eanngerin we mean nn re ee Ih anrier ed reitan nenn RE ZUM SIEBZIGSTEN GEBURTSTAGE ERNST HAECKEL VON SEINEN SCHÜLERN UND FREUNDEN MIT ı6 TAFELN UNB ı09 ABBILDUNGEN IM TEXT JENA VERLAG VON GUSTAV FISCHER 1904 Verlag von Gustav Fischer in Jena. Metagenesis und Hypogenesis von Aurelia Aurita. Ein Beitrag zur Entwickelungsgeschichte und zur Teratologie der Medusen. Von Dr. Ernst Haeckel, Prof. a. d. Univ. Jena. Mit 2 Tafeln. ı88ı. Preis: 5 Mark 50 Pf. Die Naturanschauung von Darwin, Goethe und Lamarck. Vortrag in der ersten öffentlichen Sitzung der 55. Ver- sammlung Deutscher Naturforscher und Aerzte zu Eisenach am ı8. September 1882 gehalten von Dr. Ernst Haeckel, Prof. a. d. Univ. Jena. 1882. Preis: ı Mark 50 Pf. Plankton-Studien. Vergleichende Untersuchungen über die Bedeutung und Zusammensetzung der Pelagischen Fauna und Flora. Von Dr. Ernst Haeckel, Prof. a. d. Univ. Jena. 1890. Preis: 2 Mark. Biologische Studien. Zweites Heft: Studien zur Gastraea-Theorie. Von Dr. Ernst Haeckel, Prof. a. d. Univ. Jena. Mit ı4 Tafeln. 1877. Preis: ı2 Mark. (Das erste Heft erschien bei W.Engelmann. Leipzig.) Das System der Medusen. Erster Teil einer Monographie der Medusen. Von Dr. Ernst Haeckel, Prof. a. d. Univ. Jena. Mit einem Atlas von 40 Tafeln. ı880. Preis: ı20 Mark. Monographie der Medusen. Zweiter Teil. Zweite Hälfte: Der Organismus der Medusen. einem Atlas von 32 Tafeln und mit 8 Holzschnitten. Preis: ız Mark System der Siphonophoren auf pl Univ. Jena. (Sep.-Abdr. a. Ursprung und Entwickelung der t: Dr. Ernst Haeckel, Prof. a N. EB. DE Bd.) Preisı2 M Ziele und Wege der heutigen Entw 2 Mark 4o Pf. | Das elektrische Organ des afrikaı Ballowitz, a. o. Professor di wald. Mit 7 lithographische Die Entwickelungsgeschichte der K' der Anatomie und Prosektc wickelung vom Auftreten | Tafeln und 59 Textfiguren. Elektrophysiologie.e. Von W. Biede geb. 2o Mark. I. Abteilun dungen. Preis: 9 Mark. Fauna Arctica. Eine Zusammenste bergen-Gebietes auf Grunc Jahre 1898. Unter Mitwirk furt a. M. und Dr. Fritz Sch und 5o Abbildungen. Prei: dungen im Text. ıgo2. P:! Dritter Band. Ers Inhalt: Zschokke, F,, Otto, Die Nemertinen. — Dritter Band. Zwe Inhalt: Hartmeyer, Rc Festschrift zum siebzigsten Geburtstage von Garl von Kupffer. mit einem Atlas von 64 Tafeln und 188 Abbildungen im Text. HARVARD UNIVERSITY. LIBRARY OF THE MUSEUM OF COMPARATIVE ZOÖLOGY. IM. EN Erste Hälfte: Die Tiefsee-Medusen der Challenger-Reise. Von Dr. Ernst Haeckel, Prof. a. d. Univ. Jena. Mit Ernst Haeckel, Prof. a. d. Bd.) Preis: ı Mark 2o Pf. ur Gastraea-Iheorie. Von Naturwissensch., Bd. X VIII, of. a. d. Univ. Jena. Preis: »ede). Von Dr. med. Emil itut der Universität Greifs- reis: 24 Mark. | Ballowitz, a. o. Professor 'swald. Teil I: Die Ent- 3. Mit 10 lithographischen ıteilungen. Preis: 18 Mark, ıbteilung. Mit 149 Abbil- 3erücksichtigung des Spitz- das Nördliche Eismeer im Dr. Fritz Römer in Frank- \, 2 geographischen Karten “ Xartenskizze und ıg Abbil- n. 1903. Preis: 16 Mark. Myriopoden. — Bürger, en. 1903. Preis: 40 Mark. Gewidmet von seinen Schülern. 27 Aufsätze 1899. Preis: ı5o Mark. Hieraus einzeln: Boveri, Dr. Th., Professor an der Universität Würzburg, Entwickelung von Ascaris megalocephala mit besonderer Rücksicht auf die Kernverhältnisse. Mit 6 Tafeln und 6 Textfiguren. Preis: ı2 Mark. Mollier, Dr. S., Professor an der Universität München, Ueber Statik und Mechanik des menschlichen Schulter- gürtels unter normalen und pathologischen Verhältnissen. Mit 7ı Abbildungen und 7 Tabellen im Text sowie 2 Beilagen. Preis: ıo Mark. Rückert, Dr. Johannes, o. ö. Professor an der Universität München, Erste Entwickelung des Eies der Elasmo- branchier. Mit 8 Tafeln und 7 Textfiguren. Preis: 20 Mark. Stieda, Dr. L., Professor an der Universität Königsberg, Geschichte der Entwickelung der Lehre von den Nervenzellen und Nervenfasern während des ıg. Jahrhunderts. I. Teil: Von SÖMMERING bis DEITERS. Mit 2 Tafeln. Preis: 10 Mark. DENKSCHRIFTEN DER MEDIZINISCH-NATURWISSENSCHAFTLICHEN GESELLSCHAFT ZU JENA ELFTER BAND FESTSCHRIFT ZUM SIEBZIGSTEN GEBURTSTAGE VON ERNST HAECKEL HERAUSGEGEBEN VON SEINEN SCHÜLERN UND FREUNDEN MIT ı6 TAFELN UND ı09 ABBILDUNGEN IM TEXT JENA VERLAG VON GUSTAV FISCHER 1904 BEIECHRIFT ZUM ERZISSTEN GEBURTSTAGE ERNST HAECKEL VON SEINEN SCHÜLERN UND FREUNDEN MIT ı6 TAFELN UND 109 ABBILDUNGEN IM TEXT JENA VERLAG VON GUSTAV FISCHER 1904 A E VALROIN u YRIUORENOTEUNF EHRGEDÜLEEN A ebersetzungsrecht vorbehalten. * ERR ST HAFCKEL ZUM 16. FEBRUAR 1904 GEWIDMET VON DANKBAREN SCHÜLERN UND FREUNDEN Fakalt Strasburger, Eduard, Anlage des Embryosackes und Prothalliumbildung bei der Eibe nebst an- schließenden Erörterungen. Mit Tafel Tu. II. Hertwig, Oscar, Ueber eine Methode, Froscheier am Beginn ihrer Entwickelung im Raume so zu orientieren, daß sich die Richtung ihrer Teilebenen und ihr Kopf- und Schwanzende bestimmen läßt. Mit Tafel III und ı Figur im Text Kükenthal, W., Ueber einige Korallentiere des Roten Meeres. Mit Tafel IV u. V und > Figuren im Text Eggeling, H., Zur Morphologie des Manubrium sterni. Mit Tafel VI und 43 Figuren im Text Göppert, E., Der Kehlkopf von Protopterus annectens (OwEn). Anatomische Untersuchung. Mit Tafel VII und 5; Figuren im Text Walther, Johannes, Die Fauna der Solnhofener Plattenkalke. Bionomisch betrachtet. Mit Tafel VIII und 2ı Figuren im Text. Biedermann, W., Die Schillerfarben bei Insekten und Vögeln. Mit ı6 Figuren im Text . Hertwig, Richard, Ueber physiologische Degeneration bei Actinosphaerium Eichhorni. Nebst Be- merkungen zur Aetiologie der Geschwülste Mit Tafel IX—XII. Stahl, Ernst, Die Schutzmittel der Flechten gegen Tierfraß Braus, Hermann, Tatsächliches aus der Entwickelung des Extremitätenskelettes bei den niedersten Formen. Zugleich ein Beitrag zur Entwickelungsgeschichte des Skelettes der Pinnae und der Visceralbögen. Mit Tafel XII u. XIV und ı3 Figuren im Text Lang, Arnold, Ueber Vorversuche zu Untersuchungen über die Varietätenbildung von Helix hortensis MÜLLER und Helix nemoralis L.. Maurer, F., Das Integument eines Embryo von Ursus Arctos. Ein Beitrag zur Frage der Haare. und Hautdrüsen bei Säugetieren. Mit Tafel XV und 4 Figuren im Text . Ziegler, Heinrich Ernst, Die ersten Entwickelungsvorgänge des Echinodermeneies, insbesondere die Vorgänge am Zellkörper. Mit Tafel XVI und 4 Figuren im Text Verworn, Max, Die Lokalisation der Atmung in der Zelle Fürbringer, Max, Zur Frage der Abstammung der Säugetiere . Seite 133 301 399 377 427 307 539 561 971 Yen & x r Pr F Hs G Anlage des Embryosackes und Prothalliumbildung bei der Eibe nebst anschliessenden Erörterungen. Von Eduard Strasburger. Mit Tafel I 11. Jenaische Denkschriften. XI. il Festschrift Ernst Haeckel. >> = ® | . iur 3% ha Send seit Jahren war es meine Absicht, den Ursprung des Embryosackes und die Prothallium- bildung bei einer Konifere eingehend zu verfolgen. Ich rechnete nicht auf neue Entdeckungen auf diesem Gebiete, es kam mir vielmehr nur darauf an, nach weiteren Anknüpfungspunkten für die noch immer kontroverse Deutung der einzelnen Vorgänge im Embryosacke der Angiospermen zu suchen. Ich wandte mich an Taxus, weil bei diesem Nadelholz ein fester Ausgangspunkt für die Fragestellung in früheren Arbeiten schon gegeben war. Daß das Auffinden aller erwünschten Zustände eine Geduldsprobe in sich schließen würde, war von vornherein klar. In der Tat gelang es mir, unter anderem, den in Fig. 10 dargestellten Zustand, der die heterotypische Kernspindel in der Embryosackmutterzelle vorführt, erst zu finden, nachdem ich 180 Serien von Schnitten durchmustert hatte. Diese Serien waren mit dem Mikrotom bei 5 tausendstel Millimeter Dicke hergestellt; aus Material, welches von Mitte Februar 1903 bis Juni in kurzen Abständen gesammelt und mit Chrom-Osmium-Essigsäure fixiert worden war. Die Färbung der Serienschnitte erfolgte nach der im hiesigen Institut üblichen Methode. In seinen Beiträgen „zur Kenntnis der Endospermbildung und zur Embryologie von Taxus baccata L.“ konnte L. JÄGER!) meine schon vorhandenen, älteren, aus dem Jahre 1879 stammenden Angaben?) über Anlage des Nucellus und des sporogenen Gewebes bei der Eibe nur bestätigen. Ich gab damals an, daß am fertilen Sekundansprößchen von Taxus, dessen Vegetationskegel den Nucellus der Samen- anlage erzeugen soll, die hypodermale Zelllage in Teilung eintritt. Meine Figuren’), die auch heute noch richtig sind, zeigen, wie durch perikline Wände diese Zellen in Zellreihen verwandelt werden, während über ihnen auch die Dermatogenzellen, durch entsprechende Teilungen, koaxial angeordnete Zellenzüge bilden. So wird der kegelförmige Nucellus schließlich aus den Nachkommen der äußersten Periblemschicht und des Dermatogens aufgebaut. Dieser Nucellus sitzt einem Gewebe auf, das aus tiefer gelegenen Zellschichten hervorgegangen ist. Ich fand weiter, daß die Embryosackmutterzellen von Taxus die Endzellen der aus der hypo- dermalen Zellschicht entstandenen Reihen seien, die über ihnen gelegenen Zellen daher mit den „Tapeten- zellen“ in der angiospermen Samenanlage sich vergleichen ließen. Das ist auch richtig, nur wird es jetzt zutreffender sein, jene den Embryosackmutterzellen auflagernden Zellen nach dem Vorschlag von GOEBEL‘) als „Schichtzellen“ zu bezeichnen, da GoEBEL mit Recht darauf hinweist, daß Zellschichten, die als Tapeten funktionieren, sehr verschiedenen Ursprung haben können, es sich bei dieser Bezeichnung somit nicht um einen morphologischen, sondern um einen physiologischen Begriff handle. ı) Flora, Bd. LXXXVI, 1809, S. 241. 2) Die Angiospermen und die Gymnospermen, S. 110. 3) Taf. IX, Eie. 16, 17; Taf. X, Fig. 1821. 4) Zuletzt: Organographie der Pflanzen, 1898—1901, S. 768. = 4 Anlage des Embryosackes und Prothalliumbildung bei der Eibe nebst anschließenden Erörterungen. 4 Wie meine nunmehrigen Figuren 3 bis 6, Taf. I, zeigen, bildet das sporogene Gewebe im Nucellus der Eibe eine Zellgruppe, die gegen die Umgebung zunächst nur wenig, später deutlicher sich absetzt. Sie wird gebildet von 3 bis 5 nebeneinander liegenden Embryosackmutterzellen, von denen _ der Längsschnitt 2—3 gleichzeitig vorzuführen pflegt, und alsbald auch von einem diese Embryosack- mutterzellen umgebenden Gewebe, das in physiologischer Beziehung durchaus die Bezeichnung einer Tapete verdient. Die Embryosackmutterzellen sind in der Längsrichtung gestreckt und zeichnen sich durch bedeutendere Größe und einen voluminöseren Zellkern aus. Diesen Zustand hatten sie in diesem Frühjahr schon Ende Februar aufzuweisen, wo die erneute Tätigkeit in der Samenanlage bereits er- wacht war. Alsbald stellten sich auch Teilungen in den angrenzenden Zellen ein, um die Tapete anzu- legen. Die Einschaltung neuer Wände in diesen umgebenden Zellen erfolgte mehr oder weniger tangential im Verhältnis zu der Gruppe der Embryosackmutterzellen, die damit einen Rahmen inhalts- reicher Zellen erhielten. In diesen Tapetenzellen fand sich zugleich Stärke ein, deren Menge übrigens je nach dem Einzelfall schwankte. In den Embryosackmutterzellen konnte solche Stärke ebenfalls auf- treten, ihre Bildung dort aber auch unterbleiben. Bei Larix europaea war mir gerade die Embryo- sackmutterzelle durch ihren Stärkereichtum aufgefallen‘), so auch H. O. JueL?’) die Embryosackmutter- zelle von Larix sibirica. Aehnliches gibt W. C. Coker?) für Taxodium distichum an, wo außer der Embryosackmutterzelle eine Lage der sie umgebenden Zellen sich mit Stärke füllt. In allen diesen Fällen schwindet diese Stärke sehr bald; hingegen, wie es scheint, erst später bei Ceratozamia longifolia, für welche TreEug viel Stärke in der Embryosackmutterzelle angibt und auch noch Stärkekörner in den 3 Zellen abbildet, welche sie erzeugte‘). | Wie aus dem Vorausgehenden bereits folgt, überwintern die Samenanlagen von Taxus mit schon angelegten Embryosackmutterzellen. Diese sind im Oktober des Vorjahres fertiggestellt. Ein gleiches Verhalten dürften die meisten Koniferen unserer Breiten zeigen, so auch Larix sibirica nach JueL°’), Taxodıum distichum nach CoreEr‘). Das nämliche gilt für die Pollenmutterzellen der Koniferen, so für die Eibe, für Larix europaea, wo nach BELAJEFF’) die Kerne der Pollenmutterzellen während des Winters das lockere Knäuelstadium (Diakinesestadium) zeigen, nach CHARLES J. CHAMBERLAIN®) auch für Pinus Laricio, Cupressus Lawsoniana, Taxus baccata canadense. Sobald die ersten warmen Tage im Frühjahr sich einstellen, führen die Pollenmutterzellen ihre Teilungen aus, worauf der Pollen so rasch zu reifen vermag, daß er alsbald stäubt. Das erfolgte in diesem Frühjahr, bei der ungewohnt warmen Witterung des Februars, für Taxus baccata schon zu Ende jenes Monats. Zugleich traten auch die Embryosackmutterzellen bereits in Teilung ein. Dann stellte sich aber unvermittelt am Rhein eine Kälteperiode wieder ein, so daß alle Ball zo in den Samenanlagen von Taxus fast bis Ende April ruhten. In meinen „Angiospermen und Gymnospermen“ findet sich die Angabe, daß die Embryosack- mutterzellen von Taxus in 3, wohl selten mehr, übereinander liegende Zellen zerfallen. L. JÄGER findet auch „sehr deutlich“ die 3 Tochterzellen, fügt aber in Klammern mit Fragezeichen „oder vier“ I..& Sb 2. Beiträge zur Kenntnis der Tetradenteilung. Jahrb. f. wiss. Bot, Bd. XXNXV, 1900, S. 631. On the Gametophytes and Embryo of Taxodium. Bot. Gazette, Vol. XXXVI, 1903, p. I5. R (05) ) ) 3) 4) Recherches sur les Cycadees. Ann. du Jard. bot. de Buitenzorg, Tome IH, 1885, p. 44, und Taf. VI, Fig. 6-8 Sr S OR or Op EnNS. 7) Zur Kenntnis der Karyokinese bei den Pflanzen. Flora, Bd. LXXIN, 1894, S. 432 8) Bot. Gazette, Vol. XXV, 1898, p. 125. ; 5 Anlage des Embryosackes und Prothalliumbildung bei der Eibe nebst anschließenden Erörterungen. = hinzu. In Wirklichkeit sind es 4 Zellen, welche aus den Embryosackmutterzellen von Taxus, durch zweimalige Zweiteilung, hervorgehen. Der Vorgang entspricht durchaus der Vierteilung einer Pollen- mutterzelle, nur daß die 4 Zellen meist in eine Reihe zu stehen kommen, was aber bekanntlich auch bei Pollenzellen vorkommt‘). Nicht selten läßt sich bei Taxus übrigens auch eine mehr oder weniger senkrechte Teilung der oberen der beiden Tochterzellen beobachten (Fig. 15, 18, 23, Taf. II, während in der Mutterzelle selbst, infolge ihrer langgestreckten Form, die erste Scheidewand fast immer sich querstelt. Nur ganz ausnahmsweise fand ich diese Scheidewand schräg orientiert (Fig. 2ı), allem Anschein nach, weil in diesem Falle die Mutterzelle verhältnismäßig kurz und breit war. Im Jahre 1896 hatte WALrEr RosBerr SHmaw die Bildung von 4 Zellen aus der Embryosack- mutterzelle bei Sequoia sempervirens beobachtet, auch gibt er schon an, daß die obere der beiden Zellen des ersten Teilungsschrittes sich quer, schräg oder senkrecht teilen könne’. H. O. Jver?) gelang .es, die Vierteilung der Embryosackmutterzelle bei Larix sibirica sicherzustellen. Darauf folgte neuerdings die Angabe von Joun M. CouLtER und CHARLES J. CHAMBERLAIN über die Vierteilung der Embryosackmutterzelle vom Pinus Laricio‘) und, nachdem diese meine Untersuchung abgeschlossen und niedergeschrieben war, die Mitteilung von W. C. Corer°), daß bei Taxodıum distichum die Embryosack- mutterzelle nur in 3 Zellen zerfalle, weil die obere Tochterzelle ungeteilt bleibt. Taxodium würde sich demgemäß ähnlich verhalten, wie die Cycadeen, bei welchen nach TREUB°) und Wırrıan H. Lang ‘) 3 Zellen aus der Embryosackmutterzelle hervorgehen. Von den so erzeugten Zellen ist es die unterste, die sich zur Embryosackanlage zu entwickeln pflegt. — Daß es bei Cycadeen und Koniferen bereits zu einer Reduktion der Zahl der Teilungsprodukte der Embryosackmutterzellen kommt, ist nur eines der vielen Beispiele mehr für die gleichsinnigen Entwickelungstendenzen, die sich in der Reihe der Archegoniaten fortdauernd geltend machten. In ihrer „Morphology of Spermatophytes“ deuten CouULIER und CHAMBERLAIN die 4 Zellen, die der Embryosackmutterzelle von Pinus Laricio entstammen, mit Recht als Makro- oder Megasporen und fügen hinzu, daß die „Mutterzelle“ nach beträchtlicher Größenzunahme „presumably pass through the reduction division, although this has never been definitely observed“®). Dabei ist in dem verdienst- lichen Werke übersehen worden, daß der als fehlend bezeichnete Nachweis für Larix sibirica von JvEL bereits erbracht worden ist‘). JuEL hat die charakteristischen Teilungsfiguren für diese Pflanze zusammengefunden, und er faßt die Ergebnisse seiner Untersuchung dahin zusammen, daß die Teilung in der Embryosackmutterzelle heterotypisch sei und eine homöotypische Teilung in den Tochterzellen aut sie folge‘). Daraus schließt er weiter, daß die Embryosackmutterzelle von Larix einer Sporen- oder Pollenmutterzelle homolog ist, und daß die beiden Zellteilungen, durch welche der Embryosack und seine 3 Schwesterzellen erzeugt werden, eine wirkliche Tetradenteilung darstellen. ı) K. GoEBEL, zuletzt Organographie, S. 795; E. STRASBURGER, Ber. d. Deutsch. bot. Gesellsch., 1901, S. 456. An beiden Orten sonstige Literatur. 2) Contribution to the life-history of Sequoia sempervirens. Bot. Gazette, Vol. XXI, p. 333, u. Taf. XXIV, Fig. 5. S)alaeı p. 026.1 4) Morpholosy of Spermatophytes, 1901, p. 82 und 160, Fig. 106 p. 161. el kerpero., 6) Recherches sur les Cycadees. Ann. du Jard. bot. de Buitenzorg, T. II, 1885, p. 32 ff., 44. 7) Development of Cycadean sporangia. Ann. of Bot., Vol. XIV, 1900, p. 284. S)El: cup ep“ o)alzesp. Ozııt. 10012 cp 038: 6 Anlage des Embryosackes und Prothalliumbildung bei der Eibe nebst anschließenden Erörterungen. 6 Dasselbe Verhältnis versuchte ich für Taxus klarzustellen. Die Untersuchung führte zu den näm- lichen Ergebnissen wie bei Larix, womit wohl die wichtigen, hier in Betracht kommenden Homologien endgiltig sichergestellt sind. Sie gelten, wie sich nunmehr bestimmt behaupten läßt, auch für Taxodıum distichum. Zwar sind die Abbildungen der Spindeln des ersten und zweiten Teilungsschrittes, wie sie die erste Hälfte der soeben erscheinenden Abhandlung von CokeEr') bringt, für die Art der Teilung, ob heterotypisch oder homöotypisch, nicht entscheidend, doch spricht die abgebildete Prophase des ersten Teilungsschrittes sicher dafür, daß eine heterotypische Spindel in Vorbereitung stand. Der Verfasser selbst hat sich zu der angeregten Frage noch nicht geäußert. Von den Abbildungen der Eibe, die wir hier zur Veröffentlichung bringen, führt die Figur 7, Taf. I, den mittleren Teil eines medianen Längsschnittes durch den Nucellus vor, im ersten Augenblick der erwachenden Frühjahrsentwickelung. Die vorgeführte Zellgruppe ist dem bei schwacher Vergrößerung abgebildeten Schnitt, Fig. ı, Taf. I, durch das fertile Sprößchen entnommen, dessen Samenanlage außer- dem etwas stärker in Fig. 2 vergrößert vorliegt. Die drei mit größeren Zellkernen ausgestatteten Embryo- sackmutterzellen, die der Schnitt streifte, sind deutlich zu erkennen. Noch auf diesem Zustand speichert die generative Zellgruppe nicht wesentlich mehr Farbstoff als das übrige Nucellargewebe auf und läßt sich somit nur auf sehr dünnen Schnitten sicher unterscheiden. Die an die Embryosackmutterzellen grenzenden Gewebszellen beginnen in die ersten Teilungen einzutreten. In Fig. 8 ist eine Mutterzelle dar- gestellt, welche in ihrem vergrößerten Zellkern das Chromatin zu einem stark tingierten Klumpen kon- trahiert zeigt. Eine solche Erscheinung ist ja in den Zellkernen der Sporenmutterzellen, vor Eintritt der numerischen Reduktion der Chromosomen, schon oft geschildert und als Synapsis bezeichnet worden’). Wegen der starken Färbung ihrer zusammengezogenen Chromatinmasse fällt die betreffende Embryosack- mutterzelle auf, und so läßt sich bereits feststellen, daß von den vorhandenen Embryosackmutterzellen es im allgemeinen nur eine ist, welche in diesen Zustand eintritt. Dann stellt sich im Kern das lockere Knäuelstadium ein (Fig. 9) und macht er die Zustände durch, welche zur Spindelbildung führen. Ein Stadium, welches die gespaltenen Chromosomen an der Kernwandung verteilt gezeigt hätte, gelang es mir nicht aufzufinden, wohl aber die für heterotypische Teilung noch bezeichnendere Kernplatte, mit ihren charakteristisch ausgestalteten Elementen (Fig. 1ob). Diese Kernspindel war so gut fixiert, so schön ent- wickelt und in so erwünschtem Zustand, daß sie für die Lösung der in Betracht kommenden Aufgabe durchaus genügte. Somit kann es keinem Zweifel unterliegen, daß die Gebilde, die wir als Embryo- sackmutterzellen hier bezeichnet haben, wirklich solche sind, daß sie den Pollenmutterzellen ent- sprechen und die nämlichen Phasen wie jene durchmachen, um vier potentielle Embryosackanlagen zu liefern. Ich skizzierte die mir vorliegende heterotypische Kernplatte bei verschiedener Einstellung und konnte mit ziemlicher Sicherheit feststellen, daß sie 8 Chromosomenpaare führt. Die Abzählungen der Chromosomen in den vegetativen Teilungsbildern von Taxus lieferten hingegen im allgemeinen höhere Zahlen. Oefters waren die erwarteten ı6 Chromosomen bestimmt herauszuzählen, ın anderen Fällen aber nur eine weniger hohe Zahl, die unter Umständen kaum höher als ı2 zu sein schien. Doch auch sonst ist ja bekannt, daß die Zahl der Chromosomen in den vegetativen Kernen nicht streng eingehalten zu werden braucht, daß es vielmehr vor allem nur darauf ankommt, daß die Chromo- somen in fest bestimmter Zahl in den generativen Vorgang eintreten. Die Betrachtung der hetero- typischen Kernspindel der Embryosackmutterzelle (Fig. ıob) lehrt, daß sie jener der Pollenmutterzelle 1) l. c. Taf. III, Fig. 385—44. Das Heft ist vom Juli 1903. 2) Dieses charakteristische Stadium ist es eben auch, das in der Fig. 39 von COoKER für Taxodium vorliegt. 7 Anlage des Embryosackes und Prothalliumbildung bei der Eibe nebst anschließenden Erörterungen. 7] von Larix ähnlich ist. Die einzelnen Doppelelemente bilden Kreuze, deren aufrechte Schenkel mehr oder weniger deutlich sich als Schleifen zu erkennen geben. Die zur Beobachtung gelangte Spindel war ziemlich schlank und ihre Fasern an den Polen zu feinen Spitzen ausgezogen, von denen die eine die Hautschicht des oberen Zellendes erreichte, die andere sanft ausbog, um die Hautschicht seitlich zu erreichen'). Einige der in Fig. 31, Taf. I], dargestellte Figuren mögen gleich verglichen werden, sie führen vegetative Kernspindeln aus dem Nucellargewebe der Eibe vor und weisen Kernplatten von der in der vegetativen Sphäre verbreiteten Gestalt auf. Die Figur ı1, Taf. I, zeigt den ‘Augenblick der ersten Scheidewandbildung in der Embryosack- mutterzelle und die Fig. ı2 dann den zweizelligen Zustand. Viel Zeit verging, bis das Stadium der Fig. ı3 aufgefunden wurde, mit homöotypischen Kernspindeln in den beiden Tochterzellen. Beide be- fanden sich auf demselben Entwickelungszustand und führten, in ganz charakteristischer Weise, die Chromosomenpaare, mit dem einen Ende an den Spindelfasern befestigt, vor. Auch diese Kernspindeln sind jenen in den Pollenmutterzellen von Larix ähnlich’). Das in Fig. 14, Taf. II dargestellte Stadium zeigt uns die Embryosackmutterzellen in vier, zu einer geraden Reihe angeordneten Zellen zerlegt. In Fig. ı5 wähle ich zur Abbildung ein Beispiel aus, wo die obere Zelle sich schräg geteilt hat. In solchen Fällen, wie sie die Figuren 16 und 17 uns vor- führen, ist es schwer zu entscheiden, welche der 4 Zellen sich weiter zum Embryosack ausbilden wird. In der Fig. 16 erscheint die zweitunterste Zelle als die größte, in Fig. 18 sogar die zweitoberste. So will ich es auch dahingestellt sein lassen, ob wirklich ganz ausnahmslos die unterste Enkelzelle der Embryosackmutterzelle zum Embryosack sich entwickeln müsse. Jedenfalls ist es der gewöhnliche Fall. Zunächst können alle vier Enkelzellen einander annähernd gleichen, und ihre ursprüngliche Gleichbe- rechtigung zeigt auch der von mir in Fig. 28 abgebildete Fall, wo es jedenfalls 2 aufeinander folgende Zellen derselben Mutterzelle waren, die sich als Embryosäcke weiter ausbildeten. Wie ich zuvor schon nur den Kern einer einzigen Mutterzelle in die Prophase der Teilung hatte eintreten sehen, so beobachtete ich, daß für gewöhnlich nur ein Embryosack sich bei der Eibe ent- wickelt. Das ist nach den Angaben von Smaw°) anders bei Sequoia sempervirens, wo, der Regel nach, mehrere Embryosäcke zu wachsen beginnen, wenn auch nur einer schließlich zu dominieren pflegt. Diese Angabe bestätigte W. Arnorpr') für die nämliche Sequoia sempervirens. Auch bei Sequoia gigantea findet er mehrere Embryosäcke, die später von dem „Hauptembryosack“ „vernichtet“ werden. Desgleichen weist Cunninghamia sinensis mehrere Embryosackanlagen auf. In den Fällen, wo ich mehrere Embryo- sackanlagen bei Taxus fand, zeigten sich die überzähligen meist durch den dominierenden Embryosack schon mehr oder weniger verdrängt. Doch sind mir auch mehrfach zwei gleich starke Embryosäcke mit mehr oder weniger zahlreichen freien Kernen in Wandbelag begegnet, und zwar lagen solche Embryosäcke für gewöhnlich nebeneinander, einmal (Fig. 28a, Taf. II), wie schon erwähnt wurde, auch übereinander. HorwmeEister hatte bereits in den „Vergleichenden Untersuchungen“°) zwei junge Embryo- 1) E. STRASBURGER, Karyokinetische Probleme, Jahrb. f. wiss. Bot., Bd. XXVIII, 1895, Taf. II, Fig. 23, und über Reduktionsteilung, Spindelbildung, Centrosomen und Cilienbildner im Pflanzenreich, Histol. Beitr, Heft VI, 1900, S. 69 und Taf. III, Fig. 148 ff. a) l2 ca Eiistols Beitr, Dar. II, Rio. 154. a) © jr 3 4) Beiträge zur Morphologie einiger Gymnospermen. I. Die Entwickelung des Endosperms bei Sequoia semper- virens. V. Weitere Untersuchungen der Embryonen in der Familie der Sequoiaceen. Bull. d. 1. Soc. d. Nat. de Moscou, 1899 u. 1901. 5) Vergl. Untersuchungen der Keimung, Entfaltung und Fruchtbildung höherer Kryptogamen und der Samen- bildung der Koniferen, 1851, S. 129. 8 Anlage des Embryosackes und Prothalliumbildung bei der Eibe nebst anschließenden Erörterungen. 8 säcke in demselben Nucellus von Taxus'), wie auch zwei völlig ausgebildete Embryosäcke in einer Samen- anlage von Pinus silvestris abgebildet?). Zu diesem letzten Beispiel bemerkt er, daß ein Baum an einer sumpfigen Stelle des (damaligen) Leipziger botanischen Gartens in der Mehrzahl seiner Samenanlagen zwei Embryosäcke aufweise?).. Ohne die Horwmeısrersche Angabe zu kennen, berichtete auch J. Brerı- LAND FARMER über zwei Embryosäcke bei Pinus silvestris‘). CoKER begegnete zwei Embryosäcken bei Podocarpus und Taxodium°’) L. JÄGER fand bei Taxus nur einmal über einem schon mit Endosperm versehenen Embryosack einen zweiten kleineren, der noch freie Kerne führte. Mir trat als das gewöhn- liche Verhalten bei Taxus die Teilung von nur einer Embryosackmutterzelle entgegen, während die anderen Mutterzellen ungeteilt blieben. Letztere wurden entsprechend der Längenzunahme der sich teilenden Embryosackmutterzelle gestreckt und zeigten bald an ihrem Inhalt Zeichen beginnender Desorganisation. Doch sah ich mehrfach auch Fälle, wo zwei nebeneinander liegende Embryosack- mutterzellen Teilungen vollzogen hatten, und zwar entweder beide eine Vierteilung oder nur die eine von ihnen eine Vierteilung, während die andere sich mit einer Zweiteilung begnügte. Nachdem, wie das der gewohnte Fall ist, nur eine der vorhandenen Embryosackmutterzellen die Vierteilung vollzogen hat, stellt sich die Anschwellung ihrer untersten Zelle ein (Fig. ı8, Taf. II). Es gelang mir auch, den Kern dieser zur Embryosackbildung bestimmten Zelle in verschiedenen Teilungszuständen, im besonderen auch in dem erwünschten Spindelstadium (Fig. 19), aufzufinden. Da hatte ich denn dasselbe Bild der Kernplatte „typischer“ Teilungen vor mir, wie sie auch die vegetativen Kerne zeigen. Es war jetzt meist nicht schwer, die Achtzahl der Chromosomen abzuzählen. Auch der zweikernige Embryosack (Fig. 20, 2i) wurde aufgefunden und ebenso die beiden Kerne wieder im Spindelstadium, mit je 8 Chromosomen, angetroffen (Fig. 22). So auch lagen mir vier- und achtkernige Embryosäcke vor (Fig. 23, 24 und 25). In den vierkernigen Embryosäcken pflegten die Kerne bereits in annähernd gleichen Abständen sich durch den Wandbeleg zu verteilen, also nicht, wie in angiospermen Embryosäcken, nur das obere und das untere Ende der Anlage, zu je zweien, einzunehmen. Dementsprechend ließ sich auch nicht eine bevorzugte Plasmaansammlung in den beiden Embryosackenden feststellen. Ein ungewohntes Verhalten zeigte der in Fig. 24 dargestellte Embryosack, in welchem alle 4 Kerne sich verhältnismäßig nahe aneinander im unteren Teile des nach oben sich stark verschmälernden Sackes hielten. In die Fig. 25 habe ich die Kerne bei verschiedenen Einstellungen aus 3 aufeinander folgenden Schnitten eingetragen. Der Embryosack der Fig. 26 zählte 16 Kerne, die ich aber nicht sämtlich zeichnete, und soweit als dies geschah, verschieden stark konturierte, um ihre Verteilung in ungleichen Tiefen anzudeuten. Auf nächstfolgenden Zuständen begegneten mir wiederholt Teilungsbilder der Kerne, von denen ich einige in der Fig. 27 darstellte. In einem vorgerückten Stadium der Embryosackanlage von Ceratozamia mexicana, an den freien Kernen, die im Wandbeleg verteilt waren, stellte zuerst E. OvErron auch für Gymnospermen die reduzierte Zahl der Chromosomen fest und hob die Uebereinstimmung dieser Zahl mit jener in den Pollenmutterzellen hervor‘). In demselben Aufsatz findet sich auch schon die Angabe, daß die Pollen- mutterzellen von Taxus 8, die vegetativen Zellen 16 Chromosomen führen. Das ist insofern auffällig, 1) Taf. XXXT, Fig. 13. T Taf. an Fig. 23. l. ) >) 3) 127 Anm. 4) en nr occurrence of two Prothallia in an Ovule of Pinus silvestris. Ann. of Bot., Vol. VI, 1892, p. 213. 5) Notes on the Gametophytes and Embryo of Podocarpus. Bot. Gazette, Vol. XXXIII, 1902, p. 97. 6) Ueber die Reduktion der Chromosomen in den Kernen der Pflanzen. Vierteljahrsschr. der Naturf. Gesellsch. in Zürich, 38. Jahrg., 1893. 9 Anlage des Embryosackes und Prothalliumbildung bei der Eibe nebst anschließenden Erörterungen. 9 als die Abietineen, wie OvErron schon angab, und seitdem verschiedene andere Beobachter fanden, übereinstimmend ı2 Chromosomen nach der Zahlenreduktion in den Kernen führen. Dieselbe Zahl findet CokEr in den Pollen- und Embryosackmutterzellen von Taxodium distichum'). Mit seiner reduzierten Zahl von 8 Chromosomen in den Embryosackmutterzellen kommt Taxus in Ueberein- stimmung mit Cycadeen zu stehen, wo bei Ceratozamia mexicana bereits OvErroN diese Zahl für die Kerne der Endospermzellen angab°). Mit der Größenzunahme der Embryosackanlage der Eibe geht Hand in Hand die Verdrängung der diese Anlage umgebenden Zellen (Fig. 20, Taf. I). Ihr Inhalt wird stark lichtbrechend, fällt zu- sammen, der ganze Protoplast wird abgeflacht, reduziert und schließlich gelöst. So trennt sich denn auch die Wand des Embryosackes jetzt leicht von ihrer Umgebung, und das ganze Gebilde zeigt sich in den Präparaten nicht selten geschrumpft. Die Wand des Embryosackes erscheint zugleich etwas gequollen und weist in den nach dem Dreifärbungsverfahren tingierten Präparaten einen bläulichen Ton auf. Wie L. JÄGER?) schon angibt, nimmt der Embryosack allmählich eine birnförmige Gestalt an, wobei er sein schmäleres Ende nach der Mikropyle kehrt. Die freien Kerne im Wandbeleg fahren fort, sich alle gleichzeitig zu teilen, so daß man nur selten Teilungszustände, häufig hingegen ruhende Kerne in den Präparaten antrifit. L. JÄGER rechnet aus, daß nach der achten Zweiteilung, also bei 256 Kernen die Bildung der Scheidewände zwischen ihnen vollzogen wird. Der Embryosack hat alsdann eine Höhe von annähernd '/, mm erreicht. Die erzeugten Scheidewände setzen an die Embryosackwand an, endigen aber blind an ihrem Innenrande. Auf dieses Verhalten hatte zuerst C. SokoLowA hingewiesen ‘). Nun folgen Teilungen durch tangentiale Wände, wodurch jede der peripherischen Zellen einer Zellreihe den Ursprung gibt, deren Zellen nach innen immer schmäler werden’). C. SokoLowA zufolge sollen die an den Innenrändern fortwachsenden Scheidewände schließlich einander treffen und so die Um- hüllung der innersten Zellen vollziehen. Im besonderen wird das von C. Sokorowa auch für Taxus angegeben und der Gang der Entwickelung durch ein schematisches Bild illustriert °). Diese Angaben scheinen für Taxus das Richtige zu treffen, während TiscHLeR nachweisen konnte, daß in anderen Endo- spermen der Abschluß der innersten Endospermzellen durch eine Zellhaut sich durch Ausscheidung dieser aus der freien Hautschichtfläche zu vollziehen vermag‘). Keinesfalls ist ein prinzipielles Gewicht auf diese Verschiedenheit des Verhaltens zu legen, wie denn Arnorpı°) für Sequoia sempervirens feststellen konnte, daß deren Endospermbildung in dem mittleren Teile des Embryosackes so erfolgt wie bei Taxus, mit Ausbildung von blind am Innenrande endigenden Scheidewänden, im oberen und im unteren Embryo- sackende, oder nur im letzteren, aber mit vollem Abschluß der Wände sich vollzieht. Das wird an jenen Stellen durch die größere Dicke - des plasmatischen Wandbeleges bedingt. Der Embryosack ist lang und schmal, was seinerzeit die Ausfüllung der Enden mit Protoplasma veranlaßt. Daher dort auch die freien Zellkerne mehrere Lagen bilden, und die Scheidenwände allseitig zwischen ihnen angelegt Delsesp 5: 2) l. c., Sond.-Abdr. S. 10. a) be S 246, 4) Naissance de l’endosperme dans le sac embryonnaire de quelques Gymnospermes. Bull. des Natur. de Moscou, 1890. 5) Vergl. auch die Abbildungen von L. JÄGER, l. c. Taf. XVI, Fig. 18—22. 6) 1. c., Sonderabdruck, S. ıı, Fig. 5. 7) Untersuchungen über die Entwickelung des Endosperms und der Samenschale von Corydalis cava. Verh. d. Naturh.-med. Ver. zu Heidelberg, N. F. Bd. VI, S. 372. 8) l. c. I, S. IOo des Sonderabdrucks. Jenaische Denkschriften. XI. 2 Festschrift Ernst Haeckel. Io Anlage des Embryosackes und Prothalliumbildung bei der Eibe nebst anschließenden Erörterungen. Io werden müssen und gleich zur Bildung mehrerer Zelllagen von Endospermzellen führen. Dabei ist wohl anzunehmen, daß die an den Saftraum stoßende Zellschicht auch hier zunächst ohne Membranabschluß bleibt. Daß Arnorpı') diesen Vorgang mehrschichtiger Zellbildung „freie Zellbildung“ nennt, geht nicht: an, da eine solche Bezeichnung auf diejenigen Fälle einzuschränken ist, in welchen die erzeugten Zellen einander nicht berühren. In dem vorliegenden Falle haben wir es nach üblicher Definition mit „Viel zellbildung“ zu tun. Ich durchsuchte auch zahlreiche Embryosäcke von Taxus, die nahe daran waren, die Füllung ihres Innenraumes mit Prothallienzellen zu vollenden, auf Kernverschmelzungen. Ich wünschte zu er- fahren, ob bei dem Aufeinandertreffen der Protoplasten nicht etwa derartige Verschmelzungen erfolgen. In keinem Fall fand ich solche vor. Vornehmlich handelte es sich für mich nur um Sicherstellung des Tatbestandes, da an Kernverschmelzungen an dieser Stelle, selbst wenn sie vorkommen sollte, sich schwerlich die Verschmelzung der Polkerne im Embryosack der Angiospermen anschließen ließe. Da der Befund ein negativer war, so schloß er auch jede Verlockung zu einer solchen Ableitung aus. Die Anlage der Archegonien folgt alsbald der Ausfüllung des Embryosackes mit Gewebe. Sie entstehen an den Böschungen des sich nach oben verjüngenden Embryosackes in einiger Entfernung von seiner Spitze. Eine äußere Endospermzelle, die zur Archegonienanlage werden soll, hört auf, sich zu teilen, während ihre Nachbarzellen in den periklinen Teilungen fortfahren. Sie wird alsbald an ihrer bedeutenderen Höhe und dem Aussehen ihres Kernes kenntlich, der wesentlich größer als die Kerne der Nachbarzellen wird (Fig. 29, Taf. II). Diese Anlagen, von welchen gelegentlich einzelne den anderen vorauseilen, treten bei Taxus, wie hinlänglich bekannt, getrennt voneinander auf und sind ziemlich zahlreich (bis 10). Sehr bald folgt die Anlage des Halses durch Abgrenzung einer flachen Zelle, deren Kern klein bleibt, während jener der Bauchzelle rasch wieder anschwillt (Fig. 30). Die weiteren Vorgänge, welche zur Fertigstellung des vierzelligen Halses, der Ausbildung der Deckzellen um das Archegonium und zur Reifung des Eies führen, sowie jene, die bei der Befruchtung sich abspielen, sind bekannt. Es lag außer dem Rahmen meiner Aufgabe, sie nochmals zu verfolgen. Die Ursprungszellen der Archegonien pflegen jetzt als Archegonien-Initialen bezeichnet zu werden, und der Vergleich lehrt, daß sie in allen anderen Fällen bei Cycadeen und Koniferen den hier ge- schilderten gleichen Ursprung haben. Für Cycas revoluta möchte ich nur auf IKkEno°?) verweisen. Er gibt an, daß die Archegonien-Initialen der äußersten Zellschicht des Endosperms angehören, und aus seiner Abbildung geht hervor, daß ihr Zellkern größer als jener der Nachbarzellen ist. Ganz demjenigen von Taxus entspricht das Bild der Archegonien-Initiale bei Pinus Strobus, wie sie MARGAREr C. FER- GUSON?) dargestellt hat. Die angrenzende Endospermzelle ist mehrfach periklin geteilt, während die Archegonien-lnitiale ungeteilt blieb und durch ihren großen Kern imponiert. Dann seien nur noch die Bilder von Lanp‘®) für Thuja, von Coker°’) für Taxodium hervorgehoben, um die Zahl der Angaben nicht zu häufen. Das positive Ergebnis dieser Untersuchung liegt in der Sicherstellung derjenige Zelle im Nucellus der Eibe, in welcher die numerische Reduktion der Chromosomenzahl sich vollzieht, und die somit nun- 1) Vergl. Lehrb. d. Bot. von STRASBURGER, NOLL, SCHENCK, SCHIMPER, V. Aufl, 1902, S. 72, 2) Untersuchungen über die Entwickelung der Geschlechtsorgane und den Vorgang der Befruchtung bei Cycas revoluta. Jahrb. f. wiss. Bot., Bd. XXXII, 1898, S. 560, Taf. VIII, Fig. ı. 3) The Development of the Egg and Fertilization in Pinus Strobus. Ann. of. Bot, Vol. XV, 1901, p. 436 und Taf. XXIII, Fig. I--3. 4) A morphological Study of Thuja. Bot. Gazette, Vol. XXXIV, 1902, Taf. VI, Fig. S. Ye ar NG Bien, 577 II Anlage des Embryosackes und Prothalliumbildung bei der Eibe nebst anschließenden Erörterungen. II mehr endgültig auch als Embryosackmutterzelle bezeichnet werden darf. Von diesem sicheren Ausgangs- punkte aus war der bestimmte Nachweis einer Vierteilung der Embryosackmutterzelle zu führen und zugleich festzustellen, daß auch in diesem Falle die mit der numerischen Reduktion der Chromosomen- zahl verbundene Kernteilung eine heterotypische ist, daß auf sie je eine homöotypische Teilung und weiter typische Teilungen folgen. Die eingehenden Einblicke in die Prothalliumbildung einer Konifere'), die ich von neuem durch dieses Studium von Taxus gewann, bestärken mich in der Ansicht, die ich mir über die Deutung der Vorgänge in dem Embryosack der Gnetaceen und der Angiospermen gebildet hatte. Unter den Gnetaceen weist Ephedra noch annährend dieselbe Prothalliumbildung wie die Cycadeen und die Koniferen auf; bei Welwitschia bleiben, soweit bekannt, die Archegonienanlagen einzellig, also auf dem Zustand stehen, der in Fig. 29 für Taxus abgebildet ist und der dort durchlaufen wird, um zur Ausbildung eines zusammengesetzteren Archegoniums zu führen. Bei Gnetum wird vor der Be- fruchtung entweder überhaupt nicht zur Zellbildung geschritten, oder diese nur auf den unteren Teil des Embryosackes (Gnetum Gnemon) beschränkt. Wie ich zuvor nun hervorhob, ist jene Zelle im Pro- thallium des Embryosackes von Taxus, die zur generativen Zelle werden soll, in dem Augenblick schon als solche markiert, wo die zuvorigen vegetativen Teilungen in ihr aufhören und wo sie durch ihre be- deutenden Dimensionen und die Größenzunahme ihres Kerns von den benachbarten Zellen sich unter- scheiden läßt. An diese Tatsache anknüpfend, halte ich es für das Wahrscheinlichste, anzunehmen, daß bei Gnetum, wo der freie Zustand der Kerne im Embryosack bis zur Befruchtungszeit, also weit über das Stadium hinaus, andauert, in welchem die generative Differenzierung bei Taxus sich vollzieht, die Kerne, trotzdem sie frei bleiben, ungleichwertig sind. Daß das eigentlich nicht anders sein kann, ergibt sich aus der Erwägung, daß bei einem Kerne, damit er befruchtet werde, zuvor die Befruchtungsbedürftig- keit vorbereitet werden muß. Dieser Kern verschmilzt mit dem anderen nur, weil ein bestimmter Gegen- satz zwischen beiden besteht und ein Bedürfnis nach gegenseitiger Ergänzung sie zur Vereinigung treibt. Daß dieses Bedürfnis für einen Teil der Kerne im Embryosack von Gnetum Gnemon sich nicht einstellt, daß sie auch ohne Vereinigung mit anderen Kernen entwickelungsfähig bleiben, geht aus der von P. Lorsv?) festgestellten Tatsache hervor, daß der untere Teil des Embryosackes sich vor der Befruchtung mit Gewebe füllt. Weiter gibt aber Lorsy noch an, daß auch von den freien Kernen der oberen Embryosackhälfte, nachdem dort ein Teil derselben mit Spermakernen ‚verschmolzen ist, ein anderer Teil ohne solche Verschmelzung Endospermzellen bildet?). Selbst wenn für diesen letzten Vorgang die Anregung vom Pollenschlauch ausgehen sollte, würde es sich doch nicht um Befruchtung bei ihm handeln, eine Anzahl freier Kerne vielmehr auch in der oberen Embryosackhälfte von Gnetum Gnemon ohne Ver- schmelzung mit Spermakernen entwickelungsfähig sein. Bei anderen von G. KARsrtEn untersuchten Gnetumarten bleiben alle Kerne des Embryosackes bis zum Augenblick der Befruchtung frei, nur wenige werden dann befruchtet, die anderen bilden Endosperm‘). Ein Unterschied im Aussehen jener Kerne die für die Befruchtung bestimmt sind, und der anderen, ist nach G. Karsten’) nicht wahrzunehmen; doch diese Verschiedenheit braucht sich ebensowenig kenntlich zu machen, wie etwa unter den Kernen 1) E. STRASBURGER, Koniferen und Gnetaceen, 1872, S. 95 und Taf. XVIII, Fig. 30. 2) Contributions to the Life-History of the Genus Gnetum. Annales du Jardin botanique de Buitenzorg, 2. Ser. Vol. LI, p. 93. 3) I, © j0. Gy 4) Zur Entwickelungsgeschichte der Gattung Gnetum. CouHns Beitr. zur Biologie der Pflanzen, Bd. VI, 1893, S. 372. S)ULEeAS. 357. 2* 12 Anlage des Embryosackes und Prothalliumbildung bei der Eibe nebst anschließenden Erörterungen. 12 eines angiospermen Embryosackes. Fällt dort ihre gewohnte Verteilung und der Einschluß in bestimmt differenzierte Zellkörper weg, so verschwinden damit auch die Anhaltspunkte für ihre Wertbestimmung'). In dem Umstand, daß bei Sequoiaceen ein unterer und oberer, beziehungsweise nur unterer Teil des Embryosackes sich in etwas anderer Weise, und auch etwas früher, mit Gewebe füllt, als ein mittlerer, glaubte Arnorpr’) Anknüpfungspunkte zwischen Sequoiaceen und Gnetum zu finden. Dazu liegt meiner Ansicht nach keine Veranlassung vor. Wir sahen zuvor schon, daß die beiden von Arnorpı als freie Zellbildung und Alveolenbildung im Embryosack von Sequoia unterschiedenen Vor- gänge ihrem Wesen nach so gut wie zusammenfallen. Die Archegonien werden aber in dem alveolar, d. h. mit blind endigenden Scheidewänden ?), zunächst angelegten Teile ausgebildet und verhalten sich durchaus wie typische Koniferen-Archegonien. Also fehlt der Uebergang dort, wo es eben auf ihn an- käme, um die Vermittlung zu schaffen. Im Embryosack der Angıospermen ist die Kürzung und Vereinfachung der Vorgänge in ähn- licher Weise wie bei den Gnetaceen fortgeschritten. Ein Grund, die Vorgänge bei Angiospermen von jenen bei Gnetum abzuleiten, liegt für mich auch nach diesen letzten Untersuchungen nicht vor, so gern ich anerkenne, daß auch andere Auffassungen Berechtigung haben können‘). Ich selbst erblicke in den Analogien, welche die Angiospermen mit den Gnetaceen aufweisen, nur phylogenetische Parallelen. Diese äußern sich bei Gnetaceen auch in dem Auftreten von Gefäßen in den Leitungsbahnen. Gerade für phylogenetische Parallelen bieten uns bekanntlich die Sonderungen in der Sporenbildung und der Reduktion des Prothalliums besonders auffällige Beispiele schon innerhalb der Gefäßkryptogamen. Meinen kürzlich in dem Aufsatz über „Doppelte Befruchtung“) vertretenen Ansichten wüßte ich hier in der Tat nur weniges hinzuzufügen, wie ich denn auch auf dem dort eingenommenen Standpunkt zunächst beharren möchte. Welche Stellung den Casuarineen im System zukommt, darüber muß die Zukunft entscheiden. Trotz der sehr verdienstvollen Arbeit von Treug‘) bleiben gerade manche der entscheidenden Punkte hier noch zu klären. Interessant war mir in mancher Beziehung die neuerdings erfolgte Veröffentlichung von H. OÖ. JueL als „Beitrag zur Entwickelungsgeschichte der Samenanlage von Casuarina“”)., JUEL konnte, wie TREUB, eine große Zahl von Embryosackmutterzellen in dem Nucellus der Samenanlage nachweisen. TREUB hatte diese Zahl bei Casuarina suberosa auf etwa 300 geschätzt). JuEL stellt Vier- teilung dieser Embryosackmutterzellen fest, und aus den beobachteten Stadien läßt sich entnehmen, daß der Vorgang mit einer heterotypischen Teilung anhebt’). Auch lehrte der Vergleich, daß die Zahl der Chromosomen hierbei geringer ist als in den vegetativen Zellen. TREUB war zu dem Ergebnis gelangt, daß den Casuarineen eine Ausnahmestellung unter den Angio- spermen gebührt"); andererseits könne man, meint er, diese Familie nicht als Bindeglied zwischen den 1) Vergl. den Fall von Tulipa bei GuIGnARD, L’appareil sexuel et la double fecondation dans les Tulipes, Ann. Sc. sc. nat., Bot., 8. ser., T. XI, 1900, p. 356, und dessen Besprechung durch mich in „Einige Bemerkungen zur Frage nach der doppelten Befruchtung bei den Angiospermen, Bot. Ztg., 1900, Sp. 309 u. 310. 2) l. c. I, 1900, Die Entwickelung des Endosperms, Sond.-Abdr., S. 12. 3) l. c. II, 1900, Ueber die Corpuscula und Pollenschläuche bei Sequoia sempervirens, Sond.-Abdr., S. 16. 4) Vergl. im besonderen G. KARSTEN, Ueber die Entwickelung der weiblichen Blüten bei emigen Juglandaceen, Flora, Bd. XC, 1902, S. 324 ft. 5) Bot. Ztg., 1900, II. Abt., Sp. 293 ff. 6) Sur les Casuarinees et leur place dans le systeme naturel. Ann. du Jardin bot. de Buitenzorg, T. X, 1891, p. 145. ) ) ) Elora, Bd. XCIH, 1903, S. 284. ) ) SO SI k& ı% 178% 9) 1. c. p. 289 und Taf. VII. TO)Ll..c. p. 200: m Anlage des Embryosackes und Prothalliumbildung bei der Eibe nebst anschließenden Erörterungen. 13 heutigen Gymnospermen und Angiospermen auffassen’). JuEL findet, daß der Embryosack bei Casuarina zur Zeit der Befruchtung fast mehr als jener von Gnetum an den Typus der Angiospermen erinnert. Für die überaus große Zahl von Embryosackmutterzellen, welche Casuarina aufweist, vor allem den Umstand, daß sie in so großer Zahl übereinander liegen, bietet Gnetum keinen Anknüpfungspunkt für Casuarina, denn, wie ich in den Angiospermen und Gymnospermen schon abbildete”) und auch G. Karsren dargestellt hat, sind die Embryosackmutterzellen von Gnetum die untersten Zellen von Reihen, die sich in Deckzellen nach dem Scheitel des Nucellus hin fortsetzen. Darin stimmen die Bilder ganz mit Taxus überein. Im besonderen war das auch der Fall bei einem schönen Präparat von Gnetum latifolium, das mir mein Kollege G. Karsten zeigte, und das die Embryosackmutterzellen auch von Tapetenzellen umhüllt zeigte, und zwar in noch kräftigerer Weise als bei Taxus. Bei Casuarina sind nach Jver solche Tapetenzellen nicht besonders differenziert’). Andererseits war wieder eine ziemlich auffällige Uebereinstimmung im Verhalten der Embryo- sackmutterzellen zwischen Casuarina und Taxus zu konstatieren. JuEL erwähnt in seinem Aufsatz ‘) „eigentümliche Gebilde“, die in der Embryosackmutterzelle vor und während der Tetradenteilung regel- mäßig auftreten. Es seien abgerundete Körper, die in der Embryosackmutterzelle oberhalb und unter- halb des Kernes liegen. Sie seien nicht scharf gegen das umgebende Plasma abgesetzt, färbten sich ähnlich und stärker, wie jenes, und dürften besondere Differenzierungen des Protoplasmas darstellen. Nach der ersten Teilung der Mutterzelle habe jede Tochterzelle, nach dem folgenden Teilungsschritt die unterste und die oberste Enkelzelle, einen solchen Körper aufzuweisen. Für die Embryosackmutterzellen der Angiospermen sind solche bei der Teilung verharrende Gebilde JuEr nicht bekannt, und weiß er ihnen auch in Pollenmutterzellen etwas Gleiches nicht zur Seite zu stellen. — Mir waren Gebilde von gerade solcher Ausgestaltung, anderswo auch nicht begegnet; um so auffälliger ist es, daß ich ihr Vorhandensein für die Embryosackmutterzellen von Taxus angeben kann. Ich erwähnte diese Körper bis jetzt absichtlich nicht, um sie hier erst ins rechte Licht zu stellen. Bei Taxus kann, wie bei Casuarina, je ein solcher Körper über und unter dem Kern liegen (Fig. 7, Taf. I), doch ist es viel häufiger, daß sich nur ein solcher Körper unter dem Kern befindet (Fig. 8, 9). Freilich muß ich bemerken, daß diese Körper einzelnen Präparaten abgingen. Es schien mir, daß letzteres dann der Fall war, wenn die Gewebe des betreffenden Nucellus auch sonst durch Inhaltsarmut auffielen. Bei Taxus brauchten diese Körper nicht ganz ausschließlich auf die Embryosackmutterzelle beschränkt zu sein, ich traf sie gelegentlich auch in vereinzelten Tapetenzellen vor. Dort war aber ihr Vorhandensein eine Ausnahme, in den Embryosackmutterzellen hingegen die Regel. Die Existenz dieser Körper währte bei Taxus kürzer als bei Casuarina; sie schwanden meist schon während des ersten Teilungsschrittes. Nur in vereinzelten Fällen fand ich sie nach dem ersten, und ganz selten nach dem zweiten Teilungs- schritte noch vor, alsdann meist einen Körper in der untersten Zelle der Reihe, einmal je einen Körper in der untersten und der obersten Zelle Die Struktur dieser Körper war mehr oder weniger deutlich netzartig, auch mehr oder weniger körnig, unter Umständen fast homogen. In den mit Safranin-Gen- tianaviolett-Orange tingierten Präparaten zeigten sie die Färbung des umgebenden Protoplasma, doch mit Steigerung. Daß es sich in diesen Körpern von Taxus um dieselben Gebilde wie bei Casuarina handle, war nicht zu bezweifeln, und dieses Zusammentreffen gewinnt noch an Bedeutung, wenn wir die m) IL. © j 2 2) Taf. XII, Fig. 54 ff, Taf. XIV, Fig. 37 ff. S)El2 29:28 2), Blora, Bd. XEIT, S. 2gr. 14 Anlage des Embryosackes und Prothalliumbildung bei der Eibe nebst anschließenden Erörterungen. 14 verstreuten Literaturangaben sammeln und die sonstige Verbreitung dieser Körper ins Auge fassen. So schildert Lang‘) für Stangeria paradoxa in den Embryosackmutterzellen und der angrenzenden Zellschicht „certain spherical bodies“, deren Natur er nicht genau bestimmen konnte. Sie waren meist. in Zweizahl in den Zellen vorhanden, über und unter dem Kern und färbten sich wie das Cyto- plasma, nur dunkler. Bei der ersten Teilung der Mutterzellen verbleibt je ein solcher Körper in dem Teilungsprodukt, ohne irgend welche Beziehung zu dem Teilungsvorgang zu zeigen. Genau dasselbe Verhalten wıe bei Taxus ergibt sich in betreff der in Betracht kommenden Körper, wie ich aus der soeben erhaltenen Abhandlung von CoRER ersehe, für Taxodium. Die Abbildungen’) zeigen nur je einen dieser Körper unter dem Kern der Embryosackmutterzellen, und zwar in genau derselben Größe und Gestalt wie bei Taxus. CoKER erwähnt diese Körper mit dem Bemerken, er hätte keine Beziehung zwischen ihnen und der Spindelbildung feststellen können’). Zugleich weist er auf die faserigen Plasma- partien hin, die Juer in der Embryosackmutterzelle von Larix sibirica beobachtet hat‘). Juer schildert sie dort als ziemlich deutlich begrenzte Partien von Plasma, die eine faserige Struktur besitzen. Die Fasern sind netzartig verbunden, gehen aber vorzugsweise in einer Richtung, so daß die Maschen in denselben transversal oder longitudinal gedehnt sind. Sie nehmen hier das terminale Ende der Zelle ein über dem Kern, färben sich etwas stärker als das übrige Cytoplasma. Unter Umständen liegen zwei solche Körper in der Mutterzelle, über und unter dem Kern. Wenn die Kernspindel sich ausgebildet hat, sind die faserigen Gebilde nicht mehr zu sehen, doch liegt neben den Spindelpolen je eine ziemlich dichte Masse von Plasmakörnern, die sich ebenso wie zuvor die Fasern färben. Ist die Teilung vollendet, so läßt sich neben den Tochterkernen je eine begrenzte Plasmamasse erkennen, deren körnige Struktur in eine netzartige überzugehen scheint. Doch wagt JuEL nicht zu entscheiden, daß die faserigen Plasma- partien der Prophasen und die Körnermassen der Spindelstadien identisch seien, auch nicht, ob die Fasern in irgend welcher Weise zu der Spindelbildung in Beziehung stehen. Immerhin meint JuEr, daß sie mit jenen Fasern, die für die Embryosäcke der Liliaceen bekannt sind, identisch sein müßten. Jetzt, wo der Nachweis der in diesem Aufsatz geschilderten Gebilde bei Taxus vorliegt und ich zu- gleich auf das Vorhandensein entsprechender Körper bei Stangeria, Taxodıum hinweisen konnte, liegt auch der Vergleich der Körper von Larix mit ihnen weit näher. Bei den in den Embryosäcken von Liliaceen von Dixon°), M. und P. Boum°), Morrier') geschilderten faserigen Gebilden handelt es sich vorwiegend um kinoplasmatische Strukturen. Dixon suchte sie sogar mit der Spindelbildung in direkte Ver- bindung zu bringen, was MorrIER nicht annehmen wollte. Andererseits sind in der Tat von MorsEr im Embryosack von Lilium Martagon°) Körper trophoplasmatischer Natur geschildert worden, die an jene von Taxus erinnern. Es sind rundliche, sehr dichte und gleichmäßig körnige Massen, die MorıtEr als Trophoplasmakörper bezeichnet. Diese Körper werden oft größer als die Polkerne des Embryo- sackes, nehmen schließlich Wabenstruktur an und schwinden. Doch diese Körper treten erst im zwei- kernigen Zustand der Embryosackmutterzelle, die hier ja direkt Embryosackanlage ist, auf, gewöhnlich sogar später, in Ein- oder Mehrzahl. Also handelt es sich jedenfalls um andere Dinge. DJ ..e. Ann. or Bot, Vol-aXTV. 1000p2282° a) tan, INDE, Ares au, 42, Als, a) Ib @ 1, 10) 4) l. c. Jahrb. f. wiss. Bot., Bd. XXXV, 1900, S. 634, Taf. XV, Fig. 2. 5) On the Chromosomes of Lilium longifolium. Proceedings of the Royal Irish Acad., 3. Ser., Vol. III, 1895, p. 716. 6) Sur la presence de filaments particuliers dans le protoplasme etc. Bibliogr. anat., 1898. 7) Ueber das Verhalten der Kerne bei der Entwickelung des Embryosackes etc. Jahrb. f. wiss. Bot, Bd. XXXI, 1898, S. 126. ö SI) IL @, 8% ware jiinel ba, And, ie, 28; Anlage des Embryosackes und Prothalliumbildung bei der Eibe nebst anschließenden Erörterungen. 105 Entsprechen die Plasmakörper der Embryosackmutterzelle von Larix jenen von Taxus, so gilt es sie auch mit den von JuEL bei Casuarina beobachteten Körpern zu. vergleichen, was JuEL nicht tun wollte, wohl aber nur, weil ihn die faserige Struktur dieser Körper bei Larix auf den Vergleich mit den Fasern in den Embryosackmutterzellen der Liliaceen geleitet hatte!). Ich selbst halte in allen den bei Koniferen und bei Stangeria geschilderten Fällen die in Betracht kommenden Gebilde für Ver- dichtungen des Trophoplasma, und zwar für einen zum baldigen Verbrauch vorbereiteten Teil desselben, der, wie wir auch bei Taxus feststellen konnten, rasch schwindet. Auch die Körper in den Embryo- sackmutterzellen von Casuarına hat Juerr bereits für Verdichtungen des Cytoplasmas erklärt?), die, wie bei Taxus, tatsächlich alsbald auch schwinden. Von Interesse war es, festzustellen, ob diese Körper auch den Embryosackmutterzellen von Gnetum zukommen. Präparate mit Embryosackmutterzellen von Gnetum latifolium, die mir mein Kollege G. Karsten zu zeigen die Güte hatte, führten sie nicht. Bei der aus dem bisherigen Beobachtungsmaterial sich ergebenden größeren Verbreitung dieser Körper bei den Koniferen, auch der angeführten Cycadee, ihrem Fehlen bei Gnetum, ihrem Vorhandensein bei Casuarina, ihrem wahrscheinlichen Nichtvorhandensein bei den Angiospermen ergeben sich Gesichts- punkte, die vielleicht bei der Beurteilung der verwandtschaftlichen Beziehungen der Casuarineen in Zukunft zu berücksichtigen wären. Das sicherste Mittel, die Endospermbildung bei den Angiospermen an die Keimbildung zu fesseln, war, die Teilungsvorgänge der verschmolzenen Polkerne von ihrer Vereinigung mit dem zweiten Spermakern abhängig zu machen. Dieser Vorgang bildete sich erst bei den Angiospermen aus; er ist verhältnismäßig neuen Ursprungs; vorausgehende Abteilungen des Pflanzenreiches weisen ihn nicht auf und bieten keine Anknüpfungspunkte für den Anfang seiner Entstehung. Was ich über das Verhältnis dieses Vorganges zu der „Befruchtung“ denke, darüber habe ich mich ebenfalls schon in dem Aufsatz über doppelte Befruchtung geäußert’). Ich kann somit auf die dortigen Auseinandersetzungen verweisen. Nur möchte ich aus den dort vertretenen Ansichten noch einige weitere Folgerungen ziehen, aus denen sich mein Standpunkt auch gegenüber neu erschienenen Arbeiten ergibt. Daß Kernverschmelzungen an sich noch nicht über Befruchtung entscheiden, darauf hat seitdem auch B. NEmEC hingewiesen. Durch gewisse äußere Einflüsse, wie z. B. Benzoldämpfe, Eintauchen in 1-proz. Kupfersulfatlösung, lassen sich in vegetativen Zellen durch Unterdrücken der Scheidewandbildung mehrkernige Zellen erzeugen, deren Kerne in normaler Atmosphäre hierauf zusammenrücken und verschmelzen‘). Doch die so veranlaßten Erscheinungen erschöpfen nicht die Frage; denn bei jenen Vorgängen, über die eine Kontroverse besteht, kommen noch ganz andere Leistungen hinzu. Die Verschmelzung des zweiten Spermakerns mit den zuvor schon mehr oder weniger vereinigten Polkernen im Embryo- sack der Angiospermen regt im besonderen eine gesteigerte Teilungstätigkeit in dem so erzeugten „Endospermkerne“ an. Daher kommt es, meiner Ansicht nach, daß die Bildung des Endosperms so rasch fortschreitet, um so viel rascher als die Entwickelung des befruchteten Eies. Der heranwachsende Keim findet demzufolge schon vorbereitetes Nährgewebe für seinen Empfang vor. Im Embryosack der Angiospermen wurde der ganze Vorgang von dem Hinzutreten eines Spermakerns abhängig gemacht und dadurch die Sicherheit erlangt, daß Endospermbildung nur bei Keimentwickelung erfolge. In anderen Fällen genügte die Verschmelzung gewisser für einen bestimmten Vorgang aufgesparter Kerne, )r 2 e2 Rlora, = Bd. 2X@TT 27903, S: 29T. ze, sr 20% ) Bot. Ztg., 1900, Il. Abt., Sp. 293 ff. 4) Ueber ungeschlechtliche Kernverschmelzungen. Sitzungsber. der böhm. Gesellsch. f. Wissensch., 1902, No. LIX. I 2 2 I 16 Anlage des Embryosackes und Prothalliumbildung bei der Eibe nebst anschließenden Erörterungen. 16 um rasche Teilungsfolgen auszulösen, etwa solcher, wie sie für Sporenbildungen erforderlich sind. Wie es die numerische Reduktion der Chromosomen mit sich bringt, daß zwei Kernteilungen rasch auf- einander folgen, so mag in solchen Fällen eine entsprechend vorbereitete Kernverschmelzung von 2 Kernen den Erfolg haben, daß zwei, oder selbst drei Kernteilungen ohne vorausgehende Ergänzung an Kernsubstanz, meist auch ohne Zellteilung, ausgeführt werden. So entstehen 4, 8, ja unter Umständen noch mehr Sporen in demselben Zellkörper. Von diesem Gesichtspunkte aus beurteile ich die Tragweite der Kernverschmelzung, die sich in den Asci der Ascomyceten und den Basidien der Basidiomyceten') vollziehen, und auch andere Vereinigungen von Kernen, so jene der Schwesterkerne bei Anlage des Ascus verschiedener Saccharomyceten’). Der von DanGEARD vornehmlich vertretenen Auffassung, daß die Kernverschmelzung im Ascus der Ascomyceten ein Befruchtungsvorgang sei, bereiten die Angaben besondere Schwierigkeit, welche einen Befruchtungsvorgang bei Anlage der Ascusfrüchte dieser Pilze behaupten. In der Tat kann sich der größte Anhänger von Befruchtungsdeutungen nur schwer mit zwei aufeinander folgenden Be- fruchtungsvorgängen in der Ontogenie desselben Bionten abfinden. Daher es DAnGEARD vorzieht, den Befruchtungsvorgang, der die Anlage der Ascusfrüchte bei Ascomyceten auslöst, in Abrede zu stellen. Er negiert?) die besonders durch R. A. Harrer dort bekannt gewordenen Verschmelzungen der Antheridialkerne mit den Oogonkernen. Da nun aber Harrers bahnbrechende Arbeiten über die Ent- wickelung des Peritheciums bei Sphaerotheca Castagnei und über das Verhalten der Kerne bei der Fruchtentwickelung einiger Ascomyceten, die 1895 in den Berichten der Deutschen botanischen Ge- sellschaft und dann 1896 in dem XXIX. Bande der Jahrbücher für wissenschaftliche Botanik erschienen, im Bonner botanischen Institut ausgeführt wurden und mir die Harperschen Präparate aus eigener Anschauung bekannt sind, so können die DanGEArpschen Negationen auf mich keinen Eindruck üben. Die Lage dürfte sich aber kaum zu Gunsten der DanGzarpschen Auffassung verändern, selbst wenn zahlreiche Ascomyceten ihre Sexualität eingebüßt hätten, d. h. die Entwickelung ihrer Ascusfrüchte ohne vorausgehenden Geschlechtsakt vollzögen. Dadurch würde der fortbestehende Vorgang der Kern- verschmelzung in den Ascı nicht in die Bedeutung der Sexualakte rücken, ebensowenig wie die Kern- verschmelzungen in der Basidie, nachdem den Basidiomyceten die ursprünglich zur Anlage der Basidien wohl sicher notwendige Sexualität verloren ging. Daß unter Umständen auch die Verschmelzung von Schwesterkernen ein Befruchtungsvorgang sein kann, stelle ich damit durchaus nicht in Abrede. Denn so fasse ich z. B. die Verschmelzung auf- einander folgender Protoplasten in demselben Zellfaden einer Spirogyra auf. Bei dieser Pflanze besteht das Bedürfnis der Befruchtung, welche ja auch eine Ergänzung der Kernsubstanz verlangt. Ist diese nicht anders zu erlangen, so wird der Notbehelf, die Kopulation der aufeinander folgenden Zellen ausgelöst, ähn- lich wie bei Angiospermen etwa die Kleistogamie. Es ist das ein Aushilfsmittel, denn die fortschreitende Erkenntnis auf dem Gebiete phylogenetischer Entwickelung drängt mir immer mehr die Ueberzeugung auf, daß die Hauptaufgabe der Befruchtung in dem Ausgleich der fluktuierenden Variation liegt. Anfang August 1903. 1) Für diese Vorgänge bei Basidiomyceten vergleiche besonders RENE MAIRE, Recherches cytologiques et taxo- nomiques sur les Basidiomycetes, Paris 1902. 2) Besonders GUILLIERMOND, Recherches cytologiques sur les Levüres, Revue generale de Botanique, T. XV, 1903, p- 49 #. 3) Im besonderen in Second memoire sur la reproduction sexuelle des Ascomycetes, Le Botaniste, Serie V, und La sexualite dans le genre Monascus, Comptes rendus, Paris, T. CXXXVI, 1903, p. 1281; Sur le Pyronema confluens, p. 1335. Ueber eine Methode, Froscheier am Beginn ihrer Entwiekelung im Raume so zu orientieren, dass sich die Riehtung ihrer Teilebenen und ihr Kopf- und Schwanzende bestimmen lässt. Oscar Hertwig, Berlin. Mit Tafel III und 1 Figur im Text. Jenaische Denkschriften. XI. 3 Festschrift Ernst Haeckel. D: kleine experimentelle Studie knüpft an Untersuchungen an, welche schon im Jahre 1893 von mir begonnen wurden. In meiner Schrift „Ueber den Wert der ersten Furchungszellen für die Organ- bildung des Embryo“ habe ich die Ergebnisse von Experimenten mitgeteilt, bei welchen Froscheier gleich nach der Befruchtung zwischen > parallelen Glasplatten ein wenig komprimiert wurden. Durch dieses Verfahren ließ sich die Richtung der ersten Teilebenen je nach der Stellung, welche die Glas- platten erhielten, in ganz charakteristischer und gesetzmäßiger Weise abändern. Hierbei wurde auch ein kurzer Bericht über einige Experimente gegeben, welche wegen mangelnder Zeit, und da das Versuchs- material ausging, unvollständig geblieben waren und daher nur in einigen Sätzen unter der Ueberschrift: „c) Pressung der Eier zwischen parallelen, unter einem Winkel von 45° aufgestellten Objektträgern“ nebenbei erwähnt worden sind. „Die Versuche“, heißt es daselbst, „wurden in der Absicht unternommen, zu prüfen, ob bei dieser Anordnung sich die Lage des Urmundes bei seiner Entstehung beein- flussen lasse“. Schon damals konnte ich auf Grund der noch unvollständigen und nur probeweise ausgeführten Versuche feststellen, daß bei 16 Eiern, die sich in der angegebenen Lage auf 2 Objektträgerpaaren be- fanden, die erste Einstülpung in ı5 Fällen an dem Teil der Peripherie des Dotterfeldes entstand, welcher nach dem oberen Rand des Objektträgers gewandt war, und nur bei einem Ei in dem entgegenge- setzten Bereich. Die Erklärung für dieses Verhalten suchte ich in dem Umstand, daß durch die Pressung zu einer Scheibe und durch die Neigung der pressenden Platten unter einem Winkel von 45° dem Froschei eine bilateral-symmetrische Organisation aufgeprägt wird. Denn wie leicht zu verstehen ist, wird sich an der schräg gestellten Scheibe ihre protoplasmareichere und leichtere Substanz, der Schwere folgend, so ordnen müssen, daß sie den höher stehenden Scheibenrand bildet und von hier in entgegen- gesetzter Richtung in eine immer dünner werdende Schicht ausläuft, dagegen wird die an Dotterein- schlüssen reichere und schwerere Substanz sich an der unteren Fläche des Eies und besonders nach dem tiefer gelegenen Scheibenrand zu ansammeln. Unter den experimentell hervorgerufenen Verhältnissen ist demnach das Froschei in zwei gleich- wertige Hälften durch eine Ebene teilbar, welche den höher und den tiefer gelegenen Scheibenrand ın der Mitte schneidet. Ich bezeichnete dieselbe, in Anschluß an Rowx, als de Symmetrie- und Gleich- gewichtsebene des Eies und sprach die Aussicht aus, daß die Form der Eier und die Anordnung ver- schiedener Substanzen, welche ungleiches Gewicht und ungleiche physiologische Bedeutung haben, zumal 3* 20 Froscheier am Beginn ihrer Entwickelung im Raume etc. 20 wenn sie eine bilateral-symmetrische ist, nicht nur die Richtung der ersten Teilebenen, sondern auch die Lage der embryonalen Körperachsen und einzelner Primitivorgane wird beeinflussen können. In diesem Sinne bezeichnete ich „das Ei gewissermaßen als die feste Form, welcher sich der Embryo auf allen einzelnen Entwickelungsstadien anpassen muß“. Den Versuch mit der Aufstellung der komprimierenden Platten unter einer Neigung von 45° hatte ich als einen nur provisorischen mitgeteilt, weil das Untersuchungsmaterial mir ausging und ich daher den Gegenstand nicht genauer verfolgen konnte. Im nächsten Jahr beschäftigte sich Born (1894), der gleichzeitig (1893) und unabhängig von mir das Verhalten des Froscheies bei der Pressung studiert hatte, mit der Lösung der gleichen Aufgabe. Er wollte durch die von mir zuerst ausgeführte Versuchsanordnung Aufschluß darüber gewinnen, „ob die Richtung der ersten Furche, die Einstellung der ersten Kern- spindel ceteris paribus durch die Form des Bildungsdotters in dem Sinne bestimmt wird, wie es die Herrwıssche Regel fordert“ (S. 620). Born konnte die Richtigkeit derselben feststellen. Bei Neigung der Platten um 50° sah er die erste Furche in der Mitte des oberen Randes der Eischeibe beginnen und von da über die Flächen gegen die Mitte des unteren Randes verlaufen; „sie liegt also nach HeERrTwIG in der Symmetrieebene des Eies. Die zweite Furche verläuft senkrecht zur ersten über die Flächen des Eies oberhalb der Mitte der Eischeibe; sie entspricht also in ihrem Verlauf genau der zweiten Furche komprimierter Eier bei vertikal gestellten Platten und entspricht ebenso wie diese der Herrwisschen Regel“ (l. c. S. 4). Born hatte sich bei seinen Versuchen auch die Aufgabe gestellt, möglichst genau auf etwaige Beziehungen zwischen der Lage der ersten Furche und der Stelle, an der der Anfang des Urmundes auftritt, zu achten. Das Resultat war, „daß sich absolut keine Beziehung zwischen der Lage des Ur- mundanfangs und der ersten Furche auffinden ließ. Der Urmundanfang nahm alle möglichen Stellungen rings um die obere Grenze des hellen Feldes herum ein“ (S. 5). Da Born seine neuen Kompressionsversuche nur als eine kurze vorläufige Mitteilung in den Jahresberichten der schlesischen Gesellschaft für vaterländische Kultur veröffentlicht hat und später, wohl durch seine Erkrankung verhindert, auf den Gegenstand nicht wieder zurückgekommen ist, habe ich selbst das Thema, wie es meine ursprüngliche Absicht war, noch einmal aufgenommen und mich nicht nur auf die Untersuchung der Oberflächenbilder beschränkt, sondern auch die verschiedenen Entwicke- lungsstadien auf Durchschnitten genauer studiert. | Das von mir angewandte Verfahren ist dasselbe, welches ich in meiner Schrift „Ueber den Wert der ersten Furchungszellen“ etc. (S. 668) beschrieben habe. Zur bequemeren Darstellung der Ergebnisse bediene ich mich der von Born eingeführten Nomenklatur (l. c. S. ı) und bezeichne die komprimierenden Glasscheiben, je nachdem sie bei horizontaler oder schräger Aufstellung nach unten oder oben gerichtet sind, als Grundplatte und Deckplatte, und unterscheide die ihnen zugewandten Flächen des Eies als untere und obere. Zur Kompression wurden Objektträger benutzt, an denen wir bei schräger Auf- stellung einen oberen und unteren, einen linken und rechten Rand unterscheiden. Sie wurden auf ein Messinggestell gebracht, das mit zwei unter 45° geneigten Flächen versehen war und 20 Objektträger auf- nehmen konnte. Das Ganze kam in eine feuchte Kammer, deren Boden vermittelst einer Wasserwage genau horizontal eingestellt war. Die Versuche wurden teils im März an den Eiern von Rana fusca und R. arvalis, teils im Juni an den Eiern von Rana viridis ausgeführt. Die Konservierung der Eier auf den einzelnen Stadien geschah in '/,;-proz. Chromsäure. Zur Befreiung aus der Gallerthülle diente Eau de Javelle. 21 Froscheier am Beginn ihrer Entwickelung im Raume etc. 21 Bei Rana fusca und R. arvalis mußte leider die Beobachtung auf das lebende Ei beschränkt bleiben. Denn das konservierte Material ging bei der Ablösung der Gallerthülle infolge einer ungeeigneten Zu- sammensetzung des Eau de Javelle, welches zu viel Lauge enthielt, durch Ouellung zum größten Teil zu Grunde Es war dies um so mehr zu bedauern, da für experimentelle Zwecke die Eier von Rana fusca und R. arvalis wegen ihrer geringeren Empfindlichkeit gegen Eingriffe im allgemeinen ge- eigneter sind. Um die Öberflächenbilder mit den Durchschnitten vergleichen zu können, werde ich mich bei der Darstellung der Ergebnisse besonders an Rana viridis halten. Bei dieser sind bekanntlich die Eier viel weniger pigmentiert als bei den erstgenannten Arten. Die ganze nach abwärts gekehrte vegetative Hälfte ist vollkommen pigmentfrei und daher hellgelb gefärbt; nur die obere Seite zeigt eine braune Pigmentierung, die aber nach dem Aequator an Intensität abnimmt. Dieses Oberflächenbild erfährt eine charakteristische Veränderung einige Zeit, nachdem die Eier komprimiert und bei einer Neigung der Platten von 45° aufgestellt worden sind. Es findet eine Anordnung der leichteren und schwereren Be- standteile des Inhaltes unter einer langsam vor sich gehenden Drehung in der Weise statt, daß die leichtere, an ihrer Oberfläche pigmentierte Substanz nach dem oberen Rande des zu einer dicken Scheibe etwas abgeplatteten Eies zu liegen kommt, dagegen die schwerere hellgelbe Hälfte sich nach dem unteren Rande nach abwärts senkt. Dabei ordnen sich die Dotterkörnchen in 3 Zonen an. Im Protoplasma unter der Pigmentrinde liegen die allerkleinsten, in einer mittleren Zone werden sie größer, und in der Umgebung des vegetativen Poles sind sehr große Plättchen angehäuft. Auf einem in vertikaler Richtung angefertigten Medianschnitt durch das zur Scheibe abgeplattete Ei findet eine Verteilung der leichteren und schwereren Sub- stanzen, der kleinsten, mittelgroßen und größten Dotter- plättchen in der Art statt, wie sie das nebenstehende Schema zeigt. Die Form der am animalen Pole an- gesammelte Substanz hat Born einem sogenannten Shed-Dach verglichen, bei dem die niedrige Dach- fläche nicht plan, sondern gewölbt zu denken ist. Auch der befruchtete Kern mit seiner Sphäre wird in seiner Lage beeinflußt. Er rückt, wie ich aus der späteren Lage der Kerne bei Beginn der zweiten Medianschnitt durch ein Ei von Rana viridis, das zwischen . . 2 . Grundplatte (g) und Deckplatte (2) komprimiert und unter einem Teilung schließe, näher nach dem First des Daches Winkel von 45° aufgestellt ist. z 2 3 Obere, mittlere, untere oder dem oberen pigmentierten Rand hinauf. Zone, mit verschiedenem Gehalt an Protoplasma und kleinsten, a x T mittelgroßen und großen Dotterplättchen. * Grenze der pigmen- Die Ansichten der oberen und unteren Flächen tierten Rindenschicht. % Horizontalebene. des abgeplatteten und schräg gestellten Eies er- geben bilateralsymmetrische Figuren. Die obere Fläche ist braun bis auf ein am unteren Rand ge- legenes helles Feld, das etwa /;"/,; der ganzen Kreisfläche beträgt; die untere Fläche ist in größerer Ausdehnung hellgelb und zeigt nur am oberen Rand einen pigmentierten Streifen etwa in der Form einer Mondsichel. Es läßt sich daher die Eischeibe, wenn sie in der beschriebenen Weise sich auf der Glasplatte im Raum orientiert hat, nur durch eine vertikale Ebene, welche durch die Mitte des oberen pigmentierten und des unteren hellen Randes hindurchgelegt ist, in zwei vollkommen symmetrische Hälften zerlegen. 22 Froscheier am Beginn ihrer Entwickelung im Raume etc. 22 Wie der weitere Verlauf der Entwickelung zeigt, wird die Symmetrie- oder Gleichgewichtsebene des Eies, wie ich sie 1893 genannt habe, in den weitaus häufigsten Fällen zur ersten Teilungsebene. Bei gewöhnlicher Zimmertemperatur beginnt die erste Furchung etwa 3 Stunden nach der Befruchtung. Bei Lupenbetrachtung und heller Beleuchtung sieht man in der Mitte des oberen Randes eine Ein- schnürung auftreten und die erste Furche langsam von oben nach unten über die obere Fläche bis zur Mitte des unteren Randes durchschneiden. Erst geraume Zeit später läßt sie sich auch an der unteren Fläche des Eies wahrnehmen. Bei sorgsamer Ausführung des Versuchs, und besonders wenn die Pressung keine zu starke ist, liegt die erste Teilebene bei fast allen Eiern (Taf. III, Fig. 1—4) mit wenigen Ausnahmen in derselben Richtung und mehr oder minder parallel zum Längsrand des Objektträgers. Fast alle Eier sind mithin im Raume gleichsinnig orientiert. Es gewährt dies, wie ich schon bei früherer Gelegenheit, bei der Beschreibung der Pressung zwischen vertikal gestellten Platten hervorhob, einen überraschenden Anblick, da bei normalen, im Laichballen zusammenliegenden Eiern die ersten vertikalen Teilebenen alle möglichen Winkel ohne jede Regel untereinander bilden. Der Experimentator kann also durch bestimmte Eingriffe die Eier im Raume gleichsinnig der- art orientieren, daß ihre Symmetrieebenen annähernd parallel zueinander liegen und ebenso die ersten Teilebenen in der gleichen Richtung gebildet werden und mit der Symmetrieebene zusammen- fallen. Ich betone den Ausdruck annähernd. Denn eine absolute, vollkommene Uebereinstimmung der Teilrichtungen darf man nicht erwarten. Abweichungen von wenigen Graden werden häufig beobachtet (Bios und). Zur genauen Feststellung des Sachverhaltes gebe ich die Abbildung einer photographischen Auf- nahme eines Objektträgers mit zweigeteilten Eiern (Taf. II, Fig. 16). Durch Linien, die mit dem Lineal genau in der Verlängerung der einzelnen Teilebenen gezogen sind, kann ihre Richtung leicht erkannt und verglichen werden. Aus meinem Protokollbuch füge ich die Angabe hinzu, daß auf dem Objektträger, von dem die photographische Aufnahme gemacht ist, sich 8 Eier befanden, von denen 6 in gleicher Richtung wie die 4 nebeneinander gelegenen photographierten Eier geteilt waren, während bei zweien die erste Teilebene einen größeren Winkel mit dem Längsrand des Objektträgers beschrieb. Auf einem zweiten Objektträger mit 9 Eiern zeigten 7 annähernd dieselbe Verlaufsrichtung der ersten Teilebene parallel zum Längsrand des Objektträgers, ı Ei wies eine größere Abweichung auf und war dabei gleichzeitig in zwei ungleich große Teilstücke zerlegt. Das letzte Ei war unentwickelt geblieben. Eine bei stärkerer Vergrößerung gezeichnete Ansicht eines symmetrisch und parallel zum Objektträger- rand geteilten Eies geben die Figg. ı und 2, und zwar Fig. ı eine Ansicht der oberen, Fig. > eine Ansicht der unteren Seite. Meine Ergebnisse sind dieselben wie die von Born erhaltenen, der auch hervorhebt, „daß die Ebene der ersten Furche nur annähernd mit der Neigungsebene zusammenfällt, genau so, wie sie bei vertikalen Platten nur annähernd vertikal steht. Abweichungen von 5—ı5° sind sehr häufig, bis zu 30° auch nicht selten.“ Zuweilen findet man auch Eier, deren erste Teilebene zwar zur Objektträgerkante nahezu parallel ist (Fig. 3 und 4), dagegen die Pigmentverteilung in der Rinde unsymmetrisch teilt. Ein solcher Fall ist in Fig. 3 bei Ansicht von oben und in Fig. 4 von unten dargestellt. Er wird bei stärkerer Pressung der Eier häufiger beobachtet und erklärt sich wohl in der Weise, daß infolge der Pressung 23 Froscheier am Beginn ihrer Entwickelung im Raume etc. 23 die Drehung des Eies in toto nach der Befruchtung durch die Reibung stark gehemmt worden und nicht vollständig zu stande gekommen ist. Dagegen ist unter der Rindenschicht eine Umlagerung der leichteren und schwereren Eisub- stanzen im Inneren in der von Born zuerst genauer verfolgten Weise vor sich gegangen. Infolgedessen stimmen jetzt Oberflächenbefund und innere Eistruktur nicht mehr ganz untereinander überein. Auch die Fälle, in denen die erste Teilebene mit der Vertikalen einen mehr oder minder großen Winkel bildet, mit der Symmetrieebene aber zusammenstimmen kann, bereiten der Erklärung wohl keine Schwierigkeiten und werden verständlich, wenn wir annehmen, daß das Ei bis zum Beginn der Furchung aus irgend einem Grund sowohl eine Umlagerung seines Inhaltes als auch eine Drehung im ganzen nicht hat vornehmen und sich den Verhältnissen des Versuches entsprechend nicht hat ein- stellen können. Anmerkung. In meiner Experimentaluntersuchung aus dem Jahre 1893 habe ich in dem Ab- schnitt: „Pressung der Eier zwischen parallelen, unter einem Winkel von 45° aufgestellten Objektträgern“ eine Mitteilung gemacht, die einer näheren Erklärung bedarf. Ich schrieb damals (S. 675): „Nach meinen Zeichenskizzen wird durch die erste Teilung (Taf. XXXIX, Fig. 10) die Scheibe in zwei ungleich große Stücke zerlegt, und zwar durch eine Teilebene, welche die Symmetrieebene unter einem annähernd rechten Winkel schneidet. Das kleinere, höher gelegene Stück enthält mehr die pig- mentierte, protoplasmareichere, das größere, tiefer gelegene Stück dagegen mehr die dotterreichere Substanz mit dem ganzen Dotterfeld. Es ist eine Art der Furchung, wie sie bei manchen Tieren mit ovalen, polar differenzierten Eiern (Würmern, Mollusken) hier und da als Norm beobachtet wird. Die zweite Teilebene schneidet darauf die erste unter rechtem Winkel, so daß das größere und das kleinere Teilstück genau halbiert wird.“ „Es wäre von einigem Interesse, noch zu prüfen, ob durch den Grad der Neigung der Platten die ungleiche Größe der beiden ersten Teilstücke beeinflußt werden kann. — Leider erinnere ich mich nicht und habe mir auch keine Aufzeichnung darüber gemacht, inwieweit der oben beschriebene Teilungsmodus unter den angegebenen Versuchsbedingungen mit Konstanz auftritt.“ In meinen diesjährigen zahlreichen Versuchen ist mir ein entsprechendes Teilungsbild nicht auf- gestoßen. Born hat es bei seinen hierhergehörigen Experimenten auch nur selten beobachtet. Er schreibt: „Eine sehr seltene, nur wenige Male unter mehr als 200 Fällen von mir beobachtete Ausnahme ist es aber, wenn die erste Furche so verläuft, wie sonst die zweite, d. h. quer zur Verbindungslinie des obersten und untersten Eischeibenrandes. Gerade dieser seltene Ausnahmefall hat aber HERrTwIG bei seinen derartigen Beobachtungen ausschließlich vorgelegen.“ Zu diesem letzten Satz von Born habe ich zu bemerken, daß aus meiner Darstellung nicht hervorgeht, wie häufig ich den abgebildeten Teilungsmodus beobachtet habe. Im Gegenteil kann man ersehen, daß es sich um eine vereinzelte, nicht öfters kontrollierte Beobachtung handelt. Denn außer dem oben gesperrt gedruckten Satz habe ich noch in der Einleitung zu dem Abschnitt erklärt: „Die Versuche wurden in der Absicht unternommen, zu prüfen, ob bei dieser Anordnung sich die Lage des Urmundes bei seiner Entstehung beeinflussen lasse. Leider wurde hierbei ein genaues Studium des Furchungsprozesses verabsäumt, da gleichzeitig noch andere Ver- suche im Gange waren, die kontrolliert werden mußten“ 24 Froscheier am Beginn ihrer Entwickelung im Raume etc. 24 Auf die Beobachtung ist daher nur wenig Wert zu legen. Es handelt sieh jedenfalls bei ihr nur um einen Ausnahmefall. Doch wäre es wohl möglich, daß bei einer Aufstellung, bei der der Neigungswinkel weniger als 45° beträgt, das bezügliche Teilungsbild ‚häufiger gefunden wird. Unter- suchungen in dieser Richtung habe ich jetzt nicht angestellt. Die Lage der zweiten Teilebene läßt sich nach der von mir ermittelten Regel gleichfalls im voraus bestimmen. Da in jeder der ersten Teilhälften die protoplasmatische Substanz nach dem oberen pigmentierten Abschnitt zusammengedrängt ist, muß auch der Kern daselbst seine Lage nehmen und sich bei der Umwandlung zur Spindel parallel zur ersten Teilebene und näher dem oberen Rand der Scheibenhälfte einstellen. Die zweite Teilebene muß schon zwar die erste unter rechtem Winkel schneiden, dabei aber nach dem oberen Scheibenrand mehr oder minder verschoben sein. Das zur Scheibe ab- geplattete, aber schräg aufgestellte Ei wird daher in 4 ungleich große Stücke, 2 kleinere anımale und 2 größere vegetative, zerlegt (Fig. 5—8). Von oben gesehen, sind die animalen Stücke (Fig. 7) häufig etwas kleiner als von unten (Fig. 8), auch fallen sie bei verschiedenen Eiern nicht genau gleich groß aus. Man vergleiche die Figg. 5 u. 6 mit Fig. 7 u. 8. Die Figg. 5 u. 7 sind die Ansichten zweier Eier von oben, die Figg. 6 u. 3 die entsprechenden Ansichten von unten. Das bei unserer Versuchsanordnung erhaltene Furchungsbild unterscheidet sich in auffallender Weise vom Furchungsbild, das ein zwischen genau horizontal liegenden Platten komprimiertes Fi liefert. Denn bei diesen sind die 4 ersten Segmente gleich groß, wie beim normalen Verlauf der Furchung, und schneidet die zweite Teilebene die erste genau in der Mitte. Ueber die genauere Lage der zweiten Teilebene bei der schrägen Aufstellung geben Durch- schnitte, die parallel zur ersten Teilebene geführt sind, noch genauere Auskunft (Fig. 17, 18, 19), In den Figuren sind auch die 3 Bezirke, in denen sich die kleinsten, die mittelgroßen und die größten Dotterplättchen vorfinden, durch verschiedene dunkle Töne angegeben. Es läßt sich nun im großen und ganzen feststellen, daß die zweite Teilebene mit der geneigten pressenden Fläche annähernd einen rechten Winkel beschreibt und daher vom normalen Furchungsschema auch noch in einer zweiten Be- ziehung abweicht. Denn normalerweise ist die zweite wie die erste Teilebene stets genau lotrecht ge- stellt, während sie jetzt mit dem Lot einen spitzen Winkel bildet. Man gewinnt hier einen interessanten Einblick in ein Verfahren, wie man die Stellung der zweiten Furchungsebene allmählich in einer gesetzmäßigen Weise aus einer lotrechten in eine wagrechte überführen kann. Denn wie ich schon in meiner ersten experimentellen Arbeit und später Born nach- gewiesen haben, kommt die zweite Teilebene in die Horizontale (Fig. ı5) zu liegen, wenn die pressenden Platten vertikal gestellt werden; sie liegt hierbei in großer Nähe des animalen Poles und teilt das Ei in sehr ungleicher Weise in 2 sehr kleine animale und 2 große vegetative Zellen. Da nun bei nor- malem Verlauf erst die dritte Teilung des Eies in horizontaler Richtung geschieht, hat man das Auf- treten einer horizontalen Ebene schon ım zweiten Furchungsstadium als einen Anachronismus, als eine Vertauschung in der zeitlichen Aufeinanderfolge der Furchen bezeichnet. Als Anachronismus kann unser Fall aber in keiner Weise aufgefaßt werden. Denn wie sich leicht ersehen läßt, wird die Stellung der zweiten Teilebene, je nachdem wir den pressenden Platten eine immer steilere Neigung geben, einen größeren Winkel mit der lotrechten bilden müssen, bis er bei vertikaler Plattenstellung einen rechten beträgt. Oder mit anderen Worten; es lassen sich durch Froscheier am Beginn ihrer Entwickelung im Raume etc. 25 25 Experimente die vertikale und horizontale Stellung der zweiten Teilebene durch alle möglichen Mittel- stellungen verbinden, wenn wir den pressenden Platten einen immer größeren Neigungswinkel zur Horizontalen geben, bis sie lotrecht stehen. Die Richtung der zweiten Teilebene hängt also nur von den Bedingungen ab, unter welche wir die sich teilende Eizelle bringen. Dasselbe gilt von der un- gleichen Größe der einzelnen Teilstücke. Denn je mehr aus der Horizontalen die pressenden Platten in eine geneigte und schließlich in eine vertikale Stellung gebracht werden, um so mehr wird die zweite Teilebene nach dem oberen Rand der Eischeibe emporrücken, und um so kleiner werden die pigmentierten Zellen ausfallen. Es läßt sich wohl kaum ein schlagenderer Beweis als das angeführte Experiment gegen die Richtigkeit der Ansichten finden, wie sie von Roux in seiner Mosaiktheorie aufgestellt und von ver- schiedenen Forschern angenommen worden sind. Bekanntlich ist in der Mosaiktheorie die Hypothese entwickelt worden, daß durch den Mechanismus der Kernteilung Kernstoffe von verschiedenen Qualitäten auf den einzelnen Stadien des Furchungsprozesses in ungleichen Verhältnissen voneinander getrennt und auf die einzelnen Zellen ungleich verteilt werden sollen. Da nun von der Qualität des Kernes der Lebens- prozeß der Zelle direkt abhängt, soll auf den einzelnen Furchungsstadien die prospektive Bedeutung der einzelnen Teilstücke im voraus bestimmt werden. Es soll, wie Roux am Froschei exemplifiziert hat, bei diesem durch die erste Teilebene das Bildungsmaterial mit seinen gestaltenden und differen- zierenden Kräften für die linke und rechte Körperhälfte, und ebenso durch die zweite Teilebene das Bildungsmaterial für die cephale und kaudale Hälfte, durch die dritte endlich dasjenige für die Rücken- und Bauchgegend des Embryos voneinander gesondert werden. Nun sehen wir, daß in unserem Experiment die zweite Teilebene je nach der Stellung der komprimierenden Glasplatten alle möglichen Mittellagen zwischen der vertikalen und horizontalen Richtung einnimmt, daß also die eine in die andere direkt übergeführt werden kann und daß je nach der Richtung der Teilebene Form und Größe der Teilstücke stets verschieden ausfällt. Soll, so fragen wir, in jedem dieser unendlich verschiedenen Fälle sich der Kern entsprechend verschieden qualitativ teilen? Ist es denkbar, daß er durch die verschiedene Stellung des Eies veranlaßt werden sollte, sich hier in Bildungs- material für vorn und hinten, dort für Rücken und Bauch zu teilen oder gar zwischen diesen Extremen noch unendlich verschiedene Kombinationen in der Materialverteilung nach Qualität und Masse vor- zunehmen ? | Bei diesem Experiment zeigt sich, wie ich glaube, in handgreiflicher Weise, daß die Mosaik- theorie uns ganz im Stiche läßt und daß die Tatsachen eine andere Erklärung verlangen. Ursächliche Beziehungen der Art, wie sie von Roux zwischen den einzelnen Stadien des Furchungsprozesses und der späteren Organisation des Embryos angenommen werden, existieren nicht. Durch die Furchung wird das Ei nur in Zellen zerlegt, in welcher Richtung hierbei die Teilebenen erfolgen, wie groß hierbei die einzelnen Teilstücke ausfallen, ist für das Endresultat der Entwickelung ganz gleichgültig; im einen wie im anderen Fall entstehen normal organisierte Embryonen, wie das Studium des weiteren Verlaufes lehrt. Die Gesetzmäßigkeiten, welche man in der Richtung und Aufeinanderfolge der Teilebenen und in der Größe der Teilprodukte beobachtet, erklären sich aus den Einflüssen, welche die Form des Eies und die eigentliche Differenzierung seines Inhaltes nach der von mir zuerst entwickelten Regel auf die Lage des Kernes und der sich zur Teilung vorbereitenden Kernspindel ausüben, sie sind aber von keiner prospektiven Bedeutung in der von Roux gelehrten Weise für das spätere Schicksal der Furchungszellen. Jenaische Denkschriften. XI. 4 Festschrift Ernst Haeckel. 26 Froscheier am Beginn ihrer Entwickelung im Raume etc. 26 Bei meinen Versuchsreihen habe ich die Entwickelung der in Zwangslage schräg aufgestellten Eier bei Rana viridis bis zum Gastrulastadium, bei R. fusca bis zum Auftreten der Medullarwülste ver- folgt. Zweck war, die Lage des Urmundes im Verhältnis zur ersten Teilebene genauer festzustellen. Bei der normalen Entwickelung des Froscheies ist es bekanntlich sehr schwierig, auf dem Morula- und Keimblasenstadium eine bilaterale Symmetrie an dem kugeligen Gebilde nachzuweisen. Eine solche ist aber nach den Untersuchungen von Oscar SCHULZE hier ebenso gut wie an dem befruchteten Ei vorhanden. An der Morula soll sie sich an einer ungleichen Größe der Zellen erkennen lassen. Wie OscAR SCHULTZE beschreibt, „nimmt auf ein und demselben Parallelkreis die Größe der Zellen von der hinteren Seite des Eies nach der vorderen kontinuierlich zu. Die kleinsten Zellen liegen also bei der Morula auf der hinteren Seite des Eies von dem oberen Pol bis zu dem höchsten Punkt des Pigment- randes, d. h. über der Anlagestelle des Urmundes. Hier liegt also das auf dem Morulastadium der Lage nach schon erkennbare Material für die zuerst auftretenden Embryonalorgane, vor allem für das Zentralnervensystem, auf einen verhältnismäßig kleinen Raum zusammengedrängt.“ An der Blastula ferner spricht sich nach Oscar ScHuL1zE die bilaterale Symmetrie darin aus, daß eine Stelle ihres Daches, welche der Eintrittsstelle des Samenfadens entspricht, konstant viel dicker als die gegenüberliegende Stelle ist, an welcher sich der Urmund anlegt. Auffällig und leicht erkennbar sind jedenfalls die Merkmale nicht, welche von Oscar SCHULTZE für das Vorhandensein einer bilateralen Symmetrie der Morula und Blastula vom Frosch aufgeführt werden; daher wohl die meisten Forscher sich in Verlegenheit befinden würden, wenn sie die Aufgabe lösen sollten, Eier auf diesen Stadien genau der Medianebene entsprechend zu orientieren. Dagegen ist es sehr leicht, den Eiern durch das von mir angegebene Verfahren eine sofort wahrnehmbare, künst- liche bilaterale Symmetrie aufzuprägen. Denn die charakteristische Pigmentverteilung der Oberfläche, die uns schon beim befruchteten Ei zum Nachweis der Bilateralität diente (Fig. ı—8), erhält sich durch alle Furchungsstadien hindurch ziemlich unverändert bis zum Beginn der Gastrulation. An einer jungen Keimblase ist ihre obere, der Deckplatte zugekehrte Fläche (Fig. 9) aus schwarz pigmentierten Zellen zusammengesetzt, mit Ausnahme eines hellen Feldes, welches den tiefer gelegenen Rand einnimmt und nur halb so groß oder auch kleiner als der höher gelegene pigmentierte Bezirk ist. An der unteren, der Grundplatte zugekehrten Fläche (Fig. ı0) dagegen fehlt das Pigment bis auf einen schmalen, sichelförmigen Saum an dem höher gelegenen Rand der scheibenförmigen Keimblase. Eine Linie, welche die Mitten der pigmentierten oberen und unpigmentierten unteren Scheibenrandes verbindet, teilt das künstlich deformierte Ei in zwei symmetrische Hälften und kann daher als seine künstliche Symmetrieebene bezeichnet werden. Unter diesen Umständen ist es natürlich sehr leicht, bei der Einbettung in Paraffın eine genaue Orientierung der Froscheier vorzunehmen. Zwei in dieser Weise angefertigte Medianschnitte durch ein jüngeres und älteres Keimblasen- stadium sind in den Figg. 20 und 2ı zu sehen. In beiden breitet sich der mit Pigmentzellen über- zogene Teil der Oberfläche zwischen den mit 2 Kreuzen bezeichneten Punkten aus. In Fig. 20 finden sich die größten vegetativen Zellen an der unteren Seite des nach unten gekehrten Randes. Das Blastocöl ist noch klein und liegt unter der oberen Fläche des Eies nahe dem oberen pig- mentierten Rand. | Ich habe bei der Durchsicht von meinen Präparaten, sowohl von ganzen Keimblasen als auch von Durchschnitten, darauf geachtet, ob ich an der Uebergangszone der anımalen in die vegetativen Zellen eine Stelle nachweisen könnte, in deren Bereich die Zellen auffallend kleiner sind, wie es 27 Froscheier am Beginn ihrer Entwickelung im Raume etc. 27, OscAR SCHULIZE für das Morulastadium beschrieben hat. Mir ist aber eine derartige Unterscheidung nicht gelungen. Vielleicht wird von anderer Seite die Prüfung dieser Frage noch einmal vorgenommen. Bei der weiter entwickelten Blastula, bei welcher die Zellen schon sehr klein geworden sind, hat das Blastocöl an Ausdehnung bedeutend zugenommen, scheint mir aber immerhin kleiner zu bleiben als bei einem normal, ohne Pressung entwickelten Ei. Der Boden der Höhle ist bei richtiger Orien- tierung der Medianschnitte in der Horizontalebene ausgebreitet. Auch hier kann ich da, wo die Decke in den Boden der Keimblase übergeht, keinen Unterschied in der Dicke der Wandung zwischen dor- saler und ventraler Fläche erkennen. Auf Grund eines derartigen Merkmals, welches ©. ScHuLrze unter normalen Verhältnissen beobachtet hat, würde es sich hier nicht bestimmen lassen, an welcher Stelle sich die Einstülpungsrinne bilden würde. Dennoch bevorzugt dieselbe einen bestimmten Bezirk der Keimblase. Denn bei der Majorität der Fälle sah ich sie sich an ihrer unteren Fläche, welche der Grundplatte zugekehrt ist, und zwar an dem weniger pigmentierten Ei von Rana viridis, in einiger Ent- fernung von der höchsten Stelle des Dotterfeldes anlegen, wo die Pigmentierung der Zellen aufhört, welche den sichelförmigen Randbezirk einnehmen. Die gekrümmte Rinne hat ausnahmslos ihre Konkavität nach dem unteren pigmentfreien Rand der Keimblase zugekehrt (Fig. ı2). Häufig ist sie so orientiert, daß sie durch die Symmetrieebene der Eier, welche an der Pigmentverteilung auch zu dieser Zeit noch leicht zu erkennen ist, mehr oder minder annähernd halbiert wird. Die Medianebene der Gastrula fällt mithin in diesen Fällen mit der ersten Teilungsebene bald mehr, bald weniger zusammen. Namentlich häufig trat dies bei den Ver- suchen an den Eiern von Rana fusca ein, welche nur einer geringen Kompression ausgesetzt worden waren. Mir scheint, daß hierbei der Grad der Kompression nicht -ohne Einfluß auf die richtige Ein- stellung des sich bildenden Urmundes in der Symmetrieebene ist. Denn bei geringer Kompression wird das Ei weniger durch Reibung seiner Oberfläche gehindert, sich in toto gemäß der Schwere seiner verschiedenen Bestandteile zwischen Grund- und Deckplatte richtig einzustellen. In einer kleineren Anzahl von Fällen ist die erste Anlage des Urmundes etwas nach links oder rechts von der Symmetrieebene abgewichen, und beschreibt eine Vertikale, die in seiner Mitte gezogen wird, auch einen spitzen Winkel mit der Längsseite des Objektträgers, während sie bei genauer Orien- tierung des Urmundes mit ihr parallel sein sollte. Zuweilen auch fand sich der Urmund am hellen Scheibenrand gleichfalls mit nach abwärts gekehrter Konkavität. Dagegen konnte ich niemals beobachten, daß er seinen Ursprung an dem Teil der Randzone nimmt, welcher an die Deckplatte grenzt und bei Ansicht von oben als pigmentfreier sichelförmiger Bezirk wahrgenommen wird'). ı) Das Ergebnis meiner neuen Versuche stimmt mit dem 1893 erhaltenen gut überein. Damals fand ich: Bei 16 in dieser Lage auf 2 Objektträgern befindlichen Eiern entstand nun die erste Einstülpung in 15 Fällen an dem Teil der Peripherie des Dotterfeldes, welcher nach dem oberen Rand des Objektträgers gewandt war, und nur bei einem Ei in dem entgegengesetzten Bereiche (S. 702). An dem oberen Rand selbst nahm freilich die Urmundrinne noch verschiedene Lagen ein, während die bevorzugte Stelle mit der Symmetrieebene stets zusammenfallen sollte (S. 735). Verschiedenartiger sind offenbar die Ergebnisse in den Untersuchungen von BoRN ausgefallen, der sich ebenfalls die Aufgabe gesetzt hatte, bei schiefer Aufstellung der komprimierten Eier die Beziehungen zwischen der Lage der ersten Furche und der Stelle, an der der Anfang des Urmundes auftritt, zu untersuchen. Als Resultat der Untersuchung be- zeichnet er, „daß sich absolut keine Beziehung zwischen der Lage des Urmundanfangs und der ersten Furche auffinden ließ. Der Urmundanfang nahm alle möglichen Stellungen rings um die obere Grenze des hellen Feldes herum ein. Da bei dieser Art der Aufstellung nur ein kleiner Abschnitt des Umrisses des hellen Feldes an die vordere Seite der Eiplatte fällt, so ist es nicht verwunderlich, daß der Urmundanfang seltener am unteren Rande der Vorderplatte gefunden wurde als an der Hinterseite“ (S. 5). BORN bezeichnet hier als hintere Seite der Eischeibe die der Grundplatte zugekehrte, die ich die untere genannt habe. Seine vordere Eischeibe ist dementsprechend meine obere. 4* 28 Froscheier am Beginn ihrer Entwickelung im Raume etc. 28 Der weitere Verlauf der Urmundbildung zeigte bei Rana esculenta Störungen, die bei dem gegen Eingriffe empfindlichen Ei leichter eintreten als bei Rana fusca. Es vergrößerte sich nämlich die zuerst kleine Urmundrinne ziemlich rasch an ihren beiden Enden, wurde hufeisenförmig und schloß sich bald zu einem großen Ring, der einen Dotterpfropf von außergewöhnlichen Dimensionen umfaßte (Fig. 13); aber der Einstülpungsprozeß machte währenddem keine Fortschritte, und in Zusammenhang damit begann sich auch nicht die Urmundnaht auszubilden. Das zuletzt entstandene Stück des Ur- mundes wird jetzt an der oberen Fläche des Eies im Bereich des unpigmentierten halbmondförmigen Abschnittes mit dem unteren Rande sichtbar (Fig. 14). Es würde sich verlohnen, den Verlauf des Gastrulationsprozesses einmal genauer an Eiern zu studieren, die sich unter ’den hier dargestellten Bedingungen befinden. Denn einmal läßt sich die Schnittrichtung an den abgeplatteten Scheiben viel leichter als an den Kugeln auf den einzelnen Stadien der Gastrulation bestimmen, und dann wird man — was noch viel wichtiger ist — in die Materialum- lagerungen einen genaueren Einblick gewinnen. Man kann ja den Medianschnitten durch die Eier, wie es auf meiner Tafel geschehen ist, leicht ihre natürliche Stellung geben, die sie im Raum während der Entwickelung eingenommen haben müssen, und kann dann leichter durch Vergleichung genau orien- tierter Medianschnitte von jüngeren und älteren Eiern ermitteln, wie sich die Dottermasse auf den ein- zelnen Stadien der Einstülpung verlagert und in welchem Umfang sich die zuerst gebildete Urmundlippe verschiebt in Bezug auf den oberen und unteren Rand der Scheibe. Das Ei von Rana fusca, bei dem die Gastrulation auch unter Pressung, wenn sie nicht zu hoch- gradig ist, ungestört vor sich geht, ist für derartige Studien viel geeigneter als das empfindlichere Ei von Rana virids. Namentlich in Bezug auf diesen Punkt bedauere ich, daß die Versuchsreihen welche von Rana fusca gewonnen und konserviert worden waren, bei der Entfernung der Gallerthüllen unbrauchbar geworden sind. Ich muß mich daher hier darauf beschränken, einen Medianschnitt durch eine Gastrula von Rana viridis zu geben, an welcher der Urmund sich zu einem großen Ring ge- schlossen, die Einstülpung selbst aber noch im Rückstand geblieben ist. Die vordere oder cephale Ur- mundlippe befindet sich an der untere Fläche der Scheibe etwa in ihrer Mitte und ist etwas deutlicher markiert als die hintere oder kaudale, die am unteren Rand der Scheibe in der Nähe der Deckplatte entstanden ist. Wenn ich aus meinen Beobachtungen über die Lage des Urmundes ein allgemeines Ergebnis ziehe, so glaube ich, daß als Norm nur die Fälle zu bezeichnen sind, wo der Urmund an der der Grundplatte zugewandten Fläche am höchsten Punkt des Dotterfeldes entsteht, daß eine Linie, welche die Urmundlippe unter rechtem Winkel in ihrer Mitte schneidet, mit der Symmetrieebene des Eies und daher auch mehr oder minder mit der ersten Teilungsebene zusammenfällt. Ich bin also der gleichen Ansicht, welche ich schon 1893 (S. 734, 735) ausgesprochen habe. Auch stimme ich in diesem Punkt mit den Ergebnissen überein, zu welchen Roux durch fortlaufende Beobachtung des normal sich ent- wickelnden Froscheies gelangt ist; dagegen halte ich die Erklärung, die Rovx für das Zusammenfallen von erster Teilebene und Medianebene der Gastrula gezogen hat, für unrichtig. Nicht deswegen fallen beide zusammen, weil durch die erste Teilung das Anlagematerial für linke und rechte Körperhälfte frühzeitig gesondert wird, sondern deswegen, weil die Richtung der ersten Teilebene durch eine im befruchteten Ei bereits vorhandene symmetrische Anordnung des Eiinhaltes zu beiden Seiten einer Gleich- gewichtsebene bestimmt wird. Dasselbe Moment ist es aber auch, welches die Massenverteilung und die Anordnung der Zellen auf den weiteren Entwickelungsstadien und so auch die Lage des Urmundes 29 Froscheier am Beginn ihrer Entwickelung im Raume etc. 29 bestimmt, welcher sich so entwickelt, daß die Medianebene der Gastrula mit der ursprünglichen Symmetrieebene des Eies mehr oder minder zusammenfällt. Zu dieser 1893 von mir entwickelten Auffassung (S. 733—735) ist auch Oscar ScHuLtzE durch seine überaus sorgfältige Untersuchung der normalen Entwickelung geführt worden. Er findet auch, daß unter normalen Verhältnissen die Symmetrieebenen des befruchteten Eies, der Morula, der Blastula und Gastrula identische sind; er will aber dieses Zusammenfallen nicht als ein allgemeines Entwickelungs- gesetz bezeichnen, da Abweichungen leicht eintreten. Ferner hebt er mit Recht hervor, „daß die Symmetrie- ebene zu verschiedenen Zeiten der ersten Entwickelung erkennbar wird, daß sie schon im unbefruchteten Ei oder erst vor der Furchung oder während der Furchung oder endlich erst mit dem Auftreten des Urmundes (Primitivstreifens) sichtbar werden kann“. Die im Experiment häufiger zu beobachtende abweichende Lage des Urmundes, welche weder der in der Pigmentierung sich ausprägenden Symmetrieebene des Eies noch der ersten Teilebene ent- spricht, erkläre ich daraus, daß infolge der Pressung oder anderer Störungen Umgruppierungen der Dottermasse und Ausbildung einer neuen Symmetrie- und Gleichgewichtsebene hervorgerufen werden, und daß hierdurch das Zusammenfallen der ursprünglichen Symmetrieebene, welche in der Pigmentver- teilung in der Eirinde einen Ausdruck findet, sei es mit der ersten Teilebene, sei es mit der Median- ebene der Blastula und Gastrula aufgehoben wird. Ein ähnlicher Gedankengang liegt wohl auch der von Born gegebenen Erklärung zu Grunde, wenn er sagt: „Es ist von PFLÜGER und von mir selbst nachgewiesen worden, daß die Medianebene des Embryos bei den in abnormer Stellung in Zwangslage festgehaltenen Eiern in den Strömungs- meridian fällt, d. h. daß der Urmundanfang in derjenigen Meridianebene des Eies steht, in welcher die Masse des schwereren weißen Dotters abgesunken und der leichte pigmentierte Bildungsdotter aufge- stiegen ist, und zwar bildet sich der Urmundanfang an der Seite dieses Meridians, an der der schwere weiße Dotter abgesunken ist, ziemlich an der höchsten Stelle des durchgefurchten hellen Feldes“ (S. 6), oder an anderer Stelle: „Die durch die Strömung des Dotters gesetzte bilaterale Symmetrie des Eies fixiert also die Medianebene des Embryos.“ Sowie die Gastrulation begonnen hat, ist es ein Leichtes, sich am Ei über die Bezirke zu orien- tieren, an denen sich die wichtigsten Organe anlegen werden. Die Hirnplatte bildet sich an der der Grundplatte zugekehrten unteren Fläche aus einem kleinen Bezirk vor der vorderen Urmundlippe; mit der vorderen Entwickelung des queren Hirnwulstes wird sie nach vorn scharf abgegrenzt. Die Schwanz- anlage entsteht in der Gegend der hinteren Urmundlippe, aus deren Substanz sich ja die beiden Schwanzknospen anlegen. Also würde die Rückengegend des Embryo an der unteren Seite des Eies etwa zwischen den mit X und ‚S bezeichneten Punkten (Fig. 22) zur Ausbildung kommen. Da das komprimierte Ei bis zum Beginn der Gastrulation keine Umlagerungen seiner Substanz oder Verschiebungen in erheb- licherem Grade erfährt, ist es ein Leichtes, die oben ermittelten Punkte auf das befruchtete oder geteilte Ei, oder auf das Morula- und Blastulastadium zu projizieren. Und so kann man sagen: die Gastrula- rinne, die Hirnplatte oder das spätere Kopfende entwickelt sich an der unteren Fläche der kom- promierten und unter 45° Neigung aufgestellten Eier in einiger Entfernung vom protoplasmareicheren animalen Pol; bei der zweiten Teilung liegt die kleinere, pigmentierte animale Zelle kopfwärts, die größere vegetative schwanzwärts, auf dem Morula- und Keimblasenstadium liegt die Keimhöhle kopf- wärts, die Dottermasse kaudal. 30 Froscheier am Beginn ihrer Entwickelung im Raume etc. 30 Mit Beginn der Gastrulation finden infolge der Einstülpungen große Materialumlagerungen statt, durch welche der Schwerpunkt des Eies erheblich verlagert wird. Infolgedessen erfährt die Eikugel, wie bekannt, während der Gastrulation eine Drehung, durch welche die unten entstandene Medullarplatte nach oben und umgekehrt das Zellenmaterial, welches ursprünglich als Decke der Keim- blase nach oben gerichtet war, nach unten zu liegen kommt. Wie die Ergebnisse der kleinen experimentellen Studie lehren, ist die Methode, Froscheier zwischen parallelen Glasplatten ein wenig zu komprimieren und dann bei einem Neigungswinkel von 45° während der Entwickelung aufzustellen, auch sehr geeignet, um die gegenseitigen Lageverhältnisse der einzelnen Teile auf verschiedenen Embryonalstadien genauer zu bestimmen. Literatur. 1883 — 1884 PFLÜGER, Ueber den Einfluß der Schwerkraft auf die Teilung der Zellen und auf die Entwickelung des Embryo. PFLÜGERs Arch. f. Phys, Bd. XXXI, XXXII u. XXXIV. 1893 OSCAR HERTWIG, Experimentelle Untersuchungen über die ersten Teilungen der Froscheier und ihre Beziehungen zu der Organbildung des Embryo, Sitzungsber. d. Königl. Preuß. Akad. d. Wiss. zu Berlin, 18. Mai 1893. 1893 — Ueber den Wert der ersten Furchungszellen für die Organbildung des Embryo, Experimentelle Studien am Frosch- und Tritonei, Arch. f. mikr. Anat., Bd. XIEN 278953: 1893 BoRN, Gustav, Ueber Druckversuche an Froscheiern, Anat. Anz., Bd. VIII, 1893. 1894 — Neue Kompressionsversuche an Froscheiern, Jahresber. d. Schles. Gesellsch., Zool. bot. Sekt, Mai 1894. 1895 Roux, WILH., Gesammelte Abhandlungen über Entwickelungsmechanik der Organismen, 1895. Ueber einige Korallentiere des Roten Meeres. Prof. W. Kükenthal, Mit Tafel IV—V und 2 Figuren im Text. 4 —J * I f y q \ ! \ ’ FR EL | x FE 7 j ir ? f Vet en en schön und mannigfaltig in Gestalt, Zusammensetzung und Farbe sind die tausend- fach verschiedenen Stockformen der Korallen. Die schönsten, größten und merkwürdigsten Formen derselben finden sich in den heißen Erdgürteln vor. Wie die Urwälder der Tropenländer eine Ueppig- keit und Pracht des Pflanzenwuchses entfalten, die weitaus die Vegetation der gemäßigten und kalten Zone übertrifft, so glänzen auch die untermeerischen Korallenwälder und Korallenbänke zwischen den Wendekreisen durch eine Fülle von prächtigen Formen und Farben, von welchen die kleinen und dürftigen Korallentiere der kälteren Meere keine Vorstellung geben können. Die Berichte älterer und und neuerer Reisender bemühen sich vergeblich, die mannigfache Formenschönheit, die bunte Farben- pracht und den bezaubernden Glanz jener wunderbaren Korallengärten zu schildern, die in seichten Buchten des Indischen und Pazifischen Ozeans den Meeresboden bedecken.“ So schreibt E. HAaEcKEL in seinem prächtigen Werke „Arabische Korallen“ (1876), und die „bezaubernden Korallenhaine, wo jedes Tier zur Blume wird“, gehören zu den schönsten Erinnerungen jedes Naturforschers, dem es vergönnt war, sie zu schauen. Kein Wunder daher, daß zahlreiche Forscher zum Studium der tropischen Korallen hinausgepilgert sind! Als das nächstliegende Gebiet bot sich ihnen das Rote Meer dar, dessen Korallen- bänke daher von vielen Forschern besucht worden sind. Savıcny, EHRENBERG, HAECcKEL, KLUNZINGER und jüngeren Forschern verdanken wir eingehendere Kenntnis dieser Korallentiere, trotzdem aber zeigt sich auch hier, wie überall in unserer Wissenschaft, daß mit dem Auftauchen neuer Fragen auch an oft und sorgfältig studierten Objekten manches Neue gefunden werden kann, wie diese kleine Ab- handlung beweisen soll. In ihr habe ich mich auf einen Teil der Oktokorallen, die Alcyonarien, be- schränkt und von diesen nur Vertreter der Familien der Xeniiden, Cornulariden und Nephthyiden berücksichtigt. Es stand mir von diesen Formen außer älteren Museumsstücken ein reichhaltiges, wohlkonserviertes Material zur Verfügung, welches Herr Dr. R. HarımEvEr hauptsächlich bei Tör am Sinai, der altbekannten Zoologenstätte, im Winter 1901—1902 gesammelt hat. Ganz ausgezeichnet waren besonders Formolpräparate, die in Form und Farbe nahezu unverändert geblieben waren. Für die Ueberlassung dieses schönen Materials spreche ich Herrn Dr. HArrmEvER meinen herzlichsten Dank aus. Familie der Xeniden, Doldenkorallen. Schon seit lange kennt man aus dem Roten Meer zwei Xenilden, die Xenia umbellata Im. und die Xenia fuscescens EHRB, zu denen sich neuerdings noch eine dritte, X. blumi ScHENK, gesellt hat, die von mir zuerst in den Molukken gefunden, später von May (1899, S. 81) auch aus dem Roten Meere beschrieben worden ist. Im folgenden wollen wir uns mit den beiden altbekannten Arten etwas näher befassen. Jenaische Denkschriften. XI. Festschrift Ernst Haeckel. ou 34 Ueber einige Korallentiere des Roten Meeres. 34 1. Xenia umbellata LM. Die Synonymik dieser Art ist in meinem „Versuch einer Revision der Alcyonarien“ (1902, S. 650) gegeben worden; die kurze Diagnose lautet: „Der fleischige Stamm ist glatt, walzenförmig; oft sind an der Basis mehrere Stämme vereinigt. Polypen ziemlich dicht auf der Endscheibe stehend, von sehr wechselnder Länge, 5—1ı9 mm lang und ı—1,8 mm breit. Tentakel meist 5—8 mm lang, ı— 1,6 mm breit, an der Basis breit, oben zugespitzt. Pinnulae jederseits der frei bleibenden Mittellinie der Innenfläche in 3 Reihen zu ı2—29. Farbe grauweiß bis graublau, gelblich oder rotbräunlich Innenseite der Tentakel rostbraun.“ Die zahlreichen Exemplare dieser Art, welche mir vorlagen, bestätigten die Richtigkeit obiger Diagnose, es fanden sich aber einige jener dunkler rötlich oder bläulich gefärbten Exemplare vor, die der von EHRENBERG aufgestellten Xenia coerulea entsprechen, und an welche ich einige Bemerkungen knüpfen möchte. Schon KrLunzinGER vermutete, das X. coerulea nur eine Varietät von X. umbellata sei, und diese Annahme hat sich in der Folgezeit bestätigt. Auch die mir vorliegenden Exemplare sind durch Uebergänge mit der typischen X. umbellata verbunden. KrunzinGEr (1877, S. 41) schreibt daß bei X. coerulea Kolonie und Polypen, überhaupt alle Teile kleiner sind, doch liegt mir auch eine Kolonie vor, bei der das nicht der Fall ist (Fig. ı, Taf. IV). Die Gesamthöhe dieses Stückes beträgt insgesamt 24 mm. Der Stamm gabelt sich in seiner unteren Hälfte in 2 gleichstarke Aeste, welche bis 8 mm lange Polypen tragen. Daneben finden sich zahlreiche kleinere bis zu ı mm Länge herunter, die besonders am äußeren Scheibenrande vorkommen. Sehr auffällig ist bei dieser Form die geringe Ausbildung der Tentakelpinnulae Während die Tentakel selbst die gleiche Größe haben wie bei typischen Exemplaren von X. umbellata, sind ihre Pinnulae zu flachen, breiten Warzen reduziert, und die Tentakel erhalten dadurch eine viel plumpere Form. Es scheint mir nun ein Zusammenhang zu bestehen zwischen der plumperen Form der Pinnulae und der Massenhaftigkeit der Spicula. Die Spicula, von der gleichen Scheibenform wie bei den typischen Exemplaren, erscheinen bei durchfallendem Lichte rötlich, bei auffallendem Lichte bläulich und rufen durch ihre große Anzahl jene für die Varietät coerulea charakteristische Färbung hervor. Außerdem glaube ich aber auch, daß sie die Ursache der plumpen Pinnulaeformen sind, deren Auswachsen zu den schlankeren Formen der typischen Exemplare sie hindern. Dafür spricht jedenfalls ihr gleichzeitiges massenhaftes Auftreten. 2. Xenia fuscescens EHRB. Eine zweite häufige Art der Doldenkorallen des Roten Meeres ıst die von EHRENBERG zuerst beschriebene Xenia fuscescens. Dieser Form habe ich (1902, S. 654) folgende Diagnose gegeben: „Dicker, oft glockenartiger, selten geteilter Stamm mit etwas gewölbter Endscheibe. Polypen an Größe bei verschiedenen Kolonien und innerhalb einer jeden sehr verschieden; bei einer großen Kolonie 20—40 mm lang, 2,5 —3 mm breit; Tentakel bis ıs mm lang. Pinnulae ın 4 Reihen zu jeder Seite der frei bleibenden Mittellinie der Innenseite, bald kürzer und dicker, bald länger und schlanker. Kalk- körper fehlend oder vorhanden. Beginnender Dimorphismus, indem bei einzelnen Kolonien die Siphono- zooide fehlen, bei anderen in sehr wechselnder Zahl auftreten. Die Siphonozooide sind 3—5 mm lang, 0,7—ı mm breit, mit einfachen, 0,14—0,2 mm langen Tentakeln, ohne Pinnulae.“ Wie sich aus dieser Diagnose ergibt, habe ich in die vorliegende Art auch jene Formen ein- bezogen, welche Dimorphismus aufzuweisen haben, die von KÖLLıkER (1874) als Vertreter einer neuen Gattung Heteroxenia beschrieben wurden. 35 Ueber einige Korallentiere des Roten Meeres. 35 Xenia fuscescens läßt sich von X. umbellata leicht unterscheiden durch folgende Merkmale: Der Stamm ist kompakter und fast stets unverzweigt, die Polypen sind zum Teil viel größer, die Tentakel haben zahlreichere Pinnulae, und die Pinnulae stehen in 4 Reihen jederseits, bei X. umbellata in 3 Reihen. Diese Reihenanordnung der Pinnulae ist übrigens keine transversale, sondern eine schräge, und es beginnen außerdem die untersten Reihen stets mit wenigen Pinnulae. So zeigt beifolgende Abbildung zu unterst 2 Pinnulae, dann 2 Reihen mit 3 Pinnulae, und dann erst treten regelmäßig 4 Pinnulae auf. Es ist auf Zahl und Anordnung der Pinnulae um so mehr Gewicht zu legen, als es als konstantestes Artmerkmal innerhalb der Gattung Xenia gelten muß. Noch KıunzinGer (1877, S. 41), dem die Exemplare wie die bis dahin unveröffentlichten Zeichnungen EHRENBERGS zur Verfügung standen, schreibt von Xenia fuscescens: „Diese Form, bei Besichtigung einzelner Exemplare, scheinbar wesentlich verschieden, scheint doch nur als Varietät oder eigentümliche Erscheinungsweise betrachtet werden zu müssen.“ Die Untersuchung des mir vorliegenden reichen Materials ergab mir indessen die volle Selbständigkeit dieser Art. Entscheidend ist insbesondere die Anordnung der Pinnulae in 4 schrägen Reihen jederseits. Ueber die Anordnung der Pinnulae bei X. fuscescens (Fig. ı) und X. umbellata (Fig. 2) orientieren die beiden beigegebenen Skizzen - 7. Fig. 1. Fig. 2. Ganz besonders interessierten mich aus gleich zu erörtenden Gründen die kleinen Polypen, welche in verschiedenen Entwickelungsstadien zwischen den größeren, besonders zahlreich am Scheibenrande, sich vorfinden. Bei manchen Exemplaren waren sie selten, bei anderen sehr häufig. Bei einem Exemplare, welches ich mit (A) bezeichnen will, von ı5s mm Stammhöhe, saßen auf der Scheibe eine Anzahl größerer Polypen bis ı5s mm Länge, außerdem am Rande kleinere. Bei einem Polypen von nur ı mm Körperlänge fanden sich noch Tentakel vor von 1,5; mm Länge, an denen bereits flach- hügelige Pinnulae zu sehen waren. Bei ein paar nur wenig kleineren Polypen waren aber die Tentakel nur eben angelegt, und endlich waren einige nur etwa 0,3 mm hohe rundliche Knospen zwischen den In- sertionen großer Polypen vorhanden, bei denen noch keine Spur eines Mundes oder von Tentakeln angelegt war. Dieses Exemplar hatte eine hellgebliche. bis bräunliche Färbung. Andere Exemplare der gleichen Färbung zeigten in Bezug auf die Entwickelungsstadien ihrer Polypen das gleiche Verhalten. Es ergibt sich hieraus folgendes: die jungen Polypen bei hell gefärbten Exemplaren erhalten schon von ı mm Größe an deutlich entwickelte Tentakel mit Pinnulae. Ein Dimorphismus ist also nicht zu beobachten. Anders verhält es sich bei einer Anzahl von Exemplaren (B), die etwas dunklere, rötliche, in auffallendem Lichte bläuliche Färbung haben. Hier finden sich auch kleine Polypen von 1,2 mm Länge mit deutlichen Tentakeln und Anlagen von Pinnulae vor, außerdem aber andere Polypen, die keinerlei Tentakelanlagen zeigen, obgleich sie bis 3 mm lang werden können. Andere, etwa ebenso große Formen haben nur ganz kurze, aufs Mundfeld eingeschlagene Tentakelanlagen. Es besteht also eine Art Dimorphismus bei diesen Formen, der sich darin äußert, daß manche Polypenknospen schon sehr frühzeitig Tentakel- und Pinnulae-Anlagen erhalten, während bei anderen ebenso großen und selbst beträcht- lich größeren Polypen keine oder sehr gering entwickelte Tentakelanlagen vorhanden sind. Nebenbei bemerkt, fällt es auch auf, daß, je dunklere Färbung eine Kolonie hat, um so kleiner die Tentakel auch der großen Polypen werden, und daß dementsprechend auch die Pinnulae an Größe zurückbleiben. 5* 36 Ueber einige Korallentiere des Roten Meeres. 36- Am auffälligsten erscheint ein noch dunkler gefärbtes Exemplar (C) (Fig. 2, Taf. IV), bei dem der bläulich-rötliche Schein überwiegt. Die Höhe des Stammes beträgt 30 mm. Die polypentragende Scheibe hält etwa 9 mm im Durchmesser. Es finden sich zahlreiche größere Polypen bis zu 10 mm Gesamtlänge auf einer Seite der Scheibe vor, auf der anderen Seite nehmen die Polypen an Größe sehr ab und sinken bis zu 0,7 mm Größe. Besonders zahlreich sitzen solche kleinere Polypen- knospen rings um den gesamten Scheibenrand herum. Außerdem aber finden sich sehr zahlreich zwischen den Insertionen dieser Polypen sehr kleine Polypen, alle von ungefähr gleicher Größe. bis 0,7 mm Länge messend, und erfüllen die ganze Scheibenoberfläche. Hier spricht sich also ein deut- licher Dimorphismus aus, indem es 2 Polypensorten gibt, dickere in allen Größen und schlankere, sehr kleine von ungefähr gleicher Größe. Es war nun weiter zu untersuchen, ob die beiden Polypensorten sich außer durch ihre ver- schiedene Dicke auch noch weiter unterscheiden. Betrachten wir zunächst die größeren Polypen. Ihre Tentakel sind viel kleiner als an den heller gefärbten Exemplaren. Bei einem Polypen von ıo mm Gesamtlänge entfallen auf die Tentakel nur 2 mm. Auch fällt es auf, daß die Tentakel an Länge sehr ungleich sind. Wenn wir die Seite der Kolonie, welche auf der Scheibenhälfte nur kleinere Polypen hat, die Vorderseite, die mit größeren Polypen die Hinterseite nennen, dann zeigt es sich, daß alle Polypen, soweit sie überhaupt Tentakel besitzen, diese nach der Hinterseite zu bedeutend weiter ent- wickelt haben als nach der Vorderseite zu. An dem eben erwähnten großen Polypen von 10 mm Länge z. B. sind die 3 hinteren Tentakel 2 mm, die 3 vorderen nur ı mm lang, die beiden seitlichen stehen an Länge dazwischen. Mit der abnehmenden Größe der Polypen werden die Tentakel immer kleiner und oft nur als rundliche, winzige Erhebungen sichtbar, aber verschwinden nie völlig; wir sehen sie noch selbst bei den kleinsten Polypen der dickeren Sorte deutlich angelegt. Pinnulae finden sich nur bei den Tentakeln der größten Polypen als flache Erhebungen vor, den kleineren fehlen sie. Betrachten wir die zweite, kleine, schlanke Polypensorte, so ist von freien Ten- takeln überhaupt nichts zu sehen, die walzenförmigen Bildungen werden oben leicht abgerundet und weisen einen helleren Fleck von rötlicher Farbe in der Mitte der Endfläche auf, der von der bläulich gefärbten Umgebung sich deutlich abhebt. Diese Umgebung springt in 8 kaum angedeuteten Vor- sprüngen nach dem Zentrum zu ein. Der Vergleich gleich großer Polypenknospen der ersten Sorte mit denen der zweiten zeigt die Verschiedenheiten sehr deutlich. Die ersteren sind fast noch einmal so dick und haben Tentakelanlagen, die letzteren weisen keine Spur derselben auf. Hier ist also ein zweifelloser Dimorphismus ausgesprochen. Vergleichen wir nun die gewonnenen Befunde, so ergibt sich, daß zahlreiche Exemplare von X. fuscescens existieren ohne Dimorphismus; es gibt bei diesen nur eine Sorte Polypen mit großen, wohlausgebildeten Tentakeln, und bis zu den kleinsten Polypenknospen finden sich alle Uebergänge. Alle diese Exemplare sind hell gefärbt. Andere Formen von etwas dunklerer Färbung weisen insofern eine Verschiedenheit in der Bildung der Polypen auf, als manche Knospen schon deutliche Tentakel- und Pinnulae-Anlagen zeigen, andere, selbst größere Polypenanlagen aber keine besitzen. Schließlich haben wir noch ein sehr dunkel gefärbtes Exemplar kennen gelernt, bei dem der Dimorphismus noch deutlicher ausgesprochen ist, indem viele Polypen, vom größten bis zum kleinsten, Tentakelanlagen haben, eine große Zahl dazwischen liegender anderer, von ziemlich einheitlicher Länge, aber nicht. Ferner sind letztere Polypen viel schlanker. | | Die Tatsache, daß das Auftreten des Dimorphismus gleichzeitig mit der dunkleren Färbung erfolgt, läßt sich dahin erklären, daß, wie bei der rötlich-bläulichen Varietät von X. umbellata, so auch 37 Ueber einige Korallentiere des Roten Meeres. a7 bei X. fuscescens die rötlicheren oder bläulicheren Formen ihre Färbung einem größeren Reichtum an Kalkkörperchen verdanken. Schon bei der Varietät coerulea von X. umbellata hatten wir wahrgenommen, daß die Vermehrung der Kalkkörperchen parallel geht mit einer Reduktion der Größe der Pinnulae. Dasselbe findet bei der dunklen Varietät von X. fuscescens statt, wo es bei dem zuletzt beschriebenen Exemplar (C) besonders auffällig war. Parallel mit der Zunahme der Kalkkörperchen geht aber auch eine Trennung der Polypen in zwei Formen, solche, welche noch Tentakel selbst in frühen Stadien anlegen, und solche, welche keine Spur derselben aufzuweisen haben. Letztere sind außerdem alle ungefähr gleichgroß, während die Größe der anderen Polypen stark schwankt und von sehr großen Formen an bis unter die Größe der tentakellosen sinkt. Der Schluß, welcher sich hieraus ziehen läßt, ist der, daß bei X. fuscescens eine starke Varia- bilität herrscht, indem Formen vorkommen, welche keinen Dimorphismus ihrer Polypen zeigen, andere, bei denen er nur spurenweise auftritt, und noch andere, bei denen er verhältnismäßig deutlich zu sehen ist. Ferner ist zu konstatieren, daß diese Variabilität Hand ın Hand geht mit der Zunahme der Kalk- körperchen, wodurch gleichzeitig eine dunklere, blaurötliche Färbung erzeugt wird. Durch diese Befunde und Schlüsse wird nun Licht geworfen auf einen ın der Literatur sehr eifrig diskutierten Punkt, ob nämlich bei Xeniiden Dimorphismus vorkommt oder nicht, und ob es berechtigt ist, solche Formen mit Dimorphismus in eine eigene Gattung Heteroxenia zu stellen. Erstere Frage ist zu bejahen, die zweite zu verneinen. Das Verdienst, den Dimorphismus bei Xeniiden zuerst entdeckt zu haben, gebührt KöLLmker (1874. Das Exemplar, auf welches er seine neue Gattung Heteroxenia gründete, zeichnete sich aus durch die enorme Größe seiner Polypen, bis zu 55 mm Länge. Daneben finden sich zahlreiche kleinere bis zu 5 mm Länge. Die langen Pinnulae stehen in 4 Reihen jederseits und bilden QOuerreihen, die schief von der oralen nach der aboralen Seite der Fühler auf- steigen. Sehr viel zahlreicher sind die schmäleren „Zooide“, die im Durchschnitt 3—5 mm, gelegentlich 7—8 mm lang sind. Sie besitzen 0,14—0,2 mm lange, einfache Tentakel, die bei demselben Polypen sehr verschiedene Größe haben können. Kalkkörper finden sich reichlich vor. Bournzs (1895) Exemplar von Heteroxenia, welches von ihm mit H. elisabethae Körr. identifiziert wurde, hat nur 3 Reihen Pinnulae jederseits und ist daher von mir als besondere Art, X. ashworthi Küxrn. (1902), aufgeführt worden. Die Siphonozooide stehen zahlreich zwischen den größeren Autozooiden und weisen gänzlich rudimentäre Tentakel auf. Auch bei dieser Form finden sich zahlreiche Kalkkörper. Zu letzterer Art gehört wegen der dreireihigen Anordnung der Pinnulae auch die von AstwortH (1899) so eingehend beschriebene Form. Die Autozooide derselben waren durchschnittlich ı 5 mm lang, einzelne bis 30 mm, die zahlreichen, dazwischen liegenden Siphonozooide sind alle einander ähnlich, 2>-——5 mm lang, mit 4 kleinen, abgerundeten Läppchen von 0,25 mm Länge um den Mund herum. Der Dimorphismus war hier besonders stark ausgesprochen, indem viel kleinere Autozooide existierten, welche schon weit ent- wickelte Tentakel mit Pinnulae-Anlagen besaßen. Kalkkörper waren zahlreich. Eine Vergleichung dieser 3 früher beschriebenen Exemplare mit den mir vorliegenden zeigt, daß auch in der Bildung der Siphonozooide Verschiedenheiten herrschen können. Bei meinem Exemplar (C) waren die Sıphonozooide sehr klein und gänzlich tentakellos, bei dem Körrmerschen Exemplar dagegen bedeutend größer und mit kleinen, abgerundeten Tentakeln versehen. Auch bei dem BourneE- schen und Asmworrhschen Exemplar waren die Siphonozooide teilweise größer und mit pinnulaelosen Tentakeln versehen. Sind diese Verschiedenheiten nun Variabilitäten oder Wachstumserscheinungen ? Ich bin geneigt, letzteres zu glauben, da auch die Autozooide bei meinem Exemplar kleiner waren als bei den anderen. Jedenfalls aber liefern die an dem vorliegenden Material gewonnenen Befunde 38 Ueber einige Korallentiere des Roten Meeres. 38 eine weitere kräftige Stütze zu der auch von mir schon früher (1902, S. 645) vertretenen Auffassung, daß bei Xeniiden ein Dimorphismus der Polypen vorkommt, aber wenig scharf ausgeprägt ist. Er äußert sich im wesentlichen darin, daß die Siphonozooide einer Kolonie ungefähr die gleiche Größe haben, schlanker als die gleichgroßen Autozooide sind und sich von letzteren weiter unterscheiden durch den Besitz sehr kleiner, lappiger, pinnulaeloser Tentakel, während bei jungen Autozooiden, die an Größe noch unter den Siphonozooiden stehen, die Tentakeln viel weiter entwickelt sind. Der von Hıckson (1884) angegebene Unterschied, daß nur den Siphonozooiden eine Siphonoglyphe zukomme, existiert nicht, da letztere auch bei den Autozooiden vorhanden ist. Von weiteren, weniger durchgreifenden Unterschieden wäre zu nennen das Fehlen von Geschlechtszellen im Körper der Siphonozooide und die Kürze ihrer Coelentera, die nur ein paar Millimeter tief in den Stamm hineintreten, um in einem der zahlreichen Entodermkanäle zu endigen, während die Coelentera der Autozooide viel tiefer, bei primären Polypen bis zur Stammbasis hinabreichen. Unterschiede im histologischen Bau konnte ich an den angefertigten Querschnittserien nicht konstatieren. Ein weiterer, bereits früher von mir gezogener Schluß (1902, S. 645) findet durch das vor- liegende Material eine neue Stütze. Nachdem, wie schon May (1899) betont, zahlreiche Uebergänge zwischen X. fuscescens und Heteroxenia elisabethae konstatiert werden konnten, geht es nicht an, eine generische oder auch nur artliche Trennung vorzunehmen, vielmehr ist die Diagnose der Gattung Xenia dahin zu erweitern, daß ihre Arten keinen oder wenig scharf ausgeprägten Dimorphismus der Polypen besitzen, und Heteroxenia elisabethae Körr. ist unter X. fuscescens Enke. zu stellen. Bei letzterer Form herrscht also eine große Variabilität; es gibt Exemplare ohne Dimorphismus, Exemplare mit aus- gesprochenem Dimorphismus und dazwischen alle Uebergänge. Die von Hıcksox (1903) neuerdings da- gegen erhobenen Einwände halte ich nach meinen obigen Ausführungen für gegenstandslos. Nach den von mir gemachten Beobachtungen geht diese Variabilität parallel mit der verschiedenen Färbung der Exem- plare, indem die hellen keinen Dimorphismus, die dunkler bläulich-rötlich gefärbten Dimorphismus aufzu- weisen haben. Die verschiedene Färbung beruht aber wieder auf der Menge der vorhandenen Kalkkörperchen — bis zu einem gewissen Grade wohl auch auf der Menge des in die organische Grundsubstanz dieser Körperchen eingelagerten Kalkes — so daß wir also sagen können, daß das Auftreten des Dimorphismus parallel geht mit der Zunahme der Kalkkörperchen. Es ist nun die Frage, ob ein Kausalzusammen- hang zwischen beiden Erscheinungen existiert, derart, daß die Zunahme der Kalkkörperchen das Auf- treten des Dimorphismus bewirkt hat. Dieser Auffassung möchte ich in der Tat Raum geben, da es sich bereits bei X. umbellata nachweisen ließ, daß mit der Zunahme der Kalkkörperchen und der daraus resultierenden Varietät coerulea eine Verkürzung der Tentakel wie insbesondere der Pinnulae eintritt. Auch bei X. fuscescens ließ sich, besonders an Exemplar C, eine sehr auffällige Reduktion der Pinnulae wie der Tentakel überhaupt bei den Autozooiden feststellen. Es hat also den Anschein, als ob durch das Auftreten sehr zahlreicher Kalkkörper zunächst die Entwickelung der Pinnulae und der Tentakel bei allen Polypenanlagen gehemmt und dadurch eine große Zahl von kleinen Knospen auf das Stadium der Siphonozooide herabgedrückt würde, während die größeren Polypen sich langsam als Autozooide weiterentwickelten. KÖLLIkErs Exemplar lehrt uns dann weiter, daß bei einzelnen Formen die Weiter- entwickelung der Autozooide eine sehr energische ist, indem sehr große Polypen mit vollausgebildeten Tentakeln entstehen. X. fuscescens ist demnach eine Art, die in mancher Hinsicht in vollem Fluß ist. Sie wird dadurch besonders interessant, daß sich das erste Ent- stehen des bei anderen Oktokorallen so scharf ausgesprochenen Dimorphismus innerhalb der Artgrenzen wahrnehmen läßt. Ueber einige Korallentiere des Roten Meeres. 39 Familie der Cornulariden. Dieser Familie, von neueren Autoren (Hıckson, May) als Clavulariidae bezeichnet, muß der älteste Name Cornularıdae Dana verbleiben. May (1899, S. 35) rechnet zu ıhr die Gattungen Cornularia Im., Clavularia ©. G., Sympodium Enre. und als zweifelhaft Anthopodium VERR. und Calli- podium VERR. Vom Roten Meere sind 6 Arten beschrieben worden, von denen 4 zur Gattung Sympodium, 2 zur (rattung Clavularia gerechnet werden. Von sämtlichen Arten lagen mir zahlreiche Exemplare zur Untersuchung vor, in deren Verlaufe es sich herausstellte, daß die Artenzahl der Cornulariden des Roten Meeres sich auf 2 reduziert, ein Sympodium und ein Clavularia, oder wie der ältere und berech- tigte Gattungsname lautet, Anthelia Sav. 3. Sympodium coeruleum EHRE. Unsere Kenntnisse von dieser schönen Form sind noch recht ungenügende. Zuerst abgebildet wurde sie von Savıcny (Polypes, Taf. I, Fig. 4) und von Aupovm in der Erklärung von Savıcnvs Tafeln zur Gattung Anthelia gezogen. EHRENBERG (1834, S. 285) stellt sie zu seiner Gattung Sym- podium unter dem Namen S. caeruleum mit der Diagnose: „Effusum, obducens, membrana tubulisque fuliginosis, tentaculis laete caeruleis, parvis, gracilibus“. Seine Zeichnungen bildet Krunzmcer ab (1877, Taf. II, Fig. 5), der die Beschreibung etwas erweitert, und in neuester Zeit hat May (1899, S. 52) die Art nachuntersucht und ihr Synonymik festgestellt. Die zahlreichen mir vorliegenden Exemplare liefern die Grundlage zu folgender Beschreibung (Fig. 3, Taf. IV): Die Kolonien sind membranös ausgebreitet und meist klein, nur in einem Falle betrug die Länge der Kolonie 3,4 cm. Die Dicke steigt bis zu 4 mm, ist aber meist beträchtlich geringer. Das Cönenchym wird im wesentlichen gebildet aus den nebeneinander stehenden Polypenleibern, die sämtlich bis zur Basis hinabgehen, und dazwischen abge- schiedener gallertiger Substanz. Der freie Polypenteil ist bis 3 mm lang, bei ı mm Dicke. Oft sind die Polypenkörper in ihrem unteren Teil stärker aufgetrieben. Die Tentakel sind gedrungen, bis ı mm lang und rings umgeben von kurzen, warzenförmigen Pinnulae. Der Vergleich sehr zahlreicher Polypen ergibt, daß die Pinnulae in 5 Reihen zu 8 stehen, wenn diese Anordnung auch meist stark verwischt ist. Die Größe der Polypen ist recht verschieden, ebenso der Abstand, ın dem sie voneinander stehen. Sie sind stark kontraktionsfähig, und man sieht Polypen mit eingezogenen Tentakeln, die nur flache Hügel darstellen, während bei anderen die Tentakel nur gerade hervorschauen. Die Spicula sind sehr zahlreich, besonders dicht angehäuft in den Tentakeln. Es sind kleine, rundliche oder ovale, blut- körperchenartige Scheiben von 0,015 mm Durchmesser, mit stark lichtbrechendem Rande, der sich als aus kleinen Körperchen zusammengesetzt erweist (siehe Fig. ı3, Taf. V. Bei Behandlung mit ver- dünnter Salzsäure schwinden diese Spicula vollkommen. Außer ihnen kommen äußerst zahlreich ein- zellige Algen von 0,007 mm Durchmesser, also etwa der halben Größe der Spicula, vor. Die Farbe der Kolonie ist ein durchscheinendes zartes Gelbbräunlich, mitunter mit bläulichem Anflug. Die freien Polypen sind in ihrem obersten Teil meist blau gefärbt. Die Farbe wechselt von hellrötlich mit zartem bläulichen Anflug bis zu intensivstem Himmelblau. Auf Längs- und Ouerschnittserien ließ sich weiter folgendes feststellen. Das Schlundrohr ist 0,75 mm lang, also relativ kurz, im Querschnitt länglich-oval und weist fast glatte, nur im untersten Teile etwas gefaltete Wände auf. In der untersten Hälfte des Schlundrohres tritt an einer Schmalseite 40 Ueber einige Korallentiere des Roten Meeres. 40 eine rinnenartige Vertiefung, die Siphonglyphe, auf, gleichzeitig mit einer beträchtlichen Verdickung der umgebenden Zellenwand. Deutlich lassen sich hier noch die ansehnlichen Cilien dieser Flimmerrinne erkennen. Den Septen fehlen die Mesenterialfilamente bis auf die beiden dorsalen, wo sie wohlent- wickelt sind. Im Ektoderm liegen zahlreiche länglich-ovale oder bohnenförmige Nesselkapseln von: 0,015 mm Länge. Sehr charakteristisch ist der Bau des Cönenchyms (Fig. 14, Taf. V). Man sieht zwischen den Gastralräumen der Polypen eine zarte, gallertige Masse, die von Strängen spindelförmiger Zellen durchzogen wird. In ungefähr gleichweitem Abstande von jedem Polypenrohr findet sich ein solcher Zellenstrang, der es ringförmig umgibt und mit den benachbarten Zellsträngen in Verbindung steht. Diese Zellstränge stehen, wie auf Querschnitten besonders deutlich zu ersehen ist, mit dem Ektoderm der Kolonie in direktem Zusammenhang, indem die tiefer gelegenen spindelförmigen Zellen desselben in sie übergehen. In diesen Zellsträngen "haben wir also das Ektoderm der Polypenröhren vor uns. Das beweist außerdem das Vorkommen von Nesselzellen in ihnen. Der Zusammenhang der einzelnen Zellen wird dadurch gelockert, daß es zu einer reichlichen Ausscheidung gallertiger Zwischensubstanz kommt. Wir haben hier also eine Cönenchymbildung vor uns von allereinfachster Art. Indem die unteren Teile der Polypenleiber zusammentreten, verschmilzt ihr Ektoderm miteinander durch Ausbildung gallertiger Zwischensubstanz. Die Polypenröhren öffnen sich an ihrer Basis mit einer verhältnismäßig engen Oeffnung in die horizontal ausgebreiteten Stolonen, die ein unregelmäßiges Netzwerk weiterer und engerer, mit Ektoderm ausgekleideter Kanäle bilden. Unter diesen Hohlräumen liegt eine zusammenhängende, dünne ektodermale Platte, welche die dem Unter- grunde aufsitzende Membran der Kolonie bildet und außen von einer dünnen kutikularen Abscheidung begrenzt wird. Die Verbindung der Gastralräume der Polypen erfolgt also nur an ‘der Basis durch stolonenartige, horizontal ausgebreitete entodermale Kanäle, die dem darüber liegenden Cönenchym völlig fehlen. Es mögen hier noch einige Bemerkungen über die eigentümlichen scheibenförmigen Kalkkörper- chen Platz finden, die auch ganz allgemein in der Familie der Xeniiden auftreten. In der kürzlich er- schienenen Arbeit von E. BURCHARDT, Alcyonaceen von Thursday-Island und von Amboina, II, in SEMmon, Zool. Forschungsreisen (Jena, Fischer, 1902), begegnet man einer eigenartigen Auffassung über die Natur dieser Körper. BurcHarpr hält sie nämlich für verkalkte Algenzellen, die somit gar nicht von den Alcyonarien selbst gebildet werden. Seine Auffassung gründet er auf die Untersuchung einer Xenia. „Sowohl das eigentümliche Aussehen der entkalkten Körperchen, wie auch die ganz besondere Ver- teilung derselben, ihre Lage auch ın Kanälen des Cönenchyms und ihre Anhäufung in den Wärzchen und Pinnulae der Tentakel als Orten des geringsten Widerstandes bei der Kontraktion der Polypen, scheinen mir dafür zu sprechen“ (S. 660). Derartige verkalkte Fremdkörper glaubt BuRCHARDT auch bei anderen Alcyonaceen, besonders bei Clavularia, wenn auch in unendlich geringerer Anzahl, selbst beobachtet zu haben. Diese Hypothese ist unhaltbar, und gerade die Verhältnisse bei Sympodium coeruleum vermögen das darzutun. Wie oben erwähnt, sind die Spicula dieser Art scheibenförmige Körperchen von 0,015 mm Durchmesser. Sie liegen ganz ausschließlich im Ektoderm und Cönenchym. Außerdem finden sich noch zahlreiche einzellige Algen als Symbionten vor, die ausschließlich im Ento- derm vorkommen und sich auf den ersten Blick von den Spicula unterscheiden lassen. Uebergänge zwischen beiden fehlen durchaus. Die Algen erreichen an Größendurchmesser nicht mehr als die Hälfte des Spiculadurchmessers, so daß also, ganz abgesehen von der verschiedenen Lagerung, schon aus diesem Grunde eine Umwandlung der Algen in die scheibenförmigen Körperchen ausgeschlossen ist. Nun ist aber ferner auch schon seit längerem die Bildung der scheibenförmigen Spicula aus Körperzellen und 41 Ueber einige Korallentiere des Roten Meeres. 41 zwar aus Ektodermzellen nachgewiesen, so von BOURNE (1896, S. 477) für seine Heteroxenia, und von ASHWORTH (1899, S. 194— 196) für Xenia. Dieser treffliche Beobachter schildert die Bildung der Kalk- körperchen aus Zellen des Ektoderms sehr eingehend, und die BurcHAarnpısche Hypothese ist daher un- haltbar. Das von letzterem Autor erwähnte Vorkommen von Spicula in entodermalen Kanälen dürfte auf einem Irrtum beruhen, vielleicht hervorgerufen durch mangelhafte Konservierung seiner Exemplare. Wenigstens deutet darauf die Bemerkung, daß der Alkohol durch die Objekte stark verunreinigt war und geradezu stank. Nebenbei möchte ich hier bemerken, daß mir die Aufstellung einer neuen Varietät der vorliegenden Art Xenia quinqueserta May, die er als var. amboinensis n. var. bezeichnet, nicht begründet erscheint, da Unterscheidungsmerkmale, wie größere Kürze und geringere Breite der Tentakel, Verkürzung des freien Teiles der Tentakelmittelline und Verengerung des Polypenkörpers unterhalb des Tentakelansatzes, einfache Kontraktionserscheinungen sein können, auch wenn sie sich an mehreren Exemplaren finden. Ebensowenig kann ich mich mit seinem Vorschlage befreunden, die Xeniden einzuteilen in Formen mit schlaffen und Formen mit steifen Polypen. Schon wegen der ver- schiedenen Art der Konservierung läßt sich an konserviertem Material kaum eine Entscheidung treffen, ob die Polypen im Leben steif oder schlaff waren. Nach meiner Erfahrung verhält es sich bei den Xeniiden ähnlich, wie ich es früher für die Nephthyiden angegeben habe. Die in flachem Wasser lebenden Formen haben in Anpassung an den Wellenschlag schlaffere Polypen als die in der Tiefe lebenden. So z. B. haben die aus größeren Tiefen stammenden beiden Xeniiden der deutschen Tief- see-Expedition, X. uniserta Küktn. und X. antarctica KükTH. (1902), ziemlich steife, aufgerichtete Polypen. Ein systematisches Merkmal läßt sich aber aus dieser Verschiedenheit nicht herauskonstruieren. 4. Alcyonıum fulvum (FoRsk.) —= Sympodium fulvum (Forsk.). Die erste Beschreibung dieser Form gab ForskAL (1775, S. 139) unter dem Namen „Litho- phyton fulvum, crustaceum, carneum, fulvum, punctatum, poris majoribus elatis“, und bildete sie in seinen Icones (1776, Taf. 37 A.a), allerdings in sehr unvollkommener Weise ab. EHRENBERG (1834, Nachtrag S. 439) stellt die Art zu seiner Gattung Sympodium mit folgender Diagnose: „Effusum, ob- ducens, aureo-fulvum, membranaceum, tenue.“ Die erste, etwas ausführlichere Beschreibung nach EHREN- BERGS Exemplaren liefert KrunzinGer (1877, S. 43), der auf Taf. III, Fig. 6 auch kleine Abbildungen eines Stückchens Kolonie, eines Polypen und einiger Spicula gibt. May (1899, S. 52 u. 53), dem einige ostafrikanische Exemplare vorlagen, ergänzt die vorhandenen Angaben und gibt folgende Dia- gnose: „Basalausbreitung oben hügelig. Polypen 2—3 mm lang. Kalkkörper des Cönenchyms mit bloßem Auge sichtbar, spindelförmig, mit sehr feinen Warzen besetzt (fast glatt. Spicula der Polypen von derselben Gestalt, die unteren horizontal, die darüber liegenden in 8 Doppelreihen angeordnet. Farbe dunkelgelb.“ Diese von den früheren Autoren zu Sympodium gerechnete Art gehört nach meinen Untersuchungen, weder zu dieser Gattung, noch zur Familie der Cornulariden überhaupt, sondern ist eine Alcyonide. Es kam eine Anzahl schöner Exemplare aus der HarrmEverschen Sammlung zur Untersuchung. Die Kolonien sind häutig ausgebreitet und stellen oft ansehnliche zusammenhängende Massen bis zu 9 cm Länge, 4,5 cm Breite dar, welche abgestorbene Riffkorallenäste überziehen (siehe Fig. 4, Taf. V). Die Dicke der Kolonie ist annähernd die gleiche, sie schwankt zwischen ı und 3 mm, mit Ausnahme der Stellen, welche das Ende eines Astes ihrer Unterlage überziehen, wo sie 4—5 mm dick Jenaische Denkschriften. XI. 6 Festschrift Ernst Haeckel. 42 Ueber einige Korallentiere des Roten Meeres. 42 wird. Die Polypen stehen in regelmäßiger Anordnung in einer Entfernung von 1,5 mm voneinander und »fehlen nur den äußersten, sich allmählich abrundenden Rändern der Kolonie. Ein Maschenwerk ansehnlicher Spicula umgibt annähernd ringförmig jede Polypenbasis. Die Größe der im Vergleich zu den Cornulariden kleinen Polypen ist recht verschieden; die längsten messen 3 mm und haben eine annähernd walzenförmige, nach oben sich etwas verengernde Gestalt. Die unteren zwei Drittel jedes Polypenkörpers sind gänzlich spiculafrei. Durch die dünne Körperwand sieht man deutlich die Mes- enterialfilamente der beiden dorsalen Septen hindurchschimmern. Unterhalb des Tentakelkranzes liegt ein dichter Ring transversal gelagerter Spicula, in 3—4-facher Lage. Bei der ansehnlichen Größe dieser Spicula von 0,3—0,7 mm sind sie zu einer starken, bis zu halbkreisförmigen Biegung gezwungen. Ihre Oberfläche ist fast glatt, nur an den Enden treten kleine, abgerundete Dornen zahlreicher auf (siehe Fig. 15, Taf. V). Von diesem transversalen Spicularing erheben sich (siehe Fig. 16, Taf. V) 8 nach oben konvergierende Reihen kleinerer Spicula, durchschnittlich 10—ı2 Paar von 0,14—0,3 mm Länge. Die Spitzen dieser konvergierenden Spiculareihen treten ein Stück weit in die Mittellinie des Tentakels ein. Die Tentakel sind 1,2— 1,3 mm lang, ziemlich breit und jederseits mit einer Reihe von 6—-8 kurzen, breiten, abgerundeten Pinnulae besetzt. Spicula fehlen den Tentakeln vollkommen. Aus der inneren Anatomie ıst folgendes zu erwähnen. Das Schlundrohr ragt etwa bis in die Mitte des ausgestreckten Polypen herein. Die Verbindung der Gastralhöhlen der Polypen erfolgt auf zweierlei Weise, einmal öffnen sich die Polypen an ıhrer Basıs mit enger Mündung in horizontal ausgebreitete Kanäle, die sich am Grunde des Cönenchyms hinziehen, zweitens gibt es aber auch seitliche Verbindungen der Gastral- räume der Polypen durch ein Netzwerk engerer Kanäle, welches das gesamte derbe Cönenchym bis dicht unter die Oberfläche durchzieht. Große wie kleine Polypen stehen mit dem basalen Kanalsystem in Verbindung, so daß ihre unteren Enden ungefähr in gleicher Höhe liegen, alle Polypen sind aber auch durch das höher gelegene Netzwerk von Kanälen in Verbindung, und dieses oberflächlichere Netzwerk steht mit dem tieferen basalen auch in direktem Zusammenhang (siehe Fig. 17, Taf. V). Es entsteht nun die Frage: gehört Sympodium fulvum EHre. überhaupt zur Gattung Sympodium und damit zur Familie der Cornulariden, oder ist es eine Alcyonide? Für die Cornulariden ist das wichtigste Merkmal die Verbindung der Polypen durch basale Stolonen oder Stolonenplatten, wofür uns die vorher beschriebene Art Sympodium coeruleum ein treffliches Beispiel liefert, die Alcyoniden sind charakterisiert durch die Verbindung der Polypen durch verästelte Röhren. Bei den Cornulariden entspringen die an Größe meist wenig differierenden Polypen in gleicher Höhe, während die sehr ungleich großen Polypen der Alcyoniden in verschiedener Höhe der Kolonie entspringen. Der Verbindung seiner Polypen wie ihrer sehr verschiedenen Größe nach gehört Sympodium fulvum demnach eher zu den Alcyoniden, und nur die geringe Differenz in der Höhe ihrer Ursprungsstellen spricht für die Cornulariden. Letztere Tatsache aber läßt sich durch die geringe Dicke der Cönenchymschicht erklären. So komme ich zu der Auffassung, daß Sympodium fulvum eine Alcyonide ist, die durch die membranartige Ausbreitung ihrer Kolonie cornularidenähnlich geworden ist. Etwas Aehnliches hat bereits von v. Kocn (1891) bei einer anderen Form, dem früheren Sympodium coralloides Parr. gefunden; bei der hier vorliegenden Art ist aber die Ausbildung des membranartigen Habitus der Kolonie noch weiter gegangen, und es scheint mir die Lagerung der horizontal ausgebreiteten untersten Kanäle darauf zurückzuführen sein. Die Spicula des Cönenchyms mit ihrer langgestreckten, feinbedornten Spindelform nähern sich mehr denen mancher Clavulariaarten, während bei Alcyoniden meist kompaktere Walzen mit großen, ın Gürteln stehenden Dornen auftreten, doch fehlen auch bei ihnen nicht einfache Spindeln mit unregelmäßig an- geordneten Warzen (z. B. innere Cönenchymspicula von Alcyonıum polydactylum). Dagegen kommt 43 Ueber einige Korallentiere des Roten Meeres. 43 meines Wissens eine derartige regelmäßige Anordnung der Polypenspicula, insbesondere die Ringbildung unter den Tentakeln bei Cornulariden nicht vor, dagegen ist sie für Alcyonidenpolypen charakteristisch. Nehmen wir noch dazu die geringe Größe der Polypen im Gegensatz zu denen der Cornulariden und in Uebereinstimmung mit denen der Alcyoniden, ihre tiefe Einsenkung ins Cönenchym bis fast zur Höhe des Schlundrohres, ihre auffällige Größenverschiedenheit und ihre oben beschriebene Ver- bindungsweise, dazu den Bau des Cönenchyms, so erscheint es richtiger, die vorliegende Form aus der Gattung Sympodium und der Familie der Cornulariden auszuscheiden und den Alcyoniden zu über- weisen. Die Unterschiede werden besonders klar, wenn wir sie mit einem typischen Sympodium, dem vorher beschriebenen Sympodium coeruleum, vergleichen. Als einziges übereinstimmendes Merkmal bleibt bei beiden nur die vollkommene Retraktilität der Polypen, die aber auch für die Alcyoniiden charakteristisch ist. Alles andere, Bau der Polypen, ihre Größendifferenzen, ihre Bewehrung, ihre Tentakelform und Pinnulae-Anordnung, ebenso der Bau des Cönenchyms und die Verbindung der Polypen miteinander sind durchaus verschieden, und die Aehnlichkeiten, welche dazu geführt haben, beide Formen zu einer Gattung zu stellen, sind rein äußerliche, sind Konvergenzerscheinungen, hervorgerufen durch die Anpassung an die gleiche Unterlage, durch hautartige Verbreiterung des Cönenchyms. Es bestätigt sich also in diesem Falle v. Koc#s Vermutung (1891, S. 92), daß in der Gattung Sympodium verschiedene, recht differierende Gruppen vereinigt zu sein scheinen, von denen sich manche möglicher- weise den Alcyoniden anschließen. 5. Anthelia fuliginosa (EHRB,) —= Sympodium fuliginosum (EHRrB»,) —= Sympodium purpurascens (EHr».) — Anthelia glauca (Enure.) —= Anthelia strumosa (EHRR.) Es liegen mir aus der Harrmeverschen Sammlung eine große Anzahl von Formen vor, die trotz mancherlei äußerer Verschiedenheiten sich als zu einer Art gehörig erwiesen, während sie von EHRENBERG und den späteren Autoren als 4 verschiedene zu 2 Gattungen gehörige Arten aufgeführt worden sind. Der besseren Uebersichtlichkeit wegen werde ich zunächst die Beschreibungen der Exem- plare geben, welche zur Aufstellung der 4 verschiedenen Arten Veranlassung gegeben haben. a Sympodium fuliginosum EHRr». Die Kolonien, von denen die größte mir vorliegende 2 cm in der Länge mißt, überziehen Steinkorallenäste. Auf einer dünnen Membran, die nur einen schmalen, oft stolonenartigen Ueberzug bildet, sitzen eine Anzahl Polypen, bis ı2 mm lang, und von einer gleichmäßigen Dicke von 2,5 mm. Neben diesen größeren finden sich auch einige kleinere und schmälere, also jüngere Polypen (Fig. ı 1, Taf. IV). Die meisten Polypen erscheinen etwas kontrahiert, ein Zurückgezogensein in das Cönenchym war aber nicht zu beobachten und erscheint schon ausgeschlossen durch die geringe Ausbildung der Basis. Die Tentakel sind etwa 3 mm lang, in der Mitte stark verbreitert und jederseits mit 2 Reihen von Pinnulae besetzt, welche die Mittellinie des Tentakels frei lassen. Die walzenförmigen, bis 0,8 mm langen Pinnulae, von denen nur die untersten und obersten kürzer sind, stehen so angeordnet, daß die beiden Reihen jeder Seite in nicht ganz regelmäßiger Weise miteinander alternieren. Jede Reihe enthält 12—ı5 Pin- nulae. Spicula finden sich sehr zahlreich in der gesamten Kolonie, am dichtesten angehäuft in den 6* 44 Ueber einige Korallentiere des Roten Meeres. 44 Tentakeln und Pinnulae Es sind längliche Stäbchen von 0,04—0,068 mm länge und 0,013 mm Dicke, die an beiden Enden abgerundet sind (Fig. 18, Taf. V). Im Inneren zeigen sie dieselbe körnige Struktur, wie ich sie bereits bei Sympodium coeruleum beschrieben habe. Im Entoderm finden sich zahlreiche symbiontische einzellige Algen. Diese Formen sind zu identifizieren mit EHRENBERGS Sympodium fuliginosum. Seine Diagnose (1834, S. 285) lautet: „Effusum, obducens, bipollicare, fuliginosum, tentaculis pallidioribus, brevioribus, polypis sexlinearibus, radiorum disco trilineari.“ Er bezieht, allerdings mit Fragezeichen, eine Abbil- dung Savıcnys (Polyp., Taf, I, Fig. 6), von Aupovm ın der Tafelerklärung als Anthelia bezeichnet, auf vorliegende Art. KLUnzinGEr (1877, p. 43 U. 44) hat EHRENBERGS Exemplar nachuntersucht und die Beschreibung etwas erweitert, unter Abbildung der Spicula und eines Tentakels. Er hält die Form, wegen der teilweisen Retraktilität ihrer Polypen, für einen Uebergang zwischen Sympodium und Ant- helia. In Harckkrs „Arabischen Korallen“ ist sie abgebildet auf Taf. I, Fig. 7 und außer mit dem EHRENBERGSchen Namen auch als „Steinbrechkoralle“ bezeichnet. Die Farbe ist nach EHRENBERG ruß- schwarz. Die Spiritusexemplare sind nach Krunzinser hell-steingrau bis schwarzgrau. Die mir vor- liegenden, in Alkohol konservierten Exemplare sind hellgrau mit gelbbräunlichem Anflug. Auf Querschnittserien habe ich die innere Anatomie, insbesondere die Verbindungsweise der ein- zelnen Polypen studiert. Jeder Polyp geht mit seiner Gastralhöhle bis zur Basıs herab und ist nur an seiner Basis mit den benachbarten durch horizontal ausgebreitete, enge Entodermkanäle verbunden. In dem zwischen den Polypen liegenden Cönenchym verästeln sich diese Röhren nach allen Richtungen hin und bilden ein enges Kanalnetz (siehe Fig. 19, Taf. V). Die Größe der Polypen ım Verhältnis zu den engen Entodermröhren, welche ihre Basen verbinden, sowie zu der geringen Entwickelung des Cönenchyms über- haupt, macht es verständlich, daß ein völliges Zurückziehen der Polypen in das Cönenchym hinein ganz undenkbar ist, wenn auch andererseits eine kräftig entwickelte Muskulatur an den Polypenwandungen für starke Kontraktionsfähigkeit spricht. Das Cönenchym besteht aus gallertiger Substanz mit zahlreichen Zellen, die in lockere Stränge angeordnet sind und durch ihre Verbindung mit dem Ektoderm ihren Ur- sprung anzeigen. Die membranöse Basis scheidet nach außen eine feste, stark gefaltete Cuticula aus. Vergleichen wir mit dieser Form das vorher beschriebene Alcyonium fulvum EHrB., so fallen folgende Unterschiede auf. Bei Alcyonıum fulvum sind die Polypen bis fast zum Schlundrohr in das Cönenchym eingesenkt und sind vollkommen retraktil, bei Anthelia fuliginosa liegt nur die Basıs der Polypen im wenig entwickelten Cönenchym, und die Polypen sind nicht retraktil. Bei Alcyonium fulvum sind die Polypen nicht nur an der Basis, sondern auch seitlich durch ein weites Kanalnetz miteinander verbunden. Bei Anthelia fuliginosa ist die Verbindung der Polypen eine rein basale durch enge hori- zontale Röhren, die in dem Cönenchym zwischen den Polypen sich zu einem Flechtwerk enger Entoderm- kanäle verästelt. Bei Alcyonium fulvum sind die Polypen höchstens 3 mm groß, bei Anthelia fuliginosa 10—20 mm, und ferner sind bei ersterer Form sehr starke Größendifferenzen vorhanden (siehe Fig. 17, Taf. V), bei letzterer nicht. Endlich ist auch das Cönenchym bei Alcyonium fulvum viel weiter entwickelt als bei Anthelia fuliginosa, wo es nur aus eingewanderten Ektodermzellen und von diesen ausgeschiedener gallertiger Intercellularsubstanz besteht. Diese Gegenüberstellung veranschaulicht am besten, weshalb ich die erstere Form zu den Alcyoniden gestellt habe, während die letztere eine echte Cornularide repräsentiert. b) Sympodium purpurascens Enr». In ihrem Aufbau gleichen die Exemplare denen der vorigen Gruppe, insbesondere ist die Größe und Dicke der Polypen ungefähr die gleiche. Die Tentakel sind etwas länger und erreichen bis 4 mm; Ueber einige Korallentiere des Roten Meeres. 45 45 die Pinnulae stehen in 2 alternierenden Reihen und sind an der Spitze so dicht gestellt, daß man gelegentlich eine dreireihige Anordnung wahrzunehmen glaubt. Die Farbe der Basıs und der Polypen ist hellrötlich, die Tentakel sind besonders auf der Innenseite etwas dunkler gefärbt. Spicula 0,05 bis ‚0,06 mm lang, 0,013 mm dick (siehe Fig. 6, Taf. IV). Es scheint mir, als ob EHRENBERG eine ähnliche Form vor sich gehabt hat, die er als Sympodium purpurascens beschrieb. Leider ist das Original- exemplar verloren gegangen. KLunzinGEr, welcher EHRENBERGS diesbezügliche Zeichnungen reproduziert, ‚hatte selbst kein Fxemplar zur Nachuntersuchung zur Verfügung. Gegen die Identifizierung vor- liegender Formen mit EHRENBERGS Art würde sprechen, daß nach letzterem die Pinnulae in 3 Reihen stehen sollen, doch kann dies, wie ich oben erwähnt habe, auf einer Täuschung beruhen, und ferner ist es schon KrunzmGer fraglich, ob die spindelförmigen Körperchen, welche EHRENBERG gezeichnet hat, Spicula dieser Form darstellen sollen. c) Anthelia glauca Enr». Zur Beschreibung wähle ich eine auf einem Madreporenast aufsitzende, etwa 3 cm lange Kolonie (Fig. 7, Taf. IV). Von der teils membranösen, teils stolonenartigen, sehr flachen Basis erheben sich in dichter Anordnung zahlreiche Polypen, fast alle von gleicher, 15 mm betragender Größe. Ihre Körper- form ist sehr verschieden, denn während bei einigen der Körper durchaus gleichmäßig walzenförmig ist, ist er bei der Mehrzahl im unteren Teil stark blasig aufgetrieben. Hier und da sieht man Polypen, welche im untersten Teile ihrer sich berührenden Wände miteinander verwachsen sind. Die bis 6 mm langen Tentakel tragen schlanke, in 2 alternierende Reihen angeordnete Pinnulae. Die Kalkkörper sind die gleichen wie bei den vorher beschriebenen beiden Formen und haben eine Größe von 0,075—0,09 mm bei einer Dicke von 0,013 mm. Die Farbe der in Formol konservierten Polypen ist teils hellbraun mit leicht aschgrauem Ton der Tentakel, teils hellbläulich-grün. Es ist EHRENBERGS Anthelia glauca, welche wir hier vor uns haben. Die Beschreibung, wie sie später von KrUNZINGER in erweiterter Form gegeben worden ist, trifft auf vorliegendes Exemplar durchaus zu, mit Ausnahme der Anordnung der Pinnulae, welche einreihig stehen sollen, während sie an diesem Exemplar zweireihig ist. Indessen ist auf diese Differenz deshalb kein Gewicht zu legen, weil die Zweireihigkeit durch das Alternieren der Pinnulae bei lang ausgestreckten Tentakeln, deren Pinnulae weit auseinanderstehen, in anscheinende Einreihigkeit übergeht. Umgekehrt kann bei kontra- hierten Tentakeln durch dichtes Aneinanderrücken der Pinnulae der Anschein einer Drei- und Vier- reihigkeit erweckt werden; besonders häufig ist das an den kontrahierten Tentakelenden der Fall. d) Anthelia strumosa Enrs». Eine auf einem Madreporenast aufgewachsene Kolonie hat bis fast 2 cm lange Polypen auf- zuweisen, die sehr schlank sind und nur wenig über ı mm im Durchmesser haben. Die Form der Polypen ist sehr eigentümlich, indem sie in ihrem obersten Teile entweder knopfartig aufgetrieben sind oder sich kelchartig verbreitern (siehe Fig. 8, Taf. IV). Einige wenige Polypen dieser Kolonie zeigen allerdings dieses Verhalten nicht, sondern sind bis unter den Tentakelkranz gleichmäßig dick. Die Länge der Tentakel beträgt bis 5 mm, ihre schlanken Pinnulae stehen in 2 alternierenden Reihen. Die Spicula sind durchschnittlich 0,065 mm lang und 0,013 mm dick. Diese Form entspricht zweifellos der Anthelia strumosa EHRENBERGS mit folgender Diagnose: „Glauca, polypis sub ore inflatis, strumosis, pollicaribus. Struma non a cibo, nec a morte“ KiLunzinGEr (1877, S. 45) beschreibt die Kalkkörper als stabförmig, von gleicher Größe wie die der Anthelia glauca und des Sympodium fuliginosum. In neuester Zeit hat May (1899, S. 42) die Art nach in Ostafrika gesammelten Exemplaren beschrieben 46 Ueber einige Korallentiere des Roten Meeres. 46 und gibt folgende Diagnose: „Pinnulae in 2—4 Reihen zu beiden Seiten der Mittellinie der Tentakeln, kurz, dick und stumpf. Achse in ihrer ganzen Länge und großer Breite frei. Kalkkörper kleine, an beiden Enden stumpfe Stäbchen von 0,032 mm Länge und 0,008 mm Breite, mit rauher Oberfläche, unregelmäßig in der ganzen Kolonie zerstreut. Polypen im oberen Teil stark aufgeblasen, durch eine Basalmembran verbunden.“ Diese Diagnose stimmt jedenfalls in einem recht wichtigen Punkte nicht mit den früheren Beschreibungen überein, nach denen (siehe KrunzinGEr, S. 45) A. strumosa wie A. glauca Eure. gebaut sein soll, von letzterer aber nur je eine Reihe ziemlich langer Pinnulae angegeben werden. Besser zu EHRENBERGS und Krunzıngers Beschreibungen paßt jedenfalls das mir vorliegende Exemplar, denn die schlanken Pinnulae stehen oft ziemlich weit voneinander, so daß ihre Anordnung in 2 Reihen nicht so deutlich ist wie bei den anderen Gruppen, und man leicht darüber hinwegsehen und sie als einreihig beschreiben kann. Andererseits kann durch stärkere Kontraktion der Tentakel wie bei A. glauca Drei- und Vierreihigkeit der Pinnulae vorgetäuscht werden. Was mich nun dazu bewogen hat, diese zu 4 verschiedenen Arten gestellten Formen als zu einer einzigen Art gehörig zu betrachten, ist einmal der Umstand, daß alle wesentlichen Charaktere bei ihnen übereinstimmen, und daß die bis dahin als Artmerkmale aufgefaßten Unterschiede keine solchen, sondern nur Variationen sind, zwischen denen sich zahlreiche Uebergänge finden. Es liegen mir Exem- plare vor, welche derartige untergeordnete Merkmale vermischt aufzuweisen haben, bei denen also einige Polypen derselben zur einen, andere Polypen zu einer anderen Art zu rechnen wären. Schon daraus ergibt sich, daß wir diese Merkmale nicht als Artcharaktere auffassen dürfen. So ist z. B. zur Unter- scheidung der 4 Arten mit in erster Linie die verschiedene Gestalt des Polypenkörpers herangezogen worden, der bei Sympodium fuliginosum und S. purpurascens walzenförmig, bei Anthelia strumosa oben angeschwollen, bei A. glauca unten angeschwollen ist. Da aber alle drei Merkmale bei Polypen der- selben Kolonie vorhanden sein können, so dürfen wir sie nur als verschiedene Kontraktionszustände auffassen. Die Erkenntnis, daß die Gestalt des Polypenkörpers, insbesondere vorkommende Auftreibungen nicht als Artmerkmale aufgefaßt werden dürfen, wird voraussichtlich für einige von späteren Autoren aufgestellte Arten dieser Familie verhängnisvoll werden. Auch die Färbung ist als Artmerkmal benutzt worden, doch ist auch dieser Charakter viel zu variabel. Wie sich z. B. bei den beiden oben beschriebenen Xenien eine erhebliche Färbungsverschieden- heit innerhalb der Art wahrnehmen ließ, so ist das auch hier der Fall. Neben ganz hell gefärbten Exemplaren finden sich rötliche und bläulich-grünliche, und einzelne jüngere Polypen mit noch nicht völlig ausgebildeten Tentakeln sind dunkel-graugrün gefärbt. Viel wichtiger ist die Anordnung der Pinnulae auf den Tentakeln. Bei allen mir vorliegenden Exemplaren ließ sich die zweizeilige alter- nierende Anordnung erkennen. Durch verschiedene Kontraktionszustände treten aber Verschiebungen ein, indem bei sehr stark ausgedehnten Tentakeln die Zweireihigkeit in eine anscheinende Einreihigkeit übergeht, während durch die Kontraktion, die besonders die Tentakelenden betrifft, eine Drei- und Vierreihigkeit vorgetäuscht wird. So erklären sich die verschiedenen Literaturangaben, nach denen z. B. Anthelia glauca einreihig sein soll (Krunzınger), während bei Anthelia strumosa 2—4 Reihen Pinnulae beobachtet wurden (May). Der Grund, welcher EHRENBERG veranlaßte, zwei seiner Formen zur Gattung Sympodium zu stellen, die beiden anderen zu Anthelia, war die größere Kontraktilität der ersten beiden. Auch KrunzinGEr hält diese Scheidung aufrecht; er unterscheidet in der Gattung Sympodium zwei Gruppen, solche mit gänzlich zurückziehbaren Polypen und solche mit semiretraktilen, zu denen er die beiden Ueber einige Korallentiere des Roten Meeres. 47 47 Formen S. fuliginosum und S. purpurascens rechnet. Von ersterer gibt er an, daß die Polypen nicht ganz in ihre Zelle zurückziehbar sind, sondern immer wenigstens der Tentakelkranz über die Basal- ausbreitung vorsteht. EHRENBERG scheint indessen schon selbst Zweifel an der Schärfe dieses Unter- scheidungsmerkmales empfunden zu haben, denn bei seinem Sympodium purpurascens, welches ähnlich kontraktil wie S. fuliginosum ist, wird dieser Name nur der von KrunzinGEr später veröffentlichten Abbildung gegeben, im Text heißt die Form Anthelia purpurascens. Nach dem mir vorliegenden reichen Materiale läßt sich diese Unterscheidung nicht durchführen, ich sehe nur mehr oder weniger kontrahierte Polypen, aber keine Retraktion derselben in das Cönenchym hinein. Es liegt also zur Trennung dieser Formen in die beiden Gattungen Sympodium und Anthelia kein Grund vor. Erstere ist gekennzeichnet durch Retraktionsfähigkeit der Polypen, letztere hat keine Retraktilität der Polypen, sondern nur eine verschiedengradige Kontraktilität. Die vermeintlichen Gattungs- und Artunterschiede zwischen den vier EHRENn- BERGSchen Arten existieren also nicht, vielmehr gehören sie alle vier zu einer einzigen Art, für die ich den ersten Enrensersschen Artnamen Anthelia fuliginosa EHre. wähle. Die Diagnose dieser Art lautet: „Polypen durch meist zu einer membranösen Basis verbreiterte Stolonen verbunden, verschieden stark kontraktil, aber nicht retraktil. Die Größe der Polypen beträgt I—2 cm ihre Dicke schwankt zwischen ı und-3 mm. Die durchschnittlich etwa 6 mm langen Tentakel sind stark kontraktil und mit 2 alternierenden Reihen von durchschnittlich je ı2 Pinnulae besetzt, welche die Mittellinie des Tentakels frei lassen. Die Kalkkörper sind zahlreich überall, besonders dicht in den Tentakeln vorhanden, unregelmäßig gelagert und stellen kurze, abgerundete, körnig strukturierte Stäbchen dar, von 0,05—0,09 mm Länge und 0,013 mm Breite. Färbung sehr variabel, hellgelblich, hellgrau, blaugrünlich, rötlich.“ | Man könnte innerhalb der Art zwei Varietäten unterscheiden, die erste mit kurzen, dickeren Polypenkörpern und kürzeren Tentakeln, die zweite mit längeren, schlankeren Polypenkörpern und etwas längeren Tentakeln, doch finden sich zwischen diesen beiden Varietäten Uebergänge (siehe Fig. 5, Taf. IV). Innerhalb der ersten Varietät hat die verschiedenartige Färbung zur Aufstellung der beiden Arten S. fuliginosum und S. purpurascens Veranlassung gegeben, innerhalb der zweiten sind gelegentliche blasige Auftreibungen an der Basis oder unter dem Tentakelkranz Veranlassung zur Aufstellung der beiden Arten A. glauca und A. strumosa geworden. Nach vorliegenden Untersuchungen kann also von den 4 beschriebenen Sympodiumarten des Roten Meeres nur eine (S. coeruleum Enrre.) bei dieser Gattung belassen werden, eine (S. fulvum Forsk.) gehört zu Alcyonıum und 2 (S. fuliginosum Enre. und S. purpurascens EHRE.) sind Anthelien. Die beiden beschriebenen Anthelien A. glauca und A. strumosa Ehre. des Roten Meeres gehören beide und zusammen mit den beiden letzterwähnten Sympodien zu einer einzigen Art. Die 6 Cornu- larıdenarten des Roten Meeres schrumpfen also auf 2 zusammen. Familie der Nephthyiden. Die Familie der Nephthyidae VERRILL ist die artenreichste der Alcyonaceen und bietet schon dadurch der Forschung erhebliche Schwierigkeiten, die noch vermehrt werden durch eine weitgehende Variabilität einzelner Arten, sowie durch eine wahrhaft trostlose Verwirrung, in welche die Systematik der Familie durch ältere und größtenteils auch neuere, gänzlich ungenügende Beschreibungen sowie durch zahllose Irrtümer geraten ist. 48 Ueber einige Korallentiere des Roten Meeres. 4 8 Wenn wir von der älteren Literatur über diese Familie absehen, so kann ich gleich auf eine soeben erschienene Arbeit von mir (1903) verweisen, in welcher ich eine Revision angebahnt habe. Die Familie der Nephthyiden teile ich darin folgendermaßen ein: I. Polypen ohne Stützbündel. A. Kanalwände nicht dicht mit Spicula erfüllt. ı. Die Polypen stehen in „Läppchen“. . . . . „. . 1. Lithophytum Fors«. 2. Die Polypen stehen in Bündeln oder einzeln . . . 2. Eunephthya VERRILL B. Kanalwände dicht mit Spicula erfüllt. 3. Die Bolypen stehen in Päppchensr pre apa 4. Die Polypen stehen in Bündeln oder einzeln. a), Stamm ohne innere Achse ea eır b) Stamm mit irregulärer innerer Achse, die von dicht angeordneten Spicula gebildet wird 5. Scleronephthya WR. et Stun. I. Polypen mit Stützbündel. 5..Die Polypen’stehenlinalEippehen 7 EEE ephithyasS ve 6. Die Polypen stehen in Bündeln oder einzeln. a) Stamm ohne innere Achse i 7. Spongodes Less. b) Stamm mit irregulärer innerer Achse . . . . .„ 8. Neospongodes Küktn. Von den 16 sicheren Arten von Lithophytum kommen nur 2 im Roten Meere vor, während von der ostafrikanischen Küste nicht weniger als ı2 bekannt sind. Die beiden Arten des Roten Meeres sind Lithophytum thyrsoides (EHrB.) und L. arboreum Forsk. FEunephthya fehlt im Roten Meere voll- kommen, Capnella Gray ist ebenfalls nicht im Roten Meere vorhanden, ebenso fehlen Vertreter der Gattungen Lemnalia Gray, Scleronephthya Wr. et Srup. und Neospongodes KükrH., während von Nephthya 3 Arten, N. Chabroli (Aup., N. albida (Horn) und N. striata Kürın, von Spongodes 4 Arten, Sp. Savignyi EHrB., Sp. Hemprichi Kızar., Sp. Klunzingeri T#. Stup., Sp. arborea May, aus dem Roten Meere beschrieben worden sind. Im ganzen sind also 9 Vertreter der Familie der Nephthyiden im Roten Meere nachgewiesen worden. ) Da ich in der oben erwähnten Arbeit bereits eine eingehendere Beschreibung der in Frage kommenden Lithophytum- und Nephthya-Arten gegeben habe, so will ich an dieser Stelle auf eine erneute Darstellung verzichten und mich auf die Gattung Spongodes beschränken. Gattung Spongodes Less. Aus der Gattung Spongodes sind bis jetzt 4 Arten beschrieben worden, die im Roten Meere vorkommen, und zwar: Sp. Savignyi EHre&, Sp. Hemprichi Kızcr., Sp. Klunzingeri Th. Sıup. und Sp. arborea Mav. Das mir vorliegende Material gibt mir Anlaß zu folgenden Bemerkungen. 6. Spongodes Savignyi EHRB. 1834 Nephthya Savignyi H. EHRENBERG, Abh. Ak., Berlin 1832, S. 284. 1877 Spongodes Savignyi KLUNZINGER, Korallentiere des Roten Meeres, Bd. I, S. 35 u. 36, Taf. II, Fig. 6. Von dieser von KrunzinGEer (1877, S. 36) als selten bezeichneten Art habe ich 19 Exemplare untersuchen können, die von verschiedenen Sammlern und aus verschiedenen Gegenden des Roten Meeres stammen. Die von KrunzinGEer (1877, S. 35 und 36) gegebene Beschreibung kann ich in 49 Ueber einige Korallentiere des Roten Meeres. 49 einigen Punkten erweitern, insbesondere in Bezug auf die Bewehrung der Polypen. An dem mir vor- liegenden Originalexemplar EHRENBERGS sah ich folgendes. Das 8,5 cm breite, 5 cm hohe Exemplar besteht aus einer Anzahl unten verwachsener, buschig verästelter Stämme, welche in ihrem unteren Teil steril sind, im oberen dicht aneinander gelagerte polypentragende Zweige entsenden. Die Polypen sitzen an den Zweigen in kleineren oder größeren Bündeln, die besonders an den Enden zu rundlichen Massen zusammentreten. Doch divergieren die einzelnen Polypen eines Bündels stark voneinander. Von Läppchenbildungen wie bei der Gattung Nephthya (cf. KrunzinGEr, 1877, S. 35) kann man bei dieser Form nicht sprechen. Die Polypenköpfchen sitzen in spitzem Winkel am Polypenstiel, der außen etwa 2 mm, innen 1,2 mm lang ist. Das Polypenköpfchen ist 0,7 mm lang, 0,85 :mm breit. Seine Beweh- rung besteht außen aus 0,25 mm langen, dünnen, meist geraden Spindeln, die in undeutlichen steilen Doppelreihen zu je 6 stehen, seitlich werden sie kleiner, und innen sind es zahlreiche kleine, walzenförmige Spicula von 0,04 mm länge, die auch dicht gelagert in den Tentakeln und an der Innenseite der Polypenstiele vorkommen. Das Stützbündel besteht aus 2—4 großen, bis 3,5 mm langen, meist etwas gebogenen, bedornten Spindeln, von denen ı oder > über das Köpfchen vorragen können. Die Spicula der oberen Stammrinde sind durchschnittlich 2 mm lange, 0,12 mm dicke, dicht mit kräftigen Dornen besetzte Spindeln. In der Rinde des unteren Stammteiles werden die Spindeln kleiner, aber massiger, und außerdem treten noch Dreistrahler und zahlreiche kleine, zackige Körperchen auf. Starkdornige Spindeln finden sich auch etwas weniger zahlreich an den Kanalwänden vor; sie haben eine durch- schnittliche Länge von 1,2 mm bei 0,2 mm Dick. Die Farbe der lebenden Kolonie war lilablau ins Rötliche, im Alkohol grauschwarz. Die Untersuchung der übrigen Exemplare ergab die vollständige Uebereinstimmung mit dem Original, nur bei einem Exemplare des Münchener Museums war die Bewaffnung des Polypenköpfchens noch etwas kräftiger, während bei einem anderer Exemplare aus dem Senckenbergiscnen Museum die kleinen, walzenförmigen Spicula auch an den Seiten des Polypenköpfchens vorkommen. Für die Stellung dieser Art innerhalb der Gattung ist das Vorkommen der bis dahin über- sehenen walzenförmigen Körperchen in den Polypen von Bedeutung. 7. Spongodes Hemprichi KLZGR. 1834 Nephthya florida (pars) EHRENBERG in Abh. Ak., Berlin, 1832, S. 284 u. 285. 1877 Spongodes Hemprichi KLUNZINGER, Korallentiere des Rothen Meeres, Bd. I, S. 36 u. 37, Taf. XIV, Fig. 1. 1900 Spongodes Hemprichi Hıckson and Hıres, in Wırrrys Zool, Results Part, IV. S. 498. Auch von dieser altbekannten Art vermag ich einiges Neue zu berichten. Es lagen 5 Exemplare, darunter die beiden von EHRENBERG gesammelten Originale zur Untersuchung vor. KLUNZInGER (1877, S. 36 u. 37) hat diese beiden Formen zu einer Art gestellt, trotzdem sie ein recht verschiedenes Aus- sehen haben. Die äußeren Unterschiede sind so groß, daß Horm (1895, S. 21) darüber schreibt: „Mir scheinen aber die angeführten Verschiedenheiten so groß zu sein, daß beide Exemplare als zu sehr verschiedenen Arten gehörend betrachtet werden müssen, was besonders aus einem Vergleich der Figuren erhellt. Die eine Art (Fig. ıa) ist der Sp. Studeri Rıprey sehr ähnlich.“ In der Tat hatte aber KıunzinGEer vollkommen recht, als er beide Formen zusammen stellte Da die Nachuntersuchung der Originalexemplare einiges Neue ergab, so lasse ich die Beschreibung beider Stücke folgen. Bei dem einen Exemplar (KrunzinGer, 1877, Taf. II, Fig. 1a) erheben sich von membranöser Basis eine Anzahl dicker Stämme, die sehr kurze, walzenförmige Aeste abgeben, an denen die Polypen sitzen. Die Jenaische Denkschriften. XI. Mi Festschrift Ernst Haeckel. 50 Ueber einige Korallentiere des Roten Meeres. 50 Kolonie ist insgesamt 11,4 cm breit, der größte Stamm 6,3 cm hoch. Die Polypen sitzen in Bündeln bis zu 20 an den Enden der kurzen Aeste und treten hier und da zu größeren, halbkugeligen Bildungen zu- sammen. Die Köpfchen sind 0,7 mm lang, 0,55 mm breit und von rundlich-ovaler Form. Sie sitzen in stumpfem bis fast rechtem Winkel an kurzen Stielen. Die Basis des Köpfchens umgeben rot gefärbte horizontal gelagerte Spicula von 0,35 mm Länge, die allmählich in das Stützbündel übergehen; auf ihnen erheben sich in 8 Doppelreihen zumeist 5 Paar kleinere, etwas gekrümmte Spindeln von 0,18 mm Länge, von denen die obersten gelegentlich etwas über das Köpfchen vorragen. Das Stützbündel ist sehr stark entwickelt, eine der Spindeln kann bis 3,5 mm lang werden und 2,5; mm über das Köpfchen vorragen. Die Spindeln laufen in eine fast glatte Spitze aus, während der übrige Teil dicht und fein bedornt ist. Meist sind die Stützbündelspicula etwas gebogen, besonders im unteren Teile des Polypen- stieles. Die Spicula der oberen Stammrinde liegen dicht gedrängt in horizontaler Lage und verleihen Hauptstämmen und Aesten ein quergestreiftes Aussehen. Es sind gerade oder gekrümmte Spindeln bis 3,5 mm Länge und 0,34 mm Dicke, die mit zahlreichen kurzen Dornen besetzt sind. Außerdem finden sich viele ähnliche, aber kleinere Spindeln sowie Dreistrahler vor. Die Spicula der membranösen Basıs sind kleiner, meist unter 1,7 mm Länge und stellen ebenfalls gerade oder krumme, stärker be- dornte Spindeln dar. In den Kanalwänden liegen kompakte, meist stark gekrümmte Spindeln bis 1,2 mm Länge und 0,3 mm Dicke, sowie viele dicke Dreistrahler. Farbe der Kolonie grau, der Polypen braun- rot. Die Rindenspicula sind hell, die Polypenspicula wie das Stützbündel braunrot. Das zweite Exemplar EHRENBERGS sieht ganz anders aus. Die massige Kolonie mißt 11,6 cm in der größten Breite, 6,2 cm in der Höhe und besteht aus einem membranös ausgebreiteten, stark ge- falteten Basalteile, von dem aus kurze, fast völlig verdeckte Hauptstämme aufstreben, auf denen in großen, halbkugeligen Bildungen die Polypen stehen. Diese bis 2 cm im Durchmesser haltenden, rund- lichen Lappen sind wieder zusammengesetzt aus kleineren, etwa 6 mm breiten Läppchen, die in un- regelmäßiger Verteilung in Bündeln zusammenstehende Polypen enthalten. Die Polypen sitzen ın stumpfem Winkel an kurzen Stielen und sind 0,5 mm hoch, 0,65 mm breit. An der Basis finden sich horizontal gelagerte, in das Stützbündel übergehende Spicula von 0,5 mm Länge, auf denen in 8 Doppel- reihen zu je 6—7 Paaren kleinere Polypenspicula von 0,32 mm Länge sitzen. Die Spitzen der obersten können etwas über das Köpfchen vorragen. Die kurzen Tentakel sind an der Basis mit einigen seitlich stehenden, sehr kurzen, bedornten Spicula bewehrt. Von den Spicula des Stützbündels ist eines bis 3,5; mm lang und ragt bis 2,5 mm vor; die äußerste Spitze dieser Spicula ist glatt, der übrige Teil bedornt. Am unteren Ende finden sich häufig Krümmungen. Die Spicula des oberen Stammteiles liegen dicht gedrängt transversal, sind bis 3,5 mm lang, 0,34 mm dick und mit zahlreichen kurzen Dornen versehen. In der membranösen Basis finden sich nur vereinzelte stärker bedornte Spindeln von ı mm Länge und 0,17 mm Dicke, meist finden sich viel kleinere, stark gezackte Spindeln vor, die in kleine unregelmäßige Körper übergehen. Die Kanalwände weisen lange, schwächer bedornte, meist gekrümmte Spindeln bis 1,8 mm Länge und o,ı mm Dicke auf, sowie Dreistrahler und kleine mit einigen Zacken besetzte Körper von 0,17 mm Länge. Die Farbe der gesamten Kolonie, auch aller Spicula ist blutrot. Aus den Beschreibungen dieser beiden Formen erhellt, daß sie in allen Merkmalen im wesent- lichen übereinstimmen, nur im Aufbau nicht, indem bei der ersten Form die halbkugeligen Polypen- läppchen gegenüber Stamm und Aesten zurücktreten, während bei der zweiten Form von Stamm und Aesten von außen fast nichts zu sehen ist, infolge der starken Ausbildung des polypentragenden Teiles. Daß beide Formen aber zusammengehören, beweist ein drittes Exemplar aus dem Wiener Museum, z Ueber einige Korallentiere des Roten Meeres. a 51 das in Bezug auf seinen Aufbau gerade in der Mitte zwischen den beiden Exemplaren EHRrEN- BERGS steht. Wie groß übrigens die Variabilität im Aufbau der Kolonie werden kann, das beweisen zwei weitere Exemplare dieser Art aus dem Münchener Museum, von HorEr gesammelt, die man als var. arborescens bezeichnen kann. In allen wichtigen Merkmalen mit den vorher beschriebenen Exemplaren übereinstimmend, zeigen sie einen recht auffällig verschiedenen Aufbau ihrer Kolonie, indem die halb- kugeligen Läppchenbildungen verschwunden sind und die Polypen auf kurzen, dicht verzweigten Aesten stehen. Die Kolonie verliert dadurch das kompakte Aussehen und erscheint mehr gegliedert. Hierher gehört auch ein von EHRENBERG gesammeltes, später als Spongodes ramulosus Gray bezeichnetes Exemplar des Berliner Museums. Wir haben in Spongodes Hemprichi ein ausgezeichnetes Beispiel starker Variabilität des Auf- baues vor uns. Auf der einen Seite stehen kompakte Formen, dicht mit halbkugeligen Polypen- klumpen überdeckt, auf der anderen verästelte Kolonien, und zwischen beiden Extremen finden sich Uebergänge. Es erhellt daraus, daß einer Einteilung der Gattung Spongodes in Gruppen, welche durch den Aufbau ihrer Kolonien charakterisiert sind, kein tieferer systematischer, sondern ein gewisser praktischer Wert zukommt. Spongodes Hemprichi gehört in manchen Formen zu der Gruppe der „Glomeratae“, in anderen zu den „Divaricatae“! EHRENBERG (1834, S. 284 u. 285) hat diese Art als Nephthya florıda BramvirLE = Xenia purpurea Lamarck, Alcyonium floridum EspER be- zeichnet, mit der Diagnose „laete purpurea, fruticulosa, verrucarum spiculis inaequalibus, una lon- gissima“. Bereits KrunzinGEr (1877, S. 36) stellte fest, daß die vorliegende Form nicht zu identi- fizieren ist mit Alcyonium floridum Esp, welches ebenfalls ein Spongodes ist. Alcyonium floridum Esp. resp. Spongodes florida (Esp.) ist, wie WRIGHT und StuUDER nachgewiesen haben, „umbellat“ und identisch mit der von GraY (1862, S. 27, Fig. ı—4) beschriebenen und abgebildeten Form Spongodes florıda, die dieser Autor wieder fälschlich mit Spongodes celosia LEsson und Spongodes arborescens (Dana) VERRILL identifizierte. Da Spongodes florida (Esp.) nicht im Roten Meere gefunden worden ist und die EHREnBERGSche Form der Sp. Hemprichi Kızar. entspricht, darf erstere Form nicht unter den im Roten Meere vorkommenden Spongodes aufgezählt werden, wie das von May (1899, S. 160) geschehen ist. 8. Spongodes Klunzingeri STUD. arsalyzs Bileso: Es liegen mir von dieser Form 5 Exemplare vor, davon sind 2 aus dem Stuttgarter Museum von KILuNnzinGEr selbst gesammelt und als Spongodes ramulosa GrAY bestimmt worden. Zunächst lasse ich die eingehendere Beschreibung dieser beiden Formen folgen. Das große Exemplar ist 5 cm lang, 3,3 cm breit und in einer Ebene entwickelt. Der sehr kurze, sterile Stammteil gibt unten ein paar kleinere Aeste ab und teilt sich dann in 3 nach aufwärts strebende breite Hauptäste, von denen der mittlere sich nochmals dichotomisch gabelt. An den Hauptästen sitzen, stark divergierend, die Seitenzweige, die meist ebenfalls in derselben Ebene liegen, und von den Seitenzweigen entspringen die polypentragenden Endzweige, von denen einige auch direkt auf den Hauptästen aufsitzen. Diese Endzweige bilden bis 5 mm lange primäre Polypenstiele. Vielfach entspringt von dem unteren Teile des Stieles ein zweiter Polyp, dicht aufsitzend oder nur mit kurzem sekundären Stiele versehen, der ebenfalls wie der primäre mit einem Stützbündel versehen ist. Die Köpfchen sitzen an ihrem Stiele in stumpfem bis rechtem Winkel, sind ı mm hoch, 1,2 mm breit und bewehrt mit divergierenden Doppel- 7* 52 Ueber einige Korallentiere des Roten Meeres. 52 reihen von 8—ıo Paar Spicula. Die unteren Polypenspicula sind 0,3 mm groß, die oberen bis zu 0,8 mm. Letztere ragen bei den zu äußerst an der Kolonie sitzenden Polypen oft ein paar Millimeter weit über das Köpfchen hervor. Der Endzweig ist auf der äußeren (dorsalen) Seite eingescheidet in zahlreiche, dicht nebeneinander liegende, fein bedornte Spicula von Spindelform, von durchschnittlich 2,; mm Länge. Diese konvergieren nach oben, an Zahl abnehmend, und bilden ein Stützbündel, welches meist mit 2 Spicula um etwa 0,7 mm überragt. In der Rinde der Aeste finden sich Spindeln zweierlei Größe vor, die größeren, ziemlich feın bedornten erreichen eine Länge von 2—3 mm bei einer Dicke von 0,17 mm und sind häufig an einem Ende in 2 Spitzen ausgezogen. Die größeren sind meist etwas gekrümmt, die kleineren dagegen gestreckt, 0,3—0,5 mm lang, 0,04 mm dick und mit relativ stärkeren Dornen besetzt. Die Spicula des untersten Stammteiles sind stärker bedornte, große Spindeln und kleinere gekrümmte Formen, die breit und mit wenigen sehr großen Dornen besetzt sind. In den Kanalwänden liegen gerade, weit und flach bedornte Spindeln bis 0,5 mm Länge und 0,05 mm Dicke. Die Farbe der gesamten Kolonie ist ziegelrot, hervorgerufen durch die so gefärbten Spicula. Das kleinere Stück (siehe Fig. 9, Taf. IV) von 4 cm Höhe und 3,1 cm Breite weist ganz den gleichen Aufbau auf wie das größere. Auch hier liegen dıe Hauptäste und Seitenäste in einer Ebene, nur die Verzweigung ist etwas reichlicher. In allen anderen Merkmalen stimmt es mit dem erst- beschriebenen völlig überein bis auf die Farbe, indem die gesamte Kolonie gelb gefärbt ist mit Aus- nahme der Polypen, die durch ihre Spicula eine ziegelrote Farbe erhalten. Die gleiche Färbung weisen 2 Exemplare des Breslauer Museums auf, während ein von EHREN- BERG gesammeltes Exemplar des Berliner Museums, als Spongodes ramulosus Gray bezeichnet, braun- rote Spicula in Stamm und Astrinde, weiße in den Polypen enthält. Trotz der verschiedenartigen Färbung ist bei allen 5 Exemplaren der Bau ganz der gleiche, und sie gehören sämtlich zu einer Art, deren auffallendstes äußeres Merkmal die sehr stark ausgeprägte Entwickelung der Kolonie in einer Ebene ist. Vergleichen wir mit vorliegenden Beschreibungen die Angaben und Abbildungen Krun- ZINGERS von seiner Spongodes ramulosa (1877, S. 37—39, Taf. III, Fig. 2), so ergibt sich die völlige Identität. KrunzingEer glaubt, die von ihm beschriebene Form mit der schon früher von Gray (1862, S. 29) aufgestellten Spongodes ramulosa vereinigen zu können. Aus Gravs Beschreibung und Ab- bildungen geht folgendes hervor: Spongodes ramulosa Gray besitzt einen dicken, stark verzweigten Stamm, der mit langen, schlanken, spindelförmigen Spicula von dunkel-braunroter Farbe bedeckt ist. Die Aeste sind zahlreich, lang und schlank und vielfach verzweigt. Die schlanken Polypen sitzen zer- streut zu ı—3 an den Endzweigen und sind mit unregelmäßig vorragenden Spicula bewehrt. Auch das Stützbündel ragt, oft sehr erheblich, über das Köpfchen hervor. Die Polypen sind hellgelb, die gesamte Kolonie dunkel-braunrot. Bellona-Riff in 17 Faden Tiefe. KrunzingEer wurde zur Identifizierung seiner Form mit der Grayschen Art geführt durch die Tatsache, daß die Endzweige bei beiden Arten zuweilen mehrere Polypenköpfchen tragen. Seine weitere Vermutung: „Indem die Kalkkörperchen des Köpfchens in einer der 8 Gruppen sich stärker entwickeln, entsteht ein neues Endzweigchen oder Bündelchen“, ist zweifellos nicht richtig, schon deshalb, weil die Entwickelung der Spicula das Wachstum der Kolonie nicht veranlaßt. Nun gibt bereits SıuDER (1888, S. 72) an, daß nach einer Vergleichung des typischen Krun- zıngerschen Exemplares mit dem Gravschen Original es sich herausgestellt hat, daß 2 verschiedene Arten vorliegen, von denen er die von KrunzinGer beschriebene Spongodes Klunzingeri nannte. Ob- wohl eine eingehendere Begründung für diese Trennung nicht gegeben wurde, habe ıch mich doch 53 Ueber einige Korallentiere des Roten Meeres. ; 53 bereits früher (1896, S. 122) STUDERS Ansicht angeschlossen und bin auch jetzt der gleichen Meinung. Spongodes ramulosa Gray hat nur insofern Aehnlichkeit mit Sp. Klunzingeri, als beide zu der Gruppe der Divaricatae gehören. Bei Spongodes ramulosa ist der Aufbau der Kolonie allem Anschein nach ein anderer als bei Sp. Klunzingeri, sonst würde Gray die auffällige Entwickelung in einer Ebene erwähnt haben; ferner ragt bei ersterer Form das Stützbündel nach Grays Abbildung bis 3 mm über das Köpfchen hervor, und auch die Polypenbewehrung ist eine andere, so daß beide Formen leicht voneinander zu unterscheiden sind. 9. Spongodes arborea MaY. May (1899, S. 170) hat den bisher bekannten Spongodesarten des Roten Meeres eine neue hinzugefügt, die sich in ihrem äußeren Aussehen am nächsten an Sp. Klunzingeri anschließt. Die kurze, wenn auch für eine Artdiagnose ausreichende Beschreibung will ich auf Grund der Nachunter- suchung der Mayschen Originale erweitern. Die Kolonie ist deutlich in einer Ebene entwickelt; auf den sterilen, walzenförmigen Stammteil kommt etwa ein Drittel der Gesamthöhe. Der Aufbau ist ent- schieden divarıkat, die Verästelung ist dichter als bei Sp. Klunzingeri und die Polypen sitzen weit aus- einandergespreizt an den Endästen, meist in Gruppen von 4 und 5, gelegentlich auch mehreren. Die beiden untersten Aeste sind blattartig verbreitert, liegen, den Stamm umfassend, diesem dicht an und tragen die Polypen besonders an dem freien Rande. Die Polypen sitzen in stumpfem bis rechtem Winkel an den durchschnittlich ı mm langen Polypenstielen und sind 0,45 mm hoch, 0,7 mm breit. Ihre Bewehrung besteht aus 8 Doppelreihen von 4—5 Spiculapaaren, von denen das oberste Paar dicht zusammentritt und das Köpfchen etwas zu überragen vermag. Die unteren Polypenspicula sind durch- schnittlich 0,2 mm, die oberen 0,4 mm lang und in der Mitte nach innen eingeknickt. Von den bis 1,4 mm langen Stützbündelspicula ragen ı oder 2 etwa 0,4 mm über das Köpfchen vor. Die freien Enden dieser sonst schwach bedornten Spicula sind fast glatt. In der oberen Stammrinde liegen sehr zahlreiche Spindeln verschiedener Größe von 0,1—1,7 mm Länge, meist etwas gebogen und dicht mit abgerundeten Warzen besetzt, die ringförmig angeordnet sind. Ebensolche Spicula, aber mit bedeutend größeren Warzen, liegen in der unteren Stammrinde und werden bis 2 mm lang, während die Kanal- wände bis 0,45 mm lange, gerade, breite, weit und flach bedornte Spindeln und zahlreiche kleinere verästelte Spicula besitzen. Die Farbe des Stammes und der Aeste ist schwarzgrau, der Polypenköpfchen durch die roten Spicula dunkelbraun, der Spicula der Kolonie weiß. Ein Vergleich der vorliegenden Form mit Sp. Klunzingeri zeigt ohne weiteres, daß es 2 ver- schiedene Arten sind. Aufbau, Größe und Bewehrung der Polypen, Größe und Bedornung der Spicula sind bei beiden vollkommen verschieden, wodurch Mays Aufstellung einer neuen Art gerechtfertigt erscheint. Außer diesen 4 bekannten Arten finden sich aber im Roten Meere noch weitere Formen, die neuen Arten zugehören.. 10. Spongodes Mayı n. sp. Dat IV, Bier To: Dat. V, Rise. 2o. Es liegen mir 2 Exemplare dieser neuen Art vor, von denen das größere aus dem Sencken- bergischen Museum stammt und von RürpELL gesammelt worden ist, während das kleinere zur Harı- MEYERSchen Ausbeute gehört. Der Beschreibung lege ich das große Exemplar zu Grunde. 54 Ueber einige Korallentiere des Roten Meeres. 54 Die sehr starre und zerbrechliche, baumförmige Kolonie ist insgesamt 9,3 cm hoch, 8,6 cm breit und deutlich in einer Ebene entwickelt. Der sterile Stammteil von 2,8 cm Höhe ist unten >2 cm breit und erweitert sich nach oben auf 3,5 cm. Von ihm gehen 2 mächtige, walzenförmige Hauptäste ab (auf der Abbildung Fig. 10 ist nur der eine gezeichnet), die sich in ihrem oberen Teile in kurze, dicke Seitenäste auflösen, von denen die Mehrzahl in einer Ebene liegt. Die Polypen sitzen auf kleinen, durchschnittlich 9 mm langen Endästen, die meist rechtwinklig von Hauptästen wie Seitenästen, einige auch vom oberen Ende des sonst sterilen Stammteiles direkt entspringen und dichte Bündel bis zu ı2 Polypen tragen. Die Polypen sitzen an den kurzen, etwa ı mm langen Stielen in stumpfem Winkel und sind durchschnittlich 0,68 mm hoch, 0,9 mm breit. Ihre Bewehrung besteht aus 8 Doppelreihen von 5—8 Paar dicht gelagerten, dicken Spindeln, die fein bedornt und 0,3 mm lang und 0,025 mm dick sind (Fig. 20, Taf. 5). Eine der beiden Spindeln jedes obersten Paares ist viel länger, bis 0,85 mm, und dicker, 0,08 mm, und ragt bis 0,3 mm über das Köpfchen hervor. Das vorragende plumpe Ende ist abgerundet und dicht mit starken Dornen besetzt. Von dem stark entwickelten Stützbündel ragen ı oder 2 bis 3 mm lange, dicke Spindeln 0,3—0,5 mm weit über das Köpfchen hervor. Ihre freie Spitze ist fast glatt, der übrige Teil dicht bedornt. Zahlreiche etwas gekrümmte Spindeln bis zu 5 mm Länge sind longitudinal den Endzweigen eingelagert, während Aeste und Hauptäste ganz riesige, bis 9 mm lange, durchschnittlich 6 mm messende, mehr transversale Spindeln enthalten, zwischen denen sich zahlreiche kleinere Spindeln finden. Alle diese Spindeln sind dicht und fein bedornt. In der Rinde des sterilen Stammes treten kleinere, meist longitudinal gerichtete Spindeln von 2,; mm Länge und 0,18 mm Dicke auf, die mit hohen, oft verzweigten Dornen besetzt sind; außerdem finden sich zahl- reiche kleinere bis 0,5; mm lange, sehr dicke und riesig bedornte Spindeln, Keulen, Vierstrahler und un- regelmäßige Körper vor. In den Kanalwänden liegen einzelne größere, bis 2,5; mm lange, 0,25 mm dicke, gleichmäßig mit abgerundeten Dornen besetzte Spindeln, neben zahlreichen kleineren sehr weit be- dornten, die 0,15 bis ı mm lang sind. Die Farbe der gesamten Kolonie ist dunkel-goldgelb. Vorstehend beschriebene Form darf nicht mit Sp. Klunzingeri identifiziert werden, sondern bildet eine eigene Art. Aufbau der Kolonie, Bewehrung der Polypen, plumpere Gestalt der Polypenspicula, riesige Größe der Rindenspicula sind die wichtigsten Unterscheidungsmerkmale. Es ist mir indessen wahrscheinlich, daß diese Form bereits KrunzingEer vorgelegen hat und von ihm als var. major seiner Sp. ramulosa beschrieben worden ist. Entscheidend dafür, daß vorliegende Form nicht eine Größenvarietät von Sp. Klunzingeri ist, sind die Befunde an einem kleinen Exemplar aus der Harrmeverschen Sammlung. Dieses Exemplar stellt eine junge Kolonie von 2,6 cm Höhe, 1,9 cm größter Breite dar. Der sterile Stammteil ist ı cm hoch und ebenso breit. Die Kolonie hat ganz den gleichen Aufbau wie das große Exemplar dieser Art, nur ist die Entwickelung der Aeste in einer Ebene nicht so deutlich ausgeprägt. Die Endäste sind etwas kürzer und die Polypenbündel kleiner, nur etwa 6 Polypen enthaltend. Dagegen ist der Bau der Polypen bei beiden Formen identisch, bis auf die etwas geringere Zahl der Polypenspicula, die zu höchstens 6 Paar in jeder Doppelreihe an- geordnet sind, und ihre geringere Größe von 0,2 mm für die unteren, 0,5 mm für die obersten vor- ragenden Spicula. Mit der Größendifferenz der Spicula stimmt auch die der Polypen überein, welche bei der kleinen Form 0,52 mm hoch, 0,68 mm breit sind. In ganz der gleichen Weise sind auch die anderen Spicula an Größe reduziert, so finden sich in der Stammrinde nur bis 3 mm lange Spindeln vor, im übrigen aber von ganz der gleichen Gestalt und Bedornung wie die des großen Exemplares. Die Farbe des sterilen Stammteiles ist hellgelb, des polypentragenden Teiles braungelb, der Polypen- köpfchen heller. Fundort; Golf von Suez. 55 Ueber einige Korallentiere des Roten Meeres, 55 Es ist gar keine Frage, daß das eben beschriebene kleine und das große Exemplar zu einer Art gehören. Wäre das große Exemplar eine var. major von Spongodes Klunzingeri, so müßte das kleine Exemplar erst recht der Sp. Klunzingeri ähnlich sein, was ganz und gar nicht, der Fall ist. Von Interesse ist es, die Verhältnisse der jugendlichen Kolonie mit denen der erwachsenen zu ver- gleichen. Die wesentlichsten Charaktere, Aufbau, Polypenbewaffnung, Form und Bedornung der Spicula sind die gleichen, verschieden ist nur beim großen Exemplar die deutlichere Entwickelung der Kolonie in einer Ebene, die größere Zahl der zu einem Bündel vereinigten Polypen, deren Größenzunahme und die Größenzunahme aller Spicula. Das sind Wachstumserscheinungen innerhalb der- selben Art, und es ist daher die Verschiedenheit in den Größenverhältnissen ins- besondere der Spicula niemals ohne weiteres zur Unterscheidung zweier Spon- godesarten zu verwerten. Spongodes Mayi steht sehr nahe der Spongodes spinifera Horms, dessen Originalexemplar mir zur Vergleichung vorliegt, und ich würde nicht zögern beide Formen, trotz der weiten Entfernung ihrer Fundorte — das Originalexemplar von Spongodes spinifera stammt von den Fidjiinseln — zu ver- einigen, wenn nicht ein Unterschied vorhanden wäre, der sich mir bei der Untersuchung anderer Arten der Gattung Spongodes als sehr wesentlich erwiesen hat. Es ist das die Polypenbewehrung. Bei Sp. spinifera bestehen nur die beiden seitlichen Doppelreihen aus größeren Spicula, von denen die obersten ein wenig über das Köpfchen vorragen, während die anderen Doppelreihen weniger, beträcht- lich kleinere und nicht vorragende Spicula besitzen. Dagegen ist bei Sp. Mayı die Zahl und Größe der Polypenspicula in allen Reihen ungefähr gleich, und vor allem ragen die obersten Spicula sämt- licher Doppelreihen meist sehr beträchtlich über das Köpfchen hervor. Ferner ragt das Stützbündel bei Sp. spinifera doppelt so weit über das Köpfchen hervor als bei Sp. Mayi. Endlich fehlen bei letzterer Form der ringförmige polypentragende Wulst oder blattartige Zweige. ı. Spongodes Hartmeyeri n. sp. ar 10%, bg ang tan NA Dies Dir In der HAarrmEvERschen Sammlung fand ich ein Exemplar einer sehr schönen Spongodesart, das an der afrikanischen Küste des Golfes von Suez gesammelt worden ist. Die Kolonie ist 5,6 cm hoch, wovon auf den sterilen Stammteil 3,9 cm entfallen. Der sterile Stamm ist walzenförmig, durchschnittlich ı,2 cm breit und nur ganz unten etwas schmäler. Der wenig ent- wickelte polypentragende Teil besteht aus einigen sehr kurzen und dicken Hauptästen, von denen die kurzen polypentragenden Seitenzweige abgehen. Die Polypen stehen in Bündeln zu 7—ı0, nur an den Enden der Zweige dichter, an den Hauptästen vereinzelter. Die untersten Aeste sind schwach blattförmig verbreitert. Die Polypenköpfchen sind 0,8 mm hoch, ı mm breit und sitzen in stumpfem, fast rechtem Winkel am kurzen, ca. ı mm langen Polypen- stiel. Ihre Bewehrung besteht aus 8 Doppelreihen von Spindeln zu je 5—6 Paar, von denen die unteren 0,3 mm lang sind, während eines der oberen bis 0,6 mm Länge erreicht und meist etwas über das Köpfchen vorragt (Fig. 21, Taf. V). Meist konvergieren die Spindeln wenig, sondern sind mehr longitudinal am Köpfchen angeordnet und infolgedessen nicht eingeknickt. Sie sind mit abgerundeten Dornen besetzt, die nur im vorragenden Teile der obersten Polypenspicula stärker und spitzer werden, und nach oben gerichtet sind. Eines der Stützbündelspicula kann eine Länge von 4 mm, bei einer Dicke von 0,4 mm, erreichen und bis 0,5 mm vorragen. 5 6 Ueber einige Korallentiere des Roten Meeres. 56 Die Bedornung der Stützbündelspicula ist eine schwache, nur an der freien Spitze sind die Dornen größer, spitzer und schräg nach oben gerichtet. Die Rinde der Hauptäste ist dicht erfüllt mit großen, sehr dicken, fein bedornten Spindeln, bis zu 5 mm Länge und 0,5; mm Dicke. Aehnliche, aber etwas kleinere und schlankere Spindeln mit stärkerer Bedornung liegen dicht in der Rinde des oberen sterilen Stamm- teiles, neben zahlreichen kleineren, weit bedornten Spindeln, die bis zu 0,17 mm Größe herabgehen. In der unteren Stammrinde sind die Spindeln bis 2 mm lang, 0,17 mm dick und mit sehr langen oft verzweigten Dornen besetzt. Kleinere Formen, welche daneben vorkommen, gewinnen durch die überaus starke Bedornung ein unregelmäßiges Aussehen. Die Kanalwände enthalten neben ver- einzelten Dreistrahlern stark gekrümmte Spindeln, die mit sehr wenigen flachen Dornen besetzt sind. Der Stamm der lebenden Kolonie ist farblos und ‚durchscheinend, nur die Polypen sind blaßrosa ge- färbt. Wie die Abbildung Fig. ıı zeigt, welche nach dem konservierten Exemplare gemalt worden ist, hat sich die Farbe im Alkohol nicht verändert. Die Färbung der Polypen rührt von den rot ge- färbten Spicula her. In Bezug auf Polypenbewehrung schließt sich diese Form am nächsten an Sp. Mayi an, von der sie sich aber, wie ein Vergleich der beiden Abbildungen lehrt, im Aufbau der Kolonie, Gestalt der Spicula etc. genügend unterscheidet. 12. Spongodes Ehrenbergi n. sp. en 1, Die, 125 Man N, Nie, 22. Von dieser neuen Art liegen mir 4 Exemplare vor, welche von HARTMEYER an der afrikanischen Küste der Bai von Suez gesammelt worden sind. Die größte Kolonie, welche auf Taf. IV, Fig. ı2 abgebildet ist, ist 6,9 cm lang, wovon auf den walzenförmigen, 1,5; cm im Durchmesser fallenden sterilen Stammteil 4 cm kommen. Eine zweite Kolonie ist mit dem 2 cm hohen sterilen Stamm 3,9 cm hoch. Der Stamm teilt sich in eine Anzahl kurzer Hauptäste, die kurze, polypentragende Seitenäste nach allen Richtungen abgeben. Auf letzteren sitzen die Polypen in Bündeln von 5—8 Stück, die stark divergieren, so daß der gesamte obere Teil der Kolonie ziemlich gleichmäßig mit Polypen besetzt erscheint. Die Polypen sind 0,8 mm hoch, 0,85 mm breit und stehen in stumpfem Winkel an den bis 2 mm langen Polypenstielen (Fig. 22, Taf. V). Ihre Bewehrung besteht aus sehr deutlichen Doppelreihen von 4—5 Spiculapaaren, von 0,3 mm Länge. Nur eines der obersten ist bis 0,5; mm lang, kann etwas über das Köpfchen vorragen und zeigt als- dann eine sehr kräftige Bewehrung mit langen, schräg nach oben gerichteten Dornen. Von den Spicula des Stützbündels wird eines bis 2,5; mm lang und kann 0,3—0,5 mm vorragen. Das freie Ende ist nicht glatt wie bei Sp. Hemprichi, sondern mit starken, schräg nach oben gerichteten Dornen besetzt. Auffällig ist auch die Dicke der meisten Stützbündelspicula bis zu 0,32 mm. In der Astrinde liegen zahlreiche fein bedornte, meist gekrümmte Spindeln bis 2 mm Länge und 0,2 mm Dicke. „Daneben kommen auch Keulen und vereinzelt sehr merkwürdige ovale, weit bedornte Körper von 0,25 mm größtem Durchmesser vor. In der unteren Stammrinde liegen zahlreiche stärker bedornte Spindeln von allen Größen zwischen 0,085 und 2 mm, sowie Dreistrahler. In den Kanalwänden liegen vereinzelte dicke, meist gebogene Spindeln, die mit weitstehenden, abgerundeten, flachen Dornen besetzt sind. Im größten Exemplare erreichen diese Spicula 3,5 mm länge und 06 mm Dicke Die Farbe der Kolonien variiert etwas von hellerem bis zu dunklerem Rot und beruht auf der Färbung der Spicula. Im Leben ist die Farbe nach HArTmEvyERsS Angabe weinrot. Die Polypen sind gelblich gefärbt. En Ueber einige Korallentiere des Roten Meeres. 57 Diese interessante Form steht der Sp. Hemprichi am nächsten, trotz des total verschiedenen Aufbaues. Bei letzterer Form hatte ich eine Varietät arborescens beschrieben, der vorliegenden Art am nächsten kommt. Freilich sind auch hier noch recht erhebliche Unterschiede im Aufbau vorhanden, indem bei Sp. Ehrenbergi ein langer steriler Stammteil vorhanden ist, der jener Varietät wie Sp. Hemprichi überhaupt fehlt. Auch die Verzweigung ist bei vorliegender Art eine viel intensivere. Dagegen ähneln sich die Polypenköpfchen in ihrer Bewaffnung bei beiden Formen. Der haupt- sächlichste Unterschied ist die starke Bedornung der obersten Enden der vorragenden Spicula des Stützbündels, die bei Sp. Hemprichi oben glatt sind, sowie die enorme Dicke dieser Spicula. Auch die übrigen Spicula weisen Unterschiede bei beiden Formen auf, insbesondere stehen die ovalen be- dornten Körper in der oberen Astrinde von Sp. Ehrenbergi ganz einzig da und konnten bei keinem Exemplare von Sp. Hemprichi beobachtet werden. Artliche Unterschiede sind also vorhanden, beide Formen sind aber trotz des verschiedenen Aufbaues nahe miteinander verwandt. Uebergänge von einer Form zur anderen konnten indessen nicht konstatiert werden. Auch die beiden anderen neubeschriebenen Formen Sp. Mayi und Sp. Ehrenbergi zeigen im Bau der Polypen manches Uebereinstimmende, und man kann diese 5 Spongodesarten des Roten Meeres, Sp. Hemprichi, Sp. Ehrenbergi, Sp. Klunzingeri, Sp. Mayi und Sp. Hartmeyeri, als zu einer Artengruppe gehörig zusammenfassen, trotz des so verschiedenartigen Aufbaues ihrer Kolonien. Ich bin am Schlusse. Von anderen Alcyonaceen sind bis jetzt aus dem Roten Meere beschrieben worden aus der Familie der Tubiporiden 2 Arten (Tubipora Hemprichi Eure. und T. purpurea Parr.), aus der Familie der Siphonogorgiiden ı Art (Siphonogorgia mirabilis Krzer.), aus der Familie der Alcyoni- iden ı6 Arten [Alcyonium sphaerophorum (EHre.). A. pauciflorum (Eure), A. polydactylum (EHre.), A. brachyclados (EHre.), A. rubiformis (Eure), A. leptoclados (EHrB.), A. aurum Gray, A. globuliferum Kızer, A. digitulatum Kızer., A. pachyclados Kızer, A. gyrosum Kızer, A. elegantissimum May, Sarcophytum glaucum (O.-G.) var. pauperculum Marexz, S. Ehrenbergi Marexz, S. trocheliophorum Marenz, Lobophytum pauciflorum (EHr».). Wie die Arbeit von MARENZELLER (1886) für einige dieser Formen zeigt, vermag eine erneute und vertiefte Untersuchung auch an diesen in vorliegender Arbeit nicht behandelten Arten manches Neue zu Tage fördern. Mir kam es in meinen Ausfüh- rungen darauf an, nachzuweisen, daß selbst so oft beschriebene und in fast allen Sammlungen ver- tretene Arten von Alcyonarien wie die des Roten Meeres recht ungenügend bekannt sind, und daß eine gründliche Revision dieser Korallentiere ein dringendes Erfordernis ist. Jenaische Denkschriften. XI. 8 Festschrift Ernst Haeckel. - 58 1775 1817 1828 1833 1834 1862 1874 1876 1877 1884 1886 1888 1889 1891 1895 1895 1895 1899 1889 1900 1902 1902 1902 1903 Ueber einige Korallentiere des Roten Meeres. 5 g Verzeichnis der zitierten Literatur. FORSKAL, Descriptiones animalium, quae in itinere orientali observavit. Havniae.: SAVIGNY, Descr. de P’Egypte, Hist. nat. Polypes. Aupouimn, V., Explication sommaire des planches des Polypes de l’Egypte et de la Syrie, publiees par JuLEs CEsaR SAvIGanYy dans: Description de l’Egypte, 1% SONNE Quoy et GAIMARD, Voy. Astrolabe, Zool., T. IV. EHRENBERG, Korallentiere des Roten Meeres, in: Abh. Akad. Wiss. Berlin, 1832. Gray, J. E., Description of some new species of Spongodes and of a new allied genus (Morchellana) in the collection of the British Museum, in: Proc. Zool. Soc. London. KÖLLIKER, Die Pennatulide Umbellula und zwei neue Typen der Alcyonarien, in: Festschr. Phys.-med. Ges. Würzburg. HaAEcKEL, Arabische Korallen. KLUNZINGER, Die Korallentiere des Roten Meeres, Teil I. Hıckson, On the ciliated groove (Siphonoglyphe) in the stomodaeum of the Alcyonarians, in: Phil. Trans. Roy. Soc. London. b vV. MARENZELLER, Ueber die Sarcophytum benannten Alcyoniüden, in: Zool. Jahrb., Bd. I. STUDER, TH., On some new species of the genus Spongodes Less. from the Philippine Islands and the Japanese seas, in: Ann. Mag. of Nat. Hist. WRIGHT and STUDER, Report on the scientific results of the voyage of H. M.S. „Challenger“ 1873— 1876, Vol. XXXT, Alcyonaria. v. Koch, Die systematische Stellung von Sympodium coralloides PArr. in: Zool. Jahrb., Syst., Bd. V. Hıckson, A Revision of the genera of the Alcyonaria stolonifera, in: Trans. Zool. Soc. London. BOURNE, On the structure and affinities of Heliopora coerulea PALLAs, with some observations on the structure of Xenia and Heteroxenia, in: Phil. Trans. Roy. Soc. London, Vol. CLXXXVI. Horım, O., Beiträge zur Kenntnis der Alcyonidengattung Spongodes Less., in: Zool. Jahrb., Syst, Bd. VIII. May, W., Beiträge zur Systematik und Chorologie der Alcyonarien, in: Jena. Z. Naturw., Bd. XXXII. ASHWORTH, The structure of Xenia Hicksoni n. sp., with some observations on Heteroxenia Elisabethae KÖLLIKER, in: Quart. Journ. Microsc. Science, Vol. XLII. Hıckson and Hırzs, The Stolonifera and Alcyonaria collected by Dr. WILLEY in New Britain etc., in: WILLEys Zool. Results, Part IV, Cambridge University Press. KÜKENTHAL, W., Diagnosen neuer Alcyonarien aus der Ausbeute der deutschen Tiefsee-Expedition, in: Zool. Anz., Bd. XXV. — Versuch einer Revision der Alcyonarien, I. Die Familie der Xeniüden, in: Zool. Jahrb., Syst, Bd. XV. BURCHARDT, E.,, Alcyonarien von Thursday Island (Torresstraße) und von Amboina, in: SEMoN, Forschungsreisen, Bd. V. KÜKkENTHAL, W., Versuch einer Revision der Alcyonarien, II. Die Familie der Nephthyiden, Teil I, in: Zool. Jahrb., Syst., Bd. XIX. . Zur Morphologie des Manubrium _ sterni. Dr. H. Eggeling, Privatdozent und Prosektor am Anatom. Institut der Universität Jena. Mit Tafel VI und 43 Figuren im Text. Die Funktionsweise der oberen Extremität bestimmt im wesentlichen den Bau des Schulter- gürtels, sowie die Art seiner Anfügung an das Skelet des Körperstammes. Unter demselben Gesichts- punkt sind auch die sehr verschiedenen Formen des Brustbeines bei Sauropsiden und Säugern zu be- trachten, weil das Sternum mit seinem kranialen Ende vielfach eine festere Verbindung mit Teilen des Schultergürtels eingeht. Deshalb ist vor allen Dingen ein Verständnis der außerordentlich wechselnden Gestaltung des Brustbeinhandgriffes der Säugetiere nur zu erreichen durch eingehende Berücksichtigung der Beziehungen zwischen Manubrium und Schultergürtel. Eine Durchsicht der bezüglichen Angaben in den neueren Lehrbüchern der menschlichen und vergleichenden Anatomie zeigt, daß über die Morphologie des Manubrium sterni noch keine völlige Einigkeit besteht. Das Schicksal des als Episternum bezeichneten Skeletelementes, das einen Teil des Schultergürtels mancher Reptilien bildet, und vor allem der Grad der Anteilnahme des Episternum am Aufbau des im übrigen von Rippen gebildeten Manubrium sterni der Säuger und des Menschen be- darf noch weiterer Aufklärung. Ontogenetische und vergleichend-anatomische Untersuchungen zahl- reicher Forscher haben bereits die Grundlagen zur Lösung dieser Fragen geliefert. Einen weiteren Schritt zur Klärung der strittigen Punkte können wir hoffen auf einem anderen Wege zu tun. Bei den bisherigen Erörterungen über die Morphologie des Brustbeines haben 2 Knöchelchen, die man bis- weilen am oberen Rande des menschlichen Manubrium sterni findet, eine wichtige Rolle gespielt. Unser Wissen von dem Vorkommen und den verschiedenen Erscheinungsformen dieser Ossa suprasternalia ist aber trotz mancher vorliegenden Schilderungen noch sehr beschränkt. Auch die große Variabilität in der Gestaltung des oberen Brustbeinrandes des Menchen, die gewiß jedem bekannt ist, der sich etwas näher mit menschlicher Östeologie beschäftigte, hat bisher nicht die genügende Berücksichtigung erfahren. Wenn wir versuchen, durch die Vergleichung einer großen Zahl menschlicher Manubria sterni diese Lücke in unseren Kenntnissen vom Bau des menschlichen Körpers auszufüllen, dürfen wir hoffen, auch einen Beitrag zur Morphologie des Manubrium sterni der Säuger im allgemeinen liefern zu können, da ontogenetische und vergleichend-anatomische Befunde mancherlei Berührungspunkte darbieten. Vielleicht „leistet in diesem Falle die einfache Vergleichung vieler entwickelter Individuen derselben lebenden Species mehr als die subtilste ontogenetische Untersuchung.“ (M. FÜRBRINGER 1902.) Wir werden uns also zunächst mit den Formverhältnissen des menschlichen Manubrium sterni befassen, dessen Beziehungen zu den Rippen und vorzüglich die Gestaltung seines oberen Randes, die Verbindung mit den Schlüsselbeinen, das Verhalten der Ossa suprasternalia und endlich die Vorgänge bei der Ontogenese erörtern. Weiterhin werden wir tierische Befunde zur Vergleichung heranziehen und endlich die aus unseren Beobachtungen sich ergebenden Schlüsse besprechen. 62 Zur Morphologie des Manubrium sterni. 62 I. Das Manubrium sternı des Menschen. Eine gerade Linie, welche an dem Brustbein eines erwachsenen Menschen die kranialen Enden der beiderseitigen Anfügestellen des ersten Rippenpaares an das Manubrium untereinander verbindet, trennt von dem Brustbeinhandgriff einen Streifen ab, welcher mehr oder weniger in kranialer Richtung über das Niveau der ersten Rippen hinausragt. Dieser kraniale, präkostale Fortsatz des Brustbeines steht in Verbindung mit den Claviculae und erweckt ganz besonders unser Interesse. Das 2. Rippenpaar ist gewöhnlich an der Vereinigungsstelle von Manubrium und Corpus sterni angefügt, besitzt also Be- ziehungen zu diesen beiden Brustbeinabschnitten. Die meisten Schilderungen des oberen Brustbeinrandes geben an, daß derselbe drei mehr oder weniger flache Einschnitte aufweist, eine median gelegene Incisura jugularis oder semilunaris und seitlich davon jederseits eine Incisura clavicularis. Die Zahl derjenigen Autoren, welche auf die nicht seltenen Abweichungen in der Gestalt des oberen Brustbeinrandes von dieser klassischen Schilderung hinweisen, ist sehr gering. PorraL (1804, S. 315) gibt an, daß bei hochstehender Schulter und Schulter- blatt die Incisura clavicularis niedriger ist, wahrscheinlich durch Druck der Clavicula auf das Sternum. Nach der Darstellung von M. I. WEBER (1845, S. 231) ist die Incisura jugularis „bei den verschiedenen Subjekten oft sehr verschieden gebildet; manchmal breit, manchmal sehr schmal, stärker oder schwächer ausgeschweift, ja manchmal gar nicht, im Gegenteil prominierend“ Recht eingehend ist die Schilderung von LuscHhkA (1859, S. 14). Er sagt: „Die Größe und die Gestaltung der Incisura semilunaris zeigt schon innerhalb des Breitegrades der Normalität bedeutende Schwankungen und besitzt bei der Existenz von Suprasternalknochen einen sehr abweichenden Typus. Bei ganz regelmäßiger Bildung stellt sie einen konkaven abgerundeten Rand dar, welcher gegen die hintere Seite steil, nach vorn dagegen ganz allmählich abfällt. Bei den meisten erwachsenen Menschen hat der Ausschnitt eine Breite von 2,5 cm und eine größte Tiefe von 4 mm. In extremen Fällen findet sich eine Breite einerseits von 3, anderer- seits von nur ı cm und eine größte Tiefe von 6 und von 3 mm. — Gegen sein Ende geht der erhabenste Teil dieses Randes jederseits sehr häufig in eine rundliche Rauhigkeit über, die jedoch ihrer Flachheit wegen die Aufmerksamkeit kaum auf sich zieht und, je nach der Breite der Incisura, ent- weder unmittelbar an den Schlüsselbeinausschnitt angrenzt oder durch einen schmalen, etwas vertieften Zwischenraum von ihm geschieden ist. — Nicht selten finden sich, zumal bei schmaler Incisur, an den Stellen dieser unscheinbaren Erhebungen größere, durch ihre Höhe und durch ihren Umfang sehr augenfällige, rundliche Knochenvorsprünge, welche sich hügelartig zwischen der Incisura semilunaris und dem höchsten Punkte des Schlüsselbeinausschnittes erheben. — Diese kleineren oder größeren Knochen- erhebungen nehmen die Aufmerksamkeit dadurch in Anspruch, daß an ihnen durch einen kurzen Band- streifen die Anheftung des Meniscus der Sternoclavicularverbindung statthat und daß sie ohne allen Zweifel die Andeutungen der unter Umständen als eigene Skeletteile auftretenden Suprasternalknochen sind.“ Dursy (1863, S. 28) erwähnt, daß mitunter die Incisurae claviculares auf Kosten der Incisura jugularis sehr nahe zusammenrücken. Arsy (1868, S. 170) beobachtete, daß der obere Rand des Manubrium zu einem queren ansehnlichen Wulste aufgeworfen war. Auch PanscH (1875, S. 561) weist darauf hin, daß an den lateralen Enden der Incisura jugularis öfters Erhebungen von sehr verschiedener Gestalt und Größe vorkommen. Dieselben erscheinen bisweilen als mit dem Brustbein verwachsene Ossa suprasternalia und werden als suprasternale Fortsätze bezeichnet. Panschs Fig. 2 zeigt einen solchen Fall, in welchem an der lateralen Seite der Fortsätze der Meniscus des Sternoclaviculargelenkes 6 3 Zur Morphologie des Manubrium sterni. 6 3 befestigt ist. Nach Sarpey (1876, S. 332) schwankt die Breite der Incisura jugularıs zwischen 30 und 7—8 mm. v. BARDELEBEN (1879, S. 148, 149) hebt hervor, daß manchmal in der Mitte des oberen Randes des Brustbeins ein kleiner unpaarer Knochenvorsprung sich zeigt. Beim Erwachsenen bleibe stets eine relativ breite Knorpelbrücke von der Clavicula durch den oberen Teil des Meniscus zum Sternum herüber bestehen. Außerdem persistiere am äußeren Teil des oberen Randes des Manubrium ein mehrere Millimeter (ca. 6—8) breiter Knorpelstreif. Die Ausdehnung und Tiefe der Incisura jugularis ist nach der Darstellung von PoIRIER (1892, S. 335) sehr variabel. Bisweilen endigt sie an beiden Seiten mit einem Tuberculum oder einer Reihe von Rauhigkeiten, welche der Insertion des Lig. sternoclaviculare superius entsprechen. Tubera suprasternalia in Form von Erhebungen am oberen Brustbeinrand und zu beiden Seiten der Incisura jugularis fand Strauch (1881, S. 45) auch bei sorgfältigster Präparation stets klein, rundlich, mit glatter Oberfläche, ohne Spur eines os suprasternale im Gegensatz zu der An- nahme von Hente (1871, Bd. ı, S. 61), daß solche Erhebungen stets freie Knöchelchen getragen haben. Strauch beobachtete unter 100 männlichen Brustbeinen 5 Präparate mit Tubera suprasternalia, und zwar waren sie 2mal beiderseitig, ımal nur links, 2mal nur rechts vorhanden. Im ganzen handelt es sich also um 7 Tubera auf 200 Brustbeinhälften— 3,5 Proz. Unter 100 weiblichen Brustbeinen konnte STRAUCH _ nur ımal beiderseitig Tubercula suprasternalia nachweisen — ı Proz. Genauere Angaben über die Häufigkeit der verschiedenen Formen des oberen Brustbeinrandes bringt KırcHNER (1898, S. 131). Er fand unter 27 Brustbeinen, die er in Göttingen untersuchte, bei 7 Exemplaren eine stark ausgeprägte Incisura jugularis bis zur größten Tiefe von 0,6 cm, bei 7 anderen war die Incisur nur mäßig vertieft, in 10 Fällen flach und sehr flach, bei zweien fast wagerecht und an einem Präparat sogar negativ. Die größte von Kirchner beobachtete Breite der Incisur betrug 3,4 cm, die geringste kaum ı cm. Noch ausführlicher sind die Mitteilungen von PAtErson (1901a). Dieser Forscher untersuchte das Verhalten des oberen Brustbeinrandes an 563 Sternis von verschiedenem Alter. Er fand, daß bei 467 Präparaten—83 Proz. der suprasternale Einschnitt den als normal geschilderten Befund aufweist. Die übrigen 36 Fälle=17 Proz. zeigten Abweichungen von der Norm nach zwei verschiedenen Richtungen, begleitet vom Fehlen der Incisura jugularıs. In 5ı Fällen—3 Proz. bestand Neigung zur Bildung eines einzigen medianen Vor- sprunges an Stelle des Einschnittes. In einigen Fällen war der Rand flach, in manchen konvex und in den meist ausgeprägten Fällen war ein deutlicher medianer Vorsprung vorhanden. Im 45 Fällen—8 Proz. fanden sich an dem oberen Brustbeinrand 2 laterale Vorsprünge in Form von Erhebungen oder Tuber- keln (bisweilen mit Gelenkflächen versehen). In einem Falle war ein ausgesprochener Höcker auf der einen Seite und auf der anderen Seite nur ein niedriger mit einer Gelenkfläche versehener Vorsprung vorhanden. Die große Variabilität in der Gestaltung des oberen Brustbeinrandes auch am jugendlichen Brustbein erhellt aus den der Arbeit von Markowskr (1902) beigegebenen zahlreichen Abbildungen. Eine viel eingehendere Berücksichtigung finden in der Literatur die Ossa suprasternalia. Die erste von B£cLarp (1820, S. 418) herrührende Schilderung der von ihm als points prester- naux oder sussternaux bezeichneten Knöchelchen ist nur eine ganz dürftige. Ausführlicher spricht sich BRESCHET (1838) über dieselben aus. Er hält die Knöchelchen für normale Bildungen wegen der Regelmäßigkeit ihrer Lagerungsbeziehungen, ihres Volums, ihrer Gestalt und ihrer organischen Zu- sammensetzung (S. 98). Er will sie ziemlich häufig beobachtet haben und stellt in Beschreibungen und guten Abbildungen 4 von ihm beobachtete Fälle dar. 3 derselben betreffen Erwachsene, bei denen nur ımal die Knöchelchen selbständig, 2mal dagegen mit dem Sternum fest verbunden, wenn auch deutlich unter- scheidbar waren. Die freien Knöchelchen sind in einem Gelenk dem Sternum angefügt (S. 100, 101, Fig. ı, 3, 4). Der vierte Fall betrifft ein jugendliches Brustbein. Ueber eine einmalige Beobachtung 6 A Zur Morphologie des Manubrium sterni. 6 4 von Ossa suprasternalia an einem 25-jährigen gesunden Mann berichtet Kınag (1840), ohne seinen Befund näher zu schildern, gibt aber eine gute Abbildung. Einen weiteren Fall teilt Knox (1843) mit. Nach Hvurcnmsons Abbildung (1847—52, S. 1023, Fig. 660d), die eine ungenaue Wiedergabe einer Figur in der Abhandlung von BRESCHET zu sein scheint, liegen die Knöchelchen in der Incisura jugularis. Wohl die genaueste Beschreibung der Ossa suprasternalia sowie des ganzen oberen Brustbeinrandes rührt von LuscHkaA (1853, 1859) her. Er bezieht sich ausdrücklich auf 3 von ihm beobachtete Fälle von Suprasternalknochen, hat aber wohl noch andere kennen gelernt. Wahre Ossa suprasternalia ge- hören nach seiner Angabe zu den allergrößten Seltenheiten. Dieselben besitzen aber wegen einer ge- wissen Gesetzmäßigkeit nach Lagerung, Verbindung und Form einen höheren morphologischen Wert. Vielfach werden ihnen wohl Dinge zugerechnet, die in Wirklichkeit anders zu deuten sind. „So ist es die Knorpelusur im Sternoclaviculargelenke, welche ungemein häufig an Leichen aus der schwer arbeitenden Klasse, worauf schon CRUVEILHIER (Anatomie pathologique, Livr. IX, p. ı2) aufmerksam machte, vorkommt und in deren Gefolge nicht selten knorpelige und knöcherne Neubildungen, zumal am inneren Umfang des Gelenkes, in Form abgerundeter und von Fasermasse umgebener Stücke auf- treten, die bei nicht genauer Nachforschung und näherer Kenntnis der Ossa suprasternalia als solche imponieren können. Wie vom Schlüsselbein-Brustbeingelenk ausgegangene Neubildungen zu Ver- wechselungen Anlaß geben können, so werden auch vom oberen Brustbeinrande ausgehende, sowie durch Entartungen des Lig. interclaviculare und der in der Nähe des oberen Semilunarrandes ent- springenden Muskeln veranlaßte Knochen- und Faserproduktionen Täuschungen herbeiführen können.“ Die wahren Ossa suprasternalia ruhen auf dem oberen halbmondförmigen Ausschnitt des Manu- brıum näher dem hinteren als dem vorderen Rande, an der medialen Seite der Sternoclavicular- Artikulation. In der Regel sind es 2 symmetrisch angeordnete Knöchelchen (BRESCHEr soll sehr selten ein Zerfallensein in 3—4, aber unregelmäßig gelagerte Stückchen beobachtet haben), deren Form sehr an das Os pisiforme der Handwurzel erinnert. Sie besitzen also eine ausgedehnte, freie, konvex geformte Oberfläche und eine beschränkte, im ganzen plane Fläche zur Verbindung mit dem Brustbein. Einseitig beobachtete Luschka einmal ein mehr eckiges Knöchelchen mit a Flächen. Die Größe soll im Durchschnitt die des Pisiforme sein, aber es bestehen mancherlei Differenzen, die größte von LuscHhkAa beobachtete Höhe betrug 8 mm, die größte Breite ı2 mm. „Die Ossa suprasternalia bestehen vorwiegend aus spongiöser Substanz und zeigen an der Peri- pherie eine nur ganz dünne kompakte Lamellee Ueberzogen sind sie von einer verhältnismäßig dicken, dem Perioste ähnlichen Faserschicht, welche sehr fest adhäriert und durch Erfüllung des zwischen beiden Beinchen gebliebenen Zwischenraumes zur Verbindung derselben beiträgt“ (1853, S. 38). Der Darstellung der Verbindung der Ossa suprasternalia mit dem Manubrium schickt Luscaka eine Schilde- rung des oberen Brustbeinrandes voraus, die bereits oben teilweise wiedergegeben ist und folgender- maßen fortfährt: „In denjenigen Fällen, in welchen der obere Rand der Handhabe des Brustbeines Suprasternalknochen trägt, erscheint er in Form von 2, ein wenig schief nach rückwärts ansteigenden Hügeln, welche mit planen oder schwach konvexen Endflächen versehen sind und für die Ossa supraster- nalia eine Art von Piedestal abgeben. Zwischen diesen beiden Erhebungen kommt gewöhnlich eine nur schmale, kaum 5 mm breite Kerbe vor, welche dem halbmondförmigen Ausschnitte entspricht. Die Hügel stoßen meist nicht unmittelbar an das innere Ende der Schlüsselbeinausschnitte an, sondern es findet sich zwischen beiden ein kleinerer oder größerer, ein wenig vertiefter Zwischenraum“ (1853, S. 14, 15). Mit diesen pyramidalen Erhebungen sind die Knöchelchen seltener durch ein vollständiges Gelenk, häufiger durch Synchondrose verbunden, die eine gewisse geringe, durch Bänder noch ein- u 6 5 Zur Morphologie des Manubrium sterni. 65 geschränkte Beweglichkeit gestattet. „Die der Verbindung dienende Knorpelmasse besitzt eine Dicke von 12 mm und zeigt sich in der der Knochensubstanz zunächst liegenden Schicht aus hyalinem Knorpel mit meist nur vereinzelten, einfachen Knorpelkörperchen versehen, während man in der mittleren Partie eine faserige Grundsubstanz mit vielen zusammengesetzten Knorpelzellen findet. Es ist diese Synchondrose umgeben von einer stärkeren Schicht von jener dichten, die Knöchelchen überziehenden Faserhaut, in welcher man aber, zum Beweise ihrer Verschiedenheit von der Synchondrosenmasse, keine Spur von Knorpel- zellen vorfindet. — Die Ossa suprasternalia besitzen ihnen eigentümliche, sehr beträchtliche Befestigungs- bänder. An jedem Beinchen werden zwei Faserbänder gefunden. Das eine biegt nach vorn, geht vom vorderen Rande der Incisura semilunaris super. ab und erstreckt sich bis gegen das obere Ende der vorderen Fläche eines Suprasternalbeines. — Da die Suprasternalbeine um 3—4 mm nach hinten vom vorderen Rande des halbmondförmigen Ausschnittes liegen, so steigt das Band merklich schief nach rückwärts aufwärts. Das Band am hinteren Umfang ist etwas kürzer und schmäler und bietet eine senkrechte Richtung dar. — Eine ganz besondere Berücksichtigung verdient das Verhältnis der Nachbar- teile zu den Suprasternalknochen. Hier ist es vor allem der Zwischengelenksknorpel des Sternoclavicular- gelenkes, welcher eine nahe Beziehung zu jenen Knochen zeigt, indem er durch eine sehr feste Band- masse mit dem äußeren Umfange derselben in Verbindung steht, resp. an sie befestigt ist. — Das Lig. interclaviculare steht in keinerlei Beziehung zu jenen Knochen, indem es, durch ein straffes Binde- gewebe von ihnen geschieden, über sie hinweggeht. Auch das vordere und das hintere Verstärkungs- band des Sternoclaviculargelenkes haben nichts mit ihnen zu schaffen, da sie nach außen vor denselben sich ausbreiten. Ebenso findet sich, daß die Mm. sternocleidomastoidei nicht die entfernteste Beziehung zu den Ossa suprasternalia haben, indem dieselben mindestens 6 mm nach vorn von ihnen, unter dem vorderen Rande des oberen Brustbeinausschnittes ihre Insertionen finden“ (1853, S. 38, 39), Der Meniscus besitzt auch ohne Anwesenheit von Suprasternalknochen eine doppelte Anheftung. Von seinem oberen dickeren Ende geht ein starkes Band zum oberen Teil der Extremitas sternalis claviculae an eine nicht überknorpelte Stelle, ein anderes schwächeres Faserbündel befestigt sich am oberen medialen Ende der Incisura clavicularıs. Letzterer Bandzug ist bedeutend stärker beim Vorhandensein von Suprasternalknochen. Er setzt sich an deren oberen Umfang an und besitzt eine Breite von 2,5 mm, eine Länge von 5 mm. Unter dem Lig. interclaviculare finden sich noch Bandzüge, welche, quer ver- laufend, die beiden Ossa suprasternalia untereinander verbinden (1859, S. 16). Einen weiteren einzelnen Fall von Ossa supr. schildern Ramsaup und RenaUT (1864, S. 185, Anmerkung). Derselbe betrifft ein 30-jähriges Individuum. Die Knöchelchen waren 8 mm lang, 6 mm breit, 5 mm hoch. Wichtig ist die Angabe, daß dieselben die Gelenkhöhle für das sternale Ende der Clavicula vergrößern. An einem von Pansc# (1875, S. 553, Fig. ı) geschilderten und abgebildeten Präparate ist der obere Brustbeinrand zwischen den Gelenkflächen der Claviculae schmal, 26 mm breit. Er zeigt einen mittleren unregelmäßigen Einschnitt von ır mm PBreite mit einer größten Tiefe von 35 mm. Derselbe ist beiderseits begrenzt von zwei kleinen Erhabenheiten, Processus suprasternales. Auf diesen Höckern, die mehr an der hinteren Fläche des Manubrium liegen, finden sich kleine, wenig vertiefte Gelenkflächen, deren quergestellte Längsachsen etwas nach vorn konvergieren. Auf den Gelenk- flächen sitzen Ossa suprasternalia. Die Maße des linken Knöchelchens sind 5s mm Höhe, 10 mm Breite, 8 mm Tiefe, die entsprechenden Maße des rechten 5 mm, 7 mm, 5 mm. Fig. 3 zeigt außer- dem an einem ungewöhnlich breiten Brustbein zwei sehr große Gelenkflächen für Ossa suprasternalia, Die Knöchelchen selbst sind aber verloren gegangen. Jenaische Denkschriften. XI. 9 Festschrift Ernst Haeckel. 66 Zur Morphologie des Manubrium sterni. 66 Strauch (1881, S. 44, 45) hat mehrere Fälle von Tubera suprasternalia und selbständigen Ossa suprasternalia beobachtet. Die letzteren schildert er als kleine, etwas längliche Körperchen, die am hinteren oberen Rande der Incisura jugularis, nahe der Incisura clavicularis liegen und von dieser stets durch eine Vertiefung getrennt sein sollen. Die Längsachsen der Knöchelchen seien schräg von hinten lateral nach vorne medial gerichtet. Gewöhnlich ständen die Ossa durch ein fibröses Band unter- einander in Verbindung. Die von Strauch mitgeteilten Größenzahlen sind folgende: 1) einseitig 12 mm lang, 8 mm breit, 2) beiderseitig 8 mm lang, 6 mm breit, 9 mm voneinander entfernt, 3) beiderseitig ıo mm lang, 9 mm breit, [0 mm voneinander entfernt, 4) beiderseitig 8 mm lang, 6 mm breit, 9 mm voneinander. entfernt. Einen vereinzelten Fall von beiderseits selbständigen, kleinen Ossa suprasternalia in Erbsengröße erwähnen Ronmım und Laccht (1883, S, 65). CARWARDINE (1893) bildet in Fig. ı ein Manubrium sterni ab, an dessen oberem Rand einseitig ein Os suprasternale vorkommt, welches durch ein Gelenk mit dem Sternum verbunden ist. Fig. 2 desselben Autors zeigt ein Paar Tubercula suprasternalia, die auf ursprünglich selbständige, hier verschmolzene Knöchelchen zurückgeführt werden. Auch Anıhony (1898, S. 139, 140) schildert ein Präparat mit beiderseitigen Ossa suprasternalia. Seine Fig. 5o auf Tafel IV zeigt das Knöchelchen in einer Weise gegen die Incisura jugularis verlagert, wie es sonst nicht beobachtet wurde. Einige Fälle von Ossa suprasternalia will auch Bocusar (1902, S. 31) gesehen haben, doch geht aus der Darstellung nicht klar hervor, ob es sich nicht um tubercula supraster- nalia handelt. Die Mehrzahl der Lehrbücher erwähnt das Vorkommen von Ossa suprasternalia, ohne über deren Gestaltung eingehendere Angaben zu bringen. In die Lehrbücher von Qvam (1898, Fig. 3oE), Horrmann (1877, Fig. 83E), Rauser (1897, Fig. 286E) ist anscheinend die Figur von Hurchmson übergegangen, auf welcher die Ossa suprasternalia innerhalb der Incisura clavicularis liegen. Die neueste Auflage von RAUBER (1902) hat diese Abbildung durch eine zutreffendere aus der Mono- graphie von Disse (1896) ersetzt, behält aber (S. 236) seine frühere Angabe bei, dass diese Knöchelchen dem oberen Rand des Manubrium aufliegen und in dem Meniscus des Sternoclaviculargelenkes enthalten sind. Nach Dısse (1896, S. 92) kommen die Ossa suprasternalia meist beiderseits vor. Ueber die Häufigkeit des Vorkommens von freien Ossa suprasternalia werden meist nur sehr allgemeine Angaben gemacht. Offenbar haben BEcLarD (1820) und BrescHeEr (1838) eine ganze Reihe von Fällen beobachtet. Hwurcamson (1847) meint, die Knöchelchen seien anscheinend nicht konstant. Hyrıı sagt (1873, S. 314), die Ossa suprasternalia seien, wenn auch nicht konstant, doch häufig genug, während er früher (1846, S. 228, cit. nach LuschkAa 1853, S. 36) angab, er habe sie nie gesehen, wenn er nicht die im Ursprunge des Kopfnickers 3mal beobachteten Sesamknorpel dafür gelten lassen wolle. Dem gegenüber betont die Mehrzahl der Autoren die große Seltenheit der Knöchelchen. | Weniger allgemein gehalten sind die Schilderungen von STRAUCH, PATERSON und Bocusar. StRAUCH (1881) fand unter 100 männlichen Brustbeinen 3 mit freien Ossa suprasternalia, und zwar waren dieselben 2mal beiderseitig, einmal einseitig vorhanden, so daß auf 200 Brustbeinhälften 5 Knöchelchen = 2,5 Proz. entfallen. Die Untersuchung von 100 weiblichen Brustbeinen zeigte bei 2 Präparaten beiderseitig Ossa suprasternalia, also 4 auf 200 Brustbeinhälften = 2 Proz. PATERSoN (1901 a) will unter 563 Brustbeinen nur einmal beiderseitig freie Ossa suprasternalia wahrgenommen haben, was ja mit der Vermutung von Knox (1843) übereinstimmen würde, daß diese Knöchelchen anscheinend in England sehr selten sind. Dagegen ıst aber zu bemerken, daß die Tubercula supra- sternalia, die Parerson in 45 Fällen = 8 Proz. auffand, bisweilen mit Gelenkflächen versehen sein sollen. Es geht aus der Darstellung nicht hervor, ob hier eine Artikulation mit dem sternalen Ende der Clavicula vorlag, oder ob daselbst gelenkig angefügte Suprasternalknöchelchen verloren gegangen 67 Zur Morphologie des Manubrium sterni. 67 sind. Endlich wäre noch auf die Mitteilungen von Bocusar (1902, S. 31) zurückzukommen. Er will unter 120 Brustbeinen 3mal Ossa suprasternalia beobachtet haben, aber immer nur einseitig, und zwar vorzüglich am rechten oberen Winkel der Incisura jugularis. Aus der nicht recht klaren Dar- stellung erhellt nicht, ob es sich hier nicht vielleicht um Tubercula suprasternalia handelte. Die allgemeine Form des Manubrium ist nicht überall dieselbe, und auch in dem Relief an dessen Ventralseite sind mancherlei Verschiedenheiten zu beobachten. Nähere Mitteilungen darüber finden sich bei Pansch (1875), Strauch (1881), KIRCHNER (1898) und in den Abbildungen von Markowskı (1902). Diese Dinge erscheinen für die uns interessierenden Fragen belanglos, weshalb hier nicht näher darauf eingegangen sein soll. Wichtig dagegen sind für uns die Beziehungen der Rippen zum Manubrium. Von dem gewöhnlichen Verhalten, daß nur die ı. Rippe ganz dem Manubrium angehört, während die zweite an der Grenze von Manubrium und Corpus sich anfügt, kommen Abweichungen nach zwei verschiedenen Richtungen vor. Einmal kann eine Halsrippe bis zum Manubrium reichen und kranial von der ı. Brustrippe mit dem Brustbeinhandgriff in Verbindung stehen. Einen solchen Fall zeigt Fig. ı nach ALBRECHT (1884). Rechts ist eine vollständige Halsrippe vorhanden, die sich kontinuierlich vom 7. Halswirbel zum Manubrium erstreckt, aber nicht einheitlich knöchern, sondern eine kurze Strecke knorpelig. Sie befestigt sich am Manubrium an einer Gelenkfläche, die zwischen der Incisura jugularıs und der Anheftungsstelle des Knorpels der ı. Rippe liegt. Links ist die 7. Halsrippe rudi- Fig. 1. Nach ALBRECHT (1884, S. 9) mentär, repräsentiert durch ein dorsales, mit dem Wirbel ver- nn bundenes und ein ventrales, dem Sternum angefügtes Stück. Die Lage des letzteren entspricht dem Befund der anderen Seite. Besonders betont wird von ALBRECHT (S. ı2) die Erscheinung, daß der ganze kraniale Rand des Knorpels der ersten Brustrippen an den Seitenrand des Manubrium sich anlegt. Dieselbe Erscheinung läßt sich, wie PanscH (1875, S. 552) betont, auch an normalen Brustbeinen wahrnehmen und bietet besonderes Interesse. Einen Fall von rudimentärer 7. Halsrippe (vergl. Fig. 2 rechts) stellen Keır#t und HERK- ter (1896) zusammen mit einem Fall von rudimentärer ı. Brustrippe (s. Fig. 2 links). An beiden Präparaten ist auffällig die in einen spitzen. Fortsatz ausgezogene obere laterale Ecke des Manubrium und die ausgedehnte Berührung des ersten Rippenknorpels mit dem Seitenrand des Brust- Be ER Kumm und HERKLET (1896, S. 563) beinhandgriffes. Aehnliche Fälle sind abgebildet bei Disse . Schematisiert. (1896) und Anthony (1898, S. 141, Fig. 45), wo sich auch weitere Literaturangaben finden. Eine vollständige Uebersicht der ausgedehnten Literatur über Hals- rippen ist hier nicht beabsichtigt (s. HeLm 1895). Eine zweite Abweichung vom gewöhnlichen Verhalten besteht darin, daß die Grenze zwischen Manubrium und Corpus nicht innerhalb der Anfügestelle des 2. Rippenpaares, sondern weiter distal liegt. Eine Reihe von Fällen, in denen die Grenzlinie der Anfügestelle des 3. Rippen- paares entspricht, sind geschildert von MEcKEL (1818), SHEPHERD (1881), ARBUTHNOT LANE (1885, S. 270), I= i 68 Zur Morphologie des Manubrium sterni. 68 TURNER (1886, S. 78), DwicHt (1890, Fig. 1). PATERSoN (1893, S. XXI, Fig. 1). Verschiedentlich wurden an solchen Brustbeinen 8 wahre Rippen beobachtet. Kerrm (1896, S. 275) meint, diese Varietät möge beim Menschen etwa in einem Fall auf 1000 vorkommen und scheine bei dunkelhäutigen Rassen häufiger zu sein. Eine besondere Erwähnung erfordern die Untersuchungen von v. BARDELEBEN (1874) und von CARWARDINE (1893) über den Bandapparat am vorderen Brustbeinende. v. BARDELEBEN beschäftigte sich mit dem über die Mittellinie verlaufenden und sehr variablen Lig. interclaviculare und korrigiert (S. 148) dessen ältere Beschreibungen nach seinen eigenen Beobachtungen an menschlichen Embryonen, Kindern und Erwachsenen von verschiedenem Alter in folgender Weise: „Das Lig. ‚interclavi- culare des erwachsenen Menschen zerfällt in ein eigentliches, die Schlüsselbeine verbindendes, fibröses Band und in tiefere Schichten, welche teilweise zwischen den Menisci, besonders aber zwischen Meniscus und oberem Rande des Manubrium verlaufen.“ BARDELEBEN zerlegt deshalb das bisherige Lig. interclavi- culare in ein oberflächliches Lig. interclaviculare im engeren Sinne und ein darunter gelegenes Lig. episternale. Letzteres wieder setzt sich zusammen aus einem Lig. intermeniscale und Lig. sterno-meniscale, eventuell bei Fortsetzung von Fasern nach der Clavicula Lig. sterno-menisco-claviculare. CARWARDINE (1893) sucht nachzuweisen, daß Spuren von Ossa suprasternalia häufig und sogar fast konstant beim Menschen vorkommen in der Form von Bandzügen. Er schildert und bildet ab ein T-förmiges Lig. interclaviculare mit einem starken horizontalen Ast zwischen den beiden Claviculae und schwächeren Fasern, die von dessen Mitte senkrecht absteigen gegen die Incisura jugularıs des Sternum. Unterhalb der horizontalen Aeste liegen Bänder, welche an der Rückseite des ventralen Endes der Clavicula nach vorn, innen und unten ziehen und an beiden Enden der Incisura jugularis befestigt sind. Innerhalb dieses Lig. suprasternale pflegen die Ossa suprast. zu liegen, falls sie vorhanden sind. An manchen Präparaten gehe das Lig. suprast. in einen unregelmäßigen Knochenvorsprung über, an welchem sich unzweifelhafte Spuren seiner sekundären Verbindung mit dem Sternum durch Ankylose vorfinden. Dieser suprasternale Höcker sei ein in frühen Stadien selbständiges, erst später mit dem Sternum ver- schmolzenes Os suprast. In der Mehrzahl der Fälle bestehe nur noch ein Lig. suprast., von dem einige Fasern sich dem Lig. interclaviculare beimengen, während andere bisweilen mit der Kapsel des Sterno- claviculargelenkes sich verbinden. CARWARDINE schließt daraus, daß die Ossa suprasternalia auftreten als Ossifikationen in Bändern, die fast konstant, wenn auch in verschiedener Ausdehnung beim Erwachsenen vorkommen, daß ferner diese Knöchelchen in frühen Stadien mit dem Sternum verschmelzen können und dann durch Tubercula dargestellt sind, an denen die Ligamente sich befestigen und endlich, daß in anderen Fällen die Suprasternalknöchelchen in das Sternum aufgenommen sind, während die an der Stelle ihrer Aufnahme fixierten Bänder übrig bleiben. Wenn also beim Menschen selbständige Ossa suprast. vorkommen, dann müßten sie als ein Zeichen unvollständiger Verknöcherung und mangelhafter Entwickelung des Sternum angesehen werden. Die Befunde von CARWARDINE bezüglich der Bänder und der Tubercula suprasternalia werden von AntHony (1898, S. 139) in vollem Umfang bestätigt. Das Verhalten der Bänder in einem Fall von selbständigen Ossa suprasternalia schildert AntHony noch ein- gehender als v. BARDELEBFN und CARWARDINE. Wichtig ist die besonders hervorgehobene Beobachtung, daß das Suprasternalknöchelchen mit dem Meniscus nur durch Kontiguität in Verbindung stehe. Auf die Entwickelung des Manubrium soll nur insofern eingegangen werden, als die beobachteten Vorgänge für die uns hier beschäftigenden Fragen von Wichtigkeit sind. Die ersten näheren Angaben über die frühesten Entwickelungsstadien rühren von Rus (1879, 1880) her. Er untersuchte die Entwickelung der Sternoclavicularverbindung an menschlichen Embryonen 69 Zur Morphologie des Manubrium sterni. 69 von 2,4 cm Scheitel-Steißlänge an. In folgenden Worten sind die wichtigsten Ergebnisse zusammengefaßt (S. 407): „In früher Embryonalzeit, wo die Sternalleisten sich noch nicht in ihrer ganzen Länge vereinigten und zwischen Clavicula und den Sternalleisten nur indifferentes Gewebe sich vorfindet, erscheinen zwei selbständige Gebilde, welche zu den Sternalleisten in nähere Beziehung treten. Anfänglich trifft man dieselben jederseits auf den sternalen Abschnitten der proximal unvereinigten Manubriumränder auf- sitzend und von der ventralen zur dorsalen Fläche sich herüberlagernd. Später verwächst das ganze Gebilde, indem es gleichzeitig eine mehr und mehr knorpelige Beschaffenheit annimmt, zuerst in seinen dorsalen Abschnitten, schließlich in der ganzen Ausdehnung. Indem dieser Prozeß vor sich geht, kommt das unpaar werdende Knorpelstückchen immer mehr zwischen die noch unvereinigten Hälften des Manu- brium sterni zu liegen. Schließlich ragt nur noch die proximale Fläche des Knorpels über das Manubrium kuppelförmig herüber. Mit der innigen Verschmelzung der beiderseitigen Sternalleisten sieht man auch die Grenzen zwischen den erwähnten Knorpelstücken und dem Manubrium zuerst undeutlicher werden, darauf gänzlich verschwinden, ein Beweis dafür, daß in diesem Zustande- jenes dem Sternum einverleibt worden ist. Und zwar gestaltet sich die Verwachsung beider zu einer so innigen, daß man nirgends mehr eine Andeutung von verschiedenen, d. h. heterogenen Bildungen wahrzunehmen vermag.“ Ich möchte hier einschalten, daß nur ganz am Anfang Beziehungen der selbständigen suprasternalen Gebilde zu den Schlüsselbeinen bestehen. Rute schildert dieselben (S. 399) folgendermaßen: „Die Schlüsselbeine lagern in den dorsalen Abschnitten der Suprasternalstücke deren lateralen Flächen an, in den ventralen hingegen befinden sie sich mehr auf den proximalen Flächen jener Gebilde“ RucE fährt dann in der Schilderung seiner Beobachtungen fort: „Das spätere. Manubrium sterni ıst daher aus zwei sich verschieden verhaltenden Bildungen zu- sammengesetzt. Die eine von ihnen ist sicher costaler Natur, und zwar zum weitaus größten Teile von der ı. Rippe herstammend; von wo aber die andere, die der suprasternalen Teile, herzuleiten ist, läßt sich für den Menschen — nicht entscheiden. — Nachdem die Sternalleisten sowohl untereinander als auch mit den suprasternalen Knorpelstückchen vereinigt sind, differenziert sich das intersternoclavi- culare Gewebe in drei ganz diskrete Schichten, von denen die eine mit dem Periost der Clavicula, die andere mit dem des Sternum zusammenhängt und die letzte zwischen den zweien sich befindet. Es entwickeln sich an der Grenze je zweier dieser Schichten in verhältnismäßig später Embryonalzeit die das ganze Leben hindurch sich forterhaltenden Gelenkhöhlen der Sternoclavicularverbindung. — Die ur- sprünglich fast gleich stark entwickelten Gewebsschichten unterliegen einem verschiedenen Schicksal. Die der Clavicula zugehörige nimmt im Laufe der embryonalen Entwickelung an Mächtigkeit ab und schwindet, sich in hyalinen Knorpel umwandelnd, bis auf den schwachen, der proximalen Gelenkhöhle zugekehrten Ueberzug des Schlüsselbeines. Die Zwischenschicht, welche stets ihre wichtigen Beziehungen zu den beiden Gelenkhöhlen bewahrt, wandelt sich in Faserknorpel um und erscheint uns später als die Cartilago interarticularis. Eine Reihe auffallender Neubildungen erfährt die dem Sternum anliegende letztere Schicht. Anfänglich stellt dieselbe, da ihre Elemente ganz mit denen des Perichondrium am Manubrium übereinstimmen, eigentlich auch nichts als eine Verbreiterung desselben vor, welche ver- schieden weit medial- oder lateralwärts sich auszubreiten vermag. Anfänglich sind die Formbestandteile der sternalen Schicht mehr indifferenter Natur, sie formen sich nach und nach in wahre hyaline Knorpel- elemente um, deren Uebereinstimmung mit denen des Manubrium zu bestimmten Zeiten sehr auffallend ist. In diesem Zustande findet man die sternale Schicht jederseits als eine flache Knorpelplatte dem Sternum dort aufgelagert, wo später die Incisura clavicularis sich ausbildet. Sie hilft demgemäß die distale Gelenkhöhle begrenzen, von welcher weiter medialwärts Fortsätze jener Knorpelscheiben sich ver- folgen lassen. Diese lagern dem Manubrium gleichfalls auf, sind von ihm aber durch eine stärker in. 70 Zur Morphologie des Manubrium sterni. 70 Karmin sich färbende Zone abgegrenzt. Die mächtigste Entfaltung erreichen die sternalen Schichten etwa bei Embryonen von 10—ı2 cm Steiß-Scheitellänge. Von hier an fallen die Knorpelscheiben einer allgemeinen Rückbildung anheim, die bei Neugebornen so weit vor sich gegangen, daß nur noch eine ganz schmale Leiste jener Knorpelscheiben übrig blieb. — Sie birgt in sich noch deutliche Knorpel- elemente, aber die Intercellularsubstanz ist von derjenigen des Sternum ganz different geworden, was sich aus der starken roten Karminfärbung ergibt, sowie aus dem mehr faserigen Baue und vielen ein- gestreuten spindelförmigen Formelementen. Hat sich nun auch eine gewebliche Differenzierung zwischen dem Brustbeine und der sternalen Schicht ausgebildet, so ist dennoch der Uebergang des ersteren in die letztere ein ganz allmählicher geblieben. Was das postembryonale Schicksal der sternalen Schicht be- trifft, so geht sie, wie es scheint, in Faserknorpel über, um in dieser Form den größten Teil des Lebens fortzubestehen.“ Zur Illustrierung der geschilderten Entwickelungsvorgänge dienen die den Tafeln von RusEe entnommenen Textfiguren 3—0. Fig. 3. Fig. 4. Fig. 5. Fig. 3. Nach Ruce (1880), Taf. XVI, Fig. 1. Fig. 4. Nach Ruce (1880), Taf. XVII, Fig. 3a. Fig. 6. Fig. 5. Nach Ruce (1880), Taf. XVII, Fig. 10°. Fig. 6. Nach Ruce (1880), Taf. X VIII, Fig. 11°. Ti 2. Auf Grund dieser Beobachtungen hält Ruce (S. 409 ff.) die drei a 0777, Schichten, welche aus dem intersternoclavicularen Gewebe entstehen und D 4 die beiden Gelenkhöhlen des Sternoclaviculargelenkes begrenzen, für eine : a morphologische Einheit. Zu dieser rechnet RucE auch die Ossa supra- sternalia und bringt dieselben in Beziehung mit Teilen der sternalen Schicht des intersternoclavicularen Gewebes, die sich medialwärts vom oberen Rande des Sternum ausdehnen bis über die Stelle hinaus, wo die Ossa suprasternalia zu liegen pflegen. Aus einer Weiterentwickelung dieses Gewebes sollen nach Ruses Ansicht die Suprasternal- knöchelchen entstehen, „vielleicht weil mechanische Insulte von dem Schlüsselbeine aus mehr oder weniger ausgeschlossen sind“ Nach Ruszs Beobachtungen an Neugeborenen und Kindern aus den ersten Lebensjahren sind die Ossa suprasternalia knorpelig präformiert. Ruce fand wiederholentlich an der bestimmten Stelle des proximalen Manubriumrandes faserknorpelige Bildungen, die später wohl auch einem Schwinden anheimgefallen sein würden. Ein solcher Befund ist bei Ruce auf Taf. XIX in Fig. 22 abgebildet. Ruck bringt also die Ossa suprasternalia nicht in Beziehung zu den von ihm geschilderten embryonalen suprasternalen Knorpelchen. Ueber die Bedeutung der letzteren kommt er zu keinem entscheidenden Resultat, neigt aber dazu, in denselben Reste des 7. Halsrippenpaares zu sehen. Etwa zur selben Zeit wie RucE bearbeitete C. K. Horrmann die Entwickelungsvorgänge am menschlichen Manubrium und der Sternoclavicularverbindung. Er fand bei dem jüngsten von ihm 71 Zur Morphologie des Manubrium sterni. ZI: untersuchten Embryo die verkalkte Clavicula an ihrem Sternalende noch knorpelig. Das Perichondrium der Clavicula geht nach dem Brustbein zu in eine dicke Schicht embryonalen Bindegewebes über, welches als ein breiter Strang über die Mittellinie sich fortsetzt und kontinuierlich in das Perichondrium der anderen Clavicula übergeht. Nach der nicht ganz klaren Schilderung hängt offenbar mit diesem medianen Bindegewebsstreif eine keilförmige Masse dicht aufeinander gehäufter Bildungszellen zusammen, die kaudalwärts sich erstreckt, wobei sie sich zwischen die beiden, noch nicht untereinander verwachsenen Sternalleisten einschiebt und zugleich ventralwärts von dieser costalen Sternalanlage liegt. Die ganze embryonale Bindewebsmasse zeigt noch Andeutungen einer Verwachsung aus zwei lateralen Hälften, die je einer Clavicula angehören. Es würde also im Anschluß an das Sternalende jeder Clavicula ein Strang embryonalen Bindegewebes zunächst nach der Mittellinie verlaufen bis zur Berührung mit dem der anderen Seite und dann die beiden Stränge nebeneinander eine Strecke weit kaudalwärts ziehen, wobei sie ventral vom costalen Sternum liegen. Später erfolgt eine Verschmelzung der beiden Teile zu einer T-förmigen Masse embryonalen Bindegewebes, die Horrmann als claviculares Sternum bezeichnet, welches ein unpaares Mittelstück und 2 Seitenstücke aufweist. Das unpaare Mittelstück bleibt bei älteren Embryonen noch kenntlich als eine Verdickung des Perichondrium an der Bauchseite des costalen Brustbeines und wird später vielleicht zum Teil durch das Perichondrium des costalen Sternum assimiliert, zum Teil in das Lig. interclaviculare umgebildet. Die Seitenteile bilden einen Bindegewebs- strang, der kontinuierlich Claviculae und Manubrium verbindet. Später wandeln sie sich in den Meniscus des Sternoclaviculargelenkes um (1879, S. 72, Fig. 9—12). v. BARDELEBENS (1879) Untersuchungen beziehen sich nur auf ältere Stadien, die er folgender- maßen schildert (S. 149): Beim ca. 12-wöchentlichen Embryo geht aus dem zelligen Knorpel des oberen, noch konvex endenden, Abschnittes des Manubrium ein bei Karminfärbung sich deutlicher abhebender faserknorpeliger Streif von der Mitte aus nach den Seiten, um sich dort in zwei ungleich dicke Abschnitte zu teilen. Der dünnere legt sich dem lateralen Rande des Manubrium auf und begrenzt so die mediale Gelenkspalte von innen. Der stärkere obere Abschnitt setzt sich nach außen-oben bis in die Clavicula fort, während er nach außen-unten in den Meniscus übergeht. Das Schlüsselbein steht hier also in direkter breiter Verbindung mit dem Meniscus, mit dem Manubrium sterni und mit dem Schlüsselbein der anderen Seite. Darüber befinden sich Gewebsteile, welche später zur Gelenkkapsel und zum Lig. interclaviculare im engeren Sinne werden. Beim 6-monatlichen Foetus ist der medialste Teil des das Sternum mit dem Meniscus und der Clavicula verbindenden knorpeligen Apparates mit dem übrigen Manubrium bereits innig verschmolzen, resp. so reduziert, daß in der Mitte nur noch ein ganz dünner Stref dem oberen Rande des Sternum aufliegt. Weder die mediale noch die laterale Gelenkspalte reichen bis in die obere Region der Sternum und Schlüsselbein verbindenden faserknorpeligen Brücke. Nicht wesentlich anders liegen die Verhältnisse beim 8-monatlichen Foetus und beim Neugeborenen. Bei einem Kinde von 4 Jahren ır Monaten geht zwar die mediale Gelenkspalte weiter nach oben, aber es besteht auch hier noch eine starke Brücke. Man sieht noch deutlich einen bei Karminbehandlung stärker hervortretenden Knorpelstreifen am oberen Rande des Manubrium liegen und von hier aus sowohl nach dem lateralen Rande des hier noch hyalinknorpeligen Brustbeinhandgriffes als nach dem Meniscus und der Clavicula verlaufen.“ Dieser Darstellung widersprechen die Befunde von Ruce (1880, S. 4ıı, Anmerkung). Letzterem ist es nicht gelungen, bei 12-wöchentlichen und älteren Embryonen jenen kontinuierlichen faserknorpeligen Streif von BARDELEBEN aufzufinden. Er konnte nur Bindegewebs- Stränge wahrnehmen, welche mit den drei Schichten des intersternoclavicularen Gewebes, mit dem proximalen Rande des Manubrium und mit den Lagerstätten von Faserknorpel an den Stellen, wo die 72 Zur Morphologie des Manubrium sterni. 72 Ossa suprasternalia zu liegen pflegen, kontinuierlich zusammenhängen. Eine wichtigere morphologische Bedeutung schreibt Ruse diesen Bindewebszügen nicht zu. Die neuesten Untersuchungen über die ersten Entwickelungsstadien des Brustbeines rühren her von PATERSoN (1901 b, 1902). Die bisher vorliegenden Angaben über seine Befunde sind wenig aus- führlich und beziehen sich nicht nur auf menschliche Embryonen. PaAreErson fand (1901 b, S. 21) die erste Anlage des Brustbeines beim menschlichen Embryo aus dem 2. Monat als eine dichte Anhäufung von Mesoblastzellen in der Mittellinie ohne Hervortreten einer bilateralen Anordnung. Die medialen Enden der Clavicula und der Rippen waren auf diesem Stadium knorpelig. Die weitere Entwickelung wurde hauptsächlich an Embryonen von Nagern verfolgt, auf menschliche Befunde bezieht sich aber wohl die Angabe (ıgoıb, S. 31), daß Parerson in 2 Fällen Suprasternalknorpel fand, die am clavicularen Rande des Manubrium zwischen den clavicularen Gelenkflächen lagen. Das eine Präparat zeigte die beiden Knorpelchen untereinander verschmolzen, aber getrennt vom Manubrium, das andere 2 von- einander getrennte, aber kontinuierlich mit dem knorpeligen Manubrium zusammenhängende Suprasternal- knorpel. In einer zweiten kurzen Mitteilung schildert PArErson (1902) die Entwickelung von Brustbein und Schultergürtel bei Ratten, Meerschweinchen und Menschen gemeinsam. Er gibt an, daß bei jungen Embryonen die Vereinigungsstelle von Sternum und Schultergürtel und der Ausgangspunkt der Ent- wickelung unmittelbar hinter dem Branchialbogen liegt am kranialen Ende der Lamelle, welche die Grenze des Sinus praecervicalis bildet und die ventrale Brustwand. Hier trete in dem ursprünglichen zelligen Mesoblastgewebe eine mediane Verdickung auf, welche sich lateral in eine ähnliche Zellen- anhäufung fortsetze, die die Anlage des Schultergürtels darstellt. Dies Ganze bildet einen queren Zellstreifen, aus welchem sich herausdifferenzieren: Clavicula, Manubrium sterni, das nach hinten in die ventrale Brustwand auswächst, Lig. interclaviculare, Suprasternalknorpel und die beim Menschen doppelte und durch einen Meniscus getrennte Synovialmembran des Sternoclaviculargelenkes. Die Umwandlung des Zell- streifens in die genannten Teile soll beginnen, bevor die knorpeligen Rippenenden mit der medianen Sternalanlage verbunden seien. PArErson schließt aus seinen Befunden, daß Manubrium und Schulter- gürtel aus derselben Anlage hervorgehen, nämlich aus dem ursprünglichen Zellstreifen, der die Mittel- linie kreuzt. Das Manubrium verbindet sich, nach hinten weiterwachsend, erst sekundär mit den ventral- wärts vorwachsenden Rippen. Aus dem Gewebe zwischen den Claviculae und vor dem Sternum entwickeln sich Lig. interclaviculare, bei Menschen gelegentlich vorkommende Suprasternalknorpel, Interclavicular- meniscus und Synovialmembranen des Gelenkes. Der Meniscus sei nicht homolog mit dem Suprasternal- knorpel, sondern sei eher in Beziehung zu bringen zu dem knorpeligen Vorderende der Clavicula. Die Suprasternalknorpel seien Differenzierungen in dem prästernalen Gewebe, das später das Lig. inter- claviculare hervorgehen läßt. Auf die umfangreiche Literatur über die im knorpeligen Manubrium auftretenden Knochen- kerne soll hier nicht eingegangen werden, da wir davon keine weitere Förderung der uns beschäftigenden Fragen erwarten. Hingewiesen sei nur auf die neueste Bearbeitung dieses Gebietes durch MARKowskI (1902). Dieser Autor hält es (S. 470) für das wichtigste Ergebnis seiner Untersuchungen am mensch- lichen Brustbein, „daß dasselbe aus einer Reihe von intercostalen Segmenten zusammengesetzt ist, welche den Metameren des Körpers entsprechen. Die Grenzlinien dieser Segmente verbinden die Ansätze je zweier Rippen desselben Paares und können als Rippenlinien des Brustbeines bezeichnet werden. — Der Handgriff des Brustbeines ist ohne Zweifel ein Teil, welcher aus der Vereinigung der beiden obersten Segmente entstanden ist. Hierfür spricht zunächst die Genese des Handgriffes und der Zusammenhang desselben mit den beiden oberen Rippenpaaren und besonders das Verhältnis des 2. Rippenpaares zum 73 Zur Morphologie des Manubrium sterni. 73 Manubrium, welches dasselbe ist, wie das Verhältnis des 3. Rippenpaares zum 3. Segment u. s. w. Einen weiteren Beweis hierfür liefert der Verknöcherungsprozeß des Manubriums: In einer gewissen Zahl der Fälle (31,6 Proz.) findet man im Handgriffe Knochenkerne, welche den beiden Segmenten desselben ent- sprechen und zwar im ı. (oberen) Segmente immer-nur einen einzigen (medianen) Kern, im 2. (unteren) Segmente entweder wieder nur einen (medianen) Kern oder 2 Kerne (ein Knochenkernpaar). — In anderen Fällen (68,4 Proz.), in welchen im Handgriffe überhaupt nur ein einziger Knochenkern (an der Stelle von 2 oder 3 Kernen, welche nachher miteinander verschmelzen) auftritt, muß man an- nehmen, daß hier das Verschmelzen der Kerne ihrem Auftreten vorausgegangen ist, daß mithin hier eine Modifikation, nämlich eine Vereinfachung und Abkürzung des Entwickelungsprozesses vorliegt, welche als Cänogenese zu bezeichnen ist: anstatt 2 oder 3 Knochenkernen, welche später miteinander verschmelzen, tritt in der Mehrzahl der Fälle im Handgriffe ein von Anfang an einheitlicher Kern auf“ (S. 474). Ferner sind noch einige Angaben zu berücksichtigen über das Auftreten und die Ossifikation der Ossa suprasternalia. BRESCHET (1838) bildet auf Taf. VIII, ‚Fig. 2 ein jugendliches Brustbein ab, das hier auf Textfig. 7 wiedergegeben ist‘). Dasselbe zeigt nach der Schilderung von BRESCHET (S. 99) am oberen Rand zwei überknorpelte Gelenkflächen für die Clavicula und „vers la partie la plus interne de ces surfaces, deux productions cartilagineuses, dirigees en haut et inclinees un peu en arriere, separees l’une de l'autre par lintervalle qu’on nomme la four- chette“. Diese Gebilde lägen mehr nach innen und nach hinten geneigt als die clavicularen Gelenkflächen und befänden sich völlig hinten und nach innen von der Insertion des Sternocleidomastoideus. Die Schilderung sagt also nichts Ge- naueres davon, daß diese offenbaren knorpeligen Anlagen von Ossa suprasternalia Fig. 7. Nach BRESCHET (1838, Taf. VIII, Fig. 2). Jugendliches menschliches durch Syndesmose, Synchondrose oder Diarthrose verbunden sind. Brustbein mit knorpeligen Ossa suprasternalia. der Incisura clavicularis selbst angehören, und ebensowenig, ob sie dem Brustbein Nach HurcHainson (1847, S. 1024) treten die Ossa suprasternalia erst in späteren Lebensperioden auf. LuschkA hat an einem Brustbein eines ıı-jährigen Knaben nur knorpelige Suprasternalknochen gefunden. Es war hier der obere Rand des Manubrium noch bis in die Tiefe von 3 mm knorpelig. Jederseits waren diesem durch eine 1,4 mm dicke Scheibe von Faserknorpel kleine hyaline Suprasternal- knorpel angefügt von 5 mm Breite und 4 mm Höhe. An denselben waren bereits die charakteristischen Verstärkungsbänder, sowie die Verbindung mit dem Meniscus des Sterno- claviculargelenkes deutlich erkennbar (1859, S. 16). ® = Dr CARWARDINE (1893, S. 233) beobachtete, daß bei der Ossifikation des To > Manubrium bisweilen kurze Fortsätze von vorgeschrittener Verknöcherung 3 4 unter der Ansatzstelle der Ligg. suprasternalia liegen oder in anderen Fällen Fig. 8. Nach CARWARDINE (1893, Taf. XII, Fig. 4). Selb- auch BrescHer beschrieben haben soll (Taf. XII, Fig. 4, s. nebenstehende ständige Knochenpunkte ent- an dieser Stelle zwei selbständige Verknöcherungspunkte auftreten, wie dies sprechend den Tubercula supra- Textfig. 8). Diese selbständigen Ossifikationspunkte hat Anrhony (1898, S. 139) sternalia in einem jugendlichen niemals gesehen. Auch unter den sehr zahlreichen Beobachtungen von menschlichen Brustbein. 1) Diese Abbildung hat vielleicht durch Verkleinerung die irrigen Figuren von HutcHınson, QuaIn, HOFFMANN, RAUBER entstehen lassen. Jenaische Denkschriften. XI. 10 Festschrift Ernst Haeckel. 74 Zur Morphologie des Manubrium sterni. 74 Marxkowskı (1902) findet sich kein derartiger Befund. Nach Toıpr (1893, S. 41) entsprechen die Ossa suprasternalia den oberen Enden der paarigen Knorpelanlage des Brustbeines, in welchen aus- nahmsweise besondere Verknöcherungspunkte entstehen und sich selbständig erhalten können. Disse (1896, S. 92) gibt unter Hinweis auf die Arbeit von RucE an, daß beim menschlichen Embryo auf- tretende knorpelige Ossa suprasternalia im Lauf der Entwickelung schwinden und in das Manubrium einbezogen werden. Meine eigenen Beobachtungen‘) beziehen sich auf ein Material von im ganzen ca. 300 Manubria erwachsener Menschen, dazu kommen noch einige wenige jugendliche Präparate. Bei weitem den Hauptanteil meines Materials, nämlich 226 Sterna, sammelte ich in der Zeit von 2 Wintersemestern während meiner Tätigkeit am Straßburger anatomischen Institut. Darin folgte ich einer Anregung von Herrn Professor Prrrzwer, der mich nicht nur auf das Lohnende einer solchen Untersuchung aufmerksam machte, sondern mir auch mit seinem erfahrenen Rat und seiner tatkräftigen Unterstützung bei der Mace- ration behülflich war. Ich werde seiner häufigen freundschaftlichen Beratung und Hülfe stets mit aufrichtiger Dankbarkeit mich erinnern. Alter, Geschlecht und somatische Charaktere der Individuen, von denen die Präparate stammen, sind mit Hülfe der von SCHWALBE und PFITzner am Straßburger anatomischen Institute organisierten Leichenbuchführung meist leicht festzustellen. In allen Fällen habe ich die Brust- beine selbst von Weichteilen befreit, um keine Einzelheiten zu übersehen und mich nicht von der Zu- verlässigkeit eines Dieners abhängig zu machen. Von der Sammlung kindlicher Manubrien sah ich bald ab, da mir dieselben zur Vergleichung mit den erwachsenen nicht ohne weiteres brauchbar er- schienen, indem die vermittelnden Stadien aus dem Alter von 2—ı5 Jahren nur ganz selten auf dem Präpariersaal zur Beobachtung kommen. Die 226 Brustbeine verteilen sich in ungefähr gleicher Zahl auf beide Geschlechter, nämlich 98 3, 104 9%; bei 24 ließ sich wegen vermutlicher Verwechslung nichts Sicheres mehr feststellen. Alle Lebensalter von ı5—93 Jahren sind darunter vertreten. Selbstverständlich fand bei der Sammlung der Präparate keine Auslese statt. Dieselben wurden in der Reihenfolge ihrer Einlieferung in die Anatomie aufgenommen. Zu diesem Straßburger Material kommen noch die Brustbeine, die ich während 3 Semester am Jenenser anatomischen Institut beobachten konnte. Hier lag mir nicht an einer systematischen Sammlung, sondern ich legte nur Wert auf Präparate, die geeignet waren, be- stehende Lücken in meinem Material auszufüllen, und als besonders charakteristische Formen erschienen. Bei der Untersuchung des oberen Randes des Manubrium erweist sich die Ansicht von der dorsalen Seite her als die wichtigere. Wir haben gesehen, daß die Ossa suprasternalia nach der Dorsalseite hin zu sitzen pflegen; so werden wir auch hier ihre Rudimente am deutlichsten zu Gesicht bekommen. Die folgenden Schilderungen wie die dazu gehörigen Abbildungen beziehen sich deshalb ausschließlich auf die Ansicht von der Rückseite her. Für eine übersichtliche Darstellung der verschiedenen Formen des oberen Brustbeinrandes ist es zweckmäßig, die Befunde einzuordnen in vier Gruppen. Diese sind aber keine durchaus natürlichen, sondern durch mannigfache Uebergänge miteinander verbunden. Die erste Gruppe umfaßt diejenigen Manubria, deren oberer Rand eine Incisura jugu- laris aufweist (s. Taf. VI, Fig. 1ı—3, Textfiguren 9—ır). Breite und Tiefe derselben schwanken innerhalb ansehnlicher Grenzen. Auf der beigegebenen Tabelle sind die Präparate mit Incisura jugularis in zwei Gruppen geteilt mit flacher und deutlicher Incisur. Ersterer sind die Brustbeine zugerechnet, deren Halsausschnitt bis zu 3 mm tief ist, die zweite Gruppe ist charakterisiert durch eine Tiefe der 1) Teilweise bereits in Kürze veröffentlicht. EGGELING 1003. 75 Zur Morphologie des Manubrium sterni. 75 Incisur bis zu 6 mm (Fig. 1). Höhere Zahlen habe ich nicht beobachtet. Verschiedene Formen von Incisurae jugulares zeigen die Tafel und Textfiguren. Die Unterschiede liegen, abgesehen von der Tiefe des Halseinschnittes, noch in der Breite desselben und weiterhin in der Höhe des präcostalen Abschnittes des Manubrium. Die Breite schwankt zwischen 4 mm (Taf. VI, Fig. 3) und 34 mm (Textlig. 9), die Höhe des präcostalen Abschnittes zwischen 3 mm (Textfig. 10) und 20 mm. Fig. 10. Fig. 9. Menschliches Manubrium No. 5154. d, 56 Jahre. °/, nat. Größe. Fig. 10. Menschliches Manubrium No. 5053. 9, 36 Jahre. Nat. Größe. Fig. ı1. Menschliches Manubrium No. 4536. d&, 53 Jahre. ®/, nat. Größe. Tafelfıg. 2 zeigt ein sehr regelmäßig gebildetes Brustbein, das an der Grenze der schmalen und der deutlichen Incisur steht und das man als „normal“ bezeichnen könnte. Textfig. ıı stellt einen Typus von deutlicher Incisur dar, während auf Tafelfig. ı die tiefste von mir beobachtete Incisur abgebildet ist. Dies Präparat zeigt außerdem noch eine Besonderheit recht deutlich, die in geringerem Grade an vielen anderen Manubrien sich nachweisen ließ, nämlich eine Furche, welche an der Deorsalseite des Brustbeines etwa von der Mitte der Incisura clavicularis horizontal medianwärts ausläuft und dadurch mehr oder weniger deutlich den präcostalen Abschnitt vom Hauptteil des Manubrium abtrennt. Ein Blick auf die Figuren zeigt außerdem die außerordentliche Mannigfaltigkeit der Gestaltung der Incisurae claviculares. Bald lehnen sie sich ganz steil an den präcostalen Abschnitt an, bald erstrecken sie sich mehr gleichmäßig auf die Seitenteile dieses Abschnittes und auf den oberen horizontalen Rand des eigentlichen Manubrium, wobei sie auf das Vorderende der ı. Rippe übergreifen, oder endlich erscheinen die clavicularen Gelenkflächen ganz flach und größtenteils horizontal gelagert. Offenbar steht die Form der Incisura clavicularis in Korrelation zur Breite der Incisura jugularis, der Breite des Manubrium zwischen dem ı. Rippenpaar und zur Höhe‘ des präcostalen Abschnittes. Breiten- Höhenindices würden über dies Verhalten näheren Aufschluß geben können. Die Textfiguren 9, 12, 13 führen uns hinüber zur zweiten Form des oberen Brustbeinrandes, der Crista jugularis. Der obere Rand des Manubrium weist hier nicht mehr drei Einschnitte auf, sondern zwischen den beiden Incisurae claviculares einen horizontalen Rand (Textfig. 12, 13), oder einen ganz flachen Ausschnitt von weniger als ı mm Tiefe. Die Zuteilung der Präparate zu der einen oder anderen Gruppe unterliegt oft Schwierigkeiten, da vorzunehmende Messungen durch nicht selten vor- kommende unregelmäßige Höckerchen (Exostosen?) in ihrer Exaktheit beeinträchtigt werden (Textfig. 9). 10* i 76 Zur Morphologie des Manubrium sterni. 76 Die Breite der Crista schwankt zwischen ı5s und 28 mm, die präcostale Höhe zwischen 9 und 17 mm. Dementsprechend wechselt auch die Gestalt der clavicularen Gelenkflächen in ähnlicher Weise wie beim Bestehen einer Incisura jugularis. Fig. 12. Fig. 13. Fig. 12. Menschliches Manubrium No. 4450. 9, 18 Jahre. Nat. Größe. Fig. 13. Menschliches Manubrium No 4446. d, 71 Jahre. °/, nat. Größe. Wie die Crista jugularıs einerseits ohne scharfe Grenze an die Incisur sich anschließt, so geht andererseits dieser zweite Formtypus des oberen Brustbeinrandes ganz allmählich über in die dritte Form, die ich als Tuber jugulare bezeichnen möchte. Dies stellt einen mehr oder weniger ausgeprägten Vorsprung in kranialer Richtung an Stelle der Incisur resp. Crista dar. Abgesehen von Verschieden- heiten in Höhe und Breite des Vorsprunges kann das Tuber zwei verschiedene Formen ‚annehmen. Entweder liegen seine Seitenränder in unmittelbarer Fortsetzung der Flächen der Incisurae claviculares (Taf. VI, Fig. 4, 6), oder es besteht am kranialen Rand des Manubrium ein medialer, vielfach sehr unregelmäßiger, höckeriger, nicht sehr hoher Vorsprung, der jederseits durch eine kleine Furche gegen die clavicularen Gelenkflächen abgesetzt ist (Taf. VI, Fig. 5). Die größte Höhe des Tuber mit 6 mm oberhalb des vordersten Endes der Incisurae claviculares und einer Breite von 26 mm ist auf Taf. VI, Fig. 6 abgebildet. Dies Präparat zeigt auch an der Spitze des Tuber eine deutliche Zweiteilung, die an anderen Brustbeinen (vergl. Taf. VI, Fig. 5) fehlt und durch eine mehr oder weniger höckerige Oberfläche ersetzt ist. Alle mir vorliegenden Brustbeine dieser Gruppe besitzen einen ziemlich ansehn- lichen präcostalen Fortsatz und dementsprechend niemals so flache claviculare Gelenkflächen, wie wir sie bei den anderen Gruppen, vor allem den Incisurae, beobachten konnten. Die bisher beschriebenen Formentypen des oberen Brustbeinrandes sind bereits am jugendlichen, knorpeligen Brustbein deutlich ausgeprägt, wie die zahlreichen Figuren von MARKOWSsKI (1902) lehren. In der vierten und letzten Gruppe endlich stelle ich alle diejenigen Präparate zusammen, an denen selbständige Ossa suprasternalia oder Reste von solchen in Gestalt von sog. Tubercula suprasternalia sich vorfinden. Diese Gruppe enthält die wichtigsten Beob- achtungen und selteneren Präparate, welche uns das Ver- ständnis der übrigen Formtypen eröffnen. Beispiele solcher Fig. 14. Menschliches Manubrium No. 5528. d, 63 Jahre. °/, nat. Größe. Manubria sind dargestellt auf Taf. VI, Fig. 7—ı1, und Textfig. 14. Die nähere Beschreibung der hierher gehörigen Befunde geht am besten aus von Tafelfigur 7. Hier sehen wir dem oberen horizontalen Rand des Manubrium zwischen den beiden ziemlich steil aufgerichteten Incisurae . claviculares zwei Knöchelchen von annähernd gleicher Gestalt aufgelagert. Sie liegen nur wenig nach der dorsalen Seite An Zur Morphologie des Manubrium sterni. 7 hin und sind dem Brustbein durch Gelenke verbunden. Eine viel ausgeprägtere dorsale Lagerung der Gelenkflächen für 2 Ossa suprasternalia zeigt Tafelfıgur 8. Zwischen den medialen Flächen der beiden Knöchelchen von Fig. 7 besteht nur ein sehr schmaler Zwischenraum, der durch ganz derbes fibröses Gewebe ausgefüllt war und oben durch die einander entgegengekehrten Spitzen der Knöchelchen noch stärker verringert wurde. Bei flüchtiger Präparation wäre das Vorhandensein der selbständigen Suprasternalknöchelchen an diesem, durch seine Höhe auffallenden präcostalen Abschnitt leicht über- sehen worden. Sehr bemerkenswert ist, daß die clavicularen Gelenkflächen sich auf die laterale Seite dieser Knöchelchen bis nahe an die Spitze hinauf erstrecken. Die weiteren Befunde knüpfen wir nun in der Weise an, daß sie das Bild einer genetischen Reihe bieten. Mir liegen noch 5 weitere Präparate von beiderseits selbständigen Ossa suprasternalia vor. Jedes derselben zeigt seine Besonderheiten. Im Fall 2 sind die Knöchelchen etwas kleiner als in dem abgebildeten. Jedes läuft an seinem hinteren unteren Rand in eine dünne Knochenlamelle aus, die sich ziemlich weit auf die Dorsalfläche des Manubrium hinüberlegt. Die beiden Knöchelchen sitzen ebenfalls ziemlich nahe nebeneinander. Eine deutliche Gelenkhöhle zwischen ihnen und dem horizontalen oberen Brustbeinrand konnte ich nicht nachweisen. Die clavicularen Gelenktlächen sind deutlich auf die Seitenteile der Knöchelchen ausgedehnt. Dasselbe gilt für Fall 3, in welchem die Ossa suprast. etwas weiter voneinander entfernt erscheinen, so daß zwischen ihnen eine sehr tiefe Incisura jugularis besteht. Das linke Knöchelchen ist erheblich kleiner als das rechte. Die Besonderheiten von Fall 4 bestehen darin, daß die beiden Ossa suprast. nicht direkt einem horizontalen oberen Brustbeinrand angefügt sind, sondern jederseits einem kleinen Vorsprung auf- sitzen, welcher neben der medialen Ecke der Incisura claviculariıs sich erhebt. Der obere Rand dieses Brustbeines zeigt also eine deutliche Inc. jug. schon zwischen diesen beiden Vorsprüngen nach Entfernung der Knöchelchen, welche mit deren platter Kuppe durch ein derbes, faserknorpeliges Gewebe verbunden sind. An der Bildung der clavicularen Gelenkfläche haben diese Ossa supr. keinen Teil mehr, sind aber nicht weit davon entfernt. Beide sind kleiner als in den bisher geschilderten Fällen, und zwar diesmal das rechte kleiner als das linke. Noch kleiner, etwa von Erbsengröße, sind die Knöchelchen in Fall 5. Sie sind noch weiter voneinander entfernt, fest verbunden mit der planen Oberfläche zweier stark ausgeprägter Vorsprünge, welche eine deutliche Furche von den Incisurae claviculares trennt. An dem 6. Präparat endlich sind die Knöchelchen kaum größer als eine Linse, das linke ist direkt dem horizontalen oberen Brustbeinrand verbunden, das rechte sitzt auf einem sehr starken Vorsprung, so daß hier zwischen den beiden Ossa suprast. eine unregelmäßig gestaltete Incis. jugul. besteht. Beziehungen zu den clavicularen Gelenkflächen sind hier nicht mehr vorhanden. Ausgehend von dem höchstentwickelten Zustand der Ossa suprast. ın Fig. 7 haben wir also bisher Veränderungen der Knöchelchen kennen gelernt, welche in einer Größenabnahme derselben, einem Auseinanderrücken nach lateralwärts, einem Ersatz der Geienkverbindung durch Synchondrose und Syndesmose, der Ausbildung eines besonderen Knochenvorsprunges als Basis und dem Verlust der näheren Beziehungen zur Clavicula bestehen. { Eine weitere Reihe von Veränderungen beruht in dem Verlust der Selbständigkeit eines der beiden Knöchelchen durch Synostose mit dem oberen Brustbeinrand. Dies sehen wir in Fig. 9, die sich am nächsten in dieser Hinsicht an Fig. 7 anschließt. Das linke Os suprast. ist mit dem oberen Brustbeinrand verschmolzen und erscheint jetzt als Tuberculum suprasternale. Die ursprüngliche Trennungslinie ist noch deutlich sichtbar. Das rechte Knöchelchen ist noch selbständig dem oberen Brustbeinrand synchondrotisch verbunden, mit geringen Koalescenzerscheinungen nach Prirzwer. Dies Os supr. ıst das größte von mir beobachtete. Seine Dimensionen sind folgende: Länge 20 mm, 78 Zur Morphologie des Manubrium sterni. e 78 Breite ıı mm, Höhe 6 mm. Sehr zu beachten ist der Umstand, daß sowohl auf das Tuberculum wie auf das freie Suprasternalknöchelchen der anderen Seite die claviculare Gelenkfläche sich ausdehnt. Unter den übrigen 8 Präparaten von einseitig freien Ossa suprasternalia findet sich noch eines, das dem eben geschilderten insofern gleicht, als dem freien Knöchelchen der rechten Seite links ein Tuber- culum suprasternale von etwa gleichem Umfang entspricht. Die Beziehungen zur clavicularen Gelenk- fläche sind aber hier einerseits aufgegeben und das Tuberculum durch eine schmale Rinne von der Incisura clavicularis getrennt, welcher auf der anderen Seite das Os suprast. noch eine kleine glatte Fläche zuwendet. Unter den übrigen 7 Präparaten hat sich ein selbständiges Os suprast. 5mal links und mal rechts erhalten, in 5 Fällen etwa von Erbsengröße und darüber, in den beiden anderen von Linsengröße und darunter. Nur an 3 Präparaten sind kleine Höcker nachweisbar, die als Tubercula suprasternalia angesprochen werden könnten, in allen anderen ist einseitig das Os suprast. spurlos verschwunden. Verlieren beide Ossa suprasternalia ihre Selbständigkeit durch Synostose mit dem oberen Brust- beinrand, so erhalten wir ein Präparat, wie es Fig. ıo darstellt. Die beiden Tubercula suprast. lassen noch deutlich ihre ursprüngliche Trennungslinie gegen das Manubrium erkennen. Eine breite Furche trennt sie von den Incisurae claviculares. Eine ganze Reihe von Präparaten bietet ähnliche Befunde. Vielfach erscheinen die Tubercula als kleine, unbedeutende Höcker, die innerhalb einer mehr oder weniger deutlichen Incisura jugularis liegen (vergl. Textfig. 14). Einige Präparate schließen sich direkt an Tafelfigur 7 an, indem nämlich die Tubercula unmittelbar an die mediale Ecke der Incis. clavic. angrenzen und auf ihrer lateralen Seite eine glatte Fläche zeigen, welche zur Vergrößerung der clavicularen Gelenkfläche beiträgt. Endlich ist auf Tafelfigur ır ein Präparat wiedergegeben, welches rechts ein deutliches Tuberculum suprasternale zeigt, das durch eine Furche von der entsprechenden Incis. clavic. abgesetzt ist. Die linke claviculare Gelenkfläche ist viel größer und zwar liegt die Vergrößerung auf einem Vorsprung an der medialen Ecke, den ich als das Tuberculum suprast. der linken Seite auffasse. Aehnliche Beobachtungen wurden von mir wiederholt erhoben. Inwiefern tragen nun die zuletzt geschilderten Befunde der 4. Gruppe zum Verständnis der drei ersten Gruppen bei? Die verschiedenen Formen des Tuber jugulare lassen sich leicht von Veränderungen der Ossa resp. Tubercula suprast. ableiten. Denken wir uns 2 Ossa suprast. wie in Tafel- figur 7 sowohl mit dem oberen Brustbeinrand als auch unter einander, wenn auch nicht ganz vollständig verschmolzen, so geht daraus das Tuber jugul. der Tafelfigur 6 hervor; vollständige Verschmelzung zweier kleinerer Ossa oder Tubercula suprast. würde den unregelmäßigen Höcker der Tafelfigur 4 entstehen lassen. Für die Erklärung des Befundes in Tafelfigur 5 müssen wir ein Verhalten etwa wie in Tafel- figur 10 zur Grundlage nehmen; die Verschmelzung zweier Ossa oder Tubercula, die von der Incıs. clavicularis bereits durch eine Rinne getrennt sind, muß ein solches Tuber jugulare ergeben. Schwieriger ist die Frage zu beantworten, ob beim Bestehen einer Incisura oder Crista jugularis Reste von Ossa suprasternalia an der Bildung des oberen Brustbeinrandes beteiligt sind und wo wir dieselben zu suchen haben. Die Frage ist wohl nicht ganz zu verneinen, wie uns Tafelfigur 9, 10, ıı und Textfigur 14 zeigen. Danach können die Reste von Ossa suprasternalia sowohl in den medialen Ecken der Incisurae claviculares sowie in den medianen Partien der Incisura resp. Crista jugularıs enthalten sein. Auch könnte der hohe präcostale Vorsprung der Textfigur ı3 direkt aus der Verschmelzung der Knöchelchen von Tafelfigur 7 sich erklären, deren ganze laterale Fläche zur Verbindung mit der Clavicula dient. Es liegt die Versuchung nahe, die horizontale Linie, welche gelegentlich wie in Tafelfigur ı den prä- costalen Abschnitt unvollkommen gegen den Hauptteil des Manubrium abgrenzt mit einer ursprünglichen n : v 5 u 79 Zur Morphologie des Manubrium sterni 79 Trennungslinie zwischen Manubrium und Ossa suprast. in Verbindung zu bringen. Das wäre aber ein Irrtum, denn sowohl beim Bestehen eines starken Tuber jugul, wie bei ganz selbständigen Ossa suprast. kann außerdem noch diese Linie mehr oder weniger deutlich ausgeprägt sein, wie Tafelfıgur 6 und 7 zeigen. Vielleicht ist sie bedingt durch den Verlauf von Gefäßen. Unsere bisherigen Beobachtungen haben uns also gelehrt, daß wir an einer großen Zahl von erwachsenen menschlichen Brustbeinen dieSpuren suprasternaler Skelettstücke nachweisen können. Sie erscheinen in Form von Ossa suprasternalia die bei ihrer höchsten Entfaltung mit dem Sternum gelenkig verbunden sind und auch mit dem sternalen Ende der Clavicula artikulieren, oder als Tubercula Spas Ten allansodersencdhiehsals- uber jugulare Durch die Vergleichung einer großen Zahl erwachsener Individuen konnten wir also den Weg verfolgen, auf welchem ein ursprünglich selbständiger Skelettteil seiner allmählichen Reduktion bis zum völligen Verschwinden anheimfällt. Zwischen den verschiedenen Formen des oberen Brustbeinrandes und Alter und Geschlecht der Individuen scheinen keine bestimmten Beziehungen zu bestehen. Die beigefügte Tabelle I giebt über die Verteilung des Materials auf die vier Formtypen, die einzelnen Altersklassen und die beiden Geschlechter Auskunft. Formtypen des oberen Lebensalter der Individuen Sa. Brustbeinrandes I5s—20 | 21-30 | 31-40 | 41-50 | 5ı-60 | 61—70 | 71-80 | 81—-90 | 9ı—-100 ? 226 I. Incisura jugularis a) flach d 2 I 2 7 2 2 — —— 25 desgl. 2 Tl 2 II 6 5 5 6 I = 43 desgl. unbekannt — — — _— —_ == — en 7 7 Sa. 9 ß 13 13 Io 9 8 2 T 7 75 I. b) deutlich (6) 2 3 5 3 9 5 3 — =: 32 desgl. ? — 3 3 3 9 3 4 = 30 desgl. unbekannt — _ — —_ —_ — _ Be = 7 7 Sa 2 6 8 6 18 8 Mi 7 — 7 69 U. Crista jugularis & 2 — 3 2 ea = 14 desgl. 2 I 2 a 3 2 3 3 = = _ 18 desgl. unbekannt — — == -- — — ee A u 4 4 Sa 3 3 4 5 4 6 2 — 4 36 III. Tuber jugulare d -- L T I I 3 I —— — = a desgl. @ _ I I —_ 2 —_ 2 I — — 7 desgl. unbekannt — Zr = — = = =B as — 2 2 Sa —_ 2 2 I 3 3 2 I —_ 2 17 IVa. Tubercula suprast. I ne — I 2 3 2 = — _ Io desgl. © I I _ — 2 I — — = = 5 desgl. unbekannt — I — —_ — — — ze Sa 2 2 = I 4 4 2 _ — = 15 z IVb. Ossa suprast. de — — 2 — 3 I = ne = ei 6 desgl. 2 E= I — — = en 2 er = — desgl. unbekannt _ — —_ — — —_ ren — = 2 Sa _ I 2 — 3) I _ — — 2 9 Pathologisch d — — — — _ I I T — — 3 desgl. 2 — = —_ == en _ en Be 2 e: eu desgl. unbekannt — _ — ie er — = a 2 5 Sa. — — — —_ = I I I —_ 2 5 Gesamtsumme 16 17 29 26 42 31 27 13 I 24 226 so Zur Morphologie des Manubrium sterni. so Bei den oben näher besprochenen, sehr wechselnden Angaben der Autoren über die Häufigkeit der Ossa suprasternalia liegt die Vermutung nahe, daß an verschiedenem Material die prozentische Häufigkeit der einzelnen Formtypen des oberen Brustbeinrandes sich verschieden darstellt, hier also anthro- pologisch interessante Unterschiede bestehen. Darauf deutet ja auch schon die Angabe von Knox (1843) hin, daß Ossa suprasternalia anscheinend in England sehr selten seien. Die für diese Frage verwertbaren vorliegenden Beobachtungen sind in der folgenden Tabelle II zusammengestellt, in welcher die auf einem zu geringen oder ausgewählten Material beruhenden Angaben von KIRCHNER und Bocusar keine Berücksichtigung erfahren haben. Autor Strauch (Dorpat) | Paterson (Liverpool) , Eggeling (Straßburg) Gesamtzahl der untersuchten Sterna 200 563 221 I. Normal, (Incisura jugularis) — 467 —=83 Proz. 144 —65 Proz. II. Abnorm (Crista und Tuber jugul., Tubercula und Ossa suprast.) — 96—= 17 ” = 38 „ III. Crista und Tuber jugul. _ V=9 5 Dr en! ” ‚IV. Tubercula und Ossa supr. == 54h 20x SS > 24— 10,86 ,, . V. Tubercula und einseitige Ossa supr. eh. % Bed A VI. Tubercula supr. be: 435 8 5; w= 7 55 ‘VII. Fälle von Ossa supr. erh 5 = 097 % = 4 n VIII. Einzelne Ossa supr. auf einzelne Brustbeinhälften ER) 5 Kassa Ay „ ua a 5 IX. Beiderseitig freie Ossa supr. ME re = ON BEE Die Tabelle II zeigt sehr erhebliche Unterschiede in den Zahlen von PArErson und mir bezüglich der Rubriken I, II, II, VO, VIH, IX. Daraus geht hervor, daß unser Material beträchtliche Differenzen aufweist in dem Vorkommen einer Incisura jugularis sowie in dem Vorhandensein von freien Ossa suprasternalia. Es wurde bereits darauf hingewiesen, daß vielleicht an einzelnen der Präparate von Tubercula supr. PArErsons freie Knöchelchen verloren gegangen waren. Deshalb habe ich noch die Rubriken IV und V aufgestellt, die indes zeigen, daß in dem Erhaltenbleiben von suprasternalen Skelettstücken das englische Material beträchtlich hinter dem unseren zurückbleibt. Zahlendifferenzen bezüglich der Häufigkeit von Tubercula suprast. können allerdings keine große Beachtung beanspruchen, da es wohl sehr von der individuellen Beurteilung abhängt, welche Höckerchen man zu diesen Bildungen rechnen will, welche nicht. ParErson scheint darin etwas weiter gegangen zu sein als ich, während STRAUCH offenbar viel vorsichtiger war. Des letzteren Befunde bezüglich der Häufigkeit von Suprasternal- knöchelchen differieren ebenso stark wie die meinen von den Angaben ParErsons, ohne doch mit den meinigen wirklich übereinzustimmen. Immerhin wäre es möglich, daß unsere Zahlen sich mehr nähern würden, wenn wir beide über ein größeres Material verfügten. In der Tabelle II sind nur meine Straßburger Beobachtungen berücksichtigt. Sehr auffällig scheint mir aber, daß ich in Jena während 2 Sommer- und ı Wintersemester unter der immerhin geringen Zahl von Brustbeinen, die mir zu Gesicht kam, 6 Präparate von Ossa suprasternalia fand, und zwar 3 mal beiderseitig, 3mal nur einseitig. Es erscheint nach diesen Befunden sehr wahrscheinlich, daß die prozentischen Zahlen der Häufigkeit der verschiedenen Formtypen des oberen Brustbeinrandes und besonders auch des Vorkommens freier Ossa suprasternalia an anthropo- logisch verschiedenartigem Material verschieden sind. Weiter ausgedehnte Unter- suchungen müssen darüber noch eingehendere Aufklärung bringen. Sı Zur Morphologie des Manubrium sterni. 81 Eine nähere Schilderung des Reliefs und der Form des Manubrium sterni, wie sie von KIRCHNER und Strauch gegeben wurde, liegt außerhalb unserer Aufgabe. Es sollen hier nur einige Befunde Erwähnung finden, die für die Frage nach den am Aufbau des Manubrium beteiligten Elementen von Bedeutung erscheinen. PanscH (1875, S. 553) hat bereits darauf aufmerksam gemacht, daß bisweilen die Ansatzstelle der ersten Rippen am Manubrium so breit ist, daß sie den größten Teil des Seitenrandes des Brust- beinhandgriffes einnimmt, und daß diese Erscheinung wohl nähere Beachtung verdient. Auch unter meinem Material finden sich einzelne solche Präparate. Bei der Maceration zeigte sich vielfach, daß der breite Rippenknorpel nicht mit seiner ganzen Endfläche gleichmäßig fest am Seitenrand des Manubrium befestigt ist. Ein inniger Zusammenhang ergab sich nur für den distalen Abschnitt, während im proximalen Teil ein schmaler Spalt zwischen Rippenknorpel und Manubrium besteht, der durch derbes Fig. 15. Fig. 15. Menschliches Manubrium No. 5500. d&, 53 Jahre. ®/, nat. Größe. Fig. 16. Menschliches Manubrium, Jena. °/, nat. Größe. faseriges Gewebe, das sich bei der Maceration ziemlich leicht löst, ausgefüllt ist. Dadurch erscheint das Manubrium in zwei stumpfe Ecken ausgezogen, die den kranialen Rand des 1. Rippenknorpels für eine kurze Strecke überlagern. Dieser Befund erinnert sehr an das Aussehen des Manubrium beim Vorkommen einer rudimentären Halsrippe oder Reduktion der ı. DBrustrippe (s. Textlig. 15). Weiterhin bilde ich in Textfig. 16 ein Präparat ab, welches die Grenze zwischen Manubrium und Corpus nicht innerhalb der Ansatzstelle des 2. Rippenpaares, sondern distal von derselben zeigt, aber darin eine Besonderheit aufweist, daß diese Grenze überhaupt nicht innerhalb der Ansatzstelle eines Rippenpaares, sondern zwischen zwei solchen liegt. Am Seitenrand des Manubrium setzt eine Knorpel- brücke die knorpeligen Enden der ı. und 2. Rippen untereinander in Verbindung. Auf der linken Seite dieses Präparates erreichen 8 Rippen das Brustbein. Dasselbe beobachtete ich in einem Fall von beiderseitigen Ossa suprasternala. Ob das Vorkommen von 8 wahren Rippen häufiger mit dem Selbständigbleiben der Suprasternalknöchelchen sich verbindet, vermag ich nicht zu entscheiden, da ich in den übrigen Fällen nur die Manubria gesammelt hatte'). Einen Beitrag zur Entwickelung des Manubrium liefern 3 von mir beobachtete jugendliche Präparate. Das eine, von einem 3'/,jährigen Mädchen, zeigt am schmalen kranialen 1) Nach meinen Beobachtungen in Jena kann ich durchaus ToLpr beistimmen, der (1893, S. 40) angiebt, daß 8 wahre Rippen durchaus keine Seltenheit smd. Nach LuscHkA (1863, S. 1IQ) kommen sie bisweilen, aber immerhin nur in Ausnahmefällen vor. Aehnlich äußern sich darüber Diısse (1896, S. gr) und CuUnNInGHAM (1902, S. 93). Ausführliche Literaturangaben bringt HeLm (1895). Möglicherweise liegen auch hier anthropologische Unterschiede vor. Jenaische Denkschriften. XI. 11 Festschrift Ernst Haeckel. 82 Zur Morphologie des Manubrium sterni. 82 Brustbeinrand, der sich horizontal zwischen den beiden Incisurae claviculares hinzieht, 2 Cartilagines suprasternales aus hyalinem Knorpel bestehend, umhüllt von einem derben faserigen Gewebe, das auch die Verbindung mit dem oberen Brustbeinrand, der ebenfalls noch knorpelig ist, herstellt. Beziehungen der Knorpelchen zur clavicularen Gelenkfläche bestehen nicht. Ein schmaler Zwischenraum trennt die beiden Knorpelchen voneinander. An dem anderen Präparat, das von einem 4',jährigen Knaben her- rührt, ist die Verknöcherung des Manubrium nahezu vollendet. An seinem oberen Rand, anschließend an die medialen Enden der Incisurae claviculares, liegt jederseits ein kleiner, aus hyalinem Knorpel bestehender Höcker. Der linke ist größer, reichlich von Erbsengröße. Auf seine laterale Seite dehnt sich in ganz geringem Umfang die Gelenkfläche für die Clavicula aus. Eine ganz feine Knorpelbrücke setzt die beiderseitigen Höcker untereinander in Verbindung. Sie standen mit der knorpeligen Grundlage des Manubrium wohl in kontinuierlichkem Zusammenhang. Wenigstens ließ sich eine Grenze nicht mehr nachweisen. Einen starken knorpeligen Höcker ohne Beziehung zur clavicularen Gelenkfläche zeigt der obere Rand des Brustbeines von einem ı2'J)‚jährigen Knaben auf der rechten Seite. Ein Schnitt durch diesen Höcker läßt in seinem Zentrum Spuren von Verknöcherung wahrnehmen. Nach unten geht der Höcker über in einen Knorpelstreif, der am oberen Rand des Brustbeines zwischen den Incisurae claviculares hinzieht. Leider ist der Knorpelüberzug auf der linken Seite verletzt. Hier besteht aber ein starker knöcherner Fortsatz, der sich in den Knochen des Manubrium kontinuierlich fortsetzt und vergleichbar ist den Knochenhöckern, welche bisweilen an Brustbeinen von Erwachsenen freie Ossa suprasternalia tragen. Offenbar handelt es sich bei dem ersten Präparat um knorpelig präformierte Ossa suprasternalia, bei dem zweiten um ebenfalls knorpelig angelegte Tubercula suprasternalia und vielleicht bei dem dritten rechts um ein selbständig ossifizierendes Os suprasternale, links um ein Tuberculum, an welch letzteres das sternale Ende der Clavicula sich anlagert. Was lehren uns nun die bis jetzt bekannten Tatsachen bezüglich des Aufbaues des mensch- lichen Manubrium sterni. Sie zeigen uns, daß der Hauptteil des Brustbeinhandgriffes gebildet wird von dem ventralen Zusammenschluß besonders des ı., aber auch des 2. Rippenpaares. Wir haben aber Fälle kennen gelernt, in denen auch das 3. Rippenpaar sich beteiligt. An dem präcostalen Ab- schnitt des Brustbeines haben jedenfalls Reste von Halsrippen einen wesentlichen Anteil. Abgesehen von den ganz unzweifelhaften Fällen, wie sie die Textfigg. ı, 2 zeigen, führe ich auf Halsrippen auch solche Befunde zurück, wie auf Textfig. ı5, in denen kranial von der eigentlichen Ansatzstelle der ı. Rippe das Manubrium zwei stumpfe, lateral ausgezogene Ecken aufweist, welche die Grundlage für die clavicularen Gelenkflächen bilden. In allen anderen Fällen kann eine kranıale Vorwölbung des oberen Brustbeinendes ebenfalls auf mediale Teile längst verschwundener oder erst im Verlauf der Ontogenese untergehender Halsrippen zurückgeführt werden. Auch könnte eine solche kraniale Vorwölbung rein mechanisch durch den Druck der sich an den oberen Brustbeinrand anstemmenden Schlüsselbeine her- vorgerufen sein. Endlich ist in die Bildung des Manubrium ein suprasternaler Skelettteil eingegangen, der, wenn nicht konstant, so doch sehr häufig ım Lauf der Entwickelung auftritt. Aus den Angaben von PATERSoN scheint hervorzugehen, daß die von RucE beschriebenen suprasternalen Knorpelchen zwischen den Vorderenden der noch nicht verschmolzenen Sternalleisten nicht in allen Fällen gefunden werden. Ihre ontogenetische Herkunft bedarf noch weiterer Aufklärung. Russ Schilderung zeigt nicht, daß dieselben ursprünglich mit den Sternalleisten in Beziehung stehen, und nach ParErson entwickeln sie sich in einem Gewebe, aus dem gleichzeitig die Claviculae, der Sterno-clavicularmeniscus und sogar das Manubrium sterni entstehen sollen. Die weiteren Schicksale der suprasternalen Knorpelchen sind 8 zZ Zur Morphologie des Manubrium sterni. 83 verschieden bei verschiedenen Individuen. In der Mehrzahl werden sie wohl, wie RucE es schildert, ohne Spuren zu hinterlassen, in die medianen Teile des Brustbeinhandgriffes aufgenommen. Gelegentlich aber erhalten sie sich selbständig und bilden die Anlage der knorpelig präformierten Ossa supraster- nalia. Ich halte demnach die Suprasternalknorpel Ruces nicht für Reste von Hals- rippen, sondern für Homologa der Ossa suprasternalia (wie Torpr [1893] und Disse [1896] ohne nähere Begründung). Dazu bestimmen mich die auffallenden Uebereinstimmungen in der Lage der Suprasternalknorpel nach der Schilderung von RucE und der Ossa suprasternalia in dem von mir beobachteten höchstentwickelten Zustand. Besonders wichtig erscheinen mir dabei die beiden gemeinsamen Beziehungen zur Clavicula. Wie oben für die Ossa suprasternalia näher ausgeführt wurde, zeigen also zahlreiche Manubriumformen in größerem oder geringerem Grade Reste der Suprasternalknorpel erhalten und aus dem Grade ihres Erhaltenbleibens bis zum völligen Verschwinden erklärt sich zum großen Teil die Form des oberen Brustbeinrandes. Weitere Aufklärungen über die Bedeutung der ÖOssa suprasternalia suchen wir bei der ver- gleichenden Anatomie und Entwickelungsgeschichte. II. Die Sternoclavicularverbindung und das Manubrium sterni der Säugetiere. 1. Monotremen. Der T-förmige Episternalknochen von Echidna und Ornithorhynchus, dessen seitlichen Armen die Schlüsselbeine mit dem größten Teil ihrer Länge aufgelagert sind, während die Basis des unpaaren Mittelstückes an das Vorderende des knöchernen Sternum sich anschließt, ist bekannt und oft beschrieben. Hier soll nur auf einige speziell wichtige Punkte näher eingegangen werden. Das Manubrium sterniı von Ornithorhynchus (s. Textfig. 17) besteht nach PARKER aus zwei Teilen, die durch einen breiten Knorpelstreifen voneinander getrennt sind. Der vordere Abschnitt ist Fig. 17. Fig. 18. Fig. 17. WVorderes Brustbeinende von Ornithorhynchus, von der Ventralseite gesehen. Nach PARKER (1868, Taf. X'VIII, Fig. 5) schematisiert. Das größtenteils vom Episternum überlagerte „Proosteon“ ist grob punktiert, die Knorpelscheibe zwischen diesem und dem eigent- lichen Manubrium fein punktiert. Fig. 18. WVorderes Brustbeinende einer jungen Echidna, von der Ventralseite gesehen. Nach PARKER (1868, Taf. XVIII, Fig. Io) schematisiert. Das fein punktierte „Proosteon“ ist nur teilweise vom Episternum überlagert. nur teilweise enchondral verknöchert. Diese unpaare Ossifikation soll den symmetrischen „Proostea“ von Rhea entsprechen und dem 7. Halswirbel zugehören. Der Abschnitt ist eingeschoben zwischen die beiderseitigen Coracoidea und das unpaare Episternum oder Interclavicula, aber an seinem vorderen 11* 2 4 Zur Morphologie des Manubrium sterni. 8 4 Ende frei. Auf seiner ventralen Fläche wird er überdeckt von dem basalen Teil des unpaaren Mittel- stückes des Episternum. Der zweite Abschnitt gehört zum ı. Rippenbogen und soll dem ganzen Manu- brium des Menschen entsprechen. Er ossifiziert perichondral (Taf. XVIH, Fig. 4—6). Aehnlich liegen die Verhältnisse bei Echidna, wovon Parker Abbildungen nach einem ganz jungen (s. Textfig. 18) und einem erwachsenen Tiere gibt, ohne in der Beschreibung näher darauf einzugehen. Der vorderste Abschnitt des Manubrium soll hier perichondral ossifizieren (1868, S. 194, Taf. XVII, Fig. 10— 13). ALBRECHT (1884, S. 30) sieht in einem kleinen Skelettteil am Seitenrand des vordersten Brustbein- abschnittes von Echidna zwischen Coracoid und ı. Rippe, den Parker als Postepicoracoid bezeichnet, einen Rest einer letzten Halsrippe. Nach Anthony (1898, S. 13) besteht der Brustbeinapparat der Monotremen aus einem basilaren und einem costalen Teil. Der erstere setze sich zusammen aus den proximalen Enden der Coracoidea und Praecoracoidea, aus einem medianen Abschnitt, der dem Postomosternum der Batrachier entspreche (Proosteon PARKERS, präcostaler Abschnitt des Brustbeines), und aus der T-förmigen Interclavicula, die nach unten mit dem Manubrium, nach oben mit den Schlüsselbeinen in Verbindung steht. Das knorpelige, vom Episternum überlagerte Vorderende des costalen Brustbeines, das PARKER bei einer ganz jungen Echidna schilderte, bleibt nach Görtz (1877, S. 567) auch später knorpelig und dünn und sondert sich ab gegen das hintere Stück des Brustbeines, welches das ı. Rippenpaar trägt und, wie GörrE bei Ornithorhynchus zu sehen glaubte, verkalkt. Dieses letztere Stück erscheint dann am trockenen Skelett als das eigentliche Manubrium, während dessen knorpeliges wirkliches Vorderende wie eine eingetrocknete Bandmasse zwischen Basis des Episternum und Vorderrand des Brustbeines sowie an der Hinterfläche des Episternum aussieht. Eine nur kurze und sehr befremdende An- gabe von WIEDERSHEIM (1902, S. 74) besagt, daß bei Monotremen kranialwärts vom Sternum ein Fortsatz sich findet, der aus dem Blastem des ı. Rippenpaares stammt, sich später abgliedert und zum Episternum dieser Tiere wird. 2. Marsupialier. Ueber Marsupialier liegen ausführliche Schilderungen von GEGENBAUR vor. Er fand bei jugendlichen Exemplaren dreier Didelphys-Arten angefügt an das vordere Ende des knöchernen Manu- brıum sterni ein T-förmiges Knorpelstück. Dieses sitzt mit verbreiterter Basis auf dem vorderen Ende des Sternum und umfaßt dasselbe an seinem ganzen Vorderrande, wobei in einem Fall die Knorpel- masse dieses Episternum sich lateral bis zum Ansatz der ı. Rippe erstreckt (GEGENBAUR 1864, Textfig. 1, S. 176). Die seitlichen Teile des T-förmigen Episternum laufen in kolbig angeschwollene, abgerundete Enden aus, und mit diesen ist das vordere verbreiterte Ende der Clavicula fest verbunden durch ein Gelenk (1864, S. 176) oder durch ein Band (1865, S. 18). „In gewöhnlicher Lagerung sind diese Ouer- äste nach hinten, gegen die verbreiterte Basis des Episternum gestellt, so daß dann die Schlüsselbeine viel näher der ı. Rippe sich zu inserieren scheinen, als dies wirklich der Fall ist, und an dem vorderen Teile des knöchernen Sternum eine feste Unterlage besitzen. Diese gegen das Sternum angestemmte Lagerung der Claviculae ist die natürliche. Die Schlüsselbeine können sich nur wenig: aus dieser Lage entfernen, und erst durch Ablösung einiger dünner Bandstreifen, welche jene Lagerung fixieren, gelingt es sehr leicht, die Querstücke nach vorn zu ziehen und sie so zu richten, daß ihre Längsachsen zu- sammenfallen.“ GEGENBAUR nimmt an, daß bei jungen Didelphys das knöcherne Episternum der Mono- tremen knorpelig geblieben ist und auch an Volum sich reduzierte. Die weiche Beschaffenheit des g 5 Zur Morphologie des Manubrium stemi. 85 Knorpels ist die Ursache, daß die Schlüsselbeine eine festere Stütze am knöchernen Brustbein suchen. Bei ausgewachsenen Exemplaren von Didelphys fand GEGENBAUR (1865, S. 18) das Mittelstück des T-förmigen Episternum ossifiziert und mit dem Brustbein verwachsen, indessen die seitlichen Teile knorpelig blieben. Im wesentlichen dieselben Verhältnisse bietet Dasyurus Maugei dar (1865, Taf. II, Fig. 6). Dagegen war bei einem Exemplar von Dasyurus ursinus der ganze Episternalknorpel, Mittelstück und Seitenäste, einheitlich ossifiziert. In welcher Weise die Verbindung mit dem vorderen Sternalrand zu stande kommt, ob durch Synchondrose oder ein Gelenk, ließ sich nicht feststellen (MSOR, SETS). Bei Dendrolagus und Halmaturus sind nur die beiden seitlichen Knorpeläste vorhanden, eingeschoben zwischen Sternum und Clavicula. Vielleicht besteht auch hier embryonal ein Mittelstück, das später mit dem Sternum verschmilzt. Nach der Schilderung und den Abbildungen von PARKER (1868, S. 197) ist die Clavicula der Marsupialier niemals einfach, sondern sie besitzt an ihrem scapularen Ende ein kleines knorpeliges „mesoscapulares Segment“ und am sternalen ein ähnliches „präcoracoidales Segment“. PARKER hat diese niemals selbständig verknöchert gesehen. Das T-förmige Knorpelstück, das GEGEnBAUR als Epi- sternum von Didelphys (s. Textfig. 19) schildert, besteht nach PARKER aus 3 Teilen, einem mittleren unpaaren Stück, das an das Vorderende des knöchernen Brustbeines sich anschließt, und zwei seitlichen Fig. 19. Fig. 20. Fig. 21. Fig. 19. Sternoclavieularverbindung eines erwachsenen Didelphys spec. von der Ventralseite. Nach PARKER (1868, Taf. XIX, Fig. 2). Das praecoracoidale Segment ist hier nicht selbständig sichtbar. Fig. 20. Sternoclavicularverbindung eines jungen Phalangista vulpina. Nach PARKER (1868, Taf. XIX, Fig. 9). Fig. 21. Sternoclavicularverbindung eines jungen Phascolomys Wombat. Nach PARKER (kombiniert aus Fig. 13, 14, Taf. XIX). Teilen, die jederseits mit dem mittleren in Bandverbindung stehen und mit dem präcoracoidalen Seg- ment der Clavicula ursprünglich kontinuierlich zusammenhängen, später dann durch eine kleine Gelenk- höhle getrennt werden (Taf. XIX, Fig. 1—4). PARKER deutet die seitlichen Teile als Omosternum und Teil des Schultergürtels, während er das Mittelstück als Praesternum dem Brustbein zurechnet. Bei Dasyurus fand Parker ein ähnliches Verhalten (Taf. XX, Fig. ı), dagegen sind die seitlichen Knorpel bei Phalangista (s. Textfig. 20) viel kleiner (Taf. XIX, Fig. 8, 9). Dieselben sind ersetzt durch eine Bandmasse bei herbivoren Beutlern, Phascolarctos fuscus (Taf. XIX, Fig. ıı) Halmaturus Diemmersi NEL DO sr ,,.1,06) Bettonstia Grayı (Taf. XX, Ei o9), Petrogale xanthopus (Taf. XX, Fig. 12). Zwischen der Bandmasse und dem präcoracoidalen Segment besteht eine kleine Gelenkhöhle bei Phascolomys Wombat (s. Textfig. 21), das Band ist aber nicht derb genug, um einen Meniscus vorzustellen (Taf. XIX, Fig. 14). Der vorderste knorpelige Brustbeinabschnitt ist am breitesten an seiner Verbindungsstelle mit dem ı. Rippenpaar, von welchem er nicht immer getrennt wird, wie zahlreiche Figuren der Tafeln XIX und XX zeigen. Die vordere Hälfte dieses Praesternum 36 Zur Morphologie des Manubrium sterni. 86 verknöchert nicht und entspricht dem 7. Halswirbel, während eine Ossifikation der hinteren Hälfte von dem ersten knöchernen Segment des Brustbeines zwischen ı. und >. Rippenpaar ausgeht (S. 108). Nach einer Beschreibung und Abbildung von Surron (1885, S. 36, Taf. III, Fig. 5) besteht bei Didelphys jederseits zwischen den sternalen Enden der Claviculae ünd dem vordersten Ende eines langen präcostalen Brustbeinfortsatzes ein kleines Knöchelchen, welches dem Omosternum PAarkERS entspricht und nach beiden Seiten durch eine Gelenkhöhle von den benachbarren Skelettteilen getrennt ist. Ein Knorpelstückchen innerhalb einer fibrösen Sternoclavicularverbindung beobachtete AnrHonv (1898, S. 69) bei Phalangista vulpina, ansehnlicher bei Didelphys, geringer und angeschlossen an das Ende der Clavicula bei Phascolomys und Halmaturus. Axrnonv sieht darin nicht einen Rest des Omosternum, sondern des Episternum. GörtE (1877, S. 565) beschreibt bei jungen Didelphys guica, daß das ansehnliche sogenannte Mittelstück des Episternum nicht, wie von GEGENBAUR geschildert, vor dem Manubrium liegt, sondern dieses ein wenig auf der Ventralfläche überlagert und sich hier befestigt. Auch C. K. Horrmann (1879, S. 51) fand, daß beim erwachsenen Didelphys opossum kein einheitlich knorpeliges Episternum besteht, sondern ein mittleres knorpeliges Stück, das an das vor- dere Brustbeinende sich anschließt, und 2 kleine seitliche Knorpel, die durch straffes Bindegewebe ohne Zwischentreten einer Gelenkhöhle mit dem mittleren Stück wie mit den Schlüsselbeinen verbunden sind. An Embryonen von Didelphys konnte HoFFmann nachweisen, daß zwischen dem hinteren Ende des knorpeligen Mittelstückes und dem Vorderrand des aus der medianen Vereinigung von Rippen entstandenen Brustbeines eine von zartem embryonalen Bindegewebe ausgefüllte Lücke besteht. Dem- nach würde der innige Zusammenhang zwischen Mittelstück und costalem Brustbein erst sekundär zu stande kommen. Andererseits sind die Seitenstücke vom Mittelstück nur durch eine schmale Zone abgegrenzt, in welcher die Knorpelzellen in longitudinalen Reihen angeordnet sind. Auch die Grenze zwischen Schlüsselbeinen und seitlichen Episternalia ist noch keine scharfe, indem die verkalkte knorpe- lige Grundlage der Claviculae sternalwärts erst in deutlichen hyalinen Knorpel, dann allmählich in mehr mit Bindegewebsfasern gemischten Knorpel und endlich wieder allmählich in den hyalinen Knorpel der seitlichen Episternalia übergeht. Horrmann stellt deshalb mit Görre (s. Abschnitt 5, Insektivoren, S. 96) das Mittelstück und die beiden seitlichen Knorpel als claviculares Brustbein dem costalen Brustbein gegenüber (S. 57—60, Taf. V, Fig. 20, 22, Taf. VI, Fig. 2). Denselben Befund zeigte ein Embryo von Chironectes minimus (Taf. Vl. Fig. 5, 6). Bei Embryonen und Föten vonMacropus giganteus und Halmaturus Bennettii ließ sich ein vom costalen Brustbein gesondertes knorpeliges Mittelstück nachweisen, indessen die Seitenstücke sich hier offenbar sehr früh in Bindegewebsstränge umbilden, welche Claviculae und Ma- nubrium verbinden. „Das sternale Ende der Claviculae ist noch vollständig hyalınknorpelig, und der hyaline Knorpel geht ebenso allmählich in das Bindegewebe über, welches Clavicula und Sternum verbindet, wie dieses in das Perichondrium des vordersten resp. obersten Teiles des Manubriums (das ursprüng- liche Mittelstück des clavicularen Sternums) sich fortsetzt. Die knorpeligen Seitenstücke des clavicularen Sternums haben sich hier in das Ligamentum sternoclaviculare umgebildet“ (S. 63, Taf. VI, Fig. 7, 9 10). Bei einem ganz jungen Beuteljungen von Phalangista fand Broom (1897) ein wohlent- wickeltes Coracoid, das mit dem Sternum artikuliert wie bei Monotremen. Zwischen Sternalende der Clavicula und vorderstem Sternalabschnitt liegt ein kleines Knorpelstückchen, das als ein knorpeliger Teil der Clavicula erscheint, da es teilweise von dem sich bildenden Knochen umschlossen wird. Aber trotz der innigen Beziehungen zur Clavicula sei es doch von diesem Knochen getrennt, der anscheinend 87 Zur Morphologie des Manubrium sterni. 87 keine knorpelige Grundlage habe. Broom glaubt, daß ein vollentwickeltes Coracoid auch anderen Beutlern in bestimmten Entwickelungsstadien zukommt. 3. Edentaten. Bei Dasypus sexcinctus (s. Textfig. 22) sind nach CuviEr (cit. nach Luscnka 1853, S. 40, Taf. II. Fig. 2) am vorderen Ende des Brustbeinhandgriffes zwei kleine Knöchelchen gelenkig angefügt, welche Knorpeln zur Stütze dienen, die eine Verbindung mit den Schlüsselbeinen herstellen (Cuvier 1835.1, 9..238). v. Rapp (1852, S. 39) giebt an, daß bei Gürteltieren das vorderste sehr breite Stück des Brustbeines, an welches sich die ı. Rippe anlegt, an seinem vorderen Rande zwei Knochenstücke trägt, an welche das Sternalende des Schlüsselbeines durch ein Band sich befestigt. Fig. 22. Fig. 23. Fig. 22. Sternoclavicularverbindung von Dasypus sexeincetus. Nach CUVIER-LUSCHRA (1853, Taf. II, Fig. 2). Fig. 23. Sternoclavicularverbindung bei Dasypus novemeinctus. Nach LuscHkA (1853, Taf. II, Fig. 3). Nach den Beobachtungen von Hyrır (1855, S. 22) ragt an dem breiten Manubrium sterni von Chlamydophorus truncatus eine paarige Apophyse neben der Incisura jugularıs vor. Dieselbe ist dem M. sternocleidomastoideus benachbart und vergleichbar den Knochenkernen, welche, wie die Ossa suprasternalia, bei Dasypus gymnurus dem vorderen Brustbeinrand Hörnern ähnlich aufsitzen. Bei Dasypus novemcinctus (s. Textfig. 23) fand LuscHkaA (1853, S. 14; 1859, S. 40) „statt zweier gesonderter Knöchelchen — am vorderen Rande des Manubrium sterni nur ein Knochenstück, welches nicht durch ein Gelenk, sondern durch eine feste Knorpelverbindung mit dem Handgriffe zu- sammenhängt und an dessen freiem vorderen Rande zwei abgerundete Höckerchen hervorragen, welche nach der äußeren Mittellinie hin zu einer flachen Rinne führen, so daß in dieser Anordnung sich also die Andeutung einer Scheidung in zwei gesonderte Stücke zeigt, welche in Dasypus sexcinctus zur völligen Realisierung gekommen ist. Mit jenen rundlichen Höckerchen — stehen die Schlüsselbeine nicht durch die Vermittelung eines Knorpels, sondern ganz direkt durch eine Bandmasse in Verbindung“. LuschkAa „fand an dem knorpellosen vorderen Ende des Schlüsselbeines ein 5 mm langes, rundliches Band — als bandartige Verlängerung der Clavicula — welches aus feinen elastischen und Bindegewebs- fasern gebildet ist und, zum Teil mit dem Perioste verschmelzend, sich an das Ende eines Höckerchens inseriert. In der Nähe der Insertionsstelle findet sich ein kurzes, die beiden bandartigen Enden der Schlüsselbeine verbindendes Bändchen von der oben bezeichneten Zusammensetzung — ein Lig. intercla- viculare. Bei einem jugendlichen Tiere zeigte sich das Skelettstick am vorderen Brustbeinrande noch knorpelig, obgleich die Ossifikation des Brustbeines schon weit vorgeschritten war. Bei der Gesamtlänge des Brustbeines von 5!/, cm ist jenes Stück 2 mm hoch und ',cm breit. Der Handgriff des Brust- 88 Zur Morphologie des Manubrium sterni. Sg beines ist verhältnismäßig sehr breit (1'/;, cm) und trägt das auffallend breite vordere Ende der ı. Rippe, sowie gemeinschaftlich mit dem folgenden Stücke des viel dünnere Sternalende der 2. Rippe jeder- seits“ (s. LuscHhKA 1853, Taf. II, Fig. 3.) Dieser Befund wird von PFEIFFER (1854, S. 17) bestätigt. Der vordere Brustbeinrand von Priodontes gigas zeigt nach LuscHkaA (1853; S. 41, 1859, S. 15) zwei abgerundete Fortsätze, die als direkte Verlängerungen der Knochensubstanz des Manubrium sterni erscheinen und zur Verbindung mit den Schlüsselbeinen dienen. Dieselben sind 'J, Zoll lang. Daß diese Fortsätze mit den selbständigen Knochenstücken von Dasypus zu vergleichen sind, will LuschxA auf Grund dieser einen Beobachtung nicht entscheiden, hält es aber für wahrscheinlich wegen ihrer Uebereinstimmung nach Lage, Form und Verbindung mit den Schlüsselbeinen. Vielleicht stellten die Fortsätze bei jungen Tieren einige Zeit durch Knorpelscheiben getrennte, selbständigere Stücke dar. Bei Myrmecophaga didactyla und Chlamydophorus truncatus sind nach GEGEn- BAURS Ansicht (1864, S. 187) Clavicula und Episternale ähnliche Rückbildungen eingegangen wie bei Carnivoren. Bei Myrmecophaga sei das Episternalstück noch straff und nicht sehr lang, aber festere Teile schienen nicht darin vorhanden zu sein. Die Episternalbildungen bei anderen Edentaten mit ausgebildeter Clavicula deutet GEGENBAUR (1865, S. 19) als die unpaaren Mittelstücke des typischen Episternum, während dessen seitliche Teile durch die zur Clavicula ziehenden Ligamente dar- gestellt würden. Bei Dasypus novemcinctus würde also eine vollständige, nur durch einen Ein- schnitt angedeutete, bei Dasypus sexcinctus und Priodontes gigas dagegen eine vollständige Trennung des Mittelstückes vorliegen, welches bei Priodontes mit dem Sternum verschmolzen ist. GEGENBAUR betont aber, daß durch eine Uebersicht über eine größere Reihe diese Auffassung eine Modifikation erfahren könnte. Weiterhin hat GEGENBAUR auch an einem Skelett von Choloepus didactylus ein vollständig knorpeliges T-förmiges Episternum beobachtet, das einerseits mit dem breiten Manubrium sterni, andererseits mit den Enden der Claviculae verbunden ist (vgl. GEGENBAUR 1865, Taf. II, Fig. 8.) Zum Teil recht abweichend sind die ausführlichen Schilderungen von PARKER (1868). Bei Bradypus tridactylus ist das mesoscapulare und präcoracoidale Segment teilweise von der kleinen Clavicula her ossifiziert. An das knorpelige Sternalende stößt bei jugendlichen Tieren ein kleines Fig, 25. hyalinknorpeliges Omosternum, das durch ein Band mit dem vordersten Sternalabschnitt in Verbindung steht und bei erwachsenen Exemplaren durch Band- masse ersetzt ist. Der vorderste Sternalabschnitt ist beim Embryo breit, nach vorn abgerundet, ragt wenig über das ı. Rippenpaar hervor und ist davon nicht gesondert. Er ossifiziert einheitlich und bildet beim Fig. 24. Sternoclavicularverbindung bei Erwachsenen einen stärkeren, spitzen, kranialen Fort- einem jungen Choloepus didactylus. Nach PARKER (1868, Taf. XXI, Fig. 16). N 0 S 2 Fig. 25. Sternoclavicularverbindung bei Pholidotus Dalmanni. Ein faserknorpeliges Omosternum besteht beim Jungen Nach PARKER (1868, Taf. XXII, Fig. 1). Choloepus didactylus (s. Textfig. 24) und erreicht beinahe das Brustbein, beim erwachsenen Tier ver- satz’ (S. 199, 200, Dar oXXl Mio 2, 06,10, 0 wandelt es sich in ein Band. Ein starker, knöcherner, in zwei kurze seitliche Hörner ausgezogener Fortsatz des Brustbeines überragt das ı. Rippenpaar in kranialer Richtung (S. 200, Taf. XXI, Fig. 16, 17%, 19, 23) Ber >holidotus Dalmannııı seen) und Manis longicauda fehlen die Claviculae und die damit verbundenen Knorpelteile. Das vordere Brustbeinende von Pholidotus bildet j —— DE LE 89 Zur Morphologie des Manubrium sterni. 89 einen stark kranial vorragenden Fortsatz, in welchem eine selbständige Ossifikation auftritt und der im Niveau des ı. Rippenpaares von dem Hauptteil des Sternum durch eine. Gelenkhöhle getrennt ist. Eine ähnliche Bildung bei Coelogenys deutete GEGENBAUR als mittleren Abschnitt des Episternum (S. 201, Taf. XXII, Fig. ı, 8). Der kraniale Brustbeinfortsatz von Manis besitzt keine Selbständig- keit (S. 202, Taf. XXII, Fig. 13). Der vorderste Brustbeinabschnitt von Orycteropus capensis ist außerordentlich breit und zeigt die Form einer Maurerkelle, an deren Stiel die ersten Rippen sich fügen, während an die Seitenränder der Kelle die sehr breiten sternalen Enden der Claviculae sich anlagern. Die letzteren sollen die zugehörigen Knorpel in sich aufgenommen haben (S. 203), doch zeigen auf der Abbildung (Taf. XXIII, Fig. 18) die Seitenränder der Kelle einen dünnen Knorpelüberzug. Die Claviculae von Cyclothurus didactylus besitzen ein knorpeliges mesoscapulares, ein größeres präcoracoidales Segment. Hieran reiht sich ein kleines knorpeliges Omosternum, in dessen Innerem ein Knochenkern liegt. Der vorderste Brustbeinabschnitt ist sehr breit zwischen dem ı. Rippen- paar und trägt einen starken, plumpen kranialen Fortsatz, an dessen Seitenrand nahe der Wurzel, also entfernt von der Spitze, die Omosterna sich anlegen (S. 203, Taf. XXI, Fig. 18, 19, 21). Den Myrmeco- phagen fehlen Claviculae. Das vordere Brustbeinende von Tamandua bivittata zeigt eine leichte Vorwölbung (S. 204, Taf. XXIII, Fig. 22). Die Claviculae und zugehörigen Knorpel der Dasypinen schildert PARKER als normal. Bei Tatusia peba besteht das ansehnliche Omosternum aus hyalinem Knorpel, ebenso bei Embryonen von Euphractus villosus, während es später in Faserknorpel übergeht. Der vorderste Brustbeinabschnitt dieser Formen ist sehr breit in der Höhe des ı. Rippen- paares und trägt einen starken kranialen Fortsatz bei Tatusia, eine geringe, ausgeschweifte Vorragung bei Euphractus (S. 205, Taf. XXIII, Fig. ı, 7, 12). C. K. Horrmann (1879) fand an einem Embryo von Choloepus das Omosternum oder seit- liche Episternale. hyalinknorpelig. Dasselbe hängt durch ein an Knorpelzellen sehr reiches Bindegewebe mit dem sternalen Ende der Clavicula zusammen und ist andererseits durch dieselbe Gewebsart mit dem präcostalen vordersten Brustbeinstück verbunden. Dieses letztere repräsentiert ein besonderes Mittelstück, welches mit den beiden Seitenstücken an die Clavicula anzuschließen und als claviculares Brustbein zu bezeichnen ist. Sein hinteres kaudales Ende lagert teilweise kranial, teilweise ventral vom Vorderende des eigentlichen kostalen Brustbeines und ist von diesem durch eine schmale differente Ge- websschicht getrennt (S. 66, Taf. VII, Fig. r). Bei einem sehr jungen Exemplar wahrscheinlich von Dasypus novemcinctus sah Horrmann das vordere Sternalstück (Manubrium) noch durchaus knorpelig. Dieses Stück setzt sich nach vorn in 2 kleine Hörner fort. „Das noch vollkommen hyalin- knorpelige Sternalende der Clavicula verlängert sich in einen noch aus fötalem Knorpel bestehenden Fortsatz, der, unabgebrochen, in das (sehr kleine) Horn übergeht, in welches das Manubrium sich jeder- seits fortsetzt.“ Drei bikonkave Stränge von in longitudinalen Reihen angeordneten und in einer fein- körnigen Grundsubstanz abgelagerten Knorpelzellen zerlegen dann diesen kontinuierlichen Strang von der Clavicula zum Sternum in mehrere Abschnitte. Zunächst grenzt sich die Clavicula ab gegen ein sternal gelegenes Knorpelstückchen, dieses wird weiter sternalwärts abgesondert gegen das kleine Horn des Manubrium und endlich wird das zwischen Clavicula und Horn des Manubrium gelegene Knorpel- stäbchen wieder in zwei Stücke getrennt. Horrmann deutet nun diese beiden Teile des mittleren Knorpelstäbchens als Seitenstücke, den Höcker des Manubrium als Mittelstück eines clavicularen Brust- beines. Eine Grenze zwischen den das Mittelstück des clavicularen Sternum repräsentierenden Hörnern und dem costalen Sternum ließ sich nicht mehr nachweisen. Bei älteren Tieren scheinen diese Hörner Jenaische Denkschriften. XI. 12 Festschrift Ernst Haeckel. 90 Zur Morphologie des Manubrium sterni. 90 zu verschwinden. Die beiden hyalinknorpeligen Stücke des Seitenstückes sind bei einem Embryo von Dasypus villosus noch deutlich, bei einem jungen Exemplar von Dasypus novemcinctus be- stehen sie aus an Bindegewebe sehr reichem Faserknorpel. Horrmann bezeichnet nun von diesen beiden Stücken dasjenige, welches am dichtesten bei der Clavicula gelegen ist, mit a, das andere mit 5 und gibt folgende Darstellung der verschiedenen bei Gürteltieren erhobenen Befunde: „Das von LuschkAa beschriebene, bei Dasypus novemcinctus unpaarige Antesternalstück, das „durch eine feste Knorpel- verbindung mit dem Handgriffe zusammenhängt und an dessen freiem vorderen Rande zwei abgerundete Höckerchen hervorragen“ — scheinen mir die miteinander in der Mittellinie verwachsenen Stücke 5 des clavicularen Sternums zu sein, während dann die Stücke a dıe Bänder vorstellen, welche die Claviculae mit dem Brustbein verbinden. Bei dem untersuchten jungen Exemplar von Dasypus novemcinctus liegen diese beiden Stücke d sehr dicht beieinander und sind durch straffes Bindegewebe miteinander und mit dem Manubrium verbunden, so daß es sehr gut denkbar ist, daß diese beiden Stücke bei ihrer Verknöcherung in ihrem unteren Teil miteinander verwachsen. — Bei Dasypus sexcinctus, von Cuvier abgebildet, sind dann die Stücke a (doch wohl d? Ref.), statt miteinander zu verwachsen, weiter voneinander entfernt, sie sind vollständig verknöchert und noch deutlich durch eine Naht von dem Manubrium getrennt. Bei einem Skelett von Dasypus setosus (= sexcinctus) aus der zoologischen Sammlung des Utrechtischen Laboratoriums — stimmt der Bau des Manubriums vollständig mit dem von Dasypus sexcinctus von CuvIEr überein, nur mit dem Unterschiede, daß hier von einer Naht zwischen den Stücken a (doch wohl d? Ref.) und dem Manubrium nichts mehr zu sehen ist“ (S. 66 bis 71, Taf. VII, Fig. 2—8). 4. Nager. In der Gruppe der Nager zeigt nach den Schilderungen von GEGENBAUR das Manubrium und die Sternoclavicularverbindung mannigfache Verhältnisse bis zum gänzlichen Fehlen der letzteren bei Rückbildung der Clavicula. Unter den mit Schlüsselbeinen ausgestatteten Arten schließt sich Coelogenys am nächsten an die Befunde bei niederen Formen an. Hier ist (GEGENBAUR, 1864, S. 178, Tal. IV. Fig. 4) das knöcherne Sternum noch über die Anfügungsstelle der ı. Rippe ein ansehnliches Stück nach vorn fortgesetzt. Am vorderen Ende findet sich ein Ueberzug von hyalinem Knorpel und dieser steht durch Vermittelung einer scharf gesonderten Schicht mit quergestellten, spindelförmigen Zellen und faseriger weicher Grundsubstanz in Verbindung mit einem langen, aus hyalinem Knorpel aufgebauten, lanzettförmigen Stück, welches das Sternum nach vorn fortsetzt. Der Hinterfläche dieses Knorpelstückes und zwar nicht an dessen Spitze, sondern mehr distalwärts gegen das Brustbein zu, sind durch lockere Bandmasse die breiten, platten Enden zweier Knorpel angefügt, welche nach außen verlaufen, allmählich drehrund werden und in gleicher Weise innig mit den Enden der Claviculae sich verbinden, wie das mediane Stück mit dem Sternum. Der einheitliche Episternalknochen, oder -knorpel der Saurier, Monotremen und mancher Marsupialier wäre also hier in drei, locker unter einander zusammenhängende Stücke zerfallen, ein medianes und zwei laterale, die aber mit den ursprünglich nur angelagerten Teilen, Brustbein und Clavicula jetzt fester verbunden sind. Aehnlich liegen die Verhältnisse bei Cavia, dessen Schlüsselbeine reduziert oder gänzlich verschwunden sind. Vor dem breiteren, seitlich die ı. Rippe tragenden Manubrium sterni liegt noch ein besonderes flaches und schmales Knochenstück. GEGENBAUR vermutet, daß mit diesem Mittelstück an unversehrten Präparaten ligamentöse oder knorpelige Seiten- teile verbunden sind, die nach den reduzierten Claviculae hinziehen (1864, S. 179). Auch Hystrix 255 gI Zur Morphologie des Manubrium sterni. gI cristata ist hier einzureihen, bei welchem GEGENBAUR am vorderen Sternalende eine mediane Knorpel- masse fand, hinter welcher knorpelige Seitenteile befestigt sind, die nach der rudimentären Clavicula hinziehen. Entsprechend der Reduktion der Schlüsselbeine sind diese Seitenteile sehr lang. In ihrem Innern findet sich eine Verkalkung (1864, S. 179). Achnlich soll sich auch Dasyprocta verhalten (1865, S. 2r). Das unpaare Mittelstück ist dagegen bei einer zweiten Gruppe von Nagern verloren gegangen und gleichzeitig das Manubrium sterni ansehnlich verbreitert. Bei Mus musculus (1864, S. 179, Textfig. 2, Taf. IV, Fig. 9) stellen die beiden seitlichen Stücke, die allein erhalten geblieben sind, eine Verbindung zwischen Vorderrand des Manubrium und dem sternalen Ende der Claviculae her in Form kurzer Knorpelstückchen. Zwischen diesen und dem überknorpelten Sternalende des Schlüsselbeines besteht ein wirkliches Gelenk, die Anfügung an das Sternum ist eine ganz lockere, durch Bindegewebszüge vermittelte. Bei älteren Individuen treten in den anfangs ganz hyalinknorpeligen seitlichen Episternalstücken Verkalkungen (Knochenkerne, 1864, S. 181) auf. „BeiMus minutus gehen beim ersten Anblicke die knorpeligen Episternalia unmittelbar aus dem knorpeligen Ende der Claviculae hervor. An der Uebergangsstelle zeigt sich das Knorpelgewebe verändert, besitzt lange, in der Ouere angeordnete. spindelförmige Zellen, und bei genauerer Untersuchung giebt sich sogar eine Lücke in jenem Gewebe zu erkennen, und damit wird eine wirkliche Gelenkverbindung, wenn auch auf der ersten Differenzierungsstufe stehend, erkennbar.“ Im Innern des knorpeligen seitlichen Episternale sind zwei Knochenkerne vorhanden, ein hinterer, rundlicher und ein dicht vor diesem befindlicher, keilförmiger. Im übrigen stimmen die Verhältnisse bei Mus minutus und ebenso sylvaticus in der Hauptsache mit den Befunden bei Mus musculus überein (1864, S. 180). Stärkere Abweichungen zeigt dagegen Mus decumanus. Die beiden allein vorhandenen seitlichen Episternalia erscheinen als Knochenstückchen, deren gesamte Oberfläche von hyalinem Knorpel überzogen ist, während sich im Innern reiche Mark- raumbildung vorfindet. Der Knorpelüberzug des Episternale und die hyaline Knorpelbekleidung des sternalen Endes der Clavicula stehen direkt durch faseriges Gewebe in Verbindung, in dem nur geringe Reste einer Gelenkhöhle sich nachweisen lassen. Die Verbindung zwischen Episternale und Sternum ist eine lockere, nur durch Bindewebszüge vermittelte (1864, S. 181). Dies Verhalten bei der Ratte war bereits Vıcg D’Azyr bekannt (1805, S. 353). Auch an einem Skelett von Arctomys Ludovici- ana fand sich ein kurzes, außen knorpeliges, innen knöchernes, seitliches Episternale, welches aber hier nicht der Hinterfläche, sondern dem seitlichen oberen Rande des sehr breiten Manubrium sterni ansitzt (1864, S. 182). Aehnlich verhält sich Cercolabes (1865, S. 21, Taf. II, Fig. 9). Hypudaeus glareola zeigt nach GEGENBAUR (1864, S. 181, Taf. IV, Fig. 6) eine ähnliche Gestaltung des Episternale wie die Murinen. Dasselbe ist knorpelig und umschließt einen langgestreckten Knochenkern. Das eine Ende ist vertieft und mit dem knopfartig angeschwollenen Ende der Clavicula verbunden. Die Grenze zwischen beiden Skelettteilen ist auf dem größten Teil der Berührungsfläche scharf, aber am oberen Teil geht der Knorpel des Episternale mittels Fasermasse in den der Clavicula über. Das andere Ende des Episternalknorpels ist lose an der Hinterfläche des sehr breiten Manubrium sterni angeheftet. Trotz ansehnlicher Clavicula ist das seitliche Episternale unbedeutend bei Crıcerus. Es erscheint hier als 3—4 mm langes Knorpelstück, dessen eines verbreitertes Ende mit der Clavicula in einem Gelenk verbunden ist, während das andere zugespitzte Ende in einer Vertiefung an der Hinterfläche des Manubrium sterni befestigt ist (1864, S. 182, Textfig. 3). Die Schlüsselbeine von Lepus sind stark reduziert und erreichen nicht mehr das Sternum. Ihr abgerundetes Ende ist mit einem verkalkten Knorpelüberzug versehen, an welchen sich ein anscheinend ligamentöser Strang anschließt, welcher . 12* E 92 Zur Morphologie des Manubrium sterni. 92 nach dem Sternum zieht, um sich dort zu befestigen. Dieser Strang hat einen sehr zusammengesetzten Bau. „Außen besteht er aus longitudinal verlaufenden Bindegewebsfaserzügen, dann nach innen zu aus reichen Netzen feiner elastischer Fasern, worauf eine Schicht sich schräg durchkreuzender Fasern kommt, die einen die Form des Stranges besitzenden, nur um vieles kleineren Knorpelstreif umschließen. An seinem oberen dickeren Ende ist deutlich Hyalinknorpel unterscheidbar, sternalwärts geht dieser in ein eigentümliches weiches Gewebe über, welches, morphologisch wenigstens, vom Knorpel nicht ver- schieden ist, aber durch seine physikalische Beschaffenheit davon differiert.“ Beim gezähmten Kaninchen ist der Binnenknorpel des Bandes nicht hyalın, sondern „echter Faserknorpel“ Nur ein kurzes knorpeliges Verbindungsstück besteht bei Dipus (1865, S. 21). GEGENBAUR sieht in diesem Knorpelstück den Seitenteil des ursprünglichen Episternum (1864, S. 184), welches eine weitere Reduktion erfahren hat bei Sciurus. Hier liegt zwischen Clavicula und Sternum nur eine unbedeutende Faserbandmasse, in der sich keine Knorpelelemente nachweisen ließen. Von dem auch hier überknorpelten Ende der Clavicula entspringen unmittelbar Faserzüge, welche bis zum Sternum verfolgt werden können. Sie sind an Ursprung und Ende lockerer, in der Mitte fester (1864, S. 187, Taf. IV, Fig. 5A und B). Dasselbe Verhalten zeigt auch Tamias (1864, S. 187). Besondere Erwähnung verdient ein paariger Skelettteil, den GEGENBAUR (1864, S. 192; 1865, S. 3) bei verschiedenen Nagern in Verbindung mit dem Sternum beobachtete. Er erscheint bei Mäusen (1864, Textfig. 2. Taf. IV, Fig. 9), besonders deutlich bei Mus musculus, als ein scharf begrenzter ovaler Knorpel, der an der Hinterfläche des vordersten Sternalabschnittes befestigt ist, jederseits genau in der Mitte zwischen Episternalknorpel und ı. Rippe. Die Verbindung dieses Knorpels mit dem Sternum ist nicht eine bloße Anfügung, sondern es besteht ein innigerer Zusammenhang. Trotzdem ossifiziert dies Knorpelplättchen nicht vom Sternum aus, sondern mit seinem eigenen Knochenkern. GEGENBAUR meint, daß man in diesen Gebilden die rudımentären sternalen Fig. 26. Fig. 27. Enden eines 2. Schlüsselbeinpaares, des Coracoıdeum, sehen müsse. Ueber die Befunde bei Cavia aperea (s. Text- fig. 26, 27) macht PARKER ausführlichere Mitteilungen. Bei nahezu reifen Embryonen fand er keine Spur einer Clavicula, sondern an deren Stelle indifferentes Gewebe. Dagegen ist hier das Omosternum bereits deutlich als ein Paar kleiner, eiförmiger Knorpelchen jederseits am kranialen Ende des vordersten Brustbeinabschnittes. Eine dünne Knorpellage auf einem kleinen Abschnitt der ı. Rippe wird gedeutet als Rest des Epicoracoid. Beim Fig. 26. WVorderes Brustbeinende eines Embryo von Cavia aperea. Nach PARKER (1868, Taf. XXIV, Fig. 1). Fig. 27. Vorderes Brustbeinende eines jungen Cavia cula, ein mesoscapulares und ein präcoracoidales Seg- aperea. Nach PARKER (1868, Taf. XXIV, Fig. 6). ı-monatlichen Meerschweinchen tritt eine kleine Clavi- ment auf, alle drei nahe beieinander liegend, aber weit entfernt von Scapula und Omosternum. Letzteres ist in- zwischen durch Verschmelzung der 4 kleinen Knorpelchen zu einer kleinen, herzförmigen Platte geworden und in dem Epicoracoidrest ein selbständiger Knochenkern aufgetreten (S. 207, 208, Taf. XXIV, Fig. 1—7). Die Abbildungen zeigen einen langen, schlanken, knorpeligen Fortsatz des Brustbeines in kranialer Richtung. Derselbe besitzt oberhalb der Anfügestelle des ı. Rippenpaares einen besonderen Knochen- kern. Auch bei Embryonen von Arvicola agrestis (s. Textfig. 28, 29) besteht das Omosternum 93 Zur Morphologie des Manubrium sterni. 93 jederseits aus 2 Knorpelchen, von denen das eine sich später in Bandmasse umwandelt. Auch hier findet sich ein knorpeliger Rest des Epicoracoid, der später verknöchert und, ähnlich wie dies GEGENBAUR schildert, an den breiten, flachen präcostalen Abschnitt des Brustbeines sich anlagert (S. 208, Taf. XXIV Fig. 9, 10, 12). Ebenso ist bei Mus des Omosternum ursprünglich durch 2 kleine Knorpelstücke dargestellt, die später untereinander verwachsen und enchondral ossifizieren (s. Textfig. 30). Das meso- Fig. 28. Fig. 29. Fig. 30. Fig. 28. Sternoclavicularverbindung eines annähernd reifen Fötus von Arvicola agrestis. Nach PARKER (1868, Taf. XXIV, Fig. 9). Fig. 29. Sternoclavicularverbindung eines neugeborenen Arvicola agrestis. Nach PARKER (1868, Taf. XXIV, Fig. 10). Fig. 30. Sternoclavicularverbindung von Mus minutus. Nach PARKER (1868, Taf. XXVI, Fig. 9). Fig. 31. Sternoclavicularverbindung von Hystrix cristata von der Dorsalseite gesehen. Nach PARKER (1868, Taf. XX, Fig. 16). scapulare und präcoracoidale Segment verknöchern nicht von der Clavi- cula aus. Das Verhalten des Epicoracoid ist bereits von GEGENBAUR geschildert, und Parkers Darstellung stimmt damit überein (M. musculus, sylvaticus, minutus, decumanus, S. 208, Taf. XXVI, Fig. 1—3, 5, 6, 8—12). Ueberall besteht ein breiter, präcostaler Abschnitt des Brustbeines, an den sich Omosternum und Epi- coracoid anlagern. Bei Hystrix cristata (s. Textfig. 31) und alophus fand PARKER ähnliche Zustände wie GEGENBAUR (S. 208, Taf. XX, Fig. 14— 16). Bei Bathyergus maritimus ist das Omosternum in ein Band verwandelt, ebenso bei Castor und Helamys capensis (S. 209, Taf. XIX, Fig. 17—19 s. hier Textfig. 33). Beim neugeborenen zahmen Kaninchen fehlen die Claviculae und die zugehörigen Knorpel. Das Brustbein besitzt einen starken, knorpeligen, präcostalen Abschnitt, dessen Ende eine schwache Zweiteilung aufweist. Dagegen zeigt ein Präparat vom 7—8-monatlichen wilden Kaninchen eine schwache Clavicula, ganz unabhängig davon ein mesoscapulares Segment, zusammenhängend mit dem Vorderrande des Schlüsselbeines ein präcoracoidales Segment und davon deutlich getrennt ein ziemlich langes knorpeliges Omosternum. Diese ganze Kette von Skelettteilen liegt etwa in der Mitte zwischen Acromion und Praesternum (S. 209, Taf. XXV, Fig. 1—4),. Das Omosternum von Arctomys Ludovicianus schildert PARKER ähnlich wie GEGENBAUR, fügt aber hinzu, daß sich an beiden Enden desselben eine kleine Gelenkhöhle vorfindet (S. 209, Taf. XXIV, Fig. 14—16). Abweichend von GEGENBAUR fand PARKER bei Cricetus vulgaris zwischen Sternalende der Clavicula und dem mit einer starken Ineisura jugularis versehenen Vorderrand des Brustbeines ein breites Band, in welchem das Omosternum als längliches Knorpelstück liegt (S. 209, Taf. XXV, Fig. 6). Bei Myoxus avellanarius (s. Textfig. 32) und Sciurus palmarum ist das präcoracoidale Segment als Gelenkknorpel der Clavicula verwandt, und das Omosternum erscheint als ein meniscus-ähnlicher Faserknorpel, eingelagert in ein Sterno-clavicular- ligament (S.:209, Taf. XXV, Fig. 8, 9, 13, 15). 9 A Zur Morphologie des Manubrium sterni. 94 Mit wenigen Ausnahmen ist der vorderste Sternalabschnitt bei Nagern breit und vielfach wenig cranialwärts vorragend.. Bei Dasyprocta acouchi ist der präcostale Abschnitt zur Hälfte vom Hauptteil des Brustbeines aus ossifiziert, während das vorderste zugespitzte Ende seinen eigenen Knochen- kern besitzt. (Taf. XXIV, Fig. 8) Auch der präcostale Abschnitt von Helamys (s. Textfig. 33) zerfällt Fig. 32. er in zwei Teile, ein niedriges breites Stück, das direkt an die Vereinigung des ersten Rippenpaares sich anschließt, und davon durch einen Knorpelstreifen getrennt ein viereckiges Knochenstück, das zwischen den sternalen Enden der Claviculae liegt und an seiner vordersten Spitze einen Knorpelüberzug besitzt (S. 210. Taf. XIX, Fig. 19. Beim einmonatlichen Cavia Fig. 32. Sternoclavicularverbindung von Myoxus avellanarius. Nach aperea tritt in dem präcostalen Brust- PARKER (1868, Taf. XXV, Fig. 9). Fig. 33. Sternoclavicularverbindung von Helamys capensis. Nach x 2 PARKER (1868, Taf. XIX, Fig. 19). Knochenplatte auf, direkt cranial vom ı. Rippenpaar (Taf. XXIV, Fig. 6). Ueber GörtEs (1875, 1877) entwickelungsgeschichtliche Untersuchungen des Sternalapparates von Lepus cuniculus ist unten im Zusammenhang mit dessen Befunden bei Talpa näher berichtet. beinabschnitt eine viereckige periostale Ebenda sind auch die Angaben C. K. Horrmanns (1879, S. 63) über einen Embryo von Mus minutus berücksichtigt. Von den Befunden Parersons bei Ratte und Meerschweinchen ist be- reits früher die Rede gewesen (s. S. 92). 5. Insectivoren. Unter den Insectivoren schließen sich nach GEGENBAURS Darstellung die Soricinen im Verhalten des Episternalapparates an die Murinen an. Bei Crocidura leucodon (s. Textfig. 35) ist das vordere Ende des Sternum sehr in die Quere gezogen. In der Mitte seines Vorderrandes besteht eine höckerförmige Vorragung, und hinter dieser sind die beiden Skelettstücke befestigt, die GEGENBAUR als laterale Teile des ursprünglichen Episternum ansieht. Es sind konische, langgestreckte Knorpelstücke, die im Innern einen Össifikationskern enthalten und mit einem Ende durch Bindegewebe am Manubrium festgeheftet sind. Das andere Ende steht in direkter Verbindung mit der Clavicula ohne Auftreten einer Gelenkhöhle zwischen beiden Teilen. Das sternale Ende des Schlüsselbeines weist eine besondere Epiphyse auf, die an der Ober- fläche abgerundet und verkalkt, vom Hauptstück des Schlüsselbeines durch eine dünne Knorpellamelle getrennt ist. Auch darin besteht Uebereinstimmung mit den Murinen, daß die Soricinen jene besonderen Skeletstücke besitzen, die GEGENBAUR als Reste des Coracoideum deutet. Sie sind bei Crocidura be- sonders entfaltet und werden von GEGENBAUR folgendermaßen geschildert: „Der ganze seitliche Vorder- rand des Manubrium sterni — wird jederseits von einer Knorpelplatte — eingenommen, die eine rauten- förmige Gesalt besitzt, wenn man sich die vordere äußere Ecke der Raute abgerundet denkt. Die beiden Knorpelplatten schieben sich noch etwas vor die Anfügung der Episternalia; ihre Ausdehnung in die Ouere ist doppelt so groß als in die Höhe. Die Verbindung mit dem Manubrium sterni ist nicht so innig wie jene des bei den Mäusen beschriebenen Knorpelstückchens, vielmehr zeigt sich zwischen beiden eine bindegewebige Schicht als Grenze, so daß die Knorpel vollkommenen Anspruch haben, als selb- Bi; a Ps 95 Zur Morphologie des Manubrium sterni. 95 ständige Bildungen betrachtet zu werden. Ihre Verknöcherung, die nur in einer partiellen Knorpel- verkalkung besteht, ist ebenfalls vom Sternum unabhängig, zeigt sich mehr in den oberflächlichen Schichten, sowohl an der hinteren als vorderen Fläche, zuweilen an 2—3 verschiedenen Stellen“ (1864, S. 182, 193, Textfig. 4). Bei Sorex araneus verhalten sich die seitlichen Episternalia ähnlich wie bei Crocidura, sind etwas kürzer und entbehren der Verkalkung. Auch die Coracoidreste sind weniger deutlich abgegrenzt (1864, S. 182, 194, Taf. IV, Fig. 3). Die kürzeren Episternalia von Erinaceus gleichen denen des Hamsters. Sie bestehen aus hyalinem Knorpel, der an einzelnen Stellen eine faserige Grundsubstanz zeigt und ohne scharfe Grenze ın das Perichondrium übergeht. Mit dem Brustbein sind sie an dessen Vorderrand befestigt. Eine Gelenkhöhe gegen die Clavicula fehlt; „es ist aber den- noch keine völlige Kontinuität zwischen Clavicula und Episternale, denn der ansehnliche Ueberzug von Hyalınkorpel, der das sternale Ende der Clavicula bedeckt, besitzt in seinen äußeren Schichten längliche Zellen und geht schließlich in einer spärlich gekrümmten Fläche in ein Gewebe über, welches dem Bindegewebe näher steht und auf dieselbe Weise in den Hyalınknorpel des Episternale sich fortsetzt, wie er aus jenem des Schlüsselbeines hervorgegangen war. So scheint das Episternale das gelenk- kopfartige Ende der Clavicula wie mit einer Pfanne zu umfassen und es besteht zwischen beiden Stücken eine geringe Beweglichkeit, ohne daß eine wirkliche Gelenkhöhle differenziert wäre. Es ent spricht diese Bildung genau jener, wie sie vorübergehend bei der Entwickelung vieler Gelenke zu beobachten ist, und zeigt in dieser Rücksicht selbst eine höhere Differenzierung als bei den oben erwähnten Insektenfressern bemerkbar war“ (1864, S. 183, Taf. IV, Fig. 7). Auch Talpa (s. Textfig. 34) besitzt ein ansehnliches Knorpelstück, das eingeschaltet zwischen Clavi- cula und Brustbein, von GEGENnBAUR als laterales Episternale gedeutet wird. Es erscheint eigentümlich längsgestreift, „fast als ob Faserzüge von der clavicularen Endfläche zur sternalen verliefen“. Diese Faserung beruht zum Teil in dem Verhalten der Knorpelgrundsubstanz, haupt- sächlich aber in einer Anordnung der spindelförmigen Knorpelelemente : e 3 ; 2 r 5 Fig. 34. Sternoclavicularverbindung von in Längsreihen. Diese bestehen aber nur im mittleren Abschnitt des Talpa. Nach GEGENBAUR (1864, Taf. IV, Skelettteiles, außen finden sich rundliche, zerstreut liegende Knorpel- a zellen. Zwischen Clavicula und Episternale besteht eine Gelenk- höhle von variabler, öfters sehr geringer Ausdehnung. „Das gesamte sternale Ende der Clavicula ist von einer dünnen Knorpelschicht überkleidet, welche da, wo die Clavicula durch eine Gelenkhöhle von dem vorhin genannten Knorpelstücke geschieden ist, als Gelenkknorpel der Clavicula erscheint, während sie am vorderen Abschnitte sich zwar direkt an das verbindende Knorpelstück anschließt, aber doch durch die verschiedenen Verhältnisse ihres feineren Baues von jenem Knorpel mit ziemlicher Schärfe sich absetzt. Ebenso scharf abgesetzt ist jener Knorpel auch vom Manubrium sterni, dessen betreffende Oberfläche gleichfalls mit einer Knorpelschicht versehen erscheint“ Der äußere binde- gewebige Ueberzug des Episternalknorpels setzt sich vom Sternum aus unmittelbar in das Periost der Clavicula fort und schließt auch die Gelenkhöhle ab. Die sternale Anfügung der Episternalia erfolgt an den vorderen seitlichen Rand des Manubrium nicht weit voneinander entfernt. In dem Raum zwischen beiden Episternalia liegt auf dem Vorderrand des Manubrium ein kurzer, lanzettförmiger Knorpelfortsatz von demselben feineren Bau. Diesen deutet GEGENBAUR als Mittelstück des Episternum (1864, S. 185, Taf. IV, Fig. 2; 1865, S. 21). PARKER betont die große relative Länge des präcostalen Brustbeinabschnittes bei Talpa, den er näher schildert (1868, S. 213, Taf. XXVIH, Figg. 4--6, 8— 17). Er fand das Omosternum von Sorex tetragonus faserknorpelig (S. 213, Taf. XXVIIL Fig. ı, 5). 96 Zur Morphologie des Manubrium sterni. 96 Im übrigen bringt er keine wesentlich abweichenden Befunde über Erinaceus (Taf. XXV, Fig. 16, 17, 19) und Ereojreiduraı(Bar. XV 2822523), 5 Nextitesg zul: Eingehende Schilderungen über die Entwickelung des Sternalapparates bei Säugern, und zwar bei Talpa und Lepus verdanken wir GöTTE (1875, S. 618, 619; 1877, S. 561, Taf. XXXI, Fig. 25, 27, 28). Bei Talpa (s. Textfig. 36) entsteht ein kranialer Fortsatz des costalen Sternum dadurch, daß die ventralen Enden der ı. Rippe noch vor ihrer Vereinigung in der Mittellinie nach vorn umgebogen sind. Die sternalen Enden der noch bindegewebigen Clavicularanlage sind nach hinten umgebogen und laufen eine Strecke weit nebeneinander kaudalwärts. Dann gliedern sich die Claviculae beiderseits gegen das mediane, nach hinten verlaufende Stück, die Anlage des Episternum ab, worauf die beiderseitigen Hälften der letzteren Fig. 35. Fig. 36. Fig. 37. Fig- 35. Sternoclavicularverbindung von Crocidura spec., von der Dorsalseite gesehen. Nach PARKER (1868, Taf. XX VII, Fig. 23). Fig. 36. Schlüsselbein-, Episternal- und Brustbeinanlage bei einem jungen Maulwurfembryo. Nach GÖTTE (1877, Taf. XXXI, Fig. 27. Fig. 37. Schlüsselbeine, Episternum und vorderer Teil des Brustbeines von einem älteren Maulwurfembryo nach GÖTTE (1877, Taf. XXXI, Fig. 28). untereinander verschmelzen. Diese einheitliche Episternalanlage wird nun knorpelig und zerfällt in ein dolchförmiges, medianes Hauptstück und zwei kleine rundliche Seitenstücke (s. Textfig. 37), welche sich vom Vorderende der ganzen Anlage derart abgliedern, daß das mediane Hauptstück zugespitzt zwischen ihnen ausläuft und sie selbst den Zwischenraum zwischen diesem und den ventralen Enden der Claviculae ausfüllen (S. 562). Inzwischen sind die beiden Brustbeinhälften in der Medianlinie zusammengestoßen. Die Fuge zwischen beiden wird auf der Ventralseite bedeckt von den hinteren zwei Dritteln des medianen Mittelstückes des Episternum. Dabei ragen die abgerundeten Enden des kranialen Fortsatzes beider Brustbeinhälften, also die ursprünglichen Enden des ı. Rippenpaares, seitlich besonders weit unter jenem Mittelstück hervor und „scheinen in die Seitenflügel des künftigen Manubrium sterni überzugehen“. Das vordere Drittel des Mittelstückes des Episternum liegt kranialwärts vom Brust- bein. Die zwei vorderen Seitenstücke des Episternum rücken später etwas nach innen und vermitteln die Verbindung der Schlüsselbeine mit dem Manubrium. Sie entsprechen den oben geschilderten seitlichen Episterna GEGENBAURS (GÖTTE, S. 563). Bei Lepus cuniculus verschmelzen die ventralen Enden der Schlüsselbeinanlagen in der Mittellinie und bilden keine kaudalwärts gerichteten Fortsätze. Auf einem späteren Entwickelungsstadium erscheint die Anlage des Episternalapparates als eine ziemlich breite, bandartige Gewebsbrücke, welche die sternalen Enden der Claviculae untereinander verbindet und dieselben an der Ventralseite des wenig nach vorn, kranıialwärts, verlängerten Manubrium sterni befestigt. Diese Gewebsbrücke faßt GörtE (S. 566) als das Mittelstück des Episternalapparates auf, das bald unkenntlich wird, wahrscheinlich indem es mit dem Perichondrium des Manubrium verschmilzt. Die Seitenteile des Episternum sieht GörrE in den bei älteren Kaninchenembryonen nach hinten um- on; 97 Zur Morphologie des Manubrium sterni. 97 gebogenen knorpeligen Enden der Claviculae, welche später mit Rückbildung der Schlüsselbeine größten- teils in Bandmasse sich umwandeln und nur noch ein unansehnliches Knorpelstück enthalten. C. K. Horrmann (1879, S. 64, Taf. VI, Fig. ı1, 12) beschreibt in folgenden Worten seinen Be- fund bei einem Embryo von Mus minutus: „Das sternale Ende der Clavicula besteht zum größten Teil noch aus Kalkknorpel, welcher allmählich in ein großes hyalines Knorpelstück übergeht. Dieses Stück ist das Seitenstück des clavicularen Sternums (GEGENBAURS Seitenstück des Episternum). Es wird deutlich durch einen, in der Mitte schmalen, nach den Rändern breiter werdenden Strang, in welchem die Knorpelzellen in regelmäßigen longitudinalen Reihen angeordnet sind, in zwei Teile getrennt, welche aber kontinuierlich zusammenhängen. Jeder dieser Teile scheint später von einem eigenen Knochen- kern aus zu ossifizieren. GEGENBAUR und PARKER beschreiben wenigstens in diesem Knochenstück zwei Knochenkerne Wie die Clavicula kontinuierlich in das Seitenstück übergeht, so geht auch letzteres kontinuierlich in das Mittelstück über. Auch hier bezeichnet ein dünner, bikonkaver Strang, in welchem die Knorpelzellen dicht aufeinander gedrängt stehen, die Stelle, wo alsbald beide Teile sich voneinander abgliedern werden. Bei Embryonen von Mus minutus bilden also Clavi- culae, Seitenstücke und Mittelstück des Episternums GEGENBAURS ein Continuum. Das Mittelstück ver- wächst mit dem costalen Sternum, um mit diesem das Manubrium zu bilden, während die Seitenstücke. sich abgliedern und als Verbindungsstücke zwischen Sternum und Claviculae fortbestehen bleiben. Das Manubrium besteht also wirklich aus der Verwachsung eines clavicularen ünd costalen Sternalstückes.“ Aehnliche Beobachtungen machte Horrmann an Embryonen von Centetes setosus (S. 64, Taf. VI, Fig. 13, 14) und Erinaceus europaeus (S. 65, Taf. VI, Fig. ı5). Bei letzterem scheint das clavi- culare Mittelstück nicht als gesonderter Knorpel an das Vorderende des costalen Brustbeines sich anzu- schließen, sondern allmählich zu verschwinden, wobei es vollständig von dem Perichondrium des costalen Sternum assımiliert wird. Fig. 39. 6. Carnivoren und Pinnipedier. Das lange Band, das bei manchen Carnivoren (Meles, Lutra, Mustela, Felis, Hyaena) das Ende der rudimentären Clavicula mit dem Sternum verbindet, wird von GEGENBAUR als Rest des lateralen Episternalteiles gedeutet, auch ohne daß es bisher ge- lungen wäre, in seinem Innern Knorpelreste nachzuweisen. Gänzlich fehlt das Episternum gleichzeitig mit der Clavicula bei Ursus, Fig. 38. Vorderes Brust- : £ S & 2 . beinende von Otaria spec., von Neisulaaoeyon. Dagegen sind ber Pinnipediern im Zu snrentralseite Be sammenhang mit der Clavicula nur die lateralen Teile des Epi- Parker (1868, Tai. XXX, Fig. 7). $ Fig. 39. Vorderes Brust- bindung mit dem Sternum fortbesteht (1864, S. 175, 187; 1865, beinende von Phoca nach einem Präparat der Jenenser anatom. Se De vreresise nach, PARKER (1868, 5. 216, Tal. XXX, Smmlune, Fig. 7) bei Otaria (s. Textlig. 38) größtenteils verknöchert und sternum verschwunden, während das unpaare Mittelstück in Ver- nur an seinem äußersten kranialen'Ende knorpelig. Dasselbe schildern auch für Phoca Cuvizr (T. V, ı, Pl. XVII, Fig. ı, cit. nach Brescher) und BrEscHEr (1838, S. 2). Srannıus (1846, S. 349) gibt an, daß viele Säugetiere ein vor die Insertion des Schlüsselbeines sich hinaus erstreckendes Manubrium besitzen. Bei Seehunden komme vor diesem noch ein stielförmiger accessorischer Episternalknochen vor, der direkt mit dem Episternum der Monotremen verglichen wird. Einen nicht sehr ausgeprägten Jenaische Denkschriften. XI. 13 Festschrift Ernst Haeckel. 98 Zur Morphologie des Manubrium sterni. 98 präcostalen Fortsatz tragen auf den Abbildungen von PARKER (Taf. XXX, Fig. 3, 5) die Brustbeine von jugendlichen Felis varıa und Thalassarctos maritimus. Einen außerordentlich langen, zugespitzten, knorpeligen präcostalen Fortsatz zeigt Textfig. 39 nach einem Seehundskelet der Jenenser anatomischen Sammlung. 7. Chiropteren. Bei Embryonen und erwachsenen Exemplaren verschiedener Chiropteren stützt sich die Clavicula vorn unmittelbar an das breite Manubrium sterni. Als stark rudimentäres Episternum deutet GEGENBAUR ein konisches Band, das von dem inneren und unteren Teil des überknorpelten Sternalendes der Clavicula entspringt und nach dem Sternum hinzieht, wobei es einen Teil der Endfläche der Clavicula vom Sternoclaviculargelenke ausschließt. Fledermausembryonen zeigen nach GEGENBAURS Schilderung eine Trennung des Manubrium sterni vom Körper des Brustbeines, genau an der Anfügestelle der ı. Rippe. Beim erwachsenen Rhinolophus war nichts Aehnliches zu finden, dagegen besitzt Vespertilio Daubentoni ein deutlicheres Gelenk, an welchem sich sogar von beiden Seiten her die ı. Rippe beteiligt (1864, S. 188 Anmerkung; 1865, S. 22). PARKER (1868, S. 214, Taf. XXVII, Fig. ı1, 14, 15) gibt an, daß bei Chiropteren sein Omosternum reduziert ist auf einen keilföürmigen Meniscus. Bei jungen Scotophilus pipistrellus von 2—3 Monaten fand er aber dieses Skelettstück selbständig verknöchert. Auch ein Epicoracoid beobachtete PARKER bei allen 4 untersuchten Formen. Der vorderste Brustbein- abschnitt ist breit, bisweilen überragt von einem kurzen, spitzen, medianen Vorsprung in kranialer Richtung. 8. Cetacea. Nach den Beobachtungen von Srannıus (1846, S. 349) sind bei Cetaceen beständig an dem knöchernen Brustbein seitliche paarige Knorpelstücke befestigt. PARKER (1868, S. 217, Taf. XXIX, Fig. 22) schildert das Brustbein eines Delphin-Embryo. Das vordere Brustbeinende ist breit, ragt wenig prä- costal vor und besitzt eine starke Incisura jugularis, die von 2 spitzen Höckern begrenzt erscheint, Eine Clavicula fehlt. Einen starken präcostalen Fortsatz besitzt nach der Schilderung von FLower (1888, S. 94, Fig. 40) das Brustbein des Zwergwales. Eee en, Sehr verschiedene Befunde zeigen die Brustbeine verschiedener Delphin- arten der Jenenser anatomischen Samm- lung. Bei kleineren Formen fand sich an beiden Ecken des oberen Brustbeinrandes ein kleines Knorpelstückchen, wie es StAannIus schilderte (s. Textfig. 40). Der Fig. 40. Vorderes Brustbeinende eines Delphines nach einem Präparat obere Brustbeinrand besitzt nur eine ganz der Jenenser anatom. Sammlung. Fig. 41. WVorderes Brustbeinende von Hyperoodon (Ziphius) nach einem geringe Ineisura jugularis. Wie diese SEELE der Jenepse an na nr Knorpelstückchen zu deuten sind, vermag nur die Entwickelungsgeschichte aufzu- klären. An einem Brustbein einer sehr großen Form beobachtete ich einen Befund ähnlich wie PARKER. Eine sehr tiefe Incisura jugularis, deren Grund noch weiter caudalwärts liegt als die Ansatzstelle des ı. Rippenpaares besteht bei Hyperoodon (s. Textfig. 41). Ich möchte diese Erscheinung in Beziehung 99 Zur Morphologie des Manubrium sterni. 99 bringen zu der Reduktion der Halswirbelsäule dieser Tiere, welche die Schaffung eines größeren Raumes für den Kehlkopf erfordert, ähnlich wie dies ArgrecHt für die Brüllaffen ausgeführt hat (s. unten bei Quadrumanen). Ein größeres Material verschiedener Arten aus verschiedenen Altersklassen dürfte dar- über weitere Aufklärung bringen. 9. Sirenia. Nach der Schilderung von PARKER (1868, S. 219) fehlen den Sirenen die Claviculae nebst den daran anschließenden Skelettteilen. Das Brustbein von Halicore ist ausgezeichnet durch einen sehr langen präcostalen Fortsatz, in welchem zuerst im ganzen Brustbein ein Knochenkern auftritt. Ein ansehnlicher präcostaler Teil besteht auch bei Manatus. Derselbe ist an einem jugendlichen Exemplar größtenteils verknöchert, nur an seinem vordersten Ende bestehen 2 divergierende knorpelige viereckige Vorsprünge (Taf. 29, Fig. 21). Den starken präcostalen Fortsatz von Halicore erwähnt auch Frower (1888, S. 95, Fig. 42). 10. Huftiere. Aus der Gruppe der Huftiere, denen Schlüsselbeine abgehen, sind von PARKER (1868, S. 220) einige wenige Formen näher beschrieben und abgebildet. Es ergibt sich, daß alle untersuchten Arten einen mehr oder weniger ausgeprägten präcostalen Brustbeinfortsatz besitzen. Dieser ist ursprünglich knorpelig und erhält sich entweder als solcher (Tragulus, Taf. 29, Fig. 6, Equus asinus, Fig. ı3, Equus caballus, Fig. 16) oder verknöchert vollständig einheitlich mit dem vordersten Brustbein- segment (Sus, Taf. 29, Fig. 10—ı2) oder endlich zerfällt durch die Ossifikation in zwei Teile, einen basalen, der vom Brustbein her verknöchert, und einen am Vorderende. welcher einen eigenen Knochen- kern besitzt (Hippopotamus, Taf. 29, Fig. ı7, ı8, Tapirus, Fig. 19). Nähere Angaben über die Gestaltung des präcostalen Fortsatzes bei verschiedenen Huftieren finden sich bei Anrtuony (1898, S. 21). ır. Quadrumanen. GEGENBAUR gibt an, daß die Sternoclavicularverbindung der Affen, und zwar von Cerco- Fig. 43. pithecus ruber, Inuus cynomolgus, Fig. 42. Cercopithecus cynosurus, im wesent- lichen mit den Befunden beim Menschen über- einstimmt. Ein schmales Knorpelstück, dorsal etwas breiter als ventral liegt zwischen Clavi- cula und Brustbein und ist mit beiden fest ver- bunden. Es entspricht dem lateralen Episternal- stück zahlreicher anderer Formen. PARKER (1 868, S. 222) bringt Angaben über eine An- Fig. 42. Sternoclavicularverbindung von Mycetes seniculus, von der Ventralseite gesehen. Nach PARKER (1868, Taf. XXVIII, Fig. 19). i x . : Fig. 43. Sternoclayicularverbindung von Mycetes ursinus?, von Omosternum in einen faserknorpeligen Meniscus der Ventralseite gesehen. Nach PARKER (1868, Taf. XX VIII, Fig. 20). zahl weiterer Formen, bei denen allen das umgewandelt ist, der stets vom vordersten Brustbeinabschnitt, nicht so deutlich gegen das Sternalende der Clavicula durch einen Gelenkspalt getrennt ist (Mycetes seniculus und ursinus, lIachus penicillatus, Cercocebus aethiops, Pithecus satyrus und Mensch) Sehr bemerkenswert erscheint die Gestalt des vorderen Brust- beinendes von Mycetes (Taf. XXVIII, Fig. 19, 20, s. Textfig. 42, 43). Hier ist der ganze präcostale 13* ; 100 Zur Morphologie des Manubrium sterni. 100 Abschnitt durch eine tiefe mittlere Incisur zerlegt in zwei starke Hörner, die einen selbständigen Knochenkern besitzen und nicht bloß die Schlüsselbeine, sondern auch mehr oder weniger das ı. Rippenpaar tragen. Aehnliches zeigen die Abbildungen von Mıvarr (1865, S. 567, Textfig. 4 und 5) und ALBRECHT (1885). Miwarr (1877, S. 65) hält die vorderen Hörner des Brustbeines der Brüllaffen für homolog mit den Episternalknorpeln der Mäuse und den Suprasternalknöchelchen des Menschen (cit. nach ALBRECHT 1885,S. 350). Nach der Ansicht von ALBRECHT (1884, S. 46, 1885) hängt diese eigentümliche Gestaltung des Manubrium der Brüllaffen mit der besonderen Entwickelung ihres Kehlkopfes zusammen. Bei Anthropoiden und vielleicht auch bei niederen Menschenrassen ist es keine seltene Erscheinung, daß die Grenze zwischen Manubrium und Corpus sternı durch die Ansatzstelle des 3. Rippenpaares geht (vergl. DwicHr 1890, PATERSON 1893, KerrH 1896, ANTHONY 1898). Ueber die weite Verbreitung eines Meniscus interarticularis unter Prosimiern und Sımiern und über die Form von deren Manubrium finden sich nähere Angaben bei AntHuony (1898, S. 31, 8gff). Vergleichung und Beurteilung. BEcLARD, der Entdecker der Ossa suprasternalia, selbst meinte (cit. n. LuschkA, 1859, S. 13; BECLARD, 1820, S. 418), man könnte diese Knöchelchen wohl ansehen als „le rudiment de la fourchette ou clavicule furculaire de certains anımaux“ („Rudimente der Gelenke oder des Gelenkschlüsselbeins einiger Tiere“). |]. F. MECKEL bemerkt dazu (BECLAarRD, 1820, S. 418): „Wohl kaum, da die Gabel der Vögel das Schlüsselbein der Säugetiere, der Haken von diesen das geteilte Schlüsselbein der Vögel ist.“ Auch BrESscHEr (1838) beschäftigt sich eingehend mit der Frage nach der morphologischen Bedeutung der Ossa suprasternalia, da er dieselben wegen der Regelmäßigkeit ihrer Lage, Gestalt, Größe und ihres Aufbaues für normale Gebilde halten muß. Nach einer breiten Uebersicht der Literatur über die ver- gleichende Anatomie des Sternum bei Fischen, Amphibien, Reptilien, Vögeln und Säugern legt sich BRESCHET die Frage vor, ob die menschlichen Ossa suprasternalia nicht zu vergleichen wären mit den ähnlichen Bildungen bei Edentaten (S. 101) oder dem Episternum der Monotremen. Beide Möglichkeiten weist er aber zurück, sowie auch den Gedanken, daß diese Knöchelchen in Beziehung stehen könnten zu den das Sternum aufbauenden Knochenkernen (S. 103). Vielmehr sucht BREscHer durch ausgedehnte Ver- gleichungen zu beweisen, daß die Ossa suprasternalia vordere Reste einer 7. Halsrippe sind, deren hinteres Ende ım Processus costarıus des 7. Halswirbels enthalten ist, während der dazwischen liegende Abschnitt verloren ging. Für Fr. Arnorp (1845, I, S. 365 Anmerkg.) haben die Ossicula suprasternalia keine weitere Bedeutung, sondern sind zu vergleichen mit den hie und da vorkommenden accessorischen Knochenkernen an der Kniescheibe. Dagegen weist nach LuscHhkA (1853, S. 37) eine gewisse Gesetzmäßigkeit beim Auftreten der Ossa suprasternalia nach Lagerung, Verbindung, Form, sowie das Vorkommen entsprechender Einrichtungen bei Tieren auf ein „tieferes Entwickelungsmoment“ hin und läßt es am wahrscheinlichsten erscheinen, daß diese Knöchelchen nicht accessorische und selbständig gewordene Ossifikationspunkte des Manubrium sterni sind, sondern „in einem von dem gewöhnlichen Schöpfungsplane abweichenden ursprünglichen Entwickelungstypus der Handhabe begründete Formen“. Anknüpfungen ergeben sich vor allem bei den Gürteltieren, „bei welchen die Ossa suprasternalia am frappantesten vorgebildet sind“ (S. 40), Luschka hält die Skelettteile am vorderen Brustbeinrand von Edentaten für analog den menschlichen Suprasternalknöchelchen und meint: „Interessant ist es inzwischen, wie bei den bezeichneten Tieren die Verbindungsweisen der menschlichen Suprasternalbeine durch Syn- IOI Zur Morphologie des Manubrium sterni. 101 chondrose, Gelenk, Synoste, wenn auch die beiden letzteren beim Menschen nur ganz ausnahmsweise, wieder gefunden werden.“ Für besonders wichtig hielt LuschkAa die Beziehungen dieser Gebilde bei Edentaten zum Schlüsselbein, welchen Beziehungen beim Menschen die Verbindung der Ossa supra- sternalia mit der Cartilago interarticularis entspricht. Auf Grund dieser Befunde geht LuscHhkas Auf- fassung dahin, daß die Ossa suprasternalia vor allem keine Rıppenrudimente sind, sondern bei Menschen wie bei Tieren in nächster Beziehung zur Sternoclavicularverbindung stehen. Diese Ansicht wird weiter gestützt durch eine zufällige Beobachtung Luschkas (1859), welche an demselben Individuum das Nebeneinanderbestehen von Ossa suprasternalia und einer vollständigen Halsrippe zeigt. PFEIFFER (1854, S. 17), zweifelt an der Berechtigung der Luschkaschen Annahme, daß nähere Beziehungen zwischen den menschlichen Ossa suprasternalia und ähnlichen Gebilden am vorderen Brust- beinende von Dasypus bestehen. Eine nähere Begründung seiner Zweifel fehlt. Eine kurze Angabe von HumpHry (1858, S. 327) besagt, daß die Ossa suprasternalia dem Episternum der Monotremen analog: seien. Auf einer breiteren vergleichend-anatomischen Grundlage als Luschka behandelt GEGENBAUR (1864, 1865) die Frage nach der Bedeutung der Ossa suprasternalia. Er geht davon aus, daß Episternalknochen bekannt sind bei Amphibien (Fröschen), Reptilien (Eidechsen und Krokodile) und Säugern (Robben, Monotremen, Gürteltiere und an letztere sich anschließende Verhältnisse beim Menschen). Mit Ausnahme der schlüsselbeinlosen Robben erscheinen die Episternalknochen immer als Skelettteile, die paarig oder unpaar die Verbindung des Sternum mit den Schlüsselbeinen vermitteln. GEGENBAURS Untersuchungen zeigen nun, daß episternale Skelettgebilde in größerer Ver- breitung, als man bisher annahm, bei Säugern vorkommen und ın sehr verschiedenen Graden der Ausbildung, von denen die ansehnlichsten sich unmittelbar an die Befunde bei Monotremen und Grürtel- tieren anschließen. Der Umfang des Episternum ist aber völlig unabhängig von dem der Clavicula. Ersteres kann ganz unansehnlich sein bei mächtig entwickeltem Schlüsselbein und ebenso auch an- sehnlich bei rudimentärer Clavicula, selbst noch nachweisbar, wenn diese gänzlich fehlt. Von der Gestalt des Episternum bei Didelphys und Dasyurus ausgehend, verfolgte GEGENBAUR dessen Um- und Rück- bildungen bei anderen Marsupialiern, verschiedenen Vertretern der Nager und Insectivoren, Carnivoren, Pinnipedier, Edentaten, Chiropteren und Quadrumanen. Diese über zahlreiche Säugetiergruppen aus- gedehnten Untersuchungen des Sternoclavicularapparates führten GEGENBAUR zu etwas anderer, präziserer Auffassung als Luschka, wenn auch beide Forscher darin einig sind, die Ossa suprasternalia nicht für _ zufällig auftretende Seltenheiten zu erklären. Diese Knöchelchen sind nicht, wie LuscHka darstellt, selten vorkommende alleinige Reste des Episternum, sondern dieses ist beim \Menschen immer vertreten durch den Zwischenknorpel des Sternoclaviculargelenkes. Die Ossa suprasternalia repräsentieren nur das unpaare, beim Menschen in der Regel fehlende, oder doch nicht diskret erscheinende Mittelstück des ursprünglich T-förmigen Episternale. Das primitive Episternum zerfällt im Verlauf der Phylogenese in zwei unter den Säugetieren weit verbreitete laterale Stücke, die den Ausgangspunkt für alle paarigen Episternalia bilden und ein unpaares medianes Stück, das nur ın wenigen Tiergruppen sich vollständig erhält (ausschließlich vorhanden bei Fröschen, Krokodilen, Pinnipediern) und gelegentlich als abnorm auftretendes Rudiment die knorpelige Grundlage abgibt für die knöchernen Ossa suprasternalia. In dem paarigen Aufbau dieser Ossifikationen sieht GEGENBAUR keinen triftigen Einwand gegen die Annahme ihrer Abstammung von einen unpaaren, knorpeligen Skelettteil. PARKER schließt aus seinen sehr umfangreichen Untersuchungen, daß das Episternum oder die Interclavicula der Eidechsen und Monotremen bei den übrigen Säugern nicht mehr vorkommt, wohl 102 Zur Morphologie des Manubrium sterni. 102 aber das davon ganz verschiedene sogenannte Episternum oder Omosternum des Frosches. Dieses ent- spricht den paarigen lateralen Teilen des T-förmigen Episternum, das GEGENBAUR auch für die Säuger annimmt, während PARKER dessen unpaaren mittleren Teil dem vordersten Brustbeinabschnitt, dem Praesternum, zuteilt und offenbar aus der medianen Vereinigung früher vorhandener Halsrippen ableitet. Das Omosternum bringt PARKER in Beziehung zu einem Rest des Präcoracoid niederer Formen, das immer gleichzeitig mit der Clavicula vorhanden ist und an deren vorderes sternales Ende sich anschließt. Dieses Präcoracoid soll durch einen Spalt in zwei Stücke zerfallen, von denen das eine proximale in nähere Beziehung zur Clavicula tritt, während das andere, entsprechend dem Omosternum der Kröte, mit dem vordersten Ende des costalen Brustbeines Verbindungen eingeht. Demnach würde also der Meniscus des Sternoclaviculargelenkes aus dem sternalen Abschnitt des Präcoracoid entstanden sein, dessen clavicularer Abschnitt den sternalen Gelenkknorpel des Schlüsselbeines liefert. Nach Görtes entwickelungsgeschichtlichen Untersuchungen (1875, 1877) besteht in der Regel das Manubrium sterni der Säuger aus zwei genetisch verschiedenen Teilen, die beim erwachsenen Tiere wenig oder gar nicht als selbständige Bestandteile hervortreten. Der eine Teil ist costaler Herkunft, aus der Sternalleiste entstanden, der andere stellt das Episternum der Saurier dar und ist clavicularer Herkunft, aus den medialen Enden der Anlagen der Schlüsselbeine hervorgegangen. GörrE geht aus (S. 507) vom Brustbeinapparat der Saurier, der aus zwei Hauptteilen besteht, dem Sternum und dem Episternum. Das Sternum ist eine mehr oder weniger rautenförmige Platte, die mit den schrägen Vorderenden den Coracoidplatten sich anfügt. Das Episternum, stets knöchern, ist mit seiner hinteren Hälfte an die Bauchfläche des Sternum angefügt und verbindet sich nach vorn gewöhnlich mit den Schlüsselbeinen. Diese beiden Abschnitte des Brustbeinapparates sind, wie RATHRE (1853, S. 22—25) schildert, nicht bloß im ausgebildeten Zustand, sondern auch genetisch verschieden. Das Episternum entstehe unpaar und von vornherein knöchern innerhalb der weichen Knorpelhaut der zum größten Teil fertigen knorpeligen Brustbeinplatte an deren Bauchseite und sei deshalb als ein Deckknochen derselben anzusehen. Diesen Angaben widersprechen zum Teil die Beobachtungen GörLEs an einer Reihe von Embryonen von Cnemidophorus sp. Das Brustbein entsteht aus der Verschmelzung der verbreiterten ventralen Enden von Rippen, wobei sich nachweisen läßt, daß der kranialwärts gerichtete Fortsatz der rautenförmigen Platte, welcher sich zwischen die beiderseitigen Coracoidea einschiebt, aus einer Hals- rippe hervorgeht, welche später den Zusammenhang mit dem Brustbein verliert (S. 5ı1, 512, Fig. 1—4). Das Episternum entsteht „nicht als unpaare Bildung, sondern aus einer Doppelanlage, nicht selb- ständig, sondern aus den medialen Enden der ursprünglichen Schlüsselbeinanlagen, und zwar nicht nach der Verbindung der beiden Brustbeinhälften auf diesen, sondern einige Zeit vorher und vor den letzteren“. Auf einem frühen Entwickelungsstadium treffen die medialen, noch nicht verknöcherten Enden der beiderseitigen Schlüsselbeinanlagen in der ventralen Mittellinie zusammen, biegen nach hinten um und verlaufen dicht nebeneinander parallel der Medianebene noch eine Strecke weit zwischen den beiden Coracoidalplatten kaudalwärts (S. 515). In diesem Abschnitt der ursprünglichen Schlüsselbein- anlage tritt jederseits ein schmaler Streifen von Knochengewebe auf, die erste Anlage des Episternum (Fig. 3). Erst sehr viel später verschmelzen diese Streifen der Länge nach. Eine weitere Vergrößerung erfolgt durch Ossifikation einer membranösen Platte, die jederseits in dem Winkel zwischen Schlüsselbein und Episternum ausgespannt ist. Diese Membran verknöchert zumeist im Zusammenhang mit dem Schlüsselbeinende und läßt dieses dadurch verbreitert, abgerundet und scharf begrenzt erscheinen. Der Rest der Membran schließt sich dem Episternum an und bildet dessen verknöchernde Seitenflügel. „Die häutige Verbindung, welche zwischen dem clavicularen und episternalen Knochenrand zurückbleibt, 103 Zur Morphologie des Manubrium sterni. 103 ist also der Rest des ursprünglichen kontinuierlichen Zusammenhanges beider Skelettteile“ (S. 519, Fig. 4, 5). Die beiderseitigen Episternalknochen „sind nun nicht stablörmig, sondern wie die jungen Schlüssel- beinknochen gleichfalls rinnenförmig gebogene Platten, deren Höhlung sich medianwärts öffnet, und welche da, wo die Bildung der Seitenflügel durch Verknöcherung der jederseits angewachsenen Membran an ihnen beginnt, gekielt erscheinen (Fig. 5, 15). Nachdem die zwischen beiden gegeneinander ge- kehrten Knochenrinnen gelegenen Weichteile beider Episternalhälften zu einem Strange verschmolzen, wird derselbe von den beiderseitigen Knochenrändern umwachsen und endlich in eine vollständige Knochenröhre eingeschlossen; diese setzt sich vorwärts bis zwischen die Schlüsselbeinenden fort, rück- wärts aber nur bis an das Sternum, also bis gegen das Ende der ursprünglichen Anlage, während die spätere Verlängerung über die Bauchfläche des Sternum hin einen soliden flachen Knochen bildet. Der in die Knochenhöhle eingeschlossene Zellenstrang erleidet dieselben Schicksale wie derjenige der Schlüsselbeine: er wird zu Mark, welches später teilweise durch Knochen ersetzt wird.“ In ähnlicher Weise entwickelt sich das Episternum von Anguis fragilis (S. 527), doch ver- knöchert hier nur der hintere Teil der Anlagen, während die vordere Hälfte schwindet. Wahrscheinlich liegen die Verhältnisse ähnlich bei Pseudopus und Ophisaurus (S. 534). GörrtE glaubt annehmen zu dürfen, daß „das Episternum der Saurier ursprünglich ein knorpeliges war, daß aber allmählich die Knorpelbildung ausfiel und durch einen direkten Uebergang des grund- legenden Gewebes in Marksubstanz ersetzt wurde, wobei jedoch die äußeren Formverhältnisse, nämlich die Bildung des periostalen rinnen- bezw. röhrenförmigen Knochens und der Einschluß des zentralen Stranges sich erhielten“. Bei Cheloniern sind Sternum und Episternum nicht nachweisbar; dagegen besitzen die Kro- kodile beides, aber keine Schlüsselbeine. Trotz der Schilderung Rarukes (1853, S. 23; 1866, S. 67), daß hier das Episternum in ähnlicher Weise sich bildet wie bei Sauriern, hält es GörrE nicht für aus- geschlossen, daß auch hier seine Entstehung aus nur vorübergehend auftretenden Schlüsselbeinanlagen sich erweisen lassen wird (S. 546). Bei Ichthyosaurus fehlt ein Sternum. Das vorhandene Episternum war mit den medialen Schlüsselbeinenden anscheinend fest verbunden, woraus man auf einen genetischen Zusammenhang schließen kann (S. 548). Der Brustbeinkamm der Vögel ist nach Carus (1834, Bd. I, S. 179) homolog den Epi- sternalbildungen der Reptilien. Dagegen deutet Harıma (vergl. GörTE, S. 556) die zwischen der Furcula, dem Brustbein und den Coracoidea ausgespannten Membranen als Episternalapparat. GEGEN- BAUR (1865, S. 27) hält es nur für wahrscheinlich, daß die senkrechte Mittellamelle dieser Mem- branen aus dem Episternalapparat der Saurier hervorgegangen sei. GöÖrTE (1877, S. 555, Fig. 20, 23) findet auch bei Hühnerembryonen die mediale Fortsetzung jeder Schlüsselbeinanlage kaudalwärts umgebogen, die Episternalanlage darstellend. Der hintere Teil der beiderseitigen Anlagen greift früh- zeitig über auf den medialen Rand der entsprechenden Brustbeinhälfte und stellt sich dar als eine Leiste, welche in Kontinuität mit dem Brustbein knorpelig wird. Nach Verschmelzung der beiden Brustbein- hälften liefert dieser episternale Anteil die Crista stern, Der vordere Abschnitt der beiderseitigen Episternalanlagen verschmilzt zu einem in der Medianlinie zwischen Clavicula und Sternum ausge- spannten Strang und wird zum Sternoclavicularligament. Der einfache Episternalknochen der Saurier ist also bei den Vögeln (mit Ausnahme der Cursores, bei denen er ganz fehlt) zerfallen in zwei Abschnitte, das Sternoclavicularligament und die Crista stern. Das ganze Brustbein besteht demnach aus zwei genetisch verschiedenen Teilen, der costalen Sternalpatte und der episternalen und clavicularen Crista sternıi. 104 Zur Morphologie des Manubrium sterni. 104 Die Entwickelung des Sternalapparates der Säuger verfolgte Görre an Embryonen von Kaninchen, Maulwurf und Didelphys, wie bereits oben geschildert. Durch seine Beobachtungen gelangt GörtE zu der Auffassung, daß das Manubrium sterni von Talpa nicht nur der Brustbeinplatte und der damit nicht selten ganz verschmolzenen hinteren Episternalhälfte der Saurier entspricht, sondern daß das Vorderende des Manubrium von Talpa mit seiner zwischen den Seitenstücken vorragenden Spitze auch die vor, kranialwärts vom eigentlichen costalen Sternum gelegene Hälfte des episternalen Mittelstückes der Saurier enthält, dies Vorderende also rein episternaler Herkunft ist. „Das Manubrium von Talpa ist also homolog: der Sternalplatte, samt dem ganzen medianen Hauptstück vom Episternum der Saurier sodaß die episternalen Seitenstücke von Talpa (Episterna GEGENBAURS) lediglich den Seitenästen des letzteren entsprächen —“ (S. 564). Die Crista manubrii von Talpa wäre demnach homolog der Crista der Vögel (GörtE, S. 565). Das geschilderte Verhalten des Episternum bei Talpa wiederholt sich nach GörtE (S. 565) auch bei anderen Säugern. Diese Auffassung steht im Widerspruch zu den Dar- legungen GEGENBAURS (1864. S. 186, 1865, S. 23, 50, Anmerkung). Das Bedenken GEGENBAURS (1865, S. 49, 1876, S. 318), daß die Episternalbildungen der Säuger vor dem Sternum lägen, die der Saurier aber mit der hinteren Hälfte auf der Bauchfläche des Sternum befestigt wären, gilt, wie GöTTE (S. 567) ausführt, für die Monotremen ebensowenig wie für Talpa und Lepus. Er bezieht sich dabei auf eine Abbildung und Schilderung von PArkKFR (1868, Taf. 18, S. 193). Schwierigkeiten für die Homologi- sierung der Episternalapparate der Saurier und Säuger ergaben sich für GEGENBAUR (1865, S. 49) auch daraus, daß diese Bildungen bei Säugern knorpelig, ligamentös oder primär knöchern sich darstellen, während sie bei Sauriern rein knöchern sich anlegen. Dagegen weist GörTE (S. 569) auf die ebenfalls ligamentös knorpelige und primär knöcherne Beschaffenheit des Episternum der Vögel hin und meint, daß bei diesem Wechsel des episternaien Gewebes das Postulat histologischer Gleichartigkeit in homologen Skelettteilen eingeschränkt werden müsse. Wahrscheinlich gehe auch der Episternalapparat der Saurier aus einem knorpelig präformierten hervor, welche Möglichkeit auch GEGENBAUR zugibt (1870, S. 629). Bei Urodelen fehlt nach GörrE ein Episternalapparat und ebenso bei einem Teil der Anuren. Bei einem anderen Teil entsteht ein solcher aus paarigen Auswüchsen der Schlüsselbein- anlagen, welche sich in der Medianebene zu einem unpaaren Stück verbinden. Dieses ragt entweder frei nach vorn vor oder verdeckt bei zusammenstoßenden. Epicoracoidea deren Fuge ventral und stellt nach Verschmelzung mit ihnen eine kielförmige Verbindung derselben dar. Bei Rana verkalkt dieser Kiel. Ein costales Sternum fehlt den Amphibien. Ein Vergleich aller von GörrE geschilderten Befunde ergibt, „daß die ursprünglichen Beziehungen zu den Coracoidea allein (Ichthyosaurus, Anura) sich all- mählich lösen und in solche zum Sternum übergehen (Saurier) um endlich nur auf dieses beschränkt zu bleiben (Vögel, Säuger) wobei das Episternum zum Teil ganz in das Brustbein aufgeht, ein claviculares Brustbeinstück wird.“ Eine Bestätigung der Angaben von GörrE bringen die über mehrere Säugetiergruppen und den Menschen ausgedehnten Untersuchungen von C. K. HorFrmanNn (1879. Auch er nimmt an, daß das Episternum der Säuger, resp. dessen Reste, nicht ein fremder Skelettteil ist, der zwischen Claviculae und Brustbein sich einschiebt, sondern ein Abgliederungsprodukt der Schlüsselbeine, ein claviculares Sternum.- Dieses bildet nach der Verwachsung seiner beiderseitigen Hälften in der Mittellinie ein T-förmiges Skelettelement, das sich später in ein Mittelstück und zwei seitliche Teile gliedert. Das Mittelstück verwächst entweder mit dem Vorderende des costalen Sternum, oder wird ın dessen Perichondrium größtenteils assimiliert, während der Rest zum Lig. interclaviculare sich umbildet. Die beiden Seiten- stücke bleiben als knorpelige oder bindegewebige Körper zwischen Sternalende der Clavicula und 105 Zur Morphologie des Manubrium sterni. 105 Manubrium erhalten. Ob die Ossa suprasternalia mit dem clavicularen Brustbein in Verbindung zu bringen sind, vermag HorFrmann nicht zu entscheiden. v. BARDELEBEN (1879) glaubt, daß tiefe Teile des Lig. interclaviculare des Menschen, die zwischen den beiden Menisci des Sternoclaviculargelenkes, besonders aber zwischen Meniscus und oberem Rand des Manubrium verlaufen, als Reste des medialen Teiles des Episternum aufzufassen sind. Ein Teil dieses mittleren unpaaren Abschnittes sei wahrscheinlich in die Bildung des Manubrium übergegangen und trete bei stärkerer Entwickelung manchmal in der Mitte des oberen Brustbeinrandes als ein kleiner unpaarer Knochenvorsprung vor. Demnach würden nicht nur in den Menisci die lateralen Teile des Episternum, sondern in den beide Menisci untereinander und mit dem oberen Rand des Manubrium verbindenden Faserzügen auch dessen medialer unpaarer Abschnitt beim Menschen konstant vorhanden sein. Die Ossa suprasternalia deutet dann v. BARDELEBEN als laterale Stücke des mittleren unpaaren Abschnittes des Episternum, welche sich stärker nach oben entwickelt haben und partiell verknöchert sind. Vergleichend-anatomische und vergleichend-embryologische Belege für seine Auffassung sieht v. BARDELEBEN in Abbildungen der Werke von Harrına (1864), PARKER (1868) und GörrtE (1877, Taf. XXXD. Eine weitere Ergänzung der entwickelungsgeschichtlichen Untersuchungen durch Befunde an menschlichem Material bringt die Arbeit von RucE (18380). Die gewonnenen Resultate lassen sich sowohl für wie gegen Görres Ableitung des Episternum von der Clavicula verwerten (S. 396). Das Manubrium. sternı aber hält Ruce für einen Abkömmling hauptsächlich wohl des ı. zum Teil aber auch des 2. Rippenpaares. Jedenfalls wird mit Bestimmtheit seine costale Abstammung angenommen (S. 381). RucE hat nichts beobachtet, was auf Beitrag von Teilen der Clavicula zur Bildung des Manubrium hindeutete, auch nichts zu Gunsten der Annahme ParkErs (1868) von genetischen Beziehungen zur 7. Halsrippe (S. 382, 383). Wohl aber verschmilzt mit dem Manubrium ein suprasternales Knorpelpaar, dessen Herkunft beim Menschen sich nicht feststellen ließ (S. 408). Man könnte dieses als Ueberbleibsel des Mittelstückes vom Episternum der Säuger auffassen, dessen ur- sprünglich paarige Anlage durch GörrE behauptet sei. Andererseits bestehe die Möglichkeit, daß diese Knorpelstückchen in genetische Beziehung zum 7. Halsrippenpaar zu bringen wären. Letzterer Deutung möchte Ruce sich am liebsten anschließen, da folgende Faktoren für die Rippennatur dieser Stücke zu sprechen scheinen: „ı) ihre gewebliche Uebereinstimmung mit dem Manubrium sterni; 2) ihr zeitlich mit den Sternalleisten übereinstimmendes und ihr so sehr verschiedenes Auftreten von dem der anderen Episternalreste (wir werden Reste der Rippen, da diese phylogenetisch die älteren Teile sind, onto- genetisch auch früher erwarten als Episternalteile); 3) ihr so rasches Verschmelzen mit dem Manubrium, während die Episternalreste nicht einfach dem Manubrium sich einverleiben, sondern sich zum größten Teil rückbilden.“ Im Anschluß an GEGENBAUR sieht Ruce in der Cartilago interarticularis des Sternoclavicular- gelenkes das Homologon des Episternum anderer Säuger, rechnet dazu aber auch noch den Ueberzug des Gelenkendes der Clavicula, sowie der Incisura clavicularis des Manubrium, demnach alle Teile, die aus dem gesamten intersterno-clavicularen Gewebe des Embryo durch Differenzierung hervorgehen (S. 409). Aus dieser Auffassung ergibt sich auch die Annahme, daß die beiden Gelenkhöhlen des Sternoclavicular- gelenkes nicht zwischen Sternum, Episternum und Clavicula, sondern interepisternal liegen. Die Ossa suprasternalia bringt RuGE in Zusammenhang mit der sternalen Schicht, die sich aus dem intersterno- clavicularen Gewebe herausdifferenziert. Mit der von BARDELEBEN (1879) gegebenen Schilderung stimmen die von RusGE beobachteten Bindegewebszüge am proximalen Rande des Manubrium nicht überein. Bezüglich der Deutung derselben äußert er sich folgendermaßen (S. 411, Anmerkg.): „Diesen Bindegewebszügen die Bedeutung von Episternalresten zuzuschreiben, halte ich für unzulässig; anders Jenaische Denkschriften. X]. 14 Festschrift Frnst Haeckel. 106 Zur Morphologie des Manubrium sterni. 106 wenn in ihnen wirklich Knorpelelemente auftreten. Ich möchte mich zu Gunsten dieser Ansicht vor allem auch dann nicht aussprechen, wenn die in einer sehr viel früheren Embryonalperiode auftretenden supersternalen Knorpelstücke als Ueberreste eines knorpeligen Episternum der Säugetiere zu deuten sind. Es liegt dann eine Schwierigkeit darin, die an der nämlichen Stelle später auftretenden Gebilde mit dem gleichen Episternum zu homologisieren. Dann dürfte es nicht gefehlt sein, die Bedeutung des von BARDE- LEBEN beschriebenen faserknorpeligen Streifens als Episternalrest nur auf die medial von den Gelenk- höhlen lagernden Teile auszudehnen, die sich zuweilen zu den größeren Skelettteilen (BRESCHEIS) ent- wickeln. — Haben aber die von mir beschriebenen Knorpelstücke die Bedeutung von Rippenresten, so mögen die auf dem oberen Rande des Manubrium von BARDELEBEN wahrgenommenen Faserknorpel die Bedeutung eines mittleren Episternalrestes beanspruchen.“ Nach ALBRECHT (1883, 1884) wird das Manubrium sterni der Säuger und des Menschen ge- bildet von Teilen der letzten Hals- und der 2 ersten Brustrippen. Als ein Rudiment einer 7. Hals- rippe betrachtet ALgrecHt den kleinen knorpeligen oder knöchernen Skelettteil, den GEGENBAUR und PARKER bei Nagern und Insectivoren als Rest des Coracoid resp. Epicoracoid beschrieben (1884, S. 26), Dazu tritt eine paarige Ossifikation, die herrührt von ALBRECHTS „postomosternum“ und homolog sein soll dem sogenannten Sternum der Anuren (1889, S. 12, 35). Die Ossa suprasternalia des Menschen homologisiert ALBRECHT mit dem sogenannten Episternum der Anuren und hält sie für homodynam den Beutelknochen (1883, S. 14 —ı6). Bei Vögeln sei das Episternum der Saurier repräsentiert durch ein Lig. cleidosternale (1883, S. 12, Anmerkg. 3). Anfangs schloß sich Surron (1885, S. 40) der Ansicht PARkERS insofern an, als er das Lig. interclaviculare und die Meniscı am sternalen und acromialen Ende der Clavicula für abortive Knochen- elemente hielt, die dem Schultergürtel angehören. Später gab er (cit. nach CARWwARDINE) an, daß die Ossa suprasternalia innerhalb des Präcoracoidrestes entstehen, also zum Meniscus sternoclavicularis in innigster Beziehung stehen. Das Interclaviculare oder Episternum der Monotremen hat nach der Ansicht von FrowEr (1888, S. 98) kein Homologon bei den übrigen Säugern und gehört mehr zum Schultergürtel, JasouLay (1890 cit. nach AntHony 1898, S. 138) hält die Ossa suprasternalia für letzte Reste des Praeomosternum (=Omosternum oder Episternum) der Anuren. PoIRTER (1890, S. 89, 90) sieht eine Bestätigung der GEGENnBAauRSschen Ansicht von der Bedeutung des sternoclavicularen Meniscus in dessen Verhalten bei verschiedenen Individuen. Absolute Inkonstanz der Form, sehr wechselnder Grad der Entwickelung bis zum völligen Fehlen in ca. 3 Proz. der Fälle seien die wesentlichen Charaktere dieses Gebildes. Dasselbe sei auch nicht notwendig zur Herstellung der Kongruenz der Gelenkflächen, sondern aus diesen Gründen aufzufassen als eine rudimentäre Interclavicula. Ohne nähere Begründung seiner Auffassung gibt CARWARDINE (1893, S. 234) an, daß die Ossa supra- sternalia und die von ihm beschriebenen suprasternalen Ligamente die einzigen Reste des Sternalendes des Präcoracoidknorpels sind. Die Schlüsselbeine, sowie die Menisci seien später hinzugekommene, ursprünglich fremde Gebilde. SABATIER (1897) rechnet sowohl die Claviculae wie auch die Interclavicula oder das Episternum zum Skelett des Brustkorbes. Das Episternum sei ein medianer, unpaarer Sternalabschnitt und die Claviculae die zugehörigen Rippen. Der Meniscus sternoclavicularis sei ebensowenig ein besonderer Skelettteil wie die Zwischengelenkscheiben des Kiefer- und des Kniegelenkes. Vielmehr handele es sich hier um besondere Bildungen in Anpassung an die mechanischen Verhältnisse des Gelenkes. AntHony führt kurz aus (1898, S. 10), daß bei den Vertebraten zwei Arten von Sternum bestehen, nämlich ein basilares Sternum, aus der Sternalisation von Coracoid und Präcoracoid hervorgehend, und ein costales Sternum. Letzteres entstehe aus der Sternalisation der Rippen, und außerdem habe nach 107 Zur Morphologie des Manubrium sterni. 107 SABATIER (1897) die Clavicula daran teil. Die dieser entsprechende Sternebra sei die Interclavicula oder das Episternum. Bei Säugern sei in der Regel nur ein costales Sternum vorhanden. Das Manu- brium sterni der Säuger bestehe aus der ersten Sternebra und einem präcostalen Fortsatz. An dem Aufbau des letzteren sollen Sternebrae verschwundener Halsrippen und außerdem Reste des bei Mono- tremen noch vorhandenen basilaren Sternum beteiligt sein. Was speziell den Menschen betrifft, so schließt sich Anrnuonv (S. 101) der Ansicht an, daß das Lig. interclaviculare den medianen, der Meniscus sternoclavicularis den lateralen Teil des Episternum repräsentiert. Die Ossa suprasternalia hält er aber nicht für Episternalreste (S. 138), sondern bringt sie mit CARWARDINE in Beziehung zum proximalen Ende des Präcoracoid, ebenfalls ohne weitere Argumente für die Begründung seiner Ansicht vorzulegen. GEGENBAUR hält in den verschiedenen Auflagen seines Lehrbuches der menschlichen Anatomie an seiner ursprünglichen, durch Ruge erweiterten Auffassung fest. Ein die Verbindung zwischen Sternum und Clavicula vermittelndes Episternum soll beim Menschen rudimentär auftreten, indem ein mittlerer Abschnitt desselben bei der ersten Anlage des Manubrium aus dem vordersten Teil der Sternal- leiste entsteht und weiterhin in der Regel in das Manubrium aufgenommen wird, während ein late- raler Teil sich knorpelig (auch bei Affen) als Meniscus des Sternoclaviculargelenkes erhält. Reste des mittleren Abschnittes blieben in seltenen Fällen in der Gestalt der Ossa suprasternalia selbständig er- halten (GEN lle388 55 rom, 237: Aufl,r1899, S: 192, 266). Ausführlicher und in etwas anderem Sinne behandelt GEGENBAUR die Frage nach dem Schicksal des Episternum in seiner vergleichenden Anatomie, Bd. I. Die Existenz eines Episternum bei lebenden Amphibien erscheint fraglich (S. 305). GEGENBAUR zieht es deshalb vor, den bei manchen Anuren als Episternum beschriebenen Skelettteil mit dem Namen Epicoracoid zu belegen (S. 295). Das Episternum der Stegocephalen und der Reptilien ist aufzufassen als ein Hautknochen, der lediglich durch Anlagerung Beziehungen zum Knorpelskelett erhält. Für seine dermale Abstammung spricht auch seine Genese (S. 305). Bei Vögeln ist dies Episternum verloren gegangen. „Wenn man die Crista sterni zum Teil aus der ‚Anlage‘ eines Episternums hervorgehen läßt, so ist dagegen zu erinnern, daß das Episternum als ein nur durch Knochengewebe hergestellter Skelettteil vor dem Auftreten der Knochenbildung überhaupt gar nicht vorhanden ist und daß seine Stelle einnehmendes Bindegewebe, in welchem in anderen Fällen das Episternum entsteht, nicht in dem Sinne, wie ein Knorpelstück die Anlage eines Knochens bildet, aufgefaßt werden kann, ohne daß sehr differente Verhältnisse eine Vermischung erfahren“ (S. 305). Das Sternum der Säuger steht trotz weiter Entfernung in näheren Beziehungen zu den Befunden bei Amphibien als bei Sauropsiden. Ein wirkliches Episternum besteht unter Säugern anscheinend nur bei Monotremen. Aus den Darstellungen von W.K. Parker geht hervor, daß bei jungen Echidnen ein . wahres Episternum als Belegknochen eines knorpeligen, vom Sternum gelieferten Abschnittes auftritt und anscheinend mit seiner Unterlage zu einem einheitlichen Skelettteil sich vereinigt. Doch bedarf diese Frage noch genauerer Prüfung (S. 303, 306). Die vom Sternum gelieferte knorpelige Unterlage erscheint als ein ansehnlicher kranialer Fortsatz, der als Prosternum bezeichnet wird (S. 300). Bei den erwachsenen Tieren entsteht aus knorpeligem Prosternum und dermalem knöchernen Episternum ein besonderer Skelettteil, der vom übrigen Sternum dicht vor dessen Verbindung mit der ı. Rippe sich abgliedert (S. 300). Von diesem sagt GEGENBAUR (S. 306): „Man kann diesen Teil ein Episternum nennen, weil er vom primitiven Epi- sternum seinen Charakter empfängt, nicht bloß von ihm aus ossifiziert, sondern auch in der Gestaltung seines vorderen, in zwei seitliche Aeste ausgezogenen Abschnittes an die niederen Befunde erinnert, mit denen er auch den an jene beiden Aeste stattfindenden Anschluß der Schlüsselbeine teilt. Durch die Gleichheit der Bezeichnung soll aber die Besonderheit nicht verwischt werden, welche in jener Verbindung mit dem inneren Skelett sich ausprägt und einen von den primitiven Verhältnissen weit entfernten Zustand vor- 14* To8 Zur Morphologie des Manubrium sterni. 108 stellt. — Diese Verschmelzung hat zum Untergange der selbständigen Existenz des Episternum geführt, der sich bei den übrigen Säugetieren derart vollzogen hat, daß keinerlei Teile des vorderen Sternalabschnittes, wo ein solches (solcher? Ref.) noch als Prosternum unterscheidbar ist, einem Episternum vergleichbar sind. Es ist aufgegangen in die Össifikation des Prosternums, welches selbst wieder in das Manubrium sterni auf- genommen wird. — Dieser Untergang des Episternums knüpft aber an Veränderungen der Claviculae an.“ Auch bei den übrigen Säugern besteht ein Prosternum, das als ansehnlicher kranial gerichteter Fortsatz von dem vordersten Abschnitt der Sternalleiste ausgeht (S. 300) und mit welchem sich an- scheinend noch andere als rein sternocostale Abschnitte, anderer Herkunft verbinden (S. 498). Das Prosternum vermittelt die Verbindung des Sternum mit der Clavicula (S. 302). Nach Reduktion des Coracoid wird das Prosternum bei erwachsenen Säugern mehr oder weniger aufgenommen in das Manubrium sterni. Dieses wird außerdem noch gebildet durch den hinter dem Prosternum folgenden Abschnitt des Sternum bis zur Anfügungsstelle der 2. Rippe (S. 301). Das knorpelige Prosternum der Marsupialier ist noch nicht ganz in das Manubrium aufgegangen, sondern angedeutet durch einen Fortsatz vor der ersten Sternocostalverbindung. Dieser Fortsatz findet sich auch noch bei manchen Monodelphen, bisweilen mit selbständiger Verknöcherung (Helamys). Bei anderen Formen (Talpa, Edentaten) ist das Prosternum mit dem Manubrium synostosiert, aber als vorderer Abschnitt desselben unterscheidber. Die Mehrzahl der erwachsenen Säugetiere läßt aber das Prosternum nicht mehr wahrnehmen, da es völlig im Manubrium aufgegangen ist. Als letzte Reste des ursprünglich selbständigeren Prosternum, resp. als Ossifikationen desselben deutet GEGENBAUR die menschlichen Ossa suprasternalia (S. 301). Das Manubrium besitzt Beziehungen zum Schultergürtel durch Anfügung der Clavicula. Diese ist aber nicht direkt mit dem Manubrium verbunden, sondern durch Vermittelung von Knorpelstücken, die nicht selten ossifizieren (S. 301). GEGENBAUR rechnete dieselben früher zum Episternalapparate. Nach den Angaben von GÖTTE entstehen sie aus dem sternalen Ende der zu Knorpel sich umbildenden Anlage der Clavicula. Daraus ergibt sich allerdings keine Erklärung für die Phylogenese dieser Einrichtung. „Immerhin liegt doch eine durch sie vermittelte Beziehung zum Episternalapparat in der Verbindung vor.“ Die Angaben GörrEs bedürfen nach GEGENBAUR (S. 303, 498) noch einer genaueren Prüfung, weil dort nicht zu ersehen ist, aus welchem Gewebe jene „Episternumanlagen“ bestehen. Die Angaben erscheinen nicht gut verwertbar, „da es kein ursprünglich ‚knorpeliges‘ Episternum gibt, wenn auch bei Monotremen sternale Knorpelteile mit den knöchernen zusammentreten, da ferner ebensowenig knöcherne Teile in knorpelige sich umwandeln“. Die aus der Clavicularanlage entstehenden Skelettteile, das Omosternum W. K. Pırkers (1868), bezeichnet GEGENBAUR als Praeclavium. Dieses fand GEGENBAUR bei jugendlichen Didelphys in Kon- tinuität mit dem Prosternum. „Ein Zusammenhang mit dem Sternum erhält sich dann meist nur lıgamentös, und bei den meisten mit einer Clavicula versehenen Säugetieren fügt sich das selbständig ossifizierende Praeclavium ans Manubrium stern, und zwar ın der Regel an dessen hintere Fläche. Bei den Primaten erhält es sich nur knorpelig und ist beim Menschen in den Zwischenknorpel des Sternoclaviculargelenkes übergegangen, bei Chiropteren verschwunden. Die Ausbildung des Praeclavium steht daher keineswegs immer mit jener der Clavicula auf gleicher Stufe, wenn seine Existenz auch mit dieser aufs engste verknüpft ist“ (S. 497). Mit der Rückbildung der Clavicula geht Hand in Hand eine Rückbildung des Manubrium. Nicht selten aber bleibt trotzdem ein vorderer Fortsatz des Manubrium erhalten, der als ein Ueberrest des mächtigen Prosternalapparates der Monotremen zu deuten ist (S. 302). GEGENBAURS Wunsch nach einer Bestätigung und Erweiterung der Görreschen Befunde ist, was die Verhältnisse bei Tieren betrifft, seiner Erfüllung genähert durch die Untersuchungen von C. K. Horr- 109 Zur Morphologie des Manubrium sterni. 109 MANN (1879) bezüglich des Menschen .aber allerdings nur noch in unvollkommener Weise durch die vorläufigen Mitteilungen von PArErson (1901b, 1902). Letzterer hält den Meniscus sternoclavicularis nicht für homolog dem Suprasternalknorpel der Nager, sondern vielmehr dem knorpeligen Vorderende der Clavicula. Die Suprasternalknorpel seien in gewissem Sinne homolog solchen Bildungen, wie das Omosternum des Frosches und die Interclavicula der Reptilien. Nach der Ansicht von BEpDDArD (1902, S. 33—35) sind die Säuger mit Ausnahme der Mono- tremen im allgemeinen ausgezeichnet durch das Fehlen von Episternum oder Interclavicula. Dies Skelettstück sei aber erhalten in zwei kleinen Knochenstücken bei Talpa, bei vielen Säugern wahr scheinlich im Manubrium sterni aufgegangen. Spuren des Episternum seien vielleicht die paarigen Ossa suprasternalia des Menschen, die aber auch mit den Claviculae oder mit Halsrippen in nähere Beziehung zu bringen sein könnten. WIEDERSHEM (1902, S. 74) äußert sich dahin, daß ein Episternum der Säuger keinesfalls direkt an das dermale Reptilienepisternum angeschlossen werden könne, doch seine Urgeschichte sei nicht klar. Die Beurteilung werde dadurch erschwert, daß das Episternum der Säuger kranıalwärts und nicht ventral vom Sternum gelegen sei. Die Ossa suprasternalia repräsentieren das meist ins Manubrium auf- genommene Mittelstück des Episternum, während die Seitenteile in Skelettstücken zu sehen sind, die von den Sternalenden der Claviculae sich abspalten und beim Menschen als Menisci interarticulares sich erhalten. Die meisten Lehrbücher der menschlichen Anatomie homologisieren, soweit sie diese Frage überhaupt berühren, wie GEGENBAUR die Ossa suprasternalia mit dem Mittelstück, die Menisci des Sternoclaviculargelenkes mit dem Seitenstück eines Episternum. Der gegenwärtige Stand der Frage läßt sich in folgendem kurz zusammen- fassen: Ursprünglich besteht bei allen Säugetieren ein Komplex von Skelettelementen, der in seiner Ge- samtheit eine T-förmige Gestalt besitzt und zwischen Clavicula und Sternum eingeschoben erscheint. Die Basis des T steht mit dem Vorderende des costalen Brustbeines in Verbindung. An die beiden Seiten äste des T fügen sich die sternalen Enden der Claviculae. Dieser Skelettkomplex erscheint bei den ver- schiedenen Säugetiergruppen in sehr verschiedener Gestalt und von sehr manmnigfaltiger Struktur. Der ganze Komplex kann repräsentiert sein durch ein einheitliches knöchernes Skelettstück (Episternum der Monotremen) oder einen einheitlichen Knorpel (Didelphys GEGENBAUR). In den meisten Fällen besteht der Skelettteil aus mehreren, und zwar aus drei Stücken, einem median gelegenen unpaaren Teil und zwei seitlichen Stücken, die sich rechts und links an die Seiten des ersteren anlagern. In seltenen Fällen kann auch der mittlere unpaare Teil durch zwei symmetrische Hälften repräsentiert werden (Dasypus sexcinctus Cuvier). Die drei Abschnitte des Skelettkomplexes bleiben bei verschiedenen Säugetierarten in verschiedenem Grade erhalten. Sie wechseln sehr in ihrer Größe, können auch teilweise oder gänzlich verschwinden. Ihrem feineren Aufbau nach bestehen sie aus Bindegewebe oder Faserknorpel, hyalinem Knorpel oder aus Knochensubstanz. In der morphologischen Deutung dieses Skelettkomplexes stehen sich verschiedene Ansichten schroff gegenüber. GEGENBAUR (1864, 1865) deutete ursprünglich den ganzen Komplex als eine Einheit und homologisierte dessen einzelne Teile bei Säugern mit dem Episternalknochen der Monotremen und der Eidechsen. Darın sind GEGENBAUR zahlreiche Autoren gefolgt. PARKER (1868) zerlegt den T-förmigen Komplex in zwei genetisch verschiedene Teile. Er rechnet das unpaare Mittelstück zum costalen Sternum und ist geneigt, dasselbe auf Reste verschwundener Halsrippen zurückzuführen. Die Seitenteile faßt PARKER mit dem Gelenkknorpel des sternalen Endes der Clavicula zu einem ur- sprünglich einheitlichen Skelettstück zusammen und deutet dasselbe als Rest eines Präcoracoid niederer Formen. Das Episternum der Eidechsen und Monotremen kommt nach PArkers Ansicht bei Säugern 1Io Zur Morphologie des Manubrium sterni. IIo nicht mehr vor. Seiner Auffassung schließen sich mit geringen Modifikationen in speziellen Punkten verschiedene Autoren an. Entwickelungsgeschichtliche Beobachtungen führen GörtE (1877) zu der An- sicht, daß das Episternum der Eidechsen und Monotremen bei Säugern ontogenetisch noch deutlich nachweisbar ist und im ausgebildeten Zustand mehr oder weniger in der Bildung des Manubrium sterni aufging. GörtE bezeichnet den ganzen Komplex als claviculares Brustbein, indem er darstellt, wie die gesamten Episternalbildungen bei Reptilien und Säugern als Abgliederungsprodukte der Clavicularanlage aufzufassen sind. Seine Darstellung wird von C. K. Horrmann (1879) in weitem Umfang bestätigt. Nach der neueren Auffassung von GEGENBAUR (1898) hat das ursprünglich dermale Episternum bej Säugern seine Selbständigkeit verloren, indem es mit Teilen des inneren Skelettes verschmolz. Es ist aufgegangen in die Össifikation des Prosternum, des vordersten präcostalen Abschnittes des von Rippen gebildeten Brustbeines. Allerdings gibt GEGENBAUR an, daß an dem Aufbau des Prosternum noch andere als nur costale Bestandteile beteiligt sein mögen. Zu dem Prosternum rechnet GEGENBAUR auch das Mittelstück des Episternalkomplexes. Die Seitenteile bezeichnet GEGENBAUR jetzt als Praeclavium, da sie nach den Untersuchungen Görtes aus der Clavicularanlage entstehen. Diesen sind homolog die Menisci des Sternoclaviculargelenkes, während GEGENBAUR die Ossa suprasternalia von dem Prosternum herleitet. Wenn wir zu diesen verschiedenen Auffassungen Stellung nehmen wollen, so ist vor allem im Auge zu behalten, daß alle entwickelungsgeschichtlichen Untersuchungen das Mittelstück und die Seiten- stücke des sogenannten Episternum der Säuger aus einer einheitlichen Anlage hervorgehend zeigen. Diese Anlage hängt mit der der Clavicula zusammen (GörttE, C. K. Horrmann, PATERsoN, nicht wider- sprechend Ruge, v. BARDELEBEN). Dadurch wird die Zurechnung des Mittelstückes zum costalen Brust- bein, wie sie PARKER durchführt, hinfällig. Auch in dem Prosternum GEGENBAURS sind demnach costale und claviculare Teile vereinigt. Es ist nicht ersichtlich, auf welche von ihnen die Ossa suprasternalia zurückgeführt werden, und eine schärfere Trennung scheint deshalb notwendig. Auf Grund dieser Erwägung fasse ich meine Auffassung der Morphologie des Manubrium sterni der Säuger in folgenden Worten zusammen: Der Hauptteil des Brustbeinhandgriffes der Säugetiere wird geliefert von der medianen Vereinigung des ı, 2. und eventuell 3. Rippenpaares Von diesem Skelettstück erstreckt sich in kranialer Richtung ein Fortsatz von wechselnder. Länge Dieser ist hauptsächlich zurückzuführen auf Reste zu Grunde gegangener Halsrippen. Dieser Fortsatz verbindet sieh innie mitzeine AGruppenvonsS keller teilen, die aus der Clavicularanlage hervorgehen und deren eventuelle Ossifikation von dem dermalen Episternum niederer Formen herzuleiten ist. Meist besteht diese Gruppe von Skelettteilen aus einem unpaaren Mittelstück und zwei Seiten- stücken. Das unpaare Mittelstück kann mehr oder weniger, selbst bis zum völligen Verschwinden, von dem kranialen Fortsatz des costalen Brustbeines assimiıliert werden. Auch die beiden Seitenstücke kommen in sehr verschiedenen Entwicke- lungsgraden vor. Das Mittelstück ist seiner ersten Anlage nach paarig, da es aus der medianen Verschmelzung der beiden Enden der Clavicularanlagen entsteht. Dieses urspüngliche Verhalten kann sich erhalten, indem keine Verschmelzung stattfindet, sondern die beiden Hälften auseinanderrücken. Diese werden reprä- sentiert durch die beiden Knöchelchen, die dem oberen Brustbeinrand von Dasypus sexcinctus aufsitzen, wahrscheinlich auch durch die beiden distalen Knorpelchen, die bei manchen Nagern in der Sternoclavicularverbindung ontogenetisch auf- HOTCT Zur Morphologie des Manubrium sterni. (11 treten, und durch die Ossa suprasternalia, resp. die Suprasternalknorpel desMenschen. Den Seitenstücken, die mehr oder weniger scharf von den sternalen Enden der Schlüsselbeine sich abgliedern, entsprechen die Knorpelstäbchen zwischen Supra- sternalknochen und Claviculae bei Dasypus, der proximale Knorpel bei manchen Nagerembryonen und der Sternoclavicularmeniscus des Menschen. 1868 1737 1753 1757 1883 1884 1885 1850 1898 1885 1845 Literaturverzeichnis. Die mit einem * versehenen Arbeiten waren mir nicht zugänglich. AEBY, CHr., Der Bau des menschlichen Körpers, Leipzig, Vogel, S. 170. ATBINUS, BERNHARDUS SIEGFRIED, Icones ossium foetus humani, p. 75 ff, Tab. 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Demgegenüber bedeutet es eine erhebliche Lücke unseres Wissens, daß bisher eine eingehende Prüfung des Einganges zum Luftweg der Dipnoör und namentlich eine Vergleichung seines Aufbaues mit dem des Kehlkopfes höherer Formen noch aussteht. Diesen längst empfundenen Mangel habe ich durch Untersuchung von Protopterus annectens (Owen) teilweise zu beseitigen gesucht‘). Eine kurze Angabe meiner Ergebnisse findet sich im HERTwIG- schen Handbuche der Entwickelungsgeschichte (Bd. II, S. 87 und 93, 1902); ihre eingehende Schilderung möge in dieser Festschrift einen Platz finden und als ein Zeichen meiner dankbaren Erinnerung an die Zeit gelten, welche ich am Zoologischen Institut zu Jena als Assistent Ernst HAEcKELS verleben durfte. Seit der Entdeckung von Lepidosiren paradoxa, von welcher Form 1836 durch J. NATTERER die erste Kunde kam, und dem Bekanntwerden des nahe verwandten Protopterus annectens durch R. Owens Beschreibung (1841) haben sämtliche Untersucher dieser so großes Aufsehen in der zoo- logischen Welt erregenden Tiere ihr Augenmerk mit Vorliebe auf die Respirationsorgane gerichtet. Wenn wir von den Lungen selbst absehen und uns gleich auf den Teil des Apparates konzentrieren, der uns hier besonders beschäftigen soll, so wurde bald festgestellt, daß ein unpaarer Kanal die Luft der Lunge zuführt, ein Ductus pneumaticus (Vestibulum pulmonum, Fig. 2, Taf. VII, D. /n.) Die Mündung dieses Ganges, vielfach als Glottis bezeichnet, liegt als ein longitudinal gestellter Schlitz ein Stück hinter dem Bereich des Kiemendarmes ventral und median am Anfang des Vorderdarmes. (Fig. ı Ad). Nur Hyvrır (1845) gibt für Lepidosiren an, daß der Aditus ductus pneumatici etwas nach rechts von der Medianebene abweiche. Die Grenze zwischen dem weiten Kiemendarm und dem engen Anfangsstück des Vorderdarmes, an dem eine Sonderung von Oesophagus und Magen noch nicht besteht, ist durch eine ventral gelegene, wulstige Falte ausgezeichnet (Fig. ı z.), welche bereits Owen (1841) schildert und abbildet. ı) Vor dem Abschluß dieser Veröffentlichung erschien die vorläufige Mitteilung der Untersuchungen R. WIEDERS- HEIMS über den Kehlkopf der Ganoiden und Dipnoer. Da wesentliche Verschiedenheiten in den Resultaten zwischen WIEDERSHEIM und mir bestehen, scheint mir trotzdem die Darlegung meiner Ergebnisse nötig zu sein. 118 Der Kehlkopf von Protopterus annectens (OWEN). 118 Die sog. Glottis, die wir besser Aditus laryngis nennen wollen, führt zunächst in einen niedrigen, schmalen und kurzen Gang, dessen Wand die Insertionen von Muskelbündeln des Dilatator aufnimmt (Fig. 5 Ad, M. ins). Wir bezeichnen dieses Anfangsstück des Luftweges als Larynx. Dicht hinter dem Kaudalende des Aditus erweitert sich der Larynx und geht damit in den längeren, die Trachea vorstellenden Teil des Ductus pneumaticus über. Diese liegt anfänglich an der Ventralseite des Vorder- darmes, zieht dann an die rechte Seite des Darmes und mündet in den paarigen, den dorsalen Teil des Cöloms einnehmenden Lungensack (Fig. 2 Pubn.). Allen Untersuchern fiel eine aus einem weißlichen festen Gewebe bestehende Platte auf (Fig. ı S4. Pl), die vor dem Aditus laryngis in die ventrale Wand des Vorderdarmes eingelassen ist. Sie wurde für Lepidosiren durch J. Henze (1839), TH. Bischorr (1840) und J. Hyrır (1845) beschrieben. Bei Protopterus kannte sie bereits R. Owen (1841) und W. PETERS (1845), ferner R. WIEDERSHEIM (1886) und W.N. Parker (1892). In neuester Zeit findet sie in einer vorläufigen Mitteilung R. WIEDERSHEIMS (1903) von neuem Berücksichtigung. Diese Stützplatte wird allgemein als Faserknorpel bezeichnet; nur Hyrrı spricht von elasti- schem Knorpel. Von einer histologischen Untersuchung des Gewebes ist aber nirgends die Rede. Wie aus dem bisher Bemerkten hervorgeht, hat die Stützplatte mit dem Ductus pneumaticus offenbar direkt nichts zu tun, sie liegt vor dessen Bereich. Der Ductus selbst entbehrt nach W. N. PARKER (Protopterus, 1892) besonderer Stützelemente und bekundet dadurch ein wesentlich ein- facheres Verhalten als der unpaare Teil des Luftweges der Tetrapoden. Im unvermittelten Gegensatz hierzu stehen aber die Angaben R. WIEDERSHEIMS (1903). Er beschreibt unter Beigabe von Abbildungen, gleichfalls für Protopterus, daß außer der Stützplatte auch Faserknorpelmassen in den Glottisrändern liegen. Das faserknorpelige Stützskelett erinnert „in seiner Anordnung an die Lateralknorpel der Amphibien und setzt sich auch noch in das Vestibulum pulmonis fort, welches dadurch eine gewisse Aehn- lichkeit mit einer kurzen, durch Skelettelemente gestützten Trachea gewinnt“ (S. 522, 523). Am Schluß seiner Mitteilung fährt dann WIEDERSHEIM (S. 533) fort: „Die in die faserige Grundmasse eingestreuten Knorpelkapseln liegen hier an vielen Stellen so dicht, daß die Zwischenmasse oft ganz verschwindet und fast der Eindruck von hyalinen Aryknorpeln hervorgerufen wird“'). Während hier auf Aehnlichkeiten zwischen einem bei Protopterus angenommenen Skelett mit den Arytanoiden der höheren Formen hingewiesen wird, hat anderseits das Verhalten der Stützplatte zu einer Vergleichung mit der Epiglottis, eigentlich wohl nur mit dem Epiglottisknorpel herausgefordert, wie wir schon bei Tr. Bıschorr (1840) lesen. In neuester Zeit hat G. B. Howes (1887) die Möglichkeit direkter Beziehungen zwischen beiden Bildungen durchblicken lassen. Die eigene Untersuchung der Stützplatte von Protopterus ergab folgendes”): Die Platte liegt median in der ventralen Wand des Anfangsteiles des Vorderdarmes (Fig. ı und 3 5% 77). Sie beginnt dicht an der den Kiemendarm gegen den Vorderdarm abgrenzenden Schleimhautfalte (v.) und zieht von hier bis in die Nachbarschaft des Aditus laryngis, ohne ihn aber selbst zu erreichen. Sie bleibt um den Betrag der Dicke des aus glatten Muskelzellen bestehenden Sphincter laryngis vom Kehlkopf- 1) R. WIEDERSHEIM gab in seinem Lehrbuch 1886 eine andere Schilderung (l. c. S. 622, 623). Nach der Be- schreibung der Stützplatte sagt er, daß seitlich vom Aditus ductus pneumatici sich keine Spur von Knorpel findet, und daß dem Protopterus ein tracheales oder gar laryngeales Knorpelgerüst gänzlich abgeht. 2) Mein Material bestand in 5 Exemplaren von Protopterus.. Von diesen diente das größte (35 cm lange) Tier der makroskopischen Präparation. Die Befunde liegen den Figuren 2 und 3 zu Grunde. Von den übrigen, nur wenig kleineren Exemplaren wurde die Gegend des Aditus laryngis in Serienschnitte zerlegt (2 Quer-, eine Sagittal- und eine Horizontalschnittserie). - 119 Der Kehlkopf von Protopterus annectens (OWEN). 119 lumen entfernte (Textfig. 2). Bei einem 35 cm langem Exemplar betrug die Länge der Platte 7 mm, ihre Breite vorn 4 mm, kaudalwärts verschmälert sie sich etwas. Sie bildet eine flache Rinne, der die Schleimhaut glatt anliegt, ohne, wie es in der ganzen Nachbarschaft der Fall ist, Längsfalten zu bilden (Fig. 4 S%. 77). Die freigelegte Platte erscheint weißlich, undurchsichtig, bei Lupenbetrachtung nimmt man eine faserige Längsstreifung in ıhr wahr, die wie wir sehen werden, auf ihrem feineren Gefüge beruht. Die Stützplatte ist von einer Bindegewebsschicht umhüllt, welche oral zunächst nur an der Ventral- seite, weiterhin aber auch dorsal eine derbe sehnige Beschaffenheit annimmt (Fig. 4 und Textfig. 1). Die Hüllschicht besteht aus Bündeln kollagener Fibrillen mit zahlreichen elastischen Fasern (s. u.), die zum großen Teil longitudinalen Verlauf einschlagen und von quer und schräg verlaufenden Zügen gekreuzt werden. Sie ist an der Dorsalseite der Platte identisch mit der Tunica propria der Schleim- haut des Vorderdarmes. So steht die Platte in inniger Verbindung mit dem bindewebigen Anteil der Mucosa. Es ergaben sich ferner mehrfache Beziehungen der Stützplatte zur Muskulatur. An den Rändern des Vorderendes der Platte entspringt jederseits ein dickes Bündel glatter Muskelzellen, das an der Kiemen-Vorderdarmgrenze unter der Schleimhaut dorsalwärts zieht und, soweit es aus meinen Schnitt- serien festzustellen war, einen Sphincter der Uebergangsstelle bildet. Ferner inseriert, wie bereits ]. HENnLE (1839) bekannt war, der (quergestreifte) sogenannte Dilatator laryngis mit einem großen Teil seiner Fasern an den kaudalen Teilen der Platte (Fig. 3 M.), ein Verhalten, das auch von R. WIEDERSHEIM (1886, 1903) geschildert wurde. Endlich entspringen einzelne Bündel des aus glatten Muskelzellen sich aufbauenden Sphincter laryngis von ihrem Hinterrand. Untersuchen wir eine Serie von Ouerschnitten durch die Stützplatte, so beobachten wir Ver- schiedenheiten ihrer Gestalt. Vorn stellt sie sich im Querschnitt als ein schmales Band dar, das in ganzer Breite annähernd gleiche Dicke besitzt. In ihrem kaudalen Teil erfolgt eine Verstärkung des medianen Gebiets, während die Ränder zugeschärft auslaufen (Fig. 4 5 77). Eine Verdickung der Hüllschicht an der ventralen Seite bildet einen medianen Kiel, der mit der Raphe zwischen den beiden Hälften des Constrictor pharyngis (C.) in Verbindung tritt. Es besteht hier ein ungemein fester Zusammenhang zwischen der Platte und jener Naht, der, wie wir gleich sehen werden, auch die innere Struktur der ersteren beeinflußt, und so kommt hier noch eine weitere Beziehung des Stützgebildes zur Muskulatur der Nachbarschaft zur Beobachtung. Es wird nun vor allem die Frage zu erörtern sein, welchen histologischen Bau denn eigentlich die Stützplatte besitzt. Mit Derarıernschem Hämatoxylin und Eosin gefärbte Schnitte meines leidlich gut konservierten Materials geben uns hier Aufschluß. Es wurden ferner Färbungen mit Orcein, Re- sorein-Fuchsin und Bleu de Lyon vorgenommen. Wir stellen zunächst fest, daß die aus Bindegewebe bestehende Hülle nach innen zu kontinuierlich in das Gewebe der Stützplatte selbst übergeht. Die zelligen Elemente beider sind gleichartig. Es handelt sich um verästelte Zellen (Fig. 6). Den großen, chromatinreichen Kern umlagert eine Schicht von Protoplasma, von welcher aus sich Fortsätze weit in die Intercellularsubstanz hinein erstrecken und sich hier verzweigen. In meinen Präparaten liegen die Zellen in weiteren oder engeren Hohlräumen, füllen also den sich ihnen bietenden Raum innerhalb der Intercellularsubstanz nicht aus. Das Gleiche gilt von einzelnen der Fortsätze des Zellleibes (Fig. 6). Von der Oberfläche des Zellleibes gehen zur Grenze der Hohl- räume vielfach dünne Züge von Protoplasma, so daß die Zelle auf dem Schnitt die Gestalt von 120 Der Kehlkopf von Protopterus annectens (OWEN). 120 Sternen aufweist. Ein ganz entsprechendes Verhalten zeigen viele Zellen der Hülle der Stützplatte; aber ebenso auch die von dichtgewebten Bindegewebszügen umgebenen Zellen des Stratum proprium der Mucosa. So liegt es nahe, die pericellulären Räume als Kunstprodukte aufzufassen, entstanden durch eine Schrumpfung des Zellprotoplasmas und vielleicht auch der Intercellularsubstanz. Die Annahme wird dadurch gestützt, daß es nicht gelingt, durch Färbung irgend eine die pericellularen Räume ein- nehmende Substanz nachzuweisen. Es besteht keine den Knorpelkapseln vergleichbare Bildung. Die Intercellularsubstanz hat nirgends homogene Beschaffenheit, so daß sie etwa im mikro- skopischen Bild an die des hyalinen Knorpels erinnern könnte. Sie hat überall einen fibrillären Aufbau. Zwischen den Fibrillen ist eine besondere Kittsubstanz nicht nachweisbar. Am vollkommensten treten die Fibrillen an ungefärbten, in Wasser oder Alkohol untersuchten Schnitten hervor. Die Fibrillen sind überwiegend kollagener Natur. Mit Orcein und Resorcin-Fuchsin gefärbte Schnitte weisen aber auch elastische Fasern auf. In größerer Menge liegen sie in den Fibrillenbündeln der Hüllschicht, einzelne verstreut im Innern der Platte. In der Mehrzahl ziehen sie in longitudinaler Richtung. Der Aufbau der Intercellularsubstanz ist nun keineswegs gleichartig. An manchen Stellen, wie eine solche in Fig. 6 abgebildet ist, bilden die Fibrillen ein ungemein feines Filzwerk. Die einzelnen äußerst dünnen Fibrillen laufen isoliert voneinander, ohne Bündel zu bilden, und durchflechten sich in verschiedenster Richtung. Es besteht an solchen Stellen keine bestimmte Zugrichtung der Fasern. In dem größten Teil des Gewebes der Stütz- ZN Ex platte liegen die Dinge aber anders (Textfig. 1); no, Veh >, die Fibrillen legen sich hier zu Bündeln ver- schiedener Stärke zusammen, kleinere Bündel ver- einen sich zu größeren Komplexen. In diesen 7 Zun. proßr. N N < KL if Fe A ] ‚ . . 1. . Sn een ey scheinen manchmal die Fibrillen etwas verdickt Bündeln, in denen auch elastische Fasern laufen, zu sein, vielleicht handelt es sich dabei um einen dichten Aneinanderschluß mehrerer Primitivfibrillen. Zwischen den Bündeln lagern die Zellen. In dem Verlauf der Fibrillenbündel besteht Gesetzmäßigkeit (Textfig. ı). Ein großer Teil der- selben zieht in longitudinaler Richtung, wie es auch schon in der Hüllschicht der Fall ist. Sie treten Fig. 1. Protopterus annectens. Stück aus der Mitte des kaudalen Abschnittes der Stützplatte mit dem darüber lagernden Teil der Schleimhaut des Vorderdarmes. Querschnitt, 280: 1. Die Zeichnung ist bei 560-facher Veıgrößerung entworfen. Zur Orientierung ist Fig. 4, Taf. VII zu vergleichen. Zp. Epithel des Vorderdarmes (mit Kutikular- saum), Zn. propr. Tunica propria der Schleimhaut, gleichzeitig Hüll- schicht der Stützplatte, ‚7. 77. Gewebe der Stützplatte, bestehend aus zum Teil im Quer-, zum Teil im Längsschnitt getroffenen Fibrillen- bündeln mit Bindegewebszellen. auf dem Querschnitt der Stützplatte quer getroffen als punktierte Felder deutlich hervor. Ein anderer Teil der Bündel zieht von der dorsalen gegen die ventrale Seite der Platte. Sie laufen in den kaudalen Teilen der Platte gleichzeitig etwas kaudalwärts, und so fließen hier longitudinale und dorso-ventrale EM 121 Der Kehlkopf von Protopterus annectens (OWEN). 121 Bündel ineinander. In der Gegend der Medianebene treten eine große Zahl von ihnen aus dem Bereich der Stützplatte aus und strahlen in die Raphe des Constrictor pharyngis ein. Hieran nehmen auch die longitudinalen Bündel der Hüllschicht teil, und so kommt die innige Verbindung zwischen Naht und der Stützplatte zu stande, welche vorhin erwähnt wurde. Zwischen den Faserbündeln lagert das an erster Stelle geschilderte Gewebe, ohne scharfe Abgrenzung, vielmehr unter allmählichem Uebergang der einen in die andere Form. Die Stützplatte ist sehr arm an Blutgefäßen, nur hier und da wird ein Gefäß auf dem Schnitt getroffen. Betrachtet man den Charakter des Gewebes der Platte, so wird man nicht anstehen, es als Bindegewebe zu bezeichnen. Nach meinen Präparaten liegt kein Grund vor, hier von einem Faser- knorpel zu sprechen; es fehlen alle Hinweise auf das Bestehen einer Kittsubstanz zwischen den Fibrillen oder in der Umgebung der Zellen, welche mit der Grundsubstanz des Knorpels oder Knorpelkapseln verglichen werden könnten. Ich habe nun weiter bei 4 Exemplaren von Protopterus an Schnittserien die Nachbarschaft des Aditus laryngis und die Wand des Ductus pneumaticus auf das genaueste untersucht, aber hier keine Spur von Stützelementen finden können, so daß ich mich in offenem Widerspruch zu R. WIEDERSHEIMS Darstellung befinde (1903) und mich W. N. PArkERSs (1892) oben angeführter Mitteilung anschließe. Wie Fig. 5 und Textfig. 2, S. 125 zeigen, ist zur Seite des Aditus der ganze nach außen vom Epithel gelegene Bezirk, abgesehen vom Bindegewebe, durch Bündel glatter Muskelzellen (S%.) eingenommen, zwischen denen quergestreifte Fasern des sogenannten Dilatator (M. zus.) in das Stratum proprium der Mucosa einstrahlen. Weiter nach außen liegt die Muskelmasse des Dilatator selbst (47.), dazwischen Zweige des die Gegend versorgenden Vagusastes (/.). Für Stützknorpel fehlt der Platz. Ebensowenig gelang es mir, in der Raphe (R.) zwischen den symmetrischen Hälften des Constrictor pharyngis (C.) oder innerhalb der Muskelmasse des letzteren den von WIEDERSHEM (Fig. 2, S. 523) abgebildeten Faserknorpel zu finden. Die Raphe ist durchaus rein bindegewebig (Fig. 4 u. 5, Taf. VII), und zwischen den Muskelfasern liegt ausschließlich an elastischen Fasern reiches Bindegewebe. Auch wenn wir davon absehen, daß zur Seite des Larynx und des Ductus pneumaticus die von R. WIEDERSHEIM angenommenen Stützelemente tatsächlich nicht nachweisbar sind, so ist immerhin das Bestehen einer starken, scharf begrenzten Stützplatte in nächster Nachbarschaft des Aditus laryngis un- gemein beachtenswert, und es fragt sich, ob in ihr nicht doch der Ausgangspunkt von laryngealen Skelett- teilen höherer Formen erblickt werden kann. Die Skelettteile, die hier in Frage kommen können, be- stehen aus Knorpelgewebe, und zwar aus hyalinem oder elastischem, auch stellenweise (bei Siren und Amphiuma) Faserknorpel, und es wird sich zunächst fragen, ob denn überhaupt ein Gewebe, wie es in der Stützplatte nach unserer Schilderung vorliegt, die Matrix für knorpelige Teile abgeben kann. Unsere Kenntnisse vom Knorpelgewebe sind in den letzten Jahren ungemein vertieft worden. Wir sind über die Chemie des Knorpels durch C. Tu. MÖRNER (1889), SCHMIEDEBERG (1891), WOLTERS (1891) und P. MorAawrız (1902) aufgeklärt worden, durch eine Reihe von Untersuchungen, von denen aus jüngster Zeit vor allem die von Fr. C. C. Hansen, J. SCHAFFER und von F. K. SrupnickA hervor- zuheben sind, über die gesamte Histologie des Gewebes eingehend unterrichtet worden und wissen, daß das Knorpelgewebe chemisch und strukturell weitgehende Verschiedenheiten aufweisen kann. Die verschiedenen Formen des Knorpelgewebes sind nicht prinzipiell voneinander verschieden. Es hat sich aber auch klar herausgestellt, daß die Grenzen des Knorpelgewebes gegen das Bindegewebe nicht scharf gezogen sind, sondern daß das eine Gewebe in das andere übergehen kann. Ontogenetisch Jenaische Denkschriften. XI. 16 Festschrift Ernst Hacckel. 122 Der Kehlkopf von Protopterus annectens (OWEN). 122 wie auch offenbar phylogenetisch wandelt sich Bindegewebe in Knorpel um, umgekehrt kann typischer hyaliner Knorpel eine Umbildung in ein nur als Bindegewebe zu bezeichnendes Gewebe erfahren. Wir haben nun die Aufgabe, die Eigenschaften unserer Stützplatte mit denen des Knorpel- gewebes zu vergleichen. Betrachten wir zunächst die Zellen (Fig. 6, Taf. VII), so unterscheiden sie sich sehr auffallend von den Elementen der meisten Knorpel durch ihre Ausläufer. Es ist aber eine längst bekannte Tatsache, auf die in jüngster Zeit O. V. SRDINKO (1903) von neuem aufmerksam gemacht hat, daß im jugendlichen Knorpel vielfach verästelte Zellen vorkommen, die später ihre Ausläufer einbüßen. Ebenso ist es lange bekannt, daß auch im ausgebildeten Wirbeltierkörper sternförmige Knorpelzellen bestehen, die sogar miteinander anastomosieren können. Derartige Zustände bestehen im sogenannten Schleimknorpel von Ammocoetes, ein Gewebe, das bei der Metamorphose des Tieres zum Teil zu Hyalin- knorpel wird (s. vor allem J. SCHAFFER 1896), sie bestehen aber auch im typischen hyalinen Knorpel, und zwar, wenn wir von ihrem Vorkommen in Enchondromen absehen, im Skelett von Selachiern und Ganoiden. Ich verweise hierfür auf O. Van DER Sırıcar (1887), der die reiche ältere Literatur eingehend verarbeitete und neue Beobachtungen hinzufügte, und F. K. SrupnıckA (1903a und b). Von älteren Autoren sei nur F. Leyoie (1852) und C. GEGENBAUR (1872, S. 239) erwähnt. Was die Intercellularsubstanz anlangt, so ergaben sich, wie wir sahen, in ausgedehnter Ver- breitung in der Stützplatte Stellen, die den Charakter typischen fibrillären Bindegewebes trugen (Textfig. 1, St. Pl). Hier kommen aber vor allem Stellen in Betracht, wie sie Fig. 6 zeigt, in denen feine Fibrillen in dichter Verfilzung die Intercellularsubstanz bilden. Schon längst sind fibrilläre Strukturen auch in der Intercellularsubstanz des hyalinen Knorpel- gewebes beschrieben worden, so von C. GEGENBAUR (1872) am Selachierschädel. Die Kenntnis von einem fribrillären Bau des Hyalınknorpels geht aber vor allem auf TirLmanns zurück (1872, 1877), der die Einlagerung kollagener Fibrillen in eine, mucinartige Bestandteile enthaltende Kittmasse nachwies. Wieder ıst es dann O. Van DER StricHt (1887), dem wir die nächsten Fortschritte in dieser Erkenntnis verdanken, und endlich muß hier mit besonderem Nachdruck auf die bedeutsamen Untersuchungen Fr. C. C. Hansens (1899, 1901) hingewiesen werden. Hansens Untersuchungen erstrecken sich auf eine ungemein große Zahl verschiedener Knorpel aus allen Wirbeltierklassen. Allgemein fand er, daß die Intercellularsubstanz einen Filz feiner kollagener Fibrillen einschließt. Die Fibrillen haben keine Neigung zur Bildung von Bündeln, sondern laufen isoliert. Sie sind eingelassen in eine amorphe Kittmasse von ausgesprochener Basophilie. Dieser chemische Charakter wird bedingt durch den Gehalt an Chondroitinschwefelsäure Aber auch mit den kollagenen Fibrillen ist diese Säure in chemischer Verbindung. Durch die Kittsubstanz werden nun die kollagenen Bestandteile des Knorpels verdeckt oder, wie sich Hansen ausdrückt, maskiert. Die Grund- substanz erscheint dadurch hyalin. Entfernt man die Chrondroitinschwefelsäure, so werden die Fibrillen demaskiert und mittels bestimmter Färbungen darstellbar. Es liegt uns nicht ob, zu entscheiden, ob wirklich überall das Kollagen des hyalınen Knorpels fibrillär differenziert ist; daß es in weiter Ausdehnung der Fall ist, dürfte keinem Zweifel unterliegen, und dies ist für uns von Wichtigkeit. Vielen Stellen der Stützplatte des Protopterus würde zur Ueber- einstimmung mit hyalinem Knorpel also nur die für das Knorpelgewebe charakteristische Kittmasse fehlen. Ihr Mangel bildet aber keinen durchgreifenden Differenzpunkt zwischen dem Stützplattengewebe und dem Hyalinknorpel, denn es kann nach allem keinem Zweifel unterliegen, daß unter gegebenen Be- dingungen die Elemente eines fibrillären Stützgewebes auch jene Substanzen zu liefern im stande wären. Nicht nur unsere Kenntnis des Knorpelgewebes selbst führt zu dieser Ansicht, sie wird auch gestützt 123 Der Kehlkopf von Protopterus annectens (OWEN). 123 durch unsere Vorstellungen von den weitgehenden Fähigkeiten bereits differenzierter Gewebe, wie sie auf Grund der neuzeitlichen experimentellen Forschung gewonnen worden sind. So kommen wir zu dem Schluß, daß seitens der Histologie keine Bedenken erhoben werden könnten, wenn jemand versuchen sollte, die Stützplatte von Protopterus und Lepidosiren zu weiter reichenden phylogenetischen Spekulationen über die Entstehung des Kehlkopfskelettes der Amphibien und Amnioten zu verwerten. Es fragt sich aber, ob die allgemein morphologischen Verhältnisse einem solchen Beginnen günstig erscheinen. In Betracht zu ziehen wäre hier zunächst das primitive Laryngo-trachealskelett. Im einfachsten uns bekannten Zustand wird dasselbe von einem Paare von Knorpelstäben gebildet, den Cartilagines laterales, wie sie, freilich wohl nicht mehr in primitivster Form, bei Necturus und Proteus bestehen. |]. HEnIE (1839), dem wir diese Kenntnis verdanken, hat dann weiter gezeigt, wie als Differenzierungen dieser einfachen Knorpel die Arytänoide, das Cricoid und die Trachealringe aufzufassen sind. Es kommt in der Tierreihe zu einer Zerlegung der Cartilagines laterales, gleichzeitig zu einer Vereinigung sym- metrisch lagernder Teile beider Stücke dorsal oder ventral vom Luftweg. Vielfach gibt sich noch die Zusammengehörigkeit der Glieder dieses Laryngo-trachealskelettes zu erkennen. Unter den Amphibien tritt die alte Einheit der Cartilago lateralis besonders bei Siren, Am- phiuma und Menopoma hervor, bei den Reptilien ist die manchen Ophidiern zukommende Kontinuität zwischen den Arytänoiden und den Seitenteilen des Ringknorpels als primitives Verhalten zu deuten; bei den Säugern endlich bestehen in frühen ontogenetischen Stadien an der lateralen Seite des Luft- weges Verbindungen zwischen Arytänoid, Cricoid und Trachealringen, die auch hier den ehemaligen Bestand eines einheitlichen Knorpelstabes als eines ursprünglichen Zustandes erhärten'). Nun liegen aber die Cartilagines laterales und ihre Abkömmlinge zur Seite des Luftweges, in einer Gegend, wo bei Protopterus tatsächlich keine Spur von Skelettelementen zu finden ist, wie ich im Gegensatz zu WIEDERSHEIM nochmals betone (vergl. Textfig. 5, S. 129, /. ar, und Fig. 5). Sie reichen nicht bis zu der Stelle heran, wo dort die Stützplatte lagert. Nirgends finden sich Hinweise darauf, daß sie aus einem unpaaren Stück hervorgegangen sind. Freilich bestehen auch zwischen den beiden Arytänoiden in einzelnen Fällen Verbindungen, so bei Siren und bei Amphiuma, vorübergehend sogar bei Embryonen von Echidna (s. meine Abhandlung von 1902), aber diese Brücken liegen in beiden Fällen kaudal von der Kehlkopfmündung, vereinigen die kaudalen Teile beider Stellknorpel miteinander, und zwar bei Amphiuma ventral, bei Siren und Echidna dorsal vom Larynx. Es sind offenbar sekundäre Er- werbungen. Endlich ist es mir nicht möglich, den Musculus dilatator, der bei Protopterus zum Teil an der Stützplatte inseriert, mit dem an der Cartilago lateralis resp. dem Arytänoid anhaftenden Dilatator der höheren Formen in Beziehung zu bringen, wie wir unten noch zeigen werden. So fehlen also für meine Betrachtungsweise völlig die Anhaltspunkte, um die Stützplatte und die Cartilagines laterales in genetische Verbindung miteinander zu bringen. Auf der anderen Seite ist, wie wir schon sahen, die Stützplatte von Protopterus mit dem Epi- glottisskelett der Säugetiere in Beziehung gebracht worden. | Es ist gewiß zuzugeben, daß der Gedanke C. GEGENBAURS (1892), daß der Epiglottisknorpel aus einem Visceralbogen stammt, eine Hypothese geblieben ist und des exakten Beweises entbehrt, so viel auch zu seinen Gunsten gesagt werden kann (vergl. meine Arbeit ıgo1). Er wird also hier gegen 1) Vergl. außer J. HENLE C. GEGENBAUR, H. H. WILDER (1896) und meine Darstellungen (1898 und 1901); die Bezeichnung „Cartilago lateralis“ ist hier in dem GEGENBAURschen Sinne des Namens verwendet. 16* 124 „Der Kehlkopf von Protopterus annectens (OWEN). 124 einen anders gearteten Ableitungsversuch nicht als Beweis ins Feld geführt werden können. Wir sehen aber doch, daß der Epiglottisknorpel der Säugetiere ein Skelettstück der Kehlkopfwand selbst bildet und von hier aus in die Epiglottisfalte emporsteigt, während die Stützplatte des Protopterus eine andere Lage oral vom Kehlkopfbereich einnimmt und mit der Kehlkopfwand selbst nichts zu tun hat. Die Uebereinstimmung der äußeren Form beider Teile ist eine nur oberflächliche; wichtig erscheinende Be- sonderheiten an der Basis des Epiglottisknorpels der Säugetiere fehlen der Protopterusplatte. So scheint mir auch ein Homologieverhältnis zum Epiglottisknorpel nicht nachweisbar zu sein. Es erforderte die willkürliche Annahme weitgehender Umgestaltungen, wenn man den Epiglottisknorpel von der Stütz-, platte ableiten wollte. Wir kommen nunmehr zur Betrachtung der Muskulatur des Kehlkopfes. Die erste und bisher vollständigste Schilderung der Muskeln stammt von J. Henze (1839), trotz der Mangelhaftigkeit des ihm seiner Zeit zur Verfügung stehenden Materials, und gilt speziell für Lepidosiren. HENLE unterschied einen Dilatator laryngis (Oeffner und Erweiterer). Derselbe kommt nach seiner Schilderung wahrscheinlich von der Wirbelsäule und breitet sich gegen die Medianebene zu fächerförmig aus. Ein Teil des Muskels geht zu den Seitenrändern des Aditus laryngis, ein anderer Teil an die Stützplatte, ein dritter trifft mit dem anderseitigen ventral vom Luftweg in einer medianen Naht zusammen. Ein Blick auf unsere Fig. 3 (C. Z77) zeigt, daß diese Darstellung in den wesentlichen Punkten das Verhalten der mit C. /Z7 und M bezeichneten Muskeln zutreffend schildert. HENLE unter- schied weiter einen Schließer oder Verengerer des Aditus als einen Muskel, dessen Fasern vom kaudalen Rand der Stützplatte kommen und um die Eingangsspalte herumziehen. Auch Hyrır (1845) erwähnt für Lepidosiren einen zarten Sphincter und schildert eingehend die Muskulatur der Nachbarschaft des Larynx und Ductus pneumaticus, einen Constrictor isthmi faucium, der mit dem den Dilatator HENLESs bildenden Muskel zusammenfällt, und einen Azygos isthmi, der dem Muskel C. 7 in unserer Fig. 3 ent- spricht. Direkte Beziehungen dieser Muskeln zum Larynx, wie sie HEnLE darstellt, werden nicht erwähnt, es wird aber festgestellt, daß der Kehlkopf noch in den Wirkungsbereich des Constrictor fällt und durch ihn geschlossen werden kann. Für Protopterus erwähnt W. N. PARKER (1892) nur, daß der Aditus laryngis mit Muskeln ver- sehen ist, die wahrscheinlich visceralen Ursprunges sind, und liefert eine sehr lehrreiche Abbildung des Constrictor pharyngis, des Hyrrrschen Constrictor isthmi faucium, des Muskels, zu dem auch der Dila- tator laryngis, wie wir gleich sehen werden, gehört. Endlich reiht sich hier die Schilderung R. WIEDERS- HEIMS (1903) an, der schon früher (1886) eine in Einzelheiten abweichende Darstellung gegeben hatte. Er sagt S. 522: „Die ventral liegende Glottis steht unter der Herrschaft eines bilateral angeordneten Muskels, welcher, vom letzten Kiemenbogen und der Pharyngealfascie entspringend, unter spitzem Winkel mit der Schlundlängsachse kaudalwärts zieht. Er inseriert teils an einem oralwärts von der Glottis sich erstreckenden, zungenförmigen Faserknorpel, teils in unmittelbarer Nähe der Glottisränder, woselbst er die in letzterer liegenden Faserknorpelmassen in radiärer Richtung durchsetzt und als Dilatator wirkt.“ Auf S. 524 fährt WIEDERSHEM dann fort, indem er schildert, daß die unmittelbar unter der Schleimhaut liegenden Dilatatorfasern jenseits des Aditus laryngis von beiden Seiten zu einem breiten Muskelband an der Dorsalseite des Luftrohres zusammenfließen, und so „mit dem ventral liegenden, gewaltigen, von der Wirbelsäule und von der Kopfrippe entspringenden Constrictor pharyngis eine Verengerung, bezw. Verschließung des Kanallumens bewirken können“. Kurz, es handle sich um Verhältnisse, die eine ge- naue Parallelisierung mit den Mm. laryngei dorsales und ventrales der Amphibien, in specie von Proteus 125 Der Kehlkopf von Protopterus annectens (OWEN). 125 und Menobranchus jerlauben und die sich hier wie dort auf den M. dorso- und hyopharyngeus, bezw. auf interarcuale Muskelzüge zurückführen ließen. Auch die Innervationsverhältnisse stimmten überein. An den mir zur Verfügung stehenden Protopterusexemplaren konnte ich, wie J. HENnLE, zwei Muskeln unterscheiden, einen Sphincter und einen zum Teil als Dilatator funktionierenden Muskel, den ich Pharyngo-laryngeus nennen möchte. Der Sphincter laryngis besteht im Gegensatz zu ‚St. Pl. Sph dem quergestreiften Dilatator aus Bündeln glatter —_ EN Muskelzellen, welche den Aditus laryngis umkreisen (Fig. 5, 7 EN a, | / ' N | ii) Taf. VO, und Textfig. 2 5?%.). Es handelt sich hierbei um NN \ a ) Pr IN | il eine Verstärkung der Züge glatter Muskulatur, welche NL \ \ JH MM h N dem gesamten Ductus pneumaticus und ebenso der Lunge ° N Sn, / /y N) )) \ in reicher Menge zukommen. Oral vom Aditus laufen Ne 1 )) un. die Bündel nicht nur von der einen Seite zur anderen NN W hinüber, wie es Textfig. 2 zeigt, sondern entspringen ver- einzelt von dem Hinterrand der Stützplatte. Der zweite Muskel hängt innig mit dem kaudalen Teil der visceralen Muskulatur zusammen, so daß wir auf diese einzugehen haben (Fig. 2 und 3). Wie ein Blick auf unsere Fig. 2 lehrt, liegt der Anfangsteil des Vorderdarmes (V. D.) samt dem Beginn des Ductus pneumaticus (D. ?n.) im Bereich eines paarig 164 gebauten mächtigen Muskels, des Constrictor pharyngis (€. ZZ7). Eine ähnliche Muskelschicht wird auch bei v4 Fig. 2. Protopterus annectens. Horizontaler anderen Fischen hinter dem Kiemenbereich angetroffen. Längsschnitt durch den Kehlkopf und seine Nachbarschaft. 25:1. Si. Pl. Stützplatte, Sp% glatte Ringmuskulatur, M Pharyngo-laryngeus (Dilatator), MW. rs. Insertionen des fasern. Die Zugehörigkeit zur Visceralmuskulatur erhellt Pharyngo-laryngeus in der Tunica propria der Kehlkopf- schleimhaut, Z Larynx. MM. ins. Der Constrictor besteht aus quergestreiften Muskel- aus seiner Innervation durch hintere Aeste des Vagus (Fig. 2). Sein oraler Teil entspringt jederseits an der Schädelbasis, an dem mächtigen Parasphenoid. In kontinuierlicher Reihe gehen dann kaudalwärts die Ursprünge auf die Ventralseite der Chordascheide über. Von dieser etwas lateral von der Median- ebene gelegenen langen Linie aus ziehen die Muskelbündel auf beiden Seiten um den Vorderdarm herum, umfassen auch noch den Anfang des Ductus pneumaticus und vereinigen sich ventral und median in einer bindegewebigen Raphe, die, wie wir sahen (S. 119), in fester Verbindung mit dem Kaudal- abschnitt der Stützplatte steht (vergl. Fig. 4 und 5 |.). Wir haben hier den von Hyrrr als Constrictor isthmi faucium geschilderten Muskel vor uns, einen Teil des von Henre als Dilatator bezeichneten Systems. Denselben Muskel bildet Parker in seiner Fig. 20, Taf. X, ab. Er ist ferner in WIEDERSHEMS (1903) Figur dargestellt und wird gleichfalls als Constrictor pharyngis im Text der Arbeit erwähnt. \VIEDERSHEIM sagt, daß der Muskel von der Wirbelsäule und der Kopfrippe entspringt, ich habe nur die oben geschilderte Art des Ursprunges fest- stellen können und habe mich speziell überzeugt, daß der Ursprung zwar dem dorsalen Ende der sogenannten Kopfrippe sehr naheliegt, aber nicht auf sie übergreift. 126 Der Kehlkopf von Protopterus annectens (OWEN). 126 Der Lagerung des Muskels würde entsprechen, daß seine Wirkung sich nicht nur auf den Vorder- darm beschränkt, sondern auch im Sinne eines Schließers den Anfangsteil des Ductus pneumaticus be- trifft, wie dies HyrrL und R. WIEDERSHEIM angeben. Gehen wir am Vorderdarm oralwärts in den Bereich der Kiemenbogen hinein, so sehen wir, daß der Constrictor pharyngis unmittelbar fortgesetzt wird durch gleichfalls dem Vagusgebiet zugehörige Muskeln, die von den hintersten Kiemenbogen entspringen. Man kann sie nach ihrem Verlauf als Inter- branchiales bezeichnen, einem Namen, den in jüngster Zeit L. DRÜNER (1901) für ähnliche Muskeln des Visceralapparates der Amphibien verwendet (Fig. 2 und 3 €. Z und C. 7/7). Von diesen Interbranchiales entspringt der kaudale und gleichzeitig mächtigste als eine breite und starke Muskelplatte von dem 6. (letzten) Kiemenbogen (C. 7/7). An seinen oralen Rand kontinuierlich anschließend, geht der zweite Interbranchialis vom medialen Ende des 5. Bogens aus (C. 7). Die Insertion beider Muskeln erfolgt medio-ventral in einer Verlängerung der Raphe des Con- strictor pharyngis. Die Fasern des Interbranchialis arcus VI. laufen annähernd quer, im oralen Bereich des Muskels schräg nach vorn. Der Interbranchialis arcus V. streicht ausgesprochen medio-kranial, so daß das System sich weit oralwärts erstreckt, dicht unter der, den Zungenwulst überziehenden Schleim- haut. Dieser Teil bildet den Azygos isthmi Hyrııs. Der vordere Teil der medianen Raphe wird ventral überlagert durch ein besonderes kleines, rein longitudinales Muskelbündel (Fig. 2). Die Raphe über- schreitet oralwärts den Bereich des Muskels und findet, fortgesetzt durch ein Sehnenbündel in der Sub- mucosa der Mundhöhlenschleimhaut, ihre Befestigung an der Symphyse des Zungenbeinbogens. Zu beiden Seiten des Interbranchialis V. (Fig. 3) sieht man die mächtige hypobranchiale Mus- kulatur, die, vom Schultergürtel entspringend, zum Zungenbeinbogen hinstrebt und die Hauptmasse des Zungenwulstes bildet. Lateral von ihm liegt das schmale, zwischen dem medialen Ende des 2. Kiemen- bogens und dem Hyoidbogen ausgespannte Muskelband. Das gesamte Muskelsystem, das wir in den Interbranchiales und im Constrietor pharyngis kennen lernten, liegt unmittelbar unter der Schleimhaut des Kiemen- resp. Vorderdarmes und mit ihm in Ver- bindung treffen wir nun den mit einem Teil seiner Fasern als Dilatator funktionierenden, quergestreiften Pharyngo-laryngeus (Fig. 3 M.). Die Präparation des Muskels erfolgt am zweckmäßigten nach dorsaler Oeffnung des Kiemen- und Vorderdarmes. Wir beobachten dann, daß die inneren Schichten des Constrictor pharyngis (C. 277) an zwei Stellen nicht zur ventralen Raphe ziehen. An der vorderen der beiden Stellen zweigt sich von ihm der Pharyngo-laryngeus ab (M.). Wie Fig. 3 zeigt, kann man nach seinem Verhalten zum Constrictor pharyngis (C. ZZ/7) zwei Abschnitte dieses Muskels unterscheiden, die aber durchaus miteinander zusammenhängen. Seine late- ralen Bündel tauchen aus der Fasermasse des Constrictors selbst auf, sind Teile dieses Muskels, die nur durch das Verhalten ihrer Insertion unterschieden werden können, indem sie, schräg kaudalwärts laufend, dem Luftweg zustreben. Der mediale Abschnitt des Muskels kommt nicht aus dem Constrictor pha- ryngis zum Vorschein, sondern entspringt von der sehnig verstärkten, die Innenfläche des Constrictors deckenden Fascie. Die Fasern beginnen in einiger Entfernung vom 6. Kiemenbogen und ziehen kaudal- wärts und damit quer zu der Strichrichtung des Constrictors. Sie liegen seitlich und zum Teil bedeckt von den lateralen Teilen der Stützplatte (vergl. Fig. 4 M.).. Einen Ursprung des Muskels vom letzten Kiemenbogen, wie es WIEDERSHEIM schildert, habe ich nicht gefunden. Der Pharyngo-laryngeus besitzt in seiner Gesamtheit Fächerform, indem seine Fasern gegen den Larynx zu konvergieren. Hier inserieren sie in verschiedener Weise., Die medialen, longitudinal ver- 127 Der Kehlkopf von Protopterus annectens (OWEn). 127 laufenden Faserbündel befestigen sich am kaudalen Teil des Seitenrandes der Stützplatte. Sie werden keine Wirkung auf das Kehlkopflumen haben, sondern allein als Protractor der Stützplatte und damit auch des Larynx wirken können; die Annäherung des Aditus laryngis an die hintere Mündung des Kiemendarmes ist vielleicht für die Inspiration von Bedeutung. M. lev. II-IV I M.lev.I Dig. 7, = u = En a) E Dane 7 = 7 I \ — —/% { U IM Ze EN: AU jr % ; ; REN St.hyord. M.h.-ph. C. L. Cer.ext. Myl.-hyoıd. post. Fig. 3. Amphiuma tridactylum. Seitenansicht der Muskeln der Kiemenbogen nach teilweiser Entfernung des Digastricus (De- pressor maxillae inf). 3:2. Die 4 Kiemenbogen (zwischen 3. und 4. die Kiemenspalte) und ein Teil der Hyoidbogen sichtbar. Czxc. Cucullaris, Dig. Digastricus, Cer. ext. Cerato-hyoideus extern., C. Constrictores arcuum branchialium, Z. Levator maxillae inferioris ascendens, M. Zev. Musculi levatores arcuum, M. d.-5h. Musc. dorso-pharyngeus, M. %.-ph. Musc. hyo-pharyngeus, Myl.-hyozd. post. Mylo-hyoideus posticus, ‚SZ.-Ayoid. Sterno- hyoideus. Der größere laterale Teil des Muskels tritt, median- und kaudalwärts streichend, zur Kehlkopf- wand (Fig. 3, 5, Textfig. 2), er zieht, in einzelne Bündel zerlegt, zwischen den Sphincterzügen hindurch (M. ins.) und befestigt sich in der festgefügten Tunica propria der Schleimhaut in ganzer Ausdehnung des Larynx. Auch die Wirkung dieses Muskelabschnittes enthält eine Komponente im Sinne eines Pro- tractors, dazu kommt aber die Oeffnung und Erweiterung des Larynxlumens. Wenn wir den Pharyngo- laryngeus als Dilatator bezeichneten, so wäre damit also nur ein Teil seiner Wirksamkeit aus- gedrückt. Untersuchen wir dann die kaudalen Teile des Constrictor pharyngis (Fig. 3), so sehen wir, daß etwas kaudal vom Larynx sich die innerste Schicht des Muskels von neuem von dem zur Raphe ziehen- den Hauptteil trennt und zwischen dem Ductus pneumaticus und dem Vorderdarm an der Wand des letzteren hinzieht. Es kann nun wohl keinem Zweifel unterliegen, daß die zuletzt geschilderten Muskeln, insbesondere der Pharyngo-laryngeus sich als Differenzierungen des Constrictor pharyngis, als Abzweigungen desselben darstellen. Dies ist auch die Ansicht WIEDERSHEMS. Seine lateralen Portionen haben noch verhältnis- mäßig ursprüngliche Zustände erhalten, indem sie den Zusammenhang mit dem Constrictor bewahrten (Dilatator), die medialen Teile, der eigentliche Protractor, bilden den am meisten veränderten Teil des Muskels. Ueber die Genese des Constrictor pharyngis selbst wage ich nichts auszusagen und möchte nur die Vermutung aussprechen, daß in ihm nicht etwa bloß eine kaudale Verlängerung des Interbranchialis arcus VI. vorliegt, sondern daß das gesamte Muskelsystem rückgebildeter hinterer Kiemenbogen in ihm aufgegangen ist. Wir befinden uns hier in einem Gebiet, das weitgehende Umgestaltungen erfahren hat. 128 Der Kehlkopf von Protopterus annectens (OWEN). 128 Nachdem wir nunmehr die Muskulatur des Protopterus-Kehlkopfes kennen gelernt haben, wird es noch wichtig sein, dieselbe mit der laryngealen Muskulatur der höheren Formen zu vergleichen, deren primitivste Zustände die urodelen Amphibien aufweisen '). Man unterscheidet hier zunächst den sogenannten Dorso-pharyngeus, der mit einem großen Teil seiner Fasern die Rolle eines Dilatators spielt (Textfig. 3 M. d.-ph.). Er entspringt von der Nacken- fascie, in einer Flucht mit den Levatores arcuum branchialium (M. /ev. Z[-—-IV) und gehört als hinterstes Glied in die Reihe jener Muskeln. Wie die Levatores zu den Kiemenbogen, so zieht der Dorso-pharyngeus, wenigstens mit seinen Dilatatorfasern, zum Arytänoid, resp. zu dem ihm entsprechen- den Teil der Cartilago lateralis (Textfig. 4 ?. ar... Diese Zugehörigkeit des Dorso-pharyngeus zu dem System der Levatores arcuum ist zuerst von H. H. Wırper (1892 und 1896) gezeigt und neuerdings auch von L. DRÜNER (1901) festgestellt worden. Für dieselbe Ansicht bin ich selbst mehrfach eingetreten (1894, 1898, 1901). Der Ursprung in der Reihe der Levatores besteht bei allen Urodelen. In verschiedener Weise beginnen aber bereits hier und da Teile des Muskels ihren Ur- sprung ventralwärts zu nehmen. Er geht schon in der Klasse der Amphibien mit seinem Ursprung auf prä- laryngeale Teile des Visceralskelettes über und schließlich bei Reptilien und Säugern ganz oder wenigstens größten- teils auf Knorpel des Kehlkopfes selbst. Fig. 4. Proteus anguineus. Kehlkopf und Umgebung. Dorsale Ansicht. 20:1. M.d.-ph. Musc. dorso-pharyngeus, IV. Zar. dors. Musc. laryngeus dorsalis, 7. r.-dh. Musc. hyo-pharyngeus (Interbranchialis), 47. sz.-2. M. sterno-hyoi- deus, ?. ar. Pars arytaenoidea cartilaginis lateralis, ?. cr.-tr. Pars crico-trachealis cartilaginis lateralis. Die primitive Schließmuskulatur des Amphienkehlkopfes besteht aus zwei Paaren von Muskeln, die ich Mm. laryngei dorsales und ventrales nannte (Textfig. 4 und 5, M. lar. dors. und ventr.). Jedes Glied eines Paares entspringt von dem Arytänoid seiner Seite bezw. der Pars arytaenoidea des Seitenknorpels (7. ar.) und trifft mit seinem Partner in einer medianen Naht dorsal oder ventral vom Kehlkopf (/.) zusammen. Das ursprünglichste Verhalten zeigt die Mm. laryngei in annähernd flachem Verlauf. Erst durch Vereinigung der dorsalen und ventralen Muskeln um den Seitenrand des Arytänoids herum kommt es zur Ausbildung eines paarig gebauten Ringmuskels, eines Sphincter laryngis, dessen Faserung nur noch dorsal und ventral vom Larynx durch eine Naht unterbrochen wird. Der Aufbau der Schließmuskulatur aus 4 Quadranten läßt sich als ursprüngliches Verhalten gegenüber der Sphincterbildung außer bei Amphibien auch bei Reptilien und Säugern gleichmäßig erweisen. Die Muskeln, vor allem die Laryngei ventrales, verhalten sich zur Cartilago lateralis resp. dem Arytänoid durchaus ähnlich, wie die sogenannten Mm. interbranchiales (Hyo-pharyngei) zum letzten Kiemenbogen (H. H. WıLvEr 1896; vergl. Fig. 2 und 3 C. IZ, Textfig. 3—5, M. h-ph.). ı) Eine zusammenfassende Darstellung der Phylogenese der Kehlkopfmuskulatur versuchte ich in der 1901 erschienenen Arbeit zu geben, auf die ich bezüglich die Einzelheiten verweisen muß. 129 Der Kehlkopf von Protopterus annectens (OWEN). 129 Dies sind die Muskeln, welche auf Grund ihrer Innervation durch hintere Vagusäste allein für die Vergleichung mit den Muskeln des Protopterus-Kehlkopfes in Betracht kommen könnten. Hierbei scheidet jedoch dessen Schließmuskel aus. Dies wird einerseits durch die Tatsache bedingt, daß er aus glatten Muskelzellen besteht, andererseits dadurch, daß die stets vorhandene, oben kurz geschilderte Gliederung des Constrictorensystems der höheren Formen die Ableitung von einem allseitig geschlossenen Ringe von Muskelelementen, wie er bei Protopterus besteht, unmöglich macht. Es bleibt also der Pha- ryngo-laryngeus allein übrig. Die Frage wird nun aber sein, mit welchem der M. lar. dors. E22 Muskeln des Amphibienkehlkopfes eine Verknüpfung be Ei: M stehen könnte Nach den oben ($. 124) mitgeteilten == u er Darlegungen könnte man wohl an die Mm. laryngei denken. Diese entspringen nun aber doch von einem knorpeligen Skelettstück und inserieren dorsal und ventral vom Kehlkopf in einer Raphe. Demgegenüber ist der Pharyngo-laryngeus eine Abzweigung eines an der Schädel- a ee = basıs entspringenden Muskels und inseriert, soweit er das Dr Per - P. ar. MM. lar. ventr. M.h.-dh. Kehlkopflumen beeinflussen kann, an der ganzen Wand ? des Iarynx. Die Homologisierung des Pharyngo-aryn- Fig. 5. Proteus anguineus. Querschnitt durch den Kehlkopf. 50 :ı. M. ar. ventr. Musculus laryngeus ventralis, 77. d.-h. Musc. dorso-pharyngeus> M. Zar. dors. einer wesentlichen Aenderung der Funktion eine sehr er- Musc. laryngeus dorsalis, M. r.-ph. Musc. hyo-pharyngeus (Interbranchialis), Per. Pericard, 7%. Pharynx. geus mit den Mm. laryngei würde also gleichzeitig mit hebliche Umgestaltung des Ursprunges und der Insertion voraussetzen lassen. Nicht anders liegen die Dinge, wenn man den Dilatator der Amphibien und Amnioten mit dem Pharyngo-aryngeus in Vergleich stellt. Hier haben wir zwar eine Uebereinstimmung in der Leistung, aber alles andere ist ganz erheblich verschieden. An Stelle der diffusen Anheftungsweise des Pharyngo- laryngeus an der Wand des Larynx nimmt der Dilatator der höheren Formen an einem Knorpel an ganz bestimmter Stelle Ansatz, und für diesen Knorpel (die Cartilago lateralis bezw. das Arytänoid) konnten wir bei Protopterus keine Anfänge entdecken (s. S. 123). So ungemein verschieden sich ferner der Ursprung des Amphibiendilatator bei den verschiedenen Arten verhält, so bestehen doch nirgends Zustände, die mit dem des Pharyngo-laryngeus übereinstimmten. Es besteht also eine weite Kluft zwischen den Kehlkopfmuskeln von Protopterus, wohl überhaupt der dipneumonen Dipnoer, und denen der Amphibien und Amnioten, und ich sehe keine Brücke, die über sie hinwegführte und zu einem morphologischen Verständnis der höheren Zustände ge- langen ließe. Auf der anderen Seite bietet die vergleichende Untersuchung der Amphibien die Möglichkeit einer ungezwungenen Beurteilung aller Teile des Kehlkopfes. Die Muskeln sind Wiederholungen der Muskulatur der Kiemenbogen, die letzten in der Reihe der Levatores und Interbranchiales, wie es schon oben mitgeteilt wurde. Das Skelettstück ihrer Insertion, die Cartilago lateralis, wird durch sie als Abkömmling des Visceralskelettes gekennzeichnet [C. GEGENBAUR (1892), H. H. Wirper (1892)] Während zuerst der 5. Kiemenbogen hierfür in Anspruch genommen wurde, zeigte L. Drüner (1901), daß höchstens der 6. möglicherweise der 7. oder ein späterer heranzuziehen is. Damit wird die Erwerbung von Skelett und Muskulatur seitens des Luftweges in sehr frühe Perioden der Phylogenese verlegt. Jenaische Denkschriften. XT. 17 Festschrift Ernst Hacckel. 130 Der Kehlkopf von Protopterus annectens (OWEN). 130 Diese einleuchtende und einfache Betrachtungsweise scheint mir vor einem Versuch, Skelett und Muskelapparat des Kehlkopfes der höheren Formen von einem Protopteruszustand aus zu erklären, unbedingt den Vorzug zu verdienen. Damit kommen wir also zu der Vorstellung, daß bei den Vorfahren des Protopterus und der Am- phibien zur Ausstattung des Einganges zum Ductus pneumaticus verschiedene Wege eingeschlagen wurden. Bei ersteren ward ein Constrictor pharyngis, in den voraussichtlich die Muskeln hinterer, geschwundener Visceralbogen aufgegangen sind, zur Quelle für den Dilatator laryngis, während der Schließmuskel nur einen Teil der glatten Muskulatur des Luftweges bildet. Eine Verdichtung im Bindegewebe der Sub- mucosa des Vorderdarmes vor dem Aditus laryngis formierte eine Stützplatte, die zum Teil wenigstens auch für die Kehlkopfmuskeln Ansatzstellen bietet. In der Vorfahrenreihe der Amphibien dagegen trat ein hinterer Kiemenbogen samt seiner Muskulatur in den Dienst des Kehlkopfes, wurde zur Cartilago lateralis, während seine Muskeln die Laryngei als Schließmuskeln, den Dorso-pharyngeus (Levator) als Dilatator lieferten. Dabei kann das Material für den Pharyngo-laryngeus dem gleichen Körpersegment entstammen, wie etwa die Dorso-pharyngei oder die Mm. laryngei, denn, wie wir eben noch anführten, ist es sehr wohl denkbar, daß die Cartilago lateralis aus einem Kiemenbogen hervorgegangen ist, der auch bei Protopterus nicht mehr vorliegt, dessen Muskeln jedoch an der Bildung des Constrictor pharyngis Anteil haben. Den 17. September, 1903. a 931 Der Kehlkopf von Protopterus annectens (OWEn). RL Benutzte Literatur. BiscHoFF, TH., Lepidosiren paradoxa. Ann. 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Mit Tafel VIII und 21 Figuren im Text. ersten» Pa ’ Ihe den fossilen Faunen nimmt die oberjurassische Lebewelt von Solnhofen eine ganz einzigartige Stellung ein. Die Lückenhaftigkeit der geologischen Ueberlieferung, welche uns so häufig hindert, den Formenkreis eines Lebensbezirkes vollständig zu überschauen, hat hier keinen Einfluß gewonnen, denn die Gallertscheibe von Medusen, die Muskelsubstanz von Fischen, die Flughaut flatternder Reptilien und der Fötus eines ungeborenen Dinosauriers sind hier ebenso wunderbar er- halten, wie die zartesten Krebsantennen und das Geäder prächtiger Insektenflügel. Die grauen oder gelblichen, feinkörnigen Plattenkalke, welche diese herrliche Fauna bergen, werden schon seit Jahrhunderten abgebaut. FRIıscCHMAnN erwähnt eine Urkunde vom Jahre 1674, in welcher der Fürstbischof von Eichstädt den Steinbruchsbetrieb bei Mörnsheim regelt; dieser muß also schon damals in Blüte gewesen sein. 1738 wurden die Brüche bei Solnhofen entdeckt und eröffnet, aber die Steine wurden ohne besondere Herrichtung nur beim Häuserbau verwendet; erst 1828 erfand WEITEnHILER in Eichstädt die Kunst, Dachplatten zu formatisieren. Obwohl man schon im Mittelalter größere Platten mit Figuren zu gravieren oder hochzuätzen verstand (Memmingen, Schloß zu Sigmaringen) so wurden doch die „lithographischen“ Eigenschaften der Plattenkalke erst im Jahre 1793 von SENEFELDER in München entdeckt und gegen 1802 zum erstenmal im Großen angewandt. Dadurch wurde die Nachfrage sehr gesteigert, und da gute lithographische Steine nur zwischen Mörnsheim und Langenaltheim auftreten, entstanden hier jene tiefen Steinbrüche, in denen eine Fülle von wunderbaren Fossilien zum Vorschein kamen. Jetzt dürfte es wohl keine paläontologische Sammlung geben, die sich nicht einer Kollektion aus dem Altmühltal erfreute, seit dem Jahre 1755, wo Knorr in seinen „Merkwürdigkeiten der Natur“ die ältesten Abbildungen Solnhofener Krebse veröffentlichte, ist kaum ein geologisches Lehrbuch er- schienen, das nicht mit den Bildern dieser Fauna verziert wäre, und in großen, tafelreichen Mono- graphien wurden seither die bezeichnendsten Formen dargestellt und beschrieben. Die wichtigsten Bücher und Abhandlungen über die Geologie und Paläontologie der Platten- kalke, in denen man auch noch speziellere Literaturnachweise findet, sind folgende: Allgemeines!). MÜnSTER Graf zu, Beiträge zur Petrefaktenkunde, Bayreuth 1839--43. Fraas, O. Versuch einer Vergleichung des deutschen Juras mit dem französischen und englischen. N. Jahrb. f. Min,, 1850, S. 170. Quenstept, Handbuch der Petrefaktenkunde, Tübingen 1852. v. Meyer, H., Reptilien aus dem lithogr. Schiefer. Zur Fauna der Vorwelt, Bd. IV, 18509. I) In dem Handbuch der Lithographie von FrıTz in Halle, werden die Plattenkalke als Gesteine des „tertiären Uebergangsgebirges‘ bezeichnet und eine Analyse mitgeteilt, wonach in denselben 3033 Proz. Kieselsäure enthalten seien!!! Es wäre interessant zu erfahren, wie diese vorsündflutlichen Angaben in ein 1901 erschienenes Werk gekommen sind. I 36 Die Fauna der Solnhofener Plattenkalke. I 36 SCHLOSSER, M., Die Fauna des Kelheimer Diceras-Kalkes. Palaeontogr., Bd. XXVIII, S. 41, 193, Taf. VIII und XLI£. v. GÜMBEL, Geognostische Beschreibung der Fränkischen Alb (Frankenjura), Cassel 1891. Pompeck1, Die Juraablagerungen zwischen Regensburg und Regenstauf. Geogn. Jahreshefte, 1901, S. 1309. SCHMIERER, TH., Die Altersverh. d. Stufen e u. & d. W. Jura. Zeitschr. d. Geol. Ges., 1902, S. 525. FRISCHMANN, L., Versuch einer Zusammenstellung der bis jetzt bekannten fossilen Tier- und Pflanzenüberreste des litho- graphischen Kalkschiefers in Bayern. Progr. Eichstädt, 1853 (hier die ganze ältere Literatur). v. Zırter, Handbuch der Paläontologie, München 1876—1893 (mit kritischen Bemerkungen über die ganze Fauna). WINKLER, Catalogue system. de la Coll. paleontol. du Musee Teyler, Harlem 1863, p. 126—-482. Medusen. HAEcKEL, E., Ueber fossile Medusen. Zeitschr. f. wissensch. Zoologie, 1865, Bd. XV, S. 504; das. 1870, Bd. XIX, S. 538; N. Jahrb. f. Min, 1866, S. 257. BRANDT, A., Ueber fossile Medusen. Mem. Acad. Imp. St. Petersbourg, Ser. 7, Vol. XVI, No. ı1, 1871. v. Ammon, Ueber neue Exemplare von jurassischen Medusen. Abh. d. M.-Ph. Klasse der K. Bayr. Akad. d. Wissensch., Bd. XV, 1884, S. 103, Taf. I—-V. ö Maas, C., Die Medusen aus dem Solnhofener Schiefer. Palaeontogr., Bd. XLVIII, S. 291, Taf. XXIL, XXIII. Echinodermen. WALTHER, J., Untersuchungen über den Bau der Crinoiden mit bes. Berücksichtigung der Formen aus dem Solnhofener Schiefer und dem Kelheimer Diceras-Kalk. Palaeontogr., Bd. XXXII, S. 155, Taf. XXIII —XXVI. Fraas, E., Die Asterien des Weißen Jura von Schwaben und Franken. Palaeontogr., Bd. XXXIL, S. 227, Taf. XXIX, XXX, JAEKEL, Ueber Plicatocrinus, Hyocrinus und Saccocoma. Z. d. deutsch. geol. Ges., 1893, S. 619. Dames, Ueber Pedina lithographica. N. Jahrb. f. Min., 1879, S. 729. Würmer. EHLERS, W., Ueber fossile, Würmer a. d. lithogr. Schiefer in Bayern. Palaeontogr., Bd. XVII, S. 145, Taf. XXXI—XXXVI. Mollusken. I. Muscheln. POMPECKI, Aucellen im fränkischen Jura. N. Jahrb. f. Min., 1901, Bd. I], S. 25. Il. Cephalopoden. OPpPpEL, A., Ueber jurassische Cephalopoden. Pal. Mitt. a. d. Mus. d. K. B. Staates, Stuttgart 1862, S. 127, Taf. XL—L. v. SIEMIRADZKI, J., Monographische Beschreibung der Ammonitengattung Perisphinctes. Palaeontogr., Bd. XLV, S. 69. MicHAEL, R., Ammonitenbrut mit Aptychen in der Wohnkammer von Oppelia steraspis. Z. d. deutsch. geol. Ges., 1894, S. 697. MÜNSTER, Die schalenlosen Cephalopoden. Beitr. z. Petrefaktenk., Bd. I, S. 91; Bd. V, S. 95; Bd. VI, S. 57; Bd. VII, S. 51. WAGNER, A., Die fossilen Ueberreste von nackten Dintenfischen aus dem lithogr. Schiefer und dem Lias des süddeutschen Juragebirges. Abh. d. M.-Ph. Klasse d. K. Bayr. Akad. d. Wissensch., Bd. VIII, S. 749, Taf. XXIV. v. MEYER, H., Trachytheutis ensiformis aus dem lithogr. Schiefer in Bayern. Palaeontogr., Bd. IV, S. 106, Taf. XIX. CrRıck, On a example of Acanthoteuthis speciosa. Geol. Magaz. Dez., IV, 4, No. 391, 1897. Krebse. MÜNSTER, Graf zu, Ueber die fossilen langschwänzigen Krebse in den Kalkschiefern von Bayern. Beitr. z. Petrefakten- kunde, Bd. II, 1839. OPrPEL, A., Ueber jurassische Crustaceen. Paläontol. Mitt. a. d. Mus. d. K. B. Staates, Stuttgart 1862, S. ı, Taf. I-XXXVIIl. v. MEYER, H., Jurassische u. triasische Crustaceen. Palaeontogr., Bd. IV, S. 44, Taf. IX, X. — Zu Palpipes priscus aus dem lithogr. Schiefer in Bayern. Palaeontogr., Bd. X, S. 299, Taf. L, Fig. 1—4. KuNTH, Ueber wenig bekannte Crustaceen von Solnhofen. Z. d. deutsch. geol. Ges., 1870, S. 771. v. ZITTEL, K., Bemerkungen über einige fossile Lepadiden aus den lithogr. Schiefer u. der oberen Kreide. Sitz.-Ber. d. K. Bayr. Akad., M.-Ph. Klasse, 1884. Insekten. GERMAR, Die versteinerten Insekten Solnhofens.. Nova Acta Acad. Leop., 1839, Vol. XIX, Taf. XXI—XXIL. HAGEN, H. A. Ueber die Neuropteren aus dem lithogr. Schiefer in Bayern. Palaeontogr., Bd. X, S. 96, Taf. XIII-XV. — Die Neuroptera des lithogr. Schiefers in Bayern, I. Palaeontogr., Bd. XV, S. 57, Taf. XI—XIV. WEYENBERGH, H., Sur les insectes fossiles du calcaire lithographique de la Baviere qui se trouvent au Musee Teyler. Archives du Musee Teyler, Vol. II, p. 247, Taf. XXXIV—- XXXVII; Vol. III, p. 234. 137 Die Fauna der Solnhofener Plattenkalke. 127 OPPENHEIM, Die Ahnen unserer Schmetterlinge in der Sekundärperiode. Berliner entomol. Zeitschrift, 1885, S. 331, mit 3 Taf. DEICHMÜLLER, ]J. V., Die Insekten a. d. lithogr. Schiefer im Dresdener Museum. Mitteil. a. d. K. Museum Dresden, 1886. Haase, Bemerkungen zur Paläontologie der Insekten. N. Jahrb. f. Min., 1890, Bd. II, S. ı, Taf. I. OPPENHEIM, P., Die Insektenwelt des lithogr. Schiefers in Bayern. Palaeontogr., Bd. XXXIV, S. 215, Taf. XXX, XXXI. MEUNIER, F., Revue critique de quelques insectes fossiles du Mus. Teyler. Arch. du Musee Teyler, Serie 2, T. V, p. 217, Taf. I—-X1. — Les insectes des temps secondaires. Arch. du Musee Teyler, Serie 2, T. VI, p. 85, Taf. I-XXX. Eine neue Bearbeitung der Insekten von A. HAanpLiscH (Wien) ist leider noch nicht erschienen. Fische. Acassız, Recherches sur les poissons fossiles, 1833 —43. WAGNER, A., Monogr. der fossilen Fische aus dem lithogr. Schiefer Bayerns, I, II. Abh. d. M.-Ph. Klasse d. K. Bayr. Akad. der Wissensch., Bd. IX, S. 277 u. 611, Taf. I- VII. v. MEvER, H., Squatina speciosa aus dem lithogr. Schiefer von Eichstädt. Palaeontogr., Bd. VII, S. 3, Taf. I, Fig. 2. — Asterodermus platypterus aus dem lithogr. Schiefer von Kelheim. Palaeontogr., Bd. VII, S. 9, Taf. I, Fig. ı. — Chimaera (Ganodus) avita aus dem lithogr. Schiefer von Eichstädt, Palaeontogr., Bd. X, S. 87, Taf. XII. WINKLER, Memoires sur le Belonostomus pygmaeus et deux especes de Caturus. Arch. du Musee Teyler, 1871. — Poissons fossiles de Solnhofen. Verh. v. d. Holl. Maatsch. der Wetensch., T. XVI. VEITER, Die Fische aus dem lithogr. Schiefer im Dresdener Museum. Mitteil. a d. K. Museum Dresden, Heft IV. Rızss, J., Ueber einige fossile Chimäridenreste im Münchener paläont. Museum. Palaeontogr., Bd. XXXIV, S. ı, Taf. I-II. Reıs, ©., Die Cölacanthinen mit besonderer Berücksichtigung der im Weißen Jura Bayerns vorkommenden Arten. Palae- ontogr., Bd. XXXV, S. ı, Taf. I—V. PHıLıpp1, E., Ueber Ischyodus suevicus. Palaeontogr., Bd. XLIV, S. ı, Taf. I, II. Schildkröten. WAGNER, A., Beschreibung einer fossilen Schildkröte und etlicher anderer Reptilienüberreste aus den lithogr. Schiefern u. dem Grünsandsteine von Kelheim. Abh. d. M.-Ph. Klasse d. K. Bayr. Akad. d. Wissensch., Bd. VII, S. 239, Taf. IV—V1. — Neue Beiträge zur Kenntnis der urweltlichen Fauna der lithogr. Schiefer, I. Abh. d. M.-Ph. Klasse d. K. Bayr. Akad. d. Wissensch., Bd. VIII, S. 413, Taf. XIII— XVII. — II. Schildkröten u. Saurier, das. Bd. IX, S. 65, Taf. I-VI. RÜTIMEYER, Ueber den Bau von Schale und Schädel bei lebenden und fossilen Schildkröten, Basel 1873. v. MEyER, H., Parachelys Eichstädtensis aus dem lithogr. Schiefer von Eichstädt. Palaeontogr., Bd. XI, S. 289, Taf. XLV. _v. ZımıeL, K., Bemerkungen über die Schildkröten des lithogr. Schiefers in Bayern. Palaeontogr, Bd. XXIV, S. 175, Taf. XXVIIL, XXVIII. MaaAcK, Die bis jetzt bekannten fossilen Schildkröten und die im oberen Jura bei Kelheim (Bayern) und Hannover neu auf- gefundenen ältesten Arten derselben. Palaeontogr., Bd. XVIII, S. 193, Taf. XXXVILI—XL. Saurier. vV. MEvER, H., Homoeosaurus Maximiliani aus dem lithogr. Schiefer von Kelheim. Palaeontogr., Bd. XV, S. 49, Taf. X. v. Ammon, Ueber Homoeosaurus Maximilian. Abh. d. M.-Ph. Klasse d. K. Bayr. Akad. d. Wissensch., Bd. XV, S. 497, ar 16, 06 Ichthyosaurier. BAUER, F., Die Ichthyosaurier des oberen weißen Jura. Palaeontogr., Bd. XXXIV, S. 283, Taf. XXV—XXVI. Krokodile. Fraas, E, Die Meerkrokodilier (Thalattosuchia) des oberen Jura unter spezieller Berücksichtigung von Dacosaurus und Geosaurus. Palaeontogr., Bd. IL, S. ı, Taf. I-VII. Flugsaurier. v. MEvEr, H., Pterodactylus (Rhamphorhynchus) Gemmingi a. d. Kalkschiefer von Solnhofen. Palaeontogr., Bd. I, S. ı, Taf. V. — Pterodactylus spectabilis aus dem lithogr. Schiefer von Eichstädt. Palaeontogr., Bd. X, S. ı, Taf. I, Fig. ı, 2. — Pterodactylus micronyx aus dem lithogr. Schiefer von Solnhofen. Palaeontogr., Bd. X, S. 47, Taf. VIII, Fig. ı, 2. — Rhamphorhynchus Gemmingi aus dem lithogr. Schiefer in Bayern. Palaeontogr., Bd. VII, S. 79, Taf. XII. Fraas, O., Ueber Pterodactylus suevicus Qu. von Nusplingen. Palaeontogr., Bd. XXV, S. 161, Taf. XXII. v. Zımter, K., Ueber Flugsaurier aus dem lithogr. Schiefer Bayerns. Palaeontogr., Bd. XXIX, S. 47, Taf. X—XIII. PLIENINGER, Beiträge zur Kenntnis der Flugsaurier. Palaeontogr., Bd. XLVIII, S. 65, Taf. IV, V. WINKLER, Le Pterodactylus Kochi du Musee Teyler. Arch. d. Musee Teyler, T. III, p. 327, Taf. VII. — Note sur une espece de Rhamphorhynchus. Arch. du Musee Teyler, Serie 2, T. I, p. 219, Taf. IV. — Description d’un nouveau exemplaire de Pterodactylus micronyx. Arch. du Musee Tayler, T. III, p. 84, Taf. III. Jenaische Denkschriften. XI. 18 Festschrift Ernst Haeckel. I 38 Die Fauna der Solnhofener Plattenkalke. Nzwron, Notes on Pterodactylus. Proc. of the Geologists Association, Vol. X, No. 8. — On the skull, brain and auditory organ of a new species of Pterosaurian. Philos. Trans. of the R. Soc. of London, Vol. CLXXIX, 1888, p. 503, Taf. LXXVIL, LXXVI. Vögel. v. MEvER, H., Archaeopteryx lithographica aus dem lithogr. Schiefer von Solnhofen. Palaeontogr., Bd. X, S. 53, Taf. VIII, Fig. 3. DAmezs, Ueber Archaeopteryx lithographica. Pal. Abh. v. Damzs u. Kayser, Bd. II, ı, S. ı, Taf. I, 1884. Fährten. OrpeL, A., Ueber Fährten im lithogr. Schiefer. Pal. Mitt. a. d. Mus. d. B. Staates, Stuttgart 1862, Bd. II. WINKLER, Etude ichnologique sur les impreintes de pas d’animaux fossiles. Arch. du Musee Teyler, Serie 2, T. II, p. 241, Taf. X—XII. Pflanzen. UNGER, Jurassische Pflanzenreste. Palaeontogr., Bd. IV, S. 39, Taf. VII, VII. — Ueber einige fossile Pflanzen aus dem lithogr. Schiefer von Solnhofen. Palaeontogr., Bd. II, S. 249, Taf. XXXI, XXXTII. ROTHPLETZ, A., Ueber die Flyschfucoiden und einige andere fossile Algen. Zeitschr. d. deutsch. geol. Gesellsch., 1896, S. 854 (902). Man sollte nun meinen, daß auch das geographische Vorkommen und die Verteilung dieser eigen- artigen Fauna schon längst untersucht worden sei, allein hierzu sind bisher nur wenig Versuche gemacht worden. Wohl hat v. Gümser die geologischen Umstände der Fundorte sorgfältig studiert und in seiner Geognostischen Beschreibung der fränkischen Alb (Cassel 1891) beschrieben; er gibt zugleich manche Hin- weise auf einzelne Fundberichte. Auch H. B. Geıntrz hat!) nach dem Bestand der Dresdener Sammlung die Häufigkeit der verschiedenen Arten zahlenmäßig geschätzt — aber die Frage nach Leben und Tod der reichen, aus Land- und Wassertieren seltsam gemischten Tierwelt ist dabei nur in wenigen Worten behandelt. Die reiche Spezialliteratur enthält eine Menge von Angaben über das Vorkommen einzelner Formenkreise, aber dieselben sind in der Regel auf die Fundortsangabe der etikettierten Sammlungsexem- plare begründet, und gerade hier liegt eine eigentümliche Fehlerquelle: Viele Steinbruchsbesitzer ver- langen, daß alle gefundenen Fossilien abgeliefert werden; diese durchaus gerechtfertigte Maßregel hat aber zur Folge, daß manches bemerkenswerte Stück heimlich beiseite gebracht, getauscht, an Unter- händler verkauft oder verschleppt wird. So gelangen Mörnsheimer Stücke nach Eichstädt, und Zandter Funde nach Solnhofen, und kommen dann unter dieser Etikette in den Handel. Seit Jahren habe ich mich für die bionomischen Verhältnisse der Solnhofer Fauna interessiert und nachdem ich an der Hand von Literaturstudien einige Uebersicht gewonnen hatte, im Jahre 1891 und 1902 mehrere Wochen das Altmühltal durchstreift. Indem ich die meisten Steinbrüche von Langen- altheim bis Pfalzpaint besuchte, tagelang an den Schieferhalden sammelte, alle Aufschlüsse mit Rücksicht auf diese Fragen studierte, ergaben sich bestimmte Gesichtspunkte, die ich mit den Lokalsammlern besprechen und an der Hand ihrer Erfahrungen und Sammlungen weiterverfolgen konnte. Ich muß es mit besonderem Dank hervorheben, in welch liebenswürdiger Weise Herr Stein- bruchsverwalter W. Grimm in Solnhofen und Herr Steinbruchsbesitzer EHRENSBERGER in Eichstädt mich selbst durch ihre Brüche begleiteten und meine Fragen über Häufigkeit und Vorkommen der Funde beantworteten. Größten Dank schulde ich Herrn Prof. Dr. SchwErTSCHLAGER in Eichstädt, der mir an der Hand seiner reichen Sammlung im K. Lyceum viel interessante Tatsachen mitteilte und einzelne neue Funde zur Bearbeitung anvertraute. Weitere Daten verdanke ich sodann den Herren Steinbruchs- besitzer Preirer in Langenaltheim, Steinbruchsbesitzer ScHinpEL in Solnhofen und Apotheker Konz ı) Mitteil. a. d. K. Mineral. Geol. u. Prähistor. Museum zu Dresden, Heft VII, Cassel 1886, Vorwort. 139 Die Fauna der Solnhofener Plattenkalke. 139 in München, auch viele Arbeiter haben in freundlicher Weise meine Arbeiten unterstützt. Durch den Vergleich und wechselseitige Kontrolle konnte ich wengistens annähernde Zahlen über die Häufigkeit der verschiedenen Tierformen gewinnen. Die im Altmühltal begonnenen Studien setzte ich dann in der Paläontologischen Sammlung der Münchener Akademie weiter fort, die mir Herr Geheimrat v. ZırtEL mit bekannter Liberalität öffnete. Herr Geheimrat Branco gestattete mir, das Solnhofener Material des Berliner Museums für Naturkunde durchzusehen. Endlich möchte ich mit herzlichstem Dank meines Freundes Professor E. Fraas ge- denken, der mich einige Tage auf einer vorbereitenden Exkursion durch das Brenztal begleitete. I. Die Fundorte. Das kleine Dörfchen Solnhofen, im freundlichen Wiesental der Altmühl gelegen, nach dem die weltberühmten Plattenkalke genannt werden, ist eigentlich mit Unrecht zu diesem Rufe gekommen; denn es ist zwar der Hauptstapelplatz für Lithographiesteine, aber die größten Brüche liegen im Gebiet des nahen Städtchens Mörnsheim; sie lassen sich von hier die Altmühl entlang bis nach dem alten Bischofsitz Eichstädt und weiter nach Osten über Pfalzpaint, Zandt und Pointen bis nach Kelheim ver- folgen (s. Fig. 1). Westlich von Solnhofen erreichen die dicht aneinander gereihten Plattenbrüche bei E\ N = N =, —u Akırden AN Da == - RT — Jachenhauren Binfen —— >h u ; mAh mbührl Treuctlingen \ Kıraduc Te N 7 Se —“ ir RE En == S = c 8 u ——= X Bierwang ———, N P Ar = IS 2 SS } Zundt Brafinhäll __ — == Ä N Te = Langenaltkelm n nn - Tutoren Ali —— Se — Thea = Eee Zey ZZ Kelheim. NS a 4 - R == — 7 = f af —a/ = Mörshei } FIT Haklke: u f w Y . Fig. 1. Verbreitung der Plattenkalke im Altmühlgebiet nach den Angaben der GümBELschen Uebersichtskarte.e Die Plattenkalkgebiete sind schraffiert, die Dolomite und Krebsscherenplatten weiß gehalten. Langenaltheim ihre Grenze, und während das öfters genannte Pappenheim gar keine Plattenkalke besitzt, ist südwestlich von Mörnsheim bei Daiting eine jetzt ganz verlassene, letzte Fundstelle von hohem Interesse. Der weitere Gang unserer Untersuchung wird es rechtfertigen, wenn wir unsere Schilderung im O. beginnen und von hier nach W. vorschreiten. ı) Bei Kelheim an der Mündung der Altmühl in die Donau erheben sich aus der Talsohle malerische, ungeschichtete Kalke, durch welche sich die beiden Flüsse ein enges Bett eingesägt haben. Große, jetzt verlassene Steinbrüche haben das Baumaterial für die Walhalla, die Ruhmeshalle und andere prächtige Baudenkmale des Königs Ludwig abgegeben und damals die reiche Fauna geliefert, die in einer Reihe von Monographien bearbeitet worden ist. Korallen und Spongien sind in diesen „plumpen Felsenkalken“ mancherorts so häufig, daß man daraus ohne weiteres die Riffnatur dieser Kalkstöcke 18* | 140 Die Fauna der Solnhofener Plattenkalke. 140 ableiten kann. Dazwischen lebte eine reiche Fauna dickschaliger Schnecken und Muscheln, unter denen die Gattung Diceras mit ihren langen, widderhornartigen Wirbeln so häufig ist, daß man die ganze Ablagerung als „Diceraskalk“ bezeichnet. Grobe dickschalige Austern, Pecten, Hinnites, Lima, Pinna, Pachymytilus, Trichites, Pachyrisma und andere Formen lassen auf den ersten Blick erkennen, daß sie wie die recenten 7ridacna, Hippopus und Chama in der bewegten Brandungszone eines Riffes gediehen. Denselben Schluß können wir aus der Schneckenfauna ziehen. Die großen, dickschaligen Nerineen, von denen Kelheim allein gegen 20 Arten lieferte, Cerithrum, Matıca, Turbo, Pleuwrotomaria und andere Formen scheinen an das Leben in der Brandung angepaßt. Prächtige große Brachiopoden, besonders Terebratula (bis ı2 cm groß) und Waldheimia saßen in Lücken des Riffes, und stachelige Seeigel scheinen sich dazwischen wohlgefühlt zu haben. Auf einem Kalkblock in der Münchener Samm- lung sieht man allein ı0o Exemplare des Acrocidaris nobilis dicht nebeneinander. Dagegen sind im Kelheimer Felsenkalk Crinoiden und Krebse auffallend spärlich; sicherlich nur deshalb, weil ihre Skelette im Brandungsgebiet rasch zerstückelt wurden. | Am Abhang des Goldberges bei Kelheim treten dünne, ebene Kalkplatten im engen Verbande mit dem plumpen Diceraskalk auf, und auf der Höhe des Kelheimer Waldes zwischen Eisendorf, Roten- büchel, Pointen, Aichkirchen und Jachenhausen bedecken dieselben Plattenkalke das Plateau. Es tritt uns hier zum erstenmal ein Verhältnis entgegen, welches von hier bis Pappenheim überall die Lagerung der Plattenkalke bestimmt. Sie liegen stets auf den ungeschichteten oder grobgebankten Kalken und Dolomiten in flache Vertiefungen eingesenkt, so daß die untersten Schichten der Plattenkalke den Boden flacher Becken auskleiden, deren Ränder sich oft selbst über die jüngsten Platten erheben. Die Plattenkalke sind also zum Teil gleichaltrig mit den sie sonst unterlagernden ungeschichteten Kalken oder Dolomiten. Diese Tatsache wird besonders klar, wenn wir an der Br. Hand der Profile GümgeLs bei Kelheim-Winzer Ba und Neu-Kelheim große ungeschichtete Linsen von Korallenkalk mitten in den dünnge- schichteten Plattenkalken beobachten. Hier kann man sofort erkennen (vergl. Fig. 2), daß von den benachbarten Riffen Kolonien der Riffkorallen und anderer riffbildender Organismen in wieder- Fig. 2. Profil durch die Plattenkalke (schraffiert) und Riffdolomite von Kelheim. holtem Wechsel auf den schlammigen Meeresgrund hinübergriffen, die von jüngerem Kalkschlamm wieder erstickt und umhüllt wurden. Es ist leicht verständlich, daß diese beiden Gesteine, der Korallenkalk einerseits und der dünn- geschichtete Plattenkalk auf der anderen Seite, zwei ganz verschiedene fossile Faunen bergen, die gleich- zeitig in diesem Gebiete lebten. Die festsitzenden Bodenformen, wie Spongien, Korallen, Brachiopoden, und Muscheln, ebenso wie die zwischen ihnen herumkriechenden Schnecken finden wir in dem unge- schichteten Felsenkalk. Die freier beweglichen und schwimmenden Tiere aber gelangten nur gelegent- lich in die nach außen abgeschlossene Lagune. Der feine Kalkschlamm konservierte selbst zarte Ueber- reste treiflich. So finden wir hier den eleganten Millerierinus nobilis in einem wundervoll erhaltenen Exemplar, oder als ähnliche Seltenheit die schöne Gruppe von Archaeolepas Redtenbachert. Im Gegensatz zu Solnhofen sind bei Kelheim die Fische oft zerfallen, aber dennoch in reicher Formzahl vertreten. Caturus maximus und Belonostomus ist vortrefflich erhalten; der 40 cm lange Kopf von Asterodesmus tıfanius spricht für die reichen Futterplätze des Riffrandes. Neben Mesodon, Gyrodus. 141 Die Fauna der Solnhofener Plattenkalke. IAI Hemipristis und Strophodus ıst Thrissops angustus wohlerhalten; besonders interessant ist das Auftreten von 7hrissops salmoneus ın Kelheim und Cirin, also an den beiden äußersten Grenzpunkten der Plattenkalkverbreitung. Allem Anschein nach war diese Art ein Bewohner der Hochsee. Ueberaus reich ist die Schildkrötenfauna von Kelheim: Zuryszernum Wagleri, Idiochelys Fitzingeri und ZZydropelta Meyeri sind typische Küstenbewohner, und daß sie ihre Laichplätze in der Nähe hatten, lehrt uns die als Aplax beschriebene Jugendform, bei welcher die Verknöcherung des Panzers eben erst begann. Bemerkenswert ist das Auftreten der Platychelys Oberndorferi, deren recente Verwandten aus- schließlich im süßen Wasser leben. Ob sie eine ausgesüßte Lagune bewohnte dürfte schwer zu ent- scheiden sein; daß aber während dieser Zeitepoche in Verbindung mit Korallenriffen ausgedehnte Süß- wasserbecken existierten, beweist die Häufigkeit von ZP/esiochelys bei Solothurn, deren Verwandte sogar ein amphibisches Leben führen. Ziemlich häufig kommen Zähne des räuberischen Dacosaurus vor; wir haben später noch den bekannten Fundort dieses marinen Krokodils bei Schnaitheim zu schildern und wollen nur darauf hinweisen, daß auch dort deutliche Spuren des nahen Festlandes zu erkennen sind. Es ist von besonderem Interesse, daß Vertreter der so ursprünglich organisierten Rhynchocephalen auf dem nahen Inselland häufig waren. 4 Arten von ZZomoeosaurus, dann Ardeosaurus, Sapheosaurus, Pleurosaurus und Anguisaurus sind Vertreter dieser Gruppe. Von Krokodilen ist Zeleosaurus, Aeolodon, Allıgatorium, Atoposaurus und Machimosaurus nachgewiesen. Wenn man erwägt, daß der Schädel des letzteren 1,3 m lang war, dann kann man sich eine Vorstellung machen von den erbitterten Kämpfen, die in den Gewässern von Kelheim stattgefunden haben müssen; ein Zahn von Phosaurus, 23 cm lang und 4 cm dick, beweist, daß auch dieser gewaltige Räuber das Riff umkreiste. Daß der Riffrand sich teilweise als Festland über Wasser erhob, lehren uns die langen, schuppigen Aeste zweier Cypressen, Brachyphyllum Frischmanni und JPalaeocyparis princeps, die gerade in der Umgebung von Kelheim besonders gut erhalten sind, während ähnliche Reste weiter westlich bei Eich- städt und Solnhofen meist als stark macerierte Holzrippen gefunden werden. Von Baum zu Baum flatterten Pierodactylus secundarius, P. Kochi, P. Meyeri und Rhampho- rhynchus Münsteri, und wie ein kleines Känguru hüpfte Compsognathus longipes über den Strand. Bekanntlich ist das einzige bei Jachenhausen gefundene Exemplar des letzteren ein trächtiges Weibchen, an dem man die Spuren der beginnenden Verwesung deutlich bemerken kann. Die Kelheimer Plattenkalke müssen in nächster. Nähe der Küste gebildet und nur von einer geringen Wasserschicht bedeckt gewesen sein; denn hellgraue Platten der Münchener Sammlung sind mit unregelmäßig vergabelten Wurzelschöpfen ganz durchzogen. Da Meerespflanzen niemals eine eigent- liche Wurzel besitzen, kann es sich nur um Landpflanzen handeln, die vielleicht nach Art der Mangrove in das Seichtwasser hineinwuchsen. Das zwischen Kelheim und Zandt gelegene Gebiet ist wenig untersucht. Nach Mitteilung von Professor SCHWERTSCHLAGER, dem ich die folgenden Angaben größtenteils verdanke, reicht der Einfluß der Kelheimer Korallenriffe bis Kirchbuch und Pietenfeld. Hier sind verkieselte Dolomite sehr reich an Korallen, so daß das Vorkommen an Nattheim erinnert. Verkieselte Plattenkalke enthalten Schwärme von Zeptolepis, und Perisphinctes ulmensis verknüpft die Kelheimer Schichten mit den Zementmergeln in Schwaben. 2) Bei Zandt und Breitenhüll tritt uns der zweite, reichere Fundpunkt entgegen; leider gehen viele von hier stammende Fossilien unter anderem Namen. Zurysternum Wagleri und einige wenige Eidechsen vertreten die Reptilienfauna. Koprolithen kommen in den Plattenkalken häufig vor und be- weisen, daß hier Futterplätze von Reptilien oder Fischen waren. Aber am reichsten ist die Echinodermen- 142 Die Fauna der Solnhofener Plattenkalke. 142 fauna; von Anztedon sollen im Jahr gegen 30 Stück gefunden werden, und von Zandt stammen wohl auch alle Exemplare der Geocoma carınata. Dieser zierliche Schlangenstern findet sich hier in jungen und erwachsenen Exemplaren in solcher Menge, daß gelegentlich ganze Körbe voll zum Verkauf geboten wurden. Von hohem Interesse ist es, daß diese Tierchen bei Zandt gelebt haben und, wie es scheint, durch eine oder wiederholte Veränderungen der Wassertiefe oder des Salzgehaltes zum Absterben ge- bracht wurden. Man sieht sie in allen Stellungen des Kriechens und erkennt die zarte Spur, die sie im weichen Schlamm hinterließen; abgebrochene Arme wurden regeneriert. Sehr häufig ist auch der kleine Krebs Zryma fusiformis, seltener Drobna und Diplopodıa Oppel. 3) Auf dem Plateau zwischen Kelheim und Eichstädt werden in vielen kleineren Steinbrüchen Plattenkalke gewonnen, deren Fossilgehalt leider nur wenig bekannt ist. Bemerkenswert erscheint es aber, daß in diesem Gebiet fossile Medusen ziemlich häufig sind. Die meisten Exemplare stammen aller- dings aus den Steinbrüchen von Pfalzpaint, und es war mir daher von besonderem Interesse, diesen Fundpunkt mit Herrn EHRENSBERGER aus Eichstädt, dem Besitzer der Steinbrüche, besuchen zu können. In den Steinbrüchen bei Pfalzpaint erkennen wir ein etwa ı5 m hohes Profil völlig ebener Plattenkalke. Die horizontalgeschichteten Platten folgen wie die Blätter eines Buches aufeinander, weiche toniıge Fäulen wechsellagern mit den härteren Steinlagen. Es läßt sich kein petrographischer Unter- schied finden, der es erklärte, warum hier die Medusen so wundervoll erhalten sind, die weiter nach Westen verschwinden. Besonders auffallend ist es jedoch, daß die Medusen in 4 verschiedenen Horizonten auftreten, ohne daß die medusenreichen Schichten durch ihre Lagerung und Struktur von den mit ihnen wechsellagernden Kalkplatten verschieden wären. Der erste Medusenhorizont liegt in den hangendsten Schichten, direkt unter dem Waldboden. Durch den Frost werden hier die Abdrücke besonders schön aufgespalten. Es folgen etwa 3 m Zwick- lagen und Steinlagen von Fäulen unterbrochen und dann eine 5 mm starke Zwicklage, die selbst wieder zwei Schichtenfugen erkennen läßt und ganz bedeckt ist mit einem eigentümlichen Fossil, das ich, weil es einen charakteristischen Horizont bildet, nach seiner Zusammensetzung als Anthonema') be- zeichnen möchte. Tiefer folgt ein zweiter Medusenhorizont, % N IN im Liegenden ein dritter, und zwischen beiden eine im Solnhofener Gebiet überaus seltene Bildung, nämlich eine ee ı cm dicke Zwicklage, deren Oberfläche mit deutlichen Rippelmarken („Walzen“ genannt) bedeckt ist. Ich habe im E 2 ganzen Altmühlgebiet nur hier gerippte Schichtenoberflächen pr gesehen. Das Gestein hat eine rauhkörnige Beschaffenheit 5 und zeigt auf dem OQuerbruch eine Struktur, welche die Nest Bildung der Rippelmarken durch Bewegung eines zähen a me Dane Ness Cie Kalkbreies leicht verständlich macht. Die Rippen streichen SO—NW, darüber liegt eine Schicht, deren flach buckelige 1) Anthonema problematicum n.g. Auf der Oberfläche einer dünnen Plattenschicht sind in undeutlichen Zügen zarte, orangegelbe zackige Gebilde verteilt, die eine Länge von 6—-9 mm haben. Sie sind an der Basis etwa 2 mm breit und enden in einer feinen Spitze. Ob an der Achse altemierende I—2 mm lange Zweige angeordnet waren, oder (ähnlich wie bei dem Fruchtstand eines Schachtelhalmes) dünne dütenförmige Säume, kann man nicht sicher entscheiden. Allem Anschein nach handelt es sich um flottierende Objekte, die einmal über die flache Bucht von Pfalzpaint ausgebreitet wurden. Es könnten Polypenkolonien, Pflanzen oder Tentakelspitzen eines größeren Tieres sein. Ich gebe diesem durchaus proble- matischen Fossil nur deshalb einen Namen, weil es einen leitenden Horizont bildet. Vorkommen: Plattenkalke von Pfalzpaint zusammen mit kleinen Oppelien. Die F E 143 ie Fauna der Solnhofener Plattenkalke 143 Oberfläche verwaschene Rippelmarken darstellen könnte. Die Walzenschicht zeigt außerdem die Fuß- spur eines Tieres (Zchnium megapodıum), dessen Fährte 30 km weiter im W nochmals vorkommt und uns bei Beschreibung der Solnhofener Aufschlüsse noch beschäftigen soll. In einer Tiefe von 8 m tritt eine zweite Walzenschicht auf. Darüber aber finden wir ın einer Fäulenlage ein Fossil, dessen Haupt- verbreitung erst in der Umgebung von Eichstädt liegt, die planktonische Crinoide Saccocoma. Hier sind die Exemplare freilich stark verdrückt und schlecht erhalten, aber die kleinen, von den Arbeitern „Knöpfe“ genannten fünfkantig-runden Kelche lassen sich doch bestimmen. Im Liegenden der zweiten Walzenschicht, zugleich in den tiefsten aufgeschlossenen Lagen treten noch einmal Medusen auf. Außer manchen schlecht erhaltenen Abdrücken werden im Jahre hier etwa 20 gut erhaltene Medusen gefunden und sie liegen in der Regel im Bruch so, daß der Abdruck oft mehrere Centi- meter tief in eine dicke Steinlage eingesenkt ist. Es scheint, daß die Schwere der Umbrella hin- reichte, um sich in den weichen Kalkschlamm einzudrücken, der zugleich zäh genug war, um den Abdruck festzuhalten. Eine 5s—ıo mm dicke tonige Fäule kleidet von oben her den Abdruck aus; in anderen Fällen, besonders, wenn der Abdruck eben ist, sind die beiden ihn begrenzenden Platten von mehr gleichartiger Beschaffenheit. Obwohl ich ein sehr reiches Material von Medusen in der Sammlung des Lyceums sowie der des Herrn EHRENSBERGER zu Eichstädt und in München daraufhin besonders geprüft habe, konnte ich doch nirgends beobachten, daß die Fangarme der Medusen in dem weichen Schlamm eine Schleppspur hinter- lassen hätten. Sie scheinen sich auch nicht mehr bewegt zu haben, nachdem sie an ihren jetzigen Fundort gelangt sind. Da manche Abdrücke einen Durchmesser von 5o cm besitzen und infolgedessen nur in größeren Wassermengen transportiert werden konnten, gewann ich bei Pfalzpaint die Ansicht, daß der fast trockene, mit klebrigem Schlamm bedeckte Boden eines horizontalen, zwischen Koralleninseln liegen- den Strandgebietes bei starken Fluten vom nahen Meere aus überschwemmt wurde, daß hierbei wieder- holt auch Medusenschwärme mitgeschleppt wurden, die auf dem schlammigen Grunde liegen blieben, während das Wasser sich rasch wieder verlief. Indem die schwere Umbrella langsam in den Schlamm hineinsank, sammelte sich darüber eine dünne, schlammige Wasserschicht, aus der die deckende Fäule niedergeschlagen wurde. Bisweilen decken sich die Ränder benachbarter Medusen und lassen erkennen, wie regellos sie durch stürmische Gewässer verteilt wurden. Von anderen Funden bei Pfalzpaint erwähne ich Zweige von Cypressen, vereinzelte zerrissene Leptolepis und wundervoll erhaltene Zimwlus. Eryon und Antedon sind selten, größere Fische meist zerfallen, während sie in den westlich gelegenen Fundorten Eichstädt und Solnhofen in der Regel tadellos erhalten sind. Im Gegensatz dazu steht der Erhaltungszustand der Seeigel, die in Kelheim meist sehr gut, auch in Pfalzpaint trefflich erhalten sind, bei Eichstädt und Solnhofen aber nur in einzelnen Bruch- stücken gefunden werden. Auch kleine, unbeStimmbare Schnecken sind bis Pfalzpaint getrieben worden und mittelgroße Schildkröten werden in guten Exemplaren gefunden. Neben diesen freibeweglichen Tieren waren mir aber Ueberreste von benthonischen Organismen von ganz besonderem Interesse. Ein Arm von Millerierinus sowie 3 prachtvoll erhaltene Hexactinelliden (Ammonella) beweisen, daß die am Riffrand wachsenden Organismen gelegentlich durch die Wellen abgerissen und bis nach Pfalzpaint geschleppt wurden, während im W davon kaum Spuren von sessilen Tieren beobachtet wurden. Auffallend ist das Fehlen der Insekten, die 10 km weiter westlich so ungemein zahlreich werden. Zwischen Pfalzpaint im O und Pappenheim im W hat die Altmühl eine fortlaufende Kette von guten Aufschlüssen geschaffen, welche es gestatten, das Liegende der auf dem Plateau ausgebreiteten 144 Die Fauna der Solnhofener Plattenkalke. 144 Plattenkalke zu untersuchen. Die Schichten liegen fast horizontal und sind durch den Faltungsprozeß nur ın flachen Undulationen auf und ab gebogen; größere Verwerfungen fehlen vollständig, und kleinere Störungen verschiedener Art, die wir noch erwähnen werden, können das tektonische Bild nicht beein- trächtigen. Auf die lichtgrauen Znrpressa-Mergel folgen die Dimammatus-Schichten und die als Schwamm- kalk ausgebildeten Pseudomutabilis-Schichten, die bei Eichstädt in der Talsohle anstehen. Die eigent- Impressa-Mergel. Bimammatus-Schichten. Schwammkalk. Frankendolomit. Plattenkalk. Fig. 4. WVerkürztes Profil durch die Altmühlgegend von Pappenheim bis Eichstädt und Pfalzpaint. lichen Talwände aber werden von dem sogenannten Frankendolomit gebildet. Derselbe entspricht annähernd der Zone «e Quensrtepts und mit ihr beginnt die facielle und topographische Differenzierung des Meeresgrundes. Wenn bisher am Boden des Jurameeres weit ausgedehnte Gesteinsbänke von nahezu horizontaler Oberfläche gebildet wurden, so wuchsen jetzt auf der 3-Unterlage inselartige Riffe überall empor. Obwohl die zwischen den organischen Kalkstöcken vorhandenen Senken und Vertiefungen durch anderen Kalk ausgefüllt wurden, so äußert sich doch der Gegensatz der organischen Riffkalke und der zwischen ihnen gelagerten Facies in Härteunterschieden der Gesteine, die der Verwitterung und Abtragung verschiedenen Widerstand boten. Die malerische Scenerie des Altmühltales ist wesentlich dadurch ver- anlaßt. Aufschlüsse am Fuß der Willibaldsburg und im N von Eichstädt, bei Wasserzell, Solnhofen und Pappenheim zeigen, wie die harten, dickbankigen Kalke nach oben in ungeschichtete Dolomite über gehen und an den Talwänden sich bald als scharfe Dolomitrippen zwischen bewaldeten Senken heraus- heben, bisweilen durch die Gewässer sogar zu inselartigen Felsgruppen herausmodelliert wurden. In vielen Biegungen windet sich die Altmühl zwischen diesen ehemaligen Kalkriffen hin und her, und mehrfach ist die Uebergußschichtung des Vorriffes prachtvoll aufgeschlossen. 4) Die Plattenbrüche von Eichstädt beginnen NO von der Stadt auf der Höhe des Gais- berges, der in der Literatur nach den Häusern des Wintershofes irrtümlicherweise als „Wintersberg“ bezeichnet wird. Sie setzen sich von hier nach N gegen Sallach und Wörkerszell, nach W zwischen Harthof und Birkhof gegen Schernfeld fort. Im Gegensatz zu Solnhofen sind die Aufschlüsse flach; denn schon in einer Tiefe von 10—ı5 m trifft man auf den „wilden Felsen“, Lithographiesteine fehlen, und es werden vorwiegend Dach- und Pflastersteine gewonnen. Die dünnen Platten werden als Zwick- steine, die dickeren als Flinze bezeichnet, die tonigen Zwischenschichten als Fäulen. Die Auf- einanderfolge der technisch nutzbaren Platten ist in den Steinbrüchen so gesetzmäßig und ihre Mächtig- keit und petrographische Struktur hält in der Regel so weit aus, daß sich die Arbeiter in jedem Bruch sofort orientieren und die meisten Schichten mit bestimmten Namen bezeichnen. ie F f 5 145 Die Fauna der Solnhofener Plattenkalke 145 Vom Hangenden nach dem Liegenden werden bei Eichstädt folgende Platten unterschieden: Lokalnamen: Zusammensetzung: der obere Hartklieber 5 Dachsteine und 7—2 Pflastersteine mehrere Fäulen der Grüne 2 starke und ı schwacher Pflasterstein die obere Knopfiete reich an Saccocoma der Vierfache 5 Zwicksteine und 7 Pflastersteine die Mareehaiti mit einer Zwicklage reich an Saccocoma der obere Wilde mit Fährten am Wintershof und am Blumenberg der untere (echte) Wilde Fäule eine Knopfete Zwicklage mit Saccocoma der Anderthalbzöllige 6 Pflastersteine mit 2 schwachen Zwicklagen eine Zwicklage der Siebenviertelzöllige eine Fäule von 30—60 cm Dicke mehrere Zwicklagen die Haarige mit Saccocoma eine Fäule der untere Hartklieber oder Blaue der Schönzöllige mit Saccocoma der Dreckigzöllige eine Knopfete mit Saccocoma und Zeptolepis die Melbe die Dripflinze 3 Pflastersteine der Doppelte 2 Pflastersteine darunter ist im Liegenden der wilde Felsen am Wintershof 10 m, am Birkhof 5 m, am Blumenberg ı m tief aufgeschlossen. Für die Gleichartigkeit des Sedimentationsvorganges spricht vor allen Dingen, daß so viele Platten nach ihrer Mächtigkeit in Zollen bezeichnet werden. Im allgemeinen sind die Flinze am Blumenberg schwächer als am Wintershof und bei Wörkerszell. Auch gegen Obereichstädt nimmt ihre Mächtigkeit ab. Am Blumenberg kann man in einem Steinbruch verfolgen, daß der „Wilde“ auf 30o m Entfernung sich von ıo cm bis auf 3 cm verdünnt. Nirgends konnte ich Rippelmarken finden, dagegen sah O. Marsıu!) nahe bei Eichstädt Platten bedeckt mit Austrocknungsrissen (mud cracks. In einem Aufschluß südöstlich vom Birkhof an der Schernfelder Straße beobachtete ich eine bis 4 m mächtige Kalkbank, welche Diagonalschichtung zeigte und augenscheinlich aus einer immer höher und breiter werdenden Untiefe entstanden war. Ich möchte an eine nehrungsartige Düne von Kalksand denken, wie solche auch jetzt in die schlammigen Lagunen von Riffen hineinwachsen. Sie wurde später eingeebnet und mit neuen Schlammschichten überdeckt. Von nachträglichen Störungen des Schichtenverbandes nenne ich eine Flexur von ı m Sprung- höhe im Bruch am Birkhof und endlich die zahlreichen Bohnerzschlotten (hier Wirbel, bei Solnhofen ı) Zeitschrift d. d. geol. Ges., 1865, S. 13. Jenaische Denkschriften. XI. 19 Festschrift Ernst Haeckel. I 46 Die Fauna der Solnhofener Plattenkalke. I 46 Fallen oder Lehmstöcke genannt), Sie enthalten oben eine braune, an Bohnerzknollen reiche Erde, an ihrem Grunde aber nicht selten einen zähen, hellgrünen Letten. Die in demselben gefundenen Säugetierreste wurden von ScHLossErR') bearbeitet, der folgende Arten nachwies: Prolagus oeningensis KÖNIG. Potamotherium franconicum QUVENST. Stenoplesiotis (?) Grimmi SCHLOSSER. Amphicyon cf. vugosidens SCHLOSSER. Mastodon angustidens Cvv. Listriodon Lockharti Pom. Palaeomeryx annectens SCHLOSSER. 12 Amphitragulus ? Teleoceras aurelianense NOUEL. Nach dem Charakter dieser Fauna handelt es sich um Mittelmiocän. In dem benachbarten Pappenheim fand sich eine merkwürdige Mischung von oligocänen und untermiocänen Formen, während eine diluviale Fauna in der Nähe von Eichstädt zeigt, daß noch bis in die jüngste geologische Ver- gangenheit Spalten entstanden und zugefüllt worden sind. Aus der Verteilung dieser knochenführenden Schlotten läßt sich nach ScHLosser schließen, daß das Altmühlgebiet bei Pappenheim schon im Miocän bis zu den ß- oder y-Schichten des Malm ab- getragen war. Da wir die Fauna von Eichstädt und Solnhofen weiter unten vergleichend behandeln wollen, so geben wir hier noch einige Beobachtungen über das Auftreten häufiger und leitender Fossilien. Das Eichstädter Gebiet ist ausgezeichnet durch die Häufigkeit von Insekten, aber dieselben kommen nicht scharenweise vor, sondern ganz vereinzelt im Gestein verteilt. Die Medusen sind sehr selten und zeigen nicht die schöne Skulptur der Abdrücke von Pfalzpaint, vielmehr sind ihre Umrisse verwaschen und undeutlich. Zu Millionen werden einzelne Zwicklagen von Saccocoma bedeckt. Sie werden als „Knöpfe“ oder „Seesterne“ bezeichnet und die „knopfeten“ Lagen bilden meist 6 Horizonte. In der Regel sind alle Individuen auf derselben Platte von gleicher Größe, und auch ihr Erhaltungszustand ist meist gleich- förmig. Da es sich um ein planktonisches Tier handelt, das höchst wahrscheinlich ein festsitzendes Jugendstadium besaß, ist die Annahme naheliegend, daß sie die ersten Entwickelungsstadien an den Abhängen des nahen Riffes durchliefen, sich ablösten und nun in die Lagune hineingetrieben wurden. Die Arbeiter sammeln gewöhnlich nur die mit etwas Ocker gefärbten Exemplare, die sich in der Regel auch durch stark gekrümmte oder abgebrochene Arme auszeichnen, während die gut erhaltenen Stücke, oft mit tadellos ausgebreiteten Armen, sich kaum durch ihre Färbung von dem hellgelben Gestein unter- scheiden. Die Häufigkeit der Saccocomen nımmt von Eichstädt nach allen Seiten ab. Ihr Vorkommen bei Pfalzpaint im O haben wir schon erwähnt. Im W sah ich die letzten bei Bieswang, bei Langen- altheim und Mühlheim, und es läßt sich deutlich verfolgen, daß sie an den Rändern der Lagune seltener werden. I) SCHLOSSER, Geol. Abh. v. Koken, Bd. V, Heft 3, Jena 1902, S. 133. ne Mn“. 147 Die Fauna der Solnhofener Plattenkalke. 147 Von besonderem Interesse ist eine Schicht unter der „Mareeheiti“ und über dem „unteren Wilden“. Sie enthält am Gaisberg und Blumenberg jene Spuren (Fig. 5), die OppeL auf die Archaeopteryx zurück- führt. Auch bei Solnhofen tritt diese Spur wieder auf, aber, wie es scheint, in einem höheren Horizont. Da das Berliner Exemplar des Urvogels am Harthof bei Eichstädt gefunden worden ist und das — , > Fig. 5. Jchnium hithographicum. Nach OPPEL. Londoner in Solnhofen, da außerdem kein anderes zweibeiniges Tier mit einem langen, schleppenden Schwanz von hier bekannt ist und die Spurweite mit der Größe der Archaeopteryx vollkommen überein- stimmt, sehe ich keinen Grund, an Oppers Deutung der Zchnites lithographica als Fährte des Urvogels zu zweifeln. Ich habe große Platten mit dieser Fährte bedeckt gesehen und mich überzeugt, daß das Tier auf der schlammigen Fläche sorglos herumgehüpft ist. Im Gegensatz zu der noch zu beschreibenden „tlüchtigen“ Fährte in Schmpers Bruch von Solnhofen, ist die Hüpfspur des Vogels durchaus regelmäßig und ruhig. Das Tier bewegte sich bald geradeaus, bald in Wellenlinien und engen Kreiskurven. Die Füße sind mit dem Mittelfußknochen '/, mm tief eingedrückt; von hier strahlen 4 Zehenspuren in sich ver- flachenden Rinnen aus. In einem Abstand von 2 cm sieht man auf manchen Platten die Eindrücke der Krallen. Die rundlichen Eindrücke, die mit den Füßen alternieren, sind augenscheinlich durch den Flügel gemacht, der wie eine Krücke beim Gehen mitbenutzt wurde. Die beiden Füße stehen 6 cm voneinander, die Sprunglänge beträgt auf gerader Linie 5 cm, aber bei Kurven stehen die äußeren Spuren bis 9 cm voneinander. Zwischen den Fußeindrücken läßt sich die oft unterbrochene Spur des schleppenden Schwanzes verfolgen. Wenn man erwägt, daß das Gewicht des Urvogels etwa '/; kg betrug, daß das Tierchen 30 cm hoch war und daß dennoch sein leichter Schwanz eine deutliche Spur hinterließ, dann kommt man not- gedrungen zu der Ansicht, daß über dem zwar nachgiebigen, aber doch ziemlich zähen Schlammboden nur eine ganz flache Schicht Wasser gestanden habe — daß vielleicht das ganze Gebiet nahezu trocken gelegen hat. 5) Wenn wir von Eichstädt nach dem Gebiet von Solnhofen weitergehen, so ändern sich die lithologischen und faunistischen Verhältnisse in mehrfacher Hinsicht. Das Auftreten der technisch so überaus wertvollen Lithographiesteine veranlaßte einen viel intensiveren Betrieb, aber es liegt wohl nur zum Teil daran, daß wir bei Mörnsheim, Solnhofen und Langenaltheim Gelegenheit haben, 40 m hohe Aufschlüsse zu sehen. Tatsächlich muß das Solnhofener Becken wesentlich tiefer gewesen sein 19* I 48 Die Fauna der Solnhofener Plattenkalke. 14 8 und seine Zufüllung hat längere Zeit in Anspruch genommen als die Einebnung der flachen Lagunen- gebiete bei Kelheim, Pfalzpaint und Eichstädt. So erklärt es sich wohl auch, daß am Harthof bei Eichstädt im Hangenden der Blumenbergschichten 5 m ungeschichteter Kalk und darüber 6 Flinze von 2—3 cm Dicke auftraten, die mit Solnhofener Platten die größte Uebereinstimmung zeigten. Herr EHRENSBERGER hatte auf Grund dieser Entdeckung 2 Versuchsstollen angelegt, um die Verbreitung dieser Solnhofener Gesteine weiter zu verfolgen; aber ihre Mächtigkeit war zu gering, um einen Abbau zu lohnen. In diesem Zusammenhange muß noch erwähnt werden, daß in der Nähe des Harthofes in einer größeren Schlotte fußgroße, dichte Kalkblöcke eines Gesteines gefunden wurden, das mit Soln- hofener Funden übereinstimmt. Es handelt sich zweifellos um Bruchstücke einer jetzt denudierten Schichtenreihe, die einst über die Eichstädter Platten in größerer Ausdehnung hinweggebreitet war. In der langen Kette von Aufschlüssen, die sich auf dem etwa 8 km langen Plateaurande von Mühl- heim über Mörnsheim, Solnhofen bis nach Langenaltheim verfolgen lassen, beobachten wir an den hohen, senkrechten Wänden fast überall dasselbe Profil (Fig. 4). In der Talsohle treten graue, dünngeschichtete Kalke der Tenuzlobaten-Schichten auf. Darüber erheben sich etwa 40 m gutgeschichtete Kalke, welche am Bahnhof Solnhofen aufgeschlossen sind und von GümsEL als Schwammkalk bezeichnet werden. Im Hangenden verliert sich die Schichtung. Bald kommen wir in graue, ungeschichtete, löcherige, fossil- leere Dolomite, die in malerischen Zacken an den bewaldeten Talgehängen aufragen und genau wie bei Eichstädt tiefe, beckenartige Vertiefungen enthalten, in denen die Plattenkalke abgelagert wurden. In den Plattenbrüchen habe ich nirgends ein inselartiges Aufragen einzelner Dolomitzacken beobachten können; wohl aber scheint der Schloßberg von Mörnsheim (s. Fig. 6), den jetzt die Erosion freigelegt hat, dereinst von Plattenkalken umlagert gewesen zu sein. ; Ne De re, Ne: Su \r | a u nl EN i 5 : Rt Dee Fig. 6. Profil durch das Mörnsheimer Tal. Mannigfaltige Störungen haben das Gefüge der Plattenkalke nachträglich verändert. Zuerst kleine Verwerfungen, die allerdings in der Solnhofener Gegend sehr selten sind. Sodann treten sehr merk- würdige, eng umschriebene Hebungsgebiete auf. Nach Mitteilung von Herrn Verwalter Grimm findet man auf der Höhe mitten im Walde vereinzelte Blöcke von Gesteinen, die erfahrungsgemäß etwa 20 m tiefer liegen. Da, wie erwähnt, eigentliche Dislokationen bei Solnhofen nicht beobachtet werden, konnte man an Ueberschiebung in dem völlig horizontal gelagerten Gebiet nicht denken, und die Tat- sache blieb mir völlig unverständlich, bis ich in einem tiefen Einschnitt, den der Solnhofener Aktien- verein östlich von den Werkstätten anlegen ließ, um einen neuen Plattenbruch zu öffnen (s. Fig. 7), folgendes beobachtete: Während im Hintergrund des wohl 30 m tiefen Bruches alle Platten völlig hori- 149 Die Fauna der Solnhofener Plattenkalke. 149 zontal liegen, beobachtet man beim Herausgehen, wie mit einem Male die Schichten auf eine Erstreckung von 30 Schritt flach hinabsinken und dann aus der Tiefe steil emporsteigen, drei deutliche Sättel bilden und am Bergabhang wieder eine schwebende Lagerung einnehmen. Ein überaus intensiver Ver- witterungsprozeß hat wohl schon in der Tertiärzeit eingesetzt und, während er an anderen Orten tiefe, erzerfüllte Schlotten erzeugte, hier in dem aufgesattelten Gebiet die zerbrochenen und zerklüfteten Kalk- blöcke stark zersetzt. Fig. 7. Faltungen der Plattenkalke bei Solnhofen. Auf der Oberfläche des Feldes bemerkt man über dem gehobenen Sattel eine flache Vertiefung. Ich betrachte diese Erscheinung als die letzten Ausläufer der im W so großartig entfalteten Hebungs- phänomene des Ries. Während dort rundliche Gebiete emporgepreßt erscheinen, ist hier ein etwa 60 m breiter und vielleicht 300 m langer Streifen der Erdrinde um 20 m gehoben worden. Dabei haben sich sehr eigentümliche Farbenringe gebildet. Man beobachtet ja häufig, daß Sandsteinen, Kalken oder vulkanischen Tuffen um einen Kern zahlreiche, ockerig verfärbte Kugel- schalen angeordnet sind. Die hier davon betroffenen, bis fußdicken Kalkblöcke waren nun von zarten, mit Kalkspat erfüllten Spalten durchsetzt. In jedem einzelnen, so begrenzten Keilstück ging die Bildung brauner Farbenzonen von einem anderen Mittelpunkt aus und wurde durch den schmalen Kalk- spatgang verhindert, in das benachbarte Stück hinüberzutreten. Es sind dadurch braune Zeichnungen (s. Fig. 8) entstanden, welche vollkommen übereinstimmen mit dem bekannten „Ruinenmarmor“ von Florenz, der ja meines Wissens nicht anstehend bekannt ist und nur von Rollstücken aus dem Arnobett gewonnen wurde. Die sehr hübsch aussehenden Stücke werden vielfach zu Briefbeschwerern verarbeitet. Fig. 8. „Ruinenmarmor“. Farbenringe in einem von Spalten durchschnittenen Kalkblock. Fig. 9. Die „krumme Lage“ in den Aufschlüssen bei Langenaltheim (Z), Solnhofen (,S) und Mörnsheim (7). An manchen Felswänden sieht man Bohnerzschlotten tief herabreichen. Auch hier sind sie bis- weilen unten mit dem Knochen-führenden miocänen, grünlichen Letten erfüllt, dessen Fauna oben schon besprochen wurde. Die überall bemerkbare, vertikale Zerklüftung der Plattenkalke hat an steilen Abhängen mehrfach bewirkt, daß kleine Schichtenstöße um einen geringen Betrag abgesunken sind. Sie werden von den Arbeitern als „Verschiebungen“ bezeichnet. Ich muß in diesem Zusammenhang auch noch die merkwürdige Schichtenbiegung erwähnen, welche als „krumme Lage“, mitten zwischen die völlig horizontalen Platten eingeschaltet, das Solnhofener Gebiet durchzieht (s. Fig. 9). Sie tritt im Horstbruch bei Mörnsheim zuerst auf. ı2 m unter der 150 Die Fauna der Solnhofener Plattenkalke. 150 Oberfläche beobachtet man hier eingeschaltet zwischen die ebenen Platten eine Zone von I1—ı1,5 m Mächtigkeit, in welcher alle Flinze, selbst die ı5 cm dicken, in enge, unregelmäßige Falten gelegt sind. Je nach dem Streichen des Aufschlusses sieht man bald den Querschnitt, bald den Rücken von über 5 m langen Schichtenfalten, die wie „zusammengerollte Zimmetrinde“ mit geringer Regelmäßigkeit neben einander liegen. Am Maxbruch wird die krumme Lage schon dünner und gegen Langenaltheim keilt sie langsam aus, indem sie zugleich infolge der hier tiefer reichenden Denudationsfläche nur etwa 6 m unter dem Waldboden liegt. Nach freundlicher Aufzeichnung des Herrn Verwalter W. Grıvm in Solnhofen lassen sich am Haardtbruch wie am Hummelsberg von der krummen Lage nach unten folgende Schichten unterscheiden: 36 Flinze dezeznstesDiieke a Flinze der zweite Dicke (spaltet oft in 4 Flinze) die 16 lithographischen Steinflinze die Weißfädigen (ı2 Flinze, die von Kalkspatadern durchzogen werden und keine großen Platten liefern). die vier Dicken eine Plattenfolge von 2 dicken und mehreren dünnen Steinlagen, die auf der Unterseite mit einer sehr tonreichen Fäule überzogen sind die sechs Dicken 52 Flinze mit Fäulen wechsellagernd. Die Mächtigkeit dieser Schichten beträgt etwa 25 m. Die Flinze erreichen eine Mächtigkeit bis zu 24 cm. Meist sind sie 10—ı5 cm dick und werden von weichen Fäulen begrenzt. In der Regel bildet die Fäule das Liegende des kalkreichen Flinzes, und man kann häufig beobachten, wie selbst die besten Lithographiesteine in allmählichem Uebergang aus einer liegenden Fäule entstehen, die vor dem Gebrauch abgeschliffen werden muß. Manche sehr tief gelegenen Flinze werden „eingewickelt“ genannt, weil ihnen oben und unten eine Fäule anhaftet, die durch Abschleifen entfernt werden muß. Auf den dünneren, zu Dachplatten verwendeten Zwicklagen („Weitenhiller“ genannt) ist die tonige Fäule oft un- merklich dünn; sie sind bei Solnhofen und besonders bei Langenaltheim mit den wundervollen Den- driten (bei Eichstädt „Blumen“, bei Solnhofen „Moos“ genannt) von den Klufträndern her überzogen. Die Solnhofener Schichten sind im allgemeinen ärmer als die Fauna von Eichstädt. Es fehlen die Eidechsen und die Schildkröten nahezu vollständig. Die Insekten sind sehr spärlich. Schon NEUMAYR hat darauf hingewiesen, daß die Umgebung von Solnhofen zu den versteinerungs- ärmsten Gebieten des Jura gehört. Man kann tagelang auf den Halden herumklettern und wird außer einem kleinen Zeptolepis, einem Aptychus oder Perisphinctes nichts finden. In manchen Steinbrüchen haben auch die Arbeiter nur einige kümmerliche Stücke zu verkaufen; und obwohl der technische Be- trieb es veranlaßt, daß jede Platte einzeln aufgehoben wird, und die Arbeiter in der Regel über den Marktwert der Fossilien ein ganz gutes Urteil haben, ist es immer ein günstiger Zufall, wenn sie einen versteinerten Ueberrest finden. Wie ich in Steinbrüchen bei Mörnsheim und Mühlheim hörte, werden dort oft im ganzen Jahr nur etwa zehn Krebse und Fische gefunden. 6) Nach Langenaltheim zu werden die Flinze im allgemeinen schwächer; sie sind meist 7—8 cm stark und erreichen nur selten 10 cm Dicke. Dafür nehmen die Fäulen an Mächtigkeit zu und können I5ı Die Fauna der Solnhofener Plattenkalke. I5I mehrere Meter hohe Schichtenstöße vollkommen aufbauen. Es gewährt dann ein besonderes Ver- gnügen, die durch den Frost in einen Stoß papierdünner Blätter verwandelten Fäulen zu untersuchen. Man kann sie vollkommen wie ein Buch, Blatt um Blatt umwenden und dabei deutlich erkennen, daß diese papierdünnen Schichten durch wiederholte Auflagerung feiner Schlammmengen entstanden sind. Freilich ist auch hier der Fossilgehalt überaus spärlich. Saccocoma kommt noch am häufigsten vor, daneben die Umrisse kleiner Oppelien, Aptychus und Zumbriaria. Aus dem Gesamtprofil (Fig. 4) geht wohl sicher hervor, daß bei Langenaltheim die ältesten Schichten aufgeschlossen sind. Hier findet sich in der Tiefe eine dünne Lage ganz bedeckt mit einem Schwarm von Zeptolepis. Die kleinen „Goldfischli“ sind wohl hauptsächlich von diesen ältesten Brüchen aus in die Sammlungen gelangt. Sie bedecken die Platten zu Hunderten; auffallenderweise liegen sie nicht etwa vereinzelt, sondern meist paarweise nebeneinander. Auf einer Platte sah ich unter ı7 Exemplaren 6 Pärchen; bald sind die beiden hintereinander geschwommen, bald liegen sie parallel nebeneinander, dicht aneinander gedrängt, oder sie berühren sich fast mit den Köpfchen. ıo m höher folgt bei Langen- altheim ein zweiter Zeptolepis-Horizont. In den Brüchen von Solnhofen und Mörnsheim sind Zeftolepis, Saccocoma und Oppelia auch in kleineren Schwärmen verteilt, sollen aber keine bestimmten Horizonte einhalten. Nach dem übereinstimmenden Bericht der Arbeiter treten auch alle übrigen Fossilien ganz vereinzelt auf, und nur die Fußspuren einzelner Tiere lassen sich über größere Strecken hin verfolgen. Etwa ı2 m tief trat verschiedentlich die schon von Eichstädt erwähnte Hüpfspur des Urvogels auf, der auch hier sorglos über die schlammige Fläche hin und her gesprungen ist. Die zuerst bekannt ge- wordene Feder des Urvogels wurde in dem alten Bruch von KoHrer gefunden. Das Londoner Exem- plar lag etwa 20 m tief auf einem Flinz des alten Orrmannschen Bruches in einem Gebiet des Soln- hofener Gemeindebruches, das jetzt vollkommen abgeräumt ist. (Das Berliner Exemplar stammt von Harthof bei Eichstädt.) Ueberaus merkwürdig ist die Fährte eines noch unbekannten großen Tieres, die 18 m tief, im Bruch von Schinper entdeckt und in dem Kontor des Besitzers in würdiger Weise aufgestellt wurde. Fig. 10. Ichnium megapodium. *j, nat. Gr. Fährte eines unbekannten Tieres. In der Hoffnung, das Tier zu erbeuten, hatte Herr ScHiNDEL die Spur 20 m weit durch Sprengen ver- folgen lassen. Sie ging in der Richtung von SSO nach NNW. Die Hinterfußeindrücke haben eine Länge von 16 cm und eine Breite von 10 cm und rühren von einem rundlichen, mit Schwimmhäuten oder Krallen versehenen Fuß her, dessen Ballen auf der Außenseite eine sichelförmige Furche hinterließ. Der 152 Die Fauna der Solnhofener Plattenkalke. 152 Vorderfuß von 5 cm Breite drückte sich, wie mir scheint, in der Spur des Hinterfußes ab, und dadurch ist die Berechnung der Spurweite sehr erschwert. Ich gewann den Eindruck, daß das zweifellos „flüch- tige“ Tier eine Spurweite von etwa 70 cm besaß. Nachdem es mehrere Meter weit über den mit flachem Wasser bedeckten Boden gelaufen war, scheint das Wasser tiefer geworden zu sein, oder das Tier ist gesprungen; denn auf eine Strecke von ı', m fehlen die Fußeindrücke, und statt ihrer sieht man 3 verschieden lange, gebogene, flache Furchen, die durch Krallen oder Flossen erzeugt sein mögen. Im Münchener Museum ist eine Platte unbekannter Herkunft mit derselben Spur, und auch bei Pfalzpaint habe ich sie gesehen. Sehr häufig hat Zimulus eine Spur (Fig. ı 1) hinterlassen, und zwar ist es ein Erfahrungssatz, daß man die zarten Fußeindrücke mit der dazwischen liegenden Schwanzspur nur zu verfolgen braucht, um Fig. ı1. Fährte von Zrmulus Walchi. '/, nat. Gr. (kombiniert). den Krebs selbst zu finden. Derselbe ist also eine Strecke (bis zu 10 m) gelaufen und dann verendet. Auf einer Platte der Sammlung von Prof. SCHWERTSCHLAGER hat der Zzrmulus mit seinem Telson achtmal auf den Schlamm geschlagen, ehe er starb. Wir müssen uns zum Schluß mit den Schichten im Hangenden der krummen Lage beschäftigen. Wenn man die 40 m hohen, senkrechten Felswände in den Steinbrüchen von Mörnsheim und Solnhofen betrachtet und die über 250 ebenflächigen Plattenkalke völlig horizontal und ebenschichtig bis zur krummen Lage übereinander gebreitet sieht, dann überrascht es, darüber noch etwa ı5 m Kalk- steine zu finden, die durch ihre völlig andere Schichtung im vollen Gegensatz zu den liegenden Flinzen stehen. Ihre Dicke ist erheblich größer, sie spalten nicht so ebenflächig und gewinnen vielfach den Cha- rakter von bräunlichen, muschelig brechenden Kalksteinen, die man in Schwaben als „ruppiges &* bezeichnet. Auch die typische Plattenkalkfauna fehlt; statt der kleinen, dünnschaligen Ofpelien findet man prächtig gerippte Perisphincten, deren Schaleninneres mit kristallinischem Kalkspat erfüllt ist, dann Muscheln, Brachiopoden und Spongien. Die hangendsten dieser Gesteine sind durch Abtragung zerstört, und nur vereinzelte Ueberreste findet man an den Wegen und Waldrändern des Plateaus als Lesesteine zusammengetragen. Da sieht man tonige Kalkplatten, deren Oberfläche genau wie die der „oberen Tonplatten“ des oberen Muschel- kalkes mit nieren- oder lippenförmigen Wülsten bedeckt ist; Aptychen und andere Fossilien sind darin nicht selten. Um die Entstehung dieses Schichtenkomplexes zu verstehen, müssen wir uns erinnern, daß bei Solnhofen wie bei Eichstädt und Kelheim flache Becken der Dolomitoberfläche eingelagert sind und ringsum von höheren Dolomiträndern umgeben waren. Von diesem einstigen Riffrand aus, der jetzt gegen NW denudiert ist, scheint nach Abschluß der Bildung der Plattenkalke zungenartig eine dem Riff ie F fi 5 153 Die Fauna der Solnhofener Plattenkalke E53 angehörige Kalkdecke in die Lagune hineingewachsen zu sein und bildet jetzt den Abschluß des Soln- hofener Profils. 7) Die Aufschlüsse bei Daiting, die früher so überaus interessante Ueberreste geliefert haben, sind jetzt verlassen. Selbst der Ort der Fundstellen ist in Vergessenheit geraten; denn es werden dort nur Steine gebrochen, wenn ein neues Haus errichtet wird. Im Anfang des vorigen Jahrhunderts wurde eine Bohnerzgrube am Meulenhardt ausgebeutet, und aus dieser Grube stammen wahrscheinlich viele Funde, Aus dieser Lokalität kenne ich: Pterodactylus grandis > rhamphastinus “ vulturinus ” medıius Das Raubtiergebiß des Prerodactylus rhamphastinus, das diese Art vor allen anderen auszeichnet, spricht für ein beutereiches Festland. Von landbewohnenden Reptilien kommen dazu: Aeolodon priscus h brevißes Anguisaurus Münsteri 5: bipes Crrcosaurus medius x s elegans, der Schädel desselben ist 40 cm lang ans Geosaurus giganteus Pleurosaurus Goldfussi (12 Exemplare). Von anderen Ueberresten stammen aus Daiting: Eugnathus Aspidorhynchus Lepidotus unguiculatus Ac. Thrachytheutis und besondelS gut erhaltene Pflanzen; im Münchener Museum befindet sich eine Platte mit den schilf- ähnlichen Blättern von Algacıtes truncatus, die 7 cm breit und 4ocm lang waren. Wedel von Brachy- PDhylium longimanum, dessen Aeste wie eine Trauerweide herabgehangen haben müssen, und ebenso von der anderen Cypresse Palaeocyparis, sind prachtvoll erhalten. Die benthonischen Meerestiere werden durch Crinoiden, Pinna und Pholadomya vertreten. Wenn man erwägt, daß alle diese Funde in kleinen gelegentlichen Aufschlüssen gemacht worden sind, dann darf man wohl Daiting als eine der reichsten Fundstellen des ganzen Gebietes betrachten, und trotz ihrer Lückenhaftigkeit zeigt uns die Fossilliste das Bild einer reichbewaldeten Küste, belebt von Flugsauriern und räuberischen Reptilien, dicht neben dem tierreichen Meeresgrund. Durch die Einschaltung des Rieskessels und die vulkanischen Erscheinungen des Vorries, in welchen der ursprüngliche Schichtenverband so sehr verändert worden ist, wird die Verfolgung des Solnhofener Phänomens nach W erschwert, und meine Studien setzen erst wieder im Brenztal ein, wo die weitere Umgebung von Heidenheim eine Reihe von klassischen Aufschlüssen bietet. Genau wie im Altmühlgebiet differenzierte sich bei Schluß der Juraperiode auch hier das Relief und die Facies des Meeresgrundes. Mächtige Riffe wuchsen empor, ihre Kalke und Dolomite bilden die <-Gesteine, während Jenaische Denkschriften. XI. 20 Festschrift Ernst Haeckel. Die Fauna der Solnhofener Plattenkalke. 154 i una der r Plattenkalke 154 sich das & auf die Riffränder als „ruppige Facies“ mit kurzschichtigen Kalken, dagegen in die weiten Lagunenbecken als glattes & und als Zementmergel einlagert'). 8) Die Korallenfauna von Nattheim ist so berühmt und formenreich, daß man an den dortigen Aufschlüssen durch die Art des Vorkommens einigermaßen überrascht ist. Man erwartet, große Auf- schlüsse in einem jurassischen Korallenriff zu finden, und sieht doch nur in der Nähe uralter Bohnerz- gruben unter dem Waldboden kleine und große Kalkblöcke, aus denen verkieselte Korallen durch die Einwirkung der Humussäuren wundervoll herausgewittert sind. Nach den Beobachtungen von E. Fraas ist die Verkieselung eine ganz oberflächliche Erscheinung. Man findet große Blöcke, die deutlich erkennen lassen, daß die außen gut verkieselten Korallen nach der Tiefe des Gesteines zu nur aus Kalk bestehen und nicht weiter herausgeätzt werden können. Diese Verhältnisse erinnerten mich an die in den Steppen- und Wüstengebieten so häufigen Ver- kieselungen, die von ZırreL zuerst in Nordafrika erkannt, neuerdings auch von Karkowsky an den von PassaRGE gesammelten Gesteinsproben aus der Kalahari beschrieben worden sind. Es wäre zu erwägen, ob diese Verkieselung der Nattheimer Korallen vielleicht während des diluvialen Steppenklimas erfolgt ist. Soweit ich mir aus den Aufschlüssen an den Abhängen des Brenztales bis hinauf an das Plateau eine Vorstellung von den lithogenetischen Bedingungen machen konnte, scheint es, daß die am obersten Rande eines Riffes wachsenden Korallen durch die Niveauverschiebungen des Meeres am Schluß der Jurazeit plötzlich trockengelegt und vom Schlamme verhüllt, dem Einfluß der Kräfte entzogen wurden, die auf einem wachsenden und gedeihenden Korallenriff die gute Erhaltung der Kelche verhindern. Auf den Riffen des Roten Meeres und des Indischen Ozeans habe ich diese Vorgänge des lang- samen Absterbens, die Wirkung der Brandung räuberischer und bohrender Tiere, rindenbildender Kalkalgen, Würmer und Bryozoen verfolgt und zugleich beobachtet, wie rasch die Kalkmasse eines Riffes in Dolomit verwandelt wird. Die von mir (Lithogenesis der Gegenwart, S. 708) ausgesprochene Vermutung, daß bei diesem diagenetischen Vorgang Mikroorganismen eine maßgebende Rolle spielen, hat durch die experimentellen Arbeiten von Napson’) eine überraschende Bestätigung erfahren. Solange die :-Riffe emporwuchsen, wurde schrittweise ihr Gestein dolomitisiert, und nur die jeweilige Oberfläche, der Rand und die Abhänge des Riffes, sowie die herabsteigenden Zungen des Vorriffes behielten ihre organische Struktur, und so finden wir durch einen raschen Tod fixiert die Kolonien der Thecosmilia trichotoma; daneben die Rasen zierlicher Stylna und Oculina und die schönen Bouquets der Montlivaultlia, während die krustenbildenden Mäandrinen und Asträiden sich dazwischenschalten. Die korallophile Fauna ist arm an Brachiopoden, aber reich an Schnecken. Häufig sind die Kronen von Cidaris coronata und von den Muscheln Osirea, Opis und Mytılus. 9) Auf dem Plateaurand westlich von Bolheim wuchsen zu jener Zeit ganze Felder von Milleri- crinus. Auf kräftiger Wurzel erhob sich der drehrunde Stiel und trug den wie ein fünfkantiger Leder- beutel gestalteten Kelch mit den zierlichen Armen. Bei der Trockenlegung des Meeresgrundes starben auch sie eines raschen Todes. Wir sehen jetzt an einzelnen Stellen des Plateaus den Waldboden ganz übersät mit den zierlichen Ringen der Trochiten, die früher als Amulette gegen allerlei Leibesschaden in der ganzen Gegend begehrt wurden. Steigen wir nun über die Riffböschung nach dem Brenztal ı) Nach Abschluß dieser Arbeit erschien: SCHMIERER, Das Altersverhältnis der Stufen e und & des weißen Jura. Zeitschr. d. Geol. Ges.,, 1902, S. 525. 5 2) Die Mikroorganismen als geologische Faktoren. I. Ueber die Schwefelwasserstoffgärung in Weißowo-Salzsee und über die Beteiligung der Mikroorganismen bei der Bildung des schwarzen Schlammes, St. Petersburg 1903, S. 85. 155 Die Fauna der Solnhofener Plattenkalke. 155 hinab, so überschreiten wir zackige Klippen eines wie immer fossilleeren Dolomits, der aber durch eine charakteristische Uebergußschichtung seine Riffnatur deutlich zur Schau trägt. In der Nähe des Beis- linger Hofes ist das Riffgestein in dicken, undeutlich gegliederten Kalkbänken aufgeschlossen, zwischen denen sehr fossilreiche Nester ein Bild von dem Leben am Riffrand zu zeichnen gestatten. Da sitzt zwischen zackigen Felsen und eingehüllt in einen feinen Muschelsand das Heer der Brachiopoden. Neben der charakteristischen Waldheimia trigonella die Rhynchonella inconstans, die große Terebratula insignis und 7. indentata. Sodann Terebdratulina loricata und Terebratella pectunculoides,; die scharf-- Fig. 12. Diagonalschichtung in „Oolith‘“ von Schnaitheim, gerippte Ostrea gregaria scheint sich hier überall wohlgefühlt zu haben. Daneben O.'rastellata, der diekschalige Peeten armatus und P. textorius, während sich die gefiederten Kronen von Apierinus, Pentacrinus und der ungestielte So/anocrinus entfalteten. Dieselbe Fauna treffen wir am Rande einer Riffzunge, die sich in die $-Facies hinabsenkt und die man als einen herabgleitenden Saum des Riffes in die Lagune hineinwachsen zu sehen meint. ı0) Nördlich von Heidenheim ist eine dritte Lokalität Schnaitheim, die uns in großen Stein- brüchen vorzügliche Aufschlüsse gibt über eine dritte Erscheinung, die mit dem Absterben der 20* I 56 Die Fauna der Solnhofener Plattenkalke. 1 56 Jurariffe zusammenhängt. Das wegen seiner großen Dacosaurus-Zähne und anderer Funde wohlbekannte Gestein wird gewöhnlich als „Oolith“ bezeichnet, und da ich in der Nähe der Korallenriffe des Roten Meeres bei Suez ausgedehnte recente Oolithlager beobachtet habe, hoffte ich bei Schnaitheim ähnliche Verhältnisse zu finden. Allein ich möchte den Namen Oolith für das Gestein nicht für korrekt halten; denn es ist, um einen Ausdruck aus der Gegenwart zu wählen, ein echter „Korallensand“; ein Kalkstein verkittet aus den durch die Brandung abgerollten Bruchstücken von allerlei Meerestieren, die zwar oft mit zarten Kalkrinden (oolithisch) umgeben sind, aber doch ihre detritogene Entstehung leicht erkennen lassen. Die ganze Ablagerung erstreckt sich auf ein Gebiet von etwa 3 km Breite und 9 km Länge in der Richtung von SO nach NW. Neben den echten Meerestieren, wie Pecten, Exogyra virgula und Terebratula insignis, treten uns schöne Wedel von einem Farn Pecopteris entgegen; während Haifisch- zähne und die Ueberreste des marinen Krokodils Dacosaurus, sowie eine prachtvoll erhaltene Schild- kröte (Thalassemys marina) auf die Nähe des Meeres schließen lassen, läßt uns das Farnblatt und die Ueberreste eines Gavial vermuten, daß das Festland bei Schnaitheim auch vertreten war. In aus- gezeichneter Weise prägt sich dies auch in der Struktur des Gesteines aus. Dasselbe ist in mächtige Bänke gegliedert, deren Schichtenfugen besonders im Liegenden wohlerhaltene Ueberreste von Meeres- tieren enthalten. Dann aber bauen sich hohe Kalksandmassen mit ausgezeichneter Diagonalschichtung auf, deren festländisch-äolische Entstehung keinem Zweifel unterliegen kann. Die Photographien, welche Herr Prof. Gas auf meine Bitte dort aufnehmen ließ. stimmen in allen Einzelheiten (Fig. ı2) mit den Abbildungen überein, welche Acassız') von den Bahama- und Bermudasriffen veröffentlicht hat, und die schon seit der Challenger-Expedition?) allgemein bekannt geworden sind. Auf diesen küstenfernen Koralleninseln, deren ganze Masse aus organischem Kalk besteht und bis zu denen kein kontinentales Quarzkorn gelangen kann, bilden sich Dünen und steigen hoch aus dem Meere empor, wandern land- einwärts, verschütten Wälder und Kulturen und begraben kleine Häuser, so daß nur der Schornstein aus dem weißen Sandberg hervorschaut. Aber der Sand ist Muschelsand und der aus seiner Ver- festigung entstandene „Aeolian Rock“, der auf den Bermudas in großen Steinbrüchen gewonnen wird, ist nichts anderes als eine verhärtete Kalkdüne. Das Gestein von Schnaitheim stimmt mit demselben in allen Einzelheiten überein und vervollständigt das Bild der jurassischen Korallenriffe. Das in den Rifflagunen von Kelheim, Eichstädt und Solnhofen abgelagerte Sediment war ein überaus feiner Kalkbrei, dessen Bildung wir noch besonders behandeln werden, und das Zurücktreten terrigenen Schlammes ist für alle diese (Gebiete überaus charakteristisch Nach den Analysen von A. Schwager enthalten die Plattenkalke 98—99 Proz. kohlensauren Kalk und 0,13— 1,75 Proz. Kiesel- säure. Zwar nimmt der Kieselsäure-Tonerdegehalt in den Fäulen um ein beträchtliches zu, aber im ganzen betrachtet, bleibt immer die Kalkerde das vorherrschende Sediment. Nach W zu ändert sich dieses Verhältnis. Die harten, klingenden Plattenkalke werden weicher, und obwohl sie ihre Dünn- schichtigkeit bewahren, so können sie doch weder als Pflastersteine noch als Ziegeln Verwendung finden. Es entsteht ein Gestein, das man in Schwaben als „glattes &“ bezeichnet. Im Brenztal kleidet es die flachen Becken zwischen dem &Dolomit aus und läßt sich in mehreren Aufschlüssen in der Nähe von Bolheim an den Riffböschungen 60 m hoch empor verfolgen, indem es hier in heteropischem Verband mit den ungeschichteten oder gebankten Riffgesteinen auftritt. Erreicht man die Höhe des ehemaligen Riffrandes, so verliert sich die Ebenschichtigkeit, und es entwickelt sich das sogenannte „ruppige &%, ein 1) Acassız, Bull. Mus. Comp. Zool. Harvard College, Vol. XXVI, 1894, Taf. XV. 2) THomson, The Atlantic, Vol. I, p. 310. The Voyage of H. M. S. Challenger, Narrative, Vol. I, Fig. 54, 56, 57. 157 Die Fauna der Solnhofener Plattenkalke. 157 rauher, gelblicher, ziemlich fester Kalk, der durch Klüfte in unregelmäßige Scherben zerlegt wird. Er bildet zugleich das Hangende der ganzen Lagunenausfüllung und scheint ähnlich, wie wir dies schon von den hangenden Schichten bei Solnhofen oder Mörnsheim schildern konnten, am Schluß der Jurazeit von den Riffrändern aus wie eine schirmartige Decke das jbenachbarte Lagunengebiet über- wachsen zu haben. ı1) Obwohl die Brenz die ehemalige Lagune zwischen Bolheim und Heidenheim zum grössten Teil wieder ausgeräumt hat, so sind doch noch kleine und größere Reste der ehemaligen Ausfüllungsmasse erhalten geblieben und zeigen, daß hier im Gegensatz zu der Solnhofener Gegend terrigener Schlamm neben dem Kalkbrei eine wichtige Rolle gespielt hat. In größeren Dolomitlücken finden wir einen grünen Mergel, der an der östlichen Talseite bei Mergelstetten in großen Aufschlüssen als Zementmergel gewonnen wird und weiter nach W als Ulmer Zementmergel große technische Bedeutung gewinnt. Das Profil von Mergelstetten zeigt von oben nach unten: Ruppige Kalke, 30o m Zementmergel mit kalkigen Zwichenschichten, 48 m Plattenkalke, 25 m Zementmergel mit kalkigen Zwischenschichten. In der Gegend von Blaubeuren-Ehingen erreichen die Zementmergel über dem Plattenkalk eine Mächtigkeit von 80 m. GÜümßEL hat schon vor 30 Jahren nachgewiesen‘), daß diese Mergel ein zeitliches Aequivalent der Solnhofener Plattenkalke sind. So verschieden die petrographischen Eigenschaften beider Gesteine auch sein möchten, so zeigen sie doch in Lagerung und Fossilgehalt große Uebereinstimmung. Das hellgrüne Gestein ist von sehr gleichmäßigem, feinem Korn und zeigt oft nur geringe Andeutung von Schichtung. Die kalkreichen gelblichen Zwischenschichten enthalten bisweilen Fossilien, aber meist ist ihre Armut ebenso auffallend, wie bei dem Solnhofener Plattenkalk. Der riesige Mytılus amplus kommt mit Trigonia swevica nur bei Einsingen am Südrand der Alb vor. Sonst sind nur die Schalen des wahrscheinlich eingeschwemmten Perisphinctes ulmensis za finden, und kalkige Zwischen- schichten enthalten sehr dünnschalige Muscheln wie Astarte, Gressiya, Pleuromya, Venus, Tellina, platt- gedrückte Brachiopoden (Zingula zetae) und kleine Schnecken. GüÜmsEL fand bei Blaubeuren Zxogyra virgula, mehrere Arten von Pecten, Terebratula humeralis und eine reiche Foraminiferenfauna (besonders große, sandschalige Zaplophragmium verrucuwlosum) wund betont den Mangel an Fischen, der auch im Brenzgebiet überaus auffällig ıst. Wir werden auf diesen Gegensatz gegenüber Solnhofen später noch einzugehen haben. Daß die Ablagerung des Ulmer Zementmergels in dem Barriereriff längs der vindelicischen Küste eine lokale Erscheinung ist und höchst wahrscheinlich dem Mündungsgebiet eines Flusses entspricht, geht am besten daraus hervor, daß weiter im W noch einmal Solnhofener Verhältnisse auftreten. 12) Bei Nusplingen im Oberamt Speichingen ist abermals eine Rifflagune mit Plattenkalken aus- gekleidet, und wenn hier auf dem Neuberg auch keine technisch verwertbaren Lithographiesteine auftreten, so finden wir doch wieder ganz dieselbe individuenarme und dafür arten- und gattungsreiche Fauna. Ich habe leider die Lokalität selbst nicht besuchen können und lege persönliche Mitteilungen von E. Fraas und die Nusplinger Funde des Stuttgarter Museums meiner Schilderung zu Grunde. Obwohl bei Kolbingen dieselben Plattenkalke auftreten, so hat doch nur die Umgebung von Nusplingen eine reichere Fauna 1) Geognost. Verhältnisse des Ulmer Zementmergels. Sitz.-Ber. der math.-phys. Klasse Akad. München, 1871, S. 38, I 58 Die Fauna der Solnhofener Plattenkalke. geliefert. Im allgemeinen sind die Fische hier weniger gut erhalten. auf den Schichtenflächen und müssen sorgfältig herauspräpariert werden. vielfach die Spuren hochgradiger Verwesung. 158 Sie liegen schon nicht so rein Dann aber zeigen sie Flora und Fauna von Nusplingen‘). Pflanzen: Arthrotaxites bahostichus TUNG. " Frischmanni ÜUnc. Caulopteris colubrinus STERNE. Tiere: Phcatocrinus Fvaası ZITIEL. Antedon pinnatus Ov. Saccocoma tenella FR. Cephalopoden: Perisphinctes bıspinosus. P. gıgas. P. ulmensıs. Trachyteuthis ensiformis Rupp. Leptoteuthis gigas MEYER Eryon arctıformis SCHL. FE. Redtenbacher! E. speciosus Münst. Eryma Fraası Op. E. major Op. E. spinimanus Qv. Glyphaca jurensis OPPL. Notidanus eximius WAGn. N. serratus FR. Squatına alıfera Münst. Ischyodus swevicus PHILIPPL Coccoderma suevicum Ov. Fugnathus microlepidotus Ac. Phohdopterus dentatus Ov. Ph. latus Ac. Aeolodon priscus SÖM. Gnathosaurus subulatus MEx. Geosaurus suevicus E. FRAAS Cupressites calcareus O. Neuroßteris Iimbatus O. Odontopteris jurensis Kun. Echinodermen: Krebse: Fische: Reptilien: Cidarıs histricoides O. Echinus lineatus O. Plesioteuthis prisca Rupp. Acanthoteuthis speciosa MÜNST, sowie die vereinzelten Häkchen, die als Onychites Fraasi beschrieben wur den G. modestiformis SCHL. G. Veltheimi Münsr. Palaemon spinipes DERM. häufig Penaeus speciosus MÜnsı. Pustulina suevica Qv. Limulus suevicus Ov. Ph. tenuiserratus Ac. Caturus furcatus AG. Strobilodes giganteus WWAGN. Eurycormus speciosus WAGN. Gyrodus rugosus MÜnst. G. Lıfanius WAacn. Leptolepis salmoneus BLAINV. L. sprattiformis Ac. ? Racheosaurus gracilis Mey. Pterodactylus suevicus Qu. Rhamphorhynchus suevicus FRAAS. ı) Nach TH. EnGEL, Geogn. Wegweiser durch Württemberg, 2. Aufl., S. 349 (durch Zusätze ergänzt). 1 5.9 Die Fauna der Solnhofener Plattenkalke. 159 Besonders gut erhalten ist Sywatina acanthoderma, von Krebsen Eryon und Penaeus. Wie bei Soln- hofen kommen ganze Bündel von Austern vor, die, auf schwimmendem Seetang oder Ammonitenschalen aufgewachsen, in die Bucht von Nusplingen hereingetrieben wurden. Stacheln von ZZemicidaris und Ueberreste des schönen Päcatocrinus vertreten die niedere Meeresfauna.. Für die Nähe des ‚Landes sprechen neben dem problematischen Zschyracanthus (Insektenlarve?) der schöne Pierodactylus und Rhamphorhynchus suevicus und Blätter von Nadelhölzern und Farnen. Zum Schluß müssen wir die beiden wunderbar erhaltenen Skelette des Geosaurus swevicus erwähnen, die in Stuttgart und Tübingen aufbewahrt sind. Sie müssen eines raschen Todes gestorben sein; vielleicht wurden sie bei einer Sturmflut über den niedrigen Riffrand geworfen und als sie aus dem reinen Wasser des offenen Meeres in den feinen Kalkschlamm der Lagune gerieten, gingen sie darin zu Grunde. Es erübrigt zum Schluß noch einige Fundorte zu nennen, wo außerhalb Süddeutschlands oberjurassische Plattenkalke gefunden werden, wenn auch ihre Fauna manche Abweichungen er- kennen läßt. 13) In Hannover‘) sind die sogenannten Einbeckhäuser Plattenkalke ausgezeichnet durch Wechsellagerung mariner und brackischer Schichten. In ihnen vermischen sich die letzten Vertreter der marinen Jurafauna mit den ersten Wealdenformen. ı4) In Polen?) ist der obere Jura als ein Plattenkalk entwickelt, in welchem Exogyra virgula Ceromya excentrica N aurıformis Holectypus speciosus gefunden werden. ı5) Bei Pietraroia®) (Benevent) und Castelamare (Stabiae) finden sich fischreiche Plattenkalke. 16) Aber am ehesten läßt sich C&rin (Dep. Ain) mit der Solnhofener Fauna vergleichen‘). Cerin liegt im Bugey auf der Höhe des Rhonetales und enthält nach THIoLLIERE’) 29 Gattungen mit 50 Arten von Fischen, die meist vereinzelt (nur eine Art in 3 Exemplaren) gefunden wurden: Spathobathis (1 SP.) Amblysemius (1 SP.) Belemnobatis (1 SP.) Thrissops (5 SP.) Phorcynis (1 SP.) Leptolepis (3 SP.) Undina (1 Sp.) Aspidorhynchus (1 SP.) Pycenodus (5 SP.) Belonostomus (2 SP.) Gyrodus (1 SP.) Megalurus (1. SP.) Lepidotus (3 SP.) Macrosemius (3 SP.) Phohdophorus (3 SP.) Disticholepis (1 SP.) Ophioßsis (1 SP.) Callopterus (1 Sp.) Notagogos (1 SP.) Ohgopleurus (1 SP.) Eugnathus (1 Sp.) Holochondrus (1 Sp.) Caturus (5 SP.) I) STRUCKMANN, Die Portlandbildungen der Umgegend von Hannover. Zeitschr. d. geol. Ges., 1887, S. 40. 2) ZEUSCHNER, N. Jahrb. f. Min., 1866, S. 790. 3) Bassano, Rendiconti del R. Ist. di Incorraggiamento di Napoli, 1892, 7, 8; N. Jahrb., 1894, Bd. II, S. 122. 4) H. v. MEyER, Fauna der Vorwelt, Bd. IV, S. 6; DE LAPPERENT, Traite de G£ologie, 1900, p. 1194. 5) Ref. Neues Jahrb. f. Min., 1854, S. 382. N 160 Die Fauna der Solnhofener Plattenkalke. 160 Dazu kommen folgende Reptilien’): Crocoduleimus robustus JOURD. Saurophidiaum Euposaurus Atoposaurus Jowrdani MEYER Allıgatorium Hydropelta Meyeri MEYER Allıgatorellus Achelonia formosa MEYER Stelliosauwrus Chelonemys plana Saphaeosaurus Thiollierei “ ovala (Sauranodon ?) Pterodactylus Die Krebse werden durch Zryon vertreten. Bemerkenswert ist der Mangel von Aptychen und die oft beträchtliche Imprägnation der Kalke mit Bitumen. Aehnliche bituminöse Schiefer werden bei Orbagnons, am See von Armaille und bei Pierre Chätel sowie bei Grenoble gefunden. II. Die Meeresfauna der Plattenkalke. Obwohl Eichstädt und Solnhofen nach Bronn?) eine reichere Fauna als die Bucht von Nizza geliefert haben und in dem Rufe stehen, daß sie zu den reichsten Fossilstätten der Welt gehören, so sind diese Fundorte doch in Wirklichkeit ungemein arm an Versteinerungen. Der Sammler wird an den hohen Schieferteldern enttäuscht herumklettern, und man muß sich an die Besitzer der Steinbrüche wenden, um reichere Suiten zu sehen, oder gut verwahrte Stücke von den Arbeitern?) erwerben. Charakteristisch ist es besonders, daß die Mehrzahl der Fossilien sehr schön erhalten ist, Bruchstücke von Versteinerungen, zerfallene Skelettteile von Fischen und Krebsen sind verhältnismäßig selten. Ich habe mich bemüht, nach den vorhandenen Literaturangaben den Mitteilungen der oben- genannten Lokalsammler, eigenen Beobachtungen und den Fundortsangaben der Münchener Sammlung für jede Gattung anzuführen, ob sie in Kelheim (K.), Pfalzpaint (P.), Eichstädt (E.), Solnhofen (S.), Mörns- heim (M., Langenaltheim (L.), Daiting (D.) oder Nusplingen (N.) beobachtet worden ist. I) GERVAIS, Ref. N. Jahrb. f. Min. 1872, S. 447. 2) BRonn, Neues Jahrb. f. Min., 1849, S. 155. 3) Es dürfte für sammelnde Geologen von Interesse sein, die von den Arbeitern gebrauchten Namen für die häufigeren Fossilien zu kennen: tonige Zwischenschicht: Fäule (Feile) Dachplatten: Zwicksteine, Zwicklage, Daschenschiefer, Weitenhiller Bodenplatten:: Pflastersteine, Steinlagen stärkere Kalkplatten oder Lithographiesteine: Flinze Dendriten: Moos (S.), Blumen (E.) Eisen-Manganflecke: Pfeffer Rippelmarken : Walzen offene Schlotten: Wasserlöcher, Fallen Lehmschlotten : Lehmstöcke‘ desgl. mit Geröll: Wirbel Saccocoma: Knöpfe, Seesternli Antedon: Pflanzen, Spinnen Lumbricaria: Würmer Ammoniten: Schnecken, Sonnen Aptychen: Muscheln, Schildkröten, Klauen Belemniten: Drudenfinger (E.), Teufelsfinger (S.). Trachyteuthis: Tintenfisch‘ Plesioteuthis: Spicos Penaeus: laufende Krebse. Mecochirus: Schnorrgackel Eryon: Stockkrebs Limulus: Stachelkrebs Libellen: Schladenvögel (S.), Stangenreiter (E.) Phyllosoma: Spinnen Pygolampis: Wasserläufer Orthopteren Grashupfer Gyrodus;, Brachse Leptolepis: (Gold-)Fischli Thrissops: Häring Pterodactylus: dere Dactylus, Vogel Rhamphorhynchus: fliegende Eidechsen 161 Die Fauna der Solnhofener Plattenkalke. 161 Zweifelhafte Gattungen und Arten sind tunlichst ausgeschlossen worden, und bei der Anordnung habe ich das Handbuch der Paläontologie von K. v. Zrrrter zu Grunde gelegt. Da es für unsere weiteren Betrachtungen von Bedeutung ist, führe ich die fehlenden Tiergruppen besonders an. Einige neue interessante Formen sind im Text beschrieben und abgebildet worden. I. Stamm. Protozoa. I. Klasse. Monera. Nicht erhalten. II. Klasse. Arızopoda. 1. Ordnung. Foraminifera. Obwohl das feine Sediment der Plattenkalke alle Reste vorzüglich konserviert hat, so findet man doch darin nirgends jene Säume von Foraminiferenschalen, wie sie am flachen Ufer wärmerer Meere fast überall ausgespült werden. Nur im Gewebe der von GoLpruss als Achzlleum beschriebenen, lappig verzweigten Spongien erkannte Ror#prerz Foraminiferen. Ich habe eine Anzahl Dünnschliffe untersucht und dabei einige Querschnitte auf folgende Gattungen beziehen können: Miliola Rotalia Textularia Haplophragmium 2. Ordnung. KAadıiolarıa. Im Lösungsrückstand verschiedener Gesteinsproben keine Spuren; wahrscheinlich ist ihre Kiesel- substanz wie die der noch zu beschreibenden Kieselschwämme in Kalk verwandelt worden. I. Stamm. Coelenterata. I. Klasse. Spongiae. Die oberjurassischen Kalke, welche als ungeschichtete Felsen die Plattenkalke untertäufen, teilweise sogar topographisch überragen, sind vielfach ungemein reich an Spongien. In dem Kelheimer Diceras- kalk ist Corallidium, Craticularıa und Caesarıa häufig, bei Eichstädt und Solnhofen sind in den liegenden „Schwammkalken“ die Durchschnitte tellerförmiger Lithistiden leicht zu beobachten. Diese individuenreiche Schwammfauna verschwindet vollständig in den Plattenkalken, und nirgends finden wir Anzeichen dafür, daß auf ihnen auch nur vorübergehend benthonische Meerestiere an- gesiedelt waren. ı. Ordnung. Myxospongiae. Fehlen. = 2. Ordnung. Ceraospongiae. Nicht selten findet man bei Eichstädt und Solnhofen eigentümlich verzweigte, meist bräunlich gefärbte Körper mit körniger Oberfläche, die im Laufe der Zeiten unter sehr verschiedenen Namen beschrieben und verschiedenartig gedeutet worden sind. Während sie GoLpruss') als Ackilleum zu den Spongien rechnete, haben alle späteren Autoren sie zu den Algen gestellt, bis RorHkpLerz?) durch chemische und mikroskopische Untersuchung nachwies, daß es Kalkkrusten sind, durchzogen von zarten verästelten Röhrchen, zwischen denen Foraminiferen auftreten. ROoTHPLETZ nımmt an, daß eine jetzt verschwundene Alge auf einer Seite mit Bryozoen und Foraminiferen inkrustiert gewesen sei, und daß diese Kruste allein erhalten wäre. 1) GoLpruss, Petrefacta Germaniae, Bd. I, Taf. I, Fig. 2. 2) ROTHPLETZ, Zeitschr. d. geol. Ges., 1896, S. 902. Jenaische Denkschriften. XI. 21 Festschrift Ernst Haeckel. 162 Die Fauna der Solnhofener Plattenkalke. 162 Ich habe ebenfalls eine Anzahl Dünnschliffe angefertigt, die den tatsächlichen ;Befund von RorHpLerz bestätigen, kann aber seine Deutung nicht teilen. Der Mangel jeder Pflanzensubstanz, die völlig regellose Gestalt dieser „Amorphozoen‘“ widersprechen jener Annahme durchaus. Die im Querschliff kreisrunden, bisweilen auch im Längsschliff als vergabelte Röhren nachweisbaren Kanäle sind meines Er- achtens nicht parasitische Bryozoen, sondern die letzten Ueberreste des Kanalsystems von Spongien, und die Foraminiferen sind zufällig, oder als Nahrung aufgenommen worden. Ich möchte daher den von RorH- pLErz vorgeschlagenen Namen ‚Phylothallus“ in Phyllospongia umändern und unterscheide mit ROTHPLETZ folgende Arten: Phyliospongia lumbricaria MÜnsT. Phyliospongia subarticulata STERNB. a acuminata ROTHPL. Sp. 7 latifrons ROTHPL. Sp. = elongata STERNB. r varius STERNB. Im Jahr werden etwa 20 Stück vereinzelt gefunden. 4. Ordnung. Tefractinelhdae. Fehlen. 5. Ordnung. Zithistidae. Fehlen. 6. Ordnung. ZZexactinellidae. Bei Pfalzpaint sind einige Fossilien gefunden worden, die jedenfalls in diese Gruppe gehören. Zwei Exemplare sind in der Sammlung von Prof. SCHWERTSCHLAGER, der mir dieselben zur Bearbeitung überließ; ein drittes Exemplar sah ich in Privatbesitz. Ich nenne die Gattung nach meinem Freund, Prof. Dr. von Ammon, dem ausgezeichneten Erforscher des bayrischen Juras. MAUNZDR NZ OL LARLZD 02000, ELLT en TEE 22 LEE 7 RL ERS y FALLE LÄLLLLZLL LESER EEE ES z Bang Re RR S x SS SS > SS == > To SS 0 OOayypL0 HH Mi U AL EIS, Fig. 13. Ammonella quadrata, 16 3 Die Fauna der Solnhofener Plattenkalke. 16 3 Ammonella quadrata gen. noV. Der Schwamm hatte ungefähr eine Höhe von ıo cm und eine Breite von ı2 cm. Obwohl der Umriß an keinem der beiden mir vorliegenden Exemplare vollständig erhalten ist, so kann man doch erkennen, daß er die Form eines zarten Bechers hatte, der sich an der Oberseite in einige Lappen zerteilte.e Die Wurzel ist nicht erhalten, doch lassen sich einzeln Nadelbündel so weit vom Schwamm- körper verfolgen, daß man an einen mit längeren Nadeln versehenen Schopf denken möchte. Vom Kanalsystem kann man keine Andeutung erkennen, aber die Nadeln sind ausgezeichnet erhalten. Leider sind sie, wie dies ZırreL für viele oberjurassische Kieselspongien nachgewiesen hat, in Kalk verwandelt, und bei Bepinselung mit verdünnter Essigsäure löst sich ihre rostbraun gefärbte Substanz spurlos auf. Die Nadeln bilden ein sehr regelmäßig quadratisches Gitterwerk und besaßen, soweit ich unter dem Mikroskop erkennen kann, dichte Knoten. Die Maschen haben etwa ', mm Weite, doch wechselt das an einigen Stellen, indem, wohl durch Zerstörung der kleineren Nadeln, nur doppelt so große Maschen auftreten. Der Verlauf der Nadelzüge bildet mehrere schön gebogene Kurvensysteme, die der allgemeinen Form des Körpers angepaßt zu sein scheinen. Eine dünne, rostfarbige Haut überkleidet teilweise das Gitter der Skelettnadeln, und obwohl es mir nicht gelang, in demselben geformte Elemente zu erkennen, so möchte ich doch annehmen, daß es eine Deckschicht verschmolzener Fleischnadeln war. Ich möchte daher glauben, daß die neue Form in die Familie der Euretiden gehört. Fundort der 3 bekannten Stücke ist Pfalzpaint, das besterhaltene Stück aus der Sammlung des K. Lyceums zu Eichstädt wurde in Fig. ı3 abgebildet. Ein zweites kleineres Exemplar liegt neben einem Acanthochirus. 7. Ordnung. Calcıspongiae. Fehlen. II. Klasse. Anthozoa. Fast noch auffallender als die Seltenheit der Spongien ist der völlige Mangel an Korallentieren, da doch die ganze Masse der gleichzeitigen Frankendolomite, die vielfach die Plattenkalke sogar topo- graphisch überragen, höchst wahrscheinlich Korallenkalke waren. Nur an wenigen Stellen ist die Korallenfauna im Felsenkalk noch erhalten; verkieselte Korallen bei Pietenfeld mitten zwischen den korallenfreien Plattenkalkgebieten, und bei Nattheim, in nächster Nachbarschaft von ähnlichen Kalkplatten ohne Korallen, beweisen, daß die Wogen, welche die planktonischen und nektonischen Meerestiere so leicht in die Lagune trieben, doch keinen Korallenast abbrechen, keinen zierlichen Korallenkelch bis auf die schlammige Fläche rollen konnten. II. Klasse. Zydromedusen. Auch festsitzende Hydroidpolypen findet man nicht in der Fauna der Plattenkalke. Ich sah nur bei Herrn Grimm in Solnhofen ein Fossil, das vielleicht in diese Gruppe gehört. An einer etwa 70 cm langen (hornigen?) biegsamen Achse sind ı2 cm lange dünne Aeste angeordnet, die aus einer Knötchen- reihe bestehen. Das ganze Gebilde erinnert an manche Sertularienkolonien, doch könnte man auch an eine andere Deutung denken. Dagegen sind bekanntlich Abdrücke von Medusen bei Pfalzpaint ziemlich häufig und von HaAEckeEL, BranD und Maas genau untersucht worden. Wenn wir von den schlecht erhaltenen, zweifelhaften Formen absehen, so sind bisher folgende Arten beschrieben: 21* 16 4 Die Fauna der Solnhofener Plattenkalke. | ; 16 4 Acraspedae. ı) Unterordnung. Semaeostomae. Semaeostomites Zitteli HAECKEL. HAECKEL, Jen. Zeitschr. f. Naturw., Bd. VIII, 1874, S. 323, Taf. XI. Eulilotha fasciculata HAEKEL. HAECKEL, Zeitschr. f. wissensch. Zoolog., Bd. XIX, 1869, S. 549, Taf. XLII. Acraspedites antiquus FAECKEL. HAECKEL, das, Bd. XV, 1865, S. 504, Taf. XXXIX. Cannostomites multicirratus Maas. Maas, Palaeontograph., Bd. XLVIIL, S. 303, Taf. XXIII. 2) Unterordnung. Ahızostomae. Rhizostomites admirandus HAECKEL. HAECKEL, N. Jahrb. f. Min., 1866, S. 557, Taf. V. Rhizostomites lithographicus HAECKEL. laisekisie, das, &, 282, Ian WEL Leptobrachites trigonobrachius HAECKEL. HAECKEL, das., S. 544. Myogramma speciosum Maas. Maas, Palaeontogr., Bd. XLVIII, S. 298, Taf. XXII, XXIII. Alle Autoren, die sich mit den fossilen Medusen beschäftigt haben, vermuten, daß ihre gallertigen Scheiben auf den „Strand“ geworfen wurden, daß der weiche Kalkschlamm einen Abdruck der Subum- brella erzeugte und zugleich durch die 4 Subgenitalhöhlen in das Gastrokanalsystem hineindrang. Durch den allmählichen Schwund der Gallertpfeiler wurden die Kalkteilchen unter denselben verschoben und hier der Abdruck weniger deutlich gestaltet. Ich habe am Strande nordischer und südlicherer Meere häufig auf die Schicksale der aus- geworfenen Medusen geachtet und dabei wiederholt festgestellt, daß sehr eigenartige Bedingungen dazu gehören, um die Gallertmasse von Medusen zu konservieren. In der Regel zerfließt die Gallerte, räuberische Krebse nagen an ihr, und nur einmal habe ich beobachtet, daß die Sonnenglut am Ufer des Roten Meeres auf dem sandigen Strande Hunderte von handgroßen Medusen so eingetrocknet hatte, daß ihr wohlerhaltener Körper eine durchsichtige Platte bildete, biegsam und dünn wie ein Gelatineblatt. Alle gut erhaltenen Abdrücke kommen von Pfalzpaint oder dem Gebiet östlich davon. Die bis 5o m großen Abdrücke kommen in mehreren Horizonten vor und bedecken die völlig ebenen Kalk- platten oft so, daß ein Schirm über den Rand des benachbarten hinübergreift. Fünfstrahlige Exemplare sind nicht selten. Meist ist die Gallertscheibe in den weichen Schlamm einige Centimeter eingesunken und wird von einer dünnen Fäule bedeckt. Schleifspuren der Arme oder Zeichen einer Agonie fehlen. Im Jahre werden etwa 20 Exemplare gefunden. Bei Eichstädt und Solnhofen kommen nur undeutliche Abdrücke vor (doch sind nach Mitteilung von Herrn Apotheker Konr 2 gut erhaltene Ab- drücke in den alten Solnhofener Brüchen gefunden worden). II. Stamm. Echinodermata, I. Klasse Crinoidea. Im Kelheimer Diceraskalk sind nur wenige festsitzende Crinoiden beobachtet worden, daher darf uns ihre Seltenheit in den Plattenkalken nicht überraschen. 16 5 Die Fauna der Solnhofener Plattenkalke. 16 5 Millericrinus longimanus. K. Millericrinus mespiliformis SCHL. kommt im Diceraskalk und im Plattenkalk zu K. vor. Eine wundervoll erhaltene Seelilie aus den Plattenkalken von K. ist Millericrinus nobilis WALTHER. Palaeontogr., Bd. XXXII, Taf. XXIII, Fig. ı. Millericrinus rosaceus GOLEF. kommt nur im Diceraskalk bei K. vor. Vereinzelte Arme sind auch westlich von hier gefunden worden (Pfalzpaint); isolierte Trochiten kommen meines Wissens im Plattenkalk nicht vor. Ein Crinoidenstil bei D. Zugeniacrinus aus dem Plattenkalk von Ss. Im grobkörnigen Kalk von K. scheint der ungestielte So/anocrinus imperialis und S. costalus nicht selten gewesen zu sein, während in den Plattenkalken daneben Solanocrinus gracilis \VALTHER (Palaeontogr., Bd. XXXI, Taf. XXV, Fig. 2) in mehreren Exemplaren gefunden wurde. Antedon pinnatus GOLDFUSSs em. WALTHER (GoLpruss, Petref. Germaniae, Bd. I, S. 203, Taf. LXI, Fig. 3) ist häufig bei Z. und Ss. (20—30 Stück im Jahr), selten bei E. (öfters zerbrochen). A. formosus \WALTHER. Palaeontogr., Bd. XXV, S. 177. zZ. (vielleicht auch S.). Das häufigste Fossil der Plattenkalke ist die Gattung Saccocoma. Diese planktonisch gewordene Crinoide hat in zahllosen Individuen scharenweise das Meer erfüllt und wurde wiederholt in die Lagune hineingetrieben. Sie liegen zu Tausenden auf den Schichtenflächen besonders dünner Zwicklagen und haben ihre Hauptverbreitung bei Eichstädt, wo sie in 7 verschiedenen Horizonten auftreten. Bei Pfalzpaint kommen sie in einer Fäule zwischen den mit Rippelmarken bedeckten Schichten, allerdings schlecht erhalten, vor. Im Norden habe ich sie bei Schernfeld zahlreich, seltener bei Bieswang gesehen, und im Solnhofener Gebiet finden sie sich in den Schichten von Mörnsheim bis nach Mühlheim und Langenaltheim ziemlich selten. JAEKEL') hat gezeigt, daß die Kelchdecke der Ventralseite nicht verkalkt gewesen ist, doch muß der Körper bis auf feinste Oefinungen vollkommen geschlossen gewesen sein, weil das Innere der meisten Exemplare nicht mit Sediment, sondern mit kristallinischem Kalkspat ausgefüllt ist. Die Arme sind im Todeskampfe vielfach eingerollt oder ganz abgebrochen, oftmals durch Eisenoxyd gefüllt, doch sind gerade diese Exemplare für eine genauere Untersuchung am wenigsten geeignet. Saccocoma pectinata GOLDF. GoLpruss, Petref. Germaniae, Bd. I, S. 205, Taf. LXII, Fig. 2. Saccocoma tenella (SOLDF. Das., S. 207, Taf. LXII, Fig. 1. JAECKEL hat 1. c. S. 679, Fig. ıı eine Form abgebildet und als abnorm eingerollt betrachtet, die nach den Beobachtungen von Professor SCHWERTSCHLAGER als eine besondere Art unterschieden werden muß; ich beschreibe sie unter dem Namen I) JAECKEL, Zeitschr. d. geol. Ges., 1893, S. 666. 166 Die Fauna der Solnhofener Plattenkalke. 166 S. Schwertschlageri WALTHER. Der Körper (s. Fig. ı4) bildet eine geschlossene Kapsel von derselben Gestalt und Beschaffenheit wie bei S. fectnata. Die auf dem oberen Umschlag der 5 Kapselteile angesetzten Arme teilen sich ebenfalls rasch; aber anstatt frei zu enden, vereinigen sich die benachbarten Hauptäste (zweier ver- schiedener Arme?) zu einer geschlossenen Schleife, deren distales Ende eine dreilappige Form erkennen läßt. Die gegliederten Armäste tragen genau wie bei S. Zectinata kurze flügelförmige Fortsätze, die an den besterhaltenen Armen ganz regelmäßig nach außen gerichtet sind, während sie an anderen, durch Agonie ver- zerrten Exemplaren nach innen umgeschlagen sind. Man sieht deutlich, daß sämtliche Fortsätze je eines Armastes immer einheitlich bewegt wurden. Ob der lanzettförmige Zwischenraum der Armschleifen von einer vergäng- lichen Schwimmhaut überspannt war, kann man nicht beweisen, doch na. Bone liegt die Vermutung sehr nahe. schlageri (ergänzt). Der Körper ist von einem dichten Gewirr gegliederter Cirrhen umgeben, die an keinem der mir vorliegenden Exemplare im einzelnen verfolgt werden können; doch spricht ihre Lage dafür, daß sie wie bei Anzedon als ein basaler Schopf angeordnet waren. Aus der Lage eines Exemplares kann man feststellen, daß S. Schwertschlageri aktiv schwimmen konnte, indem sie zuerst die Armspitzen hob und dann mit dem gekrümmten Arm das Wasser hinabdrückte; denn alle 5 Arme sind in ganz systematischer Weise gekrümmt, und der Körper wurde gedreht, indem sich die Armspitzen auf den Schlamm nach rückwärts stemmten Die neue Art ist in der Umgebung von Eichstädt, Schernfeld und Sappenfeld nicht selten und scheint mitten zwischen den anderen Arten gelebt zu haben. Ich nenne sie zu Ehren des Herrn Professor Dr. SCHWERTSCHLAGER in Eichstädt, der sich als Nachfolger FRISCHMANNs so große Verdienste um die Fauna der Plattenkalke erworben hat. II. Klasse. Asteroidea. 1. Ordnung. Ophiuridae. Ophiurella speciosa GOLDFUSS. Häufig K., vereinzelt und meist klein bei s. (3—5 pro Jahr in den alten Brüchen), mehrere Exemplare von Sotzenhausen. Der Körper liegt oft auffallend schlaff auf der Platte und scheint erst nach dem Tode eingebettet zu sein. Geocoma carinata (GOLDFUSS. GoLDFuss, Petref. Germaniae, S. 206, Taf. LXII, Fig. 5. Häufig bei Z., in allen Altersstadien, oft in Kriechstellung und mit Kriechspuren: abgebrochene Arme regeneriert. Geocoma planata QUEnSs. K. 2. Ordnung. S£elleridae. Astropecten elegans E. Frans. E. Fraas, Palaeontogr., Bd. XXXII, Taf. XXX, Fig. 1. Vereinzelt s., nicht E. Pentaceros jurassicus ZIIT. BESRRARS daS ERERIE Fir. 5 6% Hofstetten bei P. und Bemfeld bei Ingolstadt. 167 Die Fauna der Solnhofener Plattenkalke. 167 Pentaceros pustuliformis E. FRaas. E. Fraas, das., Taf. XXX, Fig. 7—10. K., zerfallen. III. Klasse. Zchinoidea. Seeigel waren auf dem Kelheimer Riff überaus zahlreich. In einem mittelgroßen Block Diceras- kalk sieht man ıo Exemplare von Acrocidaris nobilis; auch die großen Ahabdocidaris müssen dort häufig gewesen sein. Dagegen sind nur wenige zarte Gehäuse in die Lagune geraten. Vereinzelte Stacheln findet man bis P., E. und M. 5 In den Plattenkalken bei K. fanden sich: Pseudodiadema, Hemicidaris, Rhabdocidaris, Hemipedina und Pygurus. Pseudosalenia aspera Act. E. Pseudodiadema SP. Zerfallene Asseln K. Diplopodia Oppeli DEs. Zu 35, C. Stomechinus perlatus. P.? Pedina lithographica DAmes. S.? III. Stamm. Vermes (Würmer). I. Klasse. Annelida (Ringelwürmer). 1. Ordnung. Zirudinei (Blutegel). Hirudella angusta MÜnst. MÜNSTER, Beitr. zur Petrefaktenkunde, Heft V, 1842, S. 98. Häufig E. H. tenuis Münsr. E: Helminthodus antiquus MArsnH. Zeitschr. d. geol. Ges., 1864, S. 363. 2. Ordnung. Chaetopoda (Borstenwürmer). Besser bei E. als bei S. erhalten. Eunicites atavus EHL. EHLERS, Palaeontogr., Bd. XVII, S. 147, Taf. XXXI, XXXII, Fie. 1, 2, 3, 6. E. dentatus Eu1. EHLERS, das. S. 158, Taf. XXXIV. E. proavus EHr. EHLERS, das., S. 154, Taf. XXXIJ, Fig. 45. Lumbriconereites deperditus EHt. EHLERS, das., S. 159, Taf. XXXV. Ctenoscolex procerus Eur. EHLERS, das., S. 164, Taf. XXXVI], Fig. ı, 2. 168 Die Fauna der Solnhofener Plattenkalke. 168 Meringosoma curtum EHL. EHLERS, das., S. 161, Taf. XXXVI], Fig. 3. Epitrachys granulatus EHL. EHLERS, das., S. 168, Taf. XXXVI, Fig. 4. E. rugosus EHL. EHLERS, das., S. 167, Taf. XXXVI], Fig. 5. Legnodesmus ? EHLERS, das. S. 174, Taf. XXXVII, Fig. 1, 2, 4, 5. Hirudella ? EHLERS, das., S. 169, Taf. XXXVIIJ, Fig. 3. S. Serpula problematica ? GoLDFuss, Petref. Germaniae, S. 235, Taf. LXIX, Fig. 13. Anhang: Cololithen. Trotz aller Bemühungen ist es mir nicht gelungen, die Natur der Lumbricarien aufzuklären. Manche Formen sind entschieden Fischdärme, andere mögen die Kriechspur sterbender Tiere sein, die später mit Kalkspat ausgefüllt wurde Dagegen sind gerade die folgenden, häufigeren Formen proble matische Gebilde: Lumbricaria colon MÜnsr. GOLDFUSS, Petref. Germaniae, Bd. I, S. 223, Taf. LXV], Fig. 2. Lumbricaria conjugata MÜnsr. Das., S. 224, Taf. LXV], Fig. 5. Lumbricaria filaria MÜnst. Das., S. 224, Taf. LXVIJ, Fig. 6. Lumbricaria gordialis MÜNST. Das., S. 223, Taf. LXVI, Fig. 4. Lumbricaria intestinum MüÜnst. Dax, 9 22%, Nas SAT, Tue, 1; Lumbricaria recta Münsr. Das.,ns. 223, Dar EXIT Rie3: V. Stamm. Molluscoidea. I. Klasse. Dryozoa. Fehlen. II. Klasse. Drachropoda. Terebratula lithographica und Rhynchonella astieriana, die nebst anderen Formen in den hangen- den, ungeschichteten (wilden) Kalken vorkommen, sind gelegentlich auch in den Plattenkalken ge- funden worden, gehören aber zu den Seltenheiten. VI. Stamm. Moliusca. I. Klasse. Zamellidöranchiata (Muscheln). Trotzdem die Kelheimer Diceraskalke eine so reiche Muschelfauna beherbergen, und auch die liegenden Felsenkalke nicht selten die Querschnitte von Muschelschalen erkennen lassen, so ist doch der Plattenkalk fast frei davon. 169 Die Fauna der Solnhofener Plattenkalke. 169 Bei K. trifft man vereinzelt: Hinnites circumnodosus G. BÖHM. Mytilus subpectinatus D’ORR. Pecten SP. Acromya SP. In München befindet sich eine Platte mit einer 8 mm langen Muschel (Pholadomya?), welche eine ı mm tiefe, wellig gewundene Kriechspur hinterlassen hat. Eine Pholadomya clathrata Münsr. (GoLpruss, Petref. Germaniae, Bd. II, S. 271, Taf. CLXXI, Fig. 5) und eine Pinna werden von D. erwähnt. Aucella Pallasi var. tenuistriata beschreibt PomPpEckI aus S. (N. Jahrb. f. Min, 1901, Bd. LS. 25, BENalV, Bio. 5, 6). Ostrea gigantea (Roemeri) O. Die bis ı2 cm breiten, dünnschaligen Muscheln liegen in Gruppen zusammen (r10—20 Stück an demselben Objekt angeheftet). O0. anomala Münsr. GOoLDFUSss, Petref. Germaniae, Bd. II, S. 120, Taf. CXIV, Fig. 6. 0. socialis MÜnsr. GoLDFuss, das., S. 120, Taf. CXIV, Fig. 7. Beide saßen auf Seetang, leeren Ammonitenschalen oder Belemniten fest und wurden mit diesen Schwimmkörpern in die Bucht getriftet. Oft liegen die Austernbündel auf Saccocoma-Platten. II. Klasse. Glossophora (Schnecken). Fast noch auffallender ist der völlige Mangel an Schnecken in der Plattenkalkfauna. Bei K. fanden sich einige Schalen von Cerithium SP. Natica SP. Ditremaria quinquecincta ZIET. Eine dünnschalige Patella lithographica SCHLoss. hat wohl auf einem Treib- körper gesessen. Spinigera spinosa GoLDF. (Fig. 12). Diese etwa 5 mm lange Schnecke trägt an der Mündung und den Um- gängen lange dünne Dornen, die vermuten lassen, daß sie zum Plankton gehörte, Fig. 15. Spinigera spinosa. oder wenigstens, zwischen treibendem Tang verankert, weit verschleppt werden aloe konnte. Kleine Steinkerne von Schnecken kommen vereinzelt bei P. vor, III. Klasse. Cephalopoda. 1. Ordnung. Vautiloidea. Nautilus franconicus OPP. in den dickbankigen Kalken von M. 2. Ordnung. Asmmonoidea. Die Schale ist meist aufgelöst und nur in schwachen Umrissen sichtbar, aber die Aptychen liegen in der Wohnkammer. Häufig sind nur die kleinen, schwarmartig auftretenden Oppelien. Jenaische Denkschriften. XI. 22 Festschrift Ernst Haeckel. 170 Die Fauna der Solnhofener Plattenkalke. 170 Oppelia Bous OPr. E. S. Opper, Pal. Mitteil., S. 252, Taf. LXX, Fig. 1. 0. euglyptus Orr. E, S. häufig. OPpEL, das., S. 253, Taf. LXX, Fig. 2—5. O. Haeberleini Opr. S. OPPEL, das., S. 249, Taf. LXVIII, Fig. 4ga—b, 5. O. lithographica OPpr. S. OPpEı, das., S. 248, Taf. LXVIII, Fig. 1—3. O. steraspis Orr. E. S. N. häufig. OPPpEL, das., S. 251, Taf. LXXIX, Fig. 1—0. MICHAEL, Zeitschr. d. geol. Ges., 1894, S. 697. Mit junger Brut in der Wohnkammer (Breslau). 0. Thoro OPr. S.,:bei E. oft mit Sipho erhalten. OPrPEL, das., S. 250, Taf. LXVIIL, Fig. 6, 7. Perisphinctes Bleicheri OPP. P. Rüppellianus OPpr. P. ulmensis Orr. Bei Ss. auch plastisch erhalten. Kirchbuch bei Pietenfeld. OPPEr, das., S. 261, Taf. LXXIV, Fig. 14. Aspidoceras aporus OPP. S. OPpEL, das., S. 258, Taf. LXXIII, Fig. 1—3. A. avellanus OPr. A. hoplisus Orr. S.E. OFPEL, das., S. 259, Taf. LXXII, Fig. 4, 5. \ A. latus Vorız. Meist nur nach den Aptychen bekannt, häufig E. s. OPpeper, das., S. 256, Taf. LII, Fig. ı 2: A. Pipini Orr. Selten Ss. OPppeL, das., S. 257, Taf. LXXII, Fig. 3a—e. Waagenia Autharis Orr. E. S. OPPEL, das., S. 255, Taf. LXXI, Fig. 4—0. W. hybonota Opr. S., mit Austern bewachsen; auch in Südtirol gefunden. OPepEL, das., S. 254, Taf. LXXI, Fig, 1—3. ; Olcostephanus Gravesianus DORB K.? D’ORBIGNY, Terr. jurass., S. 559, Taf. CCXIX, Fig. 1, 2. Haploceras elimatus OPpe. " | H. Staszycii ZEUSCHN. Am häufigsten sind die Aptychen, von denen man alle Alterstadien überall sammeln kann. 3. Ordnung. Dibranchiata. I. Unterordnung. Decapoda. 1. Familie. Prragmophora. Belemnites acicula Münsr. S. B. hastatus BLamv. N. häufig. v. ZIETEN, Verst. Württembergs, S. 32, Taf. XXIV, Fig. 8. ET 171 Die Fauna der Solnhofener Plattenkalke. By B. semisulcatus Münst. E.K. S. Vereinzelt oder in Gruppen, häufig. Bisweilen mit Austern bewachsen. Man sieht, wie das Wachstum beider Tiere gleichen Schritt hielt und die Austern in demselben Maße sich vergrößerten wie das Rostrum; es handelt sich also um eine Symbiose beider Formen. Ostracotheutis superba ZIITEL. E. 10—20 Exemplare pro Jahr. Trachyteuthis ensiformis MEYER. E. S. N. D. Bei E. jährlich einige Exemplare, bei s. häufiger. Palaeontogr., Bd. IV, S. 106. T. hastiformis RÜrpeL. N. Leptoteuthis alatus.. E.D. L. gigas MEYER. E. S. D. N. 5—ıo pro Jahr. Theutopsis oblonga WAaGn. D. T. princeps WAaGn. E. sehr selten. Kelaena conica WaGn. D. K. scutellaris Münst. E. D. Selten, aber mit Tintenbeutel und Armen gut erhalten. Münsr,, Beitr., Heft 5, S. 96, Taf. I, Fig. ı. Plesioteuthis acuta Münst. Wohl eine Jugendform der folgenden Art. Pl. prisca Rüpr. („Spieß“). Häufig E. (40 Stück pro Jahr) s. n. Breitenhill. 2. Unterordnung. Octopoda. Acanthoteuthis. Der Leib ist bei E. meist maceriert, aber Kopf mit Armen gut erhalten; sie liegen, als wenn sie passiv geschleppt wären. Bei S. besser erhalten. Eine Platte des Berliner Museums (JaEkEL, Zeitschr. d. geol. Ges, 1899, Sitzber., S. 36) zeigt, daß das Tier über den Schlamm gekrochen ist. Die mit scharfen Haken besetzten Arme sind spiralig gebogen und viermal hintereinander in den Boden eingedrückt worden (vergl. Fig. 17). A. antiqua MoRRIS. A. Ferussacei MÜnsr. A. spinosa MüÜnsr. VI. Stamm. Arthropoda. I. Klasse. Crustacea. ı. Ordnung. Cirripedia. Archaeolepas Redtenbacheri Orr. K. nicht selten, gruppenweise festgewachsen. Orrer, Paläont. Mitteil,, S. 116, Taf. XXXVIII, Fig. 6. A. Quenstedti v. Ammon. Ebenwies bei Regensburg. 2. Ordnung. Copepoda. Fehlen. 3. Ordnung. Ostracoda. Fehlen bei E. Ss, kommen aber im Ulmer Cementmergel vor. v. GÜMBEL, Sitzungsber. d. B. Akad. d. Wissensch., M.-Ph. Klasse, 1871, S. 70. 4. Ordnung. ZPhyllopoda. Fehlen. 5. Ordnung. Xiphosura. Limulus Walchi Desm. MÜNSTER, Beitr. z. Petrefaktenkunde, Heft I, S. 71; Heft III, S. 26. Die größten und schönsten Exemplare bei P. und S. kleinere bei E. Z.? N. Sehr häufig ist die Fährte erhalten. Rechts und links die kommaförmigen Eindrücke der Beine, dazwischen die Schlepp- spur des Telsons (vergl. Fig. ı1). Sie ist bis Io m weit verfolgt worden, und jedesmal findet man am 22* 172 Die Fauna der Solnhofener Plattenkalke. 172 Ende den Krebs, der bisweilen, ehe er verendet, mehrere Male mit den Schwanzstachel auf den Schlamm + geschlagen hat. 30—50 Exemplare im Jahr. 6. Ordnung. Zsopoda (Asseln). Urda punctata Münsr. MÜNSTER, Beitr. z. Petrefaktenkunde, Heft III, S. 19; Heft V, S. 77. U. rostrata Münst. E. 40—50 Exemplare im Jahre, viele schlecht erhalten. MÜNSTER, das. i Aegites Kunthi v. AMMOoNn. v. Ammon, Sitzungsber. d. B. Akad. d. Wissensch., M.-Ph. Klasse, 1882, S. 507. 7. Ordnung. Amphipoda. Fehlen. 8. Ordnung. Siomatopoda. Skulda pennata Münst. E. 40 Stück im Jahr, besonders bei Schernfeld. MÜNSTER, Beitr., Heft III, S. 19, Taf. I, Fig. 6—8. KUNTH, Zeitschr. d. geol. Ges., 1870, S. 771. S. pusilla Kunm. S. spinosa KUNTH. 9. Ordnung. Decapoda. I. Unterordnung. Macrura. Penaeus intermedius OPP. S. Opper, Paläont. Mitteil., S. 95, Taf. XXV1. Fig. 4. P. latipes Orr. Selten S. OPpEL, das., S. 95, Taf. XXVI, Fig. 5. P. Meyeri Orr. Kleinste Art, von S. OPPpEL, das., S. 96, Taf. XXVI, Fig. 2, 3. P. speciosus Münst. Gemein bei K. und besonders E, auch S.N. c. ÖOPrPEL, das., S. 92, Taf. XXV, Fig. 5, Taf. XXVI, Fig. ı. Die Stücke von N. sind bei Seitenlage gut erhalten, bei Bauchlage sind jedoch die Beine meist abgefallen und beschädigt. Acanthochirus angulatus OPPr. E. S. häufig. OPPpEL, das., S. 99, Taf. XXVII, Fig. 4. A. cordatus MÜNST. E. S. OPPEL, das., S. 98, Taf. XXVIJ, Fig. 3. A. longipes Orr. E. S. ÖOPPpEL, das., S. 98, Taf. XXVII, Fig. 1. Bylgia Haeberleini Münst. B. Z. E S.D. ÖPPEL, das., S. 101, Taf. XXVIII, Fig. 2, 3. B. hexadon Münstr. Ss. ein Exemplar (München). OPpEL, das., S. 101, Taf. XXVIII, Fig. ı. B. spinosa Münst. E. ein Exemplar (München). OPPEL, das., S. 100, Taf. XXIX, Fig. 1. Drobna deformis Münst. B. Z. E. S. M. D. überall selten. ÖOPPEL, das., S. 106, Taf. XXIX, Fig. 2—0. Dusa Bronni Orr. Ein Stück s. (München). OPerEL, das., S. 108, Taf. XXXII, Fig. 3. 173 Die Fauna der Solnhofener Plattenkalke. 173 D. denticulata Münst. E. S. selten. OPPEL, das., S. 108, Taf. XXXIIJ, Fig. 2. D. (monocera MÜNSTER) Münsteri Opp. E. (häufiger bei B.) 10 Exemplare S. c. OPPEL, das., S. 107, Taf. XXXII, Fig. 1. Aeger armatus OPr. S. selten. ©PPper, das., S. ıır, Tat. XXXVI, Eig. 1, 2, 3. A. Bronni Orr. Ein Stück s. (München). OPpEL, das., S. ııı, Taf. XXXV, Fig. 1. A. elegans Münst. E. S. je ein Stück (München). OPPEL, das., S. III, Taf. XXXV, Fig. 2. A. insignis OPP. S. OPPEL, das., S. 1Io, Taf. XXXIIIJ, Fig. ı. A. tipularius SCHLOIH. Bei E. jährlich 50 Stück, in S. meist Bruchstücke. N. OPPpEL, .das., S. IIo, Taf. XXXIV, Fig. 1, 2. Blaculla brevipes Münst. Selten Ss. OPPEL, das., S. 103, Taf. XXX, Fig. 4. B. nicoides Münsr. Selten E. S. OPPEL, das., S. 103, Taf. XXX, Fig. 3. B. Sieboldi Oper. Ein Stück s. (München). OPPEL, das., S. 104, Taf. XXX, Fig. 1, 2. Udora brevispina Münst. Selten E S. (10 Stück ım Jahr). Orzsr, das, S. 112, Tat XRXVIL, Eig. 1, 2. Udorella Agassizi Oppr. Je ı Stück K. (München) und Schernfeld. OPPEL, das., S. 105, Taf. XXXI, Fig. 1, 2. Hefriga Frischmanni Orr. Selten E. S. OPPEL, das., S. 114, Taf. XXXVIIIJ, Fig. 3. H. serrata Münst. E. 8—ı0 Stück im Jahr, S. N. OPPETA das, S.113, Rat EXXSSVIIT, Big. T, 2. Elder ungulatus Münst. Häufig nur im Umriß erhalten. E.S. M. OPPEL, das., S. 115, Taf. XXXVIII, Fig. 4, 5. Eryon arctiformis SCHLOTH. K., sehr selten E. häufig S. und M.; N. OPPEL, das., S. 15, Taf. III, Fig. ı. E. bilobatus Münst. Selten E. S. OPPEL, das., S. 16, Taf. III, Fig. 2. E. elongatus Münstr. Selten S. OPPpEL, das., S. 15, Taf. II, Fig. 4. E. orbiculatus Münst. E. S.N. OPPEL, das., S. 14, Taf. II, Fig. 3. E. propinquus SCHLOTH. Vereinzelt E. S. M.N.C. OrprWadase ser) Wat I, Hier 2,, 3,4; Taf. II, Eie. r. E. Redenbacheri Münstr. Selten E. S. N. OPEL, das., S. 18, Taf. III, Fig. 6, 7. E. Schuberti MEvEer. Häufig E., nicht S. OPPEL, das., S. 18, Taf. III, Fig. 5. E. spinimanus Ger“. Selten S. und N. OPPEL, das., S. 13, Taf. II, Fig. 2. 174 Die Fauna der Solnhofener Plattenkalke. Mecochirus überall häufig (200 Stück im Jahr), meist aber schlecht erhalten. M. Bajeri Münst. E. S. OPPEL, das., S. 83, Taf. XXIII, Fig. 2. M. brevimanus MÜnst. E.S.cC. OPPpEL, das., S. 84, Taf. XXII, Fig. 5. 6. M. longimanus SchLorm. Die häufigste und größte Art. OPPEL, das., S. 82, Taf. XXII, Fig. 4; Taf. XXIII, Fig. ı. M. dubius Münsr. Vielleicht eine Jugendform. Ss. OppeL, das, S. 84, Taf. XXIIL, Fig. 3. Palinurina longipes MÜnst. E. 60 im Jahre, nicht bei Ss. OPPEL, das., S. 86, Taf. XXIV, Fig. ı. P. pygmea Münsr. E. OPppEL, das., S. 87; Taf. XXIV, Fig. 2. P. tenera Orr. E. OPPEL, das., S. 86, Taf. XXIIL, Fig. 4. Cancrinus claviger Münst. Selten s. (verlassener Bruch von Moritzbrunn). OPPEL, das., S. 88, Taf. XXIV, Fig. 3. C. latipes Münst. S. o. OPppeEL, das., S. 88, Taf. XXIV, Fig. 4. Glyphea pseudoscyllarus SCHLOTH. E. und S 6—1o Stück im Jahre. OPrerEL, das., S. 72, Taf. XVII, Fig. 2; Taf. XIX, Fig. 1—5. G. squamosa Münsr. Selten S. OPPpEL, das., S. 75, Taf. XX, Fig. ı. G. tenuis Orr. ı Stück E. Oassiz, Gas, >» 720, lei OS, am, 2, 3 Eryma elongata MÜnst. E. S. Omas, des, 8, 377, Nam WANN, IN, ii, 2: E. fuciformis SCHLOTH. Häufig K. E. S. D. N., sehr häufig z. OPPEL, das., S. 41, Taf. IX, Fig. 2—6. E. leptodactylina GERm. Häufig K. E. S.N. OPpEL, das., S. 35, Taf. VII, Fig. 1—4. E. minuta SCHLOTH. E. S. OPPEL, das., S. 39, Taf. VIII, Fig. 6, 7, 8. E. modestiformis SCHLOTH. Häufig. Van, das, 8. 39, lan WAL, Me, 5, ©, 7, & E. Veltheimi Münsr.? ı Stück (München). OPPEL, das., S. 36, Taf. VII, Fig. 5. E. verrucosa Münst. ı Stück E. (München). OPpper, das., S. 38, Taf. VIII, Fig. 5. Pseudastacus Münsteri Opp. ı Stück Ss. ÖOPPEL, das., S. 45, Taf. XI, Fig. 2. P. pustulosus Münst. E. S. ziemlich selten (5 Stück im Jahre). Oprer, das, S. 44, Taf. X, Fig. 4, 5, Taf. XI, Fig. ı. Stenochirus angustus Münst. ı Stück Flonheim bei s. (München). OPPEL, das., S. 20, Taf. IV, Rig, 3, 4. Die Fauna der Solnhofener Plattenkalke. 175 5 St. Meyeri Opr. 2 Stück s. (München). OPPEL, das., S. 20, Taf. IV, Fig. ı, 2. Etallonia longimana Münst. Selten S. OPPEL, das., S. 49, Taf. XII, Fig. 5, 6, 7. Magila suprajurensis Opr. Z. E. selten. Dagegen sind die Scheren ungemein häufig in den gleichalterigen Krebsscheerenplatten. VID. Stamm. Wirbeltiere. I. Klasse. Fische. I. Unterklasse. Zeptocardü. Fehlen. II. Unterklasse. Cyelostomi. Fehlen. III. Unterklasse. Se/achii (Knorpelfische). ı. Ordnung. ZPlagiostomi (Quermäuler). ı. Unterordnung. Syualıdae (Haie). ı. Familie. NVotidanidae (Grauhaie). Notidanus eximius WAGN. E. D.N,., bei E. auch Jugendformen; wird 2 m groß. WAGNER, A. M. Akad., Bd. IX, S. 292, Taf. I, Fig. 2. N. intermedius Wacn. Ein Zahn von Mühlheim. WAGNER, A. M. Akad, Bd. IX, S. 299, Taf. I, Fie. 3. N. serratus FR. N. “N. Wagneri Ac. S. WAGNER, A. M. Akad., Bd. IX, S. 296. 4. Familie. Cestracionidae. - Acrodus falcifer Wan. E.S. L., bei E. besser erhalten. WAGNER, A. M. Akad., Bd. IX, S. 301, Taf. II, Fig. 1. 5. Familie. Scy/idae (Hundshase). Palaeoscylliium formosum Wacn. E. S. jährlich ı—2 Stück. WAGNER, A. M. Akad., Bd. IX, S. 289, Taf. II, Fig. 2. Pristiurus exirius Wacn. 2 Stück E. 7. Familie. Zamnidae (Riesenhaie). Sphenodus nitidus WAGnN. S. WAGNER, A. M. Akad., Bd. IX, S. 290, Taf. I, Fig. 4. ı1. Familie. Sguatınıdae (Meerengel). Squatina alifera Münst. Häufiger E. als S. MÜNSTER, Beitr., Heft V, S. 62, Taf. VII, Fig. ı. WAGNER, A. M. Akad., Bd. IX, S. 305. Die kleine Jugendform Su. speciosa wurde in 4 Exemplaren bei Workerszell gefunden. Etwa 8 große und 10 kleine bekannt; auch bei N. mehrere Exemplare mit der Chagrinhaut trefflich erhalten. Bei c. kommt Syu. catulina vor. 2. Unterordnung. Datordei (Rochen). 6. Familie. Arhinobatidae. Spathobatis mirabilis WaGn. E. etwa 6 bekannt; müssen sehr ruhig gestorben sein, eins ist in Verwesung begriffen. Am Wintershof fanden sich 2 in derselben Schicht, die von Nord nach Süd hintereinander geschwommen sind; das Männchen voraus (EHRENSBERGER).. WAGNER, A. M. Akad., Bd. IX, S. 313. I 76 Die Fauna der Solnhofener Plattenkalke. 17 6 Sp. Münsteri Ac. Beruht auf einer Brustflosse. Asterodermus platypterus Ac. Selten K. E. und S. v. MEvER, Palaeontogr., Bd. VII, S. 9, Taf. ], Fig. 1. A. titanius v. MEvER. K. ein Kopf von 40 cm Breite 2. Ordnung. Zolocephali (Seekatzen). Ischyodus avita MEYER. ı Exemplar gut erhalten. Mehrere Bruchstücke von K., wohl halb verwest und durch die Brandung zerrissen; vielleicht Jugendform. Rızss, Palaeontogr., Bd. XLIV, S. ı4, Taf. I, Fig. 6, 7; Taf. II, Fig. 8. I. Quenstedti Wasn. Einige Bruchstücke von K. L. gut erhalten in der Melbe. s. Rızss, Palaeontogr., Bd. XLIV, S. 6, Taf. I, II. I. Schuebleri QuENST. K. RızEss, das. I. suevicus PruLrpprL. Stachel und Knochen von N. Rızss, Palaeontogr., Bd. XLIV, S. ı, Taf. I, II. Chimaeropsis paradoxa Zırt. ı Stück E. Bruchstück s. Rızss, das., S. 21, Taf. II, Fig. 9—ı1; Taf. III, Fig. 1—ıo0. Ein isolierter Flossenstachel von K. gehört zu Asteracanthus ornatissimus Ac. IV. Unterklasse. Drpnoi (Lurchfische). Fehlen. V. Unterklasse. Ganozdei (Schmelzschupper). 6. Ordnung. Crossopterygidae (Quastenflosser). 2. Familie. Coelacanthini. Undina acutidens Reis. Z. Reıss, Palaeontogr., Bd. XXXV, S. ıo, Taf. I, Fig. 1—6, 8—24. U. minuta WAcn. Reıss, das., S. 6, Taf. I, Fig. ı. U. penicillata MÜNSTER. K. E. Z. etwa 20 bekannt, bei s. nur Bruchstücke. RIES, Geis, I 20, Ateıe, ING, Inter, 5, ©, ©), os Taun INW, Ihn 2, Alo Libys polypterus MÜNSTER. K. Reıss, das., S. 37, Taf. III, Fig. 1— 11. L. superbus Zırt. 2 Stück K. I Z, Reıss, das., S. 41, Taf. II, Fig. 1—4. Coccoderma bavaricum Reis. Reıs, Palaeontogr., Bd. XXXV, S. 60. C. gigas Reıs. Reıs, das, Bd. XXXV, S. 57, Taf. III, Fig. 17— 19. C. nudum Reis. Reıs, das, Bd. XXXV, S. 60. C. substriolatum HUuxLey. C. suevicum QOUVENSTEDT. Nusplingen. Or Rass, das, Ba. XOOXV. 5, 57, Tataly. Rio orange 7. Ordnung. Zeterocercı. Coccolepis Bucklandi Ac. Selten E. S. Acassız, P. F., Bd. II, S. 300, b. 284, Taf. XXXVI, Fig. 6, 7. 177 rodus). Die Fauna der Solnhofener Plattenkalke. 177 8. Ordnung. Zeprdosteidae. Die lebenden Verwandten bewohnen die Flüsse Nordamerikas. ı. Familie. Siylodontidae (Griffelzähner). Heterostrophus latus WaGn. S. selten. WAGNER, Abh. M. Akad., Bd. IX, S. 614. ? Heterolepidotus Sp. 4 Stück K. 2. Familie. Sphaerodontidae (Kugelzähner). Lepidotus armatus Wacn. S. WAGNER, Abh. M. Akad., Bd. IX, S. 620. L. decoratus WaGn. I Stück S. WAGNER, Abh. M. Akad., Bd. IX, S. 626, Taf. VI, Fig. 2, 2a. L. gigas Ac. S. L. intermedius WAGNn. IK. WAGNER, Abh. M. Akad., Bd. IX, S. 627, Taf. VI, Fig. 3. L. maximus Wacn., selten gut erhalten, meist vereinzelte Schuppen, Knochen und Zähne (SpAae- K. E. S. Schnaitheim. WAGNER, Abh. d. M. Akad., Bd. IX, S. 629. L. notopterus AG. die kleinste Art (Jugendform?). K.E. S. Acassız, P.-F., Bd. II, S. 257, Taf. XXXV. L. oblongus AG. E. S. Acassız, P. F., Bd. II, S. 259, Taf. XXXIVa, Fig. 1—3. L. pustulosus WAGN. S.D. L. subovatus, Jugendform? L. unguiculatus AG. 2. D. IGASSI SER BASTI. S. 257, Wat, XXX, Big 79, 3. Familie. Sauwrodontidae. Eugnathus macrodon Wacn. WAGNER, Abh. d. M. Akad., Bd. IX, S. 671. E. microlepidotus AG. Selten E. D. N., liegt immer gekrümmt, als wenn er sich bewegt hätte. INGASSTZE BE RR, Bar II, 2, S. ToA. WAGNER, Abh. M. Akad., S. 673. Pleuropholis laevissima Ac. Selten E. WAGNER, Abh. M. Akad., Bd. IX, S. 668. Pholidophorus dentatus Ov. N. Ph. intermedius MÜnsr. x Acassız, P. F, Bd. I, S. 279, Taf. XLII, Fig. 3. Ph. macrocephalus Ac. K.E. 12 Stück im Jahr. s. Weltenberg. Langenaltheim. INGNSST7AE ER Bel NSS 274, at IE, DIET, Ph. latus Ac. N. INGASSIZEPSHL, Bd IS. 2786, 288, Tal. XLI, Bl. Tr. Ph. micronyx Ac. K. Agassız, P. E., Bd. II, S. 279, Taf. XLII, Fig. r. Ph. microps AG. S. INCASSTZE BR, Bar 11, 52275, Tat. XOCXVI, Bis, 1. Jenaische Denkschriften, XI. 23 Festschrift Ernst Haeckel. 178 Die Fauna der Solnhofener Plattenkalke. 1 78 Ph. ovatus Wacn. E. WAGNER, Abh. M. Akad., Bd. IX, S. 666. Ph. tenuiserratus Ac. N. Isopholis brevivelis WAGn. Selten E. I. latimanus Ac. Selten K. E. A'GAssız, BB, Bdr 172572807 Data xITeBlero: I. Münsteri Ac. K. Z.E. S. Ophiopsis attenuata WAGN. E. WAGNER, Abh. M. Akad., Bd. IX, S. 655. O. intermedia WAGN. WAGNER, Abh. M. Akad., Bd. IX, S. 657. O0. Münsteri AG. K. WAGNER, Abh. M. Akad., Bd. VI, S. 60. O0. procera Ac. S. Acassız, P. F., Bd. II, S. 289, Taf. XLVIII, Fig. 1. 0. serrata WaAsn. e.Nseirz, 12, a, loch IL, 5 270, Mer SALINE, Seiner Ai. Eusemius Beatae VEITER. Selten E. Propterus („Bürschling“). K.; 5 jährlich bei E.; Hofstetten. Ss. P. denticulatus Äc. Acassız, P. F., Bd. II, S. 294, Taf. L, Fig. 1—5. P. elongatus Wacn. Selten E. WAGNER, Abh. M. Akad., Bd. IX, S. 645. P. gracilis WAGNn. E. S. P. microstomus AG. Selten E. Acassız, P. F., Bd. II, S. 206, Taf. L, Fig. 6—8. P. speciosus WAaGn. Selten E. WAGNER, Abh. M. Akad. Bd. VI, S. 67, Taf. IV, Fig. ı. P. Zieteni Ac. (/Votagogus.) NGASSIz PER, Bd. ll, 2S.2r0,,293,, Bat le SRliesr. Notagogus denticulatus MÜNST. Acassız, P. F., Bd. II, S. 294, b. 289, Taf. L, Fig. ı—5, Bl. 11. Histionotus Oberndorferi WAGN. 2.K. WAGNER, Abh. M. Akad., Bd. IX, S. 650, Taf. II. Macrosemius insignis Wacn. Selten S. WAGNER, Abh. M. Akad., Bd. IX, S. 648, Taf. II. M. latiusculus Wan. M. rostratus Wasn. Selten E. S. 4. Familie. Arynchodontidae. Aspidorhynchus in K. meist zerfallen, häufig bei E., selten S. L. D., oft ist nur der Kopf mit an- hängendem Darm erhalten. A. acutirostris Ac. Häufig. AGASSTZEP.ERR, Bd IIp,2S2 730,5 Nat os TEVIE 179 Die Fauna der Solnhofener Plattenkalke. 179 A. mandibularis AG. K. E., kommt wahrscheinlich meist von Breitenhüll. Acassız, P. F., Bd. IIb, S. 138, 296. WAGNER, Abh. M. Akad., Bd. IX, S. 684. A. obtusirostris AG. Selten E. WAGNER, Abh. M. Akad., Bd. IX, S. 687. Belonostomus Kochi MÜnsT. K. WAGNER, das., S. 689. B. Münsteri Ac. Groß und häufig D. . pygmaeus Wk. E. B. sphyraenoides Ac. (K.?) E. S. (Z.?) Acassız, P. F., Bd. IIb, S. 140, Taf. XLVIIa, Fig. 5. B. tenuirostris Ac. Häufig E. S. Acassız, P. F., Bd. IIb, S. 143, 297. W 9. Ordnung. Amiadae. Die lebenden Verwandten bewohnen die Flüsse Nordamerikas. 1. Familie. Miecrolepidott. Hypsocormus insignis Wan. Selten K. E. S., ein schönes Exemplar am Hummelbereg. WAGNER, Abh. M. Akad., Bd. IX, S. 677. H. macrodon WAacGn. Bruchstücke K, E. Sauropsis longimanus ÄG. E. selten. INGASSTZE PER Bde 11. Sı 127, Tat, IX. Diplolepis SP. VETIER. E. Agassizia titania Wacn. Selten E. Der Riese unter den Jurafischen (2 m). 2. Familie. Cyclolepidoti. Caturus contractus Wacn. Selten Ss. WAGNER, Abh. M. Akad., Bd. IX, S. 705. C. cyprinoides WAacn. 3 E. WAGNER, Abh. M. Akad., Bd. IX, S. 702. C. elongatus Ac. Selten E. S. INGASSYABTER- BA NES TTS, 295. c. furcatus Ac. (C. maximus von Pointen ist ein besonders großes Exemplar derselben Art.) Häufiger K. E. S. L. D. N. C., gut erhalten bei K. und E. meist zerfallen bei Ss. fast alle Exemplare haben Futterfische (Zeftolepis) im Leib. INGASSTABBERF Bd Se rro, Dat. EVIa. C. granulatus MÜNST. K. WAGNER, Abh. M. Akad., Bd. IX, S. 706. C. macrurus Ac. Häufig E. S. in verschiedener Größe. WAGNER, das., S. 706. C. microchirus Ac. Selten E. S. Acassız, P. F., Bd. II, S. 118, 294. C. pachyurus Ac. K.E. S. WAGNER, Abh. M. Akad., Bd. IX, S. 704. C. subovatus Münsr. MÜNSTER, N. Jahrb. f. Min., 1842, S. 44. 23* 180 Die Fauna der Solnhofener Plattenkalke. Strobilodus giganteus Wacn. Selten E. S. N. häufiger bei K., aber schlechter erhalten. WAGNER, Abh. M. Akad., Bd. VI, S. 75, Taf. II. S. suevicus Or. N. Liodesmus gracilis Münst. Selten K. Z. E. Acassız, P. F., Bd. II, S. 285, Taf. XLII, Fig. 2. L. sprattiformis Wan. Selten Ss. Eurycormus speciosus WAGNn. Selten K. in E. meist zerfallen, ı Stück N. verwesend. WAGNER, Abh. M. Akad., Bd. IX, S. 709, Taf. IV. Callopterus Agassizi ImioLL. ı Bruchstück K. ı gut erhaltenes Exemplar s. Oligopleurus cypriniodes WaGn. I Stück K. cC. Oenoscopus esocinus WAGN. K. Schernfeld. Macrorhipis Münsteri WAGn. Selten, Pointen bei K. WAGNER, Abh. M. Akad., Bd, IX, S. 724, Taf. VII. M. striatissima Münst. Selten K. WAGNER, das., S. 726. Aethalion Blainvillei Wan. Selten E. MÜNSTER, Beitr. z. Petref., Heft V, S. 60, Taf. V, Fig. 3. A. crassus AG. Selten E. Acassız, P. F., Bd. IIb, S. 131, Taf. LX]Ja, Fig. 5. A. tenuis MÜnsr. 3. Familie. ZZalecomorphi. Megalurus altivelis Wan. WAGNER, Abh. M. Akad. Bd. IX, S. 716. M. brevicostatus Ac. Selten K. INeyAcSr7, 18, 19, Isxah, JUL, 2, 8 114177, Men IL, Taten, 2% M. elegantissimus WAGN. Selten. WAGNER, Abh. M. Akad., Bd. IX, S. 720, Taf. V, Fig. 2. M. elongatus Münsr. Selten. Acassız, P. F., Bd. II, 2, S. 148, Taf. LI, Fig. ı, 2. M. grandis Wacn. Selten E. WAGNER, Abh. M. Akad., Bd. IX, S. 714. M. lepidotus Ac. Acassız, P. F., Bd. Ila, S. ı3, 146, Taf. LJa. M. polyspondylus Münsr. Selten E. WAGNER, Abt. M. Akad., Bd. IX, S. 718. Eine kleinere Form kommt nicht selten am Blumenberg bei E. vor: Lophiurus minutus VEITER. E. 10. Ordnung. Pycnodontidae. Gyrodus hexagonus BLamv. Zahlreich S. WAGNER, Abh. M. Akad., Bd. VI, S. 40, Taf. III, Fig. ı. G. macrophthalmus AG. K.E. Acassız, P. F., Bd, I, S. 224, Taf. LXVI. WAGNER, Abh. M. Akad., Bd. VI, S. 28. Die Jugendformen sind als G. gracılis von K. bekannt. 180 181 Die Fauna der Solnhofener Plattenkalke. 181 G. platurus Ac. Ss. WAGNER, Abh. M. Akad., Bd. VI, S. 46. G. rugosus MÜNST. K.S.N. INGAssız, PB: RE}, Bd: Tlb, S. 227, Tatı PXIX. G. titanius Wacn. Pointen, K. S. D. (Schnaitheim?) N. WAGNER, Abh. M. Akad., Bd. VI, S. ıo, Taf. I. Microdon elegans Ac. Häufig K., selten s. Eine Jugendform ist als M. nanus beschrieben. Acassız, P. F., Bd. IIb, S. 205, Taf. LXIXb. Mesodon. Sehr schön erhalten Z., bei E. etwa ıo Stück jährlich. M. Heckeli Wan. S, WAGNER, Abh. M. Akad., Bd. IX, S. 345, Taf. I, Fig. 5. M. macropterus AG. E.C. WAGNER, Abh. M. Akad., Bd. VL S. 49, Taf. IV, Fig. 2. M. pulchellus Wacn. Eine Jugendform, die gut erhalten bei Dollnstein vorkommt, ebenso bei E. WAGNER, das., S. 351. Mesturus verrucosus WAGn. Selten K. E.(?) VI. Unterklasse. T7eleoster, Knochenfische. Leptolepis („Goldfischli“). L. Knorri AG. E. S. zahlreich. WAGNER, Abh. M. Akad., Bd. IX, S. 740. L. macrolepidotus AG. Jugendliche Zwergform S. L. polyspondylus AG. Selten E. S., häufig c. MNERSSTEPBERERAdGIIES7 133, Tat IXT, Big, 7,8: L. sprattiformis AG. Die häufigste Form E. S., Langenaltheim, n. Besonders zahlreich in den liegenden Schichten bei Langenaltheim, wo sie mehrere Horizonte bilden. Sie sind hier meist paarweise geschwommen und so eingebettet worden, während sie bei E. vereinzelter vorkommen. Thrissops („Häring“). Nur vereinzelt, meist gut erhalten, haben oft kleine Zepzo/eprs im Schlund. Große Formen ziemlich häufig bei Breitenhüll. Bei E. seltener als bei s. Th. formosus AG. Häufig K., seltener E. NEASS 7 Pk Bd Ip Sı 724, Wat. 1X Va. Th. propterus Wacn. Selten E. WAGNER, Abh. M. Akad., Bd. IX, S. 735. Th. salmoneus Ac. Zahlreich K. E., selten S. D. cC. Acassız, P. F., Bd. IIb, S. 128, 293. Th. subovatus Münsr. Selten K. INCASSZWRERN Bdr Ib SS: 128: WAGNER, Abh. M. Akad., Bd. IX, S. 734. II. Klasse. Amphibia. Fehlen. IU. Klasse. AReptilva. 1. Ordnung. Zchthyosauria. Ichthyosaurus posthumus WAGn. K.E.S. M.D. Das beste Stück vom Hummelsberg bei s. F. Bauer, Palaeontogr., Bd. XLIV, S. 314, Taf. XXVI, XXV1. 2. Ordnung. Sauropterygia. Pliosaurus giganteus Wacn. Eine 23 cm langer Zahn von K. 182 Die Fauna der Solnhofener Plattenkalke. 182 3. Ordnung. Zestudinata (Schildkröten). Die meisten Schildkröten werden in K. gefunden. Eurysternum Wagleri v. MEvER. Io K., I Z, 2 E„ 2 S. c. Gehört nach WAGNER zu den Süß- wasserformen. Die Jugendformen wurden als A//ax beschrieben. ZiTTerL, Palaeontogr., Bd. XXIV, S. 175. Parachelys eichstädtensis? E. v. MEYER, Palaeontogr., Bd. XI, Taf. XLV. Idiochelys Fitzingeri. 6 K. Hydropelta Meyeri lHIOLL. 3 K. Platychelys Oberndorferi WAGN. 3 K. Ist mit den Flußschildkröten Nordamerikas nahe verwandt. Kephissus Oweni Münst. Einzelne Knochen Ss. Von den Eidechsen und Crocodiliern gehören wahrscheinlich folgende Formen zur Fauna des Wassers: Pleurosaurus Goldfussi v. MEvER. Der schlangenähnliche Körper mit seinen kurzen rückgebildeten Füßen und einem langen, von einem schmalen Flossensaume umzogenen Schwanz war für die Bewegung im Wasser angepaßt. ı K, I E. Iı D. und im c. Eine Jugendform als Acrosaurus beschrieben. v. MEyER, Fauna der Vorwelt, Bd. IV, S. 118, Taf. XIV ; Aeolodon brevipes WAGN. I D., I E. (Worckerszell). v. MEYER, das., S. 94, Taf. XII, Fig. 4, 5. A. priscus SÖMM. K.E.D. v. MEyErR, Fauna der Vorwelt, Bd. IV, S. gr. Gnathosaurus multidens MÜünst. K, IS, v. MEyER, Fauna der Vorwelt, Bd. IV, S. 100, Taf. XXI, Fig. 1, 2. ? Ctenochasma gracile Orr. Ein Schädel s. vielleicht zu einem Flugdrachen gehörend; kann mit seinen zarten Fangzähnen nur Insekten gefangen haben. OPPpEL, Pal. Mitteil. d. Mus. München, Bd. I, S. 124. Geosaurus elegans Wan. 3 D, IN. WAGNER, Abh. d. math.-physik. Klasse Akad. München, Bd. VIII, 1858, S. 417. G. giganteus SÖMM. 2 D, 2 K. S. G. suevicus E. Fraas. 3 N. E. Fraas, Palaeontogr., Bd. XLIX, Taf. V, VI, VII, VIII. Alligatorium Meyeri JOURDAn. ı Pointen. Atoposaurus Oberndorferi MEYER. IK. C. v. MEYER, Fauna der Vorwelt, Bd. IV, S. 114, Taf. XII, Fig. 2. III. Die Bewohner des Festlandes. Neben den genannten halobiotischen Formen enthält die Fauna der Plattenkalke eine große Zahl geobiotischer Tiere und Pflanzen. Aber man findet dieselben keineswegs in besonderen, petrographisch verschiedenen Gesteinen oder in bestimmten Horizonten, sondern gleichmäßig mit den Tieren des Meeres gemischt. Gegenüber manchen anderen Fundorten, wo in wiederholter Wechsellagerung marine und brackische oder limnische Fossilien aufeinander folgen, sehen wir ohne den geringsten lithologischen Unterschied die Kalkplatten aufeinander folgen, und kein Sammler kann voraussagen, ob er unter einer bestimmten Platte einen marinen Fisch oder eine luftatmende Libelle erwarten darf. I 83 Die Fauna der Solnhofener Plattenkalke. L 83 Um so wichtiger erscheint es für unsere Aufgabe diese innig verbundenen Faunenelemente scharf auseinanderzuhalten, denn nur so können wir ein Bild der Entstehung jenes Faunengemisches erhalten. Von Landpflanzen sind auf den Plattenkalken am häufigsten Drachyphylhım Frischmanni und Palaeocyparis princeps (eine Reihe anderer Namen sind synonym). Beide‘ sind cypressenartige Gewächse, deren mit kurzen Blattschuppen besetzte Zweige bei Kelheim und Daiting sehr gut erhalten gefunden werden, während bei Eichstädt und Solnhofen mehr macerierte Wedel vorkommen, die anscheinend durch längeren Transport Blätter und Rinde verloren haben und oft nur noch den Holzkörper zeigen. In Nusplingen und Daiting kommen besonders schöne Ueberreste von Drachyphylhum longı- vamosum Nor; die wie bei einer Trauerweide lang herabhängenden Zweige müssen diesem Baum einen besonders ausdrucksvollen Charakter gegeben haben. Sehr interessant sind die mit Längsnerven versehenen Taxaceen. Ein 60 cm langer Wedel von Baiera longifolia der Münchener Sammlung stammt von Eichstädt; diese Pflanze kommt aber auch in Cirin vor. Zwei Blätter von Gingko flabellata ın der Münchener Sammlung vervollständigen die Flora. Auffallenderweise fehlen Wurzeln und Holzstücke. Ich habe nur ein Gebilde gesehen, das als ein Stück eines dickeren Astes betrachtet werden dürfte, und einige Kelheimer Platten sind mit wurzel- artigen Röhren durchsetzt. Von Farnen kenne ich (mehrere Arten? von) Zomatoßteris von K. Affecking und N. sowie Sphenopteris Münsteriana Görr., während Odontopteris jurensis nur aus Nusplingen bekannt ist. Trotz ihrer systematischen Unsicherheit sind einige bis 7 cm breite und 40 cm lange, schilf- ähnliche Blätter von besonderem Interesse. Die als Alsacıtes truncatus, /soetes crucıformıs, Bilobites fuliformis von Daiting beschrieben worden sind. Nach einer Platte des Münchener Museums müssen ganze Schilfdickichte hier gestanden haben. Unter den luftatmenden Tieren der Geobios spielen die Insekten die wichtigste Rolle. Sie setzen eine formenreiche Fauna zusammen, und es ist bemerkenswert, daß gerade die großflügeligen Formen vorwiegen, während kleinflügelige Insekten und die flügellosen Myriapoden und Arachnoiden vollständig zu fehlen scheinen. Man gewinnt den Eindruck, daß von einem reichbesiedelten Festland durch Stürme gerade die guten Flieger am weitesten vom Lande hinweggetragen werden konnten. Auch bei den Insekten bewährt sich der Satz, daß vollkommen erhaltene Exemplare häufiger sind als fragmentarische Teile; Jugendformen fehlen vollständig. Sie kommen völlig diffus in den Plattenkalken vor, und treten niemals in größeren Mengen auf; allerdings ist die Gegend von Eichstädt am reichsten. Kelheim scheint keine Insekten zu liefern, und bei Solnhofen sind sie überaus selten, obwohl das schönste und größte Exemplar gerade von hier stammt. I. Orthoptera. Am häufigsten von allen Insekten ist Mesoblattina lithophila GERMAR emend. DeEıchm. Die etwa 2 cm lange Schabe mit ihren großen Augen scheint wie ihre lebenden Verwandten ein nächtliches Leben geführt zu haben und deutet wohl auf schattige Wälder am Ufer des oberjurassischen Meeres hin. Die Heuschrecke Pycnophlebia speciosa GERMAR em. DEicHm. übertrifft an Größe die meisten exotischen Arten der Gegenwart. Sie spricht für ein warmes Klima und die Nähe eines größeren 18 A Die Fauna der Solnhofener Plattenkalke. 18 A Landes. Durch die kleineren Gattungen: Gryllacris, Phaneroptera und Conocephalus wird die Vermutung angeregt, daß sich auf diesem Land auch steppenartige Grasfluren ausdehnten. Daneben ist Cihresmoda obscura GERM. eine seltsam spezialisierte Gattung. Nach den Unter- suchungen von Haase') ist es eine biologisch den heutigen Wasserwanzen überaus ähnliche Form; ihre bis 9 cm langen, dünnen Beine befähigten sie, leicht über eine Wasserfläche zu laufen, und es scheint mir naheliegend, diese nicht seltene Art für einen endemischen Bewohner der Region zu halten. Unter den Neuroptera fallen uns zuerst einige Termiten auf. Mesotermes, Termes, Hagenio- Zermes mögen mit den Schaben zusammen die dunkleren "Waldesdickichte bewohnt haben, falls sie nicht wie viele recente Formen Erdbauten errichteten. Die Ephemeriden sind durch mehrere Arten vertreten; allein es ist sehr auffällig, daß keine derselben zahlreich vorkommt. Man sollte gerade von ihnen ganze Schwärme erwarten, und statt dessen sind sie seltene, vereinzelte Funde; daraus darf wohl der Schluß gezogen werden, daß die Einbettung derselben fern vom Lande erfolgt sein muß. Ueberaus häufig und meist wundervoll erhalten sind die Libellen: /sophlebia aspasıa Hac. Tarsophlebia eximia Has. Heterophlebia aegualıs Hac. Cymatophlebia longiolata GERM. Sie sind mit ihren oft 8S—ıo cm langen Flügeln wie auf einem Spannbrett ausgebreitet. Jedes Aederchen ist zu verfolgen, der Leib meist scharf gegliedert, doch bisweilen direkt hinter den Flügeln abgebrochen. Die Füße sind meist abgefallen. Die Odonaten sind nach dem Urteil aller Be- arbeiter die häufigste Insektengruppe der Plattenkalke; mehr als 30 Proz. aller Sammelstücke gehören zu ihnen; doch muß gesagt werden, daß bei Eichstädt kleinere Käfer u. s. w. ziemlich häufig sind, die nicht in die Sammlungen kommen, weil sie nur undeutliche Umrisse darbieten und daher nicht auf- gehoben werden. Von den echten Neuropteren kennt man außerdem einige Schlammfliegen (Wesosialis, Corydalıs, MNymphites) und Florfliegen (Osmyätes), und in diese Gruppe gehört auch ein im vorigen Jahr bei Solnhofen gefundenes Insekt, das wohl das schönste und größte Exemplar der Plattenkalkfauna ist und das ich zu Ehren Ernst Haeckers: Kalligramma Haeckeli n. gen. nennen will (Abbildung in natürlicher Größe auf Taf. VII). Auf einer 5 cm dicken Platte gelbgrauen lithographischen Steines liegen 3 Flügel fast vollständig erhalten. Die Flügelsubstanz ist in eine hellgraue Masse verwandelt, die sich als papierdünnes Blatt vom Gestein mehrfach abgelöst hat. Die 8,5 cm dicke Gegenplatte zeigt einen wundervoll erhaltenen Abdruck des Fossils, der manche Einzelheiten noch besser erkennen läßt als die Originalplatte, und daher auch zur photographischen Wiedergabe verwendet wurde. Der Versuch, durch Präparation den unvollständig erhaltenen linken Hinterflügel in das Gestein hineinzuverfolgen, mußte aufgegeben werden, da die organische Substanz verschwand. Es liegen ein Vorderflügel und 2 Hinterflügel vor, der Körper ist nur im Umriß abgedrückt, von den Beinen und Mundwerkzeugen ist keine Spur erhalten. Die Photographie der (Gregenplatte auf Taf. VII gibt das Flügelgeäder von oben gesehen wieder und entspricht also dem Bilde, das ein auf- gespanntes Insekt gewährt. ı) Haase, Neues Jahrb. f. Mineral., 1890, Bd. I. 18 5 Die Fauna der Solnhofener Plattenkalke. 18 5 Von den Vorderflügeln ist der rechte fast vollständig erhalten; nur ein 25 mm langes Stück des vorderen Hinterrandes ist eingerissen und nach vorn umgeklappt; auf der Platte kann man deutlich erkennen, daß die Flügelsubstanz hier doppelt so dick ist. Der Vorderflügel zeigt in seinem Umriß ganz die Form eines Lepidopterenflügels; aber der Aderverlauf läßt sofort erkennen, daß eine andere Gruppe vorliegt. Der Vorderrand ist flach gebogen und endet in einer gerundeten Spitze, von welcher ein fast geradliniger Außenrand zum Hinterrand führt. Die Länge des Vorderflügels ist 12 cm, seine größte Breite beträgt etwa 6 cm. In seiner Mitte, 7 cm von der Wurzel entfernt, bemerkt man ein deutlich gewölbtes Auge; es besteht aus einer ı mm hohen, warzenartigen Emporwölbung von 5 mm Durchmesser, umgeben von einem 3 mm breiten, vertieften „Warzenhof“. 3 flache Aderfalten verlaufen von der Basis in flacher Biegung über den ganzen Flügel und zerlegen ihn in 4 ungleiche Felder. Das Vorderfeld wird begrenzt vom Vorderrand und der ersten Faltenader. Es hat eine durch- schnittliche Breite von 5 mm. An der proximalen Seite erkennt man ein ganz unregelmäßig verästeltes Adernetz; doch etwa nach 2 cm entwickelt sich durch stärkere Betonung von nahezu parallel in der Diagonale nach vorn gerichteten Hauptadern und senkrecht dazu angeordneten Queradern ein sehr charakteristisches Geäder, das bis zum Apikalrand gleichartig verfolgt werden kann. 3 nahezu parallele Hauptadern bilden die Grenze zwischen dem Randfeld und dem folgenden Feld; sie vereinigen sich etwa ı7 mm vom Apikalrande. Das nächste Feld möchte ich das Augenfeld nennen. Es wird versorgt durch die dritte der genannten Adern, von welcher in Abständen von 7—ı2 mm 9 Seitenadern abgehen, die, durch zahllose Queradern verbunden, etwa 25 mm vom Apikalrande sich zu teilen beginnen und allmählich in den wellig gefalteten Apikalrand übergehen. Gegenüber dem Hinterflügel muß ich betonen, daß alle die genannten Seitenadern den Apikalrand erreichen. Das schon beschriebene Auge hebt sich deutlich aus dem Felde hervor. Drei nahezu parallele Adern bilden eine flache Rippe, welche das Augenfeld von dem hinteren Mittelfeld abtrennt. Dasselbe wird im Gegensatz zum Augenfeld von beiden Seiten mit Seitenadern versorgt, und zwar die größere, hintere Hälfte vom Hinterrande aus, ein dreieckiges Vorderfeld am apikalen Rande aber von der mittleren Hauptader. Dadurch, daß im Gebiet dieses Feldes ein Stück des Flügels eingerissen und umgeklappt ist, lassen sich einige Adern nicht in ihrem ganzen Verlauf verfolgen. Drei dicht nebeneinander verlaufende Adern begrenzen das Hinterrandfeld des Vorderflügels. Es wird von einer Hauptader durchzogen, welche nach hinten viele, sich rasch gabelnde und durch Queradern verbundene wellenförmige Seitenadern abgibt. Der Hinterrand wird von einer großen Zahl dicht gedrängter, etwas gebogener Falten gebildet. Der linke Vorderflügel scheint nicht auf dem schlammigen Boden festgeklebt gewesen zu sein und hat nur seine Spur in dem Augenabdruck hinterlassen, der deutlich erkennbar ist. Der Hinterflügel war etwas breiter als der Vorderflügel; da am rechten Hinterflügel der Vorderrand etwas lädiert ist, während der Hinterrand fast vollständig erhalten ist, dagegen vom linken Hinterflügel der marginale Teil tadellos zu verfolgen ist, ergänzen sich beide Flügel in trefflicher Weise. Auch hier werden durch 3 gefaltete Adergruppen 4 Felder gebildet. Das Vorderfeld ist etwas schmäler als am Vorderflügel; seine Breite beträgt etwa 4 mm. Der Basalteil ist teilweise zerstört, doch scheint auch hier wie am Vorderflügel das anfangs regellos gegabelte Jenaische Denkschriften. XL 24 Festschrift Ernst Haeckel. 186 Die Fauna der Solnhofener Plattenkalke. 186 Geäder nach 2 cm in den oben beschriebenen Aderverlauf überzugehen. Da, wo sich die 3 Haupt- adern nach hinten umbiegen und vereinigen, verbreitert sich das Vorderfeld bis auf 13 mm. Das Augenfeld ist an seiner breitesten Stelle etwa 36 mm breit und übertrifft das Augenfeld des Vorderflügels um etwa 8 mm. Damit hängt es auch zusammen, daß eine Seitenader, die das Auge etwa in der Mitte schneidet, dann blind endet, und das benachbarte Randfeld von einigen Seitenadern der nächstfolgenden Hauptader versorgt wird. Genau wie am Vorderflügel wird das nun folgende hintere Mittelfeld von vorderen und hinteren Seitenadern durchzogen. Das Hinterfeld ist etwas breiter als das entsprechende Feld des Vorderflügels. Der Hinter- rand wird auch von etwas größeren Adern durchzogen und zeigt nicht jene feinwellige Beschaffenheit wie der Hinterrand des Vorderflügels. Am linken Hinterflügel fehlen diese Teile vollständig und konnten auch nicht durch Präparation weiter verfolgt werden. Der Körper zeigt sich als ein flacher Abdruck von 65 mm Länge und 8 mm Breite über dem rechten Hinterflügel. Bei schiefer Beleuchtung glaubt man zu erkennen, daß die Brust breiter war und daß sich an das Hinterende ein gekrümmter Fortsatz anschloß. Doch handelt es sich hier um so undeutliche Umrisse, daß eine schärfere Diagnose unmöglich ist. Unter diesen Umständen kann sich die systematische Bestimmung des vorliegenden Fossils nur auf Gestalt und Aderverlauf der Flügel stützen. Trotzdem die mit deutlichen Augen versehenen Flügel auf den ersten Blick große Achnlichkeit mit einem Lepidopterenflügel zeigen, widerspricht doch die Nervatur einer solchen Annahme. Sie zeigt vielmehr Charaktere, wie wir sie bei Neuropteren finden. Herr Hofrat BRAvER in Wien, dem ich eine Federzeichnung des Aderverlaufes unterbreitete, hatte die Liebenswürdigkeit, auf Grund der Zeichnung mir zu schreiben, daß das fragliche Insekt zu den echten Neuropteren gehöre und daß vom Kilimandjaro und Australien nahe Verwandte dieser jurassischen Form bekannt seien. Bei meinem Aufenthalt im Museum für Naturkunde zu Berlin nahm ich Gelegenheit, Herrn Prof. Dr. KorsE die inzwischen ausgeführten Photographien des Insektes zu zeigen, und derselbe hatte die Güte, mir folgende Bemerkungen darüber zur Verfügung zu stellen: „Kallıgramma Haeckeli gehört zu den Neuroptera planipennia. Es spricht dafür das ganze System der Flügeladern; besonders die große Ausdehnung des mehr als die Hälfte eines Flügels ein- nehmenden Brachial-(Radial-\Systems. Da aber die Subcostalader sich von der Flügelspitze mit der Brachialader verbindet, so gehört das Insekt zu einer Gruppe, die die Osmyliden, Hemipteriden, Ascal- aphiden und Myrmeleontiden umfaßt. Doch kommen die 3 letzten Familien wegen der Flügelform nicht in Frage und so bleiben nur die Osmyliden übrig. Unter der geringen Anzahl von Gattungen, welche diese Familie jetzt zusammensetzen und die mit verhältnismäßig wenigen Arten über alle Erdteile verbreitet sind, steht die Gattung: ‚Sienosmylus Mc Lacar. (9 Arten in Australien, Vandiemensland, Neuseeland, Chile) dem fossilen Insekt durch die Reich- haltigkeit der Längs-, Zweig- und Queradern, sowie durch die gleiche Anordnung und die Homogenität des Geäders beider Flügelpaare besonders nahe. Nicht nur die Subcostalader verbindet sich mit der Brachialader, sondern auch der Sektor der letzteren läuft mit dieser parallel und verbindet sich nur an der Verbindungsstelle der beiden erstgenannten Längsadern. Außerdem verbinden sich noch zweimal 2 oder 3 Längsadern in jedem Flügel weit von dem Außenrande desselben miteinander. Ich nenne diese Verbindung der Längsadern miteinander „Konjunktion“. Die Uebereinstimmung zwischen Kalh- 1 87 Die Fauna der Solnhofener Plattenkalke. I 87 gramma und dem lebenden Sienosmylus auf Grund der Konjunktionen zeigt sich in folgenden Ader- verbindungen: ı) Eine Konjunktion der Subcostalader mit der Brachialader und dem Sektor der Brachialader (schon vorstehend erwähnt), Das sind die 3 nahe nebeneinander und parallel zueinander unweit des Vorderrandes verlaufenden Längsadern. 2) Eine Konjunktion dreier nahe beisammen und einander parallel laufender Adern auf dem Mittelfelde des Flügels. Es sind der Ramus primus und secundus des Sector venae brachialis und die Subbrachialıs. 3) Eine Konjunktion dreier nahe beieinander verlaufender Paralleladern auf dem hinteren Flügel- feld. Es sind der Ramus posterior venae subbrachialis, die Vena mediana und die Vena sub- mediana. Teilweise finden sich diese Konjunktionen von Längsadern auch in anderen Gattungen der Osmyliden, aber meist unvollständig, abgesehen von der Konjunktion der Subcostalader mit der Brachial- ader, und teilweise auch in Verbindung mit einem zum Teil abweichenden Flügelgeäder. Diese Gattungen können hier nicht in Betracht kommen, auch nicht diejenigen, deren Flügelgeäder großmaschig ist und diejenigen, deren Vorder- und Hinterflügel im Geäder voneinander verschieden sind. Während nun das fossile Insekt mit Sienosmylus durch jene dreifache Konjunktion von Längs- adern und überhaupt durch die gleichartige Anlage des ganzen Flügelgeäders übereinstimmt, unter- scheidet es sich von dieser Gattung durch das Vorhandensein der zahlreichen Venulae obliquae zwischen den Venulae costales in der Area costalis, d. i. das schmale lange Feld zwischen dem Vorderende des Flügels und der ersten Längsader. Ferner unterscheidet es sich durch den großen Augenfleck auf der Mitte des Flügelfeldes zwischen der Brachialader und der Subbrachialader; dann auch durch den Verlauf und die noch größere Reichhaltigkeit der Marginaladern am Apikalrande und am Hinterrande des Flügels; und schließlich durch die bedeutende Größe desselben. Es gibt aber eine einzige Gattung unter den lebenden Osmyliden, ZZyposmylus Mc Lachr, mit einer Species (Zunctipennis Mc Lachr. aus Nordindien), welche in der eben erwähnten Beschaffenheit des Costalfeldes dem fossilen Insekt in der Anlage gleicht. Der ZZyposmylus besitzt nämlich in dem breiten Costalfelde der Vorderflügel außer den Costaläderchen (Venulae costales) noch eine große Anzahl von QOueräderchen (Venulae obliquae), welche die Costaläderchen untereinander ver- binden. Jede von je 2 Costaläderchen gebildete Areola wird nämlich durch je ı—4 Queräderchen in 2—5 kleinere Areolae geteilt. Dementsprechend enthält auch das ganze Costalfeld 2—5 Zellen- reihen. In den Hinterflügeln ist das Costalfeld schmal und nur mit einer einfachen Reihe von Zellen versehen. So einfach ist auch das Costalfeld aller Flügel in den übrigen lebenden Gattungen der Osmyliden; höchstens ist eine Venula obliqua zwischen den Venulae costales vorhanden, so daß zwei Zellenreihen vorhanden sind. Ayposmylus ist demnach die einzige lebende Osmylidengattung, welche im Costalfelde (aber nur der Vorderflügel) mehrere Zellenreihen aufweist. Diesen seltenen morphologischen Charakter hat diese Gattung nur mit unserem fossilen Insekt gemein. Bei diesem sind die Venulae obliquae nur noch zahlreicher als bei ZZyfosmylus; ich zähle deren 10—ı1; und dazu sind sie nicht nur in den Vorderflügeln, sondern auch in den Hinterflügeln vorhanden. Die Originalbeschreibung des Zyposmylus ist zu kurz, um sich mit der Natur dieses Insektes eingehender bekannt zu machen. Da ich zudem das Insekt selbst zu sehen augenblicklich keine Ge- legenheit hahe, so ist es mir nicht möglich, über die weiteren Uebereinstimmungen oder Verschieden- 24 * 188 Die Fauna der Solnhofener Plattenkalke. 188 heiten des Flügelgeäders zwischen /Zyposmylus und dem Fossil Näheres in Erfahrung zu bringen und hier mitzuteilen. Wir müssen uns mit dem einen sehr wichtigen Charakter begnügen. Aus dem Vorstehenden geht jedenfalls hervor, daß die fossile Gattung den lebenden Gattungen Stenosmylis und FAyposmylus am nächsten steht. Die Arten dieser beiden Gattungen erreichen eine Flügelspannweite bis 55 mm. Das viel größere Fossil mißt in vollständig ausgespannter Haltung 252 mm. Die Unterschiede zwischen diesem und den beiden genannten Gattungen sind oben an- gegeben. Was den großen Augenfleck auf dem Mittelfelde jedes Flügels des Fossils betrifft, so ist zu bemerken, daß er augenscheinlich auf der Oberseite konvex, auf der Unterseite konkav ist. Aber ähn- liche Bildungen finden wir auch bei lebenden Arten der Osmyliden. Auf den Vorderflügeln von Spilosmylus, einer Untergattung von Osmylus, welche nahe verwandt ist mit Sienosmylus, findet sich bei allen Arten (Arten des tropischen Afrika, Indiens und indischer Inseln) vor dem Hinterrande eine rundliche konvexe (unterseits konkave) braune Pustel. An nahe verwandten Formen fehlt es in der Lebewelt der Gegenwart also nicht, auch nicht an ähnlichen Eigentümlichkeiten bei diesen lebenden Verwandten, so daß das prächtige und durch seine Größe hervorragende fossile Solnhofener Insekt betreffs seiner systematischen Stellung in vollständig klarem Lichte erscheint.“ Aber neben seiner systematischen Bedeutung regt dieser großflügelige Vorfahre kleiner Flor- fliegen auch manche geologische Gedanken an. Bekanntlich ist die Insektenfauna ozeanischer Inseln durch Verkümmerung der Flügel ausgezeichnet, da großflügelige Formen immer wieder durch Stürme ins Meer getrieben werden. Man darf daher wohl auch auf Grund der Insekten vermuten, daß sie von einem größeren Festland stammen und nur gelegentlich nach dem Plattenkalkgebiet gelangten. Bei Betrachtung der glatt ausgebreiteten, nur wenig lädierten Flügel müssen wir aber auch den Gedanken abweisen, als ob dieses Insekt lange Zeit auf dem Wasser herumgeschwommen sei und endlich an den „Strand“ geworfen wurde; vielmehr dürfen wir annehmen, daß es auf feuchtem Schlamm- boden festklebte und dann durch neuen Kalkschlamm vor der Zerstörung bewahrt wurde. Aus der Gruppe der Hemiptera sind einige Cicaden zu nennen (Zocicada, Cicadıtes), die den lebenden Singceicaden sehr nahestehen und vermuten lassen, daß ihr Gesang in den Taxuswäldern des vindelicischen Festlandes ertönte. Ziemlich häufig sind echte Wasserwanzen (Mesobelostomum, Nepa, Belostoma, Naucoris und /Voto- necta). Nur Belostoma ist häufiger, die anderen gehören zu den Seltenheiten. Es kann wohl sein, daß auch sie zu der endemischen Fauna des Wasserbeckens gehörten. Ziemlich zahlreich treten Coleoptera auf; freilich sind viele Exemplare schlecht erhalten und ge- langen nicht in die Sammlungen. Zu den ı5 Gattungen gehören etwa 20 Arten; von den gut er- haltenen Formen ist Söhenoptera Sphinx am häufigsten. Das Auftreten von Carabus, Buprestis und Eurythyrea zeigt, daß auch hier nur eine Auslese aus einer reichen Fauna vorliegt. Von den Dipteren sind nur unsichere Exemplare bekannt, als Hymenopteren oder Lepidopteren werden mehrere Arten von Pseudovius betrachtet, während OPPENHEIM in ihnen eine gesonderte Stamm- gruppe erblickt. Wir müssen zum Schluß darauf hinweisen, daß keine Spur (Zschyracanthus? von N.) von Insekten- larven bekannt ist. Am häufigsten sind kleinere Käfer, allerdings gehören gut erhaltene Stücke zu den Seltenheiten. Von Odonaten werden im Jahr etwa 100 Stück gefunden, sie sind um so besser erhalten, je tiefer sie im Kalk eingebettet waren, während die auf der Unterseite der Platten aufliegenden Exemplare I 89 Die Fauna der Solnhofener Plattenkalke. 1 89 meist undeutlich erhalten sind und oft ohne Hinterteil gefunden werden. Von Acridiern und Hemipteren mögen in jedem Jahr je etwa 20 Exemplare vorkommen. Bemerkenswert ist das vollständige Fehlen von Amphibien. Dagegen sind aus der Gruppe der Sauropsiden eine ganze Reihe interessanter landbewohnender Gattungen erhalten. Zu den Ver- wandten der lebenden Zatteria gehören: Homoeosaurus Maximiliani v. MEvER. Etwa 30 von K. undE. 2 aus S. bekannt. Kommt auch im mittleren Kimmeridge von Ahlem vor. Original in Haarlem. v. MEYER, Fauna der Vorwelt, Heft IV, S. ıoı, Taf. XI, Fig. 1—4. H. neptunius GoLprF. Eine Jugendform der vorigen Art E.:D. mit unvollkommener Verknöcherung des Extremitätenskelettes. v. MEYER, das., S. 105, Taf. XII, Fig. 3; Taf. XV], Fig. 1—4. Ardeosaurus brevipes MEYER. I K. I E. (Workerszell). v. MEYER, das., Bd. IV, S. 106, Taf. XII, Fig. 4, 5. Sapheosaurus laticeps WaGn. K. C. v. MEyeER, das., Bd. IV, S. ııı, Taf. XIII, Fig. 2, 3. Original in Haarlem. Während eine Fauna riesengroßer Dinosaurier in Nordeuropa und Nordamerika lebte, ist an der Küste des süddeutschen Jurameeres nur ein einziges Exemplar des kleinen Springers Compsognathus longipes WAGN. Abh. d. B. Akad. d. Wissensch., II. Klasse, Bd. IX, S. 94, Taf. III Original in München bei Jachenhausen (Kelheim) gefunden worden. Das trächtige Weibchen liegt mit zurückgebogenem Kopf auf der Platte, als wenn es schon länger tot gewesen wäre, ehe es eingebettet wurde. Eine An- zahl Schwanzrippen sind abgefallen und deuten auf beginnende Verwesung. Ganz eigenartig ist der Reichtum der Plattenkalke aber an fliegenden Pterosauriern. Die voll- ständig erhaltenen Exemplare sind zum größten Teil selbständige Arten; man wird an die Reptilienfauna der Galapagos und anderer Archipele erinnert, wo jede Insel andere Arten beherbergt. Es ist daher wohl auch gerechtfertigt, die Flugsaurier als endemische Bewohner des Gebietes zu betrachten, die durch Isolierung auf benachbarten Inseln eine solche große Artenzahl erreichten. Seit 25 Jahren sind bei E. etwa 40 Stück, bei s. 8 Exemplare gefunden worden. (Originale meist in München.) Pterodactylus brevirostris SÖMM. v. ZITTEL, Palaeontogr., Bd. XXIX, S. 78, Taf. XII, Fig. 3. Pt. crassipes v. MEvER. ı Riedenburg. v. MEYER, Fauna der Vorwelt, Bd. IV, S. 64, Taf. III, Fig. 3. Pt. dubius Münster. ı Exemplar. v. MEver, das., Bd. IV, S. 52, Taf. VI, Fig. 1. Pt. elegans Wacn. 4 E. (Blumenberg, Wegscheide). v. ZITTEL, Palaeontogr., Bd. IX, S. 27, Taf. XIII, Fig. 23. Pt. eurychirus WAGN. IE. Pt. grandipelvis Meyer. ı Eichstädt. ı? v. Meyer, Fauna der Vorwelt, Bd. IV, S. 53, Taf. VI, Fig. 2; Taf. VIII, Fig. ı. Pt. grandis Cuv. Skelettteille.e D. E. C. v. MEYER, das., Bd. IV, S. 61, Taf. VII, Fig. 7. Pt. Kochi Wan. I K,ıE. (zerfallen), ı S., ein Junges. v. MEYER, das., S. 35, Taf. III, Fig. ı, 2; Taf. XVII, Fig. ı. v. ZITTEL, Palaeontogr., Bd. IX, 2, S. 64, Taf. XIII, Fig. 1. 190 Pt. Pt. Pt. I81Io von Pt. Pt. Pt. Pt. Pt. Pt. Pt. Pt. Pt. Pt. Pt. Die Fauna der Solnhofener Plattenkalke. 190 longicollum MEYER. 2 Eichstädt. v. Meyer, Fauna der Vorwelt, Bd. IV, S. 45, Taf. VII, Fig. ı, 2, 3, 4. Original in München. longipes Münst. ı Solnhofen. v. MEYER, das., Bd. IV, S. 48, Taf. VI, Fig. 3. longirostris Cuv. 2 Eichstädt, ı s. Das älteste Exemplar 1784 von Corumı als Meerfisch, SÖMMERRING als Säugetier, 1819 von OkEn als Flugsaurier beschrieben. v. MEyvER, das., Bd. IV, S. 26, Taf. I, Fig. 2; Taf. II. Original in Haarlem. medius Münst. ı Daiting. WAGNER, Abh. d. math.-physik. Klasse d. Akad. München, Bd. IV, 1851. Meyeri Münst. ı Kelheim. v. MEYER, Fauna der Vorwelt, Bd. IV, S. 56, Taf. IV, Fig. 2, 3. Original in Haarlem. micronyx MEYER. 2 Exemplare in E. S. v. MEYER, das., Bd. IV, S. 59, Taf. IV, Fig. 4, 5. propinquus WAGn. I S. (Knochenhaufen). WAGNER, Abh. d. math.-physik. Klasse d. Akad. München, Bd. VIII, 2 (1858), S. 451, Taf. XV, Fig. 3. Redtenbacheri WAcn. IS. rhamphastinus WAGN. D. ein zusammengeschobener Knochenhaufen. Wirbelsäule zerfallend. WAGNER, Abh. d. math.-physik. Klasse d. Akad. München, Bd. VI ı (185r), S. 132, Taf. I. scolopaciceps MEvErR. ı Eichstädt. v. MEyvER, Fauna der Vorwelt, Bd. IV, S. 33, Taf. I, Fig. 2. secundarius MEyER. Knochen K. S. v. MEveER, das., Bd. IV, S. 49, Taf. VI, Fig. 4. spectabilis Vv. MEYER. E. Palaeontogr., Bd. %, S. ı, Taf. I. Original in Haarlem. suevicus FRAAS. S.N.E. v. MEYER, Fauna der Vorwelt, Bd. IV, S. 50. FraAaAs, Palaeontogr., Bd. XXV, S. 163. Original in Tübingen. vulturinus WaGn. I K, I S, 2 D. (Bruchstücke). WAGNER, Abh. d. math.-physik. Klasse d. Akad. München, Bd. VIII, 2 (1858), S. 439, Taf. XV, Fig. 2, Ptenodracon brevirostris SÖMM. IK,IE. v. Meyer, Fauna der Vorwelt, Bd. IV, S. 55, 56, Taf. IV, Fig. ı, 2, 3. Rhamphorhynchus, etwa ı5 Exemplare bekannt, meist vom Wintershof bei Eichstädt. Selbst die am besten (mit Flughaut) erhaltenen liegen so schlaff, daß man annehmen muß, sie seien als Leichen von den Wellen noch getrieben worden. Die meisten sind vollständig erhalten, einzelne Skelettteile sind verhältnismäßig selten. Rh. Rh. Rh. Rh. Rh. Rh. curtimanus WAGN. 2S, Gemmingi MEyER. ı Workerszell, ı E, 3 S, I N. Original in München und Haarlem. v. MryER, Fauna der Vorwelt, Bd. IV, S. 67, Taf. III, Fig. 4; Taf. VII, Fig. 6, IX, X. v. ZıtTEL, Palaeontogr., Bd. IX, 2, S. 58, Taf. XII, Fig. ı. hirundinaceus WAcn. S. longicaudus MÜNST. I K., 2 E., ı Schernfeld. v. MEYER, Fauna der Vorwelt, S. 8ı, Taf. I, Fig. 4, 5. v. ZıTTEL, Palaeontogr., Bd. IX, 2, S. 54. longimanus WAGN. 3 S. Münsteri GOLDF. I K. 6 E. zwischen Saccocoma, 4 S. 0 Zus, @lakı,, IBrel, IX, 2, 8 63, 191 Die Fauna der Solnhofener Plattenkalke. 1gI Scaphognathus crassirostris GOLDF. IS. GoLpruss, Nova Acta Leop., Bd. XVI, S. 63, Taf. VII, VIII, IX. Original in Bonn. Zu den größten Kostbarkeiten aus den Plattenkalken gehört: Archaeopteryx lithographica V. MEYER. Dames, Pal. Abhandl., Bd. II I, S. ı, Taf. I, 1884. Die erste Feder wurde im Jahr 1860 in dem an Pterodactylen besonders reichen KoHLErschen Abteil des Solnhofener Gemeindebruches gefunden. Das Londoner Exemplar fand sich 1861 im alten Orrmannschen Bruch, etwa 20 m tief. Das Berliner Exemplar fand 1877 J. Dörr in seinem Bruch an der Wegscheide bei Eichstädt. Obwohl Säugetierzähne schon aus der oberen Trias Süddeutschlands bekannt sind, so haben doch die Plattenkalke bisher keine Spuren derselben geliefert. Ein problematischer Schädel, über den QOwenstepr in Zweifel war, ob er einem Säugetier (Didelphys?) angehöre, während ihn v. MEYER für einen Schildkrötenschädel hält, liegt im Museum Teyler zu Harlem. WINKLER, Arch. d. M. Teyler, Serie 2, Vol. II, S. 434. IV. Analyse der Fauna. Eine fossile Fauna enthält in der Regel mehr verletzte und unvollständige als vollkommen erhaltene Versteinerungen. Räuberische Tiere und Fäulnisbakterien, Witterungseinflüsse und die Meeres- wellen haben gewöhnlich die Hartgebilde zerrissen, zerstreut und abgerollt. Isolierte Zähne, Schuppen und Knochen, zerbrochene Krebspanzer und Muschelschalen, vereinzelte Insektenflügel, zerfallene Seelilien und Seesterne müssen in der Regel erst durch sorgfältige Präparation aus dem Gestein freigelegt, mit recenten Formen verglichen und nach den Gesetzen der Korrelation ergänzt werden; nur selten und vereinzelt sind die Fossilien so vollständig erhalten, daß sie uns ohne weiteres erlauben, die Form eines ausgestorbenen Tieres zu zeichnen. Um so auffallender ist der vorzügliche Erhaltungszustand der Fossilien der Plattenkalke von Solnhofen und Eichstädt. Die glänzenden Ganoidschuppen liegen wie bei dem lebenden Tier dachziegelartig übereinander, Kopfknochen und Gräten sind in ihrem natürlichen Zu- sammenhang geblieben, Futterfische stecken noch im Schlund größerer Räuber; lange Krebsantennen sind, bis zur Spitze erhalten, dem Cephalothorax fest eingefügt; die Insektenflügel sind wie in einer entomologischen Sammlung aufgespannt, und die zierlichen Arme der Saccocoma liegen oft so aus- gebreitet, als wenn das Tier eben noch geschwommen wäre... Wir brauchen aber das Faciesgebiet der echten Plattenkalke nur um wenige Schritte zu ver- lassen und finden in den plumpen Dolomiten des Randbezirkes oder den dünngeschichteten Krebs- scherenplatten sofort dieselbe mangelhafte Erhaltung der Fossilien wieder, die dem sammelnden Geologen leider so wohl vertraut ist. Gerade der wunderbare Erhaltungszustand der Solnhofener Versteinerungen hat diese Fundorte so weltberühmt gemacht; es überrascht den Geologen immer wieder, wenn er an den Schieferhalden emporklettert und kaum einen defekten Ueberrest findet, den die Steinbruchsarbeiter als unbrauchbar beiseite geworfen haben. Die Fossilien sind ungemein selten, aber was gefunden wird, das trägt in 192 Die Fauna der Solnhofener Plattenkalke. 192 der Regel die beste Erhaltung zur Schau. Die in den Sammlungen aufbewahrten Suiten prächtig erhaltener Solnhofener Fossilien sind also keineswegs eine Auslese aus einer großen Fülle defekter Stücke, sondern sie sind bezeichnend für die eigenartige Fauna. Ebenso charakteristisch ist die Armut an Individuen bei großem Reichtum von Gattungen und Arten. Ich habe mich bemüht, gerade diese Zahlenverhältnisse durch eigene Aufsammlungen und durch Erkundigung bei den Lokalsammlern zu ergründen, und habe dabei nur folgende Ausnahmen feststellen können: Am häufigsten ist Saccocoma; sie findet sich von Bieswang bis Mühlheim und von Pfalzpaint bis Langenaltheim, ist aber in der näheren Umgebung von Eichstädt besonders zahlreich. Hier kann man Tausende und Millionen dieser kleinen Crinoiden sehen, und manche Zwicklagen (Knopfete) sind ganz mit ihnen übersäet. An zweiter Stelle kommt Zeptolepis, der „Plebejer“ unter den Solnhofener Fischen, der, be- sonders in den liegenden Schichten der alten Solnhofener-Langenaltheimer Brüche, zu Hunderten, meist paarweise geordnet, gewisse Schichtenflächen bedeckt. Es folgt Ofpelia, oft nur als ein schwacher Abdruck erhalten, da die Schale meist weggelöst ist; aber dafür sind die Aptychen leicht zu erkennen. Geocoma ist häufig bei Zandt, aber im übrigen Gebiet sehr selten. Wenn wir noch die Zumbricaria jilarıa und die bei Eichstädt nicht seltenen kleineren Insekten genannt haben, so ist damit auch die Zahl der Fossilien erschöpft, die man im Altmühltal mit Sicherheit selbst sammeln kann; denn alle anderen Fossilien sind verhältnismäßig selten und können nur von den Arbeitern oder Händlern gekauft werden. Da viele Stücke ın Privatsammlungen verschwinden und von ihrem Fund oftmals auch die ortsansässigen Sammler keine Kenntnis erhalten, kann folgende Aufstellung nur als eine ungefähre Annäherung betrachtet werden. Am häufigsten ist: Penaeus, Mecochirus, Thrissoßs. Etwas seltener: Acanthochirus, Eryon, Eryma. Dann folgen: Aeger, Palinurina, Urda. Plesioteuthis, Limulus, Skulda. Antedon, Gyrodus. Medusen. Dusa. Udora, Hefriıga, Glyphaea, Ostracoteuthis, Phohdophorus, Mesodon. Ziemlich selten sind: Trachyteuthis, Leptoteuthis, Pseudastacus, Etallonia, FPalaeoscyllium, MNotidanus, Aecrodus, Propterus, Eugnathus, Megalurus, Aethalion u. S. W. Auffallend aber ist die Tatsache, daß unter den im Altmühltal gefundenen Formen eine ganze Anzahl Gattungen sind, die nur in einer Art und oft nur in einem oder wenigen Exemplaren bekannt sind. Solche Unika beweisen mehr als alles andere, daß die Plattenkalke eine zufällig zusammen- gedrängte Auswahl aus einer unvergleichlich reicheren Tierwelt enthalten. Di 5 193 ie Fauna der Solnhofener Plattenkalke 193 Folgende Fälle mögen als Beispiele dienen: Zahl der mir Zahl der mir bekannten Exemplare: bekannten Exemplare: Kallıgramma Haeckeli I Lophiurus minutus I Udorella Agassızı 2 Mesturus verrucosus I Etallonia longimana 5 Parachelys eichstädtensts I Prıstiurus eximius I Ardeosaurus brevipes 2 Chimaeropsis paradoxa 2 Gnathosaurus multidens I Coecolepis Bucklandı I Cienochasma gracile I Eusemius Beatae I Racheosaurus gracilis ? I Sauropsis longimana I Alhgatorium Meyeri 2 Agassizia tılanıa 2 Compsognathus longıpes I Eurycormus speciosus I Archaeopteryx lithographia 2 Callopterus armatus I Wie schon H. v. MEvER hervorhob, sind auch die Pterodactylen so verschiedenartig gestaltet, daß man fast jedes neu gefundene Exemplar als eine neue Art beschreiben müßte. Aber selbst wenn wir von diesen einzelnen Funden absehen und die Solnhofener Fauna mit der oberjurassischen Tierwelt anderer Fundorte vergleichen, so finden wir eine lange Reihe von Gattungen, oft reich an Arten, die nur im Altmühltal gefunden wurden (alle Pflanzen, Insekten, jugendlichen und zweifelhaften Meerestiere wurden in der folgenden Liste weggelassen): Artenzahl Artenzahl Medusen: Cirripedien: Semaeostomites I Archaeolepas 2 Eullotha I Acraspedıtes I Bepoczt Cannostomites I a : Rhızostomites I Stomatopoden: Leptobrachites I SL; 3 Myogramma I Dekapoden: Crinoiden: Stenochirus 2 Antedon 2 Pseudastacus 2 Saccocoma 3 Flallonia I reiten: Palinurina 3 an i Cancrinus 2 Acanthochirus 3 Dibranchiaten: Bylgia 3 Ostracoteuthis I Blaculla 3 Leptoteuthis 2 Udorella I Kelaeno 2 Drobna 2 Acanthoteuthis 3 Gattungen Arten Dusa 3 Gattungen Arten- IA 19 14 32 Jenaische Denkschriften. XI. 25 Festschrift Ernst Haeckel. Die Fauna der Solnhofener Plattenkalke. 194 194 Artenzahl Artenzahl Aeser 5 Schildkröten: Udora I Eurysternum I Hefrica 2 Parachelys I Iolaler 1a Jdiochelys Be Aydropelta I Knorpelfische: Platychelys I Palaeoscyllium I Kephissus n Pristiurus I Spathobatıs 2 Eidechsen: Asterodermus 2 Ardeosaurus I Chimaeropsis 2 Sapheosaurus I ns Pleurosaurus I Undina 2 Krokodile: Libys i Aeolodon 2 Coccolepis I Gnathosaurus I Heterostrophus I Ctenochasma I Eugnathus 2 Geosaurus 3 Fusemius I i Allıgatorıum Propterus 7 Atoposaurus om Aypsocormus 2 2% vop se 1 Dinosaurier: Diptolepis T Compsognathus I Agassızıa I Liodesmus 2 Flugsaurier: Furycormus I Pterodactylus (2) 22 Callopterus I _Ptenodracon I Ohgopleurus I Rhamphorhynehus 5 Macrorhipis 2 ‚Scaphognathus I Aethalion 3 Lophiurus I Vögel: Mesturus I Gattungen Arten Archaeopteryx \ Gattungen Arten 39 75 ZW) Mit Ausnahme der Insekten sind in den Plattenkalken etwa 150 Gattungen und 350 Arten bekannt, von denen also ungefär 88 Gattungen und 175 Arten auf die Plattenkalke beschränkt, bisher an keinem anderen Fundort beobachtet worden sind. Wenn wir bedenken, daß jede dieser Gattungen eine Ahnenreihe besessen haben muß, die während der älteren Jura- und Triaszeit gelebt hat, und daß doch gewiß eine ganze Anzahl dieser Gattungen noch in der 195 Die Fauna der Solnhofener Plattenkalke. ‚195 Kreidezeit weiterlebten, ohne uns irgend welche fossile Ueberreste zu erhalten, dann erscheint uns die Fauna der Plattenkalke wie ein kurzer Einblick in eine neue reiche Formenwelt. Allein noch eine ganz andere Bedeutung gewinnt unsere Fauna für die Geologie, wenn wir ihre Elemente nicht allein nach morphologischen Grundsätzen systematisch anordnen, sondern sie bionomisch zergliedern. In seinen „Planktonstudien“ hatte HaEckEL') vorgeschlagen, die gesamte Organismenwelt der Erde in folgende Rubriken einzuteilen: Die Pflanzen und Tiere des Festlandes werden unter dem Namen Geobios zusammengefaßt, während die Bewohner des Süßwassers das Limnobios bilden. | Die Gesamtheit der im Meere lebenden Organismen, das Halobios, zerfällt in: ı) das Plankton, d. h. alle passiv treibenden Organismen. a) Holoplankton, während des ganzen Lebens passiv treibend; b) Meroplankton, nur in der Jugend planktonisch; mit Schürr?) fügen wir noch hinzu: c) Pseudoplankton, d.h. eigentlich benthonische, aber, wie das Sargassum, sekundär durch das Meer verfrachtete Organismen ; 2) das Benthos, d. h. alle bodenbewohnenden Organismen; a) sessil, festgewachsen ; b) vagil, aktiv beweglich; 3) das Nekton, d. h. alle aktiv schwimmenden Organismen. Diese Ausdrücke haben eine ganz besondere Bedeutung für die Erdgeschichte gewonnen, denn wir können mit ihrer Hülfe jede fossile Fauna in Formengruppen zerlegen, die, von einheitlicher Lebens- weise, uns ein Urteil über die Bildungsbedingungen eines Fundortes ermöglichen. Wir wollen versuchen, nach diesen Grundsätzen die Tierwelt der Plattenkalke einzuteilen. Zum Geobios gehörten wahrscheinlich: Artenzahl Artenzahl Flomoeosaurus 2 Compsognathus I Ardeosaurus I Pterodactylus 22 Sapheosaurus I Ptenodracon I Aeolodon 2 Rhamphorhynchus 5 Gnathosaurus I Scaphognathus N Ctenochasma I Archaeopteryx I Atoposaurus I und fast sämtliche Insekten. Von großer Wichtigkeit ist die Frage, ob das Limnobios in der Fauna der Plattenkalke ver- treten ist; denn man möchte glauben, daß ein Gebiet, in welchem Land- und Meertiere gemischt vor- kommen, einer halbsüßen oder brackischen Küstenzone angehört. Auffallenderweise fehlen aber Süß- wassertiere und Bewohner brackischer Gewässer vollkommen. Alle übrigen Formen gehören zum Halobios und verteilen sich auf die Rubriken desselben in folgender Weise: ı) E. HAEckeL, Planktonstudien. Vergleichende Untersuchungen über die Bedeutung und Zusammensetzung der pelagischen Fauna und Flora, Jena, G. Fischer, 1890. 2) SCHÜTT, Abh. der deutschen Planktonexpedition. I. Das Pflanzenleben der Hochsee. 25* I 96 Die Fauna der Solnhofener Plattenkalke. 196 I Blankton. a) Holoplankton: Alle Medusen 8 Gattungen mit 8 Arten Saccocoma SON, Spinigera spinosa (?) IC Ark: b) Meroplankton: Vereinzelte kleine Aptychen mögen von jugendlichen Oppelien herrühren. Phylliosoma priscum MÜNST. Sp. Phyliosoma cursor RorH sind die Larven von Krebsen. c) Pseudoplankton: Archaeolepas mit 2 Arten. Die meisten Ammonitenschalen enthalten noch den Aptychus in normaler Lagerung, waren also vom Tier erfüllt, und nur vereinzelte Schalen scheinen passiv getrieben worden zu sein (s. u.). Ostrea mit 3 Arten. Fast stets gruppenweise auftretend, in Verbindung mit leeren Ammonitenschalen, Belemniten, Sepien, Seetang, auf denen sie aufgewachsen waren. Besonders interessant ist es, daß die auf Delemnites auf- gewachsenen Austern mit dem Wachstum des Rostrums gleichen Schritt halten (München). Wahrscheinlich sind einzelne kleine Schnecken- und Brachiopodenschalen, ebenfalls an Dem m angeheftet, in die Plattenkalkgebiete getragen worden. II. Benthos. a) Sessil. Der völlige Mangel an festgewachsenen Tieren ist wohl das charakteristischste Merkmal der Plattenkalke.e Nur am südwestlichen Rande der Ablagerung bei Daiting und besonders im Osten, gegen Kehlheim zu, kommen sessile Tiere vereinzelt vor. Algen und Phyllospongia sind durch die Wellen abgerissen und überall verstreut worden, kommen aber stets vereinzelt, niemals in Säumen vor. Die Hexactinelliden sind bei Pfalzpaint gefunden worden. Arme und Stiele von Millericrinus und Pentacrinus (?) kommen bei Pfalzpaint und Daiting vor. Vereinzelte Brachiopodenschalen sind gelegentlich vom Riffrand in die Plattenkalkgebiete gefallen oder mit Treibkörpern pseudoplanktonisch herbeigetragen worden. Einige lange Kolonien (?) von Zuplocamus sind bis Solnhofen getrieben worden. b) Vagil. Geocoma carinata ıst bei Zandt so häufig, daß sie hier gelebt haben muß. Ophiurella speciosa, Astropecten elegans, Pentaceros jurassicus und P. pustuliformis sind selten und waren schon tot, ehe sie eingebettet wurden. Pseudosalenia aspera Stomechinus perlatus Pseudodiadema Sp. Pedina lthographıca Diplopodia Oppel finden sich als große Seltenheiten. Meist ist es nur ein Stück der Corona ohne Stacheln. Alle Würmer (g Gattungen mit ı3 Arten) gehören zum vagilen Benthos. Sie sind vereinzelt und selten. Einige seltene Muscheln und Schnecken müssen hier ebenfalls genannt werden, obwohl nur in einem ‚Falle die lange Kriechspur beweist, daß die Myide noch gelebt hat. 197 Die Fauna der Solnhofene Plattenkalke. 197 Die glatte unverzierte Schale der Oppelien spricht für eine mehr aktiv nektonische Lebensweise, während ich die schön verzierten Perisphinctes (3 SP.) Olcostephanus Aspidoceras (5 SP.) Haploceras Maagenia (2 Sp.) für benthonische Riffbewohner halten möchte, die gelegentlich durch die Wellen in die schlammige Bucht gerieten. Die meisten Dibranchiaten gehörten zum Nekton, nur Aelaeno dürfte benthonisch gelebt haben, und Acanthoteuthis hat uns eine Spur hinterlassen, die beweist, wie trefflich er mit seinen haken- besetzten Armen kriechen konnte. Limulus Walchi war ein kriechendes Tier, seine Fährte ist oft gefunden worden; auch Urda (2 sp.) Aegıtes Skulda (3 SP.) waren bodenliebende Tiere. Bei den übrigen Krebsen gibt uns die allgemeine Körperform, die Dicke und Verzierung der Schale und die Lage der Fossilien auf dem Stein (Bauch-, Rücken- oder Seitenlage) einen Hinweis für die einstige Lebensweise. Obwohl hierbei manche Fehlerquellen gegeben sind, möchte ich doch nur Eryma Canerınus für kriechende Tiere halten. Wir müssen auch die Plattfische: Syuatına Spathobalis (2 SP.) Asterodermus (2 sp.) als Angehörige des vagilen Benthos betrachten, da ihre Verwandten einen großen Teil des Lebens auf dem Boden liegend zubringen. III. Nekton: Alle bisher nicht genannten marinen Tiere sind aktiv schwimmende, nektonische Bewohner der Hochsee oder der Küstengewässer. Aus der Gruppe der Mollusken nenne ich: Oppelia (7 SP.) Leptoteuthis Belemnites (3 SP.) Teuthopsis (2 Sp.) Ostracoteuthis Plesioteuthis (2 Sp.) Trachyteuthis (2 SP.) Von den Krebsen gehören die meisten Gattungen zum Nekton, denn ihre Schale ist dünn und glatt, ihre Antennen und Füße lang, und sie liegen vorwiegend auf der Seite. Selbst Zryon rechne ich zum Nekton, denn die dünne Schale mit den dünnen langen Armen spricht nicht für benthonische Lebensweise. | 19 8 Die Fauna’ der Solnhofener: Plattenkalke. de) 8 Daß die Mehrzahl der Fische und ebenso die Schildkröten zum Nekton gehören, ist bekannt, und ich hätte nur zum Schluß darauf hinzuweisen, daß neben /cAthyosaurus, Geosaurus, Alligatorium besonders Pleurosaurus als Wassertier betrachtet werden. muß, denn sein breitgedrückter, mit einem Flossensaum umzogener Leib und die kurzen, rückgebildeten Füße legen eine solche Vermutung sehr nahe. Bevor wir die bisher gewonnenen Resultate tabellarisch zusammenfassen, mag noch die Frage erwogen werden, ob die in den Plattenkalken gefundenen Tiere die wirkliche Zusammensetzung der Fauna erkennen lassen, denn eine ganze Anzahl von Tiergruppen sind nur spärlich oder gar nicht vertreten. Der schon eingangs betonte wundervolle Erhaltungszustand der meisten Funde, die Seltenheit schlecht erhaltener, zerstückelter Fossilien muß jeden Gedanken, als ob in den Plattenkalken wie in den meisten Sedimenten neben vielen zerstörten Organismen nur einige zufällig gut erhaltene Objekte vor- kämen, widerlegen. Vielmehr muß man an der Tatsache festhalten, daß zwar nur vereinzelte Organismen in die schlammige Bucht gelangten, aber was dahin kam, das wurde auch konserviert, von der vergänglichen Medusengallerte bis zum Federkleid des Urvogels und zur Flughaut der Saurier. Dagegen könnte man wohl mit einigem Recht vermuten, daß die dickeren Steinlagen und Flinze noch einen größeren Reichtum an Fossilien im Inneren des Gesteins enthalten möchten, die nicht herauspräpariert und uns daher unbekannt wären; denn bekanntlich liegen ja die meisten Fossilien auf der Schichtenfläche ausgebreitet, oder in der sie bedeckenden Fäule Ich habe nun, um darüber Gewißheit zu erhalten, Herrn Lithograph Girrsch in Jena befragt, der über 1000 Steine hat ätzen und abschleifen lassen und der durch langjährige Beschäftigung mit zoologischen Formen ein so geschultes Auge besitzt, daß ihm selbst die zartesten Umrißlinien eingeschlossener Fossilien nicht entgangen wären. Er hat mir versichert, noch niemals in einem lithographischen Stein organische Spuren gesehen zu haben. Wir dürfen also die auf den Schichtenfugen vorhandene Fauna als die überwiegende Mehrzahl der zur Fossilisation gekommenen Organismen betrachten, und dadurch gewinnt die Tatsache, ob eine Tiergruppe häufig oder selten gefunden worden ıst, eine ganz besonders hohe bionomische Bedeutung. Wir fassen die ganze Organismenwelt der Plattenkalke noch einmal tabellarisch zusammen: NGeoDios: Baumartige Pflanzen und Schilfgewächse. Viele Insekten. Landeidechsen 8,9, BIONSPp: Vögel eo Isp. Flugsaurier 10,,2985p; Säugetiere? fehlen B. Limnobios fehlt C. Halobios. I. Plankton: a) Holoplankton Protophyten fehlen Spinigera LES. E00 Foraminiferen fehlen Heteropoden fehlen Radiolarien fehlen Saccocoma 19,3) Sp. Medusen 812 ESH5p. Copepoden fehlen Siphonophoren fehlen Ostrakoden fehlen Ctenophoren fehlen Schizopoden fehlen Chätognathen fehlen Tunicaten fehlen Pteropoden fehlen 199 Die Fauna der Solnhofener Plattenkalke. 199 b) Meroplankton fehlt von allen Tiergruppen mit Ausnahme von kleiner Ammoniten- (Ofpela-) Brut und Pryllosoma (Krebslarven). c) Pseudoplankton wird durch Foraminiferen Archaeolepas, Ostrea und andere vereinzelte, ursprünglich benthonische Orga- nismen vertreten. Als Treibkörper dienten leere Ammonitenschalen, Belemniten, Algen und Spongien. NeBenthos: a) Sessil. Spongien vereinzelt Crinoiden vereinzelt Hydroidpolypen vereinzelt (?) Bryozoen fehlen Korallen fehlen Brachiopoden fehlen (?) b) Vagıl. Foraminiferen fehlen Muscheln klein und vereinzelt Asteroiden selten Schnecken klein und vereinzelt Echinoiden vereinzelt Ammoniten selten Holothurien ? fehlen Krebse 672, 10. sp. Würmer selten Fische 32, 5,5p: MSNrekton: Ammoniten 0 77,5p: Krebse 1949,55, sp. Belemniten 0.3 Sp: Fische 48 g., 138 Sp. Sepiophora 508,8 Sp. V. Entwickelung, Leben und Tod. Die eigentümliche Mischung mariner und festländischer Tierformen in der Fauna der Platten- kalke macht es schwierig zu entscheiden, ob das Ablagerungsgebiet derselben dem Meere oder dem Küstenland zugerechnet werden soll. Es scheint daher notwendig, die Lebensäußerungen der dort ge- fundenen Organismen einer besonderen Untersuchung zu unterziehen und zuerst zu prüfen, ob und welche Jugendformen im Altmühltal gefunden werden. Die Fundorte in der Nähe von Zandt haben Herrn Prof. SCHWERTSCHLAGER eine solche Fülle von Geocoma in allen Altersstadien geliefert, daß man annehmen muß, dieselben haben in großer Zahl hier gelebt. Die zierlichen Arme der kleinsten Schlangensterne sind etwa 5 mm lang, dann sieht man alle Uebergänge bis zu Formen mit 5o mm langen Armen, die oft in deutlicher Kriechstellung fossil geworden sind. Einzelne Arme sind abgebrochen gewesen, andere regenerieren sich, manche haben eine deutliche Kriechspur hinterlassen. Ich habe leider die Lokalität Zandt nicht selbst besuchen können, aber die von dort stammenden Geocoma-Platten zeigen ganz deutlich, daß durch eine plötzlich herein- brechende Katastrophe, vielleicht wiederholt, das ganze Gewimmel der zierlichen Seesterne getötet und mit feinem Kalkschlamm überdeckt worden ist. Die Tierchen haben nicht vermocht, sich durch die bedeckende, 3—5 mm dicke Schlammschicht hindurchzuarbeiten, und sind so rasch gestorben, daß große und kleine Individuen ohne Verletzung, ohne Spuren des Zerfalles fossil wurden. Auch Spuren eines längeren Todeskampfes konnte ich nirgends finden. 200 Die Fauna der Solnhofener Plattenkalke. 200 Die Umgebung von Eichstädt ist reich an Saccocoma, deren Individuen eine ganz verschiedene Größe haben und für ein ganz verschiedenes Lebensalter der einzelnen Schwärme sprechen. Bald sind große und kleine Exemplare gemischt, bald sehen wir nur gleich große auf derselben Platte. Bisweilen liegen kleine und größere Zumödricaria-ähnliche, körnige, gebogene Stäbchen zahlreich zwischen den Saccocomen. Man könnte vermuten, daß es die Stiele junger Exemplare seien, doch konnte ich keinen Zusammenhang zwischen beiden Fossilien nachweisen. Wenn schon die zahlreichen vereinzelten kleinen Aptychen dafür sprechen, daß jugendliche Ammoniten nicht selten in den Gewässern von Solnhofen auftraten, so wird dies doch besonders deutlich durch die gelegentlich vorkommenden Schwärme von Ofpehia-Schalen und den von MicHAEL'!) beschriebenen Fund einer Opßpelia steraspis, in deren Wohnkammer etwa 60 Junge enthalten sind. Zwar erkennt man nur einzelne Abdrücke der kleinen Schalenspiralen, aber die vielen kleinen Aptychen neben dem großen Aptychus des Muttertieres können nur auf Ammonitenbrut zurückgeführt werden. Endlich müssen wir hier die 3-beinigen Larvenformen von Makruren-Krebsen erwähnen, die früher als Phalangıstes, Palpipes und Pycnogonites zu den Spinnen gerechnet, dann aber durch v. SEE- BACH?) als Ueberreste von „Glaskrabben“ unter dem Namen Z%yllosoma priscum MÜNSTER und P%. cursor ROTH sp. beschrieben worden sind. In der Sammlung des Lyceums zu Eichstädt befinden sich einige Platten mit einem Fossil, dessen ı0 fadendünne, gegliederte Füße vorn etwa 4 cm, hinten 1o cm lang wurden, und das vielleicht eine Jugendform ist. Ich nenne es Dodchopus tener; Fundort ist Schernfeld. Herr Dr. Hanptısch teilt mir mit, daß es sich um eine Crustaceenform mit nach unten umgeschlagenen Postabdomen handelt. Der bei Eichstädt häufige, kleine Zryon Schuberthi ıst vielleicht eine Jugendform. Aber es ist sehr auffallend, daß neben diesen Jugendformen, die mit erwachsenen Tieren herbeigetragen wurden, keine jugendlichen marinen Wassertiere gefunden worden sind, die im Gebiet der Plattenkalke gelebt und zur endemischen Fauna gehört haben. Die als A//ax beschriebenen jugendlichen Schildkröten sind wahrscheinlich am Ufer aus ihrer Eihülle ausgeschlüpft und dann erst ins Wasser gewandert. Man möchte nun vermuten, da marine Jugendformen so selten sind, daß vielleicht Insektenlarven in einem „süßen“ Wasser leben konnten, aber es ist kein einziger solcher Fund bekannt (falls man nicht den in Nusplingen gefundenen Zsckyracanthus als Larve betrachten soll). Von Homoeosaurus Neptuni befindet sich in Bonn’) ein junges Exemplar; die Gelenkköpfe der Extremitätenknochen sind an ihm noch nicht verknöchert, und während im Tarsus die ersten Knochen- kerne erscheinen, ist der Carpus noch knorpelig gewesen. Kein einziger Perodactylus läßt sich mit Sicherheit als Jugendform bezeichnen, und so bleibt nur zum Schluß zu erwähnen, daß das einzige bisher bekannte Exemplar von Compsognathus ein trächtiges Weibchen ist, das in seinem Rippenkorb deutlich die Ueberreste eines nur schwach verknöcherten Fötus enthält. Wenden wir uns jetzt zu den Anzeichen, welche darauf deuten, daß einzelne Tierformen noch aktive Bewegungen ausführten, ehe sie eingebettet wurden: die Kriechspuren von Geocoma haben wir schon erwähnt; sie sind bei Zandt verhältnismäßig oft zu beobachten und bedeuten, vereint mit den zahlreichen Jugendformen, daß einmal dort ganze Kolonien dieser Tiere gelebt haben müssen. 1) MiıcHAEL, Zeitschr. d. geol. Ges., 1894, S. 697. 2) V. SEEBACH, Zeitschr. d. geol, Ges., 1873, S. 340, Taf. VII. 3) H. v. MEvER, Neues Jahrb. f. Min., 1856, S. 807. 201 Die Fauna der Solnhofener Plattenkalke. 201 Im Gegensatz hierzu liegen die bei Kelheim nicht seltenen Oßhiurella speciosa mit schlaffen Armen da, als wenn sie als Leichen auf den Schlamm hingelegt und eingebettet worden wären Sehr auffallend ist es, daß die Millionen von Saccocoma, die in dichten Schwärmen die dünnen Zwicklagen besonders in der Umgebung von Eichstädt bedecken, fast niemals Zeichen der Bewegung darbieten. Ihre Arme liegen oftmals so hingebreitet, als ob die Tierchen direkt schwebend zu Boden gesunken seien; häufig sind die Arme gekrümmt, eingerollt oder abgebrochen, oft ist der Körper wie eine Kapselfrucht in 5 Segmente zerfallen, aber nur ein einziges Mal fand ich ein Exemplar, das vor dem Tode noch gekrochen ist. Wie beistehende Skizze Fig. 16 erkennen läßt, hat der Körper, die Arme nachschleppend, eine unregelmäßig elliptische Bahn durch den Schlamm gezogen, und die Kriechspur ist alsbald mit kristallinischem Kalk ebenso ausgefüllt worden wie der Körper- hohlraum des Tieres. = — T, N . . . % ZA ellfggestltlffte fl m u In München befindet sich eine Platte, auf welcher eine 8 mm late große Muschel eine wenig gewundene, ı mm tiefe Kriechspur von Bey16: Kriechspur von ‚Saccocorna. etwa 5o cm Länge hinterlassen hat. Aber Muscheln sind so un- gemein selten in den Plattenkalken gefunden worden, daß in diesem Falle ganz besondere Umstände gewaltet haben müssen. Die Medusen von 20.—50 cm Durchmesser liegen mit scharf umschriebenem Rande etwas in den Kalk eingesunken, aber keine Furche zeigt uns die Spur der Fangarme JaEKEL') hat eine Platte beschrieben und abgebildet, welche die sehr merkwürdige Spur eines Tintenfisches zeigt. Man beobachtet darauf gekrümmte Eindrücke, die durch einen mit Häkchen be- setzten Arm erzeugt sein müssen. In ganz symmetrischer Weise sind zwei eingerollte Spiralen durch eine gebogene Rinne verbunden; beistehende Skizze Fig. 17 gibt die Fährte wieder. Da Acanthoteuthis A «ww u e = an Br Don VERS = u La) Br = Er FE rr ES ® £ er = o > 2 € E: m 55 7 vn (27 R r . en f — es ; Re = > N Y >‘ = gu 2 SQ f2 e cs Fr I 3 | \ { ee EL } RN = De N Bis Fr Dt Fig. 17. Kriechspur eines Dibranchiaten. °/, nat. Größe. Nach JAEKREL. in der Regel mit schlaff nach hinten hängenden Armen wie ein im Wasser geschleifter Federbusch ein- gebettet worden ist, und bei Eichstädt sogar meist die Köpfe ohne Leib ‚gefunden werden, ist diese Fährte vielleicht von einer anderen Gattung erzeugt worden. Die überwiegende Mehrzahl der Krebse liegt glatt und ruhig auf der Kalkplatte, die Füße sind ausgebreitet oder wenig gekrümmt, meist in Zusammenhang mit dem Cephalothorax, die langen Antennen sind häufig bis zur Spitze erhalten, die Härchen am Rumpfrand oder am Schwanz heben sich deutlich von dem Gesteine ab, und die vollkommen erhaltenen Exemplare überwiegen so, daß man nur bei Penaeus Spuren einer Agonie vermuten kann. Sonst deutet keine Furche, keine Skulptur der Kalkplatte I) JAEKEL, Zeitschr. d. geol. Ges., 1899, S. 36. Jenaische Denkschriften. XI. 26 Festschrift Ernst Haeckel. 202 Die Fauna der Solnhofener Plattenkalke. 202 auf einen Todeskampf. Bekanntlich pressen die lebend in kochendes Wasser gebrachten Flußkrebse ihren Schwanz krampfhaft unter den Cephalothorax und bleiben in dieser Stellung, während vorher ver- endete Krebse einen gestreckten Leib zeigen. Ich kenne nur einige Platten von Aeger, deren Körper so gekrümmt ist. Dagegen ist Zimulus Walch! in der Regel eine längere Strecke gelaufen (s. Fig. ı1), ehe er starb. Die Fährte der Füße besteht aus kürzeren, wenig gebogenen Furchen, der Schwanz hat oft eine mediane Schleppspur hinterlassen, und wenn man die mit einer derartigen Spur bezeichnete Gesteinsfläche verfolgt, ist man sicher, nach einer kürzeren oder längeren (bis ıo m) Strecke das Tier zu finden. Eine schöne Platte des Eichstädter Museums zeigt, wie der Krebs mit seinem Telson wiederholt den Boden gepeitscht hat, ehe er verendet ist. Trotzdem ich Hunderte von Fischplatten daraufhin besonders geprüft habe, kenne ich doch nur wenige Fälle, wo die Fische Bewegungsspuren hinterlassen haben. In der Regel liegt der Fisch auf der Seite, alle Schuppen und Gräten, alle Knochen und Flossenstrahlen sind in ursprünglicher Anordnung, selten sind einige Schuppen am Rande abgefallen. Nur bei Kelheim sind die Fischleichen zerfallen, die Schuppen verstreut, die anatomische Ordnung des Skelettes gelöst; auch bei Nusplingen sind viele Fische weniger gut erhalten. Von Aspidorhynchus kennt man mehrere Exemplare, die nur aus dem Kopf und dem daran- hängenden Darm bestehen. Die vollständig erhaltenen Stücke sind fast stets etwas gekrümmt. Auch Heterolepidotus ist mit merkwürdig gebogenem Leib eingebettet. Herr EHRENSBERGER fand in einem Bruch 2 prachtvoll erhaltene Exemplare von Sfathobathis mirabilis. Sie waren von N nach S hintereinander geschwommen, das Männchen voraus, einige Meter dahinter das Weibchen, und das Wasser, das sie trug, muß sich so rasch wieder verlaufen haben, daß sie ohne langen Todeskampf verendeten. Bei Breitenhill sind Koprolithen ziemlich häufig, bei Eichstädt und Solnhofen aber selten; man könnte vielleicht daraus schließen, daß dort die Fische oder Reptilien noch gelebt haben, ehe sie in den Schlamm des Plattenkalkes versanken. Manche Fische oder andere größere Tiere scheinen vor dem Tode ihren Darminhalt rasch ent- leert zu haben. Ich denke hierbei weniger an Zumörtiaria als an Platten, auf denen halbverdaute Saccocoma und andere Ueberreste kleinerer Fische (Knochen, Schuppen) in einer gewundenen oder knäuelartig aufgewickelten Spur angeordnet sind, so daß man erbrochene Speisereste zu sehen glaubt. Caturus hat fast immer kleinere Futterfische im Schlund. Eugnathus zeigt mehrfach Spuren des Todeskampfes. Der Leib ist stark gekrümmt, die um- gebende Gesteinsmasse erscheint verschoben. Selbst Zef£olepis scheint in der Regel nicht in der Plattenkalkregion gelebt zu ‚haben, sondern hier nur als Leiche eingebettet worden zu sein. Sonst könnte man es nicht erklären, daß ganz be- stimmte, aber kaum ı cm mächtige Kalkplatten weithin mit ihren Skeletten übersät sind, während man in den liegenden und hangenden Schichten nur ganz vereinzelte Exemplare findet. Auch ihr so häufiges paarweises Vorkommen im Liegenden der Langenaltheimer Brüche in einem ganz bestimmten Horizont spricht ganz entschieden für ein rasches Grab. Ein halbverwester Trachyteuthis war ganz umgeben von einem Zeptolepis-Schwarm — vielleicht hatten dieselben an ihm gefressen (doch könnte es sich auch um ein zufälliges Verhältnis handeln). Wenden wir uns endlich den luftatmenden Tieren zu, so finden wir mehrere seltsame Fälle von Bewegungsspuren: 203 Die Fauna der Solnhofener Plattenkalke. 203 Im Berliner Museum machte mich Kollege JaEKEL auf eine Platte aufmerksam, die deutlich zeigt, wie ein kleines Insekt, halb im Schlamm versunken, mit seinen Flügeln so lange gezittert hat, bis eine flach-schüsselförmige Vertiefung im Schlamm ausgespült wurde, welche von zarten Wellenlinien umkreist wird (s. Fig. 18). Eine sehr charakteristische Spur hat schon Orper') beschrieben als Zchnites lithographica. Sie besteht aus zwei parallelen Reihen (s. Fig. 5) vierzehiger Fußeindrücke in 9 cm Abstand; die Zehen W: \ an waren mit Krallen bewehrt und die kurze Außenzehe wendete sich Aug: 7 N \ rechtwinklig gekrümmt nach hinten. Zwischen den Fußeindrücken I I (N! u N | " bemerkt man eine flache, schmale Furche, die von einem elastischen In N IN WU ö Y Schwanz bald mehr, bald weniger tief eingedrückt worden ist. Das IN N S ww. etwa taubengroße Tier ist ohne Hast auf dem nahezu trockenen N Schlammboden umhergehüpft, bald geradlinig, bald in einer Kurve. N _ — Die Sprungweite beträgt durchschnittlich 7 cm. Zwischen dem Fuß- a eindruck und der Schleifspur des Schwanzes bemerkt man an der Münchener Platte in deutlich alternierenden Abständen ein paar elliptische, nach außen divergierende Eindrücke, welche allem Anschein nach von der Vorderextremität erzeugt worden sind. Man sieht, daß das Tier einen etwas „humpelnden“ Gang hatte, und wenn wir mit OPpEL annehmen, daß diese Fährte von Archaeopteryx erzeugt worden ist, so würde sich ergeben, daß der Urvogel beim Hüpfen die etwas herabhängenden Flügel als Stützen benutzte, indem er die Carpalgelenke wie eine Krücke auf den Boden stemmte. Größere Platten einer sehr ähnlichen Fährte, doch von einem etwas kleineren Tiere erzeugt, sah ich in Solnhofen, wo diese Fährte einen ganz bestimmten Horizont bildet. Wenn derselbe durch die Steinbruchsarbeit entblößt wird, dann sieht man die Fläche ganz mit Fährten bedeckt, die bald gerad- linig, bald in engen Bogen angeordnet sind. Die Sprungweite ist meist 7 cm; bei Kurven wurde der innere Fuß nur 6 cm, der äußere 9 cm vorwärts bewegt. Der Abstand der Füße betrug 5,5 cm, die Schleifspur des Schwanzes ist deutlich, doch erinnere ich mich. nicht, die Stützspur der Vorderextremität gesehen zu haben. Sollten hier Altersgewohnheiten oder Artunterschiede vorliegen? Eine Anzahl interessanter Fährten, die im Museum Teyler aufbewahrt werden, hat WINKLER’) beschrieben. Fig. 19. Ichnites rhamphorhynchi phylluri. ?°/, nat. Größe. Nach WINKLER. Die erste Platte nebst Gegenplatte ist mit einer seltsamen Schleppspur (s. Fig. 19) bedeckt, welche von einem in einer Spitze endenden Organ erzeugt wurde, das, in einer regelmäßig nach rechts und links oscillierenden Wellenlinie bewegt, mit einem faltigen‘ Anhang abwechselnd links und rechts eine aus 5—7 parallelen Linien zusammengesetzte Figur erzeugte. Die Vermutung WINKLERs, daß dieses ı) Palaeontol. Mitt, Taf. XXXIX. 2) Archives du Musee Teyler, II. Ser., Vol. II, p. 435. 26 * 204 Die Fauna der Solnhofener Plattenkalke. 204 Ichnites rhamphorhynchi phylluri durch das Schwanzsegel eines flach über den Boden fliegenden Arampho- rhynchus erzeugt worden sei, kurz ehe er sich setzen wollte, scheint mir durchaus gerechtfertigt. Eine zweite Fährte im Museum Teyler entspricht durchaus der Spur, die Oprer als Arckaeopteryx- Fährte beschrieben hat; aber besondere Aufmerksamkeit verdient eine andere Spur, deren Analyse große Schwierigkeiten darbietet. Man sieht die Spur (s. Fig. 20) eines kleinen geschwänzten vierzehigen Tieres, das in einer Bogenlinie von rechts herangehüpft ist. Rechts und links von der langgezogenen Schwanzspur sind kreuzförmig gestellte Zehen eingedrückt, die in einem seitlichen Abstand von 4—3 cm und mit einer Sprungweite von nur etwa 2 cm angeordnet sind. Das Tierchen hat sich dann um 180° gedreht und einige Zeit lang Umschau gehalten. Hierbei ist ein (nach WINKLER paariges) meiner Ansicht nach unpaares Organ wiederholt in den Schlamm eingedrückt worden, worauf das Tierchen auf einem rechtwinklig abgebogenen Wege davonhüpfte Da ich die | Originalplatte nicht gesehen habe w EN = — & ir und nur nach der Abbildung | ur Da ee ee Se urteilen kann, ist es vielleicht be- en ——äi>—. denklic, Winkters Auffassung, en a wonach ein Perodactylus Kochi Zul IT @ Bee mit seinen Metatarsalknochen de radialen Eindrücke erzeugt habe, zu bestreiten; allen ich möchte Fig. er Sitzspur eines Pferodactylus. ?°j, nat. Größe. Nach WINKLER. au daß die ai, Mer 3 einander gleichartigen und nicht bilateral-symmetrischen Eindrücke . bei einer Wendung von rechts nach links durch den Schwanz erzeugt worden sind, mit dem sich das Tierchen beim Sitzen stützte. { Zu den erwähnten und in der Literatur beschriebenen Fährten kommen nun noch zwei Fährten- \ arten, deren Form von allem dem abweicht. i ® ZZ = —Z. = ne = — Zn ; 3 = => Fig. 21. Ichnium trachypodium. ?J, nat. Größe. Die eine Fährte (Fig. 21), die ich Zchnium trachypodium nennen will, besteht aus regelmäßig angeordneten, rauhen, länglichen oder zweilappigen Eindrücken, die von einem faltenbedeckten oder behaarten Fuß herrühren müssen. In München befinden sich 3 Platten, in Berlin 2, einige auch in 205 Die Fauna der Solnhofener Plattenkalke. 205 Eichstädt. Die Füße stehen ı5 cm seitlich voneinander, und da abwechselnd ein länglicher und dann wieder ein zweilappiger Eindruck aufeinander folgen, möchte ich den Abstand von 8 cm für die Hälfte der Schrittweite halten. Ich vermag diese Fährte auf keine bekannte Tierform der Plattenkalke zu beziehen. Vor einigen Jahren wurden in den Schmperschen Brüchen bei Solnhofen große Fährteneindrücke entdeckt, die auch in Pfalzpaint vorkommen und von denen eine Platte unbekannter Herkunft im Münchener Museum liegt. Sie wurde oben als /chnites megapodium beschrieben. Das Tier kam von Norden und ist, nach Westen abbiegend, weitergelaufen. Der Eindruck des größeren (Hinter-)Fußes (s. Fig. 10), hat eine Länge von 16 cm, eine Breite von ı2 cm, doch mag der Fuß etwa doppelt so lang gewesen sein, denn man sieht einen sichelförmigen Rand und darin einige anscheinend von einer faltigen Flosse her- rührende Eindrücke. Der kleinere (Vorder-)Fuß ist 5 cm breit gewesen und läßt a den Zehen oder den Falten einer Schwimmhaut entsprechende Eindrücke erkennen. Die Schrittlänge möchte ich auf 30 cm berechnen, doch kann ich diese Zahl nur mit großer Reserve angeben. Mitten in der schreitenden Fährte ist das Tier plötzlich gesprungen oder geschwommen; denn auf eine Länge von 150 cm fehlen die Fußeindrücke, und statt derselben sieht man 3 wellig gebogene parallele Furchen, die etwa 3 und 4 cm voneinander hinlaufen. Dann folgen wieder die Fußeindrücke mit einer gewissen Regelmäßigkeit aufeinander. Bemerkenswert ist es, daß die Fährte dieses doch jedenfalls bärengroßen und schweren Tieres nur etwa 3 mm in den Schlamm eingedrückt wurde. Aus den bisher mitgeteilten Beobachtungen läßt sich mit Sicherheit folgendes schließen: Mit Ausnahme von Geocoma, die vorübergehend bei Zandt gelebt hat, hat kein marines Wassertier in den Gewässern gelebt, an deren Boden die Plattenkalke gebildet wurden. Alle Medusen, Echinodermen, Krebse und Fische waren schon tot, ehe sie eingebettet wurden, und sanken als Leichen auf den Boden nieder. Ganz vereinzelt sind die Spuren einer Agonie oder kräftiger Be- wegungen. Von den Wassertieren hat mit Sicherheit nur Zimulus gelebt; aber auch dieser ist ge- storben, nachdem er eine Strecke über den Schlammboden gelaufen war, und die Schläge seines Telson beweisen, daß er einen Todeskampf zu bestehen hatte. Selbst die größten Fische (Zepidotus, Eugnathus von über ı m Länge) sind glatt auf den Boden hingelegt worden und haben in der Regel keine Be- wegungen mehr ausgeführt. Da weder brackische noch Süßwassermuscheln oder Schnecken gefunden werden, während doch in gleichalterigen Sedimenten bei Ulm eine ziemlich zahlreiche Fauna brackischer Tiere lebte, müssen ‘ wir schließen, daß die Gewässer der Plattenkalkregion auch für die Ansiedelung nicht-mariner Wasser- tiere ungeeignet waren. Dagegen haben auf dem Gebiet der Plattenkalke vereinzelt Archaeopteryx, Pterodactylus und einige größere, noch unbekannte luftatmende Tiere gelebt. Die Mehrzahl der mir bekannten Exemplare von Pferodactylus und Rhamphorhynchus sind allerdings als Leichen eingebettet worden. Obwohl die Knochen noch zusammenhängen, so sind sie doch locker verbunden, die Gliedmaßen hängen schlaff herab, und mehrere neuerdings gefundene Rhamphorhynchen zeigen ganz übereinstimmend folgende Lage: Schwanz und Extremitäten sind schlaff nach hinten gezogen, der Kopf ist ebenfalls nach rückwärts umgebogen, und die Leiche ist allem Anschein nach eine Strecke getrieben oder geschleift worden. Bei einem Exemplar konnte EHRENSBERGER deutlich erkennen, daß es von W nach OÖ getrieben worden ist. 206 Die Fauna der Solnhofener Plattenkalke. 206 ° Auch die große Mehrzahl der Insekten hat keine Bewegungen mehr ausgeführt, mit Ausnahme des oben erwähnten Falles. So erscheint uns die Fauna der Plattenkalke als ein großes Leichenfeld: die so wunderbar erhaltenen Fossilien waren dem Tode nah oder schon gestorben. Keine Woge zerstreute die Schuppen der Fische, die Federn des Urvogels, und den Rippenkorb des Compsognathus. Keine Fäulnisbakterien zerstörten die Muskelsubstanz der Fische, kein Krebs hat an den Leichen gefressen. Selbst die zarte Gallertscheibe riesiger Medusen wurde mit feinstem Kalkmehl bedeckt, ehe Sonne und Wind, Bakterien und Wärme ihr Gewebe zum Zerfall brachten. VI. Die Bildung der Plattenkalke. Während der Jurazeit hatte ein tierreiches Meer Schritt für Schritt den größten Teil von Mittel- europa überflutet. Langsam verschwand das rhätische Festland unter seinem Spiegel, und nur im Norden blieb ein skandinavisch-baltisches Festland trocken, während im Süden die Ruine eines uralten Gebirges, das vindelicische Festland, aus dem Wasser aufragte. Vom böhmischen Massiv ') erstreckt sich gegen den Bodensee ein seit uralter Zeit festländisches Gebiet, durchzogen von den eingeebneten Falten des vindelicischen Gebirges. Während der unteren Liaszeit bildeten sich an seinen flachen Ufern sandige Gesteine, die sogar das Meer gegen Westen zurückdrängten, das dann während der Amaltheen-Stufe entschieden wieder vorwärts schritt, und in Ver- bindung mit dem alpinen Liasmeere trat. Die bituminösen Schiefer des oberen Lias sind arm an marinem Benthos und reich an nektonischen und pseudoplanktonischen Ueberresten. Pomreckr erblickt in ihnen ein Sediment, das ähnlich wie der Schlamm des Pontus durch die reichliche Entwickelung von Schwefelwasserstoff für die Ansiedelung einer marinen Bodenfauna ungeeignet war. Durch starke An- häufung von klastischen Sedimenten wird dieses Nebenmeer rasch ausgefüllt und wieder dringt das Doggermeer mit seinen echt ozeanischen Bedingungen siegreich heran. Die aus verwitterten, eisenreichen, kristallinischen Küstengesteinen entstandenen, litoralen Eisensandsteine sind durch Diagonalschichtung, Rippelmarken und Armut an marinen Fossilien ausgezeichnet. In Schwaben kennt man in der Murchi- sonae-Zone sogar Gerölle und Bohrmuscheln. Inzwischen transgredierte das norddeutsche Jurameer gegen Oberschlesien und Polen. Böhmen wurde als Insel vom vindelicischen Festland abgeschnürt und an den Ufern desselben bildeten sich wiederum eisenreiche, braune Litoralgesteine, oft von oolithischem Charakter, denen glaukonitische und phosphoritreiche Ablagerungen bei Regenstauf folgen. Das vinde- licische Festland war während dieser Zeit immer mehr eingeebnet worden und eine Meeresstraße drang bei Regensburg bis nach dem polnischen Meere vor. Zur Malmzeit wurde das Meer tiefer, denn die darin so zahlreich auftretenden Hexactinelliden leben nur unterhalb einer Tiefe von 200 m. Der Mangel von klastischen Sedimenten spricht dafür, daß, mit Ausnahme der Gegend von Ulm, kein größerer Fluß in das süddeutsche Jurameer mündete. Dagegen war jetzt der Austausch der Meeresfaunen besonders lebhaft und ein reiches Leben kalkabscheidender Tiere siedelte sich überall an. Während sich alle diese Ablagerungen übereinander schichteten, wanderten aus dem fernen Welt- meer immer neue Tiergeschlechter in die germanische Bucht hinein. Anfangs kamen die fremden Gäste stoßweise, und daher finden wir sie als typische „Leitfossilien“ schichtenweise verteilt in den auf- ı) Pomreck1, Die Juraablagerungen zwischen Regensburg und Regenstauf, Geogn. Jahreshefte, München 1901, S. 139, 207 Die Fauna der Solnhofener Plattenkalke. 207 einander folgenden Liasstufen; aber immer besser passen sie sich den neuen Existenzbedingungen an, und in dem Maße, wie endemische Formenkreise entstehen, wird es für den sammelnden Geologen im Dogger und noch mehr im Malm immer schwieriger durchgehende leitende Formen auf weite Ent- fernung zu verfolgen. Besonders durch die Ansiedelung riffbildender Korallen, die in Frankreich schon während der mittleren Jurazeit üppig gediehen, wird die stratographische Gliederung des deutschen oberen Jura sehr erschwert. Der vorher ebene, nur von flachen Bodenschwellen gegliederte Meeresgrund zerlegt sich jetzt in einzelne Riffgruppen, die als Atolle und vielgestaltige Archipele im Wasser emporwachsen. Zwischen ihren steilwandigen Kalkinseln bildet sich kalkiger Schlamm mit horizontaler Schichtung, an ihren Ab- hängen aber sinken die Schuttkegel zertrümmerten Korallenkalkes wie ein faltiger Mantel in die Tiefe und werden durch schräg hinabsteigende Schichtung (Uebergußschichtung) gesondert. Das Festland im Süden der Riffzone war reich bewachsen; Cypressen, Gingko und Farnbäume bildeten dichte Bestände, schilfartige Gewächse wuchsen im schlammigen Gebiet der Schorre, und ein reiches Insektenleben diente räuberischen Reptilien zur Nahrung. In der Gegend von Ulm mündete ein großer Fluß, der seinen grauen Schlamm zwischen den Koralleninseln ausbreitete. Sonst aber war die Küste arm an fließendem Süßwasser, denn von Kelheim bis nach Nusplingen wurden die Zwischenräume zwischen den Korallenriffen vorwiegend mit Kalksand und feinstem Kalkschlamm ausgefüllt, in dem wir nur an wenigen Stellen brackische Tierreste finden. Die Grundlage desselben war jedenfalls wie in den Korallenmeeren der Gegenwart ein organisch ent- standenes Kalkmehl, — aber wir haben noch zu zeigen, daß auch chemische Vorgänge eine große Rolle zu spielen begannen. Ob die Zufüllung des süddeutschen Meeresbeckens mit organischen, mechanischen und chemischen Sedimenten hinreicht, um die Festlandsperiode der unteren Kreidezeit herbeizuführen, oder ob dabei ein Rückzug des Meeres selbst noch angenommen werden muß, läßt sich im Altmühltal nicht entscheiden, da die jüngsten Uebergangsgesteine wieder zerstört worden sind. Wir wissen nur, daß der größere Teil von Deutschland zur Neokomzeit wieder Festland war, und daß uns aus dieser Zeit die Wälder- kohlen von Hannover mit einer reichen tropischen Flora") überliefert worden sind. Neben zahlreichen Cycadeen treten Coniferen in den Wäldern auf, zwischen denen Farne, Equiseten und Marsiliaceen lebten. Aus dem Gesagten ergibt sich deutlich, daß die Plattenkalke in einer Periode gebildet worden sind, wo ein ehemaliger Meeresgrund in Festland verwandelt wurde. Die Plattenkalke sind zwar das bekannteste, aber keineswegs das einzige Sediment dieser Periode; vielmehr können wir als gleichalterige Fazies folgende Gesteine unterscheiden: ı) Dolomitgesteine, die vielfach sogar die Plattenkalke überragen, also dann vielleicht geologisch jünger sind, und die an vielen Stellen seitlich in Plattenkalk übergehen. Nach Analogie der jetzigen Korallenriffe, deren Kalkfelsen oft sehr rasch unter Verlust der Korallenstruktur in Dolomit verwandelt werden, halten wir diese Gesteine für ehemalige Riffkalke. Nur an wenigen Stellen ist die Korallenstruktur wohlerhalten; und wenn durch nachträgliche Verkieselung die Korallenkelche verhärtet wurden, dann lassen sie sich trefflich herauspräparieren. Neben Nattheim, das sich durch eine große Zahl endemischer Korallenarten (70 unter 121 sp.) auszeichnet, ist im Süden Niederstozingen, im Osten Kirchbuch und Pietenfeld als Korallenfazies zu nennen. I) SCHENK, Die fossile Flora der norddeutschen Wälderformation, Heft III. 208 Die Fauna der Solnhofener Plattenkalke. 208 Als Riffkalke sind sodann die Kelheimer Diceraskalke zu erwähnen, die nicht nur das dortige Plattenkalkgebiet umgeben, sondern auch zungenartig in die Plattenkalke eingreifen. 2) Oolithische Dünenkalke sind bei Schnaitheim und bei Zandt dem Riffkalk aufgelagert. Ihre Struktur stimmt völlig mit dem verhärteten „aeolian limestone“ der Bermudas überein, dessen Ent- stehung durch wandernde Kalksanddünen zweifellos ist. 3) Krebsscherenplatten. Die Zwischenräume zwischen den Korallenklippen wurden meist durch ein dünngeschichtetes dichtes Kalkgestein ausgefüllt, das bisweilen reichliche Krebsscheren enthält und danach benannt wird. Aber neben den isolierten kleinen Scheren findet man darin kein einziges zusammenhängendes Krebsskelett, und die im Plattenkalk gefundenen wenigen Exemplare von Magila zeigen einen so dünnen, vergänglichen Panzer, daß man auch Magila suprajyurensis für einen weich- häutigen Krebs halten muß, der das Wasser zwischen den absterbenden Riffen belebte, und dessen Scherenfüße allein hart genug waren, um fossil erhalten zu werden. Andere Versteinerungen fehlen in den Krebsscherenplatten, obwohl das feinkörnige, dichte Gestein auch die zartesten Reste hätte konservieren können. 4) Während alle bisher besprochenen Sedimente sehr reine Kalksteine mit 97—99 Proz. Kalk- karbonat sind, wurde in der Gegend von Ulm und Blaubeuern ein Zementmergel gebildet, dessen Kalkgehalt 68—53 Proz. beträgt. Kalkreichere Zonen sind denselben eingeschaltet. 5) Mitten zwischen diesen verschiedenartigen Sedimenten treten die echten Plattenkalke in eng umschriebenen Gebieten auf, sie sind mit jenen durch Uebergänge verknüpft, und wir müssen daher annehmen, daß sie manche ihrer Bildungsumstände mit ihnen teilen, aber sie unterscheiden sich von denselben durch ganz bestimmte petrographische und paläontologische Charaktere, die darauf hindeuten, daß hier noch ganz besondere Umstände geherrscht haben. Obwohl es oft schwer erscheint, gerade die Krebsscherenplatten und Plattenkalke scharf zu trennen, so hat sich doch durch zahllose Schürfungen und Versuchsbaue ergeben, daß die Plattenkalke vorwiegend in 3 Gebieten auftreten: a) zwischen Kelheim und Hemau, b) bei Zandt und Breitenhüll, c) zwischen Pfalzpaint, Pappenheim und Daiting. Einzelne Denudationsreste sind davon losgelöst, und die jetzige Verbreitung der Plattenkalke entspricht nicht genau den einstigen Ablagerungsflächen, allein im großen ganzen wird man die auf dem Kärtchen (Fig. ı) nach v. GÜMBEL eingetragenen Grenzen für richtig halten müssen. Die Plattenkalke haben bei Solnhofen eine Mächtigkeit von etwa 25 m, die gegen Langenaltheim beständig abnimmt, während bei Eichstädt etwa ı5 m Plattenkalke aufgeschlossen sind. Die zur Bildung derselben nötigen Bedingungen müssen während der Zeit, wo 25 m Kalksteinschichten entstanden, unver- ändert dieselben gewesen sein, denn es läßt sich kein Unterschied zwischen den liegenden und den hangenden Kalkplatten finden. Auch die eingestreuten Fossilien nehmen mit Ausnahme von Leptolepis bei Langenaltheim, Medusen bei Pfalzpaint, Saccocoma bei Eichstädt, Geocoma bei Zandt keine bestimmten Horizonte ein. Man findet vielmehr fliegende festländische Insekten, wie marine Krebse und Fische völlig regellos und vereinzelt in den Plattenkalken, und nur die Gesamtfauna ein- zelner Gebiete zeigt charakteristische Unterschiede gegenüber entfernteren Fundorten. Obwohl wir die vindelicische Küste etwa 20 km südlich vom Altmühltal vermuten dürfen, so hat doch hier kein Fluß seinen Schlamm bis in die Plattenkalkregion getragen. Denn kein einziges Geröll, 209 Die Fauna der Solnhofener Plattenkalke. 209 keine sandige Einlagerung ist zwischen den Plattenkalken zu finden. Die von SCHWAGER ausgeführten Analysen von 9 verschiedenen Plattenkalken ergaben: 97,12—99,34 Proz. Kalkkarbonat 2,80— 0,79 ,„ Magnesiakarbonat und nur ganz geringe Beimengungen von Kieselsäure, Tonerde und organischer Substanz; liegt doch gerade in ihrer Reinheit die technische Bedeutung der Solnhofener Platten. Die besten (blauen) Lithographiesteine enthalten 1,31 Proz. organische Substanz und Wasser, und beim Entkalken eines sehr dunkelgrauen Kalks aus den Brüchen des Solnhofener Aktienvereins konnte ich unter dem Mikroskop deutlich die dunklen kohligen Pflanzenreste erkennen, die schon v. GÜMBEL beobachtet hat. ‚ Während sich die dünneren Zwicklagen leicht von den mit ihnen wechsellagernden tonigen Fäulen abheben, findet man bei den starken lithographischen Platten durchgängig, daß ihre Oberseite aus fast reinem, hartem, klingendem Kalk besteht, während sie nach dem Liegenden in eine weiche, tonreiche Fäule übergehen. Mit anderen Worten: der reine Kalk entwickelte sich aus einem ton- reicheren Kalkschlamm durch langsame allmähliche Uebergänge. (Nur im Liegenden der Mörnsheimer Brüche kommen gewisse Steinlagen war, welche die Arbeiter „eingewickelt“ nennen, weil sie im Liegenden und im Hangenden eine tonıge Fäule tragen.) Von großer Wichtigkeit erscheint mir nun, daß nach dem übereinstimmenden Urteil der Herren EHRENSBERGER und GRIMM die meisten Fossilien auf der Unterseite der Kalkplatten beobachtet werden, umgeben von derselben tonigen Fäule, welche die Basis der Platte darstellt. Wenn man eine Probe des Kalkes oder einer Fäule mit Säure behandelt und den Lösungs- rückstand unter dem Mikroskop untersucht, so erkennt man neben kleinen Tonflecken und den schon genannten kohligen Gewebestückchen zahllose kleine Quarzstückchen von eckigem oder rundlichem Umriß, aber meist so klein, daß man sie als Staub betrachten muß. Ein von Herrn Prof. Dr. SCHWERTSCHLAGER bei Eichstädt geschlagenes Kalkstück war von ziegel- roter Farbe. Der Lösungsrückstand zeigte unter dem Mikroskop neben den erwähnten Quarzflittern rote Tonflocken. Man darf wohl diese Substanz als festländischen Lateritstaub betrachten, der durch den Wind von Süden herbeigetragen worden ist. Ich hatte erwartet, in diesen Lösungsrückständen zahlreiche Radiolarien oder Diatomeen zu finden, da ich vermutete, daß die tonige Substanz durch die Meereswellen herbeigetragen worden ist. Aber alle meine Bemühungen waren vergeblich. Einige zarte monaxone Spongiennadeln gehören jedenfalls dem marinen Benthos an und sind ebenso hierher verschleppt, wie alle übrigen Meerestiere. Wir kommen also zu dem Schluß, daß die im Liegenden der Flinze auftretende tonige Grund- masse (Fäule) nicht aufgewühlter Meeresschlamm sondern festländischer Staub ist. Auch die Insektenfauna läßt uns ja erkennen, daß heftige Süd-Winde von dem südlichen vinde- lieischen Festland nach dem lagunenreichen Meere wehten. Bekanntlich sind: die ozeanischen Inseln im allgemeinen arm an Insekten, und die dort lebenden Formen sind flügellos oder zum Fliegen ungeschickt. Mustern wir daraufhin die Insektenfauna von Eichstädt-Solnhofen, so sind wir durch den Formenreichtum derselben überrascht und bewundern besonders die großflügeligen Vertreter. Selbst wenn wir absehen wollten von der wundervollen Aallıoramma Haeckeli, so ist es doch bedeutungsvoll, daß 35 Proz. aller Insekten zu den großflügeligen Libellen gehören, während Schaben und Käfer je etwa ı2 Proz. aller Insekten darstellen. Wenn auch viele Abdrücke keine ganz sichere Bestimmung erlauben, so kann man doch nach v. Ammon 72 Gattungen und etwa 103 Arten unterscheiden. Ein solcher Formenreichtum Jenaische Denkschriften. XL 27 Festschrift Ernst Haeckel. 210 Die Fauna der Solnhofener Plattenkalke. 210 verlangt notwendig ein größeres, reichbewachsenes, mannigfaltig besiedeltes Festland und widerspricht der Annahme, daß die Insekten auf den kleinen Korallenriffinseln gelebt haben könnten. Da wir marine Hochseefische, Kieselschwäimme des tieferen Meeresgrundes und Insekten des Festlandes auf denselben Kalkplatten völlig regellos verteilt und miteinander gemischt finden, muß die Plattenkalkregion allen diesen verschiedenartigen tiergeographischen Gebieten offen gestanden haben. Es mußten während der Bildung der Schichtentafeln sowohl die Meereswogen wie die Landwinde ihre Tiere über die horizontale Fläche ausbreiten können; zugleich mußten einzelne Tiere, wie Archaeopteryx, Pterodactylus, und die beiden anderen „Fährtentiere“ auf der halbtrockenen Fläche herumhüpfen und wandern können. Der Kalkschlamm muß überaus feinkörnig gewesen sein, sonst würde er nicht Vogelfedern, Insektenflügel und die zarten Arme der Saccocomen so wunderbar konserviert haben, und man sieht in den 10—20 m hohen Profilen von unten bis oben immer dieselben feinkörnigen Plattenkalke über- einander geschichtet. Die Anzahl der Flinze und Zwicklagen entspricht ebenso vielen Ueberflutungen, die bald eine 3 mm hohe Schicht Kalkbrei bildeten, bald ein 25 cm mächtiges Flinz erzeugten. Es gehörten also hunderte von aufeinander folgende Ueberschwemmungen dazu, um die Plattenkalke aufzuschichten. Im allgemeinen darf man sagen, daß die Zwicklagen von gröberem Korn sind als die Litho- graphiesteine und dazwischen allerei Uebergänge vorkommen; aber es gelang mir nicht, irgend welche Gesetzmäßigkeit in der Verteilung der Korngröße zu entdecken. Wenn nun bei Pfalzpaint in einem Profil von ı5 m Plattenkalken 4 verschiedene Medusenhorizonte auftreten und oben wie unten die Medusen gleichmäßig gut konserviert sind, wenn bei Eichstädt gegen 6 Saccocoma-Horizonte das Profil gliedern, ohne daß man in Vorkommen und Erhaltungszustand Unterschiede bemerkte, wenn endlich die Insekten bei Eichstädt wie bei Solnhofen völlig diffus bald im Hangenden, bald im Liegenden gefunden werden, wenn die beiden Exemplare des Urvogels 15 km voneinander in ganz verschiedenen Profilen gleichartig gut konserviert wurden, dann kommen wir zu dem schwerwiegenden Satz, daß die ozeanographischen Bedingungen (Strömungen, Wassertiefe, Absatz, während der ganzen Dauer der Plattenkalkbildung überall nahezu dieselben gewesen sein müssen. Medusen von 30 cm Durchmesser und Fische von 120 cm Länge und 40 cm Höhe können natürlich nur in einer dickeren Wasserschicht getragen werden. Obwohl ich besonders darauf geachtet habe, konnte ich nirgends Schleppspuren der Medusenarme sehen (vergleichbar dem Zopkyton), und ebensowenig haben die größten Fische eine Rinne hinterlassen. Die Meerestiere schwebten also in einer Wasserschicht, hoch genug, um die Bildung derartiger Spuren unmöglich zu machen. Andererseits hat wohl jeder, der die wunderbaren Medusenabdrücke von Pfalzpaint daraufhin angesehen hat, die Ueberzeugung gewonnen, daß sie nicht unter Wasser, sondern auf dem trockenen Strande abgedrückt worden sind. Wenn bei Pfalzpaint eine Küstenlinie das tiefere Wasser von dem trockenen Strande getrennt hätte, und die in jenem herbeigetragenen Medusen auf diesem konserviert worden wären, so müßte man dies ım Profil an der Fundstelle deutlich nachweisen können. Man würde eine Veränderung in der Korngröße des Sedimentes und ein Dickerwerden der Platten beobachten müssen. Allein die Platten- kalke sind von unten bis oben völlig ebenschichtig; keine noch so geringe Dickenzunahme der Flinze läßt sich erkennen, und auf 4 verschiedenen Schichtenflächen sind die Medusen verteilt. Angesichts dieser Tatsache kann der Gegensatz zwischen Wassertransport und Küstenbildung nicht im räumlichen Sinne als ein Nebeneinander aufgefaßt werden; es bleibt uns vielmehr keine andere Wahl als anzunehmen, Zi Se EEE DEREN EEE EEE EENMEDLEAEEEEDRLMELLLLLEÄAEÄLÄÄEEE ERBEN 211 Die Fauna ‘der Solnhofener Plattenkalke. 211 daß die ganze Fläche der Lagune zu Zeiten nahezu trocken lag und nur vorüber- gehend von einer Wasserschicht überflutet wurde, welche den Kalkschlamm und die Meerestiere herbeitrug und sich dann rasch wieder verlief. Dafür spricht auch der scheinbare Wiederspruch, der sich ergibt, wenn wir uns die Frage vorlegen, ob der Kalkschlamm dünn- oder zähflüssig war. Ich kenne mehrere Beispiele, welche beweisen, daß die Kalkmasse eines Flinzes einmal aus einem sehr dünnflüssigen Brei bestand. Auf dem Schmperschen Bruch bei Solnhofen sah ich einen Penaeus, der bis auf eine kleine Fläche des Kopfschildes im Schlamm versunken war; von ihm gehen 2 lange Antennen aus, die auf der Oberfläche des Flinzes ausgebreitet sind. Manche Fische sind 2—3 cm in den Schlamm eingesunken, so daß nur die Schwanzflosse in einer deutlichen Flexur bis auf die Schichtoberfläche reicht. Aber der anfangs in vielem Seewasser suspendierte, dann breiartig und dickflüssig werdende Kalkschlamm muß schon nach kurzer Zeit abgetrocknet sein, denn die von einem so großen und schweren Tier erzeugte Fährte des /chntum megapodium ıst nur 3 mm in den Kalk eingedrückt. Andererseits beweisen die Fußspuren des zierlichen Pferodactylus und der kleinen Archaeopteryx, daß keine oder nur eine ganz dünne Wasserschicht über dem Sediment gestanden hat. Man wird wohl der Wahrheit am nächsten kommen, wenn man unter Berücksichtigung aller dieser Tatsachen eine fast horizontale, von ganz geringen Bodensenken unterbrochener Schlammfläche annimmt, auf der vereinzelte Wasserflächen von halbtrockenen Gebieten unterbrochen wurden. Auf dieser feuchten Fläche klebte aller der Staub fest, der durch Wind von dem nahen Festland herüber- getragen wurde. Auch die gleichzeitg herbeigeführten Insekten blieben auf der Schlammfläche haften und mögen von Archaeopteryx und Pterodactylen meist gefressen worden sein. Ich glaube nicht, daß die Ueberschwemmung dieser Region mit Meerwasser durch die normalen Gezeiten erfolgte, denn sonst würden die 250 Flinze innerhalb von ı25 Tagen gebildet worden sein. Man müßte dann auch die Fische mehr in Schwärmen finden, während sie fast ausnahmslos vereinzelt vorkommen. Vielmehr nehme ich auf Grund meiner Beobachtungen an, daß nur besonders hohe Fluten und der Wasserstau bei langandauernden Stürmen dem Meer erlaubten, den Gürtel der Saumriffe zu über- schreiten und die mit halbtrockenem Kalkschlamm bedeckte Fläche zu überschwemmen. Da diese Fläche im Niveau des Meeresspiegels bei Flut lag, mußte auch das Wasser in kurzer Zeit wieder ablaufen; es sickerte durch die Korallenfelsen in das Meer zurück und ließ einen langsam sich verdickenden Kalkbrei auf dem Lagunengebiet übrig. Dieser, aus zerriebenen organischen Kalkskeletten ausgewaschene Kalkschlamm (Korallenschlick) bildete nun, vermischt mit festländischem Staube, die Umhüllung der von der Sturmflut herbeigetragenen Meerestiere. Mit Ausnahme des amphibischen Zzmwlus wurden dieselben durch das Versickern des Wassers und den immer dichter ihre Kiemen umhüllenden Kalkbrei rasch getötet und in den zähen Kalkschlamm eingebettet. So bildete sich die tonige Fäule im Liegenden der Kalkplatten, welche die meisten Fossilien umhüllt und darüber stand eine allmählich sich abklärende Wasserschicht, die in den schlammigen Boden der Lagune hineinsickerte. Die Korallenriffe, die tropische Insektenfülle, die Flora und die lateritisch gefärbten Sedimente sind Symptome eines regenreichen Tropenklimas, und so dürfen wir wohl annehmen, daß auch im Gebiet der Plattenregion die gewaltigen Regengüsse herniederkamen, welche ein so wesentliches Element der heißen Zone sind. Sie verkitteten die lockeren Kalkdünen von Schnaitheim, waren bei der Umwandlung des Riffkalkes in Dolomit tätig und füllten auch die flachen Lagunenbeken mit brakischem oder sogar 27* 212 Die Fauna der Solnhofener Plattenkalke. 212 süßem Wasser. Zum Verständnis dieser Annahme erwähne ich die Beobachtungen von A. Acassız') über die Atolle des Pacific aus denen wir lernen, wie tierarm und salzarm das Wasser mancher Atoll- lagunen ist: Lil und Mejt im Marquesasarchipel sind völlig geschlossene Atolle, in deren Lagune nur brackisches Wasser steht. Auf manchen Atollen sind Süßwasserbrunnen. Bei Jabor auf Jaluit finden sich zwei Süßwasserlagunen, deren Wasser mit der Flut steigt und fällt und die uns zeigen, wie durch- lässig der Korallenfels ist, und wie er doch auch die Ansammlung von brackischem oder süßem Wasser ermöglicht. Es ist daher wohl verständlich, daß sich ın den Plattenkalkgebieten nach dem Versinken der Meeresfluten immer wieder Regenwasser ansammelte und daß bei diesem häufigen Wechsel des Salz- gehaltes und der immer wieder einsetzenden Verdunstung eine chemische Abscheidung von Kalk erfolgen konnte. Eine Reihe längst bekannter Tatsachen drängen uns unbeweisbar zu diesem Schluß. Die zart- wandige Augenkapsel vieler Fische, der dünne Kelch von Saccocoma, Brust- und Hinterleib der Insekten ja sogar die oben Fig. 16 abgebildete Kriechspur einer Saccocoma ist mit grobkristallinischem Kalkspat ausgefüllt. Da es sich hierbei um sehr zarte vergängliche Hüllen handelt, die, meist völlig geschlossen, wie die Luftkammern von Ammonitenschalen, nur durch infiltriertes Wasser erreicht werden konnten, muß diese Kalkspatbildung sofort begonnen haben und sehr rasch verlaufen sein. Wenn aber solche gröbere Hohlräume nachweislich mit kristallinischem Kalkspat erfüllt wurden, dann ist man wohl berechtigt, anzunehmen, daß in den Zwischenräumen zwischen den Teilchen des Lagunenschlammes Kalk abgeschieden wurde Zu dem organisch entstandenen Korallenschlick und dem festländischen Staub trat jetzt ein drittes Element, der chemische Kalkniederschlag. Anfangs wurde nur der tonige Lagunenschlamm kalkreich, dann aber setzte sich die Abscheidung feiner Kalkteilchen aus dem vom Riffrand einsickernden Regenwasser immer lebhafter fort. Die von der tonigen Fäule umhüllten Organismen wurden durch den zarten Schnee feiner Kalkteilchen über- schüttet, und hermetisch eingehüllt. Daß ein solcher Vorgang chemisch möglich ist, hat zuerst P. Schirırz?), später G. Linck°) experimentell gezeigt; die näheren Umstände aber lassen sich jetzt nicht mehr feststellen. So wuchs aus der liegenden, weichen, tonreichen Fäule langsam der harte kalkreiche Flinz heraus, und je länger der chemische Kalkniederschlag erfolgte, desto schönere und bessere Lithographen- steine konnten entstehen. Der Gehalt der besten, sogenannten blauen Steine an feinen Pflanzenfetzen, die völlige Reinheit des Kalkes und ihr Mangel an marinen Fossilien steht im engsten Zusammenhang mit diesen Bedingungen ihrer Bildung. Aber auch eine Reihe weiterer chemischer Prozesse setzten sogleich ein. Wir können ihren Ver- lauf noch nicht völlig überschauen, aber ihre Wirkungen liegen offen zu Tage. Ich verweise zuerst auf die von ©. Reıs*) entdeckte Tatsache, daß die Muskelsubstanz von Reptilien, Fischen, Anneliden und Cephalopoden bis in alle histologischen Einzelheiten in manchen Solnhofener Stücken erhalten ist. Bei Anguwisaurus und Ichthyosaurus, Notidanus, Acrodus, Palaeoscyllium, Aellopus, Spathobatis, Ischyodus, ı) The Coral Reefs of the Pacific, Mem. Mus. of Comp. Zoology Harvard College, Vol. XXVIII, IV, 1903, I Dr, Bes 2) J- WALTHER und ©. SCHIRLITZ, Studien zur Geologie des Golfes von Neapel, Zeitschr. d. Deutsch. geol. Ges., 1886, S. 337. 3) G. Linck, Die Bildung der Oolithe und Rogensteine, Neues Jahrb. f. Mineral., 1903, S. 495. 4) ©. Reıs, Archiv für mikr. Anatomie, 1893, S. 492, Taf. XXIX—XXXI. 213 Die Fauna der Solnhofener Plattenkalke. 2463 Chimaeroßsis, Undina, Phohdophorus, Aspidorhynchus, Belonostomus, Flypsocormus, Sauropsis, Agassizia, Caturus, Eurycormus, Callopterus, Megalurus, Leptolepis, Thrissops, sodann bei Deiemnites, Belemnoteuthis, Trachyteuthis, Leptoteuthis, Geoteuthis, Plesioteuthis, Acanthoteuthis und Zunicites sind die Muskelbündel in ein phosphoritähnliches Gestein von folgender Zusammensetzung verwandelt: E20, 70, Proz. CaCO, 120707 Ms;P;O, OSB CaSO, 3,5 X R,PO, OB, Cal, 6,5 „ Na,EO, 3 % H,O und organische Substanz Done, Der Phosphor- und Fluorgehalt stammt augenscheinlich aus dem Speisebrei. Dieser „Zoophos- phorit“ wurde zuerst in dem interfibrillären Protoplasma niedergeschlagen, und als die Fibrillen zerfielen, blieben feinste Lücken zurück, deren Anordnung uns die histologischen Eigentümlichkeiten der quer- gestreiften Muskelstruktur bis auf den heutigen Tag erhalten hat. Meine Beobachtungen können diese Resultate nur bestätigen, denn es kann keinem Zweifel unter- liegen, daß chemische Auflösung und Wiederabscheidung von Kalksalzen sofort nach der Ablagerung des mechanisch herbeigeführten Kalk-Tonschlammes begann und daß diese Prozesse beendet waren, noch ehe der völlige Zerfall der Weichteile unserer Fauna erfolgte. Auch die pseudomorphe Verwandlung der Kieselnadeln von Spongien (Arnmonella) in Kalkerde mag in derselben Zeit vor sich gegangen sein, und wenn man endlich erwägt, daß gleichzeitig die be- nachbarten organischen Korallenkalke in Dolomit verwandelt wurden, so kann man verstehen, welche verwickelten Vorgänge sich hier nebeneinander vollzogen haben müssen. An diese chemischen Umwandlungen des Solnhofener Gesteines möchte ich auch die mechanischen Veränderungen angliedern, die wir in den wellenförmigen Biegungen der „krummen Lage“ bei Mörnsheim finden. Die handhohen Kalkschichten müssen zusammengeschoben und gerollt worden sein; und bei Betrachtung des Schichtenverbandes gewinnt man den Eindruck, daß diese Bewegungen kurz nach Abschluß der Sedimentation eingesetzt haben. Ich wage es nicht, eine Erklärung für diese Verände- rungen zu geben, möchte aber darauf hinweisen, daß bei Salmendingen in gleichalterigen Mergeln Pseudomorphosen von Kalkspat nach Gips vorkommen') und daß die „krumme Lage“ allem Anschein nach die Bildung der eigentlichen Plattenkalke abschloß und eine neue Phase der Gesteinsbildung und der Lebensverhältnisse einleitete.e Es wäre immerhin möglich, daß damals das Becken vorübergehend mit Mutterlaugen erfüllt gewesen wäre, die bei späterer Wasseraufnahme und Fortführung auch mechanische Veränderungen des sie enthaltenden Gesteins veranlassen konnten. Diese oben geschilderten, wechselreichen Umstände machen es nun wohl auch verständlich, warum die Fossilien in den Plattenkalken sehr selten sind, aber so wunderbar erhalten blieben. Wie man sich an jeder Meeresküste und in jedem marinen Aquarium leicht überzeugen kann, sind die räuberischen Tiere (Fische, Krebse, Vögel, Reptilien) und die Fäulnisbakterien überall bestrebt, vorhandene Tierleichen zu zerstören und die Teile ihres Skelettes zu zerstreuen. Wenn man weiß, wie oft in einer einzigen Nacht die im Netz gefangene Fischbeute durch eine Schar kleiner Krebse skelettiert werden kann, wie rasch die in einer weichen Epidermis eingefügten Fischschuppen herausfallen und durch jede leise Welle verstreut werden, wie sich eine Schar von Krebsen auf jede Fischleiche stürzt, die die Wellen an das Ufer geworfen haben, wie rasch ein auf dem Wasser treibendes Insekt zur ı) Im K. Naturalienkabinet zu Stuttgart. Die Fauna der Solnhofener Plattenkalke. 214 214 Beute der Fische wird, und wie besonders in einem warmen Klima durch die Tätigkeit der allgegen- wärtigen Fäulnisbakterien jeder Kadaver zum Zerfallen gebracht wird — dann muß es den sammelnden Geologen immer wieder überraschen, daß bei Solnhofen nur so wenige, aber dafür so vollständig erhaltene Fossilien gefunden werden. Am Grunde eines tierreichen Meeres wäre ein solcher Erhaltungs- zustand unmöglich. Nur in dem selten überfluteten, meist halbtrocken liegenden Lagunensumpfe, dem beständig Regenwasser zuströmte, das die umgebenden Korallenriffe durchsickert hatte, wo sich weder Süßwasser- noch Meeresbakterien dauernd vermehren konnten, wo neben dem mechanisch zerriebenen Korallenschlick noch beständig ein zarter Regen feinster Kalkkriställchen herniedersank, konnten alle die vereinzelten Tierleichen hermetisch und aseptisch eingeschlossen werden. Das Plattenkalkgebiet war also eine große leblose Fläche, auf der die Leichen von Land- und Meerestieren so rasch mit feinstem Kalkbrei umhüllt wurden, daß keine zerstörenden Kräfte den organischen Verband der Gewebe lösen konnten. Da seine Oberfläche im Meeresniveau lag, konnte sie nicht völlig abtrocknen, deshalb sind Rippel- marken und Trockenrisse so seltene Ausnahmen. Andererseits war es jederzeit möglich, daß der fest- ländische Staub und vereinzelte Insekten, die vom Winde herbeigetragen wurden, auf der klebrigen Fläche hafteten. Da bei Kelheim und Nusplingen die meisten Fische zerfallen sind, müssen hier etwas andere Verhältnisse als im Altmühlgebiet geherrscht haben. Obwohl ich beim Studium der Literatur über die Korallenriffe besonders darauf geachtet habe, so ist mir noch kein Beispiel aus der Gegenwart bekannt geworden, das in allen Punkten mit dem Phänomen von Solnhofen verglichen werden könnte. Aber wir müssen bedenken, daß die Solnhofener Fauna und die Lithographiesteine eine so einzigartige Erscheinung in der Erdgeschichte sind, daß man ihnen weder faunistisch noch lithologisch ein Aequivalent aus irgend einer anderen Periode der ganzen langen Erdgeschichte zur Seite stellen kann. Man kann daher wohl verstehen, wie seltsame topographische, ozeanographische und klimatische Umstände zufällig zusammentreffen mußten, um uns dies eine Mal eine Fauna zu überliefern, welche der sonst so verhängnisvollen Lückenhaftigkeit der geologischen Urkunde spottet und uns ein so wunderbares Bild des Lebens aus längst vergangenen Zeiten übermittelt. Die Schillerfarben bei Insekten und Vögeln. W. Biedermann Mit 16 Figuren im Text. I. Einleitung. Jedem, der einmal Gelegenheit hatte, in einer größeren Sammlung die prachtvollen Schillerfarben gewisser Insekten oder Vögel zu bewundern, wird sich fast unwillkürlich die Frage aufdrängen, wie wohl diese leuchtenden Farbeneffekte zu stande kommen, hinter denen selbst die schönsten Erzeugnisse menschlicher Kunst oft weit zurückstehen. Diese Frage gewinnt aber für den Naturforscher noch erhöhte Bedeutung durch die Erwägung, daß alle diese Farbenwirkungen einen tiefen biologischen Sinn haben, sei es daß es sich um Schutz vor verfolgenden Feinden oder oft auch im Sinne von Darwın um Produkte geschlechtlicher Zuchtwahl handelt. Ich will gleich bemerken, daß ich es mir hier zur Aufgabe gemacht habe, bloß die besonders auffallenden und noch recht wenig untersuchten Schillerfarben, sowie den Metallglanz bei Insekten und Vögeln zu besprechen, ohne auf die durch Pigmente im engeren Sinne des Wortes bewirkten Farben- erscheinungen näher einzugehen, über deren Wesen und Entstehung wir neuerdings Gräfin MARIA von Lmpen so schöne Arbeiten verdanken. In der Tat spielen jene rein optischen Farben bei dem Zustandekommen der wunderbaren Farben- pracht der Insekten und teilweise auch der Vögel eine viel wichtigere Rolle als die Pigmente. Gerade die brillantesten Tierfarben beruhen häufig nicht oder doch nicht allein auf der Gegenwart eigentümlicher farbiger Substanzen (Pigmente), sondern, wie ich zu zeigen hoffe, auf besonderen Struktur- verhältnissen, weshalb sie auch durch rein mechanische Eingriffe (Ouetschen, Hämmern etc.) ver- ändert oder vernichtet werden, chemischen Agentien gegenüber, soweit die Struktur dadurch keine Aenderung erfährt, dagegen widerstehen. Nächst dem Gefieder der Vögel treten die Strukturfarben nirgends in der Tierreihe in einer solchen Mannigfaltigkeit und so überraschend in ihrem Effekt auf, wie an den Flügeln (Schuppen) der Schmetterlinge und gewisser Neuropteren, ferner an Käfern und Hymenopteren. Rivalisieren können damit nur manche Fische und Borstenwürmer. Der erste, der gewisse besondere Farbeneffekte auf Schmetterlingsflügeln, die, wie wir heute mit aller Bestimmtheit annehmen müssen, als optische Farben zu deuten sind, auf Grund mikroskopischer Untersuchung der Schuppen zu erklären versuchte, war RÖsEL v. RosEnHoF. Er hat mit seinen stärksten Vergrößerungen die schillernden Schuppen unserer Apatura-Arten untersucht und ist zu der Ansicht gekommen, „daß der Grund der schillernden Farbe in jedem Stäublein oder Federlein selbst befindlich ist“ „Warum aber“, so fährt er fort, „auch dieses mit zweierley Farben spielte, hatte ich noch nicht entdecket, außer daß ich bemerket, wie solches mit vielen kleinen Strichlein nach der Quer besetzet sey, die mir aber in dieser Vergrößerung nicht deutlich genug in die Augen fielen; um solche aber besser betrachten zu können, brachte ich, nach vieler Mühe, nur ein Spitzlein eines solchen Federleins Jenaische Denkschriften. XI. 28 Festschrift Ernst Haeckel, 218 Die Schillerfarben bei Insekten und Vögeln. 218 unter ein Vergrößerungsglas, welches die Objekte am größten darstellet und da entdeckte ich, daß die nur angezeigte Querstrichlein so viel dreyeckichte Prismata wären, deren jedes eine blaue und eine braune sichtbare Fläche hätte, so daß auf einer Seite lauter blaue, auf der andern aber lauter braune Flächen sich dem Auge darstellten, wie man sonsten mit dergleichen dreyeckichten prismatischen Stäben, solche Gemählde zu machen pfleget, daß man auf jeder Seite ein anderes Bild zu sehen bekommet.“ Später hat ein Arbeitsgenosse RÖsELs, LEDERMÜLLER, behauptet, daß es beim Schillerfalter zweierlei Schuppen gebe, braune und blaue, „die, in eine prismatische Stellung gebracht, die Wirkung des Schillers tun“. Auch in der Folgezeit hat man Betrachtungen über das Wesen der „Strukturfarben“ mit Vorliebe immer wieder an die Untersuchung farbig schillernder Schmetterlingsschuppen angeknüpft, und es hat sich so allmählich immer mehr die Ansicht befestigt, daß es in erster Linie die Skulpturen der Schuppenoberfläche sind, welche die Reflexe des farbigen Lichtes bedingen. Von der allbekannten Tat- sache ausgehend, daß in der großen Mehrzahl der Fälle die Schuppen mit feinen parallelen Längsrippen oder Leisten versehen sind, deren Zahl nach Art und Breite der Schuppen sehr wechselt und deren rinnenförmige Zwischenräume namentlich bei kräftigen Fliegern (Tagfaltern) vielfach noch durch zarte, dicht stehende Querleistchen miteinander verbunden sind, bevorzugt man in den Kreisen der Zoologen seit jeher hauptsächlich die Auffassung, daß die Schillerfarben der Tiere und speziell der Insekten „Gitterfarben“ seien. „An den feinen Gittern“, so äußert sich PAGENSTECHER in seiner allgemeinen Zoologie, Bd. IV, 1881, S. 360, „welche die freie Fläche der bestausgebildeten Schuppen bedecken, und ebenso im Durchscheinen an denen der der Flughaut anliegenden Lamelle kommen durch Interferenz die ausgezeichneten Farbenspiele und der Glanz zu stande, welche einige Schmetterlinge im allgemeinen, andere an besonderen Stellen, Binden, Perlmutterflecken schmücken.“ So vertritt beispielsweise auch WarracE (Färbung der Tiere und Pflanzen, Kosmos, Bd. IV) die Ansicht, daß „das glänzende Blau des Schillerfalters und anderer Schmetterlinge wahrscheinlich feinen Rißzeichnungen zu verdanken sei“ Nach KrRUKENBERG (Vergl.-physiol. Vorträge, S. 116) werden Interferenzfarben bei Tieren hervorgebracht „durch eine äußerst feine Streifung oder auch durch schicht- weises Abwechseln von dünneren und dickeren Gewebslamellen, resp. von zarten Häuten und ein- geschlossenen Lufträumen. Die metallisch glänzenden Farben der Schlangenschuppen, der Schmetterlings- flügel, der Schwingplättchen bei den Rippenquallen, der Calyptren einiger Käfer (Cureulioniden, Hoplia farinosa) verdanken einer feinen Streifung ihre außergewöhnliche Farbenpracht.* Demgegenüber hat namentlich Brücke auf die große Bedeutung hingewiesen, welche den „Farben dünner Blättchen* für das Zustandekommen des Schillers an Teilen des Integumentes vieler Tiere zukommt. Dieselben entstehen bekanntlich, wenn weißes Licht sowohl an der Vorder- wie an der Hinterseite einer sehr dünnen farblosen Schicht reflektiert wird. „Die beiden auf diese Weise zu gleicher Zeit und in gleicher Richtung ins Auge gelangenden, von derselben ursprünglichen Schwingung herrührenden Teilschwingungen müssen nämlich wegen des verschiedenen Weges, welchen sie zurückgelegt haben, einen bestimmten Phasenunterschied aufweisen, welcher im wesentlichen von dem Verhältnis der Lichtwellenlänge in der dünneren Schicht zu der Dicke der letzteren abhängt und daher für die verschiedenen Farben des Spektrums verschieden ausfällt. Ist die Dicke der Schicht gerade so groß, daß dabei nur eine Farbe des Spektrums einen Phasenunterschied von '/;, Wellenlänge erhält und deshalb auch nur diese voll- ständig ausgelöscht wird, während ebenfalls nur bei einer zweiten der Phasenunterschied eine ganze \Wellenlänge beträgt und also nur diese durch die Interferenz ihre maximale Intensität erlangt, während 219 Die Schillerfarben bei Insekten und Vögeln. 219 die übrigen Farben die Zwischenstufen zwischen den beiden genannten bilden, so zeigt die daraus resultierende Gesamtfarbe des dünnen Blättchens den möglichst hohen Grad der Sättigung“ (B. WALTER). Als solche Farben dünner Blättchen deutete z. B. Brücke das opalisierende Schillern der Haut gewisser Cephalopoden. „Es ist mir nicht zweifelhaft“, sagt Brücke, „daß diese Farben Interferenzfarben dünner Blättchen sind; erstens spricht dafür der außerordentliche Glanz und die Lebhaftig- keit der Farben und zweitens der Umstand, daß alle Farben, welche hier vorkommen, einer bestimmten Abteilung der Farbenskala entnommen sind, es sind nämlich keine anderen als die des dritten Newronschen Ringsystemes, welche vom Violett aufwärts bis zum Rot vollständig und in allen Abteilungen vertreten sind. Namentlich waren an meinem Exemplare häufig blaue, meergrüne, grasgrüne und gelbgrüne Flittern. Man muß sich daran erinnern, daß, wenn wir mit unseren zusammengesetzten Mikroskopen die Gegenstände bei durchfallendem Licht untersuchen, unsere Netzhaut kein Bild derselben im gewöhnlichen Sinne des Wortes empfängt, sondern der Schatten des Objektes auf sie geworfen wird. Wenn nun auch der Effekt der Beugung bei größeren Gegen- ständen so gering ist, daß er nicht wahrgenommen wird, so kann er doch bei so kleinen Objekten, wie das in Rede stehende, die optischen Eigenschaften desselben sehr wohl verdecken. Vielleicht mochte auch die Intensität der im durchfallenden Lichte interferierenden Wellenzüge so verschieden sein, daß die Farbe an sich nur sehr schwach ausfallen konnte. Deshalb sah man die Flittern, wenn sie von unten beleuchtet waren, nur als einzelne helle, matt gelbliche oder bräunliche Punkte, von einem dunkleren Rande umgeben“ (Brücke). Auch die Schillerfarben weißer und grauer Vogelfedern (z. B. bei Tauben), welche sich beim Uebergang von der senkrechten zur streifenden Incidenz von Rot zu Grün ändern, hält Brücke für Farben dünner Blättchen, desgleichen die Schillerfarben beim Chamäleon. „Bei diesen ist der Abstand der reflektierenden Flächen sehr ungleichmässig, so daß das Mikroskop an einer und derselben Zelle immer mehrere Farben gleichzeitig nachweist. An den Taubenhalsfedern ist dies in geringerem Grade der Fall, so daß eine Farbe stets die Hauptfarbe ist, neben der nur hier und da andere auftreten. Für die mikroskopische Untersuchung, bei der zunächst die Strahlen in Betracht kommen, die mit dem Einfallslote verhältnismäßig kleine Winkel machen, ist die Hauptfarbe des auffallenden Lichtes bei den meisten Zellen grün, die der durchfallenden rot.“ Diesen Anschauungen hat sich in Bezug auf die meisten schillernden Schmetterlingsschuppen neuerdings auch M. Baer angeschlossen. Er hält die Skulpturen für das Zustandekommen der optischen Farben im allgemeinen für unwesentlich und vertritt die Ansicht, daß es sich hier hauptsächlich um „Farben dünner Blättchen“ dann wohl auch um „Farben trüber Medien“ handelt, d. h. „es wären diese Farben nach dem gleichen Prinzip zu erklären, wie die Farbenerscheinungen der Seifenblasen oder die optischen Farben der Vogelfedern, das Blau, mit dem sich blanker Stahl in der Hitze überzieht, die Farben verwitterter Gläser etc. Die verschiedenen Farben sind dabei einfach abhängig von der Dicke der durchsichtigen Schicht. Bei gewissen (weißen und silberfarbenen) Schuppen kommen auch Luftschichten in Betracht“ (M. Baer). Auf das Prinzip der „Farben trüber Medien“ versuchten V. HÄcker und G. MEYER ganz neuerdings auch die blaue Farbe der Vogelfedern zurückzuführen. Die Wände der die Farben- erscheinung erzeugenden, an sich farblosen Zellen lassen sie von lufthaltigen Röhrchen (Porenkanälen) durchsetzt sein, „deren Durchmesser kleiner ist als die Wellenlänge des Lichtes, d. h. wir haben ein durchsichtiges Medium vor uns, in welches durchsichtige Körper eingebettet sind, deren Dimensionen klein sind gegen die Wellenlänge des Lichtes, und deren optische Dichtigkeit verschieden von der des Mediums ist“. 28*F 220 Die Schillerfarben bei Insekten und Vögeln. 220 „Dringt in eine solche Kombination von zwei durchsichtigen Körpern verschiedener optischer Dichtigkeit weißes Licht ein, so findet nach Lord RayrEıcH an den eingebetteten Körperchen eine diffuse Reflexion des Lichtes statt, und zwar wird das blaue Licht bei der Reflexion bevorzugt. Da nämlich die Intensität des reflektierten Lichtes von jeder Farbe umgekehrt proportional der 4. Potenz der Const { ' a zugehörigen Wellenlänge ist (' = —) so werden bei der Reflexion die kurzwelligen blauen Strahlen bevorzugt, während in dem durchgehenden Licht die gelben und roten Strahlen überwiegen.“ Einen prinzipiell verschiedenen Standpunkt nimmt der Frage nach dem Wesen der Schillerfarben gegenüber der Physiker B. WALrıER ein (1895). In einer Abhandlung über „die Oberflächen- oder Schillerfarben“ hält er die letzteren, soweit sie an Schmetterlingsschuppen und Vogelfedern beobachtet werden, für identisch mit den Oberflächenfarben stark absorbierender Medien und nimmt daher an, daß in den betreffenden Teilen bestimmte chemische Substanzen (Schiller- stoffe) als eigentliche Ursache der Färbung enthalten seien. Seit langem weiß man, daß Farben auch durch bloße Reflexion des Lichtes ohne jede besondere Struktur der reflektierenden Fläche entstehen können und spricht in solchem Falle von „Oberflächen- farben“ der betreffenden Körper. Als sehr charakteristisch und in ihrem ganzen Charakter mit den hier zu besprechenden Schillerfarben in wesentlichen Punkten übereinstimmend, müssen zunächst die Farben der regulinischen Metalle (Gold, Kupfer) und gewisser Legierungen (Messing) genannt werden. Eine auch Nichtphysikern verständliche Auseinandersetzung über diesen Gegenstand verdanken wir BRÜckeE. „Die Metalle haben in chromatischer Beziehung eine Eigenschaft, die ihnen allen gemeinsam ist, nämlich die, daß sie nicht wie Pigmente zweierlei Licht zurückwerfen, oberflächliches und tiefes, von dem uns das letztere die spezifische Farbe des Pigmentes erzeugt. Alles Licht, welches die Metalle zurückwerfen, ist, wenn auch nicht im .allereigentlichsten Sinne, in welchem wir dieses Wort gewöhnlich gebrauchen, oberflächliches. Daher ist auch der Glanz der farbigen Metalle farbig“...... „Diesen farbigen Glanz haben die Metalle gemein mit den Körpern, welche Schillerfarben zeigen; aber bei diesen wechselt die Farbe je nach dem Winkel, unter dem das Precht einfällt, in auffälliger Weise, sie schillern. Wenn wir daher auch von den Farben des Tauben- halses sagen, daß sie etwas Metallisches haben, so kommen wir doch nicht leicht in Versuchung, sie mit den Farben der Metalle selbst zu verwechseln, welche sich zwar je nach dem Einfallswinkel der Strahlen in Rücksicht auf Helligkeit und Sättigung verändern, aber doch nicht aus Gelb in Grün, aus Grün in Blau, aus Blau in Rot u. s. w. übergehen. Diese Identität der Farbe des Glanzes mit der Farbe des Metalles ist es, welche nebst noch zwei anderen Eigenschaften das Spezifische des Metall- glanzes bedingt. Diese beiden anderen Eigenschaften der Metalle sind die Undurchsichtigkeit und die starke Lichtreflexion. Es läßt sich nachweisen, daß wir jedem Körper, der diese drei Eigen- schaften vereinigt, Metallglanz zuschreiben, selbst wenn wir sehr wohl wissen, daß an ihm nichts Metallisches ist.“ (BRÜCKE.) Zu diesen Körpern mit starkem und farbigem Glanz gehören unter anderem auch gewisse stark absorbierende Farbstoffe und vor allem eine große Anzahl von Anilinfarben, wie z. B. das Fuchsin oder das Diamantgrün G, welches letztere in Bezug auf die Stärke der Oberflächen- färbung an der Spitze aller dieser Stoffe steht. Es zeigt aus seinen Lösungen nach Verdunstung des Lösungsmittels, auf irgend einem Gegenstand aufgetrocknet, eine prachtvoll kirschrote Oberfächenfarbe, während das von einer sehr dünnen Schicht desselben durchgelassene Licht eine grünblaue Färbung zeigt; gerade umgekehrt zeigt dagegen das Fuchsin unter gleichen Umständen eine glänzend goldgrüne 221 Die Schillerfarben bei Insekten und Vögeln. 221 Oberflächenfarbe, während rotes Licht durchgeht. Man sieht, daß in beiden Fällen die reflektierte Farbe im allgemeinen der von dem betreffendem Körper am stärksten absorbierten entspricht, während die Farbe im durchfallenden Lichte (die „Körperfarbe“) gerade durch die nicht absorbierten Anteile des Spektrums bestimmt wird. Beide verhalten sich daher zueinander im allgemeinen wie Komplementärfarben. (Heipinsersches Gesetz 1852.) In aller Strenge gilt diese Regel für Schillerstoffe allerdings nicht. Stores machte schon geltend, daß die Körperfarbe ja auch wesentlich von der Dicke der durch- strahlten Schicht abhängt, während andererseits auch die Oberflächenfarbe bei einem und demselben Stoffe nichts Bestimmtes ist, sondern wesentlich von dem Einfallswinkel und von der optischen Beschaffenheit des angrenzenden Mediums abhängig ist. „So schillert z. B. das Fuchsin an der Luft schön gelbgrün, dagegen, auf Glas aufgetragen und von unten her senkrecht beleuchtet, blaugrün, ja am Diamanten unter denselben Umständen sogar rein blau, eine Farbe, die natürlich keineswegs mehr komplementär ist zu dem fast reinen Spektralrot des von einer etwas dickeren Fuchsinschicht hindurch- gelassenen Lichtes, sowie auch nicht zu dem Rosa, welches die Durchlaß- oder Körperfarbe einer ganz dünnen Schicht dieses Farbstoffes bildet“. (WALTER.) Es wird also, wie man sieht, die Oberflächenfarbe eines Schillerstoffes auch ganz wesentlich mit vom Brechungsexponenten des angrenzenden Mediums mit- bestimmt und ist es daher nicht gleichgültig, ob der stark absorbierende Farbstoff frei an der Luft liegt oder ob er in eine Flüssigkeit eingebettet oder endlich in einer Horn- oder Chitinhaut aufgelöst ist. Dies letzere würde nach WALTER mit den Schillerstoffen der Tiere der Fall sein. In Bezug auf den Einfallswinkel gilt die Regel, daß der Ton einer Oberflächenfarbe bei Vergrößerung des Einfallswinkels sich im spektralen Sinne vom Rot nach dem Violett hin verschiebt. Gerade diese Erscheinung war es, die, wie WALTER bemerkt, den Zoologen bei den Schillerfarben der Tiere stets am meisten aufgefallen ist, und deren Erklärung sie auf die verschiedenartigste Weise versucht haben. Auf den ersten Blick hat die Annahme von B. WarrtEer, daß die Schillerfarben bei vielen Vögeln und Insekten auf der Anwesenheit besonderer stark absorbierender Pigmente (Schillerstoffe) beruhen, welche durch die Eigenschaft ausgezeichnet sind, nur einen Teil der Strahlen des auffallenden Lichtes sehr stark zu reflektieren, die übrigen Teile dagegen sehr schwach, etwas außerordentlich Bestechendes, und man wird in der Tat zu dem glänzenden Goldgrün einer Cetonia aurata kaum ein passenderes Analogon finden können als die Öberflächenfarbe einer dünnen Fuchsinschicht. Ich gestehe offen, daß ich im Beginn dieser Untersuchung selbst sehr geneigt war, mich der Warrerschen Auffassung durchaus anzuschließen, doch stieß ich bald auf unüberwindliche Schwierigkeiten und hege zur Zeit starke Bedenken, ob auch nur in einem einzigen Falle Schillerstoffe bei Tieren wirklich vorkommen. Es handelt sich dabei hauptsächlich um die oft außerordentlich intensiven Schillerfarben fast oder ganz farbloser Schmetterlings- und Käferschuppen, wofür wir im folgenden Beispiele kennen lernen werden. Die Entstehung typischer Oberflächenfarben ist, wie WALTER wieder- holt betont, an das Vorhandensein eines stark absorbierenden, d. h. auch im durchfallenden Licht intensiv gefärbten Pigmentes geknüpft. Dennoch gibt es eine Menge Beispiele, wo Chitingebilde, im durchfallenden Lichte untersucht, kaum eine Färbung erkennen lassen und dessenunge- achtet auf dunklem Grunde im auffallenden Licht intensive Schillerfarben darbieten. In solchen Fällen wird man, wie ich glaube, die Annahme einer „Strukturfarbe“ kaum umgehen können. Nach den vor- 222 Die Schillerfarben bei Insekten und Vögeln. 222 stehenden Auseinandersetzungen könnte es sich dann aber nur um drei verschiedene Möglichkeiten handeln: entweder sind es Farben trüber Medien oder Gitterfarben oder endlich Farben dünner Blättchen. Natürlich ist es nicht ausgeschlossen, daß sich diese physikalischen Ursachen untereinander, wie auch mit wirklichen Körperfarben (Pigmenten) kombinieren können. WALTER hat in einem besonderen Abschnitt seines verdienstlichen Buches die Unterscheidungs- merkmale der „Oberflächenfarben“ von jenen „optischen“ erörtert, und mögen einige besonders wichtige Punkte schon hier hervorgehoben sein. Was zunächst die Farben trüber Medien anlangt, so hat bereits Schatz die Ansicht geäußert, daß das prachtvolle Blau an der Oberseite der schokoladebraun gefärbten Schuppen verschiedener Morpho-Arten „wahrscheinlich weniger der Interferenz der Lichtstrahlen als einer über dem dunklen Grunde gelagerten trüben Schicht der Schuppen seine Entstehung verdankt“ Dem widerspricht jedoch vor allem schon der außerordentliche Glanz und die Leuchtkraft der Farbe, indem die Farben trüber Medien in Bezug auf Intensität selbst hinter Körperfarben in der Regel zurückstehen. Auch muß darauf hingewiesen werden, „daß die sie zeigenden Stoffe meist eine ziemlich große Dicke besitzen müssen und dann immer noch mit trüber, rötlicher Farbe durchsichtig oder durchscheinend sind, während die Stoffe mit Körperfarbe, wenn überhaupt, dann klar durchsichtig sind. Im zerstreuten Lichte ferner ist die Farbe trüber Medien stets blau, und nur wenn das die trübenden Teilchen ent- haltende Medium selbst schwach gelb gefärbt oder ihm eine schwach gelb gefärbte Schicht vorgelagert ist, kann das Blau in ein dunkles Grün übergehen“ (WALTER). Auch erleiden diese Farben beim Wechsel des Einfallswinkels im auffallenden Lichte kaum merkliche Aenderungen. So wenig es zu bezweifeln ist, daß in manchen Fällen das Blau trüber Medien für die Entstehung gewisser Tierfarben eine große Bedeutung besitzt — es sei hier nur an das Grün des Chamäleons und vieler anderer Reptilien und Amphibien erinnert, das sich aus optischem Blau und Pigmentgelb zusammensetzt, ferner an das Blau der Iris, der durch die Haut schimmernden Venen, den blauen Schein frischer Hyalinknorpel, die Tätowierung mit chinesischer Tusche, die Schnauze des Mandril, sowie die Scrotalhaut anderer Affen und an das Blau der nackten Hälse vieler Vögel — so erscheint es doch von vornherein ganz ausgeschlossen, die glänzenden Schillerfarben der Insekten und Vögel nur auf dieses Prinzip zurückzuführen. Freilich muß man zugeben, daß unter diesen, wie wir sehen werden, das Blau eine ganz besondere Rolle spielt und sozusagen die Grundlage aller anderen bildet; man muß sich erinnern, daß blaue und grüne Pigmente nur ganz ausnahmsweise vorkommen, ganz im Gegensatz zu Rot, Gelb, Braun und Schwarz, und daß speziell das auch als Schillerfarbe so weit verbreitete Grün in der Regel aus der Kombination von Pigmentgelb und optischem, durch eine besondere Struktur erzeugtem Blau resultiert. In der Tat ist es mir durch meine Untersuchungen sehr wahrscheinlich geworden, daß in einzelnen Fällen das Blau trüber Medien bei der Entstehung gewisser Schillerfarben mitbeteiligt ist, wenn es dieselben auch keineswegs allein verursacht. Eine bei weitem wichtigere Rolle spielen die Beugungsfarben (Gitterfarben) und insbesondere die Farben dünner Blättchen. Daß die ersteren für den farbigen Schiller (das „Irisieren“) ge- wisser tierischer Teile fast allein verantwortlich zu machen sind, läßt sich entgegen der Meinung von WALTER gar nicht bezweifeln. Freilich gilt dies gerade am allerwenigsten für jene Fälle, die man seit jeher mit besonderer Vorliebe als Beweise für die Auffassung der Schillerfarben als Gitterfarben anzu- führen pflegt, ich meine die parallel gestreiften Schmetterlingsschuppen. Abgesehen davon, daß in der großen Mehrzahl der Fälle die schillernden Körperteile bei Vögeln und Käfern kaum jemals eine der- artige Streifung und oft überhaupt keine nachweisbare Reliefzeichnung (Skulptur) erkennen lassen, spricht 223 Die Schillerfarben bei Insekten und Vögeln. 223 einfach schon der Umstand gegen jene Deutung, daß in zahleichen Fällen Schmetterlingsschuppen ohne oder mit sehr spärlichen und ganz weit voneinander entfernten Streifen prachtvolle Schillerfarben zeigen, während andererseits äußerst regelmäßig und dicht gestreifte (gerippte) Schuppen keine Spur von Schiller erkennen lassen. Um zweitellose Beugungsfarben handelt es sich aber wohl bei dem zarten Farben- spiel, welches die Schwingplättchen der Ctenophoren bei günstiger Beleuchtung zeigen, sowie bei den prächtig schillernden Borsten gewisser Polychäten. In beiden Fällen handelt es sich um Gebilde, welche aus einer außerordentlich großen Zahl feinster Härchen oder Fäserchen zusammengesetzt sind, was sich unter dem Mikroskop durch eine äußerst dichte und feine Streifung verrät. Der mit wechselndem Lichteinfall fortwährend wechselnde Farbenschiller entsteht hier in ganz gleicher Weise, wie die allbekannten Gitterspektren quergestreifter Muskelfasern, wenn man die letzteren im durchfallenden Lichte beobachtet (RanvIER, ZoTH). Dieses letztere Beispiel von Beugungsfarben ist übrigens auch recht geeignet, den Einwand B. WALTERsS zu widerlegen, daß „zur Erzeugung eines Gitterspektrums außer dem Gitter auch wieder eine vor demselben und in ziemlichem Abstande davon befindliche punkt- oder spaltförmige Lichtquelle gehört, die mit der Gitteröffnung zusammen ein bestimmt abgegrenztes Strahlenbündel schafft“ (l. c. S. 83). Am M. sartorius des Frosches sehe ich das Irisieren auch unmittelbar am Fenster oder im Freien; es ge- nügen zu dessen Entstehung die fast überall vorhandenen Beleuchtungsverschiedenheiten (Lichtgrenzen) vollkommen. Ueberall, wo Schillerfarben bei größter Intensität auftreten, erscheint die schillernde, meist sehr dünne Schicht über einem völlig dunklen, ganz undurchsichtigen Grund ausgebreitet, es handelt sich also nicht oder doch nur ganz ausnahmsweise um durchgelassenes, sondern fast immer um reflektiertes Licht. Die etwa in Betracht kommenden Skulpturen der Oberfläche schillernder Teile würden daher mit jenen in Vergleich zu stellen sein, durch welche angeschliffene Perlmutter oder die bekannten irisierenden Metallknöpfe, sowie Rowranpsche Reflexionsgitter charakterisiert sind. „Perl- mutter“ besteht bekanntlich aus sehr vielen, sehr dünnen Schichten von organischer Materie und kohlen- saurem Kalk. Dieselben sind von ungleicher Härte, so daß, wenn man einen schrägen Schnitt führt und diesen poliert, derselbe keine ebene, sondern eine fein geriffte Oberfläche darbietet, welche ein System von Terrassen mit spiegelnden Stufen darstell. Durch das Abprallen von diesen Stufen nun werden die Strahlen gegeneinander verschoben, so daß im reflektierten Lichte nicht mehr überall die Wellenberge mit den Wellenbergen und die Wellentäler mit den Wellentälern zusammenfallen“ (Brücke, Physiologie der Farben, 1887, S. 92). Selbstverständlich entstehen daher im weißen Lichte Interferenz- farben, deren Ton je nach dem Einfallswinkel wechselt. Ich werde im folgenden zeigen, daß dem- entsprechende Strukturverhältnisse tatsächlich bei manchen Insekten (Käfern) mit Schillerfarben vorkommen. Unter allen auf rein optischen Wirkungen beruhenden (Nicht-Pigment-)Farben zeigen nun aber die Farben dünner Blättchen die bei weitem größte Aehnlichkeit mit den Oberflächenfarben im Sinne von B. Warrer. „Tatsächlich sind nämlich beide ‚Reflexionsfarben‘ und es zeigen daher auch beide jenen eigentümlichen Glanz, wie er nur dem regelmäßig reflektierten Licht anhaftet ..... auch ist die Schönheit der Farben dünner Blättchen unter geeigneten Umständen eine ähnliche wie die, welche wir bei den Schillerfarben gewöhnt sind, wenn freilich auch die bekannten Vorrichtungen, an welchen die ersteren auftreten, nämlich die Seifenblasen und das Newronsche Ringsystem, dieselben nicht gerade in ihrem vorteilhaftesten Lichte erscheinen lassen“ (B. WALTER). Als Unterschiede zwichen den Farben dünner Blättchen und der Schillerfarben macht WALTER zunächst auf den Umstand aufmerksam, daß die ersteren mit der Polarisationsart des angewandten Lichtes nur ihre Stärke niemals aber ihren Farbenton ändern, während bei den letzteren stets beides 224 Die Schillerfarben bei Insekten und Vögeln. 224 der Fall ist. Ferner müssen jene bei Anwendung von s. p. Licht bei einem bestimmten Einfallswinkel (dem Polarisationswinkel der Grenzschicht des dünnen Blättchens) vollständig verschwinden, um dann bei noch größeren Einfallswinkeln wieder sehr deutlich hervorzutreten, während die Oberflächenfarben für solches Licht meistenteils gerade in dem Gebiet der Polarisationswinkel die tiefste Sättigung: ihres Farbentones aufweisen, um dann bei noch größeren Einfallswinkeln sehr schnell zu verblassen“ Es wurde schon früher erwähnt,- daß der Ton einer Obenflächenfarbe sich auch mit der Beschaffenheit des angrenzenden Mediums ändert. Handelt es sich um einen frei an die Luft grenzenden Schillerstoff, so erstreckt sich bei Anwendung stärker brechender Flüssigkeiten, wie Aether (1,36 —n), Benzol (1,51) oder Schwefelkohlenstoff (n — 1,64), die Farbenverschiebung doch nur über einen oder höchstens zwei benachbarte Farbentöne des Spektrums, also z. B. vom Blau zu Grün und umgekehrt, während sich dagegen die Interferenzfarbe einer dünnen Luftschicht „schon beim Ersatz der Luft durch die am schwächsten brechende jener 3 Flüssigkeiten sprungweise ändert“ (z. B. von Blau zu Gelb oder sogar Rot). Auch die Veränderlichkeit der Farbe des reflektierten Lichtes mit dem Einfallswinkel bietet wertvolle Anhaltspunkte für die Unterscheidung zwischen Farben dünner Blättchen und Oberflächenfarben. In Bezug auf die ersteren muß man, wie WALTER betont, von vornherein 2 Fälle auseinanderhalten, nämlich einmal den, wo das dünne Blättchen aus einer zwischen zwei festen Stoffen befindlichen dünnen Luftschicht besteht (wie beispielsweise bei den NEwron- schen Ringen) und dann jenen, wo es sich um eine sehr dünne flüssige oder feste, stärker brechende Substanz handelt (Seifenblasen, Glimmerblättchen). Da im ersten Falle der Winkel, welchen ein Lichtstrahl innerhalb der eingeschlossenen Luftschicht mit der Normalen ihrer Begrenzungs- flächen bildet, dem äußeren Einfallswinkel entspricht, während bei einem wirklichen dünnen Blättchen der innere Einfallswinkel in der Regel viel kleiner ist als der äußere, so ändert sich hier die Farbe der dünnen Schicht viel weniger mit dem Einfallswinkel als dort (vergl. 2 deosı a beiden interferierenden Strahlen, d die Dicke der Schicht, X die Wellenlänge in ihr und i den Winkel bedeutet, welchen der sie durchsetzende Strahl mit der Normalen ihrer Grenzfläche bildet. Es ergibt WALTER, 1. c. S. 88 f.). In beiden Fällen gilt die Gleichung 3 — ‚ wo d die Phasendifferenz der sich daraus die Regel, „daß die Farbe einer dünnen Schicht, in welcher der innere Bin- fallswinkel zwischen o und 90° variieren kann (Luftschicht) dabei unter allen Umständen, d. h. welches auch die Dicke der Schicht und welches demnach auch ihre Anfangsfarbe (für i=o) sein mag, stets sämtliche Farbentöne des Newronschen Ringsystemes von jener Anfangsfarbe an bis zum Schwarz der I. Ordnung (füri= 90°) hin durchlaufen muß“ (B. Warrer). Im übrigen verläuft der Farbenwechsel immer in gleicher Richtung wie bei den Oberflächenfarben, also von Rot durch Gelb zu Grün, Blau und Violett. Gleichwohl erscheint eine Verwechselung beider Farbenarten dann, wenn es sich um eine dünne Luftschicht handelt, dadurch ausgeschlossen, daß sich in diesem Falle der Farbenton „ganz außerordentlich viel schneller mit dem Einfallswinkel ändert, als bei den Oberflächenfarben“ (WALTER). Besteht dagegen die dünne Schicht aus einer stärker brechenden Substanz und hat demgemäß der innere Einfallswinkel einen wesentlich größeren Spielraum, so bleibt zwar der Sinn der Farben- verschiebung derselbe, die Größe derselben wird aber erheblich kleiner und kommt somit derjenigen bei den Oberflächenfarben näher. Doch würde eine Verwechselung auch dann nur bei sehr dünnen Blättchen möglich sein, während bei größerer Dicke eventuell schon 4 Farben durchlaufen werden, wenn der Einfallswinkel zwischen o und 90° wechselt, was bei Oberflächenfarben 225 Die Schillerfarben bei Insekten und Vögeln. 225 niemals vorkommt. Hier erstrecken sich die Farbenverschiebungen (abgesehen von den selteneren und sehr charakteristischen Fällen, wo größere Teile des Spektrums zur Totalreflexion gelangen) immer nur über einen oder höchstens zwei benachbarte Farbentöne des- selben“ (WALTER). Ausgehend von Untersuchungen über die Farben, welche fein zerstäubte Metalle im auffallenden Lichte zeigen, hat ganz neuerdings (1903) I. KossoGonoFF') eine Erklärung der Farben von Schmetterlings- schuppen gegeben, die ich freilich, wenigstens soweit es sich um Schillerfarben handelt, für gänzlich verfehlt halten muß, selbst wenn die physikalischen Voraussetzungen als über jeden Zweifel sicher gelten könnten. Er zerstäubte sehr verdünnte Lösungen von Metallsalzen (PtCl, AuCl, AgNO, CuSO,) oder kolloidale Metalllösungen gegen eine starke erhitzte Glasplatte und erhielt so feinste Körnchen von Salz resp. Metall (auch Kathodenzerstäubung lieferte gute Resultate), deren Durchmesser 0,2 u—0,5 ». betrug. Beiiesbizbe der Schichten im reilektierten Lichte war verschieden je nach der Größe der Körnchen und ihrer gegenseitigen Verteilung“ und wechselte außerdem beim Anfeuchten mit Alkohol, Aether, flüssigem Paraffın oder Benzin in eine Farbe von größerer Wellenlänge (Blau in Grün, Grün in Gelb). Diese Farbenerscheinungen hält nun KossoGonorF für bedingt durch „selektive Reflexion“ von seiten jener Körnchen, deren Größe mit der der Lichtwellen von gleicher Ordnung ist, und nennt die Erscheinung „optische Resonanz“ Der Umstand, daß Schmetterlingsschuppen in der großen Mehrzahl der Fälle verschiedenfarbige runde Körnchen enthalten (Pigmente), hat KossosönorF veranlaßt, die Schuppenfärbung überhaupt durch optische Resonanz zu erklären. Er nimmt an, „daß die auf den Schuppen des Flügels übergelagerten Körnchen Bench ıhrer Größe das Licht einer bestimmten Farbe reflektieren“ und führte dann zahlreiche mikrometrische Messungen solcher Körnchen aus. Es ergab sich, „daß die Größe Bersiroruchen je nach der Farbe der Schuppen verschieden ist und zugleich mit den Lichtwellenlängen der nämlichen Farbe übereinstimmt, die der untersuchten Flügelstelle eigentümlich war“. KossoGonorr macht dabei gar keinen Unterschied zwischen Pigment- und Schillerfarben. Er führt als Beispiel für Violett die Schuppen von Lycaena Meleager an und findet „Körnchen“ mit einem Durchmesser von 0,4095 p. Die die blauviolette Färbung (den Schiller) verursachenden Schuppen sind aber bei den Lycaeniden tatsächlich körnchenfrei und nur die darunter liegenden dunkel pigmentierten Grundschuppen enthalten solche. Diese sind es offenbar auch, welche KossoGoONoFF gemessen hat, obschon er weiter angibt, „daß die Körnchen von schwarzen Schuppen kleinere lineare Dimensionen haben, als die Wellenlängen des sichtbaren Teiles des Spektrums“. Außer diesem Beispiel einer Schillerfarbe hat Kossoconorr fast ausschließlich nicht schillernde pigmentierte Schuppen untersucht (Zygaena, Callimorpha, Catocala u. a... Gestützt auf seine Mißerfolge bei dem Versuch, Pigmente aus Schmetterlingsflügeln zu extrahieren (was bekanntlich in umfangreicher Weise geschehen ist), glaubt übrigens KossoGonorrF gar nicht an das wirkliche Vorhandensein von besonderen Pigmentkörpern, sondern hält jene Körnchen einfach für „Chitin (wie auch die Schuppen selbst)“. Ich halte es nicht für nötig, näher auf diese allerneueste physikalische Theorie der Schmetterlings- farben einzugehen, zumal sie für das Thema, welches uns hier speziell beschäftigt, gegenstandslos zu sein scheint. 1) I. KossonoGorr, Ueber opt. Resonanz (Physikal. Zeitschr., IV. Jahrg., 1903, S. 208, 258, 518). Jenaische Denkschriften. XI. 29 Festschrift Ernst Haeckel. 226 Die Schillerfarben bei Eden und Vogeln. 226 Bei solcher Sachlage schien es mir wünschenswert, womöglich durch eigene Anschauung zu einem Urteil über die wahre Natur der schillernden Tierfarben zu kommen und ich wählte, ich darf wohl sagen glücklicherweise, als Ausgangspunkt meiner Untersuchungen nicht die seit jeher bevorzugten Schmetterlinge und Vögel, sondern die Käfer, bei welchen die betreffenden Verhältnisse sich relativ einfacher und übersichtlicher gestalten. Für Ueberlassung von Material bin ich meinem verehrten Kollegen Geheimrat W. MÜLLER, sowie meinem lieben Freunde FÜRBRINHER in Heidelberg zu besonderem Danke verpflichtet. II. Die Schillerfarben schuppenloser Käfer. Von älteren Arbeiten in dieser Richtung ist wenig zu berichten. Die goldgrüne Farbe von Carabus auratus will KRUkENBERG auf „Interferenzerscheinungen“ beziehen, wie und wodurch solche aber hier zu stande kommen sollen, scheint er gar nicht näher untersucht zu haben. Er schließt es nur daraus, daß die Farbe des genannten Käfers nicht lichtempfindlich ist und daß es nicht gelingt, aus den Flügeldecken durch Aether, Benzol, Schwefelkohlenstoff, Chloroform oder Alkohol (auch nicht nach vorheriger Behandlung mit HCl und NH;3) einen grünen oder auch nur grünlichen Farbstoff zu extrahieren. Auch das schöne metallische Grün der Canthariden beruht nach KRUKENBERG nicht auf dem Vorhandensein eines entsprechenden Pigmentes, sondern es handelte sich um eine „Strukturfarbe“. K. B. Hormann hatte seiner Zeit angegeben (Lehrbuch der Zoochemie, 1879, p. 368), daß in den Flügeldecken der Canthariden Chlorophyll enthalten sei oder wenigstens ein grüner Farbstoff, welcher sich jenem spektroskopisch gleich verhält, eine Angabe, die Mac-Munn später bestätigte (1882/83). Dieser hält das Chlorophyll hier für das Produkt einer Synthese und vermutet, daß es die Schutzfarbe vermittele. Im Gegensatze zu diesen an sich höchst unwahrscheinlichen Angaben hatte bereits CHANTARD vergeblich versucht, aus den grünen Flügeldecken von Canthariden Chlorophyll durch Alkohol zu extrahieren. Er macht, wie später auch KRUKENBERG, mit Recht darauf aufmerksam, daß das Chlorophyll dem Verdauungprozeß zum großen Teile widersteht und sich daher massenhaft im Darme (bezw. den Faeces) phytophager Käfer findet. KRUKENBERG ließ mehrere Gramme von Canthariden-Flügeldecken ein halbes Jahr lang teils mit Aether, teils mit Alkohol oder Benzol in Berührung. „Die Flüssigkeiten erwiesen sich nach dieser Zeit aber noch ebenso klar und ohne jede Färbung, die auf einen Chlorophyligehalt, wenn auch nur entfernt hindeuten könnte, als zuvor und ließen konzentriert im Spectrum kein Absorptionsband erkennen. Auch Säuren und Ammoniak veränderten die Farbe der Cantharidenflügel in der Kälte nicht. Alko- holische oder ätherische Auszüge, welche die Absorptionsbänder des Chlorophylis zeigen, erhält man aus den Canthariden nur dann, wenn man die gedrückten ganzen Tiere mit den Flüssigkeiten be- handelt und nur auf derartigen Versuchen kann die erwähnte Angabe von Hormann (und Mac-Munn) beruhen“ (KRUKENBERG). PouLron zitiert eine Beobachtung von NIcKERL, wonach in der Gefangenschaft überwinterte Exemplare von Carabus auronitens im Frühling ihres Goldglanzes verlustig waren, der erst wieder- kehrte, nachdem die Tiere Wasser aufgenommen hatten. Dieselbe glänzend grüne Käferart kommt in höheren Gebirgen schwarz oder braun vor (Schweiz, Siebenbürgen, Auvergne). Ebenso ist der bronze- farbige Carabus alpinus zuweilen braun. Von dem in Siebenbürgen oft prächtig grünen Carabus 227 Die Schillerfarben bei Insekten und Vogeln. 227 glacialis gibt es ebendort Individuen mit braunen Flügeldecken. Nach den Angaben von M. Berg, dem wir die einzigen eingehenderen Untersuchungen über die Metallfarben der Käfer verdanken, scheint die Variabilität der Färbung gerade bei C. auronitens außerordentlich groß zu sein. Die Farbe der Flügeldecken kann zwischen Kupferrot, Grün, Blau und Violett bis zu mattem Braun und Schwarz wechseln; dabei kann das Halsschild entweder gleich oder verschieden gefärbt sein. KRUKENBERG ist der Meinung, daß derartige Verschiedenheiten wohl auf „Texturveränderungen an der Oberfläche der chitinösen Hülle beruhen, über welche histologische Untersuchungen wohl einen Aufschluß liefern könnten.“ BERGE hat zuerst darauf hingewiesen, daß es durch Behandlung metallisch glänzender schuppen- loser Flügeldecken von Käfern mit kochender Salpetersäure verschiedener Konzentration gelingt, ein meist nur schwach bräunlich gefärbtes oberstes Chitinhäutchen zu isolieren, welches nun auf dunklem Grunde die ursprüngliche Metallfarbe zeigt. Er folgert daraus, daß derartige Schillerfarben nur durch Reflexion entstehen und daher wesentlich von der Beschaffenheit des Grundes abhängen. Ist dieser farblos oder nur wenig gefärbt, so treten an Stelle der Metallfarben „fluorescierende“ Töne („des tons fluorescents“). So erscheint die durch Säurebehandlung isolierte Chitinhaut von Anoplognathus analis auf hellem Grunde „irisierend“, auf schwarzem dagegen schön metallisch grün und ähnlich ver- hält es sich auch bei Mimela chinensis. Die isolierte „Cuticula“ der Flügel scheint hier auf dunklem Grunde prachtvoll grün, während sie auf einer weißen Unterlage gelb aussieht. In Bezug auf die Frage, ob diese metallischen Farben durch eine besondere Struktur, etwa eine feine Streifung der Chitinhülle bedingt werden, gelangt BERGE zu dem Ergebnis, daß dies nicht der Fall ist. Es finden sich zwar auf der Oberfläche der untersuchten Chitinskelette Linien, dieselben liegen aber bei weitem nicht nahe genug beieinander, um Interferenzfarben zu erzeugen. Es gelang auch niemals durch Abdrücken metallglänzender, schillernder Käferflügel in eine weiche, dann erhärtende Masse (Paraffın, Siegellack) in ähnlicher Weise den farbigen Metallglanz zu reproduzieren, wie es be- kanntlich bei der Perlmutter der Fall ist (BREwsTER). Endlich weist BERGE noch auf die Tatsache hin, daß die durch HNO, isolierten Chitinhäutchen auf beiden Seiten dieselbe Metallfarbe zeigen. Aber auch auf die Farben dünner Blättchen lassen sich die Erscheinungen nach dem genannten Forscher nicht wohl zurückführen, indem die Farbe angeblich unabhängig ist von der Dicke der Schicht sowie vom Einfallswinkel des Lichtes. Es scheint nach den Untersuchungen BERGES überhaupt, daß der farbige Metallglanz bei gewissen Käfern weder an eine besondere Struktur (Skulptur) der Oberfläche, noch auch an eine solche (etwa Schichtung) der ganzen Masse gebunden ist, indem sonst durch alle Mittel, welche geeignet sind, die Struktur des Chitinskelettes zu erhalten, Pigmente dagegen zu zerstören, auch der farbige Schiller erhalten bleiben müßte. Dies wäre nun aber nach BERGE gerade nicht der Fall und er stellt daher in seiner letzten Mitteilung über den Gegenstand ausdrücklich den Satz auf, daß Pkoute matiere detruisant les pisments enleve a la cutieule le propriete d’emettre des tons metalliques par reflexion“ Von allen Bleichungsmitteln schien ihm hier allein das Ozon der Luft geeignet. Er brachte Käferflügel für 5 Monate an die Luft und setzte sie dem ab- wechselnden Einfluß von Sonne und Regen aus. Obschon die Entfärbung eine vollkommene war, soll sich die Struktur des Chitins doch absolut erhalten haben. Der farbige Metallglanz aber war verschwunden. Hieraus schließt BERGE, daß es sich bei den Metallfarben der Käfer nicht um reine Strukturfarben handelt, sondern daß „une substance cuticulaire“ existiert „qui joue un grandröle dans le formation des couleurs me£talliques s’il n’est pas l’agent unique“ Er nähert sich durch diese Annahme, wie man sieht, sehr der Meinung Warrers. Alle Bemühungen, nun diese fragliche „Substanz“ zu isolieren, blieben jedoch erfolglos. Bers& versuchte durch HNO, 29 * 228 Die Schillerfarben bei Insekten und Vögeln. 228 isolierte, schillernde Chitinhäutchen von Käfern mit verschiedenen chemischen Reagenzien zu extrahieren (Petroläther, Aether, Alkohol, Wasser, Kalilauge, HCl etc.) ohne jedes Resultat. Ebensowenig gelang dies bei Anwendung von Schwefelkohlenstoff, Chloroform, Benzin, Anilin, Karbolsäure und Pepsinlösung. Es ergaben sich nur in einzelnen Fällen gewisse Aenderungen des Farbentones. Alkalien und Säuren verändern denselben im allgemeinen von Grün zu Braun, Gelb zu Rot. Durch Wärme wird Goldgelb in metallisches Grün oder Blau verwandelt, das durch Alkalien oder Säuren erzeugte Braun aber wieder in das ursprüng- liche Grün oder Blau zurückverwandelt. Ebenso wirkt eine Lösung von CaCl,, Ungeachtet dieser Mißer- folge hält BERGE die Existenz eines die Metallfarben der Insekten verursachenden besonderen Farbstoffes („pigment me£tallique“) für erwiesen; er weist darauf hin, daß die durch HNO, isolierten Chitin- häutchen stets mehr oder weniger gefärbt erscheinen, und zwar um so deutlicher, je dunkler der ursprüng- liche Metallglanz war; die Cuticula erscheint dann oft wie berußt („enfumee“. Daß mit dem Ver- schwinden dieser an sich schwachen Färbung auch der Metallglanz verschwindet, spricht nach BERGE sehr zu Gunsten der Annahme eines Kausalverhältnisses zwischen beiden. Von der Regel, daß überall, wo wir Metallglanz bei Insekten begegnen, dies durch besondere Eigenschaften der Chitinsubstanz bedingt ist, würden nach VERHOEFF unter den Käfern nur die Cassida- Arten eine Ausnahme machen, indem hier der Metallglanz durch eine Flüssigkeit im Innern der Flügeldecken erzeugt werden soll. Darauf soll auch die bekannte Erscheinung beruhen, daß hier die Metallstreifen auf den Flügeldecken nach dem Tode an getrockneten Stücken sehr bald verlöschen. V. sah Flügeldecken von Cassida vittata, welche frisch in Glycerin gelegt worden waren, noch nach Monaten ebenso schön grün, metallglänzend, wie am lebenden Tier. Das Metallgrün im auffallenden Licht wird im durchfallenden zu einem blassen Rosa. Unter dem Mikroskop sieht man durchaus keine scharfe Grenze des rosigen Feldes. In den Flügeldecken liegen nach V. zahlreiche Zellen verstreut (?? B.), welche oft große Zwischenräume frei frei lassen, in welchen sich Leibesflüssigkeit befindet. Von letzterer strahlt die rosige Farbe ebensowohl aus wie von den Zellen. Eine Erklärung des grünen Metallglanzes hat VERHOEFF gar nicht versucht. BERGE hält die metallischen Farben auch bei Cassida für Chitinfarben. Daß sie im Gegensatz zu anderen Käfern hier nach dem Tode bald verblassen, will er darauf beziehen, daß der für das gehörige Hervortreten der Reflexionsfarbe nötige dunkle Untergrund bei Cassida durch ein Pigment der Hypo- dermis erzeugt wird, welches nach dem Absterben wie alle Hypodermalfarben bald zerstört wird. Meine eigenen Untersuchungen erstrecken sich allerdings nur auf eine kleine Zahl von Käferarten. Dennoch glaube ich, daß die Resultate, zu denen ich gelangte, nicht nur eine Verallgemeinerung inner- halb der Käferklasse selbst gestatten, sondern vor allem auch Licht werfen auf die Natur der Schiller- farben bei anderen Insekten, namentlich bei Schmetterlingen sowie auch bei Vögeln. Es sind die Käfer eben tatsächlich die geeignetesten Objekte, um über diejenigen Strukturverhältnisse der obersten Chitin- lagen Aufschluß zu erhalten, durch welche nachweisbar der farbige Schiller erzeugt wird. Ich will mit einem verhältnismäßig einfachen Fall beginnen, welcher der Untersuchung die ge- ringsten Schwierigkeiten bietet. Es handelt sich dabei um das Chitinskelett und vor allem die Flügel- decken des prachtvoll smaragdgrünen Smaragdisthes africana. Betrachtet man eine Flügeldecke im auffallenden Lichte, indem man das Auge möglichst senk- recht zur Fläche orientiert, gerade von oben, so erscheint sie hell smaragdgrün mit schönem atlasartigen Glanz. Das sehr lebhafte freudige Grün hat dann einen unverkennbaren Stich ins Gelbliche und ist 4 229 Die Schillerfarben bei Insekten und Vögeln. 229 über die ganze Oberfläche gleichmäßig verbreitet. Der Flügel sei dabei auf einem in der Nähe des Fensters befindlichen Tisch so orientiert, daß seine Längsachse in der Richtung des einfallenden Lichtes liegt. Blickt man nun von der Zimmerseite her schräg auf den Flügel, so erscheint das Grün um so bläulicher, je größer der Einfallswinkel des Lichtes wird, und kann selbst in reines Blau übergehen. Man kann sich davon am besten überzeugen, wenn man das gewölbte Brustschild in der Nähe des Fensters, quer zur Richtung des Lichteinfalles sitzend, bis etwa in die Höhe der Augen hebt. Immer jedoch wird unter diesen Verhältnissen die Beobachtung sehr bald gestört durch das Hervortreten farblosen Glanzes, in ähnlicher Weise, wie die Firnisschicht eines Oelgemäldes unter Umständen die Wahr- nehmbarkeit der Farben beeinträchtigt. Viel schöner macht sich daher jene Farbenänderung bemerkbar, wenn man eine Flügeldecke oder den ganzen Käfer in ein Schälchen mit Alkohol versenkt und dasselbe dann, schräg darauf blickend, in der Höhe des Gesichtes hält. An Stelle des Grün (im geraden Auf- blick) erscheint dann ein prachtvolles, sehr gesättigtes Violettblau. Ich möchte besonders betonen, daß für einen gegebenen Einfallswinkel die Schillerfarbe in diesem wie in der Mehr- _ zahl der Fälle bei Käfern fast ganz unabhängig ist von der sonstigen Orientierung des Objektes. Es liegt darin ein wesentlicher Unterschied gegenüber den Schillerfarben bei den meisten Schmetterlingen, für deren Hervortreten es keineswegs gleichgültig ist, ob beispielsweise die Flügelwurzel oder der freie Rand der Lichtquelle zugekehrt liegt. Im grellen durchfallenden Lichte erscheint eine solche Flügeldecke intensiv gelbrot. Läßt man verdünnte Kalilauge während längerer Zeit einwirken, so tritt allmählich eine immer weiter gehende Entfärbung ein, indem ein gelbbrauner Farbstoff in Lösung geht. Schließlich wird der Flügel blaßgelblich und ganz durchsichtig, ohne daß jedoch der farbige Schiller verschwindet. Mit Leichtigkeit läßt sich dann eine sehr dünne, offenbar widerstandsfähigere (härtere) Chitinlamelle ablösen, die ich als „Email- schicht“ bezeichnen will und die ausschließlich und allein Sitz und Ursache der Färbung ist. Solche fast ganz durchsichtige Chitinplättchen erscheinen auf weißem Grunde im durchfallenden Licht meist noch schwach gelbbräunlich gefärbt. Auf dunklem Grunde schillern sie jedoch immer noch prachtvoll grün, wobei der Farbenton um so mehr ins Blaue spielt, je weniger im durchgehenden Lichte das Gelb hervortritt. Ganz deutlich zeigt sich schon bei Lupenvergrößerung im auffallenden Lichte, daß die am stärksten entfärbten Stellen des Emails himmelblau, die noch stärker gelb tingierten dagegen grün erscheinen, und dies wird noch deutlicher, wenn man mit einer stärkeren Vergrößerung (etwa Zeiß A) arbeitet. Die Fläche erscheint dann förmlich hellblau und grün marmoriert, und man erkennt im durchfallenden Lichte, daß alle stärker gelben Partien im reflektierten Lichte grün aussehen. Durch wochenlanges Macerieren in verdünnter Kalilauge gelang es mir, absolut farblose Emailblättchen zu gewinnen, die nun auf dunklem Grunde rein himmelblau erscheinen; die Färbung tritt am schönsten unter Wasser hervor, ist aber auch noch nach dem Einlegen solcher Präparate in Glycerin sehr deutlich, und zwar in demselben Farbenton, zu sehen. Ich betone dies besonders, weil es sich mit sonst ganz ähnlichen Emailpräparaten, die man durch wochenlanges Macerieren in (etwa halb-) verdünnter Salpetersäure erhält, etwas anders verhält. Solche meist noch deutlich gelbliche Plättchen (die Farbe ist hier wohl hauptsächlich auf chemische Wirkung der Säure zurückzuführen) erscheinen auf dunklem Grunde ebenfalls prachtvoll hellblau, dort schlägt diese Farbe nach dem Einlegen in Glycerin in der Regel sehr bald in das ursprüngliche Smaragdgrün um, um erst nach dem Auswaschen mit Wasser wieder hervorzutreten. Im durchfallenden Lichte ist leicht zu erkennen, daß dies wesentlich 230 Die Schillerfarben bei Insekten und Vögeln, 230 auf dem stärkeren Hervortreten des gelben Farbentones im Glycerin beruht. Warum dies geschieht, vermag ich freilich nicht zu sagen. Ich möchte besonderen Nachdruck auf den Umstand legen, daß zwar das normale Smaragdgrün des Käfers eine „Schillerfarbe“ ist, nicht aber jenes Himmelblau, denn dieses ist so gut wie unabhängig vom Einfallswinkel des Lichtes. Es hat auch nicht den eigentümlichen Glanz der Normal- farbe und erscheint sozusagen matter, wiewohl keineswegs minder gesättigt. Erwähnt sei noch, daß die beschriebenen charakteristischen Farbenerscheinungen an isolierten durchsichtigen Emailplättchen unabhängig davon sind, ob das Licht an der Außen- oder Innenfläche reflektiert wird. So dünne Plättchen kann man aber freilich nur durch anhaltendes Macerieren in Lauge oder Säure erhalten. Versucht man es dagegen, mit einem Rasiermesser möglichst dünne Splitter der Emailschicht von der Oberfläche einer trockenen Flügeldecke abzuspalten (was der Härte und Glätte des Emails wegen nicht gelingt), so erhält man stets außen lebhaft grüne, innen aber tief schwarze Fragmente, ein Beweis, daß die glänzend grüne Färbung wirklich nur in den alleräußersten Schichten des Chitins entsteht. Um nun über den feineren Bau (die „Struktur“) dieser letzteren Aufschluß zu erhalten, sieht man sich wieder gezwungen, zu einem schonenden Macerationsverfahren seine Zuflucht zu nehmen. Bei mikroskopischer Untersuchung des ganzen trockenen Flügels ist nicht eben viel über die in Betracht kommenden Strukturverhältnisse herauszubekommen. Im auffallenden Lichte mit einem schwachen System untersucht (Zeiß A), erscheint die Oberfläche gleichmäßig smaragdgrün, mit feinen schwarzen Pünktchen dicht übersät. Nur ganz undeutlich und schattenhaft macht, sich eine mosaikartige Zellenzeichnung bemerkbar. Will man stärkere Vergrößerungen benutzen, so ist dies nur mit Hilfe des sogenannten „Vertikal- Iluminators“ der Firma Zeıss zu ermöglichen. Bei Anwendung eines Auerbrenners sieht man dann mit System D im wesentlichen dasselbe Bild, nur erscheinen natürlich die schwarzen Pünktchen deutlicher, und man erkennt, daß das grüne Licht von den schmalen Zwischenräumen derselben ausstrahlt. Spaltet man mit dem Rasiermesser ein möglichst dünnes Stückchen der grünen Emailschicht ab und untersucht unter Glycerin im durchfallenden Lichte, so tritt bei Einstellung auf die Oberfläche des gelbrötlichen Schnittes wiederum sehr deutlich eine feine Punktierung hervor, und man erkennt, daß die Zellenzeichnung tiefer liegt; um sie deutlich zu sehen, muß man den Tubus etwas senken. Vollen Fig. 1. Fig. 2. Fig. 1. Ein Bruchstück eines durch lange Maceration in verdünnter Kalilauge isolierten Emailplättchens von Smaragdisthes, von der Fläche gesehen (hohe Einstellung). Fig. 2. Ein Emailplättchen im optischen Längsschnitt. Stäbchenstruktur der unter der dünnen Cuticula gelegenen 2. Lage. Einblick in die Strukturverhältnisse erhält man aber erst dann, wenn man durch Maceration in Kalilauge oder Salpetersäure isolierte und teilweise oder ganz entfärbte Emailplättchen mit starken Systemen (Oelimmersion '/, Apochrom. Zeiß) untersucht. Die Oberfläche eines solchen Präparates erscheint dann wie ein sehr feines Wabenwerk mit rundlichen Maschen (Fig. r), während bei tieferer Einstellung die nun außerordentlich scharfe Zellenzeichnung hervortritt. Man muß den Tubus eine ganze Strecke weit 231 Die Schillerfarben bei Insekten und Vögeln. 230 senken, ehe diese polygonale Mosaik deutlich sichtbar wird, was auf eine beträchtliche Decke jener Wabenschicht hindeutet. Gelbes Pigment liegt in Form feiner Körnchen in der tieferen „Zellenschicht“. Daß es sich hier wirklich um 2 verschiedene Chitinlagen handelt, geht ganz überzeugend daraus hervor, daß an den Rändern solcher Präparate vielfach die farblose Außenschicht streckenweise isoliert vorragt. Jeder Zweifel wird aber behoben, wenn man ein solches Emailstückchen umklappt und den Umschlagsrand, also den optischen Querschnitt betrachtet. Man erhält dann ein Bild, welches durchaus an den Kutikularsaum (Stäbchensaum) der Darmepithelien bei Wirbeltieren erinnert (Fig. 2). Ueber der gelben Innenschicht breitet sich nämlich ein ganz farbloser, ziemlich breiter Saum aus, der auf das zierlichste von vertikalen (senkrecht zur Flügelfläche gerichteten), dicht aneinander stehenden Linien durchzogen ist. Ich bemerke ausdrücklich, daß an Präparaten aus Salpetersäure auch dieser Stäbchen- saum gelb gefärbt erscheint, doch handelt es sich hier offenbar um eine sekundäre Säurewirkung. Gleichwohl halte ich es aus verschiedenen Gründen für sehr wahrscheinlich, daß unter normalen Ver- hältnissen nicht nur die unter dem Stäbchensaum gelegenen Chitinschichten, sondern auch dieser selbst gefärbt ist, obschon er an Macerationspräparaten aus Kalilauge immer farblos erscheint. Leider habe ich kein Mittel gefunden, hinreichend dünne Querschnitte durch trockene Flügeldecken zu erhalten. Die äußerste Begrenzung zeigt an guten Präparaten stets einen doppelten Kontur, so daß es den Anschein gewinnt, als ob ein sehr dünnes, ganz homogenes Chitinhäutchen die eigentliche Grenzschicht nach außen bildete. Ist dem wirklich so — und in anderen Fällen läßt sich dies direkt erweisen — so würde die Emailschicht, welche sich wie eine Rinde unter den erwähnten Umständen immer von selbst glatt von der übrigen Chitinmasse abhebt, tatsächlich aus drei verschiedenen Schichten aufbauen, der Pigmentschicht (mit Zellenzeichnung), der wahr- scheinlich auch pigmentierten (gelben) Stäbchenschicht und schließlich der die äußerste Begrenzung bildenden dünnen Cuticula. Ehe wir auf die Beziehungen dieser Struktur zur Färbung des Käfers näher eingehen, dürfte es zweckmäßig sein, noch einige andere Beispiele näher kennen zu lernen. In allen Punkten sehr ähnlich verhält sich ein unserem Goldkäfer (Cetonia aurata) nahe- stehender Käfer aus Japan (Ile Oshima): Borosia Lreyert. Gerade von oben gesehen, erscheinen die sehr stark metallglänzenden Flügeldecken sowie das Brustschild messingfarbig mit einem Stich ins Kupferrot. Blickt man dagegen von der Seite her schräg darauf, so geht die Farbe in ein schönes Spangrün (Blaugrün) über. Unter Alkohol sieht man je nach der Größe des Einfallwinkels die ganze Skala zwischen Kupferrot und Blau. Durch längeres Macerieren in Kalilauge läßt sich das Email wieder leicht in größeren Stücken ablösen. Die- selben sehen dann aus, als wären sie aus lauter kleinen, unregelmäßigen Stückchen dünnen Metallbleches zusammengesetzt, und erscheinen in geradem Aufblick (unter Alkohol oder Wasser) hell glänzend messing- gelb, bei zunehmend schrägem Lichteinfall werden sie gelbgrün, grün, blaugrün und schließlich schön blau. Sie sind ziemlich durchscheinend und bieten, von der Hinterseite her gesehen, noch eine ausge- zeichnete Metallfarbe dar. Diese Farbe, wie überhaupt die ganze Emailschicht, welche wie ein zartes Goldplättchen dem Flügel aufliegt (man könnte geradezu sagen, die ziemlich dicke Chitinmasse der Flügeldecken sei „vergoldet“), erweist sich ganz außerordentlich widerstandsfähig. Beim Kochen mit Salpetersäure wird die Masse des Flügels schon nach kurzer Zeit ganz weich und brüchig, während der Email so gut wie unverändert bleibt und völlig isoliert sowohl von außen wie von innen prachtvollen 232 Die Schillerfarben bei Insekten und "Vögeln. 232 Metallglanz zeigt: ersterenfalls in gerader Aufsicht goldgelb, beim Neigen (unter Alkohol) in Grün umschlagend, letzterenfalls Kupferrot, beim Neigen glänzend smaragdgrün. Im durchfallenden Lichte tritt in gelber Farbe die Mosaikfelderung der Zellabdrücke sehr deutlich hervor, und größere Gruppen derselben erscheinen durch hellgelbe, ziemlich breite Streifen abge- teilt. In starker Vergrößerung zeigt jedes Feldchen eine sehr feine und dichte Punktierung ganz ähnlich wie bei Smaragdisthes. Daß dieselbe auch hier als Ausdruck des optischen Querschnittes von stäbchenartigen Gebilden aufzufassen ist, welche eine gelb pigmentierte, ziemlich dicke Chitinschicht senkrecht durchsetzen bezw. sie bilden, ist am Umschlagsrande eines zusammengebogenen Stückes der isolierten Emailschicht leicht zu erkennen. Wie im vorigen Falle ist für den Farbenton der einen so ausgezeichneten Metallglanz dar- bietenden Oberfläche des Chitinskelettes auch hier vor allem die Menge noch vorhandenen dunkelgelben Pigmentes in der gestreiften „Stäbchenschicht“ und der darunter gelegenen gefelderten Chitinlage maß- gebend. Es ergibt sich dies sowohl bei Untersuchung mit unbewaffnetem Auge, wie auch mit dem Mikroskop. Ersterenfalls sieht ein durch längere Maceration in Kalilauge abgelöstes Blättchen unter Alkohol bei ziemlich senkrechtem Lichteinfall glänzend kupferrot aus; kocht man aber die so isolierte Emaillage mit verdünnter Salpetersäure und entzieht man ihr dadurch einen weiteren Teil des Pigmentes, so erscheint sie dann unter sonst gleichen Bedingungen hell messinggelb mit einem deutlichen Stich ins Grünliche. Untersucht man dieselben Präparate (in Glycerin liegend) im auffallenden Tages- licht mit Zeiß A, so leuchten die vom Lichte in günstiger Richtung getroffenen Mosaikfeldchen ersteren- falls intensiv gelb oder rotgelb auf, während sie anderenfalls prachtvoll grün bis blaugrün erscheinen. Es ist mir in diesem Falle nicht gelungen, durch noch so lange fortgesetzte Maceration in Lauge oder Säure wirklich farblose Emailplättchen zu erhalten, doch zweifle ich nicht, daß die Reflexionsfarbe auf dunklem Grunde auch hier blau gewesen sein würde. Glücklicherweise bietet uns die Natur selbst gänzlich pigmentfreien Email in einem gewissen Entwickelungsstadium dar, und es liefert gerade die Untersuchung derartiger Präparate die wichtigsten Anhaltspunkte für die Beurteilung der Natur der Schillerfarben bei Käfern. Bekanntlich schlüpfen die meisten Käfer in einem Zustande aus der Puppe, in dem ihre Chitindecken noch weich und insofern nicht ausgefärbt sind, als sich die dunklen gelbbraunen oder schwarzen Pigmente in den obersten Schichten erst während des langsamen Erhärtens an der Luft bilden. Auch viele Schmetterlings- puppen sind unmittelbar nach dem Abstreifen der Raupenhaut hell gefärbt und dunkeln dann erst nach. Besonders gut läßt sich nach PErERSENn (Zur Frage der Chromophotographie der Schmetterlingspuppen; Sitz.-Ber. d. Dorpater Naturforsch.-Ges, Bd. IX, 1890) das Braunwerden der Cuticula an der Puppe von Sphinx Ligustri verfolgen. Nach dem Abstreifen der Raupenhaut ist die Puppe zuerst grün und nimmt allmählich die dunkelbraune Färbung an. PETERSEN untersuchte Kutikularstücke aus den verschiedenen Stadien der Umfärbung, und es zeigte sich ganz unverkennbar, daß die kleinen Härchen der Oberfläche gewissermaßen Zentren der Verfärbung bilden. Hier treten zuerst hellbraune Flecken auf, die sich rasch vergrößern und dunkler färben, bis sie sich schließlich berühren und nun die ganze Chitindecke dunkelbraun aussieht. Dieses Dunkelwerden schreitet mit der Erhärtung der Cuticular- schichten fort und scheint von der Wasserabgabe in diesem ersten Stadium abhängig zu sein, denn die Puppe bleibt grün und weich, wenn sie in einem mit Wasserdampf gesättigten Raum oder in einer Flüssigkeit gehalten wird. Durch das naturhistorische Institut „Linnaea“ in Berlin erhielt ich eine Anzahl Exemplare von Cetonia aurata, welche, eben der Puppe entschlüpft, noch nicht ihre definitive Härte und Farbe ee ea 233 Die Schillerfarben bei Insekten und Vögeln. 233 erreicht hatten. Die Flügeldecken sind in diesem Stadium noch merklich kleiner als normal, gelblich- weiß gefärbt, weich, etwas gerunzelt und viel dicker als am völlig erhärteten, fertigen Käfer. Desgleichen sind die häutigen Hinterflügel noch dick und nur wenig durchscheinend (an Alkoholexemplaren). Die gleiche gelblich-weiße, blasse Farbe zeigen auch die Hinterleibsringe auf ihrer ventralen Seite. Aber sowohl die Oberfläche dieser, wie jene der Flügeldecken läßt schon dann einen schönen Farbenschiller erkennen, besonders wenn man unter Alkohol oder Wasser untersucht. Im geraden Aufblick erscheinen die genannten Teile metallisch glänzend gelbgrün, bei sehr schrägem Lichteinfall dagegen tritt ein schön veilchenblauer Oberflächenschimmer auf, während zwischendurch Grün und Hellblau erscheint. Es gelingt in diesem Falle leicht, ohne vorausgehende eingreifende Maceration, den Email absolut für sich zu isolieren, indem man einfach mit einem Skalpell die noch ganz weichen unterliegenden Chitinschichten abschabt‘). Man erhält auf diese Weise dünne, farblose und ganz durchsichtige Lamellen, welche nun, unter Wasser oder Alkohol untersucht, ein prachtvolles Farbenspiel zeigten, welches namentlich an den zarten Bauchschienen bei schrägem Lichteinfall auf das jglänzendste hervortritt und auf den ersten Blick an die schönen Interferenzfarben der Seifenblasen erinnert. Die Farbenfolge ist wieder die- selbe, wie in den schon geschilderten Fällen. Im geraden Aufblick gelb oder gelbgrün glänzend, geht die Farbe beim Neigen des Objektes gegen die Lichtquelle allmählich durch Grün und Blau in ein schönes Violett über. Es wird in diesem Falle gewiß niemand zweifeln, daß es sich hier um Interferenzfarben nach dem Prinzip dünner Blättchen handelt. Der Glanz der Farben, ihre Sättigung und Intensität, sowie der gänzliche Mangel eines Pigmentes lassen darüber keinen Zweifel aufkommen. Das Ergebnis der genauen mikro- skopischen Untersuchung bestätigte in ungeahnter Weise diese Vermutung und zeigte aufs neue, wie sehr es für die richtige Auffassung einer Erscheinung auf die richtige Wahl eines geeigneten Objektes ankommt, wo dann mit einem Male Verhältnisse klar werden, die in anderen Fällen nur sehr schwierig oder wohl auch gar nicht zu ent- rätseln sind. Bringt man ein solches farbloses Emailplättchen einer jungen Flügeldecke von Cetonia in Wasser eingedeckt unter das Mikroskop und betrachtet es bei stärkerer Vergrößerung (etwa Zeiß D oder F), so lassen sich ganz deutlich 2 verschiedene, übereinander gelagerte Schichten erkennen. Bei hoher Einstellung zeigt sich ein Bild, welches auf den ersten Blick an die bekannte Struktur eines Perlmutterdünnschliffes erinnert. Wie Schuppen über- ee einander gelagert und sich teilweise deckend, an den freien Rändern in einer jungen Cetonia, von ‚der Fläche ge- zierlichster Weise gezähnelt (Fig. 3) liegen in parallelen Reihen äußerst Se me Be dünne, glashelle und völlig strukturlose Chitinplättchen dachziegelartig 1) Es sei bei dieser Gelegenheit bemerkt, daß diese inneren, die Hauptmasse des Flügels bildenden Chitinschichten an dünnen Flächenschnitten noch nichts von der so sehr charakteristischen Netzstruktur des völlig erhärteten Flügels erkennen lassen. An den mir zur Verfügung stehenden Spiritusexemplaren finde ich in einer feinkörnigen Grundsubstanz stärker lichtbrechende, länglich-runde, kernähnliche Gebilde eingelagert, deren Anordnung im allgemeinen der der späteren Lücken (Netzmaschen) entspricht (vergl. meine Arbeit „Ueber geformte Sekrete“ in VERWORNS Zeitschr. f. allgemeine Phy- siologie, 1902). Dagegen vermochte ich noch keine Andeutung eines Richtungswechsels der Netzbalken in aufeinander folgenden Schichten zu erkennen. Es scheint also, daß sich selbst am schon ausgeschlüpften Käfer noch viel über die definitive Ausgestaltung des Chitinpanzers wird herausbekommen lassen, wenn man gute Konservierungsmethoden anwendet und Schritt für Schritt den Prozeß der „Erhärtung“ verfolgt. Jenaische Denkschriften. XL 30 Festschrift Ernst Haeckel. 234 Die Schillerfarben bei Insekten und Vögeln. 234 geschichtet übereinander und bilden so eine ganz außerordentlich zarte Cuticula, welche in erster Linie für das Auftreten der Interferenzfarben verantwortlich zu naleihlemeisi: Senkt man langsam den Tubus, so tritt die schon beschriebene, durch ihre Stäbchenstruktur (von der Fläche gesehen, durch Punktierung) gekennzeichnete Mosaikschicht auf das allerdeutlichste hervor. Doch erscheinen die einzelnen polygonalen Feldchen nicht wie beim völlig entwickelten (erhärteten) Käfer fein punktiert, sondern zeigen eine sehr zierliche Netzzeichnung (Fig. 3). Hat man sich erst einmal durch Untersuchung noch unfertiger junger Cetonien von diesen Strukturverhältnissen überzeugt, so gelingt es nun unschwer, ihr Vorhandensein auch an völlig entwickelten und ausgefärbten Käfern verwandter Gattungen nachzuweisen. So habe ich bei Potosia Preyeri durch lange Maceration der schön metallglänzenden Bauchschienen und des Brustschildes in halb- verdünnter Salpetersäure prächtige Emailpräparate erhalten, welche wieder zu oberst eine ganz zarte Cuticula mit typischer Perlmutterstruktur und darunter die polygonal gefelderte Stäbchenschicht erkennen ließen. Die letztere war an diesen sehr dünnen und steifen, wie aus feinstem Metallblech geformten, im übrigen aber ganz durchsichtigen Emailplättchen stark gelb gefärbt, wodurch das herrliche Farben- spiel (im geraden Aufblick unter Alkohol erschien ein gesättigtes Feuerrot, welches beim Neigen des Präparates durch Orange in Grün, Blau und schließlich Violett übergeht) fast noch schöner hervortrat als an den ganz farblosen Präparaten junger Cetonien. Auf alle Fälle aber erscheinen alle Farben gesättigter und vor allem feuriger (namentlich das Rot). Welche Bedeutung das Zusammenwirken der durch die Cuticula (Perlmutter- häutchen) veranlaßten Interferenzfarben mit den in tieferen Chitinlagen lokalisierten gelben oder rötlichen Pigmenten besitzt, lehrt wieder recht eindringlich eine junge, eben aus- geschlüpfte Cetonie. Zu einer Zeit, wo die Flügeldecken und der Hinterleib (ventral) noch weich und gelblichweiß (abgesehen von dem farbigen Schiller) erscheinen, zeigen Kopf, Brustskelett und Beine bereits eine starke Pigmententwickelung und damit eine der normalen sich nähernde Oberflächenfärbung. Während die Rückenfläche des Brustschildes unter Alkohol im geraden Aufblick bereits schön goldgrün glänzt (noch etwas gelblicher als am fertig ausgefärbten Käfer), erscheinen die ventralen Partien, sowie die Beinschienen zur gleichen Zeit noch rotviolett gefärbt. Bei manchen verwandten Käfern verharren, wenn man so sagen darf, die Flügeldecken in Bezug auf ihre Färbung in einem jugendlichen Stadium. So gleichen dieselben bei Euphonia fulgida den jungen, noch weichen Flügeln von Cetonia aurata. Sie sind wie diese durchscheinend und enthalten nur wenig Pigment. Infolgedessen ist der Metallglanz dieses Käfers verhältnismäßig gering (im Vergleich zu Potosia). Im durchfallenden Lichte auf weißem Untergrunde erscheint die Farbe der Flügeldecken blaß lehmgelb. Erst unter Alkohol im auffallenden Lichte tritt der farbige Schiller deutlich hervor, und zwar im geraden Aufblick mit lebhaft grüngelber Farbe. Man kann sich in diesem Falle durch Unterschieben eines Stückchen schwarzen Papiers leicht davon überzeugen, wie sehr die Lebhaftigkeit des farbigen Glanzes dadurch gehoben wird. Durch Neigen des Flügels gegen das auffallende Licht geht der Farbenton wieder durch reines Grün in Blau und Blauviolett über. Durch ein außerordentlich lebhaftes und weitgehendes Farbenspiel zeichnet sich Popilia cupricollis (Padong) aus. Das spiegelglatte, wie polierte Brustschild erscheint an der stark konvexen Oberfläche lebhaft kupferrot (unter Alkohol fast rubinrot), an den steilen Seitenflächen dagegen intensiv grün. Neigt man 235 Die Schillerfarben bei Insekten und Vögeln. 235 dasselbe unter Alkohol etwas gegen das vom Fenster her einfallende Licht, so erscheinen bei gewisser Stellung fast alle Farben des Spektrums in regelmäßiger Aufeinanderfolge. Die am steilsten abfallende, gegen das Licht am stärksten geneigte Partie erscheint violett, und von da aus nach oben hin folgen Blau, Grün, Gelb bis zu einem prachtvollen feurigen Rubinrot. Dieselbe Farbenfolge tritt unter gleichen Bedingungen auch an den dicken, stark cylindrisch gekrümmten Schenkeln der Beine hervor. Die nur schwach gelbbraun pigmentierten, ganz durchscheinenden Flügeldecken zeigen auch ihrerseits ein nicht minder herrliches, mit dem Lichteinfall wechselndes Farbenspiel. Trocken erscheinen sie ziemlich matt- braun. Schiebt man aber unter eine in Alkohol liegende Flügeldecke ein Stückchen schwarzes Papier, so leuchtet dieselbe im geraden Aufblick lebhaft kupferrot. Die Farbe geht beim Neigen in ein glänzendes Smaragdgrün und schließlich in Violett über. Es bieten diese fast durchsichtigen Flügeldecken außerdem erwünschte Gelegenheit, sich davon zu überzeugen, daß der farbige Glanz, wenngleich etwas gedämpft und abgeschwächt, auch von der Innenseite her gesehen wird. Läßt man eine solche Flügeldecke längere Zeit in verdünnter Kalilauge macerieren, so läßt sich die dünne Emailschicht als ein zartes, immer noch deutlich rot schillerndes Häutchen leicht ablösen. Unter dem Mikroskop erscheint sie von massenhaften feinen Runzeln und Falten durchzogen. Doch sind diese für den optischen Fffekt sicher nicht verantwortlich zu machen. Denn normal liegt die Cuticula spiegelglatt gespannt dem Flügel auf. Daß auch in diesem Falle eine nur sehr viel zartere „Stäbchenschicht“ vorhanden ist, darauf weist die stellenweise trotz der Runzelung ganz deutliche sehr feine Punktierung isolierter Emailplättchen hin. Aehnlich wie bei Popilia verhält sich auch das Integument von Sagra purpurea (Öst- asien), einem Bockkäfer, sowie von Lamprina Latreillei (2 Queensland). Viel weniger lebhaft sind die Schillerfarben bei Carabus Bonplandii aus Amerika. Im trockenen Zustande erscheint die Oberfläche des Käfers rötlich-bronzefarbig mit wenig lebhaftem Glanz. Schon so bemerkt man aber, daß die steiler abfallenden Ränder der stark konvexen Flügeldecken mehr ins Grüne schillern. Untersucht man dagegen unter Alkohol, so werden die Farben viel lebhafter und prächtiger. Dann erscheint die konvexe Oberfläche, wenn man gerade darauf herunterblickt, glänzend kupferrot, die Seitenteile der Flügel aber grün resp. bläulich. Stellt man dann den Flügel schräg zum einfallenden Lichte, so geht das Grünblau in ein schönes gesättigtes Violett über. Durch längere Maceration in verdünnter Kalilauge löst sich von den Flügeldecken der größte Teil des tief dunklen Pigmentes, sie sehen dann hell bräunlichgelb und sehr durchscheinend aus, zeigen aber indes noch ganz deutlich, wiewohl unvergleichlich schwächer, einen metallischen Schimmer (grünlich bei senkrecht auf- fallendem Licht, blaßviolett bei schrägem Lichteinfall, Setzt man dann die Maceration immer noch weiter fort, so werden die Flügel so gut wie ganz entfärbt, und es läßt sich dann der noch immer ganz schwach schillernde Email leicht ablösen. Bei mikroskopischer Untersuchung zeigt er eine sehr deutliche Zellenzeichnung, und die Fläche jedes einzelnen Mosaikfeldchens erscheint wieder fein und dicht punktiert (Stäbchenstruktur). Bekanntlich zeichnen sich die sogenannten Prachtkäfer (Buprestiden) durch einen besonders intensiven Metallglanz und Farbenschiller aus. Ich hatte Gelegenheit, einige der schönsten Repräsen- tanten dieser Gruppe zu untersuchen, vor allem den großen, aus Ceylon stammenden Sternocera sternicornis. Dieser prächtige Käfer erscheint oben und unten gleichmäßig goldgrün mit so starkem Metall- glanz, daß er wie aus Erz geformt aussieht. Die Emailschicht der Flügeldecken, welche von je 4 Längs- 30 * 226 Die Schillerfarben bei Insekten und Vögeln. 4 Fo] 236 reihen matter, etwas vertiefter Flecken durchzogen werden, erhält durch dicht stehende kleine Grübchen ein eigentümlich rauhes (körneliges) Aussehen. In auffälligster Weise ändert sich schon bei Betrachtung eines trockenen Sammlungsexemplares der Farbenton des metallischen Schillers je nach dem Einfalls- winkel des Lichtes. Wie in allen früheren Fällen erscheint das Grün um so gelblicher (und schließlich rotgelb), je mehr das Licht senkrecht auffällt. Je schräger man dagegen auf die Oberfläche blickt, desto blauer erscheint das Grün, um schließlich in Violett überzugehen. Viel prachtvoller, ja geradezu herrlich gestaltet sich dieses Farbenspiel, wenn man eine Flügeldecke unter Alkohol beobachtet. Blickt man gerade von oben herab auf einen am Boden eines weithalsigen Fläschchens unter Alkohol liegenden Flügel, so glänzt er prachtvoll rot wie poliertes Kupfer; durch Messinggelb, Grüngelb, Grün, Blaugrün, Blau bis zum Violett kann man dann je nach dem Lichteinfall alle nur denkbaren Uebergänge beob- achten. Besonders glänzend gestaltet sich das Indigblau und Violett, Obwohl die Flügeldecken eine beträchtliche Dicke besitzen, bildet das metallglänzende Email doch nur einen sehr dünnen Ueberzug, wovon man sich leicht überzeugt, wenn man es versucht, mit einem Rasiermesser einen möglichst dünnen Oberflächenschnitt abzuspalten. Die unmittelbar darunter gelegenen Chitinschichten sind dunkel (fast schwarz) pigmentiert. Untersucht man eine trockene Flügeldecke im auffallenden Lichte mit schwächeren Systemen (Zeiß A), so tritt, wenn man nicht auf die abschüssigen Seitenflächen, sondern auf die Mitte der konvex gekrümmten Oberfläche einstellt, an keiner Stelle Färbung hervor, als an den der Lichtquelle (dem Fenster) zugewendeten Flächen der zahlreichen kleinen Grübchen der Oberfläche. Man sieht daher lauter hell und zwar lebhaft grün aufleuchtende Segmente auf einem völlig dunklen Grunde. Nirgends erscheint Gelb. Ganz anders, wenn man mit dem Vertikal-Illuminator (System D) untersucht. Dann erscheinen gerade jene kleinen Grübchen tief dunkel, während die zwischenliegenden Flächen hellgelb oder rötlichgelb leuchten, durchzogen von hellgrünen Schlieren, die größere Felder als Grenzlinien umziehen. Dasselbe Bild, nur sozusagen im Kleinen, sieht man schon bei Lupenvergrößerung, wenn man den Flügel mit der langen Achse parallel dem Fenster orientiert. Es handelt sich dabei um Rillen (Furchen), welche flache ebene Feldchen eingrenzen und aus deren Tiefe infolge des schrägen Licht- einfalles auf die Wände der Furchen grünes Licht zurückstrahlt. Auch bei starker Vergrößerung sieht man keine Andeutung einer Zellenzeichnung, sondern es erscheinen die leuchtenden Flächen völlig homogen ohne jede Spur einer Reliefstruktur. Dasselbe konstatiert man auch an dünnen Splittern der Emailschicht im durchfallenden Lichte (in Glycerin). Der Farbenton erscheint dann gelbbraun, und es läßt sich auch hier nicht die geringste Andeutung einer Struktur (Punktierung, Streifung) erkennen. läßt man dagegen die Flügeldecken in halbverdünnter Salpetersäure mehrere Tage macerieren, so werden sie fast entfärbt (lehmgelb), und das Email erscheint im auffallenden Lichte als himmelblau schillernder dünner Ueberzug. Im Gegensatze zu anderen Käfern hängt hier der Email mit den später abgelagerten Chitinschichten sehr innig zusammen und läßt sich daher erst nach eingreifendem Macerations- verfahren und auch dann nur in kleinen Fetzen isolieren. Von der Fläche gesehen, zeigen dieselben nun. eine sehr deutliche polygonale Felderung (Zellenzeichnung), während alle einzelnen Feldchen zugleich eine dichte Punktierung erkennen lassen. Im Profil tritt wieder eine ganz analoge Stäbchen- struktur hervor wie in den früher erwähnten Fällen. Ja, man kann sagen, daß dieselbe hier sogar noch stärker entwickelt ist als dort. Es handelt sich offenbar um cilienartige Gebilde, die, wenn sie durch lange Maceration in HNO, erweicht sind, sich beim Bedecken mit dem Deckglas oft umlegen, so daß dann die Mosaikfeldchen ein zierlich gestreiftes bürstenförmiges Aussehen gewinnen. 937 Die Schillerfarben bei Insekten und Vögeln. Dam Im wesentlichen dieselben Erscheinungen konstatiert man auch bei anderen Prachtkäfern, so z. B. bei Chrysodema fucata (Pullo-Tello), deren Flügeldecken infolge einer viel gröberen Skulptur (Rippen und da- zwischen gelegene, von tiefen Runzeln durchzogene Flächen) den Einfluß derartiger Unregelmäßigkeiten der Oberfläche auf die Farbe des zurückgeworfenen Lichtes noch viel deutlicher erkennen lassen, als es bei Sternocera der Fall ist. Immer aber tritt die Tatsache in deutlichster Weise hervor, daß vom senkrechten Lichteinfall bis zu einem gewissen Neigungswinkel fast alle Farben des Spektrums durch- laufen werden (vom Kupferrot bis zum Violett). Zugleich lernt man aber an den Prachtkäfern auch noch die weitere wichtige Tatsache kennen, daß der Farbeneindruck ganz wesentlich mit von der Orientierung der Flügeldecken in Bezug auf die Lichtquelle abhängt, ein Um- stand, der namentlich für die Schillerfarben der Schmetterlinge höchst bedeutungsvoll ist. Liegt eine Flügeldecke von Chrysodema unter Alkohol und steht die Längsachse senkrecht zum Fenster, so erscheinen im geraden Aufblick sowohl die Rippen wie auch die zwischenliegenden Flächen kupferrot (bronzefarbig). Richtet man aber den Flügel mit seiner Längsachse parallel dem Fenster, so erscheinen die dem Fenster zugewendeten Abhänge der erhabenen Rippen grün, blau oder violett, die Täler dazwischen jedoch kupferrot. Man sieht, daß die Ursache der Erscheinung wieder nur in der Verschiedenheit der Einfallswinkel des Lichtes zu suchen ist. Wie schon erwähnt, ist im trockenen Zustande an der Oberfläche der Flügeldecken weder Zellenzeichnung noch Punktierung zu erkennen. Beides ist dagegen in ausgezeichneter Weise an dem ebenfalls metallglänzenden Chitinpanzer der ventralen Seite sowie an den Beinschienen der Fall. Be- sonders deutlich, weil scharf umgrenzt, erscheint die Zellmosaik bei Chrysodema, während bei Sterno- cera die Grenzen der Feldchen minder scharf ausgeprägt sind. Es ist noch besonders hervorzuheben, daß bei Untersuchung mit dem Vertikal-Iluminator die einzelnen polygonalen Feldchen keineswegs alle gleich gefärbt erscheinen, sondern daß in demselben Gesichtsfeld gelbe, rötliche und grüne nebeneinander vorkommen können. Doch überwiegt bei Sternocera in der Regel die eine oder andere Farbe (meist Gelb), und es hängt das ohne Zweifel wieder von der Lage des Präparates zum einfallenden Lichte ab. Daher nimmt das Grün an den ab- hängigen Partien im allgemeinen an Ausdehnung und Intensität zu. Dies läßt sich noch deutlicher erkennen, wenn man mit schwachen Vergrößerungen (Zeiß A) im auffallenden Lichte untersucht. Die- jenigen Partien des Präparates, die am steilsten abfallen, erscheinen dann oft lebhaft blau, daran schließt sich nach oben hin Grün, Grüngelb und schließlich an der konvexen Oberfläche Gelb oder Gelbrot. Faßt man eine bestimmte Gruppe von Feldchen ins Auge und dreht den Objekttisch, so kann es geschehen, daß dieselben ihre Farbe ganz deutlich ändern, also ganz unverkennbar unter dem Einfluß verschiedener Einfallswinkel der Lichtstrahlen. Von besonderem Interesse, namentlich mit Rücksicht auf gewisse farbig reflektierende Schuppen bei Käfern, ist der Umstand, daß bei Betrachtung mit dem Vertikal-Illuminator nicht nur verschiedene Mosaikfeldchen der Unterseite bei Chrysodema im ganzen verschieden gefärbt erscheinen, sondern daß auch ein und dasselbe Feldchen an verschiedenen Stellen seiner Fläche verschiedene Farben aufweisen kann. Es kommt Rot neben Grün von diesem scharf abgegrenzt vor, oder Gelb und Rot, Gelb und Grün u. s. w. Manchmal ist der Uebergang ganz unvermittelt, anderenfalls verwaschen. Ich habe stellenweise Rot, Gelb, Grün und Blaugrün auf einem und demselben Feldchen vereint gefunden. Daß ein solches Verhalten nicht wohl auf eine verschiedene „Struktur“ (Skulptur), noch weniger aber auf Verschiedenheiten von „Schillerstoffen“ bezogen werden kann, liegt ziemlich auf der Hand. Man wird sich aber vielleicht der Tatsache erinnern, daß bei Seifenblasen gar nicht 238 Die Schillerfarben bei Insekten und Vögeln. 238 selten verschiedenfarbige wie marmorierte Schlieren und Flecke vorkommen, die im großen ein ähnliches Bild darbieten wie es mikroskopisch an jenen Käfern hervortritt. Es liegt nahe, beide Erscheinungen auf dieselbe Ursache, d. h. eine stellenweise verschiedene Dicke der dünnen durchsichtigen Schicht zu beziehen, welche Interferenzfarben erzeugt. Den bisher angeführten Beispielen reiht sich auch das schön goldgrüne Exoskelett von Lytta vesicatoria an. Blickt man mit bloßem Auge oder bei Lupenvergrößerung gerade von oben auf die Flügeldecken des Käfers, so erscheint die Farbe der fein runzeligen Oberfläche mehr gelbgrün. Sieht man aber schräg auf die Fläche, so ändert sich der Farbenton und geht mehr und mehr ins Blaue über, um schließlich bei ganz schräger Reflexion violett zu werden. Besonders schön zeigt sich dieser Umschlag in Blauviolett, wenn man die Flügeldecke in ein Uhrschälchen mit Alkohol untertaucht (mit der grünen Seite nach oben) und dann seitlich darauf blickt: es entsteht so ein prachtvoll blaues Spiegelbild. Durch Kochen mit Wasser geht die Farbe mehr ins Gelbgrün über, ohne sich übrigens wesentlich zu ändern. Dagegen tritt eine bemerkenswerte Farbenänderung ein, wenn man eine trockene Flügeldecke längere Zeit in Alkohol aufbewahrt. Das Grün verwandelt sich dabei nach und nach in eine Goldbronze- farbe, die beim Trocknen wieder dem ursprünglichen lebhaften Grün weicht. Daraus geht hervor, daß es sich hier nicht um die Zerstörung oder Umwandlung ‚eines Biemenken handelt, auch nicht darum, daß durch die bloße Berührung mit Alkohol die optischen Verhältnisse sofort geändert werden, denn zunächst bleibt das metallische Grün erhalten, sondern es hängt der Farbenumschlag offenbar von der vollständigen Imbibition des Flügels mit Alkohol ab. Das Grün ist demnach sicher an gewisse besondere Strukturverhältnisse des Flügels gebunden, es ist eine Gypische Strulturiarpe Während ein trockener oder eben ın Alkohol versenkter Flügel bei sehr schrägem Lichteinfall blauviolett erscheint, sieht ein mit Alkohol ganz durchtränkter bronzefarbiger unter gleichen Verhältnissen grün aus. Es geht ersterenfalls Gelbgrün in Blaugrün, Blau und Violett über, letzterenfalls Braungelb in Gelbgrün und Grün oder höchstens Grünblau. Kocht man eine Flügeldecke mit Salzsäure, so wird sie rasch bronzefarbig. Nach Auswaschen mit Wasser und Alkohol getrocknet, erscheint sie nunmehr auch bei Betrachtung gerade von oben schön violettblau. Durch Befeuchten mit Alkohol kann man aber jederzeit das Grün wieder hervorrufen. Mit verdünnter Salpetersäure gekocht, werden die Flügel zum Teil entfärbt und erscheinen dann in geeignetem Stadium gelblich mit schön hellblauem Oberfächen- schiller. Grün ist nur dann zu sehen, wenn die Entfärbung nicht zu weit gegangen ist und der Flügel noch dunkler gelb erscheint. Bei der verhältnismäßig beträchtlichen Durchsichtigkeit so behandelter Flügeldecken ist es am besten, dieselben in ein Schälchen mit Alkohol zu bringen und auf einem Stückchen ebenfalls eingetauchten schwarzen Papiers die Farbe zu prüfen. Man sieht dann je nach dem Grade der Entfernung des gelben Pigmentes ein intensives Violett oder Hell-(Himmel-)Blau und zwar bei fast ganz geradem Aufblick. Betrachtet man ein Stückchen Flügeldecke in auffallendem Lichte bei schwächerer Vergrößerung (Zeiß A), so sieht man bei geeigneter Lage des Präparates gruppenweise, durch tiefdunkle Zwischen- räume getrennt, hellgrün schimmernde Flecke, Striche oder Feldchen. Dreht man dann den Objekttisch, so tauchen aus dem Dunkel andere leuchtende Stellen auf, während die vorher sichtbaren sich verdunkeln. Es sieht aus, als wäre die Flügeloberfläche mit Schüppchen überzogen, die nur bei einer gewissen Richtung der einfallenden Lichtstrahlen aufleuchten. Untersucht man mit dem Vertikal-Illuminator (Zeiß D), u 239 Die Schillerfarben bei Insekten und Vögeln. 239 so sieht man eine prachtvoll grüne Mosaik von Feldchen, die offenbar einer Zellenzeichnung entspricht Die einzelnen gleichmäßig gelbgrünen Feldchen sind durch tiefschwarze Grenzlinien getrennt und lassen deutlich erkennen, daß ihre Oberfläche konvex gewölbt ist. Die Mitte der beleuchteten Felder erglänzt gelbgrün, die Ränder mehr blaugrün, was offenbar wieder von dem verschiedenen Winkel abhängt, unter welchem das Licht auf die Kuppe und die mehr oder weniger steil abfallenden Randflächen auffällt. Noch schöner, weil regelmäßiger, erscheint unter sonst gleichen Verhältnissen die Oberfläche der Beinschienen. Hier grenzen die einzelnen polygonalen, ziemlich ebenen Felder scharf aneinander und erscheinen gleichmäßig gelbgrün gefärbt. Nur hier und da zeigen einzelne Feldchen oder Gruppen von solchen einen mehr blaugrünen Farbenton. Läßt man getrocknete Flügeldecken ı—2 Tage in starker Kalilauge macerieren, so kann man leicht die Emailschicht abheben und sieht dann im durchfallenden Lichte eine bräunlichgelbe Zellmosaik, deren einzelne Feldchen durch helle Zwischenlinien getrennt erscheinen. Bei starker Vergrößerung sieht man wieder deutlich eine Punktierung der einzelnen Flächen. Daß jedes Feldchen uhrglasartig, konvex nach außen vorspringt, läßt sich sehr deutlich am Umschlagsrand eines in verdünnter Salpetersäure gekochten und dann zusammengeklappten Flügels erkennen. Durch Zufall kam ich in den Besitz eines in vieler Hinsicht sehr interessanten metallglänzenden Käfers, der wie aus poliertem Messing geformt erscheint. Es handelt sich um den aus N.-Queensland stammenden Anoplognathus aureus. Betrachtet man den Käfer unter Alkohol im geraden Aufblick, so erscheint er in toto prachtvoll metallglänzend, und zwar in hell messinggelber Farbe. Blickt man schräg darauf, so tritt farb- loser Glanz ein. Bei noch schrägerem Lichteinfall bemerkt man dann ein blasses Himmelblau, doch ist dieser Farbenwechsel hier sehr viel weniger ausgesprochen, als in allen früher besprochenen Fällen. Die Flügeldecken sind ziemlich dünn und durchscheinend. In verdünnter Kalilauge ver- schwindet die prächtige Metallfarbe schon nach kurzer Zeit unter Braunfärbung. Sie kehrt auch nach dem Auswaschen und Trocknen nicht wieder, und beruht daher das Schwinden des Glanzes sicher auf einer tiefer greifenden Strukturänderung. Schon nach eintägigem Macerieren löst sich das farbige Email als ein gelbbraunes dünnes Häutchen ab, welches nachweisbar aus 2 Schichten besteht. Eine sehr dünne, durchsichtige und gänzlich farblose äußere Lamelle, die sich bei dem erwähnten Macerationsverfahren ähnlich wie bei Popilia cupricollis sehr bald runzelt und erweicht, läßt bei starker Vergrößerung einen ganz ähnlichen Bau erkennen, wie die Cuticula von Cetonia und Potosia, nur sehr viel zarter und daher schwerer zu erkennen. Man bemerkt zwischen den groben Falten eine überaus feine Parallelstreifung als Ausdruck einer schuppenartigen Uebereinanderlagerung äußerst dünner Chitinlamellen. Normal liegt dieses Oberflächenhäutchen offenbar ganz glatt auf, denn der ganze Käfer spiegelt wie poliertes Metall. Unter dieser äußersten farblosen Schicht liegt eine ebenfalls sehr dünne, aber intensiv gelbe Chitinlage mit deutlicher schöner Zellenzeichnung in Form sechseckiger Feldchen, deren Flächen wiederum eine sehr feine Punktierung zeigen. Zwischen diesen beiden Chitinlagen befindet sich nun eine in diesem Falle leicht nachweisbare Luftschicht. Ich glaube nicht fehlzugehen, wenn ich diesem Umstande in erster Linie den ungewöhnlich starken Glanz des Käfers zuschreibe, und zwar nach demselben Prinzip, nach dem gewisse Wasserinsekten durch einen dünnen Luftüberzug silberglänzend erscheinen (totale Reflexion). Bringt man einen Skelettteil dieses Käfers in halbverdünnte Salpetersäure, so zeigt sich schon nach wenigen Stunden die Wirkung in einem zunächst nur teilweisen Verschwinden des Metall- 240 Die Schillerfarben bei Insekten und Vögeln. 240 glanzes. Während einzelne Teile der Oberfläche noch deutlich messinggelb erglänzen, erscheint der größte Teil derselben bei geradem Aufblick matt braun. Neigt man jedoch (unter Alkohol) das Prä- parat gegen das einfallende Licht, so erkennt man noch hier und da messinggelb glänzende kleine Flecken und Punkte, und zwar sind das immer Stellen, wo bei stärkerer Vergrößerung unter dem Ober- flächenhäutchen ein Luftbläschen liegt. Läßt man ein solches Skelettstück nach gehörigem Auswaschen gut trocknen, so zeigt es auch an den braunen Teilen, besonders bei schrägem Lichteinfall, einen deutlich gelben Metallglanz, aber freilich nicht annähernd so stark, wie an noch normal lufthaltigen Stellen. Im durchfallenden Lichte untersucht, erscheint ein solcher Flügel immer hell schwefelgelb. Bei starker Neigung gegen das Licht (unter Alkohol) tritt ein schön blaugrüner Metallschimmer hervor. Glückt es, mit einem scharfen Rasiermesser ein Splitterchen der sehr harten messinggelben Emailschicht von einer trockenen Flügeldecke abzuspalten, so überzeugt man sich leicht, daß die oberste dünne Schicht (Cuticula) im durchfallenden Lichte matt blaugrau aussieht. Ueber die Beschaffenheit der tieferen Chitinlagen geben am besten die an sich dünnen, fast nur als Email aufzufassenden messingglänzenden Bauchschienen (Ventralseite) Aufschluß. Ohne weitere Präparation erkennt man bei Untersuchung in Glycerin, daß die ganze Chitinmasse aus mehreren deutlich voneinander gesonderten Schichten besteht. Unmittelbar unter der Cuticula folgt eine durch deutliche Zellenzeichnung ausgezeichnete Lamelle, deren Maschen heller, deren Balkenwerk dagegen rostgelb gefärbt erscheint. Hieran schließen sich nach unten noch 2-—3 dünne Chitinschichten, welche bereits die von mir seiner Zeit beschriebene, für die Lamelli- cornier so charakteristische Netz- oder Geflechtsstruktur zeigen. Die Netzbälkchen sind hier aber auch noch diffus gelb gefärbt, und zwar die oberen dunkler, die tieferen heller. Darunter folgen dann endlich weitere Chitinlagen, welche zwar gleichen histologischen Bau, aber keine Färbung zeigen. Nach Mace- ration in verdünnter Kalilauge erscheinen die Flächen der einzelnen Mosaikfeldchen in der Stäbchen- schicht wieder fein punktiert. III. Zusammenfassung. Wie aus dem Vorstehenden hinreichend ersichtlich wird, zeichnen sich die Erscheinungen des Metallglanzes und farbigen Schillers bei Käfern im ganzen und großen durch eine gewisse, ich möchte fast sagen, schematische Einförmigkeit aus. In der großen Mehrzahl der Fälle findet man bei senk- rechtem Aufblick die farbig reflektierenden Flächen kupferrot, bronzefarbig oder in verschiedenen Nuancen gelbgrün (goldgrün) glänzend. Viel seltener erscheint Blau oder Violett. Mit wachsendem Einfallswinkel des Lichtes macht sich dann immer ein Farbenwechsel bemerkbar, und zwar im Sinne der Aufeinanderfolge der Spektralfarben nach ihrer zunehmenden Brechbarkeit. Bildet Rot den Aus- gangspunkt, so werden in der Regel alle Farbenstufen bis zum Violett durchlaufen, und zwar entsprechend den ersten Ordnungen der Newronschen Farben dünner Blättchen. Daß diese bei der Entstehung der metallischen Käferfarben in der Tat die wesentlichste Rolle spielen, geht, wie ich glaube, ganz unzweideutig aus den mitgeteilten Erfahrungen hervor und ist insbesondere das Verhalten des Emails bei jungen, eben ausgeschlüpften Cetonien höchst charakteristisch Niemand, der auch nur einmal die prachtvollen Reflexionsfarben einer solchen zarten, ganz durchsichtigen Chitinlamelle gesehen hat, wird über die physikalische Ursache der Erscheinung weiter im Zweifel sein. Fraglich bleibt nur inwieweit die wenigstens bei den Cetonien so schön entwickelte Perlmutterstruktur (schüppchenartig sich deckende dünnste Schichten) der Cuticula für das Irisieren verantwortlich zu machen ist, ob es sich 241 Die Schillerfarben bei Insekten und Vögeln. 241 also lediglich um Interferenz von Strahlen handelt, welche an der vorderen und hinteren Begrenzungs- fläche eines dünnen, durchsichtigen Blättchens reflektiert werden, oder ob, wie bei der Perlmutter, auch die stufenartige Skulptur der äußeren Grenzfläche von Bedeutung ist. Ich habe es versucht, den be- kannten Brewsterschen Versuch (Abdrücken in schwarzem Lack) auch mit den Flügeldecken von Cetonien anzustellen, aber gänzlich ohne Erfolg. Gleichwohl kann ich die so auffallende Skulptur der Cuticula hier nicht für bedeutungslos halten, und müssen weitere Untersuchungen über die Entwickelung schillernder Käferskelette zunächst die Verbreitung derartiger Strukturen klarstellen. Ich selbst habe sie außer bei Cetonia nur noch bei der verwandten Potosia sowie bei Anoplognathus mit Sicherheit nachweisen können. Wie dem aber auch sei, daß es sich bei den schillernden metallischen Farben der schuppenlosen Käfer in erster Linie um Interferenzerscheinungen nach dem Prinzip dünner Blättchen handelt, darüber kann meines Erachtens auch nicht der geringste Zweifel bestehen. Am eindeutigsten sind indes solche Fälle, wo sich entweder, wie bei jungen Cetonien, das schillernde, noch farblose Oberflächenhäutchen ohne Mühe isolieren läßt, oder wo auch beim entwickelten Insekt überhaupt nur die metallisch schillernde Schicht vorhanden ist, wie beispielsweise an den zarten, durchsichtigen Flügeln mancher Neuropteren (Chrysopa, die meisten Libellen). In solchen Fällen kann man mit absoluter Bestimmtheit behaupten, daß die oft den schönsten Käferfarben an Glanz und Sättigung kaum nachstehenden Schillerfarben ausschließlich als Farben dünner (Chitin)Blättchen aufzufassen sind. Ich füge als Beispiel die Beschreibung der Flügelfarben bei einer durch FRUHSTORFER in Berlin bezogenen prächtig metallglänzenden Vestalis-Art (spec.?) aus Tonkin bei. Die Vorderflügel zeigen, wie bei vielen verwandten Libellen-Arten, in der Mitte ein breites bräunliches Querband, während die Wurzel und Spitze der Flügel nur kaum merklich gelblich erscheinen. Die Hinterflügel sind dagegen in ihrer ganzen Ausdehnung mit Ausnahme der äußersten Spitze braun, aber durchsichtig wıe angerauchtes Glas. Die dünnen Chitinhäutchen nun, welche die fast rechteckigen Gittermaschen der Flügel ausfüllen, zeigen ganz unabhängig vom Vorhandensein oder Fehlen des braunen diffusen Pigmentes bei richtigem Lichteinfall lebhafte und glänzende Farben, und zwar sowohl im trockenen Zustande wie unter Alkohol. Man wird unmittelbar an dünne Flüssigkeitshäutchen oder Glas- (resp. Glimmer-)Blättchen erinnert. Mit den ersteren stimmen sie auch insofern überein, als die Farben oft wolkig (in Schlieren) verteilt sind. Hier wie dort gilt die Regel, daß der Effekt ganz wesentlich vom Untergrunde abhängt und nur dann in voller Schönheit hervortritt, wenn dieser dunkel ist. Ebenso wesentlich ist der Einfallswinkel des Lichtes. An den Libellenflügeln springen die Längsrippen in der Regel vor, so daß die an sie beiderseits angrenzenden Netzmaschen wie von einem First schräg abfallen. Daher kommt es, daß je nach dem Lichteinfall nur die einen oder anderen farbig aufleuchten. Betrachtet man mit der Lupe die fast farblose Spitze eines Ober- flügels auf dunklem Grunde, indem man den Flügel mit seiner Längsachse parallel dem Fenster hält, so erscheinen die dem Vorderrande zunächst liegenden, nach der Lichtquelle hin dachförmig abfallenden Gittermaschen rötlichgelb, die folgenden grün und blau. Unter dem Mikroskop erscheinen im durch- fallenden Lichte die betreffenden Häutchen völlig strukturlos, glasartig durchsichtig. Unter gleichen Umständen sehen die Feldchen der braunen Hinterflügel wolkig ockergelb aus. Im auffallenden Lichte erkennt man bei nicht zu starker Vergrößerung (Zeiß A), daß die zarten Chitinhäutchen, welche die Gittermaschen ausfüllen, nicht ganz eben sind, sondern vielfach gefaltet, wie zerknittert aussehen. Dem- entsprechend sind die Interferenzfarben der der Lichtquelle zugewendeten Feldchen recht wechselnd, indem die Faltenrücken und die Faltentäler in verschiedenen Farben leuchten. Außerdem machen sich aber, wie schon bemerkt, auch verschiedenfarbige (gelb, grün, rot und blau) Schlieren geltend, die Jenaische Denkschriften. XI. 31 Festschrift Ernst Haeckel. 242 Die Schillerfarben bei Insekten und Vögeln. 242 offenbar auf der stellenweise verschiedenen Dicke der Lamellen beruhen. Taucht man einen Hinter- tlügel, der, trocken mit bloßem Auge betrachtet, auf beiden Seiten grünlich bronzefarbig schillert, in Alkohol, so erscheinen an der gänzlich eingetauchten Unterseite die dem Lichte zugewendeten Netz- maschen dunkel bronzerot; neigt man aber den Flügel stärker gegen das Licht, so geht die Farbe durch Grün in Blau über, genau wie bei den meisten schillernden Käfern. Auch die Oberseite zeigt unter gleichen Umständen einen etwas dunkleren rötlichen Bronzeglanz, der nur in der Mitte durch eine prachtvoll violett gefärbte breite Querbinde ersetzt wird. Dieses Violett tritt am trockenen Flügel viel weniger deutlich hervor und macht sich hier nur als violetter Schimmer bemerkbar. Die Schillerfarben der Libellenflügel zeigen so recht deutlich, daß das diffuse gelbe bis braune Pigment für das Zustandekommen der Farbenerscheinungen an sich ganz bedeutungslos ist, daß es aber wohl das Sichtbarwerden derselben ganz wesentlich begünstigt, indem es als dunkler Grund fungiert, zum Teil wohl auch den Farbenton modifizlert. Noch viel schöner und instruktiver gestalten sich derartige Farbenerscheinungen an den überaus zarten Flügeln unserer fast überall verbreiteten grünen Florfliege (Hemerobidea Perla). Sie liefern dasjenige Objekt, welches vielleicht wie kein anderes geeignet erscheint, die Frage nach der physikalischen Natur der metallischen Oberflächenfarben bei Insekten zu lösen. Im durchfallenden Lichte gegen einen weißen Hintergrund gesehen, erscheinen die gegitterten trockenen Flügel völlig farblos und durchsichtig. Betrachtet man sie jedoch bei gewisser Neigung gegen das einfallende Licht auf einem möglichst dunklen Grunde, so erglänzen sie in den lebhaftesten Farben, unter denen Rot, Grün und Violett vor- zugsweise vertreten sind. Bei Lupenvergrößerung überzeugt man sich, daß bestimmte Gitterfelder, wenn sie unter den erwähnten Umständen farbig aufleuchten, auch immer in derselben Farbe erscheinen, die in diesem Falle mit wechselndem Einfallswinkel sich nur wenig ändert. Immer aber erfolgt, wenn überhaupt eine Aenderung eintritt, dieselbe im gleichen Sinne, wie in allen früher beschriebenen Fällen. So sah ich beispielsweise gelbgrün leuchtende Netzmaschen bei zunehmender Neigung der Flügelebene grün, blaugrün und schließlich blau werden. Es kommt vor, daß auf einem und denselbem Feldchen 2 verschiedene Farben vertreten sind, beispielsweise kann ein zentraler Bezirk grün, der Rand dagegen, ohne scharf abzusetzen, blau erscheinen. Immer aber sind die Farben außerordentlich gesättigt und glänzend. Wie bei den Libellen springen die Längsrippen etwas vor, so daß die beiderseitigen Netzmaschen nach entgegengesetzten Seiten dachartig abfallen. Daher kommt es, daß ihre Farben bei ganz verschiedenen Neigungswinkeln hervortreten. Die Feldchen einer bestimmten Längsreihe sind fast immer gleich gefärbt, doch kommen von dieser Regel bisweilen bemerkenswerte und zugleich sehr instruktive Ausnahmen vor. So fand ich einmal in einer Reihe goldgrün glänzender Netzmaschen eine, welche etwas über die Hälfte lebhaft gelbrot erschien. Zugleich war die betreffende Stelle wesentlich stärker glänzend. Beide Farben waren scharf voneinander abgesetzt. Brachte ich den Flügel in eine solche Lage, daß die Farben gänzlich verschwanden, so blieb auf dem dunklen Grunde auch jetzt noch der rote Bezirk als weißlich gefärbter Fleck sichtbar. Später habe ich Aehnliches auch noch in anderen Fällen an getrockneten Flügeln von Chrysopa beobachtet. Es kann kein Zweifel darüber bestehen, daß es sich hier um nichts anderes handelt als um ein partielles Eindringen von- Luft zwischen die beiden äußerst zarten Chitinlamellen, aus welchen jeder Flügel besteht. Eine solche Luftschicht erzeugt einerseits durch totale Reflexion den stärkeren Glanz und bewirkt andererseits auch eine Aenderung des Farbentones im Sinne einer Verdünnung des Plättchens. 243 Die Schillerfarben bei Insekten und Vögeln. 243 Betrachtet man eine im auffallenden Lichte farbig schillernde Netzmasche bei starker Vergrößerung im durchfallenden Lichte, so erkennt man leicht eine Art feinster Punktierung; daß dieselbe jedoch mit der Entstehung jener Farben gar nichts zu tun hat, bedarf wohl kaum der Erwähnung. Genau dieselbe Struktur zeigen auch andere durchsichtige, aber dickere Chitinlamellen, bei welchen keine Spur von Färbung zu bemerken ist. Es war bisher nur von dem alleräußersten, sehr dünnen, durchsichtigen und farblosen Ober- flächenhäutchen (der Cuticula) die Rede, welches, optisch als „dünnes Blättchen“ bezw. als ein System solcher wirkend, die wesentlichste Ursache der glänzenden Interferenzfarben bei Käfern und anderen schuppenlosen Insekten darstellt. Tatsächlich liegen aber die Dinge nicht so einfach, und ist die Struktur des „Emails“, d. h. der Gesamtheit der zur Färbung beitragenden äußeren Chitinschichten bei den meisten Käfern eine recht komplizierte. Vor allem würde es sich darum handeln, die Bedeutung der sogenannten „Stäbchenschicht“ festzustellen, deren Vorhandensein, wiewohl in gradweise sehr verschiedener Entwickelung, bei schillernden Käfern allgemein verbreitet zu sein scheint. Für eine richtige Deutung dürfte das Verhalten von Smaragdisthes die meiste Beachtung verdienen. Obwohl sich auch in diesem Falle eine Cuticula als äußerste Schicht findet, so muß ich es doch für fraglich halten, inwieweit sie optisch wirkt. Dagegen ist die „Stäbchenschicht“* sehr stark entwickelt und, wie ich glaube, für die Farbe des ganzen Exoskelettes von größter Bedeutung. Ein sehr einfacher Versuch zeigt, von wie verschiedener Bedeutung die oberste Chintinschicht für die Färbung eines schillernden Käfers sein kann. Versucht man, mit einem scharfen Skalpell am Brust- schild von Smaragdisthes die grüne schillernde Oberflächenschicht durch Schaben zu entfernen, so kann man verhältnismäßig sehr tief eindringen, ehe das atlasartig glänzende Grün verschwindet, jedenfalls viel tiefer, als sich mit der Annahme vertragen würde, daß die Färbung nur allein an einen ganz dünnen Ueberzug gebunden ist, der optisch als „dünnes Blättchen“ wirken könnte. Dagegen kann man bei Sternocera oder bei metallisch glänzenden Carabiden mit einem Skalpellzuge jede Spur des farbigen Glanzes vernichten. Es kommt dann einfach der matte schwarze Untergrund zum Vorschein. Ich folgere daraus, daß in jenem Falle besonders die „Stäbchenschicht“, hier aber vor allem die „Cuticula“ für die Färbung verantwortlich zu machen ist. Dies geht auch schon daraus hervor, daß das Schillern bei Smaragdisthes viel weniger ausgeprägt ist. Auf Grund der oben angeführten Versuche an Smaragdisthes glaube ich behaupten zu dürfen, daß die möglichst vom optischen Einfluß des gelben Pigmentes befreite Stäbchenschicht (nebst Cuticula) auf dunklem Grunde himmelblau erscheint (im durchfallenden Licht schwach gelblich, Das normale Grün resultiert nur aus der Ueberlagerung dieses optischen Blau über Pigmentgelb, welches teils in der Stäbchenschicht selbst, teils in tieferen Schichten gelegen ist. Es verhält sich also ganz ähnlich wie mit dem Grün des Laubfrosches und vieler Reptilien. | Berücksichtigt man die Struktur der Stäbchenschicht, so drängt sich sofort die Vermutung auf, daß ihr Blau als „Farbe trüber Medien“ aufzufassen ist, und es gewinnt dieselbe noch an Wahr- scheinlichkeit, wenn man die große Bedeutung erwägt, welche diesem physikalischen Prinzip für die Entstehung von „Blau“ bei Organismen überhaupt zukommt. So haben, wie schon in der Einleitung erwähnt wurde, neuerlich V. HÄcker und G. MEyER auch die blaue Farbe der Vogelfedern als „Farbe trüber Medien“ gedeutet und eine Struktur beschrieben, welche direkt an unsere „Stäbchenschicht“ erinnert. V. Faro hatte bereits an nicht metallisch glänzenden blauen und grünen Federn, die er „plumes emaillees“ im Gegensatz zu den metallischen „plumes optiques“ nannte, eine Lage großer 3l* Die Schillerfarben bei Insekte d Vögeln. 244 ie Schillerfarben bei Ins n un ögeln 244 polygonaler Zellen gefunden, welche an den Fiedern ı. Ordnung unter der farblosen Rindenschicht („Epidermis“ Farıo) liegen und die er mit einem „Email“ vergleicht. Im durchfallenden Licht erscheinen dieselben gelblich (bei grünen Federn leicht rötlich); im auffallenden blau resp. grün. Immer liegen sie ausgebreitet über einem dunkelbraun oder schwarz pigmentierten Grunde Wie Faro weiterhin nach- wies, verlieren die Federäste die blaue oder grüne Färbung und erscheinen braun oder schwarz, sobald man die Emailschicht wegkratzt. Später zeigte auch GAavow, daß, wenn man die blauen Federn eines Aras oder einer Artamia zwischen 2 Platten preßt, so daß die Emailzellen zerquetscht werden, oder wenn man dieselben durch Hämmern zertrümmert, das Blau verschwindet. Man kann also, wie GADow sagt, die Struktur- oder optische Farbe aus der Feder heraus klopfen. Daß weder die Rinden- schicht (Epidermis) noch erst recht die Emailschicht als dünne Blättchen wirken können, ergibt sich aus Gapows Messungen ohne weiteres. Die Dicke der ersteren findet er zu 1,4 bis 4,3 u, die der letzteren zu 3—ıIı u. Er nahm daher in Anlehnung an die weitverbreitete Meinung, daß „optische Farben“ in der Mehrzahl der Fälle „Gitterfarben“ seien, an, daß gewisse sehr feine Linien oder Rippen (ridges), welche er an der Oberfläche der Emailzellen („prismatic cones“) in einzelnen Fällen beobachtete, die blaue Farbe bedingten. „Gapow hält es allerdings für zweifelhaft, ob dieses Liniensystem die einzige Ursache der blauen Färbung sei. Wahrscheinlich beeinflussen nach ihm auch die Rindenschicht und die prismatischen Zellen selber das durchgehende Licht, die erstere, indem sie das Licht reflektiere ähnlich wie ein poliertes oder gefirnißtes Stück Holz seine Farbe besser als ein unbearbeitetes hervor- treten lasse, die letztere, indem ihre Wandung wenigstens dann, wenn sie eine sehr geringe Dicke auf- weist, nach Art eines dünnen Plättchens wirke. Auf alle Fälle sei die Entstehung der Blaufärbung das Ergebnis eines sehr komplizierten Vorganges.“ In neuerer Zeit gelangte nun HÄckER zu der zweifellos richtigen Anschauung, daß der Luft- gehalt der Emailzellen („Schirmzellen“ HÄcKERs) und die in vielen Fällen festgestellte Porosität ihrer relativ dicken Wandungen für die Erzielung des Farbeneffektes ausschlaggebend sind. „Bei Quer- schnitten zeigen nämlich nur diejenigen Zellen noch in ausgeprägter Weise die typische Färbung (Blau im auffallenden, Gelb im durchgehenden Licht), welche noch Luft enthalten. Sehr schön tritt dies namentlich bei Ouerschnitten durch die Federn von Cotinga hervor; überall, wo die Luft nicht durch das Einschließungsmittel verdrängt worden ist, d. h. wo sie den ganzen Zellraum und namentlich die zahlreichen Poren durchdringt, tritt die Färbung hervor. Ist dagegen das Einschließungsmittel (Kanada- balsam, Glycerin) eingedrungen, so verschwindet die Färbung“ (HÄcker). Durch Versuche mit ver- schiedenen imbibierenden Flüssigkeiten konnte H. zeigen, „daß die Farbenerscheinung verschwindet, wenn die Kästchen (Zellen) bezw. ihre Poren mit einer Substanz imbibiert sind, deren Brechungsko£ffizient demjenigen der Wandsubstanz gleichkommt, daß jedoch die Farbe hervortritt, sobald der Brechungs- ko£ffizient der imbibierenden Substanz merklich verschieden, und zwar entweder kleiner (Alkohol, Wasser) oder größer (Schwefelkohlenstoff) ist.“ Es ergab sich, daß die Federn farblos erschienen, wenn die Porenkanälchen der Zellwände mit einer Flüssigkeit erfüllt waren, deren Brechungsexponent für Na-Licht etwa 1,52 beträgt, daß dagegen die Farbenerscheinungen immer hervortraten, wenn die aufgesaugte Flüssigkeit einen Brechungsexponenten besitzt, der merklich größer oder kleiner war als 1,52. Es geht daraus hervor, daß der Brechungsexponent der Kästchensubstanz 1,52 für Na-Licht beträgt. Die Uebereinstimmung im Bau der Wände bei den „Emailzellen“ blauer Federn und der im auf- fallenden Lichte ebenfalls blau erscheinenden Stäbchenschicht bei gewissen Käfern ist nun in der Tat so groß, daß man sie kaum für eine zufällige wird halten können. Freilich habe ich mich von einem Luft- gehalt etwaiger Porenkanälchen (?) letzterenfalls nicht überzeugen können, indessen sind die Schwierig- 245 Die Schillerfarben bei Insekten und Vögeln. 245 keiten der Untersuchung im trockenen Zustande so groß, daß ich darauf kaum besonderes Gewicht legen möchte; auch würde, wie man leicht sieht, das Fehlen der Luft keineswegs als ein prinzipieller Einwand gegen unsere Auffassung gelten können, da ja derselbe Effekt auch dann erzielt würde, wenn es sich, wie man wohl sicher annehmen muß, bei jenen Käfern um Chitinstäbchen handelte, die in einer schwächer brechenden Grundsubstanz eingebettet liegen. Man könnte aber vielleicht zu Gunsten einer Luftfüllung wirk- licher Hohlräume (Porenkanälchen) an das so auffallende Schwinden des Grün bei Lytta vesicatoria infolge längerer Behandlung mit Alkohol erinnern, sowie an dessen Wiederhervortreten beim Trocknen. Läßt man ein durch langdauernde Maceration in Kalilauge isoliertes, im durchfallenden Licht fast ganz farbloses, im auffallenden schön himmelblaues Emailplättchen nach gehöriger Entwässerung in Alkohol auf einer Glasplatte auftrocknen, so zeigt sich nicht, wie ich erwartet hatte. das Blau auf dunklem Grunde am schönsten, es fehlt im Gegenteil fast ganz, und nur ein leichter bläulicher Schimmer liegt über dem trockenen farblosen Häutchen. Daß auch bei nachträglichem Befeuchten das Blau nicht wieder in der ursprünglichen Schönheit hervortritt, scheint darauf hinzudeuten, daß irreparable Strukturänderungen (Schrumpfungen) durch das Trocknen herbeigeführt wurden. Am schönsten und intensivsten erscheint das Blau an im Wasser aufbewahrten Emailplättchen, verblaßt aber um so mehr, mit je stärker licht- brechenden Flüssigkeiten man die Präparate imbibiert. In Nelkenöl oder Kanadalbalsam sieht man fast keine Spur mehr von Farbe. Daß übrigens schon geringe Differenzen des Brechungsexponenten sehr kleiner durchsichtiger Körperchen in einem durchsichtigen Medium genügen, um optisches Blau im reflektierten Lichte zu erzeugen, ergibt sich aus der Theorie. Denn nach Lord Ravrzıcm ist die Intensität des reflektierten Lichtes abhängig von dem Quadrat der Differenz des Brechungsexponenten des eingelagerten Körpers und des Mediums, also unabhängig von dem Vorzeichen und demnach unabhängig davon, ob (beispiels- weise bei blauen Vogelfedern) die Kanälchen mit Schwefelkohlenstoff oder mit Wasser gefüllt sind. Bekanntlich zeichnen sich unter den Crustaceen die Sapphirinen durch prachtvollen Metall- glanz und leuchtende Schillerfarben aus. Wie bei Käfern ändern sich dieselben mit dem Einfallswinkel von lebhaftem Blau durch Indigo, Violett, Rot, Orange in Gelb. Schon ältere Autoren (CLaus, HAECKEL) sprechen von einer direkt unter der Chitinhülle liegenden, in polygonale Felder geteilten Schicht, der sie eine „feinkörnige“ Struktur zuschreiben, die „vollständig derjenigen der Kieselschale von Pleurosigma angulatum, P. hippocampus und anderen als Probeobjekten bekannten Diatomeen entspricht“ (E. Haecker). Hacker glaubte, daß diese Struktur von sich kreuzenden Liniensystemen herrühre und daß auch jene Farben als „Interferenzerscheinungen“ durch diese Leistensysteme hervorgebracht werden. Neuerdings hat H. Amgronn wieder den Glanz der Sapphirinen untersucht und gezeigt, daß jene „fein- körnige“ Struktur „ron dicht aneinander liegenden prismatischen Stäbchen herrührt und nicht von Leisten“ ..... „Besonders deutlich wird dies an Stellen, an denen durch gelinden Druck die einzelnen Prismen sich gegenseitig verschoben haben; oft hängen ganze Reihe derselben noch zusammen, oft auch liegen einzelne regellos zerstreut umher“ (Ampronn). Ich habe ganz ähnliche Bilder bei Sternocera nach Maceration in HNO, erhalten. Auch das Verhalten der „Stäbchen“ im polarisierten Licht stimmt bei den Sapphirinen und bei Käfern überein. Es leuchten nach Amsronn ersterenfalls alle jene Stäbchen oder Stäbchenreihen auf, „welche in ihrer Richtung gegen die Oberfläche verschoben worden sind. Es verhalten sich also die einzelnen Stäbchen wie optisch einachsige negative Kristalle und ihrer Gestalt nach wie hexagonale Prismen.“ Betrachtet man zwischen gekreuzten Nicols den Umschlagsrand eines durch Kalı- behandlung isolierten Emailplättchens von Smaragdisthes, so erscheint der zierlich gestreifte 2 46 Die Schillerfarben bei Insekten und Vögeln. 2 46 „Stäbchensaum“ immer dann dunkel, wenn die Längsachse der Stäbchen mit der Richtung der einen oder anderen Polarisationsebene zusammenfällt, leuchtet da- gegen ın maximaler Helligkeit, wenn die Stäbchenachse die Polarisationsebenen der beiden Nicols unter einem Winkel von 45° schneidet. Man erkennt dann außerdem, daß die äußerste Begrenzung eines solchen optischen Querschnittes von einer ebenfalls stark leuchtenden Linie (Cuticula) gebildet wird, welche von dem oberen Ende der hellen Stäbchen durch einen schmalen tiefdunklen Zwischenraum ge- trennt erscheint. Es handelt sich demnach in der fraglichen Schicht sowohl bei Sapphirinen wie bei Käfern um pallisadenartig dicht aneinander gerückte, optisch einachsige anısotrope Gebilde, die letzterenfalls ohne allen Zweifel aus Chitin bestehen. AMBRONN hält es für möglich, daß sie bei den Sapphirinen „vielleicht als echte Kristalle anzusprechen sind“, und betrachtet die Prismenschicht jedenfalls als von der „Chitinhülle“ verschieden ? B.). Zwischen beiden nımmt er „eine morphologisch nicht näher zu charakterisierende Schicht von schwacher Licht- brechung“ (offenbar unserer dunklen Zwischenzone entsprechend) an, „welche als wirksames dünnes Blättchen anzusehen wäre“. Die Dimensionen der Prismenschicht („bei S. fulgens beträgt der Quer- durchmesser der Prismen gegen 0,8—ı p, der Längsdurchmesser parallel der optischen Achse gegen 1,3 u; bei einer mit S. pachygaster verwandten Art war der Querdurchmesser der einzelnen Prismen etwas über ı p, der Längsdurchmesser gegen 1,5—2 p“) lassen es von vornherein ausgeschlossen er- scheinen, daß das leuchtende Farbenspiel der Sapphirinen von dieser Schicht selbst hervorgerufen wird. „Da die auftretenden Farben jedenfalls in die ersten Ordnungen der Newronschen Skala gehören, so müßte die hervorrufende Schicht viel dünner sein.“ AmsRronn konnte außerdem zeigen, daß man die Prismenschicht „nebst allen Details der Streifung erhalten und doch die Farben zum Verschwinden bringen kann“, wie dies ja auch bei Käfern möglich erscheint. Er neigt sich daher der Meinung zu, daß jene Schicht „wohl als eine stark reflektierende mittelbar die Intensität der Farben erhöht“, In der Tat bleibt in diesem Falle, soweit ich sehe, eine andere Deutung kaum möglich, da es sich um völlig durchsichtige, von dunklem Pigment gänzlich freie Organismen handelt, bei welchen daher auch die Prismen- und Stäbchenschicht in keiner Weise für die Entstehung optischen Blaues als Farbe trüber Medien verantwortlich gemacht werden kann. Ob dies aber nicht bei den fast immer mit einem tiefdunklen Untergrund der Emailschicht versehenen Käfern der Fall ist, erscheint mir auf Grund meiner Erfahrungen namentlich an Smaragdisthes doch fraglich. Ich gebe natürlich die Möglich- keit durchaus zu, und halte es auch für wahrscheinlich, daß auch hier die „Stäbchen“ zugleich als Reflexionsapparate fungieren. Daß ihre Bedeutung in diesem Sinne sogar eine sehr große ist, das läßt sich speziell an dem genannten Käfer leicht und mit Sicherheit nachweisen. Betrachtet man das mit Alkohol benetzte Brustschild bei ziemlich senkrechtem Einfall der Strahlen im direkten Sonnenlichte, so beobachtet man ein Phänomen, welches ganz dem entspricht, was SıGmUnD EXNER seinerzeit als so- genannte „Pseudopupillen“ an vielen facettierten Augen von Insekten und Crustaceen beschrieben und theoretisch gedeutet hat. Man bemerkt nämlich einen rundlichen tiefschwarzen Fleck, in dessen Zentrum ein kleines Sonnenbild leuchtet, während ringsherum das normale lebhafte Grün erscheint. Ein ganz ähnliches Bild erhält man auch, wenn man mittels des Vertikal-Illuminators ohne Linsensystem, d. h. mittels eines total reflektierenden Prismas das Licht eines Auerbrenners senkrecht auf die Ober- fläche des unter Alkohol befindlichen Brustschildes von Smaragdisthes fallen läßt. Das Schälchen mit dem Präparat wird auf dem Objekttisch eines Mikroskopstativs ohne Okular und Objektiv in ge- 247 Die Schillerfarben bei Insekten und Vögeln. 247 eigneter Weise orientiert, und man blickt von oben her darauf unter Anwendung eines schwach ver- größernden Glases. Auch dann sieht man sehr schön eine „Pseudopupille“, nämlich inmitten eines runden schwarzen Fleckes das leuchtende Flammenbildchen, das Ganze umgeben von einem breiten grünen Ring, der zu äußerst wieder von einem schwarzen Saum, den abschüssigsten Partien des Thorax, begrenzt erscheint. Nimmt man einen [ganzen Käfer, benetzt ihn mit Alkohol und betrachtet ihn nun bei direkt auffallendem Sonnenlicht, so erscheint das Phänomen der Pseudopupille als breites dunkelschwarzes Band, welches von den grün schillernden Rändern der Flügeldecken und des Brust- schildes begrenzt wird. Exner hat bekanntlich die entsprechenden Erscheinungen an Insektenaugen einerseits auf die von der Form und Lage der Facettenglieder (Kristallkegel) abhängigen katoptrischen Wirkungen’ der- selben, andererseits aber auf ihr Verhältnis zu dem sie umgebenden schwarzen Pigment sowie gewissen farblosen (weißen) oder farbigen Substanzen bezogen. Schon vor langen Jahren hat BRÜckE auf die besonderen katoptrischen Wirkungen der cylindrischen Stäbchenaußenglieder ‚in der Retina der Wirbel- tiere hingewiesen. Licht, welches in eines der durchsichtigen und stark lichtbrechenden Stäbchenaußen- glieder hineinfällt, trifft die Wände desselben nur unter großen Einfallswinkeln und geht deshalb nicht in die benachbarten gleichartigen Elemente über, sondern gelangt durch totale Reflexion zu dem von der Choroidea gebildeten, in der Regel pigmentierten und daher wenigstens teilweise absorbierenden Schirm, welcher dahinter ausgebreitet liegt. Ist aber stellenweise diese Schicht selbst geeignet Licht zurückzuwerfen, wie bei den mit einem sogenannten „Tapetum“ versehenen Tieren, so wird fast alles in ein Stäbchen eintretende Licht in demselben Elemente und auf gleiche Weise wie beim Eindringen zurückreflektiert und zwar mit der Farbe, welche ihm von der betreffenden Tapetumstelle erteilt wird. (Leuchten der Raubtieraugen.) Aehnlich dürfte es sich auch in unserem Falle bei Smaragdisthes verhalten, während bei den Insektenaugen mit Pseudopupille infolge der meist vorhandenen Pigment scheiden jedes Kristallkegels die Verhältnisse etwas anders liegen (vergl. Exner, l. c, p. 169f.. Hier erscheint in der Regel das Centrum der Hauptpupille leuchtend, umgeben von einem breiten schwarzen Ring. An der Oberfläche des Thorax und der Flügeldecken von Smaragdisthes aber ist gerade umgekehrt ein zentraler dunkler Fleck von einem farbigen hellen Ring umgeben. Offenbar werden die nahe der Achse des Phänomens einfallenden Strahlen am stärksten von dem dunklen Hintergrund ab- sorbiert, während mehr schräg einfallendes Licht stark reflektiert wird. Man sieht leicht, daß, auch wenn man der „Stäbchenschicht“ in dem angedeuteten Sinne eine besondere katoptrische Bedeutung zuschreibt, dadurch im gegebenen Falle keineswegs die Möglichkeit ausgeschlossen erscheint, daß dieselbe Schicht des farbengebenden Emails zugleich auch als „trübes Medium“ fungiert und daher gegen den dunklen Grund optisches Blau erzeugt. Bei den Sapphirinen würde dann nur die erstere Wirkung übrig bleiben. Wiedem aber auch sein mag, unter allen Um- ständen sind die Schillerfarben der Sapphirinen und jene der schuppenlosen Käfer im allgemeinen auf die gleichen physikalischen Ursachen zurückzuführen, nämlich in erster Linie die Farben dünner Blättchen (Cuticula), wozu blei den Käfern noch eventuell das Blau trüber Medien (Stäbchenschicht), sowie gelbe jund rötliche Pig- mente der tieferen Chitinschichten hinzukommen. Ob dünne Luftschichten und dadurch bewirkte Totalreflexion, wie z. B. bei Anoplognathus leicht nachweisbar ist, häufiger vorkommen, vermag ich zunächst nicht mit voller Sicherheit zu konstatieren. Dagegen spielen sie, wie wir sehen werden, eine um so größere Rolle bei den Schuppen der Käfer und Schmetterlinge. 2 48 Die Schillerfarben bei Insekten und Vögeln. 2 48 Ungeachtet der großen Uebereinstimmung, welche die metallischen Schillerfarben der schuppen- losen Käfer zeigen, bestehen doch Unterschiede hinsichtlich der Natur des re- flektierten Lichtes in den einzelnen Fällen. Die nächstliegende Frage ist offenbar die, ob und in welchem Sinne das von den farbig glänzenden Flächen zurückgeworfene Licht polarisiert ist. Betrachtet man ein Deckgläschen auf dunklem Untergrunde (oder eine polierte Tischplatte) bei schrägem Lichteinfall durch ein Nıcorsches Prisma, so bemerkt man leicht, daß bei einer gewissen Lage des Hauptschnittes der Glanz (das reflektierte Licht) ausgelöscht wird, daß also mit anderen Worten das zurückgeworfene Licht, mit dem Analyseur untersucht, ein Intensitätsmaximum und bei einer gewissen Stellung desselben die Intensität — o zeigt. Es handelt sich demgemäß um linear polarisiertes Licht. Untersucht man in gleicher Weise verschiedene metallisch glänzende Käfer, so läßt sich zwar auch hier in der Regel ein Intensitätsmaximum erkennen, allein bei keiner Stellung des Analyseurs wird die Intensität gleich Null, ja es sind die Schwankungen der Lichtstärke im allgemeinen sehr geringfügig. Auf alle Fälle wirkt also eine derartige reflektierende Oberfläche nicht wie ein gewöhnlicher Spiegel aus Glas oder Firnis. Eine Ausnahme bildet nur Licht, welches unter einem sehr schrägen Einfallswinkel reflektiert wird und dann den farblosen Glanz der Oberfläche bedingt. Hält man beispielsweise die Flügeldecke einer Sternocera etwa in Augenhöhe gegen das Fenster und blickt durch einen Nicol auf die glänzend grüne Fläche, so verschwindet bei einer gewissen Stellung jdes Prismas der Glanz, während das Grün nur um so deutlicher jedoch matt hervortritt. Aber auch die Farbe läßt sich durch Drehung des Analyseurs vollkommen auslöschen, wenn man die steil abfallenden Seitenflächen des Brustschildes oder der Flügeldecke desselben Käfers betrachtet. Taucht man eine Flügeldecke ganz unter Alkohol und betrachtet sie etwas schräg von oben durch eine Lupe, so erscheinen, wie früher beschrieben wurde, die abschüssigen Ränder prachtvoll violett, woran sich nach oben hin Blau, Grün, Gelb und Rot anschließen. Durch ein Nmorsches Prisma gesehen, verschwindet nun bei einer gewissen Lage des Haupt- schnittes immer nur das dem schrägsten Lichteinfall entsprechende Violett und Blau, während die anderen Farben nur eine geringfügige Aenderung ihrer Intensität erkennen lassen. Ganz ähnliche Erscheinungen lassen sich nun auch an vielen anderen Käfern mit ausgesprochenen Metallfarben beobachten, wie z. B. bei Lytta, Smaragdisthes oder irgend einem metallisch glänzenden Carabiden. Eine sehr bemerkenswerte Ausnahme von dieser Regel bilden nun aber gewisse andere ebenfalls durch prächtigen Metallglanz ausgezeichnete, sonst aber weder durch den histologischen Bau der Emailschicht noch durch die Farben selbst besonders charakterisierte Käfer, vor allem die metall- farbigen Cetonia-Arten, sowie die ihnen nächst verwandte Potosia Preyeri, ferner Popilia cupricollis und verschiedene Anoplognathus-Arten. Es dürfte kaum zu bezweifeln sein, daß außer den ebengenannten auch noch andere Käfer das gleiche Verhalten darbieten. Die Durch- musterung einer größeren Sammlung wird hierüber sehr schnell Aufschluß geben. Betrachtet man eine Flügeldecke von Potosia Preyeri durch ein Nicorsches Prisma, so läßt sich sehr deutlich erkennen, daß bei gewisser Stellung des Analysators das glänzende Messinggelb ein Intensitätsmaximum zeigt, während bei Drehung des Prismas um 90° ein Minimum der Helligkeit sich bemerkbar macht. Bei keiner Lage aber wird die Intensität des reflektierten Lichtes gleich Null. Schalter man nun zwischen Objektsandanalyserrze m n Glimmerblättchen mit einer Hauptschwingungsrichtung parallel der Maximumstellung des Analyseur- 249 Die Schillerfarben bei Insekten und Vögeln. 249 Flauptsehnittes ein, so gibt es eine Analyseurstellung, bei welcher das reflektierte farbige Licht vollkommen erlischt und die Flügeldecke einfach glänzend schwarz erscheint, wie aus schwarzem Lack gebildet. Bekanntlich liefert ein solches Glimmerblättchen zirkular polarisiertes Licht und kann verwendet werden, um vollkommen oder teilweise elliptisch polarisiertes Licht zu erkennen (vergl. Mürrer-Pousrers Lehrb. der Physik, 8. Aufl, bearb. von PFAUNDLER, 1878, S. 616 und 621). Es würde hiernach zu folgern sein, daß das farbige von der Oberfläche von Potosia reflektierte Licht elliptisch polarisiert ist. Es wurde oben erwähnt, daß es durch anhaltende Maceration in HNO, gelingt, die Emailschicht von Potosia in Form ganz dünner, durchsichtiger, aber in den lebhaftesten Metallfarben schillernder Häutchen zu gewinnen, die außerdem noch eine bräunlichgelbe Eigenfarbe (Pigment) besitzen. Solche Emailblättchen eignen sich infolge ihres überaus lebhaften Farbenspieles ganz besonders gut zu_den in Rede stehenden Versuchen. Nicht minder gilt dies von jenen zarten, an sich fast pigment- und daher farblosen Emailpräparaten, welche man von jungen, eben ausgeschlüpften Cetonien, so bequem erhält. x In beiden Fällen erlischt der Farbenglanz vollkommen, wenn man ein er Glimmer- plättchen mit einem Nicorschen Prisma kombiniert und in der angegebenen Weise beobachtet. Das geschilderte Verhalten ist nun keineswegs eine allgemeine, allen metallisch glänzenden, schillernden Käfern zukommende Eigenschaft der reflektierten Strahlen, vielmehr erweisen sich selbst dort, wo die denkbar größte Uebereinstimmung in Farbe, Glanz und OÖberflächenbeschaffenheit des Chitinskelettes besteht, die optischen Eigenschaften des reflektierten Lichtes als gänzlich verschieden. Als besonders interessantes Beispiel führe ich Popilia cupricollis einerseits und ‚Lamprina Latreillei andererseits an. Legt man beide Käfer nebeneinander in ein Schälchen mit Alkohol, so erscheint der pracht- volle metallische Schiller wenigstens am Brustschild in beiden Fällen fast völlig gleich und doch wird er nur bei Popilia, nicht aber bei Lamprina ausgelöscht, wenn man in der angegebenen Weise untersucht. Von allen, in der vorliegenden Abhandlung besprochenen Käfern habe ich außer bei den schon genannten nur noch bei Anoplognathus aureus einen gleichen Polarisationszustand des reflektierten Lichtes gefunden und daher Verlöschen des farbigen Glanzes bei Einschaltung eines Nicol ee ' ’ und eines 7 Glimmerblättchens. Die hell-messinggelb glänzenden Flügeldecken gewinnen dann auf schwarzem Grunde ein 'graubraunes Aussehen. Schaltet man an Stelle des Glimmerblättchens ein Gipsblättchen Rot 1. Ordnung ein, so verschwindet die Farbe natürlich bei keiner Stellung des Analyseurs, wohl aber ändert sich ihr Ton einmal mehr ins Rote, anderenfalls in Blaugrün. Dies gilt von allen jenen Käfern, beiwelchen durch Ein- Ru schaltung eines r Glimmerblättchens eine völlige Auslöschung der Farbe bewirkt werden kann, nicht aber von anderen ebenso gefärbten und schillernden Arten. Es kann nach alledem kein Zweifel darüber bestehen, daß bezüglich der physikalischen Natur des an der Oberfläche des Chitinpanzers metallisch schillernder Käfer reflektierten Lichtes ganz auffällige Unterschiede bestehen, indem es sich in Jenaische Denkschriften. XT. 32 Festschrift Ernst Haeckel. 250 J Die Schillerfarben bei Insekten und Vögeln. 2:0 einigen Fällen anscheinend um eine fast vollkommene elliptische Polarisation handelt, während in der Regel das zurückgeworfene farbige Licht so gut wie gar nicht polarisiert ist und nur sehr schräg auffallende Strahlen, welche haupt- sächlich den farblosen Glanz bedingen, bei Untersuchung mit einem Analyseur sich als polarisiert im gewöhnlichen Sinne erweisen. IV. Käfer- und Schmetterlingsschuppen. A. Spezielles. Eine ganz ähnliche Rolle wie bei Anoplognathus d. h. als total reflektierende Schicht scheint zwischen durchsichtigen pigmentierten oder nicht pigmentierten Chitinlamellen eingeschlossene Luft unter anderem auch bei gewissen Schmetterlingspuppen zu spielen. Manche derselben zeigen bekanntlich in ausgezeichneter Weise Gold- und Silberglanz. Schon Lanpoıs (Beobachtungen über das Blut der Insekten, Zeitschr. f. wiss. Zool, Bd. XIV, 1864) führte den Goldglanz der Vanessa urticae- Puppen darauf zurück, daß nach dem Trocknen der äußeren Haut zwischen ihr und der Epidermis des in der Puppe ruhenden Falters ? B.) sich Luft befindet, welche durch die gelbe Haut hindurch- schımmert. Eine ähnliche Erscheinung des Silberglanzes findet sich bei der Raupe von Saturnia Yamamai, wo die feinen, einzelstehenden Silberpünktchen nach Leypie durch mit Luft gefüllte Zellen (? B.) hervorgebracht werden sollen, welche durch die glashelle Oberhaut dieser Raupe hindurch- schimmern. Es drängt sich in solchen Fällen mehr als bei den geschlechtsreifen Insekten die Frage auf nach der etwaigen biologischen Bedeutung solcher glänzender Stellen. PovrLron hat darauf hingewiesen, daß der Gold- und Silberglanz in auffallender Weise an den Glanz des Glimmers erinnert und vermutet, daß es sich um eine Schutzfärbung handelt, welche die an glimmerhaltigem Gestein befestigten Puppen schwer erkennbar macht und in der Tat wird man eine gewisse Aehnlichkeit der eckigen und höckerigen graubraunen Puppen mit einem Stückchen glimmerigen Gesteines kaum leugnen können. Dazu kommt noch, daß nach Pourron der Gold- resp. Silberglanz durch Licht, welches die Raupen kurz vor der Verpuppung bestrahlt und von gold- oder silber- glänzenden Flächen reflektiert wird, in auffallender Weise begünstigt werden soll. Demungeachtet wird man aber die Auffassung PouLrons kaum zutreffend finden können, wenn man, wie auch WArLAcE hervorhebt, speziell bei Vanessa urticae die weite Verbreitung der Art und die verhältnismäßig geringe Verbreitung glimmerhaltiger Gesteine ins Auge faßt. Schon T. W. Woop hat darauf hin- gewiesen, daß die besonders stark goldglänzenden Puppen in der Regel von Parasiten (Ichneumo- niden) bewohnt sind und Pourron konnte dies nur bestätigen. Man könnte daher auf den Gedanken kommen, daß der Metallglanz durch einen gewissen krankhaften Zustand der Puppen bedingt werde. Eine außerordentliche Zunahme in Bezug auf räumliche Ausbreitung des Goldglanzes beobachtete Venus an Puppen von Vanessa urticae, welche sich aus Raupen gebildet hatten, die in einem verglasten Holzkasten längere Zeit täglich der direkten Sonnenbestrahlung ausgesetzt worden waren. Die wenigen Raupen, welche überlebten, lieferten statt der gewöhnlichen braungrauen, mit einigen Gold- punkten besetzten Urticae-Puppen, solche von lichtgelblicher Farbe am ganzen Körper mit dem schönsten Goldglanz überzogen. Eine solche Form bildet auch Pourron ab. 1 Die Schillerfarben bei Insekten und Vögeln. 251 Dieser Forscher erörtert dann auch noch die Frage, ob es sich etwa um ein Warnungszeichen (Trutzfarbe) handelt, durch welches Ungenießbarkeit der betreffenden Puppen angezeigt wird. Der außerordentliche Goldglanz mancher exotischer Schmetterlingspuppen möchte vielleicht so zu deuten sein. Hierher gehört beispielsweise die Puppe von Danais chrysippus. Boıspuvar (Faune Entom. de Madag. etc., p. 36) sagt von der Puppe der Euplaea Gondotii: „La chrysalide resemble a une bulle d’or extremement brillante“ und von Danais phaedone: „La chrysalide est d’un vert dor& brillant.“ Auch Frırz MÜLLER hält den Goldschimmer der Puppen von Mechanitis lysimnia und von Danais erippus für ein Warnungszeichen: „Beide gehören zu der ungenießbaren Gruppe der Danainen. Die Raupe von M. Iysimnia lebt an mehreren stachligen Solanum-Arten in kleinen Gesellschaften und an der Unterseite der Blätter der Futterpflanze hängen sich die Puppen auf; es gibt nichts prächtigeres als diese ganz und gar im schönsten Metallglanz strahlenden, nicht selten zu ı0, 12 oder mehr beisammenhängenden Puppen“ (Frrrz MÜLLER). Die Puppe von Danais erippus ist grün und nur mit einigen goldenen Punkten geziert, von denen eine quere Reihe kleiner lebhaft glänzender Wärzchen am meisten in die Augen fällt. Andere Puppen mit Metallschimmer, der aber nie zu so hellem Goldglanz wird, wie bei Mechanitis sah Frrrz MÜLLER nur in Gefangenschaft (z. B. verschiedene Adelpha-Arten). Er glaubt, „daß hier der Metallglanz nicht als Warnung vor Ungenießbarkeit, sondern als Schutz dient, weiß aber nicht in welcher Weise“. „Da, so fährt F. MÜLLER in einem Briefe an Pourrox fort, in unserem Urwalde Gestein nirgends zu Tage tritt, ist bei diesen großenteils an Urwaldsäumen lebenden Arten wohl kaum an Aehnlichkeit mit mineralischen Substanzen zu denken. Alle Puppen, die ich im Freien an Pflanzen zwischen Laub gefunden habe (z. B. Morpho, Caligo, Prepona, Siderone, Catanephele) sind grün mit Ausnahme von Acraea (ungenießbar), deren Puppen weiß sind mit schwarzen Dornen.“ Ein ähnlicher Fall wie bei Mechanitis scheint bei der Puppe der indischen Euplaea core vorzuliegen, die leicht sichtbar an der Futterpflanze der Raupe befestigt ist und durch ihren lebhaften Silberglanz sofort auffällt. Es gibt Käfer (namentlich unter den Rüsselkäfern), bei welchen metallische Schillerfarben ähnlich wie bei Schmetterlingen dadurch erzeugt werden, daß auf der Oberfläche der an sich schwarzen oder dunkelbraunen Flügeldecken dünne durchsichtige Schüppchen in sehr verschiedener Anordnung ausge- breitet sind, welche bei günstigem Lichteinfall prächtige Interferenzfarben erzeugen. Da bei den Coleopteren die Hinterflügel und ebenso die Unterseite der Flügeldecken immer schuppenlos sind, so dürfte, wie UREcH mit Recht bemerkt, dies „etwa so gedeutet werden, daß die Schuppen nur den Zweck des Schmuckes haben; der größere Mangel an Schuppen bei Coleopteren, als wie bei Lepidopteren, wird bei ersteren durch Pigment und Interferenzfarben an den Flügeldecken und am Leibe ersetzt“ Verhältnismäßig selten sind hier pigmentführende Schuppen (wie z. B. bei manchen Saperda- Arten). Bei weitem herrschen Interferenzfarben vor, die an Glanz und Schönheit durchaus mit jenen wetteifern, welche man bei schuppenlosen Käfern findet. Bei uns kommt auf Gras und Gebüschen im Juni und Juli ein kleiner hellgrüner Rüsselkäfer häufig vor (Phyllobius spec.?), der sich zur ersten Untersuchung vortrefflich eignet. Betrachtet man eine trockene Flügeldecke des Käferchens bei Lupenvergrößerung, so erscheint die ganze Oberfläche wie besäet mit lauter kleinen, goldgrün glänzenden Pünktchen, während nach Benetzung mit Alkohol keine Spur von Farbe zu erkennen ist und das ganze Objekt undurchsichtig schwarz- braun aussieht. Wendet man eine stärkere Vergrößerung an (etwa Zeiß A oder B), so bietet sich bei geeigneter Orientierung des trockenen Flügels ein außerordentlich zierliches Bild dar. Man sieht lauter 32* 252 Die Schillerfarben bei Insekten und Vögeln. 252 kurze, annähernd senkrecht zur Längsachse des Flügels verlaufende, gelb, grün oder blaugrün. glänzende Ouerbinden, welche, wenn das Objekt mit der Längsachse ın der Richtung des einfallenden Lichtes orientiert ist, an der konvexen Oberfläche, nach Drehung um 90° dagegen nur an der der Lichtquelle zugewendeten Fläche hervortreten, an der anderen Seite aber ganz fehlen. Bei einiger Aufmerksamkeit erkennt man auch schon leicht, daß jede der strahlenden Querbinden über die Mitte eines konvex ge- krümmten (muschelförmigen) Schüppchens läuft, die Lage derselben so deutlich markierend. Auch läßt sich schon bemerken, daß jedes Querband durch dunkle Linien (Rıppen) in eine Folge leuchtender Striche aufgelöst wird, die parallel der Schuppenachse nebeneinander liegen. Hinsichtlich der Farbe ist zu bemerken, daß an der konvexen Oberfläche der Flügeldecke Gelbgrün vorherrscht (stellenweise auch reines Gelb erscheint), während an den steil abfallenden Seitenflächen Grün, Blaugrün und Blau vor- walten. Aendert man die Richtung des Flügels (resp. der Schüppchen) zum einfallenden Lichte dadurch, daß man den Objektträger mehr und mehr hebt, so daß seine Fläche mit der des Objekttisches einen immer zunehmenden Winkel bildet, so läßt sich ohne Schwierigkeit konstatieren, daß der Farbenton der schillernden Querbinden lediglich von der Richtung (dem Neigungswinkel) der einfallenden Lichtstrahlen abhängt und um so mehr dem Blau sich nähert, je schräger das Licht auffällt, also ganz dasselbe Phänomen, wie wir es schon bei den schuppenlosen metallglänzenden Käfern kennen lernten. Ungleich prächtiger gestaltet sich der Anblick noch bei Benützung des Vertikal-Illuminators mit stärkerer Vergrößerung (Zeiß D). Man sieht dann überaus deutlich, daß nur der konvexeste Teil der muschelförmig gekrümmten Schüppchen gelbgrünes Licht reflektiert. Daß aber andererseits auch die Basis oder Spitze in gleicher Farbe strahlen kann, zeigt sich an manchen Stellen, wo die Schuppen infolge mechanischer Insulte etwas aus der Lage gebracht wurden. Daß die ganze Erscheinung der leuchtenden Querbänder lediglich von dem Winkel abhängt, unter welchem das Licht einfällt, geht schließlich überzeugend aus dem Umstande hervor, daß in dem Falle, wenn man den Flügel mit der langen Achse parallel zum einfallenden Lichte (d. h. senkrecht zum Fenster) einstellt, entweder nur der basale Abschnitt oder die Spitze in gleicher Farbe (Gelbgrün) aufleuchtet, wenn man den Objekt- träger, auf welchem die Flügeldecke entweder mit der Spitze oder mit. der Basis dem Beschauer zuge- wendet liegt, von der Lichtquelle her emporhebt. Man bedient sich hierbei am besten des schwachen Systemes A von Zeiß. Die Schüppchen erscheinen nun isoliert, auch im durchfallenden Lichte intensiv gefärbt und zwar im allgemeinen komplementär zu der Farbe im reflek- DIernteneehie: Schließt man die von einer trockenen Flügeldecke abgeschabten Schüppchen ohne weiteres in Glycerin oder Wasser ein, so erscheint die Mehrzahl derselben an der Basis und Spitze rot, während die stark konvexe Mitte von einem breiten blaugrünen Querband durchzogen wird. Drehen des Objekt- tisches ändert nichts an dieser Farbenfolge, dagegen wohl Neigen des Präparates gegen das vom Spiegel her einfallende Licht. Dabei können vorher blaue Stellen intensiv rot werden und umgekehrt. Trotz der großen Intensität der Farben im durchgelassenen Lichte erscheinen sie doch vergleichsweise matt gegen die strahlende Helligkeit namentlich des gelbgrünen mittleren Querbandes im auffallenden Lichte. Trocken ohne Zusatzflüssigkeit untersucht, erscheint die Mehrzahl der Schüppchen ziemlich gleichmäßig rotgelb gefärbt oder unregelmäßig blau und gelbrot marmoriert und gefleckt. Häufig sieht man Stellen, welche auch im durchfallenden Lichte hellgelb glänzend hervortreten. Die gleichen Partien erscheinen im auffallenden Lichte strahlend grüngelb. Die Schillerfarben bei Insekten und Vögeln. 253 [5) en os Ausnahmslos werden Schuppen nach völliger Imbibition mit irgend einer Flüssigkeit (Alkohol, Wasser, Glycerin, Oel) farblos bezw. blaßgelblich. Man kann oft ganz deutlich verfolgen, wie die Verdrängung der Luft zwischen den zwei Lamellen eines solchen Schüppchens zugleich auch die Farbe im durchfallenden sowohl wie im auffallenden Lichte verschwinden macht. Es kann daher keinem Zweifel unterworfen sein, daß man es hier mit einer Strukturfarbe und zwar nach dem Prinzip dünner Blättchen zu tun hat. Während es sich aber bei den schuppenlosen Käfern in der Regel um ein dünnes zu oberst gelegenes Chitinplättchen handelt, ist es in diesem Falle eine dünne zwischen zwei Chitinlamellen eingeschlossene Luftschicht, welche nach Art des Newronschen Farbenglases wirkt. Daher kommt es auch, daß solche Käfer in Alkohol auf- bewahrt eine unscheinbare braunschwarze Farbe annehmen, um das lebhafte Grün erst dann wieder zu gewinnen, wenn sich die Schüppchen beim Trocknen wieder mit Luft gefüllt haben. Daß die verhältnis- mäßig groben Längsrippen mit der Entstehung der Färbung der Schüppchen nichts zu tun haben, bedarf kaum der Erwähnung. Unter den Käfern, deren Farbe durch Schüppchen verursacht wird, nimmt seit jeher der brasilianische Entimus imperialis eine besondere Stellung ein. G. Dimmock hat in seiner Arbeit über die Käferschuppen gerade diesem Falle eine besonders eingehende Besprechung gewidmet und wenn ich ihm auch nicht in allen Punkten beistimmen kann, so muß doch hervorgehoben werden, daß es sich hier um eine gründlichere Unter- suchung handelt, als sie sich sonst auf diesem noch so wenig durchforschten Gebiete finden. Die außerordentlich stark konvexen Flügeldecken des Käfers zeigen in regelmäßigen parallelen Längsreihen angeordnete flache Grübchen, deren jedes mit einer großen Zahl kleiner, in den lebhaftesten Farben glänzender Schüppchen ausgekleidet ist. Bei Lupenvergrößerung erkennt man hier, vom dunkel- schwarzen Grunde sich scharf abhebend, blaue, grüne und gelbe Pünktchen, die sich bei stärkerer Vergrößerung (Zeiß A) als Schüppchen erweisen, die bei einer gegebenen Einfallsrichtung des Lichtes teils ganz farblos erscheinen, zum Teil aber in den lebhaftesten Farben strahlen. Die Form derselben ist länglich oval, nach außen hin schwach konvex gekrümmt. Bei Drehung des Objekttisches sieht man immer neue Schüppchen aufleuchten, während andere vorher farbige nun dunkel werden. Zugleich macht sich eine Erscheinung in auffälligster Weise bemerkbar, die auch Dimmock hervorhebt, nämlich die Tatsache, daß nur ausnahmsweise die ganze Fläche eines Schüppchens die gleiche Brcbe reilektiert, sondern daß die Farben in äußerst wechselnder Verteilung erscheinen. „Ihe scales have the appearance of being filled with pigments, separate colors usually in distinct compartments allotted to them“ (Dimmmock). Die Grenzlinien verschiedener oft gerade kom- plementärer Farbenbezirke verlaufen entweder ganz gerade oder auch ganz unregelmäßig gezackt, wie ausgenagt. Ich lege auf den letzteren Umstand Gewicht, weil er an sich gegen die von Dimmock vertretene Meinnng spricht, daß es sich um anatomisch präformierte zarte Scheidewände handelt, durch welche der Raum zwischen den beiden Lamellen eines solchen Schüppchens in völlig getrennte Abteilungen zerlegt wird. Dagegen spricht ja auch schon, daß die Richtung dieser Grenzlinien so außer- ordentlich wechselnd ist. Während im einem Falle die Schuppe in eine vordere und hintere Hälfte geteilt wird, verläuft die Trennungslinie anderenfalls gerade in der Mittellinie von vorne nach hinten oder schräg unter den verschiedensten Winkeln. Es kann ferner irgendwo ein geradlinig oder 254 Die Schillerfarben bei Insekten und Vögeln. 254 unregelmäßig begrenzter, kleinerer oder größerer Bezirk der Schuppenfläche in einer anderen Farbe ausgespart sein u. s. w. Auch findet man sehr oft Fälle, wo zwar auch verschiedene Farben an der Oberfläche eines und desselben Schüppchens vertreten sind, aber nicht scharf voneinander gesondert, sondern in ganz allmählichen Uebergängen. Die im reflektierten Lichte am meisten vertretenen Farben sind immer Gelb, Gelbgrün, Grün, Blaugrün und Blau. Das Auftauchen und Wiederverschwinden der Farben bei verschiedenen Schüppchen, sowie der so auffallende Wechsel an einem und demselben Individuum beim Drehen des Objekttisches beweist ohne weiteres, daß das Hervortreten einer bestimmten Reflexionsfarbe wieder vor allem vom Einfallswinkel des Lichtes abhängt. So sieht man beispielsweise bei einer bestimmten Orientierung des Objektes zum einfallenden Lichte die vorderen °/, eines Schüppchens intensiv blau leuchten, während der Rest dunkel erscheint; dreht man dann nur wenig den Objekttisch, so leuchtet nun gerade der vorher dunkle Rest gelb auf, während das Blau verschwindet u. s. w. Die Mannigfaltigkeit der Erscheinungen ist hier eine um so größere, als die Lage der einzelnen Schüppchen, die je ein Grübchen der Oberfläche auskleiden, eine sehr unregelmäßige ist. Wie sich beim Drehen des Objekttisches die Farben eines in der Ebene desselben befindlichen Schüppchens im auffallenden Lichte ändern, so ist dies und zwar aus gleichen Gründen der Fall, wenn man den Einfallswinkel des Lichtes dadurch ändert, daß man das Objekt samt dem Objektträger all- mählich immer mehr gegen die Ebene des Objekttisches neigt. (Man beobachtet mit Zeiß A, dessen Fokalabstand eine genügende Freiheit der Bewegung gestattet.) Wie bei Phyllobius zeigen sich auch die Schuppen von Entimus im durchgehenden Lichte ebenfalls intensiv gefärbt und zwar im allgemeinen komplementär zu den Farben im auffallenden Lichte, desgleichen vernichtet auch hier Imbibition mit irgend einer Flüssigkeit jede Spur von Färbung. Ich halte es für zweifellos, daß es sich dabei um nichts anderes handelt, als um Verdrängung von Luft aus einem inneren Hohlraum der Schuppe und kann Dimmock in keiner Weise beistimmen, wenn er das Innere jedes Schüppchens von einer „Marksubstanz“ erfüllt sein läßt, in welcher sich die angewendeten Flüssigkeiten leicht imbibieren („The interior of the scale is evidently filled with a pith-like substance into which liquids enter with equal readiness in all directions; this pith-like portion apparently has some direct influence upon the production of the coloration, for wherever it injured or has shrunk away from the basal end of a scale there is no longer coloration in that place“). Außer der „Marksubstanz“ soll nach Dmmock ein System feinster Streifen (Falten) an der Innenfläche des Schuppenhohlraumes für die Färbung verantwortlich zu machen sein. Er unterscheidet eine äußere gröbere Längsstreifung („coarser-striation“) die namentlich an den gestreckteren Formen der Schuppen sowie an den Härchen deutlich hervortritt und eine zweite viel feinere Streifung („finer striation“) an der Innenfläche der Schuppenmembran, deren Richtung in den einzelnen verschieden gefärbten Abteilungen je eines Schüppchens wechseln soll. („The finer striation is further unlike the coarser striation in following no definite direction on the scale, sometimes being in one direction in one portion of a scale and in another direction in another part of the same scale. In any single compartment of a scale the direction of the finer striation is approximately the same times a little curved...... the finer striation is most evident in blue or purplish parts of scales, altho it exists in other parts . .. . it is invisible on scales treated with liquid reagents to remove the air.“) Diese letzteren feinsten Streifen (Falten) sollen nun im Verein mit der ihre Zwischenräume ausfüllenden Marksubstanz die Farbenerscheinungen bedingen, Di hillerfarben bei Insekt d Vögeln. 255 ie Schillerfarben bei Insekten un ögeln 255 Ich habe die „feinere Streifung“ schon mit Zeiß D oder F in vielen Fällen ganz deutlich gesehen. Sie tritt infolge des Luftgehaltes der Schuppen immer wenig scharf hervor, so daß man stärkere Ver- größerungen gar nicht anwenden kann. Diesem Umstande schreibe ich es auch zu, daß ich in der Mehrzahl der Fälle nicht im stande war mich von dem Vorhandensein jener feinen Linien mit Sicherheit zu überzeugen. Am besten sah ich sie an ganz unverletzten und infolgedessen ihre Farbe (resp. den -Luftgehalt) im durchfallenden Lichte bewahrenden Schüppchen unter Glycerin. Ohne leugnen zu wollen, daß die feinen Streifensysteme an der Innenwand der Schuppenkammer zur Entstehung von Beugungs- farben Anlaß geben könnten, muß ich auf Grund der Tatsache, daß verletzte Schuppen ausnahmslos bei Füllung mit irgendeiner Flüssigkeit farblos werden oder höchstens Spuren von Färbung bewahren, daran festhalten, daß das wesentliche Moment für die Entstehung der im auffallenden und durchgelassenen Lichte komplementären Farbenerscheinungen das Vor- handensein einer sehr dünnen Luftschicht zwischen der oberen und unteren Schuppenlamelle ist, deren Dicke offenbar in den verschieden gefärbten Ab- teilungen eines und desselben Schüppchens entsprechende Unterschiede aufweist. Daß nun aber ın der Tat auch luftfreie Schuppen, wiewohl ungleich schwächer, noch farbigen Schiller zeigen können, läßt sich auf Grund der folgenden, von mir erst später bemerkten Tatsachen gar nicht von der Hand weisen. Behandelt man eine größere Anzahl trocken abgeschabter Schüppchen zunächst mit Alkohol und setzt dann erst Glycerin zu, so findet man alle ganz unverletzten Schuppen völlig wie normal gefärbt, während die angebrochenen (meist bricht das Stielende ab) farblos oder blaß gelblich erscheinen. Verdunkelt man nun das Gesichts- feld, so erscheint bei geeigneter Orientierung, die man durch Drehen des’ Objekttisches leicht findet, die Mehrzahl der im durchgehenden Lichte farblosen Schüppchen mehr oder minder intensiv gefärbt und zwar leuchten, wie auch sonst, die einzelnen Ab- teilungen in verschiedenen Farben oder es bleiben einzelne Bezirke dunkel. Noch schöner treten dieselben Farben in gleicher Verteilung hervor, wenn das Gesichtsfeld eines Polarisationsmikroskopes durch Kreuzung der beiden Nicols verdunkelt, aber auch dann steht die Intensität und vor allem der Glanz der Farben weit hinter dem zurück, was man sonst unter gleichen Umständen an unversehrten, normal lufthaltigen Schuppen beobachtet. Zwei oder mehrfarbige Schuppen kommen außer bei Entimus auch noch bei andern Käfern vor, so z. B. nach Urech bei Eustalis-Arten. Die eine Hälfte der Schuppenfläche kann cyanblau die andere orange erscheinen; „betrachtet man dann die gleiche Schuppe im reflektierten Lichte, so erscheinen die Farben vertauscht, der im durchfallenden Lichte orangene Platz ist jetzt blau und der im reflektierten Lichte jetzt orange, war im durchfallenden blau“. URrecH spricht hier irrtümlicherweise von Dichroismus oder Pleochroismus und erhofft von einer „gründlichen physikalischen Unter- “suchung dieser dichroitischen (pleochroitischen) Erscheinungen mittels des Mikrospektralpolarisators ....... in Verbindung mit mathematischer Behandlung“ eine weitere Förderung der strukturellen Erkenntnis der Schuppengebilde. Da die Erscheinung des Dichroismus auf gewisse durchsichtige Körper mit einer natürlichen oder künstlichen Eigenfarbe beschränkt ist, den Käferschuppen aber eine solche nicht zukommt, so kann hier füglich auch von Dichroismus nicht gesprochen werden. Zudem habe ich niemals auch nur die geringste Veränderung der Farben im durchfallenden Lichte gesehen, wenn der unter dem Objekt befindliche Polarisator gedreht wurde, bekanntlich das einfachste Mittel, um Pleochroismus an mikroskopischen Objekten festzustellen. 2 56 Die Schillerfarben bei Insekten und Vögeln. 256 Auch bei Hoplia coerulea soll nach Dimmock das schön metallische Blau, welches kleine rundliche Schüppchen erzeugen, die als Ueberzug die an sich einfach braunen Flügeldecken bekleiden, einer besonderen Struktur der ersteren zuzuschreiben sein. Trocken untersucht, erscheinen sie im durchfallenden Lichte hell kanariengelb, in einzelnen Fällen teilweise rot, im auffallenden Lichte dagegen sehen die gelben Schuppen unter günstigem Einfallswinkel des Lichtes glänzend blau aus, während die rötlichen Partien grünliche Reflexe geben. Im Inneren der hohlen Schüppchen läßt sich bei starker Vergrößerung eine Art feinster „Struktur“ erkennen, wobei die Bälkchen rötlich, die Netzmaschen gelb erscheinen. Dimmock hält die Netzbälkchen für Verdickungen der Chitinmmebran der Schüppchen. Dringt Wasser ins Innere derselben ein, wie es an zufällig zerbrochenen Schuppen immer bei Befeuchtung geschieht, so wird die Luft daraus verdrängt und zugleich schlägt die im durchfallenden Lichte gelbe Farbe in himmelblau um, während die Schuppen im reflektierten Lichte nun dunkelgrün („dark greenish) erscheinen. In Glycerin werden die Schuppen so stark aufgehellt, daß sie sowohl im durchfallenden wie im auffallenden Lichte farblos erscheinen. In Alkohol zeigen sie im durchgehenden Licht einen rötlichen Ton, ebenso in Chloroform. In Terpentin oder Nelkenöl verschwindet im durchfallenden Licht jede Färbung, während auf dunklem Grunde ein schwacher metallisch grüner Schiller hervortritt. Da nach dem Trocknen der mit Wasser, Alkohol oder Chloroform benetzten Schuppen die ursprüngliche Farbe immer wiederkehrt, so bezieht Dimmock alle beobachteten Farbenerscheinungen nicht auf ein Pigment, sondern auf die besondere Struktur der Schuppen und führt als weitere Stütze dieser Ansicht noch an, daß in trockenem Chlorgas die Färbung erhalten bleibt, während Schuppenpigmente sonst ausnahmsles zerstört werden. Das Besondere der Struktur liegt, wie ich glaube, auch hier in dem Vorhandensein einer dünnen Luft- schicht zwischen den beiden Schuppenlamellen, die ihrerseits als „dünnes Plättchen“ zur Erzeugung von Interferenzfarben Anlaß gibt und nach Imbibition mit Flüssigkeiten durch diese ersetzt wird. An die lufthaltigen Käferschuppen reihen sich naturgemäß die luftführenden Schmetterlings- schuppen an. Schon Levypıs hat darauf hingewiesen, daß die Schuppen mancher Schmetterlinge eine Luftschicht enthalten, wodurch dieselben entweder weiß oder silberglänzend erscheinen. Die Silberflecken der Perlmutterfalter (Argynnis) entstehen ihm zufolge „durch Interferenz des Lichtes und Pneumatizität der Schüppchen. Letztere bei starker Vergrößerung betrachtet, lassen feine Löchelchen erkennen, je zu beiden Seiten reihenweise nach der Länge eines scheinbaren hellen Wulstes angeordnet. Die Löchelchen erstrecken sich auch über den Längswulst hinüber und bedingen die Querstrichelung der Schuppe. Diese Löchelchen oder Kanälchen sind lufthaltig. Wird die Schuppe mit Wasser befeuchtet, so wird die Luft herausgetrieben und sammelt sich zu Säulen oder in flächiger Ausbreitung auf den Schuppen. Ist daher in der Schuppe wirkliches Pigment, ein körniges braunes oder schwarzes ausgeschlossen, so ruft die Luft in den Kanälen oder Poren den Silber- oder Perl- mutterglanz in gleicher Weise hervor, wie der Luftgehalt in den Tracheen bekanntlich den Silberglanz bedingt“ (Leyvic). Ich kann Levvıss Schilderung der feineren Struktur der luftführenden weißen perlmutterglänzenden Schuppen nicht ganz beistimmen, wenigstens nicht für Argynnis Lathonia, die ich genauer zu untersuchen Gelegenheit hatte. Betrachtet man derartige Schuppen im trockenen Zustande bei durch- fallendem Lichte, so erscheinen sie sehr schwach gelblich und wenig durchsichtig. Hier und da findet man einzelne Schuppen, die nur teilweise noch von Luft erfüllt sind, dann erscheinen die luftfreien Teile farblos, glasartig durchsichtig. Bei einer gewissen Einstellung sieht man zwischen den dunkelglänzenden, stark lichtbrechenden parallelen Längsrippen reihenweise geordnet kleine fast schwarze Pünktchen, welche 257 Die Schillerfarben bei Insekten und Vögeln. 257 glänzend hell werden, wenn man den Tubus etwas senkt und dann in der Tat täuschend den Eindruck hervorbringen, als handle es sich um kleine Löcher in der Schuppenmembran. Ich habe mich sicher überzeugt, daß die Luft einerseits in den hohle Röhren oder Kanäle darstellenden Rippen der oberen (äußeren) Schuppenlamelle, andererseits aber in dem dünnen flachen Hohlraum zwischen beiden Lamellen enthalten ist. Ersterenfalls handelt es sich daher um feine parallel nebeneinander liegende Luftceylinder, anderenfalls um eine dünne kontinuierliche Luftlamelle. Gewisse Bilder bei partieller Verdrängung der Luft glaube ich kaum anders deuten zu können. Läßt man nun zu einem solchen Präparat Alkohol zufließen (— man muß in solchen Fällen stets Alkohol und nicht Wasser verwenden, weil dieses die Chitingebilde schlecht benetzt und nicht rasch eindringt —) so werden die Perlmutterschuppen momentan absolut farblos und durch- sichtig wie Glas. Jene dunklen Pünktchen treten dafür aber nur um so deutlicher hervor und ver raten untrüglich ihre Natur als Pigmentkörnchen. Nahe der Schuppenwurzel sind sie merklich größer und etwas dichter gedrängt als auf der Fläche der Schüppchen. Bei tiefer Einstellung schwarz- braun, werden sie bei Heben des Tubus hellglänzend.. Körnchen von genau derselben Beschaffenheit, nur sehr viel zahlreicher, finden sich auch in den unter gleichen Umständen ziemlich intensiv gelb gefärbten Pigmentschuppen, welche zwischen den Perlmutterflecken liegen. Oeffnet man die Iris- Blende über dem Asgeschen Condensor immer mehr, so bleiben (an so aufgehellten Perlmutterschuppen) wie bei einem gut gefärbten Bakterien-Präparat schließlich nur die Pigmentkörnchen als dunkle Pünktchen sichtbar. Es kann daher gar nicht die Rede davon sein, daß es sich wie Leypıc meinte, um „Löchelchen“ und lufthaltige Porenkanälchen handelt. Letztere sind allerdings vorhanden, aber in ganz anderer An- ordnung als parallel verlaufende hohle, an der Oberfläche der Schuppe vorspringende Röhrchen (Längs- rippen). Was nun das Aussehen dieser Schuppen im auffallenden Lichte anlangt, so erscheinen sie bei gewöhnlichem Tageslicht mit Zeiß A oder B untersucht im trockenen Zustand weißlich, an manchen Stellen oft von hellerglänzenden breiten Streifen wie von Schlieren durchzogen, die dann auch unter dem Mikroskop bisweilen Perlmutterschiller zeigen. Wie bei fast allen schillernden Schmetterlings- schuppen, so ist auch hier für starke Lichtreflexion die Orientierung der Schuppe in Bezug auf die Einfallsrichtung des Lichtes von wesentlicher Bedeutung. Sowohl bei Beobachtung mit bloßem Auge wie unter dem Mikroskop ist der Silberglanz am stärksten, wenn die Schuppenachse dem Fenster parallel verläuft, dagegen verschwindet er fast gänzlich, wenn man das Präparat in der Ebene des Objekttisches um 90° dreht. Eine sehr bedeutende Steigerung der Intensität des Phänomens erzielt man dadurch, daß man den Objektträger samt dem darauf liegenden Flügelstück von der Seite des Beschauers her gegen das Fenster hebt. Farbiger Perlmutterglanz tritt dann an fast allen Schuppen auf, welche zugleich hell silberfarbig aufleuchten. Ganz außerordentlich viel lebhafter ist noch der Silberglanz der die Unterseite namentlich der Hinterflügel zierenden Flecken bei Dione Moneta aus Columbien. Isoliert erscheinen die länglichen dicht gerippten Schuppen trocken im auffallenden Licht mit Zeiß A untersucht hell weiß mit prachtvollem farbigen Perlmutterglanz. Bei einer und derselben Lage (— Schuppenachse parallel dem Fenster —) sind fast alle Farben vom Rot bis Blau in zartester Verteilung auf der Schuppenfläche vertreten. Dreht man den Objekttisch um 90°, so verdunkelt sich alles vollkommen. Im durchgehenden Lichte zeigen die Schuppen einen gelblichen Farbenton, werden aber auf Zusatz von Alkohol vollkommen farblos und glashel. Von Pigmentkörnchen ist in diesem Falle nichts zu bemerken, doch zeigen auch die Jenaische Denkschriften. XI. 33 Festschrift Ernst Haeckel. 2 58 Die Schillerfarben bei Insekten und Vögeln. 2 58 imbibierten Schuppen bei geeigneter Orientierung zur Lichtquelle noch einen deutlichen bläulichweißen Schimmer. Viel seltener als Silberglanz findet sich bei Schmetterlingsschuppen wirklicher Goldglanz ver- treten. Abgesehen von einigen Motten ist die Erscheinung am schönsten zu beobachten bei Plusia chrysitis, einer Noctuide aus Anasia. Hier erscheint eine breite Binde am Außenrande der Vorder- flügel in typischer Goldfarbe und mit dem entsprechenden Glanze. Nur wenn man gerade senkrecht von oben darauf blickt verschwindet der Glanz, um bei schrägem Lichteinfall in jeder Lage des Flügels hervorzutreten. Die betreffenden Schuppen trocken untersucht zeigen im durchfallenden Lichte keine irgend ausgeprägte Farbe. Ich möchte sie am ehesten als bläulichgrau bezeichnen. Im auffallenden Lichte (Zeiß A) dagegen treten bei richtiger Orientierung (Schuppenachse parallel dem Fenster) hellgelbe Längsstreifen und Bänder an allen den Stellen einer Schuppe hervor, welche für die Totalreflexion von Seiten der eingeschlossenen Luft unter günstigem Winkel liegen. Beim Drehen des Objekttisches um 90° verschwinden in der Regel alle Reflexe, um bei abermaliger gleichgroßer Drehung in derselben Richtung an der anderen Schuppenhälfte oder an anderen Schuppenstellen wieder aufzutauchen. Die Ursache für dieses Verhalten liegt offenbar in der besonderen Form der Schuppen. Zunächst ist jede Schuppe im Ganzen stark hohlziegelartig um ihre Längsachse gekrümmt und außerdem nach Art von Wellblech gefaltet. Außerdem ist jede Schuppe von parallelen Rippen durchzogen, welche nun bei Betrachtung von oben her bei einer gewissen Einstellung nicht alle gleich deutlich gesehen werden können, da sie eben gruppenweise in verschiedenen Ebenen liegen (Fig. 4). Nach Zusatz von Alkohol erscheinen die Schuppen viel durchsichtiger und diffus blaßgelb gefärbt. Dieser Farben- ton rührt nicht her von irgendwelchem körnigem Pigment, sondern kommt der Schuppensubstanz selbst zu und bewirkt im Verein mit der eingeschlossenen, das Licht unter günstigen Umständen total reflektierenden Luftschicht, den schönen Gold- glanz. Fig. 4. Eine Schuppe von Plusia chrysitis. Bei einer unserem Dukatenfalter nächstverwandten Art aus Anasia Polyommatus Ochimus, dessen Flügel das gleiche schöne Goldrot darbieten, sind die Schuppen ganz ähnlich gebaut und liegt der wesentlichste Unterschied nur in dem gesättigteren gelben Farbenton (canariengelb), welcher nament- lich nach dem Benetzen mit Alkohol sehr schön hervortritt und ebenfalls einer diffusen Färbung (Pigmentierung) der Chitinlamellen zuzuschreiben ist. Im trockenen Zustande erscheinen die Schuppen dunkler gelb (mehr ockerfarbig) als nach Benetzung. Eine sehr wesentliche Rolle spielt der Luftgehalt der Schuppen auch bei den blauen Lycae- nıden (Bläulingen). Lycaena Bellargus. Orientiert man einen Flügel dieses hübschen einheimischen Bläulings auf einer dunklen Unterlage in der Nähe eines Fensters so, daß die Flügelwurzel nach dem letzteren hin gewendet liegt, so erscheint beim Aufblick gerade von oben her die Farbe schön himmelblau. Blickt man dagegen von der Zimmer- seite her schräg auf die Fläche des Objektes, so nimmt das helle reine Blau mehr und mehr einen Stich ins Rötliche an und geht schließlich in Violett über. Umgekehrt ändert der Farbenton des Blau ins Grünliche, wenn man den Kopf aus der senkrechten Lage über dem Objekt nach der Lichtquelle 259 Die Schillerfarben bei Insekten und Vögeln. 259 (dem Fenster zu) bewegt. Die Farbe schwindet bei schrägem Aufblick von der Flügelspitze her fast völlig und macht einem schmutzigen Grau Platz. Wird der Flügel so orientiert, daß seine Längsachse (Verbindungslinie zwischen Wurzel und Mitte des Außenrandes) parallel zum Fenster verläuft, so sind die Farbenerscheinungen ähnlich wie im ersterwähnten Falle, nur ist die blaue Farbe nicht so strahlend hell. Die farbegebenden Schuppen liegen, wie auch die oben besprochenen Perlmutter- schuppen, über einem tief dunklen Grunde, welcher durch stark braun (schwarz) pigmentierte Schuppen erzeugt wird. Sowohl die „Farbenschuppen“ wie die „Grundschuppen“ sind in regel- mäßigen Parallelreihen geordnet und zwar so, daß die Wurzel der Schüppchen der Flügelwurzel zugewendet ist. Bei Anwendung einer stärkeren Vergrößerung (Zeiß D) kann man im durchfallenden Lichte leicht fest- stellen, daß sowohl die dunkelbraunen Grundschuppen wie auch die dann hellgelb erscheinenden Farben- schuppen nicht horizontal flach aufliegen, sondern mit der Flügelebene einen beträchtlichen Winkel bilden und zwar derart, daß die Schuppenwurzeln tiefer, die freien Ränder aber höher liegen. Infolge- dessen fällt die Schuppenebene, wenn die Flügelwurzel vom Beobachter abgekehrt ist, schräg dachförmig nach dem Fenster zu ab. Die Farbenerscheinungen sind darnach leicht begreiflich. Die Schuppen leuchten nämlich unter diesen Umständen bei Anschluß allen durch- fallenden Lichtes prachtvoll himmelblau, erscheinen dagegen fast farblos (blaugrau), wenn die Flügel- wurzel dem Beschauer zugewendet liegt und die Schuppenebenen daher nach dieser Seite hin abfallen. In allen Zwischenlagen schimmern die Schüppchen mehr oder weniger blau. Man erkennt schon bei schwacher Vergrößerung, daß das Blau nicht gleichmäßig über die Fläche der Schuppen verbreitet ist, sondern es gewähren dieselben ein Aus- sehen als wären sie mit einem lebhaft blau glänzenden Staub bedeckt. Zahllose dicht gelagerte Pünktchen oder Streifchen überdecken die Fläche jeder Schuppe Wir werden später die Erklärung dieses Phänomens kennen lernen. Eine gewisse Enttäuschung bietet die Untersuchung mit dem Vertikal-Illuminator (Zeiß D). Die Schüppchen erscheinen dann wie übersät mit blaugrün glänzenden Flitterchen, die zwischen den parallelen Rippen in regelmäßigen Reihen geordnet sind. Doch ist die ganze Erscheinung nicht annähernd so farbenprächtig, wie bei schwacher Vergrößerung und Beleuchtung mit schräg aufiallendem, vom Fenster kommenden Licht. Isolierte Schuppen erscheinen im durch- fallenden Lichte gelbbräunlich, im auffallenden (Zeiß A) zeigen sie einen prachtvoll blauen Schiller und zwar in ganz ähnlicher breitstreifiger Verteilung, wie jene silber- und goldglänzenden Schuppen. Ist ihre Längsachse parallel zum Fenster gerichtet (also senkrecht zur Richtung der einfallenden Strahlen), so bemerkt man den blauen Schiller im Mikroskopbilde, hauptsächlich an der dem Beobachter zuge- kehrten Schuppenhälfte, d. h. also in Wirklichkeit an der dem Fenster zugewendeten Seite. Niemals erscheint unter diesen Umständen die ganze Schuppenfläche blauglänzend, wie es bei gewisser Lage des Flügels an den in situ befindlichen Schuppen immer der Fall ist. Dreht man aus der erwähnten günstigsten Lage den Objekttisch um 90° so bleiben die Schuppen, auch wenn ihre Wurzel dem Fenster zugewendet ist, ganz dunkel. Der Umstand, daß der farbige Schiller der isolierten Schuppen immer vorwiegend auf der der Lichtquelle zugekehrten Hälfte bemerkbar wird, weist schon darauf hin, daß die Schuppen nach Art gekrümmter Dachziegel (Hohlziegel) um die lange Achse gebogen sind, wie es tatsächlich der Fall ist. Die Erscheinung erklärt sich daher in ganz gleicher Weise wie das helle Aufleuchten der in situ befindlichen Schuppen bei einer bestimmten Orientierung, aus dem schrägen Lichteinfalle. Läßt man vom Rande des Deckglases her Alkohol zufließen, so ändert sich der Farbenton des Schillers sofort in Grün und auch im durchfallenden Lichte zeigen die 33+ 260 Die Schillerfarben bei Insekten und Vögeln. 260 nun außerordentlich durchsichtigen, fast farblosen Schuppen einen unverkennbaren blaß rosen- farbigen Ton. Mit dem Verhalten der isolierten Schuppen unter Alkohol steht es in Uebereinstimmung, daß auch ein ganzer Flügel in Alkohol unter denselben Bedingungen, wo er vorher (trocken) blau schillerte, nun grün erglänzt, wiewohl nicht annähernd so lebhaft. Ersetzt man später den Alkohol durch Wasser oder Glycerin, so ändert sich nichts an der Erscheinung. Immer kann man sich leicht davon über- zeugen, daß der Farbenton des Schillers an einem ganz imbibierten und daher luft- freien Flügel, wie bei Käfern, mit dem Neigungswinkel der einfallenden Strahlen sich ändert und zwar in ganz demselben Sinne von Grün durch Blau zu Violett. Man braucht zu dem Behufe den stets untergetauchten Flügel nur mehr oder weniger gegen das vom Fenster her einfallende Licht zu heben, dann geht das Grün in ein prachtvolles Violett über. Wie fast alle Schmetterlingsschuppen sind auch diese sehr deutlich und verhältnismäßig grob der Länge nach gerippt. Die dunkel pigmentierten Grundschuppen zeigen außerdem eine schon bei schwächerer Vergrößerung sehr scharf hervortretende Querstreifung der Zwischenrippenräume Sehr schwer wahrnehmbar (nur mit starken Tauchlinsen bei guter Beleuchtung) ist diese Querstrichelung an den eigentlichen pigmentfreien Schillerschuppen. Die Unterschiede im Lichtbrechungsvermögen sind wenigstens an den in Flüssigkeit untersuchten Schuppen nur sehr gering und da auch alles Pigment fehlt, so ist die Struktur schwer zu erkennen. Viel geeigneter fand ich Lycaena Danis, deren mehr längliche Schillerschuppen trocken untersucht hellgelb erscheinen. In dem Momente, wo man Alkohohl zufließen läßt, werden die Schuppen im durchfallenden Lichte fast vollkommen farblos und lassen nun die Querstreifen zwischen den Rippen sehr schön erkennen. Sehr interessant sind die Schillerschuppen einer Lycaenide aus Neu Guinea Amblypodia Tamiris. Der Schmetterling erscheint an der ganzen Oberseite glänzend blau; die Vorderflügel im geraden Aufblick mehr violett, die Hinterflügel, sowie der Hinterrand der Vorderflügel hell himmelblau. “Blickt man schräg auf die Ebene der Flügel, so ändert sich der blauviolette Farbenton in ein gesättigtes Rotviolett, das Hellblau schlägt ebenfalls in Violett um, nur erscheint dieses entsprechend heller. Wie bei Lycaena sind die Farben am schönsten, wenn man den Flügel so orientiert, daß seine Wurzel dem Fenster zugekehrt ist. Die einzelnen Schuppen erscheinen trocken im durchfallenden Lichte orangerot, im auffallenden Lichte fehlt der blaue Schiller vollkommen und zwar bei jeder Lage der Schuppen, wenn dieselben in der Ebene des Öbjekttisches liegen, höchstens Spuren von Blau treten hier und da hervor. Hebt man nun aber den Objektträger, so daß die Ebene der Schuppen nach dem Fenster zugeneigt liegt, so tritt sofort prachtvoller blauer Schiller auf, nament- lich wenn die Schuppenachse von rechts nach links verläuft. Es sieht aus, als wären auf der an sich dunklen Oberfläche der Schuppen lauter kleine intensiv blau leuchtende Ouerstrichelchen parallel unter- einander und senkrecht zur Schuppenachse gezogen. Infolge der viel gesättigteren und leuchtenderen Farbe gestaltet sich auch der merkwürdige Umschlag in Grün beim Benetzen mit Alkohol im vor- liegenden Falle sehr viel auffälliger als bei den früher genannten Lycaeniden. Bringt man einen Tropfen Alkohol auf einen der Flügel, so nimmt der benetzte Bezirk sofort eine schön goldgrün glänzende Färbung an und man erkennt mit der Lupe, daß jedes einzelne der vorher blauen Schüppchen nun glänzend gelbgrün erscheint. Im durchfallenden Lichte sehen solche 261 Die Schillerfarben bei Insekten und Vögeln. 261 benetzte Schuppen immer mehr oder weniger stark rosenrot aus und sind zugleich sehr durchsichug geworden. Pigment ist keines vorhanden. Man erkennt nun auch besser die eigentümliche Skulptur der Oberfläche, welche hier wie in den früheren Fällen als die Ursache der eigenartigen Ver- breitung des Blau (resp. Grün) an den Schuppen bei günstigem Lichteinfall anzusehen ist. Auch bei Amblypodia sind je zwei der an der Oberfläche vorspringenden Längsrippen durch Querbrücken verbunden, allein das Bild derselben ist wesentlieh verschieden von dem bei den vorher besprochenen Lycaeniden. Nicht um schmale Querlinien oder Leisten wie dort handelt es sich, sondern vielmehr um breite, offenbar etwas erhabene Querbrücken, die aber sehr blaß erscheinen und durch dunklere etwas schmalere Querfurchen voneinander getrennt sind. Die ganze Skulptur tritt unter den gegebenen Verhältnissen nur sehr schattenhaft hervor und man muß genau: zusehen, um sie überhaupt zu bemerken. Viel deutlicher ist alles im auffallenden Lichte, da hier die Reliefverhält- nisse durch das strahlende Blau gewisser Partien und das tiefe Dunkel der Zwischenräume auf das schärfste markiert sind. Den leuchtenden blauen Querlinien entsprechen offenbar hellere Ouerbrücken, welche meist über mehrere Zwischenrippenräume hin in einer Flucht verlaufen, so daß im durchfallenden Lichte die Schuppenoberfläche ein eigentümlich quer gebändertes Aussehen gewinnt. Noch deutlicher wird dies, wenn man homogene Immersionen anwendet; die Ober- Ve |) fläche jeder solchen Schuppe sieht dann im durchfallenden Lichte so aus, als I wäre sie der Quere nach in lauter Fältchen gelegt, die vielfach nicht ganz ge- un UN IM LU ITEM u a TILL al UN) rade, sondern wellig gebogen verlaufen und außerdem durch die parallelen Längsrippen zwischen denen sich die obere Schuppenlamelle etwas vorbauscht, gewissermaßen unterbrochen werden (Fig. 5). DAL UNI I Fig. 5. Stückchen der Schuppenflächke von Amblypodia Tamiris bei starker Vergrößerung unter Wasser gesehen. Richtet man sein Augenmerk mehr auf die dunkleren Partien der Schuppenoberfläche, so könnte man auch sagen, dieselbe erscheine mit in Längs- bezw. Querreihen geordneten graulichen Flecken auf hellem Grunde gezeichnet. Daß es sich nun wirklich um so komplizierte Niveaudifferenzen handelt geht auch daraus hervor, daß alle die Partien, die bei einer gewissen Einstellung dunkler erscheinen hell werden, wenn man den Tubus etwas hebt und umgekehrt. Am klarsten treten alle die geschilderten Strukturverhältnisse an solchen mit Wasser imbibierten Schuppen hervor, welche zufällig innerhalb des Bereiches einer Luftblase liegen, während an ganz frei schwimmenden Schuppen alles außerordentlich blaß, nur wie angedeutet erscheint. Mit dieser verwickelten feineren Reliefzeichnung kombinieren sich nun noch gröbere Form- verhältnisse, sowie eine besondere Anordnung der Schuppen in Bezug auf die Flügelebene Man erhält darüber am besten Aufschluß, wenn man die Schuppen in situ, d. h. ein Flügelstück im auffallenden Lichte bei schwacher Vergrößerung (Zeiß A) betrachtet. Orientiert man einen Flügel zunächst so, daß seine Wurzel dem Fenster zugekeht liegt (Lage T), so sind, wie mehrfach erwähnt, auch alle Schuppen in gleicher Weise gelagert. Ueberall erscheinen dann die Schuppen, wenn die Projektion ihrer Achse auf die Flügelfläche senkrecht zur Ebene des Fensters steht, hellleuchtend, mit Ausnahme des vorderen Drittels, welches tief dunkel bleibt (Fig. 6). Die Farbe ist an den mit freiem Auge hellblauen Partien der Flügel eine schön silberblaue, an den violetten dagegen ein prachtvolles reines gesättigtes Blau. Es bleibe nicht unerwähnt, daß namentlich im Bereiche des violetten Teiles der Vorderflügel längs der Rippen 262 Die Schillerfarben bei Insekten und Vögeln. 262 vereinzelt grün schillernde Schuppen vorkommen, deren Bau sich sonst nicht wesentlich von den blauen unterscheidet, doch sind sie merklich schmäler und länger. Wie sehr nicht nur die Reflexion an sich, sondern auch die Farbe des zurückgestrahlten Lichtes vom Einfallswinkel abhängt, zeigt sich unter anderem auch darin, daß an größeren Falten, welche die Flügelgrundmembran hier und da bildet, an Stelle des reinen tiefen Blau der Schuppen auch bei mikroskopischer Beob- achtung ein schönes gesättigtes Violett auftritt. Auf das allerdeutlichste überzeugt man sich, daß der farbige Schimmer von kleinen den Längsrippen entsprechend in Reihen geordneten Feldchen ausgeht, die durch ganz dunkle kurze Ouerlinien von- einander getrennt sind, kurz es ist genau dasselbe Bild (nur in entsprechend geringerer Vergrößerung) wie es oben von den im- bibierten, fast farblosen Schuppen geschildert wurde. Besonders schön gestaltet sich die ganze Erscheinung an den dunkel- blauen Schuppen der Vorderflügel. Bringt man nun den Flügel in eine gegen das Fenster geneigte Lage, so daß der dem Beschauer Fig. 6. Flügelstückchen von Am- i blypodia im auffallenden Licht; alle hellen zugekehrte freie Außenwand gehoben wird, während die Flügelwurzel Partien glänzend blau. : 0 5 6 Re R FRE in der Ebene des Objekttisches verbleibt, so ändert sich, wenn der Neigungswinkel etwa 50—45° beträgt, das vorige Bild so zu sagen in sein Gegenteil, indem jetzt die Schuppenspitzen blau aufleuchten, die vorher hellen Partien aber ver- dunkelt erscheinen. Dreht man, während sich der Flügel wieder wie anfangs in der Ebene des Objekttisches befindet, diesen letzteren langsam in der Richtung der Uhrzeiger, so sieht man das Blau sich rasch mehr und mehr verdunkeln, aber nicht ganz gleichmäßig über die ganze Schuppenoberfläche, sondern es treten parallel der Schuppenachse abwechselnd dunkle und noch hell leuchtende, ziem- lich breite Streifen auf, wie man es ähnlich auch an den goldglänzenden Schuppen von Plusia Chrysitis sieht, wo wir die Erscheinung als den optischen Ausdruck einer welligen Längsfaltung kennen lernten. In der Tat handelt es sich auch im vorliegenden Falle um eine solche, die an den meisten Schuppen in großer Regelmäßigkeit auftritt und infolge der verschiedenen Reflexion an den Wellenrücken und in den Wellentälern unter den gegebenen Verhältnissen so scharf hervortritt Ganz be- sonders deutlich ist die Erscheinung an den hellblauen Schuppen der Hinterflüge, wo man die ab- wechselnd dunkle und helle Streifung sogar schon vielfach in der ersten Schuppenlage (Achse senkrecht zum Fenster) erkennt (Fig. 6), Am auffallendsten macht sie sich aber immer dann bemerkbar, wenn die Schuppen aus ihrer ursprünglichen Lage nach rechts oder nach links um etwa 45° herausgedreht wurden. Dreht man noch weiter, so erlischt bei 90°, wo die Schuppenachse demnach parallel dem Fenster verläuft, an den meisten Schuppen die fanbıze Reilexion vollkommen, sie sehen schwarzbraun aus und an der Oberfläche macht sich höchstens ein leichter bläulicher Hauch bemerkbar. Während aber noch bei einer Winkellage von 45° das vordere Drittel der Schuppen ganz dunkel erschien, hat es sich nun aufgehellt und erscheint bereits merklich bläulich. Intensive blaue Reflexlichter treten hier aber erst dann auf, wenn bei weiterer Drehung des Tisches die Schuppen in eine der ersten gerade entgegengesetzte Lage gekommen sind, wenn nämlich die Schuppen- wurzel dem Beschauer, der freie Rand dem Fenster zugewendet ist. Innerhalb des ganzen Bereiches der vorher dunklen Partie glitzern nun blasse Pünktchen auf, bs das Maximum der Reflexion bei weiterer Drehung um 45° (im Sinne des Uhrzeigers) erreicht ist. Dann leuchtet 26 2 Die Schillerfarben bei Insekten und Vögeln. 26 3 das vordere Drittel der Schuppen intensiv blau, während der ganze Rest dunkel erscheint. Von da ab beginnt bei fortgesetzter Drehung auch wieder die Färbung des letzteren, während die des Vorderendes mehr und mehr abnimmt, bis schließlich dann, wenn die Schuppenachse wieder parallel dem Fenster läuft, das vordere Drittel bereits ganz dunkel geworden ist. Wie bei den früher besprochenen Lycaeniden liegen auch hier die Schuppen nicht in der Ebene der Flügelmembran, sondern ihre freien Ränder stehen wesentlich höher als die Wurzeln, so daß die Schuppenebene schräg nach der Flügel-(resp. Schuppen-)JWurzel hin abfällt. Wäre diese Ebene völlig plan, so wäre nicht einzusehen, warum sie nicht in ihrer ganzen Ausdehnung gleichmäßig blaues Licht reflektieren sollte, wenn sie gerade dem Fenster zugewendet ist. Da nun in diesem Falle das vordere Drittel, wie wir gesehen haben, dunkel bleibt, während es umgekehrt bei einer Drehung um 180° aufleuchtet und der Rest sich verdunkelt, so bleibt nur die eine Möglichkeit, daß die Schuppe im Bereich des vorderen Drittels nach hinten und unten umgebogen ist (Fig. 7). Es erklärt sich nun auch in einfachster Weise, warum beim Heben des Flügels um etwa 45° die Verteilung der Helligkeit nun gerade in ihr Gegenteil verkehrt wird, warum die Längsfalten der Schuppen am deutlichsten sichtbar sind, wenn die Schuppenachse De mit der Symmetrieebene des Mikroskopes einen Winkel von.45° bildet u. s. w. Set Man kann sich dies alles sehr einfach veranschaulichen, wenn man ein nach Art eines Wellbleches gefaltetes rechteckiges Stück Papier im vorderen Drittel nach hinten unter einem nicht allzu stumpfen Knickungswinkel umbiegt und es nun in der beschriebenen wechselnden Weise wie eine in situ befindliche Schuppe Fig. 7. Schematische Dar- gegen eın Fenster orientiert. stellung der Schuppenform und Wie die Reflexion farbigen Lichtes in augenfälligster Weise durch Lage ee ee e und Form der Schuppen im ganzen beeinflußt wird, so ist andererseits auch den Pfeil markiert). die Verteilung von Licht und Dunkel innerhalb eines bei einer gegebenen Lage leuchtenden Bezirkes durch jene feinere Skulptur resp. die da- durch erzeugten Niveaudifferenzen der Schuppenoberfläche bedingt, welche im Vor- hergehenden beschrieben wurden. Ein ganz ähnliches Verhalten zeigen auch die Schillerschuppen von Myscelis Orsis, einer Nymphalide aus Brasilien. Könnte diese Deutung noch irgend zweifelhaft sein, so würde als zwingendster Beweis ihrer Richtigkeit das Verhalten der Schillerschuppen einer kolumbischen Lemoniide: Diorhina Perianda gelten müssen. Der Schmetterling gleicht in seiner Form im kleinen etwa unserem Schwalbenschwanz. Die Vorderflügel erscheinen dunkelblau bis auf den schwarzen Außenrand, die Hinterflügel sind ebenso gefärbt, nur tragen sie am Innenrande noch 2 zinnoberrote Flecken. Blickt man, mit dem Rücken nach dem Fenster stehend, schräg auf die Vorderflügel hin, während der Leib (die Längsachse) des Tieres parallel zum Fenster gerichtet ist, so erscheint das Blau auf beiden Flügeln aber sehr viel lebhafter und glänzender an dem, der vom Beschauer abgewendet ist. Dreht man sich nun um, so daß man nach dem Fenster hinblickt, so ist der blaue Schiller so gut wie ganz verschwunden und fehlt wirklich voll- kommen, wenn man sehr schräg auf die Flügelfläche hinsieht. Ganz genau dieselben Erscheinungen wiederholen sich, wenn man den Versuch wiederholt, während der Leib des Schmetterlings senkrecht zur Ebene des Fensters steht. Stellt man sich nicht gerade vor- oder rückwärts, sondern seitlich zum 26 4 ‚ Die Schillerfarben bei Insekten und Vögeln. 26 4 Fenster und hält den Schmetterling wieder gerade vor sich in Kopfhöhe, so gewinnt das Blau einen sehr deutlichen Stich ins Violette. Orientiert man nun einen Flügel auf dem Objekttisch eines Mikroskopes so, daß er wieder wie im vorigen Falle die Lage I einnimmt, d. h. die Wurzel dem Fenster, der freie Rand dem Beschauer zugewendet liegt, so bietet sich bei schwacher Vergrößerung im auffallenden Lichte ein auf den ersten Blick sehr überraschendes, zierliches Bild dar (Fig. 8. Man sieht nämlich jeder einzelnen Schuppe entsprechend ein schmales, intensiv blau leuchtendes Querband und da die Schuppen in regelmäßigen Querreihen geordnet sind, so erscheinen auch die blauen Binden in gleicher Anordnung, eine an die andere sich anschließend. Fig. 8. Alles andere ist vollkommen dunkel. In der Regel verlaufen diese Querbänder nicht genau in der Richtung von rechts nach links, sondern erscheinen etwas schräg geneigt. Beginnt man dann den Objekttisch in der Richtung des Uhr- zeigers zu drehen, so ändert sich zunächst nichts an der Erscheinung und nur eine un- wesentliche Verdunkelung des Blau macht sich Fig. 8. Diorhina Perianda. Flügelstückchen im auffallen- bemerkbar, wenn die Drehun g j den Licht gesehen (Lage I). Die weißen Linien leuchtend blau. Dar- 2 20 erreicht hat über Schema der Schuppenlage und Form. Lage der Schuppen wie und die Querbinden daher nahe parallel der Sym- in Fig. 7. . . . Fig. 9. Diorhina Perianda. Dasselbe Präparat nach metrieebene des Mikroskopes verlaufen. B ei Drehung um 180°. weiterer Drehung tritt dann aber sehr bald vor jeder blauen Binde eine zweite, genau parallel, sonst aber von gleicher Beschaffenheit aus dem Dunkel auf, wodurch die Zierlichkeit des so auffallenden mikroskopischen Bildes noch wesentlich gesteigert wird. Die Helligkeit beider durch einen ziemlich breiten tief dunklen Zwischenraum getrennten Querbänder erreicht ihr Maximum, wenn die Drehung 180° erreicht hat, d. h. wenn die Schuppenwurzeln dem Beobachter, die freien Ränder der Lichtquelle zugewendet sind. Hat die Drehung endlich 270° erreicht, so erscheint das zweite Querband schon wieder merklich verblaßt und schließlich von dem ersten immer weiter nach der Schuppenspitze hin abrückend bei etwa 315° nur noch blaß angedeutet, um endlich gänzlich zu erlöschen. Bei keiner Lage der Schuppen erscheint eine größere Fläche derselben unter den angegebenen Bedingungen leuchtend. Auch selbst dann nicht, wenn man ein Flügelstückchen aus beliebiger Stellung durch Heben des Objektträgers ın eine gegen das Fenster hin mehr oder weniger steil abfallende Lage bringt. Immer sieht man entweder eine oder 2 blaue Querbinden, die, aber immer nur teilweise, verschmelzen, also eine Art von breitem Ring bilden, wenn man einen Flügel, der ursprüng- lich horizontal in der Lage I sich befand, durch Heben des freien Randes in eine sehr stark geneigte Stellung bringt. Die anfangs einfache Querbinde verdoppelt sich bald und schließlich entsteht eine blaue Fläche mit einem dunklen Zentrum. Um zu einer Erklärung dieser so auffallenden Reflexionsphänome zu gelangen, erscheint es vor allem notwendig, die Formverhältnisse der Schuppen genau festzustellen, sowie ihre Lage gegen die Flügelebene zu bestimmen. Untersucht man ein Flügelstückchen im durchfallenden Lichte, so erkennt man zunächst, daß die ganze Schuppenbekleidung der Flügel wieder wie in allen früheren Fällen aus 2 Lagen besteht: Grundschuppen und Deckschuppen, welche letztere allein den farbigen Schiller erzeugen. 26 5 Die Schillerfarben bei Insekten und Vögeln. 265 Die ersteren sind, wie man an allen Stellen sieht, wo die Deckschuppen fehlen, viel weniger dunkel pigmentiert als diese, welche tief schwarz erscheinen, und wir begegnen daher hier zum erstenmal einem Fall, wo die Schillerschuppen selbst pigmentiert sind. Es ist klar, daß dadurch das für den vollen optischen Effekt so notwendige tiefe Schwarz als Hintergrund der schillernden Inter- ferenzfarben in größter Vollendung geschaffen wird. Ueberall nun, wo Deckschuppen (Schillerschuppen) mehr vereinzelt angetroffen werden, erkennt man auf dem hinreichend durchscheinenden Grunde ganz deutlich, daß jede einzelne derartige spatelförmige Schuppe bogenförmig gekrümmt ist und daß speziell das vordere Drittelmit einem plötzlichen Knick nach hinten und unten umbiegt. Das erste blaue Querband, welches infolge der äußerst starken Pigmentierung der Schuppen auch bei durchfallendem Lichte immer zu sehen ist, entspricht jener Partie der konvex ge- krümmten Schuppenoberfläche, welche unmittelbar vor der Knickungsstelle (von der Schuppenwurzel aus gerechnet) gelegen ıst. Wiewohl mit Ausnahme des blauen Querbandes die ganze Schuppe in I. Lage (Wurzel nach dem Fenster hin gerichtet) tief dunkel erscheint, so zeichnet sich doch das abge- knickte Vorderende durch ein besonderes tiefes Schwarz aus. Die Formverhältnisse dieses Schuppen- abschnittes lassen sich daher unter diesen Umständen auch gar nicht erkennen. Es ist zu diesem Zweck erforderlich, völlig isolierte Deckschuppen in durchfallendem Lichte zu untersuchen oder noch besser Längsschnitte anzufertigen, was nach entsprechender Einbettung ganz gut gelingt. Man überzeugt sich dann, daß auch das hakenförmig umgebogene vordere Drittel der im ganzen stark konvex nach oben (resp. nach der Flügelwurzel hin) gekrümmten Schillerschuppen noch zweimal der Quere nach geknickt ist, so wie es etwa die Fig. 8 u. 9 darstellten, worin die horizontale, verbindende Linie der Flügelmembran entspricht. Eine Schuppe von Amblypodia würde dagegen unter gleichen Verhältnissen im Längsschnitt ein Bild geben wie Fig. 7. Macht man sich aus einem Blatt Briefpapier ein entsprechendes Modell zurecht, so ist es leicht alle im Vorstehenden geschilderten Erscheinungen sich sozusagen im Groben vor Augen zu führen, indem man die Verteilung von Licht und Schatten studiert, während man das Modell in verschiedener Weise zum Fenster orientiert, gerade wie es oben in Bezug auf die Schuppen selbst beschrieben wurde. Man erkennt so auch leicht, wann und warum in gewissen Lagen zwei Querbänder, in anderen nur eines auftritt, und warum bei keiner Lage größere Flächen aufleuchten. Nur unter gewissen besonderen Beleuchtungsbedingungen kann es geschehen, daß auch der nicht abgeknickte Schuppenteil blaues Licht reflektiert und zwar fast in seiner ganzen Ausdehnung. Es ist dies dann der Fall, wenn auf einen Flügel in Lage I direktes Sonnenlicht auffällt, welches durch einen mit Seidenpapier über- spannten Holzrahmen gemildert wird. Aus Allem aber ergibt sich, daß nicht nur für die Farbe, sondern auch für die Intensität des reflektierten Lichtes der Winkel, unter welchem die Strahlen die Schuppenoberflächetreffen, von derallergrößten Bedeutung ist und daß schon sehr geringe Niveau-Differenzen der Schuppenfläche genügen, um die Reflexions- erscheinungen wesentlich zu schwächen oder zu verstärken. Unter den mir zur Verfügung stehenden Schmetterlingen fand ich nur noch zwei, bei welchen ähnliche Form- und Lageverhältnisse der Schuppen vorlagen wie bei Diorhina. Es war das ebenfalls eine Lemoniide, Lyropteryx lyra aus St. Catharina (Brasilien) und eine Lycaenide aus Amboina Hypochrysops Anacletus. Jenaische Denkschriften. XI. 34 Festschrift Ernst Haeckel, 266 Die Schillerfarben bei Insekten und Vögeln. 266 Der Bau und das optische Verhalten der grünblau schillernden Deckschuppen des erstgenanten Falters hält sozusagen die Mitte zwischen Amblypodia und Diorhina. Sie sind an den sonst gleichmäßig blauschwarzen Flügeln in Form schmaler, dem Verlauf der Rippen folgender Streifen längs des Außenrandes angeordnet und erscheinen wieder am lebhaftesten schillernd, wenn man schräg auf die Flügelebene herabblickt, indem man mit dem Rücken dem Fenster zugekehrt den Schmetterling so hält, daß die Längsachse des Körpers parallel zum Fenster verläuft. Auch hier ist der Schiller viel lebhafter an dem vom Beschauer abgewendeten als an dem zugewendeten Flügel. Hält man einen Flügel vor dem Fenster sitzend in Lage I mit dem freien dem Beschauer zugekehrten Außenrande etwas nach abwärts geneigt, so ist der Schiller ebenfalls sehr lebhaft und zeigt eine gelbgrüne Farbe. Nähert man dann den Flügel allmählich der Horizontallage, so ändert sich die Farbe durch Grün, Blau bis zu Violett, wobei der Glanz mehr und mehr abnimmt. Untersucht man nun im durchfallenden Lichte (Zeiß A), so tritt, da die Deckschuppen über einer verhältnismäßig schwach pigmentierten und daher recht durchscheinenden Lage von Grund- schuppen ziemlich vereinzelt stehen, ihre Form und Lage auf den ersten Blick überaus klar hervor. Man erkennt, daß es sich wieder um schmale langgestreckte Gebilde von der Form eines Spatels handelt, deren vorderer Abschnitt scharf nach hinten und unten umgebogen ist. Derselbe erscheint daher, da er vom Lichte abgewendet ist, in der ersten Schuppenlage tief dunkel. Die Grenze der Knickung ist durch ein gelbgrün schillerndes Querband markiert, welches infolge der ziemlich starken Pigmentierung der Schuppen auch im durchfallenden Lichte schon sichtbar wird (Fig. 10 u. ı1). e Der Rest der Schuppenoberfläche schillert namentlich nach der Wurzel hin grünblau bis blau. Hier und da finden sich auch Schuppen, deren Lage es bedingt, daß die ganze dem Lichte zugewendete schräg abfallende Schuppenfläche tief- blau leuchte. Immer ist die Reflexion an der Grenze der Umknickungsstelle am stärksten, sonst aber verhältnismäßig schwach. Man kann sie außerordentlich verstärken, wenn man den Objektträger, auf welchem sich der Flügel in Lage I be- find o hebt, daß die Flü ° Fig. 10. Lyropteryx lyra. Flügelstückchen ob8 ? i = ügelwurzel höher zu liegen kommt im durchfallenden Licht. Das helle Querband geb- und daher das Licht die unteren Partien der Schuppenfläche grün, der schraffierte Basalteil blau, die umgebogenen Vorderenden dunkel. Daneben Schema der Schuppen- schräger trilft. lage und Form. Dreht man den Objekttisch um 180°, so rückt das grün- Fig. ıı. Lyropteryx lyra. Eine einzelne w F y : Satrenme- glänzende Querband scheinbar immer weiter nach vorn und schließlich begrenzt es hier die Schuppe, d. h. es leuchtet nur noch ein dem oberen Rande des umgeknickten etwas konvex gekrümmten Schuppenanteils entsprechender Streifen. Alles übrige erscheint vollkommen verdunkelt. Ich glaube nicht, daß es nötig ist, eine genauere Erklärung aller dieser Erscheinungen zu geben, denn sie folgt unmittelbar aus den ge- schilderten Form und Lageverhältnissen. Am meisten verwickelt gestalten sich die Reflexionsphänomene bei Hypochrysops Anacletus (Amboina). Der Falter erscheint mit Ausnahme der Spitzen der Vorderfläche prachtvoll violett, wenn man von oben auf ihn heruntersieht, oder wenn man mit dem Rücken dem Fenster zugekehrt schräg auf die Ebene der Flügel blickt; indem man die Längsachse des Körpers parallel zum Fenster orientiert. 267 Die Schillerfarben bei Insekten und Vögeln. 267 Dreht man sich dann mit dem Gesicht nach dem Fenster hin, so verschwindet der farbige Schiller. voll- kommen und macht einem schmutzigen Graubraun Platz. Im auffallenden Lichte mit Zeiß A unter- sucht, erscheinen die Deckschuppen in Lage I (Flügelwurzel nach der Lichtquelle gerichtet) an den Hinterflügeln genau wie bei Diorhina durch ein schmales glänzend violettes Querband markiert, welches bei Drehung etwa um 90° in 2 schräg gestellte, etwas bogig gekrümmte längliche Flecken aus- einanderweicht, so daß der dunkle sie trennende Zwischenraum wie eine spaltförmige Pupille aussieht. Etwas anders gestaltet sich die Erscheinung an den Vorderflügeln. Hier erkennt man an geeigneten Stellen ganz deutlich, daß die betreffenden Schuppen, welche wie bei Diorhina ge- krümmt und geknickt sind, außerdem noch eine ganz besondere Lage in Bezug auf die Flügelebene besitzen. Ihre Querachse verläuft nämlich nicht wie in jenem Falle parallel zur Ebene der Flügelmembran, sondern ist gegen dieselbe beträcht- lich geneigt und zwar kopfwärts in der Richtung von hinten nach vorn, so daß in der Lage I nur ein seitlicher etwa dreieckiger Bezirk der Schuppenfläche vom Lichte unter günstigem Einfallswinkel getroffen wir. Dreht man den Objekttisch um 180° in der Richtung des Uhrzeigers, so treten jetzt, wie bei Diorhina unter gleichen Umständen je 2 blaue Querbinden in der Nähe des Vorderendes auf, um bei weiterer Drehung um 90° wieder völlig zu erlöschen. Die Schuppen sehen dann ganz dunkel aus. | Da es sich um ein ohnedies etwas beschädigtes Exemplar handelte, welches ich schonen mußte so war ich nicht in der Lage, isolierte Schuppen zu untersuchen, glaube aber, daß man schon aus dem Verhalten, der in situ befindlichen Schuppen im auffallenden Lichte mit genügender Sicherheit auf ähn- liche Formverhältnisse wie bei Diorhina schließen darf. Der Unterschied beruht im wesentlichen auf der auch so schon leicht zu konstatierenden seitlichen Schrägstellung der Schuppen. Erwähnt sei nur noch, daß zu diesen an sich schon so komplizierten Form- und Lageverhältnissen der reflektierenden Schuppenfläche als weiteres nicht unwesentliches Moment auch noch eine well- blechartige Faltung parallel der Längsachse hinzukommt, wie mit Sicherheit aus den ab- wechselnd dunklen und hellen Längsstreifen hervorgeht, welche innerhalb der leuchtenden Partien bei gewissen Schuppenlagen immer sehr deutlich hervortreten. Den äußersten Grad des Glanzes und der Sättigung erreichen die Schillerfarben ohne allen Zweifel bei gewissen tropischen Papilioniden und namentlich bei den Morphiden. Ich habe den- selben daher auch besondere Aufmerksamkeit zugewendet, muß aber bekennen, daß ich die vorher besprochenen Fälle in vieler Beziehung lehrreicher und interessanter gefunden habe. Ich will gleich mit einem der prächtigsten schillernden Schmetterlinge beginnen, mit dem brasilianischen Morpho Cypris. Örientiertt man den in wundervollem Atlasblau strahlenden Schmetterling so in der Nähe eines Fensters, daß das linke Flügelpaar genau in einer Horizontalebene liegt und mit dem freien Außenrande vom Fenster abgewendet ist, der Leib des regelrecht gespannten Falters aber der Ebene des Fensters parallel verläuft, so erscheint die Oberfläche der betreffenden Flügel völlig glanzlos bräunlich. Die Flügelachsen (ich verstehe darunter Linien, welche man sich von der Flügelwurzel je nach der Mitte des Außenrandes gezogen denkt) bilden dann mit der Körperachse etwa einen Winkel von 45°. Dreht man nun den Schmetterling um 90° in der Richtung des Uhrzeigers, während man immer auf den Kopf der Nadel, an der er gespießt ist, gerade herunter blickt, so erscheint über der ganzen Fläche gleichmäßig ver- 34 + 268 Die Schillerfarben bei Insekten und Vögeln. 268 breitet ein strahlendes Blau, während die 2 weißen Fleckenbinden auf den Flügeln sich mit einem rosen- roten Hauch überziehen. Nach Drehung um 180° ist der farbige Glanz wieder völlig verschwunden, um bei 270° neuerdings aufzutauchen. Ich will zur besseren Verständigung diese 4 Lagen des Schmetterlings, in welchen er zweimal hell und zweimal dunkel erscheint, als Lage I, II, III und IV bezeichnen. Dreht man bei Lage I den Falter um die Längsachse seines Körpers derart, daß der Außenrand der dem Beschauer zugewendeten Flügel sich hebt, die Flügel- flächen also nach dem Fenster hin schräg abfallen, so tritt sehr bald das gleiche Atlasblau hervor, wie bei Drehung in der Horizontalebene um die Nadel als Achse. Wenn die Flügelebenen mit der Horizontalebene einen Winkel von etwa 45° bildet, erlischt das helle glänzende Blau und an seine Stelle tritt dann ein dunkles gesättigtes aber mattes Violett, während sich die weißen Querbinden blaßgelb färben. Dabei ist immer vorausgesetzt, daß der Kopf des Beobachters in gleicher Lage, d. h. senkrecht über dem Leib des Schmetterlings bleibt. Bei sehr schräger Neigung des betreffenden Flügelpaares erlischt auch das Violett und es tritt wieder jenes matte Braunschwarz an seine Stelle. Das rechte Flügelpaar, welches also in Lage I die Außenränder dem Fenster zuwendet, zeigt bei allen den ge- schilderten Lageveränderungen immer gleichzeitig genau dieselben Farbenerscheinungen wie das linke. Daraus ergibt sich unmittelbar, daß Lage I und III in jeder Hinsicht als identisch gelten können. Dasselbe gilt andererseits auch von Lage II und IV. Wird in diesem letzteren Falle der Schmetterling um die Querachse seines Körpers gedreht, so daß einmal der Kopf, das andere Mal der Hinterleib nach dem Fenster hin gehoben wird, so gewinnt das Blau einen mit zunehmender Neigung der Flügelebenen zunächst immer deutlicher hervortretenden Stich ins Grün- liche, der erst bei sehr starker Schrägstellung wieder ins Violett umschlägt. Ganz ähnlich wie im geraden Aufblick unter den vorher angegebenen Bedingungen verhält sich der Schmetterling in den genannten 4 Lagen auch dann, wenn man ihn, mit dem Rücken dem Fenster zugekehrt, in Kopfhöhe vor sich hält und schräg darauf blick. Dreht man sich dann mit dem Gesicht nach dem Fenster hin, so erscheinen die Flügel bei gleichem schrägen Aufblick in allen 4 Lagen violett, besonders intensiv aber und sogar mit einigem Glanz in Lage I und III. Hält man in einer dieser beiden Lagen den Schmetterling immer tiefer, so geht das Violett allmählich in glänzendes Blau und schließlich Grünlichblau über. Sehen wir nun zu, wie sich die schillernden Deckschuppen in situ bei mikroskopischer Beobachtung im auffallenden Lichte verhalten. Ganz in Uebereinstimmung mit dem Aussehen des Schmetterlings bei Betrachtung mit bloßem Auge erscheinen die verhältnismäßig großen schaufelförmigen Deckschuppen, welche, wie bee Amblypodia, an sich dunkel pigmentiert sind und außerdem noch über den gleichfalls dunklen Grundschuppen ausgebreitet liegen, völlig glanzlos und dunkel, wenn man bei möglichst genauer Horizontallage des Flügels, der sich auf dem Objekttisch in L Lage befindet, mit schwächeren Versrößerungen (ZeißznN) unge sucht. Die Schuppen befinden sich dann ebenfalls in I. Lage, d. h. ihre Längsachse steht zur Ebene des Fensters senkrecht und ihre Wurzeln sind diesem zugewendet. Dreht man nun um etwa 45° in der Richtung des Uhrzeigers, so leuchten die Schuppen auf, und zwar strahlt die in Wirklichkeit dem Fenster zugewendete Hälfte (im mikroskopischen Bilde natürlich umgekehrt), grünliches, die andere blaues Licht aus. Das Maximum der Helligkeit des dann einfarbig blauen Reflex- lichtes tritt ein, wenn der Flügelin die Il. Lage gekommen ist und die Schuppen- achse daher parallel dem Fenster verläuft. Wieder fällt wie in früheren Fällen auf, daß das Blau nicht gleichmäßig über die Fläche einer Schuppe verteilt ist, sondern in Form von überaus 269 Die Schillerfarben bei Insekten und Vögeln. 269 deutlichen, der Schuppenachse parallelen Stricheln und Streifchen auftritt, welche durch tiefdunkle Zwischenräume voneinander getrennt sind. Man wird also auch hier wieder ein besonderes Relief der Schuppenoberfläche annehmen müssen, durch welches Niveauunterschiede bedingt werden, die ihrerseits wieder den Einfallswinkel des Lichtes beeinflussen. Da ein trockener Flügel häufig nicht ganz eben ist, sondern leichte Faltenbildungen an dieser oder jener Stelle auftreten, und da andererseits der Farbenton des reflektierten Lichtes wesentlich von der Größe des Einfallswinkels abhängt, so wird es erklärlich, daß bei Durchmusterung einer größeren Fläche immer Stellen gefunden werden, wo die Schuppen entweder ganz oder wenigstens teilweise und dann immer in der vom Fenster abgewendeten Hälfte einer konvexen Falte violett gefärbt erscheinen, wenn der Flügel sich in II. oder IV. Lage befindet. Namentlich schön habe ich diese Erscheinung bei dem sich im übrigen in allen Punkten ganz gleich verhaltenden Morpho Rhetenor (Brasilien) gefunden. In Bezug auf die Lage der Schuppen zur Flügelebene ist vor allem hervorzuheben, Beabssier siegen dieselbe nicht wie in allen früheren Beispielen geneigt sind, sondern horizontal (wiewohl nicht flach) aufliegen. Dies geht schon daraus hervor, daß man bei einer und derselben Einstellung die Details auf der ganzen Oberfläche gleich deutlich erkennt, während man dort den Tubus merklich und oft beträchtlich heben mußte, um die Spitze bezw. die dieser zunächst gelegenen Bezirke scharf zu sehen. Ueber die Form der einzelnen Schuppe erhält man den besten Aufschluß, wenn man mittels einer Konvexlinse das Licht eines Auerbrenners von der Seite her auf einen in I. Lage befindlichen Flügel fallen läßt und mit Zeiß C beobachtet. Die Schuppen zeigen dann mit Ausnahme des äußersten, von der Flamme abgewendeten Randes grünlichen Schiller und heben sich sehr plastisch vom Grunde ab. Man erkennt mit größter Deutlichkeit, daß jede einzelne Deckschuppe etwa wie ein Hohlziegel geformt, d. h. um ihre Längsachse flach gebogen ist. Die Form ihres Querschnittes würde demgemäß etwa so aussehen: —M. Da es nun, wie aus allen vorhergehenden Beispielen ersichtlich wird, für das Auftreten von Schiller bei geradem Aufblick erforderlich ist, daß die reflektierende Fläche gegen das einfallende Licht geneigt liegt, gerade wie eine Glasplatte kein Licht ins Auge spiegelt, wenn sie in der Nähe des Fensters auf dem Tische liegt und man gerade von oben darauf herunter sieht, so wird sofort klar, warum im vorliegenden Falle die Schuppen ganz dunkel bleiben, wenn sich der Flügel in Lage I oder III befindet, dagegen in maximaler Helligkeit leuchten, wenn Lage II oder IV gegeben ist. Es wird verständlich, warum in diesem letzteren Falle fast die ganze Schuppenfläche leuchtet mit Ausnahme eines Randbezirkes der vom Lichte abgewendet ist, denn infolge der relativ flachen Wölbung wird jede Schuppe fast in ihrer ganzen Ausdehnung von wirksamen Strahlen getroffen, deren Einfallswinkel um so größer wird, je weiter der betreffende Punkt vom Fenster abliegt. Desgleichen lassen sich alle Aenderungen im Farbenton des reflektierten Lichtes leicht verstehen, vor allem die Beimischung von Grün, wenn man die Flügelebene in Lage II oder IV aus der Horizontallage nach dem Fenster zu neigt, denn hierbei werden die Einfallswinkel verkleinert. Im umgekehrten Falle entsteht Violett, welches den höchsten Grad der Intensität erreicht, wenn man bei Lage I oder III sehr schräg auf die Flügelebene blickt, so daß nur Strahlen ins Auge gelangen, welche unter sehr großen Einfallswinkeln gespiegelt werden. Von Interesse sind auch die Erscheinungen, wie sie sich mit dem Vertikal-Illuminator bei Anwendung stärkerer Vergrößerungen (Zeiß D) darbieten. Auch hier machen sich je nach der 270 Die Schillerfarben bei Insekten und Vögeln. 270 Lage-der Schuppen in der Ebene des Objekttisches, sowohl bleziielnehseden Intensität wie hinsichtlich der Farbe des reflektierten Lichtes ganz auffallende Unterschiede bemerkbar. Befindet sich das Flügelstückchen mit seiner natürlichen Beschuppung unter dem Mikroskope in Lage I oder III, steht demnach die Schuppenlängsachse senkrecht zur Ebene des Fensters, so ist die Intensität des reflektierten Lichtes am geringsten, seine Farbe gelbgrün mit wenig zwischenliegendem Blau. Die streifige Anordnung der Farben ist außerordentlich deutlich; stellenweise leuchten kleine Streifchen in hellgelbgrüner Farbe auf. Bringt man dagegen die Schuppen in Lage II oder IV, wobei ihre Längsachse dem Fenster parallel verläuft, so erscheinen sie sehr hell und leuchten in schön himmelblauer Farbe Die durch nach oben vorspringende Rippen erzeugte Kanellierung der Schuppenoberfläche tritt dann überaus deutlich hervor. Obschon fast die ganze Fläche gleichmäßig blau erscheint, bemerkt man doch immer noch hier und da vereinzelte hell gelbgrüne Strichelchen. Ich kann nicht zweifeln, daß diese Verschiedenheiten in Helligkeit und Farbe hier zum Teil mit auf jene Niveaudifferenzen zurückzuführen sind, welche durch die einen Skulptur der Schuppenoberfläche bedingt werden. Benetzt man ein Flügelstückchen von Morpho mit Alkohol, so ändert sich, wie es auch schon früher bei anderen blau schillernden Schmetterlingen beschrieben wurde, momentan die Schillerfarbe und es tritt ein prachtvolles Goldgrün hervor von ganz ähnlichem Farbenton und Glanz wie an den Flügeldecken so vieler Käfer. Durch einfaches Trocknen läßt sich jederzeit das ursprüngliche Blau wieder herstellen. Sehr prächtig gestaltet sich der Anblick eines solchen Alkoholpräparates bei schwacher Vergrößerung (Zeiß A) im auf- fallenden Lichte. An Stelle des glänzenden Blau tritt nun bei Lage II und IV der Schuppen ein inten- sives Grün, welches auch dann bestehen bleibt, wenn man den Alkohol durch Wasser oder Glycerin ersetzt. Im durchfallenden Lichte sehen dann die Deckschuppen, welche an vielen Stellen ganz allein vorhanden sind, hell ockergelb aus. Die Grundschuppen sind bei M. Cypris schmal und gestreckt und verlaufen schräg zu den Deckschuppen. Wählt man zur Benetzung stärker licht- brechende Flüssigkeiten, so wird die Reflexion grünen Lichtes in den geeig- neten Lagen immer schwächer und schwächer. So ist der grüne Schiller schon bei Anwendung von Chloroform viel weniger lebhaft und erscheint in Benzol fast, unter Schwefelkohlenstoff völlig erloschen. Weitere wertvolle Aufschlüsse lieferte die Untersuchung des aus Columbien stammenden wundervollen Morpho Sulkowskyi. In Bezug auf die Bedingungen des Hervortretens resp, Schwindens der blauen Sehillerfarbe besteht völlige Uebereinstimmung mit den beiden eben besprochenen Arten. In I. und III. Lage er- scheinen die Flügel unter gleichen Bedingungen wie früher ganz blaß ockergelb, sie sind aber so durch- sichtig, daß im geraden Aufblick die dunkleren Augen und Bindenzeichnungen der Unterseite durch- schimmern und in allen Einzelheiten wie durch einen zarten gelben Schleier sichtbar sind. In Lage II und IV erglänzt dagegen die ganze Oberfläche aller 4 Flügel in hellem Himmelblau, so daß von der Unterseite nichts mehr zu sehen ist. Unter denselben Bedingungen, wo bei M. Cypris und M. Rhetenor dunkelviolett hervortritt, zeigt sich im vorliegenden Falle ein zartes aber sehr glänzendes und gesättigtes Hellviolett (Lila). 271 Die Schillerfarben bei Insekten und Vögeln. 271 Untersucht man einen Flügel im auffallenden Tageslicht mit Zeiß A, so erscheinen in Lage I und III die Deckschuppen völlig glanzlos; man erkennt durch sie hindurch die wieder schräg gekreuzt verlaufenden schmalen dunkleren Grundschuppen. In Lage II und IV leuchten die ersteren auf, aber weder die Intensität noch die Farbe des reflektierten Lichtes ist über die ganze Schuppenfläche gleich- mäßig verteilt. Vielmehr erkennt man, daß diese in zierlichster Weise mit violetten und grünblauen Strichelchen übersäet ist, die sämtlich parallel der Längsachse verlaufend offenbar den Rippen und deren Zwischenräumen folgen. Das Violett gewinnt die Vorherrschaft an dem vom Fenster abgewendeten Schuppenrande, hier und da erscheint dieser Teil der Schuppen ganz einfarbig violett. Warum erscheinen nun bei M. Cypris, die gewissermaßen den Grund bildenden Strichelchen ganz dunkel schwarz, hier aber violett? Eine Antwort auf diese Frage kann wieder nur eine vergleichende Untersuchung der Form und vor allem der Lage der Deckschuppen zur Flügelebene geben. Schon bei Betrachtung mit bloßem Auge kann man sehen, daß in Lage II und IV von zufälligen konvexen Falten der Flügel violettes Licht ausstrahlt und zwar auf der Zimmerseite, was leicht begreiflich wird, wenn man berücksichtigt, daß _ alle Strahlen, welche die vom Fenster abliegende Faltenwand, deren Ebene also nach der Zimmerseite hin schräg abfällt, noch treffen, einen größeren Einfallswinkel besitzen als die übrigen und daher die dort befindlichen Schillerschuppen gewissermaßen streifend beleuchten. Was nun vom ganzen Flügel gilt, das gilt offenbar auch für jede einzelne Schuppe, wenn dieselbe, wie es wirklich der Fall ist, konvex um ihre Längsachse gekrümmt und außerdem an der Oberfläche von erhabenen Rippen durchzogen ist, zwischen welchen mehr oder weniger tiefe Furchen liegen. Fältelt man ein rechteckiges Blatt Briefpapier nach Art eines Fächers, aber so daß alle einzelnen möglichst zahlreichen und schmalen Falten untereinander und den langen Seiten des Rechteckes parallel verlaufen, so hat man gewissermaßen ein rohes Schuppenmodell vor sich. Gibt man nun demselben noch eine entsprechende konvexe Krümmung um eine Längsachse, so daß es die Form eines Hohl- ziegels gewinnt, so kann man sich bei geeigneter Beleuchtung und richtiger Orientierung des Modells ein ganz gutes Bild von den Reflexionsverhältnissen an den ja auch außerordentlich fein der Länge nach gefältelten oder kanellierten Schuppen machen. Hält man das Modell so in der Nähe einer Lampe, daß seine beiden Achsen horizontal liegen, die Längsachse aber außerdem von rechts nach links verläuft, so daß das Licht von der dem Beschauer abgewendeten langen Seite her schräg von oben einfällt, dann sieht man sofort, daß bei geradem Aufblick im allgemeinen nur diejenigen Faltenflächen für die Reflexion in Betracht kommen, welche nach der Lichtquelle hin schräg geneigt und daher vom Beobachter abgekehrt sind; da nun ihre Neigung zum einfallenden Licht in derselben Richtung stetig ab- nimmt, indem sich die spiegelnden Ebenen mehr und mehr der Horizontalen nähern, so wird es leicht verständlich, warum die Farbe des reflektierten Lichtes in beiden Schuppenhälften verschieden ist. Denn da die Einfallswinkel um so größer werden, je weiter die spiegelnden Schuppenbezirke von der Lichtquelle abliegen, so muß, wie es bei Morpho Sulkowskyi und ebenso auch bei M. Rhetenor der Fall ist, in Il. und IV. Lage von der vom Lichte abgewendeten abschüssigen Schuppenhälfte violettes, von der anderen dagegen blaugrünes Licht reflektiert werden. Es läßt sich nun am Modell auch sofort erkennen, daß diese Er- scheinung etwas anders sich gestalten wird, je nachdem beide Schuppenachsen annähernd horizontal liegen, oder aber, wenn die Querachse, wie es bei M. Sulkowskyi der Fall ist, merklich und zwar nach dem Kopfende des Tieres hin schräg geneigt, die ganze Schuppe also gewissermaßen etwas um 272 Die Schillerfarben bei Insekten und Vögeln. 272 ihre Längsachse gedreht ist. (In viel geringerem Grade ist dies auch schon bei M. Cypris der Fall.) - Dann werfen nämlich innerhalb der dem Fenster zugewendeten Schuppenhälfte nur diejenigen Falten- flächen Licht ins Auge, welche dem Beobachter zugekehrt sind, also vom Fenster her nach der Zimmerseite zu schräg abfallen. Sie werden natürlich vom Lichte unter großem Einfallswinkel getroffen; aber auch die anders verlaufenden spiegelnden Flächen der diesseitigen Schuppenhälfte, die vom Be- schauer abgekehrt liegen, werden noch verhältnismäßig schräg vom Lichte getroffen und reflektieren daher wie jene vorzugsweise violettes Licht. Die vielfachen Unterbrechungen der leuchtenden Längsstreifen, die sich immer bemerkbar machen, finden ihre Erklärung leicht in kleinen Unregelmäßigkeiten in Verlauf und Lage der spiegelnden Flächen, wodurch die Schuppenoberfläche nicht sowohl farbig gestreift als vielmehr gestrichelt erscheint. Sollte überhaupt noch ein Zweifel aufkommen können, bezüglich der Frage, ob nicht etwa doch bei den beiden vorgenannten Morpho-Arten, das nicht nur in den Grundschuppen, sondern auch in den eigentlichen Schillerschuppen reichlich enthaltene dunkle Pigment etwas mit der Entstehung des glänzenden Blau zu tun hat, so würde M. Sulkowskyi den entscheidenden Beweis dagegen liefern, Untersucht man hier ganz isolierte Deckschuppen trocken, so erscheinen sie rötlichgelb gefärbt, werden aber nach Verdrängung der Luft durch Alkohol wie jene der meisten Lycaeniden fast ganz farblos. Im auffallenden Lichte zeigen sie dann denselben schönen goldgrünen Glanz nur gelblicher wie die beiden anderen Morpho-Arten. Sie ent- halten keine Spur körnigen Pigmentes. Wie überaus verwickelt mitunter die optischen Schillereffekte zu stande kommen, lehrt der Befund bei dem südamerikanischen Morpho Peleides, der, so zu sagen, eine Vereinigung alles dessen bietet, was wir bisher kennen gelernt haben. Hier finden wir nicht weniger als zwei Lagen in verschiedenen Farben schillernder Schuppen übereinander, unter welchen sich noch eine 3. Lage dunkel pigmentierter Grund- schuppen befindet. Dementsprechend ist auch der Schiller sehr wechselnd unter verschiedenen Bedingungen, wiewohl lange nicht so prächtig und gesättigt in der Farbe wie bei anderen Morphiden. In Lage I erscheinen in der Nähe eines Fensters bei ganz geradem Aufblick die dem Beschauer zugekehrten (linken) Flügel blaß grünlichgelb mit schönem atlasartigen Glanze, während das andere (rechte) Flügelpaar dunkel, fast glanzlos und nur nach dem Fenster hin mit einem leichten schillernden Hauch überzogen erscheint. Aehnlich, nur etwas weniger grün (mehr blau) sehen alle 4 Flügel aus wenn man den Schmetterling um die Nadel als Achse von 90° Grad dreht (Lage II). Lage III bietet wieder genau dasselbe Bild wie Lage I, während Lage IV mit Lage II korrespondiert. Wendet man dem Fenster den Rücken zu und hält man dann den Schmetterling gerade vor sich, so daß die Längsachse seines Körpers parallel zum Fenster verläuft, so erscheinen die Flügel matt glanzlos und wie mit weißbläulichen Reif überzogen. Dreht man das Tier jetzt um 90° (um die Nadel als Achse) so taucht wieder der grünliche Schiller auf und nur die Umgebung der Flügelwurzeln sieht ziemlich blau aus. Wendet man sich nun wieder dem Fenster zu und blickt etwas schräg auf die Flügelflächen hin, so tritt das Blau sehr stark hervor und nur ein leichter Hauch von grünlichem Schiller liegt sozusagen darüber ausgebreitet und dämpft den Glanz der Farbe. Auch bei schrägstem Aufblick läßt sich das Blau, welches, wie auch der Schmetterling in der Horizontalebene gelagert sein mag, immer hervortritt, nicht in Violett überführen. 273 Die Schillerfarben bei Insekten und Vögeln. 23718 Die Erklärung aller dieser Erscheinungen liefert sofort die mikroskopische Untersuchung. Mit Zeiß A erkennt man im auffallenden Lichte an oberflächlich lädierten Stellen sofort die beiden ver- schiedenen Lagen von Schillerschuppen, am deutlichsten in I. Lage des Flügels, wobei die Längsachsen der Schuppen senkrecht zur Ebene des Fensters stehen und die Schuppenwurzeln nach diesem hin gerichtet sind. Das Bild, welches man dann erblickt, ıst ein sehr eigentümliches. Zu oberst sieht man in regelmäßigen Querreihen geordnet sehr breite, wie Glas durchsichtige Schuppen liegen, die sich in der Richtung der Längsachse teilweise überdecken. Jede weiter hinten gelegene Schuppe greift mit ihrem Vorderende etwa über ein Drittel der nächsten Vorderreihe hinüber. Auch seitlich sieht man diese Schuppen sich vielfach teilweise überdecken. Sowohl in Bezug auf Form wie Lage erinnern sie auf den ersten Blick an jene von Amblypodia Tamiris. Hier wie dort erscheint in der angegebenen Lage das vordere Drittel der Schuppenfläche verdunkelt, während der Rest farbiges und zwar im gegebenen Falle blaßgrünliches Licht reflektiert. Unter diesen, wie schon erwähnt, ganz durchsichtigen Schuppen, treten nun an Stellen, wo dieselben zufällig entfernt wurden, andere hervor, die in Bezug auf Form und Verhalten im wesentlichen den blauen Schillerschuppen der anderen Morpho-Arten entsprechen. Sie reflektieren in der angegebenen Lage grünliches Licht. Die streifige Verteilung der Farben ist dieselbe wie bei anderen Morphiden. Bringt man nun durch Drehen des Objekttisches den Flügel in Lage II, wobei die Schuppenachsen dem Fenster parallel verlaufen, so leuchten die Oberschuppen in ihrer ganzen Ausdehnung in einem blaßblaugrünlichen Licht, durch welches man Beer 7t fast dunklen nur hier und da etwas blau gefärbten Elemente der 2. Schuppenlage durchschimmern sieht. Bei weiterem Drehen im Sinne des Uhrzeigers verdunkeln sich beide Schuppenlagen, aber nur die Elemente der tieferen Schichten werden bis auf den vordersten Rand ganz dunkel, an den Oberschuppen bleibt dagegen das ganze vordere Bose matileuchtend, wenn der Flüsel ın Lage III gekommen ist. In Lage IV endlich ist das Bild genau das Gegenstück von Lage I, soweit es sich um die Oberschuppen handelt. Die vorderen Drittel derselben leuchten sehr hell auf in grünlichweißem Lichte Die tiefere Schuppenlage erscheint aber noch dunkel, und hellt sich erst auf, wenn man noch weiter gegen die I. Lage hin um etwa 45° dreht. Dann ist das Blau dieser Schuppen intensiv und am reinsten. Kurz vorher erscheinen die Oberschuppen in ihrer ganzen Ausdehnung grünlich leuchtend. Um über Form und Lageverhältnisse der Schuppen noch besseren Aufschluß zu erhalten, wenden wir uns zur Untersuchung isolierter trockener Schuppen. Man erkennt dann, daß die Oberschuppen durchsichtige stark gewölbte Elemente darstellen, die etwa die Form einer halben Wallnußschale besitzen und an der Oberfläche stark vorspringende, hohle lufthaltige Rippen tragen, die sich leicht stellenweise ablösen. Im vorderen Drittel sind diese Schuppen besonders stark nach unten abge- bogen. Bei schwacher Vergrößerung erscheinen die lufthaltigen Rippen im durchfallenden Licht blau, wo sie fehlen oder nicht lufthaltig sind, tritt dagegen ein gelblicher Farbenton hervor. Nach Zusatz von Alkohol werden diese Schuppen sofort absolut farblos. Die Elemente der tieferen Schuppen- lage unterscheiden sich hinsichtlich ihres Baues nicht wesentlich von den blauschillernden Schuppen anderer Morphiden, es sei denn, daß man eine nicht unbeträchtliche Abknickung des vorderen Randbezirkes, die aber auch schon bei M. Rhetenor angedeutet ist, als Unterschied gelten lassen will. Bei dem letzterwähnten Schmetterling äußert sich dies unter anderem dadurch, daß die Schuppen im auffallenden Lichte in situ untersucht, in Lage IV, wobei die Wurzeln dem Jenaische Denkschriften. XI. 35 Festschrift Ernst Haeckel. 274 Die Schillerfarben bei Insekten und Vögeln. 274 Beobachter zugekehrt sind und die Längsachse senkrecht zum Fenster steht, an ihren freien Vorderrändern in zierlichster Weise leuchtend blau gesäumt erscheinen, sonst aber ganz verdunkelt bleiben Ümgekehrt zeigen sie ın Laser Wermensre schwarzen Vorderrand. Sehen wir nun zu, wie sich die beobachteten Reflexionserscheinungen wohl erklären lassen. Als Hauptunterschied zwischen M. Peleides und den anderen genannten Morpho-Arten ergibt sich vor allem der Umstand, daß dort das Maximum der Intensität des gespiegelten Lichtes in Lage II und III eintritt,:während beı M. Belerdes die den Schaess schuppen entsprechenden Elemente der 2. Schuppenlasiein den Haupt asenahe III und IV dunkel erscheinen und zwar in den beiden letzteren vollkommen, in Il aber mit einem noch deutlichen Schimmer. Denken wir uns eine Schuppe von M. Cypris oder Rhetenor nicht nach Art eines Hohlziegels gewölbt, sondern ganz flach und der Schuppenebene dicht angeschmiegt, so würde offenbar bei schrägem Lichteinfall und geradem Aufblick in keiner der 4 Hauptlagen ein farbiger Reflex bemerkbar werden, denn daß unter großem Einfalls- winkel gespiegelte Licht gelangt nicht ins Auge des Beobachter. Annähernd ist dies tatsäch- lich bei M. Peleides der Fall. Die relativ schwache Reflexion grünen Lichtes in Lage I erklärt sich durch eine geringe Neigung der Schuppenebene gegen die Ebene der Flügelmembran und zwar in der Richtung nach der Flügelwurzel hin. Daß aber das reflektierte Licht grün und nicht blau er- scheint beruht offenbar darauf, daß nur solche Strahlen ins Auge des Beobachters gelangen können, die unter sehr kleinem Einfallswinkel die spiegelnden Flächen treffen. Diese geringe Neigung der Schuppenebene in der angedeuteten Richtung läßt sich nun in der Tat sehr leicht feststellen, wenn man ein Flügelstückchen mit Alkohol imbibiert, wodurch die Oberschuppen infolge ihrer absoluten Durch- sichtigkeit und Farblosigkeit völlig unsichtbar werden. Die darunter gelegenen stark pigmentierten „Morpho-Schuppen“ aber werden hinreichend aufgehell, um alle Details ihres Baues erkennen zu können. Man sieht sehr deutlich die parallelen Längsrippen sowie anscheinend eine feine verbindende Querrippung. Stellt man nun auf die Schuppenspitzen scharf ein, so muß man den Tubus beträchtlich senken um die Gegend der Schuppenwurzel deutlich zu sehen. Auch läßt sich ohne weiteres erkennen, daß dieSchuppen so gut wie gar nicht um dielange Achse gekrümmtsind, also fast ebene Plättchen darstellen. Es kommt aber noch ein Anderes hinzu. Man findet regelmäßig, daß auch die beiden Längsseiten einer Schuppe nicht bei derselben Einstellung deutlich gesehen werden können, indem die eine merklich höher liegt als die andere, d. h. also jede Schuppe ist in der Richtung ihrer Querachse nicht unbeträchtlich und zwar kopfwärts geneigt, wie wir es auch schon. bei M. Sulkowskyiı gesehen haben. -Dadurch kommt es, daß die in Rede stehenden Schuppen in Lage II nicht völlig dunkel erscheinen, sondern mehr weniger blaues Licht reflektieren. Denn in diesem Falle ist die Schuppenebene nach dem Fenster hin geneigt und zwar merklich stärker als in Tage I. Daß die Schuppen in Tage II und IV völlig (bis auf den Vorderrand) verdunkelt bleiben, versteht sich nach dem Gesagten von selbst. Das abweichende Verhalten der durchsichtigen pigmentlosen Oberschuppen erklärt sich zur Genüge aus ihrer gewölbten Form, sowie durch die schwache Abknickung des vorderen Drittels. Da sie im übrigen bezüglich ihrer Lage zur Flügelebene durchaus mit den Unterschuppen überein- stimmen, so ergibt sich ihr optisches Verhalten unter den gegebenen Bedingungen ganz von selbst und ich habe wohl kaum nötig, noch näher darauf einzugehen. Erwähnen will ich nur, daß, ganz in Ueber- einstimmung mit der eben gegebenen Erklärung der Reflexionsphänomene in den 4 Hauptlagen, die 275 Die Schillerfarben bei Insekten und Vögeln. 2 Intensität des von beiden Schuppenlagen zurückgeworfenen Lichtes sehr rasch und unter gleichzeitiger Aenderung des Farbentones in Blau bei den tieferen Schuppen zunimmt, wenn man ein Flügelstückchen aus einer der 4 Hauptlagen gegen dieLichtquelle hin (das Fenster) durchentsprechendes Heben des Objekt- trägers in eine mehr und mehr geneigte Lage bringt, so daß nun auch solche Strahlen ins Auge gelangen können, welche die reflektierenden Flächen unter größerem Einfallswinkel treffen. Man sieht, daß infolge der besonderen Form und Lage der Schillerschuppen bei M. Peleides das für de Morphiden sonst so charakteristische strahlende Blau mehr in den Hintergrund tritt und nur unter besonderen Bedingungen der Beleuchtung und Lage des Schmetterlings über den grün- lichen Oberflächenschiller den Sieg davon trägt. Aehnliche Verhältnisse wie bei der oberen Schuppenlage von M. Peleides scheinen nach den Angaben von M. Baer auch bei Papilio asterias (Oberseite der Hinterflügel) vorzukommen. Das Silberblau wird hier durch zwei übereinander gelagerte Schuppenarten erzeugt. „Die Schuppen der oberen Lage sind längsgestreift und vollkommen durchsichtig, nur am Stiele mit perlmutter- artigem Schimmer. Wird nun aber die Unterlage verdunkelt, z. B. durch Berußen der Objektträger- unterseite oder einfacher durch Abhalten des durchfallenden Lichtes, so erscheinen sie schön blau. Diese dunkle Unterlage wird auf dem Falterflügel (wie fast in allen Fällen bei schillernden Schmetter- lingen. B.) durch eine Lage dunkelbrauner Schuppen gebildet“ (M. BAER). Bei Morpho anaxibia liegen nach M. Baer dem glänzenden Blau, wie bei M. Peleides dem Grünblau, zweierlei Schuppen zu Grunde: „Stark durchscheinende, blaßrötliche, aber in Kanada- balsam vollkommen unsichtbare Schuppen, welche die gröbste Längsstreifung aufweisen, die überhaupt beobachtet wurde, und unter diesen schokoladebraune, fein längs- und quergestreifte Schuppen, deren Querstreifen wiederum aus kleinen Längsleistchen sich zusammensetzen.“ Die letzteren (Pigmentschuppen) erzeugen mit ihrer Oberseite ein prachtvolles optisches Blau. Aber auch die Schuppen der oberen Lage erzeugen auf dunklem Grunde für sich allein Farbenerscheinungen, „allein diese Farben sind bei weitem nicht so lebhaft als die Interferenzfarben der unteren Schuppenlage“. BAER vermutet daher, „daß die ersteren bloß dazu dienen, die von den unteren Schuppen ausgehenden Farben zu verstärken oder ihnen einen bestimmten Farbenton beizumischen oder daß sie den außerordentlich lebhaften Glanz des Falters zu erhöhen bestimmt sind.“ Es wurde schon oben erwähnt, daß ein Lycaeniden-Flügel (z. B. Lycaena Bellargus) unter Alkohol ebenfalls schillert, und zwar von Grün durch Blau zu Violett, wenn Licht unter immer größeren Einfallswinkeln reflektiert wird. Ungleich farbenprächtiger gestaltet sich, wie zu erwarten war, diese Erscheinung an Morpho-Arten. Bringt man beispielsweise ein Flügelstück von M. Rhetenor in ein Schälchen mit Alkohol und betrachtet dasselbe am Fenster am besten mit der Lupe gerade von oben, so erscheint es in geeigneter Lage prachtvoll goldgrün glänzend. Hebt man es nun von der Zimmerseite her immer unter Alkohol gegen die Lichtquelle, so daß seine Ebene gegen diese hin mehr und mehr geneigt wird, so beobachtet man (am besten bei Lage I oder III der Schuppen) einen ganz ähnlichen Farbenwechsel wie bei den am schönsten schillernden Käfern (z. B. Sterno- cera), vom Grün durch alle Nuancen des Blaugrün zum Blau bis zu einem prächtigen gesättigten Violett. In nichts unterscheiden sich diese Erscheinungen von dem Farbenschiller der Käfer. Bei Morpho Peleides geht unter gleichen Bedingungen der Farbenschiller noch viel weiter, indem sich offenbar beide Schuppenlagen daran beteiligen. Hier 35* 276 Die Schillerfarben bei Insekten und Vögeln. 276 treten dann auch rotviolette (purpurne) Farbentöne, ja selbst reines Rot und Gelb als Schillerfarben auf. In manchem Sinne als gerades Gegenstück zu den tieferen Schuppen von Morpho Peleides können jene von Papilio Ulysses aus Amboina gelten. Im geraden Aufblick erscheint das Blau auf den Flügeln des prachtvoll gezeich- neten Falters in allen 4 Hauptlagen nahezu gleich hell, verändert sich aber in Violett, wenn man, nach dem Fenster hingewendet, in irgend einer Richtung schräg auf die Flügelebenen blickt. Dreht man dem Fenster dagegen den Rücken, so ändert sich unter sonst gleichen Bedingungen die Farbe in Grünblau. Betrachtet man einen Flügel unter dem Mikroskop in auffallendem Lichte bei schwacher Ver- größerung, so bieten die im allgemeinen wie bei Morphiden geformten Schillerschuppen ein äußerst zierliches Bild. Schon mit Zeiß A erscheint in Lage I die ganze Schuppenfläche mit Ausnahme des Vorderrandes, der wieder eine Strecke weit nach hinten übergebogen ist, gegittert, indem sich kräftige Längsrippen mit ebenfalls ziemlich dieken und weit voneinander ab. stehenden Querrippen kreuzen, so daß, wie sich bei stärkerer Vergrößerung zeigt, annähernd rechteckige Feldchen (Maschenräume) entstehen, die nun ein lebhaftes blaues Licht ausstrahlen, wie schon SPuULER ganz richtig beschrieben hat. Die Schuppenfläche gewinnt dadurch, nur sozusagen vergröbert, ein ähnliches Aussehen, wie wir es schon bei Amblypodia Tamiris kennen gelernt haben. Dreht man den Flügel dann in der Richtung des Uhrzeigers um 90°, Na so tritt eine nicht unerhebliche Verdunkelung ein und es bleiben UHR) eigentlich nur Längsreihen glänzend blauer Pünkt- —— chen sichtbar, die offenbar jenen Gittermaschen entsprechen. 2 m: ad Dia —ı In Lage III leuchtet namentlich das Vorderende der Schuppen ION = me: sehr intensiv, während Lage IV wieder fast ganz dem Bilde bei Lage II entspricht, nur ist die Intensität des reflektierten Lichtes beträchtlich größer. Alles dies erklärt sich sanz eintach aus Kocm „& ILICITITN ass sn Br I IF eana N II NIE TOT und Lage der Schuppen. Untersucht man ein mit Alkohol imbibiertes Flügelstückchen bei stärkerer Vergrößerung (Zeiß D), so läßt sich sofort folgendes feststellen: Jede Schillerschuppe te) I I Y ]J == III 7Z Zu m u ©, Cy] = AG ) ist zunächst nicht unbeträchtlich in der Richtung der langen Achse gebogen, sie erscheint ferner gegen den freien Außen- rand des Flügels etwas aufgerichtet, so daß sie nach der 5 a. Re Flügelwurzel zu geneigt ist. Endlich ist sie auch etwas um Krümmung ihrer Fläche zu zeigen. die Längsachse gekrümmt und in der Richtung der Querachse nach dem Körperende des Tieres hin geneigt. Im ganzen und großen haben wir es also hier mit einer Schuppenform zu tun, welche am meisten der der „Ober- schuppen“ bei Morpho Peleides entspricht und wie diese in allen Lagen, wenn auch in wechseln- der Stärke, leuchtend erscheinen, so ist es auch hier der Fall. Die äußerst zierliche Skulptur der Ulysses-Schuppen tritt namentlich bei Beobachtung: isolierter Elemente mit stärkeren Vergrößerungen hervor (Fig. 12). Trocken untersucht erscheinen sie ziemlich 277 Die Schillerfarben bei Insekten und Vögeln. DR, gesättigt dunkelgelb gefärbt, bei Benetzung mit Alkohol schlägt das Gelb sofort um in ein ganz unverkennbares, aber etwas trübes Rosenrot. Man sieht auf das allerdeutlichste die eigentümliche durch die sich kreuzenden Längs- und Querrippen bedingte Netz- oder Gitterstruktur, wobei man den Eindruck erhält, als ob die obere Flügelmembran sich über jeder Gittermasche nach oben vorwölbte. Es würde dadurch der optische Effekt natürlich ganz wesentlich gesteigert. Wir werden später bei einer anderen schillernden Papilio-Art eine ganz analoge, nur noch ausgeprägtere Reliefbildung an der Schuppenoberseite kennen lernen. Daß das vordere Schuppenende nach hinten und unten, d. h. nach dem Außenrande des Flügels zu mehr oder weniger umgebogen ist, kommt, wie die vorhergehenden Beispiele zeigen, ziemlich häufig vor, sehr viel seltener scheint das Umgekehrte der Fall zu sein. Ich habe bei einer Danaide aus Sıkkım Euploea Deione ein Beispiel dafür kennen gelernt. Hier schillern nur allein die Vorderflügel und zwar in dunkelblauer Farbe Bei geradem Aufblick von oben her ist aber die Erscheinung ausschließ- lich an die erste Hauptlage des betreffenden Flügels geknüpft. In keiner anderen Stellung ist, wenn die Flügelebene wirklich genau horizontal liegt, auch nur die geringste Spur von Schiller zu bemerken. Der Schmetterling sieht dann matt dunkelbraun aus. Blickt man in der Nähe des Fensters, mit dem Gesichte diesem zugewendet, schräg auf die Flügel hin, so tritt in gar keiner Lage farbiger Schiller auf. Dreht man aber dem Fenster den Rücken zu, so erscheint, wenn der Körper des Falters der Ebene des Fensters parallel verläuft, immer nur der Vorderflügel schillernd, dessen Außenrand vom Lichte abgekehrt ist. Betrachtet man nun ein Stückchen der sonst sehr undurchsichtigen Flügel nach Zusatz von Chloroform, so läßt sich durch Heben und Senken des Tubus leicht feststellen, daß die breiten, Febaufelförmigen Schillerschuppen nach vorn, d. h. nach der Flügelwurzelhin umgebogen sind und zwar besonders stark am freien Vorderrande. Außerdem ist jede dieser Schuppen wieder von der Flügelebene schräg aufgerichtet, derart, daß die Schuppenfläche nach der Schuppenwurzel hin geneigt verläuft. Es ist nun klar und läßt sich mittels eines entsprechend gebogenen Papiermodells leicht an- schaulich machen, daß, da die Schuppen außerdem eben, d. h. nicht um ihre Längsachse gebogen sind und da auch die Querachse der Flügelebene parallel verläuft, reflektiertes Licht nur dann ins Auge des gerade von oben auf sie blickenden Beobachters gelangen kann, wenn sie sich in Lage I befinden, d. h. wenn die Schuppenwurzel dem Fenster, der Vorderrand aber dem Beschauer zugekehrt ist. Ganz ähnlich verhält es sich auch bei der zu den Nymphaliden gehörigen Hypolymnas Bolina aus Amboina. Hier trägt das Männchen auf jedem der 4 ganz dunkelbraunen Flügel in der Mitte einen weißen, von einem mattblau schillernden Hof umgebenen Fleck. Der Hof erscheint wieder nur in I. und an- deutungsweise in II. Lage, in III. und IV. Lage fehlt jede Spur von Schiller. Unter dem Mikroskop (Zeiß A) sieht man im auffallenden Licht in Lage I nur einen mittleren Schuppenbezirk in Form eines ziemlich breiten Querbandes matt dunkelblau schimmern, während das vordere Drittel sowie die Basis dunkel bleiben. In jeder anderen Lage fehlt der an sich schwache blaue Schiller gänzlich. In Lage II und IV erscheinen die Schuppenspitzen dunkel, der Rest schimmert in ganz schwach bläulichgrauem 278 Die Schillerfarben bei Insekten und Vögeln. 27 8 Licht. Zwischen Lage I und IV gibt es eine Stellung (bei etwa 45° Neigung), wo mit Ausnahme des vorderen Drittels die ganze Schuppenfläche mattblau erscheint. Die beiden zuletzt besprochenen Fälle sind aus dem Grunde von besonderem Interesse, weil sie direkt zum Verständnis des Schillerphänomens bei unserem einheimischen „Schillerfalter“ (Apaturalris) hinführen, wo diese so auffallende optische Erscheinung schon mehrfach Gegenstand optischer Erörte- rungen gewesen ist. Schon in der Einleitung wurde erwähnt, daß bereits Röser mit seinen stärksten Vergrößerungen die schillernden Schuppen unserer Apatura-Arten untersucht hat und dabei zu der sonderbaren Ansicht kam, daß quer über die Schuppen ungefähr dreiseitigen Prismen ähnliche Gebilde zögen; von den beiden oberflächlichen Seiten dieser Leisten seien die einen braun die andern blau. Je nach der Stellung des Beschauers sehe dieser das eine Mal überwiegend die blauen, das andere Mal die braunen Flächen und daher komme eben das Schillern. Wenn auch natürlich diese Auffassung sich sehr bald als unhaltbar erwies, so hat man doch auch in der Folge der Skulptur der Schuppenoberfläche die wesentlichste Be- deutung für das Zustandekommen der Schillerfarbe zugeschrieben. So vertritt ARNOLD SPULER die Meinung, daß speziell mit Rücksicht auf die Apaturiden die Erscheinung der farbigen Reflexion durch „kleine kegelförmige Zäpfchen“ bedingt werde, welche auf der Schuppenoberfläche in Längsreihen angeordnet sind (Rippen). Diese „Höckerleistchen“ sollen bei schillernden Schuppen „enger aneinander stehen, als bei den andern, bei der tropischen Apatura seraphina mit ihrem viel intensiveren Farbenspiel, viel dichter als bei den matteren einheimischen Arten“. „Fällt das Licht von der Wurzel ein, so erscheinen die in Betracht kommenden Schuppen blau, sonst rot bis schwarzbraun, wie schon Röser richtig be- obachtet hatte; bei A. seraphina im ersteren Falle blau, sonst teils schwarzbraun, teils an dem Ende, nach der Lichtrichtung verschieden weit, strahlend grün“. Leider war mir die erste Arbeit von SPuLER in der Stettiner Entomologischen Zeitung vom Jahre 1890 nicht zugänglich und ich kenne daher auch die Gründe nicht, die ihn, wie er in seiner 2. Abhandlung in den Zoolog. Jahrb. von Spencer, Bd. VIII, 1895 mitteilt, bestimmten, anzunehmen, „daß an den Kegelleistchen das Phänomen statt- finden muß“ Auch ist mir nicht klar geworden, wie SPULER diesen Satz mit Bestimmtheit aufstellt und kurz vorher (p. 525) ausdrücklich hervorhebt, „daß bei den irisierenden und metallglänzenden Schuppen die Leistchen auf der Vorderplatte nicht in Höckerchen gegliedert sind.“ Zwischen Irisieren und Schillern besteht aber kein prinzipieller Unterschied und außerdem konnte ich mich von dem Vor- handensein solcher „Höckerleistchen“, wie sie SPuLER beschreibt, bei der großen Mehrzahl schillernder Schuppen nicht überzeugen. Später hat sich dann noch M. Baer über den blauen Schiller von Apatura (iris) geäußert (1899) und gelangte zu gleicher Ansicht über den Bau der Schuppen und das Zustandekommen des Schillers wie SPULER. „Die trockenen Schuppen erstrahlen bei schwacher Vergrößerung in einem prachtvoll glänzenden Veilchenblau, vorausgesetzt, daß das Objekt so gelagert ist, daß das Licht so ziemlich von der Stielseite der Schuppe her einfällt, unter einem Winkel von mindestens 45°. Bei veränderter Ein- fallsrichtung der Lichtstrahlen, sodann — wie alle Interferenzfarben — in Kanadabalsam und im durch- fallenden Licht verschwindet das Blau und macht der wirklichen Farbe der Schuppe, matt chokoladen- braun, Platz. Die Schuppen tragen auf ihrer Oberfläche dicht gestellte Längsreihen zarter, kegelförmiger Chitinhöckerchen, in denen ausschließlich das diffuse Pigment vorhanden ist. Die untere Schicht der Schuppe ist vollkommen farblos und durchsichtig. Es liegt also hier die dunkle Pigment- schicht über der durchsichtigen und deshalb nehme ich (Baer), in Uebereinstimmung 279 Die Schillerfarben bei Insekten und Vögeln. 279 mit SpuLer an, daß die farbige Zerlegung des Lichtes (Schillern) an den Skulpturen erfolgt“ Worauf aber das Verhalten bei verschiedener Einfallsrichtung der Lichtstrahlen beruht, gelang weder SpurErR noch M. BAER herauszufinden. Der letztere äußert sich hierüber wie folgt: „Ich habe die Schuppen dieses Falters (A. iris) lange und sorgfältig untersucht, ohne daß es mir gelungen wäre, etwas Neues herauszufinden; und doch vermute ich, daß sich zuletzt das Verhalten bei verschiedener Einfallsrichtung der Lichtstrahlen auf ganz einfache Einrichtungen zurückführen läßt.“ Die in der Tat ganz einfache Lösung des Problemes hat bereits B. WALTER gefunden. Er weist darauf hin, „daß die das farbige Licht reflektierende Oberfläche der Schuppen mit der Fläche des Flügels oft einen ziemlich großen Winkel bildet. In solchen Fällen sind dann das Auftreten und die Verände- rungen des Farbenschillers mit dem Einfallswinkel natürlich nicht symmetrisch zur Flügelfläche“ Die im Vorstehenden mitgeteilten Tatsachen liefern eine Fülle von Belegen für die Richtigkeit dieser Deutung, B. WALTER hat nun auch schon speziell darauf hingewiesen, daß „bei unserem einheimischen Schiller- falter (Apatura iris), sowie auch bei mehreren Hypolimnas-Arten die schillernden Schuppen an ihren freien Enden nach oben hin umgebogen sind, so daß deswegen der Glanz nur dann entstehen und beobachtet werden kann, wenn sowohl die Lichtquelle wie auch das beobachtende Auge sich auf der Seite der Stiele der Schuppen befinden.“ (B. WALTER). Da ich bezüglich Apatura die Angaben der vorgenannten Autoren in allen wesentlichen Punkten nur bestätigen kann, so darf ich mich bei Beschreibung meiner eigenen Befunde sehr kurz fassen. Es stand mir Apatura llia var. Clystie (Deutschland) und Apatura cherubina aus Südamerika zur Verfügung. Bei der ersteren tritt der veilchenfarbige Schiller bei geradem Aufblick nur in Lage I hervor, fehlt aber in den 3 anderen Hauptlagen vollkommen. In schrägem Aufblick ist von Schillern überhaupt nichts zu bemerken. Auch bei mikroskopischer Untersuchung erscheinen natürlich die Schuppen nur in Lage I violett leuchtend, sonst aber dunkel. Wird ein Flügel- stückchen mit Chloroform aufgehellt und im durchfallenden Lichte bei starker Vergrößerung untersucht, so läßt sich durch wechselnde Einstellung sehr leicht die nach vorn und oben gerichtete Umbiegung der Schuppenenden, sowie auch die Aufrichtung und Schrägstellung der ganzen Schuppe erkennen. Die Querachsen erscheinen kopfwärts geneigt. Auf den feineren Bau der Schuppen komme ich später noch zurück, hier sei nur erwähnt, daß bei genügend starker Vergrößerung (Zeiß homogene Immersion !/, Apochrom. Okul.) die Oberfläche durch dicht gestellte Längsreihen kleiner, stark lichtbrechender Zäpfchen ausgezeichnet erscheint, welche hier offenbar den glatten Tängsrippen in vielen anderen Fällen entsprechen und daß ferner im Schuppenhohlraum runde dunkelbraune Pigmentkügelchen in großer Zahl liegen. Mit die schönsten, aber auch raffiniertesten und in ihren Einzelheiten nicht leicht aufzuklärenden Schillereffekte bietet die südamerikanische Apatura cherubina. Betrachtet man den Schmetterling bei Horizontallage aller 4 Flügel in der Nähe eines Fensters gerade von oben herab, während er sich in Lage I befindet, so erscheint auf jedem Flügel gerade in der Mitte je ein breiter, von vorn nach hinten gerichteter bandförmiger Fleck oder Streif. Die Farbe ist auf den dem Beobachter zugewendeten (linken) Flügeln ein leuchtendes Goldgrün, rechts dagegen ein ganz mattes Gelbgrün. Bringt man nun den Falter durch Drehung um die Nadel 280 Die Schillerfarben bei Insekten und Vögeln. 280 im Sinne des Uhrzeiges in Lage II, so erscheinen alle 4 Binden ziemlich matt gelbgrün. Lage II entspricht durchaus Lage I, desgleichen korrespondieren Lage II und IV. Blickt man von der Zimmerseite her schräg auf die horizontalen Flügelflächen, so geht in jeder der 4 Hauptlagen das Gelbgrün im geraden Aufblick zunächst in ein mattes Blau und schließlich in Violett über. Nur in dem Falle, wenn man bei Lage I oder III des Falters in der Richtung einer Linie, die etwa die Spitze eines Hinter- flügels mit der Spitze des gekreuzten Vorderflügels verbindet und daher einen Winkel von etwa 45 mit der Längsachse des Körpers bildet (am gespannten Falter) schräg hinblickt und zwar von vorn nach hinten, dann erscheinen die Binden auf den vom Beschauer abgewendeten Flügeln glänzend himmelblau und zwar um so intensiver, je schräger man hinblickt. Von dem Glanz aber, welchen Schillerfarben unter günstigen Bedingungen überhaupt zeigen können und von der Farbenpracht, welche dann hervorgerufen wird, erhält man erst einen richtigen Begriff, wenn man ein Exemplar des in Rede stehenden Schmetterlings in den 4 Hauptlagen (bei horizontal liegenden Flügelebenen) gerade vor sich hält, während man am Fenster stehend diesem den Rücken zukehrt. In Lage I erscheinen dann die Farbeninden auf den abgewendeten Flügeln bei nicht allzu schrägem Aufblick strahlend goldgrün, umgeben von einem leuchtenden blauen Hof. Blickt man sehr schräg auf die Flächen hin, so bemerkt man fast nur noch diesen Hof, während die goldgrünen Bänder sich größtenteils verdunkeln. Dieselben Erscheinungen treten in gleicher Pracht an allen 4 Flügeln gleichzeitig auf, wenn man den Falter unter sonst gleichen Bedingungen in Lage II bringt. Lage III entspricht natürlich vollkommen Lage I. In Lage IV dagegen sind alle Schillerphänomene fast völlig verschwunden. Genau dieselben Erscheinungen kann man sich auch dann zur Anschauung bringen, wenn man vor einem Fenstertische sitzend den dem Lichte zugewendeten Schmetterling aus Lage I, III oder IV stark gegen sich neigt, so daß die Flügelflächen nun wieder von sehr schräg einfallendem Lichte getroffen werden. Bei mikroskopischer Untersuchung (Zeiß A) sieht man bei Einstellung auf das grüne Farbenband des linken Hinterflügels eines in I. Lage befindlichen Falters ein ähnliches Bild wie bei Amblypodia Tomiris, d.h. jede einzelne Schuppe ist durch ein lebhaft goldgrün glänzendes, vorn scharf begrenztes, nach hinten verwaschenes Querband geziert. Die sehr schiefe Lage dieser Querbänder (ihre Richtung schneidet die Körperachse etwa unter einem Winkel von 45°) zeigt aber auch sofort, daß die Längs- achsen der Schuppen nicht parallel der Symmetrieebene des Mikroskopes verlaufen, sondern diese eben- falls unter einem Winkel von etwa 45° schneiden, da ja die Farbenbänder die Schuppenachsen recht- winklig überkreuzen. Diese letzteren verlaufen also in Wirklichkeit in der angegebenen Flügellage annähernd parallel der Flügelachse (Linie von der Flügelwurzel nach der Mitte des Außenrandes). Dies ist, wenn auch nicht immer genau, auch bei anderen schillernden Schmetter- lingen der Fall, so daß man also eigentlich zwischen Lage I des ganzen Schmetterlings und des einzelnen Flügels bezw. der einzelnen Schuppe unterscheiden muß. Die Flügelachsen sind eben beim gespannten Falter etwa um 45° gegen die Körperachse geneigt, werden aber bei I. Lage des einzelnen Flügels als in der Symmetrieebene des Mikroskopes (bezw. ihr parallel) liegend vorausgesetzt. Es ist daher zweifellos das Vorderende dieser Schuppen wie bei Am- blypodia und anderen schillernden Faltern nach hinten und unten abgebogen. Dreht man nun den Objekttisch in der Richtung des Uhrzeigers, so tritt, wenn die Schuppen selbst in Lage I gekommen sind, d. h. wenn ihre Längsachse senkrecht zur Ebene des Fensters steht und parallel zur Symmetrieebene des Mikroskopes verläuft, unterhalb des grünen Querbandes blauer Schiller auf. >81 Die Schillerfarben bei Insekten und Vögeln. 281 Dies bleibt auch noch so in Lage II des ganzen Schmetterlings. Hat dieser aber Lage III erreicht, so sind die grünen Querbinden sehr verschmälert, dagegen schimmern die umgebogenen Vorder- enden der Schuppen in einem matten Violett, welches wieder fast gänzlich erlischt, wenn die Schuppen in Lage III gekommen sind. In Lage IV des Falters sind die grünen Querbänder sehr weit nach vorn gerückt und liegen nun im Bereich des abgebogenen Teiles, der endlich blau aufleuchtet (noch hier und da untermischt mit Goldgrün), sobald die Schuppen selbst sich in Lage IV befinden. Im Bezirk des oben erwähnten Hofes bleibt aber unter den gegebenen Umständen bei Horizontallage der Flügel alles dunkel. Hebt man aber den in I. Lage auf dem Objekttisch befindlichen Schmetterling vom Fenster her gegen den Beobachter, so daß die Ebenen der diesem zugewandten Flügel zimmerwärts stark geneigt liegen und stellt jetzt auf den Hofbezirk ein, so sieht man hier allenthalben tiefblaue Schuppen aufleuchten. Man wird nach allem früher Gesagten nicht zweifeln können, daß alle diese Erscheinungen im wesentlichen nur durch Form und Lage der betreffenden Schuppen bewirkt werden, und obschon ich das mir zur Verfügung gestellte Exemplar des prächtigen Schmetterlings nicht beschädigen wollte, so möchte ich mich doch wenigstens vermutungsweise über die wahrscheinliche Lage der Schuppen zur Flügelebene äußern. Die nach hinten abgebogenen Schuppen mit den im geraden Aufblick in günstiger Lage (I oder II) hell goldgrün schillernden mittleren Farbenbinden müssen sehr steil aufgerichtet stehen, denn nur so ist es erklärlich, warum der Schiller an Glanz und Sättigung der Farbe so sehr zunimmt, wenn man die Flügel in Lage I gegen den Beschauer zu vom Lichte weg neigt oder, mit dem Rücken dem Fenster zugewandt, schräg auf die dem Zimmer zugekehrten Flügel blick. Noch wesentlich stärker (nahe senkrecht) aufgerichtet müssen aber wohl die im geraden Aufblick völlig dunklen, blau schillernden Schuppen des „Hofes“ sein, deren Form, soweit ich sehen konnte, muschelförmig ıst mit nach vorn übergebogenen (der Flügelwurzel zu- gekehrten) Vorderenden. Denn nur unter dieser Voraussetzung wird es erklärlich, daß der Schiller immer erst hervortritt, wenn die Längsachse dieser Schuppen (in Lage I) mit ihrem Vorderende vom Lichte weggeneigt wird, je mehr desto besser. Da sie aber auch dann blaues Licht ausstrahlen, wenn man, mit dem Gesicht dem Zimmer zugewendet, schräg auf die horizontalen Flügelebenen blickt während die Körperachse des Tieres senkrecht zur Ebene des Fensters steht und der Kopf diesem zugekehrt ist, so müssen die Schuppen zugleich auch schräg gestellt sein, indem ihre Querachse nach hinten geneigt liegen. Auf Einzelheiten, namentlich mit Rücksicht auf den vielfachen Wechsel des Farbentons in verschiedenen Lagen, möchte ich nicht näher eingehen, ehe nicht eine genauere Uhnter- suchung der Form- und Lageverhältnisse dieser Schuppen vorliegt. Es war bisher fast nur von blauem oder violettem Schiller die Rede und in der Tat sind dies die am weitesten verbreiteten Schillerfarben. Sehr viel seltener kommt Grün wenigstens in reineren Tönen vor. Aber auch in solchen Fällen handelt es sich oft, wie die genauere Untersuchung zeigt, nicht sowohl um wirklich grünen Schiller, sondern ist es nur optisches Blau, dessen Wirkung sich mit gelben oder gelbrötlichen Pigmenten kombiniert und so erst den Eindruck des Grün hervorbringt. Es sind namentlich verschiedene Papilio-Arten, welche hier eine große Mannigfaltigkeit der Verhältnisse darbieten. Papilio Arjuna var. Gandavensis (Java) zeigt auf den Hinterflügeln je einen gelbgrün matt schillernden Fleck, von der Form eines sphärischen Dreieckes. Dieser Fleck erscheint an den horizontalliegenden Flügeln bei geradem Aufblick in Jenaische Denkschriften. XI. 36 Festschrift Ernst Haeckel. 282 Die Schillerfarben bei Insekten und Vögeln. 282 allen Lagen gleich hell und gleich gefärbt (gelbgrün). Blickt man nun auf die Ebene eines in Lage I befindlichen Flügels mehr und mehr schräg hin, so geht das Gelbgrün zunächst in reines Grün, dieses dann in Blaugrün, Blau und endlich in ein schönes gesättigtes Violett über, welches letztere auch bei fast horizontaler Blickrichtung noch bestehen bleibt. Wir begegnen also hier wieder derselben Farbenfolge des Schillers bei zunehmend schrägem Lichteinfall, wie in allen früheren Fällen sowohl bei Käfern wie Schmetterlingen (Morpho- und Lycaena-Arten unter Alkohol). Untersucht man die Schuppen in situ mit dem Mikroskop bei schwacher Vergrößerung (Zeiß A) oder mit D und dem Vertikal-Iluminator, so bieten sie ein ganz ähnliches Bild in Grün wie P. Ulysses in Blau. Jede der nach der freien Oberfläche zu teils konvexen, teils konvex gewölbten Schuppen (Fig. 13), zeigt 6 lebhaft grün glänzende leuchtende Längslinien, die in verhältnismäßig großen Abständen parallel nebeneinander verlaufend nicht kontinuierlich, sondern vielfach der OQuere nach unter- brochen sind, so daß sie das Aussehen zarter grün leuchtender Perlenschnüre darbieten. Bei genauerem Zusehen erkennt man, daß es sich um dicke dunkle Längs- rippen handelt, welche durch ebensolche Ouerrippen mitein- N Sen) RR EI ander verbunden sind (Fig. 13. a). Die zwischen den letzteren frei bleibenden kleinen Flächen leuchten nun in der ange- gebenen Weise grün. Auch hier tritt keine erhebliche L DDOLJEN Aenderung der Farbe und Helligkeit ein, wenn man den Ob- ar min g) jekttisch dreht. Die Erklärung dieses Verhaltens ergibt sich Aananmn URIK Se wieder aus der Form der Schuppen sehr einfach. Für die durch die beigegebene Abbildung (Fig. 13. Ö) erläuterte Form der Schuppen ist namentlich auch die Ver- UN =) Ü teilung des grünen Schillers auf der Oberfläche in ver- . aa SraNE I schiedenen Lagen der ganz isolierten auf dem Objektträger liegenden trockenen Elemente charakteristisch. So erscheint in Lage I der ganze mittlere Schuppenteil schillernd mit Aus- nahme des Vorderendes und der Basis, während in Lage II gerade das Umgekehrte der Fall ist, so daß in der Mitte der Schuppe ein breites dunkles Querband auftritt. Fig. 13. « Schillerschuppe von Papilio Arjuna, d Längsschnitt einer solchen. Isoliert und im durchfallenden Licht bei stärkerer Vergrößerung (Zeiß D genügt), erscheint jede einzelne Schillerschuppe rötlichgelb gefärbt. Ihre stark gewölbte Oberfläche ist von 6—8 dunklen Längsrippen durchzogen, welche in weiten Abständen Querästchen abgeben, die sich aber an den meisten Stellen nicht zu ganzen Quersprossen verbinden, sondern wechselständig etwa nur bis zur Hälfte der Rippenzwischenräume vorragen. Die in diesem groben Gitterwerk ausgespannte Schuppenmembran ist nun in den Gittermaschen etwas stärker hervorgewölbt, so daß ein Relief entsteht, vergleichbar den Windungen und Furchen der Großhirnoberfläche (Fig. 13). Die Wechselständigkeit der Rippenseiten- sprossen bedingt es, daß häufig zwischen je zwei Längsrippen stellenweise die Membran der Schuppen in Form eines wellenartig geschlängelten Wulstes verläuft. So kommt es, daß im ganzen genommen die Oberfäche einer solchen Schuppe ein faltiges, wie zerknittertes Aussehen darbietet, was natürlich auf den Farbenton des reflektierten Lichtes in einer gegebenen Lage der Schuppenfläche nicht ohne Einfluß bleiben kann. In der Tat erkennt man auch im durchfallenden Lichte, daß die Faltenrücken nicht die gleiche Farbe zeigen, wie die Faltentäler und die abfallenden Seitenflächen. In der Regel erscheinen die ersteren, d. h. das Zentrum jedes gefärbten Feldchens blaß blau, daran schließt sich nach außen 283 Die Schillerfarben bei Insekten und Vögeln. 283 eine rötliche Ringzone, die wieder gelb umsäumt erscheint. Läßt man Alkohol zufließen, so ändert die Gesamtfärbung mehr nach dem Gelb hin. Einem ganz gleichartigen Verhalten der Deckschuppen begegnen wir auch noch an dem grünen schillernden Außenfleck der Hinterflügel von Papilio Ganera aus dem Himalaya, desgleichen bei P. Buddha aus Malacca, bei welchem genau derselbe Schiller aus Gelbgrün über Grün und Blau nach Violett nur noch viel farbenprächtiger zu beobachten ist, wie bei P. Arjuna. Wesentlich anders ver- halten sich die ebenfalls grünen Schuppen von Ornithoptera Pegasus (Neu-Guinea). Betrachtet man einen der auf der Ober- und Unterseite fast gleichmäßig mattgrün erscheinenden Hinterflügel bei horizontaler Lage gerade von oben, so erscheint er, wie man ihn auch in der Horizontal- ebene drehen mag, immer gleich. Blickt man aber etwas schräg auf die Fläche, so mischt sich dem Grün immer mehr Blau bei, doch kommt es nicht, wie in den vorerwähnten Fällen zu einem völligen Umschlag, sondern der Flügel wird erst glanzlos braungrau und schließlich bei sehr schrägem Aufblick, namentlich in der Richtung der Achse rotbraun seidenartig glänzend. Mit Zeiß A im auffallenden Lichte untersucht erscheinen die Schuppen in der I. Hauptlage (Schuppenwurzel dem Fenster zugekehrt, die Längsachse senkrecht zur Ebene des Fensters) bis auf die Spitzen schön hellgrün. Hat man um 180° gedreht, so kehrt sich auch die Lichtverteilung gerade um, indem nun (Lage III) die Spitzen grün leuchten, der Rest der Schuppen aber verdunkelt ist. In Lage II und IV leuchtet die ganze überhaupt sichtbare Schuppenfläche. Schon hieraus geht hervor und es lehrt es unmittelbar der Anblick, daß die spangenförmigen Schuppen in der Richtung ihrer Längsachse stark zusammengebogen sind. Noch viel deutlicher tritt dies bei Beobachtung mit dem Vertikal-Illu- minator (Zeiß D) hervor, wo diese Schuppen einen überaus prächtigen Anblick gewähren. Ueberall sieht man zwischen sehr dicht gestellten dunklen Längslinien das hellgelbgrüne Licht hervorleuchten, am “ intensivsten an dem direkt bestrahlten konvex nach oben gekrümmten Schuppenrücken, am schwächsten an Spitze und Basıs. Isoliert untersucht erscheinen die schwarzen, undurchsichtigen Grundschuppen als fast quadratische am freien Rande gezackte Blättchen, während die im auffallenden Lichte grasgrünen Deckschuppen im durch- fallenden Licht blutroth gefärbt erscheinen. Bei Anwendung stärkerer Vergrößerungen erhält man den Eindruck, als ob diese Färbung von körnigen Einlagerungen herrührte, während die Grundsubstanz der Schuppenmembran dazwischen homogen gelb gefärbt erscheint, wie sich besonders nach Zusatz von Alkohol zeigt, wo die roten Fleckchen nur in einzelnen Schuppen erhalten bleiben, dann aber nur um so deutlicher hervortreten, während die große Mehrzahl der Deckschuppen homogen gelblich erscheint. Auch in Glycerin zeigen sich dieselben diffus hellgelb gefärbt. Daß die roten anscheinenden Körnchen nicht etwa gelöst werden, ergibt sich daraus, daß sie beim Trocknen wieder erscheinen. Betrachtet man eine einzelne mit Alkohol imbibierte Schuppe im auffallenden Lichte in Lage II oder IV (Längsachse parallel dem Fenster) so erscheint die dem Lichte zugewendete Hälfte wie körnig gelb, die andere aber homogen bläulich. Auch in Chloroform sind die Deckschuppen homogen gelb ohne Spur von Rot (canariengelb), der gelbe (resp. blaue) Schiller ist wesentlich schwächer als unter Alkohol und fehlt unter Chloroform vollkommen; im durchfallenden Licht er- scheinen die Schuppen auch in diesem Fall schön hellgelb. 36 * 28 A Die Schillerfarben bei Insekten und Vögeln. 28 4 Das geschilderte Verhalten dieser Schuppen spricht offenbar nicht dafür, daß, wie es auf den ersten Blick scheinen könnte, rotes Pigment darin enthalten ist, sondern ich muß nach aller Analogie vielmehr schließen, daß jene ohnedies sehr wenig scharf begrenzten und durch die dichte Längsrippung noch unklarer gemachten roten Fleckchen nichts anderes sind, als kleine Bezirke der oberen Schuppen- membran, welche im auffallenden Lichte grün schillern und daher im durchgehenden komplementär rot erscheinen. Man erinnere sich nur der viel durchsichtigeren Fälle, wo, wie beispielsweise bei Ambly- podia oder Papilio Ulysses scharf umgrenzte Flächenbezirke blau schillern, desgleichen der schon sehr schwer erkennbaren, sicherlich aber im wesentlichen gleichen Oberflächen-Skulptur der Schuppen verschiedener Lycaena-Arten, die im auffallenden Lichte auch wie mit glitzernden Körnchen bedeckt erscheinen. Während hinsichtlich der Form und des feineren Baues der Schillerschuppen bei den Arten der Gattungen Morpho und Papilio eine sehr weitgehende Uebereinstimmung besteht, scheint dies für Ornithoptera nicht zu gelten. Wenigstens fand ich die grün schillernden Schuppen bei OÖ. Brookeana aus Borneo ganz ver- schieden geformt. Der mittlere Längsschnitt einer solchen Schuppe gleicht etwa der beistehenden Figur: Fig. 14. = EN v worin S der Stielseite, 7” dem Vorderrande entspricht. Man kann demnach von einer wellenförmigen Krümmung der Fläche sprechen. Die Schuppen sind ganz undurchsichtig schwarz pigmentiert. Infolgedessen zeigt sich in Lage I ein glänzend grünes zackiges Querband, welches etwa der Stelle (a) entspricht, während nach Drehung um 180° (Lage III) Basis und Spitze aufleuchten (6 u. c). Dies gilt von isolierten Schuppen. In situ gestalten sich die Reflexionsverhältnisse viel komplizierter, infolge der schräg aufgerichteten Stellung, welche die Schuppen zur Flügelebene einnehmen. Von gelbem Pigment ist hier nichts zu bemerken. Durch Benetzen mit Alkohol. ändert sich der Schiller in Bronzegelb. Den merkwürdigsten Effekt einer Kombination von Pigment- und Schillerfarbe habe ich unter den mir zur Verfügung stehenden Schmetterlingen bei Papilio Pyrocles (Columbien) beobachtet. Der gleichmäßig mattschwarze Falter trägt auf den Hinterflügeln je 3 blutrote Flecken Man würde denselben durchaus nicht ansehen, daß sie unter gewissen Bedingungen zu schillern vermögen, denn sie sind zwar sehr intensiv und lebhaft gefärbt, zeigen aber nicht die Spur von Glanz, wenn man in beliebiger Lage gerade von oben darauf blick. Neigt man aber einen in Lage I befindlichen Hinterflügel vom Fenster her gegen sich zu, so daß die Flügelebene zimmerwärts schräg abfällt, oder blickt man bei Horizontallage des Flügels in der Richtung seiner Achse schräg auf die Fläche des- selben und zwar von der Wurzel nach der Mitte des Außenrandes hin, während man den Rücken dem Fenster zukehrt, so erscheinen die vorher roten Flecken strahlend hell und zwar in einer gewissen Lage fast rein weiß; es mischt sich dann bei kleinen Verschiebungen entweder mehr gelb (gelbrötlich) oder grün (blaugrün) dem Weiß bei: untersucht man mit Zeiß A im auffallenden Licht, so leuchten die in Horizontallage matt rot erscheinenden zungenförmigen Schuppen bei entsprechender Neigung des Flügels lebhaft auf und zwar in blaugrüner, stellenweise mehr violetter Farbe. Man kann unter diesen Umständen _ 28 5 Die Schillerfarben bei Insekten und Vögeln. 285 das Objekt nicht in diejenige Lage bringen, wo die Schuppen weiß erscheinen. Ich bin nun geneigt die Erscheinung so zu deuten, daß die bei günstiger Einfallsrichtung des Lichtes auf- tretende (blaugrüne) Schillerfarbe dem in den Schuppen enthaltenen (roten) Pig- ment komplementär ist, so daß sich aus dem Zusammenwirken beider jenes glän- zende bald mehr ins Gelbe bald mehr ins Blaue spielende Weiß ergibt. Dagegen verdanken die herrlichen und zugleich überaus mannigfaltigen Schillerfarben, mit welchen sowohl die Ober- wie auch die Unterseite der Hinterflügel von Urania Croesus (Ostafrika) geschmückt sind, ihre Entstehung sicher nur zum allergeringsten Teil dem Zusammenwirken von optischen und Pigmentfarben. In Bezug auf Mannigfaltigkeit der Farben, welche hier auf verhältnismäßig kleinen Raume zusammengedrängt sind, dürfte es kaum ein zweites schöneres Beispiel geben. Die Vorderflügel sind oben und unten schwarz und grün gebändert. Das Grün geht bei geradem Aufblick über in rötlichgelb (Orange) bei schräger Betrachtung in Blaugrün und Blau. Auf den Hinter- flügeln sind außer diesen Farben noch ein bei Schmetterlingen sonst sehr seltenes glänzendes Gelbrot'), sowie Hellgelb und Violett vertreten. Immer konstatiert man wieder die durchgehende Regel, daß mit zunehmendem Einfallswinkel des Lichtes die Farben sich in der Richtung vom weniger brechbaren (roten) Ende des Spektrums nach dem Violett hin verschieben. Wie bei vielen Käfern durchlaufen hier einzelne Stellen unter den erwähnten Umständen fast die ganze Reihe der Spektralfarben. Keine Beschreibung würde vermögen die leuchtenden Farben zu schildern, welche derartige Schuppen im auffallenden Licht unter dem Mikroskop darbieten, sowie die Mannigfaltigkeit ihrer Ver- änderungen, wenn sich beim Drehen des Objekttisches die Schuppen in immer wechselnder Lage dem Lichte darbieten. Stellt man in I. Schuppenlage auf eine goldrote Partie ein, so erscheinen die, wie man sofort sieht, namentlich am Vorderende, stark in der Richtung der Längsachse konvex gebogenen spangenförmigen Schuppen größtenteils glänzend kupferrot mit Ausnahme des vorderen wider- hakenförmig nach vorn und unten umgebogenen Endes. Das Rot, welches kurz vor der Stelle der stärksten Knickung in Form eines breiten Querbandes auftritt, geht nach der Schuppenwurzel hin durch Gelb und Grün in Blau- (resp. Blaugrün) über. In Lage II sieht man bloß ein einfaches kupfer- rotes Querband, welches etwa über die Mitte der Schuppe hinzieht. Bei weiterem Drehen in der Richtung des Uhrzeigers leuchten dann die dunklen Vorderenden grün und stellenweise blau auf, um dann in Lage III kupferrot zu werden, während der Rest der Schuppen sich ganz verdunkelt. Endlich wird in Lage IV die äußerste Schuppenspitze wieder grün, woran sich ein feuerrotes Querband anschließt. Auf die Erklärung dieses Farbenwechsels, die sich wieder ganz einfach aus Form und Lage der Schuppen zur Flügelebene ergibt, brauche ich nach allem früher gesagten wohl kaum näher einzugehen. Bringt man einen Tropfen Alkohol auf eine solche schillernde Fläche, so erlischt momentan aller Farbenglanz vollkommen, um erst nach dem Trocknen wieder- zukehren. Isoliert erscheinen diese Schillerschuppen, im auffallenden Lichte trocken untersucht, glänzend kupferrot und die Verteilung der Farbe in ihrer Abhängigkeit von Form und Lage der Schuppe ist wieder sehr deutlich zu erkennen, indem in Lage III (Schuppenwurzel vom Lichte abgewendet) ı) Man darf hier nicht an das Gelbrot unseres Dukatenfalters und seiner nächsten Verwandten denken. Denn dieses ist keine eigentliche Schillerfarbe, sondern entsteht, wie gezeigt wurde, durch Totalreflexion an der im Hohlraum der diffus gelb pigmentierten Schuppen enthaltenen Luft. 286 Die Schillerfarben bei Insekten und Vögeln. 286 nur der vorderste Abschnitt goldrot leuchtet. Daß in diesem Falle in Lage I die ganze Schuppenfläche verdunkelt bleibt und in Lage IT und IV nur-schwacher roter Schiller auftritt, erklärt sich leicht aus der annähernd horizontalen Lage der Schuppen auf dem Objektträger, während sie in situ, wie in fast allen vorhergehenden Fällen schräg auf- gerichtet stehen, so daß ihre Flächen mit Ausnahme des abgebogenen Vorderendes nach der Flügel- wurzel hin geneigt verlaufen. Von der Richtigkeit dieser Deutung‘ überzeugt man sich leicht, wenn man die stark gekrümmten trockenen Schuppen nicht mit einem Deckglas belastet, wodurch sie natürlich mehr platt gedrückt werden, sondern freiliegend untersucht. Dann zeigt sich sofort auch in Lage I und zwar mit Ausnahme des Vorderendes schöner goldroter Schiller. Im durchfallenden Lichte erscheinen diese Schuppen schön grün. Sie tragen an ihrer Oberfläche zahlreiche sehr scharf ausgeprägte, aber ziemlich weit voneinander abstehende Längs- rippen, welche, schon mit Zeiß D erkennbar, eine Art von „Catenulierung“ zeigen, d. h. wie aus lauter kleinen, aber untereinander zusammenhängenden Stückchen zu bestehen scheinen, ein Verhalten, welches sich bei Schmetterlingsschuppen überaus häufig findet (so z. B. auch bei Lycaena-Arten). Querrippen fehlen und sind nur hier und da angedeutet durch ganz zarte vereinzelte Querästchen. Die Zwischen- rippenräume erscheinen völlig homogen, durchsichtig und man überzeugt sich auf das aller- deutlichste, daß sie es sind, von denen im durchgehenden (und daher auch im auf- fallenden) Lichte die Farbe ausgeht. Nach Zusatz von Alkohol werden die Schuppen noch durchsichtiger, als sie vorher schon waren, das Grün verschwindet fast ganz und die Schuppe erscheint nun hell grünlichgelb gefärbt. Im auffallenden Lichte ist, wiewohl sehr abgeschwächt, noch in gewissen Lagen roter Schiller bemerkbar, auch selbst dann noch, wenn Glycerin zugesetzt wurde, nur ist die Farbe in diesem Falle violett. Namentlich in Schuppenlage I und III tritt dies sehr deutlich hervor. Zwischen goldrot (kupferrot) und goldgrün glänzenden Schuppen finden sich namentlich an der Oberseite der Hinterflügel alle möglichen Uebergänge. Je nachdem im auffallenden Lichte mehr das Rot oder das Gelb vorwaltet (Messinggelb), ändert sich die Farbe im durchfallenden Lichte mehr in Grün resp. Blau, und was hier von den Elementen verschiedener Schuppenbezirke gesagt wurde, das gilt in gleichem Maße auch von ein und derselben Schuppe, wenn ihre Schillerfarbe sich örtlich infolge wechselnder Einfallsrichtung des Lichtes ändert. Der Schiller ist hier ähnlich wie bei Papilio Arjuna, sowie bei gewissen Käferschuppen im auffallenden Lichte so außerordentlich intensiv, daß er selbst im durchfallenden Lichte am entsprechenden Orte hervortritt. Es gewährt einen eigenartigen Anblick, wenn ein und dieselbe Schuppe etwa in der vorderen Hälfte lebhaft messinggelbes Licht ausstrahlt, während der Rest grün (blaugrün) erscheint oder umgekehrt. Setzt man dann Alkohol zu, so ist es, wenn man direkt beobachtet, geradezu überraschend, wie fast in demselben Augenblicke, wo eine solche Schuppe benetzt wird, das ziemlich satte Grün sowie der gelbrote Schiller erlöschen und einem blassen Grünlichgelb Platz machen, welches nur stellenweise noch etwas mehr ins Grüne sticht, wie hauptsächlich am Vorderende der Schuppen. Dementsprechend zeigt dies auch noch ziemlich kräftigen roten Schiller im auffallenden Lichte. In Glycerin werden die Schuppen rein gelb. Während den besprochenen Schuppen dunkles Pigment gänzlich fehlt und sie daher zur vollen Entfaltung ihres optischen Effektes auf dunkle Grundschuppen angewiesen sind, so finden sich violett schillernde Schuppen desselben Schmetterlings, welche sich durch fast schwarze Pigmentierung der Längs- und Querrippen auszeichnen, sowie durch tiefe wellblechartige Faltung. Sie erinnern daher in Bezug auf ihre Form ganz an jene von Plusia chrysitis. Diese Falter schillern bei günstigem Lichteinfall man sich am besten als eine nach vorne spitz zulaufende Hohlrinne vorstellen kann, 287 Die Schillerfarben bei Insekten und Vögeln. 287 schön violett (I. und III. Lage). Der intensiv violette Fleck auf der Oberseite der Hinterflügel zeigt dagegen Schuppen von gleicher Form und gleichem Bau wie die kupferroten und messinggelben Schuppen der Umgebung. Es sind stark gekrümmte, vorn nach hinten und unten abgebogene Spangen ohne jede Spur von dunklem Pigment. Im durchfallenden Lichte erscheinen sie diffus gelb mit einem leisen Anflug von Grün, im auffallenden prachtvoll violett. Aus allen den zahlreichen im Vorstehenden mitgeteilten Einzeltatsachen geht in überzeugender Weise hervor, daß nicht nur für die Intensität, sondern gerade auch für den Farbenton des Schillers die Lage der schillernden Flächen zum einfallenden Lichte entscheidende Bedeutung besitzt. Es ist nicht ohne Interesse, in dieser Beziehung auch einen Blick auf die Schillerfarben gewisser Vogel- federn zu werfen. Den höchsten Grad der Schönheit und des Glanzes erreichen diese wohl zweifellos bei den hierin mit den farbenprächtigsten Insekten wetteifernden Kolibris. Ich habe einige wenige Fälle etwas näher untersucht und stieß dabei sofort wieder auf die Bedeutung der Lage der schillernden Flächen. Bei einer leider nicht näher bestimmten Art zeigen die Kehlfedern einen prachtvollen metal- lischen Glanz, dessen Farbe zwischen Purpurrot und Goldgrün, je nach dem Lichteinfall, wechselt. Betrachtet man ein isoliertes Federchen, dessen Vorderende, wie ja bekannt, allein schillert, so erscheint es in horizontaler Lage im geraden Aufblick in jeder Lage glanzlos dunkel oder es treten höchstens Spuren von farbigem Schiller hervor. Blickt man aber nur etwas schräg auf die Fläche, so leuchtet, wenn ich die 4 Hauptlagen wieder ganz wie bei den Schmetterlingsschuppen bezeichne, in Lage I (Federwurzel nach dem Fenster hin gerichtet) der überhaupt schillernde Teil der Feder in glänzendem Purpurrot auf. In Lage II (Federwurzel rechts) ist der Schiller sehr abgeschwächt, in Lage III gänzlich verschwunden, um schließlich in Lage IV wieder fast ebenso lebhaft zu erscheinen wie in Lage Il. Neigt man die Fläche der Feder etwas nach dem Fenster zu, so tritt der rote Schiller in gleicher Lebhaftigkeit bei jeder Lage hervor, um ebenso in jeder Lage auszubleiben, wenn die Ebene der Feder im entgegengesetzten Sinne, d. h. zimmerwärts geneigt wird. Bei sehr schrägem Aufblick geht das Rot durch Gelb in Grün über, welches dann am glänzendsten in Lage I und IV hervortritt. Nach dem Gesagten kann Aus 10. Fig. 15. es nicht überraschen, daß bei : Untersuchung mit dem Mikro- skop (Zeiß A), also im graden Aufblick farbiger Schiller fast ganz fehlt. Dagegen ist dieser überaus lebhaft, wenn man den Objektträger vom Be- schauer her gegen das Fenster hebt. Im durchfallenden Lichte erkennt man, daß im Gebiete des schillernden Abschnittes jeder Federstrahl I. Ordnung zwei Zeilen von Fiederchen I. Ordnung trägt, die beiderseits wie von einem First schräg nach vorn und abwärts sich erstrecken. Dabei stehen die Fiederchen linkerseits etwas höher als rechts, indem die Federstrahlen I. Ordnung gewissermaßen etwas um ihre Längsachse gedreht sind (Fig. 15). Jedes Fiederchen zeigt nun eine sehr komplizierte Form, die welche nun wieder so um ihre Längsachse gedreht ist, daß ihre Höhlung nach vorn, ihr konvexer Rücken aber nach hinten (d. h. nach der Federwurzel zu) gewendet liegt. Längs der Mitte des Rückens verläuft ein etwas zugeschärfter Kiel, von dem nach beiden Seiten die dünnen membranösen Wände der Hohlrinne aufsteigen (Fig. 16). Dieselben sind durch schief verlaufende 288 Die Schillerfarben bei Insekten und Vögeln. 288 helle Grenzlinien in einzelne rhombische Felder geteilt, welche den Eindruck platter Zellen machen und im durchfallenden Licht Einlagerungen von körnigem, bräunlich gelbem Pigment erkennen lassen. Da nun ausschließlich die konvexe äußere Fläche der Rinnenwände schillert, so wird es leicht verständlich, warum nur in gewissen Lagen der Feder farbiger Schiller bemerkbar wird. Es verhält sich eben alles genau wie bei den Schmetterlingsschuppen, und zwar liegen die Verhältnisse sehr ähnlich, wie bei den blau schillernden Hohlschuppen des „Hofes“ an den Flügeln von Apatura Cherubina, wenn man sich vorstellt, daß nicht, wie es in Wirklichkeit der Fall ist, die innere, sondern die konvexe Außenseite der Schuppen schillertee So kommt es, daß bei geradem Aufblick jene Federn in keiner Lage schillern, daß der Schiller bei schrägem Hinsehen in Lage I immer am lebhaftesten, in Lage III aber in manchen Fällen ganz fehlt, wenn die Feder horizontal liegt. Bei genauer Berücksichtigung der Lage und Form der Fiederchen gelingt es unschwer, sich von allen Einzelheiten des Schillerphänomens Rechenschaft zu geben, wiewohl nicht zu leugnen ist, daß die Lageverhältnisse der schillernden Flächen hier noch viel verwickelter sind, als bei den Schmetterlingsschuppen. Bei der Untersuchung trockener Federn im durchfallenden Licht erkennt man in ganz unzwei- deutiger Weise trotz des reichlich vorhandenen dunklen Pigmentes, daß je nach der Farbe des Schillers im auffallenden Licht, im durchgelassenen die entsprechende Komplementärfarbe vorherrscht, also rot bei grünem Schiller, gelb bei blauem und grün bei rotem. Beim Benetzen mit Alkohol ändert sich zunächst die Schillerfarbe gar nicht, bleiben aber die Federn längere Zeit (i—2 Tage) in Glycerin liegen, so tritt an Stelle metallisch srünen Schillers solcher von tiei nrovrer Kamp während sich Rot in Blau, Blau in Grün verwandelt. B. Folgerungen bezüglich der physikalischen Natur der Schuppenfarben. Ueberblicken wir die Gesamtheit der mitgeteilten Tatsachen, so ergibt sich als auffallendster und zugleich wesentlichster Unterschied zwischen den Schillerfarben von Schuppen (Käfer wie Schmetter- linge) und jenen schuppenloser Insekten (besonders Käfer), daß die letzteren durch Benetzung mit einer nicht chemisch oder mechanisch (durch Ouellung) einwirkenden Flüssig- keit im allgemeinen ganz unverändert bleiben, auch wenn die Einwirkung noch so lange dauert, während der farbige Schiller von Schuppengebilden dann entweder gänzlich schwindet oder wenigstens seine Intensität und meist auch den Farbenton ändert. Sozusagen eine Mittelstellung nehmen manche schillernden Vogelfedern ein, indem sie zwar bei Benetzung mit Alkohol, Wasser oder Glycerin den Schiller zunächst ganz unverändert zeigen, aber bei längerer Dauer der Einwirkung doch einen Farbenumschlag erkennen lassen. Als ein Analogon zu diesem Verhalten darf wohl auch der Umstand gelten, daß das metallische Grün der Flügeldecken von Lytta vesicatoria bei längerer Einwirkung von Alkohol in Bronzegelb übergeht, was, wie ich glaube, mit der dünnhäutigen Beschaffenheit dieser Chitingebilde zusammenhängt. Die unabweisliche Folgerung, welche man aus diesen Erfahrungen wird ziehen müssen, ist die, daß der Luftgehalt der Schuppen in direkter Beziehung steht zur Intensität und Farbe des schrie indem durch Verdrängung der Luft resp. völlige Imbibition derartiger schillern- der Gebilde beide Eigenschaften wesentliche Aenderungen erleiden resp. ganz verschwinden. 2 89 Die Schillerfarben bei Insekten und Vögeln. 289 Es ist hierauf aus dem Grunde besonderes Gewicht zu legen, weil dieses Verhalten meiner Meinung nach am besten geeignet ist, die schon in der Einleitung erörterte Auffassung B. WALTERs von der Natur der Schillerfarben bei Insekten und Vögeln zu widerlegen. B. WALTER stellt an der Spitze seiner speziellen Erörterungen über das Vorkommen von Ober- flächenfarben im Tierreich den Satz, „daß eine schillernde Schmetterlingsschuppe auch im durchgelassenen Lichte stets mehr oder weniger gefärbt ist und zwar immer ange- nähertkomplementär zu der Farbe desSchillers selbst, womit also die Grundbedingung für die Entstehung einer Oberflächenfarbe sowie auch ihre auffallendste Eigentümlichkeit, das Haminsersche Gesetz, befriedigt ist.“ Die Beispiele, die Warrer als Belege hierfür anführt, sind zum Teil nicht gerade glücklich gewählt, indem sie sofort den Mangel einer scharfen Trennung zwischen einer Pigmentfarbe (Körperfarbe) und der zur Farbe des reflektierten Schillers wirklich komplementären (optischen) Durch- laßfarbe erkennen lassen. Wenn WALTER beispielsweise erwähnt, daß „die Schuppen der im reflektierten Lichte so prachtvoll blau glänzenden Morpho-Arten im durchgelassenen Lichte stets gelb oder gelbbraun aussehen“, während den grünblau schillernden Schuppen von Apatura Laurentia eine dunkelrotbraune Durchlaßfarbe entspricht, die rein grün schillernden Schuppen von Papilio Buddha und P. P olyctor aber eine blutrote „Körperfarbe“ besitzen, so muß man berücksichtigen, daß gerade die typischen blauglänzenden Morpho-Schuppen in der Regel so dunkel pigmentiert sind, also so viel „Körperfarbe“ besitzen, daß das, worauf es eigentlich ankommt, nämlich das komple- mentäre Gelb kaum bemerkbar wird. Für den von braunschwarzem Pigment aber ganz freien Morpho Sulkowskyi stimmt es in der Tat, daß die trockenen Schuppen im durchgehenden Licht rötlich- gelb erscheinen. Auch die Schillerschuppen von Apatura-Arten enthalten, wie wir gesehen haben, so viel braunschwarzes Pigment, daß dadurch wieder die Farbe im durchgehenden Lichte fast ganz ver- deckt wird. WALTER führt dann noch Urania Ripheus an, bei welchem die gelbgrün glänzenden Schuppen der Vorderflügel im durchgelassenen Lichte je nach der Dicke der absorbierenden Schicht rot oder bläulichrot aussehen, „während die rot schillernden Schuppen der Hinterflügel eine rein grüne Körperfarbe zeigen.“ „Die Natur erzeugt mithin, so fährt WALTER fort, schon in diesem einen Tiere ein ebensolches ausgezeichnetes Paar von Schillerstoffen, wie wir es in dem Fuchsin und dem Diamantgrün als Leitstern unserer Darlegungen über die Oberflächenfarben benutzt haben, da bei diesem Paar ja auch die Körper- und die Schillerfarbe sozusagen miteinander vertauscht waren.“ So wenig es nun zweifelhaft sein kann, daß die dunkel schwarzbraune Färbung bei Morpho- und Apatura-Arten, sowie bei Schillerschuppen vieler anderer Schmetterlinge durch ein Pigment verursacht wird und demnach als „Körperfarbe“ aufzufassen ist, so sicher scheint mir auf der anderen Seite auch zu stehen, daß das Rot resp. Grün, welches die grün- resp. rotschillernden Schuppen von Papilio Buddha und von Urania Ripheus im durchgehenden Lichte zeigen, im wesentlichen nichts mit einer Körperfarbe zu tun hat, daß es sich also nicht um besondere „Schillerstoffe“ handelt, sondern um ein rein optisches durch Interferenz bedingtes Phänomen. Der ganz einfache Beweis dafür liegt meines Erachtens eben darin, daß die zuletzt erwähnten Durchlaßfarben nur an den trockenen lufthaltigen Schuppen hervortreten, nach Imbibition mit Flüssigkeiten aber fehlen und zwar in um so vollkommenerem Grade je stärker das Lichtbrechungsvermögen der benützten Flüssigkeiten ist. Pigmentfarben werden unter diesen Umständen nur um so deutlicher und WALTER ist sicher im Unrecht, wenn er behauptet, daß in gewissen Flüssigkeiten (Benzol, Schwefelkohlenstoff) „auch die Körperfarben der Schuppen Jenaische Denkschriften. XI. 37 Festschrift Ernst Haeeckel. 290 Die Schillerfarben bei Insekten und Vögeln. 290 zu verschwinden scheinen“. Dies könnte (bei längerer Einwirkung) nur dann geschehen, wenn die be- treffenden Pigmente in den angewandten Flüssigkeiten löslich wären oder wenn diese chemisch darauf einwirkten. Behandelt man Schuppen von Morpho Cypris oder Rhetenor, welche trocken ganz undurchsichtig und fast gleichmäßig schwarz erscheinen, mit Schwefelkohlenstoff, so werden sie aus gleichem Grunde wie etwa ein lufthaltiges pigmentiertes Haar- oder lufthaltiges Pflanzenparenchym stark aufgehellt und man erkennt ihre Pigmentierung nur um so deutlicher. Die ganze Fläche erscheint wie besät mit kleinen braunschwarzen Pünktchen auf diffus gelbbräunlichem Grunde. In dem Momente, wo nach Verdunstung der Zusatzflüssigkeit wieder Luft eindringt, wird sie auch wieder undurchsichtig schwarz. Sowohl die schwarzen Pünktchen, wie die diffuse gelbbräunliche Färbung sind nun sicher auf „Pigment“ zurückzuführen, daß sie aber beide mit dem blauen Schiller der Oberfläche nichts zu tun haben und nur den dunklen Grund für diesen herstellen helfen, werde ich noch später zeigen. Macht man den gleichen Versuch mit den Schillerschuppen von Papilio Arjuna var. Gandavensis oder von Papilio Buddha, so nehmen dieselben, die trocken rotgelb erscheinen, sofort eine ganz hell lehmgelbe Färbung an, die sicher als Körperfarbe zu deuten ist, während das vorher beigemischte Rot, wie der grüne Schiller im auffallenden Licht eine Interferenerscheinung darstellt. Ganz ähnlich verhält es sich mit dem Grün und Rot der Schuppen von Urania Croesus. Pigmente finden bei Schmetterlingsschuppen gerade wie auch bei schillernden Käfern in doppelter Weise Verwendung, einmal zur Herstellung eines möglichst dunklen Untergrundes, von dem sich die Schiller- farbe kräftig abhebt und dann, wiewohl seltener, dazu, um durch Kombination der Pigmentfarbe mit dem Oberflächenschiller den Farbenton des letzteren zu verändern. Das erstere wird in sehr vielen Fällen einfach dadurch erreicht, daß an sich ganz oder fast ganz farblose (d.h. pigmentfreie) Schiller- schuppen sich über einer einfachen oder doppelten Lage sehr dunkel pigmentierter Grundschuppen ausbreiten, anderenfalls kann aber außerdem, wie wir oben gesehen haben, dunkles Pigment auch in den schillernden Deckschuppen selbst mehr oder weniger reichlich eingelagert sein. Zur Charakteristik einer „Oberflächenfarbe“ gehört, wie WALTER mehrfach und ausdrücklich betont, in erster Linie „die Anwesenheit eines stark absorbierenden Farbstoffes, dessen Körperfarbe annähernd komplementär zu einer Schillerfarbe sein muß“ Wenn dieses Kriterium nun schon in den von WALTER selbst angeführten Beispielen nicht zutrifft, so fügen sich erst recht nicht die zahlreichen Fälle, wo gänzlich farblose, d. h. pigmentfreie Schuppen die lebhaftesten Schillerfarben darbieten. Es darf hier erinnert werden an die meisten Käferschuppen und unter den Schmetterlingen an jene vieler Lycaeniden, ferner die Schuppen der obersten Lage von Morpho Peleides und an- nähernd auch die kupferroten, messingfarbigen und violetten Schuppen von Urania Croesus und Morpho Sulkowskyi. Wenn bei Lycaeniden die blauen Schillerschuppen im trockenen Zustande gelb, die roten von Urania grün, die violetten gelbgrün erscheinen, so handelt es sich hier, wie gesagt, nicht um Körperfarben, sondern um die gleichen Erscheinungen, welche die Farben dünner Blättchen im reflektierten und durchgehenden Lichte darbieten. Dies zeigt sich auch schon darin, daß im letzteren Falle die Farben immer sehr viel blasser und oft nur wie angedeutet erscheinen, vor allem aber nach der Imbibition mit Flüssigkeiten. Daß dann die angebliche Körperfarbe, namentlich bei An- wendung stärker brechender Flüssigkeiten, gänzlich schwindet und damit auch der Oberflächenschiller, hat WALTER schon als eine Schwierigkeit bezeichnet, welche gegen die von ihm vertretene Auffassung geltend gemacht werden kann; er hofft jedoch, daß spätere Untersuchungen genauere Aufklärung dieses 291 Die Schillerfarben bei Insekten und Vögeln. 291 Verhaltens bringen werden und neigt sich der Ansicht zu, „daß wir es hier wahrscheinlich mit einer eigenartigen Wirkung der feinen Struktur dieser Organe (der Schuppen) zu tun haben“. In der Tat wird man: sich fragen müssen, warum die Schillerfarben der schuppenlosen Käfer bei noch so langer Einwirkung von Alkohol, Wasser, Glycerin, Chloroform, Benzol, Schwefelkohlenstoff etc. in der Regel gar nicht beeinflußt werden, jene der Schuppen aber so außerordentlich rasch und leicht. Die Antwort fällt ganz im Sinne von WALTER aus. Es handelt sich wirklich im letzteren Falle um „eine eigen- artige Wirkung der feinen Struktur“ der Schuppen, nämlich darum, daß sich zwischen oberer und Bnterer Schuppenlamelle oder innerhalb der letzteren ein lufthaltiger Hohlraum befindet, der nach außen mündet und seinerseits als „dünnes Blättchen“ wirkt. Ich möchte mir nicht versagen, hier auch noch eine Beobachtung anzuführen, deren Kenntnis ich einer freundlichen brieflichen Mitteilung von Gräfin Marra v. Linpen verdanke. Bei Thecla quercus ist auf den Flügeln ein blauer Schiller nachweisbar, noch ehe die Schuppen ihre definitive Färbung erlangt haben (also ganz wie bei den schuppenlosen Cetonien-Flügeldecken). Man sieht sogar, daß die hellen Stellen, z. B. die ganz farblosen Schuppen, auf den Adern und in deren nächster Umgebung den Schiller am deutlichsten zeigen. Gräfin Lmpen schließt hieraus, „daß die chemische Konstitution des in den Schuppen später enthaltenen Pigmentes mit dem Schillern der Flügel nichts zu tun hat, daß dieses vielmehr eine Erscheinung ist, welche entweder von der Struktur der Schuppenfläche selbst ab- hängt oder im Sinne der Farben dünner Blättchen zu erklären wäre“. Der Schiller ist am intensivsten, wenn der Flügel unter dem Mikroskop so gelagert wird, daß das Licht in der Richtung von der Flügel- wurzel zur Flügelspitze bezw. zum Seitenrande einfällt. Vollkommen verschwunden ist der Schiller, sobald das Präparat so gedreht wird, daß die Flügelspitze der Lichtquelle zugekehrt ist, was Gräfin LINDEN ganz richtig auf bestimmte Krümmungen der Schuppenoberfläche zurückführt. In den beiden Zwischenlagen schillern nur einzelne Teile der Oberfläche. Als einen zweiten Beweis für die Identität der Schillerfarben der Schmetterlinge mit den Ober- flächenfarben stark absorbierender Medien führt WarLrer das Verhalten der ersteren im polarisierten Lichte an, „indem nämlich bei schrägem Auffall desselben sich nicht bloß die Stärke, sondern auch der Farbenton des Schillers oft wesentlich ändert, wenn man von p.p.- zu Ss. p.-Licht übergeht“. In allen Fällen lasse sich mit Sicherheit feststellen, „daß die Färbung des reflektierten s. p.-Lichtes nicht, wie dies bei den Interferenzfarben dünner Blättchen der Fall ist, für sehr große Einfallswinkel stärker ist als für mittlere, sondern daß stets das Umgekehrte stattfindet“. Ich habe mich von einem solchen Verhalten in keinem Falle überzeugen können und habe niemals auch nur die geringste Aenderung des Farben- tones beobachtet, wenn ich durch ein Nicorsches Prisma unter den verschiedensten Winkeln nach der Fläche eines schillernden Schmetterlingsflügels hinblickte. Ein weiterer Beweis für die Gleichwertigkeit der Schillerfarben der Schmetterlingsschuppen mit den Oberflächenfarben würde nach Warrer schließlich noch aus denjenigen Veränderungen sich ergeben, welche die Schuppen zeigen, wenn man sie in Flüssigkeiten von verschiedener Brechbarkeit taucht. Er findet, „daß die Farbe des Schillers, ausgenommen wenn sie tiefblau oder violett ist, mit der Zunahme des Brechungsexponenten des umgebenden Mediums sich um einen oder zwei Farbentöne in der Richtung vom blauen zum roten Ende des Spektrums hin ver- schiebt, zugleich aber dabei immer schwächer wird“ „So werden z. B. die an der Luft grünblau glänzenden Schuppen von Morpho Menelaus in Aether (n = 1,36) rein grün und schillern im zweiten Falle auch etwas schwächer als im ersten, in Chloroform (n = 1,45) ferner gelblichgrün. 37* 292 Die Schillerfarben bei Insekten und Vögeln. 292 und jetzt schon ganz erheblich schwächer als in Aether. In Benzol (n = 1,52) oder Schwefelkohlenstoff (n = 1,64) endlich ist der Schiller nur noch bei Beleuchtung mit direkten Sonnenstrahlen im Dunkel- zimmer als ein schwaches Gelbgrün festzustellen.“ Ganz ähnlich wie die verschiedenen blauglänzenden Morpho-Arten verhalten sich, wie früher gezeigt wurde, auch die blauen Lycaeniden, sowie z. B. auch Papilio Ulysses. Bei Am- blypodia Tamiris werden aber auch die violetten Schuppen der Vorderflügel bei Benetzung mit Alkohol bläulichgrün, während die rein blauen der Hinterflügel sich gelb verfärben. Auch die tief violetten Schuppen der Oberseite von Hypochrysops Anacletus nehmen be- feuchtet einen blaugrünen Farbenton an, desgleichen werden die tief blauen Schuppen von Diorhina Perianda rein grün, während die silberblauen Flügel von Morpho Peleides beim Benetzen mit Alkohol sich gelbrot färben, die von M. Sulkowskyi kanariengelb. Sehr beträchtliche Farbenverschiebungen habe ich auch bei den Schuppen von Entimus imperialis unter gleichen Umständen beobachtet. Zunächst sei nochmals daran erinnert, daß hier der Schiller immer nur in jenen Schuppen schwindet bezw. seine Farbe ändert, in deren Inneres die Zusatzflüssigkeit auch wirklich eindringt und dabei die Luft verdrängt. Es kann bei Anwendung von Alkohol der Sprung der Schillerffarbe von Blau zu Gelb und selbst zu Rot gehen. Auch die gold- grünen Schillerschuppen der Oberseite von Urania Croesus verfärben sich bei Benetzung mit Alkohol kupferrot, die violetten der Hinterflügel aber grün. Ganz analoge Farbensprünge beobachtet man auch bei schillernden Kolibrifedern nach längerer Einwirkung von Alkohol oder Glycerin. Es wurde schon erwähnt, daß dabei Purpurrot in Blau, Blau in Grün und Grün in Rot übergeht. Daß nun überhaupt Aenderungen im Farben des Schillers bei Benetzung mit Flüssigkeiten von nicht zu großem Brechungsindex eintreten, und daß sie in vielen Fällen sprungweise, d.h. ın großen Intervallen der spektralen Farbenreihe erfolgen, läßt, so viel ich sehe, gar keine andere Deutung zu, als daß beiSchuppengebilden und metallisch glänzenden Federn der Schiller als ein Interferenzphänomen aufzufassen ist, bedinst durch dunnesPuss schichten und nicht wie bei den schuppenlosen Käfern durch dünne Chrreoz lamellen. „Ein dünnes Blatt aus einer festen Substanz nämlich ändert selbstverständlich nur die Stärke, nicht aber den Ton seiner Interferenzfarbe, wenn es in Flüssigkeiten von verschiedenem Brechungs- index gebracht wird.“ Wenn WALTER gegen eine solche Auffassung, die ich mit Rücksicht auf den bekannten Bau der Schuppen als eine überaus naheliegende bezeichnen muß, einwendet, daß dann die Schillerfarben bei Ersatz der Luft durch Flüssigkeiten sich im allgemeinen viel stärker in der Richtung vom Blau zum Rot ändern müßten, als es in Wirklichkeit der Fall sei, so kann ich in Hinblick auf die mitgeteilten Erfahrungen diesem theoretischen Einwande keine erhebliche Bedeutung beimessen. Denn größere Intervalle der Farbe vor und nach der Imbibition, als man tatsächlich beobachtet, sind nicht wohl denkbar, während die Farbenverschiebung, welche man bei Anwendung von Flüssigkeiten verschiedenen Brechungs- vermögens auf frei an der Luft liegende Schillerstoffe beobachtet, sich nach den Untersuchungen WALTERS, „wenn sie auch im allgemeinen recht deutlich hervortritt, doch im Ganzen nur über einen oder höchstens zwei benachbarte Farbentöne des Spektrums erstreckt.“ Außerdem erfolgt sie in diesem Falle bei Zunahme des Brechungsexponenten der benützten Flüssigkeit stets in der Richtung vom Rot zum Blau und nicht wie bei den Schuppen und Federn in umgekehrter Richtung. WALTER nimmt daher an, daß die von ihm vorausgesetzten Schillerstoffe als feste Lösungen in Chitin bezw. Hornsubstanz 293 Die Schillerfarben bei Insekten und Vögeln. 293 gegeben seien, Lösungen, deren Brechungsexponenten für die meisten Farben des Spektrums denjenigen des Benzols und des Schwefelkohlenstoffes, in welchen der farbige Schiller völlig erlischt, gleich sind, so daß dann die betreffenden Farben beim Auffall des Lichtes aus einer der genannten beiden farblosen Flüssig- keiten gar nicht reflektiert werden. Nimmt man solche feste Lösungen an, so würde dann auch die Farbe des Schillers in spektraler Richtung sich vom Blau zum Rot hin verschieben, wenn die Brechkraft des umgebenden Mediums nicht allzu groß ist. Da bei Käfer- und Schmetterlingsschuppen der Farbenumschlag resp. das gänzliche Verschwinden des Schillers nach Zusatz einer geeigneten Flüssigkeit anscheinend momentan erfolgt, so nimmt WALTER an, daß die mit dem Schillerstoffe gewissermaßen imprägnierte Chitinschicht „unmittelbar an der Luft“ frei liegt. Dann wäre es aber doch wunderbar, daß, wie man es bei Entimus imperialis so schön sieht und wie schon Dimmock beschrieben hat, nur verletzteSchuppen ihren Schiller einbüßen resp. ändern, indem die Flüssigkeit in dasInnerederselben eindringt und die hier be- findliche Luft verdrängt, sonst aber ganz unverändert bleiben. Hier müßte also der angebliche Schillerstoff im Innern der Schuppen und zwar frei gelegen sein. Man kann aber ganz leicht zeigen, daß es sich bei allenschillernden Schmetterlingsschuppen genauebenso verhält, wenn man nur Statt leicht eindringender flüchtiger Flüssigkeiten solche zum Versuche wählt, welche infolge ihrer Zähigkeit gar nicht oder nur sehr langsam eindringen. Das Verhalten der Schuppen solchen gegenüber ist für die Frage nach der physikalischen Natur der Schillerfarben so bedeutungsvoll, daß ich etwas näher auf die betreffenden Erscheinungen eingehen muß. Ich verwendete hauptsächlich ganz eingedicktes Cedernöl, welches kaum noch floß, sowie gallertige Gelatine. Am besten geeignet fand ich schillernde Schuppen von Pa pilio-Arten (P. Ulysses, P.Arjuna, P.Buddha). Läßt man zu einem Präparate solcher isolierter Schillerschuppen vom Rande des Deckglases her einen Tropfen möglichst dickflüssigen Cedernöls zutreten, so bleibt zunächst Eomohl die Karbe im durchgehenden Lichte wie auch das reflektierte glänzende Blau resp. Grün ganz unverändert, auch wenn die betreffenden Schuppeu schon völlig vom Oele umflossen sind. Erst ganz allmählich beginnt von dieser oder jener Seite her die zähe Flüssigkeit ins Innere der Schuppe einzudringen, so daß man Schritt für Schritt diesen Vorgang sowie seine Folgewirkungen mit Bezug auf den Schiller beobachten kann. So entsteht bei P. Arjuna meist in der Mitte der Schuppe zuerst ein kleiner Bezirk von hell lehmgelber Farbe, während alles übrige noch schön rotgelb erscheint (im durchfallenden Lichte). Langsam vergrößert sich dann das durch Verdrängung der Luft entfärbte Gebiet bis schließlich die ganze Schuppe aufgehellt ist und damit die Fähigkeit zu schillern fast völlig eingebüßt hat (der schwache Schiller, der noch übrig bleibt, zeigt gelb- rötliche Farbe), Die meisten der stark gekrümmten Papilio-Schuppen erleiden beim Auflegen des Deckglases gerade an den Stellen stärkster Krümmung kleine Verletzungen am Rande (Risse, Sprünge), wodurch natürlich das Eindringen der Zusatzflüssigkeit sehr wesentlich erleichtert wird. Möglichst unversehrte Schuppen, die freilich nur sehr vereinzelt vorzukommen scheinen, sah ich ihre normalen Durchlaßfarben und damit natürlich auch den Schiller im auffallenden Lichtestundenlang bewahren, auch wenn sie vollkommen im Oele eingebettet lagen. Viel weniger günstig liegen die Verhältnisse bei Morpho-Arten, sowie bei Lycaeniden. Selbst das zähflüssigste Oel dringt hier auffallend schnell ins Innere der Schuppen und man gewinnt nur eben Zeit, den Vorgang der Luftverdrängung etwas genauer zu verfolgen. Man erkennt dann an den dunkel pigmentierten blauglänzenden Morpho-Schuppen ganz deutlich und unzweideutig, daß hier Luft in zwei 5 Die Schillerfarben bei Insekten und Vögeln. 294 ie Schillerfarben n u ög 294 übereinanderliegenden Schichten vorkommt. Die eine tiefere offenbar dem Raum zwischen unterer und oberer Schuppenlamelle entsprechend, die andere ganz oberflächlich in der letzteren selbst enthalten. Man sieht nämlich im durchfallenden Lichte, wie beim Vordringen des Oeles zwei verschieden dunkle Luftschichten mit oft sehr verschiedener Geschwindigkeit verzehrt werden. Indem ich diesen letzteren Ausdruck gebrauche, möchte ich damit zugleich andeuten, daß man das Austreten der Luft aus der Schuppe unter den angegebenen Versuchsbedingungen in der Regel nicht sieht, indem sie vom Oele offenbar absorbiert wird. Man kann dies bei Lycaena-Schuppen (L. Danis) direkt beobachten. Die- selben imbibieren sich ebenfalls außerordentlich leicht und rasch selbst mit sehr dickem Oele. Die in ihnen enthaltene Luft wird dann oft zu einem Bläschen zusammengedrängt, welches entweder nach außen tritt oder im Schuppenhohlraume verbleibt. Im einen wie im anderen Falle sieht man dasselbe aber rasch sich verkleinern und endlich verschwinden, indem es vom Oele aufgenommen wird. Die (gar nicht pigmentierten) Lycaena-Schillerschuppen werden nach völliger Imbibition so vollkommen durchsichtig und farblos, daß man sie überhaupt im Oele nicht mehr zu erkennen vermag. Hätten sie eine Körper- farbe, so wäre dies aber, wie die vorigen Fälle zeigen, ganz wohl noch möglich. Ich bin nicht ganz sicher, ob das so rasche Eindringen selbst sehr zäher Flüssigkeiten immer nur auf kleinen zufälligen Verletzungen der Schuppen beruht und möchte eher glauben, daß die Luft- räume derselben auch an den Rändern und nicht nur am Stielchen nach außen münden. Wie dem aber auch sein mag, auf alle Fälle beweist das geschilderte Verhalten, daß sowohl bei Käfer- wie bei Schmetterlingsschuppen die bloße Berührung mit einer selbst sehr stark lichtbrechenden Flüssigkeit das Schillern nremals zu beseritisiennodes auch nur den Farbenton zu verändern vermag, sondern daß dazu unbedingt das. Eindringen der Flüssigkeit ins Ilnnererder Schuppe undadrerdammesszerz knüpfte Luftverdrängung erforderlich erscheint. Es mag hier auch noch eine weitere Beobachtung von Gräfin LinpEen angeführt werden. Es betrifft den schon früher erwähnten blauen Schiller, welchen die Flügel von Thecla quercus in einem gewissen Entwickelungsstadium vor- übergehend darbieten. Derselbe ist nämlich nicht nur an dem frisch aus der Puppenhülle ent- nommenen Flügel zu bemerken, sondern er tritt auch ganz ebenso an in Kanadabalsam eingelegten Präparaten hervor. Man wird gewiß nicht annehmen wollen, daß die in allen Punkten so ähnlichen Schillerphänomene bei schuppenlosen Käfern in prinzipiell anderer Weise entstehen, als jene der Schuppengebilde und Federn. Da nun dort, wie wir gesehen haben, die äußerste dünne Chitinschicht den Schiller im wesentlichen vermittelt, so müßte, wenn Warrers Ansicht richtig wäre, auch ein schillernder Käfer beim Eintauchen in eine geeignete Flüssigkeit entweder völlig glanzlos erscheinen oder doch wenigstens eine Aenderung des Farbentones erkennen lassen. Dies ist aber tatsächlich nicht der Fall und nur Lytta und Anoplognathus bilden eine Ausnahme, indem bei letzterem nach Verdrängung der unter der Cuticula befindlichen Luftschicht aller Metallglanz erlischt, während die Flügeldecken des erstgenannten Käfers nach längerem Liegen in Alkohol bronzefarbig werden. Ich zweifle nicht, daß es sich auch hier um Verdrängung von Luft handelt, die bei der Dünne und Weichheit der Flügel- decken hier leichter möglich sein wird, als bei hartschaligeren Käfern, wenn bei diesen überhaupt derartige dünne Luftschichten allgemeiner vorkommen. Daß sie hier sicher nicht als „dünne Blättchen“ wirken, ergibt sich aus den überaus lebhaften Schillerfarben durch Maceration isolierter Lamellen der „Email- schicht“ (Cetonien). 295 Die Schillerfarben bei Insekten und Vögeln. 295 Das ganz entsprechende Verhalten schillernder Vogelfedern, deren Farbenton sich ebenfalls erst nach sehr langer Dauer der Einwirkung von Flüssigkeiten ändert, veranlaßte denn auch WALTER zu der sicherlich unzutreffenden Hypothese, „daß die den Schiller erzeugende Farbstoffoberfläche nicht wie bei den Schmetterlingen unmittelbar an der Luft liegt, sondern von ihr durch eine sie futteralartig umgebende Hülle von Hornhaut allseitig abgeschlossen ist“, durch welche das Hinzutreten der Flüssigkeiten zu der eigentlichen schillernden Schicht verhütet wird. Sie müßte außerdem im Inneren der Fieder frei liegen und also nicht mit der angenommenen äußeren farblosen Hülle in Berührung stehen, da ja sonst der Schiller offenbar ebenso gut vernichtet werden müßte, wie durch Berührung mit Benzol oder Schwefelkohlenstoff. „Bringt man jedoch einer solchen farblosen Deckschicht eine Verletzung bei, indem man z. B. von den blau schillernden Fiedern erster Ordnung einer Musophagidenfeder die Enden abschneidet, so saugt sich das Innere derselben in jenen Flüssigkeiten nach einiger Zeit voll, und man beobachtet dann wieder ganz ähnliche Veränderungen des Tones ihrer Schillerfarbe, wie sie bei den Schmetterlingsschuppen schon sogleich nach dem Eintauchen derselben wahrzunehmen sind“ (WArLtEerR). Wenn WALTER nun hieraus folgert, daß „es demnach bei den Vögeln wieder sehr konzentrierte Lösungen von Farbstoffen — und zwar hier natürlich in Hornhaut — sind, an deren Oberfläche das Licht mit farbigem Glanze reflektiert wird“, so kann nach dem Mitgeteilten diese Annahme keineswegs als begründet gelten und ich glaube, daß es sich auch hier wieder nur um dünne Luftschichten handelt. Er erscheint nach allem Vorgebrachten kaum noch nötig, auf den letzten Einwand von WALTER gegen die Deutung der Schillerfarben als Farben dünner Blättchen näher einzugehen, der sich auf die Veränderungen derselben mit zunehmendem Ein- fallswinkel des Lichtes bezieht. „Die Interferenzfarbe einer dünnen Luftschicht ändert sich um so schneller mit dem Einfallswinkel, je höher hinauf ihre Farbe in dem Newronschen Ringsysteme liegt, d. h. je dicker die sie erzeugende Schicht ist. Der Farbenwechsel selbst verläuft dabei allerdings in demselben Sinne, wie bei den Oberflächen- farben, nämlich im Spektrum vom Rot durch Gelb und Grün zum Blau hin, indessen ist hier nach WALTER eine Verwechselung beider Farbenarten vollständig ausgeschlossen, da eben bei der dünnen Luftschicht der Farbenton sich ganz außerordentlich viel schneller mit dem Einfallswinkel ändert, als bei den Oberflächenfarben“ (WALrer). Hiergegen ist zu bemerken, daß erstlich die Schillerfarben im allgemeinen den ersten Ordnungen der Newronschen Reihe angehören und daß weiterhin der Wechsel derselben mit zunehmendem Einfallswinkel in der Tat sehr asch erfolgt, wie namentlich die Schiller- schuppen von Urania Croesus, sowie jene von Papilio Buddha zeigen. Ich halte somit die Annahme für hinlänglich begründet, daß sowohl bei schuppenlosen Insekten wie auch bei allen schillernden Schuppen und Federn die betreffenden Farben als „Farben dünner Blättchen“ zu deuten sind, daß aber bei jenen feste Chitinlamellen als wesentlich farbengebend gelten müssen, während es sich bei Schuppengebilden und Federn um dünne Luftschichten handelt. In manchen Fällen (Silber- und Goldglanz, Messingfarbe von Anoplognathus aureus) wirken Luftschichten hauptsächlich durch totale Reflexion in Verbindung mit (gelb) pigmentierten Chitinschichten. Ich gebe gerne zu, daß noch manche Punkte der Aufklärung bedürftig sind und rechne dazu vor allem den Einfluß, welchen wenigstens in einzelnen Fällen die besondere Oberflächenskulptur von Schuppen, wenn auch vielleicht nicht auf den Ton der Schillerfarben, so doch auf ihren ganzen Charakter ausübt. Sicher ist, daß die Skulpturen an sich nicht farbenerzeugend wirken. Es gilt 2 96 Die Schillerfarben bei Insekten und Vögeln. 296 dies ebensowohl von den Längs- und Ouerleistchen (Rippen) wie von den häufig vorhandenen Höckerchen. Als Beweis braucht nur auf die Schillerschuppen von Papilio Buddha oder Papilio Arjuna und Papilio Ulysses hingewiesen zu werden, wo man sofort sieht, daß die Farbe von den zwischen den hier nur spärlich vorhandenen Rippen gelegenen Flächen ausstrahlt. Es finden sich übrigens förmliche Entwickelungsreihen bestimmter Skulpturverhältnisse. Eine solche Reihe bilden z. B. die Lycaeniden- Schuppen, jene von Amblypodia Tamiris, Papilio Ulysses und schließlich Papilio Buddha, desgleichen bieten die blauglänzenden stark pigmentierten Morpho-Schuppen und jene von Apatura- und Hypolimnas-Arten manche Uebereinstimmung der feineren Struktur dar. Bei Morpho Sulkowskyi, dessen Schuppen sich wegen ihrer Pigmentlosigkeit am besten zur Untersuchung eignen, sehe ich nach Imbibition mit Glycerin sehr dicht gestellte Längsrippen, welche sich bei genauer Ein- stellung auflösen in Reihen glänzender Punkte (Höcker?), wie dies ähnlich auch bei Lycaena Danis beobachtet wird. Dieselben sind bei anderen Morpho-Arten (M. Cypris, Rhetenor) anscheinend dunkel schwarzbraun pigmentiert, außerdem findet sich dunkles Pigment auch noch in Form zahlreicher Körnchen in der oberen Schuppenmembran abgelagert, aber nur in deren tieferen Schichten. Oberflächlich ist jede solche Schuppe von einer glashellen zweischichtigen Chitinhaut überzogen, die man sehr deutlich an jedem optischen Längsschnitt sehen kann. Man legt zu dem Zweck ein Stückchen des Flügels für etwa 24 Stunden in verdünnte Kalilauge. Die Schuppen werden darin unter gänzlichem Verlust des Schillers sehr durchsichtig und erscheinen stark um die Längsachse gerollt, so daß man an vielen Stellen gute Profilbilder gewinnt, welche die farblose Deckschicht, die durch eine in der Mitte verlaufende dunkle Linie ihre Zusammensetzung aus 2 Lagen erkennen läßt, sehr deutlich zeigen. Schon M. Baer hat es wahrscheinlich bezeichnet, daß die pigmentierten Morpho-Schuppen „über dem Pigment mit einer dünnen durchsichtigen Schicht ausgestattet sind“, doch war es ihm nicht gelungen, dieselben zu sehen. Ich bin der Ansicht, daß zwischen den beiden Blättern dieser farblosen Außenschicht normaler- weise Luft enthalten ist, welche nun als dünne Schicht wirkt. Ganz ähnlich finde ich auch die Schillerschuppen von Apatura Iris gebaut. Nach kurzer (24 Stunden) Behandlung mit Kalilauge sehe ich dicht gestellte Längsrippen, die sich wieder in Längs- reihen glänzender farbloser Knötchen auflösen lassen. Stellt man etwas tiefer ein, so treten braun- schwarze Pigmentkörnchen hervor. Von der Anwesenheit einer ganz farblosen Außenschicht glaube ich mich auch hier überzeugt zu haben. Die Vermutung von SPULER, dass solche „Kegelleistchen“ den Glanz und die Leuchtkraft der Schillerfarben erhöhen, kann ich nicht für zutreffend halten, denn bei unserem Schillerfalter (Apatura Iris) ist das Blau verhältnismäßig matt, wenigstens im Vergleich mit Morphiden und doch sind die Höckerchen dort viel dichter gestellt wie hier. Anhang. Die Reflexionsfarben des geschmolzenen Cholesterylpropionats. Vor Jahren schon wurde im hiesigen physiologischen chemischen Laboratorium eine Probe der oben genannten Verbindung dargestellt und dabei gelegentlich die prachtvollen Schillerfarben beobachtet, welche dieselbe im geschmolzenen Zustande beim Erstarren darbietet. Die Schönheit, der Glanz und die Sättigung dieser Farben sowie ihre Veränderlichkeit mit dem Wechsel der Einfallsrichtung des 297 Die Schillerfarben bei Insekten und Vögeln. 297 Lichtes erinnern so sehr an die Schillerfarben der Insekten und namentlich gewisser Käfer, daß ich es nicht unterlassen möchte die Aufmerksamkeit darauf zu lenken, obschon ich bis jetzt nicht Zeit gefunden habe, die betreffenden Erscheinungen genauer zu studieren. Uebrigens sind dieselben den Chemikern bereits bekannt und gelten für die Verbindung als charakteristisch. In Berrstemss Handbuch der organischen Chemie III. Aufl, Bd. II, 1896, p. 1073 wird die Eigenschaft, beim Erstarren glänzende Farben zu erzeugen, sowohl vom Cholesterylacetat wie vom’ Cholesterylpropionat erwähnt. Das erstere färbt sich auf einem Objektträger geschmolzen und mit einen Deckgläschen bedeckt beim Erkalten erst smaragdgrün, dann blau und schließlich rot, das Propionat dagegen zuerst violett, dann blau, grün und endlich rot. Das Cholesterylpropionat (C„H„0,=G,H,O, - C„H;,) bildet weisse cholesterinartige Blättchen mit einem Schmelzpunkt von 98°, ist leicht löslich in Aether, Schwefelkohlenstoff und Benzol. Beim Verdunsten solcher Lösungen tritt keine Spur jener Farbenphänomene hervor. Bringt man dagegen eine kleine Menge der Substanz auf einen Objektträger und lässt dieselbe über einer kleinen Flamme schmelzen, so färbt sich, wie erwähnt, die geschmolzene Masse beim langsamen Abkühlen zunächst ‚schön violettblau, dann grün, glänzend gelbgrün (goldgrün) und schließlich wenigstens stellenweise rot. Untersucht man das völlig erstarrte, farblos gewordene Präparat mit dem Polarisationsmikroskop, so zeigt sich an denjenigen Stellen, wo die Substanz in dünnster Schicht ausgebreitet liegt, zwischen gekreuzten Nikols eine Mosaik prachtvoll entwickelter Sphäriten, die gegeneinander polygonal abgeplattet sind und teils farblos teils farbig erscheinen, jeder einzelne durchzogen von dem charakterisitischen schwarzen Kreuz. Es dürfte wenige Substanzen geben, in welchen sich so leicht und bequem die Entstehungs- weise und der Bau von Sphärokrystallen studieren läßt, wie die in Rede stehende Verbindung. Ganz besonders farbenprächtig gestaltet sich natürlich das Bild nach Einschaltung eines Gipsplättchens. Rot I. Ordnung. Das Hauptinteresse lag nun für mich in der Untersuchung derjenigen Stadien der Erstarrung, in welchen die Substanz jene glänzenden Farbenphänomene darbietet. Es sei gleich erwähnt, daß die- selben nicht nur bei dem Uebergang aus dem flüssigen in den festen Aggregat’ Zustand, sondern auch umgekehrt beim Schmelzen der erstarrten festen Masse in gleicher Weise auftreten. Sobald die Temperatur über 70° C gestiegen ist, beginnt die sich verflüssigende noch trübe Substanz blaues Licht auszustrahlen. Beobachtet man bei umgedrehtem Spiegel mit Zeiß A im auffallenden Lichte, so sieht man in dem Momente, wo bei der Erstarrung die Blaufärbung eintritt, wie sich das ganze Gesichtsfeld rasch mit einem blauen Schleier überzieht, indem zahllose blauschimmernde Partikel (Blättchen?) aus dem Dunkel auftauchen, welche wenig später unter Grünfärbung noch viel deutlicher, weil heller glänzend, hervortreten. Die ganze Masse gerät dann in strömende Bewegung, wobei die grünen Flitter anscheinend in einem flüssigen Medium schwimmen. In dem blauen Stadium herrscht dagegen noch völlige Ruhe, so daß man zu der Meinung kommen könnte, die ganze Masse sei bereits fest geworden. Während des lebhaften Strömens tauchen dann in dem grün oder schon gelb glitzernden Brei zuerst an einzelnen, dann an vielen Stellen dunkle kreis- förmige Scheiben auf, die sich rasch vergrößern und unter gegenseitiger Abplattung ein Mosaikfeld bilden, das sich nun nicht weiter verändert. Auch bei Anwendung stärkerer Vergrößerungen (Zeiß D) bin ich über die eigentliche Konstitution der wie Syrup zähflüssigen Masse nicht ins klare gekommen. Zwischen gekreuzten Nikols sieht man im Momente der Blaufärbung das vorher dunkle Gesichtsfeld sich rasch erhellen, indem zahllose weiße Flitter von nicht näher bestimmbarer Form auftauchen, die nun eine Zeit lang völlig ruhig liegen bleiben. Ich glaube mit Bestimmtheit sagen zu können, daß zu Jenaische Denkschriften. XI. 38 Festschrift Ernst Haeckel. 29 8 Die Schillerfarben bei Insekten und Vögeln. 2 98 dieser Zeit nicht die ganze Masse gleichmäßig doppelbrechend ist, sondern daß es sich um eine Differen- zierung solcher Partien handelt, die in einer isotropen flüssigen Grundsubstanz liegen. Ob jene nun auch flüssig (flüssige Kristalle?) oder fest sind, wage ich zunächst nicht zu entscheiden. Jedenfalls ist sicher, daß sie später bei der Bildung der zweifellos festen Sphärokristalle völlig aufgezehrt werden, also wohl wieder vorher in Lösung gehen, bezw. eine molekulare Umlagerung erleiden müssen. Es gewährt ein überaus reizvolles Bild, die Entstehung der Sphäriten und ihr allmähliches Wachsen mit dem Polarisations- mikroskop zu verfolgen. Ich erhielt wiederholt den Eindruck, daß in der Phase des Strömens, kurz vor dem Anschießen der Sphäriten wenigstens stellenweise auch ganz homogene doppeltbrechende Ströme entstehen können. Was nun die Farben selbst betrifft, deren Erscheinen, wie schon erwähnt, immer in die Stadien vor der Sphäritenbildung fällt, so verhalten sie sich in allen Punkten wie die Farben dünner Blättchen, so insbesondere auch darin, daß jeweils die Farbe im durchgehenden Lichte komplementär, aber blasser als die Reflexionsfarbe ist. Weiter zeigen sie auch dieselben Veränderungen (Schillern) mit dem Wechsel des Einfallswinkels. Gleichwohl möchte ich mich mit Rücksicht auf die noch zweifelhafte Konstitution der Substanz in den farbigen Stadien hinsichtlich der physikalischen Natur dieser Farben vorläufig nicht bestimmter äußern. 299 Die Schillerfarben bei Insekten und Vögeln, 299 Literaturverzeichnis. AMBRONN, H., Ueber den Glanz der Sapphirinen. Mitteil. d. zool. Station Neapel, Bd. IX, 1889—91. BAER, M., Ueber Bau und Farben der Flügelschuppen bei Tagfaltern. Zeitschr. f. wiss. Zool., Bd. LXV, 1899. BERGE, M., Ueber die Metallfarben bei den Insekten. 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In einem Vortrag, welcher auf der Versammlung deutscher Naturforscher und Aerzte in Salzburg gehalten wurde und im Jahre 1882 in erweiterter Form mit reichlichen Anmerkungen versehen als selbständige Broschüre erschien, suchte WEısmANnN nachzuweisen, daß der natürliche Tod, d. h. der Tod, welcher nicht durch zufällige äußere Schädigungen erfolgt, sondern aus der Gesamtheit der inneren und äußeren Lebensbedingungen des Organismus sich mit Notwendigkeit ergibt, bei den einzelligen Organismen noch nicht vorhanden ist. Einzellige Organismen sind im Sinne WeEısmanns unsterblich; sie vermehren sich durch Teilung oder Knospung, also in einer Weise, bei der die „Kontinuität des Lebens in gleicher Form“ gewahrt bleibt. Der „normale, aus inneren Ursachen eintretende“ Tod ist somit eine Neuerwerbung vielzelliger Organismen; er setzt die Differenzierung des Körpers in „somatische“ und „propagatorische Zellen“ voraus, eine Erscheinung, auf deren Bedeutung schon vor WEISMAnN, NussBaum (1880) hin- gewiesen hattee Nur die propagatorischen Zellen bewahren die Unsterblichkeit der einzelligen Orga- nismen, die Kontinuität des Lebens. Das „Soma“ ist dem Untergang verfallen, je nach den einzelnen Arten bald früher bald später. Der Umstand, daß die Leiber vielzelliger Organısmen absterben, sowie der Zeitpunkt, in welchem der Tod bei den einzelnen Arten eintritt, sind für WEISMAnNn An- passungen, welche durch den Kampf ums Dasein gezüchtet wurden. Für die Erhaltung der Art ist es von Wichtigkeit, daß der Individuenbestand derselben von widerstandsfähigen, äußeren Schädlichkeiten gewachsenen Organismen gebildet wird. Darum ist eine zeitweilige Erneuerung des Individuenbestandes der Art geboten. Der Zeitpunkt dieser Erneuerung ist gegeben, wenn eine zur Erhaltung der Art genügende Zahl junger Nachkommen vorhanden ist und zwar in einem zu selbständigem Leben befähigten Zustand. Daher hängt, wie WEIsMAanN durch reiches Material zu erhärten sucht, die Lebens- dauer der Individuen bei den einzelnen Arten vornehmlich von zwei Momenten ab, der Fortpflanzung und der Brutversorgung. Die Individuen einer Art können absterben, wenn sie die zur Erhaltung _ der Art genügende Zahl von Nachkommen erzeugt und in ihrer Entwickelung, soweit es nötig ist, gesichert haben. Gegen diese Ausführungen, welche WEısmann in einer Reihe späterer Publikationen im wesent- lichen aufrecht erhalten hat, sind vielerlei Einwände erhoben worden, welche darin übereinstimmen, daß sie den natürlichen Tod als eine Einrichtung betrachten, welcher jedwedes Leben unterworfen ist, welche demgemäß auch bei einzelligen Organismen vorkommt. Warum nun aber das Leben als solches den Keim des Todes in sich trägt, darüber gehen die Ansichten auseinander und zwar nach zwei Richtungen. GOErTE (1883) erblickt in der Fähigkeit der Fortpflanzung die Ursache, daß die Organismen sterben- müssen. Seine Ausführungen „über den Ursprung des Todes“ leugnen die Kontinuität des Lebens. 304 Ueber physiologische Degeneration bei Actinosphaerium Eichhorni. 304 Die Eizellen seien tote (Gebilde, in welchen das Leben erst allmählich neu entstände, ebenso die Cysten der Protozoen. Diese beiden Grundgedanken sind, wie schon oft hervorgehoben worden, ganz unhaltbar. Ebenso ist die Art, in welcher GoETTE einen notwendigen Zusammenhang zwischen Fortpflanzung und Tod der vielzelligen Organismen zu konstruieren versucht, eine so unnatürliche und gekünstelte, daß sie wohl nirgends Beifall gefunden hat. Dagegen hat eine zweite Ansicht — und zwar wie ich glaube mit Recht — weite Verbreitung gefunden, daß der Lebensprozeß in sich die Keime des Todes trägt, daß der Organismus im Laufe seines Daseins sich allmählich verbraucht und daher durch neue jugendfrische Individuen ersetzt werden oder an sich selbst eine Neugestaltung, „eine Verjüngung“ erfahren muß. Mauras hat durch lang fortgesetzte Kulturen von Protozoen nachzuweisen versucht, daß in der Tat die Lebensenergie dieser Tiere nur auf eine bestimmte, je nach den einzelnen Arten verschieden große Anzahl von Generationen bemessen ist, daß nach Ablauf dieser Zeit die Individuen infolge von seniler Degeneration zu Grunde gehen und die Art somit aussterben müßte, wenn nicht zuvor eine Verjüngung der Individuen durch Erneuerung des Kernapparates, ein „rajeunissement karyogamique* erzielt würde. Dieses „rajeunissement karyogamique“ erfolgt durch die Konjugation. Mauras glaubt gefunden zu haben, daß die für die Konjugation günstige Zeit, die Zeit der „sexuellen Reife“ lange vor dem Absterben einer Kultur eintritt. Werden Infusorien um diese Zeit durch starke Fütte- rung an der Konjugation verhindert, so ernähren und vermehren sie sich in lebhafter Weise weiter, aber es tritt eine Periode geschlechtlicher Degeneration ein. Dieselbe soll durch folgende Merkmale charakterisiert sein, zunächst durch „unfruchtbare Konjugationen“, Konjugationen, welche keinen normalen Verlauf nehmen, später durch Rückbildung der Geschlechtskerne, der „Micronuclei“ Schließlich treten auch Störungen in den übrigen Teilen der Organisation, der Bewimperung, dem Bau des Hauptkernes auf. Die Tiere werden kleiner und nehmen Zwergengestalt an. Die Degenerationsvorgänge führen zum Aussterben der Kultur. 3 Mauras’ Züchtungsresultate habe ich nicht bestätigen können. Ich habe schon vor etwa ı5 Jahren Paramaecien entcopuliert, d. h. ich habe Copulae gesprengt und die getrennten Paarlinge räumlich gesondert bei reichlichem Futter erzogen. Sie lebten viele Monate in reichem Futter weiter und vermehrten sich sehr stark, ohne daß eine Degeneration der Nebenkerne eingetreten wäre. Zeitweilig hörte tagelang die Teilung und wahrscheinlich auch die Nahrungsaufnahme auf. Manche der Infusorien gingen sogar um diese Zeit zu Grunde. Untersuchte ich dann die Tiere genauer, so fand ich das Protoplasma von schwärzlichen Körnchen durchsetzt und die Hauptkerne stark vergrössert. War diese Kernvergrößerung nach einigen Tagen rückgängig gemacht, so begann die Vermehrung von neuem. Zu prinzipiell gleichen Resultaten ist in der Neuzeit Carkıns (1902) gekommen und zwar eben- falls bei Paramaecium caudatum. Carkıns nennt die Zustände der Teilungs- und Assimilations- unfähigkeit „Depression“, ein Name, der im folgenden beibehalten werden soll, da er eine bei Protozoen weit verbreitete, wahrscheinlich allgemeine Erscheinung bezeichnet. Ich sah bei lang fortgesetzter Kultur periodische Depressionszustände, sowohl bei Actinosphaerium Eichhorni wie bei Dileptus gigas. CaLkıns hat bei seinen Untersuchungen die Kernveränderungen übersehen; er hat dagegen die biologischen Erscheinungen, welche während der Kultur zur Beobachtung kommen, noch genauer unter- sucht als ich. Er hat namentlich nachgewiesen, daß bei Paramaecium Konjugationsepidemien zu sehr verschiedenen Lebenszeiten beobachtet werden, daß die Neigung zu Konjugationen auf einer Beschaffen- heit der Tiere beruht, welche eintritt um zu verschwinden und nach einiger Zeit von neuem aufzutreten, wie ich es für den Encystierungsprozeß von Aktinosphärien und die Konjugation von Dileptus gleich- 305 Ueber physiologische Degeneration bei Actinosphaerium Eichhorni. 305 falls habe feststellen können. Carkıns fand auch keinen Unterschied in der Fertilität der Konjugationen während der verschiedenen Kulturperioden, keine Unterschiede zwischen einer Periode sexueller Reife und sexueller Degeneration. Man könnte nun einwenden, daß Mauras bei seinen Untersuchungen andere Arten verwandt hat, hoch differenzierte Infusorien aus der Gruppe der Hypotrichen; man könnte annehmen, daß diese sich anders verhalten als Paramaecien. Diese Annahme hat sehr wenig Wahrscheinlichkeit für sich. Zu- nächst müssen wir daran festhalten, daß in Vorgängen von so fundamentaler Bedeutung, wie sie in der Befruchtung (Konjugation) und in den Einwirkungen der Funktion auf den Organismus gegeben sind, principielle Uebereinstimmung herrschen wird. Ich bin daher bei aller Hochachtung für die glänzenden Leistungen Mavpas’ zur Ansicht gekommen, daß die Ergebnisse seiner Züchtungsversuche bei Stylo- nychien dringend der Nachforschung bedürfen und daß seine allgemeinen Anschauungen über sexuelle Reife und die Notwendigkeit des Todes bei Behinderung des „rajeunissement karyogamique“ sich wohl sicher als irrig heraus stellen werden. Sind wir nun bei dieser Sachlage gezwungen zu den Anschauungen WeEIsMmann’s zurückzu- kehren, wie das in der Tat von seiten Carkıms’ geschehen ist? Ist die Erscheinung des natürlichen Todes den Protozoen fremd und der Tod der Metazoen ein Neuerwerb, welcher eine Konsequenz der “Vielzelligkeit ist? Meine Ansichten hierüber möchte ich im folgenden in einer zusammenfassenden Dar- stellung geben, für welche Untersuchungen, die in dieser und einigen weiteren Arbeiten veröffentlicht werden sollen, den Beweis erbringen mögen. Durch meine Untersuchungen an Protozoen bin ich zum Resultat gekommen, daß bei der Zell- funktion der Kern auf Kosten des Protoplasmas wächst. Soll dabei die Zelle funktionsfähig bleiben, so muß das funktionelle Wachstum des Kernes durch Resorptionsprozesse rückgängig gemacht werden. Bei fortdauernder Funktion überwiegt das funktionelle Wachstum des Kernes die Resorptionsvorgänge und führt schließlich zu einer starken, weitere Funktionen unmöglich machenden Kernhypertrophie; dieser Kernhypertrophie entsprechen die von Carkıns als „Depression“ bezeichneten Zustände der Zelle, von denen oben schon die Rede war, während deren Nahrungsaufnahme und Vermehrung pausieren. Es hängt von dem Grade dieser Depression ab, ob sie wieder beseitigt werden kann, was nur durch ein- ‚greifende, eine Verkleinerung des Kernes bewirkende Veränderungen möglich ist. Gelingt die Kern- reduktion nicht oder schreitet die Kernvergrößerung sogar weiter fort, so tritt der Tod aus inneren Ursachen, der physiologische Tod ein. Wenn bei den Protozoen dieser physiologische Tod in der Regel ausbleibt, so hängt das von den vielfältigen Einrichtungen ab, welche getroffen sind, um ihn zu vermeiden. Eine dieser Einrichtungen haben wir schon kennen gelernt in den Zellregenerationen, welche die Depression wieder rückgängig machen und das Gleichgewicht der Zellteile wieder herstellen. Es gibt weitere Einrichtungen, welche den Zweck haben, das Eintreten von Depressionszuständen möglichst hintanzuhalten. Solche Einrichtungen sind in der Encystierung gegeben, während deren sicherlich eine Reorganisation der Zelle sich vollzieht, ferner in der mit der Encystierung häufig verbundenen Befruchtung, bei welcher eine intensive Reduktion und Umgestaltung des Kernapparates, ein „rajeunissement karyogamique“ nachgewiesen ist. Ich nehme an, daß die Kräfte, welche dem funktionellen Anwachsen des Kernes in der Zelle entgegenwirken, durch die Reifungs- und Befruchtungsprozesse eine Stärkung erfahren. Ich muß zugeben, daß- diese Inter- pretation der Wirkung der Befruchtung noch ungenügend gestützt ist. Man könnte ihr sogar die Er- fahrungen, zu denen Carkıns in den oben schon erwähnten Untersuchungen gelangt ist, entgegenhalten, daß Paramaecien, welche aus der Konjugation hervorgegangen sind, zur Zucht sich ungeeigneter erweisen Jenaische Denkschriften. XI. 39 Festschrift Ernst Haeckel. 306 Ueber physiologische Degeneration bei Actinosphaerium Eichhomi. 306 und im Durchschnitt früher absterben als gewöhnliche oder an der Konjugation verhinderte Tiere. Ich habe selbst einige Versuche gemacht, welche die Erfahrungen Carkms’ vollkommen bestätigen, daß Paramaecien, welche aus der Konjugation hervorgegangen sind und unter günstige Futterbedingungen gebracht werden, leicht absterben. Ich erkläre mir aber diese Erscheinung anders als CarLkıms, nämlich daraus, daß man bei der Kultur unnatürliche, für das betreffende Entwickelungsstadium ungeeignete Existenzbedingungen geschaffen hat, wie sie in der Natur nicht vorkommen können. Ich bin wie Mauras durch Experimente zur Ansicht gekommen, daß die Konjugation bei Protozoen durch einen bestimmten Zustand der Zelle angebahnt wird, welchen man mit Mauras „sexuelle Reife“ nennen kann, auch wenn man, wie ich, nicht in allen Punkten mit dem hochverdienten französischen Forscher übereinstimmt. Die sexuelle Reife genügt aber nicht, um Befruchtungsvorgänge zu veranlassen; denn bei starker Fütterung unterbleibt mit seltenen Ausnahmen die Konjugation. Es müssen somit zur „sexuellen Reife“ noch weitere Momente sich hinzugesellen. Ich kenne zur Zeit — und darin stimme ich im Gegensatz zu Carkıns mit Maurpas überein — nur ein solches Moment, welches zwar für sich allein nicht ausreicht, „Konjugation“ hervorzurufen, wohl aber im stande ist, bei günstigen Bedingungen sie auszulösen. Das ist der Hunger oder ungenügende Ernährung. Bei dieser Sachlage müssen die nach beendeter Be- fruchtung ablaufenden Umgestaltungen der Zellbestandteile, des Kernes und des Protoplasmas, in der Natur unter Hunger oder mäßiger Ernährung ablaufen und für diese berechnet sein. Veranlaßt man dagegen durch reiche Nahrungszufuhr aus der Konjugation hervorgegangene Protozoen zum Fressen, so werden in den Tieren Assimilationsprozesse hervorgerufen, denen ihre Organisation noch nicht gewachsen ist. Man sollte daher zu Experimenten über den Einfluß der Konjugation auf den Organismus nur Infusorien benutzen, welche zuvor unter den Bedingungen, unter denen die Konjugation eintrat, d. h. bei geringer Nahrung, eine restitutio in integrum erfahren haben. Dann wird man erst beurteilen können, ob die Organisation der Protozoen, wie ich in Uebereinstimmung mit den meisten Protozoen- forschern annehme, durch die Konjugation eine Festigung erfahren hat oder nicht. Nach meiner Ansicht ist die Artexistenz von Protozoen in der Natur somit in doppelter Weise versichert. Der Befruchtungsprozeß liefert Tiere von befestigter Konstitution, jugendliche Tiere; die Encystierung und die Reorganisation nach Ablauf von Depressionszuständen verhindern, daß die Tiere nicht funktionell zu Grunde gehen. Vergleichen wir damit die Metazoen, so liefert hier auch die Befruchtung jugendliche für die Lebensfunktionen gefestigte Tiere. Aber es fehlen die Einrichtungen, welche den physiologischen Tod zu hindern bestimmt sind. So tritt die physiologische Usur in ihr Recht und führt zum Untergang. Die physiologische Usur braucht dabei gar nicht die Grade zu erreichen, welche bei Protozoen Depressions- zustände auslöst. Denn für den vielzelligen Organismus ist es nicht ausreichend, daß die einzelnen Zellen am Leben bleiben; sie müssen auch die zur Erhaltung des Ganzen ihnen auferlegten Arbeiten leisten und zwar in einer Weise, welche zu den Lebensfunktionen der übrigen Zellen harmonisch abge- stimmt ist. Es genügt somit eine herabgesetzte Lebensenergie der Zellen anzunehmen, um den Tod des gesamten Organismus und im Anschluß daran den Tod seiner einzelnen Elemente zu verstehen. Anhänger der Wersmannschen Lehre werden der hier vorgetragenen Auffassungsweise entgegen- halten, daß sie in ihren Konsequenzen mit jener Lehre zusammentrifft. Denn tatsächlich wird ja zugegeben, daß die Protozoen in der Regel dem physiologischen Tod entrinnen, die Metazoen dagegen, sofern sie nicht durch Einwirkung von Schädlichkeiten zuvor dahingerafft werden, dem normalen Tode stets erliegen müssen. Immerhin ist der Unterschied beider Auffassungen ein sehr erheblicher. Denn nach meiner Ansicht sind die Bedingungen des Todes in der lebenden Substanz von Anfang an gegeben; 307 Ueber physiologische Degeneration bei Actinosphaerium Eichhorni. 307 sie sind eine notwendige Konsequenz der Lebensfunktionen. Sie kommen daher beim funktionierenden Soma der vielzelligen Tiere zum Austrag, gewinnen dagegen keinen Einfluß bei den an den Leistungen des Körpers nicht beteiligten Geschlechtszellen, welche ihrer funktionellen Ruhe ihre „Unsterblichkeit“ verdanken. Bei Protozoen, welche Soma und Geschlechtszelle zugleich sind, müßte der funktionelle Tod ebenfalls eintreten, wenn er nicht durch besondere Einrichtungen verhindert würde. Schaltet man diese Einrichtungen aus oder stellt man ihnen durch Steigerung der Funktion zu hohe Ansprüche, so erliegen auch die Protozoen dem physiologischen Tod. Diesen Satz zu beweisen mögen die im folgenden mitgeteilten Beobachtungen dienen. Dieselben beziehen sich zunächst nur auf eine bestimmte Protozoen- Form, auf Actinosphaerium Eichhorni. Auf weitere Protozoen, die holotrichen Infusorien Dileptus gigas, Paramaecıum caudatum und P. aurelia werde ich in späteren Publi- kationen eingehen; vorläufige Mitteilungen über meine an diesen drei Arten gemachten Erfahrungen habe ich schon anderweitig gegeben (1899, 1900, 1903). Spezieller Neil: Wenn ich im folgenden versuchen werde, den Nachweis zu führen, daß fortgesetzte Funktion bei Actinosphaerium zu einer Degeneration der Zellteile, von Kern und Protoplasma führt, so setzt diese Auseinandersetzung eine genaue Bekanntschaft mit dem Bau eines normalen Actinosphaeriums voraus. Ich schicke hierüber einige Bemerkungen voraus, da unsere bisherigen Kenntnisse unge- nügend sind. Bekanntlich ist der Körper eines frei im Wasser schwebenden Actinosphaeriums eine Kugel mit radıal ausstrahlenden Pseudopodien. Die Pseudopodien sind einzeln von homogenen Achsenfäden ge- stützt und gleichmäßig über die Oberfläche verteilt; die Kugel besteht aus stark vakuolisiertem Proto- plasma und zwar aus einer großvakuolıgen, daher durchsichtigeren Rinde und einer feinvakuoligen, infolge dessen sowie infolge größeren Körnerreichtums trüben Markmasse. In der Rinde liegen die kontraktilen Vakuolen, in der Markmasse die Nahrungskörper eingeschlossen in besonderen Nahrungs- vakuolen. Die Kerne finden sich in der Markmasse, aber der Hauptsache nach nur in der peripheren Schicht derselben, also dicht unter der Rindenschicht. In die inneren Markschichten geraten normaler- weise nur immer wenige vereinzelte Kerne. Ueber den Bau der Kerne habe ich schon in zwei Arbeiten ausführlich gesprochen. Die in meiner letzten ausführlicheren Publikation genauer begründete Auffassung kann ich auf Grund meiner neuesten sehr eingehenden Untersuchungen in vollem Umfange aufrecht erhalten. Ihr zufolge sind die Kerne 0,010—0,014 mm große Bläschen, welche durch eine Kernmembran scharf abgegrenzt werden, deren inneres von Kernsaft und einem engmaschigen achromatischen „Linin“Gerüst erfüllt ist. In diesem Liningerüst liegen die für uns wichtigsten Substanzen, de Nukleolarsubstanz und das Chro- matin eingebettet in sehr charakteristischer, wenn auch je nach dem Funktionszustand des Kernes wechselnder Anordnung. Gehen wir vom einfachsten allerdings selten eintretenden Zustand aus, so ist die Nukleolar- substanz, die Substanz, aus welcher die Nucleoli der Gewebszellen vielzelliger Tiere bestehen, und das Chromatin innig vermischt und zu einem einzigen kugeligen Nucleolus zusammengeballt, einem chromatischen Nucleolus oder Amphinucleolus (WALDEYER 1902). Es ist dies der Zustand funktioneller Ruhe, zugleich auch der Zustand von dem aus die zur Teilung führenden Umgestaltungen beginnen. Selten ist im Amphinucleolus das Chromatin an bestimmten Stellen kondensiert, bald als eine zentrale 39° 308 Ueber physiologische Degeneration bei Actinosphaerium Eichhorni. 308 u. \ Masse, bald als eine dem Nucleolus einseitig aufsitzende Calotte, was an die Chromatinanordnung in den Keimflecken vieler Tiere erinnert. Gewöhnlich findet man das Material des Amphinucleolus im Kern verteilt, entweder zerlegt in 4 zwei oder mehr kleine Nucleoli, oder in dendritisch verästelte Ausläufer ausgewachsen, welche auf dem Kerngerüst vom Zentrum nach der Peripherie ausstrahlen. Aeußerst feine dendritische Verästelung, so daß der Kern fast körnig aussieht, ist nach meiner Ansicht ein Zeichen energischer Kernfunktion. Auch bei den Kernen mit verteiltem Amphinucleolus kann es zu einer Sonderung von Nukleolarsubstanz und Chromatin kommen. Letzteres nimmt dann die peripheren Enden der Verästelungen ein, so daß das Zentrum der gesamten Figur, welche ich im folgenden Chromatinrosette nennen werde, licht“ erscheint. Auf die feinere Struktur des Protoplasma, ob ein fibrillärer, ein gerüstförmiger oder wabiger Bau vorliegt, hier einzugehen ist nicht der Ort. Dagegen muß ich kleine in großer Zahl eingeschlossene Körperchen erwähnen, für die ich bei einer früheren Gelegenheit den Namen „Chromidien“ eingeführt habe (1902, S. 4). Die Chromidien sind merkwürdigerweise von allen früheren Untersuchern übersehen worden, auch von mir in meiner ausführlicheren Darstellung der Kernteilung, Befruchtung und Encystierung ° von Actinosphaerium; sie sind feine oder gröbere Körner, oder Stäbchen oder dreieckige oder schwach verästelte Körperchen, die sich genau färben wie die Substanz des Amphinucleolus; sie bestehen auch unzweifelhaft aus einem Gemisch von Chromatin und Nukleolarsubstanz. Sie liegen in den Maschenwänden zwischen den Vakuolen, oft dicht beieinander, so daß die Maschenwände an Imbibitions- } präparaten fast gleichförmig rot gefärbt sind, was wohl Ursache ist, daß die Chromidien so lange über- sehen worden sind; sie finden sich sehr viel reichlicher in der Markschicht als in der Rinde und können | in letzterer ganz fehlen. Unzweifelhaft stammen sie aus dem Kern, aus welchem sie heraustreten. Ich habe das nicht am lebenden Tier beobachten können, sondern aus Präparaten abgetöteter stark assi- milierender Tiere erschlossen; bei diesen sind vereinzelte Kerne halb aufgelöst, so daß ein Unterschied zwischen Chromidien und den im Kern enthaltenen die Chromatinrosette bildenden Chromatinbestand- teilen gar nicht mehr gemacht werden kann. Die folgende Darstellung der Degenerationsprozesse der Aktinosphärien wird uns noch genugsam Beweise für die Ableitung der Chromidien vom Kern liefern. Ich verweise hier zunächst auf Taf. X, Fig. I—4. Auch bei hungernden Tieren kann man den Zusammenhang der Chromidien mit dem Kern erkennen, indem hier eine starke Reduktion der Kerne durch Auflösung erfolgt, was zu einer Umwandlung der Chromatinrosette in Chromidien führt. Das Protoplasma hungernder Aktinosphärien ist daher zeitweilig von Chromidien ganz durchsetzt. Den Chromidien ähnliche Gebilde sind meines Wissens bısher unter normalen Verhältnissen nur an Eizellen beobachtet worden. Wiederholt ist festgestellt worden, daß auf den Stadien der Vorreife aus den | Keimbläschen feine stark färbbare Fäden und Körperchen in das Protoplasma übertreten, um daselbst zu Grunde zu gehen. Ich selbst kenne diese Vorkommnisse von Eiern von Medusen und Seesternen und zweifele nicht an ihrer Gleichwertigkeit mit dem was ich soeben geschildert habe. In einer früheren Publikation habe ich ferner die Chromidien mit dem von mir zuerst (1887) beschriebenen Chromidialnetz der Monothalamien in Parallele gestellt. Bei diesen Rhizopoden findet sich außer den Kernen, die eine sehr geringe Färbbarkeit besitzen, noch eine den Kern umgebende und weithin ohne scharfe Begrenzung in das Protoplasma hineinragende Masse, welche sich ganz wie Chromatin färbt. Der von mir früher gemachte Vergleich ist insofern berechtigt, als es sich um Strukturen von ähnlicher morphologischer Beschaffenheit handelt. Auch das Chromidialnetz der Thalamophoren besteht nach meiner Deutung aus Vereinigung der zwei bei den meisten Protozoen morphologisch noch 309 Ueber physiologische Degeneration bei Actinosphaerium Eichhorni. 309 nicht gesonderten Substanzen, Nukleolarsubstanz und Chromatin. Aber die physiologische Wertigkeit von Chromidien und Chromidialnetz ist nicht ganz die gleiche. Das Chromidialnetz der Thalamophoren ist nach meiner Auffassung der Hauptsitz der funktionellen Tätigkeit des Kernes; es kann daher auch der Ausgangspunkt für die Bildung neuer Kerne werden. Die Chromidien des Actinosphaerium dagegen scheinen mir vorwiegend überschüssige, aus dem Kern heraustretende und ohne weitere Funktion zu Grunde gehende Teile zu sein, desgleichen wohl auch die oben erwähnten Chromidien der Eizellen. Sie treten im Laufe des Stotfwechsels der Zelle auf. Wenn die Chromatinmasse des Kernes bei seiner Funktion sich vergrößert, muß sie, damit eine weitere Funktion möglich sei, zum Teil rückgebildet werden; dies geschieht, indem Teile der Chromatinrosette in das Protoplasma eliminiert werden. Hier werden sie entweder resorbiert oder in bräunliche Pigmentkörner verwandelt, welche vom Actinosphaerium ausgestoßen werden. Man findet daher bräunliche Pigmentierung der Aktinosphärien zu allen Zeiten, in denen größere Mengen von Kernsubstanz vernichtet werden. Am auffälligsten zur Zeit der Encystierung; bei derselben werden über go Proz. aller Kerne aufgelöst, woraus es sich erklärt, daß die Cysten einen gelblich-bräunlichen Farbenton annehmen. — Pigmentierung tritt ferner bei Aktinosphärien ein, welche, in Hungerkultur gehalten, die Fähigkeit der Encystierung nicht gewinnen, sondern allmählich verhungern. Hier habe ich häufig verfolgt, wie im Inneren bräunliche Körnerhaufen entstehen, die sich zusammenballen und als Ganzes ausgestoßen werden. Dies hat aber- mals seinen Grund darin, daß bei verhungernden und infolgedessen an Masse abnehmenden Tieren zahlreiche Kerne zerstört werden, welche das Material für die Pigmentbildung liefern. Eine dritte Ursache zu Pigmentbildung aus Chromidien ist endlich in starker Fütterung gegeben, wenn dieselbe unausgesetzt fortgesetzt wird, bis die in der Einleitung kurz erwähnte und als „Depression“ bezeichnete Assimilationsunfähigkeit erreicht wird. Geringe Grade von Depression treten bei Aktino- sphärien leicht ein, oft in Zwischenräumen von wenigen Tagen. Zeitweilig treten energischere Depressions- perioden ein, welche ı bis mehrere Wochen dauern, während deren keine Nahrungsaufnahme, keine Kernvermehrung und kein Wachstum beobachtet wird. Derartige energische Depressionszustände können sogar zum Tode führen. Manche meiner Aktinosphärienkulturen sind in dieser Weise vollkommen zu Grunde gegangen. Die Tiere starben im Ueberfluß von Nahrung ab, als ob sie verhungerten; sie erreichten aber nicht die geringen Dimensionen hungernder Tiere, sondern starben bei ansehnlicher Größe und daher auch früher als verhungernde Tiere ab. Aktinosphärien in Depression besitzen einen Stich ins Bräunliche; sie sind um so intensiver gefärbt, je stärker die vorausgegangene Fütterung und die an dieselbe anschließende Depression war. Während der assimilierenden Tätigkeit waren reichliche Chromidien gebildet worden, welche allmählich verarbeitet werden müssen. Die aus den Chromidien hervorgehenden, stark lichtbrechenden bräunlichen Pigmentkörnchen sammeln sich gewöhnlich in großen Mengen in der oberflächlichsten protoplasmatischen Lage der Rindenschicht an, bis sie ausgestoßen werden. Auch im Inneren des Actinosphaerium können Pigmentansammlungen stattfinden; namentlich sind die Nahrungsvakuolen oft bräunlich umrändert oder es entstehen braune Inseln im Aktinosphärienkörper. In den braunen Pigmentinseln liegen oft die Kerne dicht gehäuft; es kann zur Bildung einer Art Sequester kommen, d. h. die braune Pigmentmasse samt den eingeschlossenen Kernen wird ausgestoßen und verquillt zu einer schleimig-körnigen Masse, in der noch die Kerne zu erkennen sind. In einer meiner Kulturen habe ich die Sequesterbildung häufig beobachten können. In Fig. 5, Taf. XI, habe ich ein pigmentiertes Aktinosphaerium abgebildet, welches einige Tage später unter wiederholter Sequesterbildung abgestorben ist. Fig. 8, Taf. X, stellt ein Stück 310 Ueber physiologische Degeneration bei Actinosphaerium Eichhorni. 310 von einem Tier dar, bei welchem gerade, als es abgetötet wurde, die bräunliche Pigmentmasse samt Kernen ausgestoßen wurde. | Uebermäßige Pigmentbildung und Elimination kernreicher Protoplasmapartien sind Vorgänge, welche schon aus dem Rahmen normalen Geschehens heraustreten und unter die Prozesse physiologischer Degeneration fallen, von denen hier die Rede sein soll. Ich habe sie hier nur kurz abgehandelt, weil ich mich in dieser Arbeit auf Vorgänge beschränken möchte, bei denen die durch die physiologische Degeneration hervorgerufenen Strukturveränderungen so hochgradig sind, daß sie sofort den Eindruck des Abnormen machen. Diese Strukturveränderungen werden sicherlich sowohl das Protoplasma wie den Kernapparat betreffen; sie kommen aber an letzterem am deutlichsten zum Ausdruck, so daß wir auf ihn unser Augenmerk besonders richten müssen. Sie haben das Gemeinsame, daß das Protoplasma seiner Kerne beraubt wird und, dadurch lebensunfähig geworden, nach kürzerer oder längerer Zeit eben- falls zu Grunde geht. Was die Art der Kernzerstörung anlangt, so können wir 3 Typen unterscheiden, die wir auch getrennt besprechen wollen, obwohl, wie wir sehen werden, eine scharfe Abgrenzung nicht möglich ist: 1) Gleichzeitige Auflösung sämtlicher Kerne zu Chromidien. 2) Umwand- lung eines oder weniger Kerne zu Riesenkernen, welche zum Teil ausgestoßen werden, während die übrigen Kerne der Auflösung unterliegen. 3) Ausstoßung der gesamten, die ver- größerten Kerne umschließenden Markschicht. ı. Chromidialauflösung sämtlicher Kerne. Die ersten Beobachtungen über Auflösung sämtlicher Kerne eines Actinosphaerium machte ich bei meinen Experimenten über Encystierung. Ich hatte bestätigt gefunden, was andere Forscher, vornehmlich Brauer (1894) schon vor mir festgestellt hatten, daß Aktinosphärien, welche in reinem futterfreien Wasser kultiviert werden, sich encystieren. Ich hatte gefunden, daß das Experiment nicht glatt gelingt, daß von ganz gleich aussehenden, gleichartig kultivierten, gleichgroßen Tieren einige schon bald nach Installation der Hungerkultur Cysten bilden, andere erst nach mehr oder minder langer Dauer, dritte überhaupt nicht. Das Prozentverhältnis, in dem die verschiedenartigen Individuen einer Kultur zu einander stehen, wechselt nach den Zeiten. Die beiden extremen Fälle sind, daß alle Tiere einer Hunger- kultur in den ersten Tagen des Versuches sich encystieren; oder es tritt gar keine Encystierung ein und im Lauf von 3—4 Wochen verhungern sämtliche Individuen. Mir lag daran, zur näheren Charakteristik der Unterschiede, die in diesem verschiedenen Verhalten zu Tage traten und bei der Gleichartigkeit der Existenz- bedingungen den Rückschluß auf eine Verschiedenartigkeit der Kulturtiere gestatteten, ausgedehnte statistische Erhebungen zu machen und hatte daher zahlreiche Hungerkulturen angesetzt. Das Material dazu stammte aus einem Weiher bei Possenhofen am Starnberger See, welcher zum Zweck von Karpfen- zucht reich mit verwesendem Material versehen und gedüngt wird, was zur Folge hat, daß sich im Lauf des Sommers ein ganz enormes Tierleben entwickelt. Namentlich vermehren sich die Aktinosphärien in ganz unglaublicher Weise. Das Aktinosphärienmaterial war Ende Oktober gesammelt und gleich zu Encystierungskulturen verwandt worden. Es läßt sich daher annehmen, daß eine enorme Assimilations- tätigkeit und Vermehrung der Tiere vorausgegangen war. In den Eneystierungskulturen fielen mir drei Tiere auf, die sich ganz abweichend von den anderen verhielten. Während letztere mit reich ausgebreiteten Pseudopodien in der Kultur frei flottierten oder sich mit ihnen am Boden und an den Wandungen fixierten, um die Encystierung vorzubereiten, lagen jene drei auf dem Boden locker, so daß sie bei Bewegung der Kulturschale widerstandslos herum- ara Ueber physiologische Degeneration bei Actinosphaerium Eichhorni. Zuen kugelten. Pseudopodien waren nicht vorhanden, höchstens ein feiner Protoplasmafaden, mit dem die Tiere sich etwas wenigstens zu verankern suchten. Sehr auffallend war die Rückbildung der Rinden- schicht und der Mangel kontraktiler Vakuolen. Der Körper der Aktinosphärien war eine Kugel von gleichförmig trübkörniger Beschaffenheit, nur der äußerste Rand war etwas lichter. Anfangs ver- mutete ich, es möchte sich um eine Vorbereitung zur Encystierung handeln. Da diese aber ausblieb, tötete ich ein Exemplar ab und kultivierte die beiden anderen Tiere weitere zwei Tage. Dabei erholte sich ein Tier, indem es wieder einen Wald von Pseudopodien aussandte. Die mikroskopische Untersuchung des zuerst abgetöteten Tieres ergab nach der Färbung einen vollkommenen Schwund der Kerne. Das Protoplasma war nach allen Richtungen gleichmäßig von Chromidien durchsetzt (Taf. X, Fig. ı u. 2); auch die Vakuolen waren überall gleichartig und gleich- groß mit Ausnahme der äußersten Rinde, wo die Vakuolen parallel der Oberfläche etwas abgeplattet waren. Ich habe das Tier eingebettet und geschnitten, aber auch dann, selbst bei Anwendung der Eisenhämatoxylinfärbung, konnte ich außer Chromidien keine Kernreste nachweisen. Das zweite Exemplar ergab vollkommen gleiche Bilder, beim dritten Exemplar welches die Pseudopodien wieder entwickelt hatte, waren auch die Chromidien in großer Menge vorhanden, außerdem aber auch Kerne in geringer Anzahl. Die gemachten Befunde machen folgende Deutung wahrscheinlich. Durch die vorausgegangene starke Lebenstätigkeit war die Konstitution der Aktinosphärien erschüttert, der Wieder- stand, welchen die Kerne gegen die Umwandlung in Chromidien setzen, herabgesetzt. Die bei der Encystierung zum Ausdruck kommende Tendenz des Protoplasma, die Kerne aufzulösen, war dadurch so übermächtig geworden, daß ihr alle Kerne gleichzeitig erlagen. Während aber bei der Encystie- rung die der Resorption verfallenden Kerne (90—95 Proz. der Gesamtzahl) so gründlich verarbeitet werden, daß nur eine bräunliche Pigmentierung der Cyste von ihnen übrig bleibt, die übrigbleibenden Kerne um so besser gedeihen, bleibt die Kernsubstanz in Form von Chromidien erhalten und nur Kernreticulum und Kernmembran, letztere wahrscheinlich nur eine Modifikation des erstern, werden zerstört. Starke Eingriffe in die Constitution der Kerne führen, wie wir im Folgenden noch weiter sehen werden, zu einer Veränderung der Pseudopodien, im vorliegenden Fall zu einer völligen Rück- bildung derselben. Da nun bei dem längere Zeit kultivierten Actinosphaerium die Pseudopodien ge- schwunden und wieder neu gebildet worden waren und dasselbe auch Kerne erkennen ließ, nahm ich an, daß die Kerne aus Chromidien sich neu entwickelt hatten, wie ich für Arcellen (1887, 1899) schon früher eine Neubildung von Kernen aus dem Chromidialnetz wahrscheinlich gemacht hatte. Inzwischen habe ich weitere Chromidialtiere — so will ich die merkwürdig umgewandelten Aktinosphärien nennen — zu beobachten und genauer zu studieren Gelegenheit gehabt. Ich bin dabei in meiner Deutung der Befunde befestigt worden mit Ausnahme des einen Punktes, daß ich eine Neu- bildung der Kerne aus Chromidien nicht mehr annehme, oder mindestens nicht für erwiesen halte. Ich nehme an, daß bei dem Tiere, welches sich erholt hatte, nicht sämtliche Kerne untergegangen waren, sondern daß ein Teil sich erhalten, vielleicht sogar durch Teilung sich vermehrt und die Reorganisation veranlaßt hatte. Ich habe nämlich wiederholt beobachtet, daß das oben genauer geschilderte Aussehen von Chromidialtieren schon erzielt wird bei Aktinosphärien, bei denen nur eine teilweise Auflösung der Kerne eingetreten war; ferner habe ich feststellen können, daß Chromidialtiere, die ich in ähnlicher Weise wie das erstemal aufzuziehen versuchen wollte, sämtlich zu Grunde gingen. Leider sind meine Beob- achtungen über den merkwürdigen Degenerationsvorgang zu lückenhaft, als daß ich ein bestimmtes Urteil abgeben könnte. Trotz meiner Bemühungen ist es mir nicht geglückt, ein Verfahren zu finden, aD Ueber physiologische Degeneration bei Actinosphaerium Eichhorni. 3712 welches es ermöglicht hätte, Chromidialtiere in größerer Zahl zu züchten. Es waren immer nur spora- dische Befunde, über die ich hier noch einiges beifüge. Eine größere Zahl Chromidialtiere erzielte ich im Jahr nach meinen ersten Beobachtungen unter ganz ähnlichen Bedingungen wie das erstemal, d. h. aus einer größeren Zahl von Tieren, welche im Oktober im Possenhofener Weiher frisch gefischt und zur Encystierungskultur angesetzt worden waren. Die Kultur bot insofern neues, als ich auf Grund meiner früheren Erfahrungen mich zum frühzeitigen Abtöten von Tieren entschloß, bei denen die Rückbildung der Pseudopodien und der Rindenschicht den Eintritt der Kerndegeneration erwarten ließ. So gelang es mir, frische Stadien des Prozesses zu gewinnen, wie ein solches in Fig. 3, Taf. X abgebildet ist. An dem betreffenden Präparat kann man die einzelnen Kerne noch erkennen; sie sind aber undeutlich umgrenzt, weil eine Auflösung der Kern- membran eingetreten ist. Auflösung von Kernen kennen wir aus der Zeit der Encystierung und werden wir im folgenden noch mehrfach bei Degenerationsprozessen zu besprechen haben. Zur Unterscheidung von derartigen analogen Vorgängen sei noch als charakteristisch für die Bildung typischer Chromidial- tiere hervorgehoben, daß die Kernauflösung eine rapide ist, welche die meisten, in manchen Fällen sogar alle Kerne gleichzeitig ergreift, daß ferner die Kerne, welche aufgelöst und zu Chromidien umgewandelt werden, ein normales Aussehen besitzen und namentlich sich weder in ihrer Größe, noch in ihrer Struktur, noch in ihrem Chromatingehalt von normalen Kernen unterscheiden. Immerhin müssen sich die Chromidialtiere auch vor der Umbildung des Kernapparates schon von normalen Tieren unter- schieden haben. Ein solches unterscheidendes Merkmal ist in der großen Zahl der Kerne gegeben. Dazu kommen wahrscheinlich noch Unterschiede, welche in feineren, morphologisch vielleicht gar nicht zum Ausdruck gelangenden Unterschieden der Kerne und des Protoplasma gegeben sind. Zum Schluß dieses Abschnittes habe ich noch zu bemerken, daß ich gelegentlich in meinen stark überfütterten Kulturen ebenfalls Chromidialtiere angetroffen habe. Wir haben hierin ein Seitenstück zu der Erscheinung, daß Encystierung der Aktinosphärien sowohl durch Hunger wie durch übermäßige Fütterung veranlaßt werden kann, durch Hunger freilich sehr viel leichter als durch Fütterung. Ich lege auf diesen Parallelismus der Erscheinungen einigen Wert und zwar mit Rücksicht auf die Vor- ‚stellungen, welche ich mir über das Wechselverhältnis von Kern und Protoplasma gebildet habe. _ Ich gehe davon aus, daß normalerweise ein bestimmtes Massenverhältnis von Kern und Protoplasma existiert, eine bestimmte für jede Zelle typische „Kernplasmarelation“ Soll dieselbe aufrecht erhalten werden, so muß ein Antagonismus zwischen Kern und Protoplasma bestehen der Art, daß bei Zunahme des Proto- plasma auch die Wachstumsfähigkeit der Kerne zunimmt und andererseits durch Zunahme der Kern- masse die Kern resorbierende Kraft des Protoplasma eine Steigerung erfährt. Bei der Encystierung und noch mehr bei der Bildung der Chromidialtiere hat die Kern resorbierende Kraft des Protoplasma offenbar eine das gewöhnliche Maß weit überschreitende Steigerung erfahren, was daraufhin weist, daß eine außergewöhnliche starke Verschiebung des Verhältnisses von Kern- und Protoplasmamasse zu Gunsten der ersteren vorausgegangen ist. Diese Verschiebung würde bei Hunger durch Abnahme des Protoplasma, bei Futter durch funktionelle Zunahme der Kernmasse bedingt sein. Man müßte dann den energischsten Effekt erwarten, wenn beide Einflüsse sich kombinieren, wenn zu starker funk- tioneller Kernhypertrophie ein starker Hungerschwund des Protoplasma sich gesellen würde. In der Tat scheinen auch für die Bildung der Chromidialtiere lang andauernde Ueberfütterung mit folgendem Hunger die günstigsten Bedingungen zu bieten. 313 Ueber physiologische. Degeneration bei Actinosphaerium Eichhorni. a0 2. Bildung von Riesenkernen. Der zweite, die Bildung von Riesenkernen behandelnde Abschnitt der vorliegenden Arbeit bezieht sich auf Degenerationsvorgänge der Aktinophärienkerne von so eigentümlicher Art, daß ich durch ihre erste Beobachtung in ganz außergewöhnlicher Weise überrascht wurde. Die Vorgänge sind aber mehr als überraschende Kuriosa. Denn wie ich glaube zeigen zu können, eröffnet uns ihr genaueres Studium neue Einblicke in intime Vorgänge des Zellenlebens und wirft dadurch Licht auf manche rätselhafte Erscheinungen der normalen Zelle. Zunächst mögen einige Bemerkungen über die Art, wie ich mein Beobachtungsmaterial gewonnen habe, hier Platz finden. Ich habe drei Winter hintereinander Aktinosphärien kultiviert, erstens um fest- zustellen, ob es möglich ist, durch fortgesetzte Fütterung den zur Encystierung nötigen Zustand von Kern und Protoplasma zu erzielen, zweitens, um die Succession von Fütterungs- und Depressions- zuständen, welche ich bei Paramaecium festgestellt hatte, zu studieren und dazu das nötige Material zu gewinnen. Im ersten Winter litten meine Versuche noch unter mancherlei Mängeln. Das beste Material, um Aktinosphärien zu füttern, sind die blauen und grünen Stentoren, weil die intensiven Farben dieser‘ Tiere eine sichere Beurteilung gestatten, in welchem Maß die Aktinosphärien Nahrung zu sich ge- nommen haben. Im ersten Winter gelang es mir nicht immer genügendes Stentorenmaterial zu züchten. Auch unterließ ich es, die Zahl der sich schnell vermehrenden Aktinosphärien in genügender Weise zu reduzieren, was alles zur Folge hatte, daß der für eine gleichmäßige Ueberfütterung nötige Ueberschuß an Futtertieren nicht immer vorhanden war. Ferner litten meine Kulturen unter starker Wucherung von Pilzen und Bakterien, so daß schließlich in manchen Kulturen die Aktinosphärien rein mechanisch am Einfangen und Fressen der Stentoren verhindert wurden. Alle diese Uebelstände wurden im zweiten und dritten Winter vermieden. Sehr vorteilhaft erwies sich mir das Verfahren, die Kulturen in Uhr- gläschen vorzunehmen, die durch ein zweites gleich großes, gut passendes Uhrgläschen geschlossen wurden. Es empfiehlt sich, um den die Bakterien- und Pilzentwickelung behindernden Verschluß noch fester zu gestalten, die Ränder der Uhrgläschen einzufetten. Die verschiedene Erfahrung im Kultivieren der Objekte erklärt es, weshalb im ersten Winter der Verlauf meiner Zuchten ein anderer war, als in den beiden darauf folgenden Wintern. Nur während der letzteren erhielt ich die charakteristischen Riesenkerntiere, so daß ich im folgenden nur von den beiden letzten Winterkulturen reden werde Die eine der Kulturen wurde im Oktober ange- setzt, also im unmittelbaren Anschluß an die sommerliche Vegetationsperiode, die zweite im Januar und zwar wurde letztere mit einigen wenigen futterfreien frisch eingefangenen Tieren von außergewöhnlicher Größe begonnen. Der Weiher, aus welchem sie stammten, war damals zugefroren bis auf eine Stelle, an welcher er durch einen zufließenden Bach gespeist wurde. Der Boden des Weihers sowie alle Pflanzenreste waren über und über mit einem blaugrünen Ueberzug von Stentoren bedeckt. Ich habe nie wieder eine solche Masse von Stentoren gefunden. Die Aktinosphärien schienen so gut wie ver- schwunden zu sein, offenbar weil die sommerliche Vermehrung der winterlichen Encystierung Platz gemacht hatte. Die zur Zucht dienenden Aktinosphärien fand ich erst am zweiten Tage in den Zucht- gläsern, in welche die Ausbeute übertragen worden war, vor. Das Aussehen der Tiere machte es unwahrscheinlich, daß sie neu aus Cysten ausgekrochen seien; dasselbe sprach vielmehr dafür, daß sie Reste der Sommer- und Herbstfauna darstellten, welche sich in Depression befanden und zwar unter Einwirkung der vorangegangenen reichen Fütterung und der Kälte, welche den Eintritt von Depressions- zuständen begünstigt, wie ich aus meinen Untersuchungen an Infusorien weiß. Mit dieser Auffassung Jenaische Denkschriften. XI. 40 Festschrift Ernst Haeckel. Sr Ueber physiologische Degeneration bei Actinosphaerium Eichhormni. 314 stimmt auch überein, daß die gleich in Zimmerwärme übertragenen Tiere am 2. Januar zu fressen an- fingen, die zunächst (bis zum 5. Januar) in einem kühlen Raum belassenen Tiere dagegen erst am 6. Januar. Ich werde im folgenden zunächst den Prozeß der Riesenkernbildung nach meinen Beobachtungen an lebendem und konserviertem Material. beschreiben, im Anschluß hieran weiterhin schildern, wie der. Prozeß allmählich in meinen Kulturen aufgetreten ist und sich ausgebreitet hat, endlich auseinander setzen, was sich aus dem Verlauf der Erscheinungen, sowie aus einigen angestellten Experimenten über die Aetiologie des Prozesses erschließen läßt. Normale Aktinosphärien haben so kleine und von dem angrenzenden vakuoligen Protoplasma so wenig unterschiedene Kerne, daß man sie am lebenden nicht gepreßten Tiere unter gewöhnlichen Ver- hältnissen nicht wahrnimmt oder höchstens ihre Existenz bei oberflächlicher Einstellung des Mikroskopes an den lichten Flecken erkennen kann, welche die Kerne vermöge ihres starken Lichtbrechungs- vermögens im Bild hervorrufen. Sowie die Riesenkernbildung beginnt, wird das anders. Fig. ı, Taf. IX gibt ein frühes Stadium von einem Tier bei welchem viele Kerne gleichzeitig in den Degenerationsprozeß eingetreten waren. Die Kerne — ich will sie im Unterschied zu anderen später zu besprechenden Formen nukleolare Riesenkerne nennen — sind hier äußerst deutlich sichtbar, nicht nur weil sie erheblich ver- größert sind, sondern weil ihre Umgrenzung auch durch einen trüben Hof von feinen stark licht- brechenden Körnchen bezeichnet wird. Bei den meisten zur Untersuchung gelangten Tieren ist die Zahl der Riesenkerne kleiner, ihr Durchmesser bedeutender als bei dem abgebildeten Exemplar; ja es kommt vor, daß bei Aktinosphärien von mittlerer Größe nur ein einziger Riesenkern entwickelt ist, der wie das Keimbläschen eines Froscheies oder das Binnenbläschen eines Radiolars aussieht und eine Größe von 0,196 mm erreicht. Der schwärzlich trübe Hof feinster Körnchen ist im Vergleich zu dem an erster Stelle geschilderten Tiere gewachsen, zugleich sind die angrenzenden Vacuolen nach der Kern- oberfläche orientiert, so daß um jeden Kern eine strahlige Zone entsteht. Die strahlige Zone findet sich schon bei Kernen, welche einen Durchmesser von 0,035 mm erreicht haben und kann bei sehr großen Kernen wieder schwinden. Züchtet man isolierte Riesenkerntiere vorsichtig, so kann man feststellen, daß im großen und ganzen die vergrößerten Kerne im Lauf von ı—2 Tagen ausgestoßen werden, ihre trübkörnigen Höfe schließen dann zusammen und bilden streifige schwarze Partien im Körper. An konserviertem Material habe ich feststellen können, daß nukleolare Rieserkerne auch aufgelöst werden können. Doch ist dieser Ausgang, über den ich später noch das Nähere mitteilen werde, selten. Um den Leser zu orientieren, in welcher Zeit sich die geschilderten Prozesse abspielen, mache ich einige Zeitangaben. Am ı8. Dezember wurden zwei Tiere, welche ihrem fleckigen trüben Aussehen nach und weil sıe aus einer in Degeneration begriffenen Kultur stammten, beginnender Degeneration verdächtig waren, isoliert weiter kultiviert; als sie am 24. Dezember abgetötet wurden, enthielten sie eine größere Anzahl von Riesenkernen. Am 4. Dezember zeigte ein Tier Beginn der Kernvergrößerung, welche am 5. Dezember zunahm und sich mit einem fleckigen Aussehen kombinierte. Am 6. Dezember waren ı5—20 Riesenkerne vorhanden; dieselben waren am 7. Dezember nicht mehr zu finden, offenbar waren sie ausgestoßen worden. Am 8. Dezember war das Tier tot. Am a. Dezember wurde ein Tier mit vergrößerten Kernen herausgefangen, am 5. Dezember war ein einziger riesiger Kern vorhanden, die Pseudopodien waren in großer Zahl vorhanden. Am 6. Dezember lag der Riesenkern in einer ganz schwarzen Umhüllung, die Pseudopodien waren noch 315 Ueber physiologische Degeneration bei Actinosphaeriun Eichhorni. 315 zahlreich, aber zu dicken Strängen vereint. Tags darauf war der Kern geschwunden und noch einen Tag später das Tier tot. Ein am 6. Dezember herausgefangenes Tier hatte mehrere Riesenkerne, von denen am 7. und 8. Dezember ein großer und ein kleiner noch vorhanden waren. Am 9. wurden die beiden Kerne ausgestoßen. Gleichwohl lebte das Tier noch am 10. Dezember, hatte aber die am 9. noch vorhandenen Pseudopodien gänzlich eingebüßt; am ıı. Dezember starb das Tier ab. Ein am 21. Dezember isoliertes enorm großes Riesenkerntier zeigte am 24. Dezember wenige große Kerne, am 26. Dezember eine größere Zahl derselben. Am 27. Dezember wurde ein Teil der Kerne, offenbar die zuerst entstandenen, ausgestoßen. Am 30. Dezember sah das Tier noch leidlich aus, am 31. war es abgestorben. Es war dies eines der langlebigsten Riesenkerntiere, die ich be- obachtet habe; offenbar hatte sich die Kernvergrößerung ganz allmählich ausgebreitet. Wie bei allen eine Schädigung der Kerne bedingenden Prozessen, so zeigen auch während der Riesenkernentwickelung die Pseudopodien auffallende Veränderungen. Sie verlieren ıhre in Fig. ı noch deutlich erkennbare, strahlige Anordnung und kreuzen vielfach ihre Verlaufsrichtung. An manchen Partien der Körperoberfläche verschwinden sie, um an anderen sich besonders reichlich anzuhäufen. Diese lokale Anhäufung ist Ursache, daß sich oft Pseudopodienbündel entwickeln, welche mit breiter Basis an der Körperoberfläche beginnen und sich nach dem peripheren Ende konisch verjüngen. Solche Pseudopodienkegel sehen feinstreifig aus wegen der zahlreichen Achsenfäden, welche in ihnen enthalten sind. In den meisten Fällen büßen die Aktinosphärien ihre Kugelgestalt ein, sie sind raupenartig in einer Richtung, oft auch lappig nach mehreren Richtungen ausgezogen, wobei die Pseudopodien die Enden der Körperlappen einnehmen. Im Gegensatz zu den Chromidialtieren sind die Aktinosphärien mit Riesenkernen dem Boden der Zuchtbehälter fest angeklebt. Sie behalten diese Befestigung auch bei, wenn die Pseudopodien nach Ausstoßen der Riesenkerne immer mehr schwinden. Da auch der Unter- schied von Rinden- und Markschicht sich verwischt, gewinnen die Aktinosphärien ein ganz abenteuer- liches, an eine Vampyrella erinnerndes Aussehen. Sind einmal sämtliche Riesenkerne ausgestoßen, so schwinden die Pseudopodien vollkommen und tritt nach wenigen Tagen der völlige Zerfall des Aktino- sphaerium ein. Dies sind in großen Zügen die Veränderungen, welche man am lebenden Tier feststellen kann. Eine ganz erhebliche Vertiefung erfährt das Verständnis der merkwürdigen Vorgänge durch Anwendung von Reagentien. Tötet man aus einer Kultur, in welcher die Degeneration begonnen hat, zahlreiche Tiere in Sublimat oder Pikrinessigsäure ab, färbt sie und hellt in Nelkenöl auf, so findet man bei genauer Untersuchung der Kerne die ersten Veränderungen schon zu einer Zeit, in welcher das Actino- sphaerium noch ganz normal aussieht. An den Kernen macht sich eine geringe Imbibition mit Flüssig- keit durch eine Lockerung der Rindenschicht bemerkbar (Fig. ıı, Taf. XII). Bei einigen Kernen ist in der Chromatinrosette eine Sonderung der chromatinhaltigen Nucleolarmasse von chromatinfreien Teilen eingetreten; letztere bilden einen einzigen, manchmal auch zwei rundliche von Flüssigkeitsblasen durch- setzte Körper, die in die Chromatinrosette eingelagert sind und sich von ıhr durch geringere Färbbar- keit unterscheiden. Diese Entwickelung typischer, chromatinfreier Nucleoli ist eine den gewöhnlichen Aktinosphärienkernen vollkommen fremde Erscheinung, wenn wir von den Zuständen absehen, welche “während der Encystierung der Richtungskaryokinese vorausgehen; sie wird für die Folge von der größten Bedeutung. Denn die Nucleoli fangen an enorm zu wachsen; sie werden zunächst großblasig, im weiteren Verlauf aber immer feinblasiger, bis sie schließlich eine Struktur annehmen, welche nur mit den stärksten Vergrößerungen analysiert werden kann und genau wie ein feines Reticulum aussieht: 40 * an 6 Ueber physiologische Degeneration bei Actinosphaerium Eichhorni. 3 16 Man könnte diese allmähliche Umformung zu Gunsten der Bürschrischen Lehre benutzen, daß auch anderweitige anscheinend reticuläre Strukturen ihr Aussehen einem blasigen Gefüge verdanken. Bei dem Wachstum nimmt die Färbbarkeit der Nukleolarmasse wieder zu, wenigstens bei den von mir angewandten Untersuchungsmethoden (Chrom-Osmiumsäure mit darauf folgender Färbung in Pikrokarmin oder Beares Karmin und Pikrinessigsäure mit Boraxkarminfärbung), immerhin bleibt ein Unterschied zwischen der Nukleolarmasse und dem von der Modifikation nicht betroffenen Rest der Chromatinrosette bestehen. Bei dem Wachstum der Nukleolarkörper wird das Kernreticulum nach der Peripherie zusammen- gedrängt und schwindet vollkommen (Taf. XI, Fig. 8). Auch die Reste der Chromatinrosette werden zusammengepreßt; hatten sich zwei Nukleolarkörper entwickelt, so gerät das Chromatin zwischen die- selben und wird zu einem dünnen Strang zusammengepreßt, der an seinen Enden beiderseits sich büschelartig verbreitert (Taf. XII, Fig. 5, Taf. XI, Fig. 2). Ist nur ein Körper vorhanden, was im allge- meinen die Regel ist, so wird die Chromatinrosette zu einer einheitlichen, dem Körper wie die Platte eines Siegelrings aufsitzenden Masse zusammengepreßt. Bei sehr großen Kernen fand ich das Chro- matin wieder im Zentrum des Kernes aufs neue in Form einer Rosette mit lichtem Zentrum und fein- körnigen peripheren Haufen und Strängen. Eine Zunahme des nicht in die Nukleolar-Metamorphose einbezogenen Chromatins hat unzweifelhaft stattgefunden. Man braucht, um sich hiervon zu überzeugen, nur die Chromatinrosette eines normalen Actinosphaeriumkernes mit dem Chromatinhaufen eines Riesen- kernes zu vergleichen. Wenn auch die Zunahme nicht im gleichen Maß erfolgt ist, wie bei den Nukleolar- körpern, so ist sie doch immer noch sehr bedeutend. Die Figuren Taf. XI, Fig. 2—4 und Taf. XII, Fig. 5 und8 sind ohne weiteres direkt mit einander zu vergleichen, da sie genau bei gleicher Vergrößerung gezeichnet wurden. Der Durchmesser der Chromatinrosette des in Fig. 7, Taf. XII abgebildeten Kernes war 0,042 mm groß, also 4mal so groß, ihre Masse mindestens 64mal so groß wie die eines gewöhnlichen Kernes. Es gibt nun wenn auch selten Fälle, bei denen man neben dem Nukleolarkörper keine Chro- matinrosette, auch nicht in Resten nachweisen kann. Diese Fälle erklären sich daraus, daß die Nukleolar- körper bei ihrem Wachstum die Chromatinrosette absorbiert und vollkommen in sich aufgenommen haben. Wie dies geschieht, sieht man in seinen Anfängen in Fig. 2 B, Taf. X. Der Nukleolarkörper geht hier am einen Ende in einen stark gefärbten, offenbar chromatinreichen Körper über, welcher aber das körnige Aussehen der Chromatinrosette schon verloren und das homogene, auf der Oberfläche ab- gerundete Aussehen der Nukleolarkörper gewonnen hat. Von diesem Stadium aus habe ich alle Ueber- gänge bis zu dem in Fig. 3a und b abgebildeten Zustand, welchen ich den chromatischen Nukleolar- körper nennen möchte. Derselbe unterscheidet sich von den früher betrachteten Riesenkernformen nicht nur durch den Mangel der Chromatinrosette und die hiermit im Zusammenhang stehende inten- sivere Färbbarkeit, sondern auch durch eine etwas abweichende Struktur. Der Körper sieht aus, als wäre er von welligen Fasern durchzogen, ähnlich den Fasern, welche FLEmmınG und KUPFFER im Proto- plasma beobachtet und auf eine fibrilläre Struktur bezogen haben. Im vorliegenden Fall kann nach der Art der Entstehung nur eine blasige Struktur in Frage kommen. Die scheinbaren Fäden sind ver- dickte, in Falten gelegte, gleichsam verknitterte Vakuolenwände. Die Umbildung der Kerne zu Riesenkernen. tritt gewöhnlich bei Kernen ein, welche nach einer vorausgegangenen Teilung ihre normale Größe wieder erreicht haben, sich also im Funktionszustand be- finden. Aeußerst selten habe ich die Bildung von Nukleolarkörpern bei jungen eben aus der Teilung hervorgegangenen Kernen beobachtet, bei Kernanlagen, welche ihr dichtes aus der Teilung hervorgegangenes (Grefüge noch nicht gelockert hatten. 317 Ueber physiologische Degeneration bei Actinosphaerium Eichhorni. 317 Im vorhergehenden habe ich die Bildung der Riesenkerne auf das enorme Wachstum einzelner Kerne zurückgeführt. Wenn man die Größe dieses Wachstums bedenkt, wenn man bedenkt, daß die gewöhnlichen Aktinosphärienkerne einen Durchmesser von 0,014 mm besitzen, daß dagegen die Riesen- kerne meist 0,07, ja in Fällen, wo nur ein einziger vorhanden ist, 0,196 mm groß sind, daß somit eine Ver- größerung der Kernmasse auf das 125- bis fast 3000-fache stattgefunden hat und dies alles im Zeitraum von wenigen Tagen, so könnten Zweifel an der Richtigkeit der Deutung auftauchen; es könnte die Frage aufgeworfen werden, ob die Riesenkerne nicht durch Verschmelzung mehrerer Kerne entstanden sein könnten. Ich habe mir diese Frage natürlich auch vorgelegt, bin aber nach eingehender Prüfung zum Resultat gekommen, daß Kernverschmelzungen entweder ganz ausgeschlossen werden müssen oder nur eine ganz untergeordnete Rolle spielen, daß der Hauptsache nach die Vergrößerung auf ein Anwachsen der Nukleolarsubstanzen zurückgeführt werden muß. Ich kann für diese meine Ansicht folgendes anführen. Zunächst habe ich mich an lebenden Tieren davon überzeugt, welche enorme Wachstumsenergie den Nukleolarkörpern, sowie sie einmal gebildet sind, innewohnt. Ich habe mehrfach — zwei solcher Fälle sind in Fig. 6, Taf. IX dargestellt — Riesenkerne mittlerer Größe genau untersucht und ge- zeichnet und nach einer Stunde die Veränderungen festgestell. Man kann an gepreßten Aktinosphärien die Nukteolarkörper und die Chromatinrosetten sehr deutlich erkennen. Am Anfang der Beobachtung waren in den untersuchten Kernen die Nukleolarkörper klein und grobblasig, nach Verlauf einer Stunde waren sie stark gewachsen und ganz feinblasig. Ob es möglich sein würde, den Verlauf der Ver- änderung unter dem Mikroskop von Anfang bis zu Ende zu verfolgen, sei dahingestellt. Ich war zur Zeit der Beobachtung durch die laufenden Arbeiten des Semesters so in Anspruch genommen, daß ich keine Zeit zu dem Versuch fand. Weitere Gründe für meine Auffassung entnehme ich dem genauen Studium des abgetöteten Materials, in welchem ich wohl mehrere Hunderte von Kernen auf verschiedenen Stadien der Umwandlung gefunden habe. Niemals habe ich Bilder, welche auf Kernverschmelzung hingedeutet hätten, gefunden. Die Existenz der Kernverschmelzung vorausgesetzt, hätten dieselben leicht gefunden werden müssen, da in der Zahl der Nukleolarkörper ein gewisser Anhaltspunkt für etwaige Verschmelzungen gegeben wäre; ich hätte vergrößerte Kerne mit doppelter Chromatinrosette mit 3, 4 und mehr Nukleolarkörpern finden müssen. Nichts von alledem war der Fall. In ganz stereotyper Weise findet man Kerne mit einfacher Chromatinrosette und mit ı oder 2 Nukleolarkörpern immer in derselben charakteristischen Anordnung, nur in verschiedener Größe wieder. Da somit eine enorme Wachstumsenergie der Nukleolarkörper erwiesen ist und alle Beobachtungen gegen Kernverschmelzung, keine dafür sprechen, hat man wohl ein Recht, die Bildung der Riesenkerne ausschließlich auf das Wachstum einzelner Kerne zurückzuführen. Auf der Höhe des Degenerationsprozesses findet man außer einigen wenigen Riesenkernen keine Kerne weiter vor. Die Erklärung, welche ich von der Entwickelung der Riesenkerne gegeben habe, setzt daher voraus, daß große Mengen anderweitiger Kerne zu Grunde gehen, was in der Tat auch der Fall ist. Es ist ein leichtes, sich von dieser Kernauflösung zu überzeugen. Derselben verfallen die Kerne auf den verschiedensten Stadien ihrer Entwickelung, was zu einer Menge von Bildern Ver- anlassung gibt. Am häufigsten scheint Kernauflösung im Anschluß an eine vorausgegangene Karyokinese zu er- folgen. Wenn bei einer Teilung die letzte Verbindung der Tochterkerne gelöst ist, bilden diese unter normalen Verhältnissen ovale chromatische Körper von wenig lockerem Gefüge; sie sollten sich nun weiter lockern und mit einer Kernmembran umgeben. Schon der erste Prozeß kann in einigen allerdings a1 8 Ueber physiologische Degeneration bei Actinosphaerium Eichhorni. 31 8 nicht häufigen Fällen ausbleiben: dann kondensieren sich die Kernanlagen zu homogenen stark gefärbten Körpern, die an die Richtungskörper bei Infusorien erinnern und wie diese der Resorption anheim fallen. Es können die Kernanlagen dabei sich auch in wurmförmige Stränge verlängern. Viel häufiger tritt Kernauflösung ein, wenn zwar die Lockerung des chromatischen Knäuels erzielt wird, die Abgrenzung durch eine Kernmembran aber ausbleibt. Die Bilder, welche man dann erhält, sind in Fig. 6, Taf. XII abgebildet. Man sieht, wie die Fäden des chromatischen Knäuels sich loslösen und in das umgebende Protoplasma zerstreuen. Die letzten Kernreste können dann so undeut- liche, nur etwas stärker gefärbte Stellen im Protoplasma erzeugen, daß man sie ohne Kenntnis der Ueber- gänge kaum auf Kerne beziehen würde. Ich habe den Eindruck bekommen, daß bei dieser Art der Kernauflösung keine oder nur wenige Chromidien gebildet werden, daß vielmehr die gesamte Kern- substanz aufgelöst wird. Chromidialbildung ist dagegen sehr deutlich, wenn die Kernauflösung und die Entwickelung von Riesenkernen zu einer Zeit auftreten, nachdem die letzte Kernteilung schon längere Zeit abgelaufen ist und die Kerne schon wieder Bläschengestalt angenommen haben. Sehr häufig geht dann der Auf- lösung der Kerne eine Vergrößerung derselben voraus, welche sich zu einer zweiten Form der Riesen- kernbildung steigern kann, welche ich die chromatische nennen will. Das Charakteristische der chromatischen Riesenkerne besteht darin, daß die Sonderung in chromatinhaltige und chromatinfreie nukleolare Teile unterbleibt; das Wachstum ergreift die gesamte Chromatinrosette und nicht nur diese, sondern auch das umgebende Kernreticulum. Das Kernnetz wächst sogar in besonders intensiver Weise; nicht nur wird sein Gerüst dichter, sondern auch umfang- reicher. Ich bekam sogar den Eindruck, daß das Verhältnis von Chromatinrosette zur Masse des Kern- netzes sehr bedeutend zu Gunsten des letzteren verändert sei. Der größte Durchmesser der Chromatin- rosette beträgt 0,025, also das Doppelte bis Dreifache gewöhnlicher Kerne; der mittlere Durchmesser des gesammten Kerns — da der Kern zumeist etwas langgestreckt ist, habe ich das Mittel zwischen größtem und kleinstem Durchmesser gewählt — beträgt dagegen 0,084, also das 6-fache eines gewöhnlichen Kerns. Auch herrscht keine Proportionalität zwischen Größe des Kerns und Größe der Chromatinrosette, wie z. B. in einem und demselben Tier die Größen von Kern zu Chromatinrosette sich verhielten, bei einem Kerne 0,08:0,017, bei einem anderen 0,07:0,024. Aus diesen Maßen ergibt sich übrigens, daß die chromatischen Riesenkerne niemals die Dimensionen der nukleolaren erreichen. Die Maße der Chromatinrosette geben übrigens von der Größe der Chromatinmenge kein exaktes Bild. Denn sehr häufig sind Kerne, und zwar sind dies wohl die chromatinreicheren, bei denen die Rosette sich in verästelte Stränge auszieht oder sich in mehrere größere und kleinere Anhäufungen (bis zu 12) zerteilt, Anordnungen, welche zahlenmäßige Angaben über die Chromatinmenge unmöglich machen, (Dat xl 2Rı22 178526) Es ist von vornherein zu erwarten, daß eine so scharfe Unterscheidung zwischen chromatischen und nukleolaren Riesenkernen, wie ich sie hier im Interesse der Klarheit der Darstellung zunächst einmal gemacht habe, nicht existiert. In der Tat gibt es Uebergänge zwischen beiden, Uebergänge, die sich dadurch charakterisieren, daß die Nukleolarkörper zwar vorhanden sind, aber sich nur in beschränktem Maße vergrößern, daß dagegen das Kernreticulum und die Chromatinrosette eine Substanz- zunahme erfahren. Welcher Gruppe der Kerne man diese Mittelformen zurechnen soll, wird man vielfach nicht bestimmen können. Ebenso wird es vielleicht von Zufälligkeiten abhängen, ob sie wie chromatische Riesenkerne aufgelöst werden oder wie nukleolare zum Teil fortbestehen. 319 Ueber physiologische Degeneration bei Actinosphaerium Eichhorni. 319 Die Auflösung der chromatischen Riesenkerne wird durch die Beschaffenheit des Kern- netzes sehr erleichtert. Dasselbe setzt sich lange nicht so deutlich gegen das umgebende Protoplasma ab, als es bei normalen Kernen der Fall ist. Eine Kernmembran fehlt. Eine Abgrenzung der Kerne wird nur durch die geringfügigen Unterschiede ermöglicht, welche zwischen Kernreticulum und Protoplasmanetz bestehen. An einer Menge von Uebergängen kann man nun feststellen, wie diese Unterschiede allmählich schwinden und das Kernnetz vom Protoplasma assimiliert wird; in vielen Fällen kann man gar nicht mehr mit Bestimmtheit entscheiden, ob eine Abgrenzung noch vorhanden ist oder nicht. Schließlich findet man die Chromatinrosetten und etwaige Nukleolarkörper frei im Protoplasma liegen. Letztere werden resorbiert, erstere lockern sich, ziehen sich zu Strängen aus und liefern reich- liche Chromidien (Taf. XII, Fig. 3). Die Resorption des Chromatins kann bei Auflösung der Kerne schon im Bereich des Kern- reticulums eintreten, ohne daß es zur Bildung von Chromidien kommt. So sieht man im Gegensatz zu Figur 3 in der Figur 4 zwei Kerne dargestellt, die sich auf verschiedenen Stadien der Auflösung befinden. Im einen Kern ist die Chromatinrosette noch schwach gefärbt zu erkennen, im anderen nur noch Reste von Kernsubstanz. In beiden Fällen ist übrigens auch die bräunliche Verfärbung zu erkennen, welche die Rückbildung reichlicher Chromatinmengen begleitet. Am Anfang meiner Untersuchung war mir der Unterschied zwischen nukleolaren und chromatischen Riesenkernen entgangen. Um diese Zeit waren mir Bilder, welche die Auflösung der letzteren am lebenden Tier veranschaulichen und in Fig. 9, Taf. X dargestellt sind, unverständlich. Sie zeigen in einem trübkörnigen Hof helle, undeutlich abgegrenzte größere Flecke, unzweifelhaft vergrößerte Kerne, aber ohne die deutlichen Konturen der nukleolaren Riesenkerne; in anderen Fällen sind die Flecke noch mehr verwaschen. Die Bilder entsprechen den oben nach Präparaten dargestellten Resorptionsstadien chromatischer Riesenkerne. Ich habe im obigen nur die wichtigsten Bilder besprochen, welche im Laufe der Kernauflösung eintreten. In der Natur herrscht eine verwirrende Mannigfaltigkeit, die ich nur andeute. Es können Kerne verklumpen und als rote, wurstförmige Stränge das Protoplasma durchziehen; sie können Keulen- form annehmen, entweder ganze Kerne mit diskreter Chromatinrosette (Taf. XI, Fig. 4) oder einzelne klumpige chromatische Stränge. Schließlich sei noch daran erinnert, was oben schon kurz angedeutet wurde, daß auch die nukleolaren Riesenkerne, wenn auch selten, der Resorption anheimfallen (Taf. XI, Fig. ı). Es geschieht das zur Zeit, in welcher das umgebende Protoplasma zu den Kernen strahlig angeordnet ist. Um diese Zeit habe ich Riesenkerne gefunden, die einseitig in die Länge oder in mehrere Fortsätze ausgezogen waren. An den Kernenden war dann die Strahlung besonders stark entwickelt, das Proto- plasma hier körniger und reichlicher. Ohne Unterbrechung ging die sich in Körnchen auflösende Kernmasse in die Plasmastrahlung über. Ich glaube, daß man derartige Bilder nur auf Kernauflösung beziehen kann. Während der beschriebenen Umgestaltung des Kernapparates erleidet auch das Protoplasma Veränderungen. Ich schließe dies aus schwärzlichen Verfärbungen der Aktinosphärien, welche durch die Anwesenheit stark lichtbrechender kleiner Kügelchen bedingt werden. Nukleolare Riesenkerne werden, wie ich schon oben hervorgehoben habe, von einem schwärzlichen Hof umgeben, der beim Ausstoßen der Riesenkerne zurückbleibt. Schwärzliche Flecken entstehen auch an den Stellen, wo chromatische Riesenkerne aufgelöst werden. Die gleiche schwärzliche Verfärbung tritt während der Konjugation der Infusorien auf; ob sie durch kleine Fetttröpfchen bedingt wird oder, wie Mauras an- gibt, durch Körnchen von Paraglykogen, lasse ich dahingestellt. 320 Ueber physiologische Degeneration bei Actinosphaerium Eichhorni. 320 Will man die verschiedenen Formen der Kernauflösung studieren, so muß man Pikrinessigsäure- präparate mit darauffolgender Färbung in Boraxkarmin verwenden. An den Präparaten, welche mit Chrom-Osmiumsäure, Pikrokarmin oder BEALE’s Karmin gewonnen werden, sieht man nichts davon. Bei dieser Präparationsweise verlieren alle in das Protoplasma geratenen Kernteile, die Chromidien, ihre Färb- barkeit, während umgekehrt die Kerne, soweit sie noch scharf konturiert sind, sich im ganzen viel deutlicher als bei jeder anderen Präparationsweise färben. Kernretikulum und Kernsaft erscheinen rosa, die Nukleolarkörper, soweit sie chromatinfrei sind, bräunlichrot, die chromatinhaltigen Teile tief purpurn, das Protoplasma samt allen seinen Einschlüssen gelblich-bräunlich in der Farbe der Chromsäure- präparate.e. Man könnte aus diesen Beobachtungen schließen, daß die chromatischen Teile bei ihrem Uebertritt in das Protoplasma sofort ihre Beschaffenheit ändern. Der Umstand jedoch, daß der Kern- saft und das Kernretikulum, welche bei anderen Färbungsmethoden achromatisch erscheinen, sich gut färben, warnt zur Vorsicht. Es kann vielleicht auch die morphologische Anordnung der Teile für den Ausfall der Färbung maßgebend sein, so daß chemische Unterschiede der Substanzen nicht so zum Ausdruck kommen, wie sie sollten, oder sogar ganz verdeckt werden. Mir scheint diese Deutung mehr Wahrscheinlichkeit zu haben. Indem das: Osmiumverfahren die Kerne äußerst deutlich hervortreten läßt, ist es sehr geeignet, über die Verbreitungsweise der einzelnen Kerne und ihre relative Zahl sich zu orientieren. Beim Studium dieser Verhältnisse ıst mir aufgefallen, wie häufig innerhalb eines und desselben Actinosphaerium eine räumliche Sonderung der Riesenkerne und der wenig oder gar nicht veränderten Kerne nachweisbar ist. Wie es in Fig. 8, Taf. XI erläutert ist, sind am einen Ende alle kleinen Kerne zusammengedrängt, am anderen Ende alle Riesenkerne. Zur Erklärung dieser Verteilung können zwei Möglichkeiten heran- gezogen werden. ı. Es sind zwei Aktinosphärien von verschiedener Konstitution miteinander verschmolzen. In dem von mir nach der Konservierung untersuchten Material habe ich einige wenige Präparate gefunden, in denen tatsächlich eine solche Verschmelzung stattgefunden hatte. Von zwei nur durch die Rindensubstanz verbundenen Aktinosphärien war das eine in voller Riesenkernbildung, das andere hatte normale Kerne. Ich bedaure solche Exemplare nicht lebend beobachtet und in ihrer Weiterentwickelung verfolgt zu haben; die Untersuchung würde von großem Interesse gewesen sein; sie würde gezeigt haben, inwieweit bei Plasmogamien von Aktinosphärien eine Durchdringung und Durchmischung der Teile eintritt. Im Fall letzteres sich nicht vollzieht, sondern die Territorien beider Tiere sich getrennt erhalten, würde es möglich gewesen sein, zu entscheiden, ob ein von der Verschmelzungsfläche aus- gehender Einfluß des einen Tieres auf das andere ausgeübt wird. Derselbe würde möglicherweise zu einer Art Infektion des gesunden Tieres führen. Ich habe seiner Zeit vergeblich versucht die Frage experimentell zu entscheiden, indem ich Riesenkerntiere und aus normalen Zuchten stammende Aktino- sphärien in innige Berührung brachte, um eine Verschmelzung zu bewirken. Das vielfach wiederholte Experiment ist mir leider nicht geglückt, auch als ich die Tiere anschnitt und mit ihrer Wund- fläche näherte. Wenn mir nun auch keine beweiskräftigen methodischen Beobachtungen zu Gebote stehen, so möchte ich gleichwohl auf Grund zufälliger Erfahrungen eine Bewirkung von Tier auf Tier annehmen. Zum Beweis verweise ich auf Fig. 6, Taf. XI. Es handelt sich hier um ein Actinosphaerium, welches in Hungerkultur gezogen und unzweifelhaft durch Verschmelzung mehrerer kleinerer Tiere entstanden war. Man erkennt eine Hauptmasse, die — in der Figur nach abwärts — in drei Zipfel ausläuft. Der linke Zipfel verlängert sich in einen quergestellten Lappen, der mit dem mittleren Zipfel an einer Stelle in 321 Ueber physiologische Degeneration bei Actinosphaerium Eichhorni. 321 engere Verbindung getreten ist, mit dem rechten Zipfel dagegen nur locker verbunden ist. Die Haupt- masse nebst dem mittleren Zipfel ist in vorgeschrittener Riesenkernbildung begriffen. Die Degeneration erstreckt sich auf die beiden Seitenzipfel, ist am ausgesprochensten an derer Basis, geringer nach deren Enden. Die Kerne im queren Lappen sind noch normal, namentlich im Bereich des nach rechts ge- wandten Endes; doch zeigen sie schon beginnende Vergrößerung und zwar da, wo der quere Lappen vom linken Zipfel aus seinen Ursprung nimmt und zweitens da, wo er mit dem mittleren Zipfel in Verbindung getreten ist. Offenbar ist diese Verbindung erst neuerdings zu stande gekommen; die an dieser Stelle vorhandene Kernveränderung läßt sich nur so erklären, daß der stark degenerierte Mittel- zipfel auf die in Verbindung getretene Partie einen umgestaltenden Einfluß gewonnen hat. 2. Die zweite Erklärung, welche für den in Fig. 8, Taf. XI abgebildeten Fall die meiste Wahrscheinlichkeit hat, nimmt an, daß innerhalb eines und desselben Tieres eine Sonderung in kranke und relativ normale Teile eingetreten ist. Eine solche Trennung in gesunde und kranke Partien kann in zweierlei Weise zu stande kommen; entweder daß der Prozeß an einem Ende des Tieres begonnen hatte und nach dem anderen Ende fortgeschritten war, oder daß anfänglich degenerierte und normale Kerne bunt durcheinander gelagert waren und erst allmählich eine Art Sortierung sich vollzogen hatte. Für beide Möglichkeiten lassen sich Beobachtungen geltend machen. Ich habe gefunden, daß der Degenerationsprozeß bei manchen Aktinosphärien nur sehr wenige benachbarte Kerne ergriffen hatte, bei anderen Aktinosphärien war etwa die Hälfte der Kerne in der ersten Bildung von Nukleolarkörpern begriffen, die andere Hälfte war normal, und beiderlei Kerne lagen durch das Protoplasma bunt zerstreut. In den an Riesenkernbildung erkrankten Kulturen habe ich schließlich hie und da Vorgänge beobachtet, auf die ich im folgenden Abschnitte zurückkommen werde. Das Wesentliche derselben besteht darin, daß kernreiche Partien eines Actinosphaerium geradezu ausgestoßen werden. Man findet dann auf der Oberfläche des Actinosphaerium eine gallertig körnige Masse mit zahlreichen eingestreuten Kernen, die, obwohl abgestorben, sich durch ihre Struktur noch als Aktinosphärienkerne erkennen lassen. Nachdem ich eine genaue Schilderung der Riesenkernbildung gegeben habe, muß ich noch nachtragen, in welcher Weise sich der eigentümliche Prozeß in meinen Kulturen entwickelt hat. Ich habe schon in der Einleitung hervorgehoben, daß ich zweimal Gelegenheit gehabt habe, die Degenerationserscheinungen zu beobachten, das erste Mal im Winter 1899/1900, das zweite Mal im _ Winter ı901/2. Da ich durch die Untersuchungen des vorangegangenen Jahres schon etwas orientiert war, habe ich beim zweiten Mal mein Material besser ausnutzen und genauere Erfahrungen sammeln können. Ich beginne daher mit der zweiten Beobachtungsreihe. Eine große Wahrscheinlichkeit spricht dafür, daß die wenigen Tiere, mit denen ich im Januar 1902 meine Zuchten begann, die letzten Reste der lebhaften Vermehrungsperiode des Sommers dar- stellten, somit keine frisch aus den Cysten ausgeschlüpften Tiere waren. Daß die großen, offenbar aus Zusammenfließen vieler Individuen entstandenen Tiere völlig futterfrei waren, erkläre ich mir daraus, daß das Wasser des mit einer Eisdecke bedeckten Tümpels sicherlich nur wenige Grade über o maß und daß dadurch die Ernährung behindert war. Bei starker Fütterung im warmen Zimmer stellten sich daher bald unzweifelhafte Symptome von Depression heraus, bei einigen der zahlreichen Kulturen, in welche ich die wenigen Anfangskulturen gespalten hatte, früher, bei anderen später; es wechselten Zeiten starker Fütterung mit Zeiten vollkommener Assimilationsunfähigkeit. Schon im Lauf des Februars traten hie und da Riesenkerntiere in den Zuchten auf, ohne daß jedoch der Degenerationsprozeß weitere Ausdehnung erfahren hätte. Dies war erst im März der Fall. In der zweiten Hälfte dieses Monats breitete sich die Degeneration so weit aus, daß am Ende des Jenaische Denkschriften. XI 41 Festschrift Ernst Haeckel. 322 Ueber physiologische Degeneration bei Actinosphaerium Eichhorni. 32@ Monats von meinen zahlreichen Kulturen nur noch zwei überlebten. Auch aus diesen Kulturen waren die meisten Individuen abgestorben und nur wenige überlebende Tiere wurden Ausgang einer reichen Individuenmenge, über deren weiteres Schicksal im folgenden Abschnitt gehandelt werden soll. In ähnlicher Weise, wie ich es soeben geschildert habe, war der Prozeß der Riesenkernbildung im Winter 1899/1900 verlaufen. Nachdem Aktinosphärien, welche aus der Zeit der Sommervermehrung stammten, während des Oktobers und Novembers durch starke Fütterung zu reicher Vermehrung gebracht worden waren, gingen die Kulturen im Lauf des Dezembers und Anfang Januar zum größten Teil zu Grunde, also ungefähr nach gleicher Andauer der Zucht, wie im darauffolgenden Winter. Es ist dies die Kultur, über die ich schon in einer vorläufigen Mitteilung berichtet habe. Damals verlegte ich auf Grund meiner an lebendem Material gewonnenen Erfahrungen das Zustandekommen des Degenerationsprozesses in die zweite Hälfte des Dezembers. Dieser Mitteilung zufolge würde ein kleiner Unterschied im Verlauf der ersten und zweiten Kultur bestehen. Die bei der zweiten Kultur vor- handenen Prodromalsymptome, das sporadische Auftreten von Degenerationen im zweiten Monat der Zucht, würden bei der ersten Kultur fehlen. Ich habe jetzt das abgetötete Material der ersten Kultur noch einmal durchgesehen und mich dabei überzeugt, daß auch bei ihr im zweiten Monat (dem November) Riesenkerntiere schon hie und da entwickelt waren. Bei der ersten Kultur habe ich offenbar das erste Auftreten von Riesenkerntieren übersehen, weil ich auf die eigentümlichen Erscheinungen nicht vor- bereitet war. Bei der zweiten Kultur war meine Anfmerksamkeit auf die mir aus früherer Zeit bekannten Vorgänge gerichtet, so daß mir die ersten diesbezüglichen Veränderungen sofort auffielen. Ich trage daher kein Bedenken, mich dahin auszusprechen, daß in beiden Versuchen ein ähn- liches Ausgangsmaterial unter gleichartige Bedingungen gebracht im wesentlichen denselben Ent- wickelungsgang genommen hat. Ich lege mit Rücksicht auf die Aetiologie der Vorgänge Wert darauf, dieses festzustellen, weil es dadurch sehr wahrscheinlich wird, daß die Veränderungen, welche der Bau der Aktinosphärien im Laufe beider Kulturen erfahren hat, eine unmittelbare Folge der angewandten Kulturmethode ist, nämlich der fortgesetzten übermäßigen Fütterung. Man hätte ja auch an eine infektiöse Erkrankung der Aktinosphärien denken können. Dann würde aber unverständlich sein, daß der Erkrankungsprozeß mir niemals in der Natur, auch nicht in meinen früheren Kulturen begegnet ist, obwohl ich doch nun seit 20 Jahren Aktinosphärien in großen Mengen alljährlich zu Unterrichts- zwecken kultiviere. Dagegen wird dieser Tatbestand verständlich, wenn man die von mir gegebene Erklärung annimmt. Denn eine so intensive Fütterung, wie ich sie in den beiden Versuchen durch- geführt habe, ist nur unter ganz besonderen Bedingungen möglich, wie sie in der Natur wohl kaum je erfüllt sind: Die besonderen Bedingungen bestehen darin, daß man das Fütterungsmaterial getrennt züchtet und aus der Kultur von Futtertieren zu einer immer auf geringe Zahlen reduzierten Aktinosphärien- zucht reichliche Mengen hinzufügt. Würden Futter- und Freßtiere in derselben Kultur gehalten werden — und so ist es doch in der Natur — so würden erstere auch unter den günstigsten Futterbedingungen durch die übermäßige Vermehrung der letzteren in kurzer Zeit vernichtet sein. Daß die Bildung der Riesenkerne nicht bei allen Individuen einer Kultur gleichzeitig eintritt, sondern sich über einen längeren Zeitraum erstreckt, in einzelnen Fällen sogar ganz ausbleibt, läßt sich leicht erklären. Der Grund ist darin gegeben, daß es bei den Zuchten, wie ich sie durchgeführt habe, nie geglückt ist, vollkommen gleiche Existenzbedingungen für alle Aktinosphärien zu schaffen. Die Stentoren sammeln sich mit Vorliebe in dichten Haufen an bestimmten Stellen des Zuchtglases. Die zufällig an reich besiedelte Stellen gelangenden Aktinosphärien werden rücksichtlich der Ernährung vor den anderen begünstigt sein. Ich habe denn auch immer feststellen können, daß, wenn man Abkömmlinge 323 Ueber physiologische Degeneration bei Actinosphaerium Eichhorni. 230 eines und desselben Ausgangstiers unter anscheinend gleichen Bedingungen züchtet, doch binnen kurzem Unterschiede im Verlauf der Vermehrung und Fütterung vorhanden sind. Ueber die der Riesenkernbildung vorausgehenden und dieselbe gleichsam vorbereitenden Stadien muß ich noch einiges nachtragen. Die erste Vorbereitung wird durch andauernde enorme Fütterung und Vermehrung bedingt. Dann folgt eine starke Depression, eine Zeit in welcher unter Umständen wochenlang die Aktinosphärien weder fressen noch sich vermehren. Beginnt nun die Fütterung von neuem, so kann entweder sofort die Riesenkernbildung einsetzen oder erst, nachdem einige Zeit die Vermehrung und Fütterung, wenn auch in beschränktem Maße angehalten hatte. Wenn die ersten An- deutungen von Riesenkernbildung sich bemerkbar machen, sind die Aktinosphärien entweder arm an Futter oder futterfrei. Bei ausgesprochener Riesenkernbildung findet man nur ausnahmsweise noch Nahrung im Innern der Tiere. Hat man viele Aktinosphärien in einer und derselben Uhrglaszucht, so ist das Bild des Verlaufes gewöhnlich nicht so scharf ausgeprägt, wie ich es hier geschildert habe, da ja die Aktinosphärien einer und derselben reich bevölkerten Kultur, wie ich es schon auseinander setzte, sich immer etwas ver- schieden entwickeln. Ein sehr charakteristisches Bild erhielt ich dagegen, als ich einige wenige Tiere, die in tiefer Depression begriffen waren, einzeln für sich kultivierte. Nicht jede tiefe Depression endet übrigens mit Riesenkernbildung; vielmehr gibt es Depressionen nach deren Beendigung die Aktinosphärien noch Wochen und Monate fortgezüchtet werden können, Offenbar muß schon vorher durch die der Depression vorausgegangene Kultur die Organisation der Aktinosphärien in tief greifender Weise verändert worden sein. Ich habe daher einige meiner Zuchten genauer daraufhin geprüft, ob nicht schon in der Zeit vor der Depression, in der Zeit starker Fütterung und Vermehrung Besonderheiten im Bau der Aktinosphärien sich erkennen lassen. Das ist in der Tat auch der Fall. Ich beobachtete eine Neigung der Aktinosphärien zur Encystierung, so daß trotz reicher Nahrung hie und da Tiere in den Ruhezustand übergingen; ferner fand ich eine ganz beträchtliche Kernvergrößerung. Schon viele Wochen zuvor fand ich viele Kerne auf 0,018—0,02 vergrößert; in entsprechender Weise konnte ich auch auffallend große Kernteilungsfiguren nachweisen, z. B. Spindeln deren Aequatorialplatten 0,015, anstatt 0,011 mm breit waren. Bei Kernen deren Durchmesser 0,028 mm das Doppelte des normalen beträgt, beginnt die Bildung des Nukleolarkörpers. Es ist dann immer das Chromatin zu einer zentralen Rosette konzentriert, während in der Zeit vorher es in einer bis zur Kern- membran reichenden dendritischen Figur angeordnet ist. Das Protoplasma zeigt zu Beginn der Riesenkernbildung die Beschaffenheit, welche allen in Depression begriffenen Aktinosphärien eigentümlich ist; es ist schwärzlich trüb wie das Protoplasma konjugierender Infusorien. Nach Konservierung und Färbung kann man feststellen, daß die Brücken zwischen benachbarten Vakuolen breit sind. Die Chromidien ın den Brücken sind spärlich und fein verteilt, wie pulverisiert. Auch zeigen Karminpräparate eine rötlich bräunliche Färbung, weil die Chromidien in Umwandlung zu Pigment begriffen sind. Die hier mitgeteilten Erfahrungen lassen erkennen, daß die Riesenkernbildung das Endglied einer Reihe von Veränderungen sind, die in ihren Anfängen sich weit zurückverfolgen lassen. Dieselben be- stehen darin, daß die Kerne sich immer mehr auf Kosten des Protoplasmas vergrößern. Das Kern- wachstum wird so lange gesteigert, bis die Wachstumsintensität der Kerne einen normalen Verlauf der Lebensvorgänge unmöglich macht und so den Tod der Tiere verursacht. Nach dieser Deutung der Befunde würde die Bildung von Riesenkernen durch die starke Funktion der Zelle veranlaßt sein. Wir 41* 324 Ueber physiologische Degeneration bei Actinosphaerium Eichhorni. 324 würden in ihr einen Fall von physiologischer Degeneration zu erblicken haben, einer Degeneration, welche durch die, wenn auch übermäßig gesteigerte, so doch an und für sich normale Lebenstätigkeit herbeigeführt wird, dagegen nicht die Folge einer Krankheit im engeren Sinne, einer Krankheit, wie sie durch lebende Krankheitskeime, z. B. Bakterien herbeigeführt wird. Um nun meine Auffassung noch weiter sicher zu stellen und die Annahme einer infektiösen Krankheit auszuschließen, habe ich folgende Experimente angestellt. Ich fing aus einer die Krankheits- symptome zeigenden Kultur einige noch gesund aussehende Tiere heraus und züchtete sie in reinem Wasser; sie gingen gleichwohl, sämtlich unter Bildung von Riesenkernen zu Grunde Ferner nahm ich aus Gläsern, in denen die Aktinosphärien bisher nicht überfüttert worden waren und keine Krankheit herrschte, zahlreiche Exemplare heraus, gesellte ihnen einige Tiere mit Riesenkernen hinzu und fütterte die kombinierte Zucht reichlich mit Stentoren. Trotzdem ich derartige Kulturen drei Wochen lang kultivierte und täglich kontrollierte, trat keine neue Riesenkernbildung ein; die aus der infizierten Kultur stammenden Tiere starben allmählich ab; die übrigen blieben erhalten und vermehrten sich lebhaft. Nun wäre es denkbar, daß die Aktinosphärien nur auf frühen Stadien der Degeneration, bevor die Riesenkerne bei ihnen nachweisbar sind, Infektiosität besäßen oder daß der Krankheitserreger nicht direkt von Individuum auf Individuum übertragbar wäre, sondern vorübergehend einen außerhalb des Actinosphaerium be- findlichen Nährboden passieren müsse. Ich modifizierte daher meine Versuche nach zwei Richtungen; einerseits benutzte ich Aktinosphärien als etwaige Quelle der Infektion, welche aus erkrankten Kulturen stammten, aber selbst noch keine Degenerationserscheinungen aufwiesen; andererseits benutzte ich zur Infektionskultur den Futterboden von erkrankten Kulturen, das bunte Durcheinander von Bakterien- gallerte, Pflanzenresten, anderweitigen Infusorien und Würmern. Auch fügte ich den Kulturen, die nicht infiziert worden waren, von Zeit zu Zeit immer wieder neu erkrankte Tiere zu. In der geschilderten mannigfach modifizierten Weise habe ich wohl 20 Infektionskulturen angesetzt, aber mit dem gleichen negativen Erfolg. Nur in zwei Kulturen trat je ein krankes Tier, über dessen Herkunft ich nichts aussagen konnte, auf, und zwar in den ersten Tagen des Versuches. Der Befund läßt aber nur die Deutung zu, daß außer den mit Absicht eingesetzten und abgezählten kranken Tieren ein dem Substrat anklebendes eben-, falls erkranktes Tier unbeachteter Weise in die Infektionskultur hineingeraten war, oder daß ein er- kranktes Tier sich geteilt hatte. Denn die Infektiosität der Erkrankung vorausgesetzt — würde es höchst unwahrscheinlich erscheinen, daß sich eine Infektion am Anfang entwickelt, aber nicht auf die übrigen Tiere fortgesetzt habe. Wenn nun auch die mitgeteilten Experimente die Möglichkeit, daß die Bildung der Riesenkerne durch Krankheitserreger verursacht wird, nicht absolut ausschließen, so machen sie dieselbe doch im höchsten Maße unwahrscheinlich. III. Hyperplasie und Hypertrophie der Kerne. Von den zahlreichen Einzelkulturen, aus welchen sich meine Aktinosphärienzuchten in den Wintern 1899/1900 und 1901/1902 zusammensetzten, waren die meisten in der Weise, wie ich es im vorigen Abschnitt auseinandersetzte, ım Laufe des dritten Monates unter Riesenkernbildung oder infolge intensiver Depression ganz ausgestorben; von einigen dagegen war ein kleiner Bestand von Aktino- sphärien übrig geblieben, die sich dann noch längere Zeit weiter kultivieren ließen. Bei meinem ersten Zuchtversuch (1899/1900) ließ ich die Kultur leider eingehen, nachdem im Laufe des ersten Monats keine weiteren besonders auffälligen Erscheinungen eingetreten waren, bei dem zweiten (1901/1902) B®5 Ueber physiologische Degeneration bei Actinosphaerium Eichhorni. 325 führte ich die Kulturen noch weitere 3 Monate fort bis auch die letzten Individuen abgestorben waren. Diese fortgesetzten Kulturen machten mich mit neuen interessanten Erscheinungen bekannt, welche ich nun noch nachtragen muß. Als Ende März 1902 die meisten meiner Kulturen im Absterben waren, mußte ich am 28. März ı902 10 Tage verreisen. Die noch übrigen acht Uhrgläschen mit Aktinosphärien versah ich mit Weisungen, wie die Tiere zu verpflegen seien, und bat Herrn Dr. Scheer, die Verpflegung zu über- nehmen. Als ich wieder von der Reise zurückkam, waren noch zwei Kulturen übrig, bei denen nun- mehr erneute lebhafte Vermehrung und Ernährung eintrat. Von diesen zwei Kulturen ließ sich die eine bis Ende Juni kultivieren. In ihr trat noch einmal vorübergehend Riesenkernbildung ein, welcher aber nicht sämtliche Tiere zum Opfer fielen. Der Rest, welcher die Zeit der Riesenkernbildung überstanden hatte, ging schließlich unter den Symptomen starker Pigmentbildung und intensiver Depression zu Grunde Ob noch außerdem besondere Vorgänge zu beobachten sind, kann ich nicht sagen, da ich das eingelegte Material noch nicht eingehend untersucht habe. Ich werde in einer späteren Publikation noch einmal auf dasselbe zurückkommen. Die zweite Kultur endete Anfang Juni; sie nahm einen besonders interessanten Verlauf, über den ich auf Grund genauer Untersuchungen nunmehr berichten werde. Ich hatte am 28. März die betreffende Kultur in folgendem Zustande verlassen. Nach starker Fütterung am 25. März war am 26. März Depression eingetreten. Am 27. und 28. März waren viele kleine Tiere vorhanden, dazu einige größere aus Verschmelzung von mehreren Einzeltieren entstandene Klumpen. Die größeren Klumpen waren sehr reich an Kernen und enthielten enorm viele in bräun- licher Verfärbung begriffene Chromidien. Die kleineren Tiere, welche nach meinem Dafürhalten aus den größeren durch Zerteilung entstanden waren, enthielten im Inneren bräunliches Pigment, häufig um große leere Vakuolen (wie entleerte Nahrungsvakuolen) angehäuft. Bei den größeren Tieren hatten die Kerne noch die normale Größe (0,014), zeigten aber beginnende Zentralisation des Chromatins, wie ich sie in einer früheren Arbeit schon beschrieben habe: das Zentrum der Chromatinrosette war intensiver rot als die peripheren Teile. Bei den kleineren herrschten Kerne von 0,012 mm Durchmesser vor. In ihnen war das Chromatin zu einem kleinen zentralen Körper verdichtet; in sehr vielen Fällen war ferner die Nukleolarmasse zu ı oder 2 kleinen chromatinfreien, vakuolisierten Körpern angeschwollen. Es war im kleinen eingetreten, was ich für die ersten Stadien der nukleolaren Riesenkerne geschildert hatte. Selten fanden sich schon Kerne, wie sie in der Folge immer häufiger wurden: ein wenig vergrößert, mit mehreren blasigen Nukleoli, die alles Chromatin enthielten. Als ich dann am 7. April die Beobachtung neu aufnahm, fand ich Aktinosphärien von zweierlei Art, zunächst einmal viele größere und kleinere futterlose klumpige Tiere, welche außerordentlich an die oben geschilderten Chromidialtiere erinnerten; sie hatten meist keine Pseudopodien oder nur noch Reste von solchen, rollten im Uhrglas herum; auch war Rinden- und Marksubstanz kaum unterschieden. Das ganze Innere erwies sich bei genauer Untersuchung gefärbter Tiere ganz von chromatischen Riesenkernen durchsetzt. Die kleinsten derselben waren 0,04 mm groß mit einem zentralen, 0,014 mm großen Chromatin- körper, die größten waren oval, 0,1 mm lang, 0,07 mm breit, ihr Chromatinkörper 0,085 mm lang, 0,024 mm breit. Aeußerst selten waren in der Chromatinrosette 1—2 vakuolisierte Riesennukleoli entstanden. Das Kernreticulum der kleineren Kerne war locker, das der größeren sehr engmaschig. Die Kerne waren von dichten Chromidialmassen umgeben, während die Hauptmasse des Protoplasmas ein bräun- liches Kolorit zeigte Ein Kulturversuch mit derartig hochgradig veränderten Aktinosphärien ergab, daß sie sich nicht mehr erholten; sie wandelten sich beim Tode in bräunliche Massen um, in denen die ver- größerten Kerne noch eingeschlossen waren. 3 >6 Ueber physiologische Degeneration bei Artinosphaerium Eichhorni. 326 Der größte Teil der Kultur bestand aus kleinen oder mäßig großen, sehr gut aussehenden Tieren mit reichlichen Pseudopodien und deutlich differenzierter Mark- und Rindensubstanz. Die meisten der- selben waren futterfrei; ihr Protoplasma war diffus und reichlich von Chromatinkörnchen durchsetzt oder in bräunlicher Verfärbung. Bei futternden Tieren war das Protoplasma lich. Die Kerne waren ganz ungewöhnlich zahlreich, zugleich auffallend klein, '/,;—/, so groß wie normale (0,007—0,01 mm); sie besaßen die gewöhnliche Struktur, ein Reticulum, in dem das Chromatin reiche Verästelungen bildete. Echte Nukleoli, wie ich sie Ende März gefunden hatte, waren nicht mehr vorhanden. Selten waren schwach vergrößerte Kerne mit einem einzigen oder mehreren kleinen chromatischen Nukleoli. Letztere waren, wie ich es für die Abtötung vom 27. März geschildert habe, vakuelisiert. Diese Befunde von kleinkernigen Aktinosphärien veranlaßten mich, die aus früheren Stadien meiner Kultur abgetöteten Aktinosphärien, das aus dem Januar, Februar und März stammende Material, noch einmal auf die Kerngröße hin genauer zu untersuchen. Dabei stellte es sich heraus, daß auf- fallend kleinkernige Formen schon im Februar vereinzelt aufgetreten waren, daß sie sich im Laufe des März etwas an Zahl vermehrt hatten. Immerhin bildeten sie eine unbedeutende Minderheit. Im all gemeinen herrschte die normale Kerngröße, Kerne von 0,014 mm, dazwischen einzelne Kerne bis zu 0,018 mm. Bei diesen Bestimmungen blieben junge, noch nicht lange aus Teilung hervorgegangene Kerne unberücksichtigt. Es ist sehr wahrscheinlich, daß die normalkernigen Formen der Riesenkern- bildung verfallen waren, daß dagegen der Uebergang zu einer kleineren Kernform eine Minderzahl vom Untergange gerettet hatte. Die kleinen und zugleich auch kleinkernigen Aktinosphärien wurden das Ausgangsmaterial für eine durch ganz enorme Futterkraft und Vermehrungsfähigkeit ausgezeichnete Kultur, die in ihrem ganzen Habitus, in der Beschaffenheit der Kerne, in ihren Stoffwechselprodukten, in ihrem Verhalten bei der Encystierung so überraschende Besonderheiten entwickelte, daß sie eine eingehende Schilderung verlangt. Schon am 8. April, einen Tag nach erneuter Aufnahme meiner Untersuchungen, begann eine riesige Fütterung, welche bis zum 9. Mai im wesentlichen fortdauerte, wenn auch Tage vorkamen, an denen die Nahrungsaufnahme etwas herabgesetzt war. Nur am 18. April verzeichnen meine Notizen ein allgemeines Aufhören der Ernährung. Am 9. und 10. Mai sistierte die Nahrungsaufnahme abermals, wurde am ı1. wieder stark, nahm am ı2. wieder ab und so schwankte von nun an die Fütterungsintensität bis zum 23. Mai auf und ab, bis eine ausgesprochene, tagelang anhaltende Depression eintrat. Während dieser Depressionszeit fing hier und da wieder Ernährung in mäßigem Grade an. Schließlich starb aber die Kultur in den ersten Tagen des Juni völlig aus. Wir können somit in der mit dem April beginnenden und dem Anfang Juni zu Ende gehenden Kulturperiode zwei Zeiträume unterscheiden, bis zum 9. Mai eine Zeit nahezu ununterbrochener enormer Fütterung und Vermehrung, von da ab eine mit dem Unter- gang abschließende Zeit beständig hin und her schwankender Fütterungsintensität. Im Verlauf der starken Futterperiode stieg die Masse der Aktinosphärien so ganz außergewöhnlich, daß ich immer wieder viel Material abtöten und neue Zweigkulturen, namentlich Hungerkulturen an- legen mußte. Dabei entwickelte sich eine auch in die zweite Periode hinein fortdauernde Tendenz zur Verschmelzung und Verklumpung der Aktinosphärien, wie ich sie nie wieder beobachtet hatte. Zwar kamen immer wieder Tage vor, an denen viele einzelne kleine Tiere zu finden waren oder die Kultur fast nur aus Einzeltieren bestand. In der Regel aber bekam man den Eindruck von riesigen Plas- modien, welche sich verästelten, anastomosierten, den Nährboden nach allen Richtungen durchsetzten, so daß man kaum die Ausdehnung eines Tierkomplexes bestimmen konnte. Fig. 8, Taf. IX gibt einen 327 Ueber physiologische Degeneration bei Actinosphaerium Eichhorni. 327 Teil eines solchen Plasmodium aus der zweiten Periode, der Periode abnehmender Fütterung, bei schwacher Vergrößerung wieder. Unzweifelhaft unterscheiden sich die umgezüchteten Tiere von gewöhnlichen Tieren durch größeren Flüssigkeitsgehalt. Ich entnehme dies aus ihrer auffallenden Weichheit, aus der Art, wie sie sich dehnen ließen. Außergewöhnlich vakuolisiert war der Körper dabei nicht, so daß man die weiche Beschaffenheit der Tiere aus dem Flüssigkeitsgehalt des Protoplasma erklären muß. In den Figg. 7 u. 8 erkennt man noch eine weitere auffällige Eigentümlichkeit der Aktinosphärien. Ihre Marksubstanz füllte sich mit fortschreitender Zucht immer mehr mit stark lichtbrechenden Körnchen, so daß sie bei durchfallendem Licht schwarz, bei auffallendem Licht kreideweiß aussahen. Dieses auch während der Encystierung so charakteristische kreidige Aussehen war am auffälligsten in den letzten Wochen, besonders kurz bevor die Kultur zu Ende ging. Auch auf früheren Stadien wurde es gesteigert, wenn man Tiere hungern ließ; man konnte dann leicht getäuscht werden, daß man solche kreideweiße Punkte schon für Cysten hielt, während sie tatsächlich von Aktinosphärien gebildet wurden, welche noch alle Pseudopodien besaßen und sehr häufig auch später nicht die Fähigkeit zur Encystierung entwickelten. Wo die kreidige Beschaffenheit besonders deutlich entwickelt war, war die Grenze von Rinde und Mark- substanz ganz außergewöhnlich scharf gezogen, ähnlich etwa, wie die Centralkapsel eines Radiolars vom extrakapsulären Weichkörper getrennt ist (Fig. 7, Taf. IX). Die kreideweißen, resp. schwarzen Tiere sahen meist nicht gleichmäßig aus, sondern hatten eine fleckige marmorierte Zeichnung, welche besonders bei großen Exemplaren auffie. Zum Teil hing die Zeichnung damit zusammen, daß die großen Plasmodien aus vielen kleinen Tieren zusammengeflossen waren und daher Reste der Rindenschicht in die Marksubstanz einschnitten oder in ihr Inseln erzeugten. Aber auch ganz einheitlich abgerundete kugelige Tiere besaßen das fleckige Aussehen, zum Zeichen, daß die stark lichtbrechenden Körnchen stellenweise dichter angehäuft sind. Wir werden die Erklärung hierfür bei der Besprechung der Kernveränderung kennen lernen. Merkwürdige stark lichtbrechende Körner und Körperchen fanden sich endlich auch in der Rindenschicht, wo sie im Innern der Vakuolen lagen und kleine Haufen erzeugten. Diese Körner- haufen sind es, welche in Fig. 8 zu den vielen dunklen Flecken Veranlassung gegeben haben, welche in den hellen aus Vakuolen der Rindenschicht bestehenden Partien eingeschlossen sind. Sie ergeben beim Abtöten in Pikrinessigsäure eine merkwürdige Reaktion. Kurz nach Anwendung des Reagens wandelten sich nämlich die Körnerhaufen in kristallinische Plättchen und Nadeln um. Ich hätte gern die Kristallform der merkwürdigen, sich im Wasser und Alkohol äußerst leicht lösenden Körperchen festgestellt, um so vielleicht ihre chemische Konstitution erschließen zu können. Ich habe mich deshalb mit meinem Herrn Kollegen GrorH ins Einvernehmen gesetzt. Leider stellte es sich heraus, daß die Kristalle zu klein, ihre Winkel zu undeutlich waren, als daß sie eine kristallographische Bestimmung ermöglicht hätten. Da ich die Kristalle in keiner meiner vielen Aktinosphärienkulturen bei den zahl- reichen Abtötungen in Pikrinessigsäure wieder gefunden habe, komme ich zum Resultat, daß eigen- tümliche Stoffwechselprodukte bei der uns beschäftigenden Kultur gebildet worden sind. Die vorstehende Schilderung des allgemeinen Habitus der merkwürdigen Actinosphaerium-Kultur habe ich noch zu vervollständigen, indem ich auf die Art, wie das Absterben vor sich ging, genauer eingehe., Als die Nahrungsaufnahme aufhörte, lösten sich die größeren Aktinosphärienklumpen in kleinere Stücke auf. Diese wurden immer seltener, ohne daß ich mir lange Zeit ihr Verschwinden hätte erklären können, bis es mir gelang, folgenden Vorgang zu beobachten. Unter dem Auge des Beobachters platzten die Aktinosphärien und entleerten den größten Teil ihrer Marksubstanz. Die Vakuolen der Rinde drängten 3 28 Ueber physiologische Degeneration bei Actinosphaerium Eichhorni. 328 gegen die Markmasse vor, von welcher nur schwache Körnchenhaufen erhalten blieben. Nicht lange darauf zerfiel das ganze Tier. Nachdem ich so alles, was die Beobachtung der lebenden Tiere gefördert hat, zusammengestellt habe, komme ich zu dem Wichtigsten, nämlich zur Besprechung der Veränderungen am Kernapparat, welche während der Zucht sich entwickelt haben. Dieselben sind nicht so auffällig wie die in Kapitel ı und 2 besprochenen Erscheinungen, aber von gleichem Interesse wie jene. Sie bestehen in einer Ver- mehrung der Kernsubstanz, welche aber sowohl in einer Vermehrung der Zahl als auch in einem Größenwachstum der Einzelkerne zum Ausdruck kommt. Wir hatten gesehen, daß die Tiere, von welchen die in Rede stehende Kultur abstammte, ab- norm kleine Kerne in kolossaler Menge hatten. Diese eigentümliche Beschaffenheit der Kerne blieb zunächst gewahrt. Während des ganzen Aprils war die Kultur ausgezeichnet durch die Zahl und Kleinheit der Kerne, wodurch sie in einen scharfen Kontrast zu den ım Laufe des März beob- achteten Riesenkernbildungen verschiedenster Art tra. Nur allmählich stieg die Kerngröße gegen Ende des Monates wieder auf das normale Maß. Ich erläutere dies durch einige Angaben: 7. April Kerne 0,007—0,011 mm; 14. April Kerne 0,009—0,011, selten 0,014; 25. April Kerne 0,011—-0,012; 26. April 0,011, sehr häufig 0,014. In einer vom 2. Mai stammenden Abtötung fand ich vielfach noch Tiere mit 0,01 Kernen, doch überwogen jetzt die Tiere mit 0,014—0,016 mm. Angaben über Kern- maße haben etwas Mißliches bei Tieren, die selbst in starker Vermehrung sind, bei denen daher auch die Kerne sich lebhaft teilen. Aus der Teilung hervorgegangene Kerne sind klein und schwellen erst allmählich an. Man könnte nun stets die Maximalgrößen der Kerne wählen. Allein auch das ist nicht so einfach bei einem Tier, das mehrere Hundert, wenn verschmolzene Komplexe von Tieren vorliegen, mehrere Tausend Kerne enthält. Dazu kommt, daß nach meinen Erfahrungen einzelne abnorm große Kerne in jedem Actinosphaerum vorkommen. Es gibt nur einen Weg, bezüglich der Normalgröße von Kernen sichere Resultate zu erzielen, freilich ein sehr mühsamer, wenn man Kerne in Karyokinese mißt, und beim Vergleich immer genau korrespondierende Stadien wählt. Ich habe diesen Weg daher eingeschlagen und einige erläuternde Daten dabei gewonnen. Ich wählte für meine Messungen 3 Zustände der Kernteilung: : I. den Zustand, in welchem alles Chromatin zu einem zentralen dichten Klumpen zusammengeballt ist; II. die Zeit der Aequatorialplatte; II. die “ Zeit der auseinander getretenen, aber noch nicht halbkugelig eingekrümmten Seitenplatten. Ich maß den Durchmesser des Chromatinklumpens und die Breite von Seiten- und Aequatorialplatten. Ich gebe über meine Messungen folgende Tabelle: 7. Jan. 24. Jan. 5. März 5. März 19. April 25. April 27. April 7. Mai 9. Mai T. 0,011 — 0,011 0,0085 0,0085 0,009 — 0,011 0,0II 0,012 II. 0,014 — 0,012 0,015 0,012—0,013 0,01 I—0,013 0,013—0,014 0,015 Ill. 0,014 == —_ — 0 ,01I—0,012 0,0II 0,013 Diese Zahlen lassen ebenfalls erkennen, daß im April eine Abnahme der Kerngröße eingetreten war, welche aber bis zum Anfang Mai ausgeglichen wurde. Schon während des Aprils, namentlich gegen Ende des Monates fanden sich zwischen den ge- wöhnlichen kleinen Kernen erheblich größere, meist von ovaler Gestalt, etwa so groß wie zwei ver- schmolzene Kerne. Das Chromatin war in ihnen in verästelten Strängen verteilt. Sie sind als die ersten Vorboten einer abermaligen Kernvergrößerung anzusehen, welche den Aktinosphärien aus dem Monat Mai im abgetöteten Zustand ein sehr merkwürdiges Gepräge verlieh. Zur Charakteristik dieser erneuten Kernvergrößerung möchte ich gleich hier schon hervorheben, daß sie sich ganz erheblich von 329 Ueber physiologische Degeneration bei Actinosphaerium Eichhorni. 329 der früheren Riesenkernbildung unterscheidet: weder erreicht sie die außerordentlichen Grade derselben, noch auch zeigt sie die tiefgreifenden Veränderungen der Kernstruktur, welche selbst bei den chromatischen Riesenkernen vorhanden sind. Ich werde sie daher mit einem besonderen Namen belegen und von „hypertrophischen Kernen“ sprechen. Aktinosphärien aus der Periode der Kernhypertrophie lassen dreierlei Kernformen erkennen: ı) Kerne welche aus einer Teilung neu hervorgegangen sind und im folgenden nicht weiter berücksichtigt werden sollen, 2) Kerne von mehr oder minder normaler Struktur und Größe, 3) in Hypertrophie be- griffene Formen. Es ist selbstverständlichh daß zwischen 2 und 3 keine scharfe Grenze gezogen werden kann. Als normale Kerne bezeichne ich solche, deren Durchmesser zwischen 0,014 und 0,020 mm schwankt. Sie enthalten eine Chromatinrosette, welche das periphere Kernreticulum frei läßt. Sie werden im Ver- laufe der Kultur immer seltener; auch stellt sich heraus, daß die im April schon erkennbare Größen- zunahme fortdauert, so daß die relative Zahl von 0,02 mm großen Kernen immer mehr zunimmt. Die hypertrophischen Kerne weichen in Form, Größe und Struktur von gewöhnlichen Aktino- sphärienkernen ab, sind auch viel mannigfaltiger gebaut und verlangen daher eine genauere Besprechung. Was Größe und Form anlangt, so haben die abnormen Kerne Durchmesser von 0,021—0,035, selten 0,04 mm. Sehr häufig sind ovale Kerne, dazwischen aber auch kugelige Formen. Hinsichtlich der Struktur kommt in erster Linie die Anordnung des Chromatins in Frage. Man kann hier eine Entwickelungsreihe aufstellen (Taf. X, Fig. 5, 6). Gewisse Kerne, und zwar meist solche von ovaler Gestalt, zeigen das Chromatin durch das ganze Kernnetz bis nahe an die Oberfläche verteilt und zwar in außergewöhnlicher Menge, so daß man sie mit einem der pathologischen Anatomie entnommenen Aus- druck hyperchromatisch nennen kann. Aus ihnen läßt Sich leicht eine zweite Kernform ableiten: im Reticulum liegen zahlreiche chromatische Nucleoli, die sich noch mit kurzen strahligen Ausläufern auf die Bälkchen des Kerngerüstes fortsetzen; sie sind offenbar dadurch entstanden, daß das Chromatin sich aus dem Reticulum zurückgezogen und auf wenige Stellen konzentriert hat. Für eine dritte Kern- form sind zahlreiche scharf umschriebene chromatische Nucleoli charakteristisch, die in ihrem Inneren eine Vakuole enthalten. Kerne mit wenigen chromatischen Nukleolarblasen leiten über zu Kernen mit einem einzigen großen vakuolisierten Nucleolus. Sind in dessen Innerem die Vakuolen zu einer einheit- lichen Blase zusammengeflossen, so ist sehr häufig die eine Seite der Hohlkugel (nach Art einer in Gastrulation begriffenen Blastula) eingestülpt. Die uninukleolaren Kerne sind ausnahmslos kugelig; um den Nucleolus sind die Maschen des Kernnetzes auffallend regelmäßig radial angeordnet. Das Kerngerüst ist in den besprochenen Kernformen nicht immer gleich. Auch hier kann man eine Reihe konstruieren, beginnend mit Kernen, deren Gerüst feinmaschig, zart und körnig ist, endigend mit Kernen mit grobmaschigen, homogenen, hart gezeichneten Gerüstbalken. Stets ist das Kerngerüst gegen das angrenzende Protoplasma scharf durch eine membranartige Verdichtung abgesetzt, wodurch sich die hypertrophischen Kerne wesentlich von den chromatischen Riesenkernen unterscheiden. Im allgemeinen korrespondieren die beiden aufgestellten Reihen der Chromatinumlagerung und der Ver- änderungen des Reticulums miteinander. Das Kerngerüst mit grobmaschigem Gefüge hat an meinen Präparaten, die in Pikrin-Essigsäure konserviert und in Boraxkarmin gut gefärbt waren, einen merkwürdig schmutziggelben Farbenton. Der- selbe ist besonders ausgeprägt an Kernen, welche vollkommen chromatinfrei geworden sind und daher an Aktinosphärien, welche im ganzen betrachtet werden, leicht übersehen werden können. Diese achromatischen Kerne enthalten meist noch einen achromatischen Nucleolus, der im Zentrum liegt, noch häufiger aber ‘ Jenaische Denkschriften. XI. 42 Festschrift Ernst Haeckel. 330 Ueber physiologische Degeneration bei Actinosphaerium Eichhorni. 330 wandständig ist; andere Kerne bestehen nur aus dem Kerngerüst. In diesen sich gar nicht mehr färbenden Kernen ist das Chromatin offenbar vollkommen degeneriert. Nach dem Aussehen des zurück- bleibenden Reticulum zu schließen, kann die Chromatindegeneration sowohl auf dem Stadium feiner Chromatinverteilung zu stande kommen, als auch und zwar häufiger auf dem Stadium des zentralisierten Nucleolus. Wir werden hier mit einem auffallenden Unterschied zu den chromatischen Riesenkernen des vorigen Kapitels bekannt. Dort löste sich zunächst das Reticulum auf, das Chromatin blieb lange noch im Protoplasma in Form von Chromidien oder großen Chromatinkörpern erhalten. Hier leistet das Kern- gerüst der Zerstörung Widerstand; es geht erst allmählich unter Schrumpfung zu Grunde. Der Unter- schied erklärt sich daraus, daß bei chromatischen Riesenkernen keine Kernmembran zu erkennen ist und das Reticulum sich kaum vom Protoplasma unterscheidet, während die hyperchromatischen und achro- matischen Kerne ganz besonders scharf vom Protoplasma abgesetzt sind. Das Protoplasma, in welchem die pathologischen Kerne lagern, ist bei lebenden Tieren intensiv schwärzlich bei durchfallendem Licht, offenbar von eingelagerten Fetttröpfchen; an gefärbten und auf- gehellten Präparaten ist es bald mehr purpurn, bald mehr bräunlich, weil die Fettkörnchen durch die vorausgegangene Behandlung gelöst sind und die Beschaffenheit der Grundsubstanz nunmehr hervortritt. Chromidien fehlen. Ich deute dies in der Weise, daß der Ueberschuß von Chromatin in feinsten Körnchen verteilt aus dem Kern austritt und eine bräunliche Verfärbung erfährt. Hieraus sowie aus dem Auftreten achromatischer Kerne kann man schließen, daß die Konstitution der chromatischen Strukturen an Festigkeit eingebüßt hat. Vergrößerte Kerne und umhüllendes bräunlich-rotes Plasma können durch den Körper der Aktino- sphärien gleichmäßig verteilt sein. Das sind die Bilder, welche lebenden Aktinosphärien mit gleichmäßig schwarzer Marksubstanz entsprechen. Oder Kerne und Plasma sind zu dichten Strängen und Netzen angeordnet, welche durch lichtes vakuolisiertes Plasma getrennt werden. So erklärt sich das Aussehen der im lebenden Zustande schwärzlich marmorierten Tiere. Ich möchte zum Schluß noch hervorheben, daß auch die früher besprochenen Arten von Kern- rückbildung ab und zu vorkommen: daß Kerne in wurstförmige Stränge ausgezogen werden, welche wohl schwerlich die Fähigkeit haben, lebensfähige Strukturen wieder zu erzeugen, daß frisch geteilte Kerne zu kompakten, allmählich einschmelzenden Körpern werden. Endlich habe ich mehrfach gesehen, daß ganze Teile des Actinosphaerium nekrotisieren und ausgestoßen werden als bräunliche, viele Kerne enthaltende Massen. Die Entstehung solcher Massen im Anschluß an Nahrungsvakuolen macht es wahr- scheinlich, daß bei geschwächtem Material der letzte Anstoß zur Zerstörung durch den die Sekretion auslösenden Reiz der Nahrungskörper gegeben wird. Ehe ich an eine zusammenfassende Darstellung meiner Befunde gehe, muß ich noch einige Fragen einschalten. Wie entstehen die vergrößerten Kerne? Was haben wir von ihrer Leistungs- und Entwickelungsfähigkeit zu halten ? Für die chromatischen und nukleolaren Riesenkerne des vorigen Abschnittes konnte ich mit ziem- licher Sicherheit den Satz vertreten, daß sie ihre Größe dem enormen Wachstum eines einzigen Kernes verdanken. Für die jetzt in Rede stehenden Kerne ist eine derartige Erklärung mindestens zweifelhaft. Sie zeigen eine Tendenz, sich in Reihen aneinanderzulagern. Einige Male fand ich Figuren, welche wie zwei unvollkommen geschiedene, also da Teilung ausgeschlossen ist, in Verschmelzung begriffene Kerne aussahen. Auch die ovale Form vieler Kerne macht Verschmelzung wahrscheinlich. So halte ich es denn für wahrscheinlich, daß der Ausgangspunkt der Vergrößerung eine Verschmelzung zweier Kerne ist, daß dieser Doppelkern dann durch Substanzaufnahme weiter wächst. Ueber physiologische Degeneration bei Actinosphaerium Eichhorni. 331 Was nun die Lebensfähigkeit der hypertrophischen Kerne anlangt, so scheint mir ein gewisses Maß von Teilfähigkeit vorhanden zu sein. In einer Abtötung, welche vom 2ı. Mai stammte, fand ich Anfänge von Kernteilung, Kerne, bei denen die Polkappen schon entwickelt waren. Die Kerne waren sämtlich vergrößert (0,021 mm), ebenso ihre Chromatinrosetten (0,011—0,014 mm), bei einigen Kernen war anstatt der Chromatinrosette ein Haufen chromatischer Nukleolarblasen vorhanden. Es liegt kein Grund vor anzunehmen, daß solche Kerne, die der III. Stufe der oben von mir geschilderten Hyper- chromasie entsprechen, sich nicht geteilt haben würden. Daß die hypertrophischen Kerne noch funktionieren und bei der assimilatorischen Tätigkeit der Zelle eine Rolle spielen, scheint mir keinem Zweifel zu unterliegen; es wird nach meinem Dafürhalten durch folgende Tatsachen bewiesen. In der 2. Woche des Mai fingen die bis dahin nur sporadisch auf- tretenden hyperchromatischen Kerne an, allmählich die Kerne normaler Struktur und Größe zu verdrängen, so daß im letzten Drittel des Monats nur noch wenige normale Kerne anzutreffen waren. Gleichwohl dauerte die Kultur noch bis in den Anfang Juni weiter und traten Zeiten energischer Fütterung ein. Ich fand verdaute und halbverdaute Stentoren bei Aktinosphärien, welche nur noch äußerst spärliche normale Kerne enthielten. Es ist aber nicht wahrscheinlich, daß ein so geringer Rest normaler Kerne genügt, um das Actinosphaerium funktionsfähig zu erhalten. Ob nun hypertrophische Kerne als solche noch zu funktionieren vermögen oder zuvor eine Rückverwandlung in normale Kerne erfahren müssen, lasse ich unentschieden. Eine Rückverwandlung vergrößerter Kerne in kleine Kernformen muß unzweifelhaft angenommen werden. Ich erkläre mir so die gelegentliche Beobachtung von Mikrokaryokinesen. Es handelt sich hierbei um Kernteilungsfiguren, welche sofort auf den ersten Blick einen zwergenhaften Eindruck machten. Die Kernblasen waren nur 0,014 mm groß, ihre Chromatinrosette 0,007 mm, die gesamte Figur nebst den protoplasmatischen Pol- kegeln nur 0,035 mm lang. Als Produkte solcher Mikrokaryokinesen fasse ich in Nestern zusammen- liegende kleine Kerne auf, die ich gelegentlich auffand. Zu einer Rückverwandlung der großen hyperchromatischen Kerne in kleine normal chromatische oder sogar chromatinarme (hypochromatische) Kerne zwingt auch das genaue Verfolgen einer bestimmten Uhrglaskultur. Die Aktinosphärien der betreffenden Kultur hatten schon am 22. Mai fast nur noch hyper- trophische Kerne; sie futterten an dem betreffenden sowie am folgenden Tag sehr spärlich; am 24. Maı hörte die Nahrungsaufnahme auf, begann in sehr beschränkter Weise wieder am 25. Mai, um abermals zu erlöschen. Alle Tiere sahen kreidig aus und zogen ihre Pseudopodien ein. Ich tötete einen Teil am 28. Mai, den Rest am 29. Mai ab. Bei den am 283. Mai abgetöteten Tieren fand ich zumeist nur kleine chromatinarme Kerne (0,01—0,02), bei denen öfters das Chromatin auf ein kleines centrales Korn reduziert war, selten Tiere, welche noch einige schwach vergrößerte Kerne hatten. Die Abtötung am 29. Mai ergab Tiere mit hypertrophischen Kernen (0,02—0,03), welche aber offenbar im Absterben begriffen waren. Die Befunde lassen nur die Deutung zu, daß kurz vor dem Ende der Kultur die Aktinosphärien noch einen letzten Versuch gemacht hatten, die hypertrophischen Kerne in normale zurückzuverwandeln, daß aber die Zellorganisation schon so erschüttert war, daß ein nur vorübergehender Erfolg erzielt wurde. Einen sehr interessanten Beitrag zur Charakteristik der hyperchromatischen Kultur liefern die zahlreichen Hungerkulturen, welche ich angesetzt habe. Ich bin nicht in der Lage, heute schon eine von Abbildungen begleitete ausführliche Darstellung zu geben, wohl aber kann ich die wichtigsten Resultate mitteilen, welche dazu dienen werden, Vieles in den Ergebnissen der Futterkultur zu bestätigen und verständlicher erscheinen zu lassen. 42* 332 Ueber physiologische Degeneration bei Actinosphaerium Eichhorni. 332 Encystierungskulturen, welche Ende Februar von der Hauptkultur abgezweigt worden waren, ergaben äußerst günstige Resultate, indem schon am fünften, bei einer zweiten Kultur sechsten Tag der größte Teil des Materials encystiert war. Eine am 18. Februar angesetzte, am 23. Februar abgetötete Kultur ergab folgendes Bild. Viele Muttercysten waren schon in die Primärcysten, einige sogar schon in die Sekundärcysten geteilt. Die größten Primärcysten hatten einen mittleren Durchmesser von 0,095 mm, die kleinsten einen solchen von 0,07; die am häufigsten vertretene Größe war 0,084. Die Kerne der Primärcysten waren 0,018 mm groß oder etwas größer. Die im großen und ganzen halbkugeligen Sekundärcysten waren bis zu 0,08 hoch und 0,05 breit, meistens jedoch 0,07:0,04. Eine Muttercyste, bei welcher die Kernreduktion schon abgeschlossen war und die Teilung in die Primärcysten vorbereitet wurde, enthielt 5 Kerne & 0,017 mm Größe; sie selbst war scheibenförmig abgeplattet und war 0,133 mm lang und 0,102 breit. Die mitgeteilten Größen entsprechen im allgemeinen den Maßen, wie man sie unter gewöhnlichen Verhältnissen bei der Encystierung von Aktinosphärien findet. Die zweite am 21. Februar angesetzte und am 27. Februar abgetötete Kultur zeigte sehr ähnliche Verhältnisse; nur wurden bei einem Teil der Primärcysten und demgemäß auch einem Teil der Sekundärcysten geringere Größen festgestellt. So fand ich bei manchen Primärcysten mittlere Durchmesser von 0,06, bei vielen Sekundärcysten Proportionen wie: 0,05:0,028, 0,056:0,028, 0,056:0,035. Man kann nach diesen Messungen schätzen, daß die kleineren Cysten etwa '/, der Sub- stanz der großen besaßen. Da die Kerne in allen Cysten sehr deutlich gefärbt waren, konnte ich mich überzeugen, daß bei großen und kleinen Cysten das gleiche Verhältnis von Protoplasmamasse und Kern- masse eingehalten war. Primärcysten von 0,09 mm hatten Kerne von 0,02; solche von 0,06 dagegen hatten nur 0,013 mm große Kerne. Die Hungerkulturen Ende März ergaben ebenfalls sehr günstige Encystierungsresultate, indem in zwei Zuchten (18.—24. März), (23.28. März) in 5—6 Tagen die meisten Tiere es bis zur Bildung von Primärcysten gebracht hatten. Ungemein auffallend war jetzt die in der Februarkultur schon angedeutete verschiedene Größe der Cysten; es waren ebensoviel oder sogar mehr kleine Primärcysten wie große vorhanden. Unter den kleinen fand ich sogar ein Exemplar, welches 0,035 breit und 0,049 lang war, also nur noch '/, der einer gewöhnlichen Primärcyste zukommenden Maße enthielt. Ich konnte an diesen Kulturen feststellen, daß die geringe Größe der kleinen Primärcysten nicht durch eine Teilung größerer Primärcysten zu erklären ist, was nach dem gesamten Verlauf der Actinosphaerium-Encystierung übrigens von vornherein sehr unwahrscheinlich war. Durch zahlreiche Messungen von Muttercysten, welche die Teilung in Primärcysten begannen, und durch Bestimmen ihrer Kernzahl konnte ich nach- weisen, daß die Unterschiede von kleinen und großen Primärcysten schon auf diesem Stadium fest- gelegt sind. Eine Muttercyste von 0,168 mm hatte 3 Kerne ä 0,02 mm; sie stimmte in ihren Maßen ungefähr mit den Muttercysten früherer Encystierungskulturen überein und würde im weiteren Verlauf große Primärcysten geliefert haben. Kleine Primärcysten wären dagegen zu erwarten gewesen von Mutter- cysten, welche folgende Maße besaßen: ı) 0,08:0,1 mm mit 6 Kernen, 2) 0,1:0,12 mit 5 Kernen u. s. w. In den relativ vielkernigen Cysten waren die Kerne kleiner als in den kernarmen. In einer Encystierungskultur aus dem Anfang April (9.—ı6. April), bei welcher nur die Hälfte der Tiere sich encystierte, diese aber ziemlich prompt im Lauf von 4—7 Tagen, waren große Primär- cysten kaum noch vorhanden. Die Größen schwankten zwischen 0,06 und 0,05. Im weiteren Verlauf des April habe ich viele Hungerkulturen angesetzt, so ziemlich alle aber mit negativem Erfolg. Nur ausnahmsweis erhielt ich die eine oder die andere Cyste. Dieser Mißerfolg kann nur aus der Konsti- tution der benutzten Aktinosphärien erklärt werden. Denn bei Aktinosphärien, welche aus einer anderen 333 Ueber physiologische Degeneration bei Actinosphaerium Eichhorni. 333 von mir gleichzeitig gezüchteten Kultur stammten, erzielte ich um dieselbe Zeit günstige Encystierungs- resultate. Gegen Ende April stellte sich auch bei der durch Kernhyperplasie ausgezeichneten Kultur wieder die Encystierungsfähigkeit ein. Eine vom 24. April bis 4. Mai fortgesetzte Kultur encystierte sich fast vollständig, wenn auch verlangsamt, insofern bis zum Beginn des Prozesses je nach den Aktinosphärien 710 Tage verstrichen. Die Cysten gehörten sämtlich dem kleinen Typus an, 0,06—0,07 mm, wobei noch zu beachten ist, daß die Cysten in ihrer Rinde vakuolisiert sind, weshalb sie größere Maße besitzen, als der Menge des Protoplasmas entspricht. Um so auffälliger ıst die Größe der Kerne, welche 0,021 messen und somit den Kernen der großen Cysten früherer Kulturen nicht nachstehen. Im Lauf des April hat somit eine Umregulierung des Verhältnisses von Kern- und Protoplasmagröße, der „Kernplasmarelation“, stattgefunden. Ich bin geneigt, in diesem Umformungsprozeß die Ursache zu erblicken, weshalb im Lauf des April die Encystierungskulturen so ungünstige Resultate gezeitigt haben. Ich komme zu den Encystierungskulturen des Monates Mai; sie nahmen sämtlich einen merk- würdigen Verlauf. Viele Tiere starben ab, ohne sich zu encystieren, viele starben auf den ersten Encystierungs- stadien. Die bei dem Encystierungsversuch absterbenden sowie die die Encystierung beendenden Tiere entleerten große Mengen intensiv sich färbenden, oft auch Kerne enthaltenden Protoplasmas. Dabei erfuhr das schon für die vorige Kultur hervorgehobene Mißverhältniss von Kern und Protoplasma eine weitere Steigerung. In den Maßen der Cysten kommt diese Erscheinung für das Protoplasma nicht zu ihrem vollen Ausdruck; die Durchmesser der Primärcysten schwankten zwischen 0,04—0,065 mm, unterschieden sich also kaum in ihren Maßen von den kleinen Cysten früherer Kulturen. Aber es hatte die Vakuolisierung weitere Fortschritte gemacht, was sich nur durch Figuren erläutern läßt. Ich verweise daher auf eine später zu veröffentlichende genauere Mitteilung. Dagegen läßt sich durch Maße fest- stellen, daß die Kerne nicht nur eine relative, sondern sogar eine absolute Vergrößerung erfahren haben. Sie sind größer als die Kerne der großen Cysten früherer Kulturen. Ich maß bis zu 0,025 mm. Einiges von den hier geschilderten Befunden habe ich schon in einer vorläufigen Mitteilung kurz erwähnt: daß bei lange fortgesetzter Kultur eine Verkleinerung der Konjugationscysten eintritt, wie eine solche durch Kälteeinwirkung nach den unter meiner Leitung von Herrn SmitH ausgeführten Unter- suchungen erzielt worden ist. Ich hatte daraus den Schluß gezogen, daß die Kernplasmarelation durch lang dauernde Funktion wie durch Kälteeinwirkung abgeändert wird und zwar zu Gunsten des Kernes. Damals hatte ich über die Kerngrößen der kleinen und großen Cysten keine Maße beibringen können; ich nahm aus allgemeinen Erwägungen an, daß die Kerne in beiderlei Cysten gleich groß sein würden. Inzwischen hat Herr SmItH (1903) gezeigt, daß die Kerne seiner kleinen Kältecysten größer sind als die der großen Wärmecysten. Ein entsprechendes Resultat haben die obigen Untersuchungen ergeben. Wir haben gesehen, daß durch fortgesetzte Kultur die relative Zahl von Konjugations- und Primärcysten, welche ein Actinosphaerium liefert, vergrößert, das Volumen der Einzelcysten in gleichem Maß ver- ringert wird. Anfänglich haben kleinere Cysten auch kleinere Kerne, später haben sie gleich große Kerne wie die großen Normalcysten, schließlich sogar erheblich größere Kerne. Damit ist in der Tat der Beweis erbracht, daß die Kernplasmarelation eine durch äußere Einflüsse veränderliche Größe ist. Ich hatte in meiner früheren Mitteilung ferner betont, daß bei den Sexualzellen von Tieren und Pflanzen ebenfalls die normale Kernplasma-Relation verändert ist und zwar im männlichen und weib- lichen Geschlecht im entgegengesetzten Sinn: die männlichen Sexualzellen sind durch relativen Reichtum an Kernsubstanz ausgezeichnet, die weiblichen umgekehrt durch bedeutende Protoplasmamasse. Die durch 334 Ueber physiologische Degeneration bei Actinosphaerium Eichherni. 334 die Kultur herbeigeführte Umformung der normalen Actinosphaerium-Cysten in kleinere Cysten mit größeren Kernen würde somit eine Umformung in der Richtung männlicher Differenzierung sein. Männliche und weibliche Sexualzellen unterscheiden sich ferner durch den verschiedenen Verlauf der Reifeteilungen. Durch die zwei Reifeteilungen werden aus einer Mutterzelle im männlichen Ge- schlecht 4 Spermatozoen, im weiblichen Geschlecht ein Ei und 3 rudimentäre Zellen, die Richtungskörper geliefert. Normaler Weise verläuft die der Konjugation vorausgehende Reifung bei Aktinosphärien nach dem weiblichen Typus. Die zwei aus der Teilung einer Primärcyste entstandenen Sekundärcysten schnüren zwei Richtungskörper ab, bevor sie unter einander zur Konjugationscyste verschmelzen. Ich glaubte nun gefunden zu haben, daß unter Umständen auch die Reifung der Sekundärcysten bei meinen überfütterten Aktinosphärien verändert werden könne und zwar nach dem Typus der Spermatozoenreife. Ich fand, wenn auch selten, im Rahmen einer Primärcyste 4 extrem kleine Cysten; ich schloß aus diesem Befund, daß die Sekundärcyste, anstatt einen Richtungskörper zu bilden, sich in zwei gleich- wertige Stücke geteilt habe, welche sich ohne Konjugation encystiert hatten. Ich habe nun bei Durch- sicht meines Materials weitere Zustände gefunden, welche zeigen, wie berechtigt mein Schluß war. Mehr- fach habe ich feststellen können, daß zum Schluß der ersten Richtungskaryokinese das eine Teilprodukt auf einem relativ späten Stadium die retrograde Entwickelung zum Richtungskörper einschlägt. In zwei weiteren Fällen habe ich Sekundärcysten gefunden, welche zwei völlig gleichwertige Kerne enthielten, bei welchen zugleich der Protoplasmakörper eingeschnürt war, als ob er zwei gleich- große Stücke liefern sollte. Endlich habe ich noch gesehen, ‚daß in einer Primärcyste 4 Stücke lagen, die noch nicht die den Konjugationscysten zukommende feste Hülle besaßen. In allen diesen Fällen hatten die übrigen Sekundärcysten des betreffenden Cystenkomplexes normale Richtungskörper gebildet oder waren in Bildung derselben begriffen, ein weiterer Beweis, daß die zu völliger Teilung der Sekundär- cyste führende Karyokinese das Aequivalent der Richtungskaryokinese war. Ein zweiter Richtungs- körper wird bei dem abnormen Verlauf der Reifung offenbar nicht gebildet, wie das bei vielen partheno- genetischen Eiern ja auch der Fall ist, sondern nach der ersten Reifeteilung tritt Encystierung ein. Die abgeänderte Entwickelung der Sekundärcyste würde somit die Mitte halten zwischen der Reifung der Spermatozoen und der Entwickelung parthenogenetischer Eier. Ehe ich diesen Abschnitt schließe, möchte ich noch die Erfahrungen, welche die Encystierungs- kulturen und die Futterkulturen geliefert haben, zu einem Gesamtbild vereinigen; ich möchte hierbei gleich von Anfang betonen, daß die Resultate beider Untersuchungsreihen in bester Ueberein- stimmung stehen. Wir haben gesehen, daß von Aktinosphärien, welche lange Zeit unter gleichen oder doch wenigstens sehr ähnlichen Bedingungen gehalten worden waren, die meisten durch Riesenkernbildung zu Grunde gingen, daß eine Minderheit erhalten blieb, welche nunmehr sich durch zahlreiche auffallend kleine Kerne von normalen Aktinosphärien unterschied. Ich deute diesen Befund durch die Annahme, daß allen Aktinosphärien der betreffenden Kulturen gemeinsam ist das Anwachsen der Kernsubstanz auf Kosten des Protoplasma, eine Erscheinung, die ich auf eine Lockerung der konstitutionellen Beschaffenheit des Protoplasma zurückführen möchte Umformungen, welche bei einem hohen Grad von Kernplasma- spannung erst zu stande kommen sollten, treten bei geringeren Graden derselben schon ein. Hier sind nun zwei Möglichkeiten gegeben, einerseits übermäßiges Anwachsen der einzelnen Kerne, zweitens Ver- mehrung der Kernzahl. Vergrößerung einzelner Kerne, eine Erscheinung, welche bei Radiolarien, Eizellen und vielen anderen Zellen ein normaler Prozeß ist, führt bei Aktinosphärien zu Zuständen, welche mit den äußeren und inneren Lebensbedingungen dieser Tiere offenbar unvereinbar sind, welche U als = e : 5 5 i 335 eber physiologische Degeneration bei Actinosphaerium Eichhorni 335 daher, sei es unter Auflösung, sei es unter Ausstoßung der Riesenkerne, je nachdem es chromidiale oder nukleolare Riesenkerne sind, zum Untergang des Tieres führen. Die Vermehrung der Kernzahl dagegen führt zu einem neuen Gleichgewichtszustand zwischen Kern und Protoplasma. Daß im Laufe des März sich ein derartiger neuer Gleichgewichtszustand entwickelt hat, lehrt die Kleinkernigkeit der Futterkulturen; es müßte noch die Vermehrung der Kernzahl erwiesen werden. Dieser Beweis ist durch Untersuchung futternder Tiere aus rein technischen Gründen nicht leicht zu erbringen, wohl aber durch Untersuchung der Encystierungen. Wir haben gefunden, daß Aktinosphärien Ende März sehr viel mehr und sehr viel kleinere Cysten bilden als früher; man kann dies Verhältnis quantitativ auf Grund der früher gegebenen Zahlen und Maße genauer bestimmen. Demnach würde ein Actinosphaerium von bestimmter Größe mehr als die doppelte Zahl von Cysten ergeben, zugleich Cysten von entsprechend geringerer Größe ('/);, oder weniger). Da die Zahl der Cysten von der Zahl der Kerne abhängt, welche der Kernresorption Widerstand leisten, so ist die größere Zahl der Cysten entweder dadurch bedingt, daß von Anfang an mehr Kerne vorhanden waren, das Doppelte oder mehr, und daß ein gleicher Prozentsatz wie unter normalen Verhältnissen resorbiert wurde; oder es war von Anfang die normale Zahl der Kerne vorhanden, die resorbierende Kraft des Protoplasma aber herabgesetzt. Nach meiner Ansicht kann im. vorliegenden Fall nur die erste Erklärung in Betracht kommen. Ich komme daher zum Resultat, daß die erste Futterperiode der die Riesenkernbildung über- lebenden Aktinosphärien mit Individuen beginnt, welche übermäßig viele, zugleich aber abnorm kleine Kerne haben. Die enorme Assımilationsfähigkeit und Vermehrungsenergie der Tiere würde sich dann daraus erklären, daß für die assimilatorische Tätigkeit der Zelle viele kleine Zentren gegeben sind. Während dieser Futterperiode wächst die Kerngröße, wie wır gesehen haben, bis zu normalen Dimen- sionen heran, so daß wir schließlich normal große Kerne in vermehrter Zahl haben. Demgemäß sind die Cysten am Ende dieser Periode vermehrt und verkleinert, ihre Kerne aber haben wieder die Größe der Kerne gewöhnlicher Aktinosphäriencysten erreicht, so daß eine Veränderung im Verhältnis von Kern- und Protoplasmamasse eingetreten ist. Es ist eine auffällige Erscheinung, daß die Aktinosphärien in der Zeit, in welcher die Umwandlung der Kernplasmarelation vor sich geht, die Encystierungs- fähigkeit verloren haben. Nachdem die normale Größe der Aktinosphärienkerne wieder erreicht ist, beginnt in der zweiten Periode die Hypertrophie der Kerne, welche dahin führt, daß zu der schon früher erzielten Vermehrung der Zahl sich noch eine sehr ansehnliche Vergrößerung der Kerne hinzugesellt. Diese alles Frühere übertreffende Zunahme der Kernmasse kommt bei der Encystierung in kleinen, protoplasmaarmen Cysten mit riesig großen Kernen zum Ausdruck; sie führt bei den Futterkulturen zu Depressionszuständen, welche von kurzen Futterperioden unterbrochen werden, schließlich zum Untergang, indem die über- mäßig angehäuften Zellkerne in toto ausgestoßen werden. Allgemeiner Teil. Die im Voranstehenden mitgeteilten Beobachtungen haben uns mit mehr oder minder tief- greifenden Veränderungen des Baues der Aktinosphärien bekannt gemacht. Dieselben betreffen fast alle ' Teile der Organisation. Die Pseudopodien können vollkommen schwinden (Chromidialtiere [Taf. X, Fig. ı]), sie können in größerer Zahl untereinander in ganzer Länge verschmelzen und schließlich kegel- förmige Aufsätze erzeugen, in denen die Achsenfäden in parallelen Bündeln angeordnet sind (Taf. IX, 336 Ueber physiologische Degeneration bei Actinosphaerium Eichhorni. 336 Fig. 4, 5). Die Unterschiede von Mark- und Rindensubstanz können vollkommen aufgehoben (Chromidial- tiere [Taf. X, Fig. 1) oder in abnormer Weise gesteigert werden (Tiere mit Kernhyperplasie und Kern- hypertrophie [Taf. IX, Fig. 7]. Die Neigung zu Verschmelzung kann dahin führen, daß weiche plasmodien- _ artige Zustände entstehen (Fig. 8). Der Stoffwechsel kann modifiziert werden, wie die unter Pikrinsäure- wirkung zu Kristallen sich umformenden Körnerhaufen lehren (Taf. IX, Fig. 9). (Beides bei Tieren mit Vermehrung der Zahl und Verringerung der Größe der Kerne.) Alle diese Veränderungen treten, wie die in Parenthese eingeklammerten kurzen Be- merkungen erkennen lassen, im Anschluß an Veränderungen des Kernapparates auf und müssen, was in bestem Einklang mit den herrschenden Auffassungen von der Wechselwirkung von Kern und Protoplasma steht, wohl auf dieselben zurückgeführt werden. Die Veränderungen der Kerne sind daher das Wichtigste bei allen Umgestaltungen und verlangen eingehende Besprechung. Sie haben bei aller Vielgestaltigkeit einen Grundzug: die Vermehrung der Kernsubstanz auf Kosten des Protoplasma, eine Erscheinung, die im Anschluß an eine vorangegangene übermäßige Fütterung eintritt und daher wohl auf die mit der Fütterung einhergehende assimilatorische Tätigkeit zurückgeführt werden muß. Dieses Anwachsen der Masse von Kernsubstanz steht im Widerspruch mit der herrschenden Auffassung, daß der Kern bei der assimilierenden Tätigkeit der Zelle behufs Bildung verdauender Sekrete Stoffe an das Protoplasma abgibt, wird dagegen verständlich, wenn man annimmt, daß das Protoplasma bei der Bildung von Sekreten Stoffe abspaltet, welche in den Kern aufgenommen werden. Ich halte es daher für notwendig, daß die Frage der Veränderung der Kerne in stark funktio- nierenden Zellen eine Nachprüfung erfährt. Ich habe schon an anderer Stelle darauf hingewiesen, daß man zur Vorstellung eines funktionellen Wachstums des Kerns kommt, wenn man sich an die ein- schlägigen Beobachtungen, nicht an die aus den Beobachtungen gezogenen, meiner Auffassung meist widersprechenden Schlüsse hält. Marrhews hat eine Zusammenstellung der Resultate gegeben, zu denen die Untersuchung der Kerne funktionierender Drüsenzellen geführt hat; sie stimmen darin überein, daß die Kerne bei der Sekretion an Größe zunehmen. Ebenso vergrößern sich auch die Zellkerne von Drosera, wenn die zugehörigen Zellen mit Fleisch gefüttert werden und daher assimilieren müssen. Sehr interessant sind die Ergebnisse von Carnoy und LeBrun über die Vorreife des Amphibieneies; solange hier die Dotterbildung und das Wachstum des Eies andauern, vergrößert sich auch das Keimbläschen. Würde der Dotter, wie es so oft behauptet wird, durch Abgabe von Kernteilen an das Protoplasma gebildet, so sollte man meinen, müßte das Keimbläschen immer kleiner werden. In allen Fällen löst das Anwachsen der Kernmasse eine antagonistische Tätigkeit des Protoplasma aus, welche auf Resorption von Kernmaterial hinarbeitet. Dabei können Kernteile, um zerstört zu werden, aus dem Kern in das Protoplasma übertreten. In diesem Sinne deute ich die Bildung der Chromidien, welche in ihrem Vorkommen offenbar nicht auf Aktinosphärien beschränkt sind, sondern auch andernorts beobachtet werden. Das Wachstum des Keimbläschens z. B. scheint dadurch ver- langsamt zu werden, daß chromidienartige Körper aus ihm ın das Protoplasma übertreten und hier zu Grunde gehen. Die antagonistische auf Kernverkleinerung hin arbeitende Tätigkeit des Protoplasma wird bei Actinosphaerium unzweifelhaft durch Eintritt von Hunger begünstigt. Läßt man Aktinosphärien hungern, so zeigen sie eine Neigung zu Encystierung, in deren Verlauf bis zu 95 Proz. sämtlicher Kerne auf- gelöst werden. Es wird auf diese Weise leichter erreicht, was durch starke Fütterung und demgemäß besonders energisches funktionelles Anwachsen der Kerne nur selten erreicht wird, daß das Miß- verhältnis von Kern und Protoplasma eine solche Steigerung erfährt, daß es nur durch ganz intensive S Hasi ; : ; 2 3 - i N 837 Ueber physiologische Degeneration bei Actinosphaerium Eichhorni A Eingriffe in die Zellorganisation ausgeglichen werden kann. Unter besonderen noch nicht näher erforschten, selten erfüllten Bedingungen tritt an Stelle von Encystierung die Bildung von Chromidialtieren ein, eine Form der Kernzerstörung, bei welcher die allmähliche Kernresorption eines großen Teiles der Kerne durch Auflösung sämtlicher Kerne ersetzt wird. Bei derselben zerstreuen sich ihre chromatischen Teile im Protoplasma und bleiben zunächst noch erhalten. Auch diese Form der Kernzerstörung wird leichter durch Hunger als durch Ueberfütterung erzielt. Dafür, daß Hungerzustände der Zelle Kernauflösung begünstigen, können wir aus der Gewebe- lehre vielzelliger Organismen weitere Belege beibringen. Als Arsrecht die Nierenepithelien von Kaninchen, denen er die Nierenarterie unterbunden hatte, untersuchte, fand er neben dem Kern der Zelle Chromatinkörper, die aus dem Kern herausgetreten waren; oft fand er auch die Kernmembran aufgelöst, so daß die Chromatinbrocken ähnlich, wie wir es für chromidiale Aktinosphärien kennen, frei im Plasma lagen. Das bekannteste Beispiel von Kernauflösung ist aber die Eireife. Nachdem das Keimbläschen die besprochene enorme Vergrößerung auf Kosten des Protoplasma erfahren hat, wird das Protoplasma plötzlich gleichsam Herr des Kerns und löst bis auf einen kleinen zur Spindelbildung dienenden Rest seine Massen auf. Denn die Ansicht, daß die zur Richtungsspindel nicht verwandte Hauptmasse des Keimbläschens aus dem Ei ausgestoßen werde, wie früher vielfach angegeben wurde, ist durch keinerlei Beobachtung bewiesen, im Gegenteil wird ihr durch alle neueren Untersuchungen widersprochen. Nach meinen Erfahrungen an Aktinosphärien wäre es denkbar, daß allein das starke funktionelle Wachstum des Kerns, wenn es eine bedeutende Größe erreicht hat, genügen würde, die antagonistische Tätigkeit des Protoplasma auszulösen. Ich halte es aber für wahrscheinlicher, daß der letzte Anstoß zur Kern auflösung und Eireife durch ungenügende Ernährung herbeigeführt wird, welche eintritt, wenn die Ver größerung des Eies zu einer Atrophie des Follikels führ. Ohne mich im Einzelnen den Anschauungen Leeruns anschließen zu wollen, befinde ich mich mit ihm darın in Uebereinstimmung, daß er im Hunger zustand des Eies den Anstoß zu seiner Reifung erblickt. Ist diese Auffassung richtig, so wird man von einem bestimmten Zeitpunkt an willkürlich die Eireife hervorrufen können. Dafür finde ich einen Beleg in Erfahrungen, welche ich an Eiern von Asteracanthion habe machen können. Bekanntlich tritt hier der Reifungsprozeß ein, wenn die Eier in das Seewasser entleert werden. Geschieht die Entleerung auf der Höhe der Geschlechtsreife, so beginnt die Auflösung des Keimbläschens sehr rasch. Werden die Eier früher entleert, so verlangsamt sich der Prozeß ganz außerordentlich, kommt aber schließlich doch zum normalen Abschluß. Offenbar wird hier dem noch nicht genügend vorbereiteten Ei die Reifung dadurch, daß es von seinem Nährboden getrennt wird, aufgenötigt. Was nun die Einzelerscheinungen des bei Actinosphärium beobachteten Kernwachstums anlangt, so kann sich dasselbe in dreierlei Weise äußern: ı) in einer Vergrößerung. der Einzelkerne, 2) ın einer Vermehrung der Kernzahl, 3) ineiner Vermehrung und Vergrößerung der Kerne zugleich. Die Vergrößerung der Kerne kann unter Umständen zu Kernen von 3—4000-fachem Volumen normaler Kerne führen. Ich habe unter ihnen chromatische und nukleolare Riesenkerne unter- schieden, zwei Extreme, welche durch Zwischenformen verbunden sind. Bei den chromatischen Riesen- kernen wird der Kern in allen seinen Teilen vergrößert, sowohl das Kernreticulum, wie die aus Chromatin und Nukleolarsubstanz bestehende Chromatinrosette. Bei den nukleolaren Riesenkernen tritt frühzeitig Nukleolarmasse aus der Chromatinrosette aus, bildet zunächst kleine Körperchen, später vakuolisierte, riesig heranwachsende, alle übrigen Kernteile bei Seite drängende Kugeln. Sehr auffallend ist das ver- Jenaische Denkschriften. XI. 43 Festschrift Ernst Haeckel. 338 ‘Ueber physiologische Degeneration bei Actinosphaerium Eichhorni. 338 schiedene Verhalten der beiden Kernformen der resorbierenden Tätigkeit des Protoplasma gegenüber, Die chromatischen Riesenkerne werden leicht aufgelöst, zunächst ihr Reticulum, später ihre zu Chromidien im Protoplasma sich verteilende Chromatinrosette. Wie die Untersuchung von Riesenkerntieren auf vor- gerückten Stadien ergibt, verfallen sie der „Karyorhexis“ offenbar viel leichter als normal gebaute Kerne, deren totale Auflösung ich nur selten habe beobachten können (chromidiale Tiere). Die nukleolaren Riesenkerne werden dagegen nur selten resorbiert, sie leisten nicht nur zähen Widerstand, sondern nehmen sogar Chromatin auf, so daß ihre Nukleolarkörper sich schließlich ganz intensiv in Karmin färben. Diese Beobachtungen an Aktinosphärien lehren, welche wichtige Rolle die Nukleolarsubstanzen für das Kernwachstum besitzen. Unter normalen Verhältnissen, bei denen es keine Nucleoli gibt, führt das Anwachsen der Kernsubstanzen bei Actinosphaerium zu typischen indirekten Kernteilungen und somit zur Kernvermehrung. Aendert sich der Stoffwechsel der Tiere und entwickeln sich ächte Nucleoli, so hört die Kernvermehrung auf und wird die Massenzunahme der Kernsubstanz durch Größenwachstum der Einzelkerne herbeigeführt. Dieses gegensätzliche Verhalten der Kerne bei einem und demselben Tiere unter wechselnden Existenzbedingungen verdient Beachtung, weil sich Anknüpfungspunkte an analoge Vorkommnisse bei anderweitigen Tieren ergeben. Wir kennen bei ein- und vielzelligen Tieren zweı verschiedene Arten, in denen die lebende Zellsubstanz an Masse zunehmen kann. Im einen Fall vermehren sich mit der Zunahme des Protoplasma die Kerne durch Teilung, wobei dann zweierlei eintreten kann, daß die Zelle ebenfalls sich teilt und viele kleine Tochterzellen erzeugt oder daß sie ungeteilt bleibt und sich in eine vielkernige Riesenzelle verwandelt. Im anderen Fall unterbleibt die Kernteilung und in ent sprechender Weise auch die Zellteilung; es bilden sich riesige Zellen mit einem einzigen auffallend großen Kern; als Beispiele führe ich die Mehrzahl der monozoen Radiolarien, ferner Eizellen und Ganglienzellen der Metazoen an. Die Kerne werden bei dieser Art des Wachstums so groß, daß man für sie besondere Namen eingeführt hat: Keimbläschen der Eier, Binnenbläschen der Radiolarien. Für die Kerne der Ganglienzellen, besonders aber die Riesenkerne der Eizellen ist es bekannt, daß sie ebenfalls große, oft auch sehr zahlreiche Nucleoli enthalten, welche ım Bau ganz mit den beschriebenen Nucleoli der Riesenkerne von Aktino- sphärien übereinstimmen. Es scheint somit das starke Anwachsen der Nukleolarsubstanzen mit dem eigentümlichen Wachstum von Kern und Zelle in einem ursächlichen Zusammenhang zu stehen. In seinen vergleichend cytologischen Studien, in denen hauptsächlich die Morphologie der Nukleolen abgehandelt wird, hat schon MonrGomEry ähnliche Ideen ausgesprochen. Er sagt: Thus | these nuclei which are charakterized by an especially large amount of nucleolar substance are growing nuclei”. “In the gland cells of Piscicola the volume of the nucleolar substance rapidly increases in amount during the phase of growth of the nucleus”. Diese Ansicht ist um so mehr berechtigt, als sie auch für die Pflanzen Geltung besitzt. ZacHARIAS hat schon vor Jahren zum Teil auf eigene, zum Teil auf andere Untersuchungen gestützt, durchgeführt, daß die Zellen im Meristem der Pflanzen zunächst klein sind und sich karyokinetisch vermehren; daß sie später dagegen die Teilbarkeit verlieren und größer werden; dann besitzen sie große Kerne mit großen Nucleoli. „Aus der Gesamtheit der mitgeteilten Beobachtungen“, sagt er, „ergibt sich, daß in den Kernen wachsender Zellen bestimmte Veränderungen eine verbreitete Erscheinung sind. Zu diesen Veränderungen gehört insbesondere Vergrößerung der Massenzunahme der Nukleolen in den ersten Stadien des Zellenwachstums“. Also überall dieselbe Erscheinung! Mit Rücksicht auf die weite Verbreitung der Kernvergrößerung bei der Bildung von Nukleolar- substanzen hätte ich gern genauer ermittelt unter welchen Bedingungen bei Aktinosphärien das Riesen- wachstum der Kerne eintritt; ich bin aber bisher noch zu keinen bestimmten Resultaten gekommen. Das 339 Ueber physiologische Degeneration bei Actinosphaerium Eichhormi. 339 Protoplasma der Tiere ist in der kritischen Zeit zwar verändert; es ist beim lebenden Tier schwärzlich, nach der Abtötung und Färbung diffus rötlich bräunlich, als wäre es von pulverisiertem Chromatın durchsetzt. Aber diese Beschaffenheit des Protoplasma findet sich auch zu anderen Zeiten, wie z. B. bei Tieren ın Depression, bei welchen im weiteren Verlauf keine Riesenkernbildung eingetreten sein würde. Vielleicht wird es möglich sein, durch Anwendung der Schnittmethode weitere Resultate zu erzielen. Wenn es mir nun auch nicht möglich gewesen ist, die Ursachen zu dem veränderten Kern- wachstum ausfindig zu machen, so liegt doch der Einfluß, den die Vermehrung der Nukleolarsubstanzen auf das Zellenleben ausübt, klar zu Tage. Ein Vergleich des Schicksals der chromidialen Riesenkerne einerseits, der nukleolaren andererseits lehrt, daß die reichliche Ausbildung von Nukleolarsubstanz bei Riesenkernen für die Erhaltung derselben notwendig ist. Ich habe oben von einem Antagonismus gesprochen, welcher zwischen Kern und Protoplasma besteht und sich darin ausspricht, daß Stoffteilchen vom Protoplasma in den Kern strömen (Kernwachstum), letzterer somit auf Kosten des Protoplasma wächst, daß andererseits Teilchen wieder vom Kern in das Protoplasma zurück wandern und hier aufgelöst werden (Kernresorption). So lange die erst erwähnte Bewegung überwiegt, ist die Existenz des Kernes gesichert: das Ueberwiegen der letzteren führt zur partiellen oder totalen Kernauflösung. Bei diesem Stoffwechsel spielen offenbar die Nukleolarsubstanzen eine wichtige Rolle, insofern ihre Bildung dem Kern ein Uebergewicht im Stoffwechsel der Zelle verleiht. Bei Aktinosphärien erreicht das Wachstum der nukleolaren Massen einen Grad, wie bei keinem anderen Objekt, auch nicht bei dotterreichen Eiern. Darin ist wohl der Grund gegeben, daß die Kerne schließlich nicht an Größe reduziert, sondern im ganzen ausgestoßen werden. Insofern dabei die Tiere zu Grunde gehen, ist die Riesenkernbildung, welche für Eizellen und monozoe Radiolarien ein normaler Prozeß ist, ein pathologischer Vorgang. Ein Vorgang, welcher für eine bestimmte Zellform die Norm ist, kann für eine andere pathologisch sein, weil ıhre ganzen Existenzbedingungen nicht auf ihn abgestimmt sind. Eine derartige Konkordanz der Zellorganisation mit den allgemeinen Existenzbedingungen setzt voraus, daß die osmotischen Vorgänge zwischen den einzelnen Zellteilen, ferner der Zelle einerseits und ihrer Umgebung andererseits in Gleichgewicht gebracht sind; sie ist offenbar bei den Riesenkern-Aktinosphärien nicht erzielt, da dieselben früher oder später ihre Kerne ausstoßen. In der Ausstoßung der nukleolaren Riesenkerne bin ich geneigt, ein rein physikalisches Phänomen zu erblicken. Wenn wir sehen, wie rasch der Spermakern sich zu einem Bläschen imbibiert und ebenso die Chromosomen nach Ablauf der Teilung zu Bläschen werden, so liegt es nahe, den Kernsubstanzen ein höheres osmotisches Aequivalent als dem Protoplasma zuzuschreiben. Dann müssen die nukleolaren Kerne des Actinosphaerium vermöge ihres ganz außergewöhnlichen Gehaltes an Kernsubstanz in ganz besonderer Weise osmotisch empfindlich sein und von Flüssigkeit angezogen werden, was bei un- genügendem Widerstand des Protoplasma zu einer Entleerung der Kerne führen muß. Von den vorstehenden Erwägungen ausgehend, habe ich mir die Frage vorgelegt, ob es nicht möglich sei, durch Kultivieren der Aktinosphärien in Flüssigkeiten von größerem Salzgehalt das Aus- stoßen der Kerne zu verhindern. Ich übertrug Riesenkern-Aktinosphärien ganz allmählich in eine 0,4-proz. Kochsalzlösung. Leider starben die Tiere in derselben rasch ab. Wenn die Ausstoßung der Riesenkerne von Actinosphaerium ein osmotischer Vorgang sein sollte, so läge es nahe, auch das Aufsteigen der Keimbläschen reifender Eier auf osmotische Wirkungen zurück- zuführen, da bei ihnen ja auch reichliche Nukleolarsubstanz enthalten ist. Ich werde übrigens auf die Frage, in wie weit osmotische Vorgänge auf die Funktion der Zellteile einen Einfluß gewinnen können, 43* 340 Ueber physiologische Degeneration bei Actinosphaerium Eichhorni. 340 später bei der Besprechung der Kernhyperplasie und -hypertrophie noch einmal zurückkommen, weil hier analoge Vorgänge vorliegen. Ich wende mich nun zur zweiten Form des Anwachsens der Kernsubstanz, welche durch Ver- mehrung der Kernzahl herbeigeführt wird. Vermehrung der Kernzahl trat bei einer Minderzahl von Aktinosphärien zu einer Zeit ein, ın der die Mehrzahl von der Riesenkernbildung ergriffen wurde, Während aber die Riesenkerntiere ausnahmslos zu Grunde gingen, zeigten die wenigen Aktinosphärien mit vermehrter Kernzahl eine gesteigerte Vitalität: sie assimilierten enorm und vermehrten sich enorm; auch zeigten sie eine Neigung zu plasmodienartigen Verschmelzungen. Beachtenswert bei der Kultur mit vermehrter Kernzahl war die geringe Größe der Kerne, durch welche vielleicht das Anwachsen der Kernsubstanz ganz oder wenigstens zum Teil wieder ausgeglichen wurde. Daß Zellen mit vielen kleinen Kernen oder viele kleine und kleinkernige Zellen bessere Bedingungen für die Entfaltung der Lebensvorgänge bieten werden, als Zellen mit einem einzigen großen Kern resp. wenige Zellen mit größeren Kernen, ist a priori sehr wahrscheinlich. Auch stimmt hiermit sehr gut die Erfahrung, daß gerade die höchst organisierten Tiere, die Säugetiere und Vögel, unverhältnismäßig kleine Zellelemente besitzen. Für die bei den Lebensvorgängen sich abspielenden Wechselwirkungen zwischen Kern und Protoplasma ist offenbar eine Vergrößerung der den Austausch bewirkenden Oberfläche von der größten Bedeutung. Wie auch schon anderweitig hervorgehoben wurde, wird daher oft für Viel kernigkeit dadurch Ersatz geschaffen, daß der Kern ın reiche Verästelungen auswächst, wie uns die Kernverhältnisse mancher Acıneten und vieler Insektengewebe lehren. Es wäre hier vielleicht der Ort, auf die merkwürdigen Vorgänge bei der Encystierung der klein- kernigen Formen einzugehen. Ich verzichte aber darauf, da ich auf diese Vorgänge noch einmal behufs genauerer Darstellung zurückkommen muß. Ich werde dann auch die Umformung der Reife der Sekundärcysten vom weiblichen zum männlichen Typus besprechen. An dritter Stelle hätten wir endlich die Zellzustäinde zu erörtern, die sowohl durch Kern- vermehrung als auch durch Kernvergrößerung, durch Hyperplasie und Hypertrophie der Kerne zugleich charakterisiert sind; sie entwickeln sich aus den Zuständen mit übermäßig vermehrter Kernzahl, indem immer mehr Kerne hypertrophisch werden, bis nahezu alle die normale Größe weit über- schritten haben. Beim ersten Studium der Vorgänge war die Aehnlichkeit der hypertrophischen Kerne mit chromidialen Riesenkernen für mich Veranlassung anzunehmen, daß es sich um die Wiederholung von Prozessen, welche mir von früher her bekannt sind, handle Eine genauere Untersuchung hat mich Unterschiede kennen lernen, Unterschiede in der Größe, in der Struktur und im weiteren Schicksal der Kerne. Niemals werden die kolossalen Dimensionen chromidialer Kerne erreicht. Wenn diese in ihren größten Formen fast 0,1 mm messen, sind die hypertrophischen Kerne höchstens '/; so groß (0,03 mm). In der Chromatinanordnung ergeben sich Unterschiede, bezüglich deren ich auf die spezielle Schilderung verweise. Vor allem aber zeigt das Kernreticulum einen anderen Charakter; es ist bei den hyper- trophischen Kernen grobmaschiger und nach außen durch eine Kernmembran abgeschlossen. Aus diesem abweichenden Verhalten erkläre ich mir das verschiedene Schicksal der Kerne. Die hypertrophischen Kerne leisten der Kernauflösung energischen Widerstand; vor allem verschmilzt ihr Netzwerk nicht mit dem Protoplasma; es wird so verhütet, daß das Chromatin in das Protoplasma unmittelbar verlagert und hier zu Chromidien umgewandelt wird. Dagegen bilden sich hypochromatische und achromatische 341 Ueber physiologische Degeneration bei: Actinosphaerium Eichhorni. 341 Kerne, d. h. Kerne, bei denen das Chromatin und schließlich auch die Nukleolarsubstanz schwindet. Eine Zeit lang erhält sich dann noch das Kernnetz, welches aber allmählich einschrumpft. Die besprochenen Unterschiede machen das Schicksal der der Kernhyperplasie und Hypertrophie verfallenen Aktinosphärien verständlich. Wir haben gesehen, daß dieselben durch Platzen fast ihre ganze Marksubstanz entleeren. Die Ursache zu dieser merkwürdigen Erscheinung erblicke ich in osmotischen Verhältnissen. Wenn es richtig ist, daß die Kernsubstanzen ein hohes osmotisches Aequivalent besitzen, so muß Vermehrung und Vergrößerung der Kerne eine hohe osmotische Spannung in der Markschicht hervorrufen. Würden die Kerne resorbiert werden können, wie die chromidialen oder ausgestoßen wie die nukleolaren Riesenkerne, so würde die osmotische Spannung ausgeglichen werden. Die dichte An- häufung und gleichförmige Beschaffenheit der Kerne bringt es mit sich, daß sie in ihrer Gesamtheit wie eine einheitliche Masse wirken und daher auch einheitlich ausgestoßen werden. Anschließend an die Besprechung der Kernverhältnisse möchte ich noch einige Worte im Zu- sammenhang über die im Protoplasma vor sich gehenden Veränderungen sagen. Sie lassen sich zum Teil nicht erklären und sollen daher hier nicht besprochen werden, wie z. B. das wechselnde Aussehen oder gänzliche Fehlen der Pseudopodien. Dagegen verlangt die wechselnde Verfärbung des Protoplasma Berücksichtigung. Sehr häufig ıst das Protoplasma im durchfallenden Licht schwärzlich, im auffallenden Licht weißlich verfärbt. Diese Verfärbung tritt ein bei Encystierung, bei starker Chromidialbildung der Tiere im Umkreis der Riesenkerne, zur Zeit der starken Fütterung, welche beı kleinkernigen Tieren erzielt wird, und auch später, wenn die Futterperiode durch Depressionszustände unterbrochen wird. Sie kommt auch sonst bei Protozoen vor; so ist sie schon lange bekannt als eine Folgeerscheinung der Konjugation bei Infusorien und außerdem von mir für die Depressionszustände des Paramaecium beschrieben worden. Die Ursache des schwärzlichen Aussehens ist in feinen stark lichtbrechenden Körnchen gegeben. Da dieselben sich in Alkohol und Xylol lösen, sind sie an Kanadabalsampräparaten nicht mehr zu finden. Ich deute sie als Fettkörnchen, ob sie aber vom Plasma oder vom Kern aus geliefert werden, lasse ich unentschieden. Für genetische Beziehungen zum Kern spricht ihre Lokalisation im Umkreis der Kerne, z. B. der Riesenkerne, und ihre Anhäufung an Stellen, wo die hypertrophischen Kerne sich zu Haufen vereinigen, woraus sich das marmorierte Aussehen vieler Aktinosphärien erklärt. Das beim lebenden Tier schwärzliche Protoplasma zeichnet sich nach der Abtötung durch starke Färbbarkeit, oft auch durch ein bräunliches Kolorit aus. Die bräunliche Pigmentierung war unzweifelhaft schon im lebenden Tier vorhanden und nur verdeckt durch die schwärzliche Färbung der stark licht- brechenden Körnchen. Wenn diese fehlen oder schwach entwickelt sind, kann daher die bräunliche Pigmentierung schon beim lebenden Tier sehr deutlich sein, wie Fig. 5, Taf XI lehrt. Die starke Färbbarkeit des Protoplasma hängt von der Bildung von Chromidien ab. Dieses ist nie zweifelhaft, wo die Chromidien deutlich umschriebene größere oder kleinere Körper sind. Aber es kommt auch eine diffuse Rotfärbung vor; dieselbe erkläre ich daraus, daß die Chromidien sich gleich- sam pulverisiert und fein verteilt haben. Wenn die Chromidienbildung zurücktritt, wie bei den hyper- trophischen Kernen, so scheint mir das Chromatin direkt in fein verteilter Form in das Protoplasma eingelagert zu werden. Stets folgt auf reichliche Chromidialbildung Bildung bräunlichen Pigments. Diese Beobachtung, wie die Beobachtung von Uebergängen zwischen Chromidien und Pigmentkörnchen läßt es mir außer Zweifel erscheinen, daß die Chromidien sich in Pigment verwandeln. Wenn die Chromidien in feinster „pulverförmiger“ Verteilung im Protoplasma eingelagert sind, so resultiert eine diffus bräunliche Verfärbung 342 Ueber physiologische Degeneration bei Actinosphaerium Eichhorni. 342 desselben. Da nun die Chromidien aus dem Kern stammen, so wäre damit die Möglichkeit einer Pigmententwickelung vom Kern aus erwiesen, wie sie übrigens auch für tierische Gewebe von einem französischen Forscher, Bonn, behauptet worden ist. Wenn gewisse Pigmente — nämlich solche die vermöge ihres Mangels an Eisen nicht vom Blutfarbstoff abgeleitet sen können — vom Kern aus entstehen, so müssen alle auf Vermehrung der Kernsubstanz hinwirkenden Momente Pigmentbildung begünstigen. Bei meinen Versuchen habe ich 2 Agentien, welche eine relative Vergrößerung der Kernmasse bewirken, kennen gelernt: starke Tätigkeit: der Zelle und Kältewirkung. Daß lebhafte Funktion Pigmentbildung begünstigt, kann wohl als sicher angenommen werden. Bei Wirbeltieren kann aber dieses Pigment auch aus dem Blut stammen, welches bei starker Funktion reichlicher die Organe durchströmt; es muß also hier immer unterschieden werden, ob eisenhaltige vom Blutfarbstoff stammende Pigmente oder in der Zelle selbst gebildete eisenfreie Pigmente vorliegen. Ueber die Einwirkung der Kälte auf Pigmentbildung liegen Untersuchungen FiscHErs und meines Schülers VomEAa vor. Fischer fand, daß Salamanderlarven, welche bei niederer Temperatur gezüchtet werden, sehr viel dunkler gefärbt sind, als solche aus Wärmekulturen. Das Gleiche fand VorneA, bei Larven von Rana temporaria, als er den Einfluß der Temperatur auf Zell- und Kerngröße untersuchte. Zum Teil ist die verschiedene Färbung durch den verschiedenen Kontraktionszustand der Chromatophoren bedingt, zum Teil aber auch durch den verschiedenen Pigmentgehalt. Namentlich sind die Pigmentkörner in den Epithelzellen bei Kältetieren viel reichlicher als bei Wärmetieren. Bisher habe ich mich darauf beschränkt, die merkwürdigen Kern- und Plasmaveränderungen überfütterter Aktinosphärien zu normalen Vorgängen anderer ein- und vielzelliger Tiere in Beziehung zu bringen. Es ergaben sich dabei mancherlei Vergleichspunkte, neben denen aber erhebliche Differenzen bestanden, dadurch bedingt, daß die Vorgänge bei Actinosphaerrum mehr oder minder pathologischer Natur sind und daher die Grenzen, innerhalb deren die zum Vergleich herangezogenen normalen Prozesse sich halten, weit überschreiten. Es war daher immer mehr eine bestimmte Entwickelungstendenz den beiderlei Vorgängen gemeinsam, als die durch die Entwickelung erreichten Formzustände. Das ändert sich, wenn wir den Vergleich weiter ausdehnen und auch pathologische Befunde berücksichtigen und zwar, da wir hierüber am besten informiert sind, pathologische Befunde des mensch- lichen Körpers. Die‘ Veränderungen bei Actinosphaerium traten im Lauf starker Fütterung und Vermehrung und zwar als Folgeerscheinungen derselben auf. Wir werden daher nach Analogien in der patho- logischen Anatomie zu suchen haben, da wo lebhafte Zellwucherungen vorkommen, d. h. bei entzünd- lichen Prozessen und bei stark wuchernden und infolge dessen malignen Neubildungen. Ich beschränke mich auf die letzteren und werde im Folgenden zu zeigen versuchen, daß viele der Kernveränderungen der Aktinosphärien ihr Seitenstück in Veränderungen bei Carcinomen und Sarkomen finden. Die Arbeit wird uns sehr erleichtert dadurch, daß gerade die von der Norm ab- weichenden Zellveränderungen und Degenerationserscheinungen in Carcinomen und anderen Geschwülsten eine intensive Bearbeitung gefunden haben. Die Bearbeitung wurde von sehr verschiedenen Gesichts- punkten aus unternommen, zum Teil um nach spezifischen, für die jedesmalige Geschwulstform charakte- 343 Ueber physiologische Degeneration bei Actinosphaerium Eichhormi. 343 ristischen Zellveränderungen zu suchen, zum Teil um die mannigfachen Bilder, welche man erhält, auf parasitische Krankheitserreger zu beziehen, zum Teil um nachzuweisen, daß die auf Parasiten bezogenen Bilder durch degenerative Vorgänge der Zellen bedingt sind. Die verbreitetsten Abweichungen von der Norm bei malignen Geschwülsten, zugleich aber auch bei entzündlichen Vorgängen sind Störungen im Verlauf der Karyokinese. Es bilden sich pluripolare Mitosen, ferner Mitosen mit zu viel und zu wenig Chromatın (hyperchromatische und hypochromatische Mitosen. Für diese Erscheinungen haben meine Untersuchungen bisher nur wenig Parallelen bei Actinosphaerium ergeben, was wohl mit der Ungunst der Beobachtungsbedingungen zusammenhängt. Man muß zu solchen Untersuchungen ein enormes Material haben und dasselbe auf Schnitten unter- suchen, was beides zunächst nicht zutrifft. Immerhin habe ich unter den verhältnismäßig wenigen Kern- teilungen eine dreipolige Mitose, auffallend kleine und auffallend große Kernteilungsfiguren, ferner solche mit hyperchromatischer Aequatorialplatte gefunden. Abnahme des Chromatins bis zu völligem Schwund (Hypochromasie die sich bis zu völliger Achromasie steigert) habe ich während der Teilungs- vorgänge nicht beobachtet, wohl aber sehr häufig bei ruhenden Kernen, und zwar in der Kultur, welche sich lange Zeit über durch ganz besondere Assimilations- und Vermehrungsenergie ausgezeichnet hatte. In der älteren Literatur spielt weiterhin die Zunahme der Zellgröße bei Carcinomen eine gewisse Rolle. Großzelligkeit ist ja in der Tat auch bei vielen, namentlich bei stark wuchernden Carcinomen eine auffallende Erscheinung; sie tritt aber auch bei anderen stark wuchernden Geschwülsten (Riesen- zellensarkom) und entzündlichen Wucherungen (Tuberkulose) auf. Nach den experimentellen Unter- suchungen, durch die eine Korrelation von Zell- und Kerngröße erwiesen ist, beruht Vergrößerung der Zellen auf einer Vergrößerung der Kerne. Bei einem melanotischen Riesenzellensarkom, welches ich der Güte des Vorstandes der zweiten Frauenklinik in München, Herrn Dr. Amann, verdanke, war diese Korrelation von Zell- und Kerngröße sehr auffallend. Die Riesenzellen hatten ganz enorme und zugleich sehr chromatinreiche Kerne, manchmal sogar 2 und mehr solcher Kerne. Wenn die Großzelligkeit vieler Geschwülste auf der Kernvergrößerung beruht, so würden wir in ıhr eine analoge Erscheinung haben, wie wir sie bei Aktinosphärien in der Kernvergrößerung kennen gelernt haben. Die Viel- kernigkeit des Actinosphaerium bringt es mit sich, daß hier die Kerngröße nicht auf die Zellgröße Einfluß gewinnen kann. \Würde es möglich sein, Aktinosphärien mit vergrößerten Kernen zur Encystierung zu bringen, so würde die Cystengröße einen geeigneten Maßstab geben. Da es mir bisher nicht geglückt, auch von mir noch nicht versucht worden ist, derartige vergrößerte Cysten zu erzielen, so ist es von Interesse, auf einen anderen Fall zurückzugreifen, indem es mir gelungen ist, durch lang fortgesetzte Kultur eine Vergrößerung der Zellgröße, die ebenfalls sicher auf Vergrößerung der Kernmaße beruht, zu erzielen. Ich meine das Infusor Dileptus gigas, über das ich an einer anderen Stelle das Nötige gesagt habe. Sehen wir nun die vergrößerten Kerne, wie sie bei Carcinomen und stark gefütterten Aktino- sphärien vorkommen, etwas genauer an, so erhalten wir ähnliche Bilder in beiden Fällen. Die aufälligsten Riesenkerne von Aktinosphärien sind die nukleolaren Formen, die Formen, bei denen die Nukleolarmasse eine einseitige Vergrößerung erfährt. Wachstum und Vermehrung der Nucleoli ist in Carcinomen und Riesenzellensarkomen eine verbreitete Erscheinung. Vom Carcinom schildert Pranese (S. 93), „wie der Anfang der Amitose durch eine auffallende Vergrößerung des Nucleolus oder der Nucleoli charakterisiert ist“. „Die häufigste Alteration, welche man in den Nukleolen der Krebszellen antrifft, ist die Vakuolisation (S. 142)“. Wahrscheinlich gehört auch zu den nukleolaren Degenerationsvorgängen das, was Pıanese über Hyalınose des Nukleoplasma schildert und vornehmlich 344 Ueber physiologische Degeneration bei Actinosphaerium Eichhorni. 344 auf Taf. II und VI seiner Arbeit abbildet. Wir finden homogene, die Reaktion der Nucleoli ergebende meist Chromatinflocken enthaltende Körper in der Zelle, oft nur noch von spärlichem Protoplasma umgeben. Sie sind selten unregelmäßig geformt, meist zeigen sie eine Tendenz zur Abrundung. Diese auf der Darstellung Praneses basierende Schilderung und noch mehr die begleitenden Abbildungen erinnern ganz außerordentlich an meine Befunde an Actinophaerium. Ueber die Genese der merkwürdigen Bildungen teilt Pranese Folgendes mit. Die Hyalinose „soll von einem zentralen Block ausgehen“ von dem er vermutet, „daß er das Kernkörperchen darstellt oder wenigstens daß das degenerierende Kernkörperchen größtenteils zu seiner Bildung beiträgt, in welchem letzteren Fall es gleichsam zum Mittelpunkt der fortschreitenden hyalinen Degeneration des Nukleoplasmas werden würde“ (S. 148). „Zuletzt gelangt man dahin, daß der ganze Kern sich darstellt als ein homogener kompakter Haufen, innerhalb dessen zwei oder mehr Nuklein- flocken vortreten.“ Was in den vorstehenden Sätzen über die Genese der hyalinen Kerndegeneration gesagt wird, paßt zu meinen Beobachtungen nur insofern, als Pranzse den Prozeß von einem zentralen Nucleolus aus- gehen läßt. Im übrigen weichen unsere Schilderungen voneinander ab. Während ich bei Actinosphaerium durch direkte Beobachtung habe feststellen können, daß die Nucleoli als solche wachsen, das Kern- reticulum dagegen verdrängt wird, spricht Pranese von einer Umwandlung des Reticulums. Man darf auf diesen Unterschied nicht zu viel Gewicht legen; man muß beachten, daß Pıanese die Umwandlung des Reticulums nicht gesehen, sondern nur erschlossen hat. Seine Befunde gestatten sehr wohl die Deutung, daß das Kernreticulum durch einen enorm anwachsenden Nucleolus verdrängt wird. — Die merk- würdigen Zelleinschlüsse, welche durch nukleolare Degeneration des Kernes erzeugt werden, sind oft für coccidienartige Parasiten gehalten worden. Ich bin geneigt, namentlich die von SOUDAKIEWITSCH und PrEIFFER beschriebenen Körperchen in diesem Sinn zu deuten. Außer nukleolaren Riesenkernen scheinen in Carcinomen noch vergrößerte Kerne vorzukommen, die den Chromidialkernen der Aktinosphärien gleichen. Bei ihnen erfährt der von PıaneseE als Nucleolus bezeichnete Körper, in dem ich das Aequivalent der Chromatinrosette des Aktinosphärienkernes erblicke, keine sehr bedeutende Vergrößerung, wohl aber der gesamte Kern, dessen Konturen dabei ganz un- deutlich werden. Schließlich mischt sich Kernmasse und Protoplasma, so daß der aus dem Nucleolus hervorgegangene Körper frei im Protoplasma liegt, wie ich es ebenfalls von den chromatischen Riesen- kernen der Aktinosphärien geschildert. habe. Offenbar sind es vergrößerte Kerne, wie wir sie eben besprochen haben, welche von KOROTNEFF seiner Zeit für Parasiten, speziell für Gregarinen, gehalten und unter dem Namen „Rhopalocephalus“ beschrieben worden sind. Ich stimme hierin vollkommen mit Pranese überein, welcher diesen Vergleich ebenfalls gezogen hat. Es ist bezeichnend für die Aehnlichkeit der abgeänderten Aktinosphärien- und Carcinomkerne, daß Pranese und ich, beide unabhängig voneinander, auf die gegebene Deutung der Korornerrschen Befunde geführt worden sind. Wie in Carcinomen, so vergrößern und vermehren sich auch in den Riesenzellen maligner Sarkome die Nucleoli; wenigstens finde ich es an dem oben erwähnten melanotischen Riesenzellen- sarkom, welches ich der Güte des Herrn Dr. Amann verdanke Herr Dr. RösstE hat die betreffenden Präparate genauer mit geeigneten Färbungsmitteln untersucht (Eisenhämatoxylin und Jodgrünfuchsin) und in den Kernen der Riesenzellen sowohl sehr große als auch sehr zahlreiche Nucleoli nachgewiesen. Wahrscheinlich sind mit den besprochenen Zell- und Kernveränderungen die Vergleichspunkte zwischen überfütterten Aktinosphärien und malignen Geschwülsten noch lange nicht erschöpft. Nament- 345 Ueber physiologische Degeneration bei Actinosphaerium Eichhorni I 345 lich wären noch zu beachten die Erscheinungen der Karyorhexis (Auflösung der Kerne zu zerstreut im Plasma liegenden Chromatinkörpern) und die infolge von Kernveränderungen auftretende Pigmentbildung, ferner die als Nekrose, gallertige, kolloide Degeneration bekannten Veränderungen, welche mich an die Gallertklumpen erinnern, die von überfütterten Aktinosphärien ausgestoßen werden und aus abgestorbenem, von Kernen durchsetztem Protoplasma bestehen. Ich möchte aber diese Betrachtungen nicht zu weit ausdehnen, besonders mit Rücksicht darauf, daß ich die einschlägigen Vorkommnisse der pathologischen Anatomie zu wenig aus eigener Anschauung kenne. Immerhin wird das Gesagte schon genügen, um zu zeigen, wie sehr die Kern- und Plasmaveränderungen überfütterter Aktinosphärien an die degenerativen Vorgänge erinnern, wie sie bei rasch wachsenden Geschwülsten vorkommen. Diese Uebereinstimmung gewinnt an Bedeutung, wenn wir in Rechnung ziehen, daß die Ausgangspunkte für beiderlei Formen- reihen, für die Zell- und Kernveränderungen bei Aktinosphärien und bei den Geschwülsten vielzelliger Tiere, so sehr verschiedener Natur sind. Man beachte nur, daß die Kerne von Actinosphaerium keine Centrosomen und keine echten Nucleoli besitzen, daß das Chromatin nicht auf dem Kernreticulum zu einem chroma- tischen Kernnetz verteilt, sondern mit der Nukleolarsubstanz zu einem Amphinucleolus vereint ist, daß dem Protoplasma normalerweise Chromidien eingelagert sind, welche den Gewebszellen fehlen. Zu diesen in Worten faßbaren und beschreibbaren Unterschieden kommen alle die gewaltigen Unterschiede, die durch die weite Kluft bedingt sind, welche den Organismus des Menschen oder eines Warmblüters von einer Protozoe trennt. Wenn trotzdem so viele Vergleichspunkte sich ergeben, so ist das ein Zeichen, daß in den Ursachen, welche die Abweichungen vom Normalen bedingen, eine weitgehende Ueber- einstimmung zwischen den beiderlei Untersuchungsobjekten bestehen muß. Für die Erscheinungen bei Actinosphaerium habe ich in einer früheren Publikation den Ausdruck „physiologische Degeneration“ angewandt; ich wollte damit ausdrücken, daß die Veränderungen durch eine in der Natur kaum vorkommende und in diesem Sinne abnorme Steigerung der wichtigsten Funktionen der Ernährung und im weiteren Verlauf des Wachstums und der Fortpflanzung veranlaßt worden sind. Ich hatte damals schon die Möglichkeit erwogen, ob nicht die merkwürdigen Degenerations- vorgänge maligner Geschwülste, deren Produkte so häufig für parasitäre Einschlüsse gehalten worden sind, in gleicher Weise gedeutet werden könnten wie die Degenerationsvorgänge bei Actinosphaerium, hatte aber damals mit meinen Vermutungen zurückgehalten, weil ich die einschlägigen Verhältnisse zu wenig kannte. Jetzt, nachdem ich eine Reihe der wichtigeren Arbeiten über Carcinom, welche sich namentlich auch mit den Zelldegenerationen befassen, genauer studiert habe, brauche ich mir diese Reserve nicht mehr aufzuerlegen und trage kein Bedenken, mich dahizu erklären, daß die Kerne und die Zellleiber des Carcinoms ähnlich degenerieren wie die Kerne und das Protoplasma von Aktino- sphärien, und zwar weil sie sich unter ähnlichen Entwickelungsbedingungen befinden. Die Zellen des Carcinoms und anderer maligner Neubildungen leben ständig in demselben Ueberfluß von Nahrung, den ich bei meinen Futterkulturen von Aktinosphärien künstlich erzielt habe; sie besitzen wie Protozoen die Fähigkeit, diesen Nahrungsüberfluß zu ständigem Wachstum und Vermehrung auszunutzen; sie unterscheiden sich durch dieses „autonome“ Wachstum von den normalen Geweben, deren Wachstum und Ernährung von dem Bedürfnis des Ganzen beherrscht wird. Ich möchte den Gedankengang der beiden letzten Sätze etwas genauer durchführen. Im Lebenslauf jedes höher organisierten Tieres können wir zwei Typen der Ernährung und des Wachstums seiner Zellen unterscheiden, welche ich im folgenden den cytotypen und den organotypen nennen werde Das cytotype Wachstum ist das Wachstum, welches ausschließlieh aus den Gesetzen des Zellenlebens resultiert; es ist das den Protozoen eigentümliche Wachstum: die Zelle ernährt sich und Jenaische Denkschriften. XI. 44 Festschrift Ernst Haeckel. 3 46 Ueber physiologische Degeneration bei Actinosphaerium Eichhorni. 3 46 vermehrt sich, solange ihr Nahrung geboten wird und solange ihre Organisation nicht funktionell geschädigt wird, d. h. solange keine Depression eintritt, welche die Zelle assimilationsunfähig macht. In dieser Weise vermehren sich auch die embryonalen Zellen, dagegen nicht die Zellen eines erwachsenen Organısmus. Diese besitzen vielmehr das „organotype“ Wachstum. Ihre Ernährung, Verarbeitung der Nahrung und Vermehrung hängt von dem Bedürfnis des Gesamtorganismus ab, von dem Grad, in welchem der Organısmus seine Organe funktionell in Anspruch nimmt. Ein nicht funktionierender Nerv oder Muskel atrophieren und ebenso die zugehörigen Zellen, wenn auch noch so viel Nahrung vorhanden ist; funktionierende Teile wachsen dagegen, bis zu enem gewissen Grad auch bei beschränkter Nahrungszufuhr und zwar dann auf Kosten benachbarter Gewebe. Im späteren Verlauf des embryonalen Lebens und während des postembryonalen Lebens wandelt sich das cytotype embryonale Wachstum des Menschen in das organotype um; es hört auf, wenn die dem Individuum vorgezeichnete Normalgröße erreicht ist. Es ist sogar wahrscheinlich, daß das Stehenbleiben auf einer bestimmten Größe, das „Aus- gewachsensein“, eine Folge des gänzlichen Erlöschens des cytotypen Wachstums ist. Denn das organotype, an die Funktion der einzelnen Organe gebundene Wachstum kann nur Massenzunahme der einzelnen Organe, d. h. lokalisiertes Wachstum hervorrufen. Das Charakteristische der Geschwülste ist die Rückkehr ihrer Zellen zum cytotypen Wachstum ; daß sie sich vom funktionellen Bedürfnis des Gesamtorganismus emanzipieren und fortwuchern, soweit es die vorhandene Nahrung im besonderen und die Bedingungen des Zellenlebens im allgemeinen gestatten. Daher erklärt es sich, weshalb die Neigung zu Bildung maligner Geschwülste bei den einzelnen Geweben eine so sehr verschiedene ist und dem Grad histologischer Differenzierung umgekehrt proportional ist, am größten bei den beiden Primärgeweben, dem Epithel und dem Mesenchym, am geringsten bei den abgeleiteten Geweben, bei Muskel- und Nervengewebe, in denen die Zellen hinter ihren die Funktion vermittelnden Bildungsprodukten, den Neuro- und Muskelfibrillen so sehr zurücktreten, daß sie öfters, wie z. B. in den Nervenfasern der Wirbeltiere, ganz zu Grunde gehen. Unter den Primär- geweben ist die Neigung zu cytotyper und daher dem Organismus feindlicher Wucherung am größten beim Epithel, dem Gewebe, das im wesentlichen nur aus Zellen besteht, bei welchem Plasmaprodukte wenigstens in dem zu maligner Wucherung führenden Teil, dem Stratum Malpighi der Haut, fehlen. Hat man doch lange Zeit Carcinom und maligne Geschwulst synonym gebraucht. Es ist bekannt, daß in der Neuzeit das Verhältnis der Geschwülste zur Funktion ihres Ausgangs- gewebes viel diskutiert worden ist. Von manchen Seiten ist versucht worden, als Charakteristikum der Geschwülste hinzustellen, daß ihre Zellen keine Funktion ausüben. Dieser Auffassung wurde von anderen Seiten entgegengehalten, daß es Hautcarcinome gibt, in denen verhornte Stellen eingesprengt sind, Drüsencarcinome, in denen Reste secernierender Zellen vorkommen. In einem sehr bemerkenswerten Aufsatz sagt RırrEer: „Es scheint, als ob mit dem Aufhören der Funktion eine größere Wachstums- energie in die Zellen gelangt wäre“ In allen diesen Erörterungen hat das so offenkundige Wechsel- verhältnis von Funktion und Wachstum der Geschwülste nicht den richtigen Ausdruck gefunden. Nicht weil die Zelle ihre Funktion verloren hat, gerät sie in Wucherung, sondern weil sie sich in ihrem Wachs- tum von der Funktion emanzipiert, weil sie eine Umformung ihrer Stoffwechselprozesse erfahren hat. Daß eine derartige Umstimmung der Zellen sich erst allmählich entwickeln wird und daß sie immer mehr auf Kosten des funktionellen Charakters der Zelle erfolgen wird, ist selbstverständlich. Aber es ist nicht notwendig, daß die Emanzipation der Zellen vom physiologischen Bedürfnis des Ganzen mit Notwendigkeit zur Preisgabe ihres funktionellen Charakters führen muß. Das lehren die Enchon- drome, Osteome, Myome u. s. w. Denn ob eine Zelle Sekrete liefert oder ob sie Knorpel- und Knochen- 347 Ueber physiolsgische Degenerätion bei Actinosphaerium Eichhorni. 347 grundsubstanz ausscheidet, ist prinzipiell das Gleiche. In allen Fällen handelt es sich um Erzeugung von Plasmaprodukten. Wenn somit die Wahrung des funktionellen Charakters der Zellen mit dem Begriff der Geschwulstbildung sehr wohl vereinbar ist, so trifft dies doch vorwiegend bei gutartigen Geschwäülsten zu. Im allgemeinen herrscht eine gewisse Proportionalität zwischen physiologischer Emanzipation vom Ganzen, Funktionspreisgabe und Wucherungsfähigkeit (Malignität) der Geschwülste. Soweit ich Kenntnis habe von der Carcinomliteratur, steht meiner Auffassung die Lehre Hanse- MmAnns von der „Anaplasie“ der Zellen in Carcinomen am nächsten. Um die Veränderungen zu charakterisieren, welche die Geschwulstzellen von den normalen Körperzellen unterscheiden, stellt Hanse- MANN den Satz auf: „Die Zellen haben an Differenzierung verloren und an selbständiger Existenzfähigkeit gewonnen.“ Diese „Anaplasie“ soll eine aufs neue beginnende Differenzierung, eine „Prosoplasie“ aus- schließen. „Da sich von Ganglienzellen und quergestreifter Muskulatur aus selten oder gar nicht maligne Geschwülste entwickeln, wäre es möglich, daß diese beiden höchst differenzierten Zellenarten des mensch- lichen Körpers die Fähigkeit, anaplastisch zu werden, nicht mehr oder in sehr geringem Grade besitzen.“ Ebenso möchte ich nicht unterlassen, auf die Auseinandersetzungen Dürcks hinzuweisen, welche mit meinen eigenen Ansichten sehr viele Berührungspunkte bieten. Die Aehnlichkeit, die zwischen Geschwulstzellen und embryonalen Zellen in den Bedingungen ihres Wachstums und ihrer Ernährung besteht, hat die von vielen pathologischen Anatomen besonders seiner Zeit von COHNHEIM vertretene Auffassung veranlaßt, es seien die Geschwülste auf zurückgebliebene, in funktionierendes Gewebe eingesprengte Reste embryonaler Zellen zurückzuführen. Trotz des Beifalles, den die Hypothese gefunden hat, ist sie ganz unhaltbar. Embryonale Zellen sind nicht nur Zellen von eytotypem Wachstum, sondern zugleich auch Zellen, die mit zunehmender Proliferation immer mehr die Fähigkeit entwickeln, das cytotype gegen das organotype Wachstum einzutauschen; sie besitzen Diffe- renzierungsfähigkeit, während die Geschwulstzellen den anfänglich noch vorhandenen geringen Grad von Differenzierungsfähigkeit immer mehr verlieren. Ich habe in einem Vortrag im Januar 1900 diesen Gedankengang schon ausgesprochen, indem ich mich gegen die ConnHEmsche Lehre wandte: „Meine Ideen bewegen sich genau in entgegengesetzter Richtung: Embryonale Zellen sind Zellen, welche die Merkmale der befruchteten Eizelle bewahrt haben, bei welchen die das Zellenleben in normale Bahnen leitenden Einrichtungen besonders gekräftigt sind. Atypische Vermehrung ist vielmehr von senilen Zellen zu erwarten, weil die atypische Entwickelung nicht auf einem Plus von Lebensenergie, sondern auf einem Nachlassen der das Wachstum regulierenden Vorrichtungen beruht.“ In gleicher Weise führt MARCHAnND (1902) „die wieder neu auftretende enorm gesteigerte Zellwucherung“ auf einen „Entartungs- zustand“ zurück. „Es handelt sich nicht um eine Rückkehr auf einen embryonalen Zustand, sondern um eine Degeneration, eine Abweichung von der normalen Beschaffenheit. Die Zellen erlangen dabeı eine größere Selbständigkeit, sind also mit anderen Worten den normalen regulierenden Einwirkungen entzogen“ Noch mehr stimmt meine eigene Auffassung mit der Formulierung, welche Borsr (1902) dem Grundgedanken gegeben hat. Derselbe sagt: „Ein embryonales Gewebe ist übrigens ein solches, welches die Fähigkeit zu höherer typischer Fortentwickelung in sich enthält; für die Geschwülste ist aber gerade die atypische Entwickelung charakteristisch; es handelt sich um eine Degeneration des Wachstums.“ Auch Hansemann unterscheidet „anaplastische“ Zellen scharf von embryonalen; diese „sind noch nicht ausdifferenziert“, jene „haben an Differenzierung verloren“. Ein zweiter Einwand gegen die ConnHeinsche Lehre läßt sich aus derjenigen Eigentümlichkeit der Zellen ableiten, welche Veranlassung zur Lehre gewesen ist. Die Annahme, daß die den Ausgangspunkt. der Geschwulst bildenden Zellen Reste embryonalen Materials sind, ist unvereinbar mit der Tatsache, Au * Ueb hysiologische D tion bei Acti haeri Ei i. 3 48 eber physiologische Degeneration bei Actinosphaerium Eichhorni 3 48 daß die Geschwülste, besonders die bösartigen, mit zunehmendem Alter häufiger werden. Wir müssen annehmen, daß der Körper überall von Nährmaterial durchsetzt ist, welches nur der Verwendung harrt. Wenn es nicht in dem Maße verbraucht wird, als es möglich wäre, so hängt das von der organotypischen Stoffwechselbeschränkung der Gewebszellen ab. Denn Zellen von cytotypem Wachstum wie die Carcinom- zellen finden überall die Bedingungen zu Proliferation. Das lehren die Metastasen. Ferner beweisen die Wucherungen, welche an eingeimpftem embryonalem Gewebsmaterial beobachtet wurden, die weite Verbreitung der Ernährungsmöglichkeit. Wie soll man nun erklären, daß die Embryonalreste jahr- zehntelang von der Ernährungsmöglichkeit nicht Gebrauch machen? Entweder sind sie nicht fähig, von der Ernährung Gebrauch zu machen, dann fehlt ihnen gerade derjenige Charakter embryonaler Zellen, den die ConnHeinsche Theorie allein betont und auf dem sie aufgebaut ist, das Merkmal cytotypen Wachstums; oder sie müßten durch besondere Einrichtungen von der Ernährung ausgeschlossen sein. Das ist aber gar nicht vorstellbar, steht auch im Widerspruch zu der Tatsache, daß Carcinome mit Vorliebe an Stellen entstehen, an denen infolge von Reizung langdauernde entzündliche Prozesse ge- herrscht haben, so daß die Zellen, welche zum Carcinom Veranlassung geben, oder mindestens die Zellen der unmittelbarsten Nachbarschaft schon vorher in leibhafter Wucherung begriffen waren. Und noch ein dritter Einwand muß gegen die Theorie erhoben werden. Ist es denn notwendig, auf embryonale Eigenschaften zu rekurrieren, um ein cytotypes Wachstum zu erklären? Gibt es nicht auch anderweitige Ursachen, um zu erklären, daß organotype Zellen ihren Charakter verändern und cytotyp werden? Mit Recht ist von MarcHanp, vielleicht auch von anderen Forschern hervorgehoben worden, daß Zellproliferationen bei allen Regenerationen und entzündlichen Vorgängen vorkommen. Freilich zeigen bei diesen Vorgängen die Zellen im großen und ganzen die Tendenz, zum Normalen zurückzukehren und das cytotype Wachstum wieder zum organotypen einzuschränken. Aber gerade hierin stimmen sie mit den embryonalen Zellen vollkommen überein, so daß sich die Prozesse der Regeneration, Entzündung und der Embryogenese gemeinsam von den aus sich heraus niemals zum Abschluß gelangenden Prozessen bei der Geschwulstbildung unterscheiden. Ich glaube, die vorstehenden Auseinandersetzungen ergeben in unzweifelhafter Weise, daß gar keine Veranlassung vorliegt, bei der Erklärung der Geschwülste auf Reste embryonalen Materials zurück- zugreifen. Wir können vielmehr sagen — und diese Fassung schließt die Lehre CoHNHEIMS aus, stimmt dagegen mit der Grundansicht MARCHANDS, HANsEMANNSs, Borsts und vieler anderer pathologischen Anatomen überein — daß Geschwülste entstehen, wenn Zellen das vom physiologischen Bedürfnis des Gesamtorganismus diktierte, durch die Funktion des Organs bedingte „organotype“ Leben gegen das „eytotype“ nur aus den Lebensbedingungen des Elementarorganismus resultierende Wachstum eingetauscht haben, und zwar nicht nur vorübergehend wie bei den entzündlichen und regenerativen Prozessen, sondern dauernd. Damit würde das Problem der Geschwulstbildung ein doppeltes sein. Wir müßten erklären, wie es kommt, daß normaler Weise bei einem zum Maximum seiner Größe gelangten Organismus die Zellen ihr autonomes Wachstum verlieren und sich der Gesamtheit unterordnen. Zweitens müssen wir erklären, welche Veränderungen in den Zellen eintreten müssen, damit sie diese bei höheren Organismen so außerordentlich ausgeprägte Einschränkung ihrer Lebensprozesse wieder verlieren. Es sind das Fragen der Zellregulation, welche nur durch ein intensives Studium der Physiologie der Zelle und zwar der Zelle auf den verschiedensten Stufen ihrer Entwickelung beantwortet werden können. Was zunächst die erste Frage anlangt, so möchte ich hervorheben, daß es vielzellige Organismen gibt, bei denen das, was ich organotypes Wachstum genannt habe, überhaupt noch nicht existiert oder nur in. sehr unvollkommenem Maße. Ich nenne in dieser Hinsicht die Cölenteraten und andere vegetativ 349 Ueber physiologische Degeneration bci Actinosphaerium Eichhomi 349 (ungeschlechtlich) sich vermehrende Tiere, bei denen offenbar die Zellvermehrung durch reiche Fütterung in ähnlicher Weise beeinflußt wird, wie bei Protozoen. Leider wissen wir nicht, wie sich diese Organısmen bei fortgesetzter reicher Fütterung verhalten. Wahrscheinlich werden sich bei ihnen An- klänge an die Protozoen ergeben. Auch das Studium der Zellveränderungen, welche ein Organismus mit beschränktem Wachstum, der allmählich vom cytotypen zum organotypen Wachstum übergeht, in seinen verschiedenen Lebens- perioden zeigt, wird vielleicht einmal Mittel an die Hand geben, das Problem zu lösen, sofern nicht dieses völlig unbebaute Gebiet wissenschaftlicher Forschung zu große Schwierigkeiten bietet. Die zweite oben aufgeworfene Frage wäre identisch mit der Frage nach der Aetiologie der Geschwülste. Da das cytotypische Wachstum bei Protozoen den normalen Zustand darstellt, welcher nur gelegentlich durch Depressionszustände unterbrochen wird, sind die Erfahrungen an Protozoen ungeeignet, um uns Aufschluß zu geben, wie jene Form des Wachstums entstehen, resp. sich aus dem organotypen Wachstum entwickeln kann. Immerhin sind sie nach zwei Richtungen für das Studium der Geschwülste von Interesse. Einmal erläutern sie uns, daß eine Vermehrungsweise der Zellen, welche bei den Geschwülsten nur als eine krankhafte- Erscheinung auftritt, auch bei normaler Entwickelung möglich ist. Zweitens werfen sie Licht auf die eigentümlichen Degenerationserscheinungen der Ge- schwülste. In letzter Hinsicht haben die von mir an Actinosphaerium gemachten Beobachtungen immerhin ein gewisses Interesse für die Aetiologie der Geschwülste. Die Bedeutung meiner Befunde für die Aetiologie der Geschwülste ist darin gegeben, daß sie gegen die Parasitentheorie sprechen. Einerseits bestätigen sie die Lehre Praneses u. A, daß die als Parasiten gedeuteten Zelleinschlüsse nur Degenerationsprodukte von Zellen sind. Zweitens liefern sie Argumente gegen die Anschauungen der Forscher, welche zwar die irrtümliche Deutung von Degeneratiosprodukten als Krankheitserreger nicht annehmen, aber in der Existenz der Degenerationsvorgänge einen Wahrscheinlichkeitsbeweis für die Existenz von Parasiten erblicken. Es hat sich herausgestellt, daß es nicht möglich ist, die Zell- degenerationen auf Ungunst der Ernährungsverhältnisse oder entzündliche Vorgänge zurückzuführen. Daraus schloß man, daß sie nur als direkte Folgen der schädigenden Einwirkung spezifischer Krankheits- erreger aufgefaßt werden könnten. RırtER sagt geradezu: „Ein guter Anhalt für die Infektionstheorie liegt meines Erachtens in den Degenerationen, die nur unter diesem Gesichtspunkt eine Erklärung finden, deren bisherige Erklärung nicht ausreicht.“ Dieser Art des Argumentierens ist durch die vorliegenden Untersuchungen der Boden entzogen. Denn sie zeigen, daß unausgesetzte Vermehrung und Ernährung als solche schon die Existenz der Zellen gefährden und unter Umständen zu Degenerationen führen. Die Vielgestaltigkeit der hierbei zur Beobachtung kommenden Erscheinungen und die Inkonstanz ihres Auftretens passen vollkommen zu den an malignen (Geschwülsten gemachten Erfahrungen; sie erklären dieselbe viel besser als die An- nahme zerstörender Wirkungen, welche von einem hypothetischen Krankheitserreger ausgehen. Indem ich mich mit meinen Auseinandersetzungen gegen eine der Hauptstützen der Infektionstheorie der Ge- schwülste richte, schliesse ich mich zugleich den gewichtigen Einwänden an, welche in der Neuzeit von hervorragenden pathologischen Anatomen gegen die Theorie erhoben wurden und in klarer Weise zeigen, daß das Bild der Geschwulstwucherungen gar nicht zu dem, was wir von infektiösen Prozessen wissen, paßt. Alle Krankheitserreger stimmen darin überein, dass sie selbst sich vermehren, im Körper dabei verschleppt werden und daher immer neue Zellen aus den verschiedensten Körperprovinzen zu Wuche- rungen veranlassen. Bei Geschwülsten, den „Blastomen“, dagegen handelt es sich um einen geschlossenen 350 Ueber physiologische Degeneration bei Actinosphaerium Eichhorni. 350 Wachstumsherd;; wenn es zu Metastasen kommt, so sind dieselben nur Ausbreitungen dieses Wachstums- herdes. Maligne Geschwülste verhalten sich nicht wie die Reaktionen des Orgänismus gegen wuchernde Krankheitserreger, sondern wirken auf den Organismus, der an ihnen erkrankt ist, wie Krankheitserreger selbst. Pathogene Organismen erzeugen vielerorts entzündliche Wucherungen von begrenzter Zeit- dauer. Um die Geschwulstbildung zu erklären, sind wir dagegen genötigt, eine lokalisierte Um- stimmung der Zellen anzunehmen, welche dauernd die Rückkehr vom organotypen zum cytotypen Wachstum zur Folge hat. Dieser Sachverhalt ist wenig dazu angetan, um zu ermutigen, die in ihren bisherigen Resultaten wissenschaftlich so unerfreuliche Jagd nach Carcinomparasiten fortzusetzen. Dagegen ist in ihm die Aufforderung enthalten, die Ursache der Geschwulstbedingungen in besonderen Zuständen des Zellen- lebens zu suchen, welche das Produkt sein können entweder einer besonderen angeborenen Beschaffenheit der Zellen oder einer besonderen Beeinflussung derselben oder eines Zusammenwirkens beider Momente. Damit hört die Geschwulstlehre auf, ein spezielles Problem der Pathologie zu sein und wird zu einer Frage der allgemeinen Zellphysiologie. Ich habe oben die Begriffe „cytotypes und organotypes Zellwachstum“ eingeführt und damit Namen geschaffen für Erscheinungen so offenkundiger Natur, daß sie nicht erst bewiesen zu werden brauchen. Ich habe dann über die Verbreitung dieser beiden Arten des Wachstums gesprochen und und zwar sowohl vom vergleichend anatomischen als auch vom entwickelungsgeschichtlichen Standpunkt aus. Vergleichend anatomisch können wir eine Reihe konstruieren, beginnend mit dem rein cytotypen Wachstum der Protozoen, endigend mit dem rein organotypen Wachstum der Säugetiere, dazwischen schieben sich zahlreiche in mannigfachster Weise vermittelnde Formen, bei denen in mehr oder minder ausgesprochener Weise das cytotype Wachstum neben dem organotypen fortbesteht, indem es bald in einer nahezu unbegrenzten Zunahme der Körpergröße, bald im Fortbestand von Teilungs- und Knospungsvorgängen, bald in großer Regenerationsfähigkeit verlorener Teile zum Ausdruck gelangt, Im Entwickelungsleben eines Säugetiers haben wir dieselbe aufsteigende Reihe, zunächst das rein cytotype Wachstum der ersten Embryonalstadien, dann zunehmende Einschränkung desselben durch das immer mehr dominierende organotype Wachstum während der Wachstumsperiode des Individuums. Schließlich tritt in der ontogenetischen, wie in der vergleichend anatomischen Reihe als ein letztes und höchstes Differenzierungsstadium, gleichsam eine Art Schlußstein die organotypische Beschränkung der Zelltätig- keit in die Erscheinung. Um alle Erscheinungen der Geschwulstbildung zu erklären, würde nun die einzige Annahme genügen, daß bei Störungen, welche die Energie des Zellenlebens beeinträchtigen, die in der Entwickelung zuletzt erworbenen Eigenschaften auch zuerst wieder schwinden, das wäre die organotypische Beschränkung des Zelllebens. Diese Annahme wird allen, welche an der alten Auffassung von der Bedeutung der Befruchtung festhalten, unverständlich erscheinen. Diese Auffassung sieht in der Befruchtung eine Ein- richtung, welche den Zweck hat, dem Ei die ihm abhanden gekommene Energie zu Teilungen wieder zu verleihen. Das Altern eines Organismus bestände darin, daß allmählich diese Teilungsenergie auf- verbraucht werde. Die alte Auffassung ist aber gänzlich unhaltbar. Die Befruchtung ist, wie besonders WeEISMAnN und ich selbst wiederholt nachgewiesen haben, ihrem Hauptcharakter nach Individualitäten- Mischung, „Amphimixis“ (Weısmann). Bei vielzelligen Organismen gewinnt sie noch die Nebenbedeutung, daß sie, ohne dem Ei neue Energie zuzuführen, die Bedingungen zur Teilung schafft. Ich habe diese bei Protozoen zumeist noch fehlende Nebenbedeutung der Befruchtung auf die Vielzelligkeit der Metazoen zurückgeführt; sie ist eine notwendige Konsequenz der Vielzelligkeit, weil Amphimixis vielzelliger 351 Ueber physiologische Degeneration bei Actinosphaerium Eichhorni. aa Organismen nur auf dem Stadium, wo ihre Organisation auf den Formwert einer einzigen Zelle reduziert ist, durchgeführt werden kann. Ich sehe nachträglich, daß denselben Gedanken schon vor mir WEISMANN ausgesprochen hat, wie ich überhaupt mit diesem Forscher die Auffassung vom Wesen und von der Bedeutung der Befruchtung teile. Wer in dem Lebensprozeß eines geschlechtlich erzeugten Organısmus nicht den allmählichen Verbrauch einer durch die Befruchtung geschaffenen Teilungsenergie erblickt, sondern die gesetzmäßige Entfaltung einer durch Amphimixis geschaffenen Anlage, dem wird die oben gemachte Annahme nicht nur nicht unverständlich erscheinen, sondern sogar eine große innere Wahrscheinlichkeit besitzen. Denn für ihn wird nicht darin, daß die Teilfähigkeit der Zelle erlahmt, eine Gefährdung des Lebens liegen, sondern in der Störung der durch die Befruchtung gegebenen regulatorischen Vorgänge, welche die Teilfähigkeit einschränken und in bestimmte Bahnen lenken. Ich wende mich nun zu der Frage, wie sich zu der oben gemachten Annahme die Ergebnisse der Krebsforschung gestalten. Zunächst kommt hier die viel diskutierte fundamentale Erscheinung in Betracht, daß Geschwulstbildungen mit zunehmendem Alter häufiger werden, daß speziell die stark wuchernden bösartigen Geschwülste (Carcinome, Sarkome) vor dem mittleren Lebensalter selten sind, von da ab dagegen in erschreckender Weise sich häufen. Wir sehen also konform der oben geäußerten Anschauung: nicht die Teilungsfähigkeit der Zelle, sondern die Regulation der Lebensvorgänge schwindet mit zunehmender Senilität. Ein zweiter Punkt, der schon zu vielen Diskussionen Anlaß gegeben hat, ist die Bedeutung äußerer, besonders mechanischer Schädlichkeiten. Durch genaue Analyse anamnestischen Materials hat man ermittelt, daß Traumen und chronische Entzündung hervorrufende mechanische und chemische Schädlichkeiten der Geschwulstbildung häufig vorangehen. Durch statistische Erhebungen über den Prozentsatz, in welchem die einzelnen Organe ın den beiden Geschlechtern erkranken, hat sich herausgestellt, daß sich vermöge der verschiedenen Lebensbedingungen und Lebensgewohnheiten bei Männern ganz andere Resultate ergeben als bei Frauen, daß es immer die mechanischen Störungen oder starker funktioneller Usur ausgesetzten Organe sind, die besonders zu Carcinom prädisponiert sind. Ich brauche auf diese in jedem Lehrbuch der pathologischen Anatomie besprochenen Dinge nicht weiter einzugehen. Mir scheint es keinem Zweifel zu unterliegen, daß häufig einwirkende und dadurch chronische Entzündungen auslösende Schädlichkeiten in hohem Grade die Entstehung von Geschwülsten begünstigen. Wir wissen nun aber, daß entzündliche Prozesse entdifferenzierend wirken und, wie in diesen Auseinandersetzungen schon wiederholt hervorgehoben wurde, das cytotypische („embryonale“) Wachstum entfesseln. Benutzt doch die Natur unter normalen Verhältnissen die Eigentümlichkeit der Zelle, auf Reize durch Wucherung und Entdifferenzierung zu antworten, um Zweckmäßiges zu schaffen. Ich erinnere nur an die Umwandlung der Odontoblasten und Osteoblasten in Odontoklasten und Osteoklasten. Hier reihen sich die Erfahrungen über kompensatorische Hypertrophie ein. Es hat sich heraus- gestellt, daß Schwund oder Excision einer Niere starkes Wachstum der anderen Niere, Zerstörungen von Leberteilen kompensatorische Wucherungen in anderen Abschnitten der Leber verursachen. Auch hier wird, unter Beibehaltung der Funktion, ähnlich den Verhältnissen, wie wir sie beim postembryonalen Wachstum finden, die organotype Beschränkung des Zellwachstums aufgehoben. In den meisten Fällen tritt nach einiger Zeit Rückkehr zur Norm ein, ab und zu aber unterbleibt die organotype Beschränkung und die kompensatorische Wucherung wird zum Ausgangspunkt dauernder Wucherung, d.h. von Geschwulstbildung. Eine sehr merkwürdige Erscheinung, die lange nicht bei der Aetiologie die ihr gebührende Berücksichtigung gefunden hat, ist die Verteilung der Neigung zur Geschwulstbildung auf die einzelnen 352 Ueber physiologische Degeneration bei Actinosphaerium Eichhorni. 352 Gewebsformen und der Einfluß, den der Gewebscharakter auf den Grad der Bösartigkeit des aus ihm hervorgegangenen Blastoms hat. Am seltensten sind die aus quergestreiften Muskeln und Nervenelementen hervorgegangenen Blastome, ziemlich häufig sind Myome und Bindesubstanztumoren, bei weitem am häufigsten aber sind Epithelgeschwülste. Was die Malignität anlangt, so kennt man gar keine oder so gut wie keine malignen Geschwülste aus quergestreifter Muskulatur und Ganglienzellen, so daß Hanse- MANN sich zur Aeußerung veranlasst sieht: „Diese beiden Zellenarten, die Ganglienzellen und die quer- gestreifte Muskulatur, sind die höchst differenzierten des menschlichen Körpers, und es ist wohl möglich, dass sie die Fähigkeit, anaplastisch zu werden, nicht mehr besitzen.“ Myome und Bindesubstanz- geschwülste sind relativ gutartig, namentlich Geschwülste aus hochdifferenziertem Gewebe, wie Knorpel und Knochen. Die größte Malignität herrscht bei den epithelialen Geschwülsten, nächstdem bei den an embryonales Bindegewebe erinnernden Sarkomen. Als ich vor 4 Jahren diese Verhältnisse besprach, machte ich darauf aufmerksam, daß eine umgekehrte Proportionalität besteht zwischen Neigung zu blastomatöser Entartung und Malignität einerseits und dem Vorherrschen von Plasmaprodukten im Gewebe andererseits. Die Epithelien bestehen nur aus Zellen; was das Epithel zu leisten hat, sei es Empfindung, sei es Sekretion, sei es Schutz, leistet die Zelle als solche. Die Epithelien sind in dieser wie in jeder anderen Hinsicht die primitivsten Gewebe, deren Elemente (von Leukocyten abgesehen) sich am meisten den Protozoen vergleichen lassen. Bei den Bindesubstanzen überwiegt funktionell die Intercellularsubstanz und zwar besonders bei Knorpel und Knochen. Im noch höherem Maß treten bei Muskulatur und Nervengewebe die Plasma- produkte in den Vordergrund, insofern neben den spezifischen Elementen, den Muskel- und Nerven- fibrillen, die Zellen eine verschwindende Rolle spielen. Ich folgerte damals aus diesen Erhebungen ein verschiedenes Teilungsalter der verschiedenen Gewebszellen. Wenn im Epithel beständig Zellen zu Grunde gehen, weil sie durch Aufopfern ihres Leibes die Funktion unterhalten, müssen in einem gegebenen Zeitpunkt im Epithel außerordentiich viel mehr Zellteilungen abgelaufen sein als z. B. in der Muskulatur, innerhalb deren alle Wirkung von der Muskelfibrille ausgeht, die Zelle höchstens als ein Nahrung vermittelnder Körper wirkt. Epithelzellen müssen demnach „seniler“ sein als korrespondierende Muskelkörperchen. Noch wichtiger für die Erklärung der in Rede stehenden Erscheinungen ist aber der Einfluß, welchen die histologische Differenzierung auf die Zellen ausübt. Je größer die histologische Differen- zierung eines Gewebes ist, um so größer muß auch seine organotype Beschränkung sein, um so geringer die Gefahr, sich vom Ganzen zu emanzipieren und zum cytotypen Wachstum zurückzukehren. Diese Erörterungen bringen mich auf den Anteil, den gewisse embryonale Zellen an der Bildung maligner Geschwülste haben. Es ist bekannt, daß das Epithel von Chorionzotten leicht Ausgangspunkt von malignen Geschwülsten wird, und das Gleiche gilt von den Resten, welche sich von den Embryonal- anlagen rudimentärer Organe gelegentlich erhalten. Man hat diese Erfahrungen zu Gunsten der ConunHeimschen Lehre verwandt und könnte aus ihnen Argumente gegen die oben von mir an der Lehre ausgeübte Kritik entnehmen. Indessen muß man beachten, daß in den beiden genannten Beispielen embryonale Zellen von außergewöhnlichen Charakteren gegeben sind. Die überwiegende Mehrzahl der Embryonalzellen besitzt die Fähigkeit zu histologischer Differenzierung und unterliegt auch derselben. Hier dagegen haben wir es mit Zellen zu tun, die ihre Funktion ausgespielt haben, denen keine weitere histologische Differenzierung und Beschränkung bevorsteht. Sie sind entweder gar nicht oder nur in geringem Maß organotypisch beschränkt; sie werden nach der von mir vertretenen Auffassung für Wucherungsprozesse somit ein ganz besonders geeignetes Material liefern. Ueber physiologische Degeneration bei Actinosphaerium Eichhorni. 2583 Die Art, wie ich hier nicht nur Schädlichkeiten und äußere Einwirkungen, sondern auch das Aufhören der organoplastischen Bestimmtheit der Zelle zur Erklärung der Geschwulstbildung heran- gezogen habe, läßt erkennen, welche große Bedeutung ich der konstitutionellen Beschaffenheit der Zelle bei der uns beschäftigenden Frage einräume. Ich komme daher wie MarcHanD und andere patholo- gische Anatomen zu dem Schluß, daß wir bei der Erklärung von Geschwülsten gezwungen sind, auf die im befruchteten Ei enthaltenen Anlagen, auf eine gewisse Prädisposition des Keimes zu Geschwülsten zurückzugreifen und damit in beschränktem Maß die Erblichkeit der Geschwulstbildung anzunehmen. Ich kann meine Ansicht hierüber in folgender Weise zum Ausdruck bringen. Das befruchtete Ei besitzt ı) die Fähigkeit zu Teilungen, deren Rhythmus und Richtung durch die Anordnung seiner Teile Kern, Protoplasma und Dotter bestimmt ist, so daß ein gesetzmäßig angeordnetes Zellmaterial resultiert; 2) besitzt das Ei regulierende Kräfte, welche mit zunehmender Zahl der Zell- teilungen in Tätigkeit treten, organologische Differenzierung auslösen und damit die Teilungsfähigkeit der Zellen beschränken. Die Teilungsfähigkeit der Zellen kann von dieser Beschränkung befreit werden und zu atypischer Wucherung führen. Ein derartiges Heraustreten aus den normalen Bahnen kann theoretisch genommen eine doppelte Ursache haben. ı) Die regulierenden Kräfte sind zu schwach, um die organotypische Beschränkung der Zellvermehrung dauernd aufrecht zu erhalten: daher der Einfluß, den zunehmendes Alter auf die Bildung von Geschwülsten hat. 2) Die Schädigungen des Organismus durch äußere Einwirkungen sind übermäßig, die regulierenden Kräfte sind ihnen nicht gewachsen; daher der die Geschwulstbildung begünstigende Einfluß gewisser Existenzbedingungen. In der Natur werden voraussichtlich beide Momente sich in mannigfachster Weise kombinieren und so die ungeheure Mannigfaltigkeit der Erscheinungen hervorrufen, die in der Geschwulstbildung zu Tage tritt. Der hier vorgetragenen Anschauung liegt eine Hypothese zu Grunde. MarcHanD hat in seinem mehrfach zitierten Aufsatze die Ansicht ausgesprochen, daß wir in unseren Anschauungen über die Aetiologie der Geschwülste wohl nie über Hypothesen hinauskommen werden. Ich glaube, daß wir keine Ursache haben, uns einer so pessimistischen Auffassung hinzugeben. Wenn die Theorie einer parasitären Entstehung der Geschwülste sich, wie ich glaube, als unhaltbar erweisen wird, dann bleibt nur die Möglichkeit übrig, die Frage aus den regulatorischen Vorgängen des Zellenlebens zu erklären. Das ist eine Aufgabe, welche mit enormen Schwierigkeiten verknüpft ist, im übrigen sich aber im Bereich der durch Beobachtung und Experiment zu lösenden Fragen befindet. Es gilt nur tiefer, als es bisher geschehen ist, in die physiologischen Vorgänge des Zellenlebens einzudringen. Der Weg den eine solche Forschung zu nehmen hat, ist, wie ich schon oben auseinandersetzte, genau vorgezeichnet: die Forschung hat mit den Lebensprozessen organologisch noch nicht bestimmter Zellen zu beginnen (Protozoen, Embryonalzellen) und die Veränderungen zu studieren, welche die Zellen mit zunehmender organologischer Differenzierung erfahren. Auch fehlt es nicht an Direktiven für experimentelle Untersuchungen. Solche sind durch die vielfältigen Erfahrungen über die Bedingungen, unter denen sich Geschwülste entwickeln, zur Genüge gegeben. Jenaische Denkschriften. XL 45 Festschrift Ernst Haeckel. 354 Ueber physiologische Degeneration bei Actinosphaerium Eichhorni. 354 Literaturverzeichnis. 1902 BoRST, MAx, Die Lehre von den Geschwülsten. Bd. I, Wiesbaden 1902. 1887— 1889 BÜTscHLI, O., Protozoen. III. Abt., 2. Aufl, Bronx, Klassen und Ordnungen des Tierreichs. 1902 CALKINS, G. N., Studies on the Life History of Protozoa. I. The Life Cycle of Paramaecium caudatum. Arch. Entwickl. Mech., Bd. XV, S. 139— 186. II. The six hundred and twentieth Generation of Paramaecium caudatum. Biological Bulletin of the Marine Biological Laboratory, Woods Hall, Mass., Vol. III, p. 192— 206. 1877 COoHNHEIM, JuLIus, Vorlesungen über allgemeine Pathologie. Bd. 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Der jeweilige Bestand des pflanzlichen Organismus ist abhängig einerseits von der Intensität, mit welcher Wachstum und Vermehrung seiner Körperteile vor sich gehen, andererseits von der Dauerhaftigkeit der erzeugten Bestandteile. Für trägwüchsige Pflanzen bedeutet Dauerhaftigkeit der langsam erzeugten Körpermasse die notwendige Voraussetzung des Bestehens. Die Schutzeinrichtungen zur Erhaltung des so Geschaffenen werden in ihrer Wirksamkeit dieser Forderung entsprechen müssen. Das nicht selten hohe Alter und die zuweilen nicht unerheblichen Dimensionen der der Mehrzahl nach unbedingt zu den trägwüchsigsten Wesen aus dem Pflanzenreich gehörenden Flechten lassen daher vermuten, daß ihnen ein ergiebiger Schutz gegen die von seiten pflanzenfressender Tiere, vielleicht auch von Bakterien und Pilzen drohenden Gefahren zu Gebote steht. Ein näheres Eingehen auf solche als Schutzmittel gegen Tierfraß wirksamen Einrichtungen der Flechten dürfte um so eher gerechtfertigt sein, als zur Zeit die Ansichten über diesen Gegenstand noch weit auseinandergehen und sich gerade hier einige in prinzipieller Beziehung wichtige Folgerungen ergeben. Die naheliegende Annahme, daß den verbreiteten kristallinischen Flechtenstoffen, welche sich durch intensive Bitterkeit oder andere unangenehme Geschmackseigenschaften auszeichnen, eine schützende Wirkung gegen Tier-, speziell gegen Schneckenfraß zukomme, finden wir in BacHhmanns Arbeit „über nicht kristallisierbare Flechtenfarbstoffe')“ ausgesprochen. Aehnliches vermutet BacHmAnn auch von amorphen Flechtenfarbstoffen, von den harten Membranen, z. B. von Parmeliaceen und von den bei Krustenflechten so häufigen Kalkoxalatkristallen. Während Bachmann in vorsichtiger Zurückhaltung sich auf die Aeußerung von Vermutungen, die erst durch Versuche zu erhärten seien, beschränkt, geht Zukar?) viel weiter und gibt eine zusammen- fassende Darstellung der Schutzmittel der Flechten gegen tierische Feinde, in welcher neben beachtens- werten Ergebnissen doch auch vieles rein Hypothetische zu finden ist. Ich verzichte auf eine eingehende Wiedergabe der zahlreichen Einzelheiten der Zuxarschen Arbeit und werde nur seiner Methodik einige Worte widmen. ZuKAaL hat wiederholt mit den häufigsten Schnecken experimentiert und dieselben mit Flechten, unter Ausschluß jeder anderen Nahrung gefüttert. In den meisten Fällen rührten die Tiere die Flechten aber nicht an oder zerstückelten sie nur, ohne sie zu fressen. Die Ursache diese Erscheinung sieht ZukaL in den Flechtensäuren und Bitterstoffen, in Kalkoxalat und sonstigen Exkreten. Wenn nämlich die genannten Stoffe durch Behandlung mit heißem Alkohol und Benzol, verdünnter Salzsäure oder 1) PRinGsHEIMs Jahrbücher für wissenschaftliche Botanik, Bd. XXI, 1890, S. 17. 2) H. Zukar, Morphologische und biologische Untersuchungen über die Flechten. II. Abh., S. ıo u. ff. Sitzungsber- der k. k. Akad. der Wissenschaften in Wien, Bd. CIV, 1895. 4 358 Die Schutzmittel der Flechten gegen Tierfraß. 358 Kalilauge entfernt werden, so nehmen die meisten Versuchstiere die derartig präparierten Flechten an- standslos als Nahrung an, allerdings nur im Zustande des Hungers. Diese etwas summarische Behandlung war nicht gerade geeignet, allseitiges Vertrauen zu den dar- aus gezogenen Schlußfolgerungen zu erwecken. Wir sehen denn auch den nächsten Forscher, der sich mit diesem Gegenstand beschäftigt hat, den Folgerungen Zuraıs gegenüber einen sehr zurückhaltenden, ja ablehnenden Standpunkt einnehmen. In Betreff der Flechtensäuren, denen Zukar eine hervorragende Bedeutung als Schutzmittel zuschreibt, bemerkt Zopr'), daß Flechten trotz der Gegenwart der Säuren von gewissen Tieren gefressen werden. Beobachtungen im Freien hatten ihm nämlich Gelegenheit gegeben, eine ganze Reihe von strauchigen, laubigen und krustigen Flechten der verschiedensten Familien bald deutlich angefressen, bald förmlich zernagt, mitunter sogar bis zur fast völligen Unkenntlichkeit zerstört zu finden. Anfangs wollte es ihm nicht gelingen, die des Fraßes schuldigen Tiere ausfindig zu machen; bei weiterem Verfolge stellte es sich aber heraus, daß es sich meist um winzige, dem bloßen Auge leicht entgehende Orthopteren (Poduriden) und Spinnentiere (Acarınen) handle. Zopr teilt ferner eigene und fremde Beobachtungen mit, aus welchen hervorgeht, daß die betreffenden Tiere, wie auch die Raupen zahlreicher Schmetterlingsarten, sich von Flechten, trotz der darın vorkommenden Säuren, ernähren. Diese Tatsachen, im Verein mit später zu besprechenden Beobachtungen und Versuchen an omnivoren Schnecken, veranlassten ZoPF anzunehmen, daß mit Ausnahme der Vulpinsäure, alle von ihm bei Fütterungsversuchen angewendeten Säuren in relativ beträchtlichen Mengen von Tieren aufgenommen werden können, ohne irgend welche schädlichen Wirkungen auszuüben. Hieraus ergibt sich für ihn die Folgerung, daß die Ansicht Zukars, „die Flechtensäuren hätten die biologische Bedeutung eines wirksamen Schutzmittels gegen Tierfraß, in solch weiter Fassung gänzlich unzutreffend und darum unhaltbar sei.“ Zopr (l. c.S. 605) führt ferner zur Bekräftigung seiner Ansicht an, daß es völlig gleichgültig sei, ob die Apothecien oder Thallı geringe oder massenhafte Abscheidung von Flechtensäuren tragen; an Xanthoria parietina und anderen Arten konnte er sogar beobachten, daß gerade die am meisten Säure führenden oberflächlichsten Teile zuerst und mit besonderer Vorliebe gefressen werden. Diese und ähnliche Tatsachen — z. B. daß Sticta pulmonaria von gewissen Schmetterlingsraupen gefressen wird trotz ihres Gehaltes an bitter schmeckender Stictinsäure — beweisen nun meines Erachtens keineswegs, wie ZoPpF annimmt, daß diese Flechtensäure, abgesehen von etwaigen anderen Funktionen, kein Schutzmittel gegen Tierfraß darstelle Denn obwohl gewisse Schmetterlingsraupen durch den bitteren Geschmack sich nicht vom Fraß abhalten lassen, so können immerhin zahlreiche andere Tiere dadurch abgestoßen werden. Bevor wir weiter schreiten, halte ich es für geboten, kurz den Inhalt eines Kapitels meiner Abhandlung „über Pflanzen und Schnecken“?, wiederzugeben. Die dort mitgeteilten Befunde und die darauf gegründete Unterscheidung der Tiere in Omnivoren und Spezialisten sind stets im Auge zu behalten bei Beurteilung des Wertes der Schutzmittel für die damit versehenen Pflanzen. Verschiedene Forscher, welche die Schutzmittelfrage gelegentlich gestreift haben, ohne diese Unterscheidung zu berücksichtigen, sind aus eben diesem Grunde zu unberechtigten Aussprüchen und Folgerungen gelangt. Die Unterscheidung der Tiere in Omnivoren und Spezialisten wurde in der genannten Abhandlung näher für die hierzu ganz besonders geeigneten Schnecken experimentell begründet. Hierbei ergab ı) W. Zopr, Zur biologischen Bedeutung der Flechtensäure. Biologisches Centralblatt, Bd. XIV, 1896, S. 594 u. fi. 2) E. STAHL, Pflanzen und Schnecken. Eine biologische Studie über die Schutzmittelsder Pflanzen gegen Schneckenfraß. Sonderabdruck aus der Jenaischen Zeitschrift für Naturwissenschaft und Medizin, Bd. XXIL, S. 14. 359 Die Schutzmittel der Flechten gegen Tierfraß. 359 sich folgendes. Die omnivoren Schnecken fressen mit Vorliebe süße Pflanzenteile, einzelne auch tierische Kost. Da ihnen jedoch in der Natur nur selten die ihnen völlig zusagende Nahrung zugänglich ist, so machen sie sich, durch die Not gedrungen, auch an solche Pflanzen, die ihnen aus diesem oder jenem Grunde wenig zusagen. In diesem Falle werden aber immer nur geringere Mengen aufgenommen, kleine Bruchteile der Massen, die sie von zusagenden Speisen zu vertilgen vermögen. Von chemisch geschützten Pflanzenteilen werden größere Quantitäten erst verzehrt, nachdem durch geeignete Lösungs- mittel die den Tieren widerwärtigen Stoffe entfernt oder, wie die Gerbsäuren, durch Ausfällung unwirksam ‚gemacht worden sind. Ganz anders als die omnivoren Schnecken (z. B. Arion empiricorum, Limax agrestis, viele Helix-Arten), welche alle Pflanzenteile verzehren, die weder zu hart, noch durch besondere den Tieren unangenehme Geschmackseigenschaften ausgezeichnet sind, verhalten sich die spezialisierten Pilzschnecken: Limax maximus, L. cereus, Arion subfuscus. Während die Omnivoren die Fruchtkörper von verschiedenen Pilzen (Peziza, Morchella, Boletus-Arten) in frischem Zustande verschmähen, sie dagegen nach Entfernung der Schutzstoffe durch geeignete Lösungsmittel (z. B. Alkohol) gern verzehren, fressen die genannten Spezialisten, falls ihnen nebeneinander ausgelaugte und frische Pilze dargeboten werden, begierig die letzteren an und lassen gleichzeitig die anderen unberührt liegen. Beiderlei Tiere verhalten sich also denselben Pflanzen- teilen gegenüber diametral verschieden. Ob es dieselben chemischen Substanzen sind, welche die omnivoren Schnecken abstoßen, die Spezialisten dagegen anziehen, geht aus den mitgeteilten Versuchen nicht hervor, doch hat diese Annahme vieles für sich. Noch viel strenger spezialisiert als die Pilzschnecken scheinen die Raupen vieler Schmetterlinge zu sein. So verschmähen die Raupen von Sphinx euphorbiae und Vanessa lo ihre spezifischen Nährpflanzen (Euphorbia cyparissias und Urtica dioica), wenn letztere mit Alkohol ausgelaugt werden. Ebenso verhalten sich die Raupen von Bombyx chrysorhoea gegenüber den ausgelaugten Blättern der Eiche, während sie zerstampfte Blätter und solche, die nach vorheriger Auslaugung wieder mit dem Safte frischer Eichenblätter durchtränkt werden, gern fressen. Eine willkommene Bereicherung haben unsere Kenntnisse vom Verhalten der Spezialisten neuer- dings durch eine Untersuchung von LAGERHEM') erfahren. Die in verheerender Weise bei Tromsö in Norwegen auftretende Raupe des Frostspanners (Cheimatobia brumata), welche vorwiegend von den Blättern der Obstbäume lebt, aber auch oft an anderen Bäumen fressend angetroffen wird, gingen nach Vertilgung ihrer gewohnten Nahrung auf verschiedenartige Sträucher und krautige Gewächse über. Eine vergleichende Untersuchung der in verschiedenem Grade beschädigten und der vollkommen ver- schonten Pflanzen lehrte LAGERHEIM, daß die mit besonderer Vorliebe gefressenen Pflanzenarten sämtlich sehr gerbstoffreich sind. Der Gerbstoff, welcher gewisse omnivore Tiere, z. B. Schnecken, vom Genuß der damit versehenen Pflanzenteile abhält, bildet also für die Raupe des Frostspanners ein gesuchtes Ingredienz ihrer Nahrung. Diese und ähnliche Tatsachen müssen stets im Auge behalten werden bei der Beurteilung der Ergebnisse von Beobachtungen im Freien und von Fütterungsversuchen. Wenn also Zopr bei seinen Beobachtungen an Poduriden und Acarinen.gefunden hat, daß diese Tiere die Flechten trotz ihres Gehaltes an Säuren verzehren, so kann er daraus mit Recht folgern, daß die Flechtensäuren keine Schutzmittel gegen die Angriffe dieser Tiere abgeben. Würde man aber, was allerdings Zopr nicht tut, hieraus den weiteren Schluß ziehen, daß sie nicht als Schutzmittel gegen andere Tiere wirksam sein 1) G. LAGERHEIM, Zur Frage der Schutzmittel der Pflanzen gegen Raupenfraß. Entomologisk Tidskrift, 1900. 360 Die Schutzmittel der Flechten gegen Tierfraß. 360 können, so wäre dies eine unberechtigte Verallgemeinerung. Was die Poduriden und Acarinen nicht vom Genuß der Flechten fernzuhalten vermag, ja sie vielleicht erst zum Fressen anreizt, kann anderen Tieren recht wohl den Genuß verwehren. Schon aus der Schilderung, die Zopr von seinen Beobachtungen gibt, scheint mir hervorzugehen, daß die von ihm studierten Acarinen und Poduriden zu den Spezialisten gehören. Hierfür sprechen unter anderen folgende Angaben: (S. 595) die Poduriden fressen (von Physcia aipolia) besonders die atranorsäurehaltigen Teile; (S. 599) bei Xanthoria parietina „kann man leicht konstatieren, daß gerade diejenigen Teile, welche das Chrysophyscin am reichlichsten enthalten, mit ganz besonderer Vorliebe angegriffen werden“. Die Vermutung, daß die von ZoPr untersuchten Tiere auf Flechten angewiesene Spezialisten sind, muß natürlich auf ihre Richtigkeit durch das Experiment geprüft werden. Im Hinblick auf das oben erwähnte Verhalten der spezialisierten Pilzschnecken müßten sie die Flechten, nach vorheriger Extraktion der Flechtensäuren mit geeigneten Lösungsmitteln, weniger gern fressen oder gar verschmähen, wenn ihnen gleichzeitig frische, noch mit den betreffenden Stoffen versehene Flechten dargeboten würden. Das gleiche gilt von den Lichenen fressenden Schmetterlingsraupen, die, wie aus der Zusammenstellung Hormanss') zu entnehmen ist, wenigstens zum größten Teil spezialisiert zu sein scheinen. Von den dort angeführten Arten, welche sich auf verschiedene Gruppen von Schmetterlingen, namentlich Spanner (Geometridae), Eulen (Noctuidae) und Flechtenspinner (Lithosidae) verteilen, frißt die über- wiegende Mehrzahl der Raupen ausschließlich Flechten. Nur von einigen wenigen Arten wird ver- zeichnet, daß sie auch andere Pflanzenkost nicht verschmähen. Diese Angaben sind jedoch, wie sich aus dem folgenden ergibt, mit einiger Vorsicht aufzunehmen. So heißt es z. B. von der zu den Syntomiden gehörigen Naclia anciılla, daß die Raupen zu finden sind „an Parmelia wie auch an Jungermannia“; von der Lithoside Nudaria mundana „an Felsenflechten (Anthoceros) und Wandflechten“, eine Angabe, auf welche aus naheliegenden Gründen kein Gewicht gelegt werden kann, so wenig wie auf die andere, Setina mesomella betreffende, die „an Flechten (Jungermannia und Sticta)“ gefunden werden sol. Mehr Vertrauen als diese einer Nachprüfung von botanisch geschulten Forschern bedürftigen Angaben erweckt das von Lithosia complana Gesagte, wonach die Raupe neben Baum-, Erd- und Steinflechten auch das Laub von Prunus domestica verzehren soll und einige andere Mitteilungen ähnlichen Inhalts, aus welchen hervorzugehen scheint, daß gewisse dieser Raupen nicht zu den exklusiveren Spezialisten gehören, da sie, wie es übrigens auch viele andere spezialisierten Raupen tun, außer ihrer gewohnten Nahrung, namentlich in der Not, auch andere Kost nicht verschmähen. Auch diese Tiere sind daraufhin zu prüfen, ob sie frischen Flechten den Vorzug geben gegenüber solchen, aus denen durch geeignete Lösungsmittel die Flechtensäuren entfernt worden sind. II. Versuche mit Spezialisten. Nach längerem, vergeblichem Bemühen gelang es, mir einige von Flechten lebende Tiere zu verschaffen, mit welchen die nunmehr zu beschreibenden Versuche ausgeführt werden konnten. An nach Süden exponierten, sonndurchglühten Muschelkalkfelsen der Saalberge bei Jena fand ich in den Monaten Juni und Juli vier Arten von Schmetterlingsraupen, welche namentlich in den ı) E. Hormann, Die Raupen der Großschmetterlinge Europas. Stuttgart 1893. 361 Die Schutzmittel der Flechten gegen Tierfraß. 361 warmen Abendstunden mit Ausschluß anderer Pflanzen verschiedene Krustenflechten, insbesondere Aspicilia calcarea L, Placodium circinnatum Pers, Callopisma sp. benagten. Diese Tiere lebten hier ganz vorwiegend von Krustenflechten; dies lehrte, außer der direkten Beobachtung der fressenden Raupen, die Untersuchung der Kotballen, welche neben zerkleinerten Flechtenresten nur vereinzelte Nostocfragmente und lLaubmoosblättchen enthielten. Zu den in Kristallisierschalen vor- genommenen Fütterungsversuchen eigneten sich am besten die lebhaften, den Bärenraupen ähnlichen Raupen der Flechtenspinner Lithosia complana L. und Setina irorella Cr, weniger die trägen tagüber verborgenen, vorwiegend während der Nacht auf Fraß ausgehenden Noctuidenraupen von Bryophila perla F. und B. receptricula Hs. Den Raupen von Bryophila perla wurden ab- gesprengte, mit den genannten Flechten bewachsene Muschelkalkfragmente vorgelegt, von denen die einen frisch, die anderen vorher mit Ammoniak extrahiert worden waren. Die frische Flechte wurde begierig verzehrt, die ausgelaugte blieb gleichzeitig unberührt. Für das verschiedene Verhalten der Tiere konnte nicht etwa ein noch an der ausgelaugten Flechte haftender Ammoniakgeruch maßgebend sein, da die Objekte längere Zeit in wiederholt erneutem Wasser gelegen hatten und zur größeren Vorsicht noch im trocknen Zustande erwärmt worden waren, um auch die letzten Spuren von Geruch zu entfernen. Daß solche auch nicht mehr vorhanden waren, lehrte der Umstand, daß die Tiere auf den in Rede stehenden Kalkstücken der Ruhe pflegten. Im wesentlichen wie Bryophila perla verhielten sich unter denselben Versuchsbedingungen Setina irorella und Lithosia complana. Die äußerst lebhafte und deshalb zu Versuchen besonders geeignete Raupe von Setina ırorella nahm außer den genannten Kalk- flechten auch gerne Xanthoria parıietina L. an. Bekamen die Tiere nebeneinander frische und mit Sodalösung oder Ammoniak behandelte und sorgfäliig ausgewaschene Thalliı, so wurden die frischen den ausgelaugten gegenüber stets bevorzugt. Gleiche Wirkung erzielte die Behandlung der Xanthoria parietina mit Aether. Frisch eingesammelte Raupen von Setina irorella, denen neben lebenden Thallustücken der genannten Flechte vorher mit Aether extrahierte Exemplare vorgelegt wurden, fraßen gierig die ersteren auf und ließen die letzteren unberührt, obschon der Aethergeruch längst verschwunden war. Dieser Versuch wurde mehrfach mit demselben Ergebnis wiederholt; stets ließen die Tiere die Aetherflechten unberührt, falls ihnen gleichzeitig frische Exemplare vorlagen. Fehlten jedoch letztere, so machten sich die hungrigen Tiere auch an die vorher verschmähte Kost heran. So sehr nun das geschilderte Verhalten für die Spezialistennatur dieser Raupen spricht und es ‚höchst wahrscheinlich ist, daß durch Auslaugung mit Ammoniak, Sodalösung oder Aether diejenigen Stoffe aus den Flechten entfernt werden, welche die Freßlust dieser Tiere erwecken, so muß doch auch erwähnt werden, daß die jenen Raupen zur Nahrung dienenden Kalkflechten gegen omnivore Tiere, zZ. B. Schnecken entweder nicht oder doch nur schwach chemisch geschützt sind, jedenfalls viel weniger als die anderen später zu besprechenden Flechtenarten. Dies geht daraus hervor, daß die genannten Kalkflechten auch von so harmlosen Tieren, wie Helix hortensis, die gegen die chemischen Schutz- mittel anderer Pflanzen so sehr empfindlich sind, gerne benagt werden. Im Einklang damit scheinen die von mir benutzten Raupen auf chemisch schwach geschützte Flechten angewiesen zu sein, denn als ihnen, statt der gewohnten Kalkflechten, auf Sandstein gewachsene Urceolarıa scruposa, Imbricaria olivacea, I. caperata vorgelegt wurden, ließen sie dieselben unberührt, während das auf demselben Substrat gewachsene, von omnivoren Schnecken ebenfalls gern benagte Placodium saxicolum stark zu leiden hatte. Unsere Raupen leben also nur von solchen Flechten, die auch omnivoren Tieren zur Nahrung dienen; von einer weiter ausgebildeten Spezialisation, wie sie etwa bei gewissen Pilzschnecken und vielen Jenaische Denkschriften. XI. 46 Festschrift Ernst Haeckel. 362 Die Schutzmittel der Flechten gegen Tierfraß. 36 2 anderen Schmetterlingsraupen vorkommt, kann bei ihnen nicht die Rede sein. Leider war es mir trotz vielen Suchens in der Ebene, wie im Gebirge, nicht möglich, solche Raupen zu erhalten, die von bitter schmeckenden Flechten, wie etwa Parmelia caperata, Sticta pulmonaria u. s. w. leben, von welchen zu vermuten wäre, daß sie in höherem Grade spezialisiert sind als die von mir be- nutzten Arten. Von anderen Klassen zugehörenden Tieren stand mir eine bei Gossensaß in Tirol auf Amphiloma murorum Horrum. gefundene nicht näher bestimmte Milbenart zur Verfügung. Die an Mauersteinen gewachsene Flechte trug zahlreiche Fraßspuren, und zwar, wie schon ZopF für ähnliche Fälle gefunden hat, gerade an den säurereichsten oberflächlichen Teilen des Thallus. Die eingesammelten Tierchen hielten sich monatelang in Glasdosen an den genannten Flechten und ebenso gut an Xanthoria parietina, von der sie die gelbe Rinde wegiraßen, während sie das weiße Markgewebe verschonten. Einige dieser Tierchen wurden in mit Watte verschlossene Glasröhrchen gebracht und mit kleinen Thalluslappen von Xanthoria versehen, von welchen die einen lebenden Exemplaren frisch entnommen waren, die anderen dagegen vor der Darbietung der Aetherextraktion unterlegen hatten. Die ein- gesperrten Tiere blieben wochenlang am Leben und fraßen in der schon besprochenen Weise Löcher in die Oberseite der frischen Thallusstücke, während sie die in gleicher Zahl und Größe zur Verfügung stehenden, mit Aether ausgelaugten Vergleichsobjekte gänzlich unberührt ließen. Läßt auch dieser Versuch unentschieden, welche Bestandteile der Flechtenrinde die Freßgier der Tierchen erwecken, ob Flechtensäuren oder andere Stoffe hierbei maßgebend sind, so kann doch mit großer Wahrscheinlichkeit daraus gefolgert werden, daß man es hier mit Spezialisten zu tun hat. Dieser Umstand erlaubt aber keineswegs den ganz allgemeinen Schluß, daß die Flechtensäuren gegenüber anderen omnivoren Tieren nicht die Rolle von Schutzmitteln spielen. III. Verhalten omnivorer Tiere gegenüber Flechten. Wenn es den Flechten an Feinden durchaus nicht fehlt — konnten doch Zopr und Zukar eine beträchtliche Zahl von Arten aus verschiedenen Ordnungen der Arthropoden anführen, die alle mehr oder weniger ausgeprägte Spezialisten sein dürften — so sind doch die von diesen Tieren ausgehenden Schädigungen nur ausnahmsweise von erheblicher Art und verhältnismäßig selten, da man oft lange suchen muß, ehe es gelingt zerfressene Thalli oder Apothecien zu finden. Aus der Seltenheit der Fraß- spuren ergibt sich zugleich, daß die Flechten auch gegen omnivore Tiere gut geschützt sein müssen, denn die.Spuren von Schneckenfraß, welche man hier und da, zumal an Peltigera-Arten gewahrt, sind zu unbedeutend und treten so vereinzelt auf, daß schon aus der Geringfügigkeit der Verletzungen ein Schluß auf das Vorhandensein kräftig wirkender Schutzmittel auch bei diesen Flechten gezogen werden kann. Es entsteht nun die Frage nicht etwa nach dem Vorhandensein von Schutzmitteln überhaupt, denn die Beantwortung dieses Punktes ergibt sich schon aus dem Bestehen der meist so trägwüchsigen Flechten, sondern nach der Qualität der Schutzmittel. Sind es gewisse Flechtensäuren, die, wie ZukaL will, als Schutzmittel gegen omnivore Tiere wirksam sind oder ist diese Annahme unberechtigt? Die Versuche, welche Zopr mit omnivoren Schnecken — Helix ericetorum, H. hortensis, H. nemo- ralis, H. pomatia und Succinea amphibia — angestellt hat, brachten ihn zu der Ansicht, daß 36 3 Die Schutzmittel der Flechten gegen Tierfraß. 36 3 mit Ausnahme der Vulpinsäure, die bei den Versuchen benutzten Flechtensäuren in relativ großen Mengen aufgenommen werden können, ohne irgend welche schädlichen Wirkungen auszuüben, mithin auch nicht als wirksame Schutzmittel in Betracht zu ziehen seien. Die Versuchsanordnung Zoprs war folgende. Dünne Kartoffelscheiben wurden mit den rein dar- gestellten Flechtensäuren an der Oberfläche eingerieben und den in Kristallisierschalen gehaltenen Tieren vorgelegt. Die Schnecken ließen sich durch die Flechtensäuren (Solorinsäure, Chrysophycin, Rhizocarpsäure, Pinastrinsäure, Atranorsäure, Cetrarsäure) nicht vom Genuß der Kartoffel abhalten, sondern verzehrten ohne Schaden zu erleiden größere Mengen davon, die sich im Kot leicht nachweisen ließen. Aus diesen Versuchen geht meines Erachtens nur soviel hervor, daß Schnecken, falls ihnen keine passendere Nahrung geboten wird, auch gewisse Flechtensäuren ohne sichtlichen Schaden aufnehmen können, eine Erscheinung, die bei vielen anderen Schutzmitteln, deren Wirkung ja stets nur eine relative ist, gleichfalls beobachtet werden kann. Der von Zorpr eingeschlagene Weg des einfachen Versuches kann eben hier nicht zum Ziele führen; es sind vielmehr vergleichende Versuche vorzunehmen, bei welchen gleichzeitig den Tieren die frischen und die der mutmaßlichen Schutzmittel beraubten Pflanzen- teile vorgelegt werden. Nur auf diesem Wege läßt sich eine Einsicht in den Grad der Wirkung der Schutzmittel der Pflanzen — seien sie nun chemische oder mechanische — gewinnen. Immer wieder begegnet man der Ansicht, daß aus dem Gefressenwerden gewisser Pflanzenteile hervorgehe, daß dieser oder jener ihrer Inhaltsbestandteile keine Rolle als Schutzmittel spielen könne. Absolute Schutzmittel gegen Tierfraß sind bis jetzt nicht bekannt, sind auch kaum zu erwarten, während relative Schutzmittel, welche die Pflanze- vor dem von der Tierwelt drohenden Untergang bewahren, bei wildwachsenden Pflanzen ganz allgemein verbreitet sind'). Bei den nunmehr mitzuteilenden Versuchen wurde stets in der Weise verfahren, daß Fragmente einer und derselben Flechte sowohl frisch als in durch geeignete Lösungsmittel ausgelaugtem Zustande zur Verfütterung gelangten. Man wird zwar auf diese Weise nicht entscheiden können, ob der Schutz durch diesen oder jenen der oft in Mehrzahl vorhandenen Flechtenstoffe bewirkt wird; werden aber die Thallusstücke, die im frischen Zustande verschont bleiben, nach Auslaugung durch die üblichen Lösungs- mittel der Flechtensäuren gefressen, so ergibt sich hieraus gewiß die hohe Bedeutung derartiger Körper für die Erhaltung der Flechten gegenüber dem Zerstörungswerk omnivorer Tiere. Durch planmäßig durchgeführte Versuche mit reinen Flechtensäuren wird ferner erkannt werden können, welche von diesen Stoffen den Tieren den Genuß verleiden und welche andere nach dieser Seite hin bedeutungslos sind. Aber selbst in letzterem Falle wäre noch keineswegs die Annahme berechtigt, daß diese oft in großen Mengen erzeugten Substanzen nichts als nutzlose Exkrete darstellen. Indem ich nun zur Schilderung der eigenen Versuche schreite, soll, vor der Erörterung der Bedeutung der Flechtensäuren, die etwaige Rolle des Calciumoxalats als Schutzmittel gegen Tierfraß in Betracht gezogen werden. Zukar zählt nämlich, auf meinen eigenen Angaben über die Rolle der Rhaphiden fußend, die Kristalle oxalsauren Kalkes, welche namentlich bei Erde oder festes Gestein bewohnenden Krustenflechten oft massenhaft auf- oder in den Membranen abgelagert vorkommen, ohne nähere Begründung zu den Schutzmitteln gegen Tierfraß, nicht bedenkend, daß solche kleine Körnchen und Kriställchen keinesfalls wie die beiderseits fein zugespitzten, sich leicht in die Schleimhäute ein- bohrenden Rhaphiden wirksam sein können. Wie wenig omnivore Schnecken sich von dem Grenusse 1) Vergl. Stauı, Pflanzen und Schnecken, und C. DETTo, Ueber die Bedeutung der ätherischen Oele bei Xero- phyten. Inaug.-Diss., Jena. Flora 1903, S. 195. 46* 36 4 Die Schutzmittel der Flechten gegen Tierfraß. Sr 36 4 einer ihnen sonst zusagenden, aber mit harten Körnern untermischten Nahrung abhalten lassen, zeigten Versuche mit Limax agrestis und Helix hortensis, welche gierig und ohne Schaden große Mengen von mit Zuckerwasser befeuchtetem Quarzsand verschluckten, wie sie auch ausgelaugte Blätter von Rumex-Arten trotz ihrer zahlreichen großen Kalkoxalatdrüsen ohne weiteres verzehrten. Man könnte vielleicht zu der Annahme neigen, daß wenn die einzelnen Kalkoxalatkristalle zwar für sich allein die Tiere nicht vom Genuß der Flechten abzuhalten vermögen, sie doch durch Her- stellung einer festen Kruste an der Thallusoberfläche die Angriffe zu erschweren im stande seien. Die Kristalle schließen sich jedoch nicht zu einem festen Panzer zusammen, wie etwa der kohlensaure Kalk in den Membranen der Corallineen, sondern sie sind stets durch allerdings kleine Zwischenräume von- einander getrennt. Demgemäß ist die Oberfläche des Thallus besonders oxalatreicher Flechten, wie Psoroma lenitserum, Es elesjanıs, Aspicilia calcarea, im befeuchteten Zustande keines- wegs hart, sondern von ziemlich weicher Beschaffenheit, viel weicher als bei vielen kalkoxalatfreien Laub- und Strauchflechten. Durch Entfernen des Kalkoxalats vermittelst verdünnter Salzsäure wırd denn auch das Verhalten von Schnecken und Asseln gegenüber Psoroma lentigerum und Ps. elegans in nichts geändert. Wasserlösliche, im inneren der Zellen aufgespeicherte Stoffe, welche bei anderen Pflanzen — man denke an die Bitterstoffe, Gerbsäuren, Alkaloide u. s. w. — eine so hervorragende Rolle als Schutzmittel spielen, scheinen bei den Flechten wenig in Betracht zu kommen, da ihnen gegenüber das Verhalten omnivorer Tiere nach Entfernung der wasserlöslichen Stoffe nicht in wahrnehmbarer Weise beeinflußt wird. In Wasser aufgeweichte und wieder oberflächlich abgetrocknete lebendige Thallusfragmente von Imbricaria saxatılıs L, I. caperata, 1. physodes PR, Byernıas przunast ale furacea L, die Podetien von Cladonia pyxidata L, wurden, um sie zu töten, kurze Zeit der Siedehitze ausgesetzt und nach Erkaltung mehrere Stunden in Wasser gelegt, um etwaige in Wasser lösliche Stoffe auszulaugen. Die dieser Prozedur unterworfenen Flechten wurden, zusammen mit lebenden Fragmenten derselben Flechten hungrigen Schnecken und Asseln vorgelegt. Beiderlei Ver- gleichsobjekte blieben entweder ganz verschont oder es fanden sich höchstens Spuren von Verletzung, wobei ein Unterschied zwischen toten ausgelaugten und frischen Exemplaren nicht zu erkennen war. Wenn durch die Entfernung wasserlöslicher Bestandteile der Thallus genannter Arten für omnivore Schnecken und Asseln um nichts genießbarer gemacht wird, so spielen dagegen schon in verdünnter Soda lösliche Stoffe bei vielen Flechten eine ganz hervorragende Rolle bei der Abwehr der erwähnten Tiere. Bei manchen Flechten genügte schon ein 12-stündiges Liegen bei Zimmertemperatur in einer Natriumcarbonatlösung von ı °,, um sie, nach vorheriger Auslaugung in Wasser, für Schnecken und andere omnivore Tiere annehmbar zu machen. In den zu beschreibenden Versuchen wurden jedesmal die mit Soda behandelten Thallusstücke auf den Boden kleiner Kristallisierschalen neben gleich große bloß in Wasser aufgeweichte Fragmente derselben Exemplare gelegt. Um die Bedeutung, welche den sodalöslichen Stoffen als Schutzmittel zukommt nach ihrem richtigen Maße zu würdigen, genügt es nicht immer den etwa am folgenden Tage eingetretenen Tatbestand festzustellen, sondern es ist unter Umständen auch die direkte Beobachtung der Tiere erforderlich, da mit der Zeit die ausgehungerten Tiere auch weniger zusagende Pfanzenteile vertilgen. 36 5 Die Schutzmittel der Flechten gegen Tierfraß. 36 5 So sah ich z. B. die omnivore Helix hortensis die frischen Thallusstücke zwar wiederholt anraspeln, aber dieses Geschäft bald wieder aufgeben, um weiter zu kriechen. Geraten die Tiere hierbei an die vorher mit Sodalösung behandelten Thallustücke, so fressen sie daran kontinuierlich fort. Am folgenden Tag waren die durch die genannte Behandlung ihrer Schutzmittel beraubten Thallusstücke von Evernia furfuracea, E. prunastri, Imbricaria caperata, Icmadophila aeruginosa, Rhizocarpon geographicum gewöhnlich verschwunden, während die dieser Prozedur nicht unter- worfenen Vergleichsobjekte noch fast unversehrt vorgefunden wurden. Aehnlich wie Helix hortensis verhalten sich verschiedene andere Gehäuseschnecken, unter anderen auch Helix lapıcida und Clausilia sp. die sich besonders häufig in Ritzen von Kalkgestein aufhalten, dessen Krustenflechten sie bei feuchter Witterung abzunagen pflegen. Auf Grund dieser Wahrnehmungen erwartete ich in diesen Tieren auf Flechten angewiesene Spezialisten zu finden, eine Vermutung, die sich jedoch nicht bestätigte. Die Kalk bewohnenden Krustenflechten Aspicilia calcarea, Placodium circinnatum, Pl. saxicolum verzehren sie zwar willig in frischem Zustande, wie nach Extraktion mit Sodalösung, ein Verhalten, welches sie mit der so harmlosen omnivoren Helix hortensis teilen. Besser geschützte Flechten dagegen (z. Be Imbricaria caperata, |. physodes, Evernia prunastri) fressen sie nur nach vorheriger Sodaextraktion. So gerne also diese Tiere auch die offenbar schwach geschützten und wahrscheinlich entsprechend ihrer starken Regenerations- fähigkeit weniger schutzbedürftigen Kalkflechten verzehren, so sind sie doch nicht Flechtenspezialisten in dem Sinne, wie etwa Limax maximus und andere Nacktschnecken Pilzspezialisten sind. Denn abgesehen davon, daß sie die bitteren oder sonstwie unangenehm schmeckenden Flechten erst nach Sodaextraktion annehmen, verzehren sie auch, wie manche omnivoren Schnecken, mit besonderer Vorliebe abgestorbene oder künstlich ausgelaugte Pflanzenteile. Flechtenspezialisten, also in ihrer Ernährung auf Lichenen angewiesene Schnecken, scheint es, wenigstens soweit meine Untersuchungen reichen, nicht zu geben. Insbesondere konnte ich feststellen, daß die große Pilzschnecke Limax maximus, von der man vermuten könnte, daß ihre Vorliebe für Pilze sich auch auf Flechten erstrecken möchte, für die letzteren ganz ungefährlich ist. Ein hungriges Exemplar benagte, auch bei mehrtägiger Versuchs- dauer, nur an vereinzelten Stellen den Thallus von Peltigera canına, Peltidea aphtosa, Cetraria islandica, Parmelia physodes, während in demselben Zeitraum ein derartiges Tier . große Fruchtkörper für andere Tiere giftiger Pilze zu vertilgen im stande ist. Die bisherigen Versuche mit omnivoren (ehäuseschnecken haben gezeigt, daß die zur Fütterung benutzten Flechten durch gewisse, in verdünnter Sodalösung lösliche Körper gegen die genannten Tiere geschützt sind. Mit diesem Versuchsergebnis schien das Verhalten der nackten kleinen Ackerschnecke (Limax agrestis) nicht recht vereinbar. Während Helix hortensis gierig die ausgelaugten Flechten benagte, ließ die sonst so gefräßige Ackerschnecke dieselben so gut wie unberührt. Es hatte also zunächst den Anschein, als ob Helix hortensis den Flechtenschutzstoffen gegenüber weit weniger empfindlich sei als Limax agrestis, ein Umstand, der mir um so mehr auffallen mußte, als ich bei meinen älteren Untersuchungen (l. c. S. 24) gefunden hatte, daß die beiden Tierarten sich den Schutzmitteln der höheren Gewächse gegenüber gerade umgekehrt verhalten. Während für diese die Ackerschnecke zu den gefährlichsten Feinden gehört, die auch gut geschützte Pflanzen angreift, ist die Gartenschnecke, gleich vielen anderen Gehäuseschnecken, ein äußert harmloses Geschöpf, das sich hauptsächlich von toten, ausgelaugten Pflanzenteilen ernährt und, indem es sie zerkleinert und als dem Boden leicht beimischbaren Kot von sich gibt, weit eher als ein nützliches denn als ein schädliches 366 Die Schutzmittel. der: Flechten gegen Tierfraß. 366 Tier gelten muß, da es oberhalb des Erdbodens eine ähnliche Rolle spielt wie die Regenwürmer unter dessen Oberfläche. i Von der Vermutung ausgehend, daß die Schutzstoffe der benutzten Flechten durch die ı %,, Sodalösung nicht hinreichend ausgezogen sein mochten, kamen stärkere Lösungen bis zu 10 Proz. zur Anwendung, aber ohne Erfolg. Nachdem die Extraktion vermittelst Aether, Chloroform und Benzol, in welchen doch die meisten Flechtenstoffe löslich sind, ebenfalls erfolglos geblieben war, so mußte nach einer anderen als der vermuteten Ursache des Verschmähtbleibens der ausgelaugten Flechten von seiten der Ackerschnecke gesucht werden. Wenn ein Tier einen Pflanzenteil verschmäht, so kann dies entweder darauf beruhen, daß es durch gewisse Bestandteile, die sich dem Geschmacks- oder Geruchssinne wahrnehmbar machen, abgestoßen wird, oder aber es fehlen die Reizstoffe, die eine dauernde Freßtätigkeit auslösen. Schon bei meinen früheren Untersuchungen (l. c. S. 30) war es mir aufgefallen, daß von manchen Pflanzen- teilen, die mechanisch geschützt sind, die frischen fast regelmäßig den ausgelaugten gegenüber von omnivoren Schnecken bevorzugt werden. Manche von diesen, insbesondere Limax agrestis, zeigen eine große Vorliebe für zuckerhaltige Pflanzenteile, die ihre Freßgier in hohem Grade erregen. Ich konnte wiederholt beobachten, daß, wenn einem durch Berührungsreize zur eiligen Flucht angetriebenen Exemplar eine Spur Zuckerwasser in den Weg gebracht wurde, es, sobald sein Mund mit der süßen Flüssigkeit in Berührung gekommen war, die Kriechbewegungen einstellte Gleichzeitig gerieten die Freßwerkzeuge in lebhafte Bewegung, wobei das Tier versuchte, beliebige, gerade vorliegende Gegen- stände anzuraspeln. Der jedenfalls} geringe Zuckergehalt der Flechten — süßen Geschmack habe ich beim Kauen derselben niemals wahrgenommen — sichert also die Gewächse mehr oder weniger vor den Angriffen zuckergieriger Tiere, die sich nur ın stark ausgehungertem Zustande an sie heran machen. Während nun die meist von toten, schon ausgelaugten Pflanzenteilen lebende Helix hortensis in geringerem Grade zuckergierig ist und die ihrer Schutzstoffe beraubten Lichenen ohne weiteres benagt, ihnen in der Natur also ohne die Schutzstoffe gefährlich wäre, läßt sie Limax agrestis zunächst meist unberührt liegen, nimmt sie jedoch sofort auf, sobald sie durchtränkt worden sind mit Zucker- wasser, oder dem süßen Saft von Daucus carota, welcher ihr ganz besonders zusagt und sich ihrem Geruchssinne schon von weitem verrät. Versuche mit anderen omnivoren Tieren. Obwohl die Schnecken zu denjenigen Tieren gehören, deren Angriffen die Flechten an ihren natürlichen Standorten ganz besonders ausgesetzt sind, so schien es mir doch am Platze, auch noch andere omnivore Pflanzenfresser in Betracht zu ziehen. Ich wählte als Versuchstiere die oft in der Nähe von Flechten unter den Borkenschuppen der Bäume oder in Gesteinsspalten sich aufhaltende Mauerassel (Öniscus murarius Cuv.) und den Ohrwurm (Forficula auricularıa L.). Beiderlei Tierarten sind in demselben Sinne omnivor wie unsere meisten Schnecken. Wenn auch die Ohrwürmer mancherlei lebendige Pflanzenteile zerfressen und nicht selten, z. B. an Dahlia variabilis, beträchtlichen Schaden verursachen, so läßt sich doch leicht der Nachweis führen, daß der Schaden noch weit größer ausfallen würde, falls gewisse diesen Tieren widrige Stoffe in den Blättern fehlten. Werden nämlich Ohrwürmern oder Asseln gleichzeitig frische und vorher mit Alkohol extrahierte Blatt- fragmente von Dahlia variabilis und mancherlei anderen Pflanzen (z. B. Ficaria ranunculoides, 367 Die Schutzmittel der Flechten gegen Tierfraß. 367 Fraxinus excelsior, Anthriscus sylvestris) dargeboten, so sieht man die Tiere mit großer Vorliebe die ihrer Schutzstoffe beraubten Stücke verzehren, während sie gleichzeitig die noch lebenden Vergleichsstücke mehr oder weniger verschonen. Die Fütterungsversuche mit intakten Flechten und solchen, die mit verdünnter (1 °/,) Sodalösung behandelt worden waren, bestätigten denn auch die gehegte Vermutung, daß ohne ihre Schutzstoffe die Flechten diesen gefräßigen Tieren zum Opfer fallen würden. Oniscus murarıus verzehrte nach kürzerer oder längerer Frist die ausgelaugten Thallus- stücke von Evernia vulpina, Ev. furfuracea, Ev. prunastri, Imbricaria saxatilis, I. caperata, I. physodes, Xanthoria parietina. Forficula auricularia tat desgleichen mit Imbricaria caperata, I. physodes, Xanthorıa parietina, Ramalina fraxinea, während die gleichzeitig vorgelegten frischen Thallusstücke derselben Flechtenarten entweder gar nicht oder doch nur wenig zu leiden hatten. Es sind also auch hier wieder sodalösliche Stoffe, denen es die obigen Lichenen verdanken, vor Zerstörung von seiten der genannten und, wir dürfen wohl hinzufügen, vieler anderer omnivorer Tiere, bewahrt zu sein. IV. Natur und Eigenschaften der Flechtenschutzstofte. In den bisherigen Versuchen war die Auslaugung der Flechten vermittelst ı 90 Sodalösung vorgenommen worden; 24-stündige Einwirkung bei Zimmertemperatur hatte in den genannten Fällen genügt, um wenigstens so viel von den Schutzstoffen zu entfernen, um sie den Versuchstieren genießbarer zu machen als die nicht dieser Prozedur unterworfenen Vergleichsobjekte. Bei manchen Flechten versagte jedoch die erwähnte Behandlungsweise; auch wenn die Flechten — z.B. Cetraria islandica, Sticta scrobiculata, Endocarpon miniatum, Podetien von Cladonia pyxidata — ebenso lange in einer ıo-proz. Sodlösung gelegen hatten, wurden sie von omnivoren Schnecken noch kaum berührt. Hieraus ergibt sich nun keineswegs, daß die Schutzstoffe nicht auch in Soda löslich sind; sondern dieselben treten nur langsam in Lösung, so daß noch genügende Mengen davon übrig bleiben um den Schnecken den Genuß zu verleiden. Wie man sich leicht durch Kosten überzeugen kann, haftet hier der bittere oder sonst un- angenehme Geschmack sehr zähe, so daß, wie schon Zurar für Cetraria islandica angegeben hat, eine energischere Behandlung notwendig ist, um ihn vollständig zu entfernen. Viel rascher als in Natriummcarbonat lösen sich die Schutzstoffe in Ammoniak oder verdünnter Kalilauge. Hier genügt schon ein viel kürzerer Aufenthalt in den genannten Flüssigkeiten, um die Flechten den Tieren genießbar zu machen. In hohem Grade beachtenswert ist dagegen die Unlöslichkeit der Schutzstoffe in Salzsäure. Auch nach längerer Behandlung mit diesem Reagens und nachherigem sorgfältigen Auswaschen, wurden Imbricaria caperata, I. physodes, Evernia prunastri, E. furfuracea, Icmadophila aeruginosa, Rhizocarpon geographicum von Schnecken und Asseln nicht stärker geschädigt als die dieser Behandlung nicht unterworfenen Vergleichsobjekte. Die Löslichkeit der Schutzstoffe in Alkalien, ihre Unlöslichkeit in Salzsäure machen es sehr wahrscheinlich, daß wir in ihnen Flechtensäuren zu erblicken haben, ist es doch bekannt, daß viele Flechtensäuren in Alkalien oder kohlensauren Akalien mehr oder weniger löslich sind, aus ihren Lösungen aber durch Salzsäure gefällt werden. Wenn also hierdurch die Frage nach der Art der Schutzstoffe 368 Die Schutzmittel der Flechten gegen Tierfraß. 368 schon enger umschrieben ist, so wird es weiterer sorgfältig durchgeführter vergleichender Experimente mit rein dargestellten Flechtensäuren bedürfen, um festzustellen, welche Säure im Einzelfalle die schützende Wirkung ausübt, da bei zahlreichen Flechten schon verschiedene Säuren nachgewiesen worden sind und bei weiteren Untersuchungen noch andere gefunden werden mögen. So gibt Fünrsrück') in seiner Zusammenstellung der Flechtenstoffe für Evernia prunastri, welche, wie wir gesehen haben, durch Sodalösung von ı °/,, ihrer gegen Schnecken und Asseln wirksamen Schutzmittel beraubt wird, das Vorkommen von Atranorsäure, Evernsäure und Usninsäure an, welche alle in kohlensauren Alkalıen mehr oder weniger löslich sind. Ein ebenso unbestimmtes Resultat ergeben Versuche, bei welchen Filtrierpapierstreifen, die mit den Aetherextrakt der genannten Flechte durchtränkt worden waren, Verwendung fanden. Während Helix hortensis bloß mit Wasser befeuchtete Papierstreifen fleißig benagte, ließ sie die mit dem Aetherextrakt versehenen Vergleichsobjekte unberührt. Ein gleiches Er- gebnis zeitigten ähnliche Versuche mit den Aetherextrakten von Imbricarıia physodes und Xanthoria parietina. Welchem unter den verschiedenen, bei diesen Flechten vorkommenden, in Aether löslichen Stoffen das ablehnende Verhalten zuzuschreiben ist, läßt sich auf diesem Wege nicht entscheiden; dies kann, wie gesagt, nur auf Grund von Versuchen mit rein dargestellten Flechtensäuren geschehen. Da die Schnecken wie auch andere omnivore Tiere eine große Abneigung gegen die Bitterstoffe höherer Pflanzen (z. B. Gentiana, Polygala) zeigen, so kommt sicher den bitter schmeckenden Flechtensäuren in dieser Richtung eine hervorragende Bedeutung zu. Hierbei dürfen wir aber nicht vergessen, daß Substanzen, die sich unserem Geschmackssinn nicht ın besonders unangenehmer Weise bemerkbar machen, auf andere Wesen eine sehr heftige Wirkung ausüben können. Ganz besonders deutlich geht dies hervor aus dem Verhalten der Schnecken gegenüber der in den Zentralalpen an Lärchenstämmen so verbreiteten Evernia vulpina, welche der Vulpinsäure ihre gelbe Farbe und Giftigkeit verdankt?). Von der von ıhm aus Lepra chlorina gewonnenen Vulpinsäure gibt auch Zopr (l. c. S. 608) zu, daß sie selbst ausgehungerte Schnecken von den damit eingeriebenen Kartoffelscheiben fernzuhalten vermag. „Setzt man sie mitten auf die Kartoffelscheibe, so scheiden sie stark Schleim ab und suchen bald aus dem Bereich der Säure zu kommen.“ Ich habe die heftige Wirkung der Vulpinsäure, die beim Menschen erst nach längerem Kauen schwache Bitterkeit und etwas Brennen auf Zunge und Gaumen verursacht, besonders deutlich bei Versuchen mit Limax agrestis und Arion hortensis hervortreten sehen. Schon die oberflächliche Berührung mit den zwischen den Fingern zerriebenen Fragmenten des Thallus von Evernia vulpina genügt, um die Tiere zum Absterben zu bringen. Sobald sie damit bestreut werden, kriechen sie, stark Schleim absondernd, davon und gehen, wenn das Bestreuen reichlich erfolgt ist, bald zu Grunde. Gesunde Exemplare der genannten Schneckenarten, welche um 3', Uhr nachmittags in der angedeuteten Weise behandelt worden waren, zeigten schon vor Ablauf einer Stunde konvulsive Zuckungen des Vorderleibes und waren an demselben Abend um 5 Uhr schon tot. Es kann denn auch nicht verwundern, wenn auch durch langes Aushungern diese Tiere nicht gezwungen werden können, die für sie so giftige Flechte zu verzehren. Entfernt man aber die gelbe Vulpinsäure durch geeignete Lösungsmittel, sei es durch verdünnte Sodalösung, sei es durch Aether oder Chloroform, so wird der Thallus ohne Schaden und in größeren Mengen gefressen. 1) ENGLER und PRANTL, Die natürlichen Pfanzenfamilien, 180. Lieferung: Lichenes von FÜNFSTÜCK, S. 29 u. ff. 2) KoBERT, Ueber die Giftstoffe der Flechten, Sitzungsberichte der Naturforscher-Gesellschaft von Dorpat, 1892, Bl, 2X, 8, 192, Die $ : . 369 ie Schutzmittel der Flechten gegen Tierfraß. 369 So heftige Wirkungen wie der Vulpinsäure dürften wohl nur wenigen Flechtenstoffen zukommen. Der so intensiv bitter schmeckenden Variolaria amara, welche von Schnecken gänzlich verschont bleibt, gehen sie jedenfalls ab, da mit dem Soredienpulver dieser Flechte wiederholt bestreute Nackt- schnecken anscheinend ungestört weiter lebten. Während bei der Mehrzahl der Flechten feste Stoffe von meist bitterem Geschmack tierische Feinde fernhalten, wird diese Aufgabe in gewissen Fällen durch flüchtige Verbindungen übernommen. So entwickelt die nicht bittere Peltigera canina, namentlich beim Kauen, einen widerwärtigen Geruch, der für sich allein schon Schnecken abzuhalten vermag, da sie, noch bevor sie mit dieser Flechte in Berührung kommen, sich abzuwenden pflegen. Der energisch wirkende, nicht näher bekannte Schutz- stoff ist flüchtig und läßt sich mit Wasser überdestillieren. Stärke, die mit dem widerlich riechenden Destillat befeuchtet worden ist, lassen die sonst gierig Stärke verschlingenden Schnecken und Asseln unberührt liegen. Peltigera canina dürfte also gegenüber den benutzten Versuchstieren ganz besonders gut geschützt sein. Diesem Ergebnis scheinen allerdings die Angaben von Arnorp und Zuxar (l. c. S. 28) zu widersprechen, welche nicht näher bezeichnete Schnecken fressend an Peltigera- Arten angetroffen haben. Ich selbst fand am Thallus von Peltigera canina in Wäldern gelegentlich kreisrunde Löcher, wie sie für Schneckenfraß charakteristisch sind und an in einem Hymenophyllienhaus kultivierten Exemplaren wurde wiederholt fressende Limax agrestis angetroffen. Solche Befunde beweisen aber nichts weiteres, als daß auch gut geschützte Pflanzen von den Angriffen dieser gefräßigen, stets hungrigen Tiere zu leiden haben. Wenn bei Peltigera die Freßspuren sich häufiger als bei anderen Laubflechten finden, so mag dies bedingt sein durch ihren feuchteren Wohnort, an welchem Schnecken sich häufiger herumtreiben als an den trockenen Standorten der meisten anderen Lichenen. Die Löslichkeitsverhältnisse der Schutzstoffe in biologischer Beleuchtung. Notwendige Voraussetzung für die Wirksamkeit chemischer Schutzmittel ist ihre Löslichkeit in den die Nahrungsaufnahme vermittelnden Mundteilen der Tiere. Gewisse Flechtensäuren sind in Wasser so gut wie unlöslich, andere nur sehr schwer löslich. Hieraus folgert Zorr (l. c. S. 609) daß sie keine “schädlichen Wirkungen auszuüben vermögen, da von Seiten des Verdauungstraktus alkalische Säfte, welche die Flechtensäuren in Lösung zu bringen vermöchten, nicht abgeschieden werden. Diese An- nahme ist jedoch in keiner Weise zutreffend. Aeltere Angaben aus der Literatur und eigene neue Beobachtungen über die Reaktionen verschiedener Abschnitte des Darmtraktus von Schnecken findet man in einer Arbeit von Morrıız und BIEDERMAnN !) zusammengestellt. Werden Schnecken (Helix pomatia) mit Stärkemehl, welchem blaues Lakmuspulver beigemischt ist, gefüttert, so nehmen die Tiere das feuchte Gemenge nach längerem Hungern gern und reichlich auf. Im eigentlichen Magen erscheinen die Inhaltsmassen rot oder blaurot gefärbt, während jenseits der Einmündungsstelle des Leber- gangs die rein blaue Färbung eine ausgeprägt alkalische Reaktion anzeigt. Ueber die Reaktion des vorderen Teiles des Darmrohres (zwischen Mund und Magen) sagen die Verfasser nichts aus; da aber gerade dieser Punkt für unsere Fragestellung von besonderem Werte ist, weil ja die Geschmacks- empfindung über Aufnahme oder Verschmähung einer Speise entscheidet, so widmete ich besonders t) Beiträge zur vergleichenden Physiologie der Verdauung. II. Ueber ein celluloselösendes Enzym im Lebersekret der Schnecke (Helix pomatia). PFLÜGERS Archiv für die ges. Physiologie, Bd. 73, 1898, S. 244. Jenaische Denkschriften. XI 47 Festschrift Ernst Haeckel. 370 Die Schutzmittel der Flechten gegen Tierfraß. 370 dieser Frage meine Aufmerksamkeit und zog zugleich auch das Verhalten der Schleim absondernden Körperoberfläche in Betracht. läßt man eine Schnecke (Limax agrestis, Helix hortensis) über rotes Lakmuspapier kriechen, so färbt sich dasselbe sofort intensiv blau. Desgleichen wird mit Kongorot gefärbtes Papier, das durch Behandlung mit verdünnter Salzsäure gebläut worden ist, sofort intensiv rot gefärbt. Auch bei dem viel weniger empfindlichen Curcumapapier weicht die Rotfärbung bald der alkalische Reaktion verratenden Gelbfärbung. Dieselben Färbungsänderungen der genannten Indikatoren lassen sich nun auch beobachten, wenn die genannten, mit Zuckerwasser durchtränkten Papiersorten in fein zerfasertem Zustande oder mit den Indikatoren gefärbter Stärkekleister den Tieren als Speise dargeboten werden. Es ist nicht einmal immer notwendig, die Tiere, welche die gefärbte Nahrung aufgenommen haben, zum Zweck der Beobachtung zu töten, da bei der durchsichtigen Körper- beschaffenheit, zumal von hellen Exemplaren der Helix hortensis, auch am unverletzten Tier der mit Nahrung gefüllte Oesophagus die für die alkalische Reaktion charakteristische Farbe durch- schimmern lässt. Die Vorbedingungen für die Löslichkeit von Flechtensäuren und mithin ihrer Wirksamkeit auf die Geschmacksorgane der Schnecken sind also gegeben. Zopr führt allerdings zwei für die Richtigkeit seiner Vermutung über das Fehlen säurenlösender, alkalischer Säfte im Darmtraktus sprechende Tatsachen an: einmal die glatten glasglänzenden Flächen und scharfen Kanten der Kristalle und Kristall- fragmente im Kote und sodann die Abwesenheit von Farbenreaktionen, die bei Einwirkung von Alkalien sich im Darm einstellen müßten. In Betreff des ersten Punktes ist zu bemerken, daß auch schon minimale Spuren einer widerwärtig schmeckenden Substanz die Tiere vom weiteren Genuß abhalten können, falls ihnen gleichzeitig zusagende Nahrung geboten wird; in Betreff des zweiten, daß freie Alkalien eben- sowenig im Oesophagus von Schnecken und anderer Tiere wie ın unserer Mundhöhle vorhanden zu sein brauchen, um gewisse Flechtenstoffe in Lösung zu bringen. Der menschliche Speichel enthält im Mittel 0,08 Proz. Natriumkarbonat‘. Vom Schnecken- speichel bemerkt ARTHUR LanGe?°): „Auffallend ist die staıke Alkalescenz des Sekretes“ In den Mund- teilen von pflanzenfressenden Gliedertieren sind die Bedingungen für die Wirksamkeit von Flechten- säuren durch die hier herrschende alkalische Reaktion gleichfalls gegeben. Obwohl nicht genauer bekannt ist, auf welchen Verbindungen sie bei diesen Tieren beruht, so wird man wohl annehmen dürfen, daß es sich auch hier um Natriumkarbonat handeln wird, also um eine Verbindung, in welcher viele Flechtensäuren löslich sind. Auch bei höheren Pflanzen fehlt es nicht an Schutzstoffen, die in Wasser schwer, in ver- dünnten Lösungen von kohlensaurem Natron dagegen leichter löslich sind, wo also die Reaktion der Mundflüssigkeit die Wirkung erst recht zur vollen Entfaltung gelangen läßt. Ich denke hier unter anderem an die klebrigen Ueberzüge junger, eben sich entfaltender Blätter von Alnus glutinosa und Betula verrucosa. DBesprüht man solche Blätter einerseits mit destilliertem Wasser und andererseits mit ı °/,, Sodalösung und läßt nach einiger Zeit die Flüssigkeiten abtropfen, so wird man beim Kosten der Soda enthaltenden Tropfen einen intensiv bitteren Geschmack empfinden, der bei den Reinwassertropfen kaum zur Wahrnehmung gelangt. Das bittere Sekret, dessen Hauptaufgabe I) R. NEUMEISTER, Lehrbuch der physiologischen Chemie, Bd. I, S. 121. 2) A. LAnGE, Ueber den Bau und die Funktion der Speicheldrüsen bei den Gasteropoden. MERKEL und BONNET, Anatomische Hefte, I. Abt., Heft 61, 1902, S. 136. 371 Die Schutzmittel der Flechten gegen Tierfraß. 371 auch das junge Blatt gegen tierische Feinde. Legen wir nämlich von den beiden Hälften eines jungen Blattes die eine mehrere Stunden in Regenwasser, die andere gleich lang in eine Sodalösung und bringen sie, nach sorgfältiger Abspülung des Sodablattes, in Behälter mit Gartenschnecken oder Asseln, so macht sich der schützende Einfluß des Sekretes in der geringen Beschädigung der bloß gewässerten Hälfte im Gegensatz zur starken Benagung der durch Sodalösung ihres Ueberzuges beraubten anderen Hälfte deutlich bemerkbar. Die Wirkung des im Fichtenharz enthaltenen Bitterstoffes wird ebenfalls durch die alkalische Reaktion der Mundflüssigkeit wesentlich gefördert. Werden gleich große Mengen frischen Fichten- harzes mit demselben Volumen destillierten Wassers und menschlichen Speichels übergossen, die Flüssig- keiten nach einigen Stunden abfiltriert, so gewahrt man bei dem ersten Filtrat bloß einen schwach balsamischen Geruch und kaum eine Spur von Bitterkeit, während das Speichelfiltrat eine intensiv bittere Geschmacksempfindung hervorruft. Ich beschränke mich hier auf diese wenigen Andeutungen, aus welchem hervorgeht, daß Gesichtspunkte, wie ich sie in dieser Abhandlung für die Schutzstoffe der Flechten aufgestellt habe, auch noch anderwärts Berücksichtigung verdienen. Wir kehren nach dieser Abschweifung zu den Flechten zurück. Die Tatsache, daß die Schutz- stoffe in Wasser unlöslich oder doch sehr wenig löslich sind, ist in ökonomischer Beziehung für die Flechten von größter Wichtigkeit, da die als Schutzmittel wirksamen Stoffe nicht, wie bei anderen Pflanzen, im Inneren des lebendigen Zellleibes oder in abgeschlossenen Sekretbehältern enthalten, sondern auf oder in den Membranen abgelagert sind, wo sie bei jeder Befeuchtung der Gefahr der Auswaschung ausgesetzt wären. Trotzdem dürfte es öfter vorkommen, daß eine partielle Lösung von Säuren auch an den sonst unversehrten Flechten sich einstellt. \Wiederholt konnte ich bei Verwendung von frisch eingesammelten Exemplaren von Xanthoria parietina, Ramalina fraxinea, Variolaria amara die Bläuung von roten, den befeuchteten Thalluslappen angedrückten Lakmuspapierstreifen schon nach wenigen Stunden eintreten sehen. Diese schwache Alkalescenz genügt, um das Pikrolichenin, den ın kaltem Wasser unlöslichen'), intensiv bitteren Schutzstoff von Variolarıa amara in Lösung zu bringen. Wird nämlich das von einer Baumrinde abgeriebene Soredialpulver dieser Flechte mit wenig destilliertem Wasser übergossen, so zeigt schon nach Verlauf von 4 Stunden die abfiltrierte Flüssigkeit den bitteren Geschmack. Die an der Oberfläche von Flechtenlagern sich einstellende alkalische Reaktion entstammt wahrscheinlich den an Baumrinden niemals fehlenden, in Fäulnis be- griffenen tierischen oder pflanzlichen Resten und ist insofern nicht ohne Bedeutung, als dadurch die ın reinem Wasser fast unlöslichen Flechtenstoffe in Lösung gebracht werden und mithin dem Thallus ver- loren gehen. Diesem gewiß oft genug sich einstellenden Uebelstande dürfte aber durch die massen- hafte und scheinbar im Ueberschuß vorhandene Anhäufung dieser Schutzstoffe abgeholfen sein. Es haben nämlich die letzteren ihre Schutzfunktion auch dann noch im Interesse des Ganzen zu erfüllen — man denke besonders an die hängenden Strauchflechten — wenn die Hyphen bereits abgestorben sind und eine Neubildung dieser Exkrete ausgeschlossen ist. Während die Unlöslichkeit vieler Flechtenschutzstoffe in reinem Wasser ihre Erhaltung im Interesse des Flechtenthallus sichert, ist andererseits ıhre Löslichkeit in alkalisch reagierenden Flüssig- keiten notwendige Voraussetzung ihrer Wirksamkeit als Schutzmittel gegen Tierfraß. Nur infolge des 1) Vergl. RoscCoE-SCHORLEMMERS Lehrbuch der organischen Chemie, 6. Teil, 1901, S. 735- 47* au2 Die Schutzmittel der Flechten gegen Tierfraß. 372 Umstandes, daß der Saft der Mundhöhle jene Reaktion zeigt, ist ihre Wirkung auf die Geschmacks- organe der die Flechten bedrohenden Tiere möglich; bei neutraler oder saurer Reaktion würde sie ausbleiben. Verhalten der Schutzstoffe gegen Menschen- und Schneckenspeichel. Menschlicher Speichel bringt, wie zu erwarten, die besonders auffällig auf unsere Geschmacks- organe wirkenden Flechtenstoffe sofort in Lösung. Am raschesten wirkt bekanntlich in dieser Beziehung das Soredialpulver von Variolaria amara, welches schon bei bloßer Berührung mit der Zunge eine intensiv bittere Geschmacksempfindung hervorruft. Aber auch bei anderen Flechten, z. B. Imbricaria caperata, I. physodes, Evernia prunastri genügt es, Thallusstücke auf die Zunge zu legen und sie, ohne sie zu verletzen, im Munde hin- und herzuschieben, um bald die Bitterkeit hervortreten zu lassen, die dann allerdings beim Zerkauen der Flechten noch um ein Beträchtliches zunimmt. Durch längeres Liegen in Speichel lassen sich bei manchen Flechten die Bitterstoffe leicht extra- hieren. So fand ich Imbricaria caperata, schon nach zweitägiger Behandlung mit Speichel, dem zur Vermeidung der Fäulnis eine Spur Karbolsäure zugesetzt worden war, frei von Bitterkeit; bei Evernia furfuracea war dieselbe zwar noch vorhanden, aber in bedeutend abgeschwächtem Grade. Derartig mit Speichel extrahierte, nachher ın Wasser ausgewaschene Flechten wurden an omnivore Tiere verfüttert, wobei als Kontrollexemplare Fragmente derselben Arten Verwendung fanden, die gleich- lange in destilliertem Wasser mit einer Spur Karbolsäure gelegen hatten. Mauerasseln fraßen die mit Speichel ausgezogenen Thallusstücke von Cetraria islandica, Evernia furfuracea, E. vulpina, Stieta serobiculata, Xanthoria parietina, Imbri- carıa caperata und ließen die Kontrollexemplare gleichzeitig fast unberührt. Ein im wesentlichen gleiches Ergebnis wurde mit Helix hortensis erzielt, während bei der zuckergierigen Limax agrestis es der Durchtränkung der vorher getrockneten Thallusfragmente mit Möhrensaft bedurfte, um die Tiere zum regen Fressen zu veranlassen. Auch hier wurden, wenn auch in minder hohem Grade als bei den Asseln, die mit Speichel extrahierten Stücke den anderen gegenüber bevorzugt. Aehnliche Ergebnisse zeitigten Versuche mit dem Sekret der Speicheldrüsen der großen Wein- bergschnecke (Helix pomatia). Von diesen großen Tieren konnte ich leicht etwas größere Mengen des Speichels gewinnen, wobei ich mich der Unterstützung von seiten meines Kollegen und Freundes BIEDERMANN zu erfreuen hatte. Von drei Exemplaren wurden, nach vorheriger Entfernung der Schale, die Speicheldrüsen von der Magenoberfläche losgelöst und im Mörser gerieben. In dem mit wenig destilliertem Wasser und etwas Karbolsäure versetzten Brei blieben Thallusstücke von Imbricaria caperata und Evernia prunastri während zwanzig Stunden liegen, um nach gehöriger Auswaschung in Wasser omnivoren Schnecken (Helix hortensis, H. lapicida, Clausilia sp.) vorgelegt zu werden. Die mit Schneckenspeichel ausgezogenen Flechten wurden verzehrt, die gleichzeitig dargebotenen lebenden, vor- her bloß ın Wasser getauchten Stücke blieben verschont oder zeigten doch nur schwache Fraßspuren. Es gelingt also die Flechten den Tieren genießbar zu machen durch Auslaugung der Schutzstoffe mit Schneckenspeichel, worin wir wohl einen Hinweis dafür erblicken dürfen, daß diese Schutzstoffe unter dem züchtenden Einfluß pflanzenfressender Tiere sich entwickelt haben. Löslich in kohlensauren Alkalien mußten sie sein, um auf die Tiere wirken zu können, während sie, in Anpassung an die eigen- EE. 373 Die Schutzmittel der Flechten gegen Tierfraß. a3 artige mit der Lebensweise der Flechte verknüpfte Organisation der Hyphen, in Wasser nicht oder doch nur wenig löslich sein durften. Denn sie sind nicht, wie meist sonst die Schutzstoffe im Pflanzen- reich, im Inneren lebendiger Zellen oder durch cuticularisierte Häute vor Auswaschung geborgen, sondern den für Wasser durchlässigen Hyphenmembranen ein- oder aufgelagert und dem lösenden Einfluß des Regenwassers direkt ausgesetzt. Dieses Ergebnis unserer Untersuchung ist meines Erachtens von nicht geringem theoretischen Interesse, weil es klar und deutlich zeigt, in wie hohem Grade auch der Chemismus der Pflanzen der Anpassung unterliegt. Ungezählte Verbindungen mögen im Laufe der Entwickelung der Pflanzenwelt entstanden und wieder verschwunden sein. Aussicht zu bestehen und als Ausgangspunkte für weitere eigenartig sich fortentwickelnde Reihen zu dienen, hatten besonders jene Verbindungen, welche zufällig ihren Trägern von Vorteil waren durch eine glückliche Kombination von Eigenschaften, wie wir sie bei den Flechtenschutzstoffen verwirklicht finden. Die Umwelt, leblose wie lebendige, ist nicht bloß auf die Gestaltung, sondern auch auf den Chemismus der Pflanzen von tiefgreifendem Einfluß gewesen. Ueberzeugende Belege für die eben ausgesprochene Anschauung ergeben sich aus dem Vergleich der bisher behandelten Lichenen mit den Gallertflechten aus der Ordnung der Collemaceen, bei welchen Flechtensäuren, die den Schutz gegen Tierfraß vermitteln könnten, soweit bekannt, vollständig fehlen. Wenn diese Flechten trotzdem verschont bleiben, so ist dies dadurch bedingt, daß Schnecken wie Asseln nicht im stande sind, weder die Spaltalge Nostoc commune, noch die Flechte Collema granosum zu schädigen. Trotz fortgesetzter Bemühungen gelingt es den Schnecken, auch bei mehrtägiger Versuchsdauer, nur äußerst schwer, die Oberfläche des gequollenen Thallus anzuraspeln, da die Radula, statt anzufassen, wie auch bei anderen Gewächsen mit gallertartiger Beschaffenheit, an der schlüpfrigen Oberfläche abgleitet'. Im trockenen Zustande gepulverte Collemen werden dagegen nach vorheriger Befeuchtung von Schnecken, wie auch von Asseln, rasch verzehrt, ein deutlicher Beweis wenn auch vielleicht nicht für das völlige Fehlen, so doch für das Zurücktreten chemischer Schutzstoffe. In Uebereinstimmung mit dieser Annahme zeigte es sich, daß selbst durch längere Behandlung der Collemen mit Sodalösung das Verhalten der Versuchstiere keine Aenderung erfährt; die ausgelaugten Exemplare werden nicht stärker beschädigt als die dieser Behandlung nicht unterzogenen Vergleichs- objekte. Fragen wir uns, wodurch bei den Collemen das Fehlen von Flechtensäuren bedingt sein möge, so liegt kein Grund zu der Vermutung vor, daß aus rein inneren Ursachen die Bildung derartiger Stoffe gerade bei dieser Flechtenabteilung unterblieben sein sollte, stehen ja doch die Collemapilze in naher systematischer Verwandtschaft zu manchen säurebildenden Flechtenpilzen mit ähnlichem Apo- thecienbau. Entstanden mögen sie auch hier sein; da sie aber keinen Nutzen schaffen konnten und blos überflüssiger Ballast gewesen wären, entbehrten sie des Selektionswertes und boten somit nicht die Bedingungen für ihre Erhaltung und Züchtung. Die eigenartige Organisation der Spaltalge Nostoc, in deren Inneren der Flechtenpilz geborgen ist, machte eben die bei anderen Flechten als chemische Schutzmittel wirksamen Stoffe entbehrlich. Während bei letzteren dem Pilz der Schutz des Konsortiums obliegt, wird diese Aufgabe bei Collema, wenn auch vielleicht nicht ausschließlich, so doch vorwiegend durch die mechanisch geschützte Alge erfüllt. D) STAHL, 1. c. S. 80. Die Schutzmittel der Flechten gegen Tierfraß. 374 [@) SI RB V. Anderweitige Bedeutung der Flechtensäuren. Mit der Abwehr pflanzenfressender Tiere dürfte die Rolle der Flechtensäuren keineswegs erschöpft sein. Allein wenn wir die Frage des Schutzes gegen feindliche Organismen ins Auge fassen, so müssen außer den Tieren als eventuelle Feinde der Flechten in Betracht gezogen werden Bakterien und Pilze, denen hier infolge der Permeabilität der oberflächlichen Hyphen für Flüssigkeiten die Angriffe leichter fallen dürften als gegenüber den cuticularisierten oder verkorkten Außenhäuten der höheren Pflanzen. An ihren natürlichen Standorten wird allerdings bei der Mehrzahl der Flechten durch das häufig sich einstellende Austrocknen des Thallus diese Gefahr eine wesentliche Verringerung erfahren. Frisch eingesammelte Flechten gehen in stetig feuchter Umgebung nach kürzerer oder längerer Frist unter den Angriffen von Bakterien oder Pilzen zu Grunde. Liegen die sorgfältig gereinigten, durchfeuchteten Thallusstücke z. B. von Xanthoria parietina, Imbricaria physodes, Cetraria islandica, Evernia furfuracea, E. prunastri, Ramalina fraxinea auf reinem Filtrier- papier, in mäßig feuchter Luft, auf dem Boden von zugedeckten Krystallisierschalen, welche mit Glas- platten bedeckt sind, so können unter Umständen Wochen verstreichen, ehe sie verschimmeln. Rasch werden sie dagegen getötet, wenn Rindenfragmente oder andere organische Verunreinigungen vorhanden sind, von denen aus die bereits erstarkten Pilzmycelien ihren Angriff machen können. Die von den Mycelien ausgehende starke Säurebildung ist es, welche wohl zunächst die Elemente des Flechten- thallus zum Absterben bringt. Bei größerer Durchnässung stellt sich gewöhnlich nicht Verschimmelung, sondern Zersetzung durch Bakterien mit alkalischer Reaktion ein. Da die Flechtensäuren meist schon bei schwach alkalischer Reaktion in Lösung treten, so können sie die Entwickelung von Bakterien hemmen, falls ihnen, wie dies für die Vulpinsäure von Evernia vulpina durch Koperr (l. c. S. 162) nachgewiesen worden ist, antiseptische Eigenschaften zukommen. Aus einigen vorläufigen Örientierungsversuchen scheint mir hervorzugehen, daß in der Tat auch bei anderen Flechten antiseptische Stoffe die zerstörende Tätigkeit von Bakterien zu hemmen im stande sind, da mit den üblichen Lösungsmitteln der Flechtensäuren, wie Aether, kochendem Alkohol oder mit Sodalösung extrahierte Thallusstüicke von Imbricaria caperata, Evernia prunastri und anderen Flechten viel rascher durch Bakterien zerzetzt werden als die durch trockene Hitze oder durch Salzsäuredämpfe getöteten Vergleichsobjekte, aus deren Membranen die Flechtensäuren also nicht entfernt worden waren. Das Studium der Frage, inwiefern Flechtensäuren ihre Träger vor der Zerstörung durch Bakterien bewahren, muß ich anderen auf diesem Gebiet geschulten Forschern überlassen. Gegen Fadenpilze, die ihr Substrat ansäuern, müssen dagegen die Flechtensäuren wirkungslos sein, da sie ja aus Lösungen durch Zusatz von Säuren ausgefällt werden. Es sind denn auch in der Tat Pilze die gefährlichsten Feinde der Flechten, von denen die große Mehrzahl, abgesehen von anderen Ursachen schon aus diesem Grunde, von stets feuchten Standorten ausgeschlossen ist. Zu ihrem Gedeihen ver- langen sie allerdings eine öfters eintretende Benetzung durch Regen oder Tau; nicht weniger wichtig ist aber das regelmäßig sich einstellende Austrocknen, wodurch sie wohl hauptsächlich vor der Tötung durch Pilze bewahrt werden. Die üppigste Flechtenvegetation findet sich denn auch an solchen Standorten, wo allnächtlich starker Tauniederschlag eintritt und während des Tages die in den Morgen- stunden triefenden Flechten, wie ihr Substrat, dank der Besonnung oder der stärkeren Luftbewegung, 37 Die Schutzmittel der Flechten gegen Tierfraß. 375 na zum Austrocknen gelangen. An Orten, wo Stagnation der Luft letzteres verhindert oder wie in der Nähe von Wasserfällen durch stetes Besprühen der Thallus fast dauernd durchfeuchtet bleibt, kommt es niemals zu massenhaften Flechtenansiedelungen von Usneen, Ramalinen, Parmelien, Clado- nien u. Ss. w, auch wenn die Beleuchtungsbedingungen die denkbar günstigsten wären. Gewisse Arten, ich nenne hier nur Peltigera canına, Peltidea aphtosa, vermögen auch hier zu gedeihen, wie es denn auch völlig submerse Lichenen gibt, deren von der Regel abweichendes Verhalten in dieser Hinsicht eingehenderes Studium verdient. Von den zahlreichen Strauch- und Laubflechten, die ich in einem möglichst feucht gehaltenen Hymenophyllaceen-Haus zu kultivieren versucht habe, gingen alle mit Ausnahme der üppig gedeihenden Peltidea aphtosa, Peltigera canına, P. polydactyla bald an Verschimmelung zu Grunde. 376 Mile III. ING Die Schutzmittel der Flechten gegen Tierfraß. Inhaltsübersicht. Einleitung Vermutungen von BACHMANN über die Bedeutung der Flechtenstoffe. — Annahmen und Versuche von ZUKAL. — Gegenteilige Ansicht und Versuche von ZOPF. — Eigene frühere Untersuchungen mit Schnecken-Omnivoren und Spezialisten; Verhalten speziali- sierter Schmetterlingsraupen. — Beobachtungen von Lagerheim an Raupen. Versuche mit Spezialisten Verhalten flechtenfressender Raupen gegenüber frischen und ausgelaugten Flechten. — Versuche mit Milben. Verhalten omnivorer Tiere gegenüber Flechten Allgemeines; Kritik der ZoPFschen Versuche mit Poduriden und Milben und seiner Folgerungen. — Eigene Versuche mit omnivoren Schnecken: Bedeutung des Kalk- oxalates, wasser- und sodalöslicher Stoffe. — Versuche mit anderen Omnivoren: Oniscus und Forficula. Natur und Eigenschaften der Flechtenschutzstoffe Die vermutlichen Schutzstoffe. — Die Löslichkeitsverhältnisse der Schutzstoffe in biologischer Beleuchtung, — Verhalten gegen Menschen- und Schneckenspeichel. — Mechanischer Schutz bei der Gallertflechte Collema. Anderweitige Bedeutung der Flechtensäuren. 376 Seite 357—360 360—362 362—367 307373 374—375 Tatsächliches aus der Entwickelung des Extremitätenskelettes bei den niedersten Formen. Zugleich ein Beitrag zur Entwiekelungsgeschichte des Skelettes der Pinnae und der Visceralbögen. Hermann Braus, a. o. Professor und Prosektor in Heidelberg. Mit Tafel XIII—-XIV und 13 Figuren im Text. Jenaische Denkschriften. XI. 48 Festschrift Ernst Haeckel. _ > ” “ “ E | ’ a ü “ S > 5 J u | \ j i IE inleiume, Meine Absicht ist es, ein Kapitel aus der Embryologie der paarigen Gliedmaßen niederster Fische zu schildern und dabei an frühere Veröffentlichungen von mir anzuknüpfen, welche sich mit der Entwickelung der Muskulatur und Nerven eines Selachiers (Spinax niger) beschäftigten. Meine damaligen Studien streiften mehr gelegentlich und durch die Zusammenhänge meines Themas mit der Entwickelung des Skelettes bedingt die Ontogenie des letzteren. Es war mir in diesen Exkursen die schnelle Konzi- pierung mikroskopischer Bilder und ihre sichere Beherrschung und Verarbeitung vorbildlich, welche ich als junger Student in Ihren Erläuterungen uns Schülern gegenüber so sehr bewunderte. Selbst- verständlich war dies meinerseits nur ein bescheidener Versuch, und eine genaue Nachprüfung dieser Angaben war von vornherein ins Auge gefaßt. Inzwischen ist- ein Teil des Materials unter meiner Leitung weiter ausgearbeitet worden'), und heute habe ich selbst die oft geprüfte Frage zu erörtern, ob ich damals zuverlässig untersucht und richtig beobachtet habe. Die nackten Tatsachen der Ent- _ wickelung des Extremitätenskelettes sollen in erster Linie Gegenstand dieser Abhandlung sein. Ich würde es nicht wagen, eine anscheinend so dürre Materie einem Festband wie diesem einzu- verleiben, wenn nicht diese Tatsachen selbst eine so beredte Sprache führten. Der größte Vorzug der embryologischen Methode für stammesgeschichtliche Probleme tritt in ihnen, wie ich glaube, klar zu Tage. Denn sie zeigen Vieles, was durch die Vergleichung bisher erschlossen war, leibhaftig als Ausgangspunkt eines Werdeprozesses. Solche Realitäten im Sinne des biogenetischen Grundgesetzes mußten mir eine Mitteilung gerade an dieser Stätte nahe legen. Die Beziehungen zu den verschiedenen Extremitätenproblemen liegen also bei meinem Thema auf der Hand. Es wird nur kürzerer Zusätze bedürfen, um dieselben jedem einleuchtend zu machen’). Um so mehr ist es geboten, daß der Leser sich auf die gebotene tatsächliche Schilderung ver- lassen kann. Meine früheren Ausführungen gipfelten in dem Resultat, daß die vergleichend-ontogenetischen Tatsachen in keiner Weise den vergleichend-morphologischen Befunden, welche zur Aufstellung der Archipterygiumtheorie führten, widerstreben, wie vielfach angenommen wird. Die Gegensätze zwischen den Resultaten beider Methoden in dieser Frage erwiesen sich als künstlich, sobald nur die Unter- suchung über den engen Kreis begrenzten Materiales hinaus greift. Es ist mir darauf wörtlich ent- gegnet worden, daß diese Tendenz eine durchaus verkehrte sei, sie schlage den Tatsachen direkt ins 1) ErRNT Rue, Die Entwickelungsgeschichte des Skelettes der vorderen Extremität von Spinax niger. (Aus dem vergl.-anat. Institut der Universität Würzburg.) Morph. Jahrb., Bd. XXX, S. 1—27, ı Taf., Leipzig 1902. 2) Siehe auch S. 380, Anm. 2. 48” Tatsächliches aus der Entwickelung des Extremitätenskelettes bei den niedersten Formen. 38 o 380 Gesicht. Derselbe Autor, Carı Rapgı, fährt fort: „Es handelt sich hier nicht etwa um mehr oder weniger sichere Deutungen, sondern um leicht zu konstatierende, vollkommen sicher stehende Tatsachen. Jeder der imstande ist, vorurteilslos ein Präparat einer Flossenanlage eines Selachiers zu betrachten, wird nicht einen Augenblick darüber im Zweifel bleiben können, daß Muskeln, Skelett und Nerven der Flossen . metamerische Bildungen sind und er wird sich daher auch ein Urteil darüber bilden können, welcher Wert solchen Behauptungen zukommt wie derjenigen von Braus, welche lautet: Der wahre Sachverhalt zeugt gerade entgegengesetzt der Meinung Raprs für eine ursprüngliche Diskrepanz zwischen Muskel- und Skelettteilen, welche erst allmählich und successive einer annähernden oder völligen Konkordanz beider Platz macht“ Eine summarische Verurteilung meines Arbeitens, wie sie sich in dieser Exempli- fizierung auf meinen Namen zu Beginn einer viel beachteten Streitschrift') dokumentiert, mußte mich natürlich veranlassen, die Resultate meiner Revision früherer Beobachtungen und Angaben auch öffentlich bekannt zu geben. „Wie bei jedem Gebäude das Unterste am stärksten sein muß, so müssen auch bei unseren Unternehmungen die Grundlagen wahrheitsgemäß und gerecht sein.“ Dieses Wort des antiken Redners muß die Richtschnur eines jeden Forschers sein. Irrtümliches zurückzunehmen, Richtiges aufrecht zu erhalten, sind die beiden Seiten wahrhaftiger Gesinnung, welche allein den Kurs wissenschaftlicher Forschung und den Charakter des Forschers selbst bestimmt. Die unrichtigen Tatsachen, welche mir zugerechnet werden, stehen zur Diskussion. So mögen die Tatsachen reden. Und da ich nur ein Beispiel für eine ganze Richtung sein soll, so mögen sie hier reden, wo unter den Mitarbeitern mehrere vereinigt sind, welche dieser angehören. Das Extremitätenproblem ist seit Jahrzehnten aktuell geblieben und unterliegt zur Zeit leiden- schaftlichster Erörterung. Die Wahrheit wird unter alle dem, was vergänglich und zerstörbar ist, manchmal um so früher zu Tage liegen, je heisser um dieselbe gestritten wird. Da ich es in erster Linie mit den Tatsachen selbst, nicht mit Problemen zu tun habe), können meine Schilderungen um so nüchterner und frei von aller persönlichen Schärfe bleiben. Es liegt mir nichts ferner als zum Beitrag an diesem Festband eine Streitschrift zu schreiben. Il. Material. Der vergleichenden Morphologie steht aus rein äußeren Gründen ein sehr verschiedenartiges Material zu Gebote, je nach der Bevorzugung makroskopischer oder mikroskopischer Technik. Die erstere, welche namentlich bei der Vergleichung ausgebildeter Formen in Anwendung kommt, hat von jeher eine große Formenfülle von Organismen relativ leicht zur Verfügung gehabt, da der Sammel- eifer und die Schaustellung oder sonstige Benutzung vieler Tiere und ihrer Produkte durch den Menschen solches Material in den Bereich der wissenschaftlichen Zentren ohnehin führten. Die embryologische, vom Mikroskop beherrschte Technik hat dagegen mit der großen Schwierigkeit ı) C. Ragr, Gedanken und Studien über den Ursprung der Extremitäten. Zeitschr. f. wiss. Zool, Bd. LXX, S. 474—558, 2 Taf., Leipzig 1901. 2) Ausdrücklich möchte ich bemerken, daß ich wegen der eng gesteckten Grenzen dieser Arbeit auf die Literatur nur dann eingehe, wenn es des Zusammenhanges wegen notwendig ist. Im übrigen verweise ich wegen derselben auf meinen Beitrag zu Herrwıcs Handbuch der vergl. u. exp. Entwickelungslehre (Kapitel Extremitäten) und auf meine früheren Arbeiten. Besonders ausführlich ist die Literaturangabe bei M. FÜRBRINGER, Morphologische Streitfragen. Morph. Jahrb., Bd. XXX, Leipzig 1902. 38 I Tatsächliches aus der Entwickelung des Extremitätenskelettes bei den niedersten Formen. 38 I zu kämpfen, ‘daß das Material einmal in einem ganz besonderen Konservierungszustand sich befinden muß, um überhaupt benutzbar zu sein (eine Grenze, welche bei ausgebildeten Formen allerdings auch vorhanden ist, aber doch für viele Zwecke weit niedriger liegen kann als bei den Em- bryonalformen). Vor allem aber muß das Material direkt für den Zweck und weit unabhängiger von unterstützenden Faktoren erwerbsmäßiger Jagd, Fischerei oder merkantiler Beziehungen gewonnen werden. Dadurch ist es verständlich, daß bei allen embryologischen Untersuchungen zunächst leicht und in beliebiger Zahl züchtbare Tiere verwendet wurden und eine vergleichende Embryologie wenig Nahrung hatte Erst mit der Gründung der so segens- und gewinnreichen wissenschaftlichen Stationen, welche namentlich für Meerestiere, diesen besonders wichtigen, aber auch besonders schwierigen Objekten ontogenetischen Forschens, Sammelstätten ersten Ranges schufen, und mit der Zunahme wissenschaftlicher Reisen der Embryologen zum Zweck der Beschaffung neuen Materials konnte eine Aenderung eintreten. Ich erwähne diese, jedem Morphologen bekannten Verhältnisse deshalb hier, weil uns in dem Kapitel von der Entwickelung der Extremitäten bei den Selachiern ein schlagendes Beispiel für die Konsequenzen derselben vorliegt. Die grundlegenden Beobachtungen von Barrour bis auf die neuere Zeit sind an einem Material angestellt worden, welches an den Küsten jederzeit leicht zu haben ist, sich aber bei der Natur dieser Fische auf wenige, dem seichten Wasser angepaßte, hoch stehende Formen beschränkt (von Squaliden besonders Formen der Scylliiden wie Scyllium und Pristiurus und ein Carcharüde: Mustelus; außerdem Rochen wie Torpedo). Gegenüber der Fülle verschiedenster Formen von Glied- massen hei ausgebildeten Selachiern, welche den mannigfach wechselnden Beanspruchungen eines der wichtigsten Organe für diese auf Steuerbarkeit, Aequilibrierung und Schnelligkeit des Körpers an- gewiesenen Schwimmer ersten Ranges aufs Feinste angepaßt sein müssen, stand also dem Embryologen ein ganz minimales Arbeitsmaterial zu Gebote, im Vergleich zu der rivalisierenden Forschungsrichtung. Es ist zu erwarten, daß das Verhältnis, in welchem die Ergebnisse beider Richtungen zu ein- ander stehen, dadurch geändert werden muß, daß die materielle Untersuchungsbasis der Extremitäten- ontogenie wesentlich verbreitert würde. Es war deshalb mein Bemühen darauf gerichtet, andere Embryonalformen aus der Familie der Selachier als die bisher untersuchten und vor allem solche Species, welche ich für niedere halte, zum Objekt meiner Studien zu machen. Je mehr ich in die Materie eindrang, um so mehr befestigte sich in mir die Ueberzeugung, daß die Selachierextremität nicht die reine Ausgangsform für die Bildung der Gliedmaßen höherer Tiere sein könne, daß sie aber der letzteren wohl nahe stehen müsse. Diese Ansicht führt zu der Erwartung, daß der Urform tetrapoder Gliedmaßen zunächst stehende Zustände der Gliedmaßen nur bei Embryonen ganz primitiver Selachier zu finden seien, während höher und damit einseitiger nach dem spezifischen Haitypus zu entwickelte Formen auch in ihrer Ontogenie bereits die Anklänge an jene Urform verloren haben oder doch nur verwischt und vorübergehend an sich tragen können. Naturgemäß ist es die Hauptaufgabe des Genealogen, denjenigen Typus des Wirbel- tierbauplanes aufzudecken, von welchem die höchsten Wirbeltierformen, insbesondere unsere eigene Organisation ihren Ausgang nahm. Das versprechen also für unser Spezialgebiet nur die Embryonal- formen niederster Selachier. "Wo dieselben zu suchen seien, ist den vergleichenden Morphologen seit GEGENBAURS epoche- machenden Untersuchungen aus den Jahren 1864—72 bekannt. Seiner Ansicht, daß es die pentatremen Formen nicht sein können, ist auf einem dieser Arbeit verwandten Gebiet neuerdings eine besonders Tatsächliches aus der Entwickelung des Extremitätenskelettes bei den niedersten Formen. 382 382 eklatante Bestätigung in der Entwickelung des Visceralskelettes von Amphibien erstanden. DRÜNER!) hat gefunden, daß außer den bisher bekannten vier Kiemenbögen bei Urodelen noch embryonale Reste einer 5. Kiementasche und des zugehörigen Nerven vorhanden sind. Die allgemein acceptierte Ableitung der Cartilago lateralis beim Kehlkopf der Amphibien von einem Visceralbogen kann also nicht mehr, wie man früher annahm, auf einen pentatremen Kiemenkorb bezogen werden. Es kann vielmehr nur noch „ein 6. oder ein noch weiter kaudal gelegener Kiemenbogen in Frage kommen. Damit stehen die wichtigen Befunde R. WIEDERSHEIMS am Dipnoerkehlkopf im besten Einklang“. Wir haben infolgedessen unser besonderes Augenmerk den hexa- und heptatremen Formen der Selachier und besonders deren Embryonen zuzuwenden und von den pentatremen solche zu bevorzugen, welche sich als nächste Verwandte zu diesen erweisen lassen. Die meisten hier in Betracht kommenden Formen leben in großen Tiefen. Ihre Erlangung ist mit Schwierigkeiten verbunden; um so mehr also die Beschaffung eines ausreichenden embryologischen Materials. Ich habe es in erster Linie der großen Munificenz der königlichen Akademie der Wissen- schaften zu Berlin zu verdanken, daß sie mich mit reichlichen Mitteln ausstattete, um meine Pläne in größerem Umfang als mir vorher möglich gewesen war, am Mittelmeer ausführen zu können. Meine Sammlungen sind zwar noch unvollständig und werden ergänzt werden, bevor ich zu einer umfassenden Verarbeitung gelangen kann. Doch habe ich zu der vorliegenden Untersuchung bereits mehrere neu gesammelte und besonders sorgfältig konservierte Stadien von Embryonen des wichtigen Spinax niger’) benutzen können. Ferner standen mir dabei einige Stadien von Heptanchus cinereus und des vielleicht wichtigsten Spinaciden: Centrophorus (C. granulosus) zu Gebote. So ungern ich auf die Untersuchung der übrigen gesammelten Embryonen für die vorliegende Publikation verzichtete, so war doch leider meine Zeit zu knapp bemessen, um dies zu vermeiden. Ich möchte andererseits vermuten, daß die Auswahl, welche ich traf, unter meinem Material die für unser Thema wichtigsten Formen enthält. Ill. Das erste Auftreten des Extremitätenskelettes in der Entwickelung. E. Ruck (l. c. S. 5) hat bereits von dem frühesten Auftreten der Skelettanlage bei der Brust- flosse von Spinax niger berichtet und angegeben, daß sich eine Mesodermverdichtung „etwas unterhalb und vor der Insertionsstelle des Flossenlappens“ als erste Skelettanlage bildet. Dieselbe wird ihrer Lage nach als Anlage des Schultergürtels bezeichnet und also behauptet, daß bei Spinax der Schultergürtel früher auftrete als das Skelett der freien Gliedmaße (Basipterygium). Diese Darstellung betrifft einen der zweifelhaftesten Punkte in der Entwickelung des Gliedmaßen- skelettes. Anstatt einer Aufzählung der embryologischen Literatur?) führe ich zum Beweise zwei Urteile über dieselbe an. GEGENBAUR (1895)‘) resümierte die Ergebnisse der embryologischen Publikationen folgendermaßen: „Das Flossenskelett geht von einer einzigen Stelle aus, jener, welche die Verbindung 1) L. DRÜNER, Studien zur Anatomie der Urodelen, I. Teil, Zool. Jahrb., Bd. XV, 1901. — Derselbe, Ueber die Mukulatur des Visceralskelettes der Urodelen. Anat. Anz., Bd. XXIII, Jena 1903. 2) Es scheint dies für das Mittelmeer ein Novum zu sein. Vergl. A. DoHrn, Mitt. Zool. Stat. Neapel, Bd. XV, I9OI, S. 4. 3) Vergl. darüber bei E. RuGE und das Kapitel: Extremitäten im Handbuch der vergl. u. exp. Entwickelungslehre von O. HERTWIC. 4) C. GEGENBAUR, Das Flossenskelett der Crossopterygier und’das Archipterygium der Fische. Morphol. Jahrb., Bd. XXI, S. 119-160, Leipzig 1895. 3 8 3 Tatsächliches aus der Entwickelung des Extremitätenskelettes bei den niedersten Formen. 383 mit dem Schultergürtel bezeichnet.“ C. Rasır (1901, 1. c. S. 536) bezeichnet auf Grund derselben Literatur (d. h. zum Teil seiner eigenen Untersuchungen) das Resume GEGENBAURS als unrichtig und sagt: „In dem jüngsten Stadium der Entwickelung des Flossenskelettes, das bisher beobachtet wurde, erstreckte sich die Anlage des Basipterygiums über die ganze Flossenbasis, beschränkte sich also nicht auf jene Stelle, an der sich die Flosse mit dem Schultergürtel verbindet.“ Ohne mich auf die textkritische Seite dieser Kontroverse einlassen zu wollen, kann ich doch an dem sachlichen Widerspruch der beiden Urteile nicht vorbei und versuche deshalb zu der Darstellung E. Ruses, welche später als jene publiziert wurde, einen möglichst klaren bildlichen Beleg zu geben, da ein solcher seiner Arbeit fehlt. Ich besitze unter meinen neuen Spinaxserien (welche E. Ruse nicht kannte) einen Embryo (Sagittalserie), dessen viscerales und pectorales Gebiet ich nach der KasıscHenkoschen - graphischen Methode rekonstruierte und in Fig. ı, Taf. XIII abbildee Der Embryo ist 20,5 mm lang. Aus dem Spritzloch ragen zwei etwas längere Kiemenfäden heraus; außerdem sind zwei kurze Stummelchen sichtbar. Die Kiemenfäden der drei ersten Kiementaschen sind so lang, daß sie jeweils bis zum Vorderrand der übernächsten Tasche reichen. Diejenigen der vorletzten Tasche sind kürzer und diejenigen der letzten nur kleine, kaum sichtbare Stummelchen (2 Stück). Das Gewebe der in der Abbildung wiedergegebenen Skelettanlagen besteht aus dicht zusammen- liegenden Mesodermzellen. Die Abgrenzung gegen das umliegende Mesoderm ist bei stärkeren Ver- größerungen wenig scharf, tritt aber bei schwachen Systemen deutlich hervor, so daß die Rekonstruktion wohl eine etwas, aber nicht wesentlich schematisierte Schärfe der Konturlinien gegenüber dem Ob- jekt selbst besitzt. Absolut genau tritt die Topographie der Teile untereinander und zum äußersten Kontur der Mund- und Rachenhöhle sowie der Basis der Extremitätenleiste £. Z. (Brustflosse) zu Tage. Dieser Befund bestätigt die Darstellung von E. RucEe. Von einem Basıpterygium oder irgend einer anderen Spur von Skelettanlagen in der freien Gliedmaße ist bei dem fraglichen Embryo gar nichts zu sehen, was um so deutlicher wird, wenn ich vorgreifend auf Fig. 2 derselben Tafel verweise, in welcher die früheste Anlage des Basale (Das) in den Extremitätenlappen einzutreten beginnt. Neu ist in der Rekonstruktion Fig. ı die allgemeine Form dieses Frühstadiums des Brustgürtels. Es handelt sich um eine stark gebogene Spange, welche isoliert — und zwar je eine für sich auf jeder Körper- seite des Embryos — hinter den Visceralbögen liegt. Es sei ferner hervorgehoben, daß der Schulter- bogen weiter ventral liegt, als dies bei den Visceralbögen der Fall ist (er ist natürlich auch oberfläch- licher situiert, unmittelbar unter der Haut, gegenüber den letzteren; denn diese liegen dem Lumen des Verdauungstraktes zunächst) und daß er nur mit seiner dorsalen Spitze die Basis der Extremitätenleiste medial berührt. Die beiden Anschauungen, welche in der historischen Morphologie über das phyletische Ent- stehen des Schultergürtels aufgestellt wurden, gehen bekanntlich von den denkbar größten Extremen aus. GEGENBAURS Visceralbogenhypothese nimmt den Schultergürtel für das Primäre, aus welchem sich durch Sprossung und fortschreitende Gliederung erst das Skelett der freien Gliedmaße in der kom- pliziertten Zusammensetzung aus Radien und Radienderivaten entwickelt habe, wie sie bei den jetzt lebenden Haien und Rochen zu beobachten ist. THAcHER und Mivarr gingen in ihren bekannten Schemata hingegen von zahlreichen freien Radien in der Flosse als Erstlingsgebilden aus, leiteten von den basalen Enden dieser durch Kon- krescenz die Basalia und als letztes Glied der ganzen Entwickelung von den Basalia (durch axipetales Wachstum derselben in den Rumpf hinein) die Gürtelanlage ab. Tatsächliches aus der Entwickelung des Extremitätenskelettes bei den niedersten Formen. 5 38 4 384 Die Entwickelungsgeschichte des Brustgürtels von Spinax niger stimmt, wenn man sie neben diese beiden Hypothesen stellt, in keinem Punkt mit der letzteren, dagegen in allen mit der ersteren Daß sich der Beckengürtel, von welchem 'THACHER und Mıvarr (sowie alle ihre Anhänger in diesem Punkt) ausgingen, hierin nicht anders verhält, soll ım nächsten Kapitel nachgewiesen werden. In einem wesentlichen Punkt ist das Material, welches die Entwickelungsgeschichte hier den bisherigen vergleichend-anatomischen Argumenten der Visceralbogenhypothese hinzugesellt, allen anderen voran. Die primäre Natur des Bogens wurde früher daraus erschlossen, daß bei allen Pterygiophoren das periphere Gliedmaßenskelett außerordentlich wechselt je nach Gattung und Art, daß im Verhältnis dazu der Bogen eine große Gleichmäßigkeit seines Aussehens besitzt und daran als das allen gemeinsame Frbteil entfernter Vorfahren erkannt wird. Hier in Fig. ı steht der Bogen jedoch nicht mehr für genealogische Ueberlegungen in idealer Konkurrenz mit dem peripheren Skelett: denn er ist ja das einzig vorhandene Element in der ganzen Extremität. Das Frühstadium der Skelettanlage von Spinax niger ist also realiter eine Form des Extremitäten- skelettes, welche bisher nur erschlossen, nicht geschaut war. b In der Entwickelungsgeschichte anderer Selachier, aus welcher MorLIErR (1893)') die zuverlässigsten Angaben über den Schultergürtel bekannt macht, ist allerdings ein solches Studium bisher nicht beob- ‚achtet worden. Es ist jedoch der Unter- schied zu den Befunden bei Spinax kein prinzipieller, wie bereits M. Für- Fig. 1a u. b. Zwei Stadien aus der Entwickelung des Brustflossenskelettes von Torpedo. (Nach MOoLLIER, 1893, 1. c. Daf. DIR, Big. 13, u. Tat nV, Rio 16) Fig. 1a geben die schwarzen Linien die Nerven (») der Flosse an. G Gefäße, 7 Foramen für die Extremitäten- nerven, X Radien, 22 Basale metapterygi, »2s B. meso- pterygii, #r B. propterygii. Die vordere, von Nerven per- forierte Partie der Skelettanlage ist in Fig. Ia über die Ebene des Papiers hinaus dorsalwärts bis zur Chordahöhe, ventral bis fast zur Berührung mit dem Flossenskelett-der anderen Seite fortgesetzt zu denken. BRINGER (1902, |. c.) aus den Abbildungen von MoLLIErR nachwies. Es ist nämlich auch bei Mustelus- und Torpedoembryonen im frühesten bekannten Stadium der Skelettanlage der Schultergürtel vorhanden, wie aus der Beobachtung hervorgeht, daß Nerven in dem Skelettzentrum enthalten sind (Textfig. ra). Diese Stelle, die späteren Foramina zum Durchtritt der vorderen Extremitätennerven, sind aber bei Selachiern stets nur ım Gürtel vorhanden und für diesen charakteristisch. Ferner ıst eine relative Differenz zwischen der Größe des peripheren Gliedmaßenskelettes und dem definitiven Stadium in dieser Phase insofern zu konstatieren, als nur die dem Basale metapterygii Entwickelung gebende Anlage vorhanden ist (Textfig. 1a), alle übrigen Teile der freien Flosse, wie vor allem das mächtige Basale propterygii und auch das Basale mesopterygii noch fehlen. Diese wurden erst in späteren Stadien beobachtet (Textfig. ıb, ms, pr). ı) S. MoLLIER, Die paarigen Extremitäten der Wirbeltiere. I. Das Ichthyopterygium. Anat. Hefte, Bd. VIII, Wiesbaden 1893. 3 85 Tatsächliches aus der Entwickelung des Extremitätenskelettes bei den niedersten Formen. 28 5 E &) Wurde also bei Spinax festgestellt, daß anfangs die Anlage des Schultergürtels isoliert besteht und daß successive aus dieser das freie Flossenskelett erst hervorwächst, so ist bei diesen höheren Formen wenigstens beobachtet, daß aus einem kürzeren Anhang der Schultergürtelanlage allmählich ein größerer wird, also daß dieselbe Art des Verlaufes, wenn auch vielleicht nicht derselbe indifferente Ausgangspunkt der Succession am Skelett der freien Flosse zu sehen ist. Bei Ganoiden und Teleostiern ist wahrscheinlich durch die gewaltige Anhäufung von Dottermaterial innerhalb der Bauchwandung eine weitere Verspätung hervorgerufen, indem dort der Schultergürtel erst auswächst, wenn durch Resorption des Dottermaterials eine den späteren Zuständen adäquate Anlageform der Bauchwand erzielt ist. Anfänglich ist die letztere so stark gebläht, daß der Gürtel eine ganz andere Lage, Länge und Form erhalten müßte, als seinem ganzen Entwickelungsgange entspricht, falls er in solchen Stadien bereits ein festeres Gefüge erhieltee Er wartet also den Schwund des cänogenetischen Materials, des Dotters, ab, um dann in schnellstem Tempo (Teleostierembryonen) in der Bauchwand auszuwachsen. Auch bei Tetrapoden müssen ähnliche Verhältnisse maßgebend sein. Auch hier ist selbst in den jüngsten Skelettanlagen der Extremität bereits das Material für den Gliedmaßengürtel vorhanden (was den literarischen Quellen zufolge zweifelhaft erscheinen könnte). Ich habe dies durch Transplantations- versuche nachgewiesen‘), bei welchen ein im jüngsten Stadium der Differenzierung an die Schwanz- wurzel verpflanztes Stummelchen einer Vordergliedmaße bei Bombinator außer dem Skelett der freien Extremität (Humerus u. s. w.) einen Gürtel entwickelte. Dieser liegt bei den operierten Tieren hinter dem normalen Beckengürtel. Es genügt hier gezeigt zu haben, daß sich die Erscheinungen bei niederen Selachiern im Früh- stadium des Pektoralflossenskelettes zwar nicht genau in derselben, aber doch nicht in prinzipiell ver- schiedener Art bei den höheren Tierformen wiederholen. Auf die topographischen Beziehungen der Frühanlage von Spinax zu der Extremitätenleiste und zum Visceralskelett komme ich noch zurück. IV. Progressive und regressive Formentwickelung beider Extremitätengürtel. Bei Spinax niger folgt unmittelbar auf das im vorigen Abschnitt geschilderte Anfangsstadium ein weiteres, bei welchem das Zonoskelett bereits viel höher dorsalwärts hinaufgewachsen ist, als dies vorher der Fall war. Auch hiervon hat E. Ruck I. c. bereits eine zutreffende Schilderung gegeben. Er hat dieselbe durch eine Abbildung des Schultergürtels im Längsschnitt belegt (l. c. Taf. I, Fig. 1). Um eine vollkommenere Vorstellung über die Topographie der Teile in diesem Stadium zu erhalten, habe ich nach einer meiner neuen Serien (Sagittalserie) eine Rekonstruktion (nach KasıscHEnko) an- gefertigt und reproduziere dieselbe in Taf. XIII, Fig. 2. Der betreffende Embryo ist zwar größer, aber äußerlich kaum verschieden von dem, nach welchem die Rekonstruktion Fig. ı gewonnen ist. Im Kiemenbereiche sind die Fäden sogar etwas kürzer als bei dem anderen Embryo. Sie reichen sämtlich nicht über den vorderen Rand der nächstfolgenden Kiemenspalte hinaus. Ihre Zahl ist jedoch nicht von derjenigen bei dem ersten Embryo verschieden, speziell auch die Entwickelung der Kiemenfäden bei der 5. Tasche dieselbe wie dort. Anders verhält sich jedoch schon bei äußerer Betrachtung die vordere Extremität. Der Flossenlappen ist ein wenig größer und am kaudalen Ende etwas stärker ı) H. Braus, Versuch einer experimentellen Morphologie Münch. mediz. Wochenschr., No. 47, 1903. Jenaische Denkschriften. XI. 49 Festschrift Ernst Haeckel. _ 2 Tatsächliches aus der Entwickelung des Extremitätenskelettes bei den niedersten Formen. 86 386 & gegen die Basis am Rumpf abgesetzt. Vor allem aber fällt am Vorderrand der freien Flosse eine Erhebung auf, welche vom Bauch nach dem Rücken zu etwas schräg cranio-kaudalwärts verläuft. Diese Prominenz entspricht der Anlage des Schultergürtels und hat genau dessen Tage und Form (Taf. XII, Big. 2))). Histologisch ist das Skelettgewebe in diesem Stadium auf der prochondralen Stufe angelangt. An der Schädel- und Vertebralanlage ist in der Nähe der Chorda ein wenig hyaline Grundsubstanz bereits erkennbar. Da die Verknorpelung auch bei den Extremitäten und Visceralbogen unmittelbar bevor- steht, habe ich, um den Unterschied gegenüber dem histologisch viel indiffernteren Stadium der Fig. ı zu markieren, einen blauen Ueberdruck für die Skelettelemente in Fig. 2 anwenden lassen. Die Form des Schultergürtels hat sich beträchtich gegenüber dem jüngeren Stadium desselben (Fig. ı) geändert. Das Zonoskelett ist medial von der Basis des Fxtremitätenlappens bis zur Höhe der Chorda in die Höhe gewachsen und hat dadurch erst die schräge Stellung und Lage erhalten, welche für ausgewachsene Haie charakteristisch ist (Fig. 2). Wie sehr dieselbe noch in späteren Stadien zunimmt, zeigt das Bild eines Heptanchusembryos von 107 mm Länge (bei Spinax sind die Verhältnisse essentiell dieselben); bei diesem ist volle Verknorpelung aller hier in Betracht stehenden Skelettelemente eingetreten (Fig. 13 S. 428). Der skapulare Teil ragt über die Seitenlinie des Körpers hinaus in die dorsale Rumpfregion hinauf und endigt hier mit leichter Krümmung. Die schräge Stellung des Schultergürtels ist noch viel auffälliger als in den jüngeren Stadien von Spinax. Man achte jedoch auf die ventrale Partie, das sogenannte Coracoid. Die Krümmung, welche dasselbe bei Spinax in Fig. ı besitzt, namentlich die kranialwärts vorragende Ventralspitze / ist im älteren Stadium (Fig. 2) nicht mehr so ausgeprägt und bei noch älteren Exemplaren nicht vorhanden. Beim Heptanchusembryo dagegen ist dieselbe wohl erhalten. Allerdings ist ein großer Teil des Coracoides in der Fig. ı3 von der Bauchmuskulatur bedeckt. Aber die Inscriptio tendinea (7. £.), welche die letztere von der Halsmuskulatur (Mm. coraco-mandibularis, c.-hyoideus und c.-branchialis) scheidet, ist am Schultergürtel angeheftet und läßt seine Lage erkennen. Zudem liegt die ventrale Partie in der Medianlinie wieder frei vor (Co). Heptanchus bewahrt hier eine frühe Embryonalform des Schultergürtels von Spinax noch in älteren Entwickelungsstadien. Die Coracoide der beiden Körperhälften nähern sich in etwas älteren Stadien als dem der Fig. 2 zu Grunde liegenden bis zur Berührung in der Medianlinie und verschmelzen dann zunächst vorknorpelig, später auch knorpelig miteinander. Bei dem Heptanchusembryo der Fig. 13 ist die Konkrescenz eine komplete (ebenso in entsprechenden Stadien von Spinax). Bei anderen Selachiern [Scyllium, Mustelus, Torpedo nach Barrour’) und MorLıEr |. c.] wurde das Stadium der freien Schultergürtelanlagen nur im vorknorpeligen, dagegen nicht mehr im knorpeligen Zustand angetroffen. Die Chondrifikation in der Medianlinie scheint dort von vornherein einheitlich zu sein. Das spätere Stadium von Spinax (vergl. auch Beckenflosse weiter unten) ist also bereits in dem jüngsten beobachteten Verknorpelungszustand dieser Tiere vorhanden. Dies ist eine Abkürzung der Entwickelung unter Ausfall der jüngeren Stufen, ein Vorgang, welcher für höhere Formen gegenüber primitiven charakteristisch ist und uns bei diesen auch sonst höher spezialisierten Selachiern nicht wunder nehmen kann. I) Ich besitze von diesen Embryonen (wie überhaupt zu meinen neueren. Serien) mit Zeißschen Planaren an- gefertigte Oberflächenphotographieen. 2) F. M. BAarEouR, On the development of the skelton of the paired fins of Elasmobranchii etc. Proc. Zool. Soc. London, 1881 (Mem. Edit. Vol. I, p. 714-734). 387 Tatsächliches aus der Entwickelung des Extremitätenskelettes bei den niedersten Formen. 387 Ueber den Auswuchs des Zonoskelettes, welcher in Fig. 2, Taf. XII, an der Basis der Flossen- platte sichtbar wird (Das) und späterhin in dieser zum Skelett der freien Gliedmaße aussproßt, werde ich im nächsten Abschnitt berichten. Ich wende mich jetzt zur Entwickelung des Beckens. Die jüngsten Stadien der Entwickelung des Beckens bei Spinax niger bedürfen keiner be- sonderen Beschreibung. Sie verlaufen geradeso wie bei der Brustflosse. Es ist besonders hervor- zuheben, daß auch ein dorsales Auswachsen zu einem Processus iliacus, vergleichbar dem skapularen Abschnitt des Schultergürtels, stattfindet. Allerdings kommt dasselbe früher zum Stehen als bei der vorderen Extremität. Das Skelett eines Entwickelungsstadiums, in welchem die höchste Ausbildung des- Gürtels [Länge des Embryos nicht ganz 40 mm!)] ungefähr oder völlig erreicht ist, rekonstruierte ich nach der plastischen Methode und bilde das Becken in Fig. 4, Taf. XIII in der Ansicht von vorn ab. Die beiden vorknorpeligen Beckenhälften beginnen in der Medianlinie miteinander zu verschmelzen. Dabei werden faltenartige Fortsätze des Vorknorpels terrassenartig übereinander sichtbar. Die untersten Falten sind allein miteinander vereinigt (bei C'), die nächsten einander so genähert, daß ein inkomplett gechlossener Kanal zwischen den Beckenhälften hindurchläuft. In späteren Stadien der Entwickelung ist völlige Konkrescenz der beiden Beckenhälften eingetreten. In dem Stadium der Fig. 4 ist der dorsale Fortsatz des Beckens (Pr. «.) sehr deutlich. Er erhebt sich um ein Beträchtliches über das Nervenloch (%), und zwar beträgt die Entfernung der dorsalen Spitze des Ileum von der dorsalen Eintrittsöffnung des Nervenkanals etwas mehr als die Hälfte des Abstandes zwischen derselben Stelle des Nervenkanals und dem ventralsten Punkt des Beckens (C, Fig. 4). Es ist das ein Verhältnis des dorsalen zum ventralen Abschnitt des Beckengürtels (der Nervenkanal entspricht genau der Ansatzhöhe des peripheren Flossenskelettes, d. h. der üblichen Grenze zwischen diesen beiden Abschnitten), welches kaum wesentlich abweicht von den Verhältnissen beim Schultergürtel im Stadium der Fig. 2. Dort ist die Scapula im Verhältnis zum ganzen Gürtel ein wenig, aber nicht beträchtlich länger als das Ileum (das Verhältnis ist etwa 4:7 statt 4:8). Allerdings ist der Schulter- gürtel im ganzen höher, weil bekanntlich die thorakale Flosse höher dorsal an den Bauch angeheftet ist als die abdominale. Bei letzterer sind alle Verhältnisse niedriger und daher die Formen gedrungener; aber die Relativzahlen zwischen ventralem und dorsalem Teil beider Gürtel sind bis zum Vollzug der Verknorpelung nicht wesentlich verschieden. Ganz anders verhält sich der Beckengürtel in den späteren Stadien der Entwickelung. Während er beim Schultergürtel immer stärker dorsalwärts in die Länge wächst, bildet sich die Pars iliaca beim Beckengürtel in ihren wesentlichen Teilen völlig zurück. Es geht dies aus der Vergleichung des Stadiums Fig. 4 mit einem ausgebildeten Spinaxbecken am klarsten hervor. An Stelle des Bogens ist eine nur ganz wenig geschweifte (dorsalwärts konkave) Platte getreten. Die obere Oeffnnung des Nervenkanals wird nicht mehr von einem dorsalen Fortsatz des Beckens überragt. Vielmehr nimmt den höchsten dorsalen Punkt jetzt ein Fortsatz ein, Processus anterior (Pr. a, Fig. 3), welcher in dem besprochenen Entwickelungsstadium in Bildung begriffen war (als Vorknorpel in Fig. 4, Taf. XII und Fig. ı Taf. XIV mit ?r. a bezeichnet) und dort beträchtlich unterhalb der Spitze des Processus illacus entspringt. Dieser Fortsatz hat also mit der Pars iliaca, für welche v. Davinorr?) ihn hielt, nichts zu tun, wie schon MOoLLrEr 1. c. feststellte. v. Davıporr konnte dieser Verwechselung am aus- 1) Die Schwanzspitze dieses Embryos war abgebrochen. Andere Embryonen derselben Mutter maßen 37—38 mm. 2) v. DAvıporr, Beiträge zur Anatomie der hinteren Gliedmaße der Fische, I. Teil, Morph. Jahrb., Bd. V, S. 450—520, Leipzig 1879. 49* 38 8 Tatsächliches aus der Entwickelung des Extremitätenskelettes bei den niedersten Formen. 388 gebildeten Objekt deshalb leicht verfallen, weil bei Squaliden das Ileum in diesem Zustand eben völlig fehlt. Bei Rochen erhält sich allerdings ein Fortsatz, der aus ihm hervorgeht. Bei Holocephalen ist das Ileum so groß wie die Scapula. Wahrscheinlich wird sich auch die Entwickelung ähnlich wie beim Brustgürtel verhalten. Doch findet sich bei ScHAumsLanD'), welcher Embryonalstadien von Callo- rhynchusflossen beschreibt, nichts darüber. Es sei fernerhin darauf hingewiesen, daß die medialen unpaaren Fortsätze der Beckenplatte, welche bei Selachiern wenig ausgeprägt sind (Fig. 3, Pr. m. a und 9), erst im Knorpelstadium sich entwickeln. In Fig. 2, Taf. XIV ist der vordere Medianfortsatz vorhanden, der hintere fehlt noch. Doch war bei dem jüngeren Exemplar (Fig. ı, Taf. XIV) bereits eine beträchtliche Verbreiterung des ventralen, noch an dieser Stelle separaten Beckenendes vorhanden, welche wesentlich den kaudalen Kontur vor- buchtet (bei*. Ob dieser Fortsatz nach seiner Konkrescenz mit dem der anderen Seite manchmal Anstoß zur Bildung des hinteren medianen Fortsatzes gibt (wie dies bei höheren Tieren — Hypoischium — bekanntlich vorkommt) weiß ich nicht, halte aber solche unwesentlichen individuellen Schwankungen für möglich. Wie beim Schultergürtel ist die Verknorpelung anfangs für die Gürtelspange eines jeden Körper- antimers separat. Im Stadium Fig. 4 Taf. XIII beginnt der Knorpel ventral erst in dem durch ein Sternchen markierten Niveau. Später verschmelzen die beiderseitigen Spangen zu der einheitlichen, auch dem ausgebildeten Tier eigenen Platte (Fig. 2, Taf. XIV und Fig. 3, Taf. XII). Zwischen Brust- und Bauchgürtel besteht also bei Spinax niger in der Entwickelung anfänglich keine wesentliche Differenz, später dagegen eine divergente Ausgestaltung, da der erstere andauernd progressiv auswächst, der letztere sich teilweise (Pars ıliaca) regressiv zurückbildet. Die Beckenplatte der ausgebildeten Selachier ist (neben der Bauchflosse der Ganoiden) der Aus- gangspunkt für eine Reihe spekulativer Erwägungen über die Entstehung der Gliedmaßengürtel gewesen (THACHER, Mivarr und andere). Die relativ sehr einfach geformte Platte (resp. ihre beiden antimeren Komponenten) wurde im Vergleich zu den ausgedehnteren und komplizierteren Gürtelformen (speziell beim Brustgürtel) für den primitiven Zustand oder doch wenigstens für die dem Urzustand zunächst stehende Form gehalten. In bekannten Schemata wurde zur Anschauung gebracht, daß von einem der Basalia der freien Gliedmaße aus zunächst ein einfacher Fortsatz in die Bauchwand hineingewachsen sei (manche stellen sich denselben von Anfang an schmal in der Richtung der Medianlinie vor, andere, wie MorLıEr, anfangs breit und sekundär erst schmäler werdend). Aus diesem Fortsatz, welcher in dem Becken noch in einfacher Form erhalten sei, hätten sich unter Aufkrümmung und Längenwachstum in der Bauchwand die höheren gürtelartigen Bildungen entwickelt. Es ist das eine vergleichend-anatomische Ableitung, welche die ausgebildeten Formen in eine bestimmte, als historisch aufgefaßte Reihenfolge bringt und dadurch zu der Konsequenz führt, daß das Zonoskelett allmählich vom peripheren Gliedmaßenskelett aus entstanden sei. Legen wir an diese vergleichend-anatomische Hypothese den embryologischen Maßstab, so ver- läuft bei Spinax niger jede Phase der Entwickelung entgegengesetzt dem Gang, den die Hypothese verlangt. Es bildet sich der Gürtel nicht aus dem peripheren Skelett, sondern letzteres aus ersterem. Die Gürtelform bildet sich auch nicht aus der einfachen Platte, sondern die Platte des ausgebildeten Tieres ist eine rückgebildete Entwickelungsform, welche embryologisch aus einem Gürtel hervorging. Die Embryologie von Spinax niger zeigt, daß das Becken des ausgebildeten Tieres ı) H. SCHAUINSLAND, Sphenodon, Callorhynchus, Chamaeleo, Zoologica, Heft 39, Bd. XVI, S. 1-38, Stuttgart 1903. Dr 3 89 Tatsächliches aus der Entwickelung des Extremitätenskelettes bei den niedersten Formen. 389 als Rückbildungsform kein Ausgangsobjekt für vergleichend-anatomische, pro- gressive Reihen sein kann. Obgleich andere Selachier bisher auf die Form ihres embryonalen Beckens nicht so genau unter- sucht sind wie Spinax (es führen hier natürlich nur Rekonstruktionen zu einem klaren Verständnis), so läßt sich doch aus manchen Anzeichen schließen, daß die Beobachtung bei Spinax generelle Bedeutung hat. MorLrer (l.c. S.69) hat bei Mustelusembryonen beschrieben, daß ein Nerv, welcher dorsale und ventrale Muskelbündel versorgt, in die frühe Skelettanlage hineinfällt. Das ist in späteren Zuständen bei Squaliden, soweit meine Erfahrungen reichen '), nie der Fall. Es würden also (wie bei Spinax) dorsale Teile sich nachträglich rückbilden, um den dorsalen Nervenast frei zu machen. Auch gehört das Vorkommen eines dorsalen Beckenfortsatzes bei Rochenembryonen sowie ausgebildeten Batoiden und Holocephalen hierher. Daß schließlich bei Ganoiden Rückbildungen im Skelett der Bauchflosse, speziell in den proxi- malen, in oder an der Bauchwand liegenden Teilen vorhanden sind, hat MOoLLIER ?) ın seiner genauen Beschreibung der Entwickelung derselben ausdrücklich angegeben. Ich glaube deshalb, daß jenes Urteil über die Bedeutung der Embryologie für die vergleichend- anatomische Hypothese THACHERS, MivarTts u. Ss. w., welches für Spinax niger bewiesen wurde, generell für die Entstehung des Zonoskelettes bei niederen Wirbeltieren richtig ist. V. Entwickelung des Skelettes der freien Gliedmassen (Basıpterygium). Die Untersuchungen E. Ruces ]. c. über die Entwickelung des Brustflossenskelettes des Spinax niger sind so ausführlich und genau, daß ich denselben bezüglich des Skelettes nichts hinzuzusetzen habe. Seine Bilder, welche Konturzeichnungen nach graphischen Rekonstruktionen geben, reproduziere ich hier in den wesentlichen Stadien (Figur 2 und 3. Aus dem knötchenförmigen Auswuchs, welcher in meiner Fig. 2, Taf. XIII als erste Anlage des primären Basale vom Schultergürtel auswächst (Das), bildet sich alsbald eine Platte, welche sich in der Fläche des Flossenlappens zentral ausbreitet und Aus- läufer (Radienanlagen) peripherwärts auszusenden beginnt. Es zeigt sich, daß diese Radien von einer bestimmten Stelle aus, welche durch die Linie B in den Stadien I—V markiert wurde, zunächst cranio- caudalwärts auswachsen und daß in gleichem Tempo das primäre Basale terminalwärts an Länge zu- nimmt. Bald darauf treten aber auch cranialwärts von der durch die Linie B bestimmten Marke Radienanlagen auf (Stadium V), welche sich auch weiterhin noch vermehren. Die Linie B gibt dabei eine Minimummarke ab; denn sie stellt eine Parallele dar zu einer durch das jeweilige Nervenloch des Schultergürtels gelegten Geraden A. Das Nervenloch besitzt eine hohe Konstanz seiner Lage; denn es handelt sich hier um ein Nervenhauptloch (accessorische Löcher können allerdings ihre Lage wechseln, siehe meine Arbeit 1898, l. c). Von ihm ist also hier Ausgang genommen. Der Abstand der beiden Parallelen A und B wird bei dem Auswachsen des primären Basale sich höchstens verlängern, jedenfalls nicht verkleinern. Es ist also mindestens der auf die Linie B fallende Radius homolog dem zuerst gebildeten. Wahrscheinlicher ist es einer der terminalwärts nächst folgenden. Dadurch würde die Zahl der cranialwärts entstehenden Radien höchstens vermehrt. I) Siehe Tabelle Tafel XVII bei Braus, Ueber die Inneration der paarigen Extremitäten bei Selachiern etc, Jen. Ztschr., Bd. XXXI, Jena 1898. 2) S. MorLıer, Die paarigen Extremitäten der Wirbeltiere, Teil III, Anat. Hefte, Bd. VIII, S. ı—75, Wies- baden 1897. 390 Tatsächliches aus der Entwickelung des Extremitätenskelettes bei den niedersten Formen. 390 Gleichzeitig mit der Bildung cranialwärts auswachsender Radienanlagen entstehen die sekundären Basalia. Die beiden Pfeile in Fig. III geben die Richtungen an, in welchen sich diese beiden bilden. Im Stadium V hat sich bereits das Basale propterygii (Zr) abgeschnürt, und die Stelle des späteren Fig. 2. Fig. 2. Entwickelung des Skelettes der freien Brustflosse (Basipterygium) bei Spinax niger nach E. RUGE. Die weißen Partien bestehen aus Vor- knorpel, die schraffierten aus Knorpel. Erklärung der Bezeichnungen im Text. Die Maßangaben für die einzelnen Stadien sind im Original verzeichnet. DR Fig. 3. Kinorpliges Brustflossenskelett eines Em- bryo von Spinax niger, 5d® mm Länge (Stadium XI, nach E. RUGE). Basale mesopterygii ist an einer Ver- breiterung der vorab noch einheit- lichen Basalplatte zu erkennen (die punktierte Linie G gibt die spätere Grenze zwischen dem Basale metapterygii und B. mesopterygü an). Bei der Verknorpelung, deren Ausdehnung durch Schraffierung in den Figg. VI bis IX angegeben ist, grenzen sich dann die Basalia meta- und mesopterygii voneinander und vom Zonoskelett ab. Besondere Zentren entstehen ferner in den Gliedern der Radien. Nur das primäre Basale (V/ und VY fr B) gliedert sich durch nachträgliche Auflösung des Knorpels an der Stelle 7, Fig. IX in zwei Teile: das Basale metapterygii (mi /) und den Stammstrahl (21 7). Ich habe die Beobachtungen Ernst Ruces hier nur so weit zitiert, um an dieselben weiter unten anknüpfen zu können. Wegen aller übrigen Details verweise ich auf die Arbeit selbst. Zunächst möchte ich mich noch einem relativ alten Stadium (No. XI bei E. Ruce, Embryo von 58 mm Länge) zuwenden, bei welchem neben dem terminalen Ende des primären Basale, dem End- radıus (#7 Fig. 3) noch ein medial liegender Skeletteil auftaucht, welcher bis an den Stammstrahl (S#) heranreicht. Es ist dieses mit * bezeichnete Stück von E. Ruce als ein postaxialer Seitenradius bezeichnet worden. Der Autor wies nach, daß derselbe in noch älteren Stadien regelmäßig vorhanden ist, daß aber beim ausgewachsenen Tiere ein Verlust von Strahlen konstatiert wird, in welchem dieser Skeletteil einbegriffen ist. Der postaxiale Radius von Spinax, auf dessen Natur ich noch zurückkommen muß, ist also jedenfalls ein rudimentäres Gebilde. Bei den Embryonen primitiver Squaliden habe ich eine beträchtliche Zahl postaxialer Seiten- radien und deren Umbildungen nachweisen können. Sehr charakteristisch ist die Embryonalform 391 Tatsächliches aus der Entwickelung des Extremitätenskelettes bei den niedersten Formen. 391 von Centrophorus granulosus. Auch hier trifft man die fraglichen Gebilde in älteren Embryonalstadien an, weil erst in diesen die volle terminale Entfaltung des primären Basale beendigt ist. Da die Entwickelung baso-terminalwärts (also cranio-caudalwärts wie im Rumpf) verläuft, so ist ın jüngeren Stadien, wie Spinax gezeigt hat, von diesen Radien nichts zu erwarten. Denn sie sind, wie es scheint, auf die Flossenspitze beschränkt. Das Brustflossenskelett eines fast reifen Embryos von Centrophorus granulosus (Fig. 4a) weist ein Basale metapterygii (/) und den Stammstrahl (7/7) mit dem Endstück auf (außerdem nur ein sekum däres Basale fr). Zu beiden Seiten des Stammstrahles (ZZ) finden sich Seitenradien. Von diesen sind die präaxialen (1, 2, 3, 4) sämtlich frei und in sich in Querglieder zerteil. Von den postaxialen sind drei ebenfalls freie Strahlen (1“, 2*, 3*) und wie jene aus Quergliedern bestehend. Allerdings sind es nur zwei Quersegmente, und das terminale von den beiden ist sehr kurz. Außerdem gibt es noch eine Platte (d. ?.), welcher eine Reihe Radien (4*, 5*, 6*, 7*) aufsitzen. Vergleicht man damit den fertigen Zustand, so sieht man (Fig. 4b), daß von den freien postaxialen Radien nichts Deutliches mehr übrig ist. Auch GEGENBAUR') fand bei seinen ausgewachsenen Exemplaren von Centrophoriden (C. granu- losus und C. calceus) nichts von denselben. Dagegen ist die postaxiale Platte größer geworden: sie reicht weiter terminalwärts als bei dem Em- a b bryo. Auch besitzt sie nicht nur 4 ihr angeheftete Radien wie bei letzterem, son- dern erheblich mehr. Die genaue Zahl ansitzender Radien ist bei meinem Exemplar schwer zu bestimmen, da Konkres- cenzen derselben untereinander eingetreten sind. Ein proximaler Anhang speziell besteht aus 2 oder gar 3 Komponenten (6* + 7%, eventuell + 8*), ein weiterer aus zweien (4*+ 5*), dann kommen zwei einzelne, also in Summa 6—7 Radien. Schließlich kommt noch ein einzelnes, dem Stammstrahl unmittelbar anliegendes Knorpelstückchen (1*), hinzu. Nach diesen Befunden kann es nicht zweifelhaft sein, daß die beiden freien Radien 2* und 3* des Embryo nachträglich in die postaxiale Platte eingetreten sind und daß Fig. 4. Brustflossenskelett von Centrophorus granulosus. a Von einem ausgewachsenen Embryo 2mal vergr. b Vom erwachsenen Tier /, nat. Gr. Mit dem Präpariermikroskop hergestellte Präparate. Zeichnung nach Mikro- und der reichere Besatz mit Radien resul- photographien mit Zeißschen Planaren Phot. zu 2a bei 2!/,-facher Vergr. auf- ö 5 e 5 & enommen. tiert. Die letzteren sind die Endstücke der S postaxialen Seitenradien, während die Basalstücke durch Konkrescenz die Platte haben entstehen lassen. daraus die Verlängerung in distaler Richtung Denn es ist wohl anzunehmen, daß gerade so, wie hier zwischen dem Embryonalstadium 4a und dem fertigen Zustand 4b eine partielle Konkrescenz der beiden Radien 2* und 3* zum Aufbau der postaxialen Platte beigetragen hat, auch die übrigen Radien (4 zusammentraten. Bei GEGENBAURsS Exemplar (l. c. Taf. X, Fig. 4) ist im ausgebildeten Zustand noch *—7* resp. 8°) zu dem Basale 1) C. GEGENBAUR, Ueber das Archipterygium. Jen. Zeitschr., Bd. VII, Jena 1873. 392 Tatsächliches aus der Entwickelung des Extremitätenskelettes bei den niedersten Formen. 392 ein Spalt vorhanden, welcher zwischen den von mir mit 4” und 5” bezeichneten Radien die Platte in der Richtung der Radiengrenzen zertrennt. Möglicherweise war bei jenem Exemplar als individuelle Varietät die Grenze zwischen den Radien 4* und 5*, die bei meinem Embryo im Basale nicht mehr sichtbar ist, erhalten geblieben. Leider konnte ich bisher diese Verhältnisse an jüngeren Embryonen als dem beschriebenen nicht prüfen. Die postaxiale Platte ist also jedenfalls ein sekundäres Basale. So wie im präaxialen Gebiet die Basalia meso- und propterygii entstanden zu denken sind und zahlreiche kleinere sekundäre Basalia noch in der Ontogenie entstehen (s. S. 412), so ist hier ein postaxiales Basale [Ö. /.) aufgetreten. Ich mache weiterhin darauf aufmerksam, wie sich im fertigen Zustand die präaxialen Strahlen 2, 3 und 4 unverhältnismäßig vergrößert haben gegenüber dem Embryo. Es ist wichtig, daß embryologisch mit der postaxialen Verkümmerung eine Vergrößerung im präaxialen Gebiet kom- biniert ist. Letztere ist ebenso sekundär wie erstere. Denkt man sich beide Prozesse völlig rückgängig gemacht, so kann man sich wohl vorstellen, daß das Skelettstück III die Spitze des Flossenskelettes bildete, daß aber mit der sekundären Rückbildung der postaxialen Strahlen und gleichzeitigen sekundären Ausbildung gewisser präaxialer Radıen die Spitze lateralwärts verschoben wurde und jetzt bei Centrophorus durch den präaxialen Radıus 3 im fertigen Zustand repräsentiert ist (Fig. 4b). Den kompletten Vorgang der Spitzenverlagerung könnten uns vielleicht jüngere Stadien von Centrophorus noch enthüllen. Jedenfalls ist die Endphase dieses Prozesses noch deutlich bei der Umwandlung des hier geschilderten Embryo zum ausgebildeten Tier. Sehr interessant ist auch Heptanchus cinereus bezüglich der postaxialen Elemente. GEGENBAUR ') und Mivarr’) fanden beim ausgebildeten Tier als medialst gelegenes Element einen einheitlichen Knorpelstab, welchen GEGENBAUR als den einzigen hier vorhandenen postaxialen Radius deutet (allerdings gibt er 1873 noch einer anderen Deutung vermutungsweise Raum, um sie aber als nicht stichhaltig zu verwerfen, s. w. u.). Die Natur als „Radius“ suchte GEGENBAUR später da- durch zu stützen, daß er bei einem alten Heptanchusembryo eine Gliederung desselben fand (1873, Taf. X, Fig. 2). Diese Glieder bezeichnet er als Querglieder des einen postaxialen Radius. Ich habe einen ähnlichen Befund wie bei jenem Embryo auch bei einem ausgewachsenen Exemplar (1 m Länge) von Heptanchus cinereus erhoben (Fig. 5c, dort mit B. p. bezeichnet). Es ist bei diesem jenes embryonale Verhalten als individuelle Varietät noch im Bestand. Die Untersuchung des entwickelungsgeschichtlichen Zustandekommens des fraglichen Skelett- gebildes lehrte mich aber einen anderen Modus des Aufbaues kennen als jenen, welchen GEGENBAUR für den wahrscheinlichsten hielt. Derselbe ist verständlich durch die beim Centrophorusembryo ge- wonnenen Erfahrungen. In Fig. 5a bilde ich das nach der van Wipueschen Methode?) gewonnene Knorpelskelett der Brustflosse von einem Heptanchusembryo (107 mm länge) ab. Hier ist eigen- tümlicherweise kein komplett gegliederter Knorpelstab postaxial vorhanden, wie man nach GEGENBAURS embryonalem Befund erwarten sollte, sondern scheinbar ein völlig einheitlicher Knorpel. Derselbe ist aber dadurch merkwürdig, daß seine mediale Kante verschiedene Auswüchse trägt (1*, 2*, 3*, 4*, Fig. 5a). Dieselben verhalten sich wie Radienenden. Das Gewebe ist nicht reich an hyaliner Grundsubstanz an diesen Stellen. Es ist deshalb eine allmähliche Abnahme der charakteristischen Blau- 1) GEGENBAUR, C., Untersuchungen zur vergleichenden Anatomie II, Brustflosse der Fische, Leipzig 1865. 2) MIVART, On the fins of Elasmobranchs etc., Transact. Zool. Soc., Vol. X., London 1879. 3) VAN WIJHE, A new method for demonstration cartilaginous mikroskeletons, K. Ak. Wetenschappen, Amster- dam 1902, S. 47—51. 393 Tatsächliches aus der Entwickelung des Extremitätenskelettes bei den niedersten Formen. 393 färbung solcher Präparate (Methylenblau) nach dem medialen Rande zu bemerkbar, und der Kontur ist nicht so scharf wie bei den anderen Skelettelementen der Flosse (punktiert dargestellt). Immerhin ist die wellige Beschaffenheit des Konturs ganz unverkennbar. Das kommt bei gewöhnlichen Radien weder in der Entwickelung noch im fertigen Zustand vor. Es kann also in dem postaxialen Element, soviel geht aus diesem einen Entwickelungsbild schon hervor, kein einheitlicher Radıus vorliegen. 8 Fig. 5. Skelett der Brustflosse von Heptanchus cinereus. A nach einem Embryo von I07 mm L. 1omal vergr. Totalpräparat. B Plastische Rekonstruktion in Wachs nach einem Embryo von 103 mm L. Ca. ı5mal vergr. (Original 50omal vergr.). C Ausgewachsenes Tier. Nach einer Photographie. °/, nat. Gr. Ich fertigte zwecks genauerer Erforschung von einem etwas jüngeren Embryo von Heptanchus (103 mm Länge) eine plastische Rekonstruktion der fraglichen Gegend an (Fig. 5b). Der gewellte Kontur ist nicht so deutlich wie in Fig. 5a, sei es, daß derselbe in dieser Periode im Wachstum begriffen ist und die einzelnen Auswüchse noch nicht so lang wie bei dem etwas älteren Objekt geworden sind, sei es, daß die individuelle Variation dabei eine Rolle spiel. Dagegen ist hier eine Aufteilung des Knorpelstreifens zu bemerken. Das terminale Ende wird durch ein Stück (7*) ge- bildet, welches in das Endstück des primären Basale (//Z) eingepflanzt ist. Es verhält sich ganz wie ein Seitenradius dieses Achsengliedes und repräsentiert einen Zustand, wie er beispielsweise bei Hexanchus auch noch im ausgebildeten Zustand vorkommt (vergl. z. B. GEGENBAUR, 1865, Taf. IX, Bie}-r). Terminalwärts folgt auf dieses Stück ein größerer Knorpel, welcher an der Stelle /' einen kleinen Einschnitt und an der Stelle /? eine so tief in den Knorpel einschneidende Incisur besitzt, daß der Zusammenhang nur durch eine ganz schmale Brücke von Knorpelgewebe am lateralen Rand (nach dem primären Basale zu) aufrecht erhalten ist. Dieser Einschnitt ist eine schmale Spalte, welche schräg gestellt ist (der ventrale Rand der Spalte ist in Fig. 5b durch die punktierte Linie angedeutet). Endlich liegt basalwärts von diesem Element noch ein völlig isoliertes Stück (5*). Ich fand dasselbe nur in der einen Brustflosse des betreffenden Embryos, welche graphisch rekonstruiert wurde. Ich bilde nicht die ganze Flosse ab, da sie außerdem nichts Neues gegenüber 5b bietet, sondern Jenaische Denkschriften. XI. 50 Festschrift Ernst Haeckel. Tatsächliches aus der Entwickelung des Extremitätenskelettes bei den niedersten Formen. 394 394 3 habe nur dieses besondere postaxiale Element (5*) in die Zeichuung 5b genau seiner Tage und Form nach hineinpunktiert. Die ganze Formentwickelung der postaxialen Elemente z°—5* von Heptanchus cinereus ist nicht zu verstehen, wenn man in ihnen Glieder eines einzigen Radius sieht. Auch die Histiogenese stimmt damit nicht überein. Denn während die aus einem Radius sich entwickelnden Ouerglieder durch ein Gewebe verbunden sind, welches anfänglich Vorknorpel ist und später dem Knorpel nahe steht [Faserkorpel nach Semon'), elastischer Knorpel nach E. Rus |. c.], sind die beiden Stücke 7* und 5* völlig gegen das mittlere Element durch gewöhnliches fibrilläres Bindegewebe isoliert. Ein Zusammen- hang wie bei den Quergliedern eines Radius ıst nicht vorhanden. Der Befund bei Heptanchusembryonen ist dagegen leicht zu erklären, wenn man in den einzelnen postaxialen Elementen mehrere rudimentäre, teils noch freie, teils verschmolzene postaxiale Radien- anlagen erblickt. Die Analogie mit dem Centrophorusembryo (Fig. 4a) liegt auf der Hand. Bei Heptanchus sind jedoch die Einzelelemente nicht quergegliedert wie bei Centrophorus *—3* und auch nicht so zahlreich. Sie sind rudimentärer als dort. Es ist also sicher, daß bei Heptanchus in der Entwickelung eine Reihe isolierter postaxialer Elemente zu einem einheitkiehenSSstuersyverschnilzesader einheitliche Stab der meisten ausgebildeten Exemplare (GEGENBAUR, Mıvarr), von welchem ich in meiner Darstellung ausging, ist somit kein einzelner Radius, sondern ein sekundäres Basale, ähnlich dem bei Centrophorus granulosus beobachteten. Ich glaube damit eine auch bei GEGENBAUR (1873, 1. c., S. 133, Anm. 2) als Vermutung zwar geäußerte, aber aus besonderen Gründen (deren Widerlegung sich aus der Entwickelung ergibt) verworfene Art der Bildung bewiesen zu haben, Ich will nicht weiter darauf eingehen, ob in dem Teil 2“ der Fig. 5b mehr als ein Radius stecken könnte, da ich dies an meinem Material zur Zeit nicht entscheiden kann. Auch weiß ich nicht, ob 5* sich auflöst, ob es mit £“ verschmilzt oder ob nicht beides vorkommen kann. An die zweite dieser Möglichkeiten ließe ein hakenförmiger Anhang * von 2. /. in Fig. 5a denken. Wenn derselbe mit 5* identisch ist, so hätte eine Verschiebung terminalwärts stattgefunden und zugleich eine Verlagerung nach dem lateralen Rand des Basale postaxiale zu. Auch bei Centrophorus hat wohl eine solche terminalwärts gerichtete Zusammenschiebung der postaxialen Radienrudimente bei der Konkreszenz zum Basale postaxiale stattgefunden. Es ist dies wenigstens eine einfache Erklärung dafür, daß dort am Stammstrahl viel mehr postaxiale als präaxiale Radien sitzen (7—8 postaxiale gegenüber 4 präaxialen). Schließlich ist es unsicher, ob die gelegentliche Querteilung des Basale postaxiale in 3 Stücke, welche GEGENBAUR bei seinen Embryonen und ich individuell beim ausgewachsenen Heptanchus (Fig. 5c) sah, sich zurückführt auf gelegentliches Erhaltenbleiben der Grenzen zwischen benachbarten postaxialen Radien oder ob es sich um eine sekundäre, vielleicht die alten Grenzen wieder öffnende Spaltung handelt. Bei Spinax ist ja eine völlig sekundäre Spaltung embryologisch von E. RusE an der Stelle beobachtet, wo sich der Stammstrahl gegen das Basale metapterygü abgrenzt (7 Fig. 2, /X p. 390). Der Prozeß ist also möglich und auch in diesem speziellen Fall bei Heptanchus nicht unwahrscheinlich, weil die betreffenden Ouer- linien die Fortsetzung der das ganze Flossenskelett durchziehenden Biegungslinien bilden. Ein starrer Stab, wie es D. 5. Fig. sc wegen seiner besonderen aus der Entwickelung begreiflichen Breite sein würde, falls er nicht gegliedert wäre, müßte sich der Biegung des Gesamtskelettes in den queren 1) R. SEMON, Zur vergleichenden Anatomie der Gelenkbildung bei den Wirbeltieren. Festschr. f. C. v. KUPFFER, 1899. 395 Tatsächliches aus der Entwickelung des Extremitätenskelettes bei den niedersten Formen. 805 Biegungslinien a, d (Anfänge der Hauptbiegungslinien mit a, d, c, d bezeichnet) entgegenstemmen, während er bei eigener entsprechender Gliederung der Bewegung folgt. Die Ursache für die Entstehung des postaxialen Basale, welche GEGENBAUR aus seinem Befund bei Centrophorus aus vergleichend-anatomischen Gründen ableitete, nämlich die Konkreszenz aus mehreren isolierten Radien, ist also entwickelungsgeschichtlich bewiesen, und zwar nicht als ein auf Centrophorus beschränkter, sondern auch bei Heptanchus, einer ganz anderen, besonders primitiven Familie, waltender Prozeß. Möglicherweise liegt also hier ein allgemein in der Entwickelung der Selachier begründetes Vorkommnis vor, so daß in Fällen wie bei Spinax niger, in welchen nur ein postaxiales Element nach Art eines einheitlichen Radius in der Ontogenie auftaucht (Fig. 3*, S. 390), nicht das Rudıment eines solchen, sondern der Ueberrest eines Komplexes, eines postaxialen Basale, vorliegt. Die Ontogenie des Brustflossenskelettes von Heptanchus und Centrophorus hat einen großen Reichtum postaxialer Radien ergeben (5 resp. 7 als Minimum). Bei Heptanchus ist besonders bemerkens- wert, daß die proximalen Rudimente (5 und 4* in Fig. 5b) neben dem Basale metapterygii (7?) sitzen. Sie reichen also ziemlich weit an der Achse der Flosse, dem primären Basale, aufwärts (nach dem Schultergelenk zu). Durch diesen Befund erscheint mir die ehemalige biseriale Natur des Selachopterygium gesichert. Da wir bei fossilen Selachiern (Pleuracanthiden) ebenfalls ein Disticho- pterygium in schönster . Ausbildung sehen (Fig. 6), so ist eine Abstammung des Monostichopterygium recenter Fische vom Distichopterygium nicht weiter zweifelhaft. Ja was die Zahl der postaxialen Radien angeht, so ist die Embryologie der Paläontologie nicht unterlegen (bei Pleuracanthus sind 6 Radien vorhanden, Fig. 6. Was die Stellung an den Achsen- gliedern (Mesomeren) betrifft, so wäre diese sogar bei Pleuracanthus bereits stärker reduziert als bei dem Embryo von Heptanchus, falls die von mir früher (1900) geäußerte Vermutung richtig sein sollte, daß das Basale metapterygii ein verlängertes Mesomer I, der Stammstrahl ebenso ein verlängertes Mesomer II u. s. w. wäre. Dann säßen ja bei Heptanchus die postaxialen Radien so, wie wenn sie bei Pleuracanthus bis zu I hinauf- reichten. Freilich ist die klare Spitzenbildung des Distichopterygium wie bei Pleuracanthus unter den betrachteten Embryonen nicht vorhanden. Dies Fig. 6. Brustflosse von Xenacanthus nach FRITSCH. Aus C. Ragr, Theorie des Rudimente in der Embryologie weit geringer als bei dem ausgewachsenen, Mesoderms. hängt offenbar damit zusammen, daß die relative Größe der postaxialen also funktionierenden Zustand bei Xenacanthiden ist. Wir haben bei Centrophorus die Endphasen des Vorganges verfolgen können, bei welchem die Spitze durch gewisse sekundär auswachsende präaxiale Radien überflügelt wird, und kennen also daher die Art und Weise ihres Verschwindens. Die biseriale Anordnung der Radien zeigt, daß die Achse einst die Spitze bilden mußte wie bei Xenacanthus, als nämlich nicht die Zahl und Lage zu der Achse, sondern auch die Größe bei den postaxialen Radien die gleiche war wie bei ihren Vis-a-vis unter den präaxialen Strahlen'). ı) Es ist mir nicht unbekannt, daß unter den fossilen Haien gerade solche, welche in besonders alten Schichten gefunden wurden, bisher keine Achse und keinen biserialen Radienbesatz erkennen ließen, sondern nur uniserial angeordnete Stäbe. Es sind hier zwei Möglichkeiten denkbar. Entweder repräsentieren jene Bilder von Cladodonten, wie die einen Autoren glauben, auch genealogisch die ältesten Formen. Es wäre dann aus uniserialer Anordnung die biseriale und aus dieser durch Reduktion endlich wieder die uniseriale entstanden. Oder aber jene in ältesten Schichten gefundenen Tiere sind genealogisch nicht tieferstehend als die Xenacanthiden, sie stellen vielleicht einen Parallelzweig oder Formen dar, bei welchen uns gerade sehr wichtige Teile des Extremitätenskelettes (Zonoskelett und primäres Basale) noch nicht bekannt 50* Tatsächliches aus der Entwickelung des Extremitätenskelettes bei den niedersten Formen. 396 396 Es wird aber von vielen Autoren als unwiderleglicher Gegengrund gegen das Distichopterygium („Archipterygiumtheorie“) eine bestimmte Anschauung geltend gemacht, welche die Urform des Skelettes der primitivsten Gliedmaßen betrifft. Es führt uns das zur Prüfung der Frage, ob aus der Entwickelungs- geschichte Tatsachen bekannt sind, welche über das bei der Skelettentwickelung von Spinax Beobachtete (s. S. 390 E. Ruce) hinaus noch weiter zurückliegende Zustände im Flossenaufbau erkennen lassen. Es handelt sich hier um Angaben, welche durch besondere Schlagwörter schnell bekannt geworden sind. Man hat von einer „streng metameren Struktur“ der Gliedmaßen gesprochen, „Muskeln, Skelett und Nerven der Flossen metamerische Bildungen“ genannt und dergleichen mehr. Unter Metamerie (HäÄcker) versteht man die Einteilung des Tierkörpers in fest abgrenzbare Abschnitte, welche mit einer bestimmten Regelmäßigkeit cranio-caudalwärts aufeinander folgen und von welchen immer das Folgende die Wiederholung des Vorhergehenden darstellt. Im Wirbeltierkörper ist diese Metamerie keine komplette; sie tritt vielmehr nur an bestimmten Organen und Organsystemen auf. Das beste Beispiel, das Muskelsystem, zeigt völlig gleich gebaute, selbständige Anlagen, welche vom Kopf nach dem Schwanz zu successive aufeinander folgen. Wir sind nun gewohnt, diese Gliederung der Muskelanlagen (nebst den dazu gehörigen Nervenanlagen) gleichsam als Maßstab zu benutzen für alle diejenigen Organisationen, bei welchen eine Gliederung vorliegt und für welche entschieden werden soll, ob diese Segmentation metamer sei. Denn nicht jede Reihenfolge gleichartiger Bildungen gilt als „metamer“ Es wird niemandem einfallen, die doch auch in regelmäßigen Abständen aufeinander folgenden Valvulae conniventes im Darm oder die Knorpelringe der Trachea mit der Metamerie in Verbindung bringen zu wollen. Es gehört also zu dem Begriffe „metamer“, daß dasselbe Gesetz, welches z. B. bei den Muskelanlagen waltet, auch die ın Betracht kommende Gliederung bedingt hat. Die gemeinsame Grundursache aller Metamerien ım Körper wird bekanntlich von der Descendenz- theorie genetisch aufgefaßt. Um also für die Skelettanlagen der primitiven Flossen beurteilen zu können, ob dieselben metamer seien, haben wir zweierlei zu entscheiden: ı) Liegt eine Gliederung in cranio-kaudal aufeinander folgende selbständige Elemente vor, wie wir sie etwa bei den Muskelanlagen sehen? 2) Stehen die vorhandenen Gliederungen irgendwie ın Beziehung zu sicher metameren Strukturen z. B. den Muskelanlagen ? Nur wenn beide Fragen positiv beantwortet sind, kann von einer wahren Metamerie die Rede sein. Mit Recht ist als wesentliches ontogenetisches Moment in dieser ganzen Angelegenheit das Vor- handensein metamerer Muskelanlagen, also der klassischen Repräsentanten der Körpermetamerie, geworden sind. Jedenfalls sind die recenten Haie unmittelbar aus distichopterygialen Vorläufern entstanden. Das ist bei beiden Möglichkeiten dasselbe. — Ich habe nun die letztere Möglichkeit 1901 (Ueber neuere Funde versteinerter Gliedmaßenknorpel und -muskeln von Selachiern. Verh. phys. med. Ges. Würzburg, Bd. XXXIV) etwas näher ausgeführt, und vor allem betont, daß uns auf Grund jetzt bekannter Cladodusarten mit Achse bei jenen anderen ohne solche die Skelettform in ihrer Totalität noch unbekannt sein könnte. DrAan (Historical evidence as to the origin of the paired limbs of Vertebrates. Americ. Naturalist, Vol. XXXVI, 1902) hat sich gegen meine Ausführungen gewendet, dabei aber im wesentlichen aus meinem Aufsatz Dinge herausgelesen, welche nicht in demselben stehen und an welche ich tatsächlich nie gedacht habe, wie ich aus meinen anderen Publikationen nachweisen kann. Wegen solcher sprachlicher Mißverständnisse wird meine Ansicht von ihm als reactionary view bezeichnet, die logische Folgerichtigkeit meines Denkens bezweifelt etc. und Verständnis für die Originalobjekte bei mir von der persönlichen Betrachtung derselben erwartet. So sehr auch die Reise nach den Schätzen der Columbia University zu den geheimsten Wünschen eines jeden Morphologen zählen mag, so stelle ich es doch dem amerikanischen Autor anheim, ob nicht eine zutreffendere Erwiderung auf meinen Aufsatz einladender gewesen wäre. 397 Tatsächliches aus der Entwickelung des Extremitätenskelettes bei den niedersten Formen. 397 in der Flosse selbst angesehen worden. Es schnüren sich bekanntlich die Muskelknospen der Selachier- extremitäten von den Myotomen ab. Alles kommt nun darauf an, wie sich die Skelettanlagen zu diesen Knospen verhalten. Ich habe zuerst darauf hingewiesen, daß die Muskelknospen an sich leider für unser Problem bedeutungslos sind. Denn MorLiEr hatte bereits gefunden, daß dieselben miteinander durch Ana- stomosen in Verbindung treten, bevor das Skelett auftritt und mit ihnen in Beziehung geraten kann. Dies ist von allen Nachuntersuchern‘) und kürzlich auch von C. Ragı bestätigt worden. Sowie metamere Muskeln miteinander verbunden sind, so daß die ursprünglichen Grenzen nicht mehr erkannt werden können, ist eine reine Metamerie jedenfalls nicht mehr zu konstatieren. Später, wenn die Anastomosen sich wieder lösen, ist kein reines metameres Material in den jetzt abermals isolierten Muskeln vorhanden: sie sind polyneur, nicht mehr haploneur. (Dies gilt auch für alle auf Taf. XTV gezeichneten Muskelanlagen.) Ich habe deshalb (1899) die Bezeichnung „Musculi radiales“ für die metamer gemischten Muskeln vorgeschlagen und sie so von den rein metameren „Muskelknospen“ unterschieden. Gerade so wie es sein Mißliches mit den Beziehungen der Knorpelanlagen zur Muskelmetamerie auf sich hat, so ist auch wegen der Anordnung der Radien selbst Zweifel erlaubt. Die Muskelknospen sind völlig gegeneinander isolierte Gebilde. Die Radien der Skelettanlage dagegen hängen durch das primäre Basale miteinander zusammen, ja alle zuverlässigen Untersucher stimmen seit Morxiers grundlegendem Befund bei Torpedo darin überein, daß sich zuerst das einheitliche Basale, von diesem aus erst später durch Sprossung die Radienanlagen entwickeln. Was ist hier das Primäre? Das zuerst in der Entwickelung sich Manifestierende: die Einheit oder die später im Vordergrund stehende Segmentation? Es mag dieser oder jener zugeben, daß sich eine Reihe Vermutun gen mit mehr weniger guter Fundierung dafür anführen lassen, ob die Anastomosen zwischen den Muskelknospen gegen oder nicht gegen die Metamerie des Skelettes sprechen und ob der primäre ontogenetische Zusammenhang der Radien im Basale für dieses Problem bedeutungsvoll oder nicht wesentlich sei. Aber es soll sich ja in dieser Abhandlung nicht um mehr oder weniger sichere Deutungen, sondern um leicht zu kon- statierende, vollkommen sicher stehende Tatsachen handeln. Tatsachen im Sinne einer Metamerie des Sklettes sind doch keinesfalls die oben in Betracht gezogenen Entwickelungsphänomene! Aber es gibt Tatsachen, welche hier von Wichtigkeit sind. Man kann dieses Problem wieder nach der genetischen Methode behandeln und sich fragen: Sind die Beziehungen zwischen den Muskelanlagen und den Radien überhaupt primitive oder sind sie erst allmählich zu stande gekommen? Sind diese Beziehungen keine primitiven, dann ist ja auch die Entscheidung gegenstandslos darüber, ob und wie lange die Muskelanlagen metamere sind, und ob und inwieweit die Verbindungen der Radien im Basale bei metameren Gebilden möglich sind oder nicht. Ich bin auf die hier mitzuteilenden Untersuchungen durch Beobachtungen an den Flossen aus- gebildeter Squaliden (Jen. Ztschr, Bd. XXXI, 1898) geführt worden. Bei diesen galt allgemein die Anordnung der Musculi radıiales (welche aus den embryonalen Anlagen auf Taf. XIV einfach aus- wachsen) zu den Knorpelradien des Sklettes als eine solche, daß sowohl Identität der Zahl als auch I) Ich habe früher (Morph. Jahrb., XXVII, 1899, S. 540) angegeben, daß ich bei Spinax niger nur je eine Ana- stomose zwischen benachbarten Muskelknospen fand. Ich habe mich an meinem jetzigen Material überzeugen können, daß dies nur anfänglich der Fall ist, daß später vielfach multiple Anastomosen wie bei Torpedo (MoLLIER) vorhanden sind. Tatsächliches aus der Entwickelung des Extremitätenskelettes bei den niedersten Formen. 39 8 398 der Topographie nach bestehe Jedesmal solle zwischen zwei Muskeln (einem dorsalen und einem ventralen) je ein Skelettradius liegen. Diese Darstellung findet sich z. B. in aller Schärfe bereits bei J. F. MEcker 1828‘) und bei allen späteren Autoren. Sie findet sich dann auch wieder in der modernen embryologischen Literatur, in welcher von DoHrn angefangen alle Untersucher dasselbe für die Muskelanlagen behaupten. Es ist also eine sehr alte Angabe. Ich be- zeichne diese topographische Identität als Konkordanz und beschäftige mich hier zuerst mit dieser. Die numerische Relation soll im Anschluß daran besprochen werden. Konkordanz ist durchaus nicht, wie die Autoren behaupten, überall vorhanden. Bei ausgebildeten Tieren gibt es Konkordanzen und Diskrepanzen. Bei letzteren ziehen die Mm. radiales mehr oder minder schräg über die Skelettradien hinweg. Ich habe gezeigt, daß das letztere sich namentlich bei den Radien des Metapterygium der Squaliden findet. Bei diesen Fischen ist dagegen an den Radien des Meso- und Propterygium der Brustflosse und in der Becken- flosse, ferner vor allem bei den Batoiden an beiden Flossen Konkordanz zu beobachten. Meine Arbeiten (besonders SEmon, Forschungsreisen, Bd. I, 1901) geben genaue Darstellungen, wo Konkordanz, wo Diskrepanz sich findet, und illustrieren dies durch Zeichnungen nach dem Präparat. Ich muß noch bei der Methode, welche ich anwendete, einige Augenblicke verweilen, weil sie mir auch für die ontogenetische Untersuchung die wesentlichsten Resultate verschaffte Es ist ja natürlich, daß die in der Literatur so allgemein verbreitete irrtümliche Angabe einer absoluten Konkordanz der beiden Systeme nur so zu stande gekommen sein kann, daß bei den gebräuchlichen Methoden Abweichungen von dieser Konkordanz leicht übersehen werden können. Es ist in der Tat schwer, durch gewöhnliche Präparation der Muskeln und nachheriges Ablösen derselben von dem Skelett oder durch Querschnitte durch die ganze Flosse quer zur Längsachse der Radien einen Einblick in die wahre Sachlage zu bekommen. Unmöglich ist es freilich nicht, namentlich wenn der Blick bereits für derartiges geschärft ist, Diskrepanzen auch so zu bemerken. Aber ich habe sie auf eine andere Weise gefunden, welche mir (nebst ähnlichen Methoden) der gewöhnlichen Präparation oder der Querschnittstechnik weit überlegen zu sein scheint. Ich sah mich zwecks feinerer Nervenpräparationen gezwungen, von der Skelettseite aus auf die Muskulatur präparierend vorzudringen. Entfernt man von einer Flosse zuerst die Muskelschicht der einen Seite, z. B. die ganze ventrale Muskulatur völlig, so kann man an die andere Schicht, z. B. die dorsale Muskulatur so gelangen, daß man die Skelettstücke, Radien und Basalia, successive abhebt. Das in Fig. 3, Taf. XIV abgebildete Präparat der dorsalen Muskulatur eines ausgewachsenen, sehr alten Spinax niger (45 cm Länge) ist so gewonnen, daß das freigelegte Skelett (blau) mit Hilfe des mikro- photographischen Apparates aufs genaueste zeichnerisch fixiert und daß dann zunächst ein Radius, z. B. der mit ı bezeichnete, entfernt wurde. Die dabei sichtbar werdenden Muskelkonturen wurden in die Zeich- nung der Skelettkonturen direkt eingetragen. Ebenso wurde beim zweiten Radius und so fort verfahren. Die stehenbleibenden Teile halten anfänglich das Ganze hinreichend zusammen; später kann man sich vor Verschiebungen auch leicht schützen. Jedenfalls kommt die Topographie der Muskelgrenzen zu den Skelettgrenzen bei dieser Methode am unmittelbarsten und, ehe andere Manipulationen etwas ge- ändert haben können, zur Beobachtung. Die andere Muskelschicht (die ventrale in unserem Fall) läßt sich bei der Flosse der anderen Seite desselben Tieres studieren oder bei hinreichendem Geschick auch 1) J. F. MECKEL, System der vergleichenden Anatomie, III. Teil, Halle 1828, S. 94. (Ich weiß nicht sicher, ob nicht auch schon ältere Autoren dasselbe angegeben haben.) 399 = Tatsächliches aus der Entwickelung des Extremitätenskelettes bei den niedersten Formen. 399 an derselben Flosse, falls man nicht von vornherein die eine Seite abträgt, sondern die ganze Skelett- platte durch einen Flachschnitt halbiert. Wie nun in dem Beispiel der Tai. XIV, Fig. 3 völlige Konkordanz durch diese Methode fest- gestellt wurde, so wurde in anderen (oben angeführten) Fällen Diskrepanz gefunden und natürlich genau erkannt, wo speziell diese Diskrepanz lokalisiert ist; z. B. schon bei der dorsalen Muskulatur dieser selben Beckenflosse von Spinax niger, welche der Fig. 3 zur Unterlage diente, sind die auf den Radien ı2, ı3 und ı4 liegenden Musculi radıales zu den Radien so stark schräg angeordnet, daß der bei der ventralen Muskulatur mit 12 zusammenfallende Muskelstreifen dort über dem mit /7 bezeichneten Segment des Basale beginnt und über die Lücke zwischen den Radien ı2 und ı3 hinwegziehend distal- wärts über ı2 anlangt. Bei den beiden über ı2 und ı3 liegenden Fascikeln (dieselben sind bei der dorsalen Muskulatur zwei völlig getrennte Musculi radiales) ist die Diskrepanz noch. beträchtlicher. Meine Fragestellung ist auf Grund dieser Tatsachen folgende: Geht die Konkordanz des fertigen Zustandes aus Diskrepanz hervor? oder umgekehrt: ist die Diskrepanz des fertigen Zustandes von Konkordanz abzuleiten? Es muß diese Frage nach der angegebenen Methode exakt zu lösen sein. Zeigt sich dabei, daß die Diskrepanz aus Konkordanz her- vorgeht, so ist die Abweichung der Lage, welche in ihr zu Tage tritt, natürlich für das Problem der Metamerie ganz bedeutungslos. Denn sekundäre Abweichungen selbst von ursprünglich streng fixierten Systemen ist ja eine ganz allgemeine Erscheinung bei den Organismen. Anders liegt dies dagegen, wenn der Nachweis geliefert wird, daß Diskrepanz ontogenetisch allmählich in Konkordanz übergeführt wird. Dann ist die Konkordanz, das anscheinend streng Gesetzmäßige, nicht der Ausgangspunkt für die Organisation, sondern erst ein späterer Zustand, der in einem ganz neuen Licht erscheinen muß > Ich habe die dorsale Muskulatur der Beckenflosse von Spinax niger zum Uhnter- suchungsobjekt gewählt, weil bei derselben ım ausgebildeten Zustand eine klare unzweifelhafte ı) Dieser Gedankengang findet sich in nuce, wenn auch kurz, so doch, wie ich glaube, vollkommen so wie hier in meiner Arbeit im Morph. Jahrb., 1899, S. 578 entwickelt und das Prüfungsresultat bei Spinax ist ebendort referiert. Selbstverständlich kommen bei dieser Fragestellung nur solche Objekte in Betracht, bei welcher nun wirklich der Aus- gangszustand in der Entwickelung ein anderer ist als der Endzustand beim fertigen Tier. Nur wenn anfangs Konkordanz und später Diskrepanz oder anfangs Diskrepanz und später Konkordanz bei einem bestimmten Objekt vorhanden ist, kann ich prüfen, ob der eine Zustand embryologisch in den anderen übergeführt wird und in welcher Weise dies geschieht. Ist dagegen Konkordanz von Anbeginn bis zum Schluß oder Diskrepanz ab ovo usque ad mortem zu konstatieren, so ist unser Problem an dem betreffenden Objekt gar nicht zu prüfen. Das war meine Antwort in Bonn auf den Versuch von Herrn Prof. RapL, meinen Nachweis bei Spinax durch Demonstrationen von Torpedoserien zu erschüttern (Anatomische Gesellschaft Progr. 15. Vers. 1901, 2. Ausg. B, No. 15) Denn bei Rochen ist eben im ausgebildeten Zustand Konkordanz vorhanden (das war lange bekannt und auch von mir 1900, S. 183 ausdrücklich bestätigt). Falls also Herr Prof. Rapr sicher nachgewiesen zu haben glaubt, daß auch in den Anfangszuständen und allen folgenden Phasen Konkordanz besteht (was natürlich aus einer Demonstration von Quer- schnittsserien nicht ohne weiteres hervorgeht, was ich aber, ohne das Objekt selbst untersucht zu haben, selbstverständlich einem so sorgfältigen und genauen Untersucher glaube), so hätte Torpedo von voınherein als untauglich ausscheiden müssen. Ich habe selbst eine Reihe von Objekten untersucht, welche aus diesem Grund nicht zum Ziel führten, und konnte z. B. in Bonn als Gegendemonstration unter anderem graphische Rekonstruktionen zeigen, bei welchen ebenfalls von Anbeginn der Entwickelung an bis zum fertigen Zustand Konkordanz, also dasselbe wie bei Torpedo, besteht (es ist dies bei den Radien des Meso- und Propterygium der Brustflosse von Spinax niger selbst u. a. Ö. von mir gefunden worden). Da mir dies vor der Bonner Versammlung durch eigene Untersuchung bekannt war und mir der Endzustand von Torpedo ebenfalls vor Augen stand, war für mich das Resultat der embryologischen Untersuchung bei letzterem fast selbstverständlich. (Ich habe dies sogar vorausgesagt, siehe Morph. Jahrb., XXVII, 1899, S, 582.) Eine Publikation in den Versammilungsberichten habe ich s. Z. unterlassen, weil ich den unerquicklichen Streit durch die gegenseitige Aus- sprache für erledigt hielt. Ich fixiere jetzt nachträglich hier meine Stellungnahme, soweit diese nicht aus dem Text unmittelbar hervorgeht, und verweise diejenigen, welche es interessiert, noch kurz auf das Referat, welches C. RAagrL in seinen Gedanken und Studien etc. 1901, S. 540, Anm. I über die Demonstration in Bonn gegeben hat. 400 Tatsächliches aus der Entwickelung des; Extremitätenskelettes bei den niedersten Formen. 400 Konkordanz festgestellt wurde (Taf. XIV, Fig. 3) und weil sich bald ergab, daß diese bei Embryonen nicht besteht. Ich teile zunächst das Resultat meiner Untersuchungen mit und belege die wesentlichen Stadien in Taf. XIV mit genauen bildlichen Nachweisen. In Fig. ı sind die Basalia metapterygii und propterygii bereits partiell verknorpelt, das ganze übrige Skelett der freien Gliedmaße, insbesondere die Radien sind nur vorknorpelig ausgebildet. Die dorsalen Musculi radiales, deren Konturen allein ein- getragen sind (und zwar die Konturen der Berührungsflächen mit dem Skelett) weichen alle, allerdings in verschieden hohem Maße, von der Lage der Knorpelradien ab. In diesem jüngsten Entwickelungsstadium der Skelettradien herrscht Diskrepanz. Sie ist stellenweise sogar ziemlich beträchtlich z. B. bei den mittleren Radien 7—ı12. Besonders wenn man sich vorstellt, daß jede Muskelanlage in derselben Richtung weiterwachsen würde, in welche in diesem Stadium ihre Längsachse fällt, so ist es klar, daß die Diskrepanz zu der von den Skelettradien innegehaltenen Lage sich erheblich verstärken müsste. Der hauptsächlich auf Radius 8 liegende Musculus radialis z. B. würde mit seinem distalen Ende bald ganz auf Radius 9 gelangen und leicht Radius ıo erreichen können. Wenigstens ergibt eine einfache Rechnung, welche ich nicht zu reproduzieren brauche, daß der Schnitt- punkt der Achsen des Radius 10 und des auf Radius 8 hauptsächlich liegenden Muskels noch inner- halb der Grenzen des Skelettes fallen würde, falls man die Maße des Erwachsenen dabei anwendet. So müßte denn bei Innehaltung der in Fig. ı zu Tage liegenden Wachstumsrichtungen fast allerorts eine spezifische Verstärkung der Diskrepanz in späteren Embryonalstadien bemerkbar werden. Dies ist aber nicht der Fall. In Fig. > Taf. XIV ist ein Stadium der Beckenflosse abgebildet, in welchem auch die Radien des Meta- und Propterygium hyalınknorpelig geworden, aber nicht wesentlich gegenüber dem früheren Stadium gewachsen sind. Auch die Basalia sind in aus- gedehnterer Weise als bisher in hyalinen Knorpel übergeführt. (Die Spitze des primären Basale bei Spinax unterliegt hier ebenso wie bei der Brustflosse (S. 390) einer langsam fortschreitenden Reduktion, denn Radienanlagen wie 16 und ı5 verschwinden wieder, ı4 und 13 verschmelzen, wie aus Fig. ı, 2 und 3 hervorgeht) Die Lage der Muskeln zu den Radien ist derartig, daß zwar auch Diskrepanzen sehr zahlreich sind. Dagegen 'sind- an bestimmten Stellen Diskrepanzen in Kon kordanzen umgewandelt. Man achte z. B. auf die Radien ı, 2, 3 und die zugehörigen Muskeln derselben und vergleiche damit die Anordnung in Fig. 1. Ganz allgemein ist ferner zu bemerken, daß auch dort, wo noch Diskrepanz besteht, eine ganz andere Art von Diskrepanz zu stande gekommen ist als in dem jüngeren Stadium. Sämtliche distalen Enden der Muskeln liegen in Fig. 2 völlig auf entsprechenden Radıen. Die proximalen Muskelenden sind allerdings häufig auf den benachbarten Radius oder auf dessen ideelle Verlängerung im Basale verschoben, ja an diesen Stellen kann die Abweichung stärker sein als im jüngeren Stadium (man beachte z. B. unser früheres Beispiel, den auf Radius 8 liegenden Muskel). Besteht also im proximalen Gebiet, an den Ursprungsstellen der Radien, dieselbe oder durch fortgesetztes Wachstum sogar vermehrte Diskrepanz, so ist doch allgemein im distalen Gebiet, an den Radienenden, aus Diskrepanz Ronkordan? geworden. Im früheren Stadium dagegen war die Diskrepanz eine allgemeine, bei dem einen Radius mehr basal, beim anderen mehr terminal oder bei einem dritten über die ganze Länge gleich- mäßig lokalisierte Erscheinung. Der Umwandelungsprozeß, welchen wir hier beobachten, geht nun weiter. Er führt zur völligen Konkordanz an allen Punkten. Der Beweis, das ausgebildete Objekt, ist uns in Fig. 3 bereits bekannt. 401 Tatsächliches aus der Entwickelung des Extremitätenskelettes bei den niedersten Formen. 401 Es ist eine entwickelungsgeschichtliche Tatsache, daß sich konkordantes Verhalten zwischen Radien und Muskeln aus Diskrepanzen durch nachträgliche Umlagerungen der Muskeln hervorbilden kann. Auch hier möchte ich an den Bericht über das gewonnene Resultat eine Darstellung der angewendeten Methoden anknüpfen, weil ich glaube, daß hier besonders von der Methodik alles abhängt, klare übersichtliche Präparate zu gewinnen, und daß die früheren von den meinigen abweichenden Resultate der Embryologen in deren anderer Methodik ihre Erklärung finden. Wie bei den aus- gewachsenen Fischen gibt die Methode, Querschnitte durch die Flosse anzulegen, so daß die Radien quer getroffen sind, an sich auch bei Embryonen wenig übersichtliche Bilder. Man denke sich z. B. in Fig. 2, Taf. XIV Schnitte in der Richtung der Pfeile angelegt, so werden sehr viele Schnitte einer derartigen Serie scheinbar völlige oder fast völlige Konkordanz zeigen. Ich kann dies an einer Serie der linken Beckenflosse desselben Embryos demonstrieren‘), dessen rechte Beckenflosse zu der Rekonstruktion Fig. 2, Taf. XIV benutzt wurde. Erst wenn man die Rekonstruktion zur Hand nimmt und daraufhin die einzelnen Schnitte prüft, wird man gewahr, wie viele kleine und kleinste Abweichungen von der absoluten Konkordanz auch auf den OQuerschnitten auffindbar sind. Ganz anders gestaltet sich die Sache, wenn man auch hier zur Rekonstruktion des Gesamtbildes aus den einzelnen Querschnitten übergeht. Dann ergänzensichalle die kleinen und kleinsten Diskrepanzen der einzelnen Querschnitte zu einem Gesamtbild, jvon dessen aus- geprägter Diskrepanz ich jedesmal wieder überrascht war, wenn ich vorher nur die einzelnen Schnitte gesehen und versucht hatte, sie rein geistig zu einem einheitlichen Bild zu verknüpfen. Nirgends ist mir der Nutzen der Rekonstruktionsmethode so klar vor Augen getreten wie im vorliegenden Fall. Die Rekonstruktion gestattet eben dieselbe Art von Bildern zu gewinnen wie diejenigen waren, welche ich bei der Präparation ausgebildeter Selachier schilderte. Auch bei ihr nämlich läßt sich die Kontur der Muskelstreifen (und zwar der den Radien zugewendeten Fläche derselben) in seiner relativen Lage zu den Radien genau feststellen. Die Figg. ı und 2 geben also Pendants zu der Fig. 3, da sie die dorsalen Mm. radiales in entsprechender Darstellung wıe die letztere zur Anschauung bringen. Um nicht Fehlerquellen zum Opfer zu fallen, welche bei manchen indirekten Rekonstruktions- methoden wohl vorkommen können, wendete ich möglichst verschiedene Rekonstruktionsmöglich- keiten bei demselben Stadium an und gab mich erst zufrieden, wenn die verschiedenen Wege zu demselben Resultat führten. Anfänglich (1899 Taf. XXII, Fig. 5) habe ich die von Hıs besonders ausgebildete Methode benutzt, aus einer Querschnittserie mittelst Uebertragung auf Millimeterpapier Flächenkonstruktionen zu gewinnen. Die Tatsache der Diskrepanz als solcher ließ sich mit dieser Methode wohl liefern, wie meine damalige Abbildung zeigt. Allerdings ist es sehr schwer, wirklich im Detail genaue Gesamt- bilder zu erhalten. Jedenfalls genügte mein erster Versuch einer solchen Anforderung nicht, was zum ı) Es ist wohl überflüssig, Abbildungen von diesen Präparaten zu geben. Ich stelle jedoch meine Präparate “ Interessenten gern zur Verfügung und werde sie auch mit zur Anatomenversammlung nach Jena bringen, um sie dort zu zeigen, falls Kollegen sie zu sehen wünschen. Eine öffentliche Demonstration halte ich dagegen in diesem Falle für wenig zweckdienlich, obgleich ich den Nutzen von Demonstrationen im allgemeinen sehr wohl zu schätzen weiß. Beim vorliegenden Objekt kommt aber alles auf Rekonstruktionen aus den Serien an, wie im Text ausgeführt ist. Auch meine Materialien und Unterlagen für diese bin ich gern bereit jedem zu zeigen, welcher meine Resultate kontrollieren will. Das geht natürlich nicht durch einige flüchtige Blicke ins Mikroskop, sondern nur durch eingehenderes Studium. Die übliche Art der Demonstration ist eben für den vorliegenden Fall eher geeignet, zu Irrtümern Veranlassung zu geben, anstatt den wahren Sachverhalt klar zu legen. Darüber, glaube ich, werden meine Ausführungen über die Methodik keinen Zweifel gestatten. Jenaische Denkschriften. XI. 51 Festschrift Ernst Haeckel. 402 Tatsächliches aus der Entwickelung des Extremitätenskelettes bei den niedersten Formen. 402 teil auch darin begründet liegt, daß das Material nicht einwandfrei war. Jetzt wo ich die Methode namentlich durch zuverlässigere Markierung‘) besser beherrschen lernte, erhielt ich dasselbe Resultat wie mit den anderen, leistungsfähigeren Mitteln. Ich schnitt von demselben Embryo die eine Beckenflosse in Ouerschnitte, von denen bereits die Rede war (Schnittrichtung in Fig. 2, Taf. XIV durch Pfeile net ante) und erhielt auf dem Millimeterpapier in allen wesentlichen Punkten ein mit der Fig. 2 identisches Bild. Das .letztere ist aber aus einer Horizontalschnittserie der anderen Beckenflosse desselben Embryos durch die graphische Isoliermethode (nach KaAsıscHENKo) gewonnen. Im einzelnen sind hier und da ganz geringe Abweichungen der beiden Rekonstruktionsbilder vorhanden. Doch ist unter diesen keine, welche nicht in kleinen antimeren Variationen leicht ihre Erklärung finden könnte. Alles was oben für die Fig. 2 als typisch gegenüber Fig. ı angeführt wurde, ist in der Rekonstruktion auf Millimeterpapier gerade so klar und unzweifelhaft zu erkennen wie in Fig. 2. Die Methode KastscHEnkos hat sich mir am sichersten erwiesen. Sie ist gerade, was Sicher- heit im Detail angeht, der plastischen Methode Borns u. a. weit überlegen. Denn alle in- direkten Methoden, wie man die Millimeterpapier- und Wachsmethode nennen kann, haben den Nachteil, daß das Objekt selbst nur bei der Herstellung der Ausgangsbilder dem Forscher vor Augen steh. Wenn einmal die Uebertragung auf das Maßpapier oder die Umwandlung in Wachsplatten etc. begonnen hat, wird nicht mehr direkt mit dem Objekt, sondern nur mit dem Abklatsch nach diesem gearbeitet. Läßt dann die Markierungslinie oder irgend eine nach dem Objekt selbst bezeichnete Hilfsmarkierung im Stich durch gelegentliche kleine Mängel, welche wohl ganz nie vermieden werden können (allein die Zusammenschiebung des Paraffins durch das Messer ist ganz beträchtlich und stets genau zu kontrollieren!) so ist dem Irrtum Tür und Tor geöffnet. Ganz anders ist dies bei der direkten Methode KastscHenkos. Hier wird ein Schnitt auf den anderen mit dem Zeichen- oder Projektions- apparat unmittelbar aufgepaust. Außer der Markierungslinie stehen alle jene zahlreichen und gegebenen- falls viel zuverlässigeren Hilfsmittel zur Verfügung, welche im Präparat selbst gelegen sind. Der äußere Körperkontur, irgendwelche Organkonturen, Gefäß- oder Nervenstämme gestatten stets und ständig eine Kontrolle, ob auch die Markierungslinie an dem betreffenden Einzelschnitt richtig sitz. Wenn dies unab- hängig von dem eigentlichen Objekt der Rekonstruktion, in unserem Fall von den graphisch zu isolierenden Skelett- und Muskelteilen feststeht, dann kann man mit,voller Sicherheit die ı) Die Markierungslinie bringe ich nach der Born-PETErschen Methode mittelst der Zeißschen Markierungsplatte am Paraffinblock an. Ich habe erst gleichmäßig gute Erfolge, seitdem ich die Platte mit unverdünntem Glycerin vor dem Gebrauch solange einreibe, bis die Rinnen völlig benetzt sind. Den Ueberschuß entfernt man am besten mit einem feinen Pinsel. Auch scheint mir die folgende Zusammensetzung der schwarzen Farbe für die Markierungsfläche sehr wesentlich für den Erfolg zu sein, wenn man nachträgliche Färbungen, auf welche ich stets angewiesen war, verwenden will. Ich nehme gleiche Feile (d. h. je ein bis zwei Tropfen) von absolutem Alkohol, photographischem Mattlack und Glycerineiweiß und verreibe diese Flüssigkeit schnell auf einer Glasplatte. Dann wird soviel von feinstem, käuflichem Ruß zugesetzt, bis eine dünne noch leicht ausstreichbare Masse entsteht. Diese läßt sich mit emem feinen Pinsel gut auf die Markierungsfläche auftragen, Es ist notwendig, den Block 24 Stunden trocknen zu lassen, ehe man die Markierungsfläche mit Paraffin überzieht. Auch bei der letzteren Manipulation hat es sich als notwendig für gute Erfolge erwiesen, dasselbe Paraffin zu nehmen wie das- jenige war, aus welchem der Klotz gegossen wurde (dasselbe empfohlen bei PETER, Encyklop. d. mikr. Technik, 1903, Capit. plast. Rekonstr.). Größere Differenzen im Schmelzpunkt des Paraffins ergeben nämlich beim Schneiden und Strecken der Schnitte an der Stelle, wo die beiden Paraffinsorten zusammenstoßen, Spannungen und Verzerrungen. Diese Stelle ist aber gerade in einem solchen Fall die Markierungslinie! Mit diesen Modifikationen hat sich mir die BORN-PETER’Sche Methode sehr bewährt. Ich verwende sie bei allen Serien und habe sie für das Laboratorium als Regel für alle Präparate der embryologischen Institutssammlung eingeführt. Einige der angegebenen Verbesserungen (z. B. die Verwendnng von Glycerineiweiß für die . Markierungsfläche) verdanke ich dem Präparator des Instituts, Herrn A. VIERLING. 403 Tatsächliches aus der Entwickelung des Extremitätenskelettes bei den niedersten Formen. 403 Konturen für die letzteren einzeichnen. Kein Strich wird dabei ausgeführt, ohne das Präparat zur Kontrolle vor Augen zu haben’)! Für Objekte, bei welchen komplizierte Anordnungen nach allen Dimensionen des Raumes vor- handen sind, wird freilich eine einzige graphische Rekonstruktion nie zum Ziele führen. Verschieden gerichtete Serien können da aushelfen. Dann ist die plastische Rekonstruktion von großem Vorteil oder selbst unentbehrlich, In unserem Fall habe ich dieselbe angewendet, um mich zu vergewissern, ob nicht etwa die Diskrepanz der dorsalen Muskelanlagen mit den Skelettradien, von welcher bisher die Rede war, durch eine entsprechende Schieflage der Muskeln auf der ventralen Seite kompensiert sein könnte. Daß eine solche Kompensation keine komplette sein könnte, ist ja ohne weiteres klar, wenn man die windschiefe Stellung der Muskel- und Skeletteile zu einander berücksichtigt. Aber’ selbst eine örtlich beschränkte Kompensation ließ sich am Wachsmodell nirgends finden. Die ventralen Muskeln weichen in ihrer Richtung ebenso beträchtlich von derjenigen der Radien ab wie die dorsalen. Diese Diskrepanz ist nicht dieselbe wie bei den dorsalen Muskeln, also, wie es scheint, unabhängig von der letzteren. Auch sie vermindert sich in den älteren Stadien und führt bei den meisten Radien zu völliger Konkordanz, bei einigen jedoch (vergl. S. 399) fand ich auch beim ausgebildeten Tier noch Diskrepanzen. Bei dem Spinax nahe verwandten Acanthias erhalten sich letztere in weit höherem Maße (Braus 1900, Taf. XXIX, Fig. 1). Nach dieser ausführlichen Darstellung meiner Befunde, wiederhole ich für Spinax niger meinen früheren Satz: Der wahre Sachverhalt zeugt gerade entgegengesetzt der Meinung Rasıs für eine ursprüngliche Diskrepanz zwischen Muskel- und Skeletteilen, welche erst allmählich und successive einer annähernden oder völligen Konkordanz beider Platz macht. Derselbe gilt für das embryonale Geschehen bei unserem Objekt, wie oben bewiesen ist. In dem Zusammenhang meiner Arbeit war er aber weniger ontogenetisch gemeint. Er war vielmehr umfassender gedacht, wie aus der betreffenden Stelle (1900, S. 266 und 267) klar hervorgeht. Für unsere jetzigen rein entwickelungsgeschichtlichen Feststellungen fragt es sich, ob dem Befund bei Spinaxembryonen allgemeinere Bedeutung zukommt. Auch hier liegen bestimmte Tatsachen vor. Einmal kann man sich bei aufmerksamer Verfolgung von Schnittserien durch Squalidenembryonen, von denen verschiedene Species aus verwandtschaftlich fernstehenden Familien von mir daraufhin untersucht wurden, überzeugen, daß Diskrepanzen in der Entwickelung allgemein verbreitet sind. Die genauere Lokalisation könnte nur durch Rekonstruktionen festgestellt werden. Diese Methode ist natürlich sehr weitläufig. “Doch können wir ihrer entraten, da schon aus der numerischen Relation hervorgeht, daß eine Konkordanz der Skelettradien mit Muskelanlagen nicht nachweisbar ist. Außerdem führt uns die ziffermäßige Beziehung der Muskeln und Skelettanlagen zu einander direkter zu dem Hauptproblem, wie sich die letzteren zur Metamerie verhalten. Die numerische Relation, zu welcher ich mich jetzt wende, ist mit der topographischen Relation (Konkordanz bezw. Diskrepanz) deshalb eng verknüpft worden, weil nach der früher allgemein herrschenden Ansicht von der Konkordanz der Muskel- und Skelettelemente als natürliche Konsequenz 1) Schon in früheren Arbeiten habe ich die Kastschenkosche Methode benutzt (Morphol. Jahrb., Bd. XXVII, 1899, Taf. XXI, Fig. 6). Besondere Anregung, dieselbe möglichst umfänglich anzuwenden, gaben mir dann später die wunder- vollen Rekonstruktionen von H. SpEMmAnn (Würzburg), welche mit derselben Methode gewonnen waren. Auch A. N. SEWERTZOFF (Festschrift f. C. KUPFFER 1899 u. a. O.) hat die Methode besonders gepflegt. 5L* Tatsächliches aus der Entwickelung des Extremitätenskelettes bei den niedersten Kormen. 404 404 auch die Identität der Zahl angenommen werden mußte. Denn wenn je zwei Muskeln (ein dorsaler und ventraler) genau einen Radius zwischen sich fassen, so muß ja die Zahl der dorsalen Muskeln, wie auch die- jenige der ventralen, genau gleich derjenigen der Radien sein. Nachdem einmal festgestellt war, daß die Muskulatur der Flossen entwickelungsgeschichtlich von der metameren Muskulatur des Rumpfes abzuleiten ist, schien hier die Möglichkeit gegeben zu sein, die numerische Relation zwischen Flossen- radien und Flossenmuskeln nun auch auf die Rumpfmuskeln und damit also auf die Rumpfmetameren umzurechnen. C. Ragr. hat dies zuerst versucht und ist zu dem Resultat gekommen, „daß die Zahl der Strahlen gleich ist der doppelten Zahl der Urwirbel, die sich an der Bildung der Flossen beteiligen. Dieser Satz gilt in gleicher Weise für die Squaliden, wie für die Rajiden“'), (Theorie des Mesoderms S. 203). Wenn ich die Zahl der Urwirbel, welche beteiligt sind, mit W und die Zahl der Radien mit R bezeichne, so läßt sich dieser Satz Ragıs auch ausdrücken in der Formel er W. Durch weitere Umrechnungen, auf welche ich jedoch nicht einzugehen brauche, ist daraus die zu weiterer Verbreitung gelangte Formel Ragıs geworden. Ich glaube jetzt, nachdem nicht mehr am Vorkommen von Dysmetamerieen der Muskeln und Diskrepanzen derselben mit dem Skelett gezweifelt werden kann, erst recht, daß man die numerische Relation nicht prüfen kann durch Vergleichung der Zahl der Radien und der Zahl der Musculi radiales. Auch die Zahl der Muskelknospen ist nur dann zu gebrauchen, wenn wirklich sämtliche Muskelknospen mit Sicherheit gezählt werden. Und schließlich sind in Fällen, wo Muskelknospen rudimentär geworden oder sonstwie nicht entwickelt sind, auch alle diejenigen metameren Anteile mit in Rechnung zu stellen, welche nur überhaupt die Muskeln der Extremität aufbauen helfen. Wenn man auf diese Weise tatsächlich „die Zahl der Urwirbel, die sich an der Bildung der Flossen beteiligen“, bestimmt, so ist das Resultat ein überraschendes. Ich konnte niemals bei zahl- ; ; RE Se A R reichen daraufhin untersuchten Objekten weder bei Squaliden, noch bei Rajıden nachweisen, daß a W im obigen Sinne ist. Im Gegenteil, es stellte sich völlige Unabhängigkeit der Zahl der Radien von der Zahl der beteiligten Metameren heraus. Ich habe diesbezügliche Beweise bereits früher kurz veröffentlicht (Verhandl. d. anat. Ges. Kiel 1898 und Morph. Jahrb., Bd. XXVI) und will sie hier zusammenstellen. Zunächst möchte ich über die Unter- suchungsobjekte Ragıs berichten, auf welche er seinen oben zitierten Satz aufbaut. Es ist das ein Scylliide (Pristinrus melanostomus), ein Spinacide (Acanthias vulgaris) und ein Torpedinide (Torpedo marmorata). Was Pristiurus angeht, so sind dort 21—22 Radien in beiden Flossen vorhanden (Ragı, Theorie des Mesoderms, S. 203). Bei der Brustflosse sind embryonal 14, bei der Beckenflosse ı7 (beim aus- gebildeten Tier noch ı5) Metameren am Aufbau der Muskulatur beteiligt. Die Formel heißt also hier nicht = = W, sondern etwa _ +3 =W für die Brust-, _ +6 = W für die Beckenflosse. Von Spinacidenembryonen, dem zweiten Objekt Ragıs, wähle ich Spinax niger. Hier besitzen Brust- und Beckenflosse die gleiche Zahl an Radien, nämlich 19. Am Aufbau der Muskulatur bei der embryonalen Brustflosse sind mindestens 10, bei der Beckenflosse mindestens 26 (im aus- gebildeten Zustand noch 14) Metameren beteiligt gefunden worden. Die Formel heißt also auch hier nicht Ir — W, sondern für die Brustflosse etwa = + Y, = W, für die Beckenflosse etwa _ — To Wa 2 1) In seinen „Gedanken und Studien etc.“ S. 535, sagt RAgr, daß er seine Formel für die Rajiden „aber nur für diese“ aufstellte.e Das ändert natürlich nichts daran, daß der hier wesentliche Inhalt der Formel, die metamere Relation, für alle Selachier gelten soll, wie die citierte Stelle klar ausdrückt. 405 Tatsächliches aus der Entwickelung des Extremitätenskelettes bei den niedersten Formen. 405 Schließlich wähle ich für die Torpediniden Torpedo ocellata. Bei der Brustflosse, zähle ich s6 Radien; bei Embryonen beteiligen sich 26 (beim ausgewachsenen Tier 27) Metameren an der Muskularisierung derselben. Die Formel lautet also auch hier nicht Fe W, sondern N ge W. Bei der Beckenflosse beträgt die Zahl der Radien 20, diejenige der beteiligten Metameren ı4 (beim ausgewachsenen Tier ı2). Formel: statt = m uelimelu ZZ y. Schon bei den drei Familien, welchen Ragr sein Material entnahm, ist also tatsächlich keine feste numerische Relation vorhanden, wenn man wirklich die metameren Bausteine der R h Muskulatur der Flossen prüft. Alle scheinbar die Formel iR W bestätigenden Ergebnisse beruhen darauf, daß die Muskelanlagen nicht in allen Stadien metamer sind und außerdem nicht immer die Gesamtanlage der Muskulatur repräsentieren. Sollte vielleicht doch noch nach den angeführten Beispielen an eine sehr versteckte Gesetz- mäßigkeit gedacht werden, so ist auch dies zu beseitigen durch Untersuchung eines größeren Materials. Ich habe freilich keine vollständigen Erfahrungen über Embryonen von anderen Familien. Doch ist es möglich, auch am ausgebildeten Tier noch festzustellen, wie viel Metameren mindestens die Muskulatur der Flossen gebildet haben. Zu diesem Zweck habe ich früher schon (1898) die Zahl der metameren Flossennerven gezählt und deren Zahl für die Zahl der Urwirbel (W) eingesetzt. Bei 20 verschiedenen Squaliden und Batoiden (Rajiden u. s. w.) war kein Mal Se W festzustellen ; dagegen schwankten die notwendigen Modifikationen dieser Formel bei der Brustflosse zwischen > a sund _ — 6=W, bei der Beckenflosse zwischen - = 19 winel = — 1, = W. (Jenaische Zeitschr, Bd. XXXI, Tabelle S. 446) Die Tatsachen der Entwickelungsgeschichte sind also die, daß ı) ganz zu Anfang metamere Muskelanlagen ohne feste numerische Beziehungen zu den späteren Radienanlagen in die primitiven Fxtremitäten eintreten, daß 2) am Ende der Entwickelung aus diesem Material Muskeln entstanden sind, welche sich fast ganz oder ganz den inzwischen gebildeten Skelettradien der Lage und der Zahl nach angeschlossen haben. Zwischen diesen beiden Extremen des Entwickelungsprozesses liegt aber nicht eine einfache Anlagerung der Radien an die ersten Muskelknospen in statu nascendi, so daß die Metamerie der letzteren gleichsam auf die ersteren ausstrahltee Sondern es ist ein völliger Umformungsprozeß eingeschaltet, welcher die metameren Bausteine der Extremitätenmuculatur zu neuen Verbänden zusammen schließt, und erst aus den so erzeugten dysmetameren Produkten (Musculi radiales) die eigentliche Muskulatur der Endstufe mit ihren Beziehungen zum Skelett aufbaut. Dieser Umformungsprozeß ist embryologisch einmal durch die Anastomosenbildung zwischen den anfänglichen Muskelknospen gegeben und ferner durch die Ueberführung der Diskrepanzen zwischen Muskeln und Radien in geringere Abweichungen der Topographie oder in völlige Konkordanzen. Man kann sich zur Erklärung dieser Entwickelungsvorgänge vorstellen (wie ich dies vergleichend- anatomisch durchzuführen versuchte [1900], daß ursprünglich (phylogenetisch) nur der letztere Modus bei den primitiven Extremitäten in Tätigkeit war und so allmählich hochgradige Diskrepanzen in etwas weniger hochgradige, d. h. schließlich in immer mehr übereinstimmende Lagerung von Muskulatur und Skelett zu verändern bestrebt war. Wie immer bei der Muskulatur pflegt die streng metamere Ein- teilung starken Umformungsprozessen hinderlich zu sein und deshalb allmählich aufgegeben zu werden. Das sieht man ja an jedem Muskel unseres Körpers. So denke ich mir auch bei der Entstehung der Gliedmaßenmuskulatur allmählich die Metamerie zur besseren Adaptierung der Muskeln an das Skelett 406 Tatsächliches aus der Entwickelung des Extremitätenskelettes bei den niedersten Formen. 406. und des letzteren an diese in Wegfall kommen. In der speziellen Entwickelung verläuft der größte Teil dieser Umformungen in der Art eines Austausches metameren Baumateriales durch die Anastomosen. Nur ein Rest der sie ursprünglich bedingenden Verlagerungen äußert sich noch in der Umbildung von Diskrepanzen in Konkordanzen. VI. Die Objekte, welche für eine Vergleichung mit dem Glied- massenskelett in Betracht kommen können, ın ıhrer Entwickelung. (Pinnae, Visceralskelett.) Das Gliedmaßenskelett ist von den verschiedenen Autoren mit untereinander sehr differenten Objekten in Vergleich gesetzt worden. Rippen, Unpaarflossen (oder Pinnae) und Visceralbogen sind es, also völlig heterogene Gebilde, welche hierhin gehören. Man kann sagen, daß in bestimmten Epochen der Mor- phologie abwechselnd einer von diesen Vergleichen Mode war. So löste einer derselben den anderen ab. Auf den Vergleich mit Rippen braucht heutzutage wohl kaum eingegangen zu werden. Die Entwickelung zeigt die Anlagen derselben im unmittelbaren Zusammenhang mit der Wirbelsäule (AR Fig. 7b). Die Bogenform ausgebildeter Rippen, welche frühere Anatomen zur Aufstellung des Ver- gleiches veranlaßte, ist also eine spät von den Rippen gewonnene Konfiguration, welche erst dann ge- bildet wurde, wenn sie zur Stütze des Rumpfes an die seitliche Bauchwand vordrangen und hier die Rundung derselben wiederholten. Die Extremitätengürtel dagegen entstehen ın der Rumpfwand und dringen in solchen Fällen, wo sie sich mit dem Achsenskelett verbinden (mit dem Schädel oder der Wirbelsäule bei der vorderen Extremität mancher Fische und beim Beckengürtel der Tetrapoden), erst sekundär zu demselben vor. Die ÖOntogenie niederer Vertebraten ist also zum mindesten einem solchen Vergleich nicht günstig. Es bleiben deshalb die Pinnae und Visceralbogen zur genaueren Prüfung übrig. Es liegt dabei nicht in meiner Absicht, eine detaillierte Entwickelungsgeschichte des Skelettes eines dieser beiden Systeme zu geben. Denn das möchte ich einer anderen Gelegenheit vor- behalten. Dagegen sollen solche embryologische Tatsachen hervorgehoben werden, welche mit den bisherigen Erfahrungen nicht oder nicht ganz übereinstimmen und deshalb neues Licht auf die Ver- gleichsobjekte zu werfen im stande sind. Auch hier führe ich meine von früheren Autoren abweichenden Befunde der Hauptsache nach auf das neue embryologische Material zurück. A. Das Skelett der Unpaarflossen [Pinnae')]. Die Innenstrahlen der Pinnae entwickeln sich verschieden und zwar je nach der Pterygio- phorenklasse , welche als Objekt der Untersuchung ausgewählt wird, und je nach den verschiedenen Pinnae selbst bei ein und demselben Objekt. Bei Spinax niger ist die Ontogenie des Skelettes in den Dorsalflossen eine ganz andere als in der hypochördalen Caudalis. Daß dies eine allgemeine Erscheinung bei Selachiern, Ganoiden und Teleostiern ist und daß zu der Gruppe der Dorsales sich noch die Analis und die epichordale Caudalis gesellen, hoben bereits BaLFour und PARKER ?) hervor. In Fig. 7a ist die erste Zellverdichtung abgebildet, welche die Anlage des Skelettes der Dorsalis ı) Es ist dieser Abschnitt ein kurzer Auszug meiner Ausführungen in HErTwıGs Handbuch der- vergl. u. exp. Entwickelungsl. über dasselbe Thema, soweit derselbe sich auf eigene Untersuchungen stützt. 2) BALFOUR and PARKER, On the structure and development of Lepidosteus, Philos. Transact. R. Soc. London, 1882. ‚der ı. Dorsalis von Spinax niger. a) Sagittalschnitt -ca. 35.mm Länge. (Vergr.d. Orig. gomal, hier 30mal). allgemein von den Embryologen seit für die diskrete Anlage des Skelettes ‘brachten, hat außerdem die Ansicht auf- 407 Tatsächliches aus der Entwickelung des Extremitätenskelettes bei den niedersten Formen. 407 bildet. Sie ist vom Rückenmark durch einen geringen Zwischenraum getrennt. Züge von Mesoderm- zellen und -fasern, welche quer von einer Seite der Flossenleiste zur anderen verlaufen, schließen basal gleichsam die. Flossenleiste gegen die Medulla ab, so daß auf Querschnitten die Abgrenzung der Mesodermverdichtung eher noch schärfer erscheint als ım Sagittalschnitt. Auch ist die Anlage der Neuralbogen in diesem Entwickelungsstadium dorsalwärts noch nicht so weit in die Höhe gerückt, daß an ein unmittelbares Hervorwachsen der Skelettanlage der Pinna dorsalis aus jenen gedacht werden kann. Die Anlage des Skelettes ın der Dorsalis ist also eine diskrete. Biere Zwei Stadien der Skelettentwickelung bei durch einen Embryo von 20,5; mm Länge (dasselbe Stadium wie in Fig. 1, Taf. XIII), Vergr. 48mal; b) graphische Rekonstruktion (nach KASTSCHENKO), zugleich für die benachbarte Wirbelsäule. Embryo von E Ektoderm (bei Z’ etwas abgehoben). Rz Rücken- mark mit (C) Centralkanal (in Fig. 7a unregelmäßig angeschnitten). CA Chorda. Die vorknorpeligen Anlagen der Pinna, Wirbelsäule und Rippen sind in Fig. 7b in grauem Ton dargestellt, die Knorpelanlagen getüpfelt. W- Anlage der Wirbelkörper. A Knorpelzentren in den Rippen. G Spinalganglion mit dorsaler und ventraler Wurzel. A Gefäß, welches neben der Wirbelsäule in die Höhe zieht. Am (kaudal) darauffolgenden Wirbel ein Ast dieses Gefäßes, welcher das ventrale Nerven- loch passiert. Der Pfeil gibt die Richtung nach dem ° Kopf an. (Alle übrigen Figurenbezeichnungen im Text erklärt.) Es ist das eine Bestätigung der Barrours Monographie über die Se- lachierentwickelung gefundenen Art der Ausbildung. P. MaveEr, dessen Ar- beiten!) besonders ausführliche Belege gestellt, es entwickele sich das Skelett von außen nach innen,also axipetal. Bei Spinax ist dies leicht zu prüfen, weil das Skelett der Dorsales bei diesem Hai nicht wie bei anderen Formen in Längsstäbe gegliedert ist, sondern weil es sich um Platten handelt, von welchen eine größere (6, Fig. 7b) im basalen Teil der Flosse liegt, während die kleinere (64) sich mehr distal- wärts befindet. Von freien Radien findet sich nichts, auch nicht in der Entwickelung (Fig. 7a). Der Strahl 7 (Träger des Dentinstachels) ist das deutlichste, aber ein einseitig differenziertes Ueberbleibsel der Radien. Auch er steht mit dem Basale 5 von vornherein in kontinuierlichem Zusammenhang. Andere Radien bilden sich als kleine Höckerchen auf dem distalen Kontur des Vor- knorpels aus (R! und vielleicht %°%). Später erhalten sie separate Knorpelzentren, und R' bildet einen diskreten Knorpelstrahl von ziemlicher Länge. So zeigt sich in dieser Entwickelung axifugales Fortschreiten der Entfaltung. Denn die ein- 'heitliche Mesodermplatte der Fig. 7a hat bereits einen basalen Kontur, welcher in seiner Form und in ı) P. Maver, Die unpaaren Flossen der Selachier. Mitteil. d. Zool. Stat. Neapel, Bd. VI, 1886. 408 Tatsächliches aus der Entwickelung des Extremitätenskelettes bei den niedersten Formen. 408 seiner Lage ganz dem basalen Kontur des viel älteren Stadiums 7b entspricht. Jedenfalls ist derselbe nicht axipetal verschoben zwischen den beiden Ausbildungsformen 7a und 7b. Dagegen hat sich der distale Rand der Sklettanlage verändert. An diesem muß also neues gewachsen sein. Dies zeigt sich einmal am Vorknorpel, welcher in den Zwischenstadien zwischen 7a und 7b besser hervortritt und P sowohl wie AR! (R?) successive entwickelt. Es zeigt sich aber auch am Knorpel. Denn zuerst tritt das Basale 5 auf (in einer zwischen 7a und 7b liegenden Stufe, welcher dd noch fehlt. Dann bildet sich das distalere Basale dd und der Knorpel 7° wächst stärker aus (Fig. 7b), schließlich entstehen noch Knorpelchen am distalen Rand (in Ä' und weiter kaudal. Vergl. Mivarı 1. c. Taf. LVII, Fig. 4.) Allerdings muß in alten Entwickelungsstadien eine geringe axipetale Verlagerung des Skelettes erfolgen. Denn beim ausgewachsenen Tier ist die basale Kante der Platte 5 nicht nur mit dem vorderen Teil, an welchem Kontinuität mit dem Knorpel 7 besteht, fest dem Achsenskelett auf- gelagert, sondern auch mit dem hinteren, kaudalen, welcher in Fig. 7a und b schräg vom Rückenmark sich abhebt. Die Befestigung ist auch an dieser Stelle eine innige, besonders deshalb, weil an ihr nach beiden Seiten des Körpers zu kurze, flügelförmig abstehende Knorpellamellen entstanden sind, welche gleichsam zur Verankerung des Basale am Achsenskelett dienen. Ich fasse diese axipetale Verlagerung (und ähnliche nachträgliche Verbindungen des Skelettes der Pinnae dorsales bei Selachiern) als sekundäre Bildungen auf, welche sich wahrscheinlich deshalb entwickelten, weil die als Waffe (oder in anderen Fällen zum Balanzieren) benutzte Flosse eines festeren Haltes bedurfte als den, welchen sie zwischen den Muskeln fand. Dies bemerke ich deshalb, weil ich der Ansicht GEGENBAURs, daß solche Verbindungen bei den Dorsales Ueberreste primärer Zusammenhänge seien, nicht bei- pflichten kann (siehe die nähere Begründung dieser Ansicht bei Herrwic, vergl. S. 406 Anm. r). Fig. 8. Skelett der Schwanzwirbelsäule und hypochordalen Caudalis. Graphische Rekonstruktion (nach KASTSCHENKOo) von dem- selben Embryo entnommen, von dem Fig. 7b stammt. Vergr. des Originals 7omal, hier 35mal. Die Vorknorpelanlage der Wirbelkörper selbst ist fortgelassen. Auf der Chorda (Ch) sitzen die Knorpel- anlagen der Neuralbogen (VB) und Hämalbogen (772) auf. Zwischen den letzteren die Caudalarterie @ und -vene v mit Seitenästchen, welche zwischen den Hämalbogen liegen. Die Neuralbogen liegen dem Rückenmark (Rz) an. Aus letzterem entspringen dorsale und ventrale Spinalnervenwurzeln. Die dorsalen Wurzeln mit Spinal- ganglion. Die Anordnung der Neural- (und Hämal)bogen zu den metameren Nerven beweist, daß die Wirbel des Schwanzes Halb- wirbel sind (vergl. Braus, Morph. Jahrb., Bd. XXVII, 1899, S. 424 Anm. Auch C. Rapr hat seine früher abweichende Meinung neuerdings zurückgezogen (s. Gedanken und Studien, 1901, S. 545, Anm. 25). 77 Hornfäden des Flossensaumes. Ganz anders verhalten sich betreffs der Kontinuitätsfrage diejenigen Skelettelemente, welche sich in der hypochordalen Caudalis befinden. Auch von diesen hat P. Mayer angegeben, daß sie diskret entständen und sich wie alle anderen Stützen der Pinnae sekundär dem Achsenskelett anschlössen. Es widerspricht dies der älteren Angabe von Barrour und PARKER (l. c.), welche die hypochordale Caudalis ausdrücklich allen übrigen Unpaarflossen wegen der Verschiedenheit der Skelettentwickelung 409 Tatsächliches aus der Entwickelung des Extremitätenskelettes bei den niedersten Formen. 409 gegenüberstellten. Auch ich finde bei Spinaxembryonen die ersten Anlagen der sogenannten „Hämal- dornen“, der Radien für die hypochordale Analis, in kontinuierlichem Zusammenhang mit den Hämalbogen. Sie bestehen in dem der graphischen Rekonstruktion Fig. 8 zu Grunde liegenden Objekt aus Vorknorpel (die dunkel getönten Fortsätze der Hämalbogen 772). Später dringt auch der Knorpel von den Hämalbogen in die Dornen vor, nachdem sich erstere in der Medianebene vereinigt haben. Eine Abtrennung der Dornen von den Hämalbogen findet bei Spinax (und den meisten Selachiern) auch beim ausgebildeten Tier nicht statt. Das Wachstum ist natürlich ein rein axi- fugales. Es geht nun wohl nicht an, für die Knorpelstützen der verschiedenen Pinnae eine heterogene- tische Abstammung zu postulieren, wie dies Barrour und PARKER auf Grund solcher Unterschiede getan haben. Denn einmal ist doch auch bei den Pinnae dorsales das Wachstum ein axifugales wie bei der hypochordalen Caudalis. Ferner legen sich alle Unpaarflossen bei manchen Formen noch als eine zusammenhängende Flossenleiste an, und speziell bei der hypochordalen Caudalıs und Analis sind engere genetische Homodynamieen in der äußeren Form von Acassız konstatiert worden. Im letzteren Fall müßten Ausschnitte aus derselben ursprünglichen Flosse an übereinstimmend ge- bauten Stellen des Körpers völlig heterogenetische Skelettanlagen erhalten haben, was nicht wahrschein- lich ist. Schließlich hat Gr. Kerr!) bei Lepidosirenembryonen eine völlig gleichartige Ent wickelung der Radien in der ganzen hier noch einheitlichen Pinna (epi- und hypochordal) gefunden und zwar als „wahre Dornfortsätze der Wirbelsäule“ (auch bei Selachieren ist in Ausnahme- fällen Zusammenhang der Radien mit Neuralbogen in der epichordalen Caudalis und ferner Ablösung von Hämaldornen in der hypochordalen Caudalis beobachtet worden, so daß also auch bei ihnen Uebergänge zwischen den beiden sonst scharf geschiedenen Gruppen zu bestehen scheinen). Es kann nicht zweifelhaft sein, welcher von den beiden geschilderten Typen der phyletisch ältere ist. Denn bei der größeren Gruppe (Dorsales, Analıs und epichord. Caudalis) ist der Unterschied gegenüber der hypochordalen Caudalis doch nur der, daß im Anfang eine Spalte zwischen Achsen- skelett und Skelettanlage der Flosse besteht. Ob an Stelle derselben nicht früher einmal Skelettgewebe in irgend einer Form gelegen war, welches auf Zustände wie bei den Hämaldornen der hypochordalen Flosse und wie bei sämtlichen Dornen des Lepidosiren zurückzuführen wäre, können wir aus der Ontogenie direkt nicht entnehmen (denn was sie uns hier aussagt, ist etwas rein Negatives). Wir können uns aber sehr wohl denken, daß ein solcher Zusammenhang wie bei den Flossen, welche ihn noch besitzen, verloren gehen mußte. Die letzteren, welche von den Bogen der Wirbelsäule aus entstehen, sind völlig metamer angeordnet. Das ist bei den diskret sich entwickelnden Skelettteilen in den genannten Pinnae nicht der Fall. Es kommen meistens mehrere auf ein Metamer und zwar eine wechselnde Zahl auf jedes?). Schließlich kann, wie bei Spinax, von der Metamerie fast jede Spur verschwunden sein, obgleich wir, wie ich glaube, doch eine solche in den Ahnenzuständen solcher Flossen annehmen müssen (s. S. 412). Sind also z. B. in einem Basale wie dem der Dorsalis von Spinax viele ı) Ich verdanke diese Kenntnis einer Mitteilung des mir befreundeten Autors, welcher mir dieselbe zur Publikation im Herrwisschen Handbuch zur Verfügung stellte. Man findet sie dort im Kapitel „Extremitäten“ abgedruckt. 2) Vergl. auch die Arbeiten von 'THACHER, welcher bei ausgebildeten Formen zeigte, daß keine feste numerische Korrespondenz zwischen diesen Radien und den Wirbeln besteht. Meistens entspricht ein Radius plus dem Bruchteil eines zweiten einer Wirbellänge; bei Carchariiden sogar c. 2,5, in der Analflosse von Sphyrna 3,5 Radien pro Wirbel u. s. £. THACHER, Median and paired fins etc. Trans. Connecticut Acad., Vol. III, New-Haven 1878, S. 285. Jenaische Denkschriften. XI. 52 Festschrift Ernst Haeckel. 410 Tatsächliches aus der Entwickelung des Extremitätenskelettes bei den niedersten Formen. 410 Radien vereinigt (aus der Anzahl der Musculi radiales »»,, welche in Fig. 7b mindestens 14 beträgt, läßt sich eine recht große Zahl vermuten), so ist es verständlich, daß bei der ersten Mesodermverdichtung keine kontinuierliche Verbindung mit anderen Skelettelementen der ausganggebenden Metameren mehr vorhanden sein kann, selbst wenn eine solche ursprünglich vorhanden war. Denn das ganze Skelett der Pinna dorsalis entspricht ja bei Spinax bei seinem Auftreten dem Bereich von nur 6 Metameren (Fig. 7). Es ist bei der Konkrescenz zusammengedrängt und von den Muttermetameren entfernt worden, (daher auch die zahlreichen Plexusbildungen im Nervensystem, welche P. MaveEr fand). Wie sollen da noch Zusammenhänge bestehen können in dem Stadium, in welchem wir die Skelettanlagen zuerst auf- treten sehen, nämlich nach vollzogener Konkrescenz, bei den Basalia, oder doch bei dys- metamerer Orientierung? Es sind dies alles freilich Vermutungen. Es erscheint mir aber nicht ausgeschlossen zu sein, daß man durch besondere Methoden verfolgen könnte, wie sich die Mesodermzellen zusammenfinden, welche die ersten Verdichtungen an Stelle des Skelettes der Pinnae bilden. Durch die Bornsche Transplantationsmethode haben G. Harrıson ') und ich (Experim. Morphol. 1. c.) bei anderen Organen bereits beträchtliche Verschiebungen von Zellen nachgewiesen. Nach meinen bisherigen Erfahrungen glaube ich, daß die hier in Betracht kommenden Tiere eine Anwendung derselben Methode — aller- dings unter gewissen Schwierigkeiten — ermöglichen. Es ließe sich dann tatsächlich prüfen, ob ein Zusammenhang der Skelettanlagen in den Pinnae mit bestimmten Metameren in einer früheren Phase besteht als derjenigen, in welcher die (dysmetamere) Mesodermverdichtung sichtbar wird. Was nun die Frage angeht, ob das Skelett der Pinnae ın seiner Entwickelung Berührungspunkte mit der Ontogenie der Pterygia aufweise, so läßt sich auch ohne feste Entscheidung in dem oben berührten Preblem jetzt schon eine bestimmte Konsequenz ziehen. Es lag natürlich nahe für denjenigen, welcher eine Entwickelung des Skelettes der paarigen Flossen von außen nach innen annahm (THACHER-Mivarıs Hypothese) und andererseits auch in der Entwickelung des Skelettes der Pinnae axipetale Verschiebungen zu erkennen glaubte (P. Mayer), alle Uebereinstimmungen im eigentlichen freien Gliedmaßenskelett bei den Pterygia und Pinnae als Beweise für eine primäre, homoiogenetische Entstehung aufzunehmen. Denn an jenen Punkten, in den freien Gliedmaßen, den auch äußerlich so ähnlichen Flossenleisten, sollte ja nach dieser Ansicht der Ausgangspunkt des ganzen Prozesses lokalisiert sein. Ueberall da jedoch, wo ganz unüberbrückbare Klüfte zwischen einer Vergleichung der ausgebildeten paarigen und unpaaren Flossen bestehen, besonders also in dem Existieren eines zonalen Skelettes (Schulter- und Beckengürtel) bei dem einen und kompletten Fehlen bei dem anderen, war gemäß diesen Hypothesen entwickelungsgeschichtlich jede Schwierigkeit gehoben. Die Pterygia erzeugten ja den Gürtel zuletzt und paßten sich dabei der Bauchwand mit ihrer Rundung an; die Pinnae konnten Achnliches wie die Gürtel der ganzen Topographie nach nicht produzieren, sie verbanden sich statt dessen mit der Wirbelsäule. | Das Bestechende dieser Anschauung zusammen mit den frappierenden Aehnlichkeiten, welche das freie Gliedmaßenskelett bei den Pinnae und Pterygia tatsächlich aufweist (ich komme auf dieselben noch zurück), drängten bei vielen Forschern die erwähnten Bedenken zurück, welche andererseits manche Anatomen a priori veranlaßte, jede genetische Vergleichbarkeit der beiden Organsysteme abzulehnen. Es ist nach meiner Darstellung der entwicklungsgeschichtlichen Tatsachen nicht zweifelhaft, daß 1) R. G. HArRIıson, Experimentelle Untersuchungen über die Entwickelung der Sinnesorgane etc. Arch. mikr. Anat., Bd. LXIII. 1903. - 411 Tatsächliches aus der Entwickelung des Extremitätenskelettes bei den niedersten Formen. 411 sowohl bei den Pterygia die Dinge anders liegen, als die Hypothese ThuacHers, Mivarts annahm und daß ebenso bei den Pinnae nur axifugales Wachstum (höchstens in den Endstadien eine sich daran anschließende axipetale Verlagerung) vorkommt. Verfolgen wir also die Entwickelungsvorgänge bei dem Skelett der Pterygia zurück bis in diejenige Phase der Ontogenie, wo die ersten Anlagen sichtbar werden, so kommen wir auf das Zonoskelett, welches allein im Anfang da ist (Taf. XIII Fig. ı). Verfolgen wir die Entwickelungsvorgänge bei dem Skelett der Pinnae zurück, so finden wir als erste Phase Anlagen, welche nichts als metamere Verlängerungen der Wirbelsäule sind (Hämaldornen wie in Fig. 8 oder auch Neuraldornen wie bei Lepidosiren) oder welche wenigstens in nächster Nach- barschaft der Wirbelsäule auftauchen und von da erst auswachsen. Gerade diejenigen Teile in den beiderlei Skelettbildungen sind die ersten in den Frühanlagen der Extremi- täten, welche jeder Vergleichung trotzen. Denn schon die ganz verschiedene Konfiguration der Bauchwand einerseits und der Medianebene des Körpers andererseits schließt alle Vergleichbarkeit solcher Anfangszustände aus. Die Aehnlichkeiten und Uebereinstimmungen, welchen ich mich jetzt zu- wenden werde, sind gerade diejenigen, welche sich erst sekundär in der Ontogenie ausbilden. Die Entwickelungsgeschichte, als phylogenetisches Dokument betrachtet, zeigt also keineswegs primäre Uebereinstimmung der Skelette bei den Pterygia und Pinnae, sondern eine auf sekundär erzeugte Bestandteile sich beschränkende Aehnlichkeit. Dieselbe könnte demgemäß gerade so gut auf Konvergenz infolge ähnlicher Beanspruchung der auch äußerlich ähnlich gebauten unpaaren und paarigen Glied- maßen beruhen. Die Uebereinstimmung zwischen den Skelettelementen der freien Gliedmaßen ist ın der Tat eine sehr weitgehende. Sie wurde wesentlich an ausgebildeten Skeletten demonstriert (THACHER, Mwarr u. a). Unter diesen finden sich sowohl einreihige Anordnungen der Radien, bei welchen die Skelettstäbe selbst komplett getrennt sein oder einheitlichen Basalia von der verschiedensten Größe aufsitzen können, als auch zweireihige. Letztere sind allerdings seltener. Bei recenten Haien ist nur in Ausnahmefällen ein Radius auf der anderen Seite des Basale gefunden worden als derjenigen, auf welcher die meisten Radien liegen (Tuacher). Bei den fossilen Xenacanthiden und Crossopterygiern dagegen sind sehr charakteristische Beispiele für doppelfiederige Anordnungen der Radien zu einem axialen Basale bekannt. Die Formen also, welche bei den paarigen Flossen als Monosticho- pterygium und Distichopterygium (uni- und biseriales Archipterygium) bezeichnet werden, sind, wenn auch nicht genau in derselben, so doch in ganz ähnlicher Anordnung bei den unpaaren Flossen auch zu finden. Ja auch in der Ontogenie des Skelettes der Pinnae ist, falls man nur das freie Gliedmaßen- skelett bei den Pterygia im Auge hat, ein Moment völliger Parallelität der Entwickelungsprozesse gegeben. Es ist bisher eigentümlicherweise noch nie genauer untersucht worden, ob sich in der Ontogenie der Basalia bei den unpaaren Flossen noch Reste einer ehemaligen Zusammensetzung aus freien Radien nachweisen ließen. Da bei den Basalia der paarigen Flossen der Streit sich häufig darum gedreht hat, anfangs ob dieselben in den ersten Entwickelungsstadien einheitlich sind und später, als dies sichergestellt war, ob aus solcher Einheitlichkeit ein Argument für oder gegen eine einstige Kon- kreszenz aus Radien hergeleitet werden könnte'), ist es sehr willkommen, in den Basalia der Pinnae ein ı) C. Rasr geht neuerdings so weit, bei den paarigen Flossen einen prinzipiellen Unterschied zwischen den Basalia anzunehmen, je nachdem ontogenetisch eine einheitliche Anlage (z. B. Basale propterygii der Brustflosse) oder eine dis- kontinuierliche Anlage (z. B. Basale propterygii der Beckenflosse) konstatiert ist (Gedanken und Studien, S. 544, Anm. 8 u.a. O.). Hier tritt uns dieses Moment also schon als Kriterium dafür entgegen, ob Skelettteile, wie die Basalia propterygü, überhaupt vergleichbar sind, wenn sie dem einen oder anderen Entwickelungsmodus folgen. 52* Tatsächliches aus der Entwickelung des Extremitätenskelettes bei den niedersten Formen. 412 412 Prüfungsobjekt zu besitzen, an welchem man die Leistungsfähigkeit der Ontogenie in solchen Dingen erproben kann. Denn es ist wohl noch nie von einem Forscher daran gezweilelt worden, daß die Pinnae mit durchweg freien Radien (welche auch die alten fossilen Formen besitzen) die primitiveren Zustände darstellen, daß dagegen die Basalia der Pinnae durch Konkrescenz von solchen abzuleiten sind. Die Basalia der Dorsalis von Spinax niger legen sich nun, wie ich bereits oben erwähnt habe, von vornherein einheitlich an (Fig. 7a, b). Es ist an ihnen von einer ursprünglichen Zusammen- setzung aus freien Radien an meinen Präparaten gar nichts zu bemerken. Dadurch ist es meiner Meinung nach im höchsten Grad wahrscheinlich gemacht, daß einst freie Skelettstäbe, welche miteinander zu einer einheitlichen Platte basal verschmolzen, in der Öntogenie direkt als kontinuierliche Basalia mit anhängenden Radien auftreten können. Nicht bewiesen ist, wie ich ausdrücklich hinzufügen möchte, daß nun alle Basalia, welche sich einheitlich anlegen, aus einer Konkrescenz einst freier Radien entstanden sein müssen. Es ist gar nicht gesagt, daß nicht manche derartige Platten von jeher einheitlich waren. Die ÖOntogenie versagt einfach für die Differentialdiagnose zwischen solchen Basalia, welche durch Konkrescenz entstanden sind, und solchen, welche etwa stets einheitlich waren, weil in ihr die ursprüngliche Phase der Diskontinuität bei den ersteren nicht manifest ist. Während wir bei den paarigen Flossen noch an kleineren Plattenbildungen ontogenetisch die Konkrescenz verfolgen können (z. B. bei Torpedo nach MoıtierR am Basale propterygii der Becken- flosse, bei Heptanchus an kleinen Platten der Brustflosse vergl. Fig. 5, A u. C, S. 393), legen sich alle anderen einheitlich an. Man kann also daraus keinen Schluß ziehen daraufhin, daß sie auch stets einheitlich waren. Im Gegenteil, se könnten alle wie die Basalia der Pinnae aus einst isolierten Radien ent- standen sein und trotzdem in continuo ontogenetisch auftauchen. Von manchen haben wir sogar paläontologische Funde zur Verfügung, welche uns an Stelle der Platten freie Radıen zeigen. Ich habe an der Reihe: Cladodus Neilsonı — Symmorium reniforme — Chlamydoselachus anguineus gezeigt, wie bei den beiden ersten fossilen Vorläufern der dritten, rezenten Form neben dem Basale metapterygii in der Brustflosse noch freie Radien existieren, während Chlamydoselachus an derselben Stelle ein Basale meso- und propterygii aufweist. Wegen des Basale metapterygi, welches die genannten fossilen Formen so gut wie die rezenten besitzen, können wir nichts Sicheres aussagen, da es uns ja selbst bei jenen Früh- formen einheitlich entgegentritt. Jedenfalls ist es also älter als dıe Basalia meso- und propterygii. Ob es nicht auch einst (in der Brust- und Bauchflosse) durch Konkrescenz entstand, darüber scheinen mir die älteren paläontologischen Funde als die oben erwähnten keine einwandfreie Antwort zu geben, da sich die Meinungen der Autoren noch gegenüberstehen, ob sie ein Basale metapterygii (eine Achse) besaßen oder nicht‘), Ich komme übrigens im Schlußkapitel noch auf diesen Punkt zurück (S. 430). Fassen wir die Parallelitäten zwischen den Skelettanlagen der Pinnae und freien paarigen Flossen zusammen, so konstatieren wır bei beiden: ı) isolierte Radien. Bei den Pinnae bilden sie sich entwickelungsgeschichtlich bei solchen Formen, bei welchen auch im fertigen Zustand freie Radien existieren. Bei den Pterygia sind sie nur selten (Propterygium-Anlage von Torpedo) beobachtet. I) Vergl. S. 395, Anm. 1. 413 Tatsächliches aus der Entwickelung des Extremitätenskelettes bei den niedersten Formen, 413 2) Basalia als ontogenetisch einheitliche Anlagen. 3) Ausbildung uniserial angeordneter Radien: Monostichopterygium. 4) Ausbildung biserial angeordneter Radien: Distichopterygium. Beruhen diese vier auffallenden Parallelitäten auf ursprünglicher Verwandtschaft allgemeinerer Art!) oder ist aus ungleichwertigen Ausgangszuständen heraus eine solche Verähnlichung durch Konvergenz denkbar? Das ist die Frage, welche wir uns gegenüber solchen Feststellungen vorzulegen haben. Die übliche Antwort ist die: Pinnae und Pterygia stellen beide äußerlich einander sehr ähnliche ‚Flossen dar, die innere Organisation ist ontogenetisch und vergleichend-anatomisch dieselbe, folglich sind sie identische Bildungen. Dieser Schluß wäre überzeugend, wenn man hinzusetzen könnte: Tertium non datur. Wie nun aber, wenn es noch eine dritte Organisation gibt, in welcher auch alle jene Parallelitäten, welche zwischen den Skelettanlagen der Pinnae und Pterygia bestehen, nachgewiesen werden können? Dann verlieren diese Momente natürlich für die Ableitung der beiderlei Flossenarten von einheitlichen Ausgangszuständen ihre beweisende Kraft. Es wird sich dann vielmehr fragen, welche von den drei Gruppen einander verwandtschaftlich näher stehen und welche nicht? Ich wende mich zu dieser dritten Gruppe, um zunächst sie zu prüfen, wie sie sich ontogenetisch verhält. B. Das Visceralskeiett (innere Visceralbogen, Radien). Die Untersuchungen von A. Donrn?) über die Entwickelung der Visceralbogen und ihrer Radien bei Selachiern konnte ich an meinem Material im allgemeinen bestätigen. In einigen Punkten jedoch ließen sich neue entwickelungsgeschichtliche Tatsachen auf diesem Gebiet feststellen, welche für das Problem der Vergleichung des Extremitäten- und Visceralskelettes nicht unwesentlich sind. Ich habe schon in früheren Publikationen eine erneute embryologische Untersuchung des Visceralskelettes als dringendes Postulat bezeichnet und sah mich neuerdings durch die eingehenden Untersuchungen ver- gleichend-anatomischer Art von KarL FÜRBRINGER?°) über diese Gebilde veranlaßt, mich selbst mit der Ontogemie derselben zu beschäftigen. Auch hier beabsichtige ich keine erschöpfende Darstellung der Entwickelung des Visceralskelettes, da dieselbe nicht an diesen Platz gehört, sondern eine separate Darstellung erfordert. Ich beschränke mich vielmehr auf die wichtigen Instanzen für das meiner Ab- handlung zu grunde liegende Problem. Die Mesodermverdichtungen, aus welchen die Visceralbogen (innere Bogen, GEGENBAUR) der Selachierembryonen hervorgehen, wachsen so, daß der vorderste der größte, der hinterste der kleinste ist. Das Tempo nimmt also wie bei fast allen Anlagen des Wirbeltierkörpers cranio-kaudal ab. 1) Von einer wirklichen Verwandtschaft nach Art einer Homologie oder auch nur von einer Homodynamie könnte natürlich erst dann die Rede sein, wenn einst paarige und unpaare Flossen eine Einheit gewesen wären oder sonstwie auf einheitliche Urzustände zurückgeführt werden könnten. Versuche dazu liegen vor in der Annahme des ehemaligen Zu- sammenhanges der paarigen und unpaaren Lateralfalten, der ursprünglichen Paarigkeit der Pinnae, in der DoHrnschen Parapodienhypothese etc. Doch sind alle diese Annahmen höchst unwahrscheinlich (vergl. HerrtwıGs Handb. d. vergl. Entw., Kapitel Extremitäten). Es könnten also den Pinnae und Pterygia höchstens homomorphe Ausgangszustände, die aber phylogenetisch unabhängig voneinander sind, zu Grunde liegen. 2) A. DoHRN, Studien 4. Die Entwickelung und Differenzierung der Kiemenbogen der Selachier. Mitt. Zool., Station Neapel, Bd. V, 1884. (Auch Studien 6. 1885 und 15. 1890.) Auf die neueste Arbeit DoHRNs 1902 komme ich erst weiter unten zu sprechen (S. 416, Anm.). 3) K. FÜRBRINGER, Beiträge zur Kenntnis des Visceralskelettes der Selachier. Mit Nachtrag. Morph. Jahrb,, Bd. XXX], Leipzig 1903. Tatsächliches aus der Entwickelung des Extremitätenskelettes bei den niedersten Formen. 414 414 Daher kommt es, daß in ein und demselben Entwickelungsstadium die vordersten Bogen in ihrer Form bereits etwas höher differenziert sind als die hinteren. In Fig. ı, Taf. XII tritt dies für ein Frühstadium von Spinax niger, in welchem die Anlagen noch rein mesodermatisch sind, schon hervor. Der Mandibularbogen besitzt einen rostralwärts prominenten Vorsprung, welcher dem späteren Palatinum entspricht (7) und also das Quadratum in ein Palato- Ouadratum umgestalten wird. Im übrigen aber sind die Anlagen der 7 Bogen (Mandibular-Hyoid- und Kiemenbogen) einander so ähnlich, daß wohl kaum angesichts eines solchen Bildes an der Homodynamie derselben gezweifelt werden kann. Besonders klar wird dies, wenn man das ein wenig ältere Stadium der Fig. 2 daneben betrachtet (über die Diagnose dieses Stadiums vergl. S. 385). Im Stadium 2 weicht die Lage des Mandibularbogens schon weit beträchtlicher von derjenigen der folgenden Bogen ab als im früheren Stadium. Einmal hat sich der Bogen in toto gedreht, und infolge- dessen ist die Spitze des in der alten Richtung auswachsenden Labialknorpels / nach innen vom Mandibularbogen gerückt‘). Dann aber hat sich auch ein neuer, sekundärer Fortsatz des Palatinum entwickelt, der Palatobasalfortsatz /Ö, welcher eine Gelenkbildung mit dem Schädel eingeht (die Anlage der Trabecula cranii 7%. cr. liegt im Stadium 2 unmittelbar medial von diesem Fortsatz)., Im Stadium ı ist der Fortsatz / nur eine etwas höhere Entfaltung des auch bei den folgenden Bogen an entsprechender Stelle vorhandenen Fortsatzes (Processus anterior /r. a, namentlich beim Hyoidbogen und ı. Kiemenbogen). Durch den Palatobasalfortsatz bekommt er dagegen sein besonderes Merkmal, welches allen übrigen Bogen fehlt. Durch dieses Moment und durch dıe veränderte Lage verunähnlicht sich also der Mandibularbogen bei Spinax schnell den folgenden Bogen. Bei Heptanchusembryonen ist dies nicht in demselben Tempo der Fall. Vielmehr ist dort in viel späteren Stadien der Ontogenie, nachdem volle Verknorpelung eingetreten ist, noch eine den folgenden Bogen entsprechende Lage und auch das Fehlen eines deutlichen Palatobasalfortsatzes festzustellen (Fig. 13, S. 428). In noch späteren Stadien tritt aber auch bei diesem Notidaniden eine freilich nicht sehr beträchtliche Schrägstellung des Mandibularbogens ein und ebenso entwickelt sich ein ebenfalls kleiner Palatobasal- fortsatz. Der Processus palatinus ist dagegen bei Heptanchus in dem erwähnten Stadium (? Fig. 13) voll entwickelt und gibt also auch hier, zusammen mit der vermehrten Volumsentfaltung, dem Mandibular- bogen ein charakteristisches (repräge. Die folgenden Bogen haben sich bei Spinax im Stadium 2 ebenfalls höher differenziert als im Stadium ı. Während bei letzterem der ı. Kiemenbogen (Z) nur einen geringgradig entwickelten Fortsatz an seinem dorsalen Ende (Pharyngobranchiale 567) aufweist, der eine unwesentliche Differenz gegenüber dem auch beim Hyoidbogen identischen Orts vorkommenden Auswuchs (Pr. f.) bedeutet, sind im Stadium 2 aus allen Kiemenbogen stark entwickelte Pharyngobranchialfortsätze ausgesproßt; beim Hyoidbogen ist dagegen eine Vergrößerung des betreffenden Fortsatzes nicht eingetreten. Auch der letzte Kiemenbogen (Y) hat ihn nicht. Aber bei ihm entsteht in älteren Stadien noch ein Rudiment einer solchen Verlängerung, welches sich mit dem Pharyngobranchiale des 4. Kiemenbogens verbindet. Bei Heptanchusembryonen entwickeln der 5. und auch der 6. Kiemenbogen geradeso wie die vorhergehenden diesen Fortsatz. Hier ist es der 7. Kiemenbogen, welcher nur ein mit dem Fortsatz des 6. verbundenes Rudiment besitzt. | Alle Bogen enden im Stadium ı mit ihren ventralen Enden völlig frei. Im Stadium 2 haben sich die Mandibularbogen der beiden Körperhälften bis in die unmittelbare Nähe der Medianlinie vor- I) SEWERTZOFF, A. N., (Die Entwickelung des Selachierschädels etc. Kuprkrrsche Festschr. 1899, S. 281) bezeichnet die Horizontalstellung des Mandibularbogens nach Art der Fig. 2 als die ursprüngliche. Auch das Palatobasal- gelenk hält er für besonders primitiv. Beidem widerspricht für Spinax dessen Stadium 1. 48 415 Tatsächliches aus der Entwickelung des Extremitätenskelettes bei’ den niedersten Formen. ALS geschoben. Aber auch dort sind die ventralen Enden noch nicht vereinigt. Die ventralen Enden aller folgenden Bogen sind noch weit von der Medianlinie entfernt. Alle Bogen sind sowohl im 1. wie 2. Stadium gleichmäßig homogen, ohne jede Gliederung in Querstücke, auch sind sie nackt, ohne jeden Besatz mit Radien. Alle Verschiedenheiten der Visceralbogen, welche im Stadium 2 sich zu markieren beginnen und in späteren Stadien immer mehr den Mandibular- und Hyoıdbogen gegenüber den Kiemenbogen spezialisieren, verwischen sich um so mehr, je jüngere Entwickelungsstadien wir aufsuchen. In der ersten Phase (Fig. ı) sind sie nıcht oder doch in keiner etwa für einen Bogen spezifischen Art entwickelt. Die Bogen sind anfangs in der Ontogenie serial homolog organisiert. Der Embryo zeigt auch hier ein reelles Bild gleich gebauter Bogen im Visceralgebiet, welches von GEGENBAUR einst vergleichend- anatomisch abgeleitet wurde Ob auch der Knorpel L als der Rest eines prämandibularen Bogens zu betrachten ist, wäre seiner Tage nach möglich, ist aber bei der Unvollständigkeit der Anlage bei Spinax nicht zu entscheiden. Bei Heptanchus stehen mir gleich junge Stadien nicht zur Verfügung. Bei älteren Embryonen ist prämandibular nur ein schmaler Knorpelstreif vorhanden (Fig. 13 1). Derselbe ist demjenigen bei Spinax nicht homolog, da er der dorsalen Hälfte des Mandibularbogens in der Lage ent- spricht, nicht der ventralen, wie das Element bei Spinax. Bei ausgebildeten Heptanchi, bei welchen früher Labialknorpel vermißt wurden, hat bereits K. FÜRBRINGER, l.c. S. 364 einen Rest dieses Labial- knorpels nachgewiesen. Hinter dem letzten Kiemenbogen von Spinax liegt im Stadium ı die Anlage des Schulter- gürtels (Fig. ı, Taf. XII). Dieselbe hat ganz die Form der vorhergehenden Bogen des Visceralgebietes. Sie ist auch von der Medianlinie weit entfernt und endet hier frei mit ihrem ventralen Ende. Erst im Stadium 2 hat sich das letztere dem entsprechenden Ende des Schultergürtels der anderen Körper- hälfte in der Medianlinie genähert — ähnlich wie dies in demselben Stadium die Mandibularbogen tun — und in noch späteren Stadien verschmelzen sie erst. Auch der Beckengürtel hat bei seinem ersten Auftreten dieselbe Form wie der Schulterbogen und also auch wie die Visceralbogen, wie im 3. Kapitel dieser Arbeit gezeigt wurde. Alle vom Typus der Visceralbogen abweichenden Habitusbilder, welche man bei ausgebildeten Selachieren und schon ın älteren Stadien (z. B. Heptanchus, Fig. 13) antrifft, sind also anfangs nicht vorhanden. Dieser Aehnlichkeit in der Form zwischen Visceral- und Extremitätenbogen steht allerdings eine Differenz in der Lage gegenüber; die Schultergürtelanlage in Fig. ı ragt mit ihrem oberen Ende nur wenig über den ventralen Rand des 5. Kiemenbogens hinauf. Auch liegt der Schulterbogen ober- flächlich in der Rumpfwand, während die Visceralbogen der Tiefe der Mundbucht und Pharynxwand eingelagert sind. Wie die Schultergürtelanlage verhält sich auch in diesen Punkten die Beckenanlage. Außerdem kommt bei ihr noch die weite Entfernung vom Visceralgebiet in Betracht. Halten wir uns zunächst an die Form der Bogenbildungen, so ist jedenfalls in einem Ent- wickelungsstadium wie dem der Fig. ı bei Spinax eine seriale Homologie zwischen Extremitäten- bogen (speziell dem Schulterbogen) und den Visceralbogen annehmbar. Ich sage nicht etwa, sie sei hier evident. Ich will vielmehr noch darauf zurückkommen, ob Argumente für oder gegen eine wirkliche seriale Homologie der Bogen außer den erwähnten anzuführen sind und welchen Wert ich denselben beilege. Hier ist nur hervorzuheben, daß die früheste Skelettanlage einer paarigen Extremität (die Schulterbogenanlage) wohl im Visceralgebiet Parallelitäten in den gleich geformten Anlagen aller Visceralbogen besitzt und daß diese Parallelität vielleicht auf serialer Homologie beruht. Bei den ersten Entwickelungsphasen der Pinnae war dagegen 416 Tatsächliches aus der Entwickelung des Extremitätenskelettes bei den niedersten Formen. 416 ein ganz anderer Ausgangzustand wie bei den paarigen Flossen festgestellt worden (siehe den vorigen Abschnitt). So zeigt sich das Visceralgebiet in diesem ersten Punkt als geeigneter ; für den Vergleich mit den Skelettanlagen der Pterygia, als dies die Pinnae tun‘), Die Radien der Kiemenbogen von Spinax niger beginnen sich in einem Stadium von 32 mm Länge anzulegen. Zu dieser Zeit sind die inneren Bogen selbst verknorpelt. Die Verknorpelung läßt von vornherein die Grenzen, an welchen die QOuerstücke der Bogen aneinanderstoßen, frei, so daß also nach vollzogener Chondrifikation die Quergliederung in die bekannten 4 Abteilungen vollzogen ist. Bei der vorderen Extremität des Embryos von 32 mm Länge ist das primäre Basale noch vorknorpelig, aber bereits zu einer großen, reich gefiederten Platte ausgewachsen (Fig. 2, S. 390, No. V entsprechend). Die Radien entstehen also relativ spät im Vergleich zum Skelett der freien Gliedmaßen. Sind einmal die Anlagen sichtbar geworden, so entwickeln sie sich rapid weiter. Während in dem Stadium von 32 mm Länge erst ein kurzes Stummelchen dicht an der Mitte eines jeden Kiemenbogens (an der Grenze zwischen den 2% beiden Mittelstücken) zu sehen ist, besitzt ein Stadium, welches nur wenig älter ist’), bereits sämtliche Radien- anlagen. Ich überzeugte mich davon durch graphische Re- konstruktion nach einer Serie der vorderen Kiemenbogen, welche so gelegt wurde, daß die Radıen möglichst ihrer Länge nach in der Schnittebene liegen (Fig. 9). Die meisten Radien Fig. 9. Erster Kiemenbogen eines Embryo bestehen noch aus Vorknorpel (punktierte Konturen). Die drei von Spinax niger. Rekonstruktion nach Kasr- o ; Er scHinKo. Vag di’ Ode, aemalı Eier sarel, an der Grenze zwischen oberem und unterem Mittelstück liegenden Radien, also die ältesten, haben schon Zentren aus hyalinem Knorpel, der aber erst in sehr geringem Maß ab- geschieden ist (ausgezogene Konturen). Auch beim ausgebildeten Spinax sind am ersten Kiemenbogen ı0 Radien wie bei diesem Embryo vorhanden und zwar an genau entsprechenden Stellen der beiden Mittelstücke. Letztere sind in Fig. 9 zwar verknorpelt, aber noch durch Vorknorpel miteinander in Ver- bindung. Später bildet sich zwischen ihnen eine Gelenkverbindung aus. In späteren Entwickelungsstadien bilden sich die sogenannten äußeren Kiemenbogen und zwar je ein dorsaler und ein ventraler. Bei Spinax entwickelt der letztere einen seitlichen dreispitzigen Fort- satz (vergl. w. u. Hyoidbogen). In dem embryonalen Zustand der Fig. 9 ist von diesen Gebilden noch gar nichts wahrzunehmen. 1) DOHRN hat in seiner neuesten Studie (Mitt. d. St. Neapel, 1902) die Mitteilung gemacht, daß sich die Visceral- bogen aus dem Ektoderm entwickelten. Es wäre dies eine Bestätigung der bisher vereinzelten Angaben von ]J. PLATT u.’a. welche ebenfalls eine derartige Herkunft gesehen zu haben glaubten. Bei den Extremitätenbogen hält dagegen DoHRN an der bisherigen Ansicht fest, daß sie mesodermal angelegt werden. Dieser histiogenetische Unterschied erscheint dem Autor groß genug, um a priori jede Vergleichbarkeit der beiderlei Skelettelemente auszuschließen. Ich will hier nicht darauf ein- gehen, daß ähnliche Angaben einer Herleitung von Skelettbildnern aus dem Ektoderm bisher bei der Nachprüfung als tat- sächlich unrichtig erwiesen wurden. Jedenfalls ist eine Klärung auch der von DoHRN neu belebten histiogenetischen Frage vorerst noch abzuwarten. Vor allem aber finde ich, daß eine Ableitung von Skelettteilen aus dem Ektoderm, falls sie sich bestätigen sollte, eine Revision unserer entwickelungsgeschichtlichen Vorstellungen über die Bedeutung der Keimblätter für die Organentwickelung notwendig machen würde, und daß erst festzustellen wäre, wie sich nun mesodermale Knorpel zu solchen ektodermalen verhalten. Vorläufig ist es nicht überflüssig, unbeirrt durch problematische histiogenetische Fragen die Entwickelung der Formen zu vergleichen. 2) Der betreffende Embryo konnte nicht gemessen werden, da der Schwanz abgebrochen war. Aeußerlich ist er von dem vorhergehenden nicht verschieden. 417 Tatsächliches aus der Entwickelung des Extremitätenskelettes bei den niedersten Formen. 417 Es fragt sich, entstehen die Radien der Kiemenbogen als separate Zentren oder als Auswüchse der Bogen selbst? A. Donrn hat bei Scylliiden bei allen Radien, die er embryologisch untersuchte, separate Entstehung gefunden. Auch bei Spinax ist bei den meisten Radien dasselbe der Fall. Der dorsalste Radius (c) in Fig. 9 ist z.B. noch relativ weit vom oberen Mittelstück entfernt. Er wächst erst später so weit aus, daß er dasselbe erreicht. Beim erwachsenen Spinax bildet er, wie die übrigen 9 Radien auch, einen hyalinen Knorpelfaden, welcher fest dem oberen Mittelstück angeheftet, aber nicht mit demselben verschmolzen ist. Die separate Ausbildung geht also nicht verloren. Bei zahlreichen anderen Radienanlagen konnte ich ähnliches sehen. Häufig sind die Zentren allerdings von vornherein dem Bogen sehr nahe, unmittelbar aufgelegen (die ventralen in Fig. 9). Aber eine Verschmelzung ist auch in diesen Fällen nicht vorhanden. Man sieht jedoch an diesen Radienanlagen, daß das spätere Wachstum ein distalwärts gerichtetes ist. Der drittletzte Radius (=) z. B. ist beim ausgewachsenen Spinax 4mal so lang, als das untere Mittelstück breit ist, während in Fig. 9 nur etwa die doppelte Breite des unteren Mittelstückes in der Länge der Anlage vorhanden ist. Es schließt sich also in diesem Beispiel eine relative Verlängerung um das Doppelte an das Stadium der Fig. 9 an. Ebenso ist auch bei dem dorsalsten Radius (c) außer dem basalen Vorwachsen (auf den Bogen zu) eine nicht unerhebliche terminale Verlängerung (um etwa die Hälfte des Abstandes der Spitze vom Bogen in Fig. 9) anzu- nehmen. Wenigstens finde ich bei einem ausgewachsenen Spinax den betreffenden Radius in der ent- sprechenden Ausbildung. In solchen Fällen bestätigt sich also völlig die Dournsche Beobachtung auch bei Spinax. Es ist mir jedoch zweifelhaft, ob wirklich sämtliche Radien sich separat anlegen. Die vier größten Radienanlagen der Fig. 9 sind mit dem ı. Kiemenbogen in vorknorpeligem Zu- sammenhang (punktierter Kontur). Dieser Zusammenhang ist geradeso, wie man ihn in Extremi- tätenanlagen an derjenigen Stelle sieht, an welcher das primäre Basale mit dem Extremitätenbogen in Verbindung ist. Wie bei den Gliedmaßen erfolgt die Chondrifikation mit separaten Centren. Es ist mir nun nicht gelungen, mit absoluter Sicherheit für diese 4 Radien zu entscheiden, ob in den früheren Stadien als dem der Fig. 9 noch separate Vorknorpelanlagen derselben existieren. Bei dem erwähnten Embryo von 32 mm Länge ist erst die Anlage eines einzigen Radius — an Stelle der in Betracht kommen- den vier — am ersten Kiemenbogen zu sehen. Die Anlage besteht aus einer ganz kleinen Mesoderm- verdichtung, welche völlig mit dem Bogen zusammenhängt. Ich halte es bei der Kleinheit des Knötchens für ganz unwahrscheinlich, daß noch ein Stadium vorausgegangen sein könnte, in welchem die Mesodermverdichtung separiert vom Bogen gewesen wäre. Alle ähnlich weit entwickelten Stadien, welche ich untersuchte, hatten entweder noch keine Spur von Radienanlagen oder bereits mehrere. Ich weiß also nicht, ob die drei anderen Radien auch von vornherein mit dem Bogen zusammenhängen, wie dies bei dem zuerst sich bildenden im höchsten Grad wahrscheinlich ist. Jedenfalls haben die be- sprochenen 4 Radien ein allen anderen Knorpelstäbchen fehlendes Entwickelungsstadium, nämlich vorübergehende vorknorpelige Kontinuität mit dem Visceralbogen. Später löst sich die Verbindung; zwischen diesen Radien und den separat entstandenen ist dann kein anderer Unter- schied, als daß erstere mit etwas breiterer Basis als die übrigen dem ı. Kiemenbogen angelenkt sind. Es erhebt sich die Frage, welchem Faktum sollen wir eine höhere phylogenetische Bedeutung beimessen, demjenigen, daß die meisten Radien als separate Centren entstehen oder demjenigen, daß sich einige besonders kräftig entwickelte Radien in frühen Entwickelungsstadien in Kontinuität mit dem Jenaische Denkschriften. XI. 53 Festschrift Ernst Haeckel. 41 8 Tatsächliches aus der Entwickelung des Extremitätenskelettes bei den niedersten Formen. Al 8 Visceralbogen finden und sich wahrscheinlich (bei einem so gut wie sicher) von Anfang an als Aus- wuchs eines solchen anlegen? Um Anhaltspunkte für die Beantwortung dieser Frage zu gewinnen, habe ich festzustellen ver- sucht, ob die Radien bei Haien Gebilde sind, welche sich in progressiver oder in regressiver Ent- wickelung befinden? Es ist ja bekannt, daß häufig mit solchen Prozessen Schwankungen in der Lokali- sation der ersten Anlagen zusammenhängen. Zunächst findet sich beim Hyoidbogen eine beträchtlichere Anzahl von Radien als bei den eigentlichen Kiemenbogen. Diese Radien sind außerdem von denjenigen der letzteren (wenigstens von weitaus den meisten Radien derselben) dadurch verschieden. daß sie eigentümliche Fiederungen aufweisen. Es ist eine alte Streitfrage, ob diese Fiederung durch Konkrescenz von Radien oder durch Aussprossen von Seitenästen aus einem ursprünglich einheitlichen Radius entstanden sind. Im ersteren Fall läge eine progressive Vermehrung von Radien vor (denn neben den gefiederten Aesten finden sich häufig kleinere Knorpelstäbe, welche nach dieser Hypothese als losgesprengte Radien, als Neubildungen von separaten Stäben zu betrachten wären). Im letzteren Fall dagegen wäre eine regressive Verminderung separater Stäbe durch Konkrescenz mehrerer zu einem konstatiert. K. FÜRBRINGER |. c. hat sich auf Grund vergleichend -anatomischer Tatsachen für die Selachier dahin ausgesprochen, daß die gefiederten Radien durch Konkrescenz entstehen und seine Ansicht durch eine Reihe sehr überzeugender Beobachtungen belegt. Bei einer nahverwandten Gruppe, den Holocephalen, hatte ScHaumsLanD 1903 1. c. schon vor K. FÜRBRINGER (welcher die Untersuchungen von SCHAUINSLAND noch nicht kennen konnte), ontogenetisch nachgewiesen, daß tatsächlich eine Konkrescenz vorhanden ist. Dasselbe finde ich in der Ontogenie von Heptanchus cinereus. GEGENBAUR, welcher die Ansicht vertritt, die Radien vermehrten sich durch Gabelungen und vielfache Aussprossungen, beschrieb 1872 beim erwachsenen Heptanchus zahlreiche gabelteilige Radien und an der Basis verbreiterte Platten, die sich in terminaler Richtung verzweigen („Kopfskelett der Selachier“ Taf. XI, Fig. ı). Die mittleren dieser Platten seien gar nicht mehr am Hyoidbogen befestigt, sondern auf den Mandibularbogen gerückt, welcher so weit nach hinten über den Hyoidbogen reicht, daß er an dieser Stelle mit an der Begrenzung der ersten Kiementasche beteiligt ist. Bei einem Embryo von 107 mm Länge finde ich eine außerordentlich große Zahl von Radien im Septum des Hyoidbogens (Fig. 10A). Dieselben bestehen in diesem Stadium aus hyalinem Knorpel. Die meisten sind unverzweigt. Aber nicht alle sind vollständig. Kleine, oft winzige Stückchen von hyalinem Knorpel finden sich zwischen längeren Radien, namentlich im unteren Teil der Figur (Radien des Keratobranchiale). Es fällt ferner auf, daß auf eine längere Strecke hin (zwischen den Buchstaben a a‘) längere und kürzere Radien ziemlich regelmäßig miteinander alternieren. Unter den Radien des Epibranchiale finden sich auch alternierend größere und kleinere Radien (bei # ö). Meistens aber hat sich der kleinere an den größeren angelegt (wie bei c) oder, wie man im Vergleich dazu wohl annehmen darf, mit ihm verbunden (bei 2). Was hier noch nicht mit Sicherheit erkannt wird, steht dagegen außer Zweifel in älteren Stadien. Es entwickelt sich aus den mit c und d bezeichneten Radien die größte einheitliche Platte mit terminaler Fiederung, welche GEGENBAUR abbildet. Diese ist also nicht durch Neubildung aus einem Radius (Gabelung, Sprossung) entstanden, sondern durch Konkrescenz. Uebrigens ist das bis zu einem gewissen Grad auch noch an dieser Platte im aus- gebildeten Zustand nachzuweisen. Dieselbe macht bei der Präparation allerdings den Eindruck eines einheitlichen Gebildes. Ich fand sie bei einem ı m langen Heptanchus mit einem sehr derben, asbest- 419 * Tatsächliches aus der Entwickelung des Extremitätenskelettes bei den niedersten Formen. 419 glänzenden Perichondrium überzogen. Als ich aber die hyaline Grundsubstanz nach van WIHE mit Methylenblau färbte und ein Totalpräparat herstellte, sah ich, daß die Einheitlichkeit doch nur eine scheinbare war. In Fig. 10B ist der Baum, welcher an der Stelle der Radien ed. d. der Hıo! non sich findet, zwischen denselben Buchstaben c d gelegen. Die hyaline Grundsubstanz, welche in dieser Fig. 10oB allein gezeichnet ist, hat sich also nicht verbunden. Dagegen haben sich die Radien, je mehr sie nach d zu liegen, um so stärker verkürzt und an den jeweilig dorsalwärts nächsten Fig. 10. Radien des Hyoidbogens von Heptanchus cinereus. A von einem Embryo 107 mm Länge. 7'/,mal vergr. B von einem erwachsenen Tier. Nat. Gr. Beides Totalpräparate nach vAN WIJHE. Mit dem Zeichenapparat gez. Orig. doppelt so groß als diese Reprod. art Kiemenarterie (in Fig. B ist eine kurze Strecke derselben durch eine punktierte Linie angedeutet). Z Extrabranchiale. Nachbar angelegt. Dadurch, daß ein straffes Perichondrium namentlich die basalen Teile miteinander verbindet, entsteht also der dicke Stamm, welchem terminalwärts 6 Zinken aufsitzen. Er liegt schräg und gewinnt so nähere Beziehung zum Mandibularbogen, welcher so weit vorgewachsen ist, als sich die Radien zurückgebildet haben. Die letzte Zinke dieses Stammes (@) zeigt einmal basal einen kleinen Ausläufer, außerdem aber im Inneren zwei feine dunkelblaue Streifen, welche sich aus der übrigen Knorpelgrundsubstanz scharf hervorheben (gestrichelte Linien in der Figur). Die eine von ihnen ist in den erwähnten kleinen Forsatz, die andere in den Verbindungsast mit dem nächst benachbarten Radius zu verfolgen. d besteht also ursprünglich aus 2 Radıien. So mögen noch andere Radien fast oder völlig miteinander verschmolzen, andere auch völlig zurückgebildet sein. Denn die Zahl der Radien beim ausgebildeten Tier ist kleiner als die bei dem untersuchten Embryo. Zählt man die Platten beim fertigen Heptanchus ais Einheiten, so erhält man ganz beträchtliche Zahlendifferenzen gegenüber dem Fötus. Hält man sich aber an die Komponenten der Platten, die noch erkennbaren Radien, wie sie nach der v. Wijueschen Methode (in Fig. ı0o B) zu sehen sind, so zählt man etwa 48 Stück. Der Embryo aber hat bei derselben Art der Zählung etwa 56 Radien (inkl. der Rudimente und Radienkomponenten.. Diese Zahlen sind weit höher als alle bisher bei Selachiern beobachteten. K. FÜRBRINGER gibt als Maximalzahl (bei Chlamydo- selachus) 30 Radien an. Auch ich finde bei Spinax beträchtlich weniger als bei Heptanchus. Der 53 * 420 Tatsächliches aus der Entwickelung des Extremitätenskelettes bei den niedersten Formen. 420 fertige Spinax hat, bei derselben Art der Zählung, 28 Fäden, also immerhin annähernd so viel wie Chlamydoselachus. Es kann keinem Zweifel unterliegen, daß bei Heptanchus die Radien des Hyoidbogens einer Reduktion und Umformung unterliegen. Dieselben äußern sich in Konkreszenz von separaten Radien, und zwar sowohl durch Zusammenschluß mehr äußerlicher Natur mittelst eines Mantels von oft viele Radien vereinigendem Perichondrium, als auch durch Verschmelzung der knorpeligen Grund- substanz selbst. Eine Reduktion der Radien ist aber auch bei den eigentlichen Kiemenbogen von Heptanchus festzustellen. Bei dem erwähnten Embryo finden sich zwischen den besser entwickelten Radienanlagen häufig noch kleine Knorpelinselchen, welche entweder in der Nähe des Kiemenbogens (z. B. im Septum I, VI Fig. ıı) oder häufiger in größerer Entfernung von demselben liegen (z. B. im Septum I, III, VD. Manchmal haben diese Stücke noch die Form kleiner Stäbchen (Septum IV). Es handelt sich hier um Rudimente. Denn sie wachsen nicht etwa in älteren Stadien weiter, sondern sie gehen zu@Grunde. Ich finde wenigstens bei einem Heptanchus von ı m Länge, dessen Kiemensepten ich nach der van Wipmneschen Methode in toto untersuchte, so daß nichts von kleinsten Knorpelstückchen etwa wie bei der Präparation verloren gehen konnte, keine Spur von ihnen. Ich lasse die bezüglichen Zahlen hier folgen. Die Radien beim Embryo und Erwachsenen finde ich an den 7 Kiemenbogen in folgender Verteilung: Bogen: IE IM Il. IV. V. Mr vm). Embryo 107 mm Länge: ES Io Tat Tar Io Io 2 Erwachsenes Tier ı m Länge: ıı 9 Io 9 10 8 I Hier bestehen außer beim 5. Kiemenbogen überall Differenzen und zwar die größte gerade beim ersten Kiemenbogen (Abnahme um 4 Stück). Bei letzterem besitzen andere Squaliden noch größere Zahlen, selbst im ausgebildeten Zustand, so z. B. (nach K. FÜRBRINGER) Chlamydoselachus 21, Echinorrhinus 20 Stück. Man wird also annehmen dürfen, daß die Abnahme der Zahl der Radien, welche vom ı. Kiemen- bogen nach dem vorletzten zu eine allmähliche ist (Fig. ı1) und dann zum letzten Kiemenbogen plötzlich abfällt, ebenfalls auf Reduktion beruht, daß die Bogen, welche in frühen Stadien der Ent- wickelung einander so ähnlich sind, also sämtliche Visceralbogen: Kiemenbogen, Hyoidbogen, Mandibular- bogen, auch bezüglich ihres Radienbesatzes einst gleichmäßig ausgebildet waren. Wie sich dies beim Mandibularbogen begründen läßt, würde uns hier zu weit führen. Wichtig für diese Frage ist auch der embryonale Befund beim mittelsten Radius des 1. Kiemen- bogens (Fig. ıı /), welcher das Bild einer asymmetrisch ausgebildeten Gabel besitzt. Hin und wieder finden sich also noch bei den eigentlichen Kiemenbogen Erscheinungen (bei Chlamydoselachus ähnliches von K. FÜRBRINGER bereits berichtet), welche beim Hyoidbogen sehr häufig sind und dort als Folge von Konkrescenzen erkannt wurden. I) Die Radien des 7. Kiemenbogens sind nach einer Horizontalschnittserie in Fig. 13 S. 428 hinter dem letzten Kiemen- bogen (zwischen ihm und dem Schultergürtel) eingetragen. Der dorsalere Knorpel ist ein größeres Plättchen, der ventralere ein etwas längliches (noch Radien ähnliches) Stäbchen. Uebrigens hat K. FÜRBRINGER, welcher diese Radienrudimente bei Notidaniden entdeckte (GEGENBAUR glaubte, sie fehlten bei Hexanchus und Heptanchus) auch beim erwachsenen Tier noch zwei Knorpelchen gefunden. — Es scheinen überhaupt individuelle Variationen der Zahlen vorzukommen, was ja bei rudimentären Gebilden die Regel ist. GEGENBAUR gibt für die Radien von Heptanchus generell die Zahl 10—ı2 an, ohne aber die einzelnen Kiemenbogen gesondert zu besprechen. Tatsächliches aus der Entwickelung des Extremitätenskelettes bei den niedersten Formen. 421 421 I II IlI IV Totalpräparate nach vAN Die Septen des ı. bis 6. Kiemenbogens eines Embryo von Heptanchus cinereus von 107 mm Länge. WIE. Die Extrabranchialia erstrecken sich mit ihrem basalen Ende in das Septum der nächstfolgenden Kiementasche ein wenig hinein (vergl. Fig. II. K. FÜRBRINGER) und wurden deshalb meist bei dem Herausnehmen der Septen durchtrennt. Das basale Ende vom ventralen Extrabranchiale III z. B. liegt bei IV und ist dort mit x bezeichnet (ebenso bei IH, VI x). Die wirkliche Form der Extrabranchialia wurde in Fig. II, III und V durch die punktierte Konturlinie ergänzt. Da wo die Extrabranchialia durch ausgezogene Konturen begrenzt sind, liegen sie in toto im Präparat Neben Septum. II liegt das präparatorisch isolierte dorsale Extrabranchiale des 2. Kiemenbogens. (Orig.-Zeichn. mit d. AsBkschen Zeichenapp. 15 mal vergr., hier 7 mal.) 422 Tatsächliches aus der Entwickelung des Extremitätenskelettes bei den niedersten Formen. 112% Die hier behandelten morphologischen Tatsachen glaube ich nur so erklären zu können, daß die Radien (wie auch die Extrabranchialia und Extraseptalia) zu einem einst mächtig entfalteten Skelett gehören, welches außerhalb der Visceralbogen („inneren Kiemenbogen“) lag. Dessen Rudimente liegen uns nur noch vor. Die letzten Etappen der Zahlenverminderung und die damit zusammenhängende Kon- krescenz können wir wohl in der Entwickelungsgeschichte verfolgen. Wie aber der Urzustand beschaffen war, das entzieht sich unserer Kenntnis. Wohl wissen wir namentlich von den Petromyzonten, daß an Lokalitäten, welche topographisch außerhalb der von den Visceralbogen bei Selachiern eingenommenen Stelle liegen, gut ausgebildete Skelettspangen bestehen, und die Ansicht ist nicht neu, daß Homologa von jenen auch bei Selachiern vorhanden seien. Wie aber im einzelnen Homologien bestehen könnten zwischen den Radien, Extrabranchialia (Extraseptalia) der Haie einerseits und dem Kiemenskelett der Myxinoiden und Petromyzonten andererseits, darüber wage ich keine Ansicht zu äußern. Die Schwierig- keit liegt wesentlich darin, daß bei den letzteren nichts den Visceralbogen („inneren Bogen“) der Haie Vergleichbares gefunden wurde. Ich will hier schließlich nicht unerwähnt lassen, daß auch bei Amphibien knorpelige Gebilde außerhalb der Visceralbogen gefunden wurden (neuerdings besonders von GR. KERR zusammengestellt s. S. 431, Anm. 2); von ihnen ist es jedoch nicht sicher, ob sie nicht völlige Neubildungen sind. Für besonders schwierig halte ich die phylogenetische Frage, ob und in welchem Zusammenhang dieses äußere Skelett mit den Visceralbogen stand. Alle nur denkbaren Ansichten sind von den ver- schiedenen Autoren aufgestellt worden. Die einen nehmen ursprüngliche Kontinuität, andere Dis- kontinuität zwischen beiden Systemen an. Die ersteren haben die äußeren Elemente von den inneren abgeleitet oder umgekehrt die inneren von den äußeren. Am wenigsten scheinen mir die uns bekannten entwickelungsgeschichtlichen Tatsachen berufen, hier zur Zeit Klarheit zu schaffen. Ich muß auf diesen Punkt noch näher eingehen, weil wir uns hiermit ontogenetischen Prozessen zuwenden, welche für die später bezüglich der Pterygia zu ziehenden Konsequenzen besonders wichtig sind. Es könnte naheliegend erscheinen, die Entwickelung der Radien bei Spinax niger so zu deuten daß derjenige Prozeß, welcher bei den best ausgebildeten Anlagen, den mittleren (Fig. 9, S. 416, a, 5 a, ß), gefunden wurde, der ursprüngliche sei, daß dagegen die am meisten reduzierten Radien, die peripheren (6 Y Nach dieser Auffassung, welche mir anfangs sehr wahrscheinlich schien, wären die Radien vom Visceral- n), auch von vornherein in der Ontogenie von dem ursprünglichen Geschehen abweichen könnten. bogen aus entstanden und später selbständig geworden. Bei den diskret angelegten Radien könnte das distalwärts erfolgende Wachstum als Hinweis auf die basalwärts, im Bogen selbst gelegene Urstätte der Differenzierung gelten. Doch haben mich hierin zwei verschiedene Tatsachen wieder schwankend gemacht, nämlich die Entwickelung der Radien bei Torpedo narce Risso (ocellata) und zweitens die Entwickelung be- sonderer Basalia im Septum des Hyoidbogens von Spinax niger. Bei Torpedo sind die Radien im fertigen Zustand völlig kontinuierlich mit den Visceral- bogen verbunden, wie GEGENBAUR fand und neuerdings K. FÜRBRINGER bestätigte. C. GEGENBAUR!) ist der Ansicht, daß hier eine primäre Kontinuität vorliegen könnte. K. FÜRBRINGER hält die andere Eventualität für mindestens ebenso wahrscheinlich, daß nämlich die Kontinuität der Endzustand einer „olfenbar schon bei Raja eingeleiteten Verwachsung“ sei. In der Ontogenie läßt sich das letztere be- stätigen, aber ein Punkt ist dabei noch besonders bemerkenswert. 1) C. GEGENBAUR, Vergleichende Anatomie der Wirbeltiere, 1898. 423 Tatsächliches aus der Entwickelung des Extremitätenskelettes bei den niedersten Formen. 423 Wie bei Spinax ist es auch bei Torpedoembryonen nötig, genau die entsprechenden Radien in den verschiedenen Stadien im Auge zu behalten. Denn es entwickelt sich auch hier nicht ein Radius wie der andere. Die embryologische Behandlung der Radien muß eine individualisierende sein. Ich bezeichne deshalb die Radien mit einzelnen Buchstaben, und zwar die epibranchialen mit a, d, c etc. die keratobranchialen mit a, $, y etc, jedesmal von der Mitte angefangen (vergl. dieselbe Bezeichnung bei Spinax in Fig. 9, S.416). Ich kann mich für unsere Zwecke im wesentlichen auf wenige Radien eines einzigen Kiemenbogens und zwar auf die beiden mittleren beschränken und wähle dazu Radius @ und Radius « des ersten Kiemenbogens bei Torpedo narce Risso. Bei einem Embryo von 20 mm Länge sind nur Mesenchymverdichtungen an der Stelle von a und a vorhanden. Es sind dies die einzigen Skelettanlagen in dem betreffenden Kiemenseptum außer dem Streifen von Vorknorpel, welcher die Anlage des ı. Kiemenbogens selbst darstellt. a ist ein kleines Häufchen dicht gedrängter Zellen, welches ein separates Zentrum im umgebenden helleren Mesen- chym bildet. Dasselbe liegt ein wenig vom Kiemenbogen entfernt. Bei einem Embryo von 20,5 mm Länge ist der Kiemenbogen verknorpelt und auch die meisten Radien weisen hyaline Grundsubstanz auf (nur die peripheren, e, / und :, sind noch vorknorpelig). Radius a ist ein Knorpelfaden, welcher dem Kiemenbogen fest anliegt, aber völlig separat geblieben ist. Ein Streifen embryonalen Binde- gewebes trennt den hyalinen Knorpel des Kiemenbogens von demjenigen des Radius a. Terminal ist « lang ausgewachsen und endet frei mit einer Spitze, ohne Verbreiterung. Bei einem Embryo von ao mm Länge schließlich sind alle Radien knorpelig und alle in hyalinknorpeligem Zusammenhang mit dem Kiemenbogen. Letzterer ist stark verbreitert und läuft an seinem caudalen Rand in die Radien a, 5, c, d und e aus. Dann nımmt die Verbreiterung ab und es folgt noch Radius 7% welcher dem hier an relativem Umfang den früheren Stadien entsprechenden Kiemenbogen 'angeheftet ist. Wenn nun auch keine geweblich differente Grenze zwischen den Radien und dem Bogen mehr vorhanden ist, so ist doch an der Stellung der Knorpelzellen zu sehen, wo die Verwachsung erfolgte. Die am meisten verbreiterte Partie des Kiemenbogens ist in einzelne Parzellen eingeteilt, von welchen jede deutlich als die ursprüngliche Basis eines Radius erkennbar ist. Es verschmelzen also die Radien 2,: 5b, c, d und e miteinander basal und diese Platte ist mit dem Kiemenbogen verschmolzen, so daß er an der betreffenden Stelle verbreitert erscheint. Der Radius / ist bei dem betreffenden Embryo dagegen für sich mit dem ı. Kiemen- bogen zusammengeflossen. Terminal sind die Radien beiderseits zipflich ausgezogen und mit diesen noch vorknorpeligen Verbreiterungen entweder einander genähert oder mit einander verschmolzen. Der Radius « desselben relativ alten Embryo (von 40 mm Länge) ist noch eine Phase weiter in der Innigkeit der Konkrescenz gediehen. Bei ihm ist auch an der Stellung der Zellen nicht zu bemerken, wo etwa eine Verwachsungsgrenze gelegen haben könnte. Allerdings stehen im Knorpel- faden selbst die Zellen dichter als im Kiemenbogen. Das wäre ja an sich kein Grund zu glauben, daß er einst ein diskretes Stück gewesen und später mit dem Bogen verschmolzen sei. Greife ich nun auf den jüngsten Embryo von 20 mm Länge zurück, so finde ich bei ihm den Radius « als kleine Mesenchymverdichtung, welche unmittelbar neben dem Vorknorpel des 1. Kiemenbogens liegt und mit ihm eine Kontinuität’) bildet. Es stellt sich allerdings bei der Chondrilikation (Embryo 20,5 cm L.) vorübergehend eine gewisse Selbständigkeit des Radius .u heraus, da der Knorpel an- 1) Es sind allerdings die Zellen in dem mittleren Teil des Radius dichter zusammengedrängt als an der Basis, an welcher er breit mit dem Bogen zusammenhängt. An dem Zusammenhang selbst ist jedoch nicht zu zweifeln, da das um- gebende embryonale Bindegewebe viel heller ist als die betreffende Partie des jungen Skelettgewebes. Tatsächliches aus der Entwickelung des Extremitätenskelettes bei den niedersten Zormen. 424 424 fänglich durch einen feinen Vorknorpelstreifen vom Visceralbogen geschieden ist. Später ist dann, wie erwähnt, auch diese Trennung verschwunden. Bei Torpedo, bei welchem nach diesen ontogenetischen Daten nicht daran gezweifelt werden kann, daß die Verbindung der Radien mit den Kiemenbogen eine sekundäre ist, kann sich also auch neben separater Anlage beim ersten Sichtbarwerden des Knorpels, im anderen Fall von vornherein der Zusammenhang in den ontogenetischen Bildern zeigen. Es betrifft dies auch hier die stärksten Radien. Daraus geht hervor, daß auch bei Spinax der anfänglich kontinuierliche Zu- sammenhang, welcher dort bei einem Radius beobachtet wurde, trotz ursprünglicher Diskontinuität zu standegekommen sein könnte. \ Die andere Beobachtung, welche uns zeigt, daß Kontinuität und Diskontinuität, Verschmelzung und Ablösung ontogenetische Prozesse sind, welche bei diesen Knorpelelementen der Kiemensepten keine prinzipiellen Verschiedenheiten darstellen, liefern uns gewisse Elemente des Hyoidbogens von Spinax niger. GEGENBaur hatte bereits (1872) neben den verästelten vielstrahligen Basalia im Septum des Hyoidbogens bei Selachiern kammförmige Bildungen nachgewiesen (Cestracion). Aehnliches zeigte Husrecht'‘) bei Chimaera. Ich gebe in Fig. 12A eine Abbildung eines solchen nach einem von GARMAN?) abgebildeten Skelett von Isistius brasiliensis. Es ist dies ein gutes Beispiel für ein Basale (d) mit vielen anhängenden Radien (7, 7°). Auch ein freies Knorpelstückchen kommt zwischen den Radien vor (bei*). SCHAUINSLAND hat nun, wie erwähnt, bei Holocephalen embryologisch nachgewiesen, daß diese Platten bei jenen Fischen durch Konkrescenz entstehen. Bei Spinax, bei welchem K. FÜRBRINGER eine ähnliche Kammbildung nachwies (l. c. Taf. XVII, Fig, 27), behandelte ich beim ausgebildeten Tier (einem besonders alten Exemplar von 45 cm Länge) das Hyoidseptum nach van WIHE mit Methylenblau. Es stellte sich heraus, daß die hyaline Grundsubstanz in ihrer Verteilung — trotz der äußer- lich einheitlichen perichondralen Umhüllung des ganzen Kammes — noch die Zusammensetzung aus mehreren Stücken erkennen ließ. In Fig. ı2C sind mit a und a die beiden Träger des Kammes bezeichnet. Die Basıs des Kammes, das eigentliche Basale, welches bei d von dem einen Träger zum anderen herüberläuft, erscheint aufgelöst in drei Stücke: einem größeren, dreizinkigen, welches zu a gehört, einem zweizinkigen isolierten Stück und schließlich einer Gabel, welche sich an «a anschließt. Die Konkrescenz ist also auch hier insofern unvollkommen (wie bei Heptanchus) als noch eine Art Zwischengewebe zwischen den drei Partien besteht, welches auf Methylenblau nicht reagiert. Sehr interessant war es für mich, die Entwickelung dieses Kammes zu verfolgen. Er ist in meinen Serien beim ersten Auftreten völlig einheitlich In Fig. ı2B bilde ich die graphische Rekonstruktion des Hyoidbogens desselben Spinaxembryo ab, dessen ı. Kiemenbogen früher beschrieben wurde (Fig. 9, S. 416). Der Vorknorpel ist mit punktierten Linien, der hyaline Knorpel mit ausgezogenen Konturen wiedergegeben. Gestrichelte Linien geben die Grenzen der Skelettgebilde an solchen Stellen wieder, wo sie von den darüber liegenden Teilen verdeckt sind. Das Basale des Kammes d ist eine völlig kontinuierliche Spange aus dichtem mesodermalen Gewebe. Sie liegt in der betreffenden Serie genau in der Schnittebene und ist einige Schnittdicken stark. An keiner Stelle ist von einer Zusammensetzung aus einzelnen Komponenten etwas wahrzunehmen. Dagegen läßt das Ver- halten zu den Gefäßen, deren Querschnitte in der Figur (schraffiert) eingetragen sind, vermuten, wie viele, einst freie Radien in dem Basale stecken. Bei den einzelnen Radien, soweit sie typisch sind, liegt 1) HUBRECHT, Beitrag zur Kenntnis des K opfskelettes der Holocephalen. Niederl. Arch. Zool., Bd. III, Leiden-Leipzig, 1877. 2) S. GARMAn, Fishes. Reports on a exploration off the west Coasts of Mexiko etc. Memoirs Mus. comp. Zool. Harvard College Vol. XXIV, Cambridge U. S, 1899, Taf. II, Be, 7 ia 425 Tatsächliches aus der Entwickelung des Extremitätenskelettes bei den niedersten Formen. 425 nämlich immer je einer zwischen zwei Gefäßen. Danach müßte man 7 Komponenten des Basale erwarten. Einer dieser Radien, der dorsalste, ist auch schon ziemlich weit ausgewachsen, von den anderen sind geringe Anfänge zu bemerken. Das fertige Tier zeigt in der Tat 7 Zinken an dem Kamm. Aufmerksam machen möchte ich noch darauf, daß das Knorpelzentrum bei a in Fig. 12A ganz einheitlich ist, obgleich es schon in den Rayon hineinragt, welcher zu einem zweiten Radius gehörig angesehen werden muß. Fig. ı2.. A Basalia mit verzweigten Radien vom Hyoidbogen eines Isistius brasiliensis. (Nach GARMAN.) B Hyoid- bogen mit Radien von einem Spinax- embryo (vergl. S. 416, Anm. 2). Graphische Rekonstruktion nach KASTSCHENKO. Orig. 44mal, hier 33mal vergr. C Septum des Hyoidbogens bei einem Spinax von 45 cm Länge. Totalpräparat nach van WIJHE. Mit dem AsspEschen Zeichenapparat bei 2'/‚mal. Vergr. gezeichnet, hier 1°/ mal vergr. ex Durchlöcherte Platte und freies Knorpel- stückchen als Anhang des ventralen Extrabranchiale. Die übrigen Buchstaben im Text erklärt. Die primäre Einheitlichkeit des Basale in dieser Kammbildung scheint mir kein Grund zu sein, daran zu zweifeln, daß dieser und ähnliche Kämme wirklich einst durch Konkrescenz entstanden. Sie zeigt uns nur, daß ontogenetische Bilder nach Art des Geschilderten, namentlich also Zusammen- hänge sonst getrennter Knorpel im Vorknorpelstadium oder in diesem noch vorangehenden Etappen der Entwickelung keine besondere Bedeutung zu haben brauchen. Aehnliches ist auch von der einheitlichen Anlage anderer separierter Gebilde bekannt, z. B. von der Zahnleiste, Milchleiste u. dergl. Ich lasse es dahingestellt, ob bei den Visceralbogen und ihren Radien phylogenetisch ein Zusammenhang bestand. Ich halte es auch durchaus nicht für ausgeschlossen, daß uns die Ontogenie bestimmtere Auskünfte über die Notwendi gkeit oder Zufälligkeit von Zusammenhängen und andererseits über das Essentielle separierter Anlagen geben kann. Aber die jetzigen Methoden lassen uns im Stich. Sie müssen durch feinere ergänzt werden. Für die Vergleichung der Entwickelung von Visceral- und Extremitätenskelett ergeben sich jeden- falls aus den mitgeteilten Beobachtungen eine Reihe von Konsequenzen, welche sich von jenen phylo- genetischen Problemen loslösen lassen. Ich komme hier darauf zurück, daß bei dem Vergleich des Skelettes unpaarer und paariger Gliedmaßen die Fage erhoben wurde, ob nicht die Achnlichkeiten, welche diese beiden Organisationen miteinander gemein haben, noch an einer dritten Stelle ihre Parallele finden (S. 413). Um zu zeigen, daß in der Tat die Radien der Visceralbogen solche Gebilde sind, gehe ich die vierPunkte durch, in welchen die Parallelitäten zwischen dem Skelett der Pinnae und Pterygia zusammengefaßt wurden. ı) Freie Radien finden sich als separate Anlagen beim Embryo und als freie Knorpelfäden beim ausgewachsenen Tier in nicht geringeren Zahlen in manchen Kiemensepten (Fig. 10) als bei den Flossen. In den Anlagen können sie mit dem Visceralbogen vorknorpelig zusammenhängen, wie dies beim Basipterygium und dem Extremitätenbogen der Fall ist. Jenaische Denkschriften. X1. 54 Festschrift Ernst Haeckel. A 26 Tatsächliches aus der Entwickelung des Extremitätenskelettes bei den niedersten Formen. 426 2) Ein Basale als ontogenetisch einheitliche Anlage wurde bei Spinax im Septum des Hyoidbogens nachgewiesen. 3) Die Ausbildung uniserial angeordneter Radien (Monostichopterygium) ist bei den Radien des Hyoidseptum keine Seltenheit. Außer dem in Fig. 12 A abgebildeten Beispiel (bei welchem außer dem Basale 5 noch ein zweites mit r‘ bezeichnetes sekundäres Basale mit Radien nach Art etwa eines Propterygium der paarigen Gliedmaßen vorkommt) vergl. man z. B. bei Schaumsrann, 1903, Taf. XVII, Fig. 124 of, (Callorhynchus), oder K. FÜRBRINGER, 1903, Taf. XVIN, Fig. 34 (Cestracion) u. v. a. 4) Die Ausbildung biserial angeordneter Radien (Distichopterygium) ist in besonders aus- geprägtem Maß bei den Basalia der Kiemenradien ebensowenig häufig wie bei den Gliedmaßen. Aber sie ist im Hyoidseptum vorhanden. GEGENBAUR hat dafür schon 1872 die bekannten Beispiele bei Rochen angeführt, an welche er unmittelbar die Aufstellung seiner Archipterygiumtheorie anknüpfte (1872, S. ı81 Anm.). Bei Squaliden sind sehr klare derartige Bildungen von K. FÜRBRINGER 1903 (z. B. bei Odontaspis, 1. c. Taf. XVII, Fig. 35 linkes x) veröffentlicht worden. Ich bin nicht im Zweifel, daß ausgedehntere Untersuchungen hier noch mehr Material zu Tage fördern würden. Da die zu den eigentlichen Kiemenbogen gehörigen Septen nur rudimentäre Radienmengen be- sitzen und jedenfalls früher reicher versehen waren, so waren bei ihnen dieselben Bedingungen zur Bildung von mono- und distichopterygialen Basalia vorhanden wie bei den Radien des Hyoidseptum. VII. Schlusstolgerungen. In den vorhergehenden Kapiteln wurde gezeigt, daß in der Entwickelungsgeschichte niederer Haie die Bildung der paarigen Extremitäten, speziell der Brustflosse, mit einem Stadium anhebt, in welchem lediglich der Schulterbogen sichtbar ist. Auch die Visceralbogen sind in diesem Entwickelungs- stadium noch ganz gleich untereinander gebaut. So liegen alle diese Bogen einer hinter dem anderen, einer der wesentlichen Form nach immer die Wiederholung des vorhergehenden (Taf. XIII, Fig. 1). Ein solches Bild war bisher nur aus vergleichend-anatomischen Erwägungen erschlossen worden und war der Ausgangspunkt für GEGENBAUR gewesen, für die ältere Owensche Idee einzutreten und im Schultergürtel ein Homodynam der Visceralbogen zu vermuten. Die Ontogenie setzt in diesen frühen Stadien einen reell greifbaren Zustand an die Stelle jenes aus vielen Formen abgeleiteten, ideellen Schemas. Auch zeigt die Ontogenie, daß das Becken jener niederen Haie seiner Form nach mit dem Schultergürtel und also den Visceralbogen in der frühesten Anlage essentiell übereinstimmt. Es ist natürlich damit nicht etwa bewiesen, daß nun in der Tat die Extremitätenbogen von Visceralbogen abstammen. Aber unsere embryologischen Kenntnisse fügen sich zwanglos in die ver- gleichend-anatomischen Ueberlegungen ein, welche zur Aufstellung der Kiemenbogenhypothese führten. Ja, sie erhöhen die Wahrscheinlichkeit dieser Ueberlegungen, da die Embryologie für das ausganggebende Formenbild eine Realität an Stelle einer Deduktion setzt. Andererseits konnte ich zeigen, daß gerade die Entwickelungsgeschichte des Skelettes der unpaaren Flossen (deren fertige Zustände so große Aehnlichkeiten mit den paarigen Flossen besitzen) uns zu Formzuständen führt, welche keine Analogie zu den paarigen Extremitäten aufweisen können. Denn in den einen Fällen ist die Ableitung der Radien der Pinnae von Dornfortsätzen der Wirbelsäule evident, in anderen kann sie aus den entwickelungsgeschichtlichen Tatsachen doch mit Wahr- 427 Tatsächliches aus der Entwickelung des Extremitätenskelettes bei den niedersten Formen. 427 scheinlichkeit gefolgert werden. Das führt aber zu einem total anderen Ursprung als das Anfangsbild der Entwickelung der paarigen Extremitäten, nämlich die Abstammung vom Zonoskelett, uns vor Augen stellt. Mit diesem ontogenetischen Verhalten der Radien bei den Pinnae hängt es auch zusammen, daß trotz der vielen Parallelitäten der Skeletteinrichtungen der freien Gliedmaßen doch eine genetische Verwandtschaft nicht angenommen werden kann. Denn die Radien der Pinnae sind als Abkömmlinge der Wirbelsäule metamer gegliedert. Es ist dies da, wo die Abgliederung von den Wirbeln beobachtet wird, außer Zweifel, und zwar kommt bei Ganzwirbeln ein Radius, bei Halbwirbeln zwei Radien auf ein Metamer. In der Entwickelungsgeschichte der Pterygia ließ sich jedoch nachweisen, daß keinerlei metamere Beziehungen bei den Anlagen der Radien bestehen. Einmal sind positiv keine Beziehungen zur Metamerie des Körpers gegeben. Die Radien stehen nicht in Verbindung mit metameren Skelett- teilen des Wirbeltierkörpers. Sie sitzen auch nicht sonst etwa metamer gegliederten Organsystemen des Rumpfes in einer bestimmten Regel an oder auf (z. B. den Urwirbeln). Dagegen wurde festgestellt, daß zwischen den Abkömmlingen metamerer Organsysteme des Körpers, welche in die Flossen- anlagen hineingelangen, einerseits und den Radienanlagen andererseits keine Uebereinstimmung besteht. Dies äußert sich darin, daß die Zahl der Radienanlagen und fertigen Radien keine konstante Be- ziehung zu den metameren Muskelknospen, welche in die Flosse einwachsen, und zu deren Nerven besitzen. Es äußert sich ferner darin, daß nachgewiesen ist, wie aus metameren Muskelknospen ver- schmolzene, also dysmetamere Muskelgebilde (Musculi radiales) anfänglich noch topographisch gegen die Radien verschoben sind und erst successive in der Ontogenie in die Richtung dieser Radien hinein rücken (S. 396 u. f.). Während bei den Pinnae dorsales vermutlich aus metameren Konkordanzen zwischen ab- gegliederten Dornfortsätzen und ihnen angepaßten Muskeln allmählich Diskrepanzen entstanden, da die Skelettstäbe von ihrem Entstehungsort ab- und zusammengedrängt wurden, und da dabei das ursprüngliche Arrangement der metameren Muskeln verloren ging (dysmetamere Musculi radiales, Nervenplexus bei vielen Pinnae), ist bei den Pterygia der umgekehrte Prozeß ontogenetisch (bei Spinax) klar erwiesen. Hier verbinden sich Abkömmlinge der metameren Myotome zu dysmetameren Muskelanlagen, den Musculi radiales. Nachdem alle Metamerie in der Abgrenzung der Muskelindividuen verwischt ist, kommt eine numerische Uebereinstimmung, aber topographisch diskrepante Verbindung mit den Radienanlagen zu stande. Aus dieser bildet sich erst zum Schluß manchmal Konkordanz der Lage aus. Der Gang der Entwickelung ist also der umgekehrte, als wir ihn bei den Radien der Pinnae, deren Ontogenie nach, vorauszusetzen haben. Da ich weiterhin zeigen konnte, daß alle die Aehnlichkeiten der Entwickelung, welche zwischen dem Skelett der unpaaren und paarigen Gliedmaßen bestehen, sich auch bei den entwickelungs- geschichtlich begründbaren Ausgangszuständen der Radien des Visceralskelettes finden, so neigt sich die Wage der Wahrscheinlichkeit den letzteren zu, wenn wir nach verwandtschaftlichen Beziehungen der Pterygia zu einer der beiden Organisationen suchen. Denn die Radien der Visceralbogen können — im Gegensatz zu den Radien der Pinnae — mit der Körpermetamerie nichts zu schaffen haben. Die nicht metameren Radien der Pterygia lassen sich also wohl auf die Radien des Visceralgebietes, nicht auf diejenigen der unpaaren Flossen beziehen. Auch hier befindet sich die Entwickelungsgeschichte in voller Uebereinstimmung mit denjenigen Argumenten der vergleichenden Anatomie, welche eine Ab- lehnung aller genetischen Vergleiche zwischen Pinnae und Pterygia a priori begründen. 54 * Tatsächliches aus der Entwickelung des Extremitätenskelettes bei den niedersten Formen. 428 428 Es ist jedoch die Kluft zwischen den Anordnungen der Radien in den Kiemensepten und in den Flossenleisten auf den ersten Blick eine so große, daß vielfach daran Anstoß genommen wird, so verschieden orientierte Skelettgebilde aufeinander zu beziehen. Gerade die Entwickelungsgeschichte zeigt immer die Extremitäten niederer Fische in Form horizontaler oder doch wenig zur Horizon- talen geneigter Longitu dinalleisten und -lappen und scheint dadurch, trotz der Uebereinstimmungen in den Einzelheiten des Skelettbaues, doch einem Vergleich der Gesamtpterygia mit visceralen Ein- richtungen besondere Schwierigkeiten zu bereiten. N N 1) EN = N I Wi: YS n.c.m. m.cA. m.c.br. Co In 2 4 I 5 h ; Sn aaa „C IE Pt Fig. 13. Embryo von Heptanchus cinereus 107 mm Länge. (Präparation der Nerven, Muskeln und Skeletteile mit Hilfe des bino- kularen Mikroskops bei 8omal. Vergr.) Die Kiemensepten sind abgetragen und die Augenhöhle ist ausgeräumt. j Das Visceralskelett und der Schulterbogen mit grünlichem Ueberdruck. Die Querteilungen der Visceralbogen sind weggelassen. Der hintere Rand des Mandibularbogens nach vorm gezogen, um den Hyoidbogen zu zeigen. 7-V77 die 7 Kiemenbogen. Die Radienrudimente am letzten Kiemenbogen sind nach einer Serie eingetragen, ebenso der Labialknorpel 7. 7? Processus palatinus des Mandibularbogens. Sc Spitze der Scapula, Co mediane Vereinigungsstelle der beiderseitigen Coracoide. 7.2. Inscriptio tendinea, welche auf dem Coracoid liegt. Die visceralen Muskeln sind mit braunrotem Ueberdruck versehen. Die spinalen und Augenmuskeln ohne Ueberdruck. In der Augen- höhle die beiden Mm. obliqui M.o.. Um den Augenstiel herum die abgeschnittenen vier Mm. recti. Oberhalb eines jedes Kiemenbogens die epibranchiale Muskulatur. Sie besteht aus je zwei visceralen Muskeln (Mm. dorsales arc.) und dazwischen je einem spinalen Muskel (M. inter- basalis.. Diese Muskeln sind ein wenig schematisiert, um sie besser hervortreten zu lassen. Den Kiemenbogen angeschmiegt die Mm. adductores branch. Unterhalb der Kiemenbogen die hypobranchialen Muskeln: M.c.dr. Musc. coıraco-branchialis, M:c.r. Musc. coraco-hyoideus, ZW.c.zn. Musc. coraco-mandibularis. Die Inscriptiones tendineae in diesen Muskeln, ebenso in der Bauch- und Rückenmuskulatur sind weggelassen: M.tr. Muse. trapezius. Die Nerven der Augenmuskeln sind hell gezeichnet. Zu sehen ist nur Y7 N. trochlearis. Der N. opticus mitten in der Orbita eben- falls hell. Schwarz sind dargestellt: der Trigeminus mit seinen 3 Aesten 7!, 7°. Der zweite Ast liegt am oberen Rand des Proc. palatinus vom Mandibularbogen. Der Facialis auf dem umgeklappten Hinterrand des Mandibularbogens. An den ersten Kiemenbogen tritt der Glossopharyngeus. Direkt dorsal darüber der starke Vagus X; dessen Aeste ventralwärts abgeschnitten. Dorsalwärts: V.Z. Nervus lateralis; Zr. Ast des Trapezius. Pt Brustflosse, nach unten geklappt, so daß der Flossenheber ganz zu sehen, der Flossensenker aber größtenteils verdeckt ist. (Nach einer Photogr. von 5mal. Orig.-Vergr., hier 3°/,mal vergr.). Aber die Entwickelungsgeschichte ist es auch wieder, welche bestimmte Teile der Visceralbogen nicht an die vertikale, sonst übliche Lage gebunden zeigt‘). In Fig. ı3 bilde ich denselben Embryo von Heptanchus, von welchem die Präparate der Kiemensepten (Fig. 10A, S.419 u. Fig. ıı, S. 421) stammen, ab, wie er nach Entnahme dieser Septen und nach Freilegung der Visceralbogen nebst deren Muskeln und ı) Ehe ich den hier geschilderten Befund bei dem Embryo von Heptanchus kannte, machte mich gesprächsweise Herr Dr. K. FÜRBRINGER darauf aufmerksam, daß die vertikale Lage der Visceralbogen bei Chlamydoselachus an deren ventralem Ende in eine annähernd longitudinale übergeht. Ich war dadurch auf diese Frage aufmerksam geworden. 429 Tatsächliches aus der Entwickelung des Extremitätenskelettes bei den niedersten Formen. 429 Nerven aussieht. Die Abbildung ist nach einer mikrophotographischen Aufnahme (sfache Vergr.) durch- gepaust und deshalb in den topographischen Verhältnissen der Skeletteile, auf welche es hier ankommt, völlig naturgetreu.” Man sieht, daß die ventralen Teile der eigentlichen Kiemenbogen vollkommen longitudinal liegen. Der 7. Kiemenbogen z. B. ist zu verfolgen bis zu der Muskelgrenze innerhalb der Musculi coraco-branchiales, welche den Verweisungsstrich M.c.ör. trägt. An dem horizontalen Stück der Bogen ist je ein Fascikel dieses Muskels befestigt. Dasjenige des hintersten Bogens ist besonders breit; die zu den vorderen Bogen gehenden Abteilungen des M. coraco-branchialis sind schmäler, decken sich aber gegenseitig, so daß sie in der Figur noch schmäler aussehen, als sie in Wirklichkeit sind. Auch der Hyoidbogen hat ventral dieselbe longitudinale Stellung und ist nur von dem Mandi- bulare in der Figur verdeckt. Mit dieser longitudinal-horizontalen Richtung des ventralen Teiles der Visceralbogen (speziell des Keratobranchiale) beim Heptanchusembryo hängt die Lage der Radien zusammen. Während die dorsalen und mittleren Radien so angeordnet sind, daß sie dorso-ventralwärts aufeinander folgen, liegen die ventralen Radien cranio-kaudal hintereinander. Man sieht dies namentlich dort, wo reich- liche Mengen dieser Radien erhalten sind, z. B. im embryonalen Hyoidseptum (Fig. 10A S. 419 zwischen den Buchstaben und a) und bei manchen Kiemenbogen, z. B. dem ersten (Fig. ıı S. 421 /). Bei den hinteren Kiemenbogen, bei welchen sich die Kiemenöffnungen bereits verengt haben (den Rand der Kiemenöffnungen bezeichnet jedesmal die Curvatur des Extrabranchiale in Fig. ı1, da dieses denselben stützt) sind wesentlich nur die dorso-ventral aufeinander folgenden Radien erhalten geblieben. Gerade die hier wichtigen sind im Verschwinden begriffen. Das ist in noch höherem Maß beim ausgebildeten Heptanchus der Fall; denn bei ihm ver- wischen sich diese Dinge auch einigermaßen beim Hyoiıdbogen. In Fig. 1oB S. 419, welche genau in der richtigen Lage nach Fig. ı3 orientiert (ebenso wie die Septen des Embryos in Fig. 10 und ır) die Hyoidradien des ı m langen Heptanchus wiedergibt, ist nur noch eine leichte Schrägstellung der ventralen Radien vorhanden. Bei den eigentlichen Kiemenbogen sind beim ersten gerade diejenigen Radien zurückgebildet, welche beim Embryo noch cranio-kaudal hintereinander lagen. Die übrigen hatten schon beim Embryo nicht mehr diese Gebilde in charakteristischer Ausbildung. Bei den pentanchen Haien scheint von der Longitudinalstellung der ventralen Teile der Visceralbogen auch ontogenetisch wenig mehr vorhanden zu sein. Allerdings liegen dieselben noch horizontal (Taf. XII, Fig. ı, 2) und deshalb ist bei der Betrachtung der Kiemensepten der Fläche nach die Lage der ventralen Radien so, daß sie in der Horizontalen nebeneinander liegen (Fig. 9, S. 416 und Fig. ı2, S. 425). Sie liegen aber bezüglich der Achse des Embryos medio-lateral. Das Wesent- lichste, die longitudinale, in der Längsrichtung des Körpers befindliche Lage, ist nicht nachweisbar. Auch hier zeigt sich, daß wir bei den niedersten Haien Anknüpfungen für die Ableitung der Extremitäten finden, welche bei den höheren (pentanchen) nicht vorhanden oder wenigstens nicht so leicht nachzuweisen sind. Andererseits ist noch bei der Anlage des Schultergürtels von Spinax der longuitudinale Teil (Fig. ı, Taf. XII /) sehr charakteristisch, welcher nach dieser Kenntnisnahme der Visceralbogenform der Embryonen heptancher Selachier besonderes Interesse beansprucht. Liegt es wirklich so fern, angesichts aller dieser embryologischen Tatsachen sich vorzustellen, daß der Rest eines rudimentär gewordenen Kiemenbogens durch Muskeln wie es die spinalen Mm. coraco- branchiales bei Heptanchus sind (Fig. 13), in den Rumpf entführt wurde und daß dabei gerade Rudimente von solchen Radien, welche longitudinal an der Insertionsstelle der genannten Muskeln hintereinander 430 Tatsächliches aus der Entwickelung des Extremitätenskelettes bei den niedersten Formen. 430 lagen, diesem Bogen angeheftet blieben? Dann hätten wir ja in nuce das ganze Material beisammen, welches in der Entwickelung der Selachier im Schulterbogen und primären Basale mit seiner stattlichen Fiederung und allen sekundären Basalia zur Entfaltung kommt. Denn bei den Radien in den Kiemensepten zeigte sich, trotz der relativ spärlichen ontogenetischen Beobachtungen, welche ich über diesen Gegenstand mitteilen konnte (ausgedehntere Untersuchungen werden noch viel größere Mannigfaltigkeiten zeigen, daran zweifle ich nicht), wie nahe Konkrescenz und Sprossung gleichsam bei diesen Bildungen nebeneinander liegen. Ein aus mehreren Einheiten verschmolzenes Skelettstück hat in sich die Fähigkeit behalten, wieder Vielheiten dureh” Sprossung zu reproduzieren leh erinnere an die Kamm bildung in dem Hyoidseptum von Spinax, welche sicher phylogenetisch wie die anderen Komposita von Kiemenradien durch Konkrescenz entstanden ist und doch ontogenetisch als Einheit sich anlegt, um dann später Fortsatz auf Fortsatz auszusenden (S.425). Auch bei rudimentären Knorpelresten z. B. beim 7. Kiemenbogen des Heptanchusembryo, ist es auffallend, daß die Stückchen wohl manch- mal die Form des Rudimentes eines Radius besitzen (das ventrale Stück Fig. 13), daß aber häufiger Elemente vorkommen, welche viel breiter sind als die noch erhaltenen Radien (das dorsale Stückchen bei Heptanchus). Bei erwachsenen Haien gibt es dafür viele Beispiele im Radienbesatz des 5., bei Heptanchus noch komplett erhaltenen Kiemenbogens, vergl. GEGENBAUR, 1872, K. FÜRBRINGER, 1903). Es erscheint sehr wahrscheinlich, daß diese breiteren Elemente mehre'ren Radien entsprechen. Es hätte also nichts Auffallendes, daß ein solches Rudiment, mit dem zugehörigen Visceralbogen in neue, einer Fortentwickelung günstige Bedingungen gebracht, nun seine ihm inhärente Vervielfältigungs- energie entwickelt und so eine Radienbildung in Fluß gebracht hätte, wie wir sie bei den Pterygia ontogenetisch beobachten. Daß dabei nichts essentiell Neues, etwas, was nicht schon bei den Kiemenradien vorhanden war, postuliert zu werden braucht, zeigt sich bei den Bildungen von Di- und Monostichopterygia in den Kiemensepten, welche bei den Kiemenradien Erwähnung fanden (S. 426). Die große Variabilität zwischen Sprossung und Konkrescenz im Visceralgebiet, welche ich be- schrieb, muß uns veranlassen, nicht mehr mit der Starrheit daran festzuhalten, daß das Basale meta- pterygii etwas prinzipiell Verschiedenes sei von den sekundären Basalıa (B. meso- und propterygii). Das steht für mich fest, daß das Basale metapterygii älter ist als die beiden übrigen. Es ist ent- wickelungsgeschichtlich und vor allem paläontologisch früher da als die übrigen Basalia. Deshalb halte ich auch den Namen primäres Basale für dasselbe im Gegensatz zu den beiden anderen, den sekundären Basalia, für gerechtfertigt; aber wenn auch in der Ontogenie dieses Basale einheitlich auftritt und mir (trotz der entgegengesetzten Meinung mancher Autoren) auch paläontologisch nichts Sicheres von einem Aufbau aus einzelnen Stücken durch Konkrescenz nachgewiesen zu sein scheint, so wäre es immerhin möglich, daß die Konkrescenz von Radien im Visceralgebiet einst das Material lieferte, aus welchem dieses Basale entstand. Der Unterschied gegenüber den sekundären Basalia wäre immerhin quantitativ, d. h. dem Zeitmaß nach ein gewaltiger. Denn die sekun- dären Basalia haben wir uns als Konkrescenzen vorzustellen, welche in den Pterygia selbst erfolgten. Das primäre Basale dagegen wäre eine als Einheit der Flosse überkommene Ein- richtung, deren ursprüngliche Komposition aus Vielheiten nur noch implicite in ihr enthalten ist. Aber qualitativ wäre das doch nichts Verschiedenes, weil auch solche Entfaltungsmöglichkeiten im Visceral- gebiet durch Konkrescenzen zu stande kommen. Mit der höheren Gliederung des Extremitätenskeletts ist stets vom Beginn der Entwickelung an eine Kontinuität der Anlagen des Zonoskelettes und des primären Basale verbunden (Fig. 2, Taf. XII). Bei den Radien der Visceralbogen schien eine solche nach A. Dourn gänzlich zu fehlen. 431 Tatsächliches aus der Entwickelung des Extremitätenskelettes bei den niedersten Formen. 431 Ich zeigte jedoch, daß doch bei einzelnen, stärker entwickelten Radien als den übrigen in den Anfangsstadien Kontinuität des Vorknorpels mit dem Visceralbogen zu beobachten ist (Spinax, Torpedo). Die Chondrifikation setzt dann gerade wie bei den Pterygia getrennt ein, so daß einerseits Visceral- bogen wie Extremitätenbogen ihr eigenes Knorpelzentrum erhalten, und andererseits Kiemenradien oder Basalia von solchen sowie Basalia und Radien von freien Gliedmaßen für sich chondrifizieren. Diese Tatsache muß uns hier genügen. Denn da die Entfaltung des Gliedmaßenskelettes nach Art eines Di- oder Monostichopterygium eine viel kräftigere ist als bei jenen Kiemenradien, ist der primäre Zusammenhang des Vorknorpels mit dem Bogen um so erklärlicher, da jene Radien nur relativ wenig stärker sind als die anderen Radien, welche den Zusammenhang nicht zeigen. Ob die Kontinuität dagegen eine phylogenetisch primäre oder erst nachträglich entstandene sei, darüber wagte ich bei den Visceralbogen kein Urteil auszusprechen (S. 425) und ebensowenig möchte ich dies bei den paarigen Gliedmaßen tun. Auch in diesem Punkt muß ich den Schluß, daß der primäre onto- genetische Zusammenhang mehr als eine alte Zueinandergehörigkeit der Teile, nämlich daß er etwa einen primären geweblichen Zusammenhang beweise, als verfrüht bezeichnen. Es liegt nicht in meiner Absicht, hier darauf zurückzukommen, wie man sich die Entfaltung des primären Basale zum freien Gliedmaßenskelett auf Grund der ontogenetischen Tatsachen vorstellen kann. Ich erinnere daran, daß die Form des Distichopterygium als die ältere bei Squaliden aus zahl- reichen Resten des postaxialen Radienbesatzes bei Embryonen von Heptanchus und Centrophorus nachgewiesen wurde. (S. 391 u. f.). Dadurch erscheint auch das bei Ceratodus und fossilen Crosso- pterygiern erhalten gebliebene Distichopterygium als etwas den primitiven Selachiern und der Aus- gangsform der Gliedmaßen Verwandtes. Ueber die speziellere Ableitung der Formen- mannigfaltigkeit der Pterygia von diesem Ausgangszustand habe ich mich in meiner Arbeit „Ueber die Muskeln und Nerven der Ceratodusflosse etc.“ I. c. S. 272 u. f. ausführlich verbreitet. Auch gehe ich hier nicht mehr im einzelnen darauf ein, wie nun die Gesamtgliedmaßen bei einer Ableitung ihres Skelettes aus Visceralbogen in ihrem Aufbau zu erklären seien. Man sieht aus Fig. ı, Taf. XIII, daß anfangs der Schulterbogen nur mit seiner Spitze die Extremitätenleiste er- reicht. Die feste basale Beziehung zu der Leiste kommt erst später zu stande und ist in Fig. 2, Taf. XII vollzogen. Es ist nun bekannt, daß z. B. bei Amphioxus Leisten zu seiten des Körpers be- stehen (Metapleuralfalten), welche nach van WpmE'!) durch Muskeln beweglich sind. Auch hat Gr. KERR?) auf kontraktile Fortsätze am Larvenkörper hingewiesen, welche nach außen hervorragende An- hänge bilden. Ich bezeichnete es schon in meiner Ceratodusarbeit (S. 274) als keineswegs ausgeschlossen, wenn auch nicht als irgendwie nachgewiesen, daß bei der Extremitätenentstehung derartige Anhänge mit zum Aufbau des neuen Organs benutzt wurden’). Ich habe zuletzt den Boden des Tatsächlichen verlassen, indem ich den Gedankengängen folgte, welche sich dem Anhänger der Visceralbogenhypothese angesichts der ontogenetischen Tatsachen auf- drängen müssen. Ich halte jedoch diese Gedanken nicht einmal für ontogenetisch unkontrollierbar. Allerdings bedarf es dazu neuer Methoden. Denn die in der Embryologie üblichen versagen. I) van WIJHE, Beiträge zur Anatomie der Kopfregion des Amphioxus lanceolatus. Petrus Camper, Bd. I, 1901. 2) GR. KERR, Note on hypotheses as to the origin of the paired limbs of Vertebrates. Proc. Cambr. Phil. Soc., Vol. X, 1900 und Rep. Brit. Ass. Adv. Sc. Glasgow 1901. 3) Vergl. auch meine Bemerkungen hierzu bei ©. HerrwıG, Handbuch der vergl. u. exp. Entwickelungsl., Kapitel Extremitäten. Tatsächliches aus der Entwickelnng des Extremitätenskelettes bei den niedersten Formen. 432 432 Ich möchte dies an dem Problem erläutern, wie es aufzufassen sei, daß die Kiemenbogen und speziell deren Radien mit visceraler Muskulatur bedeckt sind, während dagegen die Radien der Pterygia nur von spinaler Muskulatur bewegt werden. A. DoHRn, 1902, S. 636 hat diese Tatsachen zu einer Argumentation benutzt, welche sehr interessant ist, weil sie in scharfer Fassung das enthält, was auch sonst hier und da in der Literatur gegen die Visceralbogenhypothese angeführt wurde und jedenfalls die Meinung vieler Fachgenossen wiedergibt. Domrn meint, daß die Visceralbogen onto- genetisch durch viscerale Muskulatur hervorgerufen würden. Daran ändere die Tatsache nichts, daß auch spinale Muskeln nachträglich in der Entwickelungsgeschichte an ihnen (und zwar nur an den Bogen) Anheftung fänden. Ebensowenig ändere die spätere Anheftung einiger visceraler Muskel- fasern am Schultergürtel etwas an der Tatsache, daß letzterer in der Entwickelungsgeschichte im spinalen Gebiet also durch die Wirkung spinaler Muskeln entstanden sei. Es wird hier von A. DoHurn als a priori bewiesen angenommen, daß die Muskeln sich ihr Skelett aufbauen. Es ist dies eine unter den Embryologen weit verbreitete Meinung, welche durch die ent- wickelungsgeschichtliche Tatsache hervorgerufen wurde, daß häufig die Muskeln früher auftauchen, als Skelettanlagen zwischen ihnen sichtbar werden. Wir sahen sie in den Hypothesen über die Entstehung des Gliedmaßenskelettes genau in derselben Weise zum Ausdruck kommen. Ja sie hat bereits in der ur- sprünglichen Sklerozonentheorie BoLks') eine ganz allgemeine Anwendung auf morphologische Unter- suchungen gefunden. In unserem Fall sind nun einmal die Muskeln, innerhalb deren sich das Skelett eines Kiemen- septums anfänglich anlegt, visceraler Abkunft. Sie sind außerdem sozusagen monometamer, da man den Glossopharyngeus und die einzelnen Aeste des Vagus als Repräsentanten ursprünglicher metamerer Gliederung auffaßt. Die Muskelanlagen dagegen, welche anfänglich in den Gliedmaßenleisten da sind, ehe sich das Extremitätenskelett entwickelt, sind (abgesehen von den visceralen Rudimenten beim Schultergürtel, von welchen ich zunächst absehe) spinaler Natur und außerdem polymetamer. Denn sie entstammen ja mehreren, unter Umständen vielen Metameren. Für denjenigen Embryologen, welchem die Abhängigkeit des Skelettes von den Muskelanlagen Axiom ist, sind diese Tatsachen natür- lich bindend, um eine Vergleichbarkeit der Extremitäten und Visceralbogen abzulehnen. Ist dieses Axiom begründet? Ich habe folgenden rein entwicklungsmechanischen Versuch ausgeführt, um zu bestimmen, ob die Bildung des Schultergürtels abhängig von den Myotomen ist, innerhalb welcher derselbe sich anlegt. Ich entnahm einer lebenden Larve von Bombinator ın einem Entwickelungsstadium, in welchem die vordere Extremität ein kleines stecknadelkopfgroßes Höckerchen bildet, diese Anlage und pfropfte das Stückchen auf ein anderes Exemplar von Bombinator im ähnlichen Entwickelungsstadium. Aus bestimmten, hier nicht zu erörternden Gründen wählte ich den Winkel zwischen Bauch und Schwanz als Transplantationsstelle d. h. also die Nachbarschaft der t) L. Bor (Morphol. Jahrb., Bd. XXI, 1894 u. ff.) hat das Verdienst, durch subtile Nervenpräparation die Ver- teilung aller Aeste eines Nerven in den Muskeln des Menschen nachgewiesen und dadurch die metameren Rayons in den Extremitäten festgestellt zu haben. Ich darf vielleicht daran erinnern, (s. w. u.) daß ich dasselbe bei Haien (bereits 1892 in meiner Diss. und 1898 Jen. Zeitschr., Bd. XXXI, Taf. XII, Fig. ı u. 2) durchführte. Soweit sind unsere beiderseitigen Untersuchungen, wenn auch an sehr verschiedenen Objekten, doch in der Technik und in den Resultaten von erireulichster Uebereinstimmung. Es ist deshalb ein Irrtum Lussens, eines Schülers von Bork, zu behaupten, ich leugnete die Folge metamerer Territorien in den Gliedmaßen (s. Petrus Camper, Bd. I, 1903). Was ich stets geleugnet habe, ist, daß man aus diesen metameren Territorien Rückschlüsse auf die ehemalige Lagerung derjenigen Skeletteile ziehen könne, welche diesen Territorien in späteren Zuständen topographisch entsprechen. Diesen essentiellen Teil seiner früheren Ausführungen hat BoLK neuerdings selbst verlassen. Seine „Sklerozonen“-Hypothese ist damit natürlich von ihm selbst auf das zurückgeführt, was sie zweifellos ist: ein vorzügliches Illustrationsmittel für die Lagerung der metameren Regionen. 433 Tatsächliches aus der Entwickelung des Extremitätenskelettes bei den niedersten Formen. 433 intakten hinteren Extremitätenanlage. Dieser Versuch läßt sich beliebig oft mit positivem Resultat wiederholen. Ich zog eine ganze Anzahl von Larven auf, welche neben der normalen hinteren Extremität und etwas dorso-kaudal von ihr eine vordere Extremität von normaler Ausbildung entwickelt hatten (die Kontinuität der Entwiekelung aus dem Pröpfling läßt sich durch Beobachtung der Phasen dieses Entwickelungsprozesses mit Sicherheit garantieren). Das für unser Problem wichtige Resultat war das, daß sich auch ein Gürtel für die Extremität gebildet hatte, der hinter dem normalen Beckengürtel gelegen ist, an einer Stelle also, an der Schwanzwurzel, wo unter normalen Verhältnissen keine Spur einer Gürtelbildung vorhanden ist. Da der Pröpfling (nach Ausweis der anderen Brustflossenanlage des- selben Embryos) nichts von einer Schultergürtelanlage besaß, welche bereits zwischen den Myotomen des Brustbereiches entstanden wäre, so ist bei diesem Experiment eine direkte Einwirkung der Rumpfmyotome, zwischen welchen sich gewöhnlich der Schultergürtel entwickelt, ausgeschlossen. Er hat also zu seinem Auswachsen gar nicht die normale Nachbarschaft der Muskeln nötig. Er entwickelt sich auch zwischen den ihm fremden Myotomen an der Rumpf- und Schwanzgrenze. Dieses Resultat stimmt nicht mit dem oben angeführten Axiom. Ich will nicht behaupten, daß hiermit die Sache erledigt sei. Ich weiß wohl, daß es noch Ausflüchte gibt, wie doch in dem Experiment eine entfernte, indirekte Wirkung der Muskelanlagen, wenn auch nicht auf den Schulter- gürtel, so doch auf die Skelettbildner desselben u. dergl. zur Hülfe genommen werden könnte. Aber eine genauere Prüfung und Variationen des Experimentes werden, wie ich glaube, imstande sein, auch über solche Punkte eine Entscheidung herbeizuführen. Ein Beweis ist jedenfalls die Argu- mentation DoHRNS nicht. Ich führe dieses Ergebnis nur als Beispiel für eine neue Methodik an, welche von den Borxschen Transplantationen ihren Ausgang nimmt. Sie wird uns in den Stand setzen, an Stelle aprioristischer Axiome nun wirklich tatsächliche Kenntnisse zu stellen, eine Voraussage, welche schon Rovx') aussprach, indem er an frei gewählten Beispielen diesem Zweig der entwickelungsmechanischen Forschung in klarster Weise die Wege wies. Sie und verwandte Methoden werden aber auch die eigentliche Morphologie zu fördern vermögen, indem sie uns die Vorstufen der Organentwickelungen aufdecken, welche erst zu den heute geschauten Anfängen derselben 'hinanführen (vergl. S. 385, Anm. 1). Um dies an unserem Objekt zu erläutern, möchte ich darauf hinweisen, daß die Methode über viscerale Bestandteile des Schulterbogens, falls sie in der Entwickelung vorhanden sind, Aufschluß geben könnte. Ich habe versucht, Exemplare von Bombinator (B) und Rana (R) in entsprechendem Entwickelungsstadium so mit einander zu verheilen, daß ich einen Kopf von B hinter dem Visceralskelett abtrennte und auf einen Rumpf R transplantierte, welcher kurz vor der Extremitätenanlage abgetrennt war. (Gehen Zellen des Visceralskelettes in die Schultergürtelanlage über, so müßten sie bei einer solchen Komposition nachzuweisen sein. Denn die Charakteristika von B, welches das Visceralskelett liefert, müßten auch am Schultergürtel, trotzdem er im Rayon von R entsteht, sichtbar werden. Diese Versuche sind noch nicht abgeschlossen. Ich erwähne sie nur wegen der besseren Anschaulichkeit des über die Methodik Gesagten. In dem Bilde des Heptanchusembryo (Fig. 13, S. 428), in welchem die viscerale Muskulatur durch braunroten Ueberdruck gegenüber den weißgelassenen spinalen Muskeln hervorgehoben ist, tritt die ı) Wırm. Roux, Die Entwickelungsmechanik der Organismen, eine anatomische Wissenschaft der Zukunft. Ges. Abhdl. II, et. — Während der Korrektur geht mir die Besprechung meines Vortrages durch R. (Arch. f. Entw.-Mech,, - Bd. XVII, 1904, p. 526-531) zu, auf welche ich wenigstens noch verweisen möchte. Jenaische Denkschriften. XI. 55 Festschrift Ernst Haeckel. 434 Tatsächliches aus der Entwickelung des Extremitätenskelettes bei den niedersten Formen. 434 bekannte Anordnung der Muskelgruppen an den Visceralbogen und an dem Schulterbogen übersichtlich hervor. Für mich besteht keinerlei ontogenetische Schwierigkeit in dem Gedanken, daß unter dem Einfluß der zahlreichen an den Visceralbogen befestigten spinalen Muskeln, welche, wie hier bei definitiven Kiemenbogen, so früher auch bei indifferenteren Visceralbogen mit stärkerem Radienbesatz vorhanden gewesen sein können, ein Bogen und später ein zweiter Bogen auf jeder Körperseite dieses Visceralgebiet verließ und samt seinen Radien im spinalen Gebiet neue und größere Entfaltung fand. So werden die Diskrepanzen verständlich, welche zwischen Extremitätenskelett und -muskulatur bestehen und oft erst ontogenetisch in Konkordanzen übergeführt werden. So werden die Nervenkollektoren, Abortivknospen und Verschiebungen ganzer Extremitätenanlagen erklärt, welche bei Brust- und Bauch- flossen ontogenetisch noch nachweisbar sind und vielfach direkt cranıal zurückverfolgt werden können. So endlich sind die nicht unbeträchlichen Reste von visceralen Muskeln und Nerven am Schulterbogen begreiflich (z. B. »z. fr. beim Heptanchusembryo Fig. 13, S. 428). Meine Arbeiten über die Morphologie der niederen Extremitätenformen in den entwickelungs- geschichtlichen und fertigen Zuständen setzten sich neben der Kleinarbeit im Dienst spezieller Probleme den Zweck, an diesem Beispiel die historischen Methoden kennen zu lernen und zu erproben, welche in der genealogischen Morphologie üblich sind. Ich bin dabei immer mehr zu der Ueberzeugung gelangt, daß unmöglich der Gegensatz zwischen entwickelungsgeschichtlichen, paläontologischen und ver- gleichend-anatomischen Resultaten bestehen kann, welcher so vielfach und von den verschiedensten Standpunkten aus betont und sogar als ein prinzipieller hingestellt worden ist. Alle diese Resultate haben ihre Fehler; denn sie sind gewonnen mit Methoden, welchen ihre Grenzen gesteckt sind. Das trifft selbstverständlich nicht die unmittelbar kausale Behandlung der Entwickelungsgeschichte, weil hier ganz andere Ziele erstrebt werden. Abstammungsfragen jedoch, für welche jene drei Methoden Dokumente liefern sollen, werden immer mit Unsicherheiten zu tun haben, welche mit der Unvollständigkeit der Dokumente verknüpft sind. Die vergleichend-anatomische Methode hat mit der Schwierigkeit zu rechnen, daß ein untrügliches Maß für die Reihenfolge in der Descendenz bei den verglichenen Organisationen nicht gefunden ist. In der Paläontologie haben wir zwar ein Maß in der Folge der Schichten, welchen die Fossilien angehören. Dieses Maß ist gewiß außerordentlich bedeutsam und würde ungemein wichtige Aufschlüsse geben, wenn die Funde häufiger und vollständiger wären. Aber es ist kein absolutes, weil noch innerhalb größerer Zeiträume, also bei kurz aufeinanderfolgenden Schichten, Umkehrungen der wahren Descendenz vorgetäuscht werden können. Die Ontogenie hat gegenüber diesen beiden Disziplinen den großen Vorzug, daß sie uns eine wahre Folge von Zuständen zeigt, von welchen einer aus dem anderen hervorgeht. Hier ist „Descendenz“ wirklich vorhanden, wirklich zu beobachten. Die Frage ist nur die, wie verhält sich diese entwickelungsgeschichtliche Descendenz zu der stammesgeschichtlichen? Sobald überhaupt Zweifel auftauchen, ob ein Dokument zuverlässig ist, wird man prüfen, ob dasselbe mit anderen in Frage kommenden Dokumenten über denselben Vorgang in Ueberein- stimmung gebracht werden kann. Auch diese Arbeit ist ein Beitrag zu dieser Frage. Ich bin davon aus- gegangen, daß ich in früheren Arbeiten behauptete, bezüglich des Visceralbogenproblems bestände kein fundamentaler Gegensatz zwischen den vergleichend-anatomischen, paläontologischen und vergleichend- ontogenetischen Ergebnissen. Ich behaupte nicht, daß dieses Problem mit diesen Methoden in gleicher Weise zu lösen sei. Die Schwierigkeiten vielmehr, welche hier zur Zeit bestehen, beruhen darauf, daß alle drei Methoden ihre Schwächen haben und daß diese noch nicht hinreichend überwunden sind, um die Genealogie der Extremitäten aufzudecken. Aber das glaube ich in dieser Untersuchung gezeigt zu ge 435 Tatsächliches aus der Entwickelung des Extremitätenskelettes bei den niedersten Formen. 435 haben, daß die ontogenetischen Ergebnisse sich zwanglos einreihen lassen in das, was vergleichend- anatomische Befunde speziell zu erschließen gestatten. Ja sie leisten unter Umständen erheblich mehr, indem sie Zustände reell in dem Beginn der Entwickelung vor Augen führen, welche vergleichend- anatomisch nur erschlossen werden konnten. Auf derartige Beispiele konnte im Verlauf dieser Arbeit verschiedentlich hingewiesen werden. Andere Ergebnisse der Embryologie beruhen häufig nur auf zu wenig ausgedehnten oder gar mangelhaften Untersuchungen. Doch ist damit die Embryologie als Dokument für historische Fragen, wie ich glaube, nicht eigentlich erschöpft. Denn sie tritt mehr als Hilismethode für die vergleichende Anatomie auf, als welche sie auch bezeichnet wurde, und erhält erst im Zusammenwirken mit den beiden anderen Richtungen ihren vollen Inhalt. Speziell die vergleichende Embryologie ist es auch nur, welche diese Dienste leistet. Hält man sich an die Entwickelungsfolge der Organisationsstufen eines einzelnen Tieres, also an die deskriptive Embryologie, so versagt sie meistens für historische Probleme. Abweichungen, welche in das aus anderen entwickelungsgeschichtlichen, fertigen oder paläontologischen Zuständen sich ergebende Abstammungsschema nicht hineinpassen, kommen häufig zur Beobachtung. Man kann sie unmöglich leugnen; denn jedes der drei Dokumente läßt sich ohne weiteres gegen die Annahme verwerten, daß eine jede Entwickelungsfolge stammesgeschichtlichen Wert beanspruchen könne. Es gibt also Cänogenieen im ontogenetischen Geschehen, welche mit der wahren Genealogie nichts zu tun haben. Im Begriff der Cänogenie liegt etwas Negatives. Es wird darunter dasjenige verstanden, welches nicht in den anderswie festgestellten historischen Entwickelungsgang hineinpaßt. Auch in dieser Arbeit ist wieder an einer Reihe von Beispielen zu Tage getreten, wie Entwickelungsvorgänge, welche bei niederen Tieren klar und deutlich vor Augen liegen, bei höheren verwischt oder gar abgeändert sind. Ich habe mich dabei begnügt, nur darauf hinzuweisen, daß solche Entwickelungen vorkommen und mich im übrigen an diejenigen Entwickelungsvorgänge gehalten, welche für das historische Problem allein in Frage kommen können. Es wäre jedoch auch der andere Weg zu beschreiten, eine positive Formulierung für die Cänogenie aus der Entwickelungsgeschichte selbst zu gewinnen. Wollen wir die ontogenetische Ur- kunde für stammesgeschichtliche Untersuchungen ausgiebiger ausnutzen, so können wir zweifellos die Leistungsfähigkeit durch eine Erweiterung der Methodik erhöhen. Denn viele Cänogenien sind nur dadurch hervorgerufen, daß gerade von den Anfängen der Entwickelungsprozesse das Wesentliche unseren Augen durch Entwickelungsbilder verborgen ist, bei welchen essentielle Züge und unwichtige, wandelbare Erscheinungen ineinander verwebt wurden. Hier die Knoten zu lösen, Abhängigkeiten zu bestimmen, Zufälligkeiten auf ihr Maß zurückzuführen, muß zu einer genaueren Kenntnis dessen führen, was eigentlich unter dem Begriff der Cänogenie zusammengefaßt ist, und wird voraussichtlich auch die Ontogenie des Einzelindividuums dokumentarisch wertvoller für stammesgeschichtliche Fragen gestalten. Doch ist dies Sache der Zukunft. Heidelberg, im Herbst 1903. 55* Tatsächliches aus der Entwickelung des Extremitätenskelettes bei den niedersten Formen. 436 Inhalt. I. Einleitung II. Material nr III. Das erste Auftreten des Denkens eellsnie. in de: ahrrekeiline IV. Progressive und regressive Formentwickelung beider Extremitätengürtel . V. Entwickelung des Skelettes der freien Gliedmaßen (Basipterygium) . Referat über die Beobachtungen E. RUGES . Entwickelung des postaxialen Basale bei astra ad ln anekesnnnsn N Topographie der Skelettradien und Radialmuskeln (mit technischen Bemerkungen über Rekan- struktionsmethoden) i Ä z Zahlenvergleichung der Skelett dl hs kan : VI. Die Objekte, welche für eine Vergleichung mit dem mann in Betracht on ebnnen. in ihrer Entwickelung (Pinnae, Visceralskelett) . A. Das Skelett der Unpaarflossen (Pinnae) { B. Das Visceralskelett (innere Visceralbogen, Rachen) VII. Schlußfolgerungen Sämtliche Rekonstruktionen, welche in dieser Arbeit als Text- oder Tafelfiguren reproduziert sind, und die ihnen zugrunde liegenden Präparate wurden von mir angefertigt. Fremde Hilfe nahm ich nur in An- spruch zur feineren Abschattierung der von mir entworfenen Skizzen. Ich fand dafür sehr verständnissvolle und zuverlässige Unterstützung bei Herrn A. VIERLING, dem ich für die vielseitigen Bemühungen um die vor- liegenden Zeichnungen bestens danke. 436 Seite ie SEE 379 380 382 385 389 389 391 396 403 406 406 413 426 Ueber Vorversuche zu Untersuchungen über die Varietätenbildung von Helix hortensis Müller und Helix nemoralis LE. Arnold Lang. Vorbemerkung. Seit 10 Jahren beschäftige ich mich mit Vererbungsversuchen an Landpulmonaten. Bei Gelegen- heit meiner theoretischen Arbeiten über die Asymmetrie der Gastropoden hatte mich zuerst die Frage der Erblichkeit des linksgewundenen Zustandes interessiert. Meine diesbezüglichen Ver- suche ergaben ein negatives Resultat. In der Literatur gibt es eine Reihe von Angaben zuverlässiger Forscher, die zu demselben Ergebnisse gekommen sind und erst neuerdings hat Künker') wiederum Zuchtversuche ausgeführt, die ebenfalls negativ ausgefallen sind. Ich bemerke, daß ich seit meiner kleinen Publikation über den Gegenstand (1896) meine Versuche jedes Jahr fortgesetzt und im ganzen viele Tausende von Abkömmlingen aus der Reinzucht linksgewundener Exemplare von Helix pomatia erhalten habe, die alle ohne eine einzige Ausnahme rechts gewunden waren. Ich habe aus diesen Tochtergenerationen Enkelgenerationen gezüchtet, in denen ebenfalls niemals ein linksgewundenes Individuum aufgetreten ist. Auch den skalarıformen Zustand habe ich experimentell durch Reinzucht auf seine Erb- lichkeit geprüft, auch mit negativem Resultat. Die Gehäuse der Jungen weichen nicht merklich von der gewöhnlichen, typischen Form ab. Doch muß ich sofort hinzufügen, daß ich noch keine genauen Messungen, welche einer Variationsstatistik als Grundlage dienen könnten, vorgenommen habe. Allmählich reifte in mir die Idee, meine Vererbungsversuche auszudehnen. Ich wurde in meinem Vorhaben ganz besonders bestärkt durch das Studium der hochwichtigen experimentellen Unter- suchungen von Sranpruss und die im persönlichen Verkehr mit diesem hervorragenden Biologen gewonnenen Anregungen. Bei einer Umschau nach geeignetem Untersuchungsmaterial stellte sich sofort das Subgenus Tachea mit seinen so nahe verwandten und zum Teil so sehr variablen Arten in den Vordergrund. Ich verhehlte mir zwar nicht, daß die relativ langsame Fortpflanzung der Tiere der Untersuchung nicht förderlich sein und daß der Hermaphroditismus sie nach einigen Richtungen erschweren werde; allein diese Nachteile schienen sich mir zu kompensieren durch die aus der Leichtigkeit einer sehr präzisen 1) KÜNKEL bemerkt: „Aber trotz alledem ist noch nicht sicher erwiesen, daß Linksschnecken nicht ihresgleichen erzeugen können; denn.alle Züchter haben fast ausschließlich nur solche Tiere benutzt, die zuvor schon geschlechtsreif waren, also im Sommer zuvor schon mit einer Rechtsschnecke kopuliert haben konnten“. Ich bemerke hierzu, daß ich es für höchst unwahrscheinlich halte, daß es in der freien Natur je zu einer Kopulation zwischen einer rechts- und links- gewundenen Weinbergsschnecke kommt. Ich habe ferner bei H. pomatia nie konstatieren können, daß das Sperma nach Ueberwinterung lebens- und befruchtungsfähig bleibt und endlich habe ich auch von solchen linksgewundenen Exemplaren nur rechtsgewundene Nachkommenschaft erhalten, die ich schon in unerwachsenem Zustande mit lauter linksgewundenen isoliert hatte. 440 Ueber Vorversuche zu Untersuchungen über die Varietätenbildung von Helix hortensis MÜLLER und Helix nemoralis L. A4O Charakteristik der Merkmale der leicht zu konservierenden Schale sich ergebenden Vorteile. So habe ich denn in der Tat seit dem Jahre 1896 experimentelle Vererbungs- und Kreuzungsversuche mit Arten des Subgenus Tachea, in erster Linie mit T. hortensis und nemoralis, und verschiedenen Varietäten dieser Arten, angestellt. Die Aufgabe erweiterte sich mir im Laufe der Jahre in dem Sinne, daß ich bestrebt bin, von verschiedenen Seiten her mit der Zeit möglichst tief in das Geheimnis der Arten- und Varietätenbildung bei der gewählten Formengruppe überhaupt einzudringen. Ich habe mich freilich schon jetzt davon überzeugt, daß das ein überaus schwieriges und weitschichtiges Unternehmen ist, für das eine jüngere Kraft schon wegen der voraussichtlich einen langen Zeitraum erheischenden experimentellen und variationsstatistischen Untersuchungen geeigneter wäre. Wenn ich jetzt schon die Resultate eines Teiles meiner einleitenden Versuche veröffentliche, so geschieht das aus folgenden Gründen. Einmal wollte ich auch meinerseits zu der Festschrift für Herrn Prof. E. HasckeL einen Beitrag liefern, auch wenn er freilich leider in gar keinem Verhältnisse steht zu den Gefühlen des Dankes und der Verehrung, die ich für meinen Lehrer und Freund empfinde. Und sodann hoffe ich durch diese kleine Veröffentlichung andere Forscher zu Untersuchungen auf dem nämlichen Gebiete anzuregen, indem ich ihnen schon einen Teil der von mir gesammelten Er- fahrungen mitteile, was ihnen erkleckliche Mühe und Zeit ersparen dürfte. Viribus unitis kämen wir dann vielleicht eher zu Resultaten von allgemeinerer Bedeutung. Diagnosen von Helix hortensis und Helix nemoralıs. Zur bequemen Orientierung des Lesers bringe ich im Folgenden die Diagnosen der beiden Arten zum Abdrucke, die E. MERKEL (1894) in seiner „Molluskenfauna von Schlesien“ publiziert hat. Sie sind kurz und treffend und charakterisieren besonders auch ziemlich gut die zu meinen Versuchen verwendeten Formen. Helix (subg. Tachea) nemoralis Lmxf. „Tier gelblichgrau bis schwarz. Pfeil dolchförmig, vierschneidig, mit trichterförmiger Krone, welche durch einen dünneren Hals mit dem Hauptteil in Ver- bindung steht. Gehäuse kugelig, ungenabelt, festschalig, feingestreift, glänzend, etwas durchscheinend. Farbe lebhaft zitronengelb, durch alle Abstufungen bis ins orangefarbige, auch rötlich und selbst braun- rot, einfarbig oder gebändert, die Bänder dunkelbraun. Gewinde ziemlich erhoben. Umgänge 4 '";, vor der Mündung herabsteigend.. Mundsaum mit einer starken Lippe belegt, zurückgebogen und am Spindelrand vollständig mit seiner Unterlage verwachsen. MündungsrandundLippekastanien- braun, Mundsaum, besonders außen, fast schwarz gefärbt. Durchmesser 23 mm, Höhe 17 mm“. Mündung der Schale breiter als bei Helix hortensis. Helix (subg. Tachea) hortensis MÜLLER. „Tier graugelblich. Pfeil dolchmesserförmig, vierschneidig, mit etwas gekrümmter Spitze und kurz angesetzter, kugelig-trichterförmiger Krone. = (Grehäuse kugelig, ungenabelt, festschalig, feingestreift, glänzend, durchscheinend. Farbe strohgelb oder zitronengelb, seltener rötlichgelb, mit fünf dunkelrotbraunen Bändern, ebenso häufig ungebändert. Gewinde ziemlich erhoben; Umgänge 4 'J,, vor der Mündung etwas herabsteigend. Mündung etwas schmäler als bei der vorigen Art; Mundsaum mit einer starken, reinweißen Lippe belegt, die einen schmalen, helleren Rand freiläß. Mundsaum zurückgebogen, am Spindelrand mit seiner Unterlage vollständig verwachsen.“ Durchmesser 19 mm, Höhe ı5 mm. 441 Ueber Vorversuche zu Untersuchungen über die Varietätenbildung von Helix hortensis MÜLLER und Helix nemoralis L. AAI Die Bezeichnungsweise der Varietäten. Bei den ungebänderten Formen genügt für die Zwecke der vorliegenden Abhandlung die Angabe der allgemeinen Grundfarbe und der speziellen Färbung des Apex und der Nabelseite, die häufig — und zwar meist korrelativ — von der allgemeinen Grundfarbe abweicht; besonders in der Intensität. Das ist noch mehr bei den gebänderten Formen der Fall, wo die Farbe des Apex und des Nabels immer angegeben werden sollte. Man kann sagen, daß die'Apexfarbe die spezifische bei jeder Form ist. Die Grundfarbe zwischen den Bändern ist immer bedeutend heller als am Nabel und auch heller als bei den ungebänderten Formen, welche dieselbe spezifische Färbung der Apex haben. Es sieht fast so aus, als ob die lichtere Grundfärbung der gebänderten Exemplare dadurch zu Stande käme, daß sich die allgemeine Färbung in den Bändern konzentriert, daß die Bänder gewissermaßen den Farbstoff aus den Intervallen zwischen ihnen aufsaugen. So sieht die Sache besonders häufig bei denjenigen Formen aus, die nur das dritte Band besitzen. Dieses ist oft an der dem Nabel, seltener an der dem Apex zu- gekehrten Seite von einem hellen, oder gar weißen Streifen begleitet, der besonders bei den roten Exemplaren häufig sehr deutlich in die Erscheinung tritt. Was die Größe der Schale anbetrifft, so habe ich mich mit der Angabe des größten Durch- messers des letzten Umganges begnügt. Ich weiß sehr wohl, daß dies für genauere, zumal variations- statistische, Ermittelungen nicht genügt. Bezüglich der Charakteristik der Bänderung schließe ich mich der am meisten gebräuchlichen, von SauvEur (1866/1867) präzisierten, Methode an, die allerdings für variationsstatistische Untersuchungen auch nicht ganz ausreicht. Die fünf Bänder, von denen ein jedes bekanntlich seinen ganz bestimmten Platz hat, werden in der Reihenfolge von oben nach unten, d. h. von der Apexseite zur Nabelseite, mit ı—5 bezeichnet. Mit SauvEur unterscheide ich schmale, mittelbreite und breite Bänder. Schmal ist ein Band, wenn es nicht über 0,5 mm breit ist, mittelbreit ist es bei 0,5—1,5 mm, breit, wenn sein Querdurchmesser 1,5 mm übersteigt. Ist ein Band schmal, so wird es von mir (anders als bei SauvEur) durch einen, ist es mittelbreit, durch zwei, ist es breit, durch drei Punkte über der Ordnungszahl des betreffenden Bandes bezeichnet. In entsprechender Weise wird die Breite der Intervalle zwischen den Bändern angegeben: ein schmales Intervall (0—0,5 mm) wird durch einen Punkt zwischen den Ordnungsnummern der betreffenden Bänder bezeichnet, ein mittel- breites Intervall (0,5 mm bis ı,; mm) durch zwei Punkte und ein breites (über 1,5 mm) durch drei Punkte. Klammern (in ununterbrochenen Linien) geben die wirklichen Verschmelzungen von Bändern an, Klammern, die nur durch punktierte Linien angedeutet sind, bedeuten bloße Ver- wischungen oder Verwaschungen (auf kurze Strecken), bei denen die einzelnen Bänder deutlich kenntlich bleiben. Die Bezeichnung „v. d. M.“ unter einer Klammer besagt, daß die Verschmelzung oder Verwaschung erst unmittelbar an oder vor der Mündung auftritt. Ich führe ferner für die Bezeichnung der Bändervarietäten die Form von Brüchen eın, die außerordentlich instruktiv sind, weil sie über den Vorgang der Verschmelzungen an der Schale Aus- kunft erteilen und eine Vergleichung der erwachsenen Form mit einem jüngeren Stadium ermöglichen. In den Zähler kommt die Bänderformel, die für den Beginn des letzten Umganges charakteristisch ist, in den Nenner die Formel der Bänderung an der Mündung. Jenaische Denkschriften. XI. 56 Festschrift Ernst Haeckel. 442 Ueber Vorversuche zu Untersuchungen über die Varietätenbildung von Helix hortensis MÜLLER und Helix nemoralis L. 442 Mit dieser Bezeichnungsweise komme ich in der vorliegenden Abhandlung aus. Zu einer annähernd vollständigen Beschreibung gehört für unseren Zweck auch noch die Angabe der Farbe der Bänder und der Intensität ihrer Färbung. Einrichtung der Versuche. Pflege der Zuchten. Für die Aufzucht der Arten der Untergattung Tachea hat sich im Laufe der Jahre, nachdem ich mit sehr verschiedenartigen Methoden meine Erfahrungen gemacht habe, folgendes Verfahren als das zweckdienlichste herausgestellt. Als Zuchtbehälter benutze ich sorgfältig gearbeitete Holzschachteln von verschiedener Größe, deren Boden für den Abfluß des Wassers von Löchern durchbohrt ist, die durch feines Drahtgewebe vergittert sind. Auf den Boden lege ich eine 7—8 cm tiefe Schicht von Erde. Sehr tauglich hat sich ein Gemisch von Torf- und Walderde erwiesen. In diese Erde legen die Tiere ihre Eier ab und in ihr verbringen sie vielfach den Winterschlaf. Zur vollständigen Isolierung und Absperrung verwende ich Roßhaargeflechte oder feine Draht- netze, die in einem schweren Eisenring straff ausgespannt sind, wie ein Trommelfell im Rahmen. Diese Drahtgeflecht- oder Roßhaardeckel erlauben einerseits eine genügende Luftzufuhr, andererseits verhindern sie ein Entweichen der Jungen, die bei ihrem Ausschlüpfen noch nicht 3 mm Durchmesser haben. Sie erlauben ferner ein Bespritzen der Kulturen, ohne Entfernung des Deckels. Ein solches Bespritzen mit dem Irrigator oder mit einer Spritzflasche wird am besten, wenn die Kulturen in einem abgeschlossenen Raum gehalten werden, alle 5—6 Tage vorgenommen und darf besonders dann nicht unterlassen werden, wenn sich in den Zuchtbehältern ganz junge Brut befinde. Im Freien richtet sich das Bespritzen nach der Witterung. Im Sommer, bei trockenem und heißem Wetter, empfiehlt es sich, die Zuchten nach Untergang der Sonne zu bespritzen. Das dabei verwendete Wasser muß immer temperiert sein. Einen Teil meiner Zuchten, es sind deren gegenwärtig über 300, halte ich in meinem Garten im Freien, in Triebbeeten. Es ist durch Ueberdachung mit Stores u. s. w. dafür gesorgt, daß sie nicht dem direkten Sonnenlicht ausgesetzt sind (vor welchem besonders die Kulturen mit Drahtdeckel zu schützen sind), daß sie aber dabei trotzdem vom Regen erreicht werden. Den größeren Teil der Zuchten aber habe ich in meinen hellen Kellerräumlichkeiten aufgestellt, bei im Sommer und Winter offenen Fenstern. Diese Kulturen gedeihen im allgemeinen besser und überwintern auch besser, als die im Freien befindlichen. Bei 6—8° C verfallen die erwachsenen Exemplare in Winterschlaf und bilden ihr pergament- artiges Hibernaculum, während die Jungen noch bei etwas niederer Temperatur nach der Fütterung und Bespritzung Nahrung zu sich nehmen. Es genügt, wenn die Fütterung in einem regelmäßigen Turnus von 8&—10 Tagen vorgenommen wird. Ich habe sehr verschiedenartige Nahrung erprobt. Am besten eignen sich nach meinen Er- fahrungen gelbe Rüben (Karotten), gedörrte Hopfenblätter, Edelkastanien und ganz vorzüglich irgend- welche Mehlpasta, z. B. rohe Maccaroni. Bei jeder Fütterung müssen die früheren Speisereste sorgfältig entfernt werden. In jede Zuchtschachtel werden Stücke von Kreide gelegt, welche die Tiere von Zeit zu Zeit eifrig benagen, wobei ganz charakteristische Fraßstücke zu stande kommen. 443 Ueber Vorversuche zu Untersuchungen über die Varietätenbildung von Helix hortensis MÜLLER und Helix nemoralis L. 443 Die schlimmsten Feinde der Schneckenzuchten sind nach meinen Erfahrungen die Bandasseln (Lithobius) und verschiedene Nacktschnecken. Wenn sehr viele junge Tiere mit noch zarten und weichen Zuwachsstreifen der Schale in einer Schachtel zusammenleben, so drängen sie sich nach der Fütterung derart zur Nahrung, daß sie sich gegenseitig oft die neuen Schalenansätze eindrücken oder sonst beschädigen, was dann sehr oft eine fehlerhafte, ja krüppelhafte weitere Ausbildung des Gehäuses zur Folge hat. Ueber die Fähigkeit des Spermas von Helix hortensis und Helix nemoralis, sich im Receptaculum seminis mehrere Jahre lebens- und befruchtungskräftig zu erhalten und über das Nichtvorkommen der Selbstbefruchtung. Daß Helix nemoralis und Helix hortensis noch mehrere Jahre nach erfolgter Befruchtung, auch wenn sie vollständig isoliert gehalten werden, entwickelungskräftige Eier zu produzieren vermögen, hat schon H. BROCKMEIER (1888) nachgewiesen. Es war ihm 1886 aufgefallen, „daß junge Schnecken in einzelnen Abteilungen seines Terrariums zum Vorschein kamen, in denen seit mehreren Monaten nur noch je eine ausgewachsene Helix vorhanden war“. Die Gewißheit erlangte er jedoch erst bei seinen Kreuzungsversuchen von H. nemoralis und H. hortensis, über die an anderer Stelle berichtet wird. Er hatte am 20. April 1886 in Marburg ein Exemplar hortensis in Copula mit einem Exemplar nemoralis ertappt und nach beendigter Copula jedes Exemplar für sich abgesperrt. Die Helix nemoralis legte darauf nicht nur im Jahre 1886 Eier, aus denen Junge auschlüpften, sondern auch im Jahre 1887 und zwar dreimal (am 3. Juni, 3./4. Juli und 15. Juli. Die Jungen schlüpften am ı. und 2. Juli, am 24. Juli und 5. August aus. Was die Helix hortensis anbetrifft, so legte sie sogar noch im Jahre 1883 Eier. Folgendes ist das Verzeichnis der Gelege dieses Exemplares. 1886. ı. Eiablage 2.—4. Juni. Aus- schlüpfen: 7. Juli, 56 Junge. 2. Eiablage ı5. und 16. Juli. Ausschlüpfen ı1. August, 80 Junge. 1887. Eiablage: Beginn Ende Mai, sodann 13. Juni, 17. Juli, 27. Juli, 4. August, im ganzen ı75 Eier, davon ausgeschlüpft 110, die übrigen zum Teil konserviert, zum Teil nicht ausgeschlüpft. 1888. Eiablage, 4. Juni. An diese Beobachtungen knüpft BrockmeiEer folgende Bemerkung: „Ob eine Selbstbefruchtung bei diesen Landschnecken vorkommen kann, ob die Samenzellen der Spermatophoren mehrere Jahre wirkungsfähig bleiben, ob unbefruchtete Eier abgelegt werden können, auf diese Fragen werde ich zurückkommen.“ — Der Verfasser scheint aber das Problem doch nicht weiter verfolgt zu haben; wenigstens ist mir aus der Literatur nichts darüber bekannt geworden. Meine eigenen Untersuchungen haben die Frage in, wie ich glaube, unanfechtbarer Weise zu Gunsten der zweiten Eventualität entschieden, wie aus der folgenden Darlegung hervorgeht. Obschon ich nie daran geweifelt habe, daß bei der Gattung Helix Selbstbefruchtung nicht vor- kommt, habe ich doch eine Reihe diesbezüglicher Untersuchungen angestellt. Ich habe von den Arten Helix pomatia, H. aspersa, H. arbustorum einzelne, von den Arten H. hortensis, H. nemoralis und H. sylvatica je ziemlich zahlreiche Exemplare von Jugend auf, bei den günstigsten Bedingungen, in Einzelhaft gehalten, zum Teil bis zum Tode. Von diesen Einsiedlern lebten viele Exem- plare mehrere Jahre im erwachsenen Zustande. Kein einziges dieser unbefruchteten Tiere hat je entwickelungsfähige Eier abgelegt. Dagegen habe ich konstatiert, daß unbefruchtete H. pomatia und adspersa in der Tat Eier legten, die sich aber in keinem Falle entwickelten. Das ziemlich umfangreiche Beobachtungsmaterial werde ich bei einer anderen Gelegenheit publizieren. 56 * AAA Ueber Vorversuche zu Untersuchungen über die Varietätenbildung von Helix hortensis MÜLLER und Helix nemoralis L. 444 Durch diese Versuche ist so gut wie erwiesen, daß sich die genannten Helixarten nicht durch unbefruchtete Eier fortpflanzen. Auf die Vermutung, daß das von einer Kopulation herrührende Sperma längere Zeit im Recepta- culum seminis lebens- und befruchtungskräftig bleiben kann, kam ich anfänglich durch meine ersten Kreuzungsversuche. Ich lebte bei Beginn meiner Untersuchungen in dem Glauben, daß die Befruchtung der im Sommer abgelegten Eier von Seiten der Spermatozoen herrühre, die bei einer in dem nämlichen Jahre erfolgten einmaligen oder mehrmaligen Kopulation in das Receptaculum seminis gelangt waren. Ich dachte nicht daran, daß das Sperma überwintern könne und glaubte die Fehlerquellen genügend auszuschließen, wenn ich die Zuchten Ende Februar oder im März so einrichtete, daß ich nur winter- schlafende zugedeckelte Individuen verwendete. So hatte ich unter anderen auch bei einigen Kreuzungsversuchen je ein winterschlafendes erwachsenes Exemplar von zwei verschiedenen Arten (H. nemoralis, hortensis, sylvatica, austriaca, stauropolitana) zusammengebracht und zusammen in je einem Zuchtbehälter abgesondert. Wenn diese Versuchsexemplare Eier erzeugten aus denen Junge ausschlüpften und sich weiter entwickelten, so ent- standen daraus nun meist keine Hybride, sondern Formen, die mit dem einen oder dem anderen elter- lichen Versuchstiere der Art nach vollkommen übereinstimmten. Ich erhielt also typische nemoralis oder typische hortensis, oder typische sylvatica u. s. w. Das wiederholte sich so oft, daß ich zu der Annahme gezwungen wurde, daß die betreffenden zur Kreuzung verwendeten, noch winterschlafenden, isolierten Zuchtexemplare in ihrem Receptaculum einen Vorrat von Sperma besaßen, der von einer Kopulation mit einem Individuum ihrer eigenen Art, die sich im vorhergehenden Jahre oder noch früher ereignet hatte, herrührte, und daß dieses Sperma der eigenen Art es war, welches die eigenen Eier befruchtete Es gelang mir dann bald, die Richtigkeit dieser Annahme direkt zu beweisen, indem ich solche Individuen, die ich als Einsiedler erzogen hatte, zur Kopulation zuließ, sie] nachher wieder als Einsiedler isolierte und von ihnen nicht nur im Jahre der Kopulation, sondern auch noch in mehreren darauf folgenden Jahren gesunde Nachkommenschaft erhielt. Ich habe seitdem die Eigen- schaft des Spermas im Receptaculum seminis lange Zeit lebens- und befruchtungskräftig zu bleiben, benutzt, um bei den Vererbungs- und Kreuzungsversuchen ganz einwandfreie Resultate zu erzielen. — Man kann nämlich unmöglich die einzelnen Zuchttiere, zumal wenn man viele Zuchten hat, beständig, Tag für Tag und so zusagen Tag und Nacht derart im Auge behalten, daß ihre Kopulation und Eiablage direkt zur Beobachtung gelangen. Ich richtete deshalb die Versuche so ein, daß ich ein Paar sicher unbefruchteter Zuchttiere im ersten Jahre beieinander ließ, dagegen in den darauf folgenden Jahren jedes Exemplar für sich isolierte Ich erhielt denn auch fast immer von den so isolierten Exemplaren lebenskräftige Nachkommenschaft. Dieses Verfahren ist deshalb besonders wertvoll, weil ja unsere Schnecken hermaphroditisch sind und sich gegenseitig befruchten, so daß man, wenn zwei Zuchttiere zusammen bleiben (etwa ein fünfbändriges und ein ungebändertes) nicht weiß, welchen Individuen der Nachkommenschaft das eine Exemplar (z. B. das gebänderte) die Mutter und das andere Exemplar (das ungebänderte) der Vater war und umgekehrt. Ich verweise beispielsweise auf die Versuche XLIX bis und mit LIV, die unter anderem ergeben haben, daß eine Schnecke, die im Frühjahr 1900 kopuliert hatte, noch im Sommer 1903, also in der 4. Saison, entwickelungsfähige, aus jenem alten Vorrat von Sperma befruchtete, Eier produziert hat. In der jüngsten Zeit habe ich das Verfahren noch vereinfacht. Die Erfahrung hat ergeben, daß bei meinen in Gefangenschaft gehaltenen H. hortensis und nemoralis die Eiablage selten vor Ende Mai, gewöhnlich erst im Juni stattfindet, während die Kopulationen sofort nach dem Erwachen aus dem 445 Ueber Vorversuche zu Untersuchungen über die Varietätenbildung von Helix hortensis MÜLLER und Helix nemoralis L. 445 Winterschlaf, bisweilen schon im März, häufiger im April und oft im Mai (aber auch später und sogar gelegentlich im Herbst) beobachtet werden. Das Ausschlüpfen der Jungen erfolgt selten schon in der ersten Hälfte Juni, gewöhnlich erst im Juli und August, auch noch im September. Wenn- man also zwei vorher unbefruchtete Individuen, die man zur Zucht verwenden will, noch winterschlafend im Februar oder März zusammenbringt und sie gegen Ende Mai wieder trennt und jedes für sich in einem Zuchtbehälter in Einzelhaft setzt, so kann man fast sicher sein, einerseits, daß die Tiere kopuliert haben und andererseits, daß sie 'noch keine Eier abgelegt haben. Sie werden dies erst im Juni, Juli oder September in ihrer Einsiedelei tun. Es ist dann sicher, daß jedes Individuum die Mutter der im betreffenden Behälter abgelegten Eier und ausschlüpfenden Jungen ist. Können sich unsere Helix-Arten fortpflanzen, bevor das Gehäuse vollendet ist? Unsere Limnaeen sollen die Fähigkeit besitzen, sich schon fortzupflanzen, bevor das Wachstum der Schale vollendet ist. Es ist möglich, daß ähnliches auch bei Helix (Arionta) arbustorum L. vorkommt. Diese Form unterscheidet sich auch sonst von unseren übrigen Heliciden dadurch, daß das Gehäuse auch dann noch mit zunehmendem Alter vergrößert wird, wenn schon die für das fertige Gehäuse charakteristische Form der Mündung ausgebildet ist. Hat eine Schnecke diese Mündung ein- mal gebildet, so ist sie (vielleicht schon vorher) fortpflanzungsfähig. Im nächsten Jahre wird sie sodann normaler Weise den zuerst gebildeten Mundsaum durch Benagen wieder zerstören und die Schale durch eine verschieden große Zuwachsstrecke vergrößern um an derselben eine neue typische Mündung zu erzeugen. Der Vorgang kann sich mehrere Male wiederholen. An den meisten Gehäusen kann man die Stellen der resorbierten Mundsäume, die man fast „Jahresringe“ nennen könnte, sehr deutlich erkennen. Für eine ganze Reihe von Schneckenarten aber habe ich festgestellt, daß sie sich niemals fortpflanzen, bevor der Mündungsrand definitiv in der charakteristischen Form ausgebildet is. Auch verfließt zwischen dem Abschluß des Schalenwachstums und dem Eintritt der Geschlechtsreife und Kopulations- fähigkeit eine ansehnliche Zeit. Wenn z. B. eine H. hortensis ihr Wachstum im August beendigt, so wird sie in der Gefangenschaft nur in ganz vereinzelten Fällen noch im nämlichen Jahre zur Fort- pflanzung kommen. Für folgende Arten habe ich durch zahlreiche Beobachtungen und Versuche fest- gestellt, daß sie sich nicht fortpflanzen, bevor das Schalenwachstum beendigt ist: Helix obtusata, adspersa, pomatia, fruticum, austriaca, sylvatica, hortensis und nemoralis. Bei diesen Arten wird die Schale, nachdem einmal ihre charakteristische Mündung gebildet ist, nie mehr vergrößert. Isoliert man zwei unerwachsene Individuen einer dieser Arten (z. B. von hortensis oder nemoralis), d. h. solche Individuen, bei denen der letzte Umgang noch nicht absteigend entwickelt und noch keine umgeschlagene Lippe ausgebildet ist, so kann man sicher sein, daß die Individuen noch nicht befruchtet sind. Doch treten bei manchen Individuen in der Gefangenschaft Störungen im Wachstum der Schale ein, die eine abnorme, krüppelhafte Ausbildung des letzten Umganges und der Mündung bedingen, so daß es bisweilen nicht leicht fällt, festzustellen, ob die Schale wirklich fertig ausgebildet ist. Historisches über Vererbungsversuche bei Helix hortensis, Experimentelle Vererbungsversuche mit Varietäten von H. nemoralis und hortensis sind meines Wissens bis jetzt von E. Bauperor (1869), C. Arnpr (1875, 1878), H. SEIBERT (1876), E. SCHUMANN (1885), H. BRockmErER (1888, 1889) und W. Harrwıc (1888, 1889) angestellt worden. Von diesen Ueber Vorversuche zu Untersuchungen über die Varietätenbildung von Helix hortensis MÜLLER und Helix nemoralis L. A 46 446 Versuchen betreffen nur diejenigen von H. SEIBERTr und BrockmEmR auch Helix hortensis; die übrigen ausschließlich nemoralis. Da ich in vorliegender Abhandlung nur die Resultate meiner Zuchtversuche mit H. hortensis mitteile, so will ich auch nur über die diese Art betreffende Literatur referieren, be- merke aber, daß kein einziger der bis jetzt an nemoralis oder hortensis angestellten Versuche so an- gestellt wurde, daß die Resultate eindeutig sind. SEIBERT isolierte im Jahre 1872 mehrere Exemplare der fünfbänderigen Form von H. hortensis mit gelber Grundfarbe in einem Glasbehälter. Sie legten noch im nämlichen Jahre Eier, aus denen die Jungen ausschlüpften. SEIBERT beseitigte aber die ganze Brut, „weil die vorausgegangene Begattung möglicherweise mit anderen Variationen stattgefunden haben konnte.“ Die Versuchstiere legten nach normalem Winterschlaf im Juli 1873 wieder Eier. Beim Auskriechen waren die Tierchen weißlich, die Schale aber schon etwas schwach gelblich gefärbt. Es war noch keine Spur einer Bänderung wahrzunehmen. Doch nach kurzer Zeit traten die Binden, freilich anfangs sehr ver- waschen und undeutlich auf und zwar immer zuerst das 3. Band. Die jungen Tiere hielten im Wachs- tum nicht gleichen Schritt, obschon sie reichlich gefüttert wurden. Im Sommer 1874 „erlangte der Gehäusebau seinen normalen Abschluß“. Die Gehäuse wurden nicht so groß wie die ihrer Eltern, waren aber alle, wie bei den Eltern, fünfbänderig und gelb. SEIERT sagt vorsichtig, daß der Versuch für die Erblichkeit spreche. Man könne aber einwenden, „daß vorliegendes als vereinzeltes Ergebnis, nur ein zufällig positives sei und daß fortgesetzte Züchtung auch zu einem negativen führen kann.“ Ich bemerke zu diesem Versuche, der ungefähr in demselben Grade rein ist, wie mein Versuch I, daß seine Resultate: 100 Proz. Erblichkeit für Fünfbändrigkeit und gelbe Farbe, durch meine eigenen vollständig bestätigt worden sind. BROCKMEIER isolierte im Februar 1885 in einer gesonderten Abteilung eines Terrariums zwei fünfbänderige Helix hortensis, und in einer anderen Abteilung fünf ungebänderte Exemplare dieser Art. Diese Versuchstiere hatte er alle winterschlafend mit ihren Winterdeckeln aus ihren Winterverstecken hervorgeholt. Er erhielt im Sommer desselben Jahres in beiden Abteilungen Junge. Einige von ihnen vollendeten schon im Sommer 1886 ıhr Gehäuse. „Unter den Jungen der bänderlosen H. hortensis traten einzelne mit Bändern auf“ und in dem anderen Behälter „zeigten auch mehrere Exemplare eine von der der Eltern abweichende Bänderkombination“. Verfasser sagt, daß er ein ähnliches Resultat erhielt wie Arnpr, der für nemoralis zu dem Resultat gelangt war, daß von einer Erblichkeit der Bändervarietäten nicht wohl die Rede sein könne. Immerhin sagt BROCKMEIER, daß bei seinen eigenen Versuchen der Prozentsatz derjenigen Schnecken, welche eine Abweichung vom elterlichen Typus zeigten, ein bedeutend geringerer war. Es ist zu bedauern, daß BRoCKMEIER nicht genauere statistische Angaben gemacht hat. A. Vererbungsversuche mit fünfbänderigen Exemplaren von Helix hortensis. I. Versuche, bei denen es sicher ist, daß die Mutter der erzielten Brut eine fünfbänderige H. hortensis ist, bei denen dies aber für den Vater nicht sanz sicher ist. \Versulelill Beginn des Versuches: Ende Februar 1897. Ich isolierte mehrere Exemplare von fünf- bändrigen Helix hortensis, die ich im Herbst 1896 in Zürich und Oftringen (Kanton Aargau) gesammelt hatte, in einer größeren, in die Erde eingegrabenen Kiste in meinem Garten. Die Kiste verschloß ich 447 Ueber Vorversuche zu Untersuchungen über die Varietätenbildung von Helix hortensis MÜLLER und Helix nemoralis L. 447 mit einem Deckel aus sehr engem Drahtgeflecht. Alle Versuchsexemplare waren zugedeckelt im Winter- schlaf. Es waren, aber ich bin dessen nicht ganz sicher, einige von ihnen noch nicht erwachsen. Mir war damals noch nicht bekannt, daß das Sperma von einer Kopulation her sehr lange, sogar mehrere Jahre lang, lebenskräftig bleiben kann. Versuchstiere: Mehrere Exemplare (wahrscheinlich 7) der fünfbänderigen Varietät von Helix hortensis, nämlich: 5) ea. Apex gelblich, Nabelseite grünlich-gelb, Grundfarbe gelblich-weiß, Bänder braun NEN. 0 2 bis dunkelbraun. Diam. 17,3 mm. & 4 5) 2 2) I EL 2. i 3 Er 4 Re Apex weißlich und grünlich-gelb, Nabelseite grünlich-gelb, Grundfarbe hell- 1..2..3..4.. 5 gelblich, Bänder dunkelbraun. Diam. zo mm. DE: Apex zitronengelb, Nabelseite grünlich-gelb, Grundfarbe gelblich, Bänder Be 4 5 dunkelbraun. Diam. ıg mm. 2 5 A) = 3 RR] Apex blaßgelb, Nabelseite grünlich-gelb, Grundfarbe blaß bräunlich-gelb. En 2 -. Bänder dunkelbraun. Diam. 18,5 mm. V. . Apex gelb, Nabel grünlich-gelb, Grundfarbe hellgelblich, Bänder braun. eu) Diam. 21,5; mm. v.d.M. 6) I ER ee > Schale etwas gewölbt, Apex gelblich-weiß, Nabel hell grünlich-gelb, Grund- ed 5 farbe hellgelb, Bänder dunkelbraun. Diam. 22 mm. SE Sr ee A 5 — ee Apex hellgelb, Nabel grünlich-gelb, Grundfarbe gelblich-weiß, Bänder dunkel- Dee... 4 in, braun. Diam. 20 mm. v.d.M. Neben diesen Exemplaren befand sich ın der Kiste noch ein fünfbänderiges Exemplar von Helix nemoralis, das offenbar bei Beginn des Versuches noch unerwachsen gewesen und für eine H. hortensis gehalten worden war. Seine Beschreibung lautet: VERERE 3 Ne, A =* 5 Apex schmutzig-braunrot, Nabel und Grundfarbe bräunlich, Mundsaum und Gaumen ı 2. 3.. 4. 5 schwarzbraun, Bänder schwarzbraun. Diam. >24 mm. Dieses Exemplar von H. nemoralis fällt außer Betracht, da es offenbar keinen Beitrag an die im nachfolgenden beschriebene Nachkommenschaft lieferte. Descendenz 1897 (vom 21. Juni an). Die ersten aus dem Ei geschlüpften Jungen beobachtete und sammelte ich am 21. Juni 1897 und von da an sammelte ich bis zum 3. September gegen 1000 ausgeschlüpfte Junge. Die Jungen isolierte ich in besonderen Brutbehältern. Wie immer gingen sehr viele noch im nämlichen Sommer und Herbst und während des Winters 1897/98 zu Grunde. Untersuchung vom 16. und 17. Juli 1398. Die erste genauere Untersuchung stellte ich an den Individuen dieser Generation am 16. und 17. Juli 1898 an und zwar sowohl an toten Schalen, wie an lebenden Tieren. Erwachsen war zu dieser Zeit noch kein einziges Exemplar. Ueber Vorversuche zu Untersuchungen über die Varietätenbildung von Helix hortensis MÜLLER und Helix nemoralis L. 4 48 448 Ich untersuchte zunächst alle diejenigen lebenden oder von mir gesammelten toten Exemplare, die so weit entwickelt, resp. so groß waren, daß man hätte erwarten dürfen, daß zum mindesten das zuerst auftretende Band No. 3 entwickelt wäre, wenn überhaupt eine Bänderung auftrat. Das Band No. 3 tritt, wenn überhaupt, fast immer schon bei Individuen auf, deren Gehäuse 4—4'),; mm Durchmesser hat, selten erst später. Ich beobachtete 292 Exemplare, von denen kein ungebändertes kleiner als 4'/),;, mm war. Davon waren lebend 243, tote Gehäuschen 49. Von diesen hatten mindestens ein Band (nämlich Band 3) 277 Exemplare = ca. 95 Proz. R keine Bänder 15 = =oca. 5 ”„ ” „ Von den ı5 ungebänderten waren 4 lebende schon ziemlich vorgerückt, 6 lebende und 5 tote noch klein. Wenn sich überhaupt alle 5 Bänder ausbilden, so kann man im allgemeinen, wie später gezeigt wird, sicher sein, daß sie bei 7 mm großen Exemplaren schon alle deutlich ausgebildet sind. Ich stellte nun fest, bei wie vielen Exemplaren schon alle 5 Bänder ausgebildet waren und unter- suchte alle übrigen Exemplare, die mindestens ca. 7 mm groß waren. Es waren im ganzen 147 Exemplare (davon nur ı Exemplar tot). Von diesen hatten alle 5 Binden ı38 Exemplare = 94 Proz. r k: M Bänderung ı 2 3 4 0 2 ” = IA 5 E5 y , m 00300 3 s = 3 5 r > »„ keine Binden 4 5 = Von den fünfbänderigen Exemplaren zeigten ı22 die Formel ı 2 3 4 5 (keine Verschmelzung von Bändern) I2 „ „ I 2 3 4 bi) —— I „ „ I 2 3 4 5 —— In» „ 12345 u 2 ”„ „ I 2 3 4 6) N u u Die übrigen 145 Exemplare (97 lebende Exemplare, 48 tote Gehäuschen) zeigten folgende Bänderung: 23 A5 ı totes Exemplar — 07 Brez. 2. AO ı9g lebende Exemplare = 13, — $,, 082537450 2 tote 5 = 14 ” O2 40 4 lebende = = 3% n 12900 2 5 = = da 5: 00340 14 Exemplare! n 2 # — 90 \ 4 tote e 9 7 6 oe j56 lebende h: — gg z \36 tote * i ” f 6 lebende RN es o0o000 II = \ = 76 & 5 tote ” Eine Zusammenstellung ergibt, daß von den 277 gebänderten Exemplaren Band 3 entwickelt war bei 277 Exemplaren Band ı entwickelt war bei 165 Exemplaren ” 4 „ „ „ 180 „ „ 5 „ „ „ 139 „ ” 2 „ b}] ” 165 ” Das entspricht in der Tat, wovon ich mich auch an anderem Material überzeugt habe, der normalen Reihenfolge im Auftreten der Bänder bei fünfbänderigen Formen von Helix hortensis. Es Ueber Vorversuche zu Untersuchungen über die Varietätenbildung von Helix hortensis MÜLLER und Helix nemoralis L. 449 449 tritt zuerst das Band 3 auf, das allen anderen weit voraneilt, dann kommt Band 4, welchem bald Band ı und 2 folgen. Zuletzt bildet sich das fünfte Band. Aus den vorstehenden Ergebnissen konnte ich schon ersehen ı) daß die Bänderung sich in hohem Grade vererbt, 2) daß sich ganz auffällig die Neigung zur Ausbildung aller 5 Bänder bei dieser Nachkommen- schaft fünfbänderiger Mütter zeigt, 3) daß unter diesen Nachkommen Bänderverschmelzungen vorkommen, die weiter gehen als bei irgend einer der Mütter. Ich sage absichtlich Mütter und nicht Eltern, denn es konnten die Versuchstiere, die ich am ı. März im Winterschlaf isolierte, möglicherweise von vor 1897, von einer früheren Kopulation her und vielleicht von Kopulationen mit nicht fünfbänderigen Exemplaren her, einen Vorrat von Sperma besitzen, den sie dann zur Befruchtung der im Sommer 1897 produzierten Eier benutzten. Mit anderen Worten, es ist nicht sicher, daß die zu dem Zuchtversuche verwendeten Versuchs- tiere nicht nur die Mütter, sondern auch die Väter der ım Jahre 1897 erzielten, hier beschriebenen Nachkommenschaft sind. Es ist keineswegs vollständig sicher, daß der Vater irgend eines Exemplares dieser Generation auch eine fünfbändrige Helix hortensis war. Es ist aber auch möglich, daß der Vater eines Exemp- lares mit weitgehender Bänderverschmelzung dieses Merkmal ebenfalls besaß. Ich habe keine sicheren Anhaltspunkte um zu beurteilen, ob das wahrscheinlich oder unwahr- scheinlich ist. Wenn irgend ein Exemplar (a) das im Jahre 1896 mit einem Exemplar (b) kopuliert hatte, sodann im Frühjahre 1897 mit einem anderen Individuum (c) kopulierte, so weiß ich nicht, was wahr- scheinlicher ist, ob die 1897 produzierten Eier von a vom Sperma des Individuums c oder vom dem- jenigen des Individuums b befruchtet wurden, Die meisten werden wohl geneigt sein, zu glauben, daß das erstere wahrscheinlicher sei, weil das jüngere Sperma im Rezeptaculum wohl nicht nur das zunächst gelegene, sondern auch das lebenskräftigere sein dürfte Ich stelle gegenwärtig Untersuchungen an, um diese nach manchen Richtungen hin interessante Frage experimentell zu entscheiden. Untersuchungs im Winter 19061 _-17902. Diese Untersuchung erstreckte sich auf das gesamte lebende und den größten Teil des toten Materials. Ein Teil des letzteren hat sich erst seither wieder aufgefunden. Die Untersuchung ergab: a) 53 Exemplare unter 6 mm; zum größten Teil tote Schälchen von 1897 und 1898 her, einzelne Alkohol- konservate, keine lebenden Exemplare. Darunter kein Exemplar von 4-6 mm ohne Bänder. b) ı2 Exemplare von ca. 6 mm, darunter kein lebendes, davon ı Exemplar ohne Binder 00000 3 Exemplare mit Bänderung 0 0340 7 Exemplare „ = T2aRaAAaS c) 16 (unerwachsene) Exemplare von 7 mm bis 10 mm, darunter kein lebendes, davon ı Exemplar ohne Bänder 00000 ı5 Exemplare mit Bänderung 1ı 2345 d) 61 (unerwachsene) Exemplare von über 1o mm, darunter mehrere lebende, die also nach über 4 Jahren ı Exemplar mit Bänderung ı 2 3 4 0 noch nicht erwachsen waren; davon waren 3 Exemplare ohne Bänderung = 0 0000 58 „ mit n =12345 e) 72 erwachsene Exemplare, davon waren 2 Exemplare ohne Bänderung = 00000 70 a5 mit & =12834A5 57 Festschrift Ernst Haeckel. Jenaische Denkschriften. XI. 450 Ueber Vorversuche zu Untersuchungen über die Varietätenbildung von Helix hortensis MÜLLER und Helix nemoralis L. 450 Hieraus ergibt sich das überraschende Resultat, daß wenn überhaupt die Individuen der ersten Generation von dem fünfbänderigen Typus ihrer Mütter abgewichen sind, dies nur nach einer einzigen Richtung, nach derjenigen der vollständigen Bänder- losigkeit geschehen ist. Eine partielle Bänderung hat sich bei keinem einzigen Exemplar ausgebildet, denn die partiell gebänderten vier Exemplare der Kategorie sind zu klein um in Betracht zu kommen. Es ist, man darf sagen, sicher, daß sich bei ihnen später alle fünf Bänder ausgebildet hätten. Dieses Resultat überraschte mich außerordentlich und es ärgerte mich längere Zeit, weil ich mich fragte, ob trotz der peinlichen Sorgfalt mit der ich die verschiedenen Zuchten isoliert hielt, und trotzdem ich — um ganz sicher zu sein — die Pflege der Zuchten immer selbst besorgt hatte, doch eine Vermischung stattgefunden habe, so‘ daß die ungebänderten Exemplare vielleicht von ‘anderen Zuchten ungebänderter Formen herrührten. Aber ich sträubte mich immer und immer wieder gegen diesen Gedanken, hauptsächlich auch deshalb, weil sonst trotz der sehr zahlreichen, jahrelangen Kulturen verschiedener Varietäten und Arten eine Vermischung fast nie, nur in 2 unzweifelhaften Fällen, konstatiert werden konnte. Meine Zuchten haben sich alle als Reinkulturen herausgestellt. Ein zweifelhafter Fall betrifft ein bänderloses 14 mm großes totes Exemplar der Kategorie d, dessen Gehäuse rötlich ist. Diese Färbung läßt den Gedanken aufkommen, daß es sich vielleicht um eine junge aus einer anderen Zucht eingeschleppte H. nemoralis handelt. Was die Verschmelzung von Bändern anbetrifft, so findet sich eine solche erst in der Kategorie c. In der Kategorie d finden sich schon ıı Exemplare, bei denen 2 oder 3 Bänder zu einem verschmolzen sind, 3 Exemplare mit zwei durch Verschmelzung entstandenen Streifen und ı Exemplar, bei dem alle Bänder zusammengeflossen sind. In der Kategorie e finden sich ı9 Exemplare mit Verschmelzung von 2 oder 3 Bändern zu einem; 16 Exemplare mit zwei gesonderten durch Verschmelzung entstandenen Bändern und 7 Exemplare mit Zusammenfluß aller 5 Bänder. Diese ganz dunklen Exemplare habe ieh im noch unerwachsenen Zustande von den übrigen isoliert, um zie zur Erzielung einer ganz schwarzen Rasse zu verwenden. Von der ganzen 1897 geborenen Generation waren 1899 im Herbst erst 2 Exemplare erwachsen. Untersuchung vom November 1903. Am 8. November 1903 und an den darauffolgenden Tagen habe ich das ganze sorgfältig ge- sammelte Material einer erneuten, genauen Prüfung unterzogen. Es leben jetzt von dieser Generation nur noch wenig Exemplare. Viele habe ich früher, nachdem sie den erwachsenen Zustand erreicht hatten, in Alkohol konserviert. Die Untersuchung ergab: a) 135 Exemplare von 3—4 mm, davon schon 72 Exemplare: 00300 . 63 Exemplare: 00000 b) 5o Exemplare von —5 mm (darunter vereinzelte c) ı7 Exemplare von 5—6 mm (darunter einzelne unter 4 mm), unter 5 mm), davon 2 Exemplare 00000 davon 8 Exemplare o 42 3 070054070 3 # () 4 „ ONOW3,420 ı Exemplar o o o 2 I Rxemplar D7WoRa071%0 2 Exemplare ı 2 2 2 N I on N ae a oa 6) 2 „ I wo wow wo IS AS N AS dm 6) nn En (e © © ©) ı Exemplar ı 451 Ueber Vorversuche zu Untersuchungen über die Varietätenbildung von Helix hortensis MÜLLER und Helix nemoralis L. 451 d) 27 Exemplare von 6—7 mm, e) 27 Exemplare von 7—ıo mm, davon ı Exemplar 00000 davon ı Exemplar 00000 4 Exemplare 00340 24 Exemplare ı 2345 3 „ 02340 u Exemplar 7 22375 2 55 125 4@ : a ce a 17 e 1927 30405 g Sn f} 25 Exemplare von 10—ı5 mm. davon ı Exemplar rötlich (vielleicht nemor.?2) ıa mm 00000 ı9 Exemplare 152, 3A ı Exemplar (Krüppel) 11,; mm ur a. A I 3 R ı3 mm ee EN zen ML, 13,5 mm ee I 2 12,2 mm la an. Dar I ” ” I2 mm un -—— 125 4 5 g) 3 Exemplare von ı5 mm an. ı Exemplar ı. 2.3.-.4-...5 ı Exemplar we 3 u AR ı Exemplar 1 23..4. 5 Krüppel KRrüpper 7 Endet h) 98 Erwachsene Exemplare von verschiedener Größe (darunter mehrere krüppelhafte Individuen). Davon sind ı) 4 Exemplare ungebändert = o o o o o. Alle übrigen Exemplare sind fünfbänderig 2) 26 5; mit fünf vollständig getrennten Bändern = ı 2345 3) ı Exemplar mit bloßen Verwaschungen oder Verwischungen von Bänden —=1..2.3..4..5 4) 2ı Exemplare mit einmal vorkommender Verschmelzung von blos 2 Bändern, blos im Nenner, keine Verwischungen. Erste Gruppe: ı Exemplar: 1 2.3..4..5 Zweite Gruppe: 3 Exemplare: m: ı Exemplar: 12345 Exemplar 2,30... ı Exemplar: es Dritte Gruppe: ı7 Exemplare: 225345 BASS en: de:ins re ı Exemplar: aM ı Exemplar: a ı Exemplar: er! 2 u) I 2 3 n 5 .. . BL mrerrenenen nenn EB A z 3 L => 3 Exemlare: ° er I „ IE BR) Sun en v.d.M. letz ur ae se 4 e: 1 x Be RER : De A rs Bey 2.5008 - nn ; £ 1.2..3..4..5 Be Sa abortiv v.d.M. ee a a > Exemplare: 1.2.3.:4-5 I A 1 a AR 5) ı2 Exemplare mit einmal vorkommender Verschmelzung von 2 Bändern, mit Verwischungen. Erste Gruppe: Zweite Gruppe: 200 En f ı Exemplar: = = = ı Exemplar: IH 8. aD ne a) v.d.M. Dritte Gruppe. ıo Exemplare: ı Exemplar: wu Be ı Exemplar: er De See S ı Exemplar: 1. 2.3..4 5 v.d.M. WEN ER EN) Ms; a 5 ı Exemplar: 1.2.3.. 4:5 rn Bxemplar; "07 et Exemplar = 5 a RT v.d. M. v.d M R BER 2 Bxremplarzı 723 725 a B) IR 222 3.2 dose) NE ı Exemplar: un SEM. ı Exemplar: - vd. M. ı Exemplar: 1.2.3..- a9 Ueber Vorversuche zu Untersuchungen über die Varietätenbildung von Helix hortensis MÜLLER und Helix nemoralis L. 452 452 6) ı Fxemplar mit einmaliger Verschmelzung von 3 Bändern TERRA m 7) ı Exemplar mit Verschmelzung von 4 Bändern: A nn - Krüppel DR2aen 5 8) ı2 Exemplare mit zweimaligen Verschmelzungen aber bloß im Nenner der Formel. Erste Gruppe: Verschmelzungen von je 2 Bändern, 3 Exemplare. ı Exemplar: n: MS ı Exemplar: 3. Re 5 ı Exemplar: wi2 3 re = = FR —— ——— N v.d.M. v.d. M. Zweite Gruppe. Verschmelzungen (resp. Verwischungen) von 3 und von 2 Bändern, 6 Exemplare. ı Exemplar: ı 23..4..5 I Exemplar: 12 3 25 TABxemplarsı Dr 3 u ——{ ——— — u I e 1203. REES I 3: RR I " er Dritte Gruppe. Verschmelzungen von 3 und von 2 Bändern, mit Verwischung der beiden so entstandenen zwei zusammengesetzten Bänder, 3 Exemplare. 2 Exemplare: ae 3 RER 5 ı Exemplar: Er. 32: 4 ; 5 N— TAREEREEERN N ser 9) ı2 Exemplare mit zweimaligen Verschmelzungen der Bänder im Nenner der Formel und mit Verwischungen oder Verschmelzungen auch im Zähler. Moe : ES 23 1 Exemplar: ı Exemplar: = I Ds Kxempları — 1 22 Pa RSS RE 123.4 5 —— —— ne —_—— Bu 2 ERzua es Du. .a5 I er —Z— 5 1 Ri Sn 1 en En 5 = IT aan BT a 1 Du Rs 123 Ae5 12,3. I = I E}} I ” » = an ag 152 3 GE 3 TS 2 ak, Cr A) 1 DENE 12% 5 123 4 5 8 Be - I a) u I ”„ 12 45 „ La b Be: 5 12353 ER VEN RTCEE Y v.d.M. 10) 8 Exemplare mit Verschmelzung von allen 5 Bändern. TEEN, ERS Ze ı Exemplar: ı 2 3..4. ı Exemplar: 7 27 3. a8 ı Exemplar: RE: reit) De Fe —— N ; v.d.M. 123..4..3 Bene ne I Exemplar: TG G— I Exemplar: nn I Exemplar: m en m BIN Dee BIN NS „—— {oo mn on nn €.——— -—_—— ar ol rer lar za 2 Exemplar. — 1 2 pl ee P 12345 453 Ueber Vorversuche zu Untersuchungen über die Varietätenbildung von Helix hortensis MÜLLER und Helix nemoralis L. 453 Kürzere Rekapitulation der Bänderung der erwachsenen Exemplare. 4 Exemplare: 00000 26 » 2.253,45 I ee ı Exemplar: 1 2345 Nena I 5 Ww2245 re), 2) _ I h ee 3 Exemplare: 12345 END, 17 E ı 23435 6 Exemplare v. d. M. neue = 2 Exemplare — 12345 Si ı Exemplar: —— 22845 Es 5 eye 4 3 == I ss 12345 AS - % ad 3.| ı Exemplar: en 12 5 Exemplare: 12345 Sr > AB. ı Exemplar: 1.234 5 , Exemplare v. d. M. I „ 111,5 12 2 Exemplare: 123435 = a ı Exemplar: 12345 ı e Sr: 12 : Vase er W203: AR. 2 Exemplare: 1? 345 (1 Exemplar: ee i ı ee 3an2S .d. M. A... 5 z ” ir Teysan 1 a re ı Exemplar: I 5 u —— .,% 3 4 5 v.d.M. v.d..M 2 Exemplare: 1.23 435 ; IE) A ” ı Exemplar: ı 23435 I. Im) 2 5 Exemplare: 223,45 3 Exemplare: SEE 2 nis a ar 12345 ı Exemplar: 023,25 ı Exemplar: ers AN SER JR) Aus dieser neuesten Untersuchung der zahlreichen Nachkommenschaft fünfbändriger Mütter (und wahrscheinlich auch fünfbändriger Väter) ergeben sich für das Auftreten der verschiedenen Bänder auf den frühen Stadien der Entwickelung folgende Tabellen: Das Band 3 ist allein entwickelt (Formel o 0 3 o o) bei 72 Exemplaren von 3—4 mm „ 42 ” n. AZ). „ 8 „ „ 0 „ Neben Band 3 ist das Band 4 entwickelt (Formel o o 3 4 o) bei 4 Exemplaren von 4—5 mm, ”» 9 ” ” 0 ” „4 ” ” On ” Neben Band 3 und 4 ist auch Band 2 entwickelt (Formel o. 2 3 4 o) bei ı Exemplar von 5—6 mm, Ds „ „ 6—7 E2) Neben Band 2, 3 und 4 ist auch Band ı entwickelt (Formel ı 2 3 4 o) bei ı Exemplar von 4—5 mm, „ 2 „ 250, 2. EN n» 0 Im ganzen ı42 gebänderte Exemplare von 3—7 mm Größe. Bei 3—4 mm Größe kommen unter 72 gebänderten Exemplaren vor 72 Exemplare = 100 Proz. von der Formel oo30o00o, Ueber Vorversuche zu Untersuchungen über die Varietätenbildung von Helix hortensis MÜLLER und Helix nemoralis L. 454 454 Bei 4—5 mm Größe kommen unter 48 gebänderten Exemplaren vor a2 Exempl. — 87,50 Proz. von der Formel o 0300 A ”„ et 8,33 ” ” „ ”» 00 3 4 (6) I „ 77T 2,08 „ Er) ” „ 12340 I „ — 208 5 DE » Tea Bei 5—6 mm Größe kommen unter ı7 gebänderten Exemplaren vor 8 Exempl. = 47,06 Proz. von der Formel oo3o0o0 3 „ —— 17,64 ” „” „ „ [050) 3 4 [0) 2 » — 1170 „» ae, 4 294 © 3 „ —— 17,64 „ » „ ” I 2 3 4 5 I ” —— 5,88 ”„ „ ” ” [0) 2 3 4 {0) Bei 6-7 mm !Größe kommen unter 26 gebänderten Exemplaren vor 4 Exempl. = 15,38 Proz. von der Formeloo340 3 „ —z 11,54 ” ”„ ”„ ” O72 3 4 {0} 2 „ — 7,69 „ „ „ „ 1252 3 4 (0) 17 2 05 3 Se a „ 12345 Von 7 mm an sind alle gebänderten Exemplare — 100 Proz. fünfbänderig = ı 2 34 5. Unter ı42 gebänderten Exemplaren von 3—7 mm Größe kommt das Band 3 ı42mal vor 100 Proz. 3 a ae nn a L „ 2 oma „ ee 22 y > „2 2a ee OO en 2 male ET oe Aus allen diesen Zusammenstellungen ergibt sich wiederum die weiter oben (S. 449) angeführte Reihenfolge im Auftreten der Bänder: Band 3 eilt allen bei weitem voraus, dann folgen Band 4, 2, ı und 5. Die definitive Zusammenstellung der Resultate dieses Versuches bestätigt die Resultate der Untersuchung vom Winter 1901—1902, daß nämlich ı) die Nachkommen der ersten Generation fünfbänderiger Mütter (und wahrscheinlich vorwiegend auch fünfbänderiger Väter), falls sie überhaupt von der mütterlichen Form abgewichen sind, sich zu gänzlich bänderlosen Exemplaren entwickelt haben; 2) daß unter ı53 Exemplaren dieser Nachkommenschaft, die über 7 mm groß geworden sind, ı47 Exemplare, d. h. 96,08 Proz, nach dem fünfbänderigen Typus, und nur nicht ganz 4 Proz. nach dem bänderlosen geartet sind; 3) daß die Verschmelzung von Bändern in dieser Nachkommenschaft viel weiter geht, als bei den Müttern, so daß z. B. bei 8 Exemplaren sämtliche Bänder verschmolzen sind. In der Färbung herrscht in der Nachkommenschaft große Einförmigkeit, indem sich alle Exemplare um den Durchschnittstypus der Mutter: Apex gelb, Nabel grünlichgelb, Grundfarbe weißlich- gelb, Bänder schwarzbraun, gruppieren. Ich füge nun dem Bericht über den ersten Versuch betreffend die Vererbung der Fünfbänderigkeit zunächst diejenigen über weitere Versuche an, die auch nicht ganz rein sind, insofern nicht ganz sicher ist, daß beide Eltern (also auch der Vater) der gezüchteten Brut fünfbänderige Exemplare waren. Versuch II Er Ngo) Am 9. Juli 1898 fand ich in der beim Versuch I (S. 446) genannten Versuchskiste, in welcher 7 fünf- bänderige H. hortensis mit einer fünfbänderigen H. nemoralis zusammenlebten, eine Helix hortensis mit 455 Ueber Vorversuche zu Untersuchungen über die Varietätenbildung von Helix hortensis MÜLLER und Helix nemoralis L. 93 dieser H. nemoralis in Kopula. Nachdem sich die beiden Individuen wieder getrennt, sonderte ich ein jedes für sich in einem besonderen Behälter. Ich bemerke, daß die H. nemoralis seit Spätherbst 1896 allein in Gesellschaft mit den sieben Exemplaren von H. hortensis gehalten worden war. Von der seitdem isoliert gehaltenen H. nemoralis habe ich nie entwickelungs- und lebensfähige Nachkommenschaft erhalten. Sie lebt jetzt noch und hat seit 1900 wiederholt vereinzelte Eier gelegt, aus denen aber nie Junge ausschlüpften. Von H. hortensis hingegen erhielt ich anno 1899 lebende und entwickelungsfähige Nachkommen- schaft, die sich aber zu typischen Exemplaren von H. hortensis entwickelten. Dieser Versuch zeigt ı) eine erfolglose Kopula zwischen H.hortensis und H.nemoralis und 2) da die hortensis jedenfalls irüher mit anderen (fünfbänderigen) hortensis desselben Behälters kopuliert hatte, daß die Kopula mit nemoralis die Befruchtungsfähigkeit des von einer früheren Kopula mit Individuen derselben Art herrührenden Spermas nicht beeinträchtigt hatte. Uebersicht des Versuches. Mutter: H. hortensis 1ı.2.3...4..5, Apex gelb, Nabelseite grünlichgelb, ‚Grundfarbe sonst gelblich, Bänder dunkelbraun, Diam. 19 mm. Vater: Wohl ziemlich sicher eine H. hortensis ı 2 3 4 5 mit ähnlichen Färbungsmerkmalen (vergl. S. 447). Descendenz geb. 1899. 8 Exemplare entwickelten sich über die frühesten Stadien hinaus. Die Zucht wurde 1901 auf- gehoben. Sie bestand aus: 5 Exemplare von 7—ı4 mm, Färbung der Mutter. 4 Exemplare ı 2345 ı Exemplar 1 2345 3 Exemplare adult von ı19—2o mm, Färbung der Mutter. 2 Exemplare ı 2345 m Rxemplarer 203,45 Mersuehslll (er N. 12) Datum der Einrichtung: 27. März 1898. Versuchstiere: 2 Exemplare Helix hortensis, von einer Hecke an der Straße von Brunnen nach Erstfeld, Kanton Uri. fJedenfalls im erwachsenen Zustand gesammelt. Es fehlt eine bezüg- liche Notiz. a) ı Exemplar: ER) Diam. 20,5; mm, Bänderung braun bis schwarzbraun, Epidermis ver- BEA wittert. — er ...a.5 Diam. 2ı mm, Apex gelb, Nabelseite blaß grünlich-gelb, übrige u 2 ap 4.5 Grundfarbe schmutzig-weiß. Bänder dunkelbraun. Descendenz 1898. Ich habe diejenigen zahlreichen Jungen, die starben, bevor sie einen Durchmesser von 8 mm erreichten, nicht aufbewahrt. Unerwachsen: 7 Exemplare, DEE SEmm in .2 23 1%. A ID, en ae a ee 2) 2 BD Vu a a z AO n 158» Es Ueber Vorversuche zu Untersuchungen über die Varietätenbildung von Helix hortensis MÜLLER und Helix nemoralis L. 456 456 Erwachsen: ıı Exemplare, en. 1 as ATS 5) - = en = b, ı) —— = TS EEE 1.2 2 a RN: ER aD etwas anormal abortiv 9) ru Hr em 1 2 SU NA Dar 2 I 2 3 25 I TEE 2 N — — oo u— I. 2 . 4 ee 10) 3 5 are NG 1 Da I 23 4 5 3) == 7) == ul Eee le IRRE f a 9 a a en TE a 58 NE Es I ee 4) —i 32 8) EEE ED 2 wen Ben 43 12 ee N — u Dieser Verzuch zeigt wiederum auf das Eklatanteste, wie sehr Bänderverschmelzungen erblich sind. Die Nachkommen halten zwischen den Eltern die Mitte. Erblichkeit der Verzierung mit 5 Bändern: 100 Proz. Offenbar ist dieser Versuch in Wirklichkeit rein, d.h. es sind die isolierten Versuchstiere zugleich die Mütter und Väter der vorstehend beschriebenen Nachkommenschaft. Vezsuch NEIN) Fortsetzung des vorhergehenden Versuches (Versuch III). Versuchstiere: Dieselben, wie bei Versuch III. Descendenz von den Jahren 1899 und 1900. Unerwachsene Exemplare: 2ı Exemplare von 3—3,8 mm, davon 9 Exemplare = o 0 3 0 o, bei den übrigen kein Band erkennbar, ı0 Exemplare von 4—5,; mm, davon 8 Exemplare (No. 1-8) =00300 I b (No. 9) = 0 0 0 0 o (verwittert und beschädigt), I n (Noto) — 7010032750: Die Exemplare, die ganz jung zu Grunde gingen, habe ich nicht aufbewahrt. Io weitere unerwachsene Exemplare, nämlich: 1) 7 mm We 6) 15,5 mm es a 1.23..4..35 Se 1 Aylazian 7) ı7 mm 1.23.4..5 EIS J 3) ı3 mm VE AG KT Ze ee Se 8) (quasi adult) “aaa TBaBaH ——— ... .. TREE: 5) 4) 14,5 mm ER RE nl 9) ı8 mm EZ ARE I 345 I 2.3..4., J 5) 15, 5 mm DZ A e5 10) 19,3 quasi adult 1.23.4 IB : a! MANS) 4 J 123, nA Ds m man A Te ln [nn 457 Ueber Vorversuche zu Untersuchungen über die Varietätenbildung von Helix hortensis MÜLLER und Helix nemoralis L. 457 ıı erwachsene Exemplare. Be ..s ee er m Er IR 23 4 5 9; 203 4 5 ee > ce Same Ve; : I 2 3 A 5 I > Aue =—— 2) = 6) ı an a u ; = Ka LH 2 (0,1 mm) 5 2 3 Al 5 = 23 Aralbiste) 5 ne age SR ER I 3 en UNO; 45 — ——— RE. RES ee 8 = ss 29 5 oe = anal A v2) - — 9 Mn 3 4 220 3 4 5 re) Resultat: Vollständige Bestätigung der Ergebnisse des Versuches II. Mersuch V Pr Nano) Fortsetzung von Versuch III und IV. Beginn des Versuches: ı3. April 1901. Der Elter a der Versuche III und IV für sich in einer Kulturschachtel isoliert. Sara) Diam. 20,; mm Bänderung braun-schwarzbraun. Epidermis jetzt Versuchstier: ı Exemplar i P DEI verwittert. Von früher befruchtet, und zwar wohl sicher von 4.5 Diam. 2ı mm. Apex gelb, Nabelseite blaß grünlichgelb, A 5 übrige Grundfarbe schmutzig weiß. Bänder dunkelbraun. De ı Exemplar EI Descendenz a8 Juli 190») Diese Zucht hat sich nicht gedeihlich entwickelt, sie ist auf frühen Stadien ausgestorben. Das einzige noch lebende Exemplar hat erst einen Durchmesser von 6,5 mm. 27 Exemplare von 3—4 mm, davon 23 Exemplare =00300 4 E ohne erkennbare Bänder. 41 von 4-5 mm davon ı Exemplar =00000 38 Exemplare =00300 r Bxemplar2 = 02003. .2°0 I e — E00 34 Exemplare von 5—7 mm, davon ı N — 2070505020 I N — 705.0032.050 3 Exemplare =00430 3 ” =—.'0,2 3 4 0) 6 n =12340 20 ss =ı12343 ı Exemplar von ,3 mm —=00000 ES m a I " 8 ea Ar Der Versuch zeigt lediglich die große Erblichkeit des gebänderten Zustandes. Auffallend ist, daß ı Exemplar bei 7,3 mm Durchmesser noch bänderlos war. Doch ist hier einerseits eine Ver- schleppung aus einer anderen Kultur nicht ausgeschlossen, andererseits auch nicht die Möglichkeit, daß sich die Bänderung noch entwickelt hätte. Das letztere ist sehr unwahrscheinlich. Versuch VI (Pr. N. 169). Beginn des Versuches: ı3. April 1901. Der Elter b des Versuches No. III und IV in einer besonderen Kulturschachtel isoliert. Jenaische Denkschriften. XI. 58 R Festschrift Ernst Haeckel. _ A 58 Ueber Vorversuche zu Untersuchungen über die Varietätenbildung von Helix hortensis MÜLLER und Helix nemoralis L. 458 Versuchstier: ı Exemplar = - > ER ; 2 Diam. 2zı mm. Apex gelb, Nabelseite blaß grünlichgelb, übrige Gendleche Son: weiß. Bänder dunkelbraun. Von früher befruchtet, und zwar wohl sicher von ı Exemplar Zn Diam. 20.5 mm. 182 Sr ru) Bänderung braun- bis schwarzbraun. Epidermis jetzt verwittert. Descendenz (16. August 1901). ı6 Exemplare von 3—4,5 mm. ıo Exemplare 00300. 6 Exemplare ohne erkennbare Streifung, zum Teil sehr beschmutzt. I 5 „ 52 mm = ı 2 345 (von 5 eine geringe Spur). I ” ” 9 ” —— I 2 3 4 bi) I ” „ 100) „ ——ETE2 3 4 65) TED NE I >) NW R 3 2 allein a I - aclsie 21,5 = 3 z : Apex gelb, Nabel grünlichgelb, Naht gelblichweiß; Bänderung —— dunkelbraun bis schwarzbraun. Mersiren VALLE NL Topi 13) Einrichtung: ı. März 1897. Versuchstier: ı Exemplar von Helix hortensis, zur Zeit der Einrichtung adult und, wie sich nachher herausgestellt hat, sicher mit überwintertem Sperma von einer früheren Copula her, wahr- scheinlich mit einer fünfbänderigen H. hortensis, die teilweise verschmolzene Bänder besaß. Diam. 20 mm 1.2..3.2..4..5. Apex blaßgelb, Nabel grünlichgelb, Grundfarbe schmutzigweiß (verwittert), Bänder dunkelbraun. Diese Schnecke wurde zum Zwecke der Kreuzung am oben genannten Tage mit einer H. nemoralis mit fünf Bändern in einem Versuchsbehälter isoliert. Descendenz vom Jahre 18909. Besteht aus lauter typischen hortensis. Von nemoralis erhielt ich keine Nachkommenschaft. a) Unerwachsene Exemplare. von 3,2—4,2 mm ı3 Exemplare davon ı1ı n 00300 2 e ohne erkennbare Bänderung von 6,5 mm ı gebändertes Schalenfragment von 10—15,5 mm. 4 Exemplare davon 2 Exemplare: ı 2345 ı Exemplar :ı 2345 i » are S. b) Erwachsene Exemplare: 7 davon ı Exemplar :ı 2345 davon ı Exemplar: ı 2345 I 2 u v.d.M. 2 » N 28 40 I NEN DATE 2. Exemplare: 1.273 455... . gu SE 2 Die Verschmelzungen erfolgen bei allen jenen Exemplaren, wo sie überhaupt vorkommen, erst auf dem letzten Umgang. Ueber Vorversuche zu Untersuchungen über die Varietätenbildung von Helix hortensis MÜLLER und Helix nemoralis L, 459 459 Die Erblichkeit des fünfbänderigen Zustandes beträgt 100 Proz. Gegenüber der Mutter zeigen die Jungen eine, allerdings sehr geringfügige, Neigung zur Verschmelzung von Bändern, die wohl darauf hinweist, daß der unbekannte männliche Elter zum Teil verschmolzene Bänder besaß. Die Färbung der Jungen ist folgende: Apex zitronengelb, Nabel gelb, Grundfarbe hellgelb, Bänder schwarzbraun. Versuch VIII Er. N. ı >24). Fortsetzung von Versuch VII. Descendenz vom Jahre 1900 (28. Juli), Es schlüpften wenige Junge aus, die frühzeitig (1901) starben oder von mir konserviert wurden. Das Material besteht aus ı0 Individuen in allen Größen von 7 mm bis zu 15,5 mm. Alle Exemplare sind fünfbänderig (also 100 Proz.) und mit Ausnahme eines einzigen Fe mit völlig getrennten Bändern. Dieses Exemplar von 9,5 mm Durchmesser zeigt die Formel 1.2.3.4..3 Versen DD 180). Beginn: ı1. April 1901. Dieser Versuch ist eine neue Fortsetzung der Versuche VII und VIII. Versuchstier vergl. Versuch VII. Deseendenz (8. Aus, ro90En) 27 Exemplare von 3—4 mm, davon 22 Exemplare : 00300, 5 Exemplare ohne erkennbare Bänder (0 000 0) 30 r n A TR 5; H0/08370I0 10 u 20/0,3,.4.6 I 5 BOBR27750 4 » 19237460 I » 12345 ı Exemplar vn6mm—= 12340 6 er PRROE En 1203, 45 25 Exemplare in allen Größen von 6,2 mm bis 15,5 mm, alle ı 2 3 4 5 (Bänder getrennt) Ve u Bis jetzt ist kein Exemplar erwachsen. Die Resultate dieses Versuches stimmen mit denjenigen der früheren aus den Jahren 1899 und 1900 überein (Versuch VII und VII). Es vererbt sich die Fünfbänderigkeit in 100 Proz. der Fälle, ı Exemplar ı2,; mm Mersuch 27 ErıNy so) Beginn: ıı. April 1900. Versuchstier: Eine erwachsene H. hortensis vom Aareufer am Born bei Aarburg, Kanton Aargau. Waldform. Wurde mit einer H. nemoralis isoliert, um Kreuzung zu erzielen; es stellte sich aber heraus, daß das Versuchstier schon befruchtet war, wahrscheinlich von einem fünfbänderigen Exemplar der eigenen Art. Versuchstier: 22 mm. Tier bräunlich-schwarz. Apex rot, fast kupferrot, Nabel rotbraun, ver- Grundfarbe da, wo die Epidermis noch erhalten, bräunlich. Bänder Bänder unterbrochen querverwischt. 1 0 ee ; = “ wittert. "2 _3:° 3:35 rötlich-braun bis schmutzigbraun. (Bei alten verwitterten Exemplaren neigt die Epidermis gerne dazu bräunlich zu werden.) 58° 460 Ueber Vorversuche zu Untersuchungen über die Varietätenbildung von Helix hortensis MÜLLER und Helix nemoralis L. 460 Dieseendenz (254 aloe) Es ist noch kein Exemplar erwachsen. besteht aus: 23 Exemplaren von 3,2 mm bis 4,5; mm, davon ı7 Exemplare noch 00000 Die Nachkommenschaft (zum Teil tot, zum Teil lebend) 6 h 946% „ 5 ” ” 3 , ” 00000 = 90008 „ I * 2 00300 =. 2,3, m AO ı 23 .. 4 o, Bänder blaß o 03 oo (Andeutung von ı 2 und 4) W203. an a5Bänderblaß u 00000 AN re 2% 45 8,5 mm, in zunehmender Größe: Bänder blaß f Bänder braun-schwarzbraun 5 | . 123. Aus ylo I4 „ „ 4,5 „ 38. ı Exemplar „ 55 » 39- I „ ” 5,8 ” 40. I ” ” 6 „ 41. I ” „ 6 „ 42. I „ » 6 „ 43. I „ „ 6,5 , 44. I » ” 45. I „ „ 65 „ 55. ıo Exemplaren „ 6 ,„ a)lor27374.0| b)Eogosszoron| Om 2u 3 roman 00, e)00300 © 2 9 4. © )o2340| Das: DL, k)ı23 4 508 ı Exemplar von 7 mm 57- I „ ” 7 „ . 58. ı Exemplar von 35 mm = 39- I ” ”„ 8,5 ” — 60. I „ „ 8,5 a mn OT „= » 6 Ol 62. ı » RO 63. I „ „ 9,5 „ —— Ga „ Lo » = OS 5) NO 0 66. I ” ” II ” u Or „ nu ae a Ze DOT „ 15 u 2 Im ganzen von 5,; mm bis 7 mm 20 Exemplare davon: 2 Exemplare =00000 4 5 =00300 5 » ON 213440 4 D —= 1,203 7439 5 ” —ı 235% 45 j i 20 Exemplare 3 A: 5 00300 Bänder blaß undeutlich a 00 US le A Be 461 Ueber Vorversuche zu Untersuchungen über die Varietätenbildung von Helix hortensis MÜLLER und Helix nemoralis L. 461 No. 69. ı Exemplar von 13,5; mm = 7 Er en) ee EIER EEE I 2 ver/iees 200 ea „ 71. I „” £)) IA, N „o I > 1 3 de. 5 > 72 I ” ” I5 ) — u 4 I oe „ 73 I FR} 5 16 H — Bas Re TTagnnern 12 3 4 5 ek Br ” 74 I ” ” 16,5 ” = —— AST DURER —— N zn Fena, ’ HS I „ „ 17, „ == INNE Von dieser Nachkommenschaft ist zu bemerken, daß sie mit der Mutter auch in der Färbung und darin übereinstimmt, daß die Tendenz zu einer unterbrochenen Querverwischung der Bänder fast überall ganz unverkennbar ist. Schon die jüngsten Exemplare sind ohne Ausnahme leicht aber deutlich bräunlich, bei den Exemplaren von 5 bis zu 8 mm wird die Grundfarbe ein lebhaftes Braun. Bei den größeren Exemplaren wird der Apex fast durchgängig rotbraun. Auch die Nabelseite spielt häufig von gelb ins Rötliche oder Bräunliche. Die Grundfarbe ist im allgemeinen bedeutend heller: schmutzig-weiß, gelblich-weiß, hellbraun, licht rotbraun. Die Bänder bald blaß, bald sehr markiert, braun, rotbraun oder dunkelbraun. Zum unterbrochen Querverwischtsein neigen am meisten die Bänder 4 und 5. In An- betracht, daß die Bänderung etwas verspätet auftritt, kann man auch für diesen Fall mit Bestimmtheit sagen, daß die Erblichkeit des fünfbänderigen Zustandes 100 Proz. beträgt. Versuch XI Er2N! 2009) Beginn: 8. März 1902. Fortsetzung des vorhergehenden Versuches. Versuchstier: Beschreibung desselben siehe Bericht über den vorhergehenden Versuch. Descendenz 1902 (und 1903?). Tot: 7 Exemplare von 3—4 mm, leicht bräunlich, davon 5 Exemplare 00000 und 2 Exemplare 00300. Lebend: ca. 24 Exemplare, von 3—5 mm, die kleinsten gelblich-bräunlich, die größeren bräunlich; erstere 00000, letztere 00 30.0. Tot: ı Exemplar vor 95 mm ı 23,..%..;, Apex braun, Nabelseite ziemlich hellbraun, Grund- farbe schmutzig bräunlichgelb. In Bd. ı 2 3 tritt 3 durch dunkelbraune Färbung hervor. Bänder sonst ziemlich hellbraun, unterbrochen quer verwischt. Bis jetzt Bestätigung des vorhergehenden Versuches. Nachdem ich mich überzeugt, daß die Versuche, zu denen erwachsene Tiere mit unbekannter Vergangenheit verwendet werden, keine ganz sicheren Resultate liefern, weil eine Befruchtung der Ver- Ueber Vorversuche zu Untersuchungen über die Varietätenbildung von Helix hortensis MÜLLER und Helix nemoralis L. 462 462 suchstiere von früher her, durch unbekannte Exemplare, nicht ausgeschlossen ist, war mein Bestreben auf Einrichtung völlig reiner, einwandfreier Versuche gerichtet. Solche reine Versuche erhält man, wenn man als Versuchstiere Individuen im noch unerwachsenen Zustande isoliert oder solche erwachsene Individuen benutzt, die von Jugend auf isoliert gehalten wurden. Befruchtung im unerwachsenen Zustande kommt nach meinen ausge- dehnten Erfahrungen bei den Arten des Subgenus Tachea sicher nie vor. Die folgenden Versuche sind vollständig rein. Sie sind im nachfolgenden ungefähr in der Reihenfolge der zunehmenden Verschmelzung der Bänder bei den Versuchstieren angeführt. II. Versuche, bei denen beide Eltern der erzielten Brut sicher fünfbänderige Exemplare von Helix hortensis sind. Mersueh TE ErRENge>). Beginn: April 1903. Versuchstiere: 2 fünfbänderige Helix hortensis, geboren 1900, erwachsen 1902 (?) oder Früh- jahr 1903. Frühere Befruchtung von seiten anderer als fünfbänderiger Exemplare ausgeschlossen. ı Exemplar ı 28,65 I nen An ans Eltern der Versuchstiere: Mutter sicher fünfbänderig, Vater sehr wahrscheinlich fünfbänderig. Dieseendenz vomr272 julkeoor: Untersuchung vom 7. Oktober 1903. Es leben 39 Exemplare. Sie sind alle noch sehr klein, von 3,2—3,8 mm, die meisten: 0 0 3 0. 0, einige ohne erkennbare Bänderung. Versen DIN Br AS nu), Beginn 24. April 1900. i Versuchstiere: 2 fünfbänderige Helix hortensis, die 1897 in einer Zuchtkiste ausgeschlüpft waren, in der lauter ungebänderte Exemplare gehalten worden waren. Jedes dieser Versuchstiere hat eine bänderlose Mutter, wahrscheinlich auch einen bänderlosen Vater. Al Aa . 5, 18,5 mm. Apex schmutzig gelblich-weiß, Nabel hellgelb, Grundfarbe sonst blaßgelb. Bänder a an den oberen Windungen ziemlich blaß. DIT N 5 185 mm. Apex schmutzig weißlich-gelb, Grundfarbe weißlich-gelb, Nabel grünlich- 2 = gelb, Bänder schwarzbraun. Dieisieendenz (un julergon) a) Unerwachsene Exemplare: News 18 ı8 Exemplare von 3-4 mm, davon 8 Exemplare =00300 10 h3 =00000 hs 19-44. 26 en „ cays u “ 19 ni =00300 7 > = 0000o0o zum Teil mit unsicheren An- deutungen von Bd. 3. »„ .45—68. 24 Be Sc, alle 5 =00300Bd. 3 bei einzelnen sehr schwach angedeutet. 46 3 Ueber Vorversuche zu Untersuchungen über die Varietätenbildung von Helix hortensis MÜLLER und Helix nemoralis L. 46 3 No. 69—106. 38 Exemplare von 5,5—7 mm davon ıg Exemplare — o o 2 © © „ 8 > =00340 ” B) ” = u 2 945 ” 4 „ a 3 4 © r I h =02340 Sa 5 =00345 P1070.108.0 2 » Daemmlberde 2037205 4 109. Exemplar ° ,„ ı0 > 00000 „ IIO. I „ 9 II,5 „ 2a 5 3 111. I Fr Pe an TIER 3A, ar 2, I 55 2. AA: „ 12230405 nz, nn Bi Bi x 114. I ” ne aaa! as b) Erwachsene Exemplare: ı Exemplar von 19—ı9, mm Dee N N 3 20 N DR Zu diesem Versuch ist zu bemerken, daß No. 109 = 00000 wohl sicher nicht zu der Nachkommenschaft der Versuchstiere gehört. Aus meinen Journalnotizen geht nämlich hervor, daß ganz ausnahmsweise eine Vermengung (wenn auch in sehr beschränktem Maße) der Brut des Behälters, in dem dieses Exemplar mit einigen Geschwistern lebte, mit der Brut eines benachbarten Behälters, in welchem einige Nachkommen ungebänderter H. hortensis gehalten wurden, infolge einer ungeschickten Manipulation stattgefunden hat. Unter der Voraussetzung, daß diese Annahme richtig ist, können wir auch für den vorliegenden Fall konstatieren, daß die Erblichkeit des Merkmales der Fünfbänderigkeit, wenn beide Eltern fünf- bänderig sind, 100 Proz. beträgt, und zwar auch dann, wenn, wie im vorliegenden Fall, die Mutter eines jeden Elters, also beide Großmütter und wahrscheinlich auch beide Großväter ungebändert waren. Von der Nachkommenschaft unserer Versuchstiere ist noch folgendes zu sagen: ı) Sie stimmt mit den Eltern in dem Ausbleiben von Bänderverschmelzungen oder doch in der sehr geringen Neigung zu solchen Verschmelzungen vollkommen überein, indem überhaupt nur das Exemplar No. ı13 eine Neigung zur Verschmelzung (von Band 2 und 3) zeigt, alle anderen Exemplare deutlich getrennte Bänder zeigen. 2) Die Farbe der Bänder ist bei vielen jungen Exemplaren und bei einzelnen alten eine relativ blasse, wie bei dem einen Elter. 3) Die Streifung tritt, wenn man die Wachstumsstadien der vorliegenden Brut mit denjenigen anderer Formen vergleicht, wo schwarzbraune und zur Verschmelzung neigende Bänder auftreten, merklich verspätet auf. 4) Der Gedanke liegt nahe, daß das Getrenntbleiben und die relativ blasse Farbe der Bänder der Eltern und Kinder eine Nachwirkung der Bänderlosigkeit der Großeltern ist. Mersuch XIV Pr N.:6>2) Beginn: Frühjahr 1900. Eltern: 2 Exemplare H. hortensis, geb. 1897, erwachsen 18909. ı Exemplar: ı 2345 I E 25 Großeltern, Mutter fünfbänderig, Vater wahrscheinlich fünfbänderig. Ueber Vorversuche zu Untersuchungen über die Varietätenbildung von Helix hortensis MÜLLER und Helix nemoralis L. 46 A 464 Deseendenz 10-]jul zatereie: Sämtliche Exemplare gingen frühzeitig zu Grunde, nämlich 5o Exemplare von 3—4 mm, davon 32 Exemplare =00300 18 2 ohne kenntliche Bänderung 26 er nm. A060 Br 2 5 ohne kennbare Bänderung 22 % — 00300 2 # (INK: 16) wie) 2) = O2 3 2 © I ” » 6 E) 1 „ 705035450 2 » =123345 I ’ — 2 I „ ent 28 45 Es ist möglich, daß einzelne der größeren Exemplare zu der 1897 geborenen Zucht des Ver- suches I gehören. VezsucheX Veran! Beginn: 7. April 1901. 8 Versuchstiere, geb. 1897. a ee ER N a" 7 Exemplar onen 3 ı8 mm e) ı Exemplar > x ’ 2 17 mm VD AR MS 23 A .. .. .. ... .. \, 6 ME un Ten ar Hals $ a r —— Zn ; 2 > en f) ı $ — 2 ı8 mm v.d.M. Te eo ELLE o)1 Dr 2 er g) I : DE & I5 mm 2 2 20.3 9 5 ee edle: v.d. M I DEE 5 RR In) m N Pr 19,5 mm rs ea AS REN UT d) 1 55 ” D 2 a. =» ı8 mm ee Te ne v.d.M. Zur Charakterisierung dieser Zuchtexemplare ist noch folgendes zu bemerken. Bei allen Exem- plaren ist der letzte Umgang etwas im normalen Wachstum gestört; etwas krüppelhaft. In der aller- letzten Periode des Wachstums hat sich dasselbe bei fast allen Exemplaren wieder korrigiert, so daß die für H. hortensis typische und charakteristische Mündung zu stande kam. Auf die Gesundheit und Fortpflanzungsfähigkeit hat die Wachstumsstörung keinen Einfluß ausgeübt. Der Apex ist bei den Versuchstieren gelb, grünlich-gelb oder bräunlich-gelb, die Nabelseite grünlich-gelb, die übrige Grundfarbe gelblich-weiß; die Bänder sind dunkelbraun oder schwarzbraun. Alle Exemplare sind 1897 geboren und stammen aus der Brut des Versuches 1. Die meisten Exemplare waren am 17. April 1901 noch nicht erwachsen; die erwachsenen hatten früher sicher noch nie kopuliert, so daß der Zuchtversuch rein ist. Dieseendenr1 >37 umazeom! Unerwachsene Exemplare: ı4 Exemplare ohne erkennbare Bänder. No. 1ı—82. 82 Exemplare von 3—4 mm, davon 68 =00300 n Sa ua, 60 Er „» de 15 18=00300 4=00340 = OA I=0254A5$ 6=12345 die fünfbänderigen Exemplare sind die größten, 46 5 Ueber Vorversuche zu Untersuchungen über die Varietätenbildung von Helix hortensis MÜLLER und Helix nemoralis L. 46 5 No. 143—172. 29 Exemplare von 6—17 mm in allen Größen, alle ı 23 4 5 (d. h. mit getrennten Bändern), DIET ASENE ” 173 I 55 „ 16 „ > 2 = Te SIE ei 5 ANRS we : A RD U DD AD. 5 I „ fast adult, 19 mm = 2 aan : 1.2073 4 —— nn —— Erwachsene Exemplare: No. 176. 21,5; mm ne, ne ee Be nr. RR 2 es RS a rn 2,5 Da SER 2, 193. 18,500, u > Er v.d.M. 2 „ 184. 17,3 » I 3 4 5 » 176, 20 a 220 5 a re NEN s eo a 180. 19,5 = ae ” 105. 20 £2) Don z u ER RR T42 5 Pr8ı 20 De Ener = iE ERRSOELO er - 1.2.3..4. 5 2m Der Versuch zeigt in eklatanter Weise den hohen Grad der Erblichkeit der besonderen Merkmale der Bänderung, die in der Elterngruppe vorkommen: eine Neigung zur Verschmelzung von 4 und 5 auf dem letzten Umgang und vor der Mündung. Die extremen Formen unter den Eltern, einerseits die weitergehende Verschmelzung bei dem Elter h und das gänzliche Getrenntbleiben der Bänder bei dem Elter g, kehren auch bei den Nachkommen in einzelnen Exemplaren in annähernd entsprechender Weise wieder (No. 175, 186 einerseits, No. 176 andererseits). In den. Färbungsmerkmalen stimmen die Jungen ebenfalls in hohem Maße mit den Eltern überein. Der krüppelhafte Zustand der Schale der Eltern hat keinen Einfluß auf die Nachkommen gehabt, die fast ausnahmslos normal und, wie der Vergleich der Dimensionen zeigt, sogar kräftiger gewachsen sind. Für die Ermittelung des Maßes der Erblichkeit der Fünfbänderigkeit kommen die Exemplare No. 143— 186 in Betracht, also 43 Exemplare, von diesen sind 42 Exemplare fünfbänderig, ein Exemplar hingegen, No. 179, weist den Ausfall des 3. Bandes auf. Das ist der einzige Fall des unvermittelten Auftretens einer scharf abgegrenzten Variation, den ich bis jetzt konstatiert habe. Das Exemplar lebt und wird zu Vererbungsversuchen verwendet. Mersuch VI BEINE 250. Beginn: 19. April 1903. Insofern Fortsetzung des Versuches No. XV als eines der dort benutzten Versuchstiere für sich isoliert wurde, nämlich das Exemplar h. Versuenstlers n 2 Dong. —— u v.d.M. Jenaische Denkschriften. XI. 59 Festschrift Ernst Haeckel. 466 Ueber Vorversuche zu Untersuchungen über die Varietätenbildung von Helix hortensis MÜLLER und Helix nemoralis L. 466 Vergl. übrigens die Bemerkungen S. 464. Das Exemplar ist im Jahre 1901 von einem oder mehreren fünfbänderigen Individuen befruchtet worden. Descendenz 1902. Die Zucht ist auf den frühesten Wachsstumsstadien vollständig abgestorben. 43 Exemplare von 3—4 mm, davon 36 Exemplare 00300, 7 Exemplare ohne deutlich erkennbare Bänder. Versuch X VIREN): Beginn des Versuches: 7. April 1901. Versuchstiere: eu EEE NUR Lu ı9 mm. Apex gelblich, Nabel grünlichgelb, Grundfarbe sonst gelblich- a) ı Exemplar: 1.2 . 3.. ER weiß. Bänder braun bis dunkelbraun. v.d.M. ee EN EN | Ba Ä b) ı 5 RE 5 1 3 ı9 mm. Färbung wie bei a, doch Bänder braun bis schwarzbraun. Ta ae: ©) 5 tete ı7 mm. Färbung wie bei b. Are) a d) ı 5 > ı7 mm. Färbung wie bei b. TER EAN EN —— TIERE I AR e) ı n Tr —_— ı8 mm. Färbung wie bei b. U Jedes dieser Versuchstiere hatte sicher eine fünfbänderige Form zur Mutter. (Sie gehören alle zur Zucht des Versuches I, geb. 1897) und wahrscheinlich auch eine fünfbänderige Form zum Vater Eine frühere Befruchtung der Versuchstiere von anderer Seite ist ausgeschlossen. Dieseendenz (182 | ulrsrogeom) Unerwachsen: No. ı1-—1ı02 ıo2 Exemplare von 3—3,8 mm, davon 61 Exemplare: o o 3 o o, bei den übrigen (sind zum Teil sehr beschmutzt) ist keine Streifung zu erkennen. „ 103-121 19 6A von 3,8—4,5; mm, davon ı2 Exemplare o o 3 o o, 7 Exemplare ohne nachweis- bare Streifung. „ 122-150 29 " von ca. 5 mm, davon 23 Exemplare o o 3 o o, 6 Exemplare ohne erkennbare Streifung. „ 151—156 6 a in zunehmender Größe von 5—7,3 mm, von diesen 1=00300;2=00340; 3=00340,4,5undd6=12345. Deo 25 5 von 5—6,5 mm. Die 22 ersten —=0o0300, No. 23 =12340, No. 24 und N RE A „ 182-206 26 s von 6—ı5 mm in allen Größen, alle ı 2 3 4 5 (mit getrennten Bändern). Erwachsen: No. 207 ı Exemplar 1.2..3...4...5, 19,25 mm. Apex gelb, Nabel grünlichgelb, Grundfarbe im übrigen gelblichweiß, Bänder braunrot bis kastanienbraun. 22.08 I n et ız mm. Färbung wie beim vorigen Exemplar, doch Bänder 1.2 3-4 29 schwarzbraun bis schwarz. Es ergibt sich auch hier: Aus der Verbindung fünfbänderiger Exemplare entstehen wiederum auschließlich (180 Proz.) fünfbänderige Nachkommen. Ueber Vorversuche zu Untersuchungen über die Varietätenbildung von Helix hortensis MÜLLER und Helix nemoralis L. 467 467 Ferner: Das Getrenntbleiben der Bänder resp. der geringe Grad ihrer Verschmelzung ist im höchsten Grade erblich. Ferner: Die Untersuchung der Nachkommenschaft ergibt auch bezüglich der Färbungsmerkmale einen hohen Grad der Uebeinstimmung zwischen Eltern und Jungen. NVessuch XV IIFeErN 145, Beginn: 6. April 1901. Versuchstiere: a) ı Exemplar: — ER: E SEE 5 2o mm. Apex grünlich-gelb, Nabel grünlich-gelb. Grundfarbe weißlich- DR N. RN 5 gelblichweiß. Bänder schwarzbraun. b) ı 5 er dm Ar: 4 nm, Färbung wie bei a). > en 5 6) 1 , ee = Auer: Färbung wie bei a). Die Versuchstiere zeigen also insofern nur eine geringfügige Verschmelzung von Bändern, als diese, wo sie vorkommt, erst auf dem letzten Umgang auftritt. Die 3 Versuchstiere hatten sicher ein jedes eine fünfbänderige Mutter und wahrscheinlich einen fünfbänderigen Vater. Eine frühere Befruchtung derselben von anderer Seite ist angeschlossen. Sie sind 1897 geboren und stammen aus der Zucht des Versuches 1. Dieseendenzi(t 0 Juli voor). Zur Zeit noch kein Exemplar ganz erwachsen. No. ı— 27. 27 Exemplare von 3 —4 mmalleoo3o0o0 2. Ba Sieh u 55 v ca 4 E » ©0300 750.80, 20 * » 3742 „ wovon 25 Exempl. o o 3 o 0, 4 Exempl. ohne erkennb. Streifung. 288 115,028 R = ” 27 = oO 3 © 0, 1 * ” sicher erkennbare Streifung. EL10- 199.028 2 3 “ ar h 00300, ı Exempl., das größte, 00340 g Maar, 2 ” dk „ davon 6 “ ON0032050 I ® 2% © © 8 n © 3 4® I 5» 1230100 „ NEO, ha g 3.0 N Ale ar „ imeme © 5 nm» Blu TR DRAN s 179. wExempar ', ıı mm — Ber Be 92 A: Ich besitze noch mehrere lebende Exemplare dieser Zucht (selbstverständlich gehören sie zu den größeren). Die geringe Neigung zu Bänderverschmelzungen ist evident, nur Exemplar No. 179 zeigt eine solche. Der Charakter der Fünfbänderigkeit vererbte sich in 100 Proz. der in Betracht kommenden Fälle. Einzelne aus der Nachkommenschaft zeigen einen abweichend, nämlich braungelb, oder braun oder rotbraun gefärbten Apex. Verse SI RCNDIENE 232) Beginn des Versuches: 13. November 1899. Eltern geboren 1897, erwachsen ı Exemplar 1902, die beiden anderen 1903. 59* 468 Ueber Vorversuche zu Untersuchungen über die Varietätenbildung von Helix hortensis MÜLLER und Helix nemoralis L. 468 Großeltern: Großmutter mit 5 Bändern, Großvater sehr wahrscheinlich, ebenso. Filtern: ZU E ES E 2 an ans " ar 1 Drampları —— 1 Drama: — nn: ı Exemplar: = 17208 2 029 12 AR Er Zr —— Se R 4 nt, ———— Descendenz seit 17. Juli 1903. Die am 6. Oktober ı903 erfolgte Untersuchung der lebenden Nachkommenschaft ergab: 25 Exemplare von 3—6,3 mm, davon die 2 kleinsten ohne erkennbare Streifen, 22 Exemplare mit Streifen 3, also oo 3 oo und ı Exemplar, das größte 7 2 340. Versuch Xx7(Be Nasn) Beginn des Versuches: ıo. April 1900. Versuchstiere: 7 fünfbänderige Exemplare von H. hortensis mit starker Neigung zur Ver- schmelzung der Bänder. 6 Exemplare zu Beginn des Versuches noch unerwachsen. Alle noch unbefruchtet. Alle 1897 geboren, stammen aus dem Material des Versuches I. Für jedes Versuchstier war die Mutter sicher, der Vater wahrscheinlich ein Individuum mit 5 Bändern. Die 7 Exemplare zeigen folgende Formel: 2 NE Ta 1. 2 ) —— 3) m. — ) I 27,83 5 I 2 8 AS I 23 4 5 Say Te 2a a 2) 4) Ze Oee, 1702277033 4 2 4 5 3: A) nn In eg —- _ a a sen SR —_- Descendenz (21. Aug. 1907). Noch kein Exemplar erwachsen. Die Zucht (zum Teil tot, zum Teil noch lebend) besteht aus No. ı—31. 31 Exemplare von 3—4,3 mm, davon sind 20 Exemplare =0030o0 ıı Exemplare ohne kenntliche Bänderung (z. Teil schmutzig). No. 32. ı Exemplar von ;s mm= 00300 a . ON „ 34- I ” ”„ 6 „» = a © © 2 ©6© ”„ . I „ „ , ” == Tzrar on as 13 I BU EA NS oo RO) 2 36. I ” ” 6) 39, Dee: z . 12 Al N u : ee ee RES „ ” , 9, „ .o 3 I 5 EIN en let ” OS EN Vers ei EN Re , — 469 Ueber Vorversuche zu Untersuchungen über die Varietätenbildung von Helix hortensis MÜLLER und Helix nemoralis L. 469 No. 39. ı Exemplar von mm = go BER 5 re ; 4 3:5 ” 40. I „ ” 12 ” = “.. 2 I 2 TA 0 2 5 4 5 - B2} 41 I ”„ ”„ 12 ” Ta — 2 2 I 2 . . : 3 4 > a NS v5 ” 42 I ” ” 12,5 ” = Su Ce Be 3 307 19225 Inn ae ” 43- I ” ” 14 ” —— I 2 3 ne 4 5 | 1 ”» 44. I „ ” 16 ” —— Io Zug 3 DO Erblichkeit der Fünfbänderigkeit — 100 Proz. Versuch, ROLMBENL 160) Beginn: 29. Juni 1901. Versuchstiere: zz. a) ı Exemplar: 1.23.45 Zu Beginn des Versuches noch nicht erwachsen. Geb. 1897. Mutter sicher, <> "<> Vater sehr wahrscheinlich ein fünfbänderiges Individuum. Stammt aus der Zucht des Versuches No. I. a3: 4 3 Geb. 1898. Zu Beginn des Versuches noch nicht erwachsen, stammt aus der Zucht b) ı Exemplar: ) P ı 23 45 des Versuches No. III. Charakteristik der Eltern dieses Exemplares siehe dort. Dieseendenz.(20r]ul27002) Ist nach kurzer Lebensdauer auf dem frühesten Wachstumsstadium abgestorben. 34 Exemplare von 3,4 mm bis 4,2 mm, davon 28 Exemplare —E0E 0831089 6 = (von den kleineren) = 00000 NersticheX DS NE PrESN. 7>2) Eingerichtet: Frühjahr 1902. Die Eltern: Einige Exemplare von H.hortensis ı 23 45 und ı Exemplar ı 2345. u — u. —- Diese Exemplare, geboren 1898, gehören der beim Versuch III beschriebenen Descendenz an. Die Großeltern sindalso: a) ı 2345 10) re Die Eltern waren zum Teil 1901, zum Teil 1902 erwachsen. Descendenz (19. Juli 1902). Tod: ı3 Exemplare von 3,2—4,2 mm. Die 4 größten Exemplare zeigen das 3. Band, bei den übrigen ist keine Bänderung zu erkennen. Lebend: Die am 6. Oktober 1903 angestellte Untersuchung des Brutbehälters ergab: 38 Exemp- lare von 3,3—7 mm. Nur bei ganz vereinzelten von den allerkleinsten war Band 3 noch nicht zu erkennen. Das größte Exemplar ı 2 3 4 5, das zweitgrößte ı 234 O0, einzelne zeigen die Bänderung o 0 3 4 0, die meisten stehen noch auf dem Stadium 0 0 3 0 ©. Ueber Vorversuche zu Untersuchungen über die Varietätenbildung von Helix hortensis MÜLLER und Helix nemoralis L. 470 470 Versuch XXI ErENgE 7) Beginn: 27. Juni 1901. Zuchttiere: 6 Exemplare, wovon ı Kxemplar ı . 2.3.2.5, v Pxemplarngzus Er ea Ezemplee re ; —— — un mn Sn a Ir Ri: 1 . ı Exemplar ı 2 So Exemplar 22 3 a 23 Frühere Befruchtung von anderen als fünfbänderigen Exemplaren ausgeschlossen. Dieseendenz (O5 Auenls ergem)): Wenige Exemplare ausgeschlüpft, frühzeitig abgestorben. ı5 Exemplare von 3—3,8 mm, davon 6 Exemplare o o 3 o o, 9 Exemplare ohne erkennbare Bänder (zum Teil beschmutzt). g Exemplare von 3,8—5 mm, davon ı Exemplar (das kleinste) = o o 0 0 0, 7 Exemplare =00300 ı Exemplar (das größte) =0034 0. Versuch XRIV EIN 170) Beginn: 29. Juni 1901. Zuchttiere: N SEA r a) ı Exemplar: ——= =, bei Beginn des Versuches noch nicht erwachsen, geb. 1897, die Mutter I, 5 war sicher, der Vater sehr wahrscheinlich ein fünfbändriges Individuum. Das Tier stammt aus der Zucht des Versuches No. ı Diam. 20,6 mm, Apex gelb, Nabel grünlich-gelb, Grundfarbe gelblich-weiß, Bänder braun- schwarzbraun. aa b) ı Exemplar: Br r IE 22 mm, bei Beginn des Versuches noch nicht erwachsen, geb. 1898, stammt aus der Brut des Versuches No. III. Die Eltern dieses Exemplars sind also: a a) Diam. 205 mm und 12345 RE rare ) a = 2 2 > Dim 2ı mm. Pe au) Apex des Versuchsexemplars gelb-orangegelb, Nabel grünlich-gelb, Grundfarbe .gelblich-weiß, Bänder braun-braunschwarz. Descendenz (20. Juli 1902). 99 Exemplare von 3 mm — 3,8 mm, davon ıo Exemplare: o o 3 o o und 89 Exemplare ohne erkenn- bare Bänder. 32 Exemplare von 3,8 mm — 5 mm, davon 3 Exemplare =0o0000 28 En —Z04. 0537050 ı Exemplar =00340 27 tote Exemplare von 5s mm — 6 mm, davon I r =00000 ı2 Exemplare = 00300 II R =00340 InExempları 1022 m8o 2 Exemplare — 12340 g lebende Exemplare von 5s mm — 7 mm, davon 4 3 —E00030050 2 Bzemplar — 050 37470 2 Exemplare = 12340 2 ® = 12345 (die größten) 4 lebende Exemplare von 7 mm — 9 mm 4 5 —TR203 2005 Bänderverschmelzungen kommen bis jetzt nicht vor. 471 Ueber Vorversuche zu Untersuchungen über die Varietätenbildung von Helix hortensis MÜLLER und Helix nemoralis L. 471 Verve DV rrneRo) Beginn des Versuches: ı. April ıgo01. Versuchstiere bei Beginn des Versuches unbefruchtet. Versuchstiere: 2 Exemplare H. hortensis, geb. 1897, von der Zucht des Versuches I. 123..4.5 Apex gelb, Naht weißlich- gelblichweiß, Nabelseite grünlich-gelb, Bänderung Almen = n.:18 mm. 127302: 4 75 schwarzbraun. ma... I Baar. a, 5 Ä ! —— —— — (4 sehr breit), 20,5 mm. Färbung ganz ähnlich wie bei a, W230. 5 Eltern der Zuchttiere: Die Mutter sicher, der Vater wahrscheinlich mit 5 Bändern, Descendenz (3. Juli ıgo1n),. Lauter unerwachsene Exemplare, von denen nur noch 4 (No. 54, 55, 56, 57) leben. No. ı—42. 42 Exemplare von 3—4 mm, davon 28 Exemplare =0 0300, 14 7 ohne erkennbare Streifung. Schälchen zum Teil stark beschmutzt. » 43752. IO „ RAS „ „ 9 3 = 00300, ı Exemplar (schmutzig) ohne erkennbare Streifung. » 53 I „ » On NE ”„ 54 I ” ”„ 6,3 ”„ = ı 2 ”„ 55 I ” ”„ 8 | 2 4 1802 = n.2 >y 56 I „ „ 12,5 2 2a RS u = Se ” I ”„ ” 14 ’ = „ RL) fe A, Es I a R- 19 „ quasi adult = > —- OH Se | De Färbung der Descendenz im allgemeinen wie bei den Eltern. Erblichkeit der Verzierung mit 5 Bändern ı00 Proz. Versen LINANBEARG 70): Beginn des Versuches: ıo0. April 1900. Die Versuchstiere waren zu dieser Zeit noch unerwachsen. Eltern: Beide geboren 1897 im Zuchtbehälter des Versuches I. Sr E35 so mm, Apex gelb, Naht weißlich, Nabelseite grünlichgelb, Bänderung dunkel- Burn sonpler. ı 23 . 4 5 braun bis schwarzbraun. en ı7 mm. Mündung anormal. Apex gelb, Naht weißlich, Nabel grünlichgelb, b) ı » Far, Bänderung schwarzbraun. m Großeltern: Für beide Versuchstiere war die Mutter sicher, der Vater wahrscheinlich ein fünf- bänderiges Individuum. Ueber Vorversuche zu Untersuchungen über die Varietätenbildung von Helix hortensis MÜLLER und Helix nemoralis L. 472 472 Descendenz, ausgeschlüpft August bis September 1901. A. Unerwachsene Exemplare: No. ı— 9. 9 Exemplare von 34—4,2 mm, ale=00300 „ 1020, A x » 4 —55 „ und zwar 8 Exemplare =00300 ı Exemplar (No. 99)=00340 A Br —— —_— I ” ” ıı=123..4.5 — pn ZU2Uh 4 ” „ oe] „ „ „ I „ =12% 4 © I „ u RZ 4 5 re) I 5 = 123 4.5 I 5 RR, ri _- No. 25. ı Exemplar von 6,5; mm = DE >. aan „27. 1 5 u Te BB » 2% 5 8 EIS ES De Ro ”„ 28 I „ „ 9 ”„ = I 2 3 E A —_ ... = ODER Ro „ 2 I ” „ ” = s 9 en Wien, » 30 I ” „ 9,5 ige Fir Saale 2 » 91 I 2) ’ 100) 3 I 2 394 J ———— 123° 0 05 » 32 I ” ) Io »„ = ——— —_-_ 2 SO, a „ 33 I „ „ 12,5 Are 2 3 A 5 ea ae » 34 I ” „ 13, 3,0 5 ; as Sans ee 2 N ee De ROSE 7 Do a A a es B. Erwachsene Exemplare. Ein einziges Individuum, das Ende Juni ıg03 das Ende des Wachs- 00 945 tums erreichte und heute noch lebt: 20.5 mm Alle größeren Exemplare zeigen übereinstimmend die Färbung der Eltern. Beachtenswert ist die Reihe der Wachstumsstadien, die uns einen gewissen Einblick in die Art und Weise gewährt, in welcher hier die vollständige Verschmelzung der Bänder ontogenetisch zu Stande kommt. i Auffallend sind die beiden Exemplare No. 35 und 36, die nicht die geringste Tendenz zur Verschmelzung der Bänder zeigen. Erblichkeit der Verzierung mit 5 Bändern = 100°/,. 473 Ueber Vorversuche zu Untersuchungen über die Varietätenbildung von Helix hortensis MÜLLER und Helix nemoralis L. 473 Mersuiche xy IerN. 78) Beginn: 9. April 1900, die Versuchstiere zu dieser Zeit noch unerwachsen. Eltern: beide geboren 1897 im Zuchtkasten des Versuches I]. Woran - Ra: | Exemplar. — > Apex gelb, Nabelseite grünlich-gelb. Grundfarbe an der Naht weißlich, Bänderung E22 3a schwarzbraun. 123..4..5 Mündung etwas anormal. Färbung infolge vorgeschrittener Verwitterung nicht I „ a. a 5, mehr festzustellen. Großeltern. Für beide Versuchstiere war die Mutter sicher, der Vater wahrscheinlich ein fünf- bänderiges Individuum. Dieseendenz vom 3. Juli roo1r. Die in der Zuchtschachtel zum erstenmal am 3. Juli ausgeschlüpft beobachteten jungen Schneck- lein zeigten schon am 8. August bei einzelnen Exemplaren deutlich das Band 3, am 13. August bei vereinzelten schon weitere Bänder. Unerwachsene Exemplare: 4 Exemplare von 3-4 mm, davon ı Exemp. =0000o0 3 » =00300 Io „ » 4752 » » 7 „ =00300 > EzempEs(No. 8 u. 0) = 0.0340 e (No. 10) =02340 9 = „ 8-—-17,2 mm, wie folgt: AESemmern. 20. 30.2. 4:..5 h Be a es Krüppel. ers mm 12% as .. . RL) 2 yo 12 5 Re h Be ee rer 2 S „ Fre Te Er ER TPRs=2 5 gen. Zn ne ebr2 ;; n. ee DE re); > I ee, Sa) Erwachsene Exemplare: ı) etwas anormal, ı6,5 mm ER ER 2a as > x ” E 2), 21 mal > =r = = = SD —— — er I N za a DA San Im ganzen 3 Exemplare. Alle größeren Exemplare zeigen folgende Färbungsmerkmale: Apex gelb, Grundfarbe an der Naht weißlich, Nabelseite grünlich-gelb, Bänderung dunkelbraun oder schwarzbraun. Auffallend ist, ähnlich wie im Versuch XXVI das erwachsene Exemplar ı, und das unerwachsene Exemplar g, die beide keine Verschmelzung der Bänder zeigen. Es handelt sich vielleicht um einen Rückschlag in den Zustand eines Großelters. Erblichkeit der Fünfbänderigkeit 100 Proz. Kurzer Rückblick auf die Reihe von Versuchen über die Vererbung bei fünfbänderigen Exemplaren von H. hortensis. ı) Es hat sich herausgestellt, daß sich die Fünfbänderigkeit in sehr hohem Maße vererbt. Wenn wir nur die Versuche berücksichtigen (Versuch XII—XXVII), bei denen zur Zucht ausschließlich solche fünfbänderige Exemplare verwendet wurden, die zu Beginn des Versuches sicher noch nicht befruchtet waren, so ergibt sich nach Ausschaltung eines einzigen mehr als zweifelhaften Falles (Versuch XII), daß Jenaische Denkschriften. XI. 60 Festschrift Ernst Haeckel. 474 Ueber Vorversuche zu Untersuchungen über die Varietätenbildung von Helix hortensis MÜLLER und Helix nemoralis L. 474 alle Nachkommen, zusammen ı43 Exemplare, von über 7 mm Größe mehrbänderig sınd. Von diesen ı43 Exemplaren sind 142 Exemplare fünfbänderig und nur ı Exemplar (Versuch XV) vierbänderig von der Formel 12045. Dies ist der einzige Fall bei meinen zahlreichen an H. hortensis und H. nemoralis, über- haupt an Schnecken, angestellten Vererbungsversuchen, wo unvermittelt eine neue, von der elterlichen scharf abweichende, Form aufgetreten ist. Er charakterisiert sich im vorliegenden Fall durch das Fehlen desjenigen Bandes, das sonst am frühesten auftritt und sonst das konstanteste ist, des Bandes 3. Exemplare von der Formel ı 204 5 kommen auch in der freien Natur, allerdings sehr selten, vor. Das betreffende Exemplar lebt und wird von mir auf die Beständigkeit seiner besonderen Merkmale experimentell geprüft werden. 2) Die Untersuchungen haben ergeben, daß nicht nur, bei Reinzucht, die Fünfbänderigkeit voll kommen erblich ist, sondern daß auch die spezielle Form der Fünfbänderigkeit, die mehr oder weniger weitgehende Verschmelzung einzelner, mehrerer oder aller Bänder in hohem Maße erblich ist. Doch traten zuweilen unter den Nachkommen von Eltern mit sehr weitgehender Bänderverschmelzung zwei scharf gesonderte Individuengruppen hervor, solche mit sehr weitgehender Bänderverschmelzung und solche mit ganz scharf gesonderten, unverschmolzenen Bändern. Die Vermutung liegt nahe, daß die Eltern im Sinne MEnDELS die rezessive Form einer Hybridgeneration zwischem Exemplaren mit ver- schmolzenen und solchen mit gesonderten Bändern darstellen. 3) Der Versuch I ergab, daß, wenn überhaupt unter den Descendenten einer fünfbänderigen Mutter andere als fünfbänderige Formen auftraten (und es traten nur ganz vereinzelte auf), diese Formen sämtlich bänderlose waren. Es ist bei diesem Versuch nicht ganz sicher, daß auch die Väter fünfbänderig waren. Waren sie dies nicht, so waren sie sicher bänderlos, denn an den betreffenden Fundstellen in der freien Natur finden sich nur die beiden Formengruppen, allerdings gemischt durch- einander, nämlich ı) fünfbänderige Formen mit getrennten Bändern oder verschiedenen Verschmelzungen von Bändern und 2) gänzlich bänderlose. Ein-, zwei-, drei- oder vierbänderige Formen kommen an diesen Fundorten nicht oder jedenfalls nur als größte Seltenheiten vor. 4) Die besondere Färbung der Schale (Farbe des Apex, der Nabelseite, übrige Grundfarbe) ist in hohem Maße erblich. 2 5) Das ansehnliche Material erlaubt mit großer Sicherheit die Reihenfolge im Auftreten der Bänder bei den fünfbänderigen Formen zu bestimmen. In erster Linie konnte sichergestellt werden, daß alle 5 Bänder bei einem Schalendurchmesser von 7 mm ausgebildet sind. Das 3. Band ist oft schon bei frisch ausgeschlüpften Jungen angedeutet. Dieses 3. Band eilt allen anderen voraus. Ich habe im ganzen ca. 960 Schälchen von 3—4 mm Durchmesser, Descendenten fünfbänderiger Formen angehörend, untersucht und bei 615 Exemplaren schon eine Bänderung erkannt. Bei allen diesen 615 Exemplaren war aber erst das 3. Band ausgebildet. Kein einziges Exemplar weicht auf diesem Stadium von der Formel 00300 ab. Bei einer Größe von 4—5 mm bilden die ungebänderten Exemplare schon fast eine Aus- nahme. Ich habe 405 gebänderte Exemplare (immer Descendenten fünfbänderiger Eltern) untersucht und fand folgende Zahlen. Es finden sich darunter 355 Exemplare von der Formel o © 3 © © 30 FA an r 00340 7 ”„ ” ’ ” 2945 6 er 5 an e 2% 4 © 4 „ 230 Mufer ” 0222730480 I n % Br er ©3460 I > ee : & 23.45 I = BD „ 150737429 475 Ueber Vorversuche zu Untersuchungen über die Varietätenbildung von Helix hortensis MÜLLER und Helix nemoralis L. 475 Gebänderte Exemplare (Descendenten fünfbänderiger Eltern) von einer Größe von 5—7 mm stehen mir in der Zahl von 276 zur Verfügung. Es finden sich darunter 101 Exemplare von der Formel oo 3 00 89 » ae » 12345 41 5 a, n @OAAo 29 „ u, " “2940 14 n ee 2 10273 AO I 5 Rz, » ©2300 I 9 Wer oo a Unter 681 gebänderten Exemplaren von 4—7 mm findet sich also das Band 3 bei allen 681 Exemplaren „ 4» 2) 224 ”_ » 2, 5 I51I es cn I es 133 = DO 99 „ Aus dieser Statistik geht hervor, daß auf Band 3 in einem ansehnlichen Abstande zuerst das Band 4a folgt, darauf folgen ungefähr gleichzeitig auftretend Band 2 Boden (dasserstere haft einen kleinen Vorsprung), Zuletzt tritt das Band > auf. Ueber die Reihenfolge des Auftretens der Bänder habe ich in der Literatur folgende An- gaben gefunden. STROBELL macht (1847) folgende Mitteilungen: „Negli individui del’ Helix nemoralis appena usciti dal? uovo non si scopre traccia di fascie. Solo dopo il secondo o terzo anfratto sviluppasi per prima la fascıa media...“ „Ma diversa legge sembra regolare la comparsa e la non comparsa- delle altre quattro fascıe. Subito dopo la 3a svıluppasi la ya indi la 5a; la 1a e la 2a in alcuni individui si presentano simultaneamente, in altri mostrasi prima la 2a, ma nella maggior parte questa & !’ultima a presentarsi essendo preceduta dalla ra. Ciö venne osservato in alcune centinaja dindividui raccolti in . Su > 5 3 contrade disparatissime, e potrebbe esprimersi colla formola ( — 4. ;): DE Arnpr berichtet 1875 über das erste Auftreten von Bändern bei gebänderten Jungen unge- bänderter, rotbrauner Exemplare von Helix nemoralis (unter 56 Jungen fanden sich 23 gebänderte Exemplare). Die erste Spur der Bänderung tritt schon gegen das Ende der zweiten Windung auf. Von den 23 gebänderten Jungen (die im Juli ausgeschlüpft waren), konstatierte ArRnpT im September, daß bei allen das Band 3 ausgebildet war, bei 9 Exemplaren neben Band 3 noch Band 4, bei 6 Exemplaren neben Band 3 und 4 noch Band 2, bei 2 Exemplaren neben den Bändern 2, 3 und 4 noch Band >. | Bei einer anderen Brut von ebenfalls ungebänderten rotbraunen Eltern konstatierte ARNDT (1878) im Oktober des Geburtsjahres der Brut unter 14 gebänderten Exemplaren 4 Exemplare mit der Formel 00300, 3 Exemplare 00340, ı Exemplar 02340, ı Exemplar 0034 5, 5 Exemplar ı 2345. Ueber die Reihenfolge des Auftretens der Bänder bei Helix hortensis finde ich nur bei SEIBERT (1876) Angaben. Bei den sämtlichen Jungen fünfbänderiger Exemplare tritt zuerst das dritte Band auf. Für die übrigen herrschte keine Uebereinstimmung. SEIBERT konnte 4 verschiedene Fälle konstatieren, nämlich a) zuerst 3, dann ı und 2, dann 4 und zuletzt 5; b) zuerst 3, dann 4, ı, 2 und 5; c) zuerst 3, dann fast gleichzeitig 1, 2 und 4, 5; d) zuerst 3, dann gleichzeitig ı und 4, später > und zuletzt >. 60 * 476 Ueber Vorversuche zu Untersuchungen über die Varietätenbildung von Helix hortensis MÜLLER und Helix nemoralis L. 476 SEIBERT hat auch die Reihenfolge des Auftretens der Bänder bei Jungen von Exemplaren von H. nemoralis studiert, deren Schalen die Bänderung o o 3 4 5 aufwiesen. Auch hier trat zuerst Band 3 auf, sodann aber 5 und zuletzt 4, nur bei einem Exemplar 4 etwas vor 5. Zu diesen Beobachtungen ist zu bemerken, daß sie mit Ausnahme derjenigen von SEIBERT, die im ganzen zutreffende Resultate geliefert haben, recht gedankenlos angestellt worden sind. Denn es ist klar, daß wenn man die Reihenfolge des Auftretens der fünf Bänder feststellen will, man solche junge Schnecken untersuchen muß, die wirklich auch fünfbändrig werden und nicht auch solche, bei denen überhaupt nur ein Teil der Bänder zur Ausbildung gelangt. B. Vererbungsversuche mit ungebänderten Exemplaren von Helix hortensis. I. Versuche, bei denen es sicher ist, daß die Mutter der erzielten Brut eine ungebänderte H. hortensis ist, bei denen dies aber für den Vater nicht ganz sicher ist. Vorbemerkung. Es ist oft recht schwer, bei den unerwachsenen lebenden Tieren sicher festzustellen, ob eine Bänderung am Gehäuse fehlt oder andeutungsweise vorhanden ist. Die beim Wachstum neu gebildeten Schalenpartien bleiben bis zum Winter des Jahres, in welchem sie gebildet worden sind, zart und durch- sichtig, so daß der Mantel, d. h. die Decke der Lungenhöhle, durch die Schale hindurch ganz deutlich wahrgenommen werden kann. Man sieht deutlich das Herz, die Niere, die Lungengefäße und ihre Ver- zweigungen und die Pigmentirung des Mantels. Diese Pigmentierung ist sehr variabel und besteht aus braunen Pigmentflecken im Mantel, die bei denjenigen jungen Exemplaren, die sich zu gelben und ungebänderten Formen entwickeln, am spärlichsten, in Wirklichkeit sehr spärlich sind. Gelegentlich täuscht eine streifenförmige Anordnung des Pigmentes, die bisweilen dem Verlaufe der Hauptlungenvenen folgt, eine Bänderung vor, die sich aber nur auf den Mantel beschränkt. Versuch XoXVZIRE Beginn: 27. Februar 1897. Eine Anzahl ungebänderte Exemplare von Helix hortensis wurden in einem Gefäß isoliert. Die Tiere waren alle im August und September 1896 in Oftringen (Kanton Aargan) und in Zürich (Rigiquartier) gesammelt worden und fanden sich zu Beginn des Ver- suches zugedeckelt im Winterschlaf. Im Mai 1897 wurden einige ungebänderte Exemplare aus dem Kanton Tessin hinzugefügt und zwar wache Exemplare. Die Versuchstiere waren meistens gelb, doch ı Exemplar rot und eines rötlich. Weitere Notizen besitze ich leider nicht, die Versuchstiere habe ich leider nicht konserviert. Doch waren nach meiner Erinnerung die Tiere alle erwachsen. Descendenz 1897. Vom 21. Juni 1897 — 21. August 1897 fand ich in dem Versuchsbehälter im ‘ganzen mehrere 100 Junge ausgeschlüpft. Eine Anzahl abgestorbene und eine Anzahl in Alkohol konservierte Exem- plare habe ich aufbewahrt. Eine größere Anzahl Individuen dieser Brut jedoch isolierte ich in einem besonderen Brutbehälter und unterzog am 21. Juli 1898 diejenigen von ihnen einer ersten sorg- fältigen Untersuchung, welche über 5 mm Durchmesser besaßen, also nur diejenigen, die mindestens schon so groß waren, daß das Band 3 aller Wahrscheinlichkeit nach schon aufgetreten gewesen wäre, falls sich bei ihnen überhaupt der gebänderte Zustand ausbilden sollte. 477 Ueber Vorversuche zu Untersuchungen über die Varietätenbildung von Helix hortensis MÜLLER und Helix nemoralis L. 477 Es waren im ganzen 71 Exemplare (3 tot). Von diesen 7ı Exemplaren waren 54 Exemplare (2 tot) ungebändert — 76 Proz,, ı7 Exemplare mit (zum Teil noch sehr blassen) Bändern — 24 Von den ı7 gebänderten Exemplaren zeigten 3 Exemplare (noch klein) die Formel [6) Oro I » "> > I I I oo 40 45 I ” 12 " Du vw © oo oo Von den ı2 fünfbänderigen Exemplaren zeigten 5 ziemlich blasse Bänder; bei den übrigen waren die Bänder dunkel und deutlich, bei einem Exemplar waren die Bänder ı, 2 und 3 verschmolzen, also Formel: ı 2345, Das aufbewahrte Material der Brut 1897 ergibt bei der jetzigen Untersuchung folgenden Befund. 132 im Laufe des Sommers 1897 konservierte Exemplare von 3—4,2 mm, davon ı30 Exem- plare ohne erkennbare Bänderung, 2 Exemplare von der Formeloo3o0 o. 70 Exemplare von über 5s mm Durchmesser. a) Unerwachsene von 5—ı7 mm 4o Exemplare, davon 35 ungebändert = o o 0 0 0 (31 gelblich, 4 rötlich) und ; Exemplare fünfbänderig, alle ı 2 3 4 5 also mit getrennten Bändern bei 4 Exemplaren die Bänder ziemlich blaß, Grundfarbe bei 2 Exemplaren leicht rötlich, bei den 3 anderen gelblich-weiß. b) Erwachsene Exemplare 30. davon 23 Exemplare ungebändert = o o o 0 o (22 gelblich und ı rötlich), r j} f fünfbänderig, nämlich 4 Exemplare ı 2 3 4 5 (mit getrennten Bändern), : » a I R 1230445 (Apex rotbraun, Nabel gelblich-grün und rötlich, Naht weißlich. Eine ganz schmale helle Linie I Ba. ; x NE zwischen ı 2 3 einerseits und 4 5 andererseits, 12273 A, Re PETE u : ee Bänderung schwarz). Bei 3 Exemplaren sind die Bänder, besonders auf den älteren Windungen, ziemlich blaß. Von den 70 Exemplaren über 5 mm (nur vereinzelte sind ganz klein) sind also 58 Exemplare ungebändert und ı2 Exemplare fünfbänderig, darunter ein Exemplar mit vollständigem Zusammen- fließen der Bänder. Es kommt also keine andere als die fünfbänderige Bändervarietät vor. In Prozenten ausgedrückt besteht die zur Untersuchung gelangte Nachkommenschaft aus ca. 83 Proz. ungebänderten und ı7 Proz. fünfbänderigen Exemplaren. Bei der Beurteilung der Ergebnisse dieses Versuches muß man sich daran erinnern, daß bezüglich der Elterschaft dieser Brut nur die Tatsache feststeht, daß ihre Mütter ungebänderte H. hortensis sind. Bezüglich der Vaterschaft ist es zwar wahrscheinlich, aber nicht sicher, daß es ungebänderte Individuen sind, denn die Versuchstiere konnten schon vor ihrer Isolierung, schon im Jahre 1896 und sogar schon vorher von anderen Individuen, vielleicht von gebänderten, befruchtet worden sein. s Daß die Bänderlosigkeit erblich ist, geht immerhin schon aus diesem Versuche hervor. Von großer Bedeutung ist die Tatsache, daß diejenigen Descendenten, die gebändert sind, samt und sonders fünfbänderig sind. Man vergleiche hierzu die Bemerkungen unter 3), S. 474. 47 8 Ueber Vorversuche zu Untersuchungen über die Varietätenbildung von Helix hortensis MÜLLER und Helix nemoralis. L. 47 Beachtenswert ist auch, daß unter den fünfbänderigen Descendenten die Neigung zur Ver- schmelzung der Bänder gering ist, ferner, daß die Bänder vielfach, wenn auch sehr deutlich markiert, doch ziemlich blaß sind, besonders auf den älteren Windungen. | Auffällig ist allerdings unter den Descendenten das ganz schwarze Exemplar, bei dem alle 5 Bänder verschmolzen sind. Versuch XXIX Er.N. 3) Binrichtune des Versuches: 1.)Mar21807 Versuchstier: ı Exemplar Helix hortensis, ungebändert, adult, grünlich-gelb. Das Tier wurde zum Zwecke eines Hybridationsversuches mit einer H. nemoralis isoliert. Es stellte sich sodann aber heraus, daß die H. hortensis schon, von einer Kopula, die vor 1897 statt- gefunden hatte, befruchtet war. Descendenz 1897. Von dieser Brut sind nur 4 Exemplare bis zum erwachsenen Zustande gezogen worden, alle 4 sind echte H. hortensis, grünlich-gelb und ungebändert. Das übrige Material habe ich versäumt zu konservieren. Versuch XRRTEBE NA) Beginn des Versuches: Winter 1897/1898. Versuchstier: Dasselbe wie im vorhergehenden Versuche, also eine H. hortensis, © 000 0, grünlich-gelb. Descendenz 1898. Von dieser Descendenz erreichten 18 Exemplare eine Größe von über ı2 mm. Die übrigen starben vorher und sind von mir leider nicht konserviert worden. Von den ı8 Exemplaren (lebend oder konserviert) sind 2 Exemplare ı2 mm groß, davon ı gelboooo0o0 I, 102% 45 (Bänder braun) 16 5 erwachsen, davon ı5 Exemplare = o o o o o (9 Exemplare gelblich oder grünlich-gelb, 5 A rötlich-braun bis ziegelrot). Von diesen ı5 Exemplaren zeigen zwei eine ganz schwache Andeutung einer Bänderung. ı Exemplar von gelblicher Grundfarbe zeigt deutliche schwarzbraune Bänder von der Formel I ae A ee Versuch XIII EIN. Beginn: Frühjahr 1901. Versuchstiere: Einige Exemplare geb. 1898, von der Brut des Versuches No. XXX. Wahr- scheinlich alle grünlich-gelb und ungebändert. Die Mutter dieser Versuchstiere war eine H. hortensis 0 0 0 o o grünlich-gelb, der Vater unbekannt. Dieseenden 27175. Auessmolene ı3 Exemplare, frühzeitig abgestorben, von 3,2—4 mm (Exemplare von 3 mm habe ich nicht aufgehoben) lassen keine Bänderung erkennen. 479 Ueber Vorversuche zu Untersuchungen über die Varietätenbildung von Helix hortensis MÜLLER und Helix nemoralis L. 419 23 Exemplare leben noch (23. Aug. 1903) in allen Größen von 4,5—ı5 mm, kein Exemplar ist erwachsen, alle sind hell grünlich-gelb,oooo0 o. Versuch XXXII Pr. N. 7) Beginn: März 1898. Versuchstier: Eine erwachsene H. hortensis, weiß-gelb, o o o o o, von Zürich, wurde zum Zwecke eines Hybridationsversuches mit einer H. nemoralis isoliert. Von der H. nemoralis erhielt ich keine Nachkommenschaft. Die Helix hortensis erwies sich als von früher her, von einem unbekannten Exemplar der eigenen Art, befruchtet. Descendenz 1898. Diese ist früh ausgestorben und ich habe versäumt, das Material zu konservieren. 3 Exemplare lebten bis Ende 1901 und gingen während des Winters 1901/1902 zu Grunde, davon sind 2 Exemplare unerwachsen (g und ıı mm) gelblich oo 000 ı Exemplar erwachsen, gelblich (eher hellgelb) oo oo 0. Mezsuch XIX BIN: 35) Beginn: 17. März 1898. Versuchstier: ı Exemplar H. hortensis, grünlich-gelb, o o 0 o 0, adult von Zürich wurde mit einer H. sylvatica aus dem Aargauer Jura isoliert, zum Zwecke der Hybridation. Es hat sich aber herausgestellt, daß die H. hortensis schon — von früher her — befruchtet war. Descendenz 1898. Hat den Charakter von H. hortensıs. Die frühgestorbenen Exemplare habe ich nicht konserviert. Das erhaltene (zum Teil tote, zum Teil lebende) Material besteht aus 18 Exemplaren, davon sind ı4 Exemplare unerwachsen von 61/, mm an, alle gelb, hellgelb oder grünlich-gelb, alle oo ooo 4 n adult, alle a gelb, alle oo 000. Es leben noch 2, deren Lippe nicht rein weiß ist, sondern einen gelblich-bräunlichen Anflug hat. Mersuch ZIRNIVTEeEN 35) Beginn: Frühjahr 1899. Fortsetzung des vorhergehenden Versuches. Descendenz 1899. Sie hat den Charakter von H. hortensis. Die Kultur wurde am 14. April 1902 aufgegeben. Damals fanden sich noch lebend 10 Exemplare von 6,5 —ı5 mm Durchmesser. Die aufbewahrten Schalen sind gelb-grünlich-gelb, alle oo 00 0. Mersch RRIININVEBENE 293) Beginn: 26. April 1900. Versuchstiere: 4 Exemplare, im Herbst 1899 auf der Frohburg bei Olten (Solothurner Jura) gesammelt, Waldform, ungebändert, rot oder rotbraun. Bei Beginn des Versuches 2 Exemplare erwachsen, 2 noch unerwachsen. Ueber Vorversuche zu Untersuchungen über die Varietätenbildung von Helix hortensis MÜLLER und Helix nemoralis L. 480 480 Biesieemaenmz 2 1, ll 1900. Ich besitze nur das spärliche Material, das sich bis zum Frühjahr 1901 erhielt. Es besteht aus 7 toten Exemplaren von 3'/,—4'/, mm, alle 7 sind deutlich bräunlich-rötlich und alle bänderlos (0 0 0.0 o), und einem einzigen, heute (26. Aug. 1903) noch lebenden Exemplar. Dieses ist fleischrot, 13 mm, mit ganz schwacher Andeutung einer Bänderung. Verse LION, 1 34). Beginn: 3. April 1901. Versuchstiere: Die nämlichen wie im vorhergehenden Versuch. Deseendenzeıa anlagen. Diese Zucht ist schon im Jahre 1901 gestorben. Ich habe 23 tote Schälchen von 3—4 mm gesammelt, sie sind alle leicht, aber deutlich bräunlich, eine Bänderung ist nirgends erkennbar. Mersuch IR NE zen Beginn: ı5. April 1901. Versuchstier: Das einzige noch lebende Exemplar der Versuchstiere des Versuches XXVII, seit Herbst 1896 ausschließlich in Gesellschaft von ungebänderten Exemplaren, selbst ungebändert, grünlich-gelb, jetzt etwas verwittert. Eebt jetzt noch (Herbst 1903) undrhartenelchwrogeogsszereinvzelgen hunger Descendenz 16. August 1901. Nur wenige Junge. Bestand an Lebenden und Toten: 8 Exemplare von 3—4,5 mm, blaßgelb, alleo oo0o0 o. ı Exemplar von 7,5 mm, grünlich-gelb, oooo0 0. 2 Exemplare, unerwachsen (16 mm u. ı9 mm) grünlichgelb und zitronengelb, beide oo 00.0. 3 „ erwachsen, grünlich-gelb, o o o o o, doch das eine Exemplar mit einer unsicheren An- deutung von Bändern. Vor der Mündung zeigt die Schale bei diesem Exemplar einen bräunlichen Anflug. Versuch XXRVIIEERSNTToB): Beginn: 29. Juli 1901. Versuchstiere: 2 erwachsene Exemplare von H. hortensis mit bräunlich-rotem, ungebänderten oder undeutlich gebänderten Gehäuse, geb. 1898, von der Zucht des Versuches XXX. Ihre Mutter ist eine grünlich-gelbe ungebänderte H. hortensis; der Vater unbekannt. Es ist nicht ausgeschlossen, daß die Versuchstiere vorher schon mit ungebänderten gelben oder mit fünfbänderigen Exemplaren kopuliert hatten. Immerhin hatten sie im Jahre 1901 keine Nachkommen- schaft. Das eine Exemplar zeigt schwache Andeutungen einer Bänderung, besonders von Bande: Diesteenden7 207] 71121902 Inventar vom 24. August 1903: 38 tote Exemplare von 3 bis 4,5 mm, davon 34 Exemplare o o o o o, bräunlich oder rötlich-braun 4 5 040531050 5 lebende „ „ a mm, alle fünf ® 0 0000, etwas bräunlich. 481 Ueber Vorversuche zu Untersuchungen über die Varietätenbildung von Helix hortensis MÜLLER und Helix nemoralis L. 481 HU. Versuche, bei denen beide Eltern der erzielten Brut ungebänderte Exemplare von Helix hortensis sind. Mersuceh XI REN EBEN, 3) Beginn: Seit Winter 1899/1900. Versuchstiere: Die 4 Exemplare der Brut des Versuches No. XXIX, geb. 1897, seit ihrer Jugend isoliert, ein Exemplar erreichte im Herbst 1899, zwei im Jahre 1900, das vierte erst im Mai 1901 den erwachsenen Zustand. Alle 4 Versuchstiere bänderlos, grünlich-gelb. Ihre Mutter ist das Versuchstier des Versuches No. XXIX, also eine ungebänderte, grünlich-gelbe Helix hortensis, ihr Vater ist unbekannt. Dieseendenz 25. juli ugon) 27 Exempl. von 3,5—5 mm Durchmessser, davon lassen 22 Exempl. keine Bänderung erkennen = 00000) 5 . zeigen die Formel o o 3 0 © 16 a 3 A, R „ sind ı3 5 00000, gelblich oder grünlich-gelb 3 35 12345 mit schwarz-braunen, ge- trennten Bändern I & adult, oo 0.0 o, grünlich-gelb. Nersuch XE PrN.Ae) Beginn: ı4. November 1899. Versuchstiere: 3 unerwachsene, aber vorgerückte Exemplare von Tachea wurden isoliert; sie haben Ende Mai 1900 den erwachsenen Zustand erreicht und sich als zu der Art hortensis gehörend erwiesen. Alle 3 grünlichgelb,o 000.0. | Deseendenzır. Auoust 1900. Von dieser Brut haben sich nur 2 Exemplare gut entwickelt. Die jung gestorbenen habe ich versäumt aufzubewahren. Von den beiden Exemplaren ereichte das eine im Juni 1903 den erwachsenen Zustand, es ist grünlichgelb,0o 000 0. Das andere ist noch nicht erwachsen, 17 mm, grünlichgelb,o 000.0. Nersmen 2 SE I, Br2N 21770) Beginn: 6. April 1901. Versuchstiere: Dieselben wie im Versuch No. XL. Es ist dieser Versuch nur eine Fort- setzung des letzteren. Deseendenz +. Jul ngor. Sie besteht aus: 46 toten Exempl. von 3 —4 mm, wovon 45 Exempl. 00000, d. h. ohne erkennbare Binden ı Exempl. (No. 44) = 00300 No, a; „ 4 —9 mm, alle 00000 ı6 lebende „ Br oe alle 00000. Die Schalen sind blaßgelb, hellgelb oder grünlich-gelb. Versuch X PFIl Er N voo) Beginn des Versuches: 24. April 1900, zum Teil 15. Juli 1901. Versuchstiere: Einzelne (4) bänderlose Exemplare von H. hortensis, geboren 1897 aus der Zucht des Versuches No. I. Die Exemplare waren im Momente ihrer Isolierung noch unerwachsen. Die Schalen sind etwas anormal gebildet. Jenaische Denkschriften. XI. 61 Festschrift Ernst Haeckel 48 2 Ueber Vorversuche zu Untersuchungen über die Varietätenbildung von Helix hortensis MÜLLER und Helix nemoralis L. 4 82 Jedes dieses Versuchstiere hatte eine fünfbänderige Helix hortensis zur Mutter und, wie ich durchaus berechtigt bin zu vermuten (vergl. Versuche XLIX—-LXVI), eine ungebänderte Helix hortensis zum Vater (sind nämlich beide Eltern fünfbänderig, so ist die ganze Nachkommenschaft ausnahmslos auch fünfbänderig). Ende Sommer 1900 waren erst 2 Versuchstiere erwachsen. Ein Gelege vom Jahre 1901 ging im nämlichen Jahre zu Grunde. Ich besitze davon keine Konservate. Diesgendenz 10022 Pr. Suemen); Diese Brut ist im Herbst 1902 und während des Winters 1902/1903 fast ganz ausgestorben. Am 26. April 1903 lebten nur noch 5 Exemplare; gegenwärtig nur noch ein Exemplar. Das Material besteht aus 4ı Exemplaren von 3—5,; mm Durchmesser, die ich mich in einer Glasröhre in zunehmender Größe in einer Reihe anzuordnen bemühte. Von diesen 4ı Exemplaren sind 3ı ohne erkennbare Bänderung, ıo Exemplare zeigten die Formel oo 3 00 (nämlich No. 2, 3, 7, 125050, 37,0920 31035388): ı Exemplar, No. 42, von 7 mm Durchmesser lebt noch und zeigt die Formel ı.2.3..4.. 5, Bänder bräunlich, deutlich, etwas blaß. So unvollständig dieser Versuch ist, so ist er doch von großer Bedeutung mit Bezug auf das MenpeLsche Gesetz. Versuch IE NIE Erangsp): Beginn des Versuches: ıo. April 1900. Versuchstiere: 2 erwachsene Exemplare von H. hortensis, grünlich-gelb, o o o o 0, geboren 1897, von der Brut des Versuches No. XXVIH. Eine frühere Befruchtung von anderer Seite ist aus- geschlossen. Die Mutter dieser Versuchstiere war sicher eine ungebänderte Helix hortensis; der Vater wahr- scheinlich auch, doch ist das nicht sicher. Deseeneenz 1 AUeuUsE 190 Diese Zucht gedieh sehr gut. Die auf ganz frühen Stadien gestorbenen Exemplare habe ich nicht aufbewahrt. Das übrige, zum großen Teil noch lebende Material besteht aus 35 Exemplaren. Davon sind 25 noch unerwachsen von 7—18 mm, alle oo 006, Io erwachsen, aleo 000 0. Nur bei einem erwachsenen Exemplar zeigt sich eine ganz schwache Andeutung von Bändern. Die Bezeichnungen der Färbung lauten: „grünlich-gelb“, „grünlich-gelb‘ (29 Exemplare) oder „gelb“ (5 Exemplare) oder hellgelb (1 Exemplar). Mersuch XIIV er N58) Bemarelneeimes nr, Aypall non. Versuchstiere: Dieselben beiden Exemplare o 0 o o o, grünlich-gelb, wie in Versuch XLII. Dieseenden7 182 ılarson An Lebenden und Toten 40 Exemplare von 3 —5,;5 mm, blaugelb, alle oo 000 8 n » 55-65 „ hellgelb, ale oo 000 9 lebende Exemplare (28. Aug. 1903), alle hellgelb, von 6-15 mm, alle o0000 (nur bei einem Exemplare eine unsichere Andeutung von Bd. ı, 2, 3 ?). 48 3 Ueber Vorversuche zu Untersuchungen über die Varietätenbildung von Helix hortensis MÜLLER und Helix nemoralis L. 4 g 3 Mersuch XLV re NE nS7). Beginn: ı1ı. April 1901. Versuchstiere: 6 ungebänderte Exemplare von H. hortensis, geboren 1897, strohgelb, zum Teil erwachsen, zum Teil unerwachsen von der Zucht XXVII. Eine frühere Befruchtung von anderer Seite ist ausgeschlossen. Alle diese Exemplare hatten sicher eine ungebänderte Form zur Mutter, ob auch zum Vater, ist nicht ganz sicher. Diescendenz1. Tal) 907. Bestand an Lebenden und Toten. 35 Exemplare von 2,5>—3,6 mm, davon 32 Exemplare ohne erkennbare Bänderung, 3 Exemplare mit einer unsicheren, schwachen Andeutung von Band 3. 35 Exemplare von 3,5;—4 mm, davon 3ı Exemplare ohne erkennbare Bänderung, 4 Exemplare mit der Formel o 0 3 o o, bei einem Exemplar findet sich eine nur unsichere Andeutung von Band 3. 40 Exemplare von 4—8 mm, alleoooo0o 2 Exemplare von ı1,5—ı6 mm, beide o0o00 0. ı Exemplar, erwachsen, 00000. Alle Exemplare sind gelb oder grünlich-gelb. Versuchs E VI (Braneaze) Beginn: 17. November 1899. Versuchstiere: mehrere Exemplare von Helix hortensis 0 0 o 0 o, geb. 1897, von der Zucht des Versuches No. XXVIII isoliert, davon ein einziges erwachsen. Im Laufe des Jahres 1900 beendigten mehrere ihr Wachstum. Alle diese Versuchsexemplare hatten zur Mutter eine wahrscheinlich gelb ge- färbte H. hortensis o 0 o o 0, ob auch zum Vater, ist nicht ganz sicher. Desecendenz 7900 (1. Septemben). Die auf Stadien von der Größe von 3—3,8 mm abgestorbenen Exemplare sind von mir nicht aufbewahrt worden. Die blühende Zucht wurde durch in die Versuchsschachtel eingedrungene Nacktschnecken 1902 vernichtet. Es lebt nur ein im März 1902 abgesondertes Exemplar. Bestand: 3ı unerwachsene Exemplare von 3,8 mm davon 29 Exemplare 0 0000 2 N ı 2 3 4 5, mit gesonderten, braunen, blassen, aber deutlichen Streifen. Alle Schälchen blaß- oder hellgelb. ı Exemplar (lebt noch) ad. ı 2 3 4 5 mit gesonderten, blassen, aber deutlichen Streifen, die erst vor der Mündung schwarzbraun werden. Apex gelb. Grundfarbe gelblich-grün. Merstch X EVIE Bring) Beginn: Frühjahr 1901. Versuchstiere: Fortsetzung des Versuches No. XXVIII. Mehrere Exemplare Helix hortensis, gelb, oo 0 o o, geb. 1897, von der Brut des Versuches XXVIH. Die Mütter dieser Exemplare sind 0 0000, ob auch der oder die Väter, ist nicht sicher. 6le 4 3 A Ueber Vorversuche zu Untersuchungen über die Varietätenbildung von Helix hortensis MÜLLER und Helix nemoralis L. 4 8 A Descendenz 14. Juni 1901. 89 Exemplare (tot) von 2,5—7 mm, alle blaßgelblich, alleo o oo o. 52 Exemplare, fast alle lebend (oder lebend konserviert), von 4,5—ı8 mm, kein Exemplar erwachsen, alle gelblich oder grünlich-gelb, alle o 000 o. 4 Exemplare über 4,5 mm in verschiedenen Größen, mit bloßen Andeutungen von Bändern. ı Exemplar über 4,5; mm mit deutlichen, aber ganz blassen, getrennten Bändern, ı 2345. ı Exemplar adult, gelblich, oo 00 o. Versuch IEVaIIE ERENgN 02) Beginn: 29. Juli 1901. Versuchstiere: 2 unerwachsene Exemplare mit rotem ungebänderten Gehäuse, geb. 1898, von der Zucht des Versuches XXX. Die Mutter eine gelbe, ungebänderte H. hortensis; der Vater unbe- kannt. Beide Versuchstiere erreichten erst im September 1901 den erwachsenen Zustand. Diese ndenznoo2u eo): Fast die ganze Zucht schon im Herbst 1902 und Winter 1902/1903 ausgestorben. Im April lebten nur noch 4, die seitdem auch gestorben sind. 2ı gesammelte Schälchen von 3',;—5 mm (noch kleinere blieben unberücksichtigt) sind, zum Teil recht deutlich, rotbräunlich, alle o o oo 0. Rückblick auf die Versuche mit ungebänderten Formen. Aus den Versuchen XXVIH bis XLVII geht hervor: ı) Das Kehlen der Banderume, sr bei Riahortens is ms ehnahohenu ee erblich. In einzelnen Fällen trat die Vererbung hei 100 Proz. der Nachkommenschaft ein (Versuch XXXI, XXXIL, XXXVI, XL XLIV, XLVIN). Beim Versuch XLI zeigten von 78 Nachkommen 77 den ungebänderten Zustand. Bei den übrigen Versuchen ist der Prozentsatz der gebänderten Nachkommen sehr gering und erreicht meist nıcht 20 Proz. Eine Ausnahme macht der wichtige Versuch XLI. 2) Obschon die Erblichkeit des ungebänderten Zustandes eine sehr große ist, ist sie doch be- deutend geringer als beim fünfbänderigen Zustand, wo sie stets 100 Proz. beträgt. 3) Besonders wichtig ist das Resultat des Versuches XL, wo sich die ungebänderten Nach- kommen zu den gebänderten wie 3:ı verhalten. Da in diesem Falle beide ungebänderte Eltern so gut wie sicher das Produkt einer Kreuzung eines fünfbänderigen mit einem ungebänderten Großelter sind, so hätten wir hier einen eklatanten Fall der Bestätigung des MenperLschen Gesetzes (siehe S. 485), nach welchem in der zweiten Hybridengeneration die Individuen wieder nach den Merkmalen der gekreuzten Großeltern auseinandergehen, wobei die dominantmerkmaligen Individuen (in diesem Falle die ungebänderten) sich zu den rezessivmerkmaligen (in diesem Falle die fünfbänderigen) der Zahl nach wie 3 :ı verhalten. 4) Die gebänderten Exemplare, die in der Nachkommenschaft ungebänderter Eltern auftreten, arten alle nach dem fünfbänderigen Typus. Kein einziges gebändertes Exemplar, das eine Größe von mindestens 7 mm erreichte, zeigt eine andere Formel als ı 234 5. 4 8 5 Ueber Vorversuche zu Untersuchungeu über die Varietätenbildung von Helix hortensis MÜLLER und Helix nemoralis L. 485 5) Die besondere Färbung der Schale, ob gelb oder rot resp. rotbraun, ist vollkommen erblich. Zu den vorstehenden Resultaten muß die Bemerkung hinzugefügt werden, daß die sämtlichen Versuchstiere von Lokalitäten stammen, wo nur fünfbänderige oder ungebänderte Exemplare vorkommen. C. Kreuzungsversuche zwischen fünfbänderigen und ungebänderten Exemplaren von Helix hortensis. Das MEnDeLsche Gesetz. Meine experimentellen Kreuzungsversuche mit Varietäten von H. hortensis und H. nemoralis führten mich zur Bestätigung eines wichtigen Teiles jener Regel, die als das Menpersche Gesetz bezeichnet wird. Zur Zeit, als ich die betreffenden Erscheinungen feststellte, wußte ich freilich noch nichts von dem Menxperschen Gesetz, da ich noch keine Zeit gehabt hatte, die Literatur über Kreuzungsversuche zu studieren. Auch heutzutage noch ist übrigens dieses Gesetz, trotz seiner großen Bedeutung und Tragweite, unter den Zoologen, wenigstens auf dem europäischen Kontinent, nur sehr wenig bekannt. Die Botaniker hingegen haben ihm schon ihre volle Aufmerksamkeit zugewandt; unter den Zoologen hat sich besonders Barzson durch Hervorheben der Bedeutung desselben und durch Anstellung oder Veranlassung von neuen Untersuchungen große Verdienste erworben. Erst in aller- neuester Zeit beginnen sich auch die Vererbungstheoretiker und Forscher auf dem Gebiete der Be- fruchtungslehre eingehender mit ihm zu beschäftigen. Für den Zweck der vorliegenden Abhandlung genügt es, den Inhalt des Menneıschen Gesetzes für den einfachsten Fall anzugeben. Menper hat seiner Zeit (die Publikation datiert in das Jahr 1865 zurück) mit verschiedenen Formen der Erbse experimentiert und den Nachweis einer ganz bestimmten (Gresetzmäßigkeit bezüglich der Gestaltung der aus der Kreuzung hervorgehenden Bastarde erbracht. Voraussetzung für den Nachweis dieser Gesetzmäßigkeit ist ı) der Nachweis, daß die zur Kreuzung benutzten Formen (Arten, Unterarten, kleine Arten, Varietäten, Rassen, Sorten) erblich konstant, bei Pflanzen sagt man samenrein oder samenbeständig, sind; 2) müssen nicht nur die zur Kreuzung benutzten Formen, sondern auch ihre hybriden Nachkommen untereinander vollkommen fruchtbar sein. Der einfachste Fall ist der, daß die beiden zur Kreuzung verwandten Formen sich nur in einem Merkmal oder in einer bei der Vererbung sich als einheitlich erweisenden Gruppe von Merk- malen unterscheiden, z. B. durch die Farbe: die eine Form ist schwarz, die andere weiß, oder in unserem Falle: die eine Form ist bänderlos, die andere fünfbänderig. Für diesen Fall und unter den obigen Voraussetzungen besagt das Menpersche Gesetz, daß alle Hybriden aus der Kreuzung der beiden Formen (a = schwarz, resp. fünfbänderig, b— weiß, resp. ungebändert) konstant nach der Seite des weißen Elters oder, wie in unseren Experimenten, nach der Seite des ungebänderten Elters schlagen. Dasjenige Merkmal,das bei den Hybriden zur Ausbildung kommt, heißt das dominierende, dasjenige, welches vollständig unterdrückt zu sein scheint, heißt das rezessive Merkmal. Die weiße Farbe, resp. die Bänder- losigkeit wäre also in unseren Fällen dominierend, die schwarze Farbe, resp. die Fünfbänderigkeit recessiv. Das Menpeische Gesetz sagt nun weiter, daß von den Hybriden der 2. Generation, die aus der fruchtbaren Kreuzung der Hybriden der 1. Generation hervorgehen, die beiden großelterlichen Merk- male bei verschiedenen Individuen wieder zu Tage treten. Ein Teil dieser Enkel ist schwarz, resp. fünf- bänderig und ein anderer Teil weiß, resp. bänderlos. Die Exemplare mit dem dominierenden Merkmal verhalten sich zu denjenigen mit dem rezessiven Merkmal der Zahl nach wie 3:1. Von 4 Misch- lingen der 2. Generation wären also in unserem Falle durchschnittlich 3 weiß, resp. ungebändert und 486 Ueber Vorversuche zu Untersuchungen über die Varietätenbildung von Helix hortensis MÜLLER und Helix nemoralis L. 4 86 eins schwarz resp. fünfbänderig. Die Formen, welche in dieser Generation den rezessiven Charakter haben (a — schwarz, resp. fünfbänderig), sind von nun an erblich konstant; aus ihrer Paarung unter- einander gehen in den folgenden Generationen immer nur rezessiv-merkmalige Nachkommen hervor. Anders verhält es sich mit jenen, welche in der 2. Generation (der Enkelgeneration der Versuchsexemplare) das dominierende Merkmal besitzen. „Von diesen geben zwei Teile Nachkommen, welche in dem Ver- hältnisse 3 :ı das dominierende und rezessive Merkmal an sich tragen, somit genau dasselbe Ver- halten zeigen wie die Individuen ihrer eigenen Generation; nur ein Teil bleibt mit dem dominierenden Merkmale konstant.“ Dieses Mennersche Gesetz läßt sich durch folgende Formel ausdrücken: Versuchsformen a b NL Tochtergeneration (Hybride) a u mn Enkelgeneration a ae lo Fa Urenkel 2 a 0& 8 lo L £ Ururenkel a 8 ae2a5b 5b Schon MENDEL zog aus dem von ihm entdeckten und nach ihm benannten Gesetz gewisse Konsequenzen für eine Theorie, nach welcher in den Fortpflanzungszellen gesonderte, reine, unvermischte Anlagen für die bei der Kreuzung selbständig sich verhaltenden, sich selbständig vererbenden Merkmale oder Merkmalsgruppen existieren. Auf die theoretische Tragweite des MEnpErschen Gesetzes trete ich jedoch heute noch nicht ein. Es sind verschiedene Ausnahmen von der Menperschen Regel bekannt geworden. Eine der- selben, und zwar, wie es scheint, eine der häufigsten, ist die, daß schon in der Tochtergeneration, und zwar von jedem Elter (wenn derselbe hermaphroditisch ist) beide elterlichen Formen, also in unseren Fällen schwarze und weiße oder fünfbänderige und ungebänderte auftreten. Dieser Fall ist auch bei meinen Kreuzungsversuchen eingetreten. Man vergleiche Versuch LV bis LXVI Doch sind diese Versuche nicht ganz einwandfrei, da die zur Kreuzung benutzten un- gebänderten Exemplare von Helix hortensis vielleicht nicht rasserein, also möglicherweise selbst dominant- merkmalige Hybride von fünfbänderigen und ungebänderten Formen waren. Wersueln LIILIDX (Pe N. 1132) Beginn: 24. April 1900. Versuchstiere: a) ı Exemplar H. hortensis, 0 o o o o, geb. 1897, stammt aus der Zucht des Versuches XXVIII, grünlich-gelb, 19,5 mm. Schale etwas stark gewölbt. Bei Beginn des Versuches noch unerwachsen. Die Mutter war eine H. hortensis, 0 0 o o o, wahrscheinlich gelb, der Vater wahrscheinlich auch, doch ist das nicht sicher. H. hortensis ı ..2..3...4... 5, geb. 1897, grünlich-gelb, 18 mm. Schale gegen die Mündung etwas anormal gewachsen. Das Exemplar war zu Beginn des Versuches ganz sicher noch nicht befruchtet, hatte noch nie kopulieren können. Die Mutter ist ein fünfbänderiges Exemplar, wahrscheinlich auch der Vater. Das Exemplar stammt aus der Zucht des Ver- suches I. b) ı Descendenz (6. August 1900). a) Unerwachsene Exemplare: Tot: 33 Exemplare in allen Größen von 3,2—7,5 mm, alle blaugelb, alleoooo0o0. Lebend: ı2 Exemplare in allen Größen von 5,5—ı8,5 mm. Grundfarbe gelblich oder grünlich - gelb, HET, ©.O © © 487 Ueber Vorversuche zu Untersuchungen über die Varietätenbildung von Helix hortensis MÜLLER und Helix nemoralis L. 487 b) Erwachsene Exemplare: 14 lebende Exemplare, vorwiegend „grünlich-gelb“, einzelne „gelb“ oder „gelblich“, alle o 0 0 o o; bei 2 Exemplaren heißt es in der Beschreibung im Protokoll: „mit Spur einer Andeutung einer Bänderung“. Dieser absolut reine Versuch ist von größtem Interesse. Ich war schon im Sommer 1901 er- staunt, daß sich in dieser Zucht gar keine gebänderten Exemplare zu zeigen begannen. Wäre ich nicht der sorgfältigsten Isolierung so sicher gewesen, so wäre ich fast geneigt gewesen, an eine Verwechs- lung oder Vermischung zu glauben. Inzwischen hat sich die Sache aber durch andere Versuche, auch an nemoralis, als durchaus richtig erwiesen. Erst im November 1902, als ich Herrn Kollegen Daven- porT bei Anlaß seines Besuches in Zürich einige Resultate meiner Untersuchungen mitteilte, wurde ich von ihm auf das MEnpELsche Gesetz aufmerksam gemacht, für das der vorliegende und die folgenden Versuche eine so schöne Bestätigung sind. Mersuch FiPr N. 035) Beginn: 5. April 1901. Versuchstier: Die Helix hortensis o o o 0 o, grünlich-gelb, des vorigen Versuches. Sie wurde 1900 befruchtet von einer H. hortensis T..2..3...4...5 grünlich-gelb. Vorbemerkung zu diesem Versuch. Der Versuch No. XLIX war nach einer wichtigen Richtung hin ungenügend und nicht entscheidend. Es ging aus demselben nicht hervor, ob beide Eltern sich an der Produktion der Nachkommenschaft beteiligt hatten oder ob sämtliche Hybriden nur von den Eiern des einen Elters herrührten, vielleicht etwa des bänderlosen Exemplares. Ich benutzte deshalb das mir bekannt gewordene Vermögen von Helix hortensis, Sperma lange Zeit in lebenskräftigem Zustande im Receptaculum seminis zu behalten, um die Frage in einfachster Weise zu entscheiden. Ich isolierte jeden der beiden Eltern in einer besonderen Versuchsschachtel, in der Hoffnung, daß jedes Exemplar in seinem Receptaculum vom Jahre 1900 her einen Vorrat an von dem anderen Individuum herrührenden Sperma besitze, das zur Befruchtung der abzulegenden Eier dienen könnte. Meine Er- wartung wurde durchaus bestätigt. Jedes für sich isolierte Exemplar legte Eier, aus denen eine ge- sunde und lebenskräftige Brut ausschlüpfte. Descendenz ıo. Juli 1901. Die Mutter ist also H. hortensis o o 0 0 0, der Vater H. hortensis ı 2 34 >. Die Zucht (lebende und tote Exemplare) besteht aus ca. 25 Exemplaren von 3,3—4 mm, alle ooo0.o0 o, blaß-grünlich-gelb » 32 ” ” 4 52 ” ”» 00000, „ 40 = in allen Größen von 5 bis zu ıg,; mm, die große Mehrzahl über ı1o mm, alleooooo, grünlich-gelb. ı0 erwachsene Exemplare von 19— 20,5 mm, alleo 000 o, grünlich-gelb. Die übereinstimmende Grundfarbe aller Exemplare (die kleinsten sind etwas blasser) ist grün- gelb, etwa strohgelb. Bei 2 Exemplaren zeigt sich eine unbestimmte, schwache Andeutung einer Streifung. Bei lebenden Exemplaren kommt eine unregelmäßige, streifenförmige Pigmentierung, aber nur im Mantel, nicht in der Schale, vor, vorwiegend an der Stelle des Streifens 3, dem Verlauf der Haupt- lungenvene entsprechend. — Die Descendenz besteht aus 100 Proz. bänderlosen Exemplaren. Versuen BIN Drei 229) Beginn: 29. März 1902. Versuchstier: Das Versuchsexemplar a) H. hortensis 0 0000, grünlich-gelb, der Versuche No XLIX und L; war im Jahre 1900 befruchtet worden von b) einer H. hortensis 48 g Ueber Vorversuche zu Untersuchungen über die Varietätenbildung von Helix hortensis MÜLLER und Helix nemoralis L. 4 88 22.22.3222... 5 grünlichgelb. Das Versuchsexemplar wiederum in einer besonderen Zucht- schachtel isoliert. (Fortsetzung des Versuches No. L). Descendenz 31. Juli 1902. ots go Exemplare von ca. 3,5 mm, alle o o o o o, blaß-grünlich-gelb A A Ba el = „ ©8009 % 5 TeRxemplann % „ 8089808 „ = Lebend: ıo Exemplare „ 4 — 8 mm, mit Tüpfelchen und Streifen im Mantel, die Schale ist aber bei allen ungebändert graugelb bis grünlich-gelb. Die Resultate dieses Versuches stimmen wieder vollständig mit den vorhergehenden überein. (Vergl. Versuch XLIX u. L.) Merspien EIN Wr NL 2320) Beginn: 30. Mai 1903. Versuchstier: Dasselbe wie beim vorhergehenden Versuch, von dem dieser nur die Fort- setzung ist. Dieseend’enrzr use premipe nzgjorr 20. November 1903. Die Zucht ist nicht zahlreich. Größe der Exemplare 3,5;—4,2 mm, alle 0 00.00, gelblich oder leicht bräunlich gelb. Das Versuchstier lebt heute (20. November 1903) noch. Im Frühjahr 1900 von einem fünf- bänderigen Exemplar befruchtet, hat dasselbe also 4 Jahresgenerationen von Jungen erzeugt (1900, 1901, 1902 und 1903) die aus Eiern hervorgingen, die alle aus demselben, vom Jahre 1900 herrührenden, Vorrat von Sperma befruchtet wurden. Alle 4 Jahresgenerationen stimmen in ihrer Färbung und Bänder- losigkeit miteinander, in der Färbung mit beiden Eltern und im Fehlen der Bänder mit der mütterlichen Form überein. Versuchs E MIT EzaNeee) Be sinn.s5 AprilEnoon. Versuchstier: Das Versuchstier b, Helix hortensis 7.22 eine gelb des Versuches XEDX. Es wurde 7900 beitruchtet von eimerrielixIhomtensis2or0R020R0, grünlich-gelb. Siehe die Vorbemerkung zu dem Versuch L. Descendenz 16. Juli 1901. Die Mutter ist also ein fünibanderisies, der Vater sein ung epanlderzesulite: Die Nachkommenschaft besteht aus folgendem, meist lebenden Material. 5 Exemplare von 3— 5,; mm, alleo ooo0 o, gelb 41 “ „ 6-19 „ alle unverwachsen, gelb, alle o o o o 0, die meisten über ıo mm. ı4 erwachsene Exemplare von 18,5—2ı mm, die meisten 20o mm, alle gelb, alleooooo. Mehrere kleinste Exemplare (von 3—4 mm), die frühzeitig in einer Größe von 3—4 mm ab- starben, habe ich unterlassen aufzubewahren. Die Farbe ist bei allen Exemplaren gelb, die häufigsten Bezeichnungen in den protokollierten Beschreibungen sind: grünlich-gelb, grünlich-gelb, gelb, strohgelb, schwefelgelb, hellgelb, blaßgelb. Bei vereinzelten Exemplaren zeigte sich eine unbestimmte Andeutung des Streifens 3. Bei den lebenden Exemplaren kommt nicht selten im Mantel eine im allgemeinen dem Verlauf der Hauptvenen folgende streifenförmige Mantelpigmentierung vor, die an der Schale selbst fehlt. 4 89 Ueber Vorversuche zu Untersuchungen über die Varietätenbildung von Helix hortensis MÜLLER und Helix nemoralis L. 489 Diese Nachkommenschaft einer fünfbänderigen Mutter hat sich also vollständig (100 Proz.) nach _ der Seite des ungebänderten Vaters geschlagen. Bestätigung der Versuchsreihe XLIX—LII. Aus den Versuchen No. XLIX—LIII ergibt sich ferner die Tatsache, daß die H ybriden aus einer fünfbänderigen Mutter und einem ungebänderten Vater identisch sind mit den Hybriden aus einer ungebänderten Mutter und einem fünfbänderigen Vater. Väterlicher und mütterlicher Einfluß auf die Nachkommenschaft sind also bei unseren herma- phroditischen, isomorphen Tieren vollständig äquivalent. Versuch EIV (Pr.N. 217) Beginn: 8. März 1902. Nenswehstier: Die H. hortensis 7. , >... 3..2.4...5 des vorhergehenden Versuches. Fortsetzung dieses Versuches. Das Versuchstier, das im Jahre 1900 von einer Helix hortenss 00000, mit grünlichgelber Schale, befruchtet wurde, nenerdings in einer Zuchtschachtel für sich isoliert. Dieseendenz 1. Augüst 1902 Wenige Exemplare ausgeschlüpft. Der Bestand ist a) an Toten 8 Exemplare von 4,2—7 mm, alle 00000, blaß grünlichgelb. b) an Lebenden 4 Exemplare von 6—13 mm, alle vier 0 0000, grünlichgelb. Die etwas mageren Resultate dieses Versuches bestätigen diejenigen der Versuche XLIX—LII. NersuehsENZ Pr N 20) Beginn: 3. April 1901. Versuchstiere: a) ı Exemplar Helix hortensis. Schale o o o o o (ungebändert) Apex gelb. Grundfarbe grünlichgelb. Letzter Umgang ziemlich stark anormal ausgebildet, d. h. im normalen Wachtum gestört. Diam. 18 mm, geb. 1897, von der Zucht des Versuchs No. XXVII. Die Mutter war ein ungebändertes, wahrscheinlich gelbes Exemplar; der Vater wahrscheinlich auch, doch ist das nicht sicher. Zur Zeit des Beginnes des Versuches noch nicht erwachsen. 12.0 — DeuExemplar Helix hortensis IT Apex rotbraun. Naht weißlich, Nabelseite gelblichgrün und rötlich, Bänderung schwarz. Die Mutter des Exemplares war eine ungebänderte Form; der Vater wahrscheinlich auch, doch ist das nicht sicher. Das Versuchstier gehört zu der Zucht des Versuches XXVIIl. Es war bei Beginn des Versuches zweifellos noch nicht befruchtet. Diescendenz>20o ueiust 1901. Diese Descendenz, die sich ohne Ausnahme durch rötliche, ziegelrote, rotbraune oder bräunliche Färbung der Schale auszeichnet und von der noch viele Exemplare leben, trennt sich in zwei scharfgesonderte Gruppen, eine Gruppebänderloser und einesolche fünfbänderiger Exemplare. A) Bänderlose Exemplare (oo 000) Im ganzen 37. 25 Exemplare von 2,7 bis 5,2 mm 6 ” „ 5 „ Io „ 6 = ON 7; „ (ziegelrot), eine scheinbare Andeutung von Bd. 3 wird durch den Verlauf der großen Lungenvene im Mantel hervorgebracht. B) gebänderte Exemplare. No02. 0.0 Exemplare von 2,7, mm — 5,2 mm ="07073°0 0 Io n cas mm =02340 Jenaische Denkschriften. XI. 62 Festschrift Ernst Haeckel. Ueber Vorversuche zu Untersuchungen über die Varietätenbildung von Helix hortensis MÜLLER und Helix nemoralis L. 490 490 No. ıı ı Exemplar (zerbrochen) von ca8 mm = ı 2 3 4 5 (getrennte Bänder) a: e Br = ı 2 3 4 5 (getrennte, aber breite Bänder) ea 5 ca7mm=1.2.3..4..5 ” 14 I „ IO „ == 228 e 4 ® 6) el % VA 1.2 3 RR 5 lo Ta 0 go Sr BR en „ I I „ I ” Sean / a v29.4 8 „ 18 I „ I5 ”„ — 2 3 I 5 ee ron E I. e. Da as llambreitesten) Bo u e En Also, 2 nur A. ar hr IS) m ke Tas a 1 DD SR nn 28 a sn erwachsen ı9 mm = ——= = Eee Bei diesen gebänderten Exemplaren ist der Apex rotbraun, die Grundfarbe schmutzigweis, bis- weilen etwas ins rötliche spielend, die Nabelseite ist deutlich bräunlich oder grünlichgelb oder gelblich, aber in gewisser Ausdehnung mit rötlichem Anflug. j Dieser interessante Versuch zeigt, daß unter gewissen Verhältnissen die Hybriden aus einer ungebänderten und einer fünfbänderigen Form nach der Seite der beiden Eltern sich ausbilden, und daß weder Misch- noch Zwischenformen entstehen. Die einen Exemplare sind vollständig bänderlos, die anderen deutlich fünfbänderig. Bei dem vorliegenden Versuch sind die beiden Eltern nicht nur in einem Merkmal resp. einer Gruppe von Merkmalen (Bänderlosigkeit, Fünfbänderigkeit), sondern in zwei Merkmalen (resp. Gruppen von Merkmalen) verschieden, in dem noch die Verschiedenheit in der Grundfärbung (gelb bei dem einen, rotbraun bei dem anderen Elter) hinzukommt. Mit Bezug auf die Färbung schlagen alle Hybriden nach der Seite des rotbraunen Elters. Gewisse Beobachtungen, über die später berichtet wird, lassen es gerechtfertigt erscheinen, die Vermutung zu äußern, daß das Dominiren der intensiveren Färbung bei einer Anzahl von Individuen auch das Dominirendwerden des gebänderten Zustandes nach sich zu ziehen vermochte. Es ist aber gewiß auch daran zu denken, daß die besondere Zusammensetzung der Großelternschaft das besondere Resultat bedingt, daß z. B. der Vater des unge- bänderten Elters eine fünfbänderige Form war, so daß von den 4 Großeltern 3 fünfbänderige und einer eine bänderlose Form war. Das wird sich experimentell wahrscheinlich leicht ermitteln lassen. Mit Bezug auf die spezielle Ausbildung der Bänderung nähert sich nur ein Teil der gebänderten Hybriden dem gebänderten Elter (dessen Bänder komplett verschmolzen sind), ein anderer Teil zeigt die deutliche Tendenz zum Getrenntbleiben der Bänder. Mersuen IE WER ıNG 2:9) Beginn: 38. März 1902. Versuchstier: Die ungebänderte, gelbe Helix hortensis (a) des Versuches LV, befruchtet 1901 durch die H. hortensis (b) ı 2 3 4 5 mit rot-braunem Apex, für sich in einer neuen Zucht- schachtel isoliert. 491 Ueber Vorversuche zu Untersuchungen über die Varietätenbildung von Helix hortensis MÜLLER und Helix nemoralis L. 491 Diescendenz>>2 ul. 0902. Sie setzt sich folgendermaßen zusammen (2. Okt. 1903). Tote Exemplare: ı3 Exemplare von 3-4 mm =00000 7 5 on AO 5 =00000 3 „ 0.7, =00000 4 „ ee, =00300 ee bi 1.293020 zT > s A ) —=00300 De 5 F „ 6—-8 „ davon 3 = ı 23435 mit getrennten Bändern 23h \ Lebende Exemplare: ı5 Exemplare von 2,6—ı2 mm, alle o o o o o hellrotbraun ıo gebänderte Exemplare von 4,2—10,; mm, davon ı Exemplar (das kleinste) ı 23 4 o 7 Exemplare ı 2 3 4 5 mit getrennten Bändern 2 ”„ I 2 3 4 65) = Im ganzen 61 Exemplare, darunter 38 ungebänderte und 23 gebänderte, oder wenn wir nur die Individuen berücksichtigen, die über 4 mm groß sind ca. 42 Exemplare, davon 23 Exemplare ungebändert und 19 Exemplare gebändert. Die Grundfarbe ist bei allen Exemplaren von den kleinsten zu den größeren übergehend blaß braun-gelb bis zu deutlich braun. Bei den gestreiften Exemplaren wird die Grundfarbe mit Ausnahme des Apex lichter. Dieser Versuch, zusammen mit den Versuchen No. XLIX—LIl und LVII läßt wiederum keinen Zweifel aufkommen, daß die Nachkommen aus einer Kreuzung zwischen einem fünfbänderigen Exemplar, das sich als Weibchen verhält und einem sich als Männchen verhaltenden ungebänderten Exemplar genau den Descendenten der umgekehrten Kreuzung entsprechen. MersuchsEN II EroN. 337): Beginn: 30. Mai 1903. l Versuchstier: Wie beim vorhergehenden Versuch, von dem dieser nur die Fortsetzung ist. Descendenz 23. Juli 1903. Die zahlreichen Jungen sind (3. Okt. 1993) noch ganz klein (bis 3,7 oder 3,8 mm) leicht gelblich- braun bis bräunlich. Vereinzelte Exemplare zeigen schon das Band 3. Versuch EN IRIZErRENM >): Beginn: 3. März 1902. Versuchstier: Das Versuchstier H. hortensis 12345 des Versuches LV, in einer besonderen Zuchtschachtel für sich allein isoliert. Das Exemplar wurde 1901 von einer H.hortensis 0505050. 0, beituchtet. Der Versuch No. LV ergab aus dieser Kreuzung gemischte Nachkommenschaft, einerseits fünf- bänderige, andererseits bänderlose Descendenten. Es blieb unentschieden, in welchen genaueren Be- ziehungen diese Descendenz zu jedem der beiden Eltern stand. Dieser neue Versuch wurde eingerichtet, Im Jahre 1902 ergab sich keine entwickelungsfähige Brut. Im 62* um diese Frage zu entscheiden. 492 Ueber Vorversuche zu Untersuchungen über die Varietätenbildung von Helix hortensis MÜLLER und Helix nemoralis L. 492 April 1903 wurde dann die bei dem früheren Versuche verwendete H. hortensis © © o o o wiederum auf einige Zeit (zum Zwecke erneuter Kopulation) mit dem obigen Versuchstier zusammengebracht (bis 30. Mai). Ich erhielt sodann (23. Juli) nachfolgende Brut. Diescendenz 32] ulan90R: Sie ist wenig. zahlreich, circa 20 Exemplare. Alle Exemplare sind deutlich bräunlich, einige zeigen das Band 3, andere sind (noch?) bänderlos (2. Okt. 1903). Die Zucht ist noch zu klein, um weitere Schlüsse zu gestatten als die, daß eine fünfbänderige hortensis mit rot-braunem Apex als Weibchen aus der Ehe mit einer bänderlosen, gelben hortensis als Männchen bräunliche und zum Teil wenigstens gebänderte Nachkommen erzeugen kann. Versuch DZ PrENmLER,) Beginn: 5. April 1901. Versuchstiere: a) ı Exemplar Helix hortensis o o o o o gelblich, etwas anormal ge- wachsen, bei Beginn des Versuches noch unerwachsen, geb. 1897, aus der Brut des Versuches, No. XXVI. Die Mutter war sicher eine H. hortensis 0 o o o o, der Vater wahrscheinlich auch, doch ist das nicht sicher. b) ı Exemplar Helix hortensis, ı.2.(bis..)3..4.5 Diam. 2ı mm. Apex gelb, Nabel- seite ins Grünliche spielend, die Grundfarbe sonst gelb, normal gewachsen, geb. 1897. Bei Beginn des Versuches noch unerwachsen. Stammt aus der Zucht des Versuches I. Die Mutter war ein fünf- bänderiges Exemplar, der Vater wahrscheinlich auch, doch ist das nicht sicher. Diestefendenz7 267 uweustrrgem. Die Nachkommenschaft wenig zahlreich. Sie besteht, abgesehen von einer Anzahl kleinster Schälchen, die nicht konserviert wurden, an Toten und Lebenden aus 3 Exemplare vom Durchmesser 3,; mm bis 4,; mm alle 3:0 0 0 0 o, blaßgelb 4 „ % 5 OU et Be: o 000 0, grünlich-gelb oder strohgelb. 2 Exemplare zeigen eine ganz unbestimmte, ı Exemplar eine etwas bestimmtere, aber sehr schwache Andeutung des Streifens 3. 8 Exemplare vom Durchmesser 3,5; mm bis 5 mm o 0300, blaßgelb 6 ” »„ ” 7 „ ..ı2 „ aller Tr2rs 25, aller mitzsetrenntensBaänderne Grundfarbe hellgelb oder weißlich-gelb, Bänder schwarzbraun. Es hat sich also die Nachkommenschaft wiederum scharf in die elterlichen Formen getrennt, auf der einen Seite fünfbänderige Exemplare, auf der anderen ungebänderte, im Verhältnis von 2:1. Doch ıst auf dieses Verhältnis wegen der geringen Zahl der Descendenten kein Gewicht zu legen. VMersu ch [EXT ETINDnD9) Beginn: 8. März 1902. Versuchstiere: Das Exemplar a) des Versuches No. LIX, eine H.hortensis 00000, gelb- lich, befruchtet im Jahre 1901 von dem Exemplar b) einer gelben H. hortensis ı.2.(bis..)3..4.5 in einer besonderen Zuchtschachtel für sich isoliert. Sie ist also die Mutter, das gestreifte Exemplar der Vater der nachfolgenden Zucht. 493 Ueber Vorversuche zu Untersuchungen über die Varietätenbildung von Helix hortensis MÜLLER und Helix nemoralis L. 493 Dieseendenz 23 juli 1902, Tote Exemplare: 34 Exempl. von ca. 3,2 mm, davon 31 Exempl. 00000, 3 Exempl. 00300 4 5 n 4 „bis mm 7700000 2 „ „ 4 » 2 = 00300 I „ ” 6,5 „ = 125340 Lebende Exemplare 14 Exempl. von 3— 4 mm, davon g Exempl. 00000, 5 Exempl. 00300, 7 3 4162‘, ne 5 00000, 3 5 00300, 1ıExempl.o0o340 19 5 „ 612 6) 2 SOOOO, Il 123435 mit getr. Bändern. Alle Exemplare sind gelblich, und zwar hellgelb, blaßgelb, grünlichgelb, vereinzelte auch rötlichgelb. Bei den größeren, gebänderten Exemplaren wird die Grundfarbe zwischen den Bändern heller, weißlichgelb. Am Apex und am Nabel erhält sich die gelbe oder grünlich-gelbe Grundfarbe. Wie der Versuch zeigt, wird etwa die Hälfte der Descendenz ungebändert (wie die Mutter), die andere Hälfte fünfbänderig (wie der Vater) Zwischen- oder Mischformen kommen wieder nicht vor. Das Resultat des Versuches bestätigt dasjenige der Versuche No. XLIX—LII, LVI--LVII, und zeigt wiederum, daß ein Unterschied zwischen den Hybriden -_ und den Hybriden —, nicht existiert. NMersuch2 1X] TPrIN. 270) Beginn: 30. Mai 1903. Versuchstier: Dasselbe wie bei Versuch No. LX von dem dieser Versuch nur die Fort- setzung ist. Diescendenz 15 u1.2903. 3. Oktober 1903. Die Jungen sind noch ganz klein, hell-bräunlichgelb. Nur bei einem Exem- plar ist, Band 3 am Schälchen selbst sicher zu erkennen. , Weisse EDITH MDB ar) Beginn 8. März 1902. Versuchstier: Das Versuchsexemplar b) des Versuches No. LIX H. hortensis | .2. (bis..)3.. 4. S für sich in einer Zuchtschachtel isoliert. Es ist im Jahre ıgor von einem gelben, bänderlosen Exem- plar a) befeuchtet worden. Ersteres ist also die Mutter, letzteres der Vater der nachgenannten Descendenz. Spärliche Descendenz von den Jahren 1902 (25. August) und 1903 (23. Juli). Die Jungen sind jetzt noch sehr zurück, die Mehrzahl der lebenden zeigt das dritte Band, eine Minderheit ist bänderlos. Tod sind ıır Exemplare, von 3—4,2 mm. Davon sind 5 Exemplare —= 00000, 6 Exemplare o o 3 o o. Die Schalen sind durchsichtig und blaß grünlich-gelb gefärbt. Es ist also wahrscheinlich, daß neben den gebänderten Exemplaren sich auch ungebänderte ent- wickeln werden. Vzersurehr EX Ir NS 28) Beginn: 29. März 1902. Versuchstiere: a) ı Exemplar Helix hortensis o 0 0 0 0, 20 mm, geb. 1898. Apex orangegelb, Grundfarbe und Nabelseite grünlich-gelb. Ueber Vorversuche zu Untersuchungen über die Varietätenbildung von Helix hortensis MÜLLER und Helix nemoralis L. 494 494 Bei Beginn des Versuches war das Versuchstier noch unerwachsen. Die Mutter war eine bänder- lose H. hortensis von grünlich-gelber Grundfarbe der Schale. Der Vater ist unbekannt. Nach dem Resultat des Versuches ist es nicht unwahrscheinlich, daß es ein fünfbänderiges Exemplar war. I A 0a 4 2.0 5 b)ez Exemplass-lelixshlontensuse 22 mm. Grundfarbe grünlich-gelb, Bänder 12% 4 schwarz-braun, geb. 1899. Bei Beginn des Versuches noch unerwachsen. Die Mutter war sicher, der Vater höchstwahrscheinlich eine fünfbänderige Form. Von den beiden Eltern zeigte der eine Verschmelzung von allen 5 Bändern, der andere Verschmelzung von 4 und 5 und Neigung zur Verschmelzung von ı, 2 und 3. Deseendenz (1. September 1902), 28 tote Exemplare von 4—6 mm, 2ı Exemplare o o o o o, und 7 Exemplare gestreift, nämlich 3 » 00300 2 rororo 2 # ı 2 3 4 5 (von den größten) 15 lebende Exemplare von 4—6,5; mm, davon 3 Exemplare o o o o o, und ı2 Exemplare gestreift, nämlich 3 > © 0.3 © ® I R 0. © 2 5 WA A © 6 ; ı 2 3 4 5, alle noch mit getrennten Bändern. Die Grundfarbe ist bei allen Exemplaren blassgrau — oder grünlich-gelb. Die Bänder der gestreiften sind braun. Da zahlreiche ungebänderte Exemplare auch unter den größeren vorkommen, so steht außer Zweifel, daß die Deszenz eine gemischte sein wird, bestehend aus bänderlosen Formen und fünfbänderigen Formen. Messiteln EDEN (DE N. a2) Binctchtune: 7. Marargos: Versuchstier: Die H. hortensis o 0o 0 0 o des Versuches No. LXIH für sich isoliert. Das Tier ist 1902 von einem fünfbänderigen Exemplar (1 2 3 4 5) befruchtet worden. Sicher haben auch noch im Frühjahr 1903 bis zum 31. Mai Kopulationen mit diesem Exemplar stattgefunden, dessen Bänder ganz verschmolzen sind. Dieseendienz Gı2]ullzroler)): 3. Oktober 1903: Die Jungen sind noch sehr klein, bis 3,6 mm. Es sind wenig zahlreiche am Leben. Färbung: hellbräunlich-gelb. Es läßt sich noch bei keinem eine Bänderung mit Sicherheit nachweisen. Vensuchr PISVZERINE Zn) Einrichtnng: 31. Mai 1903. Versuchstier: Die Helix hortensis ı 23435 des Versuches No. LXIII für sich isoliert. Das Tier ist 1902 und 1903 von einem grünlich-gelben Exemplar von Helix hortensis o oo oo be- fruchtet worden, das also der Vater der nachfolgend erwähnten Zucht ist. Dieseendenzi 23. [ulzrgos)) 3. Oktober 1903. Die Jungen sind noch klein, bis 4 mm groß hell-bräunlichgelb, die meisten 0 0 0 O 0, vereinzelte zeigen schon das Band 3. 495 Ueber Vorversuche zu Untersuchungen über die Varietätenbildung von Helix hortensis MÜLLER und Helix nemoralis L. 295 Versuch LXVI (r. N. 306). Beginn: August 1902. Versuchstiere: a) ı Exemplar H. hortensis, erwachsen, 00000, Grundfarbe gelb. 20o mm. Von einer Hecke an der Landstraße Aarburg-Kreuzstraße, Kanton Aargau. b) ı Exemplar H. hortensis, erwachsen ı .23..4. 5, Grundfarbe gelb. Bänder dunkel- braun bis schwarzbraun. Von derselben Lokalität. Dieseendenz 22. Jul 17907 Die Jungen sind (3. X. 1903) blaß grünlich gelb, die größten 5,5; mm. Auf allen Größen- stadien finden sich ungebänderte und solche bei denen schon Band 3 entwickelt ist. Rückblick auf die Versuche REDEN Aus den Versuchen XLIX—LXVI gehen einige wichtige Tatsachen hervor: ı) Die Resultate der Versuche XLIX—LIV sind eine eklatante Bestätigung eines Teiles des Menperschen Gesetzes. Die Hybriden aus der Kreuzung eines (wahrscheinlich ganz reinen) Exemplares der bänderlosen Form mit einem (wahrscheinlich ganz reinen) Exemplar der fünf- bänderigen Form von Helix hortensis ergaben ganz ausschließlich Hybride vom Typus der bänderlosen Form. Der ungebänderte Zustand ist also dominant, der fünfbänderige recessiv. Ich bemerke, daß meine Kreuzungsversuche mit Helix nemoralis dasselbe Resultat ergeben haben. Diese Resultate stimmen auch mit den Resultaten der Reinzuchten der un- gebänderten und fünfbänderigen Formen (Versuch I—XLVII) überein, indem diese zeigen, daß die fünfbänderigen Formen als die recessiven absolut konstant sind, während, wie es das Menpemsche Gesetz verlangt, unter der Nachkommenschaft ungebänderter Exemplare (mit dem dominanten Charakter) häufig fünfbänderige Exemplare auftreten, bei dem wichtigen Versuche XLII im Verhältnis von 1:3. 2) Die Versuche LV—LXVI ergaben das Resultat, daß wenn die Ausbildung des Charakters nicht nach dem Menpeıschen Gesetz erfolgt, die Hybriden aus der Kreuzung der unge- bänderten mit der fünfbänderigen Form scharf inzweiGruppen auseinandergehen, in eine Gruppe ungebänderter und eine Gruppe fünfbänderiger Individuen. Ich vermute, daß in diesen Fällen der ungebänderte Elter nicht „rassenrein“ oder „konstantmerkmalig“ war. 3) Aus ı) und 2) geht hervor, daß bei der Kreuzung der ungebänderten mit der fünfbänderigen Form unter den Hybriden weder Zwischenformen, noch Mischformen auftreten. Doch läßt sich bis- weilen eine etwas hellere Färbung der Bänder der gestreiften Hybriden erkennen. 4) Wenn bei der wechselseitigen Kreuzung der ungebänderten und der fünfbänderigen Form unserer hermaphroditischen Tiere sowohl ungebänderte als fünfbänderige Hybriden entstehen, so geschieht das nicht etwa so, daß das ungebänderte Exemplar, indem es sich als Weibchen verhält, die unge- bänderten Jungen erzeugt, und das fünfbänderige Exemplar, sofern es sich ebenfalls als Weibchen verhält, die fünfbänderigen Jungen erzeugt; vielmehr erzeugt jedes Exemplar sowohl bän der- lose als fünfbänderige Hybride. 5) Daraus ergibt sich, daß bei unseren hermaphroditischen Tieren die Vererbungpotenz der Spermatozoen eines Individums derjenigen seiner Eier genau entspricht. D ie Hybriden aus der Kreuzung der hermaphroditischen Mutter von der Form a mas dem Nercma- Ueber Vorversuche zu Untersuchungen über die Varietätenbildung von Helix hortensis MÜLLER und Helix nemoralis L. 496 496 phroditischen Vater der Norm b entspvechen Imre naEr sen ee neeenrumelen Hybriden aus der Kreuzungsdes heimaphreditischen Marerszde Normaler hermaphroditischen Mutter der Form b. 6) Wie aus den Versuchen zur Evidenz hervorseht, blerbt mıt zunehmendem Alter des Spermas seine Vererbungspotenz vollsändig unverändert. Nur ein Beispiel: das fünfbänderige Individuum b des Versuches XLIX, das im Frühjahr 1900 von einem ungebänderten Individuum a befruchtet wurde und darauf im Sommer lauter ungebänderte Hwybriden erzeugte, erzeugte auch noch in den darauffolgenden Jahren (1901, 1902) strengster Einzelhaft aus dem alten, vom Jahre ı900 herrührenden Sperma durchweg ungebänderte Nachkommenschaft. Das Pendant dazu ıst das Individuum a des nämlichen Versuches, das sogar noch im Jahre 1903 aus dem Sperma- vorrat des Jahres 1900 übereinstimmende Nachkommenschaft erzeugte Vergl. auch die überein- stimmenden übrigen Versuche. D. Kreuzungsversuche von Helix hortensis und Helix nemoralis. Ich will vorausschicken, daß ich diese beiden Formen für sogenannte gute Arten halten muß, wenigstens, ich will mich vorläufig noch vorsichtig ausdrücken, an den Fundorten, von denen meine Versuchsexemplare herrühren. Diese Frage wird später von mir ganz eingehend diskutiert werden. Seit dem Frühjahr 1898 habe ich eine ganze Anzahl (über 20) Hybridationsversuche mit ver- schiedenen Formen von H. hortensis und H. nemoralis angestellt, mit sehr schlechtem Erfolg. Bei wirklicher Hybridation war die Zahl der abgelegten Eier immer gering. Oft gelangten sie nicht zum Ausschlüpfen, oder wenn sie ausschlüpften, so entwickelten sie sich nicht über frühe Stadien hinaus. Ich werde über diese Versuche, die noch lange nicht abgeschlossen sind, erst später ausführlich be- richten und hier nur den bis jetzt einzigen Fall mitteilen, in welchem es mir gelungen ist, die Hybriden bis zum erwachsenen Zustande zu züchten. Die Hybridationsversuche bestätigen also durchauss diesäunnsichrsdasrl hortensis und H. nemoralis gute Arten sind. Versuch X VIREN) Beginn: März 1898. Mezsmiechstiere: a) ı Exemplar H. hortensis, o 0 000, Apex gelblich. Im übrigen ist die Epidermis der jetzt stark verwitterten Schale grünlich-gelb bis hellbräunlich. Diameter 2o mm. Bei Beginn des Versuches war das Tier noch unerwachsen. b) ı 2 H. nemoralis Ta 5 m." " "> Apex gelblich, Grundfarbe blaß bräunlich-gelb, 12.3. 4:5 Nabelseite bräunlich bis grünlich-gelb Bänder braun bis schwarz-braun, Lippe schwarz-braun. Diameter 22 mm. Descendenz 1890. Den erwachsenen Zustand erreichte ı Exemplar ungefähr am 23. August 1901, ein zweites ungefähr am 28. Mai 1902. Die Lippe ist anfänglich ungefärbt. Es haben sich nur 6 Exemplare der Brut weiter entwickelt. Die übrigen sind sehr früh ab- gestorben. Ich habe versäumt sie zu konservieren und Notizen über sie zu machen. Folgendes ist die Beschreibung der Exemplare, die sich über ganz frühe Stadien hinaus ent- wickelt haben: BR 497 Ueber Vorversuche zu Untersuchungen über die Varietätenbildung von Helix hortensis MÜLLER und Helix nemoralis L. 497 ı Exemplar tot aufgefunden den 20. April 1903, unerwachsen, 9,5 mm Durchmesser, o 0 0 0 o, Apex gelblich, Grundfarbe hellgrünlich-gelb, Nabel ebenso, Schale etwas gewölbt. I 5 noch lebend (18. Oktober 1903), unerwachsen, ı3 mm Durchmesser, o o o o o, Apex schmutzig grünlich-gelb, Grundfarbe und Nabel weißlich-gelb. I 2 den 5. Juni 1903 tot aufgefunden, erwachsen, 20,4 mm Durchmesser, o o o o o, Apex blaß grünlich-gelb; Grundfarbe (auch am Nabel) grünlichgelb, Mündung in der Form ganz wie bei H. hortensis. Lippe, Mundsaum und Gaumen dunkel violett-braun. 1 en noch lebend, erwachsen, 2ı mm Durchmesser, o 0 0 o o, Apex gelb, Grundfarbe (auch am Nabel) blaß- oder weißlich-gelb.e Mündung in der Form wie bei hortensis (bedarf der genaueren Untersuchung an der toten Schale). Lippe, Mundsaum und Gaumen intensiv braun. I n noch lebend, erwachsen, 2ı mm, o o 0 o 0, Apex gelb, Nabel grünlich-gelb, Grundfarbe blaßgelb. Gehäuse hochgewölbt. Form der Mündung ähnlich wie bei hortensis, doch läßt sich das am lebenden Tier, das die Schale ganz ausfüllt, nicht hinreichend sicher ermitteln. Lippe, Mundsaum und Gaumen schwarz-braun. I MM noch lebend, erwachsen, Durchmesser 22,3 mm, 00000, Apex leicht bräunlich-gelb, Nabel \ grünlich-gelb, Grundfarbe gelb; Gehäuse hochgewölbt. Mündung mehr wie bei hortensis, doch läßt sich dies am lebenden, die ganze Schale ausfüllenden Tier nicht mit völliger Sicherheit entscheiden und bedarf einer späteren Untersuchung. Lippe, Mundsaum und Gaumen dunkelbraun. Eine zusammenfassende Uebersicht ergibt, daß diese Hybriden aus Helix hortensis 00000 und Helix nemoralis ı 23435 a) in der Größe ziemlich intermediär sind zwischen den beiden Eltern; b) daß ihre Schale bei 3 Exemplaren auffallend stark (stärker als die beider Eltern) gewölbt ist; c) daß sie in der vollkommenen Bänderlosigkeit dem der Art hortensis angehörenden Elter nachschlagen ; d) daß sie in der Farbe des Peristoms deutlich dem der Art nemoralis angehörenden Elter nachschlagen ; e) daß sie in der Form und Größe des Peristoms sich stark dem der Art hortensis an- gehörenden Elter nähern. Doch scheint mir der untere Mündungsrand bei den lebenden Exemplaren nicht ganz so geradlinig zu sein, wie bei H. hortensis. Eine genauere Untersuchung möchte ich, um die für mich wertvollen Tiere nicht zu belästigen und schädigen, auf später versparen. Ich habe zwei der erwachsenen, lebenden Exemplare seit Frühjahr 1903 zum Zwecke der Nach- zucht in einer Zuchtschachtel vereinigt, leider ohne Resultat. Die am 18. Oktober 1903 vorgenommene Untersuchung der Erde zeigte, daß keine Eier abgelegt worden sind. Die eingehende Diskussion der Frage, in wie weit gewisse ın der freien Natur beobachtete Varietäten als Hybride von H. nemoralıs und hortensis zu betrachten sind, will ich lieber auf einen Zeitpunkt verschieben, wo ich über ein reicheres experimentelles Beobachtungsmaterial verfügen werde. Vorläufig begnüge ich mich mit der Zitation einiger weniger vielleicht in Betracht kommender Fälle. Pormer (S. 71) führt im Anschluß an Helix hortensis und H. nemoralıs noch zwei Arten an, die seitdem nicht recht untergebracht werden konnten, nämlich Helix hybrida und Helix fusca. Es ist in der Tat nicht unwahrscheinlich, daß es sich um Hybride handelt. Ich zitiere die Diagnose wörtlich: „Helix hybrida. Testa globosa, imperforata, pellucida; apertura immaculata; labro violaceo. Poir. Diam. 8—q lin. A. Eadem ı—5 fasciata. L. n. In nemoribus. He&lice hybride Coquille globuleuse, point ombiliquee, & demi-transparente, d’une couleur tendre lilas;: ouverture sans taches; levre violette. 5 tours et demi de spire. Larg. 16 & 18 mm. Jenaische Denkschriften. XI. 63 Festschrift Ernst Haeckel. 498 Ueber Vorversuche zu Untersuchungen über die Varietätenbildung von Helix hortensis MÜLLER und Helix nemoralis L. 498 A. La m@me & une ou plusieurs bandes circulaires. L. n. Les grands forets. Celle de Villers- Cotterets.“ „Helix fusca. Testa globosa imperforata, fusca; apertura immaculata; labro fusco seu subroseo. Poir. Diam. 5—6 lin. A. Testa pallida citrina, seu viridescens seu rosea. B. Eadem ı—5 fasciata. L. n. In nemoribus. Helicejbrune. Coquille globuleuse, non ombiliquee, d’un fauve noir ou clair; levre saillante, brune ou d’un blanc lav& de rose; ouverture sans taches. 4 tours et demi ou 5 tours de spire. Larg. 1ı a ı2 mm. A. Coquille d’un jaune-päle, verdätre ou lav&e de rose. B. La m&me & bandes circulaires brunes depuis une jusqu’ A cing. L. n. Les grandes for£ts. Celle de Villers-Cotter£ts.“ CoLBEAU (S. 32) beschreibt seine H. Sauveuri als Zwischenform zwischen Helix hortensis und Helix nemoralis. „Helix Sauveuri. Espece intermediaire entre les H. nemoralis et hortensis, ayant le peristome d’un brun-violätre avec le bourrelet interieur plus päle, ordinairement blanc, et une tache d’un brunätre päle, peu sensible, ä la gorge. Taille et facies de [Helix hortensis. Couleur le plus souvent rougeätre et sans bandes.“ „Si Fon r&unit en une seule espece les H. nemoralis et hortensis, celle ci doit evidemment y @tre jointe; mais si on les conserve comme especes distinctes, je pense que celle-ci doit Petre @galement car il me paraitrait bien difficle de la rapporter ä& Tune plutöt qu’a Tautre.“ CoLBEAU hat diese Form fast immer rot und ungebändert, an verschiedenen Lokalitäten zusammen mit Helix hortensis und zusammen mit oder in unmittelbarer Nähe von Helix nemoralis angetroffen. RossmÄssLER erwähnt im ersten Bande seiner Ikonographie (S. 59) unter anderem folgende Varietäten von .H. hortensis; „a) sehr klein, einfarbig braun-rot, mit hellbraunem Mundsaum, b) wie vorige, nur mit allen 5 Bändern, c) Blendling, gelb mit verblichenen, weißlich durchscheinenden Bändern.“ Die erste sei ziemlich gemein um Tharand. Im fünften und sechsten Heft, S.6 wird die erste Varietät nochmals kurz beschrieben. „Erstere Varietät (sie ist in Fig. 299 abgebildet) hellrot, fünfbänderig, mit braunem Mundsaum. Um Tharand ziemlich häufig; noch häufiger jedoch ohne Bänder.“ Die Frage nach der spezifischen Verschiedenheit von H. hortensis und H. nemoralis ist in der neueren Zeit besonders in Frankreich wieder lebhaft diskutiert worden. Es kommen in diesem Lande vielerorts in den Kolonien von Helix hortensis und nemoralis Exemplare vor, bald als Ausnahmen, bald in nicht unbeträchtlicher Zahl, die sich nicht oder nur schwer in die eine oder andere Art einreihen lassen, wenn man die Arten im Sinne von O. F. MÜLLER scharf umgrenzt, eine Umgrenzung die ja bekannt- lich für ein sehr großes Verbreitungsgebiet durchaus zutreffend ist. An vielen Fundstellen in Frankreich kommen nämlich Formen vor, die in allen Merkmalen mit der typischen H. hortensis übereinstimmen mit Ausnahme des Peristoms, welches, wie bei nemoralis, schwarz oder braun oder violett ist, und es kommen umgekehrt sonst typische H. nemoralis mit weißem Peristom vor. lLocarp, welcher die Variationen der beiden Arten, die er für gute Spezies hält, sehr genau studiert hat, glaubt nicht, daß es sich um Hybride handelt, sondern vertritt vielmehr die Ansicht, daß die Färbung des Peristoms kein spezifisches Unterscheidungsmerkmal sei. Es gibt nach Locarp echte Helix hortensis mit gefärbtem Peristom und echte Helix nemoralis mit weißem Peristom. Die Frage ist im Jahre 1895 von COUTAGNE auf Grund eigener, interessanter Erfahrungen neuer- dings in sehr bemerkenswerter Weise beleuchtet worden. CourAGNE resumiert seine Beobachtungen in folgenden fünf Thesen: I 499 Ueber Vorversuche zu Untersuchungen über die Varietätenbildung von Helix hortensis MüLLER und Helix nemoralis L. 499 „I. Dans certaines stations, telles que celles etudiees par MürLzr dans le Danemark, par exemple, il existe deux groupes d’helices, que nous appellerons, un: Helix nemoralis, Yautre: Helix hortensis, entre lesquels on n’observe pas d’intermediaires. Dans le premier groupe la coquille est plus grande, plus deprimee, l’Epiderme moins brillant, le p@ristome brun ou noir; dans le second, la coquille est plus petite, plus globuleuse, plus brillante, et le peristome est blanc.“ „2. Dans d’autres stations, aux environs d’Orsay, par exemple, ces deux groupes d’helices vivant ensemble, pr&esentent encore les m&mes particularites et differences; mais on observe, en outre, un certain nombre d’intermediaires vraisemblablement hybrides, dont le petit nombre est Tindice, non mo:ns que labsence complete d’intermediaires dans le cas pr@c@dent, d’une v£ritable barriere gen&alogique entre les deux groupes.“ „3. Les caracteres differentiels qui permettent de separer sans indecision les H. nemoralis des H. hortensis lorsqu’on les rencontre associes dans une m&@me colonie, sont variables et sujets ä linversion, en sorte qu'il n’est pas toujours possible de distinguer A coup sür, d’apres la coquille, les H. nemoralis d’une station A, par exemple, des H. hortensis d’une station B d’une autre region, si on n’a pas, comme points de comparaison, les hortensis de la station A ou de quelques autres stations voisines de A, et les nemoralis de la Station B, ou de quelques autres stations voisines de B.“ „4. Dans certaines stations, telles que lile Jarıcor, riveraines de grands cours d’eau sujets ä des crues et descendant de r@gions ol les H. nemoralis et hortensis habitent et presentent linversion des caracteres differentiels, on se trouve dans la m@me impossibilite de rattacher, avec certitude & !un ou lautre groupe, certains individus en apparence intermediaires, et on ne peut qualifier d’hybrides ces sujets intermediaires, indeterminables, qui sont, soit nemoralis pur-sang, soit hortensis pursang, soit hybrides entre nemoralis et hortensis, sans quil soit possible de choisir logiquement entre ces trois hypotheses.“ „5. Enfin, notons encore que IH. hortensis descend bien moins loin dans le sud de Europe que PH. nemoralis; peut-£tre aussi monte-t-elle plus haut dans les Alpes. Les domaines respectifs de ces deux helices ne sont donc pas identiques, et, en outre des differences morphologiques et gen&alogiques precedemment indiquees, il y a lä une difference geogr aphique fort importante a consid£rer.“ Die Fundstelle, auf die sich die These 3 hauptsächlich bezieht, ist ein „Vallon du petit ruisseau qui aboutit & Honfleur (Calvados), & 2 kilometres envivron en amont d’Honfleur, dans les haies.“ Hier hatte Couracne am 22. April 1879 242 H. hortensis und 26 H. nemoralis gesammelt, welche in folgenden Formen vertreten sind. Helix hortensis. „L13 coquilles unicolores, jaune citrin, melanostomes (a peristome brun fonce); coquilles unicolores, jaune citrin, leucostomes (sur ce nombre ıg9 sont toutefois a peristome plus ou moins nuance de rose); . \ . S\ Bern] x 5 coquilles unicolores, jaunes paille tres clair (mode opalescens), toutes a peristome tres blanc; . ” ’ x ’ ’ A ı coquille unicolore, jaune legerement rose, melanostome; 8 coquilles fasciees, toutes a 5 bandes, leucostomes.“ Helix nemoralis. g coquilles a 5 bandes, a ZN I un au 6 s ao 3 >00 Ueber Vorversuche zu Untersuchungen über die Varietätenbildung von Helix hortensis MÜLLER und Helix nemoralis L. 500 Dieser Befund scheint mir vom größten Interesse zu sein. COoUTAGNE selbst knüpft an die zahl- reichen Exemplare von H. hortensis mit dunkelbrauner Mündung folgende Ueberlegungen. „Les hortensis presentant le mode melanostomus ne sont pas des hybrides; car ces indi- vidus m&@lanostomes sont tous sans bandes (3 des fascies ont le pEristome un peu colore, mais colore tout au plus comme les ı9 individus deja signales, et comptes cependant parmi les leucostomes), tandis que les nemoralis sont fasci&s a 61 pour 100. Si les nemoralis £Etaient des parents, pour les 113 individus que j’ai appeles „hortensis m&lanostomes“, tout porte & presumer que ce caractere de grande fasciation se trouverait, an moins en partie, chez ces 113 individus.“ Das Resultat meines Kreuzungsversuches hat nun gezeigt, daß die Hybriden aus einer unge- bänderten (einfarbigen) hortensis und einer fünfbänderigen nemoralis ungebändert (einfarbig) sind, der Form der Schale und der Mündung nach sich hortensis außerordentlich nähern, dagegen ein dunkel- gefärbtes Peristom besitzen. Es fällt also Couracnes Einwand dahin. Da an der Fundstelle fast nur ungebänderte hortensis und vorwiegend gebänderte nemoralis vorkommen, so spricht die Wahrscheinlich- keit in hohem Maße für Kreuzungen zwischen diesen Formen von hortensis und nemoralis, so daß sich als Hybride hortensis ähnliche Formen mit dunkelgefärbter Mündung ergeben mußten. Die von mir experimentell erzielten Hybriden sind wie ihre Eltern, gelb. Die in der freien Natur beobachteten mutmaßlichen Hybriden zeigen zum Teil auch andere Färbungen, rot, braun etc. Das ist nach meiner Ansicht wohl für ihre Beurteilung als Hybride belanglos; denn es ist wohl sicher anzunehmen, daß ihre Eltern oder wenigstens der eine Elter durch die betreffende Färbung ausge- zeichnet war. Ueber die Nemoralisform mit weißer Mündung will ich mich nicht aussprechen, da ich eine solche Form bis jetzt selbst experimentell noch nicht erhalten habe. Was aber die verschiedenen er- wähnten Hortensisformen mit gefärbtem Peritom anbetrifft, so dürften sie, angesichts des Resultates meines Kreuzungsversuches, wohl mit großer Wahrscheinlichkeit samt und sonders als Hybride zu deuten sein, womit auch übereinstimmt, daß sie ausschließlich, fast ausschließlich oder doch vorwiegend im bänderlosen Zustand angetroffen werden. — Ich will nun noch CouracnE bezüglich des Fundortes Orsay, der in der These 2 angezogen ist, das Wort erteilen. Hier wurden 58 Proz. hortensis und 33 Proz. nemoralis gefunden. Auf 100 Proz. der Totalbevölkerung kamen aber nun noch ca. 9 Proz. Zwischenformen. Schon L. Pascar hatte diese Zwischenformen an derselben Fundstelle beobachtet, sie für Hybride gehalten und von ihnen gesagt: „Leur metis sont facılement reconnaissables en ce quils offrent un p£ristome rose, fauve ou violet; ce sont ces coquilles qui constituent la variete hybrida“, Hierzu bemerkt CouTacneE: „Il est a peine besoin de faire remarquer que cet auteur a eu le tort de gen£raliser: ce n’est qu’a ORsay, et dans quelques autres stations analogues, mais non pas partout, que les \ coquilles & peristome legerement color& peuvent @tre considerees comme des m£tis entre nemoralis et hortensis. Insistons un moment sur le petit nombre relatif des interme@diaires observes. Nous avons dit quil y en avait 9 pour 100 environ. Ne pourrions-nous pas en conclure que ce sont des hybrides et non des metis comme le dit Pascar; cest-ä-dire que ces sujets issus du croisement sont infeconds, ou tout au moins quils pr&sentent une fecondit@ tr&s amoindrie?* Etwas später sagt CoUTAGNE: „Si, done nous voyons les sujets interme@diaires ne former qu'une faible minorit@, nous pouvons en conclure que le croisement, entre les deux groupes consideres, presente une fecondite amoindrie, ou bien, tout au moins, quil y a quelque obstacle s’opposant aux unions croisees; dans un cas comme dans Pantre, on peut dire quil existe une certaine barriere gen&alogique entre les deux groupes. — Pourrait-on trouver des colonies ol cette faible barriere elle-m&me disparaftrait, et oü les s01 Ueber Vorversuche zu Untersuchungen über die Varietätenbildung von Helix hortensis MÜLLER und Helix nemoralis L. 501 metis entre nemoralis et hortensis constitueraient la grande majorite de la population? Cela me semble fort possible, quoique je n’aie jamais rencontr& pareille colonie. Mais il importe peu, en somme que de telles colonies existent ou n’existent pas. Il reste £tabli que, dans la plupart des stations ot cohabitent ces deux groupes, nemoralis et hortensis, il y a des differences morphologiques fort nettes, et une barriere gen&alogique s’opposant nux accouplements croise, ou diminuant la fecondite de ceux-ci.“ Was hier Couracne als eine Möglichkeit andeutet, scheint mir durch das Resultat meines Kreuzungsversuches der Wahrscheinlichkeit genähert zu sein. Ich vermute in der T at, daß im ge- meinsamen Verbreitungsbezirk der Arten hortensis und nemoralis, da wo beide Arten scharf getrennt sind (und es scheint dies fast überall der Fall zu sein) die Kreuzung zwischen Individuen beider Arten eine wenig entwickelungsfähige, wahrscheinlich immer unfruchtbare Nachkommenschaft ergibt, während an vereinzelten Lokali- täten (in Frankreich) aus dieser Kreuzung leicht Hybride, an einzelnen Orten ziemlich wahrscheinlich sogar fruchtbare Hybride hervorgehen. Die Frage ist von großer allgemeiner Bedeutung. Sie wird sich experimentell erledigen lassen. Leider ist es mir selbst noch nicht gelungen, das nötige lebende Versuchsmaterial zu erhalten. Ich bemerke noch, daß seit RossmÄsster zu wiederholten Malen Exemplare der beiden Arten in der freien Natur in-Kopula angetroffen worden sind. Für das Eintreten einer solchen hybriden Kopulation scheint mir unter im übrigen gleichen Verhältnissen die Wahrscheinlichkeit dann am größten zu sein, wenn in einer Kolonie zusammenlebender hortensis und nemoralis die eine Form nur in einem ganz geringen Prozentsatz vertreten ist, so daß die Gelegenheit zur Kopula mit Individuen der eigenen Art eine geringe ist. Vergl. Versuch II, S. 454. Experimentelle Hybridationsversuche mit Helix nemoralis und hortensis sind meines . Wissens bis jetzt nur von Locarp und BROCKMEIER angestellt worden, von LocarD (1882, S. 18) ohne Erfolg: „Quant & nous, nous devons declarer que nous n’avons jamais rencontre dans la nature ces deux formes accouplees ensemble; bien mieux, pendant deux ans, nous avons essay@ d’obtenir cet accouplement, et nous devons avouer que nous avons completement echoue. Mais loin de nous de pretendre pour cela que l’on ne puisse pas y arriver.“ Dagegen scheint BRockMEIER einen vollen Erfolg erzielt zu haben. Die Leichtigkeit mit der er Hybride erhielt, steht im Gegensatz zu den großen Schwierigkeiten, denen ich selbst begegnete. Dabei darf ich wohl sagen, daß ich in solchen Versuchen über eine große Erfahrung verfüge. BROCKMEIER (1888) traf am 20. April 1886 in Marburg eine fünfbänderige, rote Helix nemoralis in Copula mit einer fünfbänderigen gelben Helix hortensis. Er löste beide vorsichtig von ihrer Unter- lage los und isolirte, nachdem sich die beiden Exemplare freiwillig voneinander getrennt hatten, jedes Exemplar für sich. Von Helix nemoralis erhielt er in den Jahren 1886 und 1887, von Helix hortensis ebenso und sogar noch im Jahre 1888 lebende Nachkommenschaft. Ueber die Charaktere dieser Nachkommen teilt BROCKMEIER in seiner ersten Mitteilung nichts Näheres mit. In einer zweiten Mitteilung über Bastarde von Helix nemoralis und Helix hortensis lesen wir hingegen folgendes: „Redner (BRockmEIER nämlich) hat am 20. April 1886 und am 2. Mai 1888 die Begattung zwischen Helix nemoralis und Helix hortensis im Freien beobachtet und erhielt von den dann in Pflege genommenen Tieren im Verlaufe einiger Jahre 461 Schnecken, woraus hervorgeht, daß derartige Bastarde nicht gerade zu den Seltenheiten gehören werden.“ 502 Ueber Vorversuche zu Untersuchungen über die Varietätenbildung von Helix hortensis MÜLLER und Helix nemoralis L. 502 „Die nach der Begattung stets isoliert gehaltenen Tiere haben mehrere Jahre hintereinander Eier abgelegt, und es wird für sehr wahrscheinlich gehalten, daß auch von Jugend auf isolierte Tiere hierzu im Stande sein werden. „Als bemerkenswert wurde weiter hervorgehoben, daß die demselben Eihaufen entstammenden Schnecken beim Verlassen der Erdhöhlung auffallende Größenunterschiede zeigen; die Erklärung wurde darin gesucht daß die besonders großen Tiere auf Kosten der anderen gelebt haben, und dem- entsprechend findet man nicht selten leere Schalen unter den lebenden Tieren... Manche Individuen bleiben auffallend im Wachstum zurück. Am 24. Juli 1887 erhielt Redner eine Anzahl junger Schnecken von der Helix nemoralis, von denen die größten bereits eben so groß waren, wie die kleinsten vom 2ı. Juni 1886. Bezüglich der Färbung der Bastarde wurde erwähnt, daß sowohl die gelbe Helix hortensis, als auch die rote Helix nemoralis Nachkommen von gelber oder roter Schalen- färbung geliefert hat. In der ersten Jugend sind alle gelb. Die bis jetzt ausgewachsenen Exemplare haben alle eine schwarzbraune Mundlippe und unter diesen sind einige, welche aus Eiern der Helix hortensis hervorgegangen sind. Zur Erläuterung des Vortrags wurde geeignetes Material vorgelegt.“ Es ist wirklich sehr schade, daß BROCKMEIER die Hybriden nicht genauer beschrieben hat. Aus seiner Darstellung ist nur zu entnehmen, daß sowohl hortensis als nemoralis Junge von beiderlei (roter und gelber) Färbung erzeugt hat und daß auch die Jungen von hortensis eine schwarzbraune Mund- lippe ausbildeten. Es ist vielleicht auch anzunehmen, daß alle Nachkommen fünfbänderig waren, ein abweichendes Verhalten hätte der Verfasser wahrscheinlich ausdrücklich hervorgehoben. E. Zusammenfassung der wichtigsten Resultate, soweit sie sich auf Helix hortensis und Helix nemoralis beziehen. ı) Selbstbefruchtung kommt nicht vor. 2) Fortpflanzung tritt nicht vor vollendetem Schalenwachstum ein. 3) Das Wachstum findet in der Gefangenschaft frühestens im Spätsommer des zweiten Lebens- jahres, gewöhnlich erst im dritten Sommer und bisweilen erst im vierten seinen Abschluß. 4) Helix hortensis kann über 9 Jahre alt werden. 5) Der infolge einer oder mehrerer Kopulationen im Receptaculum seminis angesammelte Vorrat von Sperma bleibt mehrere Jahre lebens- und befruchtungsfähig, so daß die Tiere bei Ausschluß neuer Kopulationen jahrelang fortfahren entwickelungsfähige Eier zu produzieren. 6) Das Sperma verliert mit zunehmendem Alter und nach wiederholtem Ueberstehen des Winter- schlafes nichts von seiner spezifischen Vererbungskraft. 7) Reinzuchten von fünfbänderigen Exemplaren von Helix hortensis haben in allen Fällen mit Ausnahme eines einzigen eine Erblichkeit dieses Charakters von 100 Proz. ergeben. 8) Bei einem Zuchtversuch trat in der reingezüchteten Descendenz fünfbänderiger Exemplare ein Exemplar mit der Formel ı 2045 auf. Das ist der einzige Fall der als Mutation gedeutet werden könnte. 9) Die besondere Ausbildung des fünfbänderigen Zustandes, z. B. die verschiedenen ‚Grade der Bänderverschmelzung sind in sehr hohem Grade erblich. ı0) Während der Entwickelung fünfbänderiger Individuen treten die Bänder in folgender Reihen- folge auf. Das Band 3 eilt allen weit voraus, dann folgt das Band 4, dann ungefähr gleichzeitig Band ı und 2, zuletzt das Band >. | 503 Ueber Vorversuche zu Untersuchungen über die Varietätenbildung von Helix hortensis MÜLLER und Helix nemoralis L. 503 ı1) Reinzuchten mit ungebänderten Helix hortensis haben ergeben, daß der bänderlose Zustand in hohem Maße, doch nicht in demselben wie der fünfbänderige, erblich ist. 12) Diejenigen Nachkommen ungebänderter Eltern (die von Fundorten stammen, wo überhaupt nur ungebänderte und fünfbänderige Individuen vorkommen) welche von dem elterlichen Typus abweichen, tun dies ausnahmslos nur in der Richtung der Fünfbänderigkeit. 13) Bei der Kreuzung von ungebänderten Exemplaren mit fünfbänderigen ergaben sich zwei verschiedene Fälle. Erster Fall. Die ganze Nachkommenschaft schlägt im Sinne des Menperschen Gesetzes ausnahmslos nach der Seite des einen, und zwar des ungebänderten Elters. Die Bänderlosigkeit ist also das dominierende, die Fünfbänderigkeit das recessive Merkmal. Zweiter Fall. Die Nachkommenschaft geht in zwei scharf getrennte Gruppen auseinander, in gänzlich bänderlose und in vollkommen fünfbänderige Exemplare. Es ist wohl wahrscheinlich, daß die dem ersten Fall entsprechende Versuchsreihe auf einer Rein- kreuzung beruht in dem Sinne, daß beide Eltern ihre Form rein repräsentierten, während im 2. Falle das verwendete bänderlose Versuchstier jeweilen wahrscheinlich nicht rasserein, sondern ein dominant- merkmaliger Hybride aus der Kreuzung eines fünfbänderigen mit einem ungebänderten Exemplare war. ı4) Das Resultat des Versuches XLII ist nicht anders als im Sinne einer weiteren Bestätigung des Menperschen Gesetzes zu deuten. Es erzeugt hier eine Inzucht von dominantmerkmaligen (bänder- losen) Hybriden aus der Kreuzung einer fünfbänderigen und einer bänderlosen Form eine zweite Hybridgeneration, die im Verhältnis von 3:ı aus dominantmerkmaligen (bänderlosen) und recessiv- merkmaligen (gebänderten) Individuen besteht. ı5) Die fünf Bänder der fünfbänderigen Formen stellen alle fünf zusammen eine untrennbare Merkmalsgruppe, eine Vererbungseinheit, dar. 16) Die besondere Färbung der Schale ist im höchsten Grade erblich. Dabei scheint sich die rote Farbe gegenüber der gelben als dominierend zu verhalten. 17) Aus den Versuchen geht zur Evidenz hervor, daß bei unseren Schnecken die Vererbungs- potenz der Spermatozoen derjenigen der Eier gleichwertig ist. Die Nachkommenschaft die aus der Kreuzung eines sich männlich verhaltenden Individuums a einer Varietät A mit einem sich weiblich ver- haltenden Individuum b der Varietät B hervorgeht, unterscheidet sich nicht von der Nachkommenschaft, die sich aus der Kreuzung des sich als Weibchen verhaltenden Individuums a der Varietät A mit dem sich männlich verhaltenden Individuum b der Varietät B ergibt. ı8) Versuch IH und andere Versuche haben ergeben, daß, wenn eine Helix hortensis zuerst von einer anderen hortensis befruchtet wird und nachher von einer nemoralis, die nach dieser zweiten Copula abgelegten Eier von dem von der früheren Copula herrührenden Samen des Individuums der eigenen Art befruchtet werden. ı9) Die Hybriden aus der Kreuzung einer bänderlosen Helix hortensis mit einer fünfbänderigen Helix nemoralis schlagen im allgemeinen nach der Seite des hortensis-Elters in folgenden Merkmalen: a) Bänderlosigkeit, b) Form des Peristoms, c) Form der Schale; nach der Seite des nemoralis-Elters in der Färbung des Peristoms. Intermediär erscheinen sie bezüglich der Größe. Ueber Vorversuche zu Untersuchungen über die Varietätenbildung von Helix hortensis MÜLLER und Helix nemoralis L. 504 504 F. Schlussbemerkungen. Bezüglich der Kreuzungsprodukte von fünfbänderigen und ungebänderten Formen habe ich bei Beginn meiner Kreuzungsversuche (ich war mit der Literatur noch nicht bekannt) die erhaltenen Resultate nicht erwartet. Ich hatte eher erwartet, daß Formen mit reduzierter Bänderzahl, etwa ausschließlich mit Band 3, entstehen würden. Die Resultate der eigenen Versuche und die aus der Literatur besonders über das Menpesche Gesetz gewonnene Belehrung lassen mir jetzt die früher vollständig unverständ- liche Tatsache begreiflich erscheinen, daß an unzähligen Lokalitäten, vielleicht an der Mehrzahl derselben, ausschließlich fünfbänderige und ungebänderte Exemplare von Helix hortensis vorkommen, obschon sie vollständig gemischt durcheinander leben. An solchen Lokalitäten (z. B. Zürich) verhalten sich beide Formen so, wie wenn die eine aus der anderen oder beide aus einer Stammform durch Mutation oder diskontinuierliche Variation hervor- gegangen wäre. Immerhin sind Exemplare nicht ganz selten, die dadurch einen Uebergang der einen Form zu der anderen zu vermitteln scheinen, daß sie zwar 5 Bänder besitzen, daß aber diese Bänder ganz blaß sind. Nun gibt es aber tatsächlich Lokalitäten, wo die beiden häufig so scharf gesonderten Varietäten, die fünfbänderige und die ungebänderte, durch eine große Anzahl von Zwischenformen, durch kon- tinuierliche Variation, miteinder verbunden sind. Und zwar scheinen diese Uebergänge nicht auf einem und demselben Wege zu geschehen. Eine Uebergangsserie kommt z. B. dadurch zu stande, daß alle Bänder gleichzeitig verblassen, immermehr, bis sie sich in das ununterscheidbare verlieren. Eine andere Uebergangsserie kommt dadurch zu stande, daß die Bänder immer später auftreten, bei gewissen Formen erst auf dem letzten Umgang, schließlich erst unmittelbar vor der Mündung und am Ende gar nicht mehr. Eine weitere sich an die letztere anschließende Uebergangsserie ist dadurch charakterisiert, daß successive einzelne Bänder sich in ihrem Auftreten ontogenetisch verspäten, bis sie, ich möchte fast sagen, zu spät kommen. Auf solchem Wege findet häufig eine Vermittelung zwischen Formen mit weniger als 5, aber scharf ausgeprägten, Bändern, z. B. Varietäten mit den Formeln 1034 5,10305,12045,00300 einerseits und den fünfbänderigen und bänderlosen andererseits statt. Es fällt ferner an gewissen Lokalitäten nicht allzuschwer, zwischen folgenden Extremen alle erdenklichen Uebergänge aufzufinden: auf der einen Seite vollständig bänderlose Exemplare, auf der anderen Seite solche, wo alle fünf fast kohlschwarz ausgebildeten Bänder vollständig miteinander ver- schmolzen sind. Da nun einerseits jede besondere Form, ich möchte fast sagen Nuancierung, der Bänderung in hohem Grade erblichist, und da ich eine Reihe Anhaltspunkte für die Annahme habe, daß das Auftreten der Merkmale bei den Individuen der Hybridgeneration aus der Kreuzung zwischen zwei derartigen, durch kon- tinuierliche Variation verbundenen Formen im wesentlichen der Menperschen Regel folgt, so werde ich immer mehr zu der Ansicht geführt, daß Variationen und Mutationen nicht essentiell, sondern nur dem Grade nach verschieden sind. Die Conchyliologen nehmen an, daß die fünfbänderige Form den Typus der Art repräsentiere, daß sie zugleich die phylogenetisch ältere sei. Es lassen sich in der Tat eine Reihe von Gründen dafür anführen, die später diskutiert werden sollen. Angenommen, diese Ansicht sei richtig, so wäre für ——— — 505 Ueber Vorversuche zu Untersuchungen über die Varietätenbildung von Helix hortensis MÜLLER und Helix nemoralis L, 505 Helix hortensis (und ich füge nach meinen noch nicht veröffentlichten Erfahrungen hinzu, auch für H. nemoralis) der Fall konstatiert, daß bei der Kreuzung einer phylogenetisch jüngeren mit einer phylogenetisch älteren Form die jüngere die dominierende aber zugleich variierende, die ältere die rezessive aber in den nachfolgenden Generationen konstant-merkmalige ist. Ob sich hieraus Gesichts- punkte für die allgemeine Beurteilung des dominierenden oder rezessiven Charakters eines Merkmales ergeben, will ich noch völlig dahingestellt sein lassen. Die Untersuchung zeigt, daß die Bänder, besonders die Bänder 3 und 4, in ihrem Auftreten ziemlich genau dem Verlaufe der Hauptstäimme der Lungenvenen in den dem Mantelrande anliegenden Bezirken folgen. Auch bei bänderlosen Varietäten tritt vielfach an oder über der dem Streifen 3 entsprechenden Hauptvene im Mantel eine streifenartige Pigmentierung auf, die sehr häufig, wenn die Schale noch durchsichtig ist, eine Bänderung vortäuscht, die in der Schale selbst vollständig fehlt. Die Beobachtung läßt es wünschenswert erscheinen, die Frage zu prüfen, ob nicht das Auftreten der Bänder "ursprünglich auf einen im Gebiete des Lungenvenensystems sich vollziehenden Prozeß der Absonderung gefärbter Exkrete zurückzuführen ist. Jenaische Denkschriften. XI. 64 Festschrift Ernst Haeckel. ‚Ueber Vorversuche zu Untersuchungen über die Varietätenbildung von Helix hortensis MÜLLER und Helix nemoralis L. 506 506 Verzeichnis der Literatur, auf welche in der vorstehenden Abhandlung verwiesen wird. 1875 und 1878 ARNDT, C., Ueber Vererbung der Bindenvarietäten bei Helix nemoralis L. Arch. Ver. Freunde Naturgesch,, Mecklenburg, 29. Jahrg. (1875), 31. Jahrg. (1877). 1869 Bauperor, (E.), Experiences sur la reproduction de diverses varietes de l’Helix nemoralis, in. Bull. Soc. Sci. nat, Strasbourg, 2 Annee, p. 26., 1888 BROCKMEIER, HEINR., Zur Fortpflanzung von Helix nemoralis und H. hortensis nach Beobachtungen in der Gefangen- schaft. Nachrichtsbl. Malak. Ges. Frankfurt, Jahrg. 20, S. 113— 116. 1889 — Ueber Bastarde von Helix nemoralis und Helix hortensis. Tagebl. 61. Vers. deutsch. Naturf. Köln, S. 48. 1863 — 1865 COoLBEAU, JULES, Excursions et Decouvertes malacologiques faites en quelques localites de la Belgique pendant les ann&es 1860— 1865. Ann. Soc. Malac. Belgique, Vol. I. 1895 CoUTAGNE, G., Recherches sur le polymorphisme des Mollusques de France. Lyon. ı888 Harrwıc, W., Zur Fortpflanzung einiger Landschnecken, Helix lactea L. und H. nemoralis L. Zool. Garten, 29. Jahrg,, No. 5, S. 148 —151. 1889 — Zur Fortpflanzung einiger Heliciden. Ebenda, 30. 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Ein Beitrag zur Frage der Haare und Hautdrüsen bei Säugetieren. Dr. F. Maurer o. Professor der Anatomie und Direktor der anatomischen Anstalt in Jena. Mit Tafel XV und 4 Figuren im Text. 5 $R Dr. die Liebenswürdigkeit des Herrn Professor Ernst HAaEckEL stand mir ein Embryo von Ursus Arctos von 4,5 cm Becken-Steißlänge zu wissenschaftlicher Verwertung zur Verfügung. Derselbe bietet schon bei äußerlicher Brtrachtung ein überraschendes Bild, so daß ich gerne die Veranlassung nehme auf von mir schon früher erörterte Fragen zurückzukommen. Es ist mir eine ganz besondere Freude die hierbei gewonnenen Resultate gerade an dieser Stelle der Oeffentlichkeit zu übergeben. In der neuesten Auflage der Anthropogenie gibt Herr Prof. HaeckeL auf S. 700, Bd II eine bildliche Darstellung des Embryo. Ich bringe die Figuren hier wieder (Textfig. 1). Man erkennt darauf, daß das Integument am Kopf sowie an der ventralen Körperhälfte glatt aussieht. Bei oberflächlicher Betrachtung und schwacher Vergrößerung sieht man noch nichts von Haarbildungen. Dagegen zeigt sich auf der ganzen Dorsalfläche des Körpers, von der Scheitelhöhe des Kopfesan, ein deutliches Stachelkleid, etwa in der Ausdehnung wie es bei Igel- und Echidna- Embryonen bekannt ist. Da der erwachsene Bär keine Andeutung eines Stachelkleides mehr besitzt, vielmehr ein dichtes Haarkleid allenthalben ausgebildet zeigt, so forderte der auffallende Befund zu genauerer Untersuchung auf. Ursus Arctos als Sohlengänger stellt eine primitive Form unter den Carnivoren dar. Be- kanntlich zeigen aber gerade die niederen Säugetiere hinsichtlich des Integumentes Verhältnisse, welche keineswegs als primitive aufgefaßt werden dürfen. Der Stachel ist keine niedere Form des Säugetier- haares, wie von manchen Seiten heute noch angenommen wird, sondern stellt in seiner voluminösen Ausbildung, wenn auch ein echtes Haar, so doch einen modifizierten Zustand desselben dar. Nun finden wir ein Stachelkleid gerade bei einem der niedersten Säugetiere: Echidna, ferner bei Erinaceus und Hystrix. Bei so verschiedenen Säugetieren tritt diese Form des Epidermoidalorgans auf, daß es fraglich ist, ob es überhaupt als ein monophyletisches Gebilde aufgefaßt werden darf. Bei Ornithorhynchus zeigt das Haarkleid ebenfalls durchaus keine primitiven Verhältnisse. Die abgeplatteten, an ihrem Ende kolbenartig verdickten Haare stecken sehr tief in der Lederhaut, d. h. ihr Haarfollikel sinkt verhältnismäßig tief ins subkutane Bindegewebe ein. Daneben besitzt Ornitho- rhynchus feine Büschelhaare, es bestehen also reichliche Teilungen ursprünglich einfacher Haaranlagen. Auch bei Marsupialiern bestehen sehr verschiedenartige Haarbilduugen, die bei einigen Formen bekanntlich mit Hautschuppen zusammen vorkommen. Schon früher habe ich darauf hingewiesen, daß trotz aller Verschiedenheiten doch im Bau des Haares und Stachels stets ein Grundplan nachweisbar ist, 510 Das Integument eines Embryo von Ursus Arctos. 510 insofern man stets eine Rindenschicht, ein Oberhäutchen und eine Markschicht unterscheiden kann. Die relative Stärke der drei Schichten wechselt dagegen sehr. Bei Edentaten, besonders den Faultieren ist das Oberhäutchen sehr mächtig entwickelt, so daß dadurch das trockene Aussehen des Haares (wie Heu) veranlaßt wird. Bei Nagetieren (Maus) und manchen Karnivoren (Katze) ist die Markschicht un- gemein mächtig, während die Rinden- schicht nur eine relativ geringe Dicke be- sitzt. Bei wieder anderen Formen be- stehen die Verhältnisse wie beim Menschen, d. h. die Rindenschicht ist der wesent- liche Teil des Haarschaftes und das Mark ist gering entwickelt, kann sogar ganz fehlen. Beim Stachel findet man eben- falls eine starke Entfaltung des Markes und daneben läßt die Haarpapille eine stärkere Ausbildung und Längsfalten- bildung an ihrer Oberfläche erkennen. Letztere Komplikation fehlt allerdings den Stacheln von Echidna, die dadurch ein- facher erscheinen als die von Erinaceus und Hystrix. Bei den zahlreichen unter- suchten Säugetieren vermißt man niemals den gleichen Bau des Haarfollikels. Fig. ı. Totalansicht eines Embryo von Ursus Arctos von 4,5 cm Länge. (Nach R n E. HAECKEL.) Stets ist der Haarschaft unmittelbar um- geben von der Haarscheide, welche mit freiem Rande unter der Talgdrüsenzone des Follikels endigt und sich bei allen Formen gleich- artig erhält. Sie wird nicht abgeworfen wie die Scheide der Feder, die einem Epitrichium der Reptilien- schuppe vergleichbar ist. Die Haarscheide läßt stets die beiden als Henzesche und Huxzzysche Schicht unterscheidbaren Lagen erkennen. Die Wurzelscheide des Haares ist stets die Fortsetzung der Epidermis in den Haarfollikel. Von diesem aus bildet sich die Talgdrüse, meist dicht unter der Austrittsstelle des Haarschaftes über die Oberfläche der Haut. Der epitheliale Teil des Haarfollikels ist durch die mem- brana hyaloidea, eine Basalmembran, abgegrenzt. Am Grunde des Follikels besteht die Haarpapille, welche lediglich ernährende Bedeutung hat, insofern sie eine Blutgefäßschlinge in ihrer bindegewebigen Grundlage enthält. Markhaltige Nerven fehlen in ihr zum Unterschied von den Papillen der Reptilienschuppe und Vogelfeder. Das Vorhandensein von spärlichen sym- pathischen Fasern ist selbstverständlich, da Blutgfäße sich in der Papille finden, die ohne sympathische Nerven nicht denkbar sind. Der bindegewebige Teil des Follikels ist durch die Haarbalgscheiden dargestellt. Dieselben sind in ihrer der membrana hyaloidea unmittelbar angelagerten Schicht durch eine Lage zirkulärer Fibrillen- bündel gebildet, während nach außen längsverlaufend sich Bündel anschließen. Am Grund des Follikels umziehen die Fibrillenbündel bogenförmig die Basis der Papille.e Durch die Haarbalgscheiden treten an der Länge des Follikels die markhaltigen sensiblen Nerven zum Epithel der Wurzelscheide. Glatte Muskelzellen verlaufen zu Bündeln vereinigt zum Haarfollikel. Sie stellen den Arrector Pili dar, der von der Pars papillaris der Lederhaut entspringt, schräg abwärts etwa zur Mitte des Follikels durch die 511 Das Integument eines Embryo von Ursus Arctos. Sn Haarbalgscheiden hindurch zur Wurzelscheide tritt. Diese ist an der Ansatzstelle des Arrector meist zapfenförmig ausgezogen. Diese Stelle (der Wulst) ist schon lange beachtet worden, da sie schon früh- zeitig bei der embryonalen Haaranlage auftritt und ebenso wie Später mit der Anlage des Arrector pili in Verbindung steht. Einige Autoren haben diese Stelle so gedeutet, daß hier eine Ausbildung glatter Muskelzellen aus dem Epithel der Wurzelscheide stattfinden solle. Gegen diese Auffassung der ektoder- malen Herkunft glatter Muskelzellen hat sich in neuester Zeit Stöhr gewendet. Er gibt zwar an, daß die glatten Muskelzellen so unmittelbar aus den hier langgezogenen Elementen der Haarwurzelscheide hervorgingen, daß er selbst eine Zeit lang an die ektodermale Herkunft der glatten Muskelzellen geglaubt habe. Dann aber fährt er fort, er habe beobachtet, daß zweifellos die Muskelzellen außerhalb des Haarfollikels „schon früher auftraten, als die Epithelzellen des Wulstes jenes verdächtige Aussehen zeigen.“ (Anat. Hefte B. 23, 1903, S. 52.) Die unendlich verschiedenen Deutungen, die der Wulst schon erfahren hat, sind von Stöhr ausführlich dargestellt worden. Später komme ich noch darauf zurück. Die Anordnung der Haare ist bekanntlich ebenfalls in letzter Zeit vielfach untersucht worden. Ich nenne DE MEIERE und F. Römer. Es ist bekannt, daß die Haare vielfach eine Gruppenstellung zeigen. Dieselbe ist für die einzelnen Tierspezies meist charakteristisch, sie besteht aber nicht bei allen Tieren. DE MEIERE hat die Gruppe von 3 Haaren als Norm angegeben, sodaß ein Mittelhaar zu beiden Seiten je ein Nebenhaar zeigt. Haargruppen und Haarbüschel sind zu unterscheiden. Diese Gruppenstellung kommt zum Teil daher, daß aus der ersten einfachen Haaranlage noch jederseits Neben- anlagen aussprossen. Dabei handelt es sich um eine wirkliche Teilung der Haarfollikel. In anderen Fällen entstehen die Anlagen der Nebenhaare selbständig neben der ersten Anlage des Haupthaares. Dann ist die Anordnung durch andere Verhältnisse begründet. Die Beziehung zu Hautschuppen ist hierbei das wesentliche Moment. Dadurch, daß Haare mit Schuppen zusammen vorkommen, werden die Haare auf den Schuppen und an ihrem hinteren Rande angeordnet und finden sich stets in Mehr- zahl auf einer Schuppe. Die hierdurch bedingte Gruppenstellung bleibt auch nach Schwund der Schuppe erhalten. Außer den Haaren sind von Epidermisorganen noch die Drüsen von besonderem Interesse. Die Talgdrüsen gehen wohl stets von den Haaranlagen aus. Die Schweißdrüsen entwickeln sich oft] selb- ständig, nicht selten aber findet man auch sie in Haarbälge einmünden. Immerhin sind sie selbständige Organe, während die Talgdrüsen allgemein als Hilfsorgane der Haare, von diesen aus entstanden, auf- gefaßt werden. Gerade diese bei vielen Säugetieren bestehende genetische Beziehung zwischen Haar- follikeln und tubulösen Hautdrüsen ist in den letzten Jahren mehrfach beobachtet worden, ich komme später darauf zurück. Das sind die Punkte, welche von den Säugetierhaaren und Drüsen bekannt, auch an dem vor- liegenden Embryo von Ursus Arctos zu prüfen waren. Im Folgenden seien nun die Befunde dar- gestellt. Zuvor gebe ich noch an, daß die Tragzeit der Bären nach Breum 180 Tage dauert. Ferner wird bei Bremm von neugeborenen Jungen von Ursus arctos angegeben, daß sie mit einem silbergrauen sehr kurzen Pelz bekleidet seien, also von einem Stachelkleid ist hier nicht die Rede. Die Augen bei der Geburt geschlossen, sollen sich erst nach 4—5 Wochen öffnen (Brerm). Nach der Tragzeit und den allgemeinen Verhältnissen des vorliegenden Embryo schätze ich dessen Alter auf 5—6 Wochen. Befunde. Bei Betrachtung mit der Lupe zeigen sich auf der ganzen Dorsalfläche des Embryo in geringen Abständen voneinander kleine papillenartige Erhebungen des Integumentes, welche nach hinten gerichtet 512 Das Integument eines Embryo von Ursus Arctos. 2 sind und zuerst den Eindruck ‚von Schuppenbildungen machen. Dann erkennt man aber an der Spitze einer jeden solchen Erhebung einen kleinen spitzen, gerade eben frei hervortretenden Stachel). Diese Gebilde zeigen sich im allgemeinen in Längsreihen angeordnet, doch ist dabei keine strenge Regelmäßigkeit erkennbar (Textfig. 2). Wenn ich die früher von mir gegebene Darstellung von 2 Katzenembryonen damit vergleiche, so ist es bei diesen freilich ein viel jüngeres Stadium gewesen, das die Reihen der Haaranlagen zeigte und bei einem Embryo schon ihre Auflösung erkennen ließ. Man kann also aus der bei dem vorliegenden Bärenembryo fehlenden regelmäßigen Reihenanordnung nicht etwa den Schluß ziehen, daß eine solche Anordnung in früheren Entwickelungsstadien ebenfalls nicht bestanden hätte. Im allgemeinen ist eine Reihenanordnung jedenfalls erkennbar. Etwas vor der Sakralgegend weichen die beiderseitigen Stachelanlagen seitlich stark auseinander, so daß hier ein breiter längsgestellter ovalärer Bezirk frei von ihnen ist. Dadurch erscheinen die beiderseitigen Stachelanlagen in der Form von 2 (einer linken und einer rechten), Fluren über den Rücken ausgebreitet zu sein. Bei Betrachtung eines einzelnen solchen Gebildes ist noch ersichtlich, daß aus jeder Papille nur ein einziger feiner Stachel hervorragt, Andeutung einer Gruppenbildung ist äußerlich jedenfalls nicht erkennbar (Textfig. 3 u. 4); ich habe fast alle diese Gebilde mit der Lupe angesehen und der Befund zeigte sich bei allen durchaus über- einstimmend. Ferner aber erkennt man zwischen den Stachel- anlagen allenthalben zerstreut kleine helle Knötchen und Grüb- chen am Integument, die man unschwer als Anlagen von Haaren deuten kann. Dieselben sind, nach der verschiedenen Größe und dem verschiedenen Grade von Durchsichtigkeit zu urteilen, auf sehr ungleichen Stadien der Entwickelung. Daraus war zu schließen, daß hier das Haarkleid gerade in der vollen ersten Entwickelung begriffen ist und man alle frühen Ent- wickelungsstadien hier nebeneinander finden werde, was die mikroskopische Untersuchung dann auch bestätigt hat. Die angeführten größeren Stachelanlagen stehen an dem Embryo nicht alle auf dem ganz gleichen Entwickelungsstadium, doch ist der Unterschied nicht sehr groß. Hier und da besteht eine Anlage noch als geschlossener Höcker, d. h. die Stachelspitze ist noch nicht durchgebrochen. An der ganzen Bauchfläche des Embryo, sowie an den Extremitäten fehlen die Stachel- anlagen gänzlich, man erkennt nur feine undurchsichtige weiße Fig. 2. Dorsalansicht des Embryo von Urus Punkte, ganz junge Haaranlagen. Wenn ich an der Bauch- Arctos, zur Demonstration der Anlagen der Stacheln fläche die Haut vorsichtig ablöste, so blieben die Haaranlagen un aare. an der Oberhaut hängen und das Flächenbild zeigte, daß hier eine Gruppenstellung in den ersten Entwickelungsstadien bereits nachweisbar ist. Es sprossen nicht mehrere Haarfollikel von einem Punkte aus, sondern dicht nebeneinander wachsen 3 oder mehr Epithel- ı) Die Textfiguren sind alle von Herm GirtscH genau nach dem natürlichen Objekt unter sorgfältigster Be- rücksichtigung des Details ausgeführt worden, 513 Das Integument eines Embryo von Ursus Arctos. 513 schläuche in die Tiefe. Die Zahl ist nicht gleich, sondern schwankt. Zuweilen fand ich ein einziges Haar, öfter 3, oft auch 5 und mehr. Ferner stehen mit den Anlagen der Haare auch die Anlagen von tubulösen Drüsen in Verbindung, die als leicht gewundene Schläuche erschienen. Das Schnittbild ergänzte diese Befunde, worauf ich sofort zurückkomme, Auch an den Extremitäten fand sich die genannte Gruppenstellung. Vom Kopfe führe ich noch an, daß die Anlagen von Tasthaaren in charakteristischer Anordnung wie bei allen Säugetieren außer Monotremen, denen sie überhaupt fehlen, nachweisbar sind (Textlig. 4). Doch treten sie hier nur an der Oberlippe jederseits in 6 Reihen auf und ebenso an der Unterlippe jederseits in mehreren Reihen. Die meisten der Haare sind schon mit feiner A Spitze durchgebrochen. In der Submentalgegend fand ich 2 solcher Sinushaare. Ueber dem Auge und in der Gegend des Jochbogen fehlen Sinushaare gänz- lich, während sie bei so vielen Säugetieren ge- je “ funden werden. Vom Igel wurden sie außer anderen Säugetieren früher von mir abgebildet. Auch fehlen a (1) sie gänzlich an den Extremitäten, wo solche be- a ii kanntlich bei vielen Marsupialiern und anderen ge- WR ; funden werden. Dagegen ist auch am Vorderkopf = ; % sonst allenthalben zerstreut die Anlage des Haar- F | 0) kleides in Form heller Punkte erkennbar. Aber an E diesen jungen Anlagen ist am Kopfe eine Gruppen- N) stellung nicht nachweisbar. Zum Zwecke der mikro- skopischen Untersuchung nahm ich ein etwa Quadrat- EN en embryo bei stärkerer Vergrößerung. A in Flächenansicht, B in Profil- zentimeter großes Hautstück von der seitlichen ansicht. Rückenregion heraus, auf welchem eine größere An- zahl Stachelanlagen angeordnet waren und dazwischen zahlreiche Haarkeime bestanden. Ferner wurden an der Ventralfläche des Rumpfes, sowie an der Streckfläche der Vorder- und Hinterextremität kleine Haut- stückchen zum Zwecke mikroskopischer Untersuchung exstirpiert. Da der Embryo schon vor längerer Zeit in Alkohol konserviert war, so brachte ich das Objekt in Mürrersche Flüssigkeit für 2 Tage, behandelte dann wieder mit Alkohol und färbte mit Boraxkarmin durch. Nach Einbettung in Paraffın führte ich zum Teil senkrechte Schnitte aus, welche möglichst genaue Längsschnitte durch Stachel- und Haaranlagen gaben, außerdem fertigte ich schräge Tangentialschnitte an, um genaue Querschnitte der genannten Anlagen zu erhalten. An den Schnitten führte ich verschiedene Nachfärbungen aus. Allgemeines Verhalten des Integumentes. Bei der Untersuchung des Integumentes fielen mir einige Verhältnisse auf, so daß ich den allgemeinen Befund hier in Kürze anführen will: Das Epithel der Oberhaut ist sowohl am Rücken wie an der Bauchfläche auf den ersten Blick ganz eben gegen die bindegewebige Lederhaut abgegrenzt. An vielen Punkten bestanden aber doch schon feine Fortsätze von Bindegewebszellen und Fasern zwischen den basalen Epidermiszellen, die ıch als erste Anfänge von Papillenbildungen deuten muß. Auch lassen sich von der Basis der Epidermiszellen feine Fortsätze abwärts ins Bindegewebe verfolgen, wo ihre Endigungsweise auf Schnittbildern nicht festgestellt werden konnte. Die Epidermis ist schon recht schichtenreich. Das Stratum Malpighi besteht aus 4—6 Zellen- lagen. Ein Stratum granulosum konnte ich nicht nachweisen, doch ist daran wohl der Konservierungs- Jenaische Denkschriften. XI. 65 Festschrift Ernst Haeckel. 514 Das Integument eines Embryo von Ursus Arctos. 514 zustand schuld. Das Stratum corneum war schon stark ausgebildet und bestand aus mindestens 8—ıo Lagen kernloser gänzlich verhornter Zellen. Die Lederhaut ließ eine obere, der Epidermis unmittelbar angeschlossene Schicht von ziemlicher Dicke unterscheiden, in welcher große spindelförmige Zellen in verschiedenster Anordnung sich fanden, die sich durchkreuzten. Die Intercellularsubstanz war schon reich an feinen sich durchflechtenden Fibrillen, die aber noch keine stärkeren Bündel formierten; auch war dazwischen noch reichliche schleimige Grundsubstanz. Diese Schicht ging ziem- lich plötzlich in eine tiefere Lage über, in welcher größere Zellen mit nach allen Seiten ausstrahlenden vielfach verästelten Fortsätzen lagen. Die Grund- substanz war noch ganz schleimig, nur wenige äußerst zarte Fibrillen durchsetzen sie. Diese Schicht ist sehr reich an glatten Muskelzellen, die durchaus nicht alle etwa mit Haar- oder Stachelanlagen in Be- ziehung stehen. Sie sind teils einzeln, teils in Zügen / Ä eg angeordnet und leicht von den Bindegewebszellen, auch [ 2 1 ) ) s n 2 2 in der oberflächlichen Lederhautschicht, unterscheidbar. EN In der Tiefe dieser Schicht treten schon die ersten Fig. 4. Kopf des Bärenembryo in seitlicher Ansicht. An- : ordnung der Tasthaare. Anlagen des Panniculus auf in Form kleiner kom- pakter Zellgruppen, welche zerstreut, ohne jeden Zu- sammenhang untereinander, weit auseinander liegend nachweisbar sind. In den Zellkörpern treten die ersten Fetttröpfchen auf. Dieselben erreichen in vielen Zellen schon die Größe des Kernes. : Der letztere ist aber stets noch kugelig, zeigt noch keine Andeutung einer beginnenden Abplattung. Die ersten Anlagen der Haare und Stacheln finden sich als undurchsichtige Flecken im Flächenbild der Haut. Der senkrechte Schnitt zeigt bei den jüngsten Zuständen, die ich fand, das Bild der Fig. ı (Taf. XV). Es ist einem senkrechten Schnitt durch die Rückenhaut entnommen. Es unterscheidet sich in nichts von den Haaranlagen anderer Säugetiere gleichen Stadiums, d. h. ein kleiner Epithelzapfen beginnt sich in die Lederhaut zu senken. Am Grunde ist er abgerundet und hier in der Tiefe zeigen die Epithelzellen längliche Form, die Andeutung einer meilerartigen An- ordnung. Es besteht nicht die geringste Andeutung einer Lederhautpapille, noch liegen unter dem Grunde der Anlage Gruppen von dichtgelagerten rundlichen Bindegewebszellen, wie sie sonst die Coriumpapillen vorzubereiten pflegen. Diese Haaranlage ist also rein epithelial, obgleich sie sicher nicht mehr das erste Bildungsstadium darstellt. Im folgenden Stadium (Fig. 2) ist der Epidermiszapfen weiter in die Tiefe gewachsen und es zeigt sich unter demselben ein Komplex dicht angeordneter rundlicher Bindegewebszellen, die erste Vorbereitung der Haarpapille.. Das untere Ende der epithelialen Haaranlage ist aber noch nach der Tiefe zu gleichmäßig abgerundet, es ist noch keine Andeutung einer Abflachung als Beginn der Papillen- bildung vorhanden. Auf eine Erscheinung möchte ich noch hinweisen: Bei allen diesen jüngsten Haar- anlagen (Fig. ı und 2) zeigt sich im Bereich der mittleren Schichten der Epidermis gerade über dem Epidermiszapfen eine unregelmäßige Lücke zwischen den Epidermiszellen, die ich nicht als Kunst- produkt auffassen kann. Der Beginn etwa der Abhebung des Stratum corneum ist es deshalb nicht, weil die Lücke noch zwischen den Zellen des Stratum Malpighii liegt. Auch sonst ist kein Grund er- 515 Das Integument eines Embryo von Ursus Arctos. 515 sichtlich, etwa durch Schrumpfung der umliegenden Elemente. Die Zellen sind alle durchaus gleich- mäßig gut konserviert und es besteht nirgends sonst wo in der Epidermis eine ähnliche Veränderung. Ich kann diese Bildung nur als eine Lockerung des Zusammenhangs der Zellen auffassen unter Ver- mehrung der interzellularen Flüssigkeit. Ich lege diesem Raum deshalb eine größere Bedeutung bei, weil er ganz konstant nachweisbar ist. Daß er den Weg für den aufwärtswachsenden Haarschaft vor- bereitet, dem er das Hervortreten aus der Epidermis erleichtern würde, glaube ich nicht, weil er, ehe der Haarschaft sich bildet, schon geschwunden ist. Er zeigt vielmehr, wie der Grund des Epidermiszapfens der wichtigste Teil der Haaranlage ist. In der Tiefe vermehren sich die Zellen am reichlichsten und bei dem raschen Tiefenwachstum halten die oberflächlicheren Zellen in ihrer Vermehrung damit nicht gleichen ‚Schritt, so kommt es zur Spaltenbildung zwischen ihnen. Neben diesen mechanischen Gründen sehe ich aber als wesentlicher noch einen phylogenetischen Grund an. (Schon bei den ersten Haaranlagen von Talpa habe ich hervorgehoben, daß die noch in der glatten Epidermis liegende erste Haaranlage, welche als ein Komplex hoher cylindrischer Zellen in meilerartiger Anordnung besteht, von den seitlich angrenzenden Fpidermiszellen durch einen Spaltraum deutlich abgetrennt ist. Auch Leyoıc hat dies schon beschrieben und diese Erscheinung findet sich auch bei den ersten Anlagen der Hautsinnesorgane der Fische und Amphibien. Solche Iymphspalten grenzen die knospenförmigen Gebilde scharf gegen die Umgebung ab, stellen für dieselbe auch günstigere Ernährungsverhältnisse dar. Mit diesem Raum hat der auf Fig. ı und > abgebildete Spaltraum nichts zu tun. Ich führe ihn nur an, weil er zeigt, daß bei der Entwickelung epidermoidaler Organe solche Räume in verschiedener Weise auftreten.) Be- trachten wir die Verhältnisse eines in die Tiefe gesunkenen Hautsinnesorgans von Triton, so sehen wir, daß über demselben stets ein feiner Kanal besteht, der mit Schleim erfüllt bis zur freien Oberfläche der Epidermis reicht. Bei der sich entwickelnden Haaranlage ist nun die Epitrichialschicht gleich- mäßig alle tieferen Teile der Epidermis deckend ausgebildet. Die genannte Lücke ist aber die An- deutung eines Kanals, der über der in der Tiefe sich findenden knospenartigen Haaranlage besteht, die Vergleichung mit dem Hautsinnesorgan macht ıhn verständlich. Die rasch nachfolgende reichlichere Vermehrung der höher gelegenen Epidermiszellen im Zapfen läßt diesen Raum bald schwinden. So ist auf Fig. 3, einer etwas älteren Haaranlage nichts mehr davon nachweisbar. An diesem Schnitt erkennt man, wie sehr tief die epitheliale Haarfollikelanlage in die Lederhaut einsproßt, bevor die erste terminale Abflachung und geringe Erhebung als Beginn der Papillenbildung eintritt. Eine dichte mesodermale Zellenmasse bildet die Anlage der Papille und das abgeflachte und leicht in die Höhe gebuchtete Ende der epithelialen Haaranlage zeigt eine leichte Anschwellung. Dieselbe enthält die Keimschicht des Haarschaftes, welche aus sehr hohen, fast fadenförmigen Zellen besteht. Diese setzen sich auch in der bekannten Weise eine Strecke weit aufwärts in die Achse des Follikels fort, die erste Andeutung eines sich bildenden Haarschaftes darstellend. Die peripheren Zellen dieses tiefen Teiles des Follikels sind rundliche kleine Elemente. Etwas über der Mitte des ganzen Epidermiszapfens besteht eine kurze spindelförmige Verdickung desselben, die veranlaßt ist durch lokale Vergrößerung und beginnende stärkere Vermehrung der peripheren, basalen Zellen. Dieselben sind cylindrisch und besitzen hohe, fast stäbchenförmige Kerne. Dies ist die erste Anlage der Talgdrüsen. Aeltere Stadien von Haaren habe ich an dem vorliegenden Embryo nur vereinzelt gefunden, die meisten weiter ausgebildeten Epidermisorgane sind als Stacheln entfaltet. Ob aus den seither besprochenen Anlagen ebenfalls später Stacheln werden, kann ich natürlich nicht entscheiden, doch möchte ich es mit Hinblick auf das dichte Haarkleid des neugeborenen Bären bezweifeln. 65* 5 6 Das Integument eines Embryo von Ursus Arctos. 5 16 Als nächstes Stadium schilderte ich die Verhältnisse eines Gebildes, von dem ich nicht mit Sicherheit sagen kann, ob es sich später zum Haar oder zum Stachel weiter entwickelt (Fig. 4). Eine ähnliche Abbildung gibt Davızs von der Anlage eines Igelstachels. Die Anlage ist in Vergleichung mit dem Stadium der Fig. 3 nicht viel tiefer gewachsen. Vielmehr beruht die Weiterbildung in einer enormen Entwickelung der Papille und infolgedessen einer starken Vermehrung der Zellen des Keimlagers des Haares, das schon sehr komplizierte Zustände aufweist. Die zellenreiche Haarpapille enthält schon reichlich Blutkapillaren. Die Zellen des epithelialen Keimlagers des Haares, welche un- mittelbar über der Papille liegen, sind kleine rundliche Elemente mit kugeligen stark tingiblen Kernen in reichlicher Schichtung. Dieselben gehen in lang gestreckte Zellen über, in welchen der blasse Kern gestreckte Form hat. Der Zellkörper zeigt bereits Hornfibrillen in größerer Zahl. Solche Zellen formieren einen kurzen Kegel, über dessen stumpfer Spitze kappenförmig die aus ganz verhornten Zellen bestehende Haarscheide aufsitzt. Dieselbe erscheint nach oben spitz ausgezogen, erstreckt sich aber auch abwärts den Haarkegel überlagernd bis ganz in die Tiefe des Follikels, wo man schon die erste Andeutung ihrer doppelten Lage, der Henzeschen und Huxrevschen Schicht, sowie die Diffe- renzierung eines Oberhäutchens nachweisen kann. Die Wurzelscheide des Haares ist hier in der Tiefe soweit die Anlage des Haarschaftes sich erstreckt, ein mehrschichtiges Epithel. Dieser ganze untere Teil des Follikels ist beträchtlich verdickt und setzt sich nach der Oberfläche zu in einen viel schmächtigeren Teil fort, an welchem ebenfalls mehrere weitere Komplikationen aufgetreten sind. Zunächst ist dieser oberflächliche Teil des epithelialen Follikels nicht mehr kompakt, sondern besitzt ein Lumen, den Haarkanal. Derselbe ist nicht mehr durch ein Epitrichium, das Stratum corneum, überdeckt, sondern mündet frei an der Oberfläche der Haut aus. Ferner sind die Talgdrüsen zu stärkeren Alveolen aus- gewachsen und enthalten im Inneren bereits mit Talgtröpfchen erfüllte kugelige Zellen. Gerade unter den Talgdrüsen ist ein fast horizontaler, leicht abwärts geneigter solider Zellzapfen von der Wurzel- scheide seitlich ins Bindegewebe eingewachsen. Um diesen gruppieren sich Bündel von glatten Muskel- zellen in radiärer Anordnung. Nicht nur von oben, der basalen Fläche der benachbarten Oberhaut, treten Bündel solcher Zellen zur oberen Fläche dieses Epithelzapfens, sondern zu seinem freien Ende treten außerdem horizontal verlaufende, und zu seiner Unterfläche gelangen schräg und vertikal aus der Tiefe aufsteigende Muskelbündel. Die Muskelzellen erreichen den Epithelzapfen nicht, sondern sie endigen in dem den Zapfen umgebenden Bindegewebe, welches denselben in langen Zügen umkreist. Es besteht also in diesem Stadium hier kein Grund, die glatten Muskelzellen als aus den Zellen dieses Fortsatzes entstehend anzusehen. Hinsichtlich des speziellen Verhaltens der Muskelzellbündel findet man eine dichte Masse derselben, welche alle parallel in der Lederhaut verlaufen, und zwar schräg von der Basalfläche der Epidermis abwärts. Solche Bündel erreichen die obere Fläche des genannten Zellen- zapfens. Achnliche Fasern treten aber auch zum freien Ende dieses Zapfens, indem sie in der Nähe desselben angelangt, bogenförmig umbiegend zu demselben in horizontaler Richtung herantreten. Die von der Unterfläche des Zapfens ausgehenden Zellbündel ziehen in gleich schräger Richtung abwärts in die Lederhaut, wo ich ihr letztes Ende nicht mit Sicherheit nachweisen konnte Die Menge der Muskelbündel ist so groß, daß ich nicht glaube, daß sie alle zu Haaranlagen in Beziehung stehen, sondern zum Teil sicher einfache glatte Hautmuskeln darstellen. Ihre Beziehung zur Basalfläche der Epidermis ist im vorliegenden Stadium eine viel innigere, als zu dem Haarfollikelzapfen. Sie üben an Stellen, wo sie von der Epidermis aus in die Tiefe treten, einen Zug auf die Oberhautzellen aus, der deutlich an der Form der basalen Epidermiszellen zum Ausdruck kommt. Dieselben senden lange Fortsätze hier in die Tiefe und die Grenze gegen die Muskelzellen ist nicht immer scharf. Auf die E17 Das Integument eines Embryo von Ursus Arctos. 517 daraus eventuell zu ziehenden Schlüsse komme ich später zurück, hier seien nur die Tatsachen vorerst angeführt. Was die Natur des oben angeführten Zellzapfens betrifft, so ist es klar, daß wir in ihm den vielfach beschriebenen und sehr verschieden gedeuteten W ulst vor uns haben. Derselbe liegt stets unter der Talgdrüsenanlage und ist schon in früheren Stadien der Haaranlage genau ebenso erkennbar, wie ihn STöHR in letzter Zeit vom Wollhaar des Menschen dargestellt hat. Er bildet bei dem vorliegenden Bärenembryo eine rundliche, längliche Ausbuchtung der in die Tiefe wachsenden Haaranlage, welche stets von der abwärts gekehrten Seite des schräg in die Lederhaut einrückenden Haarfollikels ausgeht. Von älteren Stadien der Haargebilde führe ich noch einige Abbildungen an, welche an Längs- und Querschnitten zeigen, daß neben weitgebildeten typischen Haaren auch ebensolche Stacheln bestehen. Die großen Gebilde der Textfigur 3, welche gleichsam an der Spitze von Hautschuppen liegen, sind alle als Stacheln erkennbar, während zwischen ihnen schon Haare sich finden, die in ihrer Aus- bildung gleichweit fortgeschritten sind. Von einem solchen Haare sind die Figuren 6 und 7 entnommen. Der Querschnitt (Figur 7) zeigt erstens, daß die Scheiden genau die gleichen Bestandteile unter- scheiden lassen, wie wir sie sonst von Haaren kennen. Der epitheliale Teil zeigt eine Wurzelscheide aus lebenden protoplasmatischen Zellen bestehend. Nach innen davon, durch einen Spaltraum davon getrennt, folgt die Haarscheide, an welcher die äußere aus gänzlich verhornten Zellschüppchen bestehende Henıesche (Fig. 7 und 9) und die innere Huxreysche Schicht, deren Zellen noch mit Keratohyalin- körnchen erfüllt sind, leicht unterscheidbar sind. Eine den epithelialen Teil des Haarfollikels abgrenzende Membrana hyaloidea konnte ich nicht mit Sicherheit nachweisen. Dagegen waren leicht 2 Schichten der bindegewebigen Haarbalgscheiden zu erkennen. Den Wurzelscheiden dicht angeschlossen besteht eine mehrfache Lage von zirkulär verlaufenden kurzen und breiten stark abgeplatteten Bindegewebs- zellen und außerhalb dieser folgt eine Lage längsverlaufender ebensolcher Zellen, die eine sehr langge- streckte, abgeplattete Spindelform besitzen. Am Haarschaft selbst ist Mark, Rinde und Oberhäutchen wohl unterscheidbar. Das Mark besteht aus einigen rundlichen Zellen mit Kern und feinkörniger Struktur des Plasmakörpers, unvollkommen verhornten Elementen. Es ist sehr schwach ausgebildet. Die Rinde ist der beträchtlichste Teil des Schaftes und läßt auf dem Querschnitt ein Mosaik von kleinen polygonalen Feldern erkennen, die zuweilen einen zentralen Kern zeigen, zuweilen nicht, stets aber um den Kern, oder wo derselbe nicht getroffen ist, in ihrer ganzen Masse dicht mit punktförmigen, stark glänzenden Querschnitten von Hornfibrillen erfüllt sind. Es sind dies die Querschnitte der spindelförmigen in Verhornung begriffenen Zellen des Haarschaftes, wie sie bei jugendlichen Haaren in der Tiefe, über der Keimschicht des Haares sich finden (Fig. 4 und 5). Nach außen an diese Rindenzellen des Schaftes schließt sich das Oberhäutchen in Form sichelartiger verhornter Schüppchen in einfacher Lage an. Der Schnitt (Fig. 7) geht durch den Haarfollikel ziemlich tief, etwas über dem Keimlager, also auch wenig über der Papille.e Das erkennt man auch an dem, den Querschnitt ergänzenden Längs- schnitt (Taf. XV, Fig. 6). Hier bestehen die Verhältnisse, wie sie von allen Säugetierhaaren bekannt sind. Die Haarscheide allein geht kontinuierlich in die Epidermis über. Von ihr aus haben sich Talgdrüsen (£) etwas unter der Haarmündung ausgebildet. Der Haarschaft, aus den 3 Teilen Mark (a), Rinde (7), und Oberhäutchen (0) bestehend, tritt frei aus der Haut hervor. Er überragt sie aber nicht weit, sondern endet in einer rasch sich verjüngenden Spitze. Die Rinde erscheint fein längsgestreift, doch lassen sich Zellgrenzen nicht mehr deutlich nachweisen. Pigment fehlt gänzlich. In der Tiefe des Follikels ist dem Oberhäutchen die Haarscheide angeschlossen (%. s.). Dieselbe zeigt sich an diesem oberen Sl 8 ö Das Integument eines Embryo von Ursus Arctos. 5 18 - Abschnitt des Follikels aus ganz verhornten Zellen gebildet. Die Zellen der Huxreyschen Schicht sind hier ebenso völlig verhornt, wie die Elemente der Henızeschen Schicht, beide sind nicht mehr zu unter- scheiden. Diese Haarscheide endigt mit freiem Rande und zwar schon ebenso tief unter den Talgdrüsen, wie diese unter der Austrittsstelle des Haares liegen. Von einem großen Stachelgebilde gebe ich ebenfalls einen Querschnitt (Taf. XV, Fig. 8), welcher in gewissem Sinne den Haarschnitt ergänzt. Er ist höher wie dieser, in der Talgdrüsenzone, angelegt. Hier ist von der Haarscheide nichts mehr zu erkennen. Die Wurzelscheide umgibt den Schaft des Stachels und ist durch einen Spaltraum von ihm getrennt. Die Anlagen der Talgdrüsen finden sich in der ganzen Zirkumferenz des Stachels in verschiedenen Stadien der Ausbildung. Der Schaft des Stachels selbst ist von einem Oberhäutchen aus kleinen Hornschüppchen umgeben. Die Rindenschicht von mittlerer Dicke läßt ihre Zusammensetzung aus einzelnen spindelförmigen Hornzellen nicht mehr erkennen. Diese sind so fest miteinander verschmolzen, daß dieser Stachelteil eine einheitliche Masse zu bilden scheint. Die Markschicht ist wie bei allen bekannten Stachelbildungen (Echidna, Erinaceus) stark ausgebildet und besteht aus großblasigen kernhaltigen Zellen, die dicht zusammengeschlossen sind. Aus der Kombination des Quer- und Längsschnittbildes ergibt sich ihre Form als eine kugelige. Von der Stachelpapille ist nichts mehr zu erkennen. Doch zeigt die wellig verlaufende Grenzlinie zwischen Rinde und Mark noch die Fortsetzung der Papillenform. Dieselbe hat im Querschnitt ein sternförmiges Aussehen, indem eine große Zahl lamellöser bindegewebiger Fortsätze von ihr radıär ausstrahlen. Das Längsschnittbild (Taf. XV, Fig. 5), das den terminalen Teil des Stachelfollikels mit der Papille und dem Keimlager des Stachels darstellt, ergänzt wiederum den geschilderten Querschnitt. Die mächtige Papille, deren lamellöse radıäre Fortsätze auf dem Schnitt nicht getroffen sind, tritt breit in die Stachelanlage ein, verdickt sich mächtig zwiebelförmig und erstreckt sich, allmählich sich verjüngend, weit in den Stachel hinauf. Daß sie nicht bis zur Austrittsstelle des Stachels reicht, lehrt das vorhin geschilderte Quer- schnittbild Fig. 8. Sie besteht aus zartem fibrillären Bindegewebe mit reichlichen Zellen und enthält zahlreiche Blutkapillaren. Markhaltige Nervenfasern sind nicht darin nachweisbar. Betrachten wir das epitheliale Keimlager des Stachels, so ist dasselbe durch dicht angeordnete rundliche Zellen dargestellt, welche aufwärts allmählich Spindelform annehmen. Während in den rundlichen Zellen die kugeligen Kerne stark gefärbt sind und die Plasmakörper hell erscheinen, sind die Kerne in den spindelförmigen Zellen blasser gefärbt, länglich und in den Zellkörpern treten feine Hornfibrillen auf. Je weiter wir nach oben gehen, umso blasser werden die Kerne, umso reichlicher die Hornfibrillen, bis dann die Zellen homogen werden unter Verschmelzung der Fibrillen und Schwund des Kernes am Abschluß des Ver- hornungsprozesses. Dann sind auch die Zellgrenzen nicht mehr erkennbar. Daß die längsstreifige stark glänzende fast homogen erscheinende Substanz der Stachelrinde sich aus einer großen Zahl verhornter fadenförmiger Zellen gebildet hat, ist nur aus der Bildung von der Tiefe aufwärts zu ersehen. An der Peripherie der Rinde sieht man über dem Keimlager, ebenfalls aus dessen Zellen hervorgehend, das Oberhäutchen angeschlossen, aus langen spindelförmigen, nach oben dachziegelförmig sich deckenden Zellen bestehend. In der Tiefe sind sie kernhaltig, mit Plasmakörper, lebhaft gefärbt, während sie auf- wärts fortschreitend rasch ganz verhornen und zu kernlosen Schüppchen werden. Sie zeigen dabei keine Hornfibrillen, auch keine Keratohyalinkörner in ihrem Zellkörper auftreten. Der Verhornungsprozeß spielt sich somit anders als in den Rindenzellen des Stachels ab. Die Hornsubstanz entsteht hier von vorn- herein als homogene Substanz durch gleichmäßige chemische Veränderung des Zellkörpers. Der Vorgang ergreift auch rasch den Kern. In Fig. 9 habe ich einige verhornte Zellen der Haarscheide abgebildet, wie sie auf dem Längsschnitt erscheinen. Außerhalb des Oberhäutchens sehen wir die Stachelscheide 519 Das Integument eines Embryo von Ursus Arctos. 979 sich aus dem Keimlager erheben, welche zunächst aus lebenden plasmatischen Zellen besteht. Von diesen verhornen zuerst die äußeren Elemente unter vorbereitender Bildung von Keratohyalinkörnern in den Zell- körpern (Hentesche Schicht), weiter aufwärts verhornen in der gleichen Weise die inneren, dem Ober- häutchen zunächst liegenden Zellen (Huxrevsche Schicht), Am tangentialen Längsschnitt der Stachel- anlage trifft man auch die Elemente der Haarbalgscheiden und von ihnen gebe ich in Taf. XV, Fig. 10 und ı1 eine Darstellung. Die innerste Schicht besteht aus zirkulär angeordneten kurz spindel- förmigen platten Zellen mit centralem ovalem Kern (Fig. 10). Die äußere Lage, die sich dicht an letztere anschließt, besteht aus langgestreckten, spindelförmigen, längsverlaufenden Zellen, in deren Zellkörper schon feine Fibrillen auftreten (Fig. ı1). So stimmt also der Bau dieses embryonalen Stachels, der schon einen vollkommen verhornten Schaft besitzt, aber noch kaum über die Oberfläche der Haut mit seiner feinen Spitze hervorragt, vollkommen mit den Stachelbildungen anderer Säugetiere überein und auch seine Scheiden zeigen ganz das gleiche Verhalten wie diese Bildungen bei anderen Stacheln und Haaren. In betreff des Wulstes und der Ausbildung der Arrectores pilorum füge ich noch hinzu, daß jener als langausgezogener Zellenzapfen, wie ich ihn oben schilderte (Taf. XV, Fig. 4), seine größte Ausbildung erreicht hatte. Bei den Haaren auf dem Stadium der Fig. 7 ist er an der gleichen Stelle d. h. unter den Talgdrüsen etwas tiefer als der Schnitt gelegt ist, noch nachweisbar, aber er stellt nur noch eine kleine unbedeutende in der Richtung des Arrector pili schräg aufwärts gerichtete ganz kurze und spitz ausgezogene Prominenz der Wurzelscheide dar. Ich würde dies Gebilde gar nicht auf jenen Zapfen bezogen haben, wenn nicht die Verbindung mit dem Arrector pili hier wie dort bestände. Etwas anders stellt sie sich allerdings in dem späteren Stadium dar, denn nun bestehen nicht mehr zwischen den Enden der glatten Muskelzellen und dem epithelialen Wurzelscheidenfortsatz trennende Bindegewebszüge, sondern die Muskelzellen schließen sich unmittelbar an die spitz ausgezogenen Epithel- zellen an. Aus der Vergleichung mit dem früheren Stadium geht indessen mit Sicherheit hervor, daß diese innige Verbindung zwischen glatten Muskelzellen und Epithelzellen sekundär erworben ist. Man wird also kein Recht haben, die Muskelzellen aus jenem Epithelzapfen heraus entstanden aufzufassen. Kompliziert wird die Frage allerdings durch das Schwinden des Zellenzapfens. Was wird aus seinen Elementen? Werden sie einfach wieder in die auswachsende Wurzelscheide während der Ausbildung des Haar- resp. Stachelschaftes zurückgezogen, oder treten sie doch aus dem Verband des Epithels in das Bindegewebe aus? An den vorliegenden Objekten kann ich diese Frage zunächst nicht ent- scheiden. Nicht an allen größeren Haaren und ebensowenig an den Stacheln bleibt der oben geschilderte Rest des Wulstes bestehen. Bei vielen derselben sieht man, daß der Arrector pili schräg an die ganz glatte Follikelwand herantritt. Die Zellen treten durch die bindegewebige Haarbalgscheide hindurch, sind bis zur membrana hyaloidea verfolgbar. Man kann also füglich sagen, daß auch hier der Wulst in der Entwickelung der Haare und Stacheln auftritt, in einem mittleren Entwickelungsstadium dieser Horngebilde das Maximum seiner Ausbildung erreicht und dann rasch schwindet, ohne merkbaren Rest zu hinterlassen. Ferner ist zu betonen, daß er von seiner ersten Bildung an mit den Muskelbündeln der Arrectores pilorum in Verbindung steht: Während bei seinem ersten Auftreten diese Verbindung keine innige ist, sondern die Muskelzellen von den Epithelzellen durch Bindegewebe getrennt sind, findet später ein inniger Anschluß der Muskelzellen an die basalen Epithelzellen des verkümmernden Zapfens statt. Stets fand ich den Wulst nur als einfachen Zapfen, oft von beträchtlicher Länge ausgebildet, niemals konnte ich Teilungen in mehrere Sprossen nachweisen. Auch waren niemals Verbindungen dieses Gebildes mit anderen Teilen erkennbar, etwa daß es in Drüsenanlagen übergegangen wäre. 520 Das Integument eines Embryo von Ursus Arctos. 520 Von Drüsen sind hier die zwei bekannten Formen vorhanden. Die Talgdrüsen zeigen nichts Besonderes. Sie bilden sich sowohl an Haar- wie Stachelanlagen in der bekannten Weise aus. An dem in die Tiefe sprossenden Haarfollikel findet sich, schon ehe der Haarschaft sich bildet, zur Zeit der ersten Abflachung des Endes des Follikels zu Beginn der Papillenbildung, die Andeutung der Talg- drüsenanlagen. Sie liegen etwas unter der Stelle, wo die Follikelanlage in die Epidermis übergeht und liegen somit von vornherein an dem Punkte, wo sie auch später gefunden werden. (Taf. XV, Fig. 3, 4 und 6.) Einige mittlere Zellen der epithelialen Anlage vergrößern sich und nehmen eine trübere Färbung an unter Ausbildung kleiner Talgtröpfchen in ihrem Zellkörper. Diese wenigen Zellen ver- anlassen schon eine leichte rundliche Auftreibung der Follikelanlage. Sehr rasch vermehren sich nun diese talgbildenden Zellen, indem die nächst benachbarten Zellen dieselbe Umwandlung erfahren. So buchtet sich die Drüsenanlage als kleines rundliches Säckchen aus dem Follikel aus und nimmt allmählich Birnform an (Taf. XV, Fig. 6). Dann bilden sich von einem solchen Gebilde weitere Ausbuchtungen, so daß eine aus mehreren Alveolen gebildete Drüse entsteht (Taf. XV, Fig. 8). Dabei befindet sich zu äußerst stets eine einfache Lage rundlicher Epidermiszellen und erst innerhalb derselben erkennt man die Talgzellen. Dieselben treten aber hier noch nirgends aus der Drüse gegen das Haar hin aus, sondern sie sind von abgeplatteten Epithelzellen überlagert und dadurch von der Berührung mit dem den Haarschaft umgebenden Spaltraum noch ausgeschlossen. In Funktion stehen also diese Drüsen noch nicht, Ich hebe dies besonders hervor mit Hinblick auf die zweite Drüsenform, die hier besteht. Während die Talgdrüsenanlagen außer in den Haarbälgen nirgends zur Ausbildung kommen, zeigen die tubulösen Hautdrüsen, die den Schweißdrüsen des Menschen entsprechen, ein anderes Verhalten. Dieselben sind bei diesem kleinen Embryo schon auffallend weit entwickelt. Beziehungen zu Haaranlagen lassen sich in vielen Fällen erkennen und zwar so wie es Taf. XV, Fig. 4 und ı2 zeigen, d. h. gerade hinter der Haarfollikelanlage mündet die tubulöse Drüse aus, doch so, daß sie an der freien Oberhaut zur Mündung kommt. Diese tubulösen Drüsen sind aber nicht einfach und knäuelförmig gewunden, sondern sie teilen sich in auffallend gleichartiger Weise, so daß ich das Bild wie es die Drüse der Fig. ı2 zeigt, auf den mir vorliegenden Schnitten an allen Organen ganz gleich fand. In gleich schräger Richtung wie der Haarbalg senkt sich von der Epidermis aus ein mit weitem Lumen versehener Drüsenschlauch in die Tiefe. Nach langem Verlauf teilt er sich gabelig und von dieser Teilungsstelle an ändert sich das auskleidende Epithel. Im einfachen oberen Schlauch, der einen Aus- führgang darstellt, besteht kubisches Epithel mit hellen Zellkörpern und kugeligen Kernen. Von der Teilungsstelle an werden die Zellen größer, ihre Zellkörper trübkörnig, der Kern bleibt kugelig. Da auch das Lumen weiter wird, sind die Drüsenschläuche beträchtlich dicker als der Ausführgang. Jeder der beiden durch Gabelung aus dem einfachen Ausführgang entstandenen Schläuche teilt sich nach kurzem leicht gebogenen Verlauf nochmals gabelig, so daß schließlich 4 Drüsenschläuche bestehen, welche gestreckt oder leicht gewunden verlaufend im allgemeinen die Verlaufsrichtung des Ausführgangs fortsetzen und tief in das subkutane Bindegewebe einragen, bis sie dann abgerundet blind endigen. Auf Taf. XV, Fig. 13, 14 und ı5 gebe ich ein Stück des Ausführgangs, die Gabelung desselben und den Querschnitt eines Endschlauches, um das Drüsenepithel zu zeigen. Als Uebereinstimmung mit Schweißdrüsen anderer Säugetiere und des Menschen erkennt man deutlich außerhalb der einfachen Lage der Drüsenzellen, diesen unmittelbar angeschlossen, eine einfache Lage längsverlaufender glatter Muskelzellen (Fig. 13, 14 und ı5), erst außerhalb dieser folgt die bindegewebige Hülle des Drüsen- schlauchs. Diese Drüse secerniert schon in diesem frühen Embryonalstadium, was ich besonders hervor- heben möchte. Dies ergibt sich aus verschiedenen Tatsachen: Erstens besteht allenthalben ein weites 521 Das Integument eines Embryo von Ursus Arctos. 521 Lumen, daß auch frei bis zur Mündung sich erstreckt. Zweitens ist die gegen das Lumen gerichtete Oberfläche der Drüsenzellen nicht glatt, sondern zeigt zarte Fortsätze, fast amöboider Art. Endlich erkennt man einen an diesem konservierten Objekte feinen Detritus im Lumen, der wohl nur als Sekret gedeutet werden kann. Besonders fiel mir auf, daß diese geschilderten weit ausgebildeten Drüsen sich, genau so weit entwickelt, in gleicher Lagebeziehung zu Haar- und Stachelbildungen in deren verschiedensten Aus- bildungszuständen fanden. Bei der ganz jungen Haaranlage (Taf. XV, Fig. 12) fand sich eine solche Drüse, ebenso wie neben den größten Stacheln und den dazwischen liegenden Stadien, wie es F ig. 4 darstellt. Aus Fig. ı2 ist mit Sicherheit zu schließen, daß die Drüse sich viel früher ausgebildet hat, wie Haar- und Stachelanlagen. Jüngere Drüsenanlagen konnte ich nur als einfache kurze Schläuche nachweisen, die aber noch nicht mit Haaranlagen in Beziehung standen, weil letztere eben noch nicht angelegt waren. Indessen ergibt sich aus Fig. ı u. >, daß nicht allen Haaranlagen die Anlage einer Drüse vorauseilt. Man findet zahlreiche Haaranlagen frühester Stadien, welchen keine Drüse ange- schlossen ist, ebenso wie sich Drüsenschläuche ohne Beziehung zu Haarfollikeln nachweisen ließen. Die Pigmentbildung im Integument fehlt noch gänzlich, Tastballen und Schnauze sind noch voll- kommen pigmentfrei. Der einzige Punkt, wo ich die ersten Spuren einer Pigmentbildung erkennen konnte, sind die Keimlager einiger Stacheln und stärkeren Haaranlagen. Viele Stacheln waren noch ganz pigmentfre. An einigen fand ich aber ganz in der Tiefe in den der Papille unmittelbar angeschlossenen kugeligen Epithelzellen des Keimlagers feine braune Pigment- körnchen in reichlicher Menge und ebenso fand sich der Farbstoff in den Zellen der Kanellierungen, welche an der Innenfläche des Stachelschafts sich finden. Es sind immer nur die Epithelzellen, die den von der Grundpapille ausstrahlenden lamellösen Bindegewebsfortsätzen unmittelbar anlagern, welche das Pig- ment enthalten. Der ganze verhornte Teil des Stachels, sowohl die Rinde wie das Mark, sind noch pigmentfrei. Daß Bindegewebszellen der Papille Farbstoffkörnchen enthielten, war nirgends zu finden. Ebenso zeigte sich an den stärkeren Haaren die erste Pigmentbildung in Form kleiner brauner Körnchen im Zellkörper der über der Papille befindlichen Massen kugeliger Epithelzellen, welche das Keimlager des Haares darstellen. Doch beschränken sie sich auf die tiefsten Lagen und setzen sich nicht in die höher gelegene Zone der spindelförmigen Zellen fort, welche, die Anlage der Haarrinde darstellend, die ersten Hornfibrillen enthalten. Hier fehlt jedes Pigment. Von weiteren Tatsachen über das Integument von Embryonen des Ursus Arctos kann ich keine Angaben aus eigener Beobachtung machen, doch finde ich bei DE MEIJERE einige Angaben über einen Bärenembryo von 22 cm Länge, der also beträchtlich älter war, als der mir vorliegende. DE MEIERE findet bei dem älteren Embryo die Haaranlagen der Bauchfläche in Gruppen. Von Stachelgebilden sagt er nichts. Die Haargruppe besteht aus 3 Haaren, von welchen nur das mittelste Stammhaar durchgebrochen ist, die beiden lateralen Haare waren erst in der Anlage vorhanden. Ob pE MEYERE die Rückenfläche dieses Embryo untersucht hat, kann ich nicht sagen. Ob also hier noch Stachelbildungen bestanden, weiß ich nicht. Auch vom neugeborenen Bären macht DE MEERE Angaben, und zwar über die Haaranordnung an der Bauchfläche. Hier fand er Haargruppen aus 3 Haaren in linearer Anordnung bestehend. Jedem dieser 3 Haare waren noch 3—5 feinere Haare im gleichen Follikel angeschlossen, so daß jede Gruppe aus 3 Haarbündeln bestand. Ueber die Drüsen macht pe M. die Angaben, daß an der Basis der allge- meinen Follikel tubulöse Drüsen ausmünden, die sich mehrmals dichotomisch teilen. Auch unterscheidet Jenaische Denkschriften. XI. 66 Festschrift Ernst Haeckel. 522 Das Integument eines Embryo von Ursus Arctos. 522 er einen Ausführgang und Drüsenschläuche. Die Talgdrüsen münden dicht unter dem Anfang des allgemeinen Follikels aus. Ich selbst hatte Gelegenheit noch einen halbwüchsigen Bären zu untersuchen und finde auf dem ganzen Rücken nirgends eine Spur von stachelartigen Gebilden, dagegen stehen in weiteren Abständen voneinander stärkere einzelne Haare. Im übrigen besteht der Rückenpelz ganz aus linearen Gruppen feiner Wollhaare. Die stärksten Haare bestehen an der Streckseite der Extremitäten, wo mächtige Stichelhaare sich finden, die in einer gewissen Dicke aus dem Follikel heraustreten, dann eine spindel- förmige Anschwellung zeigen und endlich in einer feinen Spitze endigen. Auch zwischen diesen Haaren stehen lineare Gruppen von Wollhaaren. Hinsichtlich der Tasthaare am Kopf fand ich vollkommene Uebereinstimmung mit dem Befunde des oben geschilderten Embryos. In Betreff des feineren Baues ist dem oben Gesagten nichts Wesentliches hinzuzufügen. Ich fertigte von der Haut des Rückens, des Bauches und der vorderen Extremität senkrechte — und Flächenschnitte an. Dabei fand ich meist Gruppen von Haarbündeln, wie sie DE MEIERE im Querschnitt abgebildet hat. Nicht immer waren es lineare Gruppen von 3 Haaren, ebenso häufig solche von 5— 7 Bündeln. Auch fand ich nicht in jedem Bündel ein größeres Mittelhaar umgeben von mehreren kleineren Nebenhaaren, sondern in manchen Bündeln waren alle Haare von gleich geringer Dicke, in anderen fanden sich 2 stärkere Haare von 4— 5 kleineren umgeben. Es bestanden also im Detail sehr mannigfaltige Zustände. Die senkrechten Schnitte, welche die Haartollikel im Längsschnitt zeigten, ließen an den stärkeren Haaren sehr lang ausgezogene, weit in den Schaft emporragende Papillen erkennen. An den feinen Haaren sind die Papillen sehr kurz zwiebelförmig. Jene lang gezogenen Papillen sind vielleicht noch als Reste stärkerer Papillen, wie sie im embryonalen Stachel sich fanden, aufzufassen. Von Drüsen zeigten sich die Talgdrüsen an allen Haarbündeln, aber nur schwach ausgebildet in be- kannter Anordnung. Die tubulösen Drüsen waren sehr schmächtig, zeigten aber eine gabelige Teilung ebenso wie beim Embryo. Ihre Zahl in den Haargruppen fand ich verschieden, niemals be- stand an einem Haarbündel mehr als eine tubulöse Drüse. Dagegen fand ich an Gruppen zuweilen daß jedes Bündel einer solchen eine tubulöse Drüse besaß, ebenso oft fehlte einem oder mehreren Bündeln eine solche Drüse, so daß an manchen Gruppen nur ein einziges Bündel eine tubulöse Drüse besaß. Bei der auffallenden Aehnlichkeit, welche das Verhalten des mir vorliegenden Bärenembryo hin- sichtlich seines Integumentes mit den Befunden von Erinaceus zeigte, erschien es geboten, Igelembryonen vergleichungsweise zu untersuchen. Aus der Anatomischen Anstalt zu Heidelberg wurde mir eine größere Anzahl von solchen Embryonen freundlichst zur Verfügung gestellt. Hier zeigte sich nun, daß dıe Igelembryonen, bei welchen die Integumententwickelung im gleichen Stadium sich befand, wie bei dem geschilderten Bären, etwa eine Länge von 3 cm besaßen. Der Kopf zeigte sich ferner anders gebildet. Ich fertigte auch Schnitte durch die Haut verschiedener Regionen an: Rücken, Bauch und Extremitäten. Den schon von Davızs, RÖMER und SPRENGER gegebenen Schilderungen kann ich nichts Neues zufügen. Die Stachelanlagen beim Igel sind sehr ähnlich den vom Bären geschilderten. Die tubulösen Drüsen sind nicht in gleicher Regelmäßigkeit vorhanden. Man findet viele Stachelanlagen ohne Drüsenanlage. Doch fand ich sie nicht so spärlich, wie es Levpıs vom erwachsenen Igel angibt, vielmehr waren sie an vielen Stachelanlagen vorhanden, nur nicht so regelmäßig wie beim Bären, wo sie an keiner älteren Stachel- und Haaranlage fehlten. Auch muß ich in einer Beziehung die Angaben SpRENGERS ergänzen. Er beschreibt die tubulösen Drüsen von Igelembryonen als einfache aufgeknäuelte Schläuche. Ich finde sie sehr wenig gewunden, dagegen gabelig geteilt, wie es auch schon DE MEJERE von er- 523 Das Integument eines Embryo von Ursus Arctos. 523 wachsenen Tieren angab. Den Wulst fand ich an vielen Stacheln, so wie ich ihn oben vom Bären schilderte. Zwischen den Anlagen der Stacheln bestehen auch hier jüngere Anlagen, Epidermiszapfen, die bekannter Weise später ebenfalls zu Stacheln werden, da der Igel am Rücken keine Haare zwischen den Stacheln besitzt. Jedenfalls besteht eine große Aehnlichkeit zwischen dem embryonalen Integument von Ursus Arctos und Erinaceus europaeus. Beurteilung der Befunde. Der oben beschriebene Embryo von Ursus Arctos bietet hinsichtlich des‘ Befundes seines Integumentes in mehrfacher Beziehung ein überraschendes Bild. Zunächst ist auffallend, daß hier bei einem Carnivoren, als Sohlengänger einem der primitivsten Vertreter dieser Klasse, in früh embryonalem Zustand ein Stachelkleid angelegt ist, das sowohl von dem Befund bei Echidna, wie bei Erinaceus charakteristische Verschiedenheiten zeigt, während doch der erwachsene Bär davon keine Andeutung mehr erkennen läßt. Schon bei dem Embryo findet man, daß - zwischen den Stachelanlagen, die sich auf den Rücken beschränken, eine sehr große Zahl Haaranlagen vom verschiedensten Grade der Ausbildung bestehen und daß eben solche in noch sehr jungen Zu- ständen an der Bauchfläche und an den Extremitäten nachweisbar sind. Es ist also festzustellen, daß in der Ontogenese hier dem Haarkleid die Anlage eines Stachelkleides vorausgeht. Ein naheliegender Schluß wäre nun, daß infolgedessen das Stachelkleid etwas primitiveres als das Haarkleid sei. Indessen wäre dies doch sehr voreilig und wir haben zuvor noch die anderen Verhältnisse des Integumentes ins Auge zu fassen. Da zeigt sich der Drüsenreichtum und die eigentümliche Anordnung der Drüsen, sowie deren Bau und sehr weit fortgeschrittene Ausbildung als beachtenswert. Die Stacheln treten auf der nach hinten gerichteten Spitze von schuppenförmigen mächtigen Hautpapillen hervor und gerade hinter ihnen mündet eine Schweißdrüse aus. Diese ist nicht einfach tubulös, sondern mehrfach ge- gabelt stellt sie eine zusammengesetzte Drüsenform dar. Aus der Anordnung der Drüse zu einer einen Stachel tragenden Schuppe könnte man schließen, daß der Stachel aus der Schuppe hervor- gegangen sei, und die Drüse etwa der Schuppentasche entspricht. Das würde aber für die Drüse einen primitiven Zustand voraussetzen lassen, während dieselbe in ihrer Verästelung gerade im Vergleich zu den Hautdrüsen anderer Säugetiere phylogenetisch einen späteren Zustand darstellt. Auch der so fortgeschrittene Entwickelungszustand der tubulösen Drüse mahnt zur Vorsicht in der Deutung der all- gemeinen Verhältnisse. Völlig ausgebildete Drüsen, die bereits Sekret bilden, stehen in Beziehung zu ganz jungen Haaranlagen, an welchen eben erst die Bildung der Haarpapille beginnt. Die Verschiedenheit von Echidna zeigt sich sofort in der Anordnung der Stacheln, die bei letzterer wie wir durch die Untersuchungen Römers wissen von der Mittellinie aus in schräg lateral- wärts verlaufenden Reihen angeordnet sind. Von Erinaceus ist das ganze Bild dadurch verschieden, daß zwischen den Stachelanlagen auch Anlagen von gröberen und feineren Haaren auf der Rücken- fläche bestehen, während dem Igel hier nur Stachelanlagen zukommen. Diese zwischen den Stacheln befindlichen Haaranlagen bereiten wohl das spätere bleibende Haarkleid vor. Auch sind die Drüsen bei Erinaceus im gleichen Stadium noch nicht so weit ausgebildet. Sie sind hier überhaupt auch späterhin nur einfach gegabelt. Ferner sind beim Igel die Tasthaare am Kopf von anderer Anordnung. Ich habe dies schon früher abgebildet. Dem Igel kommen außer den Ober- und Unterlippentasthaaren auch solche in der Jochbogenregion sowie in der regio submentalis zu. 66* Das Integument eines Embryo von Ursus Arctos. 524 524 Die Entwickelung der Igelstacheln kennen wir genau durch die Untersuchungen von Davıss. Daraus ergibt sich, daß bei dem Embryo von Ursus Arctos die histologischen Details früherer Ent- wickelungsstadien mit den Zuständen bei Erinaceus übereinstimmen. Der einzige Unterschied zeigt sich in der Anordnung der Papillenleisten, oder wie Davies es auffaßt, der gegen die Papille ein- wachsenden epithelialen Längleisten der Stachelanlage. Diese treten beim Igel an der Dorsalseite des schräggestellten Stachels zuerst auf, während die Grenze des Epithels gegen die Papille an der Ventral- fläche glatt ist. Davızs gibt ein Querschnittbild davon (Morph. Jahrb. B. ı5 Taf. 25, Fig. 42). Ich finde hier bei Ursus diese Leisten gleichmäßig in der ganzen Circumferenz der Stachelanlagen angeordnet. Die Stacheln von Echidna zeigen nach RÖMERS Angaben ein wesentlich anderes Verhalten. Hier fehlen solche Leisten überhaupt. Auch die bei dem Igelstachel wohl ausgebildeten Markzellen fehlen hier gänzlich. Die Stacheln vom Igel besitzen stark entwickelte Arrectores pilorum, solche fehlen Echidna, bei welcher die Stachelfollikel in den aus quergestreiften Muskelfasern bestehenden Hautmuskel sich erstrecken. Hinsichtlich der Hautdrüsen verhalten sich die stacheltragenden Säugetiere sehr verschieden. Bei Echidna konnte Römer weder Talg- noch Schweißdrüsen in Beziehung zu den Stacheln nachweisen. Bei Echidnahaaren sind Talgdrüsen bekannt (Leypic). EGGELING hat die Hautdrüsen der Monotremen später untersucht und findet bei Ornithorhynchus wie Echidna Talg- und Schweißdrüsen in wechselnder Verbreitung. Wenn bei Echidna die Drüsen später in stärkerer Verbreitung fehlen, so hat man das Recht diesen Zustand des Drüsenverlustes als sekundär zu betrachten. Ich füge noch bei, daß die Anlagen der Schweißdrüsen sehr frühzeitig auftreten, weit früher als die der Talgdrüsen. Beim Igel- stachel treten nach Davıes Talgdrüsen frühzeitig auf, doch von Schweißdrüsen sagt er nichts aus. Dagegen wissen wir, daß solche Drüsen beim Igel sehr vereinzelt in der Haut gefunden werden. Der Vollständigkeit halber führe ich noch an, daß bei Hystrix die Stachelfollikel Talgdrüsen besitzen, daß dagegen Schweißdrüsen hier sowohl zwischen den Stacheln, als auch zwischen den Haaren fehlen (Leyoic), daß sie jedoch hier rückgebildet sind, ergibt sich daraus, daß bei Hystrix Schweißdrüsen an den Zehenballen bestehen. Die Vergleichung dieser verschiedenen Befunde ergibt nun, daß der hier geschilderte Bärenembryo seine scharf hervortretenden Besonderheiten zeigt. Nicht nur reichlich ausgebildete Talgdrüsen kommen den Haar- und Stacheldrüsen zu, sondern beiden sind auch Schweiß- drüsen beigesellt in der oben geschilderten charakteristischen Anordnung und komplizierten Ausbildung. In dem von W. Krause bearbeiteten Kapitel über die Entwickelung der Haut und ihrer Neben- organe in OÖ. Herrwıcs Handbuch der Entwickelungslehre finde ich im Abschnitt „Schweißdrüsen“ (Bd. II, S. 314) die überraschende Angabe: (K. spricht von den Knäueldrüsen an den Zehen der Kaninchen) „Ueber ihre Entwickelung ist so wenig, wie über die Entwickelung der Schweißdrüsen bei Tieren über- haupt etwas bekannt.“ Ein solcher Ausspruch an so wichtiger Stelle kann doch falsche Vorstellungen über unser Wissen erwecken, und vielleicht jüngere Autoren veranlassen, Dinge zu untersuchen, die längst bekannt sind. Wir wissen über die Entwickelung der tubulösen Drüsen bei vielen Säugetieren schon recht vie. Wenn ich nur die neuesten Arbeiten anführe, so hat Marks (1895) die Entwickelung der Schweißdrüsen bei Haussäugetieren untersucht und beim Schaf, Rind, Pferd und Schwein überall am Körper bestehende Beziehungen zwischen Schweißdrüsen- und Haaranlagen erkannt. Schon Levois, Bonner, Narhvsıus, Harms, CHoDakowskı haben dies ebenfalls erkannt. Meist wird die Mündung der Schweißdrüsen entweder oberhalb der Talgdrüsen in den Haarbalg selbst, oder neben dem Haarbalg unmittelbar an dessen Mündung angegeben. Bonner schildert die ersten Anlagen als solide Epidermissprossen, die sich schlängeln und auf- knäueln. Crmopakowsky schildert sie sich aufknäulend bei Pferd und Schwein, während bei Rind und 525 Das Integument eines Embryo von Ursus Arctos. 525 Schaf kein Knäuel entsteht. Marks gibt betreffs der oben genannten Haustiere an, daß die Schweiß- drüsen sich am frühesten vom primären Epithelkeim des Haares abspalten und zu schlanken Zapfen werden, fast von der Länge des Haarkeims. Ihr Lumen erhalten sie vom blinden Ende aus. Beim Schwein allein hat M. Teilungen des Schweißdrüsenschlauches gefunden. Auch kommen beim Schwein frei zwischen den Haaren mündende Schweißdrüsen vor, bei den anderen genannten Tieren aber nur ganz ausnahmsweise. Die Talgdrüsenanlage entsteht viel später als die Anlage der Schweißdrüse. DE MEIERE hat ebenfalls die Entwickelung der Schweißdrüsen vom Haarbalg aus bei Säugetieren erkannt. Er findet Teilungen derselben beim Igel und mehrfache Teilungen beim Bären (Ursus arctos und Ursus marinus); beim Igel speziell an der Dorsalfläche der vorderen Extremität. Auch bei Hippopotamus finden sich nach Max WEBER verzweigte tubulöse Drüsen auf dem ganzen Rücken und an der Dorsalfläche des Kopfes. Dies wurde von DE MEIERE bestätigt, der noch bei Talpa, canıs familiarıs caraibaeus, ferner bei Cebus, Midas, Simia satyrus in der Haut des Rückens und des Schwanzes die Einmündung von Schweißdrüsen in Haarbälge, nahe deren oberer Mündung nachweisen konnte. Eine Teilung von Drüsen- schläuchen wurde bei diesen Formen nicht beobachtet. Bei Cercopithecus fand er wie beim Menschen nur in der Achselhöhle verzweigte Schweißdrüsen, welche in Haarbälge einmünden. DE MEIERE hat ferner die Frage untersucht, wie viele Schweißdrüsen von einem Haarfollikel aus entstehen und findet nie mehr wie eine einzige. Bei Gruppen von drei Haaren kann jedes Haar eine solche Drüse besitzen (Auchenia paco.), bei den Gruppen von Tragulus besitzt jedes gröbere Haar eine solche Drüse, an feineren Haaren fehlt sie Bei Haargruppen, welche ein isoliertes stärkeres Mittelhaar und einige Bündel dünnerer Haare enthalten (Ornithorhynchus, Dasyurus, Phascolomys) besitzt meist nur das starke Mittelhaar eine Schweißdrüse. Ferner findet sich bei den Gruppen von Phoca, Ursus und anderen Karnivoren, wo die Stammhaare alle gleich sind, an jedem Stammhaare eine tubulöse Drüse. Auch bei den falschen Haarbündeln von Lemur catta fand DE MEERE nur an den dickeren Mittelhaaren je eine Schweißdrüse (Morphol. Jahrb., Bd. XXI, 1894, S. 346). RÖMER hat dann diese Befunde für Ornithorhynchus bestätigt und knüpft daran auch auf Grund der Beobachtungen von DE MEIERE und Marks noch weitere Betrachtungen, die hier erwähnt seien. Er ist der Meinung, daß Schweißdrüsen und Haare, abgesehen von der topographischen und ontogenetischen Zusammengehörigkeit, auch phylogenetisch miteinander in Beziehung stünden. Wenn Schweißdrüsen außer Beziehung zu Haarbälgen sich finden, so faßt RÖMER dies als einen sekundären Zustand auf. RÖMER gibt für die Hand in Hand gehende Ausbildung des Haares mit der Schweißdrüse physiologische Gründe an: Wie das Haarkleid sich erst bei warmblütigen Tieren ausbilden kann, so wird mit der stärkeren Ausbildung des Haarkleides auch ein wärmeregulierender Apparat nötig, das sind die Schweißdrüsen. Doch halten wir die entwickelungsgeschichtlichen Tatsachen zunächst fest: Marks hat in dem ersten Epithelzapfen, den man schlechthin als Haaranlage zu bezeichnen pflegt, die anatomische Grundlage nicht nur des Haares, sondern auch der Talg- und Schweißdrüse erkannt und, wenn dies wohl auch viele andere vor ihm beobachtet haben, so hat er doch diese Tatsache zuerst besonders hervorgehoben. Er hat diese noch indifferente erste Anlage als „primären Epithelkeim“ bezeichnet. Nicht immer läßt dieser Keim alle drei Organe entstehen. Dies ist nur die Regel an dicht behaarten Körperstellen. An nackten oder spärlich dünnbehaarten Stellen entwickelt sich aus dem Keim nur eine Talgdrüse. Ferner kann sich ein Haar mit einer Talgdrüse oder endlich blos ein Haar oder ein Stachel aus dem primären Keim entwickeln. Alle diese durch DE MEIERE, RÖMER und Marks bekannt gewordenen Verhältnisse sind jeden- falls bedeutungsvoll. Ich habe stets die Ansicht vertreten, daß die Schweißdrüsen etwas von den Haaren 526 Das Integument eines Embryo von Ursus Arctos. 526 ganz unabhängiges seien und daß die etwa auftretende Beziehung eine sekundäre, rein topographische sei. Das ist nun eine Frage, die nicht aus den Verhältnissen bei Säugetieren allein gelöst werden kann. Das ist, glaube ich, von den genannten Autoren zu wenig berücksichtigt worden. Die Schweißdrüse der Säugetiere ist nicht erst in dieser Tiergruppe entstanden, sondern stellt ein stammesgeschichtlich sehr altes Organ dar, das seine Grundlage in den Hautdrüsen der Amphibien findet. Ich betone, wie schon früher, daß der äußere Belag glatter Muskelzellen hierfür ein sehr wertvolles und nicht hoch genug anzuschlagendes Zeugnis ist. Die Natur des Sekretes kann nicht maßgebend sein für die phylogenetische Auffassung einer Drüse. Sehen wir doch, daß die tubulösen Drüsen der Säugetiere, die doch jeder für homologe Gebilde halten wird, sehr mannigfaltige Sekrete liefern. Bei Hund und Kamel ist ihr Sekret ein fettig öliges. Das Haar bildet sich in den Talgdrüsen, welche des Belages glatter Muskelzellen entbehren, einen besonderen Drüsenapparat, der bei niederen Wirbeltieren Homologa nicht hat. Diese sind also bei den Säugetieren entstanden. Die Hautdrüsen der Amphibien zeigen keinerlei Beziehungen zu anderen Integumentgebilden, sie liegen ebenso selbständig in der Haut, wie die Hautsinnesorgane. Eine phylogenetische Beziehung der Hautdrüsen zu den Hautsinnesorganen in topographischer Be- ziehung ist unverständlich. Erst wenn Schuppen im Integument auftreten, kann eine solche Beziehung erworben werden, indem beide Organe in ein topographisches Verhältnis zu den Schuppen treten müssen. Während die Hautsinnesorgane auf den Schuppen angeordnet sind, werden die Hautdrüsen wohl zwischen den Schuppen sich entwickeln. Sie erwerben dann ebenso eine besondere Anordnung, wie sie die Derivate der Hautsinnesorgane, als welche ich die Haare auffasse, erworben haben. Wenn dann die Schuppen schwinden, so bleibt nicht nur die Gruppenstellung der Haare als Rest dieser Beziehung übrig, sondern auch die Drüsen bleiben diesen auf Schuppen gebildeten "Organen angeschlossen. Der Anschluß ist nur ein loser, die Schweißdrüse mündet meist unmittelbar neben (hinter, dem Haarbalg aus. Wenn sekundäre Haare von der ersten Anlage aussprossen, so findet keine Vermehrung der Schweißdrüsen mehr statt. Es kann aber jedes Haar einer 3-Haargruppe eine Schweißdrüse an- geschlossen erhalten, denn es braucht ja hinter einer Schuppe nicht nur eine, sondern es kann hier eine Mehrzahl von Schweißdrüsen bestehen. Alle diese Verhältnisse werden meines Erachtens verständlich, wenn man eine topographische Beziehung zwischen Hautdrüsen und Hautsinnesorganen durch Schuppen vermittelt annimmt. Dann stellt sich eine phylogenetische Zusammengehörigkeit von Schweißdrüsen und Haaranlagen heraus, die aber sekundär erworben und morpho- logisch begründet ist. Eine Stütze erhält diese Auffassung auch daraus, daß an Stellen, wo die Haare dünn stehen, die Schweißdrüsen unabhängig von ihnen zwischen denselben auftreten. Daraus erhellt schon, daß die Bildung der Schweißdrüsen nicht notwendig an die Bildung der Haare geknüpft ist. Man darf in ihnen also auch nicht einfach Drüsen, die als Hülfsorgane der Haare von diesen aus ent- standen sind, erblicken. Dies Verhältnis zeigen dagegen die Talgdrüsen, die nicht ohne Haare ent- stehen. Wenn sie scheinbar selbständig in der Haut liegen, so kann man immer nachweisen, daß der zugehörige Haarfollikel eine Rückbildung erfahren hat. So komme ich also zu einer Ansicht über die Beziehung der Schweißdrüsen zu den Haaren, die gegen meine frühere Ansicht modifiziert erscheint. Doch bleibt dabei meine alte Grundanschauung bestehen, daß die tubulösen Drüsen der Säugetierhaut in den Hautdrüsen der Amphibien eine ganz selbständige Grundlage besitzen, die von der ersten Grundlage der Haare, wenn wir in diesen die Haut- sinnesorgane erblicken, unabhängig waren. Kehre ich nach diesen Ausführungen über die Hautdrüsen wieder zu den Stachelgebilden zurück so finden wir, daß die embryonalen Stacheln von Ursus denen von Erinaceus näher stehen als denjenigen von Echidna. Auch hinsichtlich des Pigmentmangels stimmen die Stacheln beider überein, während nach 527 Das Integument eines Embryo von Ursus Arctos. 527 Römer bei Echidna sehr frühzeitig in den ersten Stachel- und Haaranlagen Pigment gebildet wird. Die Haarscheide zeigt bei Echidna eine starke Mächtigkeit, sodaß sowohl die Huxıevsche, als auch die Henresche Schicht aus mehreren Zellenlagen besteht. Ueber den Wulst, resp. lang auswachsenden Epithelzapfen unter den Talgdrüsen, an welchem die Arrectores pilorum ihre Insertion nehmen, finde ich weder bei Davızs betreffs Erinaceus, noch bei RÖMER betreffs Echidna eine Angabe. Bei letzterer Form, welche der Arrectores pilorum entbehrt, wäre der Nachweis eines solchen Wulstes besonders von Interesse. Wenn er vorhanden wäre, ginge daraus zur Evidenz hervor, daß er mit der Bildung glatter Muskelzellen nichts zu tun habe. Daß bei Erinaceusstacheln eine dem Zapfen bei Ursus entsprechende Bildung noch bestehen mag, vermute ich aus einer Zeichnung von Davırs (Morph. Jahrb. B. XV, Taf. 25, Fig. 44). Hier findet man an einem Stück Längsschnitt der Wurzelscheide eines Igelstachels zwei _ übereinander gelegene Epithelsprossen der Wurzelscheide, welche Davızs beide als Talgdrüsen bezeichnet. Die obere dieser Sprossen ist entschieden eine schon Talgzellen enthaltende Talgdrüse, dagegen zeigt der untere Sproß sich aus noch indifferenten Epithelzellen bestehend. Seiner Lage und seinem Bau nach stehe ich nicht an, diese untere Bildung als den Wulst anzusprechen. Daß es keine Talgdrüsen- anlage ist, ergibt sich wohl auch aus seiner Lage. Es ist mir bei keinem Säugetierhaar oder Stachel bekannt, daß Talgdrüsen übereinander in dem Follikel einmünden, dieselben liegen viel mehr alle rings um den Follikel in einer einzigen Zone. Der Befund bei dem Ursusembryo regt in Vergleichung sowohl mit den Stacheln, als mit den Haaren anderer Säugetiere zu weiteren Ueberlegungen an. Seither nahm ich an, daß der Stachel, ein voluminös entfaltetes Haar, jedenfalls keinen primitiven, sondern einen sekundären Zustand darstelle. Wenn nun aber in der Ontogenese Stacheln zuerst auftreten und später ein Haarkleid an deren Stelle sich entwickelt, so ist die Frage aufzuwerfen, ob der Stachel nicht vielleicht doch als etwas primitives in Vergleichung zum Haar aufgefaßt werden müsse. Vergleichen wir zunächst die Stacheln verschiedener Säugetiere, so verhalten sich die Stacheln von Echidna entschieden einfacher als die von Erinaceus und zwar in mehrfacher Beziehung: Die Scheiden sind im wesentlichen gleichartig, d. h. man findet an beiden eine Stachelscheide (mit Hentescher und Huxrevscher Schicht) und eine Wurzelscheide, aber es fehlen bei Echidna die Talgdrüsen, die bei Erinaceus bestehen. Wenn der Drüsenverlust etwas sekundäres ist, so wäre also Echidna fortgeschrittener als Erinaceus, Hystrix und der Embryo von Ursus. Dagegen fehlt dem Stachel von Echidna eine Markschicht und die charakteristischen Längsleisten, welche in die Stachelpapille einwachsen bei Erinaceus, Hystrix und Ursusembryo sind gleichfalls bei Echidna nicht vorhanden. In dieser Hinsicht stellt also der Echidnastachel einen einfacheren (primitiveren?) Zustand dar. Auch die Arrectores Pilorum fehlen Echidna und lassen deren Stachel als einfacher erscheinen. Danach würden unter den Stacheln die- jenigen vom Ursusembryo also keine primitive Stellung einnehmen, denn der Bau des Stachels, durch seine Längsleisten kompliziert, ist jedenfalls ein höherer Zustand als der von Echidna und dies Moment hat wohl größere Bedeutung als das Fehlen von accessorischen Organen, wie sie die Drüsen darstellen. Diese Drüsen spielen aber bei einer anderen Frage eine Rolle: Der Stachel wäre in dem Falle als eine primitivere Form der Hautorgane aufzufassen, wenn die Vogelfeder oder die Reptilienschuppe die stammesgeschichtliche Grundlage der Haare darstellen würde, wie ja von einigen Autoren noch an- genommen wird (neuerdings Krause, der diese Auffassung sogar für die allgemein anerkannte und einzig richtige hält). Dann könnten die Haare als schwächer ausgebildete Stacheln, d. h. durch Reduktion aus diesen hervorgegangen, betrachtet werden. Ebenso wie die bei Vögeln bestehenden Borstenbildungen ja mit Recht als Verkümmerungen von Federn beurteilt werden. Hier tritt nun der Drüsenapparat Das Integument eines Embryo von Ursus Arctos. 528 528 dazwischen: Weder bei Reptilienschuppen noch bei Vogelfedern besteht ein Drüsenapparat, während' bei den Stacheln von Erinaceus und Hystrix ebenso wie bei dem hier behandelten Embryo von Ursus bei jeder Stachelanlage eine größere Zahl von Talgdrüsen, sowie eine komplizierte tubulöse Drüse (Schweißdrüse) ausgebildet ist. Hierdurch entfernen sich die Stacheln der Säugetiere sehr beträchtlich von den Schuppen der Reptilien und Federn der Vögel. Die so sehr verschiedene phylogenetische Stellung der alveolären Talg- und tubulösen Schweißdrüsen ist schon vielfach hervorgehoben worden, kann aber nicht genug betont werden. Die tubulösen Drüsen sind die ältesten Hautdrüsen. Sie fehlen gänzlich bei Sauropsiden und finden nur in den Amphibienhautdrüsen ihresgleichen. Dabei bieten die glatten Muskelzellen, welche der Außenfläche der Drüsenzellen angeschlossen sind, ein wesentliches Merkmal. In schroffem Gegensatz steht hierdurch das Integument der Sauropsiden, dem sie ganz fehlen, zu der Haut der Säuge- tiere, die so enorm reich mit diesen Drüsen versehen ist. Diesen letzteren schreibe ich eine weitaus größere Bedeutung zu als den Talgdrüsen. Letztere sind phylogenetisch viel jüngere Organe. Nur sie sind wohl, als im Dienste der Haare entstandene, den Säugetieren somit allein zukommende Drüsen aufzufassen. Doch ist durch sie der Gegensatz zwischen Säugetieren und Vögeln nicht so scharf wie durch die Schweißdrüsen ausgeprägt. Wenn auch den Reptilien solche Gebilde gänzlich abgehen (die Schenkel- poren der Eidechsen haben mit ihnen sicherlich nichts zu schaffen), so kommen sie doch in bestimmter Form den Vögeln zu. Nicht nur in der bei Vögeln in so weiter Verbreitung zu findenden Bürzeldrüse ist ein Komplex von Talgdrüsen gegeben, sondern DE MEIERE hat auch, allerdings nur sehr vereinzelt, Andeutungen von Talgdrüsen an einzelnen Federbälgen gefunden. Dieser letztere Befund zeigt, daß die Anschauung, die Talgdrüsen der Vogelfedern seien sekundär verloren gegangen, infolge der mächtigen Ausbildung der Bürzeldrüse, nicht ganz von der Hand zu weisen ist. Demgegenüber muß aber auch wieder darauf hingewiesen werden, daß bei vielen Vögeln die Bürzeldrüse fehlt und trotzdem keine Talg- drüsen an den Federfollikeln bestehen. Uebersieht man alle diese Verhältnisse und vergleicht die so sehr mannigfaltigen Zustände der Säugetiere untereinander, so ergibt sich die große Schwierigkeit diese in eine phylogenetische Reihe zu bringen. Ich bin darum auch der Ansicht, daß man den so auffallenden Befund bei dem Embryo von Ursus Arctos nur mit der größten Vorsicht aufzufassen hat. Man findet eben bei einer Säugetierform oft scheinbar sehr primitive Verhältnisse neben sehr fortgeschrittenen und so erscheint hier eine Um- kehrung bei Ursus, insofern ein sehr fortgeschrittener Befund in den embryonalen Stacheln zuerst auftritt und einem einfacheren, dem Haarkleid Platz macht, das einen primitiveren Zustand darstellt. Auch dafür sollte es aber wohl eine Erklärung geben, wenn man für sich das Recht beansprucht, die klar zu Tag liegenden Tatsachen dem Verständnis näher zu bringen. Diese führe ich aber nur als Privatmeinung an und gestehe Jedem das Recht zu, sie zu verwerfen: Der Bär hatte wie wohl alle Säugetiere zuerst ein Haarkleid. Aus diesem bildete sich ein Stachelkleid am Rücken aus, wie dies auch bei anderen Säugetieren sich findet. Doch ist dasselbe niemals soweit entwickelt gewesen, daß es das Haarkleid auf dem Rücken ganz verdrängte. Bei Echidna bestehen ja bekanntlich an der Basis der Stacheln ebenfalls noch feine Haare. Indem nun die Stacheln beim Bär wieder geschwunden sind (die Ursache dafür ist unbekannt, wir können hier nur die Tatsache hinnehmen) sind die dazwischen noch bestehenden Haare wieder zu mächtiger Entfaltung gelangt und nur embryonal in früher Periode kommt noch das Stachelkleid zur Anlage. Die Haare aber treten in der ÖOntogenese erst später auf. Dies stimmt auch damit überein, daß bei allen mit Stacheln bedeckten Säugetieren diese in der Ontogenese viel früher als die Haare auf- treten. Ich erinnere hier nur an die Vorgänge beim Igel, der als neugeborenes Tier bekanntlich nur die Rückenstacheln besitzt, während die späterhin behaarte Ventralfläche des Rumpfes sowie Vorderkopf 529 Das Integument eines Embryo von Ursus Arctos. 529 und Extremitäten noch nackt erscheinen. Die Haarfollikel liegen an diesen Körperstellen noch in der Haut, im Zustand erster Anlagen. Am Kopfe sind nur die Tasthaare, wie bei allen Formen, die solche besitzen, sehr früh angelegt und beim neugeborenen Tier bereits durchgebrochen. Es fragt sich nun weiter, ob die Befunde bei dem Bärenembryo geeignet sind, unsere Auffassung vom Haarkleid der Säugetiere zu ändern. Ich habe schon früher hervorgehoben und meine Ansicht durch eigene Untersuchungen an einer größeren Zahl von Säugetieren begründet, daß, trotz der großen Manmnigfaltigkeit in dem speziellen Bau der Haare, doch ein Grundplan stets erkennbar ist. Dieser Plan ist nun auch sowohl bei den Stacheln wie Haaranlagen des Bärenembryo vollkommen beibehalten. Es reiht sich also der Befund hier, trotz seiner speziellen Eigentümlichkeit zwanglos in die auch von anderen Säugetieren bekannten Verhältnisse en. Somit kann unsere Auffassung vom Haarkleide dadurch keine Aenderung erfahren. Eine Frage kann ich leider aus dem vorliegenden einen Objekte nicht entscheiden. Das betrifft das Schicksal der Stachelanlagen. Werden sie beim Embryo schon nach kurzem Bestand abgeworfen, etwa wie das Wollhaar des Menschen beim Embryo ausfällt und im Fruchtwasser zu Grunde geht? oder bilden die Stacheln weiter wachsend sich zu Haaren um und ein jeder wird zum Stammhaar einer späteren Haargruppe. Diese Möglichkeit ist deshalb nicht ganz von der Hand zu weisen, weil wir Haare kennen, die in ihrer Ausbildung sehr verschiedene Zustände zeigen, was nur aus einem wechselnden Verhalten der Papille erklärt werden kann. Ich erinnere hier nur an die Haare von Ornithorhynchus Tamandua und Myrmecophaga jubata. Bei diesen durchdringt das Haar mit feiner Spitze die Haut Dann verdickt sich der Schaft konisch sehr rasch bei letzteren, bei ersteren zu einer breiten Platte, um sich dann wieder sehr zu verschmächtigen und als feines drehrundes Haar schließlich auf einer kleinen Papille zu sitzen. Aehnlich könnten auch die Stachelanlagen des Bärenembryo bei weiterem Wachstum wieder schmächtiger werden und als Haare am Grund des Follikels eine kleine Papille be- sitzen. Wie sich das verhält, kann erst die Zukunft lehren, wenn man etwas ältere Embryonen vom Bär daraufhin zu untersuchen Gelegenheit hatte. Ich komme endlich noch auf die Bedeutung des Wulstes zu sprechen, der hier an den Stachel- anlagen ebenso nachweisbar ist, wie bei den Haaren anderer Säugetiere. Ich habe ihn hier sogar von seiner ersten Entstehung bis zu seinem völligen Schwund verfolgen können und muß ıhn für eine rein embryonale vorübergehende Bildung des sich entwickelnden Stachels halten. Die verschiedenen Auffassungen, welche über dieses Gebilde bestehen, hat Srönr genau auseinander gesetzt. Eine Beziehung zum Arrector des Stachels besteht unzweifelhaft, doch ist mir sehr unwahrscheinlich, daß seine epithelialen Zellen sich zu Muskelzellen umbilden resp. an der Bildung der Muskelzellen teilnehmen, Ich stimme darin mit Sröur vollkommen überein. Der Höhepunkt seiner Ausbildung fällt bei dem Bärenembryo in die Zeit, wo der Stachel im Follikelgrund schon angelegt ist, aber noch weit vom Hervortreten über die Haut entfernt ist. Wenn der Stachel so weit ausgewachsen ist, daß er durch die Oberhaut hervor- tritt, ist der Wulst gänzlich geschwunden. Ich halte es demnach für ganz ausgeschlossen, daß dieses Gebilde hier etwa die Bedeutung eines Haarbeetes hat. Ob der auszustoßende Stachel einen ähnlichen Zustand wie das Beethaar durchläuft, kann ich nicht angeben. Ich will hier nicht auf die Frage des Beethaares eingehen. Meine Auffassung, die ich mir an zahlreichen Objekten früher gebildet habe, geht dahin, daß das Haar, nachdem es eine Zeit lang bestand, seine Papille verliert, die sich abflacht. Es sproßt dann am Grunde des Follikels die Anlage des Ersatzhaares als kompakter, zuerst schmächtiger Zellzapfen in die Tiefe. Das alte Haar, das noch lange in seinem Follikel eingelagert bleibt, steckt dann mit auseinanderstehenden Zellen zwischen den Elementen der Wurzelscheide, als Daß unter Umständen bei dem Austreten des Haares sein Beethaar. Es wird später abgestoßen. 67 Festschrift Ernst Haeckel, Jenaische Denkschriften. XI. 530 Das Integument eines Embryo von Ursus Arctos. 390 unteres Ende an die Stelle zu liegen kommt, wo die Anlage des Wulstes sich befand, ist nicht aus- geschlossen. Daß aber der Wulst stets als Anlage des Haarbeetes aufgefaßt werden dürfe, dazu sehe ich keine Berechtigung, denn der Wulst schwindet schon, bevor in unserem Fall der Stachel ganz aus- gebildet ist, vollkommen. Die Stelle, wo er bestand, ist nur erkennbar, weil sie der Insertionsstelle des Arrector des Stachels entspricht. Mit den Beethaaren ist ein mir stets unverständlicher Kultus getrieben worden. Man hat fast ganz vergessen, daß dies doch nur die erste Absterbungserscheinung des Haares ist, an welche sich die Bildung des Ersatzhaares unmittelbar anschließt. Ueber die Bedeutung des Haarwulstes kann ich nach meinen Befunden nur sagen, daß man dieselbe nicht überschätzen darf. Ich schließe mich den Autoren an, welche in ihm lediglich eine Arrector- wirkung erblicken. Es ist endlich noch die Beziehung der Stachel- resp. Haaranlagen zu Schuppen zu erörtern. Von solchen erkennt man an dem vorliegenden Embryo nichts, wenigstens insofern keine Schuppen- bildungen nachweißbar sind, weder an dem Schwanzstummel, noch an den Streckseiten der Extremitäten. Die Anlagen der einzelnen großen Stacheln sind zwar von starken, schräg nach hinten gerichteten Hautwülsten umgeben. Ob in diesen, wie sie hier vorliegen, Schuppenäquivalente zu erblicken sind, kann ich nicht entscheiden. Doch erscheint mir die Deutung zwangloser, daß es einfache Folge des mechanischen Einflusses von seiten der voluminösen Stachelanlage auf ihre unmittelbare Umgebung seı. Diese Deutung ziehe ich aus dem Grunde vor, weil die sichtbare Erhebung erst in dem Maße zur Ausbildung kommt, als der Stachel sich entwickelt: sie geht der Stachelanlage nicht voraus. Dies ist ganz deutlich bei den jüngsten Anlagen der Stacheln erkennbar. Auch die jungen Haaranlagen zeigen keinerlei Erhebung des Integumentes ın ihrer Umgebung, welche als Schuppenanlage aufgefaßt werden könnte, sie bilden sogar gerade im Gegenteil kleine flache längliche Grübchen. In einem solchen Grübchen liegt kranialwärts die schräg ın die Tiefe tretende Haaranlage, dahinter die weniger schräg sich einsenkende Anlage der tubulösen Drüse. Höchstens in dieser Anordnung kommt vielleicht zum Ausdruck, daß diese beiden Organe einmal früher zu einer Schuppe in Beziehung standen, das Haar saß auf einer Schuppe, die Drüse hinter derselben. An der Ventralfläche zeigt sich in der Gruppen- stellung der Haaranlagen ebenfalls, wie das DE MEIERE von so vielen Säugetieren geschildert hat, der Rest einer Beziehung zu Schuppen, aber auch nur in topopraphischem Sinne Man darf daraus nicht das Recht ableiten, die Haare als aus Schuppen hervorgegangen zu deuten. Wie ich schon öfter hervor- gehoben habe: wenn Schuppen und Haare bei der gleichen Tierart nebeneinander auftreten, so müssen sie sich naturgemäß in einander schicken. Die Haare liegen entweder zwischen den Schuppen, oder, da die letzteren voluminöse Gebilde sind, liegen sie auf denselben, in größerer Zahl, so daß einem Schuppengebiet eine Gruppe von Haaren zugeteilt ist. Schwinden nun die Schuppen, so bleiben die Haargruppen erhalten, als letztes Zeugnis dafür, daß Schuppen an den betreffenden Stellen vorhanden waren. DE Meere hat diese Dinge an zahlreichen Säugetieren in ausführlicher Weise geschildert und es heißt, bekannte Dinge unnötiger Weise wiederholen, wollte ich darauf näher eingehen. Auffallend erscheint mir nur, daß bei dem Embryo an der ganzen Dorsalfläche des Rumpfes jede Andeutung einer Gruppenstellung der Stachel- und jungen Haaranlagen fehlt, während eine Gruppenstellung an den Haaranlagen der Ventralfläche des Rumpfes und an den Extremitäten deutlich zu Tage tritt. Man darf daraus nicht den Schluß ziehen, es hätten am Rücken niemals Schuppen bestanden, sondern nur an der Bauchfläche des Tieres. Dies wäre deshalb durchaus falsch, weil ja späterhin beim Bären eine ausgesprochene Gruppenstellung auch bei den Haaren des Rückens erkennbar wird. Es zeigt aber dieser erste Befund wohl, daß nicht alle Haar- oder Stachelanlagen mit Schuppen zusammen auftreten, sondern auch selbständig vorkommen. Daraus erhellt dann noch weiter die phylogenetische Ver- schiedenheit und Unabhängigkeit der Haare von den Schuppen. Sagt Das Integument eines Embryo von Ursus Arctos. Do Trotz des eigentümlichen Befundes den das Integument des hier geschilderten Embryo vom Bären bot, wird hierdurch doch nur das, was ich früher stets betont habe, wiederum erwiesen, daß die Phylogenese des Haares nicht aus den Befunden der Säugetiere gelöst werden kann. Nicht nur, daß diese Befunde eine Fülle von mannigfaltigsten Besonderheiten zeigen, finden wir noch dazu an ganz primitiven Säugetierformen, wie gerade z. B. bei den Monotremen, die Haarbildungen des Integumentes in sehr abgeändertem weit vom primitivsten Verhalten entfernten Zustande. Darüber habe ich schon früher berichtet, ich erinnere hier nur daran, wie sehr verschiedene Bildungen die Stacheln und Haare von Echidna und die Haare von Ornithorhynchus darstellen. Wenn solche Differenzen schon bei den tiefstehenden Säugetieren hervortreten, so ist bei der Frage nach der Phylogenese der Haare ein Heran- ziehen niederer Wirbeltiere unerläßlich. Es sei mir nun erlaubt in Folgendem nochmals auf diese Fragen zurückzukommen, mit Hinblick auf verschiedene Stimmen, die auch in der letzten Zeit gegen die von mir begründete Auffassung laut geworden sind. Die verschiedenen Auffassungen über die Phylogenie der Haare. In dem Handbuch der Entwickelungslehre von ©. Herrwıc, gibt W. Krause, der das Integument bearbeitet hat, als Resultat seiner Betrachtungen an, daß „Schuppen, Federn, Borsten, Stacheln und Haare homologe Bildungen sind. Die Haare haben mit Seitenorganen nichts zu tun. Ihre Verschieden- heiten von der Feder sind ganz nebensächlicher Art. Sie erklären sich zum größten Teil aus den ver- schiedenen absoluten Dimensionen der Anlagen und verschwinden, wenn die Dimensionen einander mehr gleich werden. Zum Teil kommt auch die saftreichere Beschaffenheit des Corıum der Mammalıien, gegenüber den Sauropsiden in Betracht. Die Theorie von GEGENBAUR und MAURER ist nicht länger haltbar“. Nach der ganzen Art der Schilderung und Beweisführung, die Krause in dem angeführten Kapitel vorträgt, würde es mir nicht notwendig erscheinen, überhaupt darauf zurückzukommen, wenn eben nicht der Platz, wo diese Schilderung sich findet, doch eine Berücksichtigung verlangte. Schon längst geht neben der von Alters her, ich möchte sagen aus Bequemlichkeit, immer wieder hervor- geholten Anschauung, daß Schuppe, Feder und Haar einander homologe Bildungen seien, stets das Bestreben der Autoren, die sich eingehender mit diesen Problemen beschäftigt haben, einher, für die Haare einen anderen Anschluß zu finden. Bei äußerlicher Betrachtung erscheint es am einfachsten, wenn man bei Reptilien Schuppen, bei Vögeln Federn, bei Säugetieren Haare im Integument findet, daß man diese 3 Horngebilde auch im ganzen für einander gleichwertig hält: es sind eben Horngebilde der Haut und als. solche homolog. Wenn man diesen entschieden bequemsten Standpunkt einnimmt, so ist es auch leicht verständlich, daß man etwa bestehende Unterschiede, mögen sie in entwickelungs- geschichtlichen Tatsachen oder im feineren Bau der Organe hervortreten, als nebensächlich bezeichnet und damit aufs Einfachste beseitigt. Eine ganze Reihe von Forschern aber, die sich mit den Hautgebilden beschäftigten, fanden doch die Besonderheiten in der Anlage und im späteren Verhalten der Haare und des Haarkleides derart bedeutungsvoll, daß ihre stammesgeschichtliche Ableitung von Schuppen und Federn für nicht haltbar erklärt wurde. Die ganze Frage nach der phylogenetischen Ableitung der Haare ist in zwei besonderen Etappen zu behandeln, wie ich dies auch früher schon öfter betont habe. In erster Linie ist die Frage zu entscheiden, ob wirklich die Haare von Schuppen und Federn phylogenetisch zu trennen sind und erst wenn dies in bejahendem Sinne beanwortet ist, tritt die zweite Frage heran, ob die Haare etwa aus anderen Hautgebilden niedererer Wirbeltiere entstanden sind und aus welchen, oder ob sıe über- 67* 532 Das Integument eines Embryo von Ursus Arctos. 532 haupt keine phylogenetischen Vorläufer besitzen und als selbständige Neubildungen der Säugetiere betrachtet werden müssen. Als Besonderheiten der Haare sind folgende Tatsachen zu nennen: erstens ist die erste Anlage eine rein epidermoidale und die Anordnung der Zellen in dieser Epidermisbildung ist eine charakteristische. Die Beteiligung der Lederhaut in Form einer Papillenbildung tritt erst spät ein, nachdem die epidermoi- dale Anlage als solider Sproß in die Tiefe gewachsen ist. Eine weitere Besonderheit liegt in dem Bau des Haares und seiner Scheiden, sowie im Verhalten der Haarpapille. Am Haarschaft ist Mark, Rinde und Oberhäutchen unterscheidbar. Von den Scheiden ist hervorzuheben, daß die Haarscheide mit dem Haarschaft weiter wächst und nicht abgestoßen wird. Sie tritt nicht aus dem Follikel auf die freie Hautoberfläche heraus, sondern hört mit freiem Rande noch im Follikel auf. Die Wurzelscheide besitzt unter der Follikelmündung Talgdrüsen, die nur bei den Stacheln und Haaren weniger Säugetiere fehlen. Die Verschiedenheiten der Stacheln und Haare und der verschiedenen Haarformen ist nur durch ver- schiedene Ausbildung der einzelnen Bestandteile bedingt. Die Haarpapille ist nur aus Bindegewebe mit Blutgefäßen und deren vasomotorischen marklosen Nervenfasern gebildet. Sensible markhaltige Nerven fehlen gänzlich, auch in den Papillen der Stacheln. Endlich zeigen die Haare bei den meisten Säugetieren eine Gruppenstellung, indem bald mehrere Haare gleichwertig in linearer Anordnung sich finden, bald eine Drei-Haargruppe aus einem stärkeren Mittelhaar und zu jeder Seite einem schwächeren Nebenhaar besteht. Endlich können die Haare in Form von Bündeln angeordnet sein und auch diese Bündel können eine Gruppenstellung zeigen. Alle diese hier angeführten Tatsachen stehen in Wider- spruch mit den Verhältnissen bei Schuppen und Federn und es fragt sich, ob man sie als rein nebensächlicher Natur betrachten darf. Die Art der ersten Anlage des Haares war für GEGENBAUR bestimmend, das Haar nicht für homolog der Schuppe und der Feder zu halten. GEGENBAUR hat aber niemals eine andere phylogenetische Ableitung der Haare gefunden. Ich hebe dies im Interesse der Sache hervor, denn es ist hier zunächst auf Grund der besonderen Form der embryonalen Anlage dem Haar eine Sonderstellung gegenüber Schuppe und Feder zuerkannt, obgleich ein anderer Anschluß noch nicht erkannt war. Desgleichen wurde die Tatsache, daß die Papille des Haares frei von sensiblen Nerven ist als ein wesentlicher Unterschied gegenüber der Schuppen- und Federpapille erkannt, von allen Untersuchern bestätigt, aber nicht erklärt. Krause führt im genannten Handbuche an (Bd. II, S. 289), daß die Haare nicht ganz geeignet erscheinen, meiner Hypothese als Stützpunkt zu dienen, denn es seien in den fötalen Haarpapillen vom Meerschweinchen (ORRU 1894) und anderen Säugetieren (Ksjunn 1898) und zwar an Tasthaaren feine marklose angeblich vasomotorische Nervenfasern nachgewiesen worden. Diese Beweisführung gegen meine Auffassung ist unverständlich. Es handelt sich doch in der Haarpapille um das Fehlen starker markhaltiger sensibler Nervenfasern, wie sie in reichlichster Ausbildnng in der Schuppen- und Federpapille gefunden werden. Diese fehlen in den Haarpapillen immer. Daß zarte marklose vasomotorische Fasern vorhanden sind ist selbstverständlich, denn wo Blutgefäße sind, müssen auch deren Nerven hingelangen. Was nun endlich die Gruppen- und Bündelanordnung der Haare betrifft, die zum Teil ent- wickelungsgeschichtlich begründet ist, so möchte ich auch darauf den größten Wert in doppelter Hin- sicht legen. Erstens: Wir wissen, daß ein Haarbündel zu Stande kommt, dadurch, daß von einem primären Haarbalg seitlich weitere hervorsprossen. Teilungen treten also in der Entwickelung der Haaranlagen auf. Das ist bei Schuppen-, sowie bei Federanlagen nirgends beobachtet und auch undenkbar. Zweitens: Die Gruppenstellung der Haare im fertigen Zustand ist nicht allein aus Teilung einfacher Anlagen ableitbar, denn bei vielen Gruppen tritt für jedes Haar eine besondere Anlage auf. 233 Das Integugment eines Embryo von Ursus Arctos. 533 Diese Gruppenanordnung ist von DE MEIERE und RÖMER mit Recht auf ein Verhältnis der Haare zu Schuppen bezogen worden. Es ist aber doch völlig undenkbar, daß, wenn im Bereich einer Schuppe eine größere Anzahl von Haaren zu liegen kommen, ein Haar einer Schuppe homolog ist, DE MEIERE, SCHWALBE und WIEDERSHEIM halfen sich dieser Tatsache gegenüber allerdings durch die Angabe, daß ein Haar nicht einer ganzen Schuppe, sondern nur einem Teile einer solchen ent- spreche. Diese Auffassung ist eine halbe Sache und läßt uns ganz im Unklaren. Wo sehen wir auch nur irgend eine Andeutung der Sonderung einer Schuppe in mehrere Teile? Bei keiner Wirbeltiergruppe ist derartiges beobachtet; auch nicht bei Säugetieren, die neben dem Haar- kleid ein Schuppenkleid tragen. Wenn Haare und Schuppen zusammen vorkommen, so sind sie voll- kommen scharf von einander getrennt. Das Haar ist, wie ich schon oft hervorhob, ein ganz charakte- ristisches Organ. Trotz der mannigfaltigen Ausbildung, in welcher uns die Haare bei verschiedenen Säugetieren begegnen, ist der Grundplan doch stets der gleiche. Die wesentlichen Modifikationen sind nur durch stärkere oder schwächere Ausbildung des einen oder anderen seiner Bestandteile dargestellt. Eben infolge dieser Gleichartigkeit im Grundplan des Haarbaues habe ich des öfteren betont, daß man mit Sicherheit daraus schließen müsse, daß das Haar als ein fertig vorbereitetes Gebilde von Säugetieren übernommen ist, denn innerhalb dieser Tiergruppe läßt es keine wesentliche Weiterbildung mehr er- kennen. Ich schließe hier auch den Stachel mit ein. Die Anlage des Stachels (Echidna und Erinaceus) ist, völlig gleich mit der Anlage des Haares, eine rein epidermoidale, und nachdem der Epithelzapfen in die Lederhaut eingewachsen ist, bildet sich an seinem Grunde eine Papille, genau wie beim Haare: zwiebelförmig, aus Bindegewebe mit Blutgefäßschlinge, aber ohne sensible Nerven. Der Stachel bildet sich auch genau wie der Haarschaft aus: Mark, Rinde, Oberhäutchen und seine Scheiden verhalten sich wie beim Haare. Wenn später eine Vergrößerung der Papille und eine Vermehrung der Mark- zellen eintritt, die dem Gebilde in Vergleichung mit dem Haare eine voluminösere Beschaffenheit ver- leihen, so verliert dadurch noch lange nicht der Stachel seinen Haarcharakter und wird in keiner Be- ziehung der Feder ähnlicher, mit der er ebenso wenig wie mit der Schuppe in phylogenetische Be- ziehung gebracht werden darf. Es ist mir unerfindlich, warum man diesen so klaren Verhältnissen nicht die naturgemäßen Konsequenzen zugestehen sollte. Krause ist in seiner Schilderung auf diese Dinge überhaupt nicht eingegangen, deshalb führe ich sie nochmals ausführlicher aus. Die Beziehung der Haare zu den Schuppen ist eine rein topographische. Wir kennen durch RÖMER einen sehr lehrreichen Befund von einem Embryo von Thryonomys (Aulacodus) Swinderianus. Ich führe hier an, daß RÖMER auf Grund seiner Untersuchungen am Integument der Monotremen, Edentaten und der zuletzt genannten Form meine Auffassung von der Phylogenese der Haare für richtig hält. Bei dem genannten Embryo besteht eine regelmäßige Anordnung großer Haare an Rücken, Kopf und Extremitäten, in regelmäßigen alternierenden dorsoventral verlaufenden Reihen, so daß Schuppen geradezu vorgetäuscht werden. Indessen besteht, wie RÖMER betont, keine Spur einer Andeutung von Schuppen an jenen Stellen. Jedes Gruppenhaar hat den bekannten für das Haar charakteristischen Bau und nichts, außer der Anordnung deutet auf Schuppen hin. Diese Anordnung ist aber nur zu verstehen, wenn man annimmt, daß hier früher Schuppen waren, auf welchen die Haare saßen. Nach dem Schwund der Schuppen behielten die Haare die Reihenanordnung bei. Der Befund an diesem Tiere ist aber noch besonders interessant dadurch, daß zwischen den in Reihen angeordneten Haaren noch ganz embryonale Haaranlagen in großer Zahl bestehen, die ohne Beziehung zu Schuppen stehend, wieder die Selbständigkeit der Haare gegenüber den Schuppen erweisen. Ich verdanke der Liebenswürdigkeit des Herrn Dr. RÖMER eine Originalphotographie des genannten Tieres, an welcher man die geschilderte Anordnung der Haare Das Integument eines Embryo von Ursus Arctos. 534 334 aufs schärfste erkennt, noch viel deutlicher als es auf dem Abdruck (Jen. Zeitschr, Bd. XXXI, N. F.XXIV, 1898, S. 608) hervortritt. Ebenso wie die Beziehung der Haare zu den Schuppen eine topographische ist, ist wohl auch die Beziehung zu den Schweißdrüsen eine solche. Auch diese treten ın ein Verhältnis zu Schuppen, standen zwischen ihnen, und da die Haare auf, resp. am hinteren Rande der Schuppen liegen, so finden sich die Schweißdrüsen hinter den Haaren, auch nachdem die Schuppen geschwunden sind. Alle diese angeführten Tatsachen sprechen dafür, daß man die Haare von Schuppen und Federn trenne. Das ist auch nicht nur von (fEGENBAUR, sondern auch von GÖTTE, Leypie und EmerY erkannt worden. Die Auffassung der oben angeführten Autoren, DE MEIJERE, SCHWALBE und WIEDERSHEIM, daß die Haare nur Teilen von Schuppen entsprechen, ist insofern bedeutungsvoll, als mit diesem halben Zugeständnis immerhin zugegeben wird, daß die Sache mit der Homologie des Haares und der Reptilien- schuppe nicht so recht stimmen will. Wenn man aber die oben angeführten Gründe ihrer Bedeutung entsprechend voll gelten läßt, so ist die Homologie von Haar einerseits und Schuppe und Feder anderer- seits nicht nur halb, sondern ganz fallen zu lassen, und für das Haar ergibt sich die Notwendigkeit zu prüfen, ob es eine eigene Neubildung der Haut der Säugetiere ist. Diese Auffassung hat GörTE aus- gesprochen. Er betrachtet die Papille als die erste Anlage eines Haares. Die Papille mit ihrer Gefäß- schlinge setzt einen kleinen Epidermisbezirk unter günstigere Ernährungsverhältnisse. Hierdurch wird eine lokale stärkere Vermehrung der Epidermiszellen und eine intensivere Verhornung veranlaßt. Damit wird dem Haare alle Besonderheit abgesprochen, die doch durch seinen komplizierten Bau so klar zu Tage tritt. Auch wird vergessen, daß in der Säugetierhaut zahllose mit Blutgefäßschlingen versehene fingerförmige Papillen auftreten, über welchen kein Haar zur Entwickelung kommt. Die lokale gute Ernährung bestimmter Abschnitte der Epidermis ist also nicht allen genügend um ein Haar hervorzubringen. Wenn dieser Versuch, das Haar als eine besondere Neubildung der Säugetierhaut darzustellen, nicht glücklich gelöst wurde, und diese Ansicht wohl auch von keinem Autor mehr geteilt wird, so ergibt sich weiterhin die Aufgabe, zu erforschen, ob nicht andere Hautorgane niederer Wirbeltiere die anatomische Grundlage für die Säugetierhaare darstellten. Dieser Frage ist man denn auch von ver- schiedener Seite näher getreten und es sind verschiedene Hautorgane dafür in Anspruch genommen worden. So hat Emery zunächst die Hautzähnchen der niederen Wirbeltiere, speziell der Fische, als Vor- läufer der Haare bezeichnet. Diese Auffassung hat besonders die Entwickelung der Haare ins Auge gefaßt. Wie von einer epithelialen Zahnanlage nach Bildung ihrer Papille die Anlage eines folgenden Ersatzzahnes in Form eines Epithelzapfens sich ausbildet, so tritt auch die Anlage eines neuen Haares an Stelle des alten, in Form eines Epithelsprosses am Grund des alten Haarfollikels auf. Wie jede Zahnanlage sich eine neue eigene Papille bildet, so bildet jedes Haar sich ebenfalls eine neue solche. Wie beim Zahn, geht auch beim Haar der Entwickelung des eigentlichen Organes und dessen Papille die Bildung eines kompakten Epithelzapfens (Zahnleiste) voraus. Darin ist aber nun auch die Ueber- einstimmung beider Organe erschöpft. Die Zahnpapille mit ihrem Nervenreichtum entspricht keineswegs der nervenlosen Haarpapille. Ferner ist in Schmelz und Dentin des Zahnes nichts gegeben, was dem Haar- schaft des Haares irgendwie vergleichbar wäre, und wenn wir die Hornzähnchen in der Amphibienhaut und die Wärzchen etwa als phylogenetische Uebergänge von den Hautzähnchen der Fische zu den Säugetierhaaren ansprechen wollen, so sind doch jene Organe in der Amphibienhaut keine so fixierte (Gebilde und ihre Erneuerung stellt keinen so komplizierten Vorgang dar, wie der Wechsel der wirklichen Zähne oder der Haare. Mit dieser Homologisierung kommt man also nicht weiter. \ 535 Das Integument eines Embryo von Ursus Arctos. Es hat fernerhin Levpıs in den Perlorganen gewisser Knochenfische die Vorläufer der Haare erblickt. Auf diese Auffassung bin ich früher schon näher eingegangen. Ich kann mich darüber hier deshalb kurz fassen. Doch komme ich deshalb darauf zurück, weil sie uns zu meiner schon des öfteren angeführten eigenen Auffassung von der phylogenetischen Ableitung des Haarkleides der Säugetiere hinführt. Levpig hat den bei Cyprinoiden in der Paarungszeit auftretenden Perlausschlag genauer unter- sucht und gefunden, daß es sich hier um Horngebilde handelt, die am Kopf in bestimmter Reihen- anordnung, am Rumpf aber auf den Schuppen auftreten. Am Grund dieser Gebilde finden sich bei einigen Formen lange fadenförmige Papillen, welche in die Organe emporragen. Solche vorübergehend bei einigen wenigen Formen der Fische nur zur Brunstzeit erscheinende kurze konische Hornzapfen als Vorläufer der Haare zu betrachten, hat nicht viel Berechtigung, denn es fehlt jede Anknüpfungs- möglichkeit. Ich habe aber darauf hingewiesen, auf Grund eingehender Untersuchungen über diese interessanten Hautgebilde bei Barbus, Rhodeus und Phoxinus, daß diese Gebilde an Stelle von rück- gebildeten Hautsinnesorganen auftreten. Dies war nicht nur direkt zu beobachten, sondern trat auch später zu Tage durch die Tatsache, daß man am Kopf und auf Schuppen an korrespondierenden Stellen bald ein Perlorgan, bald ein Hautsinnesorgan nachweisen kann. Ich verweise hierüber auf meine früheren Angaben (24), füge nur das Ergebnis dieser Untersuchung hier an, daß die Perlorgane nicht eigene Gebilde darsellen, sondern daß sie in Elementen der Umgebung von Hautsinnesorganen ihre Vorläufer besitzen. Es verschwinden also diese letzteren nicht spurlos, sondern nach ihrem Untergang entstehen an ihrer Stelle andere neue Organe, allerdings sehr hinfälliger Art. Wenn somit die Levpıssche Auf- fassung, daß die Perlorgane der Knochenfische die stammesgeschichtlichen Vorläufer der Haare dar- stellen nicht haltbar erschien, so bestand immer noch das Problem der Haarphylogenese. Dies habe ich nun in dem Sinne zu lösen versucht, daß die Hautsinnesorgane die Grundlage der Haare darstellen sollen und ich meine, es hat bis jetzt noch keine Auffassung der Phylogenese der Haare so weitgehend die Besonderheiten des Haares erklärt als gerade diese Lehre. Es ist nicht meine Absicht, dieselbe hier nochmals ausführlich darzulegen, ich möchte nur gerade mit Hinblick auf die Beurteilung, die sie in der letzten Zeit von einigen Seiten erfahren hat, nochmals darauf hinweisen, wie vieles durch sie erklärtwird, was durch keine andere Auffassung, auch nicht durch die Ableitung der Haare von Reptilienschuppen, und Vogelfedern eine einigermaßen verständ- liche Erklärung finden konnte. Ich gehe dabei außer auf die Ausführungen Krauses auch auf neue Angaben von Pıncus und auf die letzten Mitteilungen von SıöHr ein, der allerdings die Phylo- genese der Haare nicht berührt hat. Bei der ganzen Behandlung der Frage habe ich zwei wichtige Punkte streng auseinander gehalten: die Entwickelung und den Bau des einzelnen Haares als Organ und zweitens die Verteilung der Haare auf dem Körper, d. h. das Haarkleid. Die erste Frage, die Verhältnisse des Einzelhaares, bot den Ausgangspunkt. Ich will nicht alle die Einzelheiten wiederholen, die hier in Frage kommen, ich betone die schon öfter hervorgehobenen Punkte. Die erste Anlage stimmt mit der Anlage der Hautsinnesorgane der wasserlebenden Wirbeltiere überein und das Haar läßt sich in seinem Schaft und seinen Scheiden vollkommen klar aus dem Haut- sinnesorgan ableiten. Krause sagt (l. c. S. 290 u. f.): Die ganze Hypothese leidet an der noch hier und da verbreiteten älteren Vorstellung von Sinnes- und Stützzellen, während es doch sicher ist, daß die nervösen Endfasern zwischen den sogenannten Sinneszellen aufhören und nicht in deren Protoplasma eindringen. Die Logik dieses Satzes suchte ich vergebens zu ergründen. Es ist sicher, daß in einem Endhügel der Fische und der Amphibien zweierlei Zellen zu unterscheiden sind: erstens in der Achse _ des Gebildes gelegene birnförmige Elemente, zu welchen von der Basis des Epithels her markhaltige 530 Das Integument eines Embryo vou Ursus Arctos. 5 36 Nervenfasern treten. Ob diese Nervenfasern in die birnförmigen Zellen direkt übergehen oder sie umspinnen ist zunächst gleichgiltig (ich bin überzeugt, daß sie in kontinuierlichem Zusammenhang mit jenen Zellen stehen), jedenfalls stehen sie aber lediglich in Beziehung zu diesen inneren birnförmigen Elementen und nicht zu der zweiten Zellform, die in Form von fadenförmigen Zellen in größerer Zahl die inneren Zellen umlagern und sehr scharf von ihnen unterscheidbar sind. Diese äußeren Zellen, die wohl von allen Autoren nachgewiesen wurden, ändern ihre Beschaffenheit besonders bei Tritonen, welche auch nach der Metamorphose die fraglichen Organe behalten. In manchen Fällen wird ihr Zellkörper glashell, es treten Schleimtropfen darin auf, in anderen Fällen verhornen sie: nur die zentralen birn- förmigen Zellen behalten ihre Struktur. Aus diesen Tatsachen schloß ich, daß diese äußeren Zellen mit der Sinnesfunktion direkt nichts zu tun haben, sondern als modifizierte Epithelzellen den empfindlichen Sinneszellen angeschlossen seien und lediglich eine schützende Bedeutung für letztere besitzen. So scheint mir diese, wie Krause sich ausdrückt, „ältere Vorstellung“ doch mit Recht noch hier und da verbreitet zu sein. Jedenfalls halte ich sıe fest und füge noch hinzu, daß die Schilderung Krauses, wonach in einem solchen Hautsinnesorgan nur Sinneszellen bestehen, die von Nervenendfasern umsponnen werden, für gewisse Sinnesknospen in der Haut der Fische und ebenso für die Geschmacksknospen in der Zungenschleimhaut aller höheren Wirbeltiere, auch der Säugetiere und des Menschen wohl völlig stimmt. Von solchen Knospen sind aber die viel komplizirteren Endhügel in der Haut vieler Fische und Amphibien wesentlich verschieden. Ich habe auch früher die Mannigfaltigkeit in der Ausbildung der- artiger Organe genau geschildert und hervorgehoben, daß ich nicht in jenen einfachen Sinnesknospen, sondern in den komplizierteren Endhügeln die Grundlage für die Haare erblicke. Es wird weiter von Krause wieder ausgesprochen, daß die Haare nur modifizierte Federn oder Schuppen darstellen, von denen sie nur in der Größe ihrer ersten Anlage verschieden seien. Die Unter- schiede zwischen den Anlagen sind wohl genügend oft hervorgehoben worden. Auch ist die Anlage des voluminösen Igelstachels ebenso verschieden von der kaum größeren ersten Anlage einer Feder oder Schuppe, wie die Anlage eines kleineren Haares. Es besteht eben, abgesehen von der Größe, eine ganz spezifische nicht wegzuleugnende Differenz. Auch wird wieder darauf hingewiesen, daß die Federscheide der Haarscheide gleiche. Ich betone nochmals, daß die Federscheide völlig abgeworfen wird und nach dem Durchbruch der Feder schwindet. Die Haarscheide aber bleibt erhalten während der ganzen Dauer des Bestehens eines Haares und wächst mit dem Haarschaft sogar weiter. Das Abwerfen der Federscheide entspricht etwa einem einfachen ersten Häutungsprozesse, wie er auch an der Reptilienschuppe auftritt, während die Haarscheide stets in der Tiefe in der Huxıevschen Schicht eine Lage lebender Zellen besitzt, die an dem weiteren Wachstum des Haares teilnehmen. Deshalb ist die Haarscheide etwas von der Federscheide grund- verschiedenes. Sie zeigt aber eine völlige Uebereinstimmung mit dem Epithelwall, welcher ein in die Tiefe gesunkenes Hautsinnesorgan eines älteren Triton umgibt, wie ich dies früher abgebildet habe. Ich verstehe nicht, warum man diesen Dingen nicht die gebührende Beachtung schenken soll. Die Bildung des Follikels eines Sinnesorganes, indem es beim Uebergang zum Landleben in die Lederhaut sich einsenkt, ist ein so leicht verständlicher Vorgang und alle sich daran anknüpfenden Ausbildungen, auch die Entstehung der Papille, wie ich sie bei Tritonen und bei älteren Cryptobranchi fand, sind ja für diese Organe selbst ohne Weiteres verständlich, aber sie gewannen für mich erst wirkliches Interesse, weil sie in allen Teilen so zwanglos mit dem Befunde am Haar vergleichbar sind. Doch ist es überflüssig, hierauf nochmals genauer einzugehen, ich verweise darüber auf meine frühreren Arbeiten. Eine weitere Schwierigkeit erblickt Krause, und das wurde auch von anderen ausgesprochen, in der Verteilung der Haare über den ganzen Körper, während die Hautsinnesorgane bei Amphibien 27 Das Integument eines Embryo von Ursus Arctos. 334 doch nur in den wenigen Reihen bestehen, besonders an den Extremitäten aber ganz fehlen! Auch hierüber kann ich auf früher Gesagtes verweisen. In der Haut der Fische sind die Hautsinnesorgane ungemein reich über den ganzen Körper verbreitet und sie finden sich bei diesen auch auf den Flossen. Von einer Barbe habe ich dies auch teilweise abgebildet (Epidermis, Taf. II, Fig. 2). Wir kennen also jedenfalls wasserlebende Wirbeltiere, die über den ganzen Körper, auch die Extremitäten, verbreitete Hautsinnesorgane besitzen. In Vergleichung damit ist der Hautsinnesapparat der Amphibien ein kümmer- licher Rest. Schon häufig habe ich aber betont, daß die heute lebenden Amphibien überhaupt nicht als direkte Vorfahren höherer Wirbeltiere aufgefaßt werden dürfen. Sie sind in den meisten Organ- systemen reduziert. Aber die Stegocephalen bieten die Grundlage. In dieser formenreichen Gruppe dürfen wir auch eine noch viel reichlichere Verbreitung von Hautsinnesorganen vermuten. Aus allen diesen Instanzen ist es wohl nicht schwer, sich die Verbreitung der Haare, auch wenn sie von Haut- sinnesorganen abgeleitet werden, über den ganzen Körper und auch die Extremitäten, verständlich zu machen. Zum Schlusse möchte ich noch auf eine Beobachtung von Pıncus verweisen, die derselbe in Freiburg gemacht hat: Pmcus hat beim Menschen Gebilde hinter den Haaren gefunden, welche er als Haarscheiben bezeichnete. Dieselben stellen kleine Vorragungen der Haut dar, die reichlich mit sensiblen Nerven versehen sind. Diesem Befund hat Pmcus eine sehr weitgehende Bedeutung zugeschrieben. Er vergleicht die Gebilde infolge der reichlichen Nervenverbreitung mit den Tastilecken der Reptilien (Crocodilus und Hatteria), und meint damit meine Ableitung der Haare von Hautsinnes- organen zu wiederlegen, weil diese Gebilde eben neben den Haaren liegen. Ich bin erstaunt, daß Pıncus sofort neben diesen Befund beim Menschen die Tastflecken von Crocodilus und Hatteria stellt. Ich dächte, es wäre doch richtiger zuerst zu untersuchen, ob man ähnliche Gebilde nicht auch an den Haaren anderer Säugetiere findet und wie ihre Verteilung am Körper ist. Wenn man den Sprung vom Menschen herab zu Hatteria so ohne weiteres tut, so sollte man wenigstens vorsichtig sein in der Verurteilung anderer Auffassungen, die nicht auf „äußeren Aehnlichkeiten“ beruhen, sondern auf einer breiteren Basis sich aufbauen. Literatur -Verzeichnis. (Außer den hier angeführten Werken verweise ich auf das Literatur -Verzeichnis meiner sub 24 zitierten Arbeit.) ı) CHopakowsky, Anatomische Untersuchungen über den Bau der Hautdrüsen einiger Säugetiere. Inaug.-Diss. Dorpat 1874. 2) Davıes, Die Entwicklung der Feder und ihre Beziehung zu anderen Integumentgebilden. Morphol. Jahrb., Bd. XV, 1880. 3) EGGELING, Ueber die Stellung der Milchdrüsen zu den übrigen Hautdrüsen. II. Mitteilung: Die Entwickelung der Mammardrüsen, Entwickelung und Bau der übrigen Hautdrüsen der Monotremen. Jenaische Denkschriften, Bd. VII, 1901. 4) Emery, Ueber die Verhältnisse der Säugetierhaare zu schuppenartigen Hautgebilden. Anat. Anz, Bd. VII, 1893. 5) GEGENBAUR, Vergleichende Anatomie der Wirbeltiere. Leipzig 1898. 6) Görtz, Zur Morphologie der Haare. Archiv f. mikrosk. Anat., Bd. IV, 1868. 7) Grarr, Vergleichend -anatomische Untersuchungen über den Bau der Hautdrüsen der Haussäugetiere und des Menschen. 1879. Jenaische Denkschriften. XI. 68 Festschrift Ernst Haeckel. 538 Das Integument eines Embryo von Ursus Arctos. 53 8 8) HAACRE, Ueber die systematische und morphologische Bedeutung bisher unbeachtet gebliebener Borsten am Säugetier- kopf. Berichte der Senkenbergischen naturforschenden Gesellschaft Frankfurt a. M., 1890. 9) HAEckEL, Anthropogenie. V. Auflage, 1903, (Bd. II, S. 700). 10) HÖRSCHELMANN, Anatomische Untersuchungen über die Schweißdrüsen des Menschen. Inaug.-Diss, Dorpat 1875. ı1) KEIBEL, Ontogenie und Phylogenie von Haar und Feder. MERKEL und BoNnNET, Ergebnisse der Anatomie und Ent- wickelungsgeschichte, 1890. 12) Krause, W., Die Entwickelung der Haut und ihrer Nebenorgane, in OÖ. HErTwIGs Handbuch der vergleichenden und experimentellen Fntwickelungsgeschichte der Wirbeltiere, Bd. II, Jena 1902. ) LeypiG, Ueber die äußeren Bedeckungen der Säugetiere. MÜLLERS Archiv, 18509. ) — Das Integument brünstiger Fische und Amphibien. Biolog. Centralblatt, 1892. ) — Besteht eine Beziehung zwischen Hautsinnesorganen und Haaren? Ebenda, 1892, 16) — Integument und Hautsinnesorgane der Knochenfische. Zoolog. Jahrbücher, Bd. VIII, 1894. ) Lworr, Beiträge zur Histogenie des Haares, der Borste, des Stachels und der Feder. Bullet. Soc. Natur. Moscou, 1884. ) MALBRANc, Von der Seitenlinie und ihren Sinnesorganen bei Amphibien. Zeitschr. f. wissensch, Zoologie, Bd. XXVI. ) MARKS, Untersuchungen über die Entwickelung der Haut, insbesondere der Haar- und Drüsenanlagen bei den Haus- säugetieren. Inaug.-Diss. 1895. 20) MARTIN, Beitrag zur Entwickelung der Sinneshaare unserer Haussäugetiere. Deutsche Zeitschr. f. Tiermedizin, Bd. X. 21) MAURER, Hautsinnesorgane, Feder- und Haaranlage, ein Beitrag zar Phylogenie der Säugetierhaare. Morphol. Jahrb., Bd. X VIII, 1892, 22) — Zur Phylogenie der Säugetierhaare. Ebenda, Bd. XX, 1893. 23) — Zur Frage von den Beziehungen der Haare der Säugetiere zu den Hautsinnesorganen niederer Wirbeltiere, Ebenda, B. XX, 1893. 24) — Die Epidermis und ihre Abkömmlinge. Leipzig 1895. 25) — Zur Kritik meiner Lehre von der Phylogenie der Säugetierhaare. Morphol. Jahrb., Bd. XXVI, 1898. 26) DE MEIJERE, Over de Haren der Zoogdieren. Inaug.-Diss. Amsterdam. Leiden 1893. 27) — Ueber die Haare der Säugetiere, besonders über ihre Anordnung. Morphol. Jahrb., Bd. XXI, 1894. 28) — Ueber die Federn der Vögel, insbesondere über ihre Anordnung. Ebenda, Bd. XXIII, 1895. 29) v. NarHusıus. Das Wollhaar des Schafes in histologischer und technischer Beziehung mit vergleichender Berücksichtigung anderer Haare und der Haut. Berlin 1866. 30) OKAMURA, Zur Lehre über die Wachstumsrichtung der Haare in der ersten Anlage. Monatschr. f. prakt. Dermatologie, Bd. XXVIII, 1899. 31) Pıngus, Zur Kenntnis des Haarsystems des Menschen. Dermatolog. Zeitschr., Berlin, Bd. X, 1903. 32) REH, Die Schuppen der Säugetiere. Jenaische Zeitschrift f. Naturwissenschaft, Bd. XXIX, N. F. 22. 33) RÖMER, Ueber den Bau und die Entwickelung des Panzers der Gürteltiere. Jenaische Zeitschrift f£. Naturwissenschaft, Bd. XXVII, 1893. 34) — Zur Frage nach dem Ursprung der Schuppen der Säugetiere. Anat. Anzeiger, Bd. VII. 35) — Studien über das Integument der Säugetiere. I. Entwickelung der Schuppen, Haare am Schwanze und den Füßen von Mus decumanus und einigen anderen Muriden. Jenaische Zeitschrift f. Naturwissenschaft, Bd. XXX, Neue Folge Bd. XXIII, 1896. 36) — Studien über das Integument der Säugetiere. II. Das Integument der Monotremen. Jenaische Denkschriften, Bd. VI, 1898. 37) — Studien über das Integument der Säugetiere. III. Die Anordnung der Haare bei Thryonomys (Aulacodus) Swinderianus. Jenaische Zeitschrift, Bd. XXXT. 38) SCHWALBE, Ueber den Farbenwechsel winterweißer Tiere. SCHWALBE, Morphologische Arbeiten, Bd. II, Heft 3. 39) — Die Entstehung des Haarkleides bei Säugetieren. Berichte d. naturwiss. Vereins in Straßburg i. E., 1893. 40) SPRENGER, Untersuchungen über Bau und Entwickelung der Stacheln von Erinaceus europaeus. Zool. Jahrbücher, Bd. XI, 1898, Abt. f. Anatomie u. Ontogenie der Tiere. 41) STÖHR, Entwickelungsgeschichte des menschlichen Wollhaares. Anatom. Hefte, Bd. XXIII, 1903. 42) — Ueber Intercellularbrücken zwischen äußerer und innerer Wurzelscheide Verhandl. d. Anat. Gesellsch. Heidelberg 1903, 43) WEBER, Beiträge zur Anatomie und Entwickelung des Genus Manis. Zool. Ergebnisse einer Reise in Niederländisch- Östindien, Bd. II. Leiden 1892. 44) — Bemerkungen über den Ursprung der Haare und der Schuppen bei Säugetieren. Anat. Anz., Bd. VIII, 1893. 45) WIEDERSHEIM, Grundriß der vergleichenden Anatomie der Wirbeltiere. IV. Auflage, 1898. Die ersten Entwickelungsvorgänge des Echinodermeneies, insbesondere die Vorgänge am Zellkörper. Dr. Heinrich Ernst Ziegler, Professor an der Universität Jena. Mit Tafel XVI und 4 Figuren im Text. | h „Die eigentümlichen Bewegungserscheinungen und Formen des organischen Lebens sind nicht der Ausfluß einer besonderen „Lebenskraft“, sondern lediglich die unmittelbaren oder mittelbaren Leistungen der Eiweißkörper (Plasmaverbindungen) und anderer kom- plizierter Verbindungen des Kohlenstoffes.‘ ERNST HAECKEL, Generelle Morphologie (1866). MO nsiich wollte ich an dieser Stelle nicht allein über die im Titel bezeichneten Vorgänge berichten, sondern auch meine Beobachtungen über die Gastrulation und die Larven von Echinocardium cordatum und Ophiotrix fragilis hier veröffentlichen. Nur deshalb habe ich mich auf das vorliegende Thema beschränkt, weil meine Zeit auch durch andere Arbeiten in Anspruch genommen war und die Abhandlung auf den Geburtstag des hochverehrten Jubilars rechtzeitig abgeschlossen werden mußte. Immerhin dürfte der vorliegende Beitrag insofern einiges Interesse finden, als er die ersten Ent- wickelungsvorgänge der Eizelle betrifft, welche in Anbetracht\ihrer großen theoretischen Bedeutung möglichst genau festgestellt werden müssen. Die Befruchtung und Furchung des Seeigeleies dient seit langer Zeit als Paradigma dieser wichtigen Entwickelungsvorgänge und ist schon so oft von den fähigsten Forschern beobachtet und beschrieben worden, daß man meinen könnte, es sei nichts Neues mehr an diesem Objekt zu finden. Allein infolge der Ausbildung der Färbe- und Schneidetechnik haben die Zoologen seit etwa zwei Jahr- zehnten ihre Studien hauptsächlich an den konservierten und gefärbten Objekten gemacht. Die Be- obachtung des lebenden Eies wurde vernachlässigt, und man versuchte sogar die auf das lebende Objekt gerichteten Untersuchungen als minderwertig hinzustellen. Die Folge davon ist, daß zwar die- jenigen Vorgänge, welche an Dauerpräparaten erkannt werden können (in erster Linie das Verhalten der Kerne und Kernbestandteile) sehr genau bekannt sind, aber über die nur am lebenden Objekt sichtbaren Verhältnisse kein vollständiger Bericht vorliegt; insbesondere hat man die Veränderungen der hyalinen Außenschicht, auf welche ich neuerdings die Aufmerksamkeit lenke, seit vielen Jahren ganz unbeachtet gelassen. Es schien mir also notwendig, die Vorgänge an der lebenden Zelle von neuem zu . verfolgen und sie mit den bekannten Bildern der Dauerpräparate zusammenzustellen. Ich beschreibe hauptsächlich das Verhalten der Eier von Echinus miliaris Mürr. wie ich es vor kurzem (im Spätjahr 1903) bei einem Studienaufenthalt auf Helgoland beobachtete. Vergleichsweise ziehe ich ähnliche Beobachtungen an Strongylocentrotus lividus Branpr bei, die ich im Früh- jahr 1902 in Villefranche sur mer gemacht habe und über welche ich schon früher berichtete (1903). Ferner kommt die erste Furchungsteilung von Ophiotrix fragilis Du». und Kor. in Betracht, die ich ebenfalls in Helgoland angesehen habe. — Ich benütze die Gelegenheit, der Verwaltung der K. Bio- logischen Anstalt auf Helgoland für die Ueberlassung eines Arbeitsplatzes und die Beschaffung des Materials bestens zu danken. 542 Die ersten Entwickelungsvorgänge des Echinodermeneies, insbesondere die Vorgänge am Zellkörper. 542 I. Die Vorgänge bei der Befruchtung und der ersten Teilung. Das Durchströmungskompressorium'‘) ermöglichte die kontinuierliche Beobachtung eines Eies durch mehrere Stunden. Ein Druck wurde auf das Ei nicht ausgeübt, und infolge der Durch- strömung war das Ei wie unter normalen Verhältnissen immer mit Sauerstoff versehen. Um die Be- obachtungen am lebenden Ei mit den Bildern von Dauerpräparaten zu vergleichen, benutzte ich die photographischen Abbildungen gut gefärbter Schnitte, welche in dem prächtigen Atlas von E. B. Wırson und E. Leamme (1895) enthalten sind. Die Richtigkeit der Photographien ist unbestreitbar, und man kann leicht die Uebereinstimmung zwischen meinen Figuren und den photographischen Bildern kon- trolieren. Ich habe die meisten Bilder mit Präparaten verglichen und nur bei Fig. ı8 an dem Wiırsonschen Bild eine Aenderung vorgenommen (von der später die Rede sein wird). Allerdings sind die Centrosomen und Centriolen in den Figuren nicht dargestellt. Aber ich wollte hier auf die schwierige Centrosomen-Frage nicht eingehen, da ich sie noch nicht für völlig abgeklärt halte. Diejenigen Gebilde, welche Bover1 (1901) jetzt beim Seeigelei als Centrosomen bezeichnet, sind freilich an Fig. 14, 15 und 18 deutlich zu sehen (vergl. S. 558). Bekanntlich sind die Seeigeleier von einer ziemlich dicken gallertigen Schicht umgeben. For (1879) nannte sie Enveloppe muqueuse oder Oolem, SELENKA (1883) bezeichnete sie als Zona pellucida. Das Seeigelei besitzt eine Polarität und die Besamung findet normaler Weise am oberen Pol statt; dies war schon SELENKA (1883) bekannt und ist von BovErır (1901) genauer festgestellt worden. Letzterer zeigte, daß am oberen Pol ein Kanal in der Gallerthülle vorhanden ist, durch welchen das Spermatozoon leicht hindurchgeht. Die Samenzellen können zwar die Hülle auch an anderen Stellen durchbohren, wie man besonders bei den Fällen von Polyspermie beobachtet, jedoch ist dann mehr Zeit erforderlich, In der Regel findet nur monosperme Befruchtung statt, weil sich bei reifen und lebenskräftigen Eiern sofort die Eihaut abhebt, sobald ein Spermatozoon das Ei erreicht hat. Von dieser Eihaut, welche das Eindringen weiterer Spermatozoen verhindert, wird später die Rede sein (S- 549). Sehr bald nach dem Eindringen des Spermatozoons sieht man im Zellkörper des Eies die ent- stehende Befruchtungsstrahlung. Das Zentrum derselben gibt bekanntlich die Stelle des Centrosoma des Spermatozoons an, welches anfangs am hinteren Ende des Kopfes des Spermatozoons liegt, aber sehr bald gewissermaßen die Führung übernimmt, wobei der Spermakern ihm folgt. Am lebenden Objekt sieht man nur soviel, daß die Strahlung immer. weiter in das Ei eindringt, wobei der Eikern anfangs ruhig bleibt, aber, wenn die Strahlung in seine Nähe kommt, dem Zentrum der Strahlung und dem Eikern entgegenrückt”). In der ganzen Zeit bis zum Zusammentreffen des Spermakernes und des ı) Beschrieben im Zool. Anzeiger, 1894, No. 456, 457 u. 464. 2) Hinsichtlich der Wege, welche der Spermakern und der Eikern zurücklegen, verweise ich auf die Beobachtungen von Wırson und MATHEws (1895) und von GIARDINA (1902, Anat. Anz., Bd. XXI, S. 45 u. f.). Letzterer schreibt: „Es ist mit Sicherheit festgestellt, daß der Weg des Spermakernes nicht gerade, sondern gebogen verläuft, daß er ferner nicht direkt gegen den Eikern gerichtet ist, sondern eher gegen das Zentrum der Eizelle und jedenfalls keine konstante Lage- beziehung zu dem Eikern hat (Wırson and MATHEwS 1895).“ „Es ist eine bekannte Tatsache, daß der weibliche Vorkern bei den Seeigeln sich erst dann zu bewegen beginnt, wenn die Spermastrahlung eine gewisse Ausdehnung erreicht hat; FoL hat bei Asterios schon vor langer Zeit beobachtet, daß der weibliche Vorkern sich nicht von der Stelle bewegt, bis die Strahlung an ihn herankommt; auch ich habe mich bei zahlreichen Beobachtungen an Strongylocentrotus lividus überzeugen können, daß die Bewegung des weiblichen Kerns erst dann beginnt, wenn die kaum erkennbaren Enden der Radien ihn erreichen.“ 543 Die ersten Entwickelungsvorgänge des Echinodermeneies, insbesondere die Vorgänge am Zellkörper. 543 Eikernes nimmt die Strahlung an Größe zu, sie ist aber stets besser entwickelt nach der peripheren Seite als nach der zentralen, d. h. stärker da, wo der Spermakern herkommt, als da wo er hingeht; es ist daher ausgeschlossen, daß man die Strahlen hier als ziehende Fäden be- trachtet, denn es wären die den Spermakern vom Eikern wegziehenden Fäden viel länger, stärker und zahlreicher als die heranziehenden. — Es folgt nun ein merkwürdiger und meines Wissens nach nicht beschriebener Vorgang. Die beiden aneinanderliegenden und ver- schmelzenden Kerne mit der ganzen Strahlung entfernen sich mehr und mehr vom oberen Pol, sie wandern also in die untere Hälfte des Eies (Fig. 2—4). Auch während dieses Vorganges ist die in der Richtung nach dem oberen Pol gehende Strahlung viel stärker als die nach unten gehende (Fig. 3). — Unterdessen hat sich das Centrosoma des Spermakernes geteilt und die Kernmembran verschwindet '). Die Befruchtungsstrahlung geht jetzt deutlich von zwei Zentren aus, und sie hat zu dieser Zeit ihre größte Ausdehnung, indem sie nahezu überall bis in die Nähe der Peripherie des Eies reicht. Manch- mal zeigen die nach oben gehenden Strahlen zu dieser Zeit keinen ganz geraden Verlauf, sondern die seitlichen Strahlen wenden sich in sanftem Bogen aufwärts (Fig. 4). Nun folgt ein zwar bekannter, aber doch zu wenig beachteter Vorgang, nämlich das Ver- schwinden der Befruchtungsstrahlung. Gerade dadurch ist die scharfe Unterscheidung zwischen Befruchtungstrahlung und Teilungsstrahlung gerechtfertigt, daß die erstere schwindet, ehe die letztere auftritt. Aber manchmal sind noch Reste der Befruchtungsstrahlung am Zellkörper vorhanden (wie bei Fig. 9), während an den Attraktionssphären schon der Anfang der Teilungsstrahlung in Form einer kurzen deutlichen Strahlung erschienen ist (wie bei Fig. 10), — Die weitere Ausdehnung der Teilungsstrahlung geht zusammen mit der Vergrößerung der Attraktionssphären. Gleichzeitig verschiebt sich die ganze Figur in der Richtung nach dem oberen Pole des Eies; sie gelangt so in die Ebene des Aequators des Eies oder noch etwas höher. Darin ist offenbar die Einstellung der Teilungs- spindel zu sehen, derselbe Vorgang, welcher bei länglichen Eiern oft zu beträchtlichen Verschiebungen und Drehungen der Spindel führt’). Zu dieser Zeit erreichen die Attraktionssphären ihre größte Aus- dehnung, und die Strahlung geht bis zum Rand; nun steht die Teilung der Zelle nahe bevor. Mehrere Jahre hindurch waren die meisten Anatomen und Zoologen der Ansicht, daß die Radien der Strahlung einen Zug ausübten und dadurch die Teilung der Zelle herbeiführten *). Ich habe diese Theorie, welche noch jetzt Anhänger hat, schon lange für unrichtig gehalten und in verschiedenen Schriften mancherlei Beobachtungen gegen dieselbe vorgeführt. Insbesondere habe ich gezeigt (1898 1) Hinsichtlich der Kerne ist noch beizufügen, daß der männliche Kern, welcher an Fig. 2 in Berührung mit dem weiblichen Kern gezeichnet ist, oft am lebenden Objekt überhaupt nicht sichtbar wird (offenbar weil er zu wenig auf- gequollen ist und nur ein blasiger Kern gesehen werden kann). Der durch die Verschmelzung der beiden Kerne gebildete Kern ist oft im Stadium der Fig. 4 noch erhalten, so daß die Fig. ähnlich aussieht wie bei For (1879) Taf. VI, Fig. 2 oder bei BovErRI (1901, Zool. Jahrb.) Taf. XLVIII, Fig. 9. 2) Ein Unterschied liest auch darin, daß die Strahlen der Befruchtungsstrahlung weniger deutlich sind und weniger regelmäßig verlaufen als diejenigen der Teilungsstrahlung. So schrieb auch Boverr (1895), daß „die beiden Strahlensonnen der ersten Zellteilung, wie schon For richtig bemerkt hat, ein ganz anderes, viel regelmäßigeres Gepräge aufweisen als die früheren Radiensysteme.“ Auch Wırson und MATHEWwS (1895) unterschieden die Befruchtungsstrahlung (Sperm-Aster), dann einen Ruhezustand (Pause), dann die Teilungsstrahlung (Cleavage-Aster). 3) Ich habe für die Einstellung der Spindel die Bezeichnung Taxis, später bestimmter Karyotaxis vor- geschlagen (Unters. über d. Zellteilung, 1895, S. 73). Man hat den Vorgang daraus zu erklären versucht, daß sich die Spindel in die Mitte ihres Wirkungsgebietes einstelle. Dies ist in sofern zutreffend, als der Vorgang offenbar auf einer Wechselwirkung zwischen den Zentren und dem Protoplasma beruht. 4) Im Jahre 1895 habe ich in einem Vortrag die verschiedenen Theorien dieser Art unter dem Namen Muskel- fadentheorien zusammengefaßt. (Verhandl. d. Deutschen zool. Gesellschaft, 1895, S. 62 u. f.) 544 Die ersten Entwickelungsvorgänge des Echinodermeneies, insbesondere die Vorgänge am Zellkörper. 544 und 1902), daß diese Theorie bei dem Ctenophorenei gänzlich versagt, und daß hier an der Teilungs- stelle eine deutliche Verdickung der protoplasmatischen Außenschichte gefunden wird. Etwas ähnliches sah ich dann auch beim Seeigelei; dieses besitzt zur Zeit der Teilung eine klare protoplasmatische Außenschicht, welche sich beim Beginn der Teilung an der Einschnürungsstelle verdickt. Ich bestätigte so eine alte in Vergessenheit geratene Beobachtung von SELENKA (1883), welcher beim Ophiurenei die Verdickung der Außenschicht an ‚der Teilungsstelle gezeichnet und im Text kurz erwähnt hatte. Auch Bovzrı hat neuerdings die Verdickung der Außenschicht an der Teilungsstelle beobachtet'), Denjenigen Autoren, welche an Dauerpräparaten gearbeitet haben, sind die Vorgänge in der proto- plasmatischen Außenschicht nicht klar vor Augen gekommen, da diese Schicht beim Zusatz der Reagentien gewöhnlich verschwindet oder undeutlich wird. Wir müssen nun das Verhalten dieser hyalinen Schichte genauer betrachten. Am unbefruchteten Ei ist die protoplasmatische Außenschicht noch nicht zu sehen, d. h. die Dotterkörnchen reichen bis zur Peripherie des Eies?). Auch nachdem die Eihaut abgehoben ist, kann man sie bei Seeigeleiern noch nicht mit Sicherheit erkennen; sie tritt allmählig hervor während der Ausbildung der Befruchtungsstrahlung. Bei den Eiern von Echinus miliaris M. konnte ich sie erst dann deutlich erkennen, wenn die Befruchtungsstrahlung schon eine beträchtliche Ausdehnung erlangt hatte. Sie ist im Stadium der Fig. 3 schon zu bemerken, aber noch von geringer Dicke. An den folgenden Figuren sieht man sie deutlich. — Bei Ophiureneiern sah SELENKA diese Schicht vom Moment der Besamung des Eies an allmählich immer mehr hervortreten. Es ist wahrscheinlich, daß die Befruchtungsstrahlung und das Auftreten der Außenschicht eine gemeinsame Ursache haben, indem beide Erscheinungen durch chemische Vorgänge am Centrosoma bedingt sind. Mit der Auflösung des Kernes hängt die Bildung der Außenschicht nicht zusammen, denn ich habe die letztere schon vor Auflösung des Kernes erscheinen sehen, insbesondere in denjenigen Fällen, in welchen die Auflösung des Kernes anormaler Weise verzögert war°). In der Zeit zwischen der größten Ausbildung der Befruchtungsstrahlung und der Ausbreitung der Teilungsstrahlung zeigt die Außenschicht meist einige kleine Unebenheiten oder kleine Erhebungen, sozusagen kurze Pseudopodien, welche aber nur sehr langsam ihre Form ändern und während der Ausbildung der Teilungsstrahlung wieder verschwinden. Eier von Echinus microtuberculatus und Strongylocentrotus lividus haben in dieser Zeit zuweilen 'eine nicht ganz runde sondern einigermaßen polygone Kontur, was auch mit etwas ungleichmäßiger Dicke der protoplasmatischen Außenschicht zusammenhängt, in dem Sinne, daß sie an den abgeflachten Stellen der Eiperipherie etwas verdickt ist. Während die Teilungsstrahlung sich ausbreitet, rundet sich die Kontur des Eies. Die Dicke der Außen- schicht nımmt wahrscheinlich während der Ausbreitung der Teilungsstrahlung noch ein wenig zu, aber nicht um einen meßbaren Betrag. Die Außenschicht besteht aus klarem Protoplasma, welches aus dem Innern des Eies heraus- getreten ist (vergl. S. 551). Bei Ophiureneiern ist sie viel dicker als bei den Seeigeleiern, insbesondere I) Ich komme darauf unten zurück (S. 553). Ueber die Priorität kann kein Zweifel sein, da ich meine Beobach- tungen etwa ein halbes Jahr vor dem Erscheinen der Boverischen Publikation auf der Zoologenversammlung in Gießen (Pfingsten 1902) vorgetragen habe. An die Gegner meiner Darstellung (KrassuskaJa und LanDau, vergl, S. 551) möchte ich die Frage stellen, ob sie auch die Richtigkeit der Beobachtung von BovErr bestreiten. 2) Es wird unten (S. 550) davon die Rede sein, daß wahrscheinlich zu dieser Zeit schon eine Rindenschicht an dem Ei differenziert ist, welche aber am lebenden Ei nicht zu erkennen ist, da sie mit Dotterkörnchen durchsetzt ist. 3) Auch die Ausbildung der Strahlung kann bekanntlich nicht als die Folge der Auflösung des Kerns betrachtet werden, was viele experimentelle Beobachtungen beweisen. s45 Die ersten Entwickelungsvorgänge des Echinodermeneies, insbesondere die Vorgänge am Zellkörper, 545 hat sie SELEnKA bei Ophioglypha lacertosa in großer Dicke gefunden; nach seinen Figuren beträgt ihre Dicke 20 Proz. des Eiradius. Ich maß den Durchmesser des Eies von Ophiotrix fragilis vor und nach der Abscheidung der Außenschicht. Im ersteren Falle beträgt er 0,102 mm; in letzterem Falle beträgt die Dicke der Außenschicht über 0,003 5 mm, also etwa 7 Proz. des Eiradius; der Durchmesser der dotterhaltigen Masse des Eies wird um ebensoviel kleiner, als die Dicke der Außenschicht ausmacht. Wie schon oben gesagt wurde, liegt die Spindel mit den großen Attraktionssphären beim Be- ginn der Zellteilung meist nicht genau in der Ebene des Aequators des Eies, sondern dem animalen Pol etwas genähert (Fig. 12). Die Zellteilung nimmt in diesem Fall ihren Anfang in der Gegend des oberen Poles, Denn es gilt für die Furchung der Echinodermeneier die Regel: Die Einschn ürung beginnt an derjenigen Seite der Zelle, welche der Achse der Spindel am nächsten ist‘. Wenn man annimmt, daß die Einschnürung durch einen von den Zentren aus auf die Außen- schicht wirkenden Vorgang bedingt ist, so erklärt sich leicht, daß die Wirkung zuerst in der Nähe, dann in weiterer Entfernung sich zeigt. — Falls die Spindel genau in der Ebene des Aequators des Eies liegt, beginnt die Einschnürung natürlich oben und unten gleichzeitig. Wir wollen aber für die weitere Beschreibung die oben erwähnte Stellung der Spindel voraussetzen. Das erste Anzeichen der Einschnürung sind einige kleine wellen- , N förmige Erhebungen, welche an der Stelle der später beginnenden Ein- faltung auf der Außenschicht hervortreten (Textfig. ı A). Sehr bald bemerkt man ae auch eine schwache Abflachung der ursprünglich kreisrunden Kontur des Zell- körpers und eine. dementsprechende geringe TLängsstreckung des Zellkörpers . N in der Richtung der Spindelachse; d. h. die Abflachung erfolgt am Teilungs- 77 meridian und hat eine entsprechende Verlängerung des Zellkörpers in einer %„ auf die Teilungsebene senkrechten Richtung zur Folge. Zu dieser Zeit ist die Verdickung der Außenschicht in der Gegend des Teilungs- meridians im optischen Querschnitt deutlich zu sehen. Nach meiner Meinung muß die Verdickung der Außenschicht auf einem Zuströmen von Protoplasma beruhen, welches der übrigen Außenschicht entzogen wird, weshalb letztere sich beträchtlich verdünnt. Ich sehe die genannte Verdickung als I\ die Ursache der Abflachung an, somit auch als die Ursache der er- Ei N aD), Salem Ars wähnten Formveränderung des Eies, — Bei den Eiern von Ophiotrix ist die Nom, En Verdickung der Außenschicht an der Teilungsstelle sehr beträchtlich, es treten eieman der Teilungsfurche. . - . . . : Vier aufeinander folgende aber die wellenartigen Erscheinungen nicht so deutlich hervor (Textfig. 2 A). en 1) Ich habe diesen Satz auch bei der Beobachtung flachgedrückter Eier so oft bestätigt gesehen, daß ich ihn für zweifellos richtig halte. Ich kann daher der entgegengesetzten Behauptung von BOVERI (1903) nicht zustimmen. BoVvErI schreibt: „Bei der normalen Zellteilung muß es unentschieden bleiben, ob der Aequator (d.h. die Furchungsebene) dadurch von der übrigen Zelloberfläche verschieden gemacht wird, daß in ihm eine Summierung der von beiden Zentren ausgehenden Wirkungen stattfindet, oder umgekehrt dadurch, daß er wegen seiner größeren Entfernung von deren Wirkungen am schwächsten getroffen wird; meine Beobachtungen an den Monastereiern entscheiden diese Frage in letzterem Sinne.“ Dagegen bin ich der Ansicht, daß die Furchung der Ctenophoren, der Amphibien, Ganoiden u. a., sowie viele Beobach- tungen an Seeigeleiern deutlich beweisen, daß die Furche da beginnt, wo die Wirkung der beiden Zentren zusammentrifft und am stärksten zur Geltung kommt. Etwas anderes ist es mit der amöboiden Bewegung (Pseudopodienbildung), die gewöhnlich da auftritt oder zu der Zeit erscheint, wenn die Wirkung der Zentren nicht zur Geltung kommt (wie ich bei Nematodeneiern oft gesehen habe). Jenaische Denkschriften. XL 69 Festschrift Ernst Haeckel. 5 46 Die ersten Entwickelungsvorgänge des Echinodermeneies, insbesondere die Vorgänge am Zellkörper. 5 46 Nun bildet sich ein einspringender Winkel, d. h. es entsteht die Teilungsfurche An den Seitenflächen der Furche ist die Verdickung der Außenschicht sehr deutlich. In der Tiefe der Furche schneidet die Außenschicht keilförmig ein (Textfig. 2 C). Während die Furche tiefer wird, wird sie schmäler d. h. es nähern sich ihre Seitenflächen gegenseitig (vergl. Fig. 16), und gleichzeitig beginnt die Ver- dickung an den Seitenwänden der Furche schon flacher zu werden. Später legen sich die Seitenwände der Furche großenteils völlig aufeinander, so daß der größte Teil der Furche kein Lumen mehr hat und überhaupt nicht mehr erkennbar ist, da man die Berührungsfläche zweier in gleicher Stärke licht- brechender Medien nicht sehen kann'). Unterdessen hat sich die Furche rings um das Ei entwickelt. Man kann auf dem optischen Querschnitt an der unteren Seite des Eies dasselbe beobachten wie an der oberen Seite, nur findet man hier den Vorgang der Bildung der Furche weniger weit vorgeschritten, wie schon oben gesagt wurde. So sieht man an Fig. ı2 oben eine tiefe Furche, unten kaum die Abflachung. An Fig. 16 ist oben schon eine tiefere Rinne vorhanden, unten ist aus der Abflachung ebenfalls eine Rinne geworden (versit ia, 2 18 u. (©) Wenn die Furche rings um das Ei geht und die hyaline Außenschicht von allen Seiten keil- förmig in das Ei einschneidet (Fig. 16), so pflegt die völlige Durchschnürung des Eies sehr rasch zu erfolgen. Die letzte Durchtrennung läßt sich kaum beobachten. Es ist nicht ausgeschlossen, daß in A B (€ D E ä F Fig. 2A—F. Eier von Ophiotrix fragilis während der ersten Teilung. A und B Verdickung der hyalinen Außenschicht. C Tieferes Ein- schneiden der Furche. D Durchtrennung. E Nach vollzogener Teilung. F Ein unbefruchtetes Ei, welches durch Druck zum Ausströmen gebracht ist und im Zellkörper eine Strahlung zeigt, welche der Richtung der Strömung entspricht (Erklärung S. 556). 2 Eimembran, a Außenschicht. der letzten Brücke noch eine Zellplatte eine Rolle spiele, aber ich halte es nicht für wahrscheinlich; es könnte eine Zellplatte nur in einem sehr kleinen Bezirk in Betracht kommen, denn in einzelnen Fällen sah ich die einschneidende hyaline Schicht von oben und von unten her sehr nah zusammenkommen (Fig. 20 Teilung bei einem flachgedrückten Ei). Ich bin daher der Ansicht, daß sich die völlige Durch- schnürung ohne Zellplatte und in einer Weise vollzieht, welche von derjenigen, die ich bei Beroe beobachtete, ı) Nur ausnahmsweise und bei nicht ganz frischen Eiern sah ich am unteren Ende der Furche eine Erweiterung, ähnlich wie sie bei Beroe vorkommt und auch bei Sagitta beobachtet ist (vergl. Fig. 21 mit Textfig. 3). 2 4 547 Die ersten Entwickelungsvorgänge des Echinodermeneies, insbesondere die Vorgänge am Zellkörper. 547 prinzipiell nicht verschieden ist: Die hyaline Schicht dringt soweit vor, bis sie die Brücke der dotterhaltigen Zellsubstanz ganz durchgeschnürt hat, so daß die beiden Zellen nur noch durch hyalines Protoplasma vereinigt sind, welches dann bei dem weiteren Vordringen der Furchen ebenfalls durchgetrennt wird'), Ich will dies durch eine Reihe von Schemata deutlich machen. Textfig. ı A—C zeigen die Vor- gänge, welche soeben beschrieben wurden, nämlich die Bildung der wellenartigen Erhebungen, die Ver- dickung der Außenschicht und die Entstehung der Rinne (vergl. Textfig. 2 A—C). Textfig. ı D erläutert die Durchschnürung, wie ich mir sie vorstelle; sie ist aber insofern schematisch, als man am lebenden Objekt die Trennungslinie zwischen den aufeinanderliegenden hyalinen Schichten nicht erkennen kann, da die Schichten gleiches Lichtbrechungsvermögen haben. Bei Textfig. ı D sind die beiden Zellen noch durch eine dünne Brücke verbunden, bei Textfig. 2D sind sie völlig getrennt. Nachdem die Trennung der Zellen vollzogen A B ist, pflegt die hyaline Schicht (protoplasmatische Außenschicht), welche an der Trennungsebene der \ beiden Zellen gelegen ist, sehr bald an Dicke abzu- 0 nehmen; daher hat man bald den Eindruck, als ob die dotterhaltigen Zellkörper ohne Zwischentreten einer hyalinen Schicht direkt aneinanderlägen (Fig. 17, Textfig. 2E). Denselben Vorgang beobachtete Maas a Seel Ges ba] \Zyei bei den Furchungszellen von Aegineta flavescens?). Die Entstehung der Verdickung der hyalinen Schicht ist offenbar durch Vorgänge an den Zentren veranlaßt und tritt nur in einer bestimmten Phase des Teilungsvorganges auf. Ist diese Phase vorüber- gegangen, so nimmt die Verdickung wieder ab (beim Seeigelei, aber nicht beim Ctenophorenei), Man sieht in Fig. 4 einen etwas abnormen Fall, welcher aber die ursächlichen Beziehungen deutlich erkennen läßt. Fig. 4A und B zeigen die zunehmende Verdickung der hyalinen Schicht’) und die dabei auf- A c D Fig. 4A-D. Ei eines Echinus miliaris, der längere Zeit im Aquarium gehalten war. A und B Verdickung der hyalinen Außenschicht. Die Teilung der Zelle erfolgt nicht. C Vorbereitung der neuen Teilung. D Neue Teilung (mit 4 Zentren), welche aber auch nicht durchschneidet, sondern zurückgebildet wird. ı) Man vergleiche die Furchungsbilder von Sagitta, welche For (1879, Taf. X) gegeben hat. Hier besitzt die einschneidende Furche an ihrem Ende eine Erweiterung, also einen Kanal, ganz ähnlich wie er bei den Beroe-Eiern be- obachtet ist. Da die Furche ringsum einschneidet, hat diese Erweiterung die Form eines Ringes; die Trennung der Zellen findet in der Weise statt, daß die Brücke, welche durch den Ring geht, immer dünner wird, also der Ring immer enger wird, bis die beiden Zellen ganz getrennt sind (Textfig. 3). 2) Bei dieser Meduse nimmt der Zellkörper bei der ersten Furchungsteilung eine hantelförmige Gestalt an. „Wenn das zweizellige Stadium noch Hantelform hat, dann ist allseitig Rindenplasma zu konstatieren, wenn aber nach der Teilung die Blastomeren sich mit breiter Fläche berühren, so liegt an der Berührungsfläche nur Endoplasma und das Ektoplasma folgt der Peripherie des Keimganzen“ (O. Maas, Experimentelle Untersuchungen über die Eifurchung. Sitzungsber. d. Ges. f. Morphol. u. Physiol. in München, 1901). 3) Da die Teilung des Eies verlangsamt ist, wächst die Verdickung zu anormaler Höhe an. Ich habe schon in meiner früheren Publikation erwähnt, daß die Verdickung stärker und deutlicher sich zeigt, wenn die Durchschnürung ver- zögert wird (1903, S. 173). ee Die ersten Entwickelungsvorgänge des Echinodermeneies, insbesondere die Vorgänge am Zellkörper. 54 g 548 tretenden amöboiden Fortsätze; die Zellteilung unterbleibt, weil der Zellkörper nicht mehr die normale Beschaffenheit hat, da die Seeigel nicht frisch waren. Bei Fig. 4C ist die Verdickung der hyalinen Schicht kleiner geworden und gleicht sich im Laufe der folgenden Minuten noch mehr aus. Fig. 4D zeigt den Beginn der neuen Teilung und die entsprechenden Verdickungen der hyalinen Schicht. Bei der zweiten Teilung wiederholen sich natürlıch alle die Vorgänge, welche man bei der ersten sah, insbesondere tritt auch an der beginnenden Teilungsfurche die erwähnte Verdickung der Außen- schicht auf. Damit man dies gut sieht, muß das Ei eine andere Lage haben; denn bei weiterer Ver- folgung der Serie Fig. ı2, 16, 17 steht die Spindel der nächsten Teilung senkrecht zur Zeichenfläche, und entsteht demnach jederseits eine höhere und eine tiefere Zelle. Wenn das Ei aber vom oberen oder unteren Pol betrachtet wird, kann man bei der zweiten Teilung die Verdickung der Außenschicht im optischen Querschnitt sehr deutlich erkennen (Fig. 23). Ich gehe noch einmal zur ersten Teilung zurück, um noch eine Bemerkung zu Fig. 18 zu machen, welche etwas von der Wırsonschen Photographie abweicht und zum Teil nach einem Präparat gezeichnet ist. Es ist das Stadium, in welchem die Furchen von oben und unten einschneiden. Zu dieser Zeit befindet sich an der Teilungsebene in der Mitte zwischen den sich rekonstituierenden Kernen eine mit Eisenhämatoxylin sich dunkel färbende Platte (Zwischenkörper der Autoren), deren feinere Struktur nicht zu erkennen ist; ich habe sie nicht nur in den Präparaten gesehen, sondern sie ist auch in den Figuren der Autoren mehrfach abgebildet (E. B. Wırson, Atlas 1895, Taf. IX, Fig. 35; BovErI, 1901 Taf. V, Fig. 64). Es geht aus diesem Befund hervor, daß die Einschnürung der Zelle auch im Inneren derselben durch eine Struktur vorbereitet ist, deren Natur sich zur Zeit nicht genauer bestimmen läßt. Von der Einschnürung der Zelle durch die verdickte Außenschicht ist an den Dauerpräparaten nichts deutliches zu sehen. In dieser Hinsicht ıst es besser, sich auf die Beobachtung der lebenden Zelle zu verlassen. An Fig. 18 habe ich angedeutet, was auf den mit Eisenhämatoxylin gefärbten Schnitten öfters zu sehen war, nämlich ein feiner hyaliner Saum an der Peripherie der Zelle und eine unregelmäßig begrenzte helle Stelle, da wo sich die einschneidende Furche befand. Das Gebiet des hyalinen Saumes ist in der Figur durch punktierte Linien begrenzt. Nach dem Gesagten können bei der Befruchtung und ersten Teilung des Seeigeleies folgende Stadien unterschieden werden. I. Durchtritt des Spermatozoons durch die Gallerthülle, Eindringen des Spermatozoen- kopfes und des Mittelstückes in die Eizelle. Abhebung der Eihaut. Alle diese Vorgänge können sich innerhalb einer Minute abspielen und brauchen normalerweise bei völlig reifen Tieren höchstens 3—5 Minuten. II. Ent- stehung der Strahlung am Centrosom des Spermakerns, Beginn der Bildung der Attraktionssphäre, tieferes Ein- dringen des Spermazentrums und des Spermakerns in das Ei, Zusammentreffen der Kerne. Zeitdauer normaler- weise 5—ıo Minuten. III. Weitere Ausdehnung der Befruchtungsstrahlung unter Verschiebung der vereinigten Kerne und der Centren gegen den vegetativen Pol. Wachstum der Attraktionssphäre an dem Spermazentrum und Teilung des letzteren. Bildung oder erhebliche Verdickung der hellen Protoplasmaschicht an der Peripherie des Eies. Dann Rückbildung der Befruchtungsstrahlung. Alle diese Vorgänge sind bei Echinus miliaris in weniger als einer halben Stunde beendet, bei Strongylocentrotus lividus in drei Viertelstunden. IV. Allmähliche Ausbreitung der Teilungsstrahlung, Anwachsen der Attraktionssphären, Diasterstellung der Chromosomen. Ver- schiebung der Kernteilungsfigur in der Richtung nach dem Aequator des Eies oder bis in die obere Hälfte des Eies. Zeitdauer ı5—2o Minuten. V. Bildung der Kernbläschen, aus welchen nachher der Kern entsteht. Auftreten der Verdickung an der Außenschicht, Abflachung des Eies am Teilungsmeridian und entsprechende Streckung desselben in der zur Teilungsebene senkrechten Richtung, Entstehung der Teilungsfurche und Ein- dringen derselben. Völlige Durchschnürung der Zelle. Diese Vorgänge erfordern normalerweise nur wenige Minuten (etwa 5—8). VI. Abrücken des Kerns und der Centren von der Teilungsebene nach der Peripherie der Zelle, Rückbildung der Strahlung, Ausgleichung der hyalinen Schicht an der äußeren Oberfläche der Zellen, Zusammenlegung (Collaps, Cytarme) der beiden Zellen, Verdünnung der hyalinen Schicht an der Berührungs- ebene der Zellen. Diese Vorgänge spielen sich in 5--ıo Minuten ab. 549 Die ersten Entwickelungsvorgänge des Echinodermeneies, insbesondere die Vorgänge am Zellkörper. 549 II. Die Eihaut und die Aussenschicht des Eies. Bei reifen Eiern erfolgt die Abhebung der Eihaut sofort nach dem Eindringen des Spermatozoons in das Ei, wie schon For beobachtete (1879). Die Abhebung der Eihaut beginnt an der Eintrittsstelle des Spermatozoons und setzt sich von da um das ganze Ei herum fort, wie man besonders in den Fällen anormal verzögerter Abhebung leicht sehen kann. Unter anormalen Umständen tritt nämlich die Abhebung der Eihaut verspätet ein und erfolgt langsamer als beim normalen Ei. Man kann sagen, daß alle die Umstände, welche Polyspermie herbeiführen, auch eine Verzögerung der Abhebung der Eihaut bewirken (z. B. Eier nicht frischer Seeigel oder Beeinflussung der Eier durch Reagentien); denn eine zu langsame Abhebung der Eihaut führt fast immer zu Polyspermie, wenn zahlreiche Spermatozoen im Wasser sind. Es ist offenbar, daß das eindringende Spermatozoon den Reiz zur Bildung und Abhebung der Eihaut erregt, also sofort auf das ganze Ei eine physiologische Wirkung ausübt, bevor die Strahlung an dem Centrosom entstanden ist und lange bevor durch die Vereinigung des männlichen und des weiblichen Kernes die Befruchtung stattfindet. — Auch bei anderen Eiern zieht der Eintritt des Sperma- tozoons in kurzer Zeit Veränderungen des ganzen Eies nach sich, lange bevor die Vereinigung der Kerne stattfindet. Z. B. im Ei vieler Nematoden folgt auf die Besamung die Bildung der Eihaut und die Ausstoßung der Tröpfchen, welche den Zwischenraum zwischen der Eihaut und dem Ei hervor- bringen; auch die charakteristische Form des Eies tritt hier erst nach der Besamung auf'). Der Zwischenraum zwischen der Eimembran und der Eizelle mag als perivitelliner Raum bezeichnet ‘werden, ein Name, der für einen entsprechenden Raum bei Knochenfischen in Gebrauch ist”). Die im perivitellinen Raum der Echinodermeneier befindliche Flüssigkeit ist nicht reines Wasser, sondern eine Lösung organischer Stoffe, wie dies auch bei Fischeiern zutrifft’. Man kann also annehmen, daß aus dem Ei eine kleine Menge einer mikroskopisch ohne Reagentien nicht sichtbaren Substanz austritt, welche sich mit dem durch die Eimembran diffundierenden Wasser mischt, also durch Quellung oder lediglich durch osmotische Vorgänge die Ausdehnung des perivitellinen Raumes bewirkt. RıcHarp Herrwıc berichtet, daß der Inhalt des perivitellinen Raumes bei Karminfärbung sich färben läßt, und betrachtet ihn als eine gallertige Substanz‘). Schon For (1879) hat dieselbe Auffassung aus- gesprochen’). Was die Entstehung der Eihaut betrifft, so ist beim Seeigelei durch direkte Beobachtung kaum zu entscheiden, ob sie schon vor der Besamung an der Oberfläche des Eies vorhanden ist oder erst nach der Besamung sich bildet; denn ein so dünnes Häutchen wäre an der Oberfläche der stark licht- brechenden Eikugel schwer zu erkennen. Aber ich bin doch überzeugt, daß die Eihaut erst unter dem Einfluß der Samenzelle entsteht. Denn wenn man das Ei zerschneidet oder I) Siehe die Beobachtungen von BürschLı (Nova acta, 1873, S. 10I) und meine Nematodenstudien (1895 S. 361—366). 2) Es besteht aber der Unterschied, daß bei manchen Knochenfischen (z. B. Salmoniden) die Abhebung der Eihaut auch dann eintritt, wenn die Eier ins Wasser entleert sind ohne Zutritt von Sperma. 3) H. E. ZieGLeR, Lehrbuch der vergleichenden Entwickelungsgeschichte der niederen Wirbeltiere, Jena 1902, S. 173. Anm. 4) In ©. Herrwiıcs Handbuch der vergleichenden und experimentellen Entwickelungslehre der Wirbeltiere, I. Bd, 1903, S. 505. 5) „L’espace compris entre la membrane et le vitellus doit &tre une gelee tres-claire; si c’etait un liquide, le vitellus se- deplacerait et l’espace ne pourrait rester d’une Epaisseur uniforme tout le tour“ (C. c. p. 183). Die ersten Entwickelungsvorgänge des Echinodermeneies, insbesondere die Vorgänge am Zellkörper. 550 359 Eistücke durch Schütteln herstellt, so bildet sich eine Eihaut meistens auch an den Eistücken, nachdem ein Spermatozoon in das Eistück eingedrungen ist'). Wenn die Eihaut an einem kernlosen Stück nach dem Eindringen des Spermatozoons an der ganzen Oberfläche sich abhob, so erhielt die Eihaut annähernd dieselbe Form wie sie das Eistück hatte, z. B. oval oder birnförmig; sie behielt dann diese Form weiterhin bei, während das Eistück selbst sich mehr und mehr abrundete An Fig. 22 sieht man die Eihaut an Eistücken, welche durch Schütteln hergestellt waren (# und c kernlose Stücke befruchtet). Wie gesagt, schließe ich aus diesen Beobachtungen, daß die Eihaut am unbefruchteten Ei noch nicht vorhanden ist, sondern erst nach dem Eindringen der Samenzelle entsteht. Wohl aber ist es wahrscheinlich, daß die unbefruchteten Echinodermeneier schon vor der Befruchtung eine Rindenschicht besitzen, welche in Bezug auf die Zähigkeit und wahrscheinlich auch in anderen physikalischen Eigen- schaften. von dem übrigen Zellinhalt verschieden ist, aber bei der mikroskopischen Beobachtung meist nicht wahrgenommen werden kann, weil sie wie der übrige Eiinhalt von Dotterkörnchen durchsetzt ist. Diese Rindenschieht des unbeiruchteten Pies muß, alser der Muttrenbodenmdere Eihaut sein, und mag später auch die Grundlage der am befruchreten BDı,berwor. tretenden hyalinen Protoplasmaschicht bilden. Wie die Zerschneidungs- und Schüttelversuche zeigen, muß die Rindenschicht eine solche Weichheit und Dehnbarkeit besitzen, daß sie den gewaltsamen Formveränderungen des Eies folgen kann und deshalb auch die Eifragmente zu umhüllen vermag. Die Zerschneidungsversuche sprechen durchaus dafür, daß eine differenzierte Rindenschicht des Eies vorhanden ist. Denn es kommt beim Zerschneiden oft vor, daß das Ei einfach platzt, also plötzlich in eine feinkörnige Masse von unbestimmter Form auseinanderfließt, welche sofort abstirbt. Dieser Vorgang findet offenbar auch beim Schütteln der Eier vielfach statt, denn das Wasser, in welchem Eier ge- schüttelt wurden, ist trüb und enthält viele suspendierte Dotterkörnchen und Protoplasmateilchen. Ich erkläre das Platzen der Eier in der Weise, daß die zähere Rindenschicht des Eies zerrissen ist und folglich das Innen- plasma zerfließt. Wenn aber die Zerschneidung gelingt, so wird dabei die Rindenschicht vor dem Messer her- getrieben, bis sie mit der Schicht der anderen Seite zusammentrifft, so daß beide Teilstücke geschlossen sind. Dieser Vorgang findet aber oft in unvollständiger Weise statt, und dann sieht man an den getrennten Stücken zerfallendes Plasma mit reichlichen Dotterkörnchen aus einem mehr oder weniger großen Teile der Trennungsfläche hervorragen; doch pflegt in diesem Falle die Außenschicht sich bald zum vollständigen Abschluß zusammenzuschließen, so daß das zerfallende Plasma von den Eifragmenten abgeschnürt wird. — Auch meine Durchschnürungsversuche, bei welchen die Eier durch den Wasserstrom gegen Wattefäden gedrückt wurden, sprechen durchaus dafür, ‘daß das Ei aus einer zäheren Außenschicht und einer weicheren Innenmasse besteht und daß der Wattefaden die Außenschicht einstülpt, bis nur noch ein dünner Faden die beiden Teilstücke ver- bindet (s. Arch. f. Entwickelungsmechanik, Bd. VI, 1898, Taf. ı4, Fig. 23—25 und die Textfiguren p. 265 u. 266). Freilich habe ich damals auf das Verhalten der Außenschicht noch nicht geachtet, da ich ihre Bedeutung noch nicht erkannt hatte. 1) Bei denjenigen Fragmenten, welche keinen weiblichen Kern enthalten, ist die Abhebung der Eihaut manchmal sehr verzögert; sie erfolgt, wie ich beobachtete, manchmal erst eine halbe Stunde oder eine Stunde nach dem Zusatz des Sperma; bei der Befruchtung solcher Fragmente fügte ich nur sehr wenig Sperma zu, um die Wahrscheinlichkeit der Poly- spermie möglichst klein zu machen; daher drang nicht in jedes kernlose Stück sofort ein Spermatozoon ein, und so mag ein Teil der Fälle verspäteter Abhebung der Eihaut aus der verspäteten Befruchtung erklärt werden; aber ich kann doch bestimmt behaupten, daß bei kernlosen Stücken nach dem Eindringen des Spermatozoons die Abhebung der Eihaut lang- samer und oft auch unregelmäßiger erfolgt als bei normalen kernhaltigen Eiern. Wenn der Kopf des Spermatozoons völlig in das Innere des kernlosen Stückes eingedrungen war und schon eine deutliche Strahlung hervorgebracht hatte, war oft die Eihaut noch nicht an der ganzen Oberfläche abgehoben, sondern nur an der Seite, an welcher das Spermatozoon herein- gekommen war; jedoch war die Eihaut in solchem Fall an der ganzen Oberfläche gebildet, wenn auch die Abhebung der Eihaut nicht über die ganze Oberfläche fortschritt. — In entsprechender Weise habe ich früher an den Eiern eines Nema- toden Diplogaster longicauda Clans beobachtet, daß bei einem eikernlosen Eistück, in welches ein Spermatozoon eingedrungen war, die Bildung und Abhebung der Eihaut stattfand, aber in einer verlangsamten und unvollständigen Weise (Zeitschr. f. wiss. Zool, LX. Bd. 1895, S. 365). 551 Die ersten Entwickelungsvorgänge des Echinodermeneies, insbesondere die Vorgänge am Zellkörper. 551 Von besonderer Wichtigkeit für die vorliegenden Fragen sind die Beobachtungen von FOL (1879) an Seesternen und Seeigeln, und von SELENKA (1883) an Ophiuren. Nach FoL besitzt das unbefruchtete Ei von Asterias glacialis eine helle Rinden- oder Umhüllungsschicht (couche enveloppante); wenn das Spermatozoon, die Gallerthülle durchdringend, sich dieser Rindenschicht nähert, entsteht an dieser Rindenschicht ein kleiner Kegel (cöne d’attraction), welcher gegen das Spermatozoon gerichtet ist; wenn das Spermatozoon mit der Spitze dieses Kegels in Berührung gekommen ist, beginnt die Rindenschicht gegen die Substanz des Eies sich abzugrenzen und wird so zur Eihaut. Diese hebt sich sehr bald in der Gegend der Eintrittsstelle des Spermatozoons von dem Ei ab und wird um das ganze Ei herum von dem Ei abgegrenzt. Während das Spermatozoon in die Oberfläche des Eies sich einsenkt und der obengenannte Kegel verschwindet, wird die Abhebung der Eihaut rings um das Ei vollendet. Nach diesen Beobachtungen ist FOL also der Ansicht, daß die Eihaut vom Ei abgeschieden wird und daß das eindringende Spermatozoon die Abtrennung und Abhebung derselben veranlaßt. Er führt zu Gunsten dieser Auffassung noch folgende Beobachtung an: Wenn Eier kurz vor der Bildung des ersten Richtungskörpers befruchtet werden, hebt sich die Eihaut bei dem Eindringen des Spermatozoons sofort ab und kommen also die Richtungskörper innerhalb der Eihaut zu liegen; es wird also die Eihaut in diesem Falle sozusagen über den Richtungskörpern gebildet, bei denjenigen Eiern aber, welche nach dem Austritt der Richtungskörper befruchtet werden, unter denselben (p. 184). FoL ist der Meinung, daß die Rindenschicht des unbefruchteten Fies nicht nur die Eihaut abscheide, sondern selbst zur Eihaut werde. In dieser Hinsicht halte ich die Darstellung von SELENKA für zutreffender. Dieser vorzügliche Beobachter beschreibt die ersten Entwickelungsvorgänge bei Ophioglypha lacertosa LYMANN in folgender Weise: „Das frisch abgelegte Ei besteht aus dem Eikern, dem undurchsichtigen Dotter mit dem Dotterhügel und einem äußeren Gallertmantel (Zona pellucida). Nachdem ein Spermatozoon mit dem Dotterhügel in innigen Kontakt gekommen ist, erhebt sich alsbald aus dem Dotter ein heller Protoplasmabüschel und umfließt das Spermatozoon. Unmittelbar danach wird die ganze Oberfläche des Dotters uneben und es erscheint eine helle Protoplasmaschicht, welche, noch ehe sie ihre definitive Dicke erreicht hat, an der Peripherie eine Dotterhaut abscheidet, innerhalb deren nun das Spermatozoon zu liegen kommt. Diese Dotterhaut dehnt sich innerhalb einiger Minuten auf den Umfang der gleichzeitig schwindenden Zona pellucida aus, während der helle Protoplasmamantel in-etwas langsamerem Tempo zu einer mächtigen Schicht heranwächst.“ Demnach ist die Dotterhaut nur eine Abscheidung des Eies, wie auch schon oben gesagt wurde (p. 549). Die hyaline Schicht, welche bei den Ophiuren in so beträchtlicher Dicke am befruchteten Ei hervortritt, darf aber nicht als eine Abscheidung des Eies angesehen werden. Sie entsteht dadurch, daß helles Protoplasma sich an der Peripherie ansammelt und die Dotterkörnchen von da zurück- gedrängt werden. Der Beweis liegt darin, daß der Durchmesser des Eies bei der Bildung dieser Schicht nicht zunimmt, sondern der Durchmesser des dunklen Teiles des Eies um soviel abnimmt, als die Dicke der hyalinen Schicht beträgt (vergl. S. 545). Ebenso halte ich die hyaline Außenschicht bei den Seeigeleiern für eine protoplasmatische Schicht. Ich muß eingehender über die Frage sprechen, ob die hyaline Schicht aus lebender Substanz oder aus einer abgeschiedenen Substanz besteht. Denn vor kurzem haben KrassuskajJa und LANnDAau (1903) die in Rede stehende Schicht für eine Gallertschicht erklärt‘). Ich habe die betreffende Schicht ebenfalls für Gallerte gehalten und auf meinen nicht veröffentlichten Skizzen oft als solche bezeichnet; deshalb wandte ich dieser Schicht keine Aufmerksamkeit zu, bis ich infolge der Untersuchung des Beroeeies ihre Bedeutung als lebende und wirkende Protoplasmaschicht erkannte. Es scheint mir jetzt ausgeschlossen, daß diese Schicht etwa aus Gallerte bestehe; die vielfachen Formveränderungen der Schicht beweisen, daß sie ein eigenes Bewegungsvermögen besitzt. Ich erinnere an die von For und SELENKA beschriebenen amöboiden Fortsätze”), sowie an die von mir beobachteten ı) For (1879) hatte eine ähnliche Ansicht, denn er bezeichnet die Schicht als eine Membran (seconde membrane vitelline),. Auch HERBST (1900) hielt sie für eine Membran, als er das von ihm beobachtete Auseinandergehen der Furchungszellen im Calcium-freien Medium aus dem Verhalten dieser Schicht zu erklären versuchte. 2) FoL beobachtete bei Asterias während des Eindringens des Spermatozoons den Befruchtungskegel (cöne d’attraction), ferner unmittelbar nach dem Eindringen des Spermatozoons noch einen amöboiden Fortsatz (cöne d’exsudation), welcher an derselben Stelle entsteht; den letzteren sah FoL auch bei Seeigeln (l. c. S. 187). 552 Die ersten Entwickelungsvorgänge des Echinodermeneies, insbesondere die Vorgänge am Zellkörper. oe amöboiden Bewegungen, welligen Erhöhungen und Verdickungen. Eine Gallertschicht kann selbständig keine derartigen Bewegungen ausführen, sie kann nur passiv Formveränderungen erfahren. Will man also die fragliche Schicht als Gallertschicht auffassen, so muß man alle die beobachteten Form- veränderungen aus Verschiebungen, Dehnungen und Zusammendrückungen der Schicht erklären, was als sehr schwierig, fast unmöglich erscheint und höchstens mit einer Reihe von Hilfshypothesen ge- lingen kann'). KRASSUSKAJA und LANDAU schreiben, daß sich die Substanz der Außenschicht „bei beginnender Furchung rein mechanisch in den vertieften Stellen anhäuft.“ Diese Ansicht kann ich durchaus nicht teilen; denn es wurde oben gezeigt, daß die Wellen an der Außenschicht schon auftreten, ehe die Abflachung oder Rinnenbildung erfolgt, sowie daß die Verdickung der Außenschicht schon zur Zeit der Abflachung und der schwachen Einbuchtung deutlich erkennbar ist; wenn man die Bilder Fig. ı2 u. 25 aufmerksam betrachtet, wird man wohl die Ansicht aufgeben müssen, daß die Außenschicht sich „rein mechanisch in den vertieften Stellen anhäuft.‘“ Wenn die Außenschicht eine Gallertschicht wäre, so würde sie an der entstehenden Teilungsfurche viel eher gedehnt und verdünnt als verdickt werden. Im Anschluß an RICHARD HERTWIG sprechen KRASSUSKAJA und LANDAU von der Gallerte, welche durch Aufquellen die Abhebung der Eihaut bewirkt (was ich schon oben S. 549 erwähnt habe). Sie kommen schließlich zu der Meinung, daß die hyaline Außenschicht, welche ich beschrieb, lediglich durch ungenügende Quellung der erwähnten Gallerte entstanden sei. Dieser Auffassung muß ich auf das Bestimmteste wider- sprechen. Ich habe mit Vorliebe solche Eier zur Beobachtung ausgewählt, welche mir in möglichst normaler Entwickelung zu sein schienen. Daher habe ich meine Untersuchungen fast immer an solchen Eiern gemacht, deren Eihaut weit vom Ei abgehoben war. In diesen Fällen war also die Gallertschicht, welche den perivi- tellinen Raum erfüllt, schon vollkommen zur Quellung gelangt. Es ist also ausgeschlossen, daß diese Gallerte mit der von mir beobachteten hyalinen Außenschicht identisch sei’). Beiläufig muß ich auch bemerken, daß die genanriten Autoren in leichtfertiger Weise mir „ungenaue Beschreibung“ vorgeworfen haben. Sie haben nämlich nur meine Figuren angesehen, anstatt auch meine Be- schreibung zu lesen. Daher legen sie mir fälschlich die Meinung bei, die betreffende Schicht sei nur in den Furchen vorhanden. Daß ich diese Meinung nicht hatte, geht aus meiner Darstellung klar hervor, wie ich durch Wiederholung folgender Sätze aus meiner Veröffentlichung leicht beweisen kann: „Zur Zeit, wenn die erste Furchenspindel entsteht und die beiden Attraktionssphären noch klein sind, ist die Außenschicht gleich- mäßig um das Ei verteilt‘“ „Bei einem folgenden Stadium ist schon die Rinne aufgetreten, während die Außenschicht an der Rinne verdickt ist, aber an den übrigen Teilen der Zelloberfläche sehr dünn wurde und kaum noch wahrgenommen werden kann.“ „Später, wenn die neue Teilung sich vorbereitet und die neuen Attraktionssphären groß geworden sind, entsteht eine neue Verdickung der Außenschicht an der äußeren Fläche an jedem der heiden Blastomeren, also gerade da, wo in dem früheren Stadium diese Schicht ihre geringste Dicke hatte.“ III. Die Aussenschicht und die Zellteilungstheorien. Die hyaline Außenschicht ist für die mechanische Erklärung des Vorganges der Zellteilung von besonderer Wichtigkeit. Ich habe schon in einer früheren Publikation (1903) für das Seeigelei wie für das Ctenophorenei die Ansicht ausgesprochen, daß die Außenschicht unter dem Einfluß der Zentren sich an der Ebene der entstehenden Teilung verdickt, worauf „die verdickten Teile der Außen- schicht den Zellkörper zusammendrücken und in denselben einschneiden, da die Außenschicht ähnlich einer elastischen Haut über die weichere Innenmasse gespannt ist“. Ich kann hier 1) Beiläufig bemerke ich, daß das Bild Fig. 24, bei welchem die Außenschicht wie eine Membran über die Furche hinwegzieht, nur deswegen gezeichnet wurde, um darauf hinzuweisen, daß ein solches Verhalten der Außenschicht anormal ist und nur bei abgestorbenen oder geschädigten Eiern vorkommt. 2) Ich muß mich dagegen verwahren, daß man die folgende Aeußerung von KrassuskaJa und LAnDAau auf meine Befunde beziehe: „Ist das Ei geschädigt, so wird die Gallerte zwar auch gebildet, besitzt aber nicht die genügende Quellfähigkeit; daher unterbleibt die Abhebung der Dottermembran, die Gallertmasse wird nur unvollkommen oder gar nicht homogen und erzeugt auf der Oberfläche des Eies und dem Furchungskugeln Gebilde, die eine Membran vortäuschen können.“ 553 Die ersten Entwickelungsvorgänge des Echinodermeneies, insbesondere die Vorgänge am Zellkörper. 553 nicht ausführlich wiederholen, was ich in früheren Schriften (1898 und 1903) zur Begründung dieser Theorie vorgebracht habe, ich muß vielmehr darauf verweisen. Ich möchte hier nur Stellung nehmen zu einigen Zellteilungstheorien anderer Autoren, um zu zeigen, in welchen Punkten Einigkeit besteht und in welcher Hinsicht ich von denselben abweiche. Dabei übergehe ich diejenigen Theorien, welche die Zellteilung aus dem Zug der Radien erklären, da ich über diese in früheren Veröffentlichungen schon oft gesprochen habe Auch wird von der Natur der Radien im folgenden Abschnitt noch die Rede sein. BürscahLi hat schon im Jahre 1876 eine interessante Zellteilungstheorie aufgestellt, an welcher er auch jetzt festhält. Es wird dabei angenommen, daß sich „von den Polen der Kernspindel aus eine Substanz im Plasma diffusionell ausbreite, welche die Oberflächentension des Plasmas gegen die um- gebende Flüssigkeit erhöhe.“ „Da nun von beiden Centrosomen dieselbe Veränderung im Plasma aus- geht, so müssen im Aequator der Zelle (resp. der Aequatorialebene) die Wirkungen beider Centrosomen sich begegnen und addieren; hier muß die stärkste Wirkung auftreten, d. h. eine maximale Erhöhung der Tension und damit Einfurchung etc. im Aequator.“ Meine Auffassung stimmt insofern mit derjenigen von BürschLı überein, als ich auch eine von den Zentren her nach der Oberfläche gehende Wirkung annehme und die Meinung teile, daß die Wirkungen der beiden Zentren an der Teilungsebene sich begegnen und addieren. Allein ich differiere von BürschLı darin, daß ich die Einschnürung nicht auf veränderte Oberflächenspannung, sondern auf die Verdickung und den daraus resultierenden Druck der oberflächlichen Schicht zurückführe; diese Verdickung ist nicht etwas hypothetisches, sondern durch meine Beobachtungen erwiesen. Grarpina hat über die Zellteilung des Seeigeleies folgende Meinung ausgesprochen (1902 Anat. Anz. 21. Bd, S. 576). Von den beiden Zentren verbreitet sich radıiär durch die Zelle eine chemo- taktische Wirkung, welche eine zentripetale Bewegung des hyalinen Protoplasma zur Folge hat; daraus ergibt sich eine Verminderung des hyalinen Protoplasma an der Peripherie der Zelle und folglich eine Verminderung der Spannung an der Oberfläche (un abbassamento della tensione superficiale del cito- plasma alla superficie esterna). An der Teilungsfurche sei die erwähnte Wirkung der Zentren schwächer und folge daraus eine relativ höhere Spannung, was die Einschnürung nach sich ziehe. GTARDINA meint, daß die entstehende Teilungsfurche weiter von den Zentren entfernt sei als die übrige Peripherie der Zelle Dies trifft in sehr vielen Fällen durchaus nicht zu, und somit ist auch die Meinung, daß die Wirkung der Zentren an der Teilungsfurche schwächer sei, nicht haltbar (vergl. S. 545 Anm.). Insofern Giarpına an dem Teilungsmeridian eine erhöhte Spannung annimmt, könnte ich ihm zustimmen, aber er hat die Vorgänge in der hyalinen Außenschicht, insbesondere die Verdickung an der Teilungsstelle gar nicht beachtet. BovErRI veröffentlichte vor kurzem (1903) eine kleine Mitteilung, in welcher er über das Ver- halten des Protoplasmas bei monocentrischen Mitosen berichtete und bei dieser Gelegenheit Folgendes über die normale Zellteilung des Seeigeleies angab. „Schon zu der Zelt, wenn das Ei noch kugelig ist, macht sich längs desjenigen größten Kreises, welcher auf der Spindelachse senkrecht steht (Teilungs- äquator) eine Verdickung und schwache Runzelung der hyalinen Umhüllungshaut bemerkbar. Diese lokalisierte Verdickung der Umhüllungshaut, welche die Stelle bezeichnet, an der alsbald die erste Furche auftritt, ist auch während der Durchschnürung nachweisbar.“ Soweit kann die Beobachtung von BOvERI als eine Bestätigung meiner Beobachtung gelten. Bovert ist aber doch geneigt, die Theorie der ziehenden Radien beizubehalten, im Anschluß an M. Hripexsam und L. Ruumsrer und in Uebereinstimmung mit seiner früher geäußerten Meinung. Er stützt sich dabei auf die Beobachtung, daß die Einschnürung Jenaische Denkschriften. XI. 70 Festschrift Ernst Haeckel. Die ersten Entwickelungsvorgänge des Echinodermeneies, insbesondere die Vorgänge am Zellkörper. 554 I: zuerst auf derjenigen Seite der Zelle auftritt, welche der Spindelachse am nächsten ist. Die Richtigkeit dieser Beobachtung ist mir nach meinen vielfachen eigenen Erfahrungen außer Zweifel, aber ich vermag darin nicht den mindesten Anhalt zur Stütze der Radientheorie zu sehen, da jede von den Zentren ausgehende Wirkung, welcher Art sie sei, in der Nähe stärker zur Geltung kommen wird als in der Ferne. Ich möchte gegen die Ansicht von BOVERI ein Experiment von ihm selbst anführen (1897). Er hat Eier, die sich bereits in der Durchschnürung befanden, der Kälteentwickelung unterworfen und nach ı5 Minuten wieder in Zimmertemperatur gebracht. Wie bei früheren Kälteversuchen von OÖ. HERTWIG trat bei der Ab- kühlung Stillstand der Zellteilung ein und die Strahlung verschwand, um bei der Erwärmung anscheinend ganz in der früheren Weise wieder zu erscheinen. Trotzdem wurde die eingeleitete Durchschnürung, auch wenn sie schon sehr weit vorgeschritten war, nicht vollzogen, vielmehr flachte sich die Einschnürung wieder aus, bis der Zellleib die Gestalt eines in der Richtung der Teilungsachse verlängerten Rotationsellipsoids gewonnen hatte. Wenn man die Zellteilung aus dem Zug der Strahlen erklärt, so ist der Ausgang dieses Experiments nicht zu verstehen; denn nach der Wiedererwärmung war die Strahlung wieder erschienen und dennoch ging die Zellteilung nicht weiter. Nach meiner Auffassung erklärt sich dieses Resultat sehr leicht. Die Einwirkung, welche von der Centren ausgehend an der hyalinen Außenschicht die Verdickung hervorbringt, fällt beim Seeigelei in eine bestimmte Phase der Kernteilung und läßt nachher wieder nach. Wird also die Zelle zu dieser Zeit aus irgend einem Grunde nicht durchgeteilt, so geht die Verdickung der Außenschicht zurück und die eventuell schon gebildete Furche verschwindet wieder. Bei meinen Versuchen über die Furchung flachgedrückter Eier habe ich sehr oft Zellteilungen beginnen sehen, welche trotz wohlentwickelter Strahlung nicht durch- schnitten und dann wieder rückgebildet wurden. IV. Die Strahlung und ihre mechanische Bedeutung, Infolge der Theorien von van BENEDEN, BoVErI, M. HEIDENHAIN und RHUMBLER ist die Auf- fassung fast allgemein verbreitet, daß die Strahlen ziehende Fäden oder kontraktile Stränge seien. Diese Annahme ist den meisten Forschern so geläufig geworden, daß sie sich nur schwer davon befreien können. Ich bin aber der Meinung, daß diese Ansicht vollständig aufgegeben werden muß, da sie mit den Beobachtungen, welche am lebenden Objekt gemacht wurden, sich nicht vereinigen läßt. Man sieht die Strahlung entstehen und verschwinden, die Strahlen können also nicht dauernde Gebilde sein. Man sieht in manchen Fällen die Spindel im Zellkörper sich bewegen und drehen (bei Nematodeneiern, Echinodermeneiern u. a.), folglich können die Strahlen nicht an der Peripherie der Zelle fixiert sein. Man kann das Ei komprimieren, ohne daß daraus eine Störung der Strahlung oder der Teilung folgt, was bei einem System radiärer Fäden unvermeidlich wäre. Der Verlauf der Zellteilung ist in manchen Fällen (z. B. bei den Ctenophoren) ein derartiger, daß er nicht aus dem Zug der von den Zentren aus- gehenden Radien erklärt werden kann. Alle diese Argumente habe ich schon in früheren Schriften gegen die Muskelfadentheorien, sowie auch gegen die Ruumsrersche Wabenzugtheorie geltend gemacht. In ähnlichem Sinne hat sich vor kurzem TEICHMANN (1903) ausgesprochen. Er wendet sich (S. 318) gegen die Theorien von HEIDENHAIN und RHUMBLER, und berichtet (S. 311), daß er bei einem in 2-proz. Aetherlösung liegenden Ei, in welchem die Radien nur ganz kurz geblieben waren und bei weitem nicht die Zellperipherie erreichten, doch die Zellteilung eintreten sah‘). Dies wäre natürlich unmöglich, wenn die Teilung durch den Zug der Radien bewirkt würde. — Auch aus den merkwürdigen Beobachtungen von T. H. MORGAN (1899) scheint hervorzugehen, daß die Zellteilung ohne Beteiligung der Astrophären und Strahlung erfolgen kann. ı) Die interessanten Beobachtungen von TEICHMANN würden meiner Ansicht nach noch von höherem Werte sein, wenn er auch auf das Verhalten der hyalinen Außenschicht geachtet hätte. Dasselbe gilt von den Beobachtungen vieler anderer Forscher. 555 Die ersten Entwickelungsvorgänge des Echinodermeneies, insbesondere die Vorgänge am Zellkörper. 555 MORGAN fand, daß unbefruchtete Eier von Arbacia, wenn man sie in Seewasser mit erhöhtem Chlornatrium- oder Magnesiumchlorid-Gehalt legt, und dann in reines Seewasser zurückbringt, sich teilen; der Teilungsmodus weicht von dem normalen ab und ist in einzelnen Fällen der Zellteilung von Beroe ähnlich (S. 4532, Fig. 2), „When the egg divide, the division is without respect to the position and number of astrosphaeres, that may be present in the egg, but is regulated by the position of the chromatin.“ Auf die RHUMBLERsche Theorie will ich hier nicht genauer eingehen. Sie ist ein kunstvolles Gebäude, aus Analogieschlüssen und Hypothesen erbaut. Sie hat den Wabenbau des Protoplasma zur Voraussetzung, enthält aber außerdem zahlreiche hypothetische Annahmen bezüglich der Vorgänge an den Centren und am Kern. Zur Zeit der Zellteilung entsteht eine „Spannung im Inneren des Zellleibes.“ „Die Centren entziehen den Protoplasmaalveolen Enchylema (Alveoleninhaltsmasse) und die längsten Wabenradien werden am meisten Enchylema verlieren, d. h. sie werden sich am meisten zu verkürzen streben, oder was ebensoviel heißt, sie werden am stärksten gespannt sein.“ Die Zellteilung sucht RHUMBLER hauptsächlich aus dem Zug der Radien zu erklären, er nimmt aber außerdem an der Teilungsstelle ein gesteigertes Membranwachstum an, wodurch seine Theorie mit der meinigen gewissermaßen einen Berührungspunkt hat. RHUMBLER leitet aber dieses Membran- wachstum daraus ab, daß der Kernsaft aus dem aufgelösten Kern nach der Teilungsstelle hingezogen wird, eine hypothetische Annahme, welche ich nicht zu teilen vermag, und welche meiner Ansicht nach mit ver- schiedenen Beobachtungen im Widerspruch steht. Eine ausführliche Erörterung der RHUMBLERschen Ansichten ist mir deswegen unmöglich, weil ich alle seine einzelnen Hypothesen mit meinen Beobachtungen vergleichen müßte, so daß zu jeder seiner Abhandlungen eine mindestens ebensolange Diskussion nötig wäre. Die Annahme, daß die Centren Flüssigkeit chemisch binden und dadurch die Strahlung hervorrufen, ist vor RHUMBLER schon von BÜTSCHLI (1892) aufgestellt worden. Letzterer fand, daß in einer Gelatineschicht im Umkreis von Luftblasen, welche sich bei der Abkühlung zusammenzogen, eine radiäre Strahlung auftrat, und daß zwischen zwei Luftblasen, die nahe beieinander lagen, eine spindelähnliche Figur entstand‘). BÜTSCHLI zog daraus den Schluß, daß das Centrosom Flüssigkeit chemisch bindet und „den Mittelpunkt einer sich zusammen- ziehenden Protoplasmapartie bildet, die auf das übrige Plasma radiäre Zugkraft ausübt“, wodurch in dem Waben- werk des Protoplasma die Strahlung hervorgebracht wird. Wie man sieht, beruht die Ansicht von BÜTSCHLI auf einem Analogieschluß. So interessant das BÜTSCHLIsche Experiment ist, so kann es doch hinsichtlich der Seeigeleier nicht als ein zwingender Beweis für die BürscHLische Ansicht gelten. Denn Strahlungen können durch verschiedenartige Kräfte entstehen, wie schon die ältere Analogie der magnetischen Eisenfeilspähne gezeigt hat. Allerdings haben manche Figuren, welche BÜTSCHLI in seinem schönen Atlas der Strukturen (1898) veröffentlicht hat (insbesondere Taf. I, Fig. 7 mades, Tat Ieskiier z und 6, Tat. XVII, Fig. 4, Taf. XXI, Fig. 5 und 6) eine überraschende Aehnlichkeit mit den Kernteilungsfiguren. Man bemerkt nicht nur die Strahlung, sondern oft auch einen Hof, welcher die Luft- blase umgibt und einer Attraktionssphäre gleicht. Um eine Theorie aufzustellen, welche sich möglichst eng an die Beobachtungen anschließt, sei es mir gestattet für die folgende Betrachtung alle Theorien anderer Forscher bei Seite zu lassen, ohne dadurch gegen sie Stellung zu nehmen. Ich will versuchen, ob sich die Befunde erklären lassen, wenn man die Strahlen einfach als körnchenfreie Protoplasmazüge betrachtet, auf welchen Strömungen stattfinden. Bei der Betrachtung der lebenden Zelle werden die Strahlen nur dadurch bemerkbar, daß die Dotterkörnchen sich in Reihen ordnen; es befinden sich also zwischen den Dotterkörnchen feine Züge des durchsichtigen Protoplasma, welche die Dotterkörnchen verdrängen, die dann an ihrem Rand reihen- artig liegen®). Diese feinen Züge des Protoplasma erscheinen natürlich am Dauerpräparat (durch Plasma- färbung deutlich gemacht) als dunklere Streifen. Sie verlaufen gewöhnlich geradlinig, nur in selteneren Fällen gebogen (wie bei Fig. 4). Man könnte diese Protoplasmazüge vergleichen mit den strahligen Protoplasmazügen im Körper der Noctilucen oder mit den radiären Protoplasmafäden, welche bei Radiolarien durch die alveoläre Schicht ziehen und in die Pseudopodien sich fortsetzen. 1) Dieselbe Erscheinung war auch im Umkreis von Lebertrantröpfchen zu beobachten, die in einer flüssigen und und allmählig erstarrenden Gelatineschicht lagen. 2) „Wir müßten eigentlich die Dotterkörnchen zeichnen und zwischen ihnen die hellen Plasmastrahlen weiß stehen lassen“, schreibt TEICHMANN (l. c. S. 310) mit Recht. Wenn wir die Radien des lebenden Eies durch radiäre Striche dar- stellen, geschieht dies nur zum Zweck der einfacheren Darstellung und der größeren Deutlichkeit. 70 * 5 56 Die ersten Entwickelungsvorgänge des Echinodermeneies, insbesondere die Vorgänge am Zellkörper. 5 56 Am lebenden Objekt sieht man diese Strahlungen entstehen und verschwinden; sie können also nicht als bleibende Organellen der Zelle aufgefaßt werden. Wie OÖ. HERrTwıG gezeigt hat, kann man die Strahlen durch Abkühlung der Zelle zum Verschwinden bringen und dann durch Erwärmen wieder erscheinen lassen. In ähnlicher Weise heben Narcotica (Aether, Chloralhydrat u. a.) die Strahlung auf, wie aus den Experimenten von O. und R. Herrwıc, E. B. Wırson u. a. hervorgeht. Diese Tatsachen sprechen dafür, daß die Strahlung nicht auf einer Struktur, sondern auf einem Vorgang beruht, also auf einer Bewegung, die durch Kälte oder durch Narcotica gehemmt wird. Aus diesen Gründen fasse ich die Strahlen als feine Züge von hyalinem Proto- plasma auf, in welchen ein Zuströmen oder Abströmen stattfindet. Daß in so feinen Bahnen Strömungen bestehen können, ist von den Pseudopodien von Protozoen, sowie von den Proto- plasmasträngen im Inneren von Pflanzenzellen (z. B. Tradescantia) genugsam bekannt. Im vorliegenden Falle ist die Strömung am lebenden Objekt nicht zu erkennen, weil das klare Protoplasma keine im Leben sichtbaren Körnchen mit sich führt, und weil außerdem alle Strahlen in der Masse der Dotter- körnchen liegen, so daß man feine Einzelheiten in den so sehr dünnen Strahlen nicht erkennen kann. Es muß hier auch in Betracht gezogen werden, daß Diffusionsströme im Seeigelei eine Strahlung erzeugen können. Insbesondere möchte ich an die hübschen Versuche von GIARDINA (1902) erinnern, welcher durch hypertonische Salzlösung dem Keimbläschen des unbefruchteten Eies Wasser entzog und es dadurch zum Schrumpfen brachte; er sah dabei eine radiäre Strahlung an der Peripherie des Keimbläschens entstehen. Bei Zusatz von weniger salzhaltigem Wasser verschwand die Strahlung am Keimbläschen, und blähte sich dieses wieder auf, während an der Peripherie des Eies eine zarte radiäre Strahlung entstand. In diesen beiden Fällen liegt die Strahlung da, wo die Diffusion aus dem weniger dichten Medium in das dichtere Medium geht. Ferner führe ich eine eigenartige Beobachtung an, welche ich bei einem Ei von Ophiotrix fragilis machte. Das Ei war durch langsamen Druck zum Ausfließen gebracht, und trat der Inhalt wie bei einem Pseudopodium an einer Seite hervor. Dabei zeigte sich in der langsam strömenden Masse eine deutliche Strahlung, wobei die Lage der einzelnen Strahlen der Strömungsrichtung entsprach (Textfig. 4F). Da das Volumen der ganzen Zelle während der Entstehung der Strahlung und der Attraktions- sphären, sowie wärend des Verschwindens dieser Erscheinungen wahrscheinlich dasselbe bleibt (es sind keine Volumveränderungen mit Sicherheit nachgewiesen), so handelt es sich bei den Befruchtungs- und Teilungsstrahlungen nur um Verschiebungen der Bestandteile der Zelle gegeneinander. Insbesondere bei der Bildung der Attraktionssphären findet eine Ansammlung des Protoplasma statt, welches sonst zwischen den Dotterkörnern verteilt ist, und damit geht ein Zurückdrängen der Dotterkörner zusammen )). Da die Strahlung nach meiner Ansicht auf Strömungen beruht, welche sich zentripetal oder zentrifugal bewegen, so ist eine Strahlung zu erwarten zur Zeit der wachsenden Sphäre und zur Zeit der abnehmenden Sphäre Wir werden nachher sehen, daß sich dies bestätigt. Ich trete also für eine Auffassung der Strahlung ein, wie sie schon von manchen älteren Autoren (von FOL schon im Jahre 1879) ausgesprochen wurde. Auch manche neuere Forscher halten an dieser Ansicht fest. So schrieb E. B. WıILson (1901, Arch. f. Entwickelungsm., Bd. XIII, p. 382), daß man bei der Beobachtung 1) In einer früheren Schrift (Arch. f. Entwickelungsmech. VI. Bd., S. 258) habe ich die Bildung der Attraktions- sphäre durch folgendes Gleichnis veranschaulicht. „Wenn sich ein Lehrer in einer großen Schar von Kindern befindet, in welcher Knaben und Mädchen gleichmäßig gemischt sind, und der Lehrer ruft die Knaben an sich heran, so werden die Knaben bald in einem Kreis um ihn versammelt sein und die Mädchen nach der Peripherie gedrängt.“ Ich möchte dieses Gleichnis jetzt noch etwas erweitern. Ist die Schar der Kinder sehr groß, z. B. 2000, so wird es einige Zeit dauern, bis alle Knaben um den Lehrer versammelt sind, und währenddessen werden in der Masse sich Bahnen ausbilden, auf welchen die Knaben heranströmen. Diese Bahnen mögen anfangs unregelmäßig sein, sie müssen aber, wenn das Zuströmen nach der Mitte andauert, allmählich geradlinig werden in der Form radiärer Strahlen. 5 Die ersten Entwickelungsvorgänge des Echinodermeneies, insbesondere die Vorgänge am Zellkörper. 557 der Strahlung am lebenden Ei nicht zweifeln könne, daß das klare Hyaloplasma centralwärts ströme, um die wachsenden Attraktionssphären (Hyaloplasma-spheres) zu vergrößern, wobei die Dotterkörnchen nach außen gedrängt werden und sich zwischen den zufließenden Strömen in radiäre Linien ordnen. Eine ähnliche Auffassung, kombiniert mit der Wabentheorie, ist bei GIARDINA (1902) zu finden. „Wenn man aufmerksam die Bildung der hyalinen Zone verfolgt, so sieht man, wie letztere entsteht durch das centripetale Zuströmen einer beträchtlichen Menge von Hyaloplasma, mit welchem Namen ich die interalveoläre hyaline Substanz bezeichnen will, welche nach der Meinung der neueren Forscher die kleinen Alveolen der Zell- substanz trennt.“ Sehr beachtenswert sind die Studien am Rhynchelmis-Ei von VEJDOVSKY und MRAZER (1903). Diese Forscher erklären die Strahlung aus dem Zuströmen der interalveolären Substanz, welche sich in der Umgebung der Centriolen ansammelt. „Wir können schon aus theoretischen Gründen die Strahlen nicht, wie schon ED. VAN BENEDEN, BOVERI und ihre Nachfolger, für wirkliche Fasern halten, sondern betrachten sie als sichtbaren Aus- druck der inneren centripetalen Bewegung und Umbildung des Hyaloplasmas. Durch diese Strahlen strömt sozu- sagen die genannte Substanz zu den nackten Centriolen.“ Ich will nun zeigen, daß die obige Theorie mit den Vorgängen, welche man bei der Befruchtung und Teilung der Eier beobachtet, in guter Uebereinstimmung steht, und für viele Erscheinungen eine Erklärung gibt. Wenn das Centrosom des Spermatozoons in das Ei gekommen ist, sammelt es klares Protoplasma um sich, welches in der lebenden Zelle als heller, in der gefärbten als dunkler Hof erscheint (Fig. ı und Fig. 5). Folglich muß währenddessen ein Heranströmen von dotterfreiem Protoplasma stattfinden; daher die entstehende Strahlung. Da wo solche Bahnen schon bestehen, findet das Heran- strömen leichter statt, daher sind die Strahlen länger und deutlicher in. der Gegend, durch welche das Zentrum schon hindurchging, als in derjenigen, in welche es hingeht (Fig. 2, 5 u. 6). Vielleicht ist auch das tiefere Eindringen des Zentrums durch das Herzuströmen des Protoplasma mechanisch verursacht; denn wenn zu einem beweglichen Gebilde von einer Seite her ein stärkeres Zuströmen stattfindet als von der entgegengesetzten, so wird dasselbe nach letzterer Seite verschoben '). Vor dem Stadium der Fig. 9 beginnen die Radien zu verschwinden. Es geschieht in der Weise, daß zuerst derjenige Teil eines Radius verschwindet, welcher dem Zentrum am nächsten ist, während der fernere Teil noch kurze Zeit weiterbesteht. Dies erklärt sich leicht, wenn man in der erwähnten Weise annimmt, daß in jedem Radius eine Strömung nach dem Zentrum stattfindet; denn wenn die von dem Zentrum ausgehende Ursache der Strömung aufhört, wird sich dies zuerst in der Nähe, dann erst in weiterer Entfernung geltend machen’). Nachher beginnt die Teilungsstrahlung aufzutreten. Zuerst sind die Strahlen nur sehr kurz, allmählich werden sie länger (Fig. ro und ır); hier findet also das Umgekehrte statt im Vergleich zu dem vorigen Fall; die Strömung ist zunächst nur in der Nähe vorhanden und allmählich greift die Bewegung weiter. In dem Maße als die Strahlung sich ausbreitet, nehmen die Attraktionssphären an Größe zu; es ist dies begreiflich, indem ihnen in diesem Maße Protoplasma zuströmt. Man erkennt die Größenzunahme der Attraktionssphären durch Vergleich der Fig. 9—ı2, sowie Fig. 13—15°). Nimmt man an, daß der Durchmesser einer Attraktionssphäre doppelt so groß wird, so bedeutet dies eine 1) Stellt man sich die Strömung als eine rasche vor, so leuchtet der obige Satz sofort ein. Aber offenbar muß er bei langsamer Strömung in zähflüssiger Substanz auch Gültigkeit haben. 2) Dasselbe kann man bei einer Prozession oder bei einem Festzuge beobachten: wenn die Spitze stillsteht, so ist der mittlere und hintere Teil des Zuges noch eine zeitlang in Bewegung. Umgekehrt, wenn die Spitze sich in Bewegung setzt, dauert es beträchtliche Zeit, bis der ganze Zug in Bewegung ist. 3) Da die Attraktionssphären am lebenden Ei heller als die Dottermasse erscheinen, am gefärbten Präparat aber dunkler, so verhalten sich die Bilder der Sphären am lebenden Objekt zu denjenigen am konservierten wie ein photo- graphisches Negativ zum Positiv (vergl. Fig. 1—4 mit 5—8, Fig. 9—11 mibaT3- 25, Rig, 16 u 173 mis LS, U.2r0). = 58 Die ersten Entwickelungsvorgänge des Echinodermeneies, insbesondere die Vorgänge am Zellkörper. 55 8 Zunahme der Masse auf das 8-fache. Da der Durchmesser auf mehr als das Doppelte wächst, ist die Volumzunahme noch beträchtlich größer. Zu dieser Zeit wird in der Attraktionssphäre selbst noch ein innerer Hof erkennbar (Fig. 14 u. 15). Ich habe für denselben früher (1898) den indifferenten Namen Innensphäre oder Entosphäre vorgeschlagen. Ich habe auch gezeigt, daß die Grenze 'dieses Hofes unter gewissen Umständen am lebenden Ei zu erkennen ist, indem ein Kranz von Körnchen die Entosphäre umgibt (Arch. f. Entwickelungsmech., Bd. VI, 1898, p. 259, Fig. 22). Es scheint leicht begreiflich, daß sich beim Großwerden der Attraktionssphäre ein Bezirk von be- sonders geartetem — sei es besonders reinem oder besonders dichtem — Protoplasma in nächster Nähe des Centrums bildet, wie ich das früher schon dargelegt habe (l. c., p. 259 u. 260 Anm.). Neuerdings hat BOVERI (1901) diesen inneren Hof (Entosphäre) als Centrosoma bezeichnet, weil er ihn mit demjenigen Gebilde homo- logisiert, für welches VAN BENEDEN bei den Eiern von Ascaris megalocephala zuerst die Bezeichnung „corpus- cule central“ aufstellte. Ich will hier nicht in eine Erörterung der ganzen schwierigen Centrosomenfrage ein- treten. Nur einen Punkt muß ich hervorheben. BOVERI sieht ein wichtiges Merkmal des Centrosoma darin, daß an Dauerpräparaten die Radien an demselben sich „inserieren“. Da die Strahlen keine ziehenden Fäden sind (vergl. p. 554), kann ich der „Insertion“ der Radien keine solche Bedeutung beilegen. Ich halte also das „Centroplasma“ für ein reineres oder dichteres Protoplasma, welches in gewissen Perioden in der Umgebung des Centrums sich ansammelt. Eine ähnliche Auffassung vertreten VEJDOVSKY und MRAZEK (1903, p. 521—523). Kurze Zeit vor der Durchschnürung der Zelle hat die Strahlung ihre schönste Ausbildung, und erreichen die Attraktionssphären ihre größte Ausdehnung. Nachdem die Teilung der Zelle erfolgt ist, nehmen die Attraktionssphären an Größe ab. Nach meiner Ansicht muß nun ein Abströmen des Protoplasma stattfinden. Da wo der neue Kern entstanden ist, bildet er ein Hemmnis für alle Strömungs- vorgänge, und folglich werden diejenigen Strahlen undeutlich, welche (vom Zentrum aus gerechnet) jenseits des Kernes liegen (Fig. 17 u. 19). Findet nun ein Abströmen statt auf den Bahnen, welche durch die Radien dargestellt sind, so muß also dieses Abströmen hauptsächlich an den Seiten des Kernes und auf der dem Kern abgewandten Seite erfolgen. Da wir oben gesehen haben, daß ein einseitiges Zuströmen von Protoplasma das Zentrum in der Richtung der Strömung vorschiebt (S. 557), so müssen wir logischer Weise annehmen, daß ein einseitiges Abströmen das Zentrum zurückzieht. In der Tat sehen wir, daß das Zentrum mit dem Kern nach der Peripherie der Zelle hinrückt‘)., Ich sehe darin eine Bestätigung meiner Auffassung, daß in den Strahlen Strömungen stattfinden und daß diese auch die Lage der Zentren beeinflussen. Auch die interessanten Versuche von ALFRED FISCHEL (1898) über die vitale Körnchenfärbung in Echinodermeneiern passen recht gut zu meiner Auffassung der Zellteilungsvorgänge?). FISCHEL konnte mit Neutralrot und anderen Farben in der lebenden Zelle eine Menge von Körnchen sichtbar machen, welche während der Befruchtungs- und Teilungsvorgänge eine merkwürdige Verteilung im Zellkörper besitzen. Zur Zeit der besten Ausbildung der Befruchtungsstrahlung (Fig. 3 u. 4) sind diese Körnchen im Bereich der Strahlung gelegen, fehlen aber sowohl an der Peripherie des Eies, als auch im Bereich der Attraktionssphären. Bei dem Nachlassen der Befruchtungsstrahlung verteilen sie sich gleichmäßiger durch die ganze Zelle, aber während der Entwickelung der Teilungsstrahlung sammeln sie sich im Umkreise der Attraktionssphären an, Es scheint mir für diese Tatsache kaum eine andere Erklärung möglich, als die, daß die Körnchen durch Strömungen an den Radien entlang gegen die Attraktionssphären geführt wurden. Es kann diese Wirkung aus denselben Strömungen erklärt werden, welche oben als Ursache der Strahlung und der Vergrößerung der Attraktionssphäre angesehen wurden. — Zur Zeit der beginnenden Zellteilung (Stadium der Fig. ı2) verschwinden die Körnchen aus dem Bereich der Teilungsebene, was man zwar noch nicht völlig erklären, aber doch mit der anderen Tatsache 1) Gewöhnlich bewegen sich die Kerne nach vollzogener Teilung nach der unteren Seite des Blastomeren, wie in Fig. 17. Das ist aber nicht regelmäßig der Fall, manchmal begeben sie sich nach der Außenseite des Blastomeren, manch- mal nach der oberen Seite (wie bei Fig. 20). Unter meinen Skizzen ist ein Fall verzeichnet, in welchem bei dem zweizelligen Stadium von Strongylocentrotus lividus der Kern des einen Blastomers nach oben ging, der andere nach unten. 2) RHUMBLER hat auf Grund seiner Theorie ebenfalls eine Erklärung der FıscHErschen Beobachtungen zu geben versucht, auf welche ich hier nicht näher eingehen kann (Archiv f. Entwickel.-Mech., Bd. IX, 1899). 559 Die ersten Entwickelungsvorgänge des Echinodermeneies, insbesondere die Vorgänge am Zellkörper, 559 zusammenstellen kann, daß man auf Schnitten in der Teilungsebene die oben erwähnte (S. 548) eigentümliche Platte findet (Fig. 18). Wenn die Zelle durchgeschnürt ist und die Strahlung sich zurückbildet, verteilen sich die Körnchen durch die ganze Zelle. Dies dürfte kaum anders zu erklären sein, als durch zentri- petale Strömungen, wie ich sie oben als Ursache der Verkleinerung der Attraktionssphären angenommen habe, Man sieht also, daß die FISCHELschen Beobachtungen sich aus meinen Auffassungen der Zellteilungsvorgänge leicht erklären lassen. Ergebnisse. Am Seeigelei wird nach der Befruchtung eine hyaline Schicht an der ganzen Oberfläche sichtbar, welche ich als protoplasmatische Außenschicht bezeichnet habe (S. 544). Diese Schicht ist nicht, wie man bisher glaubte, eine gallertige Abscheidung, sondern zeigt Formveränderungen, die offenbar Lebenserscheinungen sind. Wichtig ist die Verdickung, welche diese Schicht beim Beginn der Zellteilung an der Teilungsebene erfährt (S. 545). Das Verhalten der Außenschicht steht offenbar mit der Bildung der Furche in ursprünglichem Zusammenhang, wie ich dies schon früher bei Beroe gezeigt habe. Die Meinung vieler Autoren, daß die Strahlen im Zellkörper ziehende Fäden seien, wird durch die Befunde widerlegt (S. 543 u. 554). Es ist vielmehr wahrscheinlich, daß die Strahlen feine Bahnen des Protoplasma sind, auf welchen Strömungen stattfinden. Dadurch lassen sich verschiedene Beobach- tungen erklären (S. 556—558). Literaturverzeichnis. BovErı, TH., Ueber das Verhalten der Centrosomen bei der Befruchtung des Seeigel-Eies. Verhandl. d. Phys.-med. Gesell- schaft zu Würzburg, XXIX. Bd., 1895. — Zur Physiologie der Kermn- und Zellteilung. Sitzungsber. d. Phys.-med. 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XI. 71 Festschrift Ernst Haeckel m De operativen Experimente an einzelligen Organismen, welche namentlich in den beiden letzten Dezennien des verflossenen Jahrhunderts in großer Zahl ausgeführt worden sind, haben uns die grund- legenden Anschauungen geliefert über die physiologische Bedeutung und die gegenseitigen Beziehungen der beiden wesentlichen und allgemeinen Bestandteile der Zelle, d. i. des Protoplasmas und des Zell kernes. Die frühere Vorstellung, daß der Zellkern ein „Zentrum“ für gewisse Funktionen der Zelle sei, wie etwa das Atemzentrum für die Entstehung der Atembewegungen im Körper der Wirbeltiere, ist allmählich beseitigt worden und auch der ganz unphysiologische Gedanke, daß der Kern allein Träger der „Vererbungsstoffe“ sei, beginnt selbst bei seinen hartnäckigsten Vertretern endlich seine ursprüngliche schroffe Form zu verlieren. An die Stelle dieser Vorstellungen ist als Grundlage für alle unsere Ideen- bildung über die Bedeutung der beiden Zellbestandteile die Erkenntnis getreten, daß der Zellkern und das Protoplasma in einem engen Stoffaustausch miteinander stehen und daß beide gleich unentbehrliche Glieder im Stoffwechselgetriebe der Zelle bilden. Das ist das, was wir experimentell nachweisen können. Der Zellkern kann nicht ohne Protoplasma und das Protoplasma nicht ohne Zellkern auf die Dauer existieren. Beide voneinander isoliert gehen allmählich zu Grunde. Es fragt sich aber nunmehr weiter: welche Prozesse der Stoffwechselkette spielen sich im Protoplasma, welche im Zellkern ab, oder anders ausgedrückt: mit welchen Prozessen ist das Protoplasma, mit welchen der Zellkern an dem Gesamtstoffwechsel und damit an den Lebenserscheinungen der Zelle beteiligt? Die Beantwortung dieser Fragen wird nur sehr langsam erfolgen, da unsere Einblicke in die chemische Konstitution der lebendigen Zelle bisher noch immer äußerst gering sind. Wir können hier nur mühsam und schrittweise vorwärts gelangen. Der Ausgangspunkt von dem aus man sich von vornherein vielleicht am meisten Aussicht auf Erfolg bei der Inangriffnahme einer tiefergehenden Analyse des Zellstoffwechsels und der Beteiligung der beiden wesentlichen Zellbestandteile aus diesem versprechen kann, dürfte wohl die Atmung sein, denn in ihr haben wir ein verhältnismäßig einfaches und doch allgemeines und daher prinzipiell wichtiges Glied der Stoffwechselkette vor uns. Freilich wäre es falsch, die Atmung, d.h. den Sauerstoffverbrauch und die Kohlensäurebildung als ein isolierbares Glied des Stoffwechsels zu betrachten. Sie ist selbst- verständlich untrennbar verknüpft mit den übrigen Gliedern des funktionellen Stoffwechsels. Allein die Atmung erscheint uns vorläufig wegen der Einfachheit der chemischen Ausgangs- und Endprodukte als 71* 6 Die Lokalisation der Atmung in der Zelle. 504 564 der geeignetste Punkt das Problem anzufassen. Spielt sich der Sauerstoffverbrauch und die Kohlensäurebildung im Protoplasma ab oder im Zellkern, oder sind beide daran beteiligt? Im Jahre 1891 habe ich in meinen Studien über die physiologische Bedeutung des Zellkernes') eine kleine Versuchsreihe mitgeteilt, die sich mit der Frage der Lokalisation des Atmungsprozesses in der Zelle beschäftigte Die Versuche waren folgende Der Zellkörper des häufig mehr als ı mm großen heterotrichen Infusoriums Bursaria truncatella wurde unter dem Mikroskop in kernhaltige und kernlose Teilstücke zerschnitten. Beide Arten von Teilstücken wurden dann im hängenden Tropfen der Engermannschen Gaskammer einem Wasserstoffstrom ausgesetzt und unter dem Mikroskop beobachtet. Bei dieser Anordnung mußte sehr bald Sauerstoffmangel eintreten. Unter gewöhnlichen Verhältnissen, d. h. an der atmosphärischen Luft, bleiben kernlose Teilstücke von Bursaria stundenlang am Leben, kernhaltige können sich wieder vollständig regenerieren. Findet nun im kernlosen Protoplasma noch ebenso Atmung statt wie im kernhaltigen, so mußten beide Arten von Teilstücken nach Verdrängung des Sauerstoffes in kurzer Zeit ersticken. Das war in der Tat der Fall. Nach 5—ıo Minuten waren beide Arten von Teilstücken gelähmt und begannen körnig zu zerfallen. In einzelnen Fällen gelang es, wenn der Zerfall noch nicht eingetreten war, durch schnelle Zufuhr von atmosphärischer Luft die Lähmung der Wimperbewegung wieder zu beseitigen und die Teilstücke länger am Leben zu erhalten. Ich zog aus diesen Versuchen den Schluß, „daß kernlose Teilstücke ebenso Sauerstoff ver- brauchen wie kernhaltige“ Im Jahre 1899 hat Jacoues LoEB’) eine Mitteilung veröffentlicht, in der er offenbar ohne Kenntnis der obigen Versuche eine Ansicht entwickelt und zu begründen sucht, die eine ganz andere Auffassung von den Oxydationsvorgängen in der Zelle zum Ausdruck bringt. Er glaubt die Ant- wort auf die Frage, warum kernlose Protoplasmamassen einer Zelle stets unrettbar zu Grunde gehen ohne sich zu regenerieren, allein darin zu finden, „daß der Kern für das Zustandekommen der Oxydations- vorgänge nötig sei“ Zu dieser Hypothese gelangt er durch folgende Spekulation. Er nimmt an, „daß der Sauerstoff in den Geweben aktiviert wird und daß hierbei bestimmte Stoffe katalytisch tätig sind“, die er mit Trause als „Sauerstoffüberträger“ bezeichnet. Diese Sauerstoffüberträger sucht Los im Zellkern. Es veranlaßt ihn dazu die Tatsache, daß Spitzer’) aus Gewebeextrakten Stoffe ge- winnen konnte, die als Sauerstoffüberträger wirken und zur Gruppe der Nucleoproteide gehören. LoEB zieht aus dem letzteren Umstande den Schluß, daß sie im Zellkern enthalten sind und daß dem- nach „der Kern das Oxydationsorgan der lebenden Substanz ist“ Als Stütze für diese Hypothese sucht LoeB die Beobachtung zu verwerten, daß bei Sauerstoffentziehung eine Verflüssigung von Zell- wänden an gewissen Zellformen zu finden ist. Da auch kernlose Protoplasmamassen vielfach zerfließen, so glaubt er hierfür als Ursache ebenfalls Sauerstoffmangel annehmen zu dürfen. Ueber den Wert derartiger Argumentationen brauche ich mich nicht zu äußern. Es ist aber charakteristisch für eine solche Behandlungsweise physiologischer Probleme, daß LoEB das Absterben kernloser Protoplasma- 1) MAx VERWoRNn, „Die physiologische Bedeutung des Zellkerns“. In PFLÜGERSs Arch. f. d. ges. Physiol., Bd. LI, 1891. 2) JACQUES LOEB, „Warum ist die Regeneration kermloser Protoplasmastücke unmöglich oder erschwert?“ In Arch. f. Entwickelungsmechanik, Bd. VIII, 1899. 3) SPITZER, „Die Bedeutung gewisser Nukleoproteide für die oxydative Leistung der Zelle“. In PFLÜGERS Arch., Bd. LXVII, 1897, S. 615. 56 5 Die Lokalisation der Atmung in der Zelle. 565 massen selbst als einen Verflüssigungsvorgang einer vorher festen Substanz auffaßt und daher die Behauptung vertritt, daß der flüssige Aggregatzustand der lebendigen Substanz eine „physikalische Un- möglichkeit“ sei. Hier sei nur konstatiert, daß nach den ganz übereinstimmenden Untersuchungen von BERTHOLD, BÜürscHL1, QUINckE, JENSEN und vielen anderen diese „physikalische Unmöglichkeit“ in der lebendigen Substanz dennoch ihre Realisierung gefunden hat und wenn Lozs die sehr eingehende neueste Arbeit über dieses Thema von Ruumeıer') in die Hand bekommt, so wird er dort auch den Weg genauer geschildert finden, auf dem die lebendige Substanz das, was seinem Ermessen „physikalisch un- möglich“ erschien, doch physikalisch möglich zu machen gewußt hat. Es ist eine sehr bedenkliche Kombination von Argumenten, die Loes zu dem Ergebnis führt, „daß der Kern das Oxydations- organ der lebenden Substanz sei und daß kernlose Zellstücke nur deshalb nicht im Stande sind zu regenerieren, weil in ihnen die Oxydationstätigkeit auf ein zu geringes Maß heruntergesunken ist“ Schließlich hat PROwAzER?) im Jahre 1902 Versuche an Infusorien und Eizellen veröffentlicht, in denen er durch Färbungen mit Neutralrot zu dem Ergebnis gelangte, dal auch im kernlosen Proto- plasma noch ein Verbrauch von Sauerstoff stattfindet. Die farblose Form des Neutralrot geht bei Anwesenheit von freiem Sauerstoff leicht in die rot gefärbte Oxyform über. Im Körper von Para- maecium und Colpidium färben sich gewisse Einschlüsse des Protoplasmas (Entoplasmakörnchen) rot, während der Kern unter gewöhnlichen Verhältnissen ungefärbt bleibt. Es wurden nun diese Infu- sorien zunächst mit Neutralrot gefärbt und dann in ausgekochtes Wasser gebracht, wo sie allmählich erstickten. Dabei trat eine Entfärbung der Entoplasmakörnchen ein. Wurde dann, ehe das Protoplasma abgestorben war, wieder Sauerstoff zugelassen, so färbten sich die Entoplasmakörnchen von neuem. Ebenso verhielten sich kernlose Teilstücke von Colpidium. An Seeigeleiern ergaben sich entsprechende Resultate. Prowazex kommt daher zu dem Schluß, „daß sowohl an apoplasmatischen (Gra- nula) wie auch an autoplasmatischen (Colpidium) Protoplasmastrukturen in einer charakteristischen Färbung sich kennzeichnende Oxydationen nach vorher- gegangenen Reduktionen (Paramaecium) eintreten können, obschon der Kern schon entfernt oder abgestorben war“. In den letzten Jahren ist von mir und meinen Schülern eine Reihe von Untersuchungen aus- geführt worden, die sich vielfach mit der Frage nach der Rolle des Sauerstoffes bei der Tätigkeit des Nervensystemes beschäftigen. Bei dieser Gelegenheit wurde eine Methode von uns benutzt, die es ge- gestattet, ein lebendiges Objekt in einer völlig sauerstofifreien Atmosphäre von reinem Luftstickstoff zu untersuchen. Diese Methode, die von H. von BarvEr°) genauer beschrieben ist, erfüllt mit peinlichster Genauigkeit alle Bedingungen, die man beim Arbeiten mit einem an sich vollkommen indifferenten und nur durch Abwesenheit von Sauerstoff wirkenden Medium stellen muß. Es erschien mir daher wünschens- wert, Versuche, wie ich sie im Jahre 1891 an Bursarıa im Wasserstoffstrom ausgeführt hatte, mit der neuen Methode zu wiederholen, besonders da ich mich gewisser Bedenken gegen die Verwendung von 1) RHUMBLER, „Der Aggregatzustand und die physikalischen Besonderheiten des lebenden Zellinhaltes“. In Zeit- schrift f. allgem. Physiologie, Bd. I, 1902 und Bd. II, 1903. 2) PROWAZER, „Studien zur Biologie der Zelle“ In Zeitschr. f. allgem. Physiologie, Bd. II, 1903. 3) H. von BArvEr, „Das Sauerstoffbedürfnis des Nerven“. In Zeitschr. f. allgem. Physiologie, Bd. II, 1903. 566 Die Lokalisation der Atmung in der Zelle. 566 Wasserstoff für alle Versuche, in denen es auf absolute Reinheit und Indifferenz der Gase ankommt, namentlich so empfindlichen Objekten gegenüber, nie recht habe erwehren können. Ich benutzte daher die Gelegenheit, als uns von meinem verehrten Kollegen Prof. RuumsgLer ein größeres Kulturgefäß mit Spirostomum ambiguum zur Verfügung gestellt wurde, neue Versuche in der genannten Richtung an diesem für physiologische Zwecke durch seine Größe so besonders geeigneten Infusorium anzustellen. An dem bis 2 mm langen fadenförmigen Spirostomum mit seinem deutlich sichtbaren rosen- kranzförmigen Zellkern lassen sich leicht vivisektorische Operationen ausführen. Für die Gewinnung kernloser Teilstücke eignet sich besonders der hintere Körperpol mit dem blasenförmigen Teil der Vakuole. Bis in diesen Teil des Zellkörpers reichen die Glieder des Zellkernes nicht hinab. Schneidet man ihn unter dem Mikroskop bei schwacher Vergrößerung mit einem scharfen Instrument, wie ich es für mikrovivisektorische Operationen aus einer geeigneten Nadel geschliffen seit langen Jahren benutze, ab, so kann man sicher sein, kernlose Zellstücke zu erhalten. Die Kernlosigkeit läßt sich in den meisten Fällen sofort direkt erkennen. Besteht noch ein Zweifel, so erledigt sich derselbe später beim körnigen Zerfall des Zellstückes, bei dem die Kernglieder stets dem Zerfall widerstehen und sich in dem losen Körnerhaufen, den das Protoplasma bildet, durch ihr starkes Lichtbrechungsvermögen auf den ersten Blick erkennen lassen. Die Operation gelingt bei einiger Uebung und Geduld trotz des rastlosen Umher- schwimmens und trotz des bei jeder Berührung erfolgenden Zusammenzuckens des Zellkörpers doch leicht in jeder beabsichtigten Schnittführung. Es ist aber besonders darauf zu achten, daß der Schnitt scharf senkrecht von oben nach unten ausgeführt wird, was wesentlich von der Güte des Instrumentes abhängt. Sind die Schnittflächen des Teilstückes nicht scharf und runden sie sich nicht sogleich voll- ständig ab, sondern hängen schleimige Fäden und Fetzen von zerfallenem Protoplasma daran, so ist die Prognose für die Lebensdauer des Stückes schlecht. Gewöhnlich unterliegen solche Zellstücke sehr bald dem körnigen Zerfall, während gut abgeschnittene kernlose Teilstücke leicht mehrere Stunden am Leben erhalten werden können. Es wurden nun für die Versuche immer eine Anzahl kernloser und kernhaltiger Teilstücke von verschiedener Größe mit intakten Individuen zusammen in einem möglichst kleinen hängenden Tropfen an einem Deckglas in eine einfache aus Glas geblasene Gaskammer gebracht. Das Deckglas wurde auf der oben mit einem geschliffenen Rande versehenen runden Oeffnung der Gaskammer mit Paraffın aufgeklebt und die Schlußfläche ringsherum sorgfältig mit dem gleichen Material abgedichtet. Die Gaskammer besaß zwei einander gegenüberliegende Ansatztuben für die Glasröhren bezw. Schläuche, durch die das Gas (Luft oder Stickstoff) zu und abgeleitet werden konnte. Die Gase wurden aus Gaso- metern genommen, die derartig mit der Gaskammer in Verbindung standen, daß stets ein momentaner Wechsel in der Durchströmung mit beiden Gasen erfolgen konnte. Der Stickstoff, obwohl vorher be- reits im Gasometer vollkommen von den letzten Spuren von Sauerstoff befreit, wurde vor dem Eintritt in die Gaskammer nochmals durch zwei Waschflaschen mit dem zur Sauerstoffabsorption benutzten Gemisch von ı Liter Kaliumnatriumtartrat (30 proz. Lösung) auf 200 ccm Ferrosulfat (40 proz. Lösung) und 200 ccm Kalilauge (60 proz. Lösung) hindurchgeleitet. Die Verbindungen waren überall durch Glas- röhren und nur an den Uebergangsstellen durch kurze Schlauchstückchen gebildet. Um ein Einströmen von Luft aus der Ausflußöffnung der Gaskammer zu verhindern, war diese ebenfalls mit einer Wasch- flasche verbunden, durch welche die ausströmenden Gasblasen entwichen. Bei jedem Versuch mit Stickstoff wurde nach Beschickung der Gaskammer mit den Objekten erst einige Minuten lang ein 6 Die Lokalisation der Atmung in der Zelle, 507 5 567 starker Stickstoffistrom durch die Kammer getrieben, der so schnell wie möglich allen Sauerstoff aus dem System verdrängte. Da die Experimente eine gleichzeitige ununterbrochene mikroskopische Beobachtung einerseits und eine stets momentane Bedienung der Gasometer, sowie Beobachtung der Zeiten andererseits erforderten, so hat mir Herr Dr. Pürrer, der in jener Zeit ebenfalls mit Gasen an Spirostomum arbeitete, freundlichst bei den Versuchen assistiert, wofür ich ihm an dieser Stelle meinen besten Dank sagen möchte. Auf diese Weise wurde eine Reihe von Versuchen angestellt, von denen ich nur einige Beispiele in Form des Versuchsprotokolls hier mitteilen möchte. Versuch I. Im Tropfen befinden sich ein größeres kernloses Teilstück, ein größeres und ein kleineres kernhaltiges und ein intaktes Individuum. Es wird Stickstoff durch die Kammer geleitet. Nach 3 Minuten zerfließt das kleinere kernhaltige Teilstück. Die Wimperbewegung in den anderen ist verlangsamt. Nach 4 Minuten stirbt das intakte Individuum. Nach 6 Minuten zerfließt das größere kernhaltige Teilstück. Die Wimperbewegung in dem kernlosen Teilstück steht still. Nach 7 Minuten zerfällt das kernlose Teilstück. Versuch II. Im Tropfen befinden sich ein etwas größeres kernloses und ein etwas kleineres kernhaltiges Teilstück des Hinterendes. Es wird Stickstoff durch die Kammer gelassen. Nach 3 Minuten beginnt das kernlose Stück langsam zu zerfallen, das kernhaltige zeigt ver- langsamte Wimperbewegung. Sofort Zufuhr von atmosphärischer Luft. Nach 3'/;, Minuten schon völlige Abrundung des im Zerfall begriffenen Stückes und voll- kommene Erholung. Wimpertätigkeit in beiden Stücken wieder lebhaft. Luft strömt andauernd durch die Kammer. Nach ıo Minuten Luft wieder durch Stickstoff verdrängt. Nach ı1'/J, Minuten zerfällt das kernlose Stück. Nach ı2'%, Minuten zerfällt das kernhaltige Stück. Versuch III. Im Tropfen befinden sich ein kernloses Teilstück, drei kernhaltige Stücke und ein ganzes Individuum. Das ganze System ist bei Beginn des Versuches noch mit Luft gefüllt. Die Luft wird durch Stickstoff verdrängt. Nach ı 2 Minuten zerfällt ein kernhaltiges Stück. Nach ı7 Minuten zerfällt das ganze Spirostomum. Die anderen Stücke zeigen verlangsamte Wimperbewegung. Nach 22 Minuten ist das kernlose Teilstück vollständig gelähmt. Es wird jetzt Luft durch- gelassen. Nach 22!J, Minuten völlige Erholung des kernlosen und der kernhaltigen Teilstücke. Sie schwimmen wieder lebhaft umher. Nach 25 Minuten die Luft schnell wieder durch Stickstoff verdrängt. Nach 28'/, Minuten Wimperbewegung des kernlosen Teilstückes wieder vollkommen gelähmt. Es wird wieder Luft zugelassen. 568 Die Lokalisation der Atmung in der Zelle. 568 Nach 29 Minuten vollständige Erholung des kernlosen Teilstückes sowie der kernhaltigen Stücke. Nach 31'/, Minuten Luft wieder durch Stickstoff verdrängt. Nach 34'/J, Minuten fast völliger Stillstand der Wimperbewegung bei allen Teilstücken. Es wird wieder Luft zugelassen. Nach 35 Minuten wieder Erholung der Wimperbewegung in allen Stücken. Nach 46 Minuten Luft wieder durch Stickstoff verdrängt. Nach 54 Minuten fast völliger Stillstand der Wimperbewegung in allen Teilstücken. Es wird wieder Luft zugelassen.' Nach 55 Minuten wieder vollständige Erholung. Die Teilstücke schwimmen wieder frei umher. Nach 58 Minuten Luft durch Stickstoff verdrängt. Nach 70 Minuten nur noch schwache Bewegung der Wimpern in den Teilstücken. Es wird wieder Luft durchgespült. Sofort erfolgt Erholung. Die Teilstücke bleiben jetzt in dem kleinen hängenden Tropfen der Kammer in Luft stehen. Nach ı45 Minuten zerfällt das kernlose Teilstück. Die beiden kernhaltigen zeigen nur noch schwache Wimperbewegung. Der Versuch wird abgebrochen. Alle übrigen Versuche ergaben einen völlig übereinstimmenden Erfolg. Es variierten nur die Zeiten, innerhalb deren Lähmung bezw. der Tod eintrat, je nach der Größe des Tropfens und der Schnelligkeit, mit der alle atmosphärische Luft aus dem System entfernt wurde Auch starben ge- legentlich schon bald nach Beginn des Versuches einzelne Teilstücke ab, bald kernhaltige, bald kernlose, indem sie (vermutlich infolge unscharfer Schnittführung bei der Operation) von der ÖOperationsstelle her zerfielen. Das passierte in Stickstoff sowohl wie in Luft. Im übrigen war kein Unterschied in dem Verhalten der kernlosen und kernhaltigen Teilstücke im Stickstoff bei dem gleichen Versuch zu be- merken. Beide Arten von Teilstücken verhielten sich gegen die Erstickung und die Luftzufuhr durchaus übereinstimmend. Die Wimperbewegung wurde bei beiden im Stickstoff nach kurzer Zeit gelähmt und durch Zusatz von Luft sofort wieder hergestellt. Stets verlief die Erstickung bei beiden Arten von Teilstücken so, daß dieselben zuerst sich ein wenig kontrahierten, die Kontraktilität ihrer Myoid- fäden verloren und ein bräunlich trübes Aussehen annahmen, etwas später dann ihre Wimperbewegung nach und nach verlangsamten bis zum völligen Stillstand, und schließlich, wenn nicht Luft zugeführt wurde, körnig zerfielen. Kurz das Verhalten der kernhaltigen und kernlosen Teilstücke bei Sauerstoffmangel war in jeder Beziehung übereinstimmend und ebenso auch übereinstimmend mit dem Verhalten intakter Individuen. Aus diesen Tatsachen ergeben sich einige wichtige Schlüsse für die Frage nach der Lokalisation der Atmung in der Zelle. Die Tatsache der Erstickung kernloser Zellstücke in einem sauerstofffreien Medium und vor allem die Tatsache der Erholung derselben bei erneuter Zufuhr von atmosphärischer Luft zeigt unzweideutig, daß im Protoplasma ein Sauerstoff- verbrauch stattfindet. Da wir uns ferner die Wimperbewegung wie alle Kontraktionsbewegungen (Protoplasmabewegung, Muskelbewegung) nicht ohne eine Zersetzung der lebendigen Substanz (Dissimilation) d. h. also auch nicht ohne Kohlensäurebildung sich abspielend denken dürfen, so ergibt sich aus der Tatsache 569 Die Lokalisation der Atmung in der Zelle. 569 des Verschwindens der Wimpertätigkeit bei der Erstickung und der Wiederkehr derselben bei erneuter Sauerstoffzufuhr der unvermeidliche Schluß, daß auch eine Kohlensäurebildung im Protoplasma der Zelle erfolgt. Aus der Tatsache, daß sowohl bei der Erstickung wie bei der erneuten Zufuhr von Sauerstoff die kernhaltigen Teilstücke der Zelle sich genau so verhalten wie die kernlosen, daß sie vorallem keine längere Lebensdauer bei Sauerstoffentziehung zeigen wie die letzteren, geht schließlich einwandsfrei hervor, daß der Zellkern weder ein Oxydationsorgan noch ein Sauerstoffdepot der Zelle sein kann, sondern daß die Atmung des Protoplasmas vom Zellkern unabhängig erfolgt. Soweit die Ergebnisse der Versuche. Damit ist zunächst die Lokalisation des Atmungsprozesses im Protoplasma unabhängig vom Zellkern erwiesen. Was die Versuche nicht direkt entscheiden, ist die Frage, ob etwa im Zellkern ebenso wie im Protoplasma eine Atmung stattfindet. Indessen hätte die Annahme, daß letzteres der Fall sei, doch wenig Wahrscheinlichkeit für sich. Eine positive Stütze läßt sich überhaupt nicht für eine solche Annahme finden. Vielmehr spricht schon die zentrale Lage des Kernes in der Zelle von vornherein sehr gegen die Lokalisation intensiverer Oxydationsvorgänge in diesem Zellbestandteil. Bei den Erstickungsversuchen an Spirostomum sind auch Veränderungen im Aussehen des Zellkernes nie zu beobachten, während die Beschaffenheit des Protoplasmas sich schon äußerlich tiefgehend verändert. Nach dem Zerfall des Protoplasmas bleibt der Zellkern in der Stickstoff- atmosphäre ebenfalls noch stundenlang ohne sichtbare Veränderung in dem Körnerhaufen erhalten. Schließlich hat Demoor') an Tradescantiazellen sowohl wie bei Leukocyten gefunden, daß die Lebenserscheinungen des Zellkernes (Teilung, Bewegung) in einer reinen Wasserstoffatmosphäre ungehindert weiter verlaufen, nachdem schon längst alle Tätigkeit des Protoplasmas gelähmt ist, so daß z. B. Kern- teilungen ohne entsprechende Protoplasmateilungen zu stande kommen. Wenn diese Tatsachen auch nicht einen direkten Beweis gegen die Annahme einer Atmung im Zellkern enthalten, so machen sie dieselbe doch sehr unwahrscheinlich. Sicher ist, daß im Protoplasma der Zelle Atmungs- prozesse stattfinden. Der Zellkern hat höchst wahrscheinlich überhaupt keine Atmung. 1) DEemoor, „Contribution & l’etude de la physiologie de la cellule (Ind&pendance fonctionelle du protoplasma et du noyau“). In Archives de Biologie, T. XIII, 1894, Liege 1894. Jenaische Denkschriften. XI. 72 Festschrift Ernst Haeckel. Ta Mr ar ' RA iR ei Zur Frage der Abstammung der Säugetiere. Max Fürbringer. I. der reichen Forschertätigkeit Ernsr Haeckeis nimmt die Frage der Genealogie der Lebe- wesen einen besonders breiten Raum ein. Er vor Allen hat damit die bisherige Systematik zu einer höheren Stufe erhoben. Sein nimmer ruhendes Streben, alle die mannigfachen Aufgaben der gegen- seitigen verwandtschaftlichen Beziehungen der Tiere, ihre Ableitungen und Abstammungen voneinander zu lösen und das hier bestehende Dunkel zu erhellen, hat eine Fülle von Fragen und Antworten ge- zeitigt und damit die Aufgaben der Zoologie und der Morphologie in einer früher ungeahnten Weise erweitert und vertieft. Seine Stammbäume dienten dazu, die Versuche der Lösung in anschaulicher Weise zur Ansicht zu bringen. Wie jede große und kühne Tat haben alle diese Arbeiten eine sehr verschiedenartige Beurteilung gefunden. Von vielen Spezialisten und den Steuermännern auf dem Lande als viel zu weit strebende und gefährliche Ausflüge in unerforschliche Regionen oder selbst als unnütze und zu einem guten Teile unrichtige Abwege bemäkelt, wurden sie für andere Forscher die Bahnen, welche nach den Centren der Erkenntnis hin gerichtet sind, deren Betreten unsägliche Arbeit erfordert, aber bei voller Hingebung ein großes Ziel vor Augen stellt und näher rückt. Havra geil Alles ist im Flusse, im ewigen Wechsel. In jeder Wissenschaft wird die Wahrheit von heute morgen durch neue Funde und Untersuchungen überholt. Viele aufgestellte Genealogien und Stammbäume, dem momentanen Bedürfnisse des jeweiligen Standes der Kenntnis dienend, mußten mit der fortschreitenden Forschung in zahlreichen Einzelheiten korrigiert, zum Teile selbst tiefgreifend umgestaltet werden. Diese Unvollkommenheit, dieser Wechsel wird bleiben, so lange es überhaupt Probleme gibt. Gerade durch den Wechsel dokumentiert sich der Fortschritt. Das Beständige und Zusammenhaltende in der Flucht der einzelnen Phasen der Forschung ist aber das angewandte Arbeits- prinzip. Dieses hat sich, meine ich, bewährt und wird bestehen. Unter den genealogischen Problemen, die durch Ernst HArcRerL namentlich in den Vordergrund gestellt wurden, hat sich die Entstehung und Abstammung der Säugetiere als ein besonders reizvolles und zugleich als ein solches erwiesen, das den bisherigen Lösungsversuchen Schwierigkeiten entgegen- gestellt hat, deren Ueberwindung noch in weiter Ferne liegt. Namentlich im letzten Decennium, ins- Anmerkung. Vorliegender Aufsatz ist der ganz unvollständige und nur eine beschränkte Auswahl darbietende Auszug aus einer umfangreicheren Abhandlung, welche infolge mehrerer dringender Hindernisse und sonstiger Ueberhäufung mit Arbeit nicht rechtzeitig für diese Geburtstags-Festschrift fertig gestellt werden konnte. Von jedem genaueren Verweise auf die Literatur wurde hierbei abgesehen. Es ist beabsichtigt, die ausführliche Abhandlung als Sonderschrift später, unter günstigeren Arbeitsverhältnissen, erscheinen zu lassen. Für heute sollen die nachfolgenden Seiten dem hochverehrten Jubilar zeigen, daß ihr Autor im Verein mit allen anderen Schülern HAECcKELs seines Geburtstages, eines Festtages für uns Alle, in dankbarer Freude gedenkt. Zur Frage der Abstammung der Säugetiere. 574 574 besondere auch seit seiner Behandlung auf dem Internationalen Zoologischen Kongreß in Cambridge im Jahre 1898, hat es, wie neben HaEcKEL unter anderem die Namen Cor, SEELEy, BAUR, OsBorn, HAACcKE, HUBRECHT, GEGENBAUR, MARSH, Kıngstev und GADow beweisen, eine erhöhte Aufmerksamkeit gefunden. Auch ich habe, vor einigen Jahren es nur leise streifend und wenig neues hinzufügend, seiner gedacht, seitdem aber Gelegenheit genommen, mich zum Teil an der Hand einiger älteren Untersuchungen von mir, eingehender mit ihm zu beschäftigen. Diese Beschäftigung hat mir zugleich gezeigt, daß ein Menschenleben nicht genügt, um die Aufgabe ihrer Lösung nahe zu bringen. Die gleiche Schwierig- keit haben auch Andere empfunden. Jede neue Untersuchung ließ neue Fragen entstehen, und jede neue Fragestellung deckte neue Lücken in unseren bisherigen Kenntnissen auf, die allmählich aus- zufüllen nur dem Zusammenarbeiten Vieler gelingen wird. So soll auch diese Untersuchung, von der hier bloß ein kurzer und teilweiser Auszug gegeben wird, nur ein Versuch sein, eine kurzlebige Phase, die recht bald von vollkommeneren Versuchen ab- gelöst werden möge. Als höchsten Erfolg wird sie betrachten, wenn sie einige Anregung gab und wenn es ihr wenigstens gelang, die rechte Richtung einzuschlagen und die rechte Arbeitsmethode zu erproben. Die Frage der Abstammung der Säugetiere hat Forscher und Laien seit alten Zeiten interessiert; zu einem wirklich wissenschaftlichen, d. h. auf eingehendere morphologische Untersuchungen gegründeten Problem wurde sie erst durch Huxrev, GEGENBAUR und HaAEckEL in den 60er Jahren des vorigen Jahrhunderts erhoben. Alle drei Autoren haben insbesondere auf genetische Beziehungen zu Amphibien, sowie auf mehrfache Differenzen gegenüber den Reptilien und Vögeln hingewiesen. HaArckEL (Generelle Phylogenie, 1866) ließ aus dem Stamm der Anamnia ın naher Nachbarschaft der sozuren Amphibien den Stammast des Protamnion entstehen und nach kurzem phylogenetischen Entwickelungs- gange sich in die beiden Hauptzweige der Monocondylia (Sauropsida Huxrey) und Dicondylia (Mammalia) teilen. Diese Anschauungen gewannen bald zahlreiche Anhänger und mancherlei weitere Fundierung. Namentlich unter dem Einflusse von Cops zahlreichen Arbeiten (seit 1878) kam nach und nach eine andere Richtung zur Geltung, welche in den theromorphen Reptilien die mehr oder minder direkten Vorfahren der Säugetiere erblickte. Bereits zuvor hatte Owen (1862, 1876) einige anatomische Aehnlich- keiten zwischen beiden Abteilungen angegeben. Der Copzschen Anschauung wurde durch Baur (1886 1888) eine Korrektur zu Teil, dahin gehend, daß kein bekannter Theromorphe (Anomodontier) der Vor- läufer eines Säugers sein könne, daß aber beide sehr nahe Verwandte und von gemeinsamen Vorfahren, den Sauromammalia, abzuleiten seien. Aehnliche Auffassungen wie Baur vertrat fast gleichzeitig mit ihm der genaueste Kenner der Anomodontia, SEELEY. In der Folgezeit haben sich ungemein zahlreiche Untersucher mit dieser Frage beschäftigt und sich bald für nähere Beziehungen zu den Anomodontia (in Anlehnung an CorE oder an Baur) oder mehr im Huxıeyschen Sinne gegen diese Relationen ausgesprochen. Nur einige wenige Namen seien hier angeführt als Befürworter anomodonter bezw. reptilischer Verwandtschaften: OsBorRn, HAACKE (1888, um später diese Beziehungen nicht mehr zu vertreten), CasE, SMITH WoODWARD, GADOW, BEDDARD; — als Gegner derselben und zum Teil unter Betonung näherer Anschlüsse an Amphibien: Marsh, KÜRENTHAL, HUBRECHT, MAURER, KLAATSCH, GEGENBAUR, KINGSLEY, FÜRBRINGER, GÖPPERT. Unter den weiteren Ausbauern zu Gunsten der Verwandtschaft mit den Anomodontia sind namentlich von CoPpE, SEELEY und OsBoRN zahlreiche Dokumente vielfacher und weitgehender Ueber- 575 Zur Frage der Abstammung der Säugetiere. Sn einstimmungen des Baues der Anomodontia (insbesondere der Cynodontia und Gomphodontia) und Mammalia herbeigebracht worden. SEELEY (1900) hat die ersteren mit den Monotremen zu den Theropsida vereinigt und angegeben, daß die Entfernung der Anomodontia von den Mammalia nicht weiter als diejenige der Monotremen von den Eutheria sei. OsBorn hat darauf hingewiesen, daß ein unbekannter kleiner insektivorer Anomodontier als Stammvater der Säugetiere anzusprechen sei. Haecker hat unter dem Einflusse dieser Funde eine Zeit lang gleichfalls nähere genealogische Beziehungen zu den Theromorphen für wahrscheinlich gehalten, danach aber (Systematische Phylogenie 1895) nur ein kürzeres Zusammengehen der Vorfahren der Reptilien und Mammalia unter Aufstellung der Entwickelungsreihe: 1) carbonische Progonamphibien (Stegocephalen), 2) permische Proreptilien (Protamnioten, Tocosaurier), 3) permische und triassische Sauromammalien (Hypotherien) und 4) triassische Promammalien (Architherien) betont. In seiner neuesten Veröffentlichung (Anthropogenie 1903) hat er eine ungemein frühe Sonderung der Säugetiere von der gemeinsamen Wurzel hervorgehoben und ist damit im Wesentlichen zu seiner ursprünglichen Anschauung von 1866 zurückgekehrt FLoweEr und LyvDERKER (1891) betonten die Wahrscheinlichkeit einer Abzweigung der Mammalia von Stegocephalen gerade zu der Zeit, als aus diesen auch die Reptilien (Theromorphen) hervorgingen; ähnlich WEBER (1904), der eine Abstammung von ausgestorbenen primitiven Reptilien für zulässig hält, deren Körper jedoch noch sichtbare Merkmale besaß, durch die er sich primitiven Amphibien anschloß. GEGENBAUR (1898) gab eine Ableitung von Amphibien an, oder auch von Urzuständen der Reptilien, die uns noch unbekannt sind. Auch ich (1900) gelangte zu verwandten Anschauungen, indem ich mich für die Annahme eines sauropsiden und eines mammalen Hauptzweiges entschied, welche bereits im Carbon oder Devon von einem Stocke tieferstehender streptostyler Tiere von der Organisationsstufe niederer Amphibien sich abzweigten. Dabei hob ich zugleich hervor, daß von solchen aus morpho- logischen Gründen zu postulierenden streptostylen Amphibien oder Proamphibien (die ın Tieren noch unerschlossener Organisation sich möglicherweise in der Sammelgruppe der „Stegocephalen“ versteckten) bisher nicht der geringste reelle Rest bekannt geworden sei, denn was bisher als Amphibien angesprochen worden, seien durchweg monimostyle, also schon einseitig höher entwickelte Formen als jene hypo- thetischen streptostylen Proamphibien. Zu ähnlichen Resultaten hinsichtlich des Abganges der Sau- ropsiden und Säugetiere von primitiven Amphibien kam auch GÖöPrPERT (1901— 1903). Auch ein diphyletischer Ursprung der Säugetiere wurde behauptet, wobei einzelne Autoren so weit gingen, die Protheria (Monotremata) von Reptilien, die Metatheria und Eutheria (Marsupialia und Placentalia) von Amphibien abzuleiten. Sehr viele Autoren haben bald auf diese, bald auf jene mehr an Amphibien oder mehr an Reptilien erinnernde Organisation hingewiesen, ohne aber damit tiefer greifende systematische Schlüsse zu ziehen. Unter diesen Arbeiten nehmen neben vielen anderen ausgezeichneten die von GaupP über den Schädel und von Semon über die Eihüllen eine hervorragende Stelle ein, beide zu Gunsten reptilischer Verwandtschaften. Auch haben manche Untersucher ihre genealogischen Anschauungen geändert, je nachdem dieser oder jener neue Fund ihnen dazu Anleitung gab und neue Perspektiven entstehen ließ — ein Wechsel, der angesichts des noch unfertigen Standes der Frage und der widersprechenden Angaben der Beobachter hinsichtlich des tatsächlichen, insbesondere in unserem paläontologischen Wissen, durchaus erklärlich und entschuldbar ist. Unter anderem sei daran erinnert, wie tiefgreifende Umwandelungen z. B. unsere Kenntnisse betreffend den Bau und die Systematik der Theromorphen (Anomodontier) erfahren haben, wie von dieser einst so stattlichen Abteilung nach und nach die Mesosaurier, Pelycosaurier, Cotylo- 576 Zur Frage der Abstammung der Säugetiere. 5 76 saurier (Pareiosaurier) und Procolophonier entfremdet wurden und wie bereits die Anzeigen einer weiteren Verminderung ihres jetzigen Besitzstandes vorliegen. Die Frage der Abstammung der Säugetiere steht somit zur Zeit von einer einheitlichen Beant- wortung ferner als je. Selbstverständlich ist sie nur durch eine genaue vergleichend-anatomische und vergleichend-ontogenetische Behandlung unter eingehender Berücksichtigung der paläontologischen Formen lösbar, und selbstverständlich muß diese Vergleichung auf gesicherter und gesichteter morphologischer Grundlage geführt werden, wobei die Homogenien mit Aufwand aller unserer Forschung verfügbaren Hilfsmittel zu bestimmen und scharf von den Analogien und Isotimien zu unterscheiden sind. Nur mit so gewonnenen morphologischen Materialien sind einigermaßen gesicherte taxonomische Resultate zu erwarten. Zur Zeit eilt der Wunsch der Ausführung noch weit voraus. Naturgemäß tritt die vergleichende Betrachtung und Beurteilung der Hartgebilde (Skelettsystem, Verknöcherungen des Integumentes, Zähne) wegen der hier allein möglichen direkten Heranziehung der paläontologischen Formen in den Vordergrund. Sie darf sich aber auf dieselben nicht beschränken, sondern muß auch die Weichteile in Betrachtung nehmen, will sie sich nicht sehr wichtiger Instanzen berauben. Handelt es sich hier auch nur um sichere Vergleichungen innerhalb des beschränkteren Kreises der lebenden Tiere, so fällt von da doch viel Licht auf die Vorgeschichte, wodurch manches erhellt wird, was ohne jene Bezugnahme dunkel bleiben müßte. I. Rumpftskelett. Das Rumpfskelett ist vielfach für die Frage der Abstammung der Säugetiere verwertet worden. Insbesondere wurden hierbei die Zusammensetzung der Wirbel, das Vorkommen der Intercentra, die Wirbelzahlen in den einzelnen Abschnitten der Wirbelsäule, die Sakralbildungen, die Art der Rippen- verbindungen und die sternalen Konfigurationen berücksichtigt, und zwar meist im Sinne von mehr oder minder nahen Verwandtschaften mit den Anomodontia (OwEn, CoPE, BAUR, SEELEY, OSBORN, GADOW u. v. a.). Gapow insbesondere hat in der Anwesenheit oder Abwesenheit der Interdorsalia (Pleurocentra) ein charakteristisches Differentialmoment zwischen Amphibien und Amnioten (Sauropsiden und Säugern) gefunden, durch dessen Anwendung er, in teilweiser Uebereinstimmung mit SEELEy, gewisse bisher ge- meinhin zu den Stegocephalen gerechnete Formen (den riesigen ganz kurz geschwänzten Eryops und den nicht viel kleineren lang geschwänzten Cricotus) zu den Amnioten brachte und in ihnen die Ver- treter der Urreptilien (Proreptilia) erblickte. Auch die Frage der Intercentra (Basiventralia GApows), sowie die Ableitung der Amniotenwirbel von lepospondylen oder von temnospondylen Wirbeln der Anamnia ist vielfach behandelt worden, u. a. von CopE, Baur, GADow, ÖOsBorn, Hay, zum Teil auch Howes, vorwiegend im Sinne der zuletzt erwähnten Wirbelbildungen. Ich bringe diesen Arbeiten eine nicht geringe Anerkennung entgegen, kann aber die ganze Frage noch nicht einmal betreffs des morpho- logischen Verhaltens als abgeschlossen betrachten, wobei ich zugleich auf die entgegenstehenden onto- genetischen Beobachtungen GoErrEs und die Bemerkungen GEGENBAURS verweise. Mit Max WEBER darf man hier erst die morphologischen Nachweise verlangen, ehe an eine taxonomische Verwertung zu denken ist. Auch die anderen oben angegebenen Bildungen versprechen bei weiterer Durcharbeitung manche systematischen Aufklärungen. Eine wirklich ausschlaggebende Bedeutung im Sinne spezifischer Verbände zwischen Anomodontia und Mammalia erscheinen sie mir jedoch fürs erste nicht zu besitzen, indem sie bald da, bald dort auch bei anderen Reptilienordnungen sich finden, darunter auch bei solchen, welche 577 Zur Frage der Abstammung der Säugetiere. Sal auf Grund der neueren taxonomischen Arbeiten den Anomodontien fern stehen oder von ihnen abzu- trennen sind (Tocosaurier HaEcKELs, manche Diapsida Osporns). In dem Verhalten des Rumpfskelettes sich aussprechende Beziehungen zu noch primitiveren Tieren (Amphibien) sind aber auch nicht aus- zuschließen. Gewisse entferntere Homologien sollen nicht geleugnet werden; bei vielen Aehnlichkeiten handelt es sich aber um Analogien (parallele Entwickelungsgänge) und Isotimien (annähernd gleich hohe Entwickelungshorizonte), wodurch intimere verwandtschaftliche Verbände nur vorgetäuscht werden. Es wird noch vieler Arbeit bedürfen, ehe auf diesem Gebiete gesicherte und eindeutige syste- matische Folgerungen von größerer Bedeutung gezogen werden können. Il. Kopfskelett. Vermöge seiner spezifischen Prägung erweist sich das Kopfskelett in hohem Grade geeignet, um Aufklärungen über die gegenseitigen Verwandtschaften zu gewähren. Dementsprechend ist es seit langer Zeit auch für die vorliegende Frage mit Vorliebe benutzt und zum Teil recht gründlich durchgearbeitet worden. Aus der Fülle der hierher gehörigen Probleme greife ich für jetzt nur einige heraus. I. Occipitale Condylen. So lange überhaupt Zootomie getrieben wird, weiß man, daß die Amphibien und Säugetiere durch 2 paarig angeordnete Condyli occipitales, die Sauropsiden dagegen durch einen mehr zusammen- hängenden bezw. unpaaren Condylus occipitalis gekennzeichnet sind. Insbesondere Cuvier und MECKEL haben schon vor fast 100 Jahren zum Teil recht eingehende Angaben über dieselben gemacht. HuxLey (1864— 1880) vor allen hat in diesem Verhalten ein wichtiges Differenzialmerkmal zwischen Sauropsida und Mammalia gefunden und zugleich auf nähere Beziehungen der letzteren zu den Amphibia hin- gewiesen; HAECKEL (1866) hat die Sauropsiden und Säuger als Monocondylia und Dicondylia determiniert. Daran hat sich eine ungemein reiche Literatur angeschlossen, aus der insbesondere die Arbeiten von CoPE, ALBRECHT, SIRECKER, BAUR, HowEs, CALORI, SEELEY, SIEBENROCK, GEGENBAUR, GAUPP, KingsLey, OsBoRNn, E. FISCHER, GADoWw, ANDERSON hervorgehoben seien. Dieselbe hat sich bis in die letzten Jahre fortgesetzt und ist zu recht abweichenden Resultaten gelangt. Von einigen Autoren (insbesondere Howes, FÜRBRINGER, KınGsLey) wurde auch die taxonomische Bedeutung dieses Merk- males als ziemlich gering bewertet. Nach und nach hat sich zugleich die Frage einigermaßen ver- schoben, indem man mehr und mehr den Schwerpunkt auf die Zusammensetzung der Condylen aus den basilaren und lateralen (exoccipitalen) Bestandteilen des Occipitale, sowie auf die Form und Art der Wölbung der einfachen Condylen der Sauropsiden legte und damit den von Huxrey und HAEckEL betonten Gegensatz zwischen Sauropsiden und Säugern einigermaßen verwischte. Man konnte zeigen, daß die Condylen mancher Sauropsiden bezw. gewisser Entwickelungsstadien derselben nur vom Basi- occipitale gebildet seien (Cotylosaurier, Ichthyosaurier (?), gewisse Plesiosaurier, Mehrzahl der Crocodilier, meiste Vögel), daß aber bei der weitaus überwiegenden Mehrzahl basi- und exoccipitale Elemente sich zu ihrer Bildung vereinigten, wobei nicht immer der basioccipitale Anteil überwog, sondern in gewissen Fällen gegen die exoccipitalen Komponenten zurücktrat (viele Testudinata, mehrere Anomodontia) oder selbst ganz von der Beteiligung am Condylus ausschied (einzelne Testudinata, z. B. Sternothaerus Pelomedusa, gewisse Spezies von Testudo, ferner einzelne Cynodontia und vielleicht auch Gomphodontia). Man wies ferner auf die bekannte Tatsache hin, daß weitaus bei den meisten Mammalıa das Bası- occipitale einen zwar gegen das Exoccipitale zurücktretenden, aber mitunter ziemlich erheblichen Anteil Jenaische Denkschriften. XI. 73 Festschrift Ernst Haeckel. 578 Zur Frage der Abstammung der Säugetiere. 57 8 der Condyli bilde. Weiterhin konnte man zeigen, daß, zum Teil im Verband mit dieser Zusammensetzung, einerseits der unpaare sauropside Condylus keineswegs immer eine kugelige Wölbung bilde, sondern sehr häufig eine herzförmige oder nierenförmige (Sphenodon, viele vornehmlich tiefer stehende Lacertilier, gewisse Ophidier und Vögel, namentlich in jüngeren Stadien) oder dreilappige bezw. zweilappige Form zeige (gewisse Lacertilier, namentlich aber Testudinata und Anomodontia), während andererseits die paarigen mammalen Condyli in vielen Fällen (Monotremen, aber auch viele andere Gattungen der Placentalier) sich mehr oder minder, selbst bis zur Berührung in der Mittellinie näherten. Namentlich die zweilappige Form des Condylus gewisser Anomodontia wurde von einzelnen Autoren mit den paarigen zu naher Nachbarschaft ge- kommener Condylen gewisser Mammalia verglichen. In Wirklichkeit machen sie in ihrer ganzen Lage zum Foramen occipitale einen grundverschiedenen Eindruck. Auch wurden hierbei Entwickelungsgänge angenommen, die nach den einen (SEELEy, OSBORN, GAUPP u. a.) vom monocondylen bezw. dreiteiligen Typus zum dicondylen, nach den anderen (ALBRECHT, GEGENBAUR, GADOW u. a.) vom dicondylen zum monocondylen führten. Dazu kam die alte Beobachtung, wonach beim Menschen und bei Säuge- tieren (namentlich Edentaten) auch kleinere zwischen den beiden Condylen liegende unpaare oder paarige Gelenkfächen als Varietät oder als regelmäßiges Vorkommen existieren. ALBRECHT, namentlich aber Gaupp haben hinsichtlich dieser Frage manches beigetragen und aufgehellt, wie auch E. FıscHhErs be- deutsamer Fund der einheitlichen atlanti-occipitalen Gelenkverbindung in Gestalt eines ausgedehnten, das Foramen occipitale ventral umkreisenden Bogens bei Säugerembryonen (Talpa) sich als fruchtbar erwies. Ich habe die meisten dieser Angaben nachuntersucht und kann sie zumeist bestätigen und durch weitere Befunde vervollständigen. Hinsichtlich der Vergleichung und gegenseitigen Ableitung des mono- condylen und dicondylen Typus befinde ich mich an der Seite von GEGENBAUR und Gapow, will aber nicht ableugnen, daß auch in einzelnen und auf engere Kreise beschränkten Fällen eine retrograde Entwickelungsrichtung (im Sinne SEELEYS, OsBORNS und GAurps) stattfinden kann. In der Hauptsache habe ich mich aber bereits vor 4 Jahren dahin ausgesprochen, daß der vor- liegende Differentialcharakter nicht überschätzt werden dürfe, daß die Dicondylie der Amphibien wegen der von den Amnioten abweichenden Zusammensetzung ihres Occipitale (Assimilation einer geringeren Zahl von Wirbeln in den amphibischen Schädel als bei den Amnioten) nicht ohne weiteres mit derjenigen der Säugetiere verglichen werden dürfe und daß eine absolute Differenz zwischen Sauropsiden und Mammalien in dieser Hinsicht nicht existiere.. Damit liegt mir aber fern, einer direkten Vergleichung des zweilappigen Condylus der Anomodontia mit den paarigen Condylen der Mammalia das Wort zu reden. Der gomphodonte und cynodonte Condylus stellt sich vielmehr an die Seite des zweilappigen Condylus gewisser Lacertilier und Testudinaten und geht hinsichtlich seiner Zusammensetzung keinen Schritt über den rein exoccipitalen Condylus von Sternothaerus und Pelomedusa hinaus, weicht aber ın seinem besonderen Verhalten und insbesondere mit seiner geringen Ausdehnung an der occipitalen Hinterfläche ganz erheblich von den weitgespannten Condyli der Säugetiere ab. Auf dieses von den meisten Neueren ignorierte Verhalten möchte ich den Schwerpunkt legen, und ich befinde mich hierin mit MECKEL, SIRECKER und WEBER in Uebereinstimmung. Auch will ich nicht unerwähnt lassen, daß bereits MECKEL die stärkere Entwickelung des Gehirns der Mammalia als Grund für die weit aus- einander weichenden Condyli desselben anführt, eine Angabe, die indessen noch zur Diskussion steht. WEBER erblickt in der dadurch bedingten Exkursionsmöglichkeit des Kopfes der Säugetiere den Fort- schritt. Zu der weiten Spannung der mammalen Condylı steht auch die erhebliche Breitendimension des Atlas in Korrelation. Bei den Säugetieren tritt derselbe — von einigen als sekundär zu erklären- den Abweichungen bei Edentaten und Cetaceen abgesehen — bekanntlich als breitester Wirbel des Halses 3 Zur Frage der Abstammung der Säugetiere, 319 _ © 9 hervor, während er bei den Sauropsiden viel schmäler ist und in der Regel (neuere Angaben von Broom über die Verhältnisse bei gewissen Gomphodontia liegen mir noch nicht klar) von den folgenden Wirbeln an Breite übertroffen wird. Ich stelle damit die Dicondylie der lebenden Amphibien — für die Mischgruppe der „Stego- cephalen“ ist noch viel zu untersuchen — dem höher ausgebildeten Verhalten bei den Amnioten gegen- über, unterscheide aber bei diesen eine Stenocondylie der Sauropsiden und eine Eurycondylie der Mammalier als Zeichen einer primitiven Trennung resp. sehr frühen Sonderung beider Klassen. 2. Temporalregion. Die Temporalregion des Schädels hat gleichfalls seit den Anfängen der vergleichenden Anatomie die Untersucher in zunehmendem Grade beschäftigt. Cuvier und Mecker haben bereits darauf auf- merksam gemacht, daß diese Gegend bei den verschiedenen Wirbeltieren, insbesondere Amphibien und Reptilien, bald durch ein geschlossenes, bald durch ein einfach oder mehrfach durchbrochenes Dach gekennzeichnet sei, daß man danach eine oder zwei temporale Gruben unterscheiden könne, welche in sehr wechselnder Weise nach vorn (Orbitalregion) oder nach hinten (Occipitalregion) geschlossen oder geöffnet seien. Dementsprechend wurden auch ein oder zwei longitudinal von der Orbitalgegend nach der hinteren Schläfengegend resp. Occipitalgegend reichende Bogen, Schläfenbogen oder Jochbogen (Arcaden, Brücken), und zwei transversal gerichtete Bogen, ein vorderer orbitaler und ein hinterer parieto- mastoidaler, unterschieden. In zahlreichen Fällen können der eine oder der andere dieser Bogen, häufig auch mehrere oder selbst alle fehlen, wodurch die betreffende Schläfengegend des Schädels einen mehr oder minder unbedeckten Charakter gewinnt. Zahlreiche spätere Autoren, von denen vor allen Owen, Gray, Huxıey, DoLLo, GEGENBAUR, BOULENGER, SEELEY, CoPE, BAUR, SIEBENROCK, (GAUPP, ÖSBORN, WOODWARD, Case, BROOM genannt seien, haben dieser alten Kenntnis eine Fülle neuer Funde, namentlich auch an fossilen Tieren, zugefügt, die bezügliche Theorie weiter ausgebildet und die betreffende Nomenklatur erheblich bereichert. Gaupp hat die verschiedenen Ausbildungszustände der mit geschlossenem Dache versehenen oder der von gesonderten Schläfenbogen überbrückten oder der unbedeckten Temporalregion mit den guten und entsprechenden Namen Stegokrotaphie, Zygokrotaphie und Gymnokrotaphie bezeichnet und bei der Zygokrotaphie, je nachdem es sich hier nur um einen oder um zwei Schläfenbogen handelt, eine Monozygokrotaphie und eine Dizygokrotaphie unterschieden; ich fügte zur Kennzeichnung jener Fälle, wo von zwei Schläfenbogen nur ein oberer oder nur ein unterer vorhanden ist, noch die Termini Anazygo- krotaphie und Katazygokrotaphie hinzu. Der obere und untere Schläfenbogen des dizygokrotaphen Schädels wurden als supratemporaler (postfronto-squamosal) und als infratemporaler (quadrato-jugal) Bogen, die über und zwischen ihnen liegenden Fossae temporales als obere oder supratemporale und als untere oder infratemporale (latero-temporale) Grube, die die betreffende Gegend vorn und hinten abgrenzenden Querbogen bezw. Querbrücken als postorbitale und als parieto-squamosale (occipitale) bezeichnet. Von zahlreichen anderen Nomenklaturen sei hier abgesehen. CorE erwiesen sich jene Bogenbildungen am Reptilienschädel so eindrucksvoll, daß er eine große Gruppe von allerdings recht heterogenen Ordnungen mit besonders gut ausgebildeten Bogen in der hybriden Bezeichnung Archosaurier zusammenfaßte '). ı) Für die betreffenden Saurier hätte der Name „Toxosaurier“ gebraucht werden müssen. Ich übernahm 1900 die Copesche Bezeichnung Archosaurier in einem linguistisch richtigeren Sinne, indem ich mit derselben die am höchsten entwickelten und auch genealogisch mehr zusammengehörenden Reptilien, die „Vornehmsten“ derselben (Crocodilier, Dino- saurier und Pterosaurier) zusammenfaßte und aus der alten Copeschen Sammelgruppe ausschied. 73* 580 Zur Frage der Abstammung der Säugetiere. 5 8o Als Ausgangspunkt für die verschiedenen Formen wurde von den Meisten die Stegokrotaphie angenommen; aus dieser entwickelte sich durch einfachen dorsalen Durchbruch des zusammenhängenden Daches (Entstehung der supratemporalen Fossa) der monokrotaphe Schädel, durch weiterhin dazu- kommenden Durchbruch in dem einfachen Schläfenbogen (Entstehung der infratemporalen Fossa) der dizygokrotaphe Schädel; endlich kam es durch sehr verschiedenartige Zwischenstufen hindurch zur Reduktion des einfachen oder nur des oberen oder nur des unteren oder des doppelten Schläfenbogens zur Katazygokrotaphie, Anazygokrotaphie und Gymnokrotaphie. Einige Autoren (z. B. OsBorn und Case) hielten auch die Frage offen, ob der einfache Schläfenbogen das ursprüngliche Verhalten darbiete oder ob er von dem doppelten Schläfenbogen durch Zusammenschluß der oberen und unteren Spange abzuleiten seı. Gaupp war nicht geneigt, jenen von der überwiegenden Mehrzahl der Autoren angenommenen Entwickelungsgang von der Stegokrotaphie zur Zygokrotaphie und Gymnokrotaphie ohne weiteres anzunehmen, und betonte auch die Möglichkeit umgekehrter Entwickelungsrichtungen. Auch ich habe zur Vorsicht geraten. Gewiß kann man von einer aus zahlreichen Knochenplatten bestehenden Schläfen- decke ausgehen, aus welchen die verschiedenen Längs- und Querbogen sich herausdifferenzierten, und in vielen Fällen die Rarefikation und den schließlichen Schwund dieser Bogen durch Reduktionsvorgänge erklären. Aber jenen zu postulierenden primordialen Zustand der bedeckten Temporalregion halte ich nicht für identisch mit der festgefügten schweren Bedachung, wie sie die Mehrzahl der uns bekannten stegokrotaphen Tiere (Stegocephalen, Gymnophionen, Cotylosaurier, gewisse Testudinaten u. s. w.) darbietet. Bei diesen liegt meines Erachtens in den weitaus meisten Fällen bereits ein vorgeschrittener Grad einseitiger Differenzirung vor, von der eine Zygokrotaphie mir nicht mehr ableitbar erscheint. Auch zeigen unter anderen die Testudinaten und Lacertilier in ihrem sehr interessanten Detail ungemein wechselvolle Ver- hältnisse in der Ausbildung ihrer Schläfenbogen und Schläfenbedeckungen, welche bald an Rarefizierungen, bald an sekundäre und recht verschiedenartig erfolgende Zusammenschlüsse, bald an neu auftretende Generationen von Bedachungen denken lassen. Unter den Lacertiliern z. B. sind bei den am tiefsten stehenden Abteilungen derselben, den Geckotiden, die betreffenden Temporalgebilde äußerst grazil oder fehlen, bei den höher stehenden Scincoiden, Lacertiliern u. a. tritt eine sekundäre noch mit dem Integument verbundene Ueberdachung der Augenhöhle und Schläfengegend auf. Solche Veränderungen innerhalb engerer Abteilungen, deren genealogische Verhältnisse geklärt vorliegen, sind besonders lehrreich. Noch beweisender für die sekundäre Bedeutung gewisser stegokrotapher Formen erweisen sich die Gymnophionen, deren Schädel ein aus zarten Spangen gewebtes, d. h. ein zufolge des Eindringens der Deckknochenmassen zu schlanken Trabekeln rarefiziertes und während der Ontogenese noch weiterhin sich rarefizierendes Primordialcranium aufweist, während dasjenige der zygokrotaphen resp. gymno- krotaphen Anuren und Urodelen noch aus kompakterem und mehr zusammenhängendem Knorpel besteht (PETER, GrAUPpP). Leicht kann der Paläontolog dazu geführt werden, aus dem ihm gerade vor Augen liegenden und natürlich quantitativ und qualitativ recht beschränkten fossilen Materiale Entwickelungsgänge zu konstruieren, ohne hierbei den Anforderungen der Morphologie ausreichend Rechnung zu tragen und ohne genügend zu berücksichtigen, daß eine ungleich größere Fülle von Formen, vielleicht in recht zerstörtem Zustande, noch in der Erde liegt, welche erst als wirkliche Ausgangsformen anzusprechen sind. Zahlreiche irrige Schlüsse sind bereits auf diese Weise zu stande gekommen, zahlreiche werden noch entstehen. — Ich befürworte als Ausgang einen Schädel mit zusammenhängender, aber leicht ge- 5 Sı Zur Frage der Abstammung der Säugetiere. 581 fügter Schädeldecke, von welchem aus einerseits die schwerer bedeckten, andererseits die mit kräftigeren oder schlankeren Bogen versehenen Formen entstanden. Ein taxonomischer Fortschritt höherer Art knüpft sich namentlich an die Arbeiten von Baur, Case, WoopwarD, BRoom und OsBorn (im Verband mit seinem Schüler Mc. Grecor). Hier wird auf breitester Grundlage bei allen Amnioten, die genealogische Bedeutung der Differenz des mono- zygokrotaphen und dizygokrotaphen Schädels als eine — trotz gewisser Zwischenformen — durch- greifende erkannt. OsBorNs jüngste Einteilung der Reptilien in die beiden Subklassen der Synapsida (mit den -Cotylosauria, Anomodontia, Testudinata und Sauropterygia) und der Diapsida (mit den Diapto- sauria, Phytosauria, Ichthyosauria, Crocodilia, Dinosauria, Squamata und Pterosauria) gibt dem Ausdruck. Zugleich läßt OsBorn von den Synapsida die Mammalia, von den Diapsida die Aves entstehen. Wenn meine systematischen Auschauungen auch in manchen Punkten mit diesem Reptiliensystem nicht ganz übereinstimmen (namentlich hinsichtlich der Diapsida scheint mir eine Gliederung in die drei Gruppen: ı) Squamata; 2) Diaptosauria und Ichthyosauria; 3) Phytosauria, Crocodilia, Dinosauria und Pterosauria angezeigt; auch betreffs der scharfen Trennung der beiden Subklassen dürften die Akten noch nicht ge- schlossen sein), so verkenne ich doch nicht die hohe Bedeutung dieser wohl durch Baur (1894) und Woop- WARD (1898) vorbereiteten, aber durch Ossorn und seinen Schüler (1902, 1903) gründlich durchgearbeiteten Aufschlüsse und ich stimme ihnen gern in sehr vielem wesentlichen bei. Auch für mich ist, um mich für jetzt auf die Synapsida zu beschränken, die verwandtschaftliche Reihe der Cotylosauria, Anomo- dontia, Testudinata und Sauropterygia durchaus annehmbar. Bereits 1900 habe ich zum Teil in Ueber- einstimmung namentlich mit Baur, auf die nahen Beziehungen zwischen Testudinata und Sauropterygia hingewiesen und gewisse, obschon nicht nahe verwandtschaftliche Relationen zwischen Anomodontia und Testudinata anerkannt, wenn auch nicht im Sinne Copes, Zrrreis und Harckers, die bekanntlich die Testudinata von den Anomodontia (namentlich Dicynodontia) ableiteten resp. speziellere Verwandtschaften zwischen ihnen annahmen. Dem kann ich, nach einer nochmaligen Durcharbeitung dieser Frage, auch jetzt nicht zustimmen; doch bin ich geneigt, die Relationen zwischen Anomodontia und Testudinata etwas enger zu ziehen als früher. Auch der mammale Schläfenbogen, der von GaupP als oberer, von GEGENBAUR als unterer aufgefaßt wird, zeigt mir nach dem Vorgange von Baur und OsBorN gewisse fundamentale Uebereinstimmungen mit dem der Synapsida. Ich halte sonach die Mammalıa, gerade so wie die beiden zuletzt genannten Autoren und wenn ich recht verstehe auch Rapr (1903), weder für anazygokrotaphe, noch für katazygokrotaphe, sondern für monozygokrotaphe Tiere. Dieser synapside (monozygokrotaphe) Schläfenbogen besteht bekanntlich im wesentlichen — von allem Detail und von der mannigfaltigen Nomenklatur sei hier abgesehen — aus dem Postfrontale (Postorbitale), Squamosum (Squamosum, Prosquamosum, Supratemporale), Jugale (Zygomaticum) und Quadratojugale (Paraquadratum), die zumeist durch Naht miteinander verbunden sind. Hierbei können die einzelnen Komponenten eine höchst wechselnde Größe, Ausdehnung und gegenseitige Lage, sowie auch synostotische Verschmelzungen mit den Nachbarknochen oder mehr oder minder weitgehende Reduktionen bis zum völligen Schwunde darbieten. Auch kommen (z. B. bei den Cynodontia) Durch- brechungen oder mangelhafte Anschlüsse der den einfachen Bogen zusammensetzenden Knochen, somit Uebergänge zu der Dizygokrotaphie und Ausbildung einer infratemporalen Grube zur Beobachtung. Bei Sauropterygia, sowie bei gewissen Vertretern der Anomodontia und Testudinata (Dermochelys) treten hierbei Jugale und Squamosum in den Vordergrund und in ausgedehnteren Kontakt, und damit werden Verhältnisse dargeboten, wie sie bei den Mammalia zu mehr oder minder ausschließlicher Geltung gelangten, mit der besonderen Modifikation, daß hier das Postfrontale in der Regel seine 582 Zur Frage der Abstammung der Säugetiere. >82 Selbständigkeit verlor oder vollkommen verkümmerte, während das Quadratojugale gegenüber dem Schläfenbogen eine größere Selbständigkeit gewann. Nach der Hypothese von Gaurp (1894), dem auch Osawa folgte, und den gleichlautenden Darlegungen GEGENBAURS (1898) bildete sich hierbei das Quadratojugale (Paraquadratum) bei den Säugetieren unter Ablösung vom Schläfenbogen zum Tym- panicum um, während andere Autoren das Tympanicum vom Squamosum ableiteten, oder dem QOuadratum der Amphibien und Sauropsiden verglichen (s. unten). Ich bin sehr geneigt, der Gaupr- GEGENBAURSchen Homologisierung, die übrigens schon von MEckEL (1824) als möglich angeführt wurde, zuzustimmen, und finde insbesondere in der Form und Lage dieses Knochens. bei den Testudinata manche Momente, die besonders eindringlich für sie sprechen. Bei den Monotremen, speziell Echidna, kann auch das Jugale zu völligem Schwunde oder zu gänzlichem Aufgeben seiner Selbständigkeit kommen; dann wird der Schläfenbogen lediglich von dem Supramaxillare und Squamosum gebildet. Von besonderem Interesse erweist sich hierbei auch der schon seit MEcKEL und Owen bekannte Temporalkanal der Monotremen, auf den in neuerer Zeit durch SEELEy und van BEMMELEN wieder die besondere Aufmerksamkeit gelenkt wurde. Derselbe, in Rudimenten auch bei Feten höherer Säugetiere (E. Fischer bei Talpa) noch angedeutet, hat verschiedenartige Deutung gefunden, von denen die von SEELEY (1901) nicht als eine glückliche zu bezeichnen ist, während van BEMMELEN — dem Raepr in seiner neuesten diesbezüglichen Veröffentlichung (1903) irrtümlicher Weise eine unrichtige Vergleichung zuschreibt — seine Homologie durchaus korrekt erkannte. GAapow (1902) und Ragr (1903) haben den Temporalkanal mit dem von der hinteren Temporalbrücke oder der Occipitalspange der Rhyncho- cephalen, Phytosaurier und Krokodilier überbrückten Kanal in der hinteren Schläfengegend, die ihn deckende Knochenbrücke mit der Temporalbrücke oder Occipitalspange selbst verglichen, womit man gern übereinstimmt. Doch liegt es näher, anstatt der genannten Reptilienordnungen diejenigen Testudinata zum Vergleiche heranzuziehen, welche diese Temporalbrücke oder Occipitalspange (den parieto-squamosalen Querbogen) erhalten haben, nämlich die Chelydidae (exkl. Chelodina). Indem Ragr in seinen manches gute enthaltenden Vergleichen diese Schildkrötenfamilie mit ihrem hinteren Querbogen ignorierte, das den Säugetieren relativ am ehesten sich annähernde Verhalten des Schläfenbogens der Sphargidae, weil von den Stammformen zu weit entfernt, nicht genügend berücksichtigte und überhaupt an den fossilen Anomodontia und Sauropterygia und der reichen über sie handelnden Literatur vorbei- ging, hat er teils Differenzen der hinteren Temporalregion der Testudinata und Mammalia hervorgehoben, die in Wirklichkeit nicht bestehen, teils schon bekanntes im guten Glauben an neue Funde mitgeteilt. Nach Bildung der Schläfenbogen dürften, wie namentlich von Baur und OsBorn am klarsten erkannt wurde, unter allen bekannten Amphibien und Reptilien die Synapsiden den Mammaliern relativ am wenigsten fern stehen. Selbstverständlich drückt diese Beziehung, an und für sich genommen, noch keine speziellere Verwandschaft der Säugetiere zu diesen ihnen durchaus nicht nahe verbundenen Reptilien aus, und noch weniger ıst daran zu denken, in irgend einem bekannten Vertreter auch der "ältesten Synapsıden einen wirklichen Vorfahren der Mammalia zu finden, — aber, wenn der Sproß der letzteren sich von dem primitiven Stocke der Proamphibien abzweigte, so geschah es in der Nähe des Sprosses der synapsiden Reptilienabteilung. 3. Quadratum, Streptostylie und Monimostylie. Mehr noch als die Schläfenbogen hat das Verhalten des Quadratum die Untersucher beschäftigt; bis auf den heutigen Tag bestehen die weitgehendsten Differenzen in der Homologisierung und Beurteilung der bezüglichen Gebilde. 5 8 2 Zur Frage der Abstammung der Säugetiere. 583 Bekanntlich bildet das Ouadratum bei den Amphibien und Sauropsiden den hauptsächlichsten Träger des durch sein Articulare mit ihm verbundenen Unterkiefers, während bei den Säugetieren die gelenkige Verbindung des Unterkiefers mit dem Squamosum statt hat. Diese Differenz zu erklären und namentlich das bei den Mammalia nicht ohne weiteres erkennbare Quadratum zu demonstrieren, sind von vergleichenden Anatomen, Embryologen und Paläontologen seit alten Zeiten verschiedene Homologien des Quadratum mit mammalen Gebilden aufgestellt worden, bezüglich deren folgendes mitgeteilt sei. ı) Pars glenoidalis aut Processus zygomaticus ossis squamosi (Zygoma). Diese Homologie des Quadratum, zuerst von TIEDEMAanN (1810), BoJanus (1821) u. a. vertreten und in den ersten Decennien des 19. Jahrhunderts zu weiter Verbreitung gelangt, wurde namentlich durch die REıcHErTschen Untersuchungen (1836—1837) zurückgedrängt, doch nicht ganz (cf. Prarwer 1839, KöstLın 1844 u. a.), gewann in den &oer Jahren durch ArsrecHt, DorLo, CopE, Baur u. a. neues Leben und wird noch jetzt namentlich von paläontologischer Seite (SEELEY, AMEGHINO, ÖSBORN, Case u. a.) vertreten; auch MArRsH hielt sie für nicht unwahrscheinlich. Als reelle Grundlage dienten ihr vereinzelte Funde von separater Verknöcherung des Gelenkteiles des Squamosum bei Peltephilus, Hydrochoerus, Felis und Homo. In jüngster Zeit hat DRÜNER (1904) eine Homologie angegeben, die zum Teil wenigstens hierher gehört, indem er bei Embryonen von Mus an bestimmter Stelle des Meckeıschen Knorpels zwei laterale, nebeneinanderliegende Chondroblastem-Wucherungen beobachtete, von denen er die ventrale als Condylus articularıs der Mandibula, die dorsale als Facies articularis des Squamosum anspricht; letztere homologisiert er zusammen mit den hauptsächlichsten Teilen der mammalen Gehörknochenkette mit dem QOuadratum der Urodelen (s. auch sub 3). 2) Tympanicum. Diese am Anfang des 19. Jahrhunderts aufgestellte Homologie (Er. GEoFFRoY Sr. HıLaıRE 1807, SPIx 1815, CuUVIER 1817, BoJanus 1819, OKEN, BLAINVILLE u. a.) hat in den darauf- folgenden Decennien eine fast noch größere Herrschaft als die Homologie mit dem Gelenkteil des Squamosum erlangt, wie u. a. die Namen MEckEL, RATHRE (1832), StanNIus, OwEn beweisen, wurde aber gleichfalls nach und nach durch die von REICHERT angegebene verdrängt. Durch PETERS (1867—71) und Gapow (1888, ı901) wurde sie wiederum belebt, aber trotzdem mehr und mehr verlassen, auch von solchen, die ihr zuvor angehangen (BoJanus, RATHKE, SEELEY u. a.) oder sie wenigstens für ebenso annehmbar wie die Reıcherrsche Homologisierung gehalten (VERsLUYS). Zur Zeit dürfte Ganow wohl der einzige sein, der sie noch vertritt. 3) Incus. Eine schon 1818 von C. G. Carus aufgestellte, jedoch damals wenig beachtete, dann aber durch die ontogenetischen Untersuchungen REICHERTS (1836, 1837) neu fundierte, von RATHRE (1839) und BıscHorr (1842) schnell angenommene, durch zahlreiche Nachuntersuchungen bestätigte und nach und nach zu bleibender Geltung gelangte Homologie (vergl. des näheren (auprs verdienstvolles Referat 1899). Zur Zeit wird sie von der überwiegenden Mehrzahl der Ontogenetiker und vergleichenden Anatomen vertreten. KÖLLIKER und GEGENBAUR haben ihr von Anfang an ohne jedes Schwanken an- gehangen, während Huxrev, zuerst (1858—67) auch ihr lebhafter Verteidiger, 1869 eine andere Homo- logie (s. sub. 4) aufstellte; W. K. Parker, der zuerst Huxrey gefolgt, ist wieder zu ihr zurückgekehrt. Durch die neueste Arbeit DRÜNERS (1904, s. sub. ı) ist ihr eine weitgehende Modifikation erwachsen, die auch als Gegnerschaft aufgefaßt werden kann. Drüner erblickt in dem Incus der Säugetiere nur einen Bestandteil des Quadratum der Urodelen, das in seiner Totalität mit Stapes, Incus, Hauptteil des Malleus und oberem Abschnitt des Meckerschen Knorpels nebst Gelenkknorpel der Facies articularis squamosi zu homologisieren sei. 58 A Zur Frage der Abstammung der Säugetiere. 5 g 4 4) Malleus. Eine von Huxıev (1869—71) vertretene und von W. K. PARKER (1874—77) und einigen anderen unter HuxLeys machtvollem Einflusse stehenden Autoren (z. B. Barrour, FRASER, PoucHET Er BEAUREGARD) angenommene Homologie, die danach wieder verlassen wurde. 5) Meniscus des Kiefergelenkes. Diese Homologisierung wurde meines Wissens von Broom (1890) auf Grund von Beobachtungen an einem monströsen Schädel mit rückgebildetem Unter- kiefer angegeben. 6) Radix ascendens mandibulae Die älteste, von HE£RISSAnT (1748) aufgestellte und auch von CuviER ım Anfang seiner vergleichenden Arbeiten (1805) vertretene Vergleichung. Danach vollständig aufgegeben. In neuester Zeit ist sie durch EmERY (1903) in modifizierter Form wieder aufgelebt, indem dieser Untersucher in den knorpeligen Elementen des embryonalen Unterkiefers (Dentale der Autoren) der Säugetiere und namentlich in dessen Condylus articulars das Homologon des Quadratum wiederfand. Endlich wurde auch eine vollständige Reduktion des Quadratum bei den Mammalıa als möglich angenommen (MARsH). Von anderen Homologisierungsversuchen, die auf offenbaren Mängeln der Untersuchung und An- schauung basierten (z. B. Sıxra, vergl. dazu die Kritiken von DENKER und van BEMMELEN), sei hier abgesehen. Ich vertrete die sub 3 mitgeteilte Homologie des amphibischen und reptilischen Ouadratum mit dem Incus der Säugetiere. Diese Theorie erscheint mir in ontogenetischer und vergleichend ana- tomischer Hinsicht so wohl begründet und durchgearbeitet, daß sie meines Erachtens vor den anderen noch angeführten den Vorzug verdient. Eigene Beobachtungen und Untersuchungen haben mir nur Bestätigungen ergeben, deren Mitteilung hier, in diesem kurzen Auszuge, unnötig und überflüssig erscheint. Der Homologisierung des Quadratum mit dem Tympanicum kann ich nicht zustimmen; gleichwohl verkenne ich nicht, daß Gapow seine Position in scharfsinniger Weise verteidigt. Auch den anderen oben angegebenen Vergleichungen vermag ich nicht zu folgen; einiges darüber soll noch weiter unten angegeben werden. DRÜNERSs erst vor wenigen Tagen erschienener Mitteilung, der erst später die ausführliche auf ein umfangreicheres Material von Rekonstruktionen und Präparationen auf- gebaute Arbeit folgen soll, stehe ich zunächt noch mit Erwartungen gegenüber, denen sich für heute, bei aller Anerkennung der Untersuchungen dieses ausgezeichneten Arbeiters, noch einige Zweifel vor- wiegend theoretischer Art beimengen. Es ist möglich, daß die ausführliche Arbeit eine vollständige Revolution in dieser Frage hervorbringen wird; das ist aber im Augenblick noch abzuwarten (einiges weitere siehe unten). Seit JoHANNEs MÜLLER und Srannıvs ist bekanntlich der Art der Verbindung des Ouadratum mit dem Kranium, ob beweglich oder streptostyl, ob unbeweglich oder monimostyl, von zahl- reichen Untersuchern ein hoher Wert beigemessen worden. Auch ich habe mich 1900 in diesem Sinne über die Frage geäußert. Die primitivsten Gnathostomen (überwiegende Mehrzahl der Selachier, Ganoiden und Teleostier) sind bekanntlich Streptostylier, zudem mit recht wechselndem Verhalten des Quadratum (Autostylie, Amphistylie, Hyostylie), und die vereinzelten monimostylen Formen unter ihnen zeigen, soweit onto- genetisch untersucht (Holocephalen), streptostyle Anfänge, die erst bei weiterer Entwickelung zur Moni- mostylie gelangen. Die bekannten Dipnoer und Amphibien sind monimostyle Tiere, aber auch hier zeigt die Entwickelungsgeschichte einen streptostylen Beginn. Die Sauropsiden verteilen sich in strepto- 585 Zur Frage der Abstammung der Säugetiere. 85 style (Lacertilia, Mosasauria, Ophidia, Aves) und in monimostyle Formen (Cotylosauria, Anomodontia, Testudinata, Sauropterygia, Diaptosauria, Ichthyosauria, Phytosauria, Crocodilia, Dinosauria, Pterosauria), somit derart, daß die bisher bekannten ausgestorbenen Ordnungen zum größten Teile den Monimo- stylica angehören; aber auch hier legt die ontogenetische Untersuchung, soweit sie — bei den lebenden monimostylen Reptilien (Sphenodon, Testudinata, Crocodilia) — ausführbar war, ohne Ausnahme eine streptostyle Anlage und eine weitere Ausbildung zur Monimostylie dar. Der tiefstehendste unter diesen noch lebenden monimostylen Reptilien, Sphenodon, zeigt zugleich eine Monimostylie, die erst in relativ späteren Entwickelungsstadien aus der Streptostylie hervorging und selbst beim ausgebildeten Tiere noch Spuren der einstmaligen gelenkigen Verbindung des Quadratum mit dem Schädel erkennen läßt. Angesichts dieser durchgehenden entwickelungsgeschichtlichen Nachweise bei Fischen, Dipnoern, Amphibien und Reptilien ist es wohl keine kühne Behauptung, wenn man auf Grund der Ontogenese die Monimostylie allgemein von der Streptostylie ableitet und für alle monimostylen Gnathostomen streptostyle Vorfahren postuliert. Das ist sozusagen eine morphologische Notwendigkeit. Die Streptostylie durchdringt die Reihe der gnathostomen Tiere als das ursprüngliche und zugleich als das lebensvolle, der weiteren Entwickelung, Umbildung und Anpassung die günstigsten Verhältnisse darbietende Prinzip; die Monimostylie bedeutet eine einseitige Differenzierung und Fest- legung in den Lebensbedingungen und damit eine Schwächung im Kampfe um das Dasein und die Zukunft. Darum befinden sich auch die Monimostylier, zu wie mächtiger Entfaltung und Stellung sie auch in früheren Zeiten gelangt waren, auf dem Aussterbeetat, sind zu einem großen Teile schon aus- gestorben und existieren nur noch in Resten, welche an Zahl den lebenden Streptostyliern erheblich nachstehen. Es wird die Zeit kommen, wo die Lebewelt der gnathostomen Wirbeltiere voraussichtlich nur noch aus Streptostyliern bestehen wird. Für die Ausbildung der Monimostylie aus der Streptostylie kommen vorzüglich zwei Faktoren in Betracht, einerseits die direkte Fixation des proximalen Endes des Quadratum an dem Schädel resp. an mit dem Schädel in wechselnder Weise verbundenen hyomandibularen Elementen durch Umwand- lung der freieren Artikulation in eine festere Verbindung (Synchondrose, Sutur etc.), andererseits die mehr und mehr überhandnehmende Entfaltung des mit dem Quadratum verbundenen Deckknochen- apparates. Zumeist gehen beide Fixationsmittel Hand in Hand; es kann aber auch nur das erstere (z. B. bei Holocephalen, wo jeder Deckknochenapparat fehlt) oder vorwiegend das letztere (z. B. bei Sphenodon, wo trotz ansehnlicher Deckknochen in der betreffenden Gegend noch die Spuren des einst- maligen Gelenkes nachweisbar sind) Moment in Wirksamkeit treten. Für alle diese gibt die Ontogenese die Belege an die Hand. Ferner ist hierbei die Konfiguration des an die Schädelbasis angrenzenden dorsalen (proximalen) Teiles des Quadratum in Betracht zu ziehen. Bereits bei dem Palatoquadratum der Haie ist neben der primitiven hinteren Verbindung der Notidaniden auf 'einen vorderen, gleichfalls mit dem Cranium verbundenen Fortsatz (Palato-Basal-Fortsatz GEGENBAURS) aufmerksam gemacht worden, durch welche doppelte Verbindung die freie Beweglichkeit des Palatoquadratum eingeschränkt, aber seine Festigkeit und Gebrauchsfähigkeit vermehrt wird; die vordere Verbindung zeigt zugleich bei gewissen Formen die Neigung zur Ausbildung noch festerer Verbände. Dieses Verhalten, das bei den Holocephalen, Dipnoern und Amphibien zur mehr oder minder vollkommenen Verschmelzung mit dem Schädel führt, ist auch, wie mir scheint, noch bei Reptilien zu erkennen. Die Columella cranii (Antipterygoid s. Proc. ascendens quadrati) der Lacertilier, deren Zugehörigkeit zum Quadratum bekanntlich durch die ontogenetischen Arbeiten Gauprs über das Chondrocranium von Lacerta erschlossen und durch die Entwickelung des Jenaische Denkschriften. XI. 74 Festschrift Ernst Haeckel. 86 Zur Frage der Abstammung der Säugetiere. 586 Kopfes von Sphenodon (ScHAumsLanD, Howes and SwINNERToN), sowie durch Brooms Nachweise bei verschiedenen Lacertiliern bestätigt wurde, dürfte jenem Fortsatze der Selachier nicht völlig fern stehen; auch hier wird durch die doppelte Verbindung des Quadratum (Palatoquadratum) mit dem Schädel seine freie Beweglichkeit beeinträchtigt. Hierbei können auch in entgegengesetzter Richtung verlaufende Entwickelungsprozesse sich vollziehen, wodurch ursprünglich minder freie Verbände sich jloser und lockerer gestalten. So entsteht bei den Lacertiliern durch die Sonderung des ursprünglich einheitlichen Palatoquadratum in die vordere Columella cranii mit hierher gehörigen Nachbarteilen und das hintere Quadratum s. str. (s. Gaupp und Broom) dem letzteren eine freiere Bewegung, die sich in dem mannig- fachen Wechsel seiner Artikulationsstelle am Schädel noch des weiteren dokumentiert. Bei den Ophidiern wird durch die bekannte noch dazu kommende Lockerung des Deckknochenapparates (insbesondere des sogenannten Squamosum) die Freiheit in der Bewegung noch ausgiebiger gestaltet Interessante Aufschlüsse liefert hierbei die Muskulatur des Quadratum, die zugleich einen recht feinen Gradmesser für die Ursprünglichkeit oder den sekundären Erwerb der freien Artikulation des Quadratum bildet. Doch kann hier auf dieses Kapitel nicht näher eingegangen werden. Solche sekundäre Lockerungen durch Lösung, sowie durch Verminderung des Deckknochen- apparates mögen auch noch in anderen Fällen sich vollzogen haben; sie sind aber im Ganzen mit großer Vorsicht und als keineswegs weit verbreitete Prozesse zu beurteilen. Ganz besonders aber gilt dies für alle jene Fälle bei Amphibien (vornehmlich Stegocephalen) und zahlreichen Reptilien (namentlich Synapsiden und Crocodiliern), wo durch Ausbildung ausgedehnter fester Verbände des proximalen Teiles des Quadratum mit dem Schädel (Synchondrosen, Suturen) und einen noch dazu tretenden mächtigen Deckknochenapparat bereits eine Monimostylie höheren Grades und vermutlich seit langer Zeit er- worben wurde Daß sich aus einer solchen Monimostylie wieder eine Streptostylie mit freiem Gelenke entwickeln könne, ist mehr als unwahrscheinlich. Auch zeigen die Amphibien und die betreffenden Reptilien, daß ihre Monimostylie trotz gewisser Deckknochenreduktionen bestehen bleibt. In dieser Hin- sicht sind namentlich auch die larvalen Umformungen bei Rana interessant, deren genauere Kenntnis wir Gaupp verdanken. Hier kommt es, trotz großer Schlankheit des knorpeligen und der Deckknochen noch entbehrenden Quadratum und seiner Verbände mit dem Schädel, zu mannigfachen Einfaltungen, Einschmelzungen und Neubildungen; aber keine derselben kann als eine konsekutive Gelenkbildung aus einer vorhergehenden Synchondrose angesprochen werden. Diese oder ähnliche Anschauungen werden wohl von der Mehrzahl der vergleichenden Anatomen und Embryologen, soweit sie sich überhaupt eingehender mit dieser Frage beschäftigt haben, vertreten. Von den Neueren haben auch GEGENBAUR (1898), KinGsLEy (1900), GAUPP (1902), WEBER (1904) und VERSLUYS (1904) die primitive Natur der Streptostylie und das davon abgeleitete Verhalten der Moni- mostylie betont. Entgegengesetzte Auffassungen sind, insbesondere nach Corzes Vorangange, bei den Paläontologen verbreitet, denen sich von Anatomen vornehmlich ArLßrecHhr und GApow, vielleicht auch Broom, anreihen. Dem Paläontologen treten von fossilen Amphibien- und Reptilienschädeln aus älterer Zeit vornehmlich größere monimostyle Formen mit mehr oder minder mächtig entwickeltem Deck- knochenapparte entgegen, aus dem einfachen Grunde, weil diese Schädel den zerstörenden Einflüssen der Natur besseren Widerstand leisten konnten, als kleinere streptostyle Schädel mit schwacher und lockerer Knochenbedeckung, die sich selbstverständlich leichter in ihre einzelnen Teile auflösten. Und je größer das paläontologische Alter und je wirksamer und andauernder die äußeren Insulte, um so mehr wird von streptostylen Schädeln zerstört sein, während vorwiegend nur die schweren und kompakten monimostylen Typen erhalten geblieben sind. Der Morpholog kann kaum daran zweifeln, daß Tiere im großen und nn 5 87 Zur Frage der Abstammung der Säugetiere. 587 ganzen von der Organisation der lebenden Urodelen und der lebenden Geckotiden schon zur Zeit der Stegocephalen oder der älteren Diaptosaurier, also bereits in paläozoischen Perioden gelebt haben; der Paläontolog hält sich nur an das, was ihm vor Augen liegt, und wenn er recht unvorsichtig ist, so behauptet er sogar, daß Urodelen und Geckotiden erst am Ende der Sekundärzeit aufgetreten und erst danach zur weiteren Entfaltung gekommen sind. Und aus dem gleichen Grunde wird er auch die aus älterer Zeit besser erhaltenen massigen Monimostylier als die Ausgangsformen betrachten, von denen die leichteren erst aus späterer geologischer Zeit ıhm bekannt gewordenen Streptostylier abzuleiten seien. Auf diese Weise ist schon manche gar wunderbare phylogenetische Reihe unter exaktester Be- obachtung der geologischen Epochen konstruiert worden! So konnte es auch kommen, daß deckknochen- schwere Riesen, wie Eryops und Cricotus als Proreptilien, als Vorfahren aller Amnioten aufgestellt wurden. Diese Beschränkung auf das zur Zeit vorliegende reelle Material scheint exakt zu sein, sie ist aber das Gegenteil von Exaktheit. Jeder neue paläontologische Fund kann das aus den bisherigen Realitäten aufgebaute Kartenhaus umwerfen, hat es schon, wie die Geschichte der paläontologischen Funde und Systeme lehrt, wohl jeden überzeugend getan. Hier namentlich tritt die morphologische Hypothese in ihr Recht; wenn sie auf gesunder vergleichend-anatomischer und ontogenetischer Grundlage ruht, mit Genauigkeit, Vorsicht und Umsicht arbeitet und nicht mehr zu sein prätendiert als eben eine Hypothese, so hat sie eine stärkere Position als manches nur auf paläontologische Beweisstücke gegründete System. Die genealogischen Beziehungen der Säugetiere zu den Amphibien und Reptilien, mit Rücksicht auf das Quadratum, gewinnen natürlich eine gänzlich verschiedene Beurteilung, je nachdem man von den oben (S. 583 f.) aufgestellten Homologien der einen oder der anderen den Vorzug gibt. Wer die Homologisierung No. ı (Quadratum — Proc. glenoidalis squamosi) annimmt, der kann die Mammalia als monimostyle Amnioten ansprechen und ihre Monimostylie mit derjenigen der Synapsida, namentlich aber der Anomodontia, in näheren Zusammenhang bringen. Dahin geht auch das Bestreben derjenigen Paläontologen, welche der nahen Verwandtschaft der Mammalia und Anomodontia das Wort reden, so namentlich CorEs, SEELEvs, OsBorns, Baurs, Cases und Gapows. Dieses Verfahren ist durchaus logisch, und es liegt mir fern, in dieser Hinsicht etwas dagegen einzuwenden. SEELEY insbesondere hat auf das verkleinerte, deprimierte und in die Deckknochen eingeschlossene Quadratum gewisser Anomodontier hingewiesen und OsBorN ist ihm darin gefolgt. Namentlich aber hat Case saurocephale Reptilien (mit hohem und ansehnlichem Quadratum) und mastocephale Reptilien (mit kleinem und niedrigem Quadratum) unterschieden und innerhalb der letzteren eine — aus synapsiden und diapsiden Formen gebildete — Reihe: Pelycosauria, Procolophonia, Cynodontia, Lycosauria und Gomphodontia aufgestellt, in welcher das Quadratum in zunehmendem Maße sich verkleinert, abflacht und mehr und mehr vom Squamosum eingeschlossen und überdacht wird. Dieser Reihe würden die Mammalia entstammen, bei denen nach der vorliegenden Vergleichung das bei den Reptilien noch durch Naht von seinen Nebenknochen unterscheidbare Quadratum als selbständiges Skelettelement aufhöre und in der Regel — von sehr seltenen und morphologisch nichts weniger als klargestellten Ausnahmen abgesehen — nicht einmal zur separaten Verknöcherung im embryonalen Leben gelange, sondern lediglich den Gelenkteil des Squamosum oder bloß dessen Knorpelbelag bilde oder (Marsh) vielleicht selbst spurlos verschwinde. Wäre diese Homologisierung richtig, so würden die Säugetiere die letzten Ausgänge und Extreme der Monimostylier bilden. T74* 58 8 Zur Frage der Abstammuug der Säugetiere. 588 Wie schon oben angegeben, kann ich der Vergleichung des Quadratum mit Teilen des Squa- mosum oder seiner Gelenkfläche nicht folgen; ich vermag daher auch nicht der auf diese Homologie aufgebauten genealogischen Reihe zuzustimmen. | Ebensowenig ist dies der Fall hinsichtlich der sub No. 2 angeführten Homologisierung des Quadratum mit dem Tympanicum. Hier kann ich mir nicht einmal eine rechte Vorstellung machen, wie danach die Verwandtschaft der Anomodontier und Säuger anschaulich durchzuführen sei. Auf Grund der sub No. 3—6 aufgestellten Homologien, von denen ich No. 3, d. h. der Ver- gleichung des Quadratum mit dem Incus folge, sind die Mammalia von Anfang an ausgesprochene Streptostylier und demnach — trotz Monozygokratophie und manchen anderen Aehnlichkeiten mit den Anomodontiern oder den Synapsiden — weder von diesen abzuleiten noch zu ihnen in nahe genealogische Relationen zu bringen. Die Kleinheit des Ouadratum der „mastocephalen“ Reptilien und des Incus der Säugetiere bildet nur eine Analogie allgemeinerer Art. An eine Ableitung von bekannten streptostylen Reptilien, z. B. den Lacertiliern, oder an intimere Beziehungen zu denselben ist aber aus morpho- logischen Gründen ebensowenig zu denken; beider Organisation weicht in anderen Stücken und auch im spezielleren Bau der verglichenen Skeletteile zu erheblich ab. Die Verbindung des Incus mit dem Stapes ist von verschiedenen Autoren mit jenen Verbänden verglichen worden, welche bei Rhyncho- cephaliern und Amphibien zwischen Quadratum und Stapes resp. Columella bestehen. Dieser Vergleich erscheint fruchtbar und soll weiter unten aufgenommen werden. Aber auch hier handelt es sich um Formen, welche zwar tief stehen, aber von den Säugetieren so fundamental differieren, daß eine Ab- leitung dieser von ihnen als unmöglich erscheint. Die das Quadratum betreffende genealogische Folgerung gelangt somit nicht zu uns bekannten Tieren, sondern führt zu Formen, welche primitiver sind als Synapsiden, Rhynchocephalen und lebende Amphibien. Ob eine genauere Durchmusterung der kleineren, gemeinhin in die Sammelgruppe der Stegocephalen aufgenommenen Tierreste, insbesondere der Mikrosaurier, glücklichere Aufschlüsse dar- bieten mag, ist zur Zeit nicht zu sagen. Gapow (1896) und Baur (1897) haben in den Mikrosauriern bekanntlich gewisse Züge gefunden, welche auf direktere Beziehungen zu den Reptilien hinweisen. Gapow hat sie selbst mit den Proterosauriern und Rhynchocephaliern zu seinen Prosauriern vereinigt. Ich glaube, daß eine zuverlässige und eingehende Untersuchung der Mikrosaurierreste auch für die vor- liegende Frage manche wichtige Fingerzeige geben kann. Jedenfalls sollte sie vorgenommen werden, auch auf die Gefahr hin, daß sie nur eine negative Ausbeute liefert. Im übrigen ist die Hoffnung auf neue Funde zu setzen. Möglich auch, daß alles, was hierfür direkt in Frage kommen könnte, unwieder- bringlich zerstört und verloren ist. 4. Mandibula und Kiefergelenk. Die morphologische Bedeutung des Unterkiefers und des Kiefergelenkes der Mammalia ist zu wiederholten Malen als der wichtigste Punkt der ganzen Frage der Abstammung der Säugetiere be- zeichnet worden. In engem Konnexe dazu steht die Frage der Gehörknochen. Die bisherigen Anschauungen betreffend Mandibula und Kiefergelenk bewegen sich, um zunächst von allen sonstigen spezielleren Angaben abzusehen, vornehmlich in zwei Richtungen. Entweder ist die mammale Mandibula ein komplexer, aus mehrfachen Elementen nach Art der Anamnia und Sauropsida zusammengesetzter Knochenverband und ihr Gelenk im wesentlichen identisch mit demjenigen dieser Tiere, also eine Articulatio quadrato-articularis; dann liegt die Frage Zune vr >89 Zur Frage der Abstammung der Säugetiere. 589 einfach und ein direkter Vergleich mit Amphibien oder mit Reptilien ist gestattet. Oder der Unter- kiefer der Säugetiere repräsentiert nur einen Deckknochen aus der Mandibula der Nicht-Säugetiere, das Dentale, und ihr Kiefergelenk ist eine Neubildung zwischen zwei Deckknochen, eine Art. squamoso- dentalis; dann klafft ein Spalt zwischen Non-Mammalia und Mammalia, der intimere Beziehungen zwischen beiden ausschließt. Diesen Spalt zu überbrücken, sind verschiedene Modifikationen angeführt worden, auf die weiter unten eingegangen werden soll. Auch hat es nicht an Versuchen gefehlt, die Differenz der mammalen Bildung gegenüber derjenigen der anderen Gnathostomen zu erklären oder wenigstens verständlich zu machen. Die vergleichende Ontogenese lehrt bekanntlich, daß die Gnathostomen im Knorpel- stadium ein Kiefergelenk besitzen, das dorsal vom Quadratum bezw. Palatoquadratum (dorsales Stück des Kieferbogens) und ventral von der nach vorn in den langen Meckkıschen Knorpel auslaufenden Cartilago articularis (ventrales Stück des Kieferbogens) gebildet wird. Bei Fischen kann sich auch das Hyomandibulare (dorsales Stück des Hyoidbogens) mehr oder minder ausgiebig und sehr verschieden am Kieferapparat beteiligen (Huxrevs Amphistylie und Hyostylie gegenüber der Autostylie); bei Dipnoern und Tetrapoden ist diese Beteiligung größtenteils zurückgebildet, doch lassen neuere ontogenetische Arbeiten (unter anderem Gaurp, DREyFUSs, BROMmAN und namentlich Verstuvs) Spuren dieser Verhältnisse auch noch bei Amnioten erkennen. Im übrigen ist — allerdings nicht allgemein angenommen — das Hyomandibulare bei den Tetrapoden in den Dienst des Gehörorgans übergegangen. Bei der Ossifikation des Kopfes bilden sich um das ventrale Kieferbogenstück (Knorpel- Articulare und MEckerscher Knorpel) bei den Non-Mammalia eine bei den verschiedenen Abteilungen derselben ungleiche Anzahl von Deckknochen (1—7, ausnahmsweise noch mehr), von denen stets ein vorderes, zunächst lateral vom Mecke£ischen Knorpel befindliches, das Dentale, und recht gewöhnlich ein hinteres, sehr bald zu dem Artikularknorpel intimere Beziehungen eingehendes und denselben nach und nach durchdringendes und ersetzendes (enchondral sich ausbildendes) Os articulare, als relativ ansehn- liche Gebilde mehr in den Vordergrund treten; auch ein von dem Meckerschen Knorpel medial be- findliches Operculare (Spleniale) kommt als häufig zahntragendes Element oft dazu, nicht minder ein hinteres Belegstück des knorpeligen oder knöchernen Articulare, das Angulare, das mit dem Os articulare auch verwachsen kann (Gymnophionen, einzelne Urodelen, wohl auch Stegocephalen. Der hierbei beobachtete Wechsel ist groß. Wie das Articulare verknöchert auch das OQuadratum schließlich enchondral. Dentale und Operculare umscheiden als bleibende Deckknochen den Mecrerschen Knorpel, in wechselnder Weise in fernere oder nähere Beziehungen zu ihm tretend (siehe namentlich GAUPP 1903 und SCHLEIP 1904) und ihn funktionell mehr und mehr ersetzend. Aus diesem Grunde tritt in ziemlich weiter Verbreitung der Meckersche Knorpel schon in seiner ersten ontogenetischen Anlage gegenüber dem mehr und direkter beanspruchten und darum kräftiger ausgebildeten Artikularknorpel als schlankerer Knorpelstab auf. Später kann auch er, soweit er nicht zur Rückbildung kommt, direkt verknöchern. Dentale vor allen, Operculare, Angulare und Articulare in zweiter Linie, bilden die Knochenelemente des Unterkiefers der Knochenganoiden, Teleostier, Dipnoer und Amphibien, der auch im ausgebildeten Zustande in der Regel noch von durchgehendem Knorpel durchsetzt wird. Unter den Amphibien besitzen die Stegocephalen, Gymnophionen und gewisse Urodelen das Operculare, während dasselbe — ob infolge von Reduktion oder ob überhaupt noch nicht zur Ausbildung ge- kommen, ist noch nicht sicher entschieden — anderen Urodelen und den Anuren gemeinhin fehlt. Hier ist der Unterkiefer relativ leicht und locker. Zu diesen 4 Knochen können bei einzelnen Fischen (Amia, Lepidosteus, einzelne Teleostier) noch weitere kommen, bei Amia in erheblicherer Anzahl. Die meisten 590 Die Frage der Abstammung der Säugetiere. 590 Homologien dieser variabeln Gebilde, ja selbst die der häufiger vorkommenden Elemente sind noch keineswegs gesichert. Bei Sauropsiden steigt die Zahl der regelmäßiger vorkommenden Knochen- elemente auf 6 (Dentale, Operculare, Coronoideum s. Complementare, Articulare, Angulare, Supraangulare), zu denen bei gewissen Abteilungen noch weitere, bald da bald dort auftretende verschieden benannte (Prädentale, Praespleniale s. Praeoperculare, Praearticulare) und in ihren Homologien noch nicht definierte Stücke hinzutreten können. Bei den Cotylosauriern und Anomodontiern ist die Sechszahl noch zu erweisen, was bei dem Frhaltungszustande dieser Fossilien nicht wunder nımmt. Das Articulare, mit- unter auch dazutretend das Supraangulare, übernimmt die Gelenkung mit dem OQuadratum. Der Mecxersche Knorpel zeigt verschiedene Erhaltungszustände. Bei verschiedenen Reptilien kann es auch zu Verkümmerungen dieses oder jenes Stückes kommen. So ist Mangel des Operculare bei vielen Lacertiliern und individuell bei Sphenodon, Mangel des Coronoideum bei mehreren Ophidierfamilien beoachtet; beides wohl infolge sekundärer Rückbildung. Häufiger aber kommt es zu partiellen oder selbst totalen Anchylosierungen der einzelnen Elemente, namentlich im vorgerückteren Alter. Ins- besondere verwachsen gern Articulare und Angulare (Pelycosaurier, viele Lacertilier etc.) oder Articulare und Supraangulare (Sphenodon ind. zahlreiche Lacertilier) oder Articulare, Angulare und Supraangulare (viele Lacertilier, zu denen auch das ÖOperculare in synostotischen Verband treten soll (gewisse alte pleurodire Testudinata). Hinsichtlich des reichen Details sei unter anderem auf FicALBı, CoPE, BOULENGER, Baur und namentlich SIEBENROcCK verwiesen. Es ist klar, daß damit der sauropside Unterkiefer gegen- über demjenigen der meisten Fische und Amphibien zumeist eine größere Festigkeit gewinnt. Bei Ptero- sauriern und Vögeln bildet sich durch totale Anchylosierung aller Elemente ein einheitlicher Kieferast, der zugleich unter Verknöcherung der Symphyse mit seinem Nachbar verwächst. Eine solche Ver- wachsung beider Dentalia findet sich auch bei zahlreichen Anomodontia und Testudinata. Bei den Mammalia geht die weitere Entwickelung in abweichender Weise vor sich. Es bilden sich 2 Deckknochen, zuerst ein vorderes laterales Dentale, das bald ansehnliche Dimensionen gewinnt, mit dem Squamosum eine neue Artikulation bildet, den Meckeıschen Knorpel nach und und nach umscheidet und der ausschließliche Träger der Zähne wird, später ein kleineres hinteres und ventrales Stück, das von KÖLLIKER, W. K. PARKER u. a. als Angulare angesprochen wird und sich dem hinteren Ende des Meckeıschen Knorpels und dem Artikularknorpel anschließt, von dem Dentale aber ganz getrennt und entfernt ist. Später verknöchert der Artikularknorpel zum Os articulare, ebenso das Quadratum, beide in gleicher Weise und vorwiegend enchondral, worauf das Angulare mit dem knöchernen Articulare synostotisch verwächst; noch später kann auch der vom Dentale umscheidete Teil des MEckErschen Knorpels, soweit er sich nicht rückbildet, ossifizieren. Der hervorstechendste Zug in diesem Ent wickelungsgange ist die vollständige Emanzipation des vorderen Dentale gegenüber dem hinteren Articulare + Angulare, und diese Sonderung wird noch vollkommener, indem weiterhin der beide noch verbindende Abschnitt des MEckerschen Knorpels zu einem Bande degeneriert. Das Dentale übernimmt unter zunehmendem Wachstum seines Körpers und seiner aufsteigenden Fortsätze (von denen der Proc. condyloideus zuerst, und bleibend bei niederen und paläontologisch älteren Säugern, wenig, dann mehr hervorragt, der Proc. coronoideus ganz von der Entfaltung der Kaumuskulatur beherrscht wird) und unter weiterer Ausbildung seines Gelenkes mit dem Squamosum ausschließlich die Kaufunktion, wobei in seinen Fortsätzen, ebenso wie im Ventralteil des Squamosum auftretende Knorpelelemente seine Entwickelungsprozesse begünstigen; nicht selten kommt es auch hier zu einer synostotischen Verbindung seines rechten und linken Astes. Das mit dem Angulare verschmolzene Articulare hingegen tritt ebenso wie das mit ihm gelenkende Quadratum in den Dienst des Gehörorgans; Articulare und Angulare bilden sg1 Zur Frage der Abstammung der Säugetiere. 591 den Malleus, Ouadratum den Incus. Letzterer steht sowohl mit dem Petrosum, wie mit vom Hyoid- bogen stammenden Elementen im Zusammenhang, wobei namentlich die neueren Funde und Kontroversen zu weiteren Untersuchungen und Feststellungen anregen. Der proximale Verband des Incus mit dem Schädel ist ein streptostyler, von einem Gelenk ableitbarer und zeigt sehr häufig noch Reste eines solchen ; ob hierbei primitive Autostylie (direkter Verband mit Petrosum) oder Amphistylie bezw. Hyo- stylie (Verband unter Vermittelung mit dem Petrosum verwachsender hyomandibularer Elemente) den Ausgangspunkt bildet, ist noch zu entscheiden. Distal (caudal) artikuliert der Ambos ebenfalls mit einem hyomandibularen Abkömmling, dem Stapes, dessen Genese aber auch jetzt noch eine vielumstrittene ist und selbst hinsichtlich der Abstammung aus dem Hyoidbogen bezweifelt wird (DRÜNER). Die herrschende Annahme, von der abzugehen ich zunächst noch keine N otwendigkeit sehe, rechnet ihn diesem zu. Die durch den Funktionswechsel bedingte geringere motorische Inanspruchnahme und die quantitative Korrelation zu dem wenig voluminösen Gehörorgan läßt diese Elemente in ihrem Wachstum gegenüber dem neuen Unterkiefer (Dentale) erheblich zurückbleiben. Mit seinem retroarticulären, d. h. hinten über die Artic. incudo-malleolaris hinausragenden und sich rechtwinklig gegen die Achse des Meckerschen Knorpels absetzenden Abschnitte, dem Manubrium, tritt der Malleus in Verbindung mit der Membrana tympani; wie viel hierbei primitives Verhalten, wie viel sekundäre Bildung repräsentiert, bedarf noch weiterer Untersuchung. Diese Gegend ist bei manchen Säugetieren (gewissen Insectivoren und Nagern) noch durch einen besonderen Fortsatz (Proc. accessorius s. angularis s. orbicularis der Autoren) gekennzeichnet. Neuere Untersucher lassen das Manubrium (Kmestey und Ruppick) oder den Proc. accessorius (DRÜNER) separat sich bilden und erst sekundär mit der Hauptmasse des Hammers verwachsen; die beiden erstgenannten Autoren reden einer Entstehung des Manubrium aus einem zwischen Kiefer- und Zungenbeinlagen befindlichen intermediären Visceralbogen das Wort; der letztere Autor leitet den Proc. accessorius vom Zungenbeinbogen ab. Auch diese Kontroversen gegenüber der sonst fast allgemein vertretenen Lehre von der einheitlichen Ausbildung des Hammers verlangen weitere Untersuchungen. Malleus und Incus liegen ebenso wie Stapes innerhalb der Paukenhöhle, d. i. lateral bedeckt und gegen die Außenwelt abgegrenzt durch die Membrana tympani. Das Unterkiefergelenk (Art. squamoso-dentalis) befindet sich fast immer rostral und lateral von dem Ambos-Hammergelenk (Art. quadrato-articularis); zugleich aber liegen die Gehörknochen, namentlich Hammer und Ambos wegen ihrer Kleinheit in einer dorsaleren Lage, als der Hauptteil des großen Dentale. Die Membrana tympani ist umrahmt von dem Os tympanicum, einem Deckknochen, der zuerst an der vorderen (rostralen) Zirkumferenz der Membran, häufig in naher Nachbarschaft zum Dentale oder Pterygoideum sich anlegt, dann das Trommelfell ringförmig umwächst (Anulus tympanicus), bei tiefer stehenden Mammalia in dieser Gestalt persistiert, bei höheren zu mannigfachen Formen sich weiter ausbildet. Vermöge ihrer direkten Beziehungen zum Trommelfell treten auch Malleus und Os tympanicum nicht selten in direkten Verband. Dies in den allgemeinsten Umrissen die Grundzüge unserer bezüglichen Kenntnisse. Hinsichtlich der Entwickelung der Gehörknochen bieten sie noch mancherlei Differenzen und Streitfragen dar; im Gebiete der Kieferentwickelung dürfen sie im großen und ganzen wohl als gesichert betrachtet werden. Da sie sich bei letzterer in relativ späten Stadien vollziehen, sind sie verhältnismäßig leicht zu beobachten und durch zahlreiche und oft wiederholte Untersuchungen an den verschiedensten Säugetieren seitens vieler Forscher bekräftigt worden. Auch mir ergab die Beobachtung von Monotremen, Marsupialiern und Placentaliern, die mir zum Teil die Güte der Herren Gaurp und SEMoN ermöglichte, nur Bestätigungen. Zur Frage der Abstammung der Säugetiere. 592 Die Eindeutigkeit und Klarheit der bezüglichen ontogenetischen Untersuchungen ist Ursache gewesen, daß dieselben bald nach dem Bekanntwerden von REICHERTs Untersuchungen eine so weit verbreitete Annahme fanden. In vergleichend-anatomischer Parallele und Erläuterung haben Huxrey, der indessen hier eine schwankende Stellung einnimmt, namentlich aber GEGENBAUR, der von Anfang bis Ende die Frage konsequent beurteilte, viel zu ihrer Fundierung beigetragen. Doch hat es auch nicht an Gegnern gefehlt, die namentlich mit Rücksicht auf die phylogenetische Uebertragung der ontogenetischen Befunde Einwände und Bedenken erhoben haben. ALBRECHT vor allen (1883, 1884) hat betont, daß man auf dieser Grundlage zur Annahme eines Promammale geführt werde, das eine geraume Zeit hindurch gleichzeitig mit 2 Gelenken, einer vorderen Art. squamoso-dentalis und einer hinteren Art. incudo-malleolaris gekaut hätte. Das aber sei ein Para- doxum, welches die Annahme der ReıcHerrschen Theorie verbiete, dagegen zu der Notwendigkeit eines in der Hauptsache unveränderten Bestandes der Kiefergelenke und der Kieferbildungen, wie auch der Gehörknochenkette bei Non-Mammalia und Mammalıa führe. Das Kiefergelenk aller Gnathostomen sei eine Art. quadrato-articularıs, wobei das Quadratum der Mammalia im Gelenkteil des Squamosum enthalten sei (Iheorie von TIEDEMAnN) und der Säugetier-Unterkiefer alle Elemente des Unterkiefers der Nicht- Säugetiere in sich enthalte. Zum Beweise für die erstere Behauptung wurde das Cranium eines jugend- lichen Idioten mit abnormer Nahtbildung im Squamosum angeführt, für die letztere Annahme der Identität des mammalen und non-mammalen Kiefers gar kein Nachweis versucht. Gleichwohl haben ALBRECHTS Anschauungen in weiten Kreisen, namentlich solchen, denen ontogenetische Untersuchungen ferner lagen, viel Beifall gefunden; auch wurden einige — auffallend wenige und noch weniger beweis- kräftige — Parallelfälle zu dem Arzrechtschen Präparate herbeigebracht (s. oben S. 583). Ebenfalls die Identität der Gehörknochenkette der Tetrapoden annehmend, hatte PErERS (1867, 1869) schon geraume Zeit vor ALBRECHT die REICHERTsSche Theorie verworfen und die alte Homologi- sierung des Tympanicum der Mammalia mit dem Quadratum der Non-Mammalıa (Theorie von GEOFFROY St. HıLaıre) wieder aufgenommen. Seine Anschauung hat danach Gapow (1888, 1901) in morpho- logischer und physiologischer Hinsicht weiter ausgebaut und namentlich auch angegeben, wie die Aus- bildung des bleibenden Gelenkes der Mammalıa stattgefunden haben müsse. Er nimmt folgenden phylogenetischen Entwickelungsgang an: Zuerst (1) ein zwischen Squamosum und Mandibula eingeschaltetes Ouadratum (amphibische oder reptilische Vorfahren der Säugetiere); dann (2) ein an der Außenfläche des Quadratum stattfindendes ventrales Auswachsen des Squamosum, wodurch dieses lateral neben dem Ouadratum mit der Mandibula in Berührung und gelenkige Verbindung kommt, während das Ouadratum mehr kaudal- und medialwärts zurückweicht (embryonaler Zustand der Monotremen und Marsupialier); endlich (3) ausschließliche Artikulation des Squamosum mit der durch das Dentale repräsentierten Mandibula (während deren übrige Komponenten inkl. Articulare und Angulare in Rückbildung traten) unter voll- kommener Ausschaltung des Ouadratum (Tympanicum) aus dem einstmaligen Gelenkverbande (entwickelter Zustand der Mammalia). Aehnliche Anschauungen betreffend die Umwandelung des Kiefergelenkes hatte auch Huxrey in seiner späteren Zeit vertreten, indem er (teste OsBORN 1898) in seinen Vorlesungen (1879/80) eine sekundäre ventralwärts gehende Ausbreitung des Squamosum über das sich verkleinernde Quadratum herab bis zur Ausbildung eines squamoso-mandibularen Gelenkes angenommen, und SEELEY (1888 und folgende Jahre) exemplifizierte diesen Umwandelungsprozeß der zunehmenden Entfaltung des Squamosum und Dentale und des Zurücktretens des Quadratum durch eine von ihm bei den Anomodontia zusammengestellte Entwickelungsreihe. 593 Zur Frage der Abstammung der Säugetiere. 593 Damit war theoretisch und — falls die paläontologischen Zusammenstellungen eine auch mit Rücksicht auf die sonstige Entwickelung korrekte Grundlage hatten — auch durch reelle Verhältnisse gestützt, ein Umbildungsprozeß demonstriert, bei welchem die Hypothese des Aufgehens des Quadratum in das Squamosum acceptiert werden konnte, aber nicht mußte. OsBoRrn (1898) übernahm die durch Huxrev, Gapow und SEELEy geschaffene Entwickelungsreihe und suchte sie durch weitere Beispiele zu belegen, Gavow paßte in seiner zweiten diesbezüglichen Abhandlung (1901) seine früher ausgesprochenen Anschauungen den Verhältnissen bei den Anomodontia an und fand darin, wie seine Vorgänger, neue Beweise für die. Abstammung der Mammalia von theromorphenartigen Vorfahren. Zugleich deutete er den bei manchen Embryonen und jungen Tieren (insbesondere Orycteropus) beobachteten Befund einer Anlagerung des Tympanicum an das hintere Ende (Proc. angularis) des mammalen Unterkiefers als umgewandelten Rest des einstmals hier befindlichen Ouadrato-Mandibular-Gelenkes. Kennzeichnend für alle diese Arbeiten ist die Tendenz, die neue Articulatio squamoso-dentalis durch das Zwischenglied einer Art. quadrato-squamoso-mandibularis aus der alten Art. quadrato-articularis direkt hervorgehen zu lassen. Die durch das Herabwachsen des Squamosum bedingte laterale Verbreiterung des einstmaligen Gelenkes spielt in diesen Erwägungen die Hauptrolle; die in der Ontogenese der Mammalia so ausdrucksvolle Entwickelung des neuen Gelenkes rostral resp. rostro-lateral vor dem alten kommt hierbei gar nicht oder nur nebensächlich in Frage. Auf diese Weise war die durch die ReıcHertschen entwickelungsgeschichtlichen Arbeiten ge- schaffene Situation verschoben; bei Uebertragung der damit geschaffenen ontogenetischen Grundlagen auf das Phylogenetische mußte das neue Gelenk bei den Vorfahren lateral, aber namentlich auch rostral von dem alten zur Ausbildung gekommen sein. GEGENBAUR war ohne Wanken bei diesen Grundlagen geblieben und hatte, um die von ALBRECHT u. a. bezweifelte Möglichkeit einer phylogene- tischen Deutung und physiologischen Existenz derselben darzutun, auf die bekannten Gliederungen des Unterkiefers bei Anurenlarven und bei Scariden als auf Beispiele, nicht Vorstufen, hingewiesen (1898). Eine eigentliche Erklärung für die Ausbildung des neuen mammalen Gelenkes wurde damit noch nicht gegeben; doch war hierdurch schon manches gewonnen, indem erkannt wurde, daß der hintere Abschnitt des alten Unterkiefers gegenüber dem beweglicheren vorderen in eine relative Ruhe- lage trat und daß er, weil der Kaufunktion entfremdet, gegenüber dem sich immer höher entfaltenden _ neuen Unterkiefer in Entwickelung und Größe zurückblieb. Die relativ späte ontogenetische Sonderung des Meckerschen Knorpels wurde für eine ontogenetische Retardation infolge längerer Funktions- unfähigkeit des Unterkiefers während der Fetalperiode erklärt. Wie schon zuvor durch ALBRECHT, so wurde auch jetzt noch die Entstehung des neuen, rostral vor dem alten zur Ausbildung kommenden Gelenkes hinsichtlich ihrer phylogenetischen und funktionellen Möglichkeit bezweifelt. Gapow (1901) hob hervor, daß damit ein intermediäres Stadium geschaffen werde, während welches das betreffende Tier weder seine Kiefer zum Kauen noch sein Trommelfell und seine Gehörknochen zum Hören gebrauchen könne, und gab eine schematische Abbildung, welche diesen Zustand dokumentieren sollte. Rası (1901) erklärte, zugleich unter scharfer Verurteilung des GEGEnBaurschen Verfahrens, ein solches Doppelgelenk ebenfalls physiologisch als undenkbar, weil bei jeder Bewegung im hinteren Gelenk die Gelenkkörper des vorderen auseinandergerissen, dieses Gelenk also zerstört würde, und betrachtete allein die Ausbildung eines in transversaler Achse lateral von dem alten gelegenen neuen Gelenkes als physiologisch möglich, wobei er, unter Exemplifizierung auf Stego- cephalen und Rhynchocephalen, einen phylogenetischen Entwickelungsgang andeutete, der in den wesent- lichen Zügen den bereits von HuxtEv, GaDow, SEELEy und OsBoRN gegebenen entspricht, aber zugleich Jenaische Denkschriften. XI. 75 Festschrift Ernst Haeckel. Zur Frage der Abstammung der Säugetiere. 594 594 die (für ihn als Anhänger der Homologie der Art. incudo-malleolaris mit der Art. quadrato-articularis notwendige) Annahme einer sekundären Sonderung des Uebergangsgelenkes in die lateral-vordere Art. squamoso-dentalis und die medial-hintere Art. quadrato-articularis (incudo-malleolaris) mit weiterem Aus- einanderweichen beider Gelenke behauptete. DRÜNER (1904) endlich betonte, daß trotz GEGENBAURS Hin- weisen auf Scarus und Anurenlarven der Gedanke an eine Uebergangsform auf morphologische und physiologische Unmöglichkeiten führe, und wurde wohl mit dadurch zur Ausführung seiner neuen, schon oben kurz skizzierten Untersuchungen veranlaßt. Ich verkenne keineswegs die großen Schwierigkeiten, welche hier der Uebertragung und An- wendung der ontogenetischen Resultate auf phylogenetische Entwickelungsgänge gegenüberstehen, kann sie aber nicht für unlösbar halten. Wäre dies der Fall, so wäre es um die Bedeutung der Ontogenese sehr übel bestellt, denn gerade hier erscheinen ihre Befunde mehr als viele andere erprobt und gesichert. Im folgenden mögen die drei von GEGENBAUR in Parallele betrachteten Fälle einer Gliederung des Meckerschen Korpels bezw. Unterkiefers auf ihre Bedeutung betrachtet werden: ı) Larvaler Kauapparat der Anuren. Dieser in seinen allgemeinen Verhältnissen schon seit langer Zeit bekannte, aber erst durch die verdienstvollen Untersuchungen von Stöur (1881) und Gaupp (1893) in seiner Genese und seiner Metamorphose genauer erkannte Apparat besteht aus einem oberen und einem unteren Paar von „Lippenknorpeln“, welche mit scharfen, mit Hornzähnchen ver- sehenen Hornplatten bekleidet sind und der Anheftung und Nahrungsaufnahme der Anurenlarve dienen. Der so gebildete Kieferapparat ist sehr kurz und vorwiegend transversal gestellt (ein Verhalten, das, wie GEGENBAUR ausführt, mit der durch die sekundäre Kiemenbildung bedingten Vorschiebung des Kieferapparates der Larven im Kausalnexus steht), leicht beweglich, bildet sich aber mit der Meta- morphose der jungen Tiere zurück. Hierbei werden die „oberen Lippenknorpel“, Abgliederungen der Trabekelhörner (nach GEGENBAUR zur Kategorie der präoralen Skelettteile gehörig), später zerstört; die „unteren Lippenknorpel“, vordere Abgliederungen vom Meckerschen Knorpel, ohne daß es aber dabei zu einer eigentlichen Gelenkspalte käme, vereinigen sich wieder mit dem hinteren Abschnitt des Meckeıschen Knorpels, lassen sich aber auch weiterhin noch durch gewisse Besonderheiten der Lage und Bekleidung erkennen (Gaupp). Es handelt sich somit in diesen Gebilden um eine in Anpassung an die Lebensweise der Larve bedingte Abgliederung eines vorderen, gut funktionierenden und durch besondere Muskeldifferenzierungen bewegten Teiles des Meckerschen Knorpels, während der hintere um diese Zeit mehr in Ruhelage sich befindet. Erst mit der synchondrotischen Verwachsung beider Teile kommt der ganze Meckersche Knorpel unter bemerkenswerten Verschiebungen und Neubildungen des gesamten Kieferapparates (Gaupr) zu seiner vollen physiologischen Geltung. — Eine volle Funktionie- rung des vorderen Abschnittes bei zugleich bestehender kaudaler Gelenkung des hinteren, ohne jedwede Schädigung oder Beeinträchtigung dieses Mechanismus, ist jedenfalls durch das Verhalten des larvalen Kauapparates der Anuren erwiesen. | 2) Kieferbildung der Scariden. Diese in ihren Umrissen zuerst durch CuviEr et VALEN- CIENNES (1839) bekannt gewordene Bildung ist meines Wissens bisher noch nicht näher untersucht worden. Owen (1840—45) hat das betreffende Kieferskelett mit seinen Zähnen abgebildet. Boas (1878) hat die Zahnbildungen genauer behandelt. Dieselben bilden eine aus zahlreichen Reihen zusammen- gesetzte Bepflasterung und dienen mit den kurzen, aber sehr kräftigen und scharf schneidenden Kiefern dazu, die harte mit anorganischen Substanzen durchsetzte Nahrung dieser Fische (hauptsächlich Tange) kleinzukauen. Dieser Aufgabe ist die besondere Kieferbildung glücklich angepaßt. Durch die Güte 595 Zur Frage der Abstammung der Säugetiere. 595 der Herren Möpıus und Max WEBER war ich in den Stand gesetzt, schon vor Jahren einige Scariden (Scarus squalidus, abildgaardi und cretensis, Pseudoscarus pyrrhosthetus) zu untersuchen. Der knöcherne Unterkiefer derselben besteht aus dem kleineren und schwächeren Articulare (mit dem wahrscheinlich das Angulare ankylosiert ist, das mit dem OQuadratum durch ein wenig ausgiebige Bewegung ge- stattendes Gelenk verbunden ist, und dem größeren und kräftigeren Dentale (Praemandibulare Owen), welche leicht beweglich, aber durch starke Bänder miteinander zusammenhängen; das Dentale hat zugleich einen namentlich bei Pseudoscarus hochdifferenzierten, nach oben und hinten aufsteigenden Proc. ascendens entwickelt, der sich mit dem Supramaxillare verbindet, und zwar derart, daß hier kräftiges peripheres Fasergewebe nebst aufliegenden accessorischen Bändern und eine zentrale Bindegewebsmasse unterschieden werden kann, welche den beiden Knochen anliegende lockere Lagen und eine zwischen denselben befindliche festere Scheibe erkennen läßt. So zeigt diese Syndesmosis supramaxillo-dentalis die Tendenz zu einem mit Meniscus versehenen Gelenk (Paenarticulatio). Bei Scarus squalidus und abildgaardi war der aus dem Articulare resp. Articulare + Angulare herauskommende schlanke MEcxersche Knorpel an der Medialseite des knöchernen Unterkiefers in einiger Ausdehnung zu sehen, bis er sich, nach vorn verlaufend und dabei platter werdend, in das Dentale einsenkte; bei Scarus cretensis zeigte er in diesem Verlaufe in einer kurzen Strecke bereits eine Umwandlung in Ligament; bei Pseudoscarus pyrrhosthetus war an Stelle der freien Verlaufsstrecke nur noch (infolge der schlechten Erhaltung stark mazeriertes) Bindegewebe zu sehen. Die sehr kräftigen Kaumuskeln inserieren in charakteristischer Verteilung am Praemaxillare, Articulare und Dentale. Alle Teile sind gegenseitig verschiebbar, aber die Beweglichkeit des Dentale gegenüber dem Articulare und Supramaxillare tritt in den Vordergrund und gestattet zugleich eine Art Mahlbewegung. Der betreffende Apparat bildet somit eine — in Anpassung an die bei den Scariden zu lösende besondere Aufgabe der Zerkleinerung und Zermalmung harter Nahrung erfolgte und zeitlebens persistierende — höhere Differenzierung des Kieferapparates unter Gliederung des Mecxeıschen Knorpels (intermediäre bindegewebige Degeneration) an der zwischen Articulare und Dentale befindlichen Strecke, unter Lockerung der gegenseitigen Verbindung des Articulare und Dentale und unter Ausbildung einer pänartikularen Verbindung zwischen Supramaxillare und Dentale, die sich einem wirklichen Gelenke mit Meniscus nähert. Ueber die Ontogenese dieser Ein- richtung ist leider nichts bekannt. — Mit diesem Befunde ist eine Bildung in Erscheinung getreten, welche selbstverständlich kein Homologon des Kiefergelenkes der Mammalia repräsentiert, aber zu dem- selben eine recht weitgehende Parallele bildet und jedenfalls zeigt, daß auch hier zwei hintereinander befindliche bewegliche Knochenverbindungen existieren können, eine kaudale Art. quadrato-articularis und eine rostrale Paenart. supramaxillo-dentalis, ohne sich in ihrer Leistungsfähigkeit zu stören oder zu schädigen. Auch hier hat die vordere Verbindung die Hauptaufgabe der Kaufunktion übernommen. 3) Kiefergelenk der Mammalia. Wie bei den Anurenlarven und den Scariden, liegt auch hier eine sekundäre Sonderung des Meckerschen Knorpels in einen vorderen und hinteren Ab- schnitt resp. eine Abtrennung von dem Articulare vor, und wie bei den Scariden, bildet das hintere Articulare mit dem Quadratum eine in mäßigem Grade bewegliche Articulatio, während das vordere Stück des Meckerschen Knorpels von dem Dentale umscheidet wird, das einerseits eine neue, der _ Kaufunktion dienende Gelenkung von ausgiebiger Bewegung einging. Die Differenz zwischen den betreffenden Gelenken der Scaridae und Mammalia beruht also in der Hauptsache darauf, daß bei den ersteren eine Paenarticulatio des Dentale mit dem Supramaxillare, bei den letzteren eine Articulatio des Dentale mit dem Squamosum gebildet wird, und daß das Articulare und Dentale bei den Scaridae noch in einem beweglichen Verband stehen, während sie sich bei den Mammalia weit voneinander entfernt TS“ Zur E der Abst der Säugetiere. 596 ur Frage der Abstammung der Säugetiere j 596 haben. Der Unterschied der unvollkommenen und vollkommenen Gelenkbildung wiegt morphologisch nicht schwer, ebensowenig aber auch andererseits die Uebereinstimmung hinsichtlich des Meniscus, der wohl bloß eine spezielle Anpassung an die jeweilige besondere Formation und Funktion der Gelenk- flächen der Knochen bildet, auch. bei den Säugetieren keineswegs allgemein verbreitet ist (fehlt z. B. gerade den Monotremen). Schon aus diesem Grunde wird die von Broox behauptete Homologie des Quadratum der Non-Mammalia mit dem Meniscus der Mammalia hinfällig. Von größerer Bedeutung ist dagegen die Differenz betrefis des Verbandes des Dentale mit dem Supramaxillare (Scaridae) oder Squamosum (Mammalia); hier kann man im günstigsten Falle höchstens eine inkomplette Serialhomologie annehmen, wird aber vorsichtigerweise nur von einer Analogie reden. Es sei daran erinnert, daß bei zahlreichen Mammalia das Kiefergelenk sich nicht auf das Squamosum beschränkt, sondern daß auch nicht selten das davor liegende Jugale, in einzelnen Fällen auch das Pterygoid daran Anteil nehmen kann. Die andere angegebene Differenz im gegenseitigen Verhalten des Dentale und Articulare ist gleich- falls eine bedeutsame und zeigt die bei den Scariden noch in einem mittleren Stadium stehen gebliebene Sonderung beider Knochen bei den Mammalia zu hoher gegenseitiger Freiheit gelangt. Es liegt mir also fern, irgendwie nähere morphologische Beziehungen zwischen den Bildungen der Scariden und Säuger anzunehmen; als seriale Analoga sind sie aber interessant und lehrreich. Soweit mir bekannt, liegt die Art. squamoso-dentalis der Mammalia, von sehr wenigen Ausnahmen (Ornithorhynchus, gewisse Cetacea) abgesehen, immer rostro-laterala von der Art. incudo-malleolaris. Nur in den Ausnahmfällen befindet sie sich lateral oder kaudo-ateral von den Gehörknochen, wohl infolge einer sekundären Ausdehnung und Verlängerung ‚des Dentale nach hinten, denn die genannten Tiere repräsentieren hinsichtlich des Unterkiefers keineswegs primäre Formen. Doch wird man zur sicheren Entscheidung dieser letzteren Frage noch weitere Instanzen abwarten müssen. Zugleich zeigt aber die Onto- genese der hierauf genauer untersuchten Säugetiere, daß die rostrale Lage der Gelenkfläche des Dentale und Squamosum gegenüber der Art. incudo-malleolaris bei jüngeren Embryonen noch mehr in den Vorder- grund tritt als bei älteren; Parkers Bilder (1884/85), die in dieser Hinsicht wohl als treu anzusehen sind, zeigen bei Talpa und Erinaceus in den jüngeren Stadien eine beträchtliche longitudinale Entfernung, mit zunehmender Entwickelung eine größere Annäherung beider Gelenke, somit das Gegenteil einer ursprünglichen Nebeneinanderlagerung in transversaler Achse, wie sie Rapı behauptet. Auch ist meines Wissens bisher noch keine Beobachtung bekannt geworden, welche die von dem gleichen Autor postu- lierte Sonderung eines ursprünglichen (promammalen) gemeinsamen Gelenkes zwischen Unterkiefer und Ouadratum + Squamosum in zwei in transversaler oder annähernd transversaler Achse liegende, nach und. nach mehr und mehr auseinanderweichende Gelenke (Art. squamoso-dentalis und incudo-malleolaris) irgendwie beleuchtete. Mir scheint daher, daß GEGENBAURS auf den Funden der Ontogenese ruhende Hypothese physio- logisch wohl denkbar ist und daß sie auch in morphologischer Hinsicht nicht ohne weiteres als un- möglich erklärt zu werden braucht. GEGENBAUR war ein Morpholog, der seine Behauptungen reiflich erwog. Daß bei ihrer Annahme ein Zwischenstadium existieren müsse, in welchem die Säugetier- vorfahren weder kauen noch hören konnten (Gapow), ist mir unverständlich. In dem Maße, als das vordere Gelenk sich mehr und mehr ausbildete und funktionierte, trat — wie bei den Scariden — das hintere mit seinen es zusammensetzenden Skelettteilen an Umfang und Beweglichkeit mehr und mehr zurück. Dieses relative Zurückbleiben der ursprünglich recht ansehnlich angelegten Komponenten (Hammer und Ambos) gegenüber ihrer Umgebung ist ontogenetisch direkt zu demonstrieren und. steht auch zu dem Verhalten der hierbei vornehmlich in Betracht kommenden Weichteile (Ligamente, Musc. 597 Zur Frage der Abstammung der Säugetiere. 597 tensor tympani, rückläufiger Bogen der Chorda tympani etc.) in bestem Einklang. In dieser Hinsicht geht die vorliegende Hypothese nicht einmal so weit wie Hvuxtev und Gapow, welche zu Gunsten ihrer Hypothesen selbst eine ganz unterbleibende Ausbildung oder völlige Rückbildung des Articulare annahmen. Soweit bisher nachgewiesen, besteht der mammale Unterkiefer aus dem Dentale und den von ihm umschlossenen Resten des vorderen Abschnittes des Meckeischen Knorpels, wozu noch die weiter unten zu besprechenden Knorpelelemente kommen, der Hammer aus Articulare + Angulare. Für letzteren (Hammer) wird von PARKER (1884/85) auch eine Anteilnahme des Supraangulare (Phascolarctos) betont, während Kınesrey und Ruppick in seinem ersten Aufbau die Mitbeteiligung eines intermediären Visceralbogens, DRÜNER eine solche des Hyoidbogens angeben. Für diese drei Angaben, deren Möglichkeit ich keineswegs bestreiten will, sind die eingehenden Nachweise noch zu erwarten. Hin- sichtlich der Deutung unterscheide ich mich allerdings wesentlich von Kınsstey und Ruppick, da ich an die wirkliche Existenz eines zwischen dem Kiefer- und Zungenbeinbogen befindlichen Visceralbogens, wie oft er auch von diesem oder jenem Autor bei niederen Gnathostomen behauptet und nachzuweisen versucht wurde, nicht glaube. Die Differenz in der knöchernen Zusammensetzung des mammalen und non- mammalen Unterkiefers ist von den meisten Autoren als eine jeden Vergleich in toto ausschließende hervorgehoben. Diesen stimme ich bei. Auch für mich ist der Unterkiefer der Säugetiere nur ein Teil desjenigen der Nicht-Säugetiere. Einige von diesen Autoren haben zugleich auf die Verschiedenheit der Gelenkflächen beider Unterkiefer aufmerksam gemacht: bei den Mammalia befinde sich die konvexe Gelenkfläche am Unter- kiefer, bei den Non-Mammalia am QOuadratum. Dies sei eine fundamentale, ebenfalls jede direkte Ver- gleichung ausschließende Differenz. Dieser Instanz kann ich indessen keine Beweiskraft zuerkennen. Die vergleichende Gelenklehre zeigt uns an ungemein zahlreichen Beispielen, daß Gelenke, über deren Homologie gar kein Zweifel bestehen kann, bei den verschiedenen Tieren, je nach der wechselnden Funktion, recht ungleich gebildet sind. Auch wissen wir durch die Untersuchungen und Beobachtungen von RvDER, CopE, BOULENGER, BAUR, GAUPpP u. a, wie verschiedenartig sich auch die Gelenkflächen der Kiefergelenke innerhalb der Amphibien, Sauropsiden und Säuger verhalten (bei Rana bildet sich während der Ontogenese die Gelenkfläche des Quadratum von einer walzenförmigen Konvexität zur Pfanne um; gewisse Testudinata zeigen am Unterkiefer einen deutlichen Condylus und ebenso die Mammalia an der kranialen Gelenkfläche recht wechselnde, durchaus nicht immer als reine Konkavitäten zu beurteilende Formen). Die Form der Gelenkfläche spielt keine Rolle bei der Bestimmung der Hombologien. Andere Untersucher haben die prinzipielle Verschiedenheit des mammalen und non-mammalen Unterkiefers zu überbrücken gesucht, indem sie auch für den ersteren eine ursprüngliche Anlage aus mehreren Deckknochen postulierten und einerseits deren rapide Verschmelzung zu einem einheitlichen Stücke, andererseits deren teilweise Reduktion annahmen. So haben z. B. von Gegnern der REIcHERT- schen Lehre Humeury (1865) am Unterkiefer der Mammalia eine Verschmelzung des Dentale, Coro- noideum, Angulare und Articulare, SEELEY (1889) eine solche des Dentale, Supraangulare und Articulare (unter gleichzeitiger Rückbildung des Angulare, Spleniale und Coronoideum) und DRÜNER (1904) eine cänogenetische Vereinigung des Dentale, Angulare und Articulare angenommen, während PARKER (1885), sowie Kınestev und Ruppick (1901) als Anhänger dieser Theorie am mammalen Unterkiefer eine dentale und spleniale Region unterschieden und für eine schnelle Verschmelzung eintraten. Somit lauter An- 59 8 Zur Frage der Abstammung der Säugetiere. 598 nahmen, die im Detail voneinander abweichen und denen nur das gemeinsam ist, daß bisher noch keine bewiesen wurde Humpury und SEELEy haben offenbar die Vergleichung mit Reptilien, KıncsıEy und Ruppick, sowie DRÜNER diejenige mit Amphibien im Auge. Auch OsBorn (1898) ist dieser Theorie und dem Vergleich mit Reptilien zugeneigt, ohne aber die in Frage kommenden Knochen anzugeben. Verschmelzungen einzelner oder aller Deckknochen finden sich auch im Unterkiefer der Non- Mammalia (s. oben S. 589, 590); zu ihrem Nachweis bedarf es meist keiner besonderen ontogenetischen Untersuchung, sondern es genügt dafür die einfache Nebeneinanderstellung jüngerer und älterer Tiere. Die sekundäre Rückbildung einzelner Deckknochen, z. B. des Operculare (Spleniale) und Coronoideum, konnte gleichfalls bei gewissen Amphibien und Reptilien entweder direkt bewiesen oder durch die Ver- gleichung mit ganz nahen Verwandten höchst wahrscheinlich gemacht werden. Für beiderlei Nachweise hat aber die Ontogenese und vergleichende Anatomie bei den Mammalia trotz vieler aufgewendeter Mühe bisher durchaus versagt. Es liegen also bezüglich der behaupteten Verschmelzungen und Rück- bildungen zum mindesten erst noch zu lösende Aufgaben vor. Komplizierter ist die Aufgabe, wenn man von dem aus 6—7 Knochen zusammengesetzten Unterkiefer der Reptilien ausgeht; hier bedarf es des Nachweises recht vieler Ankylosierungen oder Reduktionen. Erheblich einfacher wird sie bei Ver. gleichung mit dem nur aus 2—4 Komponenten gebildeten Unterkiefer der Amphibien; hier kann das - Operculare fehlen und das Angulare mit dem Articulare verwachsen sein (s. S. 589). Das ergibt ein Verhalten, wie es der Unterkiefer der Mammalia während einer gewissen ontogenetischen Entwickelungs- periode darbietet. Kommt dazu noch das Verhalten der Chorda tympani, die, soweit bis jetzt bekannt (insbesondere sei auf DRÜNER 1903 verwiesen), bei Reptilien stets im Unterkiefer, bei Amphibien ent- weder ın demselben oder medial neben ihm (letzteres namentlich bei Perennibranchiaten und Anuren), bei Mammalia ausnahmlos medial neben ihm verläuft. Der Unterkiefer der Amphibien bildet somit gewissermaßen eine genetische Vorstufe desjenigen der Mammalia; letzterer ist von ersterem durch die einfache und erweis- liche Annahme einer Sonderung in das vordere Dentale (mammaler Unterkiefer, und das hintere Articulare + Angulare (mammaler Hammer) abzuleiten, ohne daß es hierbei der komplizierten und unerwiesenen Hilfsannahmen von Verschmelzungen und Rückbildungen dieser oder jener Elemente bedarf. Eine weitere, die Homologisierung des hinteren Endes des mammalen Unterkiefers mit dem Articulare verbietende Instanz bildet das Verhalten des Musc. depressor mandibulae. Dieser in wechselnder Weise von dem hinteren Teile des Schädels und dem Anfange des Halses entspringende und am hinteren Unterkieferwinkel (Articulare, Angulare) inserierende, vom N. facialis innervierte Muskel findet sich bekanntlich als kräftiger Kiefermuskel bei den Non-Mammalia, fehlt aber als solcher allen Mammalia, weil eben bei diesen das Articulare und Angulare nicht im Unterkiefer enthalten ist. Auch das genaueste Suchen am Unterkiefer der Säugetiere hat mir nichts auf jenen Muskel beziehbares ergeben. Bei Monotremen existiert ein Muskel von ähnlichem Verlaufe und ähnlicher Funktion; derselbe wird aber, wie CH. Wesrıung fand und wie ScHULMAN und ich bestätigen konnten, vom N. trigeminus versorgt, ist ihm somit nicht homolog, ‚sondern eher zu dem vorderen Bauch des M. digastricus mandibulae in Vergleich zu bringen. Dagegen wird ihm ein anderer Muskel, der sich bei verschiedenen Säugetieren vom Kieferwinkel zur Ohrmuschel erstreckt M. mandibulo-auricularis), von CHAINE (1903) nach Untersuchungen an Edentaten, wo CHame eine Innervation durch denN. facialis beobachtete, homologisiert. Ruce (1886) hatte bei Prosimiern eine Versorgung durch den N. trigeminus gefunden und ihn daher zu der Gruppe der trigeminalen Kaumuskeln in genetische Relationen gebracht. Ich kann die Inner- Zur Frage der Abstamwung der Säugetiere. 599 r © S 599 vation des M. mandibulo-auricularis der Edentaten durch den N. facialis bestätigen, nicht aber die Homologisierung mit dem M. depressor mandibulae der Amphibien und Sauropsiden; Beziehungen zum Platysma und zur Gesichtsmuskulatur halte ich für wahrscheinlicher und erwarte jedenfalls für die Auf- stellung sicherer Homologien viel ausgebreitetere und minder widerspruchsvolle Untersuchungen, als bisher vorliegen. Das wahre Homologon des M. depressor mandibulae der Non-Mammalia erblicke auch nicht wie RucE (1897) in dem hinteren vom N. facialis versorgten Bauche des M. digastricus der Mammalia, wenngleich ich dieser Homologisierung einen viel höheren Wert zuerkenne, als den sonst versuchten. Von einem direkten Homologon des Depressor mandibulae wäre eine Insertion am Articulare resp. Angulare, d. h. am Hammer, zu verlangen; ein solches Gebilde wurde aber bisher ver- geblich gesucht. Die Vorfahren der Mammalia haben es sonach entweder nicht in gut differenziertem Zustande besessen oder es war vorhanden, wurde aber vollkommen zurückgebildet. Die Entscheidung dieser Frage dürfte zugleich Licht auf die Phylogenese der Säugetiere werfen; im ersteren Falle wären die Mammalia von sehr tiefstehenden Gnathostomen abzuleiten, im letzteren von solchen, die sich mehr den Amphibien näherten. Hier hat die Untersuchung erst zu beginnen. Den Digastricus mandibulae der Säugetiere führe ich dagegen auf eine sekundäre Verbindung der dorsalen hyoidalen Portion des Facialis- Constrietor (Stylo-hyoideus und hinterer Bauch des Digastricus) und des ventralen Trigeminus-Constrictor (Intermandibularis trigemini resp. Mylohyoideus und vorderer Bauch des Digastricus) zurück. Diese beiden Bäuche können unter Umständen zu einem ganz einheitlich erscheinenden, aber durch die doppelte Innervation seine ursprüngliche Zusammensetzung noch offenbarenden Muskel verschmelzen; mitunter tritt auch der hintere Bauch in Rückbildung, während der vordere sich weiter nach hinten erstreckt und imitatorisch den Ursprung des hinteren übernimmt. Auf diese interessanten und wechselnden Ver- hältnisse ist indessen hier nicht weiter einzugehen. Ein wichtiges Desiderat bildet die vergleichend- ontogenetische Durchmusterung der Gegend des Manubrium und Proc. accessorius mallei mit Rücksicht auf eventuelle letzte Reste eines rückgebildeten Depressor mandibulae. Als große Schwierigkeit für die Homologisierung des mammalen Unterkiefers mit dem Dentale der Non-Mammalia haben die meisten Autoren hervorgehoben, daß das Dentale der letzteren nicht bis zum Quadratum oder Squamosum reiche, also als Gelenkbildner in jener Gegend nicht in Frage kommen könne. Bei den Anomodontia nehme das Dentale wenigstens an der Bildung des Proc. coronoideus Teil, so daß hier eine Annäherung an die Verhältnisse bei den Säugetieren zu beob- achten sei, wenngleich zwischen beiden Abteilungen immerhin noch ein Intervall bestehe (SEELEY 1898). Dieser Befund einer Anteilnahme des Dentale am Proc. coronoideus beschränkt sich aber keineswegs auf die Anomodontia, sondern findet sich auch sehr verbreitet bei den Testudinata sowie bei Sphenodon, wo die vom N. trigeminus versorgte Kaumuskulatur nicht nur am Coronoideum, Articulare und. Supra- angulare, sondern zum Teil auch am oberen Rande des Dentale inseriert; auch bei den Urodelen heftet sich ein ganz ansehnlicher Teil derselben an das Dentale Noch mehr aber erscheint bemerkenswert, daß bei einzelnen Testudinata und bei Sphenodon das hier wie bei vielen anderen Reptilien in der Regel mit zwei hinteren Zipfeln, einem oberen und einem unteren, auslaufende Dentale sich der Gelenk- region des Unterkiefers ungemein nähert, daß es ferner bei Urodelen und Gymnophionen, wo es in der Regel mit einem einfachen Zipfel hinten endet, sich noch weiter kaudalwärts als bei irgend einem mir bekannten Reptil erstreckt und bis zum Niveau des Gelenkes reicht (viele Urodelen) oder dasselbe, an dem retroartikularen Abschnitt des Unterkiefers weiter nach hinten verlaufend, sogar nicht unerheblich überragt (Gymnophionen). Testudinata, Anomodontia und Rhynchocephalia, noch mehr aber Urodela und Gymnophiona zeigen somit in der Ausdehnung ihres Dentale ein Verhalten, welches seine hohe Entfaltung 600 Zur Frage der Abstammung der Säugetiere. 600 zum mammalen Unterkiefer durchaus verständlich sein läßt. Und wenn GADow auf den hinteren Fort- satz (Proc. angularis) des Unterkiefers tieferstehender Säugetiere hinweist und dabei betont, daß dessen Bildung erst durch die Annahme früher bestandener intimer Beziehungen zu dem Quadratum = Tym- panicum verständlich werde, so darf wohl mit mehr Recht auf die weite kaudale Ausdehnung des hinteren Zipfels bei den genannten Amphibien aufmerksam gemacht werden, welcher meiner Ansicht nach den hinteren Proc. angularis besser erklärt als die Gapowsche Hypothese und die von ihm hervorgehobene lockere Anlagerung an das Tympanıcum bei einigen daraufhin untersuchten jugendlichen Mammalia (Halmaturus und Didelphys nach PETERS, Orycteropus nach Gapow, Perameles nach. meiner Beob- achtung). Zur Stütze der Verwandtschaft der Anomodontia und Mammalia ist auch die synostotische V er- wachsung der beiden Unterkieferäste an ihrer vorderen Verbindung angeführt worden. Dieser Beweis ist ganz hinfällig, denn geradeso wie die verschiedenen Gelenkformen werden auch die mehr oder minder intimen Knochenverbände (Synostosen, Suturen, Symphysen, Syndesmosen) lediglich durch die besondere Funktion bestimmt, fallen somit in das Gebiet der Analogien und Isotimien. Die Syno- stose an dieser Stelle teilen aber die Mammalia nicht nur mit den Anomodontia und Testudinata, sondern auch mit den Pterosauriern und Vögeln, die von ihnen so weitab als möglich stehen. Außerdem aber ist die betreffende Synostose kein durchgreifender Charakter der Testudinata, Anomodontia und Mam- malia, indem sich bei Vertretern aller drei Abteilungen an ihrer Stelle auch zahlreiche Verbände durch Sutur oder Symphyse finden. Die ontogenetische Entwickelung des mammalen Unterkiefers (Dentale) und Kiefergelenkes bietet noch ein besonderes Interesse durch die von zahlreichen Untersuchern (hinsichtlich des näheren ver- gleiche namentlich SCHAFFER und Gaupp) nachgewiesenen Knorpelelemente im aufsteigenden Teile der Mandibula und im unteren Abschnitte des Squamosum (siehe oben S. 590). Von anderer Seite sind dieselben geleugnet worden; wie ich meine, mit Unrecht. Diese Knorpelelemente treten nach be- währten Angaben erst im Verlaufe der weiteren Entwickelung in der ursprünglich rein bindegewebigen Anlage des Deckknochens auf, zuerst nur als knorpelähnliche (chondroide ScHAFFER) Gebilde, die aber nach und nach alle Eigenschaften echten Knorpels annehmen und geraume Zeit hindurch in der Ent- wickelung der dem Gelenk benachbarten Abschnitte des Dentale und Squamosum eine bemerkenswerte Rolle spielen; schließlich fallen sie der modifiert enchondralen und namentlich der perichondralen Ossifikation größtenteils anheim und bleiben nur in den auch einigermaßen umgewandelten Gelenkknorpeln des Squamosum und der Mandibula erhalten. Die morphologische Bedeutung dieser Knorpelelemente liegt noch sehr im Dunkeln. Ihr relativ spätes Auftreten läßt daran denken, daß sie nur accessorische Gebilde repräsentieren, sekundäre Um- wandlungsprodukte des primordialen Stützgewebes, wie sie sich in der Form von vesikulösem Gewebe (SCHAFFER) in den verschiedensten Gegenden des Körpers, auch in solchen, die dem Skelettsystem fern- stehen, vorfinden. Die auch für die histogenetischen Entwickelungsprozesse geltende Kontinuität läßt da- gegen einem Anknüpfen an bereits vorhandene oder früher vorhanden gewesene Gebilde an den ent- sprechenden Stellen den Vorzug geben. Namentlich GEGENBAUR (1898) hat eine Verbreitung des ganzen Knorpelskelettes von einem bestimmten Entstehungszentrum aus behauptet und Gaupp hat in seinem tatsachen- und gedankenreichen Referate „Alte Probleme und neuere Arbeiten über den Wirbeltierschädel“ (1901) unter anderen Fragen auch diese eingehender behandelt. Es sei nur auf eines von vielen Beispielen verwiesen, auf das Auftreten von Knorpel bei der Bildung der Geweihe und Stirnzapfen mitten in einer Gegend, die bei den Säugetieren dem Knorpelkranium längst entfremdet ist: jene Gegend gehörte einst- 601 Zur Frage der Abstammung der Säugetiere. 601 mals dem knorpeligen Kranium an und von da mag sie noch die virtuellen Keime für die Knorpel- bildung im Bindegewebe bewahrt haben. Die Knorpelanlagen in der mammalen Mandibula haben, wie bereits mitgeteilt, EmERY (1903) zu einer Homologisierung derselben mit dem Ouadratum veranlaßt. Wie sehr ich anerkenne, daß EmeRrY diesen Knorpelelementen damit eine besondere Beachtung zu Teil werden ließ, so kann ich doch der speziell von ihm angegebenen Vergleichung nicht folgen; ich finde das Homologon des Quadratum nach wie vor im Incus. — Eine andere Deutung hat bereits PARKER (1885) versucht und Kınsstey und Ruppick (1900, 1901) sind ihm auf diesem Wege gefolgt. Danach stellten die Knorpelelemente des Dentale der Säuger umgewandelte Reste des primordialen unteren Labialknorpels der Selachier dar, und das Dentale bilde den auf dieser Grundlage entstandenen Deckknochen. Es wird somit hier ein ähnlicher Prozeß postuliert, wie er auch für das Praemaxillare und Supramaxillare mit Rücksicht auf die beiden oberen Lippenknorpel angegeben worden ist. Während aber die genetischen Relationen dieser beiden maxillaren Knochen mit guten Gründen belegt, zum Teil auch durch den Nachweis ihrer Entstehung bei den Ganoiden fundiert wurden (GEGENBAUR 1898), schwebt die behauptete Genese des mammalen Dentale zunächst noch in der Luft, indem ihr jede Vermittelung durch entsprechende Verhältnisse bei tiefer stehenden Gnathostomen abgeht. Ich halte die Persistenz von den unteren Lippenknorpeln entstammenden virtuellen Knorpelkeimen im Dentale der Säugetiere für möglich, möchte aber zunächst noch eine eingehende ontogenetische Durchmusterung der Dentalia der Ganoiden, Dipnoer und Amphibien mit Rücksicht auf solche Knorpelelemente verlangen, ehe ich der vorliegenden Behauptung eine gewisse Wahrscheinlichkeit zuerkenne. — Endlich hat DrRÜner (1904) den Condylus des Säugetier-Unterkiefers von einem mit dem Meckerschen Knorpel zusammenhängenden lateralen Chondroblastem abgeleitet; auch hierfür ist noch die ausführliche Arbeit erwünscht. In dem ventralen Teil des Squamosum sind sowohl bei Säugetieren wie bei Vögeln Knorpel- elemente nachgewiesen worden; danach werden sie wohl auch noch bei anderen Wirbeltieren vorkommen. Woher sie stammen, ist gleichfalls nicht bekannt. Gaurp (1901) hat an die Möglichkeit einer Ableitung von der knorpeligen Ohrkapsel gedacht, enthält sich aber neuerdings (briefliche Mitteilung) einer Ent- scheidung in dieser oder jener Richtung. DRÜNER (1904) tritt, analog wie bei dem Condylus articularis des Unterkiefers, auch betreffs des Gelenkknorpels des Squamosum der Mammalia für eine Zugehörigkeit zu dem hinteren und dorsalen, von ihm bereits zu dem Quadratum gerechneten Abschnitte des Meckerschen Knorpels ein, indem er diesen Gelenkknorpel von einem dem Meckeıschen Knorpel ver- bundenen Chondroblastem ableitet. — Somit liegen auch hier, bei den zur Zeit bestehenden Differenzen der Angaben, noch spezielle Aufgaben für die Untersuchung vor. Erscheint auch trotz vieler noch zu lösender Details und zu entscheidender Kontroversen die Ontogenese des mammalen Kiefers und Kiefergelenkes in der Hauptsache klargelegt, ist auch ihre physiologische Möglichkeit namentlich durch die Parallele der scariden Kieferbildung erprobt, so erhebt sich doch die Frage nach ihrem phylogenetischen Kausalnexus. Was war Ursache und was gab Veranlassung, daß bei den Vorfahren der Mammalia, die mit großer Wahrscheinlichkeit ein Kiefer- gelenk und einen Unterkiefer nach Art streptostyler Proamphibien (Vorfahren primitivster Proreptilien) mit beschränkter Deckknochenzahl besaßen, eine Umwandlung dieser Gebilde statthatte, in der Art, wie ihn die Ontogenese uns an die Hand gibt? Diese Frage ist wiederholt aufgeworfen worden, ihre Beantwortung wurde auch als eines der wichtigsten Desiderate auf dem Gebiete der vergleichenden Schädellehre bezeichnet, — an Stelle wirklicher Versuche zu ihrer Lösung liegen jedoch bis jetzt nur einige Andeutungen vor, die zum Teil nicht einmal in Jenaische Denkschriften. XI. 26 Festschrift Ernst Haeckel. 602 Zur Frage der Abstammung der Säugetiere. 602 direkte Beziehung zu der vorliegenden Frage gebracht wurden. Das ist begreiflich. Der vorsichtige Forscher enthält sich gern jedes Eindringens in Regionen, wo ihn die sichere Leitung reeller Untersuchung verläßt, wo er Gefahr läuft, unabsehbare Irrwege zu betreten. Wenn ich mich jetzt trotzdem an die Aufgabe wage, so geschieht es selbstverständlich mit aller Reserve. Die folgenden Ausführungen sollen nicht mehr sein als ausgestreckte Fühler, als aufgeworfene Fragen, deren Beantwortung mit Rücksicht auf ihre Wahrscheinlichkeit oder Möglichkeit oder Unwahrscheinlichkeit im Schoße der Zukunft ruht. Da aber nach dem Ausspruche eines unserer größten Geistesheroen selbst schlechte Hypothesen, wenn sie auch ihrem Autor schaden mögen, doch für den allgemeinen Fortschritt der Erkenntnis fördernder sind als gar keine, so sehe ich keinen tieferen ethischen Grund mich zurückzuhalten, denn der Nutzen oder Schaden für die Persönlichkeit steht gegenüber der Pflicht für die Sache doch in allerletzter Linie. Aus den bisher vorliegenden Materialien kann man einige auslesen, die mit Rücksicht auf die vorliegende Frage eventuell von Bedeutung sein können. Das ist namentlich die Vergrößerung des Gehirns der Säugetiere, ferner die durch die Ontogenese dargetane Verkürzung ihrer Kiefer, welche durch die Verhältnisse bei den Anurenlarven und Scariden eine gewisse Beleuchtung erfuhr, endlich der gleichfalls ontogenetische Nachweis einer Lockerung des mammalen Kieferapparates gegenüber seiner ursprünglich mehr zusammenhängenden Anlage. Das sind gesicherte Grundlagen für den Ausgang. Die breite Anlage des Gehirns ist schon bei den tieferstehenden Säugetieren, wie auch bei ihren frühtertiären Formen erkennbar; noch frühere mammale Reste sind nicht genugsam erhalten, um hierüber Auskunft geben zu können. Vornehmlich handelt es sich dabei zuerst um die Stammteile und das Cerebellum; das Großhirn gewinnt erst nach und nach seine hohe Entfaltung. Verschiedene Morphologen haben bereits auf den den Schädel umgestaltenden Einfluß des Gehirnwachstums der Säugetiere hin- gewiesen; namentlich Gaupp und GEGENBAUR seien hier genannt. Gaupp hat insbesondere hervorgehoben, daß zufolge dieses Wachstums der mammale Jochbogen (Schläfenbogen) ventralwärts gedrängt, das Quadra- tum verkleinert, die Schädelbasis immer mehr dem Unterkiefer genähert und das Tympanicum vom Joch- bogen abgelöst und als Stütze des Trommelfells in eine ventrale Lage gebracht werde. Gern stimme ich diesen Beobachtungen und Gedanken in der Hauptsache bei, sie geben jedoch nur für einen Teil der vorliegenden Frage eine Erklärung. Die Entstehung des neuen, in rostro-lateraler Lage von dem alten befindlichen Kiefergelenks wird durch sie nicht berührt. Die unmittelbare Ursache dieser Ent- stehung ist auch nicht im Gehirnwachstum gegeben, steht aber zu demselben meines Erachtens doch in mittelbarem Konnex. Die vom Gehirn abhängige Verbreiterung der Schädelbasis erfolgt in allen ihren Teilen, vornehmlich aber dadurch, daß bisher laterale Schädelteile zu lateralen Abschnitten der ventralen Schädelfläche werden. Das alte Quadrato-Artikular-Gelenk, das bisher lateral vom Gehirn und lateral vom inneren Ohr sich befand, in einer Lage, welche jede Störung dieser beiden Organe auch bei den kräftigsten Kauakten ausschloß, kam jetzt mit dem inneren Ohr an die ventrale Schädelfläche, somit ventral unter das Gehirn und auch zugleich in nähere Nachbarschaft zu dem inzwischen kompli- zierter gestalteten inneren Ohr zu liegen, also in eine beide Organe unter Umständen (bei größerer Druckwirkung) bedrohende Stellung. Eine Verlegung des vorhandenen Gelenkes in eine minder gefährdende, d. ı. vom Labyrinth weiter entfernte und wieder an der Seitenfläche des Schädels befindliche Lage wäre wegen der topographischen Korrelationen dieses in Funktion befindlichen Gelenkes von einer Summe tiefeingreifender Veränderungen begleitet gewesen. Den minder komplizierten Weg der Umbildung gewährte die Ausbildung eines ganz neuen Kaugelenkes unter Benutzung eines lateral und vorn vom alten befindlichen Dentale und Squamosum. Damit wurde der minder bedrohende Effekt erzielt, wobei auch die rostrale Lage vor dem Petrosum nicht außer acht zu lassen ist. Mit der Funktionierung 603 Zur Frage der Abstammung der Säugetiere. 60 3 des neuen Squamoso-Dental-Gelenkes waren zugleich die Bedingungen für eine abnehmende Beanspruchung des alten Quadrato-Artikular-Gelenkes und eine konsekutive Verkleinerung der betreffenden Knochen infolge geringeren Gebrauches und Funktionswechsels gegeben. Da sich die neue Einrichtung gegen- über der alten bewährte, kam sie zur Vererbung und weiteren Ausbildung. Mit der ferneren und höheren Entfaltung des Säugetierstammes gewann das Großhirn eine weitere außerordentliche Zunahme seines Volumens; diese hatte u. a. auch eine so weit lateralwärts erstreckte Ausdehnung seines Temporal- lappens zur Folge, daß dieser gegen einen von unten her stattfindenden Druck des Kaugelenkes nur durch die feste Schädelumhüllung geschützt ist. Die Lage des Gelenkes hat sich hier der vorauseilenden Gehirnentwickelung nicht vollkommen angepaßt; doch ist die eventuelle Gefährdung nach Lage und Bedeutung des betreifenden Gehirnteiles eine erheblich geringere, als die ursprünglich vom alten Gelenke her drohende. Die mit der Kieferumbildung zusammenhängende Verkürzung des Unterkiefers der Säugetiere ist von mehreren Autoren als eine sehr zweckmäßige Einrichtung angeführt worden. Schon _ Hunmrary (1865) hat betont, daß ein kompakter und einheitlicher Kiefer leistungsfähiger als ein schlanker und aus mehreren Elementen bestehender sei; die Mammalia gebrauchten ihre Kiefer darum auch zum Kauen, während die Amphibien und Sauropsiden ihre Nahrung nur verschlängen. ScHrLosser (1890) und KÜrRENTHAL (1891, 1892) haben ferner hervorgehoben, daß die Verkürzung der Kiefer mit einer numerischen Verminderung, aber höheren ‚Differenzierung des Gebisses Hand in Hand gehe und damit auch mit einer höheren Funktionierung. KÜRENTHaAL hat die Kieferverkürzung zuerst (1891) auch mit seiner Konkreszenztheorie in Verbindung gebracht, diese nicht ganz glückliche Idee danach (1892) aber erheb- lich modifiziert. Die von HumrHury hervorgehobene Differenz der Nahrungsaufnahme zwischen Am- phibien und Sauropsiden einerseits und Mammalia andererseits erhielt dann von GEGENBAUR (1892, 1901), der die ersteren als Psomophagen, die letzteren als Poltophagen determinierte, sowie von GÖPPERT (1903) eine weitere, noch durch andere Momente begründete Stütze. Der Kiefer der Scariden liefert in dieser Hinsicht auch einen Beweis (s. S. 594 f.). Diese Fische sind ausnahmsweise hochentwickelte Poltophagen ; dem ist ihr Kieferapparat mit der kurzen und kräftigen Gestaltung seines Dentale und der Ausbildung seiner neuen vorderen Paenarticulatio angepaßt. Die entsprechende Instanz hat geholfen, den neuen Unter- kiefer und neue Gelenk der Säugetiere heranzuzüchten, und weil auch aus diesem Grunde die neue Einrichtung sich bewährte, hat sie sich vererbt und zu immer höherer und selbständigerer Gestaltung gegenüber der alten mehr zurücktretenden differenziert. In ihrer besten Ausbildung erlaubt sie viele und verschiedenartige Bewegungen, die sich namentlich bei Formen mit kürzeren Kiefern finden. Ein- zelne Mammalia besitzen längere Unterkiefer und ein ziemlich weit hinten liegendes Gelenk (Cetacea, Monotremata, insbesondere Ornithorhynchus); das sind Tiere von einer geringeren oder einseitig be- schränkten Leistungsfähigkeit, die ich geneigt bin, der absteigenden Linie zuzuweisen, womit auch die Verhältnisse des Gebisses harmonieren. Branco (1897) hat nicht minder auf die bekannten Zuchtversuche an Haustieren hingewiesen, wonach eine gute Ernährung die Kiefer verkürzt, während eine schlechte sie verlängert. Die Vergrößerung des Gehirns und die bessere Leistungsfähigkeit des verkürzten Unterkiefers, soweit wir zur Zeit darüber Kenntnis haben, sind wohl mitbestimmende Ursachen gewesen, um die neue Kieferbildung mittelst der natürlichen Zuchtauslese zu beständigen und zu höherer Vervollkommnung zu bringen, die eigentliche direkte Veranlassung zu dieser Neubildung dürfte aber in ihnen kaum ge- geben sein. Wie die Ontogenese uns vor Augen stellt, existiert bei dem mammalen Embryo oder Beuteljungen geraume Zeit hindurch ein Unterkiefer, der hinsichtlich seiner Schlankheit und Zusammen- 76* 60 4 Zur Frage der Abstammung der Säugetiere. 60 4 setzung aus Knorpel (Mecreischer Knorpel mit Artikularknorpel) und Deckknochen (vorderes Dentale, hinteres Angulare) im wesentlichen der Mandibula zahlreicher Urodelen entspricht, namentlich jüngeren Individuen derselben. Während aber bei den meisten Amphibien sich bereits die deutliche Tendenz zu einer Festigung dieses Unterkiefers durch besseren Zusammenschluß seiner Deckknochen offenbart, eine Entwickelungsrichtung, die bei den schwereren Typen derselben und bei den Sauropsiden zur Aus- bildung weiterer Deckknochen und intimerer Verbände derselben gelangt —, geht die Entwickelungs- richtung des embryonalen Unterkiefers der Mammalia den entgegengesetzten Weg und führt zu einer weiteren Lockerung und Sonderung der beiden Deckknochen, von denen das wachsende Dentale den vorderen Hauptabschnitt beherrscht, während das hintere klein bleibende Angulare ganz von ihm getrennt und dem hinteren Kieferende (Articulare) angeschlossen ist. Damit wird zugleich die in langsamerem Tempo nachfolgende und bereits oben (S. 590) erwähnte Sonderung des Knorpels in den vorderen, vom Dentale umscheideten Rest des Meckerschen Knorpels und das hintere ossifizierende und mit dem Angulare anchylosierende Articulare eingeleitet. Dieses Abweichen der Mammalia von dem fortschreitenden Entwickelungsgange, wie ihn Amphibien und Sauropsiden einschlagen, legt den Gedanken nahe, daß bei ihnen in jugendlichen Entwickelungs- stadien, in der Beuteljungenkindheit, ein den Säugetieren eigentümlicher äußerer Anstoß eintrat, welcher zu dieser Lockerung des Unterkiefers Veranlassung gab. Ich neige dazu, diesen in der saugenden Tätigkeit der Beuteljungen zu erblicken. Wie bei den Anurenlarven nur der vordere Teil des zu einiger Selbständigkeit gestalteten Unterkiefers zum Anheften und Kauen verwendet wurde (S. 593f.), so dient auch bei den mammalen Beuteljungen nur der vordere Abschnitt der Mandibula der Saugfunktion, welche zusammen mit der Ausbildung der Milchdrüsen eine neue Errungenschaft gegenüber allen Nicht- Säugetieren ist. Während aber die larvale Kieferbildung der Anuren sich zur Zeit der Metamorphose zurückbildete, blieb diejenige der Mammalia bestehen. Es handelt sich somit hier um ein neues Beispiel jener Uebertragung und Beständigung neu auftretender (cänogenetischer) embryonaler oder larvaler Ein- richtungen für das spätere Leben, die uns DRÜNER (1903) an einem anderen beredten Beispiele (urodele Kiemenmuskulatur) kennen gelehrt und mit dem guten Namen „Metagenie“ bezeichnet hat. Die vor- liegende metagenetische Bildung der Säugetiere hat sich aber aus den oben angegebenen Ursachen beständigt und ward danach für eine höhere Ausbildung der Kaufunktion verwertet. Dies nur die Grundzüge einer Idee, die zahlreichen und lebhaften Einwänden begegnen wird und auch in Wirklichkeit mit mancherlei Schwierigkeiten zu kämpfen hat, welche namentlich in den wechselnden Verhältnissen der Oviparie und Viviparie, der verschieden langen Embryonaldauer und der differenten Brutpflege der einzelnen Säugetiertypen gegeben sind. Ich halte keine dieser Schwierig- keiten für unüberwindlich; aber die eigentliche Arbeit muß hier erst noch beginnen. Sollte aber diese Ansicht im Kampfe um das Dasein bestehen, so wäre damit ein gewisser Kausalnexus zwischen der mammalen Kieferbildung und der mammalen Entfaltung des integumentalen Drüsen entstammenden Milch- drüsenapparates gegeben. Wie die Bildung der Kiefer, so führt auch die der Milchdrüsen auf primitive Gebilde zurück, die wohl eine Anknüpfung an die drüsenreichen Proamphibien, nicht aber an die Reptilien gestatten. Damit sei der erste Teil dieser Frage geschlossen. > Aa fie N Frommannsche Buchdruckerei (Hermann Pohle) in Jena. — 2559 Pe Tafel 1. Sämtliche Bilder beziehen sich auf Taxus baccata. Sie wurden nach Mikrotomschnitten aus- geführt, die mit Safranin-Gentianaviolett-Orange gefärbt waren. Fig. ı. Medianer Längsschnitt durch den fertilen Sproß. Mitte Februar. Links der Vegetationspunkt des Primansprößchens, rechts das in der Samenanlage endende Sekundansprößchen. Vergr. 28. »„ 2. Die Samenanlage desselben Sprosses, 35mal vergrößert. » 3. Medianer Längsschnitt durch eine etwas ältere Samenanlage. Vom 22. Februar. Vergr. 35. 1 4- Querschnitt durch einen ähnlichen Entwickelungszustand, wie in Fig. 3, in der Höhe der Em- bryosackmutterzellen. Vergr. 35. » 5. Medianer Längsschnitt durch eine Samenanlage mit bereits geteilter Embryosackmutterzelle. Vom 28. Februar. Vergr. 35. h 6., Der Nucellus der vorhergehenden Figur, gomal vergrößert. » 7. Embryosackmutterzellen mit umgebendem Nucellargewebe im medianen Längsschnitt. Vergr. 375. » 8 u. 9. Embryosackmutterzellen im Längsschnitt. Prophase der Teilung. Vergr. 375. „ ı0. In a Embryosackmutterzellen mit umgebendem Nucellargewebe. Die eine mit der hetero- typischen Kernspindel. Vergr. 375. In b dieselbe Embryosackmutterzelle mit Kernspindel, ı500mal vergrößert. „ ıı. Teilung einer Embryosackmutterzelle Vergr. 375. „ 12. Die eine Embryosackmutterzelle in 2 Tochterzellen zerlegt, die andere ungeteilt. Vergr. 375. „ 13. In a die beiden Tochterzellen mit homöotypischen Kernspindeln. Vergr. 375. In b die eine dieser Kernspindeln ı500mal vergrößert. JEN. DENKSCHRIFTEN Ba.Xl. 'asburger, Embryosack bei der Eibe. Festschrift Haeckel, Tafl E.Laue,Lith.Inst.Berlin. Verl.v. Gustav Fischer, Jena. ERS TE rare ll. Ki banal UL Sämtliche Bilder beziehen sich auf Taxus baccata. Sie wurden nach Mikrotomschnitten aus- geführt, die mit Safranin-Gentianaviolett-Orange gefärbt waren. Die eine Embryosackmutterzelle in 4, die andere in 2 Tochterzellen zerlegt. Vergr. 375. 16 u. 17. Die Embryosackmutterzellen in 4 Zellen zerlegt. Vergr. 375. Die unterste Zelle als Embryosackanlage angeschwollen. Kern in Ruhe. Vergr. 375. In a der Kern der Embryosackanlage im Spindelstadium. Vergr. 375. In b die Kernspindel ı5oomal vergrößert. u. 21. Die Embryosackanlage zweikernig. Vergr. 375. In a zweikernige Embryosackanlage, die Kerne im Spindelstadium. Vergr. 375. In b eine Kernspindel 1ı500mal vergrößert. u. 24. Vierkernige Embryosackanlage. Vergr. 375. Achtkernige Embryosackanlage. Vergr. 375. Sechszehnkernige Embryosackanlage. Vergr. 375. Teilungsstadien von Kernen aus sechszehnkernigen und noch mehr Kerne enthaltenden Embryosackanlagen. a Kernspindel; b Auseinanderweichen der Tochterchromosomen; c und d Tochterkernanlage in schräger Polansicht, in d ein zarter Schnitt aus solcher Anlage; e nächstfolgender Zustand der Tochterkerne. Vergr. 1500. In a zwei Embryosäcke in demselben Nucellargewebe. Medianer Längsschnitt. Vergr. 75. In b der Pollenschlauch aus diesem Nucellus 1 500mal vergrößert. Anlage des Archegoniums im Prothalliumgewebe. Vergr. 375. Archegoniumanlage nach Abtrennung des Halses. Vergr. 375. Teilungszustände vegetativer Zellkerne. a fast fertige, b fertige Kernspindel. Aus letzterer einige Chromosomen durch das Messer herausgerissen. Vergr. 1500. E.Strasburger, Embryosack bei der Fibe. JEN. DENKSCHRIFTEN BdXL- Festschrift Haeckel, Taf. II EdStrasburger del. Verl.v. Gustav Fischer, Jena. E.Laue, Lith.Inst.Berlin. x6s Tafel III. Die Figuren 1—ı4, 16—22 der Tafel III beziehen sich auf die Eier von Rana viridis, welche zwischen 2 horizontalen Glasplatten zu einer Scheibe etwas zusammengepreßt und während der Ent- wickelung unter einem Winkel von 45° aufgestellt wurden. Fig. ı—4. Am 28. Mai 9'/, Uhr befruchtete Eier waren um ı Uhr 30 Minuten zweigeteilt und wurden, zwischen den Glasplatten fixiert. in Chromsäure gehärtet. Fig. ı u. 3 Ansicht zweier Eier von oben, 2 u. 4 Ansicht derselben Eier von unten. 5 u. 6. Am >27. Mai ı1'/, Uhr befruchtete Eier waren um.3°/, Uhr viergeteilt. Fig. 5 Ansicht eines Eies von oben, Fig. 6 desselben Eies von unten. 7 u. 8. Am 28. Mai 9'/, Uhr befruchtete Eier waren um 2 Uhr 25 Minuten viergeteilt. Fig. 7 Ansicht eines Eies von oben, Fig. 8 desselben Eies von unten. 9 u. 10. Am 28. Mai 9'/, Uhr befruchtete Eier wurden auf dem Blastulastadium am 28. Mai 9 Uhr abends abgetötet. Fig. 9 Ansicht einer Blastula von oben, Fig. 10 derselben Blastula von unten. ır u. ı2. Am 28. Mai 9'J, Uhr befruchtete Eier wurden am Beginn des Gastrulastadiums am 29. Mai abends abgetötet. Fig. ıı Ansicht der Gastrula von oben, Fig. 12 von unten. 13 u. ı4. Am 28. Mai 9!/, Uhr befruchtete Eier wurden auf einem etwas älteren Gastrulastadium am 29. Mai 7 Uhr abends abgetötet. Fig. ı3 Ansicht von unten, Fig. ı4 von oben. 15. Kopie einer Figur aus dem Arch. f. wiss. Anat, Bd. XLII, Taf. XL, Fig. 1. Durchschnitt durch ein Ei von Rana fusca, das, am 20. März um ıo Uhr befruchtet, um ıı Uhr in Zwangslage zwischen 2 vertikal gestellte Platten gebracht, sich um ı Uhr ı5 Minuten in einer verti- kalen Ebene und um 2 Uhr ı5 Minuten zum zweiten Mal in einer horizontalen Ebene teilte. 16. Photographie eines Objektträgers mit 4 Eiern von Rana viridis. (befruchtet am 28. Mai 9 Uhr 30 Minuten), welche auf dem Stadium der Zweiteilung (1 Uhr 30 Minuten) in Chromsäure konserviert wurden. ı7 u. ı8. Am 28. Mai 9 Uhr 30 Minuten befruchtete Eier wurden auf dem 2 Uhr beginnenden Stadium der Vierteilung konserviert und parallel zur ersten Teilebene geschnitten. ı9. Am 27. Mai ıı Uhr 30 Minuten befruchtetes Ei wurde auf dem Stadium der Vierteilung um 3'/, Uhr konserviert und parallel zur ersten Teilebene geschnitten. 20. Am 28. Mai 9!, Uhr befruchtetes Ei wurde auf dem Blastulastadium am 28. Mai 9 Uhr abends konserviert und parallel zur Symmetrieebene geschnitten. 21. Am 28. Mai 9'/, Uhr befruchtetes Ei wurde auf einem späteren Blastulastadium am 29. Mai 9°, Uhr abgetötet und parallel zur Symmetrieebene geschnitten. 22. Am 28. Mai 9!/, Uhr befruchtetes Ei wurde auf dem Gastrulastadium am 29. Mai 7 Uhr abends abgetötet und parallel zur Symmetrieebene geschnitten. 0.Hertwig, Froscheier. JEN. DENKSCHRIFTEN, Ba.X1. Festschrift Haeckel Taf... . Verlv. Gustav Fischer Jena. Lith. Anstw. A.Giltsch Jena. - ° ON EN - | _i I 21. (©) Tarela? Xenia umbellata Sav. var. coerulea. Vergr. 3:1. Xenia fuscescens EHRB, mit Dimorphismus. Vergr. 3:1. Sympodium coeruleum EHRE. Vergr. 6: ı. Alcyonium fulvum (Forsk.). Nat. Größe. Anthelia fuliginosa (EHr2.) [Sympodium fuliginosum Eure. Vergr. 2:1. » 5» 5) [Sympodium purpurascens EHr».. Vergr. 2:1. » 5 » [Anthelia glauca Eure. Vergr. 2: ı. » > » [Anthelia strumosa Eure. Vergr. 2: ı. Spongodes Klunzingeri Stup. Vergr. 3: 2. N Mayı Kürrn. Nat. Größe. 5 Hartmeyeri KükrH. Vergr. 3:2. # Ehrenbergi KükrH. Vergr. 3.2. Kükenthal, Korallen JEN. DENKSCHRIFTEN.Bd.XL - [.Limpricht gez J v. Gustav Fischer; Jena Festschrift Haeckel Taf IV BT Fig. 14. Ts: Ro! DE 18. 19. 20. 2 lo 272% Tafel V. Spicula von Sympodium coeruleum. Vergr. 305 : 1. Flächenschnitt durch den basalen Teil einer Kolonie von Sympodium coeruleum. Vergr. 17:1. P Polypen, S:?% Siphonoglyphe, Zct Ektoderm, Znt Entoderm, Can entodermale Kanäle, Coen Cönenchym, Ct Cuticula, a Verbindungsstellen des Gastralraumes der Polypen mit den Kanälen. Spicula von Alcyonıum fulvum. Vergr. 71:1. a) vom transversalen Ring, b) aus den kon- vergierenden Doppelreihen. Polyp von Alcyonium fulvum. Vergr. 13:1. Querschnitt durch eine Kolonie von Alcyonium fulvum. Vergr. 17:1. /?° Polypen, Sıpr Siphonoglyphe, Ze Ektoderm, Znt Entoderm, Can entodermale Kanäle, Coen Cönenchym, Cut Cuticula, « Verbindungsstellen des Gastralraumes der Polypen mit den Kanälen. Spicula von Anthelia fuliginosa. Vergr. 305: 1. Querschnitt durch die Basis einer Kolonie von Anthelia fuliginosa. Vergr. 17 :ı. /° Polypen, Sıph Siphonoglyphe, Ze Ektoderm, Zn Entoderm, Can entodermale Kanäle, Coen Cön- enchym, Cut Cuticula, « Verbindungsstellen des Gastralraumes der Polypen mit den Kanälen, Polypenköpfchen von Spongodes Mayi. Vergr. 26: ı. » » 3 Hartmeyeri. Vergr. 26: 1. s a " Ehrenbergi. Vergr. 26: 1. Festschrift Haeckel.Taf. V. end. LER e ANPRIRARTRRTIIENN N ER EN DECHNE ARRTT SARS N oh i - - ya rlr.Gustav Fischer, VL JEN. DENKSCHRIFTEN. Bd. XT. ‚D PR n\ ent 2 Ka co; : iS) a» © Zi = = zes ke = S rn) = S . as er = 3 = = —_ © = a Tafel VI. Si Dh 5 Al Be y f } . Tafel VI Die ganze Tafel stellt menschliche Manubria in natürlicher Größe von der dorsalen Seite her gesehen dar. Sämtliche Tafelfiguren sowie die Textabbildungen 7, 9—ı4 sind von der bewährten Hand des Herrn E. Krerz in Straßburg i. E. hergestellt, die Textfiguren ı5 und 16 verdanke ich der freund- lichen Hilfe des Herrn GirtscH in Jena. Fig. ı. Incisura jugularis. Brustbein No. 5280. 4, 38 Jahre. > 3 £ 5 AO AO un 5 3a 5 5 5 Se oA e. 4. Tuber jugulare. 3 SA. se 5 IB: > = 55 Jena. n 6. sy e Pr No.,4525. 261102 Br 5 7. Ossa suprasternalia. 5 Jena. A 8. Gelenkflächen für Ossa suprasternalia. Brustbein Jena. » 9. Einseitig Os, anderseitig Tuberculum suprasternale. Brustbein Straßburg. „ 10. Tubercula suprasternalia. Brustbein No. 4584. 9, 54 Jahre. „ 11. Einseitig deutliches Tuberculum suprasternale. Brustbein No. 5249. 9, ı8 Jahre. Eggeling, Morph. d. Manubrium sterni. JEN. DENKSCHRIFTEN, Bad. X1. Festschrift Haeckel, Taf. VI. EN le E. Kretz gez. Lichtdruck der Hofkunstanstalt von Martin Rommel & Oo,, Stuttgart. ‘Verlag von Gustav Fischer in Jena. a u ö FR 2 2 Pr » An, Are } i DENE ji z _ 3 f E2 » u Tafel VII. Abkürzungen. Ad. Aditus laryngis. M. ins. Insertionen des Muskels 7. Ap. Oeffnung des Branchialraumes. /V. Nervenbündel (zum Larynx gehörige Vagusäste). Br. R. Branchialraum. Pulm. Lunge. C. 7. Musculus interbranchualis arcus V. R. Raphe zwischen den bilateralen Teilen des Con- C. ZZ. Musc. interbranchialis arcus VI. strictor pharyngis. C. ZI. Muse. constrictor pharyngıis. Sch. G. Schultergürtel. D. pn. Ductus pneumaticus. Sf. Pl. Stützplatte. Ay. Hyoidbogen. Sph. Sphincter laryngis (glatte Muskulatur). K. R. Kopfrippe. v. klappenartige Falte an dem Beginn des Vorder- Delunze. darmes (Oesophagus). M. Musculus pharyngo-laryngeus (dilatator resp. TV. D. Vorderdarm. protractor laryngis). Fig. = a an Alle Figuren beziehen sich auf Protopterus annectens. Aufsicht auf den Boden der Mundhöhle, des Kiemendarmes und Vorderdarmes mit der Kehl- kopfmündung. 1,5: 1. Ventrale Ansicht des Kopfes, nach Entfernung der oberflächlichen Muskelschichten und des Herzens. Auf der linken Körperseite ist der Schultergürtel und die Wand des Branchialraumes entfernt, so daß die 6 Kiemenbogen (blau) sichtbar werden. 2:1. Die hinteren Vagusäste sind schwarz gezeichnet. Aufsicht auf die Kiemenbogen (blau) und den Vorderdarm mit dem Aditus laryngis. Die Wand des Darmrohres ist dorsal geöffnet, auseinandergebreitet und die Schleimhaut am ganzen Präparat entfernt. Die ventralen Teile des Schultergürtels sind erhalten, ebenso die von ihnen nach vorn zum Zungenbeinbogen ziehende hypobranchiale Muskulatur. Dorsal liegt dieser Muskelmasse jederseits das schmale Muskelband auf, das vom 2. Kiemenbogen nach vorn zum Zungenbeinbogen zieht. Dieses Bündel, sowie C. / liegen unmittelbar unter der Schleim- haut des Mundbodens. 2,5: 1. Querschnitt durch den kaudalen Teil der Stützplatte und ihre Nachbarschaft. 55: 1. Querschnitt durch den Aditus laryngis und seine Umgebung. 55:1. Teil eines Querschnittes durch die Stützplatte. 560: ı. Die Figur zeigt eine Stelle, an welcher die Fibrillen keine Bündelbildung zeigen. Göppert, Der Kehlkopf von Protopterus annectens. JEN. DENKSCHRIFTEN, Ba. XI. Festschrift Haeckel Taf. VII. en" —n Ne DRAW, (Rees) N 3233) | c3 Er} FIELZ 55808 Sadrasp 00) so: SWeS BEER a I ee) /o®2 & ; N" il 15 SS In IH IN | #.Göppert gez. Verl. Gustav Fischer, Jena. Fr. Lith Anst:v. A Giltsch Jena yo Sn Ze u BE 7 N ENWER D NDR ren, 0 e | 2 In natürlicher Größe, bei Rückenansicht. Auf einer litho Fundort: Solnhofen. Tafel VIIL Kalligramma Eee g- graphischen Platt P- “a e ah Y H e ” a ze ge ra >=! Er = JEN. DENKSC SEE TS3T 1er Flat NnoTer oln Walther, (Walther) ATUDV 97 [li a 7 ö Ne ‘ 172 ? {) “ x Se H AN, ' , I HR Y RL AT N N ' Ale ı ae ID Alle Angaben über Vergrößerungen beziehen sich auf Zeißsche Apochromate und Kompensationsokulare. es. 4a. ab. Actinosphaerium mit beginnender Kernvergrößerung; Pseudopodien noch normal. Syst. 16, Ok Riesenkernbildung im Gang; Anordnung der Pseudopodien gestört. Syst. 8, Ok. a. Ausgedehnte Riesenkernbildung, die dunklen Stellen entsprechen aufgelösten chromatischen Riesenkernen. Syst. 16, Ok. 4. Ein Actinosphaerium mit einem einzigen Riesenkern, Pseudopodien wirr angeordnet und spärlich. Dasselbe Tier, ein Tag später nach Ausstoßen des Riesenkerns. Beide Figuren bei Syst. 16, OS, Al Actinosphaerium mit 4 ausgestoßenen Riesenkernen. Syst. 8, Ok. 4. Zwei nukleolare Riesenkerne a', b!; dieselben Kerne eine Stunde später a?, b’ um das Wachs- tum und die Veränderungen der Nucleoli am lebenden Tier zu erläutern. Homog. Imm. 1,5, Ok Kleinkerniges Actinosphaerium mit schwärzlicher Marksubstanz und Körnchenhaufen in den Rindenvakuolen. Syst. 16, Ok. 8. Ein durch Verschmelzung vieler Tiere entstandenes Plasmodium mit schwarzer Marksubstanz und Körnchenhaufen in den Rindenvakuolen, nur '/; des Ganzen dargestellt; a ein abgelöstes kleines Stück. Syst. 16, Ok. 2. Kristalle, wie sie sich bei Zusatz von Pikrin-Essigsäure aus den Körnchenhaufen der in Fig. 7 und 8 abgebildeten Aktinosphärien entwickeln. Hom. Imm. 1,5, Ok. 2. R. Hertwig, Degener.b.Artinosphaerium Eichhomni, JEN. DENKSCHRIFTEN Ba.XL. j Festschrift Haeckel Taf. IX. VerlirGustav Fischer, Jena. un z Tafel X. 0 Ale Tate Alle Figuren mit Ausnahme der Figur 9 u. ıo nach Pikrin-Essigsäure Präparaten. Färbung in Boraxkarmin. Ein Chromidialtier, d. h. ein Actinosphaerium mit zu Chromidien aufgelösten Kernen. Hom. ms, 1.8, Ole 24 Teil eines Chromidialtiers stärker vergrößert. Hom. Imm. 1,5, Ok. 4. u. 4. Kerne in Auflösung begriffen; a Chromatinhaufen aus einem Kern hervorgegangen. lo. Immo, O7 Actinosphaerium mit Kernhyperplasie aus einer Hungerkultur. Hom. Imm. 1,5, Ok. 4. Stück eines ähnlichen Tiers. Hom. Imm. 1,5, Ok. 4. Beginn der Nekrose einer kernreichen Protoplasmapartie. Hom. Imm. 1,5, Ok. >. Ein abgestorbenes Stück aus dem Tier ausgestoßen. u. 10. Verschiedene Stadien der Auflösung chromatischer Riesenkerne nach einem lebenden Tier gezeichnet. Tiom nm, 20kE2: R.Hertwig Degener b Actinosphaerium Eichhemi. JEN.DENKSCHRIFTEN Bd.Xl. Festschrift Haeckel Taf. X. Be er AT B EB} Ye se Am 23 u rel Il Sämtliche Figuren bei Zeiß, Apochr. hom. Im. 1,5, Komp.-Ok. 4 auf */, verkleinert. Chromatische Riesenkerne, A mit einheitlicher Chromatinrosette, B mit verästelter Chromatin- rosette, C Chromatinrosette in 12 größere und kleinere Rosetten zerteilt. Beginnende Vergrößerung der Kerne, Anfänge der Riesenkernbildung, a mit Entwickelung blasiger Nucleoli, b chromatische Kerne. Auflösung chromatischer schwach vergrößerter Kerne bei Anwesenheit zahlreicher Chromidien im Protoplasma. a ein fast unveränderter Kern, b Kern mit teilweis heraustretendem Chromatin, während ein Rest im Inneren verarbeitet wird, c zwei Kerne in vorgeschrittener Auflösung, d Zusammenklumpen der Chromidien. ’ Auflösung chromatischer Kerne bei Abwesenheit von Chromidien; das Chromatin wird im Kerninnern verarbeitet, a Reste der Chromatinrosette noch deutlich zu erkennen, Chromatin in Pigmentumwandlung. Nukleolarer Riesenkern mit zwei feinschaumigen Nucleoli, welche die Chromatinrosette zu- sammenpressen; im Umkreis eine vakuolige Kernschicht. Frischgeteilte Kerne in Auflösung, a' a’ in streifiger Differenzierung, a’ a* a? in fortschreitender Auflösung, a? a® a* mit achromatischen Einschlüssen, b Kerne in einen homogenen Chromatin- klumpen und ein achromatisches Reticulum differenziert, ähnlich wie Fig. 9. Chromatischer Riesenkern mit zentraler Chromatinrosette und 2 verspätet entwickelten Nucleoli in beginnender Auflösung, b'—b? Reste derartiger Kerne, in Auflösung begriffen. Ein nukleolarer Riesenkern (a) mit einem einzigen, fast den ganzen Kern erfüllenden fein- schaumigen Nucleolus, b ein chromatischer Riesenkern mit verspäteten großblasigen Nucleoli (dasselbe Tier wie bei Fig. 6). Umwandlung frisch aus Teilung entstandener Kerne zu Chromatinklumpen. ji: Hertwicg, Degener. b.Actinosphaerium Eichhorn. JEN. DENKSCHRIFTEN, Ba.XI. ‘Festschrift Haeckel Taf. XI. >: Verl.v.Gustav Fischer, Jena.’ Lith.Anst.v.A.Giltsch Jena. Tre Tafel XII. Fig. ı, 2, 4, 7A bei Apochr. hom. Im. 1,5, Komp.-Ok. 2, Fig. 3 Apochr. 1,5, Komp.-Ok. 4. Fig. 5 u. 6 Apochr. 16, Komp.-Ok. 2, Fig. 7 u. 8 Apochr. 8, Komp.-Ok. 2. Fig. ı. Nukleolare Riesenkerne mit Plasmastrahlung, A in Auflösung begriffen. | »„ 2. Nukleolare Riesenkerne (Chrom-Osm.-Behandlung), A zwei schaumige, die Chromatinrosette zusammenquetschende Nucleoli, B Chromatin zum Teil in den nukleolaren vakuolisierten Körper aufgenommen. » 3A. Nukleolarer Riesenkern, in den das Chromatin eingetreten ist. »„ 3B. Ein solcher Kern in Entwickelung begriffen. » 4. Kerndegenerationsformen, welche an die beim Carcinom für Parasiten gehaltenen Körper er- innern. A Rhopalocephalus ähnlich, ebenso C; B lang gestreckter, an den Enden keulig ange- schwollener Chromatinklumpen. » 5. Ein überfüttertes Tier mit starker Pigmententwickelung und vielen Futtereinschlüssen. „ 6. Riesenkerntier aus einer Hungerkultur, welches durch Verschmelzung aus mehreren Tieren hervor- gegangen ist. Die Hauptmasse bräunlich mit vielen nukleolaren Riesenkernen und Resten chromatischer Riesenkerne, geht bei a und b in zwei Tiere aus, die noch nicht so weit vor- geschritten sind, ein drittes Tier quer vorliegend, bei c inniger verbunden mit Haupttier. 7 u. 8. Riesenkerntiere, Chrom-Osm. mit Pikrokarmin gefärbt, Fig. 7 mit einem besonders großen zentralen Kern, dessen chromatisches Zentrum in 7A stärker vergrößert ist, Fig. 8 an einem ” Ende schwach vergrößerte Kerne. - R Hertwig, Degener. b Actinosphaertum Eickhomi. JEN.DENKSCHRIFTEN, Bd.XTI. Festschrift Haeckel, Taf. XI. = Verl.v. Gustav Fischer, Jena. Lith.Anstw. A Giltsch, Jena. baukell" SIDE Tafel X1Il. Gemeinsame Bezeichnungen. I—V Kb 1. —;. Kiemenbogen; M Mandibularbogen; P Processus palatinus desselben; O Quadratum desselben; P.O Palatoquadratum desselben; #.b Processus basalis des Palatinum; 7 Hyoidbogen; Z Lippen- knorpel; Sch. g Schultergürtel; Z. L Extremitätenleiste; Md Mundbucht; M. 7 Mundhöhle; » Nervenloch (mit eingeführter Borste). Fig. 1. Fig. 2. Fig. 3. Fig. 4. Visceralskelett und vordere Extremität eines Embryos von Spinax niger. Länge 20,5; mm. (Graphische Isolation nach KASTSCHENKO nach einer Sagittalschnittserie mit Richtungslinien. 36mal vergr.). Die graue Farbe gibt an, daß die Anlagen aus dichtgedrängten Mesodermmassen bestehen (vergl. Text S. 383). Pr.a Processus anterior; Pr. $ Processus posterior; ph.br Anlage des Pharyngobranchiale. Die Basis der Extremitätenleiste (Anheftung am Rumpf) als Konturlinie eingezeichnet. Von der äußeren Körper- und inneren Mundhöhlenfläche ist nur das Profil der Medianebene eingetragen. Dasselbe von einem Embryo von Spinax niger, Länge 28 mm (vergl. Text S. 385). Außer dem Visceral- und Brustflossenskelett sind die Wirbelsäulen- und Schädelanlage, sowie ein Medianschnitt durch Gehirn und Rückenmark wiedergegeben. (Graphische Isolation nach KASTSCHENKO nach einer Sagittalschnittserie mit Richtungslinien. 2ı,5mal vergr.). Das Skelettgewebe ist vorknorpelig, an den zentralen Skelettteilen nur Spuren hyaliner Grundsubstanz. (Die blaue Ueberdruckfarbe soll die Skelettteile nur hervorheben, keine hyaline Grundsubstanz angeben). Viscerale Nerven gelbbrawa, spinale Nerven rot, Gehirn und Rückenmark gelb. Nervensystem: Rm Rückenmark (rechts weicht der Schnitt, welcher benutzt wurde, ein wenig von der Medianebene ab, infolgedessen ist dort die Seitenwand, nicht wie weiter rostral der Zentralkanal getroffen). Vom Rückenmark und der Medulla oblongata entspringen die spino-occipitalen Nerven v, w, x, y, 2 und die spinalen Nerven ı, 2, 3 etc. Bei v bis w sind nur ventrale Wurzeln vorhanden v”, w etc. Bei x ein rudimendäres Ganglion Glg. x rud. und lang ausgezogene dorsale Wurzel, y und alle folgenden mit Ganglion und dorsaler Wurzel (y’®) etc. Bei * feiner Kanal im Knorpel, welcher der Lage eines verlorengegangenen «” entsprechen würde v’ und wF liegen partiell medial vom Vagus. Pl.c.br Plexus cervico-brachialis; Pre Vorderhirn; Mes Mittelhirn; Crll Kleinhirn; EP Epiphyse; Hyp Hypophyse; V Nervus trigeminus; VII Nervus facialis (der Acusticus wurde nicht eingetragen); IX Nervus glossopharyngeus: X Nervus vagus mit seinen Aesten, daran N./af Ramus lateralis n. vagi. Skelettsystem (ausser allgemeinen Bezeichnungen, siehe oben): W. S Wirbelsäulenanlage; Pch Parachordalia; Ch. sp Spitze der Chorda (partiell durch Alisphenoid verdeckt); 7r.cr Trabeculum crani; Als Alisphenoidplatte (vergl. SEWERTZOFF, 1899, 1. c. S. 291); Bas primäres Basale der Vorderflosse. — Die rechte Brustflosse desselben Embryo wurde in Flächen- schnitte zerlegt, da diese über die Form des Basipterygium die sicherste Kontrolle gewähren. Es ergab sich eine Bestätigung des in der Rekonstruktion dargestellten Befundes. Sinnesorgane: Gbl Gehörbläschen mit Aussackungen (Bogenanlagen); N Riechgrube. Becken und freie Gliedmassen bei einem ausgewachsenen Spinax niger. Von vorn gesehen. 4mal vergr. Pr.m.a Processus medianus anterior; Pr.m.p Processus medianus posterior; Pr.a Processus anterior; R Radien; Bas. propt Basale propterygii. Dasselbe bei einem Embryo von Spinax niger. Länge nicht ganz 40 mm (vergl. Text S. 387). Nach einem Wachsmodell von 67maliger Vergr. Nat. Gr. des Modells. Der Vorknorpel grau, hyaline Grundsubstanz blau. C Concrescenz des Vorknorpels der beiderseitigen Anlagen; * ventrales Ende der hyalinen Grundsubstanz; Pra Processus anterior; Pr.il Processus iliacus; Propt Propterygium. Die rechte Körperhälfte wurde nach unten zu nicht ganz fertig modelliert. Das fehlende Stück ist durch eine punktierte Linie ergänzt. Die rechte Flosse hatte nicht genau dieselbe Lage wie die linke. Dies äussert sich auch am Becken in einer geringen Asymmetrie der Stellung beider Hälften. Braus, Extremitätenskelet JEN. DENKSCHRIFTEN ‚Bd .XT. 4 Festschrift Haeckel Taf. XI. @ N 1 »\ u N Brausu Vierling gez. Verl. Gustav Fischer, Jena. Lith Anstw. A.Gılsch Jena ur 4 ED ° Tafel XIV. Gemeinsame Bezeichnungen. B. G. Beckengürtel. Bas. mtp. Basale metapterygi. F. F’ Nervenlöcher in demselben. ı— 16 Radien des Metapterygium. Pr.m.a. Processus medianus anterior. B. propt. Basale propterygii. Pr.a. Processus anterior. a—e Radien des Propterygium. Pr. il. Processus iliacus. Der Vorknorpel ist durch einen grauen, der hyaline Knorpel durch einen blauen Farbenton, die Konturen der Muskeln durch rote Linien wiedergegeben. Alle drei Figuren sind so orientiert, daß man von der Dorsalseite auf das Skelett sieht. Dabei sind die dorsalen Musculi radiales durchsichtig gedacht. Ihre basale, dem Skelett zugewendete Fläche ist durch je eine rote Konturlinie eingetragen. Fig. 1. Von einem Embryo des Spinax niger (demselben, wie Fig. 4 Taf. XII). Nach einem Wachsmodell von 67mal Vergr. Nat. Gr. des Modells. Im Modell ist auch die Muskulatur plastisch dargestellt. Die basalen Konturen wurden auf die Skelettzeichnung in der richtigen Orientierung aufgepaust. Die andere Beckenhälfte ist hier weggelassen. »„ 2. Von einem etwasälteren Embryo des Spinax niger. Länge ca. 4o mm. (Graphische Isolation nach KasrscHEnko nach einer Horizontalschnittserie, 6omal Vergr.) Die andere Hintergliedmasse desselben Embryos in der Richtung der Pfeile in eine Querschnittserie zerlegt. » 3. Konturzeichnung nach einem erwachsenen Spinax niger von 45 cm. Länge. Präp. vergl. S. 398. Mit der photogr. Kamera 5mal vergr. K. m. Körpermuskulatur. . G. Gelenk zwischen Becken und Metapterygium (Hüftgelenk). J. Basale metapterygii. ZI. Stammstrahl. Braus , Extremitätenskelet E Bet. JEN. DENKSCHRIFTEN Ba.Xt. Festschrift Haeckel,Taf. XIV. Verl.v. Gustav Fischer. Jena Lith,Anstv. A Gülisch Jena f N N ae r & «ia & N N \ } 4 J Er N [ j er | 1 D} | 1 » T ai 2° XV Fig. Tafel XV. Alle Figuren entstammen dem Integument eines Embryo von Ursus Arctos von 4,5 cm Länge. T. DR Sn 14. 65% Senkrechter Schnitt durch eine junge Haaranlage von der seitlichen Rückengegend des Embryo. Dasselbe von einer etwas älteren Anlage. Das gleiche, wiederum älter. Am Grunde der epithelialen Anlage beginnt die Bildung der Haarpapille 2. | Ein gleicher Schnitt durch eine ältere Anlage eines Stachel. 5 Papille; s Anlage des Schaftes; 7s Stachelscheide; Wurzelscheide; 7 Talgdrüse; e Epithelzapfen der Wurzelscheide (Wulst); »z2 glatte Muskelzellen, arrector des Stachels; dr tubulöse Hautdrüse (Schweißdrüse). Senkrechter Schnitt durch das tiefe Ende einer älteren Stachelanlage. # Papille; »a Mark r Rinde des Stachelschaftes; o Oberhäutchen; hus Huxıevsche Schicht; es Hentesche Schicht der Stachelscheide; ws Wurzelscheide; Ads bindegewebige Stachelbalgscheide. Senkrechter Schnitt durch das obere Ende eines jungen Haares. Bezeichnungen Seh un 5. Querschnitt durch ein junges Haar in der Tiefe des Follikels, wenig über der. Papille Be- zeichnungen s. Fig. 5 Querschnitt durch einen jungen Stachelfollikel nahe der Oberfläche in der Region der Talg- drüsen (£). Bezeichnungen s. Fig. 5. Einige Zellen der Stachelscheide nahe deren oberem freien Ende. Einige Zellen der bindegewebigen inneren Stachelbalgscheide, zirkulär angeordnet. Einige Zellen der bindegewebigen äußeren Stachelbalgscheide, longitudinal angeordnet. Senkrechter Schnitt durch eine tubulöse Hautdrüse (@r) in ihrer Beziehung zu einer jungen Haaranlage (%) (aus 5 Schnitten kombiniert, adc s. Figg. 13—15. Längsschnitt eines kurzen Stückes des Ausführgangs einer embryonalen Schweißdrüse, ent- sprechend der Stelle a der Fig. 12. »» glatte Muskelzellen. Längsschnitt durch die Teilungsstelle einer Schweißdrüse, entsprechend der Stelle ö. der Fig. 2. Querschnitt eines Schweißdrüsenschlauches nahe seinem blinden Ende, entsprechend der Stelle c der Fig. ı2. m glatte Muskelzellen im Querschnitt. _ Maurer, Integument e. Embryo v.Ursus arstos. JEN. DENKSCHRIFTEN, Ba.Xl. Rn ee LOSE NEE DOHLWO ALS) \ N en R er F. Maurer gez. Verlv.Gustav Fischer, Jena Lith.Anst.v. A Giltsch, Jena. Tafel XVl. Fig. TaeISSSE ı—4. Ei von Echinus miliars MürrL. nach dem Leben gezeichnet, etwas schematisiert; Befruchtung und Befruchtungsstrahlung. Erscheinen der Außenschicht (@), Vergr. 450. m Ei- membran (nur bei Fig. ı gezeichnet), #v perivitelliner Raum, e2 weiblicher Kern, sps a: strahlung. — Die Zeit (nach der Besamung) ist beigeschrieben. 5—8. Dieselben Stadien nach Dauerpräparaten gezeichnet. Kopien der von E. B. Wırson und E. Leamine (1895) veröffentlichten Photographien gefärbter und geschnittener Eier von Toxopneustes variegatus Ag. Färbung mit HEıDEnHAms Eisenhämatoxylin. Vergr. etwa 450. Fig. 5 und 6 entsprechen Fig. ı4 und ı6 auf Taf. IV, Fig. 7 und 8 entsprechen Fig. 18 undero ausarNZaze 9—ı2. Fortsetzung der Reihe Fig. ı—4. Schwinden der Befruchtungsstrahlung, Auftreten der Teilungsstrahlung, Anwachsen der Attraktionssphären, Verdickung der protoplasmatischen Außenschicht an der Stelle der auftretenden Furche. ı3— 15. Fortsetzung der Reihe Fig. 5—8, entsprechend den Photographien von Wiırson und Leamıng (l. c.) Taf. VL, Fig. 21, Taf. VII, Fig. 26 und Taf. VIII, Fig. 32. ı6 und 17. Fortsetzung der Reihe Fig. 9—ı2. Fig. 16 während der Teilung, Fig. ı7 nach der Teilung. ı8 und 19. Fortsetzung der Reihe Fig. 5—8 und ı3—ı5. Die Figuren entsprechen den Photo- graphien von Wırson und Leaume (l. c.) Taf. IX, Fig. 35 und 36. 20. Bild der Teilung eines flachgedrückten Eies von Echinus microtuberculatus. Das vorher- gehende Stadium hatte genau das Aussehen von Fig. 12. 21. Ungewöhnliches Verhalten der hyalinen Schicht an der Teilungsfurche eines Eies von Echinus miliaris (vergl. S. 546 Anm.). 22. Durch Schütteln entstandene Eistücke von Echinus microtuberculatus, nach dem Eindringen von je einem Spermatozoon. Die Eihaut ist gebildet. Fig. 22a ein Stück mit weiblichem Kern, Fig. 22b u. c Stücke ohne weiblichen Kern (vergl. S. 550). 23. Verdickung der hyalinen Schicht bei der zweiten Furchungsteilung von Echinus miliaris. 24. Die hyaline Schicht bei einem abgestorbenen Ei; anormales Aussehen der hyalinen Schicht (vergl. S. 552 Anm.). Ziegler, Erste Entwickelungsvorsänge. JEN. DENKSCHRIFTEN .Ba.XT. Festschrift Haeckel ‚Taf. XVI. v “= HEZiegler gez. Verlv.Gustav Fischer Jena EithAnstmrAbilts chJena Verlag von Gustav Fischer in Jena. Untersuchungen zur Morphologie und Systematik der Vögel, zugleich ein Beitrag zur Anatomie der Stütz- und Bewegungsorgane Von Dr. Max Fürbringer, o. ö. Prof. der Anatomie und Direktor des anatomischen Instituts der Universität Heidelberg. Mit 30 Tafeln. 1888. Zwei Bände. Preis: ı25 Mark. I. Spezieller Teil: Brust, Schulter und proximale Flügelregion der Vögel. Preis: 56 Mark. II. Allgemeiner Teil: Resultate und Reflexionen auf morphologischem Gebiete. Systematische Ergebnisse und Folgerungen. Preis: 75 Mark. Beiträge zu einer Trophocöltheorie. Betrachtungen und Suggestionen über die phylogenetische Ableitung der Blut- und Lymphbehälter, insbesondere der Articulaten. Mit einem einleitenden Abschnitt über die Ab- stammung der Anneliden. ‚Von Dr. Arnold Lang, Professor der Zoologie und vergleichenden Anatomie an der Universität und am Eidg. Polytechnikum in Zürich. Mit 6 Tafeln und ıo Textfiguren. Preis: ı6 Mark. Normentafeln zur Entwickelungsgeschichte der Wirbeltiere. In Verbindung mit Dr. E. Fischer-Freiburg i. Br., Dr. B. Henneberg-Giessen, Dr. Kopsch-Berlin, Dr. Lubosch-Jena, Prof. Dr. P. Martin-Zürich, Prof. Dr. C. S. Minot-Boston, U. S. A., Prof. Mitsukuri-Tokio, Prof. Dr. Nicolas-Nancy, Dr. Peter-Breslau, Prof. Reichard-Ann Arbor, U. S. A. Prof. Dr. Semon-Prinz Ludwigshöhe bei München, Dr. Sobotta-Würzburg, Dr. Wetzel-Berlin, Prof. Whitman-Chicago, U. S. A., heraus- gegeben von Prof. Dr. F. Keibel, Freiburg i. Br. I. Normentafel zur Entwickelungsgeschichte des Schweines (Sus serofa domestieus). 1897. Preis: 20 Mark. II. Normentafel zur Entwickelungsgeschichte des Huhnes (Gallus domestieus). Herausgegeben von Prof. Dr. F. Keibel und cand. med. Karl Abraham. Mit 3 lithogr. Tafeln. ı900. Preis: 20 Mark. III. Normentafel zur Entwickelungsgeschichte des Ceratodus forsteri. Herausgegeben von Prof. Dr. F. Keibel und Prof. Dr. Rich. Semon. Mit 3 Tafeln und ı7 Figuren im Text. 1901. Preis: 9 Mark. Wissenschaftliche Ergebnisse der Deutschen Tiefsee-Expedition auf dem Dampfer „Valdivia“ 1898-1899. Im Auftrage des Reichsamts des Innern herausgegeben von Carl Chun, Professor der Zoologie in Leipzig, Leiter der Expedition. Von dem abgeschlossenen Band III und den im Erscheinen begriffenen Bänden V und VII liegen folgende Abhandlungen vor: Bd. I. Prof. Dr. Ernst Vanhöffen, Die acraspeden Medusen der deutschen Tiefsee-Expedition 1898—1899. Mit Tafel I-VIM. Die eraspedoten Medusen der deutschen Tiefsee-Expedition 1898 —1899. I. Trachymedusen. Mit Tafel IX—XII. Einzelpreis: 32 Mark, Vorzugspreis für Abnehmer des ganzen Werkes: 25 Mark. Dr. phil. L. S. Schultze, Die Antipatharien der deutschen Tiefsee-Expedition 1898—1899. Mit Tafel XII u. XIV und 4 Abbild. im Text. Einzelpreis: 5 Mark, Vorzugspreis: 4 Mark. Dr. phil. Paul Schacht, Beiträge zur Kenntnis der auf den Seychellen lebenden Elefanten-Schildkröten. Mit Tafel XV— XXI. Einzelpreis: 16 Mark, Vorzugspreis: ı3 Mark. Dr. W. Michaelsen, Die Oligochäten der deutschen Tiefsee-Expedition nebst Erörterung der Terricolen- fauna oceanischer Inseln, insbesondere der Inseln des subantarktischen Meeres. Mit Tafel XXLH und 1 geographischen Skizze. Einzelpreis 4 Mark, Vorzugspreis: 3 Mark 5o Pf. Joh. Thiele, Proneomenia Valdiviae n. sp. Mit Tafel XXXIL. Einzelpreis: 3 Mark, Vorzugspreis: 2 Mark 50 Pf. K. Möbius, Die Pantopoden der deutschen Tiefsee-Expedition 1898—1899. Mit Tafel XXIV—XXX. Einzelpreis: 16 Mark, Vorzugspreis: ı2 Mark 50 Pf. Günther Enderlein, Die Landarthropoden der von der Tiefsee-Expedition besuchter antarktischen Inseln. I. Die Insekten und Arachnoiden der Kerguelen. 1I. Die Landarthropoden der antark- tischen Inseln St. Paul und Neu-Amsterdam. Mit 10 Tafeln und 6 Abbildungen im Text. Einzel- preis: ı7 Mark, Vorzugspreis: ı5 Mark. Ba. V. Johannes Wagner, Anatomie des Palaeopneustes niasieus. Mit 8 Tafeln und 8 Abbildungen im Text. Einzelpreis: 2o Mark, Vorzugspreis: ı7 Mark. Bd. VI v. Martens und Thiele, Die beschalten Gastropoden der deutschen Tiefsee-Expedition 1898-1899. A. Systematisch-geographischer Teil. Von Prof. v. Martens. B. Anatomisch-systematische Unter- suchungen einiger Gastropoden. Von Joh. Thiele. Mit 9 Tafeln und 1 Abbildung im Text. Einzelpreis: 32 Mark, Vorzugspreis: 26 Mark. Einleitung in die Geologie als historische Wissenschaft. Von Joh. Walther, Inhaber der Haeckel-Professur für Geologie und Palaeontologie a. d. Universität Jena. 3 Teile. Mit 8 Textabbild. Preis: 27 Mark 50 Pf. I. Teil: Bionomie des Meeres. Beobachtungen über die marinen Lebensbezirke und Existenz- bedingungen. Preis: 6 Mark. II. Teil: Die Lebensweise der Meerestiere. Beobachtungen über das Leben der geologisch wichtigen Tiere. Preis: 8 Mark 5o Pf. III. Teil: Lithogenesis der Gegenwart. Beobachtungen über die Bildung der Gesteine an der heutigen Erdoberfläche. Mit 8 Textabbildungen. Preis: 13 Mark. DENKSCHRIFTEN MEDIZINISCH- NATURWISSENSCHAFTLICHEN GESELLSCHAFT | JENA | ELFTER BAND FESTSCHRIFT | Te ZUM SIEBZIGSTEN GEBURTSTAGE VON ERNST HAECKEL HERAUSGEGEBEN VON SEINEN SCHÜLERN UND FREUNDEN MIT ı6 TAFELN UND ı09 ABBILDUNGEN IM TEXT JENA VERLAG VON GUSTAV FISCHER 1904 PENBEn j 25 349 en ren = | & Vene Br Kohn Rn;