Digitized by the Internet Archive in 2013 http://archive.org/details/desfreiherrnalex41humb Des Preiherrn Alexander von Humboldt und Aime Bonpland in die 3M Aequinoctial- Gegen den des neuen Continenfs, für die bearbeitet Gr. A. Wimmer. 'VIERTES BÄKDCHEHV' \ — Ausgabe. Mit Kupfern und Charten. HVWEM* Gedruckt und im yerlage bei Carl Gerold- 1844« #30 Erklärung der Kupfer des vierten Bändchens, welche theils zur Zierde , hauptsächlich aber zur Yersinnlichung der vorkommenden Gegenstände beigegeben worden. Di i. Das FJofs von-Guayaquil. (Titelkupfer.) ieses schöne Kupfer ist darum beigegeben, um den jungen Lesern so einen recht erfreulichen Blick in die südliche Welt thun zu lassen , und die ganze Pracht einer tropischen Landschaft vor ihnen zu entfalten. Dieses Flofs ist eines von denen, deren sich dte Peruaner seit den ältesten Zeiten bedienen, um an den Küsten des Südmeeres und an der Mündung des Flusses Guayaquil ihre Transporte zu verrichten. Auf dem Vordertheile ist ein Haufe der verschiedensten Pflanzen und Früchte der Tropenwelt zusammen- gehäuft : Ananas, Bananen, Passionsblumen u. s. iv. Sie gewähren einen heitern Anblich. Die Flofse selbst bestehen aus 8 bis 9 Bal- ken Ton sehr leichtem Holze , sind dem Ansehen nach schwerfällig aber doch sehr leicht zu regieren. Man bedient sich ihrer zum Fischfange wie zum Waarentransporte, Die Leute, welche auf diesem Flofse beschäftigt sind , erinnern durch ihre leichte Klei' — VI — düng , dafs ihre Blicke auf Palmeninseln zu ruhen gewohnt sind Diese Inseln stellen 6ich auch im Hintergrunde malerisch gruppirt dar. II. Briefpost der Provinz Jaen de Braccamoros. Dieses schöne Blatt 6oll meinen jungen Lesern die Lebens- weise der Menschen jener Länder vor Augen bringen, in denen der Mensch bis jetzt noch keineswegs als Gebieter, sondern mehr als ein geduldeter Gast aufgetreten ist. Keine Poststrafsen durchschnei- den jene Wildnisse, und nur mit Mühe bahnt sich der Wilde den Weg durch das verwachsene Gesträuch. Selbst den wilden Vier- füfsern sind manche Striche unzugänglich, wie wir bei Gelegenheit der Reise auf dem Apure gesehen haben Zwischen Peru und der Provinz Jaen de Braccamoros am Amazonenstrome liegt eine grofse waldige Strecke, welche keine andere, als eine Wasserstrafse hat. Der Courir , welcher ron einer Provinz zur andern die Briefe zu besorgen hat, schwimmt auf den Flüssen; zuerst im Guancabamba und aus diesem in den Amazonenstrom. Die Briefe, welche ihm anvertraut sind, hat er bald in ein Tuch, bald in den Gürtel (Guayuco) eingeschlagen und um den Kopf gewunden. Eben da steckt auch die Manchette, ein grofses Messer, das jeder Indianer besitzt , um sich sowohl zu vertheidigen , als hauptsächlich einen Weg durch die Wildnifs zu bahnen. Der Courir von Truxillo wird daher im Lande der schwimmende Bote genannt. Unsere Tafel zeigt ihn schwimmend , ein Stück Holz unterm Arme und auch wie er sich bereitet , die Briefe ein« zupacken und sich iu den Flufs zu werfen. Um im Schwimmen nicht zu ermüden , nimmt er ein Stück leichtes Holz von einem Bombax oder einer Ochroma zu 6ich ; an reifsenden Stellen und Wasserfällen steigt er aus, und geht die Strecke zu Lande , wirft sich aber wieder ins Wasser, sobald er keine Gefahr mehr sieht. Auch braucht er keine Lebensmittel mit 6ich zu nehmen , denn er rindet in den häufigen Hütten und Pflanzungen längs den Ufern gastfreie Aufnahme, — VII — Manchmal nimmt er , der Kurzweile wegen , noch einen Ge- fährten mit sich. Die Flüsse , welche sich oberhalb Pongo de Magasi mit dem Amazonenstrome vereinigen , haben glücklicher Weise keine Krokodille. Auch die Indianerhorden jener Gegenden reisen auf dieselbe Manier , wie der Courir von Peru. Hat er in Tomopenda nach vollbrachter Botschaft ausgeruht, so kehrt er durch den Paramo del Pareton oder über den wilden Weg, der durch die Dörfer San Felipe und Sagique und die Chinawälder führt, nach Peru zurück. III. Der Grundrifs der Stadt und des Hafens von Havannah. Reise in die Aequinoctial-Gegenden des neuen Continents. Kibl. naturli. Reisen. IV SHI232IB£!ffiI3§ SWOIIk Eilftes Kapitel. Töpfer -Waare der Indianer. — Die Landschaft bis zu den schwar- zen Wassern. D, er Missionär führte nun die Reisenden in eine Hütte der Indianer, wo dieselben eben beschäftigt waren , Töpfe und grofse Gefäfse aus Thon zu bren- nen. Dieser Gewerbzweig ist den verschiedenen Stämmen der Maypuresfamilie cigenthümlich und wird seit unendlichen Zeiten von ihnen getrieben Die Neigung für dieses Erzeugnifs scheint vormals über beide Amerika's ausgedehnt gewesen zu seyn. Überall, wo man nachgräbt, selbst in den tiefsten Wäldern, trifft man Bruchstücke von bemalter Tö- pferarbeit an. Auffallend ist dabei die Ähnlichkeit ihrer Verzierungen. Es scheint, als ob sie alle nach demselben Muster-gleichsam instinktmäfsig verfertigt worden wären. Vor den Augen der Reisenden wur- den dieselben Figuren und Verzierungen auf die Gefäfse gemalt, welche sie spater auf den Todten- Urnen in der Höhle von Ataruipe wahrnahmen. Es sind Bilder von Krokodillen, Affen und einem ele- phantenähnlichen vierfüfsigem Thiere , welches je- doch auch ein Tapir seyn kann , dann Grecken und Meandriten. Am gewandtesten führen die Maypurcs Bilder aus von geraden, verschiedentlich vereinbar- — 6 — ten Linien, denen ähnlich, die man aucb auf den Gefäfsen Grofs- Griechenlands und so vieler alter Völker aller Gegenden antrifft. Der Thon zu diesen Gefäfsen wird durch öfteres Waschen gereiniget, dann in Form eines Cylinders geknetet, wo sodann mit der Hand die gröfsten Ge- fäfse verfertigt werden. Das Töpferrad ist hier so unbekannt, wie auf der Halbinsel Araya. Die Fär- bestoffe sind Eisen- und Mangan - Oxyde , vorzüg- lich gelbe und rothe Ocherarten , die in den Höh- lungen des Sandsteins vorkommen. Zuweilen wird auch Chica angewandt , nachdem die Töpferwaare bei ganz gelindem Feuer gebrannt worden ist. Diese Malerei wird mit dem Algorobo- Firnisse libcrzogcn, ■welcher das durchsichtige Harz der Hymenea Cour- 3 aril ist. Die grofsen Gefäfse zur Aufbewahrung der Chiza heifsen Chiamacu, die kleinen Gefäfse heis- srn Mucra. Sehr merkwürdig ist , dafs man in Nordamerika, westwärts der Aleghany - Berge , beim Aufgraben des Bodens sehr oft neben Scherben aus Töpfer- waaren , Gcrälhschaften aus Kupfer gefunden hat. Dieses mufs befremden in einer Gegend , wo vor Ankunft der Europäer der Gebrauch der Metalle noch unbekannt war. In Südamerika wird die näm- liche Töpferwaare in den Einöden angetroffen, neben ihr finden sich aber Haken aus Nephrit und harten Steinen, die künstlich durchbohrt sind, nie aber hat man metallische Werkzeuge oder Verzierungen gefunden. In jenen Gegenden Nordamerika^ findet man auch Mauern ohne Mörtel , Schanzen und Tu- mulus; in Südamerika nirgend aber ein Denkmal eines civilisirten Volks, welches dem Zahne der Zeit Wi* derstand geleistet hätte , obschon man in die härte- sten Felsen Figuren eingehauen findet. Woher diese Verschiedenheit zwischen den Völkern der nördlichen und südlichen Gegenden? Heut zu Tage geht die von den Mönchen einge- führte Cultur wieder rückwärts. Die Tiger haben die Ziegen gefressen, das Hornvieh ist wieder um- gekommen, und nur die Schweine konnten der Ver- tilgung durch wilde Thiere widerstehen. Mit Ver- gnügen trafen sie um die Hütten der Indianer Aras an, die, wie unsere Haustauben, auf das Feld flie- gen. Es ist dies eine der schönsten und gröfsten Papageien - Art, die in Südamerika angetroffen wird. Er heifst hier Cahuei. Seine Länge beträgt, mit Einschlufs des Schweifes, 2 Fufs 3 Zoll, und sein schweres und zähes Fleisch wird häufig gegessen. Diese Aras, deren Federn in den lebhaftesten Far- ben von Purpur, Blau und Gelb glänzen, sind eine grofse Zierde der amerikanischen Hühnerhöfe , und stehen den Pfauen, Goldfasanen , Pauxis und Alek- tors nicht nach. Diese Gewohnheit , Aras statt Hüh- ner aufzuziehen, fand schon Columbus auf den An- tillen herrschend. Um das kleine Dorf von Maypures her wächst ein prachtvoller Baum, der über 60 Fufs Höhe hat, und den die Colonisten Frutta de Burro nennen. Es ist dieses eine neue Art der Unona. Ihre Äste sie- — 8 — hen gerade und erheben sich pyramidenförmig, fast wie bei der Pappel von Missisippi , die man falsch italienische Pappel nennt. Dieser Baum trägt eine aromatische Frucht, deren Aufgufs ein "wirksames, fiebertilgendes Mittel ist. Man zieht hier überhaupt gewürzhafte Mittel den zusammenziehenden gegen das Fieber vor, und selbst da, wo der wohlthätigc Chinarindenbaum einheimisch ist, sucht man aus Vorurfbeil andere Mittel zur Hebung des Fiebers auf. Maypures liegt unter 8°, i3' 32" N. Br. und 700, 37' 33" O. L. Diese astronomischen Beobachtungen waren jedoch über alle Begriffe mühsam , denn nir- gends hatte sich die Mosquitos - Wollte dichter ge- zeigt. Sie bildete eine dicke, etliche Fufs hohe Schichte, welche noch dichter wurde, wenn man die Lichter zu den Instrumenten brachte, um die Grade abzulesen. Meistens verlassen die Einwohner das Dorf des Abends , um in den Cataracten zu schlafen, wo die Insekten nicht so häufig sind; an- dere unterhalten unter ihren Hängematten Feuer, und räuchern sich im eigentlichsten Sinne. Der Thermometer stand am Tage auf 3o° und des Nachts auf 270 bis 290. Nach dritthalbtägigcm Aufenthalt in Maypures bestiegen sie am 21. April von neuem ihre Pirogue. Obwohl sie in den Baudales stark beschädigt wor- den ist, fand man sie doch noch geeignet, die Reise auszuhallen. Sobald die grofsen Wasserfälle zurückgelegt sind, befindet man sich gleichsam in einer neuen Welt, — 9 — und man glaubt die Grenze überschritten zu haben, welche die Natur zynischen kultivirten Küstenländern und den wilden noch unbekannten Gegenden des innern Küstenlandes aufgeführt hat. Ostwärts in blaulicher Ferne stellte sich zum letzten Male die hohe Bergkette von Cunavami dar. Ihr langer, wa- gerechter Kamm erinnert an die Gestalt des Brigan- tin , in der Nähe von Cumanaj sie läuft aber in einem stumpfen Gipfel aus. Der Pik von Galitamini heifst er, er glänzt beim Untergange der Sonne wie vom röthlichen Feuer. Der Anblick ist alle Tage der nämliche. Niemand hat sich noch je diesem Berge genähert, der nicht über 600 Toisen hoch ist. Herr von Humboldt vermuthet, es sey dieser Glanz dy: Wiederschein , welcher von grofsen Talkplatten herrührt, oder von Gneifs, der in Glim- merschiefer übergeht. Die ganze Gegend enthält Granitfelsen , auf welchen hin und wieder ein thon« artiger Sandstein ruht. Auf dem Wege von der Mission nach dem Platze der Einschiffung fanden sie einen Stamm der Hevea, vvelcher Federharz liefert, und dann eine schöne buntgefärbte Froschart. Der Bauch war gelb, Rücken und Kopf schön dunkel purpurfarb, ein ein- ziger schmaler und weifser Streif ging von der Spitze der Schnautze über den ganzen Körper bis an die Hinterfüfse. Es war eine zwei Zoll lange Frosch- art, der Rana Tinctoria verwandt, deren Blut (wie man erzählt) in die Haut der Papageien, an Stellen, wo ihnen die Federn ausgerupft wurden, eingerie- — 10 — bcn , buntscheckige , gelbe oder rothe Federn wach- sen macht. Am Wege zeigten die Indianer Spuren von Wagenrädern , als eine in diesem Lande aller- dings merkwürdige Erscheinung. Sie sprachen, wie von einem unbekannten Geschöpfe, von den Thie- ren mit grofsen Hörnern, welche zur Zeit des Grenz- zuges die Fahrzeuge durch das Thal von Ken, vom Rio Toparo zum Rio Cameji zogen, um die Cata- racten zu umgehen und die Mühe des Waarcnabla- dens zu ersparen. Die Indianer von Maypures bür- den heut zu Tage eben so über einen Ochsen er- staunen , wie die Römer über den Elephanten des Pyrrhus , den sie lucanische Ochsen nannten, er- staunten. Durch einen Canal , der im Keri-Thalc die kleinen Flüsse Cameri und Toparo vereinigte, könnte das Raudal umfahren werden. Er dürfte nicht länger als i36o oder si85o Toisen seyn , je nachdem man entweder in der Nähe der Quellen oder der Mündungen beide Flüsse vereinigte. Nachdem sie noch das bei hohem Wasserstande gefährliche Raudal von Cameji durchfahren hatten, fanden sie den Flufs spiegelglatt. Sie bivouakirten auf einem felsigen Eilande , das erst anfing mit Ge- büsch zu überwachsen. Es liegt unter 5°, 4' 3i" N. Rr. und 700, 37' W. L. Die Mosquitos waren unzählbar, wie der Sand am Meere. Folgenden Tag war der Morgen feucht, und die Luft, wie immer, ruhig, kein Blatt rauschte. In der Entfernung von sechs Meilen von der Piedra Raton , wo sie übernachtet hatten , fuhren sie östlich bei der Ausmündung des — 11 — Rio Sipapo vorbei, und hernach westlich vor der Mündung des Rio Wichada. In der Nähe der letz- teren bilden Felsen eine kleine Cascade. Der Rio Sipapo kommt aus einer beträchtlichen Bergkette her, die eine Felsmauer bilden, welche malerische Ansichten darbietet. Bei Sonnenaufgang ertheilj ihm der dicke Pflanzenwuchs das in's Braune spie- lende dunkelgrüne Colorit , das den Landschaften mit lederartigen Blättern eigenthümlich ist. Breite und starke Schatten stellen sich in der nahen Ebene dar, und stechen so gegen das helle über dem Bo- den, in der Luft und auf der Meeresfläche verbrei« tete Licht ab. Hinter diesen Bergen von Sipapo hatte Cruzero^ das mächtige Haupt der Guaypunabis, geraume Zeit seinen Aufenthalt genommen, nachdem er mit seiner Kriegerhorde die Ebenen zwischen den Rio Inirida verlassen hatte. Die Indianer versicherten, es werde das Vehuco der Maimure in den Waldungen des Sipapo in Menge angetroffen. Diese Lianenpflanze ist den Eingebornen sehr wichtig, indem sie daraus Körbe verfertigen und Matten flechten. Die Wälder von Sipapo sind noch völlig unbekannt, und die Missionäre versetzen das Volk der Rayas dorthin, welche den Mund in der Gegend des Nabels haben. Ein Indianer in Carichana versicherte , öfter Men- schenfleisch gespeist zu haben, und behauptete, er habe die kopflosen Menschen mit eigenen Augen ge- sehen. (Das konnte er übrigens leicht behaupten, denn waren die, welche ihm glaubten, nicht kopf> — 12 — los?) Dieses ungereimte Mährchen verbreitete sich bis in die Llannos, wo der Zweifel am Daseyn der Rayas- Indianer zuweilen übel aufgenommen wird. Denn zur Leichtgläubigheit gesellt sich unter allen Zonen Unduldsamheit, und man hönnte auf dieVcr- muthung geratlien , die Erdichtungen der alten Erd- beschreiber scheinen aus einer Halbhugel in die an- dere übergegangen, wenn nicht behannt wäre, dafs die seltsamsten Erzeugnisse der Phantasie, gleich den Werken der Natur , überall eine gewisse Ähn- lichheit in Form und Aussehen darbieten. An der Mündung des Rio Vichada gingen sie an's Land, um die Pflanzen der Gegend zu untersuchen. Der Wald war hier etwas lichter und zerstreute Felsblöche lagen umher. Die Landschaft ist sehr malerisch durch diese Felsen und den mannigfalti- gen Pflanzenwuchs. Herr Bonpland fand hier meh- rere Stämme des Laurus- Cinnamomoides, oine sehr aromatische Zimmtbaumart , die am Orinoko unter den Namen Varimacu und Canelilla bekannt ist. Die- ses köstliche Gewächs wird auch im Thale Rio Caura, so wie in der Nähe vonEsmeralda und ostwärts von den grofsen Catarakten angetroffen. Der Jesuit Francisco de Olmo scheint der erste gewesen zu seyn , welcher die Canelilla im Lande der Piaroas bei den Quellen des Cataniapo entdeckt hatte. Diese gewürzhaften Rinden und Früchte, der Zimmt, die Mushatnufs , der Myrtus-Pimenta und der Laurus pulcheri würden wichtige Handelsartikel geworden scyn,, wenn zur Zeit der Entdeckung Amerika's — 13 — Europa bereits an die Gewürze und Aroma's Indiens gewöhnt gewesen wäre. Der amerikanische Zimmt ist jedoch so aromatisch nicht, als der Zimmt von Ceylon. Jeder Erdtheil hat ihm eigenthümliche Er- zeugnisse und Gewächse. Es kann diese Verschie- denheit nicht aus physikalischen Gründen erklärt werden. Und die Ursachen, warum Afrika keine Laurineen , die neue Welt keine Heidekräuter hat, warum diese Thiere , die hier unter einer gewissen Breite vorkommen , in derselben Breite in einem andern Weltthcile nicht vorhanden sind? gehören zu den Geheimnissen der IMatur, die sie sich auch bisher nicht abfragen lassen, und welche auch die Naturphilosophie nicht so leicht ergründen dürfte. Die Reisenden fuhren nun bei verschiedenen Flufsmündungen vorbei, als beim Rio Bicbada, des- sen Quellen und Lauf ziemlich unbekannt sind, und der ein beträchtlicher Flufs ist; dann beim Canno Pirajavi, dann noch bei einem kleinen Flusse, end- lich übernachteten sie bei der Mündung des Bio Zama. Die Luft war schön und heiter, aber trotz der schwarzen Gewässer des Zama , plagten sie die Mosquitos jämmerlich. Die ausgebreitete Landschaft zwischen demMeta, dem Vichada oder Bichada und dem Guaviare ist völlig unbekannt , man glaubt sie werde von den wilden Indianern bewohnt, die zum Stamme der Chiricoas gehören , und welche zum Glück keine Kähne verfertigen. Vormals, so lange die Cariben und ihre Feinde, die Kabren, diese Gegenden mit — 14 — ihren Flöfsen durchzogen, -wäre es unvorsichtig ge- wesen , in der Mündung eines von Westen kommen- den Flusses zu übernachten. Jetzt aber, seit die kleinen .Niederlassungen die unabhängigen Indianer von den Gestaden des Ober -Orinoko vertrieben haben, ist die Landschaft zu so einer vollkommenen Einöde geworden, dafs von Carichana bis Javita und von Esmeralda bis San Fernando de Atabapo, auf einer Schiffahrt von 180 Meilen, kein einziges Fahr- zeug zu sehen ist. Zwölftes Kapitel. Die schwarzen Gewässer. — Sau Fernando de Atabapo. Wenn ein Reisender den Orinoko hinauffährt, und an die Mündung des Rio Zama gelangt, so be- gegnet er hier einer Naturerscheinung, die zwar nicht so auffallend und Bewunderung erregend, wie ein Wasserfall oder ein hoher Berg ist, aber darum nicht weniger die ganze Aufmerksamkeit der Natur- forscher in Anspruch nimmt. Es sind dieses die sogenannten schwarzen Gewässer. Der Zama, der Mataveni , der Atabapo, Tuamini, Temi , Guainia führen aquas negras , das will so viel sagen: ihre Gewässer, in grofsen Massen betrachtet, stellen sich braun , wie Caffee , oder schwarzgrünlich dar. Sie sind jedoch darum nicht minder hell und rein, wenn man sie &. B. in ein Glas schöpft, und dabei sehr gute wohlschmeckende Gewässer. Wir haben un- — 15 — scrn jungen Lesern schon oben berichtet , dafs die Krokodille und Mosquitos die schwarzen Gewässer meiden, und nur die Zaeundos sich daselbst auf- halten. Das Volk behauptet, dafs die schwarzen Wasser reine Ufer haben, wogegen die weifsen Ge- wässer, wie wir schon oben vielfach sahen, schwarz färben, und wirklich waren auch die von Herrn von Humboldt besuchten Ufer des Rio Negro glän- zend weifs, wo sie *ius Granit und Quarzmassen be- standen. Im Glase ist das Wasser des Mataveni, eines schwarzen Flusses, weifs, des vom Atabapo behält eine braunliche Schattirung. Setzt die Ober- fläche der schwarzen Flüsse ein Wind in Bewegung, so erscheint sie , wie die der Schweizerseen , in ei- nem lieblichen Wiesengrün. Im Schatten ist der Atabapo, der Guainia oder Rio Negro und der Zama schwarzbraun, wie Caffeesatz. Diese Naturerschei- nung ist in Südamerika so auffallend , dafs die In- dianer überall die Gewässer in schwarze und weifse eintheilen. Die schwarzen Wässer werfen die Stern- bilder mit bewundernswerther Klarheit zurück, dafs sie zum künstlichen Horizont benützt werden könnten. Es fragt sich nun , welches ist die Farbe des Wassers in der Natur überhaupt? Und dann, woher rührt die verschiedene Färbung derselben insbeson- dere ? Diese Fragen sind aber eben so leicht aufzu- werfen , als sie schwer oder vielleicht gar nicht zu lösen sind. Man hat vergebens gesucht, die durch- gehenden oder sich brechenden Strahlen des Lichts — 16 — in Anschlag zu bringen, man erhält aus der Optik keine Antwort auf obige Fragen. Aber auch die Chemie hat bisher noch immer ausweichend geant- wortet. Berühmte Naturforscher , welche die mei- sten Wasser der Oletscher und die aus den mit ewigem Schnee bedeckten Bergen herkommen , wo der Boden keinerlei Pflanzenüberbleibsel enthält, untersucht haben, sind der Meinung, die eigenthüm- liche Farbe des Wassers dürfte blau oder grünseyn. In der That ist auch nichts erwiesen, dafs das Was- ser, seiner Natur nach, weifs sey, und dafs man allezeit einen färbenden Grundstoff annehmen müsse, wenn die Wasserspiegel gefärbt erscheinen. Wenn in den gefärbten Gewässern auch solche Farbenstoffe vorhanden sind, so sind sie wenigstens in so gerin- ger Quantität da , dafs sie sich jeder chemischen Untersuchung entziehen. Der Ocean ist in verschiedenen Weltgegenden verschieden gefärbt. Man hat wohl schon öfters behauptet, die Farbe des Wassers rühre von der des Himmels her , der sich in demselben spiegelt, und sogar vom schwarzen Meere, seine Farbe rühre vom schwarzen Grunde her, auf dem es fluthet. Dies sind jedoch Mährchen, und so viel ist entschieden, dafs wirklich verschiedenen Gewässern verschiedene Farben eigenthümlich sind. Schon die Alten haben die blauen Wässer von Thermopytä, die rothen von Japho und die schwar- zen vom Astyra , Lesbos gegenüber, unterschieden. Die Rhone nächst Genf zeigt eine auffallend blaue — 17 — Farbe; die Schneewasser der Schweizeralpen gehen öfter in smaragdgrüne Farbe über. Verschiedene Seen in Savoyen und Peru haben ein bräunliches, beinahe schwarzes Colorit, und die verschieden- artigen Bergseen der Karpathen sind bekannt. In dem grofsen Flufssysteme , welches unsere Reisenden durchwanderten , bleiben die schwarzen Wasser besonders auf den Aequatorialslreif be- schränkt, der zwischen dem fünften Grade nördlich bis zum zweiten Grade südlich sich ausdehnt. Es zeigt sich jedoch auf diesem Erdstriche eine so auffallende Mischung schwarzer und weifser Wasser , dafs auch aus der Lage derselben unter dem Aequator kein Resultat gezogen werden kann. Der Cassiquiare, ein Arm des Orinoko , der sich in den Rio Negro ergiefst, hat weifse Farbe. Von zwei nur wenig von einander entfernt liegenden Zuflüssen des Cas- siquiare, der Siapa und der Pacimony, ist der eine weifs und der andere schwarz. Fragt man die Indianer nach der Ursache der Färbung, so antworten sie, indem sie die Frage auf eine andere Art wiederholen. Die Missionäre sagen: die Wasser färben sich, indem sie über die Wurzeln der Sassaparille hinfliefsen. Diese Pflanzen sind nun wirklich häufig an den schwarzen Flüssen , und ihre eingeweichten Wurzeln liefern einen braunen und schleimigen Stoff, allein man findet dieselben Smi- lax- Büsche auch an den weifsen Flüssen. In den sumpfigen Wäldern , wo die Pirogue zum Rio Pi- michin getragen werden mufste , durchwateten die — 18 — Reisenden bald weifse, bald schwarze Flüsse. Es ist auch kein Flufs bekannt, der nahe bei seinem Ursprünge weifs und hernach schwarz gefärbt wäre. Herr von Humboldt meint : es sey eine Mischung ron Kohlenstoff und Wasserstoff, ein Pflanzen -Ex- traktivstoff, welcher die Wasser des Zama, Metaveni Guainia schwarz färbe. Er legt jedoch diese Mei- nung zweifelnd hin, weil die Wasser des Rio Negro durch's Sieden nicht braun werden. Merkwürdig ist insbesondere noch , dafs die Er- scheinung der schwarzen Wasser , von der man glauben könnte , sie gehöre der niedrigen Region der heifsen Zone ausschliefslich an , auch auf den Plateaus der Anden, obgleich nur selten, vorkommt. Man bedient sich ihrer dort vorzugsweise zum Trin- ken und schreibt ihre Farbe gleichfalls der Sassapa. rille zu. Aus allein diesen geht hervor, dafs die Erschei- nung der weifsen und schwarzen Wasser zu denen gehört, die man noch nicht zu erklären weifs, und so möge denn zu den obigen Hypothesen noch fol- gende kommen, die, so gut oder schlecht sie ist, dem Rearbeiter selbst angehört. Die Farbe des Wassers, wenn es rein ist, ist allezeit namenlos , d.h. es ist die Farbe der reinen Luft, so dafs ein breiter, dich- ter Wasserstrahl in der reinen Luft nicht wahrge- nommen werden könnte. Die verschiedenen Farben rühren von Gasarten her, welche sich auf chemischem Wege aus der Verbindung verschiedener Körper mit dem Wasser entwickeln und mit letzterem sich — 19 — verbinden. Die dunkeln, in die beiden Farben gelb und schwarz sich einschattirenden Farben, kommen aus dem Boden, wo die Quellen entspringen und ihren Lauf haben , aber auch aus gerbestoffualtigcn Pflanzenfilzen, durch welche das Wasser sickert. Die lichten , dem Weifs und Grün angehörenden Farben , kommen aus animalischen und vegetabili- schen Stoffen , die keinen GerbestofF enthalten. Als feine Gasarten haben sie sich zwar bis jetzt der Un- tersuchung entzogen, besonders in schwarzen Ge- wässern, sie werden es jedoch nicht immer, und der Fleifs der Naturforscher wird auch dieses Räth- sel mit der Zeit lösen. Um drei Uhr Morgens fuhren sie von der Mün- dung des Zama ab. Der Strom war von beiden Seiten mit dichter Waldung besetzt. Die östlichen Berge entfernten sich immer weiter. Sie kamen nun vor der Mündung des Rio Mataveni vorbei und zu einer Insel von der seltsamsten Gestalt. Wie ein RofTer steht ein gewiegter Granitwürfel aus dem Was- ser empor, die Missionäre nennen ihn el Castillito. Die Nacht über verweilten sie bei dem Felsen Ari- cagua. Eine zahllose Menge Fledermäuse kam hervor und umschwärmte die Hängematten. In trocknen Jahren vermehrt sich ihre Menge aufscr- ordentlicb. Am 24. April langten sie Nachmittags um vier Uhr bei den Hütten und kleinen Pflanzungen der Indianer an, die nach San Fernando gehören, nach dem sie noch mehrere Einmündungen in den Orinoko — 20 — vorbeigekommen waren. Die guten Leute wollten sie bei sich behalten; sie fuhren aber vorüber, und bei dunkler Nacht in den RioGuaviare, und langten um Mitternacht in San Fernando de Atabapo an. Fast ohne es zu merken, hatten sie in der Nacht die Gewässer des Orinoko verlassen , und befanden sich am andern Morgen beinahe in einem andern Lande. Sie standen an einem Flusse, den sie kaum dem Namen nach gekannt hatten , und welcher sie an die Grenze Brasiliens führen sollte. Dreizehntes Kapitel. Neuer Reiseplan. — San Fernando de Atabapo. — Fahrt auf dem Guaviare in den Atabapo. — St. Balthasar. Den neuen Reiseplan oder vielmehr die Marsch- route, die sie nun zu nehmen hatten, beschrieb ihnen der Vorsteher der Missionen, der zu San Fer- nando wohnte, folgendermafsen : » Ihr werdet zuerst den Atabapo hinauffahren , hernach den Temi und zuletzt den Tamini. Wenn die Gewalt der Strö- mung der schwarzen Wasser das Weiterkommen un- möglich macht, wird man euch alsdann aufser dem Strombette durch Wälder, die ihr überschwemmt antreffet, weiter bringen. In diesen Wüsten, zwi- schen dem Orinoko und dem Rio Negro, sind einzig nur zwei Mönche angesiedelt; aber in Javita wird man euch Mittel an die Hand geben , um eure Piro- gue vier Tagereisen weit , über Land , zum Canno — 21 — Pimicliin zu schleppen. Kommt sie unversehrt an, so mögt ihr alsdann ungehindert den Rio Negro von N. W- gegen S. O. hinunterfahren bis zum Fort San Carlos , nachher fahrt ihr den Cassiquiare von Süd gegen Nord auf, und nach Abflufs eines Monats kommt ihr dann den Ober-Orinoko herab, von Osten gegen Westen fahrend, nach San Fernando zurück.« Dieser Plan wurde denn auch von unsern Freunden in zwei und dreifsig Tagen ausgeführt , wiewohl nicht ohne Schwierigkeit und Beschwerde. Der Missionär von San Fernando führt den Titel eines Präsidenten der Missionen vom Orinoko. Sechs und zwanzig Ordensmänner, die an den Ufern des Rio Negro , Cassiquiare , Atabapo und des Orinoko angesiedelt sind, stehen unter seinen Befehlen, und er selbst wieder unter denen des Guardians von Neu-Barcellona. Sein Dorf zeigte etwas mehr Wohl- stand, als die, welche unsere Freunde bisher ange- troffen hatten , doch stieg die Zahl der Bewohner nicht über 226. Auch diese Mission soll gleich nach ihrer Stiftung volkreicher gewesen seyn. Dennoch könnte dieser Ort einmal sehr wichtig werden. San Fernando de Atabapo liegt nicht weit vom Zusammenflusse dreier grofser Ströme des Orinoko, des Guaviare und des Atabapo. Wird einst an die- sen drei Strömen der Verhehr lebhaft, so wird die Stadt, welche an dem Zusammenflusse dieser Ge- wässer liegt , der Stapelort der Schiffe , die Nieder- lage der Waaren und der eigentliche Ort der Sitti- gung werden. Früher hausten hier eine Menge — 22 — Stämme, als mit sich selbst streitende, feindselige Völker. Die Jesuiten, um ihre Niederlassungen zu sichern , zogen mehrere Häuptlinge in ihr Interesse, die alsdann wieder die feindlichen Stämme bekämpf- ten, und so wurde die Gegend entvölkert, was noch mehr durch die Menschenjagden geschah , nach je- nem Grenzzuge, welchen .So/ano unternommen hatte. Viele Indianer wurden auch von andern Indianern an die Holländer und Portugiesen als Sclaven ver- kauft. Die Phönizier und Karthaginenser holten vor- mals in Europa Sclaven. Jetzt übt Europa hinwie- der Bedrückung aus, theils gegen die Länder, aus denen es seine wissenschaftliche Bildung erhalten hat, theils über jene, welchen es dieselbe fast un- freiwillig mit den Erzeugnissen seines Kunstfleifses zuführt. Dieses sind die Verhältnisse der Länder, wo die überwundenen Völkerschaften nach und nach er- löschen , und keine andere Spur zurücklassen , als einige Wörter, welche sich in die Sprache derTJber- winder einmischen. Am Ober- Orinoko sind früher die Cabren und Cariben, am Bio Negro die Mare- pizanos und Manitivitanos mächtige Völkerschaften gewesen. Der lange Widerstand, welchen die Ca- bren den Cariben geleistet, war ihnen seit 1720 ge« fahrlich geworden. Sie hatten ihre Feinde zuerst in der Nähe der Mündung des Bio Caura geschlagen. Auf der Flucht fand ein grofser Theil der Cariben seinen Untergang , zwischen den Bapidcs von Torno und der Ilölleninsel Isla de Infierno. Die Gelange- — 23 — nen wurden aufgefressen, und mit jener grausamen Verschlagenheit, die den Wüden beider Amerika's eise« ist, war nur ein einziger Caribe am Leben gelassen , der einen Baum besteigen mufstc , um Zeuge des abscheulichen Vorgangs zu seyn, und den Überwundenen Kunde zu bringen. Allein der Sieg des Tep , Häuptlings der Cabrcn , war von luirzer Dauer. Die Cariben kehrten in so grofscr Anzahl zurück, dafs nur wenige Cabren übrig blieben. Am Ober - Orinoko führten auch zwei Häuptlinge, Cocuy und Cuseru, mit der gröfsten Erbitterung Krieg gegen einander, als Solana mit dem denk- würdigen Grenzzuge an der Mündung des Guaviare eintraf. Der erstere stand zur Seite der Portugie- sen, der letztere hielt es mit den Jesuiten, und be- nachrichtigte sie allezeit, wenn die Manitivitaner einen Einfall in die Missionen vorhatten. Cuseru ging nur erst wenige Tage vor seinem Tode zum Christenthume über, aber in den Gefechten trug er ein Crucifix an seiner linken Hüfte befestigt, wel- ches er von den Jesuiten -Vätern empfangen hatte, und wodurch er unverwundbar zu seyn glaubte. Von der Wildheic seines Charakters mag Folgendes zeugen. Er hatte die Tochter eines andern Häupt- lings vom Rio Temi zum Weibe. In einem Anfalle von Unwillen gegen den Schwiegervater, erklärte er seiner Frau, er ziehe aus, um mit ihm einen Kampt zu bestehen. Die Frau erinnerte ihn an die aufser- ordentliche Stärke und Entschlossenheit des Vaters, Cuseru aber, ohne ein Wort zu sprechen, stöfst ihr — 24 — einen giftigen Pfeil in die Brust. Im Jahre 1756 er- regte die Ankunft Solano's mit einer kleinen Truppe Spanier bei ihm Verdacht. Er war im Begriffe sich mit den Spaniern in einen Kampf einzulassen, als ihm die Jesuiten- Väter vorstellten, dafs es ge* rathener sey für ihn, mit den Christen den Frieden zu erhalten. Cuseru wurde nun zur Tafel des spa- nischen Generals geladen, und durch schöne Ver- licifsungen für den Untergang seiner Feinde gewon. nen. Der König wurde nun Dorfmeier , und liefs sich's gefallen , in der neuen Mission von San Fer- nando de Atabapo mit den Seinigen sich anzusiedeln. Dieses ist gewöhnlich das traurige Ende der Häupt- linge , welche von den Beisenden und Missionarien so freigebig Könige genannt werden. Pater Gili er- zählt; »ich hatte in meiner Mission fünf Königleins (Kegecillos) der Tamanaken, der Avarigoten , der Parecas, der Quaquas und der Meepures. In der Kirche liefs ich dieselben alle auf die nämliche Bank sitzen ; aber der erste Platz ward dem Könige der Tamanaken, Monasli, zu Theil, weil dieser mir bei der Gründung des Dorfes behülflich gewesen war. Er schien auf diese Auszeichnung nicht wenig stolz zu seyn « Nicht allezeit sind jedoch abgesetzte Kö nige so leicht zufrieden zu stellen. Als Cuseru die spanischen Truppen durch die Cataraktcn ziehen sah, rieth er dem Solano , mit der Gründung der Niederlassung an den Ufern des Atabapo noch ein Jahr abzuwarten, und verkündigte ihm alles Unglück im Voraus , das hernach wirklich — 25 — eintraf. » Lafst mieh mit meinen Leuten arbeiten und das Land urbar machen; ich will Manioc pflan- zen, damit ihr nachher für so viele Leute Speise findet.« Solano war aber ungeduldig , weiter zu kommen , verachtete diesen königlichen Rath. Die neuen Bewohner von San Fernando mufsten grofsen Mangel leiden, und die Fieber rafften einen grofsen Theil derselben leicht dahin. Noch sind in San Fernando Überbleibsel alter Cultur vorhanden. Je- der Indianer besitzt eine Cacaopflanzung, die vom fünften Jahre an häufigen Ertrag liefern, aber auch früher, als in den Thälern von Aragua , Früchte zu tragen aufhören. Die Bohnen sind zwar etwas kleiner, aber von vortrefflichem Gehalte. Die Almuda, deren zwölf eine Fanega ausmachen, kostet in San Fernando vier Franken, an den Küsten aber wenig- stens zwanzig bis fünf und zwanzig. Die ganze Mis- sion liefert aber kaum 80 Fanegas des Jahres , und weil, der alten verderblichen Sitte gemäfs, der Han- del mit Cacao dem Missionär allein zugehört, so fühlen die Indianer gar keine Neigung , die Bäume zu vermehren , die ihnen gar keinen Vortheil brin- gen. Um San Fernando sind gute Viehweiden in den Savanen, aber die Reisenden fanden kaum noch acht Kühe von denen , welche der Grenzzug hinge- bracht hatte. Die Indianer sind um etwas gebilde- ter, als in den andern Missionen, und sogar ein Schmied vom einheimischen Stamme war vor- handen. Der Landschaft von San Fernando gewährt die Bibl. naturh. Reisen. IV. % — 26 — Pirrjao - Palme ein eigenthümliches Aussehen. Ihr mit Stacheln besetzter Stamm wird über 60 Fufs hoch. Die Blätter sind gefiedert, ausnehmend zarrr wellenförmig und gegen die Spitze gekräuselt. Die Früchte des Baumes sind aufserordentlich. Jeder Zweig trägt deren 5o bis 80. Ihre Farbe ist erst gelb, und wenn sie reifen, purpurroth. Sie sind zwei bis drei Zoll grofs und durch fehlgeschlagene Befruchtung meist ohne Kern. Unter den achtzig bis neunzig Palmarten, die der neuen Welt eigen- thümlich angehören, findet sich keine von so grofser Fruchtbarkeit. Die Frucht des Pirijao enthält einen Stoff, der gelb, wie das Innere von einem Eie , et- was zuckerhaltig und sehr nahrhaft ist. Sie wird, wie die Pisangfrucht oder Erdäpfel , entweder ge- sotten oder in Asche gebraten gegessen , und ist eben so gesund als schmackhaft. Die Indianer,, so wie die Missionäre , werden nicht satt im Lobe dieser köstlichen Palme , die man Pfirsichpalme nen- nenkönnte, und die südlich von Atabapo überall an- gebaut wird. Man erinnert sich hier der Äufserung Linnee's: »der Mensch wohnend unter den Tropen, lebt von Palmen, ein Palmenesser; siedelnd aufser denselben auf stiefmütterlicher Erde wird er ein Fleischfresser.« Untersucht man die Vorräthe in den Hütten der Indianer, so überzeugt man sich, dafs ihre Nahrung den gröfsten Theil des Jahres hin- durch aus den Früchten der Palmen besteht. Jeder Baum trägt jährlich nur ein Mal Früchte , aber bis auf drei Zweige > und also 5o bis 200. — 27 — San Fernando de Atabapo , San Carlos und San Francesco Solano sind die bedeutendsten Niederlas- sungen am Ober- Orinoko. In San Fernando, wie in den benachbarten Missionen, sind gutgebaute Pfarrhäuser , mit Schlingpflanzen bewachsen und mit Gärten umgeben. Die schönste Zierde dieser Pflanzungen waren aber die Pirijao- Palmen. Der Pater Prüfest machte auf einem Spaziergange eine lebhafte Schilderung von seinen Streifzügen zum RioGuaviare. Er versicherte: diese zur Gewinnung von Seelen unternommenen Reisen seyen den India- nern der Mission so erwünscht , dafs Jedermann, Weiber und Greise sogar, daran Theil nehmen wol- len. Unter dem Vorwande , die aus den Missionen entflohenen zu verfolgen, werden acht- und zehn- jährige Kinder entführt, und an die Indianer der Mission als Leibeigene vertheilt. Sobald man in's Flufsbett des Atabapo gelangt ist, verändert sich alles, die Beschaffenheit der At- mosphäre, die Farbe des ATassers und die Gestalt der am Ufer wachsenden Bäume. Den Tag über wird man nicht so sehr von den Mosquitos gequält. Die langbeinigen Schnaken werden zur Nachtzeit sehr selten und jenseits San Fernando verschwin- den sie ganz. Das Wasser ist rein , und nicht stin- kend, wie das erdige und mit Krokodillen - Aas infi- eirte Wasser des Orinoko. Aufser der grofsen Rein- heit ist das schwarze Wasser auch um zwei bis drei Grad kühler. Die Abwesenheit der Krokodille er- laubt zu baden; das Wasser ist so rein, dafs man — 28 — auf zwanzig bis dreifsig Fufs Tiefe die Fische sehen kann. Der Grund ist ein weifser, glänzender Quarz« und Granitsand. Die unvergleichlich schönen Ufer prangen mit gefiederten Palmen und spiegeln sich im klaren Flusse, und ihr Bild in diesem reinem Wasser ist eben so kräftig und schön gefärbt, wie sie selbst. Der Rio Guaviare ist breiter, als der Atabapo, er führt weifses Wasser, und gleicht durch seine Vögel, seine Mosquitos und Krokodille ganz dem Orinoko. Vom Ursprünge des Orinoko hegen die Indianer heut zu Tage noch eine ganz andere Ansicht , als die Erdbeschreiber. Sie behaupten : der Orinoko entspringe aus zwei Flüssen, dem Rio Guaviare und dem Rio Paragua. Dieser letztere Name wird dem Ober- Orinoko von San Fernando und San Barbara bis Esmeralda gegeben. Diesemnach halten sie den Cassiquiare für einen Arm , nicht des Orinoko, son- dern des Rio Paragua. Übrigens sind hier die Na- men sehr gleichgültig, wenn man nur sonst ge- naue Renntnifs von dem Laufe der P'lüsse hat, und nicht, wie vor dieser Reise des Herrn von Humboldt geschehen ist, Flüsse durch Bergketten von einan- der abschneidet, die zusammenhängen und ein Sy- stem bilden. Würde man jedoch den Guaviare als den eigentlichen Orinoko annehmen, und den Rio Paragua als einen Zuflufs betrachten , so würde der Orinoko durch eine Richtung von Südwest nacb Nordost einen natürlicheren Lauf darstellen. Auch — 29 — ist der Geschmack des Wassers aus dem Rio Gua- viarc dem des Orinoko bei den grofsen Catarakten ahnlich, das des Rio Paragua hingegen ist reiner und von besserem Geschmacke. Die Indianer wissen die Wässer am Geschmacke recht gut zu unterschei- den. » Bringt nur die Wässer von drei oder vier grol'sen Flüssen dieses Landes, sprach ein alter In- dianer der Mission am Javita, so will ich euch aus dem Geschmacke derselben mit Zuverlässigkeit sagen, wo die Wässer her sind , ob sie einem schwarzen oder weifsem Flusse, dem Orinoko oder dem Ata- bapo , dem Paragua oder dem Guaviare angehören.« Die Delphine und Krokodille werden im Guaviare, wie im Unter- Orinoko , in gleicher Zahl und Gröfse angetroffen , hingegen mangeln sie gänzlich im Rio Paragua. Dieses sind allerdings merkwürdige Ver- schiedenheiten in Hinsicht auf die Natur der Ge- wässer und die Vertheilung der Thierartcn, Die Indianer berufen sich darauf, um den Reisenden zu beweisen, dafs der Ober- Orinoko, ostwärts von San Fernando, ein eigenthümlicher sich in den Orinoko ergiefsender Strom sey, und der wahre Ursprung des letzteren in den Quellen des Guaviare gesucht werden müsse. San Fernando liegt unter 4%'*#'4®M N. B. und 700, 3o' 46" W. L. Der Strom gewährt überall einen eigenthümlichen Anblick. Seine acht bis zehn Fufs hohen Ufer sind mit Gebüschen über- deckt, die die Oberfläche des Wassers berühren, und das Ufer verbergen. Zahlreiche Krokodille sind von der Stelle an, wo man den Orinoko verläfst, bis — 50 — zur Mission von San Fernando sichtbar, und ihre Gegenwart deutet an , dafs dieser Theil dem Gua- viare und nicht dem Atabapo angehört. Im eigent- lichen Bette dieses Flusses, oberhalb San Fernando, gibt es keine Krokodille mehr. Man trifft daselbst Bava's und unschädliche Süfswasser -.Delphine., aber weder Krokodille noch Seekühe an. Vergeblich sucht man hier die Chiguire, Araguaten oder gros- sen Brüllaffen, den Zamuro und den gehaubten Fa- san. Dafür ist aber leider sehr häufig die grofsc Wasserschlange , deren Aussehen der Boa gleich kommt , und den badenden Indianern oft sehr ge- fährlich wird. Die Beisenden sahen derselben gleich in den ersten Tagen mehrere um diePiroguc schwim- men , deren Länge zwölf bis vierzehn Fufs betrug. Die Jaguare an diesen Ufern sind grofs und wohl- genährt, aber nicht so kühn, wie die am Orinoko. Sie übernachteten in einer Hütte von Guapasoso ; gegen Morgen fing es zu regnen an. Es war den Reisenden auffallend, hier keine Brüllaffen zu hören, und sie schlössen daraus, dafs diese Wälder un- gleich weniger Thiere, als die des Orinoko beher- bergen. Um den Kahn spielten Delphine, die hier in einer Entfernung von 320 Meilen von der Mün- dung des Orinoko bemerkenswerth sind. Gegen Mittag kamen sie bei dem unter dem Namen Piedra del Tigre bekannten Granit -Hügel vorbei. Dieser einzelne, sechzig Fufs hohe Felsstock, ist in der Ge- gend weit und breit bekannt. Zwischen dem 4° und 5° der Breite erreicht man das mittägige Ende jener — 31 — Cataracten -Kette, welche Herr von Humboldt die Kette von Farime zu nennen vorschlägt. Die ganze von dieser Kette bis zum Amazonenstrome sich aus- dehnende Landschaft, durchzogen vom Rio Atabapo, Rio Xegro und Cassiquiare nebst vielen andern Flüs- sen , bildet eine ungeheure, theils mit Waldung, theils mit Graswuchs bedeckte Ebene. Wie feste Schlösser stehen hin und wieder einzelne Felsslücke auf ihr empor. Bei Tagesanbruch kamen sie am 28. April bei la Piedra und dem Falle von Guarinuma vorbei. Er- sterer ist ein nackter Fels mit Flechten bedeckt. Als sie bei dem Raudale vorbei waren, sahen sie am gegenüberstehenden Ufer mitten unter indianischen Pflanzen einen Riesenstamm einer Ceibe oder Räse- baum. Sie landeten , um ihn zu messen. Er halte «4 bis i5 Fufs Durchmesser und 120 Fufs Höhe. Am 29. war die Luft kühler. Zacundos waren keine vorhanden ; der Himmel jedoch bedeckt und sternlos. Die starke Strömung liefs sie nur langsam vorwärts kommen, und da sio auch, um Pflanzen am Ufer zu suchen, verweilt hatten, kamen sie erst in der Nacht bei der Mission San Barbara an, oder wie sie die Mönche nennen , la divina Pastora de. Balthasar de Atabapo. Sie wurden von dem cata- lonischen Missionär auf das Freundlichste empfangen. Er war ein munterer , liebenswürdiger Mann , der sich mit der seiner Nation eigenthümlichen Thätig- keit in dieser Wildnifs einen schönen Garten ge- pflanzt, worin der europäische Feigenbaum, die Persea , der Citronenbaum dem Manioc zur Seite stand. Das Dorf war mit einer Regelmäfsigkeit an- gelegt , welche man bei den Brüdergemeinden an- trifft. Die Pflanzungen der Indianer waren sorgfäl- tiger, als anderswo bearbeitet. Hier bekamen un- sere Freunde auch zum ersten Male jene schwam- mige und weifse Substanz zu Gesicht , die sie spä- ter unter dem Namen Dapicho bekannt gemacht ha- ben. Sic bemerkten sogleiclf, dafs sie dem Feder- harze glich, weil aber die Landeseingebornen durch Zeichen zu verstehen gaben , dafs es unter der Erde gefunden werde , so waren sie bis zur Ankunft in der Mission von Javita zu glauben geneigt, es dürfte ein fossiles Caoutchouc (Federharz , Gummi elasti- cum) seyn. In der Hütte des Missionärs war ein beim Feuer sitzender Indianer beschäftigt, schwar- zes Federharz aus dem Dapicho zu verfertigen. Er hatte mehrere Stücke an Holzstäbe angespiefst, die er , wie Fleisch , röstete. Das Dapicho schwärzt sich in dem Verhältnisse, als es weich und elastisch wird. Der harzige, aromatische Geruch, womit die Hütte erfüllt war , schien anzudeuten , dafs diese Färbung die Wirkung der Zersetzung eines wasser- stoffigen Brennstoffes sey , und dafs der Kohlenstoff zum Vorschein komme , nach Mafsgabe , wie der Wasserstoff bei mäfsiger Hitze verbrennt. Der In- dianer klopfte die erweichte und schwarz gewordene Masse mit einer Keule aus Brasilienholz, hierauf knetete er sie in Kugeln von drei bis vier Zoll Durchmesser und liefs sie kalt werden. Diese Ku- — 33 — geln gleichen völlig dem im Handel vorkommenden Federharz, nur bleibt die Oberfläche etwas klebrig. Sie werden in den Missionen vonUruana und Enca- ramada zum Ballspiele gebraucht, und man mufs gestehen, dafs solche Kugeln, ihrer Dauer und Ela- sticität wegen, sich trefflich dazu eignen. Wie ma- jestätisch mufs sich nicht ein solcher Ball in die Luft erheben und wie herrlich von dem Rüchen ab- prallen ! Man gebraucht hier dieses Dapicho auch statt der Korkstöpscln , und als solche leisten sie viel vortrefflichere Dienste, als die Korkstöpsel. Der Missionär zeigte ihnen auch vor dem Versamm- lungshause (Casa de los solteros) eine Trommel, die auseinemhölzernen hohlen Cylinder, 2 Fufs lang und 18 Zoll dich, bestand. Die Trommel wurde mit grofsen Dapicho - Massen , deren man sich als Trom melschlägel bediente, geschlagen. Sie hatte Öffnun- gen , die zur Veränderung des Tones mit der Hand willkürlich geschlossen werden konnten, und sie war zwischen zwei dünnen Stützen im Freien be- festigt. Die Wilden lieben eine Janitscharen -Mu- sik. Die Trommel und die Botutos oder Trompeten aus gebrannter Erde., worin eine drei bis vier Fufs lange Röhre mit ehernen Bauchungen zusammen- hängt, sind bei den Indianern vortreffliche Instru- mente, wenn die Musik auf sie wirken soll. San Balthasar liegt unter 3°, 14' 23" N. B. und 700, 14' 2»" W. L. Sie folgten am 3o. April noch eine Zeitlang dem Atabapo entlang, fuhren dann aber in den Rio Temi ein. 34 Vierzehntes Kapitel. Fahit auf dem l\io Temi. — Der Fels der Mutter. — Reise nach Javita. Vor der Einfahrt in den Rio Temi zog ein an sich unbedeutender Gegenstand, der aber durch eine schaudervolle Begebenheit ein Denkmal des eu- ropäischen Fanatismus und blutdürstiger Grausam- keit geworden ist , die Aufmerksamkeit unserer ge- fühlvollen Reisenden auf sich. Es ist dieses ein am westlichen Ufer befindlicher Granithügel, er heifst: der Fels der Guahiba-Indianerinn, oder auch der Fels der Mutter (Piedra de Madre). Wenn der Mensch in diesen Einöden kaum eine Spur seines Daseyns zurückläfst , so ist es für den Europäer doppelt be- schämend, wenn ein Felsslück seine Verkehrtheit aufbewahrt, und die Tugend der Wilden sammt der Barbarei des Gebildeten überliefert. Die Ursache der Benennung ist folgende. Der Vorfahr des gegenwärtigen Missionärs von San Fer- nando hatte seine Indianer an das Gestade des Rio Guaviare , in der grausamen Absicht, die eben so der Religion, wie den Gesetzen Spanien 's entgegen war, geführt, um Seelen zu erobern. Sie kamen in eine Hütte der Guahiba- Indianer , und trafen daselbst eine Mutter dieses Stammes nebst drei Rin- dern an, wovon zwei noch unmündig waren. Die Familie war eben mit Bereitung von Manioc-Mehl beschäftigt. Jeder Widerstand wäre vergebens ge- wesen. Der Vater war auf Fischfang abwesend und — 35 — die Multer suchte mit ihren Kindern zu entfliehen. Kaum hatte sie die Savane erreicht, als sie sich von den Indianern der Mission, welche auf die Menschen- jagd gehen, wie die Weifsen auf die Negerjagd in Afrika, angehalten uud umringt sah. Mutter und Kinder wurden nun geknebelt und an's Ufer ge- schleppt. Der Ordensinann hatte, in seinem Fahr- zeuge sitzend, den Ausgang des Unternehmens, an dessen Gefahren er keinen Thcil nahm, abgewartet. Hätte die Mutter heftigem Widerstand geleistet, so hätten die Indianer sie getödtet. Sie halten bei sol- chen Gelegenheiten alles für erlaubt, und gehen be- sonders auf Kinder los, um sie in der Mission als Sclaven der Christen zu betrachten. In der Hoff- nung, die Mutter würde keinen Landweg in ihre Heimath finden, brachte man sie in die Mission San Fernando. Allein die Entfernung von demjenigen Kinde, welches den Vater am Tage des Überfalls begleitet hatte, brachte das Weib zur höchsten Ver- zweiflung. Sie wollte die in der Gewalt des Mis. sionärs befindlichen Kinder zu den Ihrigen zurück- bringen, und sie entfloh defshalb mehrmals mit ihnen aus dem Dorfe San Fernando. Die Indianer holten sie jedoch jedesmal wieder ein , und nachdem sie unbarmherzig mit Peitschenhieben gezüchtigt wor- den war, fafste der Missionär den grausamen Ent- schluß, die Mutter von den zwei mit ihr eingebrach- ten Kindern zu trennen. Sie ward den Atabaoo hinaufin die Missionen am Rio Negro geführt. Locker gebunden safs sie im Vordertheile des Fahrzeugs; — 36 — Unbekannt mit dem Schicksale , das man ihr be- stimmt hatte, schlofs sie aus der Richtung der Sonne, dafs sie sich immer weiter von ihrer Hütte und ih- rem Geburtslande entferne. Es gelang ihr, die Bande zu lösen; sie stürzte sich in's Wasser, und schwamm dem linken Ufer des Atabapo zu. Die Strömung trieb sie an die Felsenbank , die ihren Namen fübrt, und ein ewiges Denkmal der Helden- kraft und Tugend einer Mutter ist. Sie stieg da- selbst an's Land , und flüchtete sich in den Wald. Aber der Missionär liefs seine Indianer ebenfalls landen , und sie im Walde aufsuchen. Am Abende ward sie zurückgebracht , — auf die Piedra de la Madre hingestreckt , und mit jenen Riemen aus La- mantinfell, welche in dieser Landschaft als Peit- schen gebraucht werden, und womit die Alcalden jederzeit versehen sind , gi'ausam gepeitscht. Mit starken Schlingen von Mavacure band man ihr die Hände auf den Rücken, und schleppte die unglück- liche Frau in die Mission von Javita. Sie ward hier in eines der Häuser gebracht, die man Casa del Rey nennt, und zur Aufnahme der Fremden dienen. Die Regenzeit war eingetreten, die Nacht stockfinster. Wälder, welche bis dahin für undurchdringlich gehalten wurden, trennen die Mission Javita von derjenigen von San Fernando auf 25 Meilen in gerader Richtung. Flüsse sind die einzigen Strafsen , die man gebrauchen kann. Nie- mand hatte je den Versuch gemacht, von einem Dorfe zum andern, wenn ihre Entfernung auch nur — 37 — wenige Stunden betrug, zu Lande zu gelangen. Alles dieses kann eine Mutter, die von ihrem Kinde ge- trennt wird, nicht abschrecken. Ihre Kinder sind in San Fernando deAtabapo; sie mufs wieder dort- hin kommen, dieselben aus fremder Gewalt befreien, und ihrem Vater an die Gestade des Guaviare zu- rückführen. Niemand hütet, durch Entfernung sicher gemacht, das Weib. Weil ihre Arme bluteten, hat- ten, ohne Vorwissen des Missionärs und der Alcal- den, die Indianer von Javita sie nur locker gebun- den. Mit den Zähnen gelang ihr's , ihre Bande zu lösen. Sie war in der Nacht verschwunden , und am vierten Morgen ward sie in der Mission von San Fernando in der Nähe der Hütte gesehen , wo ihre Kinder sich befanden. »Was dieses Weib ausge- führt hat, bemerkte der Missionär, der diese Ge- schichte erzählte, hätte der kräftigste Indianer zu unternehmen sich nicht gewagt.« Sie durchwanderte Wälder, in einer Jahreszeit, wo der Himmel be- ständig mit Wolken bedeckt ist , und die Sonne nur wenige Minuten sichtbar wird. Ist sie etwa dem Laufe der Gewässer gefolgt ? Allein die Überschwem- mungen der Flüsse nöthigten sie, sich von dem Ufer zu entfernen, und ihren Weg mitten durch den Wald zu nehmen, wo die Bewegung der Wässer beinahe unmerklich ist. Wie oft mufste sie durcli jene stachlichten Schlingpflanzen , welche ein Gitter- werk um die Bäume schlingen, aufgehalten werden! Wie oft mufste sie schwimmend über die Flüsse setzen , welche sich in den Atabapo ergiefsen ! — 58 — Das unglückliche Weib ward gefragt : womit sie sich die vier Tage hindurch genährt habe? Ihre Ant- wort war : sie habe , durch Anstrengung erschöpft, keine andere Nahrung gefunden , als jene grofsen, schwarzen Ameisen, die Vachacos heifsen, und in langen Reihen die Bäume ersteigen, an denen sie ihre harzigen Nester befestigen. Herr von Humboldt wünschte von dem Missionär zu erfahren, ob ihr endlich das Glück des ruhigen Beisammenseins mit ihren Kindern zu Theil gewor- den sev ? Dieser weigerte sich die Frage zu be- antworten , aber auf der Rückkehr vom Rio Negro vernahmen unsere Reisenden, dafs man der Indiane- rinn nicht ein Mal Zeit liefs , ihre Wunden zu hei- len , dafs sie nochmals von ihren Rindern getrennt, und in eine der Missionen am Ober- Orinoko gesandt ward, wo sie durch Weigerung aller Nahrung, wie die Wilden im grofsen Unglücke zu thun pflegen, sich den Tod gab. Dieses ist das schöne Beispiel von Mutterliebe, dessen Denkmal der Fels der Mutter ist, und das eine Mutter gab , die zu einem von lange her ver- leumdeten Menschenstamme gehörte. Mutterliebe über alles ! DerRioTemi richtet seinen Lauf von Süden nach Korden. Er ist 80 bis 90 Toisen breit, und hiefse in jedem andern Lande ein Strom. Die Landschaft besteht aus einem Walde, der den völlig flachen Bo- den deckt. Aus ihm ragt hervor die schöne , oben erwähnte Pfirsichpalme und die Mauritia mit stach- — 39 — lichtem Stamme. Diese Mauritia aculeata wird von den Indianern Juria oder Cauvaja genannt. Die fächerförmigen Blätter sind der Erde zugehehrt, je- des Blatt zeigt, vermuthlich in Folge einer Krankheit, blaue und gelbe Kreise. Diese pfauenscbweifartig gefärbten Blätter stehen auf niedrigen ungemein dichten Stämmen. Die Stacheln sind sehr holzig, kurz, unten breit, ähnlich denen der Akazien. Diese Palme wächst am Temi und Atabapo in Gruppen, von 12 bis 1 5 Stämmen, die jedoch einander so nahe stehen, als hätten sie nur eine Wurzel 3 durch Wuchs, Gestalt und die geringe Zahl der Blätter gleicht sie den Fächcrpalmen und Chamaerops des alten Festlan- des. Sie bemerkten einige Stämme ohne alle Früchte, und andere , die sehr viele Früchte trugen, welches eine Palme mit getrennten Geschlechtern anzudeu- ten scheint. Da das Land hier vollkommen eben ist, so ist auch der Wald überall, wo der Flufs sich krümmt, auf eine halbe Meile und mehr noch überschwemmt. Um die Krümmungen zu vermeiden, und die Schiff- fahrt abzukürzen , bedient man sich ganz besonde- rer Mittel. Die Indianer yerliefsen das Flufsbetf, und fuhren quer waldein auf einer ArtCanal , der vier bis fünf Fufs breit ist. Diese Canäle werden, so wie unsere Fufssteige, gebildet, wenn man die Krümmungen der Heerstrafse verläfst, um auf kür. zerem Wege gerade durch den Wald zu kommen. Da jedoch hier wenig gereist wird, so verwachsen sich diese Pfade oft wieder , und man wird dann — 40 — aufgehalten. Es steht daher immer auf einer sol- chen Fahrt ein Indianer mit einer Mache tte im Vordertheile des Bootes , um diesen Pflanzenwuchs zu zerstören, und diePirogue in dem oft nicht eine halbe Elle tiefen Canal flott zu erhalten. Im dich- testen WalfcJe wurden sie durch ein ungewöhnliches Rauschen überrascht, und als sie gegen das Busch- werk anschlugen, kam eine Bande Süfswasser- Del- phine zum Vorschein , die vier Fufs Länge hatten, und umzingelten das Fahrzeug. Diese Thiere waren unter einem alten Ceiba verborgen gewesen , und flohen jetzt nach allen Seiten , indem sie jene Was- ser - und Luftstrahlen ausspieen, von denen sie in allen Sprachen den Namen Spritzer führen. Dieser Anblich ist in doppelter Hinsicht seltsam. Ein Mal ist es wahrlich sehr spafshaft , mitten irn Walde Delphine zu jagen, und dann ist die Entfernung von drei bis vierhundert Meilen von der Mündung des Orinoko für das Daseyn dieser Wasserthiere eben- falls sehr seltsam, indem die Delphine doch eigent- lich eine dem Meere angehörige Form bilden. Mit vieler Mühe gelangten sie um fünf Uhr wie- der in das eigentliche Flufsbett zurück. Einige Mi- nuten zuvor waren sie zwischen zwei Baumstämmen fast sitzen geblieben, und bald darauf an eine Stelle gekommen, wo sich die Canäle kreuzten, und man nicht wufste, welchen man einschlagen sollte. Übri- gens machten sie auch hier eine für die Pflanzen- geographie wichtige Bemerkung. Sie sahen nämlich auch hier nirgends jene baumartigen Farrenkräuter, — 41 — sie bemerkten überhaupt, dafs dieselben vom 5° an gegen den Aequator zu allmählich abnehmen. Sie gehören einem minder heifsen Rlima an, und kom- men meistens nur auf einer Höhe von 3oo Toisen vor. Sie scheinen daher die Aequatorial -Niederun- gen zu fliehen. Am i.Mai wurde die Fahrt nach einer finstern Nacht durch den Wald wieder fortgesetzt, um die Strömung zu vermeiden. Bald darauf fuhren sie aus dem Toni in den Tamini über, und langten um eilf Uhr in der Mission Javita an. Von den Sprit- zern erschreckt, fiel aus dem Bote ein Saguin-ÄfF- chen in's Wasser, und es hostete Mühe, ihn zu ret- ten. In Javita war nun der Ort, wo sie Mittel fin- den sollten, um ihre Pirogue zu Land in den Bio Negro tr ansportiren zu lassen. Glücklicher Wreise fanden sie in der Mission Ja; vita einen sehr vernünftigen und überaus gefälligen Mönch, was um so angenehmer war, als sie genöthigt waren , fünf Tage in der Wohnung des Missionärs zu bleiben. So viel Zeit war nämlich erforderlich, um das Schiffchen auf dem Landwege (Portage) von Pimichin zu transportiren. Diese Zeit über wurde zu Spaziergängen benutzt, und um ihre Hände von einem Übel zu heilen , das sie seit zwei Tagen em- pfanden. Das Übel bestand in einem fürchterlichen Jucken der Finger und Gelenke. Der Missionär be- sah ihre Hände, und sagte ihnen sogleich, dafs es Aradores (Ackerbauern) wären , die sich unter der Haut eingegraben hätten. Mit dem Mikroskope konn- — 42 — len sie aber nichts, als parallele Furchen von weis- ser Farbe erkennen $ die Gestalt derselben hat auch zu der Benennung Anlafs gegeben. Es ward nun eine Mulattin gerufen, die in der Mission das Amt eines Doktors inne hatte, und die sich der Bekanntschaft aller der kleinen Thiere rühmte, welche die Haut des Menschen durchwühlen. Sie versprach auch so- gleich, die Insekten alle nach einander heraus zu holen. Zu dem Ende erwärmte sie an der Lampe ein sehr hartes, spitziges Stückchen Holz, und drang damit in die Furchen, die in der Haut sichtbar wa- ren. Nach langem Suchen erklärte sie gravitätisch, und mit einer Miene, wie kaum ein europäischer Quacksalber vermocht hätte: »wir haben einen Ara- dor gefunden.« Sie zog nun einen kleinen, runden Sack hervor, der wahrscheinlich der Eiersack des Insektes war. Sie holte auf diese Weise drei oder vier Aradores hervor; allein hätten alle auf diese Weise herausgeholt werden sollen, so würde schwer- lich ein Monat zugereicht haben , denn die Hände waren voll dieser Milben. Die Beisenden hatten daher weder Zeit noch Geduld zu einer solchen Ope- ration. Tags darauf wurden sie jedoch gründlich und überraschend schnell geheilt. Ein Indianer brachte einen Zweig von einem Strauche, welcher Uzao heilst , und kleine sehr lederartige und glän- zende Cassiablättcr hat. Von der Binde dieses Strau- ches bereitete er einen Aufgufs , der eine bläuliche Farbe und den Geschmack des Süfsholzes hatte, und aufgerührt viel Schaum gab. Das einfache Wa- — 43 — s-chen mit diesem Uzao - Wasser hob die Plage der Aradores völlig. Leider konnte man damals weder die Blütlie noch die Frucht des Uzao • Gewächses erhalten, welches zur Familie der Schotengewächse zu gehören scheint. Übrigens hatte sie der Schaden klug gemacht , und sie führten nun auf dem ganzen Wege Uzao -Zweige im Kahne mit sich, welche am Gestade des Pimichin in Menge wachsen. Möchte man doch auch , ruft hier Herr von Humboldt aus, se schnelle und sichere Mittel gegen die Mosquites und Zacundos erfunden haben ! — Wir hätten es den armen Freunden vom Herzen gegönnt. Vor dem Grenzzuge des Solano wurde diese ganze Landschaft von den Portugiesen besessen , die hier meistens das Handwerk der Seeleneroberung in die- sen Wäldern trieben, in der That aber die Indianer einfingen , um sie als Sclaven an die Brasilier zu verkaufen. Solano trieb sie jedoch nach Brasilien zurück, und machte sich den Häuptling Javita zum Freunde, mit dem auch die Mission Javita gegrün- det wurde. Javita war noch am Leben , als Herr von Humboldt in der Mission verweilte. Er war ein an Geist und Körper gleich ausgezeichneter Indianer. Er wufste sich mit Leichtigkeit in der spanischen Sprache auszudrücken , und hat auf die benachbar- ten Völkerschaften Einflufs behalten. Er begleitete die Fremden allezeit auf ihren botanischen Wande- rungen, erzählte da vieles, und die Missionäre setz- ten in seine Wahrhaftigkeit festes Vertrauen. Er hatte in seiner Jugend alle Stämme zwischen dem — 44 — Ober - Orinoko und dem Rio Negro Mcnschenfleisch speisen gesehen. Er sagte aber, diese Sitte scy nur Wirkung der Rachsucht, und sie fressen nur ge- fangene Feinde. Auch ist ihnen die Sitte der Scy- then und Massagetcn, nach welcher sie aus Achtung den Leichnam der verstorbenen Feinde speisen, ganz fremd. Auf San Domingo würde jedoch ein Wilder der Achtung gegen seine Verwandten zu ermangeln geglaubt haben, wenn er in sein Getränke nicht et- was vom Körper des Verstorbenen beigemischt hätte. Die Menschen sind doch seltsame Narren ! und wie ein Morgenländer sagt: vor allen Thiercn seltsam in ihren Sitten und ausschweifend in ihren Nei- gungen. Fünfzehntes Kapitel. Javita. — Reise an den Rio Negro. Das Klima der Mission Javita zeichnet sich durch seine Feuchtigkeit aus. In diesen waldigen Aequa- torial - Gegenden bekommt man die Sonne nur sel- ten zu sehen , sobald man den 3° Rreite überschrit- ten hat. Nur selten kann man Sterne beobachten, es regnet fast das ganze Jahr hindurch , und immer ist der Himmel bedeckt. Da im ungeheuren Walde von Guiana die Rrise beinahe gar nicht weht, so werden die nassen und von Wasserdünsten gesättig- ten Luftschichten niemals durch andere trockne er- setzt, und es findet eine beinahe ununterbrochene "Wechselwirkung der Ausdünstung und Niederschläge Statt. Der Missionär bezeugte, oft vier bis fünf Monate ununterbrochen Regen erfahren zu haben. Herr von Humboldt mafs am i.Mai das in fünf Stun- den gefallene Wasser, es betrug ein und zwanzig Linien, und am 3. Mai sogar vierzehn Linien in drei Stunden , und zwar nicht während eines Schlag- regens, sondern bei gewöhnlichem Regen. In Paris fallen sogar in den regnerischsten Monaten , März, Juli und September, nur 28 Linien Wasser. Aus vielen Beobachtungen, die Herr von Humboldt an- stellte, ergab sich: dafs gewöhnlich in einer Stunde Zeit zwei und drei Mal weniger Wasser auf dem Rücken der Anden, als in diesen Ebenen, die bei- nahe mit dem Oceane wagerecht sind, fällt. Es regnet in den Bergen öftermal, aber es fällt weni- ger Wasser in derselben Zeit. Am Rio Negro , in Maroa und San Carlos ist der Himmel merklich hei- terer, als zu Javita und an den Ufern des Temi. Die Temperatur ist hier kühler, als zu Maypures, und wärmer , als am Rio Negro. Vom 29. April bis zum 12. Mai war kein Stern im Meridiane zu sehen, obwohl ganze Nächte durch- wacht wurden , um die Ortsbreite zu bestimmen. Nur am 4« Mai war die Sonne einige Minuten sicht- bar, und gab die Länge des Orts zu 700, 22'. Die 160 Indianer der Mission gehören zu ver- schiedenen Stämmen, und beschäftigen sich mit dem Baue von Canots. Zu diesem Ende werden grofse Stämme des Sassafras, theils durch Feuer, theils — m — durch die Axt ausgehöhlt. Die Höhe dieser Baume beträgt über 100 Fufs. Sein Holz ist gelb, harzig, im Wasser fast unzerstörbar und hat einen angeneh- men Geruch. Die Arbeit hann man in Javita, San Fernando und vorzüglich in Esmeralda sehen, wo die meisten Piroguen verfertigt werden, weil die umliegenden Gegenden die gröfsten Sassafrasstämme darbieten. Man bezahlt für eine Pirogue, nach hal- ben Toisen oder Varas , zu einen Piaster , so dafs eine Pirogue von 48 Fufs 16 Piaster hostet^ aber die Ausrüstung, die Nägel und die Bekleidung, wo- durch der Raum vergröfsert wird, verdoppelt die Kosten. Der Wald bietet hier eine grofse Mannigfaltig- keit von Riesenbäumen dar. Ocotea, eigentliche Laurus , die Persea, die nie unter 10 Toisen ange- troffen wird , die Amasonea- Arborea , das Retini. phyllum seeundiflorum, die Curvana, der Jacio, der Jacifate, dessen Holz blutroth ist, der Guamufate, mit schönen 7 bis 8 Zoll langen Blättern, das Colo- phyllum, die Amyris- Cavnana und der Mani. Diese Gewächse haben alle über 100 bis 110 Fufs Höhe; da sie jedoch erst gegen die Gipfel hin Äste treiben, so ist es sehr schwer, sich ihre Blüthen und Blätter zu verschaffen. Die Blüthen liegen wohl öfter unter den Bäumen zerstreut , weil aber die verschiedenen Arten unter einander gruppirt und mit Schlingpflan- zen überwachsen sind , so läfst sich nicht allezeit mit Gewifsheit angeben, welcher Pflanze eigentlich die Blüthen angehören. Zu botanisiren ist hier sehr schwer, was man seit Monaten sammelt und durch liünstliche Wärme trocknet, geht in der grofsen Nässe wieder zu Grunde. Die Indianer nannten die Baume nach ihrer Art, indem sie dieselben durch das Kauen des Holzes unterschieden. Sie wufsten die Blätter besser, als die Blumen und Früchte zu unterscheiden. Es bietet sich bei der Betrachtung des Gewächs- reiches die Bemerkung dar, dafs verschiedene che- mische Eigenschaften der Pflanzen sich in verschie- denen Familien und Erdstrichen gleichsam ersetzen. Mehrere Palmarten liefern denBewohnern der Aequi- noctial - Länder das Ohl, welches in der gemäfsigten Zone die Olive darbietet. Was den gemäfsigten Erdstrichen die Zapfenbäume sind, das sind den heifsen Ländern die Terebinthen und Guttiferen. In den Wäldern der heifsen Ebenen gibt es weder Fichten,, noch Tuja, noch Taxodium, nicht einmal einen Podocarpus ; dafür liefert aber dieMoronobea von Javita und die Amyris Harze , Balsame und aromatische Gummiarten. Diese Gummi und Harze werden in Javita häufig gesammelt, wo sie einen Gegenstand des Handels bilden. Das berühmteste dieser Harze ist das Mani r von dem man Massen sieht, die mehrere Zentner im Gewichte halten, und dem Colophonium und Mastix gleich sehen. Der gröfste Theil kommt von einer Art Amyris her, die Mararo heifst. Es ist ein starkriechendes, sehnee- weifses Harz , welches da , wo es mit dem innern Theile alter Rinden zusammenhängt, gelb wird. — 40 — Sic besuchten während des Aufenthalts in Javita täglich den Wald , um den Fortgang der Pirogue zu sehen. Drei und zwanzig Indianer waren be- schäftigt, dieselbe über Baumäste, die in gemefsner Entfernung als Rollhölzer gebraucht wurden , fort- zuschleppen. Ein kleiner Kahn wird in anderthalb Tagen aus dem Tuamini in den Pimichin übergesetzt; aber diese Pirogue war sehr grofs , und weil sie zum zweiten Male die Fahrt durch die Cataracten machen mufste , so mufste man die zu starke Rei- bung des Bodens zu vermeiden suchen. Die Fahrt auf der erst seit 179^ angelegten Strafse dauerte also vier Tage. Diese Strafse beträgt 17,180 Varas. Die eine Hälfte der Arbeit liegt den Indianern von Javita, die andere denen von Maroa , Davipe und San Carlos ob. In diesem Walde gelang es auch Herrn von Hum- boldt und seinen Gefährten endlich das angeblich fossile Federharz (Caoutchouc) , welchem die In- dianer den Namen Dapicho geben, zu erhalten. Der alte Capilän Javita führte sie an das Ufer eines Mei- nen Flusses , welcher sich in den Tuamini ergiefst. Er zeigte, dafs, um die Substanz zu sammeln, man in einen sumpfigen Boden , bei zwei bis drei Fufs Tiefe, zwischen den Wurzeln zweier unter dem Namen Jacio und Curvana bekannten Bäume nach- graben mufs. Der erste ist die Hevea, welche das Federharz von Cayenne in den Handel liefert; der zweite hat gefiederte Blätter, sein Saft ist milchig, aber sehr dünn und beinahe gar nicht klebrig. Der — 49 — Dapieho scheint das Produkt einer Ergiefsung des Saftes aus den Wurzeln, und diese Ergiefsung wieder eine Folge des hoben Alters der Stämme und ihrer innern Fäulnifs zu seyn. Indem sich nämlich Splint und Rinde spaltet, geschieht natürlich, was der Mensch künstlich zu bewerkstelligen sucht, dafs der Saft Gelegenheit findet, sich zu einer Masse zu sammeln. Herr von Humboldt glaubt, dafs diese Ergiefsung durch die Endtheile der längsten Wur- zeln geschehe ; denn er hat Stücke von zwei Fufs Länge und vier Zoll Dicke auf acht Fufs Entfer- nung vomStamme gefunden. Die Substanz ist weifs, korkartig , brüchig und gleicht durch ihre über ein- ander liegenden Blätter und wellenförmigen Ränder dem Feuerschwamm. Ob es wohl bis jetzt nur in Javita gegraben wurde , so dürfte es dennoch in alhm feuchten Wäldern von Guiana zu finden seyn, wo man sich die Mühe nähme , in den Gegenden, wo Heveen vorkommen, nach denselben zu graben. Gegenwärtig kommt im Handel ein weifsgelbliches Caoutchouc vor, welches sich vom Dapieho dadurch unterscheidet, dafs es weder trocken, wie Kork, noch zerreibbar, sondern mehr elastisch, glänzend und seifenartig ist. Dieses wird in Ostindien berei- tet , und dünstet einen thierischen Geruch aus. Im Königreiche Neu -Granada sind glückliche Versuche gemacht worden, aus Federharz Stiefeln und Schuhe, ohne Nath, zu verfertigen. Die Omaguas am Ama- zonenflusse sind diejenigen Leute, welche in Ame- rika das Federharz am besten zu bearbeiten wissen. Bibl.iialurh.Reisen.IV. 3 — 50 — Es waren vier Tage vorüber, und noch war die Pirogue nicht im Hafen von Pimichin. Die Reisen- den wurden ungeduldig, aber der Missionär, Pater Cereso , tröstete sie mit folgenden Worten : »Ihr leidet keinen Mangel in meiner Mission. Ihr habt Pisang und Früchte, des Nachts stechen Euch keine Mosquitos , und je länger Ihr bleibet, desto eher möget Ihr auch die Gestirne meines Landes zu sehen bekommen. Wenn Euer Fahrzeug auf dem Trans- porte zerschlagen wird, so geben wir Euch ein neues, und mir wird das Vergnügen zu Theil , ein paar Wrochen, coti genle blanca y de razon, mit weifsen und vernünftigen Leuten zu verleben. so sollte man denken, dafs Flüsse, wenn sie in Ge- btrgen entspringen, sobald sie heraustreten, sich alsbald auch von den Gebirgen entfernen müfsten. Die Erfahrung lehrt jedoch das Gegentheil. Es ist in allen Strömen Indien's und China bemerkt, dafs es ihnen eigen ist,, sich den Gebirgen anzuschmie- gen, und einen mit der Bergkette parallelen Lauf anzunehmen. Die Bemerkung ist alt, dafs an den steilsten Abhängen gewöhnlich Niederungen sind, so wie , dafs Ströme , Seen und Meeresküsten da die höchsten und steilsten Abhänge bilden , wo die Ge- wässer am tiefsten sind, und also hohe, steile Ufer mit grofsen Tiefen der Gewässer zusammentreffen. Dem Bearbeiter dieses scheint sich aus der gegen- — 101 — seitigcn Lage der Gebirge , rvoch eine andere Ur- sache dieser Erscheinung zu ergeben. Die gewaltige Cordilleren-Masse verflächt sich gegen das atlantische Meer, während sie gegen das Südmeer steil abstürzt. Hier sieht man nur Küstenflüsse und keiner schmiegt sich der Cordillerenkettc an. Gegen Osten aber verflacht sich die Andeskctte , und bildet einen un- geheuren Abhang, dessen Fortsetzungen die Ebenen von Calabozo, Brasilien und Buenos -Ayres sind. Die Parimekette ist gegen die Antillenkctte zu un- bedeutend , als dafs sie zu dem Abhänge derselben eine Gegcntafel bilden könnte. Natürlich ist es also, dafs der Cordilleren-Abhang, der den Parime gleich- sam beherrscht, und die Niederung, welche zwei gleichmachte Gebirgsketten in die Mitte der Ebene versetzen würden, an den Fufs der schwächern Pa- rime zurückdrängt. Dieses dürfte zu einer geolo- gischen Regel führen, dafs die Flufsbetten allezeit zwischen zwei Bergkelten sich der geringern an- schmiegen. Man bemerkt dasselbe bei den indischen und chinesischen Flüssen, welche ebenfalls bei ihrem Austritte aus dem Gebirge sich der Bergkette an- schmiegen. Eine andere Eigentümlichkeit des Orinoko ist die, dafs das Wasserbecken dieses Stromes sich mit dem Amazonenstrome zu verbinden scheint. Wirft man einen Blick auf die Charte, so sieht man, dafs der Orinoko in derselben Ebene seinen Lauf von Osten nach Westen nimmt, in welcher der Amazo- nenstrom, aber in entgegengesetzter Richtung, sei- — 102 — nen Lauf nimmt. Aber eben der Lauf der Gewäs* ser zeigt uns, dafs auch grofse Ebenen ihre Thälei* und Niederungen, so wie ihre Erhöhungen und Abi hänge bilden. Diese Thaler sind durch Erhöhungen getrennt, welche man Ciebellinien nennen kann. Diese bilden nun gang eigentlich und mehr als die Gebirge die Wasserscheide (divortia aquarum). Der ganze weite Raum zwischen 3l/2° N. Br. und i4° S. Br. , zwischen der Bergkette vonParimc und der- jenigen von Chiquitos und Brasilien auf einer Strecke von 204,000 Quadrat - Meilen , ist mit Waldung er- füllt, und gibt seine Gewässer an den Amazonen- strom ab. Weiter nördlich hingegen wird, vermöge einer besondern Lage der Ebenen , alles Gewässer dem Orinoko zugeführt. Die Central - Ebene von Südamerika bilden daher zwei grofse Flufssysteme, deren jedes die Gewässer befafst, die sich in der Gesammtobcrfläche der Umgebung befinden, dessen Neigungslinien in das Flufsthal auslaufen; das will sagen: in die Längensenluing , welche das Bett des Hauptstromes bildet. In dein kurzen Räume, zwi. sehen dem 68° und 700 Länge, empfängt der Orinoko die von dem südlichen Abhänge der Parime kom- menden Gewässer. Die Zuflüsse hingegen , welche von dem nämlichen Abhänge östlich den 68° abflics- sen , fallen in den Amazonenstrom. Ungarn zeigt uns ein ähnliches und sehr merkwürdiges Beispiel von Flüssen, die, während sie auf der Südseite einer Bergkette entspringen, dem Wassersysteme des nörd- lichen Abhangs angehören. Die Wasserscheide zwi- — 103 — sehen dem baltischen und schwarzen Meere ist nicht, wie man glauben sollte, der Gipfel der Kar- pathen (wie überhaupt Berggipfel nie Thcilungsgrä- ten sind) , sondern sie ist südwärts von der Tatra, zwischen Tepliz und Ganöcz , auf einem Plateau von nicht 3oo Toisen Höhe. Die Waag und die Hcr- nöd fliefsen südwärts zur Donau ab, während der Poprad die Gruppe des Tatra westlich umläuft und sich nebst dem Dunajetz nordwärts in die Weichsel ergiefst. Der Poprad, welcher seiner Lage nach dem System der Zuflüsse des schwarzen Meeres an- gehört, sondert sich ab, um seine Gewässer dem baltischen Meere zuzuführen. Die dritte Eigentümlichkeit im Laufe des Orinoko ist die Gabeltheilung, deren Daseyn oft und nament* lieh vor der Abreise des Herrn von Humboldt aus Europa in Zweifel gezogen worden ist. Die Gabel-» theilung ist nun'durch Herrn von Humboldt erwahrt, und befindet sich unter 3°, 10' N. Br. und 68°, 37' W. L. von Paris. Man findet Dclta's oder Theilun- gen der Flüsse in mehrere Arme bei ihren Ausmün» düngen. Wo das Land eben ist, kommen dieselben Erscheinungen vor. Die Ursachen der Delta's kön* nen folgende seyn; die ganz kleinen wellenförmigen Erhebungen einer Ebene, welche gleichzeitig zwei Stromsysteme befafst, die Entfernung von einem Hauptsammler, und die Lage des Flufsbettes am Rande der zwei Flufsbette scheidenden Grenze. Letz- teres ist beim Orinoko der Fall, Sehr breite Flufs« betten haben ihre Tiefe nicht in der Mitte nnd köiv* — 104 — neu mehrere Furchen neben einander besitzen. Die kleinste entgegenstehende Gräte kann dann die Er- scheinung hervorbringen, von der hier die Rede ist. "SVo die Gabeltheilung Statt findet, durchstreift die Theilungsgräte der Länge nach das Strombett, und der Flufs theilt sich da, wo sich dieselbe su verlieren scheint. Man hat die Frage aufgeworfen : ob nicht mit der Zeit das Flufsbclt des Cassiquiare durch An- schwemmungen verstopft werden möchte ? Herr von Humboldt antwortet : der Cassiquiare ist keineswegs, wie die Dichter Latiums sich ausdrücken , ein be- quem schleichendes Flüischen 5 er gleicht nicht dem Cocytus , der träge dahin sich wälzt, indem er auf dem gröfsten Theilc seines Laufes die ausnehmende Schnelligkeit von 6 bis 8 Fufs auf die Sekunde be- sitzt, und so ist auch nicht zu fürchten, dafs er ein mehrere hundert Toiscn breites Bcfte gänzlich aus- füllen und verschütten sollte. Die Gabelthcilung des Orinoko und diese äufserst wichtige Verbindung zwischen dem Orinoko und dem Amazonenstrome war oft behauptet, oft verläug- nct. Portugiesische Sclavcnhändler befahren den Cassiquiare, ohne im Rio Paragua den Orinoko zu erkennen. Pater Roman, ein Jesuit, war der erste, der den Cassiquiare vom Orinoko aus besuchte. Er war allein, ohne Krieger, am 4- Febr. 1744 von Ca- richana abgereist. Als er an den Ort kam, wo jetzt San Fernando de Atabapo steht, beim Zusammen- flüsse des Orinoko mit dem Guaviare und Atabapo, — 105 — sab er den Orinoko eine Piroguc herabkommen. Er machte zum Zeichen des Friedens das Crucifix am Vordertheile des Schiffes fest. Die Weifsen , es waren portugiesische Sclavenhändler vom Rio Negro, erkannten unter Freudenäurserungen die Kleidung vom St. Ignatius- Orden. Nicht ohne Erstaunen ver- nahmen sie, dafs sie aut dem Orinoko seyen. Sie führten nun den Pater Roman durch den Cassiquiare nach dem Rio Negro zurück, von wo er auf dem nämlichen Wege, nach siebenmonatlicher Abreise durch den Cassiquiare nach Carichana zurückkehrte. Er ist der erste weifse Mensch , von dem man mit Gewifsheit weifs, dafs er aus dem Rio Negro, ohne Landschaft blos zu Wasser in den Orinoko zurück- gekehrt ist. Seitdem hatte man die Verbindung bald auf den Charten verzeichnet , bald bestritten. Noch auf einer 1798 bekannt gemachten Charte von Guiana heifst es : die von lang her geglaubte Verbindung zwischen dem Orinoko und dem Amazonenstrome ist eine geographische Ungereimtheit, um die dies- fallsigen Vorstellungen zu berichtigen, sey erforder- lich, die Richtung der grofsen Kette, welche die Gewässer scheidet, zu erforschen. Herr von Humboldt war so glücklich, an Ort und Stelle diese Bergkette untersuchen zu können. In der Nacht vom i/\. Mai ist er mit seiner Pirogue durch diese geographische Ungereimtheit gefahren. Fände sich hier eine Gabellinie, so hätte Herr von Humboldt von Esmeralda aus den Strom hinauffah- ren müssen, statt dafs er ihn wirklich bei sehr schnei- — io6 — lern Fall herabfuhr, und seinen Lauf ununterbrochen bis St. Barbara und St. Fernando de Atabapo fort- setzte. Hatten die Völker Guiana's an der Gesittung Theil genommen , welche die Hochebene Peru's und Me- xiko's verschönerten, so würde diese ungeheure Landschaft zwischen dem Orinoko und dem Ama- zonenstrome die Entwicklung ihres Gewerbfleifses begünstigt, ihren Hajidcl belebt und die Fortschritte ihrer Staatseinrichtungen befördert haben. In der alten Welt erblicken wir überall den mächtigen Ein- flufs der Beschaffenheit des Bodens auf die Entwick- lung der Cultur. Hier bleiben jedoch die Begünsti- gungen, welche die Natur anbot, bei den schwachen Horden ohne Erfolg. In Egypten , in Indien und Griechenland haben offenbar die Beschaffenheit des Bodens und der Lauf der Gewässer die Entwicklung der Menschheit mächtig gefördert. Wo jedoch die Natur etwas wirken soll , müssen ihre Begünstigun- gen von einer empfänglichen Menschheit dankbar aufgenommen werden. Dieses war in Guiana nicht der Fall. Diese Menschenfresser hatten sich noch zu keiner gesellschaftlichen Ordnung verbunden. »Seit ich die Gestade des Orinoko verlassen habe, oo Jaguare getödtet, worunter mehrere die Gröfse der asiatischen Königs- tiger erreichen. Am 2/j. Mai, mit Aufgang der Sonne, fuhr man weiter. In einer Felsenbucht, welche einst den Durimundi - Indianern zur Wohnung gedient hatte* war der aromatische Wohlgeruch der Pflanzen so stark, dafs er den Reisenden lästig fiel. Sie konn- ten jedoch nicht erfahren , von welchen Blumen dieser Wohlgeruch herkam, weil es unmöglich war, in den Wald einzudringen. Herr Bonpland glaubte es seyen Blumenbüsche von Panoratium und andern Liliengewächsen , welche die Luft mit ihren Aus- dünstungen sättigten. Den Orinoko abwärts fah- rend, kamen sie verschiedenen Flüfsmündungen vorbei. Die Ufer sind hier völlig öde, nordwärts erheben sich hohe Berge , welche von einigen wil- den Stämmen bewohnt werden; südwärts dehnen sich unabsehbare Ebenen aus, bis über die Quellen des Atabapo hin, aber in ihnen wird auch nicht eine einzige Spur menschlicher Wesen angetroffen. Dieser öde grofse Strom, auf dem nicht einmal eine Fischerbarke schwebt , hat etwas Trauriges und gc- — 132 — währt beut zu Tage ein Bild der Öde und Verlas- senheit. Immer war es nicht so. Einst bewegten sich hier Völker, die eine höhere Stufe der Cultur erreicht hatten, als die wilden Völker, die jetzt in zerstreuten Familien schüchtern umherirren. Die Ebenen der Guaina-Savänen sind mit Felsen bedeckt, die aus dem härtesten Granite bestehen. Diese Fel- sen sind mit rohen Sculpturen bedeckt, welche Bil- der von Sonne, Blond und Sterne, von Land- und Wasserthieren darstellen, und auf ein Volk hindeu- ten , wovon die wilden Banden nur noch traurige Überreste sind. Diese Sculpturen gleichen, in einem Umfange von mehreren tausend Quadrat- Meilen vollkommen denen , welche wir schon oben an der Mündung des Apure erwähnt haben. Weiter öst- lich trifft man in der Ebene des Cassiquiare und Conorichite, in einer Entfernung von i5o Meilen, ebenfalls diese Hieroglyphen in den Felsen an. Es sind keine Buchstaben , sondern unförmliche rohe Figuren, welche Himmelskörper, Tiger, Krokodille, Boas-Schlangen und zur Bereitung des ManiocMehls dienliche Werkzeuge darstellen. Die Bedeutung die. »er Bildwerke, die Art ihrer Entstehung und wer die Urheber waren, wird wohl immer in Dunkel ge- hüllt bleiben; für den Forscher der Menschen - Ge- schichte haben sie jedoch Wichtigkeit. Diese Denk- mäler scheinen dem Bergthale von Esmeralda eigen, thümlich. Sie finden sich im Hafen von Sedenno bis an die Gestade des Caura, wo der Granit nackt zu Tage liegt. Die Tamanaken-Völker, als die alten — 133 — Bewohner des Landes, erhalten auch hier eine alte Sage, die sich auf diese Gegenden bezieht, und mit allen Überlieferungen , die auf die Erneuung des Menschengeschlechtes Bezug haben, in Übereinstim- mung ist. Amalivaca , der Vater der Tamanaken (das will sagen: der Schöpfer des Menschenge- schlechts; denn jedes Volk hält sich für den Urstamm der Menschheit), traf zur Zeit der grofsen Über- schwemmungen in einer Barke ein. Diese Zeit heifst die Wasserzeit, als die Fluthen des Oceans sich im Binnenlandc an den Bergen von Esmeralda zerschlu- gen. Damals ertranken alle Menschen, mit Ausnahme eines Mannes und eines Weibes , die sich auf einen unweit von den Gestaden des Asiveru oder Cuchiveru befindlichen Berg flüchteten. Dieser Berg ist also auch hier wieder ein Ararat. Amalivaca hat auf seiner Fahrt in der Barke die Bilder in die genial- nen Felsen eingehauen. Die über einander ge- thürmten Granitblöcke heifsen noch heut zu Tage Haus oder Wohnung des Ahnherrn der Tamanaken (Amalivaca Chambural). Unfern von dieser Hütte wird in der Ebene von Maita ein grofser Stein ge- zeigt, welcher Amalivaca's Trommel gewesen ist. Diese Person hatte in der Heldenzeit einen Bruder, Vochi genannt, welcher dem Amalivaca Hülfe lei- stete, um der Erde ihre gegenwärtige Gestalt zu geben. Diese zwei Brüder wollten dem Flusse Ori- noko die Einrichtung geben , dafs die eine Seite des Stromes aufwärts, die andere abwärts flöfse, was ihnen jedoch bei aller ihrer Gewalt unmöglich war. — 1-4 — Amalivaca "hatte mehrere Töchter, die grofse Nei- gung für Reisen hatten , und denen er daher die Beine /erschlug, um sie an ein beständiges Leben zu gewöhnen, und zu zwingen, das Land der Ta- manaken zu bevölkern. Nachdem Amalivaca hier diesseits des grofsen Wassers in Amerika alles voll- bracht hatte, schiffte er sich wieder ein, und kehrte an das andere Ufer, von welchem er hergekommen war, wieder zurück. Seit die Eingebornen von Mis- sionären besucht worden, bilden sie sich ein, Eu- ropa sey das andere Land, und sie fragten sogar den Pater Gilt, ob er den Amalivaca , den Vater der Tamanaken , von dem diese Bilder auf dem Fel- sen herrühren, gesehen habe. Ahnliche Sagen findet man im ganzen Amerika, und sie schliefsen sich an die der alten Welt zu sehr an, um nicht in ihrer Verstümmelung eine und dieselbe Offenbarung zu erkennen. Die Grundzüge bleiben immer dieselben. Und was die heilige Urkunde der Bibel so rein und wahrhaft aufbewahrt hat, finden wir, wenn gleich mannigfaltig entstellt, doch in seinen Grundzügen sehr deutlich, bei allen Völkern der En'e wieder. Diese Angaben von einer grofsen Wasserfluth und einem geretteten Menschenpaare , welches die Früchte der Mauritia rücklings warf, um die Erde auf's neue zu bevölkern; diese National - Gottheit, Amalivaca , die über Wasser aus einem fremden Lande herkommt, der Natur Gesetze vorschreibt, und die Völker auf ihre Wanderungen zu verzich- ten zwingt; diese verschiedenen Züge einer alten — 135 — Glaubenslehre verdienen Aufmerksamkeit. Was die Tamanaken erzählen, dürfte von andern Völkern, die vor ihnen dies Land bewohnten , auf sie über- gegangen seyn. Amalivaca ist jedoch nicht der grofse Geist oder der Alte vom Himmel , sondern eine Person der Heldenzeit. Bei allen Völkern ver- menschlichen sich die Götter, und alle bekennen eine Offenbarung der Gottheit. Diese geschieht auf zweierlei Art. Bald steigen die Gottheiten auf die Erde nieder , und werden Gesetzgeber und Einrich- ter der Staaten, wie im Morgenlande ; bald sind es, wie bei den Griechen und abendländischen Völkern, Priesterkönige , denen man die Menschlichkeit ab- streift, um sie zu National - Gottheiten zu erheben. Amalivaca war ein Ausländer, wie Manko - Kap ak, Bohica und Quetzalcoliuatl. Diese aufserordentlichen Menschen, die im alpinischen oder civilisirten Theile von Amerika, auf dem Plateau von Peru, Neu- Gra- nada und Anahuak die Einrichtungen der bürger- lichen Gesellschaft getroffen, die Opferungen ange- ordnet, die Religions - Orden gestiftet haben. Der Mexikaner, Quetzalcoliuatl, dessen Abkömmlinge Monieziuna in den Gefährten des Cortez zu erkennen geglaubt hatte , stellte noch eine Ähnlichkeit mehr mit Amalivaca dar. Im hohen Alter verliefs der Oberpriester von Thula die Landschaft Anahuak, die er mit seinen Wundern erfüllt hatte, um in ein un- bekanntes Land, Tlapelan genannt, zurückzukehren. Als der Mönch Bernhard in Mexiko eintraf, wurde er daselbst eben so gefragt : ob er Quetzalcoliuatl — 136 — gesehen habe , wie man zweihundert Jahre spater den Pater Gili in Hinsicht auf Anial'waca befragte. Vom 24. bis 27. Mai hatten sie nur zwei Mal am Lande übernachtet. Da der Flufs hlippenfrei ist, so hatten sie sich ganz demselben überlassen. Ein- mal landeten sie in der Mission Santa Barbara, einem kleinen Dorfe von 120 Einwohnern , wo einigerGe- werbfleifs angetroffen wird, der jedoch nicht den Eingebornen , sondern, wie überall in den Missio- nen , dem Missionär zu Gute kommt. Es gibt hier auch einiges Hornvieh, welches man jedoch nicht zum Treten der Mühlen verwendet, als wo Indianer gebraucht werden. Die Weiden der Ebenen von St. Barbara sind nicht so fett, als inEsmeralda, aber doch besser, als in San Fernando. Am 26. verlies- sen sie St. Barbara, wo die Indianer beschäftiget waren, dem Missionär ein Haus zu bauen. Sie fuh- ren nun abwärts , und die Fahrt ging schnell von Statten. Den ganzen Tag hatten sie die reizenden Berge von Sipapo, die nordwestlich sich auf i8Mei- len erstrecken , vor Augen. In dieser Gegend ist der Pflanzenwuchs üppig und durch Mannigfaltigkeit schön und reizend. Die Nacht über bivahiren sie auf der Insel Minisi und trafen am 27. Mai wieder in San Fernando de Atabapo ein. Einen Monat vor- her hatten sie dasselbe Haus des Missionärs bewohnt, jetzt bewohnten sie es wieder, nachdem sie eine grofse, gefahrvolle Reise vollbracht hatten. Der Aufenthalt in diesem reizenden Dorfe , unter dem Schatten der Pfirsich Palme, dauerte nur einen Tag. — 137 — Es wurde verschiedentlich von dcrMission und ihren bessern Einrichtung gesprochen, und die Hütten der Indianer besucht. Um diese Hütten, die übri- gens sehr rein zu seyn pflegen , flogen zahme Pau- lis herum, und Affen gehörten zu den Hausthieren. Unter diesen letztern trafen sie auch eine neue Art an, die sich durch ibren schönen Pelz und gelehrige Sanftheit auszeichnet. Am 27. Mai setzten sie ihre Reise fort. Sie rei- seten nun schon wie durch ein bekanntes Land, und gelangten so nach Maypures , wo sie zwei Tage ver- weilten , um die Pirogue durch die Cataracten füh- ren zu lassen. Der Pater Zea war hier zu Hause, und wollte nun noch unsere Freunde bis Atures be- gleiten mit sieben Indianern. Der Indianer Zercpe aber, der auf der Tortuga - Insel die Schläge bekom- men hatte, war sehr traurig. Er hatte seine Ge- liebte durch die Reise eingebüfst , welche er hei- rathen wollte, und die jetzt für ihn verloren ging. Er war in Maypures geboren, und bei seinen Ver- wandten vom Stamme der Macos in der Wildnifs erzogen worden. Er halte ein zwölfjähriges Mäd- chen mit in die Mission gebracht, und wollte es nach seiner Rückkehr von den Reisen mit unsern Freunden heirathen. Der jungen Indiancrinn kam das Leben in der Mission sehr langweilig vor. Es ward ihr gesagt, die Weifsen zögen in das Land der Portugiesen, und nähmen Zerepe mit sich. Hie- durch in ihren Hoffnungen getäuscht , bemächtigt sie sich eines Rahns, setzt in Begleitung einer ihrer — 138 — Gefährtinnen über das Raudal, und flüchtet cd Monte, um wieder zu den Ihrigen zu kommen. Die Erzäh- lung dieser muthvollen That war die grofse Neuig- keit des Ortes. Indefs dauerte Zcrepe's Niederge- schlagenheit nicht lange. Er dünkte sich vornehmer zu seyn , als ein gewöhnlicher Wilder, weil er christlich geboren war und castilianiscb sprach, und mochte daher ein Mädchen der Wildnifs leicht ver- gessen. Siebentes Kapitel. Die Höhle von Ataruipe. — Reise nach Carichana. Da die folgende Beschreibung zu den schönsten Theilen der Reiseberichte des Herrn von Humboldt gehört, so wage ich es nicht, einen Auszug davon zu geben, sondern will sie lieber wörtlich einschal- ten, aus Furcht, das schöne Gemälde möchte zu viel von seinem Reize einbüfsen. Der Bericht über eine sehr wichtige Sache ist folgender. »Am 3i. Mai kamen wir bei den Rapides der Guahibos und von Garcita vorbei. Die mitten aus dem Strome sich erhebenden Inseln glänzten im schönsten Grün. Die Winterregen hatten die Blu- menscheiden der Vadgiai - Palmen entwickelt, deren Bilder senkrecht emporstehen. Man mag der An- sichten nicht satt werden , wo Bäume und Felsen der Landschaft einen grofsen und ernsten Charak- ter ertheilen, welchen man im Hintergrunde der — 139 — Gemälde von Titian und Poussin bewundert. Kur/, vor Sonnenuntergang landeten wir am östlichen Ufer des Orinoko bei Puerta de la Expedition. Es ge- schah dies in der Absicht, die Höhle von Ataruipe zu untersuchen, von der früher schon die Rede war, und die das Begräbnifs eines ganzen untergegange- nen Volkes zu seyn scheint. Ich will versuchen, diese unter den Landeseingebornen berühmte Höhle zu beschreiben. »Mühsam und nicht ohne einige Gefahr ersteigt man einen steilen und völlig nackten Granitfels. Fast unmöglich liefse sich auf der glatten und stark ge- neigten Oberfläche der Fufs festhalten , wenn nicht grofse Feldspathkrystalle, die der Zersetzung wi- derstehen , aus dem Felsen hervorragten , und dem Fufse Stützpunkte darböten. Sobald wir den Gipfel erstiegen hatten , überraschte uns die aufserordent- liche Ansicht der umliegenden Landschaft. Das schäumende Wasserbett ist mit einem von Palm- bäumen bewachsenen Insel - Archipelagus angefüllt. Westwärts am linken Ufer des Orinoko dehnen sich die Savancn von Meta und Casanare aus. Das Ganze glich einem Meere vom schönsten Grün, dessen neb- lichter Horizont von den Strahlen der untergehenden Sonne erleuchtet war. Dieses, wie eine Feuerkugel, über der Ebene schwebende Gestirn, dieser abge* sondert stehende Pik von Uniana , der um so höher erschien, da seine Umrisse in Dünste eingehüllt, wie verwischt waren: alles trug dazu bei, die Scene erhaben zu machen. Unsere Blicke tauchten gleich- — 140 — sam unter in dem nahen, tiefen und allseitig geschlos- senenThale, Raubvögel undNaclitschwalben schwärm- ten einzeln durch den unzugänglichen Kreisraum. Mit Vergnügen folgten unsere Blicke ihren beweg- lichen Schatten, welche langsam über die Felsen- abbänge hingleiteten. »Über einen schmalen Kamm gelangten wir auf einen benachbarten Weg, dessen abgerundeter Gi- pfel ungeheure Granitblöeke trug. Ihre Massen ha- ben über 4° bis 5o Fufs Durchmesser, und ihre Form ist so kugelrund, dafs sie den Boden nur mit wenigen Funkten ihrer Oberfläche zu berühren schei- nen, und man glauben sollte, schon der geringste Stofs eines Erdbebens müfste hinreichen, um sie in einen Abgrund zu wälzen. Ich erinnere mich nicht, eine ähnliche Erscheinung, mitten unter den Zer- setzungen, welche die granitischen Gebirgsarten darbieten , irgendwo gesehen zu haben. Würden diese Steinkugeln auf einer verschiedenartigen Ge- birgsart aufliegen, wie bei den Jurablöcken der Fall ist, so liefse sich annehmen, sie wären entweder durch die Wirkung des Gewässers abgerundet oder durch die Kraft einer elastischen Flüssigkeit ge- schleudert, aber ihr Vorkommen auf dem Gipfel eines gleichfalls granitischen Hügels macht wahr- scheinlicher -, dafs sie ihren Ursprung einer fort- schreitenden Zersetzung des Gebirges verdanken. »Der hinterste Theil des Thaies ist mit dichter Waldung besetzt. In dieser schattigen und einsamen Gegend, am steilen Abhänge eines Berges, öffnet — 141 — sich die Höhle von Ataruipe. Es ist aber nicht so sehr eine Höhle, als ein vorstehender Fels, in wel- chen die Wasser eine Vertiefung eingegraben haben, zur Zeit , wo sie bei frühern Umwälzungen unsers Planeten diese Höhe erreichten. In dieser Grab- stätte einer verschwundenen Tölherschaft zählten wir in kurzer Zeit über 5oo wohlerhaltene und re- gelmäfsig geordnete Gerippe, dafs man sich in Hin- sicht ihrer Zahl nicht leicht irren mochte. Jedes Gerippe liegt in einer Art Körbe , welche aus Blatt- stielen von Palmbäumen geflochten sind. Die Ein- wohner nennen diese Körbe Mapires und sie haben die Gestalt eines vierechigen Saches. Ihre Gröfse ist verschieden, nach dem Alter der Leichen; es fin- den sich auch solche, die für todtgeborne Kinder be- stimmt waren; wir haben von joZoII bis auf 3 Fufs 4 Zoll lange gesehen. Alle diese in sich selbst ge- krümmten Skelette sind dermafsen vollständig, dafs ihnen keine Rippe und kein Glied fehlt. Die Kno- chen sind auf drei verschiedene Arten zubereitet, entweder an Luft und Sonne gebleicht, oder mit Onotö , einem aus der Bixa orellana gezogenen Fär- bestofT, rolh gefärbt, oder gleich wirklichen Mu- mien mit wohlriechenden Harzen überzogen , und in Heliconien- und Pisang - Blätter gewickelt. Die Indianer erzählten uns: die Leichen werden erst in den feuchten Boden gelegt, damit die fleischigen Theile sich allmählig zersetzen. Nach einigen Mo- naten gräbt man siewieder aus , um die noch an den Knochen befindlichen weichen Theile mit ge- — 142 — wetzten Steinen vollends abzuschaben. Verschie- dene Horden in Guyana befolgen diese Sitte jetzt noch. In der Nähe der Mapires oder Körbe finden sich halbgebrannte Thongefäfse, welche die Knochen einer ganzen Familie zu enthalten scheinen. Die gröfsten dieser Gefäfse oder Todten-Urnen sind drei Fufs hoch und 4 Fufs 3 Zoll lang. Ihre Farbe ist graulich grün und ihre Gestalt ein gefälliges Eirund. Die Henkel haben die Form von Krokodilltn oder Schlangen; der Rand ist mit Mäandern, Labyrinthen und eigentlichen Grckken aus verschiedentlich zu- sammengesetzten geraden Linien verziert. Solche Zeichnungen finden sich unter allen Zonen, bei Völ- kern , die von einander am weitesten entfernt sind, sowohl hinsichtlich auf ihren Wohnsitz , als in Be- zug auf den Grad von Cultur, welche sie erreicht haben. Noch heut zu Tage tragen die Bewohner der kleinen Mission vonMaypures diese Zeichnungen auf ihre gemeinste Töpferwaare j sie dienen dem Schilde der Otaheiter, den Fischergeräthcn der Es- kimos, den Mauern des mexikanischen Pallastes von Witla und den Gefäfsen von Grofs - Griechenland gleich mäfsig zum Schmucke. Eine rythmische Wie- derholung der nämlichen Form erfreut das Auge überall , wie die taktmäfsige Wiederholung der Töne dem Ohre gefällig ist. Analogien, welche ih- ren Grund in den Gefühlen der Menschenbrust und in den natürlichen Anlagen unsers Verstandes haben, können sich nicht eignen über Herkunft und frühere Verhältnisse der Völker Aufschlüsse zu geben. — 145 — »Wir mochten zu keiner bestimmten Meinung über den Zeitpunkt des Ursprungs der Mapires und der bemalten Töpfe gelangen, die sich in der Beingrotte vonAtaruipe vorfinden. Die meisten scheinen nicht über ein Jahrhundert alt; es ist jedoch wahrschein- lich, dafs unter dem Einflüsse einer gleichförmigen Temperatur und in Ermanglung aller Feuchtigkeit, die Erhaltung dieser Dinge auch in viel längerer Zeit gleich vollkommen seyn müfste. Einer unter den Guabibos Indianern vorhandenen Überlieferung zufolge , sollen die kriegerischen Atures durch die Cariben verfolgt, sich auf die in der Mitte der gros- sen Catarakten befindlichen Felsen geflüchtet haben. Hier ist diese vorhin so zahlreiche Nation und mit ihr zugleich ihre Sprache allmählich erloschen, Die letzten Familien der Atures haben noch im Jahre 1767 gelebt, zur Zeit des Missionärs Gili. Im Zeit- punkte unserer Reise ( der Umstand scheint bemer- kenswerth ) wurde in Maypures ein alter Papagei gezeigt, von dem die Einwohner bezeugten, man verstehe nicht, was er sage, weil er die Atures- Sprache rede.« Die Reisenden öffneten nun mehrere Rörbe , um die Schädel zu untersuchen. Die Indianer sahen das ungern , es beleidigte mit Recht ihr Zartgefühl, die Gebeine ihrer Vorältcrn beunruhigt zu sehen. »Wir wählten« , fährt Herr von Humboldt fort, »in der Grotte von Ataruipe mehrere Schädel, ein Kinder-Skelett von 6 bis 7 Jahren, und zwei Skelette von Erwachsenen, aus der Atures- Familie. Diese — 144 — Knochen, alle zum Theil roth gefärbt, zum Thcil mit wohlriechenden Harzen überzogen, waren in eben den Körben enthalten, die wir so eben be- schrieben haben. Sie machten fast eine ganze Maul- thierladung aus , und da uns der Eingebornen aber- gläubischer Abscheu vor Leichen, nachdem diese einmal beerdigt sind, bekannt war, so unterließen wir nicht, die Canastos in frisch geflochtene Matten einzuwickeln. Diese Vorsicht war jedoch zu unserm Leidwesen durch den Scharfsinn und den ausneh- mend feinen Geruch der Indianer unnütz. Allent- halben wo wir Halt machten , in der Mission der Cariben , mitten in den Llannos, zwischen Ango- stura imd Neu - Barcellona , sammelten sich die Ein- gebornen um unsere Maultbiere, durch die Affen angelockt, welche wir am Orinoko gekauft hatten. Kaum aber hatten diese guten Leute unsere Ladung berührt, so verkündeten sie die nahe Einbufse des Saumviehes , das die Todten trüge. Umsonst ver- sicherten wir sie, ihre Muthmafsung sey irrig, in- dem die Körbe Gebeine von Krokodillen und See- kühen enthielten; sie blieben bei ihrer Behauptung » es seyen von ihren Voreltern und sie riechen das Harz der Skelette.« »Es kostete alles Ansehen der Ordensleute, um Maulthiere zu erlangen, und bei allen dem ging die ganze Sammlung in dem schon im ersten Theile er- wähnten Schiffbruche verloren, der auch jenem jun- gen Ordensmann, JuanGonsalez, das Leben kostete. » Stillen Betrachtungen dahin gegeben, vcrliefsen — 145 — sie die Grotte. Es war eine der ruhigen und hei- tern Tropen .Nächte ; mild funkelten die Sterne und die Nebelgestirne des südlichen Himmels kamen der Phantasie zu Hülfe. In der Luft verbreiteten eine zahllose Menge leuchtender Insekten ein röthliches Licht, und man glaubte sich plötzlich in eine höhere Welt, oben und unten von Sternen umringt, ver- setzt. Sie blieben daher am Ausgange der Grotte wie bezaubert stehen, um diesen aufserordentlichen Anblick zu geniefsen. Den Eingang der Grotte zier- ten Palmen, von wohlriechenden Vanillien und Bi- gonien umsponnen. Ziemlich spät trafen sie in der Mission ein. Ihre Phantasie war lebhaft angeregt, und schweifte durch die ganze Welt und alle Vergangenheiten, mit denen sie der gehabte Anblick in Berührung brachte. So ist der Mensch ein Spiel seiner Phantasie ! Weh- müthige Sehnsucht erhebt seine Brust, er trauert über Gräbern und Mumiensärgen der Vorwelt , der er doch selbst im nächsten Augnbelicke angehört ! Solche Grotten mögen sich am Orinoko wohl noch mehrere befinden, ohne dafs jedoch ihre Ent- deckung und Erforschung zu wichtigen Ergebnis- sen führen könnten. Übrigens haben die amerika- nischen Völker eine sehr grofse Anhänglichkeit an diese Grabstätten ihrer Vorfahren, und sind darin gleich allen Völkern, bei denen Verfeinerung die Gefühle der Natur noch nicht erstickt hat. In Atures verweilten die Beisenden nur so lange, als nöthig war, die Pirogue , deren Boden schon llibl. naturh. Reisen. IV. m — 146 — sehr dünn geworden war, durch die Cataracten zu bringen. Der Missionär Zea , der durch zwei Mo- nate ihr Begleiter gewesen war, nahm hier Abschied, Er hatte sein Wechselfieber nicht verloren, aber es war ihm zur Gewohnheit geworden. In Atures aber waren seit ihrer ersten Durchreise Fieber schlim- merer Art eingerissen. Die Einwohner konnten ihre Hängematten nicht verlassen, und um etwas Cassave- Brot zu erhalten , mufste man einen benachbarten Stamm kommen lassen. Die edlen Fremdlinge waren bis jetzt in diesem fieberreichen Lande noch immer von dieser Krankheit verschont geblieben, Sie besuchten nun nochmals die Cataracten. Brau« send stürzt das Wasser über die Dämme hinab, und inwendig stürzt es mit dumpfem Getöse rückwärts. Sie fanden einen ansehnlichen Theil des Orinoko ausgetrocknet, weil sich das Wasser unterirdische Canäle geöffnet hatte. Hier nistet der goldgefiederte Manakin , einer der schönsten Tropenvögel. Sie stiegen in eine der Höhlen hinab, und jetzt rollte der Flufs seine Gewässer über ihre Köpfe. Er sah einem gegen die Felswand brausenden Meere gleich. Am Eingange der Grotte konnte man trocken stehen unter dem niederstürzenden Wasserbogen. Sie ge- nossen hier nochmals den Anblick dieses Cascaden- meeres , dieser meilenlang andauernden Catarakten, und zwar länger , als es ihnen lieb war. Das Boot hatte nämlich einen langen Umweg zu machen, um sie wieder einzuholen , und die Fahrt fortzusetzen. Schon hatten sie anderthalb Stunden gewartet, und — 147 — noch war es nicht da ; sie glaubten daher, das Boot sey zerschellt, und die Indianer, nach ihrer sorg- losen Art , in die Mission zurückgekehrt. Zudem kam ein heftiges Gewitter, der Regen schofs in Strö- men herab und die Nacht brach ein. Herr Bonpland wollte durch die Cataracten schwimmen, um in der Mission Hülfe zu suchen, und konnte nur mit Mühe zurückgehalten werden. Zwischen den heftigen Wirbeln konnte er verunglücken, und zugleich zeigte es sich, dafs die Krokodille die Wasserfälle nicht so scheuen, als es bei der Auffahrt den Anschein hatte. Als nämlich das Gewitter ausbrach , fingen die auf der Insel ausgeschifften Affen zu heulen an, und sogleich stellten sich zwei grofse Krokodille ein, die durch ihre Bleifarbe ihr grofses Alter be- urkundeten. Die Reisenden sahen nun, dafs es sehr unvorsichtig war , bei ihrer Auffahrt in dem Orinoko zu baden. Endlich kam bei einbrechender Nacht die Pirogue glücklich an, sie schifften sich ein, und erreichten das Nachtlager auf der Insel Panu- mana , wo sie bei der Auffahrt Limonade gemacht hatten. Den andern Tag schifften sie die Mission San Borja vorbei , und gelangten nach Carichana , wo sie der Missionär als alte Bekannte empfing. Hier gelang es Herrn Bonpland , eine neun Fufs lange Seekuh zu zergliedern. Es war ein weibliches Thier, dessen Fleisch dem Ochsenfleische glich. Die Piraoas - Indianer, wovon einige Familien in Carichana wohn- ten, verabscheuen dieses Thier so sehr, dafs sie — 148 — die Höhle verlicfsen, um nichts davon berühren zu müssen. Sie behaupten, dafs wer von ihrem Stamme davon essen würde, müfste unfehlbar sterben. Die- ses Vorurtheil ist um so auffallender, als ihre Kachbarn dasselbe Thier als einen Leckerbissen be- trachten. Achtes Kapitel. Mission von Carichana. — Mission Uruana. — Die Otomalien oder Erdfresser, Nach so grofsen Mühseligkeiten war unsern wifs- begierigen Forschern gewifs eine kleine Ruhe herz- lich zu gönnen, allein Herr Bonpland , der den Keim einer schweren Krankheit in sich trug, ver- mochte nicht dem Triebe zu widerstehen, in den schönen und reichen Wäldern und an denFlufsmün- dungen zu herborisiren, wo er dann des Tags mehr- mal bis auf die Haut durehnäfsf wurde. Im Hause des Missionärs waren sie gut beherbergt. Sie fanden hier Maismehl und sogar Milch. Die Kühe geben Überflufs in den niedern Gegenden der heifsenZone, wo hinlängliche und gute Weide vorhanden ist. Man ist aber übrigens hier, wo ursprünglich kein Horn- vieh war, so gleichgültig gegen Milchspeisen, wie in China und Asien, das unter gleicher Breite liegt. Woher mag diese Gleichgültigkeit kommen? In Ame- rika liefse es sich erklären , aus der frühem Ab- wesenheit des Hornviehs ) aber nicht so leicht läfst — 149 — es sich bei den Chinesen erklären , die ursprüng- lich ein Hirtenvolk gewesen sind. In zwei Tagen gelangten sie von Carichana nach der Mission Uruana. Diese Mission hat eine sehr malerische Lage, indem sie an einen Granitberg an- gelehnt ist. Aus dem Walde und über dem höch- sten Gipfel der Berge stehen die Granitsäulen, wie Pfeiler empor. Nirgend gewährt der Orinoko ein majestätischeres Ansehen. Seine Breite beträgt hier über 2600 Toisen , indem er seine Richtung gerade nach Osten nimmt, was ihm , da er hier nur einen Wasserspiegel bildet, das Ansehen eines Canals gibt, der von Giganten erbaut ist. Die Mission Uruana wird von Otomaken bewohnt, einem Völkerstamme, der sich vor andern durch Rohheit auszeichnet, und eine der merkwürdigsten Erscheinungen darbietet. DieOtomaken sind Erdfresser, d.h. sie verschlu- cken mehrere Monate lang täglich sehr ansehnliche Portionen davon , um ihren Hunger zu stillen , und ohne den geringsten Nachtheil für ihre Gesundheit daraus zu verspüren. Dieses ist eine unbestreitbare Thatsache. Herr von Humboldt sah in Uruana in den Hütten der Indianer die Art der Bereitung die ser Erde, die gesammelten Vorräthe und die Por- tionen, welche innerhalb 24 Stunden verschluckt werden. Die Otomaken sind übrigens nicht das ein- zige Volk, welches am Orinoko Erde verspeist, auch bei den Guamas finden sich Spuren dieser un- gewöhnlichen Efslust, und zwischen dem Meta und Apure spricht man von der Geophagie oder Erd- — 150 — esscrei , als einer von Alters her bekannten That- sache. Die Otomaken sind ein Volk der Savancn , wel- che für die Sittigung weniger, als die Völker der Wälder empfänglich sind, für Ackerbau wenig Sinn zeigen, und blos von der Jagd und dem Fischfange leben. Es sind häfsliche Menschen, aber von festem Körperbaue, wild, rachsüchtig und leidenschaftliche Liebhaber gegohrner Getränke. Sie sind im eigent- lichsten Sinne : Allesfresser. Sie werden von den übrigen Indianern sogar als Wilde betrachtet, und es geht die Sage, dafs es nichts Ekelhaftes gebe, das ein Otomake nicht esse. So lange die Gewässer des Orinoko niedrig stehen, .nähren sie sich von Fischen und Schildkröten. Sie wissen die Fische sehr ge- schickt mit Pfeilen zu durchbohren , sobald sie sich auf der Oberfläche des Wassers sehen lassen. So- bald jedoch das Steigen der Ströme , das man übri- gens dem Schmelzen des Schnees zuschreibt, be- ginnt, so höret der Fischfang auf. Es hält dann eben so schwer, sich Fische zu verschaffen, als auf offener See, und den armen Missionären mangeln sie alsdann oftmals sogar für die Fasttage. Wäh- rend dieser Überschwemmung nun , die zwei bis drei Monate dauert, verschlucken die Otomaken eine ungeheure Portion Erde. In ihren Hütten lie- gen Vorräthe aufgehäuft, die drei bis vier Fufs hohe Pyramiden bilden, in Kugeln von 5 bis 6 Zoll Durch- messer. Sie essen jedoch nicht jede Erde, sondern die, welche von ihnen gespeiset wird _, besteht in — 151 — einem graugelben, sein- feinen, schmierigen Thon. Die KJöfse werden etwas im Feuer gebraten und haben daher ein röthliches Aussehen. Sie wählen den Thon sorgfältig aus, und nehmen nur diejeni- gen Lager, welche den feinsten und schmierigsten Thon enthalten. Sic essen diese Erde nicht nur wäh- rend der nassen Jahreszeit, sondern mischen allen ihren Speisen etwas von dieser Thonerde bei. Die- ses Erdeessen ist aber ihrer Gesundheit gar nicht nachtheilig, sie sind dabei im Gegentheile kräftig, und bekommen auch keinen aufgetriebenen harten. Bauch davon. Man hat geglaubt, dafs sie demThone Schildkröten- und Krokodillenfett beimischen ; es hat sich jedoch dieses keineswegs bestätigt. Es sind aber nicht die Otomaken allein, wel- che Erde essen , man trifft diese Neigung und Lust, einen fetten Thon zu essen, ziemlich allgemein in der heifsen Zone an. Man ist öfter den Kindern die Hände fest zu binden oder sie einzusperren ge- zwungen , um sie am Erdeessen zu hindern. Am Magdalenenstrome , im Dorfe Banco , hat Herr von Humboldt Weiber gesehen, die, während sie Thon- gefäfse verfertigten, grofse Stücke dieses Materials verschlangen, mit der Behauptung: die Erde scy eine Speise , die gar keinen Nachtheil bringe. Auch in Afrika, an den Küsten von Guinea, speisen die Neger eine gelbe Erde, der sie den Namen Caouac geben. Die Sclaven , die nach Amerika gebracht werden , suchen sich denselben Genufs zu verschaf- fen; aber hier ist ihnen derselbe nachtheilig, ob* — 152 — gleich sie sich selbst durch Peitschenhiebe nicht ab- halten lassen. Sie sagen: »die Erde auf den Antil- len lasse sich nicht so gut verdauen, als die ihres eigenen Landes.« Auch auf den asiatischen Inseln und besonders in Java ist das Erdeessen bekannt. Man verkauft daselbst kleine, viereckige, geröstete Thon-Bröd- chen , welche von den Landeseingeborncn gerne ge- kauft und gegessen werden. Doch essen diese Speise hier meist die Weiber, welche dadurch mager wer- den. Es gibt noch eine Menge Beispiele aus andern Gegenden der heifsen Zone , dafs die Sucht, Erde zu essen, bei diesen Völkern allgemeine Neigung sey , und dafs sie damit den Hunger stillen, ohne daraus Nachtheile für ihre Gesundheit zu verspüren. Es sind auch nicht einerlei Erden, welche genossen werden. Man nimmt dazu Kalk , Bitter- und Thon- Erden. In Deutschland selbst pflegen die Arbeiter in den Sandsteingruben des KifThäuser- Berges einen leinen Thon , welchen sie Steinbutter nennen, auf das Brot zu streichen , welchen sie für sehr nahr- haft und leicht verdaulich halten. Endlich findet man selbst bei Thieren , z. B. bei den Krokodillen und mehreren Vögeln , und selbst unsere zahmen Hausgeflügel, dafs sie mineralische Substanzen, und die Krokodille Granitstücke verschlingen. Bis jetzt ist es jedoch der Chemie noch nicht gelungen, in allen diesen Erdarten eine Substanz zu entdecken , welche als nährend für den mensch- lichen Körper angenommen werden könnte. Es ist — 153 — daher sehr schwer zu erklären , nie der Otomakc Monate lang Erde geniefst, ohne an Kraft oder Kör- perumfang abzunehmen. Er scheint sich also wirk- lich von Erde zu nähren, und dieses ist eine Er- fahrung, welche die Wissenschaft zu erklären bis jetzt durchaus unfähig ist. Die Verwaltung der kleinen Mission Uruana gibt demMissionär übrigens bei weiten mehr zu schaffen, als die übrigen Missionen. Die Otomaken sind ein unruhiges, lärmendes, von wilden Leidenschaften beherrschtes Volk. Sie sind dem übermäfsigen Ge- nüsse starker Getränke so sehr ergeben, dafssie, um sich in eine Art Wuth zu versetzen, aus den Samen- hülsen der Acacia Niopo ein Pulver bereiten , das eine Wahnsinn ähnliche Betäubung hervorbringt. Um das Narrenpulver zu bereiten, zerhacken sie die erwähnten Hülsen und lassen sie angefeuchtet gähren. Wenn die Masse schwarz wird, so kneten sie selbe zu einem Teige , und vermengen ihn mit Maniocmehl und einem aus Muscheln gebrannten Kalk, und lassen ihn bei ziemlicher Hitze auf einem Roste aus hartem Holze rösten. Wollen sie von die- sem Kuchen Gebrauch machen , d. p. närrisch wer- den , so pulverisiren sie denselben, streuen den Staub davon auf einen Teller, und ziehen ihn mit- telst eines gabelförmigen Vogelknochens in die Nase. Es raubt ihnen nun für einige Stunden den Ver- stand, und die Ausschweifungen sind dann denjeni- gen eines europäischen Trunkenbolds sehr ähnlich. Wenn man die eben erwähnte Art sich zu be- — 154 — ■ rauschen bedenkt, wenn man sieht, wie viele Mühe sich der Otomake gibt, dieser wilde Erdfresser, der den Boden , welchen zu bebauen er zu dumm und au faul ist, lieber auffrifst als bearbeitet; wenn, sage ich, man die rafFinirte und fein gekünstelte Art betrachtet, wie er seines Verstandes, wenn auch nur auf einige Stunden , sich zu entledigen sucht: so kann man wirklich des Unwillens gegen sein eigen Geschlecht sich kaum erwehren. Hat denn der Mensch gar so vielen Überflufs der köstlichen Gabe Gottes, der Vernunft, dafs er nicht genug eilen kann, um dieselbe los zu werden? Mit dem Aufwände von Nachdenken und Industrie, welchen derOtomake darauf verwendet, sich unter das Vieh herab zu entwürdigen, würde derselbe auslangen, um durch Bebauung seines Bodens und Benützung der Geschenke der Vorsehung, sich nach und nach zum Überflusse eines gemächlichen Lebens , zur Ci- vilisation und eben dadurch zum Ebenbildc Gottes emporzuschwingen. So gewifs ist es, dafs mit der Hälfte Mühe und Vernunftaufwand, den wir machen, um uns in's Verderben zu stürzen , wir auslangen würden, um die glücklichsten Menschen zu werden. Wir bemitleiden den rohen Otomaken seiner Ent- artung wegen \ allein man blicke auf unser glänzen- des Elend, wie wir das ganze Leben hindurch so geschäftig sind, uns eben dieses Leben sauer zu machen! Übrigens sind es nicht die Otomaken allein, wel- che sich durch Schnupfpulver verunreinigen ; am — 155 — Amazonenstrome sind die Omaguas, gebildeter zwar, aber mit den Otomaken gleichen Ursprungs und gleicher Sitten. Beide gebrauchen das Niopo oder den Tabak , beide essen Erde, beide bedienen sich auch zu verschiedenen Zwecken des Caoutchouc oder der zerronnenen Milch der Euphorbien und Urticeen. Was jedoch den Gebrauch des eigentlichen Ta- baks anlangt, so fand man ihn bei allen Völkern Amerika's überall, schon zur Zeit der Eroberung. Laster und Unarten vermehren sich, wie alles Un- kraut; nur die Tugenden müssen, wie Weizen und Reben , gepflegt werden. Nach Europa kam übri- gens die erste Tabakstaude, diese stinkende Gift- pflanze, im Jahre i55o, nicht aus Virginien oder Südamerika, sondern aus der mexikanischen Provinz Yucatan. Sir Walter Raleigh aber war es, der diese häfsliche Sitte des Tabakrauchens in England ein- führte. Auch dieses also eine Woblthat Englands ! Camden sagt daher in seinen Annalen der Königinn Elisabeth i585, Seite i45: »Seit jener Zeit fing der Gebrauch des Tabaks an überhand zu nehmen in England und sehr in Werth zu kommen , da die meisten den stinkenden (graveolentem) Rauch des- selben mittelst eines beinernenRöhrchens einsaugen, und sogleich wieder durch die Nase von sich geben, so sehr, dafs die Rörper der Engländer zum Na- turel der Barbaren ausgeartet scheinen, da sie sich gleich den Barbaren ergötzen.« Von den giftschnupfenden Trunkenbolden , den — 156 — Olomakcn, erzählte der Missionär noch Folgendes: Wenn sie durch den Gebrauch des Niopo und der gegohrnen Getränke in einen mehrere Tage andau- ernden Zustand von Trunkenheit versetzt sind, so bringen sie einander ohne Waffen um's Leben. Die bösartigsten unter ihnen vergiften sich den Nagel des Daumens mit Curare, und der blofse Eindruck des vergifteten Nagels kann tödtlich seyn, wenn das Gift recht kräftig ist, und der Blutmasse bei- gemischt wird. Wenn die Indianer bei einem Streite nächtlicher Weile einen Mord begehen , so werfen sie die Leiche in einen Strom , damit keine Spuren der verübten Gewalt daran entdeckt werden mögen. So oft ich, sagte der Pater Bueno , die Weiber an einer ungewohnten Stelle des Ufers Wasser schö- pfen sehe, so vermuthe ich, es sey ein Mord in meiner Mission vorgefallen. In den Hütten der Indianer von so eben be- schriebener Liebenswürdigkeit fanden die Reisen- den auch den sogenannten Ameisenzunder. Er ist ein blutstillendes Mittel , und wird von so unfried- lichen Trunkenbolden natürlich sehr gesucht. Er ist das Nest der Formica spinicollis, einerneuen Art Ameise von smaragdgrüner Farbe. Sie sammelt sich in ihre Wohnung den zarten und fein anzufüh- lenden Flaum einer Melastome. Dieses Ameisennest ist viel zarter, als das Ameisennest von Cayenne, welche in unsern europäischen Spitälern gebraucht werden und sehr schwer zu bekommen sind. Sie nahmen jetzt Abschied von dem Pater Bueno. — 157 — Es schien , als habe man hier absichtlich entgegen- gesetzte Extreme zusammengefügt. Der Pater Bueno war unter zehn Missionären , die sie angetroffen hatten, der Gebildetste und Vernünftigste. Er wufste das Ycrhältnifs der wilden Völker am gründlichsten zu beurtheilen , und war einer der ordentlichsten und besten Menschen, die man sich denken kann. Gerade ihm waren die Otomaken zu Theil gewor- den ! Das ist nun einmal das Schicksal ! Neuntes Kapitel. Reise nach Angostura. Nachdem sie Uruana verlassen hatten, übernach- teten sie auf der Insel Cucuruparu , welche eben- falls eine Schildkröten - Insel ist. An der Ostseite befindet sich die Einmündung des Canno de la Tor- tuga , welcher von den Bergen von Cerbatana , die stets in "Wolken gehüllt sind , herabkommt. Unfern von hier befindet sich die kleine, beinahe ganz zer- störte Mission San Miguel de la Tortuga. In der Nahe dieses kleinen Dörfleins befinden sich eine Menge Fischottern mit sehr feinem Haare , die von den Spaniern Wasserhunde genannt werden, und was noch merkwürdiger ist, zweifüfsige Eidechsen, vielleicht eine Siren lacertina. Aufser den Arau- Schildkröten gibt es zwischen Uruana und Encara- mada am Orinoko auch noch eine Menge Landschild- kröten, welche Morocoi heifsen. Die Thiere halten — 158 — ich zur Zeit der Dürre und Hitze , ohne 'Nahrung einzunehmen, unter Steinen oder in selbstgegrabe- nen Löchern verborgen. Die Terekay thun dasselbe. Es ist dieses der Sommerschlaf der Thiere der heis- sen Zone. Die Eingebornen kennen die Löcher, worin mitten im ausgedorrten Lande die Schildkrö- ten schlafen, und sie holen aus solchen, indem sie i5 bis 18 Zoll weit graben, oft eine grofse Anzahl nebst den Eiern hervor. Dieses ist jedoch nicht immer ohne Gefahr, denn nicht selten machen Schlan- gen mit den Schildkröten Gemeinschaft, indem sie sich mit einander vergraben. Von dieser Insel sind g5 Meilen bis Angostura, zu denen man neun Schiffahrttage braucht. Am 8. \va. ren sie wieder am Rio Apure , durch den sie zum ersten Male in den Orinoko eingefahren waren. Dies- mal fuhren sie den Apure vorbei. Sie landeten, der Mündung des Apure gegenüber, bei dem Meier- hofe San Rafael de Capuchina , der sehr malerisch gelegen ist. Wie kleine Inseln erheben sich Granit- felsen aus den weitläufigen Wiesengründen. Vom Gipfel dieser Granitklippen entdeckte das Auge die fernen Ebenen von Calabozo. Diese Steppe war nach einem so langen Aufenthalte in den Wäldern wieder neu und reizte die Phantasie mächtig auf. Die Steppe nahm bei Sonnenuntergang eine graulich grüne Farbe an ; da aus ihr die Sterne , wie aus dem Weltmeere, aufsteigen, so war es, als ob sie an einem Vorgebirge in die weite See hinaussähen. Diese Täuschung war ganz vollkommen. Der Be- — 159 — sitzer des Meierhofs war ein Franzose, hatte seine Sprache ganz vergessen , freute sich aber dennoch, Menschen zu sehen, die aus seiner Heimath harnen. Seit 4° Jahren war er aus Frankreich entfernt und die Revolution war ihm ganz unbekannt geblieben. Wenige Meilen von diesem Meierhofe befinden sich die kleinen Städte Caycara und Cabruto. Die Über- schwemmung macht den Meierhof zu einer Insel und schneidet alsdann denselben von der Gemeinschaft mit der Welt ab, das Rindvieh zieht sich sodann auf die kleinen Erhöhungen zurück. Endlich fing auch der Orinoko ein wenig belebt zu werden an; am 9. Juni sahen sie die ersten Piro- guen von Angostura heraufkommen, um, mit Kauf- mannswaaren beladen , in den Apure einzulaufen. Diese Wasserstrafse ist, was man in diesen Gegen- den lebhaft nennen kann, denn es kommen viele Fahrzeuge von Angostura und gehen in die Provinz Varinas nach Torunos. Hier trennte sich denn auch Herr Nicolaus Soto , der sie begleitet hatte, um in den Schoofs seiner Familie zurückzukehren. Unterhalb San Rafael steht eine kleine Anzahl Häuser beisammen , welche den vornehmen Namen Villa führen. Alle zwischen der Mündung des Apure und Angostura gelegene Städte sind jetzt auch der- lei elende Nester. Sie heifsen : Alta Gratia , la Ci- vidad de la Piedra, Real Corona, Borbon. Man pflegte in Madrid schon um den Titel einer Stadt nachzusuchen , wenn oft kaum der Grund zu einer Kirche gelegt war. Man wollte damit das Ministe- — 1Ö0 — riura von den schnellen Fortschritten und dem Wohl- stände dieser Colonien überzeugen. Nahe bei Caycara ist der Fels del Tyranno , so genannt von dem Eroberer Senndo. In diesen Fels sind die Bilder von Sonne und Mond eingehauen, von denen oben die Rede war. Es ist eine Arbeit der Alten, sagen die Eingeborncn. Man behauptet, es finden sich auf einem vom Gestade entfernten Felsen Decoma diese Bilder bis zu hundert Fufs Höhe. Vormals kannten die Indianer einen Land- weg, welcher von Caycara nach Demerare und Es- sequebo führte. Sollten vielleicht auf diesem Wege die Völkerschaften , welche diese Bilder in den Fel- sen gruben, an den Amucu-See gelangt seyn? Und sind diese Zeichen am Ende dennoch das rohe Werk wilder Völker, welche damit ihren Jagdbezirk und die Richtung ihrer Wege und Wanderungen bezeich- neten? Religiösen Zweck scheinen sie durchaus nicht zu haben, denn es gibt hier keinen Sterndienst; auch Cultur scheinen sie nicht zu verrathen , denn diese rohen Figuren brauchten nur Geduld und lange Weile, und diese haben die Waldmenschen im Überflusse. Von Caycara gelangten sie der Einmündung des Cuchivero vorbei, wo die Amazonen gewohnt haben sollen, nach Alta Gratia , und weiter unten an den Ort, wo sich der Orinoko ostwärts dreht. Hier sind auf der rechten Seite ununterbrochene Wälder und die nackten Steppen von Venezuela zur Linken. Je mehr man sich der Hauptstadt nähert, desto mehr — löi — nimmt auch die Bevölkerung zu. Man trifft wenige Indianer, aber desto mehrWeifse, Neger und Men- schen von gemischter Herkunft an. Die Zahl der Neger ist nur klein, und die Dürftigkeit ihrer Herrn bereitet ihnen ein trauriges und hartes Loos. Ein Bewohner von Caycara war erst vor kurzem zu vier- jährigem Gefängnisse und 100 Piaster Geldbufse ver- urtheilt worden, warum? — weil er vor kurzem im Zorne eine Negerinn mit den Füfsen an den Schweif seines Pferdes gebunden , und im schnellen Galopp durch die Savane zu Tode geschleift hatte ! — Die Audiencia ward jedoch allgemein dafür ge- tadelt, eine so gräuliche Frevelthat nicht schärfer bestraft zu haben. Es gab aber auch Personen, wel- che sich klüger dankten, und die Bestrafung eines Menschenmörders als unklug tadelten, weil sich die Neger in San Domingo damals im vollen Aufslande befanden. Wo alte Vorurtheile und Casteneinrichtungen be- droht sind, fehlt es nie an solchen Leuten, welche rathen , auch in den unvernünftigsten Dingen nicht nachzugeben. Seitdem sind jedoch in diesen Ge- genden keine Sclaven mehr. In Folge bürgerlicher Unruhen sind die Schwarzen bewaffnet worden, und viele traurige Erfahrungen lehrten die Sclavenherren es bereuen , den vernünftigen Vorschlägen edler Männer nicht gehorcht zu haben, welche anriethen, keine Sclaven mehr einzubringen und den vorhan- denen ein besseres Loos zu bereiten. Am 10, Junius hatten sie mitten im Flusse über- — 1Ö2 — nachtet, und harnen dann vor der Mündung des Rio Caura vorbei , der einer der bedeutendsten Zuflüsse des Orinoko ist. Nahe an der Einmündung des Flus- ses befanden sich mehrere christliche Niederlassun- gen, von denen jedoch die volkreichste auch nicht über 25o Seelen zählt. Auch ist hier San Luis, eine Colonie , theils freigelassener , theils flüchtiger Ne- ger von Esscquebo. Die Ufer des Rio Caura sind ausnehmend fruchtbar, auch finden sich daselbst "Weiden für i5,ooo Ochsen , aber die Rewohncr ha- ben Mangel an Hornvieh und 6/7 des Rodens sind öde, und nur mit einigen wilden Stämmen besetzt. Auch der Rio Caura hat zwei Cataracten , die von Mura und Para. Letztere kann nicht befahren wer- den , und es befindet sich anneben ein Landweg, worüber die Piroguen gewälzt werden. Man hat auch mehrere Missionen angelegt, die jedoch alle wieder eingegangen sind. Nahe an der Einmündung des Caura, zwischen den Dörfern San Pedro de Alcantara und San Francesko de Aripao , hat sich im Jahre 1790 in Folge eines Erdbebens durch einen Erdsturz ein See gebildet, der 400 Toisen Durch- messer hat. Es war ein Stück Wald , welches 80 bis looFufs unter das Erdreich versank. Die Räume blieben mehrere Monate grün, und man glaubte so- gar, einige haben unter dem Wasser frische Rlättcr getrieben. Es ist diese Thatsache um so merkwür- diger, als es vermuthlich granitischer Roden ist. Einst mag jedoch das schöne Thal von Caura sich — 1Ö3 — durch seine Lage und seine Erzeugnisse in eine wichtige und reiche Gegend verwandeln. Tiefer unten , zwischen den Städten la Piedra und Muniaco oder Real Corona , finden sich Wir- bel und Strudel: der Torno und der Höllenschlund. Früher fürchtete man die Rapides, welche man jetzt ohne Anstand vorüberfährt. Mitten imHöllen- schlunde landeten unsere Reisenden auf einer Insel die unter 670, 10' 3i" W. L. sich] befindet. Real Corona liegt unter 70, 5e/ 20" N. Br. Sie übernach- teten zu Mutiaco zum letzten Male im Freien ; die Fahrt dauerte jedoch noch zwei Tage bis Angostura. Die Fahrt auf diesem Wege ist überaus sanft. Der Strom bewegt seine ungeheure Wassermasse still und majestätisch dem Meere entgegen. Man hat bei dieser Fahrt durchaus nichts zu befürchten, aufser die natürlichen Flöfse, von denen oben die Rede war. Endlich sahen sie, nach vielenReschwerden von meh- reren Monaten, Angostura vor sich. Mit einem un- beschreiblichen Gefühle naheten sie sich der Stadt, es war gleichsam aus einem wilden Elemente ein rettender Eintritt in die civilisirte Welt. Die Be- schwerden hatten sich schon mehrere Tage zuvor vermindert. Man fand bessere Lebensmittel , und die Mosquitos hatten nach und nach sich verloren. In 75 Tagen hatten sie fünf grofse Flüsse, den Apure, den Orinoko, den Atabapo, den Rio Negro und den Cassiquiare in einer Länge von 5oo Meilen be- schilft. Nur selten hatten sie bewohnte Örter an- getroffen. Ihr Anzug war nach solchen Beschwerden — 164 — wohl nicht zum Besten bestellt, sie säumten jedoch nicht, dem Statthalter Felipe de Ynciarte ihre Auf- wartung zu machen. Er nahm sie mit vieler Zu- vorkommenheit auf, und wies ihnen bei dem Sekre- tär der Intendanz Wohnungen an. »Nach einem Aufenthalte in fast völligen Einöden war uns«, sagt Herr von Humboldt, » die Regsamkeit einer kleinen, 6000 Einwohner zählenden Stadt auf- fallend. Wir bewunderten die Menge Bequemlich- keiten , welche Industrie und Handel dem civilisir- ten Menschen gewähren. Einfache Wohnhäuser dünk- ten uns jetzt prächtig, und alle Menschen, mit denen wir sprachen , kamen uns geistreich vor. Lange Entbehrungen geben auch den kleinsten Genüssen Werth , und ich weifs das Vergnügen nicht auszu- drücken, womit wir zum ersten Male Weizenbrot an der Tafel des Statthalters erscheinen sahen. Man schätzt sich glücklich, wieder unter civilisirten Menschen zu leben ; doch mag diese Empfindung nur auf kurze Zeit diejenige der Wunderdinge, wo- durch die Natur den heifsen Erdstrich ausgeschmückt hat, verdrängen. Das Andenken erlittener Beschwer- den verschwindet bald, und kaum auf den von Eu- ropäern bewohnten Küsten eingetroffen , geht man mit neuen Planen zur Rückkehr in das Binnen- land um.« Ein sehr betrübter Zufall zwang sie jedoch einen ganzen Monat in Angostura zu verweilen. Die er- sten Tage sogleich fühlten sie Ermattung, und der Körper, welcher dem Schwünge des Geistes nach- — 1Ö5 — gegeben hatte , behauptete nun sein Recht. Fast am nämlichen Tage wurden beide durch das Fieber ihren Arbeiten entrissen, durch eine Krankheit, wel- che bei Herrn Bonpland sogleich den Charakter der Bösartigkeit annahm. Die Luft war jedoch damals inAngostura sehr gesund, und sie hatten daher den Keim der Krankheit in den nassen Gegenden des Cassiquiare gesammelt. Herr Bonpland , der sich rücksichtloser und mit dem ganzen Feuer, welches seinerNation eigen ist, dem Wetter und der Durch- nässung ausgesetzt, und sich weniger geschont hatte, mufste nun auch das Meiste leiden , und schwebte schnell am Rande des Grabes. Der Mulatten -Be- diente , der der Nässe am meisten ausgesetzt gewe- sen war, ward am neunten Tage für todt angesagt. Es war jedoch nur eine starke Ohnmacht , auf wel- che Genesung folgte. Herrn von Humboldt wurde beim ersten Anfalle Honig mit dem Extracte der China von Carony (cortex Angosturae) gereicht, das Fieber ward auf dieses Mittel heftiger, aber am zweiten Tage war es gänzlich verschwunden. Herr Bonpland war jedoch mehrere Wochen in einem sehr bedenk- lichen Zustande , aber zum Glücke so sehr bei Bewufstseyn, dafs er sich selbst behandeln konnte. Er wurde, was in den Tropenländern fast allezeit der Fall ist, von der Ruhr befallen, wodurch die Krankheit gefährlicher wurde. Herr Bonpland zeigte auch hier seinen gewöhnlichen Muth und eine Cha- rakter-Milde , die ihn nie verlassen hat. Herr von Humboldt machte jedoch betrübte Betrachtungen. — 166 — Unweit Angostura war Linne's Zögling , Löffling, gestorben, als Opfer seines Eifers für die Wissen- sehaften. Herrn Bonpland konnte es eben so gehen, und fast reuete es Herrn von Humboldt, die nassen Wälder durchwühlt zu haben, und nicht lieber nach Neu -Granada gewandert zu sevn. Endlich milderte sich das Fieber , nachdem die Schmerzen der Ein- geweide nachgelassen hatten , und langsam schritt er der Genesung entgegen, wie dieses bei dem nicht acclimatisirten Europäer allezeit der Fall ist. Sie mufsten daher, um die Wiedergenesung ab- zuwarten, bis 10. Juli in Angostura verweilen, weil es nicht rathsam war , früher in die Llannos sich zu wagen, zumal da die Regenzeit nahte und man in den Steppen oft nur auf gedörrtes Fleisch rech- nen durfte. Sie brachten demnach einen Theil der Zeit in einer Pflanzung zu, wo die Brotfrucht und der Mangobaum gezogen wurden. Die Brotfrucht- Bäume hatten hier in zehn Jahren schon 4° Fufs Höhe erreicht, und es gab Blätter von 3 Fufs Länge und 18 Zoll Breite. Angostura wurde seit Ende des sechzehnten Jahr- hunderts drei Mal gegründet. Die erste Stadt lag der Insel Faxardo gegenüber, beim Zusammenflusse des Carony und des Orinoko, und ward von den Holländern unter Anführung des Adrian Jahnsoii zerstört 1579. ^e zweite war 12 Meilen östlicher gestiftet. Sie leistete kräftigen Widerstand, wurde aber von den Engländern unter Sir Walter Raleigh zerstört. Die dritte Stadt ist das gegenwärtige An- — 107 — gostura oder St. Thomas von Guiana. Die Gründung begann 1764. Sie wird auch zum Unterschiede von der zweiten Stadt, welche auch die Festung oder Alt -Guiana heifst, in den Urkunden : Santo Thome de nueva Guiana genannt. Weil jedoch dieser Name gar lang für eine Stadt ist, so wird sie auch nur Angostura , der Engpafs genannt. Angostura lehnt sich an einen Hügel von Horn- blende-Schiefer, der von aller Vegetation entblöfst ist. Mehrere Häuser sind auf Felsengrund erbaut. Man hält jedoch die schwarzen von der Sonne er- hitzten Steinschichten sehr nachtheilig für die Ge- sundheit, obwohl es die hinter der Stadt befind- lichen Pfützen mehr seyn möchten, die man fürchten sollte. Die Häuser sind hier hoch, schön und meist aus Steinen erbaut, welches beweist, dafs man Erd- beben nicht zu fürchten scheint. Diese Sicherheit ist aber leider nicht so fest begründet. Es erleiden zwar die Küsten von Venezuela sehr starke Erschüt- terungen , wie wir im ersten und zweiten Thcilc sattsam sahen, ohne davon in Angostura etwas wahr- zunehmen. Die traurige Erschütterung Cumana's am 4« Februar 1797 ward hier nicht verspürt, aber das grofse Erdbeben von 1766, welches Cumana ebenfalls zerstört hatte, ward an beiden Ufern des Orinoko bis über die Catarakten von Maypures ver- spürt. Aus diesen und noch mehreren Thatsachen geht hervor, dafs man in Angostura keineswegs ge- sichert ist vor einem Schicksale, welches die Städte des südlichen Amerika schon so oft beweint haben. — 168 — Die Erschütterungen haben ihren Herd tief im In- nern der Erde, und pflanzen sich fort durch Zer- klüftungen, welche ganz aufserhalb menschlicher Berechnung liegen. Zehntes Kapitel. Umgebungen von Angostura. — Die Krokodille. — Die Mündung des Orinoko. — Das Steigen und Fallen der Ströme. Die Umgebungen von Angostura sind ziemlich einförmig, aber der Anblich des Stromes ist erha- ben. Er bildet einen grofsen Canal von Südwest nach Nordost. Die Regierung Avollte die Breite des Stroms , der Vertheidigung wegen , hier genau ken- nen. Die Messungen , welche Herr von Humboldt anstellte, ergaben auf dem engsten Punkte 38o Toi- sen , was 4 bis 5 Mal die Breite der Seine bei dem Pflanzengarten übertrifft. Dennoch ist dieses der Platz, welcher der Engpafs genannt wird, und wo der Wasserspiegel nur durch einen Felsen in der Mitte des Stromes unterbrochen wird, der bei hohem Wasserstande völlig verschwindet. Wenn die Gewässer hoch sind , so überschwem- men sie die Quais , und man ist um diese Zeit in der Stadt selbst zur gröfsten Vorsicht genöthigt, wenn man nicht von den Krokodillen in seinem ei- genen Hause gefressen werden will. Eben, als un- sere Freunde in Angostura verweilten, ward ein Guayquerier- Indianer von der Margarethen- Insel, — 1Ö9 — der im Begriffe stand , seine Pirogue in einer Bucht zu befestigen, ein Opfer der Grausamkeit dieser Reptilien. Ein sehr grofses Krokodill , das sich ge- wöhnlich in dieser Gegend aufhielt, pachte ihn beim Beine, entfernte sich vom Ufer, und schwamm ganz gemächlich auf der Oberfläche des Wassers mit ihm davon. Der arme Indianer schrie gewaltig, und eine Menge Menschen harn herbei gelaufen , unter ihnen auch Herr von Humboldt. Der unglückliche Mensch war entschlossen, sein Leben zu vertheidi- gcn , suchte in der Tasche des Beinideides nach ei- nem Messer, als er es nicht fand, ergriff er das Krokodill beim Kopfe, und drückte ihm die Finger in die Augen. Jedermann weifs in Amerika dieses Mittel, sich zu retten. Aber das Krokodill war ein alter Practicus, und öffnete seinen Rachen nicht, um die Beute fahren zu lassen , sondern tauchte im Strome unter, ertränkte den Indianer, und kam sodann mit dem Leichname auf einer dem Hafen gegenüber liegenden Insel zum Vorscheine, wo es denselben ruhig verzehrte. Da das Krokodill, vermöge des Baues der Or- gane seines Rachens, im Wasser seine Beute wohl haschen, aber nicht verschlingen kann, so geschieht es allezeit, dafs es einige Stunden nachher mit der- selben in einiger Entfernung wieder zum Vorscheine kommt, um seine Mahlzeit zu halten. Diese Ereig- nisse sind bei weitem nicht so selten, als man denkt, und besonders in Europa glaubt. Unvorsichtigkeit und die häufigen Überschwemmungen , welche diese liibl. naturh. Reisen. IV. 8 — 170 — bösen Gäste bis in die Dörfer führen , lassen jähr- lieh viele Menschen die Opfer der Grausamkeit die- ser Reptilien werden. Dieselben Krokodille halten sich gewöhnlich mehrere Jahre an demselben Orte auf, und sie werden von Jahr zu Jahr kühner,. be- sonders wenn sie ein Mal Menschenfleisch gekostet haben. Sie sind auch so listig, dafs es schwer fallt, sie zu tödten. Der Schufs prallt an ihrem Panzer ab, und tödtet nur, wenn Mund, Auge oder Ach- selhöhle getroffen wird. Die Indianer greifen das Krokodill mit Lanzen an , sobald es sich an einem eisernen Haken , woran Fleisch als Köder war, gefangen hat. Man nähert sich jedoch dem Thiere erst dann, wenn es von den Anstrengungen, sich los zu machen, ermüdet ist. Auch bei vorgerück- ter Civilisirung und Bevölkerung ist es eben so wenig, als in Egypten zu erwarten, dafs diese Un- t liiere ganz vertilgt werden. Das Flufslabyrinth liefert täglich neue Legionen dieserEidechsen. Alles, was zu erwarten ist , dürfte darin bestehen , dafs sie mehr Respekt und Furcht vor dem Herrn der Erde bekommen , wenn dieser ihnen zu imponiren im Stande seyn wird. Man erzählt rührende Geschichten von afrikani- schen Sclaven , die ihr Leben gewagt haben , um dasjenige ihrer Herren zu retten, welche in den Ra- chen der Krokodille gcrathen waren. So geschah es vor wenigen Jahren zwischen Uritucu und der Provinz Abaxo , dafs ein Neger plötzlich vom Ge- schreie seines Herrn erschreckt wurde, der in den — 171 — Rachen eines Rrokodills geratlien war. Der Neger stürzte sich sogleich , mit seinem Maehette bewaff- net, in den Strom, durch Eindrücken der Augen zwang er das Thier , seinen Raub fahren zu lassen, und sich unter das Wasser zu verbergen. Der Sclave brachte nun seinen Herrn schwimmend an's Ufer; es war jedoch vergebens, denn schon war er im Wasser erstickt. Die Rinder des Verstorbenen schenkten, ob sie gleich arm waren, dem Sclaven seine Freiheit. Es sind überhaupt die Neger nicht so selten , als man glaubt , welche sich durch die treue Anhänglichkeit an ihre Gebieter auszeichnen. Es läfst sich denken, dafs im einem Lande, wo der Mensch mit der Natur noch in immerwährendem Rampfe sich befindet , er auch stets gerüstet ist, diesen Gefahren nach Rräften zu begegnen. Es wird von ihnen stets gesprochen, und man theilt sich ge- genseitig die Mafsregeln mit, welche Erfahrung be- stätigt oder fremder Rath überliefert hat. Jedermann weifs daher von Jugend auf, wie er sich zu beneh- men hat, und da schwerlich in diesen Ländern eines Menschen Leben vorübergeht, ohne Gelegenheit diese Mittel anzuwenden , so findet man eine Uner- schrockenheit und den überlegtesten Muth, welcher in dem vor Gefahren gesicherten Europa nur We- nigen zu Theil wird. Nicht nur Mädchen aus der untersten Volksklasse, wie wir oben ein Reispiel ge- sehen haben, sondern Frauen aus dem ersten Stande der Gesellschaft sind mit diesen Gefahren und ihren Gegenmitteln vertraut. Es war am 4. Februar 1797, 8* — 172 — als35,ooo Indianer innerhalb wenigen Minuten durch Erdbeben ihr Leben einbüfsten. Eine junge Dame hatte sich und ihre Kinder gerettet, indem sie diesen zurief; sie sollten die Arme ausstrecken, in dem Augenblicke, wo der aufgerissene Boden im Begriffe stand, sie zu verschlingen. Als man die Geistesgegenwart die- ser Frau bewunderte, sagte sie: v Schon als Kind ist mir gesagt worden , wenn das Erdbeben dich im Innern eines Hauses überrascht, so stelle dich un- ter eine Thüre, die aus einem Zimmer in das an- dere führt. Bist du im Freien und fühlst du den Boden unter dir sich öffnen , so strecke deine bei- den Arme aus, und suche dich an den Rändern der Spalten fest zu halten.« So steht der Mensch hier gegen die "YVuth der Krokodille und das Toben der Elemente stets gerüstet. Angostura liegt 25 Lieues vom Meere entfernt, oberhalb des Delta , welches die Mündung des Ori- noko bildet Die Fieber pflegen auch hier zu herr- schen , und man spricht sehr oft, dafs es besser wäre, die Stadt wieder dem Meere näher zu legen. Diese Lage würde dem Handel bequemere Vortheile darbieten, denn die Schiffe können nur sehr schwer bis an die jetzige Stadt hinauffahren. Auch gewährt ihre jelzige Lage weder Schutz gegen die Feinde und Fieber, noch Bequemlichkeiten für den Handel. Es ist schon gesagt, dafs die jetzige Hauptstadt von Guiana durch das Delta , welches der Orinoko bildet, getrennt wird. Grofse Flüsse haben näm- lich die Gewohnheit, sieh kurz vor ihren Einmüii- düngen in das Meer in mehrere Arme zu iheilen, zwischen den zwei äufsersten Armen aber Sand und Schlamm anzuhäufen, und zwischen diesem flachen Lande sieh wieder zu verästeln und so eine grofse dreieckige Insel, die wieder in mehrere, oft unzäh- lige kleine getheilt ist, zu bilden. Dieses ist es nun, was man Delta nennt; von dem Delta des Nil inEgypten, das durch seinen vormaligen Reichthum und seine grofse Fruchtbarheit so berühmt ist. Der Name kommt von der Gestalt A, welches das grofse griechische D ist, und Delta heifst. Das Delta des Orinoko beginnt gleich unterhalb Angostura , und die zwei äufsersten Arme desselben laufen aus ein- ander, so dafs ihre Entfernung beim Einflüsse in's Meer 47 Seemeilen beträgt. Die Zahl der Ausmün- dungen zwischen diesen beiden ist noch unbekannt, und nach alter Gewohnheit gibt die Völkersage, so wie dem Nil und der Donau, also auch dem Orinoko sieben Mündungen. Es ist jedoch gewifs , dafs we- nigstens eilf bedeutende Ausflüsse gezählt werden müssen , ohne der Menge kleiner Verästelungen. Diese verschiedenen Ausmündungen haben verschie* dene Namen; Ausmündung heilst ßocca , und da findet sich denn die Bocca de Dragos oder die be- rüchtigten Drachenmündungen , die in das Antillen- meer ausgehen. Die Bocca de Navios , die schiffbar ist, dann die ebenfalls für die Schiffahrt nützliche Bocca von Mariusas, von Macarco, von Pedernales und von Macamao grande. Dieses Delta des Orinoko bildet jedoch keine — 174 — wüsten Sehotterinseln , es ist vielmehr ein frucht- bares und bebautes Sumpfland, überall mit Grün bedeckt. Ganze Wälder der Mauritia - Palme be- decken die Inseln des Delta, und verschönern sie. Diese Mauritia oder der Lebensbaum der Missionäre ist der wohlthätige Baum, dessen wir schon öfter erwähnt haben 5 er ist der Sagobaum des Landes. Er liefert viel gutes und nahrhaftes Mehl , aus wel- chem das Yuruma-Brot bereitet wird Zur Zeit des hohen Wasserstandes sehen diese Palmen nur mit dem Obertheile hervor, und scheinen im Was- ser gewachsene Wälder zu seyn. Auf diesen Palmen leben die Guaraonier, ein Völkerstamm, welcher auf Bäumen, gleich den Vögeln nistend, sich wie diese der Sclaverei der Spanier zu entziehen ge- wufsfc hat. Ihre Wohnungen hängen an den Bäu- men , und man wird beim Durchfahren durch die Canäle des Delta sehr überrascht, wenn man die Gipfel der Bäume durch grofse Feuer beleuchtet sieht. Diese Völker hängen nämlich grofse Matten an die Bäume, füllen sie mit Erde, und zünden hier ihre nöthigen Feuer an. Dieser Lebensweise ver- danken diese Menschen seit Jahrhunderten ihre Freiheit und Unabhängigkeit. Sie allein sind auch im Stande, auf dem schlammigen Boden zur Zeil der Trockenheit ohne einzusinken forizuwandeln. Diese Palmen, dieser weiche unsichere Grund, wor- auf sie gedeihen, ist ihr Erbtheil. Der Lebensbaum gewährt ihnen nicht nur Wohnung und Schutz, son- dern Nahrung: in seinen schuppigen Früchten, in — 175 — seinem mehligen Mark, und in seinem an Zuckerstoif so reichen Safte. Er gewährt ihnen auch in den Fi- bern seiner Blattstiele Fasern, um Matten und Seile daraus zu verfertigen. So beruht das Daseyn einer ganzen Völkerschaft auf einem einzigen Baume; gleichwie es Insekten gibt, die sich nur von einer Blume oder den einzelnen Theilen eines Gewächses nähren. Der Orinoko hat endlich mit allen Strömen der heifsen Zone auch das noch gemein, dafs seine Ge- wässer in gewissen Perioden steigen und fallen. Das Steigen und Fallen dieser Ströme kehrt jährlich zur selben Zeit wieder. In Egypten ist die ganze Cultur des Bodens, und man kann wohl sagen, die ganze Civilisation auf diese Erscheinung gegründet gewe- sen. Sie mufste um so mehr auffallen, als der Nil in alten Zeiten der einzige bekannte Strom war, welchem dieser periodische Wasserwechsel eigen schien. In unsern Tagen wissen wir, dafs alle Ströme der heifsen Zone diese Veränderung erleiden. Schon oben erwähnten wir, wie die Erklärung dieser Er- scheinung dadurch, dafs man das Schmelzen des Gebirgsehnees als Ursache des Stcigens angibt, ganz unstatthaft sey. Denn erstens kommen diese Ströme nicht allezeit aus Schneealpen, und dann ist auch die Wassermasse zu grofs , als dafs die jährliche Quantität des Schnees für sie hinreichend wäre. In der heifsen Zone läfst man sieh solche Erklärungen gar nicht beikommen, die so frostig sind, als das Land, wo sie herkommen, und wo das beständige — 176 — Eis freilich oft eisige Gedanken erzeugt. Dort ist Jedermann die Ursache dieser Erscheinungen be- kannt, und es verstehen selbst gemeine Leute den ganzen Verlauf dieser Erscheinungen auf das Ge- naueste zu berechnen. Nach der Frühlings -Nachtgleiche kündigt näm- lich das Aufhören der Seewinde (Brise) die Regen- zeit an, und das Verhältnifs dcsSteigens der Flüsse steht mit der Masse des Regenwassers' in genauer Verbindung. Die Überschwemmungen sind also durchaus blos Folgen des Aequinoctial - Regens. Herr von Humboldt hat berechnet, dafs in den Wäl- dern vom Ober-Orinoko und Rio Negro der Ertrag der Aequinoctial -Regen 90 bis 100 Zoll betrage, eine Wassermasse , die mehr als hinreichend ist, ihre Abzugkanäle zu überfüllen. Der gewöhnliche Gang des Anwachsens des Orinoko ist folgender: Alsbald nach dem Frühlings-Aequinociium (das Volk sagt am 25. März) wird das Steigen des Flusses wahrgenommen. Anfänglich beträgt das Steigen in 24 Stunden nur einen Zoll. Er erreicht seine gröfste Höhe im Julius und bleibt vom Ende Juli bis 25. August in gleicher Höhe, wo er allgemach wieder zu sinken anfängt, jedoch langsamer, als er gewach- sen war. Seinen tiefsten Wasserstand erreicht er im Januar und Hornung. Dieses ist ungefähr der Verlauf des Wasserstan- des bei allen Strömen der heifsen Zone in beiden Hemisphären ; der Ganges, der Niger und der Gam- bia erreichen mit dem Orinoko im August den hoch- — 177 — sten Standpunkt; nur der Nil bleibt um zwei Mo- nate zurück , es sey einiger örtlicher Umstände we- gen, die in Abyssinien au suchen seyn würden, oder wegen der Länge seines Laufes. Die nordischen Erdbeschrciber behaupten jedoch, es steige der Nil in Habesch und Senaar bereits im Monate April, ungefähr wie der Orinoko; inCairo wird man es jedoch erst im Sommersolstitium gewahr. Die gröfste Höhe erreicht der Nil im September, und den nied- rigsten Wasserstand im April und Mai. In der südlichen Halbkugel haben die Ströme in den entgegengesetzten Jahreszeiten denselben Ver- lauf ', der Amazonenstrom steigt, wenn der Orinoko fällt, und fällt, wenn dieser steigt. Die Höhe, zu welcher der Orinoko ansteigt, wird von Herrn von Humboldt in Angostura zu 24 und 10 Fufs angege- ben. Die Piloten nehmen für das gewöhnliche Stei- gen des Unter- Orinoko 90 Fufs an, andere geben es auf i3 Klafter an. Das Steigen des Nils beträgt in Ober-Egypten 3o bis 35 Fufs, in Cairo 23 und im nördlichen Theile des Delta 4 Fufs. In An. gostura könnte auf einem mitten im Strome gele- genen Felsen eben so ein Orinoko - Messer er- richtet werden , wie der Nilmesser auf der Insel Roudah ist. — 178 — Eilftes Kapitel. Das rechte Ufer des Orinoko. — Die Mission von Carony. — El-Dorado. — Der Parime-See. Unterhalb Angostura erweitert der Orinoko sein Bette abermals und erhält eine sehr grofse Breite. Die beiden Ufer bieten jedoch sehr grofse Verschie- denheiten der Cultur den Reisenden dar. Auf dem linken oder nördlichen Ufer sieht man den ödesten Theil der Provinz Cumana vor sich, jene unbewohn- ten Steppen, welche sich gegen die Mesa oder Ebene von Guanipa ausdehnten. Das rechte oder südliche Ufer ist jedoch mit blühenden Missionen besetzt. Es sind dieses die Missionen von Carony, eines gros- sen, aus Süden kommenden Stromes, der sich in den Orinoko ergiefst. Am Ufer des letzteren Flusses bestehen die drei volkreichen Missionen : San Mi- guel de Uriala , San Felix und San Joaquin. Das letztere Dorf, welches nicht weit von den "Wasser- fällen des Carony Flusses liegt, halt man für die Niederlage und den Ilauptort der catalonischen Mis- sionen. Auf der weitern Schiffahrt nach Osten, zwi- schen Angostura und den Mündungen des Carony, hat der Pilote viele Vorsicht nöthig, um die Felsen von Guarampo , die Untiefen von Mamo und die Klippen von Rosario zu vermeiden. Die Landschaft zwischen dem Carony, dem Meere und dem Orinoko ist übrigens der Theil Guianas, welcher die euro- päischen Ansiedler am meisten ansprechen wird. — 17Q — Die ganze Gegend war dazumal , als Herr von Humboldt da verweilte, mit Ausnahme zweier spa- nischer Dörfer, derVerwaltung der Missionar-Mönche unterworfen. Es waren beinahe 24,000 Eingeborne diesen Geistlichen unterworfen. Die Franziskaner hatten 7300 und die catalonischen Kapuziner 1700 unter sich. Diese Missionen sind viel blühender, als die traurigen Missionen am Ober- Orinoko. Die ganze Provinz enthält 16,800 Geviertmeilen, und zwei Drittel ihrer Bewohner sind zwischen dem Rio Imataca und Angostura angesiedelt, auf einem Land- striche von 55 Meilen Länge und 3o Meilen Breite. Weifse Menschen dürfen in den Missionen nicht an- siedeln, und man sieht sie nicht ein Mal gern dahin kommen. Diese Gegenden haben jedoch seit jener Zeit durch Bürgerkriege und Seuchen sehr viel ge- litten. Damals, 1804, besafsen die catalonischen Kapuziner daselbst wenigstens 60,000 Stück Horn- vieh, die in den Savanen weideten. Diese Savanen grenzen südostwärts an die englischen Besitzungen in Guiana oder die Colonie am Essequibo ; längs den Gestaden von Pararagua und von Paraguamusi hinauf berühren sie endlich die Besitzungen der Por- tugiesen amRioBranco. Dieses ist eine schöne und offene Landschaft, voll schöner Savanen und ganz verschieden von derjenigen am Ober - Orinoko. Es stehen hier herrliche Wiesengründe , unterbrochen durch waldige Hügel , welche die prächtigsten Ge- genden darbieten, und durch schöne Landschaften — 180 — und liebliche Gegenden zum Anbaue einladen. Das Klima ist gesund. Der Cacao, der Reifs, die Baum- wolle, der Indigo und der Zucker wachsen in Menge überall , wo der jungfräuliche Boden der Cultur unterworfen wird. Die ersten christlichen Nieder- lassungen gehen nicht über das Jahr 1721 hinauf. Die Bestandteile der gegenwärtigen Bevölkerung sind die drei Indianerstämme der Guayanos , Cari- ben und Guaycas. Die Guaycas sind ein Gebirgsvolk, und ihr Wuchs ist nicht so klein , wie derjenige in Esmeralda. Sie sind schwer an bleibende Wohnsitze zu gewöhnen, und mehrere mit ihnen bevölkerte Missionen sind wieder zerstört worden , weil sie das freie Leben in den Bergen dem unter der Glocke vorziehen. Die Guayanos sind leichter zu civilisiren , sanf- ter und geschmeidiger, als die Cariben. Die Jesui- ten haben auch am Amazonenstrome einen Guaya- nos-Stamm gefunden. Es ist jedoch schwer auszu- mitteln , ob diese beiden Stämme, die in so weiter Entfernung von einander angetroffen werden, wirk' lieh einem Volke angehören. Die meisten und bevölkertsten Missionen sind auf einen Umfang von 4°° Geviertmeilen beschränkt j ostwärts und südwärts sind die Savanen beinahe gar nicht bewohnt, und dennoch wäre zu wünschen, dafs die von den Flüssen entferntem Gegenden bes- ser bewohnt würden , weil sie etwas höher liegen und darum auch gesünder sind. Der Flufs Carony — 181 — hat ein sehr klares Wasser, nur wenig Fische und von der Stadt Barcellona an, gar keine Klippen. Oberhalb dieser Stadt jedoch schlängelt er sich zwi- schen zahllosen Klippen und Felsen hin, und bildet Wirbel und Wasserfälle , zwischen denen sich nur die Cariben mit ihren kleinen Booten hindurch wa- gen. Der grofse Fall oder Salto befindet sich aber bei dem sehr schön gelegenen DorfeCarony, dessen Bevölkerung damals aus 700 Indianern bestand. Der Fall wird auf i5 bis 20 Fufs geschätzt, er läfst je- doch einen Canal für die Piroguen frei, da hier der Flufs 3oo Fufs Breite hat. Die ganze südliche Landschaft wird von unab* hängigen Cariben durchschweift. Das sind die schwa- chen Überreste jenes schönen Kriegervolkes , das einst den Missionären so furchtbar geworden war, bis zum Jahre iy33 und 35, wo derBischof Gei uais von Labrid , der Pater Lopez und mehrere andere Or- densmänner durch die Hand der Cariben um's Leben gekommen sind. Die Gefahren sind nun verschwun- den, und die Regierung ist auf die Reste der Ca- riben , die noch unabhängig herumschweifen , nur des Schleichhandels wegen eifersüchtig, welchen sie so sehr mit den englischen und holländischen Colo- nien der Nachbarschaft befördern. Sie entführen auch den Missionären das Vieh , und verlocken die neubekehrten Indianer in die Wälder zurückzukeh- ren. Früher nahmen die Cariben Antheil an dem Sclavenhandelj und dieser abscheuliche Handel ward — 182 — durch die ATelfscn befördert, welche die Stämme gegen einander reizten, und sie sogar bewaffneten, um durch sie ihre Brüder als Sclaven zu erhalten. Die Menschenjagd ward damals eben so betrieben an diesen Gestaden , wie man sie leider jetzt noch am Gambia betreibt , und in beiden "NVelttheilcn haben sich die Europäer gleicher Arglist und glei- cher Schandthaten schuldig gemacht. Wir müssen hier noch unsern jungen Lesern von einer Pflanze erzählen, welche durch den Gewerb- fleifs der thätigen Kapuziner berühmt geworden ist. Dies ist der Cuspare-Baum , dessen schon im zwei- ten Bändchen Erwähnung geschehen ist. Dieser be- rühmte Baum ist es, der die Cortex Angosturae lie- fert. Er ist keine Cinchona oder Chinabaum, son- dern eine eigene Gattung, die unter dem Namen Bonplandia in die Botanik aufgenommen ist und zur Familie der Meliaceen gehört. Die, von der wir hier reden , heifst die dreiblättrige oder Bonplandia trifoliata. Die sehr schönen Äste dieses heilsamen Baumes haben 18 Zoll lange Blätter, von überaus angenehmen Geruch. Dieser Baum trägt den ein- heimischen Namen Cascarilla , er wächst fünf bis sechs Meilen vom östlichen Ufer des Carony am Fufse der Hügel, welche die Missionen von Capapui, von Upata und Aha Gratia einfassen. Die Cariben- Indianer gebrauchen den Aufgufs dieser Rinde als eine stärkende Arznei. Herr honpland hat ihn auch westwärts von Cumana im Meerbusen von Santa Fe — 183 — entdeckt, und wahrscheinlich kommt er auch in den Wäldern von Guiana vor. Die catalonischen Kapuziner verfertigen von der Rinde einen Extrakt , welcher bekannter zu werden verdiente , und gegen Fieber und Ruhr überaus wirksam sich bezeigt. Zu bedauern ist, dafs der gewissenlose Krämergeist auch dieses herrliche Arz- neimittel verfälscht, und so gegen die Rinde von Angostura mit Recht mifstrauisch gemacht hat. Man hat statt ihrer öfters die falsche Angostura oder An- gostura pseudo - ferruginea eingebracht. Sie wirkt stark auf die Nerven, verursacht heftige Anfälle von Starrkrampf, und enthält eine Substanz, wel- che dem Morphin und Strychnin , zwei heftigen Giften, sehr nahe verwandt ist. Diese Verfälschung hat mehrere Regierungen veranlafst, die Anwendung der Cortex Angosturae in der Medicin gänzlich zu untersagen. Solche niederträchtige Verfälschungen, welche billig als die gröfsten Verbrechen geahn- det werden, kommen leider öfter vor , und erst vor kurzem fand man in Frankreich die Sencsblät- ter mit andern giftigen Blättern vermischt, welche mehreren Personen den Tod brachten. Der Baum , welcher die echte Cuspare oder Cas- carille liefert, kommt selten vor, und er verdiente daher von den fleifsigen Kapuziner - Mönchen in ei- genen Pflanzungen gezogen zu werden. Die Kapu- ziner sind thätiger, als andere Mönche. Sie haben in ihren Dörfern Gärbereien und Baumwollspinne- — 184 — reien , und wenn sie künftighin auch den Indianern die Früchte ihrer Arbeit zu Thcil werden lassen, so dürften sie einen sehr wohtlhätigen Einflufs be- kalten. Sie waren oft mit dem Statthalter und selbst mit dem Bischöfe im Streite, welche ihre Macht einschränken wollten, und erwehrten sich stets des Einflusses der weltlichen Macht. 1768 liefs ihnen der Statthalter 20,000 Stück Vieh wegnehmen, und dieselben an die dürftigsten Einwohner vertheilejr. Diese Gewalttätigkeit hatte für den Statthalter üble Folgen, denn auf eingelegte Klage in Madrid ward er abgesetzt, ob er gleich viele Verdienste hatte, und seit jener Zeit hatte sich die weltliche Ge- walt in die Regierung der Missionen jeder Ein- mischung enthalten. Die bürgerlichen Kriege ha- ben jedoch auch hier grofse Veränderungen her- rorgebracht, und alles mag jetzt eine andere Ge- stalt haben. Die ganze Gegend ist aber eine der glücklich- sten auf Erden, und wenn man früher hier goldene Städte und ein irdisches Paradies träumte, so dürfte wohl eine Zeit kommen, wo man sie auf diesem Platze nicht vergebens suchte. Diese Gegenden vereinigen die Vortheile der Thäler von Aragua mit denen der Steppen von Calabozo. Der Reichthum des Landes beruht auf Viehzucht und dem Anbaue derColonial- Erzeugnisse. Es ist zu wünschen, dafs die Bevöl- kerung wachse , sich dem Feldbaue getreu widme, und nicht zu frühe den Bergbau versuche. Es ver- — 185 — trügt sich wohl Berg- mit Landbau, wenn die Be- völkerung zahlreich ist, und der Landbau bereits in derBlüthe steht; im entgegengesetzten Falle kann de? Bergbau leicht der Cultur des Landes Gefahr bringen. Der Rio Carony war es, an dessen Quel- len man den Dorado-See, die Goldstadt und den vergoldeten König suchte , und leicht könnten diese Mythen den auri sacram famem (den heiligen Gold- durst) der Bewohner erregen. Man hatte schon früher viel Geld an den Bergbau verschwendet, bis es sich zeigte , dafs die Schwefelkiese keine Spur des Goldes enthielten; allein noch immer heifst je- des glänzende Gestein in Guiana iinci madre del oro , die Goldmutter. Die besten Goldminen sind ein gut angebautes Land , eine fleifslge Bevölkerung, Handel und Gewerbe begünstigt von einer guten und gerechten Regierung ! ' Nach diesen Erzählungen läfst Herr von Hum- boldt eine Abhandlung folgen, die sich sowohl mit dem Mährchen vom Goldlande und Goldkönige be- schäftigt, als mit den Quellen des Orinoko und an- dern geographischen Einleitungen. Das Resultat ist, dafs zu den Goldminen wahrscheinlich die oben erwähnte Art sich zu schmücken Veranlassung ge- geben hat , indem nämlich sich die Wilden mit Harz oder Schildkrötenfett bestreichen, und mit glänzenden Glimmerblättchen bedecken lassen , er- halten sie das Ansehen von galonirten Kleidern und Goldtressen , und mögen von den goldgieri. — 186 — gen Europäern leicht für goldene Männer ange- sehen worden seyn. Sowohl die Eroberer als ihre Nachfolger haben zur Entdeckung des El-Dorado die abenteuerlich- sten Züge unternommen. Ihre von Begierde nach Gold erkrankte Phantasie liefs sie bald hier, bald dort den Goldsee, die Goldstadt und den Goldkönig sehen. Viele Ausrüstungen wurden unter den aben- teuerlichsten Umständen unternommen , und endig- ten gewöhnlich mit dem Untergange der Theilneh- mer. Das letzte dieser Abenteuer wurde noch 1775 mit eben demselben Erfolge, wie die frühern , aus- geführt. Jetzt scheint man von dem Niebtvorhanden- seyn desselben überzeugt. Es war den raubsüchtigen Europäern nicht genug, die blühenden civilisirten Staaten auf den Hochebenen der Anden zerstört und vernichtet zu haben. Sie waren mit dem Fluche der unterdrückten Völker nicht zufrieden ; es war ihnen leid, nicht noch mehr zerstören und die Blut- schuld vergröfsern zu können. Was die Quellen des Orinoko betrifft , so geht aus den Untersuchungen des Herrn von Humboldt hervor, dafs alle Angaben über dieselben , welche von den altern Geographen gegeben wurden , theils Irrthümer, theils wirkliche Erdichtungen sind. Eben so sind auch die Angaben der Orinoko- Quellen auf allen Charten unrichtig. Der sogenannte Parime- See , der sogar auf den neuesten Charten zum Theil noch figurirt, ist nirgend vorhanden, und gewifs — 187 — ist nur so viel , dafs die Quellen des Orinoko noch eines Entdeckers warten. Um nicht durch Gegenstände , welche eine gros- sere Masse von Kenntnissen zu ihrer Würdigung fordern , als ich bei meinen Lesern voraus setzen darf, zu ermüden, setze ich nur die Schlufsworte des Herrn von Humboldt am Ende des achten Bu- ches her. »Ich habe die drei Zonen durchwandert, die von Norden nach Süden, von dem Mittelmeere der An- tillen bis an die Wälder am Ober. Orinoko und Amazonenstrome einander folgen. Dem fruchtbaren Küstcnlande, welches der Mittelpunkt des landwirt- schaftlichen Reichthums ist , reihen sich die von Hirtenvölkern bewohnten Steppen an. Diese Step- pen hinwieder finden sich durch die Region der Wäl- der begrenzt, deren Bewohner im Genüsse, ich will nicht sagen, der Freiheit (weil diese allezeit Folge der Civilisation ist) , aber einer wilden Unabhän- gigkeit leben. Die Grenze zwischen den beiden letztern Zonen war der Schauplatz des Krieges, der über das Schicksal Amerifca's entschied. Keine Ver- änderung kann aber den Charakter des Landes ver- ändern , wenn auch die Sitten eine andere Gestal- tung erhalten. Diese Betrachtungen können das In- teresse für diese im Anfange dieses Jahrhunderts gemachte Reise nur steigern. Man findet in ihr die civilisirten Völker des Küstenlandes gemeinschaftlich und vereinigt dargestellt; mit jenen schwachen Über- — 188 — rcstcn der Landeseingebornen am Orinoko , die kei- nen andern Cultus kennen, als den der Naturkräfte, und die gleich sind den alten Germanen , von denen Tacitus sagt : Unter dem Namen der Götter verste- hen sie dasjenige, was sie blos durch das Gefühl der Ehrfurcht sehen.« X N C ^susr^ias i2W(Bia< Erstes Kapitel. Abreise von Ar.gostura. — Die Mission der Cariben. — Historische Bemerkungen Über die Völker Amerika's. E, is waren nun beinahe sechs Wochen seit der Landung in Angostura verflossen , als endlich Herr Bonpland sich nun stark genug fühlte, die Reise fortsetzen zu können. Sie setzten daher über den Orinoko, um in der Nähe der Festung San Rafael zu übernachten , und mit Tagesanbruch die Wan- derungen durch die Steppen von Venezuela anzu- treten. Sie sehnten sich nun, die Küsten von Cu- mana zu erreichen, um da ein Fahrzeug nach Cuba und von da nach Mexiko zu erlangen. Nach einer Monate lang dauernden Flufsfahrt in einem engen Boote, von Mosquitos umschwärmt, kam ihnen eine Seereise reizend vor. Indem sie nun vom Orinoko Abschied nahmen, gedachten sie nicht mehr nach Südamerika zurückzukehren , sondern ein Jahr in Neu -Spanien zu verweilen, und dann mit der Ga- lione von Acapulco nach den Philippinen zu gehen, die noch so wenig bekannt sind, und so die Rück- kehr nach Europa über ßassora und Alepo zu vol- lenden. Diese Plane verkürzten ihnen die Zeit wäh- rend der Wanderung in den dürren Steppen. Am linken Ufer des Orinoko erwarteten sie schon — 192 — die Maulthiere. Das Gepäcke hatte sich durch die Pflanzensammlungen und Mineralien ansehnlich ver- mehrt, und da es nicht rathsam ist, auf Reisen sich von seinem Cepäcke zu trennen, so mufste man einer langsamen Reise durch die Steppen entgegen- sehen. Die Hitze war ausnehmend grofs, durch das Zurückprallen der Sonnenstrahlen von dem dür- ren Roden der Steppe. Der Thermometer stieg bei Tage nicht über 33° bis 34° und des Nachts nicht über 270 bis 280. Es ist also nicht die grofse Hitze, als vielmehr ihre Dauer, welche beschwerlich fällt. Sie brauchten i3 Tage, um durch die Steppen zu wandern. Dieser östliche Theil der Llannos hat dasselbe wüste Aussehen, wie der westliche, der oben schon , bei Gelegenheit der Wanderung aus den Thalern Araguas nach San Fernando de Apure, beschrieben worden ist. In der trocknen Jahreszeit, die hier Sommer heifst, obwohl es eigentlich Win- ter ist , weil die Sonne in der südlichen Halbkugel weilt, weht hier die Rrise (Seewind) heftiger, als in den westlichen Steppen. Diese Steppen bilden nämlich ein Rechen, welches ostwärts gegen das Meer zu offen , aber westlich , nördlich und süd- lich von Bergketten umschlossen ist. Jetzt war je- doch die Regenzeit vorhanden, und die Brise wehte nicht; ob gleich es in den Llannos nicht regnete, so hatte doch die veränderte Sonnenwende die Po- larströmungcn gestillt. Hier geschieht alles mit der gröfsten Regelmäfsigkeit , so dafs man die Zeit der Veränderungen in der Atmosphäre mit der Sicher- — 1Q3 — lieit einer Uhr angeben kann. Die Ordnung ist ein- förmig, das Aufhören der Brise , der Eintritt der Regenzeit und die häufigen elektrischen Entladungen. Sie kehrten hier bei einem Franzosen ein , der aus Lyon gebürtig war, und ihnen mit der Liebens- würdigkeit, die seiner Nation eigen ist , Aufnahme und Nachtherberge zusagte. Er war eben beschäf- tigt, grofse Stücke Holz zusammen zu leimen. Er bediente sich dazu eines Pflanzenleimes, hier Guayca genannt, der dem besten Thierleim gleicht. Es ist dieser Leim der Saft einer Liane. Er tropft, völlig zubereitet, in grofser Menge aus der Pflanze hervor, der man einige Seitenäste abschneidet. Die Pflanze heifst hier Veyuco de Guayca. So findet sich in den Tropenländern völlig zubereitet und brauchbar, was man in unsern Ländern erst durch Kunst bereiten mufs. Am dritten Tage nach der Abreise von Angostura trafen sie in der Cariben -Mission von Cari ein. Hier war der Boden weniger zerspalten, als in den Llannos von Calabozo. Etliche Regengüsse waren gefallen und hatten die Gegend neu belebt. Sic fanden hier verschiedene Krauter und grüne Rasen, so wie auch einzelne Stämme der Fächerpalme, Rho- pala und Malpighia mit glänzenden lederartigen Blättern. Wo feuchte Stellen sind, sieht man auch die Gruppen der schon oft gerühmten Mauritia -Pal- men , die eben jetzt mit ihren rothen schuppigen Früchten überladen waren. Die Affen in den Kä- figen waren sehr lüstern darnach und machten die Ribl. 11 tturh. Reisen. IV. n — 1Q4 — possierlichsten Sprünge. Die Ebene schien , ver- möge der Luftspiegelung, sich wie ein Meer in Wellen zu bewegen. Die Palmen schienen in der Ferne wie Masten der Schiffe, und vollenden die Täuschung , welche den Wanderer an die See versetzt. Die Mission Cari gehört den Franziskanern des Collegiums von Piritu. Unsere Freunde wohnten, wie gewöhnlich, im Kloster, d. h. beim Pfarrer. Man kann ganz Südamerika durchreisen, wenn man, wie diese Männer , mit Empfehlungsschreiben an die geistlichen Behörden ausgestattet ist. Der Pfar- rer konnte nicht begreifen : » wie Leute aus dem europäischen Norden , von den brasilianischen Kü- sten durch den Rio Ncgro und Orinoko und nicht vielmehr auf dem Küstenwege von Cumana bei ihm eintreffen könnten.« Er war jedoch gastfrei , nur mufsten die gesammelten Mineralien Gold enthalten, und die gesammelten Pflanzen muteten Arzneipflan- zen seyn. Man weifs hier die Wissenschaften nur in so fern zu schätzen , als sie der Gesellschaft un- mittelbaren und in die Augen fallenden Nutzen ge- währen. Dem einen ist sie eine himmlische Göttin, dem anderen eine tüchtige Kuh, die ihn mit Butter versorgt. Im Dorfe Cari trafen sie über 5oo Indianer vom Stamme der Cariben an. Dieses Volk, das erst vor Kurzem sich vom herumstreifenden Leben in feste Wohnsitze gefügt hat, unterscheidet sich durch körperliche und geistige Kraft von allen Indianern. — 195 — Nirgend kann man einen Stamm schönerer und co- lossalischer gebildeter Männer sehen ; sie sind alle 5 Fufs 6 Zoll und 5 Fuis 10 Zoll hoch. Die Män- ner sind, wie dies in Amerika allgemein der Fall ist, mehr bekleidet, als die Weiber. Diese tragen nämlich nur das Guajuco, einen schmalen, oft kaum 2 Zoll breiten Leibgürtel, die Männer sind hingegen bis an die Hüfte mit einem schwarzblaucn , grofsen Stücke Tuch bekleidet , womit sie an kühlen Aben- den auch ihre Achseln bedecken. Ihren Körper be- malen sie mit dem im dritten Theile beschriebenen Onoto , und so sehen ihre grofsen Gestalten , die malerisch drapirt und rolh bemalen sind, bronze- nen Statuen gleich. Der Haarschnitt der Männer ist für dieses Volk bezeichnend , er ist dem der Mönche und Chorknaben auf das genaueste ähnlich. Die Stirne wird rasirt , wodurch sie roth erscheint. Ein grofser Haarbüschel ist kreisförmig ausgeschnit- ten auf dem Scheitel. Diese Art, die Haare zu be- schneiden , ist nicht etwa eine Nachahmung der Mönche, um ihnen gleich zu sehen, sondern es war diese Art, die Haare zu verschneiden, ihnen schon eigentümlich, bevor noch Europäer die neue Welt betraten. Sie unterschieden sich schon dazumal durch diese Art die Ilaare zu verschneiden. Die Männer des Cariben - Volkes unterscheiden sich auf das Vortheilhafteste von allen Eingebornen, sowohl durch schönen Wuchs, als die Begelmäfsigkeit ihrer Züge. Sie haben keine so breite und platte Nase0 keine so hervorstehenden Backenknochen und über- 9* — rgö — liaupt kein mongolisches Ausseben. Ihre Augen sind schwärzer und ausdrueks voller , als bei den übri- gen Stämmen von Guiana. Das Färben der Augen- braunen , so wie die Sucht, sich schwarze Flecken in das Gesicht zu malen, gibt ihnen ein wildes und kriegerisches Aussehen. Die Weiber sind weniger schön, und sind mehr die Lastthiere der Männer, indem sie alle Haus- und Feldarbeit allein besorgen müssen. Sie baten sehr dringend um Stecknadeln, und befestigten dieselben an den Unterlippen, und durchstechen damit die Haut so, dafs der Kopf der Nadel in der Mundhöhle bleibt. Sie haben diese Gewohnheit noch aus dem wilden Zustande beibe- halten Die jungen Mädchen sind mit Onoto be- malt, und den Guajuco ausgenommen, völlig nackt. Es zeigt sich auch bei dem Begriffe der Nacktheit dieselbe Beweglichkeit der Begriffe, welche den Menschen überall charakterisirt. In einigen Gegen- den Asien's würde der Wohlstand auf das Schreck, lichste verletzt werden , wenn auch nur die Finger- spitzen einer Frau aus den Gewändern hervorblick- ten, während die Caribin sich keineswegs für nackt hält, wenn sie nur ein zwei Zoll breites Guajuco um- gibt,und die Haut mit Onoto bemalt ist. Ersteres ist jedoch nicht so nothwendig, um in guter Caribischer Gesellschaft zu erscheinen , als letzteres ; denn die Hütte verlassen, ohne mit Onoto bemalt zu seyn, würde gegen allen Caribischen Wohlstand verstofsen. Es kamen die Vorsteher der Gemeinde , die Go- vernador und Alcaldes, um den Fremden ihre Auf- — 1()7 — merksamkeit zu bezeugen. Sie haben allein das Recht, lange Rohre zu tragen. Es fanden sich unter ihnen Jünglinge von achtzehn bis zwanzig Jahren, da ihre Wahl blos von dem Willen des Missionärs abhängt. Dieses mit Onoto bemalte diplomatische Caribencorps benahm sich mit demselben Ernste und abgemessener Feierlichkeit, wie nur immer in Europa. Diese Indianer waren vor der Ankunft der Europäer das mächtigste Volk im östlichen Theile Amerika's. Sie waren kriegerisch , handeltreibend und erobernd. Sie hatten eine ansehnliche Flotte und spielten überall die Herren, wo sie hinkamen. Selbst die Europäer empfanden ihre furchtbare Macht bis in die neuere Zeit. Der Schrecken vor dem Na- men Caribe ist selbst bis jetzt noch nicht ganz aus den Gliedern der Weifsen verschwunden. Es ist wohl keinem Zweifel unterworfen, dafs ohne die Dazwischenkunft der weifsen Cariben , die rothen in ihrer Cultur fortgeschritten, und für die Ameri- kaner dasselbe geworden wären , was die Römer m der alten Welt waren. überall am Orinoko erinnert man sich noch der Einfälle der Cariben. Diese Einfälle erstreckten sich von den Quellen des Carony und Erevato bis an die Gestade des Ventuari, Atacari und des Rio Negro. Auch ihre Sprache war eine von denen , die in die- sem Welttheile sich am meisten verbreitet hatte. Unter den unzähligen Völkerschaften ( Herr von Humboldt führt 200 davon namentlich auf) , die im östlichen Amerika zerstreut sind, haben die Caribe» — 1Q8 — vorzugsweise eine einflufsreiche Rolle gespielt. Ihre Geschichte ist jedoch nicht vorhanden. Grofse Reiche und wahrhafte Staaten haben sich bis zur Eroberung nur auf den westlichen Hochgebirgen eingerichtet. Mexiko war eine grofse Monarchie von Freistaaten umgeben. In Cundinamarca und in Peru fanden sich eigentliche Theokratien , Priesterstaaten, mit befestigten Städten, Strafsen und grofsen steinernen Denkmälern, das Feudal - System und die Casten- einrichtung, Männer- und Frauenklöster , strenge Ordensbrüderschaften. Mit allem diesen war auch die Zeiteintheilung verbunden , welche den Kalendern, Thierkreisen und der Astrologie der Asiaten nicht unähnlich war. Alle diese Einrichtungen wurden in Amerika jedoch nur auf einer Strecke vom 3o° N. B. bis 25° S. B. längs einer Alpenregion gefunden. So wie in der alten Welt in der Richtung von Osten nach Westen mehrere Völker auf einander bald bildend, bald verwüstend folgten, so geschah es auch in Amerika in der Richtung von Norden nach Süden. Auch hier waren die Gebirge die Leiter; aber sie haben auf die Civilisation einen bei weitem gröfsern Einflufs geübt, als das Hochgebirg Euro- pa's auf das Schicksal der Völker gehabt hat. Mitten in den Ebenen des nördlichen Amerika hat ein mächtiges Volk, das nicht mehr vorhanden ist, kreisförmige, vier- und achteckige Festungs- werke angelegt; Mauern erbaut, die 6000 Toisen lang sind; Grabhügel errichtet, die 700 bis 800 Fufs Durchmesser und 140 Fufs Höhe haben. Sie — 199 — sind thc-ils rund, Laben mehrere Stockwerke und enthalten Tausende von Beingerippen , die einer weniger schlanken und mehr untersetzten Völker* schaft angehören, als die ist, welche jetzt noch diese Gegenden bewohnen. Andere Gerippe , wel- che in Tücher gehüllt sind, die denen der Südsee- Insulaner gleichen, findet man in natürlichen Grot- ten, im Staate Kentuky. Man weifs nicht mehr, was aus den Völkern geworden ist , die ehemals Luisiana bewohnt haben ; die jetzigen Indianer da- selbst behaupten eine asiatische Abkunft, und ihr ganzes Wesen verrälh den Mongolen. Auch in Süd- amerika trifft man aufgeworfene Hügel an, nirgends sind sie aber denen am Ohio ähnlich ; aber man findet dafür mit Symbolen bedeckte Granitfelsen, denen am Orinoko gleich. Auf den westwärts ge- legenen Cordilleren scheint zwischen Mexiko und Cundinamarca keine Verbindung Statt gefunden zu haben , aber die Cariben tragen die Züge fremden Ursprunges an sich. Zweites Kapitel. Bemerkungen über die Cariben. Bei den Cariben sind Überlieferungen und Sagen vorbanden, welche auf eine vormalige Verbindung der Völker beider Amerika's hindeuten, und darum verdient dieses Volk besondere Aufmerksamkeit. Wie grofs auch die Verwilderung aller Völker, die — 200 — nicht auf den Anden wohnten , gewesen seyn mag, so scheinen doch alle ihren Sagen und Überliefe- rungen, Trümmer eines grofsen Schiffbruchs zu seyn, den Völker erlitten haben, die bereits die ersten Stufen der Civilisation erstiegen hatten. Gegenwärtig bewohnt die schöne Nation der Ca- ribcn nur einen kleinen Theil der zur Zeit der Eroberung Amerika's von ihr bewohnten Landschaf- ten. Die durch Europäer verübten Grausamkeiten haben dieses Volk von den Antillen und von den Küsten von Darien gänzlich vertrieben. Es hat sich der Herrschaft der Missionäre unterworfen, und bildet nun zahlreiche Dörfer in den Provinzen von Neu - Barcellona und Guiana. Die Anzahl derer, welche in den Llannos von Piritu an den Gestaden des Carony und Cuyuni leben , kann füglich auf 35,ooo berechnet werden. Zu diesen kommen noch die westwärts der cayennischen Gebirge lebenden unabhängigen Cariben , mit welchen man annehmen kann , dafs hier noch ein Stamm von 40,000 Cariben von reiner, unvermischter Art lebe. Dieses ist um so wichtiger, weil man von den Cariben , als einem erloschenen Stamme gesprochen hat. Man glaubte nämlich , die kleinen Antillen seyen die einzigen Wohnsitze der Cariben gewesen, und es seyen von diesen nur noch versteinerte Knochen auf den klei- nen Antillen vorhanden, die Nation selbst aber, wie die Guanchen der Canarien , verschwunden. Alle Caribcnstämme, die einem Volke angehören, bezeichnen sich auch mit demselben Namen. Der — 201 — Name Caribe kommt aus der Verstümmlung des Wortes Calina und Caripuna. Es ist sehr merk- würdig, dafs dieser Name, den Columbus aus dem Munde der Völker auf der Insel S. Domingo hörte, sich auch auf dem Festlande zur Bezeichnung dei~- selben Völkerschaft wieder findet. AusCarina oder Calina ist Galibi oder Caribi geworden, ein Name, den man in Guiana einer Völkerschaft am Cari gibt, die kleiner als die Cariben, doch dieselbe Sprache reden. Die Inselbewohner dieser Völkerschaft wer- den in der Sprache der Männer Calinago, in der der Weiber aber Callipinan genannt. Bei den Stäm- men der Cariben findet man die Eigenheit der Spra- che auf das deutlichste vorherrschen , dafs die bei- den Geschlechter eine verschiedene Sprache haben, die zwar beide verstehen , deren sich jedoch nur der Theil bedient, dem sie von Geschlechts wegen zukommt. Diese Sonderbarkeit findet sich bei meh- reren Völkern , auch der alten Welt , wo die Wei- ber eine vor den Männern gleichsam abgesonderte Lebensweise führen. Die Weiber hängen dann fester an gewissen Redensarten. Nirgend ist dieser Um- stand jedoch so überraschend, wie bei den Cariben. Der Grund mag in der mehreren kriegerischen Völ- kern gemeinsamen Gewohnheit liegen, bei feindlichen Einfällen die Männer alle zu tödten , die Weiber aber fortzuführen. Schon Cicero bemerkt , dafs die Weiber an gewissen Redensarten fester hängen. Die Cariben machten nämlich öfters Einfälle auf den Antillen, tödteten die Männer, und verbanden sich — 202 — mil den Weibern , wodurch denn natürlich fremde Worte und Redensarten in die Weibersprache harnen. Allein, welche Sprache mufs das seyn, deren Reste man in der Weibersprache iindet? Es läfst sich nichts mit Gewifsheit bestimmen. Aufser dem Namen Cariben wurde ihnen auch der Name Cannibalen beigelegt, und Cariben und Cannibalen ist bei den frühem Schriftstellern ganz gleich bedeutend. Diese Namen bedeuten überhaupt : Kraft, Geistesstärke, Weisheit, und nicht, wie man gewöhnlich glaubt, Menschenfresser. Man weifs , dafs zur Zeit der Eroberung die Zauberer der Brasilianer auch Cariben genannt wurden, und Herr von Humboldt meint, ob dieses reiselustige Volli nicht dieselbe Rolle gespielt habe , wie die Caldäer in der alten Welt ? Es fragt sich nun, wo die Cannibalen ursprüng- lich einheimisch waren, ob auf dem festen Lande oder auf den Inseln. Sie selbst erzählen Folgendes : Die kleinen Antillen seyen vormals von Aruacas bewohnt gewesen, einer kriegerischen Nation, deren Reste heut zu Tage noch das ungesunde Land von Surinam bewohnen. Diese Aruacas sollen nun auf den Antillen, mit Ausnahme der Weiber, von den Mündungen des Orinoko kommenden Cari- ben vertilgt worden seyn. Sie führen für diese Meinung die Sprachähnlichkeit der Cariben und der Aruacas an. Allein die Aruacas gehören zu dem- selben Volke, wie die Cariben, ob sie gleich Feinde sind , und ihre Sprachen sind mit einander so ver- — 203 — wandt, wie die Griechische und Fersische, die Deutsche und das Sanskrit. Nach einer andern Sage sind die Cariben von den Aruacas vertrieben wor- den. Eine dritte, und zwar die wahrscheinlichste Sage läfst die Cariben aus Nordamerika, und zwar aus Florida kommen. Der Reisende* Bristok behaup- tet, alles gesammelt zu haben, was auf ihren Ur- sprung Bezug hat, und erzählt: ein Stamm derCon- fachiten habe lange Zeit mit den Apalachiben Krieg geführt, diese hätten sodann demselben einen Distrikt von Cumana zum Wohnplatze abgetreten, und ihre neuen Bundesgenossen, Caraiben, d. i. tapfere Fremd- linge , genannt. In Folge sey jedoch zwischen ih- nen, der Religion wegen, Streit entstanden, und so wären die Caraiben wieder aus Florida vertrie- ben worden. Flüchtig kamen sie sodann nach den bermudisclien Inseln , und sodann nach den kleinen Antillen, endlich seyen sie wieder nach dem Fest- landc übergeschifft. Man glaubt , dafs diese Wan- derung zwischen dem eilften und zwölften Jahrhun- derte unserer Zeitrechnung Statt gefunden habe. Während diesen Wanderungen haben die Caraiben niemals die grofsen Antillen berührt, deren Bewoh- ner übrigens ihren Ursprung aus Florida herleiten. Nach dem Zeugnisse der Eroberer waren die Be- wohner der grofsen Antillen von den Caraiben ganz verschieden. (Washington Jrving, im Leben des Columbus , erwähnt sehr oft des Cariben- Häupt- lings Caonabo , der als Eroberer auf der Insel San Domingo wohnte, und mitten unter den Seinigeu gefangen, auf dem Schiffe des Columlus sein Leben endete.) Da die Cariben zu herrschen seit langer Zeit ge- wohnt waren, so ist es ganz natürlich, dafs das Ge- fühl ihrer frühern Gröfse ihnen einen Nationalstolz, eine Überlegenheit eingeflöfst hat, der in ihren Ma- nieren und Reden sich gemeinschaftlich kund gibt. »Wir allein nur, wir bilden ein Voll; , die andern Menschen sind nur da , um uns zu bedienen.« Ge- gen ihre alten Feinde, die Cabren , hegen sie ent- schiedene Feindschaft. Herr von Humboldt sah ein Kind, als es Cabre genannt wurde, in die gröfste Wuth über diesen Schimpf gerathen. Dennoch hatte dieses Kind noch nie einen Menschen dieser Nation gesehen , von der die Stadt Cabruta ihren Namen hat, und die von den Cariben fast ganz vertilgt worden ist. Es ist übrigens eine allgemeine Eigen- heit der Menschen, National -Namen besiegter Völ- ker als Schimpfnamen zu betrachten. Der Missionär führte die Reisenden nun in meh- rere Hütten, in welchen die gröfste Ordnung und Reinlichkeit herrschte. Sie sahen hier mit Weh- muth die unvernünftigen Qualen , welchen Mütter ihre Kinder von dein zartesten Alter an unterwar- fen, und mit welchen sie die Fleischmassen an den Beinen , von den Knöcheln bis zum Oberschenkel zu vergröfsern bemüht sind. Bandstreifen von Le- der oder Baumwollenzeug werden in einer Entfer- nung von zwei zu zwei Zoll fester und fester um die Beine gewunden, und dadurch die Muskeln in — 205 — den Zwischenräumen fester angetrieben und zum Schwellen gebracht. Obwohl auch unsere Kinder in ihren Wickeln und Binden sehr viel leiden , so ist doch das nichts gegen die der Cariben , welche doch dem Naturzustande noch so nahe sind. Die Missionäre können gegen diese thörichte Angewohn- heit nichts ausrichten, denn so sehr man von der Einfachheit der Naturmenschen fabelt, gibt es nicht leicht ein Geschöpf, welches hartnäckiger an seinen auf Schmuck und Schönheit und Wohlanstand sich beziehenden Gebräuchen hinge , als eben diese so- genannten Natur- Menschen. Übrigens scheint die Muskelki^aft unter dieser unsinnigen Behandlung gar nicht zu leiden, denn es gibt kein Volk , welches kräftiger und zum schnellen Laufe mehr geeignet wäre , als die Cariben. Ein übler Gebrauch, der früher allgemein war, ist bei den Cariben - Müttern dennoch abgekommen. Wenn schon die Beine wellenförmig gezogen wer- den, so pflegen doch die Mission- Cariben - Weiber der Llannos ihren Kindern die Köpfe zwischen Bre- tern und Kissen nicht mehr platt zu drücken , wie solches früher der Fall war. Die Cariben haben daher schön gebildete Köpfe mit hohen Stirnen. In mehreren europäischen Werken findet man ganz platt gedrückte Schädel abgebildet, diese sind künst- liche Schädel alter Cariben. Was man für Caribi- sche Schädel von St. Vincent ausgibt, und welche fast gar keine Stirne haben , sind nichts anders, als zwischen Hölzern plattgedrückte Schädel der Zam- — 206 — Los, welche von Negern und Caribcn abstammen. Man findet die Gewohnheit, die Schädel zusammen zu drücken , bei vielen Völkern ganz verschiedener Abstammung. Sogar im nördlichen Amerika hat man sie angetroffen. Gleiche Sitten und Fehler deu- ten jedoch nicht auf gleiche Abkunft hin, aufser man steigt zum Grofsvater Adam hinauf. Wir kommen nun noch auf ein Gerücht, welches die Cariben anlangt. Die Haut schaudert dem Eu- ropäer bei dem Namen Cannibalen. Denkt man sich ein Volk derselben, so zucken die europäischen Nerven, indem sie schou den Zahn derselben zu fühlen glauben. Kommt man nun mit Herrn von Humboldt in dieses Land der Caribcn oder Canni- balen , und sieht man hier nun ein schönes, rein- liches, arbeitsames Volk, das so ruhig unter dem Glockenschalle lebt, so kann man es wohl kaum glauben, dafs dieses dieselben Menschenfresser seyre sollten, von denen uns unsere Ammen und selbst unsere Lehrer so grausenhafte Geschichten zu er- zählen wufsten. Anghiera sagt in seiner dem Papste Leo X. gewidmeten Reise : »die das Fleisch der Men- schen essen, sind neue Menschenfresser, die wir Cariben nennen, welche Cannibalen genannt wer- den.« Es läfst sich gar nicht zweifeln, dafs die Ca- riben , als sie auf den Inseln Sieger waren , sich mehr Grausamkeit gegen die Besiegten zu Schulden kommen liefsen , wie alle Sieger. Allein gewifs ist. dafs die Europäer diese Grausamkeiten auch über- trieben haben , indem sie dadurch einen Vorwand — 207 — zu erhalten meinten , ihre eignen zu rechtfertigen. Was nun das Menschenfleisch essen betrifft, so ver- sichern alle Missionare am Carony , wie am Nieder- Orinoko, einstimmig, dafs unter allen Nationen von Guiana, die Cariben - Nation diejenige scy , welche am wenigsten geneigt ist, Menschenfleisch zu essen. Dieses ist nach ihrer Versicherung sogar mit den unabhängigen Nationen der Fall. Zu dem Rufe ihrer Wildheit mag wohl folgender Umstand beigetragen haben. Als Menschenfresser angegeben, erging wider sie 1004 ein Dekret vom Könige von Spanien , welches sie zu Sclaven er- klärte. Sie vertheidigten sich nun als Helden, mit einer Erbitterung , wie nur ein Volk äufsert , das alles zu verlieren hat. Schon Christoph Columbus, der keineswegs so sanft und menschlich war , wie man ihn aus Hafs gegen seine Feinde schildert, gab den ersten Gedanken an , gegen diesen Volksstamm zu wüthen , der ihm der gefährlichste schien , weil er der tapferste war. Später, iÖ20, ward der Licentiat Figuero beauftragt, ein Vcrzeichnifs der Völker Südamerika^ zu machen, die man zu den caraibischen oder cannibalischen zählen könne, oder, welche zu den friedlichen Bundesgenossen oder Gua- tios gehörten ! Dieses Dekret ist eines der merk- würdigsten Aktenstücke zum Belege der Grausam- keit der ersten Eroberer. Hier bezeichnete man alle , von denen man vorgab , dafs sie nach der Schlacht Menschenfleisch genossen hätten , als Ca- raiben oder Cannibalen. Sie alle waren nun der — 203 — Sclaverei preisgegeben, man konnte gegen sie den Vertilgungskrieg führen. In diesen blutigen Kriegen wiederholte sich nun, was früher unsere tapfern Vorältern gegen die Römer in Anwendung brach* ten. Man sähe nach dem Tode der Männer die Wei- ber sich mit so verzweiflungsvoller Wuth verthei- digen , dafs man sie für ein Amazonenvolk halten mufste. Es gab Dominikaner -Mönche , welche die Drang- sale durch ihre Deklamationen gegen diese armen Völker verlängerten, wie es Thomas Hortiz that; aber bei weitem mehrere erhoben ihre Stimme zu Gunsten der Menschheit. Besonders waren es Mön- che und Religiösen, die, wie es sich für Christen- priester ziemte, sich gegen weltlichen Eigennutz der seufzenden Völker annahmen, und sich in Opposi- tion gegen das grausame Verfahren setzten. Gomarra sagt: »Es ist ein heiliges Gesetz, durch welches der Kaiser verbietet, die Indianer zuSclaven zumachen. Es ist gerecht, dafs alle Menschen, welche frei zur Welt kommen, es auch bleiben, und dafs kei- ner des andern Sclave sey. « Von der Fähigkeit der Indianer, an ihre Lands- leute Reden zu halten, sehen wir besonders die Ca- riben Beispiele geben. Herr von Humboldt sah 18 bis 20jährige Jünglinge , welche die Stelle eines Fis- kals in der Mission verwalteten, wie sie lange Re- den voll Kraft und Ausdruck hielten, und der Mis- sionär versicherte, dafs diese Reden klar, deutlich und ohne allen Schwulst seyen. Der Missionär pre- — 209 — digte sogar caraibisch. Alles zeigt, dafs es ein Volk scy , das für Cultur sehr empfänglich ist. An Fest- tagen versammelt sich die ganze Gemeinde vor der Kirche. Junge Mädchen legen alsdann Büschel von Brennholz, Mais, Pisangzweige und andere Lebens- mittel , deren der Haushalt bedarf, dem Missionär zu Füfsen. Gleichzeitig verrichten der Gouverna- dor , Fiskal und Municipal - Beamte ihr Amt. Sie sind alle Cariben, ermalmen die Indianer zumFleifse und Arbeit , ordnen die Geschäfte für die Woche, geben den Trägen Verweise und züchtigen die Un- gehorsamen , oftmals mit viel Grausamkeit. Stock- schlage werden mit gleicher Unempfindlichheit aus- getheilt und empfangen. Wenn der Reisende von Angostura kommt, so sieht er die Schläge sehr häufig und in starken Portionen austheüen, und zwar an Männer und Weiber ohne Unterschied. Es scheint einigermafsen den Wohlstand zu verletzen, dafs die Missionäre solche Züchtigungen, sogleich wenn sie aus der Kirche kommen und noch im vollen Ornate sind , vornehmen lassen j oder ist es vielleicht das beste Mittel, den Predigten Nachdruck zu geben? Es ist übrigens begreiflich, dafs unter Cariben , die zu civilisiren sind, solche handgreifliche Beweise mitunter zur Erhaltung der Ordnung und des Ge- horsams nothwendig seyn mögen, so sehr sich im Menschen gegen das Schlagen der Menschen ein ge- wisses Gefühl empört. Die wilden Cariben leben zwischen den Quellen des Orinoko, in einer Art Bundesgesellschaft. Sie — 210 — sondern sich stolz von allen andern Stämmen ab, und fordern auch in den Missionen, dafs man sie nicht vermische. Die wilden Cariben stehen unter Häuptlingen, deren Ansehen sich von dem Vater auf den Sohn forterbt. Der junge Caribe , wel- cher sich verehelichen will, wird allerlei Vorberei- tungen unterworfen. Er mufs fasten. Man gibt ihm die Frucht einiger Euphorbien zum Abführen, er wird in den Schwitzkasten eingeschlossen , und mufs Arzneien verschlucken , welche die Marirris oder Piachis bereiten. Die Marirris sind die be- rühmtesten unter allen: Priester, Gauliier und Hcil- hünstler zugleich. Sie überliefern einander ihre Lehren, Künste und Arzneien. Die Arzneien wer- den allezeit mit Händcauflegungen, geheimnifsvollen Geberden und Ceremonicn begleitet, welches dem Magnetisiren gleichkommt. Herr von Humboldt konnte nicht ausmittcln, ob diese Cariben - Priester eine eigene Caste ausmachten. In Nordamerika nimmt man wahr, dafs die Priester (Shavanocs) alle- zeit aus einem Stamme genommen werden. Auch die Inkas der Peruaner waren Priesterkönige , und nannten sich Söhne der Sonne. So waren auch bei den Natchez Sonnenkönige, wie die ältesten Helia- den bei den Rhodiern. Es ist der Mühe werth , die Cariben genau zu kennen; die Missionäre behaupten von ihnen, dafs je näher man sie kennen lernt, je mehr auch die Vorurtheile schwinden, welche man in Europa gegen sie gefafst hat. — 211 — Drittes Kapitel. Abreise von Cari. — Villa del Pao. — Reise nach Neu-Barcellona. — Betrachtungen über die Steppen. Als sie von Cari abreisen wollten, weigerten sicli die indianischen Maulthicrtreiber , Maulthiere für das Gepäche unserer Freunde herzugeben. Die Ur- sache haben wir schon im vorigen Buche erwähnt. Sie hatten nämlich, trotz aller Sorgfalt, die Ge- beine der Höhle von Ataruipe gerochen; denn nichts entgeht dem Scharfsinne des Cariben. Trotz aller Versicherung des Gcgentheils, behaupteten sie fest, es wären die Gebeine ihrer Vorfahren, und das Maulthier, welches damit beladen würde, müfste unfehlbar damit zu Grunde gehen. Es bedurfte der ganzen Gewalt des Missionärs, um die Indianer da- hin zu bringen , Thiere herzugeben, und die Rei- senden weiter zu schaffen. Der Rio Cari wurde in einem Boote übersetzt, und ein anderer Flufs durchschwömmen. Der be- wegliche Sand des Grundes machte den Übergang beschwerlich, besonders da der Flufs sehr reifsend ist, was in einer so grofsen Ebene, wo die Flüsse so wenig Fall haben , befremden mufs. Es hat je- doch schon Plinius beim Clitumnus die Bemerkung gemacht, dafs der schnelle Fall nicht von der Nei- gung des Flusses , sondern vielmehr von der Menge und gleichsam von dem eigenen Gewichte des Was- sers abhängig sey. Bevor sie das Städtchen Pao erreichten, hatten — 212 — sie zwei ebenso schlechte Nachtlager, wie im Meier- hofe zum Cairaan auf der Reise nach Calabozo; näm- lich in Matagorda und Riecitos. Sie trafen überall gleichförmige Hütten aus Rohr und Thierfcllen, be- rittene , mit Lanzen bewaffnete Männer, die ihre Heerden hüten ; halbwilde, einfarbige Rindviehheer- den , welche die Weido mit Pferden und Maulthie- ren theilten. Weder Schafe noch Ziegen werden auf diesen unermefslichen Steppen gefunden. In den Tropenländern Amerika's gedeihen die Schafe nur auf einer Höhe von tausend Toisen , wo keine Jaguare diesen kleinen Wiederkäuern gefährlich wer- den können. Denn da sie gar keine Waffen haben, so werden selbst zahlreiche Heerden durch Katzen vertilgt. Am i5. Juli trafen sie nun in der Villa Pao ein, welche 1744 gegründet wurde, und zum Verkehre zwischen Neu-Barcellona und Angostura recht glück- lich gelegen ist. Sie liegt unter 8°, 37' 87" JXi Br. und 670, 8' ia" W. L. In den Umgebungen von Pao werden, was hier eine Seltenheit ist, einige Obstbäume angetroffen , und sogar Cocospalmen, die trotz ihrer weiten Entfernung vom Meere , den- noch ein recht gesundes und kräftiges Aussehen hatten. Hiernach ist es auch begreiflich, wie selbst zu Tombuktu, mitten in Afrika, Cocosbäume an- zutreffen seyen. Herr von Humboldt sah noch öfter, hundert Meilen von den Küsten, mitten in den Pflanzungen am Magdalenenstrome, schöne Co- cospalmen. — 213 — In fünf langweiligen Tagreisen gelangten sie von Villa del Pao nach Neu - Barcellona. Je mehr sie sich dieser Stadt näherten , desto heiterer wurde der Himmel , der Boden staubiger , die Hitze brennender. Sie durchzogen auch das Dorf Santa Cruz de Cachipo, welches eine hieine Cariben-Mis- sion mit ungefähr 5oo Seelen ist. Dieses Dörfchen liegt auf einem kleinen Plateau , das unter dem Na- men Messa de Amana bekannt ist. Sie bildet die Wasserscheide zwischen dem Orinoho , dem Quaro- piche und dem Küstenlande von Neu- Andalusien. Die Erhöhung dieses Plateau ist jedoch unbedeutend. Die Cariben wohnten früher meistens zwischen die- ser Messa und dem nördlichen Küstenlande, wur- den jedoch ihrer feindlichen Einfälle wegen , durch den Statthalter von Cumana 1720 nach den Gestaden des Unter - Orinoho vertrieben. Die ganze Ebene,, ein Raum von 7200 Geviert- meilen, besteht aus Secondarformation \ der rothe Sandstein mit Überresten von fossilem Holze liegt allenthalben zu Tage, bis er weiter östlich von Kalk und Gypsformationen bedeckt ist. Diese unermefs- liehen Ebenen würden sich auch vortrefflich eignen, um Meridiangrade zu messen, und zwar viel besser, als alle die Gegenden auf dem Plateau der CordiK leren, in Norwegen und überall , wo man bisher noch solche Messungen vorgenommen hat. Solche Messungen der Meridiangrade gewähren für Wissen- schaft und Leben die gröfsten Vortheile. Für die Wissenschaft dienen sie zur Erforschung der un- — 214 — gleichen Abplattungen des Erdkürpers und anderer Eigenschaften unscrs Planeten j für das Leben zur Verfertigung der Charten, die für die Regierung eines jeden Landes von so grofser Wichtigkeit sind. Das Dorf Santa Cruz, wo sie den 16. Juli über- nachteten, ist, wie schon gesagt, eine Cariben-Mis- sion. Sie wohnten beim Missionär, und die Ein- sicht in die Kärchenregister überzeugte sie auch hier von dem schnellen Wachsthume des Wohlstandes, der durch die Einsicht und den Eifer des Missionars sehr befördert wurde. Die Hitze hatte in den Step- pen einen so hohen Grad erreicht, und die Nächte waren so schön, dafs die Reisenden gerne die Nächte zu ihren Reisen benutzt hätten. Dieses war jedoch der vielen Räuberbanden wegen unmöglich , beson- ders da sie unbewaffnet waren. Die Ebenen waren mit Räuberschwärmen erfüllt, und sie mordeten besonders alle Weifsen, die ihnen in die Hände fie- len, mit unerhörter Grausamkeit. Die Rechtspflege war unerhört schlecht. Allenthalben waren die Ge- fangnisse mit Missethätern angefüllt, über die erst nach sechs bis acht Jahren ein Unheil gefällt wird. Vie- len darunter gelingt es sich durch Flucht zu befreien, und die menschenleeren Llannos gewähren ihnen Sicherheit und Nahrung. Sie treiben ihr Räuber- gewerbe, wie die Reduinen, beritten. Die Gefäng- nisse sind sehr ungesund , und diese Ungesundheit würde alle wegraffen, wenn sie sich nicht durch die Flucht retteten. Schon oben haben wir gehört, dafs selbst das nach langem Zögern von der Audicncia — 215 — zu Caracas gefällte Todesurtheil aus Mangel eines Scharfrichters nicht vollzogen werden tonnte , wo dem dann Gnade ertheilt wird, der die Hinrichtung der übrigen Verurtheilten übernimmt. Die Führer erzählten Herrn von Humboldt, dafs kurze Zeit vor ihrer Ankunft in Amerika ein Zambo, welcher durch besondere Rohheit und Entartung ausgezeichnet war, den Entschlufs gefafst habe, sich durch Übernahme des Henkergeschäfts der Strafe zu entziehen. Als er jedoch die Zurüstungen zu den Hinrichtungen sah , wurde sein Entschlufs erschüt- tert; er entsetzte sich über sich selbst, und zog den Tod demÜbermafse der Schande vor, die durch eine solche Lebensrettung ihn treffen mufste. Er bat, dafs man ihm die bereits abgenommenen Ket- ten wieder anlegen möge. Seine Haft dauerte je- doch nicht mehr lange , weil die Niederträchtigkeit eines Mitschuldigen die Vollziehung seiner Strafe be- wirkte. Ein solches Erwachen der Seele eines Mör- ders ist eine Sache, die das Nachdenken des Psy- chologen verdient. Derselbe Mensch , welcher als Raubmörder der Reisenden in der Steppe oftmals Blut vergossen hatte, schauderte vor dem Gedanken zurück, sich zum Werkzeuge der Gerechtigkeit zu machen , und eine Strafe an Andern zu vollziehen, die er selbst verdient zu haben fühlt. Er, der um elenden Raub willen mordete , will lieber sein Le- ben verlieren, als das Blut seiner Mitverbrecher vergiefsen. Ist dieses nicht die instinktmäfsige Ge- walt des Gewissens? — 21Ö — Wenn jedoch die Llannos schon in friedlichen Zeiten , in welchen Herr von Humboldt und Bon- pland dieselben besuchten , die Zufluchtsstätten der Missethater gewesen waren , die irgend ein Ver- brechen in den Missionen am Orinoko begangen oder aus den Gefängnissen sich geflüchtet hatten , wie mag es da wohl in diesen Steppen jetzt beschaffen se)Tn , wo sie der Schauplatz der Bürgerkriege ge- worden sind? Die ungeheure Ausdehnung des Rau- mes gewährt dem Flüchtigen Straflosigkeit. Man verbirgt sich leichter in den Savanen , als in un- sern Wäldern, und alle die Kunstgriffe einer euro- päischen Polizei scheitern da, wo es zwar Reisende gibt, aber keine Strafsenj Heerden , aber keine Hirten, und die Meiereien so vereinzelt sind, dafs man, trotz der Luftspiegelung, ganze Tage reisen kann , ohne auch nur eine einzige im Horizonte zu erblicken. Herr von Humboldt wirft nun die so äufserst in- teressante Frage auf: ob es der Cultur wohl jemals gelingen würde , diese ungeheuren Steppen und Ebenen der menschlichen Cultur zu unterwerfen, oder ob sie immer zu nichts andern, als Viehweiden verwendet werden könnten? Jetzt sind sie wahre Hindernisse des Fortschreitens des Ackerbaues und mit diesem auch der Givilisation. Sie hindern den Ackerbau, sich von Venezuela nach Guiana und von Potosi aus sich Buenos- Ay res zu nähern. Die Step- penbewohner sind immer und überall roher, als diejenigen , welche urbares Land bewohnen. Aus — 217 — demselben Grunde geschieht es aber auch, dafs der Krieg sich gern in die Ebene zieht. Auch bei den Unabhängigkeits- Kriegen waren dieLlannos und die Pampas der Schauplatz der sich bekriegenden Par- teien , und die Einwohner von Calabozo haben bei- nahe vor ihren Mauern das Schicksal Columbien's entscheiden gesehen. Die Steppen sind daher für das Land selbst von der gröfsten Wichtigkeit. Von Kriegsheeren werden dieselben mit der gröfsten Leichtigkeit durchzogen, indem diese allenthalben einen grofsen Übcrflufs an Pferden und Hornvieh, mithin an Transport und Lebensmitteln antreffen. Nirgends findet man aber auch verschiedenartige Eigenschaften des Bodens und Klima so nahe bei- sammen. Die Gebirge sind kalt bis zum ewigen Schnee, die Ebenen heifs. Daher der Unterschied der Tieras calientes und der Tieras fria , deren Be- wohner verschieden sind an Sitten , Cultur und Nei- gung. Diese Gegensätze werden jedoch nur sehr langsam verschwinden, und Jahrhunderte werden vorübergehen , bis die Wälder Guianas gelichtet werden. Die Natur setzt hier mächtige Hindernisse entgegen , und selbst die schwer zu lüftenden Wäl- der werden leichter menschlicher Gewalt weichen, als die Steppen sich dem Ackerbaue unterwerfen. WTas in den vereinigten Staaten so schnell vor sich gegangen ist, wird hier nicht so leicht gelingen. Die gut bewässerten Savanen Nord- Amerika's wer- den von den Steppen Süd- Amerika's an Ausdehnung, Trockenheit und Dürre bei weitem übertreffen. Bibl. natuih. Reisen. IV. 10 — 218 — Schon die Wälder Guianas sind schwer anzubauen, weil die Baumstämme, von 8 bis 10 Fufs Durchmes- ser , unter der Axt nur schwer fallen , ein ausneh- mend hartes Holz von dem ewigen Regen besitzen, und selbst mit dem Beile gefällt, sich an andere Baumstämme anhängen , und durch die Schlingpflan- zen gleichsam schwebend erhalten werden. Noch schwerer dürfte jedoch der allgemeine Anbau der Llannos werden. Übrigens zweifeln die Colonisten nicht, dals es gelingen werde, auch die Ebenen dem Ackerbaue au unterwerfen. Die Hindernisse sind freilich grofs , allein die wenigen Flüsse können zur künstlichen Bewässerung benutzt werden, ihre grofse Ausdehnung kann dureh eine grofse Volksmenge, ihre Unfruchtbarkeit durch den Fleifs derselben überwunden werden. Jetzt ist freilich noch nicht an ihre Urbarmachung zu denken j indessen haben Versuche um Calabozo und Pao bewiesen, dafs der Boden keineswegs ungeneigt sey, Bäume hervorzur bringen. Überall, wo Gebüsche von Mauritia - PaU men stehen , ist auch fruchtbares Erdreich , und wenn es gewifs ist, dafs dieses Buschwerk den feuchr ten Stellen sein Daseyn verdankt, so ist nichts desto weniger eben so gewifs, dafs die Bäume die frucht- baren Oasen vergröfsern helfen, in einem Lande, das seine Pflanzendecke durch eine uns unbekannte Catastrophe verloren hat. Jetzt ist es freilich der Fall, dafs diejenigen Colonisten, welche sich aus den angebauten Küstenländern in die Llannos be- geben , in der Civilisation einen Rückschritt thun, — 219 — indem die Steppenbewohner auch hier, wie überall in der Welt, an Bildung den Bergbewohnern nach- stehen. Allein defswegen darf man gar nicht zwei- feln , dafs es nicht einer zahlreichen Bevölkerung im Laufe der Jahrhunderte gelingen werde , auch diese Ebenen zu bevölkern und dem Ackerbaue zu unterwerfen. Eine gute Regierung und ein fleifsiges, zahlreiches Volk (z. B. 20 Millionen Deutsche) wür- den sogar Sahara, die grofse Sandwüste Afrika's, in ein Paradies verwandeln. Wie wichtig die Llannos von Caracas in militäri- scher Hinsicht sind, ist schon erwähnt worden, und ein Feind , der an den Quellen des Orinoko landete und durch die Llannos einbräche, würde dem blü- hendsten Theile Columbiens äufserst furchtbar wer- den. Von den Llannos aus könnte er das blühende Küstenland von Cumana, Caracas und Neu -Granada heftig beunruhigen ; im Falle eines Rückzuges im- mer in den Ebenen Zuflucht, Lebens- und Trans- port-Mittel finden, und so in ihrem Besitze Herr des Landes bleiben. Die spanische Regierung hat sehr viel auf die Befestigung der Nordküste Vene- zuela^, von Cumana bis Barcellona, verwendet; der militärisch wichtige Punkt sind jedoch die West- küsten und die Mündungen des Orinoko. Die Not- wendigkeit, diese Küsten zu bevölkern und durch feste Städte zu vertheidigen , wie auch sich gegen eine Hirtenbevölkerung, deren Geneigtheit zum Kriege und zu Unruhen bekannt ist , sicher zu stel- len , müssen eine aufgeklärte Regierung bewegen, 10* — 220 — der Cultivirung der Steppen allen möglichen Vor- schub KU leisten. Mit der landwirtschaftlichen Be- triebsamkeit werden alsdann auch mildere Sitten sich einfinden, und wenn auch nicht überall, so werden sich doch an den Ufern der Flüsse feste und bequeme Wohnsitze einer humanen Bevölkerung erheben» Viertes Kapitel. Erscheinungen in den Liannos. — Neu-Barcellona- — Aufenthalt daselbst. — Ausflüge. Nach dreitägiger Reise bekamen sie endlich wie- der die Bergkette von Cumana zu Gesicht, welche die Liannos, oder wie man hier sagt: das grofse Meer von grünem Grase von den Küsten des An- tillenmeeres trennt. Wenn der Brigantin über 800 Toisen Höhe hat, so müfste derselbe auf einer Ent- fernung von 27 Seemeilen zu sehen sevn. Allein die Beschaffenheit der Atmosphäre entzog den An- blick dieses Berges noch lange. Endlich zeigte sich eine Nebelschichte in der Entfernung; allmählich schien sich die Dunstwolke zu vergröfsern , zu ver- dichten, und alle Erscheinungen , die sich dem See- fahrer bei Annäherung der Küsten darbieten, sind hier ebenfalls zu bemerken , wenn man aus der Steppe kommt. Endlich schien das Himmelsgewölbe nicht mehr auf den Ebenen zu ruhen , sondern ge- gen Norden begrenzt zu werden. — 22 1 — Der Llanncro ist nur dann glücklich, wenn er rings um sich freie Aussicht hat. Was wir ein flach- hügeliges Land nennen , mit Wald und Thalern be- setzt, das ist in seinen Augen ein scheufsliches Land, voll Berge. Daher sind die Begriffe von Berg und Ebene, in Bezug auf ein Land, sehr relativ. Nach einem Aufenthalte mehrerer Monate am Orinoko in seinen dichten Wäldern , wo man sich gewöhnte, sobald man vom Strome entfernt ist, die Gestirne nur noch mehr am Zenith , wie aus einer Gruben- öffnung , zu betrachten , hat eine Wanderung durch die Steppen etwas Freundliches, Angenehmes, und man geniefst mit den Lianneros das Glück , frei um sich schauen zu können. Dieser Genufs ist jedoch von kurzer Dauer. Unstreitig liegt etwas Ernstes und Imponirendes in dem Anblicke eines Horizonts, der sich, so weit das Auge reichen mag, ausdehnt. Wir bewundern dieses Schauspiel , sey es auf dem Gipfel der Anden, sey es mitten auf dem Meere oder in der Steppe. Es ergreift uns das Gefühl von des Raumes Unendlichkeit, und erhebt die Seele derer, die an Begriffen einer höhern Ordnung und. der Buhe eines einsamen Nachdenkens Vergnügen linden. An jedem Orte gewährt dieser unermefs- liche Anblick einen eigenen Genufs. Vorn Gipfel eines hohen Berges erfreut uns die Mannigfaltigkeit des menschlichen Treibens, auf das wir blicken; auf der See ist die belebte und bewegliche Wasser- fläche mit ihrem dunkeln Blau und ihrer Menge le- bender Geschöpfe, welche eine lange Seereise kürzt. — 222 — Die einen grofsen Theil des Jahres hindurch stau- bige und zerrissene Steppe macht hingegen einen traurigen ur.d ermüdenden Eindruck, und ist "man nach acht- bis zehntägiger Wanderung einmal an die Luftspiegelung und das glänzende Grün der einzel- nen Mauritia -Büsche gewöhnt, so fühlt man das Bcdürfnifs mannigfaltiger Eindrücke , und freut sich herzlich , wieder in Gegenden zu gelangen , wo die grofsen Bäume der Tropenländcr , die stürzenden Ströme und die fleifsig bearbeiteten Rüsten den Eitel des Einerlei in uns verwischen. Die Ebene Südamerika's umfafst 98,000 Quadrat- Meilen, die Wüste Sahara 194,000 Quadrat- Meilen. Beide Ebenen liegen in der heifsen Zone. Wür- den sie. noch ausgedehnter seyn, so nähmen sie den Landstrich ein, durch welchen ein grofser Theil der schönsten Erzeugnisse der Tropenländer ver- loren ginge. Die Heiden des Nordens und die Steppen an der Wolga können nicht ärmer an Pflan- zen und Thierarten seyn, als diese Ebene unter dem schönsten Himmelsstriche der Erde , in dem Klima der Brotfruchtbäume und der Pisang. Bei der Armuth an Pflanzenreichthum erinnern nur des Nachts die schönen Sternbilder des Südens den Rei- senden , dafs er sich in den Tropenländcrn befindet. In den Ebenen der neuen Welt findet man auch keineswegs die Granitblöcke zerstreut, womit die nordischen Ebenen bedeckt sind, nämlich diejenigen der baltischen Ebenen. Man glaubt nun mit Gc- wifsheit, dafs diese Granitblöcke Trümmer eines — 225 — 'zerstörten Urgeblrgcs sind , das auf der scandinavi- sthen Halbinsel zerstört wurde, und durch eine un- bekannte Revolution seine Trümmer in die Ebenen Deutschlands geworfen hat. Hier in Amerika ist nichts dergleichen zu finden, obwohl sie von Urgc- birgen umgrenzt sind, die in ihren ausgezackten Gipfeln die Spuren gewaltsamer Zerstörung nicht verläugnen. Man findet auch nicht ein Steinchen, und es scheint diese Erscheinung in ganz Südamerika sich zu wiederholen, und wahrscheinlich auch in Afrika's Ebene. Die Granitblöcke des Nordens schei- nen daher durch eine ganz eigene, gewaltige Was- serfluth in die Ebenen geworfen zu seyn. (Wie wenn die ganze Ebene eine Ausfüllung eines Meerbusens durch ein vom Erdbeben zerstörtes Urgebirg wäre? Die Erdbeben der Vorwelt können nicht nach denen bemessen werden, die wir erleben.) Am 23. Juli langten unsere durchnäfsten , ver- brannten uud allen Beschwerden glücklich entkom- menen Freunde in Neu-Barcellona an. Die seit lange gewohnte Hitze hatte sie nie so sehr belästigt, als die Sandwinde , deren anhaltende Wirkung schmerzhafte Risse und Spalten in der Haut verur- sacht hatten. Sieben Monate zuvor hatten sie hier gelandet, und bei Herrn Lavie gefällige Aufnahme gefunden. Der Hausvater war damals gefangen, weil er beschuldigt wurde, dem unglücklichen Es- panna , der als Staatsverbrecher geächtet und spä- ter in Caracas hingerichtet worden war, Aufenthalt gewährt zu haben. Jetzt war er frei , und unsere — 224 — Reisenden hatten die Freude, denjenigen in seiner Familie sehen zu können , dem sie früher im Ge- fängnisse Besuche abgestattet hatten. Übrigens hatte die erlittene Behandlung seine Gesundheit dermafsen untergraben, dafs er die neuesten Ereignisse , die seinem Vaterlande Selbstständigkeit gaben , nicH mehr erlebte. Neu • Barccllona ist ein wichtiger Handelsplatz. Die Stadt wurde 1687 von dem catalonischen Er- oberer Juan Urp in gegründet; 1790 hatte sie 10,000, und im Jahre 1800 16,000 Einwohner. Man liattc an der Mündung des Rio Ncveri i588 eine indiani- sche Stadt gebaut, die den Namen St. Christoval de las Cumanagotos führte. Die Bewohner waren lau- ter Eingeborne, aus den Salinen von Apaicuare da- hin gekommen. 16^7 erbaute Juan Urpin zwei Mei- len landeinwärts die spanische Stadt Neu - Barcel- lona. Beide Städte lebten neben einander 3+ Jahre lang im Streite , bis 1671 der Gouverneur Angulo sie beredete, sich in einer dritten Stadt dein nun- mehrigen Neu - Barccllona zu vereinigen. Diese Stadt liegt nun unter io°, 6' 02" N. Br. Die alte Stadt Cumanagoto ist berühmt durch ein wundtrthätiges Bild der heiligen Jungfrau, das, nach Angabe der Indianer, in dem hohlen Stamme eines Tutumo oder Crescentia Cujete gefunden ward. Das Mutter- Gottesbild ward in Procession nach Neu- Barcellona gebracht; jedes Mal jedoch, wenn der Clerus mit den Bewohnern der neuen Stadt unzu- frieden zu seyn Ursache hatte, entfloh das Bild nacht- Heber Weile aus der Stadt, und kehrte in den Baum- stamm zurück an die Ausmündung des Flusses. Die« ses beunruhigende Wunder hörte nicht eher auf, bis ein grofses Kloster für die Franziskaner und das Bild erbaut ward. Das Klima von Neu - Barcellona ist nicht so heifs, wie das von Cumana , hingegen feucht, und in der Regenzeit etwas ungesund. Herr Bonpland hatte die beschwerliche Reise durch die Llannos recht gut ausgehalten, und mit seinen Kräften seine Thä- tigkeit wieder erlangt. Herr von Humboldt fühlte sich jedoch in Neu - Barcellona übler, als in Ango- stura. Einer jener Tropenregen, wo bei Sonnen- untergang. Tropfen von aufscrordcntlicher Gröfse, einzeln in bedeutenden Zwischenräumen niederfallen, hatte ihm ein Ubelseyn verursacht, das einen An- fall von Typbus, der damals auf der Küste herrschte, befürchten liels. Sie verweilten daher einen Monat in Neu - Barcellona , und genossen daselbst aller Liebe und Sorgfalt, welche die zuvorkommendste Freundschaft zu leisten vermag. Hier fanden sie auch jenen Ordensmann aus Cumana wieder, Franz Juan Gonzalez , der früher schon auf die oben er- wähnte Art den Orinoko bereist hatte. Er be- dauerte die Kürze der Zeit, welche die Reisenden auf die Untersuchung jenes unbekannten Landes hat- ten verwenden können. Er betrachtete mit der in- nigsten Theilnahme die Pflanzen und Thiere, wel- che sie mitgebracht hatten. Er hatte beschlossen, nach Europa zurückzukehren , und die Reisenden — 226 — nach der Insel Cuba zu begleiten. Sie waren sie- ben Monate nun beisammen mit diesem muntern, geistreichen und dienstfertigen Ordensmanne , und Niemand ahnte wohl das Unglück , welches seiner wartete. Er hatte einen Theil der Sammlungen mit- genommen j ein Knabe ward ihm anvertraut, der in Spanien erzogen werden sollte; die Sammlungen, das Kind, der junge Ordensmann, alles ward eine Beute der Wellen , von denen sie verschlungen wurden. Südostwärts von Neu - Barcellona > in der Ent. fernung von zwei Meilen, erhebt sich eine sehr hohe Bergkette , die an den Brigantin gelehnt ist. Der Ort ist unter dem Namen der heifsen Wasser be- kannt. Als sich Herr von Humboldt wieder besser befand , machten sie einen Ausflug dahin , an einem kühlen, neblichten Morgen. Die schwefelhaltigen warmen Wasser kommen aus quarzigem Sandsteine, der auf Kalkstein aulliegt. Die Temperatur des Wassers beträgt nur 43°, 2 Centesimal-Theile, wäh- rend die Atmosphäre 270 beträgt. Anfänglich rinnt es in einer Länge von 4° Toisen über die felsige Bodenfläche , alsdann stürzt es sich in eine natür- liche Grotte, aus der es durch den Kalkstein am Fufse des Berges, am linken Ufer des kleinen Flus- ses Nariqual hervorquillt. Die mit der Atmosphäre in Berührung stehenden Quellen liefern einen beträchtlichen Schwefelnieder- schlag. Die Schwefelwasscr von San Juan , die, gleich jenen von Brigantin, aus dem Kalkgebirg her- — 227 — * vorkommen , zeigen auch nur eine schwache Tem- peratur, nämlich 3i°, 3, während diejenigen in der nämlichen Region von Mariara und von Trinchera, die eine 58°, 9, die andere 900, 4 Temperatur be- sitzen. Man könnte glauben, die Wärme , welche die Quellen im Innern der Erde erhalten haben, nehmen in dem Verhältnisse ab, wie sie vom Urge- birge in die auf diesem aufliegenden Secondärfor- mationen übergehen. Der Ausflug hatte etwas sehr Unangenehmes in seiner Begleitung, Der gefällige Wirth hatte für die geliebten Gäste seine schönsten Reitpferde hergege- ben. Sie wurden zu gleicher Zeit gewarnt, den kleinen Flufs Nariqual ja nicht zu durchreiten. Sie machten daher ihren Übergang auf einer kleinen Brücke aus neben einander liegenden Baumstämmen, und liefsen die Pferde am Zaume schwimmen. Das- jenige , welches Herr von Humboldt geritten hatte, verschwand plötzlich 5 sie sahen, dafs es unter dem Wasser eine WTeile umherschlug, aber es war ver- loren , ohne die Ursache dieses Ereignisses zu er- fahren. Die Führer meinten , das Thier sey durch die häufigen hier befindlichen Caymans bei den Füs- sen gepackt worden. Herr von Humboldt befand sich nun in der gröfsten Verlegenheit. Bei der Ge- fälligkeit, demReichthume und Zartgefühle ihresWir« thes war nicht daran zu denken , Ersatz zu leisten. Herr Lavie suchte sie aus der Verlegenheit zu zie- hen, indem er die Leichtigkeit, mit der er schöne Pferde aus der Savane erhalte, übertrieb. — 228 — Die Krokodillc vom Rio Neveri sind grofs und zahlreich, besonders in der Nähe der Ausmündung des Flusses. Sie nehmen sogar mit Pferden vorlieb. Ihr Naturell ist jedoch milder, als derjenigen vom Orinoko. (Ob sich übrigens meine jungen Freunde, die dieses lesen , der Milde eines solchen Pferde- bändigers anvertrauen mögen , stelle ich ihnen an- heim.) Die Wildheit dieser Thiere bietet in Ame- rika-dieselben "Widersprüche dar, wie in Egypten undNubien , und wie solche aus aufmerksamer Ver- gleichung der Erzählungen des unglücklichen Burk- havdt sowohl , als des Herrn Belzoni hervorgehen. Der Culturzustand der verschiedenen Lander , und die Verhältnisse der Bevölkerung in der Nähe der Flüsse bringen auch wesentliche Veränderungen in der Lebensart dieser Eidechsen hervor, die auf trocknem Lande furchtsam sind, und selbst im Was- ser, wofern sie sattsame Nahrung haben, und der Angriff mit einiger Gefahr verbunden ist, den Men- schen fliehen. (Sind denn aber wirklich die zahmen P»rokodille dieselben, welche die wilden sind ? oder sind es nicht vielmehr verschiedene Arten? Neuere Naturforscher wollen im Nile wirklich mehrere Ar- ten bemerkt haben , von denen einige reifsend , an- dere ganz unschädlich sind.) In Neu- Barcellona wenden die Indianer ein ei- genes Verfahren an , um ihr Holz zu Markte zu bringen. Die grofsen Scheiter und Klötze werden in den Flufs geworfen, dessen Strömung sie fort- führt. Die Eigenthümer des Holzes begleiten sie, — 22Q — und schwimmen, wo es nöthig ist, um die Kahl rei- chen Stücke, die in Buchten hängen bleiben, wie. der los zu machen. In andern amerikanischen Flüs- sen , wo Krokodille sind, dürfte man ein solches Verfahren nicht wagen. Die Stadt Neu - Barcellona besitzt nicht, wie Cumana, eine indianische Vorstadt, und die wenigen Eingebornen , die man zu sehen bekommt, sind aus den benachbarten Missionen oder aus den in der Nähe zerstreuten Hütten. Es sind keine Cariben, sondern Cumanagoten, Palenken und Piritu's, kleine untersetzte Menschen, meist Müfsig- gänger und Trunkenbolde. Der gegohrne Manioc ist ihr Lieblingsgetränk, denn der Palmenwein findet sich an den Küsten beinahe gar nicht. Sonderbar ! dafs die Sucht, sich zu berauschen, unter allen Him- melsstrichen den Menschen entehrt. Nicht nur alle Pflanzen , sondern sogar giftige Blätterschwämme (Amarita muscaria) werden zu solchen abscheulichen Zwecken benutzt. Und die Koriäkcn trinken diesen Saft, und wie tief kann Trunksucht den Menschen entehren ! sie lassen ihn öfter durch den Leib ge- hen, nur um öfter sich berauschen zu können. Die- ser Blätterschwamm verursacht ein fünf Tage lang anhaltendes Zittern des Körpers. Wahrlich so lange die Menschen nicht auf Mittel gerathen , sich der Trunksucht zu entschlagen, so lange die entehrende Gewohnheit, sich zu berauschen, die Gesellschaft befleckt, ist weder an Civilisation noch Humanität, am allerwenigsten aber an Treue und Glauben, an den Fortbestand der bürgerlichen Gesellschaft zu — 230 — denken. Der nüchterne Mensch ist ruhig , fleifsig, fromm, vernünftig und treu. Der Trunkenbold hat auf alle Tugenden Verzicht geleistet. Indem er sich der Ehre, Mensch zu seyn , beraubt hat, so dafs sich seiner Genossenschaft auch das Thier schämen würde , hat er auch zugleich jeder Tugend entsagt, welche den Menschen ziert. Kicht nur selbst un- fähig zum Guten, ist er feil jedem Laster, das mit Befriedigung seiner abscheulichen Sucht bezahlt wird. Fünftes Kapitel. Reise nach Cumana. — Aufenthalt daselbst. — Abreise nach der Havannah. Da seit drei Monaten die Packetboote ausge blieben waren , so muthmafste man , sie seyen von den Engländern genommen worden. Indem es jedoch für die Reisenden wichtig war, Cumana zu errei- chen, um mit erster Gelegenheit nach Veracruz ab- zugeben, so mietheten sie am 6. August 1800 ein offenes Boot oder Lancba, wie man sie hier nennt. Da die See hier meist ruhig ist, so bedient man sich häufig solcher Lanchen. Diese Lancha war mit Cacao beladen, um ihn nach der Insel Trinidad ein- zuschmuggeln , wefshalb der Patron des Fahrzeugs auch nichts von den englischen Schiffen besorgte, welche damals alle spanischen Häfen blokirten. Sie schifften nun ihre Sammlungen und Instru- — 231 — mente ein, und fuhren den Rio Neveri hinab, um nach Cumana zu gelangen. Kaum waren sie jedoch in den schmalen Canal gelangt, der das Festland von den Felsen - Inseln la Boracba und Chimanas trennt, so begegneten sie auch, zu ihrem nicht ge- ringen Erstaunen , einem bewaffneten Fahrzeuge, welches mit Flintenschüssen ihnen still zu stehen befahl. Es waren dies Matrosen , die einem Corsa- ren von Halifax gehörten. Unter den Matrosen be- fand sich auch ein aus Memel gebürtiger Preufse, den Herr von Humboldt an seiner Physiognomie und Stimme erkannte. Obwohl die deutschen Töne in so fernen Landen und nach so langer Zeit lieblich in die Ohren des Herrn von Humboldt tönten , so hätte er doch seinen Landsmann lieber bei einer an- dern Gelegenheit begrüfst. Trotz aller Protestatio- nen mufste man auf den Corsaren wandern , der die Pässe , welche der Gouverneur von Trinidad den Schmugglern ausstellte , nicht kennen wollte, und alles sammt und sonder für gute Prise erklärte. Herr von Humboldt trat nun mit dem Capitän in Unterhandlung, um nicht .nach Neu- Schottland gebracht zu werden, und bat, auf der benachbarten Küste ausgesetzt zu werden. Allein während Herr von Humboldt die Rechte des Bootes vertheidigte, brach auf dem Verdecke plötzlich Lärm aus; dem Capitän ward leise Bericht erstattet, und dieser schien davon eben nicht sehr erbaut zu seyn, in welcher Stimmung er Herrn von Humboldt sogleich verliefs. — 232 — Die Sccne änderte sich nun. Eine englische Cor- vetle hatte in diesen Wässern gekreuzt, den See- räuber ersehen, ihm Halt zugerufen, und da er, wie alle Räuber, nicht halten wollte, eine runde Bot- schaft aus einer Kanonenröhre abgesandt , die ihn sogleich zum Stehen brachte. Die englische Cor- vettc hatte nun einen Seecadetten an Bord gesandt, der ein höflicher junger Mann war, und sogleich Hoffnung machte , dafs das Boot frei gelassen wer- den würde, damit sie am folgenden Tage ihre Fahrt fortsetzen könnten. Er schlug auch Herrn von Hum- boldt vor , ihn auf die Corvettc zu begleiten, wo der Capitän ihn ein angenehmeres Nachtlager, als der Halifax , anbieten w ürden. Herr von Humboldt nahm den Antrag an, und der Capitän erwies ihm Höflichkeiten aller Art. Er hatte mit Vancouver die Reise nach der Nordwest - huste Amerika's gemacht, und äufsertc lebhafte Theil- nahme für alles , was Herr von Humboldt über die Cataracten des Orinoko und den Amazonenstrom erzählte. Es waren auch mehrere OfTiciere am Bord, die mit Lord Marcartney in China gewesen waren; die Gesellschaft bestand also aus vielen kenntnifs- rcichen Personen, und war sehr angenehm. Da man durch die englischen Zeitungen von des Herrn von Humboldts Reise unterrichtet war, so behandelte man ihn sehr vertraulich, und wies ihm ein Nacht- lager im Zimmer des Commandanten an. Beim Ab- schiede schenkte man ihm auch einen Jahrgang astro- nomischer Ephemeriden, die für Herrn von Hum- — 233 — boldt von sehr grofser Wichtigkeit waren. Nach langem Leben mit Wilden in den Wäldern des Cas- siquiare mufs das Zusammentreffen mit kcnntnifs- reichcn Männern von dem gröfsten Interesse seyn. Die Unannehmlichkeit mit dem Corsaren hatte daher einen sehr angenehmen Genufs und einen sehr fröh- lichen Abend zur Folge. Am folgenden Morgen wurde in dem nun wieder freien Fahrzeuge die Fahrt in dem Canale fortge- setzt. Die Fahrwasser sind hier tief, und die Fel- senwändc so steil , dafs sie die Corvettc ganz nahe an den Felsenmauern hinstreifen sahen. Die Menge der Alcatra's, die gröfser, als unsere Schwäne sind, die der Flamingo's , welche in Buchten Fische fingen oder die Pelikane verfolgten, verkündigten die Nähe des ewig heitern Cumana. Es war schön, die Vögel zu beobachten , die beim Sonnenaufgange plötzlich hervorkommen, und die Landschaft beleben: es er- innert dies an die Regsamkeit, welche unsere Städte des Morgens entwickeln. Gegen neun Uhr Morgens befanden sie sich wie- der am Eingange des Golfes von Cariaco ; jetzt sahen sie sich das Schlofs St. Anton hervorheben. Mit. Rührung erkannten sie das Ufer, wo sie den Boden Amerika's zuerst betreten hatten , wo sie die erste Pflanze gepflückt, die ersten Guayquerier ge- sehen, und Herr Bonpland die Gefahr mit dem Zambo bestanden hatte. Jetzt wurden auch die zwischen den Cactus - Leuchtern liegenden indiani- schen Hütten sichtbar, der Wald von Cactus, die — 234 — zerstreuten Hütten, der grofse Ceiba-Baum, unter dem sie so gerne gebadet hatten, alles war ihnen bekannt. Nun harnen ihnen auch ihre Freunde aus Cumana entgegen; alle Bekannte hiefsen sie herzlich will- kommen. Diese Freude war um so herzlicher, als sich wenige Monate zuvor die Nachricht verbreitet hatte, dafs sie am Orinoko umgekommen seyen. Sie beeilten sich nun, den Gouverneur zu besuchen, des- sen Empfehlungen ihnen während der Reise so nütz- lich geworden waren. Er verschaffte ihnen sogleich ein sehr bequemes Haus mitten in der Stadt, das für Sternbeobachtungen äufserst bequem lag. Es hatte Terrassen , von denen man die prachtvollste Aussicht auf das Meer, die Halbinsel Araya und die Inseln des Meerbusens geniefst. Der Hafen von Cumana ward durch englische Schiffe täglich enger blokirt, und dieser Umstand zwang sie, noch dritthalb Monate länger in Cumana zu verweilen. Sie waren oft ungeduldig, und woll- ten nach den dänischen Inseln übersetzen , wejehe neutral, d. h. mit keiner Partei im Kriege waren; allein sie fürchteten , dafs wenn sie einmal die spa- nischen Colonien verlassen hätten, es ihnen nicht so leicht seyn dürfte , in dieselben wieder zurück- zukehren. Es wurde also die Zeit mit botanischen, geognostischen und mineralogischen Arbeiten aus- gefüllt. Die lebenden Thiere, welche sie vom Orinoko mitgebracht hatten, waren ein Gegenstand grofser Neu- gierde der Einwohner von Cumana. Der Kapuziner- — 255 — Affe von Esmcralda, welcher durch seine Physio- gnomie dem Menschen so ähnlich ist, und der Schlä- fer-Affe (simia trivirgata) waren hier noch nie ge- sehen worden. Diese Affen waren für den Pflanzen- garten zu Paris bestimmt, allein sie starben alle auf Guadeloupe; und nur die Haut der simia chiropo- des hra nach Paris. Vom 3. bis 5. November besuchten sie nochmals die Halbinsel Araya. Sie besuchten alle Orte und Gegenstände wieder, die schon im ersten Bändchen beschrieben sind. Zu diesem ham noch , dafs die Indianer Arum aus den Bergen brachten, und Hoff- nung gaben , dafs in den Bergen von Maniquarez eine Alaunmine zu finden seyn dürfte. Ob sie auch den philosophischen Schulmeister, der die Perlen verachtet hatte , besuchten, ist nicht gesagt. Um die erwähnte Alaun -Mine aufzusuchen, gingen sie am 4« November um i Uhr nach Mitternacht unter Segel. Widriger Wind verzögerte die Fahrt, sie wurden aber durch den Anblick des phosphores- cirenden Meeres dafür entschädigt. Kleine Delphine umkreisten die Pirogue und machten den Anblick noch schöner. Noch ein Mal fuhren sie an der Stelle vorbei , wo das Erdöhl aus dem Glimmerschiefer hervorquillt, und den Geruch davon weit umher verbreitet. Wenn man sich erinnert, dafs mehr östlich, nahe bei Cariaco, heifse , im Grunde des Meeres sich öffnende Quellen ansehnlich genug sind, um die Temperatur des Meerwassers zu verändern, so liegt wohl aufser Zweifel, dafs das Erdöhl durch — 25Ö — eine Art Destillation aus ungeheurer Tiefe und aus jenem Urgebirge hervorkömmt , unter welchem der Heerd aller vulkanischen Erschütterungen zu su- chen ist. Die Laguna Chica ist eine von senkrecht abge- stutzten Bergen eingeschlossene Bucht, die mit dem Golfe von Cariaco durch einen schmalen, 20 Klafter tiefen Canal zusammenhängt. Hier verengert sich die Halbinsel Araya so sehr, dafs sie von einem Meere zum andern nur etwas über 4000 Toisen breit ist. Diesen kurzen Weg mufsten sie zurücklegen, um den Alaun zu erreichen, und an das Cap zu ge- langen, das den Namen Punta de Chuparuparu führt. Der Weg wird jedoch dadurch schwierig, dafs es keinen gebahnten Fufspfad gibt, und man über eine nackte zerrissene Felsengräte den Weg sich erst bahnen mufs. Der höchste Punkt hat nicht über 200 Toisen Höhe , aber die Berge zeigen höchst seltsame Gestalten. Man sieht hier wahre Spitz- berge und Zacken, die man, aus der Ferne gesehen, für isolirt halten möchte. Pflanzenerde findet sich nur bis 3o Toisen Erhöhung; wenn aber auf die blühenden Melonen nur etwas Regen fallt, so lie- fern sie, der anscheinenden Trockenheit der Luft ungeachtet, Früchte von 60 bis 70 Pfund Gewicht. Die Trockenheit der Luft ist hier nur scheinbar, und der Hygrometer zeigt, dafs sie fast von Dün- sten gesättigt ist. Ob nun wohl hier oft in 12 und i5 Monaten kein Regen fällt, gedeihen in dieser warmen und feuchten Luft die Wassergewächse doch — 237 — vortrefTlicb, und die Kürbisse, Agaven und die Cac- tus, besonders die halb im Sande vergrabenen Me- lonen-Cactus, erhalten seltene Vollkommenheit. Als die Reisenden im Jahre vorher hier waren, herrschte, wegen der grofsen Dürre so grofser Wassermangel, dafs mehrere hundert Ziegen umkamen. Seit der Zeit hatte sich die Jahreszeit umgekehrt, und es waren sehr häufige Regenniederschläge erfolgt. In Europa kann ein Steinregen die Phantasie nicht mehr beschäftigen, als die ordinären Regen hier, wo diese so selten sind. Nach neunstündigem vergeblichen Suchen fanden sie endlich das Mineral in einer sehr schwer zu- gänglichen Schlucht , welches ihnen als Alaun in Cumana vorgewiesen worden war. Der Glimmer- schiefer ging plötzlich in gekohlten Thonscliiefei" über. Es war sogenannter Zeichenschiefer. Die Gewässer der dort befindlichen kleinen Quellen hat- ten einen zusammenziehenden Geschmack , und die Wände der benachbarten Felsen waren mit haar- förmigen Krystallen und Blumen von Alaun über- zogen. Es dehnten sich wirklich zwei Zoll dicke Schichten von natürlichem Alaun, so weit das Auge reichte, über den Thonschiefer aus. Das Mineral ist weifsgrau, aufsen etwas matt, inwendig aber von einem glasartigen Glänze -, sein Bruch ist nicht faserig, sondern unvollkommen schneckenlinig. In dünnern Bruchstücken ist er halb durchsichtig. Der Geschmack ist etwas süfslich und zusammenziehend, ohne Beimischung yon Bitterkeit, Übrigens scheint — 238 — die ganze Umgebung auf Urgebirg hinzudeuten, und so ist das Vorkommen des Alauns imUrgebirge sehr bemerkenswerth. Im Jahre 1785 ist in Folge eines Erdbebens eine grofse Felsenmasse in den Aroyo del Rebalo nie- dergestürzt, da sammelten die Indianer Alaunstücke, die 5 bis 6 Zoll im Durchmesser hielten, und völlig durchsichtig und rein waren. Dieser Alaun ward in Cumana , das Pfund um zwei Realen , an Schu- ster und Färber verkauft, während der aus Spanien kommende Alaun sechs Mal so viel kostete. Dieser Preisunterschied beruhte mehr auf Vorurtheil , als auf geringerer Qualität des Alauns ; denn gereinigt würde der einheimische eben so gut seyn. Jetzt empfängt Südamerika seinen Alaun aus Eu- ropa, wie Europa denselben bis ins i5. Jahrhundert von den Asiaten erhalten hatte. Indessen wird auch Südamerika mit der Zeit seine Reichthümer nützen lernen , und finden , dafs es in keinem Stücke von der Natur vernachläfsigt ist. Nach diesen Unter- suchungen fuhren sie mit der Familie des Herrn Navarete nach Maniquarez , wo sie erst in der Nacht eintrafen. Der Aufenthalt in Cumana wurde noch um zwei Wochen verlängert, in der Hoffnung, das spanische Courierschiff zu erwarten, um mittelst desselben nach Cuba zu gelangen. Da jedoch keine Hoffnung vorhanden war, diese Gelegenheit ankommen zu sehen, so benutzten sie ein amerikanisches Fahrzeug, welches in Neu -Barcellona Pökelfleisch einnahm, um — 259 — solches nach der Insel Cuba zu bringen. Sechzehn Monate waren nun verflossen an diesen Küsten und im Innern von Venezuela , und die Sehnsucht nach den Cordilleren immer lebhafter geworden. Sie hatten um 5o,ooo Franken Wechsel auf die besten Hä'user in Havannah bei sieh,, dennoch wären sie ohne die Vorschüsse des Gouverneurs beinahe in Verlegenheit gerathen. Es war nämlich zwischen den Golonien desselben Mutterstaates nicht immer der vertrauliche Zusammenhang, den man vermuthen sollte* Am 16. November trennten sich unsere Reisen- den , um die Fahrt zum dritten Male im Golfe von Gariaco nach Neu-Barcellona zu versuchen. Die Nacht war kühl und sehr angenehm. Nicht ohne Rührung, sagt Herr von Humboldt, sahen wir zum letzten Male die Gipfel der an den Ufern des Man« zanares sich erhebenden Cocospalmen , von der Mondscheibe beleuchtet. Geraume Zeit blieb unser Blick an die weifsliche Küste gefesselt, auf der wir ein einziges Mal nur über Menschen zu klagen Ursache hatten. Der Wind wehte so günstig , dafs wir in weniger als sechs Stunden beim Morro de Nucva Barcellona ankerten. Das Schiff, das uns nach der Havannah bringen sollte, war zum Ab- segeln bereit. — 240 — Sechstes Kapitel. Allgemeine statistische Bemerkungen über Venezuela. Nachdem Herr von Humboldt die Geschichte sei- ner Reisen bis zur Abreise nach Cuba vollendet hat, macht er in der Erzählung einen Stillstand, um in einem sehr langen Kapitel alles zusammen- zustellen, was er in Hinsicht auf Landesreichtbum, Bevölkerung, Ausdehnung, Erzeugnisse und ähn- liche zur Statistik Amerika's gehörige Gegenstände gesammelt hat. Alle diese Gegenstände sind nun äufserst lehrreich, aber für junge Gemüther, wie ich mir meine Leser und Leserinnen denke, etwas trocken. Es gibt hier viele Zahlen, und die liebe Jugend rechnet nicht gerne , obwohl es ihr sehr zu empfehlen ist, weil das Rechnen denn doch die schönste Erfindung des menschlichen Geistes ist. Ganz kann ich jedoch meine Leser nicht davon befreien, ich werde daher in diesem Kapitel alles dasjenige darlegen, was ich glaube, dafs es für die jungen Leser Interesse hat. Es wird demnach eine verglei- chende Schilderung des Territorial -Reichthums, der Bevölkerung, des Handels u. s. w. folgen. Bemerken mufs ich jedoch meinen jungen Lesern auch, dafs dasjenige, was auf Bevölkerung und Ackerbau Be- zug hat, nur für damals gilt, als Herr von Hum- boldt in Amerika war. Leidige Natur- und Bürger- Revolutionen haben seit der Zeit so manches ver- ändert. Das Territorium ist aber noch dasselbe, — 241 — und auch der alte Ceiba steht noch an der Küste von Cumana. Die amerikanische Welt findet sich gegenwärtig unter drei Nationen europäischer Herkunft getheilt. Das mächtigste Volk ist deutschen Ursprungs, das ausgebreitetste ist lateinischer Abkunft. Viertausend Meilen Küstenland sind allein von den Spaniern und Portugiesen besetzt. Die zwei Völker, welche in Euiopa auf der Pyrenäen - Halbinsel Machbaren sind, sind es auf einer ungleich colossalern Halb- insel auch über dem Meere geworden, und seltsam ! beinahe in derselben Proportion. Man kann sagen, von Calefornien bis zur Mündung des la Plata, auf dem Rücken der Cordilleren, wie in den Wäl- dern des Amazonenstroms , sind ihre verbreiteten Sprachen Denkmäler des Nationalruhmes, welche alle politische Veränderungen überleben werden. Die Bewohner vom spanischen und portugiesi- schen Amerika bilden heut zu Tage eine beinahe zwei Mal gröfsere Bevölkerung, als jene die von brittischer Abstammung sind. Die französischen, dänischen und holländischen Besitzungen sind von geringerem Belange. Man mufs jedoch auch noch der Colonien slavischcr Herkunft erwähnen, welche sich von der Halbinsel Alatschka in Calefornien anzusiedeln bemühen; dann mufs man auch die grofse Negcrcolonie auf Haiti bedenken , welche Belzoni's Weissagung von i545 erfüllt haben. Die Insel Haiti ist dritthalb Mal so grofs , als Sicilien, und von grofsem politischem Gewichte. Was aus diesem Volke Bibl. naturh. Reisen. IV. ! \ — 242 — wird, das mufs man erwarten» Alles genau genom- men bleibt Amerika doch hauptsächlich zwischen drei Kationen, den Brillen, Spaniern und Portugie- sen getheilt. Die Britten bedecken die Meere mit ihren Schiffen, und der Handel der Anglo- Ameri- kaner hat eine bisher in der Geschichte beispiellose Ausdehnung erhalten. Sie haben vom Mutterlande Aufklärung, Literatur, Fleifs und Einrichtungen geerbt. Die Cultur der Colonial- Produkte hat den schändlichsten Sclavenhandel besonders in die spa- nischen und portugiesischen Besitzungen eingeführt^ und die Einführung der Keger ist für beide Halb- luigeln verderblich geworden. Glücklicher Weise ist die Sclavenbevölkerung auf dem Festlande des spanischen Amerika, im Verhältnisse zu Brasilien, nur gering. Die spanischen Colonien haben bei einer Gröfse, die Europa um ein Fünftel übersteigt, nicht so viel Kegersclaven , als der einzige Staat VWginien davon besitzt. (Jetzt aufser Cuba und Portorico keine mehr.) Jetzt erreicht die Gesammtbevöikerung Ameri- ka's die von Frankreich oder Deutschland nicb<, allein es läfst sich mit Gewifsheit vorhersagen, dafs- keine anderthalb Jahrhunderte vergehen werden, bis sie die von ganz Europa übersteigt, und es ist nicht zu viel angenommen, wenn man sich einst eine Be- völkerung Amcrika's denkt , welche die jetzige des ganzen Erdballs begreift. Defswegen wird aber Eu- ropa nicht zu Grunde gehen , vielmehr wird sich alles ausgleichen , und Mutter und Tochter blühen — 243 — und gedeihen. Es liegt gewifs nicht aufser dem Plane der Vorsehung, dafs der ganze Erdball der Aufklä- rung und des Christenthums, oder was dasselbe ist, einer dauerhaften Sittigung theilhaftig werde. Übrigens wird sich Südamerika nicht so schnell bevölkern, wie Nordamerika, weil die Aequinoctial- Länder der hohen Gebirge, der Wälder, die dem Beile und Feuer trotzen , der mit Insekten erfüllten Luft wegen dem Anbaue mehrere Hindernisse ent- gegensetzen, als die vereinigten Staaten. Wir kom- men nun zum Umfange des Landes und seiner ge- genwärtigen Bevölkerung ! Vier und dreifsig Millionen Menschen bewohnen jetzt dieses ungeheure Festland , wovon 16% Millio- nen in den Besitzungen spanischer Amerikaner, 10 Millionen im brittischen Amerika , und 4 Millionen im portugiesischen Antheile sich befinden. Die ver- einigten Staaten sind beinahe um ein Vierttheil grös- ser, als Rufsland westwärts vom Ural, und das spa- nische Amerika gröfser als ganz Europa. Die ver- einigten Staaten haben 5/6 der Bevölkerung des spa- nischen Amerika, obgleich ihre Landes- Oberfläche nicht halb so grofs ist. Brasilien enthält noch der- mafsen öde Landschaften, dafs auf ihrer Oberfläche, die nur ein Drittheil kleiner , als spanisch Amerika ist, die Bevölkerung sich wie 1 zu 4 §egen das spanische Amerika verhält. Folgende Tabelle ist das Resultat der Berechnungen des Herrn von Hum- boldt 244 — Grofse politische Eintheilungen. Ober- fläche in Meilen, wovon 20 auf einen Grad. Bevölkerung im Jahre i8i3. I. Spanisch amerikanische Be- sitzungen Mexiko oder Neu - Spa- nien ....... Guatimala Cuba und Portorico . . /'Venezuela • Columbien -l Neu • Granada \ und Quito . Peru Chili Buenos -Ayres II. Portugiesisch - amerikani- sche Besitzungen (Bra- silien) III. Englisch - amerikanische Besitzungen (vereinigte Staaten) 37i,38o 16,785,000 75,83o 6,800,000 16,740 1,600,000 443o 800,000 33,700 785,000 58,25o 2,000,000 41,420 1,400,000 14,240 1,100,000 126,770 2,3oo,ooo 256,990 44)3°° 4,000,000 0.220,000 Dieser Tabelle fügen wir noch eine andere nach den neuesten Berechnungen bei. 245 Politische Eintheilung. Areal. Volksmenge. Englisch -Amerika. . • . Russisch- Amerika . . ♦ . Vereinigte Staaten . . . Mexiko Guatimala , Peru Chili la Plata Brasilien | Columbien Patagonien Haiti Europäische Colonien in den Inseln 171,000 24»000 108,000 74,000 1 1,200 64,300 10,600 67,000 l4o,00O 63,5oo 3i,2o6 7,385 7,000 800,000 5o,ooo 1 1,000,000 7,760,000 1,400,000 i,5oo,ooo i,3oo,ooo 2,100,000 4,200,000 3,100,000 400,000 1 980,000 2,600,000 Gesammtsumme , . ♦ Hiezu noch die Guianas 779,191 3 1,000 37,190,000 200,000 jj Gibt zusammen 810,191 37,390,000 Die erste dieser Tabellen gibt die Übersicht nach Herrn von Humboldt von i8i3; die zweite gibt den Flächen -Inhalt und die Bevölkerung des gesammten Amerika von 1823. — 246 — Für ganz Amerika, vom Cap Hörn bis zum Paral- lelkreise der Melville - Insel , nimmt Herr von Hum- boldt i, 186,930 Quadratmeilen zu 20 auf einen Grad an. Nimmt man die Bevölkerung zu 38 Millionen an-, so kommen auf eine Quadratmeile 32 Menschen. Nach Hassels Berechnung enthält Nord -Amerika 539,453 Quadratmeilen, die Inseln (Antillen) 18,018 und Süd -Amerika 524,555 Quadratmeilen, zusam- men 1,072,026. Dafs mannigfaltige Berechnungen von einander abweichen , ist ganz natürlich , weil noch nicht alle Theile genau bekannt sind, und man nur nach und nach zu einiger Genauigkeit gelangen kann, indessen aber sich mit beiläufigen Zahlen be- gnügen mufs. Was nun Columbien insbesondere betrifft, von dem es sich hier eigentlich handelt, so ist dieses einer der gröfsten Staaten, denn man berechnet es auf 93,952 Quadratmeilcn mit 2, 5oo, 000 Einwohnern. Darunter sind Weifse , Gemischte, Eingeborne oder Kupferfarbene und Schwarze oder Neger. Die bunte Bevölkerung, welcher es zu wünschen ist, dafs sie sich mit einander friedlich verschmelze, bebaut ein grofses , reiches Land. Ein flüchtiger Blick auf die Charte zeigt schon, dafs Columbien reich an Erzeugnissen der warmen Länder seyn müsse, indem es beinahe ausschliefslich manche der edelsten Erzeugnisse in seiner Gewalt hat. Unter diese gehört : 1. Der Cacao. Venezuela allein erzeugt 193,000 Fanegas von 110 spanischen Pfunden. Davon werden — 247 — ausgeführt bei i45,ooo Fancgas, im Werthc von fünf Millionen harten Piastern. Im Jahre 1814 zählte man 16 Millionen Cacao- Bäume. Der Cacao hat das Land berühmt gemacht, er wird jedoch durch die Cultur des Zuckerrohrs und der Baumwolle ver- drängt. Der Cacao ist nicht allein als Handelswaare, sondern auch als Nahrung für die Bewohner selbst sehr wichtig. Je mehr also die Bevölkerung zunimmt, desto gröfser wird auch der innere Verbrauch wer- den müssen, und mithin ist Cacao ein Landesreich- thum , der im Innern wie nach aufsen gleich wich- tig und vortheilhaft ist. Der Cacao von Uritucu, Capiriqual und San Bonifacio, in den Provinzen Caracas, Cumana und Barcellona, ist ungleich^ bes- ser, als der von Guavaquil , da der von Gualan gar nicht in den europäischen Handel kömmt. z. Der Caffee. Für den Anbau des Caffee's sind besonders alle Plateaus von 25o bis 4°o Toisen Er- höhung geeignet, die in diesen Provinzen häufig vorkommen, und dem Anbaue dieses köstlichen Strauches sehr zusagen. Obwohl erst seit 1784 em~ geführt, stieg doch schon im Jahre 1812 der Ertrag auf 6c, 000 Zentner. 3. Die Baumwolle der Thäler von Aragua , von Maracaibo und aus dem Golfe von Cariaco ist vor- züglich schön und gut 5 es betrug jedoch die Aus- fuhr im Jahre 1809 nur noch 25, 000 Zentner. 4. Zucker.' Davon wurden schöne Pflanzungen im Anfange dieses Jahrhunderts in den Thälern von Aragua und Tuy angelegt, in der Nähe von Guatire — 248 — und Caurimare. Die Ausfuhr war höchst unbedeu- tend. Es uifst sich jedoch mit Grund annehmen, dafs der Anbau des Zuckers auf dem Festlande einst von gröfster Ausdehnung seyn wrrde. 5. Indigo. Die Cultur dieses wichtigen Produkts hat sich sehr vermindert, und ist nur noch in der Pro- vinz Varinas im Flore und an den Ufern das Ta- chira. DerWerth des Indigo von Caracas stieg in der günstigsten Zeit auf 1,200,000 Piaster. 6. Der Tabak von Venezuela ist besser , als der Virginische, und wird an Güte nur von dem der Insel Cuba übertroffen. 7. Cerealien , d. h. Getreidearten. Diese werden in Venezuela angebaut, an allen Orteu, welche einer gemäfsigten Temperatur sich zu erfreuen haben, und man kann nicht ohne Vergnügen von Colum- bien sagen, es sey das Land der Bananen und Ge- treidearten. Wir haben in denThälern von Aragua, mitten unter dem Caffce und Zuckerrohr, Weizen- felder gesehen. Hat sich einst dieses reiche Land in die Reihe civilisirter Länder emporgeschwungen, so wird man auch allenthalben Getreidcarten auf den Feldern sehen, wo das Klima und die Lage reiche Ernten verspricht. Da, wo die gemäfsigten Regionen in die heifsen übergehen, zwischen 3oo und 5oo Toisen Höhe, ist der Anbau des Zucker- rohrs , des Caffee's und der Cerealien gleich mög- lich ; die Erfahrung zeigt jedoch, dafs die zwei er- stem eint räglicher sind. 8. Quinquina. Der Cusparc oder Cortex Ango — 2'iQ — stnrae ist ein herrliches Erzeugnifs, dem die catalo> nischen Kapuziner Ruhm verschafft haben. Es gibt eine Cuspare auch bei Cumana, die herrliche fieber- vertreibendc Kräfte besitzt. Neu-Granada besitzt auch die echte Cinchona oder den Chinarindenbaum, und so ist Columbien beinahe aussehliefslich im Besitz der wohlthätigen Rinde, deren Anwendung immer allgemeiner werden mufs, und welche als eine Kost- barkeit des Landes angesehen werden kann, die es mit Ostindien in eine Classe stellt. Bei Gelegenheit der Aufzählung der Reiehthümer aus dem Pflanzenreiche mufs man noch erwähnen: die Quassia - Simaruba im Caura-Thale, die Unona febrifuga von Maypures , die Sassaparille vom Rio Negro , das Öhl des Cocosbaumes, die Juvia - Man- deln, die köstlichen Harze am Ober - Orinoko , das Federharz oder Dapiche (Caoutchouc) , die Arome von Guiana, wie die Tonga- Bohne, der Pucheri (Lamens Pucherim), das Varinacu oder den unech- ten Zimmt, die Vanille, die schönen Färbestoffe, woraus das Chica bereitet wird , das Blutharz , das Drachenblut, Saftpflanzen, welche die Cochenille ernähren, köstliche Holzarten zu Ebenisten- Arbei- ten , treffliches Bauholz, Bast, zu trefflichen Seiler- waaren, u. s. w. Kann wohl die Natur ein Land herrlicher ausstatten ? Und nun rufen wir unsern jungen Lesern in's Gedächtnifs zurück , was wir im zweiten Bande gesagt haben, dafs sich das Land von selbst in drei Zonen spaltet. Ackerbau, Viehzucht, Jagd folgen einander, wie man von der Nordküste — 250 — gegen deu Amazonenstrom wandert. Die Küsten- gegend kann man als dem Ackerbaue , die Ebenen der Viehzucht, die Wälder der Jagd anheimgegeben betrachten. Die oben angegebenen Produkte gehören der ersten und letzten dieser Regionen an. In der Mitte liegt die der Viehzucht. Zur Zeit der Reise des Herrn von Humboldt wurden ausgeführt 3o,ooo Maulthiere , 174,800 Ochsenhäute und 35, 000 Zcnt- nerTasajo, d. h. gedörrtes, leicht gesalzenes Fleisch, die Hauptnahrung der Sclaven auf den Antillen. Es hat Columbien auch noch Gold, Piatina, Quecksil- ber, Salz, Kohlen und andere noch nicht hinreichend bebaute mineralische Reichthümer. Leider haben bürgerliche Unruhen und die Refrei ungskriege den "Wohlstand gemindert, die Industrie gehemmt, und überhaupt , wie alle Kriege , dem Lande viel Nach- theil gebracht. Wird aber die Ruhe wiederkehren und sich befestigen , so wird gewifs das Steigen des "Wohlstandes nicht minder schnell vor sich gehen, als in den vereinigten Staaten. Wohlstand und Hu- manität sind Rinder des Friedens und der Sicher- heil , und wenn wir nach jenen Gegenden blicken, die sich gleichsam jetzt erst aus dem Chaos der bür- gerlichen Kriege loswinden , so können wir wohl nicht anders, als ihnen den Geist des Friedens, der Eintracht, der Ruhe und Verträglichkeit wünschen; das Übrige hat die Natur alles besorgt ! Sollte zu diesem auch das so wünschenswerthe Werk eines Canals ausgeführt werden, und ein Ca- nal an der Grenze Columbien's auf der Landenge — 251 — von Panama die beiden Meere vereinigen, so wür- den dem Handel neue Wege geöffnet , wobei der Wohlstand Columbien's nur wachsen und zunehmen könnte. Dafs ein solcher Canal möglich sey, ist hinlänglich dargethan , und Herr von Humboldt hat vieles darüber mitgetheilt; zur Ausführung eines solchen Werkes gehört aber eine friedliche Zeit. Siebentes Kapitel. Gestaltung des Landes. — Unebenheiten des Bodens, — Berg- knoten, — Ebenen. Der Zweck dieses Kapitels geht dahin , um mei- nen jungen Lesern ein Bild des Landes zu geben, von dem wir bisher gesprochen haben. Wir werden daher von der Gestalt des Landes, seinen Bergen und Ebenen einen Abrifs zu entwerfen , und in ei- nigen Blättern die Ideen zusammen zu fassen suchen, welche uns Herr von Humboldt in seinem grofsarti- gen Gemälde Amerilta's niedergelegt hat. Die Ausdehnung des Landes, welches wir bisher durchwandert haben , beträgt über i5,4oo Gcviert- meilen. Vor der Reise des Herrn von Humboldt war Südamerika beinahe ganz unbekannt, und die Richtung der Gebirge, die Lage derselben, die Höhen der Berge, alles war noch verborgen. Durch diesen Reisenden ist man erst mit der wahren Ge- stalt dieses Welttheiles, seiner Beschaffenheit und Natur bekannt geworden. Südamerika ist eines jener grofsen Dreiecke, wel- che die drei Landmassen in der südlichen Haldkugel bilden. Der äufsern Form nach ist das Dreieck, welches Südamerika bildet, Afrika noch ahnlicher, als Neu -Holland. Die Südspitzen dieser drei Drei- ecke sind so geordnet, dafs das Cap der guten Hoff- nung die nördlichste Spitze bildet, und wie man von diesem ostwärts segelt, so sieht man, dafs sich das Land in dieser Richtung bis zum Cap Hörn dem Südpole immer mehr nähert, und also das feste Land unserer Erde, vom Vorgebirge der guten Hoff- nung aus 33°, 35' bis 43°, 38' eine südöstliche Rich- tung nimmt. Südamerika befafst 571,000 Seegeviert- meilen 5 von diesen ist der vierte Theil mit Bergen bedeckt, die theils Gebirgsäste, theils abgesonderte Gruppen bilden. Das Übrige besteht aus Ebenen, welche lange, ununterbrochene, mit Wäldern und Gräsern bedeckte Streifen bilden, die eben anstei- • gen von der Meeresküste aus, so dafs sie in einer Entfernung von 3oo Meilen vom Meere eine Höhe von 3o bis 170 Toisen erreicht haben. Die gröfste Bergkette Südamerika^ dehnt sich von Süden nach Korden, in der gröfsten Länge des Festlandes aus. Dieses Gebirg ist aber keine Ccntralkette . wie die Alpen in Europa oder der Himalaya in Asien, d. i. es bildet nicht den Knoten des Landes, sondern es ist vielmehr beinahe an die Küste des stillen Occans vorgeschoben. Man sieht, wie die Landschaft sich gegen Osten auf eine Ausdehnung von 600 Meilen bis zum atlantischen Meere verflächt, wo hingegen das — 253 — Gebirg gegen Westen sich gleichsam unmittelbar in's Meer versenkt. Wofern in früheren Zeiten der at- lantische Ocean jemals zu 1,100 Fufs Höhe über sei- nen gegenwärtigen Stand emporgestiegen ist, so mufsten sich seine Wellen in der Provinz Jaen de Bracamoros an den Felsenriffen brechen , die den östlichen Abhang der Anden- Cordilleren begrenzen. Die Höhe der Berge ist jedoch, im Vergleiche mit der Breite des Festlandes, so gering, dafs diese vierzehnhundert Mal gröfser ist, als die mittlere Höhe des Andengebirges. In dem bergigen Theile Südamerika's unterschei- det man eine Gebirgskette und drei Berggruppen, nämlich: die Anden- Cordillere , die sich ununter- brochen vom Cap Pilares , westlich der Magellans- Strafse, bis zum Vorgebirge Paria erstreckt. Die drei Berggruppen sind: die Küstenkette von Vene- zuela oder die abgesonderte Gruppe der Siera Ne- vada von Santa Martha, die Gruppe der Parime- Berge , vom Orinoko umfangen, und die Berge von Brasilien. Die Berggruppe von Santa Martha steht ganz abgesondert da vor der Andcskette , mit der sie gar nicht zusammenhängt. Zwischen dem See Maracaibo und dem Magdalenenstrome ist die Was- serscheide in der Ebene selbst gelegen. Es ist viel- mehr diese mit ewigem Schnee bedeckte Sierra von Santa Martha mit der Küstenkette von Venezuela durch den Paramo de las Bosas verbunden. Von den drei Berggruppen , welche nicht Äste der An- den - Cordilleren sind, ist die erste die Sierra Nc- — 254 — vacla de Santa Martha nördlich gelegen, die bei- den andern, die Parime- und Brasilienberge, liegen die erstcre zwischen dem 4° und 8° N. Br. die letz- tere zwischen dem i5° und 280 S. Br. Aus dieser Vertheilung der Berge entstehen drei Ebenen oder Bedien , die zusammen i/5 von ganz Südamerika ausmachen, und ostwärts der Anden einen Flächen- raum von 42o,6oo Quadratmeilen, 20 auf einen Grad , umfassen. Zwischen der Küstenkette von Venezuela und der Gruppe der Parime -Berge dehnen sich aus: die Ebenen von Apure und Unter - Orinoko. Zwi- schen der Gruppe von Parime und Brasilien befin- den sich die Ebenen vom Amazonenstrome , vom Rio Negro und Madeira. Zwischen der Gruppe von Brasilien und dem südlichen Endtheile des Festlan- des liegen die Ebenen vom Rio de laPlata und von Patagonien. Weil nun alle diese Berggruppen we- der unter einander, noch mit der Andenkette zu- sammenhängen, so hängen alle die genannten Ebe- nen vom Unter - Orinoko , Amazonenstrome, Rio de la Plata und Patagonien durch bedeutend breite Landzungen mit einander zusammen, so dafs sich eine Linie denken läfst, auf welcher man ganz Süd- amerika, ohne einen Berg zu übersteigen, in einer beinahe wagerechten Fläche durchwandern könnte. Diese Ebenen werden wieder von Linien durch- zogen, welche man Kanten nennen könnte, und die, obwohl sie sich dem Auge entziehen, doch die Was- serscheide (divorlja aquarum) in diesen unermefs- — 255 — liehen Ebenen bilden. Man könnte sie gleichsam unter der Oberfläche verborgene Kanten nennen, durch welche die Gebirge mit einander zusammen- hängen. Diese Gräten oder Giebellinien befinden sich unter dem 20 und 3° N. Br. und dem 160 und 180 S. Br. Die erste Schwelle theilt die Gewässer , wel- che sich nordöstlich in den Unter - Orinoko , süd- lich und südöstlich aber in den Bio Negro und Ama- zonenstrom ergiefsen. Die zweite Schwelle sondert die Zuflüsse des rechten Ufers vom Ama- zonenstrome und vom Bio de la Plata. Die Bich- tung dieser Giebellinie ist so beschaffen , dafs wenn sie als Bergäste über den Boden hervorragten, so würde die Gruppe von Parime mit den Anden von Panama, und die Gruppe von Brasilien mit dem Vorgebirge der Anden von Santa Cruz de la Sierra, von Cochabanca und von Potosi vereinbart werden. Hieraus läfst sich einigermafsen das Gerippe des Südamerikanischen Erdtheils zusammensetzen. Diese beiden Schwellen, welche sich nur durch die Tren- nung der Gewässer kund geben , laufen mit der Kü- stenkette von Venezuela parallel. Von den drei Ebenen, nämlich der zwischen der Küstenkettc von Venezuela und der Parime, vom Amazonenstrome und Buenos -Ayres, die durch Erdzungen zusammen- hängen, ist die erste und letzte mit Gras , die mitt- lere aber mit dichter Waldung bewachsen. Ostwärts der Anden, auf einer Fläche von 480,000 Geviertmeilen, von denen 92,000 Bergland sind, findet sich kein Berg, der bis zur Grenze des ewi- — 256 — gen Schnees sich erhübe, oder auch nur auf 1,400 Toisen Höhe reichte. Diese Senkung der Berge er- streckt sich bis zum 6o° N. Br. , während im west- lichen Theüe der Verlängerung der Andenkette in Blexiko unter i8°, 5o/ auf 2,770 Toisen, in den Fels- gebirgen 370 bis 4°° auf 1,900 Toisen ansteigen. Die höchsten Berggipfel der Aleghanys in Nordame- rika, welche durch ihre Länge den brasilianischen Bergen entsprechen, übersteigen nicht 1,040 Toisen. Diejenigen Berggipfel also, welche den Montblanc an Höhe übertreffen , gehören der Längenkette der Anden an , welche das Becken des stillen Oceans einfafst. Die einzige isolirte Gruppe, welche mit den Andengipfeln wetteifert, ist die Sierra de St. Martha. Aber auch sie ist an de,r Westseite der Gruppe der Küstenkette von Venezuela. Betrachtet man die Östlichen Gebirge des Conti- nents allein insbesondere, so sieht man die Berg- gipfel von Norden gegen Süden zu abnehmen. Die höchste Spitze der Küstenkette ist die Silla von Ca- racas , i,35o Toisen, der Pik von Duida i,3oo Toi- sen, in der Parime - Gruppe und in der brasiliani- schen Berggruppe den Itacolumi und der Itambe 900 Toisen. Nun müssen wir aber auch wohl bemerken , dafs bei der Beurtheilung der Höhe eines ganzen Ge* birges man sich nicht an die höchsten Spitzen hal- ten und darnach die Höhe beurtheilen dürfe. Der Dhavvalaghiri im Himalaya Gebirge ist 676 Toisen höher als der Chimborazo , dieser 900 Toisen höher — 257 — als der Montblanc , dieser wieder 636 Toisen höher als der Pik Nethou in den Pyrenäen. Hieraus er- gibt sich aber keineswegs, dafs auch der Unterschied dieser verschiedenen Bergrüchen derselbe sey, wel- cher der der höchsten Spitzen ist. Das will sagen : der Bergrüchen des Himalaya ist nicht auch um 676 Toisen höher , als der Bergrüchen der An- den. Bergrüchen nennt man die Gebirgsftäche , auf welcher sich die abgesonderten Piks , Dome oder Nadeln erheben; derjenige Theil eines Bergrückens, wo die Übergänge Statt finden, also ist es, derein richtiges Mafs von dem Minimum der Höhe gibt, das die hohen Bergketten erreichen. Herr von Hum- boldt berechnet die mittlere Höhe des Himalaya, zwischen dem 7^° und 770 östlicher Länge, auf 2,4^0 Toisen, die der Anden in Peru, Quito und Neu- Cranada auf i,85o Toisen, die des Grates der Al- pen und Pyrenäen auf i,i5o Toisen. Somit ist der Unterschied der Höhen der Cordilleren und der Schweizer - Alpen um 200 Toisen kleiner, als der ihrer höchsten Spitzen. Die eigentlichen Gebirgs- rücken der Alpen und der Pyrenäen sind von der- selben Höhe , obgleich der Montblanc um 600 Toi- sen höher als der Pik Nethou ist. Hingegen hatten das Himalaya- und das Anden -Gebirg dieselben Verhältnisse zu einander, d. h. um wie viel derDha- walaghiri höher ist, als der Chimborazo, um so viel ist auch der Bergrücken des Himalaya höher, als der der Anden. Berechnet man nun auch die Höhe der Bergrücken, so ergibt sich für die Küstenkette — 258 — von Venezuela eine Höhe von 750 Toisen , für die von Parime 5oo Toisen und die in Brasilien 4°° Toisen. Hieraus erhellt, dafs die Erhöbung der südamerikanischen Berggruppen zur mittlem Er- höhung der Andeskette sich verhält wie 1 : 3. Um noch genauere Übersicht über den Bau der Berge zu erlangen, empfehlen wir beifolgende Tabelle. Name der Bergketten. Höchste Gipfel. Blittlere Höhe der Berg- rücken.» Verhältnifs der mittlem Höhe an Bergrücken 1 zur Höhe der höchsten Gipfel. Toiseu. Himalaja (zwischen 3o°, 18' und 3i°, 53'N. Br. ,j und 75°, 23' bis 770, 38' ! O.L.) 4026 245o 1 : 1,6 Anden-Cordilleren (zwi- schen 5°N. und 2°S. ;! Br.) 1 335o i85o 1 : 1,8 Schweizer -Alpen . . S 2450 1 i5o 1 : 2,1 Pyrenäen 1 1787 1 i5o 1 : i,5 Küstenkette von Vene- zuela I i35o 75o 1 : 1,8 Berggruppe von Parime i3oo 5oo 1 : 2,6 Berggruppe von Brasi- lien 900 400 1 : 2,3 — 25Q — Hieraus ergibt sich , dafs wenn man die einzeln erhabenen Piks von den eigentlichen Gebirgen un- terscheidet, die höchsten Punkte des Erdballs den zwei Gebirgsketten der Cordilleren und des Ili- malaya angehören. Koch ist eine Eigenheit bemerkbar. Die höch- sten Gipfel der Anden sind Trachyt- Berge oder Glocken aus Trapp -Porphyr, und man kann überall in dieser ganzen Kette als Regel annehmen, dafs da, wo die Piks der Anden die Grenze des ewigen Schnees erreichen, auch allezeit das Urgebirg ver- schwindet, und der Trachyt über denselben aufge- lagert erscheint. Es sind nur wenig Ausnahmen, wie in den Cordilleren von Quito, wo die Schnee- berge von Condorasto und Cuvillan, dem Chimbo- razo gegenüber stehend, aus Glimmerschiefer ge- bildet sind, und Gänge von geschwefeltem Silber enthalten. Desgleichen zeigen auch die vereinzelten Berg- gruppen , welche sich jählings mitten aus den Ebe- nen erheben, die höchsten Gipfel nur als vulkanische Gebirgsarten neuerer Entstehung, z.B. der Movna- Roa auf den Sandwichinseln, der Pik von Teneriffa, der Aetna, der Pik der Azoren u. a. m. In der bei- nahe isolirt stehenden Gruppe der Sierra Nevada von Neu- Granada bildet der Gneifs- und Glim- merschiefer den 1826 Toisen hohen Pik von Mul- hacen, so wie aus dieser Gebirgsart die Alpen, Py- renäen und wahrscheinlich auch das Himalaya-Gc- birg gebildet sind. Vielleicht sind alle diese Er- — 2Ö0 — > scheinungen, so verschieden sie scheinen, dennoch Wirkungen derselben Ursache. Vielleicht sind die Granit- und Gneifsgebirge und alle angeblich nep- tunischen Urgebirge nicht weniger Ergebnisse vul- kanischer Kräfte, wie die Trachytgcbirge es sind! Unter diesen vulkanischen Kräften werden jedoch solche verstanden, die ungleich gröfser sind, als w eiche sich jetzt unserer Erfahrung darbieten , und für welche wir innerhalb dieser Erfahrungen keinen Mafsstab besitzen. (So überraschend diese Ansicht ist , so sehr ist sie doch aus der Natur selbst ge- nommen, dafs man bei einigem Nachdenken gestehen mufs, Herr von Humboldt habe in dieser merkwür- digen Stelle das Geheimifs der Gebirgsbildung aus- gesprochen.) Wir wollen nun über jede der bisher aufge- führten Gebirge noch Einiges im Einzelnen bei- fügen, und hoffen, dafs unsere jungen Leser die- sem Gegenstande , der so viel Stoff zum Nachden- ken gibt, gerne noch einige Aufmerksamkeit schen- ken werden. l. Die Anden- Cordilleren; diese Hauptkette ist es, die wir zuerst betrachten wollen. Ich möchte sie gleichsam die Nath des Erdballs nennen, denn von allen diesen Gebirgsketten des Erdballs ist diese die am meisten zusammenhängende, die längste und von Süd nach Nord und Nord - Nord - West die be- harrlichste. Sie nähert sich dem Nordpole bis zum5 65°, indem sie im 5i° S. Br. ihren Anfang nimmt. Sie gehört beiden Amerika an, die sie durch den ~ 261 — Felsendamm der Landenge von Panama und Guate- mala mit einander verbindet 5 dort, wo ostwärts sich das niedere Land in's Meer versenkt hat, und jetzt das mittelländische Meer der neuen Welt bildet. In der südlichen Hälfte Amerika's sind die Berge dem stillen Meere ganz nahe zugeschoben , so dafs an mehreren Punkten der Fufs der Anden unmittel- bar von den Wellen des grofsen Oceans bespült wird. In der nördlichen Hälfte entfernt sich die Bergkette etwas weiter von den Küsten , ungefähr acht bis zehn Mal weiter, als in der südlichen Halb- kugel. Als die zwei Endknoten des Andengebirgs nimmt Herr von Humboldt in Süden den Granitfels oder das kleine Eiland Diego Ramirez, dem Cap Hörn gegenüber, dtfn nördlichen Endpunkt aber: am Makenzieflusse jene Berge, welche unter dem Namen der Copper Mountains bekannt sind. Die Breite der Cordillerenkette beträgt überall nicht mehr als 18 bis 22 Meilen. Davon sind jedoch ausgenommen die Bergknoten , wo die Cor- dillere sich durch jene hohen Strebepfeiler gleich- sam eine Verstärkung bildet, von hier aus eine Menge Seitenäste und Parallel -Ketten aussendet, und gleichsam eigene Gebirgsstöcke zu bilden scheint. An solchen Stellen zeigen sie eine Breite von 100 bis 120 Meilen. Wo diese Bergknoten durch die Arme, die sie gegen Osten aussenden, sich den Berggruppen des Osten nähern , da bilden sie als- dann die Landengen, d. h. jene breiten Bergpässe, — 2Ö2 — wodurch die grofsen Ebenen mit einander zusammen- hängen. Die Anden Südamerika^, vom Cap Pilares bis zu Choco auf der Landenge von Panama, be- decken einen Flächeninhalt von 58,900 Quadrat- meilen. Der Bau der Cordilleren besteht aus mehreren Knoten ; ich kann dieses meinen jungen Lesern nicht besser versinnlichen , als durch das Gleichnifs eines ungeheuren Walles , der das Land von dem Ein- dringen der Meerungeheuer schützen soll , und von Zeit zu Zeit durch einige Thürme mit auslaufenden Seitenwällen besetzt ist. Dieses sind die Bergkno- ten. Sie sind südwärts vom 480 Br. niedriger, als die Pyrenäen, heben sich nordwärts dieser Breite und erreichen zwischen dem a5° und o° S. Br. ihre höchste Höhe. Zwischen dem 200 und io° süd- licher Breite bilden sie drei parallele Ketten , und hier ist es, wo, nach neuern Reisenden, in der mitt- leren Parallelkette sich die Piks befinden, die bis zur Höhe von 4i900 Toisen ansteigen , und selbst das Himalaja- Gebirg an Höhe übertreffen sollen. Nordwärts vom Aequator senkt sich die Andeskette wieder , erhebt sich abermal in Mexiko , und er- reicht hier die gröfste Höhe in ihrem nördlichen Laufe. Weiter gegen Norden sind die Nachrichten noch unvollständig; so viel ist jedoch gewifs , dafs sie in ihrer nördlichen Richtung die Höhe der Py- renäen nicht übersteigen; denn der colossale St. Eliasberg in Neu-Nordfolk scheint nicht mehr den — 2Ö3 — Anden -Cordilleren anzugehören. Die Andeskette erreicht an mehreren Orten in der hcifsen Zone die Grenze des ewigen Schnees, aber in Chili steigt die Schneelinie nicht über 2000 Toisen herab. Um unsere jungen Leser nicht zu ermüden, müssen wir uns schon hier enthalten , in die natur- historische Beschreibung der Anden wieder einzu- gehen. Wir wollen daher nur die erwähnten Berg- Imoten aufzählen und hiezu die folgende Tabelle einfügen. Südliche Halbkugel. Knoteu und Gebirgsäste der Anden im südlichen Amerika» '56° 33' 0 *» •J u n l\ 33° 0 2 bis3i° ■fl :S 27° 09 bis '23° 2 2° bis i8° Felsenklippe von Diego Ramirez, Cap Hörn , Patagonisthe Anden. Trüm- mer der Felseneilande vonHuyatecas und Chonos. Cordilleren von Chili, ostwärts verstärkt durch die drei Wi- derlagen : der Sierra von Cordova, Salta, Cochabamba Santa Cruz. und — 2Ö4 I. Südliche Halbkugel. Knoten und Gebirgsäste der Anden im sudlichen Amerika. Br. 2oy2° bis 19V20 Knoten von Porso und Potosi. Tren- nung in zwei Gebirgsäste, östlich und westlich vom Becken des Titicaca. Östlicher Gebirgs- ast von laPaz und Palca. Westl. Gebirgsast oder von Taaina und Arequipa. Br. i5° bis i4° Knoten von Couzco. Zwei Gebirgs- äste, östlich und westlich vom Rio de Jauja, ostwärts durch die Widerlage von Beni erweitert. Östlicher Gebirgs- ast oder vonOcope und Tarma. Westlich. Gebirgs- ast oder von Huan- cavelica. Br. ii° Knoten von Huanco und von Pasco. Verzweigung in drei durch die Be- cken Huallaga und vom Ober - Mara- non getrennte Gebirgsäste. Ostlich. Ge- birgsast oder von Po zuzu und Munna. Central. Ge birgsast oder vonPa taz und Cha chapoyas. Westlicher Gebirgsast oderGuama- chuco und Caxamarca. — 2Ö5 I. Südliche Halbkugel. Knoten und Gebirgsäste der Anden im südlichen Amerika. Br. 5»/4° Knoten von Loxa. Zwei Gebirgsäste, bis 3%° östlich und westlich vom Becken von Cuenza. Br. 2° Knoten von Assuay. Zwei Gebirgsäste, bis 27' östlich und westlich vom Becken von Alausi und Hanbato. Östlicher Gebirgs- Westlich. Gebirgs- ast oder vom Co- astodervomChim- topaxi. borazo. Br.o0 Gräte von Chisinche. Zwei Gebirgs- bis 4<>' äste, östlich und westlich vom Thale Quito. Östlicher Gebirgs- Westlich. Gebirgs- ast oder vom Pi- ast oder vom An* tisana. chincha. iüli]. natura. Reisen« IV. — 266 II. NSrJliche Halbkugel. Der Aequator durchschneidet den Gipfel von Cayatnbe (der dem Gebirgsaste von Antisana angehört). N. Br.»/2° Knoten von los Pastos. Theilung in bis 1 y4° zwei Gebirgsaste, östlich und west- lich vom Plateau von Almaguer. N. B. i°, 55' Knoten der Quellen vom Magdalenen- strome und Gräte von los Kobles, biS20,2O/ drei durch die Becken vom Magdalena und vom Cauca getrennte Gebirgsaste. Östlicher Centraler Westlicher Gebirgsast oder von Ti- Gebirgsast oder von Gebirgsast mit dem pla- mana, Suma Cuanacas, tinahaltigen Paz, Chifta Quindiuund Erdreiche undMerida. Erve. von Choco. Br. ÖVi8 Knoten der Provinz von Antioquia, bis 7° worin sich nur allein die Gebirgsaste von Quindiu und Choco vereinigen. Der centrale Gebirgsast verlängert sich durch Wiederlagcn gegen Honda. 1 — 2Ö7 — II, Der Aequator durchschneidet den Gipfel von Nördliche Cayambe (der dem Gebirgsaste von Antisana Halbkugel. angehört). Br.70 bis 90 Trennung des Knotens der Berge von Antioquia in vier Äste: 1. von la Si- mitarra , 2. von Caceres , Nechi und Altos de Tolu , 3. zwischen dem Rio St. Jorge und dem Atrato , 4* west- lich vom Atrato. Dieser letzte sehr niedrige Ast scheint höchstens durch einen schwachen Ast oder Gräte mit der Landenge von Panama verbunden zu seyn. Der östliche Gebirgsast der Anden von Neu -Granada, der von Suma Paz und Sierra Nevada de Me- rida bleibt von der Sierra Nevada de Santa Marta durch die Ebene vom Rio Cesar getrennt, er vereinbart sich hingegen durch die Berge von Bar- quisimento und von Nirgua, mit der Küstenhette von Venezuela , dessen culminirende Punkte sind: die Silla von Caracas , der Brigantin , der Turimiquiri und das Vorgebirg von Paria. — 2Ö3 — Diese Tabelle kann einigermaßen die Gestalt der Anden des Continents von Südamerika versinnlichen. Man unterscheidet auf dieser Strecke zehn Knoten, als eben so viele Verzweigungspunktc von dem Aste auslaufen, welche entweder Hochebenen, oder tiefe Becken, oder Thäler einschliefsen. Diese Thaler sind die Rinnsale der Quellen und Flüsse, oder auch Behälter von Gewässern, die man Bergseen nennt, welche aber so häufig nicht sind, als in den Alpen. Achtes Kapitel. Fortsetzung des Vorigen. — Becheu und Thäler. — Höchste Spitzen. — Die übrigen Berggruppen. Unter den Becken der Gebirge versteht man die Vertiefungen, welche von den einzelnen Bergen einer Gebirgskette, wie von einer Mauer, einge- schlossen werden. Von den Becken , welche die südamerikanischen Anden einschliefsen , und die wahrscheinlich einst eben so viele Seen oder Binnen- meere gebildet haben, beträgt die Grundfläche des Sees von Titicaca allein 35oo Geviertmeilen , das Becken des Bio Jauja i3oo und das des Ober-Ma« ranon 2400. Das Becken von Titicaca ist dermas- sen geschlossen, dafs kein Tropfen Wasser davon ausgehen mag, als durch Verdunstung. Es ist hier das geschlossene Thal von Mexiko gleichsam wie- derholt, und man wird auf die Vermuthung geführt, dafs die vielen kreisförmigen Öffnungen im Monde — 269 — wohl eben so viele Becken seyn müssen. Das Be- cken von Titicaca ist durch einen sehr grofsen Al- pensee ausgezeichnet; die übrigen Becken ergiefsen ihre Gewässer durch natürliche Canäle, welche als so viele Spalten an den Wanden der Becken ange- sehen werden können. Noch kennt man die Höhe dieser drei Becken nicht , hingegen hat Herr von Humboldt ausgcmittelt , dafs der Grund des Thaies von Cuenza i35o, des von Alausi i326, des von Quito i34o und in seinem westlichen Theile 1490, das Becken von Almagues 1160, das von Cauca 5oo, das von Magdalena 200, und das Thal von Honda 100 Toisen über der Fläche des stillen Meeres erhaben sind. Die Höhe der Thäler zu erforschen ist sehr wichtig, um über die Bildung der Thäler urtheilen zu können. Überschreitet man die Meerenge von Darien, so sieht man , wie sich die Anden nach ihrem Abfalle oder Einsenlumg, die sich zwischen den Mündungen des Atrato und dem Golfe von Caupiza befindet, auf ihrem nordwestlichen Laufe wieder heben, sich in Veragua vergröfsern und wachsend durch Guate- mala bis Mexiko ausdehnen. Auch hier bilden sie wieder dieselben Gebirgsknoten und Verzweigungen, indem sie oberhalb Mexiko sich von der Westküste des grofsen Oceans entfernen. Die Structur der Anden nordwestlich von Darien ist folgende. N. Br. 8° bis 110. Berge der Landenge von Pa- nama, von Veragua und von Costa Rica, in schwa- — 270 — ehern Zusammenhange mit dem Choco, dem west- lichen Zweige von Neu -Granada. N. Br. ii° bis i6°. Berge von Nicaragua und Guatemala; Vulkane, die in der Richtung von N. W. einander folgen; und meist noch thätig sind, vom Golfe von Nicoya bis zum Vulkane von So- conusco. N. Br. i6° bis i8°. Urgebirge der Provinz Oaxaca. N. Br. 18 Vi0 bis i()l/a0. Trachy tische Knoten vonAnahuac; Parallele der Nevadas und der bren- nenden Vulkane von Mexiko. N. Br. 19V20 bis 20°. Knoten der metallhaltigen Berge von Guanaxuato und Zacatecas. N. Br. 2t%° bis 220. Trennung der Andea von Anahuac in drei Zweige. Östlicher Zweig (von Potosi und von Texas), fortgesetzt durch die Berge Ozarh und Wiscon- san bis zum Obersee. Central -Zweig (von Durango, Neu -Mexiko und von dem Felsengebirge) der einen Ast, der immer niedriger wird, bis zum Makenzie-Flufs aussendet. Westlicher Zweig , der sich durch Widerla- gen mit den Seealpen von Californien ver- bindet. Was nun die Höhe der Anden anlangt, so sol- len sie südwärts des Bergknotens von Loxa die Hi- malaya- Gipfel selbst übertreffen, allein noch hat man nichts Gewisses hierüber. Hingegen wissen wir, — 271 — dafs nördlich von den Bergen von Loxa die Cor- dilleren sich fünf Mal über die ansehnliche Höhe von 2600 Toisen erheben. In der Gruppe von Quito , vom o° bis 2°S.Br. (Chimborazo, Antisana, Cayambe, Cotopaxi , Col- lannes , Yliniza , Sangai , Tunguragua). In der Gruppe von Cundinamarca , vom 43/i° N. Br. ( Pik von Tolima , nördlich der Anden von Quindiu). In der Gruppe von Anahuac, vom 180, 5o/ bis 190, 22' (Popocatepetl oder der grofse Vulkan von Mexiko und der Pik von Orizava). Betrachtet man die Kette des russischen Amerika als eine Fortsetzung des östlichen Zweiges von Me- xiko , so kann man hinzufügen die Berggruppe des russischen Amerika, 6o° bis 700 N. Br. (der St, Elias- berg). Es sind zur Zeit nur noch die 12 Andengipfel, welche 2600 Toisen erreichen, bestimmt bekannt ; und die also den Montblanc um 140 Toisen über- steigen. Von diesen 12 Kuppen sind nur drei nörd- lich von der Landenge von Panama. 2. Die isolirte Schneegruppe von Santa Martha. Sie ist eingeschlossen von zwei auslaufenden Zweigen der Anden , dem von Bogota und dem der Landenge von Panama. Diese Berggruppe erhebt sich plötzlich , wie ein festes Schlofs , aus den Ebenen , die von dem Golfe von Darien durch die Mündung des Magdalenen- Flusses bis zum See von Maracaibo sich ausdehnt. — 272 — Noch hat man den höchsten Gipfel der Sierre de St. Martha nicht gemessen ; Vermuthungen geben ihr eine Höhe von mehr als 3ooo Toisen. 3. Die Küstenkette von Venezuela. Diese Kette, die wir schon öfter beschrieben haben , ist die- jenige , welche den grofsen Einflufs auf die Cul- tur von Venezuela hat. Keiner ihrer Gipfel erreicht die Schneelinie. So , wie die Anden, ist auch sie häufigen Erderschüttcrungen unter* worfen , aber kein brennender Vulkan ist bis jetzt in ihr vorgekommen. Die höchste Spitze ist die Silla von Caracas. Diese Kette zeigt die gleichen Erscheinungen ihres Baues , wie die Andenkette, nämlich: Trennung in verschie- denen Parallelkreisen und die zahlreichen Be- cken und Längenthäler. Da jedoch die Ein- brüche des Antillenmeeres in einer unbekannten Vorzeit einen Theil der Küstenkette versenkt zu haben scheinen; so stellen sich die Rei- hen oder Zweige unterbrochen dar, und einige vormalige Becken sind oceanische Golfe ge- worden. 4- Die Gruppe der Parime- Berge trennt die Ebene des untern Orinoko von der des Amazonenstro- mes. Sie bedeckt das Land zwischen 3° und 8° N. Br. und 6o° bis 700 W. L. Sie bedeckt eine Fläche von 25, 000 Geviertmeilen. Weil man in Amerika nur an die Anden denkt, so haben die Erdbeschreiber diese Berggruppe beinahe ganz vergessen, was sie jedoch ihrer Wichtigkeit Z iö wegen nicht verdient. Sie ist neun Mal so grofs, als die Schweiz. Der Boden , auf dem sich die Berggruppe erhebt, scheint etwas gewölbt. Der höchste Gipfel dieser bis jetzt unerforschten Bergkette, den man kennt; hat i3oo Toisen Höhe. 5. Die Berge von Brasilien sind gemäfsigte Plateaus und wirkliche Bergketten. Der eigentliche Berg- rüchen hat 4<>o Toisen Höhe. Diese Berge ent- sprechen an Form, Lage und Bichtung der Berg- kette von Chili, die ihr gegenüberliegt; sie sind aber fünf Mal niedriger. Die culminircn- den Punkte dieser Berggruppe sind; derltambe 932 Toisen Höhe, die Sierra Piedade 910 und der Itacolumi 900 Toisen. Der Itabira 816 Toisen. Wenn man nun einen Blich auf den Bau des gan- zen Amerika wirft , so sieht man , dafs die höchste und beständigste Kette von Bergen die der Anden ist. Ihr gegenüber, am östlichen Bande des Con- tinents , liegen einzelne Berggruppen (eine grofse, zerstörte Kette) , die allezeit gegenüber liegenden Theilen der Anden entsprechen , immer aber nied- riger sind. Die Gegenüberstellung findet folgender Mafsen Statt: Die Anden von Chili und Ober • Peru , Berg- knoten von Porco und von Couzco, 2,5oo Toisen Höhe. Gruppe der Berge von Brasilien , niedriger, und zwar die gröfste Höhe 982 Toisen. — 274 — Anden von Popayan und Cundinamarca , Ge- birgszweig von Guanacas, vom Quindiu und vom Antioquia , über 2,800 Toisen. Isolirte Gruppe der Schneeberge von Santa Martha. Ihre Höhe 3,ooo Toisen. Vulkanische Anden von Guatemala und Primitiv- Anden von Oaxaca , von 1,700 bis 1,800 Toisen Höhe. Anden von Neu - Me- xiko und Ober- Luisiana- Felsengebirg. Mehr west- lich Seealpen von Neu- Albion , 1,600 bis 1,900 Toisen. Gruppe der Berge von Parime , nicht völlig so hoch, wie die Karpathen, i,3oo Toisen. Kette des Küstenlandes von Venezuela, um 80 Toi- sen niedriger, als die skan- dinavischen Alpen , i,35o Toisen. Gruppe der Antillen. Die blauen Berge von Ja- maika , 1,140 Toisen, Ketten der Aleghanys, um 160 Toisen höher, als der Jura und der Ga- tes von Malabar, 1,040 Toisen. So sind die Berge des neuen Festlandes beschaf- fen und aufgesetzt. Die Gebirge schliefsen nun jene Becken ein, die wir Ebenen nennen , und welche das bergfreie Land Amerika's einnehmen. "Wir wol- len nun mit Aufzählung dieser Ebenen diese Ab- schweifungen schliefsen. Wir fangen von Norden her an : i. Das Bedien des Missisippi und von Canada. Dieses Becken ist zwischen den Anden undAle- ghanys enthalten, und gegen Norden eben so, wie gegen Süden , geöffnet. Es enthält die Flufsge- biete des Lorenzstromes, Missouri, Missisippi und Makenziestromes. Die Wasserscheiden sind auch hier in den Ebenen selbst. Nirgend ist eine Querkette vorhanden , und die Ebenen werden sowohl gegen Norden als Süden , nur durch die noch flächern Meerebenen der Hud- sonbai und des Antillenmeeres begrenzt. Diese Ebene begreift 270,000 Quadratmeilen , und ist beinahe so grofs , wie ganz Europa. Sie be- greift mehrere Seen in sich , aber der höchste ist nur lOoToisen erhaben. Diese Ebenen sind grasbewachsene Savanen , und in Canada wah- rer Wiesengrund. Doch sind auch grofse Stre- cken mit Urwald besetzt. Unter den Ebenen Amerika's ist in dieser Ebene die Civilisation am meisten vorgeschritten. a. Das Bedien des Antillenmeeres und des Golfes von Mexiko. Es ist eine Fortsetzung des Be- ckens vom Missisippi, man möchte sagen, er sey der unter Wasser liegende Theil des Be- ckens von Missisippi. Dieses Becken kann man mit Becht das Mittelmeer der neuen Welt nen- nen. Die Antillen bilden eben so viele Aus- gänge desselben , und man kann sich nicht ber- gen, dafs dieses der Punkt seyn möchte, den vielleicht die Vorsehung zum einstigen Markte — 276 — der Welt bestimmt hat. Es scheint, dafs hier den Gewässern durch einen Gewaltstreich der Natur der Eingang geöffnet worden sey , und die Antillen sind eben so viele Trümmer eines Riesendammes , den die Fluthen zertrümmert haben. Die kleinen Antillen haben noch bren- nende Vulkane , denen in der Andenkette eben- falls thätige Vulkanketten gegenüber stehen. 3. Das Becken des Unter -Orinoko und der Ebenen von Venezuela. Es wird im Westen durch die Anden, im Norden durch die Küstenkette, im Osten durch die Parime begrenzt. Im Süden begrenzt es das waldige Becken des Maranon. Diese Llannos sind die Wiesengründe , durch welche wir unsere Reisenden begleitet haben. 4. Das Becken vom Rio Negro und Amazonen- strome. Dieses ist das Centralbccken, und zwar das gröfste in Amerika. Der waldige Theil ent- hält 260,000 Quadratmeilen. Einen Theil davon haben wir auf dem Rio Negro durchschifft. Der waldlose Theil ist ein Grasmeer, und bildet die schon öfter erwähnte Enge, durch welche es mit dem letzten Becken 5. der Pampas von Buenos - Ayres und Patago- nien zusammenhängt. Diese Ebenen erstrecken sich bis an die magellanische Meerenge , und bilden das Gegenstück zu den Ebenen des Mis- sisippi. Dieses Becken enthält grasbewach- sene Ebenen , vorzüglich im westlichen , und — 277 — dichte Waldungen im östlichen Theile; seine Gewässer sammeln sich in grofsen Strömen, die alle ihre Gewässer dem Rio de la Plata abge- ben. Seine Oberfläche beträgt 1 35, ooo Quadrat- meilen. Die ganze Oberfläche Süd • Amerika's beträgt 57i,3oo Quadratmeilen; davon bedecken n4,4o° die Gebirge , und 4^6,900 nehmen die Ebenen ein. Ganz Amerika enthält auch fünf grofse Flufs- systeme. 1. Das Wassersystem des Lorenzslromes; es er- hält seine Nahrung aus dem Schnee und Eise des nördlichen Nord -Amerika und den viel- fachen canadischen Seen. 2. Das Flufsgebiet des Missisippi. Seine Zuflüsse reichen bis an die Seen Canada's. 3. Das Flufsgebiet des Orinoko; seine Zuflüsse haben ihre Quellen in den Anden von Neu- Granada und im Parime- Gebirge ; es hängt zu- sammen durch den Cassiquiare mit 4. dem Flufsgebiete des Amazonenstromes oder Maranon. Dieses ist das prächtigste und gröfste Flufsgebiet der Erde. Es liegt unter dem Aequa- tor, mit dem der Strom sich beinahe parallel von Jaen de Bracamoros, auf eine Strecke von 2,40° Meilen bewegt. Es erhält seine Nahrung durch die Aequatorial- Regen. 5. Das fünfte Flufsgebiet ist das des Rio de la Plata. Es entspricht dem des Missisippi, — 278 — Von den fünf Flufsgcbieten entleeren alle ihre Wassermassen in das atlantische Meer, und keines in den grofsen Ocean ; in diesen fallen nur die Kü- stenflüsse der Westseite der Cordilleren , welche aber bei der grofsen Annäherung derselben an das stille Meer von keiner Bedeutung sind. snäinsFffiias skbs^ Erstes Kapitel. Reise nach Cuba. In neuerer Zeit ist die Schiffahrt so sehr ver- vollkommt , dafs eine Fahrt von den Küsten Vene- zuela^ nach der Insel Cuba nur als eine Kleinigkeit erscheint. Die Bändigung des Meeres ist einer der schönsten Triumphe des menschlichen Geistes, man kann mit Recht behaupten , dafs die Menschen ein- ander näher gerückt sind. Was in frühern Zeiten eine ungeheure Seefahrt hiefs , ist jetzt eine Spa- zierfahrt , und man kann sagen , dafs jetzt Cadix von Cuba nicht weiter entfernt ist, als es früher von London war. Am il\. November um 9 Uhr Abends ging man unter Segel. Man verliefs die Rhede von Neu-Bar- cellona , fuhr im tiefen Fahrwasser zwischen den Borache- Inseln hin. Die Luft war kühl und ange- nehm , und die Fahrt daher viel reizender , als auf dem Orinoko , da sich hier keine Mosquitos einfan- den. Die Tagestemperatur ist hier gewöhnlich 2Ö0 bis29°, die der Nacht 23° bis 24°, welches eine sehr erquickende Veränderung der Wärme ist. Am fol- genden Mittage befanden sie sich in der Nähe der Insel Tortuga , die von aller Vegetation entblöfst, nur sehr wenig über den Meeresspiegel erhaben ist. — 282 — Da hier mit Anfang November die Ostwinde ge- wöhnlich sehr frisch wehen, so war die Windstille am 26. November auffallend. Auf dieser ganzen Küste werden die Südwinde für sehr ungesund ge- halten , weil sie die faulen Ausdünstungen der Wäl- der des Orinoko herbeiführen. Gegen 9 Uhr des Morgens bildete sich ein schöner Ring um die Sonne, im Augenblicke , wo die Temperatur dieser Gegen- den plötzlich um 3%° sank. Herr von Humboldt vermuthet, dafs dieses die Wirkung einer abstei- genden Strömung war. Diese Erscheinung war sehr schön. Der Ring um die Sonne hatte die Breite eines Grades, und war nicht weifs , sondern zeigte die schönsten Regenbogen -Farben , während das Innere des Ringes, wie auch das ganze Himmelsge- wölbe, tief azurblau war, ohne eine Spur sicht- barer Dünste. Allmählich verliert man auch die Insel Marga- retha aus dem Gesichte , und in der Entfernung stellt sich die Silla von Caracas den Blicken dar. Auf diesem Sattelberge verweilten die Blicke unse- rer Reisenden mit Liebe und Gefühl. Er war der höchste Berg Amerika's , den sie bis jetzt und nicht ohne einige Gefahr erstiegen hatten. Bei hellem Wetter ist die Silla, auch ohne Luftspiegelung, auf 35 Meilen weit im Meere sichtbar. Das Meer war mit einer bläulichten Haut überzogen , welches das Leuchten desselben* in der Nacht vermehrte. Sic bestand aus feinen Faserchen , und das Leuchten schien auf thierischen Ursprung hinzudeuten. — 283 — Langsam näherten sie sich am 27, November der Insel Orchila. Wie alle dem Festlande nahe Insel- chen, ist auch diese unbewohnt geblieben. Ihr west- licher Theil liegt unter 110, 5i' 44" N. Br. und 68°, 26' 5" W, L. Sie ist 8 Meilen lang und kaum 3 Meilen breit. Sie war damals mit herrlichem Pflan- zenwuchse bedeckt, und gewährte einen angenehmen Anblick. Sie ist aus zwei Felsen reihen zusammen- gesetzt, die durch einen kleinen Isthmus verbunden, und nicht über 80 Toiscn hoch sind j auf ihren Gi- pfeln tragen sie Palmen mit Fächerblättern , wahr- scheinlich Palma de Sombrero. Regen sind hier selten , aber es ist wahrscheinlich, dafs auch auf dieser Insel süfse Quellen vorhanden sind. Es ist daher befremdlich, dafs, indem so viele kleine Fel- sen-Inseln im Archipel der Antillen angebaut sind diese vielen Inseln in der Nähe des Festlandes un- bewohnt bleiben. Dieses rührt jedoch daher, weil sie derselben Regierung, wie das Festland, ange- hören, vmd Niemand gern auf beschränkten Inseln sich ansiedelt, wo er auf dem Festlande Platz genug hat, um sich auszubreiten. Bei Sonnenuntergang nahmen sie zwei aus dem Wasser hervorragende Felsspitzen wahr, die sich wie Thürme erheben und Roca de afuere heifsen. Über der Insel Orchila sammelten sich Dünste und bildeten in beträchtlicher Höhe Wolken. Diese Erscheinung ist wohl bekannt. Die Wolken bleiben lange über solchen Inseln stehen, und es zeigt sich, welche Kraft auch kleine Erdmassen auf die Dünste 2Ö4 der Atmosphäre ausüben. An diesen Wolken er- kennt man von Weitem her die Lage der niedrig- sten Inseln. Am 29. November bei Sonnenaufgang sahen sie noch ganz deutlich die Silla von Caracas, aber mit dem Meerhorizont beinahe gleichlaufend. Sie be- fanden sich in einer Entfernung von 39 bis 4© Mei- len, welches eine etwas starke Strahlenbrechung an- zeigt. Gegen Mittag kündete sich ein nördlicher Witterungs- Wechsel an. Die Luft erkältete sich plötzlich bis auf 220, 8, während die See auf der Oberfläche bis 25°, 6 beibehielt. Der Wind ging auch am 3o. November wirklich in N. N. O. über, und die Wellen erhoben sich auf eine aufserordent- liehe Höhe. Gegen Norden zeigte der Himmel eine schwärzliche Färbung, und da die WTellen sich kreuzten, so verursachte dieses ein gewaltiges Schau- keln des Schiffes. Auf einer Meile Entfernnng bil- deten sich Wasserhosen, die sich schnell vonN.N.O. nach N. N. W. bewegten , und so oft eine Wasser- hose sich näherte, war eine Erkältung des Windes spürbar. Gegen Abend brach durch Unvorsichtig- keit des Schiffkochs Feuer aus, welches leicht hätte gefährlich werden können, da die Schiffsladung aus gedörrtem , also leicht entzündbarem Fleische be- stand , und der Wind heftige Stöfse aussendete. Es wurde jedoch schnell gedämpft. In der Nacht vom ersten zum zweiten December stellte sich den Reisenden eine sehr merkwürdige Erscheinung dar. Es war eine halbe Stunde nach — 235 — Mitternacht bei einem schwachen Ostwinde. Der Thermometer zeigte 23°, 2. Der Hygrometer aus Fischbein 5j°. Herr von Humboldt stand auf dem Verdecke, um Sterne zu beobachten. Der Vollmond stand sehr hoch. Plötzlich bildete sich auf der Seite des Mondes 45' vor dem Durchgange durch den Me- ridian ein Bogen , der alle Farben des Regenbogens spielte, jedoch ein trauriges Aussehen hatte. Der Bogen überstieg seiner Höhe nach den Mond, war 20 breit und sein Obertheil war 8o° bis 85° über den Horizont des Meeres erhaben. Der Himmel war ausserordentlich rein , es war nirgend ein An- schein von Regen vorhanden, und diese Erscheinung, die völlig einem Mondregenbogen glich, stellte sich doch nicht dem Monde gegenüber dar. Der Bogen schien bis 10 Minuten lang still zustehen, dann fing er an sich zu bewegen und zu senken , indem er über den Mond hinzog, und um 12 Uhr 54' sich unter dem Horizonte mit dem Obertheile verbarg. Er bewegte sich sehr schnell , und Herr von Hum- boldt gesteht, diese Erscheinung nicht erklären zu können. Die Matrosen sind aber mit der Erklärung gleich bei der Hand, indem sie sagen : jedes ausser- ordentliche Meteor kündige Wind an. Am 3. December gab es einen tüchtigen Schre- cken, man sah nämlich ein kleines Fahrzeug, und glaubte nichts anders , als einen Corsaren zu sehen, was denn auf der See , wenn man sich auf einem Kauffarthei - Schiffe befindet, immer eine sehr ernst- liche Sache ist, und mehr als Regenbogen und ent- — 286 — fernte Wasserhosen frappirt. Als es jedoch näher kam , zeigte es sich , dafs es ein ganz unschuldiges Wesen sey, nämlich das Fahrzeug eines Franzis- haner -Mönchs und eines sehr reichen Pfarrers eines indianischen Dorfes in den Savanen von Neu-Bar- cellona , das seit mehreren Jahren in Handelsange- legenheiten-zwischen dem Festlande und den däni- schen Inseln hin und her fuhr, und unter dem Na« men Balandra de Frayle bekannt war. In der Nacht bemerkte Herr Bonpland und mehrere Passagiere eine Viertelmeile entfernt eine Flamme auf dem Meere, die sich gegen S.W. bewegte, und die Luft erleuchtete. Man spürte weder ein Erdbeben noch eine Veränderung der Atmosphäre. Diese Flamme kann ein phosphorischer Glanz gewesen seyn , der aus der Fäulnifs von Weich thieren entstanden war, oder auch eine aus dem Meergrunde hervordringende vulkanische Flamme. Das letztere ist jedoch un- wahrscheinlich, weil vulkanische Flammen nur dann aus dem Meere emporsteigen mögen, wenn sich der Felsgrund des Oceans bereits so hoch gehoben hat, dafs Flammen und glühende Schlacken aus dem auf- geblähten Theile hervorkommen, nicht aber durch das Wasser selbst hindurch gehen müssen. Da es in Kriegszeiten nicht rathsam ist, sich lange im Angesichte des Landes aufzuhalten , so wurde am vierten December die Überfahrt der Bank Pedro Shoals beschlossen. Die Bank ist 280 See-Qua- dratmeilen grofs, und der, bei der Insel Jamaika ähn- lich , sieht sie aus wie eine Erhebung des Meergrün- — 207 — des, welcher die Oberfläche der See nicht zu er- reichen vermochte, um eine eben so grofse Insel, wie Portorico, zu bilden. Die Milchfarbe des Was- sers zeigte an , dafs man sich am östlichen Theile der Bank befinde; das "Wasser, welches, wie wir im Anfange dieser Reise , im ersten Bändchen , be- merkt haben, auf Untiefen kälter ist, war auch hier um i°, 6 erkältet. Vom 4. bis 6. December wurde die Witterung schlimm, und die Stofswinde von N. N. W. immer heftiger und in der Nacht war die Lage des Schiffs etwas gefährlich. Man befand sich in der Nähe von Klippen , die sich durch das Ge- räusch der Brandung ankündigten, und von denen ein Schiff, wenn es auf sie stöfst, leicht zerschmet- tert wird. An dieser Gefahr war weniger der Steuer- mann , als die Unrichtigkeit der See - Charten Ur- sache. Aus diesem Grunde ist die Richtigkeit der Charten so wichtig, d. h. alles Bestreben der Re- gierungen , die auf der See Geschäfte haben, müs- sen dahin gehen , dafs alle Örter des Meeres , be- sonders Inseln , Sandbänke und Klippen , auf das genaueste astronomisch bestimmt werden. Sind die Bestimmungen auf den See- Charten falsch , so lau- fen die Schiffe die gröfste Gefahr, an solchen Stel- len, wo öfters die Charten das beste Fahrwasser angeben. Das Schiff jedoch , auf welchem unsere Reisenden waren , schien der Engel der Wissen- schaften zu lenken , denn die Wendung des Fahr- zeuges gelang vollkommen , und in einer Viertel- stunde waren sie alle aufser Gefahr. Das Senkblei, — 283 — welches im Anfange nur 9 Klafter zeigte, hatte 12 und hernach i5 gezeigt. Die Klippen, an denen sie so leicht scheitern konnten, liegen unter 160, 5o' Br. und 80°, 43' 49" L. Am 9. Decembcr hatten sie sich den Caymas« In- seln genähert, und hier erhielt der Ostwind wieder seine vollkommene Stärke. Die grofse Ca)rmas- In- sel ist mit Cocospalmen bedeckt. Das Wetter war fortdauernd sehr schlecht und stürmisch und die Luft sogar kühl bei 190, 2 bis 200 des hundertheili- gen Thermometers. Der üble Geruch des gedörr- ten Fleisches ersetzte hier die Mosquitos -Plage der Orinokofahrt. Der Himmel zeigte zwei Wolken- schichten, von denen die untere sehr dicht war; die obere schien unbeweglich und durch Streifen getheilt. Als sie an das Cap St. Anton kamen, legte sich der Wind. Dieses Vorgebirg liegt unter 870, 17' 22" W.L. und 20, 34' *4" östlich von Havannah. Drei Meilen waren sie jetzt noch von der Insel Cuba entfernt, dennoch kündigte sich dieselbe schon als nahe an, durch den lieblichenGeruch, welchen die gewürzreiche Vegetation dieser Insel aushaucht. Die Matrosen behaupten, dieser Geruch sey nicht spür- bar , wenn man sich dem Cap Catoche auf den dür- ren Küsten von Mexiko nähert. Wie das Wetter sich aufhellte , so stieg auch der Thermometer im Schatten nach und nach auf 270. Durch eine Strömung von S. S. O. getrieben, rückte das Schiff schnell vorwärts. Diese Strömung gehört zur Wirkung des beschriebenen Golfstromes, — 289 — von dem das erste Bändchen handelt. Ä.m 19. Dc- cember 1800 landeten unsere Reisenden im Hafen von Havannab. Sie hatten auf der Überfahrt von Neu-Barcellona fünf und zwanzig Tage bei stets schlimmem Wetter zugebracht. Zweites Kapitel. Allgemeine Bemerkungen über die Antillen. Die ganze Oberfläche der Antillen befafst nahe an 83oo (Juadratmeilen (20 auf den Grad). Neun Zehntheile davon kommen auf die grofsen Inseln : Cuba, Haiti, Jamaika und Portorico , die einen Flächeninhalt von 7200 Quadratmeilen befassen. Die Area dieses amerikanischen Archipels kommt daher der des preufsischen Staates gleich ; die Bevölkerung ist jedoch noch keineswegs so grofs , als man von Inseln in der schönsten Gegend der Erde vermuthen sollte, und wohin Afrika seine unglücklichen Kin- der in so grofser Anzahl sendet. Die Bevölkerung der Antillen ist drei Mal geringer, als diejenige von Schottland. Die Antillen sind es vorzüglich, wohin die armen afrikanischen Brüder gebracht werden, und wo man sich schon gewöhnt hat , die schwarze Bevölkerung als die arbeitende Classc zu betrachten. Dieses grobe Vorurtheil, als ob die Colonial -Produkte nur durch Schwarze erzielt werden könnten , wir- Hibl.nAturh.Reiten.IV. ^ — 2.9-0 — Set sehr nachtheilig auf den Gewerbfleifs , und setzt die weifse Bevölkerung bei dem Übermafse schwar- z-er Sclaven der gröfsten Gefahr aus. Wir wollen daher jetzt in einigen Tabellen die Bevölkerung der Antillen beifügen, aus welchen das Verhältnils der Sclaven zu den Freien ,. und der Schwarzen zu den Weifsen hervorgehen solK f Name der Inseln» Ganze Be- völkerung. Schwarze Sclaven. I. Brittische Antillen . . 776,^00 626,800 cu Jamaika . . - - ♦ 402,000 342,000 b. Barbados .. . .. . 100,000 79,000 Ci Antigua .....'..'• 40,000 3 1,000 d. St. Christoph .. .. .. 23,000 19,5oO e. Nevis ... . .. *. .. .. 1 1,000 9,5oo f. Grenada. . . ». .. 29*000 25,000 g. St. Vincent und Gre* nadinen ...... 28,000 24,000 h. Dominica .. .. .. .. 20,000 16,000 i, Montserat .. .. .. . 8,000. 6,5oo k. Englische Jungfern- Inseln ...... . 8,5oo 6,000 1 Tabago . . . . . 16,000 14)000 I 29 1 — Name der Inseln. Ganze Be- völkerung. Schwarze Sclaveu. m. Anguilla und Barbuda n. Trinidad. . . . . .. o. St. Lucie .... p. Bahamas. .... qt Bermudas .... 2,5oo 4-i, 5oo 17,000 i5,5oo i4»5oo 1,800 23,000 1 3,000 1 1 ,000 5,000 II. Haiti ....... 820,000 alle schwarz» aber frei. III. Spanische Antillen . . a. euba b* Portorico ...... c. Marguerita .... 943,ooo 700,00 r. 225,000 18,000 28l,000 2Ö6,00O 25,00O 400 IV. Französische Antillen . a. Guadelupe mit der Zubehör ...... b. Martinique .... 2 1 9,000 120,000 99,000 178,000 100,000 78,0OO i3 2Q2 — ! Ganze Be- Name der Inseln. .._ volkerung. Schwarze 1 Sclaven. V. Holländische , Schw sehe und Dänis Antillen . a. St. Eustach und S b. St. Martin . . c. Curassao . . d. St. Croix . . * e. St. Thomas . . f. St. Jean .... g. St. Barthelemy edi- che aba 84,5oo 18,000 6,000 11,000 32,000 7,000 2,5oo 8,000 6i,3oo 12,000 4,000 6,5oo 27,000 5,5oo 2,3oo 4,000 Wiederholung. Englisch ....... 776,500 820,000 943rooo 219,000 84,5oo 626,800 281,400 178,000 6i,3oo St. Domingo Spanisch . . . , * . . Französisch Holländisch , Schwedisch und Dänisch ..... Summa ......... 2,843,000 ,1-l/iT^Ort — 2Q3 — Aus dieser Tabelle können meine jungen Leser einige Schlüsse ziehen, wenn sie zuvor Folgendes bemerken. Diejenigen Einwohner der Antillen, die keine Sclaven sind, sind darum noch nicht alle weifse Leute. Es finden sich nämlich unter der Zahl von i,686,5oo Wicht- Sclaven 870,000 freie Neger, wo dann nur 816, 5oo Weifse überbleiben, aber auch unter diesen gibt es noch Mulatten und andere farbige Menschen. Hieraus folgt, dafs die Weifsen so sehr die Minderzahl ausmachen , dafs sie wirklich mit den Schwarzen sehr behutsam ver- fahren müssen, wenn diese nicht einmal einen gün- stigen Augenblick benutzen und es den Negern von Haiti nachmachen sollen. Dann sieht man auch mit Erstaunen, dafs gerade diejenigen Nationen, wel- che am meisten gegen Sclavenhandel eifern, die meisten Sclaven besitzen , und es a'so zwischen schönen Reden und schönen Handlungen einen Un- terschied gibt, und man sehr getäuscht wird, wenn man durch schöne Parlamentsreden sich nach frem- dem Glück lüstern machen läfst. Um jedoch von dem Zustande der schwarzen Bevölkerung in Ame- rika unsern jungen Lesern einen Begriff zu geben, lügen wir Folgendes bei. In ganz Amerika gibt es — 294 — Freie Neger. Inseln „....*..*. 870,000 270,000 1 60,000 80,000 6,000 Vereinigte Staaten Brasilien Spanische Colonien des Festlandes Brittisch, Holländisch und Fran- zösisch Guiana Summa ..«....«.. i,386,ooo Neger- Sclaven. i ,090,000 i,65o,ooo 1,800,000 307,000 200,000 Vereinigte Staaten Brasilien •...•.••« 4 Spanische Colonien des Festlandes Brittisch , Holländisch und Fran- zösisch Guiana , _ „ 1 oumma « 5,047,000 2<)5 — O M > ,2 e C es •■2 s c ■s « bß 3 c „ i. E C6 ü HUI ^ 8 -3 S o o o o © c 1 1 » o © »n o m ! s c2 *, O CO o^ sc c '3 « © *r CO vO e i o £ •co CO l> ff) f t B . 3 ä . o © o o © c ! 2 o o »r> o 1T5 c » • © iO O CO o © c ^ - " S gg * 2 OS O CO CO t^- e q o :; ai, -" ©> *> -pH f\"5 l-a CO l> c tn " ""Cf Ü8 o 1 o o O C t o 3^ ä o o o © c > 2 • ^ J3 CO o CO xr i c 5 o,co so cd pa t "*■ o 00 s© t^ sO *< o co'S £ c > • & o o o o © I 1 o c o o "© c ) o © o »o c > P o 5 * co 6 so ©S *sr ff 5 5 FS >«f 2 t> CO ■s o S CS CO t> es a ll n c 1 o ,. ^ st .. C CJ o ' " * t/D ' HB * ' • • C • • C . , , . 3 , 3 e -C c ü p-i c s ~ «0 s > V 'S e o c -«1 e < o pS u Q Ü CJ CO 0 M *s es .- o »3 *W5 :0 s C8 B an 0> U ^3 £ • Oh * *S U 0 s co £ ffl ft HH X — 2QÖ — In ganz Amerika verhält sich nach den Farben die Bevölkerung so: Weifse i3,47i?ooo, Indianer 8,610,000, Neger 6, 483, 000 , vermischte Farben 6,428,000, zusammen 34,942,°00« Nach den Religio- nen sind in Amerika 22,486,000 Römisch -katholische, n,636,ooo Protestanten und 820,000 Heiden. Drittes Kapitel. Politische Beschreibung der Insel Cuba. Wir haben im ersten Kapitel unsere Reisenden auf der Insel Cuba verlassen , wie sie eben in der Havannah landeten. Bevor wir jedoch erzählen, was ihnen daselbst begegnete, wollen wir diese In- sel und ihren Zustand zuerst beschreiben. Diese Insel ist nebst Portorico der einzige Überrest spa- nischer Gröfse in Amerika. Cuba ist aber ein so schönes und zugleich so wichtiges Besitzthum der spanischen Krone , dafs man behaupten kann , so lange Spanien die Insel Cuba nicht verliert, so lange ist auch die Hoffnung der Wiedereroberung Meviko's nicht verloren. Hier ist nämlich die spa- nische Herrschaft fest gegründet; es gibt einen vor- trefflichen Waffenplatz ab. Hier können sich euro- päische Truppen so gut an das Klima Amerika's ge- wöhnen , dafs sie von den Ansteckungen bei einer Landung in Mexiko nichts zu fürchten haben. Von hier aus können sie daher auch eine Armee leicht mit Lebensmitteln versehen , und behalten immer, — 29? — im schlimmsten Falle, einen Zufluchtsort, wenn sie <*enöthigt werden , sich einzuschiffen. Cuba ist also als Waffenplatz sehr wichtig für Spanien. Aber auch als Colonie, denn die grofse Insel Cuba bietet eine Menge Colonial- Erzeugnisse dar, und alle Er- zeugnisse der Tropenländer gelangen hier zur gröfs- ten Vollkommenheit. Cuba hat eine ausgedehnte Oberfläche , denn sie ist um die Hälfte gröfser als Haiti , und so grofs als England ohne Wallis. Ihre Fruchtbarkeit ist aber grofs und bewundernswerth, und ihre Bevölkerung besteht zu drei Fünftheilen aus freien Menschen. Über alle diese Vortheile geht aber ihre geographische Lage und die Lage der Stadt Havannah. Der Golf vom Mexiko bildet ein Mittel- meer von 25o Meilen Durchmesser, dessen Küsten den Bundesstaaten von Mexiko und Nord -Amerika angehören. Die Insel Cuba bildet gleichsam die Pforte zu diesem so wichtigen Meerbusen; durch die offen bleibenden Seiten dringt der Golfstrom ein und wieder heraus. Am nördlichen Ausgange, da, wo mehrere Strafsen des Welthandels kreuzen, liegt der schöne Hafen von Havannab , der sowohl von der Natur als Kunst befestigt ist*). So wie die Flotten, die aus Cadix auslaufen, die Strafse in das Mittelmeer beherrschen, so können auch die aus Acajou- und Cedrcla-Holz erbauten Flotten der Insel Cuba die gegenüberliegenden Küsten schlag- fertig bedrohen. *) Siehe den beigefügten Grundrifs. — 298 — Auch die längliche, etwas schmale Gestalt gibt der Insel Cuba eine solche Verlängerung , dafs sie sich zugleich der Insel Haiti und Jamaika nähert, wie auch der Küste Florida's und der mexikanischen Provinz Yucatan. Diese Verbindung, wo so viele Staaten so nahe an einander stehen, dafs eine zehn- bis zwölftägige Schiffahrt sie mit einander verbindet, verdient auch darum Rüchsicht , weil gerade diese Staaten, die so schnell mit einander in Gemeinschaft treten können , die gröfste schwarze Bevölkerung enthalten. Florida fangt an, seit es den vereinigten Staaten angehört, aufzublühen, und sein fruchtbarer Boden verspricht eines der schönsten Länder der Erde zu werden. Weiterhin blüht Neu -Orleans zum Haupt- stapelplatz der Erde auf, und an sie reihen sich die mexikanischen Häfen Tampico , Veracruz und Alva- rado bis zum Cap Catoche. Zwischen der Havan- nah und dem Hafen von Campeche ist der Handel überaus lebendig. Früher hat die Verwaltung die- ser Insel viel gekostet , weil hier der stärkste Punkt der spanischen Seemacht ist; diese Colonie hat je- doch unter allen spanischen Besitzungen in fremden Welttheilen den gröfsten Wohlstand erlangt, so dafs sie aus dem Schatze Spaniens keines Zuflusses mehr bedarf. Die Einwohner sind klug, die Verwaltung ist gemäfsigt, und dieses zusammen hat eine solche Lebendigkeit im Handel hervorgebracht, dafs der Ertrag der Zölle sich so ungeheuer vermehrt hat, — OQQ „ dafs diese reiehe Colonie sogar das Mutterland im Kampfe mit andern Colonien unterstützen konnte. Unter die schönsten Ansichten der Erde, wie sie nur Neapel undConstantinopel aufzuzeigen haben, gehört auch die von Havannah. Es ist zwar hier der üppige Pflanzenwuchs keineswegs vorhanden, der die Flufs-Ufer des Guayaquil schmückt. Eben so wenig zeigt sieh hier die wilde Gröfse, welche die Einfahrt in den Meerbusen von Rio Janeiro aus- zeichnet. Die Schönheit Havannah's besteht in dem Reize, den eine wohlangebaute Gegend, geschmückt mit den majestätischen Pflanzenformen der Tropen- Jänd<:r, unter einem schönen Himmel entwickelt. Hin- gerissen von diesem erfreulichen Anblicke vergifst der Europäer die ihm hier drohende Gefahr; er sucht sich die Bestandtheile der ausgedehnten Land- schaft zu entwirren, und sein betrachtendes Auge ruht auf jenen festen Schlössern , die sich auf der Ostseite des Hafens über den Felsenwänden dar- stellen. Sein Blick ergötzt sich an dem von Dörfern und Meierhöfen umzingelten Wasserbecken , an den zu aufserordentlicher Höbe aufsteigenden Palmbäu- men und an den durch einen Wald von Masten zur Hälfte verdeckten Stadt. Die Einfahrt in den Hafen geschieht zwischen der Festung Morro und dem Schlosse San Salvador. Die Öffnung der Einfahrt ist auf eine Länge von 3/s Meilen nicht breiter als 170 bis 200 Toisen. Ist man durch den schmalen Eingang hindurch, und hat man das schöne Schlofs — 300 — San Carlos de la Cabanna nebst der Casa blanca hinter sich , so gelangt man in ein kreuzförmiges Becken, dessen grofse Axe von S. S. Wr. nach N. N. O. 2l/z Meilen Länge hat. Dieses Wasserbecken steht wieder mit drei Buchten in Verbindung, nämlich mit der von la Regia, von Guanavacoa und von Atares , wovon die letzte einige Süfswasserquellen enthalt. Die mit Mauern umgebene Stadt Havan- nah bildet ein Vorgebirge , das südwärts vom Ar- senal (Magazin für SchifTsgeräth) und nordvyärts vom Schlosse de la Punta begrenzt wird. Jenseits der Überreste einiger versenkter Schiffe auf der Untiefe von la Luz trifft man nur noch fünf bis sechs Klaf- ter Wasser an. Westwärts wird die Stadt von den Schlössern Santa Domingo de Atares und San Car- los del Principe vertheidigt ; diese liegen von der innern Mauer landeinwärts, das eine 669, das an- dere i24oToisen entfernt. Zwischen der S»tadt und den Schlössern liegen die Vorstädte (Arrebales oder barrias extra muros) von Horcon , von Jesus Maria, von Guadalupe und Sennora la Salud. Durch die Vorstädte wird das Marsfeld immer enger zusammen- gedrängt. Nicht sowohl durch Schönheit, als durch Festigkeit und Gröfse sind ausgezeichnet die Ge- bäude: die Kathedralkirche, das Gouvernements- haus, die Wohnung des Marine - Commandanten, das Arsenal, der Correo oder das Posthaus, die Ta- bak-Faktorei. Die Strafsen sind eng, und die mei- sten derselben ungepflastert. Weil die Steine von — 301 — Veracruz hergebracht werden müssen, so war man auf den Einfall gerathen , sich statt der Steine zum Strafsenpflaster grofser Bäume zu bedienen. Die Reisenden waren daher nicht wenig erstaunt, die schönen Cahoba - Stämme in denKoth von Havannah versengt zu sehen« Zur Zeit des Herrn von Hum- boldt hatten wenige Städte Spanien's ein so Jbäfs- liches Aussehen, als die reiche Havannah. Man wanderte im Kothe bis an die Kniee; die Menge der Caleschen oder Volanten , die das eigentüm- liche Fuhrwerk der Havannah bilden, die mit Zu- ckerkisten beladenen Karren , die Stöfse der zahl- losen Träger machen das Fufsgehen eben so be- schwerlich als das Fahren. Die Häuser und engen Gassen wurden durch das gedörrte Fleisch oder Tas- saio, welches einen widrigen Geruch von sich gab, verpestet. Es ist hauptsächlich die Nahrung der armen Schwarzen. Jedoch soll die Polizei in neue- rer Zeit diesen Übeln in etwas abgeholfen haben. Havannah hat ein Theater, welches i8o3 durch einen italienischen Künstler sehr schön und ge- schmackvoll ausgeschmückt wurde. Kunstwerke sind in einem Lande noch selten, wo der Mensch sich erst einheimisch macht, und nur darauf bedacht ist, seinen Wohlstand, zu gründen, und sich mit dem Nothdürftigsten zu versorgen. Desgleichen hat auch Havannah zwei sehr schöne Promenaden, deren eine zwischen der Almada, zwischen dem Hospitale Paula und dem Theater gelegen ist; die andere liegt — 302 — zwischen dem Castello de Ja Funta und der Puerta de la Muralla , und führt den Namen : Spaziergang aufser den Mauern. Sie gewährt die angenehmste Kühlung, und wird nach Sonnenuntergang von den Spazierfahrern viel besucht. Ihre erste Anlage rührt von dem Marquis de la Torre her. Sie besteht aus prächtigen Palmen. In der Nähe des Marsfeldes befindet sich der Pflanzengarten, welcher äufserst wichtig ist. Darneben ist der Platz des Fluches, wo die unglücklichen Sclaven ausgeboten werden. Auf der Promenade aufser den Mauern ist in der neuesten Zeit die Bildsäule Carls III. aufgestellt worden. Der Platz war früher zu einem Denkmale des Christoph Columbus bestimmt. Seine Asche ruht nämlich hier , indem sie nach der Abtre- tung des spanischen Antheils von St. Domingo liieher gebracht worden war. In demselben Jahre wurde auch die Asche des Ferdinand Cortez aus einer Kirche in die andere versetzt, und so geschah es , dafs gleichzeitig am Schlüsse des achtzehnten Jahrhunderts die zwei gröfsten Männer , welche die Eroberung Ameriha^s auszeichnet, ein neues Be- gräbnifs erhielten. Die prachtvolle Königspalme (Palma real) er- theilt der Umgebung von Havannah einen besondern Reiz. Ihr schlanker, in der Mitte etwas aufgetrie- bener Schaft erreicht die Höhe von 70 bis 80 Fufs. Sein Obertheil ist glänzend, von zartem Grün, und bildet mit dem übrigen weifslichen und zerrissenen — 303 — Schafte einen Gegensatz, so dafs der Obertheil mit dem Untertheile zwei auf einander gesetzten Säu- len gleichen. Die gefiederten Blätter stehen senk- recht empor, und sind gegen die Spitze etwas ein- gebogen. Hier, wie überall, wo die Menschenmenge sich zusammendrängt, leidet der Pflanzenwuchs, und man siehet in der Umgegend der Stadt die Pal- men jährlich schwinden , die Sümpfe werden ausge- rottet und angebaut, und wie der Anbau des Bodens vorwärts schreitet, zeigt der Boden kaum noch Spu- ren seines vormaligen wilden Überflusses an Pflan- zenreichthum. Man sieht die Zwischenräume von einer Bucht bis zur andern mit Häusern sich be- decken , die zum Theil angenehm und zierlich ge- baut sind. Die Häuser werden meistens in den ver- einigten Staaten verfertigt. Man zeichnet einen Plan dazu , und bestellt sie , wie man bei uns ein Haus- geräth bestellt. Es sind nämlich aus Holz gezim- merte Landhäuser. Wenn in Havannah] das gelbe Fieber herrscht , so bezieht man diese Landhäuser am La Regla_und Guanavacoa, wo die Luft reiner ist. Bei der Kühle der Nacht streichen die Böte durch das Wasser hin , und lassen bei der Phos- phorescenz des Meeres lange, lichte Streifen hinter sich, was einen schönen Anblick gewährt, und eine reizende Zufluchtsstätte der Einwohner ist, die das Getümmel der Stadt fliehen. Um die Fortschritte der Cultur noch genauer zu würdigen, müssen die Reisenden die kleinen Chartas besuchen , voll Mais . — 304 — und Maniocpflanzen , so wie in den Feldern von la Cruz de Piedra die nach der Schnur gepflanzten Ananas und den bischöflichen Garten , welcher in der neuesten Zeit ein besonders angenehmer Ort geworden ist. Die eigentliche mit Mauern umgebene Stadt Ha- vannah ist nicht über 900 Toisen lang undöoo breit, und auf diesem engen Räume wohnen 44»°°° Men- schen, unter denen 26,000 Neger und Mulatten sind. Die Bevölkerung der Vorstädte ist um nichts ge- ringer, besonders in der von Jesus Maria und la Salud , die jedoch, ihrer engen Gassen wegen, die- sen schönen Namen gar nicht verdient, obgleich die Lufttemperatur etwas milder, als in der Stadt selbst ist. Die Ingenieure beweisen der Regierung be- ständig, dafs die Vorstädte zu nahe bei den Festungs- werken liegen, und der Feind sich da einquartiren könne , ohne von dem Geschütze der Festung er- reicht zu werden. Allein wer hätte den Muth, eine Bevölkerung von 28,000 Menschen zu vertreiben ? Havannah ist übrigens sehr fest, und nicht leicht würde es einem Feinde gelingen, sich der Stadt zu bemächtigen , die von der Natur und Kunst so sehr befestigt ist. Der bedenklichste Feind der Havan- nah ist in der Stadt selbst. Es sind dieses die Ne- ger und Mulatten. Folgende Tabelle wird die Be völkerung Havannah's ausweisen. — 305 — . co t> CS CO CO IUI 1 ^1 1 1 "Gc- ammt heit der rauen vT es CO ©s l> *n f es C VT vr ,T irT ©N ^ es cd «5 fcl es "" vt CS iD © M Ol es r o o pa o O CO vr >o o CO SO CO es ^^r t> a * M CO o * '£ o es _ _ v* CO 11 o o vT tv es CO vO p . vO a> vt vr vT u °° M SO o es CS fei > A "" CS O vf o CO xo O 1 *£> CS VT O c^ O vo vr <©s **d" es o = >~5 cd m p* CS *rf co l 3 p i 1 o CS ^o vO in CS CO vT tfsij vT « t> e CO co SO v© CO es C> co^ 2 3 cT vT lv ,T CO t> es " vT f o 6 vj- -5 es „ es CO vr Cs IT- »n CO M co CO in CS -^a " 1 u2 o vT o VT es © o CS l - t> vT vO o o ;< vO cs VT t> vr «s CS g | || cs M vT o IS CS S I s m CO m ' es es o o L 3^ CO cv CO o CS CS 3 3 CO r» © vT es CO 1 cd - er CO so «3 • • ♦ c • » * * o «o cu • s N © > • CO s- •"Ö co w o cä S- CJ 0) 03 CO CJ > "c3 CO b CS £ C3 3 "S 0> "3 CSi l> fa fc CO CO SJ — 30Ö — CS c n C/) p s t-1 - — o p i— < P U9 fi> 3 3 c 0 CR ST S •"5 o 1 o o SO ex < P a h-l B9 N p 3 p »1 ET p- 3 P 3- p. 0 3 o 0 p* - g cc* Cs <1 4^ CO o CS to Ol OS o cc b3 00 cc 4^ ^1 4>. &- e S 5' 5s Ui Cs ÜT CO 03 > _ 4^ M ia b9 sO ■^ CO 3 2. ° o 4>- 00 o o Ut cc CO N * 1 l s 4^ CS ba bS cc fcO O r - *d so 5« 2. CD to M 4^ Cs © s-s" P b9 so v£> bJ o o • os CS os =r o rt 3»» cc Cs 000 Kisten darbietet. Vielleicht haben meine jungen Leser eine Freude — 321 — daran, zu sehen und zu erfahren, wie viel Zucker überhaupt in Amerika erzeugt wird; damit jedoch die Freude auch ein Gegengewicht habe, so will ich überall auch die Zahl der schwarzen Sclaven, die dazu verwendet werden , beisetzen. Die Antillen führen an Zucker aus: 62,000,000 Zentner, zu denen 1,147,500 Sclaven gebraucht wer- den. Brasilien 27,000,000 Zentner mit 2,000,000 Sclaven. Guiana 9,000,000 Zentner mit 206,000 Scla- ven. Mithin liefert ganz Aequinoctial -Amerika für Europa 98,000,000 Zentner Zucker , zu deren Er- zeugung 3,3i4,ooo unglückliche Sclaven verwendet werden. Ein Drittheil dieses Zuckers verbraucht Grofsbrittanien allein. Die Zuckerpflanzung ist ge- genwärtig auf dem Erdballe dermafsen verbreitet, dafs eine solche Veränderung des Preises des Zu- ckers nicht zu fürchten steht, wie zu der Zeit, als der Anbau desselben noch auf einen engen Raum beschränkt war. Die Insel Cuba hat gegenwärtig eine Ausfuhr von Ys alles Zuckers der Antillen und von >/8 alles des Zuckers, der aus dem Aequinoctial -Amerika nach Europa kommt. Man unterscheidet auf der Insel Cuba drei Sorten von Zucker, nach dem Grade der Reinheit, den er durch das RafFiniren erhält. Der Zucker wird nämlich in sehr grofse Hüte oder um- gestürzte Kegel geformt, von diesem enthält der obere Theil den weifsen , der mittlere den gelben und der untere Theil die geringste Sorte, Cucurucho genannt. Aller Zucker auf Cuba wird so raffinirt, — 522 — und nur sehr wenig roh ausgeführt. Die Hüte wie- gen gewöhnlich eine Arobe, und man rechnet */9 weifs , % gelb und l/tJ Cucurucho in einem Hute. "Wird der reine weifse allein verkauft, so geht er gewöhnlich um zwei bis drei Realen theurer ab, als gemischt. Die Preise des Zuckers sind nicht fest, und waren besonders zur Zeit der europäischen Kriege und den Unruhen auf St. Domingo sehr schwan- kend , und zwar so sehr , dafs sie zwischen 3o und i3o schwankten. Seit 1826 sind sie wieder sehr niedrig. Ein Eigenthümer , der eine mittelmäfsig grofse Zucherpflanzung besitzt, und auf ihr acht- hundert Kisten Zucker erzeugt, erhält dafür 19,200 Piaster, zu 2 fl. 4 hr. CM. Vor zwölf Jahren er- hielt er dafür 28,000 Piaster. Damals, zwischen 1811 und i8i5, hostete die Kiste 36 Piaster, jetzt aber nur 2^ Dieser niedrige Preis Iiomrat uns Eu- ropäern wieder zu gut, indem wir wohlfeilem Zu- cker haben. Auf der Insel Cuba sind nur wenig Pflanzungen, welche 40*O0° Aroben Zucker ertragen. Die Pflan- zungen heifsen Yngenio. Eine solche grofse Yngenio hat gewöhnlich eine Ausdehnung von 5o Caballerias oder Morgen Landes von 65, 000 Quadratklaftern, was ungefähr 5r/2 Joch oder Morgen nach unserm Mafsc beträgt , so dafs man für eine der gröfsten Pflaa- zungen auf Cuba ungefähr 25o Joch Landes nach unserm Mafse rechnen bann. Von einem solchen Stück Land, das die Grofse von einem Zehntheile Quadratmeile hat, ist der eigentlichen Zuckerrohr- — 323 — Pflanzung nur die Hälfte gewidmet, die andere Hälfte wird dagegen zum Anbaue der Nahrungspflanzen und der Viehweiden benutzt. Der Preis des Lan- des ist nach der Beschaffenheit des Bodens verschie- den, so wie auch nachdem es Havannah oder einem andern Hafen näher liegt. In der Nähe Havannah's wird eine Caballeria zu zwei oder dreitausend Pia- ster gewerthet. Um 32,ooo Aroben Zucker zu er- zeugen, mufs man wenigstens 3oo Neger haben. Ein aeclimatisirter Neger kostet föo bis 5oo Piaster (1000 fl. G.M.); ein erwachsener, aber noch nicht an das Klima gewohnter Bozaneger kostet nur 370 bis 4°° Piaster. An Nahrung, Kleidung und Arznei mag ein Neger jährlich 45 bis 5o Piaster kosten, mit den Zinsen vom Capital mag ein Neger täglich auf 3o bis 34 Kreuzen C. M. oder 9 Groschen sächsisch kommen. Die Nahrung des Sclaven besteht in Tas- sajo , an der Sonne gedörrtes Fleisch , aus Buenos- Ayres und Caracas. Ist das Tassajo zu theuer , so erhält der Sclave gesalznen Kabeljau oder Stock- fisch; als Gemüse empfängt er Kürbis, Munnatos, Pataten und Mais. Eine so grofse Pflanzung., wie wir oben erwähnt haben, braucht aufser den 3oo Sclaven noch drei Walzenwerke , die durch Ochsen in Bewegung gesetzt werden , wenn dieses nicht durch Wasserräder geschehen kann ; ferner 18 Sied- kessel , die nach der alten spanischen Methode sehr viel Holz erheischen. Wo sehr viel Branntwein oder vielmehr Rhum Absatz findet, decken die Melassen (Abfall, aus dem der reine Zucker bereits gezogen — 324 — ist), die zu Rhum gebrannt werden, die Kosten der Fabrikation. 3a,ooo Aroben Zucker liefern einen zu Branntwein tauglichen Abfall von 3o,ooo Aroben, aus denen 5oo Pipen Rhum, zu 25 Piaster, gebrannt werden. Es ergibt sich bei Berechnung der Zucker- bereitung folgendes Resultat. Der Werth von 3«,ooo Aroben Zucker (weifs und gelb) zu 24 Piaster, die Kiste zu 16 Aroben geben 48,000 Piaster, Werth von 5oo Pipen Rhum . . . 12,000 » 60,000 Piaster. Die Kosten belaufen sich bei einer solchen Pflan- zung jährlich auf 3o,ooo Piaster. Das Kapital , wel- ches in einer Pflanzung steckt, besteht in 5o Cabal- leros Land, zu dem Mittelpreise von 2,5oo Piaster in 125,000 Piaster 3oo Stück Neger, zu 45o Piaster. i35,ooo » Gebäude und Mühlen 80,000 » Kufen , Cylinder und übriges Ge- räthe i3o,ooo » Summe 47°700° Piaster. Aus dieser Berechnung ergibt sich für einen Ca- pitalisten, der eine Zuckerpflanzung auf Cuba un- ternehmen wollte, ein Ertrag für sein Capital von 6l/8 vom Hundert. Nimmt man hinzu , dafs Mifs- jahre eintreten , Neger sterben , Gebäude und Ma- schinen der Ausbesserung bedürfen , und die Aus- lagen jährlich die nämlichen bleiben, so ergibt sich, — o2o — dafs derVortheil der Zuckerpflanzungen keineswegs so grofs ist, als man glaubt. DerVortheil, der seit länger angesiedelten Pflanzer besteht darin, dafs sie ihre Einrichtungskosten noch vor so bis 3o Jahren machten, und damals ein bedeutendes Capital er- sparten. Zu jener Zeit kostete ein Caballeros Land der besten Sorte nur 1,200 bis 1,600 Piaster , jetzt aber das Doppelte. Sie hatten die Zeiten der hohen Zu- ckerpreise zu ihrem Vortheile. Man sah daher in neuerer Zeit, als die Zuckerpreise so gewaltig wi- chen , mehrere Zuckerpflanzungen in Reispflanzun- gen sich verwandeln. Solche Berechnungen sind be- sonders für unsere jungen Leser von Nutzen, sie können hieraus Unternehmungen berechnen lernen. Herr von Humboldt fand , dafs der ausgepreiste Saft des Zuckerrohrs , je nachdem dasselbe auf bes- serem oder schlechterem Lande gewachsen ist, 12 bis 16 vom Hundert reinen Zucker liefert, d.h. 100 Pfund Zuckerrohrsaft geben 12 bis 16 Pfund Zucker. Der Saft des Zuckers im Ahorn in Nord -Amerika liefert auf gutem Boden 2l/2 vom Hundert. Eben so viel gibt auch der Saft der Runkelrübe. Hieraus ergibt sich , dafs 100 Pfund Zuckerrohrsaft sechs Mal so viel Zucker geben, als 100 Pfund Ahorn- oder Runkelrübensaft. Aber Runkelrüben wachsen mit weniger Rosten und Mühe, und ohne Sclaven- hände , und trotz der Verminderung der Zucker- preise treiben in Frankreich i5 Runkelrüben Zucker- fabriken ihr Geschäft mit Vortheil. Der Saft des Zuckerrohrs ist seinen chemischen Bestandteilen — 326 — nach sehr verschieden , je nachdem der Boden, auf dem es gewachsen, verschieden ist; nachdem mehr oder weniger Regen gefallen, die Wärme mehr oder weniger zwischen verschiedenen Jahreszeiten ver- theilt war, und die Pflanzen Neigung zur Blüthe zeigten. Die Blüthe macht das Rohr untauglich. Auch hängt von dem zweckmäfsigen Verfahren bei der Fabrikation des Zuckers sehr viel von den che- mischen und technischen Renntnissen ab , welche die "Werkführer besitzen, und ein fehlerhaftes Ver- fahren macht den Ertrag des krystallisirten Zuckers um vieles geringer. Viele europäische Chemiker haben in Hinsicht auf Zuckerbereitung grofse Ent- deckungen gemacht, welche jedoch auf den Antillen noch eine geraume Zeit ohne Anwendung bleiben werden. In Ländereien , die bewässert werden können, oder worin Rnollengewächse vor dem Zuckerrohre gepflanzt worden sind, erhält man aus einer Cabal- lerie fruchtbaren Bodens 3 bis 4>o°o Aroben. Der gewöhnliche Ertrag jedoch, zu i,5oo Aroben ange- nommen, nach den jetzigen Preisen berechnet, würde ein solches Grundstück, das mit Zuckerrohr be« pflanzt 348 fl. CM. einträgt, mit Getreide bepflanzt nur n5 fl. eintragen. Allein Zuckerpflanzungen for- dern ein grofses Capital , so dafs zu einer Pflanzung von 3a,ooo Aroben 4°o»°00 Piaster Capital , ohne die Auslagen des ersten Jahres, erfordert werden. In Bengalen trägt der Boden doppelt so viel auf gleicher Ausdehnung, als das beste Land der An- — 327 — tlllen. Der Tagelohn des freien Indiers ist drei Mal geringer, als der eines Negersclaven auf Cuba, sein Leben fordert kein Capital und sein Tod bringt dem Pflanzer keinen Verlust von 1,000 fl. Darum ist auch der indische Zucker so wohlfeil, und darum ist es auch gewifs , dafs die Arbeit freier Hände sicherer und wohlfeiler ist, als die der Sclaven , abgesehen davon , dafs die freie Hand besser und mehr arbei- tet. In Jamaika ist der Ertrag ungefähr derselbe, wie auf der Insel Cuba, und gibt dieselben Preise. Übrigens ist durch Berechnungen erwiesen , dafs nicht ganz 20 Seegeviertmeilen Landes hinreichen würden, so viel Zucker zu erzeugen, als jetzt Cuba selbst verbraucht und ausführt , nämlich 440»000 Kisten im Werthe von 20,800,000 Gulden. Um ganz Frankreich, nämlich 3o,ooo,ooo Menschen, mit Zu- cker zu versorgen , bedarf man in den Tropenlän- dern 9% Seegeviertmeilen Land mit otaheitischem Zuckerrohre bepflanzt. Bei uns würden 37*4 See- Quadratmeilen mit Runkelrüben bepflanzt eben so viel Zucker liefern! Zur Zeit der Anwesenheit des Herrn von Hum- boldt auf Cuba hatte man aus Frankreich Runkel- rüben-Zucker kommen lassen, und man erschrack nicht wenig, als es sich zeigte , dafs es wirklich Zucker war , was man aus Rüben zog , und dafs er dem Rohrzucker ganz vollkommen gleich war. Es hiefs , der Rohrzucker werde in Europa entbehrlich werden. Wie sehr die Franzosen für diese Erfin- dung von den Colonisten verehrt wurden, läfst sich — 328 — denken. Ein Trost blieb noch. Man 'dachte, die hohen Arbeitspreise in Europa würden es verhin- dem , dafs die Runkelrüben - Zuckerfabrikation mit der des Rohrzuckers in die Schranken trete. Seitdem ist es aber der französischen Chemie ge- lungen, die Arbeit so sehr zu erleichtern, flafs trotz den seither geöffneten Colonien der Runkel- rüben-Zucker sich neben dem Rohrzucker erhält. Rei alle dem ist jetzt nicht mehr zu fürchten , dafs die Colonisten durch europäische Zuckerfabrikation zu Grunde gehen werden , wenn es auch für jeden, der die fortschreitende Menschheit betrachtet , eine Freude seyn mufs , zu sehen, wie die Industrie dem kalten Norden abtrotzt, was nur die Gegenden der Erde freiwillig geben, denen die Sonne im Scheitel steht. Ris in das Jahr 1762 hat die Insel Cuba nur wenig Erzeugnisse in den Handel geliefert. Ein unglück- liches Ereignifs weckte den schlummernden Geist der Cubaner. 1762 ward Havannah durch die Eng- länder erobert, und von ihnen am 6. Juli 1764 wie- dergeräumt, und von diesem Augenblicke an scheint es, als hätten die Engländer die Havannesen mit ihrem Geiste für die Unbill entschädigt. Die Auf- führung neuer Festungswerke brachte Geld in Um- lauf, und der freigegebene Sclavenhandel bot den Colonisten arbeitsame Hände. Das Glück wollte ihnen auch wohl, indem es ihnen einen tüchtigen Gouverneur in Don Luis de las Casas gab. Dieser Name, an dem so viele schöne Erinnerungen kleben, — 329 — gab allem Guten mächtigen Antrieb. Patriotische Gesellschaften und die Zerstörung der französischen Colonie auf St. Domingo , von 1791 bis i8o3, stei- gerten die Zuckerpreise, und waren kräftige Er- munterungen für die Pflanzer auf Cuba. Die gröfs- ten Veränderungen , welche in den Zuckerpflanzun- gen Statt gefunden haben, fallen in den Zeitraum von 1796 bis i8o3. Anfangs wurden an die Stelle der von Ochsen getriebenen Mühlen, solche mit Maulthieren gesetzt, dann wurden Wasserräder eingeführt und endlich der Gebrauch von Dampfmaschinen versucht. Von diesen sind jetzt i5 vorhanden. Zugleich wurde auch der Anbau des Zuckerrohrs von Otaheiti all- gemeiner. Neue Siedkessel und Reverberiröfen wur- den eingeführt, und man dachte auch sogar an die bessere Verpflegung der Neger. In sehr vielen Pflan- zungen trägt man sehr edelmüthige Sorgfalt für die Pflege der Kranken, für Einbringung der Negerin- nen und die Erziehung der Negerkinder. Im Jahre 1777 waren 473 Zuckersiedereien vorhanden ) 1817 waren deren 780, von denen jede das Vierfache liefert von dem, was sie früher lieferten. Vom Zucker wird an die Regierung nur ein halber Zehenr, d. h. der zwanzigste Theil abgeliefert, dennoch beträgt er einen Durchsclmiltertrag von ?.,3oo,ooo Franken. Das bare Geld ist jedoch in Havannah sehr rar, und das macht, dafs die Gapitalien nur zu sehr ho- hen Zinsen zu haben sind, z. B. nur zu 12 bis i5 vom Hundert. Um den Zinsfufs zu steigern, hat der Sclavenhandel sehr viel dazu beigetragen. Dieser — 330 — Handel ist eben so schädlich als einträglich. Die Schurken , welche sich mit diesem Handel beschmu- tzen , gewinnen oft auf einer einzigen Reise 100 bis 125 vom Hundert. Sie nehmen daher zu diesem Handel Capitalien zu 18 bis 20 p.C. auf. Auf frisch urbar gemachtem Lande genährt das gut und sorgfältig gepflanzte Zuckerrohr durch 20 bis 23 Jahre gute Ernten, dann mufs es alle drei Jahre frisch gepflanzt werden. Das Zuckerrohr von Otaheite gewährt den Vortheil, auf demselben Lande um ein Viertlheil mehr Saft und ein dichteres, zum Brennen tauglicheres Rohr , als das creolische zu liefern. Die RafTinirer hehaupten , es sey der Saft vom otaheitischen Rohre leichter zu behandeln, und gebe bei geringerem Zusätze von Kalk und Potasche krystallisirten Zucker. Dieses Zuckerrohr erhält nach fünf bis sechs Jahren Anbau ein dünneres Stroh ; die Knoten bleiben allezeit weiter von einander ent- fernt, als bei dem Creolischcn. Die anfängliche Be- sorgnifs, es möchte dieses Rohr in gemeines Zucker- rohr ausarten, ist nicht erfüllt worden. Das Zu- ckerrohr wird auf der Insel Cuba in der Regenzeit, vom Julius bis October, gepflanzt, und die Ernte findet vom Hornung bis Mai Statt. In demselben Verhältnisse, als die Insel entholzt war, nahm auch der Brennstoff ab , und man fing an , am Holze Mangel zu leiden. Es wurde Oran- genholz verwendet, und jetzt meistens Bagasse oder das ausgeprefste Rohr, welches gedörrt ein sehr gutes Brennmaterial abgibt. Durch neue Reverbe- — 331 — rirofen wird viel erspart, und Herr von Humboldt hat während seines Aufenthalts auf Cuba verschie- dene Versuche gemacht, um den Bedarf des Brenn- stoffs zu vermindern , und den Sclaven ihr Geschäft weniger peinlich zu machen. Da er bei Salzsiede- reien von Jugend auf sich Erfahrungen gesammelt hatte , so kamen ihm hier seine Kenntnisse trefflich zustatten. Überhaupt, wozu wäre nicht alles, was Kenntnifs heifst, zu gebrauchen? Seine Versuche wurden häufig nachgeahmt, und er hat das Verdienst, die Arbeiten in den Zuckersiedereien auf Cuba er- leichtert und sparsamer eingerichtet zu haben. In Havannah kostet der Zuclter ungefähr ein Drittheil des Preises , um welchen er in Europa zu haben ist, und ungefähr ein Vierttheil von dem, zu welchen wir ihn von den Krämern zu unserm Ge- brauche abnehmen. Die Fracht bis zu uns beträgt wohl auch ein Viertheil mit der Assekuranz , dann müssen die Zölle berechnet werden, dann das Raf- finiren und die Procente derer, durch die der Betrieb geschieht. Es ist merkwürdig zu bedenken und zu überlegen, was es bedarf, bis eine Tasse Caffee unsern Gaumen kitzelt ! 332 Sechstes Kapitel. Die Verwendung der Sclaven. — Caffee. — Tabak. — Wachs. — Handelsverkehr, Es ist ein in Europa allgemein verbreiteter und für das Aufhören des Sclavenbandels nachtheiliger Irrthum , dafs man glaubt, in den Antillen , welche Zuckercolonien heifsen, werde der gröfsteTheil der Sclaven in den Zuckerpflanzungen verwendet. Der Anbau des Zuckerrohrs ist eines der mächtigsten Hindernisse der Aufhebung des Sclavcnhandels. »Ohne Sclaven kein Zucker,« das ist das Mährchen, womit man die europäische Humanität hintergeht. Eine einfache Berechnung zeigt jedoch , dafs die Gesammtzahl der Sclaven auf den Antillen dreifach grüfser ist, als zur Erzeugung des Zuckers nöthig sind. Um die 4»o>ooo Kisten Zucker auf Cuba zu erzeugen, sind 3o,ooo Sclaven vollkommen hinrei- chend. Es lastet daher der Druck derSclaverei auf einer weit gröfsern Anzahl von Individuen , als der Landbau dieser Länder heischt, wofern man auch annehmen wollte, was jedoch nicht wahr ist, dafs Zucker, Caffee, Indigo und Baumwolle nur durch Sclavenhände erzeugt werden könnten. Auf der In- sel Cuba rechnet man zur Erzeugung von 1,000 Ki- sten i5o Neger, diesemnäch würden 44°i00° Kisten 66,000 Sclaven erheischen. Rechnet man zu dieser Zahl noch 3o,ooo andere zur Erzeugung des Caffees und Tabaks, so ergibt sich, dafs von den 260,000 Sclaven 100,000 vollkommen hinreichen würden, für — 333 — die drei Zweige der Colonial -Industrie , worauf der Wohlstand der Insel beruht. Der Tabak wird je- doch meist durch weifse freie Menschen gepflanzt. Ein Drittheil der Sclaven lebt in Städten , denen aller Landbau fremd bleibt. Der Sclavenhandel ist nicht blos barbarisch, er ist auch unverständig, weil er seinen Zweck verfehlt. Die den Sclavenhandel durch die Erzeugung der Colonial - Produkte be- schönigen, bedenken nicht, dafs von den 1,148,000 Sclaven, welche die Antillen enthalten, sich nur die Hälfte mit dem Ackerbaue beschäftigen, und die andern blos dem Stolze des Nabobs in den Pflan- zungen dienen. Und gesetzt, sie baueten alle die Colonial-Produkte, wo steht denn geschrieben, dafs der liebe Gott die armen Afrikaner nur darum ge- schaffen habe, damit wir in Europa Caffee trinken und Zuckerbrot in den Wein tauchen können ? Es ist Gotteslästerung zu sagen, der Sclavenhandel s^y ein unvermeidliches Übel ! Liest man nun noch dazu die Behandlung der Sclaven , die übermäfsigen Ar- beiten , die schlechte Kost , die grausamen Strafen, unter denen Herr Bolingbroke als die gelindern an- führt; das Zwingen siedend heifse und stark ge- pfefferte Suppe zu essen, oder eine Auflösung von Glaubersalz in einem ganz heifsen Löffel essen zu lassen j wenn man, sage ich, alles dieses zusam- men bedenkt, so wird jedem fühlenden Herzen, selbst der süfseste Zucker zur Galle. Aufser dem Zucker ist eines der wichtigsteh Pro- dukte Cuba's für den Handel der Caffee. Er wird — 334 — auf der Insel seit 1797 vorzüglich eultivirt. Im Jahre 1817 zählte man in der Provinz Havannah 779 Cafetales (Caffeepflanzungen). Da der Caffee* Strauch erst im vierten Jahre gute Ernten liefert, so betrug die Ausfuhr im Jahre 1804 nicht mehr als öo,ooo Aroben , hingegen 1823 betrug sie schon 895,924 Aroben. Jedoch sind die Jahre sich un- gleich, aber zwischen 1809 und 1824 war die ge- ringste Jahres -Ausfuhr 3ao,ooo Aroben , die gröfste 918,263. Im Jahre i8i5 war der Preis des Caffees i5 Piaster der Zentner, und die Ausfuhr überstieg in eben diesem Jahre 3,443-0°o Piaster. Die Caffee- ausfuhr Cuba's übersteigt diejenige von Java , so wie auch die von Jamaika, die 1823 nur 169,734 Zentner betrug. Die Gesammlausfuhr des Caffees vom Archipel der Antillen scheint gegenwärtig auf 800,000 Zentner anzusteigen. Ungefähr das Fünf- fache des jährlichen Bedarfs in Frankreich , wo Paris allein 5,i 17, 190 Pfund verbraucht, ganz Frank- reich aber 167,803 Zentner. England verbraucht ungefähr halb so viel Caffee , als Frankreich , aber drei Mal so viel Zucker. Der Caffee kostet in Ha- vannah 12 Piaster. Früher sah man ihn zwischen i3 und 17 Piaster schwanken. DieCultur des Caffees beschäftigt auf der Insel Cuba kaum 28,000 Sclaven, die im Durchschnitte jährlich 3o5,ooo Zentner pro- duciren. Hieraus ergibt sich, dafs gegenwärtig ein Sclave für den Werth von i3o Piaster Caffee und 160 Piaster Zucker hervorbringt. Aufser diesen beiden Produkten ist auch noch — 335 — der Tabak der Insel Cuba berühmt in allen Län- dern, wo man die Wilden der Insel Haiti nachge- äfft hat, bei welchen man das erste Tabakrauchen wahrnahm. Man hatte geglaubt, dafs wenn das Tabakmonopol aufhören würde, dieser Culturzweig sich schnell verbreiten werde. Obgleich die Re- gierung diesem Wunsche vollends genug gethan, und die Factoria de Tabacos abgeschafft hat, so ist doch die gehoffte Wirkung nicht sichtbar. Den Pflanzern mangeln Capitalien ; die Landpacht ist sehr theucr geworden , und die Vorliebe für den Caffeestrauch wirkt dem Tabakbaue entgegen. Von 1789 bis 1794 betrug der Ertrag des Tabaks auf der Insel jährlich 2Öo,ooo Arobcn. Seitdem hat sich der Ertrag um die Hälfte vermindert, aber von 1822 bis 1825 glaubt man, dafs sich derselbe neuerdings auf 400,000 Aroben vermehrt habe. Der innere Ver- brauch des Tabaks auf der Insel beträgt 200,000 Aroben. Die andern 200,000 Aroben werden zu einem Preise von 2,000,000 Piaster ausgeführt. Es werden auf der Insel Cuba auch Baumwolle, Indigo und Weizen gebaut, allein diese Produkte werden nur in geringer Quantität erzeugt, weil sie nicht coneurriren können mit den benachbarten Län- dern , und der Anbau des Zuckers, Caffees und Ta- baks gröfsere Vortheile gewährt. Der Staat von Salvador in Guatemala gibt dem Handel allein 1,800,000 Pfund Indigo, im WTerthe von mehr als zwei Millionen Piaster. Baumwolle wird sowohl in den vereinigten Staaten , als auch im spanischen — 336 — Amerika in grofser Menge erzeugt. Es wird zwar auf Cuba Weizen auf geringer Höhe über der Mee- resfiäche angebaut , allein dieser Zweig des Land- baues ist nur wenig verbreitet. Das Mehl ist zwar schön und gut, aber nicht hinreichend, und die be- nachbarten vereinigten Staaten Nord - Amerika's lie- fern, zu reiche und zu wohlfeile Ernten, als dafs es möglich wäre, bei den hohen Preisen des Landes auf Cuba um denselben Preis Weizen zu erzielen, als ihn der Auslander in die Havannah führt. Ähn- liche Schwierigkeiten stehen dem Anbaue des Flach- ses, Hanfes und der Weinrebe entgegen. Die Cu- baner wissen es vielleicht selbst nicht, dafs die Spa- nier in den ersten Jahren der Eroberung auf der Insel Cuba Wein aus wilden Trauben geprefst ha- ben. Diese einheimische Rebe ist aber nicht un- sere Weinrebe. Die amerikanische Rebe , die den etwas sauren Wein der Insel Cuba geliefert hat, war die Vitis liliaefoliä. In der nördlichen Halbkugel sind bis jetzt nirgend Weingärten gepflanzt worden, südwärts vom 270, 68' S. Br. in Europa und 290, 2 in Asien. niolfe , Beträchtlicher, als die eben genannten Erzeug- nisse Cubä's , ist das Wachs. Es kommt dicht von einheimischen, sondern von europäischen Bie- nen, die über Florida eingebracht wurden, und nicht, wie ihre Landsleutc , dem gelben Fieber un- terworfen.sind, sondern sich schnell und fröhlich vermehren^ Seit 1772! ist die Wachsauifuhr von gröfser Bedeutung geworden, indem sie bis 1779 — 337 — jährlich auf 2,700 Aroben betrug. Im Jahre i8o3 schlug man die Ausfuhr schon auf 42>7°° Aroben an. Das Wachs von Cuba wird in den Kirchen Me- xiko's in grofser Menge verbraucht. Die Preise schwanken zwischen 16 und 20 Piaster die Arobe. 1825 wurden aus Havannah allein ausgeführt i6,5o5 Arobas. Die Bienen gehen jedoch in dem Mafse zu Grunde , als die Zuckerpflanzungen zunehmen. Die Bienen übersättigen sich nämlich in den Zuckersie- dereien mit Melasse, nach dem sie sehr lecker sind, und gehen zu Grunde. Die Ausfuhr des Wachses von Cuba wird jährlich auf eine halbe Million Pia- ster geschätzt. Der Reich thum Cuba's hat zwei unversiegbare Quellen , und schon in der Kindheit der Cultur hat ein verständiger Franzose gesagt : die Insel Cuba sey allein schon für Spanien einem Königreiche gleich zu achten. Seitdem für das Mutterland alle Colo- nien des Festlandes verloren sind , ist Cuba um so wichtiger. Nicht blos seine Erzeugnisse machen es reich, sondern auch seine Lage am Eingange in den Meerbusen von Mexiko , und es müfste selbst ohne den Reichthum seines Bodens Cuba ein reicher Han- delspunkt werden , indem sich in seinen Häfen die Handelsstrafsen der reichsten Kationen der Erde durchschneiden. Die Insel Cuba, welcher vom Hofe zu Madrid sehr weislich eine grolse Handelsfreiheit eingeräumt worden ist, führt aus seinen Häfen an Zucker, Tabak, Wachs, CafTee und Häuten für einen Wcrth von 14,000,000 Piaster oder 28 Millio- Bibl. uaturh. Reisen. IV. l5 — 538 — nen Gulden aus. Diese machen 1,000 bis 1,200 Schiffs- ladungen aus. Eine Schiffsladung mit Produkten der Tropenländer ist mehr werth , als eine Ladung mit Produkten der gemäfsigten Zone. Zucker, In- digo, Caffee, Cochenille haben den Vorzug im Han- del , dafs sie bei grofsem Wcrthe nur wenig Raum einnehmen. Aufser den 1,200 Kauffartheischiffen, die jährlich in den Häfen Cuba's landen, sieht man daselbst sogar in Friedenszeiten jährlich 120 bis i5o Kriegsschiffe verschiedener Gröfse und Nationen an- kommen und abgehen. Eine unzählige Menge Bar- ken und Küstenfahrer beleben die Gewässer um die Insel , und alles zusammen macht diese Gegend zu einem der belebtesten Punkte der Erde. Die Ein- fuhr auf erlaubten und unerlaubten Wegen beträgt sehr wahrscheinlich i5 bis 16 Millionen Piaster, von denen jedoch 3 bis 4 Millionen wieder ausgeführt werden. Die Havannah kauft vom Auslande mehr als ihr Bedürfnifs fordert 5 sie tauscht ihre Erzeug nisse gegen europäische Manufaktur- Produkte aus, um diese wieder nach Veracruz, Truxillo, la Guayra und Carthagena zu verkaufen. Unter den eingeführten Waaren bemerkte man 1826 Getreide - Mehl um 718,921 Piaster, europäische Weine und Liqueure 463,067 Piaster, Pökelfleisch, Efswaaren und Gewürze 1,096,791 Piaster, verschie- dene Kleiderwaaren 127,681 Piaster, Seidenstoffe 282,382 Piaster, Tücher und andere WTollenstoffc 103,224 Piaster, Mobilien, Krystalle und Galanterie- Wraaren «»67,312 Piaster, Papier 61,486 Piaster, be- — 339 — arbeitetes Eisen 33o,368 Piaster , Felle und Häute i35,io3 Piaster , Breter und anderes bearbeitetes Baubolz 285,217 Piaster, Leinen- und Baumwollen- tücber 3,226,859 Piaster. Ausfuhr von demselben Jahre : Getreide - Mehl i45,254 Piaster, Weine und Liqueure 111,466 Pia- ster, Pökelfleisch und Efswaarcn 227,274 Piaster, verschiedene Kleiderwaaren 4,825 Piaster , Scidcn- waaren 47^872 Piaster, Leinen- und Baumwollen- tücher 1,529,610 Piaster, Mobilien , Krystalle und Galanterie - Waaren 29,000 Piaster, Papier 20,497 Piaster, bearbeitetes Eisen 99,581 Piaster, Zucker 3,962,709 Piaster, Caffee 847,729 Piaster, Wachs 169,683 Piaster, gegärbte Häute 19,978 Piaster. Seit 1816 ist jedoch Einfuhr und Ausfuhr beständig im Zunehmen , so wie auch der Verbrauch auf der Insel selbst. Über das, was auf der Insel selbst ver- braucht wird, mufs man erstaunen. Cuba zählt nur 325,ooo Weifse und i3o,ooo freie Farbige, und man sieht aus dem Bedarfe der Luxus waaren, dafssich dort allmählich eine Üppigkeit einheimisch macht, die in Europa nur in England ihres gleichen haben mag. Unter den eingeführten Waaren befinden sich sehr grofse Quantitäten Mundvorräthe , woraus her- vorgeht, dafs die Leitung der Landwirtschaft auf dieser Insel so beschaffen ist , dafs ohne Freiheit und Thätigkeit des äufsern Handels, die Bevölkerung / auf dem glücklichsten Boden der Erde an den noth. dürftigsten Nahrungsmitteln Mangel leiden würde. Die europäische Industrie hat hier die Ordnung der i5* — 3iO — Natur umgekehrt. Die Länder, welche die herr- lichsten und edelsten Nahrungsmittel dem Menschen last ohne Arbeit im Überflusse darbieten würden, müssen , um ihr tägliches Brot zu haben , von dem hällern und kargern Norden sich abhängig machen. In den kleinern Inseln ist es die engherzige Politik des Pflanzers, der nur hingeht, um sich zu berei- chern , und alsdann den erworbenen Reichlhum in seiner Heimath verzehrt. Cuba ist jedoch ein Land, welches ausgedehnt und grofs genug ist, das Vater- land einer zahlreichen Bevölkerung zu werden, die es nach und nach einsehen wird , dafs ihr neues Vaterland so freigiebig ausgestattet ist , dafs es Le- ben und Freude dem Fremden gewähren kann, ohne sein Brot vom Auslande betteln zu müssen. Schon im Jahre 1800 machte ein wohlunterrichte- ter Mann folgende Schilderung Havannah's : In der liavannah beginnt man alle Wirkungen des sich an- häufendem Reichthumes zu verspüren. Binnen we- niger Monate hat sich der Preis der Lebensmittel verdoppelt, Der Arbeitslohn ist so theuer, dafs ein kürzlich von der afrikanischen Küste eingebrach- ter Bozal - Neger mittelst seiner Handarbeit allein 4 bis 5 Realen (1 fl. CM.) täglich verdient. Treibt er ein mechanisches Gewerbe, sey es auch noch so roh, so verdient er 5 bis 6 Franken (2 fl. bis a fl. 3o kr. C. M ). Die Familien bleiben hier fest an. gesiedelt; wer sich bereichert hat, kehrt mit seinen Vermögen nicht nach Europa zurück. Es gibt der- mafsen reiche und mächtige Familien, dafs Don — 34 1 — Matheo de Pedroso , weichte? vor kurzem gestorben ist, an Grundstücken über 2 Millionen Piaster hin- terlassen bat. Mehrere Handelshäuser in der Ha- vannas kaufen jährlich zehn- bis zwölftausend Ki- sten Zucker , die sie mit 35o,oco bis 42°, 000 Piaster bezahlen. Die Geschäfte, welche jährlich auf die- sem Platze gemacht werden, betragen über 20,000,000 Piaster. So war es 1800. Seitdem hat sich der Wohlstand verdoppelt, ja vervierfacht, und ist noch immer im Steigen begriffen. Der CaiTecstrauch ist seither hinzugekommen , und eine Menge Quellen des Wohlstandes haben sich geöffnet. Sie3}entes Kapitel. Wünsche für die Industrie und das Loos der Sclaven Je leichter die Verbindung der Insel Cuba mit der ganzen Erde ist, desto schwieriger ist die Ver- bindung im Innern. Sie gleicht hierin gar vielen Menschen, die alles, was aufser ihnen ist, gar wohl kennen , und von der Ceder bis zum Ysop alles be- greifen , in sich selbst aber Fremdlinge bleiben. So ist es leichter 1,000 Zentner Caffee von Cuba nach Oadix zu schaffen, als 100 Zentner aus dem Innern der Insel aii das Meeresufer. Die Ursache dieses Übels ist der gänzliche Mangel an Strafsen und Ca- nälen. Die Insel ist sehr schmal , und nirgends ist man sehr weit von der Küste entfernt , dennoch sind die Transportkosten nach irgend einem Hafen — 342 — sehr grofs. Man hat vor länger als einem halben Jahrhunderte schon den Entwurf gemacht, Canäle zu graben, aber bis jetzt ist noch keiner zu Stande gekommen. Der zunehmende Reichthum der Insel wird, wenn einst der Friede in den spanischen Be- sitzungen auf irgend eine Weise hergestellt seyn wird, auch hier Werke der Kunst schaffen, wie sie die Lage der Insel und der Vortheil ihrer Bewoh- ner fordert. Von vorzüglich grofsem Nutzen würde ein Canal von der Havannah nach Batabano seyn. Die Insel ist hier nur 8l/5 Seemeilen breit. Er würde durch die sogenannten Guinen führen , und daher auch für die kleinere Schiffahrt von unermefslicbem Nutzen seyn, weil die am besten angebauten Land- striche sich in seiner Nähe befänden. Nirgend sind die Strafsen schlechter, als in diesem Theile der Insel , wo in dem aus zerreiblichem Kalksteine be- stehenden Boden der Schlamm zur Regenzeit grund- los ist. Um den Zucker aus den Guinen nach der Havannah zu bringen, kommt jetzt der Zentner auf einen Piaster. In der schlimmen Jahreszeit und in Kriegszeiten könnten die Fahrzeuge, welche mit Pökelfleisch beladen aus Venezuela kommen, in Ba- tabano einlaufen und der Gefahr entgehen. Im Jahre 1796 hat man den Bau des Canals auf eine Million zweihunderttausend Piaster berechnet; gegenwärtig würde er wohl auf anderthalb Millionen ansteigen. Man hat jetzt den Canal aufgegeben, aber Herr von Humboldt ist von der Nutzbarkeit und Möglichkeit — 343 — desselben überzeugt , wenn man auf den Theilungs- punkt genug Wasser bringen könnte. In der Havannah klagt man eben so, wie überall, wo die Gesellschaft vom Ackerbaue zum Handel übergegangen ist, über den Verfall der Sitten und den Verlust ursprünglicher Einfachheit und Tugend. Wenn wir auch hier die Offenheit und Reinheit der Sitten mit dem Zustande vorgerückter Civilisirung nicht vergleichen können, so ist so viel gewifs, dafs auch Cuba , als die Insel noch Vieh- und Acker- bauern nährte, der patriarchalischen Einfachheit weit näher stand, als seitdem Havannah die Haupt- stadt der Antillen geworden ist. Der Handelsgcist schätzt und wiegt alles nach dem Werthe des Gel- des, und gering wird alles geachtet, was nicht um Geld zu haben oder für Geld zu verhandeln ist. Im Allgemeinen war in grofsen Handelstaaten von Al- ters her nur derVortheil und nie die JVloralität das leitende Princip. Es sind jedoch glücklicher Weise die Verhältnisse der Menschen so beschaffen , dafs das Wünschenswerteste , Schönste und Edelste im Menschen selbst ist, einzig nur aus seinem Gemüthe hervorgeht, und aus der Vervollkommnung undEnt« wickelung seiner Geisteskräfte, Würde jemals un- glücklicher Weise die Überschätzung des Reichthums unbedingt alle Classen der Gesellschaft ergreifen, so müfste dieses die Zertrümmerung alles Heiligen nach sich ziehen, und alle jene Übel müfsten die Gesellschaft heimsuchen, welche der Eigennutz sei- nen Verehrern droht. England scheint auf diesem — 3 4 4 — Wege zu seyn. Zum Glücke ist jedoch die Natur mächtiger, als die Verkünstlung, und mitten in den llandelsstaaten sehen wir, wie der Geist der Huma- nität waltet, und auch der Krämergeist den hohen Zwecken der Vorsehung dienstbar wird. Auch hier kann England als ein lebendes Muster gelten, wo auf dem moralischen Düngerhaufen englischer La- ster auch die grofsartigsten Blumen der Humanität gedeihen. Auch in Cuba wird mit dem Wohlstande Laster und Eigennutz, Verweichlichung und Betrug zunehmen; aber auch die edleren Blumen des mensch- lichen Geistes werden sich entfalten, und Vaterland und Menschenliebe werden dem Reiche der Morali- tat Ersatz leisten, und den Kaufmannsgeist mit der Tugend versöhnen. Man blickt mit Vergnügen auf das Schicksal, der Völker, und sieht mit Theilnalime auf ihre Ent- wickelung. In der Freude, welche man über den Wohlstand einer uns auch noch so fremden Gesell- schaft empfindet, thut sich das Gefühl der Verwandt- schaft und das Bewufstseyn des gemeinsamen Ban- des, welches uns alle umsch liefet, kund. Der Schmerz, der die feinsten Fasern unsers Herzens bei dem Ge- danken an die Leiden der armen Sclaven durchzuckt, ehrt die Menschheit, und ist das Zeichen zugleich, dafs unser Blut von demselben Stoffe ist, wie das- jenige , welches aus der Geifselwunde des armen Negers fliefst. Dasselbe Mitgefühl war es auch, wel- ches die Monarchen Europa's zu dem gemeinsamen Willen für die Abschaffung der Sclaverei verbunden hat. Alle haben Verordnungen gegen den Sclaven- handel erlassen, und die angeborne Liebe zu un- serm Monarchen mufs sich allezeit auf's neue ent- flammen, wenn wir bedenken , dafs er es ist , der in seinem Lande und auf seinen Schiffen keinen Sclaven duldet. Der Sclave, welcher sei- nen Fufs auf ein österreichisches Bret setzt, ist frei! Im ganzen Urnfange der grofsen Besitzungen unsers Vaters ist kein leibeigener Sclave ! Wir scbliefsen diese Beschreibung Cuba's mit den eben so weisen als schönen Bemerkungen des Herrn von Humboldt über die Sclaven und ihr Schick- sal. Das Schicksal San Domingo's hat die merkwür- digen Worte Schillers: »vor dem Sclaven , wenn er die Kette bricht«, leider erfüllt, und Herr von Humboldt , der die Antillen genau kennt, und mit den Gefahren wohl bekannt ist, kann sich nicht ver- bergen , dafs die mit so schauerlichem Erfolge ge- krönte Empörung Domingo'» allerdings sich wieder- holen könnte. Er wünscht die Klagen der unglück- lichen Sclaven zu den Ohren derer zu bringen, die ihnen abhelfen können, durch eben so weise als gemäfsigte Verordnungen, wie auch vor allem durch kräftige Erfüllung und Befolgung derselben. Ver- möge des Fürstenbeschlusses auf dem Congresse zu Wien sollte mit dem Jahre 1820 der Sclavenhandel aufhören. Leider weifs der gewissenlose Eigennutz sich Mittel zu verschaffen, die Gesetze zu umgehen, und der Sclavenhandel dauert noch fort. Ich habe, sagt der edle Humboldt , den Zustand der schwär- — 346 — zen Menschen in den Ländern beobachtet, wo die Gesetze, die Religion und die National - Gewohnhei- ten das Schicksal der Sclayen zu erleichtern be- strebt sind; dessen ungeachtet hat sich bei der Ab- reise aus Amerika mein Abscheu vor dem Sclaven- thum , den ich aus Europa mitgebracht hatte, nicht vermindert. Geistreiche Schriftsteller haben ver- gebens versucht, die Barbarei dieser Verhältnisse durch täuschende Worte zu verhüllen , indem sie die Xamen von Kegerbauern auf den Antillen , von schwarzer Lehnspfliebtigkeit und von patriarchali- schem Schutze erfanden. Es heifst die edien Künste des Geistes und den Beruf des Schriftstellers ent- weihen , wenn man solche Hüllen schaffen will , um die schändlichste Wahrheit zu verhüllen. Es heifst die Throne entehren , wenn man die unter ihrem Schutze lebenden Bauern mit den Sclaven roher Pflanzer oder wollüstiger Nabobs vergleicht. Selbst der leibeigene Russe, der sich als Eigenthum tau- sendweis verschenken lassen mufs , ist noch auf der höchsten Stufe des Glücks gegen den Neger 5 denn ihn schützen Gesetze , ihm steht der Weg zu seinem Monarchen offen, er lebt in seinem Vaterlande, im Schoofse seiner Familie, geniefst des häuslichen Glückes, dessen sich der arme Neger beraubt sieht. Die einsichtigen und edlen Bewohner der Antillen- Zucker- Inseln sind überzeugt, dafs die über ihnen schwebende Gefahr nur durch allmähliche Abschaf- fung der Sclaverei abgewendet werden könne. Be- sonders hat Havannah sich zu rühmen , von jeher — 347 — für die Abschaffung der Sclaverci weder ein ver- schlossenes Ohr, noch ein hartes Herz gehabt zu haben. Unter allen Übeln , unter allem Jammer, der je die Menschheit belastet hat, ist der erbarmungs- würdigste das der Sclaverei. Der freie Neger wird, mit Gewalt seinem heimathlichen Boden entrissen, und aus der Mitte seiner Familie auf das Sclaven- schiff geworfen , wo man mit grausamer Industrie für seine Verpackung gesorgt hat. Hier werden die armen Opfer mit Peitschenhieben gezwungen, fröh- lich zu seyn , und zu tanzen, damit sie gesund blei- ben. Sie müssen im Chore singen: messe, messe makeriba (lustig, lustig ist's unter den Weifsen) ! Sie werden heerdenweise auf die Antillen gebracht und sintl Waare, Ebenholz von dem Kaufmanne ge- nannt. Allein auch hier ist sein Loos verschieden. Der Abstand zwischen dem Sclavcn im Hause des reichen Mannes in der Havannah ist von dem in den Zuckerpflanzungen arbeitenden unermefsiieh ver- schieden. Man bedient sich Drohungen, welche den Zustand der Schwarzen in verschiedenen Lagen be- zeichnen. Der Calessero wird mit der Cafetal und dieser mit Zucherpflanzung geschreckt, den letztern aber schreckt man mit nichts mehr. In der Zucker- pflanzung lebt jedoch der, welcher ein Weib hat, und Abends im Schoofse seiner armen Familie aus- ruht, glücklicher als der vereinzelte, unter der Menge sich verlierende Sclave. Zum Glücke für die Neger Cuba's hat der Luxus — 548 — und der Reich thum der Einwohner Havannah's 80,000 Sclaven in die Städte gezogen, wo sie sich allerdings besser befinden. Die Gesetze begünstigen, wie schon oben bemerkt wurde, die Freilassung aufserordent- lich, und erzeugen sich so wirksam, dafs es bereits i3o,ooo Farbige gibt, welche frei sind. Herr von Humboldt glaubt jedoch , alle Gesetze zur Abschaf- fung derSclavcrei werden an dem, was man in den Colonien erworbene Rechte nennt, scheitern, bis man sich mit den Colonial - Behörden verstanden laben wird, und der Mitwirkung der Colonial -Ver- sammlungen versichert ist. Auf ein Mal kann man die Sclaven nicht frei lassen, weil diese Entfefslung einer rohen und ungebildeten Menge nur das gröfste Unheil bringen könnte. Man sollte dafür sorgen, dafs nicht, wie es bis 1826" geschehen ist, die Kin- der der Sclaven von den Eltern getrennt, verkauft werden durften. Man sollte untersagen das Zeich- nen der JXeger mit glühendem Eisen, welches nur geschieht , um das Menschenvieh desto bequemer erkennen zu können. Man sollte wenigstens solche abscheuliche Barbareien durch Gesetze auf das strengste verbieten. Man sollte ihnen "Weiber zu- gesellen , damit sie der Pflege in Krankheit und Al- ter nicht entbehrten. Jedem Sclaven sollte nach fünfzehnjähriger Arbeit und jeder Sclavinn nach Er- ziehung von vier Kindern die Freiheit geschenkt werden. Man sollte dem Sclaven bestimmte Arbeits- tage frei lassen , damit ihm die übrigen bezahlt würden. Auch sollte die Verwaltung jährlich eine — 549 — Anzahl solcher, die sich besonders durch Fleifs und Treue ausgezeichnet haben, auf öffentliche Ko- sten los Laufen , und bei dem Tode des Eigentü- mers sollte jeder durch's Loos bestimmte zehnte Sclave frei werden. Unter solchen Umständen, meint Herr von Humboldt, würde nach und nach das Schicksal der Sclaven erleichtert werden, und eine allmähliche Abschaffung der Sclaverei aufser Zwei- fel seyn. Und gewifs werden meine jungen Leser nicht verfehlen zu wünschen , dafs Güte bald alle Herzen derer, die dazu beitragen können , lenken möchte, damit diese Wünsche erfüllt würden. Viel- leicht werden unsere Kinder es erleben, dafs dieser Schandfleck von der Menschheit abgewischt seyn wird. Noch eine Bemerkung des Herrn von Hum- boldt kann ich nicht übergehen. Wenn, sagt er, die Civilisation , statt sich auszudehnen , ihren Sitz ändern würde, wenn das zwischen Cap Hatteras und dem Missouri befindliche Amerika der Hauptsitz der Aufklärung der Christenheit werden sollte, welchen Anblick würde dieser Mittelpunkt der Civilisation darbieten, wo in der Mitle des Heiligthums der Freiheit, man einer Negerversteigerung aus dem Nachlasse eines Verstorbenen beiwohnen., und das Schluchzen der von ihren Eltern getrennten Kinder hören könnte?! Wie sollte sich auch Christcnthum und Sclaventhum vereinigen lassen? Wie traurig sich zu denken, dafs in das: Herr Gott dich loben wir, der Gläubigen, der Peitschenknall auf dem Rücken des Negers , und das Gewinsel verkaufter — 350 — Kinder gräfslich einfällt. Mit Freuden hoffen wir daher, dafs die sowohl unkluge als schändliehe Sitte des Sclavenhandels allmählich aufhören , und nach und nach die ganze Sclaverei aus den Colonien ver- schwinden werde! Man weifs mit Gewifsheit, dafs die britischen Antillen seit 106 Jahren allein 2,i3o,ooo Neger aus Afrika bezogen haben j der ganze Archi- pel hat mehr als 5, 000,000 erhalten, und doch sind gegenwärtig nicht mehr als 1,147,000 Sclaven und ?$2 12,900 freie Farbige übrig. Wie schrecklich hat hier die Barbarei Menschenblut vergossen ? Nun rechne man zu den fünf Millionen noch diejenigen, welche auf der See zu Grunde gingen , und als un- nütze Waare über den Bord geworfen wurden! Man mufs übrigens mit Vergnügen gestehen, dafs die reichen Pflanzer von Cuba , besonders die Ein- wohner von Havannah sehr günstige" Gesinnungen für die Sclaven hegen, und gerne die Hand dazu bieten i ihren Zustand zu verbessern. Die Humani- tät der Gesetzgebung räumt dem Sclaven auf Cuba vier Begünstigungen ein, welche der der Antillen anderer Nationen entbehrt. Er darf sich einen ge- lindem Herrn suchen , und wenn dieser den Kauf- preis bezahlt, mufs er entlassen werden. Er darf nach freier Wahl heirathen. Er darf sich nach und nach durch Arbeitsverdienst frei kaufen. Er hat das Recht, Eigenthum zu|tbesitzen, und mittelst sei- nes Erwerbs Weib und Kinder frei zu kaufen. Das Recht, sich einen Herrn zu suchen, der den Kauf- preis, das Gesetz sagt, den geringsten für denScla- — 351 — ven erlogt, bat häufig zur Felge, dafs der Fremde von dem Selaven mit der Frage begrüfst wird : Wol- len Sie mich nicht kaufen? Der niedrigste Preis eines Selaven ist zwischen 200 bis 280 Piaster. Bei den Griechen kostete ein Sclave 54 bis 108 Piaster. Während jedoch die spanischen Gesetze auf alle Weise die Freilassung begünstigen , so besteht auf andern Antillen das abscheuliche Gesetz, dafs der Herr für jeden Selaven, den er freiläfst, dem Fis- kus fünf- bis siebenhundert Piaster zahlen mufs. Es ist daher ein gräfslicher Unterschied zwischen den alten spanischen Gesetzen , und den barbarischen Bestimmungen , welche auf jeder Seite des schwar- zen Gesetzbuches (code noir), wie in den Gesetzen der briltischen Antillen , sich finden. Die 1780 er- lassenen Gesetze der Bermuden -Inseln verordnen: es dürfe gegen den Sclavenherrn , der seinen Neger durch Züchtigung tödtet, keine Anklage Statt finden ; der jedoch, welcher ihn aus Bosheit tödtet, solle an den Schatz 10 Pfund Sterling bezahlen! — Ein Ge- setz von St. Christoph vom 11. März 1784 fängt mit den Worten an: Wir verordnen und befehlen, dafs wer dem Selaven ein Auge zerstört, die Zunge aus- gerissen oder ein Ohr abgehauen hat, soll 5oo Pfund Sterling zahlen und zu sechs Monat Gefängnifs ver- urtheilt werden. Die englischen Gesetze sind jedoch jetzt aufgehoben , und durch humanere ersetzt wor- den , und eine Veränderung der französischen ist so eben im Werke. Leider wurden auf den französi- schen Antillen 180Ö sechs jungen Selaven , die im — 352 — Verdachte waren, die Flucht beabsichtigt zu haben, nach Urteilsspruch die Kniesehnen zerschnitten! Ob nun gleich die Weisheit und Milde der spa- nischen Gesetzgebung die Sclaven vor solcher em- pörenden Grausamheit schützt, so bleibt demunge- achtet ihr Loos in der Einsamkeit des Pachthofes und der Zuckerpflanzungen der Willkür des Herrn preisgegeben, wo denn die scharfe Geifsel und selbst auch die Machette unumschränkte Gewalt übt. Die Gesetze erlauben dem Sclaven, sich an den Magistrat zu wenden ; allein der Sclave darf sich nicht aus der Pflanzung entfernen , und der reiche Pflanzer bleibt gegen seinen Sciaven immer im Vortheile. Es haben jedoch die CoJonisten selbst schon ein- sehen gelernt, dafs eine mildere Behandlung noth- wendig wird , und dafs die Weisheit der Gesetzge- bung sich dahin beschäftigen müsse , sowohl Mifs- brauche als Gefahren zu verhindern. Von dieser Weisheit der Gesetzgebung in Hin- sicht derNegersclaven hängt dieSicherheit von 873,000 freien Menschen, weifsen und farbigen ab. Es hängt aber auch die Milderung des Schicksals von i,i5o,ooo Sclaven ab. Durch Mitwirkung der Colonial- Be- hörden und der Pflanzer selbst, kann dieses auf ruhigem Wege geschehen. Unthätig jedoch dürften dieselben nicht bleiben, weil sonst leicht Ereignisse, die weder zu berechnen noch zu beherrschen sind, diejenigen traurigen Folgen der Sclaverei herbei- führen könnten , welche alle Völker und Länder er- fahren haben , wo Sclaverei eingeführt war und — 353 — langen Bestand Latte. Selbst Rom vrar mehr als ein Mal an den Rand des Verderbens geführt durch seine Sclaven , und diese waren auch zuletzt nicht die kleinste Ursache , dafs es den einbrechenden Barbaren so leicht unterlag. Die Sclaverei steht mit der Civilisation im grell- sten Widerspruche, und es ist unmöglich an die Humanität des Volkes zu glauben, wo der arbei- tende Theil verkäuflicher Sclave ist , ohne Eigen- thum, ohne Recht, ohne Freiheit. Er hat beide Übel , sowohl die der Wildheit als die der Civilisa- tion zu ertragen. Wie im wilden Zustande ist er fremder Willkür überlassen, und mufs doch die Arbeiten tragen, welche die Sittigung von ihren Theiinchmcrn fordert. Er sieht die Wohlthaten schützender Gesetze, ohne an denselben Theil zu nehmen, und je mehr sich die Bildung und der Wohl- sland der Civilisation um ihn herum entwickelt, desto schreiender ist sein Elend. Man kann nicht anders, als von Herzen wünschen, dafs jene Gegen- den ohne Zuckungen in einen Zustand übergehen möchten, den die christliche Religion fordert. Dafs die Sclaven schwarz und ihre Gebieter weifs sind, ist ein Umstand, welcher die Gefahr der bürger- lichen Ordnung in den Antillen nur noch mehr Achtes Kapitel. Rüstung zur Abreise. — Falsche Nachrichten. Gegen Ende April hatten die Herren von Hum- boldt und Bonpland ihre Beobachtungen vollendet, welche sie an der Grenze der nördlichen heifsen Zone zu machen beabsichtigt hatten. Sic standen nun im Be grille, mit der kleinen Flotte desAdmirals Arizahal nach Veracruz abzureisen. Alle Vorbe- reitungen wurden gemacht, als plötzlich eine Zei- tungs -Nachricht allen ihren Vorsätzen eine andere Richtung gab. Sie verzichteten in Folge einer Zei- tungsnachricht von der Reise des im ersten Bande erwähnten französischen Capitän Baad'ui auf die Reise durch Mexiko nach den Philippinen. Verschie- dene Tagesblätter, besonders aus den vereinigten Staaten, meldeten nämlich, es seyen zwei Corvcttcn Frankreichs : der Geographe und der Naturaliste, nach dem Cap Hörn unter Segel gegangen ; sie soll- ten ihre Fahrt längs den Rüsten von Peru und Chili nehmen, um von da sich nach Neu -Holland zu be- geben. Diese Nachricht war es, welche Herrn von Humboldt in die lebhafteste Bewegung setzte, und ihm das reizende Bild einer Reise um die Welt vor- spiegelte. Es kamen ihm wieder alle Entwürfe in den Sinn , welche er gemacht hatte , als er noch in Paris war, und die Regierung zur Absendung die- ser Expedition zu bewegen gesucht hatte. Als Herr von Humboldt aus Spanien abgereist war, hatte er — 355 — das Versprechen gethan , sich dem Capitüne Bauä'ai überall anzuschliefscn, wo er ihn treffen würde. Er beredete sich nun, es sey seine Pflicht, sich in den Stand zu setzen , um sein Versprechen zu lösen. Herr Bo.ipland , der immer Muth und Entschlossen- heit zeigte , war sogleich bereit. Es ward nun vor allem der grofse Vorrath von Pflanzen , die gesam- melt waren, in drei Theile getheilt. Diese Abthei- lung geschah darum, damit dasjenige , was man mit so vieler Mühe an den Ufern des Orinoko, Atabapo und des Rio Negro zusammengebracht hatte, nicht dem Ungewissen Schicksale einer langen Seereise ausgesetzt bleibe. Eine dieser Sammlungen sollte durch England nach Deutschland gehen, eine andere über Cadix nach Frankreich, die dritte sollte für alle Fälle in der Havannah aufbewahrt bleiben. Diese kluge Mafsregcl war ein äufserst glücklicher Gedanke; denn ohne denselben wäre leicht die ganze Frucht der Reise mit allen Tagebüchern und allen Arbeiten verloren gegangen. Eine jede der drei Sendungen enthielt die nämlichen Arten, und alle Vorsicht war getroffen , damit selbst im Falle das Schiff von Franzosen oder Engländern genommen würde, die Risten entweder den Professoren der Naturgeschichte im Museum zu Paris oder dem Sir Joseph Bank's in London übergeben würden. Ein glücklicher Zufall war es , dafs die Handschriften und Tagebücher nicht derjenigen Abtheilung beige- legt wurden , welche mit dem oben schon öfter er- — 356 — vy ahnten Ordensmanne nach Spanien abging, denn wir haben schon oben gehört, wie dieses Schiff mit Mann und Maus und also auch mit den Sammlungen zu Grunde ging. Es war schon ein Unglück, dafs bei dieser Sendung sich die ganze Sammlung von Insekten befand, die Herr Bonpland am Orinoko unter den schwierigsten Umständen veranstaltet hatte. Durch ein Mifsgeschick hatten sie schon zwei Jahre keine Briefe aus Europa erhalten, und die Briefe der drei folgenden Jahre meldeten nichts vom Schick- sale der Sammlungen , so dafs unsere Freunde in der gröfsten Unruhe waren, was aus ihren Tage- büchern geworden seyn möchte. Die Angst war da- her nicht gering, besonders da auch die mit so gros- ser Beschwerde gemachten astronomischen Beobach- tungen dabei waren. Erst im Augenblicke, da sie Amerika zu verlassen im Begriffe waren, erblickte Herr von Humboldt zufällig auf der öffentlichen Bibliothek zu Philadelphia, bei Durchgehung eines Registers der wissenschaftlichen Übersichten , die Worte: Ankunft der Handschriften des Herrn von Humboldt bei seinem Bruder in Ptaris über Spanien. Beinahe laut jubelte er vor Freude. Während Herr Bonpland Tag und Nacht be- schäftigt war, die Sammlungen zu ordnen, quälten Herrn von Humboldt die Hindernisse, welche sich einer so unvermuteten Abreise entgegensetzten. Im Hafen der Havannah war kein Schiff zu finden, welches sie nach Porto Cabello oder nach Carthagcna — 357 — überführen wollte. Diejenigen Personen, welche zu Rathe gezogen wurden, gaben sich alle Mühe, die Beschwerlichkeiten übertrieben zu vergröfsern, welche der Übergang über den Isthmus von Panama und eine Schiffahrt von Süd nach Nord, von Panama nach Guayaquil , von da nach Lima und Valparaiso darbieten. Sie machten Herrn von Humboldt ge- gründete Vorwürfe darüber, dafs er nicht fortfahre, die grofsen und reichen Besitzungen des spanischen Amerika zu untersuchen, welches seit einem halben Jahrhunderte allen fremden Reisenden verschlossen geblieben war, besonders da so ausgedehnte Be- willigungen, als Herr von Humboldt erhalten hatte, nicht leicht Jemanden wieder zu Theil werden könn- ten. Sie stellten vor, wie viel dankbarer die innere Untersuchung eines grofsen, reichen und unbekann- ten Landes sey, als eine Ungewisse Reise um die Welt, wo man nur hie und da Küsten berührt, und auch diese nicht nach eigener Wahl. Wie viel in- teressanter müfsle die Untersuchung eines Landes seyn , welches allein für sich 5/8 der Silbermasse lie- fert, welche aus den gesammten Bergwerken der ganzen Erde gewonnen wird ? Je mehr jedoch Herr von Humboldt in der Ausführung seiner Plane ge- hindert war, desto eifriger betrieb er ihre Ausfüh- rung. Er hatte nämlich die Hoffnung, auf einer so grofsen Reise , die wichtigsten und bisher auf sol- chen Reisen vernachläfsigten Beobachtungen über die Beschaffenheit der Luft, des Wassers , der War- — 558 — mevertheilung und des Magnetismus der Erde zu machen, und so die physikalische Beschaffenheit der Erde zu erforschen. Da die Überfahrt auf einem neutralen Schiffe, d.h. auf einem solchen, das einer Nation zugehörte, welche mit allen Seefahrern im Frieden lebte, un- möglich war, so miethete Herr von Humboldt eine catalonische Goelette, die sich auf der Rhede von Batabano befand, und bereit seyn wollte, ihn ent- weder nach Porto Cabello oder nach Carthagena des Indes zti bringen, je nachdem es die Winde gestatteten, welche in dieser Jahreszeit hier noch heftig wehen. Es war Herrn von Humboldt hier leicht, sich die nöthigen Gelder zu verschaffen, so wie sich Freunde bereit fanden, alles zu befördern, was die Abreise nöthig machte. Am 6. Mai ward ihnen gemeldet, dafs die gemiethete Goelette bereit sey , die Reisenden aufzunehmen. Der Weg von Batabano führte sie nochmals durch die Guines zur Pflanzung vom Rio Bianca, deren Besitzer, der Graf von Monpox , daselbst auf alle Weise , die durch ein grofses Vermögen möglich ist , ihren Aufenthalt verschönerte. Die Gastfreundschaft, welche Menschen mit einander so sehr verbindet, und die bei fortschreitender Ci- vilisation gewöhnlich abnimmt, ist auf der Insel Cuba noch in voller Ausdehnung und wird mit lie- benswürdigem Fleifse geübt. Vom Bio Bianca nach Batabano führt der Weg — 359 — durch ein unangebautes , zur Hälfte mit Waldung bedecktes Land. Auf dem unangebauten Boden wachsen Indigo und Baumwolle verwildert. Die Baumwolle , welche auf Cuba gebaut wird , gehört zu der schönsten ; da aber die Kapseln sich gerade zu der Zeit öffnen, wo die Nordstürme am heftig- sten wehen, so wird der feine Flaum zerstreut und die Ernte leidet gewöhnlich Schaden. Weiter süd- wärts fanden sie beim Herborisiren eine Palmenart mit Fächerblättern , die zwischen den Nebenblättern einen freien Faden zeigt. Diese Corypha bedeckt einen Theil der Südküste der Insel, und tritt an die Stelle der prächtigen Königspalme und der gekraus- ten Cocospalme der Nordküsten. Hin und wieder kommt der löcherige Kalkstein zum Vorschein , der dem Jurakalk gleicht. Batabano liegt unter 220, 43' 24" N. Br. , und war zur Zeit des Herrn von Humboldt nur ein elendes Dorf, dessen Kirche erst vor kurzem erbaut wor- den war. In der Entfernung einer halben Meile von Batabano nimmt die Sienga, eine sehr sumpfige Landschaft, ihren Anfang, und erstreckt sich von der Laguna de Cortes bis aur Ausmündung des Rio Xagua , in einer Ausdehnung von 60 Meilen von West nach Ost. Man glaubte hier, dafs das Meer landeinwärts Fortschritte mache , vorzüglich sey dieses zur Zeit des grofsen Einsturzes fühlbar gewesen , als im Anfange des achtzehnten Jahrhun- derts die Tabakstampfen verschwanden und derFlufs — 3Ö0 — Cliorrera seinen Lauf änderte. Dieses Sumpfland gewährt einen äufserst traurigen Anblick. Nicht ein einziger Baum verschönert den Sumpf, wo nur einige verkrüppelte Palmen, wie zerbrochene Masten, aus den Gräsern hervorragen. Sie verweilten nur eine einzige Nacht in Batabano , und konnten daher sich nicht selbst belehren über die zwei Arten des Kro- kodills, die in der Sienga hausen. Von diesen zwei Arten wird die eine von den Einwohnern Cayman , die andere Crocodilo , d. h. Krokodill genannt. Letzteres ist hochbeiniger, le- bendiger und seine Schnautze zugespitzter, als die desCaymans, von welchem es sich immer gesondert hält. Es ist sehr muthig, und man behauptet, es erklimme sogar Schiffe, wenn es für seinen Schwanz einen Stützpunkt erhalten kann. Die ausnehmende Kühnheit dieses Thieres ist schon von dem ersten Reisenden, Diego Vclasqnez, bemerkt worden. Das Krokodill pflegt sich bis auf eine Meile weit vom Rio Carlo und der sumpfigen Küste von Xagua zu entfernen , um sich im Innern des Landes Schweine zur Beute zu holen. Es gibt solche, die bis fünf- zehn Fufs lang sind, und die also in ihrem Bauche Platz genug hätten, um meine jungen Leser einzu- quartieren. Es gibt sogar solche unter ihnen, die sich gar nicht scheuen, selbst einen Reiter zu ver- folgen, wie unsere Wölfe in Europa thun. Es wäre überhaupt der Mühe werth, zu untersuchen, ob die Sage von den Drachen nicht diesen grofsen — 361 — Eidechsen ihren Ursprung zu verdanken hat ? Die Caymans sind hingegen sehr furchtsam, und zwar so sehr, dafs man selbst an solchen Stellen ohne Furcht baden kann, wo sie haufenweise vorzukom- men pflegen. Wir rathen jedoch unsern jungen Le- sern , bevor sie sich unter Caymans baden, solche von den Krokodillen ja recht wohl unterscheiden zu lernen, mafsen sich gar leicht eine spitzige Schnautze darunter finden möchte , und die Erfahrung lehrt, dafs spitze Physiognomien immer etwas besonders zu Fürchtendes an sich haben, Die Caymans sind hingegen vorne platt, und also, wie alles Platte, wenig zu fürchten. Herr von Humboldt vermuthete nach dieser Be- schreibung, dafs die fleischfressenden Saurier - Kro- kodille zu den grofscn Thieren , die im Orinoko und Rio Magdalena so häufig sind, verschieden seyen. Sonst glauben die Amerikaner, irre geführt durch die übertriebenen Beschreibungen der Nil-Kroko- dille , dafs die echten Krokodille einzig nur im Nile vorhanden seyen. Die Zoologen haben jedoch er- kannt, dafs in Amerika sowohl Caymans oder Alli- gators mit abgestumpfter Schnautze undFüfsen ohne Zackeneinschnitte, als auch wirkliche Krokodille mit spitziger Schnautze und gezackten Füfsen vorkommen. Hinwieder kommen auf dem alten Festlande sowohl Krokodille als Gaviale (Ganges - Krokodille) mit lan- gen runden Rüsseln, den Menschen unschädlich, vor. Der Crocodilus acutus von St. Domingo hat mit dem Bibl. naturh. Roucii. IV. 1$ — 3Ö2 — ■ Nil-Krokodille eine solche Ähnlichkeit, dafs man selbst nach Prüfung einzelner Theile ihn kaum von demselben unterscheiden kann. Da Herr von Humboldt bei der zweiten Reise nach Havannah im Jahre 1804 nicht nach Batabano kam, so liefs er mit grofsen Kosten die zwei Arten, welche die Einwohner Cayman und Crocodilo nen- nen, nach der Havannah bringen. Von der letztem erhielt er zwei lebendige Thiere, wovon das ältere vier Fufs und drei Zoll Länge hatte. Ihr Fang war sehr schwierig gewesen, und man hatte sie knebeln und binden müssen , um sie auf Maul thieren fort- bringen zu können. Sie waren kräftig und ziemlich wild. Um ihre Bewegungen und Gewohnheiten be- obachten zu können , wurden sie in einen grofsen Saal gebracht, wo Herr von Humboldt sie von einer hohen Gerätschaft herab beobachtete. Es wurden Hunde über sie gelassen , von der grofsen Art, die jedoch von den Krokodillen muthig ange- griffen wurden. Nachdem sie am Orinoko , am Rio Apure und am Magdalenenstrome sechs Monate hin- durch Krokodille beobachtet hatten , war es ihnen sehr angenehm , vor ihrer Rückreise diese Thiere nochmals beobachten zu können. Sie gingen von der ruhigsten Trägheit zu den schnellsten Bewegun. gen über, und zeigten eine grofse Biegsamkeit. Herr von Humboldt sah hier, was auch Descourtilz und Dampier beobachtet haben, wie sie öfter dieSchnautze und den Schwanz einander näherten. Diese Thiere — 3Ö3 — hatten eben so zugespitzte Schnautzen, wie die Kro- kodille am Orinoko und Magdalena. Ihre Farbe war etwas dunkler, auf dem Rücken braunschwarz- lieh und am Bauche weifs. Die Seitentheile waren gelb gefleckt. Er zählte, wie bei allen echten Kro- kodillen , 38 Zähne in der obern Kinnlade und 3o in der untern. In der obern Kinnlade waren der zehnte und neunte , in der untern der erste und der vierte die gröfsten. Der vierte untere Zahn umfafste frei die obere Kinnlade. Die hintern Ex- tremitäten waren palmfüfsig. Sie hielten daher das Krokodill von Batabano für ganz gleich dem des Orinoko. Allerdings trafen die Erzählungen von der wilden Lebensart nicht mit den Beobachtungen am Orinoko überein 5 allein man weifs, dafs diese fleischfressenden Eidechsen in demselben Strome bald wilder, bald zahmer sind. Das in Batabano mit dem Namen Cayman belegte Thier starb auf dem Transporte , und man war so unvorsichtig, dasselbe nicht zu überbringen, so dafs es unmöglich war, beide Arten zu vergleichen. Was jedoch die Colonisten von Batabano erzählen, ist es beinahe ganz aufser Zweifel , dafs sich hier echte Caymans mit stumpfer Schnautze finden, deren vier- ter Zahn in die obere Kinnlade eintritt , den Alli- gators von Florida gleich. Es hätte also auf Cuba das Volk zwischen Cayman und Krokodill eben so richtig unterschieden , wie die Gelehrten , was nicht das erste Mal wäre. Bei den Krokodillen fanden 16* — 3Ö4 — sich die vier Taschen, welche Moschus enthalten, genau eben so unter der Unterhinnlade und beim After gelegen, wie bei denen am Rio Magdalena; hingegen war es sehr auffallend, dafs in derHavan- nah drei Tage nach dem Tode der Thiere, und bei einer Temperatur von 3o°, jener Geruch nicht spür- bar war, während in Monpox am Magdalenenstrome die lebendigen Krohodille ihr Zimmer verpesteten. Auch Dampier bemerkt die völlige Abwesenheit des Geruchs beim Krokodille auf Cuba, während jedocb die Cayman« einen sehr starken Geruch verbreiteten. Eben dieser so geschickte Seefahrer als Katurbeob- achter hatte schon vor hundert Jahren den Unter- schied wahrgenommen , der zwischen dem Alligator oder Cayman und dem spitzrüsseligen Krohodille Statt findet. Dampier sagt auch über die geographi- sche Vertheilung dieser Eidechsen Folgendes : »in der Campeche -Bucht habe ich nur Caymans oder Alligators gesehen, auf der Insel Grofs- Cayman nur Kroltodille, aber keine Alligators j auf der In- sel de Pinos und in den unzählbaren Lachen und schlammigen Flüfschen der Insel Cuba werden gleich- mäfsigKrohodille und Caymans getroffen.« Die ech- ten Krokodille finden sich auch auf den Antillen unter dem Winde , welche dem Festlande zunächst liegen. Auf Trinidad, auf der Margaretba- Insel und wahrscheinlich auch, trota dem Mangel an süfsem Wasser, auf Curacao. Südlicher trifft man dasselbe in Guiana, im Rio Neveri, im Orinoko, — 365 — Rio Apure und dem Cassiquiare , so auch im Mag- dalenenstrome , also auf eine Entfernung von 4°° Meilen von Cuba , und zwar ohne Beimischung von Alligators. Mithin scheint der Hafen von Batabano eine Art Grenzscheide zu scyn, denn in Florida und im Missisippi sind nur Alligators, ohne Beimischung von Krokodillen. Ich kann- mich jedoch nicht enthalten, hier eine Art Verwunderung auszudrücken , über die Unvoll- kommenheit unserer Kenntnisse über diese Art von Eidechsen. Und obgleich sich dasselbe von allen grofsen Thieren behaupten läfst , so mufs es doch auffallend seyn , die fleischfressenden Saurier nicht genauer beschrieben und erforscht zu finden , da sich dieselben doch so sehr der Wifsbegierde dar- bieten. Es wird kein Schritt in die Tropenregion beschrieben, wo nicht derKrokodille erwähnt würde. Alle Welttheile, die sich in die heifse Zone erstre- cken , wimmeln von diesen an Sitten und Neigung so verschiedenen Thieren, und dennoch klingen noch alle Beschreibungen wie Mährchen. Ist es das Stau- nen , die unwillkürliche Furcht , der Schauder, welcher sich unserer Phantasie beim Anblicke eines so fremdartigen Thieres bemächtigt } was von der genauen Erforschung abhält? Es ist gewifs, dafs selbst im Nile nicht alle Krokodille derselben Art angehören, und schon die alten Egypter haben schäd- liche und unschädliche unterschieden. Welche Be wandtnifs hat es aber mit den indischen Eidechsen, — 366 — mit denen in Neu -Holland, Paraguay, im südlichen und nördlichen Amerika? Was ist die Lebensweise dieser Thiere? Verfolgen sie einander selbst? Ver- mischen sie sich niemals unter einander ? Sind die zahmen, unter denen man furchtlos badet, und die sich mit Fischen begnügen, "wirklich eben dieselben, die man anderwärts so wild und blutgierig schil- dert? Man hat sich mit dem kleinsten und unbe- deutendsten Ungeziefer so viel Mühe gegeben, seine Lebensweise und Natur zu erforschen, sind es denn die grofsen Thiere weniger werth? Selbst die gros- sen Katzen, die grofsen Grasfresser, die Schlangen, ja selbst unser Pferd hat sich noch keiner solchen Aufmerksamkeit unserer Naturforscher zu erfreuen gehabt, als z. B. nur unsere Spinnen! Neuntes Kapitel. Abreise von Batabano, — Seefahrt zwischen den Inseln. Am 9. März wurde vor Sonnenaufgang die Goe- lette gelichtet. Dieses Schiff war ungewöhnlich klein, und man konnte nur auf dem Verdecke schlafen, was eben so unbequem als für die Gesundheit nach- theilig ist. Die Schiffskammer erhielt ihr Licht nur von oben , und war so klein , dafs es kaum anging, die Instrumente darin unterzubringen; es war frü- her eine Vorrathskammer gewesen , und sie war so dumpfig, dafs der Thermometer sich stets auf 32 und — öÖl — 33 Centesiinalgraden erhielt, Zum Glücke dauerte diese Unbequemlichkeit nur zwanzig Tage , und die Fahrt in einem offenen Kahne auf den mit Mosqui- tos bedeckten Orinoko und dem stinkenden Fleisch- schiffe des Amerikaners hatte sie für solche Unbe- quemlichkeiten schon hinlänglich abgehärtet. Der Golf von Batabano ist von sehr niedrigen und sumpfigen Küsten eingefafst , und stellt sich als eine weitläufige Wüste dar. Die Fischer -Vögel, welche früher als die Landvögel und. faulen Zamu- ros - Geier erwachen, zeigten sich nur in geringer Zahl. Das Meerwasser hatte hier eine braungrüne Farbe, wie sie verschiedene Gebirgsseen in den Alpen und Karpathen zeigen, während die Luft in dem Augenblicke, wo die Sonne sich am Horizonte zeigte, trotz ihrer Reinheit, jene biafsblruie Fär- bung zeigte, die der Darstellung landschaftlicher Umrisse so besonders günstig ist. Der Hafen von Batabano wird beinahe nur von Schmugglern be- sucht, weil kein Canal ihn mit der Havannah ver- bindet. Wäre dieses der Fall , und würde der Ha- fen gereinigt, so würde er bald einer tler besuchte- sten werden. Der Golf, in dessen Grunde der Ha- fen sich befindet, bietet ein grofses, fünfzig bleuen breites und vierzehn Meilen tiefes Becken dar, das durch eine zahllose Menge von Untiefen und Cayen geschlossen wird. Mitten unter diesen Cayen hebt sich eine grofse Insel hervor , deren Ausdehnung vier Mal gröfser ist , als die Insel Martinique , und — 3Ö8 — deren dürre Berge mit prächtigen Conlferen bewach- sen sind. Es ist dieses die Insel del Pinos, die Co- lumbus El Evangelista, und die spätem Schiffer Isla de Santa Maria genannt haben. Sie ist berühmt durch das prachtvolle Acajou oder Mabagony-Holz, welches sie dem Handel liefert. Wir haben schon im ersten Bande eines 36 Fufs langen und 9 Fufs breiten Mahagony- Pfosten auf der Insel Cuba er- wähnt. Unsere Freunde segelten in ihrer unbequemen Lage in der Richtung von O. N. O. durch dieStrafse von Christoval , um die Insel Cajo del Padres zu erreichen, und diesen Archipel zu verlassen. Die zahllosen Inselgruppen haben die Eroberer in der ersten Zeit der Entdeckung mit dem Namen der Gär- ten und Bosquets belegt (Jardines y Jardinillos). Die wirklichen Gärten der Königin (Jardines de la Reyne) liegen dem Cap Cruz näher, xind sind von diesen Inselchen, die wir hier beschrieben, durch eine offene See von 35 Meilen Breite getrennt. Co- lumbus selbst hat ihnen diesen Namen gegeben, als er im Mai i494 au^ seiner zweiten Reise 58 Tage lang zwischen der Pinos -Insel und dem Ostcap von Cuba mit Stürmen und Strömungen zu kämpfen hatte. Er beschreibt die Inselchen dieses Archipels als anmuthig, grün, vollreizender, schlanker Bäume. Ein Theil dieser sogenannten Gärten ist auch wirk- lich sehr angenehm, mit jedem Augenblicke wech- seln dem Seefahrer die Ansichten, und das Grün — oög — mehrerer dieser Inselehen erscheint um so freund- licher, als dasselbe gegen andere Cayen absticht, welche nur weifsen dürren Sand zeigen. Diese Sand- bänke , wenn sie von der Sonne bescheint werden, haben das Ansehen eines wellenförmigen Wasser- spiegels. Die Sonne belebt auch hier die Landschaft, und durch die Luftspiegelung scheint sich diese todte Gegend zu beleben. Sobald die Sonne aufgegangen ist , scheinen diese todten Massen sich wie in der Luft zu bewegen und zu schweben, und am benach- barten sandigen Ufer hat man den täuschenden An- blick eines nicht vom Winde bewegten Wasser, bechens. So erscheint ein Zauberbild von schwe- benden Gärten und bewegten Wasserflächen. Jetzt zieht eine Wolke vor das Bild der Sonne , und so- gleich ist der ganze Zauber zerstört. Die schweben- den Felsen und Baumstämme senken sich wieder auf den Boden nieder, die Wasserflächen stehen stille, und zeigen ihre wahre Beschaffenheit als dür- rer Sand. Der von den Arabern besungene süfse Zauber der Einsamheit der Wüste beruht auf eben dieser Erscheinung der Luftspiegelung. Die Fahrt geht in dieser Gegend äufserst lang- sam vor sich, woran theils die vielen Untiefen, theils die durch viele Inseln geschützte Ruhe des Wassers Ursache ist , welches hier beinahe einem Süfswasser- see gleicht. Die Zeit vertrieben sich unsere Bei- senden auf dieser Fahrt mit Beobachtungen, die auf Luft und Wasser Bezug hatten. Sie bestanden darin , den Einflufs zu beobachten , welchen die Veränderung der Grundflächen auf die Temperatur des Meerwassers äufsert. Wir haben schon im er- sten Bande gesehen , dafs auf Untiefen die Tempe- ratur immer niedriger ist , weil daselbst die untern Wasserschichten sich der Oberfläche nähern, und diese immer kälter sind, als die Oberschichten. Herr von Humboldt fand diese interessante Bemerkung auch hier durch viele Versuche1 bestätigt. Auf- fallend war es Herrn von Humboldt, zu bemer- ken, dafs die seichten Wasser hier die weifse Milch- färbe nicht zeigten, wie dieses auf der Bank von Vibora , südwärts von Jamaika, und an vielen an- dern Orten mehr der Fall ist. Der Grund derRhede von Batabano ist ein aus zerbröckelten Corallen bestehender Sand, der Fucusarten ernährt, die nur selten auf der Oberfläche des Wassers sicht- bar werden. Der Kleinheit des Fahrzeugs und der Sorgfalt des Steuermanns ungeachtet, blieb das Fahrzeug öfters auf dem Grunde fest sitzen. Bei weichem Seegrunde war keine Gefahr vorhanden, Schiffbruch zu leiden , man zog jedoch vor , bei Sonnenunter- gang Anker zu werfen , als sich den Gefahren nächt- licher Schiffahrt Preis zu geben. Die Nacht war ausnehmend hell. Landeinwärts beobachteten sie eine Menge Sternschuppen , die alle eine Richtung nahmen , welche der des Windes in der untern At- mosphäre entgegengesetzt war. Diese Gegend., die — 371 — zur Zeit des Columbas bewohnt und von Fischern häufig besucht ward, ist jetzt öde und still, wie das Grab. Damals gebrauchten die Einwohner von Cuba einen kleinen Fisch als Köder, um grofse Seeschild- kröten damit zu fangen \ sie befestigten ein langes Seil an den Schwanz des Reves (so hiefs der Fisch bei ihnen). Dieser Fischer -Fisch bediente sich aber des flachen mit Saugröhren besetzten Schildes, den er auf dem Kopfe trägt, um sich an die Schale der Schildkröten anzusaugen, die in den Canälen der Jardinillos häufig vorkommen. Der Reves , sagt Columbus , liefse sich eher zerreifsen , als dafs er sich unfreiwillig von dem Körper trennen möchte, an dem er sich einmal angesauget hat. Am näm- lichen Seile also holen sich die Indianer den Fischer- Fisch und die Schildkröte. Als Gomara und Peter Martjr diese Thatsache von den Reisegefährten des Columbus vernommen hatten , und in Europa be- kannt machten, glaubte man darin ohne Zweifel ein Reisemährchen zu finden. Aus den Reobachtungen des Capitän Rogers , von Dampier und Comerson wissen wir nunmehr, dafs eben dieses in den Jar- dinillos wahrgenommene Jagdverfahren auf Schild- kröten auch von den Rewohnern der Ostküste Afrika's , in Mozambique und Madagascar angewen- det wird. Menschen, mit grofsen durchlöcherten Flaschenkürbissen auf dem Kopfe, haben in Egyp- ten, San Domingo und in den Seen des Thaies von Mexiko sich im Wasser verborgen , um die Vögel — 372 — bei den Füfsen zu fangen. Die Chinesen gebrauchen von den ältesten Zeiten her die Cormorane, einen der Pelikan -Familie angehörigcn Vogel, zum Fisch- fange an den Küsten; sie legen ihm einen Ring um den Hals , damit er seine Beute nicht verschlingen könne, sondern für sie Fische fange. Selbst bei den rohesten Völkern entwickelt sich List und Scharf- sinn der Menschen , um Fischerei und Jagd zu be- treiben. Völker, die nie in Verbindung mit einan- der waren, zeigen in der Auswahl der Mittel, um ihre Herrschaft über die Thiere geltend zu machen, die auffallendste Ähnlichkeit. Erst nach drei Tagen war es möglich die Jardi- nes und Jardinillos zu verlassen. Sie besuchten einige dieser Inseln, da alle Tage zur Nachtzeit die Anker geworfen wurden. Eine der ersten , die sie besuchten, war die Cayo Bonito (Hübsch), die ih- ren Namen dem Reichthume ihres Pflanzenwuchses verdankt. Alles zeigt an , dafs sie schon seit langer Zeit über dem Oceane emporsteht. Auf ihr erhebt sich ein ganzer Wald von Wurzelträgern oder Rbi- zophoren, die man, von ferne gesehen, für Lor- beer zu halten geneigt seyn könnte. Die Avicennia nitida , die Batis , kleine Euphorbien und einige Grasarten sind bemüht durch ihr Wurzel geflechte den lockern Sand zu befestigen. Was jedoch dieses Corallen -Eiland vorzüglich schmückt, ist die präch- tige Tournefortia Gnaphalioides (kann man sich einen garstigem und barbarischem Namen denken ?), — 373 — von Jaquin mit silberfarbnen Blättern , welche sie hier zum ersten Male antrafen. Es ist eine gesellig lebende Pflanze , ein Strauch von fünfthalb bis fünf Fufs Höhe, dessen Blüthen einen sehr angenehmen Geruch verbreiten. Mehrere Eiländchen werden damit geschmückt , als : der Cayo Flamenio , der Cayo de Piedras und vielleicht die meisten Niede- rungen der Jardinillos. Sie fanden hier auch Par- thenium Hysterophorum , eine Pflanze , die sowohl auf allen Feldern Cubas , als auch in Caracas und Mexiko zwischen 47° una< 9°° Toisen Erhöhung angetroffen wird. Die Einwohner gebrauchen sie sowohl für aromatische Bäder , als auch zur Ver- treibung der im tropischen Klima so häufigen und lästigen Flöhe. Während unsere Reisenden botanisirten , suchten die Matrosen nach Langousten. Unwillig, dafs sie keine fanden, stiegen sie auf die Wurzelbäume, und richteten da unter den Alcatraz , die hier paarweise in den Nestern safsen, eine gewaltige Niederlage an. Die Alcatraz sind eine Art Pelikan , welche die Gestalt eines Schwans haben. Mit der den Meer- vögeln eigenen dummen Zuversicht und Sorglosig- keit verfertigt der Alcatraz sein Nest nur aus et- lichen Baumästen. Man zählt vier bis fünf Nester auf einem einzigen Wurzelbaume. Die jungen Vögel vertheidigten sich mit ihren 6 bis 7 Zoll langen Schnäbeln sehr tapfer. Die Alten flogen schwebend über ihren Köpfen und stiefsen lautes Klaggeschrei — 374 — aus. Das half ihnen jedoch sehr wenig, und bald sah man das Blut von den Bäumen herabträufeln, denn die Matrosen waren mit Stöcken und Man- chetten bewaffnet. Der Matrose, der auf einsamen Seefahrten zu andauerndem Gehorsame gezwungen ist, übt gerne eine grausame Herrschaft gegen Thiere aus , sobald sich dazu Gelegenheit darbie- tet. Der Boden lag bald voll verwundeter im To- deskampfe zappelnder Vögel. Bei der Landung hatte vollkommene Buhe und Friede auf diesem Erdwinkel geherrscht, jetzt schien alles zu ver- künden : die Menseben sind hier gewesen — mit ihrer Qual l Zehntes Kapitel. Geschichtliche Erinnerungen. — Fahrt nach Trinidad. — £.breise nach dem Festlande. Der Himmel war mit röthlichen Dünsten über- zogen , die sich gegen Südwest allmählich zertheil- ten. Diese Gegenden besitzen für denkende Rei- sende einen Reiz, welcher der neuen Welt meistens fehlt. In der alten Welt verleiht die Erinnerung an die Vergangenheit unaussprechlichen Beiz. Die neue Welt ist selbst in ihren herrlichsten Theilen ohne geschichtliche Sagen. Hier jedoch ist der das- sische Boden geschichtlicher Erinnerungen. An diese Stelle wird sich einstens die Geschichte Arne- — 375 — rika's knüpfen. Hier fallen dem Reisenden die Punkte in die Augen, an die die berühmtesten Na- men der spanischen Monarchie erinnern. Hier be- iuhren Christoph Columbus und Ferdinand Cortez den Ocean. Auf der Südküste Cuba's , zwischen der Xagua- Bucht und derPinos- oder Fichteninsel, hatte der Admiral auf seiner zweiten Reise mit Er- staunen »jenen geheimnifsvollen König gesehen, der nur durch Zeichen mit seinen Unterthanen sprach, und jene Menschen-Gruppe, die, mit langen, weifsen Hemdröcken bekleidet, Mönchen de la Merced glich, während das übrige Volk nackt war.« Auf seiner vierten Reise traf Columbus in den Jardinillos grofse Piroguen mexikanischer Indianer an , die mit rei- chen Erzeugnissen und Waaren von Yucatan beladen waren. Durch seine Phantasie verführt, glaubte er aus dem eignen Munde dieser Seefahrer zu hören : »Sie kämen aus einem Lande her, wo die Männer auf Pferden reiten und Goldkronen tragen.« Schon bildete er sich ein, »es wären Catayo, das Reich vom Grofs - Chan , die Mündungen des Ganges « einander so nahe gelegen, dafs er sich bald zweier arabischer Dolmetscher würde bedienen können, die er für seine Reise nach Amerika in Cadix eingeschifft hatte. Hier war es auch , wo der grofse Mann himmlische Erscheinungen zu sehen und mitten im Sturme tröstende Worte zu vernehmen glaubte. Naiv und rührend lautet der Brief, den Columbus von hier aus an die Königinn von Spanien schrieb ; — 376 — »Eure Hoheit darf mir glauben, sagt Columbus, dafs der Erdball lange nicht so grofs ist , als man gewöhnlich glaubt. Sieben Jahre verweilte ich an Ihrem königlichen Hoflager, und sieben Jahre lang ward mir gesagt : mein Vorhaben sey eine Thorheit. Jetzt i nachdem ich den Weg gebahnt , verlangen nun Schneider und Schuster sogar Privilegien, um neue Länder zu entdecken. Verfolgt und vergessen, wie ich bin , kann ich nie an Hispaniola oder Paria denken , ohne dafs Thränen meine Augen füllen. Zwanzig Jahre stand ich im Dienste Ihrer Hoheitj meine Haare sind alle grau , und mein Körper ist schwach , ich kann keine Thräne mehr vergiefsen. Bejammere mich jetzt, o Himmel ! wie ich durch- jammere die Erde ! Bedaure mich, wer Liebe, Wahr- heit und Gerechtigkeit ehrt!« So bejammert hier der Entdecker Amerika's sein Loos und die Undank- barkeit der Welt! Die Pinos- Insel und die sie umgebenden Gärten sind auch in der Eroberung Mexiko's merkwürdig. Als Ferdinand Cortez sich zu seiner grofsen Unter- nehmung rüstete, erlitt er während der Überfahrt vom Hafen der Trinidad zum Cap St. Anton mit seiner Nave Capitana auf einer der Jardinillos Schiff- bruch. Fünf Tage lang hielt man ihn für verloren. Der wackere Pedro de Alvarado sandte aus dem Hafen von Carcnnas (Havannah) drei Schiffe, um ihn aufzusuchen. Später, im Jahre i5ia, sammelte Cortez seine ganze Flotte, in der Nähe des Cap St. — 3 TT — Anton, vermuthlich an derselben Stelle, welche auch jetzt noch den Namen Ensenadct de Coriez führt, westlich von Batabano der Pinos- Insel ge- genüber. Von hier war es, dafs er in der Hoffnung den Schlingen des Gouverneurs Velasquez desto eher zu entgehen , beinahe heimlich nach der mexikani- schen Küste abging. Hier zeigt sich der seltsame Wechsel menschlicher Schicksale ! Eine Handvoll Menschen , die von Westen der Insel Cuba auf den Küsten vou Yucatan gelandet hatte, war hinreichend, um die Grundfesten von Montezuma's Reich zu er- schüttern, und jetzt nach drei Jahrhunderten ist dieses nämliche Yucatan ein Theil des mexikanischen Staates, der auf's neue von Cuba aus bedroht wird, indem er selbst eben diesem Cuba drohend gegen- über steht. Vormittag den 11. besuchten die Reisenden den Cayo Flamenco unter 21°, 5o/ 39". Der mittlere Theil dieses Eilandes ist sehr niedrig und hat nicht mehr als 14 Zoll Erhöhung über die Meeresfläche. Diese Niederung enthält Wasser von geringem Salz- gehalte. Andere Cayos oder Eilande haben Becken von völlig süfsem Wasser. Die Seeleute von Cuba, so wie die Venezianer der Lagunen und selbst einige Naturforscher, erklären die Süfsigkeit dieses Was- sers aus der Wirkung des Sandes, durch welchen das Wasser einfiltrirt würde. Herr von Humboldt widerspricht dieser Meinung, um so mehr, als diese Cayen aus Felsengrund, und nicht aus Sand gebil- Bibl.Naturh.Reiscn.lv. xr — 378 — det sind, und auch ihre Kleinheit nicht zuläfst, dafs das Regenwasser hier dauernde Pfützen bilden könnte. Es scheint Herrn von Humboldt nicht unmöglich, dafs diese süfsen Wasser der Cayen von cubanischen Gebirgen durch hydrostatischen Druck herrühren. Es ist dieses um so wahrscheinlicher , als nach neuem Beobachtungen einen halben Grad östlich von den Jardiniilos, mitten in offner See dritthalb Meilen von der Küste, Süfswasserquellen sprudelnd aus dem Meere hervortreten. Die Kraft, mit wei- ther diese süfsen Wasser aus dem Meere hervor- sprudeln , ist so grofs , dafs sie für kleine Kähne einen oft gefährlichen Wellenschlag verursacht. Auch holen Schiffe, die nicht in Xagua einlaufen wollen, zuweilen ihren Süfswasser-Vorrath daselbst. Das Wasser ist um so süfser, je tiefer es geschöpft wird. Auch die Lamartins oder Mannati haben die süfsen Wasser entdeckt , und werden daselbst von den Fi- schern häufig gefangen. Eine halbe Meile östlich vom Cayo Flamenco trafen sie zwei zu Tage stehende Felsengründe an an denen sich die Wellen gewaltsam zerschlagen es sind dieses die Felsen Diego Perez unter 210 5i' 10" N. Br. Abends landeten sie bei zwei an dem Felsen , dem Cayo de Piedras. Sie stehen ver einzelt am Ende der Jardiniilos und werden den Schiffen oft gefährlich. Der Cayo de Piedras ist vom Holzwuchse beinahe ganz entblöfst, weil bei den öfter hier stattfindenden Schiffbrüchen die — 379 — Verunglückten alles Strauchwerk , um damit Feuer- Signale zu machen , umhauen. Von hier aus sahen sie zuerst hohe Gebirge , die sich in der Richtung von O. N O. jenseits der Bucht von Xagua erheben. Diese Nacht blieben sie noch ein Mal vor Anker liegen , und traten den folgenden Tag in die offne See ein. Sogleich erhöhte sich die Temperatur des Was- sers, als sie sich von den Untiefen entfernten. Die See wurde indigoblau, und der Thermometer, wel- cher früher bei 6l/2 bis 8 Fufs Tiefe 220, 6 zeigte, erhielt sich jetzt auf 260, 2, bei einer Lufttempera- tur von 25° bis 270. Sie versuchten in den Hafen von Trinidad einzufahren , weil von da aus , bei dem herrschenden Nordostwinde, die Überfahrt nach Carthagena leicht bewerkstelligt werden konnte, dessen Meridian zwischen Santiago de Cuba und die Bucht von Guantanamo fällt. Sie kamen vor der sumpfigen Küste der Camareos vorbei , welche durch den edelmüthigen und humanen las Casus berühmt ist. Der Hafen von Xagua ist einer der schönsten auf der Insel Cuba, aber am wenigsten besucht ; schon Herera sagt von ihm : er sey der schönste , so dafs es keinen andern auf Erden gebe. In der neuern Zeit wurde dieser Ruhm bestätigt, allein bis jetzt gibt es nur eine kleine Häusergruppe daselbst, und eine kleine Festung zur Verteidigung, weil ihn früher in Kriegszeiten die Engländer benutzten, um »7* — 5£0 — daselbst ihre Schiffe zu kielholen. Östlich von Xa- gua gewinnen die Küsten ein majestätischeres An- sehen, indem sicli die Berge den Küsten nähern. Ihre Höhe beträgt zwar nicht über 3oo Toisen, aber sie imponiren durch ihre steile Abschichtung und die zackige Gestaltung der ganzen Gruppe. Die Küste ist hier dermafsen steil (aecore) , dafs Schifte ganz nahe an sie hinankommen, und zwar selbst Fregatten sich ihr überall bis zur Ausmündung des Rio Guaurabo nähern können. Als nächtlicher Weile die Luft bis auf 23° sich abgekühlt hatte, und der Wind vom Lande her wehete , brachte er wie- der jenen herrlichen Geruch von Blüthen und Honig, der die Luft um Cuba so herrlich auszeichnet. Das Wachs von Cuba ist ein Erzeugnafs europäischer Bienen, und macht, wie wir oben gezeigt haben, einen bedeutenden Handelsartikel der Insel aus. Vor der Ankunft der Spanier ward auf Cuba kein Wachs gesammelt, wie Christoph Colambus aus- drücklich erwähnt. Er fand daselbst zwar einen grofsen Wachskuchen , welchen er auch in einer Audienz dem Könige Ferdinand überreichte, es wies sich jedoch nachher aus, dafs dieses Wachs als Handelswaare von Mexiko eingeführt worden war. Bedeutsam war das erste mexikanische Pro dukt , welches im November 1492 den Spaniern in die Hände fiel , nicht Gold, sondern ein Erzeugnifs der Landwirtschaft , zum richtigen Zeichen, dafs dieses der wahre Reichthum des Landes sey. Häfc- — 38i — tcn die Spanier mehr nach Wachs als nach Gold ge- trachtet, so wären jetzt wahrscheinlich Mutter und Töchter glücklicher. Sie fuhren nun bei drei Mei- len der Küste entlang, und befanden sich am fol- genden Morgen der Ausmündung des Rio St. Juan gegenüber. Hier ist ein Landungsplatz , der aber allen Seefahrern, aufser Schmugglern und Piraten, zuwider ist, weil die Luft von Mosquitos und Za- cundos wimmelt, wie auf dem Cassiquiare. Dieser Hafen liegt unter 23°, 4°' 5o" Länge. Die Berge, welche den Hafen beherrschen, erreichen liier kaum 23o Toisen Höhe. Herr von Humboldt brachte einen Theil der Nacht auf dem Verdecke zu. Er erstaunte über die öden Rüsten , wo nicht ein ein- ziger Lichtfunke das Daseyn auch nur einer Fischer- hütte andeutete. Von Batabano bis Trinidad ist nicht ein einziges Dorf vorhanden , und kaum findet man zwei oder drei Corales für Rühe oder Schweine. Zur Zeit des Columbus war diese Rüste bewohnt. Wenn man hier Brunnen gräbt, oder wenn bei gros- sen Wassern der Boden ausgespült wird, so kom- men nicht selten steinerne Äxte nnd Rupfergeräthe zum Vorscheine , welche von den vormaligen Be- wohnern herrühren. Auf Cuba und Haiti kommt allerdings viel Rupfer vor , und die Menge mufste die Einwohner zur Schmelzung desselben veranlas- sen. Columbus meldet : in Haiti würden Massen von gediegenem Rupfer, 6 Aroben schwer, gefun- den, und die Piroguen von Yucatan , denen er an — 382 — den Ostliüsten von Cuba begegnete , führten unter andern Handels waaren aus Mexiko auch Tiegel zum Schmelzen des Kupfers. Sie fuhren nun in einem Wasser von 60 Toiscn Tiefe; die Temperatur desselben war 4°> 2 höher, als die der seichten Wasser bei Batabano. Am 14« liefen sie in den Rio Guaurabo, einen der zwei Häfen der Stadt Trinidad de Cuba, ein. Hier hoff- ten sie nun mit einem Paquetboote nach Carthagena segeln zu können. Sie landeten gegen Abend, und wurden nun von einigen calalonischen Krämern lu- stig und munter eingeladen, sie nach der Stadt zu begleiten. Die Fahrt nach der Stadt glich der der alten Johannisritterfahrt. Sie safsen nämlich alle zu zw ei und zwei auf einem Pferde , und Herr von Humboldt und Bonpland zögerten nicht , das naive Anerbieten anzunehmen. Die Entfernung der Stadt beträgt ungefähr vier Meilen auf einer beinahe wa« gerechten Ebene, die mit dem schönsten Pflanzen- wüchse bedeckt ist. Einen besondern Reiz dersel- ben bildet die Corypha Miraguama, ein Palmbaum mit silberfarbnen Blättern, den unsere Freunde hier zum ersten Male sahen , und welcher der Ge- gend einen eigenthümlichen Reiz verleiht. Dieser schöne und fruchtbare Erdstrich wartet noch auf Menschenhände, um sehr reiche Ernten zu liefern. Gegen Wfesten wird die Aussicht malerisch, da sie sich nach den Kalkgebirgen der Lomas de St. Juan öffnet, welche 1800 bis 2000 Fufs Höhe hat , und — 383 — südwärts steil abgestutzt ist. Die nackten Gipfel stellen theils Kuppen , theils wirkliche Nadeln und eigentliche Hörner dar. Obwohl die Temperatur zur Zeit der Nordwinde niedrig ist, so erfolgen doch niemals Schneeniederschläge , wiewohl öfter Reif sowohl auf diesen , als auch auf den Bergen von Santiago angetroffen wird. Beim Austritte aus dem Walde erblickt man eine Reihe von Hügeln, deren südlicher Abhang mit Häusern bedeckt ist. Dieses ist die Stadt Trinidad, welche der Gouver- neur Velasquez 1 5 1 4 ? aus Veranlassung der reichen Goldminen , welche im Thale des Rio Ariamo soll- ten entdeckt worden seyn , gegründet hat. Die Strafsen sind alle auf steilen Abhängen befindlich, und es herrscht, wie überall im spanischen Ame- rika , die Klage über die schlechte Auswahl des Bo- dens zur Gründung der Städte. Am nördlichen Ende steht die Kirche von Nuestra Sennora de la Papa, welche ein berühmter Wallfahrtsort ist, und 700 Fufs über der Meeresfläche erhaben liegt. Man geniefst hier eine prachtvolle Aussicht über den Ocean , über beide Häfen , über einen Wald von Palmbäumen und nach der Gruppe der hohen Ge- birge St. Juan. Sie gelangten glücklich nach Trinidad , und wur- den daselbst bei dem Verwalter der königlichen Pflanzung, Herrn Munnoz , mit der liebenswürdig- sten Gastfreundschaft empfangen. Trinidad liegt nach der Beobachtung des Herrn von Ilumbodlt un- — 384 — tcr 2i°, 48' 20" N. Br. und 820, n* 7" W. L. Der Statthalter von Trinidad , dessen Gerichtsbarkeit sich über einen bedeutenden Theil der Insel er- streckte, war ein Neffe des berühmten Astronomen Antonio Ulloa. Er gab unsern Reisenden ein grofses Fest , zu welchem auch mehrere ausgewan- derte Franzosen von San Domingo geladen waren, die ihren Fleifs und ihre Einsichten nach Cuba über- gebracht hatten. Die Ausfuhr von Trinidad ist keineswegs so be- deutend, als man denken sollte. Die Stadt führt noch keine vollen 400 Kisten Zucker aus. Trinidad hat zwei Hafen , von denen jedoch keiner noch die- jenigen Verbesserungen erhalten hat, deren sie von Natur aus iahig sind. Die Bocca de Rio Guaurabo gewährt, seit sie durch eine Batterie vertheidigt wird, einen sichern Landungsplatz, der jedoch von Winden keineswegs geschützt ist. Solche Fahr- zeuge, die nicht tief gehen, oder die zum Theil ausgeladen werden , können sich stromaufwärts bis auf eine Meile der Stadt nähern. Die Paquet- boote ziehen diesen Hafen vor, da sie sicher lan- den können, ohne eines Piloten zu bedürfen. Der Hafen von Cisilda ist ein mehr geschlossener, tief landeinwärts gelegener Ort ; man bedarf jedoch hier der Piloten , weil er mit einer Menge Klip- pen verschlossen ist. Der Leuchtthurm war durch das Abfeuern der Kanonen völlig zerfallen; auch leidet der Hafen von Cisilda Mangel an süfsem — 385 — Wasser, welches auf eine Meile weit hergeholt werden mufs. Die Bevölkerung von Trinidad mit den umliegen- den Pacbthöfen, in einem Umkreise von 2000 Toi- sen , beträgt 19,000 Seelen. Die Zucker- und Caf- feepflanzungen sind von grofser Ausdehnung, und europäische Brotfrüchtc werden nur weiter gegen Villa Clara hin angebaut. Einen sehr angenehmen Abend brachten sie noch im Hause eines sehr reichen Einwohners , des Don Antonio Padrön zu, wo die ganze vornehme Ge- sellschaft von la Trinidad versammelt war. Auch hier war der muntere und lebhafte Geist der Be- wohner von Cuba, besonders der Frauen, sehr auf- fallend, und dieser Geist läfst eine einstige sehr hohe Stufe der Cultur ahnen. In der Nacht vom i5. verliefsen sie la Trinidad. Es widerfuhr ihnen die Ehre , dafs sie der Stadtmagistrat in einem mit carmesinrothem Damast ausgeschlagenen Staats- wagen nach dem Hafen führen liefs , und ein Geist- licher hatte in einem Sonnettc ihre Reise nach dem Orinoko besungen. Dieser Auszug war freilich feierlicher, als der Einzug, wo zwei auf einem Pferde safsen. Auf dem Wege nach dem Hafen hatten sie eine entzückend schöne Erscheinung , mit der sie nac zweijährigem Aufenthalte in der heifsen Zone schon hätten vertraut seyn sollen. Nirgends anderswo, versichert jedoch Herr von Humboldt 9 hatte er eine — 386 — solche Menge leuchtender Insekten gesehen (elater noctilucus). Das Gras am Boden , die Äste und Blätter der Bäume, alles glänzte von röthlichem be- weglichem Lichte, dessen stärkerer oder schwäche- rer Glanz vom Willen der Thiere, die ihn hervor- bringen, abhängt. Es war, als hätte das Sternfirma- ment des Himmels sich auf die Savane niedergesenkt. In den Hütten armer Landleute dienen ein Dutzend solcher Insekten in einer durchlöcherten Kürbis- flasche als Nachtlampe, bei der man alles Benöthigte finden kann. Man darf die Flasche nur rütteln, um das Insekt zu reizen, und den leuchtenden Schei- ben, die sich zu jeder Seite seines Bruststückes be- finden, einen erhöhten Glanz zu geben. Das Volk nennt sie ewig brennende Laternen. Sie erlöschen auch in der That nur durch Krankheit oder den Tod der Insekten, welche sich durch etwas Zuckerrohr leicht ernähren lassen. Da die Brise in nordöstlicher Bichtung immer heftiger wehte, so wollte man die Caymas-Inseln vermeiden , die Strömung trieb sie dennoch durch dieselben hin. Allmählich verloren sie nun Trini- dad , die Palmenwäldcr und endlich die Insel aus dem Gesichte. Sie verliefsen die Antillen in dem Augenblicke, wo der Sturm der Sclavencmpörung auf St. Domingo den gesammten Archipel zu ergrei- fen und zu verschlingen drohte. Glücklicherweise ist diese Drohung nicht in Erfüllung gegangen. Wo der Sturm entstand, hat er sich wieder gelegt. Eine — 387 — freie Negerrepublik hat sich auf Haiti gebildet, und gibt der Weltgeschichte das erste Beispiel eines ci- vilisirten Negerstaates. Ackerbau, aber nicht der Anbau der Colonialerzeugnisse , ist der Gegenstand der Beschäftigung bei diesem schwarzen Volke. Möch- ten nur die Antillen, durch dieses Beispiel gewarnt, immer solche Mafsregeln ergreifen, welche ihre Sicherheit befestigen. Da jedoch die sichersten An- stalten jederzeit auch die menschlichsten sind , so ist zu wünschen, dafs eine allmählige Auflösung der Sclavenbande jedem gewaltsamen Sprengen dersel- ben zuvorkomme. Selbst die Freiheit wird zu theuer, wenn sie durch gewaltsames Vergiefsen von Men- schenblut und durch] die Gräuel einer Revolution erkauft werden soll. Und so hätte ich denn meinen jungen Lesern das Wesentlichste des Reiseberichtes des Herrn von Humboldt wieder erzählt, so weit es ihm bisher ge- fallen hat, uns davon zu unterrichten. Er geht nun hin, um eine Reise um dieWTelt zu machen; allein er bleibt in Amerika, besucht Neu -Granada, Peru, Guatemala und Mexiko, um gleichsam durch höhern Willen gezwungen, sein Vorhaben: die spanischen Colonien in Amerika zu durchforschen, auch aus- zuführen. Ich habe nichts von dem verschwiegen, was ich für meine jungen Leser passend hielt, und nur das übergangen, was ihnen unverständlich, und eben darum langweilig geworden wäre. — 388 — Würden dadurch meine jungen Freunde auch Freunde der Natur, fühlten sie sich für ihre Maje- stät begeistert und angetrieben, der Erhenntnifs der- selben diejenige Zeit zu widmen, welche man ge- wöhnlich dem Müfsiggange und gefährlichen Zer- streuungen weiht, so hätte ich meine Absicht er- reicht. — Ende des vierten Bändchens. Inhalt des vierten Bändchens. E Siebentes Buch. c. oeito ilftes Kapitel. Töpfer- Waare der Indianer. — Die Landschaft bis zu den schwarzen Wassern 5 Zwölftes Kapitel. Die schwarzen Gewässer. — San Fernando de Atabapo 14 Dreizehntes Kap.itel. Neuer Reiseplan. — San Fer- nando de Atabapo. — Fahrt auf dem Guaviarc in den Atabapo. — St. Balthasar 30 Vierzehntes Kapitel. Fahrt auf dem Rio Temi. — Der Fels der Mutter. — Reise nach Javita 34 Fünfzehntes Kapitel. Javita. — Reise an den Rio Negro. 44 Achtes Buch. Erstes Kapitel. Fahrt auf dem Rio Negro. — Der Teufelstanz. — Reise bis zur Mission Frauzesco Solano 5o, Zweites Kapitel. Die Menschenfresser. — Fahrt bis Mandavaca r6 Drittes Kapitel. Fahrt bis zur Gabeltheilung. — Nacht- Besuch Yom Jaguar 86 Viertes Kapitel. Die Gabeltheilung des Orinoko . . 96 Fünftes Kapitel. Der Ober • Orinoko. — Esmeralda. — Das Curare. — Das Juviafest. — Juvia. — Schilf und Bast . . . 108 Sechstes Hapitel. Der Lauf des Orinolio oberhalb Es- meralda. — Abreise von Esmeralda. — Tiger . . . .123 Siebentes Kapitel. Die Hohle von Ataruipe. — Reise nach Carichana , i38 üibl.naturh.Rciscn.lV. ,ft Seite Achtes Kapitel. Mission von Caritfhana. — Mission Uruana. — Die Otomahen oder Erdfresser i/f8 Neuntes Kapitel. Reise nach Angostura löy Zehntes Kapitel. Umgebungen von Angostura, — Die Krokodille. — Die Mündung des Orinoko. — Das Steigen und Fallen der Ströme löS' Eilftes Kapitel. Das rechte Ufer des Orinoko. — Die Mission von Carony, — El-Dorado. — Der Parime« See i78 Neuntes Buch. Erstes Kapitel. Abreise von Angostura. — Die Mission der Cariben. — Historische Bemerkungen über die Völker Amerika's 191 Zweites Kapitel. Bemerkungen über die Cariben . -199 Drittes Kapitel. Abreise von Cari. — Villa del Pao. — Reise nach Neu - Barcellona. — Betrachtungen über die Steppen 211 Viertes Kapitel. Erscheinungen in den Hannos, — JSeu -Barcellona. — Aufeulhalt daselbst. — Ausflüge . . 220 Fünfte 9 Kapitel. Reise nach Cumana. — Aufenthalt daselbst. — Abreise nach der Havannah 280 Sechstes Kapitel. Allgemeine statistische Bemerkungen über Venezuela «4° Siebentes Kapitel. Gestaltung des Landes. — Un- ebenheiten des Bodens. — Bergkuoten, — Ebenen . . »5» Achtes Kapitel. Fortsetzung des Vorigen, — Becken und Thäler. — Höchste Spitzen. — Die übrigen Berg- gruppen 268 Zehntes Buch. Erstes Kapitel. Reise nach Cuba ■. 281 Zweites Kapitel. Allgemeine Bemerkungen über die Antillen 289- Drittes Kapitel. Politische Beschreibung der In-el Cuba 296 Seite Viertes Kapitel. Fortsetzung der Beschreibung der Insel Cuba, — Gröfse. — Beschaffenheit. — Bevölke- rung. — Sclaveu 3o8 Fünftes Kapitel. GeistigeBildung auf der Insel Cuba. — Öffentliche Anstalten. — Produkte 3 18 Sechstes Kapitel. Die Verwendung der Sclaven. — Caffee. — Tabak. — Wachs. — Handelsverkehr . . .33« Siebentes Kapitel. Wünsche für die Industrie und das Loos der Sclaven 34» Achtes Kapitel. Rüstung zur Abreise. — Falsche Nach- richten 354 Neuntes Kapitel. Abreise von Batabano. — Seefahrt zwischen den Inseln 366 Zehntes Kapitel. Geschichtliche Erinnerungen. — Fahrt auch Trinidad, — Abreise nach dem Festiande , , . , 3/4 •h.