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Der Literat

oder

Mythos und Perſönlichkeit

von

Jakob Waſſermann

Erſchienen im Inſel-Verlag zu Leipzig 1910

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er Literat, ein geheimmisvoll befchloffenes

Weſen, hat der Kultur unſerer Zeit ſeinen underwiſchbaren Stempel aufgeprägt. Ja, man könnte ſagen, daß alles, was ſich heute gemeinhin inter dem Titel Kultur begreift, ein Werk des Lueraten iſt. Was iſt ein Literat? Die nachfolgenden Unter⸗ ſuchungen wollen dieſe Frage beantworten; fie wollen die Art und die Wirkung des Literaten, die Bedingungen ſeines Lebens, die Fundamente und Ziele ſeines Geiſtes mit Hilfe einiger typiſier— ter Charaktere erforſchen. Die damit aufgeſtellten repräſentativen Figuren werden ſich natürlich in der Wirklichkeit kaum ſo unterſchieden und formelhaft finden laſſen; das Leben gibt Miſchungen. Man wird im Pſycho— logen viel vom Tribun, im Dilettanten viel vom Pſychologen, im Apoſtel viel vom Schöngeiſt nachweiſen können. Auch iſt es möglich, daß in einer einzigen Perſon die Elemente von mehreren jener Typen ſtecken, daß Schöngeiſt und Pſy— cholog, oder Dilettant, Tribun und Apoſtel ver— einigt ſind. Sogar im ſchöpferiſchen Menſchen ſind Züge des Literaten vorhanden, vielleicht hat die moderne Zeit überhaupt keinen ſchöpferiſchen Menſchen hervorgebracht, der davon ganz frei

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wäre. Beim Literaten werden aber die bezeich— neten Eigenſchaften von einem jener Repräſen— tanten immer in beſtimmter und auffallender Art zur Erſcheinung gelangen, und die Beſonderheit und das wechſelnde Ausmaß der Miſchung ſind dazu angetan, ihm in ſeiner menſchlichen und künſtleriſchen Wirkung das Intereſſante, reizvoll Problematiſche und Unergründliche zu verleihen.

Der Literat als Dilettant

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ine Kunſt aus Liebe zur Sache üben, das a den Dilettanten in der edlen Bedeu— tung des Wortes. Der Dilettant und der Künſtler unterſcheiden ſich vielleicht nur durch die Konſe— quenz eines leidenden Zuſtandes, welcher den Künſt— ler im Bereich ſeiner Kunſt gefeſſelt hält, wäh— rend der Dilettant frei bleibt. Der Künſtler iſt gefeſſelt, nur ſeine Sehnſucht, das Vermögen ſeines Geiſtes, ſich mit allen Dingen dieſer Welt zu identifizieren, macht ihn ſcheinbar frei. Beim Dilettanten iſt es umgekehrt. Der Dilettant identifiziert ſich wirklich mit den Dingen dieſer Welt, indes ſein Geiſt gebunden iſt. Seine Sehnſucht richtet ſich daher nicht gegen die Welt als gegen etwas, das erobert, begriffen, gedeutet werden ſoll, ſondern gegen die Kunſt, deren er ſich bemächtigen will. Der Künſtler hat die Kunſt innen und möchte ſich gleichſam ihrer entledigen im Austauſch gegen Göttliches und gegen ein Stück Welt; der Dilettant hat ſie draußen und wünſcht ſie zu gewinnen, indem er Welt und Gott in ſeinem Innern dadurch zu beruhigen und in Harmonie zu bringen ſucht.

Der Literat als Dilettant hat aber weder Welt noch Gott noch Kunſt in ſich ſelbſt. Ihm iſt nicht nur die Kunſt ein Äußeres, zu Erraffendes, ſondern auch Welt und Gott. Er tritt leer auf den Plan. Wahrſcheinlich iſt er ermüdet von Erlebniſſen. Er iſt nicht von ſtark organifierter Seele, ſonſt würden geringe Kämpfe nicht imſtande ſein, ihn zu ermüden. Er hat einer Schlacht beigewohnt; in den hinterſten Reihen hat er den Kanonendonner gehört und zugeſehen, wie man Verwundete und Tote vorübertrug. Das hat genügt, ihn mit Ab—⸗ ſcheu gegen den Krieg zu erfüllen, ja, er iſt der gründlichſte Haſſer alles Kriegsweſens geworden, ein Quietiſt aus Philoſophie, da ihn die Beſchaffen— heit ſeines Geiſtes zwingt, ſeine Schwäche wie eine Stärke zu behandeln.

Schon daraus läßt ſich ſchließen, daß er nicht aus innerer Notwendigkeit am Kampf teilgenommen hat, ſozuſagen aus Vaterlandsliebe oder aus Luſt am Soldatenleben oder aus Begierde nach Aus— zeichnung. Man hat ihn einfach wie ſo viele andere Rekruten dazu ausgehoben, und er war von vornherein ein ſkeptiſcher Soldat, alſo der ſchlech— teſte Soldat, der zu denken iſt. Da man etwas treiben muß in der Welt, iſt er Soldat geworden; nimmt er den Abſchied, ſo iſt er, mit Ausnahme

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des gewonnenen Cfels und Abſcheus, wieder fo leer wie er vorher war, und er weiß nicht recht, was jetzt beginnen. Er tritt daher nicht nur leer, ſondern auch unentſchieden auf den Plan, und weil ihn kein Muß befehligt, iſt er nicht hungrig. Nur Leute, die unter einem tyranniſchen Muß knirſchen, ſind hungrig, alle andern ſind mehr oder weniger ſatt.

Er merkt es wohl, daß Hunger dazu gehört, um ſich zu entſcheiden: Hunger, Spannung, Sehn— ſucht, eine ideelle Begierde. Die Welt, die Men— ſchen, die Erſcheinungen des Lebens erregen ſeine Teilnahme kaum oder nur inſoweit, als ſeine Perſon dadurch berührt wird. Auf einmal richtet ſich ſeine Begierde, ſeine ganze Spannung und Sehnſucht gegen die eigene Perſon. Er entſcheidet ſich ganz und gar für ſeine eigene Perſon, deren er ſich bisher, in den hinterſten Reihen der Kämp— fenden, nur dumpf bewußt geworden war. Seine eigene Perſon enthüllt ſich ihm plötzlich als ein Gegenſtand von ungeahnter Wichtigkeit, als ein unentdeckter Bezirk, von deſſen Schönheit und Vorzügen die übrigen Menſchen zu unterrichten jetzt ſein gebieteriſcheſter Trieb iſt. Alles was er tut, denkt und empfindet, erſcheint ihm erſtaun— lich, beſonders und in hohem Grade mitteilens—

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wert. Je unbeachteter und dunkler fein Daſein bis nun geweſen, je mehr drängt es ihn, ſich in einen Mittelpunkt zu ſtellen. Wie aber fängt er dieſes an?

Er geht mit inſtinktiver Pfiffigkeit ans Werk. Er ſchmückt ſich; und zwar ſchmückt er ſich mit ſeinen Leiden, mit feinen Erfahrungen, mit einer in auf- fallender Weiſe zugeſpitzten, verſchärften und nach— drücklichen Meinung über Menſchen und Schick— ſale. Damit reizt er die Neugierde, und ſein Juſtinkt hat ihn trefflich geführt, denn Neugierde, in einem gemeinen wie in einem höheren Sinn, iſt der hervorſtechendſte Zug der Geſellſchaft, aus der er kommt und deren Mittelpunkt er ſein möchte, deren Mittelpunkt der ſchöpferiſche Menſch wirklich iſt. Auch der ſchöpferiſche Menſch über— treibt das Bild der Welt, aber dadurch, indem er es vergrößert, dadurch allein ſchon, indem er die eigene Perſon aus ſeinem Werk ausſchaltet und an deſſen Stelle etwas ſetzt, was ich fiktive Perſönlichkeit nenne. Dem ſchöpferiſchen Men— ſchen iſt feine Perſon nur ein Vorwand, ein Aus— gangspunkt, der Literat als Dilettant ſieht in ihr die Eſſenz und das Ziel. Der ſchöpferiſche Menſch iſt einſam, von Natur und durch Beſtimmung; dennoch lebt er unter den Menſchen, weil die

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Menſchheit ihm ein unentbehrliches Element ift, durch welches er leidet, weil er geboren iſt, um zu leiden, weil das Leiden derjenige Seelenzuſtand iſt, der ihn befähigt zu ſchaffen. Der Literat als Dilettant iſt niemals einſam; je weniger, je mehr er bei ſich und in ſich ſelber ſteckt. Er ſtellt ſich abſeits, um in der künſtlichen Einſamkeit einen Erſatz für die natürliche des ſchöpferiſchen Men— ſchen zu gewinnen; er ſchmückt ſich mit Einſam⸗ keit, und auch dies iſt ein Mittel, um Neugierde zu erwecken. Die Menſchen ſind ihm entbehrlich, obgleich er ſie ſucht; er iſt der Menſchen über— drüſſig und ſatt, nur ſeiner eigenen Perſon wird er niemals ſatt, fie erſcheint ihm ſtets intereffant, begehrenswert, wichtig und ausgezeichnet. Nicht durch die Menſchen leidet er, ſondern durch ſich ſelbſt, und je nach Rang und Art ſeines Geiſtes und Charakters in allen Graden und Möglich— keiten: angefangen von unerfüllten Anſprüchen niedriger Sorte bis zum Durſt nach Stillung eines bedeutenden Ehrgeizes.

Dieſer Ehrgeiz iſt ſorgfältig zu trennen von dem, was die Griechen Ruhmſucht genannt haben, als welche ein überſinnliches Verlangen und in ihren Wurzeln mit dem Unſterblichkeitsgedanken iden— tiſch iſt. Der Ehrgeiz hat nichts mit Anonymität

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zu tun; der Ehrgeizige gibt ſich nicht grenzenlos und unbedingt hin wie der Ruhmſüchtige, er löſt ſich nicht auf in der Idee; er leitet feine Sache, er ſteht vor ſeinem Werk, er iſt immer der Herr, immer ſichtbar, und ſein Name umflammt ſeine Tat wie ein Programm. Die antiksheroiſche Eigenſchaft der Ruhmſucht iſt den modernen Zeiten und Menſchen faſt abhanden gekommen. Vielleicht iſt darum unſere Kultur, oder was wir mit dieſem Namen bezeichnen, ſo zerſtückt, brüchig und disharmoniſch, weil ſie völlig auf einzelnen, auf „namhaften“ Trägern ruht. Jede wahre Kultur ſetzt Anonymität voraus.

Der Literat als Dilettant verabſcheut die Ano— nymität, denn tritt er ohne ſeinen Namen auf, ſo iſt es, als wenn ein General ohne Uniform zu Hof ginge. Durch ſeinen Willen getragen, von ſeinen Zwecken befehligt, abhängig von der Gunſt der Menſchen und der Umſtände und ſomit von dem, was die Geſellſchaft den Erfolg nennt, kann er in keinem Fall auf äußere Beſtätigungen ver— zichten, und die edle Gelbftvergeffenheit des ledig— lich von der Sache erfüllten ſchöpferiſchen Men— ſchen iſt ihm fremd bis zum Unbegreiflichen. Doch ſehen wir von jener höchſten Selbſtoergeſſen—

heit vorläufig ab, die nur eine ideale Annahme

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fein mag. Der Ehrgeiz des Künſtlers würde auch dann in Kraft treten, wenn dieſer Künſtler auf einer einſamen Inſel lebte, denn ſein Ehrgeiz iſt der Ruhmbegierde inſofern verwandt, als er von dem Beſtreben, das Werk zu möglichſter Voll— kommenheit zu führen, nicht zu trennen iſt. Der Literat als Dilettant hingegen iſt beſeſſen von der Sucht nach der Prämie. Eines feiner untrüg— lichſten Kennzeichen iſt: daß er der Selbſtkritik ermangelt. Selbſtkritik iſt das Vermögen zu vergleichen. Der Literat als Dilettant kann ſich nur mit ſich vergleichen, aus diefern Grunde er- ſcheint er ſich bald überklein, bald übergroß, da ſein einziger Spiegel nur das eigene, beſtändig ſchwankende, beſtändig wechſelnde, niemals ru— hende, losgelöſte und iſolierte Ich iſt. Er kann ſeine Arbeit nicht allgemein an Arbeit und Leiſtung meſſen; nur an ſich ſelber kann er ſie meſſen, an den verbrachten Stunden, gefühlten Anſtrengungen; feine Intenſität zu fein und zu ſchaffen dünkt ihm die ſtärkſte überhaupt erreich— bare, und ein ſolches Bewußtſein genügt ihm, um alle Erinnerungen an Qualität auszulöſchen oder zu trüben. Im Grunde ſeiner Seele hält er die höhere Geltung, welche die Meiſterwerke ge— nießen, für einen Zufall, wenn nicht für

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Schlimmeres; auch jedes Gelingen hält er für einen Zufall, da ihm entweder das Talent zu in— ſpirieren oder das Talent zu adminiſtrieren im Gegenſatz zum elementaren Künſtler fehlt. Wer ohne Selbſtkritik iſt, hat zu keinem Ding eine wahrhafte Diftanz; fo betrachtet er alle Künſt⸗ ler als ſeine Kollegen, und das unterſcheidende Merkmal zwiſchen ihm und ihnen beſteht nur in der Tatſache der größeren oder geringeren Prämie. Wohl vermag er zu bewundern, aber ſeine Bewunderung iſt von perſönlichen Vorbe— halten niemals frei; er gibt ſich nicht hin, er will insgeheim profitieren, er will denen, die die höhere Prämie erhalten haben, den Handgriff abſehen, und das ſcheint ihm ausführbar, weil er die Diſtanz nicht kennt. Die Prämie, nach der er ſtrebt, kann er nie erhalten ein Kater zeugt nicht Löwen. Er aber, der da wähnt, alles Vierbeinige ſei letztlich von gleichem Rang, dem die Art und die Natur der Löwen völlig fremd ſind, weil er in einem ganz anderen Klima lebt, muß notwendigerweiſe zu der Überzeugung ge— langen, daß er das Opfer einer Ungerechtigkeit ſei; die Vergeblichkeit ſeiner Forderungen erfüllt ihn nach und nach mit Eiferſucht und Neid, ſo daß er alle Menſchen gegen ſich verſchworen

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glaubt, vom niedrigften Skribenten an, um deſſen Ermunterung er buhlt, bis hinauf zu Homer, der eine allzu reichliche Menge des in der Welt vor— handenen Beifalls verzehrt hat.

Eiferſucht und Neid vermögen am Ende ſeine Fähigkeiten ungeahnt zu ſteigern; faſt allein durch Eiferſucht und Neid iſt er zuweilen imſtande, die Gebärde, die Rhythmik, die Melodik des Künſt⸗ lers zu treffen und wenn er ſich auch nicht hin— geben kann, ſo verliert er ſich doch manchmal, verliert ſich in einer ſeltſamen Form übertragener Nachahmung, in welcher die großen Werke wie abgeblaßt und wiederempfunden, ſchattenhaft, ſtimmungshaft ein zweites, unwirkliches Leben führen. Er übertreibt das ſchon Vergrößerte, verwickelt das ſchon Vereinfachte, und die Welt, die ihr Bild in einer immer auffälligeren egoiſti— ſchen Verzerrung erblickt, wendet ſich beleidigt und gequält ab, auch wenn ſie dem Urheber vor— übergehend gehuldigt hat.

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Der Literat als Pfycholog

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Di Pſychologie des ſchöpferiſchen Menſchen iſt, mit einem Gleichnis aus der Chemie geſprochen, ein Nebenprodukt. Dem Literaten wird die Pſychologie zur Idee, was ungefähr ſo viel ſagen will, als ließe ſich jemand nur darum ein Schiff bauen, weil er einen Kompaß beſttzt. Der Pſycholog hält alles für erlaubt, denn er kann alles erklären. Er hat für jede Tat ein Für und Wider, für keine ein Entweder Oder. Der ſchöpferiſche Menſch iſt Wahrheitszeuge, Blutzeuge, indes der Pſycholog die Menſchheit und ſich ſelbſt verrät. Dieſer Prozeß des Verrats iſt wichtig genug, um näher betrachtet zu wer— den.

Ebenſo wie der Literat als Dilettant iſt der Lite— rat als Pſycholog ein iſolierter Menſch. Aber er iſt die ungleich reichere und tiefere Natur. Er iſt auch die kompliziertere Matur, ja, im Gegen— ſatz zum ſchöpferiſchen, der kompliziert geborene Menſch, das will ſagen, daß ſeine Eigenſchaften, Triebe und Jnſtinkte nicht aus einem einheitlichen Gefühl, nicht aus einem elementaren Sein und Betrachten erwachſen, ſondern daß ſie vielfache

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Wurzeln haben, daß kein reiner einfacher Strom des Lebens ihn trägt, ſondern daß er ein Spiel vieler, verſchiedener, oft einander entgegengeſetzter Strömungen iſt, wider die er ſich zu behaupten hat, woraus ſich ergibt, daß er ſich fortwährend im Zuſtand der Abwehr, der Verteidigung und des Kampfes befindet. Er iſt ein wirklich Kämp— fender, nicht bloß wie der Literat als Dilettant einer der in den hinterſten Reihen zuſchaut.

Der Wilde und das Kind ſind ſchlechthin un— komplizierte Menſchen; ſie ſind unkompliziert geboren. Der ſchöpferiſche Menſch iſt eben— falls unkompliziert, aber dort, wo ſich der Ring wieder ſchließt, auf der anderen Seite der Er⸗ ſcheinungen; iſt er der einfach gewordene, der— jenige, der ſeine Einheit gefunden hat, nicht nur durch eigenes Streben und eigene Beſtimmung, ſondern auch durch unbewußte Mitwirkung der Geſchlechter, die ihn hervorgebracht haben und deren Aufgabe es war, ihn hervorzubringen. Der Pſycholog hat nun gleichſam dieſe Kette ſtummer Vorbereitung ſelbſtherrlich verlaſſen, er hat ſich losgelöſt und tritt mit dem ganzen Willen der „Kette“, mit Belaſtungen von rückwärts und vorwärts, mit unerledigten Verantwortungen, eigentlich als ein Deſerteur, allein auf den Plan.

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Schon dies ſetzt ſchwere und nachhaltige Erleb— niſſe voraus, innerhalb des eigenen Gemüts wie gegen den Kreis der Welt und des Lebens. Sein Los iſt: ſich zu verantworten, ununterbrochen ſich zu verantworten, gegen Gott, gegen die Menſchen und gegen ſich ſelbſt. Der ſchöpferiſche Menſch hat nicht nötig, ſich zu verantworten, er iſt eben da, er empfindet ſich als notwendig und geſetz— mäßig, ſeine ganze Exiſtenz heißt: Ja; ſeine Anſchauung des Lebens iſt daher ein innerlich fundierter Optimismus. Jenem andern aber iſt immer zumute, als ob er verneint würde, er fühlt ſich als zufällig, er ſpürt keine Sicherheit, in ihm ſelbſt ſteckt eine glühende Verneinung, und deshalb iſt ſein Tun und Weſen, ob er will oder nicht will, der Peſſimismus. Will er ihn, fo iſt er ehrlich, und es gelingen ihm bisweilen Werke dämoniſcher Art; will er ihn nicht, ſo verſtellt er ſich nur, und was er zutage fördert, trägt den Fluch einer geheimen Lüge.

So wie er nur ein Teil iſt, Glied aus der Kette, vermag er nur eine Teilwelt zu geben; er ſieht nicht mehr als den Teil, er lebt nicht mehr als den Teil, das iſt ſein Schickſal. Nun iſt es aber im Weſen des Menſchen und im Weſen der Kunſt begründet, daß ſein Werk ein Ganzes, ein Gebilde von all—

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gemeiner Gültigkeit und Glaubhaftigkeit vorzu— ſtellen ſtrebt. Da klafft nun der Abgrund. Je mehr er ſich beſcheidet, deſto enger und bedingter, deſto mehr perſönlich gebunden ſtellt ſich ſein Geſchaffe— nes dar; je weniger er ſich beſcheidet, deſto auffälliger und ſchmerzlicher tritt die Kluft zwiſchen dem Per— fonlichen und dem objektiven Gebilde hervor. Es gibt keine Rettung, keinen Ausgleich. Je ſtärker Ta⸗ lent und Potenz ſind, deſto mehr verführt ihn die Sprache, das Erlebnis, die Leidenſchaft, die In— fenfität der Viſion, ſich auf ſich ſelbſt zu ſtellen und ſich ſelbſt gegen Welt und Gott auszuſpielen, deſto mehr verführt er die Menſchen, an ihn zu glauben ſtatt an feine Welt und an Gott. Er iſt immer zugleich Verführer und Verführter, während der ſchöpferiſche Meuſch Führer iſt; er iſt ſtets der Sklave ſeiner Eingebungen, Ideen, Worte und Geſtalten, indes der ſchöpferiſche Menſch immer Herr iſt. Und je mehr er ſeinem Werk Notwendigkeit, Freiheit und Gültigkeit verleihen will, defto mehr muß er feine Fähigkeit überſpannen, die Empfänglichkeit ſeiner Stimme dem Krampfhaften, alſo dem der Natur Feind— lichen nähern, und niemals das Göttliche, höch— ſtens das Titaniſche iſt ſein Gipfel.

Dieſer unausgeſetzte Kampf iſt ohne die äußerſte

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Wachſamkeit kaum zu denken; in der Tat iſt der Pſycholog das wachſamſte Geſchöpf der Welt. Wo der Dichter träumt, iſt er wachſam. Eine ſolche Wachſamkeit hat zur Folge, daß er über alle Vorgänge ſeines Innern und zuletzt über die Art und Wirkung des Zwieſpalts, in dem er ſich befindet, aufs genaueſte unterrichtet iſt. Jener Kampf führt nie zu dauernder Entſcheidung; in jedem Augenblick fällt die Entſcheidung anders, und er ſelbſt darf die Waffen nicht ablegen. Nie— mals ſieht er ruhend die Welt. Und nun: im Zuſtand der Unruhe und der Bewegung alles von ſich ſelbſt zu wiſſen; ſich von ſich ſelbſt los— löſen wollen und doch einſehen müſſen, daß man unlösbar mit und in ſich ſelbſt verſtrickt iſt, ſich ununterbrochen rechtfertigen zu müſſen, gegen das Werk, gegen die Menſchheit, gegen Gott und gegen die eigene Seele, in einem derartigen Zu— ſtand iſt das dringendſte Verlangen das nach einem Heilmittel oder einem Betäubungsmittel, nach einem Stimulans; dieſes Stimulans iſt eben die Pſychologie.

Die Pſychologie entſpringt der Wachſamkeit. Sie kann ſich bis zu halluzinatoriſcher Kraft ſteigern. Sie iſt beim ſchöpferiſchen Menſchen in den Phaſen vor der Entſcheidung, beim Lite—

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raten ift fie die Entſcheidung felbft, und zwar in jeder Bewegung. Jede Bewegung bringt eine Wandlung hervor, jedoch dieſe Fülle von Wand— lungen führt keineswegs zu einer Verwandlung; die Mittel ſind auf dem Wege verausgabt worden, ſo daß es ein Ziel darüber hinaus nicht mehr gibt. Der Literat hat den Weg, der ſchöp— feriſche Menſch hat das Ziel. Der Literat wan— delt ſich, auf dem Weg, und das beſtändig; der ſchöpferiſche Menſch verwandelt ſich, am Ziel. Ein Mann, der nicht an das jenſeitige Leben glaubt, wird aus dem diesſeitigen die ganze Summe von Genüſſen hervorpreſſen, die nach feiner Anſicht darin enthalten find. Dermaßen . ift das Verhältnis des Literaten zur Pſychologie beſchaffen, und ſo kommt es auch, daß die Pſychologie ein fortgeſetzter Verrat am Ziel, an Gott iſt.

Man verfolge dies im einzelnen, und man wird ſtets bemerken, daß das ſchlechthin, das Nur— Pſychologiſche immer den Verrat in ſich birgt. Es mag ſo erſtaunlich wie möglich beobachtet ſein, nie wird man es ohne die Überwindung einer geheimen und tiefen Scham hinnehmen, als ob ſich ein Menſch vor uns entblößte. Der Pſycho— log verrät die Welt, indem er ſich ſelbſt in ſeinen

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geheimſten und tiefſten Regungen verrät. Dies iſt ihm die Brücke zur Welt, denn eine andere hat er nicht in feiner Iſolierung. Der Pſycholog kennt keine Scham; das iſt ſein Rauſch, ja, ſeine Ekſtaſe. Er trifft dich mit den Entdeckungen, die er in ſeiner Seele gemacht hat, er reißt dich in ſeine Abgründe, begräbt dich in ſeinen Finſter— niſſen, ſchleift dich durch ſeine Zweifel und ſeine Qualen, und am Ausgang und am Eingang ſteht er, nur er, Pförtner und Totengräber. Der ſchöp— feriſche, der handelnde Menſch übernimmt die Leiden der Welt und reinigt die Menſchheit da— von, der Pſycholog gießt ſeine Leiden über die Welt, und die Pſychologie iſt ihm der Schlüſſel zur Welt, das Mittel, um dir zu ſagen: Du biſt wie ich! Ein umgekehrtes tat-twam asi. Diefes „du biſt wie ich“, mit Hilfe der Pſychologie, des fortwährenden Belauerns konſtatiert, bringt etwas wie eine künſtliche Sozialität bei ihm hervor, in— des ihm die natürliche von Anfang an fehlt. Wo er haßt, iſt ſein Verrat ohne Hemmung, gewiſſer— maßen ſachlich; wo er liebt, glaubt er ſich zu opfern durch den Verrat, und er muß verraten, weil die einzige Form ſeiner Produktivität darin beſteht, das Ganze der Welt in Stücke zu reißen und in dem Schmerz über die Zerſtörung und

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Zertrümmerung die Unvollkommenheit der Dinge zu geſtalten. Während der ſchöpferiſche Menſch in einem göttlichen Sinne grauſam iſt, iſt der Pſycholog in einem menſchlichen Sinne grauſam, da er durch ein tragiſch widerſpruchsvolles Geſetz trotz ſeiner Einſamkeit immer an die Menſchheit gefeſſelt bleibt und ſich ſo wenig wie von ſich ſelbſt richtend von ihr löſen kann. Er richtet nicht, er klagt an; es geht bei ihm um Recht oder Un— recht, doch nie um Gerechtigkeit.

Pſychologie iſt Naturalismus. Wie ſie ſich auch gebärden mag, iſt ſie der Feind und der Gegen— ſatz der Schonung, der Scham, der Abbreviatur, der Andeutung, der Deutung, der Ahnung, der Sehnſucht, der Religion. Sie iſt immer ein irdiſch Erfülltes, rationaliſtiſch Fertiges; fie iſt das Wörtliche, nicht das Bildliche, das Allego— riſche, nicht das Symboliſche, der Weg und nicht das Ziel.

Tun entſteht die Frage: Wie verhält ſich die Welt, die Geſellſchaft hiezu, wie nehmen die Ver— ratenen den Verrat auf? Sie werden ja beſtändig in Anklagezuſtand verſetzt, beſtändig ihrer Geheim— niſſe beraubt, beſtändig in ihrer Scham beleidigt, wie können ſie das ertragen?

Die Antwort iſt: Der Pſycholog bedient fich des 8

Kniffs, daß er alles einzelne, Vereinzelte und Sonderliche zum Typus verdichtet (während der ſchöpferiſche Menſch umgekehrt den Typus indi— vidualiſtert). Dadurch wird allem Widerſpruch die Spitze gebrochen, und es entſteht ein Werk von großer Leidenſchaftlichkeit, gegründeter Bewegt— heit und ſeeliſcher Durchführung, ein Werk von je ſtärkerer perſönlicher Einheit zumeiſt, je geringer eben die Objektivierung der Welt darinnen iſt. Obwohl jene Eigenſchaften nur mittelft der Kunſt, und zwar einer bedeutenden Kunſt zur Er— ſcheinung gelangen können, nenne ich doch das Verfahren des Pſychologen in höherem Be— tracht einen Kniff, denn er deckt ſich damit nach zwei Seiten: nach der einen gegen die Men— ſchen, denen er einen Zerrſpiegel vorhält und ſie dabei durch ſeine Leidenſchaft, ſein Gefühl, ſeine Kunſt, ſeine Perſönlichkeit verhindert, die Will— kür in den Zerrbildern zu erkennen; nach der andern Seite gegen Gott, oder, wenn man will, gegen das ſchöpferiſche Prinzip, indem er ſich als einen leidenden, leidenſchaftlich ergriffenen Men— ſchen preisgibt, aufgibt und zugleich darauf pocht, daß er in unabhängigen Geſtaltungen zur Ge— rechtigkeit und zur Wahrheit ſtrebt.

Ich ſpreche ſelbſtverſtändlich nicht von der Pſycho— 26

logie als Wiſſenſchaft; diefe iſt eine gerade Sache und hat mit der Pſychologie in der Kunſt wenig oder nichts gemein. In der Kunſt iſt ſie nicht nur eine analytiſche Methode, ſondern eine Em— pirie höherer Ordnung, nicht mehr eine Difziplin, die von Realitäten ausgeht, ſondern eine Realität an ſich. Sie verpflichtet und verbindet das künſt⸗ leriſche Gebilde der Erde, verleiht der Viſton, dem Gleichnis, dem Schwebenden, dem ſchon Zu— ſammengefaßten, Verdichteten ſein unverrückbares Geſetz, ſeeliſche Anwendung, wechſelvolles Leben und die Glaubhaftigkeit, die ſich auf die Erfahrung beruft. Der Literat als Pſycholog will aber durch die Pſychologie die Viſion, das Gleichnis, das Verdichtete, das Gedicht erſt erzeugen. Ihm iſt der Teil mehr als das Ganze, das Kleinſpiel wichtiger als die Zuſammenfaſſung, und bevor er zur Idee gelangt iſt, erlahmt er in den Wirk— lichkeiten. Die Wirklichkeit vermag er zu er— ſchöpfen, er weiß ſie immer neu, anziehend, ſelt— fan und treffend zu geſtalten, denn fie iſt ja fein Perſönliches, ſein Erbe, während die Idee das Göttliche vorſtellt, von dem er abgeſchnitten iſt.

Durch das außerordentliche, zauberhafte, verführe— riſche Talent, die in ſich ſelbſt beſchloſſene Realität zu geſtalten, wird nun die Menſchheit, die Ge—

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ſellſchaft oder das, was man Publikum nennt, über den begangenen Verrat hinweggetäuſcht. Und zwar nicht erſt ſeit geſtern.

Mit dem Eintritt des Chriſtentums in die Welt hat die geiſtige und ſittliche Indiovidualiſterung der Menſchheit begonnen. Der chriſtliche Kern— gedanke iſt eigentlich die vollſtändige und frei— willige Selbſtiſolierung des Individuums unter jedem Verzicht auf ſoziale Miſſion. Im Geiſt des Evangeliums Chriſt fein heißt: allein da- ſtehen gegen Gott; im Einzelnen, der ſich er— löſt, wird die Menſchheit erlöſt. Es konnte bei der Sublimität einer derart aufs äußerſte ge triebenen Idee nicht ausbleiben, daß ſie, um eine Wirkung zu üben, mißverſtanden werden mußte und daß Chriſtſein ſchließlich nur hieß: erlöſt werden durch das Leiden eines andern, deſſen nämlich, der ſeiner Lehre das welthiſtoriſche Bei— ſpiel gegeben. Dadurch wurde das Chriſtentum nach der ſozialen Seite hin nutzbar gemacht. Die chriſtliche, den Leib leugnende, die Form zer— ſtörende Idee iſt die der Kunſt entgegengeſetzte Idee ſchlechthin. Der chriſtliche Mythos konnte der Kunſt nur dort Nahrung zuführen, wo ent— weder gläubige Gemüter den gläubig Schaffenden umgaben, oder wo ſein menſchlicher Gehalt die

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Strenge der Überlieferung ſprengte und Motive und gewiſſe Freiheiten der Darſtellung bekam, die eher altteſtamentariſch oder, im ganzen Marien— kult, antikiſierend und dem Erlöſergedanken fremd waren. Es konnte alſo nur das leidende, in— brünſtige, ekſtatiſche, lebenverzichtende Gefühl zum Ausdruck gelangen, wozu die volle naive Fröm— migkeit erforderlich war, oder es mußten über— nommene Vorſtellungskomplexe eine immer wieder— holte Darſtellung finden, deren perſönliche Be— ſeelung aber unmöglich wurde, als die Tradition ermattet und die Zahl ihrer Motive verbraucht war. Die bildende Kunſt und die Muſtk, deren Gehalt ausſchließlich in der Empfindung wur— zelt, die ihre geiſtigen Werte in Form und Rhythmus verlegen, konnten einen, wenn auch meiſt nur ſcheinbaren Zuſammenhang mit dem Chriſtentum am längſten bewahren; die Literatur hingegen, Drama, Epos und Gedicht, ſind ſchon durch das Weſen der Sprache und des Wortes auf eine ſtärkere geiſtige Exiſtenz geſtellt. Dies bedingt einerſeits eine größere Kälte, größere Ferne und geringere Unmittelbarkeit der Gefühls— werte, andererſeits wird aber dadurch jede Ver— ſchleierung und Verdunkelung der Idee erſchwert, da die Auflöſung der unerläßlichen Harmonie

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zwiſchen Idee und Ausdruck zur Wirkungsloſig⸗ keit führen würde.

Der Dichter mußte ſich alſo um ſo eher und nachhaltiger vom Religiöſen befreien, je mehr dies Religiöſe feines nationalanythiſchen Gehalts ent— kleidet und, was dem Geiſt des Chriſtentums widerſpricht, zu einer ſtaatlichen und ſozialen Ein⸗ richtung wurde. Das chriſtliche Gebot der Ab— ſonderung, der leben-, form- und freudezerſtörenden Individualiſterung zwang ihn, ſozuſagen wider feinen Willen, zu einer Indioidualiſterung auf geiſtigem Weg, vor allem zu einer losgelöſten, vom Volk abgeſonderten Exiſtenz. Das Chriſten— tum hatte ihn des lebendigen, aus dem Volk ihm zuſtrömenden, im ſeeliſchen Leben des Volks ge— wachſenen Mythos beraubt, und dies bedeu— tete: daß er ſeinen Mythos ſelbſt erſchaffen mußte, aus ſeiner eigenen Bruſt heraus. Die antiken Dichter befanden ſich im Kreiſe des religiöſen Mythos ihres Volkes, der ſtets identiſch war mit dem nationalen Mythos. Das Chriſtentum zerbrach dieſe Einheit nicht nur, ſondern ſein le— bensfeindlicher und alles Schöpferiſche verneinen— der Mythos entzog den Dichtern auch die weſent— lichſte Nahrung, entzog ihrem Daſein die wun— derbar tiefe Notwendigkeit und Geſetzmäßigkeit,

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die jene Genien beſaßen, die von einem ununter— brochenen Strom mythiſch vorhandener Geſtalten ſchon getragen wurden, bevor ſie ans Werk gingen. Wie wäre denn ſonſt das chriſtliche Mittelalter, inſonderheit das deutſche, ſo arm an großen Dich— terperſönlichkeiten? Die wenigen von Rang führ— ten nur ein privates Daſein, waren einſam, wa⸗ ren geduldet, oder auch wohlgelitten, „Sänger“, Koſtgänger, Mitläufer, nicht Führer, nicht Propheten.

Der Dichter mußte ſeinen Mythos ſelbſt er— ſchaffen. Dabei iſt es geblieben. Die Entwicke⸗ lung der Geſellſchaft, der Staaten, der Völker, die geiſtigen und ſozialen Revolutionen, die un— geheuere, durch die fortſchreitende Dezentraliſation und die beſtändige Verſchiebung der Kaſten und Klaſſen beſtändig wachſende Fülle von Schick— ſalsmöglichkeiten, alle dieſe Umſtände haben die Tendenz zur Vereinzelung verſtärkt. Kaum daß noch Familien ein natürliches, auf dem Herkom— men beruhendes Ganzes bilden; die Gemeinde, die Polis, der Staat, die Nation find ſchon künſt— liche und zufällige Zuſammenſetzungen. Das ſee— liſche Erwachen von Millionen Einzelnen bietet freilich ein großes Schauſpiel; es iſt nur die Frage, ob es durch die gegebene Freiheit im Grenzenloſen

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nicht eben ins Grenzenloſe und Verhängnisvolle geſteigert wird.

Da dem Dichter alſo die geglaubte und geficherte Grundlage des nationalen Mythos fehlt, muß er ihn aus ſeinem Innern erſetzen. An die Stelle der lebendigen Überlieferung tritt diejenige des Schrifttums, und ſtatt der natürlichen Sprache, die der Mythos hat und in der er zu allen ſpricht, ergibt ſich der Stil. Sein Gedachtes, ſein Geſchau— tes, ſein Geträumtes, ſein Werden, ſein perſönliches Erleben, ſeine Anſchauung der Welt, ſein Kampf gegen die Geſellſchaft, ſein Verhältnis zur Natur, dies alles verdichtet, vereinfacht, verbildlicht und zur Schönheit verwandelt, wird nun für den Dichter zum Mythos, wird es erſt dann, wenn er zu— gleich Künſtler iſt, wenn er alle Lebenselemente zu Kunſtelementen umgeſchmolzen und das Perſön— liche in ein Göttliches verwandelt hat.

Dies ſetzt nicht nur eine gewaltige Arbeit, einen heiligen Ernſt voraus, eine Kraft zur Entſagung und einen Willen zur Einſamkeit und Selbſtver— tiefung, die den Dichter vollkommen zum Sklaven ſeiner Aufgabe machen müſſen, damit er Herr des Werkes werde, ſondern es fordert auch bei den Empfangenden eine Eigenſchaft, die faſt Konge— nialität zu nennen iſt und die ſich natürlich nur

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bei erwählten Geiſtern findet, zunächſt wenigſtens; ſpäter greift dann die Tradition von Bildung, Stil und Kultur ein, dieſelbe Tradition, deren ſich der Nachfahr bedienen und die er zu— gleich bekämpfen muß, um ſich ſelbſt zu fin— den. So vollzieht ſich nie ein harmoniſches Kräfteſpiel; alles iſt Kampf und Abſonderung, und das Mißoerſtändnis zeugt, nicht das Ein— verſtändnis.

In Kürze: der ſchöpferiſche Menſch erſetzt das Real⸗Mythiſche durch das Fiktivo-Mythiſche, das um ſo bedeutender und großartiger iſt, je größer eben ſein Geiſt, ſein Blick, ſeine innere Welt, ſein Genie ſind. Es gelingt ihm durch unermüdlichen Fleiß, durch glühendes Welt-Erraffen, ſelbſtver— geſſenes Welt-Erſchauen, fein Egoiſtiſch-Perſön— liches gleichſam auszutilgen und dafür das Fiktio— Perſönliche zu geben. Dies iſt dem Literaten verſagt; alſo auch dem Pſychologen. Wohl ſchöpft er ebenfalls alle Nahrung aus ſich ſelbſt, gräbt eine Welt aus ſeiner Bruſt, erlebt tief und wahrhaftig, aber da er nicht die Gabe der Verwandlung beſitzt, bleibt er immer, der er war, wandelt ſich nur von einem Werk in das andere, von einer Geſtalt in die andere, nie in das Göttliche empor, und er iſt fern von den Men—

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ſchen wie der ſchöpferiſche Menſch, und fern von Gott wie die Menſchen. Er verwandelt

ſich nicht in das Herrlich-Fiktive; auch ſeine Ge— ſtalten nicht; ſie treten nicht in die ewige Region, in die Sphäre der höheren Wahrheit, des ver— einfachten Lebens, ſie bleiben ihm zugeſchmiedet, bleiben Suchende, Irrende, Leidende, Unbefreite, und ſie ſollen Boten ſein von ihm zur Welt, von ihm zu Gott, Boten, die er dingt, um ſich ſelbſt, ſeine Schmerzen, ſeine Scham, ſeinen Ehrgeiz, ſeine Einſamkeit (die ihm doch ein errungenes Gut, nicht ein erzwungenes Joch ſein müßte) zu bezeugen, zu verraten. Die Menſchen aber, in ihrer Neugierde, ihrer Eitelkeit, ihrer Luſt an Spiegelbildern, an Enthüllungen, entſchleierten Geheimniſſen, zerſtörten Vorbehalten und unter dem Druck ihrer Not gewahren in ihm nicht ein Gleichnis für Göttliches, nicht eine Idee, ſondern für Menſchliches, eine Wirklichkeit. Das danken ſie ihm, das bewundern ſie an ihm, das zieht ſie zu ihm. Seine Wachſamkeit hält fie wach, feine Bewegtheit zerſtreut ſie, ſeine Treffſicherheit trifft ſie, ſeine Geſpanntheit ergötzt ſte, ſeine Einſamkeit verſtehen und betrauern fie, in allem finden fte ein Gleichnis für ſich ſelbſt, und das iſt etwas an— deres, viel Luſtigeres, Glaubhafteres und Reizen:

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deres als beim ſchöpferiſchen Meuſchen, wo fie ein Gleichnis für das Göttliche finden, die Syn— theſe.

Freilich, ſo wenig der ſchöpferiſche Menſch heute das Volk für ſich hat, die belebte, organiſche Ge— ſamtheit einer Kulturperiode, fo wenig der Literat als Pſycholog. Jener hat eine Gemeinde, eine geiſtige Polis, die an Macht zunimmt; der Pfy- cholog hat ein Publikum. Und was iſt ein Publikum? Es find die „Getroffenen“, die Neu— gierigen, die Gelangweilten, eine ungeordnete Horde von Freiſchärlern der Bildung, die Wahl— loſen, Geſetzloſen, Zuſammenhangloſen und völlig Gottloſen. Darin beruht der tiefſte Schmerz des Pſychologen, und deshalb wird ihm Erfolg, Bei— fall und Echo niemals zur reinen Freude. Was kann es ihm auch bedeuten, die Gottloſen für ſich zu haben? Ihm, der doch daran leidet, daß er gottlos ift?

Mit der Genugtuung, die nicht frei von dem Glück des Darüberſtehens iſt, mag er auf den blicken, der geradeswegs für das „Publikum“ er- ſchaffen wurde und der nicht mehr daran leidet, daß er gottlos iſt.

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Der Literat als Tribun

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r ſtammt zumeiſt aus kleinen Verhältniſſen

und kennt die Not, die leibliche wie die geiſtige. Zwei Dinge haben ihn emporgehoben: ſein Ehrgeiz und das Wort. Sein Ehrgeiz war anfangs nur äußerlich, er zielte auf die Verbeſſe— rung der ſozialen Stellung, wurde aber ſpäter durch geiſtige Zuſtröme ſowohl veredelt wie von der Richtung abgelenkt, denn der Dienſt am Wort iſt ein Frondienſt, der jeden Lebensgenuß zerſtört. So ſpielt dieſer Ehrgeiz mit dem, der ihn hegt, wie ein Irrlicht mit dem Wanderer. Die an die Zwecke gebundene Seele kann den Geiſt nicht beſchwingen, aber ſie gibt ihm die vehemente Stoßkraft des von eingepreßtem Dampf getriebenen Hebels. Der Literat als Tribun iſt der Pſycholog des Tat— ſächlichen; er ift Erklärer und Propagandiſt; Ban- nerträger alles Neuen; Beobachter, der unfehl- bare Schlüſſe zieht; Alchymiſt der Überrafchungen und Moraliſt der Mutzanwendung; Übertreiber des Abſurden, Verzerrer des Trivialen, Wider— facher des Selbſtverſtändlichen; Leugner des Selte— nen, wo Seltenes anerkannt, und Verkündiger des

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Genius bis zu der Stunde, wo der Genius ſich ganz entfaltet. Er iſt der Meiſter der Anpaſſung, der Aufwiegler der Stumpfen, die Polizei der Re— bellen, Brandſtifter und Arzt; er iſt vieles in vielem, alles in allem. Er ſteht, auf den Augenblick an: gewieſen, zwiſchen zwei Tagen, ohne des vorher— gehenden zu denken, ohne den gegenwärtigen hal— ten zu können, ohne vom folgenden zu wiſſen. Er iſt wie der Kapitän eines Paſſagierdampfers; bei jeder Fahrt ſind andere Menſchen um ihn, niemals gleichgeſtimmte, nie vorbereitete, nie ſolche, die ſich ſeiner Leiſtung von der letzten Fahrt her erinnern; er muß alle Vorausſetzungen ſeines Tuns und ſeiner Kräfte jedesmal von neuem erponieren. Der Wechſel der Paſſagiere vollzieht ſich unter beſtändigem Bruch geſchaffener Bünd— niſſe und Übereinkünfte, beſtändiger Veränderung der Formen und Normen.

Was er mitbringt, iſt ſeine Perſon; dieſer er— innert man ſich wohl. Im Grund iſt es der Name, der Gewicht und Klang hat, der eine Luft des Schreckens, des Befehls, der Autorität, der Leidenſchaft um ſich trägt. Die Leiſtung wird dem Namen zugewogen, die Perſon ſchreitet über die Leiſtung hinweg.

Wer iſt unglücklicher als er? Vertrauen erzwin—

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gen, Anerkennung, Billigung und Freundſchaft mit Aufwand aller Mittel des Geiſtes erobern, um alles wieder zu verlieren, wenn der Tag ſich wendet. Immer wie am Anfang muß er ſeine Perſon einſetzen und bloßſtellen, immer mit dem ganzen Elan oder, was nicht minder aufreibend ift, mit der Gebärde des ganzen Clans. Hätte er nicht die Gebärde, ſo würde er ausgeplündert, ausgeſchlürft und ausgeleert, da die Vielfältigkeit der Aufgaben, die ihm geſtellt werden, und die Zerſtreutheit der Intereſſen, die zu ſammeln, zu befriedigen, zu beſchäftigen ſeine wichtigſte Miſ— ſion iſt, ihn nötigen, alles was er empfängt, ſo— gleich wieder zu veräußern. Der ſchöpferiſche Menſch verarmt nicht, ihn nähren tiefe Wurzeln; ſeine wirkliche Perſönlichkeit wird genährt von feiner mythiſch⸗fiktiven. Auch feine Einſamkeit iſt nur fiftio, denn er hat die Geſtalt, die ihm verbunden iſt, auch wenn kein Ohr ihn hörte, kein Auge ihn ſähe. Die Realität iſt nur ein Gleichnis für ihn; er ſchafft ja die Welt zum zweitenmal.

Demgegenüber ift der Literat als Tribun der ein— ſamſte von allen Menſchen, ganz an ſich geſchmie— det, ganz gelöſt von der Welt. Was ihn ſchützt und tröſtet, ihn unermüdlich, gewiſſermaßen ver-

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blendet macht, was feinen Ehrgeiz in Glut erhält, iſt das Wort. Er hat eine angeborene Liebe zum Wort, und es wäre verwunderlich, wenn er ſich bisweilen nicht für einen Dichter hielte. Das Wort iſt ſein Gefährte, er geht mit ihm um wie mit einem Freund, er tändelt mit ihm wie mit einem Kind, er betreut es wie eine Geliebte und iſt von der Macht des Wortes bis ins Innerſte durchdrungen. Iſt er von Natur feige, ſo wird er durch das Wort tapfer, ja tollkühn; hinter dem Wort verſchanzt er ſich, verbirgt er ſeine Armut, feine Zweifel, feinen Neid, feine Unſtcherheit. Das Wort gibt ihm Charakter, ſteigert ſeinen Willen, korrigiert und verdeckt ſeine Irrtümer und verleiht ihm genau die Geſtalt, die er vor— zuſtellen wünſcht. So wird er undurchdringlich mit Hilfe des Worts, als ob das Wort ein Panzer wäre; unſichtbar und unauffindbar hinter dem Wort, ein wunderliches Widerſpiel zum ſchöpferiſchen Menſchen, der unſichtbar iſt hinter der Geſtalt. Aber Worte ſchaffen nicht die Ge— ſtalt, nur Handlungen, Bewegungen (des Körpers oder der Seele). Dann find Worte von ganz an— derem Valeur, ja, ganz andere Organismen, Ge— deutetes, nicht Geſagtes. Das Wort als ſolches verhüllt die Geſtalt und macht ſie unſichtbar.

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In einer Zeit wie der gegenwärtigen, in der un— geheuren Fülle der Dinge, der Geſichte, der Vorgänge, der Meinungen, des Wiſſenswür— digen, des Neuen, des ſchnellen Austauſches der Werte, der enormen Vergrößerung geiſtigen Be— ſtandes bei erſchreckender Haltloſigkeit des Befiges iſt der Literat als Tribun unentbehrlich. Er iſt es, der wägt, der urteilt, der vermittelt, der die Großmünze der geiſtigen Regierungen in die Klein— münze des Verkehrs umſetzt, der Bildung ver— breitet, Kenntniſſe weckt, Einſichten fördert und in allen Angelegenheiten des öffentlichen Lebens höchſte und letzte Inſtanz iſt.

Das wäre nun eine ſehr ſegensreiche Tätigkeit mit heilſamen Wirkungen, müßte man glauben. Man müßte glauben, daß eine ſo ſtetige und hef— tige Teilnahme am allgemeinen Wohl, an Kunſt und Kultur, an ſeeliſchem Wachstum und geiſti— gem Fortſchritt ohne Selbſtloſigkeit, ohne Opfer— ſinn und ohne wahre Sachlichkeit nicht denkbar ſei. Sehen wir näher zu.

Kann von Opferſinn die Rede ſein, wo ein Lohn, auch nur der allergeringſte Lohn in Ausſicht ſteht? Kann von Selbſtloſigkeit die Rede ſein, wo eine Handlung dazu dient, den Glanz eines Namens zu erhöhen? Es mag einer mit wahrer Leiden—

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ſchaft eine Sache führen, und er beſitzt doch nicht die wahre Sachlichkeit, ſobald es unter dem Schutz ſeiner Perſon und unter dem Schild ſeines Namens geſchieht. Opferſinn und Selbſtloſigkeit, das wäre Auflöſung und Anonymität, rein be— trachtet, meine ich, denn ich will ja keine Kom— promiſſe mit den Begriffen und mit den Erſchei— nungen ſchließen. Daß die Anonymität des Tri— buns jeweilen ſogar ſeiner Ehre ſchaden kann und muß, gehört auf ein anderes Feld; es iſt dies ein bedeutſames Kulturzeichen, welches die Kultur, nicht das anklagt, was ich unter Anonymität verſtehe.

Was aber verlangft du? hält man mir dawider. Iſt der Opferſinn, die Selbſtloſigkeit, die Sach— lichkeit unzureichend, die der Literat als Tribun in ſeinem edelſten Typus darſtellt, was wäre dann zureichend? Was geſchähe ohne ihn? Wer würde ſeine Arbeit verrichten, die, wie geſagt, un— entbehrlich iſt, ſchon weil ſie der Gewohnheit und den eingefleiſchten Neigungen entſpricht? Viel— leicht diejenigen, die der Auflöſung und der Ano— nymität fähig ſind? Die wirken durch die Tat, durch die Geſtalt, nicht durch das Wort. Iſt jedoch der ſchöpferiſche Menſch anonym? Er erreicht einen gleichwertigen Zuſtand durch den

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Mythos, in dem er entſchwindet wie Zeus in der Wolke. Wo läge aber der Mythos für den Literaten als Tribun? Er kann ihn nicht haben, denn das Wort iſt das dem Mythos ſchlankweg Entgegengeſetzte.

Dafür wäre alſo abermals die Zeit zu beſchul— digen, die eine Kultur geſchaffen hat aus einer Summe von Einzelkulturen, die auf den Indi— vidualismus ſchwört und in ihren ſubtilſten Re— gungen, in ihren ahnungsvollſten Stunden noch, ſie weiß kaum wie ſehr, der Materie huldigt. Die Perſon, das iſt eben die Materie in nuce. Man fragt, was ohne die fegensreiche Tätigkeit geſchehen würde, die der Literat als Tribun ent— faltet. Die Wege der Bildung würden ver— öden; gewiß. Aber iſt es nicht ſchon genug der Bildung, die nur auf eine Vervollkommnung des Perſönlichen, perſönlicher Macht, perſön— licher Ausdrucksmöglichkeit, perſönlicher Stei— gerung zielt? Sollten nicht alle Federn einmal ruhen, um eine wohltuende Geiſtesdämmerung eintreten zu laſſen, in der die Seelen einander finden würden, der Streit der Meinungen, die Schlacht der Worte zum Austrag gelangen könnte? Ich behaupte nicht, daß dieſe Bildung nur ein Äußeres ſei, fie kann auch ein Inneres

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fein, Kräftigerin des Gemüts, Reinigerin des Herzens; aber ein Religiöſes iſt ſie nicht, niemals wird ſie den Menſchen zum Mythos führen, ihm die große Fülle, die große Stille, die große Beſcheidung, den großen Zuſammenhang ſchen— ken und ſein Herz der Trägheit entledigen, die eine Folge der individuellen Iſolierung iſt; im— mer wird ſie ihn verperſönlichen, zum Knecht des Wortes machen, zum Wörtlichen, zum Ein— zelnen.

Dafür eben iſt das Wort ein Merkmal, das Merkmal geradezu. Es hat alle Gebiete des Denkens und des Gefühls, die Geiſterwelt und die Sinnenwelt erobert. Es iſt der nützliche Ko— loniſaror jeder Wildnis und der voreilige Zer— ſtörer des Geheimnisvollen. Es hat nur kurzen Aten, eine flüchtige Exiſtenz, aber es hat die Kraft, ſich immer wieder aus ſich ſelbſt zu erneuen. Was es berührt, bezeichnet hat, tritt unveräußerlich in den Bezirk des Gewußten und Bewußten, in den Bannkreis der Meinungen und Urteile, wird ſtudiert und klaſſifiziert, iſt da und iſt fertig wie Raritäten in einem Muſeum, wie Naturalien in einer Sammlung, wo ſie aufhören, ein freies, organiſches und anonymes Daſein zu führen. Was geſtern noch Ahnung war, heute iſt es Ge—

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wißheit, morgen iſt es ein Schall. Der Weg vom lebendigen Wort zum Schlagwort entſchei— det die Kürze des Wegs vom Glauben zur Ent— götterung, von der Gebundenheit zur Anarchie. In der Mitte des Wegs ſchwebt ein Scheinbild von Glauben und Geſetz; es iſt nicht Glauben, es iſt Angſt, Fatalismus; es iſt nicht Geſetz, es iſt Trägheit, Rationalismus Schranken vor dem Chaos.

Will der Literat als Tribun über das Wort hin- aus, ſo gelangt er in die Sphäre des Dilettanten oder in die des Pſychologen, wobei er Schatten beſchwört, die er für Geſtalten nimmt. Aber inner⸗ halb ſeines Bereichs iſt er unnachahmlich und wird ſeine Gaben zur Vollendung entwickeln. Da er in der Luft der Worte lebt, atmet er alle Worte ein, die über den Dingen ſchweben, über den Menſchen, über der Kunſt und über der Na— tur. Er vermag ſie ſo zu binden, ſo zu ſchleifen, daß ſie unter allen Umſtänden ſeinen Charakter und die Farbe ſeiner Perſönlichkeit annehmen. Dies iſt noch nicht Stil; zum Stil gehört Diſtanz und Ruhe, Bild und Rhythmus; es iſt das Wort in ſeiner Sinnlichkeit und Mähe, ſeiner Einſchich— tigkeit und Einzelligkeit, das naive, parteinehmende, werbende und ſymbolloſe. Damit es an ſeinem

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Platze fei, fehlt ihm die Rede. Dies enthüllt fein Zwittertum wie auch den Zwieſpalt des Literaten als Tribun. Die Rede fordert Hörende, nicht Neugierige, Wißbegierige, nicht Gelangweilte, die flüchtig aufhorchen und wieder vergeſſen, wenn der Tag ſich wendet, deren Teilnahme für Ge— leſenes nur eine Maske der Müdigkeit und der Überfürterung, deren Enthuſiasmus ſogar, weil ſie ſich dadurch von einer Verpflichtung loskaufen, nur eine künſtliche Form von Gleichgültigkeit oder ſagen wir Objektivität iſt; ſondern die Rede for— dert eine von gemeinſamem Band vitaler Inter— eſſen umſchlungene Gemeinde. Der Literat als Tri— bun ſitzt alſo, trivial geſagt, zwiſchen zwei Stühlen. Zur Rede mangelt ihm die ſoziale Grundlage, eine einheitlich beteiligte Geſellſchaft; das geſchriebene Wort hat ganz andere Reſonanzen und An— ſprüche; an die Stelle des Willens zur Tat tritt der Ehrgeiz am Wort; er iſt zum Schriftſteller ge— worden, ohne zu ſpüren oder zuzugeben, daß dies nur ein Surrogat iſt, und über die Unmöglichkeit einer allgemeinen, politiſchen, beſſer: verwandeln— den Wirkung tröſtet er ſich mit der Anerkennung der einzelnen, mit dem Enthuſtasmus der Gleich— gültigen, mit der Zuſtimmung der Fachgenoſſen und einem Ruhm, der aus Papier beſteht.

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Eine unausbleibliche Folge des Mangels an Hö— renden iſt die zunehmende Zahl derer, die ſelbſt etwas ſagen wollen. Es beruht dies auf dem ſelt— ſamen Irrtum der menſchlichen Natur, daß ſie das geben zu müſſen glaubt, was ſie nicht emp— fängt. Die fortſchreitende Indiovidualiſterung wirkt auf den einzelnen verlockend, ein Fantom der Freiheit äfft ihn, und er tritt ſelbſttätig aus der Kette, bevor zur Reife gelangt iſt, was durch die ſtumme Arbeit der Geſchlechter vollendet wer— den muß. Jeder ſolche einzelne iſt ein „Talent“. Das Talent iſt ein Losgelöſtes, vom Mythos Getrenntes, auf eigene Fauſt Wirkendes. Die Talente ſind Zauberer, nicht Prieſter in der mo— dernen Welt, Sektierer, nicht Apoſtel, und was ihnen die Zeit verdankt, Unterhaltung, Zerſtreu— ung, Spannung, Anſpannung (der die Ab— ſpannung wie eine Rache nachgeht), dafür machen ſie ſich bezahlt durch eine geiſtige Tyrannei und eine Vorherrſchaft ihrer ſpezifiſchen Art, welche den innerlich Unſichern, zufällig Erhobenen nicht verleugnen. Das Talent iſt wie der Mond; es zeigt immer nur eine Seite: die literariſche; die menſchliche iſt unſichtbar, eine Entzweiung von verhängnisvoller Beſchaffenheit, die irgend— wo und wann zum Bankerott führen muß.

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Wie oft fehen wir, daß zugunſten des „Literari— ſchen“ das Menſchliche geopfert wird. Wir müſſen auf ein Antlitz verzichten, um uns an Verkleidungen zu ergötzen. Die Kunſt trennt ſich vom Leben. Nun gibt es Fälle, wo ein Mann ſo von einem Erlebnis erfüllt iſt, daß er ſich ge— drängt fühlt, es darzuſtellen. Es handelnd aus— zulöſen, iſt ihm aus vielen Gründen verſagt, unter welchen der Mangel eines echten geſellſchaftlichen Zuſammenſchluſſes am ſchwerſten wiegt; er greift zur ſchriftlichen Mitteilung als Beichte; zur übertragenen Form des geſtalteten Bildes als Spiegelung. Mag es Klarheit für ihn, Auf— klärung, Bereicherung für die Freunde, für Gleich— fühlende bringen, Werbung oder Verteidigung ſein, es reinigt und entlaſtet ihn. Anſtatt es aber dabei zu laſſen, das Ungewöhnliche, Seltene, jeden— falls Einmalige als ſolches zu bekräftigen, indem man die Einmaligkeit nicht zerſtört, anſtatt deſſen wird der Geiſt zur Krippe getrieben, und was zuerſt Berufung war, wird Handwerk, dann Routine, dann ekler Abſud und Selbſtplagiat. Man iſt Schriftſteller, denn man ſchreibt. Es wird immer weiter geſchrieben, ein Name wird ausgenutzt, eine Tat wird verleugnet, Freunde werden zu Koſtgängern, ehedem Ergriffene zu höflichen Ja—

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fagern, die Seele verarmt in der Gebärde, der Geiſt ſtellt ſich im Wort bloß, Erlebnis wird ſogleich als Stoff einkaſſtert, der Stoff hin— wiederum lähmt das Erlebnis, dem Schaffenden wird die Bahn verlegt, den Genießenden die Un— ſchuld und Freudigkeit getrübt, und es entſteht Literatur.

Das Notwendige ſinngemäß vollbringen, kenn— zeichnet den Menſchen von Berufung. Infolge jener Entzweiung wird entweder das Notwendige nicht ſinngemäß, d. h. ſtilgemäß, angeborener Form entſprechend zum Ausdruck gelangen, wenn das Menſchliche prävaliert, oder das Sinngemäße wird nicht immer das Notwendige, ganz Legitime, ganz Triebhafte ſein, wenn das Literariſche prä— valiert. Entweder wird alſo das Literariſche als dem edleren Dilettantismus verwandt, oder das Menſchliche, Sittliche wird nur wie ein zufälliges Anhängſel erſcheinen.

Letzterem Schickſal iſt der Literat als Tribun zu— meiſt unterworfen. Von Anbeginn an iſt er der geſchworene Feind des Dilettanten, da er ſozuſagen auf Vorpoſten ſteht, niemals Zeit hat, nach vielen Seiten ſich verkettet findet und, der Offentlichkeit preisgegeben, eine öffentliche Perſon iſt, von der man beſtimmte Leiſtungen zu erwarten ſich mehr

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bemüßigt als gezwungen fühlt. Schon die ſtete Verantwortung nötigt ihn zur Gebärde, wenn der Elan verraucht iſt, um wieviel mehr erſt die Gewohnheit, das Metier. Das Wort umpanzert ihn, kommandiert ihn, und wollte er ſich auf ſein Sittlich⸗Menſchliches beziehen, wo das Wort geſündigt hat, ſo fände er die Brücken abgebrochen und den Weg zu weit. Er muß antworten, be- ſtändig antworten, als ob die Welt und das Le— ben voll von Fragen wären; ſie ſind auch voll von Fragen, nur werden ſie nicht an ihn gerichtet, ſondern an die Welt und das Leben, und die Ant— wort geſchieht um der Antwort, nicht um der Fra⸗ gen willen. Das Wort muß ihm Maske bleiben. Er darf ſich nicht verraten, niemals und unter keinen Umſtänden. Er iſt nur treu, ſolange das Wort ihm treu iſt. Er geht um die Ecke und ſieht dich nicht mehr. Dein Geſicht iſt ihm nur ein Wort, und Worte werden vergeſſen (oder auch behalten), geſehen werden ſie nicht. Er kann nicht träumen, das Wort hängt mit Bleigewicht an den Flügeln des Traums; er kann nicht ge— nießen, das Wort verpflichtet ihn, dem Genuß auszuweichen. Er fühlt nicht mit dir, außer mit ſeinem Ehrgeiz für deinen Beifall, mit ſeiner Leiſtung für deine Schwäche, mit ſeiner Virtuo—

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ſität für deinen Dank. Dahinter ſteht ein Menſch, gleichſam kränklich, ſehr argwöhniſch, oft fenti- mental, ohne Vertrauen, ohne Traditionen, Em⸗ porkömmling, Autodidakt, überaus einſam und in unruhvoller, ja atemloſer Tätigkeit.

Der Literat als Schöngeiſt

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& ift ein Kind des Reichtums, oder wenn nicht dies, ſo verſteht er es doch, ſich die ge— meinen Sorgen vom Leibe zu halten. Nicht als ob er ein bequemer Herr wäre; er iſt im Gegen— teil gar nicht bequem, er hat nur einen leiden— ſchaftlichen Hang zur Bequemlichkeit, der ihm oft das Leben ſo unbequem wie möglich macht. Schon das bloße Nachdenken, geſchweige denn die Befliſſenheit, Bedürfniſſe und Anſprüche zu befriedigen, die einem gewöhnlichen Menſchen keinerlei Kopfzerbrechen verurſachen, ſtürzt ihn in Qualen und aufreibende Arbeit. Bis er dazu— kommt, den eigentlichen Zwecken zu dienen, iſt die Hälfte ſeiner Seelenkraft ſchon aufgebraucht.

Seine Neigungen find luxuriös in jedem Sinn. Er liebt die Fülle, die Seltenheit, die Koſtbarkeit; er liebt die Dinge dinglich, mit wahrer Freude am Gegenſtand, doch nur ſeltene und koſtbare Dinge, oder ſolche, die ſchon gleichſam eine Me— tapher bilden oder enthalten. Am Häufigen und Niedrigen das Charakteriſtiſche zu ſchätzen, dazu fehlt ihm die Luſt, ja die Möglichkeit, weil er ſich zu weit nach der andern Seite entfernt hat. Da

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aber das Leben mehr aus Häufigem und Niedri— gem beſteht als aus Seltenem und Koftbarem, fo iſt er kein Beobachter des Lebens, ſondern ein Be— ſchauer. Trotzdem hat er keine Beſchaulichkeit, denn er hat keine ITaipität.

Man muß ſeine Bildung als profund bezeichnen und ſeinen Geſchmack als über jeden Zweifel er— haben. Dies läßt auf große Ausdauer ſchließen, auf einen ſicheren Blick und ein präzis abwägendes Urteil. Eine derartige Vereinigung von Bildung und Geſchmack kann ferner nicht ohne ernſthafte Selbſtzucht erreicht werden; iſt ſie noch dazu einem Temperament abgerungen, das zu Exzeſſen ver— anlagt iſt, ſo entſteht eine geiſtige Kultur edelſter Kategorie, in welcher der Begriff Vornehmheit zu tiefer Bedeutung gelangt.

Warum ift aber der ſchöpferiſche Menſch nicht in derſelben Bedeutung vornehm? Weil er mit dem Niedrigen und Häufigen des Lebens ebenſo verbunden iſt wie mit dem Seltenen und Koſt— baren; weil ſein Weſen nicht darauf gerichtet iſt, ſich zu diſtanzieren, ſondern ſich zu identifizieren; weil er nicht Beſchauer iſt, ſondern Mitlebender, nein, im Innern der Dinge und der Kreaturen Lebender.

Wenn der ſchöpferiſche Menſch in ſich ſelbſt ſein 52

Werk objeftiviert, fo diſtanziert es der Literat als Schöngeiſt. Das Mittel zur Diſtanz verleiht ihm die Form, der Stil. So ausnahmshaft ſeine Perſon iſt, ſo ausnahmshaft iſt ſein Stil, durchaus das Niedrige und Häufige meidend, durchaus das Unterſcheidende ſuchend und unter— ſchieden bis zum Geſuchten. Keine Figur, keine Bewegung, keine Schilderung, kein Gefühl be— ſteht durch ſich felbft, ſchmucklos, fachlich, eigen- kräftig, ſondern ſie werden durch den Stil her— vorgebracht, anſcheinend geläutert, in Wirklichkeit getrübt. Denn dieſer „Stil“ iſt nicht von der Hand und vom Willlen gelöſt; er zwingt immer zur Aufnahme und Betrachtung eines perſönlichen Elements und verhindert, daß man ſich hingibt und daß man glaubt. Man glaubt nicht an den Schauſpieler, der verſtehen läßt, daß er eine exqui— ſite Rolle ſpielt, und der Literat als Schöngeiſt iſt ein ſolcher Schauſpieler, ein Schauſpieler, der ſich nicht opfern und vergeſſen kann, weil er vor dem Spiegel ſpielt ſtatt vor Gott, der Schau— ſpieler ſeiner ſelbſt.

Er kann ohne den Stil nicht denken, nicht träu— men, nicht geſtalten. Seine Phantaſie iſt nicht wortgebunden. Im Wort iſt er frei, durch Bil— dung und Wiſſen ſowohl wie durch einen impe—

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ratoriſchen Zug feines Geiſtes, vermöge deſſen er alles Detail der Erſcheinung ſammelt und ſubli⸗ miert. Aber rhythmiſch gebunden iſt ſeine Phantaſte, in Schwingung, Ton, Melodik, Abſetzung und Steigerung ſo gebunden, daß die Beſchäftigung damit, die vorbereitende wie die ausführende, die ganze Atmoſphäre des Lebens füllt und das Leben ſelbſt gewiſſermaßen zu einem prädeſtinierten Ver— lauf zwingt. Das Formhafte wird ein Geſetz— mäßiges, und die Folge davon iſt, daß das Ethiſche ein Zufälliges wird, zumindeſt in Abhängigkeit gerät. Äußerlich wie innerlich findet beſtändig eine Verdrängung der Hauptwerte, eine Verſchie— bung des Subſtantiviſchen hinter das Attributi⸗ pifche ſtatt, woraus ſich ein ungeſundes und un— klares Verhältnis zwiſchen der Anſchauung und dem Bild, der ſinnlichen Wahrheit und der Me— tapher ergibt. Bild und Gleichnis werden iſo— lierte Faktoren, die ſich eigenwillig aufdrängen; der Weg von der Auſchauung zum Bild iſt oft ſo weit, daß der natürliche Wärmezufluß ver— ſickert und an deſſen Stelle eine künſtliche Glut tritt, Überhitzung des Ausdrucks, Überladung des Gehalts, Verzerrung der Form. Die beleidigte Okonomie läßt keine echte Schönheit mehr auf— kommen; wir gewahren entweder ein kaltes Ge—

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bilde, Ohr- oder Augenweide, aber im Grunde entſeelt, oder eines, das uns wie in willenloſem Trotz gegen die Überwucherung der Metapher durch einen vergewaltigenden Subjektivismus er⸗ nüchtert und zweckbewußt macht.

Denn es iſt nicht die Leidenſchaft, die mich ver— wandelt, ſondern die Verwandlungen der Leiden— ſchaft verwandeln mich mit, alſo letzten Endes ein Moraliſches. Auf dieſes Moraliſche muß der Literat als Schöngeiſt verzichten. Er ſcheint es zu verſchmähen, aber er muß darauf verzichten, weil er ſich nicht verwandeln kann, weil er, wie der Pſycholog und wie der Tribun, an ſeine Perſon ge— ſchmiedet iſt, weil auch er nur den Weg hat, obſchon es ein anderer Weg iſt, und weil er am Ziel ſtets bei ſich ſelbſt anlangt. Er kann ſich nicht verraten; er ſteht zu fern. Das Moraliſche beſchwert ſein Gewiſſen nicht mehr, er leidet nicht darunter, es kommt nicht mehr in Frage für ihn. Er ſpielt. Seine Gebilde können leicht und ſchwebend ſein wie Seifenblaſen, ſie können ſchwer oder flammend ſein, aber ſie werden niemals jene unbedingte Eigenlebigkeit zeigen, die dem Werke des ſchöp— feriſchen Menſchen innewohnt, fie bleiben an feine Perſon gebunden und haben gleichwohl nicht das

Höchſt⸗Perſönliche, das erſt aus dem Mythiſchen 55

ſtrömt und das daher identiſch mit höchſter Sach— lichkeit iſt. Inſofern iſt ſein Schaffen Spiel: weil es nicht höchſte Sachlichkeit iſt. Da gibt es nur ein Entweder Oder.

Er mag Gemüt beſitzen, doch iſt es wie ein Fluch: während er ſeine Werke hervorbringt, vielleicht ſchon in der Konzeption, verzehrt der Rhythmus einen Teil der urſprünglichen Empfindung. Der Rhythmus herrſcht; die Einfachheit läßt ihn erlah— men, erſt im Komplizierten und Beziehungsvollen kann er ſich entfalten, es ſei denn, daß er das Ein— fache ſo weit diſtanziert, daß es ſchon wieder me— taphoriſch wird, als Stiliſterung verblaßt, als Arabeske ſich verkrümmt. Niemand kennt beſſer denn der Literat als Schöngeiſt die ewig gültigen Werte ſchöpferiſcher Kunſt. Daß er ſich an ihnen mißt, daß er immer wieder wähnt, nicht nur mit ihnen wetteifern, ſondern, wenn günſtige Zufälle zuſammentreffen, ſie auch erzeugen zu können, daß er ſich darüber täuſcht und doch wieder, vermöge ſeines präziſen Urteils, die Täuſchung nicht auf— recht erhalten kann, das iſt ſein tiefſtes Leiden. Schon dieſes Leidens wegen iſt er kein Epigone zu heißen; er iſt weit mehr, er iſt der Prätendent, der niemals gekrönt wird, der zweitgeborene Bru— der, und er verſteht oft mehr vom Regieren und

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Zu 0:

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von der Verwaltung als der Regent, der Erſt— geborene.

Möglich, daß er aus dieſem Grund etwas von einem unruhigen Diplomaten hat. Er muß immer ein wenig Politik treiben, um Proſelyten zu machen. Denn man wehrt ſich gegen ihn; die Wahrheit iſt in den Menſchen wie das Herz, ſie wird nur verſchleiert durch die Geſchäfte des Lebens und durch unreine Zwecke abgelenkt. Aber auch aus Liebe zur Schönheit wird er zum Politiker, da er den Rhythmus, von dem er beſeelt iſt, in ſeiner täglichen Exiſtenz gleichfalls nicht miſſen will. Er meidet dich heute, wie er dich geſtern geſucht hat, denn heute ſtörſt du ſeinen Rhythmus, wie du ihn geſtern beſchwingt haſt. Der Rhythmus macht ihn treulos und tyranniſch, liebenswürdig oder widerſpenſtig. Je unfruchtbarer er als Künft- ler iſt, je mehr Kunſt verwendet er auf ſein Leben, d. h. darauf, den Rhythmus in ſeine tägliche Exi— ſtenz zu bringen, wobei dann ein ganz verwickelter Umweg zum Leiden entſteht, über die Kunſt und über das Leben hin, fern von Gott und fern von den Menſchen, ſo daß die Schönheit als Surro— gat des Göttlichen zum Wahn- und Schattenbild wird und das Leben eine von falſchen Zwecken erfüllte kalte und unglückſelige Einſamkeit. In

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folcher Einſamkeit geftalten wollen heißt im luft⸗ leeren Raum Lieder ſingen wollen.

So wird der Literat als Schöngeiſt zum Sklaven der Zeit, indem er ihren Rhythmus packt und ihre Seele nicht findet und zerrieben wird im Ge— fühl einer ihm unbegreiflichen Ohnmacht; oder er iſt ein Verbannter, der mit unlebendigen und eigen⸗ willigen Formen ſich für ſozial und ſeeliſch för— dernde ſcheinbar tröſtet.

Der Literat als Apoftel

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s ift das Weſen des Apoſtels, völlig hinge— Er einer Idee zu dienen. Das Weſen des Literaten iſt es, ſich ſelbſt unterworfen zu ſein. Der Literat als Apoſtel: das wäre alſo der Wider— ſpruch kat exochen, das Paradox an ſich, denn wie könnte man einer Idee dienen, wenn man nur der eigenen Perſon dient? Wie könnte einer, deſſen Schickſal es iſt, vom Mythos getrennt zu ſein, ſich berufen glauben, den Mythos zu er— zeugen?

Dieſer Widerſpruch löſt ſich nur in einer einzigen Weiſe: indem er ſeine eigene Perſon zur Idee erhebt, in der er darauf ausgeht, aus ſich ſelbſt einen Mythos zu machen, aus ſeinem ſtabilierten Ich; nicht aus Anſchauung und Erlebnis der Welt, nicht hingegeben, ſondern verlangend, wollend und in der Bezauberung des Willens.

Der Literat als Apoſtel iſt der fanatiſch auf das Künſtlertum gerichtete Menſch. Genuß des Lebens, verweilende Ruhe ſind ihm unbekannt. Man könnte glauben, es ſei der Ehrgeiz, der ihn be— feuert, der Erfolg, der ihn lockt, die Macht, die ihn reizt, und es iſt wahr, etwas von alledem gibt

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feinem Streben den Flug und die Ausdauer, ſeinem Geiſt die Elaſtizität. Doch laßt ſeiner Ruhmſucht ſo viel Genüge geſchehen, als fie über— haupt begehrt, laßt feinen Namen an der Spitze von allen ſtehen, laßt ihn den Einfluß eines Herr— ſchers und den Reichtum eines Großbankiers haben, es iſt ihm zu wenig; er kann es wün— ſchen, glühend darnach eifern, doch den Beſitz ſolcher Güter ſpürt er kaum. Er iſt ein Beſeſſe— ner, ein von der Kunſt Behexter. Es iſt ihm nicht darum zu tun, das Leben zu genießen. Sich ſelbſt will er genießen, ſich ſelbſt ausſchöpfen, ſich ſelbſt in allen Menſchen und Dingen erkennen, und das ganze All, Gott und die Kreaturen, iſt ihm eigentlich nur ſein vielfach zerteiltes Ich, ge— ſehen durch das Medium Kunſt, zu ſammeln und zu geſtalten ihm anbefohlen durch das Idol Kunſt.

Der ſchöpferiſche Menſch iſt von einer wunder— baren Beſcheidenheit durchdrungen. Immer bleibt er gleichſam Bürger der Welt; er findet ſich ein- geordnet, nie bevorrechtet; geſteht man ihm höhere Rechte zu, ſo wird er ſchon an ſich zu zweifeln beginnen. Er hat das feinſte Ohr für die Muſik des Lobes und ſetzt dem geringſten Zuspiel feine Verachtung entgegen. Er iſt gelaſſenen Gemüts,

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weife und gehorſam, fich felbft gehörig und der Welt und der Gottheit dienſtbar, fein Künſtler— tum wahrend, keineswegs aber es als Schild be— nutzend oder gar als Poſtament. Vielleicht iſt es der Mythos, der ihn ſo beſcheiden macht, ſo ſtolz⸗beſcheiden, ähnlich wie der Abkömmling eines alten Geſchlechts ſtolz⸗beſcheiden iſt, indem er ſeine Fähigkeiten und das Vermögen, zu repräſentieren, nicht allein ſeiner losgelöſten Perſon zuſchreibt, ſondern es der Kette der Ahnen mitverdanken will. So auch der ſchöpferiſche Menſch. Es wirken in ihm Kräfte von oben, von den Toten her, von der Erde, vom Volke her.

Ganz anders der Literat als Apoſtel. Er iſt der Rebell wider alle Ordnung, es ſei denn, die Ord— nung habe keinen andern Bezug als auf ihn. Ihm iſt alles erlaubt, nicht weil er wie der Pſycho— log alles erklären kann, ſondern weil er es iſt, durch den die Dinge und Einrichtungen ſind. Inſoferne verhält er ſich zum Pſychologen wie ein Geſetzgeber zu einem Winkeladvokaten. Ihm iſt Lobes nie genug, obwohl er Lob verachtet; es gibt keinen Beifall, der ihn beſchämte, keinen Tadel, der ihm anderes wäre als die Frechheit des Neides oder der Dünkel des Unverſtands. Er iſt ausſchweifenden Gemüts; ſeine Nerven ſind

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der höchſten Schwingungen, der tiefſten Ermat— tungen fähig, und die Menſchen ſind ihm nichts als Futter; Futter für ſeinen Ruhm, ſeine Zwecke, feine Kunſt. Er iſt ein Menſchenjäger, ein Men— ſchenfreſſer, keines Freundes Freund, kein Gelieb— ter, kein Gatte, kein Vater, nur Künſtler. Iſt der Literat als Schöngeiſt der Schauſpieler ſeiner ſelbſt, ſo iſt der Literat als Apoſtel der Prieſter ſeiner ſelbſt.

Beachten wir jedoch, daß er ein großer Künſtler iſt und ſein Werk von hohem Belang, daß er unter Umſtänden ganzen Zeitabſchnitten die gei⸗ ſtige Prägung verleiht, und es wäre zu fragen, ob dies nicht Entſchädigung genug ſei für das Übermaß und die Selbſtintroniſation.

Da iſt denn zu erwidern, daß unſere Zeit ohnehin geneigt iſt, ſich mehr an den Wirkenden als an das Werk zu wenden. Dem genialen Individuum iſt eine unbegrenzte Machtbefugnis faſt von vorn— herein zugeſtanden. Die Leiſtung, das iſt die Per— ſon; der Effekt, das iſt die Perſon; Glorie, Dank— barkeit und Enthuſtasmus knüpfen ſich an die Perſon. Die Perſon iſt ſchon Partei, wo das Werk kaum noch die Geiſter erweckt hat; ſie ge— bietet den Unſchlüſſigen, ſchüchtert die Zweifler ein und bricht den Widerſtand der Stumpfen.

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Wohlgemerkt aber nicht die reale Perſon, nicht der handelnde Menſch an ſich; dieſer hat wenig Spielraum, iſt eingezwängt in ein verwickeltes geſellſchaftliches Gewebe, ein engmaſchiges Netz von Pflichten und Geſetzen und führt meiſt ein privates, kleines Leben voller Hemmungen. Will er derjenige ſein, als der er gilt, ſo muß er den Kreis ſeines Wirkens durch die Fackel ſeines Namens erleuchten, er muß das Zeugnis ſeiner Leiſtung vorweiſen können. Dann allerdings wird ihm die Ehrfurcht gezollt, deren die Kunſt, als Idee, ſonſt völlig verluſtig geht.

Man kann alſo ſagen: Die reale Perſon wirkt erſt durch das Medium der Werke, die fiktive durch das Medium des Künftlers, was natürlich das Verkehrte iſt. Es liegt darin nichts Religiöſes und Verwandelndes mehr, ſondern Aberglauben und Götzendienſt. In einer religiöfen, mythiſch— bewegten, ſachlich, nicht individuell fixierten Zeit trennen ſich Schöpfer und Geſtalt überhaupt nicht voneinander, führen nicht ein von der Gemeinſchaft der Menſchen losgelöſtes Daſein, der Schöpfer als Literat, als „Schrifſteller“, die Geſtalt im Buch oder höchſtens als äſthetiſche Metapher im Leben; nein, der Schöpfer, in ſeiner Beſchei— denheit, bleibt Teil der Gemeinſchaft, und ſeine

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Geſtalten umgeben ihn wie Glieder einer Familie den Patriarchen; ſie allein ſind die Träger ſeines Namens, nicht aber die literariſche Idee, die er von ihnen abſtrahiert.

Der große Künſtler wird in feinem Perſönlichkeits— bewußtſein leicht einem Ibermaß verfallen, da er es immer dort gefährdet findet, wo er von ſeiner Geſtaltenwelt gelöſt auftritt, alſo in feiner privaten Exiſtenz, oder in ſeiner öffentlichen, wenn er keine Harmonie ſpürt zwiſchen künſtleriſcher und per— ſönlicher Wirkung, und die kann er nur ſelten ſpüren bei der Zerſtücktheit, Unverläßlichkeit und Zufälligkeit aller Wirkungen. Es erſcheint ihm notwendig, ſich zu ſteigern, ſich in Szene zu ſetzen, ſich geheimnisvoll zu machen, ſich zu kom— mentieren und ſich ſelbſt als Idee vor das Werk zu ſetzen.

Davon hat die Zeit ſich mehr und mehr täuſchen laſſen und ſich gewöhnt, Perſönliches für Sach— liches zu nehmen. Gierig greift ſie nach Perſön— lichem, wo das Sachliche fremd oder ſpröde iſt, und ſie tut es ſchon deshalb mit inſtinktiver Vor— liebe, weil das Sachliche ſtets in irgendeiner Weiſe menſchlich verpflichtet. Von ſolcher Verpflichtung will man ſich jedoch, wo es angeht, freihalten; man will reden und urteilen, nicht aber durch

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handelndes Gefühl anteilvoll verkettet fein. Nicht umſonſt find wir überſchwemmt von Mitteilun— gen aus dem Privatleben der Künſtler. Nicht umſonſt werden Briefe, Tagebücher, Aufzeich— nungen, Skizzen, Fragmente der Neugier ver— früht preisgegeben. Wird der Alkoven geöffnet und die Werkſtatt ausgekehrt, fo mag der Wiſſens— durſtige ſicher bisweilen befriedigt, der Forſcher belehrt werden, doch vorzüglich wird nur dem Hang der Geſellſchaft nach Gachverfchleierung gedient. Das Göttliche wird beleidigt, indem man den Menſchen vergöttert. So iſt z. B. der Mythos Goethe eine Beute der Perſönlichkeit Goethe geworden, und Goethe ſelbſt hat durch einen Subjektivismus, der ihm anſtand und einen Teil ſeiner Genialität ausmachte, einen Kult des Redeus über die Dinge, der Meinungsäußerung, der perſönlichen Ausholung und Zweckſetzung und damit eine Armee von Literaten in die Welt ge— rufen, die ſehr wohl Beſcheid wiſſen über alle Probleme des Lebens, die aber ſehr wenig ver— mögen, wo es gilt ſich einzuſetzen, ſich hinzugeben, ſich, d. h. die Meinung zu vergeſſen, um einer Sache zu dienen.

Der Literat als Apoſtel iſt bis zu einem Grad Eroberer, Menſch des Willens und der Sucht,

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daß er fogar feinem Werk einen Willen verleiht, eine Sucht über die Kunſt hinaus. Er will es gültiger haben, als es der Kunſt eigen iſt zu gelten, und durch die Kraft ſeines Künſtlertums vermag er es in ungeheurer Weiſe ſo zu ſteigern, daß es dieſes Ziel wirklich zu erreichen ſcheint. Hier iſt eine Schwäche, die mit erſtaunlicher Täuſchungs⸗ macht das Schauſpiel einer Stärke bietet, um ſpäter freilich, wenn die Gewalt der Perſönlich— keit dem Walten des Schickſals gewichen iſt, ſich wieder als Schwäche, als Irrtum zu zeigen. Nur das Göttliche, das Schöpferiſche hat Be— ſtand; das Menſchliche iſt flüchtig, auch Ver— götterung iſt nur Firnis. Haben wir es nicht er— lebt, wie die Idee des Geſamtkunſtwerks als bizarre Laune eines Genies in ſich zuſammen— ſtürzte? Es war etwas anderes und Tieferes als bizarre Laune. Es war das Mißoerſtändnis am Mythos.

Denn es iſt klar, daß der Literat als Apoſtel, da er keine Selbſtloſigkeit beſitzt, keinen Mythos aus ſich ſchaffen kann. Auch wo er äußerlich zum Mythos greift, zu einem Mythos, der mehr Sage iſt als lebendig gebliebene Bildung, und ihn durch Kunſt vergegenwärtigt, wird er nur Allegorie geben, privates Leiden, perſönliche

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Kämpfe, feine egoiftifchen, wenn auch großartigen Entfaltungen und Wandlungen in Umriffen, die vom Mythos nur erborgt ſind. So wird auch die Menſchheit bloß den ſpezifizierten Schmerz darin erkennen; jeder einzelne wird in dieſem Schmerz doppelt allein mit ſich ſein, aufgereizt zu ſich, verlangend nach ſich, behext, berauſcht, aber nicht verwandelt, nicht erlöſt.

Dieſelbe Herrſchſucht, die den modernen großen Künſtler dazu verführt, fein Werk über die Gren: zen der Kunſt hinauszutreiben, ihm gleichſam, nach Hamlets Worten, die Beſcheidenheit der Natur zu rauben, kann den Philoſophen, ſofern er Literat iſt, dazu überreden, ſich zum Märtyrer ſeiner Lehre zu machen. Daß dieſe Lehre eine lebenverneinende iſt, verſteht ſich nach allem Dar— gelegten von ſelbſt; der Literat iſt ja weſensnot— wendig ein Peſſimiſt. Nun kann der Peſſtmis— mus allerdings in einem freien Syſtem als Ge— ſtaltung auftreten, die ſternhaft oder kosmiſch exiſtent iſt wie ein Kunſtwerk; in dieſem Fall ſtellt eben die ſchöpferiſche Kraft des Bildners oder Architekten als lebensbejahendes Element den Aus— gleich her. Wenn aber der Peſſimiſt den Beweis— antrag auf das eigene Ich ſtellt und durchführt, iſt aus dem Symbol ein Wörtliches geworden;

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da ift nicht mehr der Dualismus, der den ſchöp— feriſchen Menſchen in die Mitte von Irdiſchem und Himmliſchem führt, da iſt die Sackgaſſe, das Perſönliche, perſönlich Endliche, und das Prinzip und Geſetz des Schaffens ſelbſt wird verneint. Auch dies haben wir erlebt, etwa bei Philipp Mainländer, und es wurde bewundert, weil es eine Tat zu ſein ſchien, während es nur der Ver— zweiflungsausweg des verfolgten und iſolierten Gottloſen in der Sackgaſſe war.

Der Literat kommt aber nicht von der Pfychologie los, von der theoretiſchen nicht und von der an— gewandten nicht. Man möchte ſagen, er nimmt es mit der Wahrheit zu genau, ſoweit er Künſtler iſt, und er hütet ſich, als Menſch, zu wenig vor der Verzerrung. Seine Unabhängig— keit ſchenkt ihm keine Freiheit, ſein Ichbewußtſein entfernt ihn von der Liebe; er iſt die tragiſche Figur der modernen Welt und, zum Apoſtel be— rufen, bricht er auf dem höchſten Gipfel feiner Perſönlichkeit, ſeiner Einſamkeit und ſeines ver— geblichen Gottverlangens vor dem Unerreichbaren zuſammen.

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Die Frau als Literat

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ieſes Kapitel iſt eigentlich ein Einſchiebſel,

denn in bezug auf die Frau als Literat iſt nach allem bisher Ausgeführten nur noch Selbſt— verſtändliches zu ſagen. Immerhin gehört das Thetma zur Geiſtesgeſchichte der Zeit, denn nie zu— vor haben Frauen in ſolcher Zahl und mit ſolcher Energie ſchriftſtelleriſch, künſtleriſch produzierend ſich bemerkbar gemacht. Die Frau beſitzt keine ſchöpferiſche Phantaſie. Das iſt kein Streitſatz, ſondern ein Erfahrungs— ſatz; eine Tatſache, die einem MNaturgeſetz entſpricht. Es iſt die Aufgabe der Frau, Mutter zu werden, Leben zu empfangen, Leben zu gebären. Als Weib, als Mutter iſt ſie gewiſſermaßen an ſich ſelbſt ſchon ein Stück Mythos, und Gott hat es des— halb für überflüſſig erachtet, fie mit einer mythos— ſchaffenden Kraft zu begaben. Ihr Künſtlertimm ruht in der Liebe, ihre Idee iſt die Mutterſchaft, ihr Werk iſt das Kind. Wenn alſo die Frau ſich künſtleriſch hingibt, ſo entſagt ſie dadurch ihrer wahren Beſtimmung, verzichtet freiwillig auf das Schöpferiſche und wird zum Literaten, und zwar zum Literaten ſchlechthin, zum Literaten

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ohne ſchöpferiſche Phantafte, welche ja dem Pfy: chologen, dem Schöngeiſt, dem Apoſtel durchaus nicht mangelt; ganz im Gegenteil, können dieſen doch Werke gelingen, die den Werken des ſchöp— feriſchen Menſchen nahezu ebenbürtig find.

Ich verkenne nicht die Arbeit der Frau; nicht den ehrlichen Willen, nicht die Tüchtigkeit und Ge: ſchicklichkeit, nicht die Fähigkeit zur Anpaſſung und Ausführung, nicht die oft zutage tretende Beſonderheit des Schauens, nicht den ſicheren Inſtinkt, nicht das vollgültige Empfinden, nicht die Gabe des Traums und des poetiſchen Aus— drucks. Ich weiß, was geleiſtet worden iſt; ich erinnere mich zarter Gedichte, robuſter Erzählun⸗ gen, anmufiger und ſtarker Bildniſſe, überzeugen— der Schriften; einer Fülle von reſpektablen Hervor— bringungen. Aber ſie waren mir um ſo reſpektabler, je weniger objektiv ſie ſcheinen wollten, je weniger ſie zu Geſtaltungen griffen, je mehr ſie einem Ge— fühl, einem Erlebnis, einem Unmittelbaren Stimme verliehen. Nicht Geſtalt alſo; Stimme, das iſt es, Stimme oder Stimmung, etwas, das ſo fern vom Mythos liegt wie ein Quellchen vom Meer.

Das Vermögen, ein Weltbild zu objektivieren, iſt nur der ſchöpferiſchen Phantafie gegeben. Mit Hilfe des Fleißes, bewußter oder unbewußter

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Nachahmung und der Aneignung erprobter Difzi- plinen gelangt die Frau bisweilen zu Gebilden von ſcheinbarer und äußerlicher Objektivation, und ihre Luſt wie ihr Talent zur Beobachtung befähigt ſie, eine niedere Realität von Zuſtänden und Geſchehniſſen darzuſtellen, welche unterhaltend, geiſtig und geſellſchaftlich anziehend ſein und, ſo— weit ſie auf Erlebtem und Gefühltem beruhen, der Wahrheit und Glaubhaftigkeit nicht erman— geln werden. Das Metaphoriſche, das Elemen— tare, das Schöpferiſche, die Syntheſe iſt ihr je— doch verſagt, und je mehr ſie darnach ſtrebt, je unzulänglicher müſſen ſich ihre Produkte erweiſen; ſie ſtehen dann in der Luft, wurzellos, ziellos, und wollen durch Unruhe, Leidenſchaftlichkeit und Fieberhaftigkeit erſetzen, was ihnen an Natur und Legitimität, durch Linie und Schnörkel, Seltſamkeit und Überhäufung, was ihnen an Antlitz und Naisität fehlt.

Bisweilen fragt man ſich: warum werden die Frauen zu Literaten? Ein Buch, und noch ein Buch, und noch eine Meinung und noch ein Vers und noch eine bemalte Leinwand, darum handelt ſichs doch ſchließlich nicht. Ein Blick, ein echtes Wort, eine Wirkung von Menſch zu Menſch, menſchliches Aufmerken, Bereitſchaft des Herzens

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können mehr, weit mehr bedeuten. Das Übel ift auch hier in einer zerklüfteten, anarchiſch⸗gelöſten Geſellſchaft zu ſuchen, die keine lebendige Orga— niſation hat und in der deshalb jede Fülle zur Überfülle, jeder Überfluß zur Laſt, jede Hemmung zu falſcher Betätigung und jede Abtrennung der einzelnen Mitglieder bei unzureichender individu— eller Kraft und Beſtimmung zur Kataſtrophe wird. Die Literatur gilt als ein Gewerbe wie jedes andere; das ſogenannte Talent genügt zum Vorwärtskommen. Der Einfall wird überſchätzt (Einfälle ſind die Läuſe der Vernunft, ſagt Hebbel einmal geringſchätzig). Zum Einfall gehört auch das Detail; die Detailkrämerei beginnt ſchon, uns geiſtige Verdauungsbeſchwerden zu erregen; die Mache, die Gebärde, der faſt von ſelbſt arbeitende ſprachliche Mechanismus; die Gewohnheit, ſich meinungsmäßig zu äußern, ſich einer ſeeliſchen Spannung zu entäußern, indem man ſie preis⸗ gibt und in einer quafi dichteriſchen Form, die meiſt zur Schamloſigkeit kalter Pſychologie führt, verſteinert zur Schau ſtellt; die Leichtigkeit und Schnelligkeit der Mitteilung, dies alles ermuntert den einzelnen immer wieder, ſich literariſch zu iſolieren und ſich politiſch, ſozial und menſchlich damit abzutöten. Wenn man zur Einſicht käme,

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daß das ſogenannte Talent in den meiften Fällen nur ein Weſen iſt, das in freiwilliger Verbannung von einer Gemeinſchaft lebt, der es nicht nützlich ſein kann, ein Paraſit und Freibeuter, wäre ſchon viel gewonnen, und die dreißigtauſend Bücher, die jährlich in Deutſchland auf den Markt ſtrömen, würden unter dem Druck eines weiſeren Urteils und einer ſachlicheren Wahl auf eine not— wendigere Anzahl zuſammenſchrumpfen, die viel— leicht mehr Gehalt in ſich fehlöffe.

Die Frau als das zur Liebe und Empfängnis be— ſtimmte Geſchöpf menſchlich und geiſtig iſoliert, in ſozialer Unfruchtbarkeit und egoiſtiſcher Ver— perſönlichung ihres tieferen Schickſals, ihrer ſchönen anonymen Wirkung (wie vieles verdankt doch ihrer Teilnahme der Ruhm unſerer großen Künſtler), ja, ihres Lebensmythos beraubt zu ſehen, gewährt ein trauriges Bild weitgreifenden Miß— verſtändniſſes. Ich ſpreche natürlich nicht von der Schauſpielerin, der Sängerin, von den rezeptiven Künſten; dieſe harmonieren, ſolange nicht ein literariſcher Einſchlag durch übertreibenden Ehr— geiz und individuelle Zweckſetzung ſtattfindet, ſehr wohl mit der weiblichen Seele, mit ihrer gei— ſtigen Wandlungsfähigkeit, Anſchmiegung des Gefühls und Poetiſterung der Realität. Die

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Tänzerin, die lediglich ihren Körper zur Kunſt⸗ äußerung verwendet, bietet vielleicht das edelſte Bild weiblicher Genialität. Mur wo das Schöp— feriſche vorgetäuſcht wird, zeigt ſich die Frau (mit Ausnahme von zwei oder drei Fällen inner⸗ halb der ganzen Geiſtesgeſchichte) ſogleich als Literat ſchlechthin. Die Natur läßt ſich nicht betrügen, auch die Menſchheit nicht; nur die Menſchen laſſen ſich betrügen. Sie tun, als glaubten ſie, auch wo ihr Inneres unbeteiligt iſt; ſie nehmen das Wunderliche für das Wun— der, den Notbehelf für das Notwendige, das Phantom für das Phänomen. Die Frau als Literat braucht ſich nicht mehr zu verraten; es iſt nichts zu verraten; es iſt alles von einfachſter Aufrichtigkeit, Geradlinigkeit und Durchſchaubarkeit. Wir erblicken einen tüchtigen, emſigen, klugen und nachdenklichen Arbeiter, dem weder Wort, noch Rhythmus, noch Idee zur Maske werden können und der den Schmerz der Einſamkeit nur gemütiſch ahnt, nicht geiſtig ſtei— gert und auflöſt; keine tragiſche, ſondern nur eine charakteriſterte und zufällige Geſtalt.

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Ergebniffe zung

D. Literat iſt der vom Mythos losgelöſte produktive Menſch.

Er iſt auch der von der Geſellſchaft losgelöſte Menſch, der einzelne, innerhalb eines nur durch äußere Geſetze verkitteten Gemeinweſens.

So wie er aber ohne das Vorbild des ſchöpferiſchen Menſchen nicht zu denken iſt, bleibt er auch in ſeinem Tun und Laſſen, durch ſein Perſönlichkeits— beſtreben, durch die Notwendigkeit der Spiegelung, durch das Element des Ehrgeizes und durch das Element des Verrats der Geſellſchaft verbunden. Der Literat iſt vergeßlich. Er iſt lieblos, weil er allzuſehr in ſich ſelbſt verſtrickt iſt. Er anerkennt keine Konvention, weil nur ſeine eigene Perſon ihm den Maßſtab für die Welt und die Dinge gibt. Dieſer Mangel an Konvention verführt ihn zu einer künſtlichen Originalität mit Hilfe der ſeltenen Beobachtung, des ſeltenen Wortes, des ſeltenen Rhythmus.

Der Literat iſt eitel und ſehnſüchtig, eitel ſelbſt, wo er ſich bloßſtellt, und ſehnſüchtig am meiſten dort, wo er ſich verliert. Er iſt friedlos, immer nach Veränderung begierig, verſteht aber nicht zu

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wandern. Sein Verhältnis zu Menſchen iſt ſel— ten dauernd; er ſtellt die höchſten Anſprüche von ſeiner Seite, ohne die billigſten von der andern Seite zu befriedigen.

Er kontrolliert ſeine eigenen Handlungen, Ge— danken und Gefühle ſehr ſcharf, ja grauſam. Es mangelt ihm an jener Ehrfurcht vor ſich ſelbſt, die den ſchöpferiſchen Menſchen auszeichnet. Weil er ſo unbarmherzig und rückſichtslos gegen ſich ſelbſt iſt, glaubt er es auch gegen andere ſein zu dürfen, aber er vergißt, daß jenes Wüten gegen die eigene Seele nur ein Vorwand zum Verrat iſt, nicht aber ein Mittel zur Reinigung, Steige— rung und Befreiung. Selbſtbeobachtung, Selbſt— zerfaſerung iſt ein Unglück, wie es größer kaum zu denken iſt; alle urſprüngliche Kraft des Glau— beus, alle Fähigkeit zur ſittlichen Erhebung, zur Umwandlung, geht daran zugrunde. Auch der religiöſe oder der ſchöpferiſche Menſch beobachtet ſich ſelbſt, aber er wird ſich dabei zum Gleichnis; durch dieſe Gleichniswerdung kann er ſich korri— gieren und beſcheiden.

Nicht ohne tiefen Grund findet ſich eine ſo große Zahl von Literaten unter den Juden. In der Exiſtenz des Juden gibt ſich die ſchärfſte Gegen— ſätzlichkeit geiſtiger und ſeeliſcher Eigenſchaften 76

kund. Er iſt entweder der gottloſeſte oder der gotterfüllteſte aller Menſchen; er iſt entweder wahrhaft ſozial, fei es in veralteten, lebloſen For— men, ſei es in neuen, utopiſchen, das Alte zerſtö— renden, oder er will in anarchiſcher Einſamkeit nur ſich ſelber ſuchen. Entweder iſt er ein Fana— tiker oder ein Gleichgültiger, entweder ein Söld— ner oder ein Prophet. Das Schickſal der Nation, ihre Vereinzelung unter fremden Nationen, ihre ungeheuren wirtſchaftlichen und geiſtigen An— ſtrengungen im Kampf gegen die widrigſten Um— ſtände, der fortwährende Zuſtand der Abwehr, der Selbſtbehauptung, das plötzliche Erwachen am Morgen eines Kulturtags, das leidenſchaft— liche Ergreifen der Hilfsmittel und Waffen dieſer Kultur und die darauf erfolgte gewaltſame Unter— drückung und Zerſchneidung der Tradition, all das hat die Juden als ganzes Volk zu einer Art von Literaten rolle vorbeſtimmt. Wo ſich hingegen der einzelne wieder des großen Zuſammenhangs bewußt wird, wo er im Schoß der Geſchichte, der Überlieferung ruht, wo urewige Symbole ihn tragen, urewige Blutſtröme ihm Adelsbewußtſein verleihen und zugleich alles Errungene und Erwor— bene organiſch damit verſchmilzt, da mag er wohl den Weg zu Göttlichem leichter als andere fin—

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den. Der Jude als Europäer, als Kosmopolit iſt ein Literat; der Jude als Orientale, nicht im ethnogra⸗ phiſchen, ſondern im mythiſchen Sinne, als welcher die verwandelnde Kraft zur Gegenwart ſchon zur Bedingung macht, kann Schöpfer ſein.

Alle Berufe und alle Stände haben ihre Lite— raten. Man kann den Satz aufſtellen: Jeder Fachmann iſt ein Literat, jeder Laie trägt noch etwas von Mythos in ſich. Denn alles Fach⸗ weſen und Spezialiſtentum iſt nur ein Merkmal des großen Individualiſterungsprozeſſes der Zeit. Vertiefung zwingt zur Abſonderung, die Fülle zur Arbeitsteilung. Das iſt gut und unerläßlich. Nun ereignet ſich aber das Seltſame, daß gerade bei dieſer, die Selbſtbeſcheidung gebieteriſch for— dernden Tätigkeit der einzelne die argwöhniſche Wachſamkeit des Pſychologen, die Herrſchſucht des Tribuns bekundet, daß er ſich von allem, was nicht ſein Fach betrifft, in trotziger oder gleichgül— tiger Entfernung hält und ein Leben außerhalb des Fachs oft kaum mehr kennt. Der Literat iſt der geborene Zünftler.

Laien geben einem Literaten bisweilen den Rat, er möge, um in ſeinem Erwerb nicht ausſchließ— lich auf die Kunſt angewieſen zu ſein, daneben ein Amt oder einen Brotberuf wählen. Das iſt ge— 78

radeſo, als wollte man einen ärztlichen Spezialiſten dazu überreden, nebenbei die Tiſchlerei zu betreiben, weil er zu wenig Patienten hat. Mit Recht würde er antworten: Mein Fach fordert den Menſchen ganz und gar, meine ganze Zeit, meine ganze An— ſtrengung und alle Gedanken. Der Literat iſt eben nur Literat, er kann nichts anderes ſein. Der Vorſchlag des Laien iſt freilich in jedem Sinne töricht. Amt und Brotberuf taugen bloß dem Dilettanten; je innerlicher ſein Verhältnis zur Kunſt iſt, je mehr muß er unter abziehender Be— ſchäftigung leiden. Dem ſchöpferiſchen Menſchen wird ſie vollends zur Qual; auch ihn fordert ſeine Sache ganz, wenn ſchon in anderer Weiſe, nicht weil er Literat iſt, der erobern will und muß, ſon— dern weil er Menſch iſt, weil Mythos und Menſch— heit von ihm verlangen, daß er ſich unbedingt und ohne Vorbehalt hingebe. Erwerb oder Nichterwerb irdiſcher Güter kommt dabei in höherem Betracht nicht mehr in Frage; ſchlimm genug, wenn es in niederem Betracht zu erwägen iſt.

Jundeſſen gehört die nackte und aufrichtige Gegen— überſtellung der ökonomiſchen und der geiſtigen Mächte zum großartigen Bild unſerer Epoche. Kapital will Leiſtung; Leiſtung will Nutznießung, Arbeitskraft und Lebensgefühl ſteigern ſich wechſel—

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feitig; Erfolg, Beſtätigung und Lohn find dem einzelnen raſcher und reichlicher zugemeſſen als je, und wenn auch der Lockung oft nur gefolgt wird, weil eine Erfüllung ſo nahe ſcheint, der Ruf nur deshalb ſo viele Hörer findet, weil in ihm die Befriedigung ausſchweifender Anſprüche ver— heißen wird, fo kann doch kaum eine Prämie aus— bezahlt werden ohne den vollen, ja leidenſchaft— lichen Einſatz von Tüchtigkeit und Intenſttät. Dieſe Leidenſchaft, dieſer Schwung, der unermüd— liche Wetteifer, ſie ſind vielleicht Zeichen für die Heraufkunft einer noch größeren Zeit; ſchüchterne Zeichen, weil ſie noch ganz am Perſönlichen und Egoiſtiſchen haften. Aber wie Eiſenteile im Feuer des Hochofens zuſammengeſchmolzen werden, ſo kann die Zerſtücktheit und die Zerſplitterung einer individualiſtiſchen Geſellſchaft durch einen alle Glieder ergreifenden, ſtetigen Strom von Leiden— ſchaft, gleichviel wo er entſpringt, zu organiſcher Einheit verwandelt werden. Leidenſchaft iſt ja die erſte und letzte Lebensgewalt; in ihr vereinen ſich Element und Wille; ſie kann eine unproduk— tive Ordnung zum Chaos führen, aber aus dem Chaos wieder eine neue Welt erzeugen, Samm— lung aus der Diaſpora. Dann mag ſich ein Weg auftun zum Mythos und zu Gott.

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Inhalt

XR IAN Der Literat Der Literat als Dilettant

Der Literat als Pſycholog.

Der Literat als Tribun . Der Literat als Schöngeiſt Der Literat als Upoftel . Die Frau als Literat. Srgebnifje .

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