Bechmann, Hermann Der Entwicklungsgedanke in der Philosophie von Gustav Class Digitized by the Internet Archive in 2010 with funding from University of Toronto tp://www.archive.org/details/derentwicklungsg00bech Der Entwicklungsgedanke in der Philosophie von Gustav Class Inaugural-Dissertation R - 3 zur Erlangung der Doktorwürde der hohen philosophischen Fakultät der Friedrieh- Alexanders-Universität Erlangen vorgelegt von HERMANN BECHMANN aus Nürnberg. DH TER u ii 5 Inhaltsübersicht, Vorbemerkung. I. Teil. Darstellung S. 1—45. Das Problem der Geschichte a) Individuum und historischer Inhalt b) Die Behauptung deshistorischen Inhaltes vom Ob aus c) Die Behauptung des historischen Inhaltes vom Indi- viduum aus Te N re RR 2. Das Verhältnis des EEStärischeh zum Ewigen a) Das Historische . A b) Der a ak Hypothese c) Analyse des personalistischen und sachlichen en d) Das Ewige als unhistorisches Element e) Der Entwicklungsgedanke in zweiter hybötketischer Form. : Da 3. Die Einheit des Ceisteälebäns dd der Eat- wicklungsgedanke. 2 a) Ihre Begründung in der Beziehung lachen Be Bad Natur . b) Einheit und Mahnielaltigkent des Eeisesichen. c) Inadäquatheit des Geisteslebens . d) Der Entwicklungsgedanke Ir Keil: Beurteilung S. 46 - 54. 1. Die philosophische Grundlage 2. Ergebnis I Seite L— 15 14 4—Io Io—15 1533 15—18 18—21 21—27 27--31 3235 33745 S33m=371 37741 41744 44745 46— 50 53154 ur N Vorbemerkung. Mit vorliegender Arbeit möchte der Verfasser sich einer Dankespflicht gegen seinen Lehrer in der Philosophie ent- ledigen. Die Class’sche Philosophie hat seines Wissens noch keine eingehendere Darstellung erfahren. Es wurde hier der Versuch gemacht, sie vom Entwicklungsgedanken aus zu verstehen und zu reproduzieren. Zuletzt wurde der Ertrag dieser Philosophie für einige Probleme, die zurzeit im Vordergrunde stehen, angedeutet. Nach der Meinung des Verfassers hat die Class’sche Philosophie noch nicht die ihr gebührende Würdigung er- langt. Sie steht hinter der an ein breiteres Publikum sich wendenden und mehr propagandistisch auftretenden Philo- sophie Euckens zurück. Ohne die Bedeutung der letzteren zu verkennen, sind wir der Überzeugung, dass der Wahrheits- gehalt, welcher in dem tiefgründigen Werke ‚Untersuchungen zur Phänomenologie und Ontologie des menschlichen Geistes“ (Leipzig 1896) niedergelegt ist, zu seiner Zeit sich Bahn brechen und neben den Euckenschen Gedanken seine selbst- ständige Bedeutung erweisen wird. In den Verhandlungen über die Absolutheit des Christen- tums glauben wir jetzt schon da und dort die führende Hand unseres Philosophen wahrzunehmen. Ur ‚ t) N I y ee >» III l. Teil. Darstellung. 1. Das Problem der Geschichte, a) Individuum und historischer Inhalt. Was wir historisch konstatieren können, ist immer eine konkrete Gestaltung des religiösen oder des rechtlich-mora- lischen oder des kulturlichen Lebens; eben als solche heisst sie ein historischer Inhalt. (Phaen.* p. 30.) Wir begegnen also in der Geschichte nirgendwo weder der Religion rein als solcher, noch dem Recht oder der Moral als solcher, d.h. mit allen ihren Begriffsmerkmalen ausgestattet. Aber auch der Mensch als solcher, jenes abstrakte Lebewesen, welches nur die Begriffsmerkmale des homo sapiens zum Ausdruck brächte, ıst eine imaginäre Grösse. Vielmehr ist jedes Individuum ein Kind seiner Zeit, d. h. einer bestimmten Phase in der Entwicklung der historischen Inhalte. Fragt man, wie das einzelne Individuum die betreffende zeit- geschichtliche Signatur bekommt, so ist zunächst hinzuweisen auf die Einwirkung der Gesamtheit, welche ihrerseits wieder von bestimmten historischen Inhalten beherrscht wird. Diese Einwirkung ist zunächst eine rein naturmässige. Der einzelne trägt die Merkmale der Rasse, des Volkes, des Stammes, der Familie. Und wie vieles von dem, was wir unsere individuelle Besonderheit nennen möchten, ist Resultat körperlicher und seelischer Vererbung. Man blickt da *) Abkürzung für: Class, Phänomenologie und Ontologie (1896). Der Entwicklungsgedanke in der Philosophie. 1 =— je} 2 gleichsam in einen Strom naturgeschichtlichen Werdens hinein, in welchem die einzelnen Wellen hervortauchen und wieder verschwinden. (Phaen. p. 31.) Indes ist der einzelne Mensch nicht bloss Produkt jenes naturgeschichtlichen Werdens; die Einwirkung der Gesamtheit auf ihn ist nicht lediglich eine naturmässige. Vielmehr erfährt er, wenn auch zunächst in unbewusster Weise, die bildende Gewalt der historischen Inhalte seiner Zeit, worunter ein bestimmter Entwicklungszustand der Religion, des Rechtes, der Moral und der Kultur zu verstehen ist. Sein Naturdasein verdankt er seinen Eltern, was aber durch deren Vermittlung und durch Vermittlung der ganzen erwachsenen Generation in ihn eingeht, das kommt von jenen Inhalten her. (Phaen. p. 39.) Man versuche es einmal, aus einem bestimmten Menschen das- jenige fortzudenken, was seiner historisch gegebenen Religion, ebenso seiner Periode des rechtlich moralischen Lebens an- gehört, so schwindet er schon merklich zusammen. Streicht man vollends das aus, was der betreffenden Phase der Kultur angehört, was bleibt dann übrig? Etwas bleibt allerdings übrig, aber dies „etwas“ scheint nicht ein Lebensinhalt, sondern eine Lebensform zu sein. Nennen wir es „Für sich sein“ oder Personhaftigkeit, so ist es eine Form, deren jedes- maliger Inhalt historisch gegeben ist. (Phaen. p. 32.) Somit hat sich uns der Unterschied der persönlichen Lebensform und des sachlichen historischen Inhaltes er- schlossen. Aber besteht dieser Unterschied wirklich, oder ist er nur eine Abstraktion, die das künstlich trennt, was einheitlich erlebt wird? Geht nicht vielmehr der sachliche Inhalt aus dem „Fürsichsein“ hervor, in der Weise, dass das, was erlebt wird, eins ıst mit demjenigen Element, welches seinerseits diese Lebenserfahrung nicht bloss erleidet, sondern selbständig durchmacht? (Phaen. p. 65.) Ist nicht das, was bisher als historischer, sachlicher Inhalt vom Individuum, von der persönlichen Lebensform, unterschieden wurde, weiter nichts, als ein charakteristischer Zustand, der sich am Individuum findet? Es sind in der Tat gewichtige Gründe, welche gegen jene Unterscheidung sprechen und somit das Individuum für sich als das wahrhaft und allein — 3 — wirkende erscheinen lassen. Jene Unterscheidung und damit auch der Begriff des sachlichen historischen Inhaltes bleiben uns also vorerst noch problematisch, bis die Einwendungen dagegen erledigt sind Man kann die Abhängigkeit des Einzelnen von der Gesamtheit energisch betonen, und doch an der individualisti- schen Geschichtsauffassung festhalten; darunter verstehen wir hier zunächst die Ansicht, dass alles, was erlebt wird, für das erlebende Subjekt in Anspruch zu nehmen ist. Die Macht dessen, was wir „Inhalt“ nennen, gehört dann aus- schliesslich dem Individuum an. Ob dem wirklich so ist, oder ob es vielmehr ein objektiver Gehalt ist, der erlebt wird, das ist die für die nachfolgende Untersuchung mass- gebende Frage. Stellen wir uns zunächst auf den individualistischen Standpunkt, so wird man bestrebt sein, das Schema „Indi- viduum und historischer sachlicher Inhalt“ durch ein anderes zu ersetzen, welches die Zusammengehörigkeit des erlebenden Subjektes mit dem, was es erlebt, unmittelbar zum Aus- druck bringt. Dazu dürfte sich am meisten das Schema: Volk und Individuum, oder Volksseele und Individuum empfehlen. Untersucht man nämlich die Einflüsse, von denen das in die geschichtliche Gegenwart gestellte Individuum umgeben ist, so scheinen diese nichts anderes zu sein, als das, was gerade in dem betreffenden Volke, dessen Glied einer ist, historische Geltung hat. In einem anderen Volke, zu einer anderen Zeit hätte es das Individuum mit anderen historischen Einflüssen zu tun. Der historische Inhalt scheint also schliesslich nichts anderes zu sein als eine Phase des nationalen Lebens (Phaen. p. 35), die Völker, aus denen sich die grossen Persönlichkeiten hervorheben, sind die Träger der historischen Inhalte. Indes, wenn man das untersucht, was innerhalb einer bestimmten Phase des nationalen Lebens erlebt wird, so zeigt sich, dass das Nationale allein nicht den Inhalt der betreffenden Phase zum völligen Ausdruck bringt. Dass man z. B. die bedeutenderen Religionen ebenso aber die Entwicklung von Wissenschaft und Kunst aus dieser Quelle 1* — 4 _—— des nationalen Lebens abzuleiten hätte, davon kann offenbar keine Rede sein (Phaen. p. 35). Das Nationale ist — so zu sagen —, das Gewand der Bewegung, nicht der Inhalt der- selben (Phaen. p. 36). Für die philosophische Forschung ist alles, was wir „Volk“ oder „national“ nennen, nur etwas, was sich an den Personen findet. Es ist ein Typus, den eine bestimmte Anzahl von Menschen trägt. Der Historiker und Politiker freilich wird die Völker als Träger der historischen Inhalte ansehen (Phaen. p. 37). Mithin erweist sich der Ausdruck „Phase des nationalen Lebens“ als nicht zureichend, um das zu benennen, was erlebt wird, und der weitere Begriff des sachlichen historischen Inhaltes kehrt wieder. b) die Behauptung des historischen Inhaltes vom Objekt aus. Was das Individuum an Inhalt besitzt, empfängt es auf doppelte Weise, gleichsam aus zwei Strömen, aus dem Strom des naturgeschichtlichen Werdens, in welchem sich die Natur- typen der Völker und Familien befinden, und aus dem Strome der Geschichte im engeren Sinne, welche für uns in die Entwicklungsreihen der Religion, des Rechtes und der Moral, sowie der Kultur eingeteilt ist (Phaen. p. 37). Nur von diesem zweiten Strome ist die Rede, wenn wir fortan den Ausdruck historischer Inhalt (im engeren Sinne also) gebrauchen. Ist ein sachlicher historischer Inhalt nicht nur in unserer Abstraktion sondern als objektive Grösse vorhanden, so ist zu erwarten, dass diese Grösse sich dem Individuum gegenüber irgendwie aktıv verhält. Dies ist nunmehr zu prüfen. Es wurde schon darauf hingewiesen, dass der einzelne die bildenden Gewalten seiner Zeit mit ihren historischen Inhalten in zunächst unbewusster Weise erfährt. Er ist eben in eine bestimmte geistige Atmosphäre hineingeboren, welche vorerst nach Analogie der Naturtypen, also zwangsweise wirkt. Man mag wollen oder nicht, man ist eben das oder das durch Geburt und historische Situation (Phaen. p. 40). Der Inhalt ist in diesem Stadium alles, das Individuum — 5 a verhält sich mehr oder weniger passiv. Indes ist dies nicht die einzige Weise, wie Inhalte sich zu Individuen verhalten. Hätte es bei dieser naturhaften Einwirkung der Inhalte sein Bewenden, so würde eine Reihe der wichtigsten und höchsten Lebensvorgänge nicht stattfinden können. Bleiben wir, um diese Behauptung durchzuführen, bei unserer bisherigen Einteilung des menschlichen Handelns in die drei Arten des religiösen, des rechtlich moralischen und des kulturlichen und knüpfen zunächst an das letztgenannte an. Das kulturliche Handeln umfasst alle praktische und theoretische Bearbeitung, welche der Mensch auf die Natur richtet. Dazu gehört auch das, was man Naturanschauung nennt. Diese selbst ıst keine konstante Grösse, sondern wechselt mit den Zeiten Wie kommt es aber überhaupt zu einer Naturanschauung? Offenbar doch dadurch, dass man alles sinnlich Wahrnehmbare nicht etwa rein objektiv, sondern in einem ganz bestimmten Zusammenhange vor sich hat (Phaen. p. 42). Fasst man z. B. die Gesamtheit des sinnlich Wahrnehmbaren auf als unmittelbare Verbindung von Materie und Kraft, so hat man der Hauptsache nach das, was die „Natur“ für Goethe war. Dieser besondere Zusammenhang, in welchem Goethe und seine Zeitgenossen die Natur ansahen, kraft dessen „alle äusseren Verknüpfungen sich in Vorgänge eines einheitlichen, allgemeinen Lebens verwandeln“, ıst für die rein empirische, exakte Natur- forschung vielleicht nicht vorhanden. Er leuchtet nicht aus der gewöhnlichen Natur heraus, sondern aus der Seele des- jenigen Menschen, welcher die Natur im Lichte eines intellektuellen Mediums zu betrachten vermag, in die Natur hinein. Was Goethe unter „Natur“ verstand, war nichts anderes, als die oben angedeutete intellektuelle Anschauung der unmittelbaren Verbindung von Materie und Kraft, wo- durch ein „geheimnisvolles Ganzes, die uns umgebende Materie entsteht, untrennbar verbunden, innig durchdrungen von beständig schaffender und bildender Kraft (Phaen. p. 4r). Diese intellektuelle Anschauung gehört offenbar dem Subjekte an und stammt nicht aus der Sache, denn sonst müsste sie der Ausdruck dafür sein, was die Natur an sich ist, ganz u abgesehen von dem betrachtenden Denken. Somit scheint gerade der Vorgang einer intellektuellen Anschauung gegen die Vorstellung zu beweisen, dass ein sachlicher historischer Inhalt auf das Individuum einwirkt. In Wirklichkeit jedoch verhält sich die Sache anders. Das Zustandekommen einer intellektuellen Anschauung wird nämlich noch von einem anderen Faktor als dem individuellen regiert, und dieser andere Faktor ist ein sachlicher. Dies geht aus folgender Erwägung hervor. - Die Naturanschauung Goethes ist nicht mehr die unserer Tage, soferne wir überhaupt in einer bestimmten Natur- anschauung leben. Zwar können wir das Medium künstlich wieder hervorbringen, also uns einigermassen in die Goethe- sche Naturanschauung versetzen, aber wir leben nicht mehr in ihr (Phaen. p. 43). Mit der veränderten geistigen Kultur geht auch in dem intellektuellen Anschauen eine Veränderung vor sich. Nur scheinbar also ist es dem Subjekt anheim- gestellt, in welchem Zusammenhang es einen Inhalt sehen will. Tatsächlich kommt gerade in der intellektuellen An- schauung die Gewalt zum Ausdrucke, unter der das Indi- viduum auch bei freistem, schöpferischem Tun sich befindet. Im vorliegenden Falle ist es die Gewalt einer bestimmten Phase der Kultur. So hat Goethe die Natur im Sinne seiner Zeit, d. h. derjenigen Gestalt des kulturlichen historischen Inhaltes aufgefasst, welche damals bestand (Phaen. p. 43). Mit anderen Worten, es tritt in der intellektuellen An- schauung ein Element in Kraft, das dem Individuellen nicht angehört. Was dem Inhalt der intellektuellen Anschauung seine Macht verleiht, ist das Historische. Dieser Inhalt wird von der Historie gleichsam gespeist. Ein objektiver histori- scher Inhalt gewinnt ein innerliches Dasein in den Individuen durch das Medium einer intellektuellen Anschauung. In unserem Falle war es eine bestimmte Phase der Kultur, die durch die intellektuelle Anschauung „Natur“ in einer Reihe von Zeitgenossen ein trotz aller Modifikationen doch ein- heitliches innerliches Dasein gewann. Der gleiche Vorgang lässt sich auf den beiden anderen Gebieten menschlichen Handelns nachweisen. Zunächst auf dem rechtlich moralischen. — 7 — Was hier gegeben ist, das sind, wie dort bei dem Komplex, den wir Natur nennen, nur faktische Verhältnisse, nämlich eine Anzahl von Menschen, welche in bestimmten natürlichen und kulturlichen, namentlich wirtschaftlichen Beziehungen zu einander stehen (Phaen. p. 45). Es liesse sich denken, dass jemand sein Verhältnis zu seinen Mitmenschen ausschliesslich nach den faktischen Verhältnissen regelte.e Wir würden einen solchen einen absoluten Wirklichkeitsmenschen nennen. Jedes ideale Element, sei es in Ehe und Familie, in Gesell- schaft und Staat, würde für ihn wegfallen, denn es liegt nicht in dem empirisch Gegebenen. Auf diesem Standpunkte ist aber auch kein ethischer Lebensvorgang möglich, denn zu einem solchen gehört jedenfalls Verpflichtungsgefühl gegen moralische Gebote. Nun mag sich ein absoluter Realist der bezeichneten Art immerhin mit den Geboten der Moral abfinden, er tut es jedenfalls nicht deshalb, weil er sich innerlich verpflichtet fühlte. Dieses Verpflichtungsgefühl tritt vielmehr erst dann ein, wenn man sich und die anderen Menschen in einem ganz anderen Lichte sieht, als in dem der empirischen Betrachtung. Man braucht sich über die tatsächlichen Verhältnisse deshalb nicht zu täuschen, kann sehr pessimistisch sein und dennoch erblickt man auch hier alles im Lichte einer energischen intellektuellen Anschauung. Sie bringt zu dem empirisch Gegebenen, zur Wirklichkeit, einen Zusatz heran. Dieser Zusatz besteht nicht etwa aus einer Theorie über das Menschentum, denn darin läge kein Zwang zu handeln, wie er sich mit der intellektuellen An- schauung verknüpft. Es handelt sich auch hier wieder um ein Erlebnis, nicht um Erdachtes und Erlerntes. Fragen wir, was erlebt wird und wenden uns dem Inhalt der An- schauung zu, so kommen wir zu dem gleichen Ergebnis wie oben. Auch hier bestehen nämlich Unterschiede in dem Inhalt der Anschauung. Wir finden in ihr bald mehr den Menschen, bald mehr den Bürger vertreten. Auch das merken wir, dass die Anschauung manchmal mehr personalen, manchmal mehr institutionellen Inhalt hat. Jedenfalls aber ist die intellektuelle Anschauung ein konstitutives Element in dem ethischen Lebensvorgang und die grossen Unterschiede rei in ihrem Inhalte beweisen, dass auch hier die Historie die inhaltgebende Instanz ist. Die Anschauung dient als Form, mittels deren ein objektiver historischer Inhalt in den Indi- viduen Dasein gewinnt (Phaen. p. 47). Das Historische ist dabei die unmittelbar wirkende Macht, sodass der Vorgang den Charakter des Selbstverständlichen gewinnt. Es erübrigt nun noch, das Gebiet des religiösen Han- delns hinsichtlich der intellektuellen Anschauung ins Auge zu fassen. Die Religion kommt hier nur als praktisches Verhältnis des Menschen zu Gott in Betracht. Es ist die Tatsache zu interpretieren, dass es einen direkten Verkehr des Menschen mit Gott gibt. Die Gottesvorstellung, welche für den religiösen Menschen nicht etwa ein Gedankengebilde, sondern der Inbegriff höchster objektiver Realität ist, resul- tiert nicht aus der gegebenen Wirklichkeit. Sie stammt nıcht aus der „Erfahrung“, denn dieser sind nur körperliche und menschliche seelische Bewegungen gegeben. Auch hier findet sich, wie im moralischen Leben, jener „Zusatz“ wieder, der zur gegebenen Wirklichkeit mittels einer in- tellektuellen Anschauung gemacht wird. Prüfen wir hier wieder den Inhalt der religiösen Anschauung, so scheint in diesem Falle, wo der übersinnliche Grund der Wirklichkeit in Betracht kommt, die Historie als inhaltgebende Instanz ausgeschlossen zu sein. Tatsächlich ist dem aber nicht so, denn der Gottesgedanke, welcher auf den Höhepunkten des Lebens zur präsenten Tatsache wird, ist kein anderer als der, welcher objektiv in der betreffenden Religion enthalten ist. Es steht gar nicht im Belieben des Frommen, zu welchem Gott er ein persönliches Verhältnis haben will, .er muss es zu demjenigen haben, welcher in der ihm über- lieferten Religion herrscht (Phaen. p. 51). Das Resultat ist also dasselbe wie bei dem ethischen Lebensvorgang. Der objektive historische Gehalt einer Religion ist es, der von den Frommen subjektiv erlebt wird. Auch hier ıst demnach das Historische die inhaltgebende Macht, und die intellektuelle Anschauung erweist sich aber- mals als die Form, mittels welcher ein objektiver historischer Inhalt in den Individuen Dasein gewinnt, und zwar in un- 9 mittelbarer Weise, denn des Aktes der Anschauung ist sich der Mensch während des religiösen Vorganges nicht bewusst (Phaen. p. 51). In der das Individuum umgebenden Gesamtheit herrscht stets irgend ein historischer Inhalt. Es besteht demnach allezeit ein durch die Gesamtheit vermitteltes Verhältnis von Individuum und Inhalt. Auch wo die intellektuelle An- schauung fehlt, ist doch ein solches Verhältnis vorhanden, nur dass dann der historische Inhalt auf eine dem Individuum unbewusste Weise nach Analogie der Naturtypen wirkt. Es ist die Macht der Tradition, welche durch die organisierte Allgemeinheit (Staat und Kirche) wirkt. Wo aber die Anschauung stattfindet, da fällt die Ver- mittlung der Allgemeinheit weg, da steht das Individuum unter der direkten Gewalt des betreffenden Inhaltes. Es ist über die Abhängigkeit von der Gesamtheit gleichsam hinaus- gewachsen (Phaen. p. 56). Der Inhalt wird ohne Vermittlung erlebt. — Es gehen aber nicht alle Elemente eines Inhaltes in die intellektuelle Anschauung und dadurch in die individuelle Daseinsform über. Was erlebt wird, ist doch nur der „konzentrierte Extrakt“ eines historischen Inhaltes. Wie verhält es sich nun mit den Elementen, die in der Anschauung nicht enthalten sind? Wirken sie auch unmittelbar auf den Einzelnen, oder nur durch Vermittlung der Gesamtheit’? Die Beantwortung dieser Frage hängt davon ab, wie die einzelnen Elemente eines Inhaltes miteinander verknüpft sind. Dass sie im wissenschaftlichen Sinne systematisch verbunden sind, ist nicht anzunehmen. „Die grossen Formen des religiösen, moralischen und kulturlichen Lebens sind nicht nach wissenschaftlicher Methode produziert, sondern stellen sich als Gebilde eigner Art dar. Man muss bei ihnen in ähnlicher Weise nach einem Bildungsgesetz forschen wie bei den Organismen“ (Phaen. p. 58). Aber eben ein solches Bildungsgesetz, das auf organische Verknüpfung der wesentlichen Elemente eines historischen Inhaltes schliessen lässt, vermag die eindringende Forschung aufzuweisen. Es darf freilich dem vorhandenen Tatsachenmaterial kein Zwang angetan werden im Interesse irgend einer spekulativen Ansicht, es muss streng empirisch vorgegangen werden, aber das gesicherte Material, welches z. B. zu einer be- deutenden religiösen Formation gehört, lässt sich schliesslich nicht anders denn als ein Lebenssystem begreifen und ver- langt ein synthetisches Verständnis. Dies gilt auch von Gestaltungen des moralischen und, etwas modifiziert, des kulturlichen Lebens. Wer daher „an einem fundamentalen Punkt innere Fühlung mit einem solchen Inhalt gewonnen hat, für den wird das Traditionelle immer mehr ein Lebendiges, welches als System auf ihn wirkt. Als solches steht es dann in innerlicher Objektivität vor ihm; man möchte sagen, es redet selbst zu ihm, nicht mehr bloss durch den Mund der Gesamtheit.“ (Phaen. p. 57.) Durch oftmaliges Erleben der entsprechenden intellektuellen Anschauung tritt ein Mensch unter die systematische Einwirkung eines historischen Inhaltes; er wird das Organ eines Lebenssystemes, das grösser ist als er, eines historischen Inhaltes, der in einem individuellen Leben zur unbedingten Herrschaft gelangt ist. Damit dürfte das Verhältnis des Inhaltes zu den Indi- viduen erschöpfend dargestellt sein. Unter dem naturmässigen Einfluss der Gesamtheit stehend, bekommt das Individuum zeitgeschichtliche Signatur. Die von der Gesamtheit ge- tragenen Inhalte treten dem Individuum als objektive Mächte gegenüber, das Verhältnis zwischen beiden wird ein direktes, in intensiver Weise da, wo die intellektuelle Anschauung stattfindet, in extensiver Weise da, wo der Inhalt dem Individuum als System gegenübertritt. c) Behauptung des historischen Inhaltes vom Individuum aus. Ob alles Grosse in der Geschichte aus der letzten Einheit der individuellen Persönlichkeit stammt, also per- sönliche Tat ist, oder ob es vielmehr sachliche Wirkung unpersönlicher Gedanken ist, das steht in Frage. Bedenkt man, dass die historischen Inhalte wechseln, dass einer von dem anderen abgelöst wird, eine Religion von der anderen, eine ethische Gesamtanschauung von der anderen, und dass es offenbar von den Individuen, von ihrer grösseren oder geringeren Treue, von ihrem Gehorsam gegen die Gebote eines historischen Inhaltes abhängt, ob ein historischer Inhalt seine Herrschaft über die Massen zu behaupten vermag oder ob er der Zerstörung anheimfällt, so wird man sich der individualistischen Auffassung zu- wenden. Denn alles scheint hier in den persönlichen Macht- willen der Individuen gelegt zu sein. Ob aber das Handeln der Individuen gegen die Inhalte, das nunmehr darzustellen ist, wirklich im letzten Grunde als individualistisches zu gelten hat oder nicht, ist zu untersuchen. Die Zeiten, oder vielmehr die historischen Inhalte ändern sich. Wie pflegen die Veränderungen vor sich zu gehen? Zuweilen gleicht der Vorgang dem Verwitterungs- prozess; so langsam und unmerklich vollzieht er sich. Der einzelne lernt den für ihn vorhandenen Inhalt zunächst als herrschende Sitte kennen. Ohne den Geboten des Inhaltes prinzipiell den Gehorsam zu verweigern, lässt man es doch an Inkorrektheiten nicht fehlen. Dadurch kann auf die Dauer, wenn die Reaktion der Gesamtheit nachlässt, die Herrschaft eines Inhaltes in Frage gestellt, ja ganz beseitigt werden. Es kommt zu einem Zersetzungsprozess, fremde, aus anderen Inhalten stammende Elemente dringen ein, ohne dass sie wirklich assimiliert werden; es geschieht schliesslich das vom Standpunkt der betreffenden Moral, Kultur oder Religion aus direkt Verwerfliche. Es gibt aber auch ein korrektes Handeln der Individuen in Bezug auf die historischen Inhalte, das auf die Aus- gestaltung des betreffenden Inhaltes gerichtet ist. (Phaen. P- 75.) Das korrekte Handeln ist keineswegs auf das un- selbständige Ausführen der einmal herrschenden Gedanken beschränkt. Das objektiv vorhandene Gedankensystem, in welchem das Arbeitsprogramm gleichsam vorgezeichnet ist, gewährt der individuellen Selbsttätigkeit Spielraum. Jeder bedeutende historische Inhalt ist von einem Kreise von Möglichkeiten umgeben. „So sind z. B. in der Natur- anschauung des ı8. Jahrhunderts immer gewisse Grund- gedanken wirksam, aber die Verarbeitung derselben ist bei Goethe anders als bei Rousseau“. (Phaen. p. 76.) Zu dem bewussten Handeln an der Ausgestaltung der Inhalte gehört ferner die Auseinandersetzung mit Elementen anderer Systeme, für welche ebenfalls verschiedene Möglichkeiten gegeben sind. Solange es aus einem historischen Inhalt noch etwas zu eruieren gibt, ıst die korrekte Arbeit das „historische, von lebendigen Individuen geführte Instrument, durch welches offenbar gemacht wurde, was in ihnen lag“. (Phaen. p. 79.) Durch die korrekte Arbeit wird der Inhalt gleichsam auf die Probe gestellt. Es muss sich zeigen, ob er jeder Ver- änderung der historischen Situation innerlich gewachsen ist, ob er für jede Lebensfrage das lösende Wort zu liefern vermag. Entstehen darüber Zweifel, so pflegt die Kritik einzusetzen, die sich zunächst gegen die schon vorhandenen Ausgestaltungen der Grundgedanken richtet, sodann dazu fortschreitet, nicht nur die Ausgestaltung der Grundgedanken, sondern ihre Fassung selbst zu revidieren, bis sie sich endlich gegen das System selbst richtet. Hiemit ist das Handeln der Individuen in Bezug auf die Inhalte gleichsam auf seiner Höhe angelangt. Das Individuum „kehrt sich mit Erfolg polemisch gegen den Inhalt, dessen ausführendes Organ es einst war.“ (Phaen. p. 81.) Es gibt eine ‘auf nesatyer Tendenz ruhende Kritik, die weiter nichts bezweckt, als dass sie mittels intellektueller Technik ihre individuelle Macht an vorgefundenen Tatbeständen erweisen will. Wiederum gibt es eine positiv gerichtete Kritik, die dann einsetzt, wenn Zweifel an der unbedingten Gültigkeit des bisher herrschenden Systems auftauchen. Neue Positionen sind noch nicht gefunden, aber die kritische Zerstörung der alten geht aus der Tendenz nach einem neuen, schlechthin giltigen, also universalen und ewigen Inhalt vor. (Phaen. p. 86.) Individualistisch kann man diese Kritik nicht mehr nennen. Sie wird zwar vom Individuum ausgeübt, aber „im Namen einer schlechthin allgemeinen Instanz; das Charakte- ristische aber ist, dass diese gar nicht individualistische, sondern eben allgemeine Instanz nicht in dem historischen Inhalt, sondern in dem Individuum hervortritt“. (Phaen. p. 86.) Im Gegensatz zu diesen kritisch gerichteten Geistern stehen die Vertreter des Alten, in denen das betreffende Lebenssystem innerliches Dasein gewonnen hat. Sie haben ein so festes Vertrauen zu dem historischen Inhalt erlangt, „dass sie sich ihr Leben gar nicht mehr ausserhalb des- selben denken können“. Dabei sind sie über den blossen Autoritätsstandpunkt hinausgewachsen. Sie stehen vielmehr in direktem Verkehr mit dem Lebenssystem, das von ihrer Persönlichkeit gleichsam Besitz genommen hat. Sie sind nicht etwa ohne Kritik, sondern mit derselbigen intellektuellen Technik ausgerüstet wie die kritischen Geister, doch ist bei ihnen die Kritik ‚nur als Potenz vorhanden, welche sich im entscheidenden Augenblick als positives Urteil äussert‘“, während bei jenen die Kritik „sich in breiter Entfaltung zeigt und negative Urteile sind die Regel; das positive Urteil und die persönliche Hingabe bleiben im Potenz- zustande“. (Phaen. p. 94.) Wie ist es nun bei den Ver- tretern des Alten, den Konservativen im höchsten Sinne, zu dem konstatierten innerlichen und unerschütterlichen Vertrauensverhältnis gekommen’? Naturmässig, ohne bewusstes Zutun jedenfalls nicht. Das Verhältnis ruht vielmehr auf entscheidenden Taten innerer Bejahung. Die Grösse des Inhaltes, von dem sie leben, ist ihnen innerlich aufgegangen und dann erfolgte die prinzipielle, allgemeine Bejahung desselben. Aber „liegt nicht zwischen jenem inneren Sonnenaufgang und dem Akte der inneren Bejahung ein Element, welches beide verknüpft? Wer würde denn auf der Höhe des inneren Lebens einen historischen Inhalt prinzipiell bejahen, wenn ihm nicht eine innere Stimme sagte: ja, das ist es! Darin aber liegt nichts anderes als der verhüllte Gedanke: Dieser Inhalt ist schlechthin wahr und darum ewig giltig‘“. (Phaen. p. 92.) Es ist also eine urteilende Instanz zu konstatieren, die den Inhalt gleichsam legitimiert, indem sie ihm unbedingte Giltigkeit zuspricht. Diese Instanz tritt im Individuum, nicht im Inhalt hervor, ist aber nicht individualistisch, sondern allgemeiner Art. Im Individuum ergeht ein allgemeines Urteil. Derselbe Vorgang ist im Prozess des gewöhnlichen moralischen Lebens zu konstatieren. Geht man nämlich dem Verpflichtungsgefühl auf den Grund, so lässt sich dieses = I4 —— nicht lediglich aus der Abhängigkeit des einzelnen von der Gesamtheit ableiten. Es ist vielmehr die Resonanz des moralischen Gebotes, das seinerseits wieder mit dem Gefüge des historischen Inhaltes organisch verknüpft ıst, sodass es also die Resonanz ist, welche der objektive Inhalt in den menschlichen Subjekten findet. „Würde er sie finden, wenn keine Instanz im Individuum zu seinen Gunsten ein allgemein günstiges Urteil abgäbe? Dem aus dem Inhalt stammenden Soll gegenüber heisst es im Individuum: Ja, du sollst aller- dings, denn der Inhalt hat Recht.“ (Phaen. p. 93.) Nun hat diese im Individuum hervortretende allgemeine Beurteilungsinstanz offenbar dieselbe Tendenz, welche wir bei den Kritikern gefunden haben, nämlich die Tendenz auf einen schlechthin giltigen, also unıversalen und ewigen Inhalt. Diese Tendenz kann sich die Erfüllung nicht selbst geben, „aber wenn sich ihr ein Inhalt unmittelbar als schlechthin wahr dokumentiert, so erfolgt gleichsam blitzartig der Zu- sammenschluss des formalen subjektiven und des objektiven materialen Elementes. Er würde gewiss nicht erfolgen, wenn das subjektive Element seinem Wesen nach indivi- dualistisch wäre“. (Phaen. p. 94.) Ob das Handeln des Individuums gegen den Inhalt, das jetzt in seinen Hauptphasen dargestellt wurde, da, wo es auf seiner Höhe angelangt ist, individualistisch ist, war die Frage. Die Macht des Individuums gegen die Inhalte erschien als sehr bedeutende; indes mussten wir die ihrem Wesen nach individualistische Macht, wie sie in gewissen Formen der Kritik sich kundgibt, unterscheiden von derjenigen, welche zwar vom Individuum ausgeübt wird, aber ıhrem Wesen nach nicht individualistisch ist. (Phaen. p. 98.). In dem Lebensprozess, der sich zwischen Inhalt und Individuum abspielt, sind neue Seiten hervorgetreten. Dass nicht alle Gewalt dem Individuum anheimgegeben ist, hat sich erwiesen zuerst in jener allgemeinen Tendenz auf einen schlechthin wahren, universalen Inhalt, sodann in der damit übereinkommenden Beurteilungsinstanz, die im Individuum wirksam ist, ohne individualistisch zu sein. Die Inhalte gewinnen Gestalt in individuellen Persönlichkeiten; dieses Ziel der Inhaltsbewegung kann ohne inneres Handeln der Individuen, das gleichwohl nicht individualistisch ist, nicht erreicht werden. (Phaen. p. 100.) Nicht alles im Geistes- leben, was historisch konstatiert werden kann, ist aus dem Individualismus ableitbar. Das trat schon bei der intellek- tuellen Anschauung hervor, für welche sich die Historie als inhaltgebende Instanz ausgewiesen hat, das wurde abermals deutlich, als jenes Element zu Tage trat, in welchem wir die Beurteilungsinstanz erkannten. Beide Elemente sind für das objektiv Allgemeine in Anspruch zu nehmen. Durch sie regiert eine nicht individualistische Macht innerhalb der dem Individuum angehörenden Wirksamkeit. Somit bleibt die Unterscheidung von Individuum und Inhalt auch von dieser Seite der Betrachtung aus bestehen. Will man endlich das benennen, was ın einem historischen Inhalt organisch verknüpft zu denken ist, so ist es „eine Summe von Formen des theoretischen und praktischen Lebens, sodann autoritative Institutionen, endlich ein mehr oder weniger ausgebildetes System von Gedanken, welches dem allem zu Grunde liegt“. (Phaen. p. 66.) Es ist also ein objektiver Gehalt, der erlebt wird, und es ist eine sachliche Wirkung unpersönlichen Denkens, die sich manifestiert. 2. Das Verhältnis des Historischen zum Ewigen. a) Das Historische. Der Umfang des in Frage kommenden Gebietes kann nunmehr bestimmt werden. Geschichte ist die grosse Totalität von Wechselwirkungen, welche die historischen Inhalte und Individuen anfeinander ausüben. (Phaen. p. 108.) „Es steht nichts im Wege, den Gang der Geschichte gleich- sam als ein grosses Leben anzusehen, welches in der steten Wechselwirkung der Inhalte und Individuen besteht; immer sind beide Seiten irgendwie wirkend vorhanden, nur dass bald die eine, bald die andere überwiegt, und eben durch dieses gegenseitige Wirken kommt der lebendige Fluss der en — Geschichte zustande.“ (Phaen. p. 103.) Deutlicher noch grenzt sich der Umfang unseres Gebietes ab, wenn wir auf eine schon früher gemachte Unterscheidung zurückkommen, Es war bereits die Rede von dem doppelten Strom, aus welchem das Individuum seine Inhalte empfängt. Wir unter- schieden den Strom des naturgeschichtlichen Werdens, in welchem die körperlichen Typen der Völker, Stämme und Individuen auftauchen und wieder verschwinden, von dem Strem der Geschichte im engeren Sinne, welcher in die Entwicklungsreihen der Religion, des Rechtes und der Moral, sowie der Kultur eingeteilt wurde. Das Verhältnis der historischen Inhalte und Individuen gehört dem zweiten Strome an. (Phaen. p. 109.) „Folglich fallen alle Unter- suchungen über das Entstehen und Vergehen körperlicher Typen für uns fort. Sie beziehen sich nicht auf den Daseins- kreis, welcher unseren Phänomenen das Material liefert.“ (Phaen. p. 109.) Dieser Daseinskreis, der unser Gebiet bildet, ist mithin der seelische. Die sinnenfälligen Gestaltungen, welche zu den Gebieten der Religion, Kultur etc. gehören, also die ungeheuren Massen körperlicher Gestaltungen und Produkte kommen nur als Ausdruck eines Inneren in Be- tracht, das als solches in den Bereich des seelischen Lebens gehört. (Phaen. p. ııo.) „Streichen wir das menschliche seelische Leben, so fehlt den Inhalten nicht nur der Ort ihres Wirkens, sondern auch das Material, aus welchem sie selbst bestehen. Sind sie in letzter Instanz lebensvolle Ge- dankensysteme, so bedürfen sie menschlicher Seelen, um überhaupt gedacht und erlebt werden zu können. Immer grösser als die Individuen, haben sie gleichwohl ihr Dasein nur in den Seelen derselben.“ _(Phaen. p. ıro-ıır.) Ist somit Umfang und Daseinskreis beschrieben, so erübrigt nur noch, den Inhalt des geschichtlichen Lebens, also die Wechselwirkung von Individuum und historischem Inhalt, zusammenfassend zu vergegenwärtigen. ‚Das Verhältnis der Inhalte und Individuen stellt sich gleichsam in zwei Schichten dar. Die untere ist dadurch charakterisiert, dass die beiden Faktoren nicht direkt, sondern durch das Medium der Gesamtheit hindurch miteinander verkehren.“ (Phaen.p.ı15.) Für die obere Schicht ist das direkte Verhältnis von Inhalten und Individuen charakteristisch. Die geschichtlichen Ver- änderungen sind in diesem Wechselverhältnis begründet. Sie sind schon da zu konstatieren, wo ein Inhalt noch un- mittelbar herrscht und den Gliedern einer Gesamtheit ihre historische Signatur verleiht. Unwillkürlich verändern da die Individuen im kleinen die Gestalt historischer Inhalte, in gleichsam unbewusster Äusserung des Individualismus, In tiefer gehender Weise wird die Geltung eines historischen Inhaltes da beeinflusst, wo die Herrschaft der Inhalte dem Individuum gegenüber als eine vermittelte zu bezeichnen ist, indem sıe sich in Gestalt von autoritativen Institutionen oder auch in einer Summe allgemein anerkannter Forderungen darstellt. Hier kommt es auf bewussten Gehorsam und Ungehorsam an; letzterer hat überhandnehmend die Abnahme der Geltung des betreffenden historischen Inhaltes zur Folge. Die geschichtlichen Veränderungen grösseren Stiles gehen aus der oberen Schicht, wo das direkte Verhältnis besteht, hervor. Hier treten die Wechselwirkungen zwischen Inhalten und Individuen deutlich zu Tage. Der Inhalt, oder wenig- stens eine Konzentration desselben, wird von den Individuen in Form einer intellektuellen Anschauung erlebt, diese be- finden sich nunmehr unter der ganz direkten Einwirkung des betreffenden Inhaltes; das ganze persönliche Leben kommt unter den Einfluss eben jenes Systems von Gedanken, das dem Inhalt zu Grunde liegt; der Inhalt setzt sich sozu- sagen in persönliches Leben um. (Phaen. p. ıı2.) Dies wäre nicht möglich, hätte nicht das Individuum die formale Fähigkeit intellektuellen Anschauens, und käme nicht hinzu die prinzipielle Hingabe an die lebenskräftigen Grund- gedanken des Systems, welche wiederum darin begründet ist, „dass eine allgemeine, urteilende Instanz jenen Grund- gedanken die unbedingte Giltigkeit wirklich zuerkennt, welche dieselben ihrerseits beanspruchen“. (Phaen. p. 113.) Die historische Geltung der Inhalte beruht also sowohl auf ihrer eigenen Wirksamkeit, als auf derjenigen der Individuen. Die korrekte Arbeit der Individuen an einem historischen Inhalte führt zu seiner theoretischen und prakti- Der Entwicklungsgedanke in der Philosophie. 2 ee schen Ausgestaltung. Der Inhalt leitet, die Individuen führen aus, aber „ohne ihre ausführende Arbeit könnte er nicht auf dıe letzte Höhe historischer Wirksamkeit gelangen“. (Phaen. p. 114.) Zur positiven Tätigkeit an den Inhalten sind auch die grösseren Reformarbeiten zu rechnen, ob sie nun auf die alt gewordene Ausgestaltung oder auf die gedankliche Fassung des Inhaltes selbst gerichtet werden. ‚Beide Weisen menschlicher Arbeit an den Inhalten sind es, welche — ab- gesehen von der Produktion neuer Inhalte — die eigentlich grossen und innerlich bedeutenden Veränderungen in der Geschichte bewirken.“ (Phaen. p. 114.) Hieher gehört endlich noch die nicht ındividualistische Kritik, welche es mit dem Inhalt selbst zu tun hat in direkter Weise. Sie verneint seine unbedingte Gültigkeit; sie sucht einen schlecht- hin wahren Inhalt, vermag ihn aber, als blosse Kritik, nicht hervorzubringen. Auch sie gehört zu den Faktoren, welche grosse Veränderungen bewirken, oder wenigstens einleiten. Was wir mithin unter der Historie verstehen, ist, begrifflich ausgedrückt, ein ungeheures Ganze von Wechselwirkungen zwischen den Inhalten und den Individuen, bildlich gesprochen, die komplizierte Wellenbewegung im dahingleitenden Strom der Individuen und Inhalte. (Phaen. p. 102.) b) Der Entwicklungsgedanke als Hypothese. Ist die Geschichte das Ganze der Wechselwirkungen zwischen Inhalten und Individuen, so liegt es nahe, zu fragen, ob ein erkennbares Gesetz diesem Ganzen zu Grunde liegt. Was ist in dem Entstehen neuer und in dem Vergehen alter Inhalte das wahrhaft Wirkende? Wodurch wird trotz der unsagbar grossen Mannigfaltigkeit der menschlichen Ge- schichte doch die Einheitlichkeit der geschichtlichen Bewegung erhalten? Sind in den Gedankenformationen der historischen Inhalte ideelle Reihen konstatierbar? Der Entwicklungs- gedanke drängt sich auf, die Frage nach dem Ziel der Inhaltsbewegung. Eine Theorie will gefunden sein, die das Problem der geschichtlichen Bewegung erklärt. Dieses Problem lässt sich nunmehr auf seine kürzeste Form zurück- führen: Historische Inhalte sind immer grösser als die N Di Individuen, aber sie haben ihr Dasein nur in den Seelen derselben. (Phaen. p. 118.) „Lebenskräftige Systeme von Gedanken mit vollem Anspruch auf schlechthinige, ewige Giltigkeit stehen fest in individuellen Seelen, welche jeder Stundenschlag an die Flüchtigkeit ihres dahinrinnenden Lebens erinnert! Wie ist das möglich? (Phaen. p. 118.) Überblicken wir das bisherige Material. Innerhalb des individuellen Lebens wurde ein Element festgestellt, dem allgemeiner, idealer Charakter zukommt; wir nannten es die Beurteilungsinstanz. Als ein Allgemeines idealer Art sind auch die Gedankensysteme der historischen Inhalte zu fassen. „Wie wäre es, wenn die beiden Gestalten des ideal Allge- meinen innerlich zusammengehörten, wenn sie beide Äusse- rungen eines idealen allgemeinen Lebens wären? In diesem Leben hätten wir dann das Innere dessen, was wir früher den Strom der Geschichte genannt haben. Das Wesen aber, dessen Selbstbewegung sich in jenem Leben vollzieht, wäre als der ‚Geist der Menschheit‘ zu bezeichnen, denn das missverständliche Wort ‚Weltgeist‘ wird man besser vermeiden. Wie nun die körperlichen Typen der Individuen aus dem Strom des naturgeschichtlichen Werdens auftauchen und wieder in demselben verschwinden, so liefern die individuellen Seelen nur das Material, dessen sich der allgemeine Geist für sein viel höheres Leben bedient.“ (Phaen. p. 119.) Reales Leben hätten demnach nicht sie, sondern er, der in allen ist, durch alle hindurchgeht und über jede einzelne Seele, wenn sie verbraucht ist, hinweg- geht. Der allgemeine Geist würde dann die historischen Inhalte produzieren und zugleich mittels jener allgemeinen Instanz, die vom Standpunkt des Individuums aus rätselhaft ist, seine Produktionen beurteilen. Er wäre also der eigent- lich wirkende, wahrhaft reale, während die Individuen nur der Sphäre der geistigen Phänomene angehören, also nicht dem Daseinskreis des wahrhaft Seienden. (Phaen. p. 120.) Die Hypothese liesse sich noch weiter ausbauen und durch eine Kombination mit der Gottesidee vollenden. Ihr Vorteil liegt auf der Hand. Sie erklärt das Geistesleben aus einem einheitlichen Prinzip, macht die Kontinuität desselben ein- 2* — 20 -— leuchtend und bietet den gesuchten spekulativen Entwicklungs- gedanken. Indes, die Hypothese ist nicht haltbar und sie wurde nur aufgestellt, um die Schwierigkeit des hier vorliegenden Problems ins Licht zu stellen. Die Hypothese ruht auf der Voraussetzung, dass der Charakter des wahrhaft Seienden, also der Realität, lediglich dem Allgemeinen zuzuerkennen, dem Individuellen aber abzusprechen sei. Letzteres erscheint ihr nur als eine kleine Welle im Strome der Geschichte, als vorübergehende individuelle Bindung des allgemeinen, geschichtlichen Lebens; sie gesteht ihm also nur phänomenale Existenz zu. Aber eben diese Voraussetzung entspricht nicht dem tatsächlichen Befund. Was bei der Wechsel- wirkung der historischen Inhalte und Individuen innerhalb der letzteren vor sich geht, ist mehr als nur Phänomen; es reicht in die Tiefe der Realität hinab. (Phaen. p. 121.) „Eine Existenz, welche bloss phänomenal wäre, kann nicht die inneren Kämpfe durchmachen, welche allem Getriebe der individualistischen Leidenschaften unendlich an Tiefe überlegen sind. Was zum Beispiel Augustin und Luther innerlich durchgemacht haben, kann nicht als bloss phäno- menale Wellenbewegung aufgefasst werden, während das allein Reale nur der allgemeine Geist wäre, welcher durch sie hindurch eine höhere Stufe beschreitet.‘“ (Phaen. p. 121.) Wir verlassen mithin die hypothetische Form des Ent- wicklungsgedankens, welche nicht allen Tatsachen des Geisteslebens gerecht wird, immerhin aber dazu gedient hat, das hier vorliegende Problem deutlich hervortreten zu lassen: Wie ıst das zusammenzudenken, dass den beiden Faktoren des geschichtlichen Lebens nicht nur dem Allgemeinen, sondern auch dem Individuellen Realıtät zukommt? (Phaen. p. 121.) Ehe hierüber eine Theorie aufgestellt werden kann, muss offenbar der Lebensvorgang gründlicher unter- sucht werden, welcher auf Seite des Individuums unter der Einwirkung eines historischen Inhaltes sich entfaltet. Ent- steht durch das Zusammenwirken der Gedankensysteme und der Individuen das, was wir geistiges Leben als ge- schichtliches bezeichnet haben, so wird nunmehr zu fragen — 2I de sein, wie sich die Wirksamkeit der Individuen gegen die der sachlichen Gedankensysteme als eine eigentümliche abgrenzt. Die verschiedenen Seiten des geistigen Lebens- prozesses werden deutlicher hervortreten. c) Analyse des personalistischen und sachlichen Lebens. „Unter Personalismus verstehen wir die vom Fühlen bestimmte Lebensrichtung des Individuums.‘ (Phaen. p. 128.) Personalismus und Individualismus bedeuten ganz dasselbe. Die individuelle Lebensbewegung entwickelt sich zu- nächst unter dem Primat des Fühlens. Das Denken wird in den Dienst des Fühlens genommen, um die Mittel zu beschaffen, welche Lustgefühle festhalten, Unlustgefühle vertreiben. Auch auf den höheren Stufen des Eudämonismus empfängt die ganze individuelle Lebensbewegung ihr Leit- motiv vom Fühlen, mag auch das Denken eine bedeutendere Rolle spielen als bei jener elementaren Bewegung. Aller- dings steht das Individuum von Anfang bis zu Ende seines Lebens immer in dem Verhältnis zu historischen Inhalten (Phaen. p. 125), aber auch in dem Rahmen dieses Verhält- nisses setzt sich zunächst der Primat des Fühlens durch. Dass jeder Mensch unmittelbar unter der Gewalt eines historischen Inhaltes steht, also „ein Kind seiner Zeit“ ist, ändert offenbar an dem Primat des Fühlens nichts. Eben- sowenig die Tatsache, dass die Individuen unwillkürlich nicht selten die äussere Gestalt der Inhalte im kleinen ver- ändern. Von der vermittelten Herrschaft der Inhalte ist da die Rede, wo sie dem Individuum als autoritative Institutionen oder als eine Summe allgemein giltiger Forderungen ent- _ gegentreten. Eine gewisse Bestätigung dafür, dass auch hier das Fühlen im menschlichen Individuum den Primat besitzt, liegt in den zahlreichen Fällen des Ungehorsams gegen allgemeingiltige Forderungen vor. Die vom Fühlen gelenkte Lebensrichtung unterwirft sich nicht der geforderten Einschränkung. Aber auch wenn Gehorsam geleistet wird, ist nicht ohne weiteres auf eine neue Grundrichtung zu schliessen. Man hat eingesehen, dass dauerndes Glück nur auf dem Wege des Gehorsams blüht und trägt das Unlust- gefühl, welches die Selbstüberwindung kostet, um der in Aussicht stehenden grösseren Lust willen. Endlich auch das Verpflichtungsgefühl den allgemeinen Forderungen gegenüber und die Reue, nachdem man ungehorsam gewesen, kann mit dem Primat des Fühlens zusammen bestehen; jenes lässt sich aus dem Bedürfnis, sich an die Gesamtheit und an die in ıhr geltenden Werte anzulehnen, erklären, diese zur Not aus der Missbilligung der Gesamtheit. Auch hier scheinen sich die seelischen Bewegungen aus den individuellen Bedürfnissen ableiten zu lassen und das deutet abermals auf den Primat des Fühlens. (Phaen. p. 127.) Wäre damit die Gesamtansicht des menschlichen Lebens gezeichnet, so müssten wir das bedeutend modifizieren, was über die Inhalte gesagt wurde. Es hiess, dass Inhalte, die einen einheitlichen Charakter haben, in letzter Instanz aus Systemen lebensvoller Gedanken bestehen. Gibt nun aber das Fühlen das Leitmotiv für das ganze individuelle Leben ab, dann können jene Gedanken höchstens deshalb lebens- voll erscheinen, weil sie sich dem vom Fühlen beherrschten Individuum empfehlen. Nur deshalb erscheinen sie wirkungs- kräftig, weil sie zu den bestimmten Gefühlsdispositionen der Individuen in Beziehung stehen. Letztere, und nicht die Gedanken wären somit die eigentlich wirkenden Kräfte. Die Gedanken erhalten nur in abgeleiteter Weise die Bedeutung von solchen Kräften. ‚Sie gewinnen so ein historisches Dasein und machen den Eindruck von herrschenden Mächten, im letzten Grunde aber wären sie doch nur als Lehensträger des Personalismus zu bezeichnen.“ (Phaen. p. 128.) Wenn jene Gedankensysteme einen unmittelbaren und selbständigen Einfluss ausübten, so könnte es nur ein sachlicher sein. Eine solche menschliche Bewegung aber, deren Ursprung und Ziel sachlicher Art wäre, hat sich uns bis jetzt noch nicht gezeigt; wir kennen nur personalistich bestimmte Bewegungen. (Phaen. p. 128.) Allerdings sind die höheren und höchsten Lebens- vorgänge noch nicht in Betracht gekommen. Sie erscheinen da, wo das Individuum in direktem Verkehr mit dem Inhalt steht, wo es dessen ausführendes Organ geworden ist, also in der „oberen Schicht“. Das Verpflichtungsgefühl, welches hier sehr intensiv aufzutreten pflegt, kann nicht mehr als blosse Abhängigkeit von der Allgemeinheit aus gedeutet werden; wir erkannten in ihm vielmehr diejenige Resonanz, welche das moralische Gebot eines ausgeprägten historischen Inhaltes im menschlichen Subjekt findet. Es würde aber diese Resonanz nicht finden, wenn nicht im Individuum ein Urteil erginge, das diesem moralischen Gebot beipflichtet. In diesem Urteil gegenüber dem aus dem Inhalt stammenden Soll erkannten wir ein nichtindividualistisches subjektives Element, und hier ist der Punkt gegeben, an welchem ein anderer Primat als der des Fühlens sich ankündigt Die von dem Inhalt erhobene Forderung besteht nämlich aus nichts anderem, als aus „Gedanken, welche mit den übrigen Gedanken desselben historischen Inhalts systematish ver- knüpft sind“. In der einzelnen Forderung tritt das ganze Gedankensystem als solches hervor; jede solche Forderung stellt sich als allgemeingiltig hin und wird als prinzipiell allgemeingiltige vom Individuum vernommen und durch das Verpflichtungsgefühl beantwortet. (Phaen. p. ı29.) Wir haben hier Gefühle anderer Art vor uns, als sie dort auf- zutreten pflegen, wo das Fühlen den Primat hat. In diesem Falle sind nämlich die Gefühle der „energische Ausdruck für die Förderung oder Hemmung, welche dem Individuum von Menschen und Dingen zu teil wird‘. (Phaen. p. 130.) Die Gefühle entstehen hier also unter dem Druck bloss faktischer Verhältnisse, deren äussere Gestalt wechseln kann. Was hier eigentlich herrscht, wo das Fühlen den Primat hat, das sind die blossen Tatsachen; mithin steht das Ich, soferne es von seinen Gefühlen regiert wird, unter der Ge- walt rein tatsächlicher Verhältnisse, es befindet sich ım Zustande des Leidens, das Wort im allgemeinen begriff- lichen Sinne genommen. (Phaen. p. 132.) Anders da, wo das Ich auf die allgemeine Forderung des Gedankens reagiert hat. Hier ist der Weg erschlossen zu den Höhen menschlicher Entwicklung, zu den Taten des Gehorsams, zur freien, schöpferischen Nachbildung des dem Inhalte zu Grunde liegenden Gedankensystems. Das Ich befindet sich dabei im Zustande des Tuns. Denn ‚‚fordernde Gedanken, hinter denen nicht die Wucht von Tatsachen steckt, zwingen überhaupt nicht, nicht einmal durch die Künste kluger Über- redung. Sie stellen nur sachliche Aufgaben einfach hin, und wer diese als die seinigen setzt, befindet sich gar nicht im Zustande des Leidens, sondern im Zustande desjenigen Tuns, welches allein diesen Namen verdient. (Phaen. p. 132.) Dieser Lebensprozess kann nicht abermals unter dem Primat des Fühlens stehen. Zwar spielen auch in ihm die Gefühle, insbesondere das Verpflichtungsgefühl und die Reue eine hervorragende Rolle, aber diese Gefühle sind hier nicht personalistisch, sondern sachlich begründet. Wo sachliches Leben ist, da kündigt sich ein anderer Primat an; es ist der des Gedankens. Diejenige Instanz aber, welche dem Verpflichtungsgefühl zur Kraft verhilft, dass es die Forderung des Inhaltes zu erfüllen vermag, also die entschliessende Instanz, bezeichnen wir als das menschliche Ich. ‚Dieses Ich ist es, welches sich verpflichtet fühlt, und welches die Forderungen der Inhalte entweder erfüllt oder nicht erfüllt. Man darf also bildlich von ihm sagen, dass es die Sprache der Sachlickeit versteht, in welcher die gedanklichen Inhalte zu ihm reden, und dass es sachliche Aufgaben als die seinigen anzuerkennen und zu bejahen vermag. — Das ‚Wollen‘ ist die Tat des Ich, durch welche es die fordernden Gedanken bejaht, und dann die weitere Tat, durch welche die seelischen und körperlichen Tätigkeiten in die durch die Forderung bezeichnete Richtung gebracht werden.“ (Phaen. p. ı3L.) Was Kant gesagt hat vom menschlichen Willen, dass er durch blosse Vernunft bestimmbar sei, das gilt auch vom Ich. Ebenso aber gilt vom Ich, was Kant weiterhin vom Willen behauptet, dass er nämlich immer zugleich durch die Antriebe der Sinnlichkeit affıziert se. Auch das Ich, welches die rein sachlichen Forderungen durch Verpflichtungs- gefühle beantwortet und durch Taten des Gehorsams zu erfüllen vermag, lässt sich andrerseits durch seine Gefühle in individualistischer Richtung treiben. „Demnach stellt das Ich den rätselhaften Punkt dar, in welchem zwei ganz ver- schiedene Arten von „Leben“ zusammentreffen.‘‘ (Phaen.p.131.) en 25 — Wir können nunmehr sagen, dass sich uns die Ge- danken als eigentlich wirkende Kräfte erschlossen haben. Sie wirken nicht nur als Lehensträger des Personalismus, nicht nur wegen ihrer Beziehung zu den Gefühlsdispositionen der Individuen, sondern ihre Herrschaft besteht „kraft eigenen Rechtes“. Es gibt innerhalb des persönlichen Lebens eine unter dem Primat des Gedankens sich entwickelnde Lebens- sphäre.. Und dieser Primat des Gedankens ist die letzte Interpretation. Hinter ihm kommt kein anderer Primat mehr zum Vorschein. „Denn hinter dem einzelnen fordernden Gedanken steht zwar das ganze Gedankensystem des be. treffenden Inhaltes, aber er ist eben ein integrierendes Moment desselben. Und hinter dem Gedankensystem steht gar nichts mehr: es lebt und herrscht kraft eigenen Rechtes.‘ (Phaen. p. 130.) Damit sind wir der Lösung unseres Problems etwas näher gekommen. Es war formuliert: Lebenskräftige Systeme von Gedanken mit dem vollen Anspruch auf schlechthinige ewige Giltigkeit stehen fest ın individuellen Seelen, welche jeder Stundenschlag an die Flüchtigkeit ihres dahinrinnenden Lebens erinnert. Wie ist das möglich? „Es ist darum in der Tat möglich, weil die menschlichen Seelen nicht nur ein personalistisches, sondern auch, die einen mehr, die anderen weniger, ein sachliches Leben führen.“ (Phaen. p. 145.) Dieses sachliche, unter dem Primat des Gedankens sich entfaltende Leben bedarf noch weiterer Untersuchung. Mit Absicht ıst der Ausdruck gewählt Primat ‚des Gedankens‘“ und nicht „des Denkens“ Es soll damit der Unterschied hervorgehoben werden, der zwischen dem eigenen Denken des Individuums und dem längst fertigen, objektiv in einem historischen Inhalt enthaltenen Gedanken besteht. Unter dem Einfluss dieser Gedanken, nicht des individuellen Denkens entwickelt sich das sachliche Leben. Allerdings soll die positive Entwicklung dahin führen, dass das ganze Gedankensystem eines Inhaltes vom Denken des Individuums schliesslich angeeignet ist. Auf den Höhepunkten könnte man wohl von einem Primat des Denkens reden, da die fremden Gedanken nunmehr zu eigenen geworden sind, aber auch dieses reifste Denken verhält sich zu den objektiven Gedanken des Inhaltes nur reproduktiv. Der Vorgang ist mithin dieser, dass die fertigen Gedanken des Inhaltes zu- nächst auf das Denken des Individuums weckend und ent- fesselnd wirken; ‚dieses Denken stellt innerhalb des im übrigen individualistischen Lebens eine Instanz von inner- licher Objektivität dar. Hat dieselbe beistimmend gesprochen, so sind die Verpflichtungsgefühle die sofortige, notwendige Folge davon.“ (Phaen. p. 134.) Die Bezeichnung des höheren Lebens als „sachlichen“ bedarf noch einer Rechtfertigung. Unpersönliche Dinge oder „Sachen‘‘ stehen immer niedriger als persönliche Menschen; folglich erscheint der Ausdruck „sachlich“ nicht geeignet, etwas zu bezeichnen, das mehr ıst als „persönlich“, Indes kann das, worauf es hier ankommt, der Gegensatz zum Personalismus, nicht zutreffender als mit „sachlich“ aus- gedrückt werden. Wer sachlich denkt und handelt, lässt seine Person und seine Interessen hinter die Sache, die er vertritt, zurücktreten. In diesem Sinne ist der Ausdruck hier zu verstehen. Sachlichkeit ist die Signatur des unter dem Primat des Gedankens stehenden Lebens. Sachlich ist da zunächst jenes Urteil, das im Menschen in Bezug auf die Gedanken der Inhalte ergeht, sei es bejahend oder verneinend. Hier handelt sich’s einfach darum, diesen Gedanken unbedingte Giltigkeit zuzusprechen, oder in heiligem Ernste ihnen die unbedingte Gültigkeit ab- zusprechen; die Rücksicht auf das persönliche Wohl und und Wehe tritt bei dieser allgemeinen Instanz völlig zurück. Der Gedanke setzt sich unter Umständen mit furchtbarer Härte gegen den Individualısmus durch. Hier heist es „Stirb“ und ,„Werde“. Den Charakter der Sachlichkeit tragen auch die Grundgesinnungen, die in allen denen ent- stehen, welche auf dem Wege des sachlichen Lebens schon Fortschritte gemacht saben. (Phaen. p. 141.) Das auf seine Höhe gelangte Verhalten des Individuums zu einem histori- schen Inhalte ist das des Vertrauens. Wir können es auch „Glaube‘“‘ nennen, im weiteren, als religiösen Sinne, Aber analog der religiösen Bedeutung drückt der Glaube auch auf den anderen Gebieten das unerschütterliche Vertrauens- verhältnis aus zu dem entsprechenden historischen Inhalt. Wo sachliches Leben ist, wo das personalistische zurück- gedrängt wird, da tritt auch das Merkmal des Glaubens, das „Sehen auf Unsichtbares“ in seine Rechte, da ist An- fechtung und Kampf. ‚In diesem Sinne gilt uns der Glaube als die Grundgesinnung jedes höheren Lebens. (Phaen. p. 142.) Sachlichen Charakters ist endlich auch die in den höheren Lebensformationen hervortretende Grundgesinnung der Liebe. Ihre Tendenz geht dahin, alle natürlichen Indi- viduen zu Organen eines Systems lebenskräftiger Gedanken umzuwandeln. ‚Wo diese Gesinnung herrscht, die anderen Individuen im Sinne dieser Würde nicht nur zu betrachten, sondern auch zu behandeln, da ist Liebe.“ (Phaen. p. 143.) Damit sind die Hauptmomente des sachlichen Lebens angedeutet. Es beruht darauf, dass in den menschlichen Seelen nicht nur gewöhnliches Vorstellen, sondern auch eigentliches Denken auftritt, welches eine selbständige Tendenz besitzt; es ist auf schlechthin giltige, ewige Wahr- heit gerichtet. Wenn der einzelne Akt des Denkens, der wie alle anderen Akte des seelischen Lebens vorübergehend ist, als Resultat einen haltbaren Gedanken hervorgebracht hat, so bleibt derselbe und wirkt fort in diesem und in anderen Menschen. Das Denken stellt gegenüber dem personalistischen Leben eine Instanz von innerlicher Objek- tivität dar. (Phaen. p. 145.) d\) Das Ewige als unhistorisches Element. Aus dem zuletzt Dargelegten geht hervor, dass ein Mensch geistig eigentlich nur so viel erleben kann, als in dem regierenden Gedankensystem objektiv enthalten ist. Das persönliche ist also vom unpersönlichen Geistesleben abhängig und da wir nichts dafür können, unter welche Formation der unpersönlichen Geistigkeit wir historisch ge- stellt sind, so scheint die persönliche Geistigkeit dem Laufe der Geschichte völlig preisgegeben zu sein. (Phaen. p. 147.) Dies wäre in der Tat der Fall, wenn alle Elemente des HE AB BE sachlichen Lebens, das wir von jetzt ab geistiges nennen, sich als historische erweisen sollten, d. h. als solche, welche dıe Farbe einer bestimmten historischen Formation an sich haben. Unsere Erwartung geht aber dahin, dass durch den geistigen Lebensprozess ein Element des Ewigen in die der Zeit angehörigen Individuen hineingeleitet werde. (Phaen. p. 148.) Ewiges kann aber nicht historisch sein. Gibt es denn im geistigen Leben kein unhistorisches, immer und überall gleiches Element, ein solches, das zunächst ausserhalb der geistigen Inhaltsgeschichte steht? Man könnte ein solches gleichbleibendes, unhistorisches Element vermuten in jenem allgemeinen Urteil, das im Individuum ergeht; es scheint sıch nämlich dieses Urteil nach einem a priori im Menschen vorhandenen Massstabe zu vollziehen. Dieser Annahme stehen indes ernste Be- denken entgegen, wie ein Beispiel von weltgeschichtlicher Bedeutung zeigt. Als Luther zu Worms den Widerruf ab- lehnte und mit den bekannten Worten schloss: „ich kann nicht anders,‘ da hätte er gewiss gerade so gut sagen können: ich darf nicht anders. Wollte er gewissenhaft bleiben, so durfte er dem in ıhm ergehenden objektiven Urteil gegen- über nicht anders. Zehn Jahre vorher befand er sich noch nicht im Konflikt mit dem herrschenden religiösen Gedanken- system; an der Stelle des späteren verwerfenden hat offenbar ein billigendes Urteil in ihm gesprochen. Diese beiden Urteile unterscheiden sich aber sicherlich nicht nur durch den Grad der Deutlichkeit von einander. Somit dürfen wir das innerlich objektive Urteil nicht als das gesuchte un- historische Element in Anspruch nehmen; das ist es so wenig, als die Entstehung und das historische Dasein der reagierenden Gedankensysteme. Hier geht alles historisch zu. (Phaen. p. 149.) Geistiges Leben ıst vorhanden, wenn das Ich unter der Leitung des Gedankens befindlich ıst; es befasst also die lebendige Kongruenz von Gedanke und Kraftäusserung. Diese Kongruenz kommt zustande durch die bejahende Tat des Ich. Ist das Urteil ergangen: du darfst nicht anders, so pflichtet ihm die entschliessende und kraftgebende Instanz, das Ich, bei: also will ich auch. Darin ist jene Kongruenz vollzogen und damit das persönliche geistige Leben gesetzt. Eben dieser Akt und die bejahende Tat des Ich ist das gesuchte unhistorische Element, denn diese Kraftäusserung ist zu allen Zeiten und allen verschiedenen Gedankensystemen gegenüber formal die gleiche. „Unhistorisch‘ bedeutet also nun soviel als ausserhalb der geistigen Inhaltsgeschichte stehend. „Also: was bejaht wird, ist ein historisch ge- gebenes Gedankensystem. Der Akt der Bejahung selbst, obwohl er natürlich einen bestimmten Moment der Zeit füllt, ist unhistorisch, das heisst, er hat nicht gleichsam die Farbe einer bestimmten historischen Formation, sondern ist farblos. Was aus der Bejahung dann entsteht, ist wiederum historisch, denn es ist persönliches geistiges Leben unter der Herrschaft eines bestimmten Gedankensystems. (Phaen. p- E51.) Die Situation, in welcher der Mensch sich befindet, gleicht jener von Platon in seiner „Republik“ gezeichneten. Das ganze äussere Lebensschicksal, welches die aus der Unterwelt ins irdische Dasein zurückkehrenden Seelen zu erwarten haben, ist durchs Los, das die Seelen selbst ge- wählt haben, vorausbestimmt. Nur die Tugend, so erläutert der Götterdolmetsch, ist durchaus Sache der menschlichen Freiheit; das Lebensschicksal ist durch die vorirdische Wahl bestimmt, die Tugend aber ist von der äusseren Ge- stalt des Lebens vollkommen unabhängig. Für uns bedeutet das: unter welchem Gedankensysteme man auch sein Leben zu verbringen hat, es hängt doch letztlich von dem freien Entschluss des Ich ab, ob man bejaht oder verneint. Die Treue der Menschen gegen ein Gedankensystem ist unab- hängig von der Tüchtigkeit des letzteren. Oft wird ge- ringeren Formationen eine Treue bewiesen, welche die unter höher stehenden Formationen der unpersönlichen Geistigkeit Lebenden beschämen muss. (Phaen. p. 152.) Es fragt sich nunmehr, ob mit dem nachgewiesenen unhistorischen Element wirklich Ewiges in den historischen Prozess geleitet wird. Soviel steht fest, dass erst mit der bejahenden Tat des Ich die persönliche Geistigkeit zustande kommt, und dass damit der Lebensvorgang eine entscheidende Wendung erfährt. Das Ich wird vom Primat des Fühlens erlöst, es hört auf, unter dem Zwange des bloss Tatsäch- lichen zu stehen. Das geistige Leben ist nicht, wie das personalistische, im Naturvorgang, sondern es ist Geschichte im tieferen Sinne des Wortes. „Wir nennen Geschichte die menschliche, zeitlich verlaufende Bewegung, deren prineipium movens in einem Gedankensystem liegt. (Phaen. p. 157.) Überblicken wir diese persönlich geistige Geschichte in ihren Hauptmomenten. Der Anfang liegt da, wo zuerst ein geistiger Inhalt durch den freien Entschluss des Ich bejaht wird. Der Höhepunkt ist erreicht, wenn die Bejahung eine völlige geworden, wenn das Individuum zum ausführen- den Organ des Inhaltes durchgebildet ist. Von dieser Höhe neigt sich aber die geistige Entwicklungslinie nicht dem Ende zu, wie die natürliche Lebenslinie es tut, wenn der Höhe- punkt überschritten ist, vielmehr ist dem persönlichen geistigen Leben durch das herrschende Gedankensystem ein Ziel vor- gezeichnet, welchem es sich durch freie Bejahung annähern soll; es schwebt als Ideal dem geistig strebenden Menschen vor, das nie ganz erreicht wird. „Ziel“ ist hier nicht „Ende“. (Phaen. p. 153.) Das Ideal enthält das Bild eines kraftvollen Arbeitslebens für die grosse Sache des geistigen Inhaltes. Von einem Ende, das in ıhm selbst begründet wäre, ist bei dem persönlichen geistigen Leben keine Rede, höchstens von einem Ziel, dem es sich nähert. Aber zugegeben den idealen Charakter des Geistes- lebens, darf man von ihm behaupten, dass sich Ewiges darinnen realisiert? Oder ist es nicht dennoch dem Laufe der Geschichte preisgegeben? Die bejahende Tat des Ich, mit welcher die persönliche Geistigkeit begründet wird, geschieht allerdings ın der bestimmten Erwartung, dass durch das bejahte Gedankensystem dem Ich eine höhere Wirklichkeit erschlossen werde. Als ein unbedingt giltiges, ewig wahres wird es vom Ich bejaht. Das damit begründete geistige Leben steht aber vom ersten Augenblick seines Daseins an unter der Herrschaft eines regierenden Gedanken- systemes; dieses wiederum ist ein historisches Gebilde, in f £ u .—_ 31 — der Zeit entstanden und wohl mit der Zeit vergehend. Also scheint das, was uns über die sinnliche Wirklichkeit erhebt und den Zugang zu einem geistigen Reiche eröffnet, dem ganz gewöhnlichen Laufe der historischen Entwicklung anzugehören. Was ewig giltig erschien, erweist sich als historisch begrenzt. Was als ewiges geistiges Leben galt, ist am Ende nichts weiter als der „subjektive Wiederschein eines objektiven Ge- dankensystemes“, das der Historie angehört. Aber Ewiges kann doch nicht historisch sein? (Phaen. p. 159.) Das Problem läge einfacher, wenn wir annehmen dürften, es gebe für jedes Lebensgebiet nur je ein herrschen- des Gedankensystem, also ein religiöses, ein rechtlich- moralisches und ein kulturliches. Diese Systeme müssten wir uns so reich und tief denken, dass sie das geistige Arbeitsleben der Menschheit bis zum Ende für ihre Aus- gestaltung in Anspruch nähmen. Dann würde das Ich, welches so organisiert ist, dass es die Sprache der reinen Sachlichkeit versteht, auf jedem Lebensgebiet nur eine Stimme vernehmen, die zu allen Zeiten dieselbe wäre, und ihre Giltigkeit könnte nur der in Abrede stellen, der über- haupt in wahrhaft böser Gesinnung gegen die Herrschaft objektiver Gedanken opponierte. (Phaen. p. 147.) Allein die Tatsachen stehen dieser spekulatiren Annahme entgegen. Es gibt auf jedem Lebensgebiet eine Reihe teils noch herrschender, teils der Geschichte angehöriger Systeme. Und diese Tatsache scheint keine absoluten, unbedingt giltigen Worte in der Historie aufkommen zu lassen, viel- mehr alles Unbedingte in Relatives aufzulösen. Nur eine Annahme scheint aus dem tragischen Verhängnis, dem die persönliche Geistigkeit ausgeliefert ist, herauszuführen, näm- lich die, dass jener tiefere Begriff der Geschichte, den wir in Bezug auf die persönliche Geistigkeit gebildet haben, irgendwie auch auf das unpersönliche geistige Leben an- gewendet werden könnte. (Phaen. p. 159.) Damit kehrt der Entwicklungsgedanke wieder, freilich wieder nur als Hypothese, die wir aber nicht ungeprüft von der Hand weisen dürfen. — 32 — e) Der Entwicklungsgedanke in zweiter hypothetischer Form. Geschichte nannten wir die menschliche, zeitlich ver- laufende Bewegung, deren principium movens in einem Ge- dankensystem liegt. Ein Inneres, welches bleibt, wird in den Verlauf eines persönlichen Lebens gleichsam umgesetzt. Nunmehr fragt es sich, wo das Innere ist, welches bleibt, während sein Inhalt in den zeitlichen Verlauf nicht eines persön- lichen, sondern des menschheitlichen Lebens gleichsam umgesetzt wird? (Phaen. p. 171.) Das menschheitliche Leben steht unter der Herrschaft der regierenden Gedankensysteme. Diese bilden mitsamt den in den Individuen ergehenden Urteilen das Gebiet des unpersönlichen geistigen Lebens, also die Voraussetzung der persönlichen Geistigkeit. Wie es im Bereiche der letzteren ein unhistorisches, identisches Element gibt, nämlich die bejahende Tat des Ich, so ist auf der Seite der unpersönlichen Geistigkeit ebenfalls ein un- historisches Element zu konstatieren, nämlich das Denken als solches mit seiner praktischen Wahrheitstendenz. In ihm haben wir die gleichbleibende Voraussetzung für Ent- stehung, Dasein und Beurteilung aller regierenden Gedanken- systeme zu sehen, in ihm auch die auf das Ich gerichtete Bewegung. Aber lässt sich nun auf dieses unpersönliche Denken unser Geschichtsbegriff anwenden? Zwar das Vehikel desFortschrittes ist am leichtesten nachzuweisen, es besteht offenbar in der praktischen Wahrheitstendenz des Denkens. Aber wo ist das Innere, welches bleibt, während sein Inhalt in den Verlauf des menschlichen Lebens umgesetzt wird? (Phaen. p.171.) Unter dem Inhalt haben wir hier die Summe aller Gedankensysteme, also ein gewaltiges ideelles Reich zu verstehen. Aber eben, dass es sich nur um eine Summe von Systemen handelt, erscheint unwahrscheinlich und ergibt keine befriedigende Vorstellung. Wir erwarten nicht eine Summe, sondern einen fest verbundenen Komplex, in welchem ein Aufsteigen vom Niedern zum Höhern stattfindet. So käme der ganze, in sich notwendige Inhalt des auf praktische Wahrheit gerichteten Denkens im Laufe der Geschichte zur Darstellung. Von diesem Denken könnte also gesagt werden, dass es bleibt, während seine einzelnen Glieder, die Ge- dankensysteme, successiv in den Verlauf des menschlichen Lebens umgesetzt werden mit intellektueller Notwendigkeit, vermittels der praktischen Wahrheitstendenz, ohne dass die Freiheit des menschlichen Ich dadurch aufgehoben würde. Ihren Abschluss erhielte die Hypothese durch die Annahme, dass alle historisch wirksamen Gedankensysteme in dem Denken als ideelle Präformationen vorhanden sind. (Phaen. p. 171.) Somit hätten wir abermals einen spekulativen Entwicklungsgedanken, der sich von dem früher dargestellten dadurch unterscheidet, dass er die persönliche Geistigkeit des Ich nicht zu einem blossen Phänomen herabdrückt, sondern ihr. ihre Realität belässt. Ob man jenes Reich ideeller Präformationen im absoluten, göttlichen Denken begründet wissen will, wie Hegel tut, oder im immanenten menschlichen Denken, kann zunächst dahingestellt bleiben. In jedem Falle unterliegt auch diese Spekulation schweren Bedenken und stösst hart mit den geschichtlichen Tatsachen zusammen. Ganz abgesehen von der Schwierigkeit, ein Gedankensystem zu eruieren vermittels synthetischer Re- konstruktion, ohne den Tatsachen Zwang anzutun, und von der noch grösseren Schwierigkeit, ein solches Gedanken- system hernach selbst wieder als Ausdruck von intellektuellen Positionen zu begreifen, welche in dem Denken als solchem ihre notwendige Stellung haben, steht besonders ein Punkt unserer Spekulation im Wege. Jedes Gedankensystem hat nämlich eine eigentümliche konkrete Beschaffenheit, deren Wurzel in der zu Grunde liegenden intellektuellen An- schauung zu finden ist. Es ist ein konkretes Lebenssystem, das sich in tatsächliches Leben umsetzt; es lässt sich daher nicht auf intellektuelle Positionen der bezeichneten Art zurück- führen, deren Kenntnis wir doch nur aus der Erkenntnis- theorie haben könnten. (Phaen. p. 173.) Ferner scheitert das Unternehmen, mittels apriorischen Denkens feststellen zu wollen, welche geistigen Evolutionen denknotwendig seien und darum auch historische Wirklichkeit gewinnen müssten, an dem äusseren historischen Entwicklungsgang. Die ideelle und die reelle Reihe entsprechen einander nicht. Objektiv Der Entwicklungsgedanke in der Philosophie. 3 tiefer stehende Gedankensysteme treten geschichtlich später auf, wie z. B. der Islam nach dem Christentum. Somit kann der Begriff der Geschichte, wie er für die persönliche Geistigkeit geprägt wurde, auf die unpersönliche Geistigkeit nicht angewendet werden. (Phaen. p. 177.) Eine Einheit des Geisteslebens wird also mit dem spekulativen Ent- wicklungsgedanken nicht erreicht. Das persönliche Geistes- leben scheint anderen Gesetzen zu folgen, als das unpersön- liche. Der Hauptmangel dieser Entwicklungsidee liegt aber offenbar darin, dass sie an die Stelle der konkreten Ge- schichtlichkeit eine philosophische Abstraktion treten lässt. Die konkrete Geschichtlichkeit eines jeden Gedankensystems wiederum hat ihren Grund in der Beziehung zur Natur und diese Beziehung reicht bis in die Wurzeln alles Geistes- lebens, des persönlichen wie des unpersönlichen hinein. Sie regiert mit beim Zustandekommen der intellektuellen Anschauung, sowohl der produktiven als der reproduzierenden. Daher kommt es, dass die den Gedankensystemen zu grunde liegende Gedankenverknüpfung nicht die Art der logischen, sondern die einer organischen an sich hat. Mit logischen und theoretischen Kategorien ist deshalb dem konkreten Leben nirgends beizukommen. Die Frage nach dem Verhältnis des Ewigen zum Historischen hat ihre Erledigung bisher nicht gefunden. Ein gemeinsames Schema für das objektive und subjektive Geistesleben, wie es der spekulative Entwicklungsgedanke herzustellen sucht, erwies sich als imaginär; es gibt wohl eine Geschichte des subjektiven, nicht aber des objektiven Geistes. Das bleibende Innere, dessen Inhalt in den zeit- lichen Verlauf umgesetzt wird, kann zwar für das persön- liche Leben festgestellt werden (es ist eines der historisch wirksamen Gedankensysteme), nicht aber für das unpersön- liche, objektive Geistesleben. Dadurch wird die Einheit des Geisteslebens, die Identität des Geistes, in Frage gestellt. Das Problem wird noch schwieriger, wenn man hinzunimmt, dass auch das objektive Geistesleben in den Lauf der Ge- schichte verflochten und mithin der Geschichte preisgegeben erscheint. Der Gang unserer Untersuchung führt uns von selbst dahin, jene Beziehung zwischen Geist und Natur, die offenbar von eminenter Wichtigkeit ist für die konkrete Gestaltung des Geisteslebens, nunmehr ins Auge zu fassen. 3. Die Einheit des Geıisteslebens und der Entwicklungsgedanke. a) Ihre Begründung in der Beziehung zwischen Geist und Natur. Das geistige Leben ist charakterisiert durch die lebendige Kongruenz von Gedanke und Kraftäusserung. Geist ist also die Verbindung von „Denken“ und „Ich“. (Phaen. p. 180.) Das auf praktische Wahrheit gerichtete Denken kommt überhaupt nur in Verbindung mit einem Ich vor und das Ich als geistiges ist nur da vorhanden, wo jenes Denken gesprochen hat. Die ganze Funktion des Denkens besteht in der Herausbildung solcher Gedankensysteme, welche das Ich beherrschen sollen. Die ganze Funktion des Ich wiederum besteht darin, dem als wahr Erkannten den un- bedingten Gehorsam zu leisten, zu dem es sich verpflichtet fühlt. Also ist die Beziehung zwischen Denken und Ich eine schlechthin ursprüngliche und fundamentale. Man darf sagen, beide sind nur für einander da. (Phaen. p. 182.) Ihrem Inhalte nach bezeichnet, ist diese Beziehung die Be- arbeitung der menschlichen Natur durch den menschlichen Geist. Der Geist ist nur dann wahrer Geist, wenn er seine Natur bearbeitet, und die seelische Natur gelangt erst durch die geistige Bearbeitung zur Entfaltung ihrer Anlagen. Wäre diese ursprüngliche Beziehung nicht, so wäre die Be- arbeitung der Natur ein „ins Blaue hinein unternommener Eroberungsversuch“ ohne inneres Recht und ohne Erfolg. (Phaen. p. 187.) Zweck der Bearbeitung ist die Vergeisti- gung der menschlichen Natur, worunter hier die seelische verstanden wird. So ist die ursprüngliche Beziehung zwischen Geist und Natur die bleibende Grundlage des persönlichen Geisteslebens; sie ist eine geltende Ordnung, welche zwei 3% unterschiedene Elemente, das Denken und das Ich konstant verknüpft. Diese Ordnung gilt aber auch für die allgemeine geistige Geschichte, denn auch sie ist als Bearbeitung der menschlichen Natur aufzufassen. Das geht aus folgendem hervor. Der positive Fortschritt der allgemeinen geistigen Entwicklung besteht darin, dass ein neues, tieferes Gedanken- system auftritt und die Leitung der persönlichen Geister übernimmt. Ein praktisches Gedankensystem ist immer zuerst in nuce als grundlegende intellektuelle Anschauung vorhanden. Sie vermittelt ihrerseits das Bild einer höheren Wirklichkeit, in welcher nicht tatsächliche Bestände regieren, sondern wahre Gedanken. Die produzierende und zusammen- haltende Kraft der intellektuellen Anschauung ist eine geistige, aber die einzelnen Teile des neuen Weltbildes sind gewöhn- liche Vorstellungen. „Also ist hier das gewöhnliche, natur- hafte Vorstellungsleben durch die geistige Kraft über sich selbst, und damit über dıe Abhängigkeit von dem Gegebenen hinausgehoben. Es hindert uns nichts, diesen Vorgang als eine grundlegende und vorbildliche Bearbeitung der mensch- lichen Natur durch den Geist aufzufassen.“ (Phaen. p. 188.) Was aus dieser Bearbeitung hervorgeht, ıst das Gedanken- system, das seine Forderungen an die einzelnen persönlichen Geister richtet. In der Beziehung zwischen Natur und Geist ist der Grund dafür gegeben, dass bei solcher vorbildlichen Bearbeitung etwas herauskommt, was im geistigen Sinne „regierungsfähig“ heisst. Wenn nunmehr von allgemeiner Geistesgeschichte die Rede ist, so ist damit weiter nichts gemeint, als das Nacheinander und Nebeneinander der regierenden (Gredankensysteme mit ihrem grösseren und geringeren Mass von Wahrheitsgehalt. Von ihnen ist der positive Fortschritt des persönlichen Geisteslebens abhängig. Für diese allgemeine Geistesgeschichte gilt, was auch vom persönlichen Geistesleben behauptet wurde, dass sie als Bearbeitung der menschlichen Natur durch den Geist auf- zufassen ist. Beide Arten von Geschichte werden getragen von der 3eziehung zwischen Geist und Natur. Sie haben darin ihre gemeinsame geltende Ordnung. „In dem Gedankensystem liegt die vorbildliche Bearbeitung der besonderen Natur eines Volkes und einer geschichtlich bestimmten Epoche vor. Und dieses Gedankensystem regiert wiederum die Bearbeitung, welche der persönliche Geist auf seine besondere Natur richtet.“ (Phaen. p. ı89.) Mithin haben wir in der Be- arbeitung der Natur durch den Geist die korrespondierende Tätigkeit des objektiven und subjektiven Geisteslebens zu erblicken, und in der ursprünglichen Beziehung des Geistes zur Natur die einheitliche Ordnung, auf welcher das persön- liche und das unpersönliche Geistesleben ruht. b) Einheit und Mannigfaltigkeit des Geisteslebens. Gegeben ist eine Anzahl von Systemen, die unter sich verschieden sind, was die Tiefe des Wahrheitsgehaltes be- trifft, die aber auch bei gleichem Wahrheitsgehalt durch die konkrete geschichtliche Ausgestaltung sich wesentlich von einander unterscheiden. Die Annahme liegt nahe, dass alle Mannigfaltigkeit der Systeme und die der geistigen Persön- lichkeiten von der Natur herkommt. Die Natur und ıhre besondere Gestaltung in Völkern, Zeiten und Individuen wäre also die Quelle für die Konkretheit der Gedanken- systeme; indem der Geist die besondere Natur eines Volkes etc. bearbeitet, kommt es zu dem Resultat, das man als vergeistigte Besonderheit bezeichnen könnte. (Phaen. p. 190.) Dieser Annahme stehen aber nicht geringe Schwierigkeiten entgegen. Es kann nämlich der grössere und geringere Wahrheitsgehalt der Systeme aus ihr nicht genügend ab- geleitet werden. Dass das überall gleiche, auf ewige Wahr- heit gerichtete praktische Denken in dem einen Falle mehr, in dem anderen weniger erreicht, müsste demnach seinen Grund haben in der verschiedenen nationalen und zeit- geschichtlichen Besonderheit, auf deren Bearbeitung das praktische Denken gerichtet ist. Aber lässt sich, um ein Beispiel aus dem religiösen Gebiet anzuführen, das christ- liche Gedankensystem mit seinem Schatze neuer und tiefer Wahrheit etwa aus der Bearbeitung der israelitischen Natur durch das überall gleiche, praktische Denken ableiten? (Phaen. p. 192.) Die Unterschiede der Gedankensysteme, ra welche rücksichtlich des Wahrheitsgehaltes bestehen, ge- hören nicht der Natur, sondern dem Geiste an. AÄndrerseits gibt es Unterschiede, die von der Natur herrühren. Diese liefert als national und historisch bestimmte der grundlegen- den intellektuellen Anschauung das in vorbildlicher Weise zu bearbeitende Material. Das Resultat ist die vergeistigte Besonderheit. Somit hat jedes System einen bestimmten Wahrheitsgehalt und die Züge vergeistigter Besonderheit, wenn es voll ausgestaltet ist. Aus dieser doppelten Quelle stammt die Konkretheit der Gedankensysteme. Bei tieferem Eindringen erschliesst sich aber noch eine dritte. Abgesehen nämlich von den Unterschieden an Wahrheitsgehalt, die auf die Leistung des praktischen Denkens zurückzuführen sind, und vor der Bearbeitung einer nationalen Besonderheit liegen, gleichsam also im ersten originalen Wurf des Denkens begründet sind, unterscheiden sich die Gedankensysteme noch in anderer Weise von einander. Es hat jedes seinen eigenartigen Typus; in allen bedeutenderen Systemen ist ein gewisses unsagbares Etwas zu konstatieren, wovon jede einzelne Position gleichsam tingiert ist, und worauf schliess- lich die Eigenartigkeit des geistigen Typus beruht. Be- gründet ist diese Eigenartigkeit in dem spezifischen Gesichts- punkt, welcher in der grundlegenden intellektuellen An- schauung die Aktion des geistigen Schauens regiert. Wie die geistige Höhenlage eines Systems schon entschieden ist vor der Bearbeitung einer nationalen Besonderheit durch die erste originale Leistung des praktischen Denkens, so gehört auch die Eigenartigkeit der Systeme, die auf einer besonderen Betätigung des praktischen Denkens ruht, dem Geist und nicht der Natur an. (Phaen. p. 195.) Diese mit „Eigentümlichkeit“ zu bezeichnende Besonderheit ist also zu unterscheiden von der vergeistigten Besonderheit, von der oben die Rede war. Letztere ist das Resultat aus zwei Faktoren, nämlich dem Denken, das eine nationale und historische Besonderheit vorbildlich durch eine intellektuelle Anschauung bearbeitet. Erstere gehört ganz dem Geiste an (Phaen.p. 195). Als geschichtliche Illustration zu dem, was begrifflich entwickelt wurde bezüglich der Eigentümlich- U A vn. keit, mag das Beispiel der drei grossen christlichen Kon- fessionen dienen. Jedes dieser Gedankensysteme enthält eine eigentümliche Auffassung des christlichen Wahrheits- gehaltes. Dementsprechend gestaltet sich auch die persön- liche Frömmigkeit unter der Herrschaft jedes dieser Systeme verschieden. Denken wir uns drei Menschen, an welchen das, was objektiv in ihrer Konfession an religiösem Gehalt enthalten ist, zum typischen Ausdruck kommt, so werden diese drei Typen nicht nur in diesem oder jenem Stück, sondern, man möchte sagen, dem inneren Genius nach ver- schieden sein. (Phaen. p. 196.) Solche Unterschiede in der subjektiven Sphäre können nur in der Beschaffenheit der regierenden Gedankensysteme begründet sein; es liegen also hier offenbar drei eigentümliche Gestaltungen des christ- lichen Gedankensystemes vor. Die Ansicht von der Eigentümlichkeit ist hier nur in- soweit darzustellen, als sie schliesslich für den Entwicklungs- gedanken in Betracht kommt, und dazu erübrigt noch, auch das persönliche geistige Leben daraufhin zu prüfen, ob es die Merkmale der Eigentümlichkeit aufzuweisen hat. Es ereignet sich hier in der Tat im Kleinen dasselbe, was vorher rücksichtlich der objektiven Fortbildung der Systeme im Grossen gesagt wurde. Dort wurde die Eigentümlickeit eines Gedankensystems hergeleitet von dem spezifischen Gesichtspunkt, der in der grundlegenden intellektuellen An- schauung die Aktion des geistigen Schauens regiert. Hier ist der Moment ins Auge zu fassen, in welchem eın neues Gedankensystem im Geiste eines Menschen zuerst ins Dasein tritt. Da scheint nun jene spezifische Richtung des prakti- schen Denkens eben eine Qualität seines Denkens zu sein. Die Eigentümlickeit seines Geistes scheint der tragende Grund für die Eigentümlichkeit des von ihm produzierten Systems zu sein; es mag dem so sein, jedenfalls aber ist hinzuzunehmen, dass „je grösser der Heros und sein System ist, um so mehr sich Züge finden, welche man nicht umhin kann, als inspiratorisch zu bezeichnen. Gerade am ersten Anfang kommt der Heros nur als Organ in Betracht, in welchem das praktische Denken selbst eine neue Stufe ersteigt.“ (Phaen. p. 198.) Indes kommt hier weniger in Betracht was der Mensch an dem Gedankensystem arbeitet, sondern was er als Organ des Systems an seiner Natur tut. Und hier ist bei aller Abhängigkeit doch Raum für die Betätigung geistiger Eigentümlichkeit. Man kann einen bedeutenden historischen Inhalt auf verschiedene Weise zur Durchführung bringen und er bleibt doch derselbe. „Es muss ın der Wurzel ein aktives Element vorhanden sein, welches zwar nicht das Wachstum selbst, wohl aber die spezifische Art des Wachstums hervorruft.“ (Phaen. p. 200.) Die Eigentümlichkeit kann allerdings nur in der Reproduktion eines Gedankensystems betätigt werden. Aus der natürlichen Besonderheit ist die individuelle Eigentümlichkeit nicht ableitbar, wenigstens dann nicht, wenn die Reproduktion mit Treue und Hingebung vollzogen worden ist, denn in diesem Falle wurde ja die natürliche Besonderheit als das Nichtseinsollende ferne gehalten. Es bleibt nur übrig, die individuelle Eigentümlichkeit, welche die Reproduktion eines Inhaltes auszeichnet, auf die spezifische Richtung des prakti- schen Denkens zurückzuführen. Es handelt sich also tat- sächlich um persönliche Eigentümlickeit in geistiger Beziehung. Dass sie verhältnismässig selten vorkommt, hat seinen Grund in Verhältnissen die hier nicht erörtert zu werden brauchen. — Das Ergebnis der beiden letzten Abschnitte für den Ent- wicklungsgedanken kann nunmehr zusammengefasst werden. Die berechtigten Momente der älteren spekulativen Ent- wicklungsidee in der Hegelschen Fassung bleiben erhalten. Dazu ist zu rechnen die Einheit des Geisteslebens und der Gedanke des Fortschrittes. Jene ist garantiert durch die ursprüngliche Beziehung zwischen Geist und Natur, deren Bearbeitung den gemeinsamen Inhalt aller Gedankensysteme bildet. Die ursprüngliche Beziehung umfasst als geltende Ordnung das allgemeine sowie das persönliche Geistesleben. Doch ist diese Einheit keine abstrakte, sondern eine ge- gliederte, denn innerhalb dieser Ordnung ist Raum für Betätigung von objektiver und persönlicher Eigentümlichkeit. Darin wieder liegt die Möglichkeit für die unzähligen indi- viduellen Geister, von denen jeder ein „dieser“ ist. Dabei | bleibt das persönliche Geistesleben völlig an das objektive gewiesen, denn persönliche Eigentümlichkeit ist nur möglich in der Reproduktion eines Gedankensystems. Was die Idee des Fortschrittes betrifft, so erfährt sie allerdings eine be- deutende Modifikation. Es gibt für das allgemeine Geistes- leben kein Inneres, das sich in den Verlauf irgend eines Lebens umsetzte. Die Ansicht, dass alle Gedankensysteme im menschlichen Denken präformiert vorhanden wären und darum in einer bestimmten Reihenfolge hervortreten müssten, wurde abgewiesen. Ebenso die von den drei Normalsystemen, die sich successive verwirklichen sollen. Den Begriff der Geschichte können wir mithin nicht in gleicher Weise auf das unpersönliche Geistesleben anwenden, wie auf das per- sönliche. Allerdings ist ein bleibendes Innere auch auf der objektiven Seite vorhanden, nämlich das Denken mit seiner Tendenz auf ewige Wahrheit, und die fundamentale Be- ziehung zwischen Geist und Natur; aber die beiden Faktoren setzen sich nicht in einen Lebensverlauf um, sondern äussern sich in immer neuen Produktionen des Denkens auf Grund der Beziehung. Von einem stetigen Fortschritt, der die Selbstverwirklichung der Idee darstellte, kann daher keine Rede sein. Es ist mehr das Nebeneinander als das Nach- einander der Systeme zu betonen. c) Die Inadäquatheit des Geisteslebens. Eine weitern Modifikation erfährt der Gedanke des Fortschrittes durch das, was man die Inadäquatheit des Geisteslebens nennen könnte; sie ist sowohl auf Seite des objektiven wie des persönlichen Geistes vorhanden und be- darf nunmehr der Hervorhebung. Es ist, um mit dem per- sönlichen Geistesleben zu beginnen, hier auf die Tatsache hinzuweisen, dass in jedem Menschen der Geist mit einem Element verknüpft ist, über welches er nicht wahrhaft siegen kann, sondern welches am letzten Ende ihn besiegt. (Phaen. p. 217.) Das geistige Leben ist mit dem Körper verknüpft, welcher wohl diszipliniert, aber nicht vergeistigt werden kann. Das persönliche geistige Leben erscheint nie anders, als mit dem personalistischen verbunden; letzteres aber stellt einen Naturvorgang dar und unterliegt völlig den äusseren tatsächlichen Verhältnissen. In der „Natur“ aber ist keine Tendenz wahrzunehmen, welche dahin ginge, menschliche Persönlichkeiten als bleibende Lebensmittelpunkte hervor- zubringen. (Phaen. p. 158.) Also die Tatsache des Sterben- müssens ist eine vom Geistesleben aus unbegreifliche. Das Leben des Geistes ist dem zeitlichen Verlauf preisgegeben, der sich aus den Verhältnissen tatsächlicher Bestände ergibt. Diese Preisgebung ist um so merkwürdiger, als der Anfang des geistigen Lebens nicht mit dem des natürlichen zu- sammenfällt. Die geistige Bewegung, deren Anfang in den Moment zu setzen ıst, wo das Denken und das Ich unter der Leitung eines Gedankensystems sich wahrhaft zusammen- geschlossen haben, und deren Ende unabsehbar ist, bleibt in den Naturlauf verflochten. Eine entsprechende Erscheinung trıtt uns auf der Seite des objektiven geistigen Lebens ent- gegen. (Phaen. p. 218.) Die Faktoren, um die es sich hier handelt, sind die Gedankensysteme, welche aus der Tendenz des Denkens auf praktische Wahrheit hervorgehen, und die durch ıhre Eigentümlichkeit ein weiteres bedeutendes Element des Geistes darstellen. Diese Produktionen des objektiven Geistes sind nicht gleicherweise mit dem Personalismus ver- flochten wie das persönliche Geistesleben. Allerdings kommt auch für sie die Treue und der Gehorsam der führenden Geister namentlich in der späteren Ausgestaltung sehr in Betracht, aber der über die geistige Höhenlage des ent- stehenden Gedankensystems entscheidende Moment liegt jenseits des Personalismus, jenseits von Treue und Untreue. (Phaen. p. 230.) Man kann mithin sagen, dass hier die geistige Macht des Denkens ursprünglich auf geistige Weise tätıg ist und dass ihre Fortschritte von geistiger Art sind; und dennoch sind die Gedankensysteme nicht nur an Wahr- heitsgehalt verschieden, sondern sie sind in ihrer Entwicklung mit dem menschlichen Naturleben und dessen zeitlichem Verlaufe in einer Weise verflochten, die vom Standpunkt des Geistes aus nicht für selbstverständlich gelten kann. (Phaen. p. 219.) Die Preisgebung des geistigen Lebens an den zeitlichen Verlauf gehört unter den Begriff des Inadäquaten. 2 — 43 — Bleibt es doch die Situation unzähliger Menschen, die unter einer niederen geistigen Formation leben, dass ihnen von dem objektiven Geistigen, auf das sie angelegt sind, viel weniger zu teil wird als anderen. Was sie als unbedingt und ewig giltig bejaht haben, erweist sich hinterher als etwas, das vorwiegend eine historische Grösse ist, wenn auch sein Ursprung aus dem geistigen Lebensgrunde des Denkens feststeht. Allerdings wird, sofern dies klar wird, die geistige Selbständigkeit und Eigentümlichkeit sich in der Kritik des Bestehenden und eventuell in Ansätzen zu objektiven Neubildungen äussern. (Phaen. p. 227.) Insofern also, als eine Wechselwirkung zwischen objektivem und subjektivem geistigen Leben stattfindet, ist die Preisgebung an die historische Situation keine absolute, aber die Frage, ob nicht das, was von dem Ich als unbedingt geltend bejaht wurde, schliesslich nur ein relativer histori- scher Wert ist, bleibt bestehen, denn Ewiges und Historisches scheinen sich gegenseitig auszuschliessen. Bis zu diesem Punkte sind wır schon einmal gelangt bei der Frage nach dem Verhältnis zwischen dem Ewigen und Historischen. Nunmehr dürfte eine rein begriffliche Klarstellung günstig auf die Umgrenzung des Problems wirken. „Historisch“ und „ewig“ heben sich dann allerdings gegenseitig auf, wenn wir unter „historisch“ den Verlauf in der mensch- lichen Sphäre verstehen, welche von dem Naturkreislauf nicht wesentlich verschieden ist, also wıe dieser sich aus den Verhältnissen tatsächlicher Bestände ergibt. (Phaen. p. 228.) Bezeichnen wir irgend etwas als ewig, so heisst das ja gerade, dass es nicht dem Daseinskreise angehört, für welchen der bezeichnete Verlauf charakteristisch ist. „Dagegen behaupten wir nicht, dass einem solchen Gegen- stand alle Bewegung fehlen müsse, und dass er nur in starrer Ruhe verweilen könne. Aber diese Bewegung und Entwicklung ist nicht die naturmässige. Sie beginnt im Geiste, das heisst letztlich im Denken und sie geht von einer Stufe des geistigen Lebens zur anderen ins Unendliche fort. Solche Bewegung nennen wir Geschichte, und diese ist die wahre Lebensform des Geistes.“ (Phaen. p. 228.) m MA Nun ist es gerade dieser Begriff der Geschichte, den wir für das persönliche Geistesleben in Anspruch genommen haben, und es steht mithin der Annahme nichts im Wege, dass sich in ıhm Ewiges realisieren könne. Andrerseits freilich konnten wir für das unpersönliche Geistesleben nicht den Nachweis erbringen, dass es nach dem Schema einer Geschichte verlaufe. Das Vehikel des Fortschrittes zwar ist gegeben in der unbedingten Wahrheitstendenz des Denkens, aber es fehlt die Umsetzung in einen Lebensverlauf und es fehlt das Moment der Freiheit, welches für das persönliche Geistesleben von entscheidender Bedeutung ist, denn sowohl das praktische Denken als die daraus hervor- gehenden Gedankensysteme sind unpersönlicher Art. Ist nun auch das Handeln der Individuen gegen die Inhalte, die Wechselwirkung des subjektiven und objektiven Geistes- lebens, von weitgehender Bedeutung, so kann man doch nicht behaupten, dass das objektive geistige Leben vom subjektiven aus etwa begründet werde durch freie, wesens- bildende Taten des Ich, sondern jenes bleibt allezeit das übergeordnete. „Das Ich wird niemals ein Herr des Denkens und damit der theoretischen und praktischen Wahrheit.“ (Phaen. p. 209.) Mithin bleibt eine gewisse Differenz zwischen dem objektiven und subjektiven Geistes- leben bestehen. Jenes ist nur bis zu einem gewissen Grade Geschichte. Dieses wird umsomehr Geschichte und nicht bloss historischer Verlauf sein, je geistiger der Ursprung des Gedankensystems ist, unter dessen Herrschaft es steht, und ein Gedankensystem wird um so grösseren Wahrheits- gehalt besitzen, je mehr es alle in der ursprünglichen Beziehung liegenden Momente zu tiefem und allseitigem Ausdruck bringt. (Phaen. p. 229.) d) Der Entwicklungsgedanke. Zusammenfassend können wir nunmehr folgende Momente hervorheben, die den Entwicklungsgedanken charakterisieren: Ein eigentliches Subjekt der Entwicklung, mögen wir es Idee oder sonstwie nennen, das sich selbst in immer höheren Daseinsformen verwirklicht und zum absoluten Bewusstsein erhebt, kennen wir nicht. An dessen Stelle tritt der im- manente Denkprozess, dessen beide Faktoren das Denken mit seiner praktischen Wahrheitstendenz und die Beziehung zwischen Geist und Natur sind. In letzterer ist die Einheit des Geisteslebens begründet. „Wir haben die Annahme jenes allgemeinen Geistes der Menschheit wirklich nicht nötig, uns genügt die starke Betonung der Identität des Denkens in den aufeinander folgenden Geschlechtern der menschlichen Individuen. Es ist der Art nach dasselbe Denken, welches einst ın einer Anzahl von Individuen die Inhalte bildete, und welches jetzt in nachgeborenen Ge- schlechtern sich urteilend und reproduzierend in ihnen verhält.“ (Phaen. p. 135.) Durch den Gedanken der Eigen- tümlichkeit, welcher der älteren Spekulation fremd war, gewinnt ferner der einzelne Geist mächtig an Bedeutung; seine persönliche, eigentümliche Richtung wird zu einem Einschlag in dem Gewebe der Geschichte. Es kann keine Rede mehr davon sein, dass der einzelne Geist nur eine Durchgangsstufe von bloss phänomenaler Bedeutung für den allgemeinen Geist sei. Endlich wird die optimistische Ent- wicklungstheorie Hegels mit ihrer Annahme eines stetigen Fortschrittes stark modifiziert durch die Ansicht von der Inadäquatheit des Geisteslebens; letzteres stösst infolge seines Verflochtenseins mit den natürlichen Tatbeständen auf weit mehr Widerstand, als es der älteren Spekulation erschien. Eine Stetigkeit des Fortschrittes ist nicht nach- weisbar. Statt dem Nacheinander ist vielmehr das Neben- einander der Gedankensysteme zu betonen. (Phaen. p. 231.) „Wir werden allerdings nicht meinen, den ganzen Reichtum des subjektiven und objektiven Geistes in der irdischen Geschichte vorgeführt zu bekommen. Alle dahingehenden philosopischen Versuche müssen fehlschlagen.“ (Phaen. p. 225.) 1. Teil: Beurteilung. l. Die philosophische Grundlage. Es sind zwei Theorien, welche der Philosophie von Class, die zwar nicht vollständig, aber der Hauptsache nach dar- gestellt wurde, zu Grunde liegen. Eine Theorie vom menschlichen Ich und eine vom unpersönlichen autonomen Denken. Was die erste betrifft, so ist sie wesentlich an Kant orientiert.. Das Ich ist, wie bei Kant der Wille, bestimmbar durch blosse Vernunft. Es vermag fühlend und wollend aut die sachlichen Forderungen der Gedankensysteme zu reagieren, es versteht die Sprache der Sachlichkeit; anderer- seits ist es zugleich individualistisch bestimmt, durch die Antriebe der Sinnlichkeit affiziert, wie Kant vom Willen sagt. (Phaen. p. 131.) Auch der ethische Vorgang, die Entscheidung des Ich für ein unbedingtes Soll, wie es ıhm in den Gedankensystemen entgegentritt, ein Vorgang, welcher „alle Potenzen des Universums vertreten zeigt“, ist durchaus kantisch gedacht. An dieser prinzipiellen Übereinstimmung vermögen auch einzelne, teilweise sehr bedeutsame Modifi- kationen nichts zu ändern. Zu letzteren gehört es, wenn Class statt des einen, inhaltlich allezeit gleichen kate- gorischen Imperativs, wie Kant ıhn lehrt, eine Verschieden- heit von Imperativen, die doch gleichermassen unbedingt sind, nachweist, wenn er ferner diese Imperative auch auf den Gebieten des religiösen und kulturlichen Handelns konstatiert, nicht nur, wie Kant tut, auf dem Gebiet des rechtlich moralischen Handelns. Die andere Theorie von unpersönlichen Denken führt dagegen über Kant hinaus. Zwar sofern dieses Denken als reines, postulierendes, Kategorien bildendes gedacht ist, befinden wir. uns noch auf kantischem Boden; nicht mehr aber, wenn diesem Denken eine eigene Bewegung, eine auf das Ich gehende Tendenz, also ein Wille zugeschrieben wird. Hier tritt die Hegelsche Philosophie in Sicht. Mehr noch ist dies der Fall, wenn in der geschichtsphilosophischen Weise Hegels der Begriff eines historischen Inhaltes ge- bildet wird und wenn vollends als letzte Grundlage. der historischen Inhalte ein System von Gedanken konstatiert wird. Hier befinden wir uns auf einer Linie mit Hegels Ansicht vom objektiven Geiste; Class hat diese Ansicht vom objektiven Geiste von Hegel übernommen und zu der An- sicht vom historischen Inhalt ausgestaltet und fortgebildet. Und gerade darin erblicken wir ein Verdienst dieser Philo- sophie, dass sie unbekümmert um die Ungunst, unter welcher die Hegelsche Philosophie derzeit noch zu leiden hat, ein Moment von unvergänglichem Wahrheitsgehalt zu Ehren gebracht und als festes Bollwerk dem Individualısmus ent- gegengestellt hat. Eben die Ansicht vom objektiven Geist, von der Realität und Autonomie des Gedankens. Gewiss hat diese Ansicht ihre Schwierigkeiten und Hegel selbst hat diese seine bedeutendste Leistung diskreditiert dadurch, dass er eine Geschichte des objektiven Geistes glaubte nachweisen zu können. Dass das vorliegende System sich von dieser Verirrung durchaus frei gehalten hat, wird die Darstellung des Entwicklungsgedankens genügend gezeigt haben. Immerhin liegt es nahe, auch gegen diese stark, modifizierte Ansicht vom unpersönlichen Denken den Vorwurf des Intellektualismus zu erheben. Dass der „Gedanke“, zumal der systematisch entfaltete, ein Element, und zwar ein energisches, der Wirklichkeit sein soll, will der modernen Denkweise nicht in den Sinn. „Sie ist daran gewöhnt, den ‚Gedanken‘ nur als Spiegelung der Wirklichkeit, höchstens als das Instrument zu betrachten, mittels dessen die Wirklichkeit ee zum intellektuellen Präparat umgestaltet wird. Vielleicht erkennt sie die Tatsächlichkeit der von uns betonten Phänomene an, aber sie wird nachzuweisen suchen, dass die Macht jener Gedankensysteme in Wahrheit nicht ihnen selbst, sondern den Individuen angehört.“ (Phaen. p. 66.) Somit hat Class selbst die Schwierigkeit seiner philosophi- schen Position gefühlt, aber er hat auch jenen naheliegenden Einwand in einer wie uns scheint durchaus zutreffenden Weise entkräftet. „Dem gegenüber fragen wir: wie würde denn eigentlich im vorliegenden Falle eine wahrhaft intel- lektualistische Theorie lauten? Sie würde einfach das Wollen in Denken auflösen und dann zwischen theoretischem und praktischem Denken unterscheiden. Bei letzterem wäre nicht eine selbständige praktische Potenz anzunehmen, welche die Gedanken ausführte, sondern dem Denken selbst würde die Fähigkeit eigen sein, sich praktisch zu verhalten.“ (Phaen. p. 137.) Wenn wir dagegen an das denken, was Class von dem Ich als der entschliessenden und kraftgeben- den Instanz lehrt, ferner an die Zusammengehörigkeit dieses leidenden und handelnden Ich mit dem Denken, so geht daraus hervor, wie ferne ıhm trotz allem eine intellektualistische Theorie legt. Was die Selbstbewegung des reinen Denkens, die Tendenz auf das Ich hin betrifft, so müssten wir sie als eine „Begriffsdichtung“ ablehnen, wenn sie gemeint wäre im Sinne der Hegelschen panlogistischen Spekulation, nämlich als das Vehikel, durch welches es zur Selbst- entfaltung der metaphysisch gedachten Idee kommt. Wir müssten diese Ansicht um so mehr abweisen, als es Hegel selbst in der Frage nach dem Primat des Denkens oder Wollens in jenem Prozesse zu keiner einheitlichen An- schauung gebracht hat. (K. Fischer, Hegel Band Il, p. 683.) Um eine solche Spekulation handelt es sich aber ım vor- liegenden Falle nicht, sondern nur um die Frage, ob den Gedanken, nämlich den fertigen Gedanken der historischen Inhalte, oder dem persönlichen Wollen der Primat im allge- meinen und im individuellen Geistesleben zukommt. Wer mit Class der ersteren Ansicht ist, der konstatiert einfach eine Tatsache, wenn er von einer auf die Beherrschung des Ich hinzielenden Bewegung des reinen Gedankens redet. Es ist die Tatsache, dass das unpersönliche Denken in der Geschichte allezeit auftritt mit dem Anspruch, der „geborene Führer des Ich“ zu sein. Zu erklären ist diese Tatsache aus der praktischen Tendenz des reinen Denkens. Ungleich wichtiger als alles bisherige erscheint es uns aber, dass Class den Monismus Hegels völlig aufgegeben hat. Nicht nur sind, wie bei Schleiermacher, Natur und Geist zwei unterschiedene Faktoren, sondern der Geist selbst ist nach seinem innersten Wesen nur eine gegliederte, nicht eine abstrakte Einheit. Er ist die Kongruenz, nicht die Indentität des Ich als kraftgebender Instanz und des un- persönlichen Denkens. Er ist nicht eine Substanz, sondern ein durch die zwei genannten Faktoren hervorgebrachter Vorgang. Mit dieser Auffassung, die schliesslich auf den aristotelischen »oög in seinem Verhältnis zur Ywy7 zurück- geht (Real.* p. 33), hat Class ein realistisches Element in seine Philosophie eingeführt, das von grösster Bedeutung ist. Denn nur bei dieser Fassung der Sache scheint uns die Immanenz des Geisteslebens einleuchtend zu sein. Da jener voös, das reine Denken, zur Ausrüstung des menschlichen Geistes gehört, ist es nicht nötig, stets auf eine Überwelt des Geisteslebens zu rekurrieren. Schreibt man dagegen dem Geistesleben in platonisierender Weise ein substantielles Selbst und Beisichsein zu, wie es in der in mancher Be- ziehung verwandten Philosophie Euckens geschieht, so ist sowohl die Immanenz des Geisteslebens als auch die Be- deutung des individuellen für das substantielle Geistesleben schwer vorstellig zu machen. Anders hier, wo das Denken und das Ich vermöge einer fundamentalen Beziehung, die ihren Grund und Inhalt in der Bearbeitung der Natur durch den Geist hat, aufeinander angewiesen sind. Hier ist Raum für Betätigung individueller Eigentümlichkeit, ver- möge deren jeder einzelne Geist ein „dieser“ ist und für den Bestand und die Fortbildung des betreffenden histori- *), Abkürzung für: Class, die Realität der Gottesidee (1904). Der Entwicklungsgedanke in der Philosophie. 4 —— 50 — schen Inhaltes seine Bedeutung hat. Die Ansicht von der Eigentümlichkeit, welche Class nach dem Vorgange Schleier- machers in seine Philosophie eingeführt hat, könnte vielleicht noch weiter ausgestaltet werden; es dürften z. B. die letzten Gründe für das konservative oder kritische Verhalten einem gegebenen Inhalt gegenüber auf die persönliche Eigentümlich- keit zurückzuführen sein. Jedenfalls hat Class mit dieser Ansicht eine zwar sehr schwierige, aber auch sehr ergiebige Materie in seine Philosophie eingeführt, die in einem rein idealistischen System keine Stelle hätte. Seiner realistischen Auffassung vom Wesen des Geistes ist es zu verdanken, dass das Gesamtbild des Geisteslebens, wie er es entworfen hat, sich durch reiches geschichtliches Kolorit und durch plastische Konkretheit auszeichnet. Die Elemente, auf welche schliesslich der Verlauf des persönlichen Geisteslebens sowie die Gesamtentwicklung der Gedankensysteme zurückzuführen ist, sind zwei, nämlich die Tendenz des Denkens auf Wahrheit und die ur- sprüngliche Beziehung zwischen dem menschlichen Geiste und der menschlichen Natur. Dass die philosophische Forschung hier nicht Halt machen kann, ist klar. Die Frage nach dem tragenden Grunde der beiden Elemente, die doch nicht „gleichsam in der Luft schweben“ können, ist unab- weisbar. (Phaen. p. 231.) Aber mit der Beantwortung dieser Frage überschreiten wir das Gebiet, welchem die bisher behandelten Phänomene angehören, nämlich das Zwischen- gebiet zwischen Gott und der Materie. Wird die letzte Frage gestellt, so ıst der Rekurs auf die Gottesidee voll- zogen. Class hat diesen Schritt getan in seiner Schrift: Die Realität der Gottesidee (München ı904). Da sie für den Entwicklungsgedanken nicht in Betracht kommt, müssen wir uns eine eingehende Behandlung dieses bedeutenden Versuchs versagen. PRIPRERN?. Fo 2. Ergebnis. Es sind sichere Anzeichen vorhanden, dass gewisse Grundgedanken der Hegelschen Philosophie wieder zu Ehren kommen. Nennt doch ein von Hegel so grundverschiedener Denker wie Wundt Hegels Philosophie des Geistes neben dem Positivismus die hervorragendste Erscheinung des ver- flossenen Jahrhunderts (Einleitung in die Philosophie p. 268). Die Bedeutung der Religionsphilosophie Hegels für die Gegenwart hat kürzlich eine Würdigung erhalten (Dr. Emil Ott, die Religionsphilosophie Hegels). Auch ein anderes vielgenanntes Werk Euckens „Wahrheitsgehalt der Religion“ ist eine Weiterbildung Hegelscher Gedanken. Ganz be- sonders gilt letzteres Urteil von der Class’schen Philosophie. Sie hat Hegels Grundanschauung vom objektiven Geist in originaler Weise umgestaltet und fortgebildet zu der des historischen Inhaltes und hat mit letzterem einen Begriff von weittragender Bedeutung geschaffen. Seine Leistungs- fähigkeit scheint uns besonders in zwei zur Zeit akuten Fragen hervorzutreten, deren Präliminarien wenigstens noch in das philosophische Gebiet gehören, in den Fragen nach der Absolutheit und nach dem Wesen des Christentums. Was das erstere Problem betrifft, so kann vom Stand- punkte historischen Denkens aus die Absolutheit des Christentums geschichtlich jedenfalls nicht mehr in der Weise begründet werden, dass man den historischen Inhalt, welchen das Christentum darstellt, gegen alle anderen historischen Inhalte isoliert. Dazu ist das historische Denken weder berechtigt, noch bedarf der Gegenstand eines solchen Mittels, um seine Überlegenheit über alle verwandten historischen Inhalte darzutun. Der andere Weg, die Absolutheit des Christentums nachzuweisen, ist der, dass man es als Realisierung der religiösen Idee erweist. Auch dieser Weg ist für den historisch Denkenden ungangbar, denn er führt, wenn konsequent verfolgt, zuletzt doch wieder auf den metaphysischen Entwicklungsgedanken Hegels hinaus. Wo- her will man nämlich den Allgemeinbegriff oder die Idee der Religion gewinnen, wenn nicht aus der Geschichte ? 4 Diese aber zeigt uns nie Allgemeinbegriffe, sondern nur individuelle Gebilde in konkreter, also geschichtlich be- dingter Gestalt. Aber selbst zugegeben, der Allgemein- begriff liesse sich auf historische Weise ermitteln, wie wollte man dann beweisen, dass dieser Allgemeinbegriff zugleich der oberste Normbegriff ist? Der Nachweis hiefür wäre doch nur unter der Voraussetzung möglich, dass in der Geschichte ein Entwicklungsgesetz sich auswirkt, das an bestimmten Punkten mit Notwendigkeit zur Erscheinung der Idee führt. Das postulierte Gesetz müsste sich also zu allen geschichtlichen Hervorbringungen kausal verhalten und müsste zugleich den Grund für den teleologischen Charakter derselben enthalten. Es wäre mit anderen Worten nichts anderes als die Umsetzung eines Allgemeinen in einen historischen Verlauf, und diese wiederum fände ihre letzte Begründung in dem metaphysischen Entwicklungsgedanken, nach welchem im Begriff des Absoluten die kausale Ent- wicklungsreihe und ihr Ziel, die Realisierung der Idee gesetzt ist. Ein solches Entwicklungsschema ist der wirk- lichen Geschichte fremd. Demnach kann der Beurteilungsmasstab für die Ab- solutheit des Christentums nicht irgend woher a priori kon- struiert werden, sondern er ist aus der Sache selbst, das heisst, aus der Geschichte zu gewinnen. Es wäre freilich ein aussichtsloses Unternehmen, aus der Historie objektive Masstäbe gewinnen zu wollen, wenn die Geschichte nichts weiter wäre als die grenzenlose Auswirkung des Indivi- dualismus. Dann kämen wir über einen endlosen Progress nicht hinaus. Wer sich aber von der Unrichtigkeit dieser Ansicht überzeugt hat, und in der Geschichte vielmehr das Ganze von Wechselwirkungen zwischen Individuen und Inhalten erkannt hat, der kann es nicht mehr für aussichtslos halten, aus dem historischen Geschehen objektive Mass- stäbe zu gewinnen. Schliesslich ist doch kein historischer Inhalt, der diesen Namen verdient, ganz ohne objektiven Wahrheitsgehalt. Nur aus dem Zusammenschauen und Vergleichen aller zugänglichen Inhalte kann der Beurteilungs- masstab hervorgehen für denjenigen geschichtlichen Inhalt, welcher nicht nur einzelne Wahrheitsmomente enthält wie die anderen auch, sondern alle in der Sache (das heisst hier in der Beziehung des Geistes zur Natur, unter dem religiösen Gesichtspunkt betrachtet), liegenden. Auf diesem Wege gelangt man dann allerdings nicht zu einer abstrakten, sondern zu einer historischen Absolutheit. Aber das Weniger ist auch in diesem Fall ein Mehr. Dass die religiöse Vergewisserung um die Absolutheit des Christentums nicht von jenem historisch wissenschaftlichen Beweisverfahren abhängig ist, braucht wohl nur erwähnt zu werden. Zur Verständigung über den aus der Geschichte hervor- gehenden Absolutheitsbegriff, sowie zur weiteren Umgrenzung dieses Begriffes mag wohl noch hervorgehoben werden, dass auch den an Wahrheitsgehalt reichsten Gedanken- systemen die Verflechtung in den naturhaften historischen Verlauf nicht erspart bleibt, wenngleich die tiefsten und wahrsten Systeme aus jener Verflechtung kraft geistiger Verjüngung in erneuter Gestalt heraustreten (Phaen. p. 229). Ein Vorgang, der in einzigartiger Weise am christlichen Gedankensystem geschichtlich nachweisbar ist. Auch für das andere Problem, das Wesen des Christen- tums, gewinnen wir, wie uns scheint, vom Begriff des historischen Inhaltes aus einen entscheidenden Gesichtspunkt. Es lässt sich nämlich das „Wesen“ des Christentums nicht, wie es zuweilen versucht wird, auf eine kurze Formel bringen, derart, dass man etwa unterscheidet zwischen zeit- geschichtlicher Form und bleibendem Gehalt. Hier dürfen wir an die jedem Gedankensystem zu Grunde liegende intellektuelle Anschauung erinnern. Sie erschliesst das Bild einer höheren Wirklichkeit, in welcher nicht tatsächliche Bestände, sondern wahre Gedanken regieren. Das gewöhn- liche, naturhafte Vorstellungsleben ist durch eine geistige Kraft über sich hinausgehoben, aber die einzelnen Teile des Bildes sind, so sahen wir, gewöhnliche Vorstellungen. Sie sind mit dem regierenden Gedanken organisch verknüpft. Eben dadurch unterscheiden sich die praktischen Lebens- systeme von den Theorien der Wissenschaft. Nun kann, was, bildlich geredet, bei dem Geburtsakt eines historischen Inhaltes organisch verknüpft ins Dasein getreten ist, nach- träglich nicht durch Reflexion geschieden werden. Denn nur unter jener bestimmten, geschichtlich konkreten Formation vermochte der Gedanke geschichtliches Dasein zu gewinnen. Jene konkreten, einmal nur vorhandenen und hernach un- wiederholbaren Verhältnisse sind nicht etwa die leichte Hülle, welche von der darunter verborgenen Idee abgestreift werden könnte. Vielmehr bleibt die Wirksamkeit eines historischen Inhaltes dauernd von der Anfangsgestalt ab- hängig, unter welcher er ins Dasein der Geschichte getreten ist, denn nur dort ist die organische Einheit von Gedanke und naturhafter Vorstellung gegeben. An dieser Stelle unserer Untersuchung tritt die Be- deutung und das Wesen des Historischen klar zu Tage und erfährt seine volle Würdigung. In der von der Class’schen Philosophie gewiesenen Richtung scheint uns die Lösung der genannten zwei Probleme gesucht werden zu müssen, wobei die Darstellung über das Verhältnis des Ewigen zum Historischen noch besonders ın Betracht kommt. Die Ausführung im einzelnen ist nicht mehr Sache der Philosophie sondern der Theologie. (Geboren am 10. April 1869 in Nürnberg, als Sohn des Kaufmanns Heinrich Bechmann und dessen Gattin Frau Johanna, geb. Zwick, beide protestantisch, habe ich, Hermann Bechmann,*) die Schulen meiner Vaterstadt besucht und das dortige alte humanistische Gymnasium unter Rektor Dr. Autenrieth im Jahre 1887 absolviert. Meine Neigung zur Philosophie geht in die Schulzeit zurück. Als Gymnasiast verschaffte ich mir von der Stadtbibliothek Spinoza. Später zogen mich Lessings „Erziehung des Menschengeschlechtes“ und Schillers ästhetische Schriften besonders an. Im Jahre 1887 bezog ich die Universität Erlangen, um mich dem theologischen Studium zu widmen. Nach zweijährigem Aufenthalt daselbst und nach Erledigung meiner Militärpflicht studierte ich zwei Semester in Berlin, wo ich die protestan- tische Theologie neuer Richtung kennen lernte. Bei E. Zeller und O. Pfleiderer hörte ich philosophische Kollegien. In Tübingen und zuletzt wieder in Erlangen brachte ich meine Studien zum Abschluss. Nach bestandenem Examen wurde ich in das protestantische Predigerseminar in München auf- genommen. In den Jahren ı891 bis ıgor war ich amtlich zu sehr in Anspruch genommen, als dass ich in zusammen- hängender Weise meiner alten Freundschaft zur Philosophie mich hätte widmen können; doch drängte sich mir mehr und mehr die Überzeugung auf, dass bei der gegenwärtigen Lage der protestantischen Theologie enge Fühlung mit den philosophischen Disziplinen, insbesondere mit Erkenntnis- theorie, Ethik und Religionsphilosophie unumgänglich not- *, Bayerischer Staatsangehöriger. a; 4 "As van wendig ist. Durch rseine Versetzung nach Röthenbach bei St. Wolfgang, einer kleinen mittelfränkischen Landpfarrei, gewann ich die nötige Zeit, um meine philosophischen Studien. wieder aufnehmen zu können. Ich wandte mich der Philosophie vön G. Class zu, und aus dieser Beschäftigung ging vorliegende Arbeit hervor. Dass ich im Laufe der Arbeit mit Eucken, Wundt und Hegel vertrauter wurde, erachte ich als besonderen Gewinn. — Zur Ergänzung des biographischen Abrisses erwähne ich noch, dass ich mich ım Jahre 1896 mit einer Tochter des Oberarztes Hofrats Dr. Goeschel in Nürnberg verehelicht habe. Jm Jahre 1905 siedelte ich mit meiner Familie nach Dinkelsbühl über, nachdem ich auf die hiesige dritte prot. Pfarrstelle präsentiert war. Herrn Professor Dr. Falckenberg, der mich in freund- lichster Weise zu meiner Arbeit ermunterte, spreche ich auch an dieser Stelle herzlichen Dank aus. nn a en nn u he a 2 Inirt une Verseimig rt er eirieen ie 5 2 ee in rn en g: ich die rich (riast u 7 j | | Dass - 12! PLEASE DO NOT REMOVE CARDS OR SLIPS FROM THIS POCKET UNIVERSITY OF TORONTO LIBRARY B Bechmann, Hermann 3216 Der Entwicklungsgedanke in C64B3 der Philosophie von Gustav Class