), findet man Bruchstücke versteinter Thier- gebeine, besonders ungeheure, bis 4 Fufs lange Kiefer, mit starken, spitzen Zähnen. Ungeachtet diese Knochen und Zähne gleich an- fänglich, so wie nachher z. B. von Hoffmann 7°) zu Maestricht, von Blumenbach 7”) und Brugmans °®), für krokodilartig ge- halten, auch mir als solche, von meinem grofsen Lehrer Petrus Cam- 73) Nach Daudin, des Reptiles., Tome huititme ı803. S, 286, kennt man diese Knochen erst seit 1766, 74) Histoire naturelle de la Montagne de Saint-Pierre de Maestricht, par B. Faujas-Saint-Fond, a Paris, An 7&me 1799. fol,, auch gr. 4. Ins Hollän- dische übersetzt von Pasteur, Amsterd, ı803,, desgleichen in seinen Essais de Geologie. TomeI. Paris. 1805. S. ı68. Planche VII, 615, 75) Minkelers und Hermans M&moire über die Knochen zu Seichem kenne ich blos aus Cuvier, 76) S. Jo. Mulder, oratio de meritis Petr i Camperi in anatomiam compara- tam, Groningae 1808. $, 75, 77) Handbuch der Naturgeschichte, Fünfte und BeaHiate Auflage, 78) Bey Mulder a. a, O, 5 34 Camper, im Jahre 1779, in seinem Cabinet zu Klein -Lankum bey Franecker gezeigt wurden, in der Folge dennoch, durch ihre be- sondere Gestalt, ganz eigene Befestigung und ausnehmende Gröfse, einige Naturkundige vom ersten Range so stutzig machten, dafs sie ihre Deutung auf Krokodil- oder Eidechsen-Knochen zurüch nahmen, und dadurch, dafs sie solche bald für Cetaceen- 7°) bald für Fischknochen erklärten, Ungewilsheit und Verwirrung so lange unterhielten, bis Adrian G. Camper’s des Sohnes °°) und G. Cuviers ®") ungemeine Bemühungen endlich die Sache ins Reine brachten. . | Hrn. Faujas-Saint-Fond bleibt das Verdienst, durch sei- ne Abbildungen, welche, theils Trümmer des Kopfes, theils Zähne, und Wirbelbeine darstellen, die anschaulichsten Begriffe von diesem Mae- 79) P. Camper in den Phil, Transact. 1786. Vol. 76. S, 446, Tab, ı5, ı6. teutsch, in den von Herbell übersetzten sämmtlichen kleinen Schriften, Leipzig 1788, dritter Band, ı. Stück, ı. und 2, Tafel, französisch, in seinen Oeuvres, Tome ı, 1803, p. 361. Pl. VI. VIL. Die eine dieser Tafeln hat auch Faujas-Saint- Fond, Hist, de la Montagne de St, Pierre. Pl, VI, nachstechen lassen. Cam- pern waren 1790 van Marum in den Verhand, der Teylerschen Gesellschaft und Blumenbach ı79ı in der vierten Auflage s. Handbuchs gefolgt, welcher aber gleich in der folgenden Ausgabe, wie ich schon in der vorigen Note be. merkte, die richtigere Ansicht wieder auffafste, 806) Sur les fossiles de Maestricht im Journal de Physique. An, IX, 1800, Tome 51. p- 278. Desgleichen in einem Briefe an van Marum over den oorsprong der witgedolven Beenderen van den St. Pietersberg im Ersten Theil der Verhande- lingen d, M, te Harlem, $S, 169. Desgleichen Description succeinete du Museum de Pierre Camper par son fils Adrien Camper. aAmsterdam ı8ıı, S.5o, wo er dieses Thier saurien gigantesque nennt, und Memoire sur quelques par- ties moins connus du Squelette des Sauriens fossiles de Maestricht in den An- nales duMuseum, im Neunzehnten Bande, Paris ı8ı2. mit den trefflichsten Abbil- dungen, 8) Sur le grand Animal fossile des Carrieres de Maestricht in den Annales du Museum, Tome douxieme ı808, S, 145. und in seinem grofsen Werke, desglei- chen in seinen Noten zu dem in der Note 80, angeführten Memoire des H, Adrien Campers sur q. p, d, Sq. des Sauriens fossiles. a BT 35 Maestrichter Thiere verbreitet zu haben. Insbesondere ist die ein und fünfzigste Tafel, welche eigentlich die vierte nur herrlicher wiedergiebt, mit einer Kraft und einem Glanze des Stiches gefertigt, dafs sie da- durch alle sechs °*), vor ihm gelieferten Abbildungen dieser Gebeine übertrifft. Lobenswerth scheint auch die Anfangs - Vignette, welche das Gröfsen- Verhältnils dieses riesenmälsigen Ungeheuers der Vor- welt zu dem Körper des Menschen, auf den ersten Blick versinnlicht, Vergleicht man, bey dem allen, jene prächtige, ein und fünf- zigste Faujas’sche Tafel ®°), mit der einfachen, prunklosen, um mehr als drey Viertel kleinern Cuvierschen Abbildung, gerade des nämlichen Stückes, aus der nämlichen Sammlung, so wird man recht auffallend wahrnehmen, wie gar viel, bey Abbildung selbst dieser al- lerstarresten, naturgeschichtlichen Gegenstände, wo keine Weichheit ein Niedersinken und Verbreitern, Keine Austrocknung ein Verschmä- lern und Verkleinern, keine Wärme ein Entfärben, Aufblähen, Zer- flielsen und Zerstören verursacht, auf eine mit Verstand und Sach- kenntnils angeordnete bildliche Darstellung ankommt, und wie sehr viel daran gelegen ist, mitunter manches überflüssige, den Beschauer nur hindernde oder verwirrende wegzulassen, um für das Wesentliche Raum und Licht zu gewinnen. - Wer von Uns würde wohl ohne die vorgängige Versicherung errathen, dafs diese beyden Abbildungen einen und denselben Gegen- stand vorstellen sollen? Das Bild bey Herrn Faujas, welches einen höchst vollendeten, ja selbst in seiner Art treuen Zeichner und Kupfer- stecher bewährt, zeigt uns nur lauter wild unter, über, und durch 5.” ein- 82) Die Citate über diese sechs andern Abbildungen, findet man bey Cuvier a, a.0. $. 157, genau angegeben, 83) Eben diese Tafel liefert Faujas-Saint-Fond zum drittenmal, verkleinert, auf einem Octavblättchen, in seinen Essais de Geologie. Tome ı. Planche VIII, (bis), auf welcher die Zähne unverhältnifsmäfsig dick erscheinen, 36 einander geworfene Trümmer, wenn aus Cuvier’s Abbildung, trotz der zertrümmerten und verschobenen Knochen, dennoch die Gestalt des Schädels, recht erfreulich, klar und deutlich hervorgeht, so weit nämlich zu ihrer Bezeichnung diese Trümmer hinreichen. Hr. Faujas-Saint-Fond lieferte ferner, mit rühmlichem Kostenaufwande, die bis jetzt grölsten und besten Abbildungen, vom Nil-Krokodile (Pl. XLIII.), vom grofsen Gavial (Pl. XLVYI.), vom kleinen Gavial (Pl. XLYIII.), von dem grölsten ganzen Gerippe ei- nes Krokodiles (Pl. XLIV.), von dem gröfsten Schädel eines Gavial’s aus der unvergleichlichen Brugmannschen Sammlung zu Leiden (Pl. XLVII.) und von mehreren einzelnen Knochen derselben (Schul- terblatt, Oberarm und Beckenbein Pl, XLV., Schädel und Unterkie- fer Pl. L., Zähne Pl. XLIX.), um dadurch die anschaulichsten Be- weise zu führen, dafs jenes Maestrichter Thier ein Krokodil gewe- sen seyn sollte. Allein gerade diese seine eigenen Tafeln dienten Hrn. Cuvier zum besten Gegenbeweise, dals es keinem Krokodile, sondern einem Monitor gleiche. Dieses würde weniger begreiflich scheinen, wenn Hr. Cuvier nicht zugleich augenscheinlich bewiese, dafs Hr. Faujas-Saint-Fond Planche X. Ein Oberarmbein einer Schildkröte für ein Schenkel- bein des Maestrichter Thieres; Pl. XI. Ein Schienbein eines Menitor-ähnlichen Thieres für ein Schulterblatt; Pl. XY und XV]. Ein Stück vom Brustschilde einer Schildkröte für ein Stück von der Hornschaufel eines Elends ; Pl. XVII. Ein Schulterblatt einer Schildkröte für ein Hirschge- weihe; Pl. XVI. Zwey Handwurzelknochen einer Schildkröte für ein Schaambein und Schlüsselbein eines HKrokodils angesprochen hätte. Dieses bis jetzt blofs in der Gegend von Maestricht, mitunter in einer Tiefe von neunzig Fuls, gefundene Thier, mochte im Gan- zen a En 37 zen die Länge von 23 Fufs haben, und der Kopf etwa ein Sechstel davon betragen. Durch seine an den Kiefern haftenden Zähne näherte es sich dem Monitor mehr als selbst der Iguan; durch seine am Gaumen haftenden Zähne hingegen auffallend dem Iguan, und scheint dem- nach Hrn. Adrian Camper und Cuvier zwischen den Monitor und Iguan zu gehören. Den Krokodilen dürfte man es nur in sofern nach Hrn. Cu- vier’s Urtheil beygesellen, als man diese im Allgemeinen zu der ' grofsen Familie der Eidechsen oder Saurier gewöhnlich zu rechnen pflegt. Auch die Anzahl seiner Hals- Rücken- Lenden- und Becken- wirbel beweist ihm, dafs es einem Monitor glich. WVahrschein- lich hatte es 22 bis 23 Paare Rippen, wenn dieKrokodile höchstens ı7 Paare haben. Ueberhaupt hatte es mehr als 113 Wirbelbeine, also fast noch einmal so viel, als die Krokodile, welche meistens nur sechzig °*) - oder acht und sechzig in allem haben, glich also auch dadurch den Monitoren, welche ııo Wirbelbeine besitzen. Er lebte nach Hrn. Cuvier’s Vermuthung im Meere, konn- te seinen Hals so wenig als ein Krokodil seitwärts biegen, und mit seinem mächtigen Schwanze wohl rechts und links, aber nicht füg- lich wie ein Wallfisch aufwärts und unterwärts rudern. Man brau- che sich übrigens nicht besonders zu wundern, einen Monitor so grols als ein Krokodil zu finden, da ja mehrere andere Thiere der Vorwelt, die ihnen ähnlichen dermalen lebenden an. ungeheurer Gröfse weit übertreffen. End- 84) Man vergleiche damit unten den 3ısten und 36sten $. 38 Endlich hat Hr. Cuvier sehr Recht, bey dieser Gelegenheit die Feststellung allgemeiner Naturgesetze einzuschärfen; da ein ein- zinziger, scharf ins Auge gefalster Zahn dieses Maestrichter Thie- res ihm sogleich den Schlüssel, gleichsam das Stichwort, zur Lösung des vor ihm so schwer geschienenen Räthsels verschaffte. N. #22, Fossile Bruchstücke von Krokodilkiefern aus dem Vicentinischen in Hrn. Beretoni’s Sammlung zu Scio, geschildert vom Grafen v. Sternberg ı806. Unserem geehrten Mitgliede demH. Graf. v.Sternberg verdan- ken wir die von unserm Münchner Künstler M en z in aqua tinta gefertigte, schöne, nur um die Hälfte der natürlichen Grölse des Originals klei- nere Abbildung °°) dreyer Bruchstücke eines Krokodilschädels, aus dem Naturalien-Kabinete des Hrn. Girolamo Beretoni zu Scio. Man fand dieselben in gelb -röthlichem Kalksteine, im Vicentinisehen, nahe bey Rozzo, in den sieben Gemeinen. Das längste Bruchstück - von der linken Hälfte des Unterkiefers, ıst 2 Schuh ı35 Zoll Wiener Maafs lang, und 3% Zoll breit: kürzer ist das zweyte Bruchstück, von der rechten Hälfte des Unterkiefers: das dritte kleinste Bruch- stück besteht aus dem vordern Stücke des vom Unterkiefer wegge- schobenen Oberkiefers. Die Zähne sind meistens herausgedrückt und umherliegend; nach denjenigen Zähnen, welche vollkommen er- halten sind, zu urtheilen, war das Thier noch jung. Ganz richtig, bemerkt der Hr. Verfasser, die gröfste Ueberein- kunft dieser Bruchstücke mit den von Hrn. Faujas-Saint-Fond auf der Planche IV. und LI. abgebildeten, aus dem Petersberge bey Maestricht, ins Pariser Musee d’Hist. nat. gebrachten Petrefakten. Hr. 85) Reise durch Tyrol in ‘die Oesterreichischen Provinzen Italiens, mit 4 Kupf, Regensburg ı806, in gr. 4. Tab, 2. $. 86, a en 39 Hr. Cuvier °°) erklärt diese drey Riefer-Bruchstücke zwar für einem Krokodile angehörend, aber nicht, wie Faujas-Saint- Fond meynte ®7), von der Art, die man Gaviale nennt, sondern viel- mehr von derjenigen Art, welche man zuHonfleur und zu Altdorff aus- grub. £ 93. Fossile Krokodile von Honfleur und Havre sowohl im Musde d’Hist. nat. als in Privat- Sammlungen zu Paris, geschildert von G. Cuvier ı80ı und ı808. Hr. Cuvier beschrieb ein fossiles Krokodil im Jahre ıgo1 °°), welches bey Honfleur vom Abbe Bachelet ausgegraben worden war, und sich jetzt zu Paris im Musee d’histoire naturelle befindet, indem er zugleich erklärte, dafs solches nicht zu den Gavial’s gehörte, ob es gleich in der Bildung manche Aechnlichkeit mit ihm zeigte. Man wird sich also durch Hrn. Faujas-Saint-Fond, der dem ungeachtet dieses Krokodil für einen Gavial ausgiebt °?) nicht irre machen lassen. Hrn. Guviers fernerer verständigen Benützung seines Reich- thums, an dem zu Havre und Honfleur gefundenen fossilen Krokodil- Kno- 86) Anmales du Museum, Tome 12, p. 87, 88. 109, 87) Essais de Geologie, p, 165, 88) Bulletin des sciences par la societ& philomatique , an IX, (1801, S.159. Da ich diese Zeitschrift nicht erhalten konnte, so wiederhole ich Hrn. Cuvier’s eigene spätere Worte über diesen Gegenstand aus den Annales du Museum, Tome XII, S, 74 und 75, un autre de ces animauz, deterre pres d’Honfleur par l’Abbe Bachelet, fut reconnu et annonce pour la premiere fois par moi, comme un crocodile et je declarai en möme temps que ee n’ctoit point le gavial, quoiqu'il eüt avec cette espece de nombreux rapports de conformatiion. 89) Hist, nat de la Montagne de St, Pierre etc, $, 225, Essais de Geologie p. 168, 49 Knochen sind wir die eben so genauen als gründlichen Belehrungen über diese bis zum Jahre 1808 wenig gekannten Versteinerungen schuldig. Diese Ueberbleibsel wahrer Krokodile nämlich finden sich in den bläulich grauen, harten, kalkigen Mergelbänken, längst den beyden Ufern der Seine-Mündung, und gehören überhaupt, so wie die Kno- chen der Thüringschen Eidechsen zu viel älteren Schichten der Erd- rinde, als diejenigen, welche selbst die ältesten Reste oder Ueberbleib- sel von Säugthieren enthalten. * Aufser mehreren Wirbelbeinen und einem Theile des Oberkie- fers bildet Hr. Cuvier das bedeutendste unter seinen Stücken, nämlich einen fast bis auf die Gelenkflächen ziemlich vollständig erhaltenen Unterkiefer, in ein paar Figuren treffendst ab °°). Seinem durch die sorgfältigsten Vergleichungen begründetem Urtheile nach gehörten diese Knochen unstreitig einem Krokodile, nicht wie Bachelet glaubte, einem Delphine oder Cachalot. Doch um die zu meinem dermaligen Zwecke dienlichen Haupt- sachen möglichst kurz zusammen zu fassen, sogeht ausHrn. Cuvier’s trefflicher, mit Abbildungen erläuterter, Abhandlung offenbar hervor: Dafs sich in den genannten Mergelbänken, die Ueberbleibsel von zwey verschiedenen, gänzlich unbekannten ?°*") Krokodil-Arten befinden, und dafs sich zwar beyde Arten, doch die eine Art der- selben, durch die Abplattung ihrer Kiefer ?*), mehr als die andere Art (deren Unterkiefer er abbildet) dem Gavialen nähert. Dieses be- 90) Annales du Museum, Tome XD, Planche I, Fig. ı und 2, gı) Seite 95. 92) Seite 94 und 109. FR I I Ze, [7 4ı beweise auch noch besonders die Vergleichung der bisher alldort gefundenen Wirbelbeine mit den Wirbelbeinen der jetzt auf der Erde lebenden Krokodile. Da sich aber leider keine deutliche Stücke des übrigen Schä- dels oder der eigentlichen Hirnschale bis jetzt zeigten, so lielsen sich auch diese beyden Arten nicht näher bestimmen. Abbe Tersan und Mr. Bexon zu Paris besitzen ebenfalls Bruchstücke von diesen fossilen Krokodilen, welche auch Hr. Cu- vier abbildet °°); nämlich das vordere Stück eines Oberkiefers, und das Stück, welches den Oberkiefer mit dem Stirnbeine verbindet. $. 24. Fossiles Iirokodil von Angers, von Alengon und von Mans, geschil- dert von Cuvier 1808. Frankreich scheint Hrn Cuvier ?*) noch an mehreren Or- ten, als zu Havre und Honfleur, z. B. zu Angers, Mans und Alencon in seinem Boden seit der Vorwelt begrabene Knochen zu enthalten, welche entweder zu einer der beyden zu Honfleur und Havre ent- deckten Krokodilarten oder nach den auch von ihm abgebildeten ?°) ersten und zweyten Halswirbel zu urtheilen, vielleicht gar zu einer dritten unbekannten Art gehörten. SHAaB: Fossiler Monitor von Rothenburg im königlichen Naturalien-Kabi- net zu Berlin, geschildert von Cuvier ı808. Im Jahre 1793 fand man zu Rothenburg an der Saale im Hallischen in einer 264 Fuls tiefen Grube Knochenreste auf einem Stei- 93) Annales du Museum, Tom, ı2, PlancheXI, S, 92, 94) Annales du Museum, Tome douxieme, p, 101, 95) Ebendaselbst, Planche ı. Fig, 7 und 8, 6 Az Steine, welcher sich jetzt im königlichen Naturalien-Kabinet zu Berlin befindet, und von welchem Hr. Cuvier auch eine Abbil- dung ?%) mittheilt. Ihm scheint das Thier, von dgssen Gerippe doch nur einige Rücken-, Lenden- und Schwanzwirbel, nebst Beckenlinochen und Beinen der Hinterfüfse erscheinen, der nämli- chen Species von Monitor anzugehören, von welcher Spener, Link und Swedenborg Beyspiele schilderten. $. 26... Fossile Krokodile an der Küste von Dorsethsire, geschildert von J. Parkinson ıßıı. James Parkinson *) sah nicht nur, sondern besitzt selbst einige Bruchstücke fossiler, an der Küste von Dorsetshire ge- fundener, Krokodile, welche durch ihre langen und schmalen Kiefer der ersten von Cuvier beschriebenen, zu Havre sich findenden, Species gleichen. Von drey Speciminibus, die er sah, enthielt das eine fast den ganzen Schädel. — die Vereinigung dieser Specimi- num beweisen ganz entschieden, dafs sowohl in England als auf dem Continent sich Ueberbleibsel von derjenigen Species des Kro- kodils finden, welche aller Annäherung ungeachtet sich dennoch von jeder bekannten Species desGavial’s wesentlich unterscheiden. Von dem Kopfe der zweyten Species von Krokodilen, welche sich zu Honfleur finden, sah er in England noch kein bestimmtes, Beleh- rung gebendes, Specimen, Hr. Pfarrer Hawker zu Woodchester in Glocester- shire besitzt vielleicht eines der schönsten Stücke von solchen in Eng- 96) Annales du Museum Tome XII. Planche Io. fig, 1. *) Organie Remains of a former World. Third Volume. London ı8ır. 4. p. 284. Ich verdanke die Mittheilung dieses in Teutschland noch wenig bekannt schei- nenden Prachtwerkes der freundschaftlichen Gefälligkeit des Hrn, 'B- v, Moll. { 3 f = 5 2 43 England gefundenen Krokodilen. Er fand es in der Nähe von Bath, und es enthält einen grofsen Theil des Kopfes und des Rumpfes, wie es scheint, auch von derjenigen Species, welche Cuviern zußel- ge gradweis sich verschmälernde Kiefer hatte. Es wäre sehr zu wünschen, dafs Hr. Parkinson von die- sen Stücken durch seine gar fürtrefllichen Künstler genaue Abbil- dungen in natürlicher Grölse verfertigen lielse. G, 26 b. Unbestimmte Nachrichten von versteinten Rrokodilen. In M. D. S. Buttners Rudera diluvi testes i. e. Zeichen und Zeugen der Sügdfluth, Leipzig. 1710. 4. finde ich Tab. X. fig. 6. die Abbildung eines nach S. 62 im Mansfeldischen Kalkstein ent- haltenen versteinten Knochens, welcher vielleicht ein Unterkiefer ei- ner Eidechsenart seyn mochte. In (Argenville’s) Oryctologie, Paris 1755, finde ich unter den Parties d’animaux inprimees sur la pierre, sowohl Seite 79. Xilosteon scheleti Crocodili, als Seite 82. Lacertus, seu Crocodilus in lapide scissili ex monte Bolca und S. 350 Crocodile ou Lezard petrifiE du mont Bolca aufgeführt, und dabey Lachmund citirt. Allein in Frid. Lachmund’s Opvxroypapıa Hildesheimensi, Hil- desheim 1669. in 4. finde ich wenigstens nichts davon. Was von Arduini, des dents de Crocodile trouvdes dans la Montagne de la Favorite etc. im Journal encycl. 1763. Jan. S. 146 — welche Bechstein S$. 382 citirt, zu halten sey, vermag ich _ nicht zu entscheiden. In G. Brocchi’s herrlich ausgestatteter Conchiologia fossi- le supapennina con osservazioni geolochiche sugli apennini. Milano De 1814, 4 en 1814, mit welcher mich ebenfalls Hr. Bar. v. Moll zuerst bekannt machte, finde ich Seite XLIX nun folgende Stelle: De’ contorni della Favorita, fece U’Arduini unc scoperta che fu allora quasi unica. Trovo denti di coccodrillo disseminati in una terra saponacea, ri- piena, com’ egli dice, di frammenti di ossa e di alcune ossetti in- tieri appartenenti alle articolazioni delle dita di questo animale. Di cotesti denti ne ebbe di piccioli, di mezzani e di grandi, e in- sieme con essi alcuni pezzi di cranio (Giornale del Griselini Vol. ı. pag. 204). Prima dell’ Arduini erasi parlato € vero, di ossa fossili di coccodrillo, e come tali si spacciarono quelle di due scheletri scavati nei monti della Turingia, Tuno dei quali fu fıgu- rato da Link, e l’altro nel primo volume delle Miscellanee di Ber- lino, indi copiato da Scheuchzer, da Valentini, da Buttner; ma Cuvier ha deciso che essi spetano ad un lycertolone del genere monitor. Im Siebenten Jahrgange von Hrn. G.R.v. Leonhard’s Taschen- “ buch für die gesammte Mineralogie 1813 finde ich S. 67 folgende Stelle von Hrn. v. Schlotheim: ‚Wir haben keine hinreichende „Auskunft, ob die Kalkschichten bey Kannstadt, in welchen sich ein „ganzer Wald von versteinerten Rohrgewächsen und Palmen, und „Beste vonsehr grolsen Krokodillen finden, zur Juraformation, „und vielleicht zu ihren Steinkohlenlagern gehört.“ Hier sollen sich also Palmen, Rohrgewächse und Krokodile zu- sammen finden! Auch Hrn. Med.R. Kopps zu Hanau mir in der Handschrift gefälligst mitgetheilte Vorlesung gedenkt dieser bey Kannstadt gefun- denen Krokodilpetrefakte. Allein als ich im Jahr 1813 zu Kannstadt war, besuchte ich die- se geologisch merkwürdige Gegend, sah und hörte aber weder dort noch zu Stuttgardt etwas von versteinten Krokodilen, Auch | 45 Auch ist nach Hn. v. Matthison’s Versicherung weder Cu- vier noch Hrn. Leibmedikus Jäger, der dieUmgebungen von Kann- stadt von allen Seiten, und so viel möglich in allen Tiefen studirt hat, etwas davon bekannt, dafs daselbst fossile Reste von Kroko- dilen zu Tage gekommen wären. Eben so wenig wissen des Hrn. L.M. Jäger Bruder, Hr. Dr. Jäger, noch Pfarrer Memminger, dem wir die neueste treffliche Beschreibung von Kannstadt verdan- ken, etwas von solchen Krokodilen, ‚ er. Versteinter Gavial von Daiting. So viel von den mir bis jetzt bekannt gewordenen angebli- chen und wahren Beyspielen versteinter Krokodile, von denen ge- rade die allervorzüglichsten sich im dermaligen Königreiche Baiern fanden. Sollten durch gefällige Mittheilung von Lesern, welche sich für die Vollständigkeit solcher Anzeigen interessiren, mir noch meh- rere bekannt werden, so will ich nicht säumen sie in einem Nach- trage mit Dank bekannt zu machen. Ich komme nun zur Schilderung des gegenwärtigen Petrefacts. Tabula ı. (Figura ı. 2. und 3.). Die zwey Steinplatten, zwischen welchen dieses Petrefact ent- halten ist, wurden gebrochen, vor zwey Jahren, ıg12, zu Daiting, zwey kleine Stunden von Monheim, im sogenannten Meulnhard, in einer nur wenige Fuls tiefen, bereits wieder verschütteten Bohnerz- Grube. N Als ich im May des Jahres 1814 diese mit schönen Buchen bewachsene, sanft hügelige Gegend besuchte, fand ich an mehreren ' angeschürften Stellen rechts und links der Stelle, wo man dieses Petrefact gebrochen hatte, zwischen den auch hier, so wie zu Soh- len- 46 lenhofen fast ganz horizontal brechenden, meist sehr mürben Kalk- schieferplatten häufig Ammoniten von zweyerley Arten nebst Fisch- schuppen. Diese Kalkschieferlagen sind hier häufiger als zu Sohlen- hofen von einem fetten mit Bohnerz untermengten Thone durch- klüftet. ! Beyde Steinplatten bestehen aus einem gelbgrauen, schiefri- gen, mergelartigen, häufig mit ziegelrothem, weniger mit gelbem Ei- senoxyd geflecktem Kalksteinee Hin und wieder zeigen sich kleine Theilchen Quarz eingesprengt. Im ganzen ist dieser Kalkschiefer von einem gröberen Gefüge, ungleichartiger und blassererFarbe, als der gewöhnliche, bekannte, fünf Stunden von Daiting, zu Sohlenho- fen, brechende, falbe Kalkschiefer. Die Schichten desselben sind nicht nur von verschiedener Dicke, sondern auch von verschiedener Farbe und Härte. Die äulserste, wahrscheinlich zu Tag gelegene, schmutzigere Schichte der dickeren, oder der Hauptplatte, ist bey weitem die allerhärteste, auch an Farbe dunkelste. Nach innen, gegen das Knochen-Gerippe zu, sind die Schichten im Ganzen stu- fenweis weniger hart, ja mitunter ziemlich mürbe. Zunächst um das Gerippe, besonders an den Stellen, wo vieles weiche oder dickes Fleisch des Thieres sich befunden haben mufste, ist die Steinmasse, meistens zugleich gelblich weils und merklich weicher, nach Hrn. College Petzl’s Vermuthung durch Einwirkung der Phosphorsäure. Mitunter gerieth ich beym Meilseln auf Stellen, die sich dem Geruche als stinksteinartig verriethen. Einige, sogar auch durch die Knochen selbst fortlaufende, schwarzglänzende, haarfeine Adern setzen durch den Stein seiner ganzen Länge und Dicke nach. Diese fast wie mit einer durchsichtigen, krystallinischen Masse an- gefüllt aussehende Risse oder Spalten, verursachen jedoch keine Trennung an diesen Stellen. In concentrirter Schwefelsäure löste sich sowohl diese Stein- masse EEE SEAGIERENG EN € 47 masse als die versteinten Knochen bis auf die quarzartigen Theil- chen auf ?7). Unser hochverehrter College Gehlen verpflichtete mich durch folgende Note: „Die kleinen Stückchen von dem Skelet des versteinten Ga- „vials wurden mit sehr verdünnter reiner Salpetersäure übergossen. „Sie wurden davon unter sehr mälsigem Aufbrausen angegriffen, das „nur an einigen Punkten, wo Theilchen der umhüllenden Kalkmas- „se salsen, lebhafter war. Die Auflösung ging langsam vor sich, „und während derselben sonderten sich kleine leichte Flocken ab, „welche die Flüssigkeit trübten. Von einem gröfsern Stückchen fand sich am folgenden Morgen noch eine dünne Scheibe unaufge- „löst, und an dieser konnte man schon mit blofsem Auge, noch „mehr aber mit der Lupe, sehr schön ein ganz organisches Gewebe „wahrnehmen. Die Auflösung wurde klar abgegossen und in drey „Theile getheilt: „Der erste Antheil wurde mit ätzendem Ammonium versetzt, „das einen Niederschlag gab von dem äufsern Ansehen, wie er dem „phosphorsauren Kalk unter diesen Umständen eigen ist. Er wurde „ausgewaschen, hierauf mit verdünnter Essigsäure aufgelöst, (was ohne „alles Aufbrausen geschah,) und die Flüssigkeit nun wieder mit so „viel Ammonium versetzt, dafs die über dem entstandenen Nieder- „schlage befindliche Flüssigkeit noch sauer blieb. Der Niederschlag „setzte sich bald krystallinisch-pulverig zusammen, und nach dem „Auswaschen und Trocknen vor dem Löthrohr geprüft, schmolz er ; „un- 97) Daudebard de Ferussac Allgemeine Bemerkungen über die Versteine- zungen des Erdreichs sülser Gewässer im Bulletin de la soc, philomatique 1812, August, ausgezogen in Gilberts Annalen der Physik, Band ı5, 4.Stück 1813, fährt an, dafs man Knochen von Krokodilen in Gyps gefunden habe, 48 „unter Phosphorescenz mit grüner Flammenspitze zu einem glasigen „Hügelchen: ein Kennzeichen des sauren phosphorsauren Kalls, „Ein zweyter Anheil der Auflösung wurde nach Abstumpfung „der überschüssigen Säure mit essigsaurem Bley versetzt, das einen „weilsen Niederschlag bewirkte, der nach dem Auswaschen und Trock- „nen vor dem Löthrohr zu dem polyedrischen gelblichen Kügelchen „fols, wodurch sich das phosphorsaure Bley kenntlich macht. „Der dritte Antheil gab, nach Neutralisirung der vorstehenden „Säure, mit salpetersaurem Quecksilber ebenfalls einen Niederschlag, „der im Platinlöffelchen vor dem Löthrohr geglühet nach Verflüchti- „gung des Quecksilbers glasige Phosphorsäure gab, die sich bey fort- „währenden Blasen mit grünem Phosphorschein verflüchtigte. „Allen bisher angeführten Erscheinungen nach verhalten sich „also die Theile des Skelets wie ein durch langdauernden Einflufs der „Atmosphärilien calcinirter Knochen, wie. sie sich auch durch Farbe, „Dichtigkeit des Gefüges und einen Grad von Durchscheinenheit von „dem sie umhüllenden Kalkmergel auszeichnen. Auch ist noch nicht „jede Spur organischen Stoffs aus ihnen verschwunden, wie die bey der „Auflösung sich absondernden Flocken zu zeigen scheinen, die auf „dem Filter eine bräunliche Farbe annahmen,, aber bey der kleinen „Menge Materials, die überhaupt zu dieser Untersuchung verwendet „werden konnte, zu unbedeutend waren, um von dem Papier abge- „sondert und weiter untersucht werden zu können.“ Diese Platten brachen nicht nur, sondern spalteten sich auch so wunderbar glücklieh von einander, dals darüber nur wenig zu wünschen übrig bleibt. Die gröfsere und dickere Hauptplatte von fast 3 Fuls Länge und ein Fufs und drey Zoll Breite nämlich, enthält nicht nur das ziemlich vollständige Gerippe von der Spitze der Kiefer an, bis TE nn 49 bis zur Spitze des Schwanzes, sondern selbst den aus seinem Ge- ‚lenke losgerissenen, und sogar über einen Schuh weit vom Rumpfe weggeschobenen rechten Hinterfuls (Fig. 2.). Die kleinere und dünnere Platte dagegen enthält aufser eini- gen Trümmern des Schädels, und einigen Spitzen der Zähne nur die Bruchstücke von vieren derLendenwirbel, von den zwey Becken- wirbeln und einem Schwanzwirbel (Fig. 1. zwischen 50 und 60). Rings um dieses Gerippc zeigen sich auf beyden Platten Spu- ren von äulserst platten Ammonshörnern, Fig. 6, auch auf der klei- nen Platte in der Gegend des Bauches ein Fischschwänzchen °®), Fig. 7, aulserdem die Spur eines Vermiculiten, eines Insektes, und hin und wieder ein glattes, halbdurchsichtiges, wie ein getrocknetes Leimtröpfehen aussehendes Fisch-Schüppchen. Die Knochen selbst unterscheiden sich von dem Gefüge des sie als sogenannte matrix umschlielsenden Steines, aufser den ihnen eigenthümlichen Gestalten durch ihre dunklere, gelb-bräunliche oder ‚bräunlich graue Umber-Farbe, durch ihre Glätte, ihre Dichtigkeit, ihre besondere Härte und Festigkeit. Am merklichsten unterschei- det sich dieses feinere Korn eines Knochens, von dem erdigen, san- dig rauhen, ungleichartigern Korne des Steines auf seiner mattglän- 'zenden Bruchfläche. Von völlig gleicher Beschaffenheit sind die Schilder (*) und Schuppen. Fig. 3. Die 98) Etwa von Russel’s scomber kurrah wodagehuah, Tab. 39, oder Balistes som- drum yellakah, Tab, 23, oder silurus cirris laevis, Tab, ı1.? Description of two hundred Fishes collected on the Coast of Coromandel, London 1809. fol. 7 50 Die Kalkmasse zunächst sowohl um mehrere der gröfsern Schilder, als um die letzten Wirbelbeine des Schwanzes war car- moisinroth tingirt. Etwas bräunlicher, fast durchsichtig und glänzend zeigen sich die Zähne. Benetzt man die Stellen, wo Knochen liegen, so unterschei- det sich die Knochen-Substanz noch merklicher von der Steinmasse, durch ihre alsdann dunkelbräunlich gelb werdende Farbe von der lichter bleibenden Steinmasse. Sämmtliche Knochen, sowohl des Gerippes als der Schilder und Schuppen, scheinen (aufser den Zähnen) durchaus von gleicher, oder ein und derselben Beschaffenheit, weder elfenbeinartig elastisch, noch calcinirt bröcklich, sondern wirklich chemisch verändert, oder wahrhaft versteint, daher weniger wasserlechzend und brüchig als andere fossile Knochen, z.B. die Knochen von Muggendorf. Hin und wieder entdeckt man auch wohl in ihren Zellchen kleine, glän- zende, weilse, fast durchsichtige Kalkkrystallen. Und gerade so ist auch das äufsere Ansehen der Knochen des Ornithocephalus beschaffen. Vielleicht dafs die veränderte, dunklere Farbe der Knochen mit von den Eisentheilchen der Steinmasse herrührt. Die Wegschaffung dieser Kalkkruste, womit der gröfste Theil des Gerippes, theils nur übertüncht, theils fest eingemauert war, erforderte viele Vorsicht, Behutsamkeit und Geduld. Ich bediente mich dazu verschiedener Meilsel, Grabstichel, Schabeisen und Messer. $. 28. Zu Be een WERL ZEN j A mag: Verhältnisse der Haupttheile des Gerippes unter einander. Die Länge des ganzen Gerippes, von dem vordersten Ran- de der Kiefer, bis zur äulsersten Spitze des Schwanzes beträgt, zwey Fuls eilf Zoll sieben Linien oder 427 Linien Pariser Maalses, würde also auf dem etwas kürzeren Steine keinen Platz haben, wenn nicht der Rückgrath gekrümmt, und die fünfzehn letzten Wir- belbeine des Schwanzes in einem Häufchen beysammen lägen. Die Länge des Kopfes von der Schnauzenspitze bis zum Kiefergelenlke (lm), (das über das Kiefergelenk hinterwärts vorragen- de Stück des Unterkiefers (mn) nicht mitgerechnet) beträgt, sechs Zoll vier Linien; verhält sich also zur Länge des ganzen Körpers, wie 76 zu 427, das ist, der Kopf hat zwischen einem Fünftel und Sechstel von der Länge des Körpers. — Mein kleiner Gavial im Weingeiste ist ı Fuls 9 Zoll (oder 252 Linien) lang. Sein Kopf (Fig. 4 und 5) 4 Zoll 2 Linien (oder 50 Linien); folglich hat der Kopf ungefähr wie beym fossilen gegen ein Fünftel von der Länge des ganzen Körpers; wahrscheinlich würde er das Ver- hältnifs des fossilen haben, wenn er mit zunehmendem Alter die Grölse des fossilen erreicht hätte. Im Skelete des Crocodilus lucius von 3 Fuls 23 Zoll, hat der Schä- del 55 Zoll; folglich ein Siebentel der ganzen Länge. Die Länge des Schwanzes ist ein Fufs fünf Zoll zehn Linien; folglich hat er nur eine Linie weniger als die Hälfte der Länge des ganzen Körpers beträgt. Das nämliche Verhältnils findet bey meinem frischen kleinen Gavial Statt. Die Länge des ganzen _ Körpers ist ı Fuls 9 Zoll (oder 252 Linien), die Hälfte davon 126 Linien, die Länge seines Schwanzes ist ıo Zoll $ Linien; folglich ist der Schwanz auch nur um zwey Linien länger, als die ' Hälfte der Länge des ganzen Körpers beträgt. 2 In 52 In dem 3 Fufs 3 Zoll langen Skelet des Crocodilus lucius ist der Schwanz um 27 Zoll kürzer als die Hälfte der ganzen Länge. Hrn. Cuvier *) zufolge soll der Schwanz der Krokodile um ein Siebentel länger als der übrige Körper seyn. Allein ich ver- muthe, dafs hier ein Druckfehler obwalte, und dafs man statt ein Siebentel (un septieme) ein Siebenzehntel (un dix septieme) setzen müsse. An Perrault’s jungem Krokodil von 3 Fuls 93 Zoll war der Schwanz so lang als der übrige Körper. Nach Hn, Daudin ?) ist die Länge des ganzen Körpers eines jungen Gavials im Pariser Museum 2 Fufls 4 Zoll 6 Lin., die Länge des Schwanzes ı Fuls 2 Zell, auch bey seinem Caiman aus Surinam und Crocodilus lati- rostris hat der Schwanz die halbe Länge des Körpers. An dem Gavial, den Hr. Bechstein °) besitzt, ist der Schwanz beträchtlich länger als die Hälfte der Länge des ganzen Körpers. Abbildungen ganzer Gerippe von frischen Krokodilen, wel- che ich mit meinem fossilen Gerippe aulser den beyden Froriep- schen von Crocodilus vulgaris, Crocodilus acutus und dem dritten von Crocodilus lucius in der Natur verglich, lieferten: Grew *) eine etwas rohe, welche Shaw °) schr verkleinert, aber sauber co- Pirte; ı) Annales du Museum, Tome douzieme, p. 173. 2) Histoire naturelle des Reptiles etc, Tome second, Paris an X, (1802) 8. p. 390. 3) Uebersetzung von de la Cepede’s Naturgeschichte der Amphibien, Weim, 1800. S, 432. 4) Museum Societatis Regiae, or a Catalogue and Description of the natural and artificial Rarities belonging to the R, S. London ı68ı, in fol. Tab. 4. 5) General Zoology by G. Shaw, Vol, III, amphibia, London ı802. gr. 4, Tab. 56. 53 pirte; Meyer 6), eine doch zu kleine; Faujas-Saint-Fond 7), die grölste und beste, auf einem Blatte in queer Folio. Die Abbildungen einzelner, frischer Krokodil-Knochen wer- den bey Gelegenheit der fossilen angeführt. 6700: R +0, Pr fh Der Kopf ist von den Halswirbeln nicht nur seitwärts abge- schoben, sondern auch in vier Bruchstücke zerschellt. Das erste Bruchstück des Kopfes oder (Fig.I. a.b.c.) Schä- dels besteht aus der Hirnschaale, die vom Oberkiefer in der Gegend der Nasenwurzel und des linken Augenhöhlrandes abbrach, und umgekehrt in schräger Richtung, mitten unter den Unterkiefer ge- rieth, so dafs man die meist zerbröckelte Grundfläche desselben nur undeutlich wahrnimmt. Desto deutlicher sieht man dafür sowohl den Gelenkknopf (c.) zur Verbindung mit dem Atlas, als die con- vexe Gelenkfläche zur Verbindung mit dem Unterkiefer (b. d.), vor- züglich auf der rechten Seite (b.) und den zwischen den Augen- höhlen befindlichen Theil der Stirne (e.e.). Das zweyte kleinste Bruchstück, einen Theil der Gaumen- knochen und den Jochbogen ausmachend, befindet sich nicht auf der grolsen Hauptplatte, sondern auf der kleineren, ist folglich auf der Abbildung nicht sichtbar. Das dritte Bruchstück des Kopfs (f.g.g.h.i.k.), der beyna- he ganze Oberkiefer, liegt nicht wie die Hirnschaale, von der er los- 6) Angenehmer Zeitvertreib mit Betrachtung allerhand Thiere, Nürnberg 1748, fol, Tab. LVII. 7) Hist. nat. de la Montagne de St, Pierre. Paris 1779, Tab, XLIV, 54 losbrach, umgekehrt, sondern nur mit seiner linken Seite (f.h.h.) etwas schräg in der Steinplatte. Daher zeigen sich nur die Zähne der rechten (f.s.t.i.), nicht der linken (f.h.g.) Seite desselben, Ueber- haupt ist er zwar hin und wieder gesprungen, doch dadurch nicht merklich verunstaltet. Unvergleichlich zeigt sich seine platt rundliche Beschaffenheit und das vordere kolbige oder spatelförmige einen Gavial charakterisirende Ende (f.h.i.) und die Nasenhöhlmün- dung des Oberkiefers (k.). Auch sein sanft regelmäfsig wellenförmi- ger Zähnerand (f.i.g.) ist sehr deutlich, Seine Breite beträgt 5 Linien oder ein und eine halbe Linie mehr, als die Breite des Unterkiefers in derselben Gegend. Das vierte Bruchstück des Kopfes (l.m.n.o.p.) ist’der sammt seinen meisten Zähnentrefflich erhaltene Unterkiefer. Er zeigt sehr deutlich seine ganze innere oder der Rachenhöhle zugewendet gewe- sene Fläche, so wie die rechte und linke vertiefte Gelenkfläche (m. m.) zur Verbindung mit dem Oberkiefer. Diese Gelenkfläche liegt, wie beym Gavial ®), höher als der Zahnfächerrand. Seine ganze Län- ge beträgt 6 Zoll 10 Linien. Das vereinigte Stück (I. p.) hält davon 3 Zoll 8% Linie, jeder Ast (p.m.) 3 Zoll 13 Linie, ganz dem Gaviale ähnlich ?). Seine Breite in der Gegend zwischen dem sechsten und achten Zahne beträgt 33 Linie. Von den sechs Stücken, aus wel- chen der Unterkiefer der Krokodile zusammengefügt ist, zeigen sich hin und wieder deutliche Spuren: besonders von dem sogenannten operculaire, und dem coronoidien Stücke (m.o.), am deutlichsten an dem über die Gelenkfläche hinterwärts vorspringendem Fortsatze (m.n.). Die Bogenform seiner beyden Aeste ist, gerade so wie bey meinem Gavial im Weingeiste (Fig. 5.), bey weitem nicht so auffallend als bey dem grolsen Gaviale *°). Auch der Winkel (p.), unter welchem diese Aeste 8) Annales du Museum, Tome XII, S. ı53. 9) Annal. d, M. XII. S. gı, ı0) Ann, d, M, XII, Planche I, fig, 7. S. 92, ‚ WTTENLTELERETTTTTTETTEET - Y Per Re 55 Aeste (m.p.) sich vereinigen, ist, gerade wie bey meinem kleinen Ga- vialim Weingeiste (Fig. 5.), nicht wie beym grolsen Gavial, 60 Grad '*), sondern höchstens einige 30 Grad, folglich fast um die Hälfte kleiner. ° Zum Beweise dieser beyden letzten wichtigen Umstände versinnliche ich solche in einer, nach meinem Gayiale im Weingeist genommenen, äufserst genauen Abbildung, von Hn. Oppelin der fünften Figur. $. 30. ZWEITEN e} Auf beyden Seiten des Unterkiefers, besonders seiner linken Seite (l.q.m.), zähle ich deutlich 25 bis 26 Zähne "*). In meinem kleinen Gaviale im Weingeiste (Fig.4.) hat der Oberkiefer auf jeder Seite 29, der Unterkiefer 26 Zähne. Merck *?) zählte bey seinem frischen Gavial oben 30, unten 29 Zähne auf jeder Seite, Hn.v.Schrei- bers gefälligen Mittheilung zufolge, hat der Gavial in der k.k. Natu- raliensammlung zu Wien, oben 28, unten 25 Zähne. Die Zahl der Zähne des Oberkiefers meines fossilen Gavials kann ich nicht angeben, _ theils weil der Oberkiefer nicht vollständig ist, theils weil sechs dem Oberkiefer zugehört habende Zähne ausgebrochen zwischen den Kie- fern sich befinden (r.). Ueberhaupt sind aufser den Vorderzähnen die oberen Zähne fast durchaus merklich stärker als die unteren. Der Oberkiefer hat vier Vorderzähne (s.), zwey auf jeder Seite, deren vor- derster der kleinste ist. Der Eckzahn (t.) des Oberkiefers ist der aller- stärkste und längste, über fünf Linien lang, und hat dicht hinter sich einen kleineren sitzen, gerade wie bey dem Gaviale im Weingeiste "*). ‚Nur die Vorderzähne des Unterkiefers scheinen weit gröfser, länger und 23) Annales du Museum XII, S. gr. 32) Wie Cuvier im Gavial $, ga. 33) Hessische Beyträge, 14) Siche Fig, 4, 56 und dicker, als die des Oberliefers; der Eckzahn nebst seinen Neben- zähnchen dagegen kleiner. Die folgenden Zähne sieht man in beyden Kiefern ganz deutlich, vorzüglich die achtzehn auf der linken Seite des Unterkiefers, an Grölse regelmäflsig alterniren, so dafs durchaus auf einen grölsern ein weit kleinerer, auf diesen wieder ein grölserer u.s. f.folgt. Die drey letzten wieder merklich kleinern Zähne scheinen gerader, kürzer und weniger spitz, als alle übrigen. In dem vereinten Stücke des Unterkiefers be- finden sich also aufjeder Seite 22 Zähne, in jedem Aste nur 3 oder 4, gera- de wie bey dem kleinen Gavial im VVeingeiste, und dem grolsen Gavial ‚bey Cuvier "°). Durch das regelmäfsige, ganz deutliche Alterniren grölserer Zähne mit kleinern Zähnen, unterscheidet sich also unser fossiler Ga- vial sehr. merklich von den Gavialen, von welchen Cuvier '°), wie auch mein Individuum im Weingeist und Fig. 4 und 5 der beylie- genden Zeichnung bestättigt, richtig bemerkte, dafs ihre Zähne nach dem vierten Zahne sich fast gleich blieben. Alle diese Zähne haften in den ihnen eigenen Fächern der Kiefer, gerade wie bey allen Krokodilen; auch sind sie auf gleiche Art hohl. Bis auf die drey hintersten Paare sind alle übrigen Zähne gekrümmt, die längern eine Strecke lang fast cylindrisch, auch sammt und sonders conisch oder pfriemartig zugespitzt. _Näher durchs Vergröfserungsglas betrachtet, erscheinen sie derLänge nach gestreift. Uebri- 15) Annales du Museum Tome XII Planche I. fig. 7: 16) Annales d. Museum XU. S. ı4. „Apres la quatriöme (dent), elles sont toutes presque egales dans les gavials, 87 Uebrigens scheinen mir ihre gewaltige Herausragungen anzu- zeigen, dafs sie völlig ausgebildet und das Thier somit erwachsen gewesen. ; (29T. Wirbelbeine im Allgemeinen. Von Wirbelbeinen sind, bis auf das Erste Halswirbelbein, ganz unverkennbar neun und siebenzig vorhanden, (1. 10. 20. 30. 40. 50. 60. 70.) Im Allgemeinen zeigen sie sich mit ihrer linken Seitenhälfte, bis auf die ı5 letzten losgerissenen, in natürlicher An- reihung und kaum bedeutend verrückter Lage. Von diesen 79 gehören, nach allen Kennzeichen, dem Schwan- ze allein, entschieden wenigstens 52. Vertheilen wir nun nach der Analogie bekannter Krokodil- Gerippe die 27 übrigen zu 7 für den Hals, ı2 für den Rücken, 5 für die Lenden, 2 fürs Becken, so bliebe gerade noch ein Wirbelbein übrig. Vielleicht hatte die- ser fossile Gavial 6 Lendenwirbel, oder welches mir wahrscheinlich dünkt, 13 Rippenwirbel, da sich an dem von mir skeletirten Croco- dilus lucius, so wie an Hrn. v. Frorieps Gerippe von Crocodilus _ vulgaris, links, wirklich 13 Rippen, freylich dafür aber auch nur 4 Lendenwirbel befinden. Die vordere Fläche des Körpers dieser Wirbelbeine ist con- _ cay, die hintere Fläche, wenn nicht convex, so doch weniger concar. 8 $.. 32. 58 $. 32. Halswirbel. Zu dem, aus sechs Stücken bey Krokodilen bestehenden, ersten Halswirbel (Atlas) gehörten, vermuthlich die zwischen dem Unterkiefer befindlichen Stücke (u.u.u.). Die übrigen sechs Halswirbel zeigen sich sehr schön in ihrer ganz natürlichen Gelenkfügung gegen einander. Sie bilden zu- sammen im Ganzen einen nach vorn oder unten gewölbten, nach hinten oder oben zu ausgehölten Bogen; letzterer Bogen dient zur Aufnahme der starken Nackenmuskeln. Der Körper jedes einzelnen Halswirbelbeines, so wie sein oberer Dornfortsatz und linker schräger Fortsatz sind voll- kommen gut erhalten. Der Querfortsatz dagegen, welcher mit einer Wurzel vom Körper, mit der andern vom Bogen entspringt und mit einem eigenen spornartigen Ansatze '7) einen kurzen Kanal bildet, ist an den meisten dieser Halswirbel zerbrochen. Einige dieser spornförmi- gen Ansätze (v.v.v.v.) liegen zwischen den Armen des Unterkiefers und längst dem Halse hin zerstreut, Von den unteren Dornfortsätzen bemerke ich nur an dem zweyten und dritten Halswirbel etwas analoges. An einem und andern Halswirbel erkennt man die Spur der feinen Naht zwischen dem Bogenstücke und dem Körper. Alles dieses harmonirt aufs beste mit Hrn. Guvier’s Schil- derungen der Halswirbel von Krokodilen *?). $. 33. 17) „Complemens d’apophyses transverses‘* Bey Cuvier Ann. duMus. Tome XII, S. 17. ı8) Ebend, S, ı5 und ı6. Planche 2. fig. a und 3, | 59 $. 33. Rippenwirbel oder Rückenwirbel. Die zwölf oder dreyzehn Rippenwirbel befinden sich rücksichtlich ihrer Körper ebenfalls so wie die Halswirbel in ganz na- türlicher Lage und gehöriger Gelenkfügung gegen einander. Sie bilden zusammen einen im Ganzen nach aufsen oder oben gewölbten, nach innen oder unten gegen die Brust- oder Bauchhöhle concaven Bogen. Ihre Körper nehmen, vom ersten bis zum zwölften, stuffen- weis an Länge ein wenig zu, so dals der Körper des letzten Rippen- wirbels um ı* Linie länger als der Körper des ersten erscheint. Sie sind, wie bey den meisten vierfülsigen Thieren, weniger rund als die Körper der Lendenwirbel, gleichsam von den Seiten zusammengedrückt. Ein unterer Fortsatz läfst sich an ihnen nicht deutlich er- kennen. Dieoberen (äufseren oderhinteren)Dornfortsätze sindam sten, zten, ztenund 4ten, so wie auch an den beyden letzten Wirbeln ziem- lich unversehrt. An dem folgenden sten, 6ten bis ı2ten sind sie, nebst den Querfortsätzen, welche gerade wie bey Krokodilen biszum gter immer breiter, länger und dicker, und dann gegen die Lenden hin wieder allmählig schmäler werden, abgebrochen, und theils aufwärts (w.w.w.) vom ten, zten, 6ten, 7ten, gten, gten theils unterwärts (vom ırten und ı2ten) verschoben, ja wohl gar merklich entfernt (vom roten) (2.). Dieschrägen Fortsätze (y.y.y.)(Processus obliqui), durch welche sich hier die Dornfortsätze dachpfannenartig verbinden, schei- nen absolut kleiner, als selbst in dem weit kleinern Skelete des Cro- crodilus vulgaris. ee Das 60 Das Bruchstück eines Bogens liegt so, dafs der halbe Kanal für’s Rückenmark offen wie eine Rinne erscheint (z). Uebrigens ist die auffallende Aehnlichkeit der Gestalt des Bo- genstückes der Rippenwirbel mit denen, welche die Krokodile haben, nicht zu verkennen, wir mögen nun diese fossilen Ueberbleibsel dersel- - ben, sowohl mit den drey frischen Krokodil-Gerippen in der Natur, als mit den trefflichen Abbildungen Curier’s '?) vergleichen. $. 34 Lendenwirbel. Von den vier oder fünf ?°) Lendenwirbeln haften nur ein und ein halber Wirbel auf der gröfseren oder der Haupt- platte des Steines; die übrigen drey und ein halber befinden sich auf der kleineren Platte, und sind daher in der Abbildung blos li- nearisch zwischen 50 und 60 angedeutet. Ihre Lage und Aneinanderreihung oder Gelenkfügung blieb die natürliche. An ihren Körpern läfst sich die Länge, Breite und Dicke, so wie die ihnen eigene Gestalt, ganz gut noch erkennen. Allein von ihren Bogen ist, aufser dem Dornfortsatze des ersten, auf der kleinen Platte, wegen der argen Zertrümmerung, weiter nicht viel erkennbar geblieben. Amiletzten oder hintersten Lendenwirbel ist der rechte Quer- fortsatz ganz deutlich und unverkennbar als letzter charakterisirt. $. 35. 19) Annales d. M, XII, Pl, 2, fig. 4. 20) Im Skelete des Crocodilus lucius sind nur vier Lendenwirbel vorhanden, g zu. Beckenwirbel oder Kreuzwirbel. Die Beckengegend hat leider so grofse Gewalt erlitten, dafs die beyden Beckenwirbel, zwar nur in ihren Trümmern, aber doch immer noch kenntlich genug auf der kleinern Platte erschei- nen, um mit völliger. Gewifsheit über ihre Lage und Gröfse wenig- stens urtheilen zu können. Zu ne ee ee See Auf der Hauptplatte befindet sich nur ein Stück eines Becken- wirbels, vermuthlich der Querfortsatz des vorderen derselben (A). $. 36. Schwanzwirbel. Von den zwey und fünfzig Schwanzwirbelbeinen (ıo. 15. 20. 30. 40. 50.) behielten 37 ihre natürliche Lage und Gelenkfü- gung. Nur die fünfzehn letzten derselben liegen zu dreyen, zu zweyen und vereinzelt unfern von einander. Hr. Cuvier setzt die Zahl der Schwanzwirbel der Krokodi- _ le an einer Stelle auf 34 *") an einer andern auf 35 ??). Allein nicht zu gedenken, dafs Faujas-Saint-Fond’s *°) Crocodile du Nil. Planche XLII . 1 48 Crocodile du Gange ou Gavial Pl. XLVI 39 . Petit Gavial Pl. XLYIII E . . 46 Abtheilungen, folglich so viele Wirbel desSchwanzes, sein Squelette du Crocodile d’Afrique Pl. XLIV 37 ganz deutliche Wirbelbeine des Schwanzes, Geof- 21) Annales du Museum Tome XI, Seite 15 „‚trente quatre caudales.‘* 22) Ebendaselbst Seite 170, „‚trente eing.“* 23) Histoire nat, de la Montagne St. Pierre. de 62 el ebene Geoffroy’s Saint Hilaire's Crocodile de St. Domingue **) . - 38 Crocodilus vulgaris ”°) . - e > 42 Seba’s Crocodilus Ceilanicus *°) . } 42 ganz deutliche Abtheilungen zeigt, so sehen wir hier in der Natur selbst sowohl an meinem Ga- vial im Weingeiste, . R 2 : N s 38 Abtheilungen als an Hn. Froriep’s Skelet von Crocodilus acutus 38 Ja! an dem von mir selbst skeletirten Crocodilus Tucius offenbar . . : : > - 42 Wirbel. In Hrn Oppel’s unvergleichlichen Abbildungen der im Pa- riser Museum befindlichen Krokodile, auf deren Richtigkeit und Ge- nauigkeit man sich vollkommen verlassen kann, hat Crocodilus trigonatus und Cr. palpebrosus 28 Croc. rhombifer, Cr. lucius und Cr. biscutatus 32 Croc. sclerops und Cr. acutus s a 34 j Der grolse, so wie der kleine Gavial *”) oder Croc. gangeticus und Cr. tenuirostris 38 Croc. vulgaris oder suchos hs A N 40 Eroc. biporcatus F . - . - 42 eine gleiche Anzahl Schwanzwirbelbeine anzeigende Abtheilungen. Folglich dürfen auch 10 Schwanzwirbel mehr, als z.B. sich an meinem Crocodilus lueius und bey Crocodilus biporcatus zeigen, unser fossi- les Gerippe aus der Familie der Gaviale um so weniger verbannen, als wir 24) Annales du Museum, Tome second, ı803, Pl. XXXVIIL Fig. ı. 25) Annales du Museum. Tome X. Planche 4. fig. ı und in dem gröfsten aller französischen‘ Werke: Descriptiom de l’Egypte. Paris ı814. Livraison ade A’bistoire naturelle, Reptiles, Pl, 2. 36) Locupl. rer. nat. Thesauri acc. descriptio, Amst. 1734, Tom. ı. Tab. CV. fig. 4, 27) Daudin schreibt von eben diesem petit Gavial: „‚la queue, qui elle seule est aufsi longue que tout le reste de l’animal, a soiwante et une rang&es de plaques‘ u, s. f£ Hist. nat. des Reptiles Tome 2, S. 390. Also hätte der Schwanz 6ı Wirbelbeine? Ich vermuthe daher hier einen Schreibfehler. 63 wir schon oben $. 28 sahen, dafs die verhältnifsmäfsige Länge des Schwanzes im Ganzen, zur übrigen Länge desKörpers, ungeachtet der tehrzahl der einzelnen Wirbel, bis auf eine Linie Unterschied mit der meines frischen Gavial’s zutriflt. Diese sämmtlichen 52 Schwanzwirbelbeine unseres fossilen Ga- vials sind durchaus bis auf ihre Querfortsätze und unteren Dornfort- sätze vorzüglich gut erhalten. An jedem einzelnen Wirbel erkennt man ganz deutlich und nett, die ganze linke Seite seines Körpers und seines oberen Dornfortsatzes. Sein linker Querfortsatz hingegen ist, aufser an einen ein- _ zigen dem 35sten, vom letzten an gezählt, an allen übrigen, fast bis zur Unkenntlichkeit der Stelle, wo er gesessen haben muls, wegge- brochen. Der untere bewegliche, gabelförmige Dornfortsatz ist nur am vierten Schwanzwirbel ganz deutlich vorhanden, und einem Y gleichend. An den übrigen Schwanzwirbeln ist dieser untere Dorn- fortsatz entweder verschoben, oder einfach und schr fein, oder gar fehlend. Diese Schwanzwirbel unseres fossilen Gavials gleichen übri- gens sowohl durch ihren platten, von den Seiten zusammengedrück- ten und tief eingefurchten Körper, als durch ihren (rücksichtlich des _ oberen mehr breiten als hohen Dornfortsatzes) nur kleinen unteren Dornfortsatz auffallend mehr dem Crocodilus aceutus, als dem Croco- dilus vulgaris. Beym Crocodilus vulgaris nämlich sind die Körper der Schwanzwirbelbeine nicht nur weniger platt, sondern auch der obere Dornfortsatz selbst ist durchaus mehr rundlich als platt, und mehr hoch als breit; und der untere Dornfortsatz nicht so auffallend in der Gestalt von dem oberen als bey Crocodilus acutus verschieden. 2 Man 64 Man kann daher mit Recht behaupten, so wie sich der Croco- dilus acutus im Kopfe dem Gavial nähert (und wahrscheinlich auch deshalb in Cuvier’s herrlicher Reihe von Krokodil-Schädeln ihm zunächst steht ?°), so nähert er sich ihm auch im ‚Knochenbaue des Schwanzes. Durch die Schwanzwirbel unterscheidet sich daher der Gavial von dem gemeinen Krokodile; daher es mit billiger Einschränkung verstanden werden mufs, wenn Cuvier behauptet: Selbst der Gavial habe die nämlichen Gestalten in seinen Gliedmafsenbeinen, so dafs man sie vom Gerippe gelöst, fast unmöglich von den ihnen analogen anderer Krokodile würde unterscheiden können: Le gavial lui-meme, et c’est une circonstance essentielle a remarquer pour nos recherches ulterieures, a les memes formes de vertebres et d’os des membres; il seroit ü-peu-pres impossible de distinguer ces pieces, une fois qu’elles seroient detachees du squelette, de leur analogues dans les autres ero- codiles ??). Endlich beweist die ganze Einrichtung des Knochenbaues im Schwanze, besonders die sehr ansehnliche Breite der oberen Dornfort- sätze*(30. 40. 50,), dals unser fossiler Gayial noch weit weniger als der Crocodilus vulgaris und acutus seinen Schwanz anders als seit- wärts, wie ein Steuerruder zu bewegen vermochte. $. 37- 109 Spnwe, It. Von den Rippen sind drey und zwanzig, verhältnifsmäfsig starke, deutlich vorhanden. Vielleicht dafs noch ein und andere Rippe in 28) Annales du Museum, Tome X, Planche I, N,5, Ein höchst lehrreiches, schö- nes Blatt, 29) Annales du Museum, Tome XII. Seite 24. Eee ET Ba en Ser 65 in der Steinmasse verborgen liegt. Die Sehne des Bogens der läng- sten ist beynahe einen und einen halben Zoll lang. Sie sind von verschiedener Länge, Breite, Dicke, Krümmung, sonstiger Gestalt, und liegen nach allen Richtungen zerstreut unter, über, auf und ne- ben einander. Im ganzen haben sie sich bis auf einige Ausbröcke- lungen gut erhalten. Nach Cuvier °°) haben die Krokodile siebenzehn Paare Rippen, wenn man die fünf kleineren falschen, dazu rechnet, Am Froriepschen Gerippe von Crocodilus vulgaris und an meinem von Cr. lucius zähle ich dreyzehn Paare an die Rücken- wirbel befestigter Rippen. Das von Faujas-Saint-Fond abgebildete Gerippe hat zwölf Paare. = a % 38 Brustbeine Von den Brustbeinen scheint nur ein kleines Bruchstück bey {B) sich zu befinden. $. 39. Hüft- oder Becken- Beine. Von den Beckenbeinen zeigen sich das linke os ilei (C) und linke os ischium (D) mit ihrer äufseren Fläche. Die auffallen- de Gleichheit mit Cuvier’s °*) Abbildungen der nämlichen Beine aus 30) Ann. d. M, XII. 9. 169. 31) Annal. d. M. XII. Planche 2. fig, ı5, 66 aus Krokodilen läfst sich um so weniger verkennen, als diese Ab- bildungen kaum ein Drittel grölser als unsere fossilen Originale seya dürften. $. 40. Vordere Gliedmafsen-Beine. Von den vorderen Gliedmalsen finde ich aufser dem gut erhaltenen rechten Schlüsselbeine (E), welches uns seine innere Flüche zuwendet, und dem vermuthlichen rechten Schul- terblatte auf der Kehrseite der Platte, und vielleieht dem Ellen- bogen (F) nur noch die Trümmer von drey Gliedern der Ze- hen (G) einer Vorderpfote. Ne Hintere Gliedma/fsen-Beine. Wunderbar vollständig sind die Knochen der ganzen, rech- ten hinteren Gliedmasse Fig.2 beysammen geblieben, ungeach- tet sie vom Rumpfe losgerissen, über dreyzehn Zolle weit von ihrer Pfanne, sogar auf die entgegengesetzte linke Seite geschoben, auch ein wenig verwendet und verrenkt wurden. Eine Vermuthung zur Erklärung dieses Umstandes wage ich unten im agsten , Wegen der so: auffallend guten Erhaltung, dieser so weit weg vom Rumpfe gerathenen rechten hinteren Gliedmafsenbeine könnte man sogar in Zweifel gerathen, ob sie denn auch wirklich zu diesem Gerippe gehörten, wenn nicht die ihr symmetrisch vollkommen gleichen Beine der linken hinteren Gliedmafse glücklicherweise sich noch an ihrer gehörigen Stelle in natürlicher Lage befänden, und dadurch jeden Zweifel entfernten. Nicht _ 67 / Nicht nur das Schenkelbein Fig. 2. (a), das Schien- bein (b), und Wadenbein (c), sondern selbst die fünf Fufs- wurzelknochen, (nämlich Cuvier’s calcaneus (d), astragale (e), cuboide (f), cuneiforme (g), und surnumeraire (h) °*), so wie die Mittelfulsknochen (i.k.l.m.) sind denen von Hrn. Guvier trefl- lichst abgebildeten, analogen, an Lage, Zusammenfügung und Ge- stalt durchaus höchst ähnlieh. . Von den vier Zehen hat die erste grolse Zehe (i) zwey Glieder, die zweyte (n) drey Glieder. Von der dritten (l) und vierten (m) Zehe sind die drey vorderen Glieder (n.o.p. q.r.s.) getrennt und entfernt. Welche von diesen sechs umherlie- genden Gliedern der vorletzten, und welche der letzten oder kleinsten Zehe zugehörten, wage ich nicht mit Gewifsheit zu be- stimmen, gehörten etwa die drey nächsten (n.op,) der vorletzten, und die drey entfernteren (q.r.s.) der letzten Zehe? so würde die letzte Zehe die längste seyn. Die erste oder stärkste Zehe (i) °??) hat mit ihrem Mit- telfufsknochen zusammengenommen, genau die Länge des Schienbei- nes, gerade wie in Cuvier’s Abbildung (fig. 16.) und am Gerippe des Crocodilus acutus. Allein bey Crocodilus vulgaris scheint die erste Zehe, auf gleiche Art gemessen, länger als das ‚Schienbein. Beym Crocodilus lucius ist umgekehrt das Schienbein länger als die erste Zehe. Noch finde ich an Hrn. v. Froriep’s Crocodilus vulgaris und an meinem Crocodilus lucius ganz deutlich, an beyden Hinter- Hr fülsen 33) Ann. d, M, XII Pl. 2, fig, 16, 33) Die Zehen der Hinterpfote meines kleinen Gavials in Weingeist gleichen der Fig. 30 bey Cuyier mehr als der ıg,.‘ Nur ist die grofse Zehe etwas länger, 68 fülsen, die kleinste Zehe aus vier Gliedern (vier Knochen), nicht blos aus drey, wie in Hrn. Cuvier’s (Fig. 16.) bestehen, Da nun beyde hintere Gliedmafsen unseres Gerippes oflenbar nicht mehr als vier Zehen hatten, so mufs man auch das Thier, dem es angehörte, Cuvier’s Bestimmung zufolge, den Krokodilen beygesellen. Denn überhaupt bestätigt auch unser fossiles Specimen, die Wahrheit seiner Bemerkung °*), dafs nämlich die Zehen der Krokodile weit weniger auffallend von einander verschieden seyen als bey den Monitors. Indessen weicht diese hintere Gliedmasse unseres fossilen Gavial’s von der von Guvier Fig. 12. 16 und 17 abgebildeten hin- teren Gliedmasse seines Krokodils darin merklich ab: ı) Dafs das Oberschenkelbein weit mehr als noch einmal so lang ist als der Unterschenkel (das Schienbein und das Wadenbein), da bey Cuvier das Schenkelbein um kein Drittel länger ist als das Schienbein. Auch an meinem kleinen Gavial in Weingeist, so: wie an den beyden Froriepschen Skeleten von Crocodilus vulga- ris und acutus, und an meinem von Cr. lucius ist der Unterschied der Länge zwischen dem Oberschenkel und Unterschenkel bey wei- tem nicht so beträchtlich als bey dem fossilen. 2) Dafs das Schienbein an Dicke weit weniger dem Schen- kelbein nachsteht, als bey Cuvier und den drey genannten Gerip- pen. Was dem Schienbein gleichsam an seiner Länge abgeht, hat dafür die Dicke desselben gewonnen. 3) Dafs das Mittelfulsbein der kleinen Zehe zwar etwas kür- zer ist als die der drey übrigen Zehen, aber doch: nicht um so vieles dünner als bey Cuvier und den gedachten Gerippen. 4) 34) Ann, d, M. XII, S, 82, 69 4) Dafs das erste oder Mittelglied der kleinen Zehe verhält- nilsmäfsig zu den übrigen Gliedern der drey übrigen Zehen merk- lich länger ist als bey Cuvier und an jenen drey Gerippen. Von den Knochen der linken hinteren Gliedmasse (HI.K.L.M.N.O.P.Q.) sind nur das Schenkelbein (H) fürtrefflich, und die vier Mittelfulsbeine, nebst den beyden Gliedern der grofsen Zehe ziemlich erhalten. Schon das Schienbein (l) und Wadenbein (lt) sind schadhaft, inzwischen doch immer noch deutlich genug, um was Gröfse, Gestalt, Lage und Verbindung betrifft, sie im Gan- zen, denen der rechten Gliedmafse (Fig. 2) nach den Regeln der Symmetrie, gleich und ähnlich zu “finden. Das Mittelfulsbein der grofsen Zehe (L) ist von den drey Mittelfufsbeinen der drey übrigen Zehen (M.N.O.) getrennt, schräg über die drey andern Mittelfufsknochen hingeschoben. Von den Gliedern der Zehen sind nur die zwey der grofsen Zehe (P.Q.,) vorhanden. Kurz, auch diese Reste der hinteren Gliedmafse allein wür- den schon hinreichend beweisen, dals dieses fossile Thier ein Kro- kodil gewesen seyn müsse. G. 22. Ka Schilder und Schuppen. Die Schilder (*.*.*)undSchuppen(t.t.}.), deren zwischen den Knochen zerstreute Menge, die Entdeckung oder die Bloslegung des Gerippes nicht wenig hinderte, entgingen wahrscheinlich nur durch ihr knöchernes Wesen der Zerstörung, weiche alle weichen Theile vernichtete. Die 70 Die breitesten, dicksten, kurz gröfsten und stärksten Schilder zeigen sich in der Gngend des Nackens. Sie sind im Ganzen mehr oder weniger rundlich viereckig, Ihre auswendig gewesene Seite unterscheidet sich gleich auf den ersten Blick, sowohl durch Rauhigkeit und leichte WVölbung, als durch eine erhabene schiffkiel- förmige Leiste, oder Erhöhung, vertiefte Punkte und einen abgerun- deten Rand, von der glatten, mitunter leicht ausgeschweiften, zase- rig geründeten, inwendigen Seite. In der Mitte scheinen sie am dieksten, an den Rändern am dünnsten. Die kleineren Schilder zeigen sich in der Gegend des Beckens und in dem Anfange des* Schwanzes. Die kleinsten, mitunter eine stumpfspitze Ecke habenden Schilder sind in der Gegend unter dem Schwanze gerathen. Von den Schuppen (t.t.), die sich durch ihre flache Beschaf- fenheit von den kielförmigen oder gekielten Schildern leicht unter- scheiden, zeigt sich ein Stück aus acht Reihen bestehend (bey Fig. 2). In fünfen dieser Reihen befinden sich vier Schuppen noch in ih- rer natürlichen Lage neben einander, Ihre Quadratform und Gröfse scheint zu verrathen, dafs sie aus der Gegend der Brust oder des Bauches hergekommen seyn möchten. 5 $. 43° Allgemeine Betrachtungen. Betrachtet man nun dieses nach seinen einzelnen Theilen ge- schilderte Petrefact im Ganzen und Allgemeinen, so verrathen die zur Grölse des ganzen Körpers überaus ansehnlichen, meistens vier- eckigen, im Leben knöchern gewesenenSchilder und Schuppen, wo- mit der Körper des Thieres, dessen Gerippe sie untermischt er- scheinen, gepanzert war, schon für sich allein unwiderleglich, die kro- A / krokodilartige Natur des Thieres, dem diese versteinten Ueberbleibsel in Gesammtheit angehörten. Denn auch Curvier’s ?°) ausdrücklicher Erklärung zufolge, gehören „viereckige Schuppen“ zu den Kennzeichen eines Kro- kodils. In keinem, der neunzehn einzeln angeführten Beyspiele , ist weder in den Abbildungen, noch in den Beschreibungen, aufser den zu dem eigentlichen Beingerippe gehörenden Knochen, sonst noch ir- gend ein besonderes knöchernes Schild oder eine knöcherne Schuppe angegeben. 44 Vergleichen wir a dieses fossile Gerippe mit dem hier im F Weingeiste befindlichen kleinen Gaviale, so ist gleich auf den ersten, vergleichenden, schärfern Ueberblick, die äufserst auffallende Aehn- lichkeit beyder Stücke mit einander wahrlich nicht zu verkennen. Näher beweisen dieses sowohl die Gestalt des Kopfes im Ganzen, als im Besonderen, Die Länge des Schädels zur Länge des Körpers wie ı zu 5. Das von dem Schädel nicht abgesetzte Fortgehen der Kiefer. Die Schmalheit des Raumes zwischen den Augenhöhlen. Das kolbige vordere Ende, sowohl des Oberkiefers als des Unter- kiefers. Die Gestalt des Unterkiefers, fen an seinem vereinten Stücke, als an seinen Aesten. Das Verhältnils dieses vereinten Stückes zu eben den Aesten, wie 44:37: Das 35) Annales du Museum, Tome XII, S, 2, 72 Der spitze Winkel von 30 Grad, unter dem sich diese Aeste verei- nigen. Die Gestalt, die Befestigungsart und die Zahl der Zähne. Die Länge des Schwanzes, welche die Länge des übrigen Körpers nur wenig übersteigt. Die Zahl, Gestalt und Aneinanderreihung der WVirbelbeine. Die Gestalt der Rippen. Die :Gestalt der hinteren Gliedmalsen. Alle diese Ansichten und Vergleichungen zusammengenommen lassen wohl nicht den allermindesten Zweifel übrig; dafs unser fossiles Gerippe einem dem kleinen Gavial auffallend gleichenden Krokodile angehört haben müsse: folglich dafs ich auch gegenwärtiges Petrefact nun, ohne Bedenken, ein ver- steintes Gavialgerippe nennen dürfe. Unsern, in der Reptilienltunde hocherfahrnen Hrn. Oppel, durchaus, hierüber mir beystimmend zu wissen, gereicht mir zu be- sonderem Vergnügen. 4. Um dieses versteinte Gerippe des kleinen Gavial’s des tenui- rostris von dem grolsen Gaviale, dem gangeticus bey Cuvier, sehr bald deutlich zu unterscheiden, ist schon die Vergleichung blos der Schädel überflüssig hinreichend. ı) Der Schnabel oder Ober- und Unterkiefer zusammenge- nommen des grofsen Gavial's, ist verhältnifsmälsig zum übrigen Schädel bey weitem nicht so schmal oder langgestreckit, folglich auch den specifischen Namen tenuirostris, durch welchen Cuvier den kleinen gangeticus von ihm benannten Gayial vom grölseren Gaviale unterscheidet, nicht in dem ausgezeichneten Grade verdienend. 2) uch ce SELTEN | i | 73 2) Geht der Schnabel, das ist sowohl der Oberkiefer als der Unterkiefer, des grofsen Gavial’s, abgesetzt, nicht wie der des klei- nen Gavial’s nur allmählich sich verdünnend vom übrigen Schädel ab. 3) Bilden die Aeste des Unterkiefers beym grofsen Gavial einen schr starkgewölbten Bogen, beym kleinen Gavial einen sehr flachen. 4) Sind die Augenhöhlen des grofsen Gavial’s verhältnifsmäfsig zum Schädel nicht nur auffallend kleiner als die des kleinen Ga- vial’s, sondern auch weiter von einander liegend. $. 46. Von dem kleinen Gavial, dem tenuirostris, unterscheidet sich unser fossiler Gavial zwar weniger als von dem grolsen gangeticus, aber doch immer kenntlich genug ı) durch seine regelmäfsig an Gröfse alternirenden Zähne; 2) durch die Menge seiner Schwanzwirbel, bey übrigens ver- ‚ hältnifsmäfsig gleicher Länge des Schwanzes im Ganzen. Deshalb erscheinen die einzelnen Wirbel des Schwanzes gewissermalsen ge- stauchter, mehr breit als lang; 3) durch die verhältnifsmälsig gröfsere Länge des Oberschen- kels zum Unterschenkel; 4) durch die verhältnifsmäfsige Dicke und Länge der klein- sten Zehe der Hinterpfote zu den übrigen Zehen derselben. Diesemnach wäre gegenwärtiges fossiles Krokodil etwa folgen- dermalsen zu characterisiren, und weil es, mehr als durch Brief und 10 Sie- 74 Siegel bewiesen, aus der Vorwelt stammte, hoffentlich nicht unschick+ lich mit dem specifischen Namen priscus zu bezeichnen. CROCODILUS PRISCUS (fossilis), *** Crocodilus longirostris rostro ‚elongato cylindrico dentibus alternis longiusculis Jemoribus dupla tibiarum longitudine ossibus metatarsi longitudine inter se fere aequalibus. $. 47. Die mächtig stark aus den Kiefern vorragenden Zähne; das eckige, sogenannte ausgewirkte Änsehen aller Knochen; die Ver- schmelzung aller Ansätze (Epiphyses); die groben, dicken und der- ben Knochenreste der Schilder; die dicht an einander liegenden Schuppenreste; scheinen zu beweisen, dafs dieses Individuum er- wachsen, somit auch sein Gerippe vollendet gewesen °*°). Der Beschaffenheit seiner Zähne nach zu urtheilen, lebte auch er, wie die bekannten Gaviale, vorzüglich von Fischen. Sollte etwa das im 27sten $. erwähnte Fischschwänzchen den Rest eines :verzehr- ten Fischchens verrathen ? Der ganze Bau der Krokodile scheint übrigens eine Schwer- fälligkeit zu schneller Bewegung auf dem trockenen Lande zu ver- rathen. Wenigstens das junge Krokodil, welches ich lebendig zu London sah, schien mir träge und unbehülflich: Andere zu Lan- de flinke Eidechsen haben offenbar längere und muskulosere Fülse, Merck 36) Dem Artikel Krokodil in der Deutschen Eneyclopädie, Frankfurt a.M, 1804. Band 23, Seite 330 zufolge, soll Pennant eines ostindischen Krokodiles, „wel- ches nie über 2 Fuls lang wird,‘ gedenken. Allein dies ist ganz unrichtig, Denn Pennant’s (Views of Hindostan Vol, ı1. pag, 207) kleinstes Krokodil hat zwölf Fuls (twelve feet), wie auch die Hallische Lit, Zeitung, 1799. Nr, 385, (nicht 335, wie in jener Eneyelopädie steht,) richtig anführt, aus wel- cher der Verf, dieses Artikels, ohne Pennant’s Werk selbst gesehen zu haben, „afüfsig‘ für „ı2füfsig‘ nachschreibend, entlehnte, 73 Merck 37) meynte, die Gaviale seyen vermöge des eigenen Baues ihres Körpers ungleich mehr als andere Krokodile unter Was- ser zu leben bestimmt. Die in dem Verhältnifs zu den mehr als doppelt so langen Oberschenkeln kurz zu nennenden Unterschenkel und die mehr breit als langen Schwanzwirbel scheinen mir ebenfalls eine gröfsere Ge- schicklichkeit zum Schwimmen und Rudern, als bey den übrigen Krokodilen anzuzeigen. Vergleichen wir ferner gegenwärtiges fossiles Gavialgerippe, in Rücksicht der Vollständigkeit mit den neunzehn bis jetzt bekannt gewordenen, vorhin von mir umständlich angeführten, an- geblichen und wahren, Beyspielen fossiler Krokodile, so finden wir sechs ?°) davon offenbar und fünf 3°) wahrscheinlich; folglich zusammen eilf oder über die Hälfte aller bis jetzt bekannten Beyspiele gar nicht zu den Krokodilen gehörend. Ueberaus ingeniös enträthselte Cuvier *°) aus den Bruch- stücken von vier verschiedenen dieser Individuen, derendaseine (Spenersche) den Kopf, Schwanz u. Vorderfufs, das zweyte (Linksche) einen Theil des Rumpfes, dasdritte (Berlinsche) das Becken, dasvierte (Swedenborgsche) die Hinterfülse enthielt, nach und nach die ganze Gestalt eines Monitors. Io ? Von 37) Hessische Beyträge, S. 86. 38) Das von Spener, Link, Kundmann, Swedenborg, Besson und Camper, 39) Das zu Berlin, Dresden und Braunschweig, Whitby und Blen- heim. 40) Annales du Museum, Tome XH. $, 80, 76 Von den sieben übrigen, für Krokodil anerkannten Beyspie- len, fehlt zweyen (dem von Fulbeck und von Angers) der Kopf gänzlich; von zweyen andern (dem Vicentinischen und dem von Honfleur) sind nur Unterkiefer und Wirbel vorhanden, und die drey letzten (das Walch’sche, das Mannheimer und das Darmstädtsche) bestehen nur in Bruchstücken des Schädels. In keinem dieser sieben Beyspiele fossiler Krokodile war man noch so glücklich ein Individuum zu erhalten, an welchem man Kopf, Rumpf und Gliedmafsen zugleich so vollständig und deutlich wie im gegenwärtigen vor sich hatte. Nach keinem liefs sich also auch mit solcher Zuverlässigkeit, Klarheit, Genauigkeit und selbst Vollständigkeit die wahre Gestalt und Gröfse des problematischen Thieres ausmitteln, als nach gegen- wärtigem. Denn sehr wahr bemerkte mein edler Freund Ebel: ir sei- nem nicht nach Würden bekannten Werke, über den Bau der Erde +"). „Es werden allerdings vollständige Gerippe, bisweilen „sogar mehre dicht bey einander gefunden; aber im Allgemei- „nen sind sie zerrissen, und die Knochen eines einzigen Gerippes „an hundert Orten in weiten Entfernungen ausgestreut. Deswegen „ist es so äulserst selten möglich, alle Gebeine des Gerippes eines „Thieres auffinden zu können, obgleich der fossilen Knochen genug „entdeckt werden. Auch liegen sehr häufig einzelne Knochen der „verschiedensten Land- und Seethiere, Holz- und Pflanzentheile, „Meermuscheln, Schlamm- und Steinschutt dergestalt unter einander „geworfen, dafs die Wirkung einer wilden Gewalt, welche diese „Ueberreste aus allen Naturreichen zusammenführte, nicht zu ver- „Kennen ist.“ $. 48. 4ı) Zürich, 1808, in 8, Zweyter Band. S, 278, er er en ae ee ‚ a ‚| u N K 3 sa a $. 48. So weit meine oryktognostischen Einsichten reichen, mus ich Hrn. Cuvier auch in Rücksicht unserer Gegend beystimmen : dafs nämlich der mergelartige oder bituminöse Schiefer, welcher von Thüringen aus, durchs Vogtland, und Hessen, bis nach Fran- ken und Baiern hin streicht, von Werner'n als die tiefste Erste Formation des secundairen Kalkes genannt wird, und ge- wöhnlich mit etwas silberhaltigem Kupferkies durchsprengt ist, die meisten Ueberbleibsel von Eidechsen und krokodilartigen Thieren enthalte *?), folglich dafs auch alle eyerlegende Vierfüfsler zu die- sen sehr alten secundairen Erdschichten gehören, welche denjenigen steinigen , regelmälsigen Lagern oder Schichten lange vorhergiengen, in denen man die Knochenreste gänzlich unbekannter Säugthiere, z. B, der Palaeotheriums und Anoplotheriums antrifit, welches je- doch nicht hindert, auch unter letzteren noch einige Spuren von Krokodilen anzutreffen *?). $. 49. Oftmals wunderte ich mich, wie es doch zugienge, dafs so leicht zerbrechliche Schieferplatten, nicht selten, so glatt und nett sich von einander lösten, dafs die zwischen ihnen befindlichen zar- ten Theile thierischer Gebilde, selbst der allerfeinsten Knochen un- versehrt blieben, und die zwischen ihnen befindlichen, vorher schon zertrümmerten Gerippe durch solche Spaltung nicht noch ferner zertrümmert werden, sondern gewöhnlich gröfstentheils auf der ei- nen derselben als Hauptplatte bleiben? und kann mir diese Erschei- nung noch nicht anders erklären, als die weichen, gallertartigen und fetten thierischen Theile, dienten, ungeachtet sie von der über sie hin- 42) Annales du Museum. Tome XII, S, 76, 43) Ebendaselbst $, 110, 78 hinströmenden Kalkmasse gänzlich, bis zum völligen Verschwinden zerstört und eingesogen wurden, als eine solche Art feiner, sich am Ende fast verlierender Zwischen- oder Trennungsschichte, derglei- chen man sich aus Oel beym Abformen in Thon bedient, wo näm- lich die Form aus mehreren, möglichst dicht an einander passen- den, aber doch trennbar bleiben sollenden Stücken besteht. Daher ist es auch begreiflich, wie sehr leises, vorsichtiges, behutsames, gleichsam nur Schwingungen oder Erzitterungen erre- gendes Klopfen nicht nur nettere, sondern selbst offenbar über ei- nen grölsern Umfang sich erstreckende Spaltungen solcher Schie- ferschichten bewirkt, als rasche, heftige, oder starke Schläge. Die Kraft eines heftigen Schlages verliert sich zu plötzlich blos ört- lich, um der beginnenden Spaltung‘ gehörige Zeit zur Ausdehnung oder Verbreitung zu lassen. Ein rascher Schlag bricht, so zu sa- gen, die angefangene Spaltung plötzlich ab. — Die durch angemes- senes Hlopfen dagegen bewirkte spaltende Kraft, schleicht sich gleichsam zwischen den Schichten fort, und wird (versteht sich bis auf einen gewissen Grad) durch fortgesetztes Klopfen weiter beför- dert, nicht plötzlich abgebyochen. 6. 50. Der Körper unseres Gavials erfuhr aber, wie der zerstückte Schädel, der fast zermalmte. Hirnkasten, die ausgebrochenen Zähne, die verletzten Halswirbel, die zerstreuten Rippen, die getrennten und zusammengeschobenen Glieder der Schwanz- spitze, das zerquetschte Becken, die vom Leibe weggerissene und mehr als einen Schuh weit auf - die ER TERT FREE u u 79 die entgegengesetzte Seite hingeschwemmte rechte Hinterglied- masse sattsam beweisen, eine grolse Gewaltsamkeit. Es entstehen daher die Fragen. Erlitt dieses Thier diese Gewaltsamkeit gleich bey seinem Tode, und war sie vielleicht selbst Ursache des Todes? Oder widerfuhr diese Gewaltsamkeit erst der Leiche dessel- ben nach einiger Zeit? Ich für mein Theil finde es, nach eigener Ueberlegung wahr- scheinlicher, dafs diesem Individuum nicht als lebendigem Thiere, sondern erst als theils verwestem, theils als vertrocknetem Leichna- me solche Gewaltsamkeit widerfuhr. Wenigstens scheint es mir begreiflicher, dafs in einem sol- ehen Zustande des Leichnames, die in heftig wirblender Bewegung über ihn hinströmende, flüssige Kalkmasse, indem sie die weichen Theile wegätzte und vernichtete, die festern, ihr an chemischer Be- schaffenheit gleichartigern, und deshalb ihrer Schärfe widerstehen- den Theile, (die kalkartigen Knochen und Schuppen nämlich) dafür aus einander rils, fortschwemmte und mitunter auch zertrümmerte, bis diese Kalkmasse ruhiger geworden, sich schichtenweis absetzte, und dadurch dieses Gerippe in sich einmauernd, gerade umgekehrt für aller ferneren Zertrümmerung auf beste schützte. Stelle ich mir vor, dafs während die wenig Weiches habende rechte Hinterpfote schon ausgetrocknet war, um den rechten Ober- schenkel herum alles durch die Verwesung noch feucht und aufge- lockert seyn mochte, so kann ich mir auch füglicher erklären, wie diese rechte hintere Gliedmasse gar leicht gänzlich losgerissen und über einen Schuh weit fortgeschwemmt werden konnte, ohne dals die 80 die Fulswurzelknoehen nebst den meisten Zehengliedern aus einan- der gingen. Denn eben die Austrocknung hatte sie so lange nur noch fester zusammenhaltend gemacht, bis die flüssige ätzende Kalk- masse, auch um sie alles wieder Weichgewordene gänzlich verzehrte. Die Steinplatten, zwischen welchen man die Reste von Thie- ren findet, verdienen demnach sowohl in dem gewöhnlichen, als in dem allrreigentlichsten Sinne oder Wortverstande den Namen Sar- kophag. Um jedoch allem Mifsverständnisse vorzubeugen, wiederhole ich, dafs ich diese Vermuthung blos über die individuelle Entste- hung des gegenwärtigen Gerippes zu äufsern wage, indem ich weit entfernt bin, irgend ein anderes fossiles Gerippe, aulser etwa dem Spener'’schen $. 7, geschweige andere Versteinerungen thierischer Körper, auf diese Art entstehen zu lassen. Doch dem sey nun wie ihm wolle, so scheint wenigstens ru- hige Betrachtung der Lage, worin wir das Gerippe unseres Gavials, besonders seine gröfsentheils in geradelinigter Richtung gebliebene sehr schlanke Wirbelsäule vor uns sehen, zu lehren: dafs auf keinen Fall, dieses Thier diese Lage behalten konnte, wenn es auch nur eini- ge Klafter weit hergeschwemmt seyn sollte. Schwerlich hätte das Thier oder sein Leichnam eine so heftige Gewalt, wie die seyn mulste, wel- che als Ueberschwemmung, Ueberschüttung oder Ueberstürzung mit einer Kalkauflösung, ihm den Schenkel vom Leibe rils und über den Kopf hinaus entführte, in einer Mitfortreilsung oder Mitfortschwem- mung nur wenige Klafter lang ausgehalten, ohne gänzlich in Trümmer aus einander zu gehen, und jede Ordnung seiner Theile zu verlieren. Höchst wahrscheinlich fand also unser Gavial seinen Tod an, oder doch unfern, der Stelle seiner Grabstätte. En nn En N Zi 81 Guss! So erweist mein Lehrer und Freund Blumenbach, in seinen beyden neuesten, wichtigen Abhandlungen; dafs so viele weiland tro- pische Thiere, deren Knochen jetzt in unsern nördlichen Zonen gegra- ben werden, nicht, wie noch neuerlich berühmte Geologen annahmen, durch eine Fluth aus Südindien 1500 Meilen weit hieher gewälzt wur- den, sondern dafs sie da im Leben hausten, wo man sie begraben wie- der findet ?*). Mittelst vergleichender Darlegung der interessantesten Beyspiele ist er so glücklich, in der Natur selbst nachweisen zu kön- nen, dals auch zu den colossalen Pflanzen der Vorwelt, (deren ver- steintg Ueberbleibsel z. B. aus den Brittischen Kohlenwerken ans Ta- ges Licht kommen) analoge Vorbilder, nur in St. Helena und Süd- indien existiren *°), i52: Auch wäre es wohl zu wünschen, dals die sinnreichen Ge- danken, welche ein Ungenannter, bey Gelegenheit der Anzeige von Ivory’s Abhandlung über die physischen Veränderungen unsers Planeten *°) äulsert, weiter ausgeführt würden, weil sie bey unge- meiner Gründlichkeit aus tiefem Nachdenken geschöpft scheinen. Ent up: Da nun bekannntlich alle Krokodile nur in grolsen Flüssen, z. B. dem Nil, dem Ganges, dem Niger, Senegal, Macassar, Missoun, dem Mis- 44) Göttingische Gel, Anzeigen. 1813. 88. Stück, S. 873. Specimen archacologiae telluris etc, 45) Ebendaselbst ı813. 207. St, S. 2063, 46) Ebend. ıg14. 22, Stück, James Ivory on the Grounds of the Method which La Place,hus given in his Mecanique Celeste for Computing the attractions of spheroids, in den Philosophical Transactions for the Year ı812, II 82 Missisippi, dem Amazonenflusse, dem Ohio, oder in Sümpfen und grolsen meist sülse Wasser - Seen *7) den Sayannen Florida’s Guyana’s den Morästen Paraguay’s, der heifsen Erdstriche, und die Gaviale ins- besondere blos in Ost-Indien leben, so konnte auch unser Crocodilus priscus, wohl nur in einem grolsen Flusse oder Sülswassersee unter einem heilsen Himmel gelebt haben. Da sich ferner, wie ich in meiner Abhandlung über den Orni- thocephalus schon bemerkte, wohl nichts Anderes annehmen läfst, als dafs die Thiere, welche man in unserer Gavials - Nachbarschaft zu Soh- lenhofen versteint findet, auch däselbst in der Vorwelt lebten, und und nicht aus weiter Ferne her dort hingeschwemmt wurden, unge- achtet man diesen Thieren analoge Thiere dermalen blos in Süd-In- dien lebend findet, so scheine ich mir auch zu dem Schlusse berechtigt. Dafs derjenige Theil des Königreiches Bayern, welcher in der Vorwelt aus dem Meere als fe- stesLand hervorragte, auch gro/lse Flüsse oder grolse Seen, besonders von sülsem Wasser, un- ter einem heilsen Himmel gehabt haben müsse, um Gaviale zu nähren. Die Aufstellung dieser, meines Wissens, neuen, wenigstens auf die Art nicht hergeleiteten, für die älteste geologische Urgeschichte Baierns wichtigen Vermuthung, war es hauptsächlich, was mich an- feuerte, gegenwärtige, diese Vermuthung höchst wahrscheinlich ma- chende stattliche Urkunde, aus dem Archive der Vorwelt, gehörig zu würdigen. » 47) Dafs die Krokodile auch in heifsen Kupfervitriolquellen lebten, scheint mir, so wie Mehreres, was Bartram in seiner Reise nach Florida von Krokodilen erzählt, etwas verdächtig, Daudin. führt Cook's zweyte Weltumsegelung zum Beweise an, dafs HKrokodile sich auch in den salzigen Seen und Flüssen Neu-Hollands aufhalten, Vrfiemte Rnochen 01105 dankte 47 7004 Arokodılas CROCODILVS PRISCVS maitiitler BG < 2 arte] did Wen} (1 Ar: 2. Cell LLC LH Janjl 1 ande das € ZZ he uff 2 [} 5 £ der € horngle Made LM a uch zu + Knlbent u 83 (m Im—— IIL | Theoretisch - praktische Abhandlung über die Natur, Beschaffenheit, und bessere Verfertigung der ungleicharmigen römischen, oder unrichtig so genannten Schnellwagen. Vierte a. ae t von Iawuatz Pıckeı, Professor der Mathematik und Physik in Eichstädt. \ 4 = Vorbericht. e Die in Italien, Oesterreich und auch andern Orten bekannten und beliebten, ungleicharmigen oder römischen Waagen werden in unserer und mancher anderer Gegend wenig gebraucht. Man be- dient sich derselben fast nur bey schr grolsen Lasten unter dem - Namen der Heuwaagen, wo eine gleicharmige Balkenwaage auf keine P Art mehr dienen kann. Eine Ursache davon mag sich wohl in der £ Anwendung selbst befinden. Sie ist nicht allgemein bekannt; und da man nicht von jeher über den Gebrauch so einer Waage unter- zichtet ist, sucht man sie nicht, oder hält sie wohl gar in ihrer "Wirkung für verdächtig. Doch dieses Vorurtheil würde bald ver- h schwinden, wenn nicht die unrichtige,, fehlerhafte, und dabey auch F ee un- 84 unbequeme Verfertigung derselben sie wider alle ihre Verdienste unwerth gemacht hätte. Man nennt sie nur Schnellwaagen, die fast gar nicht in der Ruhe stehen, immer überschlagen, und auf solche Art unrichtig das wahre Gewicht angeben. Daran haben sie aber keine Schuld, sondern der ungeschickte, unwissende Künstler, der sie nach einer unrichtigen Uebergabe auf eine fehlerhafte Art verfertiget. Die ungleicharmige oder römische Waage ist nicht nur aus ihrer Natur und Beschaffenheit gegen alle Vorwürfe geschützt; sie hat auch viele Vorzüge gegen die gemeine, gleicharmige Kramwaage, wie aus dieser Abhandlung erhellen soll. \Venn sie gleich diese nicht verdrängt, ja auch nicht kann oder will verdrängen, so steht sie doch gut und nützlich neben selber. Zum besondern Gebrauch einer Privathaushaltung soll sie wohl gar den Vorzug erhalten. Ich liefs schon- manche verfertigen, sowohl zu meinem als meiner Freunde Gebrauch. Ich habe ihre Eigenschaft nach theore- tischen Gründen untersucht, sie selbst getheilt, und zum sichern Ge- brauche hergestellt. Es kam mir auch manche zu Gesicht, bey wel- cher ich das Fehlerhafte einsehen, dagegen die bessere Einrichtung erkennen, und durch Erfahrung prüfen konnte. Es wird doch zum allgemeinen Besten nicht undienlich seyn, wenn ich bekannt mache, wie selbe nach richtigen Grundsätzen sol- len verfertigt, und auf die beste Art benutzt werden. Was hier zur Beurtheilung und Prüfung als ein ganz kleiner Beytrag zur Maschi- nenlehre gelehrten besseren Kennern vorgelegt wird, habe ich von keinem geborgt. Es ist auch, mir wenigst, nichts Bedeutendes be- kannt, was andere darüber verfasset haben. Ich gebe anfangs eine allgemeine Vorschrift zur richtigen Verfertigung; beweise sie hernach aus theoretischen Grundsätzen, und zeige zuletzt, wie man so eine Waage schon aus der Zeich- nung oder aus dem Modelle überschlagen, noch besser aber, die verfertigte ganz richtig berechnen, und zuletzt praktisch zum Gc- brauche herstellen und theilen solle. Be er ws: 2 fs, GE Allgemeine Vorschrift zur Verfertigung einer römischen Waage. 1. Die römische Waage unterscheidet sich wesentlich von der gemeinen durch die sehr ungleiche Länge, und gegen einander ganz verschiedene Form ihrer Arme oder Balken, wie man sie auch nennt. Der kürzere Arm hat eine seiner nöthigen Stärke angemes- sene Breite und Dicke zwischen zwey senkrechten Seitenflächen. Der längere Arm ist eine rechtwinklichte vierseitige Stange. Der Durchschnitt davon ist ein ordentliches Viereck, dessen eine Diago- nallinie in der Fläche des kürzern Arms liegt, die andere aber dar- auf rechtwinklicht gestellt ist. Der kürzere Arm hat insgemein drey, oder besser, wenigst bey kleinern Waagen, zu einem mehr vollständigen Gebrauche, vier schneidige Nägel. Die zwey äufsern sind für die VWVaagschüssel, und das Abzuwiegende bestimmt; der dritte macht die Gränzen zwischen dem kürzern und längern Arm. An ihm hängt und ruht die Waage selbst, und er wird defshalben der Ruhepunkt ge- nannt. Hat dieser noch einen entgegengesetzten unter sich, so kann auch an ihm in verkehrter Lage die Waage hängen. Der längere Arm bekommt ganz am Ende einen Nagel, der, wie es sonst gewöhnlich war, nicht wegbleiben sollte. So hat die Waage in al- lem 4 oder 5 Nägel. 2. Die erste Figur stellt nach der wahren Gröfse, mit Aus- nahme der ganzen Länge, den senkrechten Durchschnitt einer klei- "nen römischen Waage vor, die ich mir für meinen Gebrauch zur genauen Abwiegung kleiner Gewichte von ı bis 25 Pf. habe verfer- ligen 86 tigen lassen; und nach welcher schon etliche sind gemacht worden. Sie kann eben zur allgemeinen Vorschrift dienen bey Verfertigung soleher Waagen. Sie hat zwey Ruhepunkte, und also 6 Nägel. Zur Zeichnung‘ ihrer Lage und Gröfse kann man hier zum Maalsstabe sowohl, als hernach zum Gewicht das baierische oder auch ein anderes nehmen. In einer Entfernung von # Zoll oder 3 Linien werden 3 Parallel- linien gezogen, AE, ac und hk, Eine jede ist 217 Zoll lang. Nimmt man an einem Ende der obersten von A zu C 3 Zoll, und also von C zu E 185, so bestimmt die erste Distanz die Länge des kürzern, die andere des längern Arms. Die aus A, C und E auf die untere Parallellinie senkrechten Aha, Cc und Eke geben auf selber die den obern zutreffenden Punkte a, c, e. Theilt man CA und ca in ı2 Theile, und trägt davon 5 von C und c zu B und b, so ist aus den Ruhepunkten GC und c die Lage und Entfernung der zwey Nägel Aa und Bb für die Waag- schüssel bestimmt. Der dritte Nagel Ee am Ende des längern Waagarms gehört für ein beständiges Gewicht, das ich das Hülfs- gewicht nenne. 'Trägt man auf der mittlern Parallellinie aus h und i zu bey- den Seiten ı* Linie, und zicht aus den so gefundenen Punkten g, , m, n zu A und a, B und b Linien, so giebt diese Zeichnung den rautenförmigen Durchschnitt der Nägel mit einer hinlänglichen Stärke und Schärfe der Schneide bey A, a, Bund B. Für den äufsersten Nagel Ee, der nur ein geringes Gewicht zu tragen hat, kann der kleinere Durchmesser qg statt 3 nur 2 Linien haben. Die Nägel GC und c, weil sie die Waage sammt allen Gewichten tra- gen, bekommen 4 Linien zum Durchmesser rs.tv der halben Rou- te, So erhalten alle Nägel eine hinlängliche Stärke auch noch für beträchtlich gröfsere Waagen. Man siehet auch schon, dafs man i sich 87 ‚sich eben so streng an diese Zeichnung nicht zu binden habe, "wenn nur die Nägel keine stumpfe Schneide bekommen, und sich an die Ringe der daran hängenden Haken nicht so bald anlegen. Die Linien FD ünd fd, welche den Rücken des längern Woaagarms, und den Weg für das Gewicht des Läufers anzeigen, sollen sich allezeit genau durch die Punkte der Nägel A, B, E und a, b, e, und durch den Ruhepunkt C und c ziehen. Es gehet aber dieser Rücken in keine scharfe, sondern in eine, bey so kleinen Waagen auf £ oder 3 Linie flach abgestumpfte Schneide aus. So ist in die Quere der Durchschnitt dieses durchaus gleich dicken Wagarms mit Abrechnung der kleinen Abstumpfung des Rückens ein rechtwinklichtes gleichseitiges Viereck, dessen jede Seite sehr ‘nahe 4% Linie hat, und also zur Theilung sammt den dabey einzu- schlagenden Zahlen breit genug ist. Der kürzere Arm bekommt so viel Eisen IGF und KHF ober, unter und vor den Nägeln , dabey _ auch so eine Dicke, hier wenigst von $ Zoll, dafs diese mit gehöri- ger Festigkeit können eingesetzt werden. So wiegt dieser ganze kleine Waagbalken sehr nahe 27 Loth nach baierischen Gewicht, und hat einen körperlichen Inhalt nur von 4,2 Kubikzollen, weil der Kubikzoll Stabeisen, wie hier noch wird erklärt werden, 6,4 Loth wiegt. 3. Man siehet aus dieser Zeichnung schon die Absicht bey ‚so einer Waage. Da sie einen doppelten Rulıepunkt hat, und so- wohl bey C, als in umgewandter Lage bey c kann aufgehängt wer- den, haben auch die andern 3 Nägel eine doppelte, und auf dem _ längern Arm werden alle 4 Seitenflächen zur Thheilung benützt; nämlich die von F zu D beyderseits, wenn die Waage an C, und t das Abzuwiegende an A oder B hängt; hingegen äber die andern 2 zwey von f zu d, da c, b und a die Anhängpunkte sind. So viel ufir bekannt ist, hat man sich dieses Vortheils noch niemals bedient. - Es dürfen defshalben die Haken zur Aufhängung der Waage so- wohl, 88 wohl, als der Waagschüssel oder Gewichte keine geschlossene Rin- ge, sondern offene,haben, damit man sie nach Belieben von C auf c, und von A oder a auf B oder b einlegen, und auch bey E oder e anbringen, oder wegnehmen kann. Dem ohngeachtet erhalten sie die nöthige Stärke. Eben auch defshalben sind die Rückenlinien FD und fd genau mit einander parallel, und der Waagarm hat durchaus eine gleiche Dicke. Es hängt von den Absichten ab, wie man so eine Waage doppelt benutzen wolle. Ich habe auf der hier gezeichneten, bey dem nämlichen Gewichte des Laufers, eine Seite für das baierische, die andere für das nürnbergische in Eichstädt eingeführte Gewicht getheilet. Ein anderer wählte das baierische und das Apotheker- Gewicht; wieder einer liefs sich nebst der Theilung für das baieri- sche, auch eine für das Augsburger Kramgewicht anbringen. Man schafft sich dabey für ein jedes das Hülfsgewicht an, von dem noch wird gehandelt werden. Man kann auch für eine jede Waage ein besonderes Gewicht des Laufers anbringen. Da ich oft kleine Gewichte, die nicht über 4 oder 5 Pfund gehen, auf das Genaueste bis auf „; eines Loths abwiegen sollte, habe ich bey so einer andern kleinen Waage für einen Theil nur ein Gewicht von Io Lothen an den Aufsatz des Laufers angebracht. Mit diesem fängt die Waage an bey ız Pf., und geht etwas über 35, durch das Hülfsgewicht aber auf 55. Hier nimmt die Theilung für ı Pf. eine Länge von 84 Linien ein, und kommen auf 2 Loth noch 5%. Diese werden auf dem Sattel des Aufsatzes für den Laufer (Fig. II. A) noch in 8 Theile getheilt, wo- von einer + und durch ganz zuverlässige Schätzung noch weiter 5% Loth angiebt. Man kann auch von diesem noch das halbe be- stimmen, weil die Waage sehr empfindlich ist, und eine fast un- merkliche Verschiebung des Laufers einen beträchtlichen Ausschlag giebt. 4- —_ 89 4. Willman die Waage nur einfach benutzen, so bleibt beym kürzern Arm der untere T'heil abfHK weg, sammt der untern Schneide der Nägel. In diesem Falle ist es eben nicht gefehlt, wenn, doch aber bey unveränderter Lage des obern Rückens FD, unterhalb von f gegen d der längere Arm etwas dünner gemacht wird. Es soll aber dieses ohne Nachtheil der gehörigen Stärke ge- schehen, damit auch mit dem gröfsten, Gewichte, welches die Waa- ge noch tragen soll, sich der längere Waagarm nicht merklich biege. Durch dessen allmählige Verjüngung erhält man diesen, we- nigst bey kleinen Waagen unbedeutenden Vortheil, dafs der weni- ger überwiegende Waagarm mit einem kleinern am kürzern Arme bey A oder B angebrachten Gewichte das Gleichgewicht erhalte, und so die Waage früher zu dienen anfange. Ich liefs mir eine machen, mit der ich über 2 Centner richtig abwiegen kann. Der längere Arm war nach baierischem Maafse 33% Zoll lang. Im An- fange bey F hatte seine Dicke Ff ı0, am Ende bey D 77 Linie. Er war noch stark genug, und wog 2 Pf. ıg Loth, hatte auch durch diese Verjüngung kaum 3 Loth verloren. Ein Pfund von geschmiedetem Eisen hält 5 Kubikzolle, weil, wie schon gemeldet wurde, der baierische Kubiltzoll nach baierischem Gewichte sehr nahe 6.4 Loth wiegt. Es darf also ein Waagarm schon lang und dick seyn, wenn er gegen das Ende hinaus, ohne Nachtheil der gehörigen Stärke, dünner gemacht, um ein Pfund soll geringer werden, wodurch der Mittelpunkt seiner Schwere sich nur wenig gegen F nähert. Dabey ist es doch immer besser und siche- zer, dem Waagarm eine grölsere Stärke zu lassen, weil dadurch die Waage an ihrer Richtigkeit schr wenig oder wohl gar nichts verliert. . 90 5. Der Aufsatz, welcher das Gewicht des Laufers trägt, auf dem Rücken des längern Waagarms fortgeschoben wird, und dort das Gewicht des Abgewogenen angiebt, soll mit besonderm Fleilse verfertigt werden. Nach der Art, wie ich ihn verfertige, ist er Fig. II. A und B in jener Gröfse gezeichnet, die für kleinere sowohl, als" gröfsere Waagen beynahe unverändert verbleiben kann. Ein oberhalb durchbrochenes Stück von dünnem Messing ABCDEF trägt den Senkel EF. An dieses ist unter dem Senkel noch ein dünneres CDABGH bey AB am Rande des obern her- ausgebogenes Blech angeschraubet. Der Winkel Gah = HBH (Fig. II. A und B) ist eben jener, welchen die Seitenflächen am Rücken des langen Waagarms bilden. Es machen also diese zwey messingene Blätter den darauf passenden Sattel. Die Dicke des mittlern Messingblechs, an welches sie befestiget sind, trifft mit der abgestumpften Schneide am Rücken des Waagarms zu, weil sie auf selber aufliegt, und verschoben wird. Beyde Blätter des Sattels sind bey IK durchbrochen, etwa nach der halben Breite, oder etwas mehr von der Rückenfläche des Waagarms, und in so einer Länge, die sich wenigst auf 3 bis 4 oder 5 Theilungsstriche von selber erstreckt. Oberhalb der Oeffnung des Sattels in der Mitte ist abermal zu beyden Seiten ein stärkeres Messingstück LMNP angeschraubet, welches das Gewicht des Laufers trägt. Es steht bey NP (Fig. H. B) rechtwinklicht über den Rand des Sattels HBh vor. Die Lö- cher N und P, an welchen die Gelenkdräte R und R für den Bo- gen S zum Laufergewicht Q hangen, müssen am untern Rande ge- nau zutreffen mit der Linie AB (Fig. II. A), welche auf dem Rücken des Wagarms fortläuft. Dies ist das Wesentliche auf diesem Auf- satz. Von der Theilung, welche auf dem Sattel kommt, wird bey dem Yyı dem praktischen Unterrichte für die Theilung des Waagarms Meldung geschehen. i 6, Eine hölzerne, mit Eisen beschlagene, und an hanfenen Schnüren oder Stricken hangende Waagschüssel ist höchstens. bey grolsen Zentnerwaagen noch zu erdulden, wo die genaue Abwiegung auf etliche Loth, um welche sich ihr Gewicht bey trockenem und feuchtem Wetter leicht verändert, nicht erfodert wird. Bey kleinern Waagen soll sie von Eisen, oder besser von Messing oder Kupfer seyn. Sie soll auch nicht an dreyen, sondern an vier kleinen Het- ten hangen, wovon immer zwey mit einem Ringe verbunden sind, damit man zur Einlegung des Abzuwiegenden sie halb öffnen könne. 7. Ueber diese allgemeine Vorschrift zur Verfertigung der römischen Waagen können hauptsächlich drey Fragen gestellt wer- _ den. Die erste betrifft die Entfernung der zwey Nägel für die Waagschüssel vom Ruhepunkte, und das‘ Verhältnifs der Theilung auf dem Waagarm mit derselben. Die zweyte Frage beziehet sich auf das Hülfsgewicht und dessen Schwere. Die dritte erfodert eine richtige Erklärung, warum das Gewicht des Laufers genau an der Rückenlinie des Waagarms hängen, und diese sich durch den Ruhe- punkt über dieSchneide der Nägel ziehen solle. Die richtige Beant- wortung dieser dreyfachen Frage enthält die ganze Theorie der rö- mischen Waage, welche bis daher, so viel mir bekannt ist, mehr _ aus der Erfahrung, als aus bewiesenen Grundsätzen von der Natur des Hebels ist hergeleitet worden. 2 _ Entfernung der Nägel für die Waagschüssel vom Ruhepunkte der Waage; und Verbindung der, Theilung auf dem Waagarme mit selber. 8. Jede Waage ist ein Hebel, und zwar ein schwerer physi- scher Hebel, der ohne Schwerpunkte nicht zu denken ist. Er un- 222 ter- 9 2 terscheidet sich dadurch wesentlich von dem mathematischen, wo man sich nichts als die Länge allein vorstellt. Ist der beym Ruhe- punkt überwiegende Hebelarm durch ein Gegengewicht an dem ge- ringern in das Gleichgewicht gebracht, so wird er zwar nach den übrigen Eigenschaften als ein mathematischer Hebel betrachtet; es bleibt aber dennoch noch manches zu beweisen übrig, und eben diese Betrachtung selbst darf nicht so ganz frey angenommen wer- den. Da ich also vorher aus dem mathematischen Hebel beweise, in welcher Verbindung mit der Theilung einer römischen VVaage die Entfernung der Nägel für die Waagschüssel von dem Ruhe- punkte stehe, so ist auch hernach zu beweisen, dals diese unverän- dert bleibe, so bald, nach in. das Gleichgewicht gebrachtem überwiegenden Waagarme, das Gewicht des Laufers zu wirken an- fängt. 9. I. Lehrsatz. Wenn das nämliche Gewicht bald beym weitern, bald beym nähern Nagel einer römi- schen Waage, dessen Schwere nicht in Betracht ge- nommmen ist, abgewogen wird, haben die Theilungs- grölsen für die nämliche Differenz der Gewichte auf dem längern Waagarme das nämliche Verhältnils gegen einander, welches die Entfernungen der Nägel vom Ruhbepunkte haben. Bey Fig. III seyen die Punkte A, B, C, F, D, E die nämlichen, wie bey Fig. I. Wenn ein Gewicht — q in A abgewogen wird, habe des Laufers sein Gewicht — p damit das Gleichgewicht in N. Wird aber das nämliche Gewicht in B abgewogen, befinde sich der Laufer in M. Kommt zu q in beyden Fällen noch ein gleiches Ge- wicht hinzu, so wird zur Erhaltung des Gleichgewichts der Läufer von N in n, und von M in m verschoben werden. Ich sage, es sey Na:Mm=CA:CB. Beweis. Nach der Theorie des Hebels ist CN:CA=q:p, und CM:CB=q:p. Folglich ist CN:CA=CM:CB, und - CN:CM=CA:CB wird aber das Gewicht q um eine beliebige Gröfse vermehrt, und rückt in diesem Falle der Laufer von N in n, und von M in m, so ist abermal ’ CN+Nn:CM+ Mm=CA:CB—=CN:CM, oder CN+Nn:CN=CM+Mm:CM, und CN+Nn— CN:CN=CM+Mm-—CM:CM, das ist Nn:Mm=CN:CM, und weil CN:CGM=CA:CGB, so ist auch Nn:Mm=GA:CB wie der Lehrsatz lautet. 10. II. Lehrsatz. Wenn bey einer römischen Waage an dem nämlichen Nagel A oder B verschiede- ne Gewichte abgewogen werden, so sind dieTheilungs- grölsen auf dem längern Waagarme der Differenz die- ser Gewichte proportional. Beweis. Da an einem Nagel A ein Gewicht — 4 ange- bracht ist, sey der Laufer — pin N. Kommt aber an den nämli- chen ein anderes Gewicht — Q, werde jener zur Erhaltung des Gleichgewichts von N in n verschoben. So ist nach der Theorie des Hebels für das erste Gewicht NCOxp=CAxgq für das zweyte ne 27. Hat man aber bey Verschiebung des Laufers den gehörigen Stand noch nicht vollkommen erhalten, se dals A gegen B noch etwas zu gering oder zu fchwer ist, so würde die Ruhe ober- und unterhalb der wagrechten Linie AB erfolgen, oder, wie wir sagen, die Waage würde einen Ausschlag geben. Treibt das bey A zu schwere Gewicht das andere bey B in die Höhe, so wird der von G in k gehobene 9 Schwerpunkt entgegen wirken, bis mit seiner Beyhülfe das in H etwas zu geringe Gewicht in einer schrägen Lage ECH das Gleichgewicht erhält: Wäre aber B gegen A etwas zu schwer, so würde es gegen F herabsinken, und A in D, den Schwerpunkt aber von G in g erhe- ben. Dieser wirkt nun mit A, ersetzt den kleinen Abgang, und bringt das Gleichgewicht in einer andern schrägen Lage DF. Der Winkel HCB=ACE oder FEB = ACD wird um so gröfser seyn, als B ge- gen A geringer oder schwerer, und der Abstand C G des Schwerpunkts vom Ruhepunkte grölser ist, oder, wie wir sagen, wenn die Waage unterhalb mehr Eisen hat. Sie zeigt in diesem Falle ein etwas grölse- zes Uebergewicht, sie überschlägt später, und ist nicht so empfindlich, _ als wenn GG kleiner ist, wo der nämliche VVinkel eine kleinere Dif- ferenz zwischen B und A angiebt, und die Waage sehr empfindlich ist, folglich früher überschlägt. Die hier gemachte Erklärung ist bey allen gleich- oder ungleicharmigen Waagen richtig, wenn die Waag- linie AB durch den Ruhepunkt geht. Auf selche Art ist vollkommen - bekannt das verlangte Gewicht aus: dem waagreehten Stande des He- % belarms AB, wie es bey aller Abwiegung, vorzüglich‘ aber bey der € römischen Waage gesucht wird. Eben in diesem bestehet schen: das; ? Wesentliche einer jeden Waage. Leistet diels eine gemeine Kram- waage nicht, so ist sie fehlerhaft, und’ eigentlich keine gleieharmige, sondern eine ungleicharmige römische Waage, da un 2 2 4 un En U Du 140 28. 108 ? =. 28. Nun wollen wir auch vor Augen legen, wie im Gegen- theile es für die Waage sehr nachtheilig sey, wenn die Waaglinie sich unter dem Ruhepunkte vorbeyziehet. Es ereignen sich hier verschiedene Fälle. Da beym Gleichgewichte die Centrallinie CG zugleich senkrecht auf der wahren Waaglinie AB stehet, geschieht bey einer fehlerhaften Waage, dafs Gewicht und Gegengewicht sich nicht in A und B befinden, sondern in N und L; in N und A; in B und L; in M und L; in N und T, oder in M und T. In allen diesen Fällen wird die Abwiegung mehr oder minder unbequem, und nachtheilig ausfallen. Bey manchen fehlerhaften römischen Waagen treten nach verschiedenem Stande des Laufers auch zwey und drey Fälle ein. Obwohl schon gegen die Nägel für die Waagschüssel der Nagel des Ruhepunkts zu hoch gesetzt ist, so stehet doch anfangs derRücken des längern Waagarms noch höher, senkt sich aber nachmals auch bis unter die Linie der andern Nägel, weil er auch von oben her- ab gegen das Ende zu verjünget und zugefeilt ist. Anfangs haben Waagschüssel und Laufer gegen den Ruhepunkt die Lage LCM, nach- mals LCB, und endlich LCN, wie es schon die ungleiche Ueber- schnellung des kaum jemals in die Ruhe zu bringenden Waagarms an- zeigt. Das Nachtheiligste ist noch dabey, dafs zuweilen an dem feh- lerhaften Aufsatze das Gewicht des Laufers über der Rückenlinie hängt, und die Waage zur Ueberschnellung ganz eignet, so dafs in der Lage LCM der Ruhepunkt gar unter die Linie LM fällt. Ganz unnöthig wäre es, alle Fehler von so verschiedener Lage zu entwickeln. Wir wollen nur eine LCM untersuchen, die auch bey gemeinen gleichar- migen Waagen die gewöhnlichste ist, da LN unter AB und dem Ruhe- punkte C liegt. Hat bey dieser Lage der Waaglinie die Waage eine Schwingung erhalten, welche den Punkt Bin Fund Ninr; den Punkt‘A in D und Liinl gebrachthat, sozieheman auf AB diesenkrechten Fb, rp, Da, a Zu ws ran j PT u RR 109 ly, so ist das zum Gleichgewicht erfoderte Verhältnifs der Distanzen CB:CA oder Cb:Ca gehoben, weil Cp gegen Cb kleiner, Cy aber gegen Ca grölser geworden ist. So wird also das von L zu I gebrach- te Gewicht in dieser Lage überwiegen, und das andere von r in N wie- der erheben, und zwar um so schneller, weil auch der von Ging gebrachte Schwerpunkt mitwirkt. Es bleibt also r in N nicht stehen, sondern steigt mit erhaltener Schwunghraft in n, und bringt auf dem andern Arm das Gewicht Lin v. Lälst man nun hier von n und y auf AB die senkrechten nq und vz fallen, so hat Cq gegen Cb zugenom- men, Cz aber gegen Ca abgenommen; der Schwerpunkt G ist auch gegen k gestiegen. So senkt sich also jetzt n mit verdoppelter Kraft, bringt v wieder in l, und das vorige Spiel fängt auf ein neues an. Das Gleichgewicht ist kaum zu erwarten, bis endlich der Widerstand durch die Reibung beyde Theile schwächt, und so die Schwingungen zu Ende bringt. Waren noch dabey, wie es auch anfangs besonders bey einer römischen Waage kaum anderst zu erwarten ist, die Gewichte L und N noch nicht in gehöriger Lage für das Gleichgewicht, so ist die Ue- schnellung kaum zu vermeiden. Wenn das nur wenig überwiegende von N in r sich senkende Gewicht, wo es an seiner Kraft etwas verliert, das andere von L in l erhebt, so erhält dieses auch mit Beyhülfe des Schwerpunkts das Uebergewicht, schwingt also das erste von rinn hinauf, wo es schon vorhinein etwas überwiegend noch mehr Kraft durch die Lage und den Schwerpunkt erhält. Dies bewirkt ein schnel- les Herabfallen, so, dafs bey erhaltener Schwungkraft das andere sammt der Waage wohl gar überschlagen wird. Geschiehet auch dieses nicht, so wird nach langer Unruhe die Waage mit einem geringen Ausschlage endlich stille stehen, weil einerseits das schwerere Gewicht N bey der 'Herabsinkung in seiner Kraft etwas verliert; das geringere Gehobene L hingegen mit vermehrter Distanz und der Beyhülfe des Schwerpunkts mehr Kräfte erhält. 29. 29. Es wäre unnöthig mehrere Fälle zu entwickeln. Man sicht schon das Fehlerhafte in jeder Lage, wo der Ruhbepunkt nicht durch die Waaglinie geht, Bey jeder Schwingung, es mögen Gewicht und Gegengewicht das Gleiehgewicht haben oder nicht, wirkt nicht nur der Schwerpunkt, sondern auch jedes Gewicht selbst, und zwar mit immer veränderter, bald steigender, bald fallender Kraft. Dadurch bleibt die Waage in langer Unruhe, überschlägt leicht, oder giebt . nur einen kleinen, der ungleichen Kraft der Gewichte nicht anpas- senden Ausschlag. Liegt aber derRuhepunkt in der Waaglinie, so wirkt bey den Schwingungen im Falle des Gleichgewichts der Schwerpunkt allein. Fehlt das Gleichgewicht mit nicht zu grofsemUebermalse, so wirken auch die Gewichte, aber immer gleich, und geben nach Verhältnifs der gröfsern Kraft einen grölsern Ausschlag, weil in jeder Lage die Entfernungen des Gewichts und Gegengewichts in unverändertem Verhältnifs bleiben. Die römischen Waagen sind nur alsdann Schnellwaagen, wenn sie gegen ihre, Natur und wesentliche Ei- genschaft fehlerhaft verfertigt sind. Eine kleine Abweichung, bey welcher der Ruhepunkt nur ganz wenig über der Waaglinie stehet, hat nichts zu: bedeuten, und bringt. die nachtheilige Wirkung nicht. Es ist doch jeder Waagarm biegsam, und wenn, er eine schwere, Last, trägt, senkt er sich etwas herab. Doch merklich darf das nicht, seyn, und über seine Kraft soll der Arm keine Last tragen. Auch, eine gemeine VVaage. trägb nur. ein. ihrer Stärke. anpassendes Gewicht, und wird durch ein grölseges. verdorben. 30. Nach dieser theoretischen Abhandlung, über den physi- schen, Hebel oder. die. römische \WVaage sind; noch praktische. Vor- schriften und Bemerkungen übrig, die eigentlich in, 2 Theile zerfal-. len. Der erste enthält die Art, wie man vorläufig über eine noch nicht N ak Ba a un a ” ı1ıı nicht verfertigte Waage einen auf die Absichten passenden Ueber- schlag machen, und in der Hauptsache berechnen könne. Sie be- ziehet sich vorzüglich auf gröfsere Waagen, für die ein taugliches Muster miangelt. Die andere Art giebt den ganzen Unterricht, wie man eine Verfertigte behandeln, dafür das Laufergewicht bestimmen, und nach der Auswahl von diesem die Theilung auf dem Waagarme und auf dem Sattel des Aufsatzes für den Laufer machen solle. Wenn hier mit der praktischen Ausübung auch die Rechnung ver- bunden wird, wird es doch Jenem nicht unangenehm fallen, der einsehen will, wie genau die Theorie mit der Ausübung zutreffe, und wie diese durch jene geleitet und erleichtert werde. $....5- Vorläufiger Ueberschläag über eine römische Waage, die man nach bestimmten Absichten will verfertigen lassen. 31. Wenn man nicht schon ein geprüftes Muster vor sich hat, so ist es rathsam, dafs man die Waage nach der wahren Gröfse, wie es hier für eine kleine Fig. I geschehen, auf ein mit Papier überzogenes Brett zeichne. Man kann dadurch aus der festgesetz- ten Breite, Dicke und Länge aller Theile den körperlichen Inhalt nach einem angenommenen Maalsstabe mit bekannter Art berech- nen, und auch hinlänglich das Gewicht vom Eisen entdecken, wenn die spezifische oder eigenthümliche Schwere von Stäbeisen, und ‚das absolute Gewicht von einem Kubikschuh Regenwasser be- ‚kannt ist. Die erste, wie ich selbst im Mittel gefunden habe, darf man’ annehmen = 7,786. Der baierische Kuübikschuh Regenwasser wiegt 1420,5 Loth nach dem neuen baierischen Gewicht, eben, weil das Pfund in Zukunft genau 560 Grammes enthält nach dem neu* frän- 112 fränkischen Gewichtsystem. Es wiegt also der Kubikzoll Wasser 1420 er 0,82 sehr nahe. So ist das Gewicht von einem Kubikzoll Stabeisen — 7,786 x 0,82 —= 6,38452 — 6,4 Loth beynahe, wie es schon Nr. 4 angesetzt wurde. Multiplicirt man mit dieser Zahl den durch Rechnung gefundenen körperlichen Inhalt der Waage in baierischen Kubikzollen, so hat man schon vorläulig das Gewicht des eisernen. 32. Wurde aber das Modell nach der wahren Grölse von Holz gemacht, wie es für grolse Last- oder Heuwaagen geschehen sollte, so erhält man noch leichter das Gewicht des Eisens, wenn die specifische Schwere des Holzes bekannt ist. WVer diese nicht selbst zu finden weils, oder mit einer guten Waage dafür nicht ver- sehen ist, kann bey trockenem Tannenholz annehmen 0,55; bey Lindenholz 0,604; bey Eichenholz 0,845. Dividirt man damit die spezifische Schwere des Stabeisens — 7,786, so zeigt der Quotient an, um wie viel der eiserne WVaagbalken schwerer sey als der höl- zerne. Da man dieses Gewicht zur vorläufigen Rechnung so genau zu wissen nicht nöthig hat, und nicht wissen kann, wenn nach dem Modell der Wagbalken nicht so richtig geschmiedet und bearbeitet wird, darf nur das Gewicht von diesem beym Tannenholz mit 14,2; beym Lindenholz mit 12,9; beym eichenen mit 9,2 multiplicirt wer- den, um das Gewicht des eisernen zu erhalten. 33. Bey grolsen Lastwagen ist es sehr vortheilhaft, wenn man schon aus dem Modell ihre Wirkung beynahe übersehen kann. Ich nehme also so eine zum Muster, und stelle darüber die Rech- nung an. Der starke, bey 2 Zoll dicke, gegen 5 Zoll breite, und mit dem vorstehenden Theile über 14 Zoll lange, sammt den Nägeln von Tannenholz gemachte kürzere Waagarm wiegt 86 Loth. So wird also der eiserne wiegen 86 X 14,2 = 1221 — 38 Pf. 5 Loth, oder gerade aus 38 Pf. Der äufsere Nagel steht ı2, der % 3 3 we N x ee 113 # innere 5 Zoll vom Ruhepunkte ab. Der Mittelpunkt der Schwere ist von diesem entfernt durch 7 Zoll, wie man es entdeckte durch Auflegung des Modells über die Schneide eines Messers. Diese _ — Entfernung darf auch sicher für den eisernen Arm angenommen werden, N Der andere Waagarm ist vom Anfange bey C bis zum Nagel Fig.1. - _E für das Hülfsgewicht 12 Schuh lang. Der Durchmesser Ff hat 2, der äulsere Dd noch 2 Zoll. Das Modell von Tannenholz wiegt 212 Loth. Es wird also der eiserne Arm ein Gewicht haben von 212%X14,2=3010Loth=94Pf.; der Mittelpunkt der Schwere ste- het vom Ruhepunkte ab durch 60 Zoll. 34. Wenn das an dem weitern Nagel A angebrachte Gewicht r;,, ıır. _ = r mit dem längern Arm das Gleichgewicht haben soll, muls seyn ir. 13) CAXr=CR»xP—CSx p. oder hier 12 Xr= 6o X94— 7 x 38: daher wird r = 448 Pf. Nach dem Verhältnifs 5: ı2 ist bey B für den nä- hern Nagel t — 1075 Pf. Die 4 starken bey 20 Schuh langen Ketten mit ihren Haken, welche bey A oder B hängen, dürfen sicher auf ein Gewicht von 150 Pf. angesetzt werden. Ziehet man diese von den vorigen ab, so ist das Gegengewicht mit dem längern Waagarme bey A = 298, bey B = 025 Pf. Das Gewicht des Laufers sammt dem Aufsatz, an welchem es _ hängt, wird unterdessen auf einen Zentner angesetzt. Wenn es sich also bey F dem er C auf 6 Zoll nähern kann, trägt es bey 0x6 100x6 ” 5 A ein Gewicht = -—— =50; beyB= = 120Pf. Esfängt | h 15 also 114 Me EEE P also bey A die Waage an mit 298450 = 348, bey B mit 925 + 120 I = 1045 Pf. Wird der über den Rücken des Waagarms auf Rollen ge- setzte Laufer bis zu D verschoben, wo er von E noch 6 Zoll ab- steht, so ist vom Ruhepunkte seine Entfernung CD = 144 — 6 = 138 . £ 138 x Ioo Zoll, und er trägt da für sich allein ein Gewicht bey A = — — 138 > 100 5 - 298; bey B 925, so geht bey A die Waage bis 1448, bey B bis 3685 Pf. = 1159, byB= — 2760 Pf. Setzt man dazu bey A Das in E angebrachte Hülfsgewicht darf ohne Lücke (Nr. rg) bey A tragen 1448 — 348= 1100, bey B= 3685 — 1045 — 2640Pf. oder 2600 in ganzer Zentnerzahll. So kann man damit abwiegen bey A 2548, bey B 6280. Weil der Abstand CE — 144 Zoll, ist 1100 xX12 2600 Wr Püne 913 Pf., fürB = are = — 90 3% Pf. Wird es auf dieses justirt, so dürfen nur dazu noch 45 Loth sehr nahe gesetzt werden, damit es auch für A diene. für A das Hülfsgewicht = Vom kleinsten Gewichte — 348, mit welchem die Wage bey A anfängt, bis zum gröfsten = 1448, wird der Laufer verschoben durch ı32 Zoll. So viel nimmt also die Theilung ein für 1100 Pf. Es kommen also auf ıo Pf. noch ı,2 Zoll zur Theilung auf dem Rücken der Waage, und zur Theilung auf‘ dem Sattel für ı Pf. noch 0,12 Zoll = 1,44 Linien. Für B ist die Theilung kleiner in dem Verhältnifs 12:5 (Nr. 9). Sie ist also für 10 Pf. — ——— — # Zoll, und für 3 Pf. auf dem Sattel = 1,2 Linien. 35. 115 35. So wäre alles schon aus dem Modelle für eine grofse Waage berechnet. Sollten damit mehr als 62 Zentner abgewogen werden, so mülste dasGewicht des Laufers auf $ Zentner gesetzt, und die Rechnung damit erneuert werden. Fängt beym weitern Nagel, wie es kaum anders zu erwarten ist, die Waage zu spät an, so, dafs } ein kleiner leerer Wagen damit kaum könnte abgewogen werden, so hängt man da das Hülfsgewicht von go Pf. an, ohne auf die wenige Lothe A zu schen, welche es darüber hat, und ziehet eben so viel vom Ge- - wichte des Wagens ab, der doch eine Schwere haben wird von 348 — 90 = 258 Pf. Die Auslage für so eine Waage ist grols, und es lohnt sich wohl die Verfertigung eines auch doppelten Modells wenigst für den längern Arm, damit man versichert sey, dafs die Absichten damit erreicht werden. Wie man es aber mit einer wirklich verfertigten anzugehen habe, und welche Rechnungen darüber anzustellen seyen, ist noch zu erklären übrig. G. 6. Praktisches Verfahren bey einem verfertigten Waug- balken zur Auswahl des Laufers und Theilung der “ W auge. 36. Es soll hier zum Muster eine Waage dienen, die ich so _ stark verfertigen liefs, dals auf selber 3 Zentner genau konnten ab- _ gewogen werden. Sie war auf das Umwenden nicht eingerichtet, und hatte nur 4 Nägel A, B, C und E. So genau waren sie nicht Fig. II. eingesetzt, wie es die Zeichnung foderte; aber die Rückenlinie des ängern Arms hatte die gehörige Lage, und die Waage machte gute Dienste. 5 Bey 116 Bey der Beschreibung aller Theile nehme ich hier zum Maalsstabe den in 1000 Theile getheilten Pariser Schuh; gebe auch das Gewicht unbestimmt an, wenn es gleich das Nürnbergische war. Kommen hier bey der Berechnung einige Wiederholungen vor, so möch- te man bedenken, dafs sie der Zusammenhang des ganzen Verfah- rens erfodert habe. 37. Nach der Ausmessung mit dem Zirkel war AC = 245, BC=0g4, CE =3124. An dem Aufsatze des Laufers (Fig. II. A) hatte der Sattel eine Breite AB— 2ı0. War dieser am Nächsten bey F zum Ruhepunkt C geschoben, so stand sein Mittelpunkt davon ab durch 175 Theile. In der weitern Entfernung bey D war der Abstand von E — 145, und also CD = 2979. Wird von dieser noch CF — 175 abgezogen, so giebt der Rest den Weg des Laufers an dem längern Arm — 2804. 38. Der starke eiserne Waagbalken wog 5 Pf. g Loth; der grölsere Haken für die Waagschüssel 18 Loth; der kleinere für das Hülfsgewicht 43. Die eiserne Waagschüssel mit 4 Ketten und 2 ei- sernen Ringen 448 — 14 Pf.; der messingne Aufsatz für den Lau- fer 8 Loth. Mit Ausnahme des Gewichts von der ganzen Waage, welches doch unverändert bleiben wird, sollte jedes der dazu gehörigen Stücke in der Beschreibung angemerkt werden, damit, wenn eines verloren gieng, oder eine Reparation nöthig hätte, es wieder mit unverändertem Gewichte könnte hergestellt werden. Sie werden deshalb vorhinein, so viel es thunlich ist, auf bekannte Abtheilun- gen eines Gewichts justirt. Die Waagschüssel mit dem dazu gehörigen Haken, als ein beständiges, von einem Nagel der Waage zum andern wanderndes Gewicht, wird zwar nothwendig in die Rechnung gebracht; bey der Ab- Pe ee, 117 d Abwiegung aber ist sie als ein Theil der Waage selbst schon abgezo- gen, wenn nicht selbe ohne sie geschehen wäre, in welchem Falle ihr Gewicht von 14 Pf. dem Abgewogenen mülste beygesetzt werden, doch ohne Beyrechnung des verbleibenden Hakens, der, damit keine Ver- wechselung geschehe, sich durch eine Endspitze von dem da abgerun- deten für die ganze Waage unterscheidet. Der Senkel EF (Fig. If. A) wird nach der bekannten Art, wie bey allen Setzwaagen, durch [doppeltes verkehrtes Aufsetzen vorher justirt, damit er genau die waagrechte Lage von AB und den Rücken des Waagarms angebe. 39. Nach dieser vorläufigen Uebersicht der ganzen Waage schreitet man zur Bestimmung des Laufergewichts, und hernach zur Theilung. Der sich mit Rechnen nicht helfen kann oder will, geht es praktisch also an. Er bringt an den Aufsatz des Laufers ein Gewicht, welches er glaubt seinen Absichten angemessen zu seyn, und führt es gegen F so nahe, als es der Aufsatz gestattet. Er legt alsdann in die am nähern Nagel hangende Waagschüssel so viele Gewichte, bis er das Gleichgewicht erhalten hat. So ist ihm das kleinste Gewicht be- kannt, welches der Laufer abwiegt, oder mit welchem die Waage an- fängt am nähern Nagel für grölsere Gewichte. Nach diesem werden noch 2, 4 oder 6 Pf. in die Waagschüssel gebracht, und der Stand des _ Laufers für das Gleichgewicht genau angemerkt. Der mit dem Zirkel _ abgenommene Weg, welchen der Laufer vom kleinsten Gewichte bis daher durchlaufen hat, wird an dem Waagarme weiter fortgetragen, bis zum weitesten Stande des Laufers inD. Auf solche Art ist auch das grölse Gewicht bekannt, welches er noch abwiegt. Die Differenz vom vorigen kleinsten giebt an, wie viel das Hülfsgewicht tragen kön- ne (Nr. 18). Macht dieses zum grölsten addirt eine Summe von 300 oder etwas darüber, so ist die Wahl für das Laufergewicht wohl ge- troffen, Istsie aber zu klein oder zu grols, so muls der Laufer schwerer oder Fig. Il. 118 oder geringer werden. Man wiederholt also die Untersuchung, bis das gefundene Gewicht den Ansichten entspricht. 40. Bey kleinern Waagen geht dieses praktische Verfahren ziem- lich wohl an, und führt auch bald zum Zweck. Wären aber gröfse- re Gewichte umzulegen, so könnte es nicht ohne längern Aufenthalt und viele Beschwernils ausgeführt werden. Man hilft sich also mit einer kurzen leichten Rechnung, mit welcher weitere Untersuchung, besonders bey grolsen Heuwaagen, entbehrlich wird. Man macht sich nur bekannt, welches Gewicht auch mit Bey- rechnung der Waagschüssel sammt ihren Haken am nähern Nagel B mit dem längern Waagarm ohne Laufer das Gleichgewicht halte. Aus diesem erhält man hernach das Laufergewicht durch die Rech- nung. Es sey der nächste Standort für den Laufer — CF, der weiteste — CD; das Gewicht des Laufers sammt dem Aufsatz = x. ” eg: n } CFxx ; So trägt er in F ein bey B hangendes Gewicht — >70: weil Gr xx BC:CF=x: 0" Gewicht, welches hier mit dem Waagarme das Gleichgewicht hält, und macht es = b, so ist das kleinste Gewicht, welches der Lau- ’ CF xx $ fer x hier abwiegt, = ae + b= m, wie es Nr. 18 genannt Setzt man dazu das vorhinein gesuchte wurde. Eben so ist das gröfste Gewicht, wenn der Laufer in D . CDxx R- geführt wurde, — 30" +b-—M. DasHülfsgewicht in E=-M—m soll mit M, wie hier verlangt wird, 300 Pf, = d machen. So ha- ben wir also 2M—m=d, nämlich 2C0CDxx CFxx ger tab BG — b, oder (2 > B j { ’ } 119 (2CD—CF)xx BC +b=d, und daher BC EM MASCD RR Zu dieser allgemeinen Formel für das Gewicht des Laufers gab Nr.37 die Ausmessung BC = 94, CF= 175, CD=2979. Es wurde auch für diese Waage gefunden b — 43,5 Pf. sehr nahe. Da also seyn soll d = 300, so ist 94 5783 dem Aufsatz. Weil es aber doch besser ist, dafs d etwas grölser als genau nur — 300 erhalten werde, und dafs auch derLaufer da- bey ein sonst noch brauchbares Gewicht erhalte, so wird dieses ohne den g Loth wiegenden Aufsatz auf ganze 4 Pfund festgesetzt, und so x = 4,25 Pf. angenommen. = 256,5 X 22 = 4,1693 Pf. = 4. Pf. 5,4 Loth sehr nahe sammt Setzt man diesen Werth in der aus der vorigen hergeleiteten Glei- chung für das grölste Gewicht, welches die Waage sammt dem Hülfsge- (.2CD—-CF)xx 5783x 425 wichte abwiegt, so wirdd = gi +b= 94 +43:5 = 305 sehr nahe. Eben dieser Werth von x giebt für das grölste x CDxx 12660,75 Gewicht M= —5c tb = DE + 43,5 = 178,18; und CF xx 743,75 für daskleinttem= gg +b= 94 —+ 43,5 =51,41. Es dürfte ‚also in E das ‚Hülfsgewicht abwiegen sehr nahe 178 — 51 = ı27 Pf, und so gienge die Waage auf 178-4 127 = 305 Pf., wie vorher ge- funden wurde. Ich wollte aber das Hülfsgewicht nur auf 125, und so das ganze Gewicht auf 303 Pf. bestimmen und festsetzen. 41. Ehvor man nach dem so erhaltenen Gewichte des Lau- fers zur Theilung schreitet, ist noch zu untersuchen, mit welchem Ge- 120 Gewichte beym weitern Nagel A die Waage anfange, wie weit sie dort gehe, und ob nicht im Uebergange von A zu B eine Lücke an der Gewichtszahl vorkomme. Da man auch hier das Gewicht — b, welches mit dem Waagbalken das Gleichgewicht hält, berechnen will, so muls zum vorigen bey B — 435 Pf. = 1392 Loth das Ge- wicht der Waagschüssel sammt dem Haken = ı4 Pf. ı3 Loth = 456 Loth gesetzt werden, weil auch dieses zum Gleichgewichte beyträgt, und nochmals von B zu A wandert. So war eigentlich bey B das ganze Gewicht — ı858. Da nun diese Gewichte in B und A gegen einander in verkehrtem Verhältnifs BC:BA (Nr. 13) sind, oder hier 245:94 (Nr. 37), so ist 245 : 94 = 1858 :713 sehr nahe — 22 Pf. 9 Loth. Ziehet man davon wieder ab das Gewicht der Waagschüssel sammt dem Haken, bleiben 7 Pf. 23 Loth, welche nebst der Waagschüssel in A mit dem Waagbalken das Gleichge- wicht halten. Für sich trägt am Nagel A der Laufer bey F ein Ge- x<4H2 wicht — Fran — 3Pf. ı Loth sehr nahe. Kommen dazu 7 Pf. 23 Loth, so fängt hier die Waage an mit 10% Pf. Wird hernach der Laufer bis an das Ende zu D geführt, so ; ; £ CD x 4,2 2 < 425 trägt er für sich bey A ein Gewicht — < 7% TR — 51 Pf. 22 Loth sehr nahe. Kommen dazu die 7 Pf. 23 Loth, so geht hier die Waage bis 59 Pf. 13 Loth. Da sie bey B anfängt mit 51, so hat sie keine Lücke von 10% bis 178, und durch das Hülfsgewicht bis 303 Pf. 42. Wie schwer aber dieses seyn solle, ist auch vorläufig zu berechnen. Weil es, da der Waagarm schon horizontal ist, für sich 125 Pf. zu tragen hat, so ist GE GE = I25 = 3124 a ee 121 24,3584 Loth. Der Haken dafür wiegt 4,5 Loth (Nr. 38), so muls also nach der Rechnung das Hülfsgewicht wiegen 3 Pf. 19,8584 Loth = 3Pf. zo Loth sehr nahe. CE Bey A würde es tragen ein Gewicht — 3,7612 X Ac = 3,7612 X > = 47,957 =48Pf. sehr nahe. So würden mit ihm an dem weitern Nagel bey A abgewogen 59 + 48 = 107 Pf. Genau auf 48 berechnet würde für A das Hülfsgewicht AC 245 = x” #8 x Sat 3,7644, gegen 3,7612 nur um 0,0032 eines Pfundes, oder 0,1024 eines Loths geringer, 43. Endlich soll auch noch vorher in Ueberschlag kommen, wie grofs die Theilung zu ı Pfund auf dem Waagarm ausfalle, wenn die Abwiegung in A oder B vorgenommen wird, damit man auch vorhinein einsehe, mit welcher Richtigkeit sie geschehen werde. Bey A fängt die Waage an (Nr. 41) mit 10% Pf. — 3,44 Loth, und geht bis 59 Pf. 13 Loth = ıg01 Loth. Es wiegt also der Lau- fer für sich ab 1go1 — 344 = 1557 Loth, da er von F bis D durtch- läuft 2804 (Nr. 37). So haben wir also 1557 : 2804 — 32 : 57,629 sehr nahe für 32 Loth, oder ein Pfund, welche machen 8,3 Pariser Linien sehr nahe. Die Theilung für A ist zur Theilung für B, wie >" AC:BC (Nr. 9). So ist also 245 :94 = 8,3 : 3,18 = 57,6295:: 22,11. Da ersieht man, dafs für A die Theilung eines Pfundes — 8,3 Lin. noch ganz leicht auf dem Sattel in g Theile, oder von _ 4 zu 4 Loth könne abgetheilt werden, da ein Theil über eine Linie lang ist. Eben dieses kann für B noch von $ zu 8 geschehen. Ist 16 die x 122 die Schneide der nicht schräg eingesetzten Nägel scharf, und sind die darauf liegenden Ringe des Hakens für die Waagschüssel pa- rallel, gleich hoch, und innerhalb wohl zugeschliffen, so wird die Verschiebung des Laufers auf beynahe 5 Linie oder 2 Loth noch einen merklichen Ausschlag geben; und so können bey A die Ge- ı wichte bis auf 2, bey B bis auf 4 Loth richtig abgewogen werden. Welche gleicharmige gemeine Waage würde von ıo bis 300 Pf. mit so zuverlässiger Bestimmung die Gewichte angeben? Wenn auch insgemein so genau die Abwiegung nicht gefodert wird, so gehört doch zur Vollkommenheit einer Waage, dals man sie fodern kann. 44. Nach dieser vorläufigen Berechnung aller Wirkungen ei- ner römischen Waage, welche die darüber verfalste Theorie in so hellem Lichte zeigt, schreitet man zur Theilung, die mit allem mög- lichen Fleifse geschehen muls, und auch geschehen kann, wenn die Theilungsflächen auf dem Waagarme fein abgezogen sind, und eine geübte Hand mit guten Zirkeln von Stahl versehen ist. Man gehet es also an. Fig. I, A Am Sattel des Aufsatzes wird nahe an dem von F (Fig. I.) mehr entfernten Rande K der Oeffnung IR ein feiner Strich ge- macht, zu welchem als dem Anfange der Theilung nachmals o ein- geschlagen oder gestochen wird. Nach diesem setzt man den Auf- satz mit dem anhangenden und schon richtig verfertigten Gewichte des Laufers auf den Waagarm, so dafs A oder I am Sattel nahe zu F bey der Waage kommt. Will man die Theilung für den weitern Nagel anfangen, wo die Waage bald nach ro Pf. brauchbar ist, so legt man in die Waagschüssel gleich 12 Pf., und verschiebt den Laufer, bis er bey vollkommener Ruhe des Senkels genau das Gleichgewicht mit dem Horizontalstande angiebt. Man kann auch der Waage eine kleine Schwingung geben, um zu erfahren, ob der wieder ruhende Senkel richtig zutreffe. Auf dieses wird der Arm über eine Stütze fest 123 fest gehalten, und mit der scharfen Spitze eines an dem Striche o auf dem Sattel mit der Schneide angelegten Federmessers ein fei- ner Punkt an dem Waagarm eingedrückt, den man mit dem Bley- stift, und auch der angeschriebenen Zahl 12 bemerkt. Nun legt man noch 2, oder besser 4 Pf. in die Waagschüssel, und sucht eben den Punkt für ı6 Pf. Zur Versicherung geschieht dieses noch für 20 und 24, oder auch noch mehr, wenn man will und mit so vie- len Gewichten versehen ist. Zur Prüfung der so gefundenen Punkte nimmt man mit einem scharfen Zirkel die Distanz für die ersten 4 Pfunde ab, und untersucht, ob sie auch bey den übrigen zutreffe, da man sich auch eines Vergrölserungsglases bedient. Zeigt sich eine etwas bedeutendeDifferenz, so wiederholt man die Untersuchung bis zur gänzlichen Befriedigung. So hat man Punkte genug für die richtigste Theilung, Eben so gehet man es an für die andere Seite des Waag- arms, da das Gewicht zum nähern Nagel in B kommt. Man macht auch hier vorhinein einen auch mit o gezeichneten Strich auf der andern, bey der Zeichnung hier nicht sichtbaren Seite des Sattels. Man weils hier schon aus der Rechnung zum voraus, dafs die Waage nach 5ı Pf. anfange, legt also gleich 54 oder 60 in die Waagschüs- sel, und fährt so fort von 8 zu 8 oder ıo zu ıo Pf., bis man 3 oder 4 richtige Punkte gefunden hat. Nach diesem wird die Waage abgenommen, und die Theilung für einzelnePfunde, ja wohl auch, wenn diese, wie hier für A, noch grols genug ist, für halbe Pfunde gemacht. Sie wird von o zurück auch auf den Sattel getragen, und hier noch in g Theile von 2 zu 2 Loth fortgesetzt. Die Linien auf dem Waagarme werden keineswegs mit einem Meilsel eingehauen, sondern nur mit einer scharfen stählernen Spitze fein gezogen, und die Zahlen dazu mit stählernen Setzziflern ein- 16 * 5° 124 geschlagen. Diefs kann auch auf dem Sattel geschehen. Doch hier darf man sie stechen lassen, weil er dadurch nichts Bedeutendes an seinem Gewichte verliert. 45. Nach so vollbrachter Theilung erhielten ı2 Pfund für den weitern Nagel A eine Länge von 692; es bekam also ein Pfund 57,666. Die Rechnung (Nr. 43) gab 57,629 mit einer unbedeuten- den Differenz von 0,037 Tausendtheilen des Pariser Schuh. Bey der Theilung für B erstreckten sich 40 Pf. über 386, und ein Pfund hatte 22,15; vorher nach der Rechnung 22,11, nur mehr um 0,04. Es war also nach der Theilung das sehr richtige Verhältnils CA: CB = 57,666 : 22,15 — 245 : 941. 46. Wenn das Hülfsgewicht für B gesucht wird, wo es 125 Pf. tragen soll, solegt man da auf die Waagschüssel, wenn allenfalls so viele nicht beyhanden sind, wie es sich vorzüglich bey grofsen Lastwaagen ereignet, nur den halben oder vierten Theil von 625 oder 314 Pf. Das dafür gefundene sammt dem Haken dop- pelt oder vierfach genommene Hülfsgewicht ist das wahre für 125. Hier wurde es genau gefunden zu 3 Pf. 20 Loth, wie es die Rech- nung nach CB=94,1 erfodert, Nr. 42. Man kann es hernach auch für AC berechnen oder praktisch bestimmen. 47: Bey einer doppelten Waage mit 5 Nägeln geht man es an der umgewendeten eben so an. Die kleine Abtheilung für ein Fig. APfund wird an dem vordern Rande des Sattels bey I angebracht, aber so, dals der Strich o gegen die Mitte kommt, weil er allezeit vorangehen soll, wenn derLaufer weiter fortgerückt wird. So zeigt hernach sein Abstand von dem nächstfolgenden, in die Theilung des Sattels fallenden Theilungsstriche des Waagarms, wie viele Loth noch darüber zu nehmen seyen. Die EEE 125 Die Ausmessung und vorläufige Rechnung aus der Bestimmung der Punkte o, h, c, f, d, e geschieht eben so. - Nur, wenn nicht be- ri;, ı, sondere Absichten ein anderes erfodern, behält man das für die obere Waage berechnete und angenommene Gewicht des Laufers. . 7. Bestimmung des Laufergewichts, mit welchem im Ue- bergange von der gröfsten Last, welche die Waage beym weitern Nagel trägt, zur kleinsten beym nähern, keine Lücke entstehe. 48. Mit Rücksicht auf die Gewichte, welche sowohl beym wei- tern als nähern Nagel mit dem schweren langen Waagarme das Gleich- gewicht halten, scheint die Vollkommenheit einer römischen Waage so eine Auswahl für das Gewicht des Laufers zu erfodern, dafs die grölste Last, welche mit ihm , da er sich in der weitesten Entfernung vom Ru- hepunkte G in D befindet (Fig. Ill.), beym weitern Nagel in A abgewo- gen wird, gleich sey der kleinsten, welche er zum nächsten in F ver- schoben, beym nähern Nagel in B abwiegt. Wäre diese gröfser als jene, z. B. wie 30 zu 24, so hätte die Waage eine Lücke, und über 24 bis 30 könnte nichts abgewogen werden. Im Gegentheile, wenn die grölste für den weitern Nagel sich bis 46 erstrecken würde, da die kleinste beym nähern schon mit 26 anfängt, so könnten Gewichte von 26 bis 46 zweymal abgewogen werden, und der Dienst, den auch der nähere Nagel dazu leistet, wäre überflüssig, wie schon Nr. 16 gemeldet wurde. So eine genaue Bestimmung für das Gewicht des Laufers hängt nicht nur von der Lage der Nägel ab, die man schon vor- aus festsetzen kann, sondern vorzüglich auch von jenen Gewich- ten an beyden Nägeln, die für sich das Gleichgewicht mit dem Waag- 126 ER LEN Waagarme halten, und die man erst bey schon verfertigter Waage richtig entdecken kann. Damit in dieser Abhandlung nach unserm Wissen nichts er- mangle, was zur theoretischen Kenntnils und praktischen Ausübung erfodert wäre, wollen wir zum Schlusse eine Rechnung bey einer schon verfertigten Waage darüber anstellen, und zugleich die Be- merkung beyfügen, in wie weit die so genaue Bestimmung des Lau- fers mit der Erzielung des grölsten und besten von der Waage er- foderten Dienstes zu vereinbaren sey. 49. In einer bis zur Theilung verfertigten Waage (Fig. II.) sey das Gewicht, welches den Waagarm horizontal stellt, beym wei- tern Nagel in A = n, beym nähern nB= m. CD sey für den Laufer die gröfste und CF die kleinste Entfernung vom Ruhepunkte C. Von diesem seyen auch die Abstände der Nägel AC und BC nach einem gleichen Maalsstabe angegeben. So viel ist schen voraus von selbst richtig, dafs die Waa- ge eine Lücke haben würde, wenn am weitern Nagel A der Laufer bey D für sich nicht mehr tragen würde als m—n. Denn so, mit Beyrechnung des Gewichts — n für das Gleichgewicht mit dem Waagarme selbst bey A, wäre hier die grölste Last, welche die Waage trägt, nur m—n+n=—m, jene nämlich, welche schon der waagrechte Stand für sich ohne Laufer in B erfodert. Wäre her- nach auch dieser aufgesetzt und in F gestellt, so würde er noch eine CF Last tragen in dem Verhältnifs BG, weil durchaus BC:CF, wie das Gewicht des Laufers in F zur Last, die er in B trägt. Wir wissen also, dafs, was ohne Beyrechnung von n der Laufer bey D am Nagel A tragen solle, gröfser sey als m—n. Machen wir $ } } H TEEN RETTEN ee Ya es 127 AC wir diese Last —x, so ist das Gewicht des Laufers = oD*=« Wird er zurück in F verschoben, so trägt er in B eine Last Mer" CA So ist d sh h = 05” cn”* So ist das gröfste Gewicht bey A= n + x, und CF_ CA das kleinste bey Bem+ 5 % und CF en ®: m+x—-m+abx. So; mn oıstx — dh CA Weil >: allezeit ein kleiner Bruch ist, und CF doch niemals beträchtlich gröfser als BC, zuweilen auch kleiner, so ist allezeit ab> ı, folglich x eine positive Grölse, und zwar grölser als m—n. Die Differenz m—.n bleibt unverändert, wenn auch sowohl zu mals .n eine gleiche Grölse addirt wird. So ist es also hier ein Ding, ob man dazu das Gewicht der Waagschüssel setze oder nicht. Dies melden wir nur der schweren Ketten halber bey grolsen Lastwagen. Bey einer verfertigten VVaage war ohne Beyrechnung der Waag- schüssel m —= 579,5 Loth, n=117,5, m—n=462;5 CA= 35,9, CA CD=374Lin, CB=15,12, CF=38,8. Folglich a — °D = 0,096, CF x undb = > 2,566, ab 0,246336; 1 — ab = 0,753664. Nach 128 6 Nach diesen Zahlen ist —_ —_ I ET, =b13% kommt dazu — _ —_ — on —_ — 117,5, so ist die grölste Last, welche bey A die Waage trägt — 730,5 Loth. E „ACC Das Gewicht des Laufers ist oD x." = 0096 X 613 — 58,848 Loth. Dieses trägt in B bey F eine Last CF CB” 58,848 = 2,566 x 58848 — — — a - kommt dazu m —_— — — z Pr = 579,5, so ist die kleinste Last by B — gen use = 730,5 wie vorher die grölste bey A gefunden wurde. 50. So wäre also nach der hier gesetzten Bedingnils das Ge- wicht des Laufers genau bestimmt. Aber um zu sehen, ob es auch vortheilhaft für die Waage, und auf die Absichten bey selber pas- send sey, berechne man die grölste Last, welche es in D verscho- ben bey B tragen würde. Diese ist = Sehen B48 == ereH X 58,848 — 1456 Loth, und CB . 15,12 i ’ mit Beysatz von m — 2035 Loth — 63 Pf. ı:9 Loth. Die Waage war nach ihrer Grölse und Stärke auf mehr als einen Zentner be- stimmt. Es würde also so ein geringes Gewicht des Laufers die ganze Absicht vereiteln, und die Waage wenig brauchbar machen. Ein Gewicht des Laufers von 4 Pf. ohne seinen Aufsatz war ganz dienlich, und die Waage gieng beym weitern Nagel von 7 bis 46, und beym nähern von 26 bis ı16 Pfund ohne Hülfsgewicht, das noch go Pf. trug. % Bey — 129 Bey Verfertigung einer Waage hat man also insgemein keine Rücksicht auf die hier erklärte theoretische uneigentliche Vollkom- menheit zu nelimen. Sey man nur dahin bedacht, dafs dieLücke ver- mieden, und das Gewicht des Laufers auf die Absichten für die Waage passend gewählt werde. 51. So wäre nun alles nach meiner Meinung hinlänglich er- klärt, was sowohl zur theoretischen Kenntnils, als zur ganz richtigen Verfertigung, Justirung und Eintheilung einer ungleicharmigen römi- schen Waage könnte verlangt oder gefodert werden, Man wird dar- aus ersehen, dals diese \Vaage so einer grofsen Vollkommenheit fähig sey, die nicht leicht eine gemeine gleicharmige zuläfst, besonders wenn sie schwerere Gewichte abwiegen soll. Es liegt auch nicht eine Ursa« che dieses Unterschieds zum Grunde. Die gemeine Waage erfodert, mit grolser Auslage, viele, und bey grolsen Lasten sehr schwere Gewichte. Wer hier eine Untersu- chung angestellt hat, ist durch die Erfahrung überzeugt, dafs diese selten so genau justirt sind. Oder wären sie auch anfangs richtig, so werden sie doch bey längerm Gebrauche und unlleilsiger Verwahrung wenigst so viel fehlerhaft, als bey einer wohl verfertigten römischen Waage niemals sich ereignen wird, die mit einem freyhangenden, einer Beschädigung fast gar nicht ausgesetzten geringen Gewichte alles ab- wiegt. Wie schwer es sey, einer gemeinen Waage die wesentliche Voll- ' kommenheit zu geben, und auch praktisch zu untersuchen, ob beyde Arme gleich schwer und gleich lang seyen, ist nur Jenem bekannt, der so eine mühesame Justirung vorgenommen hat. Man wird selten grölse- re Waagen antreffen, die in dieser Art richtig sind. Man kauft und _ gebraucht sie ohne weitere Untersuchung und ohne Sorge, dals sie “ nicht nach und nach fehlerhaft werden. Dies fällt bey einer ungleich- _ armigen \Vaage ganz weg. 17 Auch 130 Auch die Reibung an den Nägeln ist bey beyden nicht ganz die nämliche. Der gegen grolse Gewichte ganz geringe Laufer erfährt auf seinem Nagel jenen Widerstand nicht, den schwerere Lasten verursa- cken. Und doch hängt nur von ihm die Bestimmung ihrer Gewichte ab. Wegen weiterer Entfernung aber vom Ruhepunkte überwindet er mit einer kleinen Verrückung einen beträchtlich gröfsern Widerstand. Die Verfertigung der Nägel mit einer scharfen geraden Schnei- de macht eben nicht mehr Beschwernils für eine römische VVaage, als die Einsetzung der Achse und Bearbeitung der Anhängpunkte zu den Waagschüsseln bey einer gemeinen. Sind auch die zwey Nägel der ersten nicht ganz in dem Verhältnifs des Abstandes vom Ruhepunkte eingesetzt, wie man gewünscht und vorgeschrieben hatte, so nimmt diefs der Vollkommenheit gar nichts, und verändert nur unbedeutend die Gröfse der Theilungen auf dem längern Waagarm. Dals der Rücken von diesem in jener geraden Linie fortlau- fe, die sich durch die Schneide der Nägel ziehet, ist das Wichtig- ste, das hier vom Künstler soll, und auch mit angewendetem Fleifse kann ausgeführt werden. Eine kleine Abweichung hat wenig zu bedeuten, und kann auch insgemein noch verbessert werden, bevor man zur Theilung der Waage schreitet. Grölsere Fehler werden nicht geduldet, und die damit behaftete Waage wird verworfen. So viel ist aber gewils, dafs ein gemeiner Eisenschmied nicht leicht eine gute römische Waage zum Gebrauch verfertigen werde, wenn nicht ein geschickter Künstler die weitere Berichtigung und: Austheilung übernimmt. Da eben dieses nützliche und yortheilhafte Werkzeug in mancher Gegend noch wenig bekannt ist, so wird es vielleicht noch lange hergehen, bis es gute Künstler richtig verfer- tigen, dabey für ihre Arbeit gute Belohnung und vielen Absatz fin- den, weil der Gebrauch davon noch insgemein unbekannt, und eben darum nicht beliebt ist. Kann diese Abhandlung dazu etwas beytra- gen, 131 gen, so ist die viele Mühe und lange Untersuchung darüber hinläng- lich belohnt, Be Arne Gare Allgemeine Vorschrift zur Verfertigung einer römi- schen Waage. 1. Die von der gemeinen ganz verschiedene römische Waage hat theils für die Gewichte, theils für den Anhäng- oder Ruhepunkt 4 bis 5 Nägel. 2. Die kleine hier nach der wahren Grölse gezeichnete ist eine doppelte mit zwey entgegengesetzten Anhäng- oder Ruhe- punkten. 3. Man hat dabey verschiedene Absichten. 4- Will man aber die Waage nur als eine einfache benutzen, so kann der längere Waagarm unterhalb gegen das Ende etwas ver- jünget werden. Man gewinnt aber bey kleinern Waagen nicht viel dabey. 5. Der Aufsatz für das Gewicht des Laufers erfodert vielen Fleiß. 6. Die Waagschüssel soll nicht von Holz seyn, sondern von Metall mit eisernen oder messingnen Ketten. «+ 7. Die drey Fragen über die Verfertigung so einer Waage erfodern zur Beantwortung die vollständige, bis daher fast nur aus der Erfahrung hergenommene Theorie der römischen Waage. 17,2 (u 132 ade S.n2, Entfernung der Nägel für die Waagschüssel vom Ru- hepunkte der Waage und Verbindung der Theilung auf dem Waagarme mit selber. 8. Wenn gleich die VVlaage ein schwerer physischer Hebel ist, so wird doch anfangs aus dem Mathematischen bewiesen, in welcher Verbindung mit der Theilung der Abstand der Nägel vom Ruhepunkte stehe. 9. I. Lehrsatz. Die dem weitern und nähern Nagel zu- kommenden Theilungsgröfsen auf dem längern Waagarme verhalten sich, wie die Entfernung dieser Nägel vom Ruhepunkte. 10. 11. II. Lehrsatz. Für den nämlichen Nagel aber sind sie der Differenz der Gewichte proportional. 12. Diese aus dem mathematischen Hebel hergeleiteten Eigen- schaften werden auch für den physischen bewiesen. Dazu dient noch 13. 14. Der III. Lehrsatz, Dals die Gewichte an beyden Nägeln, welche mit dem schweren Waagarme das Gleichgewicht: hal- ten, gegen einander seyen in verkehrtem Verhältnils ihrer Abstände vom Ruhepunkte. 15. So hat man also ein dreyfaches Mittel dieses zur Rech- nung so nothwendige Verhältnis richtig zu finden. 16. In der praktischen Ausführung sollte es durchaus wie 5 zu 12 angenommen werden. 17. Die absolute Entfernung des weitern Nagels vom Ruhe- punkte hängt von der Grölse der VWVaage ab, fängt insgemein bey 3 Zoll an, und geht bis ı2. K2g. Wahre Gröfse des Hülfsgewichts am Ende des längern W aagarms. ı8. Wenn das kleinste Gewicht, welches der Laufer am nä- hern Nagel abwiegt = m, das grölste — M, so kann das Hülfsge- wicht 233 wicht für sich abwiegen M— m, und das gröfste mit diesem für die Waage ist 2M—m. Weniger, aber nicht mehr darf dieses Ge- wicht tragen, damit nicht die Waage eine Lücke bekomme für ei- nige Zwischengewichte, die sie nicht abwiegen kann. 19. Die Theilung für den Laufer verändert das Hülfsgewicht nicht. 20. Der besondere Vortheil dabey besteht in beträchtlicher Verkürzung des Waagarms. 21. Auch für den weitern Nagel sollte ein Hülfsgewicht be- stimmt werden. 22. Dabey kann man sich aber durch Rechnung helfen. Ge 28 Die Rückenlinie des längern Waagarms oder der Weg des an selbem hangenden Laufers soll sich genau durch den Ruhepunkt der Waage und über die Schneide der Nägel für die Waagschüssel ziehen. 23. Gegen die Meynung mancher Physiker wird dieser Satz aufgestellt. 24. Es ist nicht nur besser, sondern gehört zur wesentlichen Vollkommenbheit einer jeden, gleich- oder ungleicharmigen Waage, dafs die Waaglinie sich durch den Ruhepunkt ziehe. 25. Die veränderliche Lage dreyer Schwerpunkte bestimmt in jedem Falle das Gleichgewicht im physischen Hebel. 26. In diesem Falle ist die Centrallinie, in welcher sich der Mittelpunkt der Schwere von beyden Waagarmen befindet, allezeit senkrecht auf die Waaglinie. Ziehet sich diese durch den Ruhe- _ punkt, und steht der Schwerpunkt unter selber, so ist die Waage tauglich, und bey jeder Schwingung wirkt der Schwerpunkt allein. %7. Ist aber das Gleichgewicht noch nicht ganz hergestellt, so wirken zwar auch die Gewichte mit dem Schwerpunkte, aber im- mer 294 mer gleich, und geben einen ihrem Uebermaalse ganz proportionir- ten Ausschlag. 28. Wenn der Ruhepunkt nicht in der Waaglinie liegt, so er- eignen sich verschiedene Fälle, von welchen oft zwey bis drey bey der nämlichen fehlerhaften römischen Waage nach verschiedener Stellung des Laufers eintreten. In jedem Falle, wo aber zum Mu- ster ein mehr gewöhnlicher entwickelt wird, wirken mit dem Schwer- punkte auch die Gewichte, doch aber mit ungleicher und veränder- licher Kraft. Dadurch entsteht ein Ueberschnellen der Waage, oder doch eine lange Unruhe, bis endlich ein kleiner, der Differenz der Gewichte nicht proportionirter Ausschlag erfolgt. 29. Eben daher ist bewiesen die Nothwendigkeit für eine vollkommene gute Waage, dafs der Ruhepunkt in der Waaglinie liege. Nur ganz kleine, durch die Beugung fast unvermeidliche Ab- weichungen haben nichts zu bedeuten. 30. Auf die theoretische Abhandlung folgt eine doppelte Vor- schrift zur praktischen Ausübung. Gen, Vorläufiger Ueberschlag über eine römische Waage, die man nach bestimmten Absichten will verfertigen lassen. 31. Mit Beyhülfe einer Zeichnung nach der wahren Gröfse einer Waage, kann man davon den körperlichen Inhalt, und wenn die spezifische Schwere des Staheisens, sammt dem Gewichte von einem Kubikschuh Regenwasser bekannt ist, auch das Gewicht des Eisens berechnen. 32. Eben dieses erhält man noch leichter aus dem abgewo- genen hölzernen Modelle und der spezifischen Schwere des Holzes und des Stabeisens. 33. Zum Muster dient hier eine grofse Last- oder Heuwaa- g&% bey welcher aus dem nach der wahren Grölse verfertigten höl- 135 hölzernen Modelle das Gewicht, und auch der Mittelpunkt der Schwere von jedem Waagarme bekannt ist, 34. Daher wird berechnet, mit welchem Gewichte an beyden Nägeln der lange Waagarm das Gleichgewicht halte; wie viel der auf einen Zentner angenommene Laufer für sich allein, und auch mit dem Hülfsgewichte abwiege, und wie grofs die Theilung auf dem Waagarme ausfalle. 35. Sollte noch mehr abgewogen werden, so wird ein gröfseres Gewicht für den Laufer gewählt. Man kann sich auch helfen, wenn die Waage auch beym weitern Nagel für kleine leere Waagen zu spät anfängt. $. 6. Praktisches Verfahren bey einem verfertigten Waag- balken zur Auswahl des Laufers, und Theilung der Waage. 36. Das Verfahren wird bey einer Waage gezeigt, mit der man 3 Zentner richtig abwiegen kann. 37. 38. Vorläufig werden alle Theile ausgemessen, ihre Ge- wichte abgewogen, und der Senkel des Aufsatzes für den Laufer auf den Horizontalstand justirt. 39. Nach diesem schreitet man zur praktischen Auswahl des Laufergewichts. \ 40. Leichter, besonders bey gröfsern Waagen, erhält man dieses, sammt dem, was das Hülfsgewicht tragen soll, durch eine j allgemeine Formel. 41. Man erhält auch so das gröfste und kleinste Gewicht der Waage, .- 42. und die Grölse des Hülfsgewichts. 43. Endlich auch, wie grols die Theilung ausfallen werde, 44: die man nachmals praktisch vornimmt, 45. wodurch man die durch Rechnung gefundene, 46. 136 46. sammt dem Hülfsgewichte prüft. 47. Bey einer doppelten Waage wird das nämliche Verfah- ren wiederholt. N Bestimmung des Laufergewichts, damit im Uebergan- ge von der grö/sten Last beym weitern Nagel zur kleinsten beym nähern, welche die Waage trägt, keine Lücke entstehe. 48. Die Vollkommenheit einer römischen Waage scheint zu erfodern, dafs sie beym nähern Nagel, jene Last zu tragen anfange, welche die gröfste war beym weitern, damit in ihr nicht nur keine Lücke, sondern auch nichts Ueberflüssiges vorkomme. 49. Darüber wird bey einer schon verfertigten Waage ‚die Rechnung angestellt, 50. welche zeigt, dafs man zwar die Lücke bey der Waage zu vermeiden, auf diese vermeinte Vollkommenheit aber insgemein nicht zu sehen habe. 51. Aus allem, was bis daher erklärt wurde, zeigt sich, wel- cher Vollkommenheit eine römische Waage fähig sey, die von einer gleicharmigen, besonders wenn sie grölsere Gewichte abwiegen soll, aus verschiedenen Ursachen nicht zu erwarten ist. Doch kann man nicht in Abrede stellen, dafs nicht ein jeder Eisenschmied eine gute römische Waage zu verfertigen im Stande sey, wenn er nicht gute Leitung erhält, und eine geschickte Hand die Theilung übernimmt. IV. Bes Erd. | 4 as un. DIE DER 137 IV. Ueber eine neue Art Wein zu veredlen. Vorgelesen den 27. Junius ı8ı4 von SAMUEL THoMAs von SOEMMERRING. u NL © j Bey der Fortsetzung meiner, vor fünf Jahren, der k. Akademie der Wissenschaften mitgetheilten Versuche *), über Verdünstung des Weingeistes, ergaben sich Erscheinungen, welche in so fern ei- nen wissenschaftlichen Werth zu haben scheinen, als sie nicht nur besondere Eigenheiten thierischer Häute und merkwürdige chemische "Wahlverwandtschaften zwischen Thierstoff und Pflanzenstoff bewei- ‚sen, sondern auch auf einen neuen, durch die Kunst einzuleitenden, rlichen Scheidungsprocels führen. Sri . ®) S. Denkschriften der k. Akad. der Wiss. zu München für die Jahre 1911 und 1812. Seite 273. h } 18 1 38 EN. G 2. In der Absicht also, die Autorität meiner Herrn.Collegen für die Richtigkeit dieser Versuche zu gewinnen, habe ich die Ehre, die Hauptsachen in der Natur selbst zur Prüfung vorzutragen. Viel- leicht, dafs dadurch um so eher andere Naturforscher, zur Bestäti- gung und Erweiterung dieser Versuche bewegt, solche selbst zur Be- nutzung im gemeinen Leben empfehlen dürften. $. 3- Erster. K er ssuich. Vier Unzen rothen Asmannshäuser Rheinwein, vom Gewäch- se des Jahres ıgır, that ich, den 21. December 1812, in ein ge- wöhnliches, böhmisches, weilses, fast cylindrisches Weinglas von 32 Zoll Höhe und 2 Zoll 2 Linien Weite, verschlols das Glas mit guter, durchaus gleich dicker, eingeweichter, sauber abgetrockneter Rindsblase und stellte es in meinem Wohnzimmer auf einen Schrank, wo es, den Sonnenstrahlen unerreichbar, ruhig stehen blieb. Ver- mittelst zweyer Striche, auf der äulseren Oberfläche des Glases, hatte ich die Höhe, sowohl von zwey Unzen als von vier Unzen bemerkt. Als am ı1. März des folgenden Jahres (1813), also nach gı Tagen, zwey Unzen oder die Hälfte des Weines, durch die trocke- ne Rindsblase verflogen war, öffnete ich das Glas, und bemerkte an der zurückgebliebenen Hälfte des Weines, in Vergleichung mit dem- selben, in einer Flasche auf die gewöhnliche Art aufbewahrtem Weine folgendes: ı) Dieser zur Hälfte verminderte Wein, war weder schimme- lig noch kahmig, welches doch gewils derFall gewesen wäre, wenn er offen, oder selbst mit einem Korkstöpsel bedeckt, in dem näm- a Er re Be, ten 139 nämlichen Glase, eben so lange, an dem gleichen Orte gestanden hätte. 2) Auf der Oberfläche dieses Weines schwammen hin und - wieder trockene, krystallene Krüstchen oder Häutchen. Dafs diese Krüstchen aus nichts anderem als eigentlich sogenanntem Wein- steinrahme (cremor tartari) bestanden, bewies sowohl ihr schnel- les Niedersinken im Weine, bey mälsiger Rüttelung desselben, als ihre unter dem Vergröfserungsglase betrachtete Zusammenfügung aus Krystallen, ferner ihre röthliche Farbe und halbdurchsichtige Beschaffenheit, ihr Knirschen zwischen den Zähnen, ihr säuerlicher, dem Weinstein eigener Geschmack, und endlich ihr dem Weinstein ähnlicher Geruch beym Verbrennen und Verhalten nach der Ein- äscherung. Zu noch näheren chemischen Prüfungen war ihre Quan- tilät zu geringe. 3) Auch auf dem Boden des Glases hatte sich völlig gleich beschaffener Weinstein abgesetzt. 4) Dieser Wein selbst war zwar dunkler an Farbe, doch klarer oder reiner, als der nämliche auf gewöhnliche Weise in einer mit Kork verschlossenen, verpichten Flasche liegend aufge- - hobene, folglich unverdunstet gebliebene Wein. 5) Sein Geruch war stärker, und lieblicher, als des in einer Flasche aufgehobenen Weines. 6) Sein Geschmack war zugleich geistiger oder feuriger, ge- würzhafter und doch gewissermalsen milder, öliger und angenehmer, oder nach der Terminologie der Weinkenner firner, als jener in Flaschen aufbewahrte. ı8 ? 7) 140 7) Zeigte dieser Wein nach meinem Aräometer *) achthun- dert Theile Weingeist, da der in Flaschen aufbewahrte nur vier- “hundert Theile Weingeist anzeigte. Y I. 4 Nach allem diesen zu schliesen bestand die verflogene Hälf- te des Weines wohl nur aus Wasser, welches den ausgeschiedenen Weinstein vorhin in sich aufgelöst gehalten hatte. Zu einer gewissermalsen analogen Probe, gofs ich zu einer Portion achtgrädigen Weingeist, eine nach dem Maalse gleiche Por- tion Wasser, und diese Mischung zeigte sich viergrädig. \. 5 Weil aber die verhältnilsmäfsige Menge des Weingeistes ei- nes Weines, wegen der in ihm zugleich befindlichen salzigen, harzi- gen, gummigen und färbenden Bestandtheile, durchs Aräometer sich nicht bestimmen läfst, destillirte ich von dem nämlichen Asmanns- häuser Weine, eine Quantität, bis zur Trockenheit, und fand das übergegangene Flüssige zu einem Zehntel aus Alcohol bestehen. Und damit die Verschiedenheit der Wärme-Temperatur zwi- schen diesem concentrirten Weine und jenem auf gewöhnliche Art aufgehobenem, keinen Unterschied in demGeruche, dem Geschmacke und der specifischen Schwere veranlassen könnte, hatte ich beyde Weine über 24 Stunden lang an gleichem Orte in gleicher Wärme erhalten, $._6. Diese Wahrnehmungen schienen mir merkwürdig genug, um den Versuch zu wiederhohlen, und da er sich in den Resultaten im- mer ®) Denkschriften am angef. Orte, Seite 270, h R ı4ı mer gleich blieb, so entschlofs ich mich, diesen Versuch mit einer etwas grölseren Quantität desselben Weines so anzustellen, dafs ich nach Verdünstung der einen Hälfte dieses Weines, die zurückge- bliebene andere Hälfte, von der k. Akademie der Wissenschaften prüfen zu lassen vermöchte. Dem gemäfs that ich am 17. März des verwichenen Jahres in gegenwärtiges Glas, zwey gleiche Portionen Asmannshäuser Wein, vom Jahre achtzehnhundert und eilf, bemerkte, auf der äufseren Fläche des Glases, die Höhe der ersten und die Höhe der zwey- ten Portion mit einem Striche, verschlofs das Glas gehörig mit Rindsblase und liefs es in meinem Wohnzimmer, an einem den Sonnenstrahlen unerreichbaren Orte ruhig stehen. Da nun bis heute den 27. Junius 1814, das ist, binnen einem Jahre und 102 Tagen die Hälfte des Weines verflogen ist, so will ich das Glas öffnen und meinen Hochgeehrtesten Herren Collegen “überlassen, die vorhin angeführten Wahrnehmungen selbst zu prü- fen, und, falls sie nicht richtig befunden würden, zu rerwerfen, oder wenn sie richtig befunden werden, durch ihr Ansehen vermittelst der Aufnahme dieses Aufsatzes in die Denkschriften zu bestätigen. Zur Vergleichung mit dem durch Verdünstung zur Hälfte ver- minderten Weine dient der hier in einer Flasche befindliche, voll- kommen gleiche Wein, welcher auf gewöhnliche Art vermittelst ei- nes Korkstöpsels fest verschlossen, verpicht, und in einem kühlen Keller im Sande liegend aufbewahrt ward. Jenen Wahrnehmungen zufolge zeigt sich nun der concen- trirte Wein: 1. Weder schimmelig noch kahmig. ı42 2. Die Stückchen eines Häutchens, die auf ihm schwammen, senk- ten sich durch die Bewegung beym Tragen desselben aus mei- ner Wohnung in den Sitzungssaal zu Boden. 3. Der Bodensatz ist deutlich, 4. an Farbe ist er dunkler, 5. am Geruch stärker, lieblicher, 6. an Geschmack feuriger, angenehmer und milder, als der un- verdünstet gebliebene Wein. 7. Das Aräometer zeigt fast doppelt so viel Alcohol an, als in dem nach gewöhnlicher Art aufbewahrten Weine. Eine Quantität dieses aufgerüttelten Weines mit einer glei- chen Quantität destillirten Wassers gemischt, zeigte, mit dem Aräo- meter geprüft, genau dieselbe Quantität Alcohol an, als der auf ge- wöhnliche Art aufgehobene Wein, oder gerade so viel Alcohol, als der Wein vor seiner Verminderung auf die Hälfte seiner Quantität gehabt hatte, zum offenbarsten Beweise, dals er wohl nichts als Wasser verloren hatte. 7 Von einer anderen Quantität des nämlichen Asmannshäuser Weines verdünsteten durch Rindsblase, vom 13. Julius 1813 bis zum 16. März 1814, also in acht Monaten, zwey Drittel. Das übrigge- bliebene Drittel verhielt sich auf die oben erwähnte ähnliche Art. Doch hatte sich, wie natürlich, noch mehr Weinstein abgeschieden; auch zeigte das Aräometer nur zwey Hundertel mehr WVeingeist, weil der Wein merklich dicker geworden war. — z $. 8. Sb 8 Zweyter Versuch Auf gleiche Weise verflog vom Yin d’Ermitage aus diesem Glase, durch diesesStück Blase, vom 21. März bis zum 28.May 1814, das ist, innerhalb zehn Wochen, Ein Drittel, und um wie vieles ist nicht dieser Wein an Farbe, an Geruch und an Geschmack köstli- cher, als dieser auf gewöhnliche Art aufbewahrte. Auf Unseres Herrn Collegen Gehlen vielgültiges Zeugnils für die Richtigkeit dieser Wahrnehmungen zum voraus mich beru- fen zu können, gewährt mir besonderes Vergnügen. I. 9. Man erlaube mir, über diese Versuche einige Bemerkungen vorzutragen. Allgemein bekannt scheint es zwar, dafs durch trockene Rindsblase Wasser verfliegt; allein dafs die Rindsblase den Geist des Weines, so bald oder so leicht nicht als das Wasser desselben durchläfst, scheint mir neu, nicht unwichtig und mit den Resultaten aller meiner vorhergehenden Versuche über Verdünstung des Wein- geistes harmonirend. 627 710 Dürfte man diese Art der Behandlung des Weines sonach nicht füglich eine Entwässerung , Concentration, ja eine wahre ein- fache, ganz natürliche, durch sich selbst erfolgende Veredlungsme- _ thode nennen? Dem Weine wird nämlich gar nichts fremdes, ver- _ änderndes hinzugefügt, sondern lediglich ihm selbst überlälst man die ruhige Abscheidung oder Ausscheidung seines überflüssigen, groben, scharten, säuerlichen Salzes, durch Verdünstung des Was- sers, 44 sers, welches diese Steinmasse des Weines (denn ganz artig im Teutschen sogenannten Weinstein) aufgelöst enthielt. Dat. Bekanntlich verdirbt der Wein, welchen man in einer halb entleerten Flasche nicht nur offen, sondern selbst gut verkorkt, aufrecht mehrere Wochen lang stehen läfst, und wird kahmig und sauer. In dem Verschliefsen mit einer Blase finden wir ein Mittel, rothen WVein (weil ich die Schlüsse aus meinen Versuchen noch nicht im Allzemeinen auf jeden Wein auszudehnen wage) in jedem Zim- mer. und jeder Wärme-Temperatur desselben für dem Kahmig- und Sauerwerden Jahre lang zu schützen, ohne eines kühlen Kellers oder Legens der Flaschen zu bedürfen. Hat der Hals und die Mündung einer gewöhnlichen Bouteille kaum einen halben Zoll im Durchmesser, so kann man sicher seyn, dals, in Jahresfrist, keine Unze Wein verfliegen, und der Wein ungeachtet des aufrechten Standes seines gläsernen Behälters, in jedem trockenen Zimmer, bey jeder WVärme-Temperatur desselben, sich vollkommen gut er- halten, ja eher verbessern als verschlechtern werde. Um dieses nicht bey einer blofsen Vermuthung bewenden zu lassen, habe ich bereits den Versuch mit einer gegen vierzig Maals fassenden Flasche, deren mit einer Rindsblase bedeckte Mündung 17 Zoll im Durchmesser hält, angefangen, und werde nicht erman- geln, den Erfolg zu seiner Zeit einzuberichten. N. 212: Ein trockener, den Wein verschliefsender Korkstöpsel scheint sich demnach gar sehr verschieden, von einer trockenen, den Wein verschliefsenden Rindsblase zu verhalten. | 145 hing: Auf eine ähnliche Art scheint diejenige Veredlung des WVei- nes in einem Fasse zu erfolgen, welche man seinem Aelterwer- den zuschreibt und mit dem Ausdrucke „Firnerwerden“ bezeich- net, Indem nämlich durch das Holz des Fasses von dem Weine die wälsrigen Theile mit dem Alter immer mehr verdünsten, und das Salz, welches sie aufgelöst enthielten, als eine nach und nach dickerwerdende Kruste an die VWVände des Fasses anschielst, wird der Wein durch den Absatz dieses Salzes milder, gleichsam öliger oder firner. $. 14. Wahrscheinlich erheben sich die Moleculn des Geistes des Wei- nes, zu gleicher Zeit und auf gleiche VVeise mit den Moleculn des Was- sers bis zur untern Fläche der Rindsblase. Allein hier scheinen die geistigen Moleculn Widerstand zu erfahren, und nicht den gleichen Durchgang durch die Poren der Rindsblase wie die wälsrigen Mo- leculn zu finden. Folglich scheint auch die Rindsblase als ein schickliches Sieb zur Abscheidung oder Trennung der geistigen Theilchen von den wälsrigen Theilchen zu dienen. Auch versuchte ich schon in meiner vorigen Abhandlung, die- sen Umstand nach denGesetzen der chemischen Wahlverwandtschaft zu deuten, $. 15. Somit besäfsen wir in der trockenen Rindsblase eine Art von Scheidungs- oder Trennungs-Mittel für einige Bestandtheile des Weines. Die wälsrigen Bestandtheile wandern (in Dunstform etwa?) ‚durch die Blase, mit Zurücklassung des Weinsalzes, welches sie r aufgelöst enthielten. 19 In 146 In dem Maafse also, in welchem sich das Wasser vom Wei- ne trennt, trennt sich auch von ihm das Salz. Ist dieses nun nicht ein wahrer Scheidungsprocel[s? Ich wenigstens wülste nicht, wie man auf eine leichtere und nettere Art, ohne Nachtheil dem eigent- lichen Weine zuzufügen, den Wein entwässern , oder dephlegmiren könnte. $. 16. Indessen bleibt immer noch ein gar merklicher Unterschied zwischen der Veredlung des Weines in einem hölzernen Fasse, und der Veredlung in einem mit Rindsblase verschlossenen Glase. Aus einem mit Rindsblase verschlossenen Glase nämlich kann dieser Wein nach obiger Erfahrung $.7. bis auf ein Drittel ohne Nachtheil seiner Güte verdünsten. Allein aus einem Fasse würde schwerlich dieser Wein bis auf die Hälfte, ohne Nachtheil seiner Güte, haben verdünsten können. Darf ich von meinen vorigen Versuchen *), wo 4ogrädiger Weingeist seine Bedeckung mit Tannenholz, gerade so wie er ist, durchflog, ohne verhältnilsmälsig mehr von seinem Wasser als von seinem Alcohol zu verlieren oder zurückzulassen, hier eine Anwen- dung machen, so wäre solchen zufolge dieses sehr begreiflich. Durch das Holz des Fasses nämlich, verdünstet nicht blofs vom Wasser, sondern zugleich vom Alcohol, oder Geiste des Weines, eine Quan- tität; folglich ist’s kein Wunder, wenn der Wein verdirbt, weil vor- züglich der Alcohol des Weines sein Verderben verhütet, welcher Alcohol in meinen Versuchen zurück bleibt und nicht mit verfliegt. Denn was ist das sogenannte Zehren des Weines anders, als ein Verdünsten eines Theiles desselben durch das Holz des Fas- ses, ®) Siehe Denkschriften am angef, Ort, S. 233. ur 2 e 1 s — 147 ses, welches die Auffüllung oder eigentlich die Nachfüllung noth- wendig macht, indem bey Vernachlässigung derselben der Wein, be- sonders der Wein von mittelmäfsiger Güte, absteht oder verdirbt? In jedem Falle wenigstens hindert in meinen Versuchen die Bedeckung oder Verschlielfsung mit Rindsblase, die sogenannte Es- siggährung des Weines wahrscheinlich dadurch, dals die Rindsblase den freyen Zutritt der atmosphärischen Luft vom Weine abhält. Die trockenen hölzernen Wände eines zum Theil, z.B. halb- leeren Fasses dagegen, vermögen nicht, in dem Maafse die atmosphä- rische Luft abzuhalten. Es beginnt also die Essiggährung, wenn man solche nicht durch beständiges Nachfüllen hindert. $. #17. Es wäre vielleicht interessant, das zwischen der Blase und der Oberfläche des Weines befindliche Gas, in den verschiedenen Perioden der Verdünstung zu untersuchen. $. 18. Hieraus läfst sich nun auch erklären, warum eingemachtes Obst, z. B. Kirschen, in einem mit Blase verschlossenen Glase nicht schimmeln, so lange die Blase nicht feucht oder geöffnet wird, son- dern bis zur gänzlichen Austrocknung der Kirschen sich gut erhal- ten; weil nämlich durch die Blase blos ihre wäfsrigen Theile ver- dünsten, und die geistigen, nebst den salzigen, harzigen und gum- migen Theilen zurück bleiben. i Ferner läfst sich hiernach auch der gar sehr verschiedene Ge- schmack erklären, welchen getrocknetes und gedörrtes Obst annimmt, je nachdem es geschält oder ungeschält getrocknet wird. Die na- 19,7 tür- 148 türliche Schaale oder Bedeckung des Obstes nämlich gestattet, aufser den wälsrigen Theilen, wahrscheinlich sowohl die Verflüchtigung mancher der Entwickelung des Zuckerstoffs nachtheiligen, als den Beytritt mancher ihr vortheilhaften Theilchen. Nr Noch ein wesentlicher Vorzug dieser Veredelungsmethode des Weines darf nicht übersehen werden, nämlich dafs der Wein nichts von dem Glase in sich nehmen kann, folglich um so reiner bleiben muls, dahingegen der in einem hölzernen Fasse aufbewahrte Wein, von dem Holze fremde Theilchen an sich zieht, folglich mehr oder weniger zu einem Holzaufgusse (Infusum Ligni) sich umändert. Es läfst sich wohl nicht läugnen, (wie mich auch meine eigenen Ver- suche über Weinbildung in gläsernen Geschirren, als ich vor 30 Jahren am Rheine lebte, lehrten,) dafs der anfänglich sehr helle sogenannte weilse Wein zum Theil seine dunklere Farbe von dem Holze des Fasses empfängt. $. 20. Diese Methode durch Abdünstung vermittelst einer thieri- schen Haut oder Rindsblase den Wein zu entwässern und zu ver- edlen, scheint sogar vorzüglicher als durchs Frierenlassen; denn I) ist sie weniger umständlich, daher einfacher ; 2) ist sie reinlicher und netter; 3) Was die Hauptsache ausmacht, so hat man es völlig in seiner Gewalt, den Wein gradweise um einZwölftel oder zurHälfte oder um zwey Drittel zu veredeln, indem man am Glase von aulsen wahrnimmt, wenn der verlangte Antheil verflogen ist... Dafs dieses beym Frierenlassen nicht der Fall seyn kann, braucht keiner Erläu- terung. Je f | 149 Je grölser die Oberfläche der Blase und des unter ihr be- findlichen Weines ist, desto eher erfolgt auch unter übrigens glei- chen Umständen, z.B. gleicher Dicke der Blase, gleicher Wärme, Feuchtigkeit und Bewegung der Atmosphäre diese Veredelung, oder desto früher erreicht man. seinen Zweck. 67221. Durch die Anwendung dieser Methode liefse sich also viel- leicht in kürzerer Zeit und noch dazu auf eine bestimmtere, reinli- chere, zuverlässigere und zugleich gar nicht kostbare Art diejenige Veredlung des Weines bewirken, welche man bisher nur durchs Liegenlassen desselben im Fasse oder durch das sogenannte Ael- terwerden desselben zu erreichen vermochte. mia! Wenn mein unyergefslicher Freund Lichtenberg schrieb *): „VVie hat man die Weine durch Ruhe verbessert? Warum „verbessert man nicht auch andere Dinge durch die Zeit? — „Die Weine, die Weine zu merken? Löst mir dasRäthsel: „warum kann man nicht aus neuem Rheinwein in Zeit von „ein paar Stunden einen machen, den der grölste WVein- „Kenner mit altem verwechselt?“ so glaube ich dieses Räthsel, zum Theil wenigstens, auf oben aus- einandergesetzte Art, durch die Anwendung meiner Versuche lösen zu Können. Die Veredlung nämlich, welche unser gegenwärtiger Wein in einem guten Fasse vielleicht erst in zwölf Jahren erreicht hätte, er- _ reichte *) Physikalische und mathematische Schriften, Vierter Band, Göttingen 1806, S, 151. D 150 reichte er in eben so viel Monaten, also in einer zwölfmal kürze- zen Zeit. Ja! es ist kein Zweifel, dafs dieser Wein in einem nie- drigern Glase als hier dieses mit viel weiterer Mündung, in sehr viel kürzerer Zeit, die nämliche Veredlung erreicht haben würde. Sa. Doch da es meines Amtes nicht seyn kann, eigentlich öko- nomische Anwendungen zu beabsichtigen, und alle Geheimnifskrä- merey mir zuwider ist, so begnüge ich mich mit diesen kurzen An- deutungen, und überlasse es Andern, ganz ins Grofse, zum Nutzen des Haushaltes und zum Vortheil des Weinhandels, davon gefälligen Gebrauch zu machen. Dem Wahlspruche unserer Akademie getreu rerum cognoscere causas begnüge ich mich mit Ergründung der Ursachen von Erscheinungen, welche sich mir zufällig, bey der Aufbewahrung des edlen Geträn- kes des Weines darboten, und welche ein so sinnreicher Naturfor- scher, als Lichtenberg zum Räthsel aufgab. » Meine vorhergehende Abhandlung im dritten Bande der Denkschriften erfordert folgende Veränderungen: Seite 273, Zeile 6 von unten, lies: welcher, mit thierischer Haut oder sogenannter Blase bedeckt, — 277. — 7 statt: Qualität — Quantität, Ebend, — 3 Grad an Quantität geringer, — 251. — 4 statt Qualität — Quantität, — 290, — ı2 streiche aus; nach der Formel, und die folgende Zeile nebst x und lies dafür: Also hatte er blofs Wasser verloren, Ebend.. — 2, 3 und 4 von unten statt 96 setze 86. 151 — un una n an man nn an ven mean an .nnnn nn ann nn zur we vehr echte des’Jods Von ReınnoLp Lupwıc RunLanp, Adjunct der königl, Akad, der Wiss, Wi kennen zwar schon seit längerer Zeit Säuren, welche, wie die Hydrothion-, die Blausäure und das Tellur - Wasserstoffgas sauer reagiren, ohne ein Atom Sauerstoff zu enthalten, so dals sie immer einen Beweis gegen den Satz der antiphlogistischen Chemie liefer- ten,.dafs keine Säure ohne Sauerstoff sey. Seitdem aber in neue- rer Zeit Davy vollends gezeigt hat, dafs die s. g. oxydirte Salzsäu- re gar keine Säure, ihre Verbindung aus Salzsäure und Sauerstoff blos erschlossen sey, und sie erst mit Wasserstoff zur Säure, näm- lich zur Salzsäure werde, hat man sich überzeugen müssen, dals das antiphlogistische System die Wirkung der Körper auf einander viel zu enge aufgefalst habe, und man wird täglich mehr zu der Annah- me gezwungen, dafs der Sauerstoff zu der Verbrennung gar nicht er- 152 erfordert wird, sondern seine Bedeutung nur dadurch hat, dafs er letztes Glied einer Reihe ist, in welcher jeder ihm näher liegende Körper selbst wieder als Sauerstoff dem unmittelbar vorhergehenden dienen, seine Verbrennung bewerkstelligen, und mit ihm zur Säure werden kann. In einer solchen Lage der Wissenschaft, wo man die Unhalt- barkeit einer bisherigen Ansicht fühlt, und, wie dieses mit der Che- mie gegenwärtig der Fall ist, erst anfängt, diejenigen Facten zu sammeln, welche die neue begründen sollen, ist es daher ein be- sonderes Glück, wenn man frühzeitig auf'Erscheinungen stöfst, wel- che für die eine oder andere Ansicht entscheidend sind, und bey der Menge von andern nicht leitenden, und auf verschiedene Wei- se erklärbaren Facten einen Anhaltspunkt abgeben. Es scheint, dafs die Chemie in dem Jod einen solchen Körper gefunden habe, daher es nicht zu verwundern ist, dafs es sogleich von seiner Ent- stehung an die allgemeine Aufmerksamkeit der Chemiker auf sich gezogen hat. Da sich hier ein weites Feld für Untersuchungen darbietet, so werde ich mich in dem folgenden nur mit Untersuchung solcher Punkte vorzüglich beschäftigen, welche bisher noch wenig oder gar nicht bearbeitet worden sind. I. Verhalten des Jods zu Pigmenten. Da bey noch unbekannten Substanzen die ersten Untersu- chungen doch immer darauf ausgehen müssen, ihr electrisch- chemi- sches Verhalten darzuthun, um- sich so wenigstens im allgemeinen zu orientiren, so war auch mir vor allem darum zu thun, die Wir- kung des Jods auf verschiedene Pigmente zu untersuchen. Zwar hat auch Courtois, der Entdecker dieser Substanz, schon ähnliche Ver- h 153 Versuche unternommen, und bemerkt, dafs dasJod weder alkalische noch saure Reaction zeige, da aber sein Geruch leicht auf die Ver- muthung bringen kann, dafs es nicht einfach, sondern ein Gemische aus einer noch unbekannten Substanz mit Chlorine seyn könnte, und diese die Pigmente vollkommen entfärbt, so untersuchte ich, ob nicht auch das Jod diese Wirkung haben möchte. Wäre nämlich dasselbe eine Verbindung von einer unbekannten Bafıs mit Chlorine, so würde sein Geruch auf einen Ueberschufs dieser letztern Sub- stanz deuten, und dieser hätte dann die Pigmente entfärben kön- nen, allein es entstanden in allen Fällen Verbindungen des Jod mit den wässerigen Pflanzentincturen, ohne dafs sie ihre Farbe verloren hätten. So erhielt ich aus einer Auflösung des Jods in der Tinctur des rothen Kohls und der Veilchen eine tief orangerothe Flüssigkeit, - Lacmus wurde, auf diese Art behandelt, tief grünlicht-braun, die Klatschrosen-Tinctur wurde gar nicht zersetzt, sondern es löste sich nur das Jod dazu auf, so weit dieses im Wasser geschieht, dagegen die geistige Kurkume-Tinctur eine sehr gesättigte siegellackrothe Farbe annahm, weil das Jod in Weingeist sich überhaupt weit stär- ker als in Wasser auflöst. Ohne Ausnahme ist daher die Wirkung des Jods auf die Pigmente ganz von derjenigen derChlorine verschieden, und minder heftig, obgleich die Reaction weder sauer noch alkalisch genannt werden kann, dieser Körper daher, so wenig wie die Chlorine zu ‚den Säuren gerechnet werden darf. u. Verbindung mit Metallen. Ungeachtet dieser Körper keine Säure ist, so geht er doch mit den meisten Metallen, die bisher untersucht worden sind, Ver- bindungen ein, die sehr viel Eigenthümliches haben. 20 Mit 254 Mit Platin und Gold haben weder Courtois noch Gay Lüssac, welche Versuche darüber anstellten, eine Verbindung be- werkstelligen können. Ich habe versucht, ob es nicht gelänge, wenn man die Wirkung der genannten Metalle auf diese Substanz durch gal- vanische Einwirkung erhöhete. Ich habe daher 50 Paare der grolsen Säule der Alkademie auf eine Auflösung des Jod in Weingeist, die nur so weit mit Wasser verdünnt wurde, als zur hinreichenden Leitung nöthig war, einwirken lassen, und das einemal durch Platin-, das an- deremal durch Golddräthe geschlossen, allein ich bin nicht glückli- cher gewesen. Es entwickelte sich zum Zeichen der Wirksamkeit der Batterie sogleich sehr vieles Gas, demungeachtet entstand aber bey einer, mehrere Stunden fortgesetzten Einwirkung der Batterie an kei- nem Pole eine Verbindung des Jod mit diesen Metallen. Mit Quecksilber verbindet sich das Jod leicht, auch ohne Anwendung äulserer Wärme, es entsteht eine zinnoberrothe Masse, die es mir, auch mit Hülfe der Wärme, nicht wieder aufzulösen gelun- gen ist. Konzentrirte Salpetersäure zerlegte sie in der Hitze, obgleich nur langsam, während, wie ich weiter unten zeigen werde, die Jod- säure auch umgekehrt die Salpetersäure zerlegt. Auch mit Rali ge- schieht die Zerlegung nur sehr langsam, so wie es überhaupt eine Ei- genheit dieser Substanz ist, dafs, obgleich sie selbst durch schwäche- re Säuren ausgetrieben wird, dieses doch auch durch die stärkern nur langsam und mit Mühe geschieht. Die Verbindung mit Zinn ist von Courtois undDavy unternommen worden. Die Farbe dieser Mischung ist tiefbraun. Sie ist nachher die einzige, welche nach Davy, mit Kali behandelt, kei- nen Niederschlag giebt. Ich habe aber bey drey Versuchen, zu denen: ich jedesmal die Verbindung in andern Verhältnissen bereitete, gefun- den, dafs man bey längerm Stehen einen weilsen flockigen Nieder- schlag erhält. Ich werde sogleich andere Metall- Verbindungen mit Kalı anzeigen, die weit vollkommener gelingen. Die ar ner 155 Die Verbindung des Jod mit Blei hat Courtois zu- erst beschrieben, er giebt ihr eine schöngelbe Farbe, wahrscheinlich hängt hier alles von dem Verhältnifs des Jods zu dem Metall ab, denn Davy hat dieselbe Mischung von tiefer Bronzefarbe erhalten, während die von mir bereitete Verbindung gelb war, und aus feinen, dem Mu- sivgold ähnlichen glänzenden Blättern bestand. Eben so sagt Courtois, dafs diese Mischung unauflöslich sey, allein ich fand sie zwar feuerbe- ständiger und minder auflöslich als die andern Metallverbindungen, aber doch mit Wasser eine ziemlich gesättigte Solution bildend. Mit Kali wird die Auflösung sogleich wasserhell, nach einigen Stunden zeigt sich aber ein leichter flockiger Niederschlag, der doch geringer als bey der Zinnverbindung ist, sondert man diesen durch das Filtrum, so erhält man auch hier dasselbe dreyfache Salz, das Davy von der Verbindung des Jod mit Zinn angiebt. Mit Antimonium ist das Jod noch nicht verbunden worden. Es geht damit leicht in ein dunkelrothes, sehr schmelzbares Gemische zusammen, das im Wasser auflöslich ist, und mit Kali eine vollkommen durchsichtige Mischung bildet, die auch nach längerm Stehen keine Fällung verräth. Derselbe Fall ist es mit Wismuth, nur bedarf es hier der Wärme, um die Verbindung zu bewirken. Die Mischung hat die dunkle Orangefarbe der meisten andern, und giebt mit kaustischem Kali dasselbe dreyfache Gemische ohne allen Niederschlag, Die Verbindung mit Zink ist von Courtois und Davybe- reits unternommen worden. Davy führt an, dafs dieselbe eine weilse Farbe habe, vielleicht hat auch hier die quantitative Verschiedenheit des Ietalls zum Jod diesen Unterschied hervorgebracht; ich habe die Mischung in zwey Verhältnissen gebildet, das einemal mit Ueberschuls von Metall, das anderernal von Jod, erbielt aber nie eine weilse Farbe, sondern im erstern Falle war sie bleichgelb, im andern tiefbraun. Da 200% es 156 es mir bey den vorher genannten Mischungen geglückt war, Verbin- dungen derselben mit kaustischem Kali zu erzeugen, so habe ich es auch hier versucht, allein es entstand sogleich ein dicker gallertiger Niederschlag. i Mit Arsenik verbindet sich das Jod äufserst leicht, selbst ohne alle Erwärmung. Auch diese Verbindung ist tiefbraun und reagirt sauer. Mit Kali übersättigt entsteht wasserhelle Auflösung, die keine Trübung verräth. Die saure Reaction, die übrigens auch der Ver- bindung des Jod mit Zinn zukommt, liefs vermuthen, dafs der Ar- senik als Säure in. der Verbindung sey, allein mit salpetersaurem Silber behandelt, erhält man nicht den, dem arseniksauren Sil- ber eigenthümlichen dunkelbraunen, sondern einen schwefelgelben Niederschlag, der vermuthen läfst, dafs der Arsenik im Zustande des Oxyds in der Mischung enthalten sey. Ich dampfte die Auflö- sung des Jod-Arseniks in Wasser ab, es blieben ziegelrothe, glän- zende Schuppen zurück, die nicht zerflossen. Mit Tellur geschieht die Verbindung ebenfalls sehr leicht, die Auflösung ist tiefbraun, und mit Kali wasserklar. Um einmal die Krystallisation dieser dreyfachen Verbindungen zu untersuchen, habe ich dieselbe langsam abgedunstet, nachdem ich vorher das überschüssige Kali abgestumpft hatte, es enstanden kleine weilse Krystalle, die Kuben zu seyn schienen, Im Allgemeinen besitzen also alle bisher bekannten Metall- Verbindungen des Jod mit Ausnahme desSilbers nach Courtois’s, und des Quecksilbers nach den oben genannten Versuchen eine ziemlich beträchtliche Auflösbarkeit in Wasser; welche weit diejeni- ge übersteigt, die das Jod für sich besitzt. Eben so ist ihre Schmelz- barkeit sehr grol[s, wie es scheint, noch unter dem Siedepunkt des Wassers, was indessen von dem quantitativen Verhältnifs des Jod zum Metall abhängt. Mit kaustischem Kali gehen die meisten der von | Reg 157 von mir versuchten Mischungen in dreyfache Verbindungen, welche mit Kali- VUeberschufs wasserklar sind, so wie aber das überschüssi- ge Kali weggenommen wird, sogleich wieder die Orangefarbe des Jod annehmen. Es hält sehr schwer, diese Verbindungen durch die bisher üblichen Reagentien wieder zu trennen; so geben Bley und Spiefsglas, die darauf versucht wurden, keinenNiederschlag mit den Hydrosülfures. II. Verbindungen mit brennbaren Körpern. An die Metall-Verbindungen reihen sich unmittelbar diejeni- gen mit brennbaren Körpern. Man kennt davon bisher nur die mit Wasserstoffgas, Phosphor und Schwefel, welche man alle zu Be- reitung der Jodsäure gebrauchte. Ich habe diesen einige neue bey- zufügen gesucht. Mit Terpentingeist entsteht sogleich, wie man das Jod einbringt, ohne alle äufsere Erwärmung heftige Explosion und Ent- zündung, doch brennt die Mischung nicht fort, vielleicht darum, weil in den beyden Versuchen, welche ich darüber angestellt habe, ein grolser Theil der Mischung durch die Explosion verspritzt, und damit die schon brennenden Theile herausgeworfen wurden. Diese Mischung ist also mit der, schon von Courtois bekannt gemach- ten Phosphorverbindung die zweyte, bey welcher das Jod durch blofse Mengung sich entzündet. Die neu entstandene Mischung sieht anfangs sehr dunkelbraun und verkohlt aus, hellt sich aber allmählig auf, und nimmt zuletzt die trübe, bleichgelbe Farbe der Terpentin-Auflösung an. Mit Mandelöhl geht das Jod ohne Erwärmung ebenfalls leicht in Verbindung, und bildet damit eine fast undurchsichtige, ‚schwarze Flüssigkeit. Son- 158 Sonderbar ist die Verbindung mit Kampher. Sie hat ohne alle äufsere Erwärmung Statt. Der Kampher wird anfangs dunkel- braun, zuletzt schwarz und flüssig. Diese flüssige Form behält die Mischung auch bey der gewöhnlichen Temperatur, reagirt dabey nicht sauer, ist sehr flüchtig, und geht bey Anwendung von Wärme unzersetzt in die Vorlage über. In Wasser ist diese Substanz un- auflöslich, dagegen sie mit Alkohol eine dunkelpurpurrothe Solution bildet. Ev. Verbindungen mit Erden. Aulser der Baryterde, mit welcher Gay -Lüssac zuerst die Verbindung unternahm, um das überoxydirte Jod Kali zu erhal- ten, hat man noch keine Verbindung unternommen. Ich finde, dals mit Ausnahme der Kieselerde das Jod mit allen andern Erden Ver- bindungen eingeht, aber nur bey der Baryt- und in sehr geringem Grade bey der Kalkerde erhält man eine doppelte Verbindung, eine auflösliche, welche aus überoxydirtem Jodbaryt und Kalk besteht, und eine unauflösliche, welche vermuthlich eine Verbindung aus Jod mit der Erde und etwas Jodsäure ist. Die Kalkerde nimmt aufserordentlich viel Jod auf, ohne dadurch ihre weilse Farbe zu verlieren, während die darüber ste- hende, nur wenig überjodsauren Kalk enthaltende Flüssigkeit was- serklar bleibt. Die Strontian- und Thon-, noch mehr aber die Talk- erde bilden dagegen mit dem Jod ganz den Metallen und ihren Oxyden ähnliche Auflösungen von rothbrauner Farbe, nur dafs sie in geringerer Menge, als die Metalle, sich mit demJod mischen, der Strontian verliert auch durch die Verbindung seine alkalische Reaction. V ZZ 159 m Verbindungen mit Säuren. Weil das Jod in seinem Verhalten gegen die Basen sich so ganz als Säure verhält, so hat man sich wahrscheinlich dadurch ab- halten lassen, sein Verhalten zu Säuren zu untersuchen. Allein diese in allem anomale Substanz verhält sich auch hier ganz eigen- thümlich. : Mit konzentrirter Schwefelsäure, mit konzentrir- ter Salpetersäure, und eben so mit rauchender Salpeter- säure geht sie allerdings keine Verbindung ein; auch, wenn man diese Säuren darüber kocht, so behalten sie die ihnen eigenthünli- chen Farben, und verrathen in keiner Hinsicht die geringste Ver- bindung. } Dagegen die schwächern Säuren vollkommen damit in Verbin- dung treten. - So wird die rauchende Salzsäure darüber sogleich roth- braun. Es gab mir dieses Hoffnung, das Jod dadurch in Jodsäure umzuwandeln, ich liefs daher rauchende Salzsäure überJod kochen, allein es zeigten sich keine Spuren von Chlorindämpfen. Ich habe vonSäuren noch die Essig- und Bernsteinsäu- re untersucht, beyde treten mit dem Jod zusammen, und bilden orangerothe Flüssigkeiten. VI. Versuche, den electro-chemischen Standpunkt des Jod zu bestimmen. Wenn die galvanische Säule der Wissenschaft auch keinen "Vortheil gebracht hätte, als den, durch ihre Hülfe das electrische Verhalten der Körper zu einander rein und genügend zu bestimmen, so wäre der, durch ihre Entdeckung erhaltene Gewinn schon aulser- ordentlich grols. Auch Davy hat ssich ihrer zuerst bedient, um dem - Jod sein Verhältnils zu Säuren dadurch anzuweisen. Er führt an, dafs ı60 dafs seine wässerige Auflösung, mit Chlorine verbunden, an dem ne- gativen Pole auftrete, sich somit zu dieser basisch verhalte. Derselbe Fall ist es auch mit der Schwefel- Salpeter- und Salzsäure. Ich habe diese Säuren mit wässeriger Jodauflösung gemischt, bald hat sich alle Säure gegen den + Pol hin gezogen, und nach einigen Stunden, wenn die galvanische Action kräftig war, zeigten sich auch nicht mehr die geringsten Spuren von Säure am — Pol. Nimmt man statt der Jodauflösung die durch Phosphor berei- tete liquide Jodsäure, und verbindet sie mit den genannten drey Mineralsäuren, so treten sie auch in diesem Falle an den + Pol, zugleich verwandelt sich aber auch die Jodsäure an ihm in Jod, und daher rührt es, dafs man bey einer Verbindung von Salz- und Jodsäure am -+ Pol keine Chlorine erhält, weil der zu ihrer Bildung nöthige Sauerstoff sogleich wieder durch die, in Jod übergehen- de Jodsäure weggenommen wird. Für Salpeter- und Schwefelsäure läfst sich übrigens das basische Verhalten, wenn auch nicht des Jods, doch wenigstens der Jodsäure schon auf dem einfachen che- mischen Wege darthun, denn diese beyden Säuren werden durch die Jodsäure zerlegt, die dadurch wieder zu Jod wird. Etwas anders ist das’ Verhältnils des Jods zur Essig- und Kleesäure, beyde sammeln sich nach 24 Stunden kräftiger galva- nischer Action vorzüglich am + Pole an, aber man ist nie im Stan- de, wie lange man auch die Wirkung dauern lasse, sie ganz, wie die obigen Mineralsäuren auf eine Seite zu bringen. Dagegen die Bernsteinsäure ganz nach einiger Zeit sich an dem + Pol vor- findet. Wenn daher das Jod zu allen, mit ihm in Verbindung ge- brachten Basen sich sauer verhält, so scheint es dagegen umgekehrt zu allen, auch den schwächern Säuren wieder basisch einzutreten. 161 nn nanan nu. nn nn nn na nam anna nn u LA EU AL. - v1. BEIN FORTTENE LO nei ad theoriam atque historiam perturbationum coelestium pertinentes auctore CArRoLo GUIEL. ANDR. PFAFF, Professore Noribergensi. $. 27T) Nuper illustrissimus La Grange *), dum demonstratio- nem analyticam pararet propositionis a Poisson propositae: sci- licet aequationem saecularem axis majoris planetarum non existere, si vel ad terminos formae m’m‘ vel mm’ respiciatur, vel ad se- cundam potentiam massaram (ut ajunt) — aequationes novas per- turbatrices proposuit, quae et forma et simplicitate sunt memora- biles. ? Nexum *) Memoires de l’Institut Tome IX, ı162 'Nexum -harum aequationum atque istarum, quae hactenus ab astronomis usitatae fuerunt, hoc (pho ostendere conabor; opera, ut spero, non inutilis, cum et ad vulgares istas aequationes lux exinde aliqua redundet, simplieitati istarum proficua, Demonstratio haec ex ipsis elementis perturbationum petita, formam supponet aequationum, quae et legibus quibusdam, quas per- turbationes reciprocae sequuntur, favere videtur, casusque qui in mutua corperum .coelestium zelatione quoad situm planorum atque axium obtinere possent, simplici ratione complectitur. 2) Cum aequationes novae variationibus functionis cujusdam 2, pendentibus a variatione ‘elementorum, (scil.’axis, eccentricitatis, no- di etc.) innitantur, natura .atque mutationes hujus functionis ante omnia sunt explicandae. Sumatur, (omisso ut in 'sequentibus factore qui a massa pendit) (®) et PIE dum ö mutuam planetarum perturbationibus af- on Je fectorum distantiam, 7’ radium vectorem planetae turbantis designet: »Yy P 5 obtinebitur p; d, p distantiam perihelü a nodo;) 42 Rs 1 ındP) !. nodum; inclinationem adpla-) Fre —| ei =) dp num fixum designantibus. _ AR ı) d(P) p,d‘, 9, eaedem quantitates relatae dd ad planetam turbantem. 3) P quantitas ut ita dicam symmetrica est, a coordinatis (planetarum mutuo agentium) in orbita pendens, coefficientibusque, qui observationibus determinantur. Sint itaque x, y; x, y' coordi- natae rectangulares in plano planetae turbati, atque turbantis; 'erit (P) 4 Zur. a lie A ee Are 163 (D=(Nxe#+B)yy+(Oxy+(D)y« ()=+Fa+Lb+Me—Nd a= cos.(d’—d) (B)=-+Fb+La-+ Md—Nc b=eos.(d’—bd)cos.p’cos.p + sin. p’sin.p (C)=—Le+Mb—Na—Fd c=sin. (d’—d)cos.p (D)=+Ld—Ma+Nbı+Fce d=sin. (d% —d) cos.’ F=.cos.p cos.p'; L=sin.p sin.p’; M=sin. peos.p‘; N— cos.p sin.p‘. Quantitas haec (P) oritur reducendo functionem symmetricam XX-+ YY’+ ZZ’ (in qua X, Y, Z... designentcoordinatas orthogona- les ad planum fixum) ad coordinatas x,y.. Coefficientes (4), (B), (C), (D)' variis reductionibus, varias induere formas in aperto: est. 4) Ex forma coefficientium 3) proposita confestimi obtinetur u = (D) xx’ —(O)yy’+(B)zy' — (Ayx' simulque Se est observatio:' planum: fixum, cum arbitrarium sit in dispositione generali, transire posse per punctum intersectionis orbi- tarum; hinc et =D sumitur, et c=d-—o eyanescit. Itaque si ea _ sit mutua planetarum constitutio, quoad situm axıum, ut p=p' =o sumi possit, aequatio formam hanc simplicem obtinebit aa) cos. (P—p) xy’ — yx' an ER NERTER: 5) Aequationes, quibus a,b, c;d: determinantur,, has'suppeditant da_ db . Y ‘ ı ‘ 15.25 = mt 9008 (d# —d) cos. pP’ + sin. @' cos 95, dc j d.d De ein. «(d# — d) sin, 95 mai Ex his conflatur aequatio II, d(P) 164 ET INERBE — ) ab db — xx! sin.p | Ta sin.p’ + ge cos.pt a tm ee‘ ‚fpdb rt Yy cosp | +7, 008 P— 7, Sin. p h yy IF Nast de db de sin. p’ } zy“ [m Elch db de yx' cos.p + Le ns cos. Pr} ya 3 + er xy’ sın.p ze Observare licet (nro 4), sumi posse in disquisitione generali dc db . N: dv’ —d; hinc et 25 eyanescit; En obtinetur = sin. (p'— 9); hinc si ea sit mutua planetarum constitutio ut sumi possit p=p’= 0; aequatio LP) 9: aderit te (pP —o)yy'. 6) Denique adsunt aequationes ex 3) Gh De de n Fr —?); Ti sin.(d’—d)cos.9'cos.9; FE cos.(d’—d)cos.P ; dd BER. (% —d) cos.p’ Ex quibus sponte fluunt sequentes inter a, b,c, d, atque illarum va- riationes, db da ade, d.cos.9 — = e cos: — gg ep de dd db 4.00. 9 + np = bcos.o + = 7, mp. Ex his aequationibus, differentiando aequationes 3), ibus natura. q ’ q qu uantitatis (P) determinatur, eruitur sequens, juncta aequatione _ q B quenS, -] q nro. 4) cos. 165 db d(P) d(P 34) dc APhı =xx« rl) EI ren 2 co. dd +] M|bcos. Pt dc a I cos.9+ | & | ar r | 5 I cos.9 + n [ da db +F K c03.9 ei rla cos. Ben, de + ve rl ac0s.9 — N iS db BE)... zf n® +RS „in. = sin.PXX tcosp +7, sin.p ar) db +yy' De nee =) sin.g@ + sin.p yy’sin.p a p “2 sin. Pl +xy' f rZ N aa) an 9 + sin.pxy’cos.p er cos.p’ gsi. Pl db 5 +yx’‘ MIS-Ma] sin + sin.oyx ’sin.p [— Gin pt, cosp'] Ex quaaequatione apparet, coefficientes histerminisjunctos eosdem plane esse quam eos qui in aequatione 23 occurrunt; mutatis signis termini Sse- 166 secundi ac quarti;, atque loco sin.p posito cos.p et vice’ versa; additoque faetore sin. p. 7) Quibus jam paratis ad aequationes ipsas transeamus. Aequatio nova pro parametro quam per g designamus, quam affert La Grange, haec est dg RN, a VE 20? itaque secundum ea quae hactenus tradita sunt h 7 Zu rn 32 a fenIr (Ay +Bdar’— A) yet Aequatio hactenus usitata haec erat I I dx d = 1 1 \H [inar My HOey DI Ihe ter dx dy dx dy E mx; + By’; +(C) Ye (Dei) fx°+427°} Reductionibus adhibitis, oritur ana EOr terror]; scilicet ] =-aY el , [(o) xx —(C)yy'+(B)xy’—(A)yx’j; quae 'est aequatio nova, cujus demonstrationem quaesivimus, identica prae- cedenti novae. 8) 167 8) Aequatio nova, variationes parametri determinans haec est: . dd d2 II. x gsin.o. 6 dp} — yy’.cos Ei BILEN .) Yy "Pldo P do P) IH (dd de . —xy'sın.p (dp er sin. e) db, de —yx’ cos[;. sin.p’ +08) ex nro. 5). Aequatio vulgaris, varııs sub formis proposita, si deducatur ex aequationibus in Mecanica coelesti *) pro tribus quantitatibus de, dc’, dc’ prolatis, ita se habet R dd I Bi - — vgsin.9.7,= wa sa xsin.p + ycos.p {X’sin.d sin.o — Y’cos.dsin.p + Z’ cosp} Factor hanc aequationem intrans, pendens a coordinatis orthogona- libus (ad planum fixum relatis) planetae turbantis X’, Y”, Z/, re- ductione ad coordinatas in orbita facta, methodo usitata prodibit + sin.d sin.p [ [cos.d’ cos.p’ — sin.d‘ sin.p‘ cos;pf} oc — [cos.d‘ sin.p’+ sin.d’ cos.p’ cos.p‘} y.) —-coS, ®) Libro II. Cap. VIII. $. 64. 168 Ben Auiern. — cos.d sin.o[ Isin.d‘ cos.p’ + cos.d’ sin.p’ cos.p‘) x — {sin.d’sin.p’— cos.d‘ cos.p' cos.p'} e4 ) ] + cos.fsinp‘ sin.p’ x’ 4-cos. p’ sin. p' Y ex quibus formulis factor iste tandem obtinetur — x’ cos.p' sin. (d’—d) sin.p — x’ sin. p' cos. (d°—D) cos.p'sin.p — sin.p’cos.p} -+ y' sin. p’ sin. (d’ —d) sin.p — y' cos. p’ fcos. (d’—d) cos.9’ sin.p — sin.p’ cos.p} 5 . dc .i.db cujus coefficientes congruunt cum 35 Sn 5). Exinde prodit aequatio —yYgsin a=(-5;) kesin +ye ih en ee gein.p.d=| 55) weinpty os.p} N er 0 TR ua FE quae plane congruit cum aequatione nova, cujus demonstrationem paravimus. 9) Aequatio nova variationes Inclinationis determinans, a La Grange proposita, haec est B do _ AD. dee 5 SED a ao Aequatio haec, adhibitis reductionibus nro. 2) et 6), in hanc abit II nankdo EHE db, de N II. Ygsinp ,=—- Ber + xx’ cos.p + dp ud cos.p’ je db, y de | | — — gın.D'— ——- Ccos.p’ dp pP dp P J Aequatio usitata prorsus et demonstratione et forma similis aequationi, - variationes Nodi determinanti, haec est: (I, ERW WERT. BAR as & Fa (xcosp—ysinp)(X’sindsinp— Y’cosdsinp + Z’cos.p) } | quae reductionibus nro. 8) adhibitis in hanc abit } dp I T . i a2 ar ve tm a] emrrinfe far iron j db aa /dey., Ur or nr") Quam plane identicam esse cum aequatione nova, sponte ap- paret, 10) Demonstratum jam est, aequationes novas, quibus variatio- nes parametri g, Nodi d, Inclinationis g determinantur I, II, III, fa- eili negotio derivari ab aequationibus vulgo notis. His additur ae- Quatio pro yariatione axis magni, quam a variatione functionis 22 pendere olim ab illustrissimo la Grange ostensum fuit: ita ut unica tantum aeqüuatio supersit: = 22 11) h F, 7 170 RE ı1) Antequam ad hanc probandam transeamus, adnotationes quasdam, quas forma singularis aequationum propositarum postulare videtur, hic proponemus. Positis d’=d, quae hypothesis semper locum habet, cum situs plani fixi sit arbitrarius, casu quo duorum planetarum se turbantium ea erit constitutio ut p/'=p=o poni queat, aderunt aequationes I dg 1 ih, avg den © a jsin. (—ay'—yar N sin. ( — p) yy' dp _ I I er au sin. 9)ayı 12) Si variationes mutuae duorum planetarum considerentur, forma aequationum hactenus tractatarum symmetricam quandam prae se fert speciem, si ad quantitates xx‘, yy’%, xy’, yx’ respicias. Coefficientes solummodo, quibus hae quantitates affectae sunt, diver- . I I ” ” ” ” . si sunt; factorque 3-5) ‚ si de perturbationibus reciprocis . . . I I . . . ” * quaestio est, abit ın zw wa ; ıta ut in his perturbationibus mutuis infinita occurrat terminorum multitudo, qui in ratione con- stanti sunt, scilicet in ratione horum coefficientium. 13) Simili ratione apparet perturbationes unius ejusdem pla- netae quoad parametrum g; Nodum d; inclinationem 9 continere multitudinem membrorum, quae coeflicientibus tantum differant; ita ut calculi numerici explicatio solummodo sola quantitate 5? intrica- tior re # EEE SU VEN, a7ı / tior fiat; qua explanata‘reliquae sint satis expeditae calculi partes. Haec annotatio ipsam calculi praxin adjuvare potest. 14) Hanc disquisitionem exemplis illustrare, commodum erit. ‘ Pallas et Juno actione atque attractione mutua se petentes in cal- culum vocentur. y designet radium vectorem Palladis; 7“ radium vectorem Junonis; m, m’ massas (ut ajunt) planetarum ; tres aequa- tiones, de quibus hoc {pho sermo erat, ita se habebunt (x, y; x’, y’ Aequationes pro Pallade, turbata — 0,24767 &x* —-0,11607 yy“ — 0,14948 xy’ —+ 0,19700 yx’ R® Le ı 1) 0 gsinp Ir FE — 0,19760 xx° + 0,14548 yy‘ + 0,11607 xy” + 0,24767 yx' a Junone; . Er — 0,88561 xx’ de RVERET il )-0100322 yr —+0,39618 xy — 0,32847 y&' denotant ut supra coordinatas orthogonales in orbita). Aequationes determinantes variationes parametri etc. actione Pal- ladis et Junonis reciproca oriundae. Aequationes pro Junone turbata a Pallade. ds ik. —+0,90322 xx’ ma a 3) )+0,88561. 91° — 0,32847 2° IE a ya’ -t 0,25794 xx' dd‘ m 1 1 < — 0,10430 yy’ a + 0,13571 xy’ — 0,19804 yx' + 0,1357 xx" + 0,19804 yy‘ — 0,10420 xy‘ — 0,25794 yx' 15) Aequationes differentiales allatae primi gradus, in quibus . u t denotat tempus, integrationem directam admittunt; quando d * 22 ? expli- 172 * en explicari potest per terminos cosinus aut sinus motus medi conti- nentes: quod in systemate planetarum semper locum habere, de- monstrandum erit in sequentibus. (uantitates x, y; x‘, y‘ similiter ita explicari atque evolvi, notum est. 16) Restat jam aequatio, qua variationes perihelii determi- nantur. Jam formulae, sequentes ex theoria motus elliptiei sine ne- gotio derivantur dy dx a? sin.u? b. dx a a TE a Tr Ik & zer Ayfauie dy ae sin.u ey dy 2: ve)’den ze +a? VIE sinn eosu= + Ya nayYı-—e? Ex his, substitutionibus factis, obtinetur Rn Y de War Staat de 52) naYı—e? tar Haar ro | Jam si ex aequationibus hactenus usitatis, quas offert Mechan. celest. *) ex aequationibus pro quantitatibus df, df’, df’” deducatur aequatio variationes perihelii exhibens, obtinetur (introducendo coefäcientes % B;) “e 5 | I a(4)x’+a(O)y'+- — (B)yy' + 57° ax d ®) Lib. UI, Cap. VII, $. 64, En 173 dp en d(P) (ar'— RX) dy tree = NDR (m ar Re Ber cos.p.e \ "dt e cos.psin.p PR. WR dp > a coS.psın.® Ei dy „dy) I —_:—, _ Ut haec aequatio analoga reddatur praecedenti, notandae sunt for- suiar Kae quarum demonstratio obvia; scilicet * d(P | OR = we = i =Vg re (A)et(C) nro. 3 determinatae; ar „4y Similiter ex aequationibus II et III nro. 8 et 9. En ] Ei - LE = do ‘ ve I wer ‘ ) men? 2 En y3 yy (cosp z Tade „sin. P J ) J en Plz sin. P + = cosp‘! J Porro cum coefficientes a, ß his aequationibus determinentur a= cos.d Cos.p — sin.d sin.p cos.p ß=sin.d cos.p + cos.dsin.p cos.p atque valores Y’, X’ ope coefficientium, qui quantitatibus a, 8 ana- logi sunt ad coordinatas y‘, x’ reduci queant; colligentur aequatio- nis termini productis yy’ atque yx’ juncti, ope reductionum, quas de offerunt aequationes a cos.d’ — a sin.d’— cos.psin.p. de atque db (ß sin.d’ + a cos.d‘) cos.p’+- cos.p sin.p do‘ Quo 174 Quo facto ıdentitas coeficientium, prodacta yy’ yx’ comitan- tium in aequationibus tum noya tum prius usitata sponte apparebit: (eujus evolutionem solummodo brevitatis gratia omittimus). 17) Caeterum simili ratione qua termini e membris (} r—BX) = cos.p sin.p : dd N = — atgue — Hr .psin.p — — sin.p =, l cos.9 € Ja Ban 08.9 NT Si dt d(P reductionibus coalescunt, eadem quantitates atque termini reductionibus superioribus oriundi coalescunt, ita ut aequatio Pru simplex satis dp dd de d(P A 2% lu +eog;)= = on vs 8 0x+0y9} |+5"zv8 | quam inter aequationes nei recipere nec usus practicus vetabit. ı8) Hacc acquatio differt forma ab aequationibus I. II. II. e verum demonstrari potest aequationem, qua 7, (variationes eccentri- citatis) determinantur simili plane forma gaudere: ita ut symmetria quaedam hac ratione restituatur. VD. 175 vm. a er nonnullae horti academici Monacensis descriptae atque illustratae. Auctor Car. Frın. Pnıc. MaARrTIvSs, Med Doct uum hac proxima aestate im horto Academiae litterarum regiae plures floruissent plantae aut nondum rite cognitae, aut minus dili- genter illustratae, annuente Schrankio, viro perillustri , horti di- rectore, earum nonnullas accurate describere suscepi, qua in re bo- tanices studiosis me operam collocasse neque ingratam neque in- utilem confido. I. Pulmonaria tuberosa Schmidt. P, foliis radicalibus lato-lanceolatis, in petiolos decurrenti- bus, scabris. P. quinta pannonica Clus. hist, 2. p. 170 (?) r d- ı76 Radix perennis in ramos multos divisa, vetusta tuberosa. Caulis erectus sesquipedalis bipedalisve, teres, pilis albis ri- gidis scaber et quasi urens, inferne simplex superne divisus. Folia uti caulıs pilis albis hirta, laete viridia subtus pallidiora, integerrima et apice acuto instructa; radıcalia oblonga vel lato-lan- ceolata, aeque ac caulina inferiora lanceolata in petiolum longe de- currentia ibique paululum revoluta; caulina superiora lanceolata ses- silia semiamplexicaulia. Flores in corymbum terminalem collecti, breviter pedunculati, inferiores basi foliolo ovato -lanceolato suffulti. Calyx semiquinquefidus, laciniis lanceolatis acutis, hirtus. Corolla primo purpurea demum coeruleo -purpurea; limbi la- ciniae aequales obtusae. Stamina stylo breviora. Antherae lineares luteae. Stylus calycem aequans. Stigma parvum subcapitatum. Semina quatuor subrotunda nigrofusca. Species haec a vera Pulmonaria angustifolia sine ullo dubio est diversa. Forte ipse magnus Linnaeus hanc nostram pariter ac aliam stirpem Pulmonariam scilicet mollem Wolfii, nondum quod scimus descriptam, atque ipsam P. angustifoliam uno posterioris nomine complexus est. ÜCerte Pulmonaria quinta pannonica Clus. *) huc non pertinet, sed potius tuberosae aut mollis est synonymon. Videtur enim diligentissimum hunc observatorem minime fugisse dif- ferentiam profecto specificam inter veram P. angustifoliam atque tuberosam intercedere. Immo forte sub ejus Pulmonaria quarta ru- bro *) hist, 2. p. 170, N ET ge RETTET vn Be Ro 177 bro flore *) atque P. quinta rubente coeruleo flore **) jam ipsas P. tuberosam atque mollem distinxit. Quarum vero quae ad tubero- sam, quae ad mollem pertineat vix eruere audeo. Linnaeum vero sub unica P. angustifolia plures comprehen- disse species ex eo elucere videtur, quod praeter figuram Pulmonariae quintae Clusii, aliam e Bocconio ***) citat, quam ad P. vere angusti- Joliam referendam censeo, tum herbarii Schreberiani cum ipsius no- minis auctoritati innixus. Sit igitur haec Pulmonaria angustifolia: P. foliis anguste lanceolatis in petiolos decurrentibus molliuscu- lis; praeter has notas quoque statura et floribus minoribus dignoscenda. Anne forte hujus, in Austria hinc inde obviae, aliud synony- mon est Pulmonaria tertia pannonica Clus. ****)? Pulmonaria tuberosa pluribus Germaniae locis, vbi angustifolia lecta dicitur, provenit. In Bavariae subalpinis prope Rosenheim a viro rev. Schmidt, Beneficiato, lecta atque hoc ipso nomine donata est. 1. Onochilis pulla. O. corollis calyce brevioribus ; calycibus fructiferis pendulis. Echioides nigricans Desf. atl. I. p. 163. Lycopsis nigricans Pers. syn. I. p. 162. Boragine silvestre annna di Candia. Zanon. istor. bot. p.48. t. 19. (icon. satis bona.) Buglossum procumbens annuum pullo minimo flore Moris. prael. bot. p. 252; — hist. ox. Sect. XI. p. 439. t. 26. f. ıı. (misera), et Zanon. rar. stirp. hist. p. 56. t. 38 cum icone ex historia bot. Radix annua? — apud nos jam annum et quod excurrit duranvit. Caulis *) ]. c, c, icone. **) ibidem, ®s®) Mus. p. 110, t, 86, *#0®) Stirp, pann, pP. 149 c, ic,; — hist. a, p. 169, cum icone eadem, 23 ı78 A EesG Caulis sesquipedalis et altior, debilis, subflaccidus, procum- bens, pilis setisque albis patentibus hispidus, ramosus. Rami erectiusculi. Folia alterna, semiamplexicaulia bası decurrentia in caulis an- gulos, lanceolata vel lineari-lanceolata, acuta, uti caulis hispida, canescentia cum nitore, margine subundulata et apice saepe torta, patenti-reflexa, subdisticha, sesquipollicaria, bipollicaria, juniora supra rubentia. Flores in axillis foliorum solitarii. Pedunculi ad summum unguem longi, teretes, hirsuti, pri- mum erecti, deinde ad latus deflexi. Calyces in lacinias quinque aequales acutas divisi, hirsuti ut reliquae partes, maturo fructu ventricosi, penduli. Corollae infundibuliformes, calycibus breviores. Tubus cy- lindraceus, gracilis, deorsum paululum dilatatus, colore albidus; limbus in lacinias quinque breves rotundatas integerrimas sectus, atro-sanguineus, holosericeo-nitens, ad faucem perviam tenuissime ciliatus. Filamenta brevissima, tuko inserta. Antherae lineares, erectae, ad limbum pertigentes, cinereo -fuscae. Ovaria quatuor subglobosa. Stylus filiformis, erectus, lon- gitudine tubi. Stigma minutum subcapitatum,, fuscescens. ‚Semina quatuor atro-violacea nitida, rugosa, duo saepe in- completa. Hab. in siccis arenosis Barbariae, (et insularum graecarum?). Lycopsidis character primarius in corolla superne incurva ver- satur, a qua nota quum nostra species aeque ac L. vesicaria L. recedat, Cl. Desfontaines sequi easque separare aequum duxi. Character gen. erit. qualem 1. c. dedit Desfontaines. Echioidis nomen vero varias ob causas minus aptum, ideoque antiquum Asperifoliae cujus- dam nomen e Dioscoridis L. IV. c. 23. introduxi. Affinis est O. pulla non solum Lycopsidibus, sed etiam Onosmis corollis cylindricis, a quibus praesertim calyce ventricoso quinquefido caute distinguenda. Proxi- 179 Proxima est Onosmae caspicae W., a qua differt: radice uti videtur perenni, statura majori, caule laxo quidem, sed non divari- cato, foliis Jatioribus, magis canis ob pilos molliores et densiores, co- rollis longitudine calycis, nec paulo longioribus, et alüis notis, IH. Pityranthus crassifolius. P. caule decumbente brachiato piloso, foliis oppositis ovatis bası cuneatis mucronulatis glabris, capitulis oyatis axillaribus. Illecebrum Achyrantha Sp. pl. ed. Willd. ı. p. 1208. Radix fibrosa perennis. Caulis prostratus spithamaeus et longior, jam ex ipsa basi divaricato-ramosus, debilis, teres, pilosus, albo-rubens. Rami oppositi. Folia ex internodiis caulis ramorumque aliquantulum incras- satis, opposita, petiolata, ovata, acuta et mucrone breyi terminata basin versus cuneatim attenuata, integerrima, substantiae tenacioris, e viridi et albo varia, subtus pallidiora, glaberrima, basi tamen et costa media inferiore pilis sparsis obsita, unguicularia vel pollicaria, opposito plerumque minore. Petioli breves quintam circiter foliorum partem aequantes, pilosiusculi subamplexicaules. Flores in asillis foliorum collocati glomerulos ovatos efficiunt. Bracteae tres ad calycis basin, membranaceae, albae, lanceola- tae, carinatae, medio nervo rufescente et pubescente percursae, inae- quales, minore latiore. Calyx corollam simulans pentaphylius, foliolis inaequalibus membranaceis albis. Foliola exteriora tria aequalia ovato -lanceolata, 23° tri- ı80 trinervia, nervis lateralibus ad dimidium pertingentibus, intermedio va- lidiore excurrente atque in foliolis binis concavis mucrone brevi ter- minato, foliolo tertio plano mutico; omnia extus villosa, praesertim basi. Foliola interiora duo sibi opposita et genitalia amplectentia, minora, carinata, lanceolata, obtusiuscula, valde pilosa. Filamenta quingue, insidentia annulo minutissimo viridi, ger- men cingenti (nectario auctorum); filiformia longitudine germinis, alternantia cum totidem dentibus triangularibus acutis minutis, quasi ‚filamentis sterilibus. Antherae oyatae, germini incumbentes, luteae. Germen globosum paulo depressum, viride, glabrum, parvum. Stylus brevis, crassiusculus, simplex. Stigma subcapitatum. Utriculus semen unicum globosum fuscum continens, irregu- lariter secedens. Patria est ager Bonariensis. Floret apud nos in Frigidario. Mira in Celosia eique affınibus Achyranthe et Illecebro gene- rıbus exorta est confusio, quum in his quid calyx rite vocetur, quidve bractea haud exiguis prematur difficultatibus; foliola enim illa calycem corollinum obvallantia, colore, substantia, situ et figura in singulis speciebus ita differunt, vt in Achyranthe pro bracteis in Celo- sia-vero pro ipso calyce habeantur. Mihi quidem, plures horum ge- nerum species accurate perscrutanti, visum est, omnes promere flo- zes apetalos, mere calycinos et squamas calycem extus stipantes op- timo jure bracteas appellar. _Suadet singularis in nonnullis specie- bus harum partium conditio indeque facilis per analogiam conclusio. In Celosia Monsoriae nımirum, in C. nodiflora, Achyranthe muri- cata aliisque multis squamae tres externae, quae in systemate caly- cis | | x 181 cis nomen adeptae sunt, saepius nec ex ipsius calycis basi oriuntur, nec ei incumbunt sed e pedunculo infra calycem enatae, late ab illo distant, ita ut decerptis floribus integrae remaneant. Inde facile perspici potest, eas bracieis adnumerandas esse. Quamvis vero ab ipsis partibus floris alienae sint, in‘confirmandis tamen characteribus genericis eo gravioris videntur momenti, quo magis ad habitum fa- eiunt et quo difficilior e sola nectarii indole harum formarum certa distinctio. Denique fructus conditio in auxilium est vocanda. Magni sane interest, utrum plura semina uno fructu condantur aut unicum solummodo, magni quoque quo modo aperiatur; quam ob causam novum genus introducendum putavi, cui Pityranthi nomen dedi a zırvp@ 1. e. furfure. Character hic erit: Calyx corollinus pentaphyllus, foliolis inaequalibus, extus bracteis tribus facie calycis. Corolla nulla. Stamina basi connata in tubum germen cingentem aut den- tatum (tunc vero cum dentibus alternantia) aut integrum. Utriculus monospermus, aut irregulariter dehiscens aut hori- zontaliter, (ut in Celosia albida Willd.). (Flores capitati, vel in spicas plerumque breves collecti.) Huic generi praeter supra descriptam ex earum, quas vidi, specierum numero adscribendae sunt: Achyranthes axillaris Hornem., altissima Sw., porrigens Jacq., muricata L.; Celosia albida Willd., Monsoniae Retz., nodiflora Jacq.; Illecebrum brachiatum L., javani- cum L., frutescens L’herit., sessile L., quod jam monente Vahlio *) eadem planta ac J. ficoideum L., lanatum L. Achyranthis characterem ita definiendum puto. *) Symb. bot, I. p, 22. 182 ern Calyx corollinus pentaphyllus, foliolis inaequalibus, extus bracteis tribus calyci plerumque dissimilibus. Corolla nulla. Stamina bası connata in cupulam aut integerrimam, aut den- tatam, dentibus fimbriatis cum staminibus alternantibus. Utriculus monospermus. Huc pertinent: Achyranthes aspera L., argentea, Lam., echi- nata Retz., lappacea L., rel. — Genus, ingenue fateor, habitu magis, quam notis e flore desumtis conspicuum. Celosiae character exhibendus: Calyx corollinus pentaphyllus, foliolis inaequalibus, extus bracteis tribus facie calycıs. Corolla nulla. Stamina basi in tubulum germen ambientem connata. Capsula polysperma unilocularis eircumscissa.. (Flores spicatıi.) Hujus loci sunt: Celosia margaritacea L., cristata L., trigyna L., paniculata L., castrensis L., coccinea L., polygonoides Retz., co- mosa ejusdem et rel. Illecebrum ita statuo: Calyx corollinus pentaphyllus, foliolis aequalibus, subcartila- gineis, apice fornicatis. Corolla nulla. Stamina cum squamulis (in nonnullis deficientibus) alternautia. Utri- | } D — ı 83 Utriculus monospermus. Anychiae, generis a Michauxio constituti *), species optimo jure sub Illecebro militant, cum non nisi squamarum inter stamina defectu ab Jllecebro Paronychia, verticillato et arabico, quas mihi examinandi facultas fuit, differant. Forte distinctam hujus generis subdivisionem exigunt, tam ob nectarii defectum, quam ob calycis foliola plerumque obtusa. Illecebrum alsinaefolium L., cum Queria canadensi L., quam Michauxius nomine dichotomae in- ter Anychias recepit, «uod spontanea filamentis quinque gaudet, valde convenit ratione structurae floris atque habitus,. Huc igitur referendum est. De Illecebro capitato L. nihil certi praedicare audeo, a reli- quis Illecebris differt foliolis calycinis planis et capsula medio se- cundum directionem perpendieularem secedente. IV. Stachys arabica. S. annua, foliis cordato - oyatis, remote serratis, postice inte- gerrimis, concavis, inferioribus petiolatis, floralibus sessilibus, verti- cillis 6-floris muticis. Radix perpendicularis, divisa in fibras plurimas, annua. Caulis ad basın statim divisus. Rami oppositi adscendentes sesqui-ad bipedales et altiores, quadranguli, pilis brevibus albis sparsis hirti, virides. Folia cordato-ovata, antice remote et simpliciter serrata, postice integerrima, concaya, pubescentia, venosa, luteo-viridia, in- feriora petiolata superiora ad verticillorum basin sessilia, Petioli dilatato- plani, pubescentes. Verticilli remoti sexflori. Ca- *) Flor, bor. amer. I], p, 113, 84 _— a Calyces ampli, quinquefidi, laciniis aequalibus lanceolatis, mu- crone breyi albo terminatis, pubescentes, brevissime pedunculati. Stipulae duae minutae lineari subulatae pubescentes ad cu- jusvis calycis basin. Corolla magna, purpurascens et maculis obscurioribus irrora- ta. Labium superius oblongum integerrimum, extus pubescens; in, ferius patens reflexum glabriusculum. Antherae flavae. Semina ovato-triangularia, fusco -nigricantia. Floruit haec species, ut videtur Arabiae indigena, in horto nostro per Augustum et Septembrem; sub dio vix semina perfieit. Competit huic locus in systemate juxta Stachyn betonicaefoliam a Cl. Desfontaines *) descriptam et nitide delineatam. V. Pelargonium sanguineum. P. pedunculis multifloris foliis bipinnatifidis, foliolis remoti- usculis, superioribus cuneato-decurrentibus, laciniis lanceolatis inci- sis caule suffruticoso piloso. Tab. IV. Caulis basi fruticosus teres, crassitie digiti, erectus, cortice fuscescente glabro vestitus, divisus in ramos erectos patentes, tere- tes, ad genicula remota tumentes, colore viridi vel rubente, undique‘ pilis albis obsitos. Folia sibi ramisque opposita, petiolata, laete viridia, hinc inde tenuissime pubescentia, pollices tres ad quinque longa; inferiora bi- pinnatifida. Pinnae suboppositae, saepius complicatae, superiores cuneato-decurrentes, infimae subremotae, in lacinias lanceolatas basin ver- *) Annal. Mus, hist. natur, Tom, X, p. 304. FE Se RE, an u, A 185 versus attenuatas, bi-vel tridentatas, subinde uno latere vel utroque integerrimas divisae. Folia suprema minora plerumque simpliciter pinnatifida, laci- niis integerrimis, vel (praesertim inferioribus) dentatis. Petioli foliis breviores, teretes, pilosi. Stipulae in caule atque in ramorum geniculis lato-ovatae acutae, virides, demum aridae, persistentes, ciliatae. Pedunculi terminales elongati, saepe pedales, teretes, pilosi. Involucrum octophyllum vel enneaphyllum, foliolis lanceola- tis ciliatis, umbellam multifloram fovens. Pedicelli breves, pubescentes. Calyces ante anthesin et fructiferi horizontaliter deflexi; flo- rentes erecti, pubescentes, rubenti-virides. Tubus longus fere pol- licem aequans. Limbus compressus, quinquefidus; laciniae lanceola- tae longitudine aequales, superior latior reliquis, omnes margine tenui albo. Petala quinque, superiora duo obovata, tria inferiora lanceo- lata, basin versus attenuata, apice rotundata subundulata, obscure sanguinea, superiora lineis ramosis tribus vel quatuor, inferiora binis picta. Antherae flavae. Semina dilute fusca villosa rarius maturescunt. Patria forte Cap. b. sp. Locus in systemate juxta P. coriandrifolium. VI Pelargonium pumilum Will. P. pedunculis multifloris, foliis subrotundis, obsolete quin- quelobis, crenatis, basi subcuneatis, junioribus zonatis, petalis linea- Ti- Cuneatis. 24 ir 186 _— P. pedunculis subquadrifloris, foliis subrotundis obsolete lo- batis crenatis, junioribus subzonatis, petalis linearibus Willd. enum. II. p. 764. Ic. tab. V. Radix lignosa, fibrosa, perennis. Caulis fruticosus, ad radicem statim ramosus, erectus, pumi- lus pedalis ad summum sesquipedalis, teres flexuosus cortice cine- reo-fusco glabro tectus. Rami cauli similes erecti, flexuosi. Folia opposita, petiolata, subrotunda, obsolete quinqueloba, lobis inciso-crenatis, crenis binis ternisve, lobo intermedio latiore; in petiolum cuneatim decurrentia ibique integerrima, basi aliquantu- lum concaya, crassiuscula venis subtus prominulis, tenuissime pubes- centia, laete viridia, juniora zona purpurascente notata. Petioli longitudine folıa fere aequantes, semiteretes, supra canalıculati, pubescentes. Stipulae juxta petiolorum basin membranaceae, cordato-oyatae, acutae, subciliatae, deciduae. Pedunculi laterales terminalesque longitudine tubi calycis, gla- briusculi. Involucrum hexaphyllum vel heptaphyllum, foliolis ovato - acu- minatis, ciliatis. Flores in umbella singula circiter 6—8. Calycis tubus nectarifer teres, pilis sparsis obsitus, infra pur- purascens, supra paulo incrassatus et viridis. Laciniae calycinae aequales, lanceolatae, acutae, glabriusculae. Petala \ineari-euneiföormia apice rotundata, obscure coccinea, duo superiora paululum longiora amoene punicea striis duabus lon- gitudinahibus obscurioribus notata. Antherae puniceae. v u nn al a 2 = u a u u ar — ı 87 Semina ‘hujus speciei matura ınondum vidi, indeque ‚prolem esse hybridam suspicor. P. scandenti ‚certe valde est affınis ejusque diagnosis ita emendanda erit: P. pedunculis multifloris folis subrotundis obsolete lobatis grosse crenatis, basi subcordatis, zonatis, petalis linearibus latitudine laciniarum calyeis (striatis). Patria Cap. b. sp. dicitur, floret diutissime in Frigidario, id quod affirmat opinionem supra indicatam, plantam esse hybridam. VI. Pelargonium amplissimum. P. peduneulis bi-quinquefloris, foliis semiorbieularibus glaucis trilobis, lobo medio trifido lateralibus bifidis, serratis, versus basin leviter cordatam integerrimis, caule erecto fruticoso, P. pedunculis bi-quinquefloris foliis planis glaberrimis semi- orbiculatis septemlobis serratis basi leviter cordatis. FWilld. suppl. enum. p. 48. Radix lignosa, fibrosa, perennis. Caulis erectus, tripedalis ‚et major, teres, lignosus, cortice fusco glabro, in junioribus levissime pubescente. Folia alterna oppositaque longe petiolata, circumscriptione semiorbiculari sesquipollicem longa et duos plerumque lata, subpal- mato-triloba, lobis lateralibus in medio profunde incisis, intermedio apice leviter trifido, omnibus acute et inaequaliter serratis, — basi subcordata et paululum concaya integerrima, glaucescentia subtus pallidiora, subcarnosa, venis albidis subtus prominentibus, rigidiuscu- la, glaberrima. Petioli patentes, longissimi, inferiores folia longitudine bis su- perantes, teretes, glabriusculı. Stipulae ovatae acuminatae, membranaceae, marcescentes. Pedunculi elongati tri — sexpollicares, teretes, piloso -hirti. 242 In- 188 Involucrum parvum pentaphyllum, laciniis ovato-acuminatis, ciliatis, membranaceis, marcescentibus. Umbella quadri — quinqueflora, subinde quoque bi — triflora. Pedicelli paulo sursum flexi. Tubi calycum sesquipollicares, teretes uti pedicelli piloso- hirti. Laciniae calycinae sub anthesi erectae, then schlag margine tenuissime membranaceo subciliato. Corolla ampla pulcherrima. Petala candida, tria inferiora obovato-cuneata immaculata, duo superiora latiora obovata, apice subemarginata, lineis nonnullis purpureis sursum ramosis inde a basi usque ad medium elegantissime picta. Semina fusca villosa, apud nos yix rite maturescentia. Quod ad staturam fleresque attinet pulchra haec species. af- finitate satis arcta cum P. grandifloro conjuncta est, et hanc ob causam a nonnullis pro planta hybrida habetur. Differt vero ab illo raesertim forma foliorum; sunt enim in P. grandifloro quinqueloba, . P 3 quıng > lobis posterioribus divergentibus, serraturis minoribus et basi quasi triangulo exeisa nec subcordata. Quod si vero ulterioribus inno- tuerit disquisitionibus, plantam esse hybridam, cujus rei movet suspi- cionem seminum conditio, formam fallacem et breyi tempore bo:a- nicorum oculis se subducturam litteris mandasse juvabit. VII. Phyllanthus cantoniensis. P. foliis pinnatis floriferis, foliis obovato-oblongis, peduncu- lis axillaribus solitariis, inferioribus foemineis, superioribus masculis, ramis pinnaeformibus aucipitibus, caule annuo subancipiti. Ic. Tab. VI. Radix perpendicularis fibras multas ramosas emittens, annua. Cau- 2% Mn En — RESTE! Be N: en Er Nee PRREBER er N 189 Caulis pedalis et sesquipedalis erectus, glaber, ramosus, ad ramificationes flexus et ramis utroque latere decurrentibus angulatus ferme anceps, e viridi purpurascens. Rami cauli similes, patentes, subgemini, per paria alternantes. Ramuli folüferi, quos melius petiolos communes diceres, al- terni compresso-ancipites ad foliorum basin dilatati, glabri. Folia pinnata cum impari quinque - ad octojuga, alterna, breviter petiolata, obovato-eblonga, basi aliquantulum obliqua, apice truncato- rotundata et mucrone breyissimo instructa, glaberrima, amoene et fere glaucescenti-viridia, subtus pallidiora. Stipulae ad foliorum basin minutae, cordatae acuminatae, et aliae minutissimae setaceae ad quemcumque petiolum partialem. Flores axillares, ad singulorum petiolorum partialium latus in- ferius singuli, subsessiles, inferiores 6—38 foeminei totidemque su- periores mascauli. Flores masculi dimidiam lineam latıi. Caly& monophyllus profunde sexfidus subcampanulatus albus tener, persistens laciniis aequalibus ovatis (sub lente) inaequaliter dentatis, pellucidis, fasciculo vasorum notatis. Nectarium (vel si mavis Corolla) minimum, tanquam coronula germini subjectum monophyllum sed in lobos sex aequales, quartam laciniarum calycis, cum quibus alternant, partem metientes, ungue brevi angusto limbo subrotundo crenulato, divisum, crassiusculum viride. Filamenta tria in columnulam triquetram calyce breviorem connata. Antherae subglobosae didymae contiguae, flayae. Flores foeminei iis, qui mascula continent organa, paulo - majores. Calyx monophyllus, sexpartitus, persistens, tenuis, laciniis aequalibus lanceolatis patentibus, sub microscopio consideratis hya- lino- 190 lino -pellucidis, cellulosis, in ‚medio vasorum fasciculo purpureo ante apicem desinente notatis, margine eroso - denticulatis. Corolla nulla, nisi pro ea habeas annulum tenuissimum luteo- virescentem, basin germinis cingentem, cui nectarii potius nomen competit. Germen superum, subglobosum, viride, glabrum, attenuatum in Stylos ıtres breves, teretes, bifidos. Stigmata sex, in quovis stylo duo, subcapitata. Capsula subglobosa depressa, sexsulca, tricocca, junior tecta epidermide viridi-rubente granulosa, postea in lacinias sex, totidem capsulae areolas vestientes, secedente; matura centro poro parvo pertusa, denique in cocculos tres elastice dehiscentes dividitur. Semina in :quovis cocculo bina, triquetra ferruginea, trans- xersim sulcata. — Speciem-hanc elegantem, nisi nomen fallit, Chinae indigenam, in caldario servavimus, ubi per longum temporis spatium florens, plurima semina protulit. Locus in specierum enumeratione post P. debilem Klein. IX. Phyllanthus Niruri. P. foliis pinnatis floriferis, foliolis oblongis obtusiuscnlis, pe- duneulis axillaribus, inferioribus subgeminis masculis, superioribus so- litariis foemineis. Sp. pl. ed. Willd. IV. p. 583- x Ic. tab. VII. Radix perpendicularis in ramos multos divisa, annua. Caulis pedalis et altior, erectus, teres, paululum flexuosus, glaber, inferne purpurascens superne viridis, ramosus. Rami patentes. Folia alterna, petiolata, patentia, cum impari pinnata, Io- ad ı16-juga. Foliola alterna breviter petiolata oblonga apice ob- tusa sine mucrone, glabra, laete viridia. Petioli teretes glabri. Sti- u E Die) re un Fe N‘ 191 Stipulae ad: foliorumque basin setaceae purpurascentes. Flores infra foliola axillares pedunculati; inferiores masculi ge- mini vel terni, diverso plerumque tempore evoluti, superiores foe- minei solitarii *). Flores masculi lineam ad sesquilinem et ultra latı. Calyx monophyllus, tener, campanulatus, quinquepartitus laci- niis ovatis obtusis, albus subinde in laciniarum parte media virescens, persistens. Corolla abest, nisi nectarium dicas. Nectarium parvum monophyllum quinquepartitum, lobis cum jaciniis calycinis alternantibus subrotundis, margine undulatis. Filamenta tria, inferne connata in cylindrum, apicibus vero distantia. Antherae biloculares subglobosae, contiguae, flavae. Flores foeminei magnitudine et calycis structura masculinis similes, foecundati tamen paulo majores. Iectarium annulus membranaceus tenuis e luteo viridis, in- tegerrimus, germini subjectus, idque cingens. Germen superum globosum, albo - virescens glabrum. Stylus teres, inferne simplex, tunc ach ramis patenti- di- vergentibus, luteo virens. Stigmata oblonga obtusa subdidyma, Iuteola. Capsula globosa sed valde depressa, sexsulca tricocca, imma- tura tecta epidermide glabra albo -virescente, quae primo in lacinias sex aequales rumpitur, quibus demum delapsis capsula ipsa in con- spectum venit. Haec in centro poro minimo est pertusa et denique in cocculos tres dilabitur. ‚Sernina in quovis cocculo bina, forma semilunari, fusca, trans- versim sulcata., Patria est India orientalis, *) Flores in speciminibus indicis, quae vidi, minores quam in planta hortensi. Expli- 192 — N E:x p lie ratio ab Farm! h Tab. IV. Pelargonium sanguineum. Tab. V. Pelargonium pumilum. E Tab. VL R Fig. ı. Phyllanthus cantoniensis. ; ; — 2. Corolla mascula) — 3. Stamina multo aucta. 4. Corolla foeminea — 5. Capsula junior in calyce persistente, ter aucta. 6. Capsula maturitati proxima, vestita membrana exteriore in areolas dilabente. ; 7. Capsula matura. — 8. Eadem aucta. 9. Semina. Tab. VII. Fig. ı. Phyllanthus Niruri. 2. Corolla masculina magnitudine nalurali. 3. Eadem 4. Stamina multo aucta. — 5. Corolla foeminea 6. Frucius immaturus, corollae patulae insidens. 7. Fructus immaturus, lacinüs corollae revolutis. 8. Idem magnitudine auctus, membrana externa jam in lacinias sece- dente. — g. Semina magnitudine naturali et aucta. Be SE BE ER Zr u ine VII. Pr . BP, ID LLÄL REIF FL 7FGZOTBELETDE u DELL ’ | . j F \ | ; Gerksohe: AEth. Dr bu nn 0 nn Maereis AUhr. 07 planen Mackie Ah ß Vhadantbers öMesiree. Maetiius ALL 193 VIH. Bestimmung des Brechungs-und Farbenzerstreuun g5-Vermögens verschiedener Glasarten, in Bezug auf die Vervollkommnung achromatischer Fernröhre. Von Joseph Fraunhofer, in Benedictbaiern. m Bey Berechnung achromatischer Fernröhre setzt man die genaue Kenntnils des Brechungs- und Farbenzerstreuungs - Vermögens "der Glasarten, die gebraucht werden, voraus. Die Mittel, welche man bisher zur Bestimmung desselben angewendet hat, geben Resultate, 25 die 194 die unter sich oft sehr bedeutend abweichen; daher bey aller Genauig- keit, in Berechnung achromatischer Objektive, die Vollkommenheit derselben zweifelhaft ist, und zum Theile auch delswegen selten den Erwartungen ganz entspricht. Mehrjährige Erfahrungen in diesem Fache führten mich auf neue Methoden, das Brechungs- und Zer- streuungs- Vermögen zu finden, die ich hier, weil mehrere Gelehrte es wünschen, bekannt mache. Ich lasse diese Versuche in derselben Ordnung folgen, in welcher ich sie machte, und abzuändern für nö- thig fand. Ich suchte anfänglich die Gröfse der Farbenzerstreuung einer Glasart aus der Gröfse des prismatischen Farbenbildes, welches ein Prisma von bekannten Winkeln in einem verfinsterten Zimmer in be- stimmter Entfernung gab. Auch der Exponent des Brechungsverhält- nisses wurde daraus abgeleitet. Allein die Unbestimmtheit der Gren- zen des Farbenbildes liels eine großse Ungewilsheit in der Genauigkeit der Resultate. Zur Bestimmung des Verhältnisses der Farbenzerstreuung und Brechung in Flint- und Crownglas schliff ich aus diesen beyden Glas- arten Prismen von kleinen entgegengesetzt brechenden Winkeln, die so lange geändert wurden, bis für den einen Fall die Farbenzer- streuung, für den andern die Brechung gehoben war; das Verhältnifs der Winkel dieser Prismen war alsdann umgekehrt das der Farbenzer- streuung oder Brechung. Allein aus mehrern Paaren solcher Prismen von denselben Glasarten erhielt ich, besonders für das Verhältnis der Farbenzerstreuung, sehr verschiedene Resultate. Ich wählte delswe- gen zur Bestimmung der relativen Farbenzerstreuung grölsere Prismen, mit gröfsern entgegengesetzt brechenden Winkeln. Das Prisma von Crownglas hatte 60 bis 70°, Der Winkel eines der beyden Prismen wurde durch Schleifen so lange geändert, bis die Farbenzerstreuung ungefähr gehoben schien ; genauer wurde sie alsdann durch Verände- rung des Winkels des einfallenden Strahles gehoben. "Da bey Prismen von ve Zu 195 von so grofsen Winkeln, schon bey geringer Veränderung des Winkels des einfallenden Strahles, das Licht von der zweyten brechenden Fläche zurückgeworfen wird, so wurden die beyden Flächen der Prismen, die einander entgegenstanden, und sich berührten, mit einer stark brechenden Flüssigkeit, z. B. mit Oele, bestrichen, wo das Licht fast unter allen Einfallswinkeln durchgelassen wurde. Um genau mes- sen zu können, unter welchem Einfallswinkel die Farbenzerstreuung gehoben wird, wurden die beyden Prismen vor das Objektiv eines Theodolith - Fernrohres gebracht; sie lagen hier auf einer horizontalen Scheibe, die, da sie an einer stählernen Achse ist, um ihren Mittel- punkt gedreht werden kann. Die Hülse der Achse ist mit dem Fern- rohre fest verbunden (Fig. ı). Es wurde so am Fernrohre durch die Prismen ein entfernter Gegenstand mit scharfen vertikal laufenden Grenzen besehen, und der Winkel der einfallenden Strahlen durch Verdrehen der Scheibe und Alhidade des Theodoliths so lange geän- dert, bis die Farbenzerstreuung am geringsten zu seyn schien; oder vielmehr, bis die scharfen vertikal laufenden Grenzen des Gegenstan- des am deutlichsten geschen wurden. Um den Einfallswinkel selbst messen zu können, war auf der Scheibe noch eine Regel aufgelegt, an der zwey stählerne Spitzen vorstehen, welche die erste Fläche der Prismen genau berührten. Auf der Regel ist in einiger Entfernung oberhalb ein Fernrohr fest, dessen Achse mit den zwey stählernen Spitzen genau parallel läuft (Fig. 2). Das Fernrohr ist nur an beyden Enden an der Regel fest, so, dafs das Licht zwischen dem Fernrohre und der Regel auf die Prismen fallen kann. Es ist folglich leicht, den Einfallswinkel am Theodolith genau zu messen. Aus diesen, den Winkeln der Prismen, die mit derselben Regel am Theodolith genau gemessen werden können, und den Exponenten der Brechungs- Ver- hältnisse wurde vermittelst einer schr genauen Formel das Verhältnils der Farbenzerstreuung abgeleitet. Bey einem und demselben Paare Prismen stimmen die Beob- achtungen so gut überein, dafs man bey einem Objektive, welches 25° dar- 196 darnach berechnet würde, keine schädliche Abweichung zu fürchten hätte. Sucht man aber mit mehrern Paaren Prismen von denselben Glasarten und verschiedenen Winkeln die relative Farbenzerstreuung, so bekömmt man Unterschiede, die bey grölsern Objektiven noch eine schädliche Abweichung verursachen könnten. Dieses gab Ver- anlassung zu folgenden Versuchen. Besieht man durch zwey Prismen vön Flint- und Crownglas, mit entgegengesetzt brechenden Winkeln, einen Gegenstand, so fin- det man ihn, besonders wenn mit einem Fernrohre durch die Prismen gesehen wird, nie ganz farbenlos. Die Farbenzerstreuung ist bey einem bestimmten Winkel der einfallenden Strahlen am kleinsten; wird dieser Winkel gröfser oder kleiner, so wird in bey- den Fällen die Farbenzerstreuung vermehrt. Wie bekannt, entsteht die noch übrig bleibende Zerstreuung dadurch, dafs für die ver- schiednen farbigen Strahlen in den beyden Glasarten das Verhält- nils der Zerstreuung nicht einerley ist. Wenn z. B. die Zerstreuung der rothen Strahlen im Crownglas zur Zerstreuung der rothen Strah- len im Flintglase sich verhält, wie 10:19, so können in eben die- sen Glasarten die violeten Strahlen in dem Verhältnisse von Io:2r zerstreut werden. Defswegen kann die Farbenzerstreuung nicht voll- kommen gehoben werden. Es würde sehr vortheilhaft seyn, wenn man in jeder Glas- art das Zerstreuungsvermögen für jede Farbe besonders finden könnte; allein da im Spektrum die verschiedenen Farben keine be- stimmte Grenzen haben, so ist dieses unmittelbar aus dem Farben- bilde nicht abzuleiten; die Ungewilsheit würde hier so grols seyn, dafs die Versuche ohne Vortheile blieben. Genauer würde dieses geschehen, wenn man gefärbte Gläser, oder gefärbte Flüssigkeiten fände, die nur einfaches farbiges Licht durchlielsen, z.B. die eine nur blaues, die andere nur rothes Licht u. s. w.; allein .ich war nicht so glücklich solche zu finden. Bey allen wurde das weilse Licht, das durch sie fuhr, noch in alle Farben zerlegt; nur war die Farbe, 14 Farbe, die das gefärbte Glas, oder die Flüssigkeit hatte, im Spektrum die lebhafteste. Auch die farbigen Flammen, die man durch Ver- brennen von Alkohol, Schwefel u. s. w. erhält, geben, durch das Prisma gesehen, kein einfaches Licht, das ihrer Farbe entspricht; jedoch fand ich bey diesen, so wie auch mit Oel- und Talglichte und überhaupt mit dem Lichte des Feuers, im Farbenbilde zwischen der rothen und gelben Farbe einen hellen scharf. begrenzten Strei- fen, der bey allen genau an demselben Orte ist, und in der Folge sehr nützlich wurde. Dieser helle Streif scheint durch Lichtstrahlen gebildet zu werden, die durch das Prisma nicht weiter zerlegt wer- den, und folglich einfach sind. Auch in der grünen Farbe findet sich ein ähnlicher Streif, der jedoch nicht so scharf begrenzt und ungleich schwächer ist, so dafs man ihn in einigen Fällen schwer erkennt; defswegen kann man von diesem keinen Gebrauch machen. Um einfaches Licht von jeder Farbe zu erhalten, wählte ich folgende Vorrichtung. An einem Fensterladen, der nur eine schmale Oeffnung von 0,07 Zoll Breite, und ı35 Zoll Höhe hat, steht ein Prisma A (Fig. 3) von Flintglas, dessen Winkel ungefähr 40° milst; 13 Fuls von demselben in BC stehen sechs Lampen, von welchen durch schmale Oeffnungen Licht auf das Prisma A fällt. Die Breite jeder Oeffnung ist 0,05 Zoll und ihre Entfernungen von einander 0,58 Zoll, die Höhe jeder Oeffnung ungefähr ı3 Zoll. DasLicht, das von den Lampen auf das Prisma A fällt, wird von diesem gebrochen, in Far- ben zerlegt, und fährt durch die Oeffnung am Fensterladen. Von der Lampe C z.B. fahren die rothen Strahlen nach E, die violeten nach D. Von der Lampe B fahren die rothen Strahlen nach F, ‘ die violeten nach G u.s. w. An dem Fenster eines andern Hauses, 692 Fuls von A entfernt, in einer Ebene mit BAC, steht das schon oben genannte Theodolith, vor dessen Fernrohre auf der horizon- talen Scheibe das Prisma H steht, dessen. Brechungs- und Farben- zerstreungs- Vermögen gesucht werden soll. Von der Lampe GC kann .das Prisma H nur die rothen Strahlen erhalten, weil die übri- gen, 198 gen, z.B. die violeten, nach D fahren, und das Prisma nicht trel- fen. Von der Lampe B fallen nur die violeten Strahlen auf das Prisma H u. s. w. und so erhält dieses Prisma von jeder Lampe andere farbige Lichtstrahlen, die alle von einem Punkte ausfahren. Ist das Prisma H, oder die Oeffnung des Objektives nicht so breit, so werden einige farbige Strahlen, wie z. B. die zwischen den vio- leten und blauen, zwischen den blauen und grünen u, s. w. von keiner der sechs Lampen dasPrisma H treffen, und also ganz fehlen. In die- sem Falle wird durch das Prisma H am Fernrohre des Theodolith das Spektrum der durch die schmale Oeffsung bey A fahrendenLichtstrablen, wie inFig.4, gesehen; wo I violet, K blau, L grün u. s. w. ist, und folg- lich jede Farbe isolirt ist. Die Entfernungen ON, NM u. s. w. werden um so grölser seyn, je grölser, bey einerley Winkel des Prisma H, das Zerstreuungsvermögen des Glases ist. Da nicht nur diese Entfernun- gen, sondern auch der Winkel, den der einfallende Strahl mit einem der gebrochenen Strahlen macht, am Theodolith genau gemessen wer- den-können, so kann mit dieser Vorrichtung in jedem brechenden Mittel das Brechungsvermögen für jeden farbigen Lichtstrahl bestimmt werden. ı3 Fufs oberhalb des Prisma A ist im Fensterladen noch eine zweyte schmale Ocffnung, die mit der bey A genau in einer Ver- tikalen ist. Vor dieser obern Oeffnung steht eine Lampe, von der das Prisma H unmittelbar Licht erhält. Durch das Prisma H im Fernrohre des Theodoliths mufs alsdann das Farbenbild, der von dieser Lampe kommenden Lichtstrahlen, unterhalb der farbigen Punkte, wie PRQ, geschen werden. R ist der natürliche röthlichtgelbe helle Streif, der in jedem Farbenbilde vom Lichte des Feuers gesehen wird. Dieser Streif mulste hier dazu dienen, um versichert zu seyn, dals man an verschiedenen Tagen in den farbigen Punkten immer genau dieselbe Farbe habe; was nicht ist, wenn der Tisch, worauf die Lampen stehen, in Bezug ‘auf das Prisma A im geringsten seine Stellung verändert. Es wird defswegen der Tisch so gestellt, dafs der Punkt N immer in einer Vertikalen von R ist; ist er es nicht, so kann er mit Morrektionsschrauben bey B und C dahin gebracht u wer- 199 werden. Da die Entfernungen der Lampen unter sich, oder viel- mehr die Entfernungen der schmalen Oeffnungen durch welche ihr Licht auf das Prisma A fährt, unveränderlich sind; so ist man ver- sichert, dafs man an verschiedenen Tagen in den farbigen Punkten immer dieselbe Farbe habe. Die Entfernungen einiger farbigen Punkte, wie der violeten, blauen und rothen, deren Licht sehr schwach ist, können ohne Er- leuchtung des Mikrometer-Fadens nicht gemessen werden. Durch die gewöhnliche Erleuchtung des Gesichtsfeldes aber verlieren die farbigen Punkte so viel an Licht, als die Fäden gewinnen; welswe- gen sie nicht angewendet werden kann. Bey dem Mikrometer, wie ich es am Theodolith angebracht habe, sind blofs die Fäden er- leuchtet, und das ganze Gesichtsfeld ist schwarz. Sie können ohne Mühe in jedem Augenblicke stark und schwach erleuchtet werden. Die Beleuchtung geschieht an einer Seite des Okularrohres mit einer sehr kleinen Lampe, die in einer hohlen Kugel ist, von der Licht auf eine Linse fällt, die es parallel auf die Fäden bringt. Am . Rande des besonders dazu eingerichteten Okulars wird das übrige Licht verschluckt, ohne dafs es auf die Linse fällt. j Ich habe mit diesem Apparate die Winkel der Brechung der verschiedenen farbigen Strahlen für mehrere brechende Mittel ge- messen, die ich hier in Tab. I folgen lasse. Bey allen ist der Win- kel des einfallenden Strahles dem des gebrochenen Strahles N gleich. Jeder Winkel wurde durch viermalige Wiederholung erhal- ten. Da dasLicht, das von A kömmt, nicht parallel auf das Prisma H fällt, oder vielmehr, da die Scheibe, auf welcher das Prisma H steht, nicht in der Achse des Theodoliths liegt, sondern die Mitte derselben 4,25 Zoll von dieser Achse entfernt ist; so mulste der Winkel, den der einfallende Strahl mit dem gebrochenen Strahle N macht, eine kleine Korrecktion erhalten. Die Entfernung von A nach H ist 692 Fuls, und folglich die Korrektion für das Prisma von Flintglas + 31, für Crownglas +40, für Wasser +40 u.s. w.; die Bögen LM, NM u. s. w. bedurften dieser Correktion nicht. Ich 200 Ich setze hieher die aus diesen Winkeln berechneten Expo- - nenten der Brechungsverhältnisse der verschiedenen farbigen Strah- len für Flintglas, Crownglas und Wasser, und nenne den Exponen- ten des Brechungsverhältnisses für den Strahl O, On; für den . Strahl N, Nn u. s. w. Exponenten der Brechungs - Verhältnisse. On | Nn | Mn | Ln | En | In % ern fe Brechende Mittel | Flintglas Nro. 13 | ee 63505 1,63933|I haraıe 1,64775|1,65203 en ‚53380 Crownglas Nr. 9 1,52736 1,52959 ns 1,53783 Wasser 1,33209 1,33359 1,33501|1,33635|1,33763|1,33888 | | I biste: | Daraus folgt das Verhältnis der Zerstreuung der verschie-« den farbigen Strahlen in diesen brechenden Mitteln, wie ich es hier folgen lasse. Ich nenne die Exponenten der Brechungsverhältnisse der stärker zerstreuenden Mittel On‘, Nn’‘ u. s. w. BrechendesMit- Nn— On‘ Mn’—Nn“Ln’— Mn’|Kn’ —Ln’In‘ — Ko’ tel Nn — On !'Mn —Nn |Ln —Mn ‚En —Ln In — Kn FlintglasNro.13| u. Crownglas| 1,93 2,00 2,01 2,07 2,17 Nro. 9 FlintglasNro.13 | | und Wasser | 787 3,01 | 3,10 3,33 3:42 C elasNr. ae 1,49 1,51 1,55 1,61 | 1,58 Aus 201 Aus diesen Versuchen fällt die grofßse Verschiedenheit in dem Verhältnisse der Zerstreuung der verschiedenen farbigen Licht- strahlen einiger brechenden Mittel schr in die Augen. Schr auffallend ist bey diesen Versuchen auch der Einflufs der Wärme auf das Brechungsvermögen der Flüssigkeiten. Bey allen wird schon bey geringer Wärme-Aenderung in dem untern Theile des prismatischen Gefälses das Brechungsvermögen der Flüs- sigkeiten bedeutend stärker, als es in dem obern Theile desselben ist, und die ganze Flüssigkeit wird in dieser Beziehung auch wel- lenförmig, so, dafs das Sehen durch dieselbe undeutlich wird. Da während der Nacht die Temperatur sich fast beständig ändert; so mulste bey diesen Versuchen die Flüssigkeit alle 5 bis ro Minuten stark geschüttelt werden, um sie. wieder gleichförmig zu machen. Beym Wasser sind diese Verschiedenheiten nicht sehr bedeutend; bey den übrigen Flüssigkeiten aber so grofs, dals das ganze Far- benbild zerstreut, und undeutlich wird, es mag das Gefäls, wie im- mer, verschlossen, oder auch die Luft ganz ausgeschlossen seyn. Dieser Einfluls macht die Hoffnung verschwinden, ohne Flintglas, mit Flüssigkeiten von verschiedener Brechbarkeit, achromatische Objek- tive zu erhalten, die brauchbar sind. Man sieht aber auch, blofs von dieser Seite betrachtet, wie schwer es sey, Flint- und Crown- glas von vollkommen gleicherDichtigkeit zu schmelzen, da in jedem Glasofen in dem obern Theile des Hafens die Wärme fast um den dritten Theil gröfser ist, als in dem untern. Um die Exponenten der Brechungsverhältnisse der verschie- denen farbigen Strahlen noch genauer zu bestimmen, theils auch um zu erfahren, ob die Wirkung der brechenden Mittel auf das Sonnenlicht dieselbe sey, wie auf künstliches Licht, war ich bemüht, einen Apparat zu machen, der für Sonnenlicht dasselbe wäre, was der oben beschriebene für Lampenlicht ist; dieser wurde jedoch bald überflüssig. 26 In 202% In einem verfinsterten Zimmer liefs ich durch eine schmale Oeffnung im Fensterladen, die ungefähr ı5 Sekunden breit und 36 Minuten hoch war, auf ein Prisma von Flintglas, das auf dem oben beschriebenen Theodolith stand, Sonnenlicht fallen. Das Theodo- lith war 24 Fuls vom Fensterladen entfernt, und der Winkel des -Prisma mals ungefähr 60°. Das Prisma stand so vor dem Objektive des Theodolith- Fernrohres, dafs der Winkel des einfallenden Strah- les dem Winkel des gebrochenen Strahles gleich war. Ich wollte suchen, ob im Farbenbilde von Sonnenlichte ein ähnlicher heller Streif zu schen sey, wie im Farbenbilde vom Lampenlichte, und fand anstatt desselben mit dem Fernrohre fast unzählig viele starke und schwache vertikale Linien, die aber dunkler sind als der übri- ge Theil des Farbenbildes; einige scheinen fast ganz schwarz zu seyn. Wurde das Prisma so gedreht, dals der Einfallswinkel gröfser wurde, so verschwanden diese Linien; sie wurden auch unsichtbar, wenn der Einfallswinkel kleiner wurde. Bey einem gröfsern Ein- fallswinkel wurden diese Linien wieder sichtbar, wenn das Fernrohr schr bedeutend kürzer gemacht wurde. Bey einem kleinern Einfalls- _ winkel mufste das Okular sehr viel herausgezogen werden, um die Linien wieder zu schen. Wenn das Okular so gestellt war, dafs man die Linien im rothen Theile des Farbenbildes deutlich sah, so mufste es etwas hineingeschoben werden, um die im violeten Theile deutlich zu sehen. Wurde die Oeffnung, durch welche das Licht ein- fiel, breiter gemacht, so wurden die feinern Linien undeutlich, und verschwanden ganz, wenn diese Oeffnung ungefähr über 40 Sekun- den breit war. Wurde die Oeffnung über eine Minute breit gemacht, so waren auch die breiten Linien nur undeutlich zu erkennen. Die Entfernung der Linien von einander, und überhaupt ihr Verhältnils un- ter sich, blieb bey Veränderung der Oeffnung am Fensterladen gleich, so wie auch die Entfernung des Theodoliths von der Ocfinung am Fen- sterladen sie nicht änderte. Das Prisma mochte aus was immer für einem brechenden Mittel bestehen, und der Winkel desselben großs oder klein seyn, so waren diese Linien immer sichtbar, und nur im Ver- ee a ey" r < er ra Pas EP Tre- we 203 Verhältnifs der Gröfse des Farbenbildes stärker oder schwächer, und daher leichter oder schwerer zu erkennen. Selbst das Verhältnifs dieser Linien und Streifen unter sich schien bey allen brechenden Mitteln genau dasselbe zu seyn, so dafs 2. B. dieser Streif bey allen nur in der blauen Farbe, der andere bey allen nur in der rothen sich findet; daher man leicht erkennt, mit welchen Streifen oder Linien man zu thun habe. Auch in dem auf ge- wöhnliche und ungewöhnliche Art gebrochenen Strahle im Isländi- schen Krystalle sind diese Linien zu erkennen. Die stärkern Linien machen keineswegs die Grenzen der verschiedenen Farben; es ist fast immer zu beyden Seiten einer Linie dieselbe Farbe, und der Ueber- gang von einer Farbe in die andere unmerklich. In Bezug auf diese Linien wird das Farbenbild, wie in Fig. 5, gesehen; es ist jedoch fast nicht möglich, in diesem Maalsstabe alle Linien und ihr Licht auszudrücken. Ungefähr bey A ist das rothe, bey I das violete Ende des Farbenbildes; eine bestimmte Grenze ist aber auf keiner Seite mit Sicherheit anzugeben, leichter noch bey Roth, als bey Violet. Ohne unmittelbares oder durch einen - Spiegel reflektirtes Sonnenlicht scheint auf der einen Seite die Grenze ungefähr zwischen G und H zu fallen, auf der andern Seite in B zu seyn; doch mit Sonnenlichte von schr grofser Dichtigkeit wird das Farbenbild fast noch um die Hälfte länger. Um aber diese gröfsere Ausdehnung des Farbenbildes sehen zu können, muls das Licht von dem Raume zwischen C und G verhindert werden in das Auge zu kommen, weil der Eindruck, den das Licht von den Grenzen des Farbenbildes auf das Auge macht, sehr schwach ist und von dem übrigen verdrängt wird. In A ist eine scharf begrenzte Linie gut zu erkennen; doch ist hier nicht die Grenze der rothen Yarbe, sondern sie geht noch merklich darüber weg. Bey a sind mehrere Linien angehäuft, die gleichsam einen Streifen bilden. B ist scharf begrenzt und von merklicher Dicke. Im Raume von B 26 ?® nach 204 nach C können 9 schr feine, scharf begrenzte Linien gezählt werden. Die Linie C ist von beträchtlicher Stärke und so wie B schr schwarz. Im Raume zwischen C und D zählt man ungefähr 30 sehr feine Linien; doch können diese, zwey ausgenommen, wie auch die zwischen B und C, nur mit starken Vergröfserungen oder stark zerstreuenden Prismen deutlich gesehen werden; sie sind übri- gens sehr scharf begrenzt. D besteht aus zwey starken Linien, die nur durch eine helle Linie getrennt sind. Zwischen D und E zählt man ungefähr 84 Linien von verschiedener Stärke. E sclbst be- steht aus mehrern Linien, wovon die in der Mitte etwas stärker ist als die übrigen. Zwischen E und b sind ungefähr 24 Linien. Bey b sind 3 sehr starke Linien, wovon 2 nur durch eine schmale helle Linie getrennt sind; sie gehören zu den stärksten im Farbenbilde. Im Raume zwischen b und F zählt man ungefähr 52 Linien. F ist ziemlich stark. Zwischen F und G sind ungefähr ıg5 Linien von verschiedener Stärke. Bey G sind viele Linien angehäuft, worunter sich mehrere durch ihre Stärke auszeichnen. Im Raume von G nach H zählt man ungefähr ı90 Linien von sehr verschiedener Stärke. Die zwey Streifen bey H sind am sonderbarsten; sie sind beyde fast ganz gleich, und bestehen aus vielen Linien; in ihrer Mitte ist eine starke Linie, die sehr schwarz ist. Von H nach I sind die Linien gleich zahlreich. * Es können demnach blofs im Raume zwi- schen B und H ungefähr 574 Linien gezählt werden, wovon jedoch nur die stärkern in der Zeichnung angedeutet sind. Die Entfer- nungen der stärksten Linien von einander wurden mit dem Theodolith gemessen, und in der Zeichnung ohngefähr nach diesem Verhält- nisse aufgetragen; die schwachen Linien aber wurden blofs nach der Ansicht des Farbenbildes ohne genaues Maafs gezeichnet. Ich habe mich durch viele Versuche und Abänderungen über- zeugt, dals diese Linien und Streifen in der Natur des Sonnenlich- tes liegen, und dafs sie nicht durch Beugung, Täuschung u. s. w. entstehen. Lälst man das Licht einer Lampe durch dieselbe schmale Ocf- 205 Oeffnung am Fensterladen einfallen, so findet man keine dieser Linien, sondern nur die helle Linie R (Fig. 4), die aber mit der Linie D (Fig. 5) genau an einem Orte ist, so dafs der Exponent des Brechungs- verhältnisses für den Strahl D mit dem Exponenten für den Strahl R einerley ist. Warum die Linien undeutlich werden, oder gar ver- schwinden, wenn die Oeffnung am Fenster zu breit wird, ist nicht schwer einzusehen. Die stärkern Linien haben ungefähr 5 bis 10 Se- kunden Breite; ist die Oeffnung am Fensterladen nicht so schmal, dafs das Licht, welches durch sie fährt, gleichsam nur für einen Strahl an- zusehen ist, oder beträgt die Breite der Oeffaung, im Winkel, bedeu- tend mehr, als die Breite der Linie: so fällt das Bild einer und dersel- ben Linie mehrmal neben einander hin, und wird folglich undeutlich, oder verschwindet bey zu grolser Breite der Oeffnung ganz. Warum beym Verdrehen der Prismen die Linien und Streifen nicht gesehen werden, ohne das Fernrohr länger oder kürzer zu machen, wird aus Folgendem klar. Nur wenn die Strahlen auf ein Prisma so fallen, dafs der Win- kel des einfallenden Strahles dem Winkel des gebrochenen gleich ist, fahren sie, in Hinsicht auf Divergenz, so aus, wie sie auffallen; ist der Winkel der auffallenden Strahlen gröfser, so divergiren sie nach der Brechung durch das Prisma von einem weiter entlegenen Punkte her; ist er kleiner, so divergiren sie von einem näher gelegenem Punkte her. Die Ursache ist, dafs die Strahlen, die näher an der Spitze des Prisma durchgehen, einen kürzern Weg durch dasselbe zu machen haben, als die von der Spitze entfernter durchgehen. Diefs ändert zwar die Winkel der gebrochenen Strahlen nicht, aber die Seiten des Dreyeckes für die ausfahrenden Strahlen werden in dem einen Falle grölser, in dem andern kleiner. Dieser Unterschied muls verschwin- den, wenn die Strahlen parallel auf das Prisma fallen, welches auch der Erfahrung gemäfs ist. Da die violeten Strahlen durch das Objek- tiv des Theodolith-Fernrohres eine kürzere Vereinigungs-Weite haben, als 206 als die rothen, so ist klar, warum man das Okular verrücken müsse, um in den verschiedenen Farben die Linien deutlich zu sehen. Da die Linien und Streifen im Farbenbilde nur eine sehr ge- ringe Breite haben, so ist klar, dafs der Apparat grolse Vollkommen- heit haben müsse, um allen Abweichungen zu entgehen, welche die Linien undeutlich machen, oder ganz zerstreuen könnten. Die Sei- tenflächen der Prismen müssen daher schr gut plan seyn. Das Glas, welches zu solchen Prismen gebraucht wird, muls ganz frey von Wel- len und Streifen seyn; daher mit englischem Flintglase, das nie ganz frey von Streifen ist, nur die stärkern Linien gesehen werden. Auch das gemeine Tafel- und englische Crownglas enthält sehr viele Strei- fen, wenn sie auch für das freye Auge nicht sichtbar sind. Wer nicht im Besitze eines Prisma von vollkommenem Flintglase ist, wählt besser eine stark zerstreuende Flüssigkeit, z. B. Anisöl, um alle Linien zu sehen; doch muls das prismatische Gefäls sehr vollkommen plane und perallele Seitentlächen haben. Bey allen Prismen müssen die Seiten- flächen mit der Grundfläche ziemlich nahe go° machen; die Grund- fläche mufs horizontal vor dem Fernrohre liegen, wenn die Achse des Fernrohres horizontal läuft. Die schmale Oeffnung, durch welche das Licht einfällt, mufs genau vertikal stehen u.s.w. Die Ursache, warum Undeutlichkeit entsteht, wenn eins oder das andere vernachlässigt wird, ist leicht einzusehen. Da durch jedes brechende Mittel von gleicher Dichtigkeit die Linien und Streifen im Farbenbilde gesehen werden, so habe ich mich derselben bedient, um-für jeden farbigen Strahl das Brechungsvermö- gen eines Mittels zu bestimmen, und weil der gröfste Theil der Linien sehr scharf begrenzt ist, so konnte dieses mit grolser Genauigkeit ge- schehen. Da bey brechenden Mitteln, die nur wenig zerstreuen, oder bey Prismen mit kleinen Winkeln, die feinen Linien selbst mit starken Vergröfserungen nur schwer zu erkennen sind, so wählte ich für alle brechende Mittel die stärkern Linien zu diesen Versuchen; ich nahm näm- 207 nämlich die Linien B, C, D, E, F, G und H, die bey b wählte ich nicht, weil sie zu nahe bey F ist, und ich mehr in die Mitte zwi- schen D und F zu kommen suchte. Da das Okular verrückt wer- den mufs, um in den verschiedenen Farben die Linien deutlich zu sehen, so können keine grolse Bögen, wie BH, gemessen werden, sondern nur kleine, wie BC, CD u. s. w. Die folgende Tabelle (Tab. II) enthält diese gemessene Bögen und Winkel für verschie- dene Glasarten und einige andere brechende Mittel. Zum Messen der Winkel wurde das schon mehrmal genannte repetirende Theodolith gebraucht, und alle Winkel durch sechsma- lige Wiederholung erhalten. Da in dem verfinsterten Zimmer das Theodolith nur 24 Fuls von dem Fensterladen entfernt seyn konnte, durch welchen das Licht einfiel, so hätte die Korrektion die, wegen der Entfernung des Prisma von der Achse des Theodoliths, nämlich 4,25 Zoll, an dem Winkel « gemacht werden mufs, sehr grols wer- den müssen. Um der Unsicherheit, die mit einer grolsen Korrektion verbunden ist, zu entgehen, bestimmte ich den Winkel « für Lam- penlicht, weil, wie schon oben gesagt worden, der Strahl D und der Strahl R, Fig. 4, genau gleich stark gebrochen werden. Die ‚Lampe war in diesem Falle 692 Fuls entfernt, und die Korrektion von « wurde dadurch nur klein; für Wasser z. B. betrug sie bey dem gebrauchten Prisma nur 40,5 Sekunden. Im verfinstersten Zim- mer wurden daher nur die Bögen BC, CD, DE u. s. w. gemessen, und für diese sind die Korrektionen nicht grols, also sehr zuverläs- sig; bey dem Wasserprisma z. B. betragen sie nur für BC, 2,5; für CD, 6,5; für DE, 8 Sekunden. Alle Winkel der Tabelle U enthal- ten diese Korrektionen. Zur Berechnung der Exponenten der Brechungsverhältnisse ist, wenn o der Winkel des einfallenden Strahles, p der Winkel des 208 des gebrochenen oder ausfahrenden, vw der Winkel des Prisma und n der Exponent des Brechungsverhältnisses genannt wird: zu [(sin. p + cos. v. sin. c)? + (sin. v. sin. KERN sin. v Ist der Winkel des einfallenden Strahles dem des gebroche- nen gleich, und wird der Winkel, den in diesem Falle der einfal- lende Strahl mit dem gebrochenen macht, # genannt, so ist: _ sin. = sin.z (u + ty) sin. ep Da der‘ Winkel des einfallenden Strahles nur einem der gebrochenen Strahlen, z.B. D, gleich seyn kann, für die übrigen aber bey unverrücktem Prisma es nicht ist, so wäre dieser letztere Ausdruck von n bey stark zerstreuenden Mitteln für einen andern Strahl z.B. H nicht ganz genau. Um diesen kurzen Ausdruck bey Berechnung der Exponenten doch mit gröfster Genauigkeit anwen- den zu können, so wurden die Bögen BC, CD, DE u. s. w. in dem Falle gemessen, wenn die Entfernung der zwey Linien von einander am kleinsten war. Diese Entfernung haben im Farbenbilde zwey Linien alsdann, wann ein in der Mitte zwischen ihnen liegender Strahl mit dem einfallenden Strahle den kleinsten Winkel macht. Wurde z. B. der Bogen GH gemessen, so war das Prisma so ge- stellt, dafs ein ungefähr in der Mitte zwischen GH liegender Strahl mit dem Prisma denselben Winkel machte, den der einfallende Strahl mit dem Prisma machte. Diese Stellung hat das Prisma dann, wann der Winkel der Brechung dieses mittleren Strahles am kleinsten ist, was am Fernrohre sehr genau beobachtet werden kann, und durch Verdrehen der Scheibe, worauf das Prisma liegt, schnell » dahin *) Die Entstehung dieser Formel wird klar, wenn man den\Veg des Lichtes durck ein Prisma zeichnet; — sie ist ganz genau. 209 dahin zu bringen ist. Bey wenig zerstreuenden Mitteln, oder Prismen mit kleinen Winkeln bedarf es dieser Sorgfalt nicht, um die nöthige Genauigkeit zu erreichen. Wird der Exponent des Brechungsverhältnisses für den Strahl E, En genannt, so ist sin.z (44 V--DE) Dh=Z—esrEr nn sın.z w und für F sin.2(u+v-+DE-+EF) Fn = oe aan name ma are re sın.z W was so gut als ganz genau ist. Tab. III enthält die aus Tab. II berechneten Exponenten der Brechungsverhältnisse für die verschiedenen farbigen Strahlen jedes brechenden Mittels. Tab. IV enthält die aus Tab. III folgenden Verhältnisse der Zerstreuung der verschiedenen farbigen Strahlen in mehrern Paaren brechender Mitte. Bey jedem Paare ist die Zerstreuung des we- niger zerstreuenden Mittels ı genannt. Man sicht aus dieser Ta- belle, wie grofs bey einigen Paaren brechender Mittel der Unter- schied der relativen Zerstreuung der verschiedenen farbigen Strah- len ist; so verhält sich, z. B. bey Flintglas Nro. 13 und Wasser, die Zerstreuung der Strahlen vom Raume BC, wie 1:2,56 und die vom Raume GH, wie 1:3,73. Bey einigen, wie bey Flintglas und Terpenthinöl, sind aber auch diese Unterschiede verhältnifsmäfsig sehr gering. Man hat daher gegründete Hoffnung, durch Veränderung - der Bestandtheile der Glasarten solche erhalten zu können, bey welchen diese Unterschiede geringer sind, als bey Glasarten, die bisher zu Objektiven gebraucht wurden. Crownglas Lit. M ist einer der Versuche, die ich in dieser Absicht im Kleinen gemacht habe. 27 Wird Wird die Abweichung, die wegen der Unterschiede der re+ lativen Zerstreuung der verschiedenen Farben bey einem Objektive aus Crownglas Nro. 9 und Flintglas Nro. 3 entsteht, 1,00 genannt, so ist diese Abweichung bey einem Objektive aus Crownglas Nro. 9 und Flintglas Nro..ı3 von derselben Brennweite ungefähr 0,57; bey einem Objektive aus Crownglas Lit. M und Flintglas Nro. 13, 0,52; und bey einem Objektive aus Crownglas Nro. 9 und Crownglas Lit.M, 1,74. Bey Berechnung dieser Abweichungen ist auf die Intensität der verschiedenen Farben Rücksicht genommen, worüber unten mehr vorkommen wird. Aus den erhaltenen Resultaten mit beyden Prismen von Flintglas Nro. 23 läfst sich sehr sicher darauf schliefsen, wie weit alle gemessene Bögen und Winkel zuverlässig sind. Bey dem Prisma von 45° dieses Glases ändert ein Unterschied von 2 im Bogen den Exponenten des Brechungsverhältnisses in der fünften Dezimalstelle um ı. Bey dem Prisma von 60° bringen 3,”5 diese Veränderung hervor. Da bey achromatischen Objektiven, wenn die Farbenzer- streuung gehoben seyn soll, sich die Brennweiten der Linsen unge- gefähr verhalten müssen, wie die Farbenzerstreuung der beyden Glas- arten, das Verhältnifs der Zerstreuung für die verschiedenen Far- ben aber ungleich ist, so ist klar, dals eine Abweichung übrig blei- ben müsse, und es entsteht daher die Frage, welches Verhältnifs zu nehmen sey, damit diese Abweichung dem deutlichen Sehen so wenig als möglich schade. Dafs dieses nicht in dem Falle geschehe, wenn die Längenabweichung so klein als möglich ist, wird bald klar, wenn man erwägt, dafs die verschiedenen Farben nicht einer- ley Intensität haben, und dafs z. B. die Abweichung der gelben Strahlen, die sehr hell sind, ungefähr im Verhältnisse ihrer Intensi- tät mehr schaden werden, als die violeten bey gleicher Längenab- weichung. Es folgt daraus, dafs es nöthig sey, die Intensität jeder Far- ii Ä ke u 2ı1 Farbe im Spektrum zu kennen, oder zu wissen, in welchem Ver- hältnisse der Eindruck, den irgend eine Farbe im Spektrum auf das Auge macht, stärker oder schwächer sey, als der einer andern Farbe. Um dieses zu finden, wählte ich folgende Vorrichtung. In einem eigens zu dem Theodolithfernrohre gemachten Oku- lare ist an dem Orte, wohin das durch das Objektiv gemachte Bild fällt, vor der Okularlinse, unter 45°, ein kleiner Planspiegel a (Fig. 7 und 8) von Metall gestellt, dessen einer Rand sehr scharf begrenzt ist, und das Gesichtsfeld in der Mitte durchschneidet. Die- ser Rand läuft vertikal, und das Okular ist auf ihn so gestellt, dafs man ihn ganz deutlich sieht. An der Seite des Okularrohres, ver- tikal auf dem scharfen Rande des Spiegels und der Achse des Fernrohres, ist ein der Länge nach durchschnittenes Rohr ange- schraubt, in dessen Einschnitt ein engeres kurzes Rohr, welches das weitere quer durchschneidet und vertikal steht, geschoben wer- den kann. In diesem engen Rohre b ist in der Achse des weitern eine kleine Flamme, der, durch eine Verbindung mit einem Oelge- fälse von Aufsen, Oel zufliefsen kann. Das vertikal stehende enge Rohr b hat in der Achse des weitern gegen den Spiegel eine kleine runde Oeffuung, durch die von der Flamme Licht auf den Spiegel fallen kann. Man sieht demnach durch das Okular im halben Ge- sichtsfelde den durch die Flamme beleuchteten Spiegel, während durch die andere Hälfte des Gesichtsfeldes eine der Farben im Spektrum gesehen wird. Der Spiegel wird um so stärker beleuch- tet seyn, je näher das Rohr b bey demselben ist. Man kann ihn demnach gerade so beleuchten, dafs der Eindruck, welchen dessen Licht, durch das Okular gesehen, auf das Auge macht, eben so stark ist, als der Eindruck einer durch die andere Hälfte des Ge- sichtsfeldes gesehenen Farbe im Spektrum. Die Quadrate der Ent- fernungen der Flamme vom Spiegel, bey den verschiedenen Farben im Spektrum, sind alsdann umgekehrt die Verhältnisse der Intensi- tät derselben. Es scheint anfänglich etwas schwer, Licht von zwey ver- 27.0 schie- 212 schiedenen Farben unter sich zu vergleichen; doch einige Uebung erleichtert es ungemein. ‘ Das Licht des Spiegels kömmt, in Hin- sicht seiner Intensität, dem einer Farbe im Spektrum alsdann am nächsten, wann der scharfe Rand desselben, bey unverrücktem Oku- lare, am wenigsten deutlich erkannt wird. Kömmt man mit dem Spiegel im Farbenbilde an einen mehr oder weniger hellen Ort, so wird in beyden Fällen der Rand des Spiegels deutlicher erkannt, weil dadurch in dem einen Falle der Spiegel, in dem andern die Farbe des Speütrums gleichsam im Schatten zu liegen scheint. Wenn die Linien und Steeifen im Farbenbilde deutlich gesehen wer- den, so ist die Vergleichung mit dem Spiegel etwas schwer und unsicher, weil die hellern und dunklern Streifen fast in jeder Farbe neben einander liegen; es wurde defswegen die Oeffnung am Fen- sterladen so breit gemacht, dals nur die stärkern Linien undeutlich erkannt wurden, und man folglich die feinern nicht sah. Statt des Spiegels aufserhalb des Fensterladens, durch welchen das Licht ein- fiel, war nur eine weilse, ebene Fläche angebracht, die von der Sonne beleuchtet wurde; weil eine Unvollkommenheit des Spiegels das Licht unregelmälsig zerstreut, was die Bestimmung erschwert. : Um die Versuche abzuändern, habe ich die runde Ocffnung vor der Flamme ein Mal grölser, das andere Mal kleiner gemacht. Ich stellte auch an das Ende des weitern Rohres in c ein auf einer Seite rauh geschliffenes Glas, durch welches erst der Spiegel be- leuchtet wurde. In diesem Falle wurden die Entfernungen der Flamme von dem rauhen Glase an gemessen. Um allen Täuschun- gen zu entgehen, muls die Einsicht am Okulare nur klein seyn, und muls an dem Orte stehen, wo die Hauptstrahlen die Achse schneiden. Mit dem Prisma vom Flintglase Nro. 13, dessen Winkel 26° 24,5 mifst, erhielt ich die Resultate, die ich hier folgen lasse. Ob schon die Versuche nur bey sehr hellem Himmel und am Mittage gemacht wurden, so war doch einigemal eine Veränderung in der Dichtigkeit des auf das Prisma fallenden Lichtes während der ganzen Zeit der Be- ia: Beobachtung wahrzunehmen. Ein Theil der Unterschiede in den vier Versuchen kann von diesen Veränderungen herrühren; auch die Flamme kann innerhalb der Zeit des ganzen Versuchs ihre Helligkeit verändert haben. Die Nachtheile dieser Veränderungen werden sich durch öftere Wiederholung der Versuche vermindern. Ich nenne die Intensität des Lichtes am hellsten Orte ı, alsdann ist sie: ıter Versuch. Bey B= 0,010 - C=0,048 - D=o0,1 Zwischen D und E= 1,00 a. Mh 0,44 - F=0,084 - G=0,0I0 - H=0,0011. ater Versuch. Bey B= 0,044 - C=0,096 - D=0,59 Zwischen D und E — 1,00 = #=0,38 - F=o0,14 - G=0,029 - H= 0,0072. zter Versuch. Bey B= 0,053 - C=o0,J15 - D=0,72 Zwi- 214 Zwischen D und E= 1,00 - E=0,91 » F = 0,25 - G=0,053 - H= 0,0090. qter Versuch. Bey B= 0,020 - C=0,084 - D= 0,62 Zwischen D und E= 1,00 - E=0,49 - F=o0,19 - = 0,032 « H=0,0050, Mittel aus den vier Versuchen, Bey B = 0,032 - C=0,094 - D=0,64 Zwischen D und E= 1,00 - E=0,48 =) M)=10,17. - G= 0,031 - H= 0,0056. Der helleste Ort liegt ungefähr 4 oder $ DE von D nach E. Genau ist die Lage dieses Ortes nicht anzugeben, was aber auch zu dieser Absicht eben nicht nothwendig ist. Durch die Curve Fig.6 wird die Intensität des Lichts der ver- schiedenen Farben dargestellt; die eben gefundenen Werthe sind die Or- 215 Ordinaten und die gemessenen Bögen BC, CD u. 5. w., für Flintglas Nro. 13 aus Tabelle If, die Abscissen. Das Verhältnils der Abscissen zu den Ordinaten ist willkührlich. Man kann annehmen, dafs durch die Flächenräume BC, CD u.s. w., der Curve, die Menge des Lichtes in den verschiedenen Räumen dargestellt werde. Nennt man die Menge des Lichtes in dem Raume DE=1, so ist sie: im Raume BC = 0,021 - - (CD=0,299 - - DE= 1,000 - - EF-0,28 - - FG — 0,185 - - GH — 0,035 Nimmt man an, dafs bey einem achromatischen Objektive die Abweichung der dichtern Strahlen dem deutlichen Sehen im Verhält- nisse ihrer Dichtigkeit mehr schade, als weniger dichte, so wird die Deutlichkeit alsdann am grölsten seyn, wann das Verhältnils der Zer- streuung, das I:x heilsen mag, so genommen wird, dafs _bB+e+dötee+fötgn u TO BFrt+ötEetEtn 9 woß, v, ö u.s. w die Menge des Lichtes in den Räumen BC, CD, DE u. s. w. bedeutet, und durch b, c, d u. s. w. die Quotienten Cn‘’— Bn’ Dn‘— Bon’ Bu’ Dopmesw ausgedrückt werden. Für Flintglas Nro. 30, und Crownglas Nro. 13 ist demnach dieses Verhältnils, wie 1:2,012. Ich habe aber gefunden , dafs bey Objektiven von diesen beyden Glas- arten das Sehen alsdann am deutlichsten ist, wann dieses Verhält- nils, wie 1:1,98 genommen wird; was beweist, dafs die weniger dich- ten *) Es ist nämlich in diesem Falle: G-b)e+K- gr +a-N+ KR) + KNE+ ago. 216 ‚ten Strahlen etwas mehr, als im umgekelirten Verhältnisse ihrer Dich- tigkeit abweichen müssen, wenn die Deutlichkeit am gröfsten seyn soll. Bey welchen, aus mehrern, Objektiven von denselben Glasar- ten, bey gleicher Brennweite und Oeffnung, die Farbenzerstreuung am besten gehoben ist, erkennt man, wenn man jedes Objektiv halb, die Mitte durchschneidend , zudeckt; bey denjenigen, wo die Linien eines entfernten Gegenstandes, die mit der Durchschnittslinie des Ob- jektivs parallel laufen, am deutlichsten gesehen werden, ist die Farben- zerstreuung am vollkommensten gehoben. Man darf sich aber dabey von den Farben, die gesehen werden, nicht irre führen lassen, und muls nur auf Präcision schen; weil man bey einem Objektive weniger Farben sehen kann, als bey einem andern, während die Präcision doch geringer ist. Diese umständliche Ableitung des besten Zerstreuungs- verhältnisses mufste nur dazu dienen, zu erfahren, wie schr Strah- len von geringer Dichtigkeit stärker abweichen dürfen, als dichtere. Das erhaltene Resultat wird noch einer grofsen Vervollkommnung fähig seyn, wenn es aus grölsern Objektiven abgeleitet wird, bey welchen auch die Oeflnung, im Verhältnisse zur Brennweite, so grols als möglich ist. Ich behalte mir diese Verbesserung bevor. Dafs bey allen zu dieser Absicht gebrauchten Objektiven die Abweichung wegen der sphärischen Form gleich vollkommen gehoben war, ist zu erinnern überflüssig. Bey genauer Ableitung des besten Zerstreuungs- Verhältnisses aus Objektiven mufs noch auf eine Abweichung Rück- sicht genommen werden, die im Auge selbst vorgeht, von der ich jetzt spreche. Wenn man im Gesichtsfelde des Fernrohrs am Theodolith die rothe Farbe des Spektrums hat, und das Okular so gestellt ist, dafs man den Mikrometerfaden vollkommen deutlich sieht, und man bringt alsdann die blaue Farbe des Spektrums in das Gesichtsfeld, so sieht man bey unverrücktem Okulare den Mikrometerfaden nicht mehr. Um ihn wieder deutlich zu sehen, mu/ls das Okular bedeu- tend 2ı7 ‚ tend viel dem Faden näher gerückt werden, und zwar um mehr als das Doppelte der Längenabweichung wegen der Farbenzerstreuung der Okularlinse. Dieses beweist, dafs die verschiedenen farbigen Strahlen im Auge nicht einerley Vereinigungsweite haben, und dafs das Auge nicht achromatisch ist. Das Maals, um wie viel bey den verschiedenen Farben das Okular verrückt werden müsse, um den Faden deutlich zu sehen, dient, wenn man noch auf die Farben- zerstreuung der Okularlinse Rücksicht nimmt, zur Berechnung die- ser Abweichung, die nicht unbedeutend ist. Dafs bey dieser Be- stimmung kein anders Licht, als das des Spektrums in das Gesichts- feld kommen dürfe, auch der Faden ganz unbeleuchtet von anderm Lichte seyn müsse, ist zu erinnern überflüssig. Mit einer Okular- linse aus Crownglas Nro. 13 von 0,88 Brennweite fand ich, dafs, wenn man mit dem Faden von dem Strahle C auf den Strahl G geht, das Okular um 0,054 Pariser Maafs verrückt werden müsse, um den Faden mit beyden Strahlen gleich deutlich zu sehen. Eine Linse aus Crownglas Nro. 13 von 1,733 Brennweite mufs bey den- selben beyden Strahlen um o0,”ır1 verrückt werden, um den Faden gleich deutlich zu sehen. Eine Linse aus Flintglas Nro. 30 von 0,‘‘867 Brennweite muls in demselben Falle um 0,074 verrückt werden, und eine Linse aus Flintglas Nro. 30, von 1,”338 Brenn- weite, um 0,148. WVährend ich bey diesen Versuchen mit dem einen Auge durch die Okularlinse nach demsFaden sah, sah ich mit dem andern Auge nach einem in der Achse desselben gelege- nen unveränderlichen Gegenstande, damit ich versichert seyn möge, dafs das Auge bey den verschiedenen farbigen Strahlen immer gleich geeignet bleibe, weilse Strahlen von bestimmter Divergenz auf der Netzhaut zu vereinigen, und es sich folglich in dieser Beziehung bey den verschiedenen Farben nicht ändere. Auch wenn ich diese Vor- sicht nicht brauchte, wichen die Resultate von den vorigen nicht merklich ab. Aus der ersten Linse erhält man, dafs, wenn die ro- then Strahlen € parallel auf das Auge fallen, die blauen G von ei- nem 23,7 entlegenen Punkte her divergiren müssen, um im Auge 28 ei- 218 einerley Vereinigungsweite zu haben. Aus der zweyten Linse er- hält man dieses Maals 21,”3; aus der dritten 19,“5; aus der vier- ten 17,9. Auf den Antheil, den die Zerstreuung der Linsen am obigen Verrücken hat, ist bey dieser Berechnung Rücksicht genom- men. Durch Wiederholung und Abänderung der Versuche wird diese Abweichung erst genauer bestimmt werden müssen, Es wäre zu wünschen, dafs die Versuche durch Augen verschiedener Per- sonen wiederholt würden, um, wenn sich Unterschiede finden, ein Mittel daraus nehmen zu können. Es ist klar, dafs es allerdings der - Mühe werth sey, bey Berechnung achromatischer Objektive, auch auf die Farbenzerstreuung des Auges Rücksicht zu nehmen und diese Abweichung durch die Objektive zu vernichten. Wenn bey achromatischen Objektiven die Abweichung we- gen der sphärischen Form der Flächen vollkommen gehoben seyn soll, so müssen, bey Berechnung derselben, die angenommenen Exponenten der Brechungsverhältnisse der mittlern Strahlen in bey- den Glasarten für einen und denselben farbigen Strahl gehören; gehören sie für zwey verschiedene Strahlen, so ist, der genauesten Rechnung ungeachtet, diese Abweichung nur unvollkommen geho- ben. Da man sich durch die Entdeckung der Linien im Farben- bilde hiervon vollkommen versichern kann‘, so ist der Nutzen der Linien, auch zur Vepnichtung dieser Abweichung, von Bedeutung. Vor Entdeckung der Linien im Farbenbilde überzeugte ich mich von dem gleichen Brechungsvermögen zweyer Stücke Glases da- durch, dafs ich von beyden Stücken, zusammengeküttet, ein Prisma schliff; erschienen die beyden Spektra, die durch dieses Prisma gese- hen wurden, an einem Orte und gegen einander nicht verrückt, so schlofs ich, dafs das Brechungsvermögen beyder Stücke gleich sey. Nach Entdeckung der Linien im Farbenbilde aber fand ich, dals zwey solche Stücke noch sehr verschiedenes Brechungsvermögen haben können, ohne dafs es auf obige Art bemerkbar wird. Nicht nur Stücke ö aus " En ‘. | | 2 de ne ER EEHEN ne ef Be 219 aus verschiedenen Orten eines Schmelzhafens waren in ihrem Bre- chungsvermögen merklich verschieden, sondern auch in zwey Stücken von einer Scheibe fand ich vielmal noch sehr kenntliche Unterschiede. Ich habe es jetzt durch viele Versuche dahin gebracht, dafs aus einem Hafen mit 400 Pfund Flintglas selbst zwey Stücke, wovon eines vom Boden, das andere von der Oberfläche des Hafens genommen ist, glei- ches Brechungsyermögen haben. Beym Anblicke der vielen Linien und Streifen im Farbenbilde romSonnenlichte enthält man sich vielleicht schwer der Vermuthung, dafs die Beugung des Lichtes an den schmalen Oeffnungen des Fen- sterladens mit diesen Linien in Verbindung seyn könnte; ob schon die angegebenen Versuche nicht im geringsten darauf hinweisen, sondern es vielmehr gänzlich verneinen. Theils um in dieser Hin- sicht ganz gewils zu seyn, theils auch um noch einige andere Er- fahrungeri zu machen, änderte ich die Versuche noch auf folgende Art ab. Läfst man durch eine kleine runde Oeflnung am Fensterla- den, deren Durchmesser ungefähr nur ı5 Sekunden beträgt, Son- nenlicht auf ein Prisma fallen, das vor dem Theodolithfernrohre liegt, so ist klar, dafs das Farbenbild, welches durch das Fernrohr gesehen wird, nur unmerkliche Breite haben könne, also nur eine Linie bilde; in einer farbigen Linie aber können keine feine Quer- linien gesehen werden. Um in diesem Farbenbilde die vielen Linien sehen zu können, käme es nur darauf an, durch das Objektir das Farbenbild breiter zu machen, ohne es in seiner Länge im gering- sten zu verändern, Dieses brachte ich dadurch zu Stande, dafs ich an das Objektiv noch ein Glas legte, das auf einer Seite schr gut plan, auf der andern nach einem Zylinder von sehr grolsem Durch- messer gekrümmt war. Die Achse desZylinders lief mit der Grund- fläche des Prisma genau parallel; folglich konnte das Farbenbild in seiner Länge nicht geändert werden, und wurde nur breiter ge- 28 * macht. t | 220 macht. In diesem Falle erkannte ich im Farbenbilde wieder alle Linien unverändert, so wie sie gesehen werden, wenn dasLicht durch eine lange schmale Oeffnung einfällt. Dieselbe Vorrichtung habe ich dazu angewendet, zur Nacht« zeit unmittelbar nach der Venus zu sehen, ohne das Licht durch eine kleine Oeffnung einfallen zu lassen, und ich fand auch im Farbenbilde von diesem Lichte die Linien, wie sie im Sonnenlichte gesehen werden. Da aber das Licht der Venus, im Vergleiche mit dem von einem Spiegel reflektirten Sonnenlichte, nur sehr geringe Dichtigkeit hat, so ist die Intensität der violeten und äufsern rothen Strahlen sehr schwach, und defswegen werden in diesen beyden Farben selbst die stärkern Linien schwer erkannt; in den übrigen Farben aber sind sie sehr gut zu sehen. Ich habe die Linien D, E, b F (Fig. 5) ganz begrenzt gesehen, und erkannte selbst, dafs die bey b aus zwey, nämlich einer schwächern und einer stärkern, bestehe; dafs aber die stärkere selbst wieder aus zweyen bestehe, konnte ich aus Mangel des Lichtes nicht erkennen. Aus demselben Grunde wurden die übrigen feinern Linien nicht be- stimmt gesehen. Ich habe mich durch ungefähres Messen der Bö- gen DE und EF überzeugt, dafs das Licht der Venus in dieser Be- ziehung von einerley Natur mit dem Sonnenlichte sey. Ich habe auch mit derselben Vorrichtung Versuche mit dem Lichte einiger Fixsterne erster Grölse gemacht. Da aber das Licht dieser Sterne noch vielmal schwächer ist, als das der Venus, so ist natürlich auch die Helligkeit des Farbenbildes vielmal geringer. Demohngeachtet habe ich, ohne Täuschung, im Farbenbilde vom Lichte des Sirius drey breite Streifen gesehen, die mit jenen vom Sonnenlichte keine Aehnlichkeit zu haben scheinen; einer dieser Streifen ist im Grünen, und zwey im Blauen. Auch imFarbenbilde vom Lichte anderer Fixsterne erster Grölse erkennt man Streifen; doch scheinen diese Sterne, in Beziehung auf die Streifen, unter sich di f a Er nn 221 sich verschieden zu seyn. Da das Objektiv, das an dem Theodo- lithfernrohre ist, nur 13 Linien Oeffnung hat, so ist klar, dafs diese Versuche noch mit vielmal ..größserer Vollkommenheit gemacht wer- den können. Ich werde sie mit zweckmälsigen Veränderungen und ' mit einem grölsern Objektive noch einigemal wiederholen, um viel- leicht einem geübten Naturforscher zur Fortsetzung dieser Versuche Veranlassung zu geben; was um so mehr zu wünschen wäre, da sie _ zugleich zur genauesten Vergleichung der Brechbarkeit des Lichtes der Fixsterne mit der des Lichtes der Sonne dienen. Das Licht der Elektrizität, ist in Hinsicht der Streifen und * Linien des Farbenbildes, sowohl vom Sonnenlichte, als auch vom > Lichte des Feuers, schr auffallend verschieden. Man findet im Far- - benbilde von diesem Lichte mehrere, zum Theil sehr helle Linien, _ worunter eine im Grünen gegen den übrigen Theil des Spektrums _ fast glänzend hell ist. Eine andere nicht ganz so helle Linie ist im Orange; sie scheint dieselbe Farbe zu haben, wie die helle Linie im Farbenbilde vom Lampenlichte, mifst man aber den Winkel der Brechung, so findet man, dafs ihr Licht bedeutend stärker gebro= : - chen ist, ungefähr so wie die gelben Strahlen beym Lampenlichte. - Gegen das Ende des Farbenbildes im Rothen bemerkt man eine Linie, die nicht sehr hell ist; ihr Licht wird, so weit ich mich bis jetzt davon versichern konnte, eben so stark gebrochen, wie das ‚der hellen Linie vom Lampenlichte. In dem übrigen Theile des Farbenbildes kann man noch 4 helle Linien sehr leicht erkennen *). Läfst man Lampenlicht durch eine sehr schmale Ocffaung, "ron ı5 bis 30 Sekunden Breite, auf ein stark zerstreuendes Prisma fal- ®) Um das elektrische Licht zu diesem Behufe zu fixiren, habe ich zwey Conducto- ren, wovon der eine mit einer Elektrisirmaschine und der andere mit einer Ableitung verbunden war, bis auf einen halben Zoll einander genähert und mit einem sehr feinen Glasfaden verbunden, Das Licht schien dann continuir- lich an dem Faden überzugehen und der Faden bildete eine feine leuchtende Linie, 23223 fallen, das vor einem Fernrohre liegt, so erkennt man, dafs die röthlicht gelbe helle Linie dieses Spektrums aus zwey sehr feinen hellen Linien besteht, die in Stärke und Entfernung den beyden dunklen Linien D (Fig. 5) ähnlich sind. Sowohl wenn die Oeff- nung, durch welche das Lampenlicht fährt, schmal, als wenn sie breit ist, wird, wenn man die Spitze der Flamme und das untere blaue Ende derselben zudeckt, also nur den hellsten Theil der Flamme : frey läfst, die röthlicht gelbe Linie des Farbenbildes nicht sehr hell gesehen, und daher schwerer erkannt. Es scheint demnach diese Linie hauptsächlich von dem Lichte der beyden Enden derFlamme, besonders von dem untern, gebildet zu werden. Im Farbenbilde von dem Lichte, welches durch Verbrennen von Wasserstoffgas, auch in dem, welches durch Verbrennen von Alkohol entsteht, ist die röthlichtgelbe Linie im Verhältnisse zu dem übrigen Theile des Farbenbildes sehr hell. Beym Verbrennen von Schwefel wird sie nur sehr schwer erkannt. Ich werde diejenigen Versuche, die auf Vervollkommnung achromatischer Fernröhre Bezug haben, mit einem neuen Instrumente, mit dem ich wenigstens noch doppelt so großse Genauigkeit zu er- halten hoffe, wiederholen. Ich werde mit diesem Instrumente auch neue Versuche machen können, wozu das bisher gebrauchte nicht geeignet ist, die vielleicht für praktische Optik von Interesse wer- A den könnten. - Bey allen meinen Versuchen durfte ich, aus Mangel der Zeit, hauptsächlich nur auf das Rücksicht nehmen, was auf prakti- sche Optik Bezug zu haben schien, und das Uebrige entweder gar nicht berühren, oder nicht weit verfolgen. Da der hier mit physisch- optischen Versuchen eingeschlagene Weg zu interessanten Resultaten führen zu können scheint, so wäre sehr zu wünschen, dafs ihm ge- übte Naturforscher Aufmerksamkeit schenken möchten, ‚Ta- 22373 Tabelle |. nm m nn E Winkel, Ssıe r den der = ö Ariel einfallen- I: de Strahl 4 = dem BLUME DI 1 ._ = . gebroche- & = =| Prisma. Be Sr o N N macht. IERSAD rs Nr) CME BO a an 16’ 56’ 227 164% 53°13,723|26° 24/30/1709 274g’) Trızdıl 7° 15% 144 1844217 3144287 464 1,000/580 5/4oWlaa0 36/41) 61 35% 64 19°" 174 45/11a37 18% 1237 g" 1,00058° 5/40//\22036743 630% 6/12!’ 127 Bw 17’ 43% 237 1044 1,841158° 574074299 27/474 7/50) 7’ 1b) ı4/ 34420’ 304267454 | 0,809,58° Br4or br 8324 6,35%] 64 1740127 5574 187457 0,885158° 5’404 330227 8% 11700 11/35/22’ 454 344 20/7 1,416158° 57401 270 4bu5gu| 83aW| 74580|157 354% 5802 574041240 38/394) 6/20’ 6/ 2777| 125574 | 19° 10% 234 64304 244 eil essigsaures Bley ; Theile Wasser 580 5’ 4014 24° 340494 7/54 ug 311g! 4g'! a1’ 4ottlaß’ 22% 0|2,535|39° 20/354, ER: 64 19 beisu] 110324 |* 8700, Kerl er 201 a at Ba 450 33 so > Ta- 224 Tabelle 1. —— = - 5 4 Winkel, den S p der einfal- Brechen- & 4 u lende Strahl „ise mit dem ge- des Mittel. & 22 ae brochenen BC cD DE EF EG, S Z#| Prisma. Strahle D NE macht. Du oem (>) |. — m nn Crownglas Nro. 9 140|2,535|390 2035'.|aa0 38° 19%] au 44,5] 7, 23,45] ge 1470) 87 140159 1oselıde Wasser || 15011,000158° 5’404ja2° 36° gut) 34 24%) 87 now ge BBu| Br 38u|150 n6miarg —— — m | -— Wasser 15°|1,000158° 5’404/220 36° %o’| 34 12,/4| 84 10,46) 97 57,'5| 8/30,45|15° 15,46 FE TE en u nn I Bey 15° 3,723]26° 24’30%Jı7° 27° 8%) 3 16%| 94 4,Halııd 50410’ 33,’’9|a04 23,9|18% EineAufö- sung anl Kalı im Wasser 9°|1,416168° 544ot/iazo 45° 56%| 44 210 264127 54rlart 82|n0 364 um | 830|0,8851580 Br4owl330 207 1a 4 56413 5al18r46,71l167 140310 Bulage Terpen- thinöl Flintglas 3.512270 417354 u R ”\ N u ET Nro.3 »912|27° 41795 |ı7 10, 3 8 ‚a24/lı0° 46%] gi borlıg? 104lıgt re 3,695 210 4aF 15/1140 3° ges 2785,40| 6456,78| g/ 12,46) 8 199164 18,46 14 Er a 2,535|43° 27/36\25° 26. 35,.4| 37 54) 84 14,%4|10°28,072| 4° 10Wlı74 14,48 4 4 + en 2,756|42° 56° 40”.|26° 394 134 37 32,08) 9° 37,776] 12° 29,8] 114 ul 53,46 1 Flintglas oe N 3 , | | | | Nro. 23 8,724] 60° 154 424|49° 554 13,4/2|1 14 12,46|317 14,48 ,417 id 38° 14,78 19 1474519 es 3,724145° 234 14'320 457 12,2] 69 264] 174 47,08|237 31,08]a1t 23,48] 419 33,04 377 e Lu Brechendes Mittel Flintglas Nro. ı3 Crownglas Nro. 9 Wasser I" asser Kali Terpenthinöl Flintglas Nro. 3 Flintglas Nro. 3o Crownglas Nro. 13 —__ Crownglas Lit. M Flintglas Nro. 23 risma von 60° Flintglas Nro. 23 Prisma von 45°) Tabelle: IIE Sr DL DEE 1,525832 |1,526849 1,330935 | 1,331712 1,331709 1,400515 |ı f 1.470496 1,603800 1,471530 1,602042 1,623570 |1,625477 1,524312 |1,525299 1,554774 |1,555933 1,626596 |1,628469 1,6206564 1,628451 Dn En 1,333577 |1,335851 |1,337818 |ı ‚841293 1,833577 |1,33584g |1,337788 | 1,341261 1,402805 |1,405632 za Sa Eng58 1,533005 | 1,53605a 1,541657 1,412579 1 »474434 irascad 1,481736 |1,488198 1,608494 |1,614533 |1,620042 |1,630772 1,630585 |1,637356 |1,643466 |1,655406 1,527982 |1,531372 :1,534337 1,539908 1,559075 7 |2,640495 |1.646756 |1,658848 1,658849 29 = Hn 1,546566 1,344177 1,344162 ‚416368 1,666072 1,54468% — 579470 1,669686 1,669680 - - ” “ [3 en ES oO 1] = oo ca ı EN] w En LT nn Ta- 226 Tabelle W. mm tum mn En’ — Dn’|Fn’ — En’|Gn — Fn’ Hn’— Gn’ 1 Cn’— Bn’|Dn‘— Cn’ Brechende Mittel we) 7 et ee A Ne ee ERDE Cn —Bn |Dn — Cn |En — Dn |Fn — En |Gn —Fn jHn —Gn N ——— 2,562 3,871 | 8,073 | 3,193 3,460 3,726 Flintglas Nro. 138 und Wasser 5 Flintglas Nro. ı3 und Crownglas Nro. 9 1,900 1 1,956 2,044 23,047 2,145 2,195 Crownglas Nro. 9 und Wasser 1,349 1,468 1,503 1,560 | 1,613 1,697 Terpenthinöl und Wasser — [—n nl — Flintglas Nro. 18 und Terpentbinöl —__ Flintglas Nro. ı8 und Kali Kali und Wasser Terpenthinöl und Kali Pe | VE 5 —_ ll Flintglas Nro.3 und Crownglas Nro. 9 CrownglasNro, ıdund Wasser Crownglas Lit.M und Wasser Crownglas Lit.M und Crownglas Nro, ı3 Flintglas Nro.ı3 und Crownglas Lit, M —_ 0 nen [mm _ Flintglas Nro,3 und Crownglas Lit, M Grownglas Nro, ı3 Flintglas Nro. 3o u Peer) Coonagkn No, 13 n 1,932 1,904 1,997 2,061 2,143 2,233 Flintglas Nro. 23 0.00 a 1,90% 1,040 Foka 35 : I8 u Fraunhofer s Abh. _ Lenkschr. 10:12. Z7]8 TFalH gezesch u. gedzt ven Fraunhofer: . . Tal 2 FO Zu Be Berg we > PDUBL) > O0PtG 3 SSIA— 15. Phnksohr Veoferd t ZER _ c : Frauen U, „At DENKSCHRIFTEN KÖNIGLICHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN ZU MÜNCHEN 1814 vun 181% ze CC LASSE DER GB ECHTE GRT BE EN s } . N u 1% 7 & F N U 4 ‘ ‘ ’ A . v . er ve De eP x “ \ 2 ’ 1 k x vr x ei * 4 e d > x ‘ ._. \ * L e) N R F f - ” v \ - x + ’ " x v. In s . 4 y i v > k N 1 “ . ’ v ’ 5 ’ e a + - \ N 5 is a - 5 \ I) - a ’ “ . a ’ \ 7 j 4 R - . £ - j ‘ 4 > , \ _ / [| ————— m er I; Fortsetzung der Geschichte des königl. baier Münzkabinets un an Mi sn Hiechiie: in; Abgelesen in einer Sitzung der historischen Classe den 28. April 1813 von Franz IGnAz STREBER, Mitglied der Classe und Aufseher des königl. Münzkabinets. Nebst drey HKupfertafeln mit noch unedirten Münzen und deren ' Erläuterung. Aıs ich vor 6 Jahren die Geschichte des. königl. baier. Münzkabi- nets schrieb, und zugleich einige seltene griechische Münzen aus unserer Sammlung bekannt machte *), getraute ich mir nicht zu hof- ı) Siehe die Denkschriften der k. Akademie der Wissenschaften für das Jahr 1808, $.377 u, folg. Indem ich damals den Versuch machte, die Geschichte des k. b, ı 2 Münz- 4 hoffen, dafs sich unser 'kleiner Schatz in Kurzem so beträchtlich vermehren würde. Es waren nur wenige mit Sorgfalt aufgelesene Körner; jetzt lassen sich schon einige volle Garben binden, und in dem Tempel der Göttin Moneta zur Schau aufstellen. Es wird da- her ihren Priestern und Verehrern gewifs nicht unangenehm seyn, wenn ich den dort abgebrochenen Faden der Geschichte wieder aufnehme, und bis zum Schlusse des Jahres ıg13 fortführe. _ Wer weils, ob unsere Nachkommen je so glücklich seyn werden, in sechs Jahrzehenten so viel zu sammeln, als uns in diesen 6 Jahren durch ein seltenes Zusammentreffen und weises Benützen glücklicher Um- stände zu Theil geworden ist. ; Münzen, diese ewigen Denkmäler alter und neuer Geschichte und Kunst, sind zwar eigens dazu bestimmt, von Hand in Hand zu gehen; ja es gehört zu ihrem ganz eigenthümlich - antiquarischen Vorzug, dals sie an keinen festen Boden gebunden in zahllosen Schaa- Münzkabinets zu schreiben, mufste ich mir selbst gestehen, dafs ich aus Man- gel an den nöthigen Hülfsmitteln nichts Vollständiges liefern konnte. Die Münchner Münzsammlung war nach dem 3o0jährigen Kriege bis zu dem Tod: Maximilian Ill. unter der Aufsicht von Männern, welchen es bey aller ihrer Redlichkeit und Treue an allen zu solch einem Amte nöthigen Kenntnissen fehl- te; es waren die ältesten Kammerdiener der Kurfürsten. Daher läfst es sich auch erklären, warum bey der Uebergabe der baier. Münzsammlung an den vo- rigen Münzkabinets-Direetor, Bischof Freyherr von Häffelin, weder ein Katalog, noch sonst ein literarisches Document, welches auf die Entstehung und Schicksale dieser Sammlung Bezug gehabt hätte, mitübergeben wurde, Selbst die Werke des Johann Fickler, der diese Sammlung unter Maximi- lian I. eingerichtet und beschrieben hatte, stauden unbenützt in der Hofbiblio- thek, von woher ich sie erst nach der Vereinigung des Münzkabinets mit der neu organisirten Akademie der Wissenschaften zur Einsicht und zum Gebrauch erhielt. Mit der Mannheimer Münzsammlung gieng es nicht viel besser; sie entstand erst zu Anfang des achtzehnten Jahrhunderts, und alles, was auf ihre Geschichte Bezug hat, und mir zu Gesicht kam, bestand in einem al- ten Katalog, welchen der Aufseher dieses Münzkabinets, Rector Pletschius vor ohngefähr 80 J. unter dem Kurfürsten Karl Philipp verfertiget hatte. 5 Schaaren ihren Geburtsort verlassen, und den entferntesten Völkern die Thaten der Vorwelt noch nach Jahrtausenden einzeln verkünden. Aber gar oft geschieht es auch, dafs irgend eine freundliche Hand das, was durch tausend Hände gegangen ist, mit Liebe und Sorgfalt sammelt, und eifersüchtig vor neuer Zerstreuung bewahrt. So ent- standen nach und nach jene grofsen Sammlungen in Italien, Frank- reich und Teutschland, welche dem Freund der Kunst und Wissen- schaft einen so reinen Genuls gewähren, und eine nie versiegende Quelle für Sprachstudium und Geschichtforschung werden. Es wäre daher gewils in mancher Hinsicht sehr lehrreich und wichtig ?), wenn wir die Geschichte von dem Entstehen und Fortschreiten jeder sol- chen einzelnen Sammlung mit Zuverlässigkeit angeben, und bis zu dem Zeitpunkt verfolgen könnten, wo sich diese kleinen Bäche alle in einen Strom vereinigten, der, wenn er auch einst eine andere Richtung nehmen sollte, für die Kultur der Wissenschaft überhaupt nie wieder versiegen kann. Daher äulserte schon Eckhel bey der Herausgabe seines Catulogus musei Caesarei Vindobonensis im J. 1779 den Wunsch, ‚dafs man alles, was auf Ursprung und Wachs- „thum solcher Sammlungen Bezug hat, sorgfältig sammeln, und öf- „fentlich bekannt machen möchte, weil sich sonst solche Notizen „wieder verlieren und mit dem Leben der Menschen untergehen“. Diesem Wunsche zu entsprechen, will ich die Geschichte von jeder Münzsammlung, durch welche die Unsrige seit 6 Jahren bereichert worden ist, nach der Zeitfolge hier aufführen, und den Anfang machen mit den Sammlungen 3) Illud non mediocrem affert voluptatem, nosse, quo modo, quidquid magnificum est et opulentum, ex modieis facultatibus surrexit, tum vero haec legendo in- eredibili amore in bonos principes ferimur, si quid ab iis in literarum et so- lidae doctrinae subsidium, nempe verissima pacis ornamenta, egregie et lauda- biliter est constitutum, Eckhel Catalogus Musei Caesarei Vindob: Praefatio, 6 a I. Antiken Münzen. Kaisersheim Die erste Münzsammlung, welche nach eingetretener Saecu- larisation aller Stifter und Klöster nach München gebracht wurde, war aus dem chemaligen Reichsstift Kaisersheim; sie enthielt blos antike Münzen, deren Anzahl sich über 8000 Stück be- lief, worunter 20 in Gold, 1292 in Silber, und die Uebrigen in Bronze waren. Griechische fanden sich nur 251 Stück, unter.denen jedoch manches selteneKleinod war %). Das Verdienst, diese Samm- lung für das Kloster erworben, und dadurch manchem Religiosen, der dazu Lust und Anlage hatte, die Gelegenheit verschafft zu haben, sich auf eine recht angenehme und nützliche Art zu beschäftigen, gebührt dem Abte Coelestin I., der für die Aufnahme der Wissenschaften in seinem Stifte und zur Ausbildung fähiger Köpfe jährlich grolse Summen verwendete *. Da er in Ge- schäften öfters nach Mannheim kam °, machte er Bekanntschaft mit dem damaligen Staatsrath und geheimen Kabinets- Sekretair Georg von Stengel, und erkaufte von ihm dessen Münzsammlung °). Der 3) In dem dabey befindlichen Katalog waren nur die griechischen und römischen- Familien - Münzen beschrieben, 4) Coelestin Angelsprugger war aus Augsburg gebürtig, wurde im Jahr 1772 als Abt erwählt, und starb im J. 1783, Er bestimmte eine jährliche Summe von 3— tausend fl, zur Vermehrung und Bereicherung der Bibliothek. Unter seinen talentvollen Religiosen zeichneten sich ganz besonders Ulrich Majer und Christian Widemann, aus, deren Namen in den Annalen der Universität Ingolstadt mit grolsem Lobe stehen ; jenen machte er nach seiner Zurückkunft von der hohen Schule zum Lehrer der Theologie, und diesem übertrug er die philosophische Lehrstelle, 5) Er war Eleemosinarius des Elisabethen - Ordens, 6) Es ist in der Rheinpfalz eine bekannte Sache, dafs das, was Kurfürst Karl Theodor in der schönern Hälfte seiner Regierung mit einem Aufwand von mehrern hunderttausend Gulden für Künste und Wissenschaften gethan hat, _ grofsentheils dem Einflufs und der Berathung seines Kabinets - Sekretairs zuge- schrie- _— 7 4‘ Der Abt selbst gewann an diesem Gegenstand ein besonderes In- teresse, und die Numismatik wurde von nun an eine seiner Lieb- lingsbeschäftigungen ; späterhin übertrug er seinem geistlichen Se- kretair Andreas Pröll, einem Manne von ausgebreiteten Kenntnis- sen, die Aufsicht hierüber, der sie auch noch unter dem nachfol- genden Abt Xaverius beybehielt 7). Dafs sich in einer sol- chen Sammlung, ‚welche schon vor mehr als 50 Jahren angelegt worden, wo die Kritik über ächt oder unächt noch nicht so ge- schärft war, wie in unsern Tagen, gar kein unächtes Stück befin- den sollte, wäre eine unbillige Foderung; indessen war ihre Zahl unbedeutend, und wurde durch jene der seltenen, oder wenigstens gut erhaltenen Exemplare beyweitem überwogen; sie ist nun ganz mit der Königlichen vereiniget, und bey jedem Stücke bemerkt, woher es genommen worden °). Hempten, schrieben werden müsse. Georg v. Steugel wurde gleich nach der Stiftung der Mannheimer Akademie der Wissenschaften Mitglied derselben, und nach der Vereinigung der Rheinpfalz mit Baiern auch Mitglied der Baierischen, Diese Akademie besitzt von ihm aufser obigen Münzsammlung auch noch eine kostba- ‘ re Mineralien- Sammlung , welche Kurfürst Karl Theodor von dessen Erben für die oberste Bergwerks-Administration erkauft, Sr, k, Majestät aber im ver- flossenen Jahre der königl, Akademie der Wissenschaften zum Gebrauche über- lassen haben, 7) Xaverius Müller, von Westhausen bey Ellwangen gebürtig, wurde den 23. Oct, 1783 zum Abt gewählt; auch er verwendete in den ersten Jahren manche Sum- me auf die Vermehrung der Münzsammlung, und traf alle Anstalten, um diesel- be im guten Zustande zu erhalten; aber der ausgebrochene Krieg und die Fol- gen desselben steckten diesem Vorhaben einZiel, Nach Pröll’s Tod übernahm die Aufsicht Augustin Strebl, ein thätiger und ganz für die Literatur leben- der Mann, dessen unermüdetem Eifer das Stift vieles zu verdanken hatte; die Einrichtung der Bibliothek war sein Werk. Er wurde inFolge der an die Kro- ne Würtemberg geschehenen Abtretung einiger Kaisersheimischen Parzellen mit seiner Pension an die letztere überwiesen, wo er sich jetzt in Ramingen bey Stetzingen aufhält, Baiern verlohr an ihm einen sehr thätigen und brauchba- ren Mann. 8) Von modernen Münzen kam aus diesem Stifte nichts hieher. Kempten Der verdienstvolle Fürst-Abt Rupert aus dem freyherrlichen Geschlechte von Bodmann, welcher fünfzig Jahre, nämlich von 1ı678— 1728 dem Stifte vorstand, kaufte aus irgend einer Verlassen- schaft ein antikes Münzkabinet, und legte damit den Grund zu einer Münzsammlung, welche späterhin auch mit modernen Münzen, vor- züglich päbstlichen und domkapitlischen Sedes-vacanz -Münzen ver- mehrt wurde. Da die Fürstäbte Anselm von Reichlin, Engl- bert von Syrgenstein, und Honorius Roth von Schre- kenstein auch hierin in die Fufsstapfen ihres würdigen Vorfahrers traten, so wurde diese Sammlung immer beträchtlicher. Die Auf- sicht hierüber führte der Kapitular, Ferdinand Karl Freyherr von Deuring, der gemeinschaftlich mit dem Stadt- Kemptischen Senior und Dekan Leonard Dürr den Katalog über die antiken Münzen verfertigte, und mit eigener Hand schrieb; späterhin kam sie unter die Hände des Kempt. geistl. Raths und Kofkaplans, Thomas Weng, der die ganze Sammlung vollständig zu beschreiben im Begriffe stand, hieran aber durch den im J. 1800 neuerdings ausgebrochenen Krieg, und dessen Folgen gehindert wurde; inzwischen hat man es ihm zu danken, dafs sie nicht damals schon in Feindes Hände ge- rieth ?). Erst im J. ıgro wurde sie hieher gebracht und der kön. Sammlung einverleibt '°). Sr, 9) Dieses Unglück widerfuhr ihr kurz zuvor, ehe sie nach München gebracht wur- de; sie blieb nämlich so lange in Kempten stehen, bis sie von den Tyroler In- surgenten unter Anführung des Majors Teimer genommen und weggeschleppt wurde. Da man ihnen aber auf der Spur war, so öffneten sie in dem nächsten Wirthshause die Kiste, nahmen die Goldmünzen heraus, und warfen das Uebri- ge durch einander. In dem Katalog stehen ı35g St, verzeichnet, es waren je- doch ungleich mehr, aber nur 89 griechische, Von modernen fand sich gar kein Verzeichnißs, 10) Ich verdanke obige Notizen der Güte des ehemals Fürst- Kemptischen General- Vicarius Maurus Freyherr von Tänzl, der sie mir durch seinen Mitkapitu- lar Johann Nep. Freyherr von Ow mittheilen liefs. — Den a6sten July ı8ı4 ne | | y Sr, königl, Hoheit der Kronprinz, Fast um die nehmliche Zeit erhielten wir aus den Händen Sr. k. Hoh. unsers Kronprinzen eine kleine Sammlung von mehr als tausend Stück antiker Münzen, welche ein spanischer Capitain Castilio **), der sich lange Zeit in der Levante aufgehalten, an Ort und Stelle selbst gefunden und gesammelt hatte, wahrscheinlich aber wegen der damaligen Umstände nicht in sein Vaterland zu- rückbringen wollte. Es fanden sich über achtzig griechische dabey, worunter einige inediti zu seyn scheinen, auf die wir seiner Zeit zurückkommen werden. Diese an sich kleine Sammlung war für unsern damaligen Vorrath griechischer Münzen ein sehr erwünsch- ter Erwerb, da wir dadurch vorzüglich an syrischen Münzen reicher wurden '?), Cou- wurden dem Conservator ein und dreyfsig silberne Medaillen nebst einer Goldmünze des Kaisers Focas zugestellt, welche die k. k, östreichische Gesand- schaft von der ehemaligen Kemptischen Münzsammlung noch erhalten, und ein- geschickt hatte, ı1) Er soll eigentlich Badia heifsen, und jetzt als Gouverneur von Segovia ange- stellt seyn. 12) Der Eigenthümer verkaufte zu gleicher Zeit auch einige geschnittene Steine, wovon folgender eine nähere Beschreibung verdient: es ist ein gebohrter Cy- linder von Chalzedon, worauf sich eine männliche Figur mit bedecktem Haupte und sieben verschiedene Thiere befinden, deren das eine immer links, das an- derc rechts gekehrt ist. Die männliche Figur und das eine Thier sind durch sechs um die Mitte herumlaufende Ringe abgesondert, Buchstaben finden sich nicht darauf. Capitain Castilio legte einen grolsen Werth auf diesen Stein; Tassie in seinem Catalogue raisonne d’une collection generale de pierres gravees pag. 62 et seq., so wie auch Herder, weisen diesen Cylindern Per- sepolis als ihre Heimath an, und ersterer sagt p. 64: c'est sans doute un phe- nomene aufsi nouveau que singulier, qui ne demande, que d’etre apercu par les antiquaires philosophes, pour engager leur attention. — Im genannten Werke sind neun derley Cylinder in Kupfer gestochen, von welchen aber der gegen. wärtige ganz verschieden ist, 2 10 — Cousinery. Der wichtigste Erwerb für die königl. Münzsammlung im J. .1g11 und sicher auch für einen längern Zeitraum war die Cousinery- sche, durch welche mit einemmale unser Münzkabinet auf eine Stu- fe gehoben wurde, auf der es unter den merkwürdigsten Sammlun- gen in- und aufser Deutschland immer mit Ehre genannt werden wird. Es können vieleJahrzehende verfliefsen, bis sich wieder eine so günstige Gelegenheit darbietet, oder so grofsmüthig benützt wird. In den Annalen der kön. Akademie der Wissenschaften, so wie in jenen der Numismatik ist diese Epoche mit ehrfurchtvollestem Danke bezeichnet, und noch von unsern spätesten Nachkommen wird das Andenken des allgeliebten Königs gesegnet werden, der sich da- durch selbst ein Monument errichtete, das nie untergehen kann. Der k. k. französische Consul in Macedonien, Herr Cousi- nery sammelte *?) während mehr als zwanzig Jahren mehrere Tau- »3) Es wird den Lesern vielleicht nicht unangenehm seyn, hier zu erfahren, wie H. Cousinery zu diesem Sammlungsgeist gekommen sey, der ihn, wie es scheint, bis an das Ende seiner Tage nicht verlassen wird, Er selbst schrieb dem Con- servator unterm 20, Februar ı812 aus Wien folgendes hierüber: „Ich reisete im J. 1769 nach Italien, um in Triest als franz. Vice-Consul zu bleiben; zu Florenz machte ich Bekanntschaft mit Hrn. D'E nneri, der so eben von seiner dritten und letzten Reise aus der Levante zurückkehrte, und dem Consul Du Pinet, der mich begleitete, so vieles von seinen neuen numismatischen Entdeckungen erzählte, dafs mich sein Enthusiasmus ganz ansteckte, und seitdem nie wieder verließ, Nach einem Aufenthalt von vier Jahren zu Triest wurde ich Kanzley-Director bey dem französischen Consul zuSalonique. Gleich in den ersten Tagen meiner Ankunft in Macedonien fieng ich an Münzen zu sammeln; ich gieng in dieser Absicht öfters nach Amphipolis und Pella, und ich machte in der Münzkunde bald grolse Fortschritte, Die meisten Kenutnisse aber er- warb ich mir in Smyrna, wohin ich als Vice-Consul im J. ı780 kam, und wo ich mit einem Liefländer, D, Zimmermann ,„ nähere Bekanntschaft machte, der ursern Gesandten M. Du Pinet nach Smyrna begleitet, und ihn ganz für die Numismatik eingenommen hatte, Wir wurden zuletzt so gute Freunde —— FEN 11 Tausend von griechischen, d. b. Städte- Königs- und Völkermün- zen, deren grolser Werth von allen Sachverständigen längst öffentlich ar an- Freunde zusammen, dafs mir D. Zimmermann nicht allein seine ganze Samm- lung, die aus ohngefähr ı500 St. in allen 3 Metallen bestand, freywillig als Geschenk überliefs, sondern mir auch noch von Zeit zu Zeit zur Bereicherung derselben Münzen aus Kleinasien nach Salonique überschickte, wo ich 2 Jahre als Stellvertreter des Consul zubrachte. Meine Sammlung erstreckte sich da- mals schon auf 4000 Stück; ich nahm Urlaub, gieng nach Paris, wo ich Hrn. D’Enneri, und den Abbe Barthelemi, den Aufseher des franz, Münzka- binets, fand, in dessen Umgang ich meinen Durst nach numismatischen Kennt- nissen nach Herzenslust befriedigen konnte. Endlich im J. 1787 wurde ich als wirklicher Consul zu Salonique ernannt, und suchte nun meine Sammlung auf alle mögliche Art zu vermehren. Pella und Amphipolis waren für mich wahre numismatischeFundgruben, die ich alle Jahre fleifsig besuchte, Aber im J.ı792 wurde ich alsRoyalist angegeben, verlohr meinen Posten, und mufste mich nach Smyrna zurückziehen, Obschon sich nun mein Vorrath auf mehr als 5000 Stück erstreckte, so suchte ich ihn doch auf alle nur mögliche Art noch immer zu vermehren; ich machte zu diesem Ende einige Reisen nach den Städten Perga- mus und Prusias in Bithynien, und ging im J, 1793 nach Konstantinopel, Hier hatte ich das seltene Glück, dieMünzsammlung des Renegaten Osman Bey, eines ungarischen Edelmanns, deren sich der Woiwode von Galata nach dessen Er- mordung bemächtiget hatte, an mich zu bringen, und mit der Meinigen zu ver- einigen *). Nach meiner Zurückkunft in Smyraa kaufte ich eine kleine Samm- lung von einem neapolitanischen Medikus, Namens Caruso, blos in der Ab- sicht, um den schönen und einzigen Medaillon in Bronze von der Stadt Dioni- sopolis in Phrygien auf die Kaiserin Annia Faustina, Gemahlin des Elagabalus nicht zu verlieren. Da sich meine Einkünfte auf einer Seite ganz vermindert, auf der andern aber meine Ausgaben auf die neuen Acquisitionen sehr ver- mehrt hatten, mufste ich auf Mittel denken, mich meines Schatzes zu entledi- gen, um meine angehäuften Schulden tilgen zu können, Man machte mir zwar aus Petersburg, London und Wien verschiedene Anträge; ich lehnte sie aber alle ab, weil ich die Sammlung gerne für mein Vaterland erhalten hätte, und dabey *) Man sehe bierüber Sestini lettere e Dissertazioni num, T, IV. p. 86, vor- züglich aber dessen De:eriptio num. vet. Pracfazione IX et seqs. Die vielen als falsch erklärten Münzen dieses Osman B. sind aus der Cous. Samm- lung geschieden, werdeu aber sorgfältig aufbewahrt, da sie, um das Aug zu bilden und zu schärfen vortreflliche Dienste leisten, 12 anerkannt war "*), und um deren Besitz einer der gröfsten Numis- matiker Deutschlands, wie er sich schriftlich äufserte, jeden andern Staat, wo der Werth eines so einzigen Schatzes nicht so wie jetzt in Baiern erkannt und benützt worden wäre, beneidet haben würde. Die Sammlung bestand aus 147 goldenen, 1948 silbernen (die Alexandriner aus Potin mit dazu gerechnet) und aus 6975 Münzen in Erz, welche zusammen eine Summe von 9070 Stück ausmachten, und mit unserm kleinen Vorrath vereinigt die Zahl der griechischen Münzen auf 11000 St. erhöhte. Da sie erst mit dem chersonesus taurica beginnnt, folglich die Münzstädte von Spanien, Gallien, Ita- lien und Grofsgriechenland gar nicht umfalst, so entstanden dadurch für unsere Sammlung wenige Doubletten, und man kann mit Wahr- heit sagen, dafs für sieben Achttheile der numismatischen Geogra- phie durch den Ankauf einer solchen, an Ort und Stelle selbst ge- mach- dabey die Hoffnung nährte, meinen vorigen Posten wieder zu erlangen; ich gieng daher im J. ı801 nach Paris, mufste aber mein Kabinet als Faustpfand in Smyrna zurück lassen; ich war zwar nach der Hand so glücklich, es mittelst einer geleisteten Caution auslösen zu können, aber die ganze Sammlung mit der k, k. inParis zu vereinigen, wollte mir durchaus nicht glücken; das Schick- sal hatte sie für Baiern bestimmt, und ich freue mich u, s. w. ı4) Sestini (ein in der numismatischen Literatur sehr geschätzter Name) erklärte sich über den Werth dieser Sammlung auf folgende Art: Je sousigne atteste et declare,, qu’il est a ma connoissance, que la collection de medailles grecques, que possede M,. Cousinery, est le fruit de plus de 25 ans de recherches aufsi penibles que couteuses ; qu’il est prouve par ma propre experience, qu'il est impossible de former une collection aufsi remarquable et aufsi interessante sans se transporter frequemment dans la plupart des lieus, ou les medailles ont ete frappees, soit dans la Turquie d’Europe, soit dans l’Asie mineure. Je declare aufsi, qu’une grande partie de ces medailles a ete decrite et publiee par moi meme dans la Turquie, öu j’ai plusieurs fois eu P’occasion d’etudier cette col- lection composee d’une grande quantite de pieces ou tres rares, ou inedites, et dont le possesseur a considerablement augmente le nombre depuis mon de- part du Levant. En temoin de quoi j’ai delivre le present pour servir et va- loir a Mr. Cousinery a ce que de besoin. Paris, ce 12,0ct, ı810, Signe Sestini antiquaire de S, A, R, et J, la grande Duchesse de Toscane, TE yTPTe Zen u 28 machten Collection ein aufserordentlicher Reichthum erworben wor- den ist, wozu sich vielleicht so bald keine Gelegenheit mehr erge- ben würde, während Münzen von Italien und Grofsgriechenland öfters zum Kaufe angebothen werden '°). Was einst für Paris der Ankauf der Pellerinischen Münzsammlung war, das ist für uns der Erwerb der Cousineryschen, welche nebst dem, dafs sie an sich keine Doubletten zählte, noch das besondere Verdienst hat, dafs vielleicht ein Drittheil ihrer Münzen in dem Habinet zu Paris fehlen, wo sich doch aus ganz Europa so viele Sammlungen vereiniget ha- ben. Um dem Kenner nur einen kleinen Begriff zu geben, wie reich *°) mancher Zweig derselben sey, stehe hier Folgendes: Von Pergamus Mysiae fanden sich in der Sammlung ı80 Münzen, alle verschieden; von Smyrna 350 St. und von Ephesus Joniae 131 St. Hr. Cousinery hatte diese Münzstädte mehr als einmal selbst be- sucht, und lebte so viele Jahre in Rlein-Asien, dafs man sich nicht wundern darf, wenn er aus diesen Gegenden auch von jenen silber- nen Medaillons römischer Kaiser, die in jedem Kabinet unter die grolsen numismatischen Seltenheiten gehören, nach und nach vier und vierzig sammelte. Von den eben so seltenen Darikern oder Bo- genschützen steigt die Zahl auf zwanzig. Eine ganz besondere Er- wäh- 15) Späterhin , nämlich im July ı812, trug uns Hr. Cousinery selbst solch eine Sammlung zum Kaufe an, die nur aus 322 St. bestand, und, so zu sagen, für den Kopf der obigen gelten konnte; sie fieng nämlich mit Spanien an, gieng durch Gallien und Italien nach Grofsgriechenland, und schlofs mit der Insel Melita; auch diese wurde gekauft. Ohngefähr ein Drittheil hievon mochte für uns Doublette seyn, so dafs wir einen neuen Zuwachs von 200 Münzen erhielten, und unser numismatisch -geographisches Gebieth dadurch um neunzehen Städte er- weiterten, 16) Um aufrichtig zu seyn, mufs der Conservator gestehen, dafs manche Branche auch sehr arm ist; so z. B. finden sich in dem Wiener Kabinet von Maronca ı2 Münzen in Silber, worunter 8 Medaillons sind, in der Unsrigen sind nur 5St. im Ganzen; von Pautalia zählt jenes 60 St. in E., wir nur ı4; von Tra- janopolis 25, und wir nur 4. Von den Königen Audoleon und Mithridates be- sitzen wir bis jetzt gar kein Exemplar, 14 wähnung aber verdienen die von ‘jedem Sammler‘ griechischer Mün- zen so sehr gesuchten und geschätzten numi cistophori, welche von 6— 7 Städten in Rlein-Asien, die einst unter der Herrschaft der Köni- ge von Pergamus standen, in einer ungeheuren Menge ausgeprägt wur+ den, aber wie durch einen Zauberschlag wieder von der Erde ver- schwanden. Croesus eris, sagt Abt Neumann Tomo II. p. 36, si mode unum vel alterum cujusque urbis possideas, quae id genus nu- morum signarunt; die Cousinerysche Sammlung besals deren sechs und dreyfsig. — Was endlich allem diesen die Krone aufsetzt, und was in keiner ähnlichen Sammlung anzutreffen seyn wird, sind jene numi aurei primitivi Asiae minoris, deren Zahl sich auf zwey und siebenzig beläuft. Die unvrerkennbaren Spuren ihres ehrwürdigen Al- ters, so wie die aulserordentliche Schönheit einiger Köpfe, an denen selbst das Auge des Künstlers sich nicht satt sieht, erheben sie in den- selben Rang mit der Klasse jener ächt griechischen Kammeen, für die dem Kenner kein Preis zu hoch ist, und die es wahrhaft verdienen, zum Haus-fidei-commils eines Königs von Baiern zu gehören "7). — Die letzte Acquisition antiker Münzen, die wir im J. 18:2 machten, war die Sammlung des Fürstabts von St. Emeran in Regensburg. Auch dieser Erwerb steht in den Annalen der königl. Akademie- der Wissenschaften, deren Attribut das Münzkabinet ist, mit dankba- rer 17) Vergl. Sehlichtegroll’s Annalen der Numismatik. B. T. p. 90. — Hr, Dir. v, Sehlichtegroll hatte bereits vor mehrern Jahren im Namen Sr, Durchl. des Herz. von Gotha um die Cousinerysche Sammlung gehandelt, wobey aber immer die Schwierigkeit Statt fand, dafs sie in Smyrna verpfändet war. Indefs kannte er den Werth derselben durch Katalogs - Uebersichten, und überzeugte davon auch den Conservator der kön. baier. Münzsammlung. Die Vorstellun- gen, die sie nun gemeinschaftlich über die grofse Schätzbarkeit der Cousine- ryschen Sammlung dem Hrn, Staatsminister Grafen v, Montgelas machten, fanden die gewünschte Aufmerksamkeit, wodurch die Unterhandlung mit Hrn, Cousinery zu Stande kam, 25 rer Erinnerung an die königliche Grolsmuth eingeschrieben, indem das, was einst Eigenthum des regierenden Hauses und schon gleichsam verloren war, wieder dahin zurückgebracht wurde. Der Fürstabt von St. Emmeran, Coelestin Steiglehner kaufte nämlich im J. 1798 auf dem Wege der Versteigerung die Herzoglich -Zweybrückische Münzsammlung, wovon das Jahr zuvor ein Katalog in Mannheim ge- druckt worden "®°). Sie wurde im J. 1784 angelegt; man machte nämlich theils verschiedene kleine Ankäufe im Elsals, in Oppenheim, im Erbachischen; theils wurden in dem Herzogthum selbst einige Aus- grabungen vorgenommen, besonders in der Gegend von Schwarzerden, Schwarzenacker, Tholey, Seltz und Stumpfen, wodurch die Sammlung einen eigenen vaterländischen Werth erhielt, und sich in Kurzem be- trächtlich vermehrte. Da ihr neuer Besitzer, der Fürstabt, seine Pri- vateinkünfte diesem Lieblings-Gegenstande widmete, so wuchs die Zahl der Münzen von Jahr zu Jahr so unter seinen Händen, dafs sie zur Zeit der Uebergabe an Städte- Königs- und Völker- Münzen 1364, an römischen in Gold und Silber über 6000, und an erzenen noch ein- mal so viel zählte. Nebstdem besals der Fürstabt einen kostbaren Schatz von mehr als achthundert geschnittenen Steinen, wovon über die Hälfte a jour gefafst sind *?). Was den Werth dieser Gemmen- Sammlung in den Augen des Kenners besonders erhöht, sind die ge- lehrten Bemerkungen, mit denen der vorige Eigenthümer die Beschrei- bung eines jeden Stückes aus den besten Schriftstellern in diesem Fache be- 18) Gemäls dieses Katalogs enthielt sie folgende Münzen: Numi graeei aurei —_ _ 3. Numi urb’um, Populorum et regum — 42, Numi romani aurei — u 69. Numi consulares argentei — —_ 606. Numi Imperatorii argentei — —_ #868, 19) Ohngefähr hundert hievon sind auf Muschelschalen und Glaspasten, siebenzig auf Edelsteine, als Amethyst, Chrysopras, Sappbir ete,, die übrigen auf Onyx, Chalzedon, Carniol geschnitten, ı6 TEUER begleitete; ja er legte der Gemme selbst gar oft eine antike Münze bey, um das Uebereinstimmende zwischen beyden Vorstellungen auf eine anziehende Art dem Beschauer darzulegen, das Dunkle ihrer Typen dadurch aufzuhellen, und so den wohlthätigen Einfluls der Numisma- tik auf alles, was antik ist, auch von dieser Seite recht augenscheinlich darzustellen und zu beurkunden ?°). Endlich gehörten zu dem antiqua- rischen Reichthum des Fürstabts mehr als hundert Bronzen von verschie- dener Grölse und verschiedenem Werthe, welche er theils aus der Verlassenschaft des ehemaligen Probsten zu St. Moritz in Augsburg, Bassi, eines gebornen Römers **), theils von den Erben des Re- gensburgischen Stadtkämmerers Häberl erkauft hatte, welche dann durch mehrere in der Gegend von Gebraching — einer ehemaligen Emeranischen Probstey — vorgenommene Ausgrabungen noch vermehrt wurden *?). Der Gedanke, dals diese mit so vielem Kostenaufwand Se 20) Man sieht es aus vielen Stellen des von dem 75jährigen Fürsten mit eigener Hand geschriebenen Katalogs, dafs er gerade an diesem Theile seiner Sammlun- gen mit ganzer Liebe hieng, und dals er vorzüglich diesem Gegenstande den größten Theil seiner literarischen Mufse, so wie seines Vermögens opferte. ,‚In - „keinem Reste der alten Kunst, schreibt er am Ende .der Vorrede seiner Dakty- „‚liothek, giebt es mehr Geschichte, mehr Fabel, mehr Andacht, mehr Phanta- „sie, mehr Witz, und mitunter auch mehr Malitz derAlten als in geschnittenen ‚Steinen. Münzen kamen in alle Hände, Gemmen nur in vertraute, Keine „geschnittene Gemme, wenn sie antik ist, gut oder schlecht geschnitten — ist „stumm ; aber ihre Sprache? — — Dem Liebhaber macht es Vergnügen, hier „forschen und suchen zu können.“ aı) Aus dieser Verlassenschaft ist auch jene silber-vergoldete Sehale, welche vier Mark und vier Loth wiegt, und in welche 46 antike Münzen so eingesetzt sind, dafs sie auf beyden Seiten können gesehen werden. Sie soll einst das Eigen- thum des berühmten Alterthumsforschers und augsburgischen Patrizier Vel- ser gewesen seyn, 22) Diese Anticaglien werden nächstens mit andern im Vaterlande aufgefundenen in dem Antiquarium in dem königl, Residenzgebäude aufgestellt werden; hiebey befindet sich ein sehr schön gearbeiteter Arm von Bronze, der alle Kennzei- chen wahrer Antiquität an sich trägt, und nielits zu wünschen übrig läfst, als dafs es nicht blos der Arm allein seyn möchte, _ I” 4 gemachte, und für Kunst und Wissenschaft gleich wichtige Sammlung nach dem Tode ihres Besitzers versplittert werden möchte, bewog den Fürstabten, sie Sr. königl. Majestät von Baiern mittels Tausch anzutra- gen, um das, was einst zum Theile dem Hause schon gehörte, ver- mehrt wieder an dasselbe zu bringen. Der Vorschlag wurde ange- nommen, und so erhielt das königl. Münzkabinet eine beträchtliche und kostbare Sammlung, bey welcher sich jeder künftige Aufseher an den Namen des vorigen Besitzers stets mit Vergnügen erinnern, und dessen gelehrte Bemerkungen gewils dankbar benützen wird *®. Ei- 33) Christophorus Steiglehner. den ısten August ı738 zu Sinderspiel im ü Gebiethe der vormaligen Reichsstadt Nürnberg von bürgerlichen Eltern gebo- ren, wurde in dem deutschen Hause zu Nürnberg in der Musik, Schönschreib- kunst, in den Anfangsgründen der lateinischen und französischen Sprache , so wie im Zeichnen unterrichtet, und als cin talent- und hofinungsvoller Knabe im 3. 1752 von dem damaligen Fürstabt zu St, Emeran Joh. Bapt. Kraus in die Emeranische Präbende aufgenommen, in welcher immer 16—ı7 Knaben freyen Unterricht und Unterhalt fanden. Hier blieb er bis zum J. ı758, wo er mit dem Namen Coelestin das Ordenskleid nahm, und 1763 unter dem Fürst- abt Frobenius Forster zum Priester geweyht wurde. Im 27sten J. seines . Alters wurde er Hauslehrer der jungen Religiosen in der Philosophie und zwar nach Wolfs System, welches genannter Abt schon als Professor auf der hohen Schule zu Salzburg angenommen hatte, so wie auch in der Mathematik und Physik, wozu er ganz besondere Talente verrieth, Die von dem berühmten Mechaniker Brander in Augsburg verfertigten Instrumente wufste Hr, Coe- lestin nicht nur allein vollkommen zu gebrauchen, sondern auch selbst noch zu verbessern, und zweckmälsiger einzurichten ; dieses unter Steiglehner in St. Emeran entstandene, und von ihm, als er Professor auf der hohen Schule zu Ingolstadt, und endlich selbst Fürstabt geworden, mit grolsem Kostenaufwande fortgesetzte physikalische Kabinet wurde eines der ersten in Deutschland, und ziert nun gröfstentheils die physikalischen Säle in dem königl. akademischen Gebäude zu München, Achnliche Verdienste hatte derselbe um die dortigen Naturaliensammlungen, worin er den ersten Unterricht von dem berühmten Abt Desing des Klosters Ensdorf erhielt, Im J. 1769 machte er mit seinem Zögling, dem Freyherrn Franz von Linker, eine li. terarische Reise durch Böhmen und Oesterreich, und das Jahr darauf fieng er seine meteorologischen Beobachtungen an, die er bis zu seiner Erwählung zur abteylichen Würde mit dem gröisten Fleilse fortsetzte, Noch ehe er seinem 3 Rufe ıB8 nn Einige kleinere antike Münzsammlungen aus den baierischen Klöstern Polling, Steingaden, Benedictbaiern, Weltenburg, Raiten- has- Rufe als öffentl. ordentl, Lehrer der Experimental-Physik und höheren Mathe- ınatik auf der hohen Schule zu Ingolstadt folgte, nahm er bey Carl Lance- lot, einem Benediktiner von der Congregation St. Maur, welchen der Fürstabt Frobenius eigens nach St, Emeran kommen liefs, in der griechischen, he- bräischen und den übrigen orientalischen Sprachen Unterricht, so, dals er auch in diesem Fache als Selbstlehrer mit Ehre hätte auftreten können. Als Profes- sor der Experimental-Physik war Coelestin so recht in seinem Fache; sein angenehmer fafslicher Vortrag, seine ganz besondere Geschicklichkeit in den schwersten Versuchen machten seine Vorlesungen zu den häufigst besuchten; von allen Ständen hatte cr Zuhörer, Civil und Militair, Juristen und Theolo- gen eilten in seine Kollegien, und der Rloster-Mechanikus, Frater Wendeli- nus Cagliari, den ihm der Fürstabt zum Gehülfen gegeben hatte, leistete ihm hierbey gute Dienste. Dem Ingenieur-Corps hielt er auf Begehren eigene Vorlesungen ; im J. 1786 wurde er mit Leveling dem Vater nach Heidelberg gesehickt, um im Namen der hohen Schule von Ingolstadt der dortigen Iubi- läums-Feyerlichkeit beyzuwohnen, und während dieser seiner Abwesenheit wur- de er zum Rector magnificus gewählt; ein Amt, das in den damals sehr kriti- sehen Zeiten nur Coelestin Steiglehner mit seiner seltnen Klugheit und Vorsicht zur Ehre der Universität, und zur Zufriedenheit des Hofes verwalten konnte, Endlich im J, ı79ı den ısten Dez. wurde er einhellig zum Fürstabt seines Stiftes gewählt, und noch im nämlichen Monat von dem damaligen Fürst- bischof Conrad aus dem Geschlechte der von Schroffenberg feyerlich einge- weyht. Kurfürst Karl Theodor empfieng ihn bey seiner Aufwartnng mit dem schmeichelhaften Kompliment: ‚Ganz Regensburg hat sich über ihre Wahl gefreuet, doch Niemand mehr als ich; sie waren ı0J. Lehrer auf meiner hohen Schule zu Ingolstadt; ich werde mich gegen sie und ihr Stift bey jeder Gelegenheit gefällig erzeigen,““ Sein crstes Augenmerk richtete er als Fürst- abt auf die zahlreiche St. Emeramische Pfarrschule, deren Reformator und er- ster Stifter er nicht ohne grofsen Kostenaufwand geworden; die nämliche Sorg- falt verwendete er auf das Kloster-Seminarium, als worin er selbst seine litera- rische und moralische Bildung erhalten hatte, Wie viel Gutes und Grofses der Fürstabt für Religion und Staat bey andern Zeitverhältnissen geihan haben würde, läfst sich aus dem Vorhergesagten leicht schliefsen; durch die Saecula- risation seines Stiftes sah er sich veranlafst, seine Thätigheit blos der Literatur zu widmen, und ganz für seine Münz- und Kunstsammlung zu leben, Auch da- durch hat er sich um die Wissenschaft selbst ein grofses Verdienst erworben, dafs ee Eurer 19 haslach, Varnbach u.s. w. wurden schon früher dem königl. Münzka- binet einverleibt; diefs geschah auch mit einzelnen Stücken, welche hie und da oder zum Kauf, oder als Geschenk angebothen wurden; vorzüglich aber wird alles dasjenige in dem Accessions-Catalog mit be- sonderer Genauigkeit nachgetragen, was im Vaterlande selbst aufge- funden worden ist. So erhielten wir vor einigen Jahren aus den Hän- den Sr. königl. Hoheit unsers Kronprinzen einen sehr gut erhaltenen Nero mit der Umschrift: NERO CAESAR. Cap. laur. — AVGVSTVFS GERMANICPS. Imp. stans cap. rad. d. ramum S. Yictoriolam cum glob., welcher bey Rosenheim an der Mangfall ausgegraben worden. Im J. ıgıı erkauften wir von einem Lederer (Gerber) zu Altenmarkt einen goldenen Vespasian auf die Eroberung von Judäa, der im Dorfe Chieming am Chiemsee, Landgerichts Traun- stein ausgeackert worden, und der im Cimelio Vindobonensi Tab. 1. nro. 2ı als eine besondere Seltenheit in Kupfer gestochen ist. Diefs sind nun die beträchtlichen Zuwächse, welche das königl, Münzkabinet seit dem J. 1808 im antiken Fache erhalten hat, und wel- che nun in eine Sammlung vereiniget in Kurzem ein ansehnliches Gan- zes bilden werden. I. Moderne Münzen. Kloster Banr. Unter diesen war die Sammlung aus dem ehemaligen Kloster Banz im Bambergischen unstreitig die wichtigste; denn sie enthielt ei- Ri nen dafs er diese Sammlungen mittels Ueberlassung an die Krone Baiern vor aller Zer- stückelung sicherte, und sich dadurch selbst ein Monument stiftete, indem sie unter seinem Namen aufbewahrt , und den Kennern und Kunstfreunden gezeigt werden. 20 nen Schatz von — wenigstens für uns seltenen — Münzen, so dafs 'es oft schien, ‚als hätte der Banzische Münzsammler es darauf angelegt, die grofsen Lücken der hiesigen Münzsammlung durch die Seinige aus- füllen zu wollen **). Bey grofsen Münzkabineten ist es wie bey grolsen Bibliotheken ; wenn auch die Anzahl der vorhandenen Bücher noch so grols ist, so bald man ins Einzelne geht, und jeden literarischen Zweig besonders untersucht, wird man erstgewahr, dafs die noch auszufüllen- den Lücken bedeutender sind, als man sich vorstellt, und dafs das Ab- gängige in mancher Abtheilung oft mehr ist, als das Vorhandene. Der Stifter dieser Sammlung war Abt Gregorius Stumm ?°), der für die Bereicherung derselben von allen Orten her die seltensten Münzen kommen liefs, vorzüglich aber auf Braunschweigische und Schwedische, zur Zeit Gustavs-Adolphs geprägte Medaillen Rück- sicht nahm. Johann Roppelt, ein sehr verdienstvoller Religios dieses Hlosters hatte die Aufsicht darüber, und brachte sie in eine systematische Ordnung ?°), Ban- a4) Als ein kleiner Beweis stehe hier nur folgendes: wir besalsen an päbstlichen Münzen in allen drey Metallen 803 Stücke; die Kloser-Banzische Sammlung zählte deren nur ı42 St., welche aber für uns — eilf Stücke ausgenommen — alle neu waren, Von Markgräflich Brandenburgischen Müfzen hatten wir im Ganzen 52 Stücke; durch die Banzische erhielten wir zweyhundert sieben und zwanzig neue Stücke, folglich viermal mehr als wir besalsen, 35) Gregorius Stumm war zu Sefslach im J. 1693 geboren, gieng ı716 in das Kloster Banz, und wurde dort im J, 173ı zum Abt erwählt, welches Amt er ruhmwürdigst verwaltete, und sich während dieser Zeit um die Aufnahme der Wissenschaften grofse Verdienste vorzüglich dadurch sammelte, dals er eine kostbare Bibliothek anlegte, und junge fähige Subjekte mit einem grolsen Ko- stenaufwand auf Universitäten studieren liefs, um sic sodann zu Hause als Leh- rer brauchen zu können, Seine Liebe zur Numismatik gieng auch auf seinen Nachfolger über, für den es eine sehr erfreuliche Nachricht war, als er hörte, dafs der Banzische Münzschatz ein ergänzender Theil. des königlich -baierischen geworden sey. Es fanden sich in dieser Sammlung auch einige antike Münzen. ” a6) Ueber diesen verdienstvollen Gelehrten, der im J. 1794 von dem Fürstbischof Franz EIER IR, 21 Bamberg. Die von dem dasigen Domkapitel hierhergebrachte Sammlung enthielt blos bischöflich-bambergische Münzen und Medaillen, und kann mit der vorhergehenden in keinen Vergleich kommen; nichts desto weniger war sie der königlichen sehr willkommen, da ihr ganzer Bambergischer Münz-Vorrath in zwanzig Stücken bestand, worunter nur zwey goldene waren. Wir erhielten dadurch einen Zuwachs von vierzig Münzen in Gold, und von zweyhundert vier in Silber ?7). Geistl. Rath Maierische Sammlung in Regensburg. Der Bischöflich- Regensburgische wirkl. geistl. Rath und Hof- kaplan Andreas Maier ?°) sammelte nebst andern seltenen Kunst- werken ??) auch modeine Münzen, und zwar blos Regensburgi- sche. Da er das Wort Regensburg in weiter Bedeutung nahm, und alle Münzen, die nur von ferne einen Bezug auf diese Stadt hatten, in seine Sammlung aufnahm, so erhielt sie nicht nur ein buntes Ansehen, sondern sie wurde auch sehr zahlreich. — Bey der Absicht, welche der Fortsetzung der Geschichte des kön. Münzkabinets zum Grunde liegt,näm- lich den Münzfreund in Kenntnils zu setzen, was er in dieser Sammlung fin- Franz Ludwig von Erthal als Professor der Mathematik auf der Universi- tät Bamberg angestellt worden, siehe Meusels gelehrtes Deutschland, Ödte Ausgabe, 27) Das Domkapitel erhielt diese Sammlung als ein Legat von Karl Friedrich Wilhelm Freyherr von und zu Erthal, welcher den gten Jul. 1736 daselbst aufgeschworen, den 29sten Nov, 1756 zu Kapitel gieng, und den ısten Sept, 1780 zu Würzburg starb, wo er ebenfalls Kapitular war. Auch dieses Dom- stift, so wie jenes zu Mainz, erhielten von ibm ein ähnliches Geschenk von Landesmünzen, 28) S. Meusels gelehrtes Deutschland, te Ausgabe, 39) Die Sammlung von Schnitzwerken aus Elfenbein, welche nebst andern kostba- ren Arbeiten dieser Art hier in dem Theatiner-Gebäude aufgestellt ist, erkauf- ten S, kön. Majestät ebenfalls von den geistl, Rath Mairischen Erben, 22 u finden könne, wird es demselben nicht unangenehm seyn, hier zu le- sen, welchen Plan sich Hr. Rath Mayer bey dem Anlegen seiner Samm- lung gemacht hatte. Der ehemalige erste Syndikus und Stadtschrei- ber der Reichsstadt G. G. Plato, sonst Wild genannt, machte im J. 1779 ein Verzeichnils von allen Stadt- Regensburgischen Current- und Schaumüuzen nebst einem Anhang von Bischöflich - Regensburgi- schen Münzen durch den Druck bekannt, worin er nicht blos die un- ter den Raisern von Karl V. bis auf Franz I. von der Stadt selbst geschlagenen Thaler und andere kleine Geldsorten aufführte, sondern auch alle jene Schaumünzen beschrieb, welche auf die Erbauung der Stadt, ihre öffentlichen Gebäude, auf die Reformation, auf die den Kaisern geleistete Huldigung und deren öffentliche Einzüge, auf die da- selbst gehaltenen Reichs- und Fürstentäge, auf Kriegsbegebenheiten und Friedensschlüsse, auf merkwürdige Geburten und dort geschlosse- ne Ehen, auf den Magistrat, auf das Stahlschielsen u. s. w. Bezug haben. Weiter kommen darin nebst den Bischöflich-Regensburgischen Schau- und Currentmünzen auch noch solche vor, welehe zum Anden- ken berühmter Männer geprägt worden sind, wenn sie nur aus Regens- burgischen Familien abstammten, oder dort gewohnt hatten, oder auch aur durchgereiset waren. Die Zahl solcher in dem Platoischen Ver- zeichnils vorkommenden Münzen beläuft sich auf 1073 St. Nach die-_ sem Systeme nun hat der geistl. Rath Mayer seine Münzen gesammelt und geordnet, zugleich aber auch dadurch den Beweis geliefert, wie schwer es sey, auch nur in einem Gegenstand des grofsen Reichs der Numismatik es bis zur Vollständigkeit zu bringen; denn nebst- dem, dafs die Mayerische Sammlung nur die Hälfte obiger von Plato verzeichneten Münzen enthält, giebt es noch viele sol- cher Regensburgischen Münzen, die auch dieser nicht gekannt hat, und die, um dieses Fach vollständiz zu machen, noch nach und nach gesammelt werden müssen 3°). Der Herr Fürst-Primas hatte diese 30) Regensburg, einst die Residenzstadt der alten Baierfürsten, dann selbstständig, und nach eigenen Gesctzen sich regierend, jetzt wieder als eine der vorzüg- lich- \ en 23 diese Sammlung von den Mayerischen Erben an sich gekauft, worauf sie mit dem Fürstenthum Regensburg als Eigenthum an Baiern über- gieng. Ohngefähr fünf Sechstheile konnten hiervon unserer Sammlung einverleibt werden, und es gilt auch von ihr, was wir oben von der Kloster - Banzischen sagten. Stadt Regensburgische Münzsammlung. Sie bestand nur zum Theil aus modernen Münzen, und auch diese waren nicht blos Regensburgische, sondern vermischten Inhalts, daher sie auch durch die Mayerische nicht überflüssig gemacht wur- de, sondern diese noch mit manchem seltenen Stücke bereicherte ?*), Das nämliche gilt auch von den der alten Kapelle in Regensburg einst gehörigen Münzen, deren innerer Werth ohngefähr 200 fl. betrug, und worunter nur einige der Aufbewahrung würdige Stücke sich be- fanden. Was lichsten in dem schönen Kranze der berühmten baierischen Städte mit dem uralten Vaterland vereinigt, verdient es allerdings, dals man alle numismati- schen Dokumente ihrer einstigen Autonomie sorgfältig sammle, und der Nach- welt überliefere; sie werden nach Jahrlıunderten noch einen gröfsern Werth für Geschichte und Kunst haben, als wir jetzt den autonomen Münzen mancher un- bedeutenden Stadt Griechenlandes beylegen. Hamburg und Frankfurt vielleicht ausgenommen, sind die drey gröfsten Münzstädte des ehemaligen deutschen Reichs, Augsburg, Nürnberg und Regensburg dem Königreiche Baiern einver- leibt; ihre vielen und schönen Münzen sind die besten Belege ihrer Geschichte und ehemaligen Gröfse, so wie ihres Kunstsinnes, an dem sie manche Fürsten- stadt weit hinter sich zurückliefsen ; der Conservator des königl, Münzkabinets hat es sich daher längst zur Pflicht gemacht, jetzt, wo es noch Zeit ist, ihre numismatischen Denkmäler zu sammeln, und in eigenen Schränken zur Schau aufzustellen, und hoflt, sich dadurch um die Geschichte und Kunst seines Va- terlandes bey der Mit- und Nachwelt einiges Verdienst zu erwerben. 31) Die antiken Münzen dieser Sammlung, deren Zahl ohnehin nicht grols war, kamen meist unter die Doubletten, welche seiner Zeit an die öffentlichen Unterrichts- Anstalten abgegeben werden sollen. >} Was wir aus den eigentlich baierischen Abteyen schon früher erhalten und der königlichen Sammlung einverleibt hatten, würde vermuthlich ungleich ergiebiger ausgefallen seyn ‚ wenn nicht die Kriegsjahre und häufige Einquartirungen ihrer Aufhebung vorausge- gangen wären. Indessen verdienen folgende eine vorzügliche Erwäh- nung: Polling, Benedictbeuern, Weltenburg, Beyerberg, Raitenhas- lach, Diefsen, Gars, Rohr, Steingaden, Ettal, Metten, Varnbach, Aldersbach, Rott, Niederalteich u. s. w., wovon die meisten nebst modernen Münzen auch einige antike lieferten. * * * Diefs sind nun die reichhaltigen Quellen, aus denen sich nach und nach ein Zusammenfluls von vielen und seltenen numismatischen Kostbarkeiten gebildet hat, bey denen jeder Kenner und Liebhaber gerne verweilt. Es läfst sich hoffen, dafs das königliche Münzkabi- net in Zukunft auch noch von einer andern Seite her manchen Zu- wachs erhalten werde, auf den man in vorigen Zeiten nicht wohl rechnen konnte. Es geschah nämlich häufig, dafs Münzen irgendwo ausgegraben, aber verheimlichet wurden, aus Furcht, das Gefundene ohne Ersatz ausliefern zu müssen; die Folge war, dafs man die Münzen oder selbst einschmelzte, oder in Geheim um den halben Werth verkaufte. Dafs hiedurch manches kostbare Alterthum, und zwar nicht blos in Deutschland, sondern überall und besonders in Frankreich verloren gieng, unterliegt wohl keinem Zweifel. Um ähnlichen Fällen in unserm Vaterlande für die Zukunft vorzubauen, gaben Sr. königl. Majestät schon unterm 28. März 1808 den königl. General-Kreis-Commissariaten und durch diese sämmtlichen Landge- richten auf, „derley aufgefundene Seltenheiten und Alterthümer, „römischen oder deutschen Ursprungs, welche für die Erläuterung „der Geschichte, oder andere wissenschaftliche Zwecke vom Wer- „the seyn möchten, mittelst Berichts anzuzeigen, indem der aufgefun- „dene Werth nicht allein vergütet, sondern der Finder selbst noch „über- 23 „überdiefs belohnt werden sollte.“ Dieser allergnädigste Befehl hatte bereits die angenehme Folge, dafs von mehrern Landgerichten, als z. B. Vichtenstein, Wunsiedl, Heidenheim, Weilheim, Wasser- trüdingen solche aufgefundene Münzen an die königl. Akademie der Wissenschaften eingesendet wurden, die dann nicht säumte, das ge- gebene Fürstenwort zu erfüllen, und die redlichen Finder zu be- lohnen. Wenn schon das Resultat bis jetzt noch unbedeutend war — die zu Eyburg im Landgericht Wassertrüdingen gefundenen Münzen ausgenommen °?), so lälst sich doch für die Zukunft hoffen, dafs solche Finder um ihres eigenen Vortheils willen diese allerhöchsten Befehle befolgen, und so zur Vermehrung unserer Sammlung das Ihrige beytragen werden. Auch manche Privaten haben dem Con- servator hie und da einige seltene Stücke blos um ihren innern Werth 33) Eyburg, einst der Familie vonEyb angehörig, eine Viertelstunde von dem Pfarr- dorf Cellenfeld im Landgericht Wassertrüdingen gelegen, war eine alte mit kostspieligen unterirdischen Gängen und Gewölben, und von aufsen mit tiefen und breiten Gräben verschene Burg, Als der jetzige Eigenthümer, Franz Emmendorfer, den Thurm abbrechen woilte, fand er oberhalb eines Fen- sters in einer in Quadersteinen gebauenen Grube über vierhundert theils gol- dene (Goldgulden), theils silberne Münzen, in der Gröfse eines Fünfzehuers. Der gröfste Theil hiervon wurde an die königl, Akademie der Wiss. geschickt; man machte ein genaues Verzeichnifs derselben, und es fand sich, dafs der äl- teste Goldgulden vom König Sigismund in Poblen, welcher vom Jahre 1387 bis ı43ı regierte, die jüngste Silbermünze aber von der damals noch selbst- ständigen Landgrafschaft Leuchtenberg und der Reichsstadt Nördlingen vom J. 1535 waren, Da sämmtliche Münzen höchst wahrscheinlich zu gleicher Zeit eingemauert worden, so konnte diefs vor letztgenanntem Jahre nicht geschehen seyn, aber auch nicht viel später, weil keine Münze von einem spätern Datum darunter war, und weil auf einem in den Thurm der Burg eingemauerten Stein noch jetzt zu lesen ist, dafs das Schlofs im J. 1548 erbaut worden, Da gerade um diese Zeit die grofsen Religions-Unruhen in Deutschland herrschten , so ist es sehr wahrscheinlich, dafs der Erbauer für sich und seine Familie einen Nothpfenning in Sicherheit bringen wollte, den die Feinde wohl eher in den unterirdischen Gewölben als in einem Fensterstock gesucht haben würden, Die für das königl. Münzkabinet ausgewählten Stücke betrugen über 200 fl, an Werth, 4 26 — Werth überlassen, oder für die königl. Sammlung Geschenke damit gemacht 3°). Möchte er nach einigen Jahren wieder so glücklich seyn, Materialien genüg zu haben, um die Geschichte des ihm an- vertrauten Attributs auf eine ähnliche Art fortsetzen, und denFreun- den der älten und neuen Numismatik recht viel Erfreuliches sagen zu Können! 33) So machte z, B. der königl. baier. Rath und Notar Jacob dem königlichen Kabinet mit folgenden drey Münzen ein sehr angenehmes Geschenk: ı) einem silbernen Medaillon mit den 2 Brustbildern des Herzogs Albert V. ausBaiern, und seiner Gemahlinn Anna auf der einen, und mit jenen seiner drey Söhne, Herz. Wilhelm, Ferdinand, und Ernest auf der andern Seite; 2) einem Schaustück in Bronze von Herzog Wilhelm V, und seiner Gemahlin Renata auf die Erbauung der Jesuitenkirchezu München; 3) einer silbernen ovalen Medaille von Karl Ludwig, Kurfürst in der Pfalz, mit dessen Motto: Dominus Pro- videbit vomJ. ı638; einStück, das selbst Hr. Ext er nicht kannte, — Hr. Schul- rath Hlemeus Baader in Salzburg vermehrte unsere Sammlung mit einer römischen Goldmünze u. s. w. Er- 27 TE a ET TE Bien: ae einiger noch unedirten griechischen Münzen als Anhang zur Geschichte des königlich baierischen Münzkabinets, vom Jahre ı808 bis ı81ı3. Vorerinnerung. | Wenn die Geschichte einer Münzsammlung für die Wissenschaft | selbst einigen Werth haben soll, so mufs sie vor allem auf das Seltene und noch Unbekannte derselben Rücksicht nehmen; denn es kömmt hier nicht darauf an, wer gesammelt hat, sondern was gesammelt worden ist. Ich habe mir daher bey Fortsetzung der Geschichte des königl. Münzkabinets das Ziel gesteckt, von den Seltenheiten unserer Sammlung nach und nach eine vollständige Nachricht zu liefern, und mich, um das schon Bekannte *) nicht zu wiederholen, dabey an fol- gende Regeln gebunden: a) Mün- *) Sestini, jetzt Aufseher der Münzsammlung in Florenz, hat nämlich aus der Cousineryschen Sammlung schon viel Merkwürdiges bekannt gemacht; aber 42 er 28 nn a) Münzen, deren Typen schon bekannt sind, aber von diesem oder jenem Kaiser noch in keinem Katalog vorkommen, werden als selten blos angeführt; so z. B. erscheint Amor auf eine umgekehrte Fackel sich stützend, — ein schönes Bild des Todes bey den Alten, — auf mehrern griechischen Kaisermünzen, aber von der Stadt Pautalia in Thrazien auf den Kaiser Septimius Severus war eine solche bisher nicht bekannt; sie wird also an dem gehörigen Orte nur angeführt. « b) Münzen, welche Sestini als selten blos beschrieben, wer- den gegenwärtig auch in Abbildung geliefert, weil keine auch noch so genaue Beschreibung den Kupferstich ersetzen kann; und eben dels- wegen werden endlich c) alle jene Münzen, von denen bey Pellerin, Eckhel,. Neumann oder sonst in einem frühern numismatischen Werke, oder unter den Mionnetischen Pasten keine Abbildung sich befindet, welche folglich als sehr selten zu betrachten kommen, getreu und genau in Kupfer gestochen, damit sie jeder Aufseher mit seinem Exemplar so- gleich vergleichen könne. k Auf diese Art, glaube ich, werden die Gränzen der Wissen- schaft selbst erweitert, und die Sammlungen gemeinnützig gemacht. Da die Cousinerysche Sammlung den grölsten Theil der Unsrigen ausmacht, und erst mit dem Chersonesus taurica anfängt, so wird sich die gegenwärtige Nachricht vorzüglich nach obiger Sammlung richten, und dasjenige hie und da einschalten, was aus den neu hinzugekomme- nen Vermehrungen eine ehrenvolle Erwähnung verdient. er lieferte von einigen Stücken blos eine Beschreibung, und bedauerte nach- her selbst, dafs er nicht mehr hievon in Kupfer stechen liefs, auch hat sich seit der Erscheinung seiner Schriften diese Sammlung um das Doppelte ver- mehrt. S. Lettere e Dissertazioni numismatiche etc. item Descriptio numo- rum veterum ex Museis Ainslie — — Cousinery etc, MOE- MOESIA INFERIOR, -, CGI@ EL @8.1.a; Callatia, jetzt Kalati, lag'’am Pontus Euxinus. Die autono- men Münzen dieser Stadt sowohl in Silber als Erz gehören unter die seltineren. Wir besitzen nur eine in Silber, welche bey Pellerin Tom. I. p. 202. Tab. XXXVI. nro. 4. und bey Mionnet T. I. p.353. nro. 1. vorkömmt. Mit dem nämlichen Typus findet sich auch eine in Erz in unserer Sammlung. Das sub numero ı. abgebildete Exemplar ist zwar nicht so schön, wie jenes niedliche Münzchen, welches uns Director Neumann in seinen Numis populorum etc. T.I. p. 105. Tab. III. n. ıı. abbilden liels; aber es dient zur Bestätigung dessen, was dieser Numismatiker schon im Jahre 1779 mit so grolsem Scharf- sinne darüber schrieb. Auch Eckhel hatte in seinen Numis anecdo- tis pag. 52. eine ähnliche aus dem Kabinet des Grafen von Victsai angeführt, aber keine Abbildung davon geliefert; die Unsrige hat fol- gende: a) Protome galeata ante quod E N. ı ER r) KAAAATIA. Tres spicae colligatae, infra quas clypeus maeedonicus, a dextris clava erecta. Auch folgende 2 Münzen sind unsers Wissens noch nirgends beschriehen, folglich verdienen sie nach unserm oben ausgesproche- nen Grundsatz hier ihren Platz, a) Cap: galeatum ad d.am r) F44A4T1A. Hercules nudus stans, dextrorsum respi- N. 2. ciens d. clavam, s. columellae innititur, in arca aliquid incertum, a) Cap: bovis cum collo sinistrorsum. r) F.44. (sic:) intra coronam spieis contextam. Alle 30 —— Alle diese drey Typen passen ganz wohl zu den übrigen schon bekannten, und dienen zu ihrer Erläuterung oder Bestätigung. Da die Stadt an Mazedonien gränzte, so darf man sich über den mazedo- nischen Schild nicht wundern, indem ihn noch viel weiter entfernte Städte, z. B. Paestum in Lukanien, Philadelphia in Lydien, angenom- men hatten, Hercules wird auf einer Münze bey Pellerin loc. cit. als ihr Stifter angegeben, welches aber Strabo und andere dahin be- zichtigen, dafs Kallatien eine Kolonie der Herakleoten aus dem Pontus gewesen sey; daher dessen Attributen auf ihren Münzen: Die Korn- ähren endlich zeugen von der Fruchtbarkeit ihres Bodens, der auch Wein hervorbrachie, wie uns eine Kaisermünze des Septimius Se- verus bey Neumann belehret. * * Marcianopolis. Marcianopolis wurde vom Kaiser Trajan zu Ehren seiner Schwester erbauet, und heifst noch heut zu Tage Marcianenstadt. Sie lag etwas weiter entfernt an der Gränze von Thrazien gegen den Pon- tus. Die Reihe ihrer bis jetzt bekannten Kaisermünzen fängt sich erst mit Septim. Severusan, und endet sich mit den Philippen; sie ge- hören der Regel nach unter die gemeinen *). Dagegen werden ihre Autonommünzen unter die sehr seltenen gezählt. Haym in seinem Thesaurus Britannicus Tom. II. p. 270 machte die erste bekannt, ohne es selbst zu wissen; denn sein Exemplar hatte auf der Hauptseite über den weiblichen Kopf blos die Aufschrift: MAPAI4 — er hielt also dieses Bild für jenes der Marciana selbst, folglich die Münze für eine Kaisermünze. Nun aber liefs Pellerin Tom.]. p. 202. Tab. XXXVI. nro. 8 eine in Kupfer stechen, welche auf der Vorderseite deutlich die Umschrift hat: MAPRIANONOAIC, folglich klar beweiset, dafs der weib- *) Neumann T,I. p. 109 machte a sehr seltene bekannt, auch in unserm ersten Versuche der Geschichte des k, b. Münzkabinets stehen $. 418 zwey, die nicht gemein sind, TERDESNIDER, 31 weibliche Kopf mit der Thurmkrone die Stadt selbst, und nicht die Schwester des Kaisers bezeichne; auf der Rückseite dieser Münze ist: Cybele sedens d. pateram. MAPKIANONMOAITRN *). Unser Exem- plar hat einen andern Typus, weswegen wir ihn sub Nro. 4 in Kupfer stechen lielsen. a) Cap. mul. velatum turritum ad d.am MAPKIANOHOAIC. r) Hercules leonem suffocans, retro clava. MAPKIANONOAITRN. Man sieht, dafs dieser Typus mit obigem der Cybele ganz wohl übereinstimmt, so wie er auch auf mehrern Münzen von Mösien er- scheint. % * Nicopolis Nicopolis, heut zu Tage Nighebolj, liegt am Zusammen- flusse des Ister und Jater, und wurde ebenfalls vom Kaiser Trajan zum Andenken eines in dieser Gegend über die Dacier von ihm erfochtenen Sieges erbauet, daher ihr Name: Siegesstadt. Die erste Kaisermünze **) soll nach Vaillant und Morellius von dem Erbauer der Stadt seyn; aber Eckhel und Mionnet verwei- sen sie nach Nicopolis im Epirus. Inzwischen führt Vaillant in seinen Numis graecis p. 35 eine vom Kaiser Hadrian an, welche unstreitig diesem Nicopolis gehört, da sie die Lage der Stadt am Ister durch IP.ICT. (IIPOC ICTPON) deutlich ausspricht; auf ihrer Rückseite ist eine stehende Weibsperson mit der Hasta in der Rechten. Unser *) Fröhlich in seinen Animadversionibus in quosdam numos veteres urbium edit, flor, pag. 49 bemerkte diesen Fehler, da er aus dem Gravellischen Museo ein ähnliches und vollkommen gut erhaltenes Exemplar bekannt machte. **) Nur eine Autonom-Münze ist von ihr bekannt, welche Motraye in seiner Voyage Tom, I. Tab, ı4 beschreibt, 32 wu T Unser Exemplar, welches Cousinery ebenfalls dieser Stadt zu- schreibt, ist sub Nro. 5 ganz getreu abgebildet, und hat folgende Typen und Umschriften: a) Protome laureata ad d.em AVT.KAICAP. ASPIA. r) Apollo nudus et respiciens sedet in cippo d. sublata et capiti admota, s. Lyrae columellae impositae innititur. NE IKOITOAIC IIPÖC ICT. So beschreibt sie der vorige Besitzer. Wir aber müssen of- fenherzig gestehen, dafs die durch Punkte bezeichneten Buchstaben uns nicht so klar und deutlich erscheinen, um die Münze mit Zu- verlässigkeit diesem Nicopolis zuschreiben zu können; indessen ist der Name der Stadt unzweifelhaft, ihr Typus bis jetzt unbekannt, ihre Fabrik aber mit den übrigen Kaisermünzen dieser Stadt ganz übereinstimmend; vielleicht wird einst in Hinsicht der Umschrift ein besser erhaltenes Exemplar die Sache entscheiden, und den Grad der Seltenheit dieser Münze auf ein neues bestätigen, Ich füge hier noch eine andere Kaisermünze dieser Stadt bey, welche Fröhlich in 4. tent. p. 240 in Kupfer stechen liefs, und deren Beschreibung in dem Catalogus Musei Caesar. Vindob. P. I. P- 57. n. ı2 ganz auf die Unsrige zu passen scheint. Vergleicht man sie aber mit einander, so wird man gleich bey dem ersten An- blick finden, dafs sie wesentlich von einander unterschieden sind, und dafs die Unsrige einen neuen Typus habe. Sie ist Nro. 6 ab- gebildet, sehr gut erhalten, und hat auf ihrer Hauptseite Caput barb. laur. add. ATT ACEHT CETHPOC IT r) TII ATP TAAA0T NIKONOAEITRN IIPOC ICTPON (sub Aurelio Gallo Nicopolitarum ad Istrum.) Apollo nudus sed laureatus, dextro pedi insistens, si- nistro retracto, dextera lateri admota, sinistra truncae arbori innixa. Auf dem Wiener Exemplar kömmt keine Magistratsperson vor; Fröhlich hielt die stehende Figur für einen Pan, und bedauert nur, 33 nur, die siebentönige Querpfeife darauf zu vermissen, um seiner Sache gewils zu seyn. Wahrscheinlich war sein Exemplar nicht gut erhalten; auf dem Unsrigen erscheint das mit Lorbern gezierte Haupt des Apollo sehr deutlich, und dient zur Bestätigung der obi- gen Münze, worauf dieser Gott ebenfalls erscheint, dessen Verch- rung in Mösien nicht fremd war, wie diefs unter andern eine Kai- münze von Marzianopel beweiset, worauf eine ähnliche Vorstellung zu schen ist, $. Cimelium Vindobonense CXIX. Tab. XAT. n. ı3. Tomi am Pontus Euxinus, noch jetzt aus Ovid bekannt, der hier seine Rlaglieder schrieb. Ihre Kaisermünzen gehören zwar un- ter die gemeinen; diels hindert aber nicht, dafs nicht auch unter ihnen noch einige Typen vorkommen sollten, die bisher nicht be- kannt waren. Die hier sub Nro. 7 abgebildete Münze wurde von Sestini, s. Descriptio N. P. p.4?2, aus dem Cousineryschen Kabinet beschrieben, ohne hievon eine Abbildung zu liefern, wel- ches jedoch der ungewöhnliche Typus allerdings verdiente. Die Hauptseite ist: AT.K.M.ATP.ANTSNEINOC.CE. Protome lau- reata ad d. Auf der Rückseite steht: MHTPOII. IONTOT.TOMERC. Vir nudus d. facem gestans stat in curru ab uno bove tracto, ante quem mulier (Diana?) stans. Sestini schreibt diese Münze an dem oben angezogenen Orte dem Kaiser Elagabalus zu So schwer es sonst ist, besonders die griechischen Münzen der beyden Kaiser Caracalla und Elagabalus von einander zu un- terscheiden, da sich beyde desselben Namens bedienten, und die griechischen Städte den ihrigen keine chronologischen Kennzeichen beysetzten: so glaube ich doch, dafs diese Münze eher dem Cara- calla, als dessen vermeintlichem Sohne, Elagabalus, angehöre, indem die Gesichtszüge auf ein schon vorgerücktes Alter zielen, 5 Ela- 34 Elagabalus aber schon in seinem achtzehnten Jahre ermordet wor- den ist: Es giebt mehrere Münzen des Caracalla, worauf Luna mit einem Zweygespann von Ochsen erscheint *); aber sie weichen von der gegenwärtigen ab, und ich fand nirgends Eine aus diesem Zeitraume, welche mit der hier abgebildeten einige Aehnlichkeit hätte. Vaillant in seinen Numis graecis p. ı20 führt eine von eben dieser Stadt Tomi mit folgender Beschreibung aus Patin an: Mulier sedens supra curriculum a bove tractum; sie ist vom Septimius Geta. Da ich die Münze im Patin nicht fand, kann ich auch nicht sagen, ob ihr Typus mit dem Unsrigen übereinstimmt, aber unwahrscheinlich ist es nicht, dafs die nämliche Stadt für zwey Brüder auch die nämliche Vorstellung auf ihren Münzen gewählt habe. Wenn die vor dem Gespann stehende Weibsperson eine Diana seyn sollte, wie der vorige Besitzer dieser Münze zu sehen glaubte, so mag das Bild auf die Luna Bezug haben, zu deren be- sondern Verehrung sowohl Vater als Sohn (Severus und Cara- balla) sich öfters auf ihren Münzen bekannten. S. Doctrina Num. vet. T. VII. p. 182. 212. zı4. 2% * THRACIA. denus. Aenus war eine der ältesten Städte in Thrazien, deren Er- bauung in die Zeiten Aeneas, und ron Einigen noch weiter zurück- ge- *®) S Gefsner Tab, CXLI. Nro, ır, in Silber, dam Ecklrel Doctr: N, I. p, 312. nro, 7. und dessen Catalogus Musei Caesarei p. 3800, n, 244 und 353 in Erz; wr aber besitzen ein sehr schön erhaltenes Exemplar in Gold mit folgender Umschrift; ANTONINVS PIVS AVG, GERM. Cap. laur, barb. ad dexteram — PMTRPXX COSINI PP, Luna sinuato per caput velo in citis boum 'bigie ad sin. setzt wird *). Sie lag an dem einen Ausflufs des Hebrus in das Meer, und trieb grofsen Handel; ihre Münzen von Erz sind .noch seltener als jene von Silber **); die gegenwärtige, welche sub nro. 8 abgebildet ist, und zum erstenmal bekannt gemacht wird, hat fol- genden Typus. 4A. Protome Mercurii versus d. retro caduceus; R. Aesculapius sedens v. sin. in dextra duo serpentes; AINIRN., dals das auf den Münzen der Stadt Aenus vorkommende Bild nicht das des Aeneas, ihres vermeintlichen Erbauers, sondern jenes des Mercurius sey, hat schon früher Pellerin bewiesen, und wird durch unser Exemplar, worauf der Schlangenstab unverkenntlich ist, neuerdings bestätiget; Aesculap aber auf der Rückseite, kam bis jetzt auf keiner Münze von Aenus vor, jene ausgenommen, welche von Choiseul Gouffier in seiner Foyage pilloresgue de la Grece T. II. Pl. ı6. n. 33 zum erstenmal bekannt gemacht worden ist, und mit der Unsrigen ohngeachtet ihrer Verschiedenheit in beyden Stücken übereinstimmt, ‚AP 0o.il.d-0,n.iig. Apollonia. Es bleibt für den Numismatiker immer cine schwere Aufgabe, jene Münzen, worauf ein mehrern Städten gemein- schaftlicher Name vorkömmt, mit Zuverlässigkeit ihrem wahren Va- terlande zuweisen zu können. z. B. die sub Nro. 9 abgebildete Münze gehört einer Stadt, Namens Apollonia; da es aber deren in der numismatischen Geographie sieben giebt, nämlich in Thrazien, Illyrien, Aetolien, Mysien, Jonien, Carien und Lyzien, so entsteht ganz natürlich die Frage, welcher aus diesen Städten unsere Münze wohl angehören möge? Sestini in seiner Descript. num. vet. pag. 370 legte sie nach Carien, Cousinery aber in seinem Katalog nach Thrazien, ohne jedoch einige Gründe dafür anzugeben. Ich he: will *) S, Doctrina numorum etc, T. II. p- 23. **) Wir besitzen 2 in Silber und 6 in Erz, worunter aber keine Kaisermünze ist, 36 will die Münze zuvor selbst beschreiben, und dann meine Meinung sagen. Hauptseite. AT4MAZ. Caput Mercurii alatum versus d. Rückseite. AIMOAARNIATEN. Caduceus alatus super cippum. Der nämliche Typus, nämlich Merkur mit seinem Schlangen- stabe kömmt auch auf den Autonom-Münzen der thrazischen Städte Aenus und Byzanz, so wie-auf Kaisermünzen von Deultum, Pautalia und Philippopolis vor; solite ihn dieses Apollonia nicht auch angenom- men, oder von ihren Nachbarinnen entlehnt haben? Aenus lag am Ausflusse des Hebrus, Byzanz am Bosphorus; beyde trieben vielen Handel, der unter Merkurs besonderm Schutze stand; auch unser Apollonia lag an der See, und eignete sich also ganz für den näm- lichen Typus. ATAMAZ scheint der Name eines Magistrats zu seyn, wie er auf mehrern thrazischen Münzen vorkömmt. Sestini führt sie zwar bey Apollonia in Carien an, gesteht aber selbst, dafs er hiezu keinen hinlänglichen Grund habe, ja er glaubt vielmehr, dafs einige der am angezogenen Orte von ihm beschriebenen 13 Münzen nach Apollonia in Mysien oder in Jonien gehören können. Von der ersten Stadt kenut die Docirina numorum etc. T. II. p. 449 keine Autonom-Münzen; Mionnet führt zwar T. II. p. 518 eine als einzig an, sie hat aber den Beysatz PTN., nämlich den Namen des Flusses Rihyndaeus, an dem sie gelegen war, unterschei- det sich also dadurch von allen übrigen; vergleicht man weiter un- ser Exemplar mit jenen, welche wir von Apollonia in Carien und Jonien besitzen, so wird man bey dem ersten Anblicke finden, dafs diese dreyerley Münzen nicht aus einerley Fabrik seyen, dagegen aber wird man sich leicht überzeugen, dafs die vielen ehernen Au- tonom-Münzen thrazischer Städte in Hinsicht der Fabrik mit der . Gegenwärtigen grolse Aehnlichkeit haben. Ueberhaupt erscheint auf _ keiner Münze mit dem Namen Apollonia dieser Typus; sie verdiente also 37 also schon in dieser Hinsicht den Freunden der Numismatik in ih- rer wahren Gestalt vorgelegt zu werden *). — Auch die Kaisermünzen dieser Stadt gehören unter die sehr seltenen, und Eckhel Vol. I. p. 25 kannte deren nur vier, welche sich im Pariser Kabinet aus der Pellerinschen Sammlung befin- den; sie sind von der Kaiserion Domna, dem K. Sept. Severus, Caracalla, und Gordianus, zu welchen Sestini noch eine vom Caesar Diadumenianus fügt. Die Unsrige $. Nro. 10 ist vom Gallienus und noch nirgends beschrieben. Hauptseite. ATT.KR IT AIK TAAAIHNOC (Imperator Cajus Lieinius Gallienus) Cap. laur. ad d.um Rückseite. AMÖOAAONIATRN OPAKON. (sic) Fluvius decum- bens. sSinistra cornucopiae **). Der Beysatz OPAKL2N weiset ihr nicht nur ihren Ge- burtsort in Thrazien mit Bestimmtheit an, sondern unterscheidet sie auch von allen bis jetzt bekannten Kaisermünzen dieser Stadt, indem sie sich auf diesen ENIIONTR, oder HONT oder mit IZ al- lein schrieb. * * Dicaeopolis, Dicaea, (Yakbeli, Bouron). Dicaeopolis, Dicaca, Eine Stadt dieses Namens war bis auf Sestini unter den Münzstädten gar nieht bekannt; erst } die- ®) Vergl. hierüber Sestini Descriptio num, vet, S. 370. **) Ein ähnlicher Revers findet sich auf einer Kaisermünze des Gordianus in klein Bronze, auf welcher der Flufsgott seine Linke auf eine umgestürzte Urne stützt, mit der Umschrift: 4ITOAARNIATRN. Sollte diese unsere Münze nicht auch hieher gehören, und also die Zahl der überaus seltenen Kaisermünzen die- ser Stadt noch um eine verw hren? 38 dieser liefs in seinen Lettere numismatiche etc. Tom. F. p. XIX, eine Münze von Erz aus der Cousineryschen Sammlung in Kupfer stechen, deren Hauptseite einen mit Achren gekrönten Kopf der Geres, und auf der Rückseite einen gegen die rechte Seite stehen- den Ochsen hat, mit der Umschrift: JIRAIOMOA. So nämlich nennen Harpocration und Suidas eine unweit von Abdera in Thrazien gelegene Stadt, welche bey Herodot und Stephanus, unter dem Namen Dicaeae, bey Plinius aber als Dicaea vorkömmt. Die Münze liegt vor meinen Augen, ist sehr gut erhalten, und war bis jetzt als die einzige dieser Stadt bekannt. Inzwischen besitzen wir von ihr eine in Silber aus der nämlichen Sammlung, welche sub Numero ıı zum erstenmal in Kupfer gestochen erscheinet *). Sie hat auf der Hauptseite: Caput Apollinis diademate einetum ad sinistram, und auf der Rückseite: Caput bovis cum collo versus dexteram intra quadrum; unten amHalse steht: IIXK., welches mit allem Grunde für die erste Sylbe des Wortes JIKAIA, oder AJIKAIONOAIZ genommen werden kann, da sowohl das Metall als die Fabrik der Münze selbst sie den schönen Silbermünzen der thrazischen Städte Abdera, Maronea und Thasus vollkommen gleich stellen. Höchst wahrscheinlich ist jene Münze in der Pariser Sammlung, welche Pellerin T. I. p- 45. Pl. XCIV. nro, ı, in Kupfer stechen liefs, und der Insel Icarıa oder Icarus zuschrieb, die nämliche, da ihr Typus auf der Haupt- und Rückseite mit dem unsrigen vollkommen übereinstimmt; Pellerin glaubte zwar, IKAP lesen zu können, und wies ihr defswegen diese Insel als ihr Vater- land an; aber Abt Le Blond, Aufseher des Pariser Habinets, ver- sicherte einst Herrn Neumann in Wien: ihm scheine die Auf- schrift IRAIY zu heilsen **), wodurch also der Geburtsort dieser Münze ®) In Choiseul Gouffiers'voyage pittoresque T.UI. Pl, 16, n. 14 kömmt sie ebenfalls vor und zwar aus der Cousineryschen Sammlung, aber sie ist dort nicht getreu abgebildet. **) S, Doctr. num. vet, Vol. II. p, 567. Setzt man den letzten Buchstaben, das vermeinte F, eigentlich _/, an die Spitze des Namen, so hat man IJIRAT. 39 Münze ganz wegfällt. Ich glaube, es sey hier ein schicklicher Ort, die Freunde der alten Numismatik auf das aufmerksam zu machen, was der Recensent der Monumens antiques inedits et nouvellement expliques par M. Millin Tom. I. 1803 in der neuen Bibliothek der schönen Wissenschaften und freyen Künste 67. Band, I. St. S. 110— 118 über die Pellerinischen Münz-Kupferstiche sagte, näm- lich, „dafs ein grolser Theil der Münzen, welche in Pellerins „schönem Werke abgebildet worden, nicht genau dargestellt sey, weil „es dem Kupferstecher mehr um das, was seiner Kunst angemessen, „als um Wahrheit zu thun war, oft auch, weil er genöthiget wurde, „das auf den Münzen zu sehen, was der Verfasser woll- „te, dals er darauf sähe. Eine häufige Zusammenhaltung der Ori- „ginale mit den Kupfern hat uns von dieser Wahrheit überzeugt.“ Dieser harte Ausspruch wird durch obiges Zeugnils des Abtes Le Blond bestätiget, und mufs jeden Münzforscher, welcher bisher der Meinung Pellerius unbedingt Glauben beymals, für die Zu- kunft behutsamer machen. Bey diesen Umständen also, und da die Gröfse, das Metall, und der ganze Typus der Pariser-Münze der Unsrigen vollkommen gleich ist, ist es höchst wahrscheinlich, dafs auch das Pellerini- sche Exemplar der thrazischen Stadt Dicaea gehöre. Uebrigens muls ich noch bemerken, dafs sich von der nämlichen Münze noch ein Exemplar, aber in Gold, schon seit mehr als hundert Jahren in unserer Sammlung befinde; der Kopf auf der Hauptseite trägt zwar offenbare Spuren des Gusses, die Rückseite und die Aufschrift aber sind sehr scharf bezeichnet. Beynahe alle Kenner halten sie für falsch, können aber nicht erklären, woher der Verfälscher ein Ori- ginal möchte erhalten haben, um es davon abgielsen zu können, da sich hierort keines findet, und das Pellerinische erst seit 50 Jahren bekannt, und, wenn dessen Abbildung getreu ist, oflenbar von einem andern Stempel ist. Auch bleibt es immer räthselhaft, warum der Betrüger nicht mehrere Exemplare davon bekannt mach- te, 40 te, um aus seiner Kunst den gröfstmöglichsten Vortheil zu ziehen. Ueberhaupt liegt auf der Geschichte der Münzbetrügerey in ältern und neuern Zeiten noch ein grolses Dunkel, das vielleicht nur ein Director Neumann aufzuhellen im Stande ist. Möchte er sich dazu entschlielsen, alle Freunde der alten Numismatik würden ibn dafür seguen *). Mesembria Mesembria lag am Pontus Euxinus an den Gränzen von Mösien, wohin sie auch von einigen Geographen versetzt wurde. Die Autonom-Münzen dieser Stadt werden, wenn sie von Silber sind, mit R.® oder als beynahe einzig bezeichnet; wir besitzen aus der Cousineryschen Sammlung ein demjenigen ähnliches Exemplar, welches Eckhel in seinen NWum. vet. ined. p. 58. Tab. V. Nro. 3 in Kupfer stechen liefs *). Die hier Nro. 12 vorkommende Münze aber ist unsers Wissens noch nirgends beschrieben worden, und ver- dient daher bekannt gemacht zu werden. Die Hauptseite hat ein Cap. galeatum ad d. ohne Umschrift; auf der Rückseite liefst man: METAU in einer runden, unten aber wie ein Bogen eingedrückten Einfassung. Da die Mesembrier nach ihrer Abkunft Dorier waren, und diese das 2 gerne in T, so wie das H in 4 verwandelten, so ist *) S,Choiseul Gouffier voyage pittoresque de la Grece Tom, II. Pl, ı6. n. 14, und vergl, Anmerk. bey Myrina, **) M. Millingen hat uns in seinem überaus kostbaren Recueil de quelques me- dailles grecques inedites, Rome, MDCCCXII eine neue numismatische Stadt in Thrazien entdeckt, nämlich Tempyra, auf deren Rückseite sich eine ähnliche Vorstellung wie auf unserer Münze befindet; und das Tav eben dieselbe aus- gezeichnete Form hat. Millingen setzt die Lage dieser Stadt zwischen Aenus und Mesembria, wohin sie auch sowohl der Typus als die Fabrike der Münze selbst eignen, 4 ist der Name der Stadt bald MEZAMBPIAN2N, bald METAM. BPIAN2N, geschrieben *), Brssa,.v'alı P 4:35,00 Passa vel Pasia. Unter diesem Namen kömmt im Herrn Cousinery’s Katalog eine Münze in Erz vor, welche N. ı3 abge- bildet ist, und von ihm auf folgende Art beschrieben wird. a) Caput mul. diadem; ex quo duae spicae in capillorum vicem appendent cum signo incuso caput Herculis rictw leonis tectum exhibente, r) HAZI. Intra coronam ex duabus spieis contextam. Eine thrazische Stadt dieses Namens findet sich in den Clas- sibus generalibus geographiae numisinaticae, welche Sestini dem Hrn. Cousinery doch selbst im Jahr 1797 zueignete, nicht aufge- führt; ein Zeichen, dafs er obige Aufschrift nicht darauf gefunden habe; auch wir finden sie nicht, und können nur die Sylbe £7, auf der Münze lesen. Dürfte die Einbildung unserm Auge zu Hülfe kommen, so möchte allenfalls noch ein E lesbar seyn, und es würde also EZI heilsen; auch scheint es, dafs der leere Raum für 3 Buchstaben bestimmt war, indem die Alten bey ihren Aufschriften genau das Verhältnifs des Raumes zu beobachten pflegten. Dieser Umstand, vorzüglich aber der Typus selbst, nämlich der Kopf der Ceres mit einem Aehrenhranz auf der Rückseite machen die Mey- nung #) Sestini, welcher eine ähnliche Münze im Hunter wegen der Umschrift META nach Metapontum verlegte, s. dessen Lettere T.I, p. 51, nahm diese Meynung in seiner Descer, num, vet, p. 61 wieder zurück, und bezeugte, dafs derley Münzen häufig in Thrazien gefunden werden, 6 42 nung nicht unwahrscheinlich, dafs diese Münze eher nach Eresus auf Lesbos, als nach Thrazien gehöre, sie würde also jene Silbermün- zen mit dem nämlichen Typus, aber blos mit dem Monogram ® (EP), welche bey Pellerin und im Wienerkabinet sich befinden, und eben dieser Stadt zugeschrieben werden, erläutern und bestätigen. — Aber auch zur Aufschrift AVZI würden obige zwey Buchstaben passen, und dann diese Münze unter jene der thrazischen Stadt Lysimachia einreihen, da auch diese einen Aehrenkranz auf der Rückseite, und einen mit Aehren gezierten, verschleyerten weibli- chen Kopf auf der Vorderseite führen *). . Bedenkt man ferner, dafs auf einigen dieser Münzen ein Kopf des Herkules mit der Lö- wenhaut erscheint, — 8. Pellerin T.I. Pl. XXXIV. n. 26 — wel» cher auf unserm Exemplar als Signum incusum vorkömmt: so ge- winnt die Meynung, dafs die befragliche Münze nach Lysimachia gehöre an Wahrscheinlichkeit, _ Besser erhaltene Exemplare werden einst entscheiden. — Dirhuı. Uisp pro pyoRl uns: Philippopolis liegt am Hebrus, und hatte ihren Namen vom Könige Philippus, des Amyntas Sohn. Ihre Kaisermünzen ge- hen von Domitian bis zur Salonina, und sind der Regel nach ge- mein; inzwischen ist die sub Nro. ı4 abgebildete Münze des K. Antonin noch nirgends beschrieben, und liefert zugleich ein schö- nes Gegenstück zu obiger Kaisermünze von Nicopolis sub Nro. 6. Ihre Umschrift auf der Hauptseite ist folgende: ATT AI AJPIA ANTRNEINOC (Imperator Aelius Hadrianus Antoninus) Cap. laur. ad dem — HTE TAPTIAT ANTIRKOT PIATHHONOAEITEN, (Praeside Garg ilio Antico Philippopolitarum.) Apollo nudus stans d. *) S, Hunter Tab, 34, n, IV. 43 d. telum, s. trunco arboris innixa. Der hier genannte Praeses Gar- gilius erscheint auch auf Münzen von Pautalia, und erst unter dem K. Severus fiengen die römischeu Obrigkeiten an, sich Praesides zu nennen, da sie früher Legaten hielsen *). * Most Du s. Topirus lag am ägäischen Meere; ihre Kaisermünzen fan- gen mit Antoninus Pius an, und gehen nur bis Geta, wir be- sitzen die einzige hier beschriebene. AT KT AI AJPI ANTRNIN (Imp. Titus Aelius Adrianus Antoninus) Cap. barb. radiatum. — EI IOT KOMOYJOT TONHEIPITRN. Hercules nudus saxo insi- dens d. clavam humi ante positam tenet, et s. saxo innititur. Da sich von dieser Münze auch bey Mionnet keine Paste vorfindet, so liefs ich sie Nro. 15 in Kupfer stechen, um so mehr, als sie auch bey Gefsner nicht steht, und Vaillant auf seinem Exem- plar HTE IOT KOPJ0AOT gelesen hat, welches durch unsere Münze, so wie durch jene in dem k. k. Kabinet zu Wien offenbar widerlegt wird. Trajanopolis, quae et Augusta Trajana. Trajanopolis. Die Doctrina num. vet. Tom. II. p. 47 sagt bestimmt, dafs die Kaisermünzen dieser Stadt erst mit M. Au- relius anfangen, und mit Gordianus enden; ich aber finde schon &* bey ®*) Nebst diesem seltenen Exemplar besitzen wir auch jene Münze in Grosbronze des K, Caracalla, und zwar aus unserer vorigen Sammlung, die sich von denen bey Vaillant und Gesner ganz unterscheidet; und in Beger’s The- sauro Britannico P. II, p, 699 in Kupfer gestochen ist. 4 bey Vaillant num. graec. p. 37 eine vom Kaiser Hadrian ange- führt, deren Typus eine sitzende Frau mit einer Mauerkrone auf dem Haupte und einer Schale in der Rechten ist; auch in unserer Sammlung findet sich eine von eben diesem Kaiser, welche von der vorhergehenden abweicht, und deren Fabrik keinen Zweifel übrig läfst, dafs sie nicht dieser thrazischen Stadt angehören soll; ich lie- fere daher ihren Kupferstich Nro. 16. KAICAP AAPIANOC Cap. laur. ad d. TPATANOHNOAITRN. Pallas galeata stans d, hastam, S. Clypeo innixa. Nebst dieser besitzen wir noch folgende drey Münzen von dieser Stadt, welche weder bey Sestini noch bey Mionnet vor- kommen. x Faustina jun. ®4TCTEINA CEBACTH Hujus Cap. ad d. ATTOTCTHC TPAIANHC. Mulier tutulata stans v. sin. d. pateram, s. hastam. 2. Idem Caput, eadem Epigraphe. . ATTOTTHC (sic) TPALANHC. _ Diana venatrix vers. d. gradiens. | 5; > Septimius Geta. A CENTI TETAC K (Lucius Septimius Geta Caesar) Cap. nud. ad d. ATT TPAIANHC. Tripus, ex quo serpens ad- surgit. CHER- CHERSONESUS THRACIA, Alopeconesus. Alopeconesus lag auf obiger Halbinsel von zwey Armen des Flusses Melas umgeben , wodurch sie ‘selbst zu einer Art Insel wurde, auf welcher sich wahrscheinlich viele Füchse aufhielten, da- her ihr die Alten den Namen Fuchs-Insel gaben *). Bisher war nur eine einzige Autonom-Münze von ihr bekannt, deren Beschrei- bung und Abbildung sich bey Pellerin Suppl. I. p. ı3 befindet; wir besitzen eine zweyte, die von ihr ganz verschieden ist, daher wir sie Nro. 17 auch in Kupferstich liefern. — Cap. galeatum ad d. sine Epigraphe. — AARITEKON. Bolrus. Wenn die eine mit dem höchsten Grade der Seltenheit, nämlich mit vier Rvom Eckhel bezeichnet zu werden verdiente, so verdient es die Unsrige nicht weniger, da sie weder er, noch Mionnet kannte. * Coela. Coela. Die Münzen dieser römischen Munizipalstadt fangen mit Antoninus an, und gehen bis Volusianus; indessen besitzen wir eine aus der Cousineryschen Sammlung, die von L. Aelius, folglich sehr selten ist. Sein ihn adoptierender Vater Aelius Ha- drianus hatte die Stadt gebauet, und es scheint, man wollte des- sen Andenken gleich in seinem Sohne ehren. Da sie Sestini (Deser. num. vet. p. 79) schon beschrieben hat, und ihr Typus der gewöhnliche ist, — das Vordertheil eines Schiffes — so liefern wir hiervon keinen Kupferstich, wohl aber von der nachfolgenden, welche noch ungleich seltener ist, und bis jetzt unbekannt war. Nro. *) Stephanus von Byzanz erzählt: Das Orakel hätte den neuen Ansiedlern befolı- len, dort sich eine Stadt zu erbauen, wo sie junge Füchse antreffen würden. E7 46 Nro. 18. sSeverus Alexander et Mamaea. IMP CAE.M AV TEVER ASCXANAER AP. (sic) Protome rad. cum paludamento ad d.em IVL MAMACA AVG NICCI (sic) COEL AV. Mam- maeae Protome ad d.am Die grofsen Verdienste, welche Mamaea um die vortreflliche Erziehung ihres Sohnes, um seine Adoption vom K. Elagabalus, so wie um dessen glückliche, und noch jetzt hochgepriesene Regie- rung u. s. w. hatte, bewogen den Kaiser, sein und seiner Mut- ter Bildnifs, besonders auf die aufser Rom geschlagenen Münzen, setzen zu lassen. Lysimachia Lysimachia. Lysimachus, desKönigs Alexander Feld- herr, dann selbst König, bauete diese Stadt aus den Ruinen des von ihm zerstörten Cardia, und gab ihr seinen Namen; es giebt von ihr Au- tonom-Münzen, welche unter die seltnerengehören; wir besitzen deren zwey *), und ich liefere die eine sub. Nro. ıg in Kupferstich, da sie einen ganz neuen Typus enthält. > Cap. juvenile leonis exuuiis tectum, v. dextram. ATZIMAXERN. Mulier stolata stans ad d.em d. capiti admota, ante tripus cui imminet astrum, retro colu- mella. * ‚Sestus. *) Sestini beschrieb S.-Deser, num, vet. p. 80 et 8ı deren drey aus der Cou- sineryschen Sammlung, wovon wir aber nur die sub Nro, ı besitzen; die sub Nro. 4 eben daselbst beschriebene scheint gerade diejenige zu seyn, auf welcher ibr voriger Besitzer eine neue numismatische Stadt, nämlich Pasia ent- deckt zu haben glaubte, S, Seite 4ı. 47 SHel stifl 93. Sestus. AmHellespont, Abydus gegenüber (die heutigen Dar- danellen) beyde Städte durch Leander und Heros Liebschaften einst sehr bekannt. Die Autonom-Münzen dieser Stadt werden von der Doctrina num. mit RRR bezeichnet; nach ebenderselben fand sich damals kein Exemplar im Wiener Kabinet; wir besitzen deren drey, diealle von denen, welche Eckhel aus Pellerin, Pembrock und dem Iuseo Borgiano bekannt gemacht hat, abweichen, folglich allerdings verdienen, hier in Kupfer gestochen zu werden, um so mehr, als auch die erste, welcher mit jener des Pellerin einige Achnlich- keit hat, durch ihr Signum incusum merkwürdig ist. Nro. 20. 1) Caput diadematum vers. S.am cum signo incuso causiam ma- cedonicam exhibente. ZHZETIA. Mulier: sedens supra basin, cui innititur s. d. facem gestat, ante eam vas pergrande super colum- nam positum, superne avis, forsan noctua et II. Nro. 21. 2) Cap. muliebre, fors Veneris ad d.am ZH. Mercurius nudus cum petaso ad humeros pendente, d. caduceum, s. ad latus posita pallium sustinet, ante diota. Nro. 22. 3) Caput muliebre. ZHE. Herma, in area monogramma. Unsere Kaisermünze dieser Stadt steht in der mehrerwähnten Descript. num. vet. p. 8ı beschrieben. * * * INSULAE AD THRACIAM. Hephaestia auf der Insel Lemnos. Die Münzen dieser dem Vulkan — H®AIETOE — geweih- ten Stadt werden unter die sehr seltenen gezählt. Eckhel hat deren zwey aus Pellerin Tab. CH. p. 8o und der kaiserlichen Sammlung bekannt gemacht, welche Sestini Deser. n. v. p. 82 noch mit zwey andern vermehrte, wovon die eine aus der Cousi- neryschen Sammlung ist; da er hievon keinen Kupferstich lieferte, und wir noch zwey besitzen, die — unsers Wissens — bis jetzt unbekannt sind, so werden es die Freunde der alten Numismatik gern sehen, wenn sie alle drey hier in Kupfer gestochen erscheinen, um so mehr, da die Exemplare gut erhalten sind. ı) Caput Palladis. Nro. 23. H®A. Noctua stans, pone oleae ramus *). 2) Caput solis radiatum. Nro. 24. HPAIE. Baculus lemniscatus, cui appendet botrus **). 3) Caput Bacchi barbatum adversum hedera et corymbis or- natum. Nro. 25. H®4l. Lampas pergrandis, hinc astrum, inde vas. Dafs die brennende Fackel der 3ten Münze auf die Vulkana- lia Bezug habe, bedarf keiner Erinnerung; dafs aber diese Insel an Oel und Wein fruchtbar war, wie die Typen der beyden ersten Münzen bezeugen, darüber schweigen die alten Geographen, ob- schon sie dieses von der ihr gegenüberliegenden Insel Peparethus aufgezeichnet haben. * My- 2 *) S, die Anmerkung bey Myrina, #**) Diese ist es, welche Sestini am obigen Orte, aber, wie der Augenschein bewährt, nicht genau beschrieben hat, En i9 Myrina. Myrina. Dafs eine Stadt dieses Namens auf der Insel Lem- nos lag, ist durch das Zeugnils des Plinius, Ptolemäus und Stephanus ganz aulser Zweifel. Lemnus insula ad. Thraciam, sagt Letzterer, duas urbes habet, , Hephaestiam et Myrinam, inde dırolıs dicta, Aber sie erschien bis jetzt auf keiner numismatisch- geographischen Karte, daher sie auch in den Classibus generalibus Geographiae numismaticae von Sestini nicht aufgeführt ist. In- dessen. besitzen wir eine kleine Münze in Bronze, welche die ersten zwey Sylben ihres Namens ganz offenbar trägt, und nach Myrina auf Lemnos zu gehören scheint. Nro. 26 steht eine getreue Abbil- dung von ihr, auf welcher folgendes vorkömmt: A. Cap. Palladis ad d.am R. MTPI. Noctua obversa stans, juxta palmae ramus, Vergleicht man diese Münze mit jenen von Myrina in Aeolien, so wird man zwischen beyden einen grolsen Unterschied finden; betrachtet man aber obiges Exemplar von Hephaestia mit der ge- genwärtigen, so zeigt sich der nämliche Typus, die nämliche Fa- brik, und kein Kenner wird das Urtheil ungegründet finden, dafs sie beyde jenen 2 Städten angehören, deren Namen sie tragen, und die auf eben derselben Insel neben einander lagen *). * 3 * Sa- *) Dieser Aufsatz war schon geschrieben, als mich einer meiner Freunde auf ‚Choiseul Gouffier voyage pittoresqgue de la Grece aufmerksam machte, worin ich Tom, II, Pl, 16, n. ı et 3 zu meiner gröfsten Freude sowohl die gegenwär- tige als die oben sub nro. 22 beschriebene Münze von Hephaestia in Kupfer gestochen und mein Urtheil bestätiget fand; da dieses kostbare Werk nicht in Jedermanns Händen ist, so wird der Numismatiker die bLievon gelieferten Ab- bildungen nicht ungerne schen, 7 50 DNSERERIENTE, Samothrace Samothrace lag auf der entgegengesetzten Seite am Aus- Ausse des Hebrus; sie war berühmt durch ihre Mysterien, und den Dienst der Cabyren *). Ihre Münzen sind sehr selten, und die D. N. V. T.II. p. 52 kannte damals deren nur vier, nämlich zwey aus dem Wienerkabinet, eine aus Pellerin, und eine aus Hunter. Sestini in seinen Lettere Tom. V. p. XLIV stellte diese Münzen alle zusammen, und vermehrte sie noch mit 7 andern, worunter sich auch zwey aus unserer Sammlung, nämlich Nro. 2 et 7 befinden, wozu noch ein drittes Exemplar mit einem neuen Magistrat kömmt. Sie haben zwar mit obigen bereits in Kupfer gestochenen einige Aehnlichkeit, sind aber im Ganzen doch verschieden. Daher auch von allen dreyen sub Nris. 27, 28 et 29 getreue Abdrücke geliefert werden. 1) Caput Palladis ad sin. Z4. Aries stans versus s.«m intra crura \E **). 2) Caput idem, sed versus dextram. ZAMO MHTPR. Mulier capite tutulato sedens versus s. d. pateram, s. hastam. 3) Caput idem. ZAMO TEIEIK *#). Typus idem. % * * Tha- *) Einige setzen diese Münze nach Same Cephallenes, welche Stadt den Widder zu ihrem gewöhnlichen Bild bat; da ähnliche Münzen in der dortigen Gegend ge- funden werden, und die Fabrik des gegenwärtigen Exemplars von den 2 übrigen hier in Kupfer gestochenen ganz abweicht, so möchte diese Meynung der Wahrheit wohl sehr nahe seyn. #*) Die Cabyren stammten ursprünglich aus Syrien, und wurden für die Erfinder der Schifffahrt gehalten; ihren Kultus brachten die Phönizier nach Samothra- zien, und er verbreitete sich bald auf alle Inseln und Städte, die es mit dem Seehandel zu thun hatten, #**) Der Name eines neuen Magistrats, r r 5: Thasus Thasus. Von dieser einst so mächtigen und münzreichen Insel besitzen wir 15 Exemplare in Silber, und eben so viele in Erz, die sich nur durch Kleinigkeiten von einander unterscheiden. Obschon man die silbernen unter die gemeinen, die erzenen aber unter die sel- tenern zu zählen pflegt (Pellerin fand auch diese gemein), so ist diels doch nur von den sogenannten Tetradrachmen zu verstehen, in- dem die kleinen Silbermünzen von Thasus bey Mionnet mit R.* und R.? bezeichnet, und auf 24 Liyres geschätzt werden. Wir besitzen deren vier, liefern aber keinen Kupferstich hievon, weil sich ihre Ab- bildungen bey Pellerin und Eckhel, und unter den Mionneti- schen Pasten befinden, nur sollen hier einige Bemerkungen darüber stehen: Jene Münze, welche in den Num. vet. p.6ı1. Tab. V: n. ı0 als die älteste und merkwürdigste bekannt gemacht wurde, findet sich, was den Haupt Typus betrifft, auch in unserer Sammlung: nur heilst es: 04.ION, und die Stelle, wo das & oder T stehen soll, ist ver- wischt; auch ist von dem B4 und TO, welches auf dem Exemplar musei Florentini stehen soll, auf dem Unsrigen keine Spur zu fin- den; endlich ist über dem linken Knie keine Eidechse, sondern ein Delphin zu sehen. Von derjenigen, welche in dem Catalogo musei Windobonensis p. 82. Tab. II. n. 4 vorkömmt, besitzen wir zwey Exemplare, auf deren einem der kniende Satyr links, auf dem an- dern rechts gewendet ist. S. Neumann numi pop. T.-I. p. 134. Unter denen von Erz scheint eine einzige zu seyn, deren Typus bis jetzt nicht bekannt war; sie ist Nro. 30 in Kupfer gestochen. H. Cap. Herculis imberbe leonina pelle tectum. R. 04812N. Pagurus et clava. oe RE- 52 . REGES THRACIAE, Seuthes III. Seuthes III. beherrschte Thrazien um das Jahr nach Er- bauung Roms 429, jedoch abhängig von seinem Nachbar Rönig Alexander dem Grolsen von Mazedonien; als sich nach dessen Tode die Feldherren in die Länder seines grofsen Reiches theilten, fiel Thrazien dem Lysimachus zu, nachdem er den Seuthes mit Gewalt daraus vertrieben hatte. Eckhel bezeichnet dessen Mün- zen mit RRRR, und führt aus Cary, der die Geschichte und Mün- zen der Könige von Thrazien mit einem aufserordentlichen Fleilse beschrieben und erläutert hat, — eine einzige an *), deren Typus folgender ist: Cap. nud. barbatum. — ZETOOT. Eques citato cur- su; wir besitzen ein ähnliches Exemplar, worauf aber der eques len- te gradiens, und die Schrift zum Theil schon verwischt ist; von einem zweyten aber, welches Sestini in seiner Descer. n. v. p. 82 beschrieben hat, liefern wir hier sub Nro. 31 den Kupferstich, weil das Exemplar gut erhalten, und der Typus neu ist. ‚Aquila stans versus d.am ZETOOT. Fulmen. * # Ly- *) Pellerin hat unter seinen Königsmünzen p. 35 noch eine bekannt gemacht, und sie diesem Seuthes zugeschrieben, er las darauf BASIAE SETTO); ein anderer, der die nämliche Münze genauer untersuchte und prüfte, fand nur BAISE NETT. -und Eckhel glaubte daher, die Münze gehöre eher nach Syrien, als nach Thrazien, — Wenn das einem Pellerin wiederfahren konnte, so giebt es uns einen Grund mehr, von allen derley Münzen genaue und möglichst getreue Abdrücke zu liefern, weil eine blofse Beschreibung in keinem Falle die Anschauung selbst ersetzen kann; übrigens müssen wir hier bemerken, dafs wir ein ähnliches Exemplar aus der St, Emeranischen Sammlung besitzen, worauf ganz deutlich SETTOT steht, aber wir fürchten nicht ohne Grund, dafs eine falsche Hand hieran gekünstelt habe. 55 Lysimachus Lysimachus zu Pella in Mazedonien geboren, in allen schönen Künsten, und vorzüglich in der Kriegswissenschaft gut unter- richtet, ward Alexanders Feldherr, und dann nach dessen Tode König von Thrazien, 432 nach Erbauung der Stadt Rom. Da er auf Anstiften seiner Gattinn Arsinoe, Schwester des ägyptischen Königs Pto- lemäus Philadelphus, seinen aus einer frühern Ehe erzeugten, und im Schlachtgetümmel um ihn sehr verdienten Sohn, Agathokles, ermorden liels, zog er sich den allgemeinen Hafs zu, und wurde endlich vom Könige Seleucus in einer Schlacht überwunden, und in einem Alter von $0 Jahren getödtet. Von seinen Gold- und Silber-Münzen giebt es eine ungeheure Anzahl *), worüber man sich bey den reichen Gold- und Silber-Bergwerken in Thrazien nicht wundern darf; wir selbst besitzen deren etlich und vierzig, die beynahe alle, wiewohl in Rleinigkeiten, von einander verschie- den sind *). Die aus der Cousineryschen Sammlung sind mei- stens von einer guten Fabrik, und wurden grölstentheils in Klein- asien gefunden; diejenigen, welche weniger Kunst verrathen, und defswegen für gegossen gehalten werden, finden sich an den Küsten des schwarzen Meeres. Wir liefern von einer derselben den Kupfer- stich sub Nro. 32, da sie den Namen eines Magistrats enthält, der bisher noch unbekannt war. Cap. *) Lazius, Leibarzt des Kaisers Ferdinand, erzählt, dafs zu seiner Zeit mehr als vierzig tausend Stücke in Gold von einigen Fischern in der Wallachey aus einem Flusse herausgezogen worden seyen, wovon die meisten dem Könige Lysimachus zugehörten, **) In unserer vorigen Sammlung besafsen wir vier und zwanzig in Gold, welche von einer barbarischen Fabrike zeugen, aber von allen Kennern für ächt ge- halten werden; aufser diesen hatten wir beynahe noch eben so viele, die von einem modernen, aber sehr schönen Stempel sind, wohin auch der goldene Medaillon gehören mag, welcher 1077; Ducaten wiegt, 54 Cap. juvenile diadematum et cornu arietino ornatum ad d.am BAZIAERZ ATZEIMAXOT RAEAN, in arca ©H. Minerva galeata hasta retro transversa sedens ad s.am dextra victo- riolam gestat, cubito sinistro quasi clypeo innititur, cui forte caput leonis insculptum. Von den silbernen mit dem nämlichen Typus, der auf Alexan- ders Münzen vorkömmt, nämlich den Kopf des Hercules auf der einen, und dem Jupiter Aetophorus auf der andern Seite (welche selbst Carius nicht kannte), besitzen wir 3 verschiedene Exemplare, so wie sie die Doctrina num. T. II. p. 56 beschreibt; aber dals es auch eine Tetradrachma mit diesem Typus geben soll, war bis jetzt unbekannt; wir liefern daher von unserm wohlerhaltenen Exemplar sub Nro. 33 eine genaue Abbildung. Caput Herculis leonis exuviis tectum. v. dextram. BAZIAERE ATEIMAXOT. Jupiter uetophorus sedens ad ’ s.am in arca pars leonis currentis dimidia, M infra H *). * E * PAEONIA. Die Landschaft dieses Namens zwischen Thrazien und Maze- donien zählte mehrere Städte, wovon aber nur zwey ihr Daseyn durch Münzen bestätigten, nämlich Nysa und Pautalia. s. D. IV. Y. Tom. II. p. 36 et 37. Von dem Volke selbst aber war bis auf Sestini keine Münze bekannt, der in seiner Descr. num. vet. p. 83 die erste aus der Cousineryschen Sammlung beschrieb. Da er hievon keinen Kupferstich lieferte, auch unter den Mionnet-Pasten sich kein Ab- druck befindet, so liefere ich sub Nro. 34 eine genaue Abbildung von diesem wohl erhaltenen Original. H. Cap. Jovis laur. ad d.am R. MAIONRN. Fülmen, infra 2° als Monogram. Nach ®) Bey Gefsner Tab, VI. n. 33 steht eine ähnliche, A 55 Nach Thucydides soll eine Stadt in Päonien JOBEPOX ge= heifsen haben, daher Sestini dieses Monogramm als die Anfangs- sylbe dieser Stadt ansicht. IN y.1sras Nysa. Von dieser Stadt waren bis jetzt nur 2 Autonom-Mün- zen bekannt, nämlich durch Pellerin Rec. I. p. ı89 und Sestini Lettere T. IV. p. 97; die gegenwärtige sub Nro. 35 abgebildete wäre also die dritte, und würdig, in Rücksicht ihrer Seltenheit wie die zwey übrigen mit RRRR bezeichnet zu werden. Cousinery beschrieb sie in seinem Katalog auf folgende Art. H. Caput Mercuri cum petaso. R., NTEA EN OAI. Gryphus sedens ad s.ım dexiro pede elato, juxta quem M. Wäre der Beysatz EN ITLAI auf dem Original so deutlich, wie er hier in der Beschreibung angegeben ist, so hätte wohl kein weiterer Zweifel Statt, und die Münze unter den seltesten ihren eh- renvollen Platz; aber die getreue und genaue Abbildung bezeuget, dafs von den obigen 2 Sylben keine andere Spuren vorhanden sind, als folgende: ..I. 41T. Mehr fanden ich und andere auch mit einem bewaffneten Auge nicht, und es liefse sich aus diesem zur Noth noch EN I1412 herausbringen. Indessen deutet der links sehende Greiff offenbar auf eine Münze von Abdera in Thrazien, welche die- sen Lieblings-Typus von ihrer Mutterstadt Tejos entnommen hatte; das Wort Nysa könnte der Name eines Magistrats seyn, deren so viele auf Münzen von Abdera vorkommen; - das, was Cousinery für EN gelesen hat, könnte EII! heilsen, und endlich die übrigen Spu- ren von Buchstaben könnten auf 4BJHPA deuten. So viele Wahr- schein- 56 scheinlichkeit diese Meynung für andere *) auch haben mag, so kann ich sie nach mehrmaliger Prüfung des Originals doch nicht unterschreiben, und zwar aus folgenden Gründen: a) Die Umschrift läuft nach meiner Ansicht von der Linken zur Rechten, die Prae- position EIII würde also nach NT® oder nach dem Namen des Magistrats zu stehen kommen, welches nicht seyn kann. 5) Folgt man aber nach der Sylbe NT= den noch vorhandenen Spuren von Buchstaben, so steht die Umschrift: NTZA EN HAIR in ihrer na- türlichen Ordnung. c) Der Kopf auf unserer Münze ist offenbar jener des Merkurius; da nun dieser Halbgott auch auf den zwey an- dern von Nysa in Päonien bekannt gemachten Münzen erscheint, und hier mit der Sylbe Nys in Verbindung steht, so machen Umschrift und Typus den Geburtsort der Münze höchst wahrscheinlich, d) Schon Pellerin Rec. T.I. p. 193 machte eine in beyden Typen der unsrigen ganz gleichkommende Münze bekannt, und behauptete, dafs sie blofs defswegen nach Abdera nicht gehören könnte, weil sie den Merkurskopf an der Stirnehätte. Endlich e) wäre es nichts ungewöhnli- ches, wenn cine Stadt, welche nahe an oder nach einigen Geographen gar in Thrazien lag, auch den Typus einer thrazischen Stadt angenom- men, sich aber durch ihren beygesetzten Namen wieder deutlich von ihr unterschieden hätte. Vielleicht entscheidet einst ein ganz gut erhaltenes Exemplar, welche von beyden Meynungen der Wahrheit am nächsten sey. * ZUGABE. Nacone Siciliae Nacone Siciliae. Dals eine Stadt dieses Namens in Sizilien lag, wissen wir aus Stephanus von Byzanz **); dals sie aber ihr Da- *) Hr. Cattaneo aus Mayland äufserte diese Meynnng, nachdem er obige Münze lange geprüft hatte. **) S, dessen Gentilia per Epitomen, Editio Amstel. MDCXCIV, pag. 579. 57 Daseyn auch durch Münzen sollte dokumentirt haben, war bis auf unsere Zeiten unbekannt *); ich kaufte vor einiger Zeit einen Sack voll antiker, aber grölstentheils schlecht erhaltener Münzen, unter denen mir sogleich eine in die Augen fiel, wie eine Perle unter Sand- körnern; da die Anfangsbuchstaben der Umschrift leider verwischt waren, so hielt es schwer ihren Geburtsort auszuforschen; aber das überaus niedliche, noch sehr gut erhaltene Köpfchen, die Aehnlich- keit ihres Typus mit jenem auf Münzen der an Wein so reichen Insel Naxus, und überhaupt die ganze Fabrik der Münze selbst wiesen deut- lich auf Grofsgriechenland oder Sizilien hin, wo ich dann auch so glücklich war, ihre Heimath zu finden; man denke sich meine Freude; sie steht bey Mionnet auf folgende Art **) beschrieben: A. Caput muliebre v. dextram capillis retrorsum in nodum revinctis; NAKO- NAION. NR. Figura supra mulam versus sinistram gradiens, in dextra thyrsum, in arca ®. Quadrans ***); er lieferte hiervon kei- nen Schwefelabdruck, bestimmte auch nicht, in welcher Sammlung sich diese grolse Seltenheit finde; erst später führte er in seinem Recueil des Planches p.67 an, dafs diese Münze nicht mehr einzig sey, sondern dafs der Prinz Biscaris zu Catanea, und Lord Nor- wich zu London ein Exemplar davon besitzen; das unsrige ist also das dritte, und wir glauben den Freunden der alten Numismatik einen Gefallen zu erweisen, wenn wir ihnen Tab. Ill. nro. 36 eine getreue Abbildung hievon geben, und mit dieser Zugabe unsere Lieferung beschlielsen. Mit diesem sey nun die Rechenschaft über das Merkwürdige- re und Seltenere aus unserer Sammlung, vom Chersonesus taurica an- ®) Sie kömmt weder in der Doctrina num, veter. noch in den Classibus generali- bus bey Sestini vor. ®*) S. Description de Medailles antiques etc. Tom. I. p, 201, **") Ibr Werth wurde auf 200 Frances geschätzt, 8 58 angefangen bis Päonien geschlossen. - Ich würde mich hinlänglich belohnt fühlen, wenn dieser Aufsatz den Wunsch nach baldigen Fortsetzungen bey den Freunden der alten Numismatik erregen sollte; mein Verdienst soll dabey kein anderes seyn, als den Schatz, den mein Vaterland theils durch den Ankauf der Cousinery- schen Sammlung, theils sonst erworben hat, nach und nach be- kannt zu machen, die Gränzen der Wissenschaft selbst — so weit diels in meinen Kräften liegt, — dadurch zu erweitern, vorzüglich aber bey jenen äulserst seltenen Stücken, welche als Erfindungen . neuer numismatischer Städte gelten sollten, freymüthig und öffent- lich zu bekennen, was jeder Unbefangene auf einer solchen Münze lesen oder nicht lesen kann; sollte auch dadurch das Gebieth der numismatischen Geographie um eine oder die andere Stadt wirklich geschmälert werden. Amicus Socrates, amicus Plato, sed magis amica veritas. — — — — — u EA au re Ti mie 6:11, ER? $ # 59 nn nun uns un zn nn nn mn an nt nannten nd 11. Ueber den historischen Werth des in den baierischen Handschriften den baiuuarischen Gesetzen vorausgehenden Prologs. Von DoIss MeLBrLLKER, k. b, geistl. Rathe, ö. o. Professor auf der Universität zu Landshut, und Mitgliede der k, Akademie d. Wiss. zu München. (segen die fast allgemeine Meynung der baierischen Geschichtforscher sprach jüngst Hr. Carl Theodor Gemeiner in seiner schon im J. 1810 zu Regensburg gedruckten, aber erst 1814 ausgegebenen Ge- schichte der altbaierischen Länder u. s. w. bestimmt die Behauptung aus, dafs die Baiuuarier, fern von freywilliger Anknüpfung 8° eines 60 eines Bündnisses mit den Franken *), schon unter dem austrasischen Könige Theoderich, dem Sohne und Nachfolger Chlodwigs, der frän- kischen Herrschaft durch Abtretung unterworfen worden seyen. Eben diesen Satz stellte Hr. Karl Edler von Hellersberg in seinem kurzen Auszuge aus den Jahrbüchern des baie- rischen Volkes, Landshut ıg8ı2 auf. Der Grund, worauf beyde die Behauptung bauen, ist die Aussage des bekannten Pro- logus, welcher in allen bisher an das Tageslicht gekommenen baie- rischen Handschriften den Legibus Baiuuariorum vorausgeht. Dieser Prolog, die Geschichte von dem Ursprunge und der allmähligen Ausbildung der von den Franken ihren Unterthanen ge- gebenen Gesetze erzählend, sagt ausdrücklich: ‚‚Theoderich , König der Franken, versammelte, da er sich zu Chalons befand, weise Männer aus seinem Reiche, welche in den alten Gesetzen bewan- dert waren; diesen trug er auf, nach seiner Anweisung die. Gesetze der Franken, der Alemannier und der Baiuuarier zusammenzuschrei- ben; für jedes Volk nämlich, das unter seiner Herrschaft stand, nach desselben bisherigen Gewohnheiten; und er setzte bey, was beyzusetzen war, und schnitt das Unzweckmälsige und Unschickliche weg, i *) Die Meynung, dafs die Baiuuarier sich durch einen freywilligen Vertrag in die Arme der Franken geworfen haben, ist ein patriotischer Traum, der nicht den geringsten historischen Grund für sich hat. Die Stelle im Baiuuarischen Ge- setze: „„‚Dux qui praeest in populo ille semper de genere agiloluingiarum fuit et debet esse, quia sic reges antecessores nostri concesserunt eis,‘ setzt keinen mit den Franken geschlossenen Vertrag voraus. Durch diese Concession haben die fränkischen Könige nicht der baiuuarischen Nation, von welcher in dieser Stel- le gar nicht die Rede ist, sondern der agilolfingischen Familie ein Vorrecht verlichen, und dieser nicht etwa wegen freywilliger Unterwerfung der Nation, wovon sich keine Spur zeigt, sondern weil die Agilolfinger ein fränkisches, und überdiefs ein der königlichen Familie anverwandtes Geschlecht waren. Alles dieses hat bereits Mederer in seinen Beyträgen zur Geschichte von Baiern St. I, $, IV, gründlich dargethan, : 61 weg, und änderte, was aus den Gewohnheiten der Heiden entlehnt war, nach dem Willen des christlichen Gesetzes ab“ *), Wir haben hier für die Behauptung, dafs der austrasisch- fränkische König Theoderich die Gesetze der Baiuuarier zuerst habe schriftlich aufsetzen lassen, einen Beweis, der nicht blos erkünstelt, nicht blofs durch Combinationen hervorgebracht, sondern auf das ausdrückliche Zeugnils eines alten Documents: des gedachten Pro- logs, gegründet ist. Die Glaubwürdigkeit des Prologs hat Hr. Ge- meiner in der angeführten Schrift dadurch zu beweisen gesucht, dafs derselbe ı) in sehr alten, schätzbaren Handschriften sich be- finde; 2) nichts enthalte, was mit den Behauptungen der alten äch- ten fränkischen Geschichtschreiber im Widerspruche stände; son- dern dafs vielmehr 3) die Geschichte den Inhalt des Aufsatzes durch die erhabene Schilderung von den Regierungsfähigkeiten der drey Könige, die als Gesetzgeber genannt werden, bestätige. Allerdings ist die Glaubwürdigkeit des Prologs durch diese Gründe wahrscheinlich gemacht; allein ganz abgethan ist die Sache dadurch wohl nicht. Man hat längst auf der andern Seite aus ei- nigen, dem Anscheine nach, viel stärkern Gründen zu beweisen ge- sucht, dafs der Prologus keinen Glauben verdiene; und bis zu die- ser Stunde sind die meisten derselben, meines Wissens, in öffentli- chen Schriften nicht widerlegt worden. Sind sie von der Art, dafs sie *) Theodericus rex francorum cum esset Catalonis, elegit viros sapientes, qui in regno suo legibus antiquis eruditi erant; ipso autem dietante jussit conseribere legem francorum et alamannorum et baiuuariorum unicuique genti que in ejus potestate erant secundum consuetudinem suam addiditque que addenda erant et inprovisa et incomposita reservayit (in melius reformavit, Cod. Lippert. rese- eavit, Cod, Aldersbac.) et que erant secundum consuetudinem paganorum! mutayit secundum legem christinorum Prol. Legg. Baiuuar, Edit, Me- derer (nach dem auf der Universitätsbibliothek ehemals zu Ingolstadt aufbe- wahrten Codex aus dem achten Jahrhunderte) p. 7, 62 sie die Probe aushalten: so fällt die Meynung, welche den König Theodorich zum ersten Gesetzgeber der Baiuuarier macht, in das Reich der Fabeln zurück; kann aber auf eine befriedigende Art ihre Unhaltbarkeit dargethan werden: so bleibt das historische An- sehen des Prologs unerschüttert, und der Aussage desselben über den ersten Gesetzgeber der Baiuuarier kann der Glaube mit Recht nicht versagt werden. Es lohnt sich daher der Mühe, diesen Ge- genstand schärfer ins Auge zu fassen, und die 'Gründe gegen die Glaubwürdigkeit des Prologs strenger zu prüfen. Den neuesten, aber auch wohl den schwächsten Angriff auf den baierischen Prolog (durch diese Benennung möge er der Kürze wegen künftig hier bezeichnet werden) machte im J. 1808 T. D. Wiarda in seiner Geschichte und Auslegung des Sali- schen Gesetzes und der Malbergischen Glossen. Dieser Schriftsteller nimmt den Prolog nicht als Vorrede zu den Gesetzen der Baiuuarier, sondern in so fern, als derselbe einen Theil der Vorrede zu den salischen Gesetzen in der Heroldischen Ausgabe ausmacht, in Anspruch. Zugleich bestreitet er die Glaubwürdigkeit aller andern Aufsätze, welche sowohl in dieser, als in andern Aus- gaben theils als Bestandtheile des Prologs, theils als Aufschriften, theils als Epilog oder als kürzere Schlufsformeln vorkommen. Es ist wahr: die Verschiedenheit ist auffallend. Bey Herold, welcher seine Ausgabe nach einem Fuldaischen Codex veranstaltet hatte *), beginnt die Vorrede zu den salischen Gesetzen mit einer hochtrabenden Lobrede auf die fränkische Nation: Gens Francorum inclyta etc. und endigt, nachdem sie sowohl die ersten Verfasser derselben, als auch die fränkischen Könige, durch welche sie ver- bessert worden, namentlich angegeben hatte, mit den Worten: pre- tiosis *) Basilii Heroldi Origines et Antiquitates german. Basileae 1557 in fol, 63 tiosis exornavit. Unmittelbar hierauf folgt unser baierische Prolog mit der Ueberschrift: De legum inventoribus et earum ratione. In den hamburgischen Codex, welchen Lindenbrog bey seiner Aus- gabe zum Grunde gelegt hatte *), ist nach der gedachten hochtra- benden Lobrede anstatt unsers baierisehen Prologs, unter ler beson- dern Aufschrift: Prologus Legis Salicae, ein anders Stück einge- schoben, welches mit dem Satze anfängt: Placuit atque Convenit inter Francos et eorum Proceres, ut propter servandum inter se pacis studium omnia incrementa veterum rixarum resecare deberent. Die in diesem Stücke vorkommende Anzeige der ersten Verfasser des salischen Gesetzes ist fast wörtlich aus der Heroldischen Vorrede entlehnt; aber die fränkischen Könige, welche dieses Gesetz ver- besserten, sind hier nicht angegeben, und anstatt des bey Herold befindlichen Schlusses liest man in der Lindenbrogischen Aus- gabe: anno ab incarnatione Domini nostri Jesu Christi DCOCXCFYLL. Indictione VI. Karolus Rex Francorum inclytus hune libellum tracta- tus Legis salicae scribere ordinavit. Eine Pariser Handschrift, welche Schilter benützt hatte **), weicht von der Fuldaischen darin ab, dals sie, wie der hamburgische Codex, den baierischen Prolog nicht hat. In einem wolfenbüttelschen Manuscript endlich, welches Wiarda abdrucken liefs ***), ist gar keine Vorrede, am Ende aber ein Epilog befindlich, welcher eine Nachricht enthält, wie viele Ti- tel des salischen Gesetzes der erste, hier nicht namentlich angeführ- te, fränkische König, und wie viele die folgenden Könige, Childe- brand (Childebert) und Chlotar verfertigt haben. Eben so verhält es sich mit den Ueberschriften. Bey Herold heilst es unmittelbar vor den Gesetzen selbst: In Christi nomine in- ®) Lindenbrogii Codex Legum antiquar, Francof, 1613 in fol, **) Schilteri Thesaurus Antiquitat. Teutonicar. Tom, Il, ***) Geschichte und Auslegung des Salischen Gesetzes u, s, w, von T. D, Wiarda, S.74 u, folg, 64 ineipit Pactus Legis Salicaee Bey Schilter liest man dieselbe Aufschrift nicht vor den Gesetzen, sondern vor dem Prolog. In der Lindenbrogischen Ausgabe hat nicht nur das Gesetz, son- dern auch jedes einzelne Stück der Vorrede seine besondere Ue- berschrift. Erstere heifst: Incipit liber Legis salicae Der wol- fenbüttelsche Codex hat nicht nur die Ueberschrift: Incipit Lex salica; sondern beschliefst auch das Ganze mit den. Worten: Ex- plicit Lex Saleca, qui vero Cunlacio infra hae libros IV. continere viditur. Baluze, welcher eilf Handschriften mit einander vergli- chen hatte, fand in den meisten die Ueberschrift: Pactus Legis Sa- licac anno ab incarnatione Jesu Christi 798. Indietione 6. Karolus Rex — hunc libellum Legis Salicae scribere jussit. Durch diese grolse Verschiedenheit fand Hr. Wiarda sich bewogen, alle Prologen, Ueberschriften, Epilogen und Schlufsformeln ohne Ausnahme zu verwerfen. Seiner Meynung nach gehören alle diese Stücke nicht zu dem Gesetze selbst; sie sind nur von den Copisten der Gesetze, und zwar viel später, erst in den mittlern Zeiten, hinzugefügt worden. Fast jeder Abschreiber hatte, alten Sagen, oder seiner eigenen Einbildung folgend, eine andere Einlei- tung, eine andere Aufschrift, oder eine andere Schlufsrede voran oder nachgesetzt. Dieser Vorwurf ist unstreitig vollkommen gegründet. Allein kann wohl mit Recht folgender Schlufs gelten: Die Abschreiber haben verschiedene Vorreden, Ueberschriften und Schlufsformeln willkühr- lich hinzugesetzt; also befindet sich unter denselben keine einzige, welche sich von der Zeit der Gesetzgebung selbst herschreibt, oder wenigstens derselben nahe kömmt, und ächt historische Nachrichten enthält? Es ist durch nichts erwiesen, ja nicht einmal aus irgend einem _hinreichenden Grunde wahrscheinlich gemacht, daß alle diese Stücke ohne Ausnahme spätern Abschreibern ihren Ursprung zu danken haben, und dafs die Nachrichten aller dieser Männer sich auf unzu- ver- 65 verlässige Sagen gründen. Im Gegentheile lassen sich, wie die Folge zeigen wird, Beweise führen, dals unser baierischer Prolog von einem sachkundigen, wahrheitsliebenden, und wo nicht gleichzeitigen, doch von einem solchen Schriftsteller herrühre, welcher in Ansehung seines Zeitalters der erzählten Begebenheit ziemlich nahe war. Dafs die prahlerische Vorrede zu dem salischen Gesetze und unser baierischer Prolog mit einander im Widerspruche stehen, indem erstere die Könige Chlodwig, Childebert und Chlotar, letztere hinge- gen mit Ausschliefsung Chlodwigs die Könige Theoderich, Childebert und Chlotar als Reformatoren angiebt, mag man indessen als richtig gelten lassen. Allein aus Widersprüchen dieser Art erhellet nur, dafs eine von diesen Angaben falsch ist, aber nicht, dafs es beyde sind; und vielleicht erhellet nicht einmal jenes daraus. Offenbar ist die prahlerische Vorrede ein fremdes, von einem andern Verfasser herrührendes Machwerk. Dieses beweiset nicht nur sein Inhalt, der sich nur auf die Geschichte des salischen Gesetzes allein bezieht, sondern auch der vorgebliche Widerspruch, ferner der gänzliche Mangel an Zusammenhang zwischen beyden, wovon der zweyte, nämlich unser baierischer Prolog, sogar eine eigene Ueber- schrift hat *), und der Umstand, dafs einer und derselbe Verfasser die Verbesserer des Gesetzes nicht zweymal würde angegeben, und ohne Noth eine schon einmal vorgetragene Materie wieder von vorn ange- fangen haben, wie es hier in beyden Stücken der Fall ist; endlich der grolssprechende Ton des ersten Stückes im Gegensatze mit der be- scheidenen, ruhigen Sprache des zweyten. Findet man zwischen bey- den Vorreden einen Widerspruch, welcher in einer oder der andern eine Unrichtigkeit voraussetzt, so kann man sie keinem der beyden Verfasser durch einen blofsen Machtspruch zur Last legen; es muls erst erwiesen werden, welcher aus beyden sich derselben schuldig mach- *) De Legum Inventoribus etc, 66. machte; und wenn der baierische Prologist etwas vortrug, was sich mit den Aeulserungen des Verfassers der Vorrede zu dem salischen Gesetze nicht zusammenreimt, und umgekehrt: so geht diefs uns nichts an, wie uns das salische Gesetz überhaupt nichts angeht. Der eine schrieb eine Vorrede zu dem salischen Gesetze, der andere, wie der Augenschein zeigt, eine Vorrede — nicht zum salischen Gesetze, son- dern zur Gesetzesammlung für das austrasische Reich, Der erstere konnte ungehindert Chlodwig, Childebert und Chlotar als Verbesserer des salischen Gesetzes angeben, er mochte hierin Recht haben oder nicht; und der zweyte konnte und mufste den König Chlodwig weg- lassen, und den König Theoderich nennen, ohne mit jenem in einen Widerspruch zu gerathen. Beyde hatten verschiedene Zwecke, und sprechen von zweyerley Dingen. Selbst der Umstand, dafs unser Prolog i in mehrern Handschrif- ten sich nicht vor dem salischen Gesetze befindet, verräth, dafs er nicht zu demselben gehört. Die Absicht dies Verfassers war nur, die Geschichte der in Austrasien geltenden Gesetze vorzutragen; wahr- scheinlich wurde aber bey der Redaction unter dem Könige Dagobert das salische Gesetz, als zum ganzen Corpus juris franconici gehörend, gleichfalls mit eingerückt. Diesen Unterschied bemerkte der spätere Abscheiber des Heroldischen Codex nicht; er bemerkte aber wohl, dafs unser baierische Prolog sich namentlich: auch auf die Gesetze der Franken (der Ripuarier) beziche,. und: schob ihn daher gleich unmittel- bar nach seiner Vorrede vor dem salischen Gesetz ein. _ Fast in allen andern Handschriften findet man ihn zwar unmittelbar vor dem: baiuua- rischen Gesetze; aber deutlich beweiset sein Inhalt, dafs er nicht dem Gesetzbuche eines Volksstammes allein angehöre, sondern eine ge- meinschaftliche Vorrede zu einer ganzen Sammlung von Gesetzen für mehrere Völker sey. Theoderich heifst es darin, liefs das Gesetz der Franken ‚ der Alemannen und der Baiuuarier zusammenschreiben *). Wo- ®) Jussit conscrihere legem francorum et alamanorum et Baiouuariorum. Pro log. Leg, Baiuuar. ap, Mederer p, 7, 67 Wozu brauchte der Prologist hier die Gesetze der Franken und der Alemannen anzuführen, wenn seine Vorrede sich nur auf die Gesetze der Baiuuarier ausschliefslich einschränkte? ' Die Beziehung des Prologs auf die Gesetze mehrerer Völker be» stätigt sich auch durch die in allen baierischen Handschriften unmittel- bar vor dem baiuuarischen Gesetze vorkommende Aufschrift: „Diels wärd beschlossen vor dem Könige und den Vornehmsten seines Rei- ches, und vor dem ganzen christlichen Volke, welches unter der Regierung der Meruunger steht“ *), Zu dem ganzen Volke, welches innerhalb des Merovingischen Reiches lebte, gehörten nicht blos die Baiuuarier, sondern auch die Franken und die Aleman- nen. Die Aufschrift ist daher eine allgemeine. Die baierischen Copi« sten lielsen diesen Prolog und diese Aufschrift ihren Copien vorausge- hen, weil dieselben sich auch auf ihr Gesetz beziehen; hingegen die Gesetze der Franken und Alemannen schrieben sie nicht ab, weil die- selben ihnen fremd waren. Also kann der Schlufs nicht gelten: In den baierischen Handschriften schliefsen sich Prolog und Aufschrift unmit- telbar an die baiuuarischen Gesetze an; folglich beziehen sie sich auf diese ausschliefslich **). Ist demnach der baierische Prolog eine Vor- DL rede *) Hoc deeretum apud regem et principibus ejus et apud cuncto populo Xpiano qui infra regnum Meruungorum consistunt. Ap. Mederer p. 35, “) Mederer hat zwar in Anmerk, a zu den Legg. Baiuuar, p. 37 aus dem Zusammenhange dieser Aufschrift mit dem ersten Capitel der baiuuarischen Gesetze schliefsen wollen, dafs jene unzertrennlich zu den baiuuarischen Gesetzen allein gehöre, indem das Ut, womit das erste Kapitel anfängt, sich nothwendig auf die vorhergehende Aufschrift: Hoc deeretum, beziehe, Allein in mehrern ausländischen Handschriften kömmt das Ut im Texte gar nicht, son- dern nur in der Inhaltsanzeige des ersten Capitels vor. In den baierischen Handschriften findet sich das Ut zweymal: einmal am Anfange der Inhaltsanzei- ge aller. Capitel, und dann am Aufange des Textes selbst. Einmal ist es über- flüssig. Es scheint, dafs es durch Versehen eines Copisten von der Inhaltsan- zeige auch in den Text selbst übertragen worden sey. Wenn das ganze erste Capitel des Gesetzes, wie Mederer selbst gesteht, oflenbar erst später ein- geschaltet wurde: so mulste auch der vermeinte Zusammenhang erst später ent- standen seyn. ' an 68 rede’ zu den Gesetzen für die austrasischen Unterthanen: so hebt sich sein Widerspruch mit der salischen Vorrede Herolds von sich selbst auf, und diese letztere, mit der wir nichts zu thun haben, mag immer, als solche, ihren Werth oder Unwerth behalten. Es ist wahr: auch unserm baierischen Prolog fehlt es an Ein- heit. Offenbar ist er aus zweyerlei Stücken zusammengesetzt. Das erste von den Worten: Moyses gentis Hebr. etc. bis: que in commune est usu, ist wörtlich aus Jsidori Hispalensis Origines sive Etymologiae Lib. V. entnommen *). Erst das zweyte Stück von den Worten: Theodericus rex francorum etc. bis: refrenetur nocendi facultas, macht eigentlich den Prolog aus. Allein der erstere Zusatz, es mag ihn entweder ein späterer Copist, oder der Verfasser des Prologs selbst, um vielleicht seiner historischen Einleitung einen grölsern Umfang zu geben, beygefügt haben, kann den Prolog selbst nicht im Geringsten verdächtig machen. Wer wird des römischen Geschichischreibers Ju- lius Cäsar sieben Bücher vom gallischen Kriege für unächt halten, weil das achte Buch nicht von ihm ist? Das Stück aus Isidorus Hispalensis giebt eine universalhistorische Notiz von der Gesetzgebung unter den alten Völkern von Moses bis zu Theodosius II. wie auch einen Begriff von Gesetz, Gewohnheit u.s.w. Unser Prolog, als das zweyte Stück, knüpft an diese Erzählung die Geschichte der fränkischen Gesetzge- bung an; wir lernen daraus die Völker kennen, welchen die Gesetze galten, und die fränkischen Könige, auf deren Befehl dieselben zuerst zusammengeschrieben, und in der Folge verbessert worden. So wie der erste Absatz: Von den Gesetzgebern unter den alten Völkern, nicht übel zu diesem zweyten: Von der Gesetzgebung unter den Fran- ken, pafst; so schlielst sich auch dieser letztere sehr natürlich an die Gesetze selbst an. Wenn ferner Hr. Wiarda es den Vorreden, Ueberschriften und Epilogen zur Last legt, dafs sie nirgends den Zeitpunkt, d. i. das Jahr ®) Pag, 55 et segg. Edit, Paris 1601 in fol, 69 Jahr angeben, in welchem die Gesetze gesammelt und verbessert wor- den: so ist diefs ein Vorwuuf, den man auch vielen alten Geschicht- schreibern, einem Procopius, Agathias, Jordanes, Gregorius turonen- 'sis und mehr andern in Rücksicht auf viele Angaben machen kann. Und doch fiel es noch keinem Geschichtforscher ein, ihren Berichten aus diesem Grunde die Glaubwürdigkeit abzusprechen. Zudem fehlt es den Angaben in unserm Prolog nicht an chronologischen Merkma- len. Bestimmt sind’ darin die Könige, die sich um die baiuuarische Legislatur verdient gemacht haben, genannt, und eben dadurch ist auch die Epoche bestimmt, in welche die Gesetzgebung, oder die Ver- besserung der Gesetze fällt. Ein anderer Grund, welcher die in unserm Prolog mitgetheil- ten Nachrichten, und mit ihnen den Prolog selbst: verdächtig machen dürfte, ist folgender. Die Franken liefsen bekanntlich in den ersten Zeiten ihren neuen Unterthanen, den Römern oder Galliern , ihre ei- genen Gesetze; man kann daher annehmen, dafs sie auch den Aleman- nen und Baiuuariern keine neuen Gesetze werden aufgedrungen haben. ‚Ist dieses richtig, so stellt der Prologist ohne Grund den fränkischen König Theoderich als ersten Gesetzgeber auf. Diese Einwendung be- darf kaum einer Widerlegung. Die Gesetze, welche Theoderich den Ripuariern, Alemannen und Baiuuariern gab, waren nichts weniger als neu. Es waren Nationalgesetze, die auf alte Rechtsgewohn- heiten gegründet, nur bisher nicht schriftlich aufgesetzt waren *). Theoderich liefs sie nun zusammenschreiben; er verfuhr aber dabey nicht eigenmächtig, sondern übertrug dieses Geschäft Männern in sei- nem Reiche, die in den alten Gesetzen bewandert waren**). Was ist natürlicher, als der Schluls, dafs sich bey dieser Gesetzcom- mis- *) Jussit consceribere legem francorum et alamannorum et baiouuariorum unicuique genti.,. . secundum consuetudinem sum, Ap. Mederer p, 7» **) Elegit viros sapientes qui in regno legibus antiquis eruditi erant. Ibid, 70 mission nebst den Franken auch wenigstens ein gesetzkundiger Ale- manne, und ein in den Rechtsgewohnheiten seines Volkes erfahrner Baiuuarier befunden habe? Durch diese Männer lies Theoderich hin- zusetzen, was veränderte Verhältnisse nöthig machten, und wegnch- men, was nicht mehr schicklich und zweckmäfsig war, besonders das- jenige, was nach dem Heidenthum schmeckte. Die Völker behielten daher in der Hauptsache ihre alte Rechtsverfassung; keinem waren seine Gesetze von dem Könige aufgedrungen worden; denn was die Gesetze verordneten, ward überdiefs beschlossen von dem Könige und den Vornehmsten seines Reiches und vor dem ganzen christlichen Volke, welches im Reiche der Meruunger lebte *), d. ı. mit Einwilligung der Völker: eine Aeufserung, heit um so weniger zu zweifeln ist, da diese Verfahrungsart mit der damaligen fränkischen Verfassung und Staatsrerwaltung vollkommen übereinstimmt. an deren Wahr- Unter allen bisher vorgetragenen Gründen hat keiner so viel Stärke, dafs er das Ansehen unsers Prologus erschüttern könnte. Aber von grölserer Erheblichkeit scheinen einige von denjenigen zu seyn, wo- mit der bekannte Geschichtforscher Mederer schon früher gegen denselben aufgetreten war. Dieser Gelehrte behauptete, Baiuuarien sey bis zum Sterbejahr des austrasischen Königs Theoderich, d. i. bis zum Jahre 534 unter diesem Namen noch nicht bekannt gewe- sen; folglich habe derselbe nicht Gesetzgeber von Baiuuarien seyn können. Man könnte hierauf mit wenigen Worten erwiedern: dar- aus, dafs dieser Name in Schriften um diese Zeit noch nicht vor- kömmt, folgt nicht, dafs er noch nicht existirt habe. Es ist an und für sich nicht wahrscheinlich, dafs der Name eines Landes oder Volkes nicht früher entstanden seyn sollte, als gerade zur Zeit, da irgend ein Schriftsteller durch Umstände sich bewogen fand, den- sel- *) Hoc deeretum apud Regem; et Principibus ejus et apud cuncto Populo Xpiano qui infra Regnum Merungorum consistunt, Ap. Mederer p. 35. EEE 7. selben zum ersten Male zu nennen. Aber gesetzt, das Land habe noch seine alten Namen, Rhätien und Noricum gehabt: so waren doch damals wenigstens die Bewohner des Landes unter dem Namen der Baiuuarier bekannt. Jordanes, ein Geschichtschrei- ber des sechsten Jahrhunderts, der erste, welcher die Baiuuarier als östliche Nachbarn der Sueven nannte, gedachte ihrer bey der Ge- legenheit, da die Gothen im Winter über die Eisdecke der Donau gegangen waren, um ihre Feinde, die Sueven, unvermuthet im Rücken zu überfallen *%). Diese Begebenheit fällt in das Jahr 472. Der Geschichtschreiber wollte seinen Bericht von dem plötzlichen Angriffe, den die Gothen auf die Sueven thaten, durch eine kurze Schilderung ihrer geographischen Lage und Umgebungen anschau- lich machen; der König der Gothen, sagt er, erschien unyermuthet in ihrem Rücken; denn jenes Land der Sueven hat gegen Osten die Bajobaren, gegen Abend die Franken, gegen Mittag die Bur- gundionen und gegen Mitternacht die Thüringer vor sich. Höchst widersinnig würde es gewesen seyn, Völker, welche er als Gränz- völker der Sueven angeben wollte, mit einem Namen zu bezeichnen, den sie damals noch nicht hatten. Von der Lage der Völker sprach Jordanes in der gegenwärtigen Zeit, weil sie auch zur Zeit, da er schrieb, noch dieselbe war; hingegen: die Erzählung der frühern Begebenheiten setzte er unmittelbar darauf wieder in der vergange- nen fort. Seit den letzten Decennien des fünften Jahrhunderts kannte man also Baiuuarier, und Baiuuarier waren es, denen Theo- derich nach dem Zeugnisse des Prologs Gesetze gab; von dem Volke ist in demselben die Rede, nicht von dem Lande. Theo- *) Theodemir Gothorum Rex . . . emenso danubio, Suevis improvisus a tergo ap- paruit. Nam regio illa Suevorum ab oriente Bajobaros habet, ab oceidente Francos, a meridie Burgundiones, a septentrione Thuringos. Quibus Suevis tune juncti Alemanni etiam aderant. Jordan. de reb. gest, c, 55. ap. Mu- rator, Scriptor. rer. ital, T.I. p. 218, 72 Theoderich würde sich aber als Gesetzgeber der Baiuua- rier doch nicht behaupten können, wenn Mederers Meynung richtig wäre, dafs die beyden Rhätien und Noricum noch bis über das Jahr 534 hinaus, also noch nach dem Tode des austrasischen Königs Theoderich, unter der Herrschaft der Gothen standen, und erst mit dem. Umsturze des gothischen Reiches unter dem neuen Namen Baiuuarien oder Boioarien in eine gewisse Verbindung mit den Franken kamen. Die Richtigkeit dieser Angabe soll aus den Umständen sich darthun, dafs erstens der gothische König Athalarich eben so, wie sein Vorfahrer Theoderich, seine Befehle noch durch seinen Kanzler Cassiodorus in die rhätischen - Provinzen ergehen liels; und zweytens, dafs der gothische König Vitiges, der im Jahre 536 auf Theodehat folgte, noch Herr von beyden Rhätien war. Allein beyde Behauptungen werden sich wohl schwerlich erweisen lassen. Die Formula Ducatus Rhaetia- rum *), auf welche Mederer sich beruft, kann nicht zum Beweise dienen, dafs Athalarich noch Befehle in die rhätischen Provin- zen ergehen lie[s; denn diese Formel: eine allgemeine, dem Herzo- ge bey seiner Anstellung ertheilte Amtsinstruction — ist nicht von Athalarich. Die ganze gelehrte Welt schrieb sie bisher seinem Vorfahrer Theoderich zu. Dieser mit wahren Regententugenden ausgerüstete Fürst war es, der sein Reich organisirte; unter ihm war Servatus als Dux Rhaetiarum angestellt, wie ein Schreiben dieses Königs an ihn: Servato duci Rhetiarum Theodoricus Rex **), unwiderlegbar beweiset. In diesem Schreiben belehrt ihn Theodo- rich, wie er sich in einem speciellen Falle zu verhalten habe; und im Allgemeinen sollte er ihm bey der Uebertragung eines so wichtigen Postens, als derjenige eines Herzogs beyder Rhätien war, keine Amtsinstruction ertheilt haben? Er, der so viele Befehle, zum Theile *) In Casiodori Variis, Lib. VII, form, 4. p. ııı sg. Edit, Garetii, Ro- tomagi ı679 in fol. **) Ibid. lib, I, epist. 11. p. 9. 73 ‘Theile über minder wichtige Gegenstände, erlassen hatte? Laut ver- kündigt der Inhalt dieses Schreibens, dafs Servatus zur Zeit, da es erlassen wurde, das herzogliche Amt bereits bekleidete; dafs aber die Formula Ducatus Rhaetiarum eine schon früher erlassene, nämlich eine dem Herzoge schon bey dem Antritte seines Amtes ertheilte allgemeine Vorschrift war, beweiset gleichfalls ihr Inhalt unwidersprechlich. Der König führt ihm darin zu Gemüth, wie viel er demjenigen anyertraue, dem er die Oberaufsicht über die Gränz- völker übertrage; ganz etwas anders sey es, in Ländern, wo alles beruhigt ist, als unter Völkern, welche des Hanges zur Empörung verdächtig sind, die Herrschaft zu behaupten. Beyde Rhätien seyen das Bollwerk Italiens, und der Schlüssel zur Provinz. ... Er über- ‘gebe ihm daher das herzogliche Amt in Rhätien, damit er... die Gränzen sorgfältig bewahre; er sehe wohl, dafs es nichts Geringes sey, was ihm anvertraut werde, da die Ruhe des Reiches von seiner Wachsamkeit abhänge *). Eine Erinnerung dieser Art würde unter Athalarich wohl zu spät gekommen seyn. In allen Ausgaben der Werke des Kanzlers Cassiodorus findet man unter dem Titel: Variarum Libri XII. zuerst eine grolse Zahl Rescripte des ostgo- thischen Königs Theoderich; auf dieselben folgen, gleichfalls in grolser Zahl, Formeln, d.i. Anstellungsdecrete, Amtsinstructionen, Verordnungen u. s. w., aber ohne Angabe desjenigen Königs, von welchem sie herrühren. Die Formula Ducatus Rhaetiarum erscheint gleich unter den erstern, und wahrscheinlich gehören alle dem Kö- nige Theodorich an; denn erst nach ihnen, mit dem achten Buche fan- *) Multum his credimus, quibus confinales populi deputantur: quia non est tale pacatis regionibus jus dicere, quale suspectis gentibus afldere: ubi non tantum vitia, quantum bella suspecta sunt. Hhaetiae namque munimina sunt Italiae et elaustra provinciae. .. Ideoque Ducatum tibi credimus Rhactiarum, ut milites et in pace regas, et cum eis fines nostros solenni alacritate circumeas, quia non parvam rem tibi respieis fuisse commissam, quando tranquillitas Kegni nostri tua creditur sollicitudine eustodiri, Ibid, p. ı11. sq. Io 74 fangen Briefe seines Nachfolgers Athalarich an *%). Im ganzen achten Buche, und bis an das Ende dieser Sammlung findet sich keine Spur von einem Schreiben, welches Athalarich oder des- sen Nachfolger nach beyden Rhätien erlielsen. Doch gesetzt, der Urheber der erwähnten Formel wäre wirk- lich der König Athalarich gewesen: so würde doch daraus nicht folgen, dafs der austrasische König Theoderich der Gesetzgeber der Baiuuarier nicht habe seyn können. Athalarich bestieg den Theoderich die Thüringer, die nächsten Nachbarn der Baiuuarier, die mit ihnen in freundlichen Verhältnissen standen. Konnte nicht Athalarich gleich nach seiner T'hronbesteigung jene Amtsinstruction für.den Herzog beyder Rhätien erlassen, und dessen ungeachtet im J. 528, oder um das J. 530, da die Franken sich von Thüringen völlig Meister machten, das zweyte Rhätien an dieselben abgetreten haben? Zwar berief sich Mederer noch auf den Umstand, dafs der ostgothische König Vitiges erst nach dem Ausbruche des Krieges mit dem griechischen Kaiser Justinian den Franken, um ihre Al- lianz mit demselben zu trennen, das erste Rhätien, welches einst der ostgothische König Theodorich den Alemannen eingeräumt hatte, abtrat. Dafs dieser Krieg erst unter dem ostgothischen Könige Theodahat anfieng, die Abtretung erst unter seinem Nachfolger Vitiges erfolgte, und die fränkischen Könige Chlotar, Childe- bert und Theodebert es waren, denen das erste Rhätien abge- treten wurde, bezeugen freylich fränkische uud griechische Geschicht- schreiber **). Haben die Gothen damals, wie hieraus erhellet, das erste *) Auch in der Venetianischen Ausgabe vom J. 1729, und in derjenigen, die 1579 zu Paris erschien, beginnen die Briefe des K, Athalarich erst mit dem achten Buche, **) Gregor. türon. 1.3, c, 31. und Procop. de bello goth, L, 1, «, 13, u /J erste Rhätien besessen: so müssen sie auch noch im Besitze des zweyten gewesen seyn. So schlols wenigstens Mederer. Aber wie willkührlich ist dieser Schluls! Konnte nicht die Besiegung der Thüringer durch den fränkischen König Theodorich auch für die Gothen den Verlust des baiuuarischen Rhätiens herbeygeführt haben? Die Thüringer standen in enger Verbindung mit den Go- then; ihr König Hermanfrid hatte eine Schwestertochter des ver- storbenen ostgothischen Königs Theodorich zur Ehe; die Baiuua- rier hingegen waren gothische Unterthanen; sollten wohl diese ru- hig zugesehen haben, als der König der Franken die Thüringer an- griff? Selbst Mederer war schon auf den Gedanken gekommen, dals die Baiuuarier an diesem Kriege Theil genommen haben, und zugleich mit den Thüringern von den Franken bezwungen worden seyn möchten *). Es ist wahr: Der griechische Geschichtschreiber Agathias, welcher die Abtretung des alemannischen Rhätiens an die Franken berichtet, setzt bey: die Gothen hätten den Franken, um ihre Gunst zu gewinnen, noch andere fremde Bezirke abgetre- ten **). Allein aus einem andern gleichzeitigen Geschichtschreiber 10 ? wis- “ Beyträge zur Geschichte von Baiern, St. J, S. ı5. u. folg, **) Tovrovs de zporepov Okcvdcpıxos 0 rwv yor!wv Pacıkeus, nNvıra xaı y5 Evunacys Iralıas Enparecı, Es Popov draywyyv rapası- Galevos, Karykoov Eıxe ro PuvAov. ws de 0 uw areßıw, 0 de us- yısos Tovsıvıavo Te Twv Pouaıwv avronparopı xaı roıs yorzors roleuog Evveppayn, ro re 69 dı yordoı VUrodwarevovres Tas ppayyas, xaı Orws av avroms gıdoı TE & ra ualısa xaı Evvoı yevowro unxavwusvoı, irepwv re roA\wrv EEisravruXwpı@v, Kat uEv Ön xaı ro daAauavınov yevosg dpıedsav ete. Mos Alemannos quon- dam Theodoricus Gothorum Rex. . . . ceu subditos in obsequio habuit, Si- mul atque autem is diem obierat supremum , quam maximum inter Jusfinianum .. . autocratorem Romanorum et Gothos exarserat bellum, et tune Gotbi Fran- eis adulantes ... . , non solum a pluribus alienigenis regionibus et loecis disce- debant, sed etiam ab Alemannis prorsus abstinebant, Agathias de bello g0thico, Lib, I. p. ı7, Edit, Paris 1060. 76 wissen wir bestimmt, dafs nicht Baiuuarien, wie man bisher hier und da glaubte, sondern jener Theil von Gallien, der damals noch den Gothen gehörte, von ihnen bey dieser Gelegenheit an die Fran- ken abgetreten wurde *). Wenn aus diesen Stellen nicht hervorgeht, dafs das zweyte Rhätien durch die Gothen erst um das Jahr 536 dem Könige Theo- debert abgetreten worden, und auch keine andern Beweise vor- handen sind, dafs dieses damals, oder noch später geschehen sey: so läfst sich mit gutem Grund annehmen, dafs die Gothen dieses Land schon zur Zeit des austrasischen Königs Theoderich den Franken hatten überlassen müssen ; und es folgt daraus, dafs der Verfasser des Prologs keine Unwahrheit sagte, da er diesen König zum ersten Gesetzgeber der Baiuuarier machte. Der Satz, dafs das zweyte Rhätien seit Theoderichs glücklichen Unternehmungen gegen die Thüringer nicht mehr in den Händen der Gothen war, erhält auch dadurch einiges Gewicht, dafs seit dieser Zeit von den ostgothischen Königen keine Verordnung nach beyden Rhätien wei- ter erlassen wurde, und nach Servatus, dem gothischen Duce Rhae- *) Zrellovraı rowvv apeoßsıs avrına ds ro yspuavov !Svos, fo’ @ yallıas ze avroıs Evv T@ XPVIw Ö®00VT1, kaı Oaıxuıav zom- Sovrar. Ppayywv Öe rore Yysuovss yoav IAdıßepos xaı Ozvdıßep- 705 zaı Kloadapıos. oi yallıas re xaı ra xpyuara rapakaßovrss, Öısveıuavro uev nara Aoyov ys Eracu apxns, gıkoı dz @uolo- YyTav yordoıs & ranalısa osoSaı, kaı Aadpa avroıs erınovpovs zeunbeiv ete, Ergo mittuntur statim ad Germanos legati, qui illis Gallia cedant, datoque auro componant societatem, Tune Reges Francorum erant Childebertus, Theodebertus et Chlotharius: qui traditam sibi Galliam ac pecu- niam inter se pro cujuscunque Regni proportione diviserunt , promiseruntque se Gothis amicissimos fore, et auxilia missuros clam, non Francorum, sed na- tionum, quibus imperarent, Procop, de bello goth, Lib, I. cap. 13, p.346. Edit, Paris 1662, 77 Rhaetiarum, weder ein Herzog, noch ein anderer gothischer Beam- ter für dieses Land zum Vorscheine kam. Noch ist indessen durch die bisher vorgelegten Gründe das historische Ansehen des Prologus nicht vollkommen gerettet. Me- derer hat noch einige Einwendungen auf die Bahn gebracht, die theils aus der Beschaffenheit einer Tregernseeischen alten Handschrift, theils aus dem Inhalte der baiuuarischen Gesetze selbst entnom- men sind. In der Tegernseeischen Handschrift heißst es: Theodoricus jussit conscribere legem Francorum et Alamannorum et unicuique genti etc. und erst eine viel neuere Hand schrieb über Alamanno- rum die Worte hin: et Baioariorum. Diels brachte den gedachten Geschichtforscher auf die Vermuthung, dafs die ältesten Abschrei- ber des Prologs das Wort Baioariorum auf eine ähnliche Art erst hinzugesetzt haben, und also der Verfasser dem Könige Theoderich nur dir Herausgabe der fränkischen und alemannischen Gesetze zu- schreibe. Allein fürs Erste ist dieses nur eine Muthmalsung, die keinen Beweis für sich hat. Zweytens: Ist es wohl wahrscheinlich, dafs alle in- und ausländische, frühere und spätere Copisten das Wort: Baioariorum, eigenmächtig eingeschoben, und also alle den- selben Betrug gespielt, oder denselben Fehler gemacht haben soll- ten; der Tegernseeische Copist aber, welcher erst im eilften Jahr- hunderte lebte, allein richtig geschrieben habe? Oder dals er allein ein ächtes, alle andern aber ein interpolirtes Exemplar copirt ha- ben *)? Vielmehr klagt der Text, wie ihn der Tegernseeische Ab- schreiber uns gab, ihn allein beym ersten Anblicke einer Nachläs- sig- ®) Der Codex liegt in der königl. Centralbibliothek zu München, S. Literari- sches Handbuch für die baierische Geschichte und alle ihre Zweige. Von Joh. Christ. Freih, v, Aretin. Literatur der Staatsgesch, Erstes Heft. S. 102, 78 sigkeit an. In allen andern Handschriften heifst es: legem franco- rum et alamannorum et baiouuariorum unicuique genti que in eius potestate erant. Im Tegernseeischen Codex heilst es: Franco- rum et Alamannorum et unicuique gentiete. Ist es nicht sichtbar, dafs der Tegernseer das zwischen et und unicuique befindliche Wort: Baiouuariorum, übersehen, und das vorausgehende et unmittelbar an das unicuique genti, vor welchem in den andern Handschriften kein et sich befindet, angeschlossen habe? Der Tegernseeische Co- pist begieng daher einen Fehler, nicht die andern Abschreiber. Und wenn auch die Leseart, welche das WVort: Baioariorum, weglälst, die rechte wäre: so würde man dem austrasischen Könige Theo- derich seinen Antheil an der Gesetzgebung über die Baiuuarier doch nicht absprechen können. „Er liefs, heilst es in dem ange- führten Codex, das Gesetz der Franken und Alemannen und eines jeden Volkes zusammenschreiben, welches unter seiner Herrschaft stand.“ Also nicht blofs die Gesetze der Franken und Alemannen, sondern noch eines andern oder mehrerer Völker, die seine Herr- schaft erkannten; dieses spricht das und deutlich aus. Welche waren aber die andern, aufser den Franken und Alemannen, ihm unterworfenen Völker, wenn es nicht die Baiuuarier waren? Die geringe Zahl von Galliern, die zu seinem Reiche gehören mochten, hatten keine besondern Gesetze erhalten; die Thüringer eben so wenig; denn die bekannte Lex Anglorum et Werinorum, i. e. Thu- ringorum schreibt sich erst vom Anfange des neunten Jahrhunderts her, und galt den eigentlich sogenannten Thüringern nicht *). Das andere Volk, dem Theoderich aufser den Franken und Aleman- nen Gesetze gab, konnten daher nur die Baiuuarier seyn. Der andere, aus dem Inhalte der baiuuarischen Gesetze selbst entlehnte Grund scheint von gröfserm Gewichte zu seyn. In dem Titel *) Directorium, d.i. Chronologisches Verzeichnifs der Quellen der Süd-Sächsischen Geschichte von Jos. Christ. Adelung S. 34. BRRENHERND: 9 Titel von den Geschlechtern heilst es: „Der Herzog, der dem Vol. ke vorsteht; ist allezeit aus dem Geschlechte der Agilolfinger ge- wesen, und mufs es auch seyn, weil es ihnen die Könige, unse- re Vorfahrer, also zugestanden haben *). Nach Mederers Meynung liefert diese Stelle einen unumstöfslichen Beweis, dals der austrasische König Theoderich der Gesetzgeber der Baiuuarier nicht war, und nicht seyn konnte.“ Wäre er es gewesen, wie könnten jene Worte bestehen: weil es ihnen (den Agilolüingern) die Könige, unsere Vorfahrer, also zugestanden ha- ben? — Wer waren dann die Vorfahrer eines Theoderich? — Nur Chlodwig, sein Vater, war es, welcher die fränkische Monar- chie gestiftet hatte. Dieser Chlodwig starb im J. 5ır, da Rhä- tien, Vindelicien und Noricum, oder das nachmalige Boioarien, un- gezweifelt noch unter den Östgothen stand; folglich giengen ihn die Boioarier nichts an; und er konnte eben darum keiner von jenen Königen seyn, von denen das Gesetzbuch sagt, dafs sie der Agilol- fiigischen Familie die erbrechtliche Regierung in Boioarien zugestan- den haben; aber auch Theoderich, der unmittelbare Nachfolger Chlodwigs, konnte eben darum derjenige nicht seyn, aus dessen Munde oder Feder die besagten Worte des Gesetzes geflossen sind“ **). So weit Mederer. In Ansehung des Königs Chlodwig hat es mit seiner Be- hauptung unstreitig seine Richtigkeit. Zur Zeit dieses Königs war Baiuuarien eine gothische Provinz ***). Aber man lese in dem 5° *) Dux vero qui praeest in populo ille scmper de genere agiloluingarum fuit et debet esse quia sie reges antecessores nostri concesserunt eis, Leges Bai- uuar. Tit. III, cap. ı, Edit, Mederer. p. 99. sq- **) Mederers Einleitung zu den Legg. Baiuuarior, S.IV, ıf ***) Die Behauptung eines Neuern, dafs die Baiuuarier den Gothen nicht unter- worfen, sondern ein ganz unabhängiges Volk waren, ist einer von jenen selt- samen Einfällen, denen alle historischen Zeugnisse laut widersprechen. 80 dachten Prolog nur weiter, um sich zu überzeugen, dafs dessen Nach- folger Theoderich unstreitig derjenige seyn konnte, welcher dem Asgilolfingischen Geschlechte das Erbrecht zur herzoglichen Würde in Baiuuarien verliehen hatte. Nachdem der Verfasser des Prologs gemeldet hatte, dafs Theoderich zu den Gesetzen der Franken, der Alemannen und der Baiuuarier, die er zusammenschreiben liefs, das Nöthige beygesetzt, das Unschickliche weggenommen, und be- sonders alles, was von heidnischen Gebräuchen darin vorkam, nach der Vorschrift des christlichen Gesetzes abgeändert habe, fährt er also fort: „Was aber immer Theoderich wegen des eingewurzel- ten Heidenthums nicht verbessern konnte, das hat in der Fol- ge der König Hildibert zu verbessern angefangen; aber erst der König Chlodhar hat es zu Stand gebracht. Dieses alles hat der glorreichste König Dagobert... . erneuert; er hat die alten Ge- setze durchgängig verbessert, und sie jedem Volke schriftlich ge- geben *). Theoderich war also dieser Aussage zu Folge nicht der einzige Gesetzgeber der Baiuuarier; er war nur der erste, der ihre Gewohnheiten sammeln, und mit nöthigen Veränderungen zu Papier bringen liefs. Childebert und Chlotar fuhren fort, sie zu verbessern; endlich aber ‚gab ihnen Dagobert durch- gängig eine bessere Gestalt (omnia veteram legum in melius transtulit). Verbesserungen aber, welche den Inhalt betreffen (denn an eine Verbesserung der Schreibart dachte wohl niemand zu der- selben Zeit) sind nicht möglich, ohne dafs manches weggenommen, manches hinzugesetzt wird. Die baiuuarischen Gesetze haben daher von *) Et quicquid Theoderieus Rex propter vetustissimam paganorum consuetudinem emendare non potuit, post haec hildibertus rex inchoavit! sed chlodharius rex perfecit; haec omnia dagobertus rex gloriosissimus ...- renovavit; et omnia veteram legum in melius transtulit et vnieuique genti scriptam tradidit, Pro- log. Legg. Baiuuar. Edit. Mederer p. 7 et 8 51 von Theoderich an bis auf Dagobert verschiedene Zusätze bekom- men. Welche? — So viel sagt der Prolog, dafs Dagobert alles verbessert habe (omnia veteram legum). Was lälst sich nun mit mehr Grund annehmen, als dals die Stelle: „Der Herzog war allezeit aus dem Geschlechte der Agilolfinger gewesen, und er muls es seyn, weil die Könige, unsere Vorfahrer, cs ihnen also zugestanden haben,“ in das Gesetzbuch erst unter Dagobert, oder höchstens unter Chlotar II. eingeschaltet worden seyen? *), Dagobert und schon sein Vater Chlotar I. konnten mit Wahr- heit sagen, dafs der Herzog der Baivarier allezeit aus dem Ge- schlechte der Agilolfinger war ; denn unstreitig hatten bereits Ga- ribald I, Thassilo I. und Garibald II. die herzogliche Wür- de in Baiuuarien bekleidet; beyde konnten mit Wahrheit sagen, dals die Könige, ihre Vorfahrer, den Agilolfingern das Erbrecht zur herzoglichen Würde verliehen haben; denn bereits waren ihnen Theoderich, Theodebert, Theodebald, Chlotar, Sige- bert, dessen Sohn Childebert und Theodebert Il. in der Regierung des fränkischen Reiches vorausgegangen. Nach dieser gewils nicht unrichtigen Ansicht kann auch die Einwendung, die aus demselben Grunde gegen Childebert I. ge- macht worden, nicht mehr bestehen. Selbst wenn es erwiesen wäre, dafs der Prologist, da er den König Childebert als Verbesserer der baiuwarischen Gesetze nannte, den ersten dieses Namens ge- meynt habe: so würde der Schlufs, dals derselbe, da er, als König von Paris, mit den Baiuuariern nichts zu schaffen hatte, nicht Ge- setzgeber dieses Volkes habe seyn können, doch unrichtig seyn. Ob- *) Diese Bemerkung hat bereits auch H. Gemeiner in seiner Geschichte der altbaierischen Länder u. s. w. $. 27 vorgetragen, ohne jedoch ihre Rich- tigkeit umständlich aus einander zu setzen. II 82 Obwohl das fränkische Reich nach dem Tode desKönigs Chlod« wig durch Theilung unter seine vier Söhne in eben so viele Theile zer- fiel: so blieben diese Theile doch in einem gewissen Zusammenhange mit einander, und es wurde von den Brüdern stets eine Art von Regie- rungsgemeinschaft beybehalten. Dieses beweisen die Kriege, welche sie gemeinschaftlich führten, die gemeinschaftlichen Theilungen der Eroberungen, die Fortdauer des gegenseitigen Erbrechts, die gemein- schaftlichen Zusammenkünfte aller fränkischen Könige, welche auch in spätern Zeiten noch Statt fanden, u. dgl.m. Besonders war eine solche Gemeinschaft in Rücksicht auf die Gesetzgebung und Ge- rechtigkeitspflege unvermeidlich. Bey der Theilung der fränkischen Monarchie in vier Königreiche konnte unmöglich die chemalige Ein- theilung in das Land der Salier und der Ripuarier zum Grunde ge- legt werden. Sowohl Salier als Ripuarier hatten sich seit der Stif- tung des fränkischen Reiches im eroberten Gallien niedergelassen; die Erbtheiluug konnte nicht vor sich gehen, ohne dafs der eine oder der andere der Brüder Salier und Ripuarier zugleich zu Un- terthanen erhielt. Unter den Franken war es aber Grundsatz, dafs jeder nach dem Gesetze des Landes, wo er geboren war, gerichtet werden sollte. Darum heilst es im ripuarischen Gesetze: „Im ri- puarischen Lande sollen sowohl die Franken, als die Burgunder, Alemannen und jeder einer andern Nation angehörige, der sich dort aufhalten würde vor Gericht nach dem Gesetze des Orts, wo er geboren ist, antworten *). Zudem hielten sich die fränkischen Rö- nige selbst, ihr Erbtheil mochte im ripuarischen oder im salischen Lande liegen, in Bestimmung der Volljährigkeit ihrer Prinzen, nur an das ripuarische Gesetz **),. Was war daher natürlicher, als dafs auch der König von Neustrien an der Gesetzgebung für Austra- sien *) Ut infra pagum Ripuariorum tam Franci, Burgundiones, Alamanni seu de qua- eunque natione quis commoratus fuerit in judicio interpellatus, sicut lex loci continet, ubi natus fuerit, respondeat, Lex Ripuar, Tit. 3ı. 6.3. **) Charta division. de an. 816, $, ı6. 83 sien Theil nahm, und bey der Verbesserung Theil nahm, und bey der Verbesserung mitwirkte? Ihm, der seine Unterthanen aus Ri- puarien nach ripuarischen Gesetzen richten sollte, mufste wohl daran liegen, zu erfahren, was man etwa in dem ripuarischen Gesetze än- dern würde, zu wachen, dafs nicht etwas, das seinem Staatsvorthei- le entgegen wäre, sich .einschleiche. Dasselbe Interesse an diesem Geschäfte hatte auch Chlotar I. Doch es ist nur eitle Muthmalsung, dafs es die Könige Chil- debert I. und Chlotar I. waren, welche der Prologist an der Verbesserung der Gesetze Theil nehmen liefs. Vielmehr geht aus dem Vortrage desselben deutlich genug hervor, dafs er nicht von diesen, sondern von Childebert II. und Chlotar II. spreche. Die ersten dieses Namens waren bekanntlich Brüder Theoderichs, und regierten zu gleicher Zeit mit ihm, nur mit dem Unterschiede, dafs der eine ein höheres Alter erreichte, als der andere. In dem Prolog ist aber die Sache so erzählt, dals man wohl sieht, die Ver- besserung der Gesetze sey nicht durch die drey Könige auf einmal, und in einer und derselben Versammlung, sondern nach und nach erfolgt. Theoderich, heilst es, konnte das Geschäft nicht vollen- den; in der Folge fieng daher Childeber-t an, Verbesserungen vorzunehmen; aber erst Chlotar konnte das Werk zu Stand bringen *). Der Ausdruck: Post haec, zeigt deutlich an, dals man einen beträchtlichen Zwischenraum von Zeit zwischen der Gesetz- gebung Theodorichs und derjenigen Childeberts annehmen müsse. Eben dieses beweiset auch der Umstand, dafs Childebert zu verbessern anfieng, was Theoderich wegen eingewurzel- ten Gewohnheiten aus dem Heidenthum nicht hatte ver- > bes- *) Quiequid theodericus rex propter vetustissimam paganorum consuetudinem emendare non potuit; post haec hildibertus rex inchoayit! sed clodbarius rex perfecit. Prol, LL. Bai, p.7 et 8. 8 2 bessern können. Wenn Theoderich dieses nicht konnte, wie hätte es sein Bruder zu derselben Zeit bewirken können? Einge- wurzelte, auf religiöse Vorurtheile gegründete Gewohnheiten rottet man nicht in Einem Jahrzehend aus. Aber auch Childebert konnte die Arbeit nicht vollenden, sondern erst Chlotar brach- te die Verbesserung ganz zu Stand. Das sed steht hier gewils nicht umsonst: es zeigt deutlich an, dafs auch zwischen Childeberts und Chlotars Versuchen ein Zeitraum von mehrern Jahren verflofs. Waren die Könige Childebert und Chlotar, welche der Verfasser des Prologs als Verbesserer der Gesetze angab, die zwey- ten dieses Namens: so fallen alle Einwendungen von sich selbst weg. Ghildebert II. wurde nach dem Tode seines Vaters Sigc- bert im J. 575 König von Austrasien: Chlotar II. erlangte die Herrschaft über die ganze fränkische Monarchie bald nach dem Jahre 612. Beyde können daher, als Herren des austrasischen Rei- ches, ohne Widerrede die Gesetze der demselben unterworfenen Völker verbessert haben, Ein anderer Umstand, welcher der Aussage des Prologisten im Wege zu stehen scheint, ist die Chronologie. Auf Mederers Ansehen haben die neuern Geschichtforscher, fast allgemein ange- nommen, dafs Garibald der erste Herzog der Baiuuarier war. Hat schon der austrasische König Theoderich ihn eingesetzt, so müfste dieses bald nach seinem Siege über die Thüringer zwischen den Jahren 530 und 534, dem Sterbejahre Theoderichs, gesche- hen seyn. Wenn Garibald damals nur ıg Jahre zählte, so mülste er, wofern er im Jahre 595 starb, ein Alter von go bis 83 Jahren erreicht haben. Freylich ist dieses nichts Unerhörtes. Beyspiele von Menschen, welche go, auch wohl oo und mehr Jahre durch- lebten, weiset die Geschichte genug auf. Indessen ist doch ein so hohes Alter nicht unter die gewöhnlichstea Fälle zu zählen, und daher 65 daher nicht so leicht anzunehmen. Auf der andern Seite ist es nicht einmal ausgemacht, dafs Garibld in dem gedachten Jahre wirklich gestorben sey; der longobardische Geschichtschreiber sagt nur, Tassilo sey in diesem Jahre von dem fränkischen Könige Childebert eingesetzt worden *). Eben darum dürfte man ge- neigt werden, die Meynung Aventins und anderer, welche vor Garibald noch einige andere Herzoge annahmen, nicht ganz zu verweifen. Setzt man einen oder zwey Herzoge vor Garibald an, so verschwindet ‘die Schwierigkeit, und es läfst sich alles, was die alten Schriftsteller von ıhm erzählen, leichter erklären. Der fränkische König Chlotar konnte ihm um das Jahr 554 die Witt- we des austrasischen Königs Theobald zur Gemahlin geben; der tridentinische Herzog Ewin konnte im J. 575 eine Tochter Gari- balds zur Ehe nehmen; eine zweyte Tochter desselben, Theo- delinde, konnte im J. 589 an den longobardischen König Autha- ris vermählt werden, und Garibald konnte im J. 595, oder auch um einige Jahre später mit Tod abgehen, ohne ein unglaublich ho- hes Alter erreicht zu haben. Und was hindert uns, die Meynung anzunehmen, dafs er einen, oder zwey Vorgänger gehabt habe? Die entgegengesetzte Meynung ist so gut eine Hypothese, als diese; zur historischen Gewilsheit konnte sie bisher noch nie gebracht werden, obwohl man alles Mögliche hervorgesucht hatte, um sie zu unterstützen. Der Umstand, dafs die alten Annalisten von keinem frühern Herzoge Meldung thun, beweiset nicht, dafs es keinen ge- geben habe. Sie melden überhaupt nichts von dem ältesten Schick- sale Baiuuariens, nichts von der Zeit, zu welcher, nichts von der Ge- *”) Tassilo a Childeberto rege Francorum apud Bajoariam rex ordinatus est, Paul. Diac. histor. Longobard. L.4. «7. Ap. Murator, T.I. p. 455. Muratori bemerkte not. 27, dals das Wort rex in der ältesten und besten ambrosianischen Handschrift nicht vorkomme, folglich erst später eingeschoben worden sey. 86 BERERSSEER Gelegenheit, bey welcher dieses Land dem fränkischen Scepter un- terworfen wurde; also auch nichts von desselben erstem Herzoge. Aber der Prologist, sagt man, hat erst lange nach Dago- bert, — wohl um 100 Jahre später, gelebt. Diels glaubte wenig- stens Mederer, und eben darum sprach er ihm die Fähigkeit ab, von einer Begebenheit aus einem so entfernten Zeitalter ein gülti- ges Zeugnils abzulegen. Zum Beweise berief er sich auf desselben eigenes Geständnils in dem Prolog, wo es heilst: Die Gesetze, wel- che Dagobert verbesserte, und jedem Volke schriftlich gab, be- ständen noch heut zu Tage *). Allein diese Stelle beweiset nicht ein späteres Alter des Verfassers. Der Prologist sprach hier nicht von neuen Gesetzen, welche Dagobert gegeben, oder von Zu- sätzen, womit der König sie bereichert hatte, sondern von den al- ten Gesetzen, die in alten Nationalgewohnheiten ihren Grund, und durch die Könige Theoderich, Childebert und Chlotar Verbesserungen erhalten hatten (omnia veteram legum in melius transtulit). Der folgende Satz: welche sich bis zum heutigen Tage erhielten (que usque hodie perseverent oder perseverant) bezieht sich nicht auf die Verbesserungen und Zusätze Dagoberts, son- dern auf die alten Gesetze, und der Verfasser hat ihn nur nach der damaligen schlechten Schreibart zu weit hinabgeschoben. Sei- ner Natur nach ist er ein Zwischensatz; man rücke ihn nur in sei- nen gehörigen Platz ein, und sein wahrer Sinn wird sogleich in die Augen fallen. „Alle alten Gesetze, welche sich bis zum heutigen Tag erhielten, d. i. welche seit dem Könige Theoderich nicht auf- *) Omnia veteram legum in melius transtulit-et unicuique genti scriptam tradidit que usque hodie perseverent, p.8. (In dem helmstädtischen Codex, wovon Bruns die Varianten geliefert hat, heifst es: perseverant. S. desselben Bey- träge zu den deutschen Rechten des Mittelalters aus den Hand- schriften und alten Drucken der akadem, Bibliothek in Helm- städt, 1799. — 87 aufgehoben wurden, hat Dagobert verbessert“ (omnia veterum legum, que usque hodie perseverant, in melius transtulit). Aus der unmittelbar vorhergehenden Stelle geht nicht undeutlich hervor, dafs der Prologist ein Zeitgenosse des Königs Dagobert war. Alle andern Könige, durch welche die Gesetze verbessert wurden, be- zeichnete er blols durch ihre Namen ohne allen Beysatz *). Ganz natürlich! Sie lebten nicht mehr; die Beobachtung des Ceremoniels in der Titulatur war nicht mehr nöthig. Aber Dagobert heifst bey ihm der glorwürdigste König **). Warum zeichnete er diesen allein durch ein solches Prädicat aus, wenn nicht der Um- stand, dafs er zu gleicher Zeit mit ihm lebte, ihn bewog, sich öf- fentlich jenes Ausdruckes von Ehrfurcht zu bedienen, welchen die Pflicht dem Unterthan gegen seinen Beherrscher vorschreibt? Das Prädicat: glorwürdigst und glorwürdig, war zu derselben Zeit der gewöhnliche Titel der wirklich lebenden Könige und königlichen Prinzen **). Von Beyspielen, dafs man ihn auch ältern, bereits verstorbenen Fürsten beylegte, wird man wenige oder gar keines nachweisen können. Der Vorwurf, den man unserm Prologisten seines Alters we- gen macht, kann daher sein historisches Ansehen nicht erschüttern. Eben so wenig kann der Umstand, dals er der einzige ist, der die Geschichte von dem Ursprunge der baiuuarischen Gesetze erzählte, scinen Bericht unglaubwürdig machen. Es ist wahr: die vorzüg- lich- *) Theodericus rex francorum . ,. iussit etc, ... Post haec hildibertus rex in- choavit! sed chlodharius rex perfeeit. pag. sq. **) Hacc omnia dagobertus rex gloriosissimus . . . renoyavit, p. 8, Hr. Gemei- uer gab hierüber in seiner Geschichte der altbaierischen Län- der u 5. w, bereits einen Wink, indem er $,6 versicherte, der Verfasser habe zu den Zeiten gloriosissimi Dagoberti gelebt, ***) So heist es inForm, Marculphi Lib, ı. form, 40: Dum nos „. . in regno nostro gloriosum filium nostrum illum reguare praecepimus. 88 FE — lichsten Geschichtschreiber der Franken: Gregor von Tours und Fredegar, meldan kein Wort davon. Allein beyde zeigen auch mit keiner Sylbe an, dafs einer der fränkischen Könige sich die Baiuuarier unterworfen, und ihnen Gesetze gegeben habe. Soll- te man aus diesem Stillschweigen wohl den Schlufs ziehen dürfen, dafs dieselben den Franken gar nie unterworfen gewesen, nie von einem fränkischen Könige Gesetze erhalten haben *)? Wenn keine bestimmte Aussage eines alten Annalisten zum Vortheile unsers Prologs vorhanden ist, so kann man dafür eine Urkunde aufweisen, wodurch dessen Erzählung bestätigt wird. In einem Schreiben. welches der Sohn und Nachfolger Theoderichs, der austrasische König Theodebert, an den griechischen Kaiser Justinian erlassen hatte, erklärt derselbe bestimmt, dafs das Ge- biet seines Reiches sich längs der Donau und über Pannonien bis an die Küsten des Meeres erstrecke **). Unfehlbar hatte er < die- *) Man berufe sich hier nicht zum Beweise des Gegentheils auf die Stelle in Fre- degar. Chron. c. 58, Timorem sic fortem sua (Dagoberts) concusserat uti- litas, ut jam devotione arriperent suae se tradere ditioni; ut etiam gentes, quae eirca limitem Avarorum et Slavorum consistunt, eum promte expeterent, ut ille post tergum eorum iret felieiter , et Avaros et Slavos ceterasque gen- tium nationes usque manum puplicam suae ditioni subjieiendum fiducialiter spondebat. Baiuuarien kann sich nicht erst unter Dagobert im siebenten Jahr- hundert dem fränkischen Reiche unterworfen haben , da Childebert schon im sechsten einen Herzog daselbst eingesetzt hatte. $. übrigens Gemeiner I, c. Seite 38, **) Id quod dignamini esse sollieiti, in quibus provineiis habitemus, aut quae gentes nostrae sint, deo adjutore, ditioni subjectae, dei nostri misericordia fe- lieiter subactis Thuringis et eorum provineiis acquisitis, extinetis ipsorum tune regibus, Norsavorum gentis nobis placata majestas colla subdidit, deoque pro- pitio Wisigothis, qui incolebant Franciae septentrienalem plagam, Pannoniam cum Saxonibus Euciis, qui se nobis voluntate propria tradiderunt, per Da- nubium et limitem Pannoniae usque in Oceani littoribus, custodiente Deo, nostra ‚dominatio porrigitur, Epist. Theodeberti ad. Justinian. ap. Bouquet T, IV. p, 59. 89 dieses Schreiben bald nach seiner Thronbesteigung, und noch vor der Erwerbung des alemannischen Rhätiens, also zwischen den Jah- ren 534 und 536 erlassen; denn wäre der Brief später geschrieben worden, so würde Theodebert, der dem Haiser auf dessen Ver- langen ein ausführliches Verzeichnils seiner Besitzungen liefern wollte, nicht ermangelt haben, darin unter denselben auch das ale- mannische Gebirgsland Rhätien, und diejenigen Striche in Gallien, die ihm der gothische König Vitiges im J. 536 abgetreten hatte, anzugeben. Da dies nicht geschah, so folgt, dafs er diese Lande damals noch nicht besessen habe. Wenn sich aber dessen unge- achtet schon zu dieser Zeit sein Reichsgebiet längs der Donau bis über Panonien hinzog: so mufs er schon damals im Besitze des ehemaligen zweyten Rhätiens und Noricums, d. i. Baiuuariens gewesen seyn; denn ein anderes Land kann unter dem längs der Donau gelegenen Gebiete nicht verstanden werden. Was allen Verdacht einer Unächtheit dieses Schreibens entfernt, ist dessen vollkommene Uebereinstimmung mit der Geschichte in allen übrigen Dingen, Man mag übrigens für das darin vorkommende Wort: Norsavorum, wie Hr. Gemeiner will, Norgavorum oder Norico- rum lesen, oder die Norsaver mit Adelung zu Nordschwaben ma- chen *): so thut diefs nichts zur Sache. Der Umstand allein, dafs sich das fränkische Reichsgebiet längs der Donau bis über Pan- nonien erstreckte, ist entscheidend **), Aus *) Gemeiner a. a. 0, 8,8, — Directorium, d. i, chronol. Verzeich- nils der Quellen der Süd-Sächsichen Gescichte u, s, w. von Adelung. 8.7. Frehers Leseart: Northmannorum, hat gar keine Wahr- ‚scheinlichkeit für sich. **) Der kritische Geschichtschreiber Hadrianus Valesius zog zwar in Gestis veterum Francorum T. I. p. 438 die Aechtheit der Aufschriften dieses und zwei anderer Briefe, ‚ die man dem Könige Theodebert J, zuschreibt, in Zwei- fel, und stellte die Meinung auf, dafs sie nicht von Theodebert I. an den Kai« ser Justinian, sondern von Theodebert I. an den Kaiser El. Mauritius Tiberius erlassen worden seyen, Allein seine Einwendungen treflen gröfsten Theils nur 12 die 90 Aus allem, was bisher gezeigt worden, fliefst sehr natürlich folgender Schluls: Beruht keine einzige von allen denjenigen Ein- wendungen, die man bisher dem Prolog entgegengesetzt hat, auf ‘einem festen Grunde: so ist nicht abzusehen, warum der Verfasser desselben nicht eben so viel Glauben verdienen sollte, als man an- dern alten, genannten und ungenannten Annalisten beymifst. Er mag entweder selbst Antheil an der Redaction des Gesetzbuches unter dem Könige Dagobert gehabt, oder den Prolog nur als Pri- vatmann geschrieben haben: so viel ist gewils, dafs er ein Mann war, den man weder einer Unwissenheit, noch einer Nebenabsicht ’ bey Abfassung seines Berichtes mit Grund besehuldigen kann. Die ganze Geschichte von der Entstehung und Ausbildung der fränki- schen, alemannischen und baiuuarischen Gesetze erzählte er ordent- lich und deutlich, und seine Aussagen tragen nicht das geringste Gepräge innerer Unwahrscheinlichkeit. Nirgend steht er im Wider- spruche die zwey andern, nicht dieses dritte Schreiben. Der einzige Umstand, dafs darin von einem alten guten Verständnisse des fränkischen Hofes mit dem griechischen Kaiserhofe (antiqua amicitia) Meldung geschieht, kann zum Nach- theile der Aufschrift nichts entscheiden, Wenn gleich Theodeberts Vorfahrer, Theoderich, bekanntlich mit dem griechischen Hofe gar nichts zu thun ‘hatte: so hatte doch einst der griechische Raiser Anastasius nach dem eigenen Ge- ständnisse des gedachten Kritikers sich um eine Allianz mit dem fränkischen Könige Chlodwig beworben. Ein schon damals angeknüpftes gutes Vernehmen, welches bisher nie unterbrochen worden, durfte wohl ein altes gutes Ver- ständnifs genannt werden, Ein anderer kritischer Geschichtschreiber: Dubos in crit. Histor. Monarch, Franc. L.5. c, ı legt dieses Schreiben ohne alle Bedenklichkeit dem Könige Theodebert I. bey. Der Inhalt past auch auf diesen weit mehr, als auf Theodebert II. Es ist gar nicht wahrscheinlich, dafs der Kaiser Mauritius noch gegen das Ende des sechsten Jahrhunderts die schon seit mehr als einem halben Jahrhundert erworbenen Besitzungen der Franken . nicht sollte gekannt, sondern erst jetzt es nöthig gefunden haben, sich durch den König Theodebert Il. Aufschluls darüber geben zu lassen. Und wäre die- ses wirklich der Fall gewesen, so hätte dieser letztere neben den übrigen frän- kischen Ländern doch auch das alemannische Rhätien und die von «en Gothen abgetretenen Stücke von Gallien angeben müssen. gı spruche entweder mit sich selbst, oder mit andern Schriftstellern. Dafs er gute Kenntnifs von der Sache gehabt habe, zeigt sich un- streitig daraus, dafs er die Begebenheiten nicht blofs andeutete, oder nur die Hauptsache kurz hinwarf, sondern auch die nähern Umstände, und sogar die Namen derjenigen, welche an der Gesetz- gebung unter Dagobert Theil gehabt hatten, genau anmerkte *). Also Ehre, dem Ehre gebührt! Ehre dem Verfasser des baierischen Prologus! *) Haec omnia dagobertus .. , per viris illustribus claudio chado „ indo „ magno . et agilolfo renovavit, p, 8, Die Stelle ist bekanntlich durch die Abschreiber verdorben worden,