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Antwort an die Bayrenther Blätter

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D. Paiiliiis Cassel.

Zum 28. Mai 1881.

Zweite Auflage.

Berlin, 1881.

J. A. Wolilgemuth’s Verlagstmchhandlung. (^[ax Herbig.)

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Antwort an die Bayreuther Blätter

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Zam 28. Mai 1881.

Zweite Auflage,

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Berlin, 1881

J. A. Wohlgemuth’s Verlagsbuchhandlung. (Max Herbig.)

Zu der in periodischen Publicationen erscheinenden Zeit- schrift „Antwort“ gehörig von welcher

Das Sendschreiben an Heinrich v. Treitschke, Ahth. n. 4a.,

Die Abstammung der englischen Nation, Ahth. II. 4h., Die Juden in der Weltgeschichte, Abth. II. 5.,

Die Antisemiten und die evangelische Kirche, Abth. '

und diese

Antwort an die Bayreuther Blätter als Abth. II. 7. anzusehen ist.

n. 6

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Der Jiulengott und Richard Wagner.

Vor etwa 20 Jahren, als ich mit einem gelehrten Orientalisten Über die Psalmen sprach, sagte er zu mir: Aber sagen Sie mir doch, der liebe David, der redet so viel von seinen Fein- den; wo waren denn die, als er schon siegreich regierte? '

Ich beantwortete dies ohne mich auf die wirkliche G-eschichte des Psalmenkönigs einzulassen, damit, dass ich ihn, den stillen Gelehrten und Beamten fragte, ob er denn trotz seines friedlichen Lebens in seinem Herzen keine sittlichen Feinde verspüre. Er schwieg. Ich hätte ihm schon damals bestimmte Namen von persönlichen Feinden nennen können die dem König im Grabe noch mehr wie Simei bei seinem’

Leben fluchten. Heute heissen sie Glagau Naudt

deutsche Wacht Hr. v. Wurm-Eysnern‘) Antisemiten überhaupt und in hervorragender Weise Richard Wagner.

*) Eecension meiner Schrift über „die Abstammung

der Engländer“ sagt dieser Herr (vgl. Sunem 1881, p. 146)- Nun die Geschmäcker sind verschieden; lieber stammte ich vom letzten schwäbischen Ritter ab, der sich an die reiche Stadt Nürnberg ver- dang, um mcht wie seine Standesbrüder vom Strassenraub zu leben, als von jenem alttestamentlichen Scheusal voll Wol- lust und Grausamkeit, Tücke und Verrath, jenem Manne nach dem Herzen Gottes.“

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Man kann durch sie verstehen, was im Ps. 27 geschrie- ben steht: „Gieb mich nicht in den Willen meiner Feinde, denn es stehen falsche Zeugen wider mich und thun mir Un- recht ohne Scheu.“

Man sollte dies von Richard Wagner am wenigsten er- warten, grade als einem Componisten, der zu seinen Opern den Text zu dichten pflegt einem Musiker von Arbeits- kraft und Erfolg David, dem Dichter und Sänger gegen- über, von dem Hieronymus sagt: „Er ist allein unser Simoni- des, Pindar und Alcaeus, auch Flaccus, CatuUus und Serenus; er lässt Cliristum auf der Lyra ertönen und auf dem Psalter, von zehn Saiten macht er ihn von den Todten auferstehn“.^) Aber Richard Wagner ist der Verfasser der Broschüre: „Das Judenthum in der Musik“ (Leipzig 1869); er meint darin (p.

21): „Der Jude habe nie eine eigene Kunst gehabt, daher nie ein Leben von kunstfähigem Gehalt“. Man darf nicht annehmen, dass er mit dem ausgesprochenen Verdikt nur das moderne Judenthum gemeint; er kann „den jüdischen Schöpfe rgott“ überhaupt nicht leiden; in seinem Sinne wird es ausgesprochen, „dass der alte Judengott, der sich in die ihm fremde christliche Welt eingeschlichen habe, zu ver- nichten sei“. Er will „von Jehova oder einem der Elohim nichts wissen, der alle Götter hasste“.^) Er verachtet sowohl Abraham wie Moses ; er steht eben ganz auf dem Standpunkt

2) Hieronymus Ep. 54 (ed. Migne 1. 547 (279). Durch die Zusammenstellung mit Catull erkennt man, dass hier der Dichter Septimius Serenus gemeint sein muss, von dem wir nur Fragmente übrig haben. (Vgl. Burmann Anthol. I. n. 27 und ed. Meyer p. 191.

192.) Opuscula ruralia hat sein Werk geheissen. Diese Erwäh- nung des Kirchenvaters scheint manchem der Philologen, die über ihn Anmerkungen machten, entgangen zu sein.

2) Schon im „Judenthum in der Musik“ p. 13 macht er die / Bemerkung von dem Juden, der bekanntlich einen Gott ganz für sich hat.

o

der Antisemiten, denen das alte Testament ein „Judenbuch“ ist und daher Autorität und Geltung verlieren muss.

Man müsste es für ein unlösbares Problem halten, dass Eichard Wagner zum alten Testament keine andere Stellung einnehmen kann, wie Glagau und andere Scribenten wenn nicht eben, um einen Psalm zu begreifen, mehr als Noten- kunst nöthig wäre.

Ich für meinen Theil beklage es, dass es so ist; er hat aus seiner „Religion und Kunst“ einen babylonischen Sturmbock gegen die Wahrheit des ewigen Gottes gemacht. Sie wird das Schicksal Babels theilen. Alle Patrone und Patronats vereine sichern nicht im Kampfe gegen die Wahrheit. Was Psalm 2 geschrieben steht, wird er erfahren. Die Baby- lonier haben auch krampfhaft an ihrem Thurme gebaut. Einen Namen wollten sie sich machen Gott gegenüber. Aber die Giganten sind über ihre eigenen Füsse gefallen; die Thürme Babels liegen in Trümmern; aller kunstvolle Tamtam wird verklungen und vergessen sein, wenn die Psalmen noch leben werden.

Es wird für Wagner keine Kränkung sein, ihn mit Amphion zu vergleichen. Unter den Tönen seiner Leyer bauten sich die Steine selbst zur Burg von Cadmea aber er war auch ein Rebell gegen die Gottheit. Er stürmte Apollen’s Tempel und kam dabei um. Aber mit den Motiven seines Grimmes kann man die von Wagner gegen das alte Testament nicht vergleichen. Amphion wüthete aus Schmerz um seines Weibes, der Niobe Tod wie der Mythus erzählt. Es ist das Bild der Verzweiflung um den Tod, der der Sünde Sold ist.

Die polemische Stellung Wagners zur Bibel hat mehr babylonische Art.

Richard Wagner hat die Leidenschaft der Energie. Er besitzt eine Kraft und nun glaubt er Alles zu können und zu kennen. Dass er ein mächtiger Musiker ist, daran ist sicher

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niclit zu zweifeln. Ich erlaube mir darüber kein specifisclies TJrtheil. Aber daran, dass er der Musik neue segensreiche Bahnen anweisen wird, also der „Meister der Zukunft“ sein wird ist nicht zu denken. Ich behaupte das nicht aus musikalischen, sondern moralischen Gründen. Es ist eben der Grundirrthum der Zeit, dass „Musik ohne Eeligion“ eine sociale 'Weltbedeutung haben könne; es handelt sich dabei freilich um wirkliche Eeligion, nicht um solche, die einer Tonwelle gleich ein vergänglicher Schall und Name ist. Freilich offenbart sich an Eichard Wagner ein mächtiger Wille auch in seinen Kunstschöpfungen aber ein Wille ohne innere Zügelung, ein Wille, der überall herrschen und was ihm entgegensteht, mit rücksichtslosen Mitteln be- kämpfen und vernichten will. Das bedeutet ja die babylonische Empörung. Die Menschen dort in Sinear genirte der lebendige Gott. Sie dachten ihn zu bekriegen. Desgleichen erweckte der Gott der Zehngebote allerlei Bedenken in den modernen „Teutonen“ oder „Titanen“, und man erklärte das alte Testa- ment für abgesetzt. Er hat ja selbst einmal auf den Barri- kaden gegen seinen König gestanden. Aber darin war er nicht gefährlich. Die preussischen Bajonette hat er nicht gehindert. Er hasst zwar den Krieg bis auf die Uniformen und tadelt, „dass die höchsten Herren, wenn es für bedeutende Manifestationen sich im fürstlichen Schmuck zu zeigen gilt, hierfür die Militairuniform anlegen, so übel und würdelos sie . ... die Gestalten kleiden mögen.“ Er ist ein „Eevolutionär“, aber nicht wie Washington, sondern wie Bonaparte. Er ist ein Feind des Kriegs aber er ist herrisch, wie die Tyrannen. Was Napoleon nicht überwinden konnte, suchte er zu beflecken. Als Componist von „Tannhäuser“ und „Lohengrin“ würde er mmer einer ungemischten Dankbarkeit seiner Zeitgenossen begegnet sein, aber als „Usurpator“ der „Zukunft“ sucht er deutsche Geschichte und Literatur, Gott den Vater und Jesum Christum die heilige Schrift und

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das Abendmahl zu meistern und dabei zu verfälschen und zu beflecken. Griechischen Göttern geschieht ebenfalls Ge- w^alt. Nur dem Buddha^ dem auch unverstandnen, wird gehuldigt. Tyrannische Naturen w^ollen Alles beherrschen darum sind sie immer Dilettanten. Je stärker ihr Wille ist, desto mehr unterwerfen sie Alles, auch Fernes, Unerkanntes, Unstudirtes, ihrer Willkür. Jener alte Fürst beugte sich vor der Gram- matik. Auch das glaubt AYagner nicht nöthig zu haben. Als Dichter und „Stabreimender“ thut er wie A^ulkan der Athene Gew’^alt an. Unter seinen Phantasien verlieren die Nibelungen wie die Bitter der Tafelrunde ihre Ideen. Es sind zweifel- hafte neue Schöpfungen mit alten Namen. Es sind verwischte und vermischte Gestalten, an denen die mythischen Namen wie Costüme flattern. Der alte Tiefsinn ist vor technisch- farbigen Dekorationen verloren gegangen. Wir wissen, dass Wagner ein musikalischer Meister ist, aber er fälscht die Literaturstoffe der alten Sagenwelt vor tausenden, die seine Oper hören, aber nicht die Quellen der Mythen zu erforschen vermögen. Er dichtet mit fremden Gedanken und Formen und setzt seine Tarnkappe auf das Haupt des echten Sigurd und Parzival dass sie vor aller Augen verschwinden. Verändern, Vermindern, Verwischen ist aber nicht Herrschen. Weder der celtische noch der deutsche Genius hat seine Helden dichtend dazu hervorgebracht, dass sie im Bayreuther Orchester Knechte einer andern Kunst w^erden sollen.

Aber er verdirbt nicht blos dem deutschen Y"olk seine Literatur, sondern auch seine Geschichte. In seinem neuesten Artikel über „Beligion und Kunst“ spricht er den ungeheuer-

In etW'as habe ich das begonnen nachzuweisen in meinen Aufsätzen über „das Königreich des Gral“, die in der „Musikwelt“ (herausg. von M. Goldstein) im ersten Jahrgang von Oktober 1880 an erschienen sind.

Ba}Teuther Blätter. Febr. März 81. p. 38.

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liehen Satz aus: „Man müsse die beispiellose Menschen- verwüstung, welche Deutschland durch den dreissigjährigen Krieg erlitt, in Betracht ziehen; nachdem die männliche Be- völkerung in Stadt und Land zum allergrössesten Theile ausgerottet, die weibliche aber der gewaltsamen Schändung durch Wallonen, Kroaten, Spanier, Franzosen und Schweden < nicht minder grossen Theiles unterlegen war, mochte der in seinem persönlichen Bestände verhältnissmässig wenig an- gegriffene Adel nach aller dieser Verwüstung mit dem Tleber- bleibsel dieses Volkes sich kaum mehr als ein geschichtlich Zusammengehöriges fühlen.“ Danach gäbe es eigentlich kein deutsches Volk mehr, sondern bis auf die Geschlechter des Adels wären Alles Bastarde. Es hätte in Deutschland keine ehrlichen Weiber gegeben, es wären alle der Lust fremder Kriegsleute anheim gefallen. Man kann dem Vaterland, das social im 30jährigen Kriege gelitten, keine grössere Schmach dazu thun. Der Krieg war allerdings ein Nationalunglück wie kein anderes in der Geschichte des Landes zwischen ' dem Niemen und dem Rhein. Es ist wahr, wie Joh. Rist in Wedel (an der Elbe) gesehn hat, dass in einer Compagnie der Kriegführenden „Deutsche, Polen, Spanier, Dänen, Franzosen, Schotten, Portugiesen, Schweden, Engländer, Finnländer und Iren, eilf Nationalitäten zusammen waren;“ es kam buch- stäblich vor, was der Simplicissimus (c. 20) erzählt, dass als die Feinde (französische, schwedische und hessische Völker) nach Offenbach kamen, „Jedermann sich selbst sammt seinem Vieh und besten Sachen in die hohen Wälder flüchten.“ Sonst floh auch das Volk vom Lande in die festen Städte. Es sind, wie Joachim Bette in seiner „Verstöfung Deutschlands“ ein- dringlich schildert, Greuelthaten an Mord und Schändung durch wilde Kriegsrotten geschehen; ®) Dörfer und Weiler sind

®) Vgl. die Busspredigten über den 30jährigen Krieg bei Arnold, Kirchen- und Ketzerhistorie. 1. 441.

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verschwunden, dass ihr Name kaum übrig ist; trotzdem ist, was Wagner oben bemerkt, die unhistorische Aeusserung einer nicht reinen Phantasie. Die Land« schäften haben in der That mehr gelitten durch die Pest, wie durch das Schwert. Pinkart, der Kirchenliedersänger, hat als Pfarrer in Eilenhurg^ 4480 Personen i. J. 1637 beerdigt. Und die Klagen und Seufzer, die aufstiegen zu G-ott w^er kann sie- zählen. Aber mitten in der Noth erhielt sich die evangelische Kirche. Die schönsten Lieder wurden gesungen. Die Familien der Pfarrer und vieler ihrer Gemeinden haben sich erhalten. Es haben doch mehr den wilden Kampf durchlebt, als ver«, loren gingen. Es bewies sich deutsche Familientreue niemals herrlicher.

Nicht überall war die Kriegsfurie in gleichem Masse gewaltig. Sie unterdrückte viel; aber häusliche Sitte ward doch bewahrt. Manche Städte wie Hamburg blühten grade während dieser Zeit herrlich auf. Balthasar Schuppius schildert die damalige Stadt wie ein zweites fruchtbares, blühendes Gosen. Es gehört eben nur ein Blick in die Ge« * schichte der deutschen Literatur, um ein anderes Bild vom deutschen Volk, als des blossen Bastardthums aus fremden Völkern zu gewinnen, und ich muss es für ein nicht ehren- volles Attentat auf Wahrheit und Ehre deutscher Geschichte halten, welches Richard Wagner hätte vermeiden sollen. Er hätte die trefflichen Worte lesen müssen, die Gervinus in der Geschichte der deutschen Literatur schreibt®) und nur nach tieferer Forschung urtheilen. Aber noch schlimmer fast ist

Vgl. Guhrauer: Joachim Jungius. p. 90.

®) Es hat noch weitere Beziehungen, wenn er 3. p. 200 (II. Aufl.) aus L. V. Birken’s Teutonia citirt, „dass wehrlose Blösse das Unrecht wider sich waffne, dass aber des Kriegs Bereitschaft deu Feind zum Frieden zwinge; dass der Feind fürchte, wenn er sieht, wir fürchten ihn nicht; dass der Lorbeer den Oelzweig grünen macht“ etc.

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es, was er weiter bemerkt: „Die grossen monarcliischen Macht- verhältnisse verschoben sich aus dem eigentlichen deutschen Lande nach dem slavischen Osten; degenerirte Slaven, ent- artende Deutsche bilden den Boden der Geschichte des 18. Jahr- hunderts.“ Was kann damit anders gemeint sein, als das Königreich Preussen; wer bildete im Osten den Boden der Geschichte als Friedrich der Grosse! Sollen wir es in Preussen wirklich ertragen in der Glorie des preussischen Königreichs nur „degenerirtes Slaventhum, entartendes Deutsch- thum zu sehn“, zumal die Kriege und Siege Friedrichs trotz seiner französischen Sprachmode Deutschland zuerst wieder Kraft und Selbstbewusstsein eingeflösst haben.

Dass Eichard Wagner ein Feind des Krieges ist wäre abstrakt kein Vorwurf aber er bekriegt nur den Krieg, weil er nicht der Feldherr ist.

Wo er Meister ist,' minirt er dauernd zum Kampf. Wider- wärtig ist ihm, was er nicht unterwirft. Dann bleibt ihm nichts übrig, die Tiiaten Friedrichs und Kaiser Wilhelms in dem schiefen Lichte BajTeuther TJrtheile anzusehen. Das geborgte Pferd Grani, auf dem er im Theater sitzt ist eifersüchtig auf den Bucephalus Bismarcks.

II.

Dass sich Naturen wie Wagner nicht mit dem Evan- gelium und seinem Meister vertragen können, liegt auf der Hand. Jesus verlangt Nachfolge; er will, dass man ihm an- hänge. In der Offenbarung steht, man solle nichts hinzuthun noch wegnehmen vom Evangelium. Ihm gefällt aber nicht Alles. Jesus sagt: „Ich bin nicht gekommen, das Gesetz oder die Propheten aufzulösen, sondern zu erfüllen.“ Wagner will das alte Testament wegschaffen.

Da nun der Componist mit dem Jesus nicht zufrieden sein kann, wie ihn das Evangelium lehrt, so muss er anders ge-

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macht werden. Dieser Jesus giebt sich für einen Juden aus. Soll er noch in der „Religion“ Wagners bestehen, muss er aufhören ein Jude zu sein. „Daher“, sagt er (p. 285) „bleibt es zweifelhaft, ob Jesus selbst von jüdischem Stamm ge- wesen sei, da die Bewohner von Graliläa eben ihrer unechten Herkunft wegen von den Juden verachtet waren“. Originell ist nur der wunderbare Schluss an sich hat Wagner dabei an Renan gedacht, welcher in seinem Leben Jesu sagte: „Die Bevölkerung von Graliläa war gemischt. Die Bekehrung zum Judenthum war nicht selten in solchen Ländern mit ge- mischter Bevölkerung. Es ist also unmöglich, hier eine Rassen- frage aufzuwerfen und nachzuforschen, welches Blut in den Adern desjenigen fliesst, der am meisten dazu beigetragen hat, die Unterscheidungen des Blutes in der Menschheit zu verwischen.“ Was Renan hier sagt, ist selbst schon eine wissenschaftliche Willkür. Es ist unerwiesen, dass zur Zeit Jesu Nichtjuden in Galiläa gewohnt haben. Wir haben keine andere Nachricht, als die der Evangelien; in ihnen heisst es, er sei zu Bethlehem geboren.^o) In ihnen nennt sich Jesus einen Juden. So sehen ilin Juden und Samaritaner au. Als solcher wird er von Herodes und Pilatus gerichtet. Es fällt der ganzen jüdischen Tradition nicht ein, ihn als Nichtjuden anzusehen, so polemisch sie auch gegen ihn gestimmt ist. Wenn die Evangelien erzählen, dass er in Bethlehem gebo- ren — und doch berichten, dass er in Nazareth erzogen sei, so können sie keinen Widerspruch gefunden haben. In der That ist kein Grund vorhanden, warum in Nazareth nicht eine Familie leben konnte, die sich vom Stamme Davids herleitete. Jedenfalls wissen wir es nicht anders.

de 2: „II est donc impossible de soulever ici aucune question de race etc.

^0) Dass auch die jüdische Tradition dies bestätigt, vgl. Mi- drasch Echa 48 c. in meiner Schrift über Renans Leben Jesu. (Wege nach Damaskus p. 136.)

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Aber Wagner ist seitdem schon weitergegangen, denn ohne seine Billigung würde Herr v. Wolzogen im neuesten Heft der Bayreutber Blätter nicht zu der ungeheuerlichen Angabe vorgeschritten sein, Jesus zu einem Kelto-Germanen zu machen. Dazu bringt den freundlichen Gegner meiner Parzi- valstudien ein Aufsatz von Dr. Alex. Peez in der Augsburg* Allg. Zeitung (1881 n. 15) über Alt- und Neuphönizien, worin es heisst: „Ganz eigenthümlich ist das Auftauchen des Namens Galiläa im Libanon. Das Land, das diesen Namen trägL umgiebt die phönizischen Städte wie einen Bogen ; sollte dieser Bogen ein Schutzwall gewesen sein gegen die Einbrüche asia- tischer Völker? Und sollte etwa gar der Name „Galiläa“ auf hier angesiedelte Krieger aus Gallien, dem Norden Eu- ropas hindeuten? Diese Vermuthung ist bei näherer

Prüfung nicht so gewagt, wie sie anfangs erscheint, Gallier werden als Söldner der Phönizier genannt, wie sie später Söldner der Carthager waren.“

Hen^ V. Wolzogen nimmt noch rasch dazu jene Galli, welche aus Lucian als Priesterschaft der grossen syrischen Göttinnen bekannt sind, sowie die Bezeichnung des Flusses Gallus in Phrygien und den Volksnamen der kleinasiatischen Galati

Sollte nicht dadurch erwiesen sein, wir sagen dies scherz- haft, dass Jesus ein Gallier ist! Sollte sich nicht daher erklären, dass bei dem Verhör desselben der Hahn (Gallus) gekräht! Wie wirft dieser Hypothese so mit einem Mal allen semitischen Hoch- muth um ! W as will denn alle biblische W eissagung und Erfüllung bedeuten! Sem wird dann in den Hütten von Japhet wohnen, nicht umgekehrt. Es fällt ein Stein vom Herzen der anti- semitischen Germanen. Der Chauvinismus der Gallier an der Seine wird dadurch zwar erhöht, aber man kann dann die Juden noch ungestrafter hetzen.

Aber wie drollig ist die Vermuthung und wie wenig gelehrt!

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Wie lautet der Schluss? Jesus heisst zwar Sohn Davids

aber er hat doch in Nazareth gelebt. Folglich kann er da geboren sein. Er nennt sich zwar selbst einen Juden aber das Land heisst Galiläa. Galiläa hat eine Aehnlichkeit mit Gallia. Gallier sind ein Volk, von denen man zwar nicht ausdrücklich weiss, dass sie den Phöniziern gedient haben

aber den Carthagern waren sie Miethssoldaten. Die Car- thager haben zwar in Galiläa nichts zu thun aber in Syrien gab es nach Christus verschnittene Priester, die Galli Messen. Ausserdem wohnten in Kleinasien die Galater. Reicht dies nicht aus, dass Galiläa von den Gallieim den Namen, und Jesus eigentlich ein Gallier, kein Jude war!!

Es kann nichts Eitleres geben denn die Erklärung des Namens Galiläa ist gar nicht zweifelhaft. Es kommt von Galil, der Kreis, (wie Kikar) die Mark, das Gebiet. Sieben Mal kommt es in dieser Bedeutung im alten Testa- mente vor, Wenn vom Galil der Philister und am Jordan geredet wird, werden das etwa lauter Gallier gewesen sein! Wenn im Propheten Jesaias 8, 23 von einem Galil der Völker (Heiden) geredet wdrd, so soll damit eine äusserste Grenze bezeichnet werden. Es sind damit oifenbar die 20 Städte ge-

‘0 Bio Kunde von Peez und Wolzogen hängt an einer Be- merkung von Movers (Phönizien 2, 2, 35), der, um die Stelle des Propheten Ezechiel 27, 10. 11 zu erklären, sagt: „Wir finden in dieser Stelle des Propheten alle die heterogenen Bestandtheile wieder, aus denen die Kriegsheere der Karthager bestanden. Einen Theil derselben bildeten Soldtruppen, die in der Nähe und Ferne aus anderen kriegerischen Völkern Galliens, Iberiens, Liguriens, aus Griechenland und anderen Völkern zusammengezogen waren. Diese fremden Stämme (im Dienst der Carthager) entsprechen in der Stelle des Propheten den Persern“. (! !) Uebrigens erschien im vorigen Jahr eine Schrift von Backhaus, welche die Germanen und die Sueven insbesondere für Semiten erklärte.

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meint, kleine Ortschaften, welche König Salomo dem Könige Hiram von Tyrus an seiner Grenze abtrat.

Es wird Herr v. Wolzogen doch gut thun, sich an die beglaubigte von Jesu selbst bestätigte Meinung zu halten, dass er ein Jude aus dem Stamme Juda gewesen ist. Wenn man solche Fabeln zurückweist, so geschieht das nicht aus Angst, in Jesu Vorfahren heidnisches Element zu finden. Schöner braucht Niemand wie das A. T. davon zu reden. Was Dante herrlich von der Kuth sagt:

Che fu bisava al cantor, che per doglia Del fallo disse! miserere mei,

drückt dies aus. Aus dem heidnischen Moab trat das herr- liche Weib in den Bund Israels, von der David lind der Sohn Davids abstammen. Freilich gehörte Moab auch zu den Nach- kommen Sems, und dem Umstand, dass Jesus ein Semit sei, entgeht man auch dadurch nicht.

Herr v. Wolzogen spricht es Heinrich v. Treitschke nach, dass ich die selbstverfertigte Lehre von „Christus-Sem^^ vorgetragen habe, aber einem grossen Theologen folgt er dabei nicht. Es bedarf blos einen Blick in das neue Testa- ment, um zu wissen, dass die Evangelisten derselben Meinung sind. Ich habe schon früher aus den Kirchenvätern nachge- wiesen, dass man Christum allegorisch mit Sem vergleicht. ^2) Wie Christus mit Melchisedek, so wird dieser durch Sem alle- gorisirt (Hieronym. Ep. 73; ed. Migne 1. 679). Ebenso sagt der Kirchenvater Augustinus, ein Theologe, an welchem Herr V. Wolzogen keinen Anstoss nehmen wird: „Sem quippe de cujus semine in carne natus est Christus, interpretatur Nomi- natus. Quid autem nominatius Christo.“

Es judaisiren die Kirchenväter nicht anders wie ich die evangelische Lehre. Sie verkünden überall, was auf dem

^2) De civitate dei lib. 16. cap. 2. Vgl. meinen Aufsatz: Christus, der Semit, im Sunem VI. (1880) p. 44 etc.

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Kreuz in den drei ‘Weltsprachen geschrieben stand:, „Jesus der Juden König.“ Er war der Messias für alle Völker seihst aus Sem gehören für Alle, die aus der Wahrheit sind.

Ein ähnliches exegetisches Spiel treibt Wagner mit Matth. 5, 3: „Selig sind die Armen im Geist, denn das Himmelreich ist ihr.“ Er legt den Nachdruck auf die Armen an Geist. Er stellt die, hrahmanische Lehre, als die der Reichen an Geist gegenüber. „Den Armen am Geiste war keine metaphysische Erklärung nöthig;“ den Reichen war sie zu einfach.“ Aber der Gegensatz von Geistesarmen und Geistreichen, von Simplices und von Philosophen ist gar nicht vorhanden. AVenn Richard Wagner den griechischen Text näher studirt hätte, würde er das eingesehen haben. Die TiTOJxol TW TipsvfxctTi smd niclit genau durch arm ausgedrückt; Tmo/og ist niedrig, demüthig. Jesus beruft sich dabei auf Jesaias 57, 15, wo es heisst „denn also spricht der Hohe und Erhabene, der ich in der Höhe und im Heiligthum wohne und bei denen, so zerschlagenen und demüthigen Geistes sind.“ Es entspricht das griechische ptochos to pneumati dem . hehr. Schefal-ruach. Nicht von Geistesarmuth und Schwachheit ist die Rede, sondern von Demuth. Nicht Geist, Kunst, Philo- sophie ist der Gegensatz, sondern Hochmuth. Letzteres braucht nicht blos Eigenschaft der Denker zu sein auch der minder Geübten. Demuth ist die Eigenschaft Christi Wagner sagt von ihm „er war nicht weise, sondern göttlich“^ was eine Phrase ist. Im Göttlichen liegt die wahre Weisheit eingeschlössen. Jesus war, obschon weise und göttlich, doch demüthig. Der Satz, den Christus auspricht, wird niemandem respart, auch Meister Wagner nicht; trotz „Nibelungen“ und „Tristan“ muss er doch, wenn er ein Christ sein will, ein ptochos to pneumati werden. Dann freilich würde er sich auch entschliessen, dem Jesus von Bethlehem nachzufolgen und nicht ihn zu meistern. Er würde dann diesem Jesus glauben^ dass er der Sohn des Vaters ist, welcher im alten Testament

gelehrt, aber von Wagner nicht verstanden und angenommen wird. Er würde dann einen so unwissenschaftlichen und wunderlichen Satz nicht wagen, „dass Herrscherwuth den Gedanken eingegeben hat, den Göttlichen am Kreuz auf den jüdischen Schöpfer des Himmels und der Erde znrückzuführen.“ Man bedenke nur, „Herrscherwuth“ habe dies gethan.

Wen meint denn Jesus, wenn er sagt: „Ich preise Dich Vater, Herr Himmels und der Erden!“ Von wem redet er denn, wenn er spricht und lehrt: Es steht geschrieben: Ich bin der Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs. Zu wem ruft er denn am Kreuz! Wessen Lehre hat er denn vollbracht! Oder sollen die armen Evangelisten, in deren Büchern wir das finden, „aus Herrscherv^uth“ Jesum zum Sohn des Vaters ge- macht haben! Was sollten sie denn damit erfüllen! Altes und neues Testament sind eben im Geiste eins wie Jesus sagt: Ich und der Vater sind eins. Ich verlange von Wag- ner nicht die Annahme dieser Lehre im Glauben aber ich betone nur die barbarische Herrscherwuth, mit der er gegen alle Geschichte und geschichtliche Dogmatik die Bedeutung des alten Testamentes für die Geschichte der christlichen Kirche für ein künstliches Machwerk tyrannischer Gelüste erklärt, weil er den Gott des alten Testamentes mit baby- lonisch-nibelungischer Empörung in seinem Himmel bestürmt. W enn die christlichen Könige im alten Testament später ihre Vorbilder suchten, so thaten sie dies, um dabei das Gericht der Predigt der Busse, das prophetische Donnerwort neben ihren Thronen zu hören. Man begreift doch nicht, wie ein denkender Mensch solchen Bombast niederschreiben kann, wie den: „Jener Gott wurde durch die Kunst gerichtet; selbst auch der weissbärtige ehrwürdige Greis, welcher etwa als Vater segnend auf seinen Sohn aus den Wolken herab- blickte, wollte der gläubigen Seele nicht viel sagen.“

„Gott wird durch die Kunst gerichtet“ welchen Gott! Der von welchem Jesus sagt: Gott ist ein Geist, und

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die ihn anbeten, müssen ihn im Geist und der Wahrheit an- beten, — der Gott, von dem man kein Bildniss und Gleichniss machen kann den kein Menschenauge sehen kann weshalb Jesus zu den Jüngern, denen er den Vater zeigen soll, spricht: „Wer mich siebet, der siebet den Vater,“ „dieser Gott wird durch die Kunst gerichtet“. Was soll das heissen! Weil sie nicht im Stande waren, den Geist abzubilden darum richtet sie ihn. . Umgekehrt ist es richtig. Gott richtet die Kunst, welche Abgötter, Götzenbilder, Fetische dar- stellt; jene christlichen Bildhauer Hessen sich eher tödten, ehe sie den Aeskulap als Gegenjesus vollendeten, wie ihnen befohlen war. Gott richtet die falsche Kunst, welche die Menschen vom Geist zu Decorationen und Farbeneffecten hin- reisst. „Der leidende Gott am Kreuz, das Haupt voll Blut und Wunden“ ist nicht, wie Wagner meint, ein Gegensatz zum Vater; sondern er bildet überall den Menschensohn ab. Jesus ist eben ein Mensch gewesen darum konnte ihn die Kunst darstellen. Es ist immer verwerflich gewesen, Gott den Vater als Menschen, der nicht Jesus sein soll, abzubilden, ob alt oder jung, ob heiter oder ernst. Freilich hat zumal die Apocalypse dazu Veranlassung gegeben. Aber der Pro- phet ist freier denn der Maler. Gibbon hat Hecht, wenn er sagt: Der kühnste Pinsel muss zittern bei dem verwegenen Gedanken, mit Formen und Farben den unendlichen Geist zu malen“.

Ich habe gewiss nicht zu seiner Unehre Bichard Wagner mit Bonaparte verglichen. Aber an einem grossen Bild er- kennt man leichter, was dem Kurzsichtigen im Kleinen ent- geht. Bonaparte war, wie alle seinesgleichen, selbst gegen die Kirche, die er zu ehren schien, frivol. Mehr als Wagner war er es sicher nicht. Unter dem Schein, den Messias der Armen zu ehren, wie ihn das Evangelium lehrt, meint er die „Dummen“ in Sätzen, welche vom Erlöser reden, könnte man meinen, „Jesum am Kreuz“ bekannt zu hören aber

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von Sünden erlöst dieser nicht ; es ist ein wunderliches Gebilde von Redensarten, welche mit dem heilig’en Namen spielend etwas ganz Anderes verbergen wie wenn er Parzival nennt und eine andere Puppe vorstellt. Grade dieses Verhüllen unter grossklingendem philosophischem Tantam und dann wieder einmal nennen; einige hihlische Sätze werden in den Kessel geworfen, in welchem man mit Schlangen- schwänzen umrührt aber Amrita, d. h. Ambrosia kommt nicht heraus , sondern nur der spöttische Faun, dem an allem Evangelium nichts gelegen ist, zeigt sein Angesicht; dieses Verhüllen und Drapiren mit historischem Namen Decoriren mit dem Kreuz wo. aber ein Jesus nie litt, wie wir ihn kennen dieses bunte Gruppiren wo bald Buddha, bald Brahma, bald Jesus genannt wird ohne dass man weiss, wer die „Gefilde hoher Ahnen“ sind, denen er sich zu- w^endet zeigt zwar sein grosses Geschick für Effekte des Theaters, aber in Beden über „Religion“ machen sie 'einen frivolen Eindruck.

Das offene Bekenntniss eines Nichtchristen ist dem bei Weitem vorzuziehen. Es ist wunderbar genug, dass Jesus im Evangelium dem Römer Pilatus antwortet aber den fri- volen Herodäer keines Wortes würdigt. Klarheit über das, was man meint und will, wofür man lebt und stirbt, ist auch eine Sittlichkeit, die nicht mit frivolen Künsten bestaubt werden darf.

„Der Glaube, heisst es p. 273, verfiel gleichsam den Je- hova als Vater auf sich beruhen lassend, auf das noth wendige Wunder der Geburt des Heilandes durch eine Mutter, welche, da sie selbst keine Göttin war, dadurch göttlich ward, dass sie gegen alle Natur den Sohn als eine reine Jungfrau ohne menschliche Empfängniss gebar.“

Ohne auf den Bombast näher einzugehen, nach dem „der Glaube verfiel auf ein Wunder“ iind dass „Maria keine

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Güttin war“ wo steht denn im Evangelium, dass „Maria göttlich ward.“!

Auf p. 274 heisst es: „Noch ein andres Dogma musste sich der Phantasie des Bildners darstellen, und zwar dasjenige, an welchem der Kirche endlich mehr gelegen schien als an dem der Erlösung durch die Liehe. Der Weltüherwinder war zum ‘Weltrichter berufen.“

Die Kirche berief ihn zum ‘Weltrichter!! „Ihr liegt daran mehr als an der Liebe.“ Aber sollte in Bayreuth nicht dasselbe Evangelium wie anderswo sich finden, wo es Joh. 5, 22 lieisst: „Denn der Vater richtet Niemand, sondern alles Gericht hat er dem Sohne gegeben,“ und zwar darum, weil er die Liebe ist.

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Aber in der That, meine Zeilen sind nicht geschrieben, um die Theologie Bichard Wagners zu richten. Mit Recht könnte er entgegnen, dass er gar keinen Anspruch darauf mache, als ein christlicher Theolog zu gelten. Meine Absicht ist ja nur, ihm selbst ein „Erkenne Dich selbst“ zuzurufen, mit welcher diktatorischen Willkür er auch Stoffe behandelt, zu denen eindringendes Studium gehört, ohne dass er in der Lage war, ihnen sich jemals ernstlich, als etwa nur zur Decorationskunst gewidmet zu haben.

Auch darin beschränke ich mich blos auf einzelne Sätze von „Religion und Kunst.“ Es liegt Wagner daran nachzu- weisen, dass eigentlich erst „von wunderbar begeisterten armen Leuten die unglaubliche Kunde eines Sohnes Gottes ausging,“ dagegen bei den Griechen „Messen Götter nur, um ihre Natur als eine göttliche zu bezeichnen. Das Göttliche selbst aber nannten sie „der Gott“ : 6 d^sog. Nie ist es den Griechen beigekommen, den Gott sich als Person zu denken und künstlich ihm eine Gestalt zu geben wie andern Göttern.“ V on diesem mit ziemlicher Bestimmtheit ausgesprochenen Satze ist nun grade das Gegentheil wahr. Es ist wahr,

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wie Nägelsbacliis) zumal trefflich nachge wiesen hat, dass die späteren Geschichtschrjeiber der Griechen „entschei- dende Thatsachen der AVeltregierung selten auf eine nam- hafte Gottheit zurückführen.“ Sie sagen nicht Zeus oder Apollon, sondern d'twy ng oder d-s6g, oder 6 d-s6g, 6 (fcä/ucjy, oder ol ^soi oder d-ioL Es kommt in denselben Sätzen 6 ^s6g und &soi vor ; es ruht das nicht auf monotheistischer, sondern grade polytheistischer Meinung. Man wollte keiner Gottheit zu nahe treten. Je mehr eben die Zahl der Gottheiten wuchs, weil man und zwar zumal mit Hilfe der Kunst jede natürliche oder sittliche Kraft in Gestalt einer Gottheit ver- w^andelte desto zweifelhafter wurde man, welchem Gotte man sich huldigend nahen sollte. Plutarch sagt: „Wer

Götter fürchtet, fürchtet Alles, Erde, Meer, Luft, Himmel, Einsterniss, Licht, Lärm, Schweigen, Träume.“ ^0 That

waren das alles sichtbar gemachte Götter. Philostratus^^) sagte: „Ich kann die Abneigung gegen irgend eine Gottheit, wie die des Hippolytos gegen Aphrodite nicht für weise halten. Denn weise ist, von allen Göttern Gutes sagen, vornehmlich zu Athen, wo selbst den unbekannten Göttern Altäre erbaut sind.“ Darauf ruht ja die grossartige Lehre, welche Paulus auf dem Areopag zu Athen ausspricht. Ihr könnt, meint er, mit eurer Vereinzelung der Götter gar nicht auskommen. Es wird immer eine Lücke übrig bleiben. Ihr bekennt das selbst, indem ihr einen Altar „dem unbekannten Gott“ errichtet habt. Den verkünde ich Euch. Er muss Euch unbekannt sein denn er lässt sich nicht in ein Katurbild fassen. Ihr sollt nicht meinen, „dass die Gottheit gleich sei goldnen, silbernen oder

*3) Die nachhomerische Theologie, p. 138. 39.

In der Schrift über die deisideimonia ed. Wyttenbach I,

2. 655.

Vit. Philos. lib. cap. 10, 3. Vgl. meine Schrift über den Altar des unbekannten Gottes, p. 30. 31.

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steinernen Bildern durch menschliche Phantasie {iytjamS^v/ng ay&Q(onov) gemacht.“ Was „Gott“ hiess hei den Griechen, musste ein Bild haben. Bei den Griechen konnte man. sagen, dass ihre Religion und Kunst zusammenfiel, oh poetisch oder plastisch. Es ist völlig unwissenschaftlich, was Wagner von einem principiellen Unterschied von d-s6g und d^soi sagt; jeder Autor konnte das eine wie das andere ohne Störung des Ge- dankens an wenden. Freilich die philosophischen Theorien lösten die Mythologie auf, aber sie zerstörten dadurch im Volk und im Künstler die Blüthe der Kunst. Lucian verspottet an den Kunst- werken die Götter der Griechen und Orientalen, aber dem Coin- ponisten liegt ja gar nichts daran, die absolute Erkenntniss des griechischen Gottbegriffs zu fördern, sondern es war ihm nur darum zu tlmn, anzudeuten, dass die Christen an ihrem Gott eine menschliche Gestaltung haben. „Hiermit war denn die Gestalt des Göttlichen in antropomorphistischer Weise von selbst gegeben;“ er will nicht um daran zu glauben, sondern nur um die „Religion der Geistesarmen“ zu charakterisiren, „Gott am Kreuze“ leiden lassen.^^) Es ist zwar eine alte Ketzerei aber sie ist bei Wagner nicht ernst gemeint. Er würde sich für dieselbe selbst als 6 ^^€og in Bayreuth nicht kreuzigen lassen.

Zu den eigenthümlichen Meinungen Richard Wagners gehört, dass er einen Kernpunkt der Regeneration des Menschen- geschlechts im Vegetarianismus findet. Nun auf diesen, ' wie auf den damit von ihm viel verknüpften Buddhismus hoffen wir einmal im Besonderen einzugehen, denn er ver- dient es.

In diesem unserm jetzigen Heft sollen nur einige sonder-

Aber es waren dies auch nur von Wagner entlehnte Ideen Renan’s, aus dem er seine ganze Theologie schöpfte. Dort hat er das Spiel mit den Worten „göttlich“ und „wahre Religion“ etc* gelernt. Vgl. meine Schrift über Renan p. 105.

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bare Aeusserungen von Richard "Wagner erwähnt werden, die damit in Beziehung stehen, welche zeigen, dass es ihm nicht darauf ankommt, wenn es mit seinen Tendenzen harmonirt, auch ein schlechter und unklarer Exeget des alten und neuen Testamentes zu sein.

Ein Vegetarianer muss gegen eine Religion („unsere alt- testamentarische christliche Kirche^^) in Bezug auf „ihre Ver- wendung zur Regeneration des Menschengeschlechts“ bedeu- tende Einwendungen zu machen haben, denn der Sündenfall „leitet sich keineswegs von einem verbotenen Genüsse von Thierfleisch, sondern von einer Baumfrucht her.“ Anstatt Adam und Eva dafür zu loben, dass sie überhaupt nur Vege- tarianer w^aren, was man aus 1. Mos. 2, 16 und sonst gewiss schliessen kann , macht er ihnen bei ihrem Fall es beson- ders zum Vorwurf, dass sie Baumfrucht assen. Wie unge- recht ist das? Aber das hatte Wagner wahrscheinlich schon seit seinem Confirmationsunterricht vergessen nicht darum fielen sie in die Sünde, weil sie Vegetarianer waren, sondern w^eil sie ungehorsam w^aren, weil sie der zweideutigen und in verhüllter wahrheitsähnlicher Sprache redenden Schlange folgten. Nicht der Apfel war schuld, sondern ihre Gottlosig- keit. Beweis genug, dass auch die Vegetarianer weder durch Baumfrüchte noch durch Hülsenfrüchte die Welt regeneriren w^erden sondern durch die Umkehr des trotzigen und will- kürlichen Herzens allein. Es hilft nichts, lehrt Adam, eine vegetarianische Küche zu haben wenn man kein Jünger an der Hochzeit fon- Cana wird.

Noch ärgerlicher ist der Meister von Bayreuth, von dem ich nicht w^eiss, ob er eine Asenmahlzeit mit Wodan ver- schmäht — wo freilich nicht blos Erdäpfel und Grünkraut die Tafel schmückten über „den Judengott, w^elcher das fette Lammopfer Abels schmackhafter fand als das Feldfruchtopfer Kains“. Freilich musste ihn die Sache ärgerlich machen. Kain, der Vegetarianer, wmrde ein gräulicher Mörder, der

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ein Vater aller Waifenschmiede ward und Abel, der Fleiscliesser, wurde das Vorbild Christi. Es kann dies unmöglich ein gutes Vorurtheil für die „eifervollen Pflanzenesser“ erwecken. Aber deswegen durfte er nicht aufhören richtig zu lesen und zu verstehen. Wie flach und fade müssen grosse Männer und sitt- liche Gedanken erscheinen, wenn Wagner sie blos nach dem Menu richtet, an dem er sich selbst ergötzt! Aber es steht gar nichts vom „Judengott“ in der Schrift, es war der Gott der ersten, d. i. aller Menschen überhaupt denn das ist der Judengott. Auch liest man gar nicht, dass der Gott ass, sondern „er sah“ bloss die Opfer an. Ferner lag Gott nichts an Lamm oder Aehre sondern an dem Herzen, welches darbrachte. Auf den Geber kommt es an, nicht auf die Gabe. Andere sehen vielleicht beim geschenkten Gaul nicht in die Gesinnung aber Menschen sehen nur was vor Augen ist, Gott aber siebet in das Herz. Nicht auf die Frucht, sondern auf das böse, geizige, gierige Herz Kains sah Gott mit Unmuth. Wenn Abel ebenso gewesen wäre, so hätte er, obschon ein Hirt, sich von Kain ein Paar Reben borgen können und sie mit Kain darbringen. Aber er opferte ihm von dem Besten seiner Heerde. Das Liebste brachte er ihm dar. Wen man liebt dem giebt man, was man selber liebt. Es ist die süsseste Wonne, dem Geliebten das Beste zu geben. Diese Liebe erkannte Gott an Abel, darum sah er ihn gnädig an. lieber den Werth oder TJnwerth des Vege- tarianismus hat sich Gott dabei nicht verlauten lassen.

In ähnlicher Weise behandelt er auch das heilige Abend- mahl. Aus dem geistlichen Opfer macht er fleischlich Opfer. Chris- tus ist nach Wagner gestorben um der Thiere willen, die ge- schlachtet worden sind. „Sein eigenes Blut und Fleisch gab er als letzes höchstes Sühnungsopfer für alles sündhaft vergossene Blut und geschlachtete Fleisch dahin und reichte dafür seinen Jüngern Wein und Brot zum täglichen Mahle: solches allein geniesset fortan zu meinem Andenken. Dieses das

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einzige Heilamt des christlichen Glaubens; mit seiner Pflege ist alle Lehre des Erlösers ausgeüht/*

Eine stärkere Entstellung des Abendmahls hei allen scheinbaren ernsten Worten ist kaum im Gralsspiel im Par- zival zu finden. Die ernsthafte Maske ist dabei schlimmer als Voltairescher Spott. Das Opfer Jesu nur ein Opfer für die Thiere die Sünde ist nur Fleischessen und dazu die bedenkliche Fälschung: „dieses allein geniesset zu meinem Andenken,“ als wenn Jesus zum täglichen Mahl jede andere Speise als Wein und Brot verboten hätte zu seinem Andenken.

Darin liegt ja, was mir an R. Wagners Agitationen widerstrebt. Unter ernstem Wort ein Spiel mit dem Ernsten und Heiligen. In seine Privattendenzen reisst er Wahrheit und Gottheit hinein. Es sieht wie eine heilige Busspredigt aus uud dabei leugnet er jede Busse. Er redet von Erlösung und am Ende ist es nur eine solche durch sein Theater. .

Aber grade diese Willkür, die keine absolute Wahrheit ehrt und weder vor dem Barrikadendienst gegen Gotf den Herrn sich scheut und nur in Bezug auf Christus sich um der Menschen willen, einiger kunstreicher Ooulissen bedient, macht es mir offenbar, dass ihm auch die Heiligkeit der Kunst und ihre sittliche Bedeutung nicht im Herzen wohnen kann. Darüber noch fernere Bemerkungen.

in.

Wir sprachen oben von Amphion. Aber nicht er allein stand rebellisch streitend wider die Götter. Ueber Sänger und Musiker des hellenischen Alterthums geht überhaupt eine dämonische Tragik. Sie leiden alle aber die Einen um ihres Hochmuths von den Göttern, die Andern um ihrer Frömmigkeit von den Menschen. Auch Linus, weil er meinte bessere Noten als Apollo setzen zu können, verlor sein Leben im Wettkampf. Marsyas muss seine Haut lassen, als

er denselben Pytliiscben Gott auf der Flöte zu übertreifen sich anmasste. Wundervoll ist die tragische Dichtung von Gunnar in der nordischen Welt. Der Mörder Sigurds und des eigenen Bruders ist ein wunderbarer Spieler auf der Cither. Mit dem Fuss noch spielte er so lieblich, dass die Schlangen lauschten und ihn nicht verletzten. Erst die letzte und böseste traf ihn mit ihrem Gift.

Aber die Anderen leiden durch die Menschen. Die Nachtigall war eine Jungfrau Pliilomele. Dem Wüstling Tereus entrinnt sie nur durch die Verwandlung in einen Vogel. Seitdem hörten die Griechen sie klagend und schmel- zend singen, wenn die Maisonne kam.

Arions Lied rührt nicht die Mörder, aber die Delphine horchen auf sein Lied. Lehrreicher als alles ist Orpheus, dessen Cither Felsen, Bäume und Bestien rühren kann, vor dem der Hades eine Empfindung zeigt; derselbe kann das rasende Herz der Bacchantinnen nicht rühren. Er wird von ihnen zerrissen.

Dazu lässt es der soidisant-Orpheus in Bayreuth nicht kommen. Er lässt lieber die Andern durch seine Bacchanten in den Bayreuther Blättern zerreissen. Tiefer stellt den Gegensatz die Erzählung des alten Testamentes dar.

Ein Enkel Kains des Mörders, ein Sohn Lamechs, der ein Todtschläger war, wird der Erste genannt von Allen, die auf Cither und Flöte (Kinnor und Ugab) spielten. Ein Sohn erfand die Waffenkunst, der andere (Jubal) das Saitenspiel. Beide handhabten das Erz, der eine zum Kämpfen, der andere zum Singen. Aus Leid und Kampf kam das Lied.

Aber auch das Erz des Kampfes ward geheiligt zum Streit für die Wahrheit und Freiheit, und aus der Harfe floss der Psalm zum Preise Gottes.

David, der Hort und König, ist als Sänger das historisch- wunderbare Gegenbild von Orpheus. Es kann nichts Tieferes von der Musik ausgesagt werden, als dass der poetische Jüng-

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ling gerufen wird, um den bösen Geist des Trübsinns, des Hasses und der Tyrannei in Sauls, des Königs Herzen zu dämpfen. Und wenn er spielte, erquickte sich die Seele des Saul.

■Während ich diese Zeilen schreibe, lässt Richard Wagner seine Bühnenfestspiele im "Victoriatheater unter immensen An- strengungen und Kosten aufführen. Mehrere Wochen hindurch gehn Nibelungen und Walküren über die Bühne. Welche Wirkung haben sie geübt, werden sie üben!

Wir reden hier nicht vom Drama allein, das wir trotz aller pretiosen Stabreimung als eine colossale Karrikatur des ursprünglichen Epos halten. Wir werden dies später noch bezeugen.

Mit Blendwerken von Dekorationen und Theatermaschinen wird auf das Auge gewirkt. Rauschende Ströme musikalischer Dichtung gehn vom Orchester aus bei dem Ohr der Zuhörer vorüber. Interessante und geniale Sänger und Sängerinnen helfen mit ihren Stimmen zu Bewunderung und Entzückung. Was bleibt übrig! Was ist die Wirkung!

Ist das ein Volksbühnenfestspiel? Nur Leute, denen ge- geben ist, grosse Summen für einen Abend auszugeben, dringen hinein. Es sind gebildete Leute genug darunter. Aber steht ein Bühnenspiel mit solchen Preisen auch nur der Fülle der Gebildeten und Gelehrten offen! Und das Volk, das grosse Volk der mittleren Stände, steht es nicht sammt und sonders draussen!

Und ich beklage das nicht. Was soll es lernen! Das Textbuch des Bühnenfestspiels hat die ethischen Hintergründe des alten Mythus verwischt. Was soll es von Sigurd dem Wurmtödter lernen, der schlechter als der Wurm ist, den er heimtückisch ermordet. Wotan ist falsch; die Weiber sind dämonisch; die Zwerge sind tückisch. Leidenschaft brennt heisser wie die AVaberlohe um Brunhilde.

Was sollte das Volk daraus lernen, als selbst eigene

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Leidenschaft stärker entfacht zu fühlen! Denn Musik und Farben und -kunstvolle Mechanik machen sie noch ver- lockender.

Anderseitig habe ich keine Befürchtung, dass die Billet- inhaber an den Theaterabenden leidenschaftliche Eindrücke empfangen haben. Selbst die glühendsten Jünger Wagners hören nur „wunderbare“ Noten. Vielen Andern hat das Eine mehr als das Andere gefallen. Nicht w^enige sehnten sich nach den vier Stunden jedes Abends nach Haus und fanden sich sehr wohl, als der musikalische Sturmwind zu Ende w^ar. Im besten Sinn war es eine Theaterwirkung. Das Gespräch dreht sich um die Sänger, ob er oder sie mehr oder w^eniger herrlich gesungen, ob der Grani aus Pappe sehr imponirend war. Recension in den Boudoirs oder Zeitungen bleibt übrig. Wo bleibt die ethische Wirkung?

Würde ein unglücklicher Saul ruhig geworden sein, wenn er die Raserei der Nibelungen hörte und sah. Werden die Leidenschaften der Partei dadurch milder! Von den Anti- semiten, welche die Claqueurs in den modernen Versammlungen sind, werden wenige im Theater gewesen sein. Werden sie dadurch stiller und demüthiger geworden sein!

Merkt der Volksgeist etwas, wenn die Bühnenfestspiele vorübergehn!

Der Zank und Hader der musikalischen Parteien wird nachher wohl noch grösser werden wde zuvor. Ein Ereigniss der musikalischen Welt ist es überhaupt nur gewesen.

So verstand die alte AVelt den Segen der Musik nicht.

Um Bravos und Kränze und Recensionen griff David nicht zur Harfe. Die Kunst in Israel im Palast und Tem- pel — wollte wirken und erheben, und hat es ausgeführt. Welche musikalische und poetische Wirkung ist in der Welt- geschichte mit den Psalmen zu vergleichen! Sie wurden das Gesangbuch der Welt. Ihre Melodien sang das Volk bei

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Feld- und Gartenarbeit bei der Mahlzeit auf dem Schilf in der Mühle am Morgen und Abend. In der äthiopischen Kirche Messen die Elementarschüler „Kinder der Psalmen“, weil mit ihrem Lied der Unterricht begann. Tau- sendstimmig erschallt er noch heut in der reformirten Kirche; alle Kirchenlieder sind aus ihnen hervorgegangen. Wie viel Thränen haben sie gestillt, wie viel Herzen gemahnt und be- ruhigt! Wie viel dichterische und musikalische Kunst an sie gehängt. Aus Mendelssohns Composition der Psalmen geht^ Niemand ohne innerliche Sammlung und Stärkung hinweg.

Wahrscheinlich war es ein Psalm, den der unbekannte Spielmann spielte, den sich der Prophet Elisa kommen Hess, um den drei Königen zu weissagen, die zu ihm um Kaths- erholung willen gekommen waren. Er ^war über den ab- göttischen König von Israel erzürnt; Zorn aber weissagt nicht; so Hess er den Musiker kommen. Erspielte, der Zorn wich und der heilige Geist erhob ihm seine Schwingen.

Wenn uns der Zorn über den abgöttischen Artikel in den Bayreuther Blättern „Erkenne Dich selbst“ ergreift, soUen wir in die Nibelungentrilogie gehen, um uns zu be- ruhigen. Wir würden sicher dort noch zorniger und rache- lustiger werden. Denn etwas anderes als Hache und Lust an der Hache lehren sie nicht. Nicht als Büssende springen Brunhilde ins Feuer und Hagen ins Wasser hinein.

Und doch sagt Wagner: „In Israel sei nie eine eigene

1^) In seiner reizenden Schilderung des Landlebens in einem Brief an die Marcella (ep. 43. ed. Migne 1. 479 (194) sagt Hiero- ’nymus: „Vere ager floribus pingitur et inter querulas aves psalmi dulcius cantabuntur.“

Die Notiz aus Sidonius Apollin. 2. 10 mag hier ihren Platz

finden :

„Curvorum hic chorus helciariorum Hesponsantibus Alleluja ripis Ad Christum levat amicum celeusma.“

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Kunst gewesen, nie ein Leben von kunstfähigem Gehalt.“ Welcher Missverstand! Das ganze alte Testament ist eine grosse Harfe Gottes. Die Begeisterung des Glaubens rauscht in ihren Saiten. Es ist eben nicht der bacchantische Taumel der Kinder Kains, der sich kund thut. Wenn Moses und Mirjam dem Volke voran singen und niusiciren über die glücklick vollendete Rettung so ist ihr Jubel kein sinn- licher Rausch, sondern ein zum Dank und Preis des Gottes im Geist erhebendes Lied.

Daher ist Musik die Gabe der Propheten. Debora spricht in ihrem entzückten Siegesgesaiig : Ich will singen und Saiten- spielen dem Herrn.

An den Auszug von Jephtas Tochter mit Pauken und Reigen zu singen die Grossthat Gottes im Sieg über Ammon knüpft sich die tragische Scene vom Schmerz des Vaters um sie und sein Gelübde an. Noch quellen die Töne des Lieds aus der Harfe des Kindes, da quellen auch die Thränen im Auge des Vaters um seines Gelübdes willen. Ein wunder- bares Drama, vor dem Sigmunds und Wotans Sünden wie ein Nebelspuk verblassen.

Als Samuel den Saul zum König weiht, kündigt er ihm das Begegnen der Prophetenschüler an; Psalter, Pauken, Pfeifen und Harfen spielend werden sie einherziehen und weissagen.

Weil eben das alte Testament ein prophetisch Buch ist den Geist Gottes leuchten lassend in den Fugen der Ge- schichte; das Gesicht des Moses, worin er Gott schauen darf im Rücken, wenn er vorüberzieht, bildet das grossartig ab. Denn mein Angesicht, spricht Gott, kann man nicht sehen. (2. Mose 33, 23.) darum rauscht auch seine Weissagung wie von einer Harfe.

Deshalb sind auch die Psalmen nicht blosse Seufzer und Bekenntnisse eines Menschen, sie sind auch Weissagungen des Reiches Gottes ; sie sprechen aus demselben wie aus einer

Person heraus. Der Dichter fühlt sich im Leid und Kampfe aber auch im Sieg der Wahrheit Gottes. Die Musik, die von ihnen ausging, war der Glaube des Tempels selbst, in dem sie erklangen.

In der Hias (2. 599) wird erzählt, das ein alter Sänger Thamyrisim Gesänge mit den Musen hätte wetteifern wollen. „Doch die Zürnenden schufen ihn blind und nahmen des Liedes Göttliche Gab’ ihm hinweg und die Kunst der tönenden Harfe.“ (4. 33)

Es wird aber auch von Homer selbst berichtet, dass er blind gewiesen und Pausanias vergleicht beide mit einander, wie der eine Blinde nicht mehr singen, der andre grade erst in der Blindheit der grosse Dichter werden konnte. Aber Pau- sanias ist kein poetisch angelegter Heisebeschreiber. Thamyris wird blind, das ist die Lehre der alten Sage, weil er sich einbildete, mehr geistig zu sehen, als die Musen. Homers Blindheit ist die Begeisterung, welche nur im Geiste lebt und aus der Erinnerung schaift. Die Umw^elt ist für ihn nicht vorhanden.

Die christliche Symbolik hat der heiligen Cäcilia das Patronat der Musik übertragen. Cäcilia ist von Caecus blind benannt. Christliche Musik ist ein Bauschen der Begeisterung in schöner Kunst auf den Tasten der Orgel ; es ist ein Schauen der ewigen Liebe gegen alles andere ist sie blind. Wie schön ist daher das Gemälde der h. Cäcilia, das Raphael gemalt. Das Instrument entsinkt ihr und sie lauscht dem Gesang der Engel. Neben ihr steht St. Paulus mit dem Schwerte des Worts, in welchem der Quell aller Kunst und Begeisterung sich findet, und Maria Magdalena, welche die Macht des heiligen Wortes im wahren Meister des Geistes, in Christo, an ihrem eigenen Herzen beruhigend und um- wandelnd erfahren hat.

Auch die Propheten schauen in die Nacht hinein, die blinde und lange, aber sie sehen immer das Licht und hören immer das Lied am Throne ihres Gottes. Jesaias hat die

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erhebende Vision seines Herrn; Seraphim umgeben ihn und rauschen, in himmlischen Accorden ihm sein „Heilig, heilig, heilig ist der Herr Zebaoth“ weltdurchbebend zu.

Noch aus den Apocryphen hören wir von der Lust am Gesang und Musik in Israel. Im Buch Sirach (nach Luther 32, 5, 6) heisst es : Irre die Spielleute nicht. Und wenn man Lieder singt, so wasche nicht darein und spare deine Weis- heit bis zu einer andern Zeit. Wie ein Bubin in feinem Golde leuchtet, also ziert ein Gesang ein Mahl. Wie ein Smaragd in schönem Golde steht, also zieren die Lieder beim guten Wein.^^ Lieder, wie es v. 17 heisst, in denen man auch dankt für Alles dem, der dich geschaffen hat.

In dem Text des Buches Tobia, dem hebräischen, w^elchen Sebastian Münster herausgegeben hat, ist die merkwürdige Notiz enthalten, dass die Juden im Eeiche Juda, w^as sehr unrecht war, als die Kinder des Reiches Israel in Gefangen- schaft geführt wurden, nicht aufgehört hätten zu singen in aller Liedeskunst auf Cithern und Harfen,

Nun allerdings die Fortsetzung der Propheten findet sich in den Aposteln; ihre Freiheit strömt nur im Evangelium aus. Durch die Offenbarung des gebrochenen Zaunes wird das Psalmenlied ein Eigenthum der Völkerwelt. Um die Juden

^9) Nach der Versah theilung in der Londoner Polyglotte ist es cap. 35, 5. Es ist nun auffallend, dass die syrische Uebersetzung den ersten Vers gar nicht hat und im zweiten die merkwürdige Ver- änderung hat, dass für Lied gegeben ist Wein so

dass es nun heisst: „Wo Wein getrunken wird, erzähle keine Ge- schichten.“ Doch stammt wohl die letztere Version aus späterer trau- riger Zeit, wo die Harfe keine fröhlichen Lieder mehi’ gab.

^0 Diese Notiz ist in keinem andern Text enthalten. Der Text, welcher Seb. Münster zu Grunde lag, ist werthvoller, wie der von Fagius edirte; einem griechischen Original soll er verdankt werden, doch ist auffallend cap. 5, 2 das Wort das ist

das lateinische Hospes.

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scliliesst der Bachstabe eine eiserne Mauer. In Talmud und Midrasch „wird das Suchen der Prophetie unterbunden; ihr Geist national begrenzt, ihre Hoffnung vom wörtlichen Gebot abhängig, ihr Messias lokal und zeitlich begrenzt.“

Aber Lied und Gesang ist in Haus und Synagoge nicht er-' storben. Die Klagelieder werden nicht stille. Die Melodie der Verfolgung und des Schmerzes geht mit den Juden von Land zu Lande. Auch sind die Zusammenhänge mit der Kunst der Völker nicht abgebrochen. Martene^i) erzählt, „dass als er in die Synagoge von Carpentras kam, sie Psal- men in Hebräisch sangen, deren Gesang charmant war. Wir Hessen uns einen Gesang von den J udenknaben Vorsingen, der uns entzückte.“ E. Wagner sieht auf den alten Synagogen- gesang verächtlich herab. Freilich stand ihnen keine Kunst- bildung zu Gebote; sie hatten nur ihre dunkele Synagoge; sie besassen keine Theater; ihr Genuss war auf den Synago- genvorsänger beschränkt. Was sie von den Völkern, unter denen sie lebten, entlehnten, Volksspiel, Volkslied, war alles in den Dienst des Sabbats und Feiertags gestellt. Aber kaum, dass ihnen mehr Freiheit offenbar war, so zeigte sich die alte Kunstliebe. Es ist nicht gleichgültig, dass in wenig Jahrzehnten eine überraschend grosse Zahl von Componisten aus dem Judenthum bedeutungsvoll hervortreten. Wie schnell haben sie sich mit der Kunst der Welt amalgamirt! Beson- ders merkwürdig erscheint mir der Gegensatz von Meyerbeer und Mendelssohn. Sie stellen die beiden Strömungen dar, die innerhalb der Geschichte der Musik überhaupt wahrnehmbar sind. Die Oper ist ja ein Kind der Kirche. Aber es gilt von vielen Künsten, die aus der Kirche in das Volk gingen, das Wort des Jesaias; „Ich habe Kinder auferzogen und sie sind abgefallen von mir.“ Der Oper ist nicht mehr anzusehen

2‘) Vgl. Gerbert de cantu et musica sacra. Typ. S. Blas. 1774. 1. p. 7.

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woher sie einst gekommen ist. Sie ist nicht mehr für die Kirche sie ist nicht gerade gegen sie aber sie ist eine Nehenhnhlerin, welche ihr das Interesse und die Theilnahme Tausender entzieht. Es ist nicht der Ort hier zu untersuchen, wie weit die Kirche selbst schuld ist, dass sie aus dem Mittel- punkt gerückt ist aber das ist gewiss, dass sich die Oper mehr in dem Centrum des Interesses der Gebildeten befindet als sie. Die Kreise der höheren Gesellschaft umgeben Theater und Concert in reicheren Eeihen als die Gottesdienste von Ostern und Pfingsten. Die Presse dient dem Theater mehr als der Kirche und der Wissenschaft. Die Posaunen Wagners waren in den letzten Tagen das antisemitische Deutsche Tageblatt so gut wie der semitische Börsencourier. Um Sänger und Sängerinnen dreht sich der Cultus der neuen Zeit und zwar, glaube ich, noch mehr wie um das dramatische Schau- spiel. Es scheint in der That in unsern Tagen, als ob das Leben nur um der Oper willen da sei, nicht diese zum Schmucke von Jenem. Dass dabei ein sittigender und bildender Einfiuss auf das Volk ausginge, mag in der Absicht der Bühnen- vorstände sicher liegen aber kann man behaupten, dass es ilinen gelingt! Das Volk nimmt an ihren Auffühmngen nicht Theil; es sind nur Beize der wohlhabenden Stände. Der alte römische Grundsatz, dass die Menge Panes und Circenses haben müsse, trifft hier nicht zu. Die Logeninhaber der modernen Circenses werden durch den theatralischen Eifer von ernsteren Aufgaben und Pflichten gegen sich selbst ab- gelenkt. Die Jugend lernt frühzeitig Theater und Opern- wesen als die Blütlie der Bildung kennen. Man spielt überall Comödie. Daher schreibt sich auch der Uebermuth eines Mannes wie Richard Wagner, dass er auch Gott zu meistern gedenkt. Statt sich der alten Pflicht der Musik zu erinnern, dem Gottesleben und der Cultur der Völker zu dienen, macht er sich zum Herrn der AVeltbildung, drängt ihr seine gotteslästerlichen Ideen auf und statt ein geehrter und ver-

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dienter Kapellmeister zu bleiben dessen Name nicht ver- gessen sein würde macht er sich zum Usurpator einer Schule, in welcher persönlicher Hass und künstlerische Eache zu modernen Götzen erhoben werden, vor denen der ewige ^ Gott in das Nichts verwiesen wird.

Es ist die Eifersucht auf Mendelssohn, aus welcher einst ' die Schrift „das Judenthum in der Musik‘‘ entstanden ist. Es ärgerte ihn der Erfolg des edlen Componisten. Weil die- ser aus Israel stammte und unter den gebildeten jüdischen Kreisen wie überall viele warme Freunde hatte, w^arf AVagner seinen Hass auf das Judenthum überhaupt; Schopenhauer starb früh genug, dass sich Eichard AVagner unter seine Flügel be- geben konnte, mit ihm „den alten Judengott“ zu bestreiten.

Da dieser allerdings auch im neuen Testament seinen Thron nicht verlassen hat so musste gegen ihn eine Eeorganisation eingeführt werden. Er wünscht uns in die Lage zu bringen, für Propheten und Evangelien Tristan und Siegfrieds | Leben und AA^irken einzutauschen.

Aber grade in diesem Hasse gegen Mendelssohn olfen- hart sich seine tyrannisch immerhin energische, unfruchtbare Natur dem AVirken Mendelssohns gegenüber.

Er berauscht und dieser erhebt. Er ist ein Meister des L bacchantischen musikalischen Tumults; dieser w^eckt aus dem j Psalmengeist stille Thränen. Dieser baut babylonische Thürme j aus Leitmotiven und Dekorationen auf. Jener schuf seine j Werke bis zum Gottesdienst hinan. '

Ich vergleiche dabei nicht technisch ihr musikalisches Können aber im musikalischen Wirken wird Mendelssolin j

ein Lehrer des Volkes und seines Herzens bleiben. AVagners j

Nibelungen werden die. Unsterblichkeit der Bayreuthev Blätter haben.

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IV.

„Erkenne Dich selbst“, so heisst der sonderbare Artikel, den Richard Wagner als Ausführungen „zu Religion und Kunst“ in dem Februar- und Slärzheft der Bayreuther Blätter .erscheinen Hess. Und man erkennt ihn selbst mehr als je. Der Aufsatz ist dunkel und mit sorgsamer Verhüllung, wie er sagt, „den Ahnuugs vollen“ geweiht aber grade der finstere Spiegel lässt Absicht und Verfasser in vollem Umriss errathen. Der Spruch „Erkenne Dich selbst“, ist ja selbst ein Orakel, der Pythia oder wie sie sonst hiess, der Phemonoe, der Tochter Apolls zugeschrieben; allerdings die Pythia re- dete auch aus einer Nacht aber nicht des Hasses. Heraklit war auch dunkel, aber nicht aus Verschlagenheit. Die „Ahnungsvollen“ das sind die Gesinnungsgenossen, die antisemitischen Wagnerianer, denen angedeutet wird was eigentlich zu thun wäre wenn man es auch laut und deut- lich nicht sagen kann.

Erkenne Dich selbst, deutsches Volk, spricht das Orakel von Bayreuth, gebrauche Deine Glieder; es ist ein Phantom, das man Dir eingeredet hat, als hätte das Recht des Be- sitzes 22) eine wirklich unzerstörbare Kraft. Es ist unmög- lich mit den Zwergen fertig zu werden, so lange sie das Gold haben; wie würde in der Sage Wotan mit den Inhabern des Ringes fertig geworden sein, wenn er ihn nicht geraubt hätte! Wie Siegfried mache es, der den Fafnir erschlug;

22) p. 36; „Eine fast grössere Heiligkeit als die Religion hat in unserem staatsgesellschaftlichen Gewissen das „Eigenthum“ er- halten. Für die Verletzung jenes giebt es Nachsicht, für die Be- schädigung dieses nur Unerbittlichkeit. Da das Eigenthum als die Grmidlage alles gesellschaftlichen Bestehens gilt, muss es wiederum desto schädlicher dünken, dass nicht Alle Eigenthum besitzen und sogar der grösste Theil der Gesellschaft enterbt zui’Welt kommt.“

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Gold ist dazu da, dass man es denen raubt, die schwächer . sind. Dadurch vertreibt man die Alberichs, die semitische Namen haben. Er spricht zum deutschen Volk, wie zu einem 1j Ross, welches er gegen den Reiter aufhetzt. Thörichter Grani! was lässt Du Dir gefallen, die auf Dir sitzen, schlag aus, Wiehre Dich, befreie Dich vom Joch, dass die Zweifüssler . zu Pusse gehen und dich selbst in Wagen mit Gummirädern ziehen. Sieh, wie es in Kiew gelang!

Und wenn Du dazu fortgeschritten bist es ist der erste Grundsatz der modernen socialen Erkenntniss aus dem Orakel der Nibelungen dann fahre fort zum zweiten Paragraphen. „Deutsches Volk! dann treib den Dämon 23) aus. Was hat - man denn am goldlosen Gezücht! Wie leicht gewinnen sie wieder den Ring Draupnir, von welchem die Goldtropfen fallen! Und wenn nicht an Gold, wachsen sie an Geist und ^ werden mir und meinen Künsten, spricht er weiter, unangenehm und auch Andern, denen sie hier eine Scholle, dort einen Titel, hier eine Fülle deutscher Luft, dort eine Anstellung wegnehmen. Deutsches Volk, erkenne Dich selbst! Nimm Dir an Heinrich den Dritten von England ein Beispiel oder an Philipp August von Frankreich sie hoben zuerst „das Recht des Besitzes“ auf und trieben dann den „armen Dämon“ , : hinaus. Treib sie aus, deutsches Volk aber nicht etwa wie die Aegypter, welche ihnen noch goldene Gefässe auf die Reise mitgaben das waren hamitische Thoren sondern f leer müssen sie fortgehen wohin weiss ich nicht denn allen rathe ich dasselbe; mögen sie keine Stätte finden, ^

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23) p. 41: „Nun aber, wann der Dämon jene Rasenden im ^ Wahnsinn des Zweikampfs um sich erhält, 'kein Wo und Wann zu i

seiner Bergung unter uns mehr aufzufinden vermag wird es Vj

auch keinen Juden mehr geben .... Dass wir, dringen wir nur hiermit tief genug vor, mit Ueberwindung aller falschen * ^ Scham, die letzte Erkenntniss nicht zu scheuen haben, sollte mit dem Voranstehenden, dem Ahnungsvollen, angedeutet sein.“

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keine Heimath, unglücklicher wie Kain, mögen sie suchen und nicht finden mögen sie hinab in das rothe Meer aber nur nicht um wieder herauszukommen ; deutsches Volk, erkenne Dich selbst Du hast Siegfrieds Glieder und das Schwerdt Nothung schlage aus.

Aber wenn Du Dich erkennst, lass Dich von allerlei Phrasen der modernen Unweisheit nicht verführen. Da reden sie „von der Gleichberechtigung aller deutschen Bürger ohne Ansehen des Unterschiedes der Konfession“.^^) Es giebt eigentlich gar keine. Deutsches Volk, sagt er, erkenne Dich selbst, kümmere Dich um solche Redensarten nicht. „Die Oifenbarung durch . Jesus ist nicht mehr werth, wie durch Abraham und Moses Die „Geistlichen wollen selber nicht von der Autorität Abrahams lassen“; sie „erwarten in seinem Namen noch immer gewisse Verheissungen Jehova’s.“ Küm- mere Dich nicht um sie ; beim Ausschlagen und Austreiben von „Moses und Abraham“ kann man sich „um die Frivolität unserer Staatsautoritäten“, die einen solchen Paragraphen ab- gefasst haben, nicht kümmern. Wer sich noch aus andern „Konfessionen“ an die Rockschösse der AVeissagungen von Moses und Abraham hängt, muss mit.

Bei diesem „Erkenne Dich selbst“, so ruft er „mit schonungsloser Energie dem deutschen Volke“ zu, darf man

2^) p. 34; „Wer sich diesen Vorgang recht überlegt, muss, wenn ihm das eigentlich Lächerliche desselben entgeht, doch we- nigstens in das höchste Erstaunen über den Leichtsinn ja die Frivolität unserer Staatsautoritäten gerathen, die eine so ungeheure unabsehbar folgenschwere Umgestaltmig unseres Volkswesens, ohne nur einige Besinnung von dem, was sie thaten, dekretiren komiten. Die Formel hierfür „Mess Gleichberechtigung aller deutschen Staats- bürger ohne Ansehung des Unterschiedes der Konfession.“

p. 35: „Es wird schwierig sein, gerade aus der Gestal- tung der christlichen Welt ... . die Vorzüglichkeit der Olfenbarimg durch Jesus vor der durch Abraham und Moses zu beweisen.“

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„von der Unterstützung unsei’er kirchlichen und ‘staatlichen Autoritäten für jetzt kein besonderes Heil erwarten. Es giebt ja für diese nur zwei Stände, „den Civilstand, der das Geld für das Militär herbeizuschaffen hat.“ Auf wen soll sich nun das deutsche Volk verlassen, auf Moltke etwa? Dieser ist der Genius „des reissenden Haubthieres“ oder auf Bismarck, der verkehrt noch mit den Führern „des rechnenden Baubthiers“ und nimmt kein ßillet zu den Nibelungen.

Die Schriftstellerei Bichard AVagners hätte nach dieser Seite hin etwas ergötzliches um des dunkeln Bombastes willen, in den sie sich hüllt; aber die finstern Wogen zeugen Zerr- bilder von sittlichem Verfalle und dämonischem Hasse, welche erschrecken.

Mich erfüllen sie zugleich mit' Bedauern ; denn es ist un- möglich, dass Kunst der Wahrheit und AVahrheit der Kunst dort walte, wo man mit solchen Leidenschaften sich sättigt. Ich habe Liszt in vielen Monaten in AVeimar unbefangen und nahe wirken gesehn; aber wo auch seine Sympathien gewesen sein mögen überall nahm man wahr ein liebens- würdiges Herz und Achtung vor jeder Meinung, der religiösen zumal. Es haftete an seinem Kunstleben doch mehr als der Mantel des Abbe. Es unterscheidet ihn von Wagner, dass er den Christus, jener Tristan und Isolde componirt.

Wenn man den Satz „Erkenne Dich selbst“ einmal uni-

p. 37. „Ein Christenthum, welches sich der Bohheit und Gewalt aller herrschenden Mächte der Welt anbequemte, durfte vom reissenden Raubthiere dem rechnenden Raubthiere zugewendet (also etwa vom Kriegsminister zum Finanzminister oder vom Feldberrn zum Banquier) durch Klugheit und List vor seinem Feinde übel bestehen, weshalb wir denn von der Unterstützung unserer kirch- lichen wie staatlichen Autoritäten für jetzt kein besonderes Heil erwarten möchten.“

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wendet gegen Richard Wagner selbst, dann wird er schnell die Unvorsichtigkeit bedauern, in der er ihn selbst gebrauchen mochte.

„Die Lehre „Erkenne Dich selbst“ sei erst nach Jahr- tausenden auf dem genialen Umwege Kants durch Schopen- hauer wieder aufgefunden.“

Aber es sollte doch Richard Wagner, welchen christlichen Unterricht er auch in Leipzig empfangen habe, nicht entgangen sein, dass die wahre Erkenntniss des eigenea^Ienschen zuerst in der christlichen Busse gefunden wird. Die Lehre Christi dringt vor allem auf Wahrheit gegen sich selbst. Das Wort Gottes ist darum ein zweischneidiges Schwert, das durchdringt Herz und Gewissen, Mark und Bein. Die Bergpredigt, die er doch gelesen zu haben scheint, ist nichts als das ge- waltige Anpochen an des Menschen Herz. „Wer da sagt, er habe keine Sünde, der betrügt sich selbst“ das klingt aus dem ganzen Evangelium heraus. „Erkenne Dich selbst“ ist die Höhe der chrisllichen Ethik, denn ohne Erkenntniss der Wahrheit gegen sich ist die Liebe Christi nicht zu verstehen. Die Kirchenväter beziehen sich ausdrücklich auf den griechischen Satz. Gregorius von Kyssa sagt: „Sich selbst erkennen (ro lavTov yvwvav) lässt Versöhnung kommen über die Sünden der Unwissenheit.“ Clemens von Alexandrien spricht: „Das grösste in allem Wissen ist, sich selbst erkennen {i6 yyujyai avToy); Wenn Jemand sich selbst erkannt hat, wird er Gott erkennen.“ So dürfte es sich also ereignen, dass das deutsche Volk zu Wagner spräche: Erkenne Dich selbst einmal im Lichte der Zehngebote, im Liehte der Liebe Christi zu dem Nächsten, und zwar nicht blos auf dem Theater, sondern im Haus, am Heerd, im Kämmerlein. Sind vielleicht die zehn Gebote mit Schuld am Hasse gegen das alte Testament und den allwissenden Gott, vor dem man nicht entfliehen kann, selbst nicht in die Tiefen des Nibelungenhortes ist er darum vielleicht für den Meister von Bayreuth ein Schrecken?

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„Erkenne Dich seihst“ ist allerdings ein wunderbares Lied auf der Harfe der Wahrheit. Der König David weinte, als er es tropfen fühlte von den Saiten seines Harmoniums. Obschon ein grosser Monarch, Hess er nicht die Blätter aus der Geschichte ausreissen, die von seiner Sünde handelten. Sie sollten eben zu einem „Erkenne dich selbst“ dienen, für* alle, die in gleiche Verblendung fielen.

Wagner sagt sehr richtig: Was nicht erkannt wird, darauf wird losgeschlagen, und schlagen wir uns damit selbst, so vermeinen wir, der Andere hätte uns geschlagen.“

Nun worauf schlägt denn Wagner los? Auf Propheten und Lehrer der heiligen Schrift. Besonders auf den „grossen Abraham.“ Er sagt, „dass unsere Geistlichen sofort in ihrer Agitation gegen die Juden sich gelähmt fühlen, wenn das Judenthum an der Wurzel angefasst und z. B. die Stamm- väter, namentlich der grosse Abraham nach dem eigentlichen

Texte der mosaischen Bücher der Kritik unterstellt werden.“ ^7)

„Erkenne Dich selbst.“ Kennt Wagner den eigentlichen Text der mosaischen Bücher? „Den eigentlichen!“ Weiss er einen andern, als den in der vorhandenen Bibel? Wer ist es denn, der Abraham und die Stammväter als Wurzel erkennt, als Jesus selbst? Und welche Kritik kann denn etwa AVagner mit dem grossen Abraham vornehmen, in der, falls sie verständig ist der alte Patriarch vor dem neuen

27) Leider muss er dies sogar an Stöcker, der ihm doch sonst sympathisch sein mag, erfahren. Dieser verleugnet nun, soviel hat wenigstens die Schrift: Die Antisemiten und die christliche Kirche gewirkt, in der Nenen Evangel. Kirchenzeitimg vom 14. Mai in etwas die antisemitischen Feinde des alten Testamentes. „Die jetzt in grösserem Format erscheinende Wacht, die patriotische Zeitung in Liegnitz, der neu erscheinende Keichsbote (soll Reichsherold heissen, aber wie nah lag die Verwechslung) .... sind dafür warnende Beispiele.“ Diese Verleugnung ist lehrreich genug, auch durch das, was sie verschweigt.

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Festspieldicliter nicht besteht. Nehmen wir einmal folgendes an. Vom Könige von Sodom, den er aus Gefangenschaft befreit, werden dem Abraham grosse Summen angeboten. Abraham schlägt sie aus, weil er nicht will, dass jener sage, er habe den Abraham reich gemacht. Hat Wagner ein ähn- lich Verhältniss gewahrt gegen die Könige, gegen die er doch schreibt und gegen die Juden, w^elche er exmittiren will.

Abraham das ist ja die von den Antisemiten so gräu- lich missverstandene That bittet für seine Feinde, die sein sittlicher Gegensatz sind, bei Gott um ihre Erhaltung. „Erkenne Dich selbst‘‘; wann hat Richard Wagner jemals gebetet und für seine Feinde? Vielleicht für seine Recensen- ten oder für die Juden! AVagner wird eingestehen, dass er mit dem „Erkenne Dich selbst“ sich selbst geschlagen hat wird er nun nicht etwa mir nachsagen „ich hätte ihn geschlagen“. Aber ich that es nicht nur die Wahrheit war es, deren Ruthen früher oder später die Hände und die Zunge treifen, welche gegen Gott und Liebe gesündigt haben.

Der Dichter der Nibelungen leistet noch ferneren Satz. „Es wird schwierig grade sein aus der Gestaltung der christ- lichen Welt und dem Charakter der durch die so früh ent- artete Kirche ihr verliehenen Kultur die Vorzüglichkeit der Offenbarung durch Jesus durch Abraham und Moses zu be- weisen.“

Und wenige Zeilen darauf „unsere Cultur und Zivili- sation stehen mit der christlichen Lehre, im schreiendsten Widerspruch.“

Der Notenmeister in Bayreuth ist etwas in Confusion gerathen. Die Offenbarung durch Jesus ist doch offenbar älter als die christliche Kirche. Nun „habe die christliche Kirche in ihrer Entartung die Kultur verdorben;“ weil sie das gethan hat, soll nun „die Offenbarung durch Jesus nicht vorzüglicher sein als die durch Moses und Abraham.“

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Dass das nicht wenig Confusion und Unwissenheit ist wird hei einiger Selhsterkenntniss ihm bald offenbar sein.

Erstens verhält sich die Offenbarung durch Jesus zu der von Moses, wie die der Erfüllung zur ‘Weissagung. Es ist je kein anderer Gott, kein anderes Gesetz. Jesus ist nicht ge- . kommen aufzuheben, sondern zu erfüllen.

„Die Kirche sei früh entartet“ d. h. die christlichen Leh- ren haben nicht immer stark genug die heidnischen Sünden ^ und Lüste überwinden können. Es ging so zu, wie Wagner jetzt handelt; weil man Jesum nicht nachfolgen wollte, so gedachte man den Heiland zu zwingen, das Kleid der eige- nen Lust und Eitelkeit anzuziehen.

Fast komisch klingt es, dass einmal die Kirche der ; Kultur ihren Charakter verliehen und dann wieder Kultur . und Zivilisation mit der christlichen Lehre derselben Kirche in Widerspruch stehen.

Dass die Kultur dem Einfluss des Christenthums ver- dankt wird, ist wahr, aber nicht alle Kultur ist christlich ® geblieben. Nichts destoweniger ist es falsch zu sagen, dass alle Kunst und Zivilisation ein schreiender Widerspruch der ; christlichen Lehre sind. Die Zivilisation der Nibelungen und Tristans allerdings; das Leben und Abenteuern vieler^ Künstler - allerdings. Die Vergötterung der musikalischen Meister ebenso.

Der Humbug, der mit Claqueurs und gemachtem Beifall getrieben wird, ist auch unchristlich. Es ist vieles im Staat und der ;

Gesellschaft, was der Wahrheit nicht entspricht, wie der Fana- ?

tismus der „Ahnungsvollen“; wie aber Wagner dazu kommt, das zu behaupten, der selbst die christliche Lehre zum Wider- : Spruch ihrer selbst zu machen Lust hat, ist unerflndlich.

Plutarch citirt einen Vers des Dichters Jon über den obigen Spruch, der deutsch etwa also lautet:

Erkenn’ Dich selbst ist zwar ein kleiner Spruch, allein ^

Ein Werk, das keiner sonst als Zeus zu thun versteht.“ j

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Man sollte nun gewiss meinen, dass dies Wagner in Bayreuth versteht, allein er kann es nicht, wie würde er sonst sagen, „dass unsere ganze Zivilisation ein barbarisch-jüdisches Gemisch ist, keine christliche Schöpfung.“

Anderseitig hat er wieder gesagt, dass die Kultur der Charakter von der christlichen Kirche empfangen habe. Aber Richard Wagner überlege einmal, ob in einer Zivilisation, die rein christlich wäre, Siegfried und Brunhilde einen Platz ge- funden hätten! Er denke einmal nach und schaue in sein Herz und Leben, ob in einer Zeit welche der Geist des Gekreuzigten in Wahrheit erfüllte Wagnersche Ketzereien gegen den lebendigen Gott und den reinen Geschmack der deutschen Sprache möglich gewesen wären!

„Barbarisch -judaistisch“ ist unsere Zivilisation wenn man nur besser übersetzt. Aus der TJeberwältigung der Bar- baren durch die Lehre von Jesus entstand das moderne Le- ben. Aber wie Israel die Kenaaniten nicht völlig überwand

und daher Heidnisches festhielt bis in spätere Zeit, so auch in Germanien. Daher blieben auch solche engherzige und blutdürstige Rohheiten über wie in den Schriften der Anti- semiten und den BajTeuther Blättern.

Der Kosmopolitismus hat allerdings seine Würde erreicht, w^enn er alle Lücken mit christlicher Liebe ausgefüllt hat, und nicht um chauvinistische Selbstsucht zu fördern, ist Jesus an ‘das Kreuz gegangen. Der Mensch sollte im wahren Menschen erhöhet werden; Das aber zu erkennen, ^muss man von neuem durch ein echtes „Erkenne Dich selbst“ wieder- geboren werden. Das Herz des tollen Hagen muss heraus

das weiche Herz des Bekenners muss hinein. Jene Phemonoe, welcher man den Satz „Erkenne Dich selbst“ zu- schreibt, soll auch den Hexameter erfunden haben, unter andern jenen ersten:

nuQcc ts olcupoi^ Tcrjqovis

Federn bringet ihr Vögel und goldenen Honig ihr Bienen!

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Ob man dies in Bayreuth von Eecensentenfedern und Patronatsgold versteht, wissen wir nicht; soviel ist gewiss; sie werden beide der Unsterblichkeit nicht dienen, wenn nicht reine Gottesliebe einzieht in Bayreuth. Friede und Ruhm werden ein schnell vorüberfliegender Wahn sein ohne Humanität und Liebe auch gegen Gegner und gegen Juden. Es wird zu Abraham im cap. 12 des ersten Buches Mosis gesagt: Wer dich segnet, wird gesegnet, und wer dich bannt, wird in den Bann gethan werden. Nun das ist' gewiss, dass der Bann aufgehoben sein kann durch Jesu Liebe; aber unumstösslich bleibt., dass wer Abraham segnet, gesegnet werden wird. Denn der Segen um der Liebe willen ist immer ein Opfer vor Gott.

Druck von J. Windolff in Berlin.

In J. A. Wohlgemnth’s Verlagsbuclihandlung (Max Her big) in Berlin S.W., Hallesches Ufer 11, sind ferner erschienen:

Professor Dr. Paulus Cassel, lieber die Abstammung der englischen Nation.

Ein Seil«! schreiben an Revd. Mervyii Archdall.

Ziigleicb als Antwort Abtb. II. lieft 4. 32 S. gi\ 8.

Brocli. 50 Pf.

In England giebt es eine Menge guter Leute, welche sieb Mübe geben, die Engländer als Nachkoniinen des alten Israel zu beweisen. Der Verfasser widerlegt das aber nicht ohne die tiefe biblische Religiosität historisch zu beschreiben, auf welcher Englands Volksleben ruht und nicht ohne für die Juden selbst gegen die antisemitische Partei in seiner schlagenden Weise ein Wort einzulegen.

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Zehn Deutsche Reden

elialten wälirend der Kriegsjabre 1870.

Preis 75 Pf.

Die Amiseilen Ml lie evMpliscle Kircle.

Semlsclireibeii an einen evangelischen Cieistlichen.

Viertes Tausend. Pi’cis 75 Pf.

In Friedrich Stalin’s Verlag in Berlin sind erschienen:

Professor Dr. Paulus Cassel,

Eine Auslegung des Briefes Pauli an Titus.

Mit einer Schlussbemerkung über Semitismus.

Zur Erinueruiig an den 28. Mai 1855.

1880. 112 S. broch. 1 Mk.

Die Schrift stellt an der Hand des Paulinischen Briefes eine christliche Sittenlehre dar. Der Brief erscheint wie an die Gegen- wart gerichtet; obschon das wissenschaftliche Material nicht fehlt, so ist das Buch lesbar für alles Volk, Männer und Frauen, «und legt Verfasser den Werth darauf, es nicht blos an Theologen ge- richtet zu haben.

Wider Heinrich von Trcitschke.

GO Pf.