Presented to the

LIBRARY ofthe

UNIVERSITY OF TORONTO

by MRS. AILEEN WOLFF

BOCCACCIO DER DECAMERONE DRITTER BAND

GIOVANNI BOCCACCIO DER DECAMERONE

DEUTSCH VON HEINRICH CONRAD

IN FÜNF BÄNDEN MIT DEN KUPFERN UND

VIGNETTEN VON GRAVELOT, BOUCHER,

EISEN DER AUSGABE VON

1757

DRITTER BAND

MÜNCHEN 31 UND LEIPZIG BEI GEORG MÜLLER UND HANS VON WEBER

ES SCHLIESST

DES DECAMERON VIERTER TAG,

UND ES BEGINNT

DER FÜNFTE,

AN DEM UNTER FIAMMETTAS REGIMENT

VON DEN GLÜCKSFÄLLEN

ERZÄHLT WIRD,

DIE NACH WIDRIGEN

UND BETRÜBENDEN EREIGNISSEN

LIEBENDE BETRAFEN

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Schon stand der Osten in weißem Glänze, und schon erhellten die Strahlen der aufgehenden Sonne unsere ganze Halbkugel, als Fiammetta von den süßen Ge- sängen der Vögel, die des Tages erste Stunde mit frohen Kehlen von Bäumen und Sträuchern ver- kündeten, erwachte und, während sie selber aufstand, die übrigen Mädchen und die drei Männer rufen ließ. Langsamen Schrittes gingen sie dann auf das niedrig gelegene Feld hinaus und lustwandelten unter mancher- lei Gesprächen in der weiten Ebene auf tauigem Grase, bis die Sonne schon ziemlich hoch am Himmel stand.

Als aber die Sonnenstrahlen schon zu brennen an- fingen, wandte die Königin ihre Schritte nach dem Saale zurück, wo die Gesellschaft sich auf ihr Geheiß zuerst mit trefflichem Weine und mit Gebackenem von der geringen Anstrengung erholte, die sie sich gemacht, und alsdann in dem anmutigen Garten bis zur Essens- zeit ihrem Ergötzen nachging. Inzwischen bereitete der verständige Seneschall die Tafel, und als die Stunde herangekommen war und man noch ein Zitherlied und ein oder ein paar Tanzliedchen gesungen hatte, setzten auf der Königin Anordnung alle fröhlich sich zum Essen.

Während der Tafel walteten Anstand und Munter- keit; nach Tische aber gedachte man des Herkommens, zu tanzen, und führte mit Instrumenten und Gesängen mehrere kleine Tänze auf. Dann beurlaubte die Königin einen jeden, bis die Schlafenszeit vorüber sein werde. Auch legten einige sich wirklich schlafen; andere aber verweilten zu ihrer Lust in dem schönen Garten. Nicht lange nach der dritten Nachmittagsstunde aber ver- sammelten sie sich alle bei der Quelle, wie die Königin ihnen befohlen hatte. Und kaum hatte die letztere als Vorsitzerin sich niedergelassen, als sie auch schon mit einem Blick auf Pamfilo diesem den Auftrag gab, die heiteren Geschichten zu beginnen. Pamfilo gehorchte willig dem Befehle.

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ERSTE GESCHICHTE

Cimon wird durch Liebe vernünftig und raubt auf dem Meere Iphigenie, seine Geliebte. In Rhodus verhaftet, be- freit ihn Lysimachus, und beide entführen gemeinschaftlich Iphigenie und Kassandra vor ihrem Hochzeitsfest. Sie fliehen nach Kreta und heiraten dort ihre Geliebten, mit denen sie endlich in die Heimat zurückgerufen werden.

Mancherlei Geschichten wüßte ich, o holdselige Damen, deren Mitteilung einen so fröhlichen Abend, wie der heutige zu werden verspricht, schicklich eröffnen würde. Eine unter ihnen sagt mir aber am meisten zu, weil ihr nicht allein in ihr den fröhlichen Ausgang wahr- nehmen werdet, von dem zu erzählen wir eben an- fangen wollen, sondern zugleich auch erkennen könnt, wie heilig, wie gewaltig und wie segensreich die Kräfte der Liebe sind, die viele, ohne selber zu wissen, was sie reden, mit großem Unrecht tadeln und verdammen. Und da ihr, wenn ich mich nicht täusche, sämtlich verliebt seid, so kann euch diese Einsicht nicht anders als willkommen sein.

Nach dem, was ich vor Zeiten in den alten Ge- schichten der Cyprier gelesen habe, lebte auf jener Insel ein Mann von edlem Geschlechte, der Aristippo hieß und an Reichtum und zeitlichen Dingen alle seine Landsleute um vieles übertraf, so daß er, wenn das Schicksal ihm nicht in einem Punkte feindlich ge- wesen wäre, sich vorzugsweise glücklich hätte erachten können.

Er hatte aber unter seinen übrigen Kindern einen Sohn, der an Größe und körperlicher Schönheit zwar die übrigen jungen Männer übertraf, doch zugleich fast albern und blödsinnig zu nennen war. Sein wahrer Name war Galesus; weil aber weder die Bemühungen

der Lehrer, noch Zureden oder Schläge des Vaters, noch endlich der Scharfsinn irgendeines anderen im- stande gewesen waren, ihm von Kenntnissen oder guten Sitten das mindeste beizubringen, vielmehr seine Stimme plump und mißtönend, sein Betragen aber mehr einem Vieh als einem Menschen geziemend ge- blieben waren, so nannten ihn alle spottweise nur den Cimon, was in der dortigen Sprache soviel heißen will als Rindvieh.

Das nichtige Leben des Sohnes ging dem Vater gar sehr zu Herzen, und als er endlich alle Hoffnung auf- gegeben hatte, befahl er ihm, um den Anlaß seines Grames nicht immer vor Augen zu haben, auf das väterliche Landgut zu gehen und dort mit den Acker- knechten zu leben. Mit dieser Bestimmung war denn auch Cimon, dem die Sitten und Gebräuche der ge- meinen Leute viel besser zusagten als die feineren, aus- nehmend zufrieden.

Während er nun auf dem Lande sich mit den An- gelegenheiten des Landbaues ausschließlich beschäftigte, ging er eines Tages bald nach Mittag, seinen Stock auf der Schulter, von einem Vorwerk zum anderen und durchschritt dabei ein Gebüsch, das, weil es eben Mai war, ein dichtes Laubdach bildete und an jener Stelle gerade seine volle Schönheit zeigte. Hier führte ihn dann sein glückliches Schicksal zu einer kleinen, rings von hohen Bäumen umgebenen Wiese, an deren einem Ende eine anmutige und kühle Quelle entsprang.

Neben dieser erblickte er auf dem grünen Rasen ein reizendes junges Mädchen schlafend, deren feines und durchsichtiges Gewand nur unmerklich die alabasternen Glieder verhüllte, während eine leichte und schnee- weiße Decke vom Gürtel niederwärts über sie hin-

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gebreitet war. Zu ihren Füßen lagen zwei Mädchen und ein Mann, die in den Diensten der jungen Dame standen und ebenfalls schliefen. Beim Anblick dieser Schönen erstaunte Gimon nicht anders, als ob er nie zuvor ein Frauenbild gesehen hätte, und beschaute sie sprachlos auf seinen Stab gelehnt, aufmerksam und mit unsäglichem Entzücken.

Da fühlte er, wie in seiner rohen Brust, welcher tausendfach wiederholter Unterricht nicht den mindesten Eindruck edlerer Neigungen hatte mitteilen können, plötzlich ein Gefühl erwachte, das seinem plumpen und ungebildeten Geiste dieses Mädchen als den schönsten Gegenstand darstellte, den jemals das Auge eines Lebendigen gesehen hätte. Dann betrachtete er die einzelnen Teile ihres Körpers und bewunderte die Schönheit ihrer Haare, die ihm golden deuchten, Stirn, Mund und Nase, Hals und Arme, vor allem aber den Busen, dessen Hügel sich erst wenig wölbten.

Er, der soeben noch in jeder Hinsicht ein Bauer ge- wesen war, fällte nun schon ein Urteil über Schönheit und verlangte sehnlichst, daß sie die Augen aufschlagen möge, die ein tiefer Schlaf noch verschlossen hielt. Mehrmals wandelte ihn die Lust an, sie zu wecken, damit er ihre Augen sähe; dann aber schien sie ihm so über allen Vergleich schöner als alle Frauen, die er je zuvor gesehen, daß er sie für eine Göttin zu halten geneigt war, und so viel richtiges Gefühl hatte er doch, daß er erkannte, wie göttliche Dinge mehr Ehrfurcht verdienen als die irdischen. So gewann er es denn über sich, abzuwarten, bis sie von selber auf- wachen würde, und so lang ihm auch ihr Schlaf vor- kam, wußte er sich, in das Vergnügen ihres Anschauens versunken, doch nicht loszumachen.

Endlich, obwohl nach einer geraumen Zeit, geschah es, daß die junge Schöne, die Iphigenie hieß, früher als einer der Ihrigen erwachte. Wie sie nun das Haupt emporhob, die Augen aufschlug und Cimon auf seinen Stab gelehnt vor sich stehen sah, erstaunte sie nicht wenig und sagte: „Cimon, was suchst du zu dieser Stunde hier im Holze?" Denn sowohl wegen seiner schönen Gestalt und seiner Blödsinnigkeit als wegen des Adels und des Reichtums seines Vaters war Cimon fast einem jeden in der Gegend bekannt.

Er aber antwortete auf Iphigeniens Worte nicht eine Silbe, sondern blickte unverwandt in ihre Augen und glaubte bei sich selber eine von ihnen ausgegangene Süßigkeit zu empfinden, die ihm mit nie gekannter Wonne durchdringe. Als das Mädchen dieses sein Be- tragen gewahr wurde, begann sie zu fürchten, daß er infolge seiner Roheit von diesem starren Anschauen zu Dingen übergehen möchte, die ihrer Schamhaftig- keit Gefahr drohten. Deshalb rief sie ihre Dienerinnen, erhob sich vom Boden und sagte: „Cimon, gehabe dich wohll"

Cimon aber erwiderte sogleich: „Ich gehe mit dir!" Und obgleich die junge Dame, weil sie fortwährend wegen seiner Absichten besorgt war, seine Begleitung ablehnte, konnte sie ihm doch auf keine Weise eher von sich entfernen, als bis er sie zu ihrer Wohnung geleitet hatte.

Von dort ging er sogleich zu seinem Vater und er- klärte ihm, unter keiner Bedingung auf das Land zurückkehren zu wollen. Freilich war dies nun dem Vater und den übrigen Angehörigen gar nicht ge- legen, doch ließen sie ihn in der Stadt, um abzu- warten, wodurch Cimon so umgestimmt worden sei.

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Dieser aber, dessen jeder guten Lehre unzugängliches Herz, Iphigeniens Schönheit mit dem Pfeil der Liebe durchdrungen hatte, faßte täglich neue Vorsätze und erregte binnen kurzem das Erstaunen seines Vaters, aller seiner Verwandten und überhaupt eines jeden, der ihn gekannt hatte. Zuerst bat er den Vater, ihn im Anzüge und in allem anderen ebenso geschmückt wie seine Brüder einhergehen zu lassen, und der Vater tat es mit Freuden. Dann suchte er den Umgang wackerer junger Leute und erforschte von ihnen, was für Sitten adligen Männern, besonders aber den Verliebten ge- ziemen, und lernte zu jedermanns größter Verwunde- rung in gar kurzer Zeit nicht allein die Anfangsgründe der Wissenschaften, sondern machte sich auch die Weltweisheit auf das vollkommenste zu eigen.

Wie die Liebe, die er für Iphigenie empfand, ihn zu dem allen geführt hatte, so verwandelte sie auch ferner seine rauhe und bäuerische Stimme in eine wohlklingende und gebildete und ließ ihn des Spieles und des Gesanges wohl erfahren und im Reiten und den Waffenübungen zu Wasser und zu Lande geübt und tapfer werden. Kurz, um nicht alle seine Geschick- lichkeiten im einzelnen aufzählen zu müssen: noch war seit dem Tage, an dem er sich zuerst verliebt hatte, das vierte Jahr nicht verstrichen, als er schon alle jungen Männer, die auf der Insel Cypern zu finden waren, an Artigkeit, guter Sitte und vorzüglichen Eigenschaften übertraf.

Wie sollen wir, holde Damen, uns nun wohl diese Erscheinung erklären? Gewiß, wir können es nur da- durch, daß wir voraussetzen, ein neidisches Geschick habe die hohen Anlagen, mit denen der Himmel Cimons Seele ausgestattet hatte, in den engsten Raum

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seines Herzens zusammengedrängt und dort mit den festesten Banden so lange gefesselt und verschlossen, bis der gewaltigere Amor alle jene Ketten sprengte und zerbrach, die schlummernden, von trauriger Betäubung umnachteten Lebensgeister erweckte und mit seiner Kraft an das helle Licht zog, um dadurch zu offen- baren, aus welcher Dunkelheit er die ihm ergebenen Geisteskräfte durch seine Strahlen zum vollen Glänze zu führen vermöge.

Obwohl nun Cimon nach der gewöhnlichen Art ver- liebter Jünglinge bei seiner Liebe für Iphigenie in einigen Dingen das Maß überschritt, so ertrug Aristippo dergleichen nicht allein mit Geduld, sondern er- munterte ihn auch selber, ganz seinem Gefallen nach- zuleben, da ja die Liebe ihn vom Tiere zum Menschen verwandelt hatte. Cimon, der im Andenken, daß Iphi- genie ihn so genannt, diesen Namen behalten und nicht mehr Galesus genannt sein wollte, hielt indessen, um seine Wünsche geziemend erfüllt zu sehen, bei Iphigeniens Vater, Cypseus, wiederholt um die Hand des Mädchens an. Cypseus aber erwiderte, daß er sie bereits dem Pasimundas, einem jungen rhodischen Edelmann, zugesagt habe und gegen diesen sein Wort nicht brechen wollte.

Als nun die Zeit, da Iphigenie infolge dieses Ver- sprechens vermählt werden sollte, herangekommen war und der Bräutigam auch schon nach ihr gesandt hatte, sagte Cimon bei sich selbst: „Nun, Iphigenie, ist es an der Zeit, zu beweisen, wie sehr ich dich liebe. Schon bin ich durch dich zum Menschen geworden; gelingt es mir, dich zu besitzen, so werde ich dadurch zweifelsohne ruhmreicher werden, als einer der Götter; und gewiß, besitzen werde ich dich oder sterben."

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Als er so bei sich gesprochen, bat er in der Stille einige junge Edelleute, mit denen er befreundet war, um ihren Beistand, rüstete heimlich ein Schiff mit allem aus, was zu einem Seegefecht nötig ist, und ging dann mit seinen Gefährten in See, um das Fahrzeug zu erwarten, auf dem Iphigenie zu ihrem Bräutigam nach Rhodus gebracht werden sollte. Der Vater des Mädchens hatte inzwischen den Freunden ihres Bräuti- gams viel Ehre angetan, und nun steuerten diese mit ausgespannten Segeln auf Rhodus zu. Gimon aber schlief nicht, sondern erreichte sie am anderen Tage und rief ihnen von der Spitze seines Schiffes mit lauter Stimme zu: „Haltet an, streicht die Segel oder seid gewärtig, besiegt und in den Grund gebohrt zu werden!"

Cimons Gegner hatten indessen ihre Waffen schon auf das Verdeck gebracht und rüsteten sich zur Ver- teidigung. Cimon aber ergriff nach jenen Worten so- gleich einen großen eisernen Enterhaken, zog damit das Schiff der Rhodier, die aus allen Kräften weiter- segelten, gewaltsam an das seine und sprang mit dem Mute eines Löwen, ohne daß ein anderer ihm gefolgt wäre, hinüber, als ob er die Rhodier alle für gar nichts achtete. Die Liebe lieh ihm Kräfte, und so stürzte er sich, ein Messer in der Hand, mit wunder- barer Gewalt mitten unter die Feinde und schlachtete gar viele, bald hierhin, bald dorthin stoßend, gleich Schafen ab, so daß die Rhodier endlich voller Schrecken ihre Waffen von sich warfen und mit einer Stimme sich als Gefangene ergaben.

Cimon dagegen sagte zu ihnen: „Junge Männer, weder aus Verlangen nach Beute noch aus Haß, den ich gegen euch hegte, bin ich von Cypern gesegelt, um

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euch hier mitten im Meere mit bewaffneter Hand zu überfallen. Was mich so zu tun bewogen hat, dessen Eroberung ist für mich das Höchste, ihr aber könnt es mir gar leicht und friedlich überlassen: das ist näm- lich Iphigenie, die ich über alles liebe und die, mir mit den Waffen feindlich von euch zu erkämpfen, die Liebe mich gezwungen hat, da ihr Vater sie mir nicht als Freund im Guten überlassen wollte. So will ich ihr denn sein, was euer Pasimundas ihr werden sollte; gebt sie mir, und dann ziehet im Namen Gottes!"

Die Jünglinge überließen, mehr von der Not als von gutem Willen bewogen, die Dame weinend dem Cimon. Er aber sagte, als er sie weinen sah, zu Iphi- genie: „Betrübe dich nicht, holde Dame; ich bin dein Cimon und habe dich durch meine lange Liebe besser verdient als Pasimundas durch gelobtes Versprechen."

Inzwischen hatte er Iphigenie, ohne von dem Gut der Rhodier das mindeste zu berühren, schon in sein Schiff steigen lassen, und nun kehrte er selbst zu seinen Gefährten wieder zurück und ließ jene weiter- ziehen. Hocherfreut über den Erwerb einer so teuren Beute, verwandte Cimon die erste Zeit darauf, die Weinende, soviel er konnte, zu trösten, und überlegte dann mit seinen Gefährten, ob es nicht allzu gefähr- lich sein möchte, für jetzt nach Cypern zurückzu- kehren. Wirklich beschlossen sie gemeinschaftlich, den Lauf ihres Schiffes lieber nach Kreta zu lenken, wo sie sich insgesamt, besonders aber Cimon, wegen alter und neuer Verbindungen und vieler Freundschaften mit Iphigenie sicher glaubten.

Das Glück aber, das die Erbeutung der Dame freund- lich dem Cimon gewährt hatte, verwandelte jetzt in seiner Unbeständigkeit die überschwängliche Freude

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des liebenden Jünglings plötzlich in bittere, schmerz- liche Tränen. Noch waren keine vier Stunden ver- gangen, seit Gimon die Rhodier verlassen hatte, als in derselben Nacht, von der Gimon sich die höchste, nie empfundene Seligkeit versprochen hatte, ein stür- misches Wetter heraufstieg, das den Himmel mit Wolken und das Meer mit verheerenden Winden über- zog. So sehr wütete der Sturm, daß niemand zu er- kennen vermochte, was man tun und wohin man sich wenden sollte, ja daß man nicht einmal sich auf- rechtzuhalten und irgend Hilfe zu leisten imstande war.

Wie sehr Gimon sich darüber betrübte, bedarf keiner Worte; es dünkte ihm, die Götter hätten ihn an das Ziel seiner Wünsche nur gelangen lassen, damit er den Tod, der ihm vorher gar gleichgültig gewesen wäre, um so schmerzlicher empfinden sollte. Es be- klagten sich auch die Gefährten; vor allen aber jam- merte Iphigenie, weinte laut und schreckte bei jedem Wellenstoße neu zusammen. Mit harten Worten ver- wünschte sie unter ihren Tränen Gimons Liebe und schalt auf seine Keckheit; denn nur darum, sagte sie, sei dieses stürmische Wetter entstanden, weil die Götter, weit entfernt, zu gestatten, daß Gimon, der sie wider ihren Willen zur Gattin begehrte, seiner verwegenen Lüste froh würde, ihn vielmehr, nachdem er sie zuvor habe sterben gesehen, selber elendiglich um- kommen lassen wollten.

Unter solchen und noch heftigeren Klagen wurde das Schiff, das die Seeleute auf keine Weise zu lenken vermochten, von dem immer heftiger tobenden Sturme in die Nähe der Insel Rhodus geführt. Da nun aber die Schiffer nicht wußten, daß es Rhodus sei, bemühten sie sich, um ihr Leben zu retten, aus

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allen Kräften wo möglich dieses Land zu gewinnen. In der Tat war ihnen das Glück dazu behilflich und führte sie in einen kleinen Meerbusen, in welchem kurz vorher auch die Rhodier, die Gimon freige- lassen hatte, mit ihrem Schiffe eingelaufen waren. Nicht eher aber erkannten sie, daß sie nach Rhodus verschlagen worden seien, als bis sie bei dem Dämmer- licht, das am anderen Tage das aufsteigende Morgen- rot über den etwas aufgehellten Himmel verbreitete, etwa in der Entfernung eines Bogenschusses das Schiff gewahr wurden, auf dem sie tags zuvor gekämpft hatten.

Cimon, der die Gefahr schon drohen sah, die ihn nachher wirklich betraf, erschrak darüber unsäglich und befahl, daß alle Kräfte aufgeboten würden, um nur von dort wieder zu entkommen und dann sich treiben zu lassen, wohin es immer dem Schicksal ge- fallen möchte, da sie ja doch nirgends schlimmer aufgehoben sein konnten, als eben dort.

Die Schiffer ließen nichts unversucht, um hinaus- zukommen; aber alles war vergeblich. Der Wind blies so heftig in der entgegengesetzten Richtung, daß sie, weit entfernt, sich aus jener kleinen Bucht heraus- arbeiten zu können, alles Widerstrebens ungeachtet auf das Land getrieben und kaum dort angelangt, von den rhodischen Seeleuten, die ihr Schiff in- zwischen verlassen hatten, erkannt wurden. Sogleich lief einer von ihnen nach einem nahegelegenen Landgute, wohin die jungen rhodischen Edelleute schon vorausgegangen waren, berichtete diesen, wie Cimon mit Iphigenie gleich ihnen dort mit seinem Schiffe zu landen, vom Unwetter gezwungen worden sei. Die Edelleute eilten, hocherfreut über diese Nach-

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rieht, mit einer Menge Menschen vom Gute an das Meer, wo sie Cimon, der mit den Seinigen schon ausgestiegen war und in einen benachbarten Wald zu flüchten gedachte, nebst Iphigenie und allen übrigen gefangen nahmen und sie insgesamt nach jenem Land- hause führten.

Als aber Pasimundas von dem, was sich zugetragen, Kunde erhalten hatte, beklagte er sich bei dem Senate von Rhodus, und auf dessen Beschluß kam Lysimachus, der in jenem Jahre die höchste Würde bei den Rho- diern bekleidete, mit einem großen Geleit von Kriegern aus der Stadt heraus und führte Gimon und seine Gefährten ins Gefängnis.

Auf solche Weise verlor der arme liebende Cimon seine Iphigenie, die er kurz zuvor erst gewonnen, ohne ihr mehr als einen Kuß genommen zu haben. Iphi- genie dagegen empfingen viele edle rhodische Damen, sprachen ihr Trost wegen der erlittenen Gefangen- schaft und der auf dem stürmischen Meer ausge- standenen Angst zu und behielten sie bis zu dem Tage, auf den die Hochzeit bestimmt war, bei sich.

Dem Cimon und seinen Gefährten wurde indessen aus Rücksicht, daß sie tags zuvor die jungen Rhodier freigelassen, trotz den Bemühungen des Pasimundas, ihr Todesurteil zu bewirken, das Leben geschenkt; freilich aber wurden sie zu ewiger Gefangenschaft verurteilt, und wie traurig, wie ohne Hoffnung, je wieder eine Freude zu erfahren, sie diese ertrugen,, ist wohl leicht auszudenken.

Während indessen Pasimundas die Vorbereitungen zur bevorstehenden Hochzeit so viel als möglich be- schleunigte, bereitete das Glück, als wäre ihm das Unrecht wieder leid geworden, das es dem Gimon so*

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plötzlich angetan, ein neues Ereignis zu seiner Ret- tung vor.

Pasimundas hatte einen, zwar an Jahren jüngeren, doch an Tugenden nicht ärmeren Bruder, namens Hormisdas, der sich lange Zeit um die Hand eines schönen und adligen Mädchens jener Stadt, welche Cassandra hieß und die Lysimachus auf das feurigste liebte, beworben hatte, doch war die Verbindung wegen mehrerer Umstände verschiedene Male schon wieder auseinander gegangen.

Wie nun Pasimundas jetzt das große Fest bedachte, mit dem er seine Hochzeit würde feiern müssen, hielt er es für ratsam, um gleichen Kosten und Gastereien für die Zukunft zu entgehen, den Hormisdas, wo möglich, zugleich mitheiraten zu lassen. Zu dem Zwecke knüpfte er die Unterhandlungen mit Gassandras Eltern wieder an und führte sie so weit zum Ziele, daß an demselben Tage, an dem Pasimundas mit Iphigenie sich verbände, auch Hormisdas seine Hochzeit mit Cassandra feiern sollte.

Dem Lysimachus mißfiel dieser Entschluß, der ihm alle seine Hoffnungen zu rauben schien, aufs höchste; denn bisher hatte er fortwährend gedacht, wenn Hor- misdas sie nicht erhalte, werde sie ihm noch zuteil werden. Verständig aber, wie er war, hielt er seinen Unmut innerlich verborgen und dachte vielmehr dar- über nach, wie er die Ausführung jener Pläne viel- leicht noch hindern könne; doch wußte er keinen möglichen Ausweg zu erkennen, als nur den einen, sie zu rauben. Dies zu tun, schien ihm nun freilich vermöge seines Amtes besonders leicht ; auf der anderen Seite dünkte es ihm aber auch gerade wegen seiner Würde desto unziemlicher. Endlich trug indessen nach

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langem inneren Kampfe die Liebe über die Schick- lichkeit den Sieg davon, und er beschloß, Cassandra zu rauben, was immer daraus entstehen möchte. Und während er über die Gehilfen, die er sich erwählen mußte, und über die Art der Ausführung nachdachte, erinnerte er sich des Gimon, den er mit seinen Ge- fährten im Gefängnis hielt, und es leuchtete ihm ein, daß er in dieser Angelegenheit keinen besseren und treueren Gehilfen als eben den Cimon würde finden können.

Zu dem Zwecke berief er ihn in der nächsten Nacht heimlich auf sein Zimmer und begann folgendermaßen zu ihm zu reden:

„Cimon, wie die Götter ihre Gaben gütig und frei- gebig an die Menschen verteilen, so wissen sie auch die Tugenden der Menschen auf das genaueste zu prüfen und würdigen alsdann diejenigen, die sie bei allem Wechsel des Schicksals standhaft und un- erschütterlich finden, ihres höheren Wertes wegen auch der Gelegenheit, sich noch höhere Verdienste zu erwerben. Demnach haben sie denn auch von deinen Tugenden gewichtigere Proben verlangt, als du innerhalb der Mauern deines väterlichen Hauses, das, wie ich höre, an Reichtümern Überfluß hat, deren abzulegen imstande sein würdest. Zu Anfang haben sie dich, wie man sagt, durch die stechenden Schmerzen der Liebe vom unvernünftigen Tiere zum Menschen gemacht; dann aber prüften sie, ob erst die Unglücks- fälle und nun der harte Kerker deinen Mut gegen die Zeit, wo du für kurze Stunden deiner gewonnenen Beute froh warst, herabstimmen könnten.

„Bist du nun aber noch, der du warst, so sind sie jetzt bereit, dir zu schenken, wogegen alles, was sie

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dir bisher gewährten, verschwindet; und was dies sei, das will ich, damit du deine gewohnte Kraft wieder gewinnest und guten Muts werdest, jetzt dir sagen:

„Derselbe Pasimundas, dessen höchste Freude dein Unglück ist und der mit aller Mühe dir den Tod zu bereiten gesucht hat, beschleunigt jetzt, so sehr er kann, seine Verbindung mit deiner Iphigenie, um der Beute froh zu werden, die das Glück dir erst freund- lich gewährt hatte und dann im schnellen Wechsel seiner Laune dir wieder entzog. Wie sehr dich das aber schmerzen muß, wenn anders du so, wie ich es glaube, liebst, das empfinde ich an mir selber, dem des Pasimundas Bruder Hormisdas in der Person der Cassandra, die ich über alles liebe, an demselben Tage gleiche Kränkung antun will.

„Um nun so hartem Geschick und so schwerem Unrecht zu entgehen, hat das Glück uns, wie mir dünkt, nur den einen Weg offen gelassen, den unsere Tapferkeit und unser Mut uns mit dem Schwerte, dir zu dem zweiten, mir aber zu dem ersten Raube unserer beiderseitigen Damen bahnen soll. Ist dir also, ich sage nicht deine Freiheit, denn ich vermute, daß dir ohne Iphigeniens Besitz wenig daran gelegen sein mag, wohl aber deine Dame lieb, so haben die Götter jetzt dein Schicksal, wenn du dich an mein Unternehmen anschließen willst, in deine eigenen Hände gelegt."

Diese Worte gaben dem Gimon seinen verlorenen Mut vollkommen wieder, und er antwortete, ohne sich lange zu besinnen: „Lysimachus, wenn ich auf diesem Wege das erlangen soll, wovon du mir sprichst, so kannst du zu deinem Unternehmen weder einen mutigeren noch einen zuverlässigeren Gehilfen finden.

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Bestimme mir also nur, was du mir zu übertragen für gut finden wirst, und du sollst sehen, daß ich es mit mehr als natürlicher Kraft ausführen werde."

Darauf erwiderte Lysimachus: „Übermorgen werden die neuvermählten Frauen ihren ersten Einzug in das Haus ihrer Männer halten. Wir aber werden uns gegen Abend, du mit den Deinigen und ich mit einer Anzahl völlig zuverlässiger Gefährten, beiderseits be- waffnet, dort einschleichen, die beiden Bräute mitten von dem Gastmahl rauben und sie zu dem Schiffe führen, das ich heimlich schon habe zurüsten lassen; jeder aber, der sich uns zu widersetzen wagt, sei des Todes!"

Cimon war mit diesen Anordnungen zufrieden und kehrte bis zu der bestimmten Zeit ruhig in sein Ge- fängnis zurück.

Glänzend und kostbar war am Hochzeitstage das Ge- pränge, und überall im Hause der beiden Brüder herrschte festliche Heiterkeit. Als die Zeit nun dem Lysimachus gelegen schien, verteilte er den Cimon und dessen Gefährten sowie seine eigenen Freunde, die sämtlich unter den Kleidern Waffen trugen, nachdem er sie zuvor mit vielen Worten zur Unternehmung an- gefeuert hatte, in drei Haufen. Den einen hieß er sich vorsichtig am Hafen aufstellen, damit niemand, wenn es dazu gekommen wäre, sie hindern könnte, das Schiff zu beseitigen. Den zweiten ließ er an der Haus- tür, um sich zu versichern, daß sie nicht etwa ein- geschlossen würden oder daß ihnen der Ausgang ver- wehrt würde. Er selbst endlich ging mit Cimon und den übrigen die Treppe hinauf, gerade in den Speise- saal, wo sich die beiden Bräute mit noch vielen anderen Damen schon in geziemender Ordnung zu Tische

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niedergelassen hatten. Unsere beiden jungen Männer aber traten dreist heran, stürzten die Tische um, nahmen ein jeder die seinige und übergaben sie den Armen ihrer Gefährten, damit diese sie augenblicklich auf das segelfertige Schiff brächten.

Die beiden Bräute fingen zwar an zu weinen und zu schreien, und die übrigen Damen und Diener nicht minder, so daß das ganze Haus alsbald voller Lärmens und voller Klagen war. Cimon und Lysimachus aber zogen ihre Schwerter und bahnten sich so, ohne daß jemand ihnen zu widerstehen gewagt hätte, den Weg zu der Treppe. Als sie nun diese hinunterstiegen, be- gegnete ihnen Pasimundas, der, einen großen Stock in der Hand, auf den Lärm herbeieilte. Cimon traf ihn indessen mit seinem Schwerte so gewaltig auf den Kopf, daß er diesen wohl halb herunterhieb und Pa- simundas ihm tot zu Füßen fiel.

Ebenso tötete ein zweiter Hieb des Cimon den armen Hormisdas, der seinem Bruder zu Hilfe eilte; auch noch mehrere andere, die herbeispringen wollten, wurden von des Lysimachus' und des Cimon Gefährten siegreich zurückgeschlagen. Diese aber gelangten von dem Hause, das sie voller Blut, Geschrei, Wehklagen und Trauer hinter sich ließen, dicht zusammengedrängt und ohne auf ein Hindernis zu stoßen, mit ihrer Beute glücklich zu dem Schiffe, hießen ihre Damen schnell hineinsteigen, folgten ihnen selber mit allen den Ihrigen nach und ruderten dann aus allen Kräften im Angesicht zahlreicher Bewaffneter, die sich schon am Ufer gesammelt hatten, um die Damen wieder zu be- freien, glücklich ihren Hoffnungen entgegen.

In Kreta, wo sie von ihren vielen Freunden und Verwandten auf das beste empfangen wurden, feierten

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sie schnell unter großen Festlichkeiten die Verbindung mit ihren Damen und genossen dann freudig ihrer schönen Beute. In Cypern und in Rhodus wurde noch lange Zeit viel Lärmens über diese kecke Tat ge- macht, und an beiden Orten hatten sie ernstliche Un- ruhen zur Folge. Endlich aber legten sich hier so- wohl als dort die Freunde und Verwandten ins Mittel und brachten es glücklich dahin, daß nach einigen Jahren des Exils Cimon mit Iphigenie nach Cypern und Lysimachus mit Cassandra nach Rhodus zurück- kehren durften, worauf dann beide Paare lange noch glücklich miteinander in ihrer Heimat lebten.

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ZWEITE GESCHICHTE

Constanza liebt Martuccio Gomito und überläßt sich auf die Nachricht von seinem Tode verzweifelt und allein einem Kahne, den der Wind nach Susa führt. In Tunis findet sie ihn lebendig wieder und gibt sich ihm, der durch die dem König erteilten Ratschläge inzwischen dessen Gunst er- worben hatte, zu erkerinen. Er heiratet sie und kehrt als reicher Mann mit ihr nach Lipari zurück.

Als die Königin gewahr wurde, daß die Geschichte des Pamfilo beendigt sei, sagte sie viel zu ihrem. Lobe und trug alsdann Emilia auf, mit der Erzählung einer anderen fortzufahren. Diese aber begann fol- gendermaßen :

Billiger weise soll ein jeder sich über die Ereignisse freuen, in denen er den Wünschen ihren entsprechen- den Lohn folgen sieht. Da nun aber die Liebe auf die Dauer viel mehr Freude als Betrübnis verdient, so werde ich durch meine Erzählung über den jetzt aufgegebenen Gegenstand viel lieber der Königin ge- horchen, als ich es mit meiner vorigen dem Körnige tat.

Wisset denn, o zärtliche Mädchen, daß nicht weit von Sicilien eine kleine Insel, Lipari benannt, ge- legen ist, auf welcher vor noch nicht gar langer Zeit eine wunderschöne Jungfrau lebte, die Constanza hieß und angesehener Leute Tochter war. In diese nun verliebte sich ein junger Mann von derselben Insel, namens Martuccio Gomito, der mit feinen Sitten und gefälligem Benehmen große Geschicklichkeit in seinem Gewerbe verband. Nicht minder war aber auch das Mädchen für ihn entbrannt, so daß sie keinen glück- licheren Augenblick hatte, als wenn sie ihn sah. Mar- tuccio, der sie zur Frau begehrte, ließ bei ihrem Vater um ihre Hand anhalten; dieser antwortete indessen, er sei arm, und darum wolle er sie ihm nicht geben.

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Tief gekränkt, daß er seiner Armut wegen ver- schmäht worden war, verschwor Martuccio sich nun mit einigen Freunden und Verwandten, nie anders als reich nach Lipari zurückzukehren. So segelte er denn von seiner Heimat ab und ging an den Küsten der Berberei gegen einen jeden, der schwächer war als er, auf Seeräuberei aus. Dabei wäre ihm dann auch das Glück gar günstig gewesen, hätte er es nur über sich gewinnen können, seinen Erfolgen ein Ziel zu setzen. Weil er sich aber, so wenig wie die Seinigen, mit den erworbenen großen Schätzen begnügen wollte und übermäßigen Reichtum zu gewinnen begehrte, so geschah es, daß sie eines Tages von mehreren sara- zenischen Fahrzeugen überfallen und nach langem Widerstände sämtlich gefangen wurden. Die Mehr- zahl wurde von den Sarazenen ins Meer geworfen, das Schiff versenkt, Martuccio selber aber nach Tunis ge- führt und dort in langem Elende gefangen gehalten. Inzwischen kam die Nachricht, daß alle, die sich mit Martuccio auf jenem Schiffe befunden, ertränkt worden seien, nicht etwa nur durch eine oder ein paar Personen, sondern auf vielen verschiedenen Wegen nach Lipari.

Das Mädchen aber, das schon über die Abreise ihres Geliebten außerordentlich traurig gewesen war, weinte nun, als sie vernahm, daß er mit den anderen um- gekommen sei, lange Zeit und beschloß, nicht länger zu leben. Da es ihr jedoch an Mut fehlte, sich selber auf irgendeine Weise gewaltsam umzubringen, er- dachte sie ein neues Mittel, sich den Tod zu geben.

Eines Nachts schlich sie sich heimlich aus dem Hause ihres Vaters nach dem Hafen hin, wo sie zu- fällig in einiger Entfernung von den übrigen einen

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Fischerkahn fand, der, weil seine Besitzer ihn nur eben erst verlassen hatten, mit Mast, Segel und Rudern noch vollständig versehen war. Diesen bestieg sie so- gleich und spannte, sobald sie sich mit den Rudern ein wenig in das Meer hinausgearbeitet hatte, ver- möge ihrer Geschicklichkeit in der Schiffahrt, die sie mit der Mehrzahl der Bewohnerinnen jener Insel einigermaßen teilte, die Segel auf, warf Steuer so- wohl als Ruder fort und überließ sich dann dem Winde mit der Überzeugung, daß das unbelastete und lenkungslose Fahrzeug notwendig entweder umschlagen oder auf einen Felsen geworfen und zerschmettert werden würde, wo sie dann, selbst wenn sie sich retten wollte, es nicht zu tun vermöchte, sondern ertrinken müßte. Darauf hüllte sie den Kopf in ihren Mantel und legte sich weinend auf den Boden des Nachens nieder.

Alles dies aber ging anders aus, als sie es sich vorgestellt hatte. Da nämlich der Wind gerade aus Norden blies und ziemlich schwach war, auch das Meer durchaus nicht hoch ging, so blieb das Schiffchen unversehrt und wurde am nächsten Tage gegen Abend wohl hundert Meilen über Tunis hinaus nicht weit von der Stadt Susa ans Land getrieben. Constanza, die die ganze Zeit ihr Haupt um keinerlei Anlaß er- hoben hatte und auch ferner so zu tun gedachte, wurde nicht gewahr, daß sie nun wieder am Lande statt auf der See sei.

Zufällig war aber, gerade als der Kahn ans Ufer stieß, dort ein armes Weib am Strande, das die zum Trocknen ausgebreiteten Netze der Schiffer wieder auflas. Als diese den Kahn erblickte, wunderte sie sich, daß man ihn mit aufgezogenem Segel habe ans

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Land laufen lassen. Da sie jedoch vermutete, die Fischer darin möchten wohl schlafen, ging sie hin, sie aufzuwecken. Sie fand aber niemand anders als das Mädchen, das in festem Schlafe lag und erst nach vielem Rufen wieder zu sich kam.

Inzwischen hatte das Fischerweib Gonstanza schon an ihren Kleidern für eine Christin erkannt und fragte sie deshalb auf italienisch, wie sie so allein in dem Nachen dort angekommen sei. Als das Mädchen die italienischen Worte vernahm, fürchtete sie, der Wind möchte sich gewandt und sie nach Lipari zurück- geführt haben. Schnell richtete sie sich auf, blickte umher, und als sie sich nun am Lande sah und dennoch die Gegend nicht kannte, fragte sie das gute Weib, wo sie denn sei.

„Meine Tochter, du bist nicht weit von Susa in der Berberei," entgegnete die Alte.

Das Mädchen betrübte sich bei dieser Nachricht sehr, daß Gott ihr nicht den Tod habe senden wollen. Zu- gleich fürchtete sie sich aber auch vor Schande, und so setzte sie sich in völliger Ratlosigkeit bei ihrem Kahne nieder und weinte. Dieser Anblick erbarmte das gute Weib, und sie redete dem Mädchen so- lange zu, bis diese ihr in ihre kleine Hütte folgte und ihr dort nach vielem Bitten erzählte, auf welche Weise sie an dieses Ufer gekommen sei. Da nun jene durch diese Erzählung erfuhr, daß sie noch nüchtern war, trug sie ihr hartes Brot und ein wenig Fisch und Wasser auf und brachte es durch langes Zureden endlich dahin, daß sie ein wenig davon zu sich nahm.

Dann fragte Constanza das gute Weib, wer sie sei, daß sie italienisch rede. Diese antwortete, sie sei von

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Trapani, heiße Garapresa und bediene hier in Susa einige christliche Fischer.

So betrübt das Mädchen war und so wenig sie selber über das Gefühl sich Rechenschaft zu geben vermochte, nahm sie doch den Namen Carapresa, sobald sie ihn gehört hatte, für ein gutes Zeichen, fing, ohne zwar zu wissen worauf, doch wieder zu hoffen an und ließ in ihrem Todes verlangen ein wenig nach. Dem guten Weibe entdeckte sie indessen weder wer noch woher sie sei, sondern bat sie nur auf das herzlichste, um Gottes willen Erbarmen mit ihrer Jugend zu haben und ihr zu raten, wie sie den Beschimpfungen, denen sie ausgesetzt sei, entgehen könne.

Carapresa, die ein wackeres Weib war, ging nach diesen Worten, während das Mädchen in der Hütte blieb, schnell die Netze heimzuholen und führte dann sogleich Gonstanza, die sich in einen Mantel der Alten ganz einhüllen mußte, nach Susa. Hier angelangt, sagte sie: „Gonstanza, ich werde dich in das Haus einer trefflichen Sarazenin bringen, die mir gar oft allerhand Besorgungen aufträgt. Sie ist alt und mit- leidigen Gemütes. Ihr werde ich dich empfehlen, so sehr ich nur weiß und kann, und ich bin gewiß, daß sie dich mit Freuden aufnehmen und gleich einer Tochter behandeln wird. Du aber mußt, solange du bei ihr sein wirst, nach Kräften dich bemühen, ihre Zueignung durch deine Dienste zu gewinnen, bis Gott dir einst ein besseres Los bereitet."

Das gute Weib tat, wie sie gesagt hatte. Als die Sara- zenin, die schon bejahrt war, ihre Worte vernommen hatte, betrachtete sie die Züge des jungen Mädchens und fing zu weinen an. Dann küßte sie Constanzas Stirn, ergriff sie bei der Hand und führte sie in ihr

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Haus ein, in welchem sie mit einigen anderen Frauen ohne männliche Gesellschaft wohnte und gemeinschaft- lich mit ihnen mancherlei Handarbeiten aus Seide, Palmblättern und Leder verfertigte. In wenigen Tagen eignete sich das Mädchen diese Fertigkeiten an, so daß sie an den Arbeiten der übrigen teilnehmen konnte, und sie gewann sich nicht allein die Zueignung und die herzliche Liebe der anderen in erstaunlichem Maße, sondern sie lernte auch, von ihren Ge- fährtinnen unterwiesen, in kurzer Zeit die Sprache des Landes.

Während nun das Mädchen, das man inzwischen in Lipari schon als verloren und gestorben beweint hatte, noch in Susa verweilte, geschah es, daß ein junger Fürst von Granada, der nicht nur große eigene Hilfs- mittel, sondern auch eine angesehene Verwandtschaft sein eigen nannte, unter dem Vorgeben, daß das König- reich Tunis ihm zukomme, ein äußerst zahlreiches Heer rüstete und mit diesem den damals regierenden König von Tunis, der Mariabdela hieß, mit Krieg überzog, um ihn aus seinem Reiche zu vertreiben. Als diese Kunde dem Martuccio Gomito, der die Sprache der Barbaresken wohl verstand, in seinem Gefängnisse zu Ohren kam und als er vernahm, wie große Zu- rüstungen der König von Tunis zu seiner Verteidigung machte, sagte er zu einem der Leute, die ihn und seine Leidensgefährten bewachten : „Könnte ich nur mit dem Könige reden, so getraute ich mich wohl, ihm einen Rat zu geben, der ihn in diesem Kriege zum Sieger machen sollte."

Der Kerkerwächter sagte diese Worte seinem Be- fehlshaber, und dieser berichtete sie alsbald dem Kö- nige. Der König aber befahl, daß Martuccio vor ihn

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gebracht werde, und fragte ihn alsdann, was für einen Rat er zu erteilen habe.

„Herr," erwiderte er, habe ich zu anderen Zeiten, als ich schon hier in Eurem Lande mich umgetan habe, Eure Art zu kämpfen wohl erfaßt, so wendet Ihr in Euren Schlachten Bogenschützen mehr als eine andere Waffe an. Könnte man nun also ein Mittel ausfindig machen, daß die Schützen Eures Feindes Mangel an Pfeilen litten, während die Eurigen noch hinreichend damit versehen wären, so, meine ich, müßte die Schlacht für Euch gewonnen werden."

„Ohne Zweifel," entgegnete der König, „würde ich, wenn sich das bewerkstelligen ließe, mich des Sieges für gewiß halten."

Darauf antwortete Martuccio: „Mein Gebieter, wenn Ihr wollt, läßt sich das allerdings erreichen, und ver- nehmt nur, wie: Ihr müßt für Eure Schützen die Bogensehnen um vieles dünner machen lassen, als sie sonst allgemein gebräuchlich sind. Dazu laßt Ihr dann Pfeile anfertigen, deren Kerben sich nur bei so dünnen Sehnen gebrauchen lassen. Das alles muß aber so ge- heim geschehen, daß Eurem Feinde nichts davon zu Ohren kommt und er daher keine Vorkehrungen treffen kann. Der Zweck aber, den ich durch diese An- stalten erreichen will, ist folgender : Wenn die Schützen Eures Feindes ihre Pfeile abgeschossen haben werden, und ebenso Eure die ihrigen, müssen, wie Ihr wißt, im ferneren Verlaufe der Schlacht die Feinde die Ge- schosse aufsammeln, die die Eurigen versandt haben, und dagegen die Eurigen die Pfeile der Feinde. Dann aber werden Eure Gegner die Pfeile, die die Euren abgeschossen haben, nicht gebrauchen können, weil die dicken Sehnen ihrer Bogen die kleinen Kerben Eurer

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Pfeile nicht zu fassen imstande sind, während umge- kehrt den Eurigen bei ihren feinen Sehnen die weit- gekerbten Pfeile der Feinde treffliche Dienste leisten werden. So werden dann also Eure Schützen reichlich Geschosse haben, wenn die anderen schon gänzlichen Mangel daran leiden."

Dem Könige, der ein verständiger Herr war, leuchtete der Rat des Martuccio ein, und in der Tat trug er auch durch dessen Befolgung den Sieg über seine Feinde davon. Natürlich gelangte Martuccio dadurch in seine besondere Gunst und gewann Ansehen und Reichtümer.

Das Gerücht von diesen Ereignissen ging durch das Land, und auch zu Gonstanzas Ohren kam die Nach- richt, daß Martuccio, den sie lange für tot gehalten hatte, noch am Leben sei. Da entzündete sich die Liebe für ihn, die in ihrem Herzen schon minder heftig zu brennen angefangen hatte, plötzlich zu neuen gewaltigen Flammen und erweckte die schon ver- blichene Hoffnung aus ihrem Todesschlaf. So ent- schloß sie sich denn, der trefflichen Frau, bei der sie wohnte, ihr ganzes Schicksal vollständig zu eröffnen, und sagte ihr, daß sie nach Tunis zu reisen wünsche, um dort die Augen an dem Anblick zu sättigen, zu dem durch die vernommenen Kunden die Ohren ihr Verlangen aufs neue geweckt hätten.

Die wackere Dame billigte vollkommen ihren Ent- schluß, machte sich mit der Sorgsamkeit einer Mutter zu Schiffe mit ihr auf den Weg nach Tunis, und beide wurden dort in dem Hause einer Verwandten ehrenvoll aufgenommen.

Kaum angelangt, sandte Constanza die Carapresa, von der sie ebenfalls sich hatte begleiten lassen, aus,

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um Nachrichten über Martuccio einzuziehen, worauf diese schnell die Kunde von seinem Leben und dem großen Ansehen, in dem er stehe, zurückbrachte.

Die edle Sarazenin ließ es sich nicht nehmen, dem Martuccio die erste Nachricht zu geben, daß seine Con- stanza nach Tunis gekommen sei, um ihn zu suchen. So ging sie denn eines Tages in die Wohnung des jungen Mannes und sagte zu ihm: „Martuccio, einer von deinen Dienern, der aus Lipari kommt, ist bei mir eingekehrt und wünscht insgeheim mit dir zu reden. Und weil ich, seinen Wünschen gemäß, es nie- mand anderem anvertrauen wollte, bin ich selber ge- kommen, um dir die Nachricht zu bringen."

Martuccio dankte ihr für ihre Gefälligkeit und suchte sie bald darauf in ihrer Wohnung auf. Als das Mäd- chen ihren Geliebten wiedersah, fehlte wenig, daß sie nicht vor Freuden gestorben wäre. Ihrer selbst nicht mehr mächtig, fiel sie ihm mit offenen Armen um den Hals. Das Nachgefühl der vergangenen Leiden und das gegenwärtige Glück machte sie stumm, und sie brach in einen Strom von Tränen aus.

Auch der Jüngling schwieg bei dem Anblick des Mädchens vor Erstaunen eine Weile, dann aber sagte er mit einem Seufzer: „Ach, meine Gonstanza, so bist du denn noch am Leben ! Schon lange Zeit ist es her, seit ich hörte, du seiest verschwunden und man wisse auch in unserer Heimat nicht, was aus dir geworden sei."

Und mit diesen Worten umarmte und küßte er sie unter heißen Tränen. Gonstanza erzählte ihm darauf alle ihre Schicksale und mit welcher Aufmerksamkeit sie von der Dame, bei der sie die Zeit über gewohnt habe, behandelt worden sei.

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Sobald Martuccio sich endlich nach langem Ge- spräche von seiner Geliebten getrennt hatte, ging er zum König, seinem Herrn, berichtete ihm alles, was ihm und dem Mädchen begegnet war, und fügte hinzu, wie er, seine Zustimmung vorausgesetzt, sie nach christlichem Gebrauch zu heiraten gesonnen sei. Der König ließ, nicht wenig über die vernommenen Ereig- nisse erstaunt, das Mädchen zu sich rufen, und als sie ihm die Erzählung des Martuccio völlig bestätigte, sagte er: „Nun, so hast du ihn dir denn wohl zum Manne verdient."

Darauf mußten auf seinen Befehl köstliche und er- lesene Geschenke herbeigebracht werden, die er unter Martuccio und Gonstanza verteilte; zugleich gab er beiden freie Hand, über ihre fernere Bestimmung nach Wohlgefallen zu verfügen.

Martuccio erwies der trefflichen Dame, die Con- stanza so lange bei sich beherbergt hatte, noch viel Ehrerbietung und dankte ihr für alle Freundschaft und Liebe, die sie dem Mädchen erwiesen hatte, teils durch Worte und teils durch Geschenke, wie sie sich für sie ziemten, worauf diese nicht ohne Tränen von Constanza Abschied nahm. Dann bestiegen sie, mit des Königs Erlaubnis und von Carapresa begleitet, ein kleines Schiff und kehrten mit günstigem Winde heim nach Lipari, wo sie mit größerer Freude aufge- nommen wurden, als sich in Worten würde beschreiben lassen. Hier feierte Martuccio bald seine Vermählung mit großen Feierlichkeiten; dann aber genossen beide in Frieden und Freude noch lange die Seligkeit ihrer Liebe.

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DRITTE GESCHICHTE

Petro Boccamazza flieht mit Agnolella und stoßt auf Räuber. Das Mädchen flüchtet in einen Wald und wird von dort nach einer Burg geführt. Petro fällt gefangen in die Hände der Räuber, entgeht ihnen aber wieder und gelangt endlich, nachdem er noch andere Gefahren überstanden, in dieselbe Burg, wo Agnolella sich schon befindet. Dort vermählt er sich mit ihr, und beide kehren nach Rom zurück.

Keiner war in der ganzen Gesellschaft, der nicht über Emilias Geschichte seinen Beifall ausgesprochen hätte; die Königin aber wandte sich, als sie jene am Ziele sah, zu Elisa und gebot ihr fortzufahren. Elisa gehorchte willig und begann also:

Holde Damen, ich entsinne mich einer traurigen Nacht, die ein junges Paar durch seinen Leichtsinn durchzumachen hatte; weil ihr aber dann viele frohe Tage nachfolgten, will ich Euch die Geschichte, unserer Aufgabe entsprechend, kurz erzählen.

Vor kurzem lebte in Rom, das, wie es einst das oberste Haupt der Welt war, so jetzt ihr niedrigstes Ende ist, ein junger Mann, namens Pietro Boccamazza, der zu einer der angeseheneren römischen Familien ge- hörte. Dieser verliebte sich in ein wunderschönes und reizendes Mädchen, das Agnolella hieß und die Tochter eines gewissen Gigliuozzo Saullo war, der, wenngleich von geringer Herkunft, doch bei den Römern äußerst beliebt war. Auch wußte der Verliebte sich auf so ge- fällige Weise um ihre Gunst zu bewerben, daß das Mädchen ihn nicht weniger zu lieben begann, als sie von ihm geliebt wurde. Endlich fühlte sich Pietro von seiner glühenden Liebe so überwältigt, daß er sich un- fähig glaubte, den Qualen des Verlangens nach dem Gegenstande seiner Leidenschaft ferner zu wider- stehen, und um die Hand des Mädchens anhielt.

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Als aber seine Verwandten Nachricht von diesem Schritt erhalten hatten, bestürmten sie ihn alle und tadelten ihn laut wegen seines Entschlusses. Auf der anderen Seite aber ließen sie auch dem Gigliuozzo Saullo sagen, er solle den Worten des Pietro auf keine Weise Gehör geben, und wenn er es dennoch tue, würden sie ihn niemals als ihren Freund oder Ver- wandten anerkennen.

Als Pietro sich auf solche Weise den Weg ver- schlossen sah, auf dem er allein an das Ziel seiner Wünsche kommen zu können geglaubt hatte, wünschte er sich vor Gram den Tod. Gerne würde er, wenn nur Gigliuozzo eingewilligt hätte, dessen Tochter auch gegen den Wunsch aller seiner Anverwandten geheiratet haben. Aber, selbst ohne das, nahm er sich vor, wenn nur das Mädchen wollte, zu erreichen, was er begehrte; und als er durch einen dritten erforscht hatte, daß das Mädchen einwilligte, verabredete er sich mit ihr, aus Rom zu entfliehen.

Nachdem alles zu dem Zwecke vorbereitet war, ver- ließ Pietro eines Morgens lange noch vor Tagesanbruch seine Wohnung und schlug mit seiner Geliebten, als beide zu Pferde gestiegen waren, den Weg nachAnagni ein, wo Pietro Freunde hatte, auf die er sich gänzlich verlassen zu können glaubte. Unterwegs ließ ihnen die Furcht, daß man sie verfolgen möchte, keine Zeit, ihre Hochzeit zu vollziehen, und so konnten sie denn unter fortwährenden Gesprächen über ihre Liebe nichts tun, als zuweilen einander küssen.

Weil aber Pietro mit dem Wege nicht allzu bekannt war, schlugen sie, nachdem sie vielleicht acht Meilen von Rom aus zurückgelegt hatten, einen Weg nach links ein, während sie sich rechts hätten halten sollen.

III 3 33

Und kaum waren sie auf diesem weiter als zwei Meilen geritten, so befanden sie sich in der Nähe eines befestigten Gebäudes, von welchem aus man sie nicht sobald gesehen hatte, als auch schon ein Dutzend Be- waffneter herauskam, um ihnen den Weg zu ver- sperren.

Das Mädchen, dessen sie zuerst, aber doch nicht eher gewahr wurden, als bis beide ihnen schon ganz nahe waren, rief laut: „Pietro, retten wir uns, wir werden überfallen," und mit diesen Worten trieb sie ihr Pferd, so schnell sie nur konnte, nach einem benach- barten großen Wald zu und drückte dabei, während sie mit beiden Händen sich fest an dem Sattelknopf hielt, dem Rosse die Sporen so tief in den Leib, daß dieses sie, von Schmerz beflügelt, im schnellsten Laufe durch den Wald dahintrug. Da indessen Pietro seine Augen mehr auf die Züge der Geliebten als auf den Weg gerichtet hatte, so hatte er den bewaffneten Haufen, der auf sie zukam, nicht sobald erblickt als jene und wurde daher, während er sich noch umsah, von welcher Seite die Räuber denn kämen, von ihnen überfallen, gefangen und seines Pferdes beraubt.

Als er nun auf ihre Frage sich ihnen genannt hatte, hielten sie untereinander Rat über ihn, und der eine sagte zum anderen: „Der gehört zu den Freunden unserer Feinde; was können wir besseres mit ihm an- fangen, als daß wir seine Kleider und das Pferd be- halten und ihn dann den Orsini zum Verdruß an eine dieser Eichen hängen?"

Alle stimmten diesem Vorschlag zu und befahlen daher dem Pietro, sich zu entkleiden. Während aber dieser in der Todesangst sich anschickte, ihren Befehlen zu gehorchen, geschah es, daß ein Hinterhalt von wohl

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einem Viertelhundert Bewaffneter plötzlich mit dem Rufe: „Ihr seid des Todes!" über jene ersten herfiel. Diese nun ließen im Schrecken wegen des Überfalls den Pietro los und wandten sich gegen die Angreifen- den, vor deren offenbarer Überzahl sie jedoch bald die Flucht ergriffen, auf der jene sie verfolgten.

Als Pietro sich auf diese Weise frei sah, suchte er sich seine Sachen wieder zusammen, bestieg sein Pferd und jagte, so schnell er konnte, nach der Seite hin, wo er das Mädchen hatte verschwinden sehen. Da er aber in dem Walde weder Weg noch Pfad, noch auch Huftritte eines Pferdes entdecken konnte, fing er, sobald er sich sowohl den Händen derer, die ihn ge- fangen hatten, als der anderen, die jene überfallen hatten, erst sicher entronnen glaubte, über alle Maßen traurig zu weinen an.

In allen Richtungen durch den Wald hin rief er nach seinem Mädchen, doch niemand gab ihm Ant- wort. Zurückzukehren getraute er sich nicht, und doch wußte er auch nicht, wohin er geraten könnte, wenn er vorwärts ginge. Zugleich aber erschreckten ihn die wilden Tiere, die in den Wäldern zu weilen pflegen, um seiner selbst und um seines Mädchens willen, das er in Gedanken jeden Augenblick von einem Bären oder Wolfe erwürgt werden sah. So trieb der un- glückliche Pietro sich den ganzen Tag unter Rufen und Wehklagen in dem Walde umher, wobei es denn oft ge- schah, daß er in die Richtung, woher er gekommen war, zurückkehrte, während er vorwärts zu reiten glaubte.

Endlich fühlte er sich von dem lauten Rufen, von dem Weinen, der ausgestandenen Angst und dem langen Fasten so angegriffen, daß er nicht mehr von der Stelle konnte. Als nun auch die Nacht anbrach,

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stieg Pietro, der sich auf keinerlei Weise anders zu raten und zu helfen wußte, von dem Pferde, band dieses an eine hohle Eiche und kletterte dann, um nur nicht von den wilden Tieren zerrissen zu werden, auf die Äste. Bald darauf ging der Mond auf, und der Himmel war schön und hell; Pietro aber enthielt sich aus Furcht, herunterzustürzen, des Schlafes, ob- gleich ihn auch in der sichersten und bequemsten Stellung sein Gram und seine Sorgen um das Mädchen kaum hätten schlafen lassen, und so verbrachte er unter Seufzen, Tränen und Verwünschungen seines Mißgeschickes wachend die ganze Nacht.

Inzwischen war das Mädchen, wie wir schon oben erzählt haben, ohne einer anderen Richtung zu folgen, als der, in welcher sie das Pferd nach eigener Lust davontrug, so weit in den Wald geflohen, daß sie die Stelle, wo sie hineingekommen war, nicht mehr er- kennen konnte. Und so verbrachte denn auch sie, bald verweilend und bald umherirrend, bald rufend und bald ihr Unglück mit tausend Tränen beweinend, den ganzen Tag in dieser waldigen Wildnis. Wie sie nun, als es schon Abend wurde, Pietro immer noch nicht kommen sah, schlug sie einen kleinen Pfad ein, den sie gewahr geworden war. Das Pferd verfolgte die Spur, und als sie etwas über zwei Meilen weit ge- ritten war, erblickte sie von ferne ein kleines Häus- chen. Sie eilte, dies so schnell als möglich zu er- reichen, und fand es von einem wackeren alten Manne und von seiner ebenfalls betagten Frau bewohnt.

Als diese sahen, daß sie allein sei, sagten sie: „Ach, Tochter, was tust du um diese späte Stunde so allein hier im Freien?"

Das Mädchen erwiderte weinend, daß sie ihren Ge-

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fährten im Walde verloren habe, und fragte dann, wie weit es noch bis Anagni sei.

„Meine Tochter," antwortete der gute Mann, „hier geht der Weg nach Anagni nicht vorüber, und es sind mehr als ein Dutzend Meilen bis dorthin."

Darauf sagte das Mädchen: „Sind denn nicht wenig- stens Häuser hier in der Nähe, wo man beherbergt werden kann?"

Der gute Mann aber entgegnete: „Keines so nahe, daß du es noch vor Nacht erreichen könntest."

„Wenn ich denn nirgends anders unterkommen kann," erwiderte das Mädchen, „würdet also Ihr wohl so freundlich sein, mich diese Nacht aus Barmherzig- keit bei Euch zu behalten?"

Darauf antwortete der gute Mann: „Mein Kind, es soll uns lieb sein, wenn du diese Nacht bei uns bleibst; doch wollen wir dir im voraus bemerken, daß übel- gesinnte Heerhaufen der einen wie der anderen Partei bei Tage und bei Nacht diese Gegenden zu durch- streifen pflegen und uns gar häufig großen Schaden und Verdruß antun. Würden wir nun zum Unglück, während du hier bist, von einer solchen Bande heim- gesucht, so würden sie dir um deiner Schönheit und Jugend willen gewiß Schaden und Schande antun, ohne daß wir dich im mindesten zu schützen ver- möchten. Das haben wir dir im voraus sagen wollen, damit du, wenn es wirklich geschehen sollte, dich nachher nicht über uns beschweren könntest."

So sehr die Worte des alten Mannes das Mädchen erschreckten, so sagte sie dennoch in Anbetracht der späten Stunde: „Gott wird, wenn es ihm gefällt, Euch und mich vor solchem Unglück schützen. Ist es aber über uns verhängt, so ist es immer noch besser, von

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den Menschen mißhandelt, als im Walde von den wilden Tieren zerrissen zu werden."

Mit diesen Worten stieg sie vom Pferde, trat in das Haus des armen Mannes ein und teilte das spär- liche Abendessen der guten Leute. Dann legte sie sich, angekleidet wie sie war, mit ihnen auf ihre kleine Lagerstätte und fand die ganze Nacht über kein Ende, zu seufzen und neben ihrem eigenen Unglück das des Pietro zu beweinen, für den sie sich ja auch nichts anderes als das schlimmste denken konnte.

Als es schon gegen Morgen war, hörte sie die Tritte von einer Menge Leute immer näher kommen. Besorgt vor der drohenden Gefahr, erhob sie sich still von ihrem Lager, ging in den weiten Hofraum, der hinter dem Häuschen gelegen war, und verbarg sich dort in einem großen Heuhaufen, den sie in dem einen Winkel liegen sah, um, wenn die Leute auch dorthin kommen sollten, doch nicht sobald von ihnen gefunden zu werden. Kaum hatte sie sich indessen versteckt, als jene, die einen großen Heerhaufen bösen Raubgesindels bildeten, auch schon bei dem Häuschen angelangt waren und sich die Tür öffnen ließen. Als sie nun eintraten und das Pferd des Mädchens noch völlig gesattelt und gezäumt sahen, fragten sie, wer denn da sei.

Da der gute Mann das Mädchen nicht mehr sah, antwortete er: „Niemand, als wir selber. Jenes Pferd aber, das der Himmel weiß wem entlaufen sein mag, hat sich gestern abend hier eingefunden, und da haben wir es denn ins Haus geführt, damit die Wölfe es nicht fressen sollten."

„Wenn es denn keinen Herrn hat," sagte der älteste von jenem Gesindel, „so wird es gut für uns sein."

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Nach diesen Worten verteilten sie sich, das ganze kleine Haus zu durchsuchen; einige besichtigten auch den Hof und legten der größeren Bequemlichkeit wegen Lanzen und Schilde ab. Dabei geschah es aber, daß einer, ohne zu wissen, was er tat, seine Lanze in jenen Heuhaufen warf und dadurch auf ein Haar den Tod des verborgenen Mädchens oder doch wenig- stens ihre Entdeckung herbeigeführt hätte, denn die Lanze drang noch mit solcher Kraft bis in die Gegend ihrer linken Brust, daß die eiserne Spitze ihr die Kleidungsstücke zerriß und das arme Mädchen, aus Furcht, verwundet zu werden, schon im Begriff war, einen lauten Schrei auszustoßen, als sie noch zur rechten Zeit bedachte, wo sie sei, und sich hinläng- lich zusammennahm, um still zu schweigen.

Als nun das Gesindel, der eine hier, der andere da, ihre Zicklein und allerlei anderes Fleisch gebraten und dann gegessen und getrunken hatten, gingen sie ihren ferneren Unternehmungen nach und führten das Pferd des Mädchens mit sich hinweg. Erst nachdem sie schon eine gute Strecke entfernt waren, fragte der gute Mann seine Frau: „Was ist denn aber nur aus dem Mädchen geworden, das gestern abend bei uns einkehrte? Ich habe es doch heute morgen, seit wir aufgestanden sind, nicht mehr gesehen?"

Die Frau erwiderte, sie wisse es nicht und ging, sich nach ihr umzusehen; das Mädchen aber, das sich inzwischen überzeugt hatte, daß jene abgezogen seien, machte sich aus dem Heu wieder hervor.

Der gute Mann freute sich sehr, daß sie dem Ge- sindel nicht in die Hände gefallen war, und sagte, als es schon zu dämmern begann: „Nun der Tag anbricht, wollen wir, wenn es dir recht ist, dich zu einer Burg

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geleiten, die nicht weiter als fünf Miglien von hier gelegen ist und dir völlige Sicherheit gewähren wird. Du wirst den Weg aber schon zu Fuß machen müssen, da das böse Volk, das eben hier war, dein Pferd mit- genommen hat."

Das Mädchen beruhigte sich leicht über diesen Ver- lust und bat die guten Leute um Gottes willen, sie nach jener Burg zu führen, und so machten sie sich denn auf den Weg und langten noch vor der zweiten Tagesstunde dort an. Die Burg gehörte aber einem Verwandten der Orsini, namens Liello von Campo di Fiore, und es traf sich, daß seine Frau, eine vor- treffliche und fromme Dame, eben um jene Zeit dort war. Als diese das Mädchen erblickte, erkannte sie sie sogleich, empfing sie auf das freundlichste und verlangte den ganzen Zusammenhang der Ereignisse zu hören, die sie dorthin geführt hätten.

Das Mädchen erzählte ihr alles, und die Dame, der auch Pietro als ein Freund ihres Mannes bekannt war, betrübte sich über diesen Unfall, da sie aus der Be- schreibung des Ortes, wo er gefangen worden war, mit Gewißheit schließen zu müssen glaubte, daß man ihn umgebracht haben werde. Deshalb sagte sie denn zu dem Mädchen: „Da du nun doch nicht weißt, was aus Pietro geworden ist, so bleibe hier bei mir, bis ich Gelegenheit finde, dich auf sichere Weise nach Rom zu schicken."

Während indessen Pietro in grenzenloser Betrübnis noch auf seiner Eiche saß, sah er um die Zeit, da andere Leute kaum eingeschlafen zu sein pflegen, wohl zwanzig Wölfe durch den Wald herankommen, welche sich sämtlich an sein Pferd machten, sobald sie es gewahr geworden waren. Als das Pferd sie witterte,

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zerriß es gewaltsam die Zügel, mit denen es an- gebunden war und suchte zu entfliehen. Da die Wölfe es aber von allen Seiten umringten und die Flucht ihm abschnitten, verteidigte es sich eine lange Weile mit Hufen und Zähnen, bis es endlich dennoch von ihnen zu Boden geworfen, erwürgt und sogleich in Stücke zerrissen wurde. Die Wölfe verschlangen das Fleisch, ohne etwas anderes als die Knochen zurück- zulassen, und liefen dann wieder weiter. Pietro, der das Pferd als seinen Leidensgefährten betrachtet hatte, der ihm seine Mühseligkeiten erleichtern half, ent- setzte sich nicht wenig über diesen Anblick und gab nachgerade alle Hoffnung auf, aus diesem Walde wieder herauszukommen. Wie er sich nun immer forschend nach allen Seiten umsah, erblickte er schon in der Morgendämmerung in einer Entfernung von etwa einer Miglie ein großes Feuer. Kaum erwartete er nach dieser Entdeckung den hellen Tag, um, nicht ohne große Angst, von seiner Eiche herabzusteigen und die Richtung des Feuers zu verfolgen.

Als er es endlich erreicht hatte, fand er Hirten ringsumher gelagert, die ihr Frühstück fröhlich ver- zehrten und ihn mitleidig aufnahmen. Sie hießen ihn mit essen und sich wärmen, worauf er ihnen sein Mißgeschick erzählte und wie er allein dorthin ge- raten sei, und sie fragte, ob denn kein Landgut oder keine Burg in der Nähe sei, wohin er sich wenden könne. Die Hirten sagten ihm, daß etwa drei Miglien von dort entfernt eine Burg des Liello von Campo di Fiore sei, auf der die Frau des Besitzers sich eben befinde. Erfreut über diese Nachricht, bat Pietro, daß jemand von ihnen ihn bis zu der Burg begleiten möge, und sogleich fanden zwei sich gern dazu bereit.

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Während nun Pietro, sobald er auf der Burg an- gelangt war, durch ein paar Bekannte, die er dort an- traf, noch zu bewirken suchte, daß das Mädchen in dem Walde gesucht würde, ließ die Frau des Hauses ihn zu sich rufen. Er verfehlte nicht sogleich zu ge- horchen, und unbeschreiblich groß war seine Freude, als er Agnolella bei ihr fand. Kaum wußte er sich zu bezwingen, daß er ihr nicht gleich um den Hals fiel, und nur die Srfieu vor der Dame vermochte ihn daran zu hindern. War er aber voller Freude, so fühlte sich das Mädchen nicht weniger glücklich.

Als nun die Dame ihn mit vieler Höflichkeit bei sich aufgenommen und alles, was sich zugetragen, von ihm gehört hatte, tadelte sie ihn sehr, daß er sich gegen den Willen seiner Angehörigen vermählen wolle. Als sie jedoch gewahr wurde, daß er durch das alles in seinem Entschlüsse durchaus nicht wankend war und daß auch das Mädchen gleiche Wünsche hegte, sagte sie: „Was gebe ich mir viel Mühe? Sie lieben sich, sie kennen sich, beide sind gleichmäßig mit meinem Manne befreundet, ihre Wünsche sind der Sittsamkeit nicht zuwider, und ich muß wohl glauben, daß Gott seinen Willen dazu gegeben hat, da er den einen vom Galgen, die andere vom Lanzenstich und beide vor den wilden Tieren gerettet hat. So möge es denn in Gottes Namen geschehen."

Darauf fügte sie, zu jenen beiden gewandt, hinzu: „Ist es denn noch immer euer Wille, Mann und Frau zu werden, so gebe ich auch den meinigen darein, und die Hochzeit soll hier auf Liellos Kosten gefeiert werden. Dann werde ich euch auch mit euren An- gehörigen schon wieder versöhnen."

Pietro war entzückt über diesen Entschluß, und

Agnolella war es womöglich noch mehr. Die Hochzeit, zu der die edle Dame die Festlichkeiten so gut ver- anstaltet hatte, als es sich dort im Gebirge nur irgend machen ließ, wurde auf der Burg gefeiert, wo denn die beiden Liebenden mit unbeschreiblicher Lust die ersten Freuden der Liebe kosteten. Einige Tage darauf stieg die Dame mit den beiden zu Pferde, und sie ritten unter guter Bedeckung zusammen nach Rom zurück, wo sie die Angehörigen Pietros zwar über alles, was er getan hatte, sehr erzürnt fand, dennoch aber bald darauf dazu gelangte, den Frieden wiederherzu- stellen. Und von der Zeit an lebte Pietro mit seiner Agnolella in Ruhe und in Freuden bis zu ihrem weiteren Alter.

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VIERTE GESCHICHTE

Ricciardo Manardi wird von Messer Lizio da Valbona bei der Tochter des letzteren betroffen. Er heiratet indessen das Mädchen und söhnt sich mit ihrem Vater wieder aus.

Als Elisa schwieg und den Lobsprüchen zuhörte, welche die Gefährtinnen ihrer Geschichte erteilten, hieß die Königin den Filostrato mit einer anderen fortfahren. Dieser aber begann mit lachendem Munde:

Ihr habt mich fast alle so oft gescholten, daß meine Aufgabe, Geschichten traurigen Inhalts, über den ihr weinen mußtet, herbeigeführt habe, daß ich nun, um e^uch einigermaßen für jene Schmerzen zu entschädi- gen, mir selber auferlegen will, euch mit etwas zu unterhalten, das euer Zwerchfell ein wenig erschüttere. Zu dem Zwecke denke ich denn in einem kurzen Ge- schichtchen euch von einer Liebe zu erzählen, die ohne anderes Ungemach als vorübergehende Seufzer und ein wenig mit Scham verbundene Angst erfahren zu haben, zu fröhlichem Ende gediehen ist.

Es ist noch nicht gar lange her, ihr edlen Damen, daß in der Romagna ein gar wackerer und wohl- gesitteter Ritter, Messer Lizio da Valbona, lebte, den Madonna Giacomina, seine Ehefrau, als er schon ziem- lich bejahrt war, noch mit einer Tochter beschenkte, welche, als sie heranwuchs, schöner und anmutiger wurde als alle anderen Mädchen in der ganzen Um- gegend. Auch hatten Vater und Mutter, weil ihnen nur dieses einzige Kind geblieben war, sie über die Maßen lieb und wert und bewachten sie in der Meinung, dereinst durch sie noch gar einen vornehmen Schwieger- sohn zu bekommen, mit unglaublicher Sorgfalt.

Nun besuchte ein junger Mann von schönem und frischem Aussehen, der zu der Familie Manardi in

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ßrettinoro gehörte und Ricciardo hieß, häufig das Haus des Herrn Lizio und verweilte oft längere Zeit daselbst. Vor diesem aber hüteten weder Messer Lizio noch seine Frau das Mädchen mit größerer Vorsicht, als sie es vor ihrem eigenen Sohne getan haben würden.

Der junge Mann wurde indessen, nachdem er das nun reif gewordene Mädchen einige Male beobachtet hatte, gewahr, wie schön, wie anmutig, wie gesittet und wohlerzogen sie sei, und verliebte sich auf das feurigste in sie, hielt jedoch seine Liebe mit der größten Sorgfalt verborgen. Dennoch erriet das Mädchen schnell seine Gefühle und entsprach den- selben, weit entfernt, sie von sich abzulehnen, zu Ricciardos größter Freude durch gleiche Gegenliebe.

Oftmals hatte er schon von seiner Liebe zu ihr sprechen wollen, und immer hatte er aus Scheu doch wieder geschwiegen. Endlich nahm er eines Tages seine Zeit wahr, faßte sich ein Herz und sagte zu ihr: „Caterina, ich bitte dich, laß mich nicht vor Liebe sterben !"

Das Mädchen antwortete sogleich: „Wollte Gott, du tätest es mir nicht noch ärger an!"

Diese Antwort freute und ermutigte den Ricciardo so sehr, daß er erwiderte: „An mir soll es gewiß nie liegen, alles zu tun, was dir willkommen ist. Du aber vermagst die Mittel auszufinden, die uns beiden das Leben wiedergeben können."

„Ricciardo," entgegnete das Mädchen, „du siehst wohl, wie sehr ich bewacht werde. Ich weiß nicht, wie es anzustellen wäre, daß du zu mir kommen kannst; weißt du aber ein Mittel, wie es ohne meine Schande geschehen könnte, so will ich gern tun, was du verlangst."

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Ricciardo hatte zu dem Zwecke schon allerhand überdacht und antwortete nun sogleich: „Meine süße Caterina, auch ich weiß kein Mittel, als wenn du auf dem Erker, der nach dem Garten deines Vaters hinausgeht, schlafen oder wenigstens nachts dorthin kommen könntest. Wüßte ich dann, daß du da wärest, so würde ich, so hoch es auch ist, doch auf jeden Fall schon sehen, daß ich hinaufkommen könnte."

Darauf erwiderte Caterina: „Wenn du dich denn getraust hinaufzukommen, so denke ich, es soll mir schon gelingen, daß ich dort schlafen darf."

Nachdem Ricciardo das noch einmal bejaht hatte, küßten sie sich ein einziges Mal gar flüchtig und trennten sich alsdann.

Nun war der Mai schon nahe und am anderen Tage fing das Mädchen an, sich gegen ihre Mutter gewaltig zu beklagen, daß sie die vergangene Nacht vor über- mäßiger Hitze nicht habe schlafen können.

„Wie, meine Tochter," erwiderte die Mutter, „warm wäre es gewesen? Im Gegenteil, es war ja eher kühl."

Caterina aber antwortete: „Mutter, Ihr solltet lieber reden wie ich, dann würdet Ihr wohl die Wahrheit sagen; auf jeden Fall aber solltet Ihr bedenken, daß junge Mädchen mehr innere Wärme haben als bejahrte Frauen."

Darauf sagte die Mutter: „Darin hast du freilich recht, mein Kind, ich kann nun aber doch einmal warm und kalt nicht nach Belieben machen, wie es dir vielleicht passen möchte. Das Wetter muß man schon ertragen, wie die Jahreszeit es eben mit sich bringt. Möglich, daß es in der nächsten Nacht kühler wird, und dann wirst du ja besser schlafen."

„Wollte Gott," entgegnete Caterina, „aber es pflegt

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nicht gerade zu geschehen, daß die Nächte gegen den Sommer kühler werden."

„Was verlangst du denn aber, das man tun soll?" sagte die Mutter.

Caterina erwiderte: „Wenn es meinem Vater und Euch nicht unlieb wäre, ließe ich mir gern auf dem Erker, der an Eure Stube stößt und nach dem Garten hinausgeht, ein Bettchen machen und schliefe da. Gewiß hätte ich es da, beim Gesänge der Nachtigall und bei größerer Kühle, viel besser als in Eurem Schlafzimmer."

Darauf sagte die Mutter: „So beruhige dich denn, meine Tochter, ich werde es deinem Vater sagen, und was der beschließen wird, das werden wir tun."

Als indessen Messer Lizio, der vielleicht wegen seines Alters etwas eigensinnig war, diese Dinge vernahm, sagte er: „Was ist das für eine Nachtigall, bei deren Gesänge sie schlafen will? Ich will sie lehren, beim Gesänge der Heuschrecken einschlafen."

Die nächste Nacht schlief Caterina, weniger vor Hitze als vor Ärger über die abschlägige Antwort ihres Vaters nicht allein selber nicht, sondern ließ auch, unter beständigem Klagen über die Wärme, ihre Mutter zu keinem Schlafe kommen. Am Morgen nach dieser übel verbrachten Nacht suchte die Mutter Messer Lizio auf und sagte zu ihm: „In der Tat, mein Gemahl, Ihr scheint unsere Tochter nicht besonders lieb zu haben. Was kann es Euch denn verschlagen, wenn sie die Nacht auf dem Erker schläft? Sie hat sich diese ganze Nacht vor Hitze nicht zu lassen gewußt. Und wie könnt Ihr Euch nur wundern, daß sie Ge- fallen daran findet, die Nachtigall singen zu hören? Ist sie doch noch ein halbes Kind, und junge Leute

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ergötzen sich nun einmal an den Dingen, die ihnen gleichen."

Als Messer Lizio diese Vorwürfe mit angehört hatte, sagte er: „Nun, meinetwegen, so laß ihr denn ein Bett zurecht machen, das klein genug ist, um auf dem Erker Platz zu finden; sorge auch dafür, daß Vorhänge herum sind, und dann mag sie in Gottes Namen dort schlafen und die Nachtigall singen hören, soviel es ihr beliebt."

Sobald das Mädchen die Einwilligung ihres Vaters vernommen hatte, ließ sie sich sogleich ihr Bett auf dem Erker aufschlagen, um schon die nächste Nacht dort schlafen zu können, und lauschte dann solange, bis sie den Ricciardo zu sehen bekommen und ihm das unter ihnen beiden verabredete Zeichen, das er auch sogleich verstand, gemacht hatte.

Als Messer Lizio nun am Abend hörte, das Mäd- chen sei zu Bett gegangen, verschloß er die Tür, die von seinem Zimmer aus auf jenen Erker führte, und legte sich dann gleichfalls schlafen.

Ricciardo aber erkletterte, sobald alles im ganzen Hause still geworden war, mittels einer Leiter zuerst eine Mauer; dann arbeitete er sich an den einzelnen vorstehenden Steinen einer anderen anstoßenden Mauer mit unsäglicher Mühe und mit großer Gefahr, her- unterzustürzen, bis zu dem Erker, wo sein Mädchen ihn in aller Stille, aber voller Entzücken empfing. Dann legten beide sich nach tausend ausgetauschten Küssen nieder und genossen fast die ganze Nacht hindurch alle Lust, die Liebende einander gewähren können, wobei sie denn natürlich die Nachtigall gar vielmals schlagen ließen. Da indessen ihre Freuden groß, die Nächte aber kurz waren, geschah es, daß

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sie, als der Tag, von ihnen unvermutet, schon nahe war, beide, von der warmen Luft sowohl als von den miteinander getriebenen Liebesspielen erhitzt, ohne alle Bedeckung einschliefen, und daß Caterina, die den rechten Arm unter Ricciardos Arm gelegt hatte, mit der linken Hand das Ding festhielt, das ihr Mädchen euch vor Männern zu nennen besonders zu scheuen pflegt.

Während sie so noch fortschliefen, überfiel sie der Tag, ohne sie zu wecken. Inzwischen war Messer Lizio aufgestanden, und da ihm eben einfiel, daß seine Tochter auf dem Erker schlafe, sagte er bei sich selber: „Wir müssen doch einmal zusehen, ob die Nachtigall diese Nacht Caterina besser schlafen gemacht hat."

Damit ging er sachte auf den Erker zu, hob den Vorhang auf, der um das Bett gehangen war, und erblickte sie nackt und bloß mit Ricciardo umarmt in der beschriebenen Weise schlafen. Sobald Messer Lizio sich vollkommen überzeugt hatte, daß es Ric- ciardo sei, schlich er sich wieder fort, ging in das Schlafgemach seiner Frau und weckte diese mit folgen- den Worten: „Hurtig, Frau, steh' auf und komm geschwind, dir mit anzusehen, wie deine Tochter an der Nachtigall so viel Wohlgefallen gefunden, daß sie sie gefangen hat und noch in Händen hält."

„Wie wäre denn das aber zugegangen?" sagte die Frau.

„Komm nur schnell," erwiderte Messer Lizio, „und du wirst schon selber sehen."

Madonna Giacomina zog sich in aller Eile an und folgte dann stillschweigend ihrem Gemahle zu dem Bette ihrer Tochter, wo sie dann allerdings, als dieser

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die Vorhänge auseinander schlug, deutlich genug sah, wie Caterina die Nachtigall, die sie so gern singen hörte, gefangen hatte und noch festhielt.

Hoch erzürnt, daß Ricciardo sie so hintergangen habe, wollte Madonna Giacomina schon Lärm machen und den jungen Mann schelten; Messer Lizio aber hielt sie zurück und sagte: „Frau, sofern du Liebe zu mir hegst, so hüte dich, den Mund auf zutun; denn wahrlich, da sie ihn nun einmal eingefangen hat, so soll sie ihn auch behalten. Ricciardo ist von gutem Hause und dabei ein wohlhabender junger Mann, die Verwandtschaft mit ihm kann uns nur Ehre bringen. Und will er in Gutem aus meinem Hause entlassen werden, so muß er sich zuvor mit ihr versprechen, damit er dann die Nachtigall in seinen eigenen und nicht in einen fremden Bauer getan habe."

Madonna Giacomina beruhigte sich, als sie ihren Mann so wenig über das Geschehene erzürnt sah, und war am Ende ganz zufrieden, daß ihre Tochter eine schöne Nacht gehabt, gut geschlafen und obendrein die Nachtigall gefangen habe. Auch dauerte es nach diesem Gespräch nicht mehr lange, so erwachte Ricciardo und hielt sich, als er sah, daß der helle Tag schon angebrochen war, für verloren, rief Caterina und sagte: „Was soll nun aus uns werden, mein Leben? Der Tag ist schon angebrochen und hat mich hier betroffen?"

Bei diesen Worten trat Messer Lizio hinzu, hob den Vorhang auf und sagte: „Wir werden's schon machen."

Als Ricciardo ihn erblickte, war es ihm nicht anders, als würde ihm das Herz aus dem Leibe gerissen. So- gleich setzte er sich im Bette auf und sagte: „Ach, Herr, um Gottes willen, ich bitte Euch um Gnade.

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Ich erkenne, daß ich als ein nichtswürdiger, böser Mensch den Tod verdient habe, macht also mit mir, was Euch immer beliebt. Dennoch aber bitte ich Euch, wenn es sein kann, mir das Leben aus Gnade zu schenken und mich nicht umzubringen."

Darauf antwortete Messer Lizio: „Ricciardo, das habe ich mit der Liebe und dem Vertrauen, die ich zu dir hegte, nicht um dich verdient. Da es aber nun einmal so ist und deine Jugend dich zu einem solchen Vergehen verleitet hat, so nimm nun, um dich vom Tode, mich aber von der Schande zu retten, die Cate- rina zu deiner gesetzmäßigen Frau, und dann mag sie, wie sie diese Nacht über die deine gewesen ist, so ihr ganzes Leben über es bleiben. Auf diese Weise allein kannst du mich wieder versöhnen und dir selbst dein Leben retten; bist du aber nicht gesonnen, also zu tun, so eile, deine Seele Gott zu befehlen."

Während dieses Gespräches hatte Caterina die Nachti- gall fahrengelassen und sich zugedeckt; nun aber weinte sie bitterlich und bat einesteils ihren Vater, er solle dem Ricciardo vergeben, und anderenteils bat sie auch den letzteren, er möchte tun, was Messer Lizio verlangte, damit sie dann noch lange dergleichen Nächte in allem Frieden genießen könnten.

Indessen bedurfte es dazu nicht erst vieler Bitten; denn teils die Scham wegen des begangenen Fehl- trittes und der Wunsch, ihn wieder gutzumachen, teils die Furcht vor dem Tode und das Verlangen der Ret- tung, teils endlich die glühende Liebe und die sehn- liche Lust, den geliebten Gegenstand zu besitzen, be- wogen ihn insgesamt, sich aus freien Stücken und ohne Besinnen zu allem, was Messer Lizio begehrte, bereit zu erklären.

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Darauf ließ der letztere sich von Madonna Giaco- mina einen Ring leihen, mit dem Ricciardo in beider Gegenwart gleich am Orte sich der Caterina ehelich verloben mußte. Erst nachdem dies geschehen war, ließen Messer Lizio und seine Gemahlin die Neuver- lobten mit den Worten allein: „Ruht euch nun aus, denn das möchte euch vielleicht wohler tun, als auf- zustehen."

Kaum waren jene beiden fortgegangen, so umarmten die jungen Leute sich aufs neue und fügten zum Be- schluß der ersten Tagereise den sechs Posten, die sie während der Nacht zurückgelegt hatten, bevor sie auf- standen, noch zwei andere hinzu. Nachdem darauf Ricciardo sich mit Messer Lizio noch ausführlicher besprochen hatte, vermählte er sich wenige Tage später in herkömmlicher Weise und in Gegenwart der Freunde und Anverwandten abermals mit Caterina, führte sie mit vielen Festlichkeiten in seine Heimat, wo er eine prächtige, ehrenvolle Hochzeit ausgerichtet hatte, und ging dann in Ruhe und in Freuden bei Tag und bei Nacht, soviel es ihm nur beliebte, lange noch mit ihr auf den Nachtigallenfang.

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FÜNFTE GESCHICHTE

Guidotto von Cremona vertraut dem Giacomino von Pavia sterbend seine Pflegetochter an. Giannole di Severino und Minghino de Mingole verlieben sich zu Faenza beide in sie und werden darüber miteinander handgemein. Endlich wird entdeckt, daß das Mädchen eine Schwester des Giannole ist, und Minghino erhält sie zur Frau.

Über die Geschichte von der Nachtigall hatten die Mädchen, während Filostrato erzählte, so sehr gelacht, daß sie auch, nun er aufgehört hatte zu reden, des Lachens kein Ende finden konnten. Nachdem sie aber ihrer Lachlust eine Weile freien Lauf gelassen hatten, sagte endlich die Königin:

„Wahrlich, betrübtest du uns gestern, so hast du heute unser Zwerchfell so gekitzelt, daß sich keine mit gutem Grunde mehr über dich beschweren kann."

Darauf richtete sie ihre Worte an Neifile und gebot ihr fortzufahren. Diese aber begann mit freundlichem Munde also zu reden :

Da Filostrato uns in seiner Geschichte nach der Romagna geführt hat, so beliebt es auch mir, in meiner Erzählung jene Landschaft lustwandelnd ein wenig zu durchstreifen.

Vor Zeiten wohnten in der Stadt Fano zwei Lom- barden, Guidotto von Cremona und Giacomino von Pavia genannt, die zwar beide schon bejahrt waren, in ihrer Jugend aber fast beständig das Waffenhand- werk als rüstige Krieger betrieben hatten. Als nun Guidotto seinen Tod ahnte und weder einen Sohn noch sonst einen Freund oder Verwandten besaß, dem er mehr getraut hätte als dem Giacomino, so hinterließ er diesem, nachdem er ihm noch mancherlei über seine Angelegenheit gesagt hatte, nebst allem, was er be-

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saß, seine etwa zehnjährige Tochter und starb als- dann.

Um dieselbe Zeit geschah es aber, daß die Stadt Faenza, die lange Zeit von Krieg und Mißgeschick heimgesucht worden war, sich einigermaßen wieder erholte und daß allen denen, die wieder dorthin zu- rückkehren wollten, freie Befugnis dazu erteilt wurde. Deswegen zog denn auch Giacomino, der früher dort gewohnt hatte und dem der Aufenthalt gefiel, mit allem, was ihm gehörte, wieder nach Faenza und nahm dabei das Mädchen, das Guidotto ihm hinter- lassen und das er gleich seiner eigenen Tochter liebte und pflegte, mit hinüber.

Als das Mädchen allmählich heranwuchs, wurde sie ausnehmend schön, wie damals kaum eine andere in jener Stadt zu finden war, und mit ihrer Schönheit hielten ihre Sittsamkeit und ihr Anstand gleichen Schritt. Da fanden sich denn natürlich manche Lieb- haber ein, unter denen jedoch vorzüglich zwei Jüng- linge, die beide wohlerzogen und gut geartet waren, ihr gleichmäßig die innigste Liebe zuwandten und darüber aus Eifersucht gegeneinander den bittersten Haß faßten.

Von diesen jungen Leuten hieß der eine Giannole di Severino und der andere Minghino di Mingole, und keiner von ihnen beiden würde, als das Mädchen fünfzehn Jahr alt war, einen Augenblick angestanden haben, sie zur Frau zu nehmen, wenn anders ihre Angehörigen es zugelassen hätten. Da sie aber sahen, daß man ihren Wünschen Gründe entgegensetzte, die sie nicht zu beseitigen vermochten, beschloß ein jeder von ihnen, sich auf jede nur mögliche Weise in ihren Besitz zu setzen.

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Nun hatte Giacomino eine alte Magd und einen Diener im Hause, der Crivello hieß und ein lustiger und gar umgänglicher Kauz war. Mit diesem freundete sich Giannole an und entdeckte ihm, als er glaubte, daß es an der Zeit sei, seine Liebe mit der Bitte, ihm dazu zu verhelfen, daß er seine Wünsche erreiche, wofür er ihm auf den Fall seiner Willfährigkeit große Belohnungen versprach.

Darauf erwiderte ihm Crivello: „Ich sehe nicht, wie ich dir in dieser Angelegenheit anders behilflich sein könnte, als dadurch, daß ich dich selber, sobald Giacomino einmal zum Abendessen ausgehen sollte, in ihr Zimmer führe; denn wollte ich ihr nur das mindeste von dir sagen, so würde sie mir gewiß kein Gehör geben. Ist dir nun damit gedient, so verspreche ich es dir und werde mein Wort halten; dann sieh du aber selber zu, wie du tun willst, um zu deinem Ziele zu gelangen."

Giannole versicherte, weiter nichts zu verlangen, und mit dieser Verabredung gingen sie voneinander.

Auf der anderen Seite hatte Mingole die alte Magd gewonnen und so sehr sich geneigt gemacht, daß sie schon mehrmals Bestellungen an das Mädchen besorgt und dieses beinahe für Mingole entflammt hatte. Über- dies aber hatte sie ihm auch versprochen, daß sie ihn zu seiner Geliebten führen wolle, sobald Giacomino einmal einen Abend außerhalb des Hauses zubringen würde*

Nun geschah es aber nicht gar lange nachdem die verschiedenen Parteien auf solche Weise sich ver- abredet hatten, daß Giacomino auf Veranlassung des Crivello einmal bei einem seiner Freunde zu Abend aß. Der Diener ermangelte nicht, es den Giannole

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wissen zu lassen, und verabredete mit ihm, daß er auf ein gewisses Zeichen kommen und die Haustür offen finden solle. Zugleich unterrichtete aber auch die Magd, die von dem allen nichts wußte, den Minghino, daß Giacomino nicht zu Hause esse, und sagte ihm, er möge sich nur in der Nähe des Hauses bereithalten, um, sobald er ein verabredetes Zeichen erblicken werde, sogleich kommen zu können und zu seiner Ge- liebten zu gehen.

Als der Abend herankam, zogen die Verliebten, ohne voneinander zu wissen, obgleich ein jeder den anderen wegen seiner Absichten in Verdacht hatte, beide mit bewaffneter Begleitung aus, um von dem Gegenstande ihrer Wünsche Besitz zu ergreifen. Minghino versteckte sich mit den Seinigen in das nahegelegene Haus eines seiner Freunde, um dort das Zeichen der Magd ab- zuwarten. Giannole dagegen hielt sich mit seinen Ge- fährten in einiger Entfernung von dem Hause.

Inzwischen suchten Crivello und die Magd, sobald Giacomino fortgegangen war, einer den anderen auf alle Weise zu entfernen.

Crivello sagte zu der Magd: „Warum gehst du denn noch nicht schlafen? Was in aller Welt hast du nur dich noch im Hause herumzutreiben?"

„Ich möchte nur wissen," entgegnete die Magd, „warum du deinen Herrn nicht holen gehst? Warum wartest du denn, nun du gegessen hast?"

Und so gelang es keinem, den anderen von der Stelle zu bringen. Als aber endlich die Stunde herangekommen war, die Giannole mit Crivello verabredet hatte, sagte dieser bei sich selbst: „Was habe ich mich um die Alte zu kümmern? Will sie nicht still sein, so kann sie auch noch ihr Teil abkriegen." Damit machte er

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das verabredete Zeichen und ging, die Tür zu öffnen.

Sogleich traten Giannole, der schon herbeigekommen war, und zwei seiner Begleiter in das Haus ein und ergriffen das Mädchen, das sie im Saale fanden, um es fortzuschleppen. Das Mädchen wehrte sich und schrie, was sie nur konnte, und die Magd nicht minder. Min- ghino vernahm das Geschrei und eilte mit den Seinigen gleich dahin, von wo er es kommen hörte. Als diese nun das Mädchen schon zur Tür hinausschleppen sahen, zogen sie sämtlich ihre Schwerter und riefen: „Ihr Verräter, ihr seid des Todes ! Das soll euch nicht ge- lingen! Was ist das für ein Unfug!"

Mit diesen Worten schlugen sie auf jene los, und über dem Lärm kamen denn auch die Nachbarn mit Lichtern und mit Waffen herbeigelaufen und tadelten nicht allein den versuchten Frevel, sondern standen auch dem Minghino tätig bei. So gelang es dem letz- teren nach langem Kampfe, das Mädchen dem Gian- nole wieder abzunehmen und es in die Wohnung des Giacomino zurückzubringen. Das Handgemenge hatte aber nicht eher ein Ende, als bis die Lanzenknechte des Stadthauptmanns dazu gekommen waren und viele der Anwesenden und unter diesen namentlich den Min- ghino, den Giannole und den Crivello festnahmen und ins Gefängnis brachten.

Erst nachdem der ganze Lärm vorüber war, kam Giacomino nach Haus und war im Anfang äußerst ungehalten über das Geschehene. Als er aber bei ge- nauerer Untersuchung, wie sich alles zugetragen, sich überzeugte, daß das Mädchen dabei ohne jede Schuld sei, beruhigte er sich ein wenig und nahm sich im Stillen vor, damit dergleichen sich nie mehr wieder-

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holen könne, sie sobald wie möglich zu ver- heiraten.

Als die Angehörigen des einen und des anderen Teiles am anderen Morgen der Wahrheit gemäß gehört hatten, was geschehen war, sahen sie wohl ein, wie üble Folgen die Sache für die beiden jungen Leute haben konnte, wenn Giacomino diejenigen Schritte tat, zu denen er völlig berechtigt war. Deshalb gingen sie zu ihm und baten ihn mit gar guten Worten, daß er weniger auf die Beleidigung sehen möchte, welche die jungen Männer in ihrer Unbesonnenheit ihm zugefügt hätten, als auf die Liebe und das Wohlwollen, das er, wie sie glaubten, für sie, die Bittenden, hege, wobei sie denn noch überdies sowohl sich selbst als jene beiden An- stifter des Unfugs zu jeder Buße erböten, die es ihm belieben würde, zu fordern.

Giacomino, der in seinen Tagen gar mancherlei erlebt hatte und ein Mann von wohlmeinender Gesinnung war, erwiderte mit wenig Worten: „Werte Herren, wäre ich hier in meiner Heimat, wie ich in der eurigen bin, so würde ich doch viel zu viel Freundschaft für euch hegen, um in dieser Sache anders, als nach euren Wünschen zu verfahren. Umsomehr aber muß ich mich eurem Verlangen fügen, da ihr durch das Geschehene niemand als euch selbst zu nahe getreten seid. Wisset nämlich, daß das Mädchen, um das es sich handelt, nicht, wie die meisten glauben mögen, aus Cremona oder aus Pavia gebürtig, sondern daß sie eine Faentinerin ist, wenn auch weder ich noch sie selbst noch der, von dem ich sie erhalten habe, anzugeben wissen, wessen Tochter sie sei. Darum soll denn in der Angelegenheit, um derenwillen ihr mich bittet, alles so geschehen, wie ihr selbst bestimmen werdet."

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Als die guten Männer vernahmen, daß das Mädchen aus Faenza sei, wunderten sie sich nicht wenig und baten deshalb den Giacomino, nachdem sie ihm zuvor für seine wohlwollende Antwort gedankt hatten, daß er ihnen doch sagen möge, wie das Mädchen in seine Hände gekommen sei und wie er erfahren habe, daß sie aus Faenza stamme.

Giacomino erwiderte ihnen: „Guidotto von Cremona, der mein Freund und Waffengefährte gewesen ist, sagte mir auf seinem Totenbette, daß er, als die Stadt Faenza von Kaiser Friedrich eingenommen und dabei geplündert wurde, mit einigen seiner Gefährten in ein Haus gedrungen sei, das sie zwar voller Sachen, aber von den Einwohnern verlassen gefunden hätten. Nur ein Kind von etwa zwei Jahren sei zurückgeblieben und habe, wie er die Treppe hinaufgekommen sei, ihm ,Vater' entgegengerufen. Dadurch zum Mitleid be- wogen, habe er das kleine Mädchen nebst vielen Sachen, die er dort im Hause vorgefunden, mit sich nach Fano genommen. Dasselbe Mädchen nun hinterließ er mir bei seinem Tode mit allem, was er hatte, und trug mir auf, sie, wenn es an der Zeit sein würde, zu verheiraten und ihr alsdann alles, was sein gewesen wäre, als Mit- gift zu geben. Alt genug wäre sie zwar wohl, um zu heiraten; noch aber habe ich niemand gefunden, der mir genehm gewesen wäre; doch täte ich es gerne bald, damit Vorfälle, wie die von gestern abend, sich nicht mehr wiederholen können."

Unter den Anwesenden war ein gewisser Guglielmo aus Medicina, der sich genau erinnerte, was für ein Haus in Faenza es gewesen sei, das Guidotto aus- geplündert hatte. Und da er den Eigentümer desselben ebenfalls unter den Anwesenden sah, trat er zu ihm

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und sagte: „Bernabuccio, hörst du wohl, was Gia- comino da sagt?"

„Freilich," erwiderte Bernabuccio, „und eben be- denke ich mir die Sache genauer; denn ich erinnere mich sehr wohl, daß ich in der damaligen Verwirrung eine Tochter, gerade von dem Alter, das Giacomino angab, verlor."

„Gewiß, das muß sie sein," entgegnete Guglielmo, „denn ich habe selber einmal den Guidotto be- schreiben gehört, wo er zu jener Zeit geplündert habe, und daraus ganz deutlich entnommen, daß es dein Haus gewesen ist. Besinne dich also, ob du sie an keinem Zeichen wiederzuerkennen weißt, und dann schicke nach ihr, und du wirst ohne Zweifel finden, daß sie deine Tochter ist."

Bernabuccio sann eine Weile nach und entsann sich am Ende wirklich, daß sie über dem linken Ohr eine kreuzförmige Narbe haben müsse, die davon ent- standen war, daß er ihr kurz vor jenem Ereignis dort ein kleines Gewächs hatte ausschneiden lassen. So zögerte er denn nicht weiter, sondern ging auf Giacomino zu, der noch gegenwärtig war, und bat ihn, daß er ihn mit sich nach Hause nehmen und ihm das Mädchen zeigen möge.

Giacomino war gern bereit dazu und ließ das Mädchen rufen, sobald sie nach Hause gekommen waren. Als Bernabuccio sie aber zu sehen bekam, war es ihm, als sähe er die Züge der Mutter, die noch eine schöne Frau zu nennen war, leibhaftig vor sich. Ohne sich indessen dabei zu beruhigen, bat er Giacomino um die Erlaubnis, ihr die Haare über dem linken Ohr ein wenig aufheben zu dürfen, was dieser auch be- willigte. So trat denn Bernabuccio zu dem Mädchen,

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das verlegen und beschämt dastand, und hatte ihr kaum mit der rechten Hand die Haare ein wenig ge- lüftet, als er auch schon das Kreuz erblickte und sich durch das Zeichen völlig überzeugte, daß sie wirklich seine Tochter sei.

Sogleich umarmte er sie unter vielen Tränen, so sehr sie sich auch sträuben mochte, und sagte, zu Giacomino gewandt: „Teuerster Freund, das Mädchen ist meine Tochter; das Haus, das Guidotto geplündert hat, war das meinige, indem meine Frau bei dem plötzlichen Schrecken das Kind vergessen hatte, und bis heute haben wir alle geglaubt, es sei an jenem Tage, wo mein Haus verbrannte, ebenfalls ein Raub der Flammen geworden.

Als das Mädchen diese Worte vernahm, maß sie teils, da sie ihn schon bei Jahren sah, seinen Worten Glauben bei, teils regte sich auch in ihrem Herzen eine verborgene Stimme, und sie fing, von nicht minderer Rührung ergriffen, gleichfalls zu weinen an. Bernabuccio schickte sogleich nach ihrer Mutter und nach den anderen Verwandten sowie nach den Schwestern und Brüdern, zeigte sie ihnen allen, er- zählte ihnen, Avas geschehen war, und führte sie dann nach tausend Umarmungen unter großen Festlich- keiten und mit voller Zustimmung des Giacomino in sein Haus.

Als diese Neuigkeiten dem Stadthauptmann, einem wohlwollenden Manne, bekannt wurden, beschloß er, weil Giannole, Bernabuccios Sohn, den er noch ge- fangen hielt, des Mädchens leibhaftiger Bruder war, sein Vergehen für diesmal ungestraft hingehen zu lassen.

Zu dem Zwecke redete er dem Giacomino zu und

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brachte es glücklich dahin, daß dem Giannole wie dem Minghino verziehen und dem letzteren zur großen Freude der Anverwandten das Mädchen, das Agnesa hieß, verlobt wurde, worauf er dann auch den Crivello und die anderen, die um der gleichen Angelegenheiten willen eingesperrt worden waren, mit ihnen zugleich freiließ.

Minghino aber feierte bald darauf mit vielem Auf- wand fröhliche Hochzeit, führte seine Braut heim und lebte noch viele Jahre mit ihr glücklich und in Frieden.

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SECHSTE GESCHICHTE

Gian von Procida wird bei seiner Geliebten, die inzwischen dem König Friedrich geschenkt worden war, überrascht und mit ihr an einen Pfahl gebunden, um verbrannt zu werden. Ruggieri dell'Oria erkennt und rettet ihn und er heiratet sie.

Als die Geschichte der Neifila, die den Damen sehr wohl gefallen hatte, beendigt war, befahl die Königin der Pampinea sich zu rüsten, eine neue zu erzählen. Pampinea erhob ihr klares Antlitz und begann sofort also :

„Gewaltig, ihr munteren Mädchen, sind die Kräfte der Liebe, und zu den kühnsten Unternehmungen, zu übermäßigen und unglaublichen Gefahren leihen sie den Liebenden Mut, wie das aus mehreren der Beispiele entnommen werden kann, die heute und an den vo- rigen Tagen bereits erzählt worden sind. Dennoch aber bin ich gesonnen, euch durch die Geschichte eines ver- liebten jungen Mannes einen neuen Beweis davon zu geben.

Ischia ist eine Insel nahe bei Neapel, auf der vor einiger Zeit unter anderen ein gar schönes und mun- teres Mädchen lebte, das Restituta hieß und die Tochter eines Edelmannes von jener Insel, namens Marin Bol- garo, war. Diese nun liebte ein junger Mensch von der benachbarten kleinen Insel Procida, der Gianni ge- nannt wurde, mehr als sein Leben und sie ihn nicht minder. Nicht allein, daß er bei Tage nach Ischia zu kommen und, um sie zu sehen, dort zu verweilen pflegte, war er schon oftmals auch bei Nacht, wenn er eben keinen Kahn gefunden hatte, von Procida bis Ischia hinübergeschwommen, um, wenn auch nichts weiter, doch wenigstens die Mauern ihrer Wohnung zu erblicken.

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Während aber diese glühende Liebe noch bestand, geschah es, daß das Mädchen, als es eines Tages zur Sommerszeit ganz allein am Meeresufer lustwandelte und mit einem Messer Seemuscheln von den Steinen los- brach, sich von Fels zu Fels bis zu einer zwischen Klippen verborgenen Bucht verstieg, wo sich eben eine Anzahl junger Sicilianer, die von Neapel kamen, an- gelockt von dem kühlen Schatten und von der An- nehmlichkeit einer eiskalten Quelle, mit ihrem Ruder- schiffchen ausruhte. Als sie die Schönheit des Mädchens sahen und zugleich gewahr wurden, daß sie allein sei und sie noch nicht bemerkt habe, beschlossen sie, sie festzuhalten und mit sich fortzuführen. Dem Ent- schlüsse folgte die Ausführung auf dem Fuße; soviel das Mädchen auch schreien mochte, schleppten sie es doch in ihr Fahrzeug und fuhren mit ihm davon.

Als sie indessen in Galabrien landeten und mit- einander zu verhandeln anfingen, wem sie zufallen solle, begehrte jeder einzelne sie für sich allein. Als sie sich nun gar nicht einigen konnten und wohl sahen, daß sie um des Mädchens willen noch miteinander in üble Händel kommen und ihre übrigen Angelegen- heiten zugrunde richten könnten, kamen sie endlich dahin überein, daß sie sie dem König Friedrich von Si- cilien, der um jene Zeit noch jung war und an schönen Frauen großes Gefallen fand, zum Geschenk machen wollten. Und so taten sie auch wirklich, sobald sie nach Palermo gekommen waren.

Der König fand die Geraubte schön und nahm das Geschenk mit Freuden an. Da er aber eben ein wenig kränkelte, befahl er, daß sie, bis er sich wieder kräf- tiger fühlen würde, ein gar schönes Gebäude in einem königlichen Garten, der Cuba genannt wird, beziehen

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und dort gehörig gepflegt werden solle. Und so wurde denn auch getan.

Inzwischen war ganz Ischia wegen des geraubten Mädchens in der größten Bewegung, und was dessen Angehörigen dabei am meisten schmerzte, war, daß sie nicht erforschen konnten, wer die Räuber gewesen seien.

Gianni indessen, dem mehr als einem anderen daran gelegen war, genügende Auskunft zu erlangen, wollte nicht abwarten, bis der Zufall ihm in Ischia Nach- richten zuführen würde, sondern rüstete, sobald er erfahren, nach welcher Seite das Fahrzeug sich ge- wandt hatte, selber ein Schiff aus und befuhr auf diesem, so schnell er konnte, die ganze Küste vom Minerva-Vorgebirge bis nach Scalea in Calabrien. Überall forschte er nach Kunde von seiner Geliebten, und wirklich wurde ihm in Scalea berichtet, daß sicilianische Schiffer sie nach Palermo geführt hätten. Sogleich schiffte Gianni nach Palermo und suchte lange Zeit nach seiner Geliebten.

Als er aber endlich erfuhr, daß sie dem Könige geschenkt worden sei und für diesen in der Cuba bewacht werde, betrübte er sich gar sehr und gab fast alle Hoffnung auf, sie nur noch einmal wiederzusehen, geschweige denn, sie jemals zu besitzen. Dennoch aber von der Liebe festgehalten, schickte er sein Schiffchen heim und ging, da er sicher war, von niemandem gekannt zu sein, bei seinem längeren Verweilen häufig an der Cuba vorüber.

Da traf es sich denn eines Tages so glücklich, daß er seine Restituta an einem Fenster erblickte und sie ihn ebenfalls gewahr wurde, worüber beide sich un- säglich freuten. Da Gianni aber sah, wie einsam und

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abgelegen die Gegend war, näherte er sich dem Fenster, so viel er konnte, redete seine Geliebte an und ging nicht eher wieder von dannen, als bis sie ihm gesagt hatte, wie er es anzustellen habe, um mehr in der Nähe mit ihr zu sprechen, und bis er selber sich die Gelegenheit des Ortes auf das genaueste betrachtet hatte.

Als nun die Nacht gekommen und schon ein Teil derselben verstrichen war, kehrte er zurück und kletterte über eine Mauer, die so glatt war, daß kein Specht sich daran hätte festhalten können, glücklich in den Garten hinüber. Hier fand er eine Stange, stützte sie bei dem Fenster, das das Mädchen ihm bezeichnet hatte, an die Mauer und gelangte auf diese Weise ziemlich leicht hinauf. Das Mädchen aber meinte bei sich selbst, ihre Ehre, um derenwillen sie bis dahin gegen ihren Geliebten ein wenig streng ge- wesen war, sei nun doch verloren und sie könne sich wenigstens niemandem ergeben, der ihrer würdiger sei, als eben er. Auch hoffte sie ihn zu bewegen, daß er sie mit sich fortführe, und aus allen diesen Gründen hatte sie, entschlossen, ihm alles zu gewähren, was er von ihr wünschen könnte, das Fenster offen ge- lassen, damit er gleich ohne weiteres in das Zimmer gelangen könne.

So schlüpfte denn Gianni durch das offene Fenster in das Zimmer und legte sich sofort zu dem Mäd- chen, das noch wachte. Bevor sie jedoch etwas weiteres vornahmen, offenbarte ihm Restituta alle ihre Wünsche und bat ihn auf das inständigste, daß er sie von dort befreien und sie mit sich nehmen möge.

Gianni erwiderte ihr darauf, daß ihm selber nichts erwünschter sein könne und daß er in keinem Falle ermangeln werde, sobald er sie jetzt verlassen habe,

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alles auf solche Weise vorzubereiten, daß er sie mit sich führen könne, wenn er das nächstemal wieder zu ihr komme. Nachdem sie diese Verabredungen mit- einander getroffen hatten, umarmten sie sich voller Entzücken und genossen das Vergnügen, das Amor selbst durch kein größeres zu überbieten vermag. Einige Male wiederholten sie diese Genüsse und schliefen endlich, ohne es selber gewahr zu werden, einer in des anderen Armen ein.

Inzwischen erinnerte sich der König an das Mädchen, das ihm gleich beim ersten Anblick besonders Wohl- gefallen hatte, und beschloß, da er sich wieder voll- kommen wohl fühlte, sich eine Weile mit ihr zu er- götzen, obgleich es schon gegen Morgen war. So machte er sich denn, von einigen seiner Diener begleitet, in aller Stille nach der Cuba auf den Weg, ging in das Wohngebäude und trat, nachdem er die Tür leise sich hatte öffnen lassen, mit einer brennenden großen Wachsfackel in das Zimmer, in dem das Mädchen schlief. Gleich beim ersten Blick auf das Bett aber sah er sie, wie sie nackt und schlafend in Giannis Armen lag.

Im ersten Augenblick waren sein Unmut und sein Zorn über diese Entdeckung so groß, daß wenig daran fehlte, so hätte er, ohne ein Wort zu sagen, beide mit seinem Messer auf der Stelle erstochen. Dann aber überlegte er wieder, daß es jedermann, ge- schweige denn einen König, schänden würde, zwei Nackende im Schlafe umzubringen, und bezwang sich deshalb in der Absicht, sie öffentlich, und zwar durch Feuer, hinrichten zu lassen. „Was dünkt dir," sagte er darauf zu dem einzigen Begleiter, der bei ihm war, „was dünkt dir von diesem verworfenen Ge-

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schöpf, auf das ich bisher meine Hoffnung gerichtet hatte?" Dann fragte er ihn weiter, ob er den jungen Menschen kenne, der keck genug gewesen sei, ihm, dem König, in seinem eigenen Hause Schimpf und Kränkung zuzufügen.

Der Gefragte erwiderte indessen, daß er sich nicht erinnere, ihn jemals gesehen zu haben. Darauf verließ der König in großer Erbitterung das Zimmer und be- fahl, daß die beiden Liebenden, nackend, wie sie wären, gefangen und gebunden und, sobald es heller Tag wäre, nach Palermo geführt würden. Dort solle man sie dann auf dem großen Platze, die Rücken gegeneinander gekehrt, an einen Pfahl binden und, nachdem sie bis zur dritten Stunde den Augen aller in diesem Zustande bloßgestellt worden wären, wie sie es verdient hätten, verbrennen.

Nachdem er dies alles angeordnet hatte, kehrte er, noch immer sehr zornig, nach Palermo in seine Ge- mächer zurück. Kaum aber war der König fort- gegangen, so fielen die Diener des Königs in Menge über die beiden Liebenden her und erweckten sie nicht allein aus dem Schlafe, sondern fingen und banden sie auch alsbald ohne alles Mitleiden.

Wie erschrocken und traurig die Liebenden bei alle dem waren, was sie mit sich geschehen sahen, und wie sehr sie unter Tränen und Wehklagen für ihr Leben zitterten, das erkennt wohl jeder, ohne daß ich davon spreche. Wie der König befohlen hatte, wurden sie nach Palermo geführt und auf dem Platze an einen Pfahl gebunden. Dann ward vor ihren Augen Scheiterhaufen und Feuer gerüstet, um sie zu der vom Könige angeordneten Stunde zu verbrennen.

Binnen kurzem zog die Neugier, die beiden Lieben-

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den zu sehen, alle Männer und Weiber von Palermo auf jenen Platz. Die Männer strömten herbei, um den Anblick des Mädchens zu genießen, und ebenso, wie sie ihre vollkommene und in allen Teilen gleiche Schönheit priesen, versicherten die Frauen, die alle herbeikamen, um den jungen Mann zu sehen, ein- stimmig, daß auch er durchaus schön und wohlgebaut sei. Die unglücklichen Liebenden aber standen, beide voller Scham, in steter Erwartung des grausamen Feuertodes mit gesenktem Haupte und beweinten ihr Mißgeschick.

Während sie aber noch also bis zur bestimmten Stunde ausgestellt dastanden und ihr Vergehen von Mund zu Mund ging, gelangte die Nachricht auch zu Ruggieri dell'Oria, einem Manne von unschätzbarer Tapferkeit, der damals Admiral des Königs war. Gleich den übrigen ging auch er auf den Platz, wo sie ge- bunden standen, und beschaute, als er dort angelangt war, zuerst das Mädchen und lobte ihre Schönheit gar sehr. Als er aber darauf den jungen Mann be- trachtete, erkannte er ihn mit leichter Mühe und trat deshalb näher zu ihm heran und fragte ihn, ob er Gianni von Procida sei.

Als Gianni das Gesicht erhob und den Admiral er- kannte, erwiderte er: „Mein guter Herr, wohl war ich der, um den Ihr mich befragt, bald aber werde ich aufgehört haben, es zu sein."

Darauf fragte ihn der Admiral, was ihn denn in solche Lage gebracht habe und Gianni antwortete ihm: „Die Liebe und des Königs Zorn."

Der Admiral ließ sich die ganze Geschichte ausführ- licher erzählen und wollte, als er alles gehört hatte, von dannen gehen; Gianni aber rief ihn zurück und sagte ihm : „Ach, mein werter Herr, wenn es Euch mög-

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lieh ist, so erwirkt mir eine Gnade von dem, auf dessen Gebot ich also hier stehen muß!"

Ruggieri fragte: „Was für eine?"

Gianni aber antwortete: „Ich sehe wohl, daß ich hier und binnen kurzem sterben muß. Nun erbitte ich mir aber als Gnade, daß, während ich jetzt mit dem Rücken gegen das Mädchen gewandt bin, die ich mehr als mein Leben geliebt habe, wie sie mich nicht minder, wir mit den Gesichtern gegeneinander gekehrt werden mögen, auf daß ich noch im Tode in dem Anblick ihrer Züge Trost und Frieden finden möge."

Ruggieri erwiderte lächelnd: „Das will ich gern tun und will es schon dahin bringen, daß du sie noch bis zum Überdrusse sehen sollst."

Damit verließ er ihn und gebot denen, die beauftragt waren, jene Hinrichtung ins Werk zu setzen, daß sie nichts weiteres tun sollten, bevor sie nicht neue Be- fehle vom König erhalten haben würden.

Dann aber ging er gerades Weges zum Könige und scheute sich trotz dessen Zorn nicht, ihm über das, was er soeben erfahren hatte, unverhohlen seine Meinung zu sagen.

„Mein König," begann er, „wodurch hat das junge Paar, das auf deinen Befehl dort unten auf dem Platze verbrannt werden soll, dich beleidigt?"

Der König gab ihm Auskunft, und Ruggieri fuhr darauf also fort : „Das Vergehen, dessen sie sich schuldig gemacht haben, verdient allerdings solche Ahndung, nicht aber von dir; denn wie den Missetaten Strafen gebühren, so auch den Wohltaten Belohnungen; von Gnade und von Erbarmen gar nicht einmal zu reden. Weißt du denn auch, wer die beiden sind, die du ver- brennen lassen willst?"

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„Nein," erwiderte der König.

„So sollst du es denn erfahren/' sagte Ruggieri dar- auf, „damit du erkennen mögest, wie wenig wohlgetan es war, von den Aufwallungen deines Zornes solcher- gestalt dich hinreißen zu lassen. Der junge Mann ist der Sohn des Landolfo von Procida, der selber ein leib- licher Bruder eben des Messer Gian von Procida ist, durch dessen Hilfe du König dieser Insel bist. Das junge Mädchen aber ist eine Tochter des Marin Bolgaro, dessen Ansehen du es allein zu danken hast, wenn deine Herr- schaft über Ischia noch anerkannt wird. Überdies sind das ein paar junge Leute, die sich schon seit lange unter- einander lieben und nur von der Gewalt der Liebe be- zwungen, keineswegs aber, um deine Majestät zu kränken, sich jenes Vergehens schuldig gemacht haben (wenn anders ein Vergehen genannt werden kann, wozu die Liebe junge Leute führt). Warum also schickst du die zum Tode, die du mit erlesenen Aufmerksamkeiten und Geschenken ehren solltest?"

Als der König diese Rede vernahm, erkannte er deut- lich, daß Ruggieri die Wahrheit sagte, und stellte nicht allein sein grausames Verfahren ein, sondern bereute auch, was er bis dahin getan hatte. Alsbald befahl er, daß die beiden jungen Leute vom Pfahle losgebunden und vor ihn gebracht werden sollten; und so geschah es. Dann aber dachte er darauf, wie er, da ihm nun alle ihre Umstände bekannt geworden waren, durch Ehrenbezeigungen und Geschenke das ihnen angetane Unrecht wieder gut machen könnte. Zu dem Zwecke ließ er sie zunächst auf das anständigste wieder be- kleiden und feierte dann, da er hörte, daß beide in ihren Wünschen übereinstimmten, die Verlobung zwi- schen Gianni und dem jungen Mädchen. Doch erst als

er ihnen prachtvolle Geschenke gegeben hatte, schickte er sie zu ihrer großen Zufriedenheit in ihre Heimat zurück, in der sie mit lautem Jubel empfangen wurden und dann noch lange in Lust und Freuden miteinander lebten.

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SIEBENTE GESCHICHTE

Theodor verliebt sich in Violante, die Tochter seines Herrn, des Messer Amerigo, schwängert sie und wird deshalb zum Strang verurteilt. Während er aber mit Geißelhieben zur Hinrichtung geführt, erkennt und befreit ihn sein Vater, und er heiratet Violante.

Als die Damen, die mit Bangigkeit erwartet hatten, ob die beiden Liebenden verbrannt werden würden oder nicht, vernahmen, wie sie gerettet worden seien, dankten sie Gott dafür und freuten sich alle. Die Königin aber übertrug, als die Geschichte beendet war, Lauretta die Pflicht, weiter zu erzählen, und diese begann fröhlichen Mutes also:

Schöne Damen, zu der Zeit, als der gute König Wil- helm Sicilien beherrschte, wohnte auf jener Insel ein Edelmann, namens Amerigo Abate von Trapani, der unter anderen zeitlichen Gütern auch mit Kindern reich- lich gesegnet war. Weil er nun deshalb einer zahlreichen Dienerschaft bedurfte, kaufte er, als eines Tages genue- sische Corsaren auf ihren Galeren aus der Levante zu- rückkamen, wo sie, an den Küsten Armeniens kreuzend, viele Kinder gefangen hatten, einige von diesen, indem er sie für Türken hielt.

Unter diesen befand sich aber ein Knabe, namens Theodor, der, während die übrigen alle Hirtenkinder zu sein schienen, sich durch ein ausgezeichneteres und adliges Aussehen von ihnen unterschied. Als dieser mit der Zeit älter wurde, wuchs er, obgleich er für einen Knecht galt, dennoch im Hause mit des Messer Amerigo Kindern auf und nahm dabei, mehr von seiner inneren Natur als von der Lage, in welche der Zufall ihn ver- setzt hatte, geleitet, ein so gefälliges Betragen und so gute Sitten an, daß Messer Amerigo ihn wegen des

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Wohlgefallens, das er an ihm fand, aus der Knecht- schaft freiließ. Dann ließ er ihn auch, in der Voraus- setzung, daß er ein Türke sei, auf den Namen Pietro taufen, machte ihn zu seinem Haushofmeister und ver- ließ sich vollkommen auf ihn.

Während aber die übrigen Kinder des Messer Amerigo heranwuchsen, kam auch eine seiner Töchter, die Vio- lante genannt wurde und ein gar schönes und zier- liches Mädchen war, zur Reife, und da der Vater eine Weile anstand, sie zu verheiraten, wollte der Zufall, daß sie sich in Pietro verliebte. So sehr sie ihn aber auch liebte und so hohe Meinung sie von seinen Sitten und seiner Tapferkeit hegte, so scheute sie sich dennoch, ihre Neigung ihm zu offenbaren.

Binnen kurzem indessen tat Amor es an ihrer Stelle. Denn nachdem auch Pietro sie einige Male aufmerk- samer betrachtet, hatte er sich ebenfalls solchergestalt in sie verliebt, daß er sich unglücklich fühlte, solange er nicht mit ihr zusammen war; doch fürchtete auch er sich, daß irgend jemand diese Liebe, die er selber für eine unerlaubte hielt, gewahr werde. Das Mädchen aber erriet, weil sie ihm wohl wollte, bald seine Ge- sinnung und zeigte sich ihm daher, um ihm Mut zu machen, über seine Aufmerksamkeiten ausnehmend er- freut, wie sie es auch wirklich war.

So währte es denn lange Zeit, daß sie beide, so großes Verlangen sie auch danach trugen, dennoch sich nicht getrauten, das mindeste über ihre Neigung zu- einander zu sagen. Endlich wußte das Ungefähr, ge- rade wie wenn es alle Umstände absichtlich zu dem Zwecke herbeigeführt hätte, Mittel und Wege zu finden, durch welche sie über die scheue Furcht, die sie be- fangen machte, hinwegkamen.

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Messer Amerigo hatte, kaum eine Miglie von der Stadt entfernt, eine gar schöne Besitzung, welche seine Frau mit ihrer Tochter und mit anderen Damen und Frauen oft zu ihrer Erholung zu besuchen pflegte. Als sie nun eines Tages mit Pietro, den sie mit sich genommen hatten, hier verweilten, traf es sich, wie wir es häufig im Sommer geschehen sehen, daß der Himmel sich plötz- lich mit finsteren Wolken umzog. Um von dem Un- wetter nicht dort draußen überfallen zu werden, machte die Dame sich mit ihrer Gesellschaft sogleich und so eilig, als sie nur konnten, auf den Rückweg nach Tra- pani. Pietro aber und das Mädchen überholten, weil sie beide jung waren, die Mutter und die anderen Ge- fährtinnen, die bei ihr blieben, um vieles, und viel- leicht war es ebensowohl die Furcht vor dem Gewitter als auch die Liebe, die ihre Schritte beflügelte.

Schon mochten die beiden jungen Leute vor der übrigen Gesellschaft so weit voraus sein, daß sie kaum mehr gesehen werden konnten, als es so heftig zu donnern und so dichter und schwerer Hagel zu fallen begann, daß die Dame mit ihrer Begleitung nur eben noch imstande war, sich in das Haus eines Landmannes zu flüchten. Pietro und das Mädchen aber suchten, weil sie in der Eile keine andere Zuflucht finden konnten, Schutz in einem alten und fast ganz verfallenen Hause, das von niemandem mehr bewohnt wurde. Das Dach dieses Hauses war so beschädigt, daß nur ein kleiner Teil davon noch vorhanden war und die beiden jungen Leute, die sich unter diesen Rest flüchteten, durch die Enge dieses geschützten Raumes einander zu berühren genötigt wurden.

So nahe Berührung ermutigte die Liebenden, sich ihre liebevollen Wünsche zu gestehen, und Pietro begann

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zuerst: „Wollte nur Gott, daß dieser Hagel nie ein Ende nähme, wenn ich so, wie jetzt, bleiben dürfte, solange er dauert."

„Ach, das wäre ich wohl auch zufrieden," sagte darauf das Mädchen; und von solchen Reden gingen sie dazu über, einander bei der Hand zu nehmen und zu drücken, dann umarmten, dann küßten sie sich, und derweilen hagelte es noch immer fort. Um aber nicht alles einzeln zu erzählen, sage ich nur, daß das Wetter sich noch nicht aufgeheitert hatte, als sie sich bereits gegenseitig die höchsten Freuden der Liebe kennen gelehrt und auch schon verabredet hatten, wie sie in Zukunft heim- lich miteinander sich erfreuen wollten.

Inzwischen verzog sich das schlechte Wetter; die beiden jungen Leute aber warteten am Eingange der Stadt, bis wohin sie nicht mehr weit hatten, die Mutter ab und gingen dann mit ihr nach Hause. Hier kamen sie später unter wohlgetroffenen Vorsichtsmaßregeln und zu ihrer großen Lust mehr als einmal ganz im Verborgenen zusammen, und so geschah es am Ende, daß das Mädchen schwanger wurde. Freilich war das beiden Teilen nichts weniger als lieb, weshalb sie es denn auch nicht an allerhand Mitteln fehlen ließ, um gegen die Ordnung der Natur ihrer Leibesfrucht ledig zu werden; doch alles blieb umsonst.

Da glaubte sich nun Pietro seines Lebens auch nicht mehr sicher und sagte seiner Geliebten, daß er zu fliehen gedächte.

Sie aber antwortete ihm: „Wenn du mich verläßt, so tue ich mir wahrhaftig ein Leid an."

Pietro war dem Mädchen von ganzer Seele gut und sagte : „Liebes Herz, wie kannst du nur wollen, daß ich bleiben soll ? Deine Schwangerschaft wird unseren Fehl-

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tritt ans Licht bringen. Du erhältst dann wohl leicht Vergebung, ich Armer aber werde dann gewißlich zu- gleich für deine und für meine Schuld die Buße tragen müssen."

Das Mädchen erwiderte : „Pietro, mein Vergehen wird freilich an den Tag kommen; das deinige aber, ver- lasse dich darauf, das soll gewiß niemand erfahren, dem du es nicht selber sagst."

„Wohlan denn," entgegnete Pietro, „weil du mir das gelobst, so will ich bleiben; denke mir aber an dein Versprechen."

Obgleich nun das arme Mädchen ihren Zustand, so- lange es nur immer möglich gewesen war, verborgen gehalten hatte, so fühlte sie doch am Ende selbst, wie das Anschwellen ihres Leibes fernere Heimlichkeit un- möglich machte, und gestand eines Tages unter tausend Tränen und Bitten, Erbarmen mit ihr zu haben, ihrer Mutter den Zustand, in dem sie sich befand. Die Mutter kannte sich kaum vor Zorn und verlangte mit den härtesten Worten, daß sie ihr gestehen solle, wie alles sich zugetragen. Um indessen ihrem Pietro keine Un- annehmlichkeiten zu bereiten, erfand sich das Mädchen eine Fabel, die es der guten Dame statt der Wahrheit aufband. Diese glaubte denn auch wirklich, was ihr erzählt wurde, und schickte die Tochter, um ihren Fehl- tritt geheim zu halten, auf eines ihrer Güter.

Als nun aber die Zeit der Niederkunft heran- gekommen war und die Wöchnerin eben in den Wehen schrie, traf es sich, daß, wo die Mutter es sich am wenigsten versah, Messer Amerigo, der dies Landhaus bis dahin fast noch niemals besucht hatte, auf der Heim- kehr vom Vogelstellen an dem Zimmer vorüberritt, wo seine Tochter kreißend lag und voll Erstaunen über

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ihr Geschrei, plötzlich eintrat, um nach der Ursache davon zu fragen.

Als die Mutter sich nun so von ihrem Manne über- rascht sah, erhob sie sich betroffen und erzählte ihm, was sich mit ihrer Tochter zugetragen. Messer Amerigo aber antwortete, minder leichtgläubig als seine Frau gewesen war, das könne unmöglich sein, daß das Mädchen nicht wissen sollte, von wem sie schwanger sei. Er verlange durchaus die Wahrheit zu wissen, auf- richtiges Bekenntnis sei das einzige Mittel zur Ver- zeihung; sonst könne sie sicher sein, daß sie ohne Barmherzigkeit sterben müsse. Zwar gab die Mutter sich alle Mühe, ihrem Manne die Fabel, die sie ihm erzählt hatte, einzureden, doch half ihr das zu nichts. Viel- mehr stürzte er im höchsten Zorne mit bloßem Degen über das Mädchen her, das, während die Mutter ihn noch mit Worten hingehalten, von einem Knaben ent- bunden worden war, und rief : „Gestehe, wer des Kindes Vater ist oder stirb auf der Stelle!"

Da machte die Todesfurcht Violante wortbrüchig gegen ihren Pietro, und sie bekannte alles, was unter ihnen beiden vorgefallen war.

Der Ritter geriet über diesen Bericht in so unmäßige Wut, daß er sich kaum enthalten konnte, die Tochter umzubringen. Als er ihr aber alles gesagt hatte, was der Zorn ihm eingab, ritt er eilig nach Trapani wieder zurück und verklagte den Pietro bei Messer Currado, dem königlichen Hauptmann, wegen des Schimpfes, den jener ihm angetan.

Der Hauptmann ließ Pietro, der sich nichts der- gleichen versah, alsbald gefangen nehmen und brachte ihn auf der Folter schnell zum völligen Geständnis, worauf er denn nach wenigen Tagen verurteilt wurde,

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erst durch die ganze Stadt gepeitscht und dann gehängt zu werden. Damit nun dieselbe Stunde dem Leben der beiden Liebenden und dem ihres Kindes ein Ende mache, mischte Messer Amerigo, dessen Zorn durch das Todes- urteil, das er dem Pietro bereitet, noch nicht abgekühlt war, Gift und Wein in einem Becher zusammen. Dann gab er diesen nebst einem Messer und mit folgenden Worten einem seiner Diener: „Geh' mit diesen Dingen zur Violante und sage ihr von mir, sie solle sich schnell zu einer von den beiden Todesarten, Dolch oder Gift, entschließen, widrigenfalls würde ich sie, wie sie es verdient hat, angesichts aller Einwohner unserer Stadt verbrennen lassen. Wenn du das besorgt hast, nimm den Jungen, den sie vor wenig Tagen zur Welt gebracht hat, schleudere ihn mit dem Hirnschädel an die Wand und wirf ihn dann den Hunden zum Fräße vor."

Diesen grausamen Befehl des lieblosen Vaters nahm der Diener nicht eben mit milderen Gesinnungen ent- gegen und machte sich auf den Weg.

Als nun inzwischen der zum Tode verurteilte Pietro zum Galgen gepeitscht wurde, kam er, weil die Henkers- knechte, die an der Spitze des Zuges standen, ihn zu- fällig so führten, an einem Gasthause vorüber, in dem drei Edelleute aus Armenien wohnten. Es waren näm- lich diese drei von dem Könige von Armenien als Ge- sandte nach Rom geschickt, um mit dem Papste wichtige Angelegenheiten wegen eines neu zu unternehmenden Kreuzzuges zu verhandeln. Jetzt aber hatten sie einige Tage lang in Trapani verweilt, um sich auszuruhen und zu stärken, und waren von den vornehmeren Ein- wohnern der Stadt, besonders aber von Messer Amerigo, auf das ehrenvollste aufgenommen und bewirtet worden.

Als nun die drei Edelleute den Zug vorübergehen

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hörten, in dem Pietro gebracht wurde, traten sie ans Fenster, um zuzusehen. Pietro war oberhalb des Gürtels völlig entkleidet und man hatte ihm die Hände auf den Rücken gebunden, und so konnte denn einer dieser drei Abgesandten, der Phineus hieß und ein bejahrter Mann von großem Ansehen war, deutlich auf des jungen Mannes Brust einen großen brennend roten Fleck wahr- nehmen, der nicht von vorübergehender Färbung her- rührte, sondern von Natur der Haut selber innewohnte, der mit anderen Worten ein Muttermal war, wie wir es zu nennen pflegen.

Beim ersten Anblick dieses Males gedachte Phineus aber sogleich seines Sohnes, der ihm nun bereits vor fünfzehn Jahren an dem Strande von Lajazzo von Cor- saren geraubt worden war, ohne daß er je weitere Nach- richt von ihm erhalten hätte; und wenn er das Alter des Unglücklichen, der da gepeitscht wurde, überdachte, so deuchte es ihm, daß sein Sohn, wenn er noch am Leben wäre, jetzt in denselben Jahren sein müßte. Dies alles bestärkte ihn in der Vermutung, die jenes Mal zuerst in ihm erregt hatte; weil er dafür hielt, daß sein Sohn, wenn er es wirklich sei, sich gewiß seines eigenen sowohl als des väterlichen Namens und der armenischen Sprache erinnern werde, so rief er, als der Verurteilte ihm ganz nahe gekommen war: „Theodor !"

Kaum hatte Pietro diesen Namen vernommen, so blickte er auf ; Phineus aber fragte ihn auf armenisch : „Woher stammst du und von welchem Vater?"

Die Gerichtsdiener hielten aus Rücksicht für den angesehenen Frager inne, so daß Pietro antworten konnte: „Ich stamme aus Armenien, mein Vater hieß mit Namen Phineus, und als kleines Kind wurde ich,

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von was für einem Volke weiß ich nicht, hierher ge- schleppt."

Als Phineus diese Antwort vernahm, erkannte er in dem jungen Manne mit Sicherheit den einst geraubten Sohn. So eilte er denn weinend mit seinen Gefährten die Treppe hinab und umarmte sein Kind mitten unter den Henkersknechten. Dann aber hüllte er ihn in den Mantel von kostbarem Stoffe, mit dem er selber be- kleidet war, und bat den Schergen, der ihn zum Tode führen sollte, daß er ihm zuliebe solange verziehen möge, bis ihm befohlen würde, den Verurteilten weiter- zuführen.

Der Gerichtsdiener war gern bereit, zu warten, und weil Phineus durch das Gerücht, das sich über die ganze Stadt verbreitet, schon vorher erfahren hatte, um welcher Ursache willen der junge Mann zum Tode geführt werde, begab er sich nun mit seinen Gefährten und mit ihrer ganzen Dienerschaft alsbald zu Messer Currado und sprach zu ihm also: „Herr, der Mensch, den Ihr da als einen Knecht zum Tode schickt, ist ein freier Mann und mein Sohn. Auch ist er gern bereit das Mädchen, das er, wie man sagt, der Jungfrauschaft beraubt hat, zu seiner Frau zu nehmen. Wollet denn also die Hin- richtung solange verschieben lassen, bis man Erkundi- gungen eingezogen haben wird, ob das Mädchen ihn zum Manne haben will. Denn weigertet Ihr Euch dieser Zöge- rung und sie erklärte sich nachher bereit, so hättet Ihr den Gesetzen zuwider gehandelt."

Die Nachricht, daß der Verurteilte ein Sohn des Phineus sei, überraschte Messer Currado nicht wenig, und er schämte sich, daß der Zufall ihn einen so harten Spruch hatte tun lassen. Da er aber gestehen mußte, daß Phineus mit dem, was er behauptete, recht habe, hieß

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er ihn sogleich nach Hause gehen, und berichtete dann dem Messer Amerigo, den er inzwischen zu sich be- rufen, was er soeben erfahren hatte. Messer Amerigo, der nicht anders glaubte, als Tochter und Enkel seien schon umgebracht, bereute seine Grausamkeit über alle Maßen, denn es leuchtete ihm wohl ein, daß ohne jenen Mord alles Geschehene wieder hätte gut gemacht werden können. Nichtsdestoweniger sandte er aber in der größten Eile hinaus zu der Tochter, damit seine Befehle, wenn es nicht schon zu spät wäre, nicht mehr vollzogen werden sollten.

Der Bote fand den Diener, den Messer Amerigo zuvor hinausgesandt hatte, wie er Violanten, die sich nicht so schnell hatte entschließen können, zwischen dem vor sie hingestellten Gift und Dolch zu wählen, die härtesten Dinge sagte und mit Gewalt sie nötigen wollte, mit einem von beiden ihrem Leben ein Ende zu machen. Kaum aber hatte er nun den Willen seines Herrn ver- nommen, so ließ er das Mädchen in Ruhe und kehrte zu jenem zurück, um ihm über den Hergang der Sache Bericht zu erstatten.

Voller Freude über diese Kunde suchte Messer Ame- rigo alsbald den Phineus auf, entschuldigte sich fast unter Tränen, so gut er es nur wußte und konnte, wegen des Geschehenen und versicherte, daß er gern bereit sei, dem Theodor seine Tochter zur Frau zu geben.

Phineus nahm jene Entschuldigungen bereitwillig an und erwiderte dann: „Meine Meinung ist, daß mein Sohn Eure Tochter zur Frau nehmen soll, daß aber das über ihm gefällte Urteil vollstreckt werden muß, im Falle er es nicht tun wollte."

Als nun auf solche Weise Phineus und Messer Ame- rigo übereingekommen waren, suchten sie zusammen

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den Theodor am Orte seiner einstweiligen Verwahrung auf, wo er noch vor Todesfurcht zitterte und zugleich sich freute, den Vater wiedergefunden zu haben. Als sie ihn darauf fragten, was er in jener Angelegenheit zu tun gedenke, war seine Freude, daß Violante nun seine Frau werden würde, so groß, daß es ihm nicht anders dünkte, als sei er aus der Hölle ins Paradies gesprungen, und ihnen beiden versicherte, daß es für ihn das größte Glück sein werde, wenn sie es nur zufrieden seien.

So schickte man denn auch zu Violante, um ihren Willen zu erfahren, und als diese vernahm, was sich mit Thodor zugetragen und was ferner noch in Erfüllung gehen sollte, während sie in beispielloser Traurigkeit nichts als den Tod vor Augen sah, maß sie den Worten erst nach geraumer Zeit einigen Glauben bei und konnte sich doch nur halb freuen. Dann aber sagte sie, wenn ihre Wünsche wahr werden sollten, dann könne sie frei- lich nichts glücklicher machen, als Theodors Frau zu sein. In jedem Falle aber werde sie tun, was ihr Vater befehle.

So wurde denn des Mädchens Verlobung mit allge- meiner Zustimmung gefeiert und dabei zur großen Freude der Einwohner von Trapani eine glänzende Fest- lichkeit angerichtet. Violante ward ihres Lebens wieder froh und ließ ihren Knaben von einer Amme stillen, und so dauerte es auch nicht lange, daß sie wieder schöner wurde, als je zuvor.

Als die Zeit ihrer Wochen vorüber und Phineus auch von Rom wieder zurückgekehrt war, bezeigte sie ihm alle Ehrfurcht, die einem Vater gebührt. Er aber feierte, hocherfreut über eine so schöne Schwiegertochter, unter Jubel und Festlichkeiten ihre Hochzeit und nahm sie damals und fernerhin gleich einer eigenen Tochter an.

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Wenige Tage darauf bestieg er mit dem Sohne, ihr und dem kleinen Enkel eine Galere, auf der sie glücklich insgesamt in Lajazzo anlangten, wo die beiden Lieben- den, solange sie am Leben blieben, ruhig und friedlich sich aneinander erfreuten.

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ACHTE GESCHICHTE

Nastagio degli Onesti bewirbt sich um die Liebe einer Dame aus dem Hause Traversari und bringt, ohne Gegen- liebe zu finden, dabei sein ganzes Vermögen durch. Auf die Bitten der Seinigen geht er eines Tages nach Chiassi und sieht daselbst, wie ein junges Mädchen von einem Ritter gejagt, getötet und dann von zwei Hunden gefressen wird. Darauf ladet er seine Familie sowohl als die der Dame zu einem Mittagessen dorthin, und der Anblick des zerfleischten Mädchens und die Furcht vor ähnlichem Schicksal erschrecken die Spröde so sehr, daß sie den Nastagio zum Manne nimmt.

Als Lauretta schwieg, fing Filomela auf der Königin Geheiß also zu reden an:

Nicht minder, ihr holden Damen, als mitleidige Ge- sinnung an uns gelobt wird, ahndet die göttliche Ge- rechtigkeit die grausame auf das strengste, wo sie der- gleichen unter uns antrifft. Um euch davon ein Bei- spiel zu geben und euch dadurch zu bewegen, daß ihr der Hartherzigkeit völlig entsagt, bin ich gesonnen, euch eine Geschichte zu erzählen, die nicht weniger euer Mit- gefühl erwecken als euch ergötzen wird.

In Ravenna, einer uralten Stadt der Romagna, lebten einst adlige und vornehme Leute in Menge, unter denen ein junger Mann, namens Nastagio degli Onesti, durch den Tod seines Vaters und eines Oheims über allen Glauben vermögend geworden war. Dieser nun verliebte sich, wie den unverheirateten jungen Leuten zu ge- schehen pflegt, in die Tochter des Messer Paolo Traver- sari und hoffte deren Gunst, obgleich ihre Familie von viel älterem und besseren Geschlecht war, als die seinige, durch seine Bemühungen, ihr zu dienen, dennoch all- mählich zu gewinnen.

So herrlich, lobenswert und großartig aber auch

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diese letzteren waren, nutzten sie ihm dessenungeachtet nicht allein nichts, sondern es schien vielmehr, als ob sie ihm Schaden brächten, so hart, so unfreundlich und so widerwillig bewies sich ihm das geliebte Mädchen, die vielleicht um ihrer vorzüglichen Schönheit oder um ihres Adels willen so hochmütig und ungefüge geworden war, daß sie weder ihn noch was ihm irgend lieb war leiden konnte. Diese Gesinnung der Geliebten wußte Nastagio so wenig zu ertragen, daß er nach vielen Klagen mehr als einmal im Begriff war, vor Schmerz sich das Leben zu nehmen. Wenn er sich aber dennoch solch einer Tat enthielt, so nahm er dann sich oftmals vor, sie völlig aufzugeben oder womöglich sie ebenso zu hassen, wie er von ihr gehaßt wurde. Alle diese Vor- sätze indessen blieben eitel, denn es war nicht anders, als ob seine Liebe um so mehr wüchse, je mehr die Hoffnung schwand.

Als nun der junge Mann auf solche Weise beharrlich seine Liebe verfolgte und in seinen übermäßigen Aus- gaben fortfuhr, dünkte es einigen seiner Angehörigen und Freunde, daß er dabei sich selbst und sein Ver- mögen bald verzehrt haben werde. Deshalb rieten sie ihm denn mehrmals, daß er Ravenna verlassen und auf einige Zeit an irgendeinem anderen Ort sich aufhalten möge, weil, wie sie meinten, auf solche Weise seine Liebe sowohl als seine Ausgaben abnehmen würden.

Nastagio spottete zwar öfters über diesen Rat; da er aber auf ihre vielen Ermahnungen doch nicht füglich immer mit nein antworten konnte, sagte er es ihnen endlich zu und ließ auch in der Tat nicht geringe Reise- vorkehrungen treffen, als ob er nach Frankreich, Spanien oder sonst einem entfernten Lande hätte ziehen wollen. Als er aber endlich zu Pferde gestiegen war

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und, von seinen zahlreichen Freunden begleitet, Ra- venna verlassen hatte, ritt er nach Chiassi, einem viel- leicht drei Miglien von der Stadt entfernten Orte, ließ Zelte mancher Art herbeibringen und aufschlagen und erklärte denen, die ihm das Geleit gegeben hatten, daß sie, weil er hier zu weilen gesonnen sei, nach Ravenna heimkehren möchten.

Unter diesen Zelten nun führte Nastagio wieder ein ebenso glänzendes und herrliches Leben wie je zuvor und lud nach alter Gewohnheit bald diese und bald jene zum Mittag- oder Abendessen. Eines Tages aber, ziem- lich zu Anfang des Maimonats und bei wunderschönem Wetter, geschah es, daß Nastagio, ganz in Gedanken an die grausame Geliebte versunken, allen seinen Leuten ihn allein zu lassen befahl, um ungestörter seinem Trüb- sinn nachhängen zu können, und daß er, in solcher Weise ohne Zweck und Ziel umherirrend, bis zum großen Pinien wald e gelangte.

Schon war die Mittagsstunde ziemlich herangekommen und Nastagio hatte sich, unbekümmert um Speise, Trank und andere Dinge, wohl eine halbe Miglie in den Wald vertieft, als er das laute Weinen und verzweifelte Weh- klagen eines Weibes zu vernehmen glaubte, die ihn plötzlich aus seinen süßen Träumereien schreckten. Als er nun aufblickte, ward er nicht allein zu seinem Er- staunen gewahr, daß er mitten im Pinienhaine sei, son- dern er sah nach wenigen Augenblicken auch wie ge- rade vor ihm aus einem dicht verwachsenen Gebüsch von Strauchwerk und Dornen hervor ein wunderschönes nacktes Mädchen mit fliegenden Haaren und von Stacheln und Ästen zerkratztem Leibe im vollen Lauf unter lautem Weinen und Rufen um Gnade der Stelle zueilte, an der er sich befand. Zu beiden Seiten folgten

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ihr zwei riesenmäßige und wütende Jagdhunde auf den Fersen und packten sie oft und unbarmherzig, wo sie konnten; hinterher aber jagte auf schwarzem Pferde und in dunkler Rüstung ein Ritter, dessen Gesicht vor Zorn glühte, den Degen in der Hand, und drohte mit entsetzlichen, schmähenden Worten, sie zu morden.

Nastagio wurde bei diesem Anblick zugleich von Staunen und Abscheu ergriffen; dann aber erregte das Mitleid mit dem unglücklichen Weibe den Wunsch in ihm, wenn er es irgend vermöchte, ihre Qualen zu endigen und sie dem Tode zu entreißen. So griff er denn in Ermangelung der Waffen zu einem Baumast, mit dem er statt eines Stockes den Hunden und dem Ritter entgegenging. Der Ritter aber rief ihm, sobald er dies gewahr wurde, von weitem zu : „Laß ab, Nastagio, und überlasse mir und meinen Hunden, daß wir voll- bringen, was dies ruchlose Weib verdient hat."

Und als er so gesprochen, packten die Hunde das Mädchen aus aller Kraft in die Weichen und hielten sie fest; während aber der Ritter hinzukam und vom Pferde sprang, trat auch Nastagio heran und sagte: „Wenngleich ich nicht weiß, wer du bist, der du mich so gut zu kennen scheinst, so kann ich dir doch so viel sagen, daß es eine höchst schmähliche Tat ist, wenn ein bewaffneter Ritter ein nackendes Weib ermorden will und es von den Hunden packen läßt, als wäre es ein wildes Tier; darum werde ich es denn verteidigen, so- lange ich irgend kann."

Darauf erwiderte der Ritter : „Nastagio, ich stammte mit dir aus einer Stadt, und du warst noch ein kleines Kind, als ich, den man Messer Guido degli Anastagi nannte, in dies Mädchen hier wahrlich noch viel ver- liebter war, als du jetzt in die Traversari bist. Ihr Hoch-

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mut aber und ihre Härte stürzten mich in solches Un- glück, daß ich endlich mit dem Degen, den du hier in meiner Hand siehst, mich als ein Verzweifelter ent- leibte und deshalb zu den ewigen Qualen verdammt bin. Nicht lange Zeit verging darauf, so starb auch sie, die sich unmäßig über meinen Tod gefreut hatte, und ward wegen der Sünde ihrer Hartherzigkeit und der Lust an meinen Martern, die sie nie bereute, gleichfalls zu den Strafen der Hölle verurteilt. Als sie nun dorthin gelangte, wurde ihr und mir die Strafe auferlegt, daß sie vor mir fliehen, ich aber sie, die sonst so heiß ge- liebte, nicht wie den Gegenstand meiner Liebe, sondern wie meine Todfeindin verfolgen muß. So oft ich sie alsdann erreiche, so oft durchbohre ich sie mit diesem selben Degen, mit dem ich mich einst umgebracht habe, öffne, wie du sogleich gewahren wirst, mit dem Messer ihr die Seite, reiße das harte, kalte Herz, in das weder Liebe noch Mitleid den Eingang zu finden wußten, samt den übrigen Eingeweiden aus ihrem Leibe und werfe es den Hunden hier zum Fräße vor. Dann vergehen nur wenige Augenblicke, und sie ersteht, nach Gottes ge- rechtem Ratschluß, durch seine Allmacht nicht anders vom Boden, als ob sie nie getötet wäre, und alsdann beginnen die klägliche Flucht, der Hunde und meine eigene Verfolgung von neuem. Da geschieht es denn, daß ich sie jeden Freitag um die jetzige Stunde an diesem Platz einhole und, wie du sehen wirst, sie miß- handle ; doch wähne ja nicht, daß wir die anderen Tage ruhen, sondern wisse, daß ich sie dann auf anderen Punkten, an denen sie Grausamkeiten gegen mich er- sann oder vollführte, verfolge und erreiche. Weil ich nun aus einem zärtlich Liebenden ihr Feind geworden bin, muß ich ebenso viele Jahre sie in dieser Weise

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verfolgen, als sie Monate lang hartherzig gegen mich gewesen ist. Laß mich also den Befehl der göttlichen Gerechtigkeit vollziehen und versuche keinen Wider- stand gegen das, was du nicht hindern kannst."

Von diesen Worten ganz verschüchtert, trat Nastagio, dem sich jedes Haar am Leibe sträubte, die Augen auf das unglückliche Mädchen gewendet, zurück und harrte angstvoll, was der Ritter vornehmen werde. Dieser aber stürzte beim Ende seiner Rede gleich einem wütenden Hunde auf das Mädchen los, das, von den zwei Rüden festgehalten, auf ihren Knien um Gnade rief, und stieß ihr mit aller Macht den Degen, den er in der Hand hielt, mitten durch die Brust, daß er zum Rücken wieder herausfuhr. Weinend und winselnd fiel die Ärmste von diesem Stoß zu Boden; der Ritter aber griff zu einem Messer, klappte es auf und öffnete ihr damit die Seite. Dann weidete er ihr das Herz und was um dieses her lag, aus und warf es den Hunden vor, die es heiß- hungrig verschlangen. Wieder aber dauerte es nicht lange, so erhob sich das Mädchen, als sei nichts von dem allen geschehen, und begann nach der Richtung des Meeres ihre Flucht aufs neue. Hinter ihr her stürmten abermals die Hunde, die nicht abließen, sie zu zerfleischen. Auch der Ritter saß, den Degen in der Faust, wieder zu Pferde, und so schnell stürmten Flucht und Verfolgung dahin, daß nach wenigen Augen- blicken Nastagio nichts mehr von allem gewahr wurde.

Noch lange, nachdem dies Schauspiel an ihm vor- übergezogen war, weilte er zwischen Mitleid und Furcht geteilt; dann aber gedachte er plötzlich, wie dies Er- eignis, da es alle Freitage sich wiederhole, geeignet sei, ihn in seinen Wünschen wesentlich zu fördern. So merkte er sich denn die Stelle und ließ, zu seinem ge-

wohnlichen Aufenthalte heimgekehrt, mehrere seiner Angehörigen und Freunde aus Ravenna zu sich ent- bieten.

„Wohlan," sagte er zu ihnen, als sie gekommen waren, „schon lange seid ihr in mich gedrungen, daß ich von der Liebe zu jener meiner Feindin ablassen und in meinen übermäßigen Ausgaben einhalten möge. Jetzt bin ich bereit, es zu tun; jedoch unter der Bedingung, daß ihr zuvor noch Messer Paolo Traversari dazu be- wegt, in Begleitung seiner Frau und Tochter und aller ihrer Verwandten am nächsten Freitag mit euch und den anderen Damen, die ihr wählen möget, das Mittag- essen hier bei mir einzunehmen. Warum ich dies ver- lange, werdet ihr alsdann erfahren."

Jene achteten dieses Begehren für kein großes, und so luden sie denn, nach Ravenna zurückgekehrt, als es ihnen an der Zeit schien, die im voraus verabredeten Per- sonen ein. War es nun auch nichts Leichtes, das von Nastagio geliebte Mädchen zur Einwilligung und Teil- nahme zu bestimmen, so kam sie doch mit den übrigen zum Feste.

Nastagio ließ verschwenderisch ein Mittagsmahl her- richten und die Tafeln unter den Pinienbäumen rings um die Stelle ordnen, wo er die Strafe des hartherzigen Weibes mit angesehen hatte. Dann wies er Männern und Frauen ihre Plätze an, wobei er den Sitz seiner Geliebten so gewählt hatte, daß der Fleck, an dem er die Wiederholung jenes Schauspieles erwartete, ihr ge- rade gegenüber war.

Schon war man bis zum letzten Gerichte gediehen, als das Geschrei des gejagten Mädchens zu aller Ohren zu dringen begann. Alle befremdeten jene angstvollen Laute, jeder fragte, woher sie rührten, aber keiner ver-

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mochte Auskunft zu geben. Aufgeschreckt erhoben sich alle und schauten unverwandt nach der Seite, von der das Geräusch kam; da gewahrten sie das jammernde Mädchen, den Ritter und die Hunde, und alsbald waren diese alle mitten unter den Gästen. Mit heftigen Schelt- worten wehrten diese sowohl dem Ritter als den Hunden, und viele traten vor, um dem Mädchen beizustehen. Die Erzählung des Ritters, die er ihnen fast mit denselben Worten wiederholte, mit denen er früher zu Nastagio gesprochen hatte, machte sie indessen nicht nur von ihrem Vorhaben abstehen, sondern erfüllte sie mit Staunen und Entsetzen. Unter den anwesenden Damen waren viele dem wehklagenden Mädchen, andere dem Ritter verwandt und erinnerten sich seiner Liebe und seines Todes ; alle aber weinten, als dieser sein grausames Beginnen, so wie neulich, vollführte, ebenso bitterlich, als wäre das Gleiche ihnen selber geschehen.

Als nun alles zu Ende gebracht und der Ritter ver- schwunden war, sprachen diejenigen, die dem Schauspiel zugesehen hatten, noch viel und mancherlei darüber. Am meisten aber von den anderen hatte Nastagios spröde Geliebte sich entsetzt; denn im Andenken an die Grau- samkeit, die sie stets gegen ihn geübt hatte, fühlte sie wohl, daß, was sie mit Auge und Ohr deutlich wahr- genommen hatte, keinen der Anwesenden näher angehe, als eben sie, und es war ihr nicht anders, als jage jener sie schon ergrimmt durch den Wald und die Rüden packten sie in die Weichen. Und so groß war die Furcht vor diesem Schicksal, welche sich ihrer bemächtigt hatte, daß sie in schnellem Wechsel von Haß zu Liebe die Zeit nicht erwarten konnte (und noch am selben Abend bot sich Gelegenheit), eine vertraute Dienerin heimlich an Nastagio zu senden und ihn um seinen Besuch bitten

zu lassen, da sie alles, was ihm gefallen werde, zu tun bereit sei. Darauf ließ ihr Nastagio erwidern, diese Bot- schaft sei ihm hochwillkommen ; er gedenke aber, wenn es ihr gefalle, nur in Ehren an das Ziel seiner Wünsche zu gelangen, indem er sich ehelich mit ihr vermähle.

Die junge Dame wußte wohl, daß es nur an ihr ge- legen habe, daß sie nicht schon Nastagios Frau ge- worden, und so antwortete sie denn, sie sei dessen wohl zufrieden. Dann meldete sie als ihre eigene Botin ihrem Vater und ihrer Mutter, daß sie jetzt den Nastagio zu heiraten bereit sei. Beide waren darüber hocherfreut, und schon am nächsten Sonntag wurde das junge Paar feierlich verlobt. Dann hielten sie Hochzeit und lebten miteinander noch lange Jahre glücklich.

Es hatte aber jenes Ereignis nicht nur diese eine glückliche Folge, sondern alle Ravennatinnen wurden dadurch so eingeschüchtert, daß sie gegen die Wünsche der Männer seitdem um vieles fügsamer geworden sind als zuvor.

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NEUNTE GESCHICHTE

Federigo degli Alberighi liebt, ohne Gegenliebe zu finden. Er verzehrt in ritterlichem Aufwände sein ganzes Vermögen, sodaß ihm nur ein einziger Falke bleibt. Diesen setzt er, da er nichts anderes hat, seiner Dame, die zu ihm auf Besuch kommt, zum Essen vor. Sie aber ändert, als sie dies vernommen, ihre Gesinnung, nimmt ihn zum Manne und macht ihn reich.

Schon hatte Filomela zu reden aufgehört und, da die Königin vernahm, daß außer dem Dioneo niemand mehr zu reden hatte, begann sie heiter :

So ist denn nun an mir, zu erzählen, und ich genüge gern meiner Pflicht, indem ich euch, ihr lieben Mädchen, eine Geschichte mitteile, die der vorigen einigermaßen ähnlich ist. Ich tue dies nicht allein, damit ihr erkennt, welche Macht eure Anmut über edle Herzen üben könne, sondern damit ihr abnehmt, wie ihr eure Gunstbezeu- gungen, da wo es sich geziemt, von selbst gewähren, nicht aber euch vom Glücke leiten lassen solltet, welches nicht nach verständiger Wahl, sondern, wie es sich eben trifft, in den meisten Fällen ohne rechtes Maß seine Gaben zu verteilen pflegt.

So sollt ihr denn wissen, daß in jüngst verflossener Zeit ein Mann, namens Coppo di Borghese Domenichi, in unserer Stadt lebte und vielleicht heute noch lebt, der bei allen ein großes und ehrenvolles Ansehen genoß, und weit mehr noch als wegen des Adels seines Blutes um seiner Tugenden und erlesenen Sitten willen ge- feiert und allgemeinen Ruhmes würdig war. Dieser fand nun in seinen späten Jahren Gefallen daran, sowohl seinen Nachbarn als auch Fremden von vergangenen Ereignissen oftmals zu erzählen, wie er denn solches mit größerem Redeschmuck und treuerem Gedächtnis als irgendein anderer zu tun verstand.

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Unter anderen schönen Geschichten pflegte er nament- lich auch zu erzählen, daß einst in Florenz ein junger Edelmann, Federigo di Messer Filippo Alberti genannt, gewesen sei, den man in ritterlichen Übungen und adligen Sitten höher gehalten habe als irgendeinen seiner Standesgenossen in Toskana. Wie es nun edlen Jüng- lingen zu widerfahren pflegt, so verliebte sich auch Federigo in eine adlige Frau, namens Monna Giovanna, welche zu jener Zeit für eine der holdseligsten und schönsten in Florenz gehalten wurde, und um ihre Liebe zu gewinnen, scheute er in Turnieren und Kampfspielen keinerlei Aufwand, richtete Feste her und teilte Ge- schenke aus, ohne seines Vermögens irgend zu achten. Die Dame aber, die ebenso sittsam war als schön, küm- merte sich so wenig um dies alles, das ihr zu Ehren geschah, als um diejenigen, von denen es ausging.

Da Federigo jedoch über seine Kräfte hinaus große Summen vertat und nichts erwarb, verfiel er binnen kurzem in solche Armut, daß er von allen seinen Be- sitztümern nichts behielt als ein kleines Bauerngut, dessen Einkünfte ihm kümmerlichen Unterhalt ge- währten, und einen Falken, wie es kaum einen edleren auf der Welt geben mochte. Inzwischen war seine Liebe zwar nur noch glühender geworden als zuvor; da er jedoch als Städter nicht mehr so, wie er es gewünscht hätte, leben zu können glaubte, zog er sich auf das Land zurück und ertrug dort auf seinem Gütchen, ohne jemandes Hilfe anzusprechen, unter Vogelstellen ge- duldig seine Armut.

Während nun Federigos Vermögensumstände sich so sehr verschlechtert hatten, geschah es, daß der Gemahl der Monna Giovanna schwer erkrankte; und als er ge- wahr wurde, daß es mit ihm zu Ende gehe, machte er

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ein Testament, in dem er sein schon ziemlich heran- gewachsenes Söhnlein zum Erben aller seiner großen Reichtümer ernannte und für den Fall, daß der Knabe unbeerbt versterben sollte, die Monna Giovanna, die er zärtlich geliebt hatte, zur Nachfolge bestellte.

Bald darauf starb er, und die hinterbliebene Witwe zog, wie es unter den hiesigen Witwen üblich ist, für den Sommer des Jahres auf das Land nach einer ihrer Besitzungen, die dem Gütchen Federigos ziemlich nahe gelegen war. So trug es sich denn zu, daß jener Knabe, der an Hunden und Vögeln seine Freude hatte, mit Federigo vertraut wurde. Als er nun dessen Falken öfter hatte fliegen sehen, fand er an ihm so überschwäng- liches Gefallen, daß er ihn zu besitzen höchlichst be- gehrte; doch traute er sich nicht, darum zu bitten, da er wohl sah, wie wert er dem Federigo sei.

Um diese Zeit ereignete es sich, daß der Knabe er- krankte. Die Mutter, die nur dies eine Kind hatte und es von ganzer Seele liebte, betrübte sich unsäglich und wie sie den ganzen Tag um den Kranken geschäftig war, sprach sie ihm guten Mut zu und fragte ihn unter dringenden Bitten, es ihr zu sagen, ob er denn nicht vielleicht nach irgend etwas Verlangen hege; sie wolle ja, wenn es nur möglich sei, sicher Sorge tragen, daß sie es ihm verschaffe. Schon mehrmals hatte der kranke Knabe diese Anerbietungen vernommen, als er endlich antwortete: „Mutter, könnt Ihr machen, daß ich Fede- rigos Falken erhalte, so glaube ich in kurzem wieder gesund zu werden."

Eine Zeitlang, nachdem sie diese Worte vernommen, blieb die Edeldame in sich gekehrt und erwog, was sie tun sollte. Sie wußte wohl, daß Federigo sie lange ge- liebt hatte, ohne von ihr jemals auch nur einen Blick

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zu erlangen; daher sagte sie bei sich selber: „Wie darf ich zu Federigo wegen dieses Falken senden oder gar selbst deshalb zu ihm gehen, da, wie ich höre, dieser Falke der edelste ist, der je einem Jäger diente, und da er noch überdies seinem Herrn in solcher Weise den Lebensunterhalt gewährt? Und wie könnte ich so rück- sichtslos sein, einem Edelmann, dem sonst keine Freude mehr geblieben ist, diese seine einzige rauben zu wollen?"

Obgleich sie nun sicher war, den Falken zu erhalten, sobald sie darum bäte, antwortete sie doch, von jenen Gedanken bestrickt, nichts auf das Verlangen ihres Söhn- leins und schwieg. Endlich aber trug die Liebe zu dem Knaben doch den Sieg davon, und, um ihn zufrieden zu stellen, entschloß sie sich, was auch immer die Folge davon sein würde, nicht zu Federigo zu senden, sondern selber zu ihm zu gehen, um den Falken zu holen. Des- halb sagte sie: „Mein Kind, gib dich zufrieden und sorge nur, daß du gesund wirst; denn ich verspreche dir, daß morgen früh mein erster Gang wegen des Falken sein wird, und gewiß, ich werde ihn dir bringen."

Schon diese Antwort erfreute den Knaben so sehr, daß noch an demselben Abend einige Besserung an ihm zu bemerken war.

Am nächsten Morgen nahm Monna Giovanna eine andere Dame zum Geleit und lustwandelte mit dieser bis zu Federigos kleinem Häuschen. Zum Vogelstellen war es nicht die Zeit, und schon seit mehreren Tagen war er nicht deshalb ausgegangen ; so verweilte er denn, als sie nach ihm fragte, m seinem Garten und ließ dort gewisse kleine Arbeiten besorgen. Als er vernahm, daß sie an seiner Tür sei und nach ihm verlange, er-

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staunte er höchlichst und eilte ihr mit ehrfurchtsvollem Gruße freudig entgegen; sie aber begrüßte ihn mit freundlicher Anmut und sagte: „Guten Morgen, Fede- rigo! Ich bin gekommen, dir für all das Ungemach Ersatz zu leisten, das du seither um meinetwillen er- duldet hast, weil du mich leidenschaftlicher liebtest, als dir dienlich gewesen wäre ; der Ersatz aber besteht darin, daß ich mit dieser meiner Begleiterin heute vertraulich bei dir zu Mittag zu essen gedenke."

Hierauf antwortete Federigo in Demut: „Madonna, ich weiß von keinem Ungemach, das mir je durch Euch zuteil geworden wäre, wohl aber von so vielem Heile, daß, wenn jemals an mir irgend etwas Lob verdiente, ich dies nur Eurer Trefflichkeit und meiner Liebe zu Euch verdanke. Und wahrlich, dieser Euer Besuch, den Ihr aus freier Güte mir gewährt, ist mir, wenngleich Ihr zu einem dürftigen Wirte gekommen seid, unend- lich viel lieber, als wenn mir die Mittel zurückgegeben wären, die ich zu der Zeit besaß, wo ich einst den größten Aufwand machte."

Nach diesen Worten führte er sie schüchtern in sein Haus und von diesem in den Garten. Weil er aber sonst niemanden hatte, der ihr hier Gesellschaft hätte leisten können, sagte er: „Madonna, da kein anderer hier ist, so wird dieses gute Weib, die Frau des Mannes, der hier meinen Acker bestellt, während ich den Tisch be- sorgen lasse, Euch zur Gesellschaft bleiben."

Wie groß nun auch seine Armut war, so war er bis dahin eigentlich noch nicht gewahr geworden, wie sein ungeordnetes Verschwenden der früheren Reichtümer ihn Mangel leiden ließ. Diesen Morgen aber, als es ihm an allem gebrach, um die Dame zu ehren, der zuliebe er einst so Unzählige bewirtet und geehrt hatte, er-

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kannte er zuerst seine Dürftigkeit. In der peinlichsten Herzensangst lief er wie außer sich hin und her und verwünschte sein Schicksal, als er weder Geld noch irgend etwas, das er hätte versetzen können, vorfand. Inzwischen war die Zeit schon vorgerückt, und so groß auch sein Verlangen war, die edle Dame einigermaßen wenigstens zu ehren, so konnte er sich doch nicht ent- schließen, irgend jemand, nicht einmal seinen Garten- arbeiter, um etwas anzusprechen.

Da fiel ihm sein guter Falke in die Augen, der im Speisezimmer auf seiner Stange saß, und wie er sonst nirgends einen Ausweg zu entdecken vermochte, faßte er ihn und erachtete das edle Tier, da es fett war, als eine würdige Speise für solch edle Dame. Und ohne sich weiter zu besinnen, drehte er ihm den Hals um und ließ ihn dann eilig, von seiner Magd gerupft und hexgerichtet, an den Spieß stecken und sorgsam braten. Dann breitete er schneeweiße Tücher, deren ihm noch einige geblieben waren, über den Tisch und ging mit frohem Gesicht wieder hinaus zu seiner Dame, um ihr zu sagen, daß das Mittagessen, so gut er es zu bieten vermöge, bereit sei. So erhoben sich denn die Dame und ihre Begleiterin, gingen zu Tische und verzehrten, ohne zu wissen, was sie aßen, mit Federigo, der sie mit größter Sorgfalt bediente, den guten Falken.

Als sie darauf von Tische aufgestanden waren und noch einige Zeit in freundschaftlichen Gesprächen mit ihm verbracht hatten, schien es der Dame an der Zeit, das zu sagen, um dessen willen sie gekommen war, und freundlichen Blickes zu Federigo gewandt, begann sie also:

„Federigo, gedenkst du deiner früheren Schicksale und meiner Sittenstrenge, die du vermutlich für Härte

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und Grausamkeit erachtet hast, so zweifle ich nicht, daß du über meine Dreistigkeit erstaunen wirst, wenn du vernimmst, warum ich eigentlich hierher gekommen bin. Hättest du aber Kinder oder hättest du welche be- sessen, so daß du die Liebe, die man für sie hegt, zu kennen vermöchtest, so glaube ich mit Zuversicht, daß ich dir wenigstens zum Teil entschuldigt erscheinen würde. Du besitzest deren nicht; ich aber, die ich einen Sohn habe, vermag mich dem Gesetze, dem alle Mütter unterliegen, nicht zu entziehen und sehe mich zufolge seines Gebotes genötigt, gegen meine Neigung, ja, gegen Anstand und Pflicht, dich um ein Geschenk zu bitten, von dem ich weiß, wie teuer es dir ist. Auch hast du allen Grund, es so wert zu halten, da die Ungunst des Schicksals dir keine andere Freude, keine Zerstreuung, keinen Trost als diesen einen gelassen hat. Dieses Ge- schenk aber ist dein Falke, nach dem mein Knabe so unmäßiges Verlangen trägt, daß ich fürchten muß, die Krankheit, an welcher er darnieder liegt, werde sich, wenn er ihn nicht erhält, um vieles verschlimmern und eine Wendung nehmen, infolge deren ich ihn verliere. So beschwöre ich dich denn, nicht bei der Liebe, die du für mich hegst (denn um derenwillen hast du gegen mich keinerlei Verpflichtung), sondern bei deiner adli- gen Gesinnung, welche du in Hofsitte und Freigebigkeit mehr als irgendein anderer bewährt hast, daß es dir gefallen möge, mir deinen Falken zu schenken, damit ich sagen könne, du habest mir durch diese Gabe das Leben meines Sohnes erhalten, und damit er dir immer- währenden Dank schuldig bleibe."

Als Federigo vernahm, was die Dame begehre, und sich dabei bewußt war, ihr nicht genügen zu können, da er ihr den Falken zur Mahlzeit vorgesetzt hatte, fing

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er in ihrer Gegenwart, bevor er noch eine Silbe der Antwort vorbringen konnte, bitterlich zu weinen an. Anfangs glaubte die Dame, diese Tränen gölten dem Schmerze, sich von dem guten Falken trennen zu sollen, und schon war sie im Begriff, zu sagen, daß sie ihn lieber nicht haben wolle; doch bezwang sie sich und erwartete Federigos Antwort, der, nachdem er seine Tränen bemeistert, also sprach:

„Madonna, seit es Gott gefallen hat, daß ich Euch meine Liebe zuwendete, habe ich bei vielen Gelegen- heiten das Schicksal mir feindlich gefunden und über seine Ungunst mich zu beschweren gehabt; dies alles aber war nur gering im Vergleich mit dem, was mir jetzt widerfährt. Denn wie sollte ich wohl mit meinem Geschicke je mich wieder aussöhnen, wenn ich bedenke, daß ich durch seine Tücke außerstande gesetzt bin, Euch das kleine Geschenk zu geben, das Ihr begehrt, nun Ihr zu meinem verarmten Hause gekommen seid, das Ihr, solange es ein reiches war, nie Eures Besuches gewürdigt habt. Warum ich dies aber nicht vermag, will ich Euch kurz berichten: Als ich vernahm, Ihr wolltet, Dank sei es Eurer Güte, bei mir zu Mittag essen, glaubte ich, im Gedanken an Euren Adel und Eure Trefflichkeit, es sei würdig und angemessen, soweit meine Kräfte reichten, Euch durch eine wertvollere Speise zu ehren, als diejenigen sind, mit denen man andere Menschen zu bewirten pflegt. Da gedachte ich des Falken, den Ihr jetzt von mir begehrt, und wie vorzüglich er sei, und hielt ihn für eine Euer würdige Speise; so habt Ihr ihn denn heute mittag gebraten auf der Schüssel gehabt, und ich glaubte, ihm die beste Stätte bereitet zu haben. Nun ich aber sehe, daß Ihr in anderer Weise seiner begehrtet, ist mein Schmerz, Euren Wunsch nicht er-

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füllen zu können, so heftig, daß ich nicht glaube, mich je wieder darüber beruhigen zu können."

Nach diesen Worten ließ er zum Beweise des Ge- sagten ihr Federn, Fänge und Schnabel des Falken vor- zeigen.

Als die Dame dies alles hörte und sah, tadelte sie ihn anfangs, daß er zur Bewirtung eines Weibes einen so edlen Falken getötet habe; dann aber bewunderte sie im Stillen die Größe seiner Gesinnung, die die bittere Armut weder abzustumpfen vermocht hatte, noch gegenwärtig vermochte. Da ihr jedoch alle Hoffnung geraubt war, den Falken zu besitzen, und die Be- fürchtungen wegen der Genesung des Knaben nun in ihr aufstiegen, schied sie voller Betrübnis und kehrte zu ihrem Sohne zurück.

War es nun die Wirkung des Verdrusses, daß ihm der Falke nicht gewährt werden konnte, oder war die Krankheit von der Art, daß sie auch ohne das zu solchem Ende führen mußte genug, nur wenige Tage waren verstrichen, als der Knabe zum größten Leidwesen seiner Mutter aus diesem Leben schied. Infolge dieses Verlustes blieb sie zwar geraume Zeit in Tränen und Traurigkeit ; da sie jedoch noch jung und in den Besitz eines glänzen- den Vermögens gelangt war, drängten ihre Brüder sie vielfach, zu einer zweiten Ehe zu schreiten. Obwohl sie sich nun dessen am liebsten enthalten hätte, so ge- dachte sie doch bei solchem Andringen* Federigos Treff- lichkeit und des letzten Beweises seiner hochherzigen Gesinnung, den er ihr gegeben, indem er einen solchen Falken getötet hatte, allein um sie zu ehren. Darum sagte sie zu ihren Brüdern: „Am liebsten ließe ich, wolltet ihr es gestatten, meinen Witwenstuhl unverrückt; ist es aber euer Begehren, daß ich zu einer zweiten Ehe schreite,

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so werde ich wahrlich keinem anderen mich vermählen, wenn ich Federigo degli Alberi ghi nicht erhalte."

Auf diese Rede verhöhnten ihre Brüder sie und sagten : „Törichte, was schwatzest du da? Wie kannst du ihn nehmen wollen, der nichts auf der Welt hat?"

Sie aber antwortete: „Meine Brüder, wohl weiß ich, daß es sich also verhält, wie ihr sagt ; ich aber ziehe den Mann, der des Vermögens entbehrt, dem Vermögen vor, das eines Mannes entbehrt."

Als die Brüder diese ihre Gesinnung vernahmen und sich überzeugten, daß Federigo trotz seiner Armut ein höchst ehrenhafter Mann sei, gewährten sie ihm nach Giovannas Wünschen samt allen ihren Reichtümern. Er aber beschloß, im Besitz einer so trefflichen und so über- schwänglich von ihm geliebten Gattin, und noch über- dies eines außerordentlichen Vermögens, nach langen Jahren freudig seine Tage.

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ZEHNTE GESCHICHTE

Pietro da Vinciolo geht aus, um anderwärts zur Nacht zu essen. Seine Frau läßt ihren Buhlen kommen; Pietro kehrt aber heim, und die Frau versteckt den Liebhaber unter einem Hühnerkorbe. Pietro erzählt, daß in dem Hause des Ercolano, bei dem er zu Nacht gegessen, ein junger Mensch, den die Frau verborgen hatte, gefunden sei, worüber Pietros Frau die des Ercolano heftig tadelt. Zum Unglück tritt ein Esel dem Burschen unter dem Korbe auf die Finger, so daß er schreien muß. Pietro läuft hinzu, sieht ihn und erkennt die Falschheit seiner Frau, ist aber niederträchtig genug, sich am Ende doch wieder mit ihr auszusöhnen.

Die Erzählung der Königin war zu ihrem Ende ge- diehen und alle hatten Gott gepriesen, daß er dem Fede- rigo würdigen Lohn verliehen hatte, als Dioneo, der einen Befehl nicht erst zu erwarten pflegte, also begann :

Ich weiß nicht, ob ich es einen fremdartigen Fehler nennen soll, der erst infolge späterer Sittenverderbnis die Sterblichen befallen hat oder ob es in der ursprüng- lichen Natur des Menschen liegt, daß wir lieber schlechte Streiche belachen als über gute Werke uns freuen, und ersteres vorzugsweise so lange, als wir nicht selbst davon betroffen werden. Weil nun aber einmal die Bemühung, der ich mich schon früher unterzogen habe und der ich jetzt mich aufs neue zu unterziehen im Begriff stehe, keinen anderen Zweck hat, als eure üble Laune zu zer- streuen und euch zu Lachen und Freude zu bewegen, so will ich die nachfolgende Geschichte, die euch, ihr liebe- vollen Mädchen, Ergötzen zu bereiten geeignet ist, immer- hin erzählen, obwohl sie mitunter nicht eben anständig genannt werden kann.

Ihr aber mögt, indem ihr dieselbe mit anhört, ver- fahren, wie ihr in den Gärten zu tun pflegt, die ihr besucht, in denen ihr die Rosen brecht und die Dornen

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Flip lift <

unberührt laßt. So überlaßt denn auch hier den ehren- losen Ehemann seiner eigenen Schmach und seinem Un- heil, belacht in Heiterkeit den verliebten Trug seiner Frau und hegt, wo sich der Anlaß dazu bietet, Mitleid mit fremdem Unglück.

In Perugia lebte vor nicht gar langer Zeit ein reicher Mann, namens Pietro da Vinciolo, der, weit mehr wohl um andere zu täuschen und den üblen Ruf zu mindern, in dem er bei allen Peruginern stand, als aus innerem Verlangen danach, ein Weib nahm. Dabei gab ihm das Schicksal eine Ehegenossin, die seinen Neigungen nicht sonderlich entsprach. Das Weibchen, das er freite, war ein untersetztes junges Ding mit rotem Haar und warmem Blut, die am liebsten zwei Männer auf einmal genommen hätte, während sie nun einem Menschen in die Hände geriet, der zu ganz anderen Dingen Lust hatte, als sie zu umarmen.

Daß es sich so verhielt, wurde sie nur allzubald gewahr und, wenn sie dann daran dachte, wie jung und frisch sie sei und sich dabei voller Kraft und Lebens- lust fühlte, so übermannte sie anfangs nicht selten der Zorn, und es gab häufig anzügliche Reden gegen ihren Mann, immer aber schlechtes Vernehmen. Als sie sich indessen überzeugte, daß sie auf diesem Wege eher sich selbst verzehren, als der Abscheulichkeit ihres Mannes irgend steuern werde, sagte sie bei sich selber:

„Dieser Elende kümmert sich nicht um mich, weil er in seiner Ruchlosigkeit nur säen will, wo sich nicht ackern läßt; so will ich denn sorgen, daß ein anderer das Erdreich bestelle, wo es locker ist. Ich habe ihn zum Manne genommen und ihm gute Mitgift zuge- bracht, weil ich voraussetzte, daß er ein Mann sei, und daß er begehre, wonach Verlangen zu tragen die Männer

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von Natur angewiesen sind. Hätte ich ihn nicht für einen Mann gehalten, wahrlich, so hätte ich ihn nicht geheiratet. Warum aber, wenn ihm die Weiber zuwider waren, nahm er mich zur Frau, da er doch wußte, daß ich ein Weib sei ? Wahrhaftig, das ist nicht zu ertragen ! Hätte ich mich von der Welt zurückziehen wollen, so wäre ich ins Kloster gegangen. Nun wollte ich aber in der Welt leben und lebe darin ; soll ich jedoch warten, bis dieser Mensch mir Lust und Vergnügen gewährt, so werde ich über das furchtlose Warten wohl alt und grau werden. Will ich meine Reue bis dahin verschieben, so werde ich umsonst bejammern, daß ich meine Jugend ungenutzt gelassen habe. Ist er mir doch selbst der beste Lehrmeister, von dem ich annehmen kann, womit ich mich zu trösten habe. Er sucht seine Vergnügungen eben da, wo auch ich sie zu finden habe und wo sie für mich löblich, für ihn aber die ärgste Schmach sind. Folge ich meinem Verlangen, so handle ich nur den Gesetzen zuwider, während er die Ordnung der Natur und die Gesetze zugleich übertritt."

Als das gute Weibchen diese Betrachtungen bei sich angestellt und vielleicht mehr als einmal wiederholt hatte, zog sie, um insgeheim zur Verwirklichung ihrer Wünsche zu gelangen, eine ältere Frau ins Vertrauen, die so fromm schien wie die heilige Verdiana, welche die Schlangen fütterte; denn zu jedem Ablaß ging sie, den Rosenkranz in der Hand, und redete nie von etwas anderem, als von dem Leben der heiligen Kirchenväter oder von den Wundermalen des heiligen Franziskus. So galt sie denn fast allgemein für eine halbe Heilige. Dieser nun eröffnete unser Weibchen, als es ihr an der Zeit schien, ihr Verlangen ohne allen Rückhalt.

Die Alte aber antwortete : „Gott, der alle Dinge kennt,

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weiß, daß du sehr wohl daran tun wirst. Und wäre e9 aus keinem anderen Grunde, so müßtest du, und gleich dir müßten alle anderen jungen Weiber also verfahren, damit ihr die Zeit eurer Jugend nicht ungenutzt ver- streichen laßt. Wahrlich, für jeden Einsichtigen gibt es keinen größeren Schmerz als den, seine Zeit ver- loren zu haben und, zum Teufel, wenn wir einmal alt sind, zu was sind wir dann noch auf der Welt zu ge- brauchen, als etwa die Asche in der Kohlenpfanne zu hüten? Ich weiß davon mitzureden, wenn keine andere es wollte oder könnte; denn, nun ich alt bin, erkenne ich mit schwerer und bitterer, leider aber vergeblicher Reue, wie schlecht ich meine Zeit genutzt habe.

„Zwar habe ich die Zeit meiner Jugend nicht so ganz und gar verloren (denn ich wünschte nicht, daß du glaubtest, ich sei eine Gans gewesen) ; doch tat ich bei weitem nicht, was ich hätte tun können. Sehe ich mich nun an, wie ich gegenwärtig aussehe, daß kein Mensch mehr zu bewegen wäre, mir Feuer zu schlagen, und erinnere ich mich, was ich versäumt habe, so weiß Gott am besten, wie sehr ich mich gräme.

„Mit den Männern ist das anders. Die Männer sind zu tausenderlei Dingen bestimmt, nicht bloß zu diesem einen, und die Mehrzahl taugt im Alter viel mehr, als in der Jugend. Wir Weiber aber kommen nur zu diesem Zwecke, und um Kinder zu gebären, auf die Welt; nur um dessenwillen hält man uns wert. Vermöchtest du dies aus nichts anderem zu erkennen, so müßte es dir schon dadurch klar werden, daß wir Weiber jeden Augenblick zu jener Sache bereit sind, während das bei den Männern keineswegs der Fall ist. Überdies kann ein Weib zehn Männer von Kräften bringen; noch so viele Männer aber vermögen nicht, ein Weib zu er-

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müden. Du siehst also, wir sind dazu geboren, und so wiederhole ich dir denn, daß du ganz recht tust, wenn du mit dem Maße, mit dem dein Mann dir gemessen, ihm wieder mißt; enthältst du dich dessen, so mußt du fürchten, daß einst im Alter deine Seele dem Fleische über das Versäumte Vorwürfe mache. Von dieser Welt hat ein jeder gerade so viel, als er sich davon zunutze macht. Das gilt mehr noch als von den anderen von uns Weibern, und so müssen wir denn die Gelegenheit, solange sie sich uns bietet, weit sorglicher wahrnehmen als die Männer.

„Sieh doch nur selber, wie es geht: sind wir erst alt geworden, so mag weder Ehemann noch sonst jemand uns vor Augen haben. In die Küche jagen sie uns, damit wir die Katze unterhalten oder uns mit dem Zählen von Töpfen und Schüsseln die Zeit vertreiben. Ja, was noch schlimmer ist, sogar zum Spotte werden wir ; da heißt es : ,Den Jungen Konfekt und Wein, den Alten das Zipperlein', und was solcher schlechten Reden noch mehr sind. Doch, was soll ich dich jetzt mit Worten länger hinhalten ! Soviel kann ich dir sagen : Du konntest niemandem deine Gesinnung offenbaren, der besser als ich dir zum Ziele zu helfen vermocht hätte; denn kein Mann ist so eitel und geschmiegelt, daß ich mich nicht getraute, ihm das Nötige zu sagen, und keiner so ungehobelt und tölpelhaft, daß ich ihn nicht kirre zu machen und dahin zu bringen wüßte, wo ich ihn haben will.

„So bezeichne mir nur, wen du willst, und über- lasse dann mir das weitere ! Um eins aber muß ich dich noch bitten, meine Tochter: Vergiß mich nicht und bedenke, daß ich eine arme Frau bin; dafür sollst du aber auch von heute an teilhaben an jedem Ab-

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lasse, den ich bekomme, und an jedem Paternoster, das ich sage, damit der liebe Gott sie als Kerzen und Lampen für deine verstorbenen Angehörigen aufnehme."

Mit diesen Worten schloß die Alte; das junge Weib- chen aber einigte sich mit ihr dahin, daß sie das Ihrige tun werde, wenn sie einen jungen Menschen zu sehen kriegte, der öfter durch jene Straße käme und den sie ihr nach vielen Merkmalen genau bezeichnete. Dann gab sie ihr ein Stück Pökelfleisch und entließ sie mit Gott.

Erst wenige Tage waren seitdem vergangen, als die Alte ihr auch schon den jungen Menschen, den sie ihr bezeichnet hatte, heimlich in die Kammer brachte, und bald darauf einen zweiten und so fort, je nachdem der jungen Frau ein neues Gelüste ankam. Diese aber ließ, wiewohl sie sich fortwährend vor ihrem Manne fürchtete, keine Gelegenheit ungenutzt, die sich in solcher Be- ziehung ihr darbot.

So geschah es denn, daß eines Tages das Weibchen, als ihr Mann bei einem seiner Freunde, mit Namen Er- colano, zu Abend essen sollte, der Alten auftrug, einen jungen Burschen zu ihr zu bestellen, der zu den schönsten und muntersten von Perugia gehörte. Diese tat alsbald, was ihr geheißen war.

Kaum aber hatten das Weibchen und der junge Bursche sich zu Tische gesetzt, um das Abendessen zu verzehren, als Pietro an der Haustür rief, daß ihm aufgemacht werde. Das Weibchen hielt sich für ver- loren, als es seine Stimme hörte; doch wollte sie, wenn immer möglich, gern ihren Buhlen verbergen. Indessen hatte sie nicht Besinnung genug, ihn fortzuschaffen oder besser zu verstecken ; so hieß sie ihn also, sich auf dem Hausflur, der an das Speisezimmer anstieß, unter einen

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Hühnerkorb ducken. Dann warf sie die Leinwand von einer Matratze darüber, die sie an demselben Tage hatte ausleeren lassen, und als auch dies geschehen war, ließ sie dem Manne eiligst die Tür aufmachen.

„Nun," sagte sie, als er in das Haus getreten war, „Ihr habt ja das Abendessen gewaltig schnell herunter- geschluckt."

„Wir haben es gar nicht einmal gekostet", antwortete Pietro.

„Wie ist denn das zugegangen?" sagte die Frau.

Darauf erwiderte Pietro: „Das will ich dir sagen: Ercolano, seine Frau und ich, wir saßen schon bei Tische, da hörten wir plötzlich ganz in unserer Nähe niesen. Das erste und das zweitemal bekümmerten wir uns nicht darum ; als aber jener Unsichtbare ein drittes, ein viertes und noch viele andere Male zu niesen fort- fuhr, wunderten wir uns alle. Ercolano war ohnehin auf seine Frau nicht gut zu sprechen, weil sie uns, ohne aufzumachen, eine lange Zeit vor der Tür hatte stehen lassen. So sagte er denn in größter Heftigkeit: ,Was will das heißen? Wer ist das, der hier so niest?' und damit sprang er vom Tische auf und ging auf eine Treppe zu, die dort in der Nähe war.

„Unter dem ersten Absatz dieser Treppe war ein Bretterverschlag, um dort vorkommendenfalls etwas aus der Hand zu legen, wie man dergleichen zur Bequemlich- keit der Bewohner alle Tage in den Häusern herrichten sieht. In diesem Bretterverschläge nun war ein Türchen, und kaum hatte Ercolano, der das Niesen in dieser Rich- tung vernommen zu haben glaubte, dasselbe aufgerissen, als auch der unleidlichste Schwefelqualm daraus hervor- drang. Schon früher hatten wir diesen Schwefelgeruch empfunden und uns darüber beschwert, worauf die Frau

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uns gesagt hatte, sie habe ihre Schleier vorhin mit Schwefel gebleicht und die Kohlenpfanne, auf die sie ihn zum Rauchen gestellt habe, unter jene Treppe ge- stellt, so daß der Geruch sich noch von dorther verbreite. Als Ercolano nun das Türchen geöffnet und, nachdem der Qualm sich ein wenig verzogen hatte, hineinsah, sah er denjenigen, der geniest hatte und, weil der Schwefeldampf ihn in die Nase biß, noch immerfort nieste. Noch nieste er zwar, doch hatte ihm der Schwefel die Luftröhre schon so zusammengezogen, daß es, nur ein paar Augenblicke später, mit dem Niesen und mit allem anderen auf immer für ihn vorbei gewesen wäre.

„Als Ercolano ihn gewahr wurde, rief er : ,Weib, nun sehe ich wohl, warum du eben zuvor, als wir kamen, uns so lange, ohne aufzutun, vor der Türe hast stehen lassen ; aber ich will doch nie wieder froh werden, wenn ich dich nicht gründlich dafür bezahle.' Bei diesen Worten entfloh die Frau, die ihr Vergehen entdeckt sah, ohne zu einer Entschuldigung ein Wort zu sagen, von der Mahlzeit, und was aus ihr geworden ist, weiß ich nicht. Ercolano aber, der die Flucht seiner Frau gar nicht bemerkt hatte, befahl dem Niesenden wiederholt herauszukommen; der aber war in solchem Zustande, daß, soviel Ercolano auch redete, er sich nicht zu regen vermochte.

„Da faßte dieser ihn bei einem Beine, zog ihn heraus und lief dann nach einem Messer, um ihn totzustechen. Weil ich aber infolge dieser Geschichte am Ende selber in Untersuchung zu kommen fürchtete, sprang ich auf und litt nicht, daß er ihn tötete oder ihm sonst ein Leid zufügte; vielmehr verteidigte ich ihn und schrie solange, bis Nachbarn herbeikamen und den jungen Menschen, der sich schon ganz verloren gab, aus dem

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Hause fortbrachten, wohin, weiß ich nicht. So war denn unser Abendessen gestört, und ich habe es, wie ich dir sagte, nicht einmal gekostet, geschweige denn, wie meine Absicht war, zu mir genommen. "

Als das Weibchen diese Geschichte vernahm, erkannte sie wohl, daß auch andere Frauen nicht minder ver-* ständig seien als sie, daß aber auch hin und wieder einmal ein Unglück dazwischen komme. So hätte sie denn die Frau des Ercolano wohl gerne mit deutlichen Worten verteidigt ; da sie indessen durch den Tadel eines fremden Fehltrittes von dem ihrigen den Verdacht besser abzulenken gedachte, begann sie folgendermaßen zu reden :

„Nun, das sind mir schöne Geschichten ! Eine rechte Tugendheldin und saubere Heldin muß ja das sein! So kann man sich auf den Schein der Ehrbarkeit ver- lassen ! Wäre ich doch selber bei ihr zur Beichte ge- gangen, so fromm und sittsam konnte sie tun. Und was noch schlimmer ist, nachgerade ist sie schon bei Jahren und gibt den Jüngeren solch ein Beispiel ! So soll doch die Stunde vermaledeit sein, wo sie zur Welt kam, und sie selbst nicht minder, daß sie in ihr fort- lebt, als solch ein ehrvergessenes, verworfenes Geschöpf, als eine gemeinsame Schmach und Schande für alle Frauen in dieser ganzen Stadt! Den Anstand tritt sie mit Füßen und alle Ehre vor der Welt und bricht die Treue, die sie ihrem Manne gelobt hat, einem wackeren Mann, wie sie sich keinen besseren wünschen konnte, und scheut sich nicht, wegen solch eines Kerles sich selbst zu brandmarken und zugleich auch noch ihren Mann. So wahr mir Gott helfe, mit solchen Weibsbildern sollte man gar kein Mitleid haben! Totmachen sollte man sie und ganz lebendig mitten ins Feuer stecken, bis sie zu Asche verbrannt wären."

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Inzwischen gedachte sie aber wieder ihres Liebhabers, den sie dort ganz nahe unter dem Hühnerkorbe versteckt hatte, und darum fing sie an, dem Pietro zuzureden, daß er doch zu Bett gehen möge, da es schon Schlafens- zeit sei. Pietro jedoch hatte mehr Lust zum Essen als zum Schlafen und fragte sie deshalb, ob nichts zum Abendbrot da sei.

Die Frau aber antwortete: „Abendbrot! Da hat sich was von Abendbrot ! Als ob wir gewohnt wären, Abend- essen zu besorgen, wenn du nicht daheim bist ! Ja, wenn ich Ercolanos Frau wäre! Geh nur, geh, und sieh für heute abend, daß du einschläfst ; da wirst du besser daran tun!"

Nun traf es sich, daß an eben jenem Abend einige Arbeitsleute des Pietro mit Sachen für ihn vom Lande gekommen waren und ihre Esel, ohne ihnen zu saufen zu geben, in einen Stall neben jenem Hausflur einge- stellt hatten. Einer dieser Esel, der an unmäßigem Durste litt, hatte inzwischen den Hals aus der Schlinge gezogen und den Weg aus dem Stall nach dem Flur gefunden, wo er jetzt alles beroch, ob er nicht vielleicht Wasser fände. Bei dieser Gelegenheit stieß er auch auf den Korb, unter dem der junge Bursche steckte. Dieser mußte auf allen Vieren kauern, so daß die Finger seiner einen Hand ein wenig unter dem Korb hervorkamen. Zu seinem Glück oder Unglück, wie wir es nehmen wollen, geschah es nun, daß der Esel ihm auf die Finger trat, weshalb er über den heftigen Schmerz, den er empfand, laut aufschrie.

Als Pietro das hörte, wunderte er sich und erkannte wohl, daß dies im Hause gewesen sei. Während indessen jener nicht aufhörte zu wehklagen, da der Esel ihm den Fuß noch immer nicht von den Fingern weg-

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genommen hatte, sondern sie fortwährend heftig quetschte, ging Pietro mit dem Rufe: „Wer ist da?" aus dem Zimmer gerade auf den Hühnerkorb los. Als er diesen emporhob, sah er den jungen Burschen, der jetzt außer vor Schmerz seiner Finger, welche der Esel ihm zerquetscht hatte, auch vor Furcht zitterte, daß Pietro ihm ein Leid antun möchte. Pietro hatte ihn indessen als einen von denen erkannt, denen er vermöge seiner ruchlosen Neigungen lange Zeit nachgegangen war, und so fragte er bloß: „Was machst du hier?" worauf der junge Mensch nichts antwortete, sondern nur um Gottes willen bat, daß er ihm nichts tun möge.

Pietro erwiderte: „Steh' auf und fürchte nicht, daß ich dir irgend etwas zuleide tue; sage mir aber, wie und zu welchem Zwecke bist du hierher gekommen?"

Der junge Mensch sagte ihm alles; Pietro war aber so freudig, ihn angetroffen zu haben, als die Frau be- trübt war. So führte er ihn denn bei der Hand in das Zimmer, in dem die Frau ihn mit der größten Angst von der Welt erwartete; dann setzte er sich ihr gegen- über und sagte: „Erst eben verwünschtest du die Frau des Ercolano und meintest, man müsse sie als eine Schande für euch alle verbrennen. Warum sagtest du denn nicht das Gleiche von dir selber? Oder, wenn du dazu nicht geneigt warst, wie konntest du dich er-i frechen, auf sie zu schelten, wenn du dir bewußt warst, das Gleiche wie sie getan zu haben? Wahrlich, nichts anderes bewog dich dazu, als daß von euch die eine so schlecht ist wie die andere, und daß jede ihren Fehler mit fremder Schuld zu verdecken strebt. So möchte doch Feuer vom Himmel fallen, um euch alle zu ver- zehren, ihr ruchlose Brut, die ihr seid!"

Als das Weibchen gewahr wurde, daß der Mann ihr

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auf den ersten Anlauf weiter nichts zuleide getan hatte, als daß er schimpfte, und zu bemerken glaubte, daß er sich vor Kitzel, einen so hübschen Burschen bei der Hand zu haben, nicht zu lassen wußte, faßte sie Mut und sagte:

„Freilich glaube ich, du wünschtest, daß ein Feuer vom Himmel fiele und uns alle verzehrte; denn ich weiß wohl, du hast uns Weiber so lieb, wie der Hund den Knüppel. Aber beim Kreuze Gottes, so gut soll dir 's nicht werden. Willst du aber einmal Rechnung machen, so möchte ich doch wissen, über was du dich beschweren kannst. Willst du mich mit Ercolanos Frau vergleichen, so kann ich mir das wohl gefallen lassen. Das ist eine alte Betschwester und Heuchlerin, und ihr Mann gewährt ihr, was sie haben will, und hält sie, wie eine Frau zu halten ist. Mit mir aber verhält es sich anders. Gesetzt auch, ich wäre gut gekleidet und beschuht, so weißt du selbst am besten, wie es um das andere steht und wie lange es her ist, daß du nicht bei mir gelegen hast. Lieber wollte ich doch in Lumpen gehen und barfuß, wenn ich nur im Bette gut von dir behandelt würde, als das alles haben und von dir be- handelt werden, wie du es tust. Vernimm aber, was ich dir sage, Pietro: Ich bin dein Weib, so gut wie die anderen, und habe die gleiche Lust wie diese. Sorge ich also, ihr Genüge zu schaffen, wenn du es nicht tust, so trifft mich darum kein Vorwurf. Wenigstens halte ich noch insoweit auf deine Ehre, daß ich mich nicht mit Straßenbuben und Grindköpfen einlasse."

Pietro sah wohl ein, daß es mit solchen Reden die ganze Nacht kein Ende nehmen würde, und überdies war es ihm gar wenig um sie zu tun; darum sagte er: „Frau, nun schweige still davon. Ich sage dir, daß ich

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dich in dieser Sache schon zufrieden stellen will. Von dir aber würde es recht gefällig sein, wenn du sorgen wolltest, daß wir was zum Nachtessen bekämen, da ich vermute, daß dieser junge Mensch so wenig wie ich zu Abend gegessen hat."

„Freilich nicht," sagte die Frau, „freilich hat er noch kein Abendessen erhalten; denn als du zu ungelegener Stunde nach Hause kamst, hatten wir uns eben zu Tisch gesetzt, um zu essen."

„Nun, so geh' denn," erwiderte der Mann, „und sorge für unser Nachtessen. Nachher will ich in dieser Sache schon Einrichtungen treffen, daß du keinen Grund haben sollst, dich zu beschweren."

Als das Weibchen ihren Mann begütigt sah, stand sie auf und ließ den Tisch gar schnell wieder herrichten und das Essen auftragen, das sie vorher bereitet hatte. Dann speiste sie mit ihrem sündhaften Manne und dem jungen Menschen heiter zur Nacht.

Was Pietro nach dem Abendessen ersonnen hat, um alle drei Teile zufrieden zu stellen, das habe ich ver- gessen. Nur so viel weiß ich, daß am anderen Morgen auf seinem Heimwege der junge Bursche bis zum Markt noch nicht mit sich einig geworden war, ob die Frau oder der Mann ihm eifriger Gesellschaft geleistet hatte.

Darum, werte Damen, sage ich euch zum Schlüsse: Was dir einer tut, das tu' ihm wieder, und geht's nicht gleich, so merke es dir, bis es einmal geht, damit es dabei bleibe: Wie man in den Wald schreit, so schallt es wieder heraus!

Als nun die Geschichte des Dioneo beendet und von den Damen nicht aus Mangel an Vergnügen, sondern allein aus Schamhaftigkeit weniger belacht worden war, erkannte die Königin, daß das Ziel ihres Regiments

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gekommen sei. Darum erhob sie sich von ihrem Sitze, nahm die Lorbeerkrone ab und setzte sie mit Anmut auf Elisas Haupt, indem sie dabei sagte: „Madonna, nun ist es an Euch, zu befehlen."

Elisa tat, nachdem die Würde an sie gelangt war, wie ihre Vorgängerinnen getan hatten. Sie erteilte also dem Seneschall zunächst alle Aufträge, die für die Zeit ihrer Herrschaft erforderlich waren; dann aber sagte sie unter Zustimmung der ganzen Gesellschaft:

„Wir haben bisher schon vielfach vernommen, wie es durch gute Einfälle, treffende Antworten und schleunige Entschlüsse gar manchem gelungen ist, frem- den Zähnen eine Gandare anzulegen und sie stumpf zu machen, oder drohende Gefahren zu verscheuchen. Da dies nun ein schöner Gegenstand ist und auch zum Nutzen gereichen kann, so will ich, daß morgen unsere Geschichten mit Gottes Hilfe auf diesem Gebiete sich bewegen, das heißt, daß von denen erzählt werde, die durch ein geschicktes Wort fremde Neckereien abge- lehnt oder durch sofortige Erwiderung und schnellen Entschluß einem Verluste, einer Gefahr oder Kränkung entgangen sind."

Diese Aufgabe wurde von allen sehr gelobt; die Königin aber erhob sich und entließ sie sämtlich bis zur Stunde des Abendessens. Als die ehrenwerte Gesell- schaft ihre Königin aufgestanden sah, erhob sich ein jeder und unternahm nach der bisher gebräuchlichen Weise das, wovon er sich am meisten Vergnügen ver- sprach. Nachdem aber die Cicaden aufgehört hatten zu zirpen, wurden alle zusammengerufen, und man ging zu Tische. Am Schlüsse der Mahlzeit, bei der festliche Heiterkeit geherrscht hatte, begannen alle zu singen und zu spielen. Emilia führte auf den Wunsch der Königin

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einen Tanz auf, und dem Dioneo wurde befohlen, ein Lied dazu zu singen.

Sofort hub er an : „Frau Trude, Frau Trude, schließt zu jetzt Eure Bude; was Großes hab' ich zu berichten."

Die Damen lachten alle, am meisten aber die Köni- gin, die ihm befahl, ein anderes Lied zu singen.

Dioneo sagte: „Hätt' ich nur ein Tamburin, so sang' ich: ,Hebt auf die Röcke, Monna Lappa', oder: ,Unterm Ölbaum ist ein Rasen* ; oder sollte ich vielleicht singen : ,Ach wie macht des Meeres Welle, mich so übel und so weh'?' Ich habe nun aber einmal kein Tamburin; darum müßt ihr schon sehen, was euch sonst für eins gefällt. Möchtet ihr etwa: ,Kommst du raus, ich hau' dich um, wie den Maibaum in dem Busche'?"

„Nein doch," sagte die Königin, „sing' uns ein anderes Lied."

„So werde ich denn singen: ,Monna Simona füllt ein, füllt ein, noch ist es nicht Kelterzeit'," sagte Dioneo.

Die Königin antwortete lachend : „Ei, zum Geier, sing' uns ein ordentliches Lied; denn das mögen wir auch nicht."

„Dineo sprach: „Gut, Madonna, werdet nur nicht böse und wählt nach Eurem Belieben; denn ich weiß mehr als tausend. Wollt Ihr : ,Mein Schneckchen ist wohl klein, doch will's gekitzelt sein' oder : ,Mach's nur sachte, liebes Männchen' oder: ,Für hundert Lire kauft' ich einen Hahn'?"

Obwohl die anderen alle lachten, wurde die Königin jetzt doch etwas ungehalten und sagte: „Dioneo, laß deine Spaße und singe uns ein hübsches Lied, sonst möchtest du erfahren, daß ich ernstlich böse werden kann."

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Als Dioneo dies vernahm, hörte er auf mit jenen Dummheiten und fing also zu singen an:

Amor, das holde Licht,

Das mir aus ihrem schönen Auge lacht,

Hat mich zum Knecht von dir und ihr gemacht.

Aus ihrem Auge leuchtete der Strahl,

Der deine Flamm' in mir zuerst entzündet,

Als ihn die meinen sah'n.

Wie du so reich an Preisen ohne Zahl,

Ihr holdes Angesicht hat's mir verkündet.

Wohl ist's um mich getan;

Denn ihr nur Untertan

Ist jede Kraft, wenn ich an sie gedacht,

Die neue Seufzer in mir angefacht.

So bin ich denn von deiner Macht gefangen, 0 teurer Herr, erwarte nur von dir, Daß Lohn mich einst erfreue. Ist aber wohl mein glühendes Verlangen, Das du entzündet hast, gekannt von ihr, Und jene feste Treue, Die einzig ihr ich weihe?

Verschmäh' ich doch, weil ganz in ihrer Macht, Sogar den Frieden, den nicht sie gebracht.

Kennt sie es nicht, o süßer Herr, so bitt' ich, Daß du's ihr schilderst und ein Fünkchen Glut Ihr leihst, mit mir im Bunde. Du weißt es ja, mich selbst verzehrend litt ich Schon lange herbe Qual; es rinnt mein Blut Aus immer offner Wunde.

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Und dann zu guter Stunde

Sei ihr mich zu empfehlen dir bedacht!

Wie gern hätt' ich den Weg mit dir gemacht!

Als das Schweigen des Dioneo anzeigte, daß sein Lied beendet sei, ließ die Königin zwar noch viele andere singen, erteilte aber dem des Dioneo großes Lob. In- zwischen war schon ein Teil der Nacht verstrichen, und weil die Königin wahrnahm, daß über die Wärme des Tages nunmehr die Nachtfrische den Sieg davongetragen hatte, befahl sie, daß bis zum anderen Tage ein jeder nach Gefallen zur Ruhe gehe.

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ES SCHLIESST

DES DECAMERON

FÜNFTER TAG, UND ES BEGINNT

DER SECHSTE,

AN DEM UNTER ELISAS REGIMENT

VON DENEN ERZÄHLT WIRD,

DIE DURCH EIN GESCHICKTES WORT

FREMDE NECKEREIEN ABGELEHNT

ODER DURCH SOFORTIGE ERWIDERUNG

UND SCHNELLEN ENTSCHLUSS

EINEM VERLUSTE,

EINER GEFAHR ODER

KRÄNKUNG ENTGANGEN

SIND

HIER BEGINNT DER SECHSTE TAO DES

DECAMERON

Der Mond, der an des Himmels Mitte stand, hatte seine Strahlen vorloren, und schon erhellte der be- ginnende neue Tag unsere Welt, als die Königin, die sich von ihrem Lager erhoben und ihre Gesellschaft hatte zusammenrufen lassen, mit ihnen allen auf dem tauigen Grase lustwandelnd, sich unter verschiedenen Gesprächen von dem schönen Hügel langsamen Schrittes ein wenig entfernte. Bald stritten sie über den größeren oder ge- ringeren Wert der erzählten Geschichten, bald belachten sie aufs neue die verschiedenen Zufälle, die in jenen berichtet worden waren. Weil aber inzwischen die Sonne schon hoch gestiegen war und die Wärme beschwerlich zu werden anfing, schien es ihnen rat- sam, wieder heimzukehren, und die rückwärts ge- wandten Schritte führten sie bald nach ihrem Aufent- haltsorte zurück.

Hier fanden sie die Tische bereits gedeckt und den Fußboden mit wohlriechenden Kräutern und schönen Blumen ganz übersät, worauf sie nach dem Geheiß der Königin sich alsbald zum Essen setzten, bevor die Hitze noch weiter zunahm. Als dies unter Heiterkeit beendet war und die Gesellschaft noch ein paar schöne und ergötzliche Liedlein gesungen hatte, legte der eine sich schlafen, der andere vertrieb sich mit Schach- oder Brett-

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spiel die Zeit, Dioneo aber und Lauretta fingen mit- einander von Troiolo und Criseida zu singen an.

Zu der Stunde, um die man sich wieder zu ver- sammeln pflegte, ließ dann die Königin einen jeden herbeirufen, und alle setzten sich in der gewohnten Weise rings um die Quelle. Eben wollte die Königin den Befehl zum Beginn der ersten Geschichte erteilen, als geschah, was noch niemals sich zugetragen hatte: von der Küche her drang nämlich zu aller Ohren ein gewaltiger Lärm, den die Mägde und Diener miteinander vollführten. Der Seneschall, der herbeigerufen und über die Ursache jenes Lärmes befragt wurde, sagte, es sei ein Zank zwischen Lycisca und Tyndarus; doch wisse er den Grund selber nicht anzugeben, da er, um Ruhe zu gebieten, eben erst hinzugekommen sei, als er den Befehl erhalten habe, vor der Gesellschaft zu erscheinen.

Die Königin hieß ihn die Lycisca und den Tyndarus herbeikommen zu lassen, und fragte beide, nachdem sie erschienen waren, nach der Ursache ihres Zankes. Tyn- darus wollte antworten; Lycisca aber, die nicht mehr jung und ziemlich unverträglich war, auch über dem Streite sich etwas erhitzt hatte, fiel ihm mit einem ver- ächtlichen Blicke also in die Rede: „Seht mir doch den unverschämten Gesellen, der sich untersteht, vor mir sprechen zu wollen. Schweig und laß mich reden!"

Dann aber sagte sie zur Königin gewandt : „Madonna, dieser Mensch will mich die Frau des Sykophantes kennen lehren, und gerade, als ob ich nie mit ihr ver- kehrt hätte, mir weismachen, in jener Nacht, wo Syko- phantes das erstemal bei ihr geschlafen, sei Herr Mauernbrecher nur mit Gewalt und Blutvergießen in Schwarzburg eingedrungen; ich aber sage, daß das ge- logen ist und daß er seinen Einzug ganz friedlich und

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mit vollem Einverständnis der Besatzung gehalten hat. Solch ein Einfaltspinsel ist Tyndarus, daß er sich ein- bildet, die Mädchen seien dumm genug, ihre Zeit zu verlieren und auf die Erlaubnis ihrer Väter und Brüder zu warten, die unter sieben Malen sechsmal ihre Ver- heiratung drei oder vier Jahre länger verschieben, als sie sollten. Mein Schatz, da wäre schön für sie gesorgt, wenn sie solange zögern wollten. Nein, wahrlich, beim wahrhaftigen Glauben, und wenn ich schwöre, dann weiß ich, was ich rede, von allen meinen Bekannten ist auch nicht eine, die als Jungfrau ins Ehebett gestiegen wäre, und wie oft und wie arg die Verheirateten ihren Män- nern Hörner aufsetzen, davon weiß auch ich ein Lied zu singen. Dieses Erzschaf aber will mich Weiber kennen lehren, als ob ich erst gestern auf die Welt gekommen wäre."

Während Lycisca noch also redete, erhoben die Damen solch ein lautes Gelächter, daß man ihnen bequem sämtliche Zähne hätte ausziehen können. Wohl sechs- mal gebot die Königin den Schwatzenden Stillschweigen ; doch war es umsonst, und sie ruhte nicht eher, als bis sie alles, was sie sagen wollte, gesagt hatte. Nachdem sie aber von selber zu reden aufgehört hatte, sagte die Königin, lächelnd zu Dioneo gewandt: „Dioneo, das ist deine Sache; sorge denn also, wenn unsere Geschichten für heute beendet sein werden, dafür, daß du unter den Streitenden eine Entscheidung fällst."

Hierauf antwortete Dioneo sofort: „Madonna, der Urteilsspruch ist gefällt, ohne daß ich weiteres zu hören brauche; denn ich erkläre, daß Lycisca recht hat, und halte dafür, daß Tyndarus, ganz so, wie sie gesagt hat, ein Einfaltspinsel ist."

Sobald Lycisca diese Entscheidung vernahm, begann

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sie zu lachen und sagte, zu Tyndarus gewandt: „Geh', geh' mit Gott, mein Freund; du dünkst dich klüger, als ich bin, und bist noch nicht hinter den Ohren trocken? Nun, Gott sei Dank, umsonst habe ich nicht gelebt ..." Und hätte die Königin ihr nicht zürnenden Blickes Stillschweigen auferlegt und weiteres Lärmen und Gerede bei Strafe des Staupbesens verboten, so hätten sie den ganzen Tag nichts anderes tun können, als ihr Geschwätz anhören. So aber hieß sie beide sich entfernen, und als sie gegangen waren, gebot sie Filo- mela mit Erzählen zu beginnen, und diese fing fröh- lich also zu reden an.

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ERSTE GESCHICHTE

Ein Edelmann sagt zu Madonna Oretta, er wolle ihr eine

Geschichte erzählen, daß sie glauben solle, sie sitze zu

Pferde. Als er sie darauf ungeschickt vorträgt, bittet sie

ihn, daß er sie wieder absteigen lasse.

Wie in hellen Nächten die Sterne der Schmuck des Himmels und im Frühjahr die Blumen die Zierde der grünen Wiesen und die neubelaubten Gebüsche der Schmuck der Hügel sind, so, ihr jungen Mädchen, ge- reichen glückliche Einfälle den lobenswerten Sitten und verständigen Reden zu besonderer Zier. Weil aber ein Witzwort seiner Natur nach kurz ist, so kleidet es uns Frauen besser als die Männer, während viel zu sprechen den Frauen weniger als den Männern ziemt. Wahr ist es freilich, daß zur gemeinsamen Schande für uns alle (möge nun die Schuld in der Dürftigkeit unseres Ver- standes oder in einer besonderen Ungunst der Gestirne zu suchen sein, die über unser Jahrhundert verhängt ist) jetzt nur selten eine Frau, ja vielleicht keine zu finden ist, die zur rechten Zeit einen guten Einfall zu sagen, oder wenn ein anderer dergleichen gehabt hat, ihn ge- hörig aufzufassen vermöchte. Weil indessen Pampinea diesen Gegenstand schon früher hinlänglich besprochen hat, so denke ich nichts weiter darüber zu sagen; wohl aber will ich, um euch zu zeigen, wieviel Hübsches in einem guten Einfall zur rechten Stunde liegt, euch be- richten, wie eine Dame geschickt einem Edelmanne Stillschweigen zu gebieten wußte.

Noch ist es nicht lange Zeit her, daß, wie manche von euch aus eigener Erfahrung wissen oder doch von anderen vernommen haben können, in unserer Stadt eine Edeldame weilte, die von erlesenen Sitten und der Rede kundig war. Da ihre rühmlichen Eigenschaften

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nicht verdienen, daß ihr Name verschwiegen werde, will ich euch berichten, daß sie Madonna Oretta hieß und des Messer Geri Spina Gemahlin war. Nun geschah es zufällig, als sie einmal, so wie wir eben auch tun, auf dem Lande verweilte, daß sie mit mehreren anderen Damen und Edelleuten, welche sie an jenem Tage be- wirtet hatte, zu ihrem Vergnügen von einem Orte zum anderen lustwandelte.

Da indessen die Entfernung von dem Platze, von dem sie ausgegangen waren, zu dem Ziele, das sie sämtlich zu Fuß zu erreichen beabsichtigten, vielleicht etwas groß war, so sagte ein Edelmann aus der Gesellschaft: „Madonna Oretta, beliebt es Euch, so will ich Euch einen großen Teil des Weges, den wir noch vor uns haben, durch eine wunderschöne Geschichte so sehr verkürzen, daß Ihr glauben sollt, Ihr säßet zu Pferde."

Darauf antwortete die Dame: „Nicht nur beliebt es mir, sondern ich bitte Euch gar sehr darum, und es soll mir höchst willkommen sein."

Der Herr Ritter, der seinen Degen vielleicht auch nicht besser zu führen wußte als seine Zunge, fing nach dieser Erlaubnis eine Geschichte an, die an sich in der Tat gar schön war, die er aber auf das jämmerlichste verdarb, indem er bald das gleiche Wort vier- oder sechs- mal wiederholte, bald auf das schon Gesagte zurück- kam, bald sich mit dem Ausruf: „Nein, das habe ich falsch erzählt," unterbrach, bald endlich die Namen falsch sagte oder untereinander verwechselte; zu ge- schweigen, daß seine Worte weder dem Charakter der Personen noch den erzählten Ereignissen irgend ent- sprachen.

Der Madonna Oretta brach über dieses Erzählen der Angstschweiß aus, und es wurde ihr beklommen ums

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Herz, als ob sie krank wäre. Endlich aber konnte sie es nicht mehr aushalten, und da sie gewahr wurde, daß der Edelmann in die Tinte geraten war und sich nicht wieder herausfand, sagte sie scherzhaft: „Messer, Euer Pferd ist ein schlimmer Harttraber; darum bitte ich Euch, laßt mich wieder absteigen."

Der Edelmann, der zum Glück geschickter im Ver- stehen als im Erzählen war, fühlte den Stachel und kehrte ihn zu Scherz und Heiterkeit; dann aber wandte er sich zu anderen Geschichten und ließ die eine, die er begonnen und schlecht ausgeführt hatte, unbeendigt.

III 9

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ZWEITE GESCHICHTE

Cisti, der Bäcker, bringt durch eine beißende Antwort Herrn Geri zur Einsicht wegen eines unbescheidenen Begehrens.

Großes Lob erteilte jedes der Mädchen und jeder der jungen Männer dem Einfall der Madonna Oretta; die Königin aber gebot der Pampinea, in gleicher Weise fortzufahren, worauf diese also begann:

Ich für mein Teil wüßte nicht zu entscheiden, ihr schönen Mädchen, welche von beiden größerer Tadel trifft, ob die Natur, wenn sie einer edlen Seele einen mißgestaltenen Körper bereitet, oder Fortuna, wenn sie einem Körper, in dem eine edle Seele wohnt, ein niedriges Gewerbe überweist, wie wir das letztere an unserem Mitbürger Cisti und an manchen anderen sich haben zutragen sehen. Obgleich nämlich Cisti mit einem hohen Sinne begabt war, hatte Fortuna ihn doch nur zum Bäcker gemacht.

In der Tat, ich würde deshalb die Natur und Fortuna gleichmäßig verwünschen, wüßte ich nicht sonst, daß die Natur in allen Dingen verständig ist und daß For- tuna, wenngleich die Törichten sie blind vorzustellen pflegen, dennoch tausend Augen hat. So glaube ich denn, daß beide in jenem Falle sehr weise nicht anders zu Werke gehen, als auch die Sterblichen oftmals tun, indem sie nämlich wegen der Ungewißheit der zu- künftigen Ereignisse zu besserer Sicherheit ihre wert- vollsten Sachen an den unscheinbarsten Orten ihres Hauses als den unverdächtigsten vergraben, um sie als- dann bei dringenden Bedürfnissen hervorzuholen, wo dann jener verachtete Ort besser zur Verwahrung diente, als das schönste Gemach getan haben würde. Ebenso verbergen auch die beiden Dienerinnen der Welt häufig ihre wertvollsten Gegenstände unter den Schatten der

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am niedrigsten geachteten Gewerbe, damit ihr Glanz, wenn jene sie, wo es not tut, zutage bringen, um so leuchtender erscheine.

Wie Cisti, der Bäcker, dies in einer geringfügigen Sache bewährt und Herrn Geri Spina die Augen zu vernünftiger Einsicht geöffnet hat, gedenke ich euch in einem kleinen Geschichtchen zu erzählen, das mir bei der eben von Madonna Oretta mitgeteilten in den Sinn kam, weil diese die Gemahlin jenes Geri war.

Als Papst Bonifaz wegen gewisser Angelegenheiten von großer Bedeutung einige Edelleute als seine Ge- sandten nach Florenz geschickt hatte und diese im Hause des Messer Geri Spina, der bei dem Papste in vorzüglich großem Ansehen stand, abgestiegen waren und mit ihm über die Geschäfte ihres Machtgebers ver- handelten, gingen, aus was immer für einem Grunde, Messer Geri mit diesen Abgesandten des Papstes, sämt- lich zu Fuß, fast jeden Morgen vor der Kirche Santa Maria Ughi vorüber, neben der Gisti, der Bäcker, seine Backstube hatte und in eigener Person seinem Hand- werk oblag.

Obgleich nun Fortuna diesem Manne ein gar be- scheidenes Gewerbe beschieden hatte, so war sie doch insofern ihm günstig gewesen, daß er überreich ge- worden war und deshalb, ohne sein Geschäft gegen irgend ein anderes vertauschen zu wollen, mit erheb- lichem Aufwände lebte. Insbesondere aber führte er neben anderen guten Dingen stets die besten weißen und roten Weine, die in Florenz oder in der Umgegend nur irgend zu finden waren. Da nun Gisti jeden Morgen Messer Geri und die Gesandten des Papstes vor seiner Tür vorübergehen sah, meinte er, daß es bei der da- maligen großen Hitze eine willkommene Aufmerksam-

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keit wäre, wenn er ihnen von seinem guten Weißweine zu trinken gäbe; zugleich aber gedachte er des Unter- schiedes zwischen seinem Stande und dem des Messer Geri, und so schien es ihm wieder nicht ziemlich, daß er sich herausnehme, ihnen zu trinken anzubieten. Daher ersah er sich ein Mittel, das Messer Geri be- wegen sollte, sich selber einzuladen.

Zu dem Zwecke setzte er sich jeden Morgen gegen die Stunde, zu welcher er Messer Geri mit den Ge- sandten erwarten zu können glaubte, mit einer schnee- weißen Jacke und einer frisch gewaschenen Schürze be- kleidet, so daß er eher einem Müller als einem Bäcker ähnlich sah, vor seine Haustür und ließ einen neuen verzinnten Eimer voll frischen Wassers und ein kleines, gleichfalls neues Krüglein seines guten weißen Weines nebst zwei Bechern, so blank, daß sie von Silber schienen, vor sich hinstellen. Wenn er sie dann kommen sah, begann er, nachdem er ein- oder zweimal den Mund sich ausgespült hatte, mit solchem Ausdruck des Be- hagens von diesem seinen Weine zu trinken, daß er wohl selbst einem Toten Appetit gemacht hätte. Nach- dem Messer Geri dies den ersten und zweiten Morgen mit angesehen hatte, sagte er am dritten: „Nun, Cisti, wie ist er? Ist er gut?"

Cisti erhob sich sogleich und antwortete: „Herr, gut ist er; wie gut aber, kann ich Euch nicht deutlich machen, wenn Ihr ihn nicht versuchen wollt."

Sei es nun, daß die Beschaffenheit des Wetters in Messer Geri Durst erweckt hatte oder daß eine mehr als gewöhnliche Anstrengung oder auch das behagliche Trinken des Cisti die Ursache sein mochte, genug, er sagte, zu den Botschaftern gewandt, mit Lächeln: „Ihr Herren, es wird gut sein, daß wir den Wein dieses

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wackeren Mannes versuchen; vielleicht finden wir ihn von solcher Beschaffenheit, daß wir es nicht zu be- reuen haben."

Und somit gingen sie gemeinsam zum Cisti. Dieser aber ließ aus der Backstube eine saubere Bank her- beibringen und lud sie zum Sitzen ein. Zu ihren Dienern indessen, die sich schon darüber hermachen wollten, die Becher zu waschen, sagte er: „Kameraden, bleibt mir davon weg und überlaßt es mir, diesen Dienst zu besorgen. Ich verstehe mich ebensogut darauf, Wein in die Becher zu schenken, als Brot in den Ofen zu schieben; euch aber hat niemand Hoffnung gemacht, einen Tropfen zu kosten."

Während er so sprach, schwenkte er selbst vier schöne und neue Becher aus, ließ ein kleines Krüglein seines guten Weines bringen und schenkte Herrn Geri und seinen Gefährten fleißig zu trinken ein.

Alle erkannten den Wein für den besten, den sie seit langer Zeit getrunken, und lobten ihn höchlich, weshalb denn auch Messer Geri, solange die Gesandten verweilten, fast jeden Morgen dorthin zum Trinken ging.

Als aber diese ihre Geschäfte beendet hatten und wieder abreisen sollten, richtete Messer Geri noch ein glänzendes Festmahl her, zu dem er viele der ange- sehendsten Bürger zu kommen bat. Auch den Gisti hatte er laden lassen; doch wollte dieser auf keine Weise der Einladung folgen. Da hieß Messer Geri einen seiner Diener, um eine Flasche jenes Weines (so daß auf jeden Gast ein halbes Glas voll käme, das beim ersten Gericht gereicht werden sollte) zum Gisti gehen. Der Diener, den es vielleicht verdrießen mochte, daß er noch nie von dem Weine zu trinken bekommen hatte, nahm eine große Flasche auf den Weg.

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Als Cisti dies gewahr wurde, sagte er : „Mein Sohn, Messer Geri schickt dich nicht zu mir."

Zwar versicherte der Diener wiederholt, daß es sich wirklich so verhalte; da er indessen von Gisti keine andere Antwort erlangen konnte, kehrte er zu Messer Geri zurück und berichtete ihm Gistis Worte.

Messer Geri erwiderte: „Gehe nur noch einmal hin und sage, daß ich allerdings dich schicke, und wenn er dir dann wieder so antwortet, so frage ihn, wohin er denn sonst glaubt, daß ich dich schicke."

Zu Cisti zurückgekommen, sagte der Diener: „Ge- wiß, Cisti, Messer Geri schickt mich doch zu dir."

Darauf antwortete Cisti: „Gewiß, mein Sohn, er tut es nicht."

„Nun," sagte der Diener, „wohin schickt er mich denn sonst?"

„Zum Arno," entgegnete Cisti.

Der Diener berichtete diese Antwort dem Messer Geri, und sobald dieser sie vernahm, gingen ihm die geistigen Augen auf, und er sagte zum Diener: „Laß mich doch die Flasche sehen, die du hingetragen hast." Als er sie gesehen hatte, fügte er hinzu: „Cisti spricht die Wahrheit." Dann schalt er den Diener und hieß ihn eine angemessenere Flasche nehmen.

Kaum erblickte Cisti diese, so sagte er: „Nun sehe ich wohl, daß er dich zu mir schickt," und füllte sie ihm bereitwillig. Noch an demselben Tage aber ließ er ein Fäßlein voll ähnlichen Weines füllen und dies in der Stille dem Messer Geri ins Haus tragen. Bald darauf ging er dann selber zu ihm und sagte: „Herr, ich wünschte nicht, daß Ihr glaubtet, die große Flasche von heute morgen habe mich erschreckt. Es schien mir nur, als ob Ihr vergessen hättet, was ich Euch durch

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meine kleinen Krüglein früher angedeutet hatte, näm- lich, daß dies kein Wein für Bediente sei, und darum wollte ich Euch heute früh daran erinnern. Weil ich aber nicht mehr der Wächter meines Weines zu sein gedenke, habe ich meinen ganzen Vorrat Euch zuge- schickt; nun tut damit in Zukunft, was Euch beliebt." Messer Geri hielt das Geschenk des Cisti äußerst wert ; er dankte ihm so angelegentlich, wie es solcher Gabe geziemte, und achtete ihn von da an stets als Ehren- mann und Freund.

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DRITTE GESCHICHTE

Monna Nanna de' Pulci gebietet durch eine treffende Ant- wort den unziemlichen Reden des Bischofs von Florenz Stillschweigen.

Als Pampinea ihre Geschichte beendet hatte und so- wohl die Antwort wie die Freigebigkeit des Cisti von allen höchlichst gelobt worden waren, beliebte es der Königin, daß Lauretta in der Reihenfolge des Er- zählens fortfahre; diese aber begann freudigen Mutes also zu reden:

Ihr holdseligen Mädchen, so wie früher Filomela, so hat jetzt eben Pampinea sehr wahr gesprochen, wenn sie beide unseren Mangel an Fähigkeit und das Ver- dienst glücklicher Einfälle hervorhoben. Wenn deshalb hierauf zurückzukehren nicht mehr nötig erscheint, so will ich zu dem, was über die Witzworte bereits ge- sagt ist, nur noch das eine euch in Erinnerung bringen, daß sie für den Hörer zwar beißend sein müssen, aber nur in der Art, wie ein Lamm, nicht wie ein Hund beißt; denn bissen sie gleich einem Hunde, so wären sie nicht mehr ein Witzwort, sondern eine Grobheit. Diesem Erfordernis genügten vollkommen sowohl die Worte der Madonna Oretta als die Entgegnung des Cisti. Wird indessen ein solcher Einfall als Antwort gesagt, so scheint der Antwortende, der gleich einem Hunde beißt, alsdann nicht zu tadeln, wenn er zuvor selber von solch einem Hunde gebissen war, obwohl ihn Tadel getroffen haben würde, wenn er ohne solchen Anlaß in gleicher Weise geredet hätte. Darum soll man wohl acht haben, wie, wann und mit wem, nicht minder aber auch, wo man sich auf Scherzreden einläßt. Diese Rück- sichten beachtete einst ein Prälat unserer Stadt so wenig, daß er keinen geringeren Stich empfing, als er aus-

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teilte, wie ich euch dies in einer kleinen Geschichte erzählen will.

Um die Zeit, als Messer Antonio d'Orso, ein weiser und ehrenwerter Kirchenfürst, Bischof von Florenz war, kam ein catalonischer Edelmann, Messer Diego della Ratta genannt, als Marschall des Königs Robert nach Florenz. Schön von Gestalt, wie er war, und dabei ein arger Weiberjäger, fand er unter anderen Florentiner Frauen besonders an einer Behagen, die ein schönes Weib und die Enkelin des Bruders jenes Bischofs war. Als er nun vernahm, daß ihr Mann, obwohl aus gutem Hause, von schmutzigem Geize und niedriger Ge- sinnung sei, einigte er sich mit ihm, daß er ihm fünf- hundert Goldgulden gab und dieser ihn dafür eine Nacht bei seiner Frau schlafen lassen solle.

Obwohl es nun wider den Willen der Frau geschah, so schlief er doch bei ihr ; dann aber gab er dem Manne fünfhundert Silbergroschen, wie sie damals im Umlauf waren, die er inzwischen hatte vergolden lassen. Binnen kurzem kam dies zu aller Ohren, und jener elende Wicht hatte Schaden und Spott zugleich zu tragen; der Bischof aber als ein verständiger Mann stellte sich, als ob er nichts von der Geschichte wisse.

Inzwischen verkehrten der Bischof und der Marschall viel miteinander, und so geschah es, daß an einem Jo- hannistage, als beide auf der Straße, wo das Wettrennen abgehalten wird, nebeneinander herritten und die Damen beschauten, der Bischof eine junge Frau gewahr wurde, welche die gegenwärtige Pest erst vor kurzem uns ge- raubt hat. Ihr Name war Monna Nanna de' Pulci, eine Base des Messer Alesso Rinucci, und ihr alle solltet sie wohl gekannt haben. Zu jener Zeit nun war sie eine jugendfrische und schöne Frau, die den Mund auf dem

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rechten Flecke hatte und dreisten Sinnes war, auch erst seit kurzem sich in der Nähe von Porta San Piero ver- heiratet hatte.

Schon von Ferne zeigte der Bischof sie dem Mar- schall; als sie aber näher gekommen waren, legte er diesem die Hand auf die Schulter und sagte: „Nanna, was dünkt dir von dem hier? Traust du dich wohl, mit ihm fertig zu werden?"

Nanna glaubte, daß diese Worte ihre Sittsamkeit einigermaßen antasteten und geeignet seien, sie in der Meinung der Zuhörer, und es waren deren viele, zu beflecken. Indessen hielt sie es für geratener, nicht so- wohl jene Makel von sich abzuwaschen, als Stich auf Stich wiederzugeben, und antwortete deshalb sogleich: „Herr, vielleicht möchte er nicht mit mir fertig werden ; jedenfalls aber müßte er mir gutes Geld geben !"

Als der Marschall und der Bischof diese Antwort ver- nahmen, fühlten sie sich beide betroffen : der eine wegen der Unsittlichkeit, deren er sich gegen die Enkelin des Bruders des Bischofs schuldig gemacht, der andere, weil ihm diese Schmach in der Enkelin des eigenen Bruders angetan war. Und so ritten sie denn beide, ohne einander anzuschauen, schweigsam und beschämt ihres Weges, ohne während jenes Tages weiter etwas zu reden.

Der jungen Dame aber gereichte es nicht zum Vor- wurf, daß sie, nachdem sie angegriffen war, durch einen beißenden Einfall den Angriff von sich abwehrte.

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VIERTE GESCHICHTE

Chichibio, der Koch des Currado Gianfigliazzi, verwandelt

zu seinem Heile durch einen schnellen Einfall den Zorn

des Currado in Gelächter und rettet sich von dem Unheil,

mit dem Currado ihn schon bedroht hatte.

Schon schwieg Lauretta, und die Nanna war von allen auf das höchste belobt worden, als die Königin der Nei- file fortzufahren gebot; diese aber begann also zu sprechen :

Ihr liebevollen Mädchen, obwohl ein schneller Ver- stand oft dem Redenden je nach den Umständen treffende und kluge Einfälle an die Hand gibt, so kommt doch auch das Glück zu Zeiten den Furchtsamen zu Hilfe und legt ihnen plötzlich Worte auf die Zunge, wie sie der Sprechende in ruhigen Augenblicken nie zu ersinnen vermocht hätte. Davon denke ich euch durch meine Geschichte ein Beispiel zu geben.

Currado Gianfigliazzi war, wie jede von euch gesehen und gehört haben kann, stets ein gar freigebiger und gastfreier Edelbürger unserer Stadt, der, seiner nich- tigeren Leistungen für jetzt zu geschweigen, ein ritter- liches Leben führte und fortwährend sich mit Hunden und Jagdvögeln vergnügte. Als dieser nun eines Tages unfern von Peretola mit einem seiner Falken einen Kranich getötet und diesen jung und fett gefunden hatte, schickte er ihn seinem guten Koche, der Chichibio hieß und ein Venetianer war, und ließ ihm sagen, daß er den Kranich zum Abendessen braten und wohl zu- bereiten solle. Chichibio, der aussah wie ein leichtsinniger Geselle und ein solcher auch wirklich war, rupfte den Kranich, steckte ihn an den Spieß und begann ihn sorgsam zu braten. Fast war er schon gar und ver- breitete einen starken Duft, als eine Dirne aus der Um-

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gegend, die Brunetta genannt ward und in die Chichibio gewaltig verliebt war, in die Küche trat.

Kaum roch sie den Duft des Bratens und sah den Kranich am Spieß, so gab sie dem Chichibio die besten Worte, daß er ihr einen Schenkel davon abschneiden möchte.

Chichibio antwortete singend: „Ihr kriegt ihn nicht, Donna Brunetta, Ihr kriegt ihn nicht von mir."

Darüber wurde denn die Dirne ganz zornig und sagte : „Nun, so wahr wie Gott lebt, gibst du mir nicht einen Schenkel, so kriegst du von mir nie das kleinste, wozu du Lust hast."

Schließlich löste Chichibio, um sein Mädchen nicht böse zu machen, wirklich einen Schenkel ab und gab ihn ihr.

Als indessen dem Currado und seinen paar Gästen der Kranich mit nur einem Schenkel vorgesetzt wurde, ließ jener voll Erstaunens den Chichibio rufen und fragte ihn, was mit dem anderen Schenkel geworden sei.

Der lügenhafte Venetianer antwortete sogleich : „Herr, die Kraniche haben nur einen Schenkel und ein Bein."

Zornig erwiderte Currado: „Was zum Teufel, sie hätten nur einen Schenkel und ein Bein ? Als ob das der erste Kranich wäre, den ich zu sehen bekomme!"

Chichibio aber blieb dabei und sagte: „Herr, es ist so, wie ich Euch sage, und beliebt es Euch, so werde ich es Euch an den Lebendigen zeigen."

Currado wollte aus Rücksicht auf die Fremden, die er bei sich hatte, den Wortwechsel nicht weiter fortsetzen; darum antwortete er : „Weil du denn sagst, daß du mir an den Lebendigen zeigen willst, was ich allerdings noch nie gesehen noch von anderen gehört habe, so will ich morgen früh die Sache mir ansehen; aber beim Leibe

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Christi schwöre ich dir, wenn es sich nachher anders findet, so lasse ich dich in einer Weise zurichten, daß du, solange du lebst, meines Namens zu deinem Unheil gedenken sollst."

So endete der Streit für diesen Abend; am anderen Morgen aber erhob sich Currado, den der Ärger nicht hatte schlafen lassen, mit Tagesanbruch noch gar zornig und gebot, daß die Pferde vorgeführt würden. Dann ließ er den Chichibio auf ein Rößlein aufsitzen und ritt mit ihm nach einer Niederung, wo man am Flußufer in der Morgenfrühe Kraniche anzutreffen pflegte ; beim Reiten aber sagte er: „Nun werden wir ja sehen, wer gestern gelogen hat: ich oder du."

Als Chichibio gewahr wurde, daß Currados Zorn noch fortdauerte und daß er seiner Lüge überführt werden sollte, ohne daß er sich zu rechtfertigen gewußt hätte, ritt er in der größten Angst von der Welt hinter Currado her und wäre, wenn es sich hätte tun lassen, gern ge- flohen. Da sich aber dazu keine Gelegenheit bot, blickte er bald vor- und bald rückwärts und bald zu den Seiten, und alles, was ihm vor die Augen kam, sah ihm aus, wie Kraniche, die auf zwei Beinen ständen. Endlich, als sie schon in die Nähe des Flusses gelangt waren, er- blickte er früher als einer der übrigen am Ufer wohl ein Dutzend Kraniche, die sämtlich, wie diese Vögel schlafend zu tun pflegen, auf einem Beine standen. Da zeigte er sie schleunigst dem Messer Currado und rief: „Herr, nun könnt Ihr deutlich erkennen, daß ich Euch gestern abend die Wahrheit sagte, wenn ich behauptete, die Kraniche hätten nur einen Schenkel und ein Bein. Seht nur die alle, die dort stehen."

Als sie Currado gewahr wurde, sagte er : „Warte nur ; ich will dir schon zeigen, daß sie ihrer zwei haben."

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Und indem er ein wenig näher herantritt, rief er: „Oh, oh!"

Aufgeschreckt durch diesen Ruf, ließen die Kraniche alsbald den anderen Fuß nieder und flogen nach wenigen Schritten alle davon. Da wandte Currado sich zu Chichi- bio und sagte : „Nun, du Näscher, was dünkt dir, glaubst du nun, daß sie zwei Beine haben?"

Cichibio war ganz bestürzt und, ohne selbst zu wissen, woher die Antwort ihm komme, entgegnete er: „Frei- lich, Herr, freilich ; aber dem Kranich von gestern habt Ihr nicht „Oh, oh!" zugerufen; hättet Ihr es getan, so würde er sicher das andere Bein ebenso ausgestreckt haben, wie vorhin diese hier taten."

Den Currado ergötzte diese Antwort so sehr, daß all sein Zorn sich in Scherz und Lachen verkehrte und er antwortete : „Chichibio, du hast recht, das hätte ich frei- lich tun sollen."

So also entging Chichibio durch eine schnelle und scherzhafte Erwiderung seinem Unheil und wandte den Zorn seines Herrn von sich ab.

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FÜNFTE GESCHICHTE

Messer Forese da Rabatta und Meister Giotto, der Maler, die beide von Mugello zurückkommen, machen sich gegen- seitig über ihr unscheinbares Äußere lustig.

Als Neifile schwieg und die Damen an der Antwort des Chichibio noch vieles Gefallen geäußert hatten, be- gann Pamfilo nach dem Gebot der Königin also zu reden :

Oft geschieht es, daß, wie Fortuna nach dem, was Pampinea eben erst uns gezeigt hat, zuzeiten die größten Schätze der Fähigkeit und des Verstandes unter schlechten Gewerben verbirgt, so auch die Natur die er- staunlichsten Geistesgaben mit den abschreckendsten Körperformen paart. Deutlich erhellt dies an zweien unsere Mitbürger, von denen ich euch in Kürze zu erzählen gedenke.

Der eine von ihnen, der Messer Forese Rabatta ge- nannt wurde, war von so kleinem und mißgestaltetem Körperwuchse und hatte ein so plattgedrücktes Gesicht mit aufgeworfener Nase, daß der häßlichste unter den Baronci es für eine Schmach gehalten haben würde, mit ihm zu tauschen ; dennoch aber war er von so tiefer Einsicht in wesentlichen Dingen, daß er von vielen kun- digen Männern eine Fundgrube des bürgerlichen Rechts genannt wurde.

Der Name des anderen war Giotto, und mit so vor- züglichen Anlagen war er begabt, daß die Natur, die die Mutter aller Dinge ist, deren fortwährendes Ge- deihen der Himmel durch sein unablässiges Kreisen ver- mittelt, nichts hervorbringt, daß er nicht mit Griffel, Feder oder Pinsel dem Urbilde so ähnlich darzustellen gewußt hätte, daß es nicht als ein Abbild, sondern als die Sache selbst erschienen wäre; weshalb denn der Ge-

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sichtssinn der Menschen nicht selten irregeleitet wurde und für wahr hielt, was nur gemalt war. Mit Recht kann man ihn als einen der ersten Sterne des floren- tiner Ruhmes bezeichnen; denn er ist es gewesen, der die Kunst, die jahrhundertelang unter den Irrtümern derer wie begraben lag, die durch ihr Malen mehr die Augen der Unwissenden zu kitzeln, als der Einsicht der Verständigen zu genügen bestrebt waren, wieder zu neuem Lichte erhoben hat; und um so mehr kann man es, da er mit der größten Bescheidenheit jenen Ruhm sich erwarb, indem er, obwohl ein Meister aller derer, die in dieser Beschäftigung lebten, es dennoch stand- haft ablehnte, Meister genannt zu werden. Mit um so hellerem Glänze schmückte ihn aber diese Bezeichnung, mit je größerer Gier diejenigen sie sich anmaßten, die viel weniger von der Kunst verstanden als er oder seine Schüler. So groß nun aber auch seine Kunst war, so war er dennoch der Gestalt und den Gesichtszügen nach um nichts schöner als Messer Forese.

Um nun zu meiner Geschichte zu kommen, so sage ich :

Messer Forese sowohl wie Giotto hatte seine Be- sitzungen im Mugello. Nun war jener um die Zeit, da die Gerichte Sommerferien haben, dorthin gereist, um die seinigen in Augenschein zu nehmen, und als er zu- fällig auf einem unscheinbaren Rößlein heimwärtsritt, traf er auf den schon gedachten Giotto, der gleichfalls seine Güter besichtigt hatte und nun nach Florenz heim- kehrte. Giotto aber war in keinem Stücke besser beritten oder bekleidet als jener, und so setzten sie denn, wie es zwei bejahrten Leuten geziemt, langsamen Schrittes mit- einander ihre Reise fort. Da geschah es, wie wir dies im Sommer oftmals gesehen haben, daß ein plötzlicher

Regen sie überfiel, so daß sie, so schnell sie vermochten, sich in das Haus eines Landmannes flüchteten, der mit ihnen beiden bekannt und befreundet war. Inzwischen gewährte der Regen keine Hoffnung nachzulassen, und da beide noch denselben Tag nach Florenz wollten, liehen sie sich von dem Bauer zwei alte Mäntel, wie man sie in der Romagna trägt, und da keine besseren zu haben waren, auch noch zwei Hüte, die vor Alter ganz ab- getragen waren, und mit diesen machten sie sich auf den Weg.

Nachdem sie eine Weile geritten waren, hatte der Regen sie völlig durchnäßt, auch waren durch das Spritzen, das bei nassem Wetter die Pferde durch ihre Fußtritte vollführen, ihre Anzüge ganz beschmutzt und sowohl dieses als jenes trug nicht dazu bei, ihren Aufzug anständiger erscheinen zu lassen. Inzwischen aber hatte das Wetter sich ein wenig aufgehellt, und so begannen sie, nachdem sie lange Zeit schweigsam nebeneinander hergeritten waren, miteinander Gespräche zu führen.

Als nun Messer Forese des Weges ritt und dem Giotto zuhörte, der trefflich zu reden wußte, betrachtete er ihn seitwärts von Haupt bis zu den Füßen und um und um, und wie er ihn in allen Stücken so unscheinbar und übelaussehend fand, begann er, ohne zu bedenken, welche Figur er selber machte, zu lachen und sagte: „Giotto, wenn jetzt ein Fremder, der dich nie gesehen hätte, uns hier entgegenkäme, kannst du dir wohl denken, daß der dich für den ersten Maler der Welt, wie du es doch bist, erkennen würde?"

Sofort antwortete Giotto: „Messer, wohl glaube ich, daß er mich dafür erkennen würde, sobald er, nach- dem er Euch angesehen, es für möglich hielte, daß Ihr das Abc könntet."

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Messer Forese erkannte aus dieser Antwort sein Un- recht und sah sich mit einer Münze bezahlt, die der von ihm verkauften Ware völlig entsprach.

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SECHSTE GESCHICHTE

Michele Scalza beweist einigen jungen Leuten, daß die

Baronci das adligste Geschlecht in der Welt und in der

Maremma sind, und gewinnt damit eine Mahlzeit.

Laut lachten die Damen über Giottos treffende Ant- wort, als die Königin der Fiammetta fortzufahren ge- bot, und diese folgendermaßen zu reden begann:

Daß Pamfilo vorhin die Baronci erwähnte, welche ihr, liebe Mädchen, vielleicht nicht kennt, hat mir eine Geschichte in Erinnerung gebracht, die, ohne von unserer Aufgabe abzugehen, dartut, wie alt ihr Adel sei, und die ich euch zu erzählen gedenke.

Noch ist es nicht gar lange her, daß in unserer Stadt ein junger Mann, namens Michele Scalza, lebte, der der spaßhafteste und ergötzlichste Geselle von der Welt war und immer die neuesten Geschichten bei der Hand hatte. Deshalb sahen denn die jungen Florentiner, so oft sie eine muntere Gesellschaft veranstalteten, es besonders gern, wenn sie ihn dafür gewinnen konnten. Als er nun eines Tages mit einigen anderen zu Mont' Ughi war, geschah es, daß sich unter ihnen ein Streit entspann, welches unter den Florentiner Geschlechtern wohl das edelste und älteste sei. Einige sagten, die Uberti, andere die Lamberti; dieser nannte die eine Familie und jener eine andere, ein jeder nach seinem Verständnis.

Während Scalza ihnen zuhörte, hub er zu lächeln an und sagte: „Geht doch, geht, ihr Tröpfe, die ihr seid; ihr wißt alle nicht, was Ihr redet. Das edelste Ge- schlecht und das älteste, nicht nur in Florenz, sondern auf der ganzen Welt und auch noch in der Maremma sind die Baronci, und darüber sind die Philosophen und jeder andere, der sie kennt, so wie ich sie kenne, schon lange einig. Damit ihr aber nicht etwa denkt, ich rede

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von jemand anderem, so sage ich euch, daß ich die Baronci von Santa Maria Maggiore meine, die eure Nachbarn sind."

Die jungen Leute hatten wirklich geglaubt, daß er etwas anderes sagen wollte; bei diesen letzten Worten aber lachten sie ihm alle ins Gesicht und sprachen: „Du willst uns zum Narren haben; als ob wir die Ba- ronci nicht so gut kennten wie du."

„Nein"; sagte Scalza, „bei den heiligen Affenkehlien, das will ich nicht. Ich sage die Wahrheit, und wenn einer unter euch Lust hat und will eine Mahlzeit wetten für sechs Mann, die der Gewinner sich nach Belieben aussuchen kann, so setze ich gern dagegen. Und noch mehr will ich tun: ich will mich dem Ausspruch von jedwedem unterwerfen, den Ihr haben wollt."

Da sagte einer von den anderen, der Neri Mannini hieß: „Nun, ich bin's zufrieden, die Mahlzeit zu ge- winnen."

Hierauf einigten sich beide, daß Piero di Fiorentino, in dessen Hause sie sich eben befanden, Schiedsrichter sein solle, und gingen sofort zu ihm hin; die anderen aber folgten ihnen alle, um zu sehen, wie Scalza die Wette verlieren würde und ihn dann zum besten zu haben.

Nachdem sie dem Piero ihre Wette erzählt hatten, hörte dieser, der ein verständiger junger Mann war, zuerst, was Neri vorzubringen hatte, und wandte sich sodann mit den Worten zum Scalza: „Nun, wie willst du jetzt beweisen, was du behauptest?" Scalza ant- wortete: „Wie? Mit solchen Gründen will ich es be- weisen, daß nicht nur du, sondern jeder, der es jetzt leugnet, selber zugestehen soll, daß ich die Wahrheit sage. Ihr wißt, daß die Geschlechter um so adliger sind,

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je älter sie sind, und das war ja auch vorher eurer aller Meinung. Sind nun die Baronci älter als irgendein anderes Geschlecht, so sind sie auch am adligsten. Wenn ich euch also beweise, daß sie die älteste Familie sind, so habe ich ohne Zweifel die Wette gewonnen.

„Ihr müßt wissen, daß unser Herrgott die Baronci zu einer Zeit gemacht hat, wo er erst angefangen hatte, malen zu lernen; alle anderen Menschen sind aber erst geschaffen, als unser Herrgott das Malen schon konnte. Um zu sehen, daß ich die Wahrheit sage, so gebt nur einmal auf die Baronci und auf andere Leute acht. Während ihr alle anderen mit wohlgebildeten Gesichtern und richtigem Verhältnis der Teile seht, könnt ihr wahrnehmen, daß von den Baronci der eine ein über- mäßig langes und schmales Gesicht hat und dafür die gewaltig lange Nase, jener eine kurze; das Kinn eines dritten steht weit vor und ist nach oben gekrümmt, die großen Kinnbacken aber gleichen denen eines Esels. Ja, es gibt deren, die ein großes und ein kleines Auge haben, und bei denen das eine höher steht als das andere, kurz, ihre Gesichter sehen ganz so aus, wie die, welche die Kinder machen, wenn sie erst eben anfangen, zeichnen zu lernen. So ergibt sich denn, wie ich euch sagte, gar deutlich, daß unser Herrgott sie gemacht hat, als er erst malen lernte. Daraus folgt aber, daß sie älter sind als die anderen Geschlechter, also auch adliger."

Daß die Baronci wirklich so aussehen, war sowohl dem Piero, der Schiedsrichter sein sollte, als dem Neri, der um die Mahlzeit gewettet hatte, und jedem der anderen erinnerlich. Daher fingen sie denn bei dem spaßhaften Grunde, den Scalza vorbrachte, sämtlich zu lachen an und versicherten, wie aus einem Munde, Scalza habe recht, die Mahlzeit gebühre ihm und die Baronci

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seien zweifellos das adligste und älteste Geschlecht, das man nicht nur in Florenz, sondern in der ganzen Welt oder in der Maremma finden könne.

Mit gutem Grunde sagte also Pamfilo vorhin, als er die Mißgestaltung von Messer Foreses Gesicht bezeich- nen wollte, daß er selbst im Vergleich mit einem der Baronci noch für häßlich gegolten haben würde.

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SIEBENTE GESCHICHTE

Madonna Filippa wird vor Gericht gefordert, weil ihr Mann

sie mit ihrem Geliebten betroffen; durch ihre geschickte

und scherzhafte Antwort kommt sie aber frei und veranlaßt

eine Abänderung des Stadtrechts.

Fiammetta schwieg bereits, und noch lachte ein jeder über den wunderlichen Grund, durch den Scalza den Adel der Baronci über alle anderen erhoben hatte, als die Königin dem Filostrato zu erzählen gebot. Dieser aber begann also zu reden:

Gut reden zu können, ihr ehrenwerten Damen, ist bei jeder Gelegenheit ein schönes Ding, am schönsten aber dünkt mich diese Redegabe, wenn sie sich da be- währt, wo die Notwendigkeit sie dringend erfordert. Diese Geschicklichkeit besaß eine Edelfrau, von der ich euch zu erzählen denke, in solchem Maße, daß sie nicht nur bei ihren Zuhörern Lachen und Heiterkeit er- weckte, sondern, wie ihr vernehmen werdet, sich selber aus den Schlingen eines schimpflichen Todes erlöste.

In der Stadt Prato bestand einst das in Wahrheit ebenso grausame wie tadelnswerte Gesetz, daß eine Ehe- frau, die ihr Mann beim Ehebruch mit einem Geliebten betroffen hätte, ohne den geringsten Unterschied ganz ebenso verbrannt werden sollte, wie diejenige, die dabei ertappt wäre, daß sie sich dem ersten Besten für Geld preisgegeben hätte. Während dieses Gesetz noch in Kraft war, geschah es, daß eine adlige und schöne Frau, die Madonna Filippa hieß und verliebter war als irgendeine andere, eines Nachts in ihrer Kammer von ihrem Manne Rinaldo dei Pugliesi in den Armen des Lazzarino de Guazzagliotri, eines jungen und schönen Edelmannes aus derselben Stadt, betroffen wurde, den sie liebte wie ihr eigenes Leben. Bei diesem Anblick geriet Rinaldo so

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außer sich, daß er sich kaum bezwingen konnte, nicht über sie herzufallen und sie zu töten ; und wäre er nicht wegen der Folgen besorgt gewesen, so hätte er dem Un- gestüm seines Zornes gehorcht und also getan. So aber enthielt er sich zwar dieses Verlangens, nicht aber davon, daß er, was ihm selbst zu vollstrecken verboten war, von dem grausamen pratenser Gesetze begehrte, nämlich den Tod seiner Frau.

Da er nun ziemlich ausreichendes Zeugnis hatte, um den Fehltritt der Frau zu beweisen, verklagte er sie, ohne besseren Rat anzunehmen, sobald es Tag geworden war, und ließ sie vor das Gericht fordern. Die Frau, die gar kühnen Mutes war, wie man dies bei allen zu finden pflegt, die in wahrhafter Liebe entbrannt sind, beharrte, so nachdrücklich ihr auch von vielen Freunden und Verwandten abgeredet wurde, bei dem Vorsatz, zu erscheinen und lieber mit dem Geständnis der Wahrheit starken Geistes zu sterben, als auf feiger Flucht wegen ihres Ausbleibens in der Verbannung zu leben und sich dadurch eines so edlen Geliebten un- wert zu bekennen, wie derjenige war, in dessen Armen sie die vorige Nacht verbracht hatte.

So erschien sie denn in stattlicher Begleitung von Frauen und Männern, die sämtlich ihr zu leugnen rieten, vor dem Podestà und fragte diesen mit furchtlosem Blick und fester Stimme, was er von ihr begehre.

Als der Podestà sie ins Auge faßte und gewahr wurde, wie schön sie sei und von wie edlem Anstände, als er zugleich aus ihren Worten entnahm, welch hohen Sinn sie hege, fing er an, Mitleiden für sie zu empfinden und zu besorgen, daß sie Dinge bekennen möchte, um derenwillen er, wenn er die Ehre nicht einbüßen wollte, genötigt wäre, sie zum Tode zu verurteilen. Deshalb

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sagte er zu ihr, da er doch nicht umhin konnte, sie um dasjenige zu befragen, was ihr schuld gegeben war : „Madonna, wie Ihr seht, ist Rinaldo, Euer Mann, hier gegenwärtig und beklagt sich über Euch, die er mit einem anderen Manne im Ehebruch betroffen zu haben behauptet. Er begehrt nun, daß ich Euch einem be- stehenden Gesetze zufolge dafür mit dem Tode be- strafe ; ich kann dies aber nur dann tun, wenn Ihr selbst Euch schuldig bekennt. Habt denn also wohl acht, wie Ihr antwortet und sagt mir, ob das wahr ist, dessen Euer Mann Euch beschuldigt."

Hierauf antwortete die Dame, ohne die Fassung irgend zu verlieren, mit heiterer Stimme: „Messer, es beruht vollkommen auf Wahrheit, daß Rinaldo mein Ehemann ist und daß er diese vergangene Nacht mich in Lazza- rinos Armen gefunden hat, in denen ich, wie ich nie- mals leugnen werde, aus wahrer und inniger Liebe, die ich für ihn hege, oftmals geweilt habe. Unzweifel- haft aber wißt Ihr, daß die Gesetze gemeinsam sein und unter Zustimmung derer beschlossen werden müssen, die sie betreffen. So verhält es sich aber nicht mit diesem Gesetze, das allein den armen Weibern Zwang anlegt, obwohl sie doch weit besser als die Männer mehreren zugleich zu genügen imstande sind. Außerdem hat, als dieses Gesetz erlassen wurde, nicht nur keine Frau ihre Einwilligung dazu gegeben, sondern ebensowenig ist irgendeine darum befragt worden ; mit Recht also kann man es aus diesen Gründen ein arges Gesetz nennen. Wollt Ihr indessen, meinem Leben und Eurem Gewissen zum Schaden, Euch dazu hergeben, dessen Vollstrecker zu sein, so steht dies in Eurem Belieben; bevor Ihr jedoch weiter vorschreitet und irgendein Urteil fällt, ersuche ich Euch, daß Ihr mir die kleine Gunst er-

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zeigt, meinen Mann zu fragen, ob ich jedesmal und so oft es ihm beliebte, ohne einmal nein zu sagen, ihm seine volle Lust an mir gewährt habe oder nicht."

Ohne die Frage des Podestà abzuwarten, antwortete Rinaldo hierauf alsbald, daß die Frau ihm allerdings auf jedes Begehren volle Befriedigung seiner Wünsche gestattet habe.

„Wohlan denn," fuhr sogleich die Dame fort, „so frage ich Euch, Herr Podestà, was ich, wenn er zu jeder Zeit sich genommen hat, wessen er bedurfte und wonach ihn gelüstete, mit dem machen sollte oder noch machen soll, das er übrig läßt. Soll ich es vielleicht den Hunden vorwerfen? Oder ist es nicht besser, es einem Edelmann zu gewähren, der mich mehr lieht als sich selber, statt es verloren gehen und umkommen zu lassen?"

Es waren zu diesem Verhör einer so ausgezeichneten und namhaften Dame fast sämtliche Bewohner von Prato herbeigekommen; alle aber riefen, als sie diese ergötz- liche Frage vernahmen, nach vielem Gelächter, wie aus einem Munde, daß die Dame recht habe und wohl spreche. Bevor sie also noch von dort sich entfernten, veränderten sie auf Anraten des Podestà jenes unbillige Gesetz und bestimmten, daß es in Zukunft nur von den Frauen verstanden werden solle, welche für Geld sich gegen ihre Männer vergingen.

So verließ denn Rinaldo, beschämt über sein törichtes Unternehmen, das Gericht; die Dame aber kehrte fröh- lich und frei, als wäre sie vom Scheiterhaufen er- standen, siegreich in ihr elterliches Haus zurück.

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ACHTE GESCHICHTE

Fresco rät seiner Nichte, niemals in den Spiegel zu sehen,

wenn unausstehliche Leute zu sehen ihr so widerwärtig sei,

wie sie sage.

Die Geschichte, die Filostrato erzählt hatte, regte in den Herzen der zuhörenden Mädchen anfangs ein wenig Scham, wovon die sittsame Röte, mit der ihre Wangen sich färbten, Zeugnis gab; allmählich aber schielte eine nach der anderen, und sie hörten dem Verlauf der Ge- schichte lächelnd zu, des lauten Lachens nur mit Mühe sich enthaltend. Als endlich der Erzähler zum Schlüsse gediehen war, wendete die Königin sich zu Emilia und gebot ihr, fortzufahren. Diese aber begann, tief auf- atmend, nicht anders, als ob sie erst vom Schlafe er- wachte :

Ihr holden Mädchen, da eine Reihe von Gedanken, die gar vieles in sich begreifen, mich eine lange Weile fern von hier entführt hat, so werde ich, unserer Königin gehorchend, mit einer viel kürzeren Geschichte mich meiner Schuld entledigen, als ich vielleicht getan haben würde, wenn mein Geist hier gegenwärtig gewesen wäre. In dieser Geschichte aber will ich euch die törichte Ver- kehrtheit eines Mädchens berichten, die durch einen beißenden Einfall ihres Onkels gehörig wäre gestraft worden, wenn sie nur hinlängliche Einsicht gehabt hätte, um ihn zu verstehen.

Ein Mann, welcher Fresco da Celatico hieß, hatte eine Nichte, die man mit Abkürzung nur Cesca zu nennen pflegte. Obwohl nun diese recht hübsch von Gestalt und von Gesichtszügen war, so konnte man sie doch nicht zu jenen Engelsbildern zählen, denen wir nicht selten begegnen; sie aber hielt sich für so hoch und so er- lesen, daß es ihr zur Gewohnheit geworden war, Männer

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und Frauen, und was immer ihr vor die Augen kam, zu tadeln, ohne daß sie dabei sich selber nach rechtem Maße gewürdigt hätte. Dadurch wurde sie denn mehr als irgendeine andere unbequem, widrig und überlästig, da es unmöglich war, ihr irgend etwas recht zu machen. Bei dem allen war sie so hochmütig, daß, selbst wenn sie zum Stamme Karls des Großen gehört hätte, es dennoch zu viel gewesen wäre. Und wenn sie über die Straße ging, war ihr jeden Augenblick irgend etwas nicht gelegen, so daß sie nicht aufhörte, die Nase zu rümpfen, als ob von jedem, den sie sah oder der ihr begegnete, unleidlicher Gestank sie anwehte.

So manche ihrer mißliebigen und widerwärtigen Ma- nieren zu geschweigen, geschah es indessen eines Tages, daß sie, voll von ihren Unleidlichkeiten, nach Hause zurückkehrte und, während sie sich dort neben Fresco niedersetzte, in einemfort vor Ärger schnaufte.

Darum sagte Fresco : „Was hat das zu bedeuten, Cesca, daß du schon so früh nach Hause zurückgekehrt bist, während doch heute Festtag ist?"

Sie aber antwortete mit der albernsten Ziererei: „Ja, freilich bin ich früh gekommen ; denn ich glaube sicher- lich, daß in dieser Stadt noch niemals so viele wider- wärtige und unausstehliche Männer und Frauen bei- sammen gewesen sind, als ich deren heute getroffen habe. Da geht doch auch nicht einer über die Straße, der mir nicht zuwider wäre wie das böse Wesen. Weil ich aber fest überzeugt bin, daß in der ganzen Stadt keine Frau ist, der es so verhaßt wäre, unausstehliche Leute zu sehen, als mir, bin ich, um diesem Anblick zu ent- gehen, so früh nach Hause gekommen."

Fresco, dem das hochfahrige Betragen seiner Nichte auf das äußerste verhaßt war, antwortete: „Mein Kind,

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wenn die unausstehlichen Leute dir so widerwärtig sind, als du sagst, so besieh dich, wenn du deines Lebens froh werden willst, ja niemals im Spiegel."

Sie aber, die hohler war als ein Schilfrohr und an Weisheit dem Salomo zu gleichen vermeinte, begriff den Stich des Fresco nicht besser, als ein Widder getan haben würde, und erwiderte, sie gedenke sich ebensogut im Spiegel zu besehen als die anderen.

So verharrte sie denn ferner in ihrer Einfalt und tut es heute noch.

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NEUNTE GESCHICHTE

Guido Cavalcanti sagt einigen florentiner Edelleuten, die ihn überrascht hatten, in versteckter Weise die Wahrheit.

Als die Königin gewahr wurde, daß Emilia sich ihrer Pflicht bereits entledigt hatte und daß mit Ausnahme dessen, der das Vorrecht genoß, seine Geschichten bis zuletzt zu versparen, nur ihr noch zu erzählen oblag, begann sie also zu reden:

Obgleich mir von euch, ihr anmutigen Mädchen, heute schon zwei oder mehr Geschichten weggenommen sind, von denen ich die eine oder andere zu erzählen ge- dachte, so ist mir doch eine noch übrig geblieben, deren Schluß ein bitteres Wort enthält, wie bis jetzt vielleicht noch keins von so tiefem Sinn mitgeteilt wurde.

Ihr müßt wissen, daß vor Zeiten in unserer Stadt gar manche schöne und lobenswerte Gebräuche bestan- den, von denen uns leider kein einziger geblieben ist, weil sie von dem Geize, der sich bei uns mit den Reich- tümern fortwährend gemehrt hat, einer nach dem anderen vertrieben sind. So war es unter anderem ge- bräuchlich, daß an verschiedenen Orten von Florenz die angeseheneren Bürger der umliegenden Straßen sich versammelten und untereinander eine Gesellschaft von bestimmter Anzahl bildeten. Dabei hatte man acht, nur solche aufzunehmen, die die Kosten füglich bestreiten konnten, und heute richtete der eine für die ganze Ge- sellschaft eine Mahlzeit aus, morgen der andere, und so der Reihe nach weiter, daß jeden sein Tag traf. Häufig erwiesen sie bei diesen Zusammenkünften auch ausgezeichneten Fremden eine Ehre, wenn solche nach Florenz kamen, oder sie luden auch Einheimische dazu. Auch hielten sie wenigstens einmal im Jahre gleich- förmig gekleidet einen Umzug und ritten an den vor-

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züglichsten Tagen gemeinsam durch die Stadt. Zuzeiten veranstalteten sie Waffenspiele; so namentlich an den Hauptfesten oder wenn die Nachricht von einem Siege oder einem sonstigen frohen Ereignis eingetroffen war.

Unter diesen Gesellschaften war auch die des Messer Betto Brunelleschi, in welche sowohl Messer Betto als seine Gefährten Guido, den Sohn des Messer Cavalcante de' Cavalcanti zu ziehen, vielfach und nicht ohne Grund sich bemüht hatten. Abgesehen nämlich, daß Guido einer der besten Denker auf der Welt war und ein vorzüglicher Kenner der natürlichen Philosophie, Eigenschaften, um welche die Gesellschaft sich wenig kümmerte, war er ein ergötzlicher Gesellschafter von den besten Sitten und vorzüglicher Redegabe, und was sich immer für einen Edelmann zu tun geziemte, das wußte er auch, wenn er es unternahm, besser zu machen als irgendein anderer. Dabei war er äußerst reich, und wenn er sich überzeugt hatte, daß einer es wert sei, so wußte er diesen zu ehren, mehr als sich mit Worten sagen läßt.

Dem Messer Betto hatte es indessen nie gelingen wollen, ihn für ihre Gesellschaften zu gewinnen, und Betto wie seine Gefährten suchten den Grund davon darin, daß Guido, nicht selten ganz in seine Gedanken vertieft, den Umgang mit den Menschen mied. Und weil er sich ein wenig zu der Meinung der Epikuräer hinneigte, sagten die gemeinen Leute, all sein Nach- denken habe bloß zum Ziel, auszumitteln,« ob sich nicht finden lasse, daß kein Gott sei.

Eines Tages war nun Guido von Orto San Michele ausgegangen, hatte den Corso degli Adimari, wie dies öfter sein Weg zu sein pflegte, bis San Giovanni ver- folgt und weilte nun zwischen einigen großen Marmor- grabmälern (deren einige jetzt in Santa Reparata sind,

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viele andere aber noch um San Giovanni stehen), zwischen den dort befindlichen Porphyrsäulen und zwischen der Pforte von San Giovanni, die damals verschlossen war. Da kam von ungefähr Messer Betto mit seiner Gesellschaft zu Pferde über den Platz der Santa Reparata, und wie sie den Guido unter jenen Grabmälern gewahr wurden, sagten sie zueinander: „Gehen wir, ihm ein wenig zuzusetzen!"

Mit diesen Worten gaben sie ihren Pferden die Sporen, und nach Art eines scherzhaften Überfalls waren sie, fast ehe er sie bemerkt hatte, um ihn her und begannen zu ihm zu sagen : „Guido, du verschmähst es, an unserer Gesellschaft teilzunehmen; wenn du nun aber heraus- gebracht hast, daß kein Gott sei, was willst du dann davon haben?"

Sofort antwortete Guido, der sich ganz von ihnen eingeschlossen sah: „Ihr Herren, in eurem Hause muß ich mir gefallen lassen, daß ihr mir sagt, was euch gut dünkt." Und mit diesen Worten stützte er die Hand auf eines jener Grabmäler von beträchtlicher Größe, und leicht wie er war, schwang er sich mit einem Satze auf die andere Seite und eilte, einmal ihnen entschlüpft, schnell von dannen.

Jene Zurückgebliebenen sahen sich eine Weile einer den anderen an und sagten, Guido müsse wohl nicht recht bei sich gewesen sein; denn was er ihnen da ge- antwortet habe, komme auf nichts heraus. Wo sie jetzt eben seien, hätten sie ja kein Haar mehr zu sagen, als alle anderen Bürger, und Guido nicht weniger als irgendeiner von ihnen.

Messer Betto aber wandte sich zu ihnen und sagte: „Ihr seid es, die nicht recht bei sich sind, wenn ihr ihn nicht verstanden habt; denn in wenig Worten, und

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ohne den Anstand zu verletzen, hat er uns die größte Grobheit von der Welt gesagt. Diese Grabmäler sind ja, wenn ihr wohl aufmerken wollt, die Häuser der Toten; denn in sie legt man die Toten, und in ihnen weilen sie. Diese nun nennt er unsere Wohnung, um anzudeuten, daß wir und alle anderen ungelehrten und kenntnislosen Leute im Vergleich mit ihm und den übrigen als Tote zu achten sind. Darum sagte er, wenn wir uns hier befänden, seien wir zu Hause."

Nun erst verstand ein jeder, was Guido hatte sagen wollen, und beschämt dadurch, fielen sie ihm nie wieder zur Last; den Messer Betto aber hielten sie in Zukunft für einen einsichtigen und klugen Edelmann.

III 11

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ZEHNTE GESCHICHTE

Bruder Cipolla verspricht den Bewohnern einer Landstadt,

ihnen eine Feder des Engel Gabriel zu zeigen; da er aber

an deren Stelle Kohlen findet, sagt er, sie seien von denen,

mit welchen der heilige Laurentius geröstet wurde.

Als ein jeder von der Gesellschaft sich seiner Ge- schichte entledigt hatte, erachtete Dioneo, daß es nun an ihm sei, zu erzählen. Ohne daher eine feierliche Aufforderung lange zu erwarten, gebot er denen Still- schweigen, die die tiefsinnige Antwort des Guido noch zu loben fortfuhren und begann mit folgenden Worten :

Obgleich, ihr reizenden Damen, mir das Vorrecht ge- währt ist, von dem, was mir gefällt, zu erzählen, so gedenke ich mich doch heute nicht von dem Gegen- stande zu entfernen, den ihr sämtlich in euren Ge- schichten gar angemessen besprochen habt; vielmehr will ich, in eure Fußstapfen tretend, erzählen, wie ge- schickt einer der Mönche des heiligen Antonius durch eine schnell ersonnene Auskunft der Verhöhnung ent- ging, die zwei junge Leute ihm zu bereiten gedachten. Laßt es euch dabei nicht verdrießen, wenn ich, um die Geschichte gehörig zu erzählen, mich im Reden etwas ausführlicher ergehe; denn, wollt ihr nach der Sonne sehen, so werdet ihr bemerken, daß sie noch auf halber Höhe steht.

Wie ihr vielleicht gehört haben werdet, ist Certaldo ein Burgflecken der florentiner Landschaft, im Elsatal belegen, und obwohl es an Umfang nur klein ist, war es doch einst von adligen und bemittelten Leuten be- wohnt. Weil er nun hier vorzügliche Weide traf, pflegte ein Mönch des heiligen Antonius, welcher Bruder Cipolla hieß, lange Zeit hindurch jährlich einmal hier vorzu- sprechen, um die Almosen einzusammeln, die die Kurz-

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sichtigen jenen Mönchen gewähren; und vielleicht war er nicht weniger um seines Namens willen als wegen sonstiger Frömmigkeit willkommen, da die Umgegend jenes Städtchens Zwiebeln hervorbringt, die durch ganz Toskana berühmt sind.

Bruder Cipolla war untersetzter Gestalt, rötlichen Haares und munteren Gesichtes ; dabei der abgefeimteste Spitzbube der Welt, und obwohl er keinerlei Unter- richt genossen hatte, wußte er doch trefflich und ohne langes Besinnen zu sprechen, so daß jeder, der ihn kannte, ihn nicht allein für einen großen Redekünstler gehalten, sondern ihn dem Tullius selber oder dem Quintilian an die Seite gesetzt haben würde. Auch war er von allen in der Umgegend Gevatter oder Freund oder guter Bekannter.

Eines Tages nun, als er im Augustmonat seiner Ge- wohnheit zufolge nach Certaldo gekommen und alle guten Männer und Weiber der umliegenden Dörfer zur Messe in der Hauptkirche versammelt waren, trat er, als es ihm an der Zeit schien, hervor und sagte :

Ihr Herren und ihr Frauen, wie ihr wißt, ist es euer Brauch, alljährlich den armen Dienern des hochadligen Heiligen Herrn Antonius von eurem Korn und eurem Weizen, der eine wenig, der andere viel, je nach dem Vermögen und der Frömmigkeit eines jeden, zu spen- den, damit dieser gebenedeite Heilige eure Ochsen und Esel, eure Schweine und Schafe in seinen Schutz nehme. Außerdem pflegt ihr, insbesondere aber diejenigen unter euch, die in unserer Brüderschaft eingeschrieben sind, den kleinen Beitrag zu entrichten, den man einmal im Jahre zu bezahlen hat. Um nun das eine und das andere einzufordern, bin ich von meinem Oberen, nämlich dem Herrn Abt, hierher gesandt.

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So mögt ihr denn zu diesem Ende unter dem Segen Gottes heute nachmittag nach drei Uhr, wenn ihr die Glöcklein läuten hört, hier außerhalb der Kirche euch versammeln, woselbst ich euch die gewohnte Predigt halten und euch das Kreuz zum Küssen reichen werde. Außerdem aber will ich, da mir bekannt ist, wie in- brünstige Verehrer des hochadligen Heiligen Herrn An- tonius ihr alle seid, euch zu besonderer Gunst eine schöne und hochheilige Reliquie zeigen, die ich vor Zeiten selber aus dem heiligen Lande jenseits des Meeres hergebracht habe. Dieses ist nämlich eine der Federn des Erzengels Gabriel, welche derselbe in der Stube der Jungfrau Maria verloren hat, als er nach Nazareth zu ihr kam, um ihr zu verkündigen." Mit diesen Worten schwieg er und las seine Messe weiter.

Unter den vielen anderen, die sich, während Bruder Cipolla diese Sachen vorbrachte, in der Kirche befanden, waren auch ein paar junge Leute, von denen der eine Giovanni del Bragoniera, der andere aber Biagio Pizzini genannt wurde: beides durchtriebene Käuze. Als diese nun über die Reliquie des Bruders Cipolla eine Weile miteinander gelacht hatten, nahmen sie sich vor, dem Mönch, obwohl sie gut mit ihm befreundet waren und viel mit ihm verkehrten, in betreff dieser Feder einen Streich zu spielen. Sie hatten erfahren, daß Bruder Cipolla an jenem Morgen auf der Burg bei einem seiner Freunde speiste; sobald sie ihn also bei Tische wußten, gingen sie hinunter nach der Landstraße, wo das Wirts- haus lag, in dem jener abgestiegen war. Hier sollte nach ihrer Abrede Biagio sich mit dem Diener des Bruders Cipolla in ein Gespräch einlassen, während Giovanni unter den Sachen des Mönches nach der Feder suchen und sie, was immer für ein Ding es auch sein

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möchte, mitnehmen wollte, damit sie sähen, wie er sich nachher vor dem Volke herausreden würde.

Bruder Cipolla hatte einen Diener, den einige Guccio Trampeltier, andere Guccio Schmutzfink, noch andere aber Guccio Sauigel nannten. Dieser war nun ein so jämmerlicher Wicht, daß es nicht wahr ist, wenn man sagt, Lippo Topo habe jemals ebenso einfältige Streiche gemacht. Bruder Cipolla spaßte oft über ihn gegen seine Bekannten, und dann pflegte er wohl zu sagen: „Mein Diener hat neun Eigenschaften solcher Art, daß, wenn eine von ihnen, gleichgültig welche, sich an Salomo, Aristoteles oder Seneca fände, sie hinreichen würde, um deren Tugenden, Weisheit und heiligen Wandel völlig wertlos zu machen. Denkt euch also, welch ein Mensch der sein muß, in welchem sich, obwohl er weder Tugend noch Weisheit noch heiligen Wandel besitzt, jene Eigen- schaften alle neun beieinander befinden."

Da man ihn nun nicht selten fragte, was für neun Eigenschaften das denn seien, so hatte er einen Vers daraus gemacht, der also lautete:

Ein Lügenmaul

Sehr fett und faul

Verboßt in Trutz

Und reich an Schmutz;

Stets voll Verdacht

Und unbedacht;

Ein Feind der Pflicht,

Ein grober Wicht,

Und was er soll, das tut er nicht.

„Außerdem," pflegte Bruder Cipolla zu sagen, „hat

er noch einige andere Fehlerchen; doch die wollen wir

mit dem Mantel der christlichen Liebe zudecken. Was

indessen an seinen seltsamen Manieren das Spaßhafteste

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ist: in jedem Dorfe, wohin er gerät, will er ein Weib nehmen und ein Haus mieten, und, so lang und schwarz und schmutzig auch sein Bart ist, bildet er sich dennoch ein, so schön und so anmutig zu sein, daß seiner Meinung nach alle Frauenzimmer, die ihn zu Gesicht bekommen, sich in ihn verlieben, und ließe man ihn gewähren, so liefe er allen nach und verlöre Gürtel und Kragen.

Einräumen muß ich indessen, daß er mir vielfach sehr behilflich ist; denn, so geheim auch jemand mit mir zu reden hat, so ist er immer auf dem Platze, um sich sein Teil davon abzuhorchen ; und wenn ich vorkommen- den Falles um etwas gefragt werde, so ist er so besorgt, ob ich auch auf die Antwort gerüstet sei, daß er jedes- mal sich vordrängt und alsbald ja oder nein für mich antwortet, wie es ihm eben gut dünkt."

Diesen Diener hatte Bruder Cipolla im Wirtshaus zu- rückgelassen und ihm angelegentlich anbefohlen, dar- auf zu wachen, daß niemand seine Sachen, besonders aber seinen Quersack anrühre, weil sich darin heilige Gegenstände befänden. Guccio Schmutzfink indessen weilte überhaupt in der Küche noch lieber als die Nachtigall auf grünem Zweige; am liebsten aber, wenn er dort irgendeine Magd witterte. Nun hatte er in der Wirtsküche solch ein Frauenzimmer zu sehen be- kommen, die dick und fett, klein und mißgestaltet war, ein Paar Brüste hatte wie zwei Mistkörbe, ein Gesicht, als gehörte sie zur Familie der Baronci, und dabei schmutzig war, schmierig und eingeräuchert.

An diese nun machte er sich heran, nicht anders wie der Geier an das Aas, und ließ die Stube des Bruders Cipolla und dessen sämtliche Sachen in Stich.

Obwohl es August war, setzte er sich zu ihr, die Nuta hieß, ans Feuer, fing ein Gespräch mit ihr an und sagte

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ihr, daß er ein Edelmann sei und daß er Gulden hätte mehr als lügenmal tausend, die noch nicht einmal ge- rechnet, die er anderen schuldig sei, und daß er Gott weiß was könne und verstehe. Obwohl nun seine Kapuze so schmierig und eingesalbt war, daß sie für den großen Suppenkessel von Altopascio zur Würze gelangt hätte, obwohl sein Wams zerrissen und geflickt war und um den Hals und unter den Achseln so glänzend vor Schmutz, mit Flecken von so vielerlei Farben übersät, daß tartarische und indische Stoffe nie buntere Farben zeigten, obwohl endlich seine Schuhe völlig zerrissen und seine Strümpfe vielfach durchlöchert waren, so be- kümmerte ihn dies alles nicht im mindesten; vielmehr versicherte er der Magd, nicht anders, als wäre er der gnädige Herr von Castiglione, daß er sie neu bekleiden und ausstatten und jener Knechtschaft, wo sie fremden Leuten dienen müsse, ohne sich groß etwas erwerben zu können, entheben und ihr Aussichten auf glückliche Umstände eröffnen wolle.

Mit so vielem Nachdruck er aber auch dies alles und noch viel anderes vorbrachte, so war es doch, wie es immer mit seinen Unternehmungen zu geschehen pflegte, nicht anders, als hätte er in den Wind ge- sprochen, und seine Beredsamkeit blieb ohne Erfolg.

Die zwei jungen Leute fanden sonach den Guccio Sauigel mit der Nuta beschäftigt. Höchlichst zufrieden darüber, da sie nun halbe Mühe zu haben glaubten, gingen sie, ohne von jemand angehalten zu werden, nach Bruder Cipollas Zimmer, das offenstand, und das erste, worüber sie sich hermachten, um es zu durch- suchen, war der Quersack des Mönches, in dem die Feder stecken mußte. Wirklich fanden sie denn auch hier in einem großen, vielfach mit Zindeltaffett um-

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wickelten Bündel ein kleines Kästchen und in diesem, nachdem sie es geöffnet hatten, eine der Schwanzfedern eines Papageien, von der sie mit Recht vermuteten, daß es dieselbe sein werde, die er den Certaldesen zu zeigen versprochen hatte.

In der Tat konnte er zu jener Zeit dergleichen dem Volke wohl weismachen; denn noch waren die glän- zenden Spielereien aus Ägypten nur zu einem kleinen Teil nach Toskana herübergebracht, während sie später zum größten Unheil von ganz Italien in unzähliger Menge bei uns eingeführt wurden. Waren sie aber da- mals überhaupt noch wenig bekannt, so wußten die Bewohner jenes Landstädtchens so gut als nichts von ihrem Dasein, und solange die anspruchslose Einfalt unserer Altvordern bestand, hatte doch wohl die große Mehrzahl nie den Namen eines Papageien nennen ge- hört, geschweige denn einen solchen gesehen.

Zufrieden, die Feder gefunden zu haben, nehmen die zwei jungen Leute sie zu sich und füllten das Kästchen, um es nicht leer zu lassen, mit einigen Kohlen an, die sie in einer Ecke des Zimmers liegen sahen. Dann verschlossen sie es, brachten alles wieder in denselben Zustand, wie sie es gefunden hatten und kehrten, ohne von jemand bemerkt zu sein, mit ihrer Feder vergnügt nach Hause zurück, wo sie voller Neugier erwarteten, was Bruder Cipolla sagen werde, wenn er Kohlen statt der Feder fände.

Inzwischen gingen die Männer und die einfältigen Weiblein, die in der Kirche gewesen waren und ver- nommen hatten, daß sie nachmittags drei Uhr eine Feder des Engels Gabriel zu sehen bekommen sollten, nach beendeter Messe wieder heim, und ein Nachbar teilte seinem Nachbarn, eine Gevatterin der anderen die Nach-

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rieht mit. So strömten denn, nachdem alle zu Mittag gegessen hatten, im sehnsüchtigen Verlangen, die Feder zu sehen, so viele Männer und Weiber in dem Burg- flecken zusammen, daß sie kaum darin Platz fanden.

Bruder Cipolla erhob sich indessen, nachdem er gut zu Mittag gegessen und demnächst ein wenig ge- schlafen hatte, bald nach drei Uhr von seinem Lager und ließ auf die Nachricht, daß schon eine große Menge von Landleuten herbeigeströmt sei, um die Feder zu sehen, dem Guccio Schmutzfink sagen, er möge mit den Glöcklein hinaufkommen und den Quersack mit- bringen.

Nur mit Mühe vermochte dieser sich von der Küche und der Nuta loszureißen; doch tat er es und langte keuchend und außer Atem mit den begehrten Gegen- ständen oben an, weil das viele Wassertrinken ihm den Leib so aufgetrieben hatte. Dann stellte er sich auf das Geheiß des Bruders Cipolla an die Kirchtür und läutete seine Glöcklein nach Kräften.

Bruder Cipolla aber begann, als er alles Volk bei- sammen sah, ohne irgend zu bemerken, daß jemand über seinen Sachen gewesen war, die Predigt und sagte gar vielerlei, das ihm für seine Absichten dienlich schien. Als es nun endlich so weit war, daß er die Feder des Engels Gabriel zeigen sollte, sprach er zuerst mit großer Feierlichkeit das Confiteor, dann ließ er zwei Wachs- fackeln anzünden, nahm sich die Kapuze ab, wickelte langsam den Taffet auf und zog das Kästchen hervor. Hierauf sagte er noch einige Worte zum Lob und Preis des Engels Gabriel und seiner Reliquie und öffnete alsdann das Kästchen.

Als er dies mit Kohlen gefüllt sah, fiel sein Verdacht nicht etwa auf Guccio Trampeltier; denn er wußte zu

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wohl, daß der zu so etwas nicht den Witz hatte. Auch verwünschte er ihn nicht, daß er das Kästchen nicht besser vor den Händen anderer, von denen dieser Streich ausgegangen war, verwahrt hatte; auf sich selbst aber fluchte er im stillen, daß er die Obhut seiner Sachen dem Guccio anvertraut hatte, von dem er doch selber wußte, wie er war: „Unbedacht, ein Feind der Pflicht, ein fauler Wicht, und was er soll, das tut er nicht." Ohne indessen die Farbe zu wechseln, erhob Bruder Cipolla Augen und Hände gen Himmel und sagte, so daß alle ihn vernahmen: „0 Gott, gepriesen sei immerdar deine Allmacht!" Dann machte er das Kästchen wieder zu und sagte, zum Volke gewandt :

„Ihr Herren und ihr Frauen, ihr müßt wissen, daß ich zu einer Zeit, wo ich noch sehr jung war, von meinem Oberen in jene Länder geschickt wurde, wo die Sonne aufgeht. Dabei war mir der ausdrückliche Auftrag er- teilt, den Porzellanprivilegien nachzuforschen, welche stempeln zu lassen zwar nichts kostet, die aber dennoch anderen Leuten von weit größerem Nutzen sind als uns. Zu diesem Zwecke machte ich mich von Venedig aus auf den Weg, passierte die Vorstadt Griechenland und ritt dann durch das Königreich Algarbien über Bagdad nach Parione, von wo ich nicht ohne beträchtlichen Durst nach Sardellien gelangte. Doch zu was soll ich euch die Länder, die ich durchreist habe, einzeln auf- zählen? Genug, ich setzte über den Arm des heiligen Georg und kam nach Lügeland und Trügeland, welche Gegenden von zahlreichen Völkern dicht bewohnt sind. Von hier aus erreichte ich Täuschenhausen, woselbst ich viele von unseren Klostergeistlichen und eine Menge von Mönchen anderer Orden antraf, die sämtlich die Beschwerden um Gottes willen mieden und, solange sie

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nur ihren Vorteil dabei fanden, sich um fremde Müh- seligkeiten wenig kümmerten, auch in jenen Ländern nie anderes Geld ausgaben als ungeprägtes.

Demnächst gelangte ich in das Land der Abruzzen, wo Männer und Frauen in Holzschuhen auf die Berge klettern und die Schweine mit ihren eigenen Kaidaunen bekleiden. Nur wenig weiterhin traf ich Leute, welche das Brot an Stöcken und den Wein in Säcken trugen. Von diesen kam ich dann in das Wurmgebirge, wo alles Wasser abwärtsfließt, und in kurzem drang ich dort so weit vor, daß ich nach Pastinakisch Indien kam, wo, wie ich euch bei dem Gewände zu- schwöre, daß ich trage, ich das Federvieh in der Luft fliegen sah, was allerdings für jeden, der es nicht selbst gesehen hat, kaum glaublich ist. Daß ich euch indessen darin keine Unwahrheit sage, das kann mir Maso del Saggio bezeugen, der ein großer Kaufmann ist und den ich dort antraf, wie er Nüsse knackte und die Schalen nach der Elle verkaufte.

„Da ich indessen nicht finden konnte, was ich eigent- lich suchte, indem man von dort aus zu Wasser Weiter- reisen muß, so kehrte ich wieder um und kam in jenes heilige Land, wo das alte Brot in einem Sommer jähre vier Heller gilt, das frische aber umsonst gegeben wird. Hier fand ich den ehrwürdigen Pater Messer Tumir- nichts Wennsbeliebtius, den verdienstvollen Patriarchen von Jerusalem. Dieser wollte aus Ehrerbietung für das Gewand des hochachtigen Heiligen Messer Antonius, das ich von jeher getragen habe, mich alle die heiligen Reliquien sehen lassen, die er bei sich führte. Deren war nun so viel, daß, wenn ich sie euch alle herzählen wollte, ich auf mehrere Miglien weit nicht fertig würde. Um euch indessen durch mein Schweigen nicht zu sehr

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zu betrüben, will ich euch wenigstens von einigen be- richten.

Zuvörderst zeigte er mir den Finger des Heiligen Geistes, der noch so frisch und unverwest war als je zuvor. Sodann die Locken des Seraphs, der dem heiligen Franziskus erschien, den Fingernagel eines Cherubs und eine der Rippen des heiligen Hoc est porcus. Ferner einige Kleidungsstücke des heiligen Katholistenglaubens, ein paar Strahlen des Sternes, der den drei Weisen im Morgenlande erschien, ein Fläschchen von dem Schweiß, den der heilige Michael vergossen, als er mit dem Teufel kämpfte, eine Kinnbacke des Todes, an dem der heilige Lazarus gestorben ist, und noch viele andere.

„Weil ich mich nun gefällig gegen ihn bewies und ihm einen der Abhänge des Monte Morello in italie- nischer Übersetzung und einige Kapitel des Capretium, die er schon lange zu haben gewünscht hatte, abließ, so teilte er auch mir von seinen heiligen Reliquien mit. Er schenkte mir einen der Zähne des heiligen Kreuzes, ferner in einem zierlichen Fläschchen ein wenig Glockenklang vom Salomonischen Tempel, sodann die Feder des Engels Gabriel, von der ich euch schon ge- sagt habe, einen der Holzschuhe des heiligen Gherardo von Villamagna, den ich erst ganz vor kurzem in Florenz dem Gherardo von Bonsi gegeben habe, der eine große Ehrfurcht dafür hegt. Endlich aber schenkte er mir einige von den Kohlen, mit denen der hochheilige Mär- tyrer Sankt Laurentius geröstet wurde.

Alle diese heiligen Gegenstände führe ich nun an- dächtig bei mir und habe sie auch sämtlich hier am Orte. Indessen hat mein Oberer bis jetzt und bis ihre Echtheit nicht dargetan wäre, mir bisher niemals ge- stattet, sie vorzuweisen. Jetzt aber hat er sich teils durch

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einige Wunder, die sie bewirkt haben, und teils durch Briefe, die er von dem Patriarchen empfangen hat, überzeugt, daß sie sind, wofür sie ausgegeben wurden, und mir deshalb die Erlaubnis erteilt, sie zu zeigen. Und so sehr bin ich besorgt, sie einem anderen anzu- vertrauen, daß ich sie überall mithinnehme; nament- lich verwahre ich die Feder des Engels Gabriel, damit sie keinen Schaden nehme, in einem Kästchen und die Kohlen, mit denen der heilige Laurentius gebraten wurde, in einem anderen. Nun sind diese beiden Käst- chen einander so ähnlich, daß ich schon öfter das eine mit dem anderen verwechselt habe, und so ist es mir denn auch heute geschehen. Während ich glaubte, das Kästchen mitgebracht zu haben, in dem sich die Feder befindet, habe ich das andere mit den Kohlen des heiligen Laurentius ergriffen.

Aber ich halte dafür, daß dies keineswegs ein zu- fälliger Irrtum, sondern daß es vielmehr sicherlich eine Fügung Gottes gewesen ist, welcher meine Hände das Kästchen mit den Kohlen ergreifen ließ, um mich da- durch zu erinnern, daß in zwei Tagen das Fest des heiligen Laurentius falle. Darum nämlich ließ Gott mich statt der Feder, die ich mit mir nehmen wollte, die gebenedeiten Kohlen ergreifen, die durch den Saft aus- gelöscht wurden, der von jenem hochheiligen Leibe niedertroff, weil es seine Absicht war, daß, indem ich euch die Kohlen vorzeige, mit denen er einst geröstet wurde, ich in euren Herzen die fromme Verehrung neu entzünde, die ihr diesem Märtyrer schuldig seid.

„Darum, meine Kinder, die Gott segnen möge, nehmet Eure Mützen ab und tretet in Ehrfurcht und Andacht alle heran, diese Kohlen zu schauen. Vorher aber sollt ihr wissen, daß, wer mit diesen Kohlen in dem Zeichen

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des Kreuzes berührt ist, während des ganzen folgenden Jahres sicher ist, daß kein Feuer ihm auch nur so viel anhaben kann, daß er es fühle."

Nachdem er also gesprochen und einen Lobgesang auf den heiligen Laurentius gesungen hatte, öffnete er das Kästchen und zeigte die Kohlen. Einige Zeitlang beschaute die einfältige Menge sie mit ehrfurchtsvollem Erstaunen; bald aber drängten sie sich ungestüm um den Bruder Cipolla und verlangten unter viel größeren Opfern, als sie sonst zu geben gewohnt waren, inständig, daß er einen jeden mit den heiligen Kohlen berühre.

Infolge dieser Bitten nahm Bruder Cipolla eine jener Kohlen nach der anderen zur Hand und malte ihnen auf ihre Jacken und weißen Kamisole und den Weibern auf ihre Kopftücher so große Kreuze, als nur irgend darauf Platz hatten. Dabei versicherte er ihnen, daß, wie er schon oftmals erfahren, ebensoviel als von diesen Kohlen durch das Aufmalen der Kreuze abgerieben werde, in dem Kästchen von selbst wieder nachwachse.

So machte Bruder Cipolla nicht ohne seinen erheb- lichen Nutzen die Einwohner von Certaldo zu Kreuz- rittern ; denjenigen aber, die ihm einen Possen zu spielen gedachten, indem sie ihm seine Feder fortnahmen, spielte er durch seine Geistesgegenwart einen ebenso großen. Beide waren bei der Predigt anwesend, und als sie hörten, wie geschickt er sich aus der Verlegenheit zu ziehen wußte und wie weit er dazu ausholte und mit was für Redensarten, gerieten sie in ein solches Lachen, daß sie die Maulsperre bekommen zu müssen glaubten. Nachdem aber die Volksmenge sich verlaufen hatte, gingen sie zu ihm, entdeckten ihm unter dem größten Jubel von der Welt, was sie getan hatten, und er- statteten ihm seine Feder zurück. Diese trug ihm im

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darauffolgenden Jahre nicht weniger ein, als in diesem Jahre die Kohlen.

Diese Geschichte hatte der ganzen Gesellschaft ausneh- mendes Vergnügen und Ergötzen gewährt, und allgemein hatte man über den Bruder Cipolla und besonders über seine Pilgerreise und über die Reliquien gelacht, die er teils gesehen und teils mitgebracht hatte. Als aber die Königin wahrnahm, daß die Geschichte und mit dieser ihr Regiment ein Ende genommen habe, erhob sie sich von ihrem Sitze, nahm sich die Krone vom Haupte und setzte sie auf das des Dioneo, indem sie lächelnd sprach :

„Zeit ist es, Dioneo, daß du auf eine Weile erfahrest, was es heißen will, Weiber lenken und regieren zu müssen. Sei denn nun König und führe dein Regiment also, daß wir auch bei seiner Endschaft es loben können."

Lachend empfing Dioneo die Krone und antwortete: „Wertere Könige, als ich bin, werdet ihr freilich schon manchmal gesehen haben, auch die Schachkönige mit eingerechnet. Wahrlich aber, wolltet ihr mir gehorchen, wie es einem wahren Könige zu gehorchen Pflicht ist, so wollte ich euch Freuden genießen lassen, ohne welche jeder Lustbarkeit etwas zum vollen Ergötzen fehlt. Besser indessen, ich schweige davon ; genug, ich will re- gieren, so gut ich vermag."

Hierauf ließ er dem bisherigen Gebrauch zufolge den Seneschall herbeikommen und gebot ihm in der ge- hörigen Reihenfolge, was er zu tun habe, solange dieses Regiment dauern würde; dann aber sagte er:

„Schon in verschiedenen Weisen, ihr verehrten Damen, ist von dem menschlichen Scharfsinn und von den mannigfachen Geschicken gesprochen worden, so

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daß ich fürchten muß, wäre nicht Frau Lycisca vor kurzem hierher gekommen, und hätte sie mir nicht durch ihr Gerede einen für die morgigen Erzählungen zu bestimmenden Gegenstand an die Hand gegeben, so würde ich lange Zeit gebraucht haben, um eine solche Aufgabe zu finden. Wie ihr vernommen habt, behauptete sie, daß keine ihrer Bekannten als Jungfrau zu ihrem Manne gekommen sei, und ferner fügte sie hinzu, daß sie wohl wisse, wie zahlreich und wie arg die Streiche seien, die auch die Eheweiber ihren Männern spielen. Wenn wir nun auch die erste Hälfte dieser Behauptung auf sich beruhen lassen, denn das sind nur Kindereien, so halte ich doch dafür, daß über die zweite ergötzlich zu sprechen sei. Aus diesem Grunde ist es denn mein Wille, daß, weil Frau Lycisca uns einmal darauf ge- bracht hat, morgen von den Streichen erzählt werde, welche die Frauen aus Liebe oder um sich aus einer Verlegenheit zu ziehen, ihren Männern gespielt haben, mögen nun diese es gewahr geworden sein oder nicht."

Einige von den Damen meinten, es passe sich schlecht für sie, solch einen Gegenstand in ihren Erzählungen zu besprechen, und baten daher den König, daß er die bereits gestellte Aufgabe wieder abändere.

Er aber antwortete ihnen: „Damen, wie meine Auf- gabe beschaffen sei, weiß ich nicht minder als ihr, und die Gründe, die ihr gegen sie anführt, können mich nicht bewegen, davon wieder abzugehen; denn ich bin der Überzeugung, daß unter den jetzigen Zeitumständen den Männern wie den Frauen, wenn sie nur acht geben, in ihren Handlungen sich ehrbar zu erweisen, gestattet ist, zu reden, was ihnen beliebt. Wißt ihr etwa nicht, daß infolge der bösen Geißel, die uns heimsucht, die richterlichen Beamten ihre Gerichtsstätten verlassen

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haben; daß die göttlichen sowohl wie die menschlichen Gesetze schweigen und jedem die Befugnis, sein Leben selbst zu schützen, im weitesten Umfange gewährt ist? Wenn also eure Sittsamkeit jetzt in den Gesprächen ein wenig von ihrer Strenge nachläßt, keineswegs um daraufhin in Handlungen die kleinste Unziemlichkeit zu gestatten, sondern allein, um euch selber und anderen Unterhaltung zu gewähren, so sehe ich nicht ein, mit welchem irgend zuzugestehenden Grunde euch deshalb in Zukunft jemand tadeln könnte. Überdies hat diese eure Gesellschaft vom ersten Tage bis zur gegenwärtigen Stunde die strengste Ehrbarkeit gewahrt und sich, was immer auch der Inhalt der Erzählungen gewesen sein möge, nicht durch die kleinste Unziemlichkeit befleckt, wie sie dies auch in Zukunft mit Gottes Hilfe nicht tun wird. Und wem wäre denn eure Sittsamkeit nicht zur Genüge bekannt, die weder die heiteren Gespräche noch, wie ich überzeugt bin, die Schrecken des Todes auf Ab- wege zu leiten vermöchten? Die Wahrheit zu sagen, glaube ich vielmehr umgekehrt, daß, wolltet ihr euch weigern, an solchen Scherzreden gelegentlich teilzu- nehmen, ein Böswilliger eher den Verdacht äußern könnte, daß ihr euch in solchen Dingen schuldig fühltet und um deswillen da zu reden euch scheutet. Endlich würde es mir, der ich jedem meiner Vorgänger ge- horsam gewesen bin, zu schlechter Ehre gereichen, wenn ihr mich zwar zum Könige machen und mir dadurch die Befugnis, euch Gesetze zu geben, erteilen, dann aber dennoch euch weigern wolltet, so zu erzählen, wie ich es verordnet habe. Lasset also jene Besorgnis fahren, die schuldbewußten Gemütern besser geziemt als den euren und sorgt vielmehr eine jede, wenn das Glück gut ist, uns eine recht schöne Geschichte zu erzählen."

III 12 177

Als die Damen dies vernommen, sagten sie, so möge es denn bleiben, wie es ihm beliebte. Der König aber ge- stattete jedem, bis zur Stunde des Abendessens seinem Vergnügen nach Gutdünken nachzugehen. Da indessen die Erzählungen des heutigen Tages besonders kurz ge- wesen, stand die Sonne noch hoch am Himmel; als daher Dioneo mit den zwei anderen jungen Männern sich zum Brettspiel niedergesetzt hatte, rief Elisa die übrigen Damen beiseite und sagte zu ihnen:

„Schon so lange wie wir hier sind, habe ich ge- wünscht, euch nach einem gar nicht weit von hier ent- legenen Platze zu führen, an dem, soviel ich vermute, noch keine von euch jemals gewesen ist und der das Frauental heißt. Bis jetzt konnte ich noch keine ge- eignete Zeit dazu finden; heute aber steht die Sonne noch hoch. Beliebt es euch also, mit mir zu kommen, so zweifle ich nicht, daß es euch keineswegs gereuen wird, wenn ihr erst dort gewesen seid."

Die Damen erwiderten, sie seien bereit, und so machten sie sich, ohne den Männern das geringste zu sagen, nur von einer Dienerin begleitet, auf den Weg.

Nach einem Wege von wenig mehr als einer Miglie gelangten sie zu dem Frauental, zu dem ein ziemlich enger Fußpfad, auf dessen einer Seite ein kristallheller Bach ihnen entgegenrieselte, den Eintritt gewährte. Dies Tal erschien ihnen an sich schön und besonders zu jener Tageszeit, wo die Hitze noch sehr groß war, so ergötzlich und schön, wie man zu erdenken nur immer vermag. Wie eine jener Damen später mir be- richtet hat, war die Ebene, die den Boden des Tales aus- machte, so rund, als wäre sie mit dem Zirkel abge- messen, obwohl man leicht erkannte, daß sie ein Kunst- werk der Natur, nicht aber menschlicher Hände sei;

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der Umkreis jener Ebene aber betrug wenig mehr als eine halbe Miglie, und rings umher erhoben sich sechs Hügel von mäßiger Höhe, deren jeder auf dem Gipfel ein Landhaus trug, dessen Gestalt der einer schönen Burg fast zu vergleichen war. Die Abhänge dieser Hügel stiegen in solchen Abstufungen zu der Ebene nieder, wie wir in den Theatern die Sitzreihen von der höchsten Umkränzung bis zu der niedrigsten angeordnet sehen, so nämlich, daß ihre Weite nach unten sich vermindert. Soweit diese Gesenke nach der Mittagsseite abfielen, waren sie von Weinreben, Oliven-, Mandel- und Kirsch- bäumen, Feigen- und vielen anderen fruchtbringenden Bäumen ganz überdeckt, ohne daß auch nur eine Spanne unbebaut geblieben wäre. Die Abhänge aber, welche den mitternächtigen Wagen anschauten, strotzten oder grünten so dicht, als es der Raum nur zuließ, von Eichen-, Eschen- und allerlei anderem Gebüsch. Die Talebene dagegen, die, außer dem einen, durch den die Damen gekommen waren, keinen anderen Eingang hatte, war von Edeltannen, Cypressen, Lorbeerbäumen und einigen dazwischen verteilten Pinien in so wohl ge- ordneten Gruppen bewachsen, als hätte der erste Künstler für solche Anlagen sie gepflanzt. Durch dieses Laubdach vermochten die Strahlen der Sonne, auch wenn sie hoch stand, entweder gar nicht oder doch nur sehr sparsam auf den Boden zu dringen, der eine einzige Wiese des kürzesten grünen Grases bildete, zwischen dem unzählige purpurfarbene und andere Blumen sprossen. Was aber außerdem nicht minder erfreute, als alles übrige, war ein Bächlein, das aus einem Tale zwischen zweien jener Hügel über mehrere Felsenabsätze nieder- floß, im Fallen ein dem Ohre angenehmes Rauschen hervorrief und in so glänzenden Wasserstaub sich zer-

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schlug, daß man von ferne Quecksilber zu sehen glaubte, das infolge eines Druckes in kleinen Tröpfchen aus einem Behältnis hervorspritzt. Auf dem Boden des kleinen Tales angelangt, vereinigte sich das Wasser in einem schmalen Bette, durch das es eilig bis zur Mitte der Ebene dahinfloß, um dort ein kleines Teichlein zu bilden, nicht größer als die Wasserbehälter sind, die die Städter, wo die Gelegenheit dazu sich bietet, in ihren Gärten einzurichten pflegen. Dieser kleine Teich war nicht tiefer, als um einem Manne bis an die Brust zu reichen, und da das Wasser von der leisesten Trübung frei war, gestattete es in seiner Klarheit, genau zu er- kennen, daß der Grund aus dem feinsten Kies bestand, dessen einzelne Steinchen man hätte zählen können, wenn man die Muße dazu gehabt hätte. Aber nicht nur den Boden sah, wer auf das Wasser blickte, sondern zu- gleich so unzählige hin- und herschlüpfende Fische, daß es Vergnügen und Staunen erregte. Kein anderes Ufer umschloß dieses Wasserbecken, als allein der Rand jener Wiese, die um so schöner grünte, je näher sie sich zu dem Teiche niedersenkte und je mehr sie von dessen Feuchtigkeit erfrischt war. Alles Wasser, das in dem Umfange dieses Beckens keinen Raum fand, wurde von einem zweiten Kanal aufgenommen, durch den es, aus dem Tale geleitet, in das tiefer gelegene Land abfloß. Als die jungen Damen nun hier angelangt waren und nach allen Richtungen sich umgeschaut hatten, lobten sie zuerst auf das lebhafteste die Schönheit des Ortes; dann aber weckte die große Hitze und der Anblick des kleinen Sees, der vor ihnen lag, da sie sicher waren, von niemand belauscht zu werden, in ihnen die Lust, sich zu baden. So befahlen sie denn ihrer Dienerin, auf dem Wege, durch den man in das Tal gelangt, Wache

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zu halten und, falls jemand sich nähern sollte, ihnen ein Zeichen zu geben, und entkleideten sich dann alle sieben.

Das Wasser, in das sie nun niederstiegen, verbarg ihre schneeweißen Körper nieht mehr als ein durch- sichtiges Glas eine Rose verbergen würde. Auch wurde das klare Wasser nicht im mindesten getrübt, so daß sie Gefallen daran fanden, den Fischen, die sich nirgends zu verstecken wußten, nachzujagen, so gut es gelang, und zu versuchen, ob sie deren mit den Händen zu fangen vermöchten. Wirklich erhaschten sie unter all- gemeinem Jubel ein paar; als sie aber eine Zeitlang im Wasser geweilt hatten, stiegen sie wieder heraus und kleideten sich an.

Zu dem Lobe, das sie diesem schönen Orte bereits erteilt hatten, noch größeres hinzuzufügen, vermochten sie nicht; da es ihnen indessen an der Zeit schien, nach Hause zu gehen, machten sie sich langsamen Schrittes unter Gesprächen über die Schönheit dieses Spazier- ganges auf den Weg. Ziemlich früh bei dem Palast wieder angelangt, fanden sie die jungen Männer noch, wie sie sie verlassen hatten, bei dem Spiele beschäftigt.

Pampinea sagte lächelnd zu ihnen : „Heute haben auch wir euch angeführt."

„Wie," antwortete Dioneo, „fangt ihr damit an zu tun, wovon ihr nachher erzählen sollt?"

„Allerdings, Herr König," entgegnete Pampinea und erzählte ihm ausführlich, woher sie kämen, wie jener Ort beschaffen, wie wenig entfernt er sei und was sie dort vorgenommen hätten.

Die Erzählung von der Schönheit jenes Platzes er- regte in dem König das Verlangen, ihn zu sehen; er ließ daher schnell das Abendessen auftragen, und nach-

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dem dies in gemeinsamer Heiterkeit beendet war, ver- ließen die drei jungen Männer die Damen und gingen mit ihren Dienern nach dem Tal, das auch von ihnen noch keiner zuvor betreten hatte. Aufmerksam betrach- teten sie alle seine Schönheiten und erklärten es für eine der anmutigsten Stellen auf der Welt. Dann badeten sie sich, kleideten sich aber bald wieder an und kehrten, weil es schon spät war, nach Hause zurück, wo sie die Damen fanden, wie sie zu einem Liede, das Fiammetta sang, einen Ringelreigen tanzten.

Nach dem Ende des Tanzes unterhielten sie sich von der Schönheit des Frauentals und sagten viel zu dessen Lob. Daher ließ denn der König den Seneschall herbei- rufen und befahl ihm, Sorge zu tragen, daß am näch- sten Morgen einige Betten hergerichtet und dort auf- gestellt würden, falls vielleicht jemand Gefallen fände, dort während der Mittagsstunden zu schlafen oder aus- zuruhen. Dann aber ließ er Lichter, Wein und Zucker- werk herbeibringen und gebot der Gesellschaft, nach- dem sie sich ein wenig erquickt hatte, sich zum Tanz zu rüsten.

Pamfilo leitete auf sein Verlangen den Tanz; der König aber sagte, zu Elisa gewandt, freundlich: „Schönes Mädchen, du übertrugst mir heute die Ehre der Krone; so will ich dir denn für heute abend die des Liedes übertragen. Singe uns also eines, wie es dir am besten gefällt."

Elisa erwiderte lächelnd, daß sie gern dazu bereit sei, und begann mit süßer Stimme in folgender Weise:

Kann, Amor, ich mich deiner Klau' entwinden, So hoff ich sicherlich, Kein andrer Namen soll mich fürder binden.

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Als Kind schon ward ich dein mit Leib und Blut, Denn Frieden, dacht' ich, solltest du hiir spenden, Und, wie bei völligstem Vertraun man tut, Warf alle Waffen selbst ich aus den Händen. Doch, du Tyrann, wie eiltest du, zu wenden Die Waffen gegen mich, Und mich mit schwerer Kette zu umwinden !

Kaum aber, daß sie mich gefesselt hat,

Gibst du mich auch, an Tränen fast erstickend,

Dem Mann, der mir zum Tod ins Leben trat,

Und der mir noch gebeut, den Sinn berückend.

So schwer ist keine Tyrannei, so drückend,

Daß sie kein Haar breit wich

Den Seufzern, die mein Leid verzehrend künden.

Mein Flehen all, die Winde streun's umher,

Er hört's nicht ; horcht' ihm nicht, wenn sie's im böten. Drum wächst mein Leiden auch je mehr und mehr; Das Leben hass' ich, weiß mich nicht zu töten. Erbarm dich meiner, Herr, in diesen Nöten; Du kannst es ja, nicht ich. Laß mich, von dir für mich besiegt, ihn finden.

Verweigerst du mir das, so wolle nun

Das Band, das Hoffnung einst geknüpft, zerhauen,

Inständig bitt' ich, Herr, dich, das zu tun !

Tust du's, so heg' ich sicheres Vertrauen,

So schön mich wieder, als ich war, zu schauen,

Und froh zu sehn, wie sich

Die Rosen meiner Wangen neu entzünden.

Als Elisa ihr Lied mit einem gar kläglichen Seufzer beendet hatte, wunderten sich zwar alle über diese Worte;

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keiner aber unter ihnen vermochte zu entdecken, was für einen Anlaß sie habe, also zu singen.

Inzwischen ließ der König, der in der besten Laune war, den Tyndarus herbeirufen und befahl ihm, seine Sackpfeife zu bringen, bei deren Klange nach seiner Anordnung noch zahlreiche Tänze aufgeführt wurden. Erst als ein beträchtlicher Teil der Nacht bereits ver- strichen war, hieß er einen jeden schlafen gehen.

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INHALT

FÜNFTER TAG i

Erste Geschichte 5

Cimon wird durch Liebe vernünftig und raubt auf dem Meere Iphigenie, seine Geliebte. In Rhodus ver- haftet, befreit ihn Lysimachus, und beide entführen gemeinschaftlich Iphigenie und Kassandra vor ihrem Hochzeitsfest. Sie fliehen nach Kreta und heiraten dort ihre Geliebten, mit denen sie endlich in die Heimat zurückgerufen werden.

Zweite Geschichte 22

Constanza liebt Martuccio Gomito und überläßt sich auf die Nachricht von seinem Tode verzweifelt und allein einem Kahne, den der Wind nach Susa führt. In Tunis findet sie ihn lebendig wieder und gibt sich ihm, der durch die dem König erteilten Ratschläge inzwischen dessen Gunst erworben hatte, zu erkennen. Er heiratet sie und kehrt als reicher Mann mit ihr nach Lipari zurück.

Dritte Geschichte 32

Pietro Boccamazza flieht mit Agnolella und stößt auf Räuber. Das Mädchen flüchtet in einen Wald und wird von dort nach einer Burg geführt. Pietro fällt gefangen in die Hände der Räuber, entgeht ihnen aber wieder und gelangt endlich, nachdem er noch andere Gefahren überstanden, in dieselbe Burg, wo Agnolella sich schon befindet. Dort vermählt er sich mit ihr, uud beide kehren nach Rom zurück.

Vierte Geschichte 44

Ricciardo Manardi wird von Messer Lizio da Val- bonabei der Tochter des letzteren betroffen. Erheiratet indessen das Mädchen und söhnt sich mit ihrem Vater wieder aus.

Fünfte Geschichte 53

Guidotto von Cremona vertraut dem Giacomino von Pavia sterbend seine Pflegetochter an. Giannole di Severino und Minghino di Mingole verlieben sich zu Faenza beide in sie und werden darüber miteinander

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handgemein. Endlich wird entdeckt, daß das Mädchen eine Schwester des Giannole ist, und Minghino er- hält sie zur Frau.

Sechste Geschichte 63

Gian von Procida wird bei seiner Geliebten, die in- zwischen dem König Friedrich geschenkt worden war, überrascht und mit ihr an einen Pfahl gebunden, um verbrannt zu werden. Ruggieri dell'Oria erkennt und rettet ihn und er heiratet sie.

Siebente Geschichte 73

Theodor verliebt sich in Violante, die Tochter seines Herrn, des Messer Amerigo, schwängert sie und wird deshalb zum Strang verurteilt. Während er aber mit Geißelhieben zur Hinrichtung geführt wird, erkennt und befreit ihn sein Vater, und er heiratet Violante.

Achte Geschichte 85

Nastagio degli Onesti bewirbt sich um die Liebe einer Dame aus dem Hause Traversari und bringt, ohne Gegenliebe zu finden, dabei sein ganzes Ver- mögen durch. Auf die Bitten der Seinigen geht er eines Tages nach Chiassi und sieht daselbst, wie ein junges Mädchen von einem Ritter gejagt, getötet und dann von zwei Hunden gefressen wird. Darauf ladet er seine Familie sowohl als die der Dame zu einem Mittagessen dorthin, und der Anblick des zer- fleischten Mädchens und die Furcht vor ähnlichem Schicksal erschrecken die Spröde so sehr, daß sie den Nastagio zum Manne nimmt.

Neunte Geschichte 94

Federigo degli Alberighi liebt, ohne Gegenliebe zu finden. Er verzehrt in ritterlichem Aufwände sein ganzes Vermögen, sodaß ihm nur ein einziger Falke bleibt. Diesen setzt er, da er nichts anderes hat, seiner Dame, die zu ihm auf Besuch kommt, zum Essen vor. Sie aber ändert, als sie dies vernommen, ihre Gesinnung, nimmt ihn zum Manne undmacht ihn reich.

Zehnte Geschichte 104

Pietro da Vinciolo geht aus, um anderwärts zur Nacht zu essen. Seine Frau läßt ihren Buhlen kommen; Pietro

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kehrt aber heim und die Frau versteckt den Lieb- haber unter einem Hühnerkorbe. Pietro erzählt, daß in dem Hause des Ercolano, bei dem er zur Nacht gegessen, ein junger Mensch, den die Frau verborgen hatte, gefunden sei, worüber Pietros Frau die des Ercolano heftig tadelt. Zum Unglück tritt ein Esel dem Burschen unter dem Korbe auf die Finger, so- daß er schreien muß. Pietro läuft hinzu, sieht ihn und erkennt die Falschheit seiner Frau, ist aber nieder- trächtig genug, sich am Ende doch wieder mit ihr auszusöhnen.

SECHSTER TAG 121

Erste Geschichte 127

Ein Edelmann sagt zu Madonna Oretta, er wolle ihr eine Geschichte erzählen, daß sie glauben solle, sie sitze zu Pferde. Als er sie darauf ungeschickt vor- trägt, bittet sie ihn, daß er sie wieder absteigen lasse.

Zweite Geschichte 130

Cisti, der Bäcker, bringt durch eine beißende Ant- wort Herrn Geri zur Einsicht wegen eines unbe- scheidenen Begehrens.

Dritte Geschichte 136

Monna Nanna de' Pulci gebietet durch eine treffende Antwort den unziemlichen Reden des Bischofs von Florenz Stillschweigen.

Vierte Geschichte 139

Chichibio, der Koch des Currado Gianfigliazzi, ver- wandelt zu seinem Heile durch einen schnellen Einfall den Zorn des Currado in Gelächter und rettet sich von dem Unheil, mit dem Currado ihn schon bedroht hatte.

Fünfte Geschichte 143

Messer Forese da Rabatta und Meister Giotto, der Maler, die beide von Mugello zurückkommen, machen sich gegenseitig über ihr unscheinbares Äußere lustig.

Sechste Geschichte 147

Michele Scalza beweist einigen jungen Leuten, daß die Baronci das adligste Geschlecht in der Welt und in der Maremma sind, und gewinnt damit eine Mahlzeit.

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Siebente Geschichte 151

Madonna Filippa wird vor Gericht gefordert, weil ihr Mann sie mit ihrem Geliebten betroffen ; durch ihre geschickte und scherzhafte Antwort kommt sie aber frei und veranlaßt eine Abänderung des Stadt- rechts.

Achte Geschichte 155

Fresco rät seiner Nichte, niemals in den Spiegel zu sehen, wenn unausstehliche Leute zu sehen ihr so widerwärtig sei, wie sie sage.

Neunte Geschichte ' . . 158

Guido Cavalcanti sagt einigen florentiner Edelleuten, die ihn überrascht hatten, in versteckter Weise die Wahrheit.

Zehnte Geschichte 162

Bruder Cipolla verspricht den Bewohnern einer Land- stadt, ihnen eine Feder des Engel Gabriel zu zeigen; da er aber an deren Stelle Kohlen findet, sagt er, sie seien von denen, mit welchen der heilige Lau- rentius geröstet wurde.

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Die Übersetzung von Boccaccios Decamerone besorgte Heinrich Conrad, den Druck Poeschel dt Trepte, Leipzig, die Gravüre-Kupferdrucke nach den Originalkupfern der Ausgabe von 1757 J. B. Obernetter, München. Von dieser Aus- gabe wurden 100 Exemplare für die Mitglieder der Vereinigung „Die Hundert" auf Velin von Van Gelder mit dem Hundertzeichen, weitere 100 Exemplare auf gleichem Velin mit dem Wasserzeichen „Boccaccio" für die Luxusaus- gabe abgezogen

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