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DEUTSCHE

MONATSSCHRIFT

FÜR

ZAHNHEILKUNDE. ORGAN DES CENTRAL-VEREINS DEUTSCHER ZAHNÄRZTE. REDIGIERT VON

JUL. PARREIDT,

PRAKT. ZAHNARZT IN LEIPZIG.

DREIUNDZWANZIGSTER JAHRGANG

XLV. JAHRGANG DES VEREINS-ORGANS.

LEIPZIG. VERLAG VON ARTHUR FELIX. 1905.

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Inhalt.

Originalien.

Andresen, Perhydrol Merck gegen Dentinhyperästhesie

Berry, Die Arbeiten der tec nischen Abteilung des zahnärzt- lichen Instituts der Universität Leipzig

Braun, Die Technik der Kokain-Suprareninanästhesie bei Zahn- extraktionen

Bünger, Meine Erfahrungen bei den ersten 100 Injektionen mit den neuen Nebennierenpräparaten . k

Fischer, Zur Frage der Kinnbildung und Walkhoffs Theorie“ .

Hau ptmey er, Sofortiges Ausfüllen der Wurzelkanäle von Zähnen mit akuten Alveolarabszessen .

Hentie Über Hasenscharte und Wolfsrachen und deren Behand- ung .

Herbst, Reziproke Kraftanwendung, ihre Bedeutung für die Ge- sichtsorthopädie und die bisher erfundenen Apparate . Hesse, Das zweite Jahrzehnt des zahnärztlichen Instituts der

Universität Leipzig . aoa ey Honigmann, Über Anästhesie bei Mundoperationen A Kallhardt, Ein seltener Fall von Retention mehrerer Zähne Kron, Die Bedeutung der Headschen Lehre von den Sensibilitäts-

störungen für die Zahnheilkunde . ; Kunert, Ein Fall von offenem Biß bei einem 97 jährigen Patienten

"ber Wurzelresektion . re ia Mader Die Initialsym mptome der Alveolar py orrhöe ; biniatschek, Inwiefern leistet Paraftin als Wurzelfüllmaterial

mehr als die bisherigen Mittel .

Meder, Erwiderung an Prof. Port zur Technik der Röntgen-

aufnahme . P E er

Miller, Die präventive Behandlung der Zähne . .

= Pathologische Prozesse an Zübnen außerhalb der Mundhöhle.

Weitere Studien über die Frage der relativen Immunität gegen Zahnkaries , . er: : eae A e ei a S

Polscher, Kimbly- Gold . .

Port, Eine seltene Gesichtsverletzung

Über Gips. .

Zur Technik der Rönt: enphiotographie

Röse. Die Wichtigkeit der Mutterbrust für die körperliche und zeistige Entwicklung des Menschen . ee

Seite 23

25S

442

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539 193

Om

1V Inhalt.

Röse, Zahnverderbnis und Speichelbeschaffenheit

Senn, Porzellankonturfüllungen mit Gold kombiniert : ;

de Terra, Überblick über den heutigen Stand der Phylogenie des Menschen in bezug auf die Zähne . .

Weidenreich, O. Walkhofts Theorie der Kinnbildung .

Weigert, Zahnkrankheiten und Krankheiten der Zähne im : Säug- lingsalter i ; :

Williger, Über Aktinomykose in der Armee

Witzel, Sofortiges Ausfüllen der Wurzelkanäle von Zähnen mit akuten Alveolar-Zahnfleischabszessen

Worm, Schwerhörigkeit nach Zahnextr aktionsversuchen. Trema im Unterkiefer . f ; a

Wolfes, Die Chemie unserer Anästhetika .

Zimmermann, Statistische Bearbeitung und Untersuchung der während 20 Jahren am zahnärztlichen Institut der Universität Leipzig gemachten Füllungen und Extraktionen . . . 261,

Vereinsverhandlungen und Vorträge.

Central-Verein Deutscher Zahnärzte. Bericht über (die Verhandlungen der 44. BL Ar in Hannover am 4. bis 6. August 1905 . . . . 577, 641.

Internationaler zahnärztlicher Kongreß, Bericht über die Verhandlungen in St. Louis, 29. Aug. a Sept. 1904 31,

Zahnärztlicher Verein zu Frankfurt a. Bericht über die 42. Jahresversammlung in Frankfurt E "M. am 5. bis 7. Mai 1905. . E oe gok S

Zahnärztlicher Verein für Niedersachsen. Bericht über die Verhandlungen der 45 Versammlung .

Bericht der 46. Versammlung in Hannover, 4. u. 5. Febr. 1905

Bruhn, Brückenarbeiten eigenen Systems in Kombination von Gold- und Porzellanarbeit

Bruns, Uber einige Beziehungen zwischen Zahnheilkunde und Nervenheilkunde

Buckley, Über die chemische Erklärung der Pulpenzersetzung. die rationelle Behandlung einer putriden ee und ihre Erfolge

Cohn, Der Einfluß der Sproßpilze auf die Eiterungen im Munde

Eichentopf, Demonstration meiner hydraulischen Presse .

Heitmüller, Das Verschlucken von künstlichen Gebissen .

Herbst, E., Kryptol in der Zahnheilkunde p g

Reziproke Kratt in der Gesichtsorthopiidie .

Über Kapselbrücken

Herbst, W., Herstellung und Anwendung der goldenen Kay ‚sel- brücke a,

Hodgen, Über die Beziehungen zwischen Chemie und Z: alel kunde .

Kleinsorgen, Degeneration der körperlichen Hartgebilde und Ernährunsshygiene ur

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4,1

SS 209

1

Inhalt.

Lipschitz, Dritte Narkosenstatistik des Centrul-Vereins Deutscher Zahnärzte . dere Kara Lüttringhausen, Ersatz des Septum nasi . Masur, Demonstration meiner modifizierten Wurzelspitzenbehand- lung bei chronischen Alveolarabszessen . Mayrhofer, Die pathologische Anatomie und die Diagnostik der Zahufisteln und Wurzelgranulome i Miller, Einige neuere Theorien über die Karies der Zähne en über einige pathologische Zustände in den Zähnen Partsch, Die Aufklappung der Schleimhautbedeckung der Kiefer Pfatf, Über die Entwicklung der diagnostischen und thera- eutischen Methoden der Orthodontie j Untersuchungen über die Angreifbarkeit des Aluminiums . Verengerung der Nasenhöhle, bedingt durch Gaumenenge und anormale Zahnstellun 2 Rauhe, Beiträge zur Ätiologie und Therapie der Kalksalzarmut Eine neue Saugvorrichtung . Reich, W en der Artikulation nach einseitiger Unter- kieferresektion : i Riegner, Ästhetisches aus der zahnärztlichen Praxis. : Ritter, Die Notwendigkeit zahnärztlicher Hilfeleistungen bei unseren sozialen sanitären Wohlfahrtseinrichtungen . Römer, Erbringung des Beweises, daß die Tomesschen Dentin- fasern identisch sind mit den von Kölliker zuerst beschriebenen Dentinkanälchen, d. h. daß sie nicht nur den Inhalt der Köl- likerschen Dentinkanälchen darstellen, sondern Inhalt und Neumannsche Scheide . . a einige pathologische Beobachtungen bei Pyorrhoen alveo: aris . Röse, Zahnverderbnis und Speichelbeschaffenheit Rosenber , Beiträge zur Injektionsanästhesie en oe Sauvez, ber die Licht- und Schattenseiten der lokalen und allgemeinen Anästhesie . SEE er Schröder, G., Die Deviation des Nasenseptums, Nasen- und Rachenverengung im Zusammenhang mit anormaler Zahn- stellung und Ditformität des Gesichtsschädels Pulpa und Anisthetika . Walkhoff, Die heutigen Theorien der Kinnbildung W arnekros, Abnehmbare Kieferbruchschiene Verkleinerte Obturatoren i Weiser, Einige Fälle zur Illustration des gegenwärtigen Standes der konservierenden Zahnheilkunde und Mundprothese. ; Witzel, Ad., Anatomisch- BOIROISEIRENE Randbemerkungen zur

W urzelspitzenresektion . Dog N ie Be ae Auszüge. Abloff, Der Zustand der Zähne bei den Arbeitern in Pulver- abriken a

Adloff, Zur Kenntnis des Zahnsystems \ von ı Hyrax Agnesi, Schmelzkaries durch Typhus ;

Seite

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VI Inhalt.

Bab, Zum Kapitel der doublierten Füllungen .

Baldwin, Extragenitale Syphilis ;

Bellinzona, Einflu der Schwangerschaft auf die Gebilde der Mundhöhle

Bethel, Die Herrichtung der Schmelzwände und -Ränder zu Füllungen . Er ; i A

Bezdek, Tonsilla pendula . ;

Blair, Rezidivierende membranöse Stomatitis in Verbindung mit Erythema exsudativum multiforme A

Breuer, Aschers künstlicher Zahnschmelz das Ideal einer Zahnfüllung . .

Brodtbeck, Über den Einfluß der Ernährung auf die Zähne

Bruck, Ein "Fall von vorstehendem Unterkiefer . : A

Buttazzoni, Feste Bestandteile im Speichel ;

Cecconi, Beitrag zum Studium des SEINE ge- sunder Zähne i l

Chapdepont, Drei neue Fälle von Folliculitis expulsiva

Church, Ein originelles Zahbninstrument ,

Coraini, Eine Bürste unter Wasser für die Asepsis und Anti- sepsis des Bohrmaschinenhandstückes nae

Cron, Porzellan zu schmelzen i

Cullough, Nicht expandierender Gips

Curtis, Kieferklemme

Debove, Gesichtsschmerz wahrscheinlich s philitischen Ursprungs

Le Dentu, Konsekutive Parotitis nach Opera onon am weib- lichen Genitalapparat ;

Fasoli, Histopathologische Untersuchungen der Gewebe im Bereich der Mundhöhle emailen

Foisy, Das Stovain als lokales Anästhetikum

Foster, Beitrag zur Kenntnis des Xeroderma pigmentosum

Frey und Lemerle, Leptothrix buccalis a oi

Guelliot, Chirurgische Studien . f

Hentze, Kallusdentin ;

Herhold, Zur Kiefertuberkulose .

Hirsch, Abnormer Verlauf von Blutgefäßen im harten Zahnbein- gew ebe. 3

Hunter, Mundsepsis als U anche von septischer Gastritis, toxischer Neuritis und anderer septischer Zustände .

Jessen, Die Notwendigkeit zahnärztlicher Schulung ;

Jessen und Dominicus, Die Errie Teg städtischer Schulzahn- kliniken

Klotz, Behandlung und Füllung von Zähnen mit gangränösen Pulpen.

Ka. Die Dekuspidationsmethode als ein Behelf in s schwierigen Fällen von Wurzelfüllungen . era ee ie

Madzsar, Über Pulpitis chronica plastica .

Manara, ber Dentition

Morgenstern, Zur Kenntnis der Einwirkungs dauer der arsenigen Säure auf die Zahnpulpa ;

Murray, Geographische Verbreitung. der Hasenscharte und des Woltsrachens j

Nessel, Die Bedeutung der Menstruation für lag koane der Zähne

Oswald, Zur Kasuistik des Morbus maculosus Werlhotii

313

309 30 5S

18 Sli )

310

250

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A

Inhalt.

Peiser, ie die Form der Drüsen des menschlichen Verdauungs- aM rn Bine Ober eine Pulpageschwulst ohne Zahnkaries . . ` Port, Die Herstellung dauerhafter und bemalbarer Modelle Reclus, Lokale Anästhesie durch Stovain. . - 2 2 22. Riegner, Die p Jaooo und Pathologie der Kieferbewegungen Roemheld, Über isolierten klonischen Krampf des weichen Gaumens . . Br s re Römer, Über Pulpapolypen der Zähne . . 2 2 2 2 2 2 y Rorida und de Simoni, Über die Anwesenheit von Pseudo- taberkelbazillen im Zahnbelag und im Speichel gesunder Individuen s a a u. 0-5. 30 0m a a ee ae A Schmidt, Goldfüllungsmethode durch Zementverdrängung . Schröder, Eine neue Matrize E ee ee ee Schulz, Kalium chloricum . . 2. 2 2 2 2 2 2 2. Schürch, Neue Beiträge zur en der Schweiz 2 Smreker, Das Bleichen verfärbter Zähne mit Pyrozon und 50proz. Wasserstofisuperoxyd 222200 en Sternfeld, Die systematische Extraktion des ersten permanenten Molaren ist in der überwiegenden Mehrzahl der Fälle voll- kommen berechtigt . . : 2: 220 rn Szabó, Die Einwirkung des Argentum nitricum auf das Dentin = p Ignipunktur in der Behandlung akzidentell exponierter Pulpen en ee ee a a a San A T iton a Leroux, Miliartuberkulose der Lippe und der Backe Trauner, Wurzelfüllung von Zähnen, deren Wurzelwachstum nicht abgeschlossen ist BAAR a a n Me Witzel, Vereinfachtes Verfahren zur Herstellung von Porzellan- IüllUNGEn. s oe zei ee ee ee, A Worm, Ein Fall von Zahnverschmelzung .

Bücherbesprechungen.

Adreßbuch der Zahnärzte Be E E E Bornträger, Die neue preußische Gebührenordnung . Cohn, Kursus der Zahnheilkunde T E E OE BE E Feiler, Über die bei Erkrankungen der Zähne auftretenden Retlex- ONEM eo ee E e e re L a ee er Freudenheim, Die Zahnärztin. . . 2 2 22... Jackson, Orthodontia and Orthopacdia of the Face . Jessen, Gesunde und kranke Zähne . Bee or Johnson, Principes et technique de l’obturation des dents Kallbardt, Beiträge zum Durchbruch der bleibenden Zähne . Meyers Lexikon Be le a a Aa N Ba en u are. a Mercks Jahresbericht . . . . Peckert, Über Lokalanästhesie. l Röse, Beruf und Militärtauglichkeit . ER er u E E E E. Sandre, Lehrbuch des Füllens der Zähne mit kohäsivem Gold . Scheffs Handbuch der Zahnheilkunde. 3. Bd. . SEITEN Steffen, Die pbysikalisch-medizinischen Grundsätze zur Zahn- „„ extraktion . . 2.2... es Stein, Paraffin-Injektionen

VII Seite

59 247 303

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VII Inhalt.

Wallisch, Leitfaden der zahnärztlichen Metallarbeit Weber, Die Verhütung zu frühen Altern : Wehmer, Medizinal-Kalender

Wellauer, Pfleget die Zähne

Whites Porzellanzähne .

Zierler, Beiträge zur Behandlung putrider Zahnwurzeln

Kleine Mitteilungen.

Aktinomykose . . Es

Altrömische Instrumente aus der Saalburg ;

Aus er en der städtischen Schulzahnklinik zu Straß-

urg i ;

Behandlung alter Abszesse durch Resektion der Wurzelspitze .

Central-Verein, vorläufiger Bericht . .

Die Physiologie des Kauens .

Die zahnürztlichen Verhältnisse in Rußland

Ehrung W. D. Millers. ;

Ein neues Verfahren Goldfüllungen anzufangen ia

Entfernung des ganzen Unterkiefers und SUDLAUDE desselben

Gebißschablonen. . er Be a ee

(Geschäftsbücher für Zahnärzte

Geschichtliches zur Behandlung der Gaumendefekte ; l

Herstellung und Anwendung von Porzellan- -Einlagefüllungen

Infektion durch eine Zahnoperation mit tödlichem Ausgange .

Jodoformniederschlag .

Korrektur eines unregelmü Big stehenden Frontzahnes durch Por- zellaneinlage S S E E ie E Bl T el Se

Kristallgold ;

Leichttlüssiges Metall .

Leontiasıs der Zähne . .

Nachweis einer künstlichen "Färbung it im gelbem Wachs .

Porzellanfüllungen und Goldfüllungen

Preise der Weltausstellung i in St. Louis .

Richters Adreßbuch . ur

Sogenannte aseptische Ernährung

Spätwachstum des Unterkiefers En ae a a ee eh

Stiftkronen und Bandkronen . 2 22 nn nn ne

Syphilis durch Zahninstrumente .

Über das Löten im Munde des Patienten

Über eine neue Prothese mit Gleitgelenk nach Unterkieferresektion

Üble Zufälle nach dem Zahnausziehen

Ungewöhnliche Resorption oder unv ollständige Wurzelbillung

Untersue hungen über die Lymphbahnen der W angenschleimhaut

Verschluckte Gebiet an Ze oe CR a e Br 298;

Wurzelfüllungsmittel Eu

Ylan-Ylan .

Zahl der Approbationen

Jahnretention.

Zur Behandlung empfindlicher Zuhnhälse

64 2.9

191 319 510 256 317 354 > 20 EE 63 252 319 44S 318

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XXIII. Jahrgang. 1. Heft. Januar 1905.

Deutsche Monatsschrift

für

Zahnheilkunde.

[Nachdruck verboten.) Die Technik der Kokain-Suprareninanästhesie bei Zahnextraktionen.')

Von Dr. H. Braun in Leipzig. (Mit 8 Abbildungen.)

Die wirksame Substanz der Nebennieren wird zurzeit von einer Zahl chemischer Fabriken, teils in kristallinischer, teils in relöster Form, unter verschiedenen Namen, in den Handel ge- bracht. Parke, Davis & Co. in London machen Adrenalin, die Höchster Farbwerke machen Suprarenin, die Scheringsche Fabrik in Berlin macht Eudrenal, Byk in Berlin Epirenan, Ritsert in Frankfurt a. M. Paranephrin usw. Die Wirkung dieser Prä- parate ist im wesentlichen die gleiche, es handelt sich eben um dieselbe Substanz, nur die Fabrikationstechnik weicht voneinander ab. Daß eins dieser Mittel weniger toxisch sei als das andere, vermag ich nicht zu glauben, denn die wirksame Substanz der Nebennieren ist selbst, wie sie auch hergestellt werden mag, ein schweres Gift, das gleich dem Kokain, nur von Ärzten und Zahn- ärzten mit der nötigen Vorsicht ohne Schaden für die Kranken angewendet werden darf. Es ist sehr bedanerlich, daß das Gesetz zwar die Anwendung der Narkose nur Fachmännern gestattet. die Anwendung von Mitteln, wie Kokain und Suprarenin, seitens anderer Personen aber erst dann unter Strafe stellt, wenn der Schaden

1) Vortrag im Standesverein Berliner Zahnärzte (gegr. 1903) am 13. November 1401.

XXIII.

2 Braun, Die Technik der Kokain-

da ist. Man möge sich also eines der oben erwähnten Präparate bedienen, aber die deutschen Zahnärzte mögen ihr Geld nicht mehr ins Ausland schicken, da sie das gleiche Mittel im Inland haben können. Ich werde, da die verschiedenen Namen für ein und dasselbe Mittel keine wissenschaftliche, sondern ausschließlich eine industrielle Bedeutung besitzen, die uns ganz gleichgültig sein kann, die wirksame Substanz der Nebenniere Suprarenin nennen, und bitte, den Ausdruck in diesem Sinne auffassen zu wollen. Ebensowenig hat es für jemanden anders, als den Fabrikanten, ein Interesse, Mischungen von Suprarenin- und Kokainlösungen mit besonderen Namen zu belegen.

Die einfachste und billigste Art, Suprarenin anzuwenden, ist die, welche ich beschrieben habe. Man setzt einer !/,—1proz.

Kokainlösung tropfenweise die von den Fabriken gelieferte Supra- ` reninlösung von 1:1000 zu. Die Dosierung des Mittels ist auf diese Weise vollauf genau genug für den vorliegenden Zweck. Wir bedienen uns folgender Vorrichtung zur Herstellung der Lösungen (Fig. 1). In einem hölzernen Gestell befindet sich ein Glaskasten a, welcher bis zum Rand mit 3proz. Karbollösung gefüllt wird. Er dient zur sterilen Aufbewahrung der Gefäße, in denen Kokainlösung gemacht werden soll, nämlich der Glas- klötze h, und eines kleinen Maßzylinders f zum Abmessen kleiner Mengen Flüssigkeit. Eberso werden die Spritzen die soge- nannte Simplexspritze mit Fiberstempel stets steril und gebrauchsfertig, in der Karbollösung aufbewahrt. Zur Injektion dienen teils Platiniridium-, teils Stahlnadeln. b ist eine offene Schale für die Hohlnadeln, c eine Spirituslampe, d ein Tropfglas zur Aufnahme der käuflichen Suprareninlösung 1:1000. Weiter

Suprareninanästhesie bei Zahnextraktionen. 9

hinten stehen eine Flasche für absoluten Alkohol zum Ausspritzen der Hohlnadeln nach dem Gebrauch, eine Flasche für etwa vor- rätig zu haltende Lösungen, eine Anzahl Reagenzgläser zum Auskochen der Stahlnadeln und Lösungen, ein Kolben von 250 ccm Inhalt. Zur Her- stellung der Lösungen dienen Kokainta- bletten zu 0,01 und 0,015, Kokainpulver zu 0,05 und 0,1. Als Lösungsmittel dient physiologische Kochsalzlösung, die in dem Kolben enthalten ist. Zur Anästhesierung eines Zahns wird in der Regel 0,01 Kokain in 1—2 cem Kochsalzlösung aufgelöst, und mit einem Zusatz von 2—3 Tropfen der Suprareninlösung versehen. Eine Dosis von 0,02 Kokain und 0,2 mg Suprarenin (ungefähr 5 Tropfen der Lösung), rate ich, bei Zahnextraktionen nicht zu überschreiten. Fig. 2 zeigt unsere, bereits von Läwen !) beschriebene Vorrichtung zum bequemen Abmessen kleiner Mengen Flüssigkeit. Sie besteht aus einer zu sterilisierenden und mit sterilisierter Kochsalzlösung zu füllen- den Bürette, die unten mit Quetschhahn verschlossen ist. Unter dem Quetschhahn steht ein Glasgefäß, das mit 3proz. Kar- bollösung gefüllt ist. Wenn die Bürette nicht gebraucht wird, wird sie soweit her- untergeschoben, daß ihr Ausflußrohr in die Karbollösung taucht, um dasselbe steril zu erhalten. ?)

Den nicht zu unterschätzen- den Vorteil, stets frische und gleichmäßig wirksame Kokain- Suprareninlösungen za liefern, gewähren die bisher allerdings nur aus der leicht löslichen bor- sauren Suprareninverbindung der Höchster Farbwerke herstell- baren Kokain-Suprarenintablet-

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1) Läwen, Die örtliche Anästhesie bei Zahnextraktionen mit be- sonderer Berücksichtigung der Kokain-Adrenalingemische. Archiv f. klin. Chirurgie, Bd. 72.

2) Beide Vorrichtungen sind von C. G. Heynemann in Leipzig, Elsterstraße 13, angefertigt.

1%

4 Braun, Die Technik der Kokain-

ten,!) von denen jede 1 cg Kokain, 0,1 mg Suprarenin und den nötigen Kochsalzzusatz enthält. 1 Tablette, gelöst in 1—2 ccm Wasser, gibt die zur Anästhesierung erforderliche Lösung. Mehr als 2 Tabletten auf einmal anzuwenden, würde ich nicht empfehlen.

Endlich sind gebrauchsfertige Kokain-Suprareninlösungen, zum Teil unter verschiedenen Namen, im Handel, und zwar in der Form, die für den Vertrieb zur subkutanen Injektion bestimmter Alkaloidlösungen seit langer Zeit gebräuchlich ist, in zugeschmolzenen Glasröhrchen. Diese Form ist gewiß sehr bequem und praktisch, wenn das Mittel schnell verbraucht wird. Denn ich habe das Bedenken, daß Alkaloidlösungen überhaupt und besonders Kokain- und Suprareninlösungen keineswegs unveränderlich sind, auch wenn sie sterilisiert und mit Zusätzen versehen wurden.

Mittelst jeder dieser Anwendungsformen werden die gleichen Wirkungen erzielt, vorausgesetzt, daß man unzersetzte Lösungen zur Verfügung hat. Die Injektionstechnik muß dem Innervations- modus des zu anästhesierenden Körperteils, hier des Alveolar- fortsatzes, ausreichend Rechnung tragen. Einer Schilderung der Technik muß daher eine Darstellung der Innervation vorangehen.

Am Oberkiefer erfolgt die Innervation der Pulpen und Wurzel- haut, sowie, auf der labialen Seite, des Zahnfleisches und des Periosts des Alveolarfortsatzes durch Äste des N. infraorbitalis, welche teils vor seinem Eintritt in den Knochenkanal, teils erst innerhalb desselben den Hauptstamm verlassen und hinter der Vorderwand des Oberkiefers den Plexus dentalis sup. bilden. An der Innervation des labialen Zahnfleisches beteiligen sich endlich auch die Endverzweigungen des N. infraorbitalis nach seinem Aus- tritt aus dem Foramen infraorbitale.

Die Ausschaltung des ganzen Innervationsgebiets des N. infra- orbitalis wäre durch eine Injektion in die Fossa pterygo-palatina zu erreichen, wie sie von dem Amerikaner Matas zum Zweck der Oberkieferresektion ausgeführt worden ist. Ich glaube nicht, daB dies Verfahren sicher genug ist, um bei Zahnextraktionen Anwendung zu finden. Die in Frage kommende Gegend ist recht schwer zugänglich. Wichtig ist es dagegen zu wissen, daß ober- halb der Zahnwurzeln die den Plexus dentalis bildenden Nerven- fasern dicht unter der vorderen und seitlichen Wand des Ober- kiefers gelegen sind, hier also der Einwirkung eines kräftig wirkenden Anästhetikums verhältnismäßig leicht zugänglich sind, ja daß die hinteren N. alveolares sup. vor ihrem Eintritt in den Knochen unter der Schleimhaut des Tuber maxillae von der Hohl- nadel erreichbar sind. Am Oberkiefer ist deshalb die Injektion an der Vorderfläche das bei weitem Wichtigste. Die Technik der

1) Hergestellt vom Apotheker G. Pohl in Schönbaum bei Danzig.

Suprareninanästhesie bei Zahnextraktionen. 5

Injektion hat im Laufe der Zeit sehr charakteristische Wandlungen durchgemacht. Eine der ersten deutschen Publikationen über die Kokainanästhesie bei Zahnextraktionen ist die von Witzel.!) Er injizierte die damals (1886) gebräuchliche 20proz. Kokain- lösung hoch oben am ÖOberkiefer, längs der Umschlagsfalte der Schleimhaut. Später, als man gezwungen war, die zu injizierende Kokainlösung mehr und mehr zu verdünnen, wodurch ihre Fern- wirkung auf die im Knochen verlaufenden Nervenelemente wesent- lich verringert wurde, mußte man Zahnfleisch und Periost in der ganzen Umgebung des zu extrahierenden Zahns und seiner Alveole mit Kokainlösung sorgfältig infiltrieren. So verfahren, um nur einige der bekanntesten Namen zu nennen, Reclus, Bleich- steiner, Schleich und die

Mehrzahl aller Zahnärzte und

Ärzte, welche sich der In- ka zu jektion anästhesierender Mittel HER rt E ean

bei Zahnextraktionen bedient er haben. Po,

Wir brauchen aber jetzt eine Infiltration des Zahn- fleisches und Kieferperiosts nicht mehr, sondern können zu der viel einfacheren Witzel- schen Technik zurückkehren, da uns jetzt Lösungen zur Verfügung stehen, deren anäs- thesierende Wirkung der einer 20proz. Kokainlösung min- destens gleichkommt.

Die Injektion an der Vorderfläche des Oberkiefers wird dem- nach folgendermaßen gemacht. Mittelst eines passenden Spatels oder Hakens wird Lippe und Wange vom Öberkiefer abgezogen, so daß die Schleimhaut an der Umschlagsfalte rechtwinklig vom Alveolarfortsatz absteht. Die Spritze wird horizontal gehalten, die Hohlnadel in die Umschlagsfalte eingestochen und oberhalb der Zahnwurzeln in der Umschlagsfalte zwischen Schleimhaut und Periost in horizontaler Richtung weitergeführt. (Fig. 3.) Für die Incisivi und Canini liegt der Einstichpunkt neben dem Fre- nulum, für die Prämolaren und den ersten Molaren oberhalb der Wurzel des Incisivus, für die beiden letzten Molaren muß die Nadel hinter der Ansatzstelle des Processus zygomaticus

Fig. 3.

1) Witzel, Über Kokainanästhesie bei Operationen in der Mund- höhle. Deutsche Zahnheilkunde in Vorträgen. Hagen 1886.

6 Braun, Die Technik der Kokain-

unter die den Tuber maxillae bedeckende Schleimhaut geschoben werden (Fig. 4).

Handelt es sich um die Anästhesierung nur eines Zahnes, so sticht man über dem medial gelegenen Zahn ein und schiebt die Hohlnadel injizierend bis über den lateral davon gelegenen Zahn vor. Sollen sämtliche Zähne einer Oberkieferhälfte unempfindlich werden, so wird von den genannten drei Einstichpunkten aus die Lösung in einem Streifen injiziert, der von der Mittellinie kontinuierlich bis zum Tuber maxillae derselben Seite reicht.

Bei der Injektion hebt sich die

Proc. zygomaticus Umschlagsfalte in Form einer

kleinen Anschwellung ab. Beim ; Herausziehen der Nadel ver- schließe man die Einstichöff- nung sofort mit dem Finger und verteile noch durch einige leicht massierende Bewegungen die Lösung an der Vorderfläche des Oberkiefers. Für ein oder zwei Zähne injiziert man !/ cg Kokain mit dem entsprechen- den Suprareninzusatz, für eine ganze Oberkieferhälfte ist nicht mehr, als das doppelte Quantum nötig. Die Wirkung zeigt sich nach etwa 5 Minuten, selten früher, manchmal etwas später. Sie besteht in einer vollkom- menen Anästhesie des labialen Zahnfleisches und Periosts, im ' Bereich eines Zahnes oder einer

Linea obliqua Oberkieferhälfte, je nach Länge

Fig. 4. des Injektionsstreifens, sowie

in ebenso vollständiger Anäs-

thesie der Pulpa und der Wurzelhaut. Diese Injektion allein an der Vorderfläche genügt daher zur Ausführung von Operationen an der Pulpa und am Dentin, ebenso zur Ausmeißelung von Wurzelspitzen und sonstigen Operationen an der Vorderfläche des Alveolarfortsatzes. Die außerhalb des Knochens verlaufenden End- zweige des N. infraorbitalis werden um so leichter unempfindlich, als sie von der anästhesierenden Lösung direkt umspült werden. Eine besondere Anästhesierung des labialen Zahnfleisches ist nie- mals erforderlich. Diese Art der Injektion an der Vorderfläche des Oberkiefers ist heute bereits nichts Neues mehr. Römer!)

1) Römer, Meine Erfahrungen mit Paranephrin-Kokaingemisch

Suprareninanästhesie bei Zahnextraktionen. 7

hat sie vor karzem in gleicher Weise geschildert, und auch das Verfahren von Hübner!) unterscheidet sich im wesentlichen picht von ihr.

Für die Extraktion der Oberkieferzähne ist aber noch die Anästhesierung des lingualen Zahnfleisches und Kieferperiosts not- wendig. Die Leistungen, die hier von dem injizierten Anästhe- tikom verlangt werden, sind viel geringere, es braucht nicht in den Knochen einzudringen, kleine Dosen, verdünnte Lösungen erfüllen ihren Zweck. Indessen ist die Injektion größerer Mengen stark verdünnter Lösungen in die teilweise sehr straffen Weich- teile des Gaumens weder bequem noch nützlich.

Der harte Gaumen, das linguale Zahnfleisch und das Periost werden innerviert vom N. palati- nus anterior, der über dem dritten Molarzahn aus dem Foramen palatinum majus in die den harten Gaumen überziehenden Weichteile eintritt (Fig. 5), und von den Endästen des N. naso-palatinus Scarpae, der vorn durch das Foramen incisivam den Knochen verläßt. Andere Nervenverbin- dungen existieren nicht. An der Innervation der Pulpen und Wurzelhaut beteiligen sich diese

Nerv i ` Fig. 5.

erven nicht. Soll daher ein EN palatinua ant einzelner Incisivus oder Caninus b Finstiehpunkt. extrahiert werden, so muß die c N. nasopalatinus Scarpae.

Hohlnadel, eben wegen der Lage

der Austrittsstelle des N. naso-palatinus, in das Zahnfleisch des betreffenden Zahnes bis auf den Knochen eingestochen werden zur Injektion der anästhesierenden Lösung. Die Injektion ist schwierig und erfordert starken Druck, aber es genügen wenige Tropfen. Für die Extraktion der Prämolaren legt man die Einstichstelle weiter vom Zahnfleischrande ab, sticht hier bis auf den Knochen und injiziert !/, eg Kokain mit Suprareninzusatz. Hier ist die Injektion wieder leicht und ohne erheblichen Druck möglich. Für die Molar- zähne liegt der Einstichpunkt medial vom zweiten Molarzahn (Fig. 5, b) I—1!, cm vom Zahnfleischrande entfernt. Die Hohlnadel wird in

zur Erzielang von Lokalanästhesie bei zahnürztlichen Operationen. Deutsche zahnärztliche Wochenschrift 1904, Nr. 30.

. 1) Hübner, Über Leitungsanästhesie nittelst Adrenalin-(Supra- “nm-)Kokain im Ober- und Unterkiefer, mit besonderer Berücksichtig-

HR Aer Dentinanästhesie. Österr. Zeitschr. f. Stomatologie 1904, eft 10,

8 Braun, Die Technik der Kokain-

schräger Richtung durch die dicken Weichteile eingestochen, bis sie den Knochen in dem Winkel trifft, den der knöcherne Gaumen mit dem Alveolarfortsatz bildet. Hier injiziert man !/, cg Kokain mit Suprareninzusatz. Verbindet man diese zuletzt geschilderte Injektion mit der zuerst genannten in das Zahnfleisch des ersten Ineisivus, so wird nach kurzer Zeit die ganze Hälfte des Gaumens samt lingualem Zahnfleisch und Periost anästhetischh Im Verein mit der Injektion an der Vorderfläche des Oberkiefers kann mittelst 1'!,—?2 cg Kokain und 0,1—0,2 mg Suprarenin eine Hälfte des oberen Alveolarfortsatzes völlig gefühllos gemacht, in zwei Sitzungen können also sämtliche Öberkieferzähne ausge- räumt werden.

Die Innervation der Pulpen und Wurzelhaut, sowie des labialen Zahnfleisches der Unterkieferzähne erfolgt durch den N. alveolaris inferior, während das lingnale Zahnfleisch und Periost ausschließlich vom N. lingualis versorgt wird. An der Innervation des labialen Zahnfleisches beteiligt sich endlich in Ausnahmefällen mehr oder weniger der N. buccinatorius. Die Anästhesierung der Unterkieferzähne ist möglich entweder durch Injektion von Kokain-Suprareninlösung in die Nachbarschaft des zu extrabierenden Zahnes, oder durch gleichzeitige zentrale Leitungs- unterbrechung des N. alveolaris inferior uud N. lingualis. Die alleinige Anästhesierung des N. alveolaris genügt wohl für Ope- rationen am Dentin und der Pulpa, nicht aber für die Extraktion.

Die Anästhesierung der Unterkieferzähne durch subgingivale Injektion. Fig. 6 zeigt eine Anzahl von Quer- schnitten durch den Unterkiefer mit den Zähnen und ihrem Zahn- fleisch. In jeder der Zeichnungen ist die labiale Seite nach rechts. die linguale nach links gerichtet. Man sieht, dab an den Vorder- zähnen, etwa bis zum zweiten Bikuspidaten, die Rindenschicht des Knochens auf der labialen Seite ziemlich dünn ist, so dab man einen Einfluß eines, an die Vorderfläche des Unterkiefers gebrachten, stark wirkenden Anästhetikums auf die Zahnwurzeln und den Plexus dentalis inferior wohl erwarten darf. Man in- Jiziert daher hier die anästhesierende Lösung ganz ebenso, wie am Oberkiefer, d. h. man zieht mit einem Haken die Unterlippe und Wange vom Unterkiefer ab, sticht die Hohlnadel vor dem zu extraliierenden Zahn in die Umschlagsfalte ein und schiebt sie injizierend, dicht am Periost, in horizontaler Richtung, bis über das Wurzelgebiet des zu extrahierenden Zahnes hinaus nach hinten. Nun folgt die Injektion an der Rückseite. Da ist, wie Fig. t zeigt, die Rindenschicht des Knochens bis zum ersten Molarzalın nach hinten so dick, daß man nicht erwarten darf, mehr als eine Anästhesierung des Zahnfleisches und Periosts zu erzielen. Man sticht die Hohlnadel nicht in das straffe Zahnfleisch, sondern unter-

Suprareninanästhesie bei Zahnextraktionen. 9

halb desselben, in Wurzelhöhe, unter Leitung des Auges oder des linken Zeigefingers, dessen Spitze dahin gelegt wird, wo die Injektion erfolgen soll, unter die dünne Schleimhaut. Die auf- gelegte Fingerspitze fühlt und kontrolliert die durch die Injektion entstehende Anschwellung des submukösen Gewebes. Die An- wendung der zu diesem Zwecke besonders empfohlenen gekrümmten Hohlnadeln, deren Gebrauch jedoch ebenfalls erst erlernt werden

3

M.ı. linguale Seite: links + ———> labiale Seite: rechts Fig. 6.

muß, ist nicht unbedingt notwendig, man kommt auch mit geraden Nadeln aus. Die Aufgabe, die dem Anästhetikum am Unterkiefer zugemutet wird, ist wegen der größeren Dicke auch der vorn den Plexus dentalis bedeckenden Knochenschicht schwieriger als am Oberkiefer. Daher möge man zur Injektion, wenigstens an der Vorderfläche, nur lproz. Kokainlösung mit Suprareninzusatz verwenden, und davon auf der labialen Seite 1—1 t⁄ cem inji- zieren. An der lingualen Seite reichen wieder kleine Dosen und niedrige Konzentrationen aus. Auch möge die Wartezeit zwischen

De aer em gee

10 Braun, Die Technik der Kokain-

Injektion und Extraktion etwas reichlicher bemessen werden, als am Oberkiefer. Denn die Kokain-Suprareninanästhesie erreicht, abgesehen von verschwindenden Ausnahmen, frühestens nach 10 Minuten ihre größte Ausdehnung und Intensität. Auf diese Weise erzielt man eine Anästhesie der Schneidezähne, des Cani- nus und der Prämolaren, welche zwar nicht oft für Operationen am Dentin und der Pulpa, fast ausnahmslos aber für die Zahn- extraktion vollauf genügt.

Bei manchen Menschen stehen auch die Molarzähne des Unterkiefers, auf beiden Seiten frei und zugänglich, in einem ver- hältnismäßig dünnen Alveolarfortsatz. Dann führt das gleiche Anästhesierungsverfahren, wie an den vorderen Zähnen beschrieben, zum Ziele. Besonders unter die linguale Schleimhaut des Alveo- larfortsatzes muß hier reichlich injiziert werden, wo jetzt die Knochenschicht viel dünner ist, als an der labialen Seite. Das ist freilich nicht immer leicht, besonders beim letzten Molarzahn, da die Hohlnadel unterhalb der an dieser Stelle oft stark überhängenden, dicken Ausladung des Alveolarrandes eingestochen werden muß. An der labialen Seite verdickt sich bei sehr vielen Menschen infolge der vorspringenden Linea obliqua (siehe Fig. 6) die Außenfläche des Unterkiefers derartig, daß die Schleimhaut und das Zahnfleisch nicht mehr eine senkrechte, sondern eine fast horizontal stehende Fläche bedeckt; namentlich der letzte Molarzahn sitzt manchmal, schon fast im aufsteigenden Kieferast, inmitten einer dicken Knochenmasse, die ihn allseitig umgibt. Man kann daher in dieser Gegend durch eine Injektion unter das labiale Zahnfleisch (Fig. 4) kaum mehr als eine An- ästhesie des Zahnfleisches und Periosts erreichen, ein Einfluß des Anästhetikums auf die lateralen Wurzeln der Molarzähne ist aus- geschlossen. Endlich ist die Injektion an der lingualen Seite manchmal ganz unmöglich. Ich ziehe daher zur Extraktion der Molarzähne, wenn nicht die oben erwähnten günstigen anato- mischen Verhältnisse vorliegen, die zentrale Anästhesierung der in Frage kommenden Nervenstämme vor.

Die Anästhesierung des N. alveolaris inferior und N. lingualis. Die ersten Mitteilungen über die Anästhesierung des N. alveolaris inferior an der Lingula stammen von Halstedt und Raymond (1885). Raymond berichtet über eine Injektion, die er mit 13 Tropfen einer 4proz. Kokainlösung an dieser Stelle gemacht hat. Nach 7 Minuten war nahezu vollständige Unemp- findlichkeit der rechten Hälfte der Zunge, des Zahnfleisches und der Zähne der rechten Unterkieferhälfte eingetreten, so daß die Höhle des ersten Molaren schmerzlos bearbeitet werden konnte. Nach etwa 28 Minuten kehrte die normale Sensibilität wieder

Suprareninanästhesie bei Zahnextraktionen. . 11

zurück.) Die Unsicherheit des Verfahrens bei Verwendung ver- dünnter Kokainlösungen hinderte seine weitere Verbreitung. Die Anästhesierung gelang nur ausnahmsweise. Später lenkteSchleich wieder die Aufmerksamkeit auf dasselbe; mittelst der von ihm gebrauchten dünnen Kokainlösungen ist aber zweifellos nur in ganz seltenen Fällen eine wirkliche Leitungsunterbrechung des Nervenstammes zu erreichen. In neuester Zeit sind die Versuche, den N. alveolaris inferior an der Lingula zu anästhesieren, von Zahnärzten (Thiesing, Krichelsdorf, Dill und namentlich Hübner) ?) mit Erfolg mittelst Kokain-Suprareninlösungen wieder aufgenommen worden. In der Tat kann man bei einiger Ubung und genauer Kenntnis der einschlägigen anatomischen Verhältnisse nunmehr mit ziemlicher Sicherheit den Nerven- stamm unterbrechen und bei gleichzeitiger Anäs- thesierung des N. lingualis zr Extraktion der Mo- laren und Prämolaren ver- wenden. Wird der N. lingualis nicht ebenfalls unterbrochen, so wäre die schwierige Injektion an der lingualen Seite des Unter- kiefers, die ja gerade ver- mieden werden soll, doch Dicht zu umgehen. Der N. mandibularis, der ge- Fig: T.

meinsame Stamm des N.

alveolaris inf. und des N. lingualis ist zwar unserer Hohlnadel nicht zugänglich, wohl aber ist der N. lingualis, auf demselben Wege wie der N. alveolaris inferior, mit Leichtigkeit zu treffen.

~ Technik der Injektion. Wenn man den aufsteigenden Kieferast vom Mund aus abtastet, so fühlt man etwa 1!/ cm lateralwärts vom dritten Molarzahn den vorderen, scharfen Rand des Proc, coronoideus, der nach unten, seitlich vom dritten Molar- zahn in die Linea obliqua ausläuft (Fig. 7). Medialwärts von dieser Kante liegt ein kleines, dreieckiges, konkav gestaltetes,

l) Zitiert nach Läwen, 1. c. e Zei 2) Deutsche zahnärztliche Wochenschrift 1904, Nr. 4 und Österr. Atschr. f. Stomatologie 1904, Nr. 10.

12 | Braun, Die Technik der Kokain-

mit einer dünnen Schleimhaut bedecktes Knochenfeld, das nach vorn und innen schaut, und medialwärts wiederum von einer gut abtastbaren Knochenkante (Fig. 7, a) begrenzt wird. Einen ana- tomischen Namen besitzt diese letztgenannte Kante nicht, sie läuft nach unten in die Alveole des dritten Molarzahnes aus. Ich. werde das erwähnte dreieckige Feld, um mich kurz ausdrücken zu können, Trigonum retromolare nennen. Es liegt bei ge- schlossenem Munde zur Seite des oberen dritten Molarzahnes, bei geöffnetem Munde ist es zwischen oberer und unterer Zahnreihe, seitlich von ihnen, gut zugänglich. Der Einstichpunkt für die Hohlnadel liegt in der Mitte des Trigonum retromolare, ungefähr 1 cm oberhalb und ebensoviel seitlich von der Kaufläche der Unterkieferzähne. Ein Schnitt, der durch diesen Punkt genau parallel zur Kaufläche der unteren Molaren durch den aufsteigenden Kieferast und die ihm anliegenden Weichteile gelegt wird, zeigt folgendes Bild (Fig. 8).')

Man sieht von oben in das Vestibulum oris mit der Linea obliqua, auf das hintere Ende des unteren Alveolarfortsatzes derlinken Seite mit den drei letzten Molarzähnen, weiter medial auf den Mundboden, die Zunge ist entfernt. Am Querschnitt des Unterkiefers erkennt man vorn das in das Vestibulum oris sich verbreiternde Trigo- num retromolare. Unmittelbar neben dessen medialer Kante, dicht unter der Schleimhaut, liegt der N. lingualis, 1';, cm weiter zurück der N. alveolaris inferior. Er ist kurz nach seinem Aus- tritt aus dem Knochenkanal und oberhalb der Lingula getroften. Er liegt dem Knochen dicht an. Wenig höher entfernt er sich von demselben, wenig tiefer ist er von der Lingula bedeckt.

Um nun die beiden Nervenstämme zu anästhesieren, sticht . man eine 1',—2 cm lange feine Hohlnadel (die biegsamen Platin- iridiumnadeln sind hierzu weniger geeignet, Hübner empfiehlt bajonettförmig gestaltete Nadeln) an dem oben erwähnten Punkt, 1 cm oberhalb und lateralwärts von der Kaufläche des letzten Molaren, auf das Trigonum retromolare ein. Dicht unter der Schleimhaut muß die Nadelspitze auf Knochen treffen, ist das nicht der Fall, so befindet sie sich zu weit medialwärts.. Nun tastet man mit der Nadelspitze allmählich weiter medialwärts, bis man an die Kante a (Fig. 7) kommt. Neben ihr, dicht unter der Schleimhaut, injiziert man °/, ccm 1proz. Kokainlösung mit Suprareninzusatz in nnmittelbare Nachbarschaft des N. lin-

1) Horizontal ist dieser Schnitt nur bei geschlossenem Munde. nicht bei geöffnetem Munde. Ich habe solche Schnitte, die im ana- tomischen Institut in Leipzig nicht vorhanden waren, und auch in den anatomischen Atlanten nicht abgebildet sind, von entkalkten und in Celloidin eingebetteten Präparaten angefertigt und abgezeichnet.

Suprareninanästhesie bei Zahnextraktionen. 13

gualis. Dann schiebt man die Nadelspitze Schritt für Schritt, niemals die Fühlung mit dem Knochen verlierend, und immer wieder einige Tropfen der Lösung injizierend, noch weitere 1’), em vor, bis man die Spritze ganz entleert hat. Man kann auch die doppelte Menge !j,proz. Kokainlösung anwenden. Die Richtungsebene für die Führung der Spritze bildetallein ‘die Kaufläche der unteren Zähne, sie ändert sich mit der

Weicher

Gaumen

Pharynx - Tonsille

- Mundboden M. pterygoideus int.

N. alveolaris inf,

2 =] 2 y =. 3 tibu- lum -= oris

| I N. lingualis Fig. 8.

Stellung des Unterkiefers. Während des ganzen Manövers der Injektion muß Nadel und Spritze in einer zur Kaufläche der unteren Molarzähne parallelen Ebene verharren, wie der Pfeil in Fig. 7 andeutet, der Spritzengriff darf weder weiter gesenkt, noch höher gehoben werden. In dieser Ebene dagegen darf man die Spritze verschieben. Es ist namentlich zweckmäßig, um die ununterbrochene Fühlung mit dem Knochen nicht zu verlieren, den Spritzengriff mehr nach dem Mundwinkel der anderen Seite zuzuwenden.

Gewöhnlich sofort nach der Injektion stellen sich Parästhesien

14 Braun, Die Technik der Kokain-

in der betreffenden Zungenbälfte ein, welche dann bald unempfind- lich wird. Es folgen Parästhesie und taubes Gefühl an der Haut und Schleimhaut der Unterlippe derselben Seite. Bei gelungener Anästhesierung des N. alveolaris wird oft ein Teil der Unter- lippe unempfindlich gegen Nadelstiche.e Unempfindlich werden die Pulpen der Unterkieferzähne bis zum Eckzahn oder zweiten Schneidezahn, in der gleichen Ausdehnung das linguale und labiale Zahnfleisch, sowie der vordere Teil des Mundbodens. Die Aus- dehnung der Anästhesie nach der Mittellinie schwankt jedoch wegen des Übergreifens des N. alveolaris, mentalis und lingualis der anderen Seite über die Mittellinie hinaus. Die Leitungsunter- brechung beider Nervenstämme ist manchmal, die des N. lingua- lis meistens bereits nach 5 Minuten vollendet, auf die des N. alveolaris muß man zuweilen, ebenso wie bei der Anästhesierung anderer großer Nervenstämme des Körpers, 15—20 Minuten warten. Ich konnte diese Erscheinungen genauer verfolgen, als ich mir die Injektion in der geschilderten Weise am eigenen Körper selbst machen ließ. Sehr auffallend war das eigentümliche Gefühl, das beim Berühren oder Beklopfen der Zähne, die ihre Tastempfind- lichkeit gänzlich verloren hatten, entstand. An der einen Zungen- hälfte war im vorderen Teil nicht nur die taktile Sensibilität und die Schmerzempfindung, sondern auch die Geschmacksempfindung erloschen. Nach 1'/, Stunden war die Sensibilität wieder intakt. Ganz geringe Schmerzen beim Schlucken bestanden bis zum nächsten Tag.

Ich halte dies Injektionsverfahren für durchaus harmlos. Römer befürchtet Schaden dadurch, daß das ganze Quantum des Anästhetikums in eine Vene injiziert werden könnte. Das läßt sich vermeiden, wenn man die alte Vorschrift Reclus’ befolgt, Kokainlösungen niemals bei ruhender Spritze, sondern während des Vorziehens oder Zurückziehens derselben zu ent- leeren.

In der Gegend der Mahlzähne bewirkt eine gelungene An- ästhesierung der beiden Nervenstämme vollständige Anästhesie des Alveolarfortsatzes. Und sie gelingt in der Regel, wenn ge- nügend lange nach der Injektion gewartet wird. Bevor nicht das Zahnfleisch auf beiden Seiten gegen Nadelstiche unempfindlich geworden ist, darf nicht extrahiert werden. Weiter nach vorn gibt die einseitige zentrale Anästhesierung weniger gute Resultate wegen des schon erwähnten Übergreifens der Innervationsgebiete der anderen Seite, mehr oder weniger weit, über die Mittellinie hinaus. Diesem Übelstand ist mit Sicherheit nur durch eine zentrale Anästhesierung des N. alveolaris inferior und lingualis der anderen Seite abzuhelfen. Vielleicht kommt für das labiale

Suprareninanästhesie bei Zahnextraktionen. 15

Zahnfleisch bisweilen auch die Innervation durch den N. bucci- natorins in Betracht. Für die vorderen Zähne ist daher die In- jektion der anästhesierenden Lösung in die unmittelbare Nach- barschaft des Zahnes das einfachere und größere Sicherheit bietende Verfahren.

Durch die Anwendung von Kokain-Suprareninlösungen ist die Möglichkeit einer fast sicheren und dabei gefahrlosen Lokalanäs- thesie bei Zahnextraktionen zur Wirklichkeit geworden. Am Oberkiefer ist die Technik der Anästhesierung so einfach, daß sie dem Ungeübten auch das erstemal gelingt. Am Unterkiefer ist erst nach einiger Übung die gleiche Sicherheit zu gewinnen. Ohne Einfinß auf den Erfolg ist die Art der Erkrankung des zu extrahierenden Zahnes. Auf die Umgebung der Alveole beschränkte Periostitis und Entzündung des Zahnfleisches sind keine Kontra- indikation gegen die Lokalanästhesie.e Das Anästhetikum wird ja gar nicht in das Zahnfleisch injiziert. Ist an der Vorderfläche des Oberkiefers ein kleiner Abszeß vorhanden, so injiziert man die anästhesierende Lösung von zwei in der Umschlagsfalte ge- lesenen Einstichpunkten aus rings um den Abszeß herum. Große, abgegrenzte Abszesse und Cysten können in der Weise behandelt werden, daß man ihren Inhalt mit der Spritze entleert und !/, cg Kokain mit Suprareninzusatz hinein injiziert. Man erhält sehr schnell eine sehr vollkommene Anästhesie des Alveolarfortsatzes. Andernfalls muß die Extraktion bis zur Ausheilung des Ab- esses aufgeschoben werden. Abszesse an der Gaumenseite stören die Anwendung der Lokalanästhesie fast niemals. Besteht am Unterkiefer eine die Umgebung der Alveole erheblich über- schreitende periostale Entzündung oder Eiterung, so ist eine für die Extraktion ausreichende Anästhesierung des Alveolarfortsatzes in der Regel nur durch zentrale Leitungsunterbrechung der Nerven zu erzielen,

_ Eine der erfreulichsten Folgen der Anwendung von Kokain- Süprareninlösungen ist die Möglichkeit, bei nicht allzu ängstlichen Menschen die unangenehmen Massenextraktionen in Narkose ganz wesentlich einschränken zu können, wenn man die Extraktion auf mehrere Sitzungen verteilt. Man räumt in der ersten Sitzung eme Hälfte des Oberkiefers aus, in der zweiten extrahiert man die kranken Zähne derselben Seite des Unterkiefers; hier sind es Ja In den meisten Fällen nur einzelne Zähne. In der dritten und verten Sitzung geschieht dasselbe auf der anderen Seite. Ich schene mich nicht, die Dosis des Anästhetikums gelegentlich über die gewöhnliche zu erhöhen, um die Zahl der Sitzungen zu ver- nagem, wenn ich sehe, daß das Mittel gut vertragen wird. Tanke, an denen man derartige Operationen vorgenommen hat, and selbstverständlich als Kranke zu betrachten, dürfen nicht

16 Kron, Die Bedeutung der Headschen Lehre

etwa sofort ihrem Beruf wieder nachgehen, sondern müssen min- destens mehrere Stunden liegen. Es sind das deshalb Eingriffe, welche für das Sprechzimmer des Zahnarztes im allgemeinen nicht sehr geeignet sind.

[Nachdruck verboten.

Die Bedeutung der Headschen Lehre von den Sensibilitätsstörungen für die Zahnheilkunde.')

Von Sanitätsrat Dr. Kron, Nervenarzt in Berlin.

Seit langer Zeit weiß man, daß bei Erkrankungen innerer Organe diese selbst wenig oder gar keine Empfindungen hervor- rufen, während sich lebhafte Schmerzen an anderen, oft weit entfernten peripherischen Körperstellen geltend machen können. Auch der Laie hat den ominösen Schmerz im linken Arm bei Herzleiden fürchten gelernt. Weitere Beispiele dafür sind der Schmerz in der Glans penis bei Nieren- und Blasenaffektionen, der Schmerz in der rechten Schulter bei Lebererkrankung, in der Stirn bei Magenstörungen u. a. m.

Für diese Beziehungen zwischen inneren, vom N. sympathicus versorgten, und äußeren Körperteilen hat zuerst J. Henle?) eine Erklärung gegeben. Er nalım an, daß sich die Wurzeln der sensiblen Nerven beider Regionen im Zentralorgan einander nähern. Findet sich die sympathisch erregte peripherische Gegend oberhalb des betreffenden Eingeweides, so legen sich die Nerven des. letzteren eben an Stämme an, deren direkter Verbreitungs- bezirk höher oben liegt. Daß wenigstens ein Teil der vom Sympathikus (durch die Rami communicantes) den hinteren Wurzeln zugeführten Fasern in das Rückenmark gelangt, was anatomisch nicht bewiesen war, leitete Henle aus physiologischen Betrach- tungen ab. Es blieb dabei die Frage offen, in welcher Weise die Wurzeln der beiden Nervensysteme in Verbindung treten.

1) Nach einem Vortrage in der Jahressitzung des zahnärztlichen Standesverein (gegr. 1903) am 12. November 1904.

2) J. Henle, Rationelle Pathologie I, S. 223. und Handbuch der Anatomie (Nervenlehre des Menschen), 1871, N. 549.

von den Sensibilitätsstörungen für die Zahnheilkunde. 17

Dafür gab Roß!) 1888 eine sehr plausible Hypothese. Er ‚hatte den Nachweis erbracht, daß die Wurzeln der sensiblen Nerven andere Verbreitungsbezirke haben als diese selbst. Die Wurzeln entsprechen bestimmten Segmenten des Rückenmarks. Ihre Fasern treten hier zum größten Teile mit den Zellen des ‚Hinterhornes in Verbindung. Erkrankt ein inneres Organ, so wird der Reiz durch die sympathischen Fasern dahin geleitet. Die Erregungswelle, die so bis zum Rückenmarksquerschnitt vor- dringt, beschränkt sich nun aber bei intensiveren Reizen nicht auf die zu ihr gehörigen Zellen. Sie strahlt vielmehr weiter- hin in diesen aus und erreicht so auch Zellen, die anima- lische Fasern aus peripherischen Körperteilen aufnehmen. Von diesen Zellen wird somit dem Bewußtsein ein Schmerzein- druck übermittelt. Die Seele bezieht ihn aber nach dem Gesetz der exzentrischen Empfindung auf die Peripherie, von der sie sonst auf diesem Wege Eindrücke empfängt. Sie wird um so leichter dazu veranlaßt, als die inneren Organe für gewöhnlich empfin- dungslos sind und keine Impulse in das Bewußtsein schicken. Funke?) spricht dem Sympathikus ein selbständiges Empfindungs- vermögen überhaupt ab nnd nimmt an, daß er Empfindungen nur durch seinen anatomischen Zusammenhang mit den Empfindungs- herden des Cerebrospinalorgans vermittelt.

Die fortwährende Mitteilung der Zustände unserer vegetativen Organe an die Seele durch Sinnesempfindungen wäre, um mit Volkmann zu reden, eine zwecklose Überladung des Sensoriums. Wir besitzen infolgedessen kein Lokalisationsvermögen für die inneren Organe, während unsere Seele durch die ihr beständig von der Peripherie des Körpers aus zufließenden Erregungen für jene trefflich eingeschult ist. So haben wir uns, um bei einem Beispiele zu bleiben, den Armschmerz bei Herzleiden zu erklären, der sich also gemäß der Roßschen Theorie nicht an den Aus- breitungsbezirk peripherischer Nerven bindet, vielmehr die Grenzen innebält, die ihm von dem betreffenden Rückenmarksquerschnitt zugewiesen sind. Die zweite hintere Dorsalwurzel führt eben den Sympathikusanteil für das Herz und die animalischen Fasern für den genannten peripherischen Körperteil.

Man war also nunmehr imstande, aus gewissen Schmerzen in der Peripherie auf Erkrankungen bestimmter innerer Organe zu schließen. Am Kopfe liegen diese Verhältnisse komplizierter, ordnen sich indessen dem gleichen Gesetze unter. Man konnte sich aber dabei nur auf den Schmerz stützen, und dieser ist im

1) Roß, On segmental distribution of sensory disorders. Brain, Januar 1888. 2) Funke, Lehrbuch der Physiologie, 1860, Bd. II, S. 595. XXIII. =

18 Kron, Die Bedeutung der Headschen Lehre

allgemeinen kein sicherer Führer. Da machten wieder zwei eng- lische Autoren, Head und Mackenzie, unabhängig voneinander, fast gleichzeitig (sie veröffentlichten ihre Arbeiten 1892) die Beobachtung, daß in den für die Erkrankung innerer Organe charakteristischen, schmerzhaften Regionen auch ein höherer Grad von Empfindlichkeit der Haut besteht, und zwar nach Head, lediglich für Schmerzeindrücke. Das erklärt dieser Autor folgender- maßen: Die Rückenmarkszellen, welche die von der Haut kommen- den sensiblen Nervenfasern aufnehmen, sind durch den ausstrahlen- den Sympathikusreiz in einen Zustand höherer Erregbarkeit versetzt. Ein auf die Peripherie einwirkender Reiz löst infolge- dessen leicht eine stärkere Reaktion aus.

Man bekam es so in die Hand, den Schmerz in bezug auf seine Ausdehnung zu kontrollieren. Head!) unterzog sich nun der mühevollen Arbeit, den ganzen Körper auf diese durch Organ- erkrankungen hervorgerufenen byperalgetischen Ausbreitungen hin zu untersuchen. Uns interessiert hier nur der Kopf und speziell die ja auch zu seinen Organen gehörigen Zähne.

Es ist Head gelungen, an den Bedeckungen des Schäldels eine Anzahl von solchen Reflexzonen festzustellen, die teils zu den Zähnen, teils zu anderen Organen desselben, "auch bald zu diesen, bald zu jenen in Beziehung stehen.

Da ist die Frontonasalzone In ihr wütet der Stirnkopt- schmerz, wenn die zwei oberen Schneidezähne der betreffenden Seite erkrankt sind. Die Zone findet sich ebenso bei Iritis und bei Affektionen der Korneasubstanz. Karies des oberen Kaninus und ersten Bikuspidaten ruft die Nasolabialzone wach, die aber auch von der Nase in Anspruch genommen wird und sich dann gern mit der Frontonasalzone verbindet. Auf die Maxillarzone weist der zweite obere Bikuspidat und der erste Molar hin. Jener sucht, sich gelegentlich die auch für Glaukom charakte- ristische Temporalzone aus. Die Mandibularzone wird von den letzten Molaren des Oberkiefers beherrscht. Für den Unterkiefer finden wir ähnliche Verhältnisse verzeichnet. Wir haben hier die Hyoidzone, für die die zwei ersten Molaren, besonders der zweite, jedoch auch krankhafte Zustände der Zunge, des Uhres und der Tonsillen in Betracht kommen, weiter die obere Laryngeal- zone mit ihren Beziehungen zum unteren Weisheitszahn und zum Zungenrücken. Endlich ist die Mentalzone zu erwähnen, die sich bei Affektionen der Schneidezähne, des Eckzahnes und des ersten BEN zeigt. Für den zweiten unteren Bikuspidaten ist

1) Henry Head, Die Sensibilitätsstörungen der Haut bei Vis- zeralerkrankungen, übersetzt von W. Seiffer, 1598.

von den Sensibilitätsstörungen für die Zahnheilkunde. 19

die Zone nicht sichergestellt. Es scheinen für ihn die Mental- und die Hyoidzone vorbehalten zu sein.

Diese Bezirke sind durch Maximalstellen ausgezeichnet. Die der Mandibularzone liegt etwas nach vorn vom Tragus des Ohres. Der Schmerz macht sich hauptsächlich in der Wange, dicht vor dem Ohre, bemerklic.. Hier herrscht denn auch die größte Emp- findlichkeit. Für die Hyoidzone haben wir zwei Maximalstellen, eine dicht hinter und unter dem Unterkieferwinkel, die andere im änderen Gehörgang. Kommt die obere Laryngealzone in Betracht, s% finden wir den Maximalpunkt in der Höhe des Pomum Adami, gerade vor dem vorderen Rande des Sternokleidomastoideus. Es wird über Schluckbeschwerden geklagt.

Wie gehen wir nun vor, um diese Zonen zu bestimmen’? Head gibt folgende Vorschriften: An der Stirn, oder wo sonst eine feste Knochenunterlage besteht, soll man einen Druck mit einem runden Nadelkopfe ausüben. Untersucht man so an der Wange, so würde man leicht in die Tiefe wirken und die Zähne, wie ihre Umgebung selbst treffen. Um das zu verhüten, soll man den Finger in den Mund einführen und die Wange stützen. Selbst- verständlich muß man sich vor Suggestionen hüten. Auch hier- über finden wir bei Head zweckmäßige Anleitungen.

_ Wenn wir alle diese Befunde überblicken, so drängt sich ihre Wichtigkeit für die odontologische Diagnostik ohne weiteres auf. Gewig ist die Methode für den Fachmann nur in zweifel- haften Fällen von praktischem Wert. Das Beobachtungsfeld des Zahnarztes liegt fast immer klar vor Augen, und es fällt dem Geühten in der Regel gewiß nicht schwer, einen kranken Zahn herauszufinden, mag die Läsion auch noch so versteckt liegen. Dennoch gibt es Situationen, in denen ein Hinweis, wie ihn die Reflexzonen liefern sollen, von großem Werte ist. Geschieht & doch nicht so selten, daß ein entfernt liegender Zahn, sogar einer im anderen Kiefer, als der schuldige bezeichnet wird. Kommt, wie so häufig bei Zahnneuralgien, die Extraktion in Frage, und ind mehrere Zähne defekt, so kann leicht ein Zweifel entstehen, Welcher zu entfernen ist.

Unbedingten Nutzen gewährt das Verfahren in den Füllen. m denen die Zahnneuralgie gar nicht auf einen kranken Zahn weist, in denen sie weit abliegt und anscheinend ganz unab- ängig von einer dentalen Ursache ist. Damit suchen die Patienten Zuerst gern den praktischen Arzt oder den Olırenarzt auf, weil Sie gar nicht wissen, daß sie zahnleidend sind. Wird dann der üstand erkannt, so bedarf es nicht selten erst eines moralischen ruckes, um sie der geeigneten Instanz zuzuführen.

Eine besonders praktische Verwertung soll die Lehre bei

->k

20 Kron, Die Bedeutung der Headschen Lehre

der Beurteilung des nach Füllungen auftretenden Schmerzes finden. Die reflektierten Neuralgien treten nämlich nach Head so gut wie ausschließlich bei Pulpaerkrankungen auf. Affektionen der Wurzel aus ihrer nächsten Umgebung verursachen nur lokalen Schmerz, der sich auch wohl ausbreiten kann, aber nur bei Druck, nicht spontan. Stellt sich nun nach Füllung eines Zahnes reflek- tierter Schmerz ein, so wäre die Operation nicht genügend asep- tisch ausgeführt, und die Zerstörung der Pulpa schreite weiter fort. Hat man es dagegen mit lokalem Schmerze zu tun, so sei die Füllung nicht zu beschuldigen. Es handle sich dann um eine Wurzelerkrankung.

Man glaube nun aber nicht, daß man sich dieser Methode mechanisch bedienen kann. Unsere Aufmerksamkeit wird sich vielmehr nach verschiedenen Richtungen hin anzuspannen haben. Auf die Notwendigkeit, beim Vorhandensein von solchen neural- gischen und hvperalgetischen Zonen auch die anderen Organe des Kopfes zu untersuchen, ist oben schon hingewiesen worden. Diese Forderung haben übrigens die zahnärztlichen Autoren!) längst erhoben. Besonders kommt die Nase und die Kieferhöhle in Be- tracht. Aber auch Ohr, Zunge, Speichel- und andere Drüsen, Tonsillen, Kehlkopf, ja, das Gehirn selbst können nach Head die beschriebenen Gebiete für sich in Anspruch nehmen.

Es ist auch wichtig, die Untersuchung möglichst frühzeitig anzustellen. Hat nämlich der Schmerz längere Zeit bestanden, so verwischen sich leicht die Grenzen der Zonen und es kommt zu dem, was Head als Generalisation des Schmerzes bezeichnet. Derselbe nimmt dann eine ganze Gesichts- oder Kopfhältte, wenn nicht noch weitere Körperstellen ein. Damit soll es nach dem genannten Autor folgende Bewandtnis haben. Unter gewöhnlichen Umständen ist eine Zelle nur reizbar, wenn die Erregung eine gewisse Stärke besitzt. Liegen nun Zustände vor, welche die Widerstandskraft des Organismus herabsetzen, so trifft dies auch die Reizschwelle der Nervenzelle Sie wird leichter erregbar. Der den Reflexschmerz vernrsachende Reiz zieht so eine immer größere Anzahl von Zellen in seinen Bereich. Zu solcher Schwäch- ung des Organismus geben aber Zahnleiden mit ihrem anhaltenden Schmerz, mit der mangelhaften Nahrungsaufnahme und der ge- störten Nachtruhe oft genug Veranlassung. Übrigens soll es auch bei Generalisation des Schmerzes noch möglich sein, aus den Angaben des Kranken über die Entwicklung der Neuralgie den richtigen Weg zu finden.

Wollen wir die Methode prüfen, so müssen wir all das be-

1) P. Ritter, Zahn- und Mundleiden. ?. Auflage. 1901. S. 3089.

von den Sensibilitätsstörungen für die Zahnheilkunde. 9]

rücksichtigen. Und prüfen müssen wir sie. Nichts wäre ihr verderblicher als eine kritiklose Hinnahme Sie würde nach einigen Enttäuschungen leicht zum Aufgeben des ganzen Ver- fahrens verleiten. |

Meine eigenen Beobachtungen auf diesem Gebiete sind, wie ich vorweg bemerken muß, noch keineswegs abgeschlossen. Ich behalte mir die speziellere Darlegung derselben für eine spätere Zeit vor. Jetzt möchte ich nur folgendes sagen: Am häufigsten scheint mir der reflektierte Ohrschmerz zu sein. Er weist, wenn andere Affektionen auszuschließen sind, mit ziemlicher Sicherheit auf den zweiten unteren Molaren, seltener auch auf den ersten hin. Ich habe ihn aber, was der reinen Hyoidzone nicht ent- spricht, in der Regel in Verbindung mit dem Schläfenschmerz angetroffen. Letzterer kann aus der gleichen Ursache auch allein entstehen. Diese beiden Regionen, der äußere Gehörgang und die Schläfe, bilden nun aber den Ausbreitungsbezirk des N. auri- culo-temporalis, der bekanntlich aus dem dritten Aste des N. Trige- minus stammt. Die Neuralgie zeigt sich also hier, abweichend von der Roßschen Lehre, ganz im Gebiete eines einzelnen peri- pherischen Nerven. Dennoch handelt es sich um einen typischen Reflex, was schon daraus hervorgeht, daß die Neuralgie nicht selten ohne gleichzeitigen Zahnschmerz auftritt. Über den Weg dieses Reflexes habe ich mich schon bei einer früheren Gelegen- heit!) geäußert. Seine Vermittlung dürfte durch das Ganglion oticum stattfinden, das mit dem N. auriculotemporalis durch einige sensible Fädchen in Verbindung steht.?2) Nächstdem zähle ich in der Häufigkeitsskala der mir vorgekommenen Fälle diejenigen, die dem Maxillartypus entsprechen. Dann ist der Schlundschmerz wohl eine bekannte Reflexerscheinung.

Die anderen Nenralgien habe ich seltener und auch nicht immer in der typischen Ausbreitung gefunden. Dafür kaun ich bestätigen, was Head, jedoch nur als Ausnahme, auch gelten läßt, daß nämlich Wurzelaffektionen ebenfalls Neuralgien mit dem beschriebenen Charakter hervorrufen. Es scheint aber auch der lokale Schmerz bei Pulpaerkrankungen nicht selten zu sein.

Daß übrigens auch erschwerter Zahndurchbruch zu Reflex- neuralgien führt, zeigen verschiedene Beobachtungen ans der Literatur. So beschreibt Blake’) einen Oceipitalschmerz infolge von Dentitio difficilis eines Weisheitszahnes. Auch in der Mit- teilung Hermanns!) hatte ein in schlechter Lage betindlicher.

1) Deutsche med. Wochenschr. 1894, V. Bd., S. 147.

2 Henle a. a. O., 5S. 383 34.

3) Edward T. Blake, On dental reflexes and trophie changes. British Journal of dental science 1855, S. 5AT.

4) Hermann, Deutsche Monatsschrift f. Zahnheilk. 1580, S. 57.

29 Luniatschek, Inwiefern leistet Paraffin als

zugleich mit einer Exostose behafteter unterer Weisheitszahn in einer Stirnhälfte eine Neuralgie hervorgerufen, die sich später generalisiertee Auch hier handelte es sich nicht um die typischen Regionen. Über das Verhalten des Zahnlückenschmerzes und der Dentikel ist mir nichts bekannt geworden.

Nachdruck verboten.)

Inwiefern leistet Paraffin als Wurzelfüll- material mehr als die bisherigen Mittel.

Von

F. Luniatschek,

Assistent am Zahnürztlichen Institut der Königl. Universität zu Breslau (Direktor: Prof. Dr. C. Partsch).

Prof. Miller stellt in seinem Lehrbuch auf Seite 372 folgende Bedingungen für ein ideales Wurzelfüllungsmaterial auf. 1. Das Material darf selbst nicht fäulnisfähig sein. 2. Es soll eine an- haltende, wenn auch geringe antiseptische Wirkung besitzen. 3. Es muß leicht bis ans Foramen apicale einführbar sein. 4. Es darf die Wurzelhaut nicht reizen. 5. Es darf den Zahnhals nicht verfärben. 6. Es darf nicht porös sein, da es dann Sekrete auf- saugen würde 7. Es muß möglichst leicht zu entfernen sein, und 8. es darf nicht resorbierbar sein, möchte ich nach Trauner!) noch hinzufügen, wie auch 9. es darf, in weichem Zustande ein- geführt, nicht zu langsam erstarren.

Auf der Suche nach einem solchen Idealfüllungsmaterial hat man schon unzählige Stoffe versucht und mit dem einen oder andern gute Ertolge erzielt.

In der Österr. Vierteljahrsschrift, Jahrg. 1902 machte Trauner auf die Wurzelfüllunge bei Zähnen mit noch nicht abgeschlossenem Wurzelwachstum vermittels Paraffin aufmerksam.

Diese Arbeit, welche auch die nötige Literatur bringt, ist so klar und überzeugend geschrieben, dab ich, als ich sie las. sofort beschloß, Versuche mit LParaftinwurzelfüllungen angu- stellen.

Zunächst beschränkten sich meine Versuche nur auf Zähne von Kindern, --- also bei solchen, deren Lumen noch weit bei

L Österr, -ungar. Vierteljahrsschrift f. Zuhnheilk. 1902, S. 231.

Wurzelfüllmaterial melır als die bisherigen Mittel. 23

denen die Einführung des Paraffins und das Tiefpumpen mit der erwärmten Nadel keine Schwierigkeiten bot.

Als ich jedoch später manchen Mißerfolg mit den von Prof. Sachs im Breslauer Zahnärztlichen Institut eingeführten Gutta- perchapoints sah, bin ich auch dazu übergegangen, Wurzelkanäle engen Lumens mit Paraffin zu füllen. Die Guttaperchapoints baben nämlich den Nachteil, nicht antiseptisch zu wirken nun das wäre ja auch nicht unbedingt nötig, wenn man den Wurzel- kanal absolut sterilisieren könnte.

Sachs hat dem auch abgeholfen, indem er vor der Einführung der Points eine Paste aus Thioform (Bismutum dithiosalicylicum) ud Kreolin in den Kanal brachte. Fernerhin aber lassen sich die mit Chloropercha befeuchteten Points außerordentlich schwer aus dem Kanal entfernen; selbst Wurzelkanalbohrer und Aufweichen der Guttapercha mit Chloroform haben mich fast stets im Stich gelassen. Der dritte Grund, welcher gegen die Points spricht, ist der, daß es häufiger, als man glaubt, vorkommt, daß der Point durch das Foramen apicale hindurch getrieben wird.

Ich zeige Ihnen hier einige Wurzelspitzen, welche aus diesem (runde abgetragen werden mußten. Trauner hat sogar in seiner schon erwähnten Arbeit einen Fall angeführt, bei dem die durch das Foramen apicale getriebene Pointspitze die Ursache für eine (ste war.

50 große Vorteile auch sonst diese Wurzelfüllung hat, was Reinlichkeit, präzises Arbeiten, Bequemlichkeit usw. anbetrifft, so suchte ich doch aus den schon angeführten Gründen nach einem besseren Wurzelfüllungsmaterial und glaube, es im Paraffin ge- funden zu haben.!)

Bezüglich der Erfüllung der von Miller aufgestellten Er-

fordernisse für ein Ideal-Wurzelfüllmaterial hat schon Trauner über Paraffin berichtet. ~ „Auf den ersten Blick erfüllt Paraftin Punkt 1, 5, 6, 7, 9. Über Punkt 4 und 8 (nicht Weichteile reizend und nicht resor- bierbar) geben die hervorragenden originären Arbeiten Gersunys und dessen Mitarbeiter Aufklärung und zerstreuen jede Besorgnis. Die Entscheidung über Punkt 8, „bis ans Foramen apicale ein- führbar,“ ist auch für andere Füllungsmittel nicht gefallen, ins- eSundere, wie weit wir in die engsten und gekrümmten Kanäle vorzudringen vermögen. Bei Zähnen mit nicht abgeschlossenem Vurzelwachstum handelt es sich doch meist um weite Lumina, Welche dem Eindringen des Paraftins kein gröteres Hindernis Otgegenstellen.“

1) W. Bruck hat jetzt Guttaperchapoints herstellen lassen, welche Aritol und Kreosot als Antiseptikum bergen. Dieselben sind aber im andel nicht zu haben.

24 Luniatschek, Inwiefern leistet Paraffin als

Bei den engen Kanälen jedoch, wie wir sie in den Molaren erwachsener Patienten vor uns haben, ist allerdings die Einführung des Paraffins unter Umständen sogar unmöglich. Ich möchte aber das Wurzelfüllmaterial sehen, das absolut sicher und in jedem Falle bis ans Foramen apicale gebracht werden kann. Die ver- schiedenen Krümmungen und Wendungen, zuweilen auch ganz abnorme Knickungen der Wurzeln verhindern in vielen Fällen die Durchführung einer subtilen Wurzelbehandlung, mithin auch eine ideale ausreichende Wurzelfüllung.

Über den Wert einer guten Wurzelfüllung (nicht Behand- lung) sind leider noch die Meinungen recht geteilt. Wenn auch der Ausspruch von Sachs: „Nicht das, was in den Wurzelkanal hinein kommt, sondern das, was aus dem Wurzelkanal heraus gebracht wird, ist die Hauptsache für eine gute Wurzelfüllung“ als Leitmotiv für unsere Wurzeltherapie anzusehen ist, so müssen wir doch auch darauf unser Augenmerk richten, die behandelten Wurzeln nur mit einem solchen Material zu füllen, welches einem Idealwurzelfüllmittel am nächsten kommt. Manche Praktiker glauben genug geleistet zu haben, wenn sie eine Paste oder dergl. oberflächlich in den Kanal eingeführt haben, nachdem er gereinigt ist.

Ja, ein naives Gemüt ging vor einiger Zeit so weit, zu be- haupten, daß eine Wurzelfüllung überflüssig sei, wenn nur die Kanäle behandelt seien. Der geniale Kopf wies darauf hin, daß ja auch die Chirurgen nach einer Exeirese des Nervus infra- orbitalis den Kanal nicht füllen. Der Betrettende hat aber ganz übersehen, daß der Canalis infraorbitalis sich mit Granulationen auskleidet, eine Füllung deshalb überflüssig ist. Der Wurzel- kanal wird ja allerdings in manchen Fällen, leider nicht allzu ‚selten, vom Foramen apicale aus, wenn auch nicht mit Granula- tionen gefüllt, so doch die Wurzelspitze hauptsächlich vom Kanalende her, vorausgesetzt, daß die Wnurzelfüllung nicht bis zum Foramen reichte, durch Granulationen so- weit arrodiert, daß die Wurzel einen beträchtlichen Teil ihrer Länge einbüßt. In einer späteren Arbeit werde ich mich über die Resorptionsvorgänge an den Wurzeln permanenter Zähne. über ihre Ursachen und Formen eingehender äußern.

Ich möchte nur vorläufig hervorheben, dal; die Resorptions- erscheinungen ganz ähnlich sind denen, wie sie Scheff in seiner Arbeit über „Replantation der Zähne“ beschrieben hat.

Ein lebrreiches Beispiel, wieweit eine Wurzelfüllung mit einem nicht resorbierbaren Material Resorptionsvorgänge hintenan halten kann, liefert der von mir in der Osterr. Zeitschrift tür Stomatologie beschriebene Fall von einer seltenen Kesorptions- erscheinung an der Wurzel eines vor 9 Jahren replantierten Zahnes. Daselbst war nur die \Vurzelspitze mit Gold ver-

Wurzelfüllmaterial mehr als die bisherigen Mittel. 25

schlossen, während der übrige Teil des Kanals ungefüllt blieb; an der Stelle, wo der Kanal die Füllung zeigt, ist keine Spur von Resorptionsvorgängen zu bemerken, in dem freien Wurzel- kanal jedoch hat die Resorption, von außen einsetzend, schnelle Fortschritte gemacht, um schließlich zur Abtrennung der ganzen \urzelspitze zu führen.

Manche Kollegen sind der entgegengesetzten Meinung und behaupten, daß selbst durch das Foramen getriebene Guttapercha- points nichts weiter zu bedeuten hätten und selbst wenn sie die Umgebung reizten, durch diese Reizung eine bindegewebige Ab- kapselung um die Pointspitze eintrete. Dies ist ja richtig, aber diese Abkapselung ist eben ein Zeichen einer chronischen Perio- dontitis, welche aus einer akuten hervorgegangen ist, die sofort nch der Wurzelfüllung einsetzte, und welche der Patient mit beroischem Gleichmut ertragen mußte.

Die Folge davon sind ständige, bald mehr oder minder auf- tretende Schmerzen und, falls nicht die Wurzelspitzenresektion vorgenommen werden kann, dauernde Untauglichkeit des Zahnes für den Kauakt. = Als Schlußfolgerung ergibt sich, daß zur Wurzelfüllung nur ein solches Material verwendet werden darf, welches, selbst durch das Foramen apicale gedrängt, die Umgebung nicht belästigt.

Aus der Chirurgie sind uns bis jetzt nur zwei Stoffe be- kannt, welche für unsere Zwecke verwendbar sind, nnd vom örper reaktionslos vertragen werden das sind: edle Metalle und Paraffin.

Von den ersteren als Wurzelfüllmaterial ist man schon lange

aus trifiigen Gründen abgekommen. So bleibt uns nur das araffin. _ Laßt sich denn aber Paraffin auch in enge Kanäle ein- führen? Diese Frage zu beantworten, hat mich viele Versuche “kostet, Nachdem es mir aber, wie eins meiner Präparate zeixt, gelungen ist, durch eine der Dr. Traunerschen ähn- liche Methode auch in tiefe Wurzelkanäle einzudringen, habe ich jetzt seit 2 Jahren das Paraffin ausschließlich als Wurzel- !üllnittel verwandt, und ich kann nur sagen mit dem besten Erfolg. Ich bin weit davon entfernt zu behaupten, in alle Kanäle und stets bis zum Foramen apicale mit dem Paraffin vor- dringen zu können ich kann aber jetzt behaupten: so tief ich mit irgendeinem andern mir bekannten Wurzel- füllmaterial in die Kanäle einzudrineen vermag, kann ich es anch mit dem Paraffin. Die Technik der Wurzel- !ülung will ich später genau angeben; zunächst möchte ich mir noch einige Bemerkungen gestatten.

Bekanntlich bieten solche \Vurzeln, die schon wiederholt

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Fernerbin gewahrt die Fü..ung von Warzein mit Paraffin mir anch eine Zeitersparnmie.

Wurzeln obne Fisteln. Gangraena pnivae urd d-rel. ohne tubjektise Beschwerden einLergehrnde pathologische Veränderungen der Pulpa nnd des Wurzelkanals behandle ich nach gründlicher Reinigung der Kanäle, indem ich die Wurzel soturt mit Paraftin füle und ca. K Tage abwarte. Zeigt sich innerhalb dieser Zeit keine Reaktion, so falle ich den Zahn. Tritt eine periodontale Reizung ein, o kann ich die Wurzelfüllnnz mit einer kalten Dunaldonnadel sofort entfernen, um die \Wurzelbehandlung zu wiederholen.

Und nun, meine Herren, will ich die Technik der Paraftin- wurzelfüllung besprechen:

Zuerst habe ich nach Trauners Vorschlag das Paraffinum solidnim mit einem Schmelzpunkt von 45—50" verwendet. Dabei sah ich mich aber genötigt, wenn ich eine Amalgamtüllung legte, über das Paraffin an die Kanaleingänge eine Schicht Zement zu leren, Da ich aber ohne Assistenz arbeitete und diese an und fur sich wohl kurzdauernde Manipulation, mir doch zuviel Zeit raubte, habe ich Paraffin mit höherem Schmelzpunkt von ca. 595 60° verwendet und dabei bemerkt, daß das Amalgam kaum in die Kanaleinränge rotiert wird. In 3 Fällen, wo ich später die Amaleamfüllung entfernte, konnte ich auch am Patienten den guten Erfolg bestätigt, finden.

Bei der Wurzelfüllung gehe ich nun so vor, daß ich nach subtilster Trocknung der Kanäle den Zahn mit dem Warmluft- bläser erwirme. Darauf bringe ich das in einer Böhm schen Silberspritze (deren feine gebogene Kanüle mit Weichlot an den Spritzenzvlinder gelötet ist, um den Austritt von Paraffin an der

Wurzelfüllmaterial mehr als die bisherigen Mittel. 37

Verbindungsstelle zu verhindern) erwärmte Paraffin in die Kanäle, wenn sie weit sind, sonst einfach in das Pulpacavum. Gelingt es mir, bei oberen Distalkavitäten an Molaren einmal nicht das Paraffin durch die Spritze über die Eingänge aller Kanäle zu bringen, so helfe ich mit einem erwärmten Kugelinstrument nach. Dann pumpe ich das noch nicht erstarrte Paraffin mit dem von Evans angegebenen Wurzelkanaltrockner, welcher während der ganzen voraufgegangenen Prozedur über der Spiritusflamme er- wärmt wurde, unter mehrmaligen Pumpbewegungen in die Tiefe, Dabei sehe ich, wie die Luftblasen aus dem Kanal heraustreten. Man sollte meinen, daß der immerhin feine Silberdrahtansatz des Evansschen Instrumentes doch nicht ausreicht, in feine Kanäle hineinzugelangen und also auch nicht das Paraffin tiefer zu pumpen, dem ist aber nicht so.

Ich habe wiederholt an extrahierten Zähnen und bei Patien- ten beobachten können, daß das Paraffin durch die Wärme und Kapillarität viel tiefer eindringt. Bei Patienten ist es mir manch- mal passiert, daß ich nach der Wurzelfüllung aus irgendwelchen Gründen die weitere Behandlung aufschieben mußte und den Zahn mit Guttapercha verschloß. Entfernte ich in der nächsten Sitzung diese, so klebte daran ein korrosionsanatomisches Präparat der Wurzelpulpa aus Paraffin, d. h. ich konnte die ganze Wurzel- füllung in toto entfernen und konstatieren, daß die erste Wurzel- füllung gut war. Dabei hat es sich dann auch gezeigt, daß das Paraffin in sehr feine Verästelungen der Kanäle eindringt. Wenn man sich aus Preiswerks Atlas, S. 38ff., die korrosionsanato- mischen Abbildungen der Pulpa ansieht, so erkennt man, daß man wohl imstande sein mag, die Pulpa auch aus diesen Kanäl- chen gleichzeitig mit der Hauptpartie durch eine Donaldson- nadel zu entfernen, eine Füllung aber mit gröberem Material als Paraffin unmöglich ist. Dadurch zeigt sich wieder ein Vor- teil der Paraffinwurzelfüllung. Denn, setzen wirklich einmal Resorptionsvorgänge an einer Wurzel ein, so wird ihnen der mit Faraftin gefüllte Teil einen bedeutend größeren Widerstand ent- gegensetzen.

Meiner Meinung nach machen bei der Paraffinwurzelfüllung die Eckzähne am meisten Schwierigkeit, was hauptsächlich auf die Länge der Wurzel zurückzuführen ist. Ein Fall, bei dem ich die Paraffinfüllung vornahm, damit die Wurzelspitzenresektion ausgeführt werden konnte, hat mir aber auch gezeigt, dab auch ein Eckzahn bei distaler Kavität und apikal gekrümmter Wurzel- spitze sich bis zum Foramen apicale mit Paraffin füllen läßt.

Das Paraffin halte ich im einer Glas-Eprouvette zum Auf- saugen in die Böhmsche Spritze bereit. Um ihm jedoch auch eine antiseptische Wirkung zu verleihen, füge ich pro cbm Paraftin

28 Andresen, Perhydrol Merck gegen Dentinhyperästhesie.

ca. 4-5 Tropfen Eugenol hinzu. Eine Verfärbung des Zahnes ist bei der geringen Menge Eugenol nicht zu befürchten; sie reicht aber völlig aus, um genügend antiseptische Wirkung zu entfalten.

Nachdem ich den Kanal gefüllt habe, entferne ich das über- schüssige Paraffin mit löffelförmigen Exkavatoren eventuell mit Xylol oder Chloroform. Das letztere ist von den paraffinlösenden Mitteln das angenehnste.

Bei Zähnen, in die ich Zement füllen will, wasche ich jetzt das Paraffin nicht mehr aus, sondern gebrauche ausgiebiger den Exkavator, da es mir in einigen Fällen so vorgekommen ist, als ob Paraffin in das Dentin eingewaschen worden sei und dadurch die an und für sich sehr geringe Klebfähigkeit des Zements nicht zur Entfaltung kommen konnte.

Nachdem ich auf diese Weise einen knappen Überblick über die Vorteile der Paraffinwurzelfüllung gegeben habe, würde ich mich freuen, wenn recht viele Zahnärzte in der Praxis Versuche mit dem Paraftin machen würden. Sie werden sicherlich mit einiger Übung schöne Erfolge erzielen.

Nachdruck verboten.) Perhydrol Merck gegen Dentinhyperästhesie. Von Viggo Andresen, Zahnarzt in Kopenhagen.

Durch einen Zufall vor ca. zwei Jahren auf eine zwar nicht ganz konstante dentinanästhesierende Wirkung des Hydrogen. peroxydat. Merck aufmerksam geworden. empfehle ich den Kollegen, Versuche damit zu machen. Sehr kleine Mengen des reinen 30 proz. Präparates wirken fast momentan ganz verblüffend oder gar nicht. Besonders ausgeprägt ist die Wirkung bei Hyperästhesie in den gefürchteten Cervikalkavitäten und sonstiger Uberemptindlichkeit des Zahnhalses, wo es vor Argent. nitric. den Vorzug des Rleichens statt des Schwärzens hat.

Auch bei Empfindlichkeit nach dem Abschleifen zu lang gewordener Zähne ist es emptehlenswert. Haftlöcher können durch einfaches Tauchen der Bohrer in diese Flüssigkeit mitunter schmerz- los gemacht werden. Doch wird wegen seiner ätzenden Wirkung auf \Veichteilen vor Applikation nahe der Pulpa streng gewarnt. Dagegen kann es in der Nähe des Zahnfleisches auch in Kavi-

Meder, Erwiderung an Prof. Port z. Technik d. Röntgenaufnahme. 29

täten, die nicht trocken gehalten werden, vorzügliche Hilfe leisten, und braucht man sich nicht um eine geringe Ätzung des Zahn- fleisches zu kümmern; es entsteht nur eine angenehme Reinigung und Desinfizierung des Operationsfeldes und die Ätzung ist ganz vorübergehend, wie bei der Anwendung in der Therapie der Alveolarpyorrhöe,

Dr. R. Steensen in Kopenhagen, in dessen Klinik diese Erfahrungen über das Mittel gemacht sind, bestätigt dieses Resultat.

[Nachdruck verboten.)

Erwiderung an Prof. Port zur Technik

der Röntgenaufnahme.

Von

Zahnarzt Meder, Lehrer am Zahnärztlichen Institut der Universität München.

Prof. Port fühlt sich im Dezemberheft 1904 berufen, meine Röntgenarbeit einer abfälligen Kritik zu unterziehen und meine akademische Tätigkeit bei dieser Gelegenheit zu verunglimpfen.

Zunächst hält er mir vor, daß mir die Grundlage der Technik des Röntgenphotographierens fehle. Hierauf zu erwidern kommt mir komisch vor, und ich tue es nicht wegen der Materie an sich, sondern wegen des Angriffes am Schlusse seiner Kritik. Er nimmt speziell 2 von 10 von mir beschriebenen Fällen heraus, die ihm besonders mangelhaft erscheinen. Es ist dies Fall 9 und 9a. Es entgeht Port offenbar, was ich mit diesen Auf- nahmen bezweckte. Es galt festzustellen, ob im vorliegenden Falle eine Spur von vier nicht vorhandenen Prämolaren nachzuweisen ist. In einem solchen Falle ist mir zum Zwecke der Aufnahme die Stellung der einzelnen Zähne und deren eventuelle Verzeich- nung im Schattenbilde ganz nebensächlich. Ich habe nur in möglichst großer Ausdehnung nach oben und seitlich den Kiefer zu untersuchen resp. eine möglichst große Partie auf eine Platte zu bringen gesucht, um mir eine wirkliche Übersicht zu ver- schaffen. Das ist hier ganz speziell beabsichtigt und auch geschehen. Daß die Zähne (resp. deren Schattenbild) bei dem sehr flachen Gaumen und der dadurch bedingten winkeligen Stel- lung der Filmplatte zu den Zähnen zu lang werden, sollte dem damit Vertrauten eigentlich nicht auffallen. Zudem habe ich, wie

30 Meder, Erwiderung an Prof. Port z. Technik d. Röntgenaufnahme.

auch in fast allen Fällen, mehrere Aufnahmen gemacht und zwar sowohl von oben, wie von vorn, um ein möglichst präzises Resul- tat zu bekommen, und die, die mir am geeignetsten erschienen, sind reproduziert. Genau so verhält es sich im Falle 11 und 1la,: wo ich die Aufnahme unbedingt in tunlichst großem Um- fange machen mußte, um womöglich sämtliche Zähne auf eine Platte zu bekommen. Hätte sich Port die Mühe genommen, den Fall genau zu studieren und das kann ich von einem Kritiker verlangen so wäre er zum gleichen Resultat gekommen, wie ich. Die eingesetzten Zahlen sollen dem Beschauer nur erleichtern, die interessanten Verstellungen der Zähne zueinander heraus- zufinden, um so mehr, da die Reproduktionen immer undeutlicher sind, als die Originalaufnahmen. Ich habe dazu mehrere Stunden gebraucht, um die einzelnen Zähne feststellen zu können, nachdem ich Aufnahmen von jeder Seite in großem Umfange, sowie Gips- modelle zur Verfügung hatte. Die Antike zu verbessern durch ein neues „Medusenhaupt“, strebte ich nicht an, und glaube ich auch nicht erreicht zu haben.

Was nun die Kritik selbst betrifft, so ist jeder, der forscht, dankbar, wenn eine solche belehrend ist, doch sollte sie nicht dazu dienen, persönlicher Abneigung Ausdruck zu verleihen. Vom Kritiker kann man aber verlangen, daß er wenigstens die Materie. die er besprechen will, selbst beherrscht und dazu gehört eine eingehende Untersuchung der zu sezierenden Arbeit. Offenbar hat Port in diesem Falle den Zweck der Aufnahme gar nicht erkannt.

Ein jeder, der wissenschaftlich arbeitet, und dabei unbekannte Gebiete betritt, die er aufzuklären bestrebt ist, gerät gelegentlich auf Irrwege. Für verfehlt halte ich die Anschauung Ports, daß dies eine Schädigung seines geistigen Eigentums sei, wenn einem andern tatsächlich ein Irrtum passierte in der Bearbeitung einer gleichen Materie; im Gegenteil, seine Sonne wird um so heller leuchten, je größer die Ignoranz eines andern ist. Seinen ge- legentlichen Irrtümern gegenüber habe ich mich jedenfalls tole- ranter gezeigt.

Was endlich die Schädigung der studierenden Jugend durch die angeblich schlechten Bilder betrifft, die durch mich als aka- demischen Lehrer zu befürchten sei, so kann ich ruhig eben dieser Jugend die Entscheidung überlassen, um so mehr als Port und ich, als sein Nachfolger im gleichen Lehrfach am Münchener Institute, schon öfter Gegenstand eines Vergleiches waren.

Bericht über den IV. internationalen zahnärztlichen Kongreß. 31

Bericht über den IV. internationalen zahnärztlichen Kongreß in St. Louis (29. August— 3. September 1904). Von Hofzabnarzt W. Pfaff in Dresden. |

Unaufhaltsam schreitet die Entwicklung der Wissenschaft fort, unermüdlich ist der menschliche Geist beschäftigt, immer neue und wichtige Gebiete der Tätigkeit des Theoretikers wie des Praktikers zu erschließen.

Kein Wunder also, wenn das, was früher ein einzelner in reinem Fachstudium verarbeiten konnte, jetzt zu umfangreich wird und man genötigt ist, zu spezialisieren. Aber wie ein Baum Aste treibt und sich von diesem wieder Zweige und Zweiglein entwickeln, so bat jetzt jede Disziplin viele Tochterdisziplinen, und es drobt die Gefahr, daß die Übersicht über das Ganze und dessen Zusammenhang verloren geht. Wie der Zweig nicht existieren kann, wenn man ihn vom Ast entfernt, so wird auch in der Wissenschaft eine heillose Verwirrung entstehen. sobald ein Glied der Kette zerreißt. die die Einzelfücher unter sich und mit dem Ganzen zusammenhält. Dessen eingedenk hat man auf allen wichtigeren (sebieten internationale Kongresse eingeführt, um der er- wähnten Gefahr vorzubeugen und andererseits einen Meinungsaustausch der bedeutendsten Gelehrten der Welt zu ermöglichen.

Diesem segensreichen Institut der internationalen Kongresse haben sich auch die zahnärztlichen Kreise nicht verschließen können, und schon seit Jahren sind diese Zusammenkünfte der Odontologen über- aus fruchtbringend gewesen.

Der diesjährige IV. internationale Kongreß tagte in St. Louis, und wenn man sagt, die Kultur schreite von Osten nach Westen vor, so nıuß man wenigstens zugeben, daß der jung aufstrebende Kontinent in der Odontologie Hervorragendes geleistet hat, so daß er sich hier dem ehrwürdigen Europa ruhig an die Seite stellen kann. Die Wahl von St. Louis war besonders deshalb günstig, weil die zurzeit dort bestehende Weltausstellung sicher mit dazu beigetragen hat, den Be- such so außerordentlich zahlreich zu machen. Der Zutritt zu den Sektions- wie auch Hauptsitzungen war beschränkt auf Kongreßmit- glieder, approbierte Zahnärzte, die in ihrem Heimatlande die Zahnheil- kunde legal ausüben, und besonders geladene Gäste. Trotzdem war die Frequenz außerordentlich. Aus allen Ländern waren die Zahn- ärzte zusammengeströmt, um in dem sagenhaften Lande der unbegrenz- ten Möglichkeiten ihr Wissen zu bereichern. Während an der Er- öffnungsversammlung sich etwa 1200 Personen beteiligten, zu der die Damenwelt einen großen Teil gestellt hatte, war die Zahl der Kon- greßmitglieder bereits am Abend desselben Tages auf über 2000 an- geschwollen.

Darunter befanden sich 150 Ausländer, die 2] verschiedene Na- tionen repräsentierten. Von Deutschland waren als Vortragende an- wesend: Prof. Dr. Miller, Vorsitzender des deutschen Organisations- komitees, Dr. Schroeder-Greifswald, Dr. Hoffendahl-Berlin, Zahnarzt H. Rauhe-Düsseldorf und Hofzahnarzt W. Pfatt-Dresden. Außerdem hatten Vorträge eingesandt resp. sich an den Preisarbeiten beteiligt: Prof. Dr. Warnekros-Berlin, Dr. Röse-Dresden, Dr. Römer -Straß- burg, Dr. Schäffer-Stuckert-Frankfurt. Von österreichischen Kolle- gen hielten Vorträge resp. Demonstrationen: Dr. Rudolf Weiser,

32 Bericht über den IV. internationalen zahnärztlichen Kongreß.

Dr. Zsigmondy und Dr. Schreier-Wien. Als Berichterstatter der Österreichischen Vierteljahrsschrift für Zahnheilkunde war Dr. M. Kraus- Wien anwesend.

Der Kongreß wurde eröffnet am Montag den 29. August, um 10 Uhr in dem umfangreichen, festlich geschmückten Musiksaale des Kolosseums, auf dessen Podium die Vertreter der in- und ausländischen Regier- ungen, die Delegierten der zahnärztlichen Vereinigungen der einzelnen Länder, sowie das Örganisationskomitee Platz genommen hatten. Die Amerikaner suchten sich für die Wahl des Ortes auf ihrem Kon- tinent dankbar zu zeigen, indem sie alles taten, dem Kongreß in jeder Beziehung eine möglichst großartige Gestaltung zu geben. Die Tages- ordnung war außerordentlich reichhaltig. Alle irgendwie in die Zahn- beilkunde einschlägigen Gebiete waren in sie aufgenommen, und alle für unser Fach interessanten diskutierbaren Fragen wurden erörtert. In den einzelnen beneralversammlungen wurde über die Einrichtung der amerikanischen zahnärztlichen Hochschulen referiert, sowie über militärzahnärztlicbe Tätigkeit in Amerika und zahnhygienische Fragen.

Die erziehungshygienischen und geschichtlichen Fragen nahmen bei den Verhandlungen einen besonders breiten Raum ein.

Bei dem überaus reichhaltigen Umfange des vorliegenden Mate- rials war es nötig, eine Disposition zu schaffen, und so wurde alles in 10 Sektionen untergebracht und zwar entbielt:

Sektion I. Anatomie, Physiologie, Histologie und Mikroskopie.

Sektion II. Atiologie, Pathologie und Bakteriologie.

Sektion III. Chemie und Metallurgie.

Sektion IV. Zahnhygiene, Prophylaxis, Arzneimittellehre, Therapie und Elektrotherapie.

Sektion V. Chirurgie der Mundhöhle.

Sektion VI. Orthodontie.

Sektion VII. Konservierende Zahnheilkunde.

Sektion VIII. Prothese.

Sektion IX. Zahnärztlicher Unterricht, Nomenklatur, Literatur und Geschichte.

Sektion X. Rechtslehre für Zahnärzte.

Die Sektionen IV, IX und X umfaßten alles, was Förderung und Vervollkommnung der Ausbildung des Zahnarztes bedeutet in weiten (irenzen. Es dürfte interessant sein zu hören, daß die hygienischen (Grundsätze bei diesen Erörterungen eine ganz besondere und wohl- verdiente Berücksichtigung fanden und weit eingehender behandelt wurden, als das früher zu geschehen pflegte. Eine große Reihe von wertvollen Erfahrungen war gemacht worden. und manche Beobach- tung betrefis der wissenschaftlichen Ausbildung der Zahnärzte und Zahnärztinnen lehrte, daß die deutschen Zahnärzte recht hatten, wenn sie bestrebt waren, die Anforderungen an die wissenschaftliche Aus- bildung heraufzuschrauben. In mehreren Einzelberichten wurden aus- schließlich die einschlägigen Fragen über Hygiene behandelt. Dr.Jessen, Loos und Schläger hatten ihr auch auf der Weltausstellung vom Reichsgesundheitsamt ausgestelltes großes Werk über „Zahnhygiene in Schule und Herr“ in Sektion IV aufgelegt, ebenso Dr. Jessen seine neue Wandtafel für den Anschauungsunterricht in der Schule „Gesunde und kranke Zähne“ und Zahnarzt Schläger seine Wand- tafel „Die Zähne und ihre Pflege‘. Interessant und von hoher sozialer Bedeutung war ein von Dr. Godon in der „Foederation“ gehaltener Vortrag. Er will auf Grund moderner physiologischer Forschungen

Bericht über den IV. internationalen zahnärztlichen Kongreß. 33

mehr Gewicht auf die Pflege von Mund und Zähnen in den unteren mittellosen Schichten der Bevölkerung gelegt wissen. Es sei notwen- dig, immer wieder zu betonen, daß auf alle Entwicklungsphasen des Körpers die ao Rücksicht genommen werde, die jetzt noch über- all tehle. Der Wichtigkeit des Themas entsprechend folgte eine leb- hafte Diskussion. Sämtliche Redner erkannten Godons Forderungen an und wiesen darauf hin, daß neben anderen sozialen Nöten das Ig- norieren der allergewöhnlichsten Gesundheitsmaßregeln ein Pfahl im Körper des einzelnen bedeute. Die Wichtigkeit hygienischer Forder- ungen für Schule und Heer sei auch damit zu begründen, daß die Aufklärung des Proletariats und auch der mittleren Schichten der Be- völkerung über den Wert der Zahn- und Mundpflege am besten durch die heranwachsende Schuljugend und durch die ın ihre Heimat ent- lassenen Reservisten zu geschehen hätte. Doch dies sei vielleicht nur ein nebensächlicher Grund, vor allem gelte es, das heranwachsende tseschlecht selbst nach jeder Richtung hin gesundheitlich zu schützen, denn es handele sich um die Zukunft nicht nur des einzelnen, sondern ganzer Nationen und der gesamten Menschheit, für deren gesund- heitliches Wohl zu arbeiten, die vornehmste Pflicht der Arzte sei. Je- doch sei auch hier, wie in anderen grundlegenden Fragen der Zeit, eine internationale Verständigung dringend geboten. Auf die von der Kommission für Hygiene und öftentliche Gesundheitspflege angenon:- menen Beschlüsse will ich hier nicht näher eingehen. Bei der Haupt- versammlung waren neben einer großen Anzahl Damen die Vertreter der Behörden, Delegierte der eiuzelnen Nationen und Vertreter vieler männlichen und weiblichen Vereine und Verbände erschienen. In den nur allzu reichlich bemessenen Ansprachen und Begrülitungen trat der ernste Wille zutage, etwas Ersprießliches zu leisten. Vor Eintritt in die Verhandlungen sprach Pfarrer Dr. Harries M. Gregg ein in- brünstiges Gebet, den Segen des Himmels für den Kongreß und seine Mitglieder erflehend.

Dann richtete der Direktor des Weltausstellungs - Kongresses Howard J. Rogers an die Versammlung eine Begrübungsansprache, in der er einen Rückblick gab auf die bisherigen internationalen Zahn- ärztekongresse, und ihre Arbeiten einer Würdigung unterzog. Er ent- warf in kurzen Zügen ein Bild von dem enormen Aufblühen der zalın- ärztlichen Wissenschaft und wünschte dem Kongreß, daß er ebenso fruchtbringend und segensreich verlaufen möge wie die vorigen. Dann trat man ın die Tagesordnung ein. Deren erster Punkt war die Präsi- dentenwahl. Zwar war bereits vom amerikanischen Organisations- komitee Dr. Burkhardt gewählt worden, und dieser hatte auch die nichts weniger als leichten Vorarbeiten, wenigstens meiner Meinung nach, einwandfrei erledigt. Es hatte sich aber schon monatelang vor- ber von seiten verschiedener zahnärztlichen Kreise Amerikas eine höchst unangebrachte Opposition bemerkbar gemacht. die zur Folge hatte, dass Einspruch gegen die Wahl Dr. Burkliardts als Präsident erhoben worden wur. Da die Gefahr nahe lag, dab die entstandenen Streitigkeiten ein gedeihlichexs Zusammenarbeiten des Kongresses unter der Leitung Dr. Burkhardts unmöglich machten (viele Amerikaner hatten bereits mit Abreise gedroht), hatten Dr. Burkhardt und Dr. Kirk auf den Rat ihrer zahlreichen Freunde die Bestätigung ihrer Wahl als Präsident und Generalsekretär dem Beschlusse des Kon- gresses anheim gegeben. Es entspann sich nun eine stürmische Debatte über die angebliche Vernachlässigung Aer übernommenen Pilichten, die sich Dr. Burkhardt habe zu schulden kommen lassen.

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34 Bericht über den IV. internationalen zahnärztlichen Kongreß.

Besonders heftig war Dr. Rodrigues Ottolengui aus New York, der in besonders beredter Weise die Untauglichkeit Dr. Burk- hardts zu begründen versuchte. Als Vertreter der Oppositionspartei schlug er am Schlusse seiner ihm durch Machtspruch des Präsidenten abgekürzten Rede Dr. Johnson (Chicago) als Präsident vor. Nach einem Höllenlärm ergriff dann Dr. B. Holley Smith (Baltimore) das Wort, und indem er bat, die Diskussion nicht endlos in die Länge zu ziehen, stellte er schließlich den Antrag, in der Weise zur Abstim- mung zu schreiten, daß sich diejenigen, die für eine Wahl Dr. Burk- hardtsals Präsident seien, von den Sitzen erheben sollten. Dr. Otto- lengui erbittet verschiedentlich vom Präsidenten das Wort, welchea ihm aber nicht erteilt wird. Der Vorsitzende Mr. Rogers nahm nun, ziemlich erregt durch die anhaltenden lLärmszenen, das Wort zu fol- gender Ansprache: „Meine Damen und Herren! Da es sich hier ledig- lich um eine Bestätigung resp. Nichtbestätigung der Wahl Dr. Burk- hardts handelt, so halte ich ein weiteres Ausspinnen dieser Frage für unangebracht. Ein neuer Zwist, der dem Kongreß wenig zur Ehre gereichen dürfte, würde daraus entstehen. So schließe ich hiermit kraft meines Amtes als Vorsitzender die Diskussion. Wir schreiten zur Abstimmung, die in der Weise zu geschehen hat, wie ich es anordne. lch möchte deshalb bitten, daß diejenigen Herren, welche ihre Zustim- mung zu dem Beschlusse des Organisationskomitees und des wissen- schaftlichen Ausschusses bekunden wollen, also für Dr. Burkhardt als Präsident des Kongresses sind. sich von ihren Sitzen erheben (er zählt 2% Stimmen). Nunmehr diejenigen. die dagegen sind (er zählt 145 Stimmen). Ich konstatiere, daß der Kongreß sich für Dr. Burkhardt entschieden hat.“

Über 200 Anwesende hatten sich der Abstimmung enthalten. Die Teilnehmer des Kongresses brachten dem gewählten Präsidenten in stürmischer Weise ihren Beifall und ihr Mißfallen. Dr. Ottolengui zog sich vom Vorsitzenden einen ÖOrdnungsruf zu, da er, ohne das Wort erbalten zu haben, fortwährend dazwischen zu reden suchte und dadurch andauernden, ohrenbetäubenden Lärm veranlaßte. Das stachelte den Fanatismus der beiden Parteien noch mehr an, ihren Gefüblen lauten Ausdruck zu verleihen. Schließlich stellte Dr. John- son die Ruhe wieder her, indem er die Wahl Dr. Burkhardts durch Akklamation erwirkte.

Dasselbe Schauspiel des Tumultes wiederholte sich bei der Wahl des Generalsekretärs. Dr. Kırk-Philadelphia, der sein Amt als Generalsekretär niedergelegt hatte, wurde vom Kongreß mit großer Majorıtät gewählt gegen Dr. Harlan aus New York. Letzterer war vom amerikanischen Organisationskomitee vorgeschlagen worden, ersterer von Dr. James Truman- Philadelphia im Namen der „Inde- Pan des Kongresses, und beide Kandidaten wurden mit wahr- haft fanatischem Eifer verteidigt. Als Schatzmeister wurde ohne Opposition Dr. Finley-Washinrton gewählt.

Dr. Burkhardt wird hierauf von Mr. Rogers dem Kongreß als Präsident vorgestellt. Er übernimmt den Vorsitz, indem er Mr. Rogers seinen Dank ausspricht für seine Leitung des ersten Teils der Hauptversammlung. Auf diese kurze Ansprache nun kam eine ganze Flut von mehr oder weniger zeitraubenden und interessanten Begrüs- sungsreden über die Versammlung. Nachdem ein Entschuldigungs- schreiben von dem Vertreter der Regierung von Missouri Mr. Dockery und dem Bürgermeister von St. Louis Mr. Wells vom Präsidenten verlesen worden war, hielt Dr. Burton Lee Thorpe von St. Louis

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folgende Ansprache, die hier wegen ihres Interesses, die sie bean- epruchen wird, ausführlich gebracht werden soll:

„Hochverehrter Herr Präsident, hochverehrte Mitglieder des 4. in- ternationalen zahnärztlichen Kongresses! Ich bin stolz darauf, Ameri- kaner, stolzer noch, ein amerikanischer Zahnarzt zu sein und auch mein Scherflein dazu beigetragen zu haben. daß diese große Versamm- lung zustande kam. Und so bin ich glücklich darüber, daß mir das angenehme Amt übertragen wurde, Ihnen von Seiten der Berufsge- nossen von Missouri und St. Louis einen herzlichen warmen Will- kommengruß entgegen zu rufen.

Ich bin mir wohl bewußt, daß Sıe alle zusammengeströmt sind aus allen Richtungen der Welt und daß jeder von Ihnen zur Hebung der Wissenschaft oder zahnärztlichen Literatur das Seinige getan hat, und so will ich offen sein und gestehen, daß Ihre Kollegen von Missouri es sich zur höchsten Ehre anrechnen, solch eine erlauchte Körperschaft von Berufsgenossen und Berufsgenossinnen, Leuchten der Wissenschaft, begrüßen zu können.

Es ist ein gutes Omen, daß während der großen Weltausstellung, die augenblicklich an dem Westende unserer Stadt stattfindet und die zur Erinnerung jenes großen politischen Tages veranstaltet wurde, an dem Napoleon Bonaparte mit einem Federstrich Thomas Jefferson und dem amerikanischen Volke ein großes Reich gab, dessen wichtigsten Teil Missouri darstellt.

Es ist ein gutes Omen, sage ich, daß gerade zu derselben Zeit der 4. internationale zahnärztliche Kongreß tagt, ein Glied in der Kette der wichtigsten und wissenschaftlich ernstesten Kongresse.

Es ist der Zweck der Ausstellung, die Errungenschaften des menschlichen Geistes zu zeigen, die so treifend in dem Gedichte von Chang You Tong (China) illustriert sind. (Es erfolgt die Vorlesung des Gedichtes.)

So ist es auch die Absicht des Kongresses. unsere Kollegen aus allen kultivierten Ländern willkommen zu heißen und gemeinschaft- lich mit Ihnen die Wunderwerke des humanen und wohltätigen zahn- ärztlichen Berufes anzustaunen, die dieser schuf, als er Forscher, Lehrer, Schriftsteller und die bedeutendsten Praktiker der Zahnheilkunde zusam- menrief, um wissenschaftlich und technisch, in Theorie und Praxis das Neueste und Beste der Odontologie zusammen zu tragen.

Ich freue mich, daß im wesentlichen zwei Amerikaner es waren, die als Pioniere der Zuhnheilkunde die drei mächtigsten Faktoren für zahnärztliche Bildung schufen, nämlich die erste zahnärztliche Hoch- schule, die erste zahnärztliche Presse und die erste zahnärztliche Ver- einigung, die uns hervorzog aus dem Chaos und unseren Beruf zum Aufblühen brachte vom Handwerk bis zum jetzigen wissenschaft- lichen Beruf.

Ich bin der festen Zuversicht, daß wir, im Strome des Fortschritts stehend, die früheren Errungenschaften nicht vergessen und den Stamm- vätern der Zahnheilkunde ein ehrendes Andenken bewahren, nämlich Horace H. Hayden und Chapin A. Harris.

Wir gedenken aber auch «der wackeren Arbeit europäischer Pio- niere, denen wir so außerordentlich viel für unseren Beruf verdanken.

Vor 100 Jahren, als St. Louis noch eine Grenzstation der Kultur jenseits des Ozeans war, ließ sich hier 1509, wie man erzählt, der erste praktische Zahnarzt Dr. Paul, ein Franzose aus New Orleans nieder. Ihm folgten bald Forbes, Brown, Hale, Leslie, Comstock. Blake, Clerk, Peebles, Spalding, Barron, Sudd, Rivers, Chase, Eaumes, Park, Morrison,

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36 Bericht über den IV. internationalen zahnärztlichen Kongreß.

Kellops, deren Namen immer mit goldenen Lettern in der Geschichte der Zahnheilkunde von Missouri verzeichnet sein werden,

Diese alte Garde strebte vorwärts, und Gott sei Dank sind auch die besseren Elemente ihrer Nachfolger von demselben fortschrittlichen Geiste beseelt; das zeigt am besten ihre loyale Gesinnung, die allein diesen Kongreß möglich machte. Im Auftrage dieser aufopferung»- freudigen, weitherzigen und loyalen Zahnärzte von St. Louis und Missouri heiße ich Sie nochmals herzlich willkommen.

Wir heißen. willkommen die Repräsentanten aller Nationen. Wir grüßen Euch Spanier, deren hochherzige Königin Isabella vor langen, langen Jahren die Flotte ausrüstete, die Columbus auf seinen Ent- deckungsreisen an unsere (sestade brachte. Wir öffnen Euch unsere Brust in Erinnerung an die milde ritterliche Behandlung, die unsere Matrosen während ihrer Gefangenschaft in Santiago von Eurem tapte- ren Admiral Cervera genossen. Auch Euch ihr Söhne Englands, unseres Mutterlandes, gilt unser Gruß. Einst war Euer Kind unruhig, ihr versuchtet es im Zaume zu halten, aber es war bereits den Windeln entwachsen und ihr unterließet es. Aber jetzt sind der britische Löwe und Amerikas Adler die besten Freunde. Wir freuen uns über die Anerkennung, die England jener Leuchte der Wissenschaft gezollt hat, unserem Landsmann Leon Williams.

Ibr Schweden, wir heißen Euch willkommen, die ihr uns einen Ericson gabt und so viele tüchtige Söhne und schöne Töchter, die durch ihren Fleiß ganze Länderstriche Amerikas in Gärten verwan- delten.

Euch Franzosen sind wir ganz besonders zu Dank verpflichtet. Ihr schicktet uns in der schweren Zeit der amerikanischen Revolution den tapferen Marquis de Lafayette und den Grafen Rochambeau und Tausende von guten Patrioten, die uns so wacker unsere Unab- hängigkeit wieder gewinnen halfen. Mit diesen kamen zwei Männer, deren Namen unlöslich mit der Zahnheilkunde Amerikas verknüpft sind, Josef Jean Francois Le Maire und James Gardette, beide hervorragende Gestalten auf dem Gebiete der Operation und Literatur. Auch unsere nationalen Embleme, die Sterne und Streifen, sind das Symbol der Gedanken- und Redefreiheit. Wenn das Volk Amerikas aufgefordert würde, diesen Emblemen noch etwas beizufügen, so würde es, davon bin ich überzeugt, die Lilie wühlen, in Erinnerung an das Bruderband, das Frankreich und Amerika zusammenbält. |

Auch Euch Deutsche begrüßen wir, Ihr habt viel zu der ge- deihlichen Entwicklung Amerikas beigetragen, wir verdanken Euch tüchtige Bürger. Auch danken wir Euch für die freundliche Aner- kennung der beiden amerikanischen Autoritäten W. D. Miller und N.S. Jenkins, die in ihrem Spezialfache unübertrettlich dastehen. |Im übrigen scheint ihm Deutschland ein böhmisches Dorf zu sein!)

Lord Bacon sagt: „Every man owes a debt to his profession“, und so habt denn Ihr, die Ihr in verschiedenen Zungen redet, den Ozean durchkreuzt, um dem Kongreß beizuwohnen und so am Gelingen desselben mitzuwirken.

Hochverehrte Herren, die Sie zum -4. internationalen zahnärzt- lichen Kongreß zusammen geströmt sind aus aller Herren Länder, zum Gruß neigen wir das Haupt, heißen Sie auf das herzlichste will- kommen und bieten Ihnen bereitwilligst unsere Dienste an. Sie stellen, das verkennen wir nicht, die geistige Blüte unserer Berufsgenossen der ganzen Welt dar, und wir Kollegen von Missouri und St. Louis fühlen uns aufs höchste durch Ihre Anwesenheit geehrt. So mögen

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Sie denn, das wünschen und hoffen wir, herrliche Früchte ernten auf diesem bedeutungsvollen Kongreß, mögen Sie auch nach der Rück- kehr in ihre liebe Heimat unser Volk, Stadt und den Staat in ange- nehmer Erinnerung behalten. Möchten Sie, wenn Sie einst die Arbeit niederlegen, den Segen verspüren, den Kipling so wunderbar in sei- nem Gedichte ausmalt als den Himmel des ehrbaren Arbeiters‘“.

Nach dieser Rede begrüßte Dr. Charles C. Chittenden (Madison: den Kongreß ım Auftrage der National Dental Association. Hierauf erhielt Dr. Weiser (Wien) als Delegierter des „Central-Verbandes der österreichischen Stomatologen“ und als Vertreter „ezechischer Zahnärzte in Prag“ das Wort. Nach eingehender Würdigung des Zweckes und der Ziele internationaler zahnärztlicher Kongresse im allgemeinen be- zeichnet er einen solchen in Amerika als einen besonderen Attraktions- punkt für uns Fachleute. Die Amerikaner seien überhaupt Bahnbrecher in der Umsetzung wissenschaftlicher Theorie in praktische Verwertung. Ihre zahnärztlichen Schulen im besonderen seien für die Österreicher momentan von aktuellem Interesse, weil ihre Universitäten im Begriffe stehen, die Ausgestaltung des zahnärztlichen Unterrichtes auf eine neue, zuverlässige Basis zu stellen. Er dankt für die ehrende Ein- ladung und überbringt. die Wünsche seiner Mandatare, daß diese im- posante Veranstaltung von einem allen Nationen zu Nutzen gereichen- den Erfolg gekrönt werde.

Nuu folgte Dr. Harlan, der in seiner Eigenschaft als Vizepräsi- dent der internationalen zahnärztlichen Vereinigung die Vertreter des Auslandes mit folgender Ansprache beehrte: '

„Hochverehrter Herr Präsident, sehr verehrte Damen und Herren, Kongreßteilnehmer fremder Staaten! Ich freue mich als offizieller Vertreter des Organisationskomitees die Ehre zu haben, Sie alle will- kommen heilen za können. Es sah lange so aus, als ob „F. D. J.“ und Komitee sich nicht hätten einigen können, und doch sind jetzt alle Differenzen beseitigt; ein geeinter und einiger Beruf steht vor Ihnen. Zahnärztliche Kongresse sind eine feste Institution geworden und haben sich auf demselben Wege entwickelt, wie andere Kungresse auch. Unser Beruf brauchte sie notwendige. Die Welt sollte durch Ihre Schöpfung eine Wohltat erfahren und nun haben wir sie, die Kongresse, die einen Teil unserer Streitmacht bilden, wie Physiologie und Chemie einen Teil des zubnärztlichen Studiums ausmachen.

Unsere Kollegen aus den Vereinigten Staaten haben mir den Auf- trag erteilt, jedem. der aus fremden Landen hierher geeilt ist, die Hand der Bruderschaft zu reichen. So berrüße ich Sie denn aufs herzlichste in dieser angesehenen Versammlung. Es ist dies das zweite- mal in der Geschichte unseres Berufes, daß ein internationaler Kon- greß in den Vereinigten Staaten zusammen tritt (1503 u. 1904.

Die zahnärztlichen Kongresse wurden geboren im Heimatlande eines Ambroise Paré, eines Roux, Fauchard, Jourdain, Le Foulon, Robin, Magitot, Paul du Bois, Lecaudey und eines Godon, Wir hotfen und wünschen, daß am heutigen Tage ein jeder fühlen möge, dag er tausendmal willkommen ist, am Werke dieser Woche mitzu- arbeiten, dab Opfer, Zeit und Mühe nicht gescheut werden dürfen. wenn man sie vergleicht mit den Wohltaten, die dem entsprieben mögen. was Sie sehen und hören. Im Auftrage der Beamten und der Verwaltung dieses Kongresses und sämtlicher zahnärztlichen Kollegen entbiete ich Ihnen nochmals meinen herzlichsten Gruß".

Dann kamen die Vertreter der versehiedenen ausländischen resp. amerikanischen Behörden und Staaten zum Wort. Fs folgten:

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A. Burne-Australien, Zsigmondy-Österreich, G. Sauvez-Frank- reich, J. M. Mc. Gee-Kanada, W. D. Miller-Deutschland. Als der Präsident die Begrüßungsrede des Vertreters von Deutschland annon- zierte, sagte einer der Aufgeregtesten von vorher bei der Präsidenten- wahl ganz laut und triumphierend: „he is no dutchy“. [Dutchy ist in Nordamerika eine geringschätzige Benennung für den Deutschen (German). Eines Kommentars bedarf dieser Vorfall wobl nicht.]

Dr. Zsigmondy führte im wesentlichen folgendes aus: Indem ich für den mir bereiteten gütigen Empfang meinen besten Dank sage, ist es mir eine angenehme Pflicht, Ihnen davon Mitteilung zu machen, daß in Österreich, gleichwie in anderen Ländern ein bemerkenswerter Umschlag in dem Sinne stattgefunden hat, daß die hohe Bedeutung der Zahnheilkunde für die öttentliche Hygiene nunmehr auch von seiten der Regierung in vollem Malie anerkannt wird. Als ein Beweis für das zunehmende Interesse, welches unsere Behörden zahnärztlichen Angelegenheiten entgegenbringen, kann der Umstand angesehen werden, daß sie, nicht zufrieden, sich über die internationalen zahnärztlichen Kongresse aus den verschiedenen dentistischen Journalen ihre Infor- mation zu a es für angemessen erachtet haben, offizielle Dele- gierte für den Kongreß in St. Louis zu ernennen.

Es wird die Versammlung ferner interessieren, zu erfahren, daß ein oftmals geäußerter und von den österreichischen zahnärztlichen Gesellschaften als dringend bezeichneter Wunsch nahe daran ist, in Heid ung zu gehen: Die spezielle Ausbildung in der Zahnheilkunde, eine Sache, die bisher vollkommen dem mehr oder minder ent- wickelten ethischen Gefühle jedes Einzelnen, der sich dem Fache widmete, überlassen blieb wird in Zukunft einer gesetzlichen Regel- ung unterliegen.

Noch einen weiteren Fortschritt, welcher das Resultat unserer Bemühungen ist, möchte ich mir erlauben, hier zu erwähnen. Spezielle zahnärztliche Kurse für Militärärzte wurden eingerichtet, ın welchen nicht nur diese eine gründliche Ausbildung in unserem Fache erhalten, sondern auch den Zähnen der Mannschaft der Wiener Garnison unent- geltliche Behandlung zu teil wird. Diesen Mitteilungen habe ich nur noch meinen persönlichen warmen Dank beizufügen für die Auszeich- nung, daß ich diese Worte an Sie richten durfte.

Weiterhin folgten: J. E. Grevers-Holland, B. Guerini-TItalien. Jose J- Rojo-Mexiko, J. D. Losado-Spanien, L. C. Bryan-Schweiz, J. Y. Crawford-Nashville für Vereinigte Staaten Nordamerikas, E. S. Tignor für das Zahnärzte-Uorps der amerikanischen Armee, J. M. Whitney -Hawai, Louis Ottofy-Philippinen, Salvado Brutto, Konsul von Argentinien und Uruguay, Joseph W. Noble-China, Benjamin Vidanroa-Nicaragua, R. Henriksen-Norwegen und N. J. Jenkins für die in Deutschland praktizierenden american dentists. Darauf folgten noch Reden von Dr. Burkhardt und Dr. Kirk. Einleitend legten sie dar, daß sie, wenn auch vielleicht die bei der Wahl zutage getretene Opposition und die Streitigkeiten nicht rerade vertrauenerweckend gewesen wären, doch beide die Wahl als ’räsident und als Generalsekretär annehmen. Nie dankten für das Vertrauen, dal man ihnen geschenkt habe und versprachen alles zu tun, um sich des gezeigten Vertrauens würdig zu erweisen. Beiden Rednern wurde tosender Beifall zuteil.

Zum Schlusse sprach Dr. Godon-Paris. der als Präsident der internationalen Vereinigung Federation dentaire zurücktrat.

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Eine lange Liste bedeutender Mitglieder des Kongresses, die vom Organisationskomitee als Ehrenpräsidenten beziehungsweise Vizepr&- sidenten für die Vereinigte Staaten und fremden Ländern vorge- schlagen waren, wurden vom Kongreß ohne lange Diskussionen und u bestätigt.

ach der oben besprochenen Hauptversammlung hielten die einzelnen Sektionen in den Sitzungssälen des Kolosseums ihre Er- öffnungssitzungen ab. Sie begannen nachmittag um 2 Uhr. Um Verwirrung zu vermeiden, hatte man jeder Sektion eine Organisation gegeben mit einem Präsidenten an der Spitze und einem Schriftführer, er zugleich Vizepräsident der betreffenden Sektion war. Diese hatten für ihre Sektion das Programm aufzustellen und den vorhandenen Stoff zu ordnen, der durch Vorträge, Diskussionen und Demonstrationen bewältigt wurde. Eingeleitet wurden die Sektionssitzungen durch längere Ansprachen der betreffenden Vorsitzenden. Der Besuch war natürlich verschieden und richtete sich nach dem Interesse, was der jeweilige Vortrag beanspruchen konnte, er schwankte am ersten Tage zwischen 10 und 50 Zuhörern pro Sektion, nahm aber schon am näch- sten Tage bedeutend zu. Im allgemeinen gab sich bei den allge- meinen Sitzungen bis zum Schlusse das regste Interesse kund, ebenso in den Sektionssitzungen.

Auch diejenigen Abteilungssitzungen, in denen über allgemeine Fragen diskutiert wurde, und die wegen bestehender Fachversamm- lungen bei internationalen Versammlungen weniger gefüllt zu sein plegen, und solche wie die Sitzungen der anatomischen Sektion, welche die Hilfsmittel eines ihren Zwecken dienenden Institutes nur schwer entbehren können, waren befriedigend besucht und konnten größten- teils eine erfreuliche Tätigkeit entwickeln.

Jeden Nachmittag traten die Sektionen zusammen, um ihr am Tage vorher aufgestelltes Programm zu erledigen. Besonders hervor- gehoben sei die rege Beteiligung bei der am Dienstag den 30. August ıigehaltenen Generalversammlung, die um 10 Uhr eröffnet wurde und welche die bereits am Montag festgelegten Temata: 1. A prg por of a Portrait of Pierre Fauchard von George Viau-Paris.“ 2. „The Dental Corps of the United Staates Army“ umfaßte. An beide Vorträge schlossen sich anregende und vielseitige Diskussionen, e beim ersten Vortrag von Dr. Thomson aus Topeka-Kanada ein- geleitet wurden. Der zweite Vortrag, der interessante Einzelheiten über die Zahnpflege im Heere der Vereinigten Staaten darbot, hielt

. John Marshall, der als Präsident der Armeeprüfungskommission für Zahnheilkunde besonders kompetent und wohlunterrichtet war.

e Diskussion wurde durch Dr. S. W. Stockton von Newark, near New York eingeleitet.

Da man aber der Überzeugung war, daß nicht nur theoretische Vorträge und Ansprachen alleın Panrechend seien, um wesentlich neue Punkte in ein Fach einzuführen, das doch vor allem nur in der Praxis seinen Wert zeigt, hatte das Organisationskomitee für Demon- strationen im großen Stile gesorgt. Die klinischen Demonstrationen fanden Mittwoch und Donnerstag statt. Die Einrichtung war auber- ordentlich umfangreich und zweckentsprechend, wenn auch betont werden muß, daß der Nutzen solcher Massendemonstrationen lange hicht: der aufgewandten Mühe entspricht. Der ganze große Haupt- fügel des Kolosseums war in einen riesigen Operationssaal verwandelt worden und machte mit seinen langen Reihen von "Tischen und Stühlen einen imposanten Eindruck. Uber 200 Demonstrateure und

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Operateure entfalteten eine eifrige Tätigkeit. Ihr Objekt war die anständige Zahl von 150 Patienten, die das Ortskomitee in dankenswerter Weise zur Verfügung gestellt hatte. Systematisch wurden Zahnfüllungen und Extraktionen nach jeder Methode vorge- nommen. Die schwierigsten Operationen der \Mundchirurgie wurden ausgeführt und fast kein Anästhesierungsmittel vom Chloroform bis zum Kokain blieb unbenutzt. Eingehend wurden besonders auch die Prinzipien der Kronen- und Brückenarbeiten, Resektions rothesen, Obturatoren, der Gold- und Porzellanfüllungen behandelt. Ich werde später noch Gelegenheit nehmen, etwas eingehender auf alle die Ein- zelheiten einzugehen, die geboten wurden. Alles was irgend in der Praxis an Operationen, Regulierungen, Füllungen usw. an den Zahn- arzt herantritt, wurden berührt. Dementsprechend groß war auch das Interesse, das man diesem Institut allseitig entgesrenbrachte. Und wenn der Kongreß, was ja zweifellos ist, Bedeutendes geleistet und zur Erweiterung und zur Vertretung unserer Wissenschaft beige- tragen hat. so verdanken wir dies auch zum Teil mit den klinischen Demonstrationen.

Leiter derselben war Dr. J. P. Gray-Nashville.e Unter den Kongreiimitgrliedern befanden eich das dürfte interessant sein auch 20 Damen. Frl. Dr. Baker von Quincy, eine hervorragende Zahnärztin, war die Vertretung der zahnärztlichen Damenvereinigung anvertraut. Aus St. Louis selbst nıhmen zwei Zahnärztinnen teil und zwar Dr. Emma Eames Chase und Mabel Shea. Auf der letzten Generalversammlung beschloß man, den nächsten Kongreß in Berlin abzuhalten, es fand auch die Wahl der Beamten für die internationale Vereinigung und das ÖOrganisationskomitee statt. Zum Präsidenten für diesen Kongreß wurde Prof. Dr. Miller- jerlin gewählt.

Übersicht über die Sektionsberatungen und die klinischen Demonstrationen.

Schon im Hauptbericht kam ich auf die Einteilung in Sektionen zu sprechen und auf die Gründe, die eine solche notwendig machten. Jetzt will ich in Kürze eine Übersicht über deren Tätigkeit geben. Es würde zu weit führen, alle Vorträge und Arbeiten einer "jeden Sektion auch nur zu nennen, wie das in dem Programm der Fall war, das den Kongrei teilnehmern bei der Eröffnungsversammlung ausgehändigt w urde. Jeh beschränke mich daher im wesentlichen auf di» von Deutschen gehaltenen Vorträge und einzelne besonders inter- essittite Arbeiten von ausländischen Kollegen.

Sektion I. (Vorsitzender Dr. Crver-Philadelphia, Sekretär

Pr. Housh-Philadelphia). Von 14 angemeldeten Vorträgen wurden 9 bei meist guter Beteiligung gehalten. Die Arbeiten von Causch (England) und Eckley (Chicago; wurden nur per Titel verlesen. Be- sonders interessant waren die Vorträge von Dr. Aguilar- Madrid ‚über die allgemeine Anästhesierung mit Jodoform“ und ein Projek- tionsvortrag von Dr. Cryer „Über die Anwendung der Röntgenstrahlen für das Studiuma der inneren Gesichtsknochen“. Dr. Cryer führt ungefähr folvendes ans: Der Inhalt semer Arbeit ginge schon aus dem Thema hervor. Vermittels Röntgenstrahlen könnten wir Fremdkörper im Fleische entdecken, und, was vor allem für uns wichtig sei, sie üben uns Aufschluß über eine abnorme Zahnstellung und deren Gründe. Andererseits könnten wir mit ihrer Hilte die Erkrankung dieser oder

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jener Höhle bestimmen und speziell z. B. auch Eiterungen an einem Knochen nachweisen. Da den Röntgenstrahlen doch ganz offenbar eine viel umfangreichere Verwendung zukommt, so konnte man dem Vortrage Cryers eine weitreichende Bedeutung nicht an, und dieser Umstand veranlaßte Ottolengui-New York dazu, dem Referen- ten für seine erfolgreiche Arbeit zu danken und zu gratulieren.

An den Vortrag schloß sich eine lebhafte Diskussion, die von Dr. J. Lesoda eröffnet wurde. l -

Sektion II. (Vorsitzender Dr. Hofheinz, Mitglied der Handels- kammer Rochester.) Von den 14 angemeldeten Vorträgen konnten einige nur mit ihrem 'litel verlesen werden. Vier deutsche Kollegen waren mit Vorträgen vertreten, unter denen der von Prof. Dr. W. D. Miller-Berlin das Hauptinteresse in Anspruch nabm. Seine Arbeit wurde mit dem ersten Preise gekrönt. Sein Thema lautete: „Unter- suchungen über einige pathologische Zustände in den Zähnen." Der Andrang zu seinem Vortrag, der öffentlich gehalten wurde, war außerordentlich groß; er erntete infolge seiner mühevollen, hochwissenschaftlichen Arbeit stürmischen Beifall.

Nachdem der Vortragende die Grundgedanken der jetzt all- gemein angenommenen chemiko-parasitären Theorie der Zahnkaries kurz erläutert hatte, hob er hervor, daß es noch eine Reihe von Er- scheinungen in Verbindung mit der Zahnkaries gibt, welche bisher noch keine befriedigende Lösung gefunden hatten. Als erste unter liesen Erscheinungen stellt er die wohlbekannte Tatsache hin, daß von zwei Menschen, die unter denselben Bedingungen leben, der eine absolut frei von Zahnkaries sein mag, während bei dem anderen fast jeder Zahn im Munde mehr oder weniger starke Zerstörungen zeigt. Ex wurde früher allgemein angenommen, daß eine Erklärung für diese Tatsache in den Zähnen selber zu finden sei, daß harte Zähne weniger, weiche Zähne mehr zu Karies prädisponiert seien. Nachdem aber die Untersuchungen von Black und anderen gezeigt haben, daß die soge- nannten harten Zähne nur ganz wenig mehr Kalksalze enthalten, als die weichen, wird diese Ansicht von vielen als unhaltbar bezeichnet. Nach dem Vortragenden muß die Zahnkaries das Resultat zweier Gruppen von Faktoren sein, welche aufeinander wirken; die eine Gruppe hat man in den Zähnen selber, die andere in deren Umgebung zu suchen. Eine besondere Diathese kommt als Ursache der Zahn- karies nur insoweit in Betracht, als sie die eine oder die andere dieser Gruppen von Faktoren beeinflußt. Den Hauptfaktor der ersten Gruppe tindet man in dem Widerstand, den das (Gewebe des Zahnes der zer- störenden Wirkung von Säuren bietet. Ein Faktor von geringer Be- deutung ist der Widerstand, den das entkalkte Zahngewehbe der muf- lösenden Wirkung von bakteritischen Fermenten bietet.

Unter der zweiten Gruppe müssen eine ganze Anzahl von Faktoren in Betracht gezogen werden, unter welchen die folsenden besondere Erwähnung verdienen:

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1. die Qualität des Speichels, 2. die Quantität des Speichels, 3. die Reaktion des Speichels, 4. die Intensität von Gärungsvorgüngen in den Gemischen von Nahrungsstoffen mit Speichel, 5. die neutralisierende Wirkung der Kalksalze im Speichel, 6. die mutmaßliche Wirkung von gärungsfähigen Kohlenhydraten (Glykogen usw.) im Speichel, 7. der Charakter der Nahrung, 8. die Wirkung der Fette auf die Zähne, 9. die Selbstreinigung der Zähne, 10. die angebliche antiseptische Wirkung der Mundflüssig- keiten, 11. die Wirkung von bakteritischen Belägen, 12. die Art und Zahl der verschiedenen Bakterien in verschiedenen Mundhöhlen, 13. die Intensität von Gärungsprozessen in verschiedenen Mund- höhlen, 14. die Schutzwirkung des Zahnsteins.

Wegen der Ausdehnung der Arbeit, deren Vortrag mindestens zwei Stunden in Anspruch genommen hätte, ging der Autor auf diesen Teil des Themas nicht ein, sondern verwies die Hörer auf die in den „Verhandlungen des Kongresses“ sowie in den zahnärztlichen Journalen zu erscheinende ausführliche Abhandlung.

Er führte dann weiter folgendes aus:

Wir sehen also, daß eine große Anzahl von Faktoren fortwährend im Munde tätig ist, von welchen die einen direkt oder indirekt das Auftreten der Karies begünstigen, andere dagegen den Zähnen einen gewissen Schutz verleihen, während andere schließlich ziemlich in- different sind.

Der Vortragende widmete sodann seine Aufmerksamkeit der zweiten Gruppe von Faktoren, nämlich denjenigen, welche in den /ähnen selbst zu suchen sind, und stellte sich die Frage, ob ver- schiedene Zähne Verschiedenheiten in bezug auf ihren Widerstand Säuren gegenüber aufweisen: eine Frage, die bekanntlich von Black und seinen Schülern verneint wird.

Miller setzte zunächst verschiedene Zabnbeinsorten der Wirkung von Gärungssäuren aus und fand, daß ein ganz auffallender Unterschied vorhanden ist in bezug auf die Schnelligkeit, mit welcher sie ange- griffen wurden.

Die Versuchsergebnisse sind teilweise in der folgenden Tabelle veranschaulicht:

Bericht über den IV. internationalen zahnärztlichen Knngreß. 43

Zeitdauer

f Spezifisches

Kalksalze | der Eat | mu | Entkalkung. Weiches Elfenbein . . . 176 | 612% | 65 Std. Hartes Elfenbein . . . . 1,54 63,40 © 96 , Walroß . . aoao‘ 2. 1,92 | 66,8%, = 1830 , Potwal . 2.0 44. 8-8 . 2,08 ' 72,70, | 336

Es handelte sich nun darum, festzustellen, ob ähnliche Differenzen zwischen verschiedenen menschlichen Zähnen bestehen. Der Vortragende hatte eine große Anzahl mehrere Hundert von Versuchen aus- geführt, bei welchen menschliche Zähne, teils von der harten gelben, teils von der weichen blauweißen Sorte, teils bleibende und teils Milchzähne der Wirkung von verschiedenen Gemischen, besonders von Nährstoffen mit Speichel, ausgesetzt wurden. Als Resultat dieser Unter- suchungen fand er, daß zuweilen ein ganz erheblicher Unterschied sich zeigte, während ein solcher in anderen Fällen ausblieb. Er kam zu dem Schluß, daß dieser Unterschied allein keineswegs die Verschieden- heiten im Auftreten der Zahnkaries in verschiedenen Mundhöhlen erklären könne, daß er jedoch einen Faktor abgebe, der bei dem Versuch, alle Erscheinungen der Zahnkaries zu erklären, nicht außer acht gelassen werden dürfe. Ähnliche Versuche, mit dem Schmelz von verschiedenen Zähnen vorgenommen, zeigten teilweise große, auf- fallende Unterschiede mit bezug auf die Widerstandsfähigkeit des Schmelzes denselben Säuren gegenüber. Der Vortragende konnte auch feststellen, daß das Schmelzoberhäutchen eine nennenswerte Schutz- vorrichtung darstellte, und daß dasselbe bei der Karies nicht, wie man allgemein annimmt, zunächst abgehoben wird, sondern sich an Ort und Stelle erhält, selbst in Fällen, wo schon eine starke Entkalkung des Schmelzes stattgefunden hat. Ferner wurde festgestellt, daß die oberflächliche Schmelzschicht einen viel höheren Widerstand Säuren gegenüber leistete als die tieferen Schichten, und daß jede Verletzung dieser Schicht einen Locus minoris resistentiae für den Zahn bedeutet. Besonders überraschte die von dem Vortragenden festgestellte Tat- sache, daß in Fällen von der sogenannten Caries nigra (Kariesmarken) der Schmelz, obwohl schon stark entkalkt, im Laufe der Zeit irgend- eine Veränderung erlitten hat, wobei er eine viel höhere Widerstands- fähigkeit Säuren gegenüber erlangt, als der normale Schmelz besitzt. Diese Beobachtung ließ die Hoffnung gerechtfertigt erscheinen, daß man vielleicht einmal irgendeine Substanz herausfinden kann, durch deren Anwendung eine ähnliche Änderung der Schmelzoberfläche und ein ähnlicher Schutz der Zahnkaries gegenüber herbeigeführt wird.

Die Versuche des Vortragenden zeigten ferner, daß auch in Fällen

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der sogenannten Ausheilung der Zahnkaries das ausgeheilte Gewebe eine größere Undurchdringlichkeit für Säuren zeigte als das normale Zahnbein.

Was schließlich die Wirkung der Lebenskraft in dem Zahn der Zahnkaries gegenüber anbelangt, so zeigten verschiedene vorgeführte Photogramme, daß das sogenannte transparente Zahnbein, welches nur bei Zähnen mit lebender Pulpa gebildet wird und ein Ausdruck der Vitalität des Zahnes ist, bedeutend langsamer von Säuren angegriffen wird als das normale Zahnbein.

In ähnlicher Weise besitzt auch das sekundäre Zahnbein einen erhöhten Widerstand.

Miller hatte außerdem für Dr. Römer-Straßburg einen Vortrag übernommen: Über einige pathologische Beobachtungen bei Pyorrhoea alveolaris.“ -

= Römer zeigt an einer Reihe von mikroskopischen Präparaten, welche mit Projektionsapparat vorgeführt werden, die pathologisch anatomischen Veränderungen, welche die Alveolarpyorrhöe an der Zahnwurzel, am Periodontium und am \lveolarknochen erzeugt.

Sobald am Zahnhalse ein Locus minoris resistentiae geschaffen ist (z. B. durch Zahnsteinanhäufung), findet zunächst nach erfolgter Infektion des Gewebes, welche die Zahnfleischtasche bilden hilft, eine Infiltration mit Rundzellen statt. Hierbei wird allmählich das Liga- mentum circulare aufgelockert und schließlich von Rundzellen ganz durchsetzt und zerstört. Das mit Rundzellen infiltrierte Gewebe wird tun sukzessive durch das prohferierende, vom Zahnfleisch stammende Epithel durchwachsen, und das normale Periodontium verschwindet immer mehr. Gleichzeitig findet eine erhebliche Veränderung im Alveolarknochen statt: indem diejenigen Partien desselben, welche dem vordringenden Granulationsgewebe am nächsten liegen, sich in Binde- gewebe umwandeln. Diese Bindegewebsstrünge haben im Anfang noch vollkommen dieselbe Anordnung, wie die ursprünglichen Knochen- bälkchen und zeigen eine derbe Struktur. Man kann ganz deutlich sehen, wie sich die einzelnen Fibrillen unmittelbar in die Sharpeyschen Fasern und das Endost der noch vorhandenen Kuochenbälkchen fort- setzen. Dann werden auch diese Binderewebsstränge immer mehr auf- gelockert und von Rundzellen durchsetzt, schließlich verschwinden sie ganz, und man sieht nur noch das von Epithelstrüängen dicht durch- wachsene Granulationsgewebe. So schreitet der Prozeß allmählich immer weiter bis zur Wurzelspitze fort, indem sukzessive das Perio- dontium und der Alveolarknochen zerstört wird. Da die Alveolar- pyorrhöe die Zähne gewöhnlich im Anfang nur au einer Zahnseite befüllt, so bildet sich eine sich immer mehr vertiefende Tasche, ein Rlindsack, in welchem sich der Fiter ansammelt. der aus diesem von Epithel durchwachsenen und von Bakterien durchsetzten Granulations-

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gewebe sezerniert wird. Gleichzeitig schlagen sich an der entblößten Zahnwurzelwand Kalkkonkremente und Pilzrasen nieder.

Für die Therapie ergibt sich aus diesen pathologisch anatomischen Betrachtungen, daß man bestrebt sein muß, den eiterproduzierenden Blindsack nebst dem Granulationsgewebe zu zerstören, um eine Stag- nation des Sekretes und ein Weiterwachsen der Bakterien in dem Granulationsgewebe zu verhüten. Darum ist ein energisches Vorgehen dringend geboten und man kann bei diesem Vernichtungskrieg gegen das schwammige, leicht blutende Granulationsgewebe nur den einen Fehler machen, daß man zu zaghaft vorgeht. Im übrigen verweist Römer auf seine Abhandlung über Periodontitis in der neuen Auflage des Scheffschen Handbuches.

Zahnarzt Rauhe-Düsseldorf brachte: Beiträge zur Ätiologie und Therapie der Kalksalzarmut.

Vortragender führt im wesentlichen folgendes aus: !)

Die Ursachen der weitverbreitetsten Volkskrankheit, welche -unter dem Namen Karies der Zäbne bekannt seien, bestünden in mannig- facher Art. Die wichtigste uud therapeutisch wohl am wenigsten be- achtete Ursache der großen Verbreitung der Zahnkaries liege in der durch die heutige Kulturernährung bedingten mangelhaften Kalk- salzzufuhr.

Wenn man auch nach Black bis heute noch keinen nennens- werten Unterschied im Kalkgehalt der sogenannten kräftigen (der Karies widerstehenden) und den sogenannten schwachen (kariesemp- fänglichen) Zähnen nachgewiesen habe, so bilde doch ohne Frage die Lebensweise, respektiv die Ernährung den Hauptfaktor der größeren oder geringeren Widerstandsfähigkeit der Zähne gegen Karies. Vor- tragender gehe noch weiter und stimme mit Kleinsorgen und Röse darin überein, daß die geringe Zufuhr an geeigneten Nährsalzen die Kardinalursache der großen Verbreitung der Karies sei.

Gerade bei sonst scheinbar gleichgearteten und unter fast gleichen Verhältnissen aufgewachsenen Individuen finde die oft beobachtete Ver- schiedenheit hinsichtlich der Disposition zur Karies allein ihre Erklä- rung in der Verschiedenheit der von den einzelnen bevorzugten Nah- rung. In ein und derselben Familie fänden wir häufig schon starke Unterschiede in der Kariesfrequenz, Während die Eltern noch äußerst kräftige Zähne besaßen, waren diejenigen der Kinder zuweilen so schwach, daß man sich vom Füllen solcher Zähne kaum dauernden Erfolg versprechen könne.

Diese so oft von uns beobachtete starke Degeneration des mensch- lichen Gebisses hätten wir also keinesfalls allein auf Konto der ver-

1) Autoreferat.

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feinerten Lebensweise zu setzen; wenn jaauch zugegeben werden müsse, daß die Hartgebilde der Zähne, welche sich genetisch der jeweiligen Nahrungsbeschaffenheit anpaßten, bei mangelndem Gebrauch der Zähne wieder schwächer würden und nach Generationen dauernder Außer- gebrauchsetzung verkümmerten, resp. schließlich ganz verschwänden, so ließe sich die rapide Degeneration der Zähne nicht allein aus der rein äußerlich und lokal wirkenden Ursache der verfeinerten Zuberei- tung der Speisen und dem dadurch verringerten Gebrauch der Zähne erklären. Die Hauptursache dagegen läge in den inneren Stoffwechsel- verhältnissen und sei darin zu suchen, daß die Nahrung der heutigen Kulturmenschen zu wenig Kalksalze enthielte und weiterhin darin, daß die wenigen Kalksalze, welche die Hauptnahrungsmittel hier und da noch besäßen, durch den Zubereitungsprozeß unwirksam gemacht oder gar entfernt würden.

In jüngster Zeit habe Kleinsorgen darauf hingewiesen, daß es sicherlich kein Zufall sei, wenn in den Ländern des größten Fleisch- konsums, in Amerika und England, die ungünstigsten Verhältnisse in bezug auf Bau und Ernährung der Zähne zu finden seien. Fleisch- speisen, die Hauptnahrung der wohlhabenden Klassen, enthielten überhaupt keine nennenswerten Kalksalze, und die Hauptnahrungs- mittel der ärmeren Bevölkerungsschichten, Kartoffel- und Mehlspeisen, seien gleichfalls als direkt kalkarm zu bezeichnen. Infolgedessen fänden wir die Zahnkaries in gleicher Weise sowohl bei der ärmeren Bevölkerung, als auch in wohlhabenderen Kreisen stark verbreitet. Dazu komme noch, daß dem Getreide, welches in der heutigen Volks- ernährung einen breiten Raum einnehme, durch einen umständlichen Schäl- und Mahlprozeß die wenigen Kalksalze, welche es enthielte, genommen würden.

Nicht allein die chemische Analyse habe den mangelnden Kalk- gehalt der von dem heutigen Kulturmenschen bevorzugten Nahrung nachgewiesen, sondern auch der praktische Versuch bei Tieren lehre uns, daß bei ausschließlicher Fütterung mit Fleisch oder mit anderen von uns bevorzugten kalksalzarmen Nahrungsmitteln Knochenerwei- chungen auftreten.

Es erübrige sich wohl, noch besonders darauf hinzuweisen, daß zwischen den Hartgebilden des organischen Lebens ein enger Zu- sammenhang bestehe. Vortragender verweise hier nur auf die enge Verbindung mangelhafter Zahnbildung und Rachitis. Da aber die Knochengebilde eine unweit größere Vitalität haben, wie die harten Zahnsubstanzen, so lasse sich eine mangelhafte Kalksalzernährung unter sonst gleichguten hygienischen Verhältnissen an den Knochen schneller nachweisen, als an den Zähnen, um so mehr, als unsere heutigen Hilfsmittel nicht ausreichen, um den Ernährungs- und Wechselprozeß der Gewebe des Zahnbeines und erst recht nicht derjenigen des Zahn-

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schmelzes nachzuweisen. Daß aber beide bestehen, dürfte wohl kaum ein Physiologe bestreiten, um so weniger, als ein Teil der höher ent- wickelten Säugetiere ein leicht zu beobachtendes Wachsen und Neu- bilden der Zahnsubstanzen heute noch besitze. Referent denke hierbei an die Klasse der Nager. Ähnliches beobachteten wir bei den Stoß- zähnen der Elefanten, welche auch eine starke Vitalität besitzen und auch nach Tomes und Miller bei Verletzungen entsprechende Heilung zeigen. Aber auch bei Menschen selbst: hätten wir genugsam Gelegen- heit, die Neubildung von Zahnsubstanzen zu beobachten sei es, daß die Pulpa infolge Abnutzung des Zahnes Ersatzdentin oder bei irgendwelchen Reizwirkungen Dentikel bilde, oder sei es, daß bei Frakturen durch Callus und nachfolgende Dentinbildung oft Heilungen herbeigeführt werden.

Um auf die Tierversuche zurückzukommen, so wäre bekannt, dad bei Schweinen, welche ausschließlich mit der sehr kalksalzarmen Kartoffel gefüttert würden, die gleichen rachitischen Erscheinungen auftreten könnten, wie wir sie beim Menschen beobachteten. Versuche, welche dergestalt mit Geflügel angestellt wurden, daß man nur ge- reinigtes Getreide zur Fütterung verwandte, zeitigten bald Knochen- erweichung, welche bei Zufuhr von Kalksalzen wieder schwand.

Speziell in Amerika habe man mit der Maisfütterung bei Schweinen schlechte Erfahrungen gemacht, es zeigten sich auch hier des Öfteren Knochenerweichungen. Bei Fütterung von Hochwild in Gehegen mit Futterkalk beobachtete man regelmäßig eine auffallend stärkere Ge- weihbildung. Ferner ist aus der Tierheilkunde bekannt, daß Kühe nach häufiger überstandener Tragzeit sehr leicht an Knochenschwäche erkranken, wobei sie fortwährend liegen und schwer zum Aufstehen zu bewegen sind, hier verschreibt der praktische Tierarzt stets mit gutem Erfolg Futterkalk.

Bei Tieren (Pflanzenfressern), welchen ausschließlich Fleisch- nahrung gereicht wurde, sah man ähnliche Erscheinungen und wenn wir im allgemeinen bei den Fleischfressern keine entsprechende Schädi- gung sehen, so liege dies daran, daß die fleischfressenden Tiere auch die Hartgebilde des erbeuteten Tieres zernagen und aufnehmen.

Leider bieten nun auch diejenigen pflanzlichen Nahrungsstofie, welche normalerweise ein größeres Quantum von Kalksalzen enthalten sollten, häufig nicht genügend Kalksalze, da die Aussaugung des Bodens auf alten Kulturböden in der Nachbarschaft der großen Städte bei den Pflanzen selbst wiederum ein Kalksalzmangel herbeiführt. Röse will allerdings durch seine Untersuchungen den Nachweis ge- führt haben, daß die pflanzlichen Gebilde auch auf kalkarmem Boden stets ein gewisses physiologisch notwendiges (Juantum an Kalksalzen aufnehmen. Dies erscheint um so unwahrscheinlicher, wenn man berück- sichtigt, daß rein pflanzenfressende Tiere, wie z. B. Rinder, unter un-

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günstigen Verhältnissen infolge Kalksalzmangel an Knochenbrüchigkeit erkranken können. Diese Erkrankung tritt besonders nach langer Dürre ein, wenn der Boden nicht genügend Feuchtigkeit zur Lösung und Zuführung der Kalksalze zu den Grüsern empfangen hat. Cha- rakteristisch ist es, daß in solchen Fällen zunächst immer das Milch- vieh erkrankt, welches eben einen großen Teil von Kalksalzen mit der Milch abgeben muß.

Wenn wir nun gesehen haben, daß die Hartgebilde des mensch- lichen Körpers unter der verfeinerten Lebensweise und der mangelhaften Kalkzufuhr leiden, so ist der Schaden besonders bei den Zähnen ein doppelter, weil auch noch durch die geringe mechanische Inanspruclhı- nahme des menschlichen Gebisses bei der Zerkleinerung der ver- feinerten Nahrung die Vitalität kaum angeregt wird, und weil diese an sich schon geringe Vitalitätsanregung nun auch noch nicht einmal genügend Kalksalze vorfindet, um eine Erneuerung und Vermehrung der Zellen der Hartgebilde zu ermöglichen. Aus diesem Grunde sehen wir bei Frauen während der Schwangerschaft eine ungewöhnlich schnell erscheinende starke Kariesdisposition. Die Kalksalze, welche der Organismus bisher zur notdürftigen Erhaltung und Ernährung der Zahngewebe hergeben konnte, werden zum Aufbau der Hartgebilde der Frucht verbraucht.

Der Mangel unserer Nahrungsmittel an Knochensalzen zeitigt nun noch weitere Erkrankungen und Schäden, für welche man bisher andere Ursachen verantwortlich machen zu müssen glaubte. Der unter dem Namen Alveolarpyorrhöe bekannte Zerfall der Alveolarränder dürfte auch zum größten Teil seine Ursache in der mangelhaften Knochensalzzufuhr durch ungeeignete Nahrung haben. Jedenfalls leidet der äußerst dünne Alveolarrand bei mangelhafter Ernährung am ersten. Einmal ist die Ernährung desselben infolge der anatomischen Ver- hältnisse äußerst schwierig und anderenteils befördern die hier häufig vorkommenden mechanischen Reize und der leichte Zugang für patho- gene Bakterien den durch langsamen Stoffwechsel herbeigeführten Zerfall. Für diese Theorie spricht die Tatsache, daß wir der Alveolar- pyorrhöe am häufigsten bei solchen Patienten begegnen, welche gut. leben, das heißt solchen, welche der kalksalzarmen Nahrung den Vor- zug geben, und welche außerdem überhaupt wenig Bewegung und wenig Stöoffwechselunregung haben.

Des weiteren habe Kleinsorgen kürzlich eine Erklärung für den von uns Zahnärzten so oft beobachteten Zusammenhang zwischen Chlorose und Kariesdisposition gegeben. Er weist daraufhin, daß bei der großen physiologischen Rolle, welche der Knochen und speziell das Knochenmark bei der Bereitung der roten Blutkörperchen spielen, bei mangelhafter Knochenbildung und Ernährung eine mangelhafte Blutbildung die direkte Folge sein muß, und sind auch hier der

Bericht über den IV. internationalen zahnärztlichen Kongreß. 49

Therapie, welche bisher die Chlorose durch Eisenpräparate behandelte, neue Wege eröffnet, und auch bei der Chlorose sehen wir bei geeigneter Knochensalzzufuhr gute Erfolge.

Für den Zusammenhang zwischen Blutarmut und Zahnweichheit spricht noch der Grund, daß wir bei chlorotischen Patienten einen ausgesprochenen Kalk- und Kreidehunger beobachten. Ein solch inniger Zusammenhang von Kalk- und Blutarmut entspricht auch dem häufigen Vorkommen beider Erkrankungen. Kleinsorgen hat dann noch den Nachweis geführt, daß die Gefahr, an Eisenmangel zu leiden, bei unserer heutigen Diät ganz gering ist, während die Gefahr des Kalk- salzmangels bei unseren Hauptnahrungsmitteln besonders in Erschei- nung tritt. Schließlich sei noch als nicht zu unterschätzender Beweis der von demselben Autor nachgewiesene therapeutische Erfolg der Knochensalzzufuhr bei Blutarmut und verwandten Schwächezuständen angeführt.

Angesichts dieses tatsächlichen Mangels an Kalksalzen in unserer heutigen Ernährung entstehe nun die Frage, woher wir unseren Bedarf an Zahn und Knochen bildenden Substanzen nehmen sollen unter der Garantie, daß wir in genügender hinreichender Menge die notwendigen Kalksalze zuführen.

Wie schon längst dem abgemagerten, muskelgeschwächten Körper mit bestem Erfolge konzentrierte Eiweißpräparate zugeführt werden und wie schon lange bei Blutarmut mit gutem Erfolge Blutpräparate gegeben werden, so liegt nichts näher, als diesen Weg der Organo- therapie weiter zu verfolgen und den kalksalzarmen Menschen ein Knochenpräparat zu geben, das die für Zahn- und Knochenbau erforder- lichen Salze in einer Form enthält, die eine möglichst ausgiebige physiologische Ausnutzung im Körper gewährleistet.

In jüngster Zeit hat nun die Nahrungsmittelchemie unter der Bezeichnung Ostasalze ein organisches Präparat gezeitigt, welches aus Knochen hergestellt wird, und welches daher alle die für den Zahn- und Knochenbau notwendigen Bestandteile in unveränderter vitaler Zusammensetzung enthält. Zunächst hat man diese Ostasalze mit Zwieback verbunden und ist die Analyse wie folgt:

Kohlenhydrate . . . . 2... 65,20 Proz. Eiweißsubstanzen . . ... 1259 Fett He een TAL Holzfaser . . 2.2 2202000480 5 Wasser . . 2.2. 222.20... 480 Mineralbestandteille. . . . . 69% , Die Mineralbestandteile enthalten: Phosphorsauren Kalk . . . . 86,4 Proz. Phosphorsaure Magnesia . . . 54 , Koblensauren Kalk T2: y

XXIII. 4

50 Auszüge.

ferner: schwefelsauren Kalk, Chloride, Kali- und Natronverbind- ungen usw.

Vortragender zeigte zum Schluß an zwei Abbildungen, welchen günstigen Einfluß die Osta-Ernährung auf das Kind eines Kollegen ausübte; es wurde hier auch die Mutter während der Gravidität mit Osta-Biskuits ernährt.

Da nun Biskuit und Schokolade durch den Zusatz von Osta nicht an Wohlgeschmack einbüßen und sehr gut vertragen werden, so dürfe der zahnärztliche Arzneischatz um ein allen Ansprüchen genügendes, vollwertiges Nährmittel bereichert sein.

Dr. Hoffendahl-Berlin verbreitete sich über: Die Anwendung des konstanten galvanischen Stromes bei Behandlung patho- logischer Zustände an den Zähnen. Seit dem Jahre 1900 ist bereits die Anwendung des galvanischen Stromes zur Behandlung infizierter Wurzelkanäle bekannt. Die äußerst einfache und bei richtiger An- wendungsweise unbedingt sicher wirkende Behandlungsmethode fand in dem damaligen Entwicklungsstadium keinen Anklang. Der Vor- tragende bewies die Vorteile des von ihm erweiterten und gründlich erprobten Verfahrens an der Hand bakteriologischer Präparate und zeigte, daß selbst unzugängliche Wurzelkanäle, desgleichen Infektions- herde oberhalb des Foramen apicale in einer Ausdehnung von !’, cbem durch einen unfühlbaren, konstanten galvanischen Strom von 1 bis 1', Milliampere in 10—15 Minuten für die Praxis vollkommen steri- lisiert werden können. Er wies ferner nach, daß es für den zu er- zielenden Effekt keine Rolle spielt, ob der zu behandelnde Zahn einen oder mehrere sondierbare oder völlig unzugängliche Wurzelkanäle besitzt, wenn man dafür Sorge trägt, daß der elektrische Strom den Zahn durchläuft. Auch zur Sterilisation putrider Milchzähne und der z. B. durch Pyorrhoea alveolaris entstandenen Zahnfleischtaschen ist ein konstanter galvanischer Strom wohl verwendbar.

Auch diese drei Kollegen wurden mit dem woblverdienten Bei-

fall belohnt. (Schluß folgt.) Auszüge. Le Cron, D. O.M.: The Fusion of porcelain. (Dental Brief. 1904. Nr. 10, S. 043.)

Da das Auge keinen sicheren Aufschluß über den Schmelzpunkt beim Brennen von Porzellan geben kann, hat Verf. einige Versuche mit einer Verbindung von reinem Gold und Platin gemacht, um den exakten Schmelzpunkt: der verschiedenen Porzellankörper zu bestimmen, welche im Handel vorkommen. Folgende Tabelle zeigt die erhaltenen

Auszüge. ol

Resultate für einige Porzellanmassen und den Prozentsatz von Gold und Platin:

Teile Gold Platin Allen Body 89 11 Closes Body HH, 91% Whites Inlay Body 91 9

Brewsters Foundation Body 91! Sth Brewsters Enamel Body 98 2

Whiteleys Inlay Body 9212 Tih Consolidated Inlay Bod 921/3 ill Whites Medium Inlay Body 100

Um obige Metalle gebrauchen zu können, konstruierte Le Cron einen kleinen Specksteintiegel, welcher unten doppelt so weit ist als oben. In der oberen Vertiefung liegt das Metall in der Form einer kleinen Kugel. Schmilzt es nun, so tropft es in die untere Vertiefung und wird dort aufgefangen. Auf diese Weise kann es immer wieder gebraucht werden. Um diese Schmelztiegel herzustellen verfährt man folgenderweise: man sägt ein Stück Speckstein in Blöcke und bohrt nun mit einem Fissurenbohrer die obere und untere Höhlung hinein. Um den Tiegel später mit einer Zange anfassen zu können, schneidet man außen zwei kleine Rinnen ein.

Verf. glaubt den Speckstein auch sonst besonders für Kronen- und Brückenarbeiten verwenden zu können. So insbesondere als Unter- lage beim Löten und Porzellanbrennen. Stroh (Heidelberg).!)

Reclus, Prof. Paul: Lokale Anästhesie durch Stovain. (Presse med. 1%4. Nr. 55.)

Foisy, E.: Das Stovain als lokales Anästhetikum. Seine Vorteile und Nachteile. Seine Unverträglichkeit mit Adrenalin. (Trib. med. 1904. Nr. 37.) Ref. D. M. Z. 1904. Nr. 90, S. 1013.

Reclus und Foisy haben die Wirkung des Stovains als Lokal- anästhetikum am Tier und bei kleineren Operationen studiert. Vor- teile des Stovains gegenüber dem Kokain sind seine etwa fünf mal ge- ringere Giftigkeit und seine gute Wirkung in entzündeten Geweben, wo Kokain nur in sehr starken Dosen Erfolg verspricht. Nachteile des Stovains sind seine vasodilatatorische Wirkung, wodurch man stets mit einer sehr unangenehmen Blutung zu kämpfen hat, sowie der Umstand, daß es nicht in Kombination mit Adrenalin verwendbar ist. Hier trat immer Gangrän der Injektionsstelle ein. Eine Mischung von Kokain und Adrenalin hat dem Stovain gegenüber entschiedene Vorteile. Prof. Port (Heidelberg).

Bezdek, Dr. H.: Tonsilla pendula. (W. kl. W. 1904. Nr. 18. Ref. D. M. Z. 1904. Nr. 64, S. 718.)

Bei der 16jährigen Patientin ist der linke Arcus palatoglossus leicht gerötet, die Tonsille vergrößert. Am oberen Teile der Tonsille. derselben aufgelagert, befindet sich ein über erbsengroßes runtliches,

1) Die mit „Heidelberg“ unterzeichneten Auszüge sind vom Zahn- ärztlichen Institut der Universität Heidelberg (Direktor: Prof. Dr. G. Port) gütigst geliefert.

4*

59 Auszüge.

blaßrot gefärbtes Gebilde von ziemlich harter Konsistenz, welches mit

einem Stiele aus der Nische mehr dem Arcus palato-glossus genähert

hervorkommt und nach allen Richtungen hin frei beweglich ist. Prof. Port (Heidelberg).

Mac Cullough, P.B. red Non expanding plaster. (International Dent. J. 1904 Nr. 8, S. 577—579.)

M. fand, daß sich Gips, der mit Kalkwasser angerührt ist, nicht ausdehnt, sowohl beim edserden als auch beim Vulkanisieren nicht. Doch muß man zur Herstellung des Kalkwassers abgekochte: Wasser verwenden, Kalkwasser mit gewöhnlichem Brunnenwasser bereitet, und einfaches abgekochtes Wasser ohne Kalkzusatz ver- hindern die Ausdehnung des Gipses beim Erstarren nicht.

Prof. Port (Heidelberg).

Blair, Dr. Louis E.: Rezidivierende membranöse Stomatitis in Ver- bindung mit Erythema exsudativum multiforme. (New York Med. Record. Bd. 65 Nr. 19. Ref. D. M. Z. 1904. Nr. 76, S. 855.

Ein 12 jähriger Knabe bekam zahlreiche oberflüchliche Geschwüre im Munde, die fast ein Drittel der ganzen Schleimhautfläche ein- nahmen. Eine dicke weiße Membran haftete den Geschwüren fest an. Dabei bestand starke Salivation, Fötor ex ore und Drüsenschwellung. Die Zunge war verdickt und konnte nicht aus dem Munde hervor- gestreckt werden. Nach 6 Tagen zeigte sich ein ausgedehntes Erythem. besonders an den Extensorentlächen, heftige Konjunktivitis, Fieber. Das Erythem verwandelte sich nach einigen Tagen in ein Exanthem mit Blasen und Pusteln und hinterließ im Gesichte, sowie im Munde weiße Narben. Prof. Port (Heidelberg).

Herhold, Dr. (Altona): Zur Kiefertuberkulose. (D. Z. f. Chir. 1904. 72. Bd. H. 1—3. Ref. D. M. Z. 194. Nr. 62, S. 700.)

Es handelte sich um zwei Soldaten, bei welchen der Prozeß unter dem Bilde einer von kariösen Zähnen ausgehenden Kieferperiostitis be- gann. In dem einen Falle kam es zur Nekrose des Unterkiefer-, welche die Resektion der einen Kieferhältte notwendig machte. Inden zugleich mitentfernten Drüsen fanden sich Tuberkelbazillen. Im anderen Falle stellte sich eine Nekrose des Jochbeins ein, wobei sich ebenfalls Tuberkelbazillen nachweisen ließen.

Prof. Port (Heidelberg).

Debove, Prof.: Gesichtsschmerz wahrscheinlich syphilitischen Ursprungs. (Trib. med. 1904. Nr. 22. Ref. D. M. Z. 1904. Nr. 4, S. TaD.)

Der 63jährige Patient litt seit ungefähr einem Jahre an inter- mittierenden (sesichtsschmerzen, welche im Nervus maxillaris superior lokalisiert waren und ihn veranlaßt hatten, sich nach und nach alle Zähne der kranken Kieferseite extrahieren zu lassen, ohne jedoch mehr als eine vorübergehende Erleichterung dadurch zu erreichen. Der Patient hatte mit 20 Jahren einen Schanker, der 2 Monate dauerte. aber angeblich keine sekundären Erscheinungen. Vor 5 Monaten bemerkte nun ein Zahnarzt eine Ulzeration am harten Gaumen. Heute sieht man links von der Mittellinie nach hinten vom Alveolarrand am

Auszüge. 53

harten Gaumen eine unregelmäßige Ulzeration von der Größe einer Erbse auf den weichen Gaumen übergreifen. Sie ist indolent und steil gerändert; mit einer Sonde kann man konstatieren, daß in der Tiefe ein beweglicher Sequester vorhanden ist. Infolge dieses Befundes wnrde Patient einer antisyphilitischen Kur unterworfen.

Prof. Port (Heidelberg).

Dentists aids in identification. (Dental Brief. 1904. Nr. 11, S. 766.)

Nahe dem Greenfielder Friedhofe wurde im vergangenen April ‚lie Leiche einer Selbstmörderin gefunden und unter dem Namen „Martha Laimbeer“ begraben. Da Zweifel über ihre Identität laut wurden, wurde sie exhumiert und von Verwandten als Margaret Lynch rekog- nosziert. Ein beigezogener Zahnarzt aus Brooklyn konnte auf Grund einer genauen Untersuchung des Gebisses die Richtigkeit dieser Agno- tizierung zur Gewißheit erheben. Er fand, wie er erwartet hatte, in den vorderen Zähnen Goldfüllungen, doch wurde eine Goldkrone, die er sich notiert hatte, vermißt. Die Mutter des Mädchens konnte dies aufklären, indem sie mitteilte, daß sich ihre Tochter den betreffenden Zahn im letzten Winter durch einen anderen Zahnarzt hatte ziehen lassen. Sior (Heidelberg).

Foster, Karl (Bern): Beitrag zur Kenntnis des Xeroderma

igmentosum. (D. M. Z. 1%'4 Nr. 74, S. 828—829; Nr. 75. S. 837

he 40; Nr. 76, S. 849—50; Nr. 77, S. 861—73. Auch als Inaug.- Diss., Bern 1904, erschienen.)

. Die Arbeit betrifft einen Fall von Xeroderma pigmentosum mit Übergang in Karzinom. Es war auch ein Tumor an der Oberlippe und zwar an der Schleimhaut an der Innenseite derselben vorhanden, der sich bei der mikroskopischen Untersuchung als typisches Karzinom er- wies. Außerdem enthält die Arbeit eine Zusammenstellung von bis- her beobachteten Fällen von derartigen Tumoren der Mundschleimhaut. Prof. Purt (Heidelberg.

Curtis, G. Lenox (New York). Ankylosis of the jaws. (Internat. Dent. Journ. 1904. Nr. 10, S. 764.)

Man unterscheidet eine dauernde und eine temporäre Ankyloxe. Die Hauptursachen, welche zur Kieferklemme führen, sind besonders Entzündungen, und zwar können diese veranlaßt sein durch freigelegte Labnpulpen, durch retentierte, abnorm gelagerte oder eingekeilte Weis- heit:zzähne. durch Trauma, Narbenkontraktion, Tetanus. Alveolar- alszesse, Diphtherie, durch 'Tonsillenentzündung und durch septische Infektionen. Die dauernde Ankylose ist das Resultat einer Knochen- neubildung innerhalb des Kiefergelenkes unter teilweisem oder völlirem Versiegen der Abscheidung von Synovialflüssigkeit. Dies tritt jedoch nur ein, wenn monate- oder jahrelang eine Unbeweglichkeit des Kieters testand, was selten ist, ausgenommen in Fällen von rheumatischer Arthritis. Entzündliche Zustände sollen so früh wie möglich beseitigt #:rden. um ausgedehntere Narbenbildung und damit zusammenhängende K:eterklemme zu vermeiden. | Es folgt dann die Mitteilung mehrerer Fülle. Feastkorn (Heidelberg.

54 Auszüge.

Church,R.D.(Rutland, Ohio): An original tooth extractor. (Summary 1904. H. 9, S. 719—20.)

Als Beitrag zur Geschichte der Extraktionsinstrumente beschreibt Church einen Apparat, welcher sich in seinem Besitze befindet. Der- selbe wurde im Jahre 1855 von Horace Holt in Rutland (Ohio) konstruiert und es hat dieser auch damit Extraktionen ausgeführt. Das Instrument besteht aus einem Ständer d und aus einem darauf beweglichen Hebel. Die Branchen « werden an den Zahn gelegt und mittelst der Flügelschraube e fixiert. Dann nimmt der Operateur den Ständer in die linke Hand und schlägt mit einem Hammer auf das Ende des Hebels b, wodurch dann der Zahn aus der Alveole herausgerissen wird. Bei obe- ren Zähnen wird der Apparat umgekehrt gebraucht.

Prof. Port (Heidelberg).

Otto Schürch: Neue Beiträge zur Anthropologie der Schweiz. (Schweiz. Vierteljahrsschrift für Zahnheilkunde, 1902, Heft 2, 3, 4.)

Aus der Einleitung „Material und Technik‘ behandelnd, sei nur der Hinweis auf den geringen Wert der Schädelmessungen am Leben- den erwähnt, da die individuelle Verschiedenheit der vorhandenen Weichteile exakte Resultate nicht erzielen läßt. Nur am mazerierten Schädel vorgenommene Messungen können Anspruch auf Genauigkeit erheben. Die Grundsätze, nach denen hierbei verfahren wurde bez. die Maße, die überhaupt in Betracht gezogen wurden, müssen im Original nachgelesen werden. In dem dann folgenden 1. Teil werden „die Schädel des schweizerischen Mittellandes“ behandelt und es wird dabei festgestellt, daß „die Bevölkerung der Zentralschweiz kurzköpfig ist und zwar mit 86 Proz.“ Mesokephale sind 11,8 Proz. und Dolicho- kephale 1,6 Proz. vorhanden. Für die Gesichtsform ergaben sich 88,5 Proz. Leptoprosope und 11,5 Proz. Chamaeprosope. Hierzu sei bemerkt, daß nur der Öbergesichtsindex berechnet werden konnte, da in vielen Fällen die Unterkiefer fehlten. Im 2. Teile verbreitet sich Verfasser eingehend auf das Gesetz der Korrelation in Rücksicht auf die Be- ziehung der einzelnen Gesichtsteile zueinander. Auch betrefis dieser interessanten Ausführungen muß in der Hauptsache auf das Original verwiesen werden. Nur soviel sei gesagt, daß beifolgende Angaben Kollmanns durch die Untersuchungen des Verfassers eine wesentliche Stütze gefunden haben: „Bei den langgesichtigen Schädeln sind die Jochbogen eng anliegend, der Öberkiefer hoch, lang und schmal. Auch die Augenhöhlen sind hoch. Der Zahnbogen bildet eine gestreckte Ellipse, d. h. die Distanz Schneidezahnalveole bis zur Spina nasalis posterior ist im Verhältnis zur Breite des Gaumens lang. Bei der chamäprosopen Gesichtsform sind die Jochbogen abstehend, so daß das ganze (Gesicht ein breites Aussehen erhält; die Augenhöhlen sind breit,

Auszüge. 55

die Nase ist breit und kurz, der Gaumen kurz und breit. Der Zahnbogen zeigt eine weite Rundung. Der Bogen ist fast ebenso breit als lang.“

Im 3. Teile „Prähistorische und rezente Zahnverhältnisse“ ist Verfasser zu folgenden, zum Teil im Wortlaut wiedergegebenen Schlüssen gelangt:

1. Schon in den ältesten Zeiten war der dritte Mahlzahn des Oberkiefers kleiner als die übrigen zwei Mahlzähne.

2. Die Größen- resp. Breitenverhältnisse der Alveolen der Jetzt- zeit sind identisch mit denjenigen der früheren Bevölkerungen und diese wiederum mit der jetzigen. Genau so verhält es sich mit den Zähnen. Die Längen- und Breitenmaße der letzteren decken sich beinahe. Die Zahnmalie der rezenten Bevölkerung stehen denjenigen der prähistorischen und auch späteren Bevölkerungen keineswegs nach, sondern halten diesen das Gleichgewicht.

3. Die Höckerzahl der Molaren der jetzigen Bevölkerung weicht nicht von derjenigen vorzeitlicher Bevölkerungen ab.

4. Bei den beiden unteren Prämolaren scheint ein Fortschritt in der Höckerzahl bei der rezenten Bevölkerung gegenüber der prä- historischen vorhanden zu sein.

Im letzten Teile seiner Arbeit beschäftigt sich Verfasser mit den Zahnusuren. Er hat gefunden, daß dieselben an den prähistorischen Zähnen viel häufiger und in viel ausgedehnterem Maßstabe vorhanden sind, als an den rezenten. Dies ist aber keineswegs auf eine geringere Dichtigkeit der ersteren zurückzuführen. Vielmehr ist das Gegenteil der Fall, wie das häufigere Auftreten von Karies an den rezenten Zähnen beweist, und die eigentliche Ursache für das öftere Vorkommen von Zahnusuren ist in der größeren Resistenz der Nahrung der alten Völker zu suchen. Dr. Hoffmann (Leipzig).

Fasoli, Appunti intorno ai moderni metodi di ricerca istopato- logiea nello studio delle malattie della bocca e dei denti. (Stomatologia I. 9. 1903. Mai.)

Fasoli gibt in der ausgedehnten Arbeit einige wichtige An- leitungen und Anweisungen für die histopathologische Untersuchung der Gewebe im Bereich der Mundhöhle:

Für das beste Fixations- und Aufbewahrungsmittel hält er das Formalin und zwar das vom Hause Merck. Er verwendet 4 bis 10proz. Lösung und läßt die Stücke 24 Stunden darin. Bei größeren und schwer zu durchdringenden auch mehrere Tage. Dann werden die- selben in fließendem Wasser ein paar Stunden gewaschen, zum Zwecke der besseren Färbung mit Karmin auch bis zu ?4 Stunden. Die letztere Behandlung braucht nicht sofort einzusetzen, man kann die Präparate gut im Formalin liegen lassen, nur muß man die Flüssigkeit von Zeit zu Zeit erneuern. enn man fötale Präparate bewahren will, so empfiehlt sich Solut. formalini 10 Proz.

Liqu. Mulleri aa cc. 100. Die Mischung ist stets frisch zu bereiten. Die Stücke bleiben 24 Stunden bis 3 Tage darın liegen; dann werden die Stücke wie vordem behandelt. Bei sehr zarten Stücken läßt sich auch mit Vorteil Nublimat verwenden und zwar nach folgender Formel:

Sublim. 3,0

Aqu. dest. cc. 100,0

Acid. acet. cc. 1,0 (im Moment des Gebrauches zuzusetzen). Entkalkung. Da es wenig Mittel gibt, welche eine Ent-

56 Auszüge.

kılkung der festen Gewebe herbeiführen ohne die weichen Gewebe zu zerstören, so muß hierauf besonderer Wert gelegt werden. Fasoli hält für das beste folgendes:

Nachdem die Stücke ın bekannter Weise fixiert und dann ge- waschen sind, läßt man sie einige Zeit lang in einer Lösung von Acid. nitr. offic. (non fumante) zu 5Proz. in Aqua fontana, dann ın ñprozen- tirer Formollösung, welch letzteres aber nicht unbedingt nötig ist. Die Entkalkungsflüssigkeit muß täglich erneuert werden. Nach der vollständigen Entkalkung läßt man die Stücke 24 Stunden in fließen- dem Wasser, dann die gleiche Zeit in einer reichlichen Menge 5proz. Alaunlösung; dann werden sie endgültig gebadet und kommen in eine leichte Formalinlösung, dann in ‘Oproz. Alkohol.

Einbettung: Die Einbettung in Zelloidin hält Verfasser für be- deutend besser als die in Paraffin. Kleine Zelloidinstückchen, wie sie im Handel zu haben sind, trocknet man aufs sorgfältigste. Dann be- reitet man sich zwei Lösungen von ‚Zelloidin in einem Gemenge von gleichen Teilen Alkohol absol. und Ather und zwar

eine Zelloidin, 2,0 und eine andere Zelloidin, 0,0 Alkohol. abs. 50,0 Alkohol. 50,0 Ather. 30,0 Ather. 50,0

und erhält so eine Zelloidinlösung Nr. 1 und Nr. 2. Die Stücke kommen dann in 7Oproz., dann %'proz., dann absoluten Alkohol während 4 Stunden. Darnach, läßt man dieselben 24 Stunden in einer Mischung von Alkohol und Äther aa liegen und dann 5 Tage lang in Zelloidin Nr. 1, sodann: in Zelloidin Nr. 2 10 Tage lang oder mehr. Aus Lösung Nr. 2 kommen die Präparate in Chloroform und nehmen in 24—48 Stunden eine gleichmäßige Konsistenz an; dann werden sie in ‘'proz. Alkohol definitiv aufbewahrt.

Färbung: Verfasser hält die Delafieldsche Färbung mit Haema- toxilin und Eosin oder Haemotoxilin und Carmin amnon. für gut, die ich aber als in den meisten Lehrbüchern beschrieben übergehen kann. Ebensogut sind die Fürbungen nach Hansen und van Giesen.

Man halte zwei Lösungen vorrätig, eine in der Kälte gesättigte von Acid. picric. in Aqua dest. und eine ?2proz. saure Fuchsinlösung in Wasser, und füge zu 100 Teilen des ersteren 5 Teile des zweiten und gebe im Moment des Gebrauches einen Tropfen Acid. acet. 1 Proz. in Wasser zu jeden 9 ccm hinzu. Dann werden die Stücke oberflächlich in Karmin gefärbt, und man bringt sie dann 20 Min. bis einige Stunden lang in die obige Lösung, dann werden sie schnell gewaschen, ın OG proz. RON entwässert und in folgender Lösung aufgestellt

Xylol. 3,0 Asia. carb. crist. 1,0, um dann weiter behandelt zu werden.

Dann bespricht Verfasser die Spezialmethoden von Prof.G.Schmorl vom Stadtkrankenhause in Dresden. Die Färbung mit Tionin.-acid. picric. und die Färbung mit Tionin, Differenzierung mit Acid. phospho- molybdaenicum oder Acid. phosphowolframicum. Vgl. die pathologisch- histologischen Untersuchungsmethoden von Dr. Schmorl, Leipzig, F. C. W. Vogel. 1901.) Ihrber,

Pr. & Buttazzoni: I residui solidi della saliva umana ed il chimismo del sangue. (Experimentalversuch aus dem physiol. Laborat. d. Univ. Bologna; Stomatologia Vol. I. Nr. 12,8. 4—171.) Verfasser experimentierte an drei Individuen und seine Resultate

in Tabellenform niedergelegt sind folgende:

Auszüge. 57

Verfasser stellt zwei Versuchsreihen auf: die eine nüchtern, die andere zwei Stunden nach der Mahlzeit. Der Speichel wird durch Silberröhrchen in sterilem Röhrchen aufgefangen, das durch Gutta- perchapapier geschlossen ist, durch welches die Röhre geht, und wird ohne Anwendung von Reizmitteln gewonnen.

Die Tabellen zeigen, daß in fast jedem Speichel sich nach dem Essen die festen Bestandteile in deutlicher Weise ver- mehren, sowohl beim Parotis- wie beim Submaxillar- und gemischtem Sekret. Das Parotissekret zeigt hauptsächlich eine Vermehrung der orga- nischen Substanzen, das der Submaxillaris eine Vermehrung der anorga- nischen. Im gemischten Speichel ist das Verhältnis fast gleich. Der Chemis- mus des Plasmas hat somit eine deutliche Einwirkung auf den Speichel. Die Speicheldrüsen sezernieren nicht nur stärker, sondern es findet auch in den Bestandteilen desselben eine osmotische Verschiebung statt.

Je geringer die Schnelligkeit der Sekretion desto größer sind im allgemeinen die festen Rückstände. Herber (Berg.-Gladhach).

Baldwin (M. D. Chicago): Extra-genital syphilis. (Dental Review, Vol. XVI. Nr. 1.)

Verfasser behandelt die extragenitale Syphilis und ihre eminente Bedeutung für den Zahnarzt. Gerade der Zahnarzt hat in seinem Be- rufe wohl am häufigsten Gelegenheit zu frühzeitiger Diagnostizierung der extragenitalen Syphilis und kann durch eine solche den betr. Patienten, besonders ın Fällen von mittelbarer Infektion ohne Er- krankung der Geschlechtsteile, von großem Nutzen sein. Verfasser konstatiert dann, daß nach seiner Erfahrung Fälle von extragenitaler Syphilis leider oft der Aufmerksamkeit des Zahnarztes entgehen. und sagt dann wörtlich, wie folgt: „Wenn man die außerordentliche Viru- lenz der Plaques muqueuses im Vergleich zu den genitalen Schankern und die Häuligkeit betrachtet, mit welcher syphilitische Erkrankungen der Nase, des Mundes und der Nebenhöhlen als Halsentzündung, Ton- sillitis, Fiebergeschwüre, Soor oder durch Rauchen verursachte Reizung diagnostiziert werden, so ist man entsetzt über die Unwissenheit der Untersuchenden und die daraus resultierende Gefahr für seine Patienten. Diese Sorglosigkeit in der Diagnose ist zu häutig gepaart mit sträf- licher Nachlüssigkeit in der gehörigen Sterilisierung der Instrumente, sowohl vor als auch nach der Untersuchung“.

Wenn wir nun auch ohne weiteres zugeben müssen, daß die Zahn- ärzte, auch bei uns in Deutschland, im großen und ganzen leider zu wenig von den gerade für sie so wichtigen extragenitalen syphilitischen Erkrankungen kennen, so können wir den vom Verf. gegen die Zahn- ärzte erhobenen schweren Vorwurf, daß viele derselben ihre Instru- mente nicht gehörig reinigen, nicht ohne energischen Widerspruch hingehen lassen. Wir sind diesem Vorwurfe schon häufiger in Vor- trägen amerikanischer Arzte begegnet, sehen aber wirklich nicht ein. weshalb es unter den wissenschaftlich gebildeten Zahnärzten mehr ge- wissenlose Menschen geben sollte als unter den Allremeinärzten.|

Auf die verschiedenen von Baldwin erwähnten Arten der In- fektion brauchen wir nicht weiter einzugehen, da dieselben allgemein bekannt sein dürften. Nur über einen vom Vertasser angeführten interessanten Fall wollen wir kurz referieren: Ein Zahnarzt kam zu Baldwin mit einer sich rapid vergrößernden Ulzeration an der Unter- lippe. Streupulver und Salben hatten keine Besserung erzielt. Er be- hauptete, außer seiner Frau keine andere geküßt zu haben, gab uber

58 Auszüge.

zu, die Gewobnheit zu haben, zur Erleichterung seiner Arbeit die In- strumente im Munde zu halten. Baldwin ließ sich die Liste der in den letzten 6 Wochen behandelten Patienten vorlegen und nun er- innerte der Zahnarzt sich, daß eine Frau weiße Flecken auf der Zunge gehabt hatte. Bei genauerer Untersuchung der betr. Patientin wurden mehrere große Ulzerationen an der Zunge und den Mandeln gefunden‘: ferner waren die Halsdrüsen angeschwollen und das Haar fiel aus. Die Patientin war in völliger Unkenntnis ihrer syphilitischen Erkran- kung. In wenigen Wochen erschien der sekundäre Hautausschlag bei dem Zahnarzte, worauf eine antisyphilitische Behandlung eingeleitet wurde.

Verfasser stellt schließlich die Forderung, daß für die Studieren- den der Zahnheilkunde spezielle Vorlesungen über die Syphilis der Mundhöhle und zwar mit Krankenvöretöllangen gehalten weden sollen, eine Forderung, welcher wir nur zustimmen können. Sind doch auch bei uns, wie Dr. med. Bonne, Hamburg, in einem im „Berliner Orts- verein des deutschen Bundes abstinenter Frauen“ gehaltenen Vortrage ausführte, 24 Prozent der Studenten, ?8 Prozent der Marine und S Prozent des Heeres mit (seschlechtskrankheiten behaftet. (Referat Bremer Nachrichten vom 21. Januar 1903.)

Niemeyer (Delmenhorst).

6. Cecconi (Turin: Beitrag zum Studium des Empfindungsver- mögens gesunder Zähne. (Stomatologia I. Nr. 3. November.)

Der Schmelz gleicht der Epidermis, d. h. er ist ohne Gefäße und Nerven und schützt das darunter liegende Gewebe, was vor allem dar- aus hervorgeht, daß wenn der Schmelz fehlt, die Zähne äußerst emp- tindlich sind Verfasser hat bei mehreren Leuten experimentiert und ist zu der Überzeugung gekommen, daß man unterscheiden müsse zwischen taktischen und thermischen Reizen. Die taktischen Reize werden deshalb empfunden, weil durch das Berühren mit einem harten Körper der ganze Zahn in eine leichte Bewegung versetzt wird, die- selbe pflanzt sich auf die sehr nervenreiche Umgebung der Zahnwurzel fort und wird sn wahrgenommen. Verfasser experimentierte tolgender- maßen: Den Versuchspersonen wurden die Augen verbunden und sie . hielten die Lippe mit einem Mundspiegel fest, Die Berührung mit bydrophilen Wattetampon wurde nicht gemerkt, wohl aber die mit einem feinen Holzstäbchen. Drückte ich aber gegen den Zahn mit dem Finger, so wurde ebenfalls mit dem Hölzchen keine Empfindung wahr- genommen. Rieb man jedoch mit dem Hölzchen über den Zahn, so wurde ein (serüäusch gehört. Zwischen 7("— 909 empfindet man Wärme, darüber ist sie schmerzhaft. Bei 1—5° keine Empfindung. Erst unter --15% wird Kälte als Schmerz empfunden. Die Verdunstung von Ather auf den Zalın ruft keinen Schmerz hervor.

Hrber (Berg.-Gladbach!.

G. Manara: Über Dentition. (La Stomatologia 1902 Nr. 1.'

Während früher sehr viele Krankheitserscheinungen des kindlichen Alters auf die Dentitio difticilis geschoben wurden, wird heute vor allen Dingen die Eklampsie der Kinder auf Rechnung des schweren Zahnens gesetzt. Auf Grund der anatomischen und entwicklungesgeschicht- lichen Verhältnisse scheint dem Verfasser die Kussowitzsche Theone, daß die Eklampsie hervorgerufen werde durch den Druck auf die Rami dentalis nervi trigemini, welche retlektorisch auf das erregbare kindliche Nervensystem einwirken. Er begründet seine Ansicht ferner damit, daß die Inzision ins Zabnfleisch keine Erleichterung schaffe und

Auszüge. 59

die Kinder überhaupt nicht über lokale Schmerzen klagen und dul eine Pulpitis der Milchzähne nie derartige Erscheinungen hervorruft. Herber (Berg.-Gladbach).

Dr. Jessen (Straßburg): Die Notwendigkeit zahnärztlicher Schul- ung für den praktischen Arzt und seine Einführung in die moderne Zahnheilkunde. (Würzburger ebnnalungn aus dem Gesamtgebiet der praktischen Medizin. 2. Band. Heft 12.)

Jessen weist auf die große Bedeutung der Zähne für den Ge- samtorganismus und auf die große Verbreitung der Zahnerkrankungen hin. Er rät den Arzten dringend, sich mit der Zahnheilkunde vertraut zu machen, wodurch ihnen mancher diagnostischer Irrtum erspart würde. | Dr. R. Parreidt.

Dr. med. L. Roemheld: Über isolierten klonischen Krampf des weichen 6aumens. (Aus dem Sanatorium Schloß Hornegga. Münchner medizinische Wochenschrift. 50. Jahrg. Nr. 13.)

Beweglichkeitsstörungen des weichen Gaumens kommen meist nur im Verein mit Krämpfen ım Facialis- und Hypoglossusgebiet vor; ihre Ursachen sind zentral, nukleär oder su ranakleär, dann aber auch peripher zu suchen. Zuweilen werden die Krämpfe durch den Reiz ie ischer Vorgänge in der Nase oder im Munde auf die sensibeln asern des Trigeminus ausgelöst. Die Literatur über derartige Fälle ist gering. Verfasser teilt kurz die bisherigen Beobachtungen über den isolierten Krampf mit. Der Fall selbst betrifft eine 60 jährige neu- ropathisch schwer belastete Dame, die an Arteriosklerose und Hyper- tropbie des linken Ventrikels leidet. Durch Hypoglossusparese trat vor einem Jahre schwere Beweglichkeit der Zunge und Sprachstörung ein, ferner Gaumensegellähmung und Krampf. Außer unmotiviertem Zwangslachen blieb eine leichte Parese des weichen Gaumens und ein klonischer halbseitiger Krampf dieses zurück. Verfasser hält es für am wahrscheinlichsten, daß in diesem Falle eine akut entstandene bul- buläre Erkrankung vorliegt; er will jedoch die Frage, ob es sich um eine nukleäre Bulbusaffektion handelt oder ob der Sitz an einer anderen Stelle der Leitungsbahn zum Großhirn liegt, offen lassen. Dr. R. Parrridt (Leipzig).

Dr. A. Peiser (Würzburg): Über die Form der Drüsen des menschlichen Verdauungsapparates. (Archiv f. mikroskopische Anatomie 1902. Bd. LXI. Heft III, S. 391.)

Da zurzeit eine große Verwirrung in der Bezeichnung der Form der Drüsen des Verdauungstraktes herrscht, hat Verfasser es unter- nommen, dieselbe genauer zu untersuchen. Die Lippendrüsen sind eine

bergangsform zwischen alveolärem und tubulösem Typus; die Ebner- schen Drüsen sind rein tubulös. Die Sublingualis ähnelt in der Form den Lippendrüsen; sie stellt eine Übergangsform zwischen tubulös und alveolür dar, ebenso die Sublingualis. Ebenso hat auch die Parotis keinen rein alveolären Typus, sondern stellt ebenso eine Ü!bergangs- form dar. Wenn wir zwei Grundformen der Drüsen, tubulöse und alveoläre unterscheiden, so gehören von den Drüsen der Mundhöhle, soweit sie untersucht sind, nur die serösen Zungendrüsen (Ebhnersche! einer Grundform, nämlich der tubulösen an. Alle übrigen zeigen eine Übergangsform und zwar stehen Lippendrüsen, Sublingualis, und mu- köser Teil der Submaxillaris der alveolären Grundform näher. Herber (Berg.-Gladbach).

60 Bücherbesprechungen.

Bücherbesprechungen.

Paraffin-Injektionen. Theorie und Praxis. Eine zusammenfassende

Darstellung ihrer Verwendung in allen Spezialfächern der Medizin von Dr. med. Albert E. Stein, dirigierendem Arzte der chirur- gisch-orthopädischen Abteilung am Auguste-Viktoria-Bad zu Wies- baden. Mit 81 Abbildungen im Texte. Stuttgart, Verlag von Ferdinand Enke. 1904.

Von jeher haben die Zahnärzte es in den Bereich ihrer Tätig- keit gezogen, Verunstaltungen wieder gut zu machen, die durch eingreifende Operationen entstanden oder angeboren waren. So stellte man künstliche Nasen, Ohren und sonstige Gesichtsteile her, man ersetzte den Gaumen, die Kiefer, die Zunge, den Kehlkopf und andere Teile des Kopfes und Halses. .Ein neues Verfahren für diese kosmetische Behandlung ist durch die Verwendung der Paraffin- oder Vaselineinjektion eingeführt worden. Solche Behandlungen werden wohl meist vom Arzt ausgeführt; doch ist ihre Kenntnis für den Zah- arzt unerläßlich, wenn er sich nicht aus einem lange innegehabten Arbeitsgebiete verdrängen lassen will. Recht geeignet, sich die nötigen Grundlagen und Anleitungen zu verschaffen, dürfte das vorliegende Buch von A. Stein sein. Dieser will seine Leser der schwierigen Aufgabe entheben, sich die in der medizinischen Literatur überall zer- etreuten Aufsätze zusammen suchen zu müssen. Möglichst objektiv werden die einzelnen Verfahren dargestellt, auch wenn Verfasser sie nicht für vorteilhaft hält. Es soll dadurch dem Leser überlassen bleiben, sich das ihm am besten scheinende selbst auszuwählen. Das 166 Seiten starke Buch zerfällt in einen allgemeinen und einen speziellen Teil. In den ersten drei Kapiteln erfahren wir näheres über die Ge- schichte der Paraffinverwendung in der Heilkunde, über die Chemie und Fabrikation des Stoffes, der gebraucht werden soll. Das 4. Kapitel behandelt die Emboliegefahr, zu deren Vermeidung folgende Rat- schläge gegeben werden: „1. Vermeidung von flüssigen Material; 2. Beschränkung der Quantität der einzuspritzenden Masse und Ver- teilung derselben auf mehrere durch Wochen getrennte Zeiträume: 3. möglichste Vermeidung von Gegenden bei der Injektion, in welchen sich bekanntermalen größere Getäßverzweigungen befinden; 4. mög- lichst gute Blutabsperrung, wenn man in Gegenden operieren muß, in welchen zahlreiche Gefäße verlaufen; 5. Verwendung bei nicht zu heißer Temperatur; 6. ist dringend zu verlangen, dal die Patienten nach beendeter Operation nicht sofort wieder umhergeben, sondern sich mindestens einige Stunden vollkommen ruhig verhalten.“ Das nächste Kapitel (mit 15 Abbildungen) bringt die Ergebnisse der Untersuchungen über das anatomische Verhalten der injizierten Massen. Kapitel 6 behandelt die Technik der Injektion. Diese ist verschieden, je nachdem Vaseline, weiches oder hartes Paraftin benutzt wird. Verfasser hält die zweite Norte für das geeignetste Material und begründet dies aus- führlich im folgenden Kapitel. Die Einzelheiten müssen im Buche selbst nachgelesen werden. Die beiden letzten Kapitel des ersten Ab- schnittes beschreiben den Heilungsverlauf und die Indikation der Paraftininjektion.

Der spezielle Teil beginnt mit der Verwendung des Paraftins in der Chirurgie, wie zur Korrektur von Suttelnasen zum Ausgleich ein- gezogener Narben, ferner zum Verschluß von Tisteln. Zu e) „Ver-

Bücherbesprechungen. 61

besserung von Defekten des weichen Gaumens“ (S. 101) sehe ich mich veranlaßt, einige Worte zur Richtigstellung zu agen: Süersen (nicht Sürsen) befestigte seinen Obturator nicht „an den Schneidezähnen‘“‘, wie Verfasser schreibt, sondern an einer Gebißplatte die angeklammert werden kann an den Prämolaren oder Molaren; denn gerade die Schneidezähne sind hierzu am ungeeignetsten. Weiter behauptet Stein: „Wolff gab einen Obturator an“ usw. Dies ist ein Irrtum, der wahrscheinlich auf W olffs Veröffentlichung in Langenbecks Archiv f. klin. Chir., Bd. 33, Heft 1 beruht, in der dieser das Verdienst des hohlen, weichen Obturators für sich in Anspruch zu nehmen scheint. Jedoch im folgenden Hefte gab er schon zu: daß Schiltsky zuerst die Idee, „elastische und innen hohle Ersatzstücke zu verwenden, gehabt und diese Idee durch glänzende Technik ausgeführt habe.“ Wolff nimmt für sich die Priorität der Idee in Anspruch, das Ersatzstück nicht in die offene oder wieder aufgemachte, Gaumenspalte zu legen, sondern in den Raum zwischen dem operativ vereinigten Gaumensegel und der hinteren Gaumenwand. Weshalb erwähnt Verfasser nicht auch die anderen Konstruktionen von Kingsley, Brand, Martin u. a., die doch auch mit gutem Erfolge verwendet werden? Von der Aus- tüllung der Kncchöndeläkte handelt die Unterabteilung. 1. Aus dem Abschnitte über die Neurologie sei erwähnt, daß man nach der Neuro- tomie Paraffininjektionen macht, um ein Wiederzusammenwachsen der Enden zu verhüten. Das 17. Kapitel betrifft die Zahnheilkunde und besteht in der Hauptsache aus einem Referat über die Jul. Witzel- schen Veröffentlichungen in Nr. 496 und 497 der Zahnärztlichen Rund- schau und in Nr. 52 der Deutschen medizinischen Wochenschrift 1902. Ein Kapitel über die Verwendung des Paraffins zu rein ästhetischen Zwecken beschließt das Buch, Wie groß übrigens die Literatur über das Thema schon ist, beweist das Verzeichnis, das 225 Artikel auf. führt. Dabei sei erwähnt, daß Verfasser bittet, ihm etwa übersehene Aufsätze mitzuteilen. Außer den schon angeführten Abbildungen tragen

noch weitere (9 wesentlich zum Verständnis der Darstellung bei. ir können das Buch allen, die sich für Paraffininjektionen interessieren, nur empiehlen. Dr. R. Parreult (Leipzig).

Principes et technique de l’obturation des dents par le Dr. C. N. Johnson, Professeur de Technique operatoire au College de Chirurgie Dentaire de Chicago. Traduit de la seconde Edition et annoté par Paul E. Gires, Docteur en Médecine de l’Uni- versité de Paris, Docteur en Chirurgie Dentaire de l’Universite de Pensylvanie, Chirurgien-Dentiste de la Faculte de Medicine de Paris, Secretaire de la Redaction de la „Revue de Stomato- logie“, et Georges Robin, Docteur en Medecin de l’Universite de Paris, Docteur en Chirurgie Dentaire de l’Universite de Pen- sylvanie. Précédé d’une préface par le Dr. Edw. C. Kirk.

oyen de l’Ecole Dentaire de l'Université de Pensylvanie. Paris Société Française de Fournitures Dentaires. G. Ott et Cie 1903.

Die Übersetzung des Johnsonschen Lehrbuches über das Füllen der Zähne ist ein stattlicher Band von 343 Seiten, dem Ed. C. Kirk (Philadelphia) auf Bitten der beiden Übersetzer einige Geleitsworte

schrieben hat. Das erste Kapitel handelt über „Depöts sur les ents“, ist also eigentlich im Titel des Buches nicht mit inbegriffen. Die nächsten zwanzig Kapitel sind dann der konservierenden Zahnheil- kunde eingeräumt. Auf die einzelnen Kapitel näher einzugehen, dürfte

62 Bücherbesprechungen.

wohl nicht nötig sein, da es sich meist um bekannte Sachen handelt, wenn auch manch Neues und mancher wertvolle Wink darunter ist. Im letzten Kapitel wird die Behandlung der Zähne bei Kindern be- sprochen. Hieraus sei erwähnt, daß die Verwendung von Arsenik bei

indern unter allen Umständen verworfen wird, man soll Nelkenöl verwenden. Diesen Standpunkt möchte ich nicht teilen, da ich bisher noch keine Schädigung durch Arsenik bei Milchzähnen gesehen habe. Die vom Verfasser geschilderte Behandlung mit Abszessen und Fisteln an Milchzähnen in konservierender Weise scheint mir etwas zu weit- gehend. In solchen Fällen wird sich der Gebrauch der Zange wohl meistens rechtfertigen lassen.

Die Ausstattung ist gut, die Abbildungen sind besser, als ich sie häufig in französischen Lehrbüchern gesehen habe. Wir in Deutsch- land sind sie freilich in größerer Anzahl gewöhnt.

Dr. R. Parreidt (Leipzig).

Beiträge zum Durchbruch der bleibenden Zähne. Inaugural-Disser- tation zur Erlangung der Doktorwürde in der gesamten Medizin usw. von Hermann Kallhardt. Mit 4 Tafeln (Separatabdr. a. d. Öster.-Ungar. Viertelj. f. Zahnh. 1904. Heft I u. 11.)

Über den Zahndurchbruch gibt es noch so viel einander ent- gegengesetzte Lehren, daß jeder Beitrag, der etwas zur Klärung der Verhältnisse beiträgt, willkommen ist. Einen solchen Beitrag begrüßen wir in der Dissertation Kallhardts. Aus ihren Ergebnissen seien hier nur einige kurz angeführt. Die Resorptionstätigkeit beginnt von Zellen des Zahnsäckchens aus, daran schließen sich solche der Wurzel- haut des Milchzahnes, und zuletzt nimmt auch die Pulpa des Milch- zahnes teil, indem Riesenzellen aus ihr hervorgehen. Riesenzellen treten erst auf, wenn der im Durchbruchsbezirke herrschende Druck einen bestimmten Grad erreicht hat; vorher beobachtet man Resorption durch Rundzellen. Während des Wurzelwachstums findet am Boden der Keimalveole Knochenneubildung statt, wobei die Spongiosabälkchen radiäre Richtung zur Wurzel einnehmen. Dieses Knochengewebe, das später verdichtet wird, bildet das Widerlager für den durchbrechenden Zahn. Der Pulpawulst ist die treibende Kraft, die den Zahn nach der Stelle des geringsten Widerstandes, zum Durchbruch drängt.

Jul. Parreidt.

Medizinal-Kalender für das Jahr 1905. Mit Genehmigung Sr. Exzellenz des Herrn Ministers der geistlichen, Unterrichts- und Medizinal- Angelegenheiten und mit Benutzung der Ministerialakten. Erste Abteilung: Geschäftskalender Heilapparat; Verord- nungslehre diagnostisches Nachschlagebuch. Herausgegeben von Dr. R. Wehmer, Regierungs- und (seheimem Medizinal-Rat in Berlin. Zweite Abteilung: Verfügungen und Personalien des Zivil- und Militär-Medizinal-Wesens im Deutschen Reich, mit alphabetischem Namen- und Ortschafts-Register. Berlin 1905. Verlag von August Hirschwald.

Das reichhaltige Werk sei auch dieses Jahr wieder lebhaft be- grüßt. Wir finden im Heilapparat 106 enggedruckte Seiten Arznei- mittel, ihre Beschaffenheit, Anwendung, Preis usw. verzeichnet. Dann die größten Gaben der Arzneimittel, Löslichkeit chemischer Präparate, die Medizinalgewichte und -Maße usw., Rezeptformeln usf., 84 Seiten mit Kur- und Badeorten mit ihren Arzten. Anstaltsbehandlung (z. B.

Kleine Mitteilungen. 63

Orthopädie, Heilgymnastik, Elektrotherapie, Massage, Kaltwasserheil- anstalten, Anstalten f. diätetische Kuren, für Hautkrankheiten,* für Herzkrankheiten usf. Dazu die zweite Abteilung, ein Band von 13% Seiten Umfang Adressenmaterial in engstem Druck. Von so reichlichem Stoffe fällt für jeden etwas ab. Jul. Parreidt.

„Gesunde und kranke Zähne,“ ist eine sehr gut ausgestattete Wandtafel überschrieben, die im Verlag von L. Beust in Straßburg i. E. 1904 von Dr. Jessen herausgegeben, erschienen ist. In farbigen Bildern wird gezeigt, wie der Kiefer eines 2!/.jährigen und der eines 30jährigen aussieht. Ferner sehen wir Durehschnitte durch gesunde und kranke Zähne, und schließlich eine Anzahl Darstellungen von Mundhöhlen vor und nach der Behandlung. Dazu ist mit wenig Worten ein belehrender Text geschrieben. Die Tafel dürfte sich sehr

ut zum Aufhängen in einem Vorraum beim Zahnarzt eignen, da der Patient durch einen Blick darauf besser und eindrucksvoller belehrt wird, als durch lange Erklärungen von unserer Seite. In der Haupt- sache aber ist sie wohl für Schulen bestimmt. Dr. R. Parreult (Leipzig).

Kleine Mitteilungen.

Geschäftsbücher für Zahnärzte.. 1. Journal für Zahnärzte. Das „Journal f. Zahnärzte“, Januarheft, herausgegeben im Verlag von Siegbert Schnurpfeil in Leipzig ist nicht etwa eine neue Zeitschrift, sondern ein Geschäftsbuch, in Form eines Blockes von 100 zwei- seitigen Kontenblättern die leicht abtrennbar sind und, nachdem sie in Gebrauch genommen sind, in einem Karton mit seitlicher Klappe oder in einer Registraturmappe alphabetisch aufbewahrt werden können.

Am Kopfe jedes Blattes ist ein Gebiß der Milchzähne und eins der bleibenden abgebildet, außerden ist Platz vorhanden, Namen, Wohnung usw. des Patienten zu verzeichnen. Dann sind Linien so gezogen, daß Kolonnen entstehen für: Datum, Zahn, Vorbehandlung, Operation, Plombe, Zahnersatz, Zeit, Betrag, Rechnung am, Betrag, Zahlte am, Jahresumsatz und Bemerkungen. Die meisten dieser Kolonnen sind wieder geteilt in Unterabteilungen, z. B. „Operation“ in Extraktion, Reinigung, Regulierung, „Plombe“ in Zement, Amalgam, Gold usw. Die Einrichtung erscheint uns zweckmäßig.

2. Frieses Dental Notiz-Kalender 1905. Zweiundzwanzigster Jahrgang. Herausgegeben im Selbstverlag von Friese & Rohrschneider. Magdeburg. Das Buch ist so bekannt, daß es dieses Jahr nur erwähnt zu werden braucht.

3. Dental-Notizbuch von C. Ash & Sons. Auch dieses gut aus- gestattete Buch mit festem Ledereinband ist bekannt.

Preise der Weltausstellung in St. Louis. In der Abteilung Unterrichtswesen hat die Straßburger städtische Schulzahnklinik von Prof. Dr. Jessen die goldene Medaille erhalten.

In der Abteilung Sozialökonomie, Gruppe öffentliches Ge- sundheitswesen, erhielten Prof. Dr. Jessen, Dr. Loos und Zahnarzt Schläger in Straßburg die silberne Medaille.

64 Kleine Mitteilungen.

Aktinomykose. In Heft 4 des 68. Bandes des Archiv für kli- nische Chirurgie veröffentlicht v. Baracz-Lemberg eine Abhandlung „über die Aktinomykose des Menschen auf Grund eigener Beobachtungen“, dem wir folgendes entnehmen. Von den 60 an- geführten Fällen betrafen 52 Kopf und Hals. Der Pilz soll nach An- sicht des Verfassers niemals durch kariöse Zähne eindringen, sondern immer durch die Schleimhaut, ganz ausnahmsweise durch die Kutis. Die Übertragung geschieht durch trockene pflanzliche Fremd- körper. Baracz will alle größeren aD Eingriffe vermieden wissen, breite Inzision, Auskratzung der leicht zugänglichen Herde und Tamponade sollen genügen. Bei kleineren Herden empfiehlt Yer- fasser die parenchymatöse Einspritzung von Jodtinktur oder 2Uproz. Höllensteinlösung. Dr. R. P.

Untersuchungen über die Lymphbahnen der Wangen- schleimhaut veröffentlichen Palya und v. Navratil (Ofen-Pest) in Heft 1 und 2 des 66. Bandes der Deutschen Zeitschrift für Chirurgie. Die Lymphgefäße der Wangenschleimhaut müssen meist in die sub- maxillären Lymphdrüsen, die des unteren Zahnfleisches größtenteils auch dorthin. Von den Gaumenbögen und Tonsillen gehen die Lymph-

efäße nach den oberen tiefen Zervikaldrüsen. Die Wangenhaut leitet ihre Lymphe in die submentalen, parotischen, submaxillaren Drüsen und auch nach denen der anderen Seite. Von der Lippe ziehen sich die Gefäße nach den submentalen, submaxillaren und auch zervikalen Drüsen. In die submaxillaren und tiefen zervikalen münden die Ge- fäße des Mundbodens, Die Wangenmuskeln und das Periost des Unter- kiefers stehen in enger Beziehung zu den Lymphgefäßen der Wangen- schleimhaut. Dr. R. P.

Zahnretention. Ein Fall von retiniertem Caninus des linken Oberkiefers bei einer jährigen Dame wird von Chr. Hinrichsen in Nr. 36 des 5. Jahrganges der Deutschen zahnärztlichen Wochen- schrift mitgeteilt. Die ersten Anzeichen waren 3 Monate nach der Einsetzung eines Ersatzstückes zu bemerken. Nach 13 Monaten war eine deutliche Anschwellung des Zahnfleisches in der Gegend von |1 zu sehen, die auf Druck schmerzte und ein eitriges Exudat aus einer an der Lippenseite gelegenen Fistel entleerte.e In 3-5 mm Tiefe fand Hinrichsen einen wohlausgebildeten Eckzahn, dessen Wurzel „senile Transparenz“ hatte. Der betreffende Milcheckzahn war früh extrahiert worden. Dr. R. P.

Als Wurzelfüllungsmittel empfiehlt Homer Almon eine Paste aus Jodoform und Wachssalbe, welche mit einigen Tropfen Zimmtöl versetzt ist zur Beseitigung des unangenehmen Todoformgsächuiacke. (Dental Summary 194, Nr. 9, S. 758.) Port.

Um die Gebißschablonen beim Bißnehmen und Einprobieren der Stücke widerstandsfühiger zu machen, legt man zweckmäßig beim Modellieren Zinnfolie unter. (Dental Summary 1904, Nr. 9, a

ort.

Richters Adreßbuch. Da mit dem Satz zu diesem unentbehr- lichen, reichbaltiren Nachschlagebuche den 1. Februar begonnen werden soll, mögen alle Praktiker die ihnen zugesandten Fragebogen baldigst zurückschicken.

XXII. Jahrgang. 2. Heft. ebruar 1905.

Deutsche Monatsschrift

für

Zahnheilkunde.

[Nachdruck verboten.)

Eine seltene Gesichtsverletzune.

Von Prof. Dr. Port in Heidelberg. (Mit 1 Tafel.)

Der Fall, den ich im folgenden beschreiben will, ist sowohl wegen der Größe der Verletzung, als auch wegen der Schwierig- keit des späteren technischen Ersatzes so einzigartig, daß sich wohl in der ganzen Literatur kein zweiter solcher finden dürfte.

Es handelte sich um eine 54jährige Frau, welche im vorigen Januar in ihrem Heimatsdorfe in Vertretung ihres Mannes, welcher (remeindediener ist und damals gerade krank war, die Laternen auslöschen mußte. Es war damals Glatteis und die Frau mußte, um zu der Laterne zu gelangen, eine Leiter benützen, welche an einem Haken befestigt wurde, der an der Laterne angebracht war. Dieses Einhaken der Leiter hatte die Frau offenbar unter- lassen und es glitt daher die Leiter aus, als die Frau dieselbe bestiegen hatte. Beim Herabfallen blieb nun die Patientin mit dem Kinne an dem für die Leiter bestimmten Haken hängen, indem dieser hinter der Spina mentalis interna eindrang. Durch die Schwere des herabfallenden Körpers wurde nun der armen Frau der ganze Unterkiefer samt der Haut des größten Teiles des Gesichtes abgerissen und blieb an dem Laternenpfahle hängen. Trotz der Schwere der Verletzung konnte sich die Patientin noch In das gegenüberliegende Wirtshaus begeben, von wo aus rasch der Arzt herbeigerufen wurde, welcher die spritzenden Arteriae waxillares internae unterband und am nächsten Morgen die’ Patien- tn in die Klinik brachte.

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66 Port, Eine seltene Gesichtsverletzung.

„Das Bild, welches die Patientin darbot, war grauenerregend. Der Unterkiefer war links exartikuliert, rechts unterhalb des Gelenkköpfchens abgebrochen, die Highmorshöhle war auf der einen Seite eröffnet, die ganze Gesichtshant war wegskalpiert und das ganze Gesicht bot eine Wundfläche. Diese reichte von der Mitte des Halses vorbei an den Ohren zu den unteren Augen- lidern über die Nase und an der Nasenwurzel noch etwa 3 cm in die Stirnhaut hinein. Lippen, Nase, Wangen, alles war weg- gerissen. Aus der Mitte der Wundfläche ragte der zahnlose Oberkiefer hervor, und man sah direkt in die Schlundhöhle hinein, gegen welche die Zunge hinabgesunken war und so stets drohte, einen Erstickungsanfall zu erzeugen.

Fig. 1 zeigt die Photographie der Verletzung, wie sie noch am Vormittage der Aufnahme der Patientin ins Krankenhaus auf- genommen worden war. Fig. 2 stellt die abgerissene Gesichts- maske dar, welche am nächsten Morgen an dem Laternenpfahle hängend aufgefunden und in die Klinik nachgesandt wurde.

Trotz der Schwere der Verletzung war die Patientin bei Bewut:tsein und konnte sogar auf einer Schiefertafel ihre Leidens- geschichte niederschreiben.

Von Anfang an war eigentlich wenig Hoffnung. die Patientin am Leben zu erhalten, und das menschliche Mitleid gebot es eigentlich, zu wünschen, daß sie bald von ihren Leiden erlöst würde. Die erste Indikation bestand darin, die Zunge nach vorne zu fixieren, um einer plötzlichen Erstickungsgefahr vorzubeugen. Das geschah dadurch. daß dieselbe unten mit der Haut des Halses vernäht wurde. Ungemein schwierig war auch die Art der Er- nährung. Da die ganze Mundhöhle sozusagen fehlte, mußte der Patientin die flüssige Nahrung mit einer Schlundsonde eingeführt werden.

War so zwar die Ernährung während des Aufenthaltes in der Klinik ermöglicht. so lieben sich für später große Schwierig- keiten erwarten, welche sich nach der Entlassung einstellen würden. Aber merkwürdigerweise lernte Patientin nicht nur bald, sich die Scehlundsonde selbst einzuführen. sondern bald konnte sie dieselbe ganz weglassen, indem sie lernte, aus einer Milchtlasche mit Gummisauger zu trinken, wie man solche den kleinen Kindern gibt.

Nach etwa 4 Wochen war die Verletzung soweit geheilt, daß man daran gehen konnte, sich zu überlegen, was nun weiter mit der Frau geschehen solle und wie man ihr wenigstens wieder zu einem menschlichen Aussehen verhelfen könne. Durch den Narbenzug war ein starkes Ektropium der beiden unteren Augenlider vor- handen. Dieses wurde beseitigt durch eine Plastik resp. Trans- plantation, wozu die Haut auf der einen Seite von der Schläte,

Port, Eine seltene Gesichtsverletzung. 67

auf der anderen vom Oberschenkel genommen wurde. Bei der Verletzung waren die Submaxillardrüsen mit weggerissen worden. Die Sublingualis aber war beiderseits noch vorhanden und mündete nach der Fixation der Zunge an der Halshaut am Halse und hatte hier einen beständigen, äußerst lästigen Speichelfiuß zur Folge. Es wurden daher diese Drüsen exstirpiert.

Nun begann meine Aufgabe. Es war von vornherein klar, dab es durch einen technischen Ersatz ganz unmöglich war, irgendwie die Funktionen der fehlenden Teile in irgendeiner Weise wieder herzustellen. Ich mußte mich darauf beschränken, der Patientin lediglich eine Gesichtsmaske zu machen, welche den Defekt verdeckte, und der Frau wenigstens das schreckenerregende ‚Aussehen nahm und es ihr so ermöglichte, wenigstens wieder unter die Menschen gehen zu können. Auch diese Aufgabe war wahrlich noch schwierig genug. Als Material für den Ersatz wählte ich Kautschuk. Aber der Ersatz war so groß, daß es un- möglich war, denselben in einem gewöhnlichen Vulkanisierapparate unterzubringen. Ich bestellte mir daher bei Ash & Sons einen eigenen Apparat mit einer Küvette, welche ein Ausmaß von 20 cm in jeder Richtung besaß. Um diesen Apparat zu heizen, brauchte ich, nebenbei bemerkt, einen 5flammigen Brenner. Die nächste Schwierigkeit war das Abdrucknehmen. Damit mir die Frau nicht hierbei ersticke, schnitt ich mir ein Blech aus, welches den Rest der Mundhöhle bedeckte und in (dessen Mitte eine !/, cm weite Röhre wie ein Schlot angelötet war. Uber dieses nahm ich dann mit Stentsmasse Abdruck, denn Gips verbot sich eines- teils deshalb, weil durch Hineinfließen des Gipses in die Mund- höhlung leicht ein Erstickungsanfall hätte auftreten können, anderenteils weil zu befürchten war, daß trotz reichlichen Ein- fettens die zarte Narbe, welche die freiliegenden Knochen über- spannte, Schaden leiden möchte. Auf das so erhaltene Modell wurde nun ein neues Gesicht modelliert, das Nase, Wangen, Lippen, Kinn und einen Teil des Halses umfaßte, Ich habe dies alles selbst aus freier Hand modelliert, indem ich mir meine Studenten und Studentinnen Modell sitzen ließ. Wenn ich auch nicht be- haupten will, daß ein Künstler von Beruf es nicht vielleicht noch besser gemacht hätte, so kann ich doch mit einer gewissen Be- triedigung sagen, daß es nicht so schlecht ausgetallen ist, Arbeit und Mühe hat es allerdings genug gekostet.

Nun kam noch eine Schwierigkeit. die der Art der Befestig- ung. Eine so große Maske ist natürlich schwer und hat, be- sonders wenn sich die Patientin bückt, die Neigung, sich nach vorn abzuheben resp. herabzutallen. Es wurde daher eine doppelte Befestigung gemacht. Über den erhaltenen Teil des Nasenzerüstes stanzte ich aus Nickelbronze ein Blech, welches oben an den Bügel

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68 Port, Eine seltene Gesichtsverletzung.

einer besonders ausgesuchten, starken Brille angelötet war und unten dem Kautschuk zur Befestigung diente. Um der Brille einen festeren Halt zu gewähren, wurden beiderseits an die Bügel Streifen aus Nickelblech angelötet, welche der Kopfform sich genau anschmiegend nach hinten führten und hier mit einem Gummibande zusammengehalten waren. Die zweite Befestigung geschah dadurch, daß am Ende des Halsteiles der Prothese beider- seits Osen angebracht wurden, an welche Gummibänder genäht wurden, welche man hinten am Halse knüpfen konnte. Diese etwas primitive Art der Befestigung wirkt ästhetisch nicht störend, weil die Patientin sie mit einem Halstuch oder einer Krause leicht verdecken kann. Die Maske selbst wurde, um ihr Gewicht zu vermindern, möglichst dünn im Kautschuk gearbeitet. Die Nasenlöcher wurden durchbohrt, um der Patientin das ungestörte Atmen beim Tragen der Prothese zu ermöglichen. Insbesondere wurde der Kinnteil der Prothese stark ausgehöhlt und innen mit Goldfolie belegt, weil dieser Teil der Zunge zur Aufnahme dient.

Endlich mußte die Maske noch bemalt werden. Auch das habe ich selbst ausgeführt, und ich verwandte hierzu die Rippolin- farben, welche ich schon früher empfohlen habe und die sich, soweit ich meine Prothesen wiedergesehen habe, gut bewähren.

Die Patientin ist über den Ersatz sehr glücklich, und auch ich kann mit dem Resultate voll zufrieden sein, denn die Prothese ist so täuschend gemacht, dat man auf 10 Schritte kaum mehr etwas davon merkt.

Ich stellte die Frau an Pfingsten in Straßburg gelegentlich der Central-Vereins-Versammlung vor und habe sie kürzlich wieder- gesehen, als ich sie bei der Versammlung des Vereins Pfälzer Zahnärzte demonstrierte. Die Patientin kommt andauernd sehr gut damit zurecht.

Die Fig. 3—6 zeigen den Fall nach der Abheilung und mit der Prothese in verschiedenen Aufnahmen.

Zum Schlusse dürfte es noch von Interesse sein, zu berichten, wie das sonstige Befinden der Patientin sich verhält. Die Er- nährung ist eine flüssige und besteht aus Milch, in welche rohe Fier geschlagen sind und aus Wein. Beides nimmt die Patientin, wie schon erwähnt, aus einer Saugflasche. wie wir dieselbe für kleine Kinder verwenden. Sie legt den Gummistöpsel hinten auf den Zungengrund, läßt durch Heben der Flasche die Flüssig- keit langsam einlaufen und kann so ordentlich schlucken. Diese Ernährungsweise hat die Patientin vollkommen auf ihrem bis- heriren Krnährungszustande zu erhalten vermocht.

Auch die Sprache hat sich wenigstens zum Teile wieder- hergestellt, so daß die Personen ihrer Umgebung sie verstehen

Deutsche Monatsschrift für Zahnheilkunde. XXIII. Jahrgang.

Verlag von Arthur Felix in Leipzig.

Druck von August Pries in Leipzig.

Landgraf, Die Initialsymptome der Alveolarpyorrhöe. 69

können. Auch mir, der ich natürlich lange mit ihr verkehrte. ist dies möglich. Mit fremden Personen allerdings kann sie sich nur schriftlich verständigen. Man versteht übrigens ihre Sprache, auch wenn sie die Prothese trägt, nicht schlechter.

Dieser seltene Fall zeigt uns, wie es manchmal auch bei ganz traurigen Verletzungen gelingt, den Patienten durch Pro- thesen, wie wir sie mit unseren Hilfsmitteln imstande sind, wenigstens einigermaßen zu helfen.

[Nachdruck verboten.)

Die Initialsymptome der Alveolarpyorrhöe.

Von Dr. med. Lorenz Landgraf, Zahnarzt in Budapest.

Wenn man in der Literatur über Alveolarpyorrhöe, die sich in der letzten Zeit ins Uferlose auszabreiten droht, Umschau hält, so findet man, daß sich die Polemik ausschließlich auf zwei Gebieten bewegt: nämlich dem der Pathogenese und dem der Therapie. Bezüglich der ersteren gehen die Ansichten noch immer nach allen Richtungen der Windrose auseinander, und wir sind weit davon entfernt, uns zu einer einheitlichen Erkenntnis der Krankheit durchzuringen. Die Therapie aber bildet ein ge- treues Spiegelbild dieser Verworrenheit, nachdem ja eine ziel- bewubte Entfaltung derselben nur dort möglich ist, wo man bereits klare Einblicke in die Entstehungsbedingungen eines Krank- heitsprozesses gewonnen hat.

Die Klärung dieser Entstehungsbedingungen muß demnach anch weiterhin unsere vornehmste Aufgabe bilden, wenn der Streit nicht in alle Ewigkeit fortdauern soll.

. Der wichtigste und zugleich strittigste Punkt in der ganzen Fra ge ist nun der: ist für die Entstehung des Leidens eine be- sonwiere allgemeine Disposition notwendig oder genügen lokale Ursachen, um die Krankheit auszulösen? Ich habe bereits im Jahre 1903 gelegentlich der Jahresversammlung des Central-\Vereins deutscher Zahnärzte in Berlin den Nachweis!) zu führen gesucht, dat eine allgemeine Disposition, sofern sie die \Viderstandskraft des Organismus gegen Eiterungsprozesse herabsetzt. den Ausbruch

He. Dezemberheft.

70 Landgraf, Die Initialsymptome der Alveolarpyorrhöe.

und den Verlauf des Leidens entschieden fördert, daß sie aber keineswegs unbedingt notwendig ist und in überaus zahlreichen Fällen tatsächlich vermißt wird.

Die Anerkennung dieser Tatsache würde uns in der Klar- legung der Pathogenese einen bedeutenden Schritt nach vorwärts führen; denn es würde dadurch vor allem jenem Mystizismus ein Ende gemacht werden, der gegenwärtig die Theorie der Krank- heit beherrscht und der darin seine Hauptstütze findet, daß man an der Notwendigkeit einer eigenartigen, nicht näher definierbaren Prädisposition festhält.

In die Entstehungsbedingungen einer Krankheit gewährt uns kein Umstand einen klareren Einblick als das Studium der Initialerscheinungen. Denn gerade im Beginne eines Krankheits- prozesses machen sich die ursächlichen Faktoren in ihrer reinsten Form geltend, während sie im weiteren Verlaufe durch Kompli- kationen allerart verwischt oder ganz unkenntlich gemacht werden.

Die Initialerscheinungen der Alveolarpyorrhöe haben bisher nicht die gebührende Aufmerksamkeit gefunden. Man begnügt sich in den einschlägigen Abhandlungen, die sich auch mit der Symptomatologie des Prozesses beschäftigen, die Alveolarpyorrhöe als eine Krankheit hinzustellen, welche mit Entzündung des Zahnfleisches, Bildung von Eitertaschen, Ablagerung von Kon- krementen und Lockerung der Zähne einhergeht. Auf die eigent- lichen Initialsymptome fehlt jeder Hinweis oder man erwähnt ganz flüchtig das Vorhandensein einer marginalen Gingivitis.

Es genügt zu diesem Zwecke, auf einige Bearbeitungen dieses Gegenstandes aus den letzten Jahren hinzuweisen. Baume z. B. im Scheffschen Handbuche, 2. Aufl., läßt die Alveolarpyorrhöe bzw. Atrophia alveolaris praecox mit auffälliger Lockerung eines oder mehrerer Zähne beginnen. Damit koinzidiert oft Gingivitis. Beim Sondieren konstatiert man, dal das Zahnfleisch mehr oder weniger tief ohne knöcherne Unterlage ist.

Römer im gleichen Handbuche erwähnt nur die Eitertaschen und die Granulationen in denselben und fügt noch hinzu, dat eine Verwechselung mit Gingivitis marg. purul. bei mangelhafter Mundpflege und reichlicher Zahnsteinablagerung eigentlich nur bei oberflächlicher Untersuchung vorkommen könnte.

Arkövy (Österr.-ung. Vierteljahrsschr. f. Zahnh. 1897) führt als das zuverlässigste klinische Merkmal der Alveolarpyorrhüe bzw. Caries alveolaris specifica die Zahnfleischtasche an. Zalm- stein und Entzündung des Zahnfleischrandes sind nur akzessorisch. Die chronisch marginale Gingivitis ist von Alveolarpyorrhöe dia- enostisch auseinander zu halten. Ein sicheres Voranzeichen der Krankheit hingegen ist das Piastema der Frontzähne.

Landgraf, Die Initialsymptome der Alveolarpyorrhöe. 71

Miller in seinem bekannten Lehrbuche schreibt: „Im Anfang bietet die Krankheit wenig Charakteristisches. Sie äußert sich nur durch eine lokale Rötung des Zahnfleischsaumes, die von einer einfachen Gingivitis marginalis, wie sie häufig durch Zahn- stein verursacht ist, nicht zu unterscheiden ist.“

Im Gegensatze zu den vorangenannten Autoren unterscheidet also Miller in unzweideutiger Weise ein Initialstadium mit wenig charakteristischen Symptomen, und läßt die Eitertasche erst im weiteren Verlaufe des Leidens entstehen. Auch konstruiert er keinen Gegensatz zwischen Alveolarpyorrhöe und chronischer, marginaler Gingivitis, wie: dies Römer und Arkövy tun.

Damit hat Miller meinem Ermessen nach das Richtige ge- troffen. Dies darzutun und den Versuch zu machen, ob sich nicht doch einige mehr oder weniger charakteristische Merkmale ent- decken lassen, die eine Frühdiagnose der so häufig vorkommenden Krankheit gestatten, ist die Aufgabe der vorliegenden Zeilen.

Alle Autoren mit Ausnahme einiger weniger (Pierce und seine Anhänger), deren Theorie mit den Erfahrungstatsachen jedoch nicht übereinstimmt, sind sich darin einig, daß der Krankheits- prozeß stets am Alveolarrande seinen Ausgang nimmt und von hier allmählich in die Tiefe der Alveole eindringt. Daraus aber folgt, daß die Krankheit nicht, wie es so oft beschrieben wird, mit einer Eitertasche beginnen kann. Denn der Bildung der Eitertasche, welche durch eitrige Einschmelzung der Wurzelhaut und der Alveolarwand entsteht, muß notwendigerweise die Lösung und Destruktion des fibrösen Verschlußgebildes der Alveole, des Ligamentum circulare, vorangehen. Da nun die Destruktion dieses Ligaments, abgesehen von Fällen reiner Atrophie, nur auf dem Wege der Entzündung erfolgen kann, so muß die Bildung der Eitertasche durch entzündliche Erscheinungen an den alveo- lären Randgebilden eingeleitet werden, und diese kann sich klinisch nur in Form einer marginalen Gingivitis dokumentieren.

Daraus ergeben sich aber als logische Schlußfolgerungen,

o hL daß wir häufig einer marginalen Gingivitis begegnen massen, die den Beginn einer Alveolarpyorrhöe bedeutet:

2. daß die marginale Zahnfleischentzündung als einleitender Entzündungsprozeß ein Initialsymptom der Krankheit ist;

83. daß dieselbe nicht als etwas Akzessorisches zu betrachten ist, sondern zum Wesen des Krankheitsprozesses gehört;

4. daB es unberechtigt ist, sie in einen solchen Gegensatz

zur Alveolarpyorrhöe zu bringen, als ob sie mit letzterer nichts

zernein hätte und diagnostisch von ihr strenge auseinander zu halten wäre,

72 Landgraf, Die Initialsymptome der Alveolarpyorrhöe.

Zu unterscheiden sind bloß jene Formen von Gingivitis marginalis, welche durch mechanische Reize, wie schlechtsitzende Kronen und Prothesen, überhängende Füllungen, eingedrungene Fremdkörper, größere Ansammlungen von Zahnstein oder margi- nalem Detritus usw. entstehen oder durch chemisch-toxische Ein- flüsse, wie Quecksilber, Blei, Kupfer usw. Treffe ich aber eine Randentzündung des Zahnfleisches an, bei welcher ich die ge- nannten mechanisch oder chemisch wirkenden Agenzien auszu- schließen vermag. dann habe ich wohl das Recht, mir die Frage vorzulegen, ob sich hier nicht der Beginn einer Alveolarpyorrhöe vorbereitet. Bestärkt werde ich noch in dieser Vermutung, wenn ich finde, daß die marginale Gingivitis trotz entsprechender Be- handlung eine große Neigung zur Rezidive zeigt, während die durch toxische oder mechanische Noxen entstehenden Formen nach Eliminierung der ursächlichen Reize leicht zu beheben sind.

Merkwürdigerweise sträuben sich heute noch viele Fach- männer, die logischen Konsequenzen aus den eben erörterten Tat- sachen zu ziehen und für gewisse Fälle von marginaler Gingivitis die Wahrscheinlichkeitsdiagnose auf Alveolarpyorrhöe zuzulassen. Ist keine Tasche vorhanden, so weisen sie jede derartige Zu- mutung mit überlegenem Lächeln zurück. Freilich ist es auch schwer, ihnen den Zusammenhang der beiden Krankheiten direkt zu demonstrieren. Denn es vergehen meist Jahre, ja selbst Jahr- zehnte, bis die Zahnfleischerkrankung in das manifeste Stadium der Alveolarpyorrhöe übergeht. Die Natur hat eben dafür gesorgt, daß dem Ansturm der infektiösen Reize. denen der Alveolarrand in einem solchen Malie ausgesetzt ist, wie kein anderer Teil des menschlichen Körpers, ein zäher Widerstand entgegengesetzt werde. Dieser hartnäckige Widerstand ist der beste Beweis dafür, dab von einer verminderten Lebenstähickeit des erkrankten Ge- webes, die namhafte Autoren als Erklärungsgrund für das Auf- treten der Krankheit heranziehen, nicht die Rede sein kann. Ist aber das Gewebe in seiner Lebens- und Reaktionsfähigkeit tat- sächlich wesentlich beeinträchtigt, wie bei schweren Formen von Diabetes, Nephritis, bei Skorlut, Sublimatvergiftung usw., dann ist auch der Verlauf des Leidens viel rapider, und es vollzieht sich der Prozeß unter Umständen in ebensovielen Tagen oder Wochen, als er sonst Jahre benötiete.

Was nun die einzelnen Merkmale der Gingivitis mar- ginalis pyorrhoica anbelangt. so sind dieselben an sich wenig charakteristisch. Die Abrundung des Zahnfleischsaumes, die Röt- ung und Schwellung bzw. eyanotische Vertfärbung desselben, die vermehrte Schleimbildung. die Schmerzlosirkeit, die Neigung zur Blutung finden sich auch bei anderen Formen der marginalen Gingivitis. Nicht selten fehlt am Zahnflvische jedwede Entzün-

Landgraf, Die Initialsymptome der Alveolarpyorrhöe. 79

dungserscheinung. Das Zahnfleisch erscheint dann blaß, ist nicht geschwollen und macht ganz den Eindruck des Normalen. Niemals wird man aber in solchen Fällen die Abrundung des Zahnfleisch- saumes vermissen und sieht man genau zu, kann man noch häufig eine wenig auffällige, jedoch an sich charakteristische livide Ver- färbung des Zahnfleischrandes konstatieren. Ich fand diese Ver- änderungen nur bei Personen, die ihrem Munde eine sorgfältige Pflege angedeihen ließen und nur in einem solchen Stadium der Pyorrhöe, das über die ersten Anfänge schon hinaus war. In einem solchen Falle sitzt nämlich der Entzündungsprozeß nicht mehr knapp unter dem Zahnfleischsaume, sondern tiefer drinnen in der Alveole, so daß die Gingiva bei entsprechen- der Zahnpflege den Anschein des Normalen wieder zurückge- winnen kann.

Ein weiteres verwertbares Symptom sind die subgingivalen Konkremente, die sich in Form harter dunkelpigmentierter Partikel dicht unter dem Gingivalsaume ablagern. In späteren Stadien der Pyorrhöe hängen sie oft mit den an den Wurzeln abgelagerten Konkretionen zusammen. niemals aber mit dem so- genannten supergingivalen oder weißen Zahnstein, von dem sie in der Farbe sowohl wie in der Härte differieren. Schon dadurch verraten sie, dat; sie anderen Ursprungs sind als der ausschlieb- lich vom Speichel abgesetzte weile oder ptyalogene Zahnstein. Wahrscheinlich sind sie ein Niederschlagsprodukt des unter dem Zahnfleische stagnierenden entzündlichen Sekretes, so daß der Name hämatogener Zahn- oder Eiterstein nicht unberechtigt ist. Trotzdem ist es nicht ausgeschlossen, daß auch der Speichel. der natürlicherweise auch in die Zahntleischtaschen eindringt, an ihrem Aufbaue teil nimmt. Ob der subgingivale Zahnstein auch bei anderen Formen der marginalen Gingivitis vorkommt, kann ich zwar nicht mit Bestimmtheit verneinen; die Entscheidung hierüber ist indessen ohne praktische Bedeutung, da der Entzündungsprozet; in allen Fällen, wo die subgingivalen Konkremente ihren mecha- nischen Reiz ausüben, nicht mehr zur Ruhe kommt, so daß früher oder später auch die Verschluisgebilde der Alveole in Mitleiden- schaft gezogen werden müssen.

Eine besondere diagnostische Bedeutung kommt auch dem Eiter zu, der sich bei Druck auf den Zahnfleischrand in Form eines gelblichen Saumes oder kleiner oft nur punktfürmiger Tröpfehen zutage fördern läßt. Zumal in chronisch verlaufenden Fällen ist der diagnostische Wert dieses eitrigen Sekrets nicht von der Hand zu weisen, denn es mülste noch bewiesen werden. ob es eine Gingivitis marginalis chronica yurulenta gibt, die zur Alveolarpyorrhöe in keinen Beziehungen steht und daher von ihr streng zu unterscheiden wäre.

74 Landgraf, Die Initialsymptome der Alveolarpyorrhöe.

Mit den angegebenen Symptomen sind die Gesichtspunkte noch keineswegs erschöpft, die sich bezüglich der Beziehungen der beiden Krankheiten zueinander ergeben. So findet man z. B. bei den Kindern solcher Eltern, welche an Alveolarpyorrhöe leiden oder ihre Zähne durch diese Krankheit bereits verloren haben, oft schon frühzeitig eine marginale Gingivitis, für die sich keine ursächlichen Momente nachweisen lassen und die trotz entsprechen- der Behandlung leicht wieder rezidiviert. Ich kann mir diesen Umstand nicht anders erklären, als daß sich in dem genannten Zahnfleischleiden die Veranlagung für die Krankheit der Eltern ausprägt. Hat man einmal seine Aufmerksamkeit auf diesen Um- stand gerichtet, dann wird man dieser Gingivitis jenseits der Jahre des Zahnwechsels häufig genug begegnen. Daraus ergibt sich aber der Schluß, dab die Alveolarpvorrhöe mit ihren ersten Anfängen bis in die Pubertätsjahre herabreicht, und daß die all- gemeine Annahme unberechtigt ist, sie sei eine Krankheit des mittleren Alters. Diesem Lebensabschnitte gehören nur die vor- gerückten Stadien an. deren Initialsymptome um viele Jahre vorausgehen. Das gilt aber nur im allgemeinen und schließt keineswegs aus, daß sich die Anfänge der Krankheit auch in späteren Jahren geltend machen können. Bei einzelnen Zähnen kann man das häufig genug konstatieren. Denn die Alveolarpyorrhöe ist eine Krankheit, die nur ausnahmsweise alle Zähne gleichzeitig befällt. Meist ergreift sie sukzessive einen Zahn um den andern, und man trifft in der Regel im Munde die verschiedensten Stadien an. Während der eine Zahn schon baumelt und dem Ausfall nahe ist, steckt der zweite noch ziemlich fest, obgleich die Minier- arbeit der Eitertaschen bereits im Gange ist, der dritte endlich verrät nichts anderes als eine Entzündung seines Zahnfleisch- randes. Wer dieses letztere Symptom außer acht lassen wollte, würde ebenso verfahren, wie ein Zahnarzt, der die Verfärbung und Erweichung einer zirkumskripten Stelle des Schmelzes nicht für beginnende Karies halten möchte, weil sich noch kein Loch gebildet habe.

Wenn ich nun alle Momente zusammenfasse, welche für die pvorrhöische Gingivitis marginalis als mehr oder weniger charakte- ristisch herangezogen werden können, so sind es also die folgen- den: Die Abwesenheit mechanischer oder chemischer Reize. die Neigung zur Rezidive, in gewissen Fällen die livide Verfärbung des Zalınfleischsaumes, ferner die subgingivalen Kunkremente und Eitertröpfchen und endlich das erbliche Moment.

Hiermit sind aber die Frühsymptome des Alvrolarleidens keineswegs erschöpft. Ich möchte vielmehr noch auf einige andere Merkmale hinweisen, welche in späteren Stadien der Krankheit

Landgraf, Die Initialsymptome der Alveolarpyorrhöe. 75

sehr auffällig in die Erscheinung treten, dem aufmerksamen Beob- achter aber bereits. im Frühstadium begegnen, sobald nämlich der Entzündungsprozeg das Ligamentum circulare überwunden hat und sich anschickt, in die Tiefe der Alveole einzudringen. Diese Merkmale sind dann wohlgeeignet, die Diagnose auf Alveolar- pyorrhöe zu stützen oder zum mindesten die Vermutung auf diese Krankheit zu lenken.

Das erste dieser Symptome ist die Veränderung des Perkussionsschalles und Perkussionsgefühles. Wenn man einen gesunden und festsitzenden Zahn mit einem metallenen Instrumente bspw. der umgekehrten Pinzette perkutiert, dann erhält man einen reinen, fast klingenden Ton und fühlt einen festen Widerstand, der die Einpflanzung des Zahnes in festes, unnachgiebiges Gewebe verrät. Anders bei der Alveolarpyorrhöe. Da wird der Ton schon frühzeitig unrein, fast klirrend, und zu- gleich hat man das deutliche Gefühl, daß der Zahn auf weicherem, nachgiebigem Untergrunde sitzt. Das Symptom tindet man auch bei akuter und chronischer Periodontitis. wo aber die Per- kussion schmerzhaft ist, was für die Alveolarpyorrhöe nicht zu- trifft. Die Erklärung für das Perkussionsphänomen ist in den anatomischen Veränderungen zu suchen und liegt in der Hyper- ämie und Schwellung der Wurzelhaut bzw. in dem von Römer eingehend beschriebenen Granulationsgewebe, das eine Art Polster zwischen Wurzel und Knochen bildet und den Zahn förmlich aus der Alveole drängt.

Die gleiche Erklärung ist auch für ein anderes Symptom heranzuziehen, nämlich für die Verlängerung und Deviation des Zahnes. Dieselbe kommt insbesondere an den oberen Front- zähnen leicht und früh zur Beobachtung, vermöge der eigenartigen Bitmechanik im Bereiche der Vorderzähne. Da nämlich die unteren Schneidezähne im Winkel auf die oberen aufbeiben, so werden die letzteren bei dem geringsten Heraustreten aus der Alveole durch ihre Antagonisten nach vorne und außen bzw. seitwärts gedrängt. Dadurch werden die Interstitien zwischen den Front- zähnen vergrößert und kommt jene Erscheinung zustande, die Arkövy als Diastema pathologicum beschrieben hat. Je mehr prognath von Hause aus die Frontzähne stehen, um so leichter macht sich die Wirkung des Antagonisten in dem genannten Sinne geltend, so dab der genannte Autor in solchen Fällen von einem Diastema prädispositionale spricht und darin ein zuver- lässiges Voranzeichen der Alveolarpyorrhöe erblickt. Die Ver- längerung und Deviation betrifft in der Frühperiode der Krank- heit meist nur einen einzelnen Frontzahn, erst nach und nach werden auch die anderen in Mitleidenschaft zezoeen. Namentlich solche Fälle von vereinzelter Artikulationsstürung sind es, auf

76 Landgraf, Die Initialsymptome der Alveolarpyorrhöe.

welche Károlyi seine Artikulationstheorie der Alveolarpyorrhöe stützt. Seiner Ansicht nach ist die Artikulationsstörung das Primäre, die Erkrankung des Zahnes aber das Sekundäre, während meinen Beobachtungen zufolge das Umgekehrte der Fall ist und oben in diesem Sinne erörtert wurde.

Zum Schlusse möchte ich noch eines subjektiven Symptoms Er- wähnung tun. In den meisten Fällen verläuft die Alveolarpyorrhöe ohne sonderliche Schmerzen, indem die Pulpa allmählich durch Atro- phie zugrunde geht. Zuweilen aber empfinden die Patienten an dem erkrankten Zahne eine enorme Temperaturempfindlichkeit, die den Genuß von Speise und Trank wesentlich beeinträchtigt und als Vorläufer einer Pulpitis anzusehen ist. Natürlich handelt es sich hier um eine Pulpitis ascendens, die nur dann zustande kommen kann, wenn der Entzündungsprozeß schon bis in die Nähe der Wurzelspitze vorgedrungen ist. Das geschieht nun ohne besonders auffällige Zeichen der Alveolarpyorrhöe mit- unter in der Weise, daß die Tasche einen schmalen und engen Schacht bildet, der bis zum Grunde der Alveole führt und nur mittelst eines schmalen, flachen und ungeknöpften Instru- ments mit Erfolg sondiert werden kann. Es ist notwendig, diesem Vorkonmnis seine Beachtung zu schenken, da es nicht selten das erste Symptom ist, welches den Patienten zum Zahn- arzte treibt und andererseits darnach angetan ist, zu einer Fehldiagnose zu verleiten. Ist nämlich zufällig der benach- barte Zahn mit einer tiefen Karies behaftet oder gefüllt, so ist nichts nüber liegend, als in dem kariösen oder gefüllten Nachbar die Quelle der Schmerzen zu suchen und demgemäl; seine Maß- nahmen zu treffen. Das wäre natürlich ein arger Mibgriff, der den Leiden des Patienten noch die Schmerzen einer unangebrachten Pulpadevitalisation hinzufügen würde. Denkt man hingegen an die Möglichkeit einer Alveolarpyorrhöe, dann wird man den schuldigen Zahn trotz seines intakten Aussehens bald eruiert haben. sowohl durch Konstatierung der engen Tasche, wie durch sorgsame Lokalisation des Schmerzgetühls.

Hiermit bin ich mit meinem Versuche zu Ende, dem Initial- stadinm der Alveolarpvyorrhöe soviel Charakteristisches abzu- gewinnen, dab eine Wahrscheinlichkeitsdiagnose langezeit vor dem Auftreten der pathognomonischen Symptome der Krankheit möglich ist. Den Zweitler von der Richtigkeit der Diagnose zu überzeugen, bevor noch eine Bresche in das Ligamentum circulare gelegt ist, ist freilich gerade bei diesem Leiden eine mil:liche Sache, da gar zu lange Zeit verstreicht, bis die Krankheit in ihr charakte- ristisches Stadium tritt. Mag aber der Skeptiker dann nicht vergessen, daß er, wenn er unter allen Umständen eine Eiter- tasche für die Diagnose fordert, die Anfänge des Leidens niemals

Landgraf, Die Initialsymptome der Alveolarpyorrhöe. 77

zu Gesichte bekommen wird. Damit wird ihm aber auch der günstigste Zeitpunkt für die Behandlung entgehen. Denn wie die meisten menschlichen Gebreste, bietet auch die Alveolar- pyorrhöe in ihrem Beginne die beste Gewähr für eine erfolg- reiche Therapie.

Die Beachtung der Anfänge des Leidens ist aber auch ge- eignet, auf die vielumstrittene Pathogenese ein Licht zu werfen. Sie lassen deutlich erkennen, daß die Alveolarpyorrhöe als ein rein lokaler Krankheitsprozeß beginnt und den lokalen Charakter auch im weiteren Verlaufe wahrt, ohne Rücksicht auf den All- gemeinzustand des Organismus. Letzterer beeinflußt wohl in hervorragendem Maße Intensität und zeitlichen Ablauf der Krank- heit, nicht aber das Wesen derselben. Eine besondere, nur bei der Alveolarpyorrhöe vorhandene krankhatte Konstitution ist bisher nicht nachgewiesen worden und hat auch gar keine Wahrschein- lichkeit für sich. Andere konstitutionelle Krankheiten, die mit der Pyorrhöe ätiologisch in Verbindung gebracht wurden, wie Diabetes, Gicht, Skrophulose. Rachitis, Nephritis usw. können bei dem einen Patienten vorhanden sein, bei hundert anderen sind sie es nicht.

Es bleiben somit für ätiologische Betrachtungen nur lokale Ursachen übrig. Unter diesen sind es ausschließlich die am Alveolarrande intensiv und unablässig einstürmenden infektiösen Reize, welche bezüglich ihrer Wirkungsweise sowohl mit der Art des Beginnes, wie des weiteren Verlaufes, sowohl mit der Sym- ptomatologie, wie der Pathologie des Krankheitsprozesses nicht im Widerspruche stehen. Alle anderen ätiologisch in Anspruch genommenen lokalen Einflüsse, wie Artikulationsstörungen, Zahn- stein usw. kommen unter Umständen als Hiltsfaktoren in Betracht, können aber für sich allein ohne infektiöse Nachhilfe die Krank- heit niemals auslösen. Die Auffassung endlich, die lokale Ursache liege innerhalb des Gewebes und beruhe auf einer lokalen Ver- kümmerung desselben oder einer beeinträchtigten Ernährung infolge Altersveränderungen, ist nicht genügend gestützt und läbt sich mit dem ganzen Charakter der Krankheit, der für eine ganz bedeutende Widerstandsfähigkeit des Gewebes und einen viele Jahre hindurch sehr hartnäckig geführten Kampf mit den infek- tiösen Eindringlingen spricht, nicht in Einklang bringen.

73 Witzel, Sofortiges Ausfüllen der Wurzelkanäle

(Nachdruck verboten.)

Sofortiges Ausfüllen der Wurzelkanäle von Zähnen mit akuten Alveolar-Zahnfleischabszessen. Von Prof. Dr. med. Adolph Witzel in Bonn.

Vor einigen Jahren erschien bei mir ein höherer Hofbeaniter Herr X. aus Y., um mich wegen einer starken rechtsseitigen Gesichtsgeschwulst zu konsultieren, die im Verlauf einer mehrere Tage zuvor eingeleiteten Behandlung des rechten oberen Eckzahnes aufgetreten war. Lippe, Nasenflügel und Wange der erkrankten Gesichtshälfte waren starr infiltriert, das untere Augenlid ödema- tös geschwollen. Im Munde befand sich oberhalb der Eckzahn- krone eine zirkumskripte fluktuierende Geschwaulst (Alveolar- Zahnfleischabszet, Parulis), nach deren Erötfinung dicker, stinkender Eiter abflob. Die weitere Untersuchung des Zahnes ergab, daß die kariöse Höhle desselben bis zur Pulpahöhle artifiziell er- öffnet worden war; der Wurzelkanal selbst war leer, teilweise auch künstlich erweitert und für die Sonde am Wurzelloch durchlässig.

Mit dem Patienten zugleich traf ein Briet des Kollegen bei mir ein, der den Patienten vorher behandelt hatte. Aus den Mit- teilungen ging hervor, daß der feststehende und bei Beginn der Behandlung nicht schmerzhaft gewesene Zahn eine gangränös zerfallene Pulpa gehabt hatte und der Wurzelkanal nach weiterer Eröffnung seines Kronenteiles wiederholt desinfiziert wurden war.

„Abweichend von der in Ihrem Institut bei Gelegenheit eines Fortbildungskurses gesehenen und unter Ihrer Leitung gelernten Wurzelfüllungsmethode® so schrieb mir der Kollege „habe ich bei deim Patienten die neuerdings viel emptuhlene Bougie- behandlung angewendet. Der vorher unempfindliche Zahn wurde am zweiten Tage nach dem Ausfüllen des Kanales sehr schmerzhaft und die eingetretene entzündliche Schwellung der Alveole nahm auch nach der Entfernung der Wurzelfüllung noch zu.“

Soweit der Bericht. Meine weitere Behandlung des Zahnes war folgende: Ausspritzen der durch einen 1!, cm langen Hori-

zontalschnitt in der Höhe der \Wurzelspitze weit eröffneten Ab-

von Zähnen mit akuten Alveolar-Zahnfleischabszessen. 79

szeĝhöhle mit warmem Lysolwasser und Einstopfen eines diese Höhle stramm ausfüllenden Jodoformwattetampons. Die Pulpa- höhle wurde mit 50proz. Schwefelsäure gefüllt und diese durch Druck mit einem abschlietienden Watteptröpfchen auch durch den Wurzelkanal hindurchgepreßt. Nach einer Stunde wurde dann die Krone des feststehenden und nunmehr gegen Druck kaum noch eınpfindlichen Zahnes zur Aufnahme einer Füllung vorbereitet, der Wurzelkanal abermals mit 50proz. Schwefelsäure gefüllt und dieselbe wieder durch das Foramen apicale in die Alveole gepreßt. Der Schwefelsäure, die ich nicht neutralisierte, sondern nur mit dem Luftbläser aus dem Wurzelkanal herausschleuderte, folgte eine Füllung des letzteren mit Jod-Akonittinktur und dieser sofort die definitive Wurzelfüllang mit Phenolzementpasta, die ebenfalls durch Druck auf den zum Kanalabschluß benutzten Chlorzink- zement teilweise in die kranke Alveole gepreßt wurde. Dieser Wurzelfülluüng schloß ich sogleich die definitive Füllung der Kronenkavität mit Zinkphosphatzement an.

Nach dieser Behandlung der Zahnhöhle entfernte ich den Tampon aus der Abszeihöhle, die durch die zweistündige Tam- ponade kurze Zeit gut zu übersehen war. An der entfernten Watte fand ich Spuren der durch den Kanal hindurchgepreßten Zementpasta. Die ungefähr erbsengroße Höhle im Knochen war nit Grannlationen ausgekleidet, welche durch die Schwefelsäure angeätzt waren. Die Wurzelspitze ragte, frei von lappigen Grannulationen, ungefähr ? mm in die Abszeßhöhle hinein.

Es lag nahe, hier die vielgebrauchte und mißbrauchte Methode der Wurzelspitzenamputation auszuführen. Da nach weinen Erfahrungen solche und ähnliche Erkrankungen der Alveolen aber auch sehr gut ohne Auskratzen der Abszeßhöhle und ohne Abfräsen der Wurzelspitze zur Heilung gebracht werden können, wurde mein Patient mit dieser Behandlung ver- schont. Die Abszeslhöhle wurde nur noch mit Jodtinktur aus- geätzt und mit einem Joduformgazestreifen ganz lose aus- gestopft. Entfernung desselben nach zwei Tagen: nach acht Tagen war die Abszeihöhle geschlossen und der Zahn zum Kauen wieder brauchbar.

Diese Methode des sofortigen definitiven Füllens der Wurzel und Kronenhöhle weicht von dem allgemein üblichen Verfahren ab. das eine mehr exspektative Behandlung und Füllen des \Wurzelkanales nach Ausheilen des Alveolar- abszesses empfiehlt. Ich halte mein hier beschriebenes Verfahren für zweckmätßiger. Denn wenn man erst den \Wurzelkanal offen läßt und später provisorisch abschliet‘t und dann erst die Wurzel- füllung macht, so kommt es gar nicht selten vor, daß die noch

SO Witzel, Sofortiges Ausfüllen der Wurzelkanäle usw.

nicht vollständig ausgeheilte Alveole wieder aufs neue gereizt, vielleicht sogar infiziert wird, und die Folge ist dann wieder eine entzündliche, wenn auch gelinder auftretende Schwellung der Alveole oberhalb der Wurzelspitze.

Dieses Rezidiv vermeidet man aber sicher, wenn man den Wurzelkanal in solchen Fällen sofort definitiv mit einer durchgepreßten Zementpasta füllt, eine Be- handlung, durch welche, da sie jede Nachintektion der Alveole von seiten des \Vurzelkanales sicher ausschließt, auch die Aus- heilung des eröffneten Alveolarabszesses wesentlich befördert wird. Und diese Ausheilung sah ich nicht allein stets prompt an so erkrankten und behandelten Frontzähnen; auch an Mahlzähnen habe ich diese Behandlung mit gutem Erfolg angewendet, wenn deren gangränös zerfallene Pulpen einen Alveolar-Zahnfleisch- abszet; veranlaßt hatten und die Zähne in ihren Alveolen noch relativ fest standen. Diese guten Resultate sind leicht zu ver- stehen; sie decken sich mit denen, die wir nach gründlicher Desinfektion der erkrankten Alveole bei der Behandlung des chronischen Alveolar-Zahnfleischabszesses, der sogenannten Zahn- tleischfistel, erzielen. Nur liegen bei dem akuten Alveolar-Zahn- tleischabszeß, den wir eröffnen, seines Eiters entleeren und durch Tamponade erweitern und einige Tage offen halten, die Verhält- nisse zur schnellen Ausheilung viel günstiger; denn indem wir die Ursache des Knochenabszesses. die Gangrän der Pulpa sofort beseitigen, wird die Ausheilung der frischen Eiterhöhle in der Umgebung der Wurzelspitze nie lange auf sich warten lassen. Die ganze Behandlung der P’ulpahöhle und der Kronen- kavität kann also in einer Sitzung abgeschlossen werden. Ich empfehle diese Methode hiermit zur Nachprüfung; möchte jedoch gleichzeitig davor warnen, mein Verfahren etwa dadurch „verbessern“ zu wollen, daß man an Stelle der absolut einwandfreien weichbleibendeun Zementpasta Guttapercha in die Wurzelkanäle zu stopfen versucht, oder Wattefäden dazu benutzt. Wer namentlich das Ausstopfen der \urzelkanäle mit Watte noch empfiehlt, dürfte kaum in der Lage sein, dieses ver- altete Verfahren im Sinne der modernen Forschung wissenschatft- lich zu begründen.

Hauptmeyer, Sofortiges Ausfüllen der Wurzelkanäle usw. 81

[Nachdruck verboten.) Sofortiges Ausfüllen der Wurzelkanäle von

Zähnen mit akuten Alveolarabszessen.

Aus der Kruppschen Zahnklinik in Essen a. d. Ruhr. (Leiter: Prof. Dr. med. Jul. Witzel.)

(Mit 3 Abbildungen.) Mitteilung von Zahnarzt Fr. Hauptmeyer, I. Assistent.

Das Manuskript der vorstehenden Abhandlung des Herrn Prof. Dr. med. Adolph Witzel wurde uns vor einigen Monaten zugeschickt, um das „sofortige“ Ausfüllen der Wurzelkanäle von Zähnen mit akuten Alveolar-Zahnfleischabszessen in geeigneten Fällen nachzuprüfen. Hierzu bot sich mir schon am 4. November 1904 Gelegenheit. An diesem Tage erschien in unserer klinischen Sprech- stunde der Patient Wil- helm Hüser. Derselbe, jetzt 14 Jahre alt, war vor 6 Jahren (1898) auf einen Stein gefallen und hatte sich dabei von dem

mittleren linksseitigen Schneidezahn einen Teil | Fig. 1. der Krone abgeschlagen,

wobei das Dentin freigelegt worden war (Fig. 1).

Infolge des Sturzes war seinerzeit der Zahn stark gelockert und die Unterlippe durchschlagen, deren Heilung mit einer Narbe, die noch jetzt sichtbar ist, erfolgte. Patient konsultierte damals den hiesigen Kruppschen Kassenarzt Dr. X., welcher den Patienten dem Zahnarzt Y. überwies. Hier wurde dem Patienten angeblich der Bescheid, daß der Zahn verloren wäre und in kürzester Zeit ausfallen würde. In die vorgeschlagene Extraktion willigte Hüser nicht. Der Zahn wurde allmählich wieder fest und blieb nahezu 6 Jahre schmerzfrei. Ostern 1904 trat zum erstenmale eine Schwellung des Zahnfleisches oberhalb der vor Jahren verletzten Zahnkrone auf; die Greschwulst wurde von Dr. X. inzidiert und der Patient der Zahnklinik überwiesen. Da die Beschwerden nachließen, ging derselbe nicht zur Zahnklinik. Am Sonnabend den 29. Oktober 1904 zeigte sich wiederum eine starke Schwel- lung. Den folgenden Sonntag wurde nochmals Dr. X. konsultiert.

XXIII. U

82 Hauptmeyer, Sofortiges Ausfüllen der Wurzelkanäle usw.

Derselbe verschrieb Wasser zum Gurgeln und Kamillenaufschläge. In der Nacht von Donnerstag auf Freitag der nächsten Woche brach aber erst etwas Eiter durch. Der Patient fühlte bedeutende Erleichterung. Er ging Freitag wieder zu Dr. X., der jedoch die weitere Behandlung ablehnte. Am Nachmittag desselben Tages kam der junge Mann in unsere Behandlung.

Er ist ein äußerst ängstlicher, blaß aussehender und emp- findlicher Patient, der schon beim Eintritt in das Operations- zimmer kollabierte.e Die Untersuchung ergab folgendes Krank- heitsbild:

Die Oberlippe, Wange und Nase waren geschwollen, der Druck auf die Lippe sehr schmerzhaft. Die Inspektion des

Mundes ergab die schon

a erwähnte Fraktur der Krone

$ des linken, mittleren, oberen

Schneidezahnes bis aufs Den-

tin. Oberhalb dieses Zahnes

lag eine zirkumskripte, fluk-

tuierende Zahnfleischge-

schwulst. Die Perkussion

des Zahnes war recht emp-

findlich; auch zeigte er eine

starke Lockerung. Die Zahn-

krone war verfärbt und

hatte das tote Aussehen

Fig. 2. eines Zahnes mit abgestor-

bener Pulpa. Das durch

die Fraktur freigelegte Dentin an der Schneidekante wies keine

Zerstörung auf; nur mesial war ein kleines, wahrscheinlich erst

später durch Karies entstandenes feines Löchelchen vorhanden.

Mit einer haarfeinen Sonde konnte ich durch dasselbe bis in die Abszeßhöhle vordringen (Fig. 2 a und b).

Die Diagnose war nach diesem Befunde leicht zu stellen; es handelte sich um einen akuten Alveolar-Zahnfleischabszeß, bedingt durch die vor Jahren erfolgte Exponierung des jugendlichen Zahn- beines und späterer Infektion der nicht direkt freigelegten Pulpa durch Einwanderung von Keimen, in die noch weiten Zahnbeinröhrchen.

Die Therapie war folgende. Durch einen langen Hori- zontalschnitt spaltete ich den Abszeß, spritzte die Wunde mit warmem Karbolwasser aus und tamponierte mit Vioformgaze. Sodann eröffnete ich mit einem starken Bohrer die Pulpahöhle, aus welcher dicker Eiter hervorschoß. Wiederholtes Ausspritzen derselben mit warmem Wasser. Nach dann folgender gründlicher Des- infektion des Wurzelkanals mit 50proz. Schwefelsäure stieß ich eine feine Sonde durch das Foramen apicale. Mit einem Wattebausch

Polscher, Kimbly-Gold. 83

preßte ich nun Schwefelsäure in die oberhalb der Wurzelspitze gelegene Abszeßhöhle.e In Zwischenräumen von einer Viertel- stunde wiederholte ich dies zweimal. Nachdem die Schwefelsäure aus dem Wurzelkanal ausgeblasen war, füllte ich diesen mit Jodtinktur an. Der Jodtinktur folgte die Formolzement- pasta, von der ebenfalls ein Teil durch das Foramen apicale hindurchgepreßt wurde. Sodann schloß ich den Wurzelkanal mit schnellhärtendem Chlorzinkzement ab.

Nach dieser Behandlung fühlte- der Patient eine be- deutende Erleichterung, da die Spannung im Gewebe nachge- lassen hatte. Er wurde für den nächsten Tag zum Nach- sehen wiederbestellt.

Der Befund am anderen Tage war ein sehr guter. Der Fig. 3.

Patient sah bedeutend wohler

aus, hatte die Nacht ruhig geschlafen, die Schmerzhaftigkeit und Schwellung waren schon zurückgegangen. Der Tampon an der Inzisionsstelle wurde erneuert, ebenso an den drei folgenden Tagen. Unter dieser Behandlung verschwand die Schwellung bald vollständig und der Zahn stand schon nach kurzer Zeit wieder fester in seiner kaum noch druckempfindlichen Alveole. Um die Bildung des Granu- lationsgewebes zu beschleunigen, ätzte ich zum Schlusse die Abszeß- höhle mit 20proz. Argentum nitricum aus, und heute, 8 Wochen nach dem sofortigen Wurzelfüllen, ist der Alveolarfortsatz aus- geheilt (Fig. 3) Der Zahn, dessen freigelegtes Zahnbein ich kastenförmig ausgebohrt und kuppelförmig überfüllt habe, steht jetzt vollkommen fest, und es ist bestimmt zu hoffen, daß der- selbe dem Patienten noch lange Jahre kaufähig erhalten bleibt.

[Nachdruck verboten.) Kimbly-Gold? Von Zahnarzt W. Polscher in Dresden.

Der mit großem Geschrei ins Werk gesetzte Beginn des Vertriebes von Kimbly-Gold liegt nun bereits einige Zeit hinter uns, und man darf annehmen, daß naive Gemüter, die den Anfang

6*

84 Polscher, Kimbly-Gold.

einer „neuen Ära des Goldfüllens“ erwarteten, heute etwas nüchterner denken. l

Wenn schon es jedem, der einigermaßen chemisch denken kann, von vornherein klar sein mochte, daß eine Darstellung von Gold, um es plastisch, nach Art der Zemente usw., zu ver- arbeiten, unmöglich sei, so gibt es doch genügend Praktiker, die aus Bequemlichkeit, oder seien wir ganz offen, aus Gründen des Nichtkönnens dem neuen Präparate mit offenen Armen ent- gegeneilten.

Wie sehr diese Leichtgläubigen enttäuscht wurden, werden sie, falls sie unbefangen und gerecht sind, wohl längst eingesehen haben, und es könnte sich eigentlich erübrigen nach den Ver- öffentlichungen der Kollegen Dieck, Silbermann u.a. nochmals gegen die Verwendung des Kimbly-Goldes aufzutreten, wenn nicht die auffällige Reklame, die sich in den Fachzeitungen breit macht, geradezu herausfordern wollte.

Ehe ich auf diese Reklame und ihre Konsequenzen näher eingehe, will ich kurz meine Probeversuche beschreiben. Zuerst habe ich mehrere Kavitäten an extrahierten Zähnen gefüllt, lege artis mit peinlichster Sauberkeit. Schon beim Anrühren des Pulvers mit der Flüssigkeit fällt die körnige Beschaffenheit des ersteren unliebsam auf. Bei näherer Untersuchung mit einer schwachen Lupe sehen wir einzelne Goldteilchen mit zu kleinen Körnchen geballter Zementmasse gemischt, auftreten. Diese Zementteilchen zerdrücken sich beim Durcharbeiten der plastischen Masse, und es entsteht ein krünliger, klebriger brauner Kuchen, der durch verschieden viel Zusatz von Pulver oder Flüssigkeit eine Konsistenz von weichem Glaserkitt bis zur beinahe er- starrenden Zinkphosphatmasse aufweist. Ich habe weiterhin von jeder gelegten Füllung etwas ungedichtete Masse zurückbehalten, und will sogleich angeben, daß diese Reste nach ca. 16—20 Stunden ausnahmslos mit dem Fingernagel zu zerkratzen und zwischen den Fingerspitzen zu einem körnigen Pulver zu zerreiben waren. Aber auch die sorgfältig gedichteten und finierten Füllungen zeigen nach ca. 18 Stunden nicht genügende Festigkeit; sie lassen sich z. B. mit stumpfen Kugelpslierern leicht aus den Kavitäten entfernen. Ihre Oberfläche erscheint einer Goldfüllung ähnlich, sieht man aber genauer zu, so entdeckt man schon mit blobem Auge, dab da nicht alles so ist, wie es sein soll. Deutlicher wird das Bild unter der Lupe, die uns sofort zeigt, daß wir keine homogene Masse vor uns haben. Wir sehen Rauhigkeiten, hellere und dunklere Punkte, die durch die mechanische, nicht chemische, Mischung eines zementartigen Pulvers mit metallischen Golde entstanden sind. Die in der Deutschen Zahnärztlichen Wochenschrift veröffentlichte Analyse des Kimbly-Goldes hat

Polscher, Kimbly-Gold. 85

einen Goldgehalt von ungefähr 91 Proz. ergeben. Dies Gold scheint dem Zementpulver als Feilung oder als galvanischer Niederschlag oder in ähnlicher Weise zugesetzt zu sein. Durch die Dichtung und Verreibung mit blanken Stopfern und das Finieren mit Papierscheiben entsteht nun bei der fertigen Füllung eine goldglänzende Schicht dadurch, daß die einzelnen Gold- teilchen poliert und breit gerieben werden. Auf Schönheit und Dichtigkeit kann aber diese oberflächliche glänzende Schicht keinen Anspruch erheben, denn gerade durch das Polieren und Finieren werden immer kleine Goldteilchen abgerissen, und es entstehen kleine Vertiefungen usw. Die dem Pulver beigegebene Flüssigkeit habe ich mit verschiedenen unserer gangbaren Zemente verrieben, und dabei eine zur Füllung einer Kavität jedenfalls besser ge- eignete Masse erhalten, als sie das Kimbly-Gold darstellt. Die Masse wird zwar nicht so hart, infolge des Zusatzes von Wasser- glas, wie die anderen Zemente, aber sie stellt wenigstens eine homogene Masse dar.

Ich will hierbei ausdrücklich feststellen, daß ich diese ver- schiedenen Versuche nicht mit einer Probeportion, die übrigens mit 13 Mk. 75 Pfge. sehr teuer bezahlt ist, angestellt habe. Ich habe mir im Gegenteil von verschiedenen Kollegen die nach ein- oder mehrmaligen Versuchen beiseite gelegten Probeportionen geben lassen, damit der Fabrikant nicht etwa behaupten kann, daß ich vielleicht gerade eine schlechte Portion erhalten hätte. Ich füge aber gleich hinzu, daß die verschiedenen Proben sich beim Arbeiten auch ganz verschieden verhielten. Schon das Aus- sehen beim Anrühren differierte.

Auf meine Bitte haben sich mir drei Patienten zur Ver- fügung gestellt, denen ich unter Kofferdam und peinlichster Acht- ung auf alle Momente, die für die Anwendung des Kimbly-Goldes nötig erschienen, im ganzen fünf Füllungen mit Kimbly-Gold gelegt habe. Der Erfolg hat mich nicht befriedigt, wenn auch zugegeben werden muß, daß einem Laien oder oberflächlichen Beobachter das Äußere der Füllungen eine Zeit lang als Gold- füllung erscheinen möchte Ich habe diese Füllungen in ver- schiedenen Zeiträumen kontrolliert, und feststellen können, daß dieselben 1. nicht in wünschenswertem Maße erhärteten,

2. daB die Oberfläche bald rauh und unansehnlich wurde,

3. daß ein korrekter Randschluß nach 4 Wochen nicht vor- handen war.

Die einzelnen Goldteilchen, die nur durch die Klebkraft des Zementes gehalten werden, fallen einfach nach Lösung des Zementes in den Mundtlüssiekeiten ab, was bei dem Vorhandensein von nur ca. 10 Proz. Zementmasse ja auch gar nicht wunderbar ist. Der hohe Metallgehalt (91 Proz.) des Pulvers mut ja auch einer

86 Polscher, Kimbly-Gold.

nur einigermaßen unseren Ansprüchen genügenden Festigkeit ent- gegenstehen, so daß die Prospekte der Fabrikanten, wenn sie wirklich ein fachmännisches Urteil enthalten, doch darauf hin- weisen müßten, daß vielleicht kleine Kavitäten mit Aussicht auf Erfolg gefüllt werden können, daß aber die Füllung größerer Kavitäten oder gar die Herstellung einer Kontur eine Unmög- lichkeit ist. Im allgemeinen behaupte ich: nach meinen Erfah- rungen ist auch eine mit Kimbly-Gold hergestellte Füllung einer kleinen zentralen Kavität nicht haltbar und schlechter als jede Zementfüllung; in der gleichen Zeit, die ich zur Anfertigung einer Kimbly-Füllung gebrauche, kann ich solch eine kleine Kavität auch reell mit Gold füllen, und meine Auslagen für Material sind dabei noch geringer als bei dem unverhältnismäßig teuren Kimbly-Gold.

Dies alles mag schon bekannt sein, und es ist jedem genauen Beobachter sicher das gleiche aufgefallen.

Leider wird aber das Kimbly-Gold immer fröhlich weiter ver- und gekauft, jedenfalls am meisten von dem „weniger ge- übten Praktiker“ wie in den Annoncen so schön gesagt wird. Durch derartige Verarbeitung wird aber die reelle Goldfüllung stark in Mißkredit gebracht, und der Fachmann, der sich die Mühe nicht verdrießen ‚läßt, eine wirkliche Goldfüllung herzu- stellen, wird nicht selten geschädigt werden.

Da drängt sich denn die Frage auf: ist der Händler resp. der Fabrikant etwa auf Grund des „Gesetzes zur Bekämpfung des unlauteren Wettbewerbes“ strafbar? Ist der Verarbeiter unter Umständen auf Grund des Betrugsparagraphen zu belangen? Meiner Ansicht nach ist nach SS 1, 4, 6 des oben genannten Gesetzes ein Einschreiten möglich. |

S 1 lautet auszugsweise: „Wer in öffentlichen Bekannt- machungen oder in Mitteilungen, welche für einen größeren Kreis von Personen bestimmt sind...... insbesondere über die Be- schaffenheit, die Herstellungsart oder die Preisbemessung von Waren .. . . . unrichtige Angaben tatsächlicher Art macht, welche geeignet sind, den Anschein eines besonders günstigen Angebots hervorzurufen, kann auf Unterlassung der unrichtigen Angaben in Anspruch genommen werden.“

Nun, in den Annoncen der Kimbly-Co. wird behauptet: z. B. „Kimbly-Gold erhärtet in wenigen Minuten”. Das ist unrichtig. Es ist ferner unrichtig, „daß es in Farbe und Glanz einer ge- hämmerten Goldfüllune gleichkommt*, dat „es mit Hilfe des Kimbly-Goldes jedem Praktiker, auch dem weniger geübten, mög- lich sei, eine Goldfülluns schnell und sicher zu legen.“ Es lieen sich aus den verschiedenen Annoncen noch viele Unrichtig- keiten nachweisen.

Port, Zur Technik der Röntgenphotographie. 87

Da die Angaben in den Prospekten und Annoncen tatsäch- licher Art sind, auch öffentlich erfolgten, die dem Kimbly-Gold anhaftenden Mängel aber dem Fabrikanten bekannt sein müssen, er infolgedessen irreführende Angaben macht, so dürfte auch S 4 des Gesetzes angezogen werden können. Endlich würden die Fabrikanten reeller Goldpräparate wegen der in den Annoncen behaupteten Gegnerschaft nebst Begründung auf Grund des § 6 gegen die Kimbly-Co. vorgehen können, denn es ist doch mindestens nicht erweislich wahr, daß Hersteller von reinem Plombiergold „um ihre Existenz kämpfen“, wenn sie, was mir übrigens nicht bekannt ist, Gegner des Kimbly-Goldes wären.

Der Verarbeiter des Kimbly-Goldes, der nach Ausspruch der Annoncen „eine Goldfüllung mit Kimbly-Gold schnell und sicher legt“, setzt sich meiner Ansicht nach sogar der Gefahr aus, wegen Betrugs vor Gericht gezogen zu werden. Das Prole- tariat in unserem Stande wird durch derartige Fabrikate und ihre öffentliche Anpreisung in den Fachblättern nur noch ver- größert, und die Behauptung der Annoncen, „daß hervorragende Goldfüller mit Neid und Mißgunst beobachten, wie ihr Thron erschüttert wird“, kann uns nur ein Lächeln abgewinnen. Aber wenn die sogenannten 6 Wochen-Spezialisten mit Kimbly-Gold auf die armen Patienten losgelasssen werden und diesen „Gold- füllungen“ anhängen, dann ist der Tatbestand des Betruges gegeben, denn das Wort Goldfüllung setzt nach dem allgemein üb- lichen Gebrauch die Verwendung von reinem Gold voraus.

Nach allen diesen praktischen und theoretischen Erwägungen kann nicht dringend genug vor der Verwendung von Kimbly-Gold gewarnt werden und je eher die „Ära des Füllens mit Kimbly- Gold“ wieder verschwindet, desto besser ist es für uns und unsere Patienten.

[Nachdruck verboten.)

r e .. . Zur Technik der Röntgenphotographie. Von Prof. Dr. Port in Heidelberg.

Wie recht ich mit meiner Kritik der Mederschen Röntgen- photographien hatte, beweist die Erwiderung im Januarheft dieser

Zeitschrift. Meder will die Sache jetzt so hinstellen, als ob ich seine Arbeit nicht genau gelesen oder nicht richtig verstanden

88 Bericht über die 45. Versammlung des

hätte, aber ich habe sie so genau gelesen und so richtig ver- standen, daß ich ihm sogar nachweisen konnte, wo es fehlt. Und dafür liefert er selbst in seiner Erwiderung den unzweideutigen | Beweis. Wenn er in Fig. 9 und 9a Keime von Prämolaren nachweisen will, so muß er doch die Gegend der Wurzelspitzen anf seine Platte bekommen und da ist es durchaus nicht gleich- gültig, ob paralaktische Verschiebungen stattfinden oder nicht. denn bei Verschiebungen bekommt er eben zu lange Zähne und die für den gegebenen Fall wichtige Partie fällt außerhalb der Platte in die Luft. Bei den Figuren 10, 10a und 10b (nicht 11 wie es in der Erwiderung heißt) gesteht Meder selbst, daß er mehrere Stunden dazu gebraucht hat, die einzelnen Zähne fest- zustellen. Und da will er für diese Bilder noch irgendeine Beweiskraft in Anspruch nehmen! Wenn ich mich auf einer Röntgenphotographie nicht sofort auskenne, dann werfe ich sie ins Feuer. Erlebt man doch selbst bei scheinbar unzweideutigen Bildern ab und zu recht unangenehme Enttäuschungen. Aber hier fehlt es eben an den Grundprinzipien, an der richtigen pbysi- kalischen Vorstellung über das Zustandekommen des Röntgenbildes und weil ich das aus seiner ersten Veröffentlichung klar und deutlich sah, bin ich Meder entgegengetreten, nicht aus persön- licher Abneigung oder gar weil ich fürchtete, daß diese Bilder mein Prestige schädigen könnten.

Zum Schlusse hält es Meder für notwendig, seine und meine Lehrtätickeit am Münchener Institute in die Debatte zu ziehen. Darauf kann ich mich natürlich an dieser Stelle nicht einlassen. Nur eines möchte ich bemerken. Über die Lehrerfulge eines akade- mischen Lehrers zu urteilen, gibt es kompetentere Faktoren als die Studenten, und ich kann ihm nur wünschen, daß seine praktische Lehr- tätigkeit auch von diesen Faktoren entsprechend Bam uralet wird.

Damit schliebt für mich diese Kontroverse.

Bericht über die 45. Versammlung des Zahnärztlichen Vereins für Niedersachsen. Am 2, und 3. Juli 1904 zu Hannover. (Mit 5 Abbildungen.) Anwesend waren 29 Teilnehmer. ee Dr. Kühns eröffnet die Versammlung mit folgender An-

Hochverehrte Versammlung! Gestern abend spät erst von eier notwendigen Badereise zurückgekehrt, begrübe ich Sie, heiße ich Sie

Zahnärztlichen Vereins für Niedersachsen. 89

alle herzlich willkommen. Der Umstand, daß Vorsitzender und Schrift- führer des Vereins in den letzten vier Wochen hier nicht anwesend waren, hat veranlaßt, daß ich das dritte Vorstandsmitglied, Herrn Addicks, ersuchen mußte, die letzten Schritte für die Abhaltung der Versamm- lung und Herrn Crusius für die Unterbringung des Vereins zu tun, biden Herren bin ich für ihre mir und dem Verein geleistete Hilfe bestens dankbar. Ich bitte von vornherein um Ihre Nachsicht, wenn “ch aus der Abwesenheit der Mehrzahl des Vorstandes trotz- dem Mängel für die gute Vorbereitung der zur ergeben en: aber wie ich Ihnen schon mitteilte, war meine Muße keine teiwillige, ;

Meine Herren! Außer durch obigen Umstand war die heutige Versammlung dadurch erheblich in Frage gestellt, daß die bekannten Fragekurten um Mitteilung von Vorträgen usw. fast ausnahmslos un- beantwortet oder doch negativ blieben.

Unter solchen Umständen Stoff für eine zweitägige Versammlung zu bieten, wäre dem Vorstand unmöglich gewesen, und wir haben ernstlich die Frage erwogen, ohne Programm vor Sie zu treten resp. die Versammlung wegen Mangels eines Programms abzubestellen.

, Meine Herren! Angesichts der reichlichen Tagesordnung anderer Vereine wäre das ein beschämendes Zeichen für die Arbeitswilligkeit unserer Mitglieder gewesen; ich muß Sie, meine Herren Mitglieder, dringend ersuchen, Ihr Interesse am Vereinsleben, an dem Fortschritt und der Fortentwicklung unserer Wissenschaft durch eine regere Be- teligung an Vorträgen zu bekunden und empfehle Ihnen dringend, wie bereits früher einmal, Ihnen während der Praxis aufstoßende und der Aufklärung bedürftige Fragen sofort zu notieren und einer wissen- schaftlichen Untersuchung zu unterziehen; daraus würden, selbst wenn nur kleinere Arbeiten resultieren, die Fragen des praktischen Lebens am besten entschieden und Ihnen selbst und uns allen Stoff genügend und Anregung zum weiteren Ausbau desselben gegeben werden.

Um so dankbarer sind wir dafür jenen Herren, die sich auf unseren Wunsch bereit fanden, in die Bresche zu springen, ich meine zunächst Herrn Kollegen Berg und unseren allzeit bereiten Altmeister Herrn Prof. Miller, denen ich dafür namens des Vereins unseren be- sınderen Dank hiermit ausspreche, wie ich schließlich auch alle anderen Herren Gäste hiermit herzlich begrüße.

Meine Herren! Die Verhandlungen des Vereinsbundes haben uns sehr wichtige Aufschlüsse von seiten des dort weilenden Regierungs- Vertreters, unseres Ehrenmitgliedes, des Herrn Geh. Obermedizinalrat Kirchner, gebracht, die eine neue Prüfungsordnung und verbunden dınit eine Neuordnung der Vor- und Ausbildung der Zahnärzte in nahe Aussicht stellen: meine Herren, es beginnt auch bei uns zu tagen, mit Recht können wir hoffen, jetzt die Frucht einer zielbewußten Tätigkeit der deutschen Vereine zu ernten, lassen Sie auch dem unsern, der tets mit an erster Stelle gestanden, dies ein Ansporn sein, auf dem hisher beschrittenen Pfade weiterzuschreiten und die Fahne des Fort- schritts voranzutragen.

Meine Herren! Das nächste Vereinsjahr wird insofern ein bedeutungs- volles für uns sein, als, wie Sie wissen, der Central-Verein sich ent- schlossen hat, seine nächste Versammlung hier in Hannover abzuhalten ud derselbe unseren Verein aufgefordert hat, die Vorarbeiten zu über- nehmen. Ich glaube Ihrer Zustimmung gewiß zu sein. wenn ich diesen Beschluß lebhaft begrüße, lassen Sie uns wie vor 13 Jahren bemüht

90 Bericht über die 45. Versammlung des

sein, der in ihm verkörperten deutschen Zahnheilkunde eine würdige Aufnahme zu bereiten und opferwillig die damit verbundenen vielerlei Verpflichtungen auf uns nehmen.

Damit eröffne ich die heutige Versammlung.

Es werden dann verschiedene Begrüßungsschreiben, unter anderen von Herrn Prof. Partsch verlesen. Herr Steffen-Cuxhaven hat sein neues Werk über „Die Grundsätze der Zabnextraktion“ dem Vereine gestiftet.

Herr Dr. Greulich hält einen Vortrag über: Die Schwellung der regionären Lymphdrüsen.

Der Vorsitzende dankt dem Vortragenden für seine Ausführungen. In der Diskussion bemerkt

Herr Hünermund: Es hat sich bei den Untersuchungen in der Breslauer Klinik herausgestellt, daß bei ca. 1200 Pulpitiden nur 18 bis 22 regionäre Lymphdrüsenschwellungen gefunden wurden, daß dagegen bei den ca. 1500 Periostitiden fast immer Drüsenschwellung vorhanden war. Partsch betrachtet deshalb die Drüsenschwellung bei Pulpitis als Ausnahme. Bei Streptokokken-Infektion und bei Aktinomykose wurde auch keine Schwellung angetroffen.

Herr Philipp weist daraufhin, daß die Arzte noch häufig die Beziehungen zwischen Drüsen und den Zähnen verkennen resp. nicht erkennen, und berichtet über einen solchen Fall aus seiner Praxis. Gegen die Schwellungen empfiehlt er Prießnitz-Umschläge. Man müsse aber dem Patienten genaue Anweisung über die Art der Anwendung geben. vor allem darüber, daß über das feuchte Tuch erst ein Gutta- perchaverband gehört, ehe ein wollenes Tuch als Bedeckung übergelegt wird. Gegen den Schmerz hat ihm Pyramidon in Dosen von 1; g. mehreremale des Tags über eingenommen, sehr gute Dienste getan.

Herr Greulich meint, daß doch auch bei Pulpitis durch In- fektion Schwellung entstehen könnte, und daß auch die Arzte immer mehr die Bedeutung der Beziehungen zwischen Zähnen und Drüsen erkennen.

Vortrag des Herrn Dr. Addicks über Kronenarbeiten.

Nachdem Herr Dr. Kühns dem Vortragenden gedankt hat, ent- wickelt sich eine lebhafte Diskussion.

Herr Guttmann nimmt weißen Ton zum Modellieren und mengt ihn mit Glyzerin an. Zum Ausgießen empfiehlt er Jacobsbergs Metall. Die im Handel betindlichen fertigen Schieber von Biber sind zu wenig widerstandsfähig, wenigstens müßte man die Seiten verstärken.

Herr Kirchhof berichtet über zwei Riesenkronen von Herbst, die er selbst links und rechts unten getragen hat, und die vor einem Jahre von Herbst eingesetzt worden sind. Zuerst wurden dieselben mit schwarzer Guttapercha befestigt. Nach Ya Jahre zeigte sich unter der linken Krone eine Entzündung nebst Drüsenschwellung, so daß Kirchhof den Ersatz entfernen mußte. Dann wurde nach ', Jahr auch die rechte Krone von Herbst nochmal herausgenommen, um nun mit Guttapercha von White wieder festgesetzt zu werden. Auch hier stellten sich leichte Entzündungen am Zahnfleisch ein, die mit antisep- tischen Mitteln beseitigt werden konnten. Endlich wurde diese Krone nach ca. !, Jahr nochmals von Herbst entfernt und nun wit Zement be- festigt. Diese rechte Krone, die also jetzt seit der letzten Befestigung

Zahnärztlichen Vereins für Niedersachsen. 91

1, Jahr etwa sitzt, wurde im Munde besichtigt. Es zeigte sich am unteren, äußeren Rande eine leichte Zahnfleischentzündung. Kirch- hof ist mit dieser Krone sehr zufrieden, bat über nichts zu klagen und kann sehr gut damit kauen, was er übrigens auch von der jetzt entfernten linken Krone bestätigt. Einen Versuch hat Kirchhof noch emacht, indem er nämlich die linke Krone, nachdem er sie wegren er Reizung abgenommen hatte, als abnehmbare Krone ohne jedes Befestigungsmittel über die Zähne schob; sie saß dabei aber nicht so sicher, daß er gut damit fertig werden konnte.

Herr Greulich berichtet über einen andern Fall, wo in anderer Weise Zement an einer Brücke direkt auf das Zahnfleisch gedrückt war. Auch hier stellte sich eine starke Entzündung ein, so daß die Brücke, abgenommen werden mußte.

Herr Kühns weist auf die Veränderungen des Zementes hin, die sich in solchen Fällen einstellen müßten und auf die damit verbundene Gefahr für das Zahnfleisch.

Herr Brunsmann trägt seit etwa einem Jahre einen Ring von Herbst um einen Weisheitszahn, der nicht karıöa ist, aber einen außerordentlich empfindlichen Zahnhals hatte. Der stark konische Zahn wurde nicht abgeschliffen, sondern der etwas weite Ring mit einer dicken Zementschicht über den Zahnhals geschoben. In der ersten Zeit hatte sich das Gefühl für warm und kalt nicht abgestumpft, erst allmählich trat darin eine Besserung ein. Vor einigen Wochen nun stellte sich eine Entzündung am hinteren Zahnfleischrande ein, die jedoch leicht beseitigt werden konnte. Jetzt ist alles außerordent- lich gut und Brunsmann sehr zufrieden.

Jerr Gohde betont, daß nach Witzel das Zement vom Schwefel- wasserstoff vollständig durchdrungen werden kann.

Herr Kühns schätzt solche Zahnhalsringe besonders in den Füllen, wo man den Zahn als Stützpunkt für ein Gebiß gebrauchen will.

Vortrag des Herrn Lüttringhausen über:

Ersatz des Septum nasi. (Mit 5 Abbildungen.)

In den letzten Jahren des Emporblühens der Zuhnheilkunde hat sich der Wirkungskreis der Zahnärzte bedeutend erweitert. Hierzu rechne ich z. B. die Aufgabe, chirurgische Operationen zu ergünzen und zu vervollständigen. Wenn der Chirurg die erkrankten Gesichts- teile, wie Kiefer, Lippe, Nase, Orbita, entfernt hat, so ist meistens nach der Wundheilung seine Tätigkeit beendet. Es gelingt ihm sehr selten, den operierten Gesichtsteil in kosmetiseber Hinsicht befriedigend wiederherzustellen. Da hat dann der Zahnarzt einzugreifen und seine Kunst in den Dienst der Wissenschaft zu stellen.

Ich will Ihnen heute den seltenen Fall eines Ersatzes des Septum nasi vorführen, selten einmal deshalb, weil dieser Gesichts- defekt, Gott sei Dank, sehr wenig vorkommt, andererseits selten, weil in der ganzen Literatur erst ein Fall von Septumersatz be: kannt ist.

Fräulein Therese S., eine ?ljührige junge Dame, kam im Mirz dieses Jahres zu mir mit der Bitte. ob es nicht möglich wäre, „ibr

r;

92 Bericht über die 45. Versammlung des

Nasenloch kleiner zu machen“ (Fig. 1). Der Befund ergab folgendes: Es fehlte nicht nur das Septum, sondern auch das ganze knöcherne und knorpelige Nasengerüst. Die äußere Haut ist vollständig erhalten. Eine pathologische Kommunikation zwischen Mund- und Nasenhöhle besteht nicht. Die Ursache dieses furchtbar entstellenden Gesichts- defekts ist mir nicht bekannt,

Ich versprach ihr helfen zu wollen, ahnte aber die Schwierigkeit der Ausführung der Prothese nicht. Ich hatte bislang einen solchen

Fig. 1.

Ersatz weder selbst angefertigt, noch je gesehen. In der Literatur habe ich gar nichts gefunden, z. B. auch in der neuen Auflage von Scheffs Handbuch nichts hierüber; erst später fand ich in der „Deutschen Monatsschrift für Zahnheilkunde, Januar 1900“ von Prof. Port den einzigen Aufsatz über Septumersatz.

Der Weg zum Ziele bot mehr Schwierigkeiten, als ich gedacht hatte. So schon beim Abdrucknehmen. Die Stentsmasse (Fig. ?) ge- nügte nicht, die Guttapercha habe ich nicht angewandt. Nach vielen vergeblichen, in der Tat mühsamen Versuchen gelang es mir, einen brauchbaren Gipsabdruck zu erhalten.

Nachdem die Nasenhöhle bis zu ”/; mit Watte ausgefüllt und der vordere Teil der Nase in- und auswendig mit Vaseline bestrichen war

Zahnärztlichen Vereins für Niedersachsen. 98

(Augen und Augenbrauen waren hier nicht zu schützen), wurde die Patientin horizontal gelagert. Der Gips wurde mit lauwarmem Wasser dünnflüssig angerührt und nach dem Auftragen lange Zeit liegen gelassen.

Das Modell stellte ich in zwei Teilen her, indem ich erst die

Fig. 2. Stentsabdruck des Cavum nasi. Natürliche Größe,

eine Hälfte des Abdrucks ausgoß, um nach Erhärten des Gipses die andere Hälfte darauf zu gießen. So erhielt ich Form und Größe des Innenraumes der Nase, Alsdann arbeitete ich mir durch „Kaltstopfen“ einen schlauchförmigen Hohlkörper aus rotem Kautschuk und den vorderen Abschnitt aus weißem Kautschuk. Darauf modellierte ich

Fig. 3. Septumersatz. Fig. 4. Septumersatz. Seitenansicht. Vordere Ansicht, atürliche Größe. atürliche Größe.

in situ das Septum und die Nasenflügel aus Wachs, ebenfalls zwecks Herstellung aus weißem Kautschuk (Fig. 3 und 4).

So war nun der Ersatz fertiggestellt, aber es fehlte ihm noch das Naturgetreue. Während nämlich der sauber polierte, weiße Kaut- schuk wohl den Glanz der Haut gibt, sticht er zu schr gegen die Farbe des Gesichts ab. Und so bat ich denn einen mir befreundeten Porträtmaler, schließlich der Prothese auch noch Leben zu verleihen.

Lassen Sie mich kurz noch einige Worte hinzufügen über die

94 Bericht über die 45. Versammlung des

Reinigung der Prothese. Die Dame ist nicht imstande, sich die Nase auf natürliche Weise zu reinigen, sondern muß sie täglich mehrere- male ausspritzen. Da sich der Schleim auch in der Prothese ablagert, muß sie die Reinigung mit einem Bürstchen, das einem Lampenputzer ähnlich sieht, bewerkstelligen.

Zur Herausnahme der Prothese ist ein Stückchen Draht erforder- lich, dessen Ende spitzwinkelig umgebogen ist.

Fig. 5. Septumersatz,

Die Prothese sitzt gut, und die Dame sowohl wie ihre Verwandten sind mit dem kosmetischen Erfolge zufrieden (Fig. 5).

Herr Kühns meint, daß wenn ein Draht mit eingeführt worden wäre, der Gipsabdruck sich sehr hätte erleichtern lassen; für die Partien, die mit Schleimhaut in Berührung kämen, sei schwarzer Kaut- schuk aın besten zu verwenden.

Herr Kirchhof meint, man könne den Kautschuk auch mit Herbstscher Goldfolie belegen.

Herr Philipp ist sehr dafür, hei den Prothesen und Obturatoren alles möglichst aus Metall herzustellen.

Demonstration von Herrn Dr. Friedemann:

Friedemann demonstrierte eine verbesserte Spirituslampe. Dieselbe unterscheidet sich von der allgemein gebräuchlichen Lampe

Zehnärztlichen Vereins für Niedersachsen. 95

1. dadurch, daß das Bassin erheblich höher ist, infolgedessen eine ein- malige Füllung für 1—2 Tage ausreicht, 2. durch ihre Verbindung mit einem kleinen Wasserkochgefäß aus Porzellan. Die Lampe steht auf einer runden, dicken Metallscheibe, die seitlich eine Stange trägt. An letzterer läßt sich durch eine Schraube ein kreisrunder Metallbügel in beliebiger Höhe fixieren. Der Bügel nimmt das kleine Porzellangefäß auf. Die Vorteile dieses Arrangements sind folgende: 1. man hat stets in wenigen Sekunden warmes Wasser zum Ausspritzen von Kavitäten oder zu diagmostischen Zwecken, 2. man kann mit Leichtigkeit kleine Gegenstände (Nervsonden, Nervextraktoren, Wurzelkanalbohrer, Ka- nülen usw.) abkochen und 3. dient der Deckel des Gefäßes zum Er- wärmen von Guttapercha, welche hier nie überhitzt werden kann. Die Lampe hat ihren Platz auf dem Allantische. Friedemann benutzt sie seit einem Jahr und hat sie als sehr praktisch befunden; daher lehnte er auch Anderungsvorschläge aus der Versammlung mit dem Bemerken ab, daß man etwaige besondere Wünsche dem Fabrikanten !) mitteilen möge, da er (Redner) kein Interesse an der Anfertigung und dem Vertriebe der Lampe habe.

Herr Dr. Brunsmann zeigt extrahierte obere, große Molaren mit keilförmigen Defekten, die in vollendeter Weise an der Gaumen- wurszel aufgetreten sind, Defekte, wie man sie nicht schöner zu sehen bekommen kann. Die Meinung von Kersting, daß diese keilförmigen Defekte nur auf den Mißbrauch der Zahnbürste zurückzuführen sind, ist also für diese Fälle sicher nicht stichhaltig.

Herr Brunsmann zeigt ferner einen ausgezogenen Zahn, der innen am Gaumen durchgebrochen war und dessen Wurzel im rechten Winkel abgebogen ist.

Herr PEEN weist für solche Extraktionen auf die Methode der Gummiringe von Witzel hin.

Herr Brunsmann glaubt nicht an den Nutzen in diesem Falle.

i Über Aschers Zahnschmelz entspinnt sich eine lebhafte Dis- cussion.

Herr Gohde hat das Material seit '/, Jahr verarbeitet und rühmt das gute Aussehen; es härtet jedoch zu schnell, so daß die Politur sehr erschwert würde. Man solle jedenfalls nur mit eingefetteten Instru- menten polieren.

Mehrere Anwesende gebrauchen nur eine Farbe und betonen, daß diese selbst in verschieden gefürbten Zähnen gleichgut aussähe, sich also gewissermaßen der Farbe des Zahnes anpasse.

err Klöres sieht den Grund dafür in der Transparenz.

Herr Kempten kann die Eigenschaft, zu schnell hart zu werden, nicht recht bestätigen, immerhin würde Aschers Zahnschmelz schneller hart als Zement.

Herr Sprengel bemerkt, sobald man es einen Augenblick in Ruhe lasse, wird es sehr schnell, hart.

Nach Herrn Guttmann kann das Präparat keinesfalls eine Porzellanfüllung ersetzen, es ist ein Mittelding zwischen Zement und Porzellan. Auch kann man über die Haltbarkeit nach dieser kurzen Zeit noch kein Urteil abgeben. Ein Mangel ist die verminderte Klebe- fähigkeit und daß man nachträglich nichts mehr ansetzen kann, sobald man die Füllung nur einen Augenblick in Ruhe gelassen hat. Die

1) Dentaldepot Jul. Merting, Berlin N., Linienstr. 126.

96 Bericht üb. d. 45. Versammig. d. Zahnärztl. Vereins f. Niedersachsen.

Farbe ist bei sichtbaren Stellen doch nicht so leicht zu treffen: das Polieren mit der Maschine führt leicht eine Beschädigung der Füllung herbei.

Herr Sprengel läßt die Füllung nicht spitz zulaufen, da das Muterial beinahe noch spröder sei als Glas und leicht von den Rändern abbröckele. Die Höhlenwände müssen senkrecht sein und ein Aufbau von Ecken kann nicht ausgeführt werden.

In der Besprechung iiber Eusemin teilt Herr Traub e wit, dat er in ca. 15 Fällen sehr damit zufrieden gewesen ist, AzrB aber im 2—3 Fällen Nachschmerzen eingetreten sind.

Herr Philipp möchte vor dem zu häufigen Gebrauch wamen, jedenfalls soll es nur mit Vorsicht angewandt werden, da za We Neben- nierenpräparate, also auch das Kusemin, eine Steigerung des Blutdruck herbeitühren, die unter Umständen doch zu einer Schä igung des Herzens oder anderer Organe führen kann. Er erinnert :ar2 die Pier- versuche, in denen mit Nebennierenpräparaten arterioskle x © tische Fr- krankungen am Gefübsyrteme herbeigeführt wurden. Er selbst ge- braucht zum Ausziehen stets das Adrenalin Takamine, tropfe nweiit der Injektionsflüssigkeit zugesetzt, wodurch eine sehr bequeme uand nia Dosierung erreicht wird, konnte aber in fast allen Fällen _ eine Puls- steigerung oft bis zu 130 Schlägen feststellen. Zum sc kamerzlosen Operieren nach der von ihm beschriebenen Injektionsmetho «le genugen für alle Zähne 6 Tropfen Takamine auf 4 ccm steriler Kocka = alzlösung, wozu noch 0,03 Coc. mur. hinzugefügt werden. Die Lösuri u jede Injektion frisch bereitet und !;, bis höchstens 1 cem n£e:?" i i Zum schmerzlosen Exkavieren wurde in vereinzelten Fäll en oar Lösung in zwei- bis dreimaliger Verdünnung mit ausgezeic ha netem Br tolge angewandt. ie:

Herr Traube meint, daß HKusemin diese Nebenw ir kung Ce erhöhten Pulses nicht habe. are

Herr Guttmann hat damit operieren sehen und schildert ne Wirkung als wunderbar. Dr. Philipp, Schritt führer.

Am zweiten Tage fand die Versammlung im hygie ra ischen In stitut der tierärztlichen Hochschule statt. Auch an dieser Stelle Pp, f der Vorsitzende dem Direktor der Hochschule, Herrn Gehe rat Herr Dr. Dammann, seinen Dank aus. Von dem Lehrkörper WY Prof. Dr. Böther anwesend.

Es erhält das Wort Herr Hünermund über:

Eine Trigeminusneuralgie dentalen Ursprungs ®- orek 5 ar 2 : ; $ > ienen., [Der Vortrag ist in der Zahnärztl. Wochenschr. Nr. 23, 1904, erst 9 ; us der Darauf führte Herr Prof. Miller „Demonstratione 12 ohbtbil- vergleichenden Anatomie, Zahnpräparate und I der“ vor. Ri ierig sei, Der Vortragende berichtet zunächst, daß es sehr sc a = Be wie gute Zahnschliffe herzustellen, und er gibt dann die Method der wird man Zahnpräparate anfertiet. Es sind zwei Methoden, ent

r : SA paa i aug dem der Zahn von beiden Seiten abgeschlitten, oder man schneid t man r x N y OE ' or oO mt m: Zahn ein Segment heraus. Wenn ein Zahn Schmelz trägt, BE =chneiden wit der Säge nieht aus; man muß erst mit Korundum e17

2 ie 3 -a]l teile den und dann mit der Laubsüge oder mit einer dünnen Met]

Bericht über den IV. internationalen zahnärztlichen Kongreß. 97

Schnitt zu Ende führen. Mit einigem Geschick läßt sich in 11/2 Stunden ein Schliff ausführen. Große Schwierigkeit bereitet der Elefantenmolar, da sämtliche oben angeführten Schleifmittel versagen. Redner habe jetzt aus Amerika einen sehr harten Stein bezogen, der keine Körnchen abgebe. Die Zahnpräparate, aus denen Schliffe hergestellt werden sollten, werden mit Kork festgehalten und unter fortwährender Wasser- träufelung über dem erwähnten, horizontal gelagerten Steine hin und her bewegt. Hierauf erwähnt Prof. Miller das Färben der Schliffe mit Eosin. Die Schliffe nehmen leicht den Farbstoff an, wenn man sie vorher in 2 Proz. HCl lege.

Alsdann führte Prof. Miller mit dem Projektionsapparat prä- Be Zahnschliffe vor, und zwar vom Pferd, Rind, Warzenschwein, Valroß, Roche, Moschustier und vom Elefanten. Schließlich auch noch Schliffe von Zühnen und Zahnkiefern des Menschen.

Der Vorsitzende, Herr Dr. Kühns, dankt dem Vortragenden für seinen interessanten und lehrreichen Vortrag. Millers bahnbrechende Untersuchungen und Forschungen erregten Bewunderung in der ganzen Welt.

Zum Zeichen des Dankes haben sich die Anwesenden von den Sitzen erhoben. .

Prof. Miller bittet freundlichst, ihm geeignete Zähne zur Her- stellung von Schliffen zuzusenden.

Friedemann gibt seiner Freude darüber Ausdruck, daß Prof. Miller heute mitgeteilt habe, wie Zahnschlitfe hergestellt würden. Er beschäftige sich hiermit seit längerer Zeit, habe aber heute viel Neues gelernt. Manches sei ihm noch unbekannt, wie das Loslösen der Schliffe‘ vom Kork. Prof. Miller beantwortet diese Frage aufs genaueste.

Zum Schluß spricht Kollege Berg-Mülheim (Ruhr) über:

Die Galvanoplastik in der Zahnheilkunde. [Der Vortrag ist in Nr. 31 der Zahnärztl. Rundschau erschienen.)

Bericht über den IV. internationalen zahnärztlichen Kongreß in St. Louis (29. August— 3. September 1904). Von Hofzahnarzt W. Pfaff in Dresden.

(Schluß,)

Sektion III. Chemie und Metallurgie. Vorsitzender: Dr. Hod- gen-San Francisco, Sekretär: Dr. Buckley-Chicago. Es wurden fünf Vorträge gehalten. Von deutschen Kollegen lieferte Hofzahnarzt W. Pfaff-Dre-den eine Arbeit: Über seine neuesten Untersuchungen über die Angreifbarkeit des Aluminiums.

Die Untersuchungen des Vortrawenden führten ihn dann dazu, „die Verwendbarkeit des Aluminiums in der Zahntechnik“ in einem zweiten Teile zu behandeln. Im ersten Teile bespricht er zunächst die bereits

XXIII.

98 Bericht über den 1V. internationalen zahnärztlichen Kongreß.

veröffentlicht vorliegenden Erfahrungen, um dann des näheren auf seine eigenen experimentellen Untersuchungen einzugehen. Zuerst wurde das Thema von Paul Siem in seiner Inauguraldissertation „Über die Wirkungen des Aluminiums und Berylliums auf den tie- rischen Organismus“ behandelt und dieser stellte fest, daß Aluminate direkt in das Blut eingespritzt, giftig wirken, daß aber und das ist für die folgende Abhandlung wichtig Aluminium vom intakten Magendarmkanal nicht resorbiert wird (vergl. Eisen, Mangan usw.). Demgegenüber sprachen Lubbert und Roscher dem Aluminium die Verwendbarkeit zu Gefäßen für Nahrungsmittel aus hygienischen Gründen ohne weiteres ab. Diese Verurteilung des Aluminiums ist aber deshalb nicht ganz kompetent, weil sie sich auf Untersuchungen stützt, bei denen verschiedene wichtige Momente außer acht gelassen wurden. Und so konnte G. Rupp auf Grund seiner Versuche gerade zum ent- gegengesetzten Resultat kommen, indem er darauf hinwies, daß sich Metalle wie Kupfer, Zinn und verschiedene Legierungen aus diesen nnd anderen Metallen ganz analog verhalten wie Aluminium, ohne daß deshalb jemand Anstand nehme, sie zu Zwecken zu verwenden, für die man Aluminium für unbrauchbar erklärte. In Übereinstimmung mit den Ruppschen Forschungen fanden G. Lunge und E. Schmidt, daß die geringe chemische Affinität des Aluminiums zu den in Betracht kommenden Stoffen es unbedenklich zur Verwendung für chirurgische Instrumente, Feldflaschen usw. qualifiziere. Sie fanden z. B. folgende (Jewichtsverluste an Aluminium nach einer l0tägigen Einwirkung von reiner Salpetersäure, bezogen auf 100 qem Oberfläche: 1027,3 mg bei einer Säure von spez. Gewicht 1,2, 399,7 1,4, 37,8 1,5.

Köhler kontrollierte diese Versuchsreihe, ergänzte sie durch Experimente mit Schwefelsäure und kam zu gleich günstigen Resul- taten. Prof. Dr. Winker berechnete, daß ein Aluminiumlöflel, der seit 12 Jahren im Gebrauch war, erst in 273 Jahren aufgebraucht werde und auch andere Forscher konnten konstatieren, daß die in Nahrungsmitteln vorkommenden Verbindungen nur ganz minimal auf Aluminium reagierten. So konnte dies Prof. Donath-Brünn in bezug auf Fette und Fettsäuren feststellen, er konnte ferner konstatieren, daß wasserfreie reine Karbolsäure auf Aluminium absolut nicht einwirkt, wenigstens nicht auf Gußaluminium und Reinaluminiumblech. Des- gleichen ist der Einfluß kohlensäurehaltigen Wassers ganz gering.

Der Vortragende fand und das ist für die zahnärztliche Praxis wichtig daß ein mehrere Wochen im Munde getragenes Aluminium-

blech nur ca. 0,1 Proz. seines Gewichts infolge der Einwirkung des Speichels verloren hatte. Nach einem bayrischen Gutachten eignet sich Aluminium unbedenklich zur Aufbewahrung von Bier, nach

Bericht über den IV. internationalen zahnärztlichen Kongreß. 99

Dr. Plagge zu Feldflaschen und Kochgeschirren, da auch Wasser selbst nacb wochenlangem Stehen in Aluminiumgefäßen nach Unter- suchungen von Lebbin u. a. keine Spur gelösten Aluminiums enthält. Besonders instruktiv sind die Arbeiten von Ohlmüller und Heise. Auf Grund ihrer sorgfültigen Experimente, die sie im Auftrage des kaiserlichen Gesundheitsamtes ausführten, gelangten sie zu denselben günstigen Ergebnissen wie Dr. Plagge. Darnach bleibt destilliertes Wasser ohne jeden Einfluß auf Aluminium, sehr wenig wird es ange- griffen von Wasserleitungswasser, 1proz. Essigsäure und 2proz. Wein- und Zitronensäure, während die Reaktion einer 2proz. Kochsalzlösung, wenigstens nach längerer Einwirkung, bedeutend ist. Kochen be- schleunigte bei Säuren die Reaktion, verzögerte diese dagegen bei Alkalien.e Auch Kaffee, Rotwein, Zitronenlimonade wurden einem Versuche unterzogen, und als Quintessenz ihrer Beobachtungen er- klärten Ohlmüller und Heyse: 1. Die Angreifbarkeit des Alu- miniums ist unter den für Kochgeschirre usw. maßgeblichen Verbält- nissen gering. 2. Sie verringert sich mit der Zeit durch Veränderungen an der Oberfläche. 3. Bedeutender ist nur der Gewichtsverlust durch Reinigung, so daß 4. eine Schädigung der Gesundheit beim Gebrauch von Aluminiumgefäßen nicht zu befürchten ist.

Köhler machte mit Crownglas, gewöhnlichem Glas, Kupfer, Messing, Zink, Blei, 5, 8, 10 und 12proz. Aluminiumbronze, Zinn, Eisen und Reinaluminium genau dieselben, ebenso komplizierten, wie exakten Versuche und fand, daß die chemische Affinität von Crown- glas, gewöhnlichem Glas, verzinktem Eisen und Zinn zu den in Betracht kommenden Flüssigkeiten geringer, die der übrigen Metalle aber größer als die des Aluminiums sei.

Der Vortragende kontrollierte und erweiterte die Köhlerschen Versuche. Er fand z. B. durch analoge Versuche, daß bei Anwendung von Pilsner, Münchner, Lager- und Grätzer Bier der Gewichtsverlust des Aluminiums weit zurückstand hinter demjenigen, der bei Eisen, Blei und Kupfer zu konstatieren war. Dabei waren außer Aluminium drei verschiedene Sorten Aluminiumbronzen mit in Betracht gezogen. Während die Versuche mit Rot- und Weißwein zu gleich guten Resul- taten führten, nahm Aluminium, verglichen mit den anderen ange- führten Metallen, Eisen, Blei und Kupfer, betrefis der Aftinität zu einer 2, 5, l0proz. und gesättigten Kochsalzlösung die ungünstigste Stellung ein. Was ferner die Wirkung des Wassers anlangt, so fand Vortragender die Meinung Dr. Plagges und Lebbins bestätigt, daß nämlich die Intensität der Reaktion auf Aluminium von den Bei- mengungen, hauptsächlich aber von dem Gehalt an Kieselsäure abhängt.

Auch die Kohlensäure zog Vortragender in den Kreis seiner Be- trachtungen und konnte weder bei Einwirkung der Kohlensäure allein, noch im Gemenge mit Luft irgendwelche Löslichkeit des Aluminiums

7%

100 Bericht über den IV. internationalen zahnärztlichen Kongreß.

konstatieren. Dieselben Versuche wiederholte er, indem er künstlich in Mannesmannschen Aluminiumrohren dieselben Verhältnisse her- stellte, wie wir sie in der Wasserleitung haben und stellte fest, daß die geringe Löslichkeit in gewöhnlichem Wasser von Härte auch durch Zusatz von Kohlensäure und Sauerstoff nicht vermehrt wurde, daß sie dagegen in erzgebirgischen Leitungswasser infolge der Bei- nıengungen von Chloriden und Sulfaten 3 mg pro Liter und Stunde betrug. Auch eine Erhöhung der Temperatur trug sichtlich zur Ver- stärkung der Reaktion bei. Vortragender machte auch die wichtige Bemerkung, daß Aluminium sich mit der Zeit mit einer schützenden Oberfläche überzieht, so daß ein zwei Jahre lang getragenes Aluminium- gebiß im (Tegensatze zu einem neuen in 5OY warmem Wasser keine Spur eines Angriffs erkennen ließ.

Die Verwendbarkeit des Aluminiums in der Zahntechnik. Die im ersten Teile der Abhandlung kurz erörterten günstigen Resul- tate seiner Untersuchungen führten den Vortragenden zu dem Ent- schlusse, die Verwendung des Aluminiums in der Zahntechnik in einem zweiten Teile näher zu behandeln. Bereits Anfang der sechziger Jahre des vorigen Jahrhunderts waren Bean, Sauer und später Carroll dem Gedanken näher getreten, das Aluminium zu Gebißplatten zu verwenden: aber teils die damals noch mangelhafte Reinheit des Metalles, teils un- zweckmäßige Ausführung bewirkten, daß die ungünstigen Resultate dieser noch in den Kinderschuhen stehenden Versuche nicht dazu ermutigen konnten, auf dem eingeschlagenen Wege weiter zu wandeln. Da er- fand Süersen in Berlin eine Methode, der die Versuche in andere Bahnen leitete, indem er zuerst das Kombinationsverfahren von Alu- minium und Kautschuk zur Verwendung brachte Trotzdem aber gelang es dem neuen Metall nicht, sich zu dem besagten Zwecke Ein- gang zu verschaffen, wenn auch über seine Licht- und Schattenseiten viel hin- und hergeredet wurde. Und das lag wohl vor allen Dingen daran, daß streng wissenschaftliche Untersuchungen und Statistiken fehlten. Vortragender hat seit 1893 Aluminium verarbeitet und nie Mißerfolge gehabt. Nur Reinaluminium kann, im Munde getragen, chemisch widerstandsfüähig sein, bat aber dann dem Kautschuk gegen- über unleugbare Vorzüge: Leichtigkeit, Indifferenz gegenüber der Schleimhaut, hohe Politurfähigkeit, leichte Verarbeitung, geringer wetallischer Geschmack, Widerstandsfühigkeit gegen Oxydation und bedeutende Ansaugefähirkeit. Die Schuld an den beobachteten Schatten- seiten trägt der betretfende Zahnarzt. Beimengungen von Silicium und Eisen haben Zersetzung zur Folge, zu starkes Grlühen über die schwache Rotelut hinaus ergibt den Verlust der Elastizität, während es bei mäßigem Glühen und langsamem Abkühlen weich bleibt. Zu ganzen Adhäsionsplatten genügt eine Blechstärke von 0,7 mm, zu partiellen eine Dicke von 1 mm, um der Gefahr des Verbiegens vorzubeugen.

Bericht über den IV. internationalen zahnärztlichen Kongreß. 101

Zu Mißerfolgen hat auch vielfach eine fehlerhafte Befestigung des Kautschuks am Aluminium beigetragen. Die Aluminiumbasis hat den Hauptdruck auszuhalten und darf deshalb nicht durch Löcher geschwächt sein. Krampons, Goldklammern, Drahteinlagen usw. sind in Kautschuk einzubetten, da sie, mit Säuren und dem Aluminium in Berührung gebracht, einer raschen elektrolytischen Zersetzung an- heimfallen.

Vortragender verfährt folgendermaßen bei der Anfertigung von Aluminiumgebissen: Zunächst stellt er sich nach einem Gipsabdruck ein Spencemodell her, da dies fester als das Gipsmodell ist. Erhöhte harte Stellen im Gaumen und dessen hinteren Rand läßt er im nega- tiven Modell rings um den betreffenden Punkt radieren und erzielt damit die Wirkung der Saugekammer. Ist die Stanze gut geraten, so beginnt das Pressen der Platten. Die Größe des Aluminiumbleches ergibt sich durch einen Vorversuch, bei dem man mit Zinnfolie oder Blei dieselben Manipulationen vornimmt wie mit dem Aluminium. Vor dem Pressen wird die Platte auszeglüht und langsam abgekühlt. Erstmalig preßt man, bis die Konturen der Zähne sichtbar werden, schneidet den überschüssigen Teil der Platte weg und preßt dann Schritt für Schritt weiter, bis die Platte fest aufsitzt, wobei man besonders bei stark gewölbtem Gaumen vorsichtig zu Werke gehen muß, wenn man das Reißen des Bleches und Beschädigung der Stanze verhüten will. Die Art und Weise wie dem vorzubeugen ist, kann hier des beschränkten Raumes wegen nicht rekapituliert werden. Saugt beim Einprobieren der Aluminiumplatte diese gleichmäßig an den Gaumen an, so nimmt man mit ihr Biß und wendet weiter die aus der Kautschukarbeit bekannten Manipulationen an.

Die nächste wichtige Frage ist die der Befestigung des Kaut- schuks am Aluminium. Man kann durch Kautschukbefestigung eine sehr exakte Artikulution herstellen und hat kein Verziehen der Platte wie bei gelöteten Prothesen zu befürchten. Aber auch andere Ver- fahren können angewendet werden, wie Befestigung durch Wider- häkchen, durch Anıauhen der Platte, durch Vernieten von Stiften, durch Abbiegen und nachfolgendes Durchlochen der Platte usw.

Vortragender verwendet folgende Methode: Nach sorgfältigem Abbrühen des Wachses zeichnet er mit dem Stichel längs des Kiefer- rındes einen Graben und hebt überall Widerhäkchen aus. Das Modell dient als Unterlage, um Verbiegen zu vermeiden. Längs des ge- zogenen Grabens rauht er das Aluminium an. Diese Methode hat sich seit Jahren trefflich bewährt.

Andere befestigen den Kautschuk durch vernietete Aluminium- drahtstifte, die von der Gaumenseite her durchgetrieben werden. Da aber die Zuverlässigkeit dieser Methode keine unbedingte ist, trotzdem die erforderliche Arbeit unverhältnismäbig groß ist, so fand die

102 Bericht über den IV. internationalen zahnärztlichen Kongreß.

„Schraubenmethode“ mehr Anhänger. Auf beide Methoden in diesem kurzen Bericht näher einzugehen, lohnt sich nicht, da auch die letztere zu schwerwiegende Nachteile hat, um empfohlen werden zu können, und das ist vor allen Dingen der Umstand, daß die Schrauben sich wegen der geringen Blechdicke nicht zuverlässig anfertigem lassen in Anbetracht dessen, daß das Metall doch verhältnismäßig weich ist.

Besonders fest wird die Verbindung zwischen Kautschuk und Aluminium dadurch. daß man das letztere mit gelöstem Kautschuk (in Chloroform oder Benzin) überzieht. Wichtig ist absola te Reinheit der Berührungsstellen. Eingipsen und Stopfen geschieht zÜuralog dem bei Kautschuk angewendeten Verfahren. Nachträgliches Erwärmen ist aber unstatthaft. Matte Politur der Platte erhält man du ech Kochen in starker Sodalösung. Wenn auch nach dieser Prozedur die Platte gut gewaschen und gebürstet wird, ist doch vor diesem Be3 zverfahren zu warnen, da es einen nicht unbeträchtlichen Substanzve x lust durch Säuren und Basen zur Folge hat. Es empfiehlt sich auf Jeden Fall, dasselbe vor dem Vulkanisieren vorzunehmen. Das beiga Polieren verwendete Öl läßt sich durch Benzin, Seife und Wasser er. t fernen.

Ein Hindernis für die Einführung des Aluminiums in as Gebiet der Zahntechnik bildete und bildet noch der Mangel eines A luminium- lotes. Trotzdem sieht sich der Vortrugende veranlaßt, sein Kollegen aufzufordern, Front zu machen gegen dus alte Vorurteil das dem neuen Metall den voraussichtlichen Siegeslauf bisher so nachdrücklich verzögerte. Die früher angeführten Nachteile des Alumi za ums sind erwiesenermaßen auf das Konto falscher Behandlung oder des Vor: handenseins schüdlicher Beimengungen zu setzen. Liegen t5eide nicht vor, so ist das Aluminium unübertrefflich als Ersatz für K æ uttschuk.

In der Eröffnungsrede für die III. Sektion sprach Dr- Hodgen: Über die Beziehungen zwischen Chemie und Zahn 1 eilkunde. Fast überall werde in zahnärztlichen Schulen durch einen Pharma- zeuten oder Physiker Chemie gelehrt. Der Unterricht durch ersteren sei vorzuziehen. Pharmazeutische und medizinische Chemie seien pan verschiedene Dinge, die eine lehrt. synthetische, die andere analytische Chemie, und so wird diese auch in beiden Fällen in gerad & entgere” gesetzter Weise angewandt. 90 Proz. der Kollegen aus den Vereinigten Staaten schöpften ihr chemisches Wissen aus Büchern va medi- zinischen und pharmazeutischen Autoren, und da sei es doch an beklagenswerte Tatsache, daß wir noch keine rein zahnärztl 1 che Chemie besäßen. Redner befürwortete ein tieferes und intensives Studium oa ahnärztlichen Chemie. Bevor der Student mit der praktischen Seite seines Berufes vertraut gemacht werde, müsse er, da Ee U” günglich notwendig, bereits in den theoretischen Teil eing e

eute fortwährend nach neuem Füllungsmateria

„reiht gein. besond ers

Bericht über den IV. internationalen zahnärztlichen Kongreß. 103

nach neuem Zement und neuen Porzellansorten. In antiseptischen, des- intizierenden Arzneien, in Heilmitteln und Anästheticis müsse eine tiefer- gehende Kenntnis verlangt werden. Der Zahnarzt wisse noch viel zu wenig von der Physiologie und Pathologie der Zahnstruktur und der Sekrete des Mundes, und hierüber könne nur die physiologische Chemie Aufschluß geben.

Hierauf sprach Dr. Buckley-Chicago: Über die chemische Er- klärung der Pulpenzersetzung, die rationelle Behandlung einer putriden Pulpa und ihre Erfolge. Über dieses Thema habe man noch wenig nachgedacht trotz der vielen Beziehungen zu einer unserer wichtigsten Wissenschaften, der Chemie. Aber solange man sich über dasselbe nicht vollständig klar sei, werde es nie gelingen, eine be- ginnende Zahnfäulnis wieder rückgängig zu machen und die nach- folgende Verfärbung eines Zahnes wieder zu beseitigen.

Die chemische Zusammensetzung des Pulpengewebes sei im wesent- lichen dieselbe wie die anderer Gewebe des menschlichen Körpers. Sie beständen aus Proteinsubstanzen, Kohlehydraten und Fett. Bei der Fäulnis durch Mikroorganismen hätten wir zuerst mit der Zer- eetzung, die durch bereits zersetzte Bestandteile der Kohlenhydrate hervorgerufen werde, zu rechnen. Dadurch entstehe eine Säure, die die Proteinsubstanzen angreife. Bei der Fäulnis bildeten sich folgende chemische Verbindungen: Schwefelwasserstoff, Putreszin und zu gleichen Teilen Cadaverin und Neuridin. Cadaverin und Putreszin seien beide auberordentlich giftig, Neuridin nur in Gegenwart der beiden erst- genannten Substanzen.

Putreszin (Tetramethylendiamin C,H,zN) entsteht aus Athylen- cyanid bei Einwirkung von Wasserstoff im Entstehungsmoment, auch bei der Fäulnis des Fleisches, bildet eine farblose Flüssigkeit, riecht ammonjakartig und ist nicht giftig.

Cadaverin (Pentamethylendiamin C,H,,N.) entsteht aus Tri- methylencyanid bei Einwirkung von Wasserstoff im Entstehungsmoment, bildet eine farblose, sirupartige Flüssigkeit, die in der Kälte kristalli- siert, stark nach Piperidin und Sperma riecht und bei 178° siedet. Es ist äußerst giftig.

Neuridin entsteht bei Fäulnis von Fleisch, ist gelatinös, riecht widerlich und ist nicht giftig. [Anmerkung vom Referenten.)

Bei der Wahl der Medikamente für eine rationelle Behandlung faulender Gewebe und Abszesse habe man die Gerinnungsfühigkeit der Eiweißsubstanzen ganz außer acht gelassen. Und dort entstünden dadurch Verbindungen von ganz anderen Eigenschaften.

Für die Behandlung faulenden Gewebes sei Trikresol und Forma- lin zu empfehlen und zwar zu gleichen Teilen.

Liege ein blinder Abszeß vor, so müsse dies Rezept modifiziert

104 Bericht über den 1V. internationalen zahnärztlichen Kongreß.

werden, da in diesem Falle schon eine vollständige Zersetzung der (Gewebe und Eiterbildung eingetreten sei. Hier sei es vorteilhaft, durch operativen Eingriff den Eiter fortzuschaffen und den Abszeß zu ent- leeren. Für Abszesse obne Fisteln verwende man Trikresol und Formaldehyd im Verhältnis von 4:2. Nach der mechanischen Reinig- ung der Wurzelkanäle träufele man alle 24 Stunden obige Flüssigkeit in die Kanäle. Manchmal genüge schon ein-, in anderen Fällen zwei- bis dreimalige Behandlung. Der Vortragende wies dann darauf hin. daß diese Medikamente mit den Zersetzungsprodukten chemische Ver- bindungen eingingen, die antiseptisch und keimtötend wirkten.

In der Diskussion bezweifelte Dr. Harlan das Vorhandensein von Fett in den Hautgeweben. Er wandte sich gegen die Behandlungs- weise von erst teilweise zersetztem (sewebe, stimmte aber andererseits bezüglich der Behandlung von vollständig oder wenigstens schon stark zersetztem Gewebe mit dem Referenten überein. In solchen Fällen seien keine Proteirisubstanzen mehr im Zahne und wir seien folglich bier zur Anwendung von koapulierenden Agentien berechtigt. Er wies auf seine eigenen, bereits vor Jahren veröttentlichten Experimente hin, die er an ausgezogenen Zühnen gemacht habe, wodurch er bewiesen hätte, daß koagulierende Agentien nicht in das Innere eindrängen.

Dr. Hodgen sprach sich für die Anwesenheit von Fett aus. das in jedem tierischen Gewebe vorhanden sei. Wenn auch in den ursprünglichen Geweben kein Fett zu finden sei, so seien doch die Bestandteile da, die bei der Zersetzung Fett bilden. Dr. Burkleys Behandlungsweise glaube er befürworten zu sollen, obgleich er in seiner Praxis nur Natriumdioxyd verwandt habe, durch dessen Reaktion eiterlösliche Stoffe wie Seite und Glyzerin gebildet wurden.

Sektion IV: Vorsitzender Dr. Peck-Chicago, Sekretär Dr. Reid- Chicago. Auch in dieser Sektion konnten nicht alle Vorträge gehalten werden. Zwei deutsche Kollegen beteiligten sich und zwar hatte Dr. Jessen -Straßburg sein Werk „Zahnhygiene in Schule und Heer“ zur Verfügung gestellt. Die Arbeit von Dr. Schaeffer-Stuckert- Frankfurt a. M. „Paranephrin Ritsert, ein neues Nebennierenpräparat in Verbindung mit Lokalanästheticis in der Zahnheilkunde“ wurde per Titel verlesen [vel. Monatsschr. 1904, S. 542].

Eine sehr beifällig aufgenommene Arbeit lieferte Dr. E. Sauvez, die wegen ihres Interesses, das sie beanspruchen darf, in der Haupt- sache gebracht werden soll.

Über die Licht- und Schattenseiten der lokalen und all- gemeinen Anästhesie von Dr. E. Sauvez, In Anbetracht der aus- schließlichen Anwendung, die die amerikanischen Kollegen von der allgemeinen Anästhesie machten, glaubt Vortragender auf die wohl- tätigen Folgen und Vorzüge einer Methode aufmerksam machen zu sollen, die er 12 Jahre in seiner Praxis angewandt babe.

Man sei jetzt besser ın der Lage, über diesen Gegenstand ein kompetentes Urteil abzugeben als 1595. Man hätte damals viel von der Anwendung des Bromäthyls als allgemeines Anästhesierungsmittel gehalten, während selbst 2jährige Versuche mit Kokain die Scheu vor

Bericht über den IV. internationalen zahnärztlichen Kongreß. 105

diesem Mittel nicht auszurotten imstande gewesen wären. Seitdem hätten Statistiken, die nahezu 15000 Kokaineinspritzungen ohne jeden gefährlichen Zwischenfall enthielten, aus ihm einen warmen Verehrer der lokalen Anästhesie gemacht. Deshalb möchte er speziell auf diesem Kongreß für lokale Anästhesierung plädieren, da er zu ihr ein absolutes Vertrauen empfinde und überzeugt sei, im Interesse von Patient und Zahnarzt zu reden, wenn er sich zum Fürsprecher der lokalen Anästhesie bekenne.

Vorerst mache sich eine Kritik der allgemeinen Anästhesie nötig. Er erinnere an Krankheitserscheinungen wie Herz- und Lungenfehler, die eine Kontraindikation für die Narkose bedeuteten, um anschließend hieran auf den Huuptvorwurf zu sprechen zu kommen, den man der allgemeinen Anästhesie machen müsse, nämlich der Möglichkeit einer tödlichen Wirkung.

Das vorliegende Material, das gegen die Anwendung der Narkose spreche, wolle er in drei Gruppen zergliedern:

1. Physiologische Bedenken. Bei der allgemeinen Anästhesie würden die Funktionen der Nervenzentren zum Stillstand gebracht und zwar erstens in der Haut, dann im Rückenmark und den Mittel- punkten der Empfindungsorgane und schließlich im Gehirn. Infolge von Gehirnlähmung könne der Tod eintreten.

2, Statistische Bedenken. Nach dem „Edinburgh Medical Journal“ vom November 1903 verteile sich die Zahl der Todesfälle wie folgt: Äthylehlorid 1:16000, Bromätbyl 1:4000, Äther 1: 12000, Chloroform 1:2000. Danach hätten wir es aber nur mit den tödlich verlaufenen Fällen zu tun, während die zahlreichen ernsten Erkrankungen wie Ohnmachtserscheinungen, bei deren Gelegenheit der Patient nur durch geeignete Gegenmittel wie künstliche Atmung usw. gerettet worden sei, keine Erwähnung fänden. Auf diese letzteren Fälle fände das Wort von Prof. Reclus Anwendung: „For an accident to count, it must be fatal“.

3. Operative Bedenken.

Vortragrender erinnert hier an die Schwierigkeiten, die sich der Operation durch die vollständige Bewegungslosigkeit des Patienten entgegenstellen, sowie durch dessen Rückenlage resp. nach hinten übergebeugten Sitz.

Ferner solle man auch die juristischen Bedenken nicht außer acht lassen. Denn gesetzt den Full, eine unglücklich verlaufene Nar- kose käme vor Gericht, so würden die Richter wohl kaum einschreiten bei einer Narkose, die in einem schweren Falle von Operation aus- geführt wurde, andererseits deren Anwendung schwer alınden, wenn es sich nur um eine Zahnextraktion gehandelt hätte.

Endlich aber hätten wir auch die Folgeerscheinung nach einer Narkose zu bedenken. Heftige Kopfschmerzen, Erbrechen, Hüftweh,

106 Bericht über den IV. internationalen zahnärztlichen Kongreß.

allgemeine Schwächezustände wechselten ab mit tagelang anhaltender Schlaflosigkeit.

Bei den narkotischen Mitteln, die zwar allgemeine Anästhesie, aber nur von kurzer Dauer, hervorriefen, wie Bromäther usw., mache sich eine allzu hastige Ausführung der Operation notwendig, die häufig allerlei Unannehmlichkeiten im Gefolge hätte.

Betrachteten wir dagegen die Lichtseiten.. einer vollständigen Anästhesie, so wären da unter anderem anzuführen, daß der Patient von der Operation nichts merke, wenn es sich um Extraktionen vieler Wurzeln handele, so könnten deren viele in einer einzigen Sitzung vorgenommen werden, auch solle nach einigen Angaben die Ausheilung der Extraktionswunden schneller erfolgen. Diesen drei Vorzügen könnten aber seiner Meinung nach die beiden ersten den angeführten Nachteilen und Gefahren in keiner Weise die Wage halten; der zuletzt genannte Vorzug komme als solcher nicht in Betracht, da er überhaupt noch nicht erwiesen wäre. Er habe neben anderen Zahnärzten bei Verwendung von Kokain noch niemals eine langsamere Vernarbung beobachten können als nach einer Narkose.

Die Gefahren bei der lokalen Anästhesie seien dagegen gleich Null. Nach einer Anwendung einer 23cg-Kokainlösung und mehr sei für unsere Zwecke nicht erforderlich habe man noch niemals einen Todesfall beobachten können.

An unangenehmen Zufällen seien folgende zu nennen:

1. Schwächezustünde. Diese sind außerordentlich selten und be- stehen meist nur bei den dazu prädisponierten Patienten in unbe- deutenden Schwindelanfällen. Von ernsten Störungen irgendwelcher Organe könne dagegen keine Rede sein.

2. In zwei Füllen, nämlich bei Extraktion des Weisheitszahnes infolge von Dentitio difficilis und Ankylosis, also denkbar schwierigen Operationen, sei mit lokaler Anästhesie wenig zu erreichen.

3. In zwei weiteren Fällen, nämlich bei akuter Arthritis oder dem Vorhandensein eines Abszesses, verringere lokale Anästhesie über- haupt nicht die Schmerzempfindung.

Hiernach bespricht Redner die Anästhesierungsmethoden vermittels Elektrizität. Einmal werde gegen die Krone des betreffenden Zahnes, während einer in einzelnen Fällen verschiedener Dauer vor der Ex- traktion ein Hochspannungsstrom gerichtet (Regner und Didsburg und zweitens führt man medizinische Substanzen, meist Kokain, in das (Gewebe vermittels Elektrizität ein. Redner wendet sich aber gegen die Anwendung der Elektrizität überhaupt, da sie zu viele Mißhellig- keit und Schwierigkeiten im Gefolge habe. Wir seien also gezwungen, die Verbreitung des Kokains oder dessen Derivate zu unterstützen. Die Einspritzungsmethode zeitire so günstige Erfolge, daß wir uns vorerst damit zufrieden geben könnten.

Bericht über den IV. internationalen zahnärztlichen Kongreß. 107

Weiterhin verbreitet sich Vortragender über die physiologischen Eigenschaften des Kokains. Vom Standpunkte der Physiologen sei Kokain ein lokales und vollständiges Anästhesierungsmittel. Das letztere wäre viel bestritten worden, jedoch hätten die Untersuchungen von Mosso und Albertoni die Richtigkeit obiger Behauptung be- wiesen. Denn die allgemeine und vorübergehende Wirkung auf das Gehirn (Definition von Claude Bernard) sei ein untrügliches Charakte- ristikum des Kokains. lm Tierkörper rufe es bei Einspritzungen in kleinen Dosen Krämpfe hervor, diesen folge eine Unempfindlichkeit, die nur an der Oberfläche, aber nicht im Innern zu konstatieren sei.

Diese Tatsache hätten Laffont und Arloing dazu veranlaßt, das Kokain als Nervenheilmittel zu betrachten, das ausschließlich auf die empfindlichen Nervenspitzen wirke. Mosso hätte aber diese Theorie widerlegt. l

Eine Kokaineinspritzung anästhesiere nicht nur den Nervenstrang, dem sie gelte, sondern auch die umliegenden Fleischteile, die sich in Abhängigkeit vom Nerven befänden.

Eine der merkwürdigsten Eigenschaft des Kokains sei, die Blutgefäße zusammenzuziehen. Er betone dies ausdrücklichst. Fine Folge davon sei unter anderem Blutandrang. Kokain wirke auch auf die wichtigsten Organe der Wärmeregulierung ein es erhöht die Tempe- ratur (Richet), ferner wirkt es auf das Auge (Mydriase). Die Schatten- reiten, die bei Anwendung von Kokain zu berücksichtigen seien, wären in erster Linie Ohnmachtsanfälle, die aber selten und leicht seien und die durch Anwendung der richtigen Dosis zu vermeiden seien. Andere Folgeerscheinungen seien leichtes Prickeln in den Extremitäten und größere Redseligkeit. Fieberhafte Phantasiereizungen, wie z. B. bei Chloroform, kämen gar nicht vor. Reclus habe in 7000 Fällen von Kokainanwendung nie die geringste Störung des physiologischen Gleich- gewichtes beobachtet. Und auch in den 15000 veröffentlichten Fällen von Kokaininjektionen sei kein einziger Unfall leichter oder schwerer Art auf den Gebrauch des Kokains zurückzuführen. Nach seiner An- sicht sei also Kokain das unschädlichste Anästhesierungsmittel, das bis jetzt bekannt sei.

Das Bestreben, angebliche Unannehmlichkeiten des Kokains zu vermeiden, führten dazu, mit dessen Derivaten oder verwandten Sub- stanzen Versuche anzustellen. Er wolle sich aber auf einige Bemer- kungen über Tropakokain und Eukain beschränken.

Das erstere sei ebenso giftig, seine anästhesierende Wirkung gehe aber nicht so tief wie bei Kokain.

Eukain erweitere die Blutgefäße, seine Einspritzung sei schwierig, die Anästhesie schwächer und von kürzerer Dauer als bei Kokain.

Die Phenate des Kokains seien in Wasser unlöslich. In Öl oder flüssiger Vafeline gelöst erzeugen sie kleine Knötchen, die erst nach

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längerer Zeit wieder verschwinden. Das Chlorbydrat des Koknins scheine somit alle Vorzüge zu haben, die man ihm zuschreibe, sowohl in bezug auf die Güte der Anästhesie, als auf die aufs geringste Maß beschränkte Gefahr.

Zum Schluß bespricht Vortragender noch die Versuche, die man gemacht habe, mit anderen Lösungsmitteln als Wasser. Die Versuche wurden mit Öl, Vaseline, Kakaobutter u. dergl. mehr angestellt. Solche Mittel zur Übertragung des Kokains angewendet, hätten dieselben Nach- teile wie alle Fremdkörper. Sie verlangsamten merklich die Heilung, und viele von ihnen erzeugten Nekrose. Die Quintessenz sei also die, daß andere Überträger als destilliertes Wasser nur Nachteile hätten, ohne diese durch irgendwelche Vorteile zu kompensieren. [Es befremdet uns, den Zusatz von Adrenalin zum Kokain nicht erwähnt zu finden. Schrift).] `

Sektion V. Vorsitz Dr. Brown-Milwaukcee. Sekretär Dr. Block- Chicago. Hier wurden 13 Vorträge gehalten. W. Pfaff-Dresden refe- rierte über Verengerung der Nasenhöhle bedingt durch Gaumen- enge und anormale Zahnstellung. Heilung durch Dehnung des Oberkiefers. Die neuesten Forschungen von Zahnarzt G. Schroeder in Cassel. Illustriert wurde der Vortrag, der sehr günstig aufgenommen wurde, durch 50 Projektionsbilder.

Zahnarzt G.Schroeder-Cassel behandelte in seinem interessanten Vortrage: „Die Verengerung der Nasenhöhle bedingt durch die Gaumen- enge und anormale Zahnstellung‘‘ die Entstehung und Behandlung solcher Verengerungen, ausschließlich derjenigen, die durch Nasen- polypen, Geschwüre und Wucherungen herbeigeführt werden können. Nach einem kurzen Hinweis auf Dr. Eysells Vortrag über dasselbe Thema auf der Naturforscher-Versammlung, Berlin im Jahre 1886, so- wie auf die einschlägigen Veröffentlichungen von Prof. Sauer-Berlin wendet er sich zu seinem Thema. Die durch seitliche Zusammen- drückung des Gaumengewölbes veranlaßten Verengerungen der Nasen- höhle zerfallen in totale d. h. beiderseitige und asymmetrische d. h. einseitige Verengerungen, die beide fast stets mit Zahnirregularitäten verbunden sind. Inspirations- und Expirationsstrom gehen durch den Mund. Die Anfeuchtung und Vorwärmung der eingeatmeten Luft ist dann nur minimal, die Entleerung der Ethmoidalvenen ist gestört. Infektionskeime gelangen direkt in den Rachen und schädliche Gase direkt in die Lungen, und die Folgen dieser und anderer Unregelmäßig- keiten sind Störungen einer ganzen Reihe von Organen, wie venöse Hyperämie und damit cerebrale Erkrankungen, Entzündung der Rachen- schleimhaut, anämisches Aussehen des Patienten, hervorgerufen durch mangelhafte Oxydation des Blutes, in den Respirationsorganen nächt- licher Husten, Schwerhörigkeit und Reizerscheinungen des Digestions- apparutes.

Bericht über den IV. internationalen zahnärztlichen Kongreß. 109

Die umfangreichen Forschungen nach der Ursache hoher Gaumen, abnormer Zahnstellungen und bestehender Nasenenge sind noch nicht abgeschlossen, wenn auch schon eine ganze Reihe dieser Ursachen bekannt ist, Dr. Buser, Block, Körner u. a. haben neuerdings viel Mühe und Arbeit auf diesen Gegenstand verwandt. Gustav Schroeder- Cassel nahm ungefähr 3200 Schädeluntersuchungen an Kindern, Zucht- bäuslern und Geistesschwachen vor, die ihrer Veröffentlichung ent- gegensehen. Referent gab dann einen kurzen Überblick über die Schroederschen Erfahrungen.

Da die Nasenenge wohl meistens durch die Deviation des Sep- tums entsteht, so müßte man sie dadurch heilen können, daß man das Septum wieder streckt, und das müßte man dadurch erreichen können, daß man durch Dehnung des Oberkiefers den Druck gegen das Septum aufhebt. Kieferdehnung mit der Koffinplatte ist verwerflich, brauch- bar dagegen die Überkappung der Zähne (Heydenhauß) mit ein- gesetzter und auswechselbarer Dehnungsschraube (Schroeder-Cassel). Nach G. Schroeder hat die Orthopädie zwei Fälle zu unterscheiden: l. Bestehen der Nasenenge ist durch langsame Dehnung des Oberkiefers bis zum Eintritt der Nasenatmung zu heilen. 2. Verengerung der Nasenrachenspalte fordert bereits ein Hervorziehen und Dehnen des Oberkiefers im Milchgebiß, bis die Artikulation normal ist. Zu gewaltsam und rasch vorgenommene Dehnung ist eher schädlich als nötzlich, je langsamer dieselbe, desto vollkommener die Nasenerweiter- ung nach oben.

Die Dehnungsapparate werden mit Zement fest eingesetzt. In kleinen Kästchen sind doppelt oder einseitig wirkend auswechselbare Dehnungsschrauben (Schroeder) eingesetzt. Der einzementierte Appa- rat bleibt und darin besteht die Wichtigkeit der G. Schroeder- schen Neuerung während der ganzen Behandlung im Munde, nur die Schrauben werden ausgewechselt, von Zeit zu Zeit durch größere ersetzt und weitergedreht. Die Zeit der Behandlung ist in jedem Falle verschieden, sie kann 3, kann aber auch 15 Monate in Anspruch nehmen. Die Schroederschen Untersuchungen ergaben zwei wichtige Resultate. In fast allen Fällen, in denen einseitiger Kiefereindruck verbunden mit abnormer Stellung der Zähne vorlag, wurde eine Aus- weichung des Septums nach der anderen Seite beobachtet. Man kann somit schon bei lebenden Individuen nicht nur das Vorhandensein einer Nasenenge aus der Gaumeflenge nachweisen, sondern auch fest- stellen, welche Richtung die Deviation des Nasenseptums hat. Auf dieser Seite ist in den meisten Fällen auch die Nasenenge zu suchen, die dann gewöhnlich ein weniger gutes Gehör zur Folge hat. Schroeder stellte damit vorsichtige Dehnung und normales Gehör wieder her und glaubt den letzteren Erfolg darauf zurückführen zu können, daß durch die Dehnung des Oberkiefers der Druck auf den Gehörgang

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aufgehoben und dadurch der reguläre Luftdruck im Ohr wieder her- gestellt wird.

Der Vortrag wurde illustriert durch sehr interessante Lichtbilder (Aufnahmen Schroeders). Zum Schluß schließt sich Referent Schroeders Ansicht an und führt aus, daß es vorzuziehen sei, durch Kieferdehnung Abnormitäten der Nase zu beseitigen, wenn man dadurch einen chirurgischen Eingriff ersparen könne, der häufg nachteilige pathologische Zustände zur Folge habe. Er verleiht schließlich der Hoffnung Ausdruck, daß Schroeders Arbeit immer mehr Beachtung und Nachahmung finden möchte zum Wohle der Menschheit und zum Segen des zahnärztlichen Standes.

Der Vorsitzende machte in der Diskussion darauf aufmerksam, daß er selbst bereits mit demselben Thema an die Öffentlichkeit ge- treten sei. Er interessiere sich infulgedessen sehr für die sorgfältigen Forschungen Schroeders und freue sich zu hören, daß man auch in Deutschland eine so wichtige Frage gebührend berücksichtige Er stimme in den springenden Punkten mit Schroeders und des Refe- renten Anschauungen überein und hoffe, daß diese die ihnen zukommende Verbreitung finden möchten.

Sektion VI. Vorsitzender Dr. W. Angle-St. Louis. Sekretär Dr. Watson-Detroit. Diese Sektion war fast am stärksten besucht. Nicht weniger als 20 Vorträge lagen vor. Es sprachen unter anderen Angle, Case, Pullen, Brown, Ottolengui, Bryan, Davenport und Zelicka über sehr wichtige 'Themata. Von deutschen Kollegen referierte Dr. Schroeder-Greifswald über die Prognathie des oberen Gesichts [l’rojektionsvortrag], sowie Hofzahnarzt W. Pfaff-Dresden: Über die Entwicklung der diagnostischen und therapeutischen Methoden der Orthodontie in neuerer Zeit und die Bedeutung der Ätiologie von Bißdeformitäten für die Therapie.

Nach einer kurzen Bemerkung über die Unmöglichkeit, ein so wichtiges Gebiet in so kurz bemessener Zeit ausführlich zu behandeln, äußerte Vortragender als Einleitung seine Ansicht über die Aufgabe der Kongresse. Sie besteht darin, die durch die Anhäufung des Mate- rials in einzelne Spezialgebiete zersplitterte Disziplinen wieder zusammen- zukitten, da der Forscher nur dann eine gedeihliche Entwicklung in die Bahnen lenken kann, wenn er stets den Zusammenhang mit der Mutterwissenschaft im Aure behalte. Darauf ging Redner zur Ge- schichte der Regulierungstechnik über, denn auch die Geschichte könne uns volle Anregungen mancherlei Art geben und sei daher von emi- nenter Bedeutung. Die Regulierungstechnik sei in ihren Grundgedanken gar nicht so sehr neu. Schon im Anfange des vorigen Jahrhunderts suchte man, aber ohne irgendwelche Kenntnisse von der Atiologie von Irregularitäten zu besitzen, solche lediglich aus kosmetischen Gründen zu beseitigen. Die Apparate waren primitiver Natur, die Kenntnisse minimal. Erst später tauchten fast gleichzeitig in England, Frankreich, Amerika und Deutschland Männer auf, die sich intensiver mit der Frage

Bericht über den IV. internationalen zahnärztlichen Kongreß. 111

beschäftigten und die ersten erwähnenswerten Apparate konstruierten. Hunter (England) suchte durch Überkappung und schiefe Ebene, Fox (England) durch Erhöhung des Bisses sein Ziel zu erreichen. Schange (Frankreich) übte mit den Schrauben seiner aus Klammern bezw. Bändern mit labialem Bügel bestehenden Richtmaschine einen dauernden Druck auf die Zähne aus, ersetzte auch diese Vorrichtung durch seine Bandfeder. Nach ähnlichen Prinzipien habe auch Lachaise gearbeitet, dessen am Gaumen anliegendes Metallband als Vorläufer der Gaumenplatte zu betrachten sei (Walkhoff). Linderer (Deutsch- land) verwandte Bänder als Basis für seine Apparate und legte über die Vorderzähne einen Metallbügel statt eines elastischen Kautschuk- streifens wie ihn Lachaise benutzte. Der Bügel wurde durch Schrauben bewegt. Der erste, der seine Apparate nach Modellen arbeitete, war Carabelli (Österreich. Mit Klammern, Bändern und Schrauben drängte er die Zähne in die gewünschte Lage.

Ohne wohl von diesen europäischen Fortschritten in der Zahn- regulierungstechnik beeinflußt zu sein, fing man auch in Amerika an, Schrauben zu verwenden (als erster verwendete sie Dwinelle) und über die Ätiologie von Anomalien, physiologischen Veränderungen der Knochengewebe und Theorie der Regulierungsmechanik nachzugrübeln. Vortragender verweist hier auf die diesbezüglichen von Kingsley ver- öffentlichten, interessanten Schriften, die auch heute noch nicht ganz veraltet seien. Kingsley verdankten wir eine Menge sehr zweck- mäßig konstruierter Apparate. Ferner arbeitete Farrar in theoretischer wie in praktischer Hinsicht die neue Disziplin weiter aus und näherte sich in seinen Apparaten den Carabellischen Prinzipien. Es ist hier natürlich nicht möglich, so ausführlich auf alle Methoden und Kon- struktionen einzugehen, wie ich das in meinem Vortrage konnte und so muß ich auch die große Zahl anderer Forscher und Praktiker hier übergehen. Wenn diesen auch eine große Bedeutung für die Entwick- lung unserer Disziplin nicht abgesprochen werden kann, so treten sie doch in den Schatten gegenüber den Riesenfortschritten der neuzeit- lichen Orthopädie. Wenn sie trotzdem im Vortrage ausführlicher behandelt wurden, so geschah das, weil sie eben die Grundlage unserer heutigen Regulierungstechnik zum Verständnis der letzteren dienlich sind.

Der rapide Fortschritt datiert erst aus dem Anfange des letzten Dezenniums und beruht auf der Auffindung und Vervollkommnung besonders geeigneter Behandlungsmethoden. Heute habe es die ortho- dontische Wissenschaft so weit gebracht, daß die erfolgreiche Behand- lung von Bißdeformitüäten nicht nur möglich, sondern sogar ohne übermäßige Schwierigkeiten ausführbar sei. Das alles verdankten wir einer Reihe von verdienstvollen Forschein, die Theorie und Praxis in gute Harmonie zueinander brachten und so der Orthodontie den ge-

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deihlichen Fortschritt anbahnten. In Amerika regten Angles Erfolge zu eifrigem Schaffen an, und so kam es, daß bis in die letzten Jahre die Zahnärzte des neuen Kontinents die ausgeeprochene Hegemonie in Händen hatten. Doch machten jetzt die Begabung, nüchterne Kritik und gediegene Kenntnisse des Franzosen, Englünders und Deutschen ihren amerikanischen Kollegen den Rang streitig und dürfte gegen- wärtig auch Deutschland in diesem zahnärztlichen Spezialgebiet mit an der Spitze marschieren.

Wenn die Orthodontie häufig mit Mißerfolgen zu kämpfen hatte, so lag das teilweise mit an der Kompliziertheit der Apparate, die dem nicht eingeweihten Zahnarzte vielfach der Grund mißlungener Ope- rationen waren. Die Verdienste Amerikas liegen mehr auf technischem, die Europas mehr auf wissenschaftlichen Gebiete. Während vor allem Angle die Apparate vereinfachte und ein für jeden Zahnarzt erlern- bares System schuf, die Theorie von der abnormen Bißstellung der ersten Molaren aufstellte und so ein übersichtliches System der Biß- verschiebung schuf, befaßte man sich in Europa mit gründlichen physiologischen Studien und dem Forschen nach den Ursachen der Anomalien. Die Theorie half der Praxis, und die dadurch erzielten günstigen Resultate sorgten dafür, daß man wiederum der ersteren ein erhöhtes Interesse zuwandte. So begann das Studium der Ätiologie abnormer Zahnstellungen, gestützt auf die Physiologie der Gewebs- veränderungen und die Beobachtung der gesetzmäßigen Entwicklung der Irregularitäten. Mit den Kenntnissen wuchsen die Hilfsmittel und diese ermutigten zur Inangriffnahme immer neuer und schwierigerer Aufgaben. In dieser Wechselwirkung lag der Sporn zur Weiterarbeit und in dem innigen Zusammenhang mit der Orthopädie die Förderung.

Auf Grund der Erkenntnis der Ätiologie konnte man als nächstes erstrebenswertes Ziel die Korrektur der Difformitäten ins Auge fassen, sowie die Bekämpfung aller ursächlichen Schäden. Weit mehr ist. erreicht worden. Die moderne zahnärztliche Orthopädie hat die Therapie aller Diftormitäten der Gesichtsknochen überhaupt in den Bereich ihrer Tätigkeit gezogen, wie besonders die Behandlung aller Arten von Prognathien (des Ober- und Unterkiefers, des offenen Bisses) und Deviationen der Nase.

Die Rerulierungskunst beschäftigt sich mit dem einzelnen Indi- viduum, und jeder einzelne zu behandelnde Fall ist vom vorigen ver- schieden. Alle sind aber bestimmten Naturgesetzen unterworfen, die uns die naturwissenschaftliche Forschung in der Medizin lehrt. Die medizinische Wissenschaft bildet also die einzig sichere und notwendige Grundlage zur weiteren soliden Ausarbeitung der Orthodontie und ihre Kenntnis darf sich also keineswegs auf das Vertrantsein mit der zahn- ärztlichen Orthopädie beschränken. Nur dann ist der Zahnarzt be- fähigt, dem Einzelfall in Diagnose und Behandlungsprinzip gerecht

Bericht über den IV. internationalen zahnärztlichen Kongreß. 113

zu werden. Die Kenntnis der diagnostischen und therapeutischen Hilfs- mittel ist nötig, genügt aber nicht.

Außer den verschiedenen naturwissenschaftlichken und medizi- nischen Hilfsdisziplinen benötigt der Zahnarzt auch eines gewissen künstlerischen Geschmacks. Dient doch die Orthodontie auch dem Zwecke der Veredelung der Gesichtszüge. Hierauf näher einzugehen erübrigt sich, da gerade dieser Punkt das Thema eines zweiten Vor- trages bildet, der weiter unten besprochen werden wird.

Kehren wir nach diesen Abschweifungen zur Entwicklungs- geschichte der jüngeren Methoden zurück. Auf dem eingeschlagenen Wege drangen außer Angle und Case vor allem auch deutsche Forscher und Praktiker weiter vor (Kühns, Sauer, Siegfried, Walk- hoff, Birgfeld, Heydenhauß u. a.). So konstruierte Birgfeld Apparate, die von dem ähnlichen Prinzip ausgehen wie die Angles und die günstige Erfolge hatten, aber nur zu lange im Munde getragen werden mußten. Sie bestanden in der Anbringung von schiefen Ebenen vermittelst Bändern um Molaren und Prämolaren.

Um die durch die schiefen Ebenen ausgeübte Kraft zu verstärken, modifizierte ich den Apparat dahin, daß ich mit ihm einmal die Dehn- ung beider Kiefer zu gleicher Zeit mit der Bißverstellung bewerk- stelligen und außerdem einen ständigen doppelten Druck auf Ober- und Unterkiefer ausüben konnte. Das erreichte ich durch Gaumen- schraube und Spiralfeder mit Expansionsbogen, den ich mit Seide oder Aluminiumbronzedraht an den Zähnen festband. Jedoch hat die Anglesche Methode mindestens den Vorzug einer viel schnelleren Herstellung der Artikulation.

Neben der Operationsmethode ist der Hauptakzent auf eine richtige Diagnose zu legen, und in diesem Punkte wirkte die Erkenntnis der Stellung der ersten Molaren zu ihren Antagonisten bahnbrechend. Die Verschiebung der Molaren und der übrigen Zähne gelingt durch die doppelte Wirkung von Gummiringen und ich habe stets günstige Er- folge mit dieser Methode gehabt.

Der hier in fragmentarischer Kürze geschilderte Entwicklungs- gang der Orthodontie war wenigstens in der Neuzeit ein geradezu rapider, und daß er das war, verdankt er der Physiologie, der Physik und der experimentellen Pathologie. Bißdeformitäten haben außer einer bedeuten- den Gesichtsentstellung ein ungenügendes, erschwertes Kauen zur Folge, Sprachfehler und anderes mehr. Der Segen der erfolgreichen Regu- lierung ist also unschätzbar, besonders wenn man berücksichtigt, daß es bald keine Bißdeformitäten mehr geben wird, die aus wissenschaft- liehen oder technischen Gründen nicht zu beseitigen wären. Schon wenden die Zahnärzte ihre Aufmerksamkeit auch den Nasenerkrankungen zu, die, worauf Vortragender schon vor Jahren hingewiesen hat, fast regelmäßig als Begleiterscheinungen eines abnormen Gaumenbaues

XXI. 8

114 Bericht über den IV. internationalen zahnärztlichen Kongre!t:.

auftreten und bis jetzt auf operativrem Wege geheilt werden muliten. Ich verweise auf die einschlägigen Arbeiten von G. Schroeder-Ca=»:el.

Was nun die Ätiologie der Billeformität anlangt. und damit komme ich zum zweiten Teile meines Vortrages. so hat «diese mit der Therapie derselben in bezug auf die schnelle Entwicklung nicht Schritt halten können, weil ibr Studium nicht so sehr zu lohnen schien. Am bekanntesten sind die vererbten Abnormitäten. Die Anthropologie bhe- schäftigt sich mit deren Erklärung. Ein eifrigeres Studium dieser Wissenschaft mußte meines Erachtens therapeutische Erfolge mit sich bringen. Wenn man auch versuchte, die Arten der Irremlaritäten zu klassifizieren und eine Nomenklatur für sie zu schatten. so sind diese lobenswerten Bestrebungen eben solche geblieben und nur ein Sv-tem

von Walkhoft könnte als Grundlage für weiteres Wirken nach dieser

Richtung hin dienen. Eine sehr dankenswerte Arbeit nach dieser Richtung bin verdanken wir Schroeder- Greifswald. Jedenfalls aber seien noch viele ursächlichen Fragen in undurchdringliche Nebel ve- hüllt. Möge die Austüllung dieser Lücke in unserer Forschung das nächste Ziel unserer Arbeit sein.

Hieran anschließend sprach Vortraxender über den Wert kün-t- lerischer Studien für die zahnärztliche orthopädische Praxis. Die Zahn- rerulierung sei keine rein bandwerksmälize, mechanische Tätigkeit, wie viele glaubten. Wer nur manuelle (Geschicklichkeit zur Grundlage habe, werde niemals Erfolge haben. Wir seien gewöhnt. den Menschen zunächst nach dem Gesichte zu beurteilen. Wer eine unangenehme Physiognomie habe, werde nur langsam unsere Sympathie erwerben. Wir korrissierten bei einer hegulierung nicht allein den BiD. sondern das ganze Gesicht. De gustibus non est disputandum, und gerade die Tatsache, daß wir das Gesicht täglich unverhüllt und I6Omal zu sehen bekommen, stumpft unseren kritischen Bliek ab. Wir benötigen deshalb für unsere Gresichtsverbesserungen ein Vorbild, ein Idealpretil. der Gesichtsausdruck müßte studiert und die Proportionalität der cin- zelnen Teile erforscht werden.

Unterer Nasenrand und Nasenwurzel teilen das Gesicht in seine drei wichtigsten Abteilungen, die in bezug auf ihre Mabe und Lage zuein- ander sorgfältig zu prüfen seien. Der Zahnarzt betrachte am besten den Patienten im Profil und en face und erleichtere sich die Beurteilung dadurch, daß er sich selbst zwischen Patient und Fenster, den Patienten mit der Front nach dem Fenster aut-telle. Als hervorragendes Hilfs- mittel für die Beurteilung eines Gesichts habe der Gipsabdruck zu gelten, den man in der Weise nehme. daß man das Gesicht mit Vase- line bestreiche und Angenbrauen und event. auch Schnurrbart mit Watte überklebe. Dabei habe man auf ununterbrochene Nasenatmung zu achten. Aufschluß über die Anforderungen, die wir anatonusch an eine schöne Gresichtsbildung zu stellen hätten. gäbe uns die Kennt-

w——

Bericht über den IV. internationalen zahnärztlichen Kongreß. 115

nis des embryonalen Entwicklungsganges. Der Unterkiefer, welcher ursprünglich allein vorhanden sei, treibe allmählich den Oberkiefer- fortsatz, der die seitlichen Gesichtsteile bestimme und die Grundlage für Jochbeine, Gaumen- und Flügelbeine bilde. Die Riechgrube unterbreche eine Leiste, die von der Unterfläche des Vorderhirns aus- gehe und die seitlichen Nasenfortsätze trenne. Der mittlere Nasen- fortsatz entwickle sich zu der median stehenden Nasenscheidewand und dem Zwischenkiefer. Im übrigen sei auf das Werk Henles ver- wiesen über Schädelbildung (S. 39). Ungleichmäßige Entwicklung dieser Fortsätze, besonders aber des Oberkiefers seien die Ursache von Mißbildungen, wie Gaumen-, Kiefer- und Lippenspalte (vgl. Gegen- bauer. S. 45).

Bei einem Neugeborenen hätten Oberkiefer und Jochbogen die anderen Knochen an Wachstum bedeutend überholt. Der erstere bilde das Zentrum der Knochenbildung. Die übrigen Knochen scheiden Mund und Nase, bilden die Augenhöhlen und trennen diese von der Nase, so daß Augen, Mund und Nase von der Entwicklung des Ober- kiefers abhängig seien. Das trete deutlich in Erscheinung bei einem Vergleich zwischen dem Schädel eines Neugeborenen und dem eines Erwachsenen.

Ferner führt Vortragender aus, daß ein prognather Oberkiefer das Gesicht schnauzenförmig vortreibe, sehr häufig die Nase verbreitere und besonders störend wirke, wenn der Unterkiefer, was häufig in diesem Falle vorkomme, in der Entwicklung zurückgeblieben sei. Stehe der Oberkiefer senkrecht, wie bei dem orthognathen Oberkiefer, so resultiere daraus eine schmale Gesichtsform mit gestreckter Nase, senk- reehtem Stande der Zähne und wenig vortretenden Backenknochen. Kurz durch Veränderung des Oberkiefers modellierten wir das ganze 'esicht. Die enorme Bedeutung dieser Tatsache werde niemand an- zweifeln.

Die Beantwortung der Fragen: Wie sollen wir die Gesichtszüge umgestalten? Wie werden wir am sichersten den Schönheitsbegriffen entgegenkommen? verlange, daß der Zahnarzt bis zu einem gewissen Grade Künstler sein müsse. Mit den Fortschritten der Orthodontie werde auch die Erkenntnis dieser Tatsache fortschreiten. Rasten heile roster und deshalb müßten wir weiterarbeiten auf dem Regulierungs- gebiete, bis uns eine erfolgreiche Prophylaxis aller Irregularitäten möglich sei. [Der Vortrag Dr. Schroeders ist im Correspondenzblatt für Zahnärzte erschienen.]

Zu Sektion VII (Vorsitzender Dr. Johnson-Chicago) referierte Dr. Sehreier-Wien über eine Ein- und Ausschaltvorrichtung, die am Handstück der elektrischen Bohrmaschine ange- bracht werden kann.

In Sektion VII, mit Dr. C. R. Turner als Vorsitzenden, g%

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fielen von 13 Vorträgen 4 auf deutsche resp. österreichische Kollegen. Dr. Hoffendahl-Berlin referierte über „abnehmbare Kieferbruch- schienen“ von Prof. Dr. Warnekros-Berlin und „verkleinerte Obtu- ratoren“ von demselben Verfasser.

Abnehmbare Kieferbruchschiene von Prof. Dr. Warnekros- Berlin. Durch die der Chirurgie heutzutage zur Verfügung stehenden Hilfsmittel ist die Knochennaht bei Behandlung von Kieferbrüchen eine leichte Operation und in kurzer Zeit ausführbar. Obgleich auch die Knochennaht selbst unter den schwierigsten Verhältnissen immer bedeutende Erfolge zu verzeichnen hat, beweist der Vortragende, daß man nach eingehender Prüfung den von ihm empfohlenen abnehmbaren Kieferverbänden den Vorzug geben muß. Denn bei Verwendung dieser abnehmbaren Kieferbruch-, d. h. Dentalschienen, die unter teil- weiser Freilassung der Kau- und Schneideflächen der Zähne die seit- lichen Teile der frakturierten Kiefer umgeben, ist eine Dislokation bei der Heilung leicht zu vermeiden. Gleichzeitig gestattet diese Methode eine Übersicht über die in richtiger Lage festgehaltenen frakturierten Teile. Auch wird die Funktion des Unterkiefers während der Heilung nicht aufgehoben. Abgesehen von der humanen Behandlungsmethode für den Patienten und der leichten Anfertigung seitens des Zahnarztes besitzen die abnehmbaren Kieferverbände auch dadurch einen unschätz- baren Wert, daß sie vom dritten Tage an täglich behufs Reinigung aus dem Munde entfernt werden können, ohne im geringsten für den Heilungsprozeß nachteilig zu wirken. Weder der Chirurg kann durch die Knochennaht, noch bisher der Zahnarzt durch den Sauerschen Drahtverband, der unstreitig einen großen Fortschritt in der zahn- ärztlichen Technik bildet, es vollbringen, daß Patient gleich nach Be- endigung der Operation von seinen Schmerzen befreit ist und un- behindert durch die schweren Verletzungen seine Kiefer ausgiebig zur Sprache und Nahrungsaufnahme gebrauchen kann, wie die demon- strierten Kautschukschienen es vermögen. Wenn es auch anfangs den Anschein hat, als ob der gewaltige Muskelzug, der eventuell die frak- turierten Teile eines Unterkiefers energisch nach hinten und oben zieht, nicht durch einen so unscheinbaren Verband aufgehoben werden könnte, so zeigt die Praxis, daß es sehr wohl gelingt, die Dislokation völlig aufzuheben. Zum Schlusse beleuchtet der Vortragende noch die Vorzüge seiner abnehmbaren Kieferbruchschienen gegenüber der u. a. von Angle-St. Louis angegebenen Methode, während der Heilung des Unterkiefers an den Oberkiefer zu fixieren.

Für den Zahnarzt sind die Warnekrosschen abnehmbaren Kiefer- bruchschienen von unschätzbarem Werte.

Verkleinerte Obturatoren von Prof. Dr. Warnekros-Berlin. Wurnekros zeigte in seinem übersichtlichen Demonstrationsvortrag nach Schiltskyschen, Süersenschen und auch seinen nach eigenen

Bericht über den IV. internationalen zahnärztlichen Kongreß. 117

Angaben gefertigten Obturator zum Verschlusse des gespaltenen oder perforierten barten und weichen Gaumens. Er bewies an Modellen aus der Praxis, daß der Patient mit einem von ihm verkleinerten Ob- turator ebensogut essen und sprechen kann wie mit einem großen Süersenschen Obturator. Der Appendix war hierbei so schmal ge- arbeitet, daß der gehobene weiche Gaumen gerade die Seitenränder desselben berührte, um einen Verschluß herzustellen. Es ist aber nicht nur nicht nötig, sondern fehlerhaft, die gespaltenen Teile des weichen Gaumens durch den Obturator zu sperren; die Muskulatur soll viel- mehr durch den Gebrauch, durch Sprachübungen usw. gestärkt werden, so daß allmählich der Obturator verkleinert, eventuell ganz fortfallen kann. Der so verkleinerte Appendix wird natürlich aus festem Kaut- schuk hergestellt, bleibt daher viel länger gebrauchsfähig als die aus weichbleibendem Kautschuk bestehenden und hohlen Obturatoren.

Diese kleinen Obturatoren bilden für die von so schwerem Leiden betroffenen Patienten eine große Erleichterung.

Ferner sprach Hermann BRauhe-Düsseldorff über eine neue Saugvorrichtung. Vortragender führt aus, daß im Laufe der Jahre schon mannigfache Saugvorrichtungen empfohlen worden seien, welche den Zweck haben sollten, künstliche Zähne ohne Klammern am (saumen zu befestigen.

Anfänglich habe man durch Einlegen einer runden, ovalen oder herzförmigen Zinnschablone auf der Gaumenseite des Zahnersatzstückes einen Hohlraum geschaffen, welcher beim Ansaugen des Stückes als Vakuum dienen sollte. Ferner wären die sogenannten Perl- und Stern- schablonen, welche die ganze Gaumenseite des Zahnersatzstückes mit kleinen Perlen resp. Saugnäpfchen versahen, empfohlen worden. Diese Saugvorrichtungen hätten sich aber nicht bewährt, da sie einesteils mit der Zeit ihre Wirkung verlieren, indem sich der Hohlraum in der Schleimhaut abgedrückt, anderenteils, weil die Saugvorrich- tungen entzündetes und schwammiges Zahnfleisch im Gefolge gehabt hätten. Durch Herstellung von Saugkammern mit doppeltem Boden, welche auch kurze Zeit in Gebrauch waren (Boutongebisse|, glaubte man dem sich bald einstellenden Ausfüllen der Kammern durch die Schleimhaut entgegenwirken zu können. Doch traten auch hier starke Entzündungserscheinungen auf, welche den Gebrauch der Kammern verleideten. Außerdem hatte diese letztere Saugvorrichtung noch den Mangel, daß sie sich schlecht reinhalten ließ. Dieselben Fehler hatten ähnliche mit Ventilen versehene Saugkammern. Schon im Jahre 1872 wurde eine Saugvorrichtung in den Handel gebracht, welche im wesentlichen darin bestand, daß in den durch eine Zinn- schablone auf der (saumenseite des Ersatzstückes geschaffenen Hohl- raum eine Gummischeibe mittelst Niet und Metallscheibe befestigt

113 Bericht über den IV. internationalen zahnärztlichen Kongreß.

wurde. Durch den Niet wurde die Metallscheibe auf die Mitte der Gummischeibe gezwängt, wodurch die letztere eine starke Dütenform annahm. Diese Saugvorrichtung besaß eine sehr große Saugkraft, hatte aber vor allen Dingen zwei große Nachteile. Die Gummischeiben wurden sehr bald schwammig und waren wegen ihrer schwierigen Befestigung nur vom Zahnarzt zu erneuern, nicht vom Patienten, und außerdem bewirkte der Rand der Gummischeibe, weil er kräftig gegen den Gaumen gedrückt wurde, erst recht starke Entzündungen, denen häufig nekrotischer Zerfall der Schleimhaut folgte.

Anfang der YUer Jahre des vorigen Jahrhunderts wurde von franzd- sischer Seite dieser (rummisauger in der Weise verbessert, daß anstatt des Nietes eine kleine Schraubenmutter in das Zahnersatzstück einvul- kanisiert wurde, an welche dann mittelst einer kleinen Schraube die Gummischeibe befestigt wurde. Hierdurch war die Auswechselung der Gummischeibe etwas erleichtert, aber die Gummischeibe wurde in der

fig.1.

Mitte immer noch stark gequetscht und die hochstehenden Ränder verursachten eben immer noch die alte Entzündung.

Die neue Saugvorrichtung sei im Prinzip der Hallschen ähnlich, aber die Fehler der alten Gummisauger seien vermieden, auch die Herstellungsweise sei auf das äußerste vereinfacht worden. An dem Zahnersatzstück werde in der Mitte eines auf der Gaumenseite befind- lichen runden Hohlraumes ein knopfühnlicher Ansatz befestigt. Über diesen Knopf werde eine (Gummiringescheibe übergestreift (Fig. 1). Der Knopf sei so konstruiert, daß die Gummiringscheibe eine leicht gewölbte Form annehme. Dadurch sauge sich die Scheibe gut an, ohne aber die Schleimhaut irgendwie zu reizen, die (ummiringscheibe wirke mehr wie ein Saugleder als wie ein Saugnapf. Da die Gummi- scheibe den Hohlraum fast ganz ausfülle, könne sich die Schleimnaut nicht in die Vertiefung einsaugen und werde infolgedessen einer Ent- zündung der Schleimhaut vorgebeugt.

Die Herstellung des Knopfes an dem Zahnersatzstück sei nun, wie gesagt, mit Hilfe einer Schablone, welche er konstruiert habe, sehr einfach. Diese Schablone, Fig. 2 und 3, letztere stark vergrößert, bestehe aus drei Teilen, welche in Fig. 2 mit den Buchstaben 5, C

Bericht über den IV. internationalen zahnärztlichen Kongreß. 119

und .I bezeichnet seien. Die Teile B und C beständen aus Zinn und seien durch leichte Pressung miteinander verbunden, dazwischen be- tindet sich der Teil A, welcher aus Gold bestehe. Diese Schablone werde nun in gleicher Weise wie die alte herzförmige Zinnschablone auf dem Gipsmodell vor dem Stopfen angedrückt und durch drei kleine Stifte mit der Öffnung nach oben befestigt. Damit das Gipsmodell beim Andrücken der Schablone nicht verletzt werde, empfehle es sich, hierbei eine dicke Zinnfolie unterzulegen, welche vor dem Feststiften natürlich wieder beseitigt werden müsse.

Jetzt werde das Ersatzstück wie gewöhnlich mit Kautschuk ge- stopft, wobei nur zu beachten sei, daß auch die Vertiefung, welche sich in der Mitte der Schablone befinde, gut mit Kautschuk ausgefüllt werde. Nach dem Vulkanisieren werde die Zinnschablone entfernt, indem zunächst der Teil C, welcher die Stifte trage, abgezogen werde. Der Zinnring B, welcher sich jetzt noch unter der Platte des Knopfes betinde, sei zwecks leichterer Entfernung geschlitzt und zwar derart,

daß der Schlitz auf das C des Stempels C. Rauhe zeige (Fig. 3 Von diesem Schlitz aus werde der Ring mit einem Exkavator aufgebogen und könne so leicht unter dem Knopf weggezogen werden. Der Teil A, das Goldplättchen, sei mit dem Kautschuk fest verbunden, da das Loch in der Mitte der Schablone und der Raum D mit Hartgummi ausgefüllt sei. Dieser Hartgummi und das Goldplättchen 1 bildeten zusammen den Knopf, über welchen die Gummiringscheibe ge- knüpft werde.

Die Lage, welche die Gummirinzscheibe nach dem Aufknöpfen einnehme, sei in Fig. 2 durch die punktierte Linie angezeigt. Nachdem man die Zinnteile C und B entfernt habe, werde der Knopf geglättet und poliert und nach Aufknöpfen einer Gummiringscheibe sei die Saugvorrichtung fertig.

Hinsichtlich der Lage, welche man der Schablone bei den ver- schiedenen Arten von Kiefern geben sollte, empfehle es sich, im all- gemeinen möglichst flache Stellen des Gaumens auszusuchen. Bei sehr hohen oder solchen Gaumen, welche in der Mitte eine Erhöhung oder harte Stellen und Wülste haben, nimmt man zweckmäßigerweise zwei Sauger und ordnet dieselben seitlich an. Bei Gebissen mit Schneide- „ahnen soll man die Sauger möglichst weit nach hinten anbringen, da

120 Bericht über den IV. internationalen zahnärztlichen Kongreß.

bei einer derartigen Anordnung dem Abkippen des Ersatzstückes beim Abhbeißen am besten vorgebeugt wird.

Die besonderen Vorzüge des neuen Saugers bestünden außer der guten Saugwirkung in folgendem:

Da die Vorrichtung durch Andrücken genau den Gaumenverhält- nissen angepaßt sei, und die Platte des Kopfes stets um die Dicke des Bodens des Zinnteiles C (ian mm) von dem Gaumen abstehe. sei ein Drücken ausgeschlossen. Auch die Gummiringscheibe könne nicht drücken, da sie sich nur so schwach wölbt, wie zum leichten Anliegen der Ränder nötig sei.

Zur Auswechselung oder zur Reinigung lasse sich die Gummi- ringscheibe jederzeit leicht auf- und abknöpfen, ohne daß hierzu irgendwelche Werkzeuge erforderlich seien.

Die Gummiringscheibe fülle den Hohlraum fast vollständig aus, so daß die Schleimhaut sich nicht in die Kammer einsaugen könne.

Endlich sei die erleichterte Art der Anbringung auch ein nicht zu unterschätzender Vorteil, ferner mache die Vorrichtung den Ge- brauch von Klammern bei partiellen Stücken überflüssig, und dann sei sie ein vorzügliches Hilfsmittel für die Interimsprothese, welche wir nach umfangreichen Extraktionen anzufertigen pflegen. Erwähnt sei noch, daß die Saugvorrichtung erst nach kurzem Tragen ihre ganze Saugkraft besitze. Dies müsse dem Träger des Zahnersatzstückes ge- sagt werden, auch sei darauf aufmerksam zu machen, daß die Gummi- ringscheibe zu wechseln sei, sobald sie durch Quellen größer geworden sei als ihre entsprechende Kammer. Am längsten blieben die Gummi- ringscheiben brauchbar, wenn sofort zwei Scheiben in Gebrauch ge- nommen und täglich gewechselt würden. Die außer Gebrauch befind- liche Gummiringscheibe sei alsdann zum Trocknen wegzulegen, während vorrätige Gummiringscheiben aber nicht zu trocken aufbewahrt werden sollten, um allzu schneller Verwitterung vorzubeugen.

Einige Fälle zur Illustration des gegenwärtigen Standes der konservierenden Zahnheilkunde und Mundprothese von Dr. Rudolph Weiser-Wien. Der Vortragende demonstriert an Wand- tafeln und Gipsmodellen, in welch befriedigender Weise es heute der Zahnheilkunde gelingt, verloren gegangene Teile der Zähne und der Zahnreihen zu ersetzen und insbesondere auch kurable Zähne oder Wurzeln zu Trägern von Zahn- und chirurgischen Mundprothesen zu gestalten.

j In einem Falle, wo trotz partieller Zahnersatzstücke im Ober- und Unterkiefer sich infolge Abrasion der Frontzähne die ursprünglich normale Artikulation in immer mehr zunehmende Progenie verwandelte, wurde der BiB dauernd korrigiert durch Herstellung einer 14 zähnigen für den Zahnarzt abschraubbaren Brücke, die sich auf sechs Zähne des

Bericht über den IV. internationalen zahnärztlichen Kongreß. 191

Oberkiefers stützt und deren Frontzähne ausgiebig über die unteren Zähne übergreifen.

In einem, eine zirka 60jährige Dame betreffenden Falle, die vor 20 Jahren beiderseits wegen Empyem der Antra Highmori operiert wurde, war die Befestigung der solange Zeit getragenen dicken Zapfen und der Ersatz der allmählich zugrunde gegangenen Molaren und der zweiten Prämolaren sehr schwierig. Weiser versah die so wichtigen ersten Prämolaren, die jedoch allein nicht mehr ausreichten, der Ge- bißplatte und den Antrumzapfen als Fixation zu dienen, zunächst mit Kronen. Dann benutzte er den nicht-parallelen Verlauf der zu den Antren führenden artifiziellen Kanäle in der Weise, daß die nicht- parallelen Zapfen als Aufhängeapparat für die Gaumenplatte benutzt wurden. Da es jedoch nicht möglich gewesen wäre, eine mit nicht- parallelen Zapfen versehene Platte einzuführen, teilte er den ganzen Apparat in zwei ungleiche Teile. Die große gaumenwärts liegende Goldplatte trägt den hohlen Goldzapfen für das rechte Antrum und eine die rechte Prämolarenkrone umfassende Klammer, die linke zungenwärts liegende kleinere Platte den Zapfen für das linke Antrum und die Klammer für die linke Prämolarenkrone. Ein von der oberen Platte ausgehender vierkantiger Führungsstift greift in eine die Achse des zweiten linken oberen Molaren der kleineren Platte bildende Scheide. Auf diese Weise ist ein vollständig sicheres Sitzen des Apparats erzielt, der seit zehn Jahren tadellos funktioniert.

Bei derselben Patientin nötigten durch Abrasion, Erosion und Karies hochgradig zerstörte und ein beim Kauakte bis tief in die Wurzel zerstörter Schneidezahn zum Brückenzahnersatz der Incisivi.

So wie dieser Fall bilden ganz gewöhnliche Fälle von inoperablem Wolfsrachen eine Kombination von zahnärztlicher und chirurgischer Prothese.

Weiser beschreibt einen solchen Fall, bei dem der Unterkiefer wie ein Keil in den Oberkiefer hineingeschoben erscheint; der letztere ist im Laufe der Jahre halbkreisförmig enorm erweitert; am Unter- kiefer sind fast sämtliche Prämolaren- und Molarenwurzeln und die vier Schneidezahnwurzeln durch das Vorbeigleiten der oberen Zähne ihrer Weichteile und der Alveolen beraubt, so daß sie auszufallen drohten. Nur die zwei Eckzähne und die noch impaktierten Weisheits- zähne zeigen noch keine Resorptionserscheinungen. Die letzteren wurden operativ freigelegt und ebenso wie die Eckzähne devitalisiert, entkront und diese vier Wurzeln als Träger einer mit den Zähnen des enorm erweiterten Oberkiefers exakt artikulierenden Brücke verwendet.

In einem anderen Falle war es wegen des desolaten Zustandes der Zähne des Oberkiefers nur dadurch möglich, den Halt für den Obturator zu finden, dal der linke Rand der Gaumenplatte in den „self-cleaning-space‘“ der die linken Molaren und Prümolaren ersetzen-

122 Bericht über den IV. internationalen zahnärztlichen Kongreß.

den Brücke wie in einen Falz angeschoben und eine am rechten Rande angebrachte Klammer einen gekrönten ersten Prämolaren umfaßt.

Zum Schlusse weist der Vortragende darauf hin, wie ersprießlich es wäre, wenn bei Operationen an den Kiefern stets der mit der Aus- führung der Prothesen zu betrauende Zahnarzt vom Chirurgen schon vor, während und unmittelbar nach der Operation zugezogen würde.

Zur Illustration der Berechtigung dieser Forderung wird auf folgenden Fall hingewiesen: Bei einem Marineoffizier hatte eine Neu- bildung von der Schleimhaut der rechten Wange auf den Alveolarfortsatz des rechten Unterkiefers übergegriffen. Nach Ausschälung des Tumors und Resektion des rechten unteren Alveolarfortsatzes wurde eine aus- gedehnte Schleimhautplastik ausgeführt. Finige Monate nach der Operation, als bereits Narbenschrumpfung eingetreten und die Mund- spalte erheblich verengt war, wurde erst zum Zahnersatze geschritten, der jetzt sehr erschwert war.

Es wäre, da der Oberkiefer scheinbar zahnlos und nachdem das Vestibulum oris rechterseits total verstrichen war, die Schleimhaut des Oberkiefers straff gespannt zur Wange und von dieser den seines Avleolarfortsatzes beraubten Unterkiefer überbrückend zum Mundhöhlen- boden zog, nicht möglich gewesen, eine Adhäsionsplatte zum Halten zu bringen. Zum Glück war es möglich, eine von granulierender Schleimhaut überwachsene Wurzel eines ursprünglich wahrscheinlich innerhalb der Zahnreihe gestandenen Eckzahnes konservativ zu behan- deln, mit einer zylindrischen Kappe zu versehen und diese Kappe zum Halt für eine in die Platte des Gebisses eingelassene starke Klammer zu benutzen,

Patient, der unmittelbar vor und längere Zeit nach der Operation sehr herabgekommen war, bedient sich seit drei Jahren dieses Kauappa- rats mit so gutem Erfolge, daß er bedeutend an Gewicht zugenommen hat und sich des besten Wohlseins erfreut.

Auf eine sehr wichtige Arbeit Brophys sei hier noch eingegangen, um ihre interessantesten Punkte hervorzuheben.

Über das Material der vom Zahnarzt konstruierten Gebiß- platte. Zuerst macht Brophy einige einleitende allgemeine Be- merkungen, streift kurz jedes Gebiet der Odontologie und zeigt, dab diese auf felsenfester sicherer Grundlage errichtet sei und ganz enorme Fortschritte gemacht habe. Aber doch sind nach der Ansicht des Referenten eine Anzahl Lücken in dem Zusammenhang unserer Wissen- schaft, und das ist vor allem die, die das Thema andeutet, nämlich der Zahnersatz durch Anwendung von Platten. Sehr mannigfaltig ist die Zahl der in Betracht kommenden Materialien für die Konstruktion von Gebissen, die sich auf weiche Gewebe stützen müssen, um fest zu sitzen. Man kann die Frage vom physiologischen und hygienischen Standpunkte ans betrachten und hat dabei die Geschicklichkeit in der

Bericht über den IV. internationalen zahnärztlichen Kongreß. 123

mechanischen Ausführung ins Auge zu fassen. Die Physiologie fordert und das ist das Wichtige vom Zahnarzt, daß er des Menschen physiologische Interessen wahrt. Gewicht ist aber doch auf die physio- logische Bedeutung des Zahnersatzes zu legen. Zum großen Teil ist die widersinnige Methode, nach der man mit dem Material umgeht, mit den Grundsätzen der Physiologie ganz unvereinbar. Es sollte ihr mehr Beachtung geschenkt werden. Man sollte vor allem bedenken, ob das Material ein guter Wärmeleiter ist und selbst eine niedrige spezifisch Wärme hat; und gerade dies ist nach Ansicht Brophys von ganz eminenter Bedeutung, vom physiologischen Standpunkt aus betrachtet. Keine Störung der Wärmeverteilung im Körper ohne physiologische, ohne pathologische Folgen in gewissen Grenzen, Die Hautgewebe, auf denen die Platte ruht, bedürfen der Wärmeableitung, und nach Versuchen, die der Referent vor Jahren veröffentlicht hat, genügen nur die Metalle den in dieser Beziehung an sie gestellten Bedingungen; vegetabilische Substanzen aber nicht.

Das Thema wurde weiterhin noch vom hygienischen Standpunkt «us beleuchtet und einige Betrachtungen über technische Ausführungen in unserem Berufe angestellt. Auf beides kann ich aber nicht näher eingehen,

In Sektion IX und X war Deutschland nicht vertreten.

Bei diesem Kongresse trat die neue Erscheinung zutage, daß den Sitzungen speziell der X. Sektion ein Laie beigezogen wurde. Der frühere Konsul der U. S. A. in München, Mr. Worman, der durch seine Verdienste in Sistierung des schwindlerischen Diplomverkaufes in Chieago an unqualifizierte Ausländer unsern Dank erworben hat, trat auf diesem Kongresse als Anwalt der in Amerika graduierten in Deutschland praktizierenden Zahnärzte deutscher und amerikanischer Nation auf. Der Tenor seiner Ausführungen ging dahin, eine Re- -olution zu verfassen, daß zwischen den in Amerika und den in Europa an staatlich anerkannten Universitäten graduierten Zahnärzten Reziprozität eingeführt werden möge.

So der Bericht über die Tätigkeit in den einzelnen Sektionen. lch will.nun nur noch ganz kurz eine Zusammenstellung der statt- gefundenen Demonstrationen geben, die am 31. August begannen.

29 Demonstrationen bezogen sich auf Porzellanarbeiten jeglicher Art, von der einfachsten Porzellanfüllung bis zur schwierigsten Porzel- Janbrücke. In Amerika verwendet man fast ausschließlich schwer schmelzbare Porzellane, doch im Verhältnis zu Gold selten, das letztere zieht man mit Recht dem Porzellan bei weitem vor. Solange wir kein

iare- und Alkalienbeständiges Zement haben, wird die Porzellan- lag keinen dem Gold ähnlichen Platz in der Zahnheilkunde erobern önnen. Gezeigt wurden die Präparation approximaler Kavitäten an oberen

and unteren Zähnen und i Füllung mit Porzellan, besonders an lichen e arbeta daher in Amerika viel mit

schwer rn: r “eparatoren (Percy) und nimmt wenig Rücksicht auf die Patienten, die an merkwürdig viel Schmerzen gewöhnt zu sein scheinen.

Ferner wurden 18 Goldfüllungen vorgenommen. Soweit Referent

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124 Bericht über den IV. internationalen zahnärztlichen Kongret).

diese beobachtete, so waren alle einwandfrei und in relativ kurzer Zeit gelegt.

Ferner wurden 14 Brückenarbeiten nach schon bekannten Methoden ausgeführt.

Dasselbe kann man von 14 Operationen sagen, die ihre Behand- lungsmethoden bei Pyorrhoea alveolaris beleuchteten.

Ferner wären von Demonstrationen aufzuzählen: 2 Amalgam- füllungen, 2 plattierte Zinnfüllungen, 6 kleinere Operationen unter Anwendung von Anästheticis, 19 teils technische, teils operative Neue- rungen in der Zahnheilkunde. Unter die letzte Gruppe gehören von deutschen resp. österreichischen Kollegen Dr. fioffendahl- Berlin mit seiner Behandlungsmethode vermittelst konstanten elektrischen Stromes und Dr. Weiser-Wien mit seinen Neuerungen auf dem Gebiete der Prothese.

Auf dem Gebiete der Resektionsprothese und Obturatoren demon- strierte Dr. Hoffendahl-Berlin im Auftrage von Prof. Dr. Warne- kros-Berlin dessen verkleinerte Obturatoren und abnehmbare Kiefer- bruchschienen.

Unter den 4 Demonstrateuren über Regulierungen befand sich W. Pfaff-Dresden, der die in Deutschland gebräuchlichsten Regu- lierungsmethoden zeigte, insbesondere auch eine Modellsammlung mit Siegtriedschen Federn.

Besonderes Interesse boten am zweiten Demonstrationstag einige von Dr. Brophy-Chicago, Dr. Brown-Milwaukee und Dr. Hilmer- Chicago unter Chloroform ausgeführte Operationen bei Gaumenspalten. Während letzterer nur einen Spalt im weichen Gaumen auf die auch in Deutschland noch geübte Langenbecksche Methode operierte, ver- fuhren Dr. Brown und Dr. Brophy nach eigenen Methoden. Dr. Brown in der Weise, daß er die Spaltränder mit einer kleinen Lanzette abtrug und, um die Naht der Gaumenschleimhaut vornehmen zu können, die Schleimhaut vorher von ihrer knöchernen Unterlage ab» trennte. Dann bog er den harten Gaumen gegeneinander und nach unten. Nun wurde zuerst die Schleimhaut des harten Gaumens über dem Spalt durch Silberdrahtnähte vereinigt; damit aber die Schleim- haut bei dieser Manipulation nicht ausreißen konnte, verwandte Dr. Brown runde durchlochte Silberplättchen von der Größe eines 50 Pfennigstückes, durch die der Silberdraht lief. Nach Vereinigung der Schleimhäute des harten (Gaumens erfolgte die des weichens (saumens durch Seidennaht.

Sehr interessant und zweckentsprechend fand ich die Operations- methode von Dr. Brophy, die er bereits auf dem 3. internationalen zahnärztlichen Kongreß in Paris 1900 demonstrierte und die im wesent- lichen eine Wiederholung war. Brophy legt bei Gaumenspalten bei Erwachsenen und über sechs Monate alten Kindern Bleiplatten in den Mund, die zum Halt. der Silberdrahtnaht dienen. Zu kurze Gaumen ver- längert er und stellt dadurch auch die natürliche regelmäßige Sprache wieder her Operationen, die nach seiner Angabe am besten im Alter von zwei Wochen bis drei Monaten ausgeführt werden. Die Unbieg- samkeit und Härte des Gaumens und dadurch bedingte näselnde Sprache. die die Folgen einer fehlerhaften Operation sind, werden nach seiner Methode vermieden. Die hauptsächlichsten Fehler bei einer Gaumen- spaltoperation beständen darin, daß man 1. die Weichteile von dem harten Gaumen loslöste, wodurch die tanmenwölbung verringert und der Gaumen selbst nach hinten verlängert würde, und daß man ?.

Bericht über den IV. internationalen zahnärztlichen Kongreß. 125

longitudinale Einschnitte machte, um die Spannung zu vermindern. Die Einschnitte seien aber nicht nur unnötig, sondern sogar schädlich. Die operierten Teile müßten stets feucht gehalten und sorgfältig be- obachtet werden bis zur vollständigen Verwachsung. Brophy, der fast 1000 derartige Operationen ausgeführt hat, zeigte dann noch eine

nze Anzahl von Patienten im Alter von 14 Jahren und mehr, bei enen er in frühester Kindheit Gaumenspalt- und Hasenschartenopera- tionen vorgenommen hatte. Die Sprache war in den meisten Fällen fast fehlerfrei zu nennen.

Im übrigen sei auf Brophys Broschüre über diesen Ge hingewiesen: „Surgical Treatment of Palatal Defects“, im Denta 190] im Druck erschienen.

Was meinen Erwartungen nicht entsprach, war die Ausstellung, die Jaut Programm alle möglichen Neuheiten auf zahnärztlichem Ge- biet, die irgendwie für unseren Beruf von Interesse sind, umfassen ehe Nur die Sektion Orthodontia war annähernd genügend ver-

ren Cosmos

Dieser Sektion stand neben dem Sitzungszimmer zu Ausstellungs- ıwecken ein kleiner, aber genügend heller Raum zur Verfügung, in dem Prof. Angle-St. Louis und Dr. Pullen- Buffalo die verschiedensten Regulie odelle und Photographien vor und nach der Behandlun ausgestellt hatten. Außer diesen beiden Amerikanern hatten nur noc Deutsche ausgestellt und zwar Dr. Schroeder-Greifswald eine Anzahl Modelle von Herrn Sage una Heydenhauß-Berlin und Kunert-Breslau, und W. Pfaff Dresden den größten Teil seiner Modellsammlung (220 Modelle), zum Teil mit Apparaten.

Was sonst zu sehen war in dieser und in anderen Sektionen diente nur Reklamezwecken amerikanischer Firmen. Das Arrangement der

ten Ausstellung war einem Komitee unter dem Vorsitze von r. Gallie übertragen worden. An dieses waren auch alle Gesuche um Platz usw. zu richten. Doch fanden die deutschen Kollegen zu ihrem Erstaunen, daß der Ausstellungssaal, trotzdem rechtzeitig vom deutschen nisationskomitee aus um reichlich Platz für die deutschen Aussteller gebeten worden, total belegt war, weswegen sie kurzer Hand abgewiesen wurden und ihre Arbeiten in einer Ecke des Demon- strationssaales unterbringen mußten.

Anch in mancher anderen Beziehung hätte man mehr Rücksicht- nahme erwarten und verlangen können. So wäre es sehr wünschens- wert gewesen, wenn die Resümees der zu haltenden Vorträge bereits

auf dem Kongreß im Druck und übersetzt vorgelegen hätten. Und in der Erkenntnis dieses Umstandes hatte man in St. Louis darum ge- beten, die Resümees von Vorträgen und Arbeiten 30 Tage vor Beginn des Kongresses zur Drucklegung und die vollständigen Vorträge zur Übersetzung einzusenden. Ferner hatte man in allen zahnärztlichen Blättern offiziell von St. Louis aus ausdrücklich für die Vorträge selbst „ein ausreichendes Korps von Übersetzern“ in Aussicht gestellt. Niehts von alledem: von Drucklegung keine Rede, geschweige denn von tzungen, und Übersetzer nicht zu finden. Wenn man also nicht tauben Wänden predigen wollte, mußte man seine Vorträge noch schleunigst selbst übersetzen lassen. So gewiß der Kongreß auch ohne diese Faktoren funktionieren kann und funktionierte, so gewiß ist auch, daß durch die nicht Innehaltung der diesbezüglichen programma- ; Ankündigungen dem Ausländer eine Reihe von Unannehmlich- eiten erwuchs, die ihm hätten erspart bleiben können. Man sollte

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126 Auszüge.

nichts versprechen, was man nicht halten wollte oder konnte aber halten, was man versprochen hatte.

Doch damit will ich schließen. Es ist keine Frage, daß der Kongreß überaus lehrreich und interessant war. Eine Reihe neuer Gebiete wurden der Forschung erschlossen und eine Menge bereits.an- geregter Fragen zu einem vorläufigen Abschluß gebracht. Der nächste Kongreß wird also in Berlin tagen. Hofien wir, daß dieser ebenso anregend und segensreich verlaufen möge wie der in der neuen Welt, aber vergessen wir auch nicht aus den vom amerikanischen Organi- sationskomitee in bezug auf die allgemeine Organisation gemachten Fehlern den richtigen Nutzen zu ziehen.

Auszüge,

Murr ay» . W.: Geographical distribution of hare-lip and cleft

palate. (Lancet 1904, Mai 21; Ref. Zentralbl. f. Chir. 1904.

Nr. 29, S. 569.)

Die auf Anfragen bei Arzten der verschiedensten Erdteile ge- gründeten Untersuchungen ergaben, daß diese Mißbildungen sehr häutig ın Indien, China und Java beobachtet wurden, so gut wie nie dagegen in Zentralafrika und auf einigen Inseln im südlichen Stillen Ozean. Gleichwohl hält Verfasser die Entwicklungstehler für ziemlich gleich- mäßig über die Erde verbreitet. Heiraten innerhalb solcher Familien. die von derartigen Mißbildungen heimgesucht sind, führen auf der einen Seite zu etwas häufigerem Auftreten; religiöse Sitten und Ge- bräuche, nach denen die Mütter, wie z. B. in Zentralafrika, ihre mil- gebildete Nachkommenschaft vernichten, bewirken, daß dort fast keine Detekte beobachtet werden. Prof. Port (Heidelberg).

Bethel, L. P. (Columbus. Ohio): The preparation of enamel walls and margins for the fillings. (Dent. Summary 1904. Nr. ir,

S. 733.)

Verfasser baut auf der Lebre von Dr. G. V. Black auf, daß die Beachtung der Anatomie des Schmelzes, speziell des Verlaufes der Schmelzprismen bei der Vorbereitung der Füllungen von größter Wichtigkeit für die spätere Haltbarkeit. derselben sei. Man kann zwei Hauptarten des Verlaufes der Schmelzprismen unterscheiden: entweder verlaufen sie parallel oder sie sind untereinander verflochten, letzteres trifft man hauptsächlich an den Kauflächen der Prämolaren und Mo- laren. Der Schmelz ist am brüchiesten bei parallelem Verlauf der Schwelzprismen, während die vertlochtenen Schmelzprismen viel wider- standsfühlger sind. Der Schmeiz springt stets in der Richtung des Verlaufes der Prismen. Soll ein Schmelzrand widerstandsfähig sein, so müssen die Schmelzprismen eine entsprechende Unterlage auf dem Dentin besitzen. Es müssen demnach die den Rand der Höhle um- säumenden Schmelzprismen von der Oberfläche bis zum Dentin durch- laufen; geht die Höhle unter sich, so dab Schmelzprismen an ihrer Basis abgeschnitten sind, so bricht dieser Teil des Schmelzes sehr leicht, entweder gleich beim Füllen, oder später nach der Einlegungr der Füllung. Bethel empfiehlt daher die überhängzenden Schmelz-

.

Bücherbesprechungen. 127

ränder mit dem Schmelzmesser abzutragen, weil auf diese Weise die Ränder im Verlaufe der Schmelzprismen abspringen, während bei der Abtragung mit dem Bohrer immer die Schmelzprismen in ihrem Längs- verlaufe verletzt werden. Prof. Port (Heidelberg).

Bücherbesprechungen.

Die physikalisch-mechanischen Grundsätze zur Zahnextraktion. Ein Begleitwort zu neuen Zangenkonstruktionen. Von Steffen, approbierter Zahnarzt Nordseebad Cuxhaven. Verlag: L. Hotf- mann, Berlin NW. 7. 1904.

Nach einer kurzen geschichtlichen Einleitung erläutert Verfasser das Prinzip unserer Zangen, die bekanntlich eine Vereinigung von zwei Hebeln darstellen. Als Haupterfordernis muß daher betrachtet werden, daß die Drehachse stets ın der Mittelebene zwischen den Angrifislächen der beiden Schnäbel liegt und daß der Drehpunkt dieser stets mit ıhren Enden ein gleichschenkliches Dreieck bildet. Die Hebelwirkung der Zange soll den zu extrahierenden Zahn im Schwerpunkt angreifen, der bei Wurzeln anders liegt als bei ganzen Zähnen. Nach den Versuchen des Verfassers liert er bei vollständigen Zähnen meist im unteren Teile des Zahnhalses, zuweilen kann er nach der Stelle der Wurzelteilung verschoben sein. Die Wurzeln stellen einen Kegel dar, der seinen Schwerpunkt auf ein Viertel seiner Höhe von der Basis aus bat. Nachdem Verfasser die Mängel der gebrüäuch- lichen Zangen besprochen hat, geht er zur Darstellung seiner neuen Konstruktion über, die durch 32 Abbildungen wesentlich unterstützt wird. Zum Schlusse falt Steffen die Erfordernisse einer guten Zunge in neun Leitsätze zusammen, aus denen ich folgende mitteilen möchte. Die Zangenschnäbel sollen nicht nach Form der Krone gebaut sein, sondern angepaßt dem Winkelverbältnisse zwischen Wurzel und Krone oder den anatomischen Verhältnissen dieser. Der Krone soll Spielraum

elassen werden, die Schnäbel dürfen ihre Krattwirkung nur auf die Vurzel ausüben. Die Hebelwirkung muß immer rechtwinklig zur Vertikalachse des Zahnes erfolgen, deshalb muß die Drehachse der Schnäbel in der Mittelebene zwischen ihren beiden Angritistlächen liegen. Die Kraftwirkung muß im Schwerpunkt oder unter ihm an- greifen. Beim Anlegen darf nicht mehr Druck auf die Zunge ans- geübt werden, als zu ihrer Ruhigstellung am Zahne nötig ist, da sonst eine Wirkung als Kneipzanre eintritt und die Krone an der Angritis- ebene abgesprenst N Hierin scheint mir eine Schwäche der Kon- struktion zu lieger, doch ist es nicht möglich, naeh der Darstellung allein zu urteilen. Dazu wäre der Gebrauch der Zangen in der Praxis nötig, wo ja so vieles mit den schönsten Theorien nicht stimmen will. Das Buch wird seinen Zweck, das Wesen der neuen Zangen zu er- klären, erfüllen. Dr. R. Parrerdt Leipzig).

Die Zahnärztin, Forderungen, Leistungen, Aussichten in diesem Be- rufe; von Ida Freudenheim, prakt. Zahnärztin. Heft 17 der „Frauenberufe‘“. Leipzig, C. Banges Verlag.

Nach einer kurzen Schilderung der Geschichte und des gegen- wärtigen Standes der Frauenemanzipation gibt Verfasserin Anleitung

128 Kleine Mitteilungen.

zur Einführung in das Studium der Zahnheilkunde. Sie meint, daß eine Dame, die die höhere Töchterschule absolviert hat, sich am besten auf privatem Wege auf die Prüfung zum Nachweise der Primareife vorbereiten könne. In einem Mädchengymnasium würde sie 3 Jahre nötig haben, während zur privaten Vorbereitung 1!/, Jahr ausreiche. Der Beruf wird nur solchen Frauen empfohlen, die über ein gutes Maß physischer Kräfte und eine gewisse Widerstandsfähigkeit verfügen.

Im weiteren wird über die Einteilung des Studiums berichtet, die Prüfungsordnung mitgeteilt und der Kostenpunkt gestreift. Die Aussichten in der Praxis hält Verfasserin für eine Dame für sehr günstig, besonders in kleinen Städten.

um Schluß wird noch kurz auf die „Zahntechnikerin‘ einge- gangen. Ich kann der Verfasserin nur beipflichten, wenn sie sagt: „Ist es einer Frau nicht möglich, die Zahnheilkunde, die heute ein so weites Gebiet umfaßt, wirklich sachgemäß zu studieren, so sollte sie lieber einen anderen Beruf ergreifen, wo sie nachher nicht in die Gefahr kommt, als Kurpfuscherin betrachtet zu werden.“ Mit ähnlicher er habe ich mehreren Eltern abgeraten, die mich um Rat gefragt haben, ob sie einen Sohn Zahntechniker werden lassen möchten.

Jul. Parreidt.

S. S. Whites Porzellanzähne, ihre Auswahl und Verwendung. Kata- log und beschreibendes Handbuch für Zahnprothese. Fhe S. S. White Dent. Manuf. Co. i

‚Die besten Zühne der Welt“ werden in diesem Katalog ein- dringlich empfohlen, wobei die wissenschaftliche Verbrämung dazu beitragen mag, daß man das Buch nicht beiseite legt, ohne es etwas eingehender durchgesehen zu haben, Hier und da wird man dabei einen praktischen Wink finden. Jul. Parreidt.

Kleine Mitteilungen.

Central-Verein Deutscher Zahnärzte. Die 44. Jahres- versammlung des Central-Vereins Deutscher Zabnärzte findet am 4.—6. August 1905 in Hannover statt. Die lokalen Vorberei- tungen hat in liebenswürdiger Weise der Zahnärztliche Verein für Niedersachsen übernommen.

Anmeldungen von Vorträgen und Demonstrationen bitte ich an den unterzeichneten Vorsitzenden, Anmeldungen zur Mitglied- schaft an den I. Schriftführer des Central-Vereins Deutscher Zahn- ärzte, Herrn Kollegen Otto Köhler, Darmstadt, Waldstr. 34, richten zu wollen.

In Verbindung mit dieser Versammlung wird auch die Inter-

nationale zahnärztliche Vereinigung ihre Jahresversammlung ab- halten.

W. D. Miller, Berlin W., Kurfürstendamm 232.

XXII. Jahrgang. 3. Heft. Märx 1905.

Deutsche Monatsschrift

für

Zahnheilkunde.

[Nachdruck verboten.)

Die Wichtigkeit der Mutterbrust für die körperliche und geistige Entwicklung des Menschen.

(Aus der Centralstelle für Zahnhygiene in Dresden.) Von Dr. med. C. Röse.

Zu den traurigsten Entartungserscheinungen der weißen Rasse gehört zweifellos die immer mehr überhandnehmende künstliche Ernährung der Säuglinge. Leider sind sich jedoch nicht einmal alle Arzte bewußt, welche ungeheure Gefahr für die Zukunft un- seres Volkes diese Entartungserscheinung in sich birgt. In Schwaben ist mir ein Arzt bekannt, der im Gegensatze zu den Bemühungen der bayerischen Sanitätsbehörde die Frauen seiner Klientel grundsätzlich von der Erfüllung ihrer Mutterpflichten abhält. Im Bistume Augsburg besteht eine Vorschrift, wonach allen Frauen, die trotz vorhandener Fähigkeit das Stillen unter- lassen, die kirchlichen Gnadengaben zu verweigern sind. „Doch unsere Erfolge sind gering,“ sagte mir ein anzesehener oberbave- rischer Pfarrer in bitterem Tone, „weil gerade die Herren Ärzte uns nicht hinreichend unterstützen. Fast immer bringen mir die Frauen ein ärztliches Zeugnis mit der Angabe, dab sie nicht stillen könnten oder dürften. Und nun gar in den Hochsitzen der allgemeinen Entartung. in den Groi:städten, dort findet eine nachlässige Mutter stets irgend einen gefülligen Arzt, der sie vom Selbststillen entbindet. Dabei kann man dem einzelnen Arzte nicht einmal einen besonderen Vorwurf machen.

XXIII. 9

130 Röse, Die Wichtigkeit der Mutterbrust für die

Die ganze ärztliche Wissenschaft der Neuzeit stand mit ihrer grobinechanischen Anschauungsweise bisher allzu einseitig im Zeichen des Bakteriums. Sie berücksichtigte nicht genügend den alten Goetheschen Spruch: „Blut ist ein ganz besonderer Saft“. Erst in allerjüngster Zeit beginnt sich eine Wandiune anzubahnen. und in einigen Jahrzehnten wird es voraussichtlich wieder zu den allgemein anerkannten ärztlichen Lehrsätzen gehören. daß auch Muttermilch ein ganz besonderer Saft ist, von dem kein Tropfen vergeudet werden darf.

Als der allbekannte Soxhletapparat das Licht der Welt er- blickt hatte. da schien es, als ob der erste Schritt zum Homun- culus vollbracht sei. Ich erinnere mich noch deutlich meiner eigenen Entrüstung, als ich vor etwa 10 Jahren in der Zeitung las, ein berühmter Arzt, der seine eigenen wissenschaftlichen Wege wandelt, habe als besten Ersatz der Muttermilch Kuhmilch empfohlen, aber ungekochte. Heute wissen wir, da8 jener Arzt nicht so ganz unrecht hatte. Nicht ohne Grund schreibt Georg Hirth!): „Lieber kuhwarme Kuhmilch als abgekochte Muttermilch!“

Gewiß, es gibt viele Tausende von Kindern, die bei der Er- nährung mit abgekochter Kuhmilch anscheinend ganz vortrefflich gedeihen. Aber alle die Väter, die heute noch den Soxhletappa- rat für, einen vollgültigen Ersatz der Mutterbrust halten, mögen erst einmal abwarten, bis die nächste Generation kommt. Als Großväter werden sie vielleicht anders urteilen! Wenn die Eltern selbst gesund sind und „auf eine stolze Ahnenreihe von Brust- kindern zurückblicken können“, dann überstehen wohl ihre Kinder noch die Schädigungen der unnatürlichen Säuglingsnahrung; aber schon die Enkel werden dadurch dezimiert werden, und die Ur- enkel sterben aus, falls der Familie nicht frisches Blut von Mutter- brustmenschen zugeführt wird.

Freilich ist für den äubersten Notfall die Ernährung mit abgekochter Kuhmilch immerhin noch etwas zweckmätiger, als die kindermörderische Auffütterung mit Mehlbrei. Man mul es selbst mit angesehen haben. wie die armen Säuglinge im südlichen Schwaben und Bayern systematisch zu Tode gequält werden, um den ganzen Jammer der künstlichen Säurlingsernährung erfassen zu können.

Durch verschiedene sorgfältige Statistiken ist es völlig ein- wandfrei erwiesen worden, dab die Sterblichkeit im ersten Lebens- jahre bei Brustkindern bedeutend geringer ist als bei den künst- lich ernährten Kindern. Camerer?) fand bei der oberschwäbi-

D Georg Hirth, Die Mutterbrust, Ihre Unersetzlichkeit und ihre Gewöhnung zur früheren Kraft Hıirths Verlag. München 1900.

2) Camerer, Die württembergische Kindersterbliehkeit und ihre Ursachen. Medizinisches Korrespondenzblatt d. Württembergischen ärztlichen Landesvereins J900.

körperliche und geistige Entwicklung des Menschen. 131

schen Landbevölkerung ein Verhältnis von 1:3 (13,5 Proz.: 42,7 Proz.). In Berlin!) ist gar ein Verhältnis von 1:6 festgestellt worden. Man kann Bollinger?) begreifen, wenn er angesichts solcher Zahlen ausruft: „Welche Summe von Elend, von Kummer und Sorge, von Schmerz und Leid, von nutzlos geopferter körperlicher Gesundheit und wirtschaftlichem Kapital verbirgt sich in den erschreckenden Ziffern der Kindersterblichkeit!“

Und doch, kein Zustand ist traurig genug, als daß ibm nicht hoffnungsfrohe Idealisten auch eine gute Seite abzugewinnen ver- möchten. Deutsche Gelehrte, wie Zacharias, v. Ehrenfels, 3) Elben?) und andere vertreten die Ansicht, die große Kinder- sterblichkeit sei im Sinne Darwins eine natürliche Auslese- erscheinung und trüge sogar zur Verbesserung der Rasse bei. v. Ehrenfels beruft sich dabei auf die oberbayrische Bevölkerung; ihr soll die mangelhafte Stillungsfähigkeit der Frauen angeblich nichts geschadet haben. Ja, woher weiß v. Ehrenfels denn das? Einer der gründlichsten Kenner der bayrischen Bevölkerungsver- hältnisse, der verstorbene Generalstabsarzt Dr. v. Vogl, war an- derer Ansicht. Obgleich er keine statistische Grundlage für seine Überzeugung hatte, so stand es doch für ihn fest, daß der Rück- gang der körperlichen Tüchtigkeit im südlichen Bayern mit der künstlichen Ernährung der Säuglinge eng verknüpft sei.

Elben will gefunden haben, daß, im Gegensatze zu Vogels Ansicht, in Württemberg gerade in den Bezirken mit größter Kindersterblichkeit dieMilitärtauglichkeit am höchsten sei. Elbens Arbeit selbst ist ein Musterbeispiel für jene Art von Statistiken, mit denen man je nach Belieben alles oder auch gar nichts be- weisen kann. Diese Statistiken imponieren dem Unkundigen durch ihre großen Zahlen, aber sie können nicht mit zwingender Folge- richtigkeit aufgebaut werden, weil ihre einzelnen Bausteine zu ungleichwertig und zu groß sind. Elbens kleinste Einheit ist die Summe aller Militärpflichtigen eines Oberamtes, d h. je nach der Größe des Aushebungsbezirks je 133—1776 Einzelmenschen. Elben weiß nicht, wo diese Hunderte von Leuten geboren sind. welchen Beruf ihre Eltern haben. welche Rassenmerkmäle ihnen eigen sind, ob und wie lange sie gestillt worden sind. Elben weiß, daB in Württemberg eine sehr starke Binnenwanderung stattfindet, daß rassenmäbßige Unterschiede für die körperliche

1) Statistisches Jahrbuch der Stadt Berlin 1593.

2) Bollinger. Uber die Säuglingssterbliehkeit und die erbliehe funktionelle Atrophie der menschlichen Milehdrüse. Korrespondenzblutt der deutschen anthropologischen Gesellschaft 1599.

3 v. Ehbrenfels, Geschlecht und Entartung. Politisch-anthro- pologische Revue 1904,

4) Elben, Einige Untersuchungen über die Mihitärtanghiehkeit in Württemberg in den Jahren 1589—95. Württemberg. Jahrbücher 1900.

9*

Tüehtizxeit eine Reile srieien. und dech ziebt er seine Sch.üsse, die nur den einen Narutei: haben, dar sie nicht richtig sind. An der Hanptursache für die verschieden hebe Misitärtücätizkeit der württem- bergischen Bevnikerunz. näamsiien an dem verschiedenen Erisalz- gehalte des Bodens und des Trinkwassers ist Eiben nabe vor- heizestreift. Gerade in den Oberämtern mit den der Gesunid.eit dienlichsten, härtesten Trinkwässern sitzt nun aber eine Bevüöike- rung, die auch an rassemäriger Küörpertüchtizkeit den germa- nischen Typus in Württemberg am reinsten bewahrt hat. Und diese rassemälig kraftize, bei erdsa;zreicher Nahrunz antze- warlhsene Bevölkerung des Oberiandes liefert die besten Rekruten. obwohl und nicht weil sie schlecht gestillt wird. Die rasse- mä.ie minderwertige und an Kalkarmüut leidende Bevölkerung des Schwarzwald- und Jagstkreises liefert schlechtere Rekruten. trotz- dem sie etwas besser gestillt wird.

Eine Art von Ausleseersch-inung kann man der künstiichen Singlingsernährung allerdings zuzestelien. Es bleiben in der Rezel nur die Kinder aın Leben. die von Natur aus die best- entwickelten Verdauungswerkzeuge ererbt haben. Es wird aber wohl niemand behaupten wollen, dab dies zugleich auch die rassemäbig tüchtigsten Menschen sein mütten. Ein uter Maren ist ja sicherlich etwas wert. Aber den Kampf ums Dasein tühren wir bekanntlich mehr mit dem Kopfe als mit dem Magen. Es ist einigermaben wahrscheinlich. dab bei einer schlechtstillen- den Bevölkerung gerade die besten Köpfe zugunsten der besten Mären dahinsterben. Einen Vorteil in rassehvgienischer Hinsicht kann ich darin nicht erblicken. Stellen wir uns einmal vor, Schiller mit seiner schwankenden Gesundheit wäre nach Art der heutigen Schwaben- kinder mit Mehlbrei und Schnuller autrgezosen worden. Dann hätte er höchstwahrscheinlich schon als Säuglinz das Zeitliche gesegnet, und wir wären um einen Dichterfürsten ärmer!' Also, die Ansicht, dat die grobe Kindersterblichkeit einiger Gegenden auch ihre guten Seiten habe. mut unbedingt zurückgewiesen werden. Dieses grobe Sterben der Säuglinge ist ein schwerer Krebsschaden am Marke des Volkes.

Nnn wird man allerdings einwenden. dab ja mit der künst- lichen Ernährung nicht unbedingt auch eine so hohe Kindersterb- lichkeit verbunden sein müsse wie sie in Schwaben. Bayern, Sachsen und Berlin besteht. Manche Arzte werden sagen: Klärt nur die Mütter gehörig auf über die zweckmälieste Art der künstlichen Siüuglingsernährung, und die hohe Säurlinessterblieh- keit wird schon schwinden. Gewiv. in den Städten wird man mit solcher Aufklärung vielleicht einige kleine Erfolge erzielen können. auf dem Lände dageren niemals. Darin stimme ich (amerer vollständig bei.

körperliche und geistige Entwicklung des Menschen. 133

Der Hauptstreit in den wissenschaftlichen Erörterungen über die Säuglingsernährung dreht sich um die Frage: Ist es überhaupt möglich, für die Muttermilch einen künstlichen Ersatz zu schaffen, bei dessen Genusse Flaschenkinder ebensogut gedeihen, wie Mutterbrustkinder? Daß man es überhaupt wagen konnte, diese Streitfrage ernsthaft aufzustellen, liefert den besten Beweis dafür, daß wir uns einem Zustande von greisenhafter Überkultur nähern, wie er schon einmal, zur Zeit der römischen Kaiserherr- schaft, bestanden hat. Auch damals fingen die römischen Mütter an, ihren Kindern die Brust zu verweigern,!) und das war der Anfang vom Ende der römischen Kultur.

Aber mit solchen philosophischen Erwägungen allein lassen

sich die Freunde der künstlichen Säuglingsfütterung nicht aus dem Felde schlagen. Nur die runde, nackte Ziffer erkennen sie als vollgültigen Beweis an. Solche Ziffern haben uns nun bisher beinahe völlig gefehlt, und ich hoffe, mit meinen nachfolgen- den Tabellen eine tiefempfundene Lücke auszufüllen. Bisher hat alein Dr. Camerer jun. in Stuttgart in dieser Richtung einen Versuch gemacht. Durch fortlaufende sorgfältige Wägung von 250 Säuglingen aus seiner Klientel hat Camerer festgestellt, da die künstlich ernährten Kinder im ersten Vierteljahre erheb- lich hinter den Brustkindern zurückbleiben; aber schon im zwölf- ten Lebensmonate haben die Flaschenkinder das durchschnittliche Körpergewicht der Brustkinder wieder eingeholt. Wenn Camerers Statistik allgemein gültig wäre, dann würde allerdings die vor- legende Streitfrage wenigstens teilweise im Sinne der Homun- tulusfreunde entschieden sein. In Wirklichkeit aber ist die Ca- merersche Statistik genau ebenso irreführend, wie die seines Landsmannes Elben. Beiden Forschern ist das Mißgeschick zu- gestoßen, daß sie ihre Untersuchungen in einer Gegend durchge- führt haben, wie sie ungünstiger für die Entscheidung unserer Frage überhaupt nicht gedacht werden kann. Die Stadt Stuttgart ist gewissermaßen Württemberg in nuce. Die obenerwähnten körperlichen Rassenunterschiede der württembergischen Bevölke- rung finden sich auch in Stuttgart, und es würde mich gar nicht gewundert haben, wenn Camerers Nichtgestillte zufällig sogar mehr gewogen hätten als seine Brustkinder! Vor allen Dingen aber kann ich eine solche Statistik, die sich auf 250 willkürlich herausgegriffene Einzelfälle aufbaut, überhaupt nicht als einwand- frei ansehen. Bei solchen Statistiken ist dem blinden Zufalle Tür und Tor geöffnet.

Meine eigenen Untersuchungen über die Stillungsfrage sind

1) F. W. Müller, Über die Ursachen des Nichtstillens auf der chwäbisch-bayerischen Hochebene, nebst geschichtlichen Notizen über das Nichtstillen überhaupt. Inaug.-Dissert. München 1591.

u gen) N

134 Röse, Die Wichtigkeit der Mutterbrust für die

ganz zufällig entstanden. Im Jahre 1900 war ich gerade damit beschäftigt, im Auftrage der Centralstelle für Zahnhygiene in Dresden die Organisation der ausgedehnten Untersuchungen über die Ursachen und die Verbreitung der Zahnverderbnis auszuarbeiten, als mir eines Tages eine Schrift von v. Bunge!) in die Hände fiel, in der ein gewisser Zusammenhang zwischen Zahnkaries und Stillungsfähigkeit nachgewiesen wurde. v. Bunge selbst läßt die Frage offen, ob die eine Erscheinung durch die andere bedingt werde, oder ob beide nur Parallelerscheinungen von dritten, tiefer liegenden Ursachen seien. Die Entscheidung über diese Frage konnte bei Gelegenheit der großen Centralstellenstatistik leicht her- beigeführt werden.

Ich habe also auf meinen Untersuchungsformularen folgende Fragen aufdrucken lassen:

Fragen für den Musterungspflichtigen und seine Angehörigen:

Vor- und Zuname: Jahre: ` Monate:

Alter: FR | | Beruf: . Geburtsort: 2: 4 2 2 we 2 Wurde der Musterungspflichtige gestillt? Wie lange: | a) von der Mutter: Monate | b) von der Amme: l Monate Geburtsort des Vaters: Geburtsort der Mutter:

Beruf des Vaters:

Auf den Fragebogen für Schulkinder waren die Worte „den Musterungspflichtigen und „Beruf“ durch die Worte „das Kind“ und „Geschlecht“ ersetzt. Die Fragebogen sind den Eltern durch Vermittlung der Lehrer und den Musterungspflichtigen durch die Musterungsbehörden zur Beantwortung überwiesen worden.

Vor Beginn der Untersuchung hegte ich grobe Sorge, ob es überhanpt möglich sein würde, auf die Stillungsfragen klare Antworten zu erhalten. Aber meine Befürchtungen sind freudig enttäuscht worden. Zwar hat es nicht an schweren Hindernissen eemangelt. So mußte z. B. in Frankturt a. M. die Stillungsfrage durchstrich"n werden. weil die dortigen Schulärzte dies wünschten. Sie betrachteten offenbar die Erkundung dieser Frage durch Zahn- ärzte für einen unzulässigen Eingriff in ihre ärztlichen Rechte.

1) v. Bunge, Die zunehmende Unfähigkeit der Frauen, ihre Kinder zu stillen. München 1900.

körperliche und geistige Entwicklung des Menschen. 135

Trotzdem haben auch in Frankfurt a. M., wie ich nachträg- lich bei der Statistik bemerkte, die Herren Lehrer an zwei Schulen die Stillungsfrage sorgfältig beantworten lassen. In einer westfälischen Stadt wagte es der untersuchende junge Zahnaret nicht, die Stillungsfrage zu stellen. Sonst aber ist sie in allen deutschen Städten anstandslos gestellt und beant- wortet worden.

Das gesamte Menschenmaterial, das bei den ausgedehnten Erhebungen der Centralstelle für Zahnhygiene zur Untersuchung kam, beläuft sich auf 219 071 Personen. Davon sind etwa 120000 von mir selbst oder unter meiner persönlichen Aufsicht untersucht worden. Außerdem haben zahlreiche Zahnärzte in deutschen Städten nach meinen mündlichen oder schriftlichen Anleitungen weitere 100 000 Schulkinder untersucht. Die Namen dieser Kollegen werden in meiner Schlußarbeit über Zahnverderb- nis aufgeführt werden.

Die Stillungsfrage ist bei 157361 Schulkindern und bei 5744 Musterungspflichtigen, also bei rund 164000 Personen be- arbeitet worden. Alle Erhebungen, die nicht unbedingt zuver- lässig waren, habe ich aus dieser Statistik ausgeschieden. \WVeit- aus die meisten Untersuchungen entfallen auf das deutsche Sprach- gebiet. Außerdem ist die Stillungsfraxe noch in 18 schwedischen Ortschaften erhoben worden, indem besondere, in schwedischer Sprache gedruckte, Fragebogen zur Verwendung kamen. In Däne- mark, Holland, Belgien und in den czechischen Schulen von Böhmen ließen sich die Stillungserhebungen leider aus sprach- lichen Gründen nicht durchführen. Auch in einigen deutschen Dörfern ist intolge von Mißverständnissen die Ausfüllung der Stillungsfrage unterlassen worden.

Weit schwieriger als bei Schulkindern ist die Durchführung der Stillungsfrage bei Musterungspflichtigen, besonders dann, wenn es sich um Industriebevölkerung handelt. Die Leute stammen häufig aus ganz anderen Gegenden und hätten sich erst brieflich bei ihren Eltern erkundigen müssen. Dazu war aber in der Regel keine Zeit mehr vorhanden, da infolge widri- ger äußerer Umstände die Fragezettel den Leuten in allen Musterungsbezirken erst kurz vor der Musterung zugestellt werden konnten. Viele Mütter waren gestorben oder konnten keine genauen Angaben mehr machen. Alle diese mangelliaft oder gar nicht beantworteten Fälle habe ich aus der Statistik ausgeschieden. Es waren genau 23 Proz. Immerhin hatten also auch unter den Musterungspflichtigen noch mehr als drei Viertel, nämlich 77 Proz., die Stillungsfrage sorgfältig beantwortet. Bei den einheimischen Rekruten aus Thüringen stieg diese Zahl bis auf 86,2 Proz. ı 13,8 Proz. ohne Auskunft). Noch wesentlich besser war die Stillungsfrage

136 Röse, Die Wichtigkeit der Mutterbrust für die

von den Müttern der Schulkinder beantwortet worden. Unter allen 157361 Schulkindern hatten nur 6,4 Proz., in den deut- schen Dörfern 5,5 Proz., in den schwedischen Dörfern gar nur 4,3 Proz. die Stillungsfrage mangelhaft oder gar nicht beantwortet.

Nun entsteht die weitere Frage: Können diese Stillungsan- gaben der Mütter, die erst im 7.— 22. Jahre nach der Geburt er- folgt sind, als hinreichend genau angesehen werden? Im Laufe meiner mehrjährigen Untersuchungen habe ich die Überzeugung gewonnen, daß weitaus die meisten Mütter über kein anderes Ereignis ihres früheren Lebens so sichere Auskünfte zu geben vermögen, wie über die Stillungsdauer ihrer Kinder. Meine gute Mutter, die schon zahlreiche erwachsene Enkel hat, weiß heute noch ganz genau, wie lange sie jedes von uns 6 Geschwi- stern gestillt hat. Wie könnte es auch anders sein? Geburt und Stillung gehören zusammen. Sie sind und bleiben die wichtigsten Ereignisse im Leben des \Weibes. In ganz vereinzelten Fällen mögen ja wohl hier und da einmal irrige Angaben untergelaufen sein, doch sind sie von ganz unwesentlicher Bedeutung. Ver- suchshalber habe ich in der Unterherrschaft des Fürstentums Schwarzburg-Sondershausen in zwei verschiedenen Jahren die Still- ungsfrage von den Musterungspflichtigen beantworten lassen, und da stellte es sich heraus, daß in beiden Jahrgängen die durch- schnittliche Stillungsdauer genau gleichgroß war, im Jahre 1891 gleich 8,3 Monate. im Jahre 1893 gleich 8,2 Monate.

Nur eine einzige Fehlerquelle macht sich bei meinen Er- hebungen leider bemerkbar: In allen Gegenden, wo das Nicht- stillen üblich wird, tritt diese Unsitte nicht plötzlich auf einmal auf, sondern sie verbreitet sich schrittweise, nach und nach. Viele Frauen haben davon gehört, daß während der Stillungszeit seltener neue Befruchtung eintritt, und darum stillen sie solange wie möglich, aber wohlgemerkt: nur nachts. Am Tage wird das arme Kind ebenfalls künstlich gefüttert und ist daher nicht viel besser daran, als seine gar nicht gestillten Genossen. Durch diesen Umstand wird der günstire Einfluß des langen Stillens auf die ganze Entwicklung des Menschen in meinen Tabellen etwas verwischt und tritt nicht ganz so scharf zutage, wie es der Wirklichkeit entspricht.

In zwei Dörfern aus Niehtstilluneszerenden habe ich mit Hilfe der Hebammen eine ganz genaue Statistik über die Stillungsdauer der einzelnen Kinder aufnehmen lassen, wobei angegeben worden ist, wie lange die Mutter ausschließlich, und wie lange sie teil- weise gestillt hat. In dem sächsischen Dorfe Leuben bei Riesa betrug nach meiner Umfrage die durehschnittliche Stillungsdaner 5.1 Monate, nach Umfrage der Hebamme genan ebensoviel, näm- lich 5.2 Monate, falls man die Zeit der unvollständigen Stillung

körperliche und geistige Entwicklung des Menschen. 137

mitrechnet. Läßt man diese halbe Stillung aus, dann beträgt die durchschnittliche Dauer der vollen Stillung nur noch 3,4 Monate. In dem württembergischen Dorfe Böhringen auf der rauhen Alb beträgt nach Tabelle 34 die durchschnittliche Stillungsdauer 4,0 Monate. Die Zeit der vollen Stillung beläuft sich aber nur auf 2,6 Monate. In den deutschen Nichtstillungsgegenden, in Bayern, Württemberg und Sachsen, sind also die Stillungsverhältnisse tatsächlich noch etwas schlechter, als es in den Tabellen 34 und 35 zum Ausdrucke kommt. In guten Stillungsgegenden kommt eine solche unvollständige Art des Stillens nur ganz ausnahms- weise vor; die Kinder werden dort entweder ganz oder gar nicht gestillt. Bei der Berechnung der durchschnittlichen Stillungsdauer sind selbstverständlich nur die Fragebogen mit sicherer Auskunft über die Stillungsfrage in Rechnung gezogen worden. Unter den Kindern „ohne Auskunft“ befinden sich zweifellos etwas mehr schlechtgestillte als gutgestillte, da sehr viele unehelichen Kinder hierher gehören. Doch ist der Prozentsatz der Kinder „ohne Auskunft“ viel zu gering, als daß diese kleine Fehlerquelle den Wert der von mir berechneten durchschnittlichen Stillungsdauer wesentlich ändern könnte. Wir haben also in der durchschnitt- lichen Stillungsdauer einen recht zuverlässigen \Vertinesser, um die Stillungsverhältnisse einer Gegend in einer einzigen Zahl auszudrücken. Kurz die Wertangaben der Stillungsdauer können für die nachfolgende Statistik als durchaus zuverlässig gelten, um so mehr, da sich etwaige kleine Fehlerquellen bei der großen Menge der untersuchten Personen in den verschiedensten Gegenden voll- kommen ausgleichen müssen. Die Angaben über Gewicht, Körper- größe, Brustumfang und Militärtauglichkeit entstammen bei den Musterungspflichtigen den amtlichen Listen. Beim Wiegen und Messen der Schulkinder sind aushilfsweise Wiegemeister und frühere Unteroffiziere verwendet worden, die in diesen Hand- habungen sehr geübt waren. Die Kinder mußten sich vor der Untersuchung ihrer Schube entledigen. Die kleinen Fehlerquellen, die etwa durch verschieden großes Gewicht der Kleider entstehen könnten, gleichen sich bei der großen Anzahl der untersuchten Kinder gegenseitig aus. Kurz, auch die Gewichtsdurchschnitte bei Schulkindern können als einwandfrei gelten. Dagegen ist es nicht zu vermeiden, daß die absoluten \Wertangaben der Zahnerkrank- ung und der Zahnrachitis in gewissen Grenzen schwanken, je nach der Übung und Sorgfalt des untersuchenden Zahnarztes. Es ist daher völlig unzulässig, die Ergebnisse verschiedener Zahn- ärzte in verschiedenen Gegenden unmittelbar miteinander zu vergleichen. \Wenn es sich dagegen nur um Vergleiche zw schen verschieden gut gestillten kindern ein und desselben

138 Röse, Die Wichtigkeit der Mutterbrust für die

Untersuchers handelt, dann fallen etwaige Mängel in der Untersuchung gar nicht ins Gewicht, denn die Fehlerquellen kehren ja bei allen Kindern gleichmäßig wieder und gleichen sich darum gegenseitig aus.

Nur eine einzige Fehlerquelle muß noch besprochen werden, da sie zu bedeutenden Irrtümern Anlaß geben kann. Im aller- ersten Anfange meiner Untersuchungen war ich etwas gespannt darauf, ob überhaupt Beziehungen zwischen Stillungsdauer und Zahnverderbnis beständen. Ich nahm daher vor der Untersuchung der einzelnen Kinder immer erst ihre Fragebogen zur Hand, um die Stillungsdauer nachzusehen. Da ertappte ich mich glücklicher- weise schon am zweiten Tage dabei, daß ich ganz unwillkür- lich die Nichtgestillten ein wenig schärfer, und die gutgestillten Kinder etwas wohlwollender im Sinne meiner Voraussetzung untersucht hatte. Das war mir sehr peinlich, und ich habe seit- dem grundsätzlich vor der Untersuchung nicht mehr auf die Fragezettel geschaut. Eine Zeitlang sah ich jedesmal nach der Untersuchung die Fragezettel an. Da kam es aber nun gar nicht selten vor, daß einzelne Nichtgestillte geradezu vorzügliche, und einzelne Gutgestillte dagegen sehr schlechte Zähne hatten. Kurz, ich ärgerte mich jedesmal, glaubte, daß nichts bei der Statistik herauskommen würde, und habe mir infolgedessen später- hin die Fragezettel überhaupt nicht mehr angesehen. Also auch diese letzte Fehlerquelle ist bei meinen eigenen Untersuchungen glücklich vermieden worden. Was die Untersuchungen der an- deren Zahnärzte betrifft, so wußten die meisten von ihnen über- haupt nicht, zu welchem Zwecke die Stillungsfrage beantwortet werden sollte, und ich glaube daher, auch ihre Ergebnisse als einwandfrei ansehen zu dürfen, um so mehr, da sie mit den meinigen sehr gut übereinstiimmen. Eine einzige Ausnahme ist

m

in den Tabellen 7 und 16 besonders erwähnt worden.

Nach dieser langen Einleitung kann ich mich nun bei der Be- sprechung der folgenden Tabellen um so kürzer fassen.

Stillungsdauer und Zahnverderbnis.

Als den wertvollsten Teil meines Untersuchungsmaterials be- trachte ich die Untersuchungen in kleinen Landgemeinden. Diese Erhebungen sind sämtlich von mir persönlich vorgenommen worden. Auf dem Dorfe sind außerdem die Lebenszewohnheiten und die Rassenverhältnisse viel gleichartiger: die Zu- und Abwanderung spielt nicht entfernt eine so große Rolle, wie in größeren Städten. Ich habe nun dieses Untersuchungsmaterial zunächst in der Weise zusammengestellt. daß ich in jedem Dorfe die mittlere Stillungs-

körperliche und geistige Entwicklung des Menschen. 139

dauer bestimmte und darnach dann alle 94 Dörfer als Einheiten in 4 Gruppen einteilte (Tabelle 1). Bei dieser Art der Zusam-

Die Beziehungen zwischen Stillungsdauer und Zahnverderbnis. Nach den Untersuchungen von Dr. C. Röse bei 19683 deutschen

Tab.1. Volksschulkindern in 94 ländlichen Ortschaften. u a > | n sr 7 l Eie T Nu Durchschnittliche ICH | SAn | Anzahl der Me gas Fe san „INUS dauer 382 | 337 ee] SEEN ERER in den untersuchten! 355 | 35.3 under aiken. SZEN |ZES® Ortschaften DES- | RR“ Zähne E A255 BERE Unter 3,0 Monaten a 20 ' 3440 59184 | 25717 7,4 30,3 3,0—5,9 Monate 30; 7066 124507 ı 51196 | 7,2 29,1 60-89 j | 22 ; 5268 | 95015 ! 36241 6,9 27,6 über 9,0 , | 22 | 3909 | 14.585 | 22 963 89 | 23,5 Durchschnitt: y A 19683 | 353291, 136117 6,9 | 27,8 Tab. 2. nn | Ba | 3340| 54o 3385 | Anzahl der EFE PEFFE | RESE esnden krankon | SEN BE REN ' „2:2 gesunden, kranken | AE? a AES? | ss mta "zZ: ähne Zähne | BEE ERE Nicht zaite Sa I 4511 ` 77286 34129. 76 | 30,6 1— 3 Monate gostillte "83070 | 53748 22398 i 73 129,4 9 Ki 5 12204 | 40570 14719 | 6,7 26,6 10—12 i ;5 4105 77112 25349 ; 6,2 24,7 Über 12 „o k 1557 | 29281 | 6,0 : 24,2 Ohne Auskunft. | 1087 19181 | 7796 | \ 7,2 | 28,9 Durchschnitt: | 19653 353291 | 136117 | 6,9 | 27,8

Man beachte: Je länger die Kinder gestillt worden sind, um so weniger leiden sie an Zahnverderbnis.

Tab. 3. Nach den Untersuchungen von Dr. C. Röse und Zahnarzt Wibom bei 1690 Volksschulkindern in 1S schwedischen Ortschaften.

Nicht gestillte .

1— 6 Monate gestillte

9 10—12 Über 12 ,

Ohne Auskunft

2) 3)

Durchschnitt:

Man beachte:

35 107 13S 036 593

S]

1690

|

2 Br 0 1595 21403

12072 11264

147%

31671

weniger leiden sie an Zahnverderbnis.

987 |

45 f

DD

3555 S5535 ;

512 ii

|:

|

10492 l

295

2,3 7,0 , 28,2 62 24,7 61 24,2 6,0 | 23,9 6.3 | 258 6,2 24,9

Je länger die Kinder gestillt worden sind, um so

140 Röse, Die Wichtigkeit der Mutterbrust für die

menstellung hätte aber immerhin noch die Fehlerquelle vorkommen können, daß die durchschnittliche Trinkwasserhärte und die Lebensweise in den vier Dörfergruppen nicht ganz gleich ge- wesen wären. Darum habe ich das Material noch einmal in der Weise der Tabelle 2 zusammengestellt, indem die Kinder aller

Nach den Untersuchungen von verschiedenen deutschen Zahnärzten bei Tab. 4. = 649 Schulkindern in 28 Stadien i und 15 Dörfern.

! Anzahl us Durch-

h-

. | Anzahl der | | ou re zahl | ‚schnittlicher | ne en der herren al an | Kinder 5 De ten Zähne | ne

Nicht gestillte . . | 20216 23539 ı 90 | 36,7 1— 3 Monate gestillte | 9464 : 80428 | 85 | 346 4—6 , „| 9734 , 36509 | 79 | 319 g » q 9305 | 67120 j 72 29,5

10—12 . 16128 ' 109801 | 6,8 | 280

Über 12 ,, „o 10 T557 ET 5 (1 Ya | 6,85 | 27,5

Ohne Auskunft. . . . | 5245 ° 38061 ; 74 30,8

Durchschnitt: po B30iy oJUY4z 1,9 BR,4

Man beachte: Je länger die Kinder gestillt worden sind, um so weniger leiden sie an Zahnverderbnis.

Nach den Untersuchungen von Dr. C. Röse und zahlreichen anderen Zahnärzten bei 157361 deutschen und schwedischen

Tab. 5. _Schulkindern. Nicht gestillte . . 1 50712 | 42277" 8,4 4 | 34 341 1— 3 Monate gestillte 22322 | 179054 i 80 | 32,4 4—6 ,„ . 2029 | 153180: 7,6 | 30,5 De „516417 , 117261 | 71 28,9 10-12 , 26138 | 176199! 6,7 | 27,4 Über 12 ? »„. 11359 | 739! 64 26,7 Ohne Auskunft . 10164 748493 | 73 | 30,1 Durchschnitt: | 157361 | 1200163 | 7,6 | 314,0

Man beachte: Je länger die Kinder gestillt worden sind, um so weniger leiden sie an Zahnverderbnis.

Dörfer nach ihrer Stillungszeit eingeteilt worden sind. Das End- ergebnis ist in beiden Fällen völlig übereinstimmend: Genau im gleichen Grade, wie die Stillungsdauer zunimmt, nimmt die Zahnverderbnis ab. Es findet sich auch nicht der kleinste Sprung in der abnehmenden Reihenfolge der kranken Zähne vor. Bei den schwedischen Schulkindern (Tabelle 3) kehrt dieselbe Erscheinung wieder; nur mußten dort 2 Vierteljahrsgruppen der

körperliche und geistige Entwicklung des Menschen. 141

Stillungsdauer in eine einzige (1—6 Monate) zusammengezogen werden, um eine gleichmäßige Reihe zu erzielen. Die Tabellen 4 und 5 geben wieder ganz regelmäßige Reihen. Im Durch- schnitte (Tabelle 6) haben die nichtgestillten Kinder 25 Proz. mehr kranke Zähne als die über 10 Monate gestillten, und 28 Proz. mehr kranke Zähne als die über 1 Jahr gestillten.

In den einzelnen Städten (Tabelle 6) ist die Abnahme der Zahnverderbnis entsprechend den einzelnen Stillungsvierteljahren selbstverständlich nicht immer so regelmäßig, wie in den Tabellen 1—5. Je kleiner die Anzahl der untersuchten Kinder ist, um so leichter kommen Unregelmäßigkeiten in der Reihe vor. In einzelnen kleineren Städten, wie Schlettstadt, Höchst, Rügenwalde, finden sich überhaupt nur sehr geringe Unterschiede zwischen gutgestillten und nichtgestillten Kindern. Das mag auf Zufällig- keiten beruhen. Auch in Augsburg ist der Unterschied gering. Dort liegt aber der Grund klar zutage. Augsburg ist das Zen- trum der oberbayerischen Nichtstillungsgegend.. Die angeblich gutgestillten Kinder sind dort sicherlich nur teilweise aus- schließlich von der Mutter gestillt worden; zum anderen Teile haben sie nebenbei Mehlbrei erhalten. Und dadurch verwischt sich selbstverständlich das sonst so klare Ergebnis der Statistik ein wenig.

Das Endergebnis in den allermeisten Städten steht dem all- gemeinen Durchschnitte sehr nahe. Größere Unterschiede, über 30 Proz. hinaus, finden sich nur 5mal unter 37 Fällen. Nur eine einzige Stadt der Tabelle 6 erhebt sich ziemlich beträcht- lich über den Durchschnitt, nämlich Frankenhausen. In dieser außerordentlich kalkreichen Stadt mit vorzüglichen Zähnen wird von den einheimischen Frauen zugleich sehr gut gestillt. Die dortigen Knopffabriken ziehen aber eine Reihe von fremden Leuten an, die zum großen Teile aus kalkarmen Gegenden stammen, in denen gleichzeitig schlecht gestillt wird. Unter den 34 nicht- gestillten Kindern waren nun 11, deren Eltern aus kalkarmen Gegenden (Sachsen, Lausitz, Berlin usw.) zugewandert waren. Die schlechteren Zähne der nichtgestillten Frankenhäuser Kinder sind also nicht ausschließlich der fehlenden Stillung in die Schuhe zu schieben, sondern sie beruhen teilweise auch auf Kalkarmut in der Heimat der Zugewanderten.

Vollständig aus der Reihe heraus fallen die Ergebnisse der Würzburger Untersuchungen, über die Professor Michel!) bereits berichtet hat (Tabelle 7). Solche Verhältnisse, wie in Franken-

1) Michel, Über Schuluntersuchungen und deren Ergebnisse. Korrespondenzblatt für Zahnärzte 1904.

142 Röse, Die Wichtigkeit der Mutterbrust für dıe

hausen, liegen in Würzburg nicht vor. Im Gegenteile, in den kalkarmen Sandsteingegenden Unterfrankens wird zum Teile besser

Die Beziehungen zwischen Stillungs- Nach den Untersuchungen von Dr. C. Röse und zahlreichen

Tab. 6. Schul- =- —— Tr Da FEE g Durchschnittlicher Poze: Stadt FEST RR. n ac oer SEI as SS, E Nicht ı _ 1—3 4—6 Ben | ZESA, gestillt | Monate Monate 1. Augsburg lO 446 o 453 o 440 43, 2. Dresden Stadt. L 30,4 315 , 314 | 294 3. Chemnitz 2.339 357 | 349 | 32,7 4. Dresden, Vororte. . . | ii» 30155 21. L SRT 9.221 5. Stuttgart. I 304 318 Í 309 | 301 6. Leipzig I 313 32,1 | 33,5 31,5 7. Freystadt ' 30,0 33,6 30,2 31,8 8. Neusalz a. d. Oder 31,0, 34,4 | 33,5 30,4 9. Würzbur a G 24.4 Ä 975 26,3 26,8 10. Aschaffen urg paa el Sn T7 ANd 39,3 | 39,3 11. Frankfurt a. e... 264 ! 30,1 27,4 | 24,8 12. Schlettstadb. . . . . j 353 BA | 367 | 350 3. chst a. Mam . . . . i 835 I 34T 34,4 34,3 14. Bremen . ....2.2..1 3m N 337 | 285 | 34, 15. Magdeburg ; ; 2%, o °313 29,0 A E falle Kinder) j! a. Ä a 1 37,4 35.5 L. E 4 en oi 36,1 : 329 29,9 18. Cöln . . ie AU: p 248 2,6 23,7 19. Rudolstadt, Stadt i! 29,0 33,6 i 314 30,6 20. Hannover . . TEE 995 33,7 | 363 | 20,2 '2 21. Halle u are "21 0313 1 305 | 277 22, Aschersleben . 223,5 26k 245 Tt 218 23. Nordhausen (Volksschulen) 83 | 36.6 | 375 Ä 35,0 24. Ae ; 3 XS BS 322 202 25. Rheydt . . 218 238 200 | 172 26. Rudolstädtische D Dörfer a 4,7 308 ` 30,3 229 27. Kattowitz . . Bl | 358 28. Münster . . 2. 2 22009 59 ZU BT: 29. Frankenhausen . . . . 178 BE Ge A8’ 201 30. Dortmund . 2.2... I 239000280 | 29,3 | 31 Detmold N o 249 218 3 emo E a NE 33: nee ee D a g 20,4 4. Hagen. . EN ls 57 ; Ar 35. Schwedische Dörfer Be ai 24,9 m 29, 5 1.29 Wa 29 m 36. Deutsche Dörfer... . 278 396 %4 | 285 37. Deutsche Städte . . . . 324 i 367 | 34,6 31,9 Durchschnitt: 31,0 i 34,1 | 32,4: 30,5

_ Man beachte: Die rehkeihilten Kinder haben durchschnittlich 23 Proz. mehr kranke Zähne als die über 1 Jahr gestillten Kinder. 2

körperliche und geistige Entwicklung des Menschen. 143

gestillt, als in den Kalkgegenden (s. Rieneck, Tabelle 34). Trotz- dem findet Michel zwischen gutgestillten und nichtgestillten

dauer und Zahnverderbnis.

anderen Zahnärzten bei 157361 deutschen und schwedischen kin ern.

(oder Zahl) der erkrankten Zähne |

dauer zusammengestellt | „Verhältnis der erkrankten Zähne bei RER ©, Über 10 Monate gestillten und bei nicht- in | ee OTa | gestillten Kindern Monate | Monate : 12 Monate u Jan, . aa Pe je Re = ai em an ve eh Se zz ir =” a a ee ee Pe 42,0 40,3 41,6 40,8:45, 3 Ten mehr kranke Zähne ) | EBD I) 30,9 | 30,2 | 28,8 E 29,8: 35,7 i PU 2) »o o) ET (Dh a è s o») 23,9 i 26,6 | 29,0 21,0 : 31,8 (16°: n ) 30,1 | 29,8 | 27,0: 129,1:321 110%, 5 j j 21,1 23 3,D 22,3 | 23,2 : 33.6 (450 ) 20 28,1 27,1 21,0: 34,4 (237, , f 2 ) 20,2 : 222 ae. 2212268 21%, » » » o) 36,9 34,7 30,6 33,3 : 40,4 210 5 no) 25,3 ; 259 24,1 :353:301 (19% , y TEE 34,3 35,8 3306 B5,1:304 (Al s č y o) 32.7 32,7 31,7 Br ai y j » o) 30,9 ; 279 23: L Ken a y » o) 27,8 24,9 29,3 23,.0492,1 (28"/n so) 34,2 33,3 31 = 32,9 $ 35,3 (160 ) 31,5 25,8 29,2 23,9 A 36,1 (2H" 29 99) ) 21,3 | 22,0 22.5 22:248 (120, » č » n o) 6267 | 326 2744:33, (23% 5 » o) m | ; i4 29, 3 25.0: 33,7 (20% » ) 23,9 23:3 | 24,8 ER :31.3 Se ) 209 | 211 ELBE (TU a no) 32,4 31,7 | 324 ,31,9:36,5 (15% , »o o) Zisi 26,6 | 21,8 ZEN O i ») 22,7 194- 80 023 120,0:25,8 (2 an on » o) 25,4 23,4 | 20.1 23.1: 30,8 (300o , »o o) 33,5 33,3 34,6 33,5:388 (16%, , > ») z 53 6,0 \ 5,8 2,9 : 2 (22 9) 29) ) 18,2 161 | 157 IO STA (71% y s eh 25,9 228 J 220 Bra 2 a a » ) 15,1 | 11,2 | 15,2 16,3 2a OB » o) 41,1, 30,4 E 36,8: 42 (16% , 3 po) 20,8 25,9 20,5 26.2:303 TOYE y j y) 5,1 ; 5, 2 3,2 Drok D, (10 u En 24,7 l 24, i 23,9 24,1 : 2,3 Ban z ) eG o Meo O BRR O 2AG:D0G REN a o ăě y » o) 29,5 | 25,0 275 .27,9:30,7 1320, 5, n "en 28,9 24 26T 2772:3411 (25°, mehr kranke Zähne’.

i 25 Proz. mehr kranke Zähne, als die über 10 Monate gestillten, und

144 Röse, Die Wichtigkeit der Mutterbrust für die

Kindern 6'/, mal größere Unterschiede, als es dem allgemeinen Durchschnitte entspricht. Die Würzburger Untersuchungen ge- hörten zu denen, die ich zu allererst angeregt habe. Sie sind im zahnärztlichen Institute von Studierenden ausgeführt worden. Einer dieser jungen Kollegen begleitete mich im Frühjahre 1901 als Mitarbeiter bei meinen Untersuchungen in Südtbüringen und Franken, und ich habe weder ihm, noch dem damaligen Assisten- ten des Würzburger Instituts, noch Herrn Professor Michel selbst einen Hehl daraus gemacht, daß mich die Beziehungen zwischen Zahnverderbnis und Stillungsfrage sehr fesselten. Ob

Die Beziehungen zwischen Stillungsdauer und Zahnverderbnis in Würzburg.

Tab. 7. Vergleich der Statistiken von Dr. C. Röse und Prof. Dr. Michel.

ee, = 2 BEE

Prozentsatz und gegenseitiges Verhältnis der | erkrankten Zähne Stillungsdauer der | | An nee Volksschulkinder ı sale ap | i Duri hsehnitt der Würzburg nach ' Würzburg nach i deutschen Sammel- , Dr. C köse : Prof Dr Michel statistik re A ! = Er

|

1

= en ep an Ru i a Ne 7, Br ji Kor = a nee Tr 7 Ta = ie enge her S = Über 10 Monatet 27,20% (= 10"), 22,7% (= 1000, 9,0% (= 100

gestillte | gesetzt) gesetzt) | gesetzt) ' , . ! up ; m i . 1— Monate ge-\, 31,5”, 16", mehr ! 26,694. (170 mehr 13,0°%, (440 mehr stillte f" kranke Zähne) ' kranke Zähne) kranke Zähne) Nicht gestillte l | 34,1 ia 2 mehr 27,501,(21’a mehr 24.00 167 "/,mehr

a. ! F or ! .. ` J kranke Zähne) | kranke Zähne) : kranke Zähne)

Man beachte! Prof. Michel findet das Verhältnis zwischen gut- restillten und nichtgestillten Kindern Himal so hoch, als es der deutschen Sammelstatistik, und Smal so hoch, als es der Statistik von Dr. C. Röse bei Würzburger Schulkindern entspricht!

auf diese \Veise vielleicht unwillkürlich Beeinflussungen und Fehlerquellen entstanden sind, vermag ich nicht zu sagen. Etwas auffällig ist jedenfalls der Umstand, daß die Ergebnisse von 191 Würzburger Schulkindern, die ich selbst zusammengestellt habe, fast genau dem allgemeinen Durchschnitte entsprechen und von Michels Ergebnissen völlig abweichen (Tabelle 7).

Bei den Musterungspflichtigen habe ich die Stillungsvierteljahre ein klein wenig anders eingeteilt, als bei den Schulkindern, indem ich sie mit dem 3., 6. und 9. Monate beginnen, statt endigen ließ. Das geschah darum, weil es in Thüringen vielfach Sitte ist, die Stillunz nach 6, 9 oder 12 Monaten abzubrechen, auch dann, wenn die Mutter noch überreichlich Milch hat. Aus den Tabellen & und 9 geht hervor, dab das Verhältnis zwischen Stillungs-

körperliche und geistige Entwicklung des Menschen. 145

dauer und Zahnverderbnis bei den Musterungspflichtigen fast genau gleichgroß ist wie bei Schulkindern. Beim jüngsten Jahrgange (Tabelle 9) haben die nichtgestillten Rekruten 26 Proz. mehr, bei allen 3 Jahrgängen (Tabelle 8) 21 Proz. mehr kranke Zähne als die 12 Monate und darüber gestillten.

Die Beziehungen zwischen Stillungsdauer und Zahnverderbnis,.

Nach den Untersuchungen von Dr. C. Röse bei Musterungs- pflichtigen aus Thüringen und Sachsen.

| |

Musterungs-!

Anzahl der

| ‘der erkrank-: ten Zähne |

| Anzahl der

|; li

Durch- schnittszah] der erkrank-|

Durch- sebnittlicher,

. Prozentsatz

gesunden kranken Zähne Zähne

ten Zähne |

untersucht.

" pflichtigen

Tab. §. Ale 20—22jährigen Musterungspflichtigen.

Nicht gestillte 62S 13076 | 5595 8,9 ` 30,0 (0,5—2,9 Monate gestillte 330 6939 | 2869 ' 87 29,3 30—59 » s 626 13345 | 5235 8,4 | 28,2 50-89 >? 2 799 17303 | 6197 |! 78 261 90—119 > no 1085 085 874 76 | 254 12 Mon. u. darüber WS 22301. 7322 . 7,3 24,7 Tab. 9. 20jährige Musterungspflichtige.

Nicht gestillte , 208 6205 2521 ` 85 28,9 0,5—2,9 Monate gestillte 162 340 126 %8 266 30-59 , Bl : 688 ` 2357 | WE ` 25,5 60—39 >? MB i 9971 3253 73 24,6 90-119, iu 4512 72 24,5 12 Mon. u. darüber : 554 , 12550 376S : 6,8 , 23,0

Man beachte: Je linger die Musterungspflichtigen gestillt worden sind, um so weniger leiden sie an Zahnverderbnis.

Stillungsdauer und Rachitis.

In der ärztlichen Literatur ist schon öfters die Überzeugung ausgesprochen worden, daß das Nichtstillen die Entstehung von Rachitis begünstigte.e So erwähnt z. B. Bollinger „die so überaus häufige Rachitis (englische Krankheit), die mit Vorliebe bei künstlich und unzweckmäßig genährten Kinder beobachtet wird“.

Zweifel!) sagt von der Rachitis, daß „diese Krankheit viel

1) Zweifel, Ätiologie, Prophylaxis und Therapie der Rachitis. Leipzig 1900.

XXIII. 10

146 | Röse, Die Wichtigkeit der Mutterbrust für die

seltener Brustkinder befällt, und ihr viel häufiger diejenigen zun Opfer fallen, welche die Mutterbrust entbehren müssen“.

Eine der auffälligsten Erscheinungen der Rachitis ist die sogenannte Hypoplasie der Zähne. Es handelt sich dabei um Entwicklungsstörungen, die beim Schmelze schon mit bloßem Auge erkannt werden können, in Gestalt von Grübchen und Furchen in der sonst glatten Schmelzoberfläcke. Auch im Zahn- beine lassen sich diese Entwicklungsstörungen mit Hilfe des Mikroskops leicht nachweisen. Nicht nur der wirkliche Kalk- mangel der Nahrung, sondern auch jede Ernährungsstörung, die. die regelrechte Aufsaugung der Kalksalze im Magen hemmt, ver- mag diese rachitischen Entwicklungsstörungen im Schmelze der Zähne hervorzurufen.. \Vährend sich in den Knochen die leich- teren und nur kurze Zeit dauernden Entwicklungsstörungen des Säuglingsalters später wieder ausgleichen können, ist beim Schmelze ein solcher Ausgleich unmöglich. Die Zahnrachitis oder Hypoplasie bleibt daher zeitlebens sichtbar, und noch beim Erwachsenen läßt sich genau feststellen, in welchen Mo- naten seines Säuglingslebens er schwere Ernährungsstörungen durchgemacht hat. Daher darf es uns gar nicht wundern, wenn wir bei Schulkindern gar nicht selten wohl Hypoplasie der Zähne, aber keine weiteren äußerlich sichtbaren Rachitiserscheinungen an den Knochen mehr vorfinden. Der geübte pathologische Anatom würde freilich in vielen solchen Fällen auch auf Knochenschnitten noch die Anzeichen der überstandenen Knochenrachitis nach- weisen können! Viel seltener sind die umgekehrten Fälle, in denen wohl am Knochensysteme Rachitis nachzuweisen ist, an den Zähnen aber nicht. Immerhin kommen solche Fälle vor. Jeden- falls ist die Hypoplasie der Zähne eines der auffälligsten und sichersten Anzeichen von überstandener Rachitis. Eine zuver- lässige Hypoplasiestatistik, in der die Beobachtungen verschiede- ner Zahnärzte unmittelbar miteinander verglichen werden könnten, läßt sich jedoch ebenso schwer beschaffen, wie eine zuverlässige Statistik über die Verbreitung der Knochenrachitis. Es gibt Hypo- plasieerscheinungen, die dem ungeübtesten Blicke sofort in die Augen springen, es gibt aber auch Fälle, die bei den in ziemlich großer Eile vorgenommenen Massenuntersuchungen selbst dem geübtesten Auge entgehen. Häutig genug zeigt sich die Hypo- plasie nur an den ersten bleibenden Mahlzähnen; die Kronen dieser Zähne sind aber durch Karies zerstört worden, und dann läßt sich die früher vorhandene Schmelzmißbildung nicht mehr nach- weisen. Ich wage es nicht einmal, meine eigenen Angaben über das Vorhandensein von Hypoplasie in deutschen Dörfern als völlig gleichwertig anzusehen. Aus Äußeren Gründen mußte die Unter- suchung mitunter in großer Eile durchgeführt werden, in anderen

körperliche und geistige Entwicklung des Menschen. 147

Fällen war die Beleuchtung ungünstig; und dann sind sicherlich manche Fälle von geringerer Hypoplasie übersehen worden. Immerhin aber bewegen sich bei meinen eigenen Untersuchungen die Fehler nur in mäßigen Grenzen. Der beste Beweis dafür ist die Übereinstimmung der Endergebnisse in den beiden Tabellen

Die Beziehungen zwischen der Stillungsdauer und der Häufigkeit von rachitischen Entwicklungsstörungen (Hypo- plasie) der Zähne.

Nach den Untersuchungen von Dr. C. Röse bei 19683 deutschen V olks- Tab. 10. schulkindern in 9 ländlichen Ortschaften.

.— S m I nn nn,

Durchschnittliche ! Anzahl | Anzahl | Anzahl der | A Stillungsdauer in den | der unter- ' der unter- ; Kinder mit (Pr Hr or untersuchten Ort- | suchten | suchten , Hypoplasie | ar h ke schaften ' Ortschaften ! Kinder ı der Zähne ' Pasie der | i | Zähne Unter 3,0 Monaten 20 3440 ` B4 | 22,8 3,0—5,9 Monate i 30 | 7066 ' 1726 | 24,4 60—89 u ı 2 DA | 23 : 183,7 Über 9,0 , 10022 3909 : 294 | 7,5 Durchschnitt: | 94 19683 3527 17,9 Tab. 11 T : o Anzahl der ' Prozentsatz | nn 2 ur ui ! ar Pinea ai > ypoplasie der; Hypoplasie der Kinder | Zähne Zähne Nicht gestillte 4511 (22,90%) 1135 © 25,2 1— 3 Monate gestillte 3070 (15,6%) . ‘16 23,3 4—6 , i 3149 (16,00) 641 20,3 i= j 2204 (11,2%) 335 15,1 10—12 " 4105 (20,9"%) 366 8,9 Über 12 , 1557 (7,9) 103 6,6 Ohne Auskunft 1087 ( 5,5%) ` 233 21,4 Durchschnitt: 19683 (10,0%) 3327 17,9

Man beachte: Je länger die Kinder gestillt worden sind, um so seltener leiden sie an Rachıtis.

10 und 11. Genau ebenso, wie in den Tabellen 1 und 2. ist wiederum dasselbe Untersuchungsmaterial in zweierlei verschie- dener Art zusammengestellt worden. Das Endergebnis beider Tabellen aber ist ganz das gleiche: Je länger die Kinder gestillt worden sind, um so seltener leiden sie an rachitischen Schmelzmißbildungen.

l1u*

148 Röse, Die Wichtigkeit der Mutterbrust für die

In Schweden, wo durchweg vorzüglich gestillt wird, ist die Hypoplasie viel seltener als in den schlechter gestillten deutschen Dörfern (5,1 Proz. 17,9 Proz.) Da in Schweden Fälle von halber Stillung kaum vorkommen, so treten dort die Beziehungen zwischen Stillungsdauer und Rachitis viel schärfer und unver- wischter zutage. Die nichtgestillten schwedischen Kinder haben (Tabelle 12) beinahe 4'/, mal soviel Zahnrachitis, als die über 1 Jahr gestillten; die nichtgestillten Kinder in den deutschen Dörfern haben 3,8mal soviel, die nichtgestillten in den deut- schen Städten (Tabelle 13) nur 2,4 mal soviel. Durch die zahl- reichen Fälle von halber Stillung ist eben in den deutschen Städten das Endergebnis der Statistik ein wenig verwischt worden.

Der Vollständigkeit halber habe ich in Tabelle 15 die Ver- hältnisse in den einzelnen Städten zusammengestellt. Schon beim ersten Blicke auf die Tabelle zeigt es sich, daß die Erhebungen über Hypoplasie seitens der verschiedenen deutschen Zahnärzte noch viel ungleichartiger sind, als die gleichlaufenden Erhebungen über Zahnverderbnies.

Bei meinen eigenen Untersuchungen in deutschen Dörfern und deutschen Städten schwankt der durchschnittliche Prozent- satz je eines Ortes an Hypoplasiefällen zwischen 1,4— 47,8 Proz., bei den Untersuchungen anderer Zahnärzte in den deutschen Städten zwischen 2,6—60,7 Proz. An und für sich wäre also eine so große Schwankungsbreite der Hvpoplasie in deutschen Städten wohl möglich. Wenn man aber bedenkt, daß die gröliten Unterschiede angeblich gerade in den beiden Städten Neusalz und Aschaffenburg vorkommen sollen, deren durchschnittliche Stillungs- dauer fast genau gleichgroß ist (5,7 und 5,9 Monate), dann geht meine Ansicht dahin, daß in diesen beiden Städten sicherlich ganz verschiedene Maßstäbe angelegt worden sind, und. daß die Zahlen von 2,6 und 60,7 Proz. Hypoplasie nicht der Wirklich- keit entsprechen können. Wahrscheinlich hat im vorliegenden Falle der eine Kollege etwas zu genau, der andere etwas zu flüchtig auf Hypoplasie geachtet. Auch die am schlechtesten gestillte Stadt Augsburg, wo die Zahnuntersuchung am sorgfältigsten unter allen deutschen Städten durchgeführt worden ist, fällt auf durch die angeblich recht geringe Zahl von Hvpoplasiefällen. In Nordhausen hat eine zweimalige Untersuchung stattgefunden. Die Herren Kollegen Arpert und Pape haben sehr gewissenhaft untersucht. nur auf Hypoplasie haben sie nieht allzu genau ve- achtet. Bei der Kontrolluntersuchung fand ich daher fast genau ebensoviele kranke Zähne. aber doppelt soviele Hypoplasietälle. In den größeren Städten, wo mehrere Zahnärzte untersucht haben. finden sich gleichfalls recht auftällig voneinander abwei-

körperliche und geistige Entwicklung des Menschen. 149

chende Angaben über die Häufigkeit der Hypoplasie in ein und derselben Stadt. Aus brieflichen Mitteilungen weiß ich, daß ein-

Nach den Untersuchungen von Dr. C. Röse und Zahnarzt Wibom bei 1690 Volksschulkindern in 18 schwedischen

Tab. 12. Ortschaften. u anzahl der | Anzahl der || Prozentsatz N a EA Ä Kinder mit | der Kinder. mit | Kinder r "Zähne a Hypoplasie der Nicht gestillte 135 ( S04) 19 © 141 1— 6 Monate gestillte 107 ( 6,3%) 9 8,4 i— u » | 138( 8,2%) T 5,1 10—12 Í > ‚636 | 37,6%) 23 | 3,7 Über 12 | > söh) 19 | 3,2 Ohne Auskunft | 4,8%) | 9 11,1 Durchschnitt: || 1690 (100,0%) | 86 l l

Man beachte: Je länger die Kinder gestillt worden sind, um so seltener leiden sie an Rachitis.

Nach den Untersuchungen von verschiedenen deutschen Zahnärzten bei Tab. 13. 83649 Schulk indern in 28 Städten und 15 Dörfern.

nn u nn = ine _— tm

Nicht gestillte [26216 (31 3) 504 | 19,1

1— 3 Monate gestillte | 9464 ( 2 309), 1861 | 197 4—6 , N | 9734 1 1,6%) 1747 | 17,9 1—9 , » | 9305 ( 11,1%) 1234 | 13,3 10—12 ž , E 16128 ( 19, a 1601 | 9,9 Über 12 , k 7557 ( 9,1%) 808 |: 8,0 Ohne Auskunft | 5245 (6,3%); 832 | 159 Durchschnitt: [83649 (100,0%) 12887 | 15,4

Man beachte: Je länger die Kinder gestillt worden sind, um so seltener leiden sie an Rachitis.

Tab. 14. Nach den Untersuchungen von Dr. C. Röse und zahlreichen anderen Zahnärzten bei 157 361 deutschen ı und schwedischen Schulkindern.

Nicht gestillte 50712 (32,29) 10893 | 21,6

I— 3 Monate gestillte 22322 (14,2%/,) 4793 | 21,5 4— 6 A : "20249 (12,9%) 3771 18,7 Ze, „| 16417 (10,5%) 2235 13,6 10—12 Br i 26138 (16, 6°) 2569 9,8 Über 12 1 11359 ( 7,20%) 875 7,7 Ohne Auskunft | 10164 ( 6,4) 1944 19,1 Durchschnitt: To 361 © ROWU 4172

Man beachte: Je länger die Kinder gestillt worden sind, um so seltener leiden sie an Rachıtis.

150

Röse, Die Wichtigkeit der Mutterbrust für die

zelne Kollegen ganz besonders sorgfältig auf die kleinsten An- zeichen von Hypoplasie geachtet, daß aber andere nur die groben

Die Beziehungen zwischen der Stillungsdauer und der

Man beachte:

(Hypoplasie

Nach den Untersuchungen von Dr. C. Röse und zahlreichen

Tab. 15. Schul- | SSe" p a

[43 En | rozentsatz ee mit

Stadt Baer BSESZEs| Nicht | 1-3 1-5

| game gestillt Monate Monate I; Aushang: 109 ; 116 199 8,5 2. Dresden, Stadt. | 20,1 02830, 21,9 15,2 3. Chemnitz | 183 1 216 20,9 | 175 4. Dresden, Vororte . | 244 | 21 28,4 22,9 5. Stuttgart . -i I6 1 140 10,8 11.0 6. Leipzig 31,2 | 33,9 36,4 34,4 ©. F reystadt ; | 2,7. 1,8 1,9 S. Neusalz a. d. Oder J| 26 80 4,5 1,3 9. Würzbur 20 | 17 4 3,9 16,7 10. Aschaffen age £ 60,7 64,9 693 ` öld 11. Frankfurt a 11,9 = 193 13,5 11,6 12. Schlettstadt . u 300,280 350,337 13. Höchst a. Main | 13,4 20,6 199 | 128 14. Bremen i 413 455 40,0 | 41,7 15. Magdeburg . 216.305 PR 16. Nordhausen (alle. Kinder) | 17,4 | 2S1 28,0 14,9 7. Erfurt . ee 128 o ToS 19,8 35 18. Cöln es 2 30,9 176 1159 19. Rudolstadt, Stadt 10,0 1153 17,9 14,8 20. Hannover ; : | 25,6 i 89,5 35.0 315 21. Hale . . . RO 21,2 | 19,9 22, Aschersleben . | 60° 8,5 10.5 67 23. Nordhausen (Volksschulen l 9D 123 127 | 15,6 24. Rügenwalde. I | 31 | 8,2 HT |} 44 25. Rbeydt . 2 | 15 | 125 11,1 | 973 36. Rudolstädtische Dörfer . | | ma 64 | 68 27. Kattowitz ; | 151 4 27,0 303 1.197 2S. Münster | 990 51’ 1 21.6 36 30, Frankenhausen À, 10,0 G | 357 l 20.8 30. Dortmund a 5,5 24,0 90 99 31. Detmold . A 5,2 11,2 | 10,8 | 109 32. Culm f 11,5 IS,7 25,9 | 10,0 33. Lemgo f 0 o 185 133 : 158 34. Hagen. . 55 $ 171 13,4 80 35. Schwedische Dörfer . 51 14,1 57 97 36. Deutsche Dörfer i | 17,9 l 25,2 23,3 20,3 sunDentsebe Städte ‚1154 19,1 19,7 17, 9

Durchschnitt: 17,2 215 | 21,5 , 18,7

Je länger die Kinder gestillt worden sind, um so

körperliche und geistige Entwicklung des Menschen. 151

Fälle angemerkt haben.

Kurz, die absoluten Zahlenwerte über

die Häufigkeit der Hypoplasie in den deutschen Städten, die in der

Häufigkeit von rachitischen

der Zähne).

anderen Zahnärzten bei 157361

kindern.

yonun der Zähne nach der

zusammengestellt 7—9 10—12 Monate Monate 03,65 1331 ° 11 12,2 8,0 16,7 12,2 9,3 7,5 25,4 25,6 2,6 3,4 1,5 1,3 8,4 14,3 69,0 534,2 OR 6,9 26,2 27,2 13,3 8,2 32,0 37,5 21,2 13,5 15,1 10,2 11,9 9,4 15,9 S,7 8,0 4,6 21,2 15,2 10,4 1,7 5,1 4,3 7,5 6,3 2,5 1,4 15,0 6,4 2,8 2,9 14,9 12,2 6,9 8,1 9,2 6,3 13,2 5,2 2,7 3,5 10,8 90 3,9 3,0 6,7 46 5,1 BT 15,1 5,0 13,3 9,9 13,6 9,8

seltener leiden sie an Rachitis!

1.

über

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7,8

Monate |

Entwickluogsstörungen

deutschen und schwedischen

Verhältnis der Hypoplasie bei ' über 10 Monate gestillten und bei nicht-

gestillten Kindern

| 53:116 (119%, aki Hiypoplasie)

10,3 : 23,0 123%) r » 0) .66:21,6 (184 , = ) 11,7 . 29,1 (149°, ) 7,3:14,0 (92h , 00 24,0 Š 33,9 ( 41 "in )

i 4,1 s 1,8 (1 280: 9 weniger i 1,7 : 3,9 ( TO'A mehr | 11,9 x 17,4 { 460%, 99 ) 151,4:64,9 ( 26% | 6,7:19,3 (188%, , ) 25,1 : 25,0 ( Vi, ) 82:26 (151% ) l 38,5 : 45,5 ( 17"), ) 13,5: 30,5 (1260, „» ) : 9,9:281 (184%, , ) 5,5: 16,8 ( 959%, ) '10,3:309 (200% , » ) | 5,6:15,3 an "i j ) | 16,0: 39,8 149°/, ) \ 7,3:220 (201% y z ) 4,0: 5,5 (11; 3% ) --6,0:12,3 (1050, » ) 1,0 è S,2 (7200 19 ) | 6,2 : 12,5 (1020. u 99 ?) ) . 38:11,1 (296%, 7 ) ! 11,5 $ 27,0 (135°, ) X 6,2: ll 240%, ) 6,9 A IA) 243", 2) ) 5,9 : 240 BUT ) 9,4 . 11,2 (BLA, ) 90:187 A108", 7 ) 4,4:15,5 (320% , f ) 4 I7 (317, A 34:141 (15%, ,„ j ) S,3 : 22 (24 E SUN ”„ 9,3 3 19,1 ( 105 y" 0) 9 )

9,2:21,5 (R34#", mehr Hypoplasie..

152 Röse, Die Wichtigkeit der Mutterbrust für die

ersten Spalte der Tabelle 15 enthalten sind, können nur mit großer Vorsicht verwertet werden. Dagegen lassen sich die rela- tiven Werte ein und desselben Zahnarztes wohl miteinander vergleichen, und es zeigt sich, daß, abgesehen von einer einzigen Ausnahme, in allen Städten der Tabelle 15 die nichtgestillten Kinder häufiger rachitische Zähne haben als die gutgestillten. Wiederum sind die Unterschiede bei den Untersuchungen von Professor Michel in Würzburg ganz besonders hoch und über- treffen den mittleren Durchschnitt um das 3!j, fache. Aber sie fallen nicht so vollständig aus der Reihe heraus, wie in den Tabellen 6 und 7, denn in Rügenwalde kommen noch größere Unterschiede vor.

Im Durchschnitte von allen Schulkindern haben die Nichtge- stillten 2?/, mal so häufig Hypoplasie als die über 1 Jahr ge- stillten. Bei den Musterungspflichtigen (Tabellen 17 und 18) ist dieser Unterschied etwas geringer, nämlich 21/, : 1.

Nur mit wenigen Worten ınuß ich noch auf eine Mitteilung von Greve!) eingehen, der auf Grund einer vorläufigen Zu- sammenstellung der Magdeburger Schulkinderuntersuchungen schein- bar zu einem ganz entgegengesetzten Ergebnisse kommt, als ich selbst. Greve findet, daß in Magdeburg 13,47 Proz. aller Hypo- plasien auf die gestillten und 6,94 Proz. auf die nichtgestill- ten Kinder entfallen. Daraus schließt er, daß die gestillten Kinder doppelt so häufig an Hypoplasie leiden, als die nichtge- stillten, und „daB die Ansicht, die Rachitis würde abnehmen, wenn mehr Kinder von den Müttern gestillt würden, nicht zu- treffend sein kann“. 0. Escher?) der in Rudolstadt gerade das umgekehrte (richtige!) Verhältnis gefunden hat, steht den Greve- schen Zahlen ratlos gegenüber. Und doch ist die Lösung des Rätsels sehr einfach. Mein Freund Dr. Greve hat einen groben Denkschnitzer begangen. Es entfallen tatsächlich in Magdeburg unzetähr ?/, aller Hypoplasiefälle auf die gestillten und '!;, auf die nichtgestillten Kinder. Es sind aber in Magdeburg 1, aller Kinder gestillt und nur !j, nichtgestillt! Dieses eine Fünftel der Nicht- sestillten umfaßt den dritten Teil aller in Magdeburg überhaupt beobachteten Hypoplasiefälle: Es haben also unter je 100 Magde- burger Schulkindern die 20 nichtgestillten rund 7 (6.94) Hypoplasie- fälle, die 80 gestillten rund 14 (13,47) Fülle. 100 nichtgestillte Kinder würden nach Greves Statistik rund 35 Proz. Hypoplasie haben, 100 gestillte aber nur 17,5 Proz.. oder mit anderen Worten:

1D) Greve, Die Zähne der Magdeburger Schulkinder. Deutsche zahnärztliche Wochenschrift 1903.

2) Escher, Zahnkaries und Bodenbeschaffenheit. Deutsche zahn- ärztliche Wochenschrift 1903.

körperliche und geistige Entwicklung des Menschen. 153

Die Beziehungen zwischen Stillungsdauer und Hypoplasie in Würzburg. Tab. 16. Vergleich der Statistiken von Dr. C. Röse und Prof. Dr. Michel.

———— m ———— m m u m nn mn ee u a

| Prozentsatz und gegenseitiges Verhältnis der |

Stillungsdauer der Kinder mit Hypoplasie der Zähne

Volksschulkinder

Durchschn.d.deut-) Würzburg nach Würzburg nach schenSammelstat.l Dr. ©. Röse | Prof. Dr. Michel

Über 10 Mon. gestillte 9,2% 111,99, 2,00 1-6 \ 120,19 _ (118%/, 110,70, (10% we-, 6,0%, (200%, » J||mehr Hypopl.) |niger Hypoplas.) mehr Hypopl.) 21,50% (134% |17,4%6 (460% 115% (465%, ‘mehr Hypopl.) mehr Hypoplas.) mehr Hypopl.)

Nicht x p |

Man beachte; Prof. Michel findet das Verhältnis der Hypoplasie- ñlle zwischen gutgestillten und nichtgestillten Kindern 3'/,mal so hoch, als es der deutschen Sammelstatistik und erheblich höher, als es der Statistik von Dr. C. Röse bei Würzburger Schulkindern entspricht!

Die Beziehungen zwischen der Stillungsdauer und der Häufigkeit von rachitischen Entwicklungstörungen (Hypoplasie) der Zähne.

Nach den Untersuchungen von Dr. C. Röse bei Musterungs- pfliehtigen aus Thüringen und Sachsen.

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‚Anzahl der i „Prozentsatz

usterungs- der Musterungs- [iie ayaa flichtigen mit | pflichtigen mit ypoplasie der | Hypoplasie der pflichtigen i Zähne i Zähne ai

|! Anzahl der |

_ è = - - > man

Teb. 17. Alle 2—22 jährigen Musterungspflichtigen.

Nicht gestillte 68 10 | 8304 10— 2,9 Monate gestillte 330 | 80 24,2 59 FR... 138 | 220 &— 8I 799 | 140 17,5 90—19 p 1088 | 173 | 15,9 12 Mon. u. darüber ; 998 ; 133 è \ 13,83 Tab. 18, jährige Musterungspflichtige. ER AIR ——e AA ->z rm FEA

Nicht gestillte I 298 | 3 i 312 10-29 Monate gestillte 162 36 22,2 Bam, y | a 71 22,6 5 8,9 | 445 5 | 16 9 5 a u aaa y T 17,1

Mon. u. darüber ? | 554 » | 3385

r | . , Man beachte: Je länger die Musterungspflichtigen gestillt worden nd, um so seltener leiden sie an Rachitis.

154 Röse, Die Wichtigkeit der Mutterbrust für die

Die nichtgestillten Magdeburger Schulkinder haben genau doppelt so häufig Rachitis wie die gestillten, und nicht halb so viel, wie Greve meint. Im übrigen genügt ein Blick auf meine Zusammenstellung in Tabelle 15, um zu erkennen, daß gerade in Magdeburg ein sehr regelmäßiger Zusammenhang zwischen Stillungs- dauer und Hypoplasie besteht.

Stillungsdauer und allgemeine körperliche Entwicklung.

Aus anthropologischen Gründen habe ich in einigen Schulen von Nordhausen und Dresden auch das Gewicht und die Körper- größe der Kinder festgestellt. In erster Linie hängt das Körper- gewicht der Kinder von der Güte der Nahrung ab. Da nun in der Regel die wohlhabenderen Kreise ihre Kinder zwar schlechter stillen, aber späterbin besser ernähren, als ärmere Leute, so war es von vornherein klar, daß ein etwa vorhandener Einfluß des Stillens auf die körperliche Entwicklung der Schul- kinder nur in sehr verwischter Form zum Ausdrucke kommen könnte. In den Tabellen 19—23 mußten tatsächlich hin und wieder einige Stillungsvierteljahre zusammengeworfen werden, um regelmäßige Reihen zu erhalten. Im übrigen aber reden diese Tabellen deutlich genug: Je länger die Kinder gestillt worden sind, um so vollkommener ist ihre ganze körper- liche Entwicklung. In 2 Schulen (Tabellen 22 und 23) fallen die über 1 Jahr gestillten Kinder gegenüber den 10 bis 12 Monate gestillten wieder etwas ab, weil sich gerade unter ihnen viele unvollkommen gestillte befinden. |

Noch viel sicherer als bei den Schnlkindern lassen sich diese Einflüsse der Stillung auf die körperliche Entwicklung bei den Musterungspflichtigen feststellen Da die endgültige Körper- größe beim erwachsenen Menschen hauptsächlich durch Rasse- eigentümlichkeiten bestimmt wird, so lege ich darauf keinen so großen Wert. Immerhin zeigt auch die durchschnittliche Kör- pergröbe einen kleinen, aber nicht ganz regelmäligen Anstieg von den nichtgestillten zu den guteestillten Rekruten. Voll- kommen regelmälix ist aber dieser Anstieg beim Körpergewichte, beim Brustumfange und bei der Militärtauglichkeit. Am wichtig- sten sind die Ergebnisse bei der jüngsten .‚Jahresklasse der Musterungspflichtigen. weil diese die Gesamtheit der jungen Leute eines Jahrzanges enthält, während die älteren Rekruten nur eine Auslese unter ihren Alterszenossen darstellen. Unter diesen 20 jährigen Musterungspflichtigen (Tabelle 25) sind die nicht gestillten gegenüber den über 1 Jahr gestillten um 2.6 Kilo leichter, ihr Brustumfang ist 1,6 em enger,

körperliche und geistige Entwicklung des Menschen. 155

an Militärtauglichkeit stehen sie um ein ganzes Dritteil zurück. Von Stillungsvierteljahr zu Stillungsvierteljahr nimmt

Die Beziehungen zwischen der Stillungsdauer und der körper- lichen an der Kinder.

N Durchschnitt- | Durchschnittlicl | d j or Kind Dure paite | Kör ei chnittliche l PE NAGE BE ee in kg em Tab. 19. Nordhausen. Volksschule. Knaben. Nicht gestillte | 215 f 27,2 u 126,9 1— 5 Monate gestillte | 217 | 278 | 127,9 = $ ji 25 284 129,0 10—12 : am 28,6. | 129,5 Über 12 ,, Mi A 111 29,6 i 130,6 |

Tab. 20. Nordhausen, Volksschule. Alle Kinder.

Nicht gestillte 42 | 27,9 | 128,1 1— 6 Monate gestillte 48 28,0 128,1 7-10, g 7 1352 29,2 130,3 Über 12 ,, > | 23 o) 29,2 130,3 Tab. 21. Nordhausen. _ Höhere Töchterschule. nn

Nicht nie W | 34,3 | 1374 1—9 Monate ,, I 19 34,4 ` 139,5 Über 10 ,, 3 | 40 34,8 | 142,0

Tab. 22, Nordhausen. Mittelschule. Alle Kinder. E

130,?

Nicht gestite | 247 © 28,8 | 1— 3 Monate gestillte ` 122 i 29,2 | 130,3 e Tr $ E TO 299 1330 10—12 5 h l 266 30,6 133,4 Über 12 4 N 20,4 Ä 131,7 Tab. 2 Dresden. Katholische Schulen. Alle Kinder., Nicht gestillte | 971 | 2 25, 4 | 174, 7 1— o Monate gestillte | 1017 25.5 | 174,5 > p n | 256 260 1614 Tet 5 RIO 264 126,5 Über 12 ,, e | 110. 21,2 126,1

Man beachte: Je länger die Kinder gestillt worden sind, um so höher ist ihr Gewicht und ihre Körpergröße.

155 Röse. Die Wichtigkeit der Mutterbrust für die

die Miiitärtauglichkeit schrittweise zu. Es findet sich nur ein ganz kieiner Sprunz in der gleichmärig ansteigenden Reibhentn.ge.

Die Beziehurgen zwischen Stillungsdauer und Militar- tauglichkeit.

Nacn den Unter-uchungen von Dr. C. Röse bei H744 Musterungs- pfiichtigen aus Thüringen und Sachsen.

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p £ = z © $ l =e Z a - z = a .— `~ Z = TAT = _ = ! æ = sa T e p Pe | m o -u æ we ui ee u a m. 2222: = v P _ = =m £ D er a ne =.= = _ ne a O Oa - 7 = —_— = = IZ l am m LT xF "E ae _ u. a o - , M| m £723 Z742 aoaie un zen ee = 5 = - pe > - De : æ z ka = -5 =- -= z + = = > a - æ L2 See a: z ~z x 222 Srey 7” >. pm ze ae ne em 22% oc = Ti. e= a aim —— = > =- - pe “a _ pa pr - m -~ w - . 0 © - bai jaa eu v > & I-> = = = Bee to ` r. T T. s

Tab. 24. Alle 20—22 jährigen Mu:terungspflichtigen.

Nicht ge:tillte 63 87,4 79,8:86,9 1520 32,6 0,3— 29 Mon. gestillte 3% 57,7 80,4:87,5 1064. 36,8 30—59 741 58,2 80,7:87,7 157 39,0

7? 859 , = “458593 81,1:88,1 11:55 46,1 40-119 , A 123) 9,3 81,1: 88,2 151 45,4 12 Mon. u. darüb. „, 1123 59,4 80,9:88,1 15,5 47,6

Ohne Auskunft 1555 Tab. 25. 20 jährige Musterung: pflichtige.

Nicht ge-tillte 3653 57,2 79, 7: 86, 8 143 31,1 (1,5— 2,3 Mon. gestilte 194 58,0 80, 9; 88, O 149 89,2 30—59 5 j 36S 58,4 80,9: 88,0 1644 42,1 HIN. j G 59,4 81,3:88,4 165,0 £ő5,1 9u—119 ,„ 5 i19 59,9 51, 4: 88,5: 1563 44,0 2 Mon. u. darüb. 133 59,8 81,3: 88,4 1666 47,9

Man beachte: Je länger die Musterungspflichtigen gestillt worden rind, um sọ größer ist ihr Körpergewicht, um so weiter der Brust- umfang, um so höher die Militärtauglichkeit!

Stillungsdauer und geistige Spannkraft der Schulkinder.

In einer meiner früheren Arbeiten! habe ich den Nachweis geführt, daß zwischen der körperlichen Tüchtigkeit und der geistigen Leeistungstähigkeit der Schulkinder sehr innige Beziehungen be- stehen. Darnach lag es nahe, einmal nachzuforschen, ob auch jeziehuneen zwischen Stillung und Zensur beständen. Herr Direktor Ebert von der 16. Bezirksschule in Dresden, der meinen Untersuchungen grußses Interesse entgegenbrachte, hat schon vor

1: Röse, Zahnverderbnis und Zensur. Deutsche Monatsschrift für Zahnheilkunde 1014, Heft 6.

e Zr u e

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körperliche und geistige Entwicklung des Menschen. 157

2 Jahren auf Grund meiner Erhebungen eine solche Statistik zusammengestellt. Er fand, daß in den allermeisten Schulklassen die nichtgestillten Kinder schlechtere Durchschnittszensuren hatten, als die gestillten. Ich habe dann die Kinder dieser 16. Bezirks- schule nach ihrer Stillungsdauer noch einmal in Vierteljahrs- gruppen zusammengestellt, und da stellte sich das ganz klare Ergebnis der Tabelle 26 heraus. Auch in allen übrigen Schulen (Tabellen 27—31) bestätigt es sich, daß im gleichen Schritte mit der Zunahme der Stillungsdauer die Durchschnitts- zensur der Kinder sich verbessert. Je länger die Kinder gestillt worden sind, um so mehr nimmt der Prozentsatz der guten Zensuren zu und der Prozentsatz der schlechten Zensuren ab. In Dresden erhalten die Kinder 3 Hauptzensuren. In der Zensur über die allgemeine Leistung werden auch die technischen

Die Beziehungen zwischen der Stillungsdauer und der Durch- schnittszensur der Kinder.

Prozentsatz d. Kinder m.

Anzahl der Durcbschnittszensur RS Durch- REN us Kinder: schnittszensur Sehr. | Er Unge- j mai „wtrenu- > | | Rute gend" Bi 1e E D | Der Tab. 26. Dresden. 16. Bezirksschule. Nicht, Seat | 468 5, 96 38,5 | 56,2 53 1— 3 Monate gestillte 234 5, 62 (besser 0,34) 45,3 | 50.4 4,3 een E 162 5,43 ( 053 51,3 | 46.2 25 i— 9 jj | 55 522 ( 5 O4) 60,0 BT, 2,3 10—12 5 5 ı 9S 5r7Ö5( 051) 58,1 | 40,3 1,1 Über 12 , » | 28 £ 61( 1,35) 64,3 |357 0 Tab. 27. Nordhausen. Volksschule. Knaben. Nicht gestillte | 215 9,87 | 28,4 | 55,8 15,8 1— 6 Monate gestillte 217 2,85 (besser 0,02 29,9 | 53,1 | 17,0 —12 j n L 5612,66: bel 41,5 47,5 11,0 Über 12 » 112610, 020) 41,4 | 505 | 81 T: ab. 28. Nordhausen. Volksschule. Mädchen. Nicht gestillte 207 19,84 31,9 4S8 193 1— 6 Monate gestillte 201 2,67 (besser 0,03) 32,3 DOS 16,9 220. y Bl, 0160 385,7 451 13, e a poo D56 263l p EN 404 12

Über 12 y 112 2,62 122) 41,1 ,482 10,7

158 Röse, Die Wichtigkeit der Mutterbrust für die

Über 12 2,00 ( (1,24:

Tab. 29. Nordhausen. Höhere Töchterschule.

| ee | Durchschnittszensur Nicht gestillte ga Ba a 67 | 224 1— 3 Monate gestillte een 35 | 2,17 (besser Een 4d— 6 u ae 86 |! 213 ( 10—12 he Mi T A 37 ' 203( , A A

|

29) . . . 3

Tab. 30. Dresden. Katholische Schulen. Alle Ki nder.

nn ia alyor x - -

Nicht gestillte . . 2... 971 u 5,80

1—3 Monate gestillte. . . . GOO ; 5,60 (besser 0,20) 4—6 99 D . . . i 4lı 5, 59 ( 99 0, 21 T—9) j e e a 256 | 5,47 ( 083 Über 10 , S e erde i 420 "559 (C 621

| ji

Tab. 31. Ortschaften Clingen und Weißensee in Thüringen.

Nicht gestillte Re TR 47 \ 3,19

1— 9 Monate gestillte ' 241 | 8, O2 (besser 0,17) 10—12 5 n SE 247 ' 3, ‚00( 019 Über 12 , f a | 28 3) ‚00O( 019

Man beachte: Je länger die Kinder gestillt worden sind, um so höher ist ihre geistige Leistungsfühigkeit in der Schule.

Fächer (Singen, Turnen, Zeichnen) mitgezählt. Die Zensur „Denken und Urteil“ gibt das Maß der im Unterrichte erzielten reinen Denkleistung an, und die Durchschnittszensur über die geistige Befähigung gibt an, was das Kind nach seinen natürlichen Fähig- keiten leisten könnte. In den Tabellen 26 und 30 ist die Zensur „Denken und Urteil“ zugrunde gelegt worden. Ihr entspricht am genauesten die einzige Durchschnittszensur, die den Kindern in Thüringen über ihre Leistungen erteilt wird.

In der 16. Bezirksschule in Dresden habe ich mir nun außer der Zensur „Denken und Urteil“ auch noch die Zensur über die natürliche geistige Befähigung aus den Klassenlisten herausge- schrieben, und da stellten sich die sehr interessanten Ergebnisse der Tabelle 32 heraus: Beide Zensuren weichen am meisten von- einander ab bei den nicht gestillten Kindern. Je besser die Kinder gestillt worden sind, um so mehr nähern sich die beiden Durchschnittszensuren, und bei den bestgestillten Kindern wird schließlich sogar die natürliche Betähigung von der erzielten Leistung übertroffen. In Thüringen werden in den Klassenlisten

körperliche und geistige Entwicklung des Menschen. 159

keine Zensuren über die natürliche geistige Fähigkeit geführt. In den beiden Orten Clingen und Weißensee habe ich jedoch die Herren Lehrer gebeten, diese Zensur ausnahmsweise einmal zu erteilen. Die Ergebnisse der Tabelle 33 stimmen genau mit den

Die Beziehungen zwischen der Stillungsdauer und der geistigen Spannkraft der Kinder.

Tab. 32. Dresden. 16. Bezirksschule. ' 1) aD U t [e 0] | ‚aSu 2557 Ess, Eials ze ud 2,95 auca nAn] ıTEES TESSH- FrEE AZ ANR er

| | |

der Fähigkeit zurück um: .— 0,19. Zensurgrade | |. Die Leistung bleibt hinter 1—3 Monate gestillte |, 5,03 | 5,62 }: der Fähigkeit zurück um: | 0,09 Zensurgrade |, Die Leistung bleibt hinter

Nicht gestillte

o 1 ~l Oi

| Die Leine. bleibt hiter 96 gi

| 4—6 7 m 5,39 \ 5,43 der Fähigkeit zurück um: | | 0,04 Zensurgrade | | | Leistung und natürliche Be- {1—9 7 y | 522 | 5,22 ! fähigungsind einander gleich: | |: + U Zensurgrade | I Leistung übersteigt die Über 10 , PR 5,17 5,10 !; natürliche Befähigung um:

| | + 0,07 Zensurgrade

Tab. 33. Ortschaften Clingen und Weißensee i in Thüringen.

Di Leitung bleibt. nier Nicht gestillte 2,98 | 3,19 !: der Fähigkeit zurück um: | | 0), >] Zensurgrade

Die Panne bleibt hinter

1— 9 Monate gestillte 2,83 | 3,02 || der Fähigkeit zurück um: i —- 0,19 Zensurgrade | Die Leistung bleibt hinter 10—12 = A 2,88 | 3,00 ,| der Fähigkeit zurück um: | l 0,12 Zensurgrade

| | 'Die L eistung übersteigt die Über 12 ,, j 3,04 i 3,00 2 natürliche Bef ihigung um: | | + 004 Zensurgrade

Man beachte: Bei den schlecht gestillten Kindern bleibt die im Unterrichte erzielte geistige Leistung hinter der natürlichen Leistungs- fähigkeit zurück. Die gutgestillten "Kinder dagegen leisten mehr, als ihrer natürlichen Fähigkeit entspricht!

160 Röse, Die Wichtigkeit der Mutterbrust für die

Dresdener Ergebnissen überein: Die nichtgestillten Kinder haben nicht die erforderliche Spannkraft, um ihre geistigen Fähigkeiten völlig auszunützen. Die Spann- kraft der gutgestillten Kinder dagegen ist so groß, daß sie mehr leisten, als ihren natürlichen Fähigkeiten entspricht.

Aus meinen bisherigen Darlegungen geht ganz unzweideutig hervor, daß die Theorie, wonach die Überlebenden unter den nicht- gestillten Kindern eine besonders tüchtige Auslese im Sinne Darwins sein sollen, völlig unhaltbar ist! Gerade das Gegenteil trifft zu: Die nichtgestillten Kinder sterben nicht nur im Säuglingsalter in großen Massen dahin, sondern ihre Überlebenden bleiben auch später- hin an körperlicher und geistiger Leistungs- fähigkeit erheblich hinter den Brustkindern zurück. Eine Mutter, die ihr Kind nicht stillt, weiht es ent- weder dem frühen Tode oder erzieht es zum Krüppel. Die beste Pflege, die zweckmäßigste Ernährungsweise im späteren Leben, kann den Mangel der Muttermilch nicht ersetzen. Pflanzen, die man als Sämlinge hat verkümmern lassen, kommen niemals mehr zur vollen Entwicklung, und wenn man sie hernach auch in den besten Boden pflanzt. Genau ebenso geht es den Menschenkindern.

Über die Ursachen des Nichtstillens der Kinder ist schon viel geschrieben worden. Bayrische und württembergische Forscher haben besonders die Verhältnisse auf der Schwäbisch-Bayrischen Hochebene wiederholt erörtert. Einige haben die Kleidung der Frauen (Mieder, Korsett) als Ursache des Nichtstillens beschuldigt (Müller u. a), andere nehmen Stammeseigentümlichkeiten an (v. Ranke). Stumpf ') war der erste, der den Biergenuß ver- antwortlich machte, und in neuerer Zeit hat besonders v. Bunge eindringlich darauf hingewiesen, dal nicht nur der Biergenut: der Frauen selbst, sondern daß auch die Alkoholsünden der Väter die Entartung der Brustdrüsen bei den Töchtern bewirken können. Ich werde au anderer Stelle nachweisen, dal teilweise auch die kalkarme Nahrung verantwortlich zu machen ist. Aber alle diese Ursachen des Nichtstillens treten an Bedeutung zurück vor der einen Hauptursache, die alle anderen weit überragt. Und das ist diesträfliche Nachlässigkeit der Mütter! Fast alle Ärzte, die in neuerer Zeit über die Stillungsfrage geschrieben haben, schen um diesen Punkt vorsichtig herum, wie die Katze um den

11 Stumpf. Münchener medizinische Wochenschrift 15S7. Nr. 18.

körperliche und geistige Entwicklung des Menschen. 161

heißen Brei. Aber es hilft nichts: Wer heilen will, muß das Geschwür erst völlig bloßlegen, wenn das auch etwas wehe tut.

Am klarsten hat bisher Bollinger die Sachlage erkannt, indem er schreibt: „Wird das Stillen durch mehrere oder viele Generationen unterlassen oder allzu kurz ausgeübt, so werden die Frauen der späteren Generationen infolge der allmählich ein- getretenen Verkümmerung der Drüse geradezu unfähig, ihre nutri- tiven Mutterpflichten zu erfüllen.“ Ferner: „Mit der fortschreiten- den Verbesserung der Surrogate der Muttermilch, unter denen die von Soxhlet erfundene Sterilisation der Kuhmilch in erster Linie steht, und deren segensvolle Wirkung damit in keiner Weise bestritten werden soll, ist zu befürchten, daß die rudimentäre Degeneration der menschlichen Brustdrüse immer weitere Fort- schritte macht.“

In den ausgesprochenen Nichtstillungsgegenden ist zweifellos eine gewisse Entartung der Brustdrüsen durch Nichtgebrauch ein- getreten. Die heutigen Frauen leiden unter den Sünden ihrer Mütter, Großmütter und Urgroßmütter. Sollen sie aber darum die Flinte ins Korn werfen und überhaupt vom Stillen Abstand nehmen? Nein und abermals nein! Jeder Monat, jede Woche, die das Kind an der Mutterbrust liegt, ist für sein Gedeihen von weittragendster Bedeutung. Die Erfahrungen in den Frauen- kliniken von München und Stuttgart haben den Beweis gebracht, daß auch die Frauen aus den Nichtstillungsgegenden fast alle, wenigstens eine Zeitlang noch stillen können, wenn man sie nur zielbewußt dazu anhält. Wie durch Nichtgebranch ein Organ geschwächt wird, so kann es auch durch anhaltenden Gebrauch wieder gekräftigt werden. Es kommt nur darauf an, daß die jungen Frauen wollen, und daß die älteren Mütter und Groß- mütter ihre Töchter und Enkelinnen zum Stillen an- balten, anstatt ihnen davon abzureden.

In den Tabellen 34—36 habe ich in der ersten Spalte die durchschnittliche Stillungsdauer aus allen den Ortschaften ausge- rechnet, in denen Erhebungen über das Stillen stattgefunden haben. In der zweiten Spalte ist der Prozentsatz der nichtgestillten Kinder angegeben worden. Die Zahlen der beiden Spalten stimmen in ihrem gegenseitigen Verhältnis nicht immer überein. Wenn in einem Orte z.B. alle Kinder 3 Monate gestillt werden, im anderen dagegen die Hälfte gar nicht und die andere Hälfte je 6 Monate, dann ist die durchschnittliche Stillungsdauer in beiden Fällen 3 Monate; der Prozentsatz der Nichtgestillten aber würde im ersten Falle 0 Proz., im zweiten Falle 50 Proz. betragen. Maligebend ist allein die durchschnittliche Stillungesdaner, die am besten den Stillungswert eines Ortes in einer einzigen Zahl ausdrückt. Wir sehen nun, daß in Tabelle 34 diese durch-

XXIII. 11

162

Röse, Die Wichtigkeit der Mutterbrust für die

Übersicht über die Stillungsfähigkeit der Frauen in Dörfern und

kleinen Landstädten.

Nach den Untersuchungen von Dr. med. C. Röse bei Volks-

Tab. 34. schulkindern. Näbere Bezeic der | S Ort Land | 0 nn er É 1. er | \ Hürben . .; Bayern Reg.-Bezirk Schwaben | 11 2. Wellhausen , Schweiz Kanton Thurgau i 14 3. Felben . . ji j 16 4. Neukirch . X Mi 20 5. Ochsen- . hausen. . . |Württemberg| Oberamt Biberach ! 2O 6. Ertingen . y Riedlingen || 2O 7. Tettnang. Stadt . . . $ Tettnang 26 8. Tettnang. | Filialdörfer . | Y | 5 z 26 9. Aulendorf . | n | i) Waldsee 11,1 3 10. Langenargen | e | Tettn 11,2 11. Hüttlingen . Schweiz Kanton Thurgau 1,3 12. Kirchberg . „» St. Gallen 1,4 13. Bermaringen Württemberg Oberamt Blaubeuren "1,5 14. Weißig . . Sachsen [Amtshauptm. Dresden-N. |2, 3 15. Jonsdorf. . | Zittau 2,3 16. Zainingen . Württemberg Oberamt Urach 2,4 17. Ellenberg . i | ji Ellwangen 12.4 15. Münsingen . ' i Münsingen 2) 19. Reichenberg | Sachsen 'Amtehauptm. Dresden-N., 2,6 20. Somsdorf . 5 Dresden-A. 12,8 21. Christofs- | ‚Bezirkshauptmannschaft! grund . . .| Böhmen | Reichenberg 2,8 29. Possendorf . | Sachsen Amtsh. Dippoldiswalde :3,1 23, Gomaringen ‚Württemberg, Oberamt_Reutlingen | 3,2 94. Deutsch- | See Luppa . | Sachsen Amtshauptm. Oschatz wu 25. Rup endorf j | Dippoldiswalde,' 3,4 26. Oo Ss | R 3,2 27. Kesselsdorf A | Meißen 13,5 28. Weistropp . is | 5 | 3 29. Geising . . i E Dippoldiswalde: , 39 30. Adelmanns- ` | felden . . . Württemberg; Oberamt Aalen I 31. Arnstein . | Bayern Bezirksamt Karlstadt | iU ak | 4,0) 32. Böhringen . Württemberg, Oberamt Urac 14,0 33. Grumbach . Sachsen Amtshauptm. Meißen 4,0 34. Schönbach . n 5 Löbau 4,0 35. Lausa. | 5 Dresden-N. ‚4,2

2)

schnittliche

Stillungs-

|

d.:

dauer

Kinder

Prozents.

nichtgentill.;

|

körperliche und geistige Entwicklung des Menschen. 163 | ©, Ss | 2 ee d | Pe Èp H HEE ort Land | Nähere Bezeichnung dor | 2533 iZi I F PER, ME, sera, Berne. Ber), ne 36, Mellingen . | Thüringen | Kreis Weimar 4,2 Mon. 247 37. Nickern . . | Sachsen 'Amtshauptm. Dresden-A. » 26,9 38. Welzheim . ‚Württemberg; Oberamt Welzheim |i4 4 » 335 5u. Gemünden . Bayern "Bez. -Amt Lohr (Unterfr.) , a 4 i 17,7 40. Reinhardts- | Ä dorf. . . Sachsen ı Amtshauptm. Pirna (45 3067 41. Pfalzgrafen- | weiler . . Württemberg Oberamt Freudenstadt [46 197 12. Laudenbach 7 | Mergentheim 4,7 369 . Greifenhain Sachsen \Amtshauptm. Borna AT 28,0 Ý 1, Fördergers- | dorf. . j m Dresden-A. 48 20,7 45. Leuben b. | | Riesa Er > | 5 Meißen T 235 16,5 46. Königsberg in Franken . Thüringen Landratsamt Coburg 51 , 16,9 47. Hintergers- ' | orf. . . .| Sachsen Amtshauptm. Dresden-A 5,7 218 4S. Adorf. . © | i Ölsnitz Di: cy 26,3 44. Mulda Freiberg IO 16.7 50. Calmbach Württemberg Oberamt Neuenbürg 59 209 5l. Kötzting Bayern Bayrisch. Wald{N.-Bay.) 59 16,6 92. Krumher- f mersdorf . Sachsen Amtshauptm. Flöha 62 , 19,9 33. Pommels- Bezirksamt Hersbruck brunn gi a Bayern (Mittelfranken) G3 a 107 54. Meeder . . | Thüringen Landratsamt Coburg :6,3 , 16,3 59. Königswar- | | tha. Deutsche | Sachsen | Amtshauptm. Bautzen ' 6,5 ,„ 23,9 96. Beiersbronn ‚Württemberg Oberamt Freudeustadt 6.5 150 9. Bechtheim Hessen Kreis Worms 1,9, 12: 5S. Ihringen Baden ı Amtsbezirk Breisach rl » | 65 59. Körner . Thüringen Landratsamt Gotha 7.3 84 a Klein-Gay. | | Deutsche . Posen Kreis Samter tjd gp TAa ul. Hermsdorf . | Thüringen Sachsen-Altenburg Tp p J04 62. Erxleben . Prov. Sachsen Kreis Neu-Haldensleben 78 n 0 200 63. Uhrsleben .! ,„ a ö SO g aa 64. Radibor. | i | | Wenden ; Sachsen Amtshauptm Bautzen 80 , 17,3 65. Nonnefeld | Thüringen | Landratsamt Coburg S0 , 2.4 GG. Scherrebeck Schleswig- . Kreis Hadersleben 1, 27,8 | Holstein | 6T. Unterzwota , Sachsen Amtshauptm. Auerbach :S,2 ,, 6,2 68. Radıbor. | | | Deutsche . . "A = Bautzen "S3 ,„ LLS 69. WeiBensee. Thüringen Kreis Weibensee S4 5 9,9 10. Zella St.Blasii = Landratsamt Ohrdruf ' 5A MM 12

‘l. Grünbach. ‘2. Borgholm. 13. Köping ‘4. Pinne. Deut:che «3. Clingen 76. Rieneck is. Rinkerode ‘3. König . . 19. Hentenfeld S), SL

Steigerthal Oldersum .

S2.Pınne. Juden s3. Retschin S54. Möühra . s5. Bunde .

SG. S7. Königswar-

tha. Wenden SS. Nybro

Leimbach.

S9. Gamla Up-

sala . 0... 90. Neudorf b. Wronke .

91. Mjölby. 92. Flen. o. Gollmütz .

94, Klintehamn

9D. Nanda . 96. Krylbo. Y.Lau. .. 9S, Berlebeck . 99, Heiligen- kirchen 100. Skenninge 101. Kirchhörde 102. Schlangen 103. Schwalen- berg. .. 104. Elfdaleı

105. Wislanda . |

106. Alfvesta

107. Sualbausen |

Nähere Bezeichnung der

Urtsla2e Sachsen Amtshauptm. Auerbach Schweden Insel Oeland 19 Posen Kreis Samter Thüringen Landratsamt Sonders- hausen Bayern Bezirksamt Lohr (Unterfranken) Westfalen Kreis Münster Hessen Kreis Erbach Bayern Bezirksamt Hersbruck (Mittelfranken) Thüringen Kreis Ilfeld Hannover Kreis Emden in Östfries- land Posen Kreis Samter ve 9 19 Thüringen Landratsamt Meiningen Hannover Kreis Weener in Ost- friesland Thüringen Kreis Ilfeld Sachsen Amtshauptm. Bautzen Schweden Swmaland Upland Posen Kreis Samter Schweden Ostergötland Södermannland Posen Kreis Schwerin Schweden Insel Gotland „” i: | Dalarne Re Insel Gotland Lippe Detmold ”„ . Schweden Ostergötland Westfalen Kreis Dortmund Lippe Detmold 7 Schweden Dalarne j Sınaland 99) 3? Westfalen Kreis Olpe

Durch- sehnitthHeho

Stillungs- dauer

|

NICH T Uel

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5,0 9,0

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9S 10,1 lol 10,4

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Kinder

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körperliche und geistige Entwicklung des Menschen. 165

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Ort fand Nähere er der | zE = FE

ASSY |55M zn àa

108. Klein- Gay. Me | | |

Polen . Posen Kreis Samter '12,4Mon. 109. Leksand Schweden Dalarne 13,3. 5.148 110. Brakelsiek Lippe | Detmold 114,0 | 1,4 111. Aland . Schweden Upland 114,5 | 44 112. Malung | Dalarne 154 ı 232 113. Rättvik z LOr a oR

schnittliche Stillungsdauer in den Grenzen von 11 Tagen bis 15°/, Mo- naten schwankt. Die schlechtesten Stillungsverhältnisse finden sich in den von mir untersuchten Dörfern der nordöstlichen Schweiz, auf der schwäbisch-bayrischen Hochebene und im Königreiche Sachsen; am besten werden die Kinder gestillt in Nördthüringen, Nieder- sachsen, Posen und vor allen Dingen in Schweden. Dort ist es keine Seltenheit, daß die Mütter 2, 2!/, und 3 Jahre stillen. Im großen und ganzen nimmt also die Stillungsdauer von Norden nach Süden zu ab. Krumbach-Hürben im südlichen Bayern und Rätt- vik im nördlichen Schweden sind die Gegenpole der Tabelle 34. Im einzelnen freilich wechselt die Stillungsdauer oft auf ganz kurze Entfernung in erheblichen Grenzen, je nach der ortsüblichen Mode. Ja, sie wechselt in einem und dem- selben Orte. Im schlechtstillenden Sachsen gibt es noch zwei Inseln mit guter Stillungsdauer, nämlich das südöstliche Vogtland und die wendische Lausitz. Dort in der Lausitz liegt, weitab vom großen Verkehre, das weltentlegene Ackerbaudorf Königs- wartha. Die Bewohner haben alle nahezu dieselben Lebensver- hältnisse; Rasse und Religion sind gleich. Nur hat eine Hälfte der Bewohner allmählich die deutsche Sprache angenommen, während die andere Hälfte noch an der wendischen Umgangssprache fest- hält. Das sind die konservativen Elemente des Dorfes; und wie in ihrer Sprache, so sind sie auch in ihren Stillungssitten kon- servativ. Die wendisch redenden Mütter von Königswartha stillen durchschnittlich 10 !/, Monate, die deutsch redenden dagegen nur noch 6 !/, Monate. Die Hebamme, bei der ich mir Auskunft über die Ursache dieser auffälligen Erscheinung zu verschaffen suchte, erklärte kurz nnd bündig: „Die deutschen Weiber sind zu faul, sie wollen nicht stillen!“ Ähnliche Urteile hörte ich in Böhmen, wo die ezechisch redenden Frauen überall besser stillen, als die deutsch redenden. In Thüringen findet sich die merkwürdige Er- scheinung, daß die Stillungsdauer von Norden nach Süden zuerst

166 Röse, Die Wichtigkeit der Mutterbrust für die

Übersicht über die Stillungsfähigkeit der Frauen in deutschen Städten.

Nach den Untersuchungen von Dr. med. C. Röse und zahlreichen Tab. :5. anderen deutschen Zahnärzten bei Volksschulkindern.

De FA ee & scbnittliche er nicbt- Stadt Land Stillungs- gestillten daner Kinder 1. zeig; er“ Bayern 1,4 Mon.: 69,6 2. Dresden. Stadt . . . ; Sachsen 34 g 40,3 3. Chemnitz. . . ... Y FF. -y 42,7 4. Dresden. Vororte 5 35 15 37,4 3. Stuttgart . . . . . . | Württemberg 33 y 39,5 N. Leipzig a a Sachsen 4, 32,9 1. Freystadt . . . | Niederschlesien 4,9 s 37,6 . Neusalz a. d. Oder de 29,3 9. Würzburg . .... Bayern DE ip 24,1 109. Aschaffenbur f je 239, 28,0 11. Frankfurt a. M. .. . Hessen-Nassau , 13 , 20,6 12. Schlettstadt . . . . . Elsaß ee 3; 12,1 13. Höchst a. M. . . . . : Hessen-Nassau 72 , 17,9 14. Bremen . . „2... Bremen DX. z 31,4 15. Magdeburg . Provinz Sachsen 7,2 , 20,7 16. Nordhausen (alle Kinder; Thüringen G3 3 28,1 17. Erfurt . Ban U g 4 y 15,7 13.0010. a 27%. 2 0. 4 Rheinprovinz To y 19,4 19. Rudolstadt. Stadt . . ` Thüringen 49; 5 9,6 20). Hannover. . . . . . > Hannover LO 25,1 21. Halle . . . 2 2 2. Provinz Sachsen 8,0 16,9 22, Aschersleben . | , 5 81 , 17,6 23. Nordhausen! Volksschul. | Thüringen 83 ,„ 16,2 24. Rügenwalde.. . Pommern S0 18,5 25. Rheydt . Is Rheinprovinz 8I 21,3 26. Rudolstadt. "Dörfer = % Thüringen 90 p 5,3 27. Kattowitz . .... Oberschlesien TE 5,2 ƏS, Münster . . 2.2. Westfalen WOS yi 15,7 29, Frankenhausen. . . . ; Thüringen Qi 7,4 30. Dortmund . .... | Westfalen 1 9,9 i 8.5 31. Detmold . .. 2 2.2. Lippe O2 4 13,9 52, Culm ee Men 10,2 , 14,8 33. Lemgo. | Lippe ‚108 ,„ 14,7 34. Hagen | Westfalen 18 , 12,5

beträchtlich abnimmt, daß sie dann aber weiter nach Süden hin wieder steigt. In Tabelle 37 sind die Ergebnisse bei den ein- heimischen Musterungspflichtigen zusammengestellt worden, deren beide Eltern aus derselben Gegend stammen. Rassenunterschiede sind zwischen den Abhängen des Harzes und Thüringer \Valdes kaum bemerkbar. Das ganze Gebiet ist kalkreich. Ja, ausnahms- weise sitzt die anı schlechtesten stillende Bevölkerung gerade in

körperliche und geistige Entwicklung des Menschen. 167

Übersicht über die Stillungsfähigkeit der Frauen in einigen Dörfern des Fürstentumes Schwarzburg-Rudolstadt. Tab.36. Nach den Untersuchungen von Zahnarzt O. Escher.

Durehschnittliche Prozentsatz ` der nichtgestillt Ort Stillungsdauer Kin a ee

1. Teichweiden 2, Zeigerheim . . . 0 3. Klein-Liebringen . Ye 5,4 4. Reschwitz . . . Un 2 | 10,0 6. Eyba . . 8,2 5; « ALI ô. Quittelsdorf . 8,3 ý 5,6 A 2. ones SA 7,8 8. Groß-Liebringen . . 8,6 9,7 9. Knobelsdorf . .... 8&8 , 0,0 lú. Groß-Bettstedt . . . .. g0 3,3 11. Klein-Hettstedt . . 9, 1 0,0 12, Preßwitz . . 9,3 »9 0,0 13. Milbitz . 9,3 ® 5,7 14. Cursdorf . . . 9,6 = 1,2 15. Mellenbach . 10,5 e 37

Übersicht über die Stillungsfähigkeit der einheimischen Frauen in einigen thüringischen und sächsischen Landbezirken. Nach den Untersuchungen von Dr. med. C. Röse bei Musterungs-

Tab. 37. pflichtigen.

Musterungsbezirk ' ern : Da a aan Sa o aa ae i O AS Unterherrschaft vom Fürstentum Schwarzburg- Sondershausen 1901 *. 83 m

Unterherrschaft vom Fürstentum Schwarzburg-

-

Sondershausen 1903 . 82 Kreis Weißensee . . Efl Ra gi t Gotha . . | 6,0 Br Landratsamt Ohrdruf . 7,6 Landratsamt Coburg 8,0 ü Landbezirk Riesa . 4,8 =

4,0

3,9

landbezirk Meißen . | 2.22... | landbezirk Sächsische Schweiz. . . . 2... |

-

den Gegenden mit den härtesten Trinkwässern, und das kommt daher, weil diese kalkreichsten Gegenden im Unstrutgebiete zu- gleich auch die größte Wohlhabenheit aufweisen. Im armen Kreise Hohenstein am Rande des Harzes wird am besten gestillt. Die Frauen der reichen Gothaischen Bauerndörfer stillen am schlechtesten. Sie sind zu bequem dazu. In Tabelle 38 habe ich in drei Muster-

168 Röse, Die Wichtigkeit der Mutterbrust für die

ungsbezirken von Mittelthüringen die Stillungsdauer der Muster- ungspflichtigen nach dem Berufe ihrer Väter geordnet, und da zeigte es sich, daß ganz regelmäßig die reicheren Frauen der selbständigen Landwirte schlechter stillen, als die ärmeren Frauen der landwirtschaftlichen Arbeiter. Am schlechtesten stillten die Frauen von Lehrern und den Angehörigen sonstiger geistiger Berufe (Kopfarbeiter). Genau dieselbe Erscheinung läßt sich auch in den Städten nachweisen. In Dresden sowohl, als auch in Nordhausen sind die ärmeren Volksschüler besser gestillt, als die wohlhabenderen Besucher der Bürgerschule, Mittelschule und höheren Töchterschule. Nur die höhere Töchterschule in Dresden schien eine Ausnahme zu

Die Abhängigkeit der durchschnittlichen Stillungsdauer bei der mittelthüringischen Landbevölkerung von der Lebens- Tab. 38. verfeinerung.

Durchschnittliche Stillungsdauer bei den Frauen von:

Kopfarbeitern Selbständ. Landwirten | Landwirtsch. Arbeitern

Kalkreiche Dörfer des Herzogtumes Gotha.

3,2 Monate | 5,6 Monate 7,3 Monate

i Xreis Weißensee. oo BE

4,4 Monate | 7,2 Monate | 8,4 Monate

Unterherrschaft vom Fürstentum Schwarzburg- Sondershausen.

7,0 Monate | 7,8 Monate | 8,5-Monate

Man beachte: Die ärmsten Mütter stillen am besten!

machen. Ihre durchschnittliche Stillungsdauer beträgt 3,5 Monate, also noch eine Kleinigkeit mehr, als in den Dresdener evangelischen Bezirksschulen. Aber auch diese scheinbare Ausnahme von der Regel hat ihre Aufklärung gefunden: Die Schülerinnen der höheren Töchterschule in Dresden sind nämlich teilweise durch Ammen gestillt worden, und daraus erklärt sich ihre etwas längere Stillungs- dauer. Am auffälligsten tritt diese Erscheinung bei den jüdischen Schülerinnen zutage, Sie weisen die für Dresdener Verhältnisse recht hohe durchschnittliche Stillungsdauer von 6,4 Monaten auf: aber nur der dritte Teil dieser Kinder ist von jüdischen Müttern gestillt worden, zwei Dritteile haben an der Brust von Ammen gelegen. Rechnet man diese Ammenkinder ab, dann beträgt die durchschnittliche Stillungsdauer bei den Schülerinnen der höheren

körperliche und geistige Entwicklung des Menschen. 169

Die Abhängigkeit der durchschnittlichen Stillungsdauer von der verschiedenen Wohlhabenheit der Bevölkerung. Tab. 39.

Durchschnittliche Stillungsdauer

nn TS m nn

—— nn nn u m

Stadt Dresden. Evangelische Schulen.

|

Bezirksschulen . . 2. 2 2.2.2. | 3,4 Monate Bürgerschulen TER TEE 2,8 = Stadt Dresden. Katholische Schulen. I Bezirksschulen . . > 22220. 4,1 Monate Bürgerschule . . . o 2: 2 22002. | 3,0 , Vorort Plauen bei Dresden. Bezirksschule. . . . . 2 2 2 02. 3,7 Monate Bürgerschulle . . . 2 2 022000 3,1 % Vorort Cotta bei Dresden. Bezirksschule . . . 2 2 2 22. 4,1 Monate Bürgerschule . . 22.0 n 20 3,8 , Stadt Nordhausen. Knaben. | Volksschule . . » 2 2 2 2 20. 7,8 Monate Mittelschule . . . 2 2 2 2 2 2. | 6,5 j Stadt Nordhausen. Mädchen, Volksschule . . 2 2. 2 2 2 2 200. 8,1 Monate Mittelschule . . . 2 2 2 2 nn. 6,1 5 Höhere Töchterschule. . . a 2... 5,1 5

|

Man beachte: Die ärmeren Mütter stillen besser als die wohl- habenderen.

Töchterschule in Dresden nur 2,2 Monate (Christinnen = 2,1 Mo- nate, Jüdinnen = 1,5 Monate).

~ In hygienischen Fragen haben unsere jüdischen Mitbürger bekanntlich einen sehr feinen Instinkt. Sie wissen es. wie rasch das Leben in der Großstadt die körperliche Entartung fördert. Während sich die übrige Bevölkerung der Großstädte nur durch einen ganz bedeutenden Raubbau an der Volkskratt des platten Landes immer wieder ergänzt, können die Juden diese Quelle der

170 Röse, Die Wichtigkeit der Mutterbrust für die

Blntauffrischung nicht in so großem Umfange ausnützen. Darum müssen sie hygienischer leben, darum scheuen sie auch keine Kosten, um ihren Kindern durch Haltung von Ammen die Vor- teile der Mutterbrust zu sichern. Auch aus anderen Gegenden ist es bekannt, daß die Juden großen Wert auf gute Stillung legen. In den Berichten der württembergischen Oberamtsärzte ist öfters davon die Rede. In dem württembergischen Dorfe Laudenbach betrug nach meiner Statistik die durchschnittliche Stillungsdauer bei den Christen 4,6 Monate, bei den Juden 5,6 Monate. In dem Städtchen Pinne in der Provinz Posen betrug die Stillungsdauer bei den evangelischen Kindern 8,9 Monate, bei den jüdischen 9,8 Monate. Kurz, auf dem Gebiete des Stillungs- wesens können uns unsere jüdischen Mitbürger als Vorbild dienen.

Alle die verschiedenen Ursachen, die in unseren Städten die allgemeine körperliche Entartung fördern, üben selbstverständlich auch auf die Brustdrüsen ihre verderbliche Wirkung aus, und wir brauchen uns nicht darüber zu wundern, daß in den Städten durch- schnittlich etwas schlechter gestillt wird, als bei der umwohnen- den Landbevölkerang. In Tabelle 40 habe ich einige Beispiele zusammengestellt, aus denen hervorgeht, wie die Stillungsdaner in den Städten schrittweise abnimmt.

Nun wird vielleicht mancher Leser denken, ja was nützt uns denn alles Wissen über den Segen der Mutterbrust; gegen un- sinnige Stillungsmoden werden wir genau ebenso vergeblich an- kämpfen, wie gegen unsinnige Kleidermoden. Ich bin darin anderer Ansicht und meine, wir können nicht nur dagegen ankämpfen, sondern wir müssen es sogar recht bald tun, oder unsere Volks- kraft erleidet den schwersten Schaden, von dem sie sich nie wieder erholen kann. Stillungsunlust und Zweikindersystem wachsen auf einem Holze. Die alten Griechen und Römer sind an diesen Ubeln zugrunde gegangen. Unser westliches Nach- barland Frankreich ist im besten Begriffe, den alten Kulturvölkern langsam zu folgen. Wir Deutschen haben uns daran gewöhnt, über diese allmähliche Entartung unserer westlichen Nachbarn zu spotten und bemerken es gar nicht, daß dasselbe Gespenst, vor dem Frankreich zittert, auch uns selbst schon bedroht. Freilich, mit kleinen Mittelchen können wir nichts ausrichten. Der Kampf gegen die Unsitte des Nichtstillens muß in großem Maßstabe einheitlich organisiert und zielbewußt durch- geführt werden! Als um die Mitte des 18. Jahrhunderts die Mütter in Schweden anfangen wollten, ihre Säuglinge mit der Flasche zu nähren, da wurden sie, wie Bollinger mitteilt, durch ein Staatsgesetz mit Strafe bedroht. Wie nachhaltir dieses Mittel gewirkt hat, das zeigen am besten meine Erhebungen über die ausgezeichnete Stillungstätigkeit der schwedischen Frauen.

körperliche und geistige Entwicklung des Menschen. 171

SSelbstverständlich wird es nicht leicht sein, in solchen alten Nich *stillungsgegenden, wie auf der schwäbisch-bayrischen Hoch- here, die Frauen wieder ans regelrechte Stillen zu gewöhnen. Aber in einem Lande wie Sachsen, wo die Nichtstillungsmode wh micht so sehr alt ist, läßt sich der Kampf mit Aussicht auf

Der Einfluß des Stadtlebens auf die Abnahme der Tab. 40. Stillungsdauer.

HD m a

Tr ———————— sem! Durchschnittliche + Stillungsdauer

j M ittelthūüringische der Landratsämter Gotha und 3 Mu sterungspflichtige Ohrdruf . . e 2 2 e ool %0 Monate 3 5 Landgeborene der Stadt Gotha 5,3 R ; % Stadtgeborene Voll-Gothaer re OE £ N ordthüringische | i Mu sterungspflichtige des Kreises Hohenstein . . . | 10,0 Monate ë 5 Landgeborene der Stadt Nord- p HAUSEN. >... caai a Er s x = Stadtgeborene Nordhäuser . . 8,5 PR Südthüringische | Musterungspflichtige des Landratsamtes Coburg . . 8,0 Monate | N Landgeborene d. Stadt Coburg 6,1 ,„ l 2 Stadtgeborene Coburger . . . 5,8 , Einheimische | ! Musterungspflichtige der Sächsischen Schweiz. . . | 3,9 Monate ii a der Stadt Sebnitz . . . . .| 3,1 PR N iu Nordthüringische Landgeborene . “2 002.1 %6 Monate P Knaben der Stadt Halbstädter . | 1 74 ; Nordhausen Voll-Nordhäuser . TR 6,7 ž , Knaben Landgeborene . . > 0000.) 4,3 Monate der katholischen u Pr 7 u) u: 9. Sa Volksschulen DME & 0 wert dern are a i in Dresden VoUstkdter s < -a a auson 1 52 j

nuten Erfolg aufnehmen. Unsere deutschen Behörden haben \ æider eine beinahe überängstliche Scheu davor, zu- æ unsten der allgemeinen Volksgesundheit ins Wespen- west des privaten Schlendrians hineinzugreifen. Da werden z. B. tagtäglich in allen Tonarten die zahlreichen Kinder- mehle als angeblich beste Nahrungsmittel für Säuglinge ange- wiesen. Alle Ärzte sind sich darüber einig, daß diese Kinder-

172 Röse, Die Wichtigkeit der Mutterbrust für die

mehle minderwertig sind, weil sie viel zu wenig Nährsalze enthalten, Aber keine Staatsgewalt schreitet gegen diesen Unfug der Kindermehlfabrikanten ein. In dem Dorfe Leuben bei Riesa habe ich durch die Hebamme feststellen lassen, auf welche Weise die mangelhaft von der Mutter gestillten Kinder künstlich ge- nährt worden waren. Da stellte es sich heraus. daß die mit Zwieback und Kindermehl gefütterten 27 Proz. mehr kranke Zähne hatten, und daß sie mehr als doppelt so häufig an Rachitis er- krankt waren, als die nur mit Tiermilch genährten Kinder (Ta- belle 41). Ähnliche Ergebnisse sind auch von Michel u. a. gefunden worden. Wir können ohne weiteres annehmen, daß die Kinder- mehlkinder nicht nur doppelt so häufig erkranken, sondern daß sie auch doppelt so häufig sterben, als Kuhmilchkinder. Freilich ist in Betracht zu ziehen, daß die Leute auf dem Dorfe meistens

Nichtgestillte und mangelhaft gestillte Kinder im Dorfe Leuben b. Riesa, die auf verschiedene Weise künstlich ernährt

Tab. 41. worden sind. i 5 i | Prozentsatz der Kinder mit Ä weis rozentsatz der rachitischen Entwick- PAS DENNER erkrankten Zähne lungsstörungen (Hypoplasie)

| | der Zähne

Nur Kuhmilch oder Ziegenmilch. . . 22,20, (= 100 gesetzt)! 22,6, (= 100 gesetzt)

Beigabe von Zwieback . 25, (21h mehr | 47,6", (111%, mehr und Kindermebhlen . \ kranke Zähne) rachitische Zähne)

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i

frische, ungekochte und nur leicht angewärmte Milch als Säug- lingsnahrung verwenden. Die Aufgabe der Stadtverwaltungen ist hier klar vorgezeichnet: Errichtung städtischer Milchcentralen, in denen 3—4 mal täglich frischgemolkene Kindermilch zu haben ist.

Doch alle diese künstlichen Ernährungsmittel kommen ja erst in zweiter Linie und nur für den Notfall in Betracht. Die Hauptfrage lautet immer wieder: Wie erhalten wir unsern Kindern die Mutterbrust? Die bisherige Erfahrung hat gezeigt, daß man mit Aufklärung in Schrift und \Vort allein nicht zum Ziele kommt. Was ist im Laufe der Jahrhunderte seitens der Ärzte schon gegen die Nichtstillungsmode geschrieben worden. in Ernst und Spott! Und nichts hat genützt. Die alten Weiber behielten recht! Es ist nun einmal nicht anders: Junge, unertahrene Frauen schwören auf das Wort ihrer Mütter, Großmütter und Muhmen. Da können Arzt und Hebamme reden, soviel sie wollen, da kann sogar der Ehemann seine ganze Autorität in die Wagschale werfen; und wenn die Schwiegermutter nicht will, dann wird eben nicht

körperliche und geistige Entwicklung des Menschen. 173

geile. Und diese kulturwidrige Macht der alten Frauen kann mr durch höhere Gewalt gebrochen werden. Die deutschen Re- deran gen mögen einen Gesetzentwurf vorlegen, demzufolge eine Mutter, die nicht stillen will, obwohl sie dazu fähig ist, mit %)— 500 Mk., jedermann aber, der ihr nachweislich vom Stillen ageraten hat, mit 100—1000 Mk. bestraft wird. Der Hausarzt hätte darüber zu entscheiden, ob die Mutter stillen kann oder nicht. Ich glaube kaum, daß es viele Volksvertreter gibt, die es wagen werden, ein solches Gesetz abzulehnen. Gegen vereinzelte Ärzte, die sich etwa dazu hergeben möchten, Gesetzesumgehungen erleichtern, müßte selbstverständlich vom ärztlichen Ehrenge- richte mit strengen Strafen vorgegangen werden. Die segens- reichen Wirkungen eines solchen Gesetzes für die Erhaltung unserer Volkskraft würden sehr bald zur Geltung kommen.

Der moderne Staat hält sich für berechtigt und ist be- re=htigt, das Impfgesetz aufrecht zu erhalten, obwohl zahlreiche Staatsbürger vom Nutzen dieser Maßnahme nicht üherzeugt sind und serar glauben, daß das Impfen schädlich sei. Hier aber handelt - es sich nur um den Kampf gegen eine einzige Seuche, die von | Zit zu Zeit einmal einige Hundert oder Tausend Menschen be- droht. Die Unsitte des Nichtstillens aber zehrt am innersten Marke unseres Volkes. Von ihr werden Jahr für Jahr mindestens 100000 Säuglinge einfach hingeschlachtet. Und da soll der Staat kein Recht haben, tatkräftig einzuschreiten!

Ich fordere noch ein zweites Gesetz: Solche Säuglinge, deren Mütter zum Stillen unfähig sind, dürfen vor Vollendung des sechsten Lebensmonates nicht mit Kindermehlen gefüttert werden; sondern frische Tiermilch soll ihre einzige Nahrung sein, falls der Arzt in Krankheitsfällen nichts anderes anordnet. Auf der schwäbisch- bayrischen Hochebene habe ich verschiedentlich beobachtet, daß die Bauern ihren letzten Tropfen Milch in die Molkerei trugen, ihre Säuglinge aber wurden mit Mehlbrei und Wasser zu Tode gefüttert. Eine solche Dummheit ist tatsächlich polizeiwidrig. Und dagegen sollte der Staat nicht tatkräftig einschreiten dürfen?

SE Das Selbststillen gereicht nicht nur dem Kinde, sondern es ““%reicht auch der Mutter selbst zum größten Segen. Die Unter- ibsorgane kehren bei stillenden Müttern rascher in ihren regel- ten Zustand zurück. Es entstehen seltener Unterleibsleiden. Während der Stillungszeit sind die Frauen in gewissem Grade “=r neuer Befruchtung geschützt. Gerade in Nichtstillungsgegen- &en kann man es den Frauen nicht verargen, wenn sie sich vor yeder Geburt entsetzlich fürchten. Durch die so häufig vorkommende Bachitis ist das knöcherne Becken verengt worden, und schwere erztliche Eingriffe sind dann an der Tagesordnung. In guten

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I A x > s R ia N; da = iy t

174 Röse, Die Wichtigkeit der Mutterbrust für die `

Stillungsgegenden ist das anders. Man frage einmal in Nord- thüringen oder Westfalen eine Frau auf dem Lande, ob sie schon etwas vom Kaiserschnitt gehört habe. Sie wird in 99 von 100 Fällen den Kopf schütteln. In Sachsen und Schwaben aber kennt fast jede Frau das Wesen solcher tiefeingreifenden geburts- hilflichen Operationen, wenigstens vom Hörensagen. Nirgendswo auf der ganzen Erde muß der schwere Eingriff der Kindes- zerstückelung so häufig vorgenommen werden, als in den ab- gelegenen Bauerndörfern auf der Rauhen Alb und im übrigen Schwaben. Die armen Frauen in jenen Nichtstillungsgegenden sind wirklich herzlich zu bedauern, denn sie leiden unter den Sünden ihrer Vorfahren. Der Staat aber hat nicht nur das Recht, sondern sogar die dringende Pflicht, hier einzugreifen, um das Volk vor den traurigen Folgen mangelhafter Aufklärung zu schützen, umso mehr, da auch in rein volkswirtschaftlicher Hinsicht das Selbststillen der Mütter die billigste Art der Säug- lingsernährung ist.

Ich komme nun zu einem anderen Punkte, der vielleicht die traurigste Folge der zunehmenden Industrialisierung Deutschlands darstellt: Unzählige junge Mütter möchten wohl ihre Kinder stillen, sie sind auch dazu fähig, aber sie müssen davon abstehen, weil ihr Erwerbsleben es ihnen verbietet. Ich erinnere nur an die 180000 unehelichen Kinder, die jährlich in Deutschland ge- boren werden. Die schlechtesten Früchte sind das nicht, die man da leichtfertig verkommen läßt. Weitaus die meisten unehelichen Kinder müssen die Mutterbrust entbehren. Unzähliche überläßt man Ziehmüttern, die sie systematisch zu Tode füttern. Die Über- lebenden werden lieblos in der Welt herumgestoßen, bis sie schließ- lich als verbitterte Feinde der gesellschaftlichen Ordnung oder gar im Gefängnisse und auf der Landstraße endigen. Und wie leicht könnte diesem Übel abgeholfen werden, ohne daß der Steuersäckel allzusehr belastet zu werden brauchte. Ich wiederhole biermit den Vorschlag, den meine Frau schon vor ? Jahren auf dem Antialkoholkongresse in Bremen gemacht hat: Gründet Stil- lungsheime! Aber nicht in den Städten, nicht in den Vor- orten, nicht einmal in der Nähe der Grotistädte, sondern weit draußen auf dem Lande, in kalkreichen, fruchtbaren Ackerbau- gegenden.

Alle unehelichen Kinder aus Stadt und [Land müssen hinaus aufs Land, hinaus samt ihren Müttern in die Stillungsheime. Dort werden die Mütter mit solchen Arbeiten beschäftigt, daß sie nebenbei ihre Kinder stillen können. Nach 9—1? Monaten können die Mütter selbst wieder in die Stadt zurückkehren, aber die Kinder bleiben draußen und werden zielbewußt zu landwirtschaftlichen Berufen erzogen. Aus ihnen kann der

körperliche und geistige Entwicklung des Menschen. 175

Staat dann leicht die große Menge von guten Unteroffizieren entnehmen, an denen es heute so sehr mangelt. Und diese Unteroffiiziere erhalten nach beendeter Dienstzeit nicht Zivil- versorgungsscheine, sondern kleine Rentengüter. Diese kleinen Bauerngüter sind unteilbar und unverkäuflich. Sie dürfen immer nur an einen AÄnerben vererbt werden. Die übrigen Kinder strömen wieder der Industrie zu. Industrie und Landwirtschaft werden bei dieser Ordnung der Dinge beide ihre Rechnung finden, und wir erschließen eine starke Quelle deutscher Volkskraft, die wir heute noch leichtsinnigerweise im Sande versickern lassen. Den unehelichen Müttern wird der Aufenthalt in den ländlichen Stillungsheimen körperlich und geistig nur zum Segen gereichen. Soweit wie möglich, sollen sie in Feld und Garten mit Freiluft- arbeiten beschäftigt werden. Statt Gerste und Weizen zu bauen, wird man mit den Stillungsheimen Obst-, Gemüse-, Beeren- und Blumenkultur verbinden, wird Konservenfabriken gründen, Wäsche- reien einrichten, in denen die Wäsche der benachbarten Städte gereinigt wird usw. Die vom Lande gebürtigen Mädchen können in der Hackzeit und Erntezeit den umwohnenden Landwirten aus- helfen. Viele finden Beschäftigung in Küche und Keller der mit den Stillungsheimen Hand in Hand gehenden Erziehungsheime. Im Winter können Näharbeiten verrichtet werden. Kurz, an geeigneter Beschäftigung fehlt es nicht, und bei genügend guter Organisation können die Unkosten für die Erhaltung der Stillungs- heime größtenteils aus den Arbeitserträgnissen der Insassen selbst bestritten werden. Selbstverständlich vermögen diese Stillungs- heime für uneheliehe Kinder nur dann ihre volle segensreiche Wirkung auszuüben, wenn durch gesetzliche Bestimmung jede uneheliche Mutter, die keine Unterkunft bei Eltern oder Ver- wandten findet, gezwungen wird, mindestens 9 Monate in einem solchen Heime zu verbringen.

Und nun die ländlichen Erziehungsheime für die heranwachsende Jugend, welchen Segen würden sie stiften! Diesen armen Weisen und Halbweisen ist es ja nun einmal versagt, die liebevolle Für- sorge des Elternhauses kennen zu lernen. Dafür möge man ihnen wenigstens die vielen kleinen Freuden gönnen, die das Landleben der heranwachsenden Jugend bietet. Gottes warme Sonne und die liebevolle Natur soll ihnen wenigstens etwas die mangelnde Elternliebe ersetzen, die sie nun einmal entbehren müssen. Für die Unkosten dieser ländlichen Erziehungsleime hätten teils die Väter, teils die Heimatgemeinden autzukommen.

Nun gibt es aber auch Tausende von ehrlich geborenen Kindern, die nicht gestillt werden können, weil der Vater krank ist, und die Mutter außer dem Hause auf Erwerb ausgehen mub. Das sind die Fälle, in denen die private Fürsorre ein weites

176 Röse, Die Wichtigkeit der Mutterbrust usw.

Feld für liebevolle Tätigkeit findet. Wo es irgendwie angeht, möge man auch diesen armen Ehefrauen Gelegenheit geben, einige Monate in einem ländlichen Stillungsheime zu verbringen und möge ihnen Unterstützung gewähren, daß sie dann in der Stadt sich ihrem Säuglinge solange wie möglich widmen können.

Schlußfolgerungen. 1. Ein Volk, das die Sorge für seine Nachkommenschaft vernachlässigt, vernichtet die stärksten Wur- zeln seiner Kraft.

2. Zu den größten Krebsschäden am Marke unseres Volkes gehören die Unlust oder die Unfähigkeit der Mütter, ihre Kinder zu stillen.

3. Es ist unmöglich, jemals einen vollwertigen künstlichen Ersatz für die natürliche Muttermilch zu schaffen.

4. Die künstlich ernährten Säuglinge haben nicht nur die Aussicht, 3—6mal so häufig zu sterben, sondern die überlebenden bleiben auch zeitlebens in ihrer körperlichen und geistigen Ent- wickelung hinter den an der Mutterbrust aufgewachsenen Alters- genossen zurück.

5. Gegenüber den über 12 Monate gestillten Kindern leiden die künstlich ernährten um 28 Proz. häufiger an Zahnverderbnis und 2 ',„—4!/, mal so häufig an englischer Krankheit (Rachitis); Körpergewicht und Körpergröße der nichtgestillten Kinder sind geringer, ihre geistige Spannkraft in der Schule hat gelitten.

6. Unter den Musterungspflichtigen liefern die gutgestillten 47,9 Proz., die Nichtgestillten nur 31,1 Proz. diensttaugliche Soldaten. Je länger die Leute gestillt worden sind, um so größer ist ihr Körpergewicht, um so weiter der Brustumfang, um so höher die Militärtauglichkeit.

7. Die Unfähigkeit der Frauen zum Stillen wird durch Alkohol- genuß, durch kalkarme Nahrung und durch unzweckmäßige Klei- dung gefördert. Die Hauptursache aber ist die zunehmende Be- quemlichkeit der Frauen.

8. Gegen diese sträfliche Nachlässiekeit kann die Aufklärung allein nichts ausrichten.

9. Nur die Staatsgewalt ist imstande, durch Strafandrohungen die Säuglinge vor der Vernachlässigung durch ihre Mütter zu schützen.

10. Für uneheliche Kinder sollen Stillunesheime auf dem Lande errichtet werden, in denen die unehelichen Mütter, soweit sie dazu fähig sind, 9 Monate lang ihre Kinder stillen müssen.

11. Neben der erhofiten staatlichen Fürsorre. findet auch die private Wohltätigkeit auf dem Gebiete des Stillungswesens ein reiches Feld für sezensreiche Tätigkeit.

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de Terra, Überblick über den heutigen Stand der Phylogenie usw. 177

[Nachdruck verboten.)

Überblick über den heutigen Stand der Phylogenie des Menschen in bezug auf die Zähne.

Von Dr. phil. Maximilian de Terra,

deutscher und schweizerischer Zahnarzt in Zürich.

Die Phylogenie oder Stammesgeschichte des Menschen ist noch teilweise unklar, die stufenweise Ableitung des Homo euen- kephalos von niederen Formen noch vielfach unterbrochen, und manche Hypothese harrt der Bestätigung. Erfreulicherweise hat der rege Eifer, der in den letzten Jahren dieser Frage galt, manche Brücke zwischen anscheinend großen Differenzen her- gestellt, und einige glückliche -Funde von Körperbestandteilen, insbesondere von Zähnen ausgestorbener Wirbeltiere, haben An- knüpfungspunkte zur Feststellung wichtiger Analogien gegeben. Die Zähne scheinen in erster Linie bestimmt zu sein, die Haupt- stütze einer Phylogenie zu werden, denn sie sind das danerhafteste Gebilde des tierischen Körpers. Da ist es nötig, daß man mit den Formvariationen der Zähne der gesamten Fauna und vor allem mit denen des Menschen genau bekannt sei; denn es gibt kleine, leicht übersehbare Reliefbildungen an unserem Gebiß, deren Rückvertolgung in der Vertebratenreihe eventuell zu interessanten Schlüssen führen kann. Ich habe es mir deshalb angelegen sein lassen, in meinen „Beiträgen zu einer Odontographie der Menschen- rassen“ auf alle in Betracht kommenden Punkte aufmerksam zu machen und will im folgenden eine Zusammenstellung der heute existierenden Theorien über die Phylogenie und einiger vergleichend anatomisch bedeutungsvoller Merkmale geben. Der Zahnarzt ist in mancher Hinsicht daza auserkoren, das stellenweise trübe Bild der Zahn-Pliylogenie zu klären, indem er sein Augenmerk neben der exakten Behandlung der Zahnleiden auch gewissen Er- scheinungen in der Zahnreihe, wie Über- und Unterzahl usw. zu- wendet. In dieser Beziehung betätigen sich schon eine Reihe von Kollegen, doch sind nur wenige fähig, ihre Beobachtungen zu verfolgen, oder andere wieder messen derartigen Bildungen keine besondere Bedeutung bei. Es soll nun auf alle die Varia- tionen aufmerksam gemacht werden, die zu Vergleichszwecken be- rücksichtigt werden müssen, Momente, deren Kenntnis jedem Zahn- arzt eigen sein sollte, da er gelegentlich in die Lage kommen

XXIII. 12

178 de Terra, Überblick über den heutigen Stand

dürfte, einzeln aufgefundene Zähne von Mensch oder Tier zu identifizieren.

Im allgemeinen gehe ich nur auf die Zähne des Menschen und der anthropoiden Affen, eventuell noch der niederen Affen und Halbaffen ein; für das Studium der Zähne anderer Tiere muß ich auf spezielle Werke der Zoologie und vergleichenden Anatomie verweisen.

Um den Leser medias in res zu führen, reproduziere ich hier die vorzügliche und übersichtliche Einteilung der Zähne nach phylogenetischen und morphologischen Gesichtspunkten von Zittel (1891/93).

1. Ursprünglicher Typus, der haplodonte T. Einfache Kegelzähne (Zahnwale; hier wahrscheinlich nicht ursprünglich, sondern rückgebildete Form).

2. Protodonter Typus Osborns. Die einfachen Kegelzähne haben noch vorn und hinten ein Nebenspitzchen. (Bei den ältesten fossilen Beuteltieren. Dromotherium.)

3. Trikonodonter Typus Osborns. Die Krone ist dreispitzig. mit einer Mittelspitze, einer vorderen und hinteren Nebenspitze (Meso- zoische Beuteltiere).

4. Trituberkular-Zahn. Dreispitzige Krone; die mittlere Spitze liegt aber nicht in gleicher Reihe wie die vordere und hintere, sondern ist im Oberkiefer nach innen, im Unterkiefer nach außen gerückt. Die vorher einfache Wurzel wird 2—3teilig. (Rein ausgebildet nur im Unterkiefer von mesozoischen Beuteltieren.\ Gewöhnlich tritt schon gleich Komplikation auf und Trennung in die sekodonte (Karnivoren) und bunodonte!) (Omnivoren) Bezahnung.

A. Untere Backzähne.

1. Tuberkular-sektorial-Zahn (Cope\. Die drei Spitzen werden durch Kämme miteinander verbunden und es bildet sich ein vierter Hügel (Talon) (Raubbeutler, Insektivoren, prim. Karnivoren.

2, Quinquetuberkular-Zahn (Osborn). Der hintere Höcker erhält zwei Spitzen (Raubtiere).

>. Quadrituberkular-Zahn (Osborn). Die Krone wird breiter und der vordere Hügel verkümmert. so daß nur noch vier Höcker vor- handen sind. Die zwei hinteren, dem Talon zugehörigen Spitzen er- reichen gleiche Höhe mit den vorderen (Huftiere, Primaten, herbivore Marsupialier, Nager). Diese alle stellen Modifikationen des bunodonten oder lophodonten Vierhöckerzahnes dar. Der letzte Molar erhält zu- weilen noch am hinteren Rande einen akzessorischen Höcker. der als Talon bezeichnet wird, aber nicht dem Talon (heeh des sekonodonten Tuberkularzahnes entspricht.

1) Die Erklärung folgender Begritfe entnehme ich Braneo (1597): bunodont: Kaufüche mit Höckern und Warzen (Schwein. lophodont: Höcker durch Kämme und Joche verbunden, die quer über den Zahn von der Außen- zur Innenseite laufen (Tapir. selenodont: Die Kämme und Joche verlaufen halbmondtörmig gebogen In der Längserstreckung des Zahnes (Hirsch). i

der Phylogenie des Menschen in bezug auf die Zähne. 179

B. Obere Molaren.

1. Trituberkular-Zahn (entspricht dem Tuberkular-sektorial- lahm des Unterkiefers) Cope. Zwei Äußere und eine innere Spitze, die wist durch Kämme miteinander verbunden sind. (Nach Rutimeyer

ironmodont, wenn die Verbindungsbrücken zwischen den Spitzen mit Jchen versehen sind.) (Marsupialier, Kreodonten, Karnivoren; trigo- naont bei pnm. en)

2. Quinquetuberkular-Zahn. Entsteht durch Einschaltung von zwei meist kleinen Zwischenhügeln zwischen der inneren und den beiden äußeren Spitzen. (Sämtliche Säugetiere der ältesten Eozün- ıblagerungen in Nordamerika.)

3. Quadrituberkular-Zahn. FEntsteht aus dem trituberku- laren Zahn durch Hinzufügen einer vierten Spitze, die aus dem ursprüng- licipen Basalwulst hervorgeht. Bei bunodonten bleiben die vier Höcker iso liert, bei lophodonten sind die beiden äußeren Höcker durch eine Au Benwand miteinander, dann der vordere äußere mit dem vorderen inraeren und ebenso der hintere äußere mit dem hinteren inneren durch

Joche verbunden. Diese Querjoche werden durch ein nach innen offenes Qw ertal voneinander getrennt (zygodont: Rütimeyer). (Fast alle hezebivoren und omnivoren Säuger.)

4. Durch Einschaltung von ein oder zwei Zwischenhöckern können inque und sex-tuberkulare Zähne entstehen.

5. Der multituberkulare Zahn (Cope) läßt sich auf den tntuberkularen Zahn zurückführen. Die Krone ist mit zwei bis drei längsreihen konischer, V- oder halbmondförmiger Höcker bedeckt. Fossile Allotherien und rezenter Ornithorhynchus.)

6. Auf die trituberkulare Form lassen sich auch zurückführen die polylophodonten, elasmodonten und

7. die prismatischen (Edentaten).

Über die Entstehung der verschiedenen Zahnformen existieren hauptsächlich zwei Ansichten, die unter den Namen Differenzierungs- und Verschmelzungstheorie wohl den meisten Zahnärzten bekannt sein dürften. Die erstere wird haupt- sächlich durch amerikanische Forscher, Cope und Osborn ver- treten, die letztere durch Röse (1892), dessen Ausführungen über beide Theorien ich im folgenden wiedergebe.

Wortmann, Cope, Osborn, Schlosser und Fleischmann gehen alle vom einfachen Reptilienzahne aus. Der ursprünglich einfache Kegelzahn erhält demnach zuerst kleine seitliche Aus- wüchse in Form von Nebenzacken (Dromotherium). Später ent-

Pa tanden an der medialen und distalen Seite des als Protokonus Qu Oberkiefer, als Protokonid im Unterkiefer bezeichneten Haupt- Regels je ein kleiner Nebenkege), der Parakonus und Metakonus >-esp. Parakonid und Metakonid (Trikonodon). Die drei Kegel

= tehen hier in seitlicher Richtung hintereinander. Eine weitere wesentliche Veränderung besteht nun darin, daß die drei Kegel sich gegeneinander verschoben haben, derart, dab die ursprüng-

iche kammartige Krone in eine dreieckige verwandelt wird; und S zwar sollen nach Osborn im Oberkiefer der Protokonus lingual,

12*3

1-0 de Terra, Überblick üner den beutigen Stard

die beiden Netenböcker lateral liegen. im Unterkiefer gerade nmgekehrt das Protöokunid lateral. die Nebenhäcker lingual. Von die-em sogenannten trituberkuiaren Typus leiten nun Cope., O-born und Schlosser sämtliche Zahnformen der Säugetiere ab

Im Überkiefer entsteht an der hinteren Lingaalseite ein neuer Höcker. der Hypokonas. Damit haben wir die weitverbreitete Form des vierhückerigen oberen Molaren, welche durch kleine Neben- höcker. Meta- und Paraconulus. sich weiter kompliziert. Im Unterkiefer kommen zwei neue Höcker dazu, welche anfangs be- dentend niedriger sind als die drei vorderen Höcker und mit dem gemeinsamen Namen „Talon“ bezeichnet werden. Die nunmehr funfhöckerige Form nennt Cope Tuberkular-sektorial-Typaus.

köse ist nun zu der Ansicht gelangt. daß die heutigen Molaren und ebenso die Prämslaren durch Verschmelzung mehrerer einfacher Krgelzähne entstanden sind. Er zeigt an mikroskopischen Schnitten z. B. zwei direkt nebeneinander liegende und schon teilweise verschmolzene Papillen. Auch daß die Zahnscherbchen allmählich durch Anlagerung von Schmelz miteinander Verschmel- zung eingehrn, dentet er als Verschmelzung der einzelnen Coni. Dann sagt er: „Nach meinen bisherigen Untersuchungen wage ich es nicht, zu unterscheiden, ob alle Nebenhöcker an den Molaren der Säugetiere ursprünglich als getrennte Kegelzähnchen angelegt werden oder ob auch ausnahmsweise wirkliche Aussprossangen in der Weise, wie es Cope annimmt, vorkommen.“

Röse kommt damit den Vertretern der Differenzierungs theorie entgegen. allerdings bloß faute de mieux. während dies wie wir weiter unten sehen werden. Adloff aus Überzeugung tut

Röse sagt ferner. gänzlich von der Hand weisen lasse sich bisher ein derartiger Vorgang nicht, z.B. im Hinblick auf die zweispitzigen Amplibienzähne. Doch glaubt er annehmen za dürfen, daß auch diese Zähne ursprünglich durch Verschmelzung von zwei einfachen Kegelzähnen entstanden sind. Es macht sich überhaupt schon frühzeitig in der Vertebratenreihe das Bestreben geltend, durch Verschmelzung von einzelnen Zähnchen höher or- ranisierte, widerstandstfähigere Zahngebilde zu kreieren, z. B. bei den Rochen. bei mehreren Knochenfischen iu. a. Diodon), bei den Dipnoern usw. Als Beweis für seine Verschmelzungstheorie zieht Röse Kückenthal heran, welcher festgestellt hat, daß sich die in trikonodontem Typus angelegten Zähne der Cetaceen wegen der Verlängerung der Kiefer wieder in einzelne Coni trennen. !)

D Talbot (IS81), der auch für die Verschwelzungstheorie ein- tritt, führt als Beweis für deren Möglichkeit einen von Rossa- Georgia mitgeteilten Fall an, der die Verschmelzung von zwei kleineren Molaren, einem überzähligen Zahn und einem großen Molaren betrifft.

Hierzu bemerkt Fleischmann (Is91), daß der vorliegende Fall,

der Phylogenie des Menschen in bezug auf die Zähne. 181

Ich lasse noch Osborn (1892a) selber einige erläuternde Zu- itze zu seiner Theorie fügen. Er spricht nicht von einem rein 10odonten Typus, sondern bezeichnet als primitive Form diejenige, welche durch einen Haupt- und zwei bedeutend kleinere Neben- cker charakterisiert wird. Sämtliche Molaren der Trias- und Juraperiode, sagt er, besitzen diese Form. Während der Kreide- eozänen Periode wurde der Protoconus auf das Niveau des Para- und Metaconus heruntergedrückt. Auf der niedrigsten Stufe sind die oberen und unteren Molaren einfach dreieckig, wie beim modernen Cape Mole und Chrysochloris. Der Talon ist auf den unteren Molaren vorher fertig ausgebildet, als er sich auf den obseren Molaren entwickelt. Nach Röse, sagt Osborn, zeigt sich in der Betrachtung von Homo und Didelphys die Entwicklungs- geschichte der Höcker, und seine Ansicht nähre die Erwartung, da 8 die Fötalentwicklung die Ahnengeschichte aus der Kreidezeit ederhole. Auch Taeker, führt Osborn an, sehe in der Onto- genie der Molaren ihre Phylogenie, jedoch nur bei denen des Umter- und nicht bei denen des Oberkiefers.

Osborn (1897) erwähnt mit haplodontem Gebiß: Delphin, mit trikonodontem: Leptonyx und mit tritnberkularem: Chry- s»chloris.

Durch Kombination der Verschmelzungs- und Differenzierungs- theorie gelangt Adloff (1903) zu einer Auffassung, die mir schon früher, bei Betrachtung der Bildung des Carabelli’schen Höckers, als die beste und zugleich zwischen den verschiedenen Ansichten vermittelnde Theorie erschien. Eine Sprossung halte ieh für erwiesen (vgl. Carabellischer Höcker in meiner Odon- tographie), und ebenso dürfte die Möglichkeit der Verschmelzung zweier Zahnkegel kaum bezweifelt werden.

Adloff nimmt erst Verschmelzung und dann Differenzierung an (letzteres gestützt auf das Auftreten überzähliger Molarhöcker beim Orang-Utan). Gegen eine Differenzierung des hypothetischen haplo- und protodonten Typus spricht nach seiner Meinung die Unwahrscheinlichkeit, daß einige der zusammengedrängten Kegel- zähne nur noch Nebenzacken vorstellen sollen. Ferner ist ihm der Übergang des trikonodonten zum trituberkularen Typus voll-

Ständig unklar; die Wanderung des Protokonus im Oberkiefer nach innen und im Unterkiefer nach außen sei mechanisch unmöglich. Adloff setzt den Paraconus des Oberkiefers gleich dem Proto-

u ah wie alle ähnlichen als Anomalie betrachte. Rh zur Perna ; herangezogen werden dürfe, da er ohne entwicklungsgeschicht- Yichen Wert sel. Fe sei auch gar nicht einzusehen, was für einen Zweck eine solche Verschmelzung habe. Durch Verkürzung der Kiefer ‘U sie sicher nicht hervorgerufen worden, da gerade überzählige Zähne

m dem Kapitel Verschmelzung eine große Rolle spielen.

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182 de Terra, Überblick über den heutigen Stand

conid des Unterkiefers, so daß also Protoconus und Protoconid einander nicht homolog sind. !) |

Was die Verschmelzungstheorie betrifft, so sind, wie Adloff sagt, ihre zwei Hauptstützen vernichtet worden. Erstens sei die Ansicht Röses für unrichtig befunden worden, daß jeder Molar sich in einzelnen Papillen anlege. Jeder Zahn gehe aus einer einheitlichen Anlage hervor, und die Höcker treten erst sekundär auf. Ferner sei die Hypothese Kükenthals zurückgewiesen worden, wonach man aus dem Auftreten getrennter Kegelzähne auf den Zerfall der Kronen in ihre Komponenten schließen dürfe. Das Zahnsystem der Bartenwale sei nämlich derart in Reduktion begriffen, daß man derartige Folgerungen nicht ziehen dürfe.

Adloff führt weiter aus, auch Röse habe keinen Übergang des trikonodonten zum trituberkularen Typus gefunden und lasse daher diese beiden und den multituberkularen Mahlzahn getrennt voneinander entstehen, so daß diese drei verschiedenen Säugetier- klassen angehören. Vom trituberkulären Typus an, findet Adloff, bewegt sich die Theorie von Cope und Osborn auf sicheren Bahnen, und die Entstehung sämtlicher komplizierter Säugetier- Zahnformen muß als feststehend betrachtet werden. Ausgenommen ist davon bloß der multituberkulare Zahn, der nur mit Zuhilfenahme

D Die Nomenklatur für die Molarhöcker sämtlicher Säugetiere ist nach Osborn (16892) die folgende:

Obere Molaren. Untere Molaren. Trigon., . 2 2 2 2020202080. Trigonid = primi- \ Proto-, Para- tives Dreieck u. Metaconus Í Hypoconid, Talon . 2. 2 2 02.2.2.2 a‘ ‘a o. Talonid = Absatz | een nulid

Parastyle antero externe Stütze Mesostyle = median externe Stütze Metastyle postero externe Stütze Metastylid = Verdoppelung des Me-

taconid Hypostyle postero mediane Stütze inur bei Equiden)

Ectolophi = äußere Crista

Proto oph = vordere Crista

Metaloph =: hintere Crista . . . Metalophid =- vordere Crista Hypolophid hintere Crista Hypoconulid = hinterer „imme-

diate cusp“. Osborn (1597; gibt ferner die Bezeichnung der Molarhöcker des Menschen mit den durch die Phylogenie bestimmten Namen an.

Protoconus == medio-Iingnaler Höcker paraconus = medio-buccaler Höcker metaconus = disto-buecaler Höcker

hypoconus = disto-hingualer Höcker.

der Phylogenie des Menschen in bezug auf die Zühne. 183

ganz hypothetischer Zahnformen ableitbar ist. Dieser Typus ist eine Gruppe für sich und seine Ableitung ist ebensowenig wie die des trikonodonten und trituberkularen Typus zur Zeit möglich. Ameghino (1899), ein amerikanischer Forscher, der hier in Europa allgemein als Phantast bezeichnet wird, macht den multituberkularen Typus sogar zum Grundtypus. Dieser, durch Verschmelzung von sechs Einzelzähnchen hervorgegangene Molar findet sich im Ober- und Unterkiefer gleichmäßig ausgebildet. bei den ältesten Säugetieren des Tertiärs von Europa und besonders in der „Cernaysian Fauna“. Cope (1887) verwirft diese Theorie, weil schon die Annahme unhaltbar sei, daß die komplizierten Molaren älter seien, als die einfachen. Trotzdem läßt Kükenthal, zitiert von Adloff (1903), den trituberkularen Zahn aus dem multituberkularen entstehen, während letzterer aus der Verschmel- zung einer Anzahl konischer Reptilienzähne und ihrer entsprechen- den Ersatzzähne hervorgegangen sei. Vom haplodonten Typus geht dagegen Fleischmann (1891) aus, der in eigener Art die oberen mit den unteren Molaren vergleicht. Er nimmt an, daß die Innenseite eines oberen Molaren der Außenseite eines unteren und dem Vorderrande des oberen der Hinterrand des unteren Zahnes entspricht.!) Nach seiner Ansicht sollte der Paraconus dem Metaconid homolog gedeutet werden. Fleischmann hat nun versucht, in der Kaufläche bestimmte stereometrische Formen festzustellen, und er fand, daß die oberen Molaren eine trimere, die unteren eine bimere Gestalt besitzen. Daß der Hypoconus eine Zutat zu den ursprünglichen drei Höckern ist, wird durch die Betrachtung Fleischmanns hinfällig, da dieser Teil bereits in der Grundform des Zahnes vorhanden ist. Eine Komplikation erfolgt durch Hinzufügen des Metamer an den distalen Rand des Entomer. Bei allen Placentaliern unterliegen Makro- und Mikromer einer Reduktion.

Ein übersichtliches Bild über den Zusammenhang der Zahn- formen entwirft Schlosser (1901), dem ich die wichtigsten Punkte entnehme.

Die Kreodonten und Kondylarthren haben die Zalınformel 3143 314 3' nahme höchstens der letzteren, zeigen fast ganz die nämliche Beschaffenheit, wie die entsprechenden Organe der meisten leben- den Fleischiresser, so z. B. des Hundes. Beinahe noch größer ist die Ähnlichkeit mit den entsprechenden Zähnen der lebenden Opossum -— Didelphys und lassen sich diese Formen um so

Die Inzisiven, Kaninen und Prämolaren, mit Aus-

1) Als Beweis für diese Annahme glaube ich das Auftreten des vermeintlichen Carabelli’schen Höckers {Approximalhöcker) am medio- buccalen Höcker unterer Molaren anführen zu dürfen.

184 deTerra, Überblick über den heutigen Stand der Phylogenie usw.

eher zu einem näheren Vergleich heranziehen, als sie auch mit den genannten Kondylarthbren und Kreodonten das wichtige Merk- mal gemein haben, daß ihre hinteren Backzähne sämtlich gleich- groß sind und gleiche Zusammensetzung aufweisen.

Die Deutung des Innenhöckers der oberen Molaren als Proto- conus scheint Schlosser nicht so ganz berechtigt zu sein. Es trifft zwar dies für den mesozoischen Paralestes zu, welcher von Osborn zum Ausgangspunkt seiner Beobachtung gemacht wurde, doch sind aus theoretischen Gründen einige Zweifel an dieser Auftassung anzubringen.

Der Caninus der mesozoischen Säuger besitzt, wie bei manchen noch lebenden Insektivoren, zwei Wurzeln; doch dürfte sich dies wohl als eine schon sehr früh eingetretene Differenzierung heraus- stellen und nicht etwa als der ursprüngliche Zustand zu be- trachten sein, wie Osborn meint, wenn schon die Annalıme dieses Autors, daß der Caninus eigentlich als Prämolar aufzufassen sei, ganz plausibel erscheint.

Schlosser zeigt in seinen Betrachtungen, daß sowohl die Zahl als auch die Form der Zähne durchaus nicht als etwas Starres, Unveränderliches sich kundgibt, sondern vielmehr zu ganz gewaltigen Modifikationen befähigt ist, welche mit der Lebensweise des Tieres auf das innigste zusammenhängen.

Das Gebiß der Herbivoren hat ein Stadium durchlaufen, in welchem das der Omnivoren persistierte. Die Omnivoren haben sich aber aus Fleischfressern entwickelt. Allen diesen so mannig- faltigen Formen liegt ein einheitlicher Plan zugrunde. Es ist dies für die unteren Molaren der Tuberkularsektorial- und für die oberen der Trituberkular-Typus.

Im folgenden sollen nun die einzelnen Momente der Reihe nach durchgesprochen werden, die uns eine Handhabe für phylo- genetische Untersuchungen sind. Dabei werden natürlich in erster Linie Merkmale an Aftenzähnen herangezogen. deren Auftreten beim Menschen pithekoid genannt wird. Da ich hier selbstver- ständlich nicht genau auf die Beschreibung gewisser Reliefbil- dungen an den Zähnen der Menschen und Anthropoiden eingehen kann. muß ich wiederum auf meine Odontographie verweisen.

Folgende Punkte sollen im nachstehenden berücksichtigt werden:

1. Physiologische Gesetze. 2. Vererbung. 3. Geschlechts- differenz. 4. Ubergang der Zahnformen zueinander. 5. Ontogenie einzelner Zähne. 6. Überzahl von Zähnen. 7. Dentitio tertia. Dentitionen-Theorie. 8. Unterzahl. Persistenz. Retention, Reduk- tion. 9. Höckerreduktion. 10. Höckerzunahme. 11. Pitliekoide Merkmale. 12. Prä-, frühhistorische und diluviale Funde. 13. Einige Angaben über die mutmaßliche Abstammung des Menschen.

Schluß folgt

Auszüge. 185

Auszüge.

Prof. Riegner: Die Physiologie und Pathologie der Kiefer- bewegungen. (Arch. f. Anat. u. Phys, 1904.)

Riegner hat in der anatomischen Anstalt zu Breslau Unter- suchungen angestellt, in welcber Richtung die einzelnen Kaumuskeln wirken. Die Ergebnisse können vielleicht zeigen, wie man durch Teno- tomie die Deviation des Kiefers nach Resektionen beseitigen kann. Er machte entsprechende Versuche zuerst bei Erhaltung des ganzen Unter- kiefers und dann nach erfolgter Resektion. Der M. temporalis be- wegt den ganzen Unterkiefer nach oben, mit leichter Verschiebung (um die halbe Breite eines unteren Schneidezahnes) nach seiner Seite. Der M. masseter hebt den Kiefer und verschiebt ihn um die Breite eines unteren Schneidezahnes nach seiner Seite. Der pterygoi- deus internus hebt den Kiefer, ohne seitliche Verschiebung: Der pteryg. extern. senkt den Kiefer und schiebt ihn nach der ent- gegengesetzten Seite um 2'/, Schneidezahnbreiten. Der biventer zieht mit seinem vorderen Bauche den Kiefer nach unten, ohne seit- liche Verschiebung. Der mylohyoideus wirkt in derselben Weise, nur weniger ausgiebig. Der geniohyoideus wirkt ebenso. Beim resezierten Kiefer ist die Wirkung folgende: der temporalis, masseter und pteryg. int. drehen den Stumpf um die transversale Achse aufwärts, die vier anderen abwärts. Der masseter und temporalis drehen ihn um die sagittale Achse nach innen, der pteryg. int. nach außen. Die seitliche Abweichung des Kieferstumpfes nach Resektion am Leben- den bewirkt am meisten der M. mylohyoideus. dann der pterygoi- deus, weniger der biventer und geniohyordeus. Der Masseter bewirkt eine ausgiebige Drehung um die horizontale, von außen nach innen gerichtete Gelenkachse. Um nun die Deviation zu beseitigen, wäre nach diesen Versuchen die Durchschneidungdes Masseter rationell oder die Verkürzung des Muskelbauchesseines Antagonisten, pteryg. internus. Doch ist das vorläufig theoretische Erwägung. Verfasser wird zunächst den Gegenstand noch auf physiologischem Wege weiter bearbeiten, indem er Reizungen der Muske n bei Rhesus-Affen vornimmt. Alsdann sollen auch noch pathologisch-experimentelle Untersuchungen vorge- nommen werden. Jul. Parreidt.

Dr. W. A. Ahbloff: Der Zustand der Zähne bei den Arbeitern in Pulverfabriken (rauchloses Pulver‘. (Subowratschebni Westnik. Jan. 1902; Deutsche zahnärztliche Wochenschrift 1V. Nr. 43.)

Abloff hat seine Beobachtungen als Unterarzt der Michailowski- Schosstenskischen Pulverfabrik an deren Arbeitern gemacht.

Das Pulver wird aus Pyroxylin hergestellt. das man durch Be- arbeitung der Baumwolle mit konzentrierter Salpeter- und Schwefelsäure erhält. Die Tränkung der Baumwolle geschieht in gut ventiliertem Raume in Zinkwarnen: erst in heißen, dann in einem zweiten Raume in kaltem Wasser. Trotzdem ist der Säuregehalt der Luft ein großer, so daß man z. B. nach kurzem Aufenthalt ein starkes Brennen an der Zunge spürt. falls man mit dieser den Schnurrbart berührt hat. Es wird am heißen Wasser 5 Stunden, am kalten 10 Stunden gearbeitet, und während der Arbeitszeit erhalten die Leute Milch, die sie trinken müssen.

186 Auszüge,

Abloff hat nun 125 von derartigen Arbeitern auf ihre Zähne untersucht und außerdem 437 andere. Von den 126 zeigten 27, d. 1.21, Prozent charakteristische Schäden an dem Incisiven Der nach der Schneide zu gelegene Teil der Schneidezähne zeigt auf den Lippen- flächen Schleifdefekte, in der Art, daß die Schliffläche der oberen und unteren Zähne einen nach vorn geöttneten Winkel bilden. Der Winkel vergrößert sich, die Kante wird dünner, bricht dann aus, und der völlige Zerfall schreitet rasch vorwärts. Die abgeschliffenen Flächen sind glatt und glänzend, so daß sie einen Entwicklungsfehler vor- täuschen können. Bei dem Arbeiter, der das Mischen des Salpeters mit der Schwefelsäure besorgt, waren auch die Eckzähne ergritien. Obere und untere Schneidezähne hatten bei 17 diese Erscheinungen, die oberen allein bei 5, die unteren allein bei 5. Karies war bei keinem dieser Zähne zu bemerken. (iesunde Zähne hatten 31, kranke 05. also 95 Prozent. Das Alter der Arbeiter ist im Durchschnitt 3G Jahre. Die Dienstzeit in der Abteilung dauert 3 Jahre.

Fs sind kariös:

Schneidezühne 4,8 Prozent

Eckzähne 1,4 99 Prämolaren 25d 5 Molaren 70.4 we

die Arbeiter, die abgeschliffene Zühne zeigten, waren durchschnittlich 35 Jahre in der Säureabteilung tätig, die ohne derartige Defekte 2. Jahre. Von den andern +37 Arbeitern hatten 157 gesunde Zähne, 250 kranke. (64 Proz.) Durchschnittsalter: 36 Jahre. Es waren erkrankt: Schneidezähne 7 Prozent

Eckzähne s3 u Prämolaren 15 N Molaren 4 TE

Es werden also die Schneidezähne der in der Säureabteilung be- schäftigten Leute weniger von Karies befallen, ale die der anderen. Ver- fasser schließt hieraus, daß bei der Entstehung der Karies die Bakterien, nicht die Säuren die Hauptrolle spielen. Bei denen, die in säure- geschwängerter Atmosphäre arbeiten, werden die Vorderzähne gar nicht von Karies ergritfen, während die Backzühne, wo die Säure durch Speichel verdünnt wird, ergriffen werden; ist die Säure stark kon- zentiiert, daß die Zähne schon abgeschlitfen waren, so tritt überhaupt an keinem Zahne Karies auf.

Die glatte Flüche erklärt Abloff durch die Einwirkung des Kauens auf die durch Säure veränderte Zahnmasse.

Es wäre sehr von grobem Interesse, diese Beobachtungen auch einmal in deutschen Pulverfabriken nachzuprüfen und vor allem auch einmal die vom Verfasser offen gelassene Frage der Bildung von Er- sitzdentin in den abgeschliffenen Zähnen zu untersuchen.

Dr. R. Parreidt (Leipzig).

Dr. Capdepont: Trois nouveaux cas de Follieulite expulsive des nouveau nés suivis de mort, (La Revue de Stomatologie Vol. 9.) Verfasser gibt 3 ausführliche Krankengeschichten von Folieulitis expulsiva bei Neugeborenen, die mit dem Tod des Kindes enden. Alle 3 sind normal entwickelte Kinder, deren Mund und Kiefer infiziert

Bücherbesprechungen. 187

wurde. Die Streptokokkeninfektion befällt zunächst den Alveolarfort- satz, doch wird sie bald weitergeleitet, und es tritt infolge allgemeiner Sepsis der Tod ein. Dr. R. Parreidt (Leipzig).

Dr. Perez Hirsch: On abnormal formations of blood vessels in

nn hard dental tissues. (Journ. Brit. Dent. Assoc., Febr. 1903,

S. 60.)

Lepkowski hat das Vorkommen von Kanälen quer oder schräg durch die Seitenwände der Wurzeln festgestellt. Zuweilen enthält ein solcher Kanal, der auch am Zahnhalse vorkommen kann, ein stärkeres Gefäßbündel, das von der Alveole aus in die Pnlpa eindringt. Einen solchen Fall beobachtete Hirsch bei einem 42jährigen Manne, dessen |4 pulpitische Beschwerden verursacht hatte, obwohl er äußerlich ganz gesund erschien. Patient gab an, er habe die Empfindung gehabt, wie wenn der Schmerz „von einem ganz feinen Loche in dem Zahne tief unter dem Zahnfleisch“ seinen Ausgang genommen hätte. Die Schmerzen waren ohne zahn- ärztliche Hilfe in etwa 4 Wochen vergangen, kehrten dann aber nach einer Pause von 2 Monaten wieder. Jetzt handelte es sich aber um eine akute Briodontitis. wegen der der Zahn ausgezogen wurde. Bei genauerer Betrachtung des ausgezogenen Zahnes fand man in der Mitte der Entfernung zwischen Kaufläche und Wurzelspitze in der mesialen Seite der Wurzel ein rundliches, scharf begrenztes Loch, dessen Durchmesser °/, bis 1 mm beträgt (vgl. Abbildung) und dessen KEingangsrand etwas eingesunken erscheint. Die Richtung des in die Pulpahöhle führenden Kanales ist

ekrümmt, in der Hauptsache aber senkrecht zur Längsachse des ahnes, die Wände sind fest und gesund. Der Kanal ist leer.

Die Pulpa war offenbar unter Schmerzen abgestorben, worauf dann eine Periodontitis entstanden war. Jul. Parreidt.

Bücherbesprechungen.

Handbuch der Zahnheilkunde. Unter N mehrerer Ver- fasser herausgegeben von Dr. Julius Scheff, a. o. Prof., Vorstand des K. K. zahnärztlichen Institutes der Wiener Uni- versität. Zweite, vollständig neu bearbeitete Auflage mit ungeführ 1000 Originalabbildungen. 3. Band. Wien 1904. Alfred Hölder.

Der letzte Band des Handbuches handelt vom Zahnersatz.

Vorbereitung des Mundes für den künstlichen Zahn- ersatz, von Dr. Th. Blau. Unter dieser Überschrift wird auch das Abdrucknehmen mit beschrieben. Dabei sagt Verfasser: „Bei Ab- drücken zu partiellen Stücken ist Stentsmasse dem Gips ihrer leichteren und einfacheren Behandlung wegen vorzuziehen.“ Dies ist ein ver- hängnisvoller Irrtum; meiner Erfahrung nach sind Gipsabdrücke überall vorzuziehen. Zur Reinigung der Stentsmasse empfiehlt Blau das Ab- bürsten mit Sublimatseife. Ich halte das nicht für genügend, die

188 Bücherbesprechungen.

Gefahr, Syphilis zu übertragen, ganz zu verhüten; dazu ist es nötig, Abdruckmasse, die nur einmal in jemandes Munde war, ein für allemal zu verbrennen, sie kostet ja auch nur 30 Pfennige. Weiterhin handelt der Abschnitt noch von den Modellen und den künstlichen Zähnen.

Das Aufschleifen der künstlichen Zähne, von E. de Martin. Dabei ist die Artikulation zugleich mit abgehandelt. Dann folgt die Befestigung der Zähne im Munde, wobei besonders der Ab- schnitt über die Klammern und über die Adhäsion zu loben ist.

Stiftzähne, von W. Sachs. Verfasser beschreibt die Vor- bebandlung der Wurzel, Befestigung der Stifte, die verschiedenen Arten des Stiftzahnersatzes und die verschiedenen Porzellankronen (nach Davis, Leech, Bonwill, Weston, How, Genese, Büttner usw.); auch der teilweise Kronenersatz und die Befestigung zweier Zähne in einer Wurzel wird geschildert. Sehr gelobt wird der knieförmige Stift nach Sachs.

Kronen- und Brückenarbeiten, von Michael Morgen- stern. Vor allem beachten«- und beherzigenswert sind die einleitenden Sätze S. 179—1S4. Die Technik der Kronen- und Brückenarbeit ist kurz geschildert, die Befestigungsarten der Brücken sind systematisch geordnet. É

Rekapitulation der Metallurgie und Metallarbeiten im allgemeinen; das Löten, von Ph. Detzner. Hier wird die Be- festigung der (sebisse im Munde sachgemäß gelehrt, ebenso die ne der Gebisse mit Goldplatten und solcher mit Kautschuk- platten. Die Darstellung ist kurz, aber klar genug.

Die Anfertigung fortlaufenden Emailzahnfleisches, von v. Blumm. Kurze Schilderung der prothetischen Porzellanarbeiten: für Kautschukbasis mit und ohne Metallverstärkung und für Platinbasis.

Zahnersatzstücke mit Kombination von Kautschuk und Metall, von G. Kirchner. Goldverstärkung der Zähne, Goldklammern, Einlagen in Kautschukplatten, Goldplatten mit Befestigung der Zähne durch Kautschuk.

Über die Verwendung des Zelluloids in der Zahnersatz- kunde, von Fr. Kleinmann. Dieser Abschnitt ist ganz interessant, aber zu ausführlich angesichts der geringen Bedeutung, die das Zellu- loid in der Zahnersatzkunde hat behaupten können. Er enthält. aber noch eine nützliche Belehrung über die Anfertigung künstlicher Nasen, Kiefer, Augen, Ohren und Trommelfelle aus Zelluloid.

Naturzähne auf Kautschukbasis, von J. Scheff. Da der locker gewordene »und deshalb ausgezogene natürliche Schneidezahn oft den täuschendsten Ersatz bildet, ein natürlicher Zahn aber nicht der Hitze des Vulkanisierens ausgesetzt werden darf, so ist es nützlich zu zeigen, wie man zweckmäßig einen solchen Zahn bearbeitet und an der Kautschukplatte befestigt. Verfasser hat das klar und deut- lich getan.

Spezielle Therapie der annmalen Zahnstellungen, von A. Sternfeld. Wahrscheinlich war es die letzte literarische Arbeit des kürzlich hingeschielenen Kollegen. den Abschnitt über das Gerade- richten der Zähne einer Durchsicht und Neubearbeitung zu unterziehen. Die Vertahren nach Angle, Heydenhauß und Pfaff finden dabei noch nicht Erwähnung.

Über Obturatoren, von Otto Grunert. Auch Grunert ist während der Herausgabe des Werkes gestorben, doch hat er den

Bücherbesprechungen. 189

Abschnitt noch durchsehen und vervollständigen können. Er beschreibt außer dem Süersenschen, Schiltskyschen und Brandtschen auch den Obturator mit Korkeinlage nach Brugger, erwähnt sodann die Massagebehandlung des operierten weichen Gaumens nach Gutz- mann, durch die oft guter Spracherfolg erzielt wird, so daß der Obtu- rator zu entbehren ist. Ferner wird auf die Verkleinerung des Süersen- schen Obturators durch Warnekros hingewiesen.

Gesichtsprothesen, von Walther Bruck. Herstellung von Gesichtsteilen aus Zelluloidaceton (vgl. Monatsschrift 1898. S. 377, Herstellung einer Nasenprothese) und aus gepreßtem Zelluloid. Ange- fügt sind Beispiele aus der Praxis über Kiefer- und Wangenprothese (vgl. Monatsschrift 1900, 8. 193), Ersatz einer Nasenspitze, Nasenpro- u in Verbindung mit einem Obturator, Ohrprotbese und Stirn- rothese. j Den Schluß des ganzen Werkes bildet ein anderthalbe Lieterung füllendes Generalregister. Das schön ausgestattete Werk ist eine Fundgrube zahnärztlichen Wissens. Möge ausgiebig daraus geschöpft werden. Jul. Parreidt.

Orthodontia and Orthopaedia of the Face, by Victor Hugo Jackson, M.D., D.D.S. (Prof. of Orthodontia in the Dental Depart- ment of the University of Buffalo). With 760 Original Illustrations. Philadelphia and London, J. B. Lippincott Comp. 1904.

Im Jahre 1890 hielt der Verfasser dieses Buches einen Vortrag in der zahnärztlichen Abteilung des Internationalen medizinischen Kongresses in Berlin, worin er die zweckmäßige Verwendbarkeit federnder Drähte beim Zähnerichten zeigte. Damals verfügte der Ver- fasser noch nicht über so reiche Erfahrung wie jetzt, wo er sein Ver- fahren an zahlreichen Beispielen erläutert.

Die wirksawen Bestandteile einer Regulierungsvorrichtung nach Jackson sind 1. federnde Klammern um die Stützzähne, die an- elötet sind an 2. Stützklammern; an diese ist zugleich noch ein icker Basaldraht gelötet. Den Angriff auf die zu rückenden Zähne bildet die elastische Kraft von federnden Drähten, die gleichfalls an die Stützklammern gelötet sind. Die federnde Klammer ist aus Neusilber, „Platinoid‘“ oder aus federndem Gold. Der stärker ala Neu- silber federnde Klavierdraht wird verworfen, weil er im Munde der Zerstörung unterliert, während Neusilber sich leicht poliert erhält. Diese federnde Klammer umgreift auf gewöhnliche Weise einzelne Zähne, wenn neben «diesen P:atz dafür vorhanden ist; fehlt der Platz, ist also die Reihe geschlossen, so geht die Federklammer an den Berührungsstellen des Stützzahnes von der (saumenseite aus über die Kaufläche hinüber nach der buccalen Fläche, wo beide Schenkel nach dem Zahnfleischrande hin senkrecht verlaufen, um am Zahnfleische parallel diesem horizontal zu gehen.

An der (saumenseite des Stützzahnes ist die Halbklan:mer oder Stützklammer, die aus dünnem Nensilber- (oder Gold- oder „Platinord“.\ Blech besteht, der ganzen Gaumenfläche des Zahnes genau anzeschmiegt und reicht etwas unter das Zabnlleisch; es muß also hier am Modell radiert werden. Das dünne Blech erhält durch die Verlötungr mit den Drühten genügende Festigkeit. Betindet sich nun rechts und links ein Mütz- zahn, so geht von einem zum andern ein dicker Basaldraht aus dem- selben Metall wie die übrigen Teile. Der Basaldraht kann als Ersatz einer (saumenplatte gedacht werden. Alles ist an den Stützzühnen

190 Bücherbesprechun gen.

miteinander durch Weichlot vereinigt; die Hitze bei dem Hartlöten würde die Federkraft verderben. Gewöhnlich werden mehr als zwei Stützzähne verwendet immer soll man deren soviel als möglich ver- wenden —, manche bekommen nur die aus Blech gefertigten durch Lot verstärkten Stützklammern. Diese können, falls der Apparat nicht fest genug sitzt, auch an die Zähne angeschraubt werden. Als Stütz- zähne verwendet man selbstverständlich am häufigsten die ersten Mahl- zühne und die Prämolaren. Man kann auch Milcheckzähne verwenden; sogar kariöse und schon etwas gelockerte Milchbackzähne verwendet Verfasser zu diesem Zweck. Im Unterkiefer kann man manchmal auf Federklammern verzichten; es genügen oft Stützklammern, die in die Zwischenräume neben dem Stützzahn hineinreichen, so daß dieser von drei Seiten umfaßt wird und die faciale Seite frei bleibt. Statt der Stütz- und Federklammern sind auch aufgestanzte und aufzementierte Kronenkappen verwendbar. An der Vereinigungsstelle der Feder- klammer mit der Stützklammer und dem Basaldraht ist auch der federnde Draht verlötet, der auf die zu bewegenden Zähne wirkt. Er ist verschieden, meist U-förmig gebogen, damit man durch Zusammen- biegen oder Otfnen des U-Bogens den Druck regulieren kann; oft ver- läuft der federnde Draht wie ein gekrümmter Finger.

Die Schwierigkeit, den Druck zu regulieren, ist es hauptsächlich, die der Verwendung elastischer Drähte beim Richten der Zähne einiger- maßen hinderlich jst; jedenfalls leuchtet es ein, daß sich bei Anziehung einer Schraube die Kraft exakter bemessen läßt als bei Biegen eines federnden Drahtes. Aber der Verfasser macht es an der Hand vieler, gut illustrierter Beispiele plausibel, daß man bei gehöriger Übung mit seinem Verfahren recht gute Erfolge erreichen kann. Ist man im Herstellen der Federapparate und im Biegen der federnden Drähte ge- übt, so wird man sie oft mit Vorteil statt der Schrauben anwenden lernen. Jackson widerspricht der Ansicht Farrars, daß der inter- mittierende Druck der Schraube analog dem Gesetz von Arbeit und Ruhe wirke, und meint: Naturgesetz ist, daß Abwechselung zwischen Druck und Nachlassen Hypertrophie und Verhärtung verursacht, während konstanter Druck Atrophie oder Resorption bewirkt.

Der Vollständigkeit wegen schildert Verfasser in seinem Buche auch den Gebrauch von Schraubenapparaten, die Anwendung von Kaut- schukplatten statt des Basaldrahtes usw. Bei eingehendem Studium findet man manchen praktischen Wink fürs Regulieren in dem statt- lichen Buche. Jul. Parrentt.

Beiträge zur Behandlung putrider Zahnwurzeln, unter spezieller Berücksichtigung der Anwendung galvanischer Ströme (Elck- trosterilisation), von Fr. E. Zierler, an der kais, russ. Universität Dorpat appr. Zahnarzt. Würzburg, A. Stubers Verlag (B. Kabitzsch‘, 1905.

Vor mehreren Jahren hat Arkövy einen Bacillus beschrieben, der konstant in der gangränösen Pulpa getunden wird, nach Siebert aber der Kartottelbacillus sein soll. Die Sporen dieses Bac. pulp. gangr. sind ebenso wie die des Anthraxbacillus und einiger anderer sehr widerstandsfähig gegen Hitze und chemische Arentien: sie konnten aber vernichtet werden durch den galvanischen Strom. Auf dieses experimentelle Ergebnis gründet Zierler sein Verfahren, den Inhalt der Wurzelkanäle nach sorgfältiger Reinigung durch den Elektro- sterilisator“ zu sterilisieren; er hat mit dem Verfahren in 1500 Fällen

Kleine Mitteilungen. 191

nur Erfolge, keine Mißerfolge gehabt. Zur erfolgreichen Behandlung ist eine Stromspannung von 35—40 Volt erforderlich. Die positive Elektrode ist so dünn, daß man in die feinsten Kanäle damit ein- dringen kann; natürlich in geknickten Wurzeln gelangt sie nicht bis zum Foramen und der Wurzelteil, der nicht erreicht wird, entgeht auch der Sterilisierung. Der Strom muß mit voller Intensität von 3 Milli- ampere 10 Minuten wirken und vorher in einigen Minuten lang- sam ansteigen und nachher ebenso langsam nachlassen. Die negative Elektrode wird am Unterarm befestigt. Die beste Elektrizitätsquelle ist der Straßenstrom. Ein Rheostat oder besser ein Voltregulator ist nötig, den Strom richtig dosieren zu können. Wer das Verfahren an- wenden will, wird das 53 Seiten starke Hett gern durchlesen; es ist ein wertvoller Beitrag zur Wurzelbehandlung. Jul. Parreidt.

Die Verhütung des frühen Alterns; Mittel und Wege zur Ver- längerung des Lebens. Von Dr. med. Weber, Arzt am deutschen Hospital zu London. Leipzig, Verlag von Krüger & Co.

Die bekannten beiden Aufsätze, die in der Deutschen medizinischen Wochenschrift erschienen sind, finden wir hier in Buchform. Sie sind für das große Publikum berechnet; deshalb hat die Verlagshandlung am Schlusse eine Erklärung der in den Abhandlungen vorkommenden Fremdwörter angefügt. Über die Zähne ist nichts im Buche ent- halten, nur wird zum guten Kauen ermahnt und beiläufig als Vorteil gegen früher erwähnt, daß wir künstliche Zähne haben. Dennoch dürfte das Büchelchen sich zum Auflegen im Wartezimmer eignen.

Jul. Parreidt.

Der Atlas der Syphilis und venerischen Krankheiten (Leh- manns medizinische Handatlanten, Band VI) bringt auf Tab. 40, 41, 42 und 56 farbige Illustrationen von syphilitischen Geschwüren der Lippen, der Wangenschleimhaut, der Zunge, des Gaumens und des Rachens nebst Beschreibungen. Dieselben können dazu dienen, diese ansteckende Krankheit rechtzeitig erkennen zu lehren und uns ver- anlassen, die nötigen Vorsichtsmaßregeln zu ergreifen, damit keine Übertragung erfolgt. Witzel (Wiesbaden).

Kleine Mitteilungen.

Aus dem Jahresbericht der städtischen Schulzahnklinik zu Straßburg i. E. Im zweiten Jahre (1.710. 63 30.9. Cp wurden 690 Kinder untersucht, 4157 behandelt und zwar mit 4822 Füllungen und 6530 Extraktionen (im vorausgegrangenen Jahre betrugen die Zahlen 5343, 2666, 699 und 2912). Die Behandlung mit Füllungen hat sich erheblich vermehrt. Eltern und Kinder lernen schon die konser- vative Behandlung schätzen. Der Berichterstatter hält die systema- tische Sanierung des kranken Mundes der Volksschulkinder für ein wertvolles Mittel zur Hebung der Volksgesundheit und zur Verhütung der Tuberkulose. Kariöse Zähne bilden eine ständige Gefahr für die eigene Gesundheit und die der Mitmenschen.

Zu den Untersuchungen gingen an 60 Tagen je 4 Stunden für den Unterricht und für die zahnärztliche Behandlung verloren, außer-

192 Kleine Mitteilungen.

dem wurden an 20 Tagen in je 3 Stunden die Kinder mehrerer Ort- schaften untersucht. Über die Ergebnisse der Untersuchung sagt der Bericht u. a.: „In Elsau und Gliesberg sind die meisten Kinder mit esundem Gebiß, 9,2 und 9,7 Proz., weil hier selbstgebackenes hartes indenbrot gegessen wird.“ In Gliesberg gab es auch keinen Fall von Hypoplasie unter 230 Kindern, in Elsau nur zwei Fälle unter 152 Kindern (in Neudorf unter 1509 Kindern 86 Fälle).

„Sehr viele Kinder, besonders die vom Schularzt als skrophulös bezeichneten, hatten submaxillare Lymphdrüsenschwellungen einseitig, wenn nur auf einer Seite tief karıöse Zähne standen, oder auf beiden Seiten, wenn der ganze Mund krank war.“ .. . „Bei manchen Kindern, die als nervös, blutarm und herzkrank bezeichnet wurden, waren die Mundhöhlen vollständige Jauchegruben.“ Über den Erfolg der Be- handlung sei folgender Satz aus dem Bericht angeführt: „Tatsache ist, daß bleichsüchtige und herzleidende Kinder nach der zahnärztlichen Behandlung in kurzer Zeit viel besser aussahen, was von Eltern und Lehrern vielfach bestätigt wurde.“ Über die Wirkung des harten Brotes heißt es: „Welch gute Wirkung das harte Brot auf die Zähne ausübt, zeigte die Untersuchung der 15—20jährigen Mädchen der Waisenanstalt St. Josef. Diejenigen, welche von ihrem zweiten oder dritten Jahre an in der Anstalt gewesen waren, hatten tadellos gute Zähne, was sich besonders auffällig bei den schulpflichtigen Mädchen von 8—13 Jahren zeigte, wäbrend diejenigen, welche erst später in die Anstalt aufgenommen waren, vielfach kariöse Zähne hatten.

Verschlucktes Gebiß. Robin teilt in der Revue de Stoma- tologie 1901, H. S, S. 339 folgenden Fall mit: Der Patientin wur schon vor längerer Zeit ihr partielles oberes Ersatzstück zerbrochen, sie trug es aber RN weiter und entfernte es nicht einmal nachts, bis sie einmal mit heftigen Schmerzen in der Speiseröhre erwachte und bemerkte, daß sie die rechte Hälfte des Stückes ver- schluckt hatte. Nach der Untersuchung des Mundes mußte das Stück fünf Zähne und eine Klammer tragen. Es saß etwa in der Mitte des Ösophagus, als die erste Untersuchung vorgenommen wurde. Das Stück mußte eine längliche Gestalt haben und Robin nahm aus den begleitenden Umständen an, daß es sich mit der Längs- achse, die Klammer nach vorne, in den Osophagus eingestellt hatte. Der Erfolg bestätigte diese Annahme, denn es gelang, das Stück mit der Schlundsonde in den Magen zu stoßen. Eine jetzt erst vorgenommene Röntgenaufnahme war resultatlo. Es wurde daher zunächst abgewartet mit dem Erfolge, daß das Stück nach einiger Zeit, ohne weitere Beschwerden gemacht zu haben, per vias naturales zum Vorscheine kam. Prof. Dr. P.

Central. Verein Deutscher Zahnärzte. Von den Fragebogen zur Ill. Narkosenstatistik (Jahrgang 1904) sind noch viele nicht zurückgesandt worden. Alle Kollegen, welche ihre Ergebnisse mit- gezählt haben möchten, werden deshalb dringend gebeten, die Frage- bogen bis spätestens 31. März d, J. an den Vorsitzenden, Prof. Dr. Miller, Berlin W., Kurfürstendamm 232, ausgefüllt zurückzusenden.

XXII. Jahrgang. 4. Heft. April 1905.

Deutsche Monatsschrift

für

Zahnheilkunde.

[Nachdruck verboten.)

Reziproke Kraftanwendung, ihre Bedeutung

für die Gesichtsorthopädie und die bisher erfundenen Apparate,

| Von Dr. chir. dent. Emil Herbst. (Mit 27 Abbildungen.)

Reziproke, d. h. wechselseitige Kraft ist in der Gesichtsortho- pädie diejenige Energie, mit welcher man imstande ist, auf Ober- und Unterkiefer eine Wechselwirkung auszuüben, und zwar so, daß man entweder den Oberkieter vor und den Unterkiefer gleichzeitig zurückzieht, oder umgekehrt; oder aber, daß man auf die Zähne des Oberkiefers herabziehend und auf die des Unterkiefers em- porziehend wirkt und ähnliches. Eine derartige Kraft kann nur durch elastische Apparate ausgelöst werden: wir werden es daher wohl stets mit der Anwendung von Gummibändern, vielleicht auch nit Spiralfedern zu tun haben müssen.

Die Einführung dieser Kraftanwendung dürfte nach vor- handener Literatur dem Amerikaner Case in Chicago gebühren. Mit ihm kämpft um die Priorität Baker aus Boston, der einen reziproken Regulierapparat bei seinem eigenen Sohne angewandt hat, Einige schreiben sogar Angle die Einführung der rezi- proken Kraftanwendung zu, jedoch ganz mit Unrecht, denn was Angle darüber veröffentlicht hat, ist nicht Originalide. Angle selbst schreibt auch im Märzheft des Dental Cosmos 1904 wört- lich: „The reciprocating force from rubber regulating teeth“ war eine Idee, welche mir von Herrn Dr. Baker. Boston, vegeben

XXIII. 13

194 Herbst, Reziproke Kraftanwendung, ihre Bedeutung für

ist. Aber ich babe kürzlich gehört, daß Dr. Case, Chicago, schon 1893 diese Idee verwertet hat. Ich weiß nicht, wer der erste dieser beiden Herren gewesen ist, doch dem mag sein, wie ihm wolle, sie ist sicher eine der wertvollsten Erwerbungen der modernen Orthodontie.“ Durch diese eigenen Worte gibt Angle uns den gewünschten Anf- schluß über sich, bezw. seine Priorität, und auch seine Ansicht betreffend den Wert dieser Erfindung.

Ich will nun in kurzem auf die Anwendungsarten dieser reziproken Kraft ein- gehen und gleichzeitig auf einige Modifikationen und

Fig. 1. Neuerungen hinweisen, die in

letter Zeit entstanden sind.

Man kann die reziproke Kraft als einzige und als Hilfskraft

in Anwendung bringen. Als einzige Kraft bei Regulierungen von Prognathie, Progenie und offenem Biß, wenn diese Anomalien nicht stark aus- geprägt sind, als Hilfs- kraft, wenn sie allein nicht richtig bezw. nicht aus- reichend wirkt. Aus der Literatur, die wir über die reziprokeKraftanwen- dung kennen, geht hervor, daß dieselbe ihre Anwen- dung gefunden hat bei Prognathie, Progenie und partiell offenem Biß. Es ist nun für die Orthodontie die Bezeichnung Progna- thie und Progenie insofern nicht glücklich gewählt, als die ähnelnden Formen, die aber nicht als reine Prognathie und reine Progenie be- zeichnet werden können, ebenfalls durch die reziproke Kraft- anwendung sich mit Erfolg behandeln lassen. Ich möchte daher

die Gesichtsorthopädie und die bisher erfundenen Apparate. 195

vorschlagen, an Stelle von Prognathie und Progenie den Sammel- namen „mesio-distale Artikulationsanomalie“ zu setzen; und, um den offenen Biß und die seitliche Verschiebung der Kiefer gleich mit zu berücksichtigen, von mesio-distaler, vertikaler und lateraler Artikulationsanomalie !) sprechen. In dem Fall, wo die reziproke Kraft nur als Hilfskraft angewandt wird, kommen als Hauptkräfte in Betracht 1. diejenigen, deren Befestigungen in der Kopfhaube und 2. diejenigen, deren Befestigungen in demselben Kiefer an den Zähnen gefunden werden.

Wir kommen nun zu den Apparaten, welche für die rezi- proke Kraftanwendung angefertigt worden sind. Da ist zunächst der bekannteste in Fig. 1 abgebildet.

I A A

[4 u eg 7,971 ramens) o Zu

a

<< A Fig. 8. AA

Die sechsjährigen Molaren sind je mit einem Ringe versehen, an dessen buccaler Seite je eine Kanüle angelötet ist, je ein Draht wird nun von vorn in diese Kanüle hineingeschoben, an diesem Draht befindet sich ein Gewinde und eine Mutter beider- seits, die Mutter kommt vor die Kanüle zu liegen. Bis soweit ist die Anfertigung für Ober- und Unterkiefer die gleiche, nun wird noch am Oberkieferdraht ungefähr in der Höhe der Augen- zähne je ein nach vorn und unten geöffneter Haken angelötet. Dieser Apparat dient dazu, mit Hilfe von Gummibändern, die von dem Haken nach dem hinteren Ende des Drahtes gespannt werden, die Zähne des Öberkiefers zurück und die des Unter- kiefers nach vorn zu bringen. Dabei werden die vier Vorderzähne des Unterkiefers, damit sie die Bewegung mitmachen können, mit Fäden an dem unteren Drahte festgebunden. Eine Modifikation

e

1) Vgl. meine diesbezügliche Arbeit über Einteilung der Ano- malien. D. Z. W. 1904 und D. M. f. Z. 1904, Augustheft, S. 493. 13*

196 Herbst, Reziproke Kraftanwendung, ihre Bedeutung für

dieses Apparates besteht darin, daß die distal geöffneten Haken nicht am oberen, sondern am unteren Drahte in entsprechender Lage angelötet werden, alsdann dient der Apparat dazu, in um- gekehrter Weise zu wirken, d. h. die Zähne des Oberkiefers rück- wärts und die des Unterkiefers vorwärts zu bewegen (s. Fig. 2), hierbei werden nicht die Zähne des Unterkiefers, sondern die des Oberkiefers mit Fäden an dem Drahte festgebunden. Die Muttern, welche auf den Drähten vor den Kanülen betestigt sind, haben den Zweck, die angewandte Kraft zu dirigieren. Werden nämlich die Muttern rechts gedreht, so geht der Draht nach vorn und die Kraft des Gummibandes wirkt beim ersten Apparat im Oberkiefer distal auf die Mo- laren, und im Unter- kiefer frontal auf die Vorderzähne. Dreht man umgekehrt die Schrauben nachlinks, so wirkt das Gum- miband in distaler Richtung auf die Vorderzähne imOber- kiefer und in mesia- ler auf die Molaren des Unterkiefers. Zweckmäßig kann

man mit Hilfe der Muttern die Regulierung der Zähne jedes Einzelkiefers zunächst

vornehmen und erst, wenn dies geschehen ist, die Gegenseitigkeits-

reculierung beginnen. Man kann dabei im Öberkiefer, falls es sich um vorstehende Zähne handelt, die Muttern hinter den Kanülen aufschrauben und durch Rechtsdrehen derselben die Vorder- zähne zurückziehen und in entsprechender Weise im Unterkieter die Vorderzähne nach vorn schrauben. Dieser Apparat wird wegen

seines wohldurchdachten Mechanismus manches befriedigende Resul- tat bei Progenie und Prognathie erbringen. !')

Im Maiheft des Dental Comos 1904 beschreibt Case uns einige weitere Modifikationen dieses Apparates, die insotern von Vorteil zu sein scheinen, als sie dag Herabziehen der oberen Vorderzähne verhindern sollen. Die Haken (siehe Fig. 3), zur Betestigung der Gummibänder, sind mit kleinen Kanülen beweg- lich auf dem Drahite angebracht, der seinerseits durch die Muttern

Fig. 4.

hinter den Kanülen der sechsjährigen Molaren zurückgezogen wird.

N Vgl. Archiv f. Zahnheilk., der Orthodontia von R. Duncan Me. Bright.

Juli 193: Kunst und Mechanik in

x f Li

>

die Gesichtsorthopädie und die bisher erfundenen Apparate. 197

Case hat diese Form von Haken in den letzten sechs Jahren gebraucht und hält dieselben für besser als die von Angle an- gegebenen (siehe Fig. 1 u. 2) An jedem Vorderzahn ist ein Ring angebracht, mit einem wittleren Ansatz, an dessen Vertiefung der Drahtbogen Platz tindet (siehe Fig. 8), um ein Abgleiten zu verhindern und gleichzeitig zu vermeiden, daß die Zähne nach

unten gezogen werden. Um die Drehung der Eckzähne zu ver- meiden, sind an deren lingualen Seiten und an der lingualen Seite der Molaren noch extra kleine Häkchen angelötet, die mit Gummibändern verbunden werden. In Fig. 7 sind zum gleichen Zwecke Drahtverbindungen mit Muttern angebracht.

In Fig. 4 sehen wir die gemischte Anwendung der reziproken Kraft und der Haubenkratt. In Fig. 5 die Anbringung eines Häkchens am zweiten Molaren des Unterkiefers, wodurch die Spannung des Gummis erhöht wird. Fig. 6 zeigt uns eine Variation, bei der der Druck des Gum- mibandes direkt auf die Molaren übertragen wird, und zwar durch Aufsetzen einer Kanüle. In Fig. 7. Fig. 7. sind die einzelnen Teile des Apparates zerlegt, man sieht, daß auch die Innenseiten der Molaren und Eckzähne durch einen besonderen Draht und eine Mutter verbunden sind. Fig. 8 zeigt uns die Vereinigung dieses Apparates mit der Haube und die Anwendung einer doppelten Gummibandage; man ersieht daraus die Art und Weise, in welcher die Vorderzähne des Oberkiefers sowohl zurück als auch in den Kiefer hineingetrieben werden. Die hier von Case vorgenommene Extraktion des ersten Prämolaren erscheint bei einer derartigen Kraftanwendung fast überflüssig. Ich würde empfehlen, an Stelle der Extraktion die Expansion des Kiefers auszuführen, denn nach

198 Herbst, Reziproke Kraftanwendung, ihre Bedeutung für

meiner Erfahrung 1l&ßt sich der Kiefer mit Leichtigkeit so weit dehnen, daß er für die Rückwärtsbewegung der Vorderzähne fast ebensoviel Platz hergibt als durch Extraktion. In Fig. 9 sehen wir die Ringe, Haken, Drähte und Muttern des Oberkiefers genau veranschaulicht, auch hier wieder die zungenseitlich befestigten Haken zur Verhinderung der Drehung des Eckzahnes. Fig. 10 zeigt den Apparat in Details zerlegt.

Wir kommen nun zu der Behandlung des offenen Bisses und zwar des „partiell offenen Bisses“. Fig. 11 zeigt uns einen derartigen Fall, Fig. 12 den hierfür von Case angewandten Apparat. Wir sehen den Draht an den Vorderzähnen befestigt und in der Gegend der Eckzähne und der kleinen Schneidezähne durch ein Gummiband zusammengezogen. Fig. 13 und 14 zeigen uns den Apparat des Ober- und Unterkiefers im Detail. Bei Fig. 15 ist eine kleine Progenie vorhanden neben dem offenen Biß, man sieht in Fig. 16, wie Case sich mit der Haube und reziproken Kraft gemeinschatt- lich zu helfen weiß. Fig. 17 und 18 zeigen den Apparat im Detail.

Die Zeichnungen 1—18, welche nach den Aufsätzen von Case in Chicago und Mc. Bright, Dresden (Fig. 1 u. 2), angefertigt sind, liefern uns wohl den Beweis, daß wir in Case einen energischen Vor- fechter für die Gesichtsortho- pädie, speziell aber fürdieAnwen-

Fig. 9. dung der reziproken Kraft haben.

Uns fällt aber bei all diesen

Apparaten auf, daß Case jedesmal mit einem Drahtbügel arbeitet, und, was ein streitiger Punkt noch bleiben wird, daß er die Extraktion des ersten Prämolaren nicht scheut. Uber Vermei- dung dieser Extraktion habe ich bereits gesagt, daß die Deh- nung des Kiefers sehr wohl, wenn auch nicht immer an deren Stelle in Anwendung zu bringen sei; bezüglich des Drahtbügels möchte ich noch bemerken, daß der Bügel unbedingt die Kraft

die Gesichteorthopädie und die bisher erfundenen Apparate. 199

des Gummis nicht unwesentlich beeinträchtigt. Wenn wir z.B. uns Fig 1—3 ansehen, so finden wir, daß die kleine Entfernung zwischen dem dritten Zahn im Oberkiefer und dem sechsten im Unterkiefer vielleicht nur 2—3 cm beträgt. Würde die Ent- fernung wesentlich größer sein, so würde auch die Kraft des Gummis wesent- lich besser ausgenutzt werden können, wie wir das an der gewöhnlichen Gummischleuder beob- achten. Außerdem gibt der Drahtbügel der ganzen Regulierung etwas Steifes Fig. 10. und Hartes, da die Elasti- zität des Drahtes nur gering ist. Ich habe daher versucht, diesen Drahtbügel, der außerdem die Anwendung einer Anzahl Ringe erfordert, nach Möglichkeit zu vermeiden und ihn durch die völlig elastische Gummi-

schnur so oft als möglich zu ` ersetzen. Doch bevor ich pa : näher darauf eingehe, habe ' Baar ich noch einige Worte über ta A

die reziproke Kraft im all- gemeinen zu erwähnen.

Sehen wir uns z. B. das Buch von Angle 1900 ein- mal näher an, so finden wir dio Anwendung der Gummi- bänder zur Regulierung der Artikulation nur ein einziges- mal, und zwar in dem von Angle als Bakers Erfind- ung angegebenen Apparat, ein Apparat, mit dem der Sohn von Baker behandelt ist, siehe Fig. 19. Sonst wird nur noch bei Angle die Anwendung dieser Idee in ähnlicher Form gefunden, u. zw. zam Herabziehen oberer Vorderzähne. Siehe Fig. 20, 21 und 22.

In dem Werke Guilfords aus dem Jahre 1893 ist kein Fall der reziproken Kraft aufzufinden, obgleich schon aus den wenigen Zeichnungen, die ich hier vorgeführt habe, genügend hervorgeht,

200 Herbst, Reziproke Kraftanwendung, ihre Bedeutung für

dat die reziproke Kraft in sehr vielen Fällen der Gesichtsortho- pädie zugute kommen kann. Unter den neueren Autoren haben mit dieser reziproken Kraft besonders Pfaff in Dresden und Mc. Bright ebendaselbst vorzügliche Erfolge gezeitigt. Und aus deren interessanten Vorträgen und Demonstrationen ist manchem schon der Wert der reziproken Kraft vor Augen geführt worden. Wie ich bereits oben er- wähnt habe, erscheint eine Aus- dehnung von 2—3 cm für die Wirkung der Gummibänder zu gering, weshalb auch Case in vielen Fällen die reziproke Kraft nur als eine Hilfskraft bezeichnen kann. Die von andern und mir angestellten Versuche aber in Verbindung mit der mehrfach erwähnten Kieferdehnung haben ergeben. Fig. 12. daß selbst exquisite Fälle mit

Hilfe der reziproken Kraft und

der gleichzeitigen Umformung der Kiefer zu bewältigen sind. Wenn man nun vollends lange Gummibänder gebraucht, welche vom Unterkiefer der einen Seite über die Vorderzähne des Oberkiefers hinweg zum Unterkiefer der anderen Seite führen, so ist der Erfolg sogar relativ schnell zu erzielen, wie wir weiter sehen werden. In der

Deutschen Zahnärztlichen

IS Wochenschrift habe ich be- A D reits einen derartigen Fall 7) N beschrieben, der hier im Bilde Fig. 23!) noch einmal

wiedergegeben werden mag.

Man sieht die sechsjährigen (2) Molaren mit Ringen und N4 distal geöffneten Haken an

der Buccalfläche versehen.

Fig. 13. Die vier Schneidezähne des

Oberkiefers sind ebenfalls

mit Ringen versehen, die durch die Anwendung des Kniffs ?) an der labialen Fläche eine kleine Erhöhung aufweisen, um das Herabrutschen des Gummibandes zu verhindern. Ein Gummiband Nr. 10, welches

1) Die mit E. H. bezeichneten Abbildungen sind Originalapparate, 2) Vgl. W. Herbst‘, Methoden und Neuerungen auf dem (rebiete der Zahnheilkunde.

gespannt ist, bewirkt ein gleichzeitiges Vorwärts- ziehen der unteren Molaren undPrämolaren und Rück- wärts- und Abwärtsziehen der oberen Vorderzähne und in der kurzen Zeit von sechs Wochen den jedenfalls frappierenden Erfolg, wie er in Fig. 24 veranschaulicht ist. Eben- % wie die Gegenseitig- keitsregulierung mit Hilfe der Drahtbügel viele Mo- diflkationen zuläßt, so läßt ur hdie Gegenseitigkeits- rg nlierung ohne Draht- bügrel oder. diejenige „der langen Gummibänder“ vielfach Alodifizierungen zu. wie wir sogleich sehen werden.

In Fig. 25 haben wir eine ausgeprägte zu weite Zahnstellung, die gleich- %itig mit partiell offenem Biß verbunden ist, auch hier sind nar die sechs-

jährigen Molaren mit Ringen zu versehen und distal geöffneten Haken an der Buccalseite. Die Oberen Schneidezähne ”«rden ähnlich, wie in Fag. 23 gezeigt ist, mit Ringen bedeckt und die Gummibänder in folgen- der Weise gespannt: ein Gummiband von 6. nach ‘, ein Gummiband von nach 8, ein Gummi-

die Gesichtsorthopädie und die bisber erfundenen Apparate. 201

vom unteren sechsjährigen Molaren über die Vorderzähne des Ober- kieferrs weg zum sechsjährigen unteren Molaren der anderen Seite

Fig. 14.

Fig. 16.

tand von © über die oberen Schneidezähne nach !s. Die an- wandten Gummibänder sind A. W. Faber Nr. 10 und später

202 Herbst, Reziproke Kraftanwendung, ihre Bedeutung für

Nr. 8 Wie leicht erklärlich, ist die zur Verdrängung der starken Knochensubstanz zwischen den Alveolen nötige Kraft durchaus nicht gering und infolgedessen die Verwendung kräf- tiger Gummiringe sehr gerechtfertigt, ja notwendig, denn erst nach einem Zeitraum von 8 Wochen war der glatte Ertolg be- werkstelligt.

Zur seitlichen Ver- schiebung des Kiefers habe ich mir einen Apparat konstruiert, der ähnlich demjeni- gen zur Behandlung des partiell offenen

Bisses angefertigt ist. Der Unterschied besteht nur in der Spannung der Gum- mibänder, indem ich nicht von | über die Vorderzähne des Oberkiefers nach spanne, sondern nach 6, und zwar je ein Band über den Ober- und Unterkiefer, wo- durch der Oberkiefer sowohl als der Unter- kiefer einen gegen-

seitig-seitlichen Druck erhalten, der

selbstredend der anormalen Lage der

Kiefer entgegen wirken muß. Die Gummibänder gehen also von _°| über die oberen Vorderzähne nach |6 und von _®] über die unteren Vorder- zähne nach T6.

die Gesichtsorthopädie und die bisher erfundenen Apparate. 203

Sammelapparat für reziproke Kraft und Einzelkiefer- regulierung. Wie wir gesehen haben, wird die reziproke Kraft zur Be- handlung der Artikulationsanomalien verwertet. Da diese Arti-

kulationsanomalien sich aber um Verschiebung des Bisses von vorn nach hinten oder umgekehrt,

oder von rechts nach links GL. oder umgekehrt, oder von oben DEE GEB aA, HR ý

nach unten erstrecken, so muß die Spannung der Gummi- bänder zur Behandlung dieser Anomalien jedenfalls so an-

Ar Al =“ ja

aa ET. aTi] T

gelegt sein, daß sie der Ano- n LLZ VOR malie genau entgegenwirkt. >> IRRE

Die Gummibänder müssen also durch ihre Kraft bewegen: Fig. 20. entweder den Oberkiefer zurück und den Unterkiefer nach vorn oder umgekehrt, oder den Ober- kiefer nach rechts und den Unterkiefer nach links oder umgekehrt, oder den Oberkiefer abwärts und den Unterkiefer aufwärts, oder jedes der beiden letzteren allein. Alle diese Funktionen der Gummibänder lassen sich durch einen einzigen Apparat zur Anwendung bringen, den ich mir unter möglichster Berücksichtigung schon vorhandener, aber be- währter Apparate auf folgende Weise konstru- iert habe (siehe Fig. 26 und 27): der Oberkiefer erhält, um gleichzeitig den Biß etwas zu Öffnen, eine Kappe (Kp. 1 u. Kp. 2) nach Heydenhauß beiderseitig auf dem vier- Fig. 21. ten, fünften und sechsten Zahn, der Unterkiefer entsprecbend drei zusammengelötete Ringe (R. 9 u. R. 10) beiderseits auch auf dem vierten, fünften und sechsten Zahn aufgesetzt. An den Kappen sind in der Gegend der Molaren distal geöffnete Haken (H. 1 u. H. 2) angelötet, und in der Gegend der Prämolaren je eine Kanüle (Ka.). Im Unter- kiefer genau entsprechend dem ÖOberkiefer sind ebenfalls die Haken (H. 3 u. H. 4) und Kanülen an der Buccalfläche der Ringe (R.9 u. R. 10) fest angelötet. Kappen wie Ringe werden durch

204 Herbst, Reziproke Kraftanwendung, ihre Bedeutung für

einen Dehnapparat, ähnlich dem von Heydenhauß und Brunszlow empfohlenen verbunden. Die Verbindung wird mit Hilfe von Platin- goldfolie bewerkstelligt, die man beiderseitig an den Kanülen an-

Fig. 22.

schließend auf das Gips- modell aufpreßt und mit Lot überschwemmt (U.). Hierdurch erreicht man, daß die Dehnung mehr nachdem Gaumen- dache hin verlegt wird und der Platz für die Zunge weniger beein- trächtigt bleibt. Im Unterkiefer ist die Dehnschraube direkt an den Ringen angelötet.

M. 1 sind die Muttern, die den Dehnapparat in Funktion setzen und durch Rechtsdrehen den Kieferbogen seitlich erweitern. Von vorn ist in die Kanülen je ein Gewindedraht eingeschoben,

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- = z -a >

Fig. 23.

auf diesem Gewinde- draht befinden sich die Muttern (M. 2), welche vor den Kanülen zu liegen kommen, oder im Bedarfsfalle hinter den Kanülen (M. 3). Schließ- lich sind an den Vorder- zähnen des Ober- und des Unterkiefers Ringe (R. 1—8) angebracht, an deren Front sich ein Ansatz befindet, der bei den Zähnen des Ober- kiefers zwei Einker- bungen und bei denen des Unterkiefers eine Einkerbung aufweist.

Wie können wir nun mit diesem Appa- rate die drei haupt-

sächlichsten Funktionen der reziproken Kraft ausüben, nämlich die Behandlung der mesio-distalen Artikulationsanomalie, die der lateralen Artikulationsanomalie und die der vertikalen Artikulations- anomalie? Die Antwort darauf lautet: durch zweckmäßige An- bringung der Gummibänder und zwar: will man den Oberkiefer

die (esichtsorthopädie und die bisher erfundenen Apparate. 205

wrück und den Unterkiefer vorziehen, so spannt man von H. 3 über R. 1, 2,3, 4, nach H. 4, befürchtet man dabei, daß die Vorderzähne herabgezogen werden, so legt man den oberen Drahtbogen an, und setzt die Mut- tern hinter den Kanülen auf (M. 3). Der Drahtbogen hat seine Rast in den Vorderzahn-

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ringen, und zwar a im oberen Aus- Ka “i \ p9 katzes: er vermag ik, 1 ul Siny

infolge des An- ziehens der Mut- tern (M. 3) ein Herabpleiten der Fig. 24. Vorderzähne zu rerhindern und dieselben gleichzeitig zurückzudrängen. Um die For-Jerzähne des Unterkiefers gleichzeitig mit vorwärts zu be- Kon, bindet MT dieselben nit Fäden am utteeren Draht- born fest und ka n nun mit Hilfe der Mut- tera (M. 2) die Kraft der Gum- nibänder diri- meren, s0 daß dieselben ent- weder auf die Vorderzähne oder auf die Backenzähne der Unterkiefer oder aut beide zleichzeitig wirken. Will man ferner den Unterkiefer zurück and den Oberkiefer nach vorn bringen, so werden die Gammibänder folgendermaßen gespannt: von H. 1 über R. 5, 6,

206 Herbst, Reziproke Kraftanwendung, ihre Bedeutung für

7, 8 nach H. 2, dabei werden die Vorderzähne des Oberkiefers an den oberen Drahtbogen fest angebunden; wegen des Schrauben- gewindes bei diesen Bögen ist ein Ausgleiten der Fäden unmög- lich, auch hier ist unter Umständen der untere Drahtbogen im obigen Sinne zu verwenden. Soll weiter eine seitliche Verschie- bung der Kiefer herbeigeführt werden, so spannt man bei Rechtsbiß des Unterkiefers die Gummibänder von H. 3 über R. 1, 2, 3, 4 nach H. 2, und von H.3 über R. 5, 6, 7, 8 nach H. 2; bei Linksbiß des Unterkiefers liegt die Sache genau umgekehrt. Bei offenem Biß spannt man das Gummiband von H. 3 über R. 1, 2, 3, 4, nach H. 4, und will man noch gleichzeitig eine emporziehende Kraft auf die unteren Vorderzähne ausüben, außerdem noch von H. 1 über R. 5, 6, 7, 8 nach H. 2 ein zweites Band. Außer diesen reziproken Funktionen leistet der Apparat noch folgen- des: seitliche DehnungdesOber- kiefers, seitliche Dehnung des Un- terkiefers. Labial- dehnung des Ober- kiefers durch An- binden der Vorder- zähne am oberen Drahtbogen und Rechtsdrehen der Muttern (M. 2), Labialdehn- ung des Unterkiefers durch Anbinden der Vorderzähne an dem unteren Drahtbogen und Rechtsdrehen der Muttern (M. 2), Umwandlung eines seitlich kontrahierten Kiefers, sei es V Form, Spitzbogenform oder Sattelform, durch Rechts- drehen der Mutter (M. 1) und Überspannen eines Gummibandes im Oberkiefer von H.1 nach H.2 über R.1,2,3,4 und im Unter- kiefer von H. 3 nach H. 4 über R. 5, 6, 7, 8, dadurch werden die Vorderzähne halbkreisförmig zurückgezogen und die Backen- zähne seitwärts nach außen gedrängt. Ferner lassen sich mit Hilfe der vorderen Drahtbogen und unter Zuhilfenahme des Dehn- apparates alle diejenigen Zahnanomalien in der Stellung de)! Vorderzähne beseitigen, die infolge zu enger Zahnstellung dor

die (Giesichtsorthopädie und die bisher erfundenen Apparate. 207

entstanden sind, z. B. inseits des Zahnbogens stehende Zähne, oder ausseits des Zahnbogens stehende Zähne, oder im Kiefer gedrehte Zähne, sei es, daB dieselben um ihre Längsachse oder um ihre Querachse gedreht sind.

Die Antertigung soll hier nicht beschrieben werden, doch wird jedem, der sich mit Regulierungsapparaten beschäftigt hat, sofort klar sein, daß es möglich ist, diese Apparate herzustellen, ohne gezwungen zu sein, irgendwelche fertigen auf dem Markte befindlichen Apparate sich anzuschaffen.!) Kappen, Draht, Muttern,

1) Damit soll den vorhandenen Apparaten durchaus nicht die Berechtigung abgesprochen werden. Es ist im Gegenteil nur wünschens-

205 Herbst, Reziproke Krattanwendung usw.

Ringe und Kanülen sowie kleine Häkchen sind alles, was zur Herstellung dieses Apparates nötig erscheint, es ist klar, daß ein Jeder in der Lage ist, sich diese Gegenstände selbst anzufertigen.

Ich brauche kaum zu erwähnen. daB dieser Apparat durch Fortlassen einzelner Teile, wie z. B. der vorderen Drahtbögen. oder der Ringe an den Vorderzähnen. oder der Dehnschraube usw. oder durch Anwendung eines einzigen Ringes an Stelle der Kappe oder der zusammengelöteten Ringe sich für jeden einzelnen Fall wesentlich einfacher gestalten muß; ich habe aber zeigen wollen, mit wie wenig Mitteln die moderne Gesichtsorthopädie arbeiten kann. \Venn ich erwähnt habe, daß der Anfertigung dieses Appa- rates keine übergrol’en Schwierigkeiten gegenüber stehen. so möchte ich andererseits die Herstellung desselben auch durchaus nicht als leicht bezeichnen. Es gehört ein gut eingearbeiteter Techniker dazu, solch einen Apparat, der doch genau passen und anschliet:en soll, anzufertigen. Alle Rauheiten und Schärten sind peinlichst zu vermeiden, alle Ränder müssen abrerundet sein. die Enden der Drähte dürfen nicht mehr den Kniff der Zange aufweisen und vor allen Dingen dürten die überschwemmten Teile ıU.) nur mit einem völlig abgerundeten Rande versehen sein, weshalb man zweckmäßig eine Drahteintassung hierzu verwenden mag. Auch die Anwendung des Apparates, wenn derselbe bereits mit Zement im Munde festgesetzt ist. unterliegt bestimmten Grenzen: so soll die Dehnschraube keinesfalls mehr als eine halbe Umdrehung pro Tag betragen, um dem Patienten sowohl Schmerzen als üble Folgeerscheinungen zu ersparen. Die Anwendung der Gummi- bänder darf auch nicht blindlings erfolgen; denn da der Gummi eine dauernde Kraft bedeutet, so ist die dadurch hervurgerutene Empfindlichkeit bei dem bewegten Zahn ebenfalls eine dauernde. Deshalb gehören schärfste Beobachtung verbunden mit gründ- lichem \Verständnisse von seiten des Zalınarztes zu den unvermeid- lichen Vorbedingungen. Während der Apparat in den Händen seschickter und verständirer ÖOperateure wirklich \Vunderbares leistet und den Operateur und Patienten in hohem Grade befriedigen kann, so ist er unter Umständen in den Händen eines ungeschickten und gewissenlosen Operateurs die (Quelle schwerer Folgeerschei- nungen. Wenn wir uns vergegenwärtigen, dab schon beim ein- maligen Herumdreben der Dehnschraube das Kind sehr heftige Schmerzen sowohl im Processus alveolaris als auch in der mittleren Raphe des Öberkieters. ja sogar an der oberen Nasenwurzel, Schläfe und Ohren verspürt. so können wir uns der Ansicht nicht

wert, wenn unseren vielbeschäftigten Praktikern die Arbeit möglichst erleichtert wird: ich habe daber selbst die Absicht. einige fertige Artikel in den Handel zu geben, die ein schnelles und sicheres An- fertigen von Richtapparaten ermöglichen.

de Terra, Überblick über den heutigen Stand der Phylogenie usw. 209

verschließen, daß bei weiterer Übertreibung dieser Leistung dem Kinde eventuell schwere Folgezustände daraus entstehen können, seien es Frakturen von Knochen, Zerreißen von Nerven oder andere Erscheinungen.

Darum Vorsicht und Sorgfalt bei Anwendung der kräftigen Umwandlungsapparate in der Orthodontie.

Wir haben gesehen, wie durch die reziproke Kraft ein Faktor in die Zahnheilkunde hineingetragen ist, der unser aller Aner- kennung verdienen wird und ich will hoffen, durch diese kleine Anregung ein wenig zur Verbreitung der reziproken Krattan- wendung beigetragen zu haben.

[Nachdruck verboten.) Überblick über den heutigen Stand der Phylogenie des Menschen in bezug auf

die Zähne.

Von

Dr. phil. Maximilian de Terra, deutscher und schweizerischer Zahnarzt in Zürich.

(Schluß.)

Physiologische Gesetze. Daß die Variationen im Ge- bisse nur Folgen einer veränderten Gebrauchsweise derselben sind, hat sich besonders darin manifestiert, dab miteinander nahe ver- wandte Individuen infolge verschiedener Lebensweise ein ver- schiedenes Gebil aufweisen. !) Im Zusammenhang mit der Ver- änderung der Nahrungsaufnahme steht natürlich auch die des Kiefergelenkes und auf letzterem Umstande basieren die Grund- sätze, die Ryder (1878) aufstellt. Dieselben lauten:

l. Die früheste und einfachste Art der Kieterbewegung war das einfache Ottnen und Schließen des Mundes, ohne mandibulare Exkursion (= seitliche Bewegung nach der Übersetzung von

D Schlosser äußert sich im Archiv für Anthropologie. Bd. 2%, Abt. Zoologie, S. 125 tolgendermaben: Gleiche Zahnzahl beweist sehr wenig für wirkliche Verwandtschaft, denn schon unter den neuwelt- lichen Affen gibt ex Formen mit nur 32 Zähnen, die Lemuren aber weisen sehr verschiedene Zahlen auf. XXII. 1-1

210 de Terra, Überblick über den heutigen Stand

Branco) und zugleich vereint mit dem haplodonten oder buno- donten Zahn.

2. Die mandibulare Exkursion hat allmählich zugenommen.

3. Mit der Zunahme der Unterkiefer-Exkursion komplizierte sich die Kaufläche der Zähne durch Leisten und Furchen.

4. Die Schmelzfalten usw. richten sich nach der Einwirkung der Kraft beim Kauen.

5. Die Kieferartikulation ist durch die Bewegung der Kiefer auch verändert worden.

6. Wo die Incisiven verkümmern, da übernimmt deren Funk- tion ein anderes Greiforgan, die Zunge oder die Lippe.

Ryder sieht also in dem mannigfachen Relief der Kanfläche die Beeinflussung derselben durch die verschiedenen Formen des Kiefergelenkes.

Cope, zitiert von Fleischmann (1891), ergänzt diese Grund- sätze durch folgende:

1. Das Größenwachstum eines Zahnes oder eines Teiles des- selben ist eine direkte Folge des Gebrauches.

2. Durch den Gebrauch wird die Stellung eines Zahnes in der Richtung vom größten zum kleinsten Widerstand gedreht.

3. Leisten auf der Kaufläche werden schneller abgeschliffen als Höcker. |

4. Das Wachstum der Cristen und Höcker nach jeder mög- lichen Richtung und die Faltung der Schmelzdecke sind direkt eine Folge des Reizes, welchen das Kaugeschäft auf das Reliet des Zahnes ausübt. Also ist der Zahn entstanden durch ein Wechselspiel zwischen dem zerstörenden Einfluß der Tätigkeit und der ergänzenden Wirkung der Ernährung. Wenn energischer Gebrauch die Größen- und Formentwicklung des Zahnes steigert, so muß das Gegenteil, die geringe Benutzung, die Rückbildung und schließlich den Schwund derselben hervorrufen. Aber es ist viel schwerer, dafür stichhaltige mechanische Gründe anzugeben.

Dat die Wurzel ein sekundäres Gebilde ist, dürfte ver- gleichend anatomisch nicht bestritten werden, wenn man die Haut- zihne der Selachier zum Ausgangspunkt macht. Autierdem ist auch ontogenetisch die Reihenfolge dieselbe, indem die fertige Zahnkrone nachträglich die Wurzel erhält, die sich allmählich während ihres Längenwachstums an der Spitze schließt. Röse (1894) begründet das sekundäre Auftreten der Wurzeln durch eine Betrachtung bei einigen Reptilien, die durch einfache kegel- förmige Zähne an Säugetiere erinnern. Diese Zähne sind durch allmäbliche Verwachsung von einfachen Zahnanlagen mit kompli- zierten entstanden, doch gibt die Zahl der Wurzeln über die Zahl der miteinander verschmolzenen Einzelzähne keinen Autschluß, die \Wurzelbildung ist vielmehr sekundär.

der Phylogenie des Menschen in bezug auf die Zähne. 211

Adloff (1903) spricht sich allgemein dahin aus, daß die Wurzelbildung nötig war, als die vermehrte Kautätigkeit eine bessere Befestigung der Zähne im Kiefer erheischte.

Vererbung. Trotz allen durch äußere Einflüsse bedingten Variationen im Gebisse spielt die Vererbung eine große Rolle. Es ist gewiß schon jedem Praktiker aufgefallen, daß manchmal zwei oder mehr Glieder einer Familie eine Zahn-Eigentümlichkeit aufweisen, die man sich nur durch Vererbung erklären kann. Daß auch derartige Anomalien mit Überspringung von ein bis zwei Generationen plötzlich wieder auftreten, darf als Beweis für die Vererbung aufgefaßt werden. Daß somatogene Eigenschaften zu blastogenen werden können, dürfte die Karies, oder besser ge- sagt, die Disposition zu Karies zeigen. Überhaupt kann man bemerken, daß im allgemeinen regressive Erscheinungen viel leichter auf die Nachkommen übergehen als progressive, so das Ausbleiben der Weisheitszähne und der lateralen Incisiven des ÖOberkieters. Daß hingegen, wie Stehr (1904) behauptet, das Fehlen letzterer nicht als Beweis für das Aussterben dieses Zahnes zu deuten, sondern lediglich als Entwicklungsstörung bei schwach veranlagten Personen zu betrachten sei, möchte ich bezweifeln, da ich derartige Fälle gerade häufig bei kräftigen Individuen und die Extreme bei Männern beobachtet habe. Es ist, wie schon bemerkt, nicht nötig, daß eine Vererbung sich konstant von einem Glied zum anderen fortsetzt, wenigstens ist ein Aussetzen derselben während 1—2 Generationen für regressive Erscheinungen nachgewiesen; von den progressiven Bildungen macht eine aber offenbar eine Aus- nahme, indem sie sich akkumulativ vererbt; es ist dies der Cara- bellische Höcker (Amoedo 1900). Amoedo findet auch, dab Riesenwuchs der Zähne sich vererbe, eine Tatsache, die ich nach meinen Untersuchungen bestätigen kann. Ob, wie Wallisch (1897) meint, auch Überzahl von Zähnen vererbt wird, glaube ich bezweifeln zu dürfen. In meinen „Beiträgen zu einer Odonto- graphie der Menschenrassen“ habe ich gelegentlich von der Ver- erbung gesprochen und wollte hier diesen, in der Literatur viel- fach behandelten Punkt, nur der Vollständigkeit halber streifen. Was die Vererbung der Zahngestalt als solcher betrifft, soll noch die Ansicht Röses, zitiert von Reeker (1893), angefügt werden. wonach der Dentinkern im Höckerchen die wahre phylogenetisch vererbte Gestalt eines Zahnes viel unveränderter enthalte als die Schmelzobertläche.

Das Kapitel der Vererbung ist noch insofern äußerst inter- essant, als es uns zwischen extremen Gebißtormen eine Brücke schlagen hilft, besonders wenn wir bedenken, daß eine eingreitende Veränderung des Gebisses vun einem Glied zum nächsten statt-

11*

212 de Terra, Überblick über den heutigen Stand

finden kann. So traf ich Fälle, in denen der Vater noch die lateralen Incisiven besaß. während sie dem Kinde fehlten; mit anderen Worten, die Zahntormel ist von 32 auf 30 zurückgegangen.

Geschlechtsunterschied. Eine gewisse Art der Verer- bung erkennen wir auch noch beim Menschen in dem konstanten, aber kleinen Unterschied des männlichen vom weiblichen Geschlecht hinsichtlich der Zähne. Dieser Geschlechtsunterschied ist bei den heutigen Affen sehr grot. dürfte aber wohl nicht immer so groß gewesen sein. weil die Trennung der Geschlechter nach all- gemeinen Gesichtspunkten früher wahrscheinlich nicht so intensiv war. Immerhin bedeutet das Erlaltenhleiben des Geschlechtsunter- schiedes einen interioren Charakter und ist deshalb bei uns nur in minimalen Spuren zu sehen. FEinire die Zähne betrefiende Merkmale firurieren unter den wichtigsten Faktoren zur Unter- scheidung eines männlichen von einem weiblichen Schädel; so ist bein Manne der Zahnbogen abzerundeter als brim Weibe, wo der sogen wehr spitz zuläuft: dann sind die Zähne voluminöser In männlichen als im weiblichen Geschlecht. Einige Autoren haben sich mit der Frave der Geschlechtsdiff-renz speziell beschäftigt. so Dietlein (18%4:, d-r im Durchbruch von Caniuns und Mo- laris If. eine Verschiedenheit bei beiden Geschlechtern feststellte. Nach seinen Untersuchungen brechen die weiblichen Eckzäline im Ober- und Unterkiefer durchschnittlich 3, Jahre früher durch als die männlichen. Für M, beträgt die Dinerenz ebenso !, Jahr tür den Ober- und 7 Monate fur den Unterkiefer. Für den Ca- ninus finden wir ähnliche Verhältnisse bei den anthropoiden Affen. nicht aber für M,. Da der Durchbruch des M, mit der Puber- tät des Menschen vor sich geht und diese früher eintritt bei Mädchen als bei Knaben. so ist das frühzeitigere Auftreten von M, erklärt. (Das ist anch die Ansicht Axel Keys) Etwas andırs verhält es sich mit dem Caninus,. da dessen Durchbruch nicht mit der Pubertät zusammentälit. Indessen ist der Eintritt der Geschlechts- reife doch von Einfluß. „berücksichtigt man schließlich noch. daß unser Gebiß durch eine allmähliche Abänderung aus dem der truriveren Atten entstanden sein muß. wie heute noch Zahlreiche tticksehlägre besonders bei niederen Rassen andeuten, so könnte man die oben erwähnte Differenz des menschlichen Caninus. falls nicht noch die früher eintretende weibliche Geschlechtsreife die Hauptursache sein sollte, als Reminiszenz an jene Zeit autfassen. wa der Mensch noch auf niederer Kulturstufe stand.“ Nach \Wiedershbeim finden sich atavistische Rückschläre in der Form der Eckzähne bei Südsee-Insulanern und Australiern. Daß der- artige, heutzutage sich nur noch als Abnorwitäten zeivende, sexuelle Unterschiede in der Form der Kaninen frühtr auch beim Menschen

f

der Phylogenie des Menschen in bezug auf die Zähne. 213

allgemein waren, dafür zeugt, daß wir noch jetzt bei vielen Ab- teilungen des Säugetierstammes derartige Unterschiede vorfinden. Die gemeinsame Charakteristik der Differenz besteht darin, daß beim Männchen dieser Zahn als Waffe bedeutend stärker ent- wickelt ist als beim Weibchen.

Auch Baume (1890) findet den oberen Eckzahn des Mannes im allgemeinen entschieden stärker gebildet als denjenigen der Frau, wofür er als Beweis die stärkere Wölbung der Labialfläche und stärkere Entwicklung des Höckers an der Lingualseite an- gibt. Ferner behalten die Kaninen der Männer ihre Spitze bei bis in die Dreißiger Jahre, ehe sie abgenutzt werden, während die der Frauen in der Norm mit dem zwanzigsten Jahre schon so abgenutzt sind, daB man sie für Incisiven halten könnte. Das unbestreitbare Prominieren der Eckzahnspitze beim Mann, was eine frühe Abnutzung ausschließt, beweist, daß die voluminöse Anlage des oberen Eckzahnes beim Manne nicht eine willkürliche Aus- nahme ist, sondern tatsächlich besteht.

In der verschiedenen Breite der mittleren oberen Incisiven sab man auch einen Geschlechtsunterschied.. Während Parreidt (1584) die I, supp. männlicher Individuen breiter fand als die weiblicher, gelangte Schaatfhausen (1883) zu gegenteiliger Ansicht, präzisiert dieselbe aber später (1884) dahin, daß beim weiblichen Individuum (Mensch und Affe) die I, supp. verhältnis- mäßig breiter seien als die männlichen.

DaB die Geschlechtsdifferenz in der Ausbildung des Caninus bei uns in so geringem Grade zu bemerken ist, glaube ich da- durch erklären zu können, daß die Lebensweise für das männ- liche wie für das weibliche Individuum dieselbe ist. Ein Kampf um das Dasein, das heißt, ein Kampf mit Rivalen, der z. B. die mächtigen Eckzähne bei männlichen Affen entstehen ließ, existiert auch beim Naturmenschen nicht mehr. Schließlich ist auch die Reduktion des Gebisses durch die starke Entwicklung des Neuro- craniums bedingt, eine Erscheinung, die hauptsächlich beim Manne in Betracht kommt, so daß der Unterschied, der. durch das Stehen- bleiben des weiblichen Schädels auf einem mehr kindlichen Sta- dium zum männlichen existierte, immer mehr verwischt wird.

Ubergang der Zahnformen. Ein weiterer wichtiger Punkt der Phylogenie ist die Frage nach dem Zusammenhang der einzelnen Zahnformen untereinander, oder der Übergang einer Zahntorm in eine im Zahnbogen folgende. Über dieses Thema spricht Zuckerkandl (1891) sich folgendermaßen aus. Ein homodontes Gebiß, sagt er, findet man bei den niederen Vertebraten. Es kommt aber auch vor, daß bei ein und dem- selben Tiere das Gebit zugleich homodont und heterodont ist,

214 de Terra, Überblick über den heutigen Stand

wie z. B. bei den Chiropteren, deren Wechselzähne homodont sein sollen, während die bleibenden Zähne heterodont sind. In den einfachen Formen, wie sie bei den bisher behandelten Vertebraten vorkommen, haben wir offenbar eine Form vor uns, die der Ur- form der Säugetiere nahe steht. Es ist nämlich mehr als wahr- scheinlich, daß ursprünglich die Säugetierzähne wie die Zähne der niederen Wirbeltiere homodont waren und daß sich die speziali- sierten Formen erst später als Anpassung an bestimmte Lebens- bedingungen aus der homodonten Form herauskristallisiert haben.

Abgesehen von den Zahnformen bei niederen Wirbeltieren und bei den homodonten Säugern, liefert das von Flower be schriebene Homalodontotherium, welches 44 Zähne besaß, einen Beweis für den ursprünglichen Homodontismus der Säugetiere. In dem Gebisse dieses fossilen Huftieres verändern die dicht anein- ander gereihten Zähne von vorne nach hinten so allmählich ihre Form, daß kein Zahn von seinem Nachbarn in ausgesprochener Weise verschieden ist, obgleich der Unterschied zwischen den vor- dersten und hintersten Zähnen ein sehr bedeutender ist, Aber selbst in dem hoch spezialisierten Gebisse des Menschen sind die einzelnen Zahnsorten nicht scharf geschieden, sondern durch Über- gangsformen untereinander verknüpft. Auch die Betrachtung des menschlichen Gebisses macht es sehr wahrscheinlich, daß die verschiedenen Zahngattungen Modifikationen einer und derselben Zabnform darstellen, und bei dieser Untersuchung fällt dem Tuber- culum dentale eine wichtige Rolle zu. Schon an den zentralen Schneidezähnen des Oberkiefers fällt eine gewisse Variabilität des Tuberculum dentale auf; an dem oberen Seitenschneidezahne formt sich das Tuberculum nicht selten in einen kleinen Höcker um. Noch häufiger zeigen die Eckzähne diese Gestalt des Tuberculum dentale, und an den Prämolaren entfaltet es sich zu dem lingualen Höcker. Die zweite Zacke des Bicuspis ist demnach streng ge- nommen keine neue Bildung, sondern bloß ein zur vollen Ent-

faltung gelangtes höckeriges Tuberculum.

Der Übergang der Backenzähne zu den Molaren ist ein mehr sprungweiser; jedoch fehlen auch hier die Übergangsformen nicht.

So ist der zweite untere Prämolar nicht selten von auffallender Größe und mehrhöckerig.

Nach dem Vorbergegangenen ist es sehr wahrscheinlich, dab

die Bezahnung der höheren Wirbeltiere nachstehende Entwicklungs- stadien durchgemacht hat.

Erstes Stadium: Die Bezahnung ist homodont; zweites Sta- dium: Die Bezahnung ist bereits heterodont, aber die Zähne sind einfacher gestaltet und ähneln einander mehr als die verschiedenen Zahnsorten eines heterodonten Gebisses. Es liegt die Übergangs-

der Phylogenie des Menschen in bezug auf die Zähne. 215

form zum dritten Stadium vor, in welchem der heterodonte Cha- rakter der Bezahnung bereits ganz scharf ausgesprochen ist.

Als Illustration zu der von Zuckerkandl entwickelten An- sicht mag die Beschreibung eines von Talbot (1901), in Fig. 286 wiedergegebenen Falles dienen. Es handelt sich um einen Ober- kiefer, dessen Zähne einen gewissen Übergang zueinander er- kennen lassen. l, trägt einen Innenhöcker und drei Zacken auf der Schneidefläche; letzteres gilt auch für I,, doch fehlt der Innenhöcker. Caninus links ist mit zwei Zacken versehen, bei dem der rechten Seite sind dieselben schon untereinander ver- schmolzen. P, besitzt einen ganz kleinen Innenhöcker, P, einen etwas größeren. An M, sieht man nur zwei buccale, aber keine palatinalen Höcker, an M, dagegen 2—3 Höcker und an M, eine nicht genau zu bestimmende Anzahl von Schmelzhügeln.

Auch Thompson (1894) und Allen, zitiert vonRyder (1878), sind der Ansicht Zuckerkandls, daß das Tuberculum dentale den Ubergang von einer Zahnform zur nächsten herstelle Die Prämolaren des Unterkiefers stammen nach Vram (1897) von solchen mit Eckzahnform ab, und Topinard (1892) stellt eine Reihenfolge von Zahntormen her, indem er folgende Zähne neben- einander reiht: P, ist caniniform bei Cebus, Pithecus und An- thropoiden; P, ist zweihöckerig bei allen; P ist manchmal vier- höckerig; die Molaren sind vierhöckerig bei Jemuren und Pithecus, fünfhöckerig bei Anthropoiden und Mensch.

Zuckerkandl und mit ihm andere Autoren messen dem Tuberculum dentale, von mir als Incisorenhöcker an Schneide- zähnen, als Basalhöcker an Kaninen bezeichnet, eine fundamentale Bedeutung bei, die ich vorderhand nicht teilen kann. Wie ich schon in der Odontographie gesagt habe, halte ich erstere und letztere insofern auseinander, als die Basalliöcker eine pithekoide Bildung zu nennen sind. Sie kommen bei Affen in der Zweizahl vor und stehen im Zusammenhang mit einer Längsrinne, haben also nichts mit der Bildung des Lingualhöckers zu tun. Über diese Erscheinungen werde ich noch spezielle Untersuchungen anstellen und muß deshalb für jetzt auf die in der Odontographie niedergelegten Tatsachen verweisen.

Außerdem hat die von Zuckerkandl aufgestellte Theorie noch das formelle Bedenken, daß das Tuberculum dentale eigent- lich fast nur im Öberkiefer auftritt und von diesem allein die Rede ist. Trotzdem zieht dann Zuckerkandl, weil im Oberkieter der Übergang von den Bi- zu den Multikuspidaten nicht testzu- stellen ist, den Unterkiefer heran, in welchem allerdings P, volu- minöser und mit mehr Höckern versehen ist als P,. Dies hängt aber nach meiner Ansicht damit zusammen, daß der Innenhöcker

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215 ' Überblick über den heutizen Stard

an P, verschwindet urd dafur eine Kauflächenvergruserung an P, eintritt. ')

Ontogenie einzelner Zähne. Dat ich nicht ohne weiteres der von Zuckerkandl ausgerührten Thesrie des I herganzes

l; In einer in der Österr.-unar. Viertelichrsschritt für Zahnbeil- karde Ye. Heft I, S. 13—34 erschienenen Arbeit besuricht Arkövv 1 nv! genetisch wichtige Purkte, von deuen beson: der» einer meine salluerk-anukeit in bohem brade erregt hat und mich Loch zu Weiteren Untersuchungen veranlassen wird. das Cingulum an +90.. von mir Ineissorenhöcker genarnt. Arkövv charakteri-tert das Cir uium mit foigenden Worten: Das Cingulum ist eine Schomelziate. weiche ‚co an der linguaien Flache. speziell des Incıs. lat. sur. von beiden Seiten gegen die Achseniinie hinzieht und einen scnarfen Winkel Liliet. in dessen Tiefe sodann eine Foveola ‚Zuckerkandl. zur Ent-tehung gelangt."

Da- Uingulum würde also nach dieser Erklärung der von mir 1903 und 1% 5) beschnebene Incisorenhöcker sein. Ich strerhe aber auch ven einem Cngulum und verstehe darunter ein Grūbehen an Stelle des Höckers an I, sup. Daß da» Cingulum im Sirre Arkövys: von Arkövy speziell nur an sup. einer Beobachture unterzogen wurde. beweist, dab der Autor der genannten Bildung an diesem Zahne eine gesonderte Stellung einräumt die mittleren Inrisiven weisen namlich auch Inneuböcker auf —, wie auch ich es bi- jetzt unter Vor- benalt getan habe. Auch ich habe die Vermutung ausıesirochen. daß es sich wahrseneinlich um eine Bildare handelt. die mit der Reduktion des lateralen Sıchne:dezahnes zusammenhängt. Dat dies Cingulum den rohen Völkern fenit und immer häufiger bei der rezenten, speziell der zisili-sierten Bevölkerung sich findet. stimmt mit wenigen Ausnanmen.

Wie man sich zu der Tat-ache zu stellen hat. dab diese Schmelz- verdiekung beim Krapinamenschen vgl. de Terra l3 so unge heure Dimensionen angenommen hät. da ich die Bildung ferner ge- ezentlich bei Cebi, bei Procyon lotor Waschhärı und bei Ursus wartimms beobachtet habe. vermag ich zurzeit nient zu sagen; jeden- tıls aber dürtte die Fassung. in der Arkövv das Auftreten des Inrci-orenhöckers fe-tstellt, eine Madifikation erleilen.

Die Mitteilung über ein drittes Merkmal. das von Arkövy auch als Rertaktionser-cheinung anrzesehen wird. das Foramencoecum. hat bei mir einigen Widerspruch erregt. In meinen „Peitruren zu einer Gdortographie der Menschenra-sen" habe ich ausführi:ch über das „Grübehen" geschrieben und gefunden, dab dewseiben eine phylo- grnet.-ene Bedeutung zukommt. während es Arkövy mit rezent-destruk- tiven \erzaneen an den Molaren in Zusammenhane bringt. Ferner vermil s genannter Autor das Grübehen bei den Anthropoiden, während ch es bei die-en in starker Ausbirlung und bei nieirivren Atten. wie Ca nopithen, Cebi new. besonders stark entwickelt fand.

Es ist mörlich. daß das Grübehen nenerdinırs wieder stärker auf- trıtt, wal die Schwäche der Schmelzstruktur sieh besonders an den Stelien zezt,. wo phylogenetisch vererbte Einser.kunzen im Schmelz gjer vorbnden: das ibt uber kein Beweis dafür, dab der Zuhn. der das Grübchen trior. dem Untergang geweiht ist. Von M.. der besonders dutür in Hetracht kommt, kann man dies schon gar nicht sagen. da ich für iun die Tendenz der Volumzunahme konstatiert habe.

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der Phylogenie des Menschen in bezug auf die Zähne 217

der Zabnformen beistimmen kann, rührt auch daher, daß ich die Incisorenhöcker mit der Schmelzzackung an der Schneide- kante in Beziehung bringe, also als ontogenetische Komponenten der Incisiven betrachte. In diesem Falle würde das ofte Auf- treten von 2—3 Höckern resp. Schmelzleisten von l, sup. er- klärlich sein, da die Schmelzzacken gewöhnlich in dieser Anzahl vorhanden sind. Allerdings macht I, sup. eine Ausnahme; zwei Innenhöcker trifft man selten an diesem Zahn, dagegen verhältnis- mäbig häufig einen einzigen, stark entwickelten Höcker. Es scheint, als ob dieser Zahn eine Ausnahmestellung einnehme, die vielleicht vermuten läßt, daß wir es mit Varietäten an einem im Anssterben begriffenen Zahn zu tun haben.

Daß den Schmelzspitzen eine gewisse Selbständigkeit zu- kommt, erhellt daraus, daß nach Baume (1890) von den 2—3 Spitzen die mittlere manchmal stärker entwickelt ist als die anderen.

Das scheint übrigens auch an den Kaninen der Fall zu sein. So beschreibt Busch (1897) einen oberen Eckzahn, dessen Krone in zwei getrennte Schmelzspitzen endigte, zwischen denen sich noch eine kleine Spitze befand. Auch Scheff (1902) kennt einen ätnlichen Fall, und ich selbst extrahierte einen eckzahnartigen Uberzahn im oberen Trema, dessen Krone auf einer einheitlichen Wurzel in drei getrennte Kegel endigte. Außerdem beobachtete ib häufig Kaninen (hauptsächlich bei Negern und Malayen), bei dnen eine Trennung äußerlich auf der Labial- und Lingualfläche dirch Längsturchen und Einschnitte auf der Schneidekante in drei Partien sichtbar war. In diesem Falle findet sich gewöhnlich ein kleiner Basalhöcker an dem Vereinigungspunkt der auf der Linzualseite verlaufenden Furchen. Derartige Bildungen kommen awh im Unterkiefer vor, jedoch bedeutend seltener, so daß ich annehmen mut. daß die Relietfbildungen der Zähne des Unter- ` ki-fers sich früher verwischen als im Oherkiefer, und dies wegen dr stärkeren Abnützung durch Kau- und Zungentätigkeit.

Was nun die Bedeutung der Schmelzspitzen betrifft, so liegt darüber eine interessante Arbeit von Moon (1879) vor. Er &lildert die Erscheinung und Bedeutung dieser Bildung folgen- dermaben:

Wenn man einen eben durchgehrochenen oberen Schneidezahn ds Menschen betrachtet, so sieht man auf der Schneidekante drei Hervorwölbungen und manchmal zwei Linien, die zwischen diesen iher die Labialfläche nach oben ziehen und welche andeuten, dat tes» Krone aus drei Gebilden hervorgegangen ist, und zwar aus drei gleichen Kolonnen („lobes“). Beim Eckzahn z. B. ist der mittlere Jobe” an Volumen den lateralen überlegen, welch letztere èd zurückgebildet haben. Auf den Prämolaren haben sich die

to

18 de Terra, Überblick über den heutigen Stand

„lobes“ auf der Innen- und Außenseite mehr gleichmäßig ent- wickelt. Die Molaren stellen Prämolaren in doppelter Zahl vor. (Der Ansicht ist auch Zuckerkandl [1891\.)

Als Stütze seiner Theorie erwähnt Moon, daß auf den Molaren des Cabiai (hydrochoerus capybara. D. Ref.) die beiden Lamellen getrennt sind. Ferner die Molaren des Elefanten, bei dem jeder Zahn aus der Verschmelzung von einigen „denticules lobes“ hervorgeht. (Diese verschmelzen so. daß sie einen gemeinsamen Pulparaum bilden) Moon hat bei durchscheinendem Schmelz deutlich eine Trennung der drei Dentikel (lobes) gesehen, während er äußerlich keine Trennung wahrnehmen konnte. Die „denticules‘“ variieren bei den verschiedenen Individuen, woranf Moon die ver- schiedenen Formen der überzähligen Zähne zurückführt. Daß man den „denticules“ die Bildung der überzähligen Zähne zu- weisen kann, ist eine Ansicht, die ich unterstütze Man kann, um sich das Auftreten von Überzähnen zu erklären, eine Über- produktion von Dentikeln annehmen, oder eine Emanzipation eines einzelnen solchen Gebildes, das bestimmt war, an der Zusammen- setzung eines normalen Zahnes teilzunehmen. Durch weitere Spezialisierung würde aus einem solchen Zähnchen ein kegel- oder dütentörmiger Zahn entstehen, oder es können sich einige, in diesem Falle stets überproduzierte Dentikel, zu einem typischen Zahn vereinigen. Es ist so leicht verständlich, daß eine sekundär er- folgende Spezialisierung oder gar die gesetzmäbige Vereinigung zu einem typischen Gebilde einen verhältnismäßig starken Impuls der Reminiszenz erheischen und daher verhältnismäßig selten sind.

Überzahl. Ich wäre damit auf das Gebiet der überzähligen Zähne gelangt. Ob einem Anftreten derselben eine atavistische Bedeutung zukommt oder nicht, darüber sind die Autoren ver- ` schiedener Ansicht. Im allgemeinen wird die Formel des Säuge- tiergebisses, die 44 Zähne enthält, als Ausgangspunkt gewählt, doch führt Dietlein (1894) eine solche mit 38 Zähnen an, in- dem er sagt, daß diese Zahl sich noch bei Marsupialiern, Ein- und Mehrhufern, Insektivoren, Karnivoren und Pinnipediern findet.

Gestützt auf die Formel 44 sind uns 12 Zähne verloren gegangen (nach Dietlein also nur 6); darüber sind alle Autoren einig und es frägt sich nur, der wievielte einer Zahngruppe fehlt.

Es mangeln uns je ein Incisivus, Prämvlar und Molar beider- seits in einem Kiefer. Nach Osborn, zitiert von Thompson, (1804) fehlen zwei Prämolaren, doch ist nach seiner Meinung der vierte Prämolar als Molar aufzufassen. Thompson tritt für eine atavistische Deutung jedes überzähliven Zahnes ein und be- merkt. daß den Zapfenzähnen ebensogut diese Bedeutung zukommt wie den typischen; sie seien nur unvollständig entwickelte typische

der Phylogenie des Menschen in bezug auf die Zähne. 219

Zähne, weil zu ihrer Ausbildung die nötige Naturkraft nicht mehr vorhanden sei.

Busch (1886:87) dagegen möchte nur typisch ausgebildete überzählige Zähne als eine atavistische Erscheinung gelten lassen, so z.B. einen P, inf.; er sieht das entscheidende Moment für eine atavistische Erklärung in der Innehaltung der typischen Zahl und Form und zieht für die übrigen überzähligen Zähne die Theorie der mechanischen Abspaltung heran. Ebenso spricht sich v. Metnitz (1895) aus.

Ganz gegen die atavistische Auffassung überzähliger Zähne sind Adloff (1003), Selenka (1898), Leche (1807) und neuer- diugs auch Stehr (1904). !)

Was nun die einzelnen Zahnformen betrifft, so ist darüber in einem eigenen Abschnitt der Odontographie genügend berichtet worden. Ich will hier von den Kaninen nur wiederholen, dal; ich das Auftreten derselben in der Überzahl leugne. Bezüglich der Incisiven ist es interessant festzustellen, welcher von ihnen verloren gegangen ist. Rosenberg (1895) hat sich speziell mit dieser Zabnforın beschäftigt, und seiner Arbeit entnehme ich die Iılgenden Ausführungen. Nach Hensel ist I}, nach Baume ud Edwards I, nach Albrecht, Turner und Wilson l, geschwvunden. Rosenberg stellt für die Schneidezähne die

9D . . . . . Formel I- auf, eine Formel, die sich bei Cynodracodon in der

Trias findet. Die vorhandenen Incisiven des Menschen sind nach ibm I, und I,; I, sei zuerst weggefallen. Dafür spreche, da! drt am seltensten ein überzähliger Schneidezahn auftrete. Bei drei Gattungen. die dem Jura angehören, sei dann die Incisiven-

formel

Leche 1897) fand : als Schneidezahnformel bei den altter-

1) Erst kurz vor Drucklegung dieser Arbeit ist mir der voll- sandige Wortlaut des Vortrares von Stehr (Schweiz. Vierteljahrs- :chrift für Zahnheilkunde 1914. Nr. 3, 8. 173 -2US) zu Gesicht gekommen. tessen interessanten Inhalt ich zum Teil schon kannte. Stehr legt wel Gewicht auf die Erscheinung der Verschmälerung der Kiefer, isch glaube ich in dieser nicht so sehr Degeneration als vielmehr dm Eintlaß der Zivilisation erblicken zu können (vgl. Kapitel Dental- amd Zahnbogenindex in meinen „Beiträgen zu einer Odontographie der Nenschenrassen“ ;. Bezüglich der Überzahl der Ineisiven und der Ver- Kunmerung von h sup. kann ich Stehrs Ansicht nicht teilen, um so enger, als ich geistige oder wesentliche körperliche Defekte an den mt solchen Anomalien versehenen Personen nicht feststellen konnte, Gerade die extremen Fälle von Überzahl der Zähne oder von eklatanter R-iuktion des l3 sup. (besonders Vererbung-fälle sah ich bei starken -ersimen. hauptsächlich bei Männern.

2,3) de Terra, Überblick über den heutigen Stand

tiären Halbaffen (Microchoerus). Zu einer ganz anderen, hypo- thetischen Ansicht gelangt Gysi (1845) durch Kombinationen, indem er annimmt, der verloren gegangene Incisivus sei im 1. vorhanden und dieser daher das \Verschmelzungsprodukt aus dem ehemaligen ersten und zweiten Schneidezahn, so da8 der zweite Incisivus des rezenten Menschen eigentlich der dritte sei. Gysi sagt: „Wenn man die Frontzälıne des Menschen vergleicht z. B. mit den Frontzähnen unseres Ahnen Mesonix aus dem unteren Eocän, so wird man bemerken, dab unser zentraler großer Inci- sivus im Verhältnis denselben Raum einnimmt. wie I, und I, von Mesonix.“ Ferner besitzt nach Gysis Ansicht der Mensch noch P, und P,. während P, und P, verloren gegangen sind.

Für die Theorie der Bildung des I, sup. würde ein Moment sprechen, das Bateson (1894) bei Beschreibung von Anomalien der Aftenzähne anführt. Man sieht nämlich an den mittleren oberen Ineisiven der Affen öfters eine senkrecht verlaufende Furche, die eine Trennung in einen grötieren und einen kleineren Teil andentet.

Diese Bildung habe auch ich gelegentlich bei Anthropoiden beobachtet. Trotzdem mut ich die Frage tun, wie steht es aber mit den Inceisiven des Unterkiefers? Hier ist doch auch ein In- cisivus verloren gegangen. und doch ist I, schmäler als T,. (Aus- genommen hiervon ist Cynocephalus, wo I, breiter ist als I.)

Die Prämolaren scheinen jedentalls früher verloren gegangen zu sein als die Incisiven. da sich im Bereich der Bikuspidaten häufig sogar schmelzlose Rudimente zeigen, in welcher Form nur noch M,. aber, soviel mir bekannt. niemals ein Incisivus gesehen wurde. Bezüglich der verloren gegangenen Prämolaren ist nun Thompson (1894) der Ansicht, dal zwischen P, und M, ein dreihöckerizer Zahn gesessen hat. Diese Annahme ist bis jetzt noch nicht bestätigt worden. dagegen kann konstatiert werden, dat: ein P}, wenn er auftritt, sich hauptsächlich an der erwähnten Stelle findet. P, sowohl als Rudimente dieses Zahnes dürften nach Baume (1890) ohne Zweifel atavistische Bedeutung haben. So fabt Baume die von Duckworth and Fraser (1900) be- schriebenen schmelzlosen Zahnrudimente in der Gegend der Prämo- laren als Rückschläre auf verlorene Zähne auf (nach den beiden englischen Autoren als Reminiszenzen an die platyrrlinen Affen). köse, zitiert von Scheff (1002). will diese Bildung verhältnis- inälig oft beobachtet haben und mitt ihr keine pliyletische Be- deutung bei, da sie überall vorkommen könne.

Viel umstritten ist die Bedeutung von M,. Busch (1856 87) drückt sich darüber vorsichtig aus. indem er schreibt. es sei nicht ausgeschlossen, dab gewisse Stammestraditionen, gestützt auf das Vorkommen von M, bei Aten der alten Welt, herangezogen

der Phylogenie des Menschen in bezug auf die Zähne. 221

werden können. Schlosser, zitiert von Busch (1896), möchte glauben, daB M, nichts anderes sei, als der letzte Milchzahn bei den Placentaliern, der früher auftrat, weil er aus der Reihe der anderen Zähne gedrängt worden sei. Für v. Metnitz (1895) macht M, keinen atavistischen Eindruck, dagegen den eines abgespaltenen Zahnkeimes. (Weiteres über M, siehe in der ÖOdontographie, Kapitel Überzahl.)

Um noch kurz von den Zapfenzähnen zu reden, so ist zu erwähnen, da8 ihnen sowohl verschiedene Bezeichnung als Be- deutung beigelegt wird. Virchow (1886), Magitot, zitiert von Virchow und Moon (1879) sprechen von Emboli. Ersterer sieht in ihnen eine Proliferation oder Abspaltung von einfachen Zahnkeimen, die manchmal typische Gestalt annehmen können. Magitot erkennt in ihnen einen Rückschlag zu den kegelförmigen Fischzähnen. Moon endlich macht sie zur Grundkegelform, die dorch Verschmelzung und Modifizierung bestimmt ist, typische Zähne zu bilden. Die im Bereiche der Schneidezähne vorkommen- den Zapfenzähne erklärt Scheff (1902) als die in Rückbildung begriffenen fehlenden Incisiven.

Dentitio tertia und Theorie der Dentitionen. Im Anschlu an die Überzahl der Zähne dürfte die Besprechung einer Dentitio tertia, überhaupt der Theorien der Bildung einer Dentition am Platze sein.

Das Vorkommen einer Dentitio tertia wird vielfach bestritten tud. wie mir scheint, mit Recht. Es sind noch keine unanfecht- laren Berichte über das Auftreten einer dritten Zahnserie er- bracht worden, und die Mitteilungen gewissenhafter Autoren müssen sth doch zum großen Teil anf die Aussagen der untersuchten Personen stützen. Ein jeder Zahnarzt weiß, wie mangelhaft beim Publikum die Kenntnis von der Durchbruchszeit der Zähne und dm Unterschied zwischen Milch- und Dauerzälınen ist. Es dürtte ‘th bei der sogenannten Dentitio tertia meist um doppelt vor- landen gewesene Dauerzähne, um persistierende Milchzähne, um reinierte bleibende oder um überzählige Zapfen- oder typische Line handeln. Einen als Illustration hierzu dienenden Fall von „beutitio tertia* will ich hier duch erwähnen.

Im Oberkiefer eines sechzehnjährigen Fräuleins, deren Vater n Schweizer, deren Mutter eine Griechin ist, fehlte I, sup. dext.: ciks ist an Stelle des ebenfalls fehlenden I, ein Zapfenzalın. Nach Angabe der Mutter soll dem Zapfenzahn ein typisch ausgebildeter Daner-Schneidezahn voransgegangen sein. Daß es sich aber um Alben persistierenden Milchzahn gehandelt hat, wird dadurch wahr- beinlich, daß an Stelle des P, int. dext. noch der Milchmolar steht.

Die Mutter will dasselbe an ihren Schneidezähnen durchge-

32 de Terra, Überblick über den heutigen Stand

macht haben. Sie hat, bereits verheiratet, beim Aufbeiden auf einen Knochen alle vier oberen Schneid«zähne eingebüßt, an deren Stelle später ein einziger neu erschienen sei. ein etwas reduzierter I. sup. dext. (Die Gips-Modelle hierfür wie für alle anderen er- wähnten Anomalien sind im Besitz des anthropvlogischen Institutes der Universität Zürich.

Von derartigen Fällen könnte wohl jeder Praktiker erzählen, abgesehen von anderen, unglaublicheren Geschichten, die manch- mal von Patienten berichtet werden.

Auch Baume 1890, leugnet «ine Dentitio tertia. indem er sagt: „\Venn die Möglichkeit einer dritten Dentition beim Men- schen auch nicht auszuschlietien ist, so müssen wir gestehen, daß unter den in der Literatur verzeichneten Fällen kein einziger unzweifelhaft feststeht.” Diese Ansicht datiert aus dem Jahre 1890, während 1808 ein Fall von Dentitio tertia durch Palmer und 190? einer durch Montigel bekannt wurde. Diese beiden Ver- öftentlichungen hatten für Scherf 1402" den Eintlut, daß er seine Meinung, es handle sich bei in späterem Alter erscheinen- den Zähnen um retiniert gewesene Zähne, nicht mehr strikte ver- treten konnte. Montigel hat nämlich bei drei von vier Kindern einer Familie einzelne Zähne immer wieder erscheinen sehen. Der von Palmer /1898‘ mitgeteilte Fall betrifft einen 87 jährigen Mann. der im Unterkiefer wieder acht Zähne und im Öberkiefer beide Kaninen erhalten hat. Autßserdein habe man unter dem an- yeschwollenen Zahnfleisch verschiedene Zähne durchfühlen können, die nach ihrem Durchtritt den Kiefer wieder vollständig besetzen würden.

Ferner beobachtete Heider. zitiert von Wedl 11870), eine mehrfache Bildung von zwerghatten Kaninen im Oberkiefer einer Frau. bei der nach Entfernung des Eckzahnes im Laufe eines Jahres noch drei kleine Eckzähne zum Vorschein kamen, die un- getähr die Grüt:e eines Reiskornes hatten. Diese von Heider beschriebenen Zahınrudimente hält Times. zitiert von Duckworth and Fraser (1900, für Repräsentanten einer Dentitio tertia und deutet sie als atavistische Bildung. Auch Adloff .1903° nimmt eine dritte Dentition an und hält sie für eine atavistische Er- scheinung. Dagegen verneinen Gutmann ']:2 und Parreidt "1856 eine solche; ersterer sieht in ihr nur den verspäteten Durchbruch des Weisheitszahnes, letzterer charakterisiert den Vor- sang als Auftreten retiniert gewesener Zähne.

Was mich betritt. so glaube ich, dat einst mehr als zwei Zahnserien vorhanden waren. doch bezweifle ich. daß Reminis- zenzen einer dritten Dentition noch auftreten können. da die Zeit, in der eine solche noch existierte. sehr weit zurück datieren dürfte. Nach meiner Meinung liegen entweder überzühlire Zähne vor, die

der Phylogenie des Menschen in bezug auf die Zähne 223

als die verloren gegangenen Glieder der zweiten Serie anzu- sprechen sind, oder es handelt sich um eine pathologische Über- produktion. (Zu letzterer Art rechne ich speziell die Fälle, die verschiedene Glieder einer Familie betreffen.) !)

Daß den heutigen Säugern eigentlich drei Dentitionen zu- kommen, wird von Leche, Woodward, Röse und Schwalbe, zitiert von Buschan (1900), erklärt. Diese Forscher haben eine prälakteale Zahnreihe konstatiert, während Kükenthal sogar eine vierte und selbst fünfte Dentition nachweisen konnte, die aber ebenso wie die dritte das Schicksal einer frühzeitigen Re- sorption erleiden.

Die Frage nun, welche Zähne der einen oder anderen Serie zukommen und anderseits diejenige, wie die Bildung der Molaren zu erklären ist, haben zu einigen Dentitionstheorien geführt, die hier skizziert werden sollen.

So läßt Schwalbe, zitiert von Branco (1897), die mensch- lichen Molaren durch Verschmelzung einer labialen und einer lingualen Reihe von Kegelzähnen entstehen. Danach kämen die Molaren beiden Dentitionen zu, indem die labiale Reihe dem Milchgebiß, die linguale dem bleibenden Gebiß zugehört.

Branco fragt sich nun, ob denn nur ein Weg gewesen sei, auf welchem sich die Bildung der Molaren vollzogen hat. Nach seiner Meinung könnten beide Wege gleichzeitig zum selben Ziel geführt haben, und die zusammengesetzten Zähne wären dann hervorgegangen teils durch Verwachsung mehrerer kegelförmiger Zähne, teils durch Differenzierung, durch Hervorsprossen seitlicher Spitzen und Zacken an einem einwertigen Zahnindividuum, wie das Schwalbe schon ins Ange gefaßt habe. Die von Adloft S. 151 aufgestellte Theorie ist also schon von Schwalbe und

1) In der Deutschen Monatsschrift für Zahnheilkunde 1904, Heft 10, S. 634 beschreibt Kersting einen Fall von dritter Dentition. Die Mitteilung ist in ihrer Art absolut zuverlässig, da sie wissenschaftlich estützt ist; trotzdem beharre ich aber bei meiner Ansicht, daß es eine Erscheinungen einer dritten Dentition gibt. Es handelt sich im Falle Kersting um überzählige Zähne, die zur selben Zeit wie die anderen bleibenden Zähne gebildet wurden, die aber vorderhand noch tief im Kiefer liegen und noch keine geschlossenen Wurzelkanäle be- sitzen. In letzterem Umstände sehe ich nichts Außergewöhnliches. die Zähne liegen ja noch tief im Kiefer, und bekanntlich schließen sich die Wurzelkanäle mit dem Vorrücken der Krone gegen die Zahnfleisch- oberfläche. Vorausgesetzt, daß auch das Fehlen von Hypoplasien an den Repräsentanten einer dritten Dentition festgestellt werden konnte, was ich wegen der ziemlich geringen Deutlichkeit der Köntgenbilder bezweifle, würde auch das nicht zugunsten einer dritten Zahnge 'neration sprechen, da es sich um überzählige Zähne handelt, um Proliferutionen. die in Form und Volumen meist etwas von den norwalen Geschwistern derselben Zahnleiste abweichen.

„alle.

224 de Terra, Überblick über den heutigen Stand

Branco gebildet worden und dürfte deshalb die Bezeichnung „Kompensationstheorie Adloff-Schwalbe-Branco“ erhalten. Adloff spricht auch von den verschiedenen Dentitionstheorien und er- wähnt, daß Lataste und Magitot die Molaren zur zweiten, Osborn, Beauregard, Leche und Röse zur ersten Zahnserie rechnen. Kükenthal zählt die Molaren auch zur ersten Den- tition, 14ßt aber an ihrer Bildung auch die prälakteale und die zweite Dentition teilnehmen, wofür er Beweise erbracht habe. Nach Ameghino (1899) gehören die Milch- und die bleibenden Molaren in die zweite Serie. Bei den ältesten Säugetieren, führt er aus, den Nesodontidae, Adiantidae, Homalodontohleridae und Notohippidae stehen die Milchzähne eine zeitlang mit den sämt- lichen bleibenden Molaren zusammen. Verfasser kommt zu dem Schlusse, daß je weniger lange die Milchmolaren funktionieren, um so weniger Platz ist für die sie ersetzenden Prämolaren, und je länger die bleibenden Molaren mit ibrer Entstehung zögern, nimmt der durch die Milchmolaren und Prämolaren eingenommene Raum an Größe zu.

Reduktion, Unterzahl, Retention, Persistenz. Da im besprochenen Abschnitt vielfach von Persistenz, Retention usw. die Rede war, so soll hier kurz darauf eingegangen werden. (Ausführlich ist dieses Kapitel in meiner Odontographie behandelt.)

Virchow (1895b) und Nehring sind der Ansicht, daß die Milchzähne in älterer Zeit länger persistierten als in unserer: übrigens fand auch Pruner-Bey (18365), daß bei den Affen das Ausfallen der Milchzähne später ertolgt als beim Menschen.

Daß auch eine Reduktion phyletisch verwertet werden kann, zeigt Scheff (1902), der rudimentäre schmelzlose Zähne als redu- zierte auffaßt, wofür er als illustrierendes Beispiel die Wale an- führt, bei denen einst eine reichliche Bezahnung vorhanden war, wo jetzt nur noch kleine, schmelz- und formlose Körperchen vor- handen sind. Bei Monodon begegnet man dem Unistande, daß Zähne auf einer so niedrigen Stufe stehen bleiben, daß sie gar nicht mehr durchbrechen, sondern im Kiefer verborgen bleiben.

In mehr allgemeinem Sinn spricht Talbot, zitiert von Amoedo, (1900) über Reduktionserscheinungen, indem er sagt, je höher die Kultur entwickelt ist, desto zahlreicher und ausgesprochener treten die Degenerationszeichen an den Kiefern und Zähnen auf. Solche sind das Zurückbleiben des Unterkiefers in der Entwicklung, das häufige Fehlen der Weisheitszähne und die mangelhafte Ausbil- dung oder das Fehlen der seitlichen Schneidezähne. Vor allem schuld daran sei die Mischung der Rassen.

Variation der WHöckerzahl. Eine nicht minder phylo- genetisch wichtige Erscheinung. als die Reduktion der Zähne. ist

der Phylogenie des Menschen in bezug auf die Zähne. 225

die Abnahme oder Zunahme der Höckerzahl der Molaren. Die Tatsache der Reduktion der Höckerzahl der menschlichen Molaren ınd der Umstand, daß bei einer großen Anzahl von Säugetieren and speziell bei Lemuren dreihöckerige Mahlzähne die Regel sind, führte Cope (1886) zu seiner berühmt gewordenen „Lemurine rever- sion“, d. h. zu der Theorie vom Rückgang der menschlichen Molar- form auf die der Lemuren. Cope sagt unter anderem: Die re- zenten Lemuren haben dreihöckerige Molaren, während die aus- sestorbenen teilweise vierhöckerige hatten. Nach der Gebißformel sind die Lemuren den Anthropoiden und Menschen sehr ähnlich, da die Formel dieselbe ist wie bei uns. Es finden vom mensch- lichen (sebiß keine Rückschläge statt auf die anthropoiden Affen. wohl aber auf die Lemuren. Am nächsten dem Menschen steht ınter den Lemuren Anaptomorphus. Die lemurine Reversion, also der Übergang zum trituberkularen Typus, beginnt bei den Es- kinos und dann bei den Angelsachsen und anderen Europäern welche nach Dawkins die Nachkommen der Eskimo sind). Daß die Italiener und Griechen dabei nicht mitgehen, rührt nach Huxley daher, daß diese aus einer Mischung von Ägyptern und Indo-Europäerm entstanden sind.

Andere Forscher sind etwas zurückhaltender in dieser Frage. So bezeichnet Topinard (1892), der sich übrigens sonst auf den Standpunkt Copes stellt, den Übergang dese vier- zum drei- höckerigen Typus als retrograde Evolution. In gewissen Fällen glaubt er auch von Atavismus sprechen zu dürfen. Nach iner Meinung ist jedem Individuum ein bestimmter Weg zur Ver- einfachung und Spezialisierung des Zahnes vorgeschrieben. Ebenso *i es bei den Prämolaren, bei denen sich auch eine retrograde Bewegung zeigt, ohne daß man sagen könne, der bikuspide Zu- sand der Prämolaren beruhe auf Atavismus. Schließlich gelangt Topinard zu der Ansicht, daß alle oberen Molaren drei-, alle teren vierhöckerige Form annehmen werden. Nach seiner Meinung ist der vierhöckerige Typus aus dem dreihöckerigen entstanden, wobei die Crista obliqua der stehengebliebene Rand d-s ersten Zustandes ist.

Röse und Zuckerkandl zitiert von Reeker (1893), sehen die dreihöckerige Form der oberen Molaren beim Menschen als physiologische Reduktion und nicht als phyletischen Rück- “ilag zu den Lemuren an. Röse (1802) speziell sagt: „Bei “en durch vorwiegende Fleischnahrung hervorgeganzenen physiolo- zishen Reduktionsprozessen an den menschlichen Molaren bilden ‘ch die in der phylogenetischen und ontogenetischen Entwicklung mletzt hinzugekommenen Höcker auch zuerst wieder zurück. Im Vberkiefer ist dies der disto-linguale Höcker. Nach Reduktion "selben tritt die trimere Form ein. Es ist somit durch sekun-

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däre Reduktion die Form der menschlichen Molaren vielfach zur ursprünglichen trituberkularen Form zurückgekehrt.“ Aber auch Cope (1887) gibt eine physiologische Reduktion zu, indem er findet, daß überwiegende oder ausschließliche Fleischnahrung die mechanische Ursache für die Entwicklung des dreihöckerigen Zu- standes sei. Jedenfalls wirke aber noch ein phylogenetisches Moment mit.

Eine Zunahme von Höckern erfolgt beim Menschen in Gestalt des fünften Höckers an oberen, des sechsten an unteren und der interstitiellen Höcker an oberen sowohl als an unteren Molaren. Der sechste Höcker ist wahrscheinlich nur als ein weiter entwickelter interstitieller zu betrachten. Für die genannten Verhältnisse kommen auch die Affen in Betracht; auch bei ibnen finden sich interstitielle Höcker, ebenso trifft man einen fünften und sechsten typischen Höcker (auch an oberen Mahlzähnen), aller- dings nur beim Orang. Der füntte Hügel der Affen-Molaren ist jedoch nicht identisch mit dem unsrigen, der als Carabellischer Höcker bezeichnet wird und den man eine typisch menschliche Bildung nennen darf. In einer früheren Arbeit (1903) habe ich bereits die Ansicht ausgesprochen, daß dieser Höcker bestimmt zu sein scheint, die Kaufläche des oberen ersten Molaren zu ver- größern, der offenbar die Funktion der allmählich verschwinden- den zweiten und dritten Molaren zu übernehmen hat. Ferner habe ich den Carabellischen Höcker in der Odontographie einer ausführlichen Besprechung gewürdigt, wobei ich das anthropolo- gische Moment hervorhob. Hier will ich aus den Ausführungen über diese Bildung nur das phyletisch Interessante entnehmen und vor allem wiederholen, daß der von Cope (1886) an Molaren der Lemuren beschriebene accessory anterior internal tubercle und mit dem menschlichen Carabellischen Höcker verglichene Über- höcker mit diesem gar nichts zu tun hat. Ebenso habe ich mich in der Odontographie bemüht, darzulegen, daß der ähnliche Höcker bei Cynopitheci, wie er von Batujeff (1896) und Windle and Humphreys (1357) zum Gegenstand einer Betrachtung gemacht wurde, mit dem Carabellischen Höcker fälschlicherweise iden- tisch genannt wird. Ob der von Cope an Chriacus pelvideus und Chriacus truncatus Cope beschriebene Innenhöcker dem Basal- band der Insektivoren homolog ist, kann ich noch nicht sagen, dagegen glaube ich in dem Approximalhöcker niederer Affen einen Rest des ehemaligen Basalbandes zu erkennen, eines Wulstes (auch bourrelet und collet genannt), der den Hals der Molaren- krone bei Insektivoren umzieht und noch beim Dryopithecus, einer fossilen Hylobatiden-Art, zu sehen ist. Bei diesem ausgestorlenen Aflen ist das Band stellenweise nicht mehr einheitlich, sondern in einzelne Stücke zerfallen, die in ihrer Lage ganz dem Approxi-

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walhöcker und dem Grübchenhöcker entsprechen. Als letzteren bezeichne ich eine Erhebung im Grunde der zur Kerbe ausge- wächsenen Grübchenfurche, die über den Bauch der Krone zieht. ‚Diese Verbältnisse sind deutlich bei Cynocephalus.) Ich habe auch darauf hingewiesen, daß der beim Orang-Utan vorhandene fünfte Höcker an oberen Molaren genau an der Stelle sich findet, die ein in das Niveau der Kaufläche gewachsener Approximal- höcker einnehmen würde, während der Carabellische Höcker geren die Mundhöhle ragt und dem medio-lingualen Krunenhürel lingualwärts aufsitzt.

Wenn man zwischen den beim Menschen und dem Orang- Utan auftretenden überzähligen Höckern einen Vergleich ziehen möchte, 80 besteht er darin, daß bei beiden die Bildung dieselbe Ursache hat, nämlich die Tendenz zur Vergrößerung der Kau- fäche, die bei den Affen alle drei Molaren, beim Menschen nur den ersten betrifft. Der fünfte Höcker der menschlichen Mahl- zähne ist also keine pithekoide Erscheinung; ebensowenig sind die interstitiellen Höcker als eine solche anzusprechen, obgleich sie, wie ich fand, im kausalen Zusammenhang mit der pithekoid zu nennenden transversalen Furche stehen. Die Ausbildung der zwischen geschobenen Höcker, wie wir sie immer häufiger, speziell an M, sup. auftreten sehen, ist jedenfalls als rezente Bildung zu betrachten, die auch den Zweck der Kauflächen-Vergrößerung hat. Diese Höcker nehmen allerdings denselben Platz ein, an welchem wir bei den Affen zur Einsäumung der transversalen Furche eine Menge kleiner Höckerchen finden, und es hängt das Auftreten rriterer, aber weniger Höckerchen (2—3) mit dem mehr oder weniger vollständigen Schwund der genannten Furche zusammen.

Pithekoide Merkmale. Pithekvide Merkmale sind dagegen ibne Zweifel das Diastema, die Volumzunahme der Molarenserie. lie starke Divergenz der Wurzeln, die Basalhucker.

Über die Zahnverwandtschaft zwischen Mensch und Are äutert sich Branco (1898) folgenderart: „Wir finden im allge- Deinen bei den höchststehenden Menschen. den Kulturrassen, Über- Antimnung mit den niedrigststehenden Aten, den Halbaffen: ud umgekehrt im allgemeinen bei den Völkern mit niedriger ultur eine Übereinstimmung mit den hüöchstorganisierten Atten, "a menschenähnlichen. *

In anderem Sinne läßt sich Schaaffhausen 118651 ans, Welcher glaubt, daß vor vielen Tausend Jahren der Unterschied zwischen den niedrigstehenden Menschen und den höchststehen- Im Affen viel geringer gewesen sei als heutzutage. wo übrigens tae beiden Arten auf dem Aussterbeetat seien. nämlich die niedrig henden Menschen und die anthropomorphen Aften. Vie großen

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Affen Asiens und Afrikas unterscheiden sich untereinander in der- selben Weise, wie die Menschen dieser beiden Erdteile, nämlich durch Farbe und Form des Schädels. Wie der brachycephale Malaye ist der Orang-Utan braun und sein Kopf abgerundet; der Gorilla dagegen ist schwarz und dolichocephal, wie die afrika- nischen Neger.

Eine andere Theorie, welche besagt, daß Dryopithecus der Vater der Europäer und Orang-Utan der der Malayen sei, während die Neger von Schimpanse und Gorilla abstammen sollen, wird von Pruner-Bey (1865) bekämpft. Die Unrichtigkeit dieser Ansicht geht nach seiner Meinung schon daraus hervor, daß die Dajak, welche dolichocephal sind, im Gebiet des brachycephalen Orang wohnen.

Nach Thompson (1902) sind die Unterschiede zwischen den niederen Menschenrassen und den höheren Affen nicht so groß. wie die zwischen den niederen und höheren Rassen der Menschen. Starke und gutgebildete Zähne nähern den Menschen dem Affen, schwach gebildete entfernen ihn von demselben. Den für die anthropoiden Affen und sogar für die niederen Affen und Lemuren charakteristischen Bau der Zähne sehen wir oft beim Menschen wiederholt.

Dagegen tindet Ihering (1880) die Unterschiede zwischen Menschen und Affen weit geringer, als die innerhalb der Ordnung der Affen zu beobachtenden. Nach ihm ist die Übereinstimmung beider in bezug auf die Zähne eine sehr große und betreffen die Unterschiede bloß Variationen in Form und Größe.

Dat die Gröbe der Zähne bei niederen Rassen vielfach zum Vergleich derselben mit den Anthropoiden geführt hat, habe ich in der Odontographie erwähnt, und meine Aufgabe war es zum Teil, den Grad der Berechtigung zu diesem Vorgehen fest- zustellen. Ich bin dabei zu dem Schlusse gekommen, daß eine Beziehung der niederen Menschen speziell zum Schimpansen unter anderen Merkmalen speziell durch Vergleichung der Zahndimen- sionen beider möglich sei.

Was die Volumzunahme der Molaren vom ersten zum dritten betrifft, so ist dieselbe nach Ihering (1880) und Owen. zitiert von Amoedo :1900), dieselbe bei niederen Rassen und Affen. Daß aber auch die für die weiße Rasse charakteristische Volumabnahme bei Atten vorkommt, konstatiert Magitot (1869. Ich habe speziell noch auf bestimmte Unterschiede in der Be- zeichnung aufmerksam gemacht, indem ich von einer totalen und partiellen Volumzu- und -abnahme sprach; und so fand ich, dat eine partielle Volumabnahme bei den Anthropoiden (hauptsächlich Schimpanse häufig. eine totale nicht selten ist.

der Phylogenie des Menschen in bezug auf die Zähne. 9229

In bezug auf die Anordnung und Höhenentwicklung der Höcker der Molaren ist einiges an dieser Stelle zu erwähnen. Hinsicht- lich der Höckerhöhe verleiht Branco (1898) dem Menschen eine vermittelnde Stellung zwischen Orang-Utan und Schimpanse einer- seits, Gorilla und Gibbon andererseits. Bei Hylobates syndactylus beobachtete Branco, daß der dritte Autienhöcker der unteren Molaren am hinteren Ende des Zahnes liegt, ganz wie beim Menschen und dem Milchmolar aus dem Bohnerz der schwäbischen Alb (siehe Abteilung: Funde).

Dubois (1896) und Houze (1895:96) finden, daß die Niedrig- keit der Höcker den Zähnen einen menschlichen Charakter ver- leihe, da im Gegensatz zu den Affen die Molaren des Menschen durch niedrige Höcker ausgezeichnet werden. Das ist aber nicht ganz richtig; denn wie schon Selenka (1898) sagt, stehen Höcker- höhe und Schmelzrunzelung in Korrelation, so daß wir niedrige Höcker finden, wo starke Runzelung vorhanden ist und umgekehrt hohe Höcker bei geringer Furchung der Kaufliche.

Was die Anzahl der Höcker betrifft, so sind bekanntlich die unteren Molaren der Pitheci vierhöckerir. Um nun einen An- schluß an diese Affen zu finden, deutet Topinard (1892) das Auftreten vierhöckeriger unterer Molaren beim Menschen ata- vistisch, wobei er hinzufügt, daß nur noch die queren Käümme und die Teilung in zwei Etagen beim menschlichen Molar nötig seien, um das genaue Bild eines Pithecus-Molaren zu erhalten.

Ich glaube wohl kaum darauf hinweisen zu müssen, daß die Zahl fünf die Grundzahl tür die Höcker der unteren Molaren des Menschen und der Anthropoiden ist; Thompson (1902) nennt nun das Auftreten von fünf Höckern bei niederen Rassen ein Affenmerkmal. Damit ist allerdings zu viel gesagt: sicher ist aber, daß sich der fünfhöckerige Typus beim zivilisierten Menschen kaum noch auf M, inf. erhält und sich meist nur vier Höcker vorfinden.

Ein weiteres pithekoides Moment kann man in der Form des Zahnbogens und der Art der Artikulation erkennen. Der Zahnbogen der Affen ist U-törmie, doch konstatiert Selenka (1898) beim Schimpansen gelegentlich die Form einer Hyperbel, ähnlich wie beim Menschen. Virchow (1886) beschreibt den OÖberkiefer eines Loango-Nesers und bezeichnet ihn als das am meisten pithekoide Gebiß seiner Sammlung. Er bemerkt, die Vorderzäline ständen in einer nahezu geraden Linie, welche mit den Kaninen tast rechtwinklig in die langen Seitenteile übergelie, welche unter sich beinahe parallel seien. Die beigefügte Figur konnte mich von dem dazu Bemerkten nicht überzeugen. ehenso- wenig habe ich U-törmige Zahnbozen je bei irgendeiner Rasse beobachtet. Etwas anderes ist es mit der Artikulation, deren

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eine Forin, die Labidoduntie, von Welcker (1900) eine pithekoide Fillung genannt wird. Diese Form. d. h. das Aufeinandertreffen der Schneidekanten der Incisiven bei Prognathie, fand Thompson «1902 ebenso bei niederen Menschen wie bei Atten. Ich selber habe die Labidodontie selten beim Menschen nachweisen können.

Dat: das Diastema als pithekoides Merkmal aufzufassen ist. wurde bereits erwähnt. Aut den Unterschied zwischen diesem, den Interstitien und dem Trema habe ich in der Odontographie aufmerksam gemacht und ebenso charakterisierte ich die Schmelz- ruuzelung, die ich in der bei Orang-Utan und Schimpanse üb- lichen Form im Gegensatz zu den anderen Autoren beim Menschen nicht annähernd beobachtet habe und denen ich deshalb die pithe- koide Bedeutung abspreche.

In bezug auf die Wurzeln kommt deren Divergenz und Anzahl in Betracht. Die starke Divergenz derselben ist, um nicht zu sagen ein pitliekoides, jedenfalls ein inferiores Merkmal, da nur in einem geräumigen Kiefer der nötige Platz zur Ausdehnung der Wurzeln vorhanden ist. Ohne Zweifel aftenähnlich ist aber wohl das Auftreten von drei Wurzeln an oberen und von zwei Wurzeln an unteren Prämolaren. Dagegen kommt der Überzahl von Wurzeln an Molaren keine pithekoide oder gar phyletische bedeutung zu. Als entschieden atavistische Erscheinung ist hier noch die Zweiteilune der Eekzahnwurzel beim Menschen zu er- wähnen. die gelegentlich im Unterkiefer auftritt. Leche (1897) spricht über diesen Punkt folgendermaßen: „In bezug auf die Pliviogenie einzelner Zälıne verdient hervorgehoben zu werden. dan. während bisher nur bei Insektivoren und Säugern der Sekundär- zeit. sowie ganz vereinzelt bei Beuteltieren (Choeropus) und fossilen Suidae (Palaeochoerus) Eckzähne mit doppelter Wurzel nachgewiesen sind ein Charakter, welcher jedenfalls als ein relativ ursprünglicher zu bezeichnen ist), ich bei Lemuriden. sowohl im Milch- als Ersatzgebil; zweiwurzelige Kaninen getunden habe. Nur wird manchmal ein zweiwurzelieer durch einen einwurzeligren Caninns ersetzt und umgekehrt.“

Uber Incisorenhöcker habe ich bereits weiter oben ge- sprochen; ihre Bedeutung ist noch nicht festgestellt. doch dürfte es zu ihrer Erkenntnis von großer Wichtigkeit sein, dab die Zähne des Krapina-Menschen dadurch geradezu charakterisiert werden. Als pithekoide Bildung dagegen spreche ich die Basal- höcker an. die an bleibenden Kaninen meist einzeln. an Milch- kaninen oft in der Zweizahl an der Lingualseite zu treffen sind. Die Erkzähne der menschlichen Kinder erinnern in diesem Falle so unzweideutig an die der infantilen Anthropoiden,. daß eine Verwechse- lung beider möglich wäre. wenn nicht die Dimensionen verschieden wären. Am bleibenden Eckzahn der Atften tritt allerdings ge-

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wöhnlich eine mediale Längsrinne auf, doch kann diese auch lingual verlaufen und nimmt dann ihren Anfang zwischen den beiden Basalhöckern. Auch die Form des Milchcaninus beim Menschen erinnert an die Affen, indem die Krone deutlich gegen den Hals abgesetzt ist und unvermittelt in die breite Form übergeht, während beim bleibenden Eckzahn des Menschen das Auslaufen des Halses in die Krone ein gleichmäßiges ist. Über diesen Punkt hat speziell Regnault (1894) Untersuchungen angestellt, während für die Schneidezähne Azoulay et Regnault (1893) konstatiert haben, daß sich die der Neger und Papua am meisten denen der Anthropoiden nähern, nämlich durch das Divergieren der Seitenwände gegen die Schneidekante. Als Charakteristikum der zivilisierten Rassen müsse das Parallelwerden der Seiten- wände der Schneidezähne angesehen werden. Auch den Unter- schied in den Breitendimensionen von I, und I, habe ich in der Ödontographbie ausführlich behandelt und gefunden, daß eine grole Differenz zwischen beiden Maßen einen inferioren Charakter bedeutet.

Bezüglich der Länge (Höhe) des Eckzahnnes existiert noch eine große Kluft zwischen den Anthropoiden und Menschen, die aber nicht unüberbrückbar erscheint, wenn man bedenkt, daß dieses Maß unter den Affen selber sehr großen Schwankungen unter- worfen ist. So besitzt z. B. der weibliche Schimpanse unver- hältnismäßig kürzere Eckzähne als die anderen Anthropoiden. Andererseits kann man feststellen, daß die Australier sich durch relativ lange Eckzühne auszeichnen. Nur möchte ich nicht, wie diee Owen (184045) und Thompson (1902) tun, den Eckzahn der Australier orangartig nennen.

Zahnfunde. Wenn man gewisse Merkmale beim Menschen als pithekoide bezeichnet, so nimmt man an, daß diese einstmals ebenso stark ausgebildet waren wie bei den anthropomorphen Affen. Die Bestätigung dieser Annahme sollten prähistorische, diluviale oder fossile Kiefer und Zähne liefern, und so erwartete man unter anderem, daß der Eckzahn unserer Vorfahren größere ' Längendimensionen aufweisen werde, als der der rezenten Men- schen. Doch hat noch keiner der Funde menschlicher Zähne eine Verlängerung des Caninus wahrnehmen lassen. hingegen konnte man an Kiefern fossiler Affen eine gewisse Vermensch- lichung nachweisen. So beobachtete ich an einem der vom mio- cänen Dryopithecus aufgefundenen Unterkiefer. daß demselben ein Diastema mangelt und daß der Eckzahn bedeutend kürzer ist als der anderer Atten. Vielleicht stammt aber dieser Kiefer ohne Diastema vun einem weiblichen Individuum, dann wäre das Fehlen der Lücke nichts Aubergewöhnliches. Abgesehen vom Eckzahn

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konnte man aber verschiedene pithekoide resp. inferiore Merkmale an menschlichen Funden feststellen. So sind die Zähne des Krapina-Menschen (diluvial) voluminöser und reichlicher mit Schmelz- furchen versehen als die unsrigen; dann sind die unteren Molaren der Schädel von Spy (Neanderthalperiode) alle fünfhöckerig und von gleichem Volumen; ferner ist der Unterkiefer von La Naulette durch das Fehlen des Kinnes charakterisiert, und seine Alveolen lassen auf Volumzunahme der Molaren schließen. Bemerkenswert ist dann die Stärke und Richtung der Usur, die an den Spy- Zähnen von Fraipont (1887) als paläolithische bezeichnet wird. . Des weiteren sind die Molaren aus dem Bohnerz der schwäbischen Alb zu nennen, über deren Identität mit denen des Dryopithecus man kaum mehr im Zweifel ist. Sie werden von Branco (189%) entweder als die menschenähnlichsten Anthropoiden-Zähne oder als die affenähnlichsten Menschen-Zähne identifiziert. Eine ein- gehende Beschreibung erfuhren die Zähne (M, und M, supp.) des Pithecanthropus erectus, einer Form, von der man annahm, dag sie der Stammvater der Menschen einer- und der Anthropoiden anderseits sei. (Hierüber näheres unter Stammbaum.)

Ohne Zweifel ist das Studium der Zähne ausgestorbener Säugetiere ein äußerst interessantes und dankbares Feld. und da heutzutage immer mehr Reste derselben zutage gefördert und zum Gegenstand eifriger Beobachtung gemacht werden, sollte es sich jeder Zahnarzt angelegen sein lassen, auf diesem Gebiet durch Aneignung der nötigen odontographischen, paläologischen und zoologischen Kenntnisse zur Erforschung der Stammesgeschichte des Menschen mitzuwirken.

Abstammung des Menschen. Zum Schlusse sollen noch einige Ansichten über die Abstammung des Menschen resp. seine verwandtschaftlichen Beziehungen zu anderen Tieren, dann eine Übersicht über die fossilen Antlıropomorphen und einige damit im Zusammenhang stehende Fragen gebracht werden. (Eine Lite- raturübersicht in den Referaten von Schlosser im Archiv für Anthropologie liegt nur bis zum Jahre 1401 vor, so dab mir einige neuere Arbeiten, die sich mit diesem Thema beschäftigen dürften, unbekannt wären.)

Im vorhergehenden ist vom Pryopithecus und Pithecanthro- pus die Rede gewesen, und es ist am Platze, über diese wie über die anderen fossilen anthropomorphen Affen das Nütigste mitzu- teilen. Ich lasse darüber Branco (1898) sprechen. welcher in erster Linie die fossilen Anthropoiden aufzählt.e Es sind dies Palaeopithecus sivalensis und Pithecanthropus erectus in Asien und Pliopithecus antiquus, Pliohvlobates eppelsheimensis und Dryopithecus Fontani in Europa. Nach Brancos Meinung hat

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sich der Mensch wohl schon vor der Existenz des Pithecanthropus von den Anthropoiden abgezweigt. Da ein jeder Anthropoide in gewisser Beziehung dem Menschen ähnlicher ist als die übrigen Anthropoiden, so kann es, glaubt Branco, auch nicht überraschen, daB es einen Anthropoiden gegeben hat, der in der Größe des Gehirns dem Menschen viel näher kommt als die übrigen. Es ist daher recht wahrscheinlich, daß Pithecanthropus das Binde- glied zwischen Mensch und Affe darstellt. Sowohl Pithecanthro- pus als Dryopithecus übertreffen in bezug auf Menschenähnlich- keit alle übrigen Anthropomorphen.

Daß Pithecanthropus erectus Dubois das Bindeglied zwischen Mensch und Affe sei, wird außer von Branco noch von E. Dubois, Dames, Häckel, Manouvrier, Marsh, Nehring, Pettit und Verneau behauptet. Eine Frage, die zu großen Meinungsver- schiedenheiten geführt hat, ist die, ob dieses „Bindeglied“ Mensch oder Affe ist. Für erstere Version entscheiden sich: Cunningham, Keith, Lydekker, Martin (Zürich), Matschie, Topinard, Turner, tür letztere treten ein: Haman, Ten Kate, Kollmann, W. Krause, J. Ranke, Selenka, Virchow, Waldeyer und Zittel.

Virchow (1895a) läßt Pithecanthropus von einem hvlobates- ähnlichen Affen stammen und nicht von einem Hominiden. Er ist nach seiner Meinung kein neues Genus, auch nicht das fehlende Bindeglied zwischen Mensch und Affe. Was sein Alter betreffe, so stamme er vielleicht aus dem Pliocän. Nach Dubois, zitiert von Virchow (1395d), ist er dagegen der direkte Ahne des Menschen.

Für eine Verwandtschaft des Pithecanthropus mit Gibbon spricht Kollmann, zitiert von Virchow (1895a) und Volz (1897).

Klaatsch (1899a) hält es für unzweifelhaft, daß Pithecan- tbropus mit dem Menschen nahe verwandt ist, wenn er auch viel- leicht nicht dessen Stammvater ist. Der menschliche Typus dürfte schon früher als im Pliocän existiert haben (1899b). Gegen eine Verwandtschaft des Pithecanthropus und Hylobates erklärt sich Schwalbe (1599), gestützt auf Differenzen im Schädelban.

Endlich bringt Schlosser (1900) eine Zusammenfassung über die Literatur betreffend die ausrestorbenen Anthropomorphen. Dryopithecus, Pliopithecus und vielleicht auch Pithecanthropus und Mensch sind aus einer primitiven Hylobatesgeruppe hervor- gegangen, die lebenden Antlıropoiden sind nur entfernte Ver- wandte des Menschen. Letzterer hat wohl bereits im Tertiär gelebt, aber noch als andere Art, nicht als Homo sapiens. Für seine Existenz im Tertiär spricht der Umstand, daß im Pliocän wohl bereits sämtliche lebenden Säugetiergattungen und folglich wahrscheinlich auch die Gattung Homo gelebt haben. Dryopithecus

234 de Terra. Übertiick über den neutigen Stan!

st zwar nicht der Alne des Menschen. allein seine primitive Urzanisation lange Kirferstinpi:yse, parasieie Zabureine. ab- gesehrästes Kinn würden ihn kein-swegs aus der Alhnenreihe des Menschen ansschlieten. Pitlecantbropus ist keineswezrs. wie Virchow meint. nur ein riesizer Hylobates. sondern entschieden der merschenahnlichste Antkropoide. den man kennt und sollte eizentiich zu den Hominidae gestelit werden. sof-rm man dies: Fan.ilie überhaupt aufrecht erhalten wiil.

Plispithsens ist. wie PDnbois 15u97, schreibt. ein b>s“nJerer Typus. der dem Hylobates nicht näher steht. wohl aber mit Dryo- pithecus und Palaeopithecus eine eigene Gruppe bildet. Er ist nach Schlosser zweitellos der Stammvater des Hyicbates.

Ais Ahtuen des Menschen bezeichnet Klaatsch Ix4be. den Menschen von Neanderthal, eine besondere Spezies im Unter- pi“istocän.

Newton 1S4s: zweifelt nicht an dem echt pleistoränen Alter des Menschen.

Im nachstehenden söllen noch die Ansichten der amerika- nischen Forscher Cope und Osborn über die Abstammung des Menschen und die Spezialisierung des Gebisses wiedergegeben werden.

Nach Cope 143 gehen die Anthropomorplen direkt auf die Le:.uren zurück. Das Gebit von Anaptomorphus ist s-hr anthro- poidenähnlich und die Anaptoiorphiden können als die Stanm- eltern der Antlıropoiden angesehen werden. Hominiden und Simi- iden bilden zusammen die Anthropoiden und stamm-n von eocänen L-muren ab.

Weiter sagt Cope 1595. die ältesten aus Asien und Europa bekannten Menschenreste gehören nicht dem Homo sapiens, son- dern dem Homo neanderthalensis an. Nicht bestimmt kann Cope anzeben. ob Homo neanderthalensis der einzige echt paläolithische Mensch war. oder ob die Spezies Homo sapiens in einen palüo- lithischen und neölithischen Menschen zerlegt werden muB.

Osborn -1x93 lätt die Säugetiere aus den hvpothetischen Sanromammalia hervorgehen. die sich dann in die 'Theromorphen, Reptilien und Promommalia gespalten haben. Die Monotremen stammen von paläozoischen Multituberkulaten ab. denn bereits in der Trias zeigt sich mehrfache Spezialisierung. Der Heterodon- tisınns ist der ursprüngliche. und Ho:nodontismus ist nur eine Modifikation desselben. Jm Mesozoienm trifft man drei Formen- kreise, die Multitnberkulaten. mit 3 1. ¥ C, 4 P. 6 M. die Trikono- donten mit 41. 1 C. 4 P. 7 M. die Trituberkulat-en mit 4 I. 1 C. 4—5 P. NM. Die letzteren vertreten wohl die Eutheria, die Trikonodonten die Metatheria-Marsupialier. denn mit diesen stimmt der Kieferbau überein, während die Trituberkulaten hierin an

der Pbylogenie des Menschen in bezug auf die Zähne. 235

Insektivoren erinnern. Die Multituberkulaten entsprechen den Prototheria. Die Molaren aller drei Gruppen haben sich aus einer primitiven trituberkulären Stammform entwickelt.

Die einfachsten Molaren hat Dromotherium in der Trias, komplizierter ist der Zahn der Trikonodonten im Jura. Vom Jura an herrschen die Formen mit trituberkulärer Anordnung der Zacken vor. Der Trituberkulärtypus hat sich sowohl bei den Metatheria als auch bei den Eutheria selbständig entwickelt, d-nn diese Stämme waren schon vorher getrennt. Mikrolestes, der älteste der Multituberknlaten, muß sich schon aus einer tritu- berknlären Form entwickelt haben, die älter ist als Dromotherium. Die Zahnkomplikation ist nun zwar die Regel, allein es gibt izmerhin auch Ausnahmen, retrograde Entwicklung. So entsteht aus dem Trituberkulärtypus sekundär ein Trikonodontentypus, z. B. Thylacinus. und ans einem solchen ein haplodonter z. B. Cetaceen.

Die Bildung der Anthropoidenzähne wird von Earle (1897) uit folgenden Worten charakterisiert: Die Molaren der Cebiden iind etwas fortgeschrittener als jene von Tarsins, sie stehen in der Mitte zwischen dem Drei- und Vierhöckertypus. Die altwelt- lichen Affen nähern sich im Zahnbau den Gattungen Tarsius und Anaptomorphns viel mehr als den Temurinen. Die Molaren der Autbropoiden sind durch Degeneration aus Zähnen der Cerco- piherinen entstanden.

Eine Präzisierung der Stellung des Menschen zu den Affen zib Topinard (1892), indem er zwei Gruppen aufstellt, die tarch gewisse sich gleichende Merkmale zusammenhängen und sie als Untergruppen unter eine höhere erkennen lassen; das sind Ärseits Anthropoiden und Affen, anderseits Mensch und Lemuren. T»pinard zieht aus seiner Abhandlung unter anderen Schlüssen u tolgenden: Der Höckertypus des Maki, Tarsius nsw. hat im fe einerseits den Typus des Lori, Propithecus und Galago, dr die Cebus-Arten hervorbringt, anderseits den Typus des Indri, wn dem die Pithecus-Arten abstammen.

Von diesen beiden Arten getrennt sind zwei ähnliche Typen “standen, die Anthropoiden und der Mensch.

In der Ähnlichkeit der Prämolaren und Molaren des Dauer- "isses vom Schimpanse mit den gleichnamigen Zähnen des mensch- hen Gebisses sieht Selenka (1898) einen Beweis für die ge- Beinsame Abstammung des Schimpanse und des Menschen von irpithecusähnlichen Formen.

Der ausführlichen und interessanten Arbeit von Branco 189%) ehme ich die folgenden Ausführungen.

Oskar Schmidt führt die Affen der neuen Weit auf in- “r'enfresserartige Stammformen zurück, diejenigen der alten

236 de Terra, Überblick über den heutigen Stand

Welt, also auch die Anthropomorphen und Menschen auf dick- hiiuterartige. indem er sich auf Ahnlichkeiten der Zahntormel stützt.

In der Tat. sagt Branco, erinnern die bunodonten Backen- zähne des Menschen und der Anthropomorphen an die Höckerzähne gewisser Pachydermen, namentlich das Schwein. Der Ausdruck von Filhol. Pachvlemuriden. soll besagen. dab zwischen Aften uud Lemuren einerseits und zwischen Lemuren und Pachydermen ander- seits, speziell Suiden. eine nähere Verwandtschaft bestand. Nach Schlosser sind die Afen. Lemuren und Pachydermen von in- sektivorenähnlichen Vorfahren ausgegangen. Nach ihm sind die Menschen Nachkommen von Platvyrrhinen.

Branco behauptet, die Herausbildung der Anthropomoryhen aus den Platyrrlinen müsse etwa in olizocäner Zeit geschehen sein. Die Vorgänger dieser waren die lemurinen Formen. Nach Dubois ist der Ausgangspunkt der Menschen und Anthropoiden der Prothylobates. auf den dann der Palaeopithecus folgt. Von letzterem sei der Pithecanthropus ein Abkömmling. Nach Cope ist Phenacodus die Stammtorm der Menschen und Anthropoiden.

Auch Gorjanovic 1902) schließt. dat: Drvopithecus der Vortahr des heutigen Gibbon gewesen sei, gestützt auf seine An- sichten über die Schmelzrunzelung. Der Umstand nämlich. dat die Schmelzfalten des rezenten Menschen nur mehr sporadische Er- scheinungen sind, spricht dafür, dat; diese Eigentümlichkeit. welche in früheren Zeiten eine allgemeine war. sich bereits verliert. Dab neben dem Gibbon und Gorilla, deren Zähne keine Schmelzfalten be- sitzen. gleichzeitig Genera wie Schimpanse und besonders Orang- Utan mit sehr reichlichen Falten bestehen. läbt uns vermuten. dab auch im Mivcän neben Dryopithecus noch andere mit reich- licheren Schmelzfalten versehene Formen existierten, die eventuell schon dem damaligen Homo angehörten. Der Drvopithecus dürtte diesbezüglich schon reduzierter gewesen sein. immerhin aber dem mutmal!ichen Homo sehr nahe gestanden haben.

Zum Schlusse sei noch erwähnt. dab Pruner-Bey 1565` den Drvopitliecus als Stammvater der Europäer betrachtet, dab Gysi .1S45' den Mesonix aus dem unteren Eocän als Ahnen des Menschen bezeichnet. während Marsh. zitiert von Thompson ‚Is04) Lemuravus und Limnotherium aus dem amerikanischen Ecoän dafür angibt.

Damit schliebe ich die vorliegenden Betrachtungen. mit denen ich lediglich den Zweck verfolgt habe. den Kollegen einen Ein- blick in den heutigen Stand und die Aussichten einer Ergründung der Phyiorenie zu geben und muß für ein genaueres Eingehen in das Studium derselben auf die von mir heranrezurene Literatur verweisen.

der Phrlogenie des Menschen in bezug auf die Zähne. 237

Literaturverzeichnis.

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to l 2e on ta

Hunter behandelt in seiner sehr ausführlichen und außerordent- leh interessanten Arbeit {welche sowohl für Arzte als auch für Zahn- ärzte sehr viel beherzigenswerte Ratschläge enthält), die auf septische

Auszüge. 241

Zustände der Mundhöhle zurückzuführende und von ihm zuerst so be- nannte „septische Gastritis“, sowie die große Zahl der übrigen eben- alls auf der genannten Quelle beruhenden Erkrankungen sowohl lokaler als allgemeiner Natur. Wir können in dem Rahmen eines Referaten natürlich nur das Allerwichtigste wiedergeben und müssen im übrigen auf das sehr lesenswerte Original verweisen.

In der Einleitung konstatiert Verf. zunächst die außerordentlich auffällige Tatsache, daß, während sonst in der Medizin das Bestreben dahin geht, durch die Beobachtung einlichster Sauberkeit sowohl bei Operationen als auch in jeder anderen Hinsicht Infektionen möglichst aus- zuschließen, in striktem Gegensatze hierzu den im Munde sehr häutig anzutretfenden septischen Zuständen, welche nach Hunters reicher Er- fahrung eine ganz gewöhnliche Ursache der verschiedenartigsten Er- krankungen sowohl lokaler als auch allgemeiner Natur abgeben, ın den weitaus meisten Fällen von keiner der beteiligten Personen, weder vom Patienten, noch vom Arzte, noch vom Zahnarzte die genügende Beachtung geschenkt wird.

A. Allgemeine Erkrankungen.

Als Allgemeinkrankheiten, welche ausschließlich durch Muncdsepsis. als deren Ursache karöse Zähne und Zahnwurzeln; mangelhafte Reini- gung der Mundhöhle sowie von Gebißplatten, ferner schlecht an- schließende Brücken, Goldkappen und Metallfüllungen in Betracht kommen, hervorgerufen werden können, deren Entstehung jedoch in fast allen Fällen auf alle möglichen anderen Ursachen, nur sch auf die richtige zurückgeführt wird, nennt Hunter: 1. Gastrische und in- testinale Erkrankungen. 2, In entfernteren Organen auftretende und durch pyogene Organismen hervorgerufene Infektionen, wie z. B. akute Osteomyelitis, ulzerative Endokarditis, Empyema, suppurative Menin- gitis, suppurative Nephritis usw., nebst anderen dunklen durch Fieber, Purpura, Blutungen des Zahnfleisches usw. charakterisierten sep- tischen Zuständen. 3. Toxische Erscheinungen. Verf. bebandelt be- sonders eingehend die 1. und 3. dieser Krankheitsgruppen und ist im- stande, aus seiner eigenen Praxis nicht weniger als 13 besonders frappierende Fälle der erwähnten Art mitzuteilen, ein Beweis dafür, wie häufig durch Mundsepsis jederart Infektionskrankheiten verursacht werden. Alle angeführten Fälle scheinen uns so lehrreich zu sein. dab wir es uns nicht versagen können, dieselben kurz wiederzugeben, um so mehr als unseres Wissens derartige Beobachtungen außer vom Verf. (v. Referat XVII. Jahrgang, 9. Hett d. D. M. f. Z) bisher noch nicht veröffentlicht worden sind. Die ersten 6 Fälle betreffen Magen- und Darmerkrankungen.

1. Fall. Subakute Gastritis bei einer 62 jährigen Frau, seit S Mo- naten bestehend. Symptome: Zeitweilige, sehr hettire Magenschmerzen, Erbrechen, starker (Gewichtsverlust, zunehmende Schwäche: fortwähren- der bitterer Geschmack im Munde, sowie Übelkeit und Widerwillen gegen alle Speisen, schmutziger feuchter Zungenbelag. Von ärztlicher Seite war Verdacht auf Krebs ausgesprochen worden. Patientin trug oben und unten (rebißvplatten, welche sehr sauber gehalten waren und unter welchen das Zahnfleisch vollständig gesund war. lm Munde be- fanden sich nur noch drei stark zerstörte Zähne, deren Umgebung auf Druck Eiter entleerte. Hunter stellte, da er keine andere Krankheits- ursache entdecken konnte, die Diagnose auf durch fortwährendes Ver- schlucken von Eiter verursachte (septische) Gastritis. Entfernung der

XXIII. 16

242 Auszüge.

defekten Zähne; 8 Tage später war der Zungenbelag verschwunden und der normale Geschmack zum erstenmale seit 8 Monaten zurück- gekehrt; Magenschmerzen waren nur einmal in dieser Zeit nn In der folgenden Woche trat ein Rückfall mit Erbrechen, Schmerzen und leichtem Fieber auf; die erbrochenen Massen, welche wässerig und frei von Speiseteilen waren, enthielten rostfarbene, aus Schleim, Fi- brin, Katarrhzellen, Leukocyten und Blut bestehende Flocken; Verf. fand bei der mikroskopischen Fatseachung derselben zahlreiche Strepto- kokken und Staphylokokken, dagegen nur wenig Bazillen. Unter ge- eigneter Behandlung (innerlich dreimal tägl. 0,18 g Acid. salicylıc., peptonisierte Milch als Nahrung und Gegenreize) ließen die Schmerzen vollständig nach, das Körpergewicht hob sich zusehends und es erfolgte in weniger als zwei Monaten völlige Genesung, welche auch von Dauer war.

2. Fall. Der betr. Patient, ein alter Herr von starkem Körper- bau, litt bereits seit einem Jahre an Erbrechen, Übelkeit, Verdauungs- störungen, schlechtem Geschmacke im Munde und Widerwillen gegen Speisen, besonders gegen Fleisch. Seine Zunge sah rot und rauh wie em Stück rohes Fleisch aus; das Zahnfleisch sowohl im Ober- wie ım Unterkiefer war entzündet. Es wurde oben und unten Zahnersatz ge- tragen; während aber oben alle Zähne extrahiert worden waren, saßen im Unterkiefer noch drei schwarze Zähne, von denen einer gelockert war, und vier tief kariöse Wurzeln, von denen ebenfalls eine lose war. Die untere Platte, welche Patient bereits seit über einen Monat nicht herausgenommen hatte, hatte sich so festgesetzt, daß sie nur sehr schwer zu entfernen war. Die Platten waren, besonders auf der (aaumenseite, mit zersetzten septischen Massen bedeckt. Diagnose: Subakute septische Gastritis. ie Platten wurden gründlich mit kochendem Wasser gereinigt, Milch als Nahrung vorgeschrieben und Patient zu seinem Zahnarzt geschickt. Letzterer erklärte ejgentüm- licherweise, eine Extraktion sei nicht: notwendig, trotzdem eine Wurzel so locker war, daß sie mit den Fingern hätte entfernt werden können. ‚! Der Ref.) In der folgenden Woche erbrach Patient zweimal schwarze, übelriechende Massen; seitdem trat Besserung und besserer Appetit ein. Die Mundschleimhaut war noch etwas gerötet, während die Zunge wieder ein normales Ausschen zeigte. Das Zahnfleisch war noch empfindlich und etwas entzündet. Verordnet wurde Putzen der Mindschleiäh.ut morgens und abends mit einem desinfizierenden Zahn- pulver und Pinselung des Zahntfleisches mit einem adstringierenden Mundwasser und Patient zu einem anderen Zahnarzt geschickt.

3. Fall. Dem Verf. wurde von ihrem Hausarzte eine Dame zu- geführt, welche bereits 15—20 Jahre lang an sehr intensiver, periodisch in Zwischenräumen von 5—-6 Wochen auttretender Salivatıon litt; dies Leiden machte sie jedesmal so krank, daß sie gezwungen war, das Bett zu hüten. Dem jedesmaligen Aufhören des Speichelflusses ging ge- wöhnlich ein Diarrhöranfall vorauf. Status praesens: Außerordent- lich starke, über die ganze Mundschleimhaut verbreitete Stomatitis mit in der Umgebung von kariösen Zähnen und Zahnresten befindlichen Pusteln. Patientin trug seit 15—20 Jahren oben und unten partielle Prothesen, welche nach ihrer Aussage schlecht und unbequem saßen; sie hatte dieselben die ganze Zeit nicht aus dem Munde entfernt und nur in situ mit einer Zahnbürste gereinigt, was selbstverständlich einen ekelerregenden scptischen Zustand der Erratzstücke zur Folge ge- habt hatte. l

4. Fall. Der betr. Patient liit seit vielen Jahren an chronischer

Auszüge. 243

indigestion; 2—3 Stunden nach dem Essen traten jedesmal Magen- schmerzen und das Gefühl auf, als ob der Magen sich senke, und ver- sh wanden nur bei wiederholtem Essen. Die Zähne waren sehr schlecht, «hwarz und kariös und zum Teil gelockert; das Zahnfleisch stark ge- itet und entzündet; ein Zahn war an Pyorrhoea alveolaris erkrankt. Eine gründliche antiseptische Mundbehandlung hatte nach einigen Monaten die gänzliche Beseitigung der Verdauungsstörungen zur Folge.

=> Fall. Allgemeine Symptome: Salivation, Magenbeschwerden, \ugenkatarrh. Im Munde fand sich lokalisierte Gingivitis unter- halb einer Goldbrücke, welche sich zwischen zwei (ioldkappen erstreckte Nach der Entfernung der Brücke und der Goldkappen verschwanden die Allgemeinsymptome sofort. Unterhalb der Brücke fand sich eine kleine mit Eiterorganismen angefüllte Tasche.

6. Fall betraf dieselbe Person wie Fall 5 und zeigte dieselben Allgeemeinerscheinungen. Im Munde fand Verf. lokalisierte Gingivitis in der Umgebung einer eine Zahnkrone bedeckenden (roldkappe. Bei der Entfernung der Kappe, welche ein sofortiges Aufhören der All- <emeinerkrankung zur Folge hatte, entdeckte Hunter am Zuhnhalse "ne kleine Kavität, welche vom unteren Rande der Kappe bedeckt worden war. [Die betr. Person muß sehr empfänglich für eine Infek- ton des Magens durch die in der Mundhöhle vorhandenen Eiterorga- iuen gewesen sein, da bekanntermaßen in zahlreichen anderen Fällen selbst eine ausgedehntere Mundsepsis, wie z. B. beim Vorhanden- ‘in fauliger Wurzeln unter Ersatzstücken, lange Zeit, ohne derartige tolsen zu zeitiren, bestehen kann. Der Ref.] =u. Fall. Eine Dame, welche bereits seit ?—3 Jahren an perio- dischen, in regelmäßigen Zwischenräumen wiederkehrenden Antällen won Fieber, Hautausschlägen, Gastritis und ausgesprochenen nervösen “tungen gelitten hatte, konsultierte den Verf. Letzterer fand einen "schen pustulösen septischen Hautausschlag auf den Beinen, den ai men, sowie dem Rumpfe vor. Patientin hatte jahrelang bis vor Da einem Monat ein Obergebiß getragen. ohne dasselbe je zu ent- "Men, infolgedessen sich dasselbe teilweise in den Oberkiefer ein- Settet hatte. Auf dringendexs Anraten ihres Zahnarztes hatte sie “a= 11ebiß zu der angegebenen Zeit herausgenommen. Es lag ein schwerer 17” onischer allgemeiner septischer Zustand vor, dessen akute Mani- *#ationen, eben jene erwähnten Ausschlüge, Gastritis und nervöse "rungen, bisher immer für Gichtsymptome gehalten worden waren. i >». Fall. Ein Jüngling litt zuerst an Zahnfleischentzündung im 'h erkiefer in der Umgebung einer tief kariösen Zahnwurzel: es ent- “u kelte sich daraus eine ausgedehnte Stomatitis, welche sich immer zater verbreitete, bis alle oberen Zähne locker und nekrotisch wurden. Hər halbe Oberkieferknochen wurde vollständig nekrotisch: sämtliche Neichteile des Oberkiefers wurden gangränös: schließlich hatte die Hale Sepsis eine akute schwere Septikämie und hämorrhagische Ne- ‚untis zur Folge, welche zum Tode führten.

„Fall. Bei einem Manne, welcher an perniziöser Anämie. deren „rung vollständig dunkel war, zugrunde ging, wurde durch die -@tersuchung post mortem die überraschende Tatsache festgestellt, tz die zum Tode führende schwere Allgemeinerkrankung lediglich in Sepsis und zwar durch Mund- resp. Kiefersepsis hervorgeruten “len war. Wie der Obduktionsbefund ergab, waren die Zähne in ->n Alveolen, welche wie ausgekochter Knochen uussahen, nekrotisch “onten; am Boden der Alveole eines der nekrotischen Zähne befand

Io*

244 Auszüge.

sich ein mit dem letzteren in Verbindung stehender Alveolarabszei von der Größe einer kleinen Haselnuß. Ein zweiter kleinerer Eiter- herd ging von einem anderen Zahn aus. Ferner bestand Eiterung m den linken Siebbeinzellen. Die Entdeckung dieser ausgedehnten sep- tischen Vorgänge mußte um so mehr überraschen, als zu Lebzeiten des Patienten auch nicht das geringste Symptom einer derartigen Lokal- erkrankung bemerkt worden war.

In den folgenden drei vom Verf. mitgeteilten Fällen waren in- folge von langdauernder extremer Mundsepsis vorwiegend eine be- sondere Art toxischer Allgemeinerscheinungen, nämlich nervöse, tiefer- gehende Veränderungen im Nervensystem anzeigende Störungen auf- getreten. welche im wesentlichen in Starrheit und Prickeln ın den Händen und Füßen, ausgeprägter Schwäche und Atrophie gewisser Muskeln und lokalen Lähmungen bestanden und vom Verf. mit dem Namen „toxische Neuritis“ belegt worden sind. Hunter nimmt die Priorität für die Entdeckung des Zusammenhanges dieser sogen. to- xischen Neuritis mit septischen Zuständen in der Mundhöhle für sich in Anspruch. In allen Fällen hatte die Beseitigung der schon viele Jahre bestehenden Mundsepsis eine unmittelbare Besserung der ner- vösen Erscheinungen zur Folge.

10. Fall. Ein 33 jähriger Theaterarbeiter litt seit zweieinhalb Mo- naten an großer Schwäche in beiden Armen. Begonnen hatte die Krankheit mit heftiger Diarrhöe, Magenschmerzen und Erbrechen. welche Erscheinungen etwa drei Wochen gedauert hatten. Etwa einen Monat später war Schwäche mit einem Gefühl von Steifheit in den Händen aufgetreten und hatte sich allmählich nach aufwärts über beide Arme ausgedehnt. Eine weitere Begleiterscheinung war das (sefühl von Stechen und Kribbeln in den Händen und Armen. Gleichzeitig litt der anämische Patient wieder an akuten Magenschmerzen und war sehr niedergeschlagen; unter ärztlicher Behandlung trat nach der Ent- leerung blutiger und schleimiger Stühle eine Besserung der Magen- beschwerden ein. Behufs Behandlung seiner Arme kam Patient zu der unter Hunters Leitung stehenden elektrischen Abteilung des Kranken- hauses. Status praesens: Patient war schlecht genährt und von eigentünlich schmutziggrau-gelblichem Aussehen; er litt an aus- sesprochener Schwäche und Atrophie aller Muskeln an beiden Armen bis zu den Deltamuskeln hinauf; die letzteren waren besonders stark aftiziert und reagierten in ihren hinteren Teilen auf den faradischen Strom ın Keiner Weise, während ihre übrigen Teile, sowie die übrigen Armmuskeln sämtlich, wenn auch in geringerem Grade als normal. Reaktion zeigten. Die Mundhöhle war im höchsten Grade septisch: Die zum großen Teil gelockerten Zähne waren schmutzig-schwarz; außerdem war sehr starke Gingivitis vorhanden. Diese Mundverhält- nisse bestanden bereits 12 Jahre. Anamnese: Patient hatte vor 16—17 Jahren rheumatisches Fieber gehabt und nach seiner Aussage vor drei Jahren, als er mit dem Mischen von Farben beschäftigt ge- wesen war, an Muskelrheumatismus gelitten. Behandlung: Sept. 20. Das Zahnfleisch wurde gründlich mit Acid. carbolic. 1:20 abgewischt, außerdem ein Karbolmundwasser und innerlich Syr. ferr. bypophosphit. sowie Liq. arsenicalis verordnet. Sept. 25. Gingivitis und Stomatitis bedeutend vermindert; einige Zähne sind noch gelockert. Patient hat größere Kraft in den Armen und kann die Ellenbogengelenke bereits ausgiebig biegen. Okt. 2. Fortschreiten der Besserung. Okt. 4. Ent- fernung der losen Zähne. Okt. 9. Der Mund ist jetzt rein; merkliche Besserung der Arme. Sämtliche Bewegungen mit Ausnahme der-

Auszüge. 245

iemigen der Schultergelenke sind ungehindert; der Muskelschwund ist allerdings noch nicht ganz gehoben.

ll. Fall. Die 33jährige Patientin klagt seit ihrer vor drei Monaten erfolgten Entbindung über Schwäche, Starrheit und Schwund der Muskeln des Daumens und des 4. und 5. Fingers der linken Hand, sowie über Schmerzen im linken Arm bis zur Schulter hinauf, ferner über starke Nervosität. Das Leiden begann mit Steifheit des 4. und 5. Fingers; später trat das Gefühl von Stechen und Kribbeln hinzu. Status praesens: Sept. 23. Etwas Emptindlichkeit des linken Nervus medianus. Deutlicher Schwund der Muskeln des Daumen- und des Kleinfingerballens. Schmutzig-gelbliche Gesichtsfarbe. Patien- tin trägt ein Oberstück auf einer Reihe von Wurzeln, deren Umgebung sehr stark entzündet ist; sie bat viel an schlechten Zähnen und seit Jahren an Verdauungsschwäche gelitten. Behandlung: Reinigung des Zahnfleisches mit 5proz. Karbollösung; Verordnung eines morgens und abends zu benutzenden antiseptischen Mundwassers; innerlich sali- ıyisaures Natron 0,9 g 3mal täglich. Das Tragen der Zahuplatte wird verboten. Okt. 2. Bedeutende Besserung der Mundverhältnisse. Noch- malige gründliche Reinigung der Mundhöhle. Patientin hat schon be- deutend mehr Kraft in der linken Hand; das Stechen und Kribbeln st verschwunden. Okt. 9. Patientin fühlt sich wieder gesund und bat frisches Aussehen. Der Mund ist ganz rein trotz der vorhandenen Wurzeln. Die linke Hand ist vollständig wieder imstande, Gegen- tänle zu erfassen.

12. Fall. Eine 34jährige Frau konsultierte den Verf. am 3. Ok- tober 1609 wegen Schwäche der Muskeln der linken Hand und des Yanzen linken Armes, oben mit dem Triceps und Biceps beginnend. Die schultermuskeln Deltoides und Trapezius waren nur wenig. wenn überhaupt, in Mitleidenschaft gezogen. Die Nervi musculo-spiralis und wedianus waren empfindlich auf Druck, besonders empfindlich jedoch Tegen elektrische Reize. Die Krankheit hatte eine Woche vor der \ıutbindung mit Stechen und Kribbeln begonnen; acht Tage später

aren starke Schmerzen und Schwäche im linken Arm, sowie in der ‘——nken Schulter aufgetreten. Diagnose: Periphere Neuritis, besonders 2 es Nervus musculo-spiralis. Die vorhandene außerordentliche Mund- ‘=Zpus besteht nach der Aussage der Patientin bereits seit dem >=. Lebensjahre, also seit 14 Jahren. Im Alter von 24—27 Jahren -= tt Patientin stark an Indigestion und ein Jahr später an schwerer (œastritis. Es besteht außerordentliche Stomatitis und Gingivitis. Die œ beren Ineisivi sind locker; an der Wurzel eines derselben befindet :ı<h eine stark eiternde Zahnfleischfistel. Es sind nur noch 13 Zähne "xoalten, im übrigen sind nur nekrotische Wurzeln vorhanden. Be- m andlung: Faradische Bäder schwacher Strom. Okt. 24. 1599. t>esserung; die Faradisation ist nicht mehr so schmerzhaft. Patientin unterbrach dann ihre Besuche und erschien erst am 2, Oktober 1900 Wieder; sie war etwas gebessert. ‚Über die Mundbehandlung teilt Verf. nichts Näheres mit. Der Ref.)

13. Fall. Als letzten teilt Hunter noch einen Fall von sehr -thwerer Septikämie infolge von toxischer Absorption bei bestehender Nındsepsis mit. Die betr. Dame war seit T—10 Tagen infolge eines rmnglückten Extraktionsversuches an einem Oberkieferzahn schwer an lokaler und allgemeiner Sepsis erkrankt. Es bestand eine ganz aus- “lehnte ulzerative, fast gangränöse Stomatitis; im Oberkiefer war ein ibaze mit einer Fistelöffnung, in deren Umgebung das Zahnfleisch ut Eiter bedeckt war. Die Schleimhaut des harten Gaumens war

246 Auszüge.

teilweise gangranös. Die Patientin, welche eine Temperatur von 4+0,5—41° ČC hatte, und bei welcher eine septische Pneumonie im An- zuge war, lag fast im Sterben. Behandlung: Lokale Antisepsis, be- stehend im Äbreiben der erkrankten Mundhöhle mit 5 proz. Karbol- lösung, Entfernung der nekrotischen Gewebeteille am Gaumen mit einer Schere, Extraktion der frakturierten Wurzel durch einen Zahn- arzt und Injektion einer Dosis Antistreptokokkenserum. Bereits nach 45 Stunden war der Zustand des Mundes wieder ein normaler; auch die zum Ausbruch gekommene lebensgefährliche septische Pneumonie wurde von der Patientin schließlich glücklich überstanden.

Verf. betont mit Recht, daß die Entstehung der beinahe zum Tode führenden Allgemeinerkrankung, an deren Heilung sich vor ihm bereits zwei andere Arzte ohne Erfolg versucht hatten, weil sie über die Ursache des Leidens im unklaren waren, mit Sicherheit hätte ver- mieden werden können, wenn die Patientin ihre Mundhöhle sofort nach erfolgter Zahnfraktur täglich mit einer antiseptischen Lösung aus- gespült hätte.

B. Lokale Erkrankungen.

Die Erkrankungen lokaler Natur, welche durch septische Zustände der Mundhöhle hervorgerufen werden können, handelt Hunter nur im allgemeinen ab, ohne spezielle Fälle aus der Praxis mitzuteilen. Wir dürfen uns deshalb wohl darauf beschränken, dieselben hier nur kurz anzuführen. Verf. teilt dieselben je nach ihrem Sitze in drei Gruppen.

1. Im Munde: a) Zahnkaries; dieselbe ist in allen Fällen die unausbleibliche Folge der Mundsepsis. b) Gingivitis und Stomatitis (entzündliche, pustulöse, ulzerative und gangränöse). c) Periodontitis. d) Pyorrhoea alveolaris.

2. In den Kiefern: Periostitis, Alveolarabszesse, Ostitis, Osteo- myelitis, Nekrosis, Kieferabszesse.

3. In den der Mundhöhle benachbarten Teilen: a) Akute und chronische Tonsillitis. b) Pharyngitis. c) Postpharyngeale Abs- zesse. d) Otitis. e) Follikularabszesse. f) Schwellungen der Halsdrüsen. Ferner in sehr seltenen Fällen: g) Venenthrombosen. h) Eiterung der Siebbeinzellen. i) Meningitis durch direkte Fortleitung der Eitererreger. [Sollten nicht auch manche Fülle von Entzündungen der Speichel- «drüsen, besonders der Parotis, auf Einwanderung von Streptokokken und Staphylokokken aus der Mundhöhle in die Drüsenausführungs- gänge zurückzuführen sein? Der Ref.)

Behandlung. Hunter hebt in erster Linie mit Recht hervor, daß nach seinen Erfahrungen in der Praxis den Mundverhältnissen und ihren Einwirkungen auf das Allgemeinbefinden nicht nur von Seiten der Patienten, sondern auch von den Ärzten im allgemeinen durchaus nicht die gebührende, wenn überhaupt irgendwelche, Be- achtung geschenkt wird. Als Beweis für seine Behauptung führt Verf. die Tatsache an, daß nicht nur in allgemeinmedizinischen, sondern sogar auch in Spezialwerken Krankheiten wie Stomatitis (entzündlicher, ulzerativer oder gangränöser Natur, Tonsillitis und Pharyngitis ab- gehandelt werden, ohne der Mundsepsis als möglicher Intektionsquelle auch nur die geringste Erwähnung zu tun. Was speziell die Zähne betritft, so wird höchstens kurz auf die möglichen Folgen einer an- dauernden Irritation «durch abgebrochene oder scharfe Zähne hin- gewiesen. Wenn uun aber schon die leicht mit dem Auge wahrnehm-

Auszüge. 241

baren lokalen, durch Mundsepsis hervorgerufenen Erkrankungen, welche übrigens noch bedeutend häufiger sein würden, wenn die Mundschleim- haut nicht eine so außerordentliche Widerstandakraft besäße, konstant übersehen werden, so ist es natürlich kein Wunder, daß die Wirkung der Mundsepsis auf entferntere Organe erst recht keine Beachtung findet. So z. B. werden gastrische Leiden, welche hier wohl am meisten in Betracht kommen, gemeinhin Diätfehlern, falscher Ernährungsweise und anderen Allgemeinzuständen zugeschrieben und jahrelang mit sto- machischen Arzneimitteln behandelt, natürlich ohne jeden Erfolg, weil die wirkliche Ursache, nämlich die Mundsepsis, nicht beseitigt wird. Beachtet der Arzt überhaupt den Zustand der Zähne, so gibt er viel- leicht auch der durch die Zahndefekte verursachten mangelhaften Mastikation Schuld; und doch ist bestehende Mundsepsis viel schäd- licher für den Magen als mangelhafte Mastikation. Ein Hauptgrund für die Nichtberücksichtigung der Mundsepsis dürfte nach Verf. der sein, dass die betr. Patienten im Munde häufig gar keine Schmerzen. Ja oft sogar nicht einmal irgendwelche Beschwerden haben.

Hunter betont, dass durch eine rationelle antiseptische Behand- lung des Mundes und der Zähne nicht nur die große Zahl der durch septische Zustände in der Mundhöhle verursachten Erkrankungen geheilt, sondern schon der Entstehung derselben vorgebeugt werden kann. Verf. faßt seine diesbezüglichen Forderungen in folgende vier Thesen zusammen:

l1. Jede in Verbindung mit einem kranken Zahn stehende krank- hafte Veränderung im Munde soll lokal mit einer starken antisep- tischen Lösung (Acid. carbol. 1: 20—40) behandelt werden; die letztere soll vermittels einer Kamelhaarbürste oder eines Wattebausches direkt über jeder erkrankten Wurzel eingerieben werden und zwar von Zeit zu Zeit, so lange der Patient die Extraktion verweigert oder so lange sich noch die geringste Röte in der Umgebung der Wurzeln zeigt. Als angenehmes Mundwasser emphiehlt Verf. 5proz. Karbolsäure, ein Teelöttel voll auf ein halbes Glas Wasser.

2. Ein noch besseres Mittel zur Beseitigung von Mundsepsis ist natürlich die Entfernung aller kranken Wurzeln, besonders der unter Gebißplatten befindlichen.

3. Gebißplatten müssen täglich sterilisiert werden.

4. Alle Brücken und andere Vorrichtungen, welche nicht entfernt und aus diesem Grunde nicht aseptisch gehalten werden können, müssen gänzlich vermieden werden.

Wir können die angeführten, vom Verf. zur Bekämpfung vor- handener Mundsepsis und zur Verhütung der in vorstehendem behan- delten eventuellen Folgezustünde derselben empfohlenen Maßregeln nur vollständig billigen; wir halten es jedoch für eine sehr schwierige Aufgabe, das große Publikum zu einer derartigen Mundantisepsis zu erziehen, da bekanntermaßen bis jetzt sehr vielen Menschen, sogar aus den sogen. gebildeten Stäuden, noch nicht einmal der Gebrauch einer Zahnbürste bekannt ist. Nur durch vereinte und konsequent durchgeführte Belehrungen aller Patienten seitens des Arztes und Zahn- arztes ist es möglich, in dieser Hinsicht allmählich Wandel zu schatten. Der Ref.) Nienteyer (Delmenhorst).

Dr. Pont: Note sur un cas de tumeur de la pulpe dentaire sans carie de la dent. :L’Oduntologie Vol. 2S, Nr. 17.) Ein 35jühriger Ingenieur klagte über Schmerz am zweiten Pri- molar des rechten Oberkieters, ohne daß es Pont gelungen wire. eine

248 Auszüge.

Spur von Karies an diesem Zahne zu finden. Er verweigerte die vom Patienten gewünschte Extraktion und leitete eine lokale Behandlung ein. Nach drei Wochen kam der Patient wieder und erklärte. dab er zunächst etwas Erleichterung gehabt habe, dann seien die Schmerzen um so heftirer aufgetreten. Bei der Untersuchung zeigte sich abermals keine Spur von Karies, selbst bei Lupenbetrac htung nicht. Bei der Durchleuchtung stellte Verfasser test, a der Zahn von seinen Nach- bam durch eine rötliche Farbe stark abstach. Pont entschloß sich zur Trepanation. Als die Fraise den Schmelz durchdrungen batte. fand sie keinen Widerstand mehr und der Patient klagte über einen leichten Schmerz. Nachdem Pont mit dem Schmelzwesser eine weite Öffnung geschätten batte. konnte er bemerken, dab die ganze Krone von ie Pulpa ausgefüllt war. Das Dentin war fast ganz geschwunden und der Schmelz bildete eine Schale um das Pulpagewebe, das sich tolgendermäben darbot:

Die Neubildung war dunkelrot gefärbt, weich, leicht zerreibhar und wenig schmerzhaft. Die Exstirpation ging leicht von statten und verursachte nur eine schwache Blutung. Ditterential-diagnostisch schliesst Pont aus: chronische Pulpahvpertrophie und Aneurysma der Pulpen- arterien. Er bezeichnet die Erkrankung als „tumeur primitive de la pulpe“. Nach der Exstirpation behandelte Pont den Wurzelkanal und tüllte ihn in der nächsten Sitzung mit Guttapercha, worüber er Zement legte. Er setzte keinen Stiftzahn ein, da er nicht sicher war, ob der Tumor rezidivierte. I ber das Ergebnis der mikroskopischen Unter- suchung will Pont später berichten, in der von ibm durchsuchten Literatur hat er keinen gleichen Fall beschrieben gefunden.

Dr. R. Parreidt Leipzig..

Dr. Alfred Sternfeld: Die systematische Extraktion der ersten permanenten Molaren ist in der überwiegenden Mehrzahl der Fälle vollkommen berechtigt. Antwort auf Dr. Elof Förbergs Artikel im Oktoəberhette 1901 der Österreichisch- uvgarisehen Vierteljabrsschrift für Zahnheilkunde. JJbidem 1902. Hett 1.)

Mit Freuden ist diese Entgegnung auf die Arbeit Förbergs: „lst die systematische Extraktion der ersten perwanenten Molaren gerecht- fertigt zu begrüßen. Wir haben seinerzeit von letzterer an dieser Stelle keine Notiz genommen und zwar aus Gründen, die sich in der Antwort Sternfelds ganz unserer Ansicht ent-prechend ausgeführt huden. Förberg ist ein Gegner der Extraktionsmethode, wie es scheint, ein prinzipieller. Warum’ „Mag sein, dab Fürberg wie Sternfeld sagt selbst schlechte Resultate damit erzielt oder solche bei anderen Zahnärzten beobachtet hat, so berechtigt dies doch noch lange nicht. n Verfahren. welches fast allseitire Anerkennung...

gefurden hat. .. . förmlich zu diskreditieren. Auch wir gewannen, wie E bei der Lektüre von Fürberg»s Arbeit den Eindruck, dab das Thema völlig einseitig behandelt und nur die Mibertolge in eklatanter Weise ans Licht gezogen worden waren. Es ist sicher. dab die svstewmätiseche Extraktion auch zuweiien nicht zum gewünschten Resultat tührt. Indessen wird das Urteil hierüber ganz verschieden anstallen, je naeckdem man in vüllie objektiver Weise das Für und Wider abwägt oder in stärker Voreingenonmuenbeit nur die eventuellen Mibertelre beiverbebt. Bin näberer Pangeben auf die Auiwort Stern- telds können wir um so eber unterlassen, als jedenie dureh dessen

Auszüge. 249

frühere Ausführungen über das hier in Frage stehende Thema!) der

Extraktionsmethode mehr Anhänger erworben worden sind, als ihr

durch die Ausführungen Förbergs Gegner entstanden sein dürften. Dr. Hoffmann.

Dr. Richard Breuer (Wien): Asehers künstlieher Zahnschmelz das Ideal einer Zahnfüllung. (Österreichische Zeitschrift für Stomatologie, 2. Jahrg., 10. Hett, S. 352.)

Verfasser hat das Aschersche Zement einer Anzahl Versuche unterworfen, deren chemischer Teil von Richard Bauer ausgeführt wurde. Die Füllungen wurden fünf Tage lang entweder in eine lproz. saure oder in eine 1lproz. alkalische Lösung gelegt und dann auf ihren Gewichtsverlust geprüft. Hierbei zeigte es sich, daß Zitronen- und Weinsteinsäure bis zu 30 Proz. Verlust erzeugten, Milchsäure 17,5 Proz. und Wasser mit Kohlensäure gesättigt 2 Proz., ebensoviel auch Soda- lösung. Salzsäure verursachte 50 Proz. Gewichtsverlust und zerstörte derartig, daß die Plombe bei leichter Berührung in kleine Teile zerfiel.

Die qualitative Analyse ergab, daß das Pulver keine ne Substanzen enthält, es ist nur wenig in Säuren löslich, der Rest kann mit kohlensaurem Natronkali und mit Flußsäure aufgeschlossen werden. An Säure wurde nur Kieselsäure in Pulver gefunden. Basen waren in (Gestalt von Aluminium und Calcium vorhanden, ferner geringe Mengen von Wismut, Magnesium und Eisen (Farbstoff). In der Hauptsache ist das neue Füllungsmittel ein Calcium-Tonerde-Silikat. Die Flüssig- keit ist konzentrierte Phosphorsäure mit Spuren von Calcium.

Zum Vergleich wurden gleichgroße Stücke von Reformzement und Aschers Zabnschmelz drei Tage in eine 30 fach verdünnte Ascher- flüssigkeit gelegt. Das Reformzement hatte 66,4 Proz. Gewichtsverlust, das Aschersche 65,7 Proz.

Es ist die fertige Füllung ein Phosphatzement, mit allen dessen Nachteilen, nur sind die anderen Zemente neuen hate, während Aschers ein (alcium-Aluminiumphosphat ist und den Vorteil der glän- zenden Oberfläche besitzt. Dr. R. Parreidt (Leipzig).

Guelliot, Etudes de chirargie. (Paris, 1904. Masson; Bespr. Zentralbl. f. Chir. 1904. Nr. 30, S. 893.)

Zahnärztliches Interesse haben nachfolgende zwei sehr seltene Parotistumoren:

1. Traumatische Cyste im Gewebe der Parotis. Einem 16jährigen Mädchen tiel eine Fensterlade auf die Wange. Anschwel- lung des Gesichts und schließlich taubeneigroße Geschwulst in der Parotisgegend. Um an die Cyste zu gelangen, deren Inhalt serös- gelbliche Flüssigkeit war, mußte eine ! cm dicke Schicht des Parotis- gewebes durchtrennt werden.

2. Intraglandnläres Angiom, von denen einwandfrei bisher erst neun in der Literatur verzeichnet sind. Zum Beweis, daß die Geschwulst sicher von der Parotis ausgeht, führt Verfasser an, daß die Haut gänzlich unverändert, daß nirgends erweiterte Venen in derselben waren, und daß man schließlich erst durch das Parotisgewebe hin- durch gehen mußte, um an dieselbe zu gelangen.

Prof. Port (Heidelberg). | 1. Osterr.-Ungar. Vierteljahrsschr. f. Zahnheilk. 18%. Referat: Diese Zeitschrift 1900, S. 377 H.

250 Auszüge.

Le Dentu (Paris): Des parotides consécutives aux opérations sur }’appareil génital de la femme. (Arch. gen. de med. 1903. Nr. 12. Ref. Zentralbl. f. Chir. 1904. Nr. 34, S. 1003.)

An einer sonst gesunden, gut genährten, fieberfreien Patientin wird wegen beiderseitiger Hydrosalpınx die Exstirpation der beiden Tubensäcke vorgenommen. Vom zweiten Tage an Temperatursteige- rung mit empfindlicher Schwellung am Kieferwinkel und starkem Ödem der betreffenden Gesichtsseite. Nach der Incision entleert sich reichlich Eiter, der Staphylokokken enthält. Die Bauchwunde heilt per primam, so daß eine Infektion vom Operationsfelde aus auszu- schließen ist. Le Dentu zitiert die Arbeiten von Benoit und Gri- solle über ähnliche Erkrankungen, stellt aber den Zusammenhang nur als hypothetisch hin. Prof. Port (Heidelberg).

Moritz, Dr. Oswald: Zur Kasuistik des Morbus maculosus Werlhofli. (Deutsche med. Wochenschr. 1904. Nr. 36, S. 1315.)

Es handelte sich um einen 18jährigen Handlungsgehilfen. welcher, seit 6 Wochen erkrankt, am 6. April 1904 in das Krankenhaus auf- genommen wurde. Die Haut des ganzen Körpers, besonders aber die rechte ILendengegend war mit stecknadelkopf- bis erbsengroßen blav- roten Ecchymosen übersät. Diese Ecchymosen wölbten sich nach einigen Tagen blasig vor, platzten dann, und ihr Grund hatte eine ge Neigung zum .geschwürigen Zerfall. Am 6. Mai trat der Exi- us ein. : Eine ähnliche Neigung zur Nekrose zeigte sich an den Rachen- gebilden. Erst zeigte sich auf einer, dann auf beiden Tonsillen ein schmutzig grauer, gangränöser Belag, welcher nach 8 Tagen auf die Wangenschleimhaut übergriff und hier, begleitet mit einem furchtbaren Foetor ex ore, zu ausgedehnter Nekrosenbildung führte. Dann dehnte sich die Nekrose bis zum Exitus auch noch auf den weichen Gaumen und die Rachenschleimhaut aus. Das Zahnfleisch blieb völlig ver- schont, und Moritz glaubte daher, daß es sich nicht um Skorbut handeln könne, wenn er auch zugibt, daß Skorbut und Morbus macu- losus zwei nicht immer scharf trennbare Krankheitsbilder darstellen.

Prof. Port (Heidelberg).

Thaon, P. et Leroux, R.: Tuberculose millaire linguo-jouale.

(Arch. gen. de med. 1903. Nr. 9. Ref. Zentralbl. f. Chir. 1904. Nr. 34, S. 1002.)

Bei einem 42jährigen, hereditär belasteten Manne waren seit einigen Jahren Lungenüftektionen aufgetreten. Seit drei Monaten trat eine Empfindlichkeit der Zungenspitze gegen gewürzte Speisen, Rauch und Alkohol auf. Die Bewegungen werden schmerzhaft, das Kauen erschwert, Speichelfluß ist vorhanden. Es sind daselbst kleine Knötchen fühlbar, dieselben liegen unter dichtem, weißem Belag, sind grauweig opak, stechen von der lebhaft roten Zunge deutlich ab und i

| \ r lebha stehen einzeln oder bis zu fünf beisammen. Am rechten Rande und links

von der Medianlinie finden sich kleine flache Geschwüre. Die Zunge ist nicht verdickt, Gaumen und Rachen frei. Einen Monat Später traten zahlreiche Knötchen an der Wiangenschleimhaut auf, von der Mundspalte aus nach hinten zu sich vermehrend.

Prof. Port (Heidel berg).

Bücherbesprechungen und Kleine Mitteilungen. 251

Bücherbesprechungen.

„Pfieget die Zähne“, eine farbige Wandtafel für Schulen. Nebst einer Begleitschrift. Von F. Wellauer, Zahnarzt in ea (früher in Frauenfeld). Winterthur, Meyerhofer,

ries 0.

Die sehr schön ausgeführte Tafel zeigt belehrende Bilder, dar- tellend die Anatomie und einige pathologische Zustände der Zähne des Menschen. Die Bilder zeigen 1'/; bis 10fache, die mikroskopischen bis Qunmıfache Größe. Dazu kommen Abbildungen von Tiergebissen ivon Fleischfressern, Pfanzenfressern, Nagetieren und einem Fisch: Fuchs, ‚Rind. Kaninchen, Hecht), welche die Schüler gewiß zu inter- exanten Vergleichen und Betrachtungen anregen können. Das Be- gleitschriftchen ist in knapper und dabei doch sehr anschaulicher Sprache, sozusagen reizend geschrieben. Ich habe es mit großer Be- friedigung gelesen. Es dürfte schwer sein, die Aufgabe, die sich der rinmlich bekannte Verfasser gestellt hat, besser zu lösen als es ihm g-lungen ist.

Möge die Tafel, mit der Begleitschrift, recht viel zum Verständnis d-r Zahnpflege bei der Schuljugend beitragen. Aber auch Zahnärzten tt sie als Belehrungsmittel für die wartenden Patienten zu empfehlen.

| Jul. Parreidt.

Die neue preußische Gebührenordnung für Ärzte und Zahnärzte. Mit eingehenden Erläuterungen und den für das Erwerbsleben der Medizinalpersonen giltigen Bestimmungen. Von Dr. J. Born- träger, Regierungs- und Medizinalrat. Zweite wesentlich ver- änderte und verbesserte Auflage. Würzburg, A. Stubers Verlag (C. Kabitzsch) 1905.

Der eigentlichen Gebührenordnung geht ein Kapitel voraus: Aulgemeines über die Stellung und Bezahlung des Arztes und über M edizinaltaxen“. Die Ordnung selbst besteht aus drei Teilen. 1, All- Z=meine Bestimmungen $ 1 bis 5. 2. Gebühren für approbierte Arzte. > tebühren für approbierte Zahnärzte. Die einzelnen Bestimmungen ‘nd durch Anmerkungen kurz und meist zutreffend erläutert. Das dnte Kapitel handelt vom „ärztlichen Rechnungswesen“ und den Wegen, auf denen der Arzt gegen säumige Zahler vorgehen kann. Laiu Schlusse sind noch die „Gebühren für amts- und gerichtsärztliche Isözkeit" aufgeführt. Ein Sachregister erleichtert den Gebrauch des

ìvues, Dr. R. Parreidt (Leipzig).

Kleine Mitteilungen.

_Kristallgold. Angesichts der Beachtung, die neuerdings die Arstallgoldpräparate wieder auf sich ziehen, sei wieder einmal an ein + tarat erinnert, das den älteren Zahnärzten in Deutschland die besten

LPer ea - N 2 . 0 . oe geleistet hat. Vor 40 Jahren schrieb Dr. W. Süersen im -snnarzt” (1964, S. 22) darüber u. a: „Jedenfalls werden die Herren

B ile Ba. anin e. : a gen mir nach einigen Versuchen darin beistimmen, daß zur

252 Kleine Mitteilungen.

Neddensches Gold in bezug auf Leichtigkeit der Anwendung und Sicherheit des Erfolges das Vorzüglichste leistet, was über- haupt Be werden kann, und daß Watts Kristallgold einen Ver- gleich damit bei weitem nicht aushält.“ P.

Zur Behandlung empfindlicher Zahnhälse wird eine ge- sättigte Lösung von kohlensaurem Kali in Glyzerin empfohlen. Das- selbe hat bei gleicher Wirksamkeit vor dem Höllenstein den Vorzug. daß es das Zahnbein nicht verfärbt. Auch bei sensiblem Dentin soll es gut wirken. (Dental Summary 1904. Nr. 9, S. 762.) Port.

Leontiasis der Zähne. Prof. Port machte im Verein badischer Zahnärzte am 20. März 1904 (Correspondenzblatt f. Zahnärzte, Juli 1904 Mitteilung über einen Fall von Leontiasis ossea bei einem jungen Manne in den 20er Jahren. Die linke Schädel- und Gesichtsseite wur stärker entwickelt als die rechte. Patient hatte sich schon ein Stück des Kiefers abmeileln lassen und ist zu einer zweiten Operation bereit. Höchst beachtenswert ist, daß am Riesenwuchs auch die Zähne teilnehmen, eine Beobachtung, über die wohl noch niemals berichtet worden ist. So betrug das Dickenmaß des oberen Eckzahnes rechts 0.8 cm, links 1,15, des unteren rechts 0,7, links 1,05, bei den ersten Molaren waren die Maße 1,15: 1,35 und 1,0: 1,2. Da die Größe der Zähne schon vor deren Durchbruch abgeschlossen ist, so muß bei den Zähnen der Riesenwuchs schon vor dem 12. Jahre stattgefunden haben; an den Gesichtsknochen ist er auch in dieser Zeit schon bemerkt worden, er hat aber erst in den 20er Jahren rascher zugenommen. Bei den Zähnen dürfte nach dem 12. Jahre wohl schwerlich noch eine Zunahme zu beobachten sein. Wichtig wäre es, die Maße nach Jahren wieder zu vergleichen. J. P.

Sogenannte aseptische Ernährung. Charrin hat schon früher festgestellt, daß erwachsene, mit steriler Nahrung gefütterte Tiere in steriler Atmosphäre weniger gut gedeihen als solche, die unter ihn- lichen Bedingungen, aber nicht keimtrei gehalten werden. Neuerdings hat Charrin Untersuchungen angestellt, die ergeben haben, daß die aseptisch gemachten Nahrungsmittel die Rolle von Fremd- körpern spielen oder die Schleimhaut reizen und Erscheinungen von Gastroenteritis verursachen. Daraus folgt, daß gewisse Mikro- organismen nützlich wirken müssen und daß es gut ist, bei der Steri- lisierung der Nahrungsmittel gewisse Grenzen zu ziehen. (Aus der Pariser med. Gesellsch. vom 11. Juli 1904; Münch. med. Wochenschr. 23. Aug. 1904.) J. P.

Leichtflüssiges Metall. C. E. Post gibt folgende Formel für ein leichtflüssires Metall zu Kronenarbeiten an, welches bei 750 C schmilzt: Kadmium 26,5, Wismut 94,5, Blei 35,5, Zinn 40,0. Sollte ein leichtes Metallhäutchen auf der Krone haften bleiben, so taucht man dieselbe in Wasser, worauf man das Häutchen leicht entfernen kann. Die fertize Krone soll in verdünnter Salpetersäure abgekocht werden, um alle Verunreinigungen mit unedlen Metallen zu entfernen. (Dental Summary 1904, Nr. 11, N. 915.) Port,

Geschichtliches zur Behandlung der Gaumendefekte ,Janus“‘, 15. Okt. u. 15. Nov. 190D. Einer Abhandlung von Dr. med. J. Christ (Wiesbaden) entnehmen wir folgendes. In den frühesten Zeiten ist über Behandlung von Gaumendetekten, abgesehen von einer Stelle bei Hippokrates, nichts erwähnt; erst als im 15. Jahrhundert die Syphilis

Kleine Mitteilungen. 253

nFuropa häufig wurde, zeigte sich die Notwendigkeit, die erworbenen Ifekte zu verstopfen. Man benutzte zunächst Watte dazu, dann Wachs. Paré i1561) beschrieb einen Obturator, eine Metallplatte, eren Krümmung der Wölbung des Gaumens entsprach und deren unge den Defekt etwas übertraf; sie wurde gehalten durch einen shwamm, der eingeklemmt war zwischen zwei an der konvexen Seite ìr Platte angebrachten Spangen. Eine andere Befestigung war eine kehbare Metallplatte, die auf der Nasenfläche der Defektränder lag. se eignete sich nur in den Fällen, wo ein Durchmesser des Defektes größer war als der andere; durch den größeren Durchmesser wurde die obere Platte eingeführt, dann wurde sie vom Munde aus durch eine weignete Zange um ihre Achse gedreht, so daß der große Durchmesser dr oberen Platte über dem kleinen des Defektes lag. Die ersterwähnte befastizung mit dem Schwamm hat, wie Verfasser durch Literatur u.@hweist, schon ein Jahr vor Paré ein jüdischer Arzt, namens Amatus Lusitanus angegeben (1560); doch hat sie Paré unabhängig von Jessen Mitteilung auch erfunden, und durch ihn erst ist das Vetan bekannt geworden. Ungefähr um dieselbe Zeit ist auch ein kompli- Tierter P von Fallopia beschrieben, aber nicht abgebildet vorden, obwohl er schreibt, daß es unmöglich wäre, seine Obturatoren nit Worten zu beschreiben. J.

Verschluckte Gebisse. Das Brit. Journ. of Dent. Science, Nr. Y0 veröffentlicht drei Todesfälle, die sich kürzlich ereignet haben.

l. Frau Lucy Pearn, 51 Jahre alt, starb am 28. Dezember 1902. àt: 10, Dezember hatte sie nachts drei an einer Platte befestigte ¿imtliche Zähne verschluckt, die im Schlunde stecken geblieben “arn, Der Fremdkörper wurde durch eine Operation entfernt, aber ie Patientin starb darauf an Herzschwäche.

2, Ein 68Sjähriger Kirchendiener wurde plötzlich krank, ver- ”--gerte aber einen Arzt rufen zu lassen und wurde morgens tot 'tu Bett gefunden. Die Sektion ergab, daß sich künstliche Zähne 2 den Rachen eingeklemmt hatten, deren Platte einen scharfen Rand zeigte; dieser hatte kleine Gefäße verletzt, wodurch der Tod :erbeigeführt worden war.

. 3. Einer Frau Clara Round waren ihre falschen Zähne bei inem Lachausbruch (fit of laugther) in den Rachen geglitten.

4. Einen vierten Fall teilt das Leipzig. Tagehl. vom 12. Dezember 2 mit; Emil Schneider aus Röschkau bei Mylau, 27 Jahre alt, Fıhrikarbeiter, hatte die Unvorsichtigkeit begangen, abends vor dem “tlafengehen sein künstliches Gebiß nicht aus der Mundhöhle “\ entfernen. Im Schlafe verschluckte er es. Durch Operation im

Yankenstift zu Zwickau wurde der Fremdkörper zwar entfernt, doch »»erstand Schneider die Operation nicht. J.P.

i ‚8yphilis durch Zahninstrumente (Journal of the American Medical Association; Albany Medical Annals; Dominion Dental Journal. il, AM, Nr. 6). Dr. Baum, Professor für Haut- und Geschlechts- nsheiten an der „Post-Graduate Medical School“ in Chicago be- -untet im Journ. of the Americ. Medical Association sechs Fälle aus ner Praxis, wo die konstatierte syphilitische Erkrankung aller Wahr- “beinlichkeit nach auf eine Übertragung des syphilitischen Giftes durch ‘sasäarztliche Instrumente zurückzutübren war.

m; Fall l. Ein junger Zahnarzt hatte nach der Diagnose des

assery unzweifelhaft Syphilis und konnte sich diese allem An-

254 Kleine Mitteilungen.

scheine nach nur durch eine kleine Verwundung am rechten Zeige- finger nahe bei der Nagelwurzel, welche er sich beim Füllen von Zähnen einer Dame aus den ersten Gesellschaftskreisen mit einem der dabei benutzten Instrumente beigebracht hatte, zugezogen haben. Die Tatsache, daß der Patient die Vermutung, die betreftende Dame sei syphilitisch gewesen, wegen der sozialen Stellung der letzteren weit von sich wies, veranlaßt Verfasser zu der Bemerkung, sowohl viele Arzte als auch Zahnärzte vergäßen häufig, daß die Syphilis eine weit- verbreitete Krankheit ist und nicht notwendigerweise immer durch eigene Schuld, sondern vielleicht häufiger als man glaubt ohne eigenes Verschulden akquiriert wird.

Fall 2. Bei einem 59jährigen Manne war infolge einer Ver- letzung mit einem zahnärztlichen Instrumente an der Zunge Schanker aufgetreten.

Fall 3 betrifit einen Schanker an der Unterlippe. Fall 4 Schanker an der Zunge bei einer Frau, deren Mann gesund und die Mutter von fünf Kindern war; in beiden Fällen waren als Ursache der syphili- tischen Erkrankung Verletzungen durch zahnärztliche Instrumente an- zusprechen.

Fall 5. Auftreten von Syphilis bei einem 15jührigen Mädchen, wo ein Zahnarzt [?], der seine Tiin die nicht durch Kochen steri- lisierte, die Tonsillotomie mit einem einige Tage vorher bei einem anderen Patienten gebrauchten Instrumente ausgeführt hatte.

Fall 6. Schanker an der Oberlippe eines 47jährigen Mannes an derselben Stelle, an welcher wenige Wochen vorher ein Zahnarzt eine unbedeutende Verletzung gesetzt hatte.

In allen angeführten Fällen kann zwar, wie Verfasser hinzufügt, bald nach dem Entstehen der Wunden eine nachträgliche Infektion der- selben durch die Benutzung von Trinkgefäßen, Pfeifen usw. stattgefunden haben; dies ist aber kaum wahrscheinlich.

Das Syphilisgift kann immer nur beim Vorhandensein irgend- welcher, wenn auch nur ganz unbedeutender Wunden durch Instrumente oder durch die Hände von einem Individuum auf das andere über- tragen: werden.

Ist bei einem Patienten das Vorhandensein von Syphilis kon- statiert, so soll derselbe zunächst behufs Instandsetzung der Zähne und Behandlung etwa vorhandener Gingivitis einem Zahnarzte überwiesen werden, da durch diese Vorsichtsmaßregel die Gefahr des Auftretens von merkurieller Stomatitis bedeutend vermindert wird. Jeder Zahn- arzt sollte mit dem Aussehen der im Munde und Rachen vorkommenden syphilitischen Erkrankungstormen vertraut sein. Die vom Zalınarzte persönlich zu überwachende Desintziering der Instrumente hat durch Abkochen sowie durch Eintauchen in Formalin- und Kreolinlösungen zu geschehen. Außerdem wären vielleicht zweckmäüßigerweise zum ausschließlichen Gebrauch bei sypbilitischen Patienten einige Instrumente zu reservieren. Letzteres ist nach unserer Ansicht kaum austührbar, da unzweitelhaft nur die wenigsten Patienten ihrem Zahnarzte eine etwaige Erkrankung an Syphilis mitteilen werden und doch nicht während jeden Stadiums syphilitische Erscheinungen im Munde vor- handen sind. Ferner möchten wir jedem Kollegen behufs Vermeidung einer syphilitischen Selbstinfektion dringend anraten, etwaige Finger- wunden vor der Behandlung von Patienten resp. vor der Fortsetzung derselben gehörig zu reinigen und durch eine Decke zu schützen.

Der Ret.) aN,

Kleine Mitteilungen. 255

Über das Löten im Munde des Patienten. Bartels beschreibt in der Wiener zahnärztlichen Monatsschrift, 111. Jahrg., Nr. 3, S. 112, folgendes Lötverfahren im Munde des Patienten, auf das ihn sein Assistent, Zahnarzt Kricheldorf, aufmerksam machte.

Der anzulötende Zahn wird mit einer Schutzplatte versehen und diese verzinnt, indem ein Stück Zinnlot nach Bestreichen der Platte mit Lötwasser auf ihr zum Schmelzen gebracht wird. In gleicher Weise wird die im Munde zurückgebliebene Schutzplatte behandelt, wobei der Speichelzufluß abzuhalten ist. Hierauf wird der Zahn nach Dazwischenlegen eines Stückchen Zinnlotes mit den durch Asbest oder Watte geschützten Fingern an die Schutzplatte fest angedrückt und diese mittels Lötkolben erhitzt. Der Kolben braucht nicht rotglühend zu sein, er muß auch um die freien Ränder des Zahnes geführt werden. Zum Löten kann auch Elektrizität verwandt werden. Man nimmt hierzu zwei Elektroden, deren Enden mit Platin versehen, je um eine Seite der Schutzplatte angelegt werden und schließt hierauf den Strom: Der Mund des Patienten wird durch Watte oder Asbest gegen die Hitze geschützt und die Wurzel nach dem Löten mit verschlagenem Wasser bespritzt. Dr. R. P.

Altrömische Instrumente aus der Saalburg. Von Extraktions- zangen ist bisher nur eine beschrieben worden und zwar von Baurat L. Jacobi in dessen Werke über die Saalburg. Bei seinem Aufent- halt in Homburg fand Dr. G. P. Geist-Jacobi !Odontologische Blätter, 7. Jahrg., Nr. 11) im Saalburgmuseum zwei Gegenstände, die er für eine Extraktionszange für den rechten Unterkiefer und einen Mund- oder Kehlkopfspiegel hält. Beide Gegenstände fanden sich in einem von den Germanen zugeschütteten Brunnen. Dr. R. P.

Der Unterkiefer der Anthropomorphen und des Menschen. Wie den Unterkiefer des Menschen (vgl. Januarheft 1901 der D. M. f. Z.) bat Walkhoff (Biol. Centralbl. Bd. XXI. Nr. 18. 15. Sept. 1901) auch den Unterkiefer der menschenähnlichen Affen mit Hilfe der Röntgenstrahlen auf ihre Struktur untersucht. Er betrachtet die Arbeit als einen Prüfstein für die Lehre von der „funktionellen Selbstgestalt- ung“. Der Unterkiefer wird nicht durch eine statische Belastung getroffen, sondern das Knochengewebe steht hier allein unter der Wirkung der Muskelfunktion. Die Gestaltung der äußeren Kiefer- formen Kien sich bei den Anthropomorphen, wie beim Menschen, aus den Veränderungen der inneren Struktur erklären, und diese ist ab- hängig von der Beanspruchung durch die Funktion der Muskeln und der ın dem Kieter eingepflanzten und durch den Muskeldruck wirken- den Zähne. Von hoher Ba ist die Funktion der an der inneren Kieferplatte ansetzenden Muskeln. Der M. genioglossus und der M. digastricus bilden Trajektorien, die mit der Kinnbildung des Menschen im innigsten Zusammenhang stehen. Speziell der Genioglossus hat ein Trajektorium, das bei keinem Antlropomorphen vorhanden ist. Hier muß eine neue Funuktionswirkung beim Menschen eingetreten sein, und wahrscheinlich ist es die Funktion des Geniogrlossus beim Zustandekommen gewisser konstanter Bewegungen, die bei der Sprache des Menschen entstehen.

Von großem Interesse sind die Untersuchungen, die Walkhoff an Kiefern angestellt hat, die aus der Diluvialzeit. stammen und wieder- holt der Gegenstand großen Streites gewesen sind. Dies gilt besonders von dem Kiefer aus der Schipkahöhle, der von manchen für

256 Kleine Mitteilungen.

pithekoid gehalten worden ist, während Virchow die gewaltige Größe des Kiefers und der in ihnen enthaltenen Zähne für pathologische Er- scheinungen und Exzessivbildungen erklärt bat. Es ist zu hoffen, daß durch Walkhoffs Untersuchungen mit Röntgenaufnahmen die Sache endgültig aufgeklärt ist. Walkhoff stellt fest, dab der Schipkakieter von einem l)jährigen Kinde stammt, während Virchow ihn einem Erwachsenen zuschreibt. Walkhoft rechtfertigt seine Ansicht mit den befunden an den Zähnen: weite Wurzelkanäle in den Schneidezähnen, der Eckzahn hat noch keine Wurzelpulpa, die Prümolaren stehen auf der gleichen Entwicklungsstufe wie die Zähne eines heutigen 1 jährigen Kindes. Eine Zahnretention, wie sie Virchow angenommen hat, ist nicht vorhanden, ebensowenig eine Hyperostose. Am Eckzahne ist noch die Wirkung des wuchernden Pulpawulstes aut die Spongiosa zu erkennen. Die harmonische Entwicklung des NSchipkakieters läßt auf einen Rassencharakter schließen, den der diluviale Mensch besessen hat, indem seine Kiefer und Zähne eine weit le re Ausbildung besaßen als die der heutigen Rassen. Sodann hat Walkhotf den Kiefer von Predmost untersucht. Dieser entstammt einem jährigen Kinde und hat sehr große Milchzähne und sehr große bleibende Molaren. Er bildet mit dem Kiefer von la Naulette ein Übergangs- stadium zu den heutigen Rassen, während der Schipkakiefer wohl als das älteste bis hente aufgefundene Kieferfragment ist. Walkhoff meint, daß man mit Hilfe der vergleichenden Entwicklungsmechanik den Stammbaum der Primaten leichter auffinden könne als durch die Untersuchungsmethoden der Embryologie, vergleichenden Anatomie und Paläontologie. Die Forschungsergebnisse W "alkhotts sind sicher von dem größten wissenschaftlichen Werte. J. P.

Die Physiologie des Kauens. Wallace betont im Brit. Journ. of Dent. Se. 1900, Nov. 1. S. 961, daß der Kauakt, wie er in den Lehr- büchern der Physiologie beschrieben wird, heutzutage gar nicht mehr ausgeführt wird. Zu einem richtigen Zerkleinern der Nahrung und der Formung eines regelrechten Bissens kommt es heutzutage beim Kauen meist nicht mehr. Viele Nahrungsmittel sind so weich, daß wir sie mit der Zunge zerdrücken und so hinabschlucken. Andere zähere Nahrungrsstotte werden so durch die verfeinerte Küche zube- reitet, da kaum noch ein Kauakt nötig ist. Es ist also ganz nutzlos, wenn wir unseren Patienten vorschreiben, sie sollen ihre Speisen ordentlich kauen, sondern wir missen die Art der Ernährung und die Zubereitung der Nahrungsmittel ändern. Prof. P.

Ein neues Verfahren, Goldfüllungen anzufangen. W.L. Schreiber aus Philadelphia beschreibt in der „Summary“, wie er durch das Abdrucknehmen zu Porzell: ınfüllungen darauf gekommen sei, die Höhle für Goldrüllungen nur mit geringem Unterschnitte und mit keinem Anfanırsloche zu versehen. Er nimmt dann Goldfolie Nr. 30 und drückt sie dicht an die Höhlenwandunren an, und auch über die Schmelzränder hinweg, wie zur Porzellantüllung, dann wird sie mit Alkohol oder Chloroform ausgewischt und warme Luft aufıreblasen. Nun packt man Weichgold in die leichten Unterschnitte und auf den Boden und an die Wandungen, um mit kohäüsivem Golde zu beenden. Fe P.

XXIII. Jahrgang. 5. Heft. Mai 1905.

Deutsche Monatsschrift

für

Zahnheilkunde.

[Nachdruck verboten.)

Über Aktinomykose in der Armee.’

Von

Dr. Fritz Williger,

Sabsarzt und Bataillonsarzt des II. Bataillons Grenadier-Regiments König Friedrich III. (2. Schlesischen) Nr. 11.

(Mit 1 Tafel.)

Erst seit dem Jahre 1882 weiß man, daß die beim Rind längere Zeit bekannte und durch Bollinger im Jahre 1877 beschriebene Erkrankung auch beim Menschen vorkommt. Nach- täglich fand man bei Durchsicht der Literatur, daß schon B. von Langenbeck im Jahre 1845 und Lebert 1857 je einen Fall von Aktinımykose bei Menschen gesehen hatten. Ende der 70er Jahre ds vorigen Jahrh. beschrieb J. Israel mehrere Fälle sehr ein- gehend als Mykosen des Menschen, ohne jedoch die Identität der von im gefundenen Pilze mit den von Bollinger beim Rinde beob- athteten festzustellen. Dies gelang erst Ponfick, der in seiner Monographie vom Jahre 1882 die Aktinomykose beim Menschen ‚wech als eine „neue Infektionskrankheit“ bezeichnen konnte. Daraufhin, nachdem das Krankheitsbild einmal erkannt und richtig ®würdigt worden war, häuften sich rasch die Mitteilungen über wwe Fälle. Ich kann es nicht unterlassen, an dieser Stelle "ümend hervorzuheben, daß gerade zwei Breslauer Gelehrte, die heute noch Zierden unserer Hochschule sind, die Kenntnis dieser “etümlichen Erkrankung gefördert haben. An erster Stelle “eht Ponfick, der eigentliche Entdecker der Erkrankung. Seine

N Vortrag, gehalten in der militärärztlichen Sektion der 76. Ver- “= zulung Deutscher Naturforscher und Ärzte in Breslau. zu. 17

958 Williger, Über Aktinomykose in der Armee.

Arbeit ist heute noch als maßgebend zu betrachten. Der zweite Breslauer Forscher, den ich hier besonders nennen möchte, ist Carl Partsch. Dieser beobachtete seine Fälle vom Standpunkte des Odontologen und lieferte durch seine odontologischen Forsch- ungen wichtige Beiträge zu der Frage der Eingangspforte des Strahlenpilzes. Er fand den Aktinomyces in den Höhlen kariöser Zähne. Dieser Befund, den außer ihm auch J. Israel und andere erhoben, wurde von Boström 1890 sehr euergisch bestritten, der durchaus nicht daran glauben wollte, daß die gefundenen Pilze mit dem Aktinomyces identisch seien. Ich komme auf diesen Streit noch später zurück. Im übrigen hat sich Boström durch seine mühsame Arbeit um die Erforschung des Infektionsweges das größte Verdienst erworben. In mehreren exstirpierten Tumoren hat er die verhängnisvolle Getreidegranne gefunden, von der aus der Aktinomyces in das umliegende Gewebe ausgewandert war und seine verderbliche Tätigkeit entfaltet hatte.

Allmählich ist man zu der Ansicht gekommen, daß die Aktinomykose eine nicht zu seltene und namentlich unter der Landbevölkerung vorkommende Erkrankung ist. Die Angewohn- heit, Ähren, Strohhalme und dergl. zu kauen, leistet der Infektion Vorschub, desgleichen ein vernachlässigtes und schlechtes Gebit.

Da nun in der Armee sehr viele Leute dienen, die ihrem

Berufe nach Landwirte, Pferdeknechte und dergl. sind, da viele der Mannschaften bei Übungen und Märschen Ähren in den Mund nehmen und da endlich leider Gottes die Mundpflege von ihnen ganz außerordentlich vernachlässigt wird und ein Soldat mit tadellosem Gebiß geradezu eine Seltenheit ist, so wären die Bedingungen zur Erwerbung von Aktinomykose genügend vor- handen. Gleichwohl findet man in der militärärztlichen Literatur verhältnismäßig wenige Angaben. 1886 wurde von dem damaligen Stabsarzt Winter in der Deutschen militärärztlichen Zeitschrift ein Fall von Aktinomykose mitgeteilt. 1894 veröffentlichte der damalige Oberstabsarzt Düms in derselben Zeitschrift einen größeren Aufsatz, in dem er außer sieben von 1890—1894 in den preußischen Sanitätsberichten aufgeführten Fällen noch drei von ihm selbst. beobachtete Erkrankungen an Soldaten beschrieb. Seitdem sind von Sanitätsoflizieren, soweit mir bekannt ist, keine weiteren Veröftentlichungen erfolgt. Auch in den Sanitätsberichten der folgenden Jahre findet man nur wenig Material, im ganzen sind dort von 1894 bis 1901 ungefähr 16 Fälle erwähnt.

Um Unterlagen für meinen heutigen Vortrag zu gewinnen, habe ich in der gesamten Armee eine Umfrage veranstaltet und um die Krankenblätter aus den letzten 5 Jahren gebeten. Auf diese Weise habe ich im ganzen die Krankengeschichten von 22 Leuten erhalten. Von einzelnen Korps sind mir Fhlanzeigen

Williger, Über Aktinomykose in der Armee. 259

zugeganzen, und Generaloberarzt Düms hat mir geschrieben, daß in Leipzig früher Fälle vorgekommen seien, in den letzten 5 Jahren aber nicht. In sämtlichen Garnisonen des 6. Armeekorps (mit Ausnahme von Breslau) ist Aktinomykose in derselben Zeit nicht festgestellt worden.

Der geringe Erfolg meiner Anfrage hat mich in Verwunder- ung gesetzt. Ich hatte weit melır erwartet. Von den 22 Fällen nänlich gehören 5 allein der Garnison Breslau an. Sie sind säutlich in den Jahren 1900 bis 1903 von mir beobachtet worden. Diese Zahl steht in gar keinem Verhältnis zu den wenigen übrigen in der großen Armee vorgekommenen Fällen. Als Erklärung kann ich mir nur denken, daß die Diagnose nicht immer gestellt wird, und dab die am häufigsten bei Soldaten vorkommenden aktino- mykotischen Erkrankungen am Kiefer und seiner Umgebung leicht zu Fehldiagnosen Anlaß geben.

Wie leicht Verwechselungen dabei vorkommen, lehren folgende Krankengeschichten:

l. Kanonier G. aus D., am 27./5. 02 mit Aktinomykose an linker Schulter und Oberarm in Behandlung getreten, bot anfangs das Bild ener vereiterten Balggeschwulst am linken Oberarm. In der ent- kerten hühnereigroßen „Cyste“ fand sich mikroskopisch und bakterio- isch nichts. Eine am 12.8. in der linken Achselhöhle auftretende eschwulst imponierte zunächst als „Lymphdrüsenanschwellung‘“. Erst nutdem diese Geschwulst erweicht war, fand man bei einem Ein- sanft am 20.11. die pathognomonischen Körnchen.

2. Husar S. in H. befand sich wegen „Zellgewebsentzündung am Hal“ vom 1.—28./4. 02 im Lazarett. Bei der zweiten Aufnahme vom ..3—1.3. wurde an derselben Stelle Aktinomykose nachgewiesen.

.. 3 Bei Musketier H. in H. dachte man, da die akut entstandene “uwellung gerade in der Gegend der rechten Ohrspeicheldrüse saß, ân Mumps und isolierte den Mann.

Derselbe Irrtum kam bei Musketier E. in M. vor. = £ Grenadier P. aus Sch. wurde am 5.5. bis 23.10. 01 unter dem Bilde der Perforationsperitonitis vom Wurmfortsatz ausgehend be- tandelt. Erst im Jahre 1902 wurde die aktinomykotische Natur des Leidens festgestellt.

9. Trainsoldat H. aus B. war vom 9,12. 90 bis 18.1. 00 im Lazarett wegen Unterkieferentzündung rechts. Erst bei der zweiten Bebandlung wurden am 8./5. 00 Drusen im Abszeßeiter gefunden.

b. Musketier K. aus B. befand sich vom 5.—14.4. 03 im Lazarett zegen Zellgewebsentzündung am Kinn. Die Entzündung war aber, De ich am 13.7. nachwies, ein großer aktinvmykotischer Herd am Mundboden.

Warum diese Fehldiagnosen möglich sind, werde ich später bei der Betrachtung des klinischen Bildes auseinandersetzen.

Unter meinen 22 gesammelten Fällen finden sich 5 Leute, Weiche dienstlich mit Stroh und dergl. zu tun gehabt haben, Aänlich 1 Kürassier, 1 Husar, 1 Kanonier (Fahrer) und 1 Train- S-idat. anberdem 1 Pionier, der Pferdebursche war. Von diesen

I~?

260 Williger, Über Aktinomykose in der Armee.

Leuten entstammte nur der Trainsoldat der Landwirtschaft, von den übrigen 4 waren 2 Schlosser, 1 Stellmacher, 1 Steinmetz. Alle 4 dienten schon längere Zeit, so daß man wohl eine In- fektion während der Dienstzeit anzunehmen berechtigt ist. Be- sonders bemerkenswert (ätiologisch) erscheint der Fall des Kano- niers G. in D. Dieser Mann wurde Anfang Mai 1902 von einem Pterde in den linken Oberarm gebissen. Einige Wochen später entstand an der Bißstelle eine schmerzlose Anschwellung, die bei einer Mannschaftsuntersuchung entdeckt wurde. Das war der erste aktinomykotische Herd. Die Erkrankung nahm dann einen recht schleppenden Verlauf durch immer neues Auftreten von Herden, so daß der Mann fast 2 Jahre (27.15. 02—8.:4. 04) im l.azarett zubrachte.

Kann der Pferdebib die Ursache gewesen sein? Ich halte das nicht. für unmöglich, wenigstens in mittelbarem Sinne Es ist im Krankenblatt nicht angegeben, ob das Pferd an Aktino- mykose gelitten hat. Diese Erkrankung kommt auch bei Pferden vor, jedoch nur äußerst selten im Maul. Es ist bisher eine sichere Übertragung des Strahlenpilzes vom kranken Tier auf einen Menschen noch nicht beschrieben. Denkbar wäre dagegen. daß an der durch den Bib verletzten Hautstelle der Aktinomyces beim Tragen von Stroh oder Heubündeln im Stall eine Eingangs- pforte oten gerunden hat. Denn es ist doch sehr auffällir, dab einige Wochen nach diesem Bib an einer Körperstelle Aktino- mykose auftrat. wo sie sonst eigentlich überhaupt nicht vor- kommt.

Schreyer hat 2 Fälle bei Landarbeitern beschrieben, die sich durch Verletzungen mit Stroh bei der Erntearbeit Hautaktinomy- kose am Bauch zugezogen hatten.

Von den übrigen 15 Fällen waren 8 ehemalige Landwirte. Pierdeknechte und dergl.. die letzten 10 gehörten den aller- verschiedensten Lebensberuten an. wie z. B. Steinhauer. Maurer. Schlosser. Kellner. Keferendar usw. Ein Musketier war -früher Schitter gewesen und hatte Getreide gefahren. 4 Leute gaben auf Befraxın an, sie hätten gewuhnheitsmätig Ahren. Stroh oder Grashalme gekaut. Ein Mann früherer Pferdeknecht: sagte mir, er habe sich oft frisches Mutterkorn aus den Ahren herausgesucht und gegessen, weil es süb schmecke.

Eine trerreiderranne oder ähnliche Getreideteile sind in keinem Fale in den Geschwnlstbillungen vorzerunden worden.

Atiolveisch interessant ist auch die Erkrankung eines Sani- tätsetnziers an Zungenaktinnmykose Dieser Herr. der mir in dankenswerter Weise seinen selbst verfanten Krankbeitsbericht zur Vertüeunz gestellt hat, nahm im Manover 125 stters an den Bäumen hkänzen gebliebene Strolhalize in den Mund und kaute

Williger, Über Aktinomykose in der Armee. 261

dara wa. Im November oder Dezember stellten sich Schmerzen in der “Zunge ein, deren Ursache zuerst nicht zu ermitteln war. Im Januar 1894 entstand eine druckempfindliche Geschwulst- bidang in der linken Zungenhälfte, die im Februar erweichte und sich nun als Aktinomykose entpuppte. Nach Spaltung heilte die Geschwulst, doch trat im August 1894 ein Rücktall ein, der ebenfalls Spaltung erforderte. Seitdem hat sich nichts mehr gezeigt.

Hinsichtlich der Eingangspforte des Strahlenpilzes in den Körper der erkrankten Soldaten bieten die Krankengeschichten zwar nichts Neues, aber doch verschiedene bemerkenswerte An- ga ben.

Wie allgemein bekannt, teilt man die Aktinomykose beim Menschen nach dem Ort ihres Auftretens in drei Hauptformen: l. die Aktinomykose in der Mund- und Rachenhöhle, 2. in der Brust, 3. in der Bauchhöhle, die orale, thorakale und abdominelle Form. Diese schon von Israel 1885 angegebene Einteilung besteht heute noch zu Recht. Dazu kommen noch vereinzelt Hautaktinomykosen an anderen Körperstellen.

Bei weitem am häufigsten geht die Erkrankung von der Münd-Rachenhöhle aus. Nach Illich (1892) entfielen unter 2] Fällen auf Kopf und Hals 218, Zunge 16, Lunge 58, Bauch No, Haut 11. Bei meinen 22 Fällen befand sich der Sitz 15 mal ìm Gesicht und am Hals, 1mal in der Zunge, 2mal in der Lunge, ?mal am Bauch, 1mal bei demselben Mann am Hals und am Bauch und 1 mal an der Schulter. Die alte Erfahrung bezüglich des Sitzes wird also auch hier bestätigt.

Es hat sich nun, wie ich oben schon erwähnte, ein Streit darüber erhoben, ob kariöse Zähne die Eingangspforte für den Strahlenpilz bilden könnten. Von Israel und von Partsch ist diese Frage bejaht, von Boström aber sehr lebhaft verneint worden. Boström ging so weit, die von Israel und Partsch erhobenen Befunde von aktinomykotischen Drusen in den Wurzel- kanälen pulpaloser Zähne zu bezweifeln und auf die Möglichkeit ‚einer Verwechselung mit Leptothrixmassen hinzuweisen. Nach der Veröffentlichung von Partsch in der Wiener klinischen Wochenschrift vom Jahre 1893, Hett 6, dürfte aber dieser Zweifel nicht mehr berechtigt sein. Herr Prof. Partsch hat mir das beweisende Bild gütigst zur Verfügung gestellt (vgl. die Tafel, Fig. 1. Man sieht in dem gangränösen Inhalt einer pulpalosen Warzel deutlich zwei Drusen. Von dem Zahn war Aktinomykose ausgegangen.

Israel führte für seine Ansicht zwei Beobachtungen ins Feld, einmal einen Fall von Lungenaktinomykose, wo sich ein mit Pilzdrusen besetztes Zahntragment in einem Lungenherde

262 Williger, Über Aktinomykose in der Armee.

fand und zweitens einen Fall zentraler Unterkieferaktinomykose, wo mitten in dem Herde die abgestorbene Wurzel eines Eckzahns steckte. Dieser Fall ist nebenbei eine außerordentliche Seltenheit. Während beim Rind die Aktinomykose gewöhnlich zu den schwersten Veränderungen am Kieferknochen führt, tritt beim Menschen eine Knochenerkrankung nur selten auf und dann meist unter dem Bilde der „chronischen Periostitis“ ohne tief sitzende Knochenherde.

Immerhin ist die Frage, wie wir sehen werden, doch nicht so ganz einfach. Wenn es z. B. in einem Sanitätsbericht heißt: „Rapport-Nr. 39: Strahlenpilzerkrankung, drei Fälle. Schadhafte Zähne bildeten die Eintrittspforte“ so würde Boström wahr- scheinlich herbe Kritik an dieser kurzen Notiz üben. Was hat man unter einem „schadhaften“ Zahn zu verstehen? Es ist eine Übersetzung des Kunstausdrucks „kariöser Zahn“. Wir müssen aber wohl unterscheiden, in welchem Stadium des Zerfalls sich ein kariöser Zahn befinden kann und wie weit er zerstört sein muß, ehe man annehmen darf, daß er zur Eintrittspforte für den Strahlenpilz werden kann.

Israel hat in seinem oben erwähnten Fall, in dem ein mit Pilzdrusen besetztes Zahnfragment der Ausgangspunkt für eine Lungenaktinomykose wurde, leider dies Fragment und seine Her- kunft nicht näher beschrieben. Es ist bisher noch nicht fest- gestellt worden, ob Aktinomyceskolonien in den durch Karies entstandenen Höhlen von Zähnen mit erhaltener Pulpa überhaupt vorkommt. An und für sich wäre dies möglich; dagegen scheint es unmöglich, daß der Strahlenpilz durch die Zahnbeinröhrchen dringen kann, weil die Drusen viel größer sind als der Quer- schnitt. eines Röhrchens. Die Zähne, in denen man Aktinomyces gefunden hat, waren sämtlich tief zerstört, zum Teil nur noch als Wurzelreste vorhanden, und, was noch wesentlicher erscheint, sie waren pulpalos.

Diese tief zerstörten Zähne sind meines Erachtens in Betracht zu ziehen, wenn man in einem Falle von oraler Aktinomykose auf einen Zahn als Eintrittspforte fahnden will. Durch die offen stehenden Wurzelkanäle kann alles Mögliche bis zu dem nach einem Ausdruck von Partsch als Schlammfang dienenden Granu- lom an der Wurzelspitze dringen. Partsch selbst hat außer anderem einmal ein Stückchen Stanniolpapier in einem solchen Granulom gefunden. Seine mikroskopischen Befunde haben ja auch den Beweis dafür gebracht, dab Aktinomykose fast in Rein- kultur in offenstehenden \WVurzelkanälen gedeiht. Kratz hat gemeint, daß der Strahlenpilz nicht durch den ottenstehenden Zahn eindringen könne, weil er auf diesem \Vege erst in die Alveole, dann in den Can. mandibularis gelangen und daselbst eine zentral in der Kiefersubstanz sitzende Aktinomykose veran-

Williger, Über Aktinomykose in der Armee. 263

Ge

lassen müsse. Der Prozeß gehe aber nur sehr selten beim Menschen in den Knochen, sondern gewöhnlich in die Weichteile.

In der Tat existieren in der Literatur nur der oben erwähnte Fall von Israel einer zentral sitzenden Aktinomykose im Unter- kiefer und ferner ein Fall von Murphy, bei dem eine Sonde von der Alveole eines eben extrahierten verdächtigen Zahnes bis in einen aktinomykotischen Abszeß am Hals geführt werden konnte, Neuerdings hat auch Bruns noch einen einschlägigen Fall ver- öffentlichtt. Im Sanitätsbericht von 1897/98 findet sich die kurze Notiz: „In einer von verdicktem Knochengewebe umgebenen Eiterhöhle des Unterkiefers wurde Strahlenpilz gefunden.“ Leider ist von einem Zahn nichts erwähnt. Möglicherweise ist dies auch ein zentraler Herd gewesen.

Die Deduktion von Kratz ist aber, wenn ihr aueh Illich beipflichtet, doch falsch. Wenn es richtig wäre, daß Mikropara- siten aus dem Wurzelkanal in die Alveole und den Can. mandi- bularis gelangten und zentrale Erscheinungen hervorriefen, müßte die Osteomyelitis der Kiefer eine ungeheuer häufige Erkrankung sein, denn was für den Aktinomyces recht ist, dürfte doch auch für die pyogenen Bakterien billig sein. Die zentrale Osteomye- litis ist aber sehr selten, dagegen die eitrige Periostitis die Regel. Die Entzündungserreger bleiben eben nicht im Kiefer, sondern dringen fast regelmäßig nach dessen Oberfläche vor. Dazu be- nutzen sie einmal die zahlreichen For. nutritia in der Corticalis, zweitens aber bahnt sehr häufig die Fungosität um die Wurzel- spitze den Weg, indem sie im Laufe der Zeit den Knochen an- nagt, ja Löcher wie mit dem Locheisen gehauen darin zustande bringt. Genau auf denselben Wege geht der Strahlenpilz vor. nnd eben gerade darum halte ich die tief zerstörten Zähne, die einzeln stehenden Wurzeln für die verdächtigen Gebilde, weil die um ihre \Vurzelspitze immer entwickelten Fungositäten schon den Weg durch die harte Knochensubstanz in die Weichteile eröffnet haben.

Ganz offenbar ist der zerstörte Zahn die Eingangsptorte, wenn sich in dem Fiter eines periostalen Abszesses, dem soge- nannten Zahngeschwür, Strahlenpilzdrusen vorfinden. Dies nach- zuweisen ist mir in einem Falle geglückt.

Musketier Sch., ein Rekrut, früber Landwirt, der zurab, oft Ahren und Gräser in den Mund genommen zu haben, kam am 1512. 03 zu mir mit der Bitte, ihm einen Zahn auszuziehen. Es bestand bei ihm eine anscheinend ganz gewöhnliche akute Periodontitis und Peri- ostitis mit kleinem submukösen Abszeß außen. ausgehend vom 2. Bikus- pidaten oben rechts. Auffällig war nur, daß die von Partsch als Drüse b bezeichnete Unterkieterlymphdrüse nur Zeichen chronischer

Veränderung zeigte. leh extrahierte den nicht mehr erhaltungsfühigen Zahn. Der Abszeßeiter stürzte diesmal nicht nach, was er ja sonst

264 Williger, Über Aktinomykose in der Armee.

gewöhnlich tut. In solchen Fällen spalte ich grundsätzlich den sub- mukösen Abszeß nach der Zahnextraktion mit dem Messer, um rasche Eiterentleerung zu bewirken. Auf dem an der Messerklinge haftenden Eiter sah ich mehrere gelbe Körnchen, die unter dem Mikroskop sich als aktinomykotische Drusen entpuppten. Daraufhin löflelte ich den nunmehr als aktinomykotischen Herd erkannten Abszeß noch aus. Die

Heilung verlief rasch obne Störung, Rückfall ist bis jetzt nicht ein- getreten.

Leider hatte ein übereifriger Sanitätssoldat, während ich die Körnchen mikroskopisch untersuchte, den extrahierten Zahn beseitigt, so daß der Wurzelkanal nicht untersucht werden konnte.

Die von mehreren Körnern sofort angelegte Kultur (Glyzerinagar) ließ typische Aktinomyceskolonien aufgehen.

Wer bei Extraktionen eines Zahnes wegen periostalen Ab- szesses auf den abfließenden Eiter achtet, wird häufig kleine gelbe Körnchen darin entdecken, die makroskopisch durchaus wie Aktino- mykose aussehen. Es sind aber in den meisten Fällen nur Lepto- thrixballen. Auch im mikroskopischen Bilde erinnern diese, namentlich bei schwacher Vergrößerung, an Aktinomykose; es ist ein ähnliches feines, fädiges Netzwerk, doch fehlt der bekannte Strahlenkranz, von dem der Aktinomyces seinen Namen hat. Nun gibt es aber auch unzweifelhaft typische Aktinomycesdrusen ohne Strahlen, d. h. ohne Keulenbildung. Solche Drusen findet man zuweilen in frisch entstandenen Erweichungsherden. Es ist dies ja auch verständlich, da wir (nach Boström) die Keulen für Degenerationsprodukte ansehen müssen, die erst nach längerem Bestehen der Aktinomykose sich entwickeln. In diesen zweifel- haften Fällen gibt der Ausfall der Kultur die Entscheidung. Ich mache jedoch darauf aufmerksam, daß das Anlegen einer solchen Kultur mißglücken kann. Namentlich in frischen, rasch ent- standenen Abszessen befinden sich außer dem Aktinomyces auch die gewöhnlichen Eitererreger, weswegen Partsch und andere direkt von einer Mischinfektion gesprochen haben. Roser hat solche Fälle als „akute Aktinomykosen“ bezeichnet. Die pyogenen Bakterien überwuchern die Kultur sofort, so daß man kein Resul- tat erhält, zumal der Aktinomyces in der ersten Generation un-

gemein langsam wächst. Man muß deshalb das zu untersuchende Körnchen mehrfach in steriler Kochsalzlösung abspülen und seine Oberfläche von den fest anhaftenden Leukocytenmassen zu be- freien suchen; auch Zerreiben im sterilen Achatmörser wird empfohlen.

Wir werden auch einen zerstörten Zahn als Eintrittspforte

ansehen dürfen, wenn wir einen Verbindungsstrang zwischen diesem

Zahn und dem akuten Abszeß tasten können. Das ist zuweilen möglich.

So ist in dem Krankenblatt des Kanonier B. aus U., der ein fünfmarkstückgroßes, akutes Infiltrat in der rechten Wange

Williger, Über Aktinomykose in der Armee. 265

hatte, welches die Dicke der ganzen Wange einnahm, ausdrück- lich erwähnt, daß ein derber Strang von dem tief zerstörten ersten Mahlzahn rechts oben bis in das Infiltrat zu fühlen war. Ferner habe ich selbst bei dem Gefreiten Sch., der ein kleines Infiltrat mitten in der rechten Wange hatte, einen derben Strang gefühlt, der ebenfalls von dem tief zerstörten ersten Mahlzahn rechts oben bis zu dem Wangenherde reichte. Nach der Extraktion des Zahn- restes ließ sich eine Sonde von der Extraktionswunde bis zu dem Herde führen.

Nun kommen aber häufig Fälle vor, in denen keinerlei Ver- bindung zwischen dem Zahn und dem oft recht weit entfernt liegenden Herde fühlbar ist. Schon Israel und Partsch haben darauf hingewiesen, daß sich gerade bei Aktinomykose der primäre Herd oft derart zurückbildet, daß man keine Spur mehr von ihm nachweisen kann. Auch bei multiplen Abszessen ist es hänfig völlig unmöglich, irgendeine Verbindung zwischen den einzelnen Abszessen nachzuweisen. So war bei dem eben erwähnten Ge- freiten Sch. ein deutlicher Strang zwischen Wurzelresten eines Zahnes nnd einem Wangenherd fühlbar; zwischen diesem Herd und einem 4 Wochen später entstandenen im rechten unteren Augenlid bestand aber anscheinend keine Verbindung, und doch war ohne jede Frage der Aktinomyces von dem ersten zum zweiten Herd gewandert. Intelligente Patienten geben genau an, daß erst eine Schwellung am Kiefer saß, daß sie wieder verschwand, daß aber dann eine zweite Schwellung am Hals viel weiter ab- wärts aufgetreten sei, weswegen sie nunmehr ärztliche Hilfe nachsuchten.

Wir werden also in allen Fällen von Hals- oder Gesichts- aktinomykose das Gebiß sorgfältig daraufhin zu untersuchen haben, ob wir einen tief zerstörten Zahn finden, der als Eingangspforte gedient haben kann. Wir müssen diesen Zahnrest unter allen Umständen extrahieren, denn wir können nicht erwarten, daß wir die Aktinomykose zum Stillstand bringen werden, solange noch lebende Drusen vom Wurzelkanal aus zu neuen Nachschüben Veranlassung geben können. Die Extraktion reicht vollkommen hin, ein Eingriff am Kiefer selbst, Auslöffeln der Alveolen und dergleichen ist überflüssig.

Wenn ich hier entsprechend der Anschauung meines Lehrers Partsch und entgegen der Ansicht Boströms ganz entschieden die Meinung vertrete, dat der .\ktinomyces seine Wanderung in den menschlichen Körper durch die Wurzelkanäla eines tief zer- störten Zahnes antreten kann, so bin ich selbstverändlich weit davon entfernt, dies für alle Fälle auch nur der oralen Aktino- mykose zu behaupten, geschweige für die thorakale oder abdomi- nelle. Ganz gewiß ist es auch möglich. daß ein Mensch mit ganz

266 Williger, Über Aktinomykose in der Armee.

intaktem Zahnsystem eine orale Aktinomykose erwirbt. So ist z. B. bei dem Husar L. in H., der einen aktinomykotischen Abszeß dicht neben dem Schildknorpel hatte, vermerkt, daß das Gebiß tadellos war. Ferner habe ich bei dem Musketier K., der einen sehr großen Erweichungsherd in der Zungenmuskulatur am Mundboden hatte, selbst die absolute Unversehrtheit des Gebisses festgestellt. Es kann sich natürlich eine Granne oder ähnliches, wie ja auch Boström direkt durch seine Serienschnitte nachgewiesen hat, in die Schleimhaut des Mundes einbohren und tiefer in die Gewebe gelangen. Ich möchte hierbei auch darauf hinweisen, daß viele Leute bei Zahnschmerzen in dem kranken Zahn oder seiner Nach- barschaft mit einem Stückchen Holz, einem Strohhalm, einer Nadel und dergl. herumbohren, bis eine kleine Blutung eintritt, die ihnen Erleichterung verschafft. So fand ich einmal in einem extrahierten Bikuspidaten einen Wurzelkanal mit einem Stück Metall „kunstgerecht gefüllt“. Der Patient besann sich, daß er vor Jahren bei solchem Herumbohren einmal eine Nadel in diesem Zahn abgebrochen habe. Ein von Müller mitgeteilter Fall von Aktinomykose am Finger hat erwiesen, daß man auch mit einem Holzsplitter von einem tannenen Fußboden sich die Infektion zuziehen kann. Es wäre daher wohl denkbar, daß auch durch dieses Stochern der Aktinomyces in einen Wurzelkanal oder in das Zahnfleisch gelangte, zumal die Leute in der Auswahl ihrer Zahnstocher nicht sehr wählerisch sind, sondern nehmen, was sie finden.

Nebenbei bemerke ich. dab man eine Übertragung der Aktino- mykose durch den Genutl‘ aktinomvceshaltirren Fleischesnichtannimmt. Die aktinomykotische Zunge des Rindes, die sogenannte Holzzunge. wird durch die Krankheit ungenietbar. Die Aktinomykose der Schweine, welche ihren Sitz in den Muskeln hat, ist eine Krank- heit sui generis und nicht durch den Aktinomyces bovis hervor- gerufen. Andere Schlachttiere erkranken nicht an Aktinomvkose. Es besteht daher wohl die Ansicht zu Recht, daß beide, Mensch und Tier, sich an einer gemeinsamen Quelle infizieren (Partsch).

Der Aufenthalt von Aktinomyces in den Zahntleischtaschen, eine aktinomykotische Gingivitis, ist ebenfalls gesehen worden. In einem von Mikulicz beobachteten Fall von Halsaktinomvkose lieten sich aus den Zahnfleischtaschen eines Eck- und eines Mahl- zahnes charakteristische Drusen, die schon in Verkalkung begriffen waren. herausdrücken.

Boström (und gleich ihm Illich) behaupten. dat: bei Karies der Zühne die Schleimhaut des Mundes meist stärker gelockert sei, wodurch die infizierten Grannen leichter eindringen könnten. In dieser allgemeinen Form kann ich der Behauptung nicht bei- pllichten. Es kommt auf den Grad der Karies an: die beginnende

Williger, Über Aktinomykose in der Armee. 267

Zerstöramg übt noch keinen Einfluß auf das Zahnfleisch aus, erst bei tiefer Höhlenbildung und bei tiefer Zerstörung kommt es zur Wucherung der Zahnfleischränder, zur Bildung der sogenannten Zahnfleischpolypen, zur lokalen und allgemeinen Gingivitis u. dergl. Zu dieser Zeit steht aber auch der bequeme Infektionsweg durch den Wurzelkanal einladend offen, warum soll er nicht von dem Strahlenpilz benutzt werden ?

Die klinischen Erscheinungen der von mir gesammelten 15 Fälle von oraler Aktinomykose zeigen mit einer (zufälliger- weise von mir selbst beobachteten) Ausnahme das dem Kenner wohl vertraute Bild. Boström hält die Diagnose dieser Form der Aktinomykose für die „denkbar leichteste*. Immerhin können, wie ich schon oben erwähnt habe, namentlich im Beginn der Erkrankung doch Irrtümer unterlaufen.

Das pathognomische Zeichen der Erkrankung ist natürlich das Vorhandensein der bekannten kleinen Körner. Die Unter- scheidung von Leptothrixballen gibt, wie ich schon auseinander gesetzt habe, das Mikroskop, unter Umständen die Kultur. Nun kommt es aber vor, daß bei der Inzision des Herdes keine Drusen gefunden werden. Auch wenn eine Fistel schon längere Zeit besteht, enthält ihr Sekret oft keine Körner. Mikulicz vertritt die Ansicht, daß durch das Bloßlegen des infiltrierten Gewebes die Vegetationsbedingungen für die Pilze sehr ungünstig werden, dab sie dem lebenden Gewebe nicht standhalten können. lenkbar ist es ja auch, daß bei dem ersten Einschnitt der vor- sürzende Eiter nicht genau angesehen wird, so daß ein Übersehen der Körner vorkommt. Ich fand in mehreren Krankengeschichten zwei, drei und mehr Einschnitte angegeben, bei denen das ent- Werte Sekret als frei von Körnern bezeichnet wurde. Bei dem Musketier B. fanden sich erst am Tage nach dem vierten Ein- schnitt beim Verbandwechsel im Eiter zwei schwefelgelbe Körnchen. Bei Kürassier M. aus B., der ein derbes Infiltrat an der rechten Wange hatte, waren wir von Anfang an überzeugt, es mit àktinomykose zu tun zu haben. Aber erst nach sechswöchiger Beobachtung bildete sich ein kleiner Erweichungsherd, der die Drusen enthielt.

Das zweite klinische Merkmal oraler Aktinomykose ist die brettharte Infiltration des befallenen Gewebes, die ohne scharfe orenze in die Umgebung übergeht. Dies ist namentlich in trisch nistandenen Fällen die Regel mit Ausnahme von der Zunge, in welcher man Tumoren fühlt, die sich scharf begrenzt von der Unzebung absetzen. Es kommen aber auch Herde in der Haut “r, bei denen die harte Infiltration fehlt und die Grenze scharf gesetzt ist. Wenn nun z.B. ein solcher nicht zu großer Herd t der Haut vollständig erweicht ist, kann man sehr leicht an

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ein vereitertes Atherom denken. Auch mit den am Hals und Nacken öfters vorkommenden Furunkeln in Form eines zirkun- skripten Abszesses kann ein solcher Herd leicht verwechselt werden. Auch gibt es unzweifelhaft Mischinfektionen, die unter stürmischen Erscheinungen rasch zu mächtiger, derber Schwellung der Wange, der Gegend des Unterkieferwinkels, des oberen Teiles des Halses mit Kieferklemme fübren. Oft gehen diesen Erschei- nungen heftige Zahnschmerzen voran, so daß man glauben kann, es mit einer gewöhnlichen, akuten, eitrigen Periostitis von einem wurzelkranken Zahn aus zu tun zu haben. So setzte z. B. bei dem Füsilier R. in H. die Affektion mit Schmerzen im linken unteren Weisheitszahn, Wangenschwellung und Kieferklemme ein. Der Zahn wurde sofort entfernt. Fünf Wochen später wurde erst aktinomykotischer Eiter am Kieferwinkel durch eine Inzision entleert. Ebenso hatte der Kürassier M. in B. im Dezember 1899 Zahnschmerzen mit Wangenschwellung vom ersten unteren Mahl- zahn rechts ausgehend. Der Zahn wurde ausgezogen, die Schwell- ung blieb bestehen. Erst Ende Februar 1900 gelang der Nach- weis des Aktinomyces. Eine ganz ungewöhnliche Form von oraler Aktinomykose sah ich im Juli 1903 bei dem Musketier K. Dieser Mann hatte seit einem halben Jahre mehrmals eine Anschwellung im Mund- boden unter der Zunge bekommen, die aber angeblich stets von selbst wieder zurückgegangen war. Vom 5.—14./4. 03 befand er sich im Lazarett wegen Zellgewebsentzündung am Kinn. Ich habe ihn damals nicht gesehen. Nach dem Krankenblatt hatte es sich um eine den Mundboden einnehmende Anschwellung ge handelt, die unter indifferenter Behandlung (essigsaure Tonerde- Umschläge) zurückgegangen war. Als er im Juli sich wegen einer Schleimbeutelentzündung am Knie wieder in Behandlung befand, klagte er eines Tages über eine Schwellung im Mund- boden. Es zeigte sich dort eine Geschwulst gerade an der Stelle, an welcher sich gewöhnlich die eigentümlichen als Ranula be- zeichneten cystischen Bildungen vorfinden. Nach dem klinischen Befunde war die Geschwulst unzweifelhaft eine Cyste, die sich ganz deutlich von der Umgebung absetztee Prof. Partsch, dem ich diesen Fall zeigte, sprach sich für Dermoidyste am Mundboden aus. Die vorgenommene Probepunktion ergab zu unserer großen Überraschung eitrigen Inhalt mit zahlreichen Aktinomyces-Körnern, bei deren wegen ihrer langen Abgeschlossen- heit die Keulen ganz besonders gut entwickelt waren. Ich eröffnete dann den Herd von außen her durch Schnit: in der Mittellinie und gelangte in eine große buchtige Höh\e mi glatter Wandung und nur sehr wenigen Granulationen. Ich konnt meinen Zeigefinger bis zur Zungenwurzel führen. Die Heilun

Williger, Über Aktinomykose in der Armee. 269

verlief ohne Störung, der Mann wurde dienstfähig, ein neuer Herd hat sich bis heute nicht gebildet.

Die brettharte Schwellung kann also, wie man an diesem Falle sieht, vollständig fehlen. Umgekehrt tritt sie auch bei anderen entzündlichen Schwellungen am Unterkiefer aut, die nicht von Aktinomykose hervorgerufen sind. So berichtet Boström selbst von einem 60 jährigen Manne, der eine walnußgroße, brett- hart infiltrierte Geschwulst am rechten Unterkiefer hatte. Die Schwellung saß unbeweglich dem Unterkiefer an und erstreckte sich auf seiner inneren Seite gegen den Mundboden. Auf der Höhe der Geschwulst war eine kleine fluktuierende Stelle. Klinische Diagnose: Aktinomykose.. Bei der Operation war Boström zugegen, um selbst die erwarteten Drusen usw. aufzu- fangen. Beim Einschnitt entleerte sich trübe Flüssigkeit mit einzelnen grauen Körnchen, die sofort verimpft wurden, aber nicht wuchsen. Denn wie die mikroskopische Untersuchung der ausgekratzten auffällig harten Gewebeteile erwies, handelte es sich überhaupt nicht um Aktinomykose, sondern um Tuberkulose. Hierher gehört auch der Fall III aus der Dümsschen Arbeit in der Deutschen militärärztlichen Zeitschrift vom Jahre 1894. Dieser Fall ist nach der klinischen Beschreibung unzweifelhaft eine orale Aktinomykose. Ein Pferdebursche mit vielen schlechten Zähnen hatte sich wegen Zahnschmerzen und Gesichtsschwellung mehrere Zähne oben und unten ziehen lassen. Die Schwellung war nicht verschwunden, es trat Kieferklemme ein. Bei der Aufnahme harte Schwellung von der rechten Wange bis zur oberen Halshälfte. Nach 14 Tagen wurde am Hals ein sehr großer Abszeß entleert, beim Verbandwechsel fanden sich am nächsten Tage eine Menge grauweiter Körner, die unter dem Mikroskop ein Netzwerk feinster Fäden, aber keine Keulen zeigten. Nach mehreren z. T. ener- gischen Eingriffen in immer wieder auftretende Erweichungsherde kam der Prozeß binnen 3 Monaten zur Ausheilung.

Die mikroskopische und bakteriologische Untersuchung der Körner durch Prof. Karg ergab aber nicht Aktinomyces, sondern eine Kladothrixart, die nur anaerob zu züchten war und sich wesentlich vom Aktinomyces unterschied. Die Abbildung im mikroskopischen Atlas von Karg-Schmoll, Tafel 17, Fig. 7, zeigt deutlich ein ganz anderes Gebilde.

Das dritte klinische Merkmal der oralen Aktinomvkose ist die Nichtbeteiligung des Lymphgefätl'systems bei dem Auftreten und Wandern aktinomykotischer Entzündungsherde. Auf diesen Punkt hat Partsch wiederholt und mit Nachdruck hingewiesen. Es ist dies eine ganz besondere Eigentümlichkeit in dem Bilde der aktinomvkotischen Infektion. Durch die Blutbahn kann sich der Strahlenpilz verbreiten. Das klassische Beispiel dafür ist ein

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70 Williger. Über Aktinomykose in der Armee.

Fall Ponficks (Frau Deutschmann), in dem der Durchbruch eines Herdes in die Vena jugularis zu Metastasen im Herzen, Milz und Gehirn führte. Dagegen sind in Lyrmphdrüsen noch keine Strahlen- pilze gefunden worden. \Venn es zu Schwellungen der Drüsen komnit, so haben wir dies auf die Rechnung begleitender Eiter- kokken zu setzen.

Gerade dieses Fehlen der Drüsenschwellungen ist in den Fällen oraler Aktinomykose besonders beachtenswert und für die klinische Diagnose ausschlaggebend. Bei allen anderen entzünd- lichen Prozessen, die von der Schleimhant des Mundes, den Zähnen, dem Kiefer ausgehen, finden wir immer eine Beteiligung des Lymphgefäßsystems. Dies zeigt sich seltener und zwar nur in den stürmisch verlaufenden Fällen in der Form der Lymphangitis, dagegen weit häufiger in der Form der akuten oder chronischen Lymphadenitis. Partsch hat als erster auf die Beziehungen aufmerksam gemacht. die zwischen den Zähnen und den unterhalb des Unterkieferrandes gelegenen Lymphdrüsen bestehen. Sobald sich entzündliche Vorgänge um die Wurzelspitze irgendeines pulpa- losen Zahnes abspielen. finden wir in einer der vier regelmäßig am Unterkieferrand vorhandenen Lymphdrüsen (der submentalen und den von Partsch mit a, b und c bezeichneten subinaxillaren) die deutliche Reaktion in Form der Vergrößerung und der Schmerz- haftigkeit. Dies fehlt bei der Aktinomykose. namentlich wenn sie in der reinen schleichenden Form auttritt.

Treffen wir im Gesicht oder an der Lieblingsstelle am Hals nahe dem Unterkiefer auf einen entzündlichen infiltrierten Herd ohne Beteiligung des Lymphdrüsenapparates, so können wir den Verdacht der Aktinomykose hegen. Sind gar zwei oder mehrere voneinander getrennte Herde vorhanden ohne entzündliche Schwell- ung der Lymphdrüsen, so ist die Diagnose auch vor dem Nach- weis der pilzlichen Elemente sicher.

In den fünf von mir beobachteten Fällen. bei denen die Lymphdrüsen besonders untersucht wurden. waren sie nicht beteiligt.

\Weit seltener als die orale ist die thorakale Aktinomykose. Der Intektionsmodus ist hier nicht so klar, wie bei der ersten Form. Es existieren aber verschiedene Einzelbeobachtungen, aus denen ebenfalls hervorgeht. dab pflanzliche Gebilde, die in den Respirationstraktus geraten, zu Infektionsträgern werden können. Dahin gehört der Fall von Soltmann. in dem ein Knabe eine Ahre der Mauergerste verschluckt hatte, die in einem aktino- mykotischen Lungenabszei; bei der Eröffnung vom Rücken aus wieder zum Vorschein kam. Ferner wurde im Leipziger pathologischen Institut bei der Sektion eines an Lungenaktino- mykose verstorbenen Mannes in der Lungenspitze eine Getreide-

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Williger, Über Aktinomykose in der Armee. 271

granne mit Pilzfäden gefunden. Sehr bemerkenswert ist der früher schon erwähnte Fall von Israel, in dem ein Zahnfragment die Infektionsquelle gewesen war.

Die beiden mir überlassenen Krankengeschichten über Fälle von Lungenaktinomykose bieten bezüglich der Atiologie nichts Inter- essantes. Der eine Mann war von Beruf Schneider, der andere Maurer. | Orale Aktinomykose war nicht vorhergegangen. Bei dem ersten, Ökonomiehandwerker M. in M., entstanden schmerzlos zwei große Hautabszesse an der rechten Brustwand, der eine vorn, der andere hinten. Sie standen, wie eine Operation erwies, miteinander im Zu- sammenhange. Die rechte Brusthöhle wurde bei der operativen Er- Öffnung mit aktinomykotischen Granulationen gefüllt angetroffen, im Eiter waren zahllose typische Körnchen. Nach 2 Monaten trat auch Verdiehtung der linken Lunge und Lebervergrößerung ein. Der Mann wurde in sehr elendem Zustande als Ganzinvalide mit rechtsseitiger Brustfistel entiassen.

.. Der Verlauf dieser Lungenaktinomykose entspricht den gewöhn- lichen Beobachtungen. Fast immer kommt es zur Bildung von großen bronchopneumonischen Herden mit Übergreifen auf die Pleura und Durchbruch nach der Haut.

Als eine große Seltenheit muß der zweite Fall, Musketier K. aus J, bezeichnet werden. Bei diesem Manne verlief die Erkrankung, so- lange er in Beobachtung blieb (3 Monate), unter dem Bilde einer chro- üschen Phthise. Anfangs wurden nur Strahlenpilzdrusen im Auswurf vorgefunden, später aber zweimal Drusen und Tuberkelbazillen zugleich. In der Literatur habe ich nur in dem Aufsatz von Düms eine derartige Mischinfektion verzeichnet gefunden, die ebenfalls bei einem Soldaten beobachtet worden ist. Illich sagt in seiner sehr sorgfältigen Arbeit: „Luberkelbazillen wurden immer vermißt“. Birch-Hirschfeld macht

uf aufmerksam, daß Verwechselungen mit Leptothrixballen und such mit Leueindrusen möglich sind.

Da bei K. Kulturen nicht angelegt worden sind und auch der weitere Verlauf nach der Schilderung des Krankenblatts mehr für tberkulöse als für aktinomykotische Lungenerkrankung spricht, so möchte ich diesen Fall nicht als sehr beweiskräftig auffassen. Im übrigen muß es durchaus nicht immer zu tiefen Lungenzerstörungen mt Brustabszessen und dergl. kommen. In dem berühmten, allerdings ganz vereinzelt stehenden Fall von Canali wurden bei einer seit ı Jahren bestehenden Bronchitis Aktinomyces-Körner ständig im Aus- warf gefunden, ohne daß man durch die physikalische Lungenunter- suchung einen tieferen Prozeß in der Lunge nachweisen konnte.

Die Bauchaktinomykose tritt, abgesehen von metastatischer Erkrankung einzelner Bauchorgane, in zwei Formen auf, die shon Israel in seiner ersten Publikation unterschieden hat. œ erste Form ist die katarrhalische, mit dem Sitz der Er-

ung in der Darmschleimhaut. Diese Form ist selten. Aus der Armee ist bisher kein Fall davon beschrieben worden. Die weite, häufigere Form ist die parenchymatöse, in welcher von “um primären Darmgeschwür der Prozeß schleichend weiter dringt und oft zu ganz enormen Tumoren im Bauchraum führt.

Über den Infektionsmodus ist noch wenig bekannt, ins-

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_ besondere sind keine Fälle beschrieben, in denen eine orale Aktinoımykose vorhergegangen ist. A priori müßte man eigent- lich annehmen, daß von einem fistulösen Herd innerhalb der Mundhöhle oder auch von aktinomykotischen Vegetationen in einem Wurzelkanal eine Darminfektion zustande kommen könnte. Man weiß aber darüber nichts Sicheres. Illich veröffentlicht ein Sektionsprotokoll eines an Bauchaktinomykose gestorbenen Knechts, in dessen Wurmfortsatz das verhängnisvolle Grannenstück ge- fanden wurde.

Auch die drei mir durch ihre Krankengeschichten bekannt ge- wordenen Fälle bieten in dieser Beziehung nichts sicher Verwertbares, sie sind aber sämtlich nicht uninteressant.

Der Pionier M. in M. erkrankte zunächst unter dem Bilde der oralen Aktinomykose an einer akuten Schwellung und Rötung in der Gegend des rechten Unterkiefers. 14 Tage später trat unter Schmerzen eine flache, rundliche Geschwulst in der Haut der Magengrube auf. Wieder nach 14 Tagen wurde der Herd am Halse eröffnet, er enthielt reichlich Aktinomycesdrusen. Zwei Tage später wurde der Herd in der Magengrube inzidiert und ein ähnlicher Inhalt gefunden. Heilung der Bauchwunde glatt binnen sechs Wochen.

Nach der Schilderung kann der Prozeß am Bauch nur in der Haut gesessen haben. Im allgemeinen bricht jede Intestinalaktino- mykose schließlich einmal in Form des Abszesses durch die Bauch- decken durch. Dann ist aber natürlich vorher eine sehr auffallende Geschwulstbildung im Bauchraum vorhanden, von der in der Kranken- geschichte nichts erwähnt ıst. Auch würde dann die Heilung schwer- lich in so kurzer Zeit beendet worden sein. Wir müssen daher wohl nur eine Hautaktinomvkose in der Bauchhaut annehmen und können über den Zusammenhang mit der gleichzeitig bestehenden Halsaktino- mykose nur Vermutungen hegen.

Der zweite Fall betrifft einen 17jährigen Unteroffiziervorschüler, der im 10. Lebensjahr angeblich eine sogenannte Blinddarmentzündung überstanden hatte. Er bekam im April 1902 unter Leibschmerzen eine harte entzündliche Anschweilung im prävesikalen Raum, im Urin war anfangs Eiweiß, später fanden sich darin viele Eiterkörperchen. Ende Mai wurde ein großer aktinomykotischer Herd in der Blasengegend eröffnet. Im Juni mußte noch ein zweiter Herd links von der Mittel- linie eröffnet werden, dann trat Heilung ein.

Auch bier ist der Infektionswerr nicht klar. Es kommt vor, daß der aktinomykotische Prozeß in die Blase durchbricht, so daß man Drusen im Urin vortfindet. Darüber ist im Krankenhlatt nichts ver- merkt. Auch ist nichts über einen tiefsitzenden Tumor im Bauch- raum berichtet. Iınmerhin werden wir doch wohl annehmen dürfen, daß der Prozeß in diesem Fall intraperitoneal gesessen hat. vom Darm ausgegangen und nach außen durchgebrochen ist.

Anamnestisch ist bemerkenswert, daß der Patient früher eine sogenannte Blinddärmentzündung überstanden hat. Es ist ziemlich häutier beobachtet worden, dab die aktinomvkotische Erkrankung in der Gegend des Wurmfortsatzes beginnt, so daB man meinen kann, es mit einer gewöhnlichen Epityphlitis zu tun zu haben.

Hierfür ist der dritte Fall ein recht gutes Beispiel.

Deutsche Monatsschrift für Zahnheilkunde XXIII. Jahrgang.

Verlag von Arthur Felix, Leipzig. Graph. Inst. Julius Klinkhardt, Leipzig.

Williger, Über Aktinomykose in der Armee. 273

Der Grenadier P. in Sch. wurde im Jahre 1901 5 Monate lang unter der Krankheitsbezeichnung Blinddarmentzündung behandelt. Nach dem ganzen Verlauf handelte es sich um eine vom Wurmfortsatz ausgehende Pertorationsperitonitis, die anfänglich unter sehr schweren Erscheinungen (Ileus) verlief. Er schied mit einer strangförmigen 8 cm langen, 2 cm dicken Geschwulst in der Blinddarmgesend als Invalide aus. Im Juli des nächsten Jahres wurde im Garnisons- lazarett N. ein Abszeß in der rechten Uuterbauchgegend eröfinet, der etwas dünnen Eiter mit einigen Körnern enthielt. Im Dezember 1902 kam er im Garnisonlazarett L. zur Aufnahme. Hier gab er an, daß ihm am Beginn seiner Erkrankung im Mai des Vorjahres zwei kranke Zähne gezogen worden seien. Auch gab er zu, oft an Ahren gekaut zu haben. Èr hatte jetzt eine sehr große Geschwulst in und unter dem rechten geraden Bauchmuskel bis zum Nabel hinauf, während die Gegend des Wurmfortsatzes wieder frei war. Unter Jodkalibehandlung wuchs der Tumor. Ende Januar 1903 wurde ein kleiner Abszeli eröffnet, beim Auskratzen der Granulationen riß das Bauchfell etwas ein. Die Heilung verlief trotzdem glatt, die große Geschwulst bildete sich zurück. Dagegen fand man 14 Tage später einen faustgroßen Tumor dao ken Rektum und Blase, mit den er Ende April 14)3 ent- lassen wurde.

Die Endausgänge in meinen 22 Fällen waren folgende:

Orale Aktinomykose: 16 Fälle. 1 Mann starb, 2 wurden wegen der zurückgebliebenen Narben dienstunfähig, 13 blieben dienstfähig.

Thorakale Aktinomvkose: Beide Fälle wurden dienstunfähig.

Abdominelle Aktinomykose: Auch hier wurden sämtliche drei Fälle dienstunfähig, doch zählt dazu Pionier M., der gleichzeitig Halsaktinomykose hatte, die zu schweren Narben führte. Ebenso wurde der Mann mit Aktinomykose an der Schulter dienstuntähig.

Die Resultate entsprechen also den allgemeinen Erfahrungen. Die orale Aktinomykose gibt im allgemeinen eine recht günstige, die thorakale eine absolut schlechte, die abdominelle eine zweifel- hafte Prognose. Von Lungenaktinomykose sind nur zwei Heil- ungen bekannt, die Schlange veröffentlicht hat. Von der abdominellen Aktinomykose dagegen sind mehrfach Heilungen berichtet. Ich will unsern Fall M. nicht dazu zählen, weil ich, wie oben gesagt, nur eine Aktinomykose der Bauchhaut für vor- liegend halte, dagegen glaube ich den Unterotfiziervorschüler U. doch zu den geheilten Fällen rechnen zu müssen. An dem dritten Fall (P.) kann man die Eigentümlichkeit der aktinomykotischen Prozesse sehen, die sie besonders im Bauchraum zeigen. Sie wandern und hinterlassen kaum Spuren von ihrem früheren Sitz, und sie bilden sich nach relativ geringfügigen Eingriffen oft wunderbar zurück. Ja es ist sogar ein Fall einer Art Spontan- heilung bekannt geworden, durch Braun, der wegen Kachexie des Patienten jeden weiteren Eineriff aufgegeben hatte und nach einiger Zeit konstatieren konnte, dat die auszebreiteten Geschwulst-

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Williger. Über Aktinomykose in der Armee.

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massen verschwunden waren und der totgesagte Patient sich des besten \Vohlseins erfreute. Etwas „Ahnliches übrigens erlebte Noorden in einem verzweitelten Fall von Kieteraktinomykose.

Der einzige in militärärztlicher Behandlung vorgekonmene Todestall betraf einen Fall oraler Aktinonıykose. der vom rechten Öberkieter ausgegangen war und auf das Schläfenbein über- gegritten hatte.

Der ehemalige Grenadier S. aus N. St. war 141? kurz vor seiner Entlassung zur Reserve an einer Schwellung der rechten Wange er- krankt. Nach der Entlassung waren ihm einige Zähne extrahiert worden. Der Zustand hatte sich weiter verschlimmert. Im städtischen Krankenhause Neu-Strelitz wurde im März Aktinomykose nachge- wiesen. Er kam am 10. Juni 1903 zur Aufnahme im Grarnisonlazarett A. Damals hatte er eine derbe tumorartige Schwellung der rechten Ge- sichtshälfte bis zum Schlätenbein hinauf, an der mehrere Narben sicht- bar waren. Auch bestand starke Kieferklemme.

Am 11. Juni wurde eine sehr eingreifende Operation au-geführt. Zunächst wurde die Carotis int. unterbunden. dann die Öhrspeichel- drüse exstirpiert, das Jochbein und der aufsteigende Ast des Unter- kiefers rexeziert. So gelangte man auf einen Herd an der Scheitel- Schlätenbeinzrenze. Dort wurde der Knochen bis zur Diploe in einer Ausdehnung von 10 cm weggenomwen.

Der Verlauf war anfangs recht gut. Am 16.7. mußte noch ein Herd im Schläfenbein und der Pyramide ausgeräumt werden. Am 1.5. erhielt der Mann einen prothetischen Ersatz im Munde. Am 4. >. wurde eine plastische Operation zur Schließung der Wunde ausgeführt. Von Eude September ab trat eine Wendung zum Schlechteren ein, es zeigten sich Symptome von Meningitis und am 21. 11. starb der Mann. Die Sektion ergab eitrige Hiruhautentzündung an der Basis des Klein- hirns, eitrire Kutzündnner der Rückenmark-haut. eine Abszetshöhle im Mittellappen der rechten Lunge und Eiterberde in den Nieren. Fine mikroskopische Untersuchung des Eiters wurde nicht vorgenommen.

Im Anschlub an diesen Fall wende ich mich der Therapie zu.

Die Aktinomykose fordert nach unseren heutigen Anschau- ungen überall da, wo wir ihr beikommen können. das Messer des Chirurgen. Bei der thorakalen Aktinoınykose sind die Aussichten zwar sehr schlecht, aber es ist doch denkbar. dal: wir einen Herd auch dort von auten mit Erfolg angreifen können. wenn es mög- lich ist, die Diagnose frühzeitig zu stellen. Dab bei Bauch- aktinomykose der chirurgische Eingrif! grobe Chancen für sich hat. auch wenn wir nicht alles ausrotten können, habe ich schon vorhin besprochen. Die besten Aussichten tür den Chirurgen bietet die orale Aktinomykose Es ist aus den letzten Jahren über eine derartig «inzreifende Operation. wie sie im Fall G. vor- genommen worden ist, von anderer Seite nicht berichtet worden. Illich sagt sogar: „Heutzutage möchte es als chirurgischer Fehler gelten. bei einer wenn auch taubeneirrölien Zungenaktino- mykose die halbseitice Zungenexstirpation (Ullmann: oder bei

Williger, Über Aktinomykose in der Armee. 275

ener diffusen Schwellung am Kieferwinkel, selbst in jenen Fällen, w der Knochen ergriffen ist, die Resektion einer Kieferhälfte iPart sch 1881, Brenner 1889) vorzunehmen.“ Wenn der Prozeß mr Abszedierung neigt, genügt immer die einfache Inzision mit Aulöfelung der weichen Granulationen. Partsch empfiehlt dann for mugazetamponade auf das wärmste. Nach den Erfolgen, die ia bei diesem Verfahren in seiner Klinik und an eigenen Fin gesehen habe, kann ich mich dieser Empfehlung nur anschlie ben.

Die Exstirpation der Herde ist nur möglich, wenn sie klein sind, sie ist aber nicht notwendig.

Es ist nach der Schule von Partsch selbstverständlich, daß. wenn der Prozeß von einem zerstörten Zahn seinen Ausgang eenommen hat, dieser Sünder unter allen Umständen zuerst ent- fernt wird,

Die guten Erfolge der einfachen Inzision zeigen sich be- sonders bei akuten, stürmisch einsetzenden Fällen. Schwieriger gestaltet sich die Behandlung bei den langsamer auftretenden

torpidea Schwellungen, die immer weiter greifen und sich nach getährliarn Gegenden zu ziehen drohen. Es tritt aber auch Wri unter abwartender Behandlung meist irgendwo ein Er- wüdungsherd auf, nach dessen Spaltung sich oft in sehr über- raschender Weise ganz ausgedehnte Verhärtungen zurückbilden. Für viele Beobachter hat es den Eindruck gemacht, als ob der Zutritt der atmosphärischen Luft direkt schädigend auf den Strahlenpilz wirkt.

Illich empfiehlt in solchen Fällen auber der Eröffnung auftretender Erweichungsherde Injektionen von Sublimatlösung ', Proz. mehrere Pravazspritzen täglich). Ich besitze darüber keine Erfahrungen. ~ Imrch Billroth wurde das alte Tuberkulin nach einem Ertlge bei Bauchaktinomykose empfohlen. Auch Illich hat in tnem Falle ein sehr rasches Zurückgehen eines akuten Bauch- üniors unter Tuberkulinbehandlung gesehen, in einem anderen Falle aber Zunahme. In dem ersten Falle waren zwei kleine Inzisionen gemacht worden. Da nun nach sehr geringen chirur- zischen Eingriffen mehrfach auffallend rasche Rückbildungen zesehen worden sind, kann man wohl in Übereinstimmung mit Illich den Fall nicht für ganz stichhaltig ansehen. Immerhin drite man berechtigt sein, in verzweifelten Fällen einen Versuch mit T uberkulin zu machen.

a bekannt und verbreitet ist die Behandlung der Aktinv-

on No nn T Darreichung von innerlichen Jodkaliumgaben. Diese

Tan -Ara nnd Thomassen für die Aktinomykose der Rinder,

van [ter sS on und Netter für die Aktinomykose des Menschen IS“

276 Williger, Über Aktinomykose in der Armee.

angegebene Behandlungsart hat 1899 einen warmen Fürsprecher in W. Prutz gefunden. Obwohl ihn das Tierexperiment ganz im Stiche gelassen hat und obwohl Aktinomyces auf jodkaliun- haltigen Nährboden wächst (Nocard, Dar, Dubrenilh und Berard), so kam Prutz doch auf Grund zahlreicher klinischer Beobachtungen zu dem Schluß, daß die Anwendung von Jodkali im Prinzip in jedem Falle von Aktinomykose angezeigt sei. Ins- besondere fand er folgendes: „Die beim Menschen durch den Aktinomyces hervorgerufene entzündliche Gewebsneubildung wird durch Jodkalium in der Art beeinflußt, daß eine Resorption der entzündlichen Produkte eingeleitet und die den Pilz selbst be- herbergenden Herde zu schneller Einschmelzung geführt werden.”

„Die Jodkaliumbehandlung ist nicht imstande, die operative Behandlung der Aktinomykose zu verdrängen, wohl aber beruten. sie einzuschränken. Sie kann den aktinomykotischen Herd so „vorbereiten“, daß gegebenenfalls an Stelle eines schweren Ein- griffes nur ein relativ unerheblicher notwendig wird und macht manche Fälle überhaupt erst mit Aussicht auf guten Erfolg operabel (Bauchaktinomykose). Ist sicher nur ein kleinster ober- flächlicher Herd vorhanden, so ist das schnellste Verfahren die sofortige Eröffnung und Auslöffelung, ohne vorhergehende Tod- kaliumbebandlung.“

In meinen Krankengeschichten war fast jedesmal die An- wendung von Jodkalium angegeben, doch habe ich nirgends einen positiven Schluß auf seine Wirksamkeit ziehen können. In einem Falle von Bauchaktinomykose war ausdrücklich vermerkt, dab der Bauchtumor unter der Darreichung von Jodkalium wuchs.

Prof. Partsch hat mir mündlich mitgeteilt, daß er niemals eine günstige Wirkung von Jodkaliumgaben beobachtet hat. Er wendet es daher auch nicht mehr an, sondern geht in allen Fällen operativ vor.

Zum Schluß möchte ich meiner Überzeugung Ausdruck geben. daß die Aktinomvkose, namentlich in der Form der oralen Aktino- ımykose, entschieden häufiger in der Armee vorkommt, als es nach den wenigen von mir gesammelten und besprochenen Fällen scheint. Es würde mich freuen, wenn es mir gelungen wäre, die Aufmerksanıkeit der Herren Kameraden auf dieses Gebiet und auf das noch immer gering zeachtete Stiefkind der Heilkunde. die Odontologie, zu lenken. Wer sich in dieses Spezialgebiet

vertieft, wird wissenschaftlich und praktisch mehr Lohn für die aufgewendete Mühe finden, als man im allgemeinen und auch im

Kreise der Sanitätsoffiziere vielfach zu glauben geneigt ist.

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Hes se, Das zweite Jahrzehnt d. zahnärztl. Instituts d. Univ. Leipzig. 277

Literaturverzeichnis.

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[Nachdruck verboten.)

Das zweite Jahrzehnt des zahnärztlichen Instituts der Universität Leipzig.

Von Prof. Dr. Fr. Hesse.

e nn zahnärztliche Institut der Universität Leipzig ist am an tober 1904 in sein drittes Jahrzehnt eingetreten. PR: oberste Aufgabe, dem Unterricht und der praktischen zweiten Jah, von Zahnärzten zu dienen, hat es auch in seinem D ihm zehnt in erwünschtem Maße erfüllen können, ja es Pr ba At gewesen, wie ein Vergleich der Arbeitslisten Zahl der Sn ezennien zeigt, seine Leistungen sowohl nach der üler als in den ausgeführten Arbeiten zu steigern.

278 Hesse, Das zweite Jahrzehnt des zahnärztlichen

Für die wichtigste Änderung, die die Anstalt erfahren hat, halte ich ihre am 1. Januar 1898 erfolgte Verstaatlichung. Bis zu diesem Zeitpunkte war sie halb Universitäts- halb Privat- institut. Sie erhielt eine staatliche Subvention, aber der eigent- liche Unternehmer war der Direktor. Ich bin unablässig bemüht gewesen, diesen Zustand zu beseitigen, denn er galt mir als der Ausdruck einer unterwertigen Einschätzung der Disziplin. der die Anstalt bestimmt ist. Zudem rief er eine so starke Beteiligung meiner Arbeitskraft an dem Unterricht hervor, daß ich auch um meinetwillen auf einen Wandel bedacht sein mußte.

Solange diese Bemühungen erfolglos waren, hielt ich es für das wirksamste, durch ihre Tätigkeit den Nachweis von der Prosperität und Unentbehrlichkeit der Anstalt zu liefern und habe mit Befriedigung jeden neuen Zuwachs ihres Wirkungskreises registriert.

Die erfolgreichste Unterstützung mußte mir dabei natur- gemäß aus dem Aufschwung erwachsen, in dem sich die Zahn- heilkunde nach ihrer wissenschaftlichen und nach ihrer praktischen Seite hin befindet, und so bin ich einer großen Zahl von Mit- arbeitern zum Danke verpflichtet. In besonderem Mabe aber der Königlichen Staatsregierung, die schließlich meine Anträge sowohl hinsichtlich der Lehrkräfte als der Lehrmittel ungeschmälert zur Ausführung gebracht hat. Allerdings beschränkten sich dieselben auf das. was ich für einen gedeihlichen Unterricht für unent- behrlich hielt. Es ist aber damit doch erst eine Anforderung erfüllt, der unsere Institute bestimmt sein sollten, und selbst die Befriedigung hierüber ertährt ihre berechtigte Dämpfung, wenn wir uns die Daseinsbedingungen vergegenwärtigen, unter die unsere Disziplin an den meisten deutschen Universitäten ge- stellt ist.

Erheben wir vollends die Anforderung an unsere Institute, daß sie dem wissenschaftlichen Fortschritt der Zahnheilkunde dienen sollen. so müssen wir eingestehen, daß kein einziges dazu auch nur annähernd die Mittel erbält.

Die wachsende Zunahme des Betriebes hat auch in den letzten 10 Jahren eine Erweiterung der Anstaltsräume notwendig ge- macht. Sie erfolgte Ende 1900 durch Hinzufügung des dritten Stockwerks zu den beiden ersten und gestattete einen Zuwachs der operativen Abteilung um 9 Operationsplätze. Gleichzeitig konnte die technische Abteilung vergrößert werden, während sich für die Bibliothek, den Unterricht am Phantom und tür mikro- skopische Arbeiten eigene Räumlichkeiten schaffen ließen.

Unsere Büchersammlungs erhielt einen willkommenen Grund- stock durch die Zuweisung der Bibliothek des Central-Vereins Deutscher Zahnärzte. Als wertvollster Besitz wurde ibr dabei

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Instituts der Universität Leipzig. 279

der IDental Cosmos zugeführt, vollständig bis auf den ersten Band, dàn ich aber mit Hilfe der Verlagsfirma auch noch erwerben konnte Andere periodische Fachschriften: der Zahnarzt, Viertel- ahrsschrift für Zahnheilkunde, Transactions of the Odonto- bgical Society of Great Britain usw. sind uns mit beträchtlichen Lücken zugegangen, deren Ausfüllung in Zukunft hoffentlich ge- lingen wird.

Die andauernde kostenfreie Zustellung ihrer zahnärztlichen Zeitschriften gewähren uns in dankenswerter Weise die Heraus- geber von: Deutsche Monatsschrift für Zahnheilkunde, Leipzig, Arthur Felix (Central-Verein Deutscher Zahnärzte); Österr.-ungar. Vierteljahrsschrift für Zahnheilkunde, Wien, Jul. Weiß; Corre- spondenzblatt für Zahnärzte, Berlin, C. Ash & Sons; Odonto- logische Blätter, Berlin, Simonis; Deutsche Zahnärztliche Wochen- schrift, Vereinsbund deutscher Zahnärzte; Archiv für Zahnheil- kunde, Brosius-Berlin: L’Odontologie, Paris, Prof. Godon; Dental Cosmos, Philadelphia, S. S. White; Österreichische Zeitschrift für Stomatologie, Wien.

Unsere Lehrmittelsammlung hat durch den Ankauf einer zröberen Zahl von Tierschädeln und der Röseschen Wachs- modelle der Zahnentwicklung eine erwünschte Vervollständigung erfahren.

Der elektrische Strom des letzten Jahrzelintes hat auch auf uns seine Wirkung geübt, aber zu meinem Bedauern nur als Lichtquelle mit Erfolg. Die Versorgung jedes Operations- nhles mit elektrischem Licht hat sich vollkommen bewährt wwohl hinsichtlich der Güte der Beleuchtung als durch die Ein- tachheit der Handhabung. Am wohltätigsten empfinden wir die beseitirung der Belästigungen, die die heißen Gasflammen der Umgebung bereiteten. Durch Einsetzen einer Glühlampenbirne haben wir unsere Gasreflektoren umgeändert und setzen sie bei bedarf in eine Hülse des zu jedem Stuhle gehörigen Operations- üschchens. Ein Mißerfolg war dagegen unser Versuch mit elek- trischen Bohrmaschinen. Wir hatten das Miligeschick. an eine nicht leistungstähige, bald darnach auch fallierte Firma zu kommen und sind nach und nach vollständig zu unseren Bohrmaschinen tit Fubbetrieb zurückgekehrt. Zwar habe ich noch versucht. mit “mer unserer ersten Firmen von neuem in Unterhandlung darüber Au treten, aber da sie eine dreijährige Garantie für ihre Motoren ählehnte, zerschlug sich der Handel. \Vennschon die Höhe der Anschafaneskosten den Wunsch des Abnehmers nicht unbillig erscheinen lassen dürfte, für den geforderten Zeitraum einen zu- verlässigen Apparat zu erhalten, kann ich mieh doch leider dem Bedenken der Firma nicht ganz verschließen: Unter den Prakti- ‘auten unserer Anstalten sind immer etliche. die in unbewachten

380 Hesse, Das zweite Jahrzehnt des zahnärztlichen

Augenblicken diesen Apparaten eine nichts weniger als sach- gemäße Teilnahme und Behandlung zuwenden.

Gute Erfahrungen haben wir dagegen mit einem erst vor kurzem angeschafften elektrischen Motor gemacht, der zum Antrieb einer Schleifvorrichtung dient. Selbst die schmelz- reichen Zähne unserer großen Säugetiere lassen sich damit in kurzer Zeit ohne Mühe schleifen und die Studierenderı machen von der Einrichtung nützlichen Gebrauch zur Herstellung von Schliffen durch menschliche Zähne. Ihre Kenntnis der topo- eraphischen Verhältnisse der Pulpenhöhlen wird dadurch mehr vefördert, als durch Demonstrationen, denn das Selbsterleben, wie es solche Übungen erzeugen, ist wirksamer als die klarste Mit- teilung.

Auch eine Einrichtung für Kataphorese haben wir für einige Monate zur Verfügung gehabt. Sie stammte aus derselben Fabrik, die die elektrischen Bohrmaschinen geliefert hatte und hat deren Schicksal geteilt, nur daß wir daran keinen Verlust hatten, denn die aufdringliche Firma hatte sie ohne Auftrag geliefert.

Ich habe keinen einzigen Erfolg der Kataphorese bei Ex- traktionen gesehen. Allerdings habe ich sie auch nur bei schmerz- haften Extraktionen in Anwendung gebracht, d. h. bei akuter Entzündung der Wurzelhaut. Ich weiß nicht, ob der Erfolg auch hier durch die Mangelhafticrkeit des Apparates vereitelt worden ist. Da dem anfänglichen Enthusiasmus über die anästhesierende Wirkung der Kataphorese für Zahnextraktionen eine allgemeine Stille gefolgt ist, bin ich gern bereit, unsern verflossenen alle Vorzüge dieser Apparate zuzuerkennen.

Auch die Versuche, die ich mit der elektrischen Beleuchtung der Mundhöhle durch Akkumulatoren gemacht habe, die aus dem städtischen Starkstrom gespeist wurden, haben nur für kurze Zeit befriedigt.

So empfindlich solche Mitertolge für einen ohnehin haus- hälterisch berechneten Anstalts-Etat sein mögen, sind sie doch weder ganz zu vermeiden, noch darf man ihnen jeden Nutzen absprechen. Die Industrie solcher Apparate ist auf unsere Mit- arbeit wesentlich angewiesen und hat sich unsere Erfahrungen zunutze zu machen. So kommen sie auch der Allgemeinheit zugute.

Der Arbeitsplan des Instituts ist seit dem Sommer 1896 durch die Einführung eines Kursus der Metallarbeiten er- weitert worden. Er wird unter der Beteiligung eines Goldarbeiters in wöchentlich 4 Stunden abgehalten, dient der Einführung in die Metallarbeiten und hat für das erste Semester als Arbeits- ohjekte Gegenstände aus Kupfer und Neusilber, die zam großen Teil mit der Zahntechnik nichts zu tun haben. An diesen werden

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Instituts der Universität Leipzig . 281

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_ Unterricht. So nützli tische Ausbi ützlich und unentbehrli A en S ah ihre eigene Üb zentliche Kern des Unterricht Befriedigung darüber ung sein. Ich habe schon früh 04 NE unserem B geäußert, daß der Zus er meine hente sieta jederzeit entsprochen hat. Ei ao sich mit aller Sich hei soweit es sich um Füllungen RER a das Angebot an a eit sagen, daß die Nachfrage größ elt, läßt fir die arbeitaam r Hear ka So erwünscht De als wbeitascheuen re ran ist, so erzeugt er doch Be liegen. In der Sich efahr, der in jedem Semester eini ür die Lück noch Arbeite en Meinung, daß ihnen der mor ge unter- N fang ihrer Tätigk egenheit bringen werde, ee Tag zu dem Schluß Ir 3N von einem Tage zum andern und ae den an Schlusse eines i ee ohne ihn gemacht en hab ommen der jeder Diakikare N Semesters ausgehängte Arbeitslist ne ein eindringliches, ab mit seinen Arbeiten verzeichnet steht, ie: we unfehlbar en Se Sinn der Jugend ioth verlässigerer Wi o. Vielleich eg , wenn in den Sapp i pes WADEN Semester gefordert nn Zahl operativer und akai S ee re ee die Minimalzahl der NEME as Semester für die ae va nicht erreicht, so zählt

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282 Hesse, Das zweite Jahrzehnt des zahnärztlichen

vielmehr Behandlungsgelegenheiten vor, von denen diese Forder- ung nicht gestellt wird. Selbstverständlich wird von dieser Seite her auch die Zweckmäßigkeit unseres Arbeitsplanes bemängelt und unserm Bestreben, auf unsere Patienten aufklärend zu wirken. entgegengearbeitet. Als warnende Beispiele sind mir Ersatz- stücke auf nichtvorbereiteten Kiefern für die Demonstration nicht unerwünscht, aber damit ist doch weder den Besitzern gedient. noch bedürfte es für diesen Zweck einer so großen Zahl. Eine Gruppe hiesiger Zahntechniker hat in seltsamer Verkennung ihrer eigenen Rechte und unserer Aufgaben und Wünsche vor einiger ‚Zeit sogar den Versuch gemacht, die Wirksamkeit der Anstalt einzuschränken, indem sie bei der vorgesetzten Behörde den An- trag stellte, wir sollten unsere Türen dem größten Teile unserer

jetzigen Klientel schließen. Die seidene Schnur ist ihnen aber zurückgegeben worden,

Die operativen Arbeiten. Zur richtigen Beurteilung der Ziffern unserer Arbeitsliste schicke ich folgende Bemerkungen voraus. Die Liste enthält nur die an Patienten ausgeführten Arbeiten, keine Übungs- und keine Phantomarbeiten. Ich hielt es nicht für zweckmäßig, die an Spalten schon ohnehin reiche Liste noch mehr zu komplizieren. Die Ziffern unter „Wurzel- füllungen“ bedeuten Zähne, d. b. die Füllung der Wurzeln eines mehrwurzeligen Zahnes ist einfach gerechnet. Dasselbe gilt von den Extraktionen und zwar auch in den Fällen, wo die Wurzeln vor der Extraktion bereits vollständig getrennt standen.

Das Hauptgewicht auf der Füllungsabteilung haben wir an- dauernd auf das Füllen mit Gold gelegt. Daß wir es trotzdem darin zu keiner höheren Ziffer gebracht haben, dürfte vorzugs- weise der gewissenlhaften Berücksichtirung des Interesses unserer Patienten zuzuschreiben sein. Gewiß ist die Goldfüllung an Zuverlässigkeit allen anderen überlegen, aber doch nur unter der Voraussetzung fehlerfreier Ausführung. Wo diese nicht zu er- reichen ist, wird eine plastische Füllung bessere Aussichten haben und dem Patienten zwecklose Belästigungen ersparen. Zur Ver- wendung kommt fast ausschließlich Herbst-Folie 20, zur Konden- sierung des Goldes dienen nach guter Fixierung mit Handstopfern der automatische Hammer und geknöpfte Polierer. Mir ist seit langen Jahren der gleitende Druck von Handpoliererknöpfen als das wirksamste Kondensierungsmittel bekannt, und ich habe mit Genugtuung gesehen, daß diese Erfahrung durch experimentelle Untersuchungen ihre Bestätigung erhalten hat, aber trotzdem würde ich es für nachteilig halten, den Hammer aufzugeben. Die Wirksamkeit der einen oder anderen Art der Kondensierung hängt vorzugsweise von der Lage der Höhle ab; bisweilen ist die

Instituts der Universität Leipzig. 283

beste Gewähr des Gelingens durch die eine, aber viel öfter durch die kombinierte Verwendung beider Methoden gegeben, denn in ein und derselben Höhle sind meist bestimmte Abschnitte durch den Hammer, andere durch Polierer wirksam zu erreichen. Es kommt hier vorzugsweise in Frage, welche Stellung unser rechter Arm zu dem zu bearbeitenden Höhlenabschnitt einnimmt.

Porzellanfüllungen haben nur eine sehr bescheidene praktische Verwendung gefunden, doch sind sie an extrahierten Zähnen zahl- reicher geübt worden und zwar unter Benutzung der Jenkins- schen Masse. Auch hier legte uns der Wunsch nach zuverlässiger Dauer der Arbeit Beschränkungen auf, aber noch mehr die Er- fahrung, daB ihre Ausführung im Munde die Beteiligung des Lehrpersonals zu stark in Anspruch nimmt.

Die Füllung von Wurzeln wird in der Praxis unseres Instituts bei weitem häufiger ausgeführt, als in einer guten zahn- ärztlichen Privatpraxis, aber es wäre falsch, daraus den Schluß zu ziehen, daß wir es mit der Zerstörung der Pulpa leicht nehmen. Den Hauptanlaß dazu gibt leider die in unserer Klientel noch allzu verbreitete Sitte, zahnärztliche Hilfe erst aufzusuchen, wenn der Zahn schmerzt und selbst dann oft erst bei Wiederholung und größerer Intensität der Schmerzen. Daß die Arbeitsiiste eine größere Zahl von Arsenbehandlungen aufweist als Wurzelfüllungen, erklärt sich dadurch, daß die Wiederholungen von Arseneinlagen mit in die Liste eingestellt sind. Ab und zu bleibt auch ein Patient mit seiner Einlage von der weiteren Behandlung weg, zufrieden damit, seine Schmerzen losgeworden zu sein. Wir sind dem Arsen trotz der Konkurrenzen, die ihm erstanden sind, treu geblieben, hauptsächlich wegen der großen Zuverlässigkeit seiner Wirkung. Ich halte es auch bei der großen Mehrzalıl der Fälle für ein schmerzloses Mittel und kann die gegenteilige Erfahrung nicht von dem Verdacht befreien, daß sie auf fehler- hafter Ausführung der Einlage beruht. Meine Forderungen sind: Trockenheit der Höhle, die freiliegende Pulpa wird von dem Arsen getroffen, sicherer Verschluß der Höhle, Wirkungsdauer nicht unter zweimal 24 Stunden. Ich habe unter diesen Voraus- setzungen zuerst unabsichtlich, dann mit Absicht Pulpen behandelt. auf denen die Einlage ohne jeden Nachteil mehrere Wochen gelegen hatte, ja ich habe in diesen Fällen eine so vollständire Unempfindlichkeit der Pulpa angetroffen, dab ich die Dauer der Einlage für mehr als 48 Stunden Jedem anempfehle Nur mut ich dabei besonders betonen, daß das Arsen in äußerst veringen Mengen zu verwenden ist, um sowohl den schädlichen Folgen vorzubeugen, die das Verschlucken der Einlage bereiten könnte. als auch seiner Einwirkung über das beabsichtigte Gebiet hinaus.

In der Behandlung der Pulpenhöhle und der \Vurzelkanäle

284 Hesse, Das zweite Jahrzehnt des zahnärztlichen

spielt die mechanische Entfernung des Inhaltes die Hauptrolle, Man muß die feste Überzeugung haben, daß von übersehenen Resten desselben das Periodont bedroht wird, um dieser Gefahr nach Möglichkeit zu begegnen. Leider sind wir nicht, oder doch nur sehr unvollkommen, imstande, in die Wurzelkanäle hinein- zublicken. Um so notwendiger ist es, gute Sonden zu benutzen, die der Hand ermöglichen, den Widerstand in den Kanälen zu fühlen. Deshalb muß die Sonde biegsam sein, um die erforder- liche Krümmung annehmen zu können, und dick genug, um sich beim Anlehnen an die Höhleneingänge nicht von selbst zu biegen. Gestattet das Lumen des Kanals den Eintritt einer Sonde mit Widerhaken, um so besser, wenn nicht, muß mit einer gerad- linigen der Inhalt der Kanäle dadurch entfernt werden, daß man ihn zwischen Sondenspitze und Kanalwand klemmt und gegen die Pulpenhöhle hinzieht. Wo der Nervkanalbohrer anwendbar ist, gibt er eine vortreffliche Unterstützung der Arbeit, aber er ver- trägt keine oder doch nur sehr geringe Biegung des Weges. Die antiseptische Behandlung folgt der mechanischen Entleerung der Kanäle, und zwar sollte die antiseptische Flüssigkeit unter wiederholter Erneuerung tunlichst lange im Kanale bleiben, ganz besonders, wo es sich um spontan abgestorbene Pulpen handelt. Wir haben hier mit konzentrierter alkoholischer Karbollösung, deren Verwendung unter Gummiplatte ganz unbedenklich ist, die besten Erfahrungen. Ebenso mit der massiven Füllung der Wurzeln mit Zement.

Von der von mir früher empfohlenen Beschickung der Kanal- spitze mit Jodoform sind wir fast ganz abgekommen. Eine aus- gedehnte Verwendung finden bei diesen Arbeiten Anker zum Aufbau der Kronen. Wir verwenden dazu Neusilbernägel, die für jeden Fall passend zurecht gefeilt und gebogen werden. Das um den Anker gelegte Amalgam verbindet sich sehr innig mit demselben, und hierdurch wird der Halt noch erhöht, den der Anker sowieso schon gewährt. So sehen wir bisweilen Füllungen, deren Wände im Laufe der Jahre zusammengebrochen sind, ledig- lich an ihren Ankern haften.

Daß wir in der Zahl der Extraktionen im zweiten Jahrzehnt hinter dem ersten zurückgeblieben sind, ist mir nicht unerfreulich, da ich darin ein Zeichen für die zunehmende Wertschätzung erblicke, die unsere konservierende Tätigkeit findet. Die mit uns konkurrierenden Gelegenheiten für Extraktionen haben sich nicht wesentlich geändert, wohl aber die Stimmung unserer Klienten. Dieselbe Ablehnung, die früher unser Vorschlag fand, einen kranken Zahn zu füllen, findet er jetzt, wenn wir die Extraktion vor- schlagen. Ich war der Meinung, daß die hiesige Ortskrankenkasse wesentlich dazu beigetragen habe. diese konservative Gesinnung

Instituts der Universität Leipzig. 285

zu fördern, denn sie stellte es im allgemeinen ihren Mitgliedern frei, sich die Zähne extrahieren oder füllen zu lassen; indessen ist doch die Einschränkung, die sie in ihren Leistungen getroffen hat (Beschränkung der Zahl der Füllungen, Nichtbeteiligung der Angehörigen), ohne Einfluß auf das numerische Verhältnis unserer Extraktionen und Füllungen geblieben.

Zur Technik der Extraktionen gestatte ich mir nur einige kurze Bemerkungen. Bei Anwendung der Zange kann die fehlerhafte Ausführung eines jeden Tempo Anlaß zu Mißerfolg geben, und von dieser Erwägung aus muß sie der Operateur alle beherrschen. Indessen ist doch in dem „Schluß der Zange“ der eigentliche Schlüssel der ganzen Aufgabe enthalten. Sein Ziel ist es, Zange und Zahn zu einem unbeweglichen Ganzen zu ver- einigen, damit die Bewegungen der Zange mit voller Sicherheit auf den Zahn übertragen werden. Dazu muß die Zange ohne Gewalt, wie ein feines Tastwerkzeug gehandhabt werden. Sie sucht tastend ihren Weg zum Hals des Zahnes und versucht ebenso sich zu schließen, um zu prüfen, ob der gefaßte Teil des Zahnes genügenden Druckwiderstand besitzt. Übung und Er- fahrung allein lehren das Maß der Belastung kennen, die dann die Handgriffe der Zange brauchen. Deshalb erscheint mir der Rat, die Zangenspitzen stets in möglichste Nähe der \Vurzelspitze zu bringen und vollends der, Gewalt dazu zu gebrauchen, fehlerhaft.

Nach einer Fraktur der Krone halte ich für die wichtigste Grundlage des weiteren Operierens die Klarheit des Operations- feldes. Darum erhält in solchen Fällen ein Praktikant als einzige Aufgabe, das Blut von der Wunde zu tupfen (Fließpapierbäusche). So erwünscht der Erfolg des ersten Versuches gerade bei Ex- traktionen auch sein mag, so darf doch die Fraktur der Krone kein Anlaß sein, die Extraktion aufzugeben. Mit welchem Rechte man dem Patienten in Aussicht stellen will, der Zahn werde nun nicht mehr schmerzen, ist mir ganz unverständlich. Ich lasse nur die direkte Weigerung des Patienten als Grund gelten, von der Fort- setzung der Extraktionsversuche abzustehen, aber auch diese ge- lingt es mir fast immer durch Überredung zu beseitigen. Freilich darf man sich der Mühe nicht entziehen, auf eine Extraktion gelegentlich auch einmal eine ganze Stunde Zeit zu verwenden. Wenn es bei mehrwurzeligen Zähnen zur Fraktur kommt, so ist es stets erwünscht. daß sie tief genug sei. um eine Trennung der Wurzeln herbeizuführen. Der Widerstand, den die Divergenz der Wurzeln erzeugt, ist damit beseitirt, die Entfernung der einzelnen Wurzeln meist eine leichte Aufgabe. Von dieser Er- tahrung machen wir in jedem Semester wiederholten Gebrauch, indem wir die Extraktion von Molaren mit der Trennung der Wurzeln durch Bohrmaschine und spitzen Hebel beginnen.

286 Hesse, Das zweite Jahrzehnt des zahnärztlichen

Tabelle der Arbeiten am Zahnärztlichen Institut bi;

EI bis 15. Ok- an Done l ' i i UTS Era ar zZ mE o H © vn oz 5$ ł z5 Due p E aBd 03. F 5 Te pie i Sore ao F ex ' i Š Winter 94/95 25 0 1529 600. 355 309 MIT 5 2% Sommer 95 3103 1 444 359 179 116° 3 132 Winter 9596 31: 205 ? 4791 310 245 141 4 Y9 Sommer 96 27: ed, 28 178. Yu 2,2l Winter 95,97 35 20 1 652 352 304 1519 1% Sommer 97 56 117 2 539. er 24 N4 3 N3 Winter 97:99 : 45 : 224 1 92 414 383 1934 3 304 Sommer (8 36i 29 6531 257 210. 1379 1 15 Winter 98:99 44, 24 1 805, 316, 294, 1770 1.25 Sommer 99 37 WW T97: 226] 259 147 1 23l Winter 9900 31.229 5 S78 | 324. 361 © 1797 1 348 Sommer 00 990 132 11 687 © 220 266 1316 1. 253 Winter 000l 30 249 688° 2998: %2 J419 2 2% Sommer 0l 33 238 ST 213 259 1 2 24 Winter 0102308300 2j 810. 291 305 108 3 2X5 Sommer 02 , 25 192... 2, Gde e 2932: 216 1249 2 a Winter (9:03 27 INS 1 851 328 327! 1714 3 O NWS Sommer 03 31° 180 | S1: J79- 2987 1438 1: 2% Winter 03:04 1 291 25 21 976; 340; 366% 19100 3 430) Sommer (4 37. 227 4; S2 280: 350- 16560 3M Sa. S97 42 14329 J814 55H45 29797 41 Dam een | 4194, T63L 5342 4104 21545 97 AA

Die statistische Bearbeitung unserer Extraktionen und Füll- ungen habe ich dem ersten Assistenten der operativen Abteilung übergeben und verweise auf dessen Bericht.

Daß ich die allgemeine Narkose für Zahnextraktionen awt die unumgänglich notwendigen Fälle beschränke, hat schon mein erster bericht gezeigt und wird auch durch diesen hier bestätigt. Der Wunsch des Patienten ist nur der eine Faktor für meine Entschließung; erst wenn er zusammenfällt mit unserer ÙÜ ber- zeugung von der Zweckmäbigkeit und Notwendigkeit der Narkose. kommt sie zustande.

Man sieht aus der Arbeitsliste, wieviel sich ohne Anästhe- sierung extrahieren läßt, denn auch die örtliche Anästhesie spielt in derselben keine Rolle da wir erst vor kurzem damit begonnen haben, die Nebennierenpräparate zu versuchen. Wenn reklame- bedürftige „Spezialisten für Extraktionen in Narkose” ihrer ruhu,

Instituts der Universität Leipzig. 287

der © niversität Leipzig vom 16. Oktober 1894 tover» 1904,

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66 -- 298

“sen Tätigkeit das Mäntelchen „Mitgefühl“ umzuhängen suchen, % wird sich in unseren Kreiseu niemand über das eigentliche Mstiv ihres Handelns täuschen lassen.

Uber die Arbeiten der technischen Abteilung verweise ich

af den angeführten Bericht des ersten Assistenten dieser Ab- ‘lang,

Verzeichnis der Anstalts-Assistenten im zweiten Dezennium.

Lihnarzt Berry 1), W. 94/95—S. 04. Dazu 13 Semester im ersten Jahrzehnt (33 Semester);

/abnarzt Schwarze D), W. 9495—85. 04. Dazu 14 Semester im ersten Jahrzehnt (34 Semester);

Cabnarzt Rüssli, W. 93:94—\W. 05,96 (5 Semester).

I. Verbleibt weiter in seiner Stellung an der Anstalt.

288 Berry, Die Arbeiten der technischen Abteilung des

Zahnarzt Dr. phil. Lignitz, S. 95 und W. 95/96 (2 Semester): Zahnarzt Dr. phil. Wild, S. 96—S. 97 (3 Semester);

Zahnarzt Heidicke, S. 96 (1 Semester);

Zahnarzt Herter, W. 96/97—8S. 00 (8 Semester);

Zahnarzt Dr. phil. Hoffmann, W. 97/98—S. 99 (4 Semester‘: Zahnarzt Godelmann, S. 98—S. 00 (5 Semester);

Zahnarzt Dr. phil. Ulrich, W. 99/00—S. 02 (6 Semester); Zahnarzt Weigele, W. 00/01—S. 01 (2 Semester);

Zahnarzt Röger, W. 00/01—S. 01 (2 Semester);

Zahnarzt Gierse, W. 01/02—S. 04 (6 Semester);

Zahnarzt Zimmermann'), W. 01/02—S. 04 (6 Semester); Zahnarzt Laßmann, W. 02/03—W. 03/04 (8 Semester); Zahnarzt Wachsmuth!), S. 04 (1 Semester).

Leipzig im Dezember 1904.

[Nachdruck verboten.)

Die Arbeiten der technischen Abteilung des zahnärztlichen Instituts der Universität Leipzig.

Von Karl Berry,

Assistent am Zahnärztlichen Institut der Universität Leipzig.

Der Lehrplan, den Herr Prof. Hesse in seinem Bericht über die ersten zehn Jahre des zahnärztlichen Instituts für deu technischen Unterricht dargelegt hat, ist auch im zweiten Dezen- nium beibehalten worden. Während der Student im ersten Semester durch die Vorlesung über operative Zahnheilkunde, über die anatomischen Verhältnisse des Gebisses und über Pathologie und Therapie der Zähne unterrichtet wird, bevor er an extra- hierten Zähnen seine ersten Versuche im Exkavieren und Füllen macht, wird ihm in der technischen Abteilung sofort eine prak- tische Übungsarbeit in die Hand gegeben.

An drei Tagen der Woche hält Herr Prof. Hesse seine 2stündige Vorlesung über operative Zahnheilkunde, an den übrigen Tagen arbeiten die ersten Semester von 2—5 Uhr in der tech- nischen Abteilung.

1) Verbleibt weiter in seiner Stellung an der Anstalt.

zahnärztlichen Instituts der Universität Leipzig. 289

Ein wie großes Interesse die Schüler dieser praktischen Arbeit entgegenbringen, geht schon daraus hervor, daß sfe über die vorgeschriebene Zeit hinaus und an den für die Vorlesung bestimmten Tagen vor und nach derselben an ihrem Übungsstücke arbeiten.

Die meisten Gebisse, welche die Studenten in der Haupt- sache selbständig während der folgenden Semester anfertigen, werden in Kautschuk hergestellt, es ist also erwünscht, den An- fänger möglichst bald mit der Behandlung dieses Materials für unsere Zwecke vertraut zu machen.

Die erste Arbeit ist die Anfertigung eines Kautschukgriffes um einen doppelendigen Wachsspatel. Der Griff wird zunächst in Wachs modelliert, dann in einer Küvette in Gips eingebettet usw, Der Praktikant muß also alle diejenigen Arbeiten, wenn auch in groben Zügen, vornehmen, welche er bei dem nächsten | bungsstück, einem ganzen oberen Gebiß mit 14 Zähnen, in exakterer Weise ausführen soll. Die für diese und die folgenden Übungen tötwendigen Modelle stellt er sich selber nach einem Stents- abdruck von einem Gips- oder Zinkmodell, welche wir vorrätig haben, her.

Hierdurch bekommt er einen Begriff vom Abdrucknehmen, lernt den Abdruck ausgießen und die Stentsmiasse behandeln.

Eine wichtige und schwierige Arbeit, welche längere Zeit in Anspruch nimmt und den Abschluß der Übungen in Kautschuk bilder. ist die Aufstellung eines Artikulationsgebisses. Der Student hat zu dieser Zeit in der Vorlesung die Bedeutung der einzelnen Zahnarten, ihr Zusammenwirken als Gebiß beim Kauakt kennen gelernt, und an Schädeln mit intakten Gebissen sich das Bild der Zahnstellung einprägen können. Mit Zuhiltenahme von Gips- modellen und Mustergebissen kann er jetzt an die letzterwähnte Ubungsarbeit herangehen, eine Arbeit, die für den Anfänger um so xcwerer ist, da wir nach der Bonwillschen Methode aufschleifen. ber Student lernt beim Aufstellen eines ganzen Gebisses nach dieser Methode verstehen, daß wir unseren Patienten durch unsere ärteit nicht nur einen Schönheitsfehler korrigieren, sondern ihm tinen zum Kanen geeigneten Apparat herstellen wollen. Jeder einzelne Zahn muß seinem Antagonisten entsprechend zugeschliffen »rden. Die Schneide- (und Eck-) Zähne werden erst hierdurch zu einem Apparat, welcher der Schere ähnlich zerschneiden kann, ue Prämolaren greifen korrekt ineinander, den Mahlzähnen wird darch das Einschleifen von Rinnen eine größere Mahltläche ge- zeben, und bei jeder Bewegung des Kiefers vorwärts und seitlich tissen die Zähne in Kontakt bleiben. Hierdurch wird eine Wirk- “keit beim Kauen erzielt, wie sie ohne Anwendung der Bonwill- Tethude nie zu erreichen wäre.

AMIL 19

390 Berry, Die Arbeiten d. techn. Abteilg. d. zahnärztl. Instituts usw.

Schon zu Anfang des Semesters wird der Schüler unter Assistenz eines gelernten Goldarbeiters in den Anfängen der Metalltechnik, Drahtziehen und Biegen, Herstellung von Lot und Anfertigung kleiner Gegenstände aus Kupfer-Draht und -Blech, unterrichtet. Die hierbei erlangte Fertigkeit läßt sich wiederum bei den letzten Ubungsarbeiten verwerten: einem ganzen Gebit kombiniert aus Metallplatte und in Kautschuk montierten Zähnen und einem partiellen Stück aus Metall und angelöteten Zähnen.

Im zweiten Semester werden dem Praktikanten Arbeiten am Patienten überwiesen, während er fernerhin an einem wöchentlich 2stündigen Metallkursus für Geübtere teilnimmt. In diesem Kursus werden Stiftzähne, Kronen, Regulierapparate und kleinere Brücken- arbeiten hergestellt. Als Grundlage zu allen Arbeiten am Patienten dienen Gipsabdrücke. Daß der Gips allen anderen Abdruck- massen überlegen ist, gestehen selbst seine Gegner zu. Jede plastische Masse verzieht sich bei vorhandenen Unterschnitten, der Gips zerbricht in diesem Falle, die abgebrochenen Stücke können aber wieder in ihre ursprüngliche Lage zurückgebracht und darin befestigt werden. Nur die Schwierigkeit des Abdruck- nehmens, die Unannehmlichkeit für den Patienten und der Zeit- verlust beim Ausschneiden, veranlaßt viele Zahnärzte, ihre Zuflucht zur Stentsmasse zu nehmen. Eine Hauptaufgabe des technischen Unterrichts im zweiten Semester ist deshalb die Herstellung tehlerfreier Gipsabdrücke und Modelle.

Wir vermehren die Gelegenheit zur Übung dieser Aufgabe. indem wir auch im Falle früheren Gelingens, die Abdrücke wieder- holt nehmen lassen.

Hat der Schüler genügende Fertigkeit erlangt, braucht er nicht zu fürchten, seine Patienten durch den Abdruck sehr zu belästigen; die Zeit, welche auf das Ausschneiden des Modelles verwendet werden muß, wird durch Geschicklichkeit und Übung mehr und mehr verkürzt. So hoffen wir zu erreichen, daß unsere Schüler in ihrer späteren Praxis den tadellosen Gipsabdruck allen anderen vorziehen werden.

Obturatoren, Kieferprothesen und Regulierapparate werden möglichst nur den höher en Semestern überwiesen, und unter steter Überwachung und Mitarbeit, von seiten des technischen Assistenten hergestellt.

Metallstücke für den praktischen Gebrauch sind nur in beschränkter Anzahl angefertigt worden. Platten in hochkarätigem Golde, welches allem anderen Material in bezug auf Sauberkeit und dauernd schönem Aussehen überlegen ist, sind meistens für unsere Patienten zu teuer. Silberplatten, welche wir mehrfach benutzt haben, werden bald unansehnlich und haben einen unan- genehmen Metallgeschmack. Wenn daher vom Patienten selbst

lim zazaermann, Statistische Bearbeitung und Untersuchung usw. 291

uhe der Wunsch nach einem Metallstück geäußert wird, oder ein oesonderer Anlaß vorliegt, haben wir uns im allgemeinen dra cm f beschränkt, Metallstücke dann anzufertigen, wenn ein sehr uefa” Big die Kautschukarbeit ausschließt.

ür das Examen wird ein oberes und unteres Gebiß (am selbozz Patienten) verlangt. Der Examinand muß alle Arbeiten selbst-ändig ausführen: Abdruck, Biß, Anprobe und das Einsetzen des fertigen Stückes in Gegenwart des Examinators. Auch für diese Arbeit wird unter allen Umständen, selbst bei sehr un- günstiger Stellung der natürlichen Zähne, ein tadelloser Gips- abdrrack beansprucht; die künstlichen Zähne müssen nach der Bonwillschen Artikulationsmethode zugeschliffen sein.

. Nachdruck verboten.)

Statistische Bearbeitung und Untersuchung

der während 20 Jahren am zahnärztlichen Institut der Uni-

versität Leipzig gemachten Füllungen und Extraktionen. Von

Felix Zimmermann, Assistent am zahnärztlichen Institut der Universität Leipzig.

Anläßlich des 20jährigen Bestehens des zahnärztlichen In- ‘ütttes der Universität Leipzig wurde dem Verfasser dieser leilemn von seinem Chef, dem Direktor dieses Institutes, Herrn Prof. Dr. Hesse, der Auftrag zuteil, die operativen Arbeiten, Welche in diesem Institut während des Zeitraumes zweier Dezen- men ausgeführt wurden, besonders in bezug auf Füllungen und Extraktivnen, einer statistischen Bearbeitung zu unterziehen. Unsere Aufgabe bestand zunächst darin, eine Zusammen- stellung aller Zahnfüllungen und -Extraktionen, die während dieser 20 Jahre zur Ausführung kamen, vorzunehmen. Ermöglicht wurde diese bei einem so großen Material, wie es im hiesigen Institut zur Verfügung steht, nicht ganz einfache Arbeit les Zusammenstellens der Zahnfüllungen und -Extraktionen durch ne exakte Buchführung, wie sie vom Leiter des Institutes angegeben uud vom ersten Tage des Bestehens dieser Anstalt bis jetzt: konse- ient durchgeführt wurde. Sie gestattet mit einem Blick in nem dem Konto eines jeden Patienten vorgedruckten Gebib- shema, in das mit möglichster Genauigkeit sowohl die opera- 14

292 Zimmermann, Statistische Bearbeitung und Untersuchung usw.

tiven wie technischen Arbeiten in einer sehr übersichtlichen Weise eingezeichnet wurden, alle Arbeiten, die an dem betreffenden Patienten ausgeführt wurden, zu übersehen.

Die Zusammenstellung der Zahnfüllungen geschah in der Weise, daß wir die Gebißschemata der Patientenkonten von 1 bis 12250, mit welchem Konto am 20. Juli 1904 abgeschlossen wurde, einer genauen Durchsicht unterzogen. Die hierbei ge- fundenen Füllungen wurden in Tabellen eingetragen, die derartig angelegt waren, daß man die Füllungen auf den einzelnen Zahn- flächen, also den Kauflächen (resp. Schneiden), den mesialen, distalen, palatinalen resp. lingualen, buccalen resp. labialen Flächen der einzelnen Zähne des Ober- und Unterkiefers auf beiden Seiten in getrennten Rubriken genau anmerken konnte; zu gleicher Zeit wurden auch die Wurzelbehandlungen der einzelnen Zähne mit notiert. Auf diese Weise wurde also nicht nur eine Übersicht der Füllungen der einzelnen Zahnsorten, sondern auch vor allem der verschiedenen Flächen der einzelnen Zähne gewonnen.

Nachdem die in diesen Hilfstabellen notierten Füllungen addiert wurden, erhielten wir als Endresultat dieser Arbeit die in der hier weiter unten angeführten Tabelle 1 wiedergegebenen Zahlenwerte, welche die Summe der Füllungen, die auf den ein- zelnen Zahnflächen während des Zeitraumes von 20 Jahren im hiesigen zahnärztlichen Institut gelegt worden sind, repräsentieren. Vorbemerkt sei jedoch noch, daß bei der Tabelle 1 (und auch den folgenden) die Bezeichnung der einzelnen Zähne nach der an unserem Institute üblichen Weise geschieht, indem die Zähne der rechten Kieferseite durch arabische Ziffern (1 bis 8), die der linken Kieferseite durch römische Ziffern (I bis VIII) bezeichnet werden, wobei wir von der Mittellinie beim mittleren Schneide- zahn mit 1 resp. I beginnen und nach rechts bzw. links hinten gehen. Die Zähne des Unterkiefers werden von denen des Ober- kiefers dadurch unterschieden, daß ein Minuszeichen (—) vor die dieselben bezeichnenden Zahlen gesetzt wird, während die die Zähne des Oberkiefers darstellenden Zahlen kein Vorzeichen erhalten. Der besseren Übersichtlichkeit wegen wurden den folgenden Tabellen ein Achsenkreuz zugrunde gelegt, derart, daß die senkrechte Achse die Mittellinie markiert, während die horizontale Achse die Trennungslinie zwischen Ober- und Unter- kiefer darstellen soll (siehe Tab. 1, S. 293).

Die Tabelle 1 enthält also die sämtlichen Füllungen, die bei 12250 Patienten während der vergangenen zwei Dezennien am Leipziger zahnärztlichen Institute gemacht wurden, nach den /ahnflächen geordnet. Alles weitere ergibt sich aus der Be- trachtung dieser Tabelle von selbst; vor allem fällt uns die Symmetrie der rechten und linken Seite in die Augen. Die

298

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Zimmermann, Statistische Bearbeitung und Untersuchung usw.

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294 Zimmermann, Statistische Bearbeitung und Untersuchung usw.

Tab. 2.

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lungen | si basi Y KA | lungen

> DESSEN ee N Larae ES S ares | ae in ee | Sa kes Summe ak zi | ' Summe

der Kronen- 1414 | 1693 | 1375 1496 1271 2863 359 1 208 1398 1515 1322 1630 ; 1382 | 453 |der Kronen- füllungen ai g | | | | | | | | füllungen

Pe p | k | | | En Pe Re zZ Mrraie Ar wer ee ehe 7%

Zahn |8 | BEITIR VII VII) Zahn | | | | | | | | | ||| —-| | t m | .__ L u zn nn l —— == md d L_ - ~ = me Summe | | | | | | ' Summe der Kronen- | 627 | 1895 | 1395 | 732 | 589 | 323 | 226 | 1455147 204 , 301 |572 751 | 1280 | 1849 , 602 || der Kronen- füllungen | | | | | | | füllungen - | A = -i— | —— a m nn . —_[—_— [0 : | e Wurzel- | | | | | | | | Wurzel- behand- 83 | 372 | 496 | 260 |203| 57 128, 9 f 13 | 22 | 58 1189 259 | 436 | 394 | 116 | behand- lungen | | | | lungen I) | | | i |

im „zzermann, Statistische Bearbeitung und Untersuchung usw. 995

kor spondierenden Zahlen differieren meist nur um ein ganz Geri x> ges; ja bei einzelnen Zahnflächen sind sie sogar ganz gleich.

Fassen wir nun die sämtlichen Füllungen, die an den ver- sie Aenen Flächen der einzelnen Zähne gemacht wurden, als ‚kr esnenfüllungen“ dieser Zähne zusammen, und stellen wir disera die Wurzelbehandlungen der betreffenden Zähne gegen- über, so erhalten wir Tabelle 2 (siehe S. 294).

In tolgender Tabelle 3 ist die Summe der Kronenfüllungen, wwie die der Wurzelbehandlungen sämtlicher Zähne auf jeder von beiden Kieferseiten, sowohl oben wie unten, angegeben.

Tab. 3 . “mme der | 3064 3147 Summe der Wurzelbehandlungen Wurzelbehandlungen . Summe der | | Summe der Kronenfüllungen 14190 14194 | Kronenfüllungen

|

. Summe der \ . BEN | Summe der Äronenfüllungen paa 2 ' Kronenfüllungen Numme der | 1508 1487 | Summe der

Wurzelbehandlungen i ı Wurzelbehandlungen

Hierbei sehen wir, daß oben rechts und links die Summe dr Kronenfüllungen sowohl wie die der Wurzelbehandlungen an- hähernd ganz gleich sind, während unten die rechte Seite um ein Weniges bevorzugt erscheint.

© Wie wir bei der Betrachtung der Tabellen 1 und 2 sehen, it im allgemeinen eine auffallende Symmetrie bezüglich der Be- handlung der entsprechenden Zähne beider Seiten zu konstatieren gewesen; wir werden deshalb keinen Fehler begehen. wenn wir zur Feststellung der Behandlungsfrequenz der einzelnen Lahnsorten die betreffenden Summen beider Seiten addieren. Indtın wir dies tun, gibt uns die folgende Tabelle 4 die Summe der in Tabelle 2 festgestellten Kronenfüllungen sowohl als Pulpen- -handlungen der korrespondierenden Zähne beider Seiten an siehe Tab. 4, S. 296).

In Tabelle 5 endlich ist die Gesamtsumme der Füllungen resp. der Wurzelbehandlungen aller Zähne des Oberkietfers der des Unterkiefers gegenübergestellt (siehe Tab. 5, S. 296).

_ Wir haben demnach bei 12250 Patienten im Oberkieter 2384 Füllungen und 6111 Wurzelbehandlungen zu verzeichnen gehatat, während im Unterkiefer insgesamt 11635 Füllungen und

296 Zimmermann, Statistische Bearbeitung und Untersuchung usw.

Tab. 4.

O Worzel- | | | |

a 195 | 926 ı 620 en 984 Ä 1063 | 49 5

EUR

z l füllungen 2697 3323 | 2796 | 933

Kronen- , 7109 | 5756 | 2669 | 3011 |

Zahnsorte | 1 | 2

Zahnsorte —1 SE —) 3 | Ä Kronens 5 u f N f ii E füllungen 22 i 430 | 624 1161 1483 al: 2675 es 3744 12 29 i | ; DER Fe a ee a zen ap = Wurzel- | ea | SE 7

2995 Pulpenbehandlungen gemacht wurden. Es stellt sich sonach das Verhältnis der Füllungen im Oberkiefer zu denen im Unterkiefer wie 2,4:1, während das Verhältnis der Wurzel- behandlungen im Oberkiefer zu denen im Unterkiefer sich rund auf 2:1 beläuft.

Tab. 5 Summe der Wurselbehandiungen oben . ou E Summe der Kronenfüllungen unten. . . . 11 63S Summe der Wurzelbehandlmgen unten . \ 1 2905 0

Das Verhältnis der Wurzelbehandlungen zu den Füll- ungen ergibt sich im Oberkiefer wie 1:4,6, im Unterkiefer wie 1:3,9.

Addieren wir nun noch die Füllungen und ebenso die Wurzel- behandlungen des Oberkiefers zu denen des Unterkiefers hinzu, so finden wir, daß im ganzen bei unseren 12250 Patienten 40022 Füllungen und 9106 Wurzelbehandlungen gemacht wurden, in summa also 49128 Behandlungen konservierender Art.

Es kommen sonach auf einen Patienten durchschnittlich 3.3 Kronenfüllungen und 0,7 Wurzelbehandlungen;, im ganzen

lin znermann, Statistische Bearbeitung und Untersuchung usw. 297

aw haben wir im Mittel auf einen Patienten 4 Behandlungen kon 3 eTVierfender Art zu verzeichnen.

Ausdrücklich soll noch bemerkt werden, daß bei den in dieser arbeit erfolgten Zusammenstellungen eine jede Füllung nur ein- nal ezählt wurde. Machte es sich etwa nötig, daß eine bereits an aa serem Institut schon einmal an einer bestimmten Zahnfläche geleg te Füllung durch eine neue ersetzt werden mußte, was während des W’erlaufes von 20 Jahren naturgemäß nicht selten vorkam, wi es, daß die alte Füllung durch Abnutzung oder durch an ihrer Peripherie erneut aufgetretene Karies schadhaft geworden war, © wurde die Wiederholung der Füllung unberücksichtigt

gelassen, und die Füllung nur einmal in unseren Tabellen an- geführt. |

Wäre dies Verfahren nicht eingeschlagen worden, sondern wären die wiederholt an derselben Stelle gelegten Füllungen auch wiederholt mitgezählt worden, so wäre zwar das Gesamtresultat Insofern günstiger geworden, als noch eine ganz beträchtliche Anzahl Füllungen auf diese Weise mehr gemacht wurden, als ir in unserer Zusammenstellung angeführt haben; es würde aber andererseits dadurch eine wesentliche Fehlerquelle geschaffen worden sein für die auf Grund dieser Zusammenstellung zu unter- ıehmende Beurteilung der Frequenz der Karies an den ein- zinen Zähnen resp. Zahnflächen.

Von den Extraktionen bleibender Zähne, die während des 2Ojährigen Bestehens des zahnärztlichen Institutes der Uni- versitäät Leipzig an demselben gemacht wurden, hat Prof. Hesse bereits gelegentlich eines Vortrages im „Central-Verein deutscher Zahnärzte‘, den er am 1. April 1891 in Breslau gehalten hat, de ersten 10000 einer tabellarischen Übersicht unterzogen. Dieser Vortrag ist im Augustheft des IX. Jahrganges der -Deutschen Monatsschrift für Zahnheilkunde“ (1891) veröffentlicht worden, woraus wir für folgende Tabelle 6 die unter Rubrik a stehenden Zahlenwerte entnehmen. Es zeigen uns also die unter Rubrik a der Tabelle 6 stehenden Zahlen an, mit wie hohen Ziffern die einzelnen Zähne bei den ersten 10000 Extraktionen bleibender Zähne am hiesigen Institut beteiligt sind (siehe Tab. 6 S. 298).

Im Anschluß hieran haben wir nun den Rest der Extrak- tionen bleibender Zähne in gleicher Weise nach den Zähnen ge- ordnet; und zwar blieben uns noch vom 31. Januar 1891, mit welchen Tage Herr Prof. Hesse seine Zusammenstellung ab- geschlossen hatte, bis zum Schlusse des vergangenen Sommer- semesters 24250 Extraktionen übrig. Wieviel Extraktionen nun Ton den 24250 Extraktionen bleibender Zähne auf die einzelnen

Zimmermann, Statistische Bearbeitung und Untersuchung usw.

298

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Zimmermann, Statistische Bearbeitung und Untersuchung usw. 299

Zähne kommen, haben wir in der Rubrik b derselben Tabelle 6 verzeichnet.

In tolgender Tabelle 7 sind die in Tabelle 6 in zwei Etappen aund b) verzeichneten Extraktionsziffern zusammengetaßt worden, so da8 wir nunmehr in derselben die gesamten 34250 Extrak- tionen bleibender Zähne den einzelnen Zähnen nach geordnet haben (siehe Tab. 7 S. 298).

Die Tabelle 8 gibt uns die in Tabelle 7 angeführten Ex- traktionen der korrespondierenden Zähne von rechts und links addiert wieder, wobei die römischen Ziffern nicht eine bestimmte hieferseite, sondern im allgemeinen die betreffende Zahnsorte darstellen soll,

Summe von ae rechts u. In 1515 | 1956 : 1495 |

Zahnsorte | I u II o HI | IV Y v l vn EM | | ! i i E SEE ER RE ARTE Zahnsorte | 7 = = | | zn | = ee |y e a

Summe von BE ar | |

| f Auf Grund der Tabelle 7 gibt die folgende Tabelle 9 die

Suume der Extraktionen aller Zähne einer jeden beider Kiefer- seiten, sowohl oben wie unten, wieder.

Tab. 9. Summe der Extrak- 9965 10178 i Summe der Extrak-

tionen rechts oben | tionen links oben

i Summe der Extrak- ' tionen links unten

“ımme der Extrak- | "nen rechts unten :

Die Summe endlich der Extraktionen sämtlicher Zähne im Oberkieter beläuft sich auf 20143, im Unterkiefer aut 11107. Das Verhältnis der Extraktionen im Oberkieter zu denen im Unterkiefer ist demnach gleich 1,4:1. Im ganzen haben wir. wie schon gesagt, 34250 Extraktionen bleibender Zähne zu ver- zeichnen gehabt. ‚Schluß folgt.

300 Kunert, Ein Fall von offenem Biß bei einem ?7jährigen

[Nachdruck verboten. Ein Fall von offenem Biß bei einem 27jährigen Patienten auf chirurgischem Wege beseitigt.

Von Dr. Kunert in Breslau. (Mit 1 Tafel.)

Am 30. März 1900 suchte mich der 27 Jahre alte Schuhmacher Richard W. auf, um sich einige periodontitische Wurzeln extrahieren zu lassen. Dabei fiel zunächst auf, daß W. die Lippen nicht zu

schließen vermochte und die Vorderzähne ziemlich erheblich ausein- ander standen.

Die nähere Untersuchung des Gebisses und der Artikulation er- gab folgenden Befund: Im Oberkiefer waren an Zähnen vorhanden 321 123 gesund, 54| stark kariös (und zwar in toto von der Kau- fläche aus), aber durch Kronen noch erhaltungsfähig, 87 78 als Wurzelreste; 6.6 fehlten. Im Unterkiefer waren gesund 43231 '12345 65) fehlten, 776 sind Wurzelreste, ‘a7 8 sind kronenlose Reste, aber da die Wurzeln noch nicht separiert sind, noch erhaltungsfähig.

Der Oberkiefer zeigte ein sehr hohes Gaumendach und eine auf- fallende Verdickung und Verbreiterung des Alveolarfortsatzes in der Gegend der Wurzelreste von 87:78 (vgl. die Tafel, Fig. 1); letzteres gilt auch vom Unterkiefer in seiner hinteren Partie. Es artikulierten nur die Wurzelreste von 8 ?!78 mitdenkronenlosen 3 “%*. alle übrigen Zähne berührten sich nicht (vgl. Fig. 2). Aus der stärkeren Belastung und größeren Arbeitsleistung der Kiefer in der Gegend der zweiten und dritten Molaren erklärt sich wohl auch die starke Ent- wicklung der entsprechenden Partie des Alveolarfortsatzes in der Breite. sowie die starke Wulstung des Zahnfleisches, das nach dem Verlust der Zahnkronen im Verein mit den Wurzeln deren Aufgabe zu über-

nehmen gezwungen ist. Die Mittellinie fiel nicht zwischen 111, sondern über die Distalkante von fī.

Anamnestisch ergab sich, daß Patient bis zum 12. Jahr fast aus- schließlich durch den Mund geatmet hat, da er starke Mandeln und eine Geschwulst (offenbar adenoide Wucherungen!) im Nasenrachen- raum hatte. Im Alter vou 12 Jahren wurden die Mandeln entfernt, und von da ab will Patient etwas leichter auch durch die Nase Luft bekommen haben. Erst vor 3 Jahren indes, im Alter von 24 Jahren, wurde die Geschwulst im Nasenrachenraum entfernt, und erst von jetzt

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| | | Deutsche Monatsschrift für Zahnheilkunde. XXII, Jahrgang. | l

Fig. 2.

Verlag von Arthur Felix in Leipzig.

Fig. 5.

Fig. 6.

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Druck von August Pries in Leipzig. »

Patienten auf chirurgischem Wege beseitigt. 301

ab atmete Patient gewöhnlich durch die Nase und nur bei schnellerem Gehen usw. noch durch den Mund.

Ich überzeugte nun den Patienten von der Notwendigkeit, sich die Anomalie des Bisses behandeln zu lassen und machte mir, da orthopädisch bei dem Alter von 27 Jahren kaum etwas erreichbar

schien, folgenden Behandlungsplan: Extraktion der Wurzelreste von 8778

916 Herbeiführung des Aufbisses der Vorderzähne erwarten zu können glaubte, ferner Extraktion der stark kariösen 5 4| (diese hätte ich übrigens, wie wir sehen werden, besser belassen sollen), Erhaltung der 8178 durch Amalgamkronen, obere Prothese, um sämtliche Zähne des Unter-

kiefers zum Aufbiß zu bringen.

, wodurch ich eine Senkung des Bisses und möglicherweise

Zunächst extrahierte ich die Wurzelreste von z LIE und erreichte dadurch sofort ein Zusammenfallen der Kiefer, aber nicht, wie ich erhofft, soweit, daß alle Vorderzähne annähernd zum Aufbiß gebracht wurden, sondern nur soweit, daß 3!3 mit ihren Spitzen die von 3/7 und |2 mit seiner Schneide annähernd die Spitze von |3 berührten. Dagegen bissen nun auch die ` g 78 direkt in die oberen Extraktionswunden hinein, so daß die stark gewulsteten Zahnfleisch- lappen auseinander gepreßt wurden. Da keine Aussicht bestand, daß ich allein durch die im Anschluß an die Extraktion zu erwartende Schrumpfung des oberen Alveolarfortsatzes genügend Raum gewinnen würde, um einerseits auf die Reste von $ 78 wenigstens einiger- maßen Kronen modellieren zu können, andererseits diese dann doch auch mit Hilfe der Platte zum Aufbiß zu bringen, so trug ich die stark verdickten, gewulsteten Zahnfleischpartien, sowie den Alveolarfortsatz in der Gegend der extrahierten Wurzelreste 87°78 ab. Die noch fehlende Artikulation der 21:1 beabsichtigte ich dadurch herzustellen, daß ich 3.23 etwas labialwärts redressierte; jedoch konnte sich Patient nicht dazu ent- schließen. Durch die Abtragung der hinteren oberen Alveolarpartien hatte ich erreicht, daß ich bereits nach der in knapp 3 Wochen einge- tretenen Verheilung am 19. April soviel Raum hatte, um eine obere Prothese mit je drei Molaren anzufertigen und dadurch die x 7x zur Artikulation zu bringen (vgl. Fig. 3 und 4).

Patient konnte sich indes durchaus an die Platte nicht gewöhnen: er behuuptete, schon bei dem Gedanken an die Prothese Brechreiz zu bekommen. Verkleinerung der Platte brachte auch keine Abhilfe und trotz allen Zuredens ließ er sie fort.

Am 3. Januar 1001 sah ich den Patienten wieder, aber ohne Prothese; er begnügte sich mit den drei artikulierenden Vorderzähnen (vgl. Fig. 5". Zu dem vorgeschlagenen Redressement, das ihm wenigstens den Aufbiß aller Vorderzähne verschaffen sollte, konnte er sich auch jetzt noch

302 Kunert, Ein Fall von offenem Biß usw.

nicht entschließen. Unter diesen Umständen, die allerdings nicht vorher zu sehen waren, erwies sich die Extraktion der 54| oder wenigstens des 4| (da 5| ja sowieso keinen Antagonisten mehr hatte) als ein Fehler. lch hatte gefürchtet, auch trotz seiner teilweisen Zer- störung würde 4j doch noch der angestrebten Artikulation der Vorder- zähne hindernd im Wege stehen; das wäre wohl auch der Fall ge- wesen, hätte sich aber durch entsprechendes Abschleifen des Höckers von 4| und weiteres Kürzen des 4| selbst doch wohl ausgleichen lassen. Mit einer Goldkappe versehen, oder auch nur als mit Amalgam gefüllte Wurzel behandelt, wäre Patient in der Besorgung des Kau- geschäftes doch wenigstens etwas besser gestellt gewesen.

Nachdem ich den Patienten in der Zwischenzeit nicht gesehen, stellte er sich jetzt nach 33, Jahren, am 10. November 1904, zwecks Füllung der kariös gewordenen [4 5: wieder vor. Die Prothese hat er während der ganzen Zeit nicht getragen. Nun entschloß er sich, das Redressement ausführen zu lassen. In der in der Deutschen Monats- schrift für Zahnheilkunde (XXII. Jahrg., 9. Heft) schon beschriebenen Weise wurden die 3'23 soweit labialwärts gedrängt,!) daß sämtliche Vorderzähne zum Aufbiß kamen (vgl. Fig. 6), wobei der Biß natür- lich gleichzeitig entsprechend gesenkt wurde.

Die Prothese wurde umgearbeitet und Patient dringend ermahnt, sie zu tragen, doch abermals mit negativem Erfolge; er behauptet, ohne Platte sehr gut kauen zu können; nun, wenigstens artikulieren jetzt sämtliche sechs Vorderzähne.

(Nach meinen jetzigen Erfahrungen über Regulierungen bei Er- wachsenen würde ich übrigens diesen Fall etwas anders behandelı. Ich würde vor Ausführung der Extraktionen zuerst durch eine Kiun- kappe den Unterkiefer bis zum Auftreflen der Eckzahnspitzen herauf- ziehen, was sicherlich zu erreichen ist; dann erst würde ich extrahieren [und zwar unter Belassung und nur Kürzung der 54; bzw. ihres Anta- vonisten]| und die stark entwickelte hintere Alveolarpartie des Ober- kiefers abtragen und schließlich 3:23 redressieren. Auf diese Weise würde ich den Biß nicht so tief senken, wodurch natürlich der in der Gegend der zweiten und dritten Molaren für die Prothese gewonnene Raum zum Teil wieder verloren gegangen ist.)

1) Auf ein 11 Tage nach Ausführung des Redressements an die Zähne gehaltenes heißes Instrument reagieren 3:3 ebenso lebhaft. !>_ etwas weniger lebhaft als ı_1, ein Beweis, daß die Pulpen, wie ich nach den früheren Beobachtungen auch nicht anders erwartete, das hedressement ohne Schaden überstanden haben.

Auszüge. | 303

Auszüge,

Dr. Jessen und Dominicus (Straßburg i. E.): Die Errichtung städtischer Schulzahnkliniken, eine internationale volks- hygienische Forderung unserer Zeit. (Offizielles Referat beim I. Intern. Kongreß f. Schulbygiene, in Nürnberg 4.—9. April 1914.) Die unermüdlichen Kämpfer für Errichtung von Schulzahnkliniken

haben folgende Leitsätze näher begründet:

1. Die Karies der Zähne hat unter allen Volkskrankheiten die rößte Verbreitung, wie die statistischen Untersuchungen von Schul-

Kindern und Soldaten beweisen.

2. Die körperliche und geistige Entwicklung der Kinder wird durch sie geschädigt, die allgemeine Volksgesundheit herabgesetzt. 3. Die Bekämpfung dieser Mißstände ist nur möglich durch die

Einführung von Zahnärzten in Schule und Heer.

4. Deshalb müssen in allen Ländern von den Stadtverwaltungen städtische Schulzahnkliniken errichtet werden.

5. Die Kosten sind ım Verhältnis zu dem damit gestifteten Nutzen nur gering.

Die Aufstellung und Begründung dieser Leitsätze verdient all- seitige Anerkennung von seiten der Zahnärzte. Jul. Parreidt.

Dr. P. Adloff (Zahnarzt in Königsberg i. Pr.): Zur Kenntnis des Zahnsystems von Hyrax. (Separatabdruck aus der Zeitschrift für Morphologie und Anthropologie. Bd. 5, Heft 1.)

Verfasser berichtet über die Ergebnisse seiner Untersuchungen des fertigen Gebisses und der Entwicklungsgeschichte des Zahnsystems der Klippschiefer. (Es sind dies murmeltierähnliche, felsenbewohnende Säugetiere, deren systematische Stellung noch zweifelhaft ist.) Adloff zieht aus seinen Resultaten Schlüsse auf die Verwandtschaft und die Zähne der Vorfahren dieser Tiere, die jedoch vorwiegend nur zoolo- gisches Interesse haben. Dr. R. Parreidt (Leipzig).

W. Worm (Zahnarzt in Gleiwitz): Ein Fall von Zahnverschmelzung. (Wiener zahnärztliche Monatsschrift. Jahrg. 4, Nr. 9.)

Gelegentlich der Untersuchung der Zähne von über 3000 Kindern der Gleiwitzer Volksschule fand Worm bei einem 13jährigen Knaben eine Zahnverschmelzung. |! war von außerordentlicher Breite (11 mm) und setzte sich, wie auf der labialen Seite an einer Längsleiste zu ersehen war, aus zwei Zühnen zusammen. Die Leiste erhob sich lingual ungefähr 2 mm über die Fläche und endete am (saumen mit einem Höcker. Der mesiale Teil des Zahnes glich einem großen Schneidezuhne, der distale einem kleinen. Hieraus schließt Verfasser, daß der Zahn durch Verwachsung des großen Schneidezahnes mit einem überzähligen kleinen entstanden sei, obgleich der Kekzahı fehlte und eine Extraktion nicht nachgewiesen werden konnte.

Dr. BR. Parrcidt (Leipzig).

6. Port: Die Herstellung dauerhafter und bemalbarer Modelle. (Osterr.-ungar. Vierteljahrsschritt tür Zahnheilkunde. 17. Jahrg. IV.) Port emptiehlt zu obigem Zwecke ein Gemisch von Kreide und

Gips, welches mit einer Leimlösung ansemacht und dann in die be-

304 Auszüge.

treffenden Formen gegossen wird. Als Leim ist französischer Hasen- oder Kaninchenleim in 3—öproz. Lösung zu benutzen. Zur Bestimmung des Prozentgehaltes dient ein Leimmesser, ein nach Art der Aärometer efertigtes und für Lösungen von 14° R ausprobiertes Instrument. Die Mischung von Gips und Kreide hat im Verhältnis 3:1 zu erfolgen und ist sehr exakt auszuführen. „Das Gips-Kreidegemenge wird nun mit der Leimlösung zu einem steifen Brei angemacht. Es muß soviel Pulver zugegeben werden, daß die Masse ganz dick und fadenziehend wird.“ Dieselbe wird dann mit einem feinen Haarpinsel auf die ganze Oberfläche des Negativs in zuerst ganz dünner Schicht aufgetragen und nach und nach durch Zusetzen neuer Mengen mittels des Pinsels das Modell fertiggestellt. Nach kürzestens 12 Stunden ist die Masse erhärtet, und man kann die Form entfernen. „Als Gußform kann man alle in der zahnärztlichen Technik gebräuchlichen Materialien verwenden. Nimmt man Abdruckmasse, so muß man darauf sehen, daß kein Wasser in der Form steht.“ Dieses ist vielmehr mittels Watte und Fließpapier vollständig zu entfernen. Die so erhaltenen Modelle, zunächst von der Härte eines gewöhnlichen Gipsmodelles, werden täg- lich härter und sind nach 5 Tagen so weit, daß mit dem Bemalen begonnen werden kann, dem jedoch eine einmalige Bepinselung mit Leinölfirnis voranzugehen hat. Als Farben sind die überall erhält- lichen Tubenölfarben zu verwenden, welche stark mit Terpentin zu verdünnen und lieber 2—3 mal aufzutragen sind, als durch den Ge- brauch zu dicker Farben die Konturen des Modells zu verwischen. Verfasser hat zwölf verschiedene Farben im Gebrauch, worüber die Interessenten im Original Eingehenderes nachlesen können. Für solche, die sich noch nicht mit Malerei abgegeben haben, bedarf es immerhin einer gewissen Übung, bis sie die richtigen Farbentönungen heraus- bekommen. Dr. Hoffmann.

Zahnarzt Schulz (Freienwalde a. O.): Kalium ehloricum. (Vortrag. gehalten ım Provinzial-Verein der Brandenburger Zahnärzte. Deutsche zahnärztliche Wochenschrift. Jahrg. 5, Nr. 26.)

An der Hand der Literatur bespricht Verfasser die toxische und therapeutische Wirkung des Kalium chloricum, das 1786 von Ber- thollet entdeckt und 10 Jahre später durch Fourcroy in die Medizin eingeführt wurde. Nach den neuesten Untersuchungen steht es fest, daß Kalium chloricum in hohen Dosen oder bei Kohlensäureanhäufung und Verminderung der Alkaleszenz des Blutes ein tödliches Gift ist. das durch Methämoglobinbildung den Tod herbeiführt. Isambert hält es bei Erkrankungen der Mundhöhle für das beste und wirksamste Mittel. Niemeyer bezeichnet es als spezifisches Mittel gegen Aphthen und Unna als Prah akum gegen Karies und Mandelattektionen: auch ist es nach dessen Ansicht zu Unrecht in den Ruf der Giftigkeit gekommen. Dem widersprechen Mikulicz und Kümmel, sowie Schulz, der folgenden Fall als Beweis dafür anführt: In einem Pensionat wurde die Unnasche Kal. chlor.-Paste zum Zühneputzen verwendet. Nach einigen Wochen fand man bei zwei Sekundanern \Methämoglubinurie, für die sich sonst kein Grund finden ließ. Ver- fasser will daher das Mittel nur mit der größten Vorsicht und unter Aufsicht des Arztes verwendet wissen. Dann sei es aber ein vortrett: liches Mittel gegen chronisch rezidivierende Aphthen; so wurden z. P. > Fälle geheilt, die über ein Jahr allen Behandlungen getrotzt hatten. Es wurde 8 Tage vor Ausbruch der Krankheit, als nur das subjektive

Auszüge. 308

Emphnden vorhanden war, täglich 1—S EBßlöffel von folgender Lösung innerlich verabreicht:

Kal. chlor. . . 2 2 22.2..3150

Ag: deste u u. u. Re

Aq. amygd. amar. . 2.2... 10.

Schulz zieht den Schluß, daß man Kal. chlor. intern bei Stoma- tiiden und chronisch rezidivierenden Aphthen bei gesunden Erwachsenen geben soll, die nicht an Herabsetzung der Alkaleszenz des Blutes, wie bei Fieber, noch an Kohlensäureanhäufung wie bei Pneumonie, leiden. Al Zahnputzmittel sollte es jedoch nicht gegeben werden, da hierbei te Menge des Verbrauches nicht kontrolliert werden kann.

Dr. R. Parreidt (Leipzig).

Dr. Léon Frey (Professeur à l'Ecole dentaire de Paris) et Georges Lemerle (Préparateur à l’Ecole dentaire de Paris): Les Lepto- thrix de la Bouche. Aperçu mikrobiologique. Leur rôle dans l'étiologie de la caire dentaire. Leptothrix racemosa. (L’Odon- tologie. Vol. 28, Nr. 17.)

Von vielen Autoren ist den Leptotricheen die Fähigkeit zuge- ‚pichen worden, den Zahnschmelz angreifen zu können und so der nines eine Eingangspforte zu schaften. Leuwenhoeck fand im “richel fadenähnliche Gebilde, die er „bâtonnets segmentes“ nannte bs 1847 bezeichnete Ch. Robin diese auch als „leptothrix buccalis“,

. Leptothrix hat die Gestalt eines Fadens von 1 « Breite und =! u Länge. Ein Faden ist in der Hauptsache gebildet aus einer zarten, gelatinösen Scheide, die mit hyalinem Protoplasma ohne Kör- zerg erfüllt ist. Im feuchten Zimmer kann man schwache Bewegungen wabrnehmen. Nach einiger Zeit teilt sich der Faden in mehrere Teile, ùe dann getrennt voneinander leben. Verfasser geben einen Überblick über die bisherigen Forschungen, die über die Leptothricheen und ihre Mitwirkung bei der Zahnkaries gemacht wurden. Am Schluß gehen tey und Lemerle näher auf den von Filandro Vicentini (Neapel' NT beschriebenen Leptothrix racemosa ein, wobei sie zu folgenden ‘thlissen kommen: Nach Fortpflanzung und Morphologie scheint er “ch den Mucorineen zu nähern. L. racemosa ist nicht, wie Vicen- tni annimmt, ein höherer Organismus, sondern steht auf gleicher Stafe, wie die im Munde vorkommenden Kokken, Ketten, Stäbchen usw. | Unter den entkalkenden Agentien scheint L. racemosa die erste Stelle einzunehmen. Sie dürfte sogar das spezifische Agens des ersten “tdiunıs der Karies sein, des Stadiums der Zerstörung des Schmelzes. Nachher scheint sie jedoch nur eine untergeordnete Rolle zu spielen ur den verschiedensten Mikroorganismen die Möglichkeit zur Zer- “rung des Zahnbeins zu geben. Dr. R. Parreidt Leipzig).

br. Jos. Szabó: Die Einwirkung des Argentum nitricum auf das Dentin. (Vortrag vor der Stomatologischen Sektion des Budapester königl. Arztevereins; Wiener zahnärztliche Monats- schritt. 4. Jahrg., Nr. 6.) . Nach Harlan soll das Argentum nitricum nicht imstande sein. m die Dentintubuli einzudringen, während es nach Truman sehr inel] und tief eindringt. Einer Nachprüfung halber untersuchte “abó das Verhalten an Molaren und zwar im Munde. Er brachte in +) XXIII. =

306 Auszüge.

eine eenige zentrale Höhle Argentum nitricum als Pulver und als 10—50proz. Lösung. Die so behandelten Zähne kamen nach der Ex- traktion zur Untersuchung. Die kariösen Dentinröhrchen waren mit einem „großklumpigen, mit Silbernitrat imbibierten Inhalt erfüllt“, ungefähr !/; mm tief, ohne Rücksicht auf die Konzentration der Lösung. Hieraus ergab sich, daß Argentum zweckmäßig bei Caries profunda und kariösen Milchzähnen verwendet wird, solange die Pulpa noch intakt ist. Bei gesundem Dentin dringt das Silber auch bis zu einer gewissen Tiefe ein und koaguliert den Inhalt der Dentinröhrchen. Tiefer bleiben die Fibrillen unberührt. Es empfiehlt sich also das Argentum zur Behandlung bei Dentinhyperästhesie, keilförmigen Defekten und denudierten Zahnhälsen.

[In der Diskussion wies Bilasko auf die Unzuverlässigkeit des Mittels bei Hyperästhesie hin.) Dr. R. Parreidt (Leipzig).

Trauner: Wurzelfüllung von Zähnen, deren Wurzelwachstum

nicht abgeschlossen ist. (Österr.-ungar. Vierteljahrsschrift für Zahnheilkunde 1902. Heft 2.)

Vor allem ist das Austreten des gewählten Materials durch das Foramen apicale hindurch zu vermeiden. Dies ist besonders bei Ge- brauch der Guttapercha zu beachten, da diese geeignet ist, „eminente Fremdkörperreaktion, sei es nun akut oder chronisch, hervorzurufen“, wie dies u. a. die Entstehung einer Zahncyste über 3| beweist, deren Operation Verfasser auf Partschs Klinik beobachten konnte. Ein Material, welches, wie auch die Chirurgie in neuester Zeit gezeigt hat ‚jahrelang reaktionslos frei im Körper liegen bleiben kann, ohne resor- biert zu werden“, ist das zu dem hier in Rede stehenden Zwecke bereit im Jahre 1883 von Chas. S. Tomes in Verbindung mit etwas kon- zentrierter Karbolsäure empfohlene Paraffin. Verfasser benutzt das starre Paraffin von 45—500 Schmelzpunkt (vor kurzem zur Em- führung von Chinosolbougies bei der Behandlung blinder Abszesse und Fisteln empfohlen. Der Ref.). Bei Behandlung oberer Zähne werden \—2 Tropfen mäßig erwärmten Paraffins mittels der Böhmschen Spritze in die Pulpahöhle eingeführt und durch eine glühende Platin- nadel in die Wurzelkanäle hineingepumpt, während beı unteren Zähnen die Einführung mittels eines Hohlspatels geschieht; das weitere Ver- fahren ist das gleiche. Die ganze Manipulation ist, da es sich ja fast stets um kindliche Zähne handelt, wegen der Weite der Kanäle relativ einfach. Die eventuell mit Paraffin überzogenen Kavitätenwände reinigt man nach mechanischer Entfernung am besten mit Chloroform, bringt über die Wurzelfüllung eine Schicht Zement und darauf die Kronenfüllung. Um „Klarheit über die Reizlosigkeit des Paraffins als solches in der Zahnheilkunde“ zu erhalten, empfiehlt Verfasser, von dem Zusatz von Antisepticis abzusehen, wenigstens „bei der Füllung von Zähnen mit nicht abgeschlossenem Wurzelwachstum“. Da auch von anderer Seite über gute Erfolge mit Paraffin berichtet wird, so dürfte es sich wohl empfehlen, in dieser Richtung weitere Versuche anzustellen; auch dürfte

es als Isolierschicht bei Caries profunda geeignet erscheinen.

Dr. Hoffmann (Leipzig).

Zahnarzt Bab (Berlin): Zum Kapitel der doublierten Füllungen. (Wiener zahnärztliche Monatsschrift. Jahrg. 4. Nr. 8.)

Bab unterzieht die Methoden von Robicseck, Tileston, Mehl, \Vitthaus und Bardach einer eingehenden Besprechung und beschreibt

Auszüge. 307

namentlich für Höhlungen an Vorderzähnen, die sich von der Zungen- seite nach der Lippenseite erstrecken, also teilweise sichtbar sind, folgende Methode: Man füllt den sichtbaren Teil der Kavität mit Zement, hierauf legt man eine Zwischenschicht aus Zementamalgam und beendet die Gaumenfläche mit reinem Amalgam. Hierbei ist darauf zu achten, daß keine Masse zu hart geworden sein darf, ehe sie selbst oder die folgende eingeführt wird. In der Praxis Babs haben sich diese Füllungen gut bewährt, er schätzt die Länge der Haltbarkeit auf die doppelte einer Zementfüllung.

Dr. R. barre (Leipzig).

Privatdozent Dr. Römer (Straßburg): Über Pnlpapolypen der Zähne. (Correspondenzblatt für Zahnärzte. Band 31, Heft 1.)

Dr. J. Madzsar: Über Pulpitis chronica plastica. (Deutsche zahn- ärztliche Zeitung 1902. Nr. 23.)

Der Pulpapolyp ist eine Gewebsneubildung, verursacht durch Pulpitis chronica nach Zerstörung des Deckels der Pulpenkammer. Er stellt sich als ein derbes dreischichtiges Granulationsgewebe dar. Außen findet sich eine dicke Lage von weißen Blut- und Eiterkörperchen, teilweise in Zerfall begriffen, dann eine breitere Lage mit Endothel- granulomen oder Blutgefüßkapillaren. Die dritte Schicht zeigt derbes Bindegewebe mit stark erweiterten Blutgefüßen und sehr vielen Rundzellen.

Römer untersuchte 30 Fälle, er fixierte in 10proz. Formalin, entkalkte dann durch 33!/;proz. Ameisensäure. Hierauf wurde das Objekt halbiert, die eine Hälfte in Celloidin gebettet und geschnitten. Gefärbt wurde mit Alaunhämatoxilin und Pikrofuchsin, teils nach der Weigertschen Markscheidenfärbung. Nerven fanden sich im soge- nannten 0 Bapoly penkopt nicht, dagegen in der Pulpa und in den Wurzelkanälen. Tritt Umwandlung im Granulationsgewebe ein, so schwinden die Nerven.

Verfasser kommt zu der Ansicht, daß der Unterschied zwischen Pulpapolyp und Pulpitis chronica hypertrophica grauulomatosa besser wegfallen möge, da er keinen Unterschied feststellen konnte, und beide sich nur durch ihre Grüße unterschieden. Histologisch gleichen sich beide völlig.

Auffallend war der große Gefüßreichtum. Fast bei allen fanden sich frei oder wandständig Dentikel und Kalkablagerungen. Wichtig war vor allem, daß die Ablagerungen auch oberhalb der durchbrochenen Pulpenkammer vorkamen. Es fanden sich runde und ovale, mit deut- licher Schichtung, unregelmäßig gezackte mit Einschlüssen von Zellen, wie bei der Bildung von sekundürem Dentin.

Römer glaubt, daß Pulpapolypen nur in solchen Zähnen ent- steben, wo die Pulpa eine große vitale Energie hat. Wird die Pulpen- kammer geötinet, so wird noch ein Schutz durch das (ranulations- gewebe geschatten. Sekundäres Dentin, frei und wandständie, wird sicher als Schutz’ gegen äußere Insulte gebildet. Je schneller die Schutzbildung vor sich gehen muß, um so unrerelmäßiger geschieht die Dentikelbildung. Die einreschlossenen Zellen sind, Kömers Ansicht nach. dadurch entstanden, daß solche zur Dentikelbildung neigende Pulpenzellen mit dem Granulationsgewebe fortgerissen selen und dort ihre Tätigkeit entfaltet hätten.

Römer bildet auch Pulpapolypen mit Epithel ab, was gewöhn- lich nicht vorkommen soll. Nach einem ihm während der Entstehung

20%

308 Auszüge,

zur Untersuchung gekommenen Falle weint Verfasser, daß hier eın Pulpa- und Zahnfleischpolyp zusammen verwachsen sei.

Therapeutisch schlägt Verfasser vor, den Polypen zu amputieren und dann den Nerv zu ätzen, oder direkt auf den Polypenkopf Arsen zu bringen. Schließlich könne man auch den Polypen ohne jede Gefahr der Zersetzung einfach überkappen.

Die Darstellung wird durch 22 mikroskopische Bilder wesentlich unterstützt.

Madzsar behandelt das gleiche Thema wie Römer, er glaubt, daß dieser sich irre, wenn er den Namen „Pulpapolyp‘“ gebrauche. Ein Polyp sei ein an der Oberfläche der Organe sitzendes gestieltes Neoplasına, während die schwammartig auf breitem Grunde sitzenden Gebilde eher Fungus genannt werden könnten.

Histologzisch bestehen die Gebilde aus Granulationsgewebe; in einem weichen Stroma liegen Rundzellen eingebettet, zwischen denen sich zahlreiche Kapillaren verzweigen. Die Zellen nehmen später eine länrliche Form an, während die Zwischensubstanz kompakter wird, so daß sich das Gewebe dem des faserigen Binderewebes nähert und blutärmer wird. Der ganze Vorgang ist ähnlich dem der Wundheilung ‚er secundam, nur kann keine Narbenbildung stattfinden, da keine Eithlschiekt vorhanden ist und immer mechanische oder chemische Reize vorhanden sind. Eine zweite Form ist die von Arkövy „Pul- pitis chronica hypertrophica sarcomatosa‘“ genannte. Es ist bierbei nicht an ein wirkliches Sarkom zu denken. Klinisch ist diese Forn daran zu erkennen, daß die Pulpa voluminöser ist, die Pulpenkammer ist ganz geöffnet, auch ist meist Periostitis vorhanden. Nach Römer ist die zweite Form nur durch Wachstum aus der andern entstanden. Dem widerspricht Madzsar; die eine Form entspreche dem Granu- lationsgewebe, während die zweite der UÜberwucherung (Caro luxu- rians) gleiche. Verfasser kann sich mit der von Römer vorgeschlagenen Uberkappungsmethode nicht einverstanden erklären, es stelle nicht nur das Granulationsgewebe den kranken Teil dar, sondern es leide die ganze Pulpa an chronischer plastischer Entzündung. Die zahllosen Mikroorganismen seien weder durch Ausspritzen noch durch Desin- fektionsmittel zu beseitigen. Verfasser schließt mit den Worten: „Es kann keinem Zweifel unterliegen, daß das Konservieren einer lange Zeit treiliegenden Pulpa wohl als Versuch, aber niemals als eine wissenschaftlich fundierte Methode gelten kann.

Dr. R. Parreidt (Leipzig...

Krausz: Die Dekuspidationsmethode als ein Behelf in schwierigen Fällen von Wurzelfüllungen. (Osterr.-ungar. Vierteljahrsschrift für Zahnheilkunde 1902. Heft 2.)

Verfasser beschreibt eine nene, auf eine Idee Arkövys zurück- zuführende Methode zur Behandlung pulyakranker Molaren bei approxi- maler Karies, welche einen besonders bei rein distalen Defekten zur Erreichung der Wurzelkanäle sich häufig nötig machenden übermäßig großen Verlust an Zahnsnbstanz zu vermeiden befähigt sein soll. Zu diesem Zwecke wird empfohlen, bei unteren Molaren den mesiobuccalen, bei oberen den mesiolingualen Höcker mittels des Korundrades zu entfernen. „Nach durchgretührter Dekuspidation muß die Kavität gegen die Pulpakammer zu in ovaler Form erweitert werden, um auch den distalen Wurzelkanal behandeln zu können.“ Aus der Fig. 1 kann man indessen nieht entnehmen, daß dieser distale Wurzelkanal leicht

Auszüge. 309

zu erreichen wäre, zum mindesten ist zu ersehen, daß ein gerad- liniger Zugang nicht geschatfen ist. Die übrigen fünf Abbildungen sind nicht derart, um sich ein genaues Urteil über die hier beschriebene Methode bilden zu können. Jedenfalls dürfte Verfasser aber von einem zu großen Pessimismus beseelt sein, wenn er, auf eine frühere Arbeit Zzsigmondys Bezug nehmend, sagt, daß bei Zugänglichmachung der Wurzelkanäle von einer approximalen Kavität aus meist „nur drei durch Dentin oft kaum unterstützte Schmelzwände stehen bleiben“. Ein solch ungünstiges Resultat ergibt sich wohl nur bei hochgradig vorgeschrittener Karies; auf künstlichem bzw. operativem Wege sollte eine derartige Schwächung der Kavitätenwände überhaupt nicht ein- treten. Ob für die Präparation und Füllung des primären Defektes, besonders wenn es ein distozervikaler oder -subzervikaler ist, nicht trotzdem ein großer Substanzverlust außer der Dekuspidation sich manchmal noch nötig machen dürfte, sagt Verfasser nicht. Dr. Hoffmann (Leipzig).

Anton Witzel (Zahnarzt in Wiesbaden): Vereinfachtes Verfahren zur Herstellung von Porzellanfüllungen. (Deutsche zahnärzt- liche Wochenschrift. Jahrg. 5. Nr. 25.)

Witzel nimmt mit Williams Goldfolie Nr. 40 Abdruck nach Vorprägung mit dem Revolverapparat, um das Zerreißen der Folie bei tiefen Höhlen zu vermeiden. Statt eines Ofens verwendet er eine Seen mit Schirm, die mit absolutem Alkohol gefüllt ist.

itzel bettet den Abdruck nicht ein. Verfasser hat einen dünnen Platindraht an einem Holzgriff befestigt, das freie Ende wird nun dem Abdruck entsprechend gebogen und die mit Wasser angerührte Por- zellanmasse in diesen gebracht. Unter allmählichem Erhitzen wird

die Einlage gebrannt. itzel probiert dann zunächst die Einlage noch in der Folie liegend ein und beseitigt die hierbei zutage treten- den Übelstände. Dr. R. Parreidt (Leipzig).

Dr. chir. dent. Walther Wolfgang Bruck (Breslau): Ein Fall von vorstehendem Unterkiefer. (Correspondenzblutt für Zahn- ärzte. Bd. XXXI. Heft 3.) Ä

Verfasser teilt die Regulierung eines Falles von vorstehendem Unterkiefer bei einer ?3jährigen Patientin mit, wobei die Schneide- zähne des Unterkiefers fast 3/, cm vor denen des Oberkiefers standen. Nachdem der Biß durch Aufsetzen von vier Goldkronen auf die oberen Bikuspidaten gesperrt war, dehnte er den Oberkiefer durch einen aus- führlich beschriebenen Schranbenmechanismus, der an die Bikuspidaten- kronen befestigt wurde. Der Erfolg war wieder Erwarten nach 3 Wochen ein guter. Durch einen Retentionsapparat, eine über die sechs Vorder- zäbne gestanzte, mit den Kronen verlötete Goldschiene, die 6 Monate getragen wurde, fixierte Bruck die erreichte Stellung der Zähne des Oberkiefers. Die schon stark nach innen geneigten Zühne des Unter- kiefers weiter zurückzuziehen gelang ihm trotz mehrfacher Versuche nicht. Er drängte nunmehr die Frontzähne des Öberkiefers durch Siegfriedsche Regulierungsfedern nach außen. Diese wurden hinter den kleinen Schneidezähnen an einem dem Gaumen anliegenden, mit Kautschuk umhüllten Drahtgestell befestigt. Der Erfolg war günstig, so daß die Schneiden der oberen Schneidezähne auf die Schneiden der unteren trafen. Kleine Unregelmäßisrkeiten der Artikulation wurden

310 Auszüge.

durch Abschleifen der Molarenhöcker reguliert. Die Art des Regu- lierungsapparates wird durch 12 ee gut verständlich. Dr. med. Kunstmann (Dresden),

Privatdozent Dr. Schröder (Greifswald): Eine neue Matrize. (Deutsche zahnärztliche Wochenschrift. V. Jahrg. Nr. 28.)

Bei Herstellung approximaler Füllungen legt Verfasser großen Wert auf Erhaltung der interdentalen Zahnfleischpapille und auf die richtige Wiedergabe des dreieckigen interdentalen Zwischenraume:. Da dies mit den bisher gebräuchlichen Matrizen nicht zu erreichen sei, so hat Schröder eine neue konstruiert. Diese ist aus dünn ge- walztem Rundsilberblech leicht herzustellen und hat die Gestalt eines Schiffskieles.. Man schiebt sie von der Seite her zwischen die Zähne, so daß sich die seitwärts sperrenden Flügel an die approximalen Seiten andrücken, der sehr schmale Rücken liegt dann zwischen den Zahn- kronenund ermöglicht es, einen Kontakt dieser zu erlangen.

Dr. R. Parreidt | Leipzig).

Carl E. Klotz (St. Catharine): Treatment of roots of teeth with putrescent pulps, and the fillings thereof. (Procedings of the 13th annual meeting of the Ontarion Dental Society, held in the Royal College of Dental Surgeons. Toronto, Ont. 18.—20. Febr. 1902.)

Klotz beschreibt das Reinigen der Wurzelkanäle mit Nerv- kanalreinigern nach Donaldson. Nur den Eingang zu den Kanälen erweitert er mit einem Moreybohrer. Nach dieser Erweiterung ist die Länge des Kanals mit einer glatten Nadel festzustellen, und nur bis zu dieser Länge dürfen die Kanalreiniger eingeführt werden. Die Kanalreiniger müssen drehend eingeführt werden; bei ihrem Heraus- ziehen wird der Kanal erweitert. Man benutzt zuerst die dünnste Sorte und geht allmählich zu den dickeren über.

Statt der Donaldsonschen Nervkanalreiniger hat Klotz neuer- dings Kerrsche im Gebrauch. Sie sollen scharf schneiden, zäher sein und nicht so leicht zerbrechen. Sie sind aus dreikantigem Pianodraht gefertigt, dessen Kanten scharf geschliffen und so gewunden sind, daß sie eine Spirale bilden. Diese Nadeln sind also nicht gezackt.

Zum Auswaschen der Kanäle benutzt Klotz Weasserstofisuper- oxyd, dann Sublimat 1:500 und zuletzt Eukalyptusöl. Die Kanäle werden mit Chloropercha in Sahnenkonsistenz und mit Asbestfasern gefüllt. Zum Füllen benutzt man Kanalreiniger, deren Zacken ab- geschliffen sind. Jul. Parreidt.

Dr. E. v. Coraini: Eine Bürste unter Wasser für die Asepsis und Antisepsis des Bohrmaschinenhandstückes. (Stomatologia 1902. Nr. 2.)

Verfasser geht ziemlich eingehend auf das gesamte statistische Material der Kariesfrequenz ein. Dann um er eine kleine Statistik hinzu, die er aus der „Tavole Nosologiche di Pio Istituto di S. Corona di Milano“ entnommen hat. Im Jahre 1850 war bei 5510 Visiten und 43 verschiedenen Diagnosen 857 Caries dentaria cum dolore, 984 Caries dentaria sine dolore vorhanden; 1881 bei 6013 Visiten und 48 ver- schiedenen Diagnosen 954 Caries cum dolore, 965 Caries sine dolore; 1852 bei 6261 Visiten und 50 verschiedenen Diagnosen 911 Caries cum, 562 Caries sine dolore konstatiert worden. 1901 (von C. Giraria ver-

Auszüge. 311

öffentlicht) kamen bei 6125 Visiten und 33 verschiedenen Diagnosen 4S1 Pulpitis, 5194 Caries dent. vor.

Dann geht Verfasser zum eigentlichen Thema über. Da die Metallbürsten zum Reinigen der Bohrer keineswegs genügen, so hat er sich folgende Vorrichtung konstruiert: Eine harte Zahnbürste be- festigt er an einem elastischen U-förmigen Kautschukstück, welche sich an die Ränder eines Glases einklemmt. Die Bürste ist nun so befestigt, daß sie in das Glas hineinsieht. Das Glas wird mit Lysol gefüllt und der Bohrer an der Bürste gereinigt, so wird der Bohrer und das Handstück aseptisch gemacht. Herber (Berg.-Gladbach).

Dr. Erich Schmidt (Berlin): Goldfüllungsmethode durch Zement- vore ringung: (Deutsche zahnärztliche Wochenschrift. Jahrg. 5. r. 34.)

Verfasser beschreibt folgende Art, Gold zu füllen: Die fertig präparierte Höhle wird mit Zement gefüllt, das etwas weicher ist, als es gewöhnlich zum Füllen verwandt wird, doch nicht so weich wie zum Einkitten von Porzellaneinlagen. Hierauf stopft man so lange weiche. ungeglühte, kohäsive (soldzylinder mit einer breiten Pinzette oder einem Handdruckstopfer hinein, als es das erhärtende Zement zuläßt. Hierbei ist darauf zu achten, daß man das Gold möglichst an die Ränder drängt, die schwer zugänglich sind. Das an den Rändern haftende Zement wird dann entternt. Nun legt man tioldfolie Nr. 60 über die Füllung, verbindet sie mit dieser mit Handdruck und Hammer- schlag und preßt sie mit Polierstählen an die Ränder, bis die Füll- ung beendet ist. Der Vorteil der Methode besteht nach Schmidt in dem Zeitgewinn; statt einer Stunde brauche man nur 15 bis 20 Mi- nuten. Ferner sei eine größere Schonung des Zahnes und des Patienten möglich, da jede Höhle, die für eine Zementfüllung genüge, auch zur Goldfüllung zu verwenden sei. Weiter hebt Verfasser hervor, daß der- artig gefüllte Zähne nicht so temperaturempfindlich seien, als die auf srewöhnliche Art mit Gold gefüllten. Um zu verhindern, daß sich zwischen Gold und Zahnbein am Rande Zement setzt, ist es nötig, die Ränder der Kavität, wie bei Porzellanfüllungen abzurunden, da dann über einen etwaigen Zementstreifen noch Gold zu liegen kommen muß. Ungeeignet ist die Methode bei Zentralkavitäten in Molaren junger Individuen, da hier sich das über den Rand gequollene Zement kaum wieder völlig entfernen läßt. Dr. R. Parreidt (Leipzig).

Dr. Rorida und Dr. de Simoni: Über die Anwesenheit von Pseudotuberkelbazillen im Zahnbelag und im Speichel ge- sunder Individuen. (Stomatologia. Vol. I. Nr. 6, S. 365.)

Verfasser haben den Mund durchweg gesunder Menschen mit normalen Mundverhältnissen auf die Anwesenheit von Pseudotuberkelbazillen unter- sucht. Von 80 untersuchten Fällen wurden dieselben limal gefunden. Die mit einem kleinen Volkmannschen Löffel entnommenen Proben wurden zunächst getrocknet und dann gefärbt und zwar mit wässriger Phenolfuchsinlösung (Fuchs. acid. 1,0, Phenol 5 Proz., 90,0 Alkohol 10, dann in 5proz. Schwefelsäure gewaschen, dann die nötige Zeit. gebadet und von neuem gewaschen. mit Methylenblaulösung gefärbt. ent- wässert, in Xylol aufgehellt und mit Kanadabalsım verschlossen. Wenn sich nun die Anwesenheit von roten Bazillen auf blauem Grund bei der Untersuchung ergab, wurde dasselbe Material nach Marzi- nowski untersucht: Färbung mit verdünnter Phenolfuchsinlösung ge-

312 | Auszüge.

wöhnliche Ziehlsche Fuchsinlösung in zwei gleichen Teilen Wasser relöst und dann in proz. Schwefelsäure entfürbt, wodurch mit ainreichender Sicherheit echte und unechte Tuberkelbazillen differen- ziert wurden. Unter SO Untersuchten aus allen Ständen, Klassen und Lebensaltern wurden säurebeständig Bazillen gefunden bei 1 Studenten, 10 Arbeitern, davon 7 Frauen und 3 Männern, und 5 Kindern, 3 weib- lichen und 2 männlichen. Die meisten hatten eine wenig gepflegte Mundhöhle. Das Vorkommen von Pseudotuberkelbazillen ist also immerhin als ziemlich bäufig zu betrachten, nämlich 20 Proz. Die Bazillen ähneln in ihrer Form mehr denen der Milch und Butter des Handels als den Smegmabazillen. In einer beigefügten Tafel werden die Resultate genauer beschrieben, namentlich die Wirkung der Ino- kulation auf Kaninchen und Meerschweinchen. In 5 Fällen starben die Kaninchen, in 10 Fällen blieben sie am Leben, es entwickelte sich aber ein kleiner Abszeß an der Inokulationsstelle und in einem Falle trat keine Reaktion ein. Von den Meerschweinchen verendete keins; in 8 Fällen trat ein Abszeß und in 8 Fällen keine Reaktion auf. Herber (Bremen).

Ad. Brodtbeek: Über den Einfluß der Ernährung auf die Zähne. (Schweizerische Vierteljahrsschrift für Zahnheilkunde. April 1902.)

Dem Kalk in gebundener Form ist unter allen anorganischen Bestandteilen für die Ernährung der Kinder der erste Platz einzu- räumen. Eine besonders kalkarme Ernährung ergibt sich durch den Genuß von Fleisch, Weißbrot und süßem Dessert. „Am meisten Kalk- zufuhr bedarf der kindliche Organismus. Für das erste Lebensjahr hat die Natur für normal die Muttermilch als einzige Nahrung bestimmt, später... . genügen die Nahrungsmittel mit mittlerem Kalkgehalt,‘ und zwar empfiehlt es sich dann, das Verlangen der Kinder nach süßen Speisen nicht durch chemisch reinen Zucker oder durch stark zuckerhaltige Konditoreiwaren, sondern durch die zuckerreichsten Früchte, wie Feigen, Erdbeeren zu befriedigen, da diese einen ganz erheblich höheren Kalkgehalt besitzen als jene. Die schädliche Wirkung des reinen Zuckers auf die Skeletentwicklung und natürlich auch auf die Entwicklung der Zähne des Kindes liegt in seiner stark sättigenden Eigenschaft, wodurch der Genuß anderer und vor allem kalkreicherer Nahrungsmittel beschränkt wird. Diesen Mangel an Kalkaufnahme durch direktes Darreichen von Kalksalzen zu paralysieren, wird kaum gelingen, da als sicher anzunehmen ist, daß anorganische Kalksalze, ebenso wie anorganisches Eisen nicht assimiliert werden. Auch ist die gewöhnliche Dosis, wie sie bei Rachitis gegeben wird täglich mehrere Teelöffel von Kalkwusser —, viel zu gering, da in 1 Liter Kalkwasser nur 1,3 g CaO vorhanden sind gegen 1,7 g CaO in 1 Liter Kuhmilch. Die Ursachen der Rachitis sind vielleicht und dasselbe dürfte für die Disposition zur Zahnkaries gelten noch mehr in emer mangelhaften Assimilierung, als in einem Mangel an Zufuhr von Kalk- salzen zu suchen, da die Rachitis auch bei Kindern auftritt, die an kalkreicher Nahrung nie Mangel gelitten haben. Besonders ist während der Gravidität und Laktation auf den Genuß einer möglichst kalk- reichen Nahrung zu achten, vor allem durch reichliche Mengen von Milch. Unterstützend hat dabei die Zuführung von eisenhaltigen Vege- tabilien, besonders von Spargel und Spinat, mitzuwirken, da ausschließ- licher Milchgenuß infolge von deren Eisenarmut leicht zur Anämie führen kann. Sodann ist auch auf das Stillen der Kinder ein ganz

Auszüge. 3 1 3

t»esonderer Wert zu legen. Die Unfähigkeit des Stillens ist als ein

Symptom allgemeiner Degeneration zu betrachten und als Ursache hier-

fiir ıst der chronische Alkoholgenuß mit in erster Linie zu nennen.

| Die vorstehenden Angaben hat Verfasser im Anschluß an das Lehr-

buch der Physiologie von Prof. Dr. Bunge in Basel zusammengestellt.] Dr. Hoffmann.

Josef Szabó: Über Ignipunktur in der Behandlung akzidentell exponierter Pulpen. (Österr.-ungar. Vierteljahrsschrift für Zahn- heilkunde. 1902, HI.)

Das Verfahren wird am besten mit den eigenen Worten des Verfassers geschildert und auch kritisiert. „Unter Rubberdam wird di-e Kavität sehr behutsam exkaviert, dann mit einer 0,9 proz. physio- \o- rischen Kochsalzlösung tüchtig ausgeschwemmt. Nach Austrocknung des Dentins schreiten wir zur oberflächlichen Ignipunktur, die einige- wale wiederholt wird, und zwar erfahrungsgemäß so oft, insolange der Patient die heiße Luft noch lebhaft empfindet. Wenn diese Reaktion :chließlich ausbleibt, legen wir ohne Druck auf die exponierte Stelle einige Tropfen dünn angerührtes Fletchers „Artificial dentin“. Wenn dies erhärtet ist, folgt eine Schicht Phosphatzement und hierauf sofort Mi permanente Füllung mit dem nach der Indikation angezeigten Materiale. Wir können zwar den Heilungsprozeß der so behandelten Pulpen nicht näher bezeichnen, aber wir hatten Gelegenheit, uns in vielen Fallen von der Vitalität dieser Pulpen zu überzeugen. Diese unsere

.berzeugung wird unterstützt erstens dadurch, daß wir in keinem einzigen Falle iseit 1890) eine konsekutive Periodontitis oder Alveolen- erkrankung Kkonstatieren konnten [dies beweist ncch nicht, daß eine Nekrose der Pulpa nicht eingetreten ist. Der Ref.]; zweitens einige trekte Beobachtungen, .. .. daß die Pulpa lebt und auf Temperatur-

chwankungen wie gewöhnlich reagiert.“ Dr. Hoffmann (Leipzig).

Dr. Ernst Smreker (Wien): Das Bleichen verfärbter Zähne mit Pyrozon und 80proz. Wasserstoffsuperoxyd. (Österr. Zeit- schrift für Stomatologie. 5. Heft, 1902.)

. „Das Pyrozon soll eine 25proz. Lösung von Wasserstoffsuperoxyd m Ather sein: es wird aus Amerika in zugreschmolzenen Glastuben “zagen. Das 30proz. Wasserstoflsuperoxyd liefert Merck in Flaschen, die in Innern mit Paraffin überzogen sind. Leider sind die Flaschen 30 groß, daß uns viel dabei verdirbt, da wir zu einem Falle etwa nur '#& brauchen. Die Bleichung führt Smreker so aus, daß er die in Gummi gefaßten Zähne mit der Flüssigkeit etwa eine halbe Stunde »enetzt, womöglich überschwemmt und zwischendurch ab und zu mit nner gezahnten Nervnadel in die Kanäle eindringt, um immer neue Teile der Flüssigkeit zur Wirkung zu bringen. Das Pyrozon wirkt “twas kräftiger und schneller als das Wasserstoffsuperoxyd. Jul. Parreidt.

I. E Bellinzona: Influenza dell’attiva uterina nelle varie manifestazioni morbose della bocca, (Stomatologia. Vol. L Nr. 11. Juli 1903, S. 700—709.)

nr Daß Frauen während der Menstruations- und Schwangerschafts- node pathologische Veränderungen im Bereiche der Mundhöhle

314 Auszüge.

zeigen, ist eine erst seit der Mitte des XIX. Jahrhunderts gewürdigte Tatsache. Diese Veränderungen bestehen vor allem:

1. In gesteigerter Funktionstätigkeit der Speicheldrüsen; und zwar wird der Speichel entweder in überreichlicher Menge kontinuier- lich oder stoßweise abgesondert, letzteres besonders bei nervösen Reizungen (Sprechen längere Zeit oder Sehen oder Riechen aromatischer Substanzen). Sogar bis zu 700 ccm per die beobachtet, und Vomitus und Nausea hervorrufend.

2. Kongestion, Anschwellung und Lockerung des Zahnfleisches, hauptsächlich in den ersten Monaten der Gravidität und vor allem bei Personen mit vernachlässigter Mundpflege, wodurch dann das Terrain zur Entwicklung der Pyorrhoea alveolarıs geebnet wird.

3. In Parästbesien der Mukosa und Alteration des Geschmacks, vor allem bei Personen mit Prädisposition zur Psychose sowohl in der Menstruations- wie Graviditätsepoche (Trockenheit der Mundhöhle, Polydypsie, Stomatitiden), sie beruht auf nervöser Grundlage.

4. Allgemeiner Zahnschmerz. Die meisten dieser Art vorkommen- den Fälle sind nicht rein, sondern es werden Schmerzen durch einen oder mehrere kariöse Zähne hervorgerufen, die übersehen oder nicht auffindbar sind. Oder sie werden hervorgerufen, indem Karies, welche im normalen Zustande noch keine Schmerzen zustande bringt, dies bei dem veränderten Allgemeinzustand tut.

5. Prädisposition zur Karies. Daß dieselbe vorhanden ist, darauf deutet schon der Volksspruch: ‚Jedes Kind kostet einen Zahn.“ Diese Prädisposition wird von einigen auf den sauren Speichel zurückgeführt. Die Theorie ist aber nicht haltbar. Wahrscheinlicher, wenn auch nicht sicher, ist die Karies hervorgerufen durch ein Erweichen der Grund- substanz durch Entziehen von Kalksalzen und gestörte Tätigkeit der weichen (tewebe. Aber was ist das Primäre”

6. Wiederakutwerden chronischer krankhafter Prozesse sowohl der Weichgewebe wie des Knochenperiosts, die sogar zu ernsten Kom- ` plikationen führen können, insbesondere deshalb, weil viele aus Furcht vor unseren Instrumenten den Mund in unhygienischen Verhältnissen haben; Zahnsteinmässen, Gingivitis fungosa, Fisteln, infizierte Wurzeln, Cysten, Ostitis chronica geben den Boden, auf dem sich die ganze Flora der Bakterien in reichlicher Masse entwickelt.

Man hat zwei Theorien für die Erklärung dieser Vorgänge auf- gestellt. Sauvez hält sie für den Ausdruck einer Zirkulationsstörung: andere für den der Störung des gesamten Nervensystems. Nach sorg- fültirer Abwägung aller Umstände kommt Verfasser zu folgenden Resultaten: 1. Was die krankhuften Erscheinungen der Mundhöhle in der Menstruations- und Graviditätsperiode angeht, so müssen wir die- selbe als in den meisten Füllen vorhanden ansehen; keine Theorie aber vermag die Prädisposition zur Karies zu erklären. Deshalb glaubt Verfasser, daß es sich nur um ein Zusammentreffen von Ursachen handelt, welche das Vorhandensein der Karies mehr zum Vorschein bringt, welche vorher schon existierend Karies I. oder II. Grades;, nicht sensibel war, bei Menstruation und Gravidifät aber durch die veränderten Verhältnisse der Körperkonstitution durch die uterine Aktivität sensibel werden.

2. Die anderen Störnngen werden hervorgerufen teils durch Störung im Blutgefäßsystem, teils durch solche im Nervensystem, welche sich unter Umständen zusammen gesellen und so die ver- schielenen Wirkungen hervorrufen können.

Herber (Berg.-Gladbach).

ES

nn Baar,

Kleine Mitteilungen. 315

M. Morgenstern (Zahnarzt in Straßburg i. E.): Zur Kenntnis der Einwirkungsdauer der arsenigen Säure auf die Zahnpulpa. (Korrespondenzblatt für Zahnärzte. Bd. 32. Heft 1.)

Morgenstern hatte früher die Überzeugung, „daß As0; ein refährliches Gift sei und daß seine Schädlichkeit mit der Dauer der Virkung wachse,“ so daß jeder Zahn verloren sei, bei dem es mehr als 24 Stunden gewirkt habe. 1885 glaubte Verfasser durch eine An- zahl Versuche festgestellt zu haben, daß nach ?4stündiger Einwirkung von Arsenik auf die erkrankte Pulpa „keine nachweisbare Spur des Mittels in die Wurzelpulpa eindringt“. Seit den letzten 5 Jahren ist Morgenstern, ermuntert durch Ferdinand Wisner, zu einer anderen Auffassung gekommen. As,0; läßt er jetzt mindestens 8 Tage, ja bis 4 Wochen liegen. Hierdurch erreicht Verfasser, daß die Pulpa meist so völlig devitalisiert ist, daß man sie schmerzlos entfernen kann. Periostitis soll nach dieser Behandlung nicht häufiger auftreten, als nach der sonst geübten. Außer Verfasser ist noch Jul. Scheff für die lange Dauer der Arseneinlage eingetreten. (Österr.-ungar. Vierteljahrsschrift f. Zahnheilk. 1902, Heft 2.) Scheff verfügt über eine Erfahrung von ungefähr 80000 Fällen. Morgenstern geht dann nüher auf die Theorie der Wirkung der arsenigen Säure ein, wobei er zu der Aufstellung einer Anzahl Gesichtspunkten kommt, von denen aus er ein Studium der Wirkung von AsO; auf die Pulpa eingeleitet wissen will. Dr. R. Parreidt \Leipzig).

Kleine Mitteilungen.

Porzellanfüllungen und Goldfüllungen. In der Dental Society of the State of New York am 13. und 14. Mai 1904 hielt E. N. Jenkins- Dresden einen Vortrag über The Advance of Porcelain Restoration in Germany, worin mitgeteilt wird, daß die Porzellanfüllungen nirgends häufiger angewendet werden als in Deutschland. Zugleich betonte der Vortragende den Wert der Porzellanfüllung und beschrieb seine Methode noch einmal kurz. In der sich anschließenden Diskussion (Dent. Cosmos, Sept. 1904) führte Tracy-New York aus, daß man in Amerika das Porzellan nicht für die langersehnte „vollkommene Füll- ung“ halten könnte, womit man alle Höhlen füllen sollte. „Ist es logisch, andere Methoden und Materialien zu verlassen, um dem Por- zellan als einem System anzuhangen?“ Will man Gold füllen, so lasse man ebensowenig, wie bei Porzellan, schwache Wände stehen; man braucht auch keine tiefen Haftstellen zu bohren und hat auch nicht nötig, den Patienten und sich zu sehr anzustrengen. Auch braucht der mit Gold gefüllte Zahn gegen Kalt und Warm nicht empfindlich zu werden. Aber wenn die Goldfüllung dem Zahne oder der Reihe schlechtes Aussehen gäbe, dann soll man Porzellan anwenden und Jenkins und anderen dankbar sein, daß sie die Porzellanfüllungen er- möglicht hätten. In Molaren und Prämolaren ist es unlogisch, rück- sichtslos Zahnsubstanz zu opfern, um der Porzellanfüllung Halt zu geben; man richte die Höhle geeignet her, gebe ihr feste Ränder. lege sie mit Zement aus und fülle Gold auf.

Zum Festhalten der Porzellanfüllung im Zahne bedürfe es keiner

316 Kleine Mitteilungen.

Furche; wenn die Füllung genau paßt, genüge es, sie mit Fluorwasser- stottfsäure zu ätzen, um sie mit Hilfe von Zement fest im Zahne haften zu machen.

Redner hofft, daß mit der Zeit eine Methode der Porzellanfüllung gefunden wird, die es ermöglicht, sie auch den Minderbemittelten zu- gänglich zu machen.

In ähnlichem Sinne wie Tracy sprachen sich noch F. W. Pro- seus-Rochester aus. Van Woert-Brooklyn hat sich das Jenkins- sche Verfahren angeeignet und erzielt damit bessere Erfolge als mit strengflüssigem Porzellan. Er behauptet, mit Porzellan weniger Mib- erfolge zu haben als mit irgendeinem anderen Füllstofte, und gebraucht es an allen Zähnen. F:

Stiftkronen und Bandkronen. In der New York Dental Society am 13. Mai 1904 hielt Joseph Head-Philadelpbia einen Vor- trag, „Die aseptische Überlegenheit des Stiftzahnes gegenüber der Bandkrone“ (Dental Cosmos, Juli, S. 539), worin er den mangelhaften Randschluß der Bänder unter dem Zahnfleische beklagt. Die Wurzeln sind oft so mit Einsenkungen im Umkreis versehen, daß der Anschluß des Goldbleches nicht dicht werden kann. Daher sollten wir das Band vermeiden, wo ein Stiftzahn möglich ist, das ist da. wo die Wurzel nicht bis unter den Zahnfleischrand zerstört ist. Wenn die Wurzel eines Schneidezahnes nach vorn abgeschrägt wird und in der Mitte etwas ausgehöhlt, so zerspaltet sie ganz außerordentlich selten. Bei Prämolaren soll die Fläche lingual und labial abgeschrägt, also in der Mitte am höchsten sein. Bei unteren Mahlzähnen soll man die Pulpa- kammer vergrößern, wie zu einer Porzellaneinlage, die hintere Wurzel nimmt den Stift auf, der in einen Platinabdruck wie bei Stiftfüllungen betestigt wird. Ein vorher der Artikulation angepaßter künstlicher Zahn wird dann mit schwer schmelzbarem Porzellan aufgeschmolzen auf den aus dem Stumpf gewonnenen Platinabdruck. Statt eines Stiftes kann man auch zwei kurze benutzen; die Kanäle müssen aber

parallel gehen. F.

Korrektur eines unregelmäßig stehenden Frontzahnes durch Porzellaneinlage. Hirschfeld hat eine interessante Verwendung von Jenkins’ Porzellaneinlagen behufs Korrektur des Aussehens eines unregelmäßig stehenden Frontzahnes gemacht, worüber er im Dental Cosmos, Vol. XLIII, Nr. 2 berichtet hat. Der rechte obere laterale Incisivus war derart um seine Achse gedreht, daß die labiale Fläche mesial und die linguale Fläche distal gerichtet war; da er sich auber- dem noch stark gegen den zentralen Incısivus anlehnte, so bestand eine große, häßlich aussehende Lücke zwischen ihm und dem Caninus. Diese Lücke war der betreffenden Patientin um so unangenehmer, als sie Schauspielerin war. Für eine Regulierung des betretfenden Zahnes durch Regulierapparate war der Aufenthalt der Patientin zu kurz be- messen. Da Verfasser sich aber nicht entschließen konnte, den voll- ständig gesunden Zahn zu entkronen und durch eine Logankrone zu ersetzen, wie ein früher konsultierter Zahnarzt. geraten hatte, so be- schloß er, das Aussehen des Zahnes durch eine Porzellaneinlage zu korrigieren. Zu dem Zwecke klebte er etwas „Gilberts temporary stopping“ an den lateralen Incisivus und formte dasselbe genau so, wie die künftige Form des Zahnes werden sollte; der von dieser an- geklebten Füllung bedeckte Teil des Zahnes wurde durch 'Tintenstriche bezeichnet und dann genügend tief zur Aufnahme einer Porzellan-

Kleine Mitteilungen. 317

»irziage ausgebohrt. Besondere Sorgfalt wurde darauf verwandt, glatte K:avitätenränder zu erhalten. Vor dem Einsetzen der Einlage mit H .arvard-Zement wurde die Spitze des antagonierenden unteren Caninus ‚in wenig abgeschliffen. Der Erfolg der Behandlung war vollkommen; wje Verfasser bestimmt glaubt, wird die Einlage auch unbegrenzte Haltbarkeit besitzen. N.

Über Spätwachstum des Unterkiefers berichtete Dr. med.

Rudolph aus dem zahnärztlichen Institut der Universität Kiel (Zahn- ärztliche Rundschau. 11. Jahrg., Nr. 531). Ein 33jähriger Kaufmann klagte über ständiges Auseinanderrücken der mittleren Schneidezähne des Unterkiefers. Seine beiden Eltern sind magenkrank, der Vater ist Neurastheniker, die Mutter „nervös“. Der Kranke selbst wurde vor nu vefähr 20 Jahren durch einen Blitz bewußtlos zu Boden geworfen. ‘eat dieser Zeit leidet er an den Nerven, am meisten macht ihm ein Druck im Kopfe zu schaffen, der Tag und Nacht anhält. Eine Ver- gr Berung des Unterkiefers will Patient seit 6 Jahren gemerkt haben, anfänglich waren Schmerzen im Knochen damit verknüpft, und all- m@blich schob sich der Unterkiefer über den Oberkiefer.

Der Kranke zeigt eine mittlere Prognathie, weit vorspringende \ochbeine und Supraorbitalränder, die Nase scheint verdickt und ge- siurwollen. Der übrige Körperbau zeigt nichts Abnormes. Ferner bestand noch eine ausgedehnte Furunkulose auf dem Rücken, partielle Anästhesie und Parästhesie auf den Streckseiter der Extremitäten, erhöhter Patellarreflex, Stauungspapille geringen Grades und Trübung der Netzhaut und ihrer Umgebung bei normaler Sehschärfe. In der Mund- höhle fällt die gleichmäßige Verdickung und Vergrößerung des Unter- kiefer auf. Das größte Wachstum scheint an der Symphyse statt- gefunden zu haben, da die mittleren Schneidezähne 3 cm auseinander stehen. Nach Ausschluß von Osteomyelitis und luetischen Erkrankungen wurde die Diagnose auf „partielle Akromegalie der Gesichtsknochen‘“ gestellt. Diese 1556 von Pierre Marie beschriebene Krankheit, mit ler sich auch Broca, Virchow, Erb, Freund, v. Recklinghausen, Stembo beschäftigt haben, lokalisiert sich im Gesicht, auf der Nase, an den Supraorbitalrändern und am Unterkiefer. Knochen und Weich- teile werden gewöhnlich gemeinsam betroffen, ferner bestehen Sensi- bilitätsstörungen. Schmerz tritt nur im Beginn der Krankheit auf. Was die Ursache der Erkrankung betrifft, so glaubt sie Verfasser zu den traumatischen Neurosen rechnen zu müssen, oder man müsse als stiologisches Moment eine Vergrößerung der Hypophysis ansehen. Über die Prognose und Therapie ist nichts erwähnt. Dr. R. P.

- Die zahnärztlichen Verhältnisse in Rußland. Es gibt in Rußland außer den diplomierten Zahnärzten und den im Aussterben hegritienen Dentisten keinerlei Personen, die sich mit der Ausübung d-r zahnärztlichen Praxis oder der Zahntechnik betassen dürfen; es gibt dort keine selbständigen Zahntechniker. Wer Zahnarzt werden will, muß die Reife für die Prima eines klassischen Gymnasiums aut- weisen, dann besucht er eine der zahnärztlichen Schulen, die es in Petersburg, Moskau, Warschau und einigen anderen Städten gibt, de keine Universitätsinstitute sind. aber unter staatlicher Kontrolle stehen. Man studiert 21-3 Jahre, besteht dann eine Prüf- ung. clie Ähnliches verlangt wie in Deutschland die Staatsprüfung, und ernält dann das Recht, das Schluß. oder Staatsexamen zu machen. Ber Stand der Dentisten ist vor 5 Jahren aufgehoben worden

318 Kleine Mitteilungen.

durch Beschluß eines großen zahnärztlichen Kongresses, zu dem sämt- liche Zahnärzte und Dentisten Rußlands eingeladen waren; der Beschlul hat die staatliche Genehmigung erhalten.

Die Dentisten hatten sehr verschiedene Bildung; manche hatten die unteren und Mittelklassen des Gymnasiums besucht, andere Mittel- schulen und manche hatten noch geringere Vorbildung. Sie mu Aten 3 Jahre bei einem Zahnarzte oder einem Dentisten lernen, ähnlich WE die Apothekerlehrlinge in einer Apotheke. Der Lehrherr mußte den Lehrling bei der Medizinalbehörde anmelden. Nach Ablauf der L- æhr- zeit bekam der Abgehende einen Entlassungsschein und ein Zeugen, das von der Medizinalbehörde beglaubigt sein mußte. Alsdann mamßte er sich der Vorprüfung bei einer Gouvernements-Medizinalbeh&>rde unterwerfen. Es prüften ein Medizinalinspektor, zwei Arzte und = we: Zahnärzte oder Dentisten. Das Bestehen der Prüfung gab dem Pxrüf- ling die Berechtigung, nun noch an einer Universität sein Staatsexaeaen zu machen. Dabei hatte er, mit Ausnahme von zwei oder drei Fäch ern, dieselben Prüfungsgegenstände wie die Zahnärzte. Das Diplom verlieh dem Dentisten dieselben Rechte, die die Zahnärzte hatten, ausgenommmen, daß ihm verboten war, Rezepte zu verschreiben. Dieser Stand der Dentisten ist, wie schon erwähnt, auf dem Aussterbeetat, weil kesr Nachwuchs mehr geprüft wird; anderen Personen als geprüften ist d Praxis verboten. he ibt daher nur noch approbierte Zahnärzte, die £ Rußland die zahnärztii: Sirfen.

Über eine neue Prothese mit Gleitgelenk nach Unter _ kieferresektion. Einem Bericht Karl Witzels in der Wiener zahı- ärztlichen Monatsschrift, IV. Jahrg., Nr. 3, entnehmen wir folgende Einem 10jährigen Mädchen wußte wegen Osteomyelitis der ganz *_ Unterkiefer, der ganz lose in Granulationen lag, entfernt werden, wa.” unter größter Schonung des Periostes geschah. Naht der durchtrennte 2? Muskeln, Fixation der Zunge. Am dritten Tage nach der Operatio #3 legte Witzel eine Prothese an; er mußte im Laufe der folgende x? 3 Monate noch drei andere Apparate konstruieren. Die erste bestan < aus einem künstlich modellierten Unterkiefer mit sechs Frontzühnez2 und angedeuteten aufsteigenden Asten. Befestigung durch Spiralfederr? - die mit einer Oberkieferplatte verbunden waren. Doch verschob sich der Apparat, und die Federn gruben sich in die Wangenschleimhautf ein. Um dies zu verhüten, wurde eine andere Oberkieferplatte (au 5 Aluminiumbronze) angefertigt, an die seitlich ein Schutzblech m7/ parallelen Wänden gelötet wurde. Ferner wurde ein Hilfsgelenk an. gebracht, bestehend aus einem Drahtbügel, der an die Klammer de: oberen Platte hinter dem 6. Zalıne angelötet war und unten in einer Ose oder einer Schlinge endigte. Die Schlinge paßte in eine schlitz- förmige Vertiefung der Unterkieferkaufläiche und wurde noch durch einen horizontalen Stift festgehalten. Sie ermöglichte, daß beim Auf- und Abwärtsbewegen des Kiefers die Achse fortwährend verlegt, ge- wissermaßen ein Gleitrelenk geschaffen wurde. Nach und nach bildete das zurückgelassene Periost neue Knochenmasse, die nach ?;, Jahr das Hilfsgelenk entbehrlich machte. J. P.

che Praxis ausüben

Jodoformniederschlag. Zur Ausspritzung von eiternden .Kiefer- höhlen, sowie von Alveolarabszessen und eiternden Alveolen nach dem Jahnausziehen empfiehlt A. Witzel- Wiesbaden eine Emulsion, die entsteht, wenn man Jodoformspiritus in Wasser on zu

Kleine Mitteilungen. 319

Die Behandlung alter Abszesse durch Resektion der Wurzel- spitze. (Journal of the British Dental Association, February 1901.) Bei aten Abszessen Ist fast immer eine Rauheit der Wurzelspitze vor- handen, welche die Entzündung unterhält und eine Heilung durch die gewöhnliche Wurzelbehandlung verhindert. In Fällen, wo der be- treffende Zahn von Ben ei Werte ist, um eine solche Behandlung zu rechtfertigen, und besonders bei Vorderzähnen, besteht die korrekte und einzige zufriedenstellende Behandlung in der Resektion des rauhen apikalen Teiles der betreffenden Wurzel. (Vgl. Partsch, D. M. f. Z. AVIL Jahrg., 8. Heft, 1899.) Rilot hat die Resektion der Wurzel- :ptze in drei Fällen und zwar in allen bei oberen Eckzähnen mit vvikommenem Erfolge ausgeführt. Diese Operation ist nach ihm nicht gerade schwierig, erfordert jedoch gewöhnlich eine ziemlich lange Nachbehandlung. Er behandelt und füllt zuerst den Wurzelkanal lee betreffenden Zahnes und schafft sich dann eine genügend weite 'fnung im Zahnfleisch und in der Alveole über der Wurzelspitze, entweder mit dem Messer oder durch allmähliche Erweiterung des alten Zahnfleischfistelkanals durch längeres Tamponieren desselben; lait sich dann die Lage des Wurzelendes genau bestimmen, entweder durch Abtasten oder durch das Gesicht, so wird die Wurzelspitze mit ¿nern feinen Fissurenbohrer abgeschnitten und die zurückbleibende xchnittläche mit langen Finierbohrern oder schmalen Poliersteinen srgtältig abgerundet. Nach gründlichem Ausspritzen wird die Abszeß- töhle leicht mit Borgaze tamponiert und so lange otien gehalten, bis ‘ʻe won innen heraus heilt, was gewöhnlich in überraschend kurzer leit geschieht. Rilot hebt zum Schluß noch hervor, daß in den drei ‚onihm behandelten Fällen, welche anscheinend für immer geheilt sind, jahrelang fortwährende Eiterung bestanden hatte. Ein Anästhetikum hat er bei der Operation nicht verwendet.

In der dem vorstehend referierten Vortrage folgenden Diskussion tailte Lloyd Williams einen interessanten Fall mit, in welchem er vor $1/g Jarn bei einem Patienten, welcher an Syphilis gelitten natte. die Wurzelspitze eines 1. Bikuspidaten reseziert und die Wurzel gåter erfolgreich mit einer Krone versehen hatte. Die 18 Monate nch der Operation noch vorhandene Fistelöffnung war inzwischen vollt andıg verheilt und der betreffende Zahn vollkommen brauchbar. Sche Aling erwähnte, er habe kürzlich einen Herrn gesehen, welchem Tomes vor 20 Jahren die Wurzelspitze eines abszedierten Zahn es reseziert hatte; der betrefiende Zahn war auch jetzt noch vollkommen brauchbar. N.

Herstellung und Anwendung von Porzellan-Einlage-Füll- ungen. Guttmann (Correspondenblatt für Zahnärzte. XXX. 4. S. 2595) tedauert, daß unter dem Ausbau und der Vervollkommnung der Por- »-Nanfüllung die Porzellan-Einlage-Füllung ganz in Vergessenheit gerat, mit der er früher schöne Erfolge erzielt hat und die er nicht webr missen möchte. Da ihm häufig Anfragen zugegangen sind über die Herstellung solcher Füllungen, so hat er Ash & Sons veranlaßt, ein Instrumentarium für diese Zwecke herzustellen und gibt im vor-

liegenden Artikel einige wichtige Fingerzeiire.

ne Die fertig bereitete Kavität wird mit Hilte der beigegebenen Bohrer kreisrund geschnitten, und die Ränder werden einer Glättung mit Ar- kansasstein unterzogen. Hierauf nimmt man ein in der Farbe passendes P-rzellanstäbchen, das konisch zuläult und dem Instrumentarium bei- ergeben ist, steckt es dann in die Lochlehre, die dem zuletzt ver-

320 Kleine Mitteilungen.

wendeten Bohrer entspricht, schneidet dann mit Diamant. oder Korund- rad 1 mm oberhalb und der Tiefe der Kavität entsprechend unterhalb ein. An der eingekerbten Stelle wird dann unter Wasser mit der Zwickzange durchgeschnitten. Verfasser hält die Porzellanstäbchen für vorteilhafter, als die Dallsche Einlage. Sollte die Höhle nach kleiner sein, als die dünnste Stelle des Stäbchens, so soll man AN Stückchen von diesen auf einen Radbohrer schellacken und mi; dew Schleifrad abschleifen, wie dies von Sachs angegeben wurde. Ver- fasser empfiehlt auch, sich mit diamantierten Trephinbohrersme aus künstlichen Zähnen Stücke herauszuschneiden.

Die Befestigung in der Kavität ist die bekannte, wie bem den Porzellanfüllungen. Guttmann erwähnt noch die Methode von Robin (Le Progrès dentaire), durch die man auch solche Einlage für die Seitenflächen der Zähne anfertigen kann. Auch Verfasser hat Ver- suche in der Richtung gemacht, bei teilweisem Konturersatz, Doch ven er die Konturen der Höhle nicht wie Robin zwischen Fand und Mitte des Zahnes, sondern direkt an den Rand der Zähne Man bohrt nun eine Höhle, die einen Teil eines Kreises bildet, nimmt eme Einlage in Größe des letztgebrauchten Bohrers, zwickt so viel ab als ungefähr übersteht und plombiert die Füllung ein. Am ande = Tage werden die noch überschüssigen Ränder weggeschliffen und Ø glättet. Dr. R. P

Entfernung des ganzen Unterkiefers und vollständige NES n bildung desselben. (Lancet, February 2; Journal of the Brit Dental Association, March 1901.) Bei einem 5jährigen Knaben, de, ganzen Unterkiefer Abbott wegen totaler Nekrose unbekannten L- sprungs unter Schonung des Periosts entfernt hatte, hatte sich næ- 7 Monaten ein vollständiger Knochenring mit Einschluß eines news Kondylus gebildet. Die Bewegungen des neugebildeten Unterkie waren vollkommen, die Form gut und das Aussehen des Gesichts a12; Se Für den Unterkiefer sollte später ein Gebiß angokert i 87" werden. .

an

Central-Verein Deutscher Zahnärzte.

Ein großer Teil der Herren Mitglieder hat noch nicht de Jahresbeitrag für 1905 entrichtet, auch von 1904 sind noch vie/e Restanten. Ich bitte die betreffenden Herren, mir den Beit von 16 Mk. und 5 Pfge. Bestellgeld, sobald als möglich zum. senden, da es mir an Zeit fehlt, einige Hundert Postaufträge auszuschreiben. Damit die Kasse bis zu unserer Tagung in Hannover anfangs August möglichst in Ordnung ist, werde ich im Mai mit der Einziehung durch die Post beginnen. Diejenigen Herren, welche nicht in der Lage sind, den Postauftrag zu be- gleichen, wollen mich vorher davon in Kenntnis setzen, damit nicht wieder soviele Aufträge unerledigt zurückkommen.

Berlin NW. 7.

Unter den Linden 41. A. Blume, z. 2. I. Kassierer des C.-V. D. Z.

nr Ze

XXIII. Jahrgang. 6. Heft. Juni 1905.

Deutsche Monatsschrift

für

Zahnheilkunde.

[Nachdruck verboten.)

Statistische Bearbeitung und Untersuchung der während 20 Jahren am zahnärztlichen Institut der Uni- versität Leipzig gemachten Füllungen und Extraktionen.

Von

Felix Zimmermann, Assistent am zahnärztlichen Institut der Universität Leipzig.

(Mit 11 Tafeln.) (Schluß.)

In den vorstehenden Zeilen wurde das reichhaltige Material, das sich seit Ende Oktober 1884 bis Ende des Sommersemesters 1904 am Leipziger zahnärztlichen Institut angesammelt hatte, sowohl bezüglich der Füllungen, als auch der Extraktionen einer zahlengemäßen Bearbeitung unterzogen. Es wurde an der Hand der im Laute des Berichtes entstandenen Tabellen gezeigt, was und wieviel an unserem Institute in der angegebenen Zeit in der operativen Abteilung gearbeitet wurde.

In folgendem soll nun der Versuch gemacht werden, das Ergeb- nis unserer bisherigen Arbeit wissenschaftlich zu verwerten.

Zu diesem Zwecke war es nötig, die in den verschiedenen vorher angeführten Tabellen zum Ausdruck gebrachten Zahlen- werte auf eine bestimmte einheitliche Zahl (10000, resp. 1000) zu reduzieren. Der besseren Übersichtlichkeit wegen wurden dann die hierbei gefundenen Werte außer, daß sie tabellarisch angeordnet wurden, auch graphisch in Kurvenform wiedergegeben. Wie es bereits bei anderen Autoren geschehen ist, haben auch wir den Kurven ein Achsenkreuz zugrunde gelegt, dessen hori-

XXIII. 2]

322 Zimmermann, Statistische Bearbeitung und Untersuchung um.

Tab. palatinale | 0 25 | 35 625 25, 15 5,75 3075 111,8 u Be ee En Jabiale l | | | | resp. | 4,75 | 9,25 [8,75 1,5 | 45 19,75 18,25 82 g | buccale | | | | | CH ee - == = | distale \ 2,25 132,25 ' 43,5 103,5 ao. 149 za, 456,5 Er an a @ TE en S | meine l 12,75 |. 40.75 ‚126, ‚75 180 1147,25 130,25 yre —— = es ESSEN AAAA = ‘Schneiden |; | | | | ‚resp. Kau- | 100 ; 267,5 123556 1425 8 275, 0 | flächen i | | | | Zahn SIRERZLIE, 3 2'1 Zahn 1-8 | -7 —6 —5!—4' -3—2 = En ur Nee F E RINTE ee en en bee | Schneiden | | | | | | 121, i 362,75 188,7; 5|325 | T25 1 05 | flächen | | | ee et ee St : a A l o e DEINER = | mesiale 13,75 47, 25 | 75,75 | 83 54,75 | 97 18,75 | 125 AI. _— en | |- : aane Q f l = | distale | 4,5 u ga 63 | 74,5 37,75 32,75, 21 D A = Ze $ $ | labiale | | | | | | resp. : 16 |37,25 124,755 4,25 10,75 | 13 3,75 ' 2,25 buccale | '

ingale i 4,25 1225 025 |025 | 05 025 9 Auf 10000

zontale Achse den Oberkiefer vom Unterkiefer, dessen vertikale Achse die rechte Kieferseite von der linken scheidet. Auf der Horizontalachse wurden, von der Mittellinie ausgehend, nach rechts und links die Zähne als auf diesen senkrecht stehenden Linien markiert; und zwar werden die senkrecht nach oben gehenden Linien die Zähne des Oberkiefers, die senkrecht nach unten ver- laufenden Linien die Zähne des Unterkiefers darstellen. Auch hierbei ‘sind unserer Gepflogenheit zufolge, und auch überein- stimmend mit den Tabellen, die Zähne der rechten Kieferhälfte mit arabischen Zahlen (1 bis 8) und die der linken mit römischen Zahlen (I bis VIII) bezeichnet worden. Die Zähne des Oberkiefers unterscheiden sich außerdem dadurch von denen des Unterkiefers. dat wir den die letzteren bezeichnenden Zahlen ein Minuszeichen

Zimmermann, Statistische Bearbeitung und Untersuchung usw. 323

10.

17,75 305 7,75 |225 185179 | 4 1,25 |palatinale

| er |

| labiale |

48,25 20,5 | 1835| A 2 | 5 95 4253| resp. | I$ buccale 8 a P- ı © 444,25 222,25 155,5 1170,75 96,5 43,5 13225, 175 ` distale ' & RE E- ; IR eu 390,5 47 160,75 157,5 179,5 127,5 5 ‚395 : 12 meialee 8 ae Ee a EN EN EE | | t | | Schneiden | 5,5 3 T 144,25 151,25 1224,25 260, 25. 94 resp. Kau-' | | | p : flächen | wvv | | | DEE RO O D Schneiden! 0,5 1 | 3,25 11,75 | 34 179,5 '362,25 1119,25; resp. Kau- | j | ! | 1 flächen | [6) 18,25 Ki 5 14425 | 82 64,25 362 135: as | 5 l | | 5 DE u 2 | oO 75 21,25 ; 38 i 74 46,5 a 4 distale | = o _ ee SZ reg | labiale ' į 2,75 : 5,25 15 12,5 | 6:24,75 36,5 [12,25 | resp. | | | | l buccale NE z UNE ma 0,25 0,25 T 0,5 | 2 5 5515, laging | reduziert.

vorgesetzt haben. Diese Zahlen wurden oben und unten an die Kopfenden der die Zähne markierenden senkrechten Linien ge- setzt. Auf der vertikalen Achse ist ein Maßstab angegeben, auf Grund dessen die Zahl der Fälle auf den die betreffenden Zähne markierenden senkrechten Linien durch Punkte abgetragen wurden. Werden nun diese verschiedenen Punkte der Reihe nach durch Linien verbunden, so haben wir eine Kurve erhalten.

Zunächst sind nun die Füllungen der einzelnen Zahnflächen, welche in Tabelle 1 (S.293) mit den Werten, die wir bei der Rubri- zierung der gesamten 40022 Füllungen nach den verschiedenen Zahnflächen fanden, eingetragen worden waren, auf eine bestimmte Zahl zu reduzieren. wodurch eine bessere Übersicht erzielt wird. Für Tabelle 1 wählten wir hierzu die Zahl 10000. Das Resultat

2 Sa

334 Zimmermann, Statistische Bearbeitung und Untersuchung usw.

der Umrechnung der Tabelle auf diese Zahl liegt uns in Ta- belle 10 vor (siehe S. 322 und 323).

Wir ersehen also aus dieser Tabelle, wieviele Füllungen auf die verschiedenen Flächen der einzelnen Zähne bei 10000 Gesamtfüllungen kommen auf Grund der in Tabelle 1 dargelegten Werte.

In Tafel I wird uns das Ergebnis dieser Tabelle 10 in Kurvenform zur besseren Anschauung gebracht. Hierbei unter- scheiden sich die Kurven der Füllungen der verschiedenen Zahn- flächen durch verschiedenartige Linien. So ist die Kurve der Füllungen der Schneiden, resp. der Kautlächen einfach schwarz, die Kurve der Füllungen der mesialen Flächen rot gestrichelt. die der distalen Flächen schwarz punktiert, der labialen, resp. buccalen Flächen schwarz gestrichelt, die der palatinalen, resp. lingualen Flächen einfach rot gezeichnet. Bei der Betrachtung dieser Tafel springt uns vor allen Dingen sofort die Symmetrie der rechten und linken Seite in die Augen. Bis auf verhältnis- mäßig ganz geringe Abweichungen decken sich die korrespon- dierenden Kurven beider Seiten tast vollkommen, d. h. die einzelnen Zahnflächen werden rechts sowohl wie links gleich häufig von Karies befallen. von einzelnen ganz geringen Schwankungen ab- gesehen, die auf Zufällieckeiten zurückzuführen sind.

In fulgendem sei es gestattet, die Tafel I etwas eingehender zu betrachten.

Sehen wir uns zunächst die schwarze Kurve der Fül- lungsfrequenz der Schneiden, resp. der Kauflächen im Öberkiefer an. so beginnt diese beiderseits bei den mittleren Schneidezähnen sehr tief. Es fallen nur auf der rechten Seite 6, auf der linken 5.5 Schneidenfüllunzen auf 10000 Kronentüllungen im allgemeinen. Zu den seitlichen Schneidezähnen füilt diese Kurve von den mittleren jedoch noch etwas tiefer. und zwar rechts und links auf drei Füllungen herab. so dat bei diesem Zahne die tiefste Stelle dieser Kurve im Oberkieter zu verzeichnen ist. Von hier aus steigt sie rechts wie links zum Eckzahn wieder um ein geringes, indem sie bei diesem Zahn rechts die Höhe 8. links 7:1000 erreicht. Jetzt fängt aber unsere schwarze Kurve stetig bis zum 2. Molar an zu Steigen: zuerst vum Ecekzahn zum l. Prämolar mit mälliger Steilbeit ibeiderseits 44: 10009 Füll- ungen), von hier etwas weniger steil zum 2. Prämolar (rechts 56, links 51:10000). Von diesem Zahne bis zum 1. Molar ist die Steirung dagegen eine ziemlich steile, welcher Zahn rechts 258. links 224:100u00 Füllungen aufzuweisen hat. Bis zum 2. Molar steigt die Kurve der Kauflächenfüllungen immer noch etwas empor. indem sie bei diesem Zalıne eine Höhe rechts von 267.5, links von 200 Füllungen zu louoo Kronentüllunzen er-

Zimmermann, Statistische Bearbeitung und Untersuchung usw. 325

reicht. Vom 2. zum 3. Molar fällt die Kurve wieder bedeutend herab, bei welchem Zahne sie rechts mit 100, links mit 94 Kau- fäichenfüllurgen endet. Am niedrigsten steht unsere Kurve im Oberkiefer, also beim seitlichen Schneidezahn, während sie beim mittleren Schneidezahn und Eckzahn nur wenig höher zu stehen kommt. Ihren höchsten Punkt erreicht sie beim 2. Molar, während der erste Molar dem zweiten an Zahl der Kauflächenfüllungen nicht viel nachsteht.

Im Unterkiefer beginnt die schwarze Kurve der Kau- flächenfüllungen beim mittleren Schneidezahn mit der mini- malen Erhebung von beiderseits 0,5; d. h. wir haben erst bei 20000 Füllungen eine Schneidenfüllung an den beiderseitigen unteren mittleren Schneidezähnen zu konstatieren. Von hier aus steigt sie ganz unmerklich über den seitlichen Schneidezahn, wo sie beiderseits die Höhe von 1 Füllung auf 10000 erreicht bis zum Eckzahn, welcher rechts 2,5, links 3 Füllungen auf seiner Spitze bei 10000 Füllungen aufzuweisen hat. Vom Eckzahn zum l. Prämolar steigt die Kurve nur ein wenig mehr (7, resp. 12: 10000), von diesem bis zum 2. Prämolaren etwas erheblicher 132,5, resp. 34:10000) an. Vom 2. Prämolaren fängt nun die Steigung an, sehr steil zu werden, und zwar steigt die Kurve über den 1. Molar (189, resp. 179,5:10000) hinweg in annähernd demselben Tempo bis zum 2. Molar, wo sie rechts die Höhe von 353. links 362 Kauflächenfüllungen unter 10000 Füllungen im all- gemeinen erreicht. Hier hat unsere Kurve überhaupt ihren Kul- minztionspunkt, denn zum Weisheitszahn fällt sie wieder ziemlich steil herab, indem sie bei diesem Zahn rechts nur 122, links 119 Kauflächenfüllungen bei 10000 Zahnfüllungen aufzuweisen hat.

Den niedrigsten Punkt erreicht demnach die Kurve der Kau- fächenfüllungen im Unterkiefer beim mittleren Schneidezahn, den höchsten wie es auch im Oberkiefer der Fall war beim 2. M olar.

Es ist ohne weiteres klar, daß die wesentlichen Ursachen der Differenz des Verlaufes der schwarzen Kurve der Schneiden-, resp. der Kauflächenfüllungen in der Form und in dem Bau der Schneiden, resp. der Kauflächen der Zähne liegen.

Daß im Oberkiefer die Schneidezähne und der Eckzahn so niedrig bei dieser Kurve bewertet sind, liegt daran, daß die schmalen Schneiden der Incisiven und der spitze Kegel der Eck- zahnkronen den die Karies verursachenden Stoffen wenig Halt bieten. Die trotzdem hier vorgefundenen Füllungen werden meist Füllungen repräsentieren, die sich auf Grund von teils hypo- plastischen, teils infolge äußerer mechanischer Insulte entstandenen Schelzdefekten nötig machten. Im Gegensatz zu den "Front- zähnen haben die Molaren wegen der auf ihrer Kaufläche befind-

326 Zimmermann, Statistische Bearbeitung und Untersuchung usw.

lichen Fissuren, die der Karies vorzügliche Angriffspunkte bieten, naturgemäß die meiste Anwartschaft, von der Kaufläche aus kariös zu werden.

Von den drei Molaren im Oberkiefer ist der zweite wieder derjenige, der die meisten Kauflächenfüllungen aufzuweisen hat. Man sollte meinen, daß der erste Molar der von Kauflächen- füllungen am meisten bevorzugte sei, da er als der älteste Zahn im bleibenden Gebiß mehr Zeit und Gelegenheit haben wird, kariös zu erkranken, als sein 6—7 Jahre jüngerer hinterer Nachbar. Aber gerade dieser Zahn fällt erfahrungsgemäß und wie wir auch selbst später noch sehen werden der Zange bei weitem am meisten zum Opfer. Die Gründe hierfür anzugeben, würde uns zu weit führen; sie sind in der vorher angeführten Veröffent- lichung des Herrn Prof. Dr. Hesse eingehend erläutert worden. Würde der 1. Molar, anstatt daß er extrahiert würde, in analoger Weise gefüllt werden, wie der zweite Molar, so würde er sicher diesen an Kauflächenfüllungen übertreffen. Daß wir beim Weisheits- zahn weniger Kauflächenfüllungen nachweisen konnten, als bei den beiden anderen Molaren, ist darin begründet, daß dieser Zahn als letzter von allen anderen bleibenden Zähnen erscheint, ja, daß er nicht selten überhaupt nicht zum Durchbruch kommt.

Die Prämolaren des Oberkiefers sind den Molaren gegenüber bezüglich der Kauflächendefekte insofern günstiger gestellt, als ihre Fissuren nicht so tief und kompliziert sind, als die Fissuren dieser Zähne; sie erscheinen deshalb auch bedeutend weniger mit Kauflächenfüllungen versehen, wie jene. Von diesen beiden oberen Prämolaren hat der zweite wieder mehr Kauflächenfüllungen auf- zuweisen wie der erste, was daran liegt, daß bei ihm der linguale Höcker dem buccalen an Höhe gleichkommt, während beim ersten oberen (und auch bei den beiden unteren Prämolaren) der linguale Höcker niedriger ist als der buccale. Es wird deshalb beim 2. oberen Prämolar die Fissur durch die benachbarten gleichhohen Höcker mehr vertieft werden, als beim ersten, und es wird so eine bessere Retentionsstelle für Speiseteilchen usw. geschaffen sein.

Im Unterkiefer sind die Schneide- und Eckzähne bei weitem weniger belastet bezüglich der Füllungen kariöser Defekte der Schneiden, als sie es im Oberkiefer waren. Dieser Umstand ist zweifellos einesteils dadurch begründet, daß im Unterkiefer gerade die Frontzähne beständig vom Speichel, der der Caruncula sub- lingualis entströmt, umspült werden, anderenteils dadurch, daß diese Zähne am meisten von der Zungenspitze getroffen und so immer abgewischt werden, wodurch ein Hatten von Speisepartikel- chen und infolgedessen ein Entstehen kariöser Detekte auf den Schneiden dieser Zähne fast zur Unmöglichkeit wird. Der untere erste Molar hat eine geringere Frequenzzitter bezüglich der Kanu-

on

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Zimmermann, Statistische Bearbeitung und Untersuchung usw. 327

tächendefekte aufzuweisen, als derselbe Zahn im Oberkiefer; dies liegt daran, daß von den beiden ersten Molaren der untere wieder viel häufiger zur Extraktion gelangt, als der obere. Wenn man die Häufigkeit der Kauflächenfüllungen des 2. unteren Molaren in Betracht zieht, wäre anzunehmen, daß der 1. untere Molar dem 2. in dieser Beziehung nicht nachsteht. Denn es wäre nicht recht ein- zusehen, weshalb der 1. untere Molar dem 2. gegenüber so sehr im Vorteil sein sollte, da doch für beide annähernd dieselben Beding- ungen vorliegen, ja für den 1. Molar insofern sich noch schlechter gestalten, als er von beiden der ältere Zahn ist. Es muß deshalb die Ursache davon, daß dieser Zahn relativ so wenig Kauflächen- füllungen aufzuweisen hat, darin liegen, daß derselbe außerordent- lich häufig extrahiert wird. Beim zweiten unteren Molaren sind viel häufiger Kauflächenfüllungen angetroffen worden, als bei demselben Zahne im Öberkieferr, was im wesentlichen darauf zurückzuführen ist, daß die im Speichel suspendierten Speise- partikelchen in höherem Grade nach unten sedimentieren, als sie nach oben hingeschwemmt werden. In den Fissuren der unteren Molaren können sie dann leicht Fuß fassen und so eine kariöse Erkrankung veranlassen. Auch der Umstand wird eine nicht inwesentliche Rolle hierbei spielen, daß die oberen Molaren be- ständige vom Parotisspeichel abgespült werden, wodurch hier fest- gesetzte Speiseteile leichter wieder mechanisch entfernt werden als unten. Dasselbe, was vom 2. Molar gesagt wurde, giltim allgemeinen ebrso für den Weisheitszahn, der auch unten etwas mehr Füll- ugen auf seiner Kaufläche zeigt als oben.

Indem wir uns zur Betrachtung der Kurven der approxi- malen Zahnflächenfüllungen wenden, sehen wir, daß die Kurwe der mesialen Zahnfüllungen auf unserer Tafel I mit rot gest richelten, die der distalen Zahnfüllungen mit schwarz punk- terten Linien eingezeichnet wurden. Zunächst soll von diesen beiden die rot gestrichelte Kurve der Füllungen auf den mesialen Zahnflächen einer genaueren Betrachtung unter- worfen werden.

Im Oberkiefer setzt diese Kurve beim mittleren Schneidezahn hoch oben rechts mit 382,5, links mit 390,5 mesialen Füllungen anf 10000 Kronenfüllungen überhaupt ein; von hier zum seit- lichen Schneidezahn steigt sie noch etwas höher, so daß sie daselbst ihre höchste Höhe mit rechts 439, links 447 mesialen Füllungen erreicht. Vom kleinen seitlichen Schneidezahn fällt

unsere Kurve nun außerordentlich steil herab zum Eckzahn, der nur 135 mesiale Füllungen rechts und 161 desgleichen links auf- zuweisen hat,

Es ist dies der steilste Abfall, nicht nur der vorliegenden Kurve mesialer Zahnfüllungen, sondern sämtlicher in unserer

3928 Zimmermann, Statistische Bearbeitung und Untersuchung usw.

Tafel I aufgezeichneten Kurven. Vom Eckzahn bleibt die rot gestrichelte Kurve der mesialen Füllungen in annähernd gleicher Höhe bis zum 1. Prämolaren; von da bis zum 2. Prämolaren steigt sie wieder mäßig empor, um daselbst rechts die Höhe von 180, links von 179,5 auf 10000 Füllungen zu erreichen. Vom 2. Prämolaren fällt unsere Kurve stetig bis zum Weisheitszahn herab, indem sie beim 1. Molar die Höhe rechts von 127, links von 127,5, beim 2. Molar die von 41, bzw. 39,5, und endlich beim Weisheitszahn die Höhe von 13, bzw. 12 mesialen Füllungen auf 10000 Zahnfüllungen erreicht.

Ihre höchste Höhe erreicht die Kurve mesialer Füllungen im Oberkiefer also bei den Schneidezähnen. und zwar ist unter ihnen der kleine Schneidezahn mit den meisten Füllungen belastet. Am tiefsten steht sie bei den Molaren, wo sie, indem sie vom 1. bis 3. Molar progressiv absteigt, beim Weisheitszahn ihren tiefsten Punkt erreicht.

Im Unterkiefer sind die Exkursionen der rot gestrichelten Kurve der mesialen Füllungen lange nicht so groß, wie sie im Oberkiefer waren. Sie beginnt beim mittleren Schneidezahn ziem- lich tief unten; wir haben auf 10000 Zahnfüllungen bei ihm rechts 12,5, links 16 mesiale Füllungen zu verzeichnen gehabt. Von hier aus steigt sie in fast gerader Linie ganz flach über den seitlichen Schneidezahn (19, bzw. 18 auf 10000 Zahnfüllungen) zum Eckzahn empor, den sie mit 27 rechts, bzw. 21 links er- reicht. Vom Eckzahn steigt sie ebenfalls in fast gerader Linie, aber wesentlich steiler hinauf zum 1. und von bier weiter zum 2. Prämolaren, wo sie ihre höchste Höhe rechts mit 83, links mit 82 Füllungen erlangt hat. Nun fällt sie wieder konstant in fast gleichen Intervallen über den 1. und 2. Molaren bis zum Weisheitszahn herab, den sie beiderseits mit 13,5 Füllungen fast in gleicher Höhe mit ihrem Anfangspunkt beim mittleren Schneide- zahn erreicht.

Den tiefsten Stand hat diese Kurve im Unterkiefer fast gleichmäßig beim mittleren Schneidezahn und beim Weisheitszahn, den höchsten beim 2. Prämolaren, dem allerdings der 1. Molar nicht viel nachgibt.

Die auf unserer Tafel I schwarz punktiert gezeichnete Kurve der distalen Füllungen läuft der eben besprochenen rot gestrichelten Kurve der mesialen Füllungen annähernd parallel, indem sie um einen Zahn nach vor verschoben ist.

Sie beginnt am mittleren Schneidezahn etwa in derselben Höhe, die die rot gestrichelte Kurve mesialer Füllungen am seit- lichen Schneidezahn erreicht hatte. Wir finden hier rechts 456,5, links 444 distale Füllungen auf 10000 Zahntfüllungen überhaupt vor. Von hier fällt sie sehr steil bis zum seitlichen Schneidezahn

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Lina mermann, Statistische Bearbeitung und Untersuchung usw. 329

herab, auf den rechts 225, links 222 Füllungen kommen. Bis zum Eckzahn ist vom seitlichen Schneidezahn nochmals ein Ab- fall der Kurve zu verzeichnen, der aber bei weitem nicht so steil ist, wie der eben genannte. Hier erreicht sie eine Höhe rechts von 149, links von 155,5 Füllungen. Dies ist ungefähr die gleiche Höhe, die die rot gestrichelte Kurve der mesialen Füllungen bei diesem Zahne erreichte. Vom Eckzahn steigt die Kurve bis zum 1. Prämolar wieder etwas an; hier hat sie un- gefähr dieselbe Höhe, die die rot gestrichelte Kurve beim 2. Prä- molar erreichte. Von hier aus fällt die schwarz punktierte Kurve, analog des Abfalles der rot gestrichelten Kurve vom 2. Prämolar, beständig progressiv bis zum Weisheitszahn herab, den sie beiderseits mit 2 Füllungen auf 10000 trifft. Ihren höchsten Punkt erreicht die schwarz punktierte Kurve im Oberkiefer demnach beim mitt- leren Schneidezahn, ihren tiefsten beim Weisheitszahn; das Ver- hältnis beider Höhenextreme dieser Kurve ist rund 450:2.

Im Unterkiefer setzt unsere schwarz punktierte Kurve der distalen Füllungen beim mittleren Schneidezahn höher ein, als es die Kurve der mesialen Füllungen tat, etwa in derselben Höhe, die die rot gestrichelte, mesiale Kurve beim seitlichen Schneidezahn erreichte, und zwar haben wir rechts 21, links 17,5 distale auf 10600 Zahnfüllungen überhaupt zu verzeichnen. Vom mittleren Schneidezahn steigt sie im allgemeinen wieder parallel zur rot gfestrichelten Kurve, jedoch wieder um einen Zahn vorgerückt, bis zum 1. Prämolar, wo sie beiderseits 74: 10000 Füllungen erreicht. Von diesem Zahne fällt sie mäßig über den 2. Prämolar, den 1. und 2. Molaren zum Weisheitszahn ab, wo sie jederseits mit 41:10000 Füllungen abschließt,

Die höchste Stelle hat die distale Kurve im Unterkiefer beim l. Prämolaren, die tiefste beim Weisheitszahn aufzuweisen.

Fragen wir uns nun, was die beiden eben besprochenen Füllungskurven der approximalen Zahnflächen besagen, so ersehen wir daraus folgendes. Der Umstand, daß die schwarz punktierte Kurve der distalen Füllungen der rot gestrichelten der mesialen Füllungen annähernd parallel geht, jedoch so, daß sie nm einen Zahn vorgeschoben ist, zeigt uns zunächst, daß die distale Fläche eines Zahnes und die mesiale des ihm folgenden in den meisten Fällen annähernd gleich viele Füllungen aufzuweisen haben,

ur mit anderen Worten, daß die Berührungsflächen zweier -ähne die Neigung haben, gleichmätig kariös zu erkranken,

Ys ist dies Ja eine durch die Ertahrung längst bekannte Tat- sache, die aber durch den Verlauf dieser beiden Kurven in Tatel I hier graphisch zur Anschauung gebracht wird.

Bei der Betrachtung der approximalen Fülluneskurven in unserer Tafel I sehen wir, daß im Öberkieter der mittlere Schneide-

330 Zimmermann, Statistische Bearbeitung und Untersuchung usw.

zahn mesial weniger Füllungen aufzuweisen hat als distal. Wenn auch die diesbezügliche Differenz beider Flächen dieses Zahne nicht sehr groß ist, so ist sie doch groß genug, um nicht durch Zufälligkeiten veranlaßt sein zu können. Beim seitlichen oberen Schneidezahn dagegen ist die mesiale Fläche in gleicher Weise mit Füllungen belastet, wie die distale Fläche des mittleren Schneidezahnes. Diese drei Zahnflächen (die mesiale und distale des mittleren und die mesiale des seitlichen oberen Schneidezahns) haben unter allen Zahnflächen überhaupt die meisten Fill- ungen aufzuweisen; dies liegt ohne Zweifel einesteils daran, daß die Form dieser Zahnflächen, welche sich als flache, breite, drei- eckige Flächen repräsentieren, den verderbenbringenden Speise- resten eine sehr bequeme Lagerstätte darbieten. Dann kommt noch hinzu, daß gerade die Schneidezähne sehr häufig so eng stehen, daß sie sich bis, oder wenigstens fast bis an den Zahn- fleischrand vollkommen mit breiter Fläche berühren und so eine jede mechanische Reinigung illusorisch machen. Daß die megialen Flächen der mittleren Schneidezähne eine etwas geringere Füll- ungsfrequenz aufweisen, als die approximalen Flächen des mitt- leren und seitlichen Schneidezahnes, liegt daran, daß die beiden mittleren Schneidezähne, die durch die Mittellinie getrennt sind, öfter etwas weiter auseinander stehen, als der mittlere vom seitlichen Schneidezahn, wodurch die Entfernung der in diesem Zwischenraume verbleibenden Speiseteilchen erleichtert wird.

Auffallend ist der Absturz der schwarz punktierten Kurve der distalen Füllungen vom mittleren Schneidezahn zum seitlichen; das Verhältnis der Füllungen der distalen Seite des mittleren Schneidezahnes zu denen der distalen Seite des seitlichen Schneide- zahnes ist rund wie 2:1; d. h. die distale Fläche von I? hat nur halb soviel Füllungen aufzuweisen, wie dieselbe Fläche von It. Dies ist offenbar dadurch begründet, daß der der distalen Fläche des seitlichen Schneidezahnes benachbarte Eckzahn infolge der annähernd konischen Gestalt seiner Krone meist nur eine geringere Berührungsflächke mit dem seitlichen Schneidezahn darbietet.

Der Eckzahn selbst erscheint im Verhältnis za den Schneide- zähnen viel weniger mit approximalen Füllungen belastet, und zwar hat sowohl seine mesiale wie distale Fläche beinahe die ganz gleiche Zahl von Füllungen aufzuweisen. Die Ursache hierzu liegt in erster Linie in der schon vorhin erwähnten konischen Form seiner Krone, wozu noch seine Stärke und Festigkeit kommt. Daß wirklich die konische Form seiner Krone eine große Rolle hierbei spielt, sieht man an der Füllungsfrequenz der approxi- malen Flächen seiner Nachbarzähne. Wie wir aus unserer Kurven- tafel I ersehen, haben sowohl der seitliche Schneidezahn an seiner

er

00

lixa mermann, Statistische Bearbeitung und Untersuchung usw. 331

dist alen, wie der 1. Prämolar an seiner mesialen Fläche eine viel geringere Füllungsfrequenz zu verzeichnen, als sie diese Zähne an ihren entgegengesetzten Flächen haben. Man kann nicht gut ein- sehen, weshalb diese letzteren Flächen mehr der kariösen Erkrank- ung ansgesetzt sein sollen, als die dem Eckzahn zugewandten Flächen seiner Nachbarzähne, wenn nicht durch die Form des Eckzahnes selbst eine Ursache dazu gegeben wäre. Der konische, im Querschnitte fast kreisrunde Kegel der Eckzahnkrone bietet eben den Speise- teilchen weniger Gelegenheit sich festzusetzen, und er wird des- halb sowohl sich, wie auch die ihm zugewandten Flächen seiner Nachbarzähne mehr vor kariöser Erkrankung schützen. Von dem Eckzahn an laufen die Kurven der approximalen Füllungen wieder annähernd parallel, derart, daß die mesiale Kurve bis zum zweiten, die distale bis zum ersten Prämolaren ansteigen, von welchen Zähnen diese Kurven in annähernd gleichen Etappen bis zum Weisheitszahn abfallen. Dieser Zahn hat im Überkiefer sowohl mesial, wie auch distal die geringste Füllungs- frequenz aufzuweisen. Daß er distal sehr gering bezüglich der Füllungen belastet erscheint, hat seinen Grund offenbar darin, daß hinter ihm kein weiterer Zahn steht, also auch Speisereste sich im allgemeinen dort nicht längere Zeit aufhalten können. In den wenigen Fällen, .wo wir doch bei diesem Zahne distale kariöse Defekte vorfinden, wird die Schuld daran liegen, daß der Weisheitszahn Schwierigkeiten beim Durchbruch hatte und längere Zeit von hinten von einer Zahnfleischtasche teilweise überkappt wurde, andererseits daran, daß er bei zu kleinem Kiefer zu nahe an die Intermaxillarfalte heranrückt. In beiden Fällen wird unter Umständen Speiseteilen zu längerem Verweilen an seiner distalen Fläche Gelegenheit gegeben sein. Mesial hat der Weis- beitszahn etwas mehr Füllungen aufzuweisen als distal, was durch die Nachbarschaft des 2. Molaren bedingt ist. Daß man auch hier weniger als bei anderen Zähnen im Oberkiefer Füllungen vorfindet, liegt daran, daß er überhaupt als jüngster Zahn des Gebisses geringere Anwartschaft hat, kariös zu erkranken, als die übrigen Zähne. | . Fragen wir uns nun noch, woran es wohl liegen wird, dab die Schneidezähne so viel häufiger mit approximalen Füllungen "ersehen sind, als die Prämolaren und Molaren, so glauben

"wir, daß dieser auffallenden Differenz folgende Momente zugrunde

Aegen. Einmal wird von vielen Patienten aus kosmetischen Gründen mehr Wert auf die Erhaltung der Schneidezäline ge- legt, als auf die der Back- und Mahlzähne, so daß oftmals die letzteren dem Verfalle anheimgestellt werden, während die Schneide- zähne in der Regel schon in relativ frühen Stadien der Karies zur Behandlung kommen. Dann wird nicht selten durch Ex-

33» Zimmermann, Statistische Bearbeitung und Untersuchung usw.

traktionen die Reihe der Back- und Mahlzähne hier und da unter- brochen, wodurch die im Munde noch verbleibenden, den so ent- standenen Zahnlücken benachbarten Prämolaren und Molaren freie mesiale, resp. distale Flächen erhalten, was deren Gereinigtwerden begünstigt; oder es werden auch durch frühzeitige Extraktion des einen oder anderen Mahlzahnes oder Prämolaren (besonders des 1. Molaren) die übrigen Back- oder Mahlzähne auseinander rücken, wodurch ebenfalls die mechanische Reinigung besser von statten gehen kann, während in beiden Fällen die Schneidezähne enger aneinander gepreßt stehen bleiben. Endlich kommt der Umstand mit in Frage, daß durch das Abbeißen der gerade für die Begünstigung der Karies so verhängnisvollen stärkehaltigen Nahrungsmittel (Brot, usw.) kleine Teilchen in die engsten Zwischen- räume der vorderen Zähne, die ja das Abbeißen besorgen, hinein- geschoben werden, während bei dem eigentlichen Zerkauen dieser Nahrungsmittel was überhaupt bei der Weichheit und leichten Durchtränkbarkeit gerade derartiger Nahrungsmittel mit Speichel nicht gar zu ausgiebig zu geschehen pflegt in der Hauptsache die Kauflächen der Molaren in Mitleidenschaft gezogen werden. Es werden deshalb bei den Mahlzähnen die Fissuren der Kau- flächen mehr Anwartschaft haben, solche Speiseteilchen zurück- zuhalten, als ihre Zwischenräume.

Im Unterkiefer stehen die Vorderzähne meist nicht so eng, als im Öberkiefer, so daß der Speichel, der ja sowieso die Vorderzähne des Unterkiefers beständig umspült, zwischen den- selben mit Leichtigkeit durchfließen kann, ihre approximalen Flächen immer reinigt, und so ein Haften von Speiseteilchen ver- hindert. Am meisten sind im Unterkiefer die Prämolaren und der 1. Molar an ihren approximalen Flächen von Füllungen heim- gesucht, was eben daran liegt, daß diese Zähne weniger vom Speichel der submaxillaren und sublingualen Speicheldrüsen ge- troffen werden. Vom 1. Molar bis zum Weisheitszahn fallen im Unterkiefer die Kurven der approximalen Füllungen wieder in gleichen Abständen ab. Von diesen Zähnen, besonders vom Weis- heitszahn, gilt im allgemeinen auch im Unterkiefer dasselbe. was wir von ihren Antagonisten im Oberkieter vorhin gesagt hatten.

Kommen wir nun zur Betrachtung der auf unserer Tafel I schwarz gestrichelten Kurve der Füllungen auf den labialen, resp. buccalen Zahnflächen. so sehen wir schon bei einem flüchtigen U berblicken derselben, daß sie sowohl im Öberkiefer wie im Unterkiefer sich nicht allzuweit von der Hori- zontalachse unserer Tatel entfernt.

Im Oberkiefer setzt sie mit ihrem höchsten Punkte, und zwar mit rechts 43, links 48 auf 10000 Füllungen, beim mitt-

Jzg--nmermann, Statistische Bearbeitung und Untersuchung usw. 333

exen Schneidezahn ein. Dann fällt sie zum seitlichen Schneide- un mehr als zur Hälfte dieser Höhe herab, indem sie rechts 1t, links 20 Füllungen aufzuweisen hat. Auf dieser Höhe erhält sich unsere Kurve bis zum Eckzahn. Von diesem Zahn fällt sie stark zu den Prämolaren herab; den 1. Prämolaren erreicht sie rechts mit 4,5, links mit 4 Füllungen, der 2. Prämolar hat sogar rechts nur 1,5, links 2 auf 10000 Füllungen aufzuweisen. Zu den Molaren steigt die schwarz gestrichelte Kurve wieder etwas empor; von ihnen haben die beiden ersten Molaren etwa die gleiche Kurvenhöhe, im Mittel beiderseits etwa 9:10000 Füllungen, während die Kurve zum Weisheitszahn wieder um ein Weniges sinkt, so daß sie hier rechts 5, links 4 auf 10000 Füllungen zeigt.

Den höchsten Punkt erreicht die Kurve der labialen, resp. boccalen Zabnfüllungen im Oberkiefer also beim mittleren Schneide- zahn, während ihre niedrigste Stelle sich beim 2. Prämolaren vorfindet.

Im Unterkiefer fängt diese Kurve, im Gegensatz zu oben, mit ihrem tiefsten Punkte beim mittleren Schneidezahn an. Hier kommen rechts 2, links 3 auf 10000 Zahnfüllungen. Sie steigt nun ganz minimal bis zum seitlichen Incisivus, wo sie die Höhe rechts von 4, links von 5 Füllungen erreicht; von hier bis zum Eckzahn ist die Steigung der Kurve um ein wenig steiler, so daß sie bei diesem Zahne 13, resp. 12 Füllungen angibt. Vom Eckzahn bis zam 1. Prämolar behält die Kurve etwa die gleiche Höhe bei, zum 2. Prämolar fällt sie dagegen um ungefähr die Hälfte ihrer vorigen Höhe ab. Während sie von nun an zum 1. Molar und von da zum 2. Molar stetig ansteigt, wir finden bei letzterem Zahne rechts 37, links 36,5:10000 Füllungen

Fra fällt sie von letzterem Zahne zum Weisheitszahn wieder ziemlich schnell ab, indem sie hier rechts 16, links 12 Füll- ug wen zeigt.

Im Unterkiefer erreicht unsere Kurve der labialen, resp. bucecalen Zahnfüllungen ihre höchste Höhe beim 2. Molar, am niedkrigsten steht sie dagegen beim mittleren Schneidezahn.

. Wie wir sahen, hält sich die schwarz gestrichelte Kurve der Füllungen labialer, resp. buccaler Defekte während ihres Ver- \aufes in der Nähe der horizontalen Achse des Achsenkreuzes unserer Tafel I; es bedeutet dies, daß die labialen, resp. buccalen

Zahnflächen im allgemeinen nicht sehr häufig von Zahnkaries befallen werden. Dies erscheint ja auch ganz natürlich, wenn man bedenkt, daß die Wangen, bzw. die Lippen fortwährend durch ihre Bewegungen heim Kauen, Sprechen usw. die glatten äußeren Zahn wände abreiben, wodurch ein Anhaften von Speiseteilchen sehr erschwert wird. Im Oberkiefer haben wir die meisten labialen Füllwungen beim mittleren Schneidezahn zu verzeichnen gehabt,

| |

334 Zimmermann, Statistische Bearbeitung und Untersuchung usw.

dem dann der seitliche Schneidezahn und der Eckzahn an Häutig- keit dieser Füllungen folgen, während die anderen Zähne des Ober- kiefers diesen eben genannten weit nachstehen. Bei diesen Front- z&ähnen werden wir die labialen Defekte am häufigsten oben am Zahnbalse finden, da sich gerade an dem vorderen Zahnfleischrande mit Vorliebe Speisepartikelchen festsetzen. Wie andere Autoren (Hesse) bereits nachgewiesen haben, ist dies besonders häufig bei bestimmten Berufsarten der Fall, bei denen die Arbeiter in mehl- oder zuckerstaubhaltiger Atmosphäre sich aufhalten müssen (Bäcker, Konditoren, Köche usw.). Bei ihnen setzt sich der Mehl-, resp. Zuckerstaub naturgemäß zunächst an die Außenflächen der Frontzähne fest; während nun die Lippen im allgemeinen den angesetzten Staub wieder von den glatten Zahnflächen entfernen, bleibt am Zahnhalse unter dem schützenden Walle des Zahnfleisch- randes immer noch etwas liegen, genug, um durch ihre Zersetzung die harten Zahnsubstanzen zu zerstören. Sind sonst, abgesehen vom Zahnhalse, noch an den labialen Flächen der Frontzähne Fül- lungen, resp. Defekte zu finden, sind diese wohl immer aut Grund hypoplastischer Grübchen oder Furchen entstanden, da sich in diese besonders leicht und fest derartige Speisepartikelchen festsetzen können. Daß auch hierbei die oben genannten Berufs- arten besonders belastet erscheinen, ist ohne weiteres ver- ständlich.

Die Prämolaren sind sehr wenig mit buccalen Füllungen belastet, und unter ihnen der erste wieder etwas mehr als der zweite. Auch bei diesen Zähnen werden wir im wesentlichen cervicale Defekte der buccalen Flächen zu erwarten haben, da bei ihnen bezüglich ihrer Ätiologie dasselbe gilt, was bei den Frontzähnen gesagt war. Daß aber die Prämolaren den Front- zähnen gegenüber eine so geringe Anzahl buccaler Defekte auf- zuweisen haben, liegt einesteils daran, daß sie weiter hinten liegen als diese, und so weniger von den Schädlichkeiten getroffen werden; dann werden sie auch aut der gewölbten hbuccalen Fläche der Prämolaren den Speiseteilchen einen viel geringeren Halt bieten können, als es die breiten, flachen labialen Flächen der Schneidezähne tun, und endlich kommen auf den Prämolaren so gut wie niemals hypoplastische Schinelzgrübchen vor, die der kariösen Erkrankung als Angriffspunkte dienen könnten.

Bei den Molaren des Oberkiefers steigert sich die Füllungs- freuenz auf den buccalen Flächen etwas mehr. Wie bekannt. befindet sich meistenteils auf der buccalen Fläche derselben eine mehr oder weniger tiefe Furche, die von der buccalwärts liegen- den Fissur der Kaufläche sich auf die buccale Zahnfläche der Molaren herabzieht. Diese Furche bietet nun mitunter, wenn sie einirermaßen tief ist, den Speisepartikelchen eine gute Retentions-

Zimmermann, Statistische Bearbeitung und Untersuchung usw. 335

stelle dar. Daß trotzdem verhältnismäßig so selten kariöse Defekte an den buccalen Flächen der oberen Molaren vorkommen, liegt daran, daß der dem Ductus Stenonianus entströmende Parotis- speichel fortwährend diese Flächen bespült und so die anhaftenden Speiseteilchen entfernt.

Auch im Unterkiefer werden wir die meisten Defekte der labialen, resp. buccalen Zahnflächen am cervicalen Rande der Zähne zu suchen haben, da die Unterlippe, bzw. die Wange so dicht an den Zähnen zu liegen pflegt, daß durch dieselbe die labialen, resp. buccalen Zahnflächen immer abgewischt werden, während die hinter dem Zahnfleischwall am Zahnhalse liegenden Speiseteilchen da- selbst liegen bleiben.

Die Frontzähne werden im Unterkiefer nicht in dem Maße von labialen Defekten heimgesucht wie im Öberkiefer, was ebenso wie es bei deren approximalen Flächen der Fall war darin begründet erscheint, daß diese Zähne beständig vom Speichel der sublingualen und submaxillaren Drüsen umspült werden, wodurch ein Anhaften schädlicher Stoffe hintangehalten wird. Außerdem sind diese Zähne beim gewöhnlichen Öffnen des Mundes, wie es beim Sprechen, Lachen usw. geschieht, mehr und fester von der Unterlippe bedeckt, als ihre Antagonisten von der Oberlippe. Es werden deshalb auch bei den oben erwähnten Be- rufsarten diese unteren Frontzähne viel weniger von den in der Luft tlottierenden Schädlingen getroffen werden, als die oberen. Am meisten wird aber die zuerst genannte Ursache, also der um- spülende Speichel, zur besseren Konservierung der labialen Flächen der unteren Frontzähne beitragen. Dies geht schon daraus hervor, daß die mittleren Schneidezähne im Unterkiefer, hinter denen die Karunkeln der unteren Speicheldrüsen liegen, und die daher den sie umspülenden Speichel aus erster Hand haben, am wenigsten von labialen Defekten betroffen werden, während die übrigen Frontzähne, je weiter hinten sie liegen, um so mehr von labialen Defekten heimgesucht werden.

Daß der 2. Prämolar weniger mit buccalen Defekten be- haftet ist als der 1., ist nicht leicht einzusehen, da doch beide im allgemeinen denselben Bedingungen unterworfen sind. Viel- leicht liegt diese auffallende Differenz zwischen den beiden unteren Prämolaren daran, daß gerade in der Gegend des 2. Prämolaren sich die Fasern von verschiedenen Muskeln, die in der unteren Mundwinkelgegend liegen (M. triangularis, quadratus labii inf., incisivus labii inf., buccinator), miteinander verflechten. Es wird dadurch eine etwas grölsere Spannung der Wangenmuskulatur an dieser Stelle zeschatfen, wodurch die Wange fester an den 2. Prä- molar angedrückt wird, und so diesen Zahn mechanisch besser abreiben kann.

336 Zimmermann, Statistische Bearbeitung und Untersuchung usw.

Die Molaren haben von allen Zähnen des Unterkiefors am meisten Defekte an den buccalen Flächen aufzuweisen. Von diesen Zähnen gilt genau dasselbe, was von ihren Antagonisten im Ober- kiefer gesagt wurde. Auch hier spielt die Furche, die sich von der Fissur der Kaufläche auf die buccale Fläche herabzieht, die wesentlichste Rolle. Und da hier der konservierende Parotis- speichel nicht so direkt wirkt, wie oben, ist die Belastung dieser Zähne bezüglich der kariösen Defekte der buccalen Fläche eine größere, als sie es im Öberkiefer war.

Kommen wir endlich zur roten Kurve der Füllungen auf den palatinalen, resp. lingualen Zahnflächen, so sehen wir, daß sie in noch viel erhöhterem Maße sich in der Nähe der Horizontalachse aufhält, als es bei der schwarz gestrichelten Kurve der labialen, resp. buccalen Füllungen der Fall war; ja sie fällt, besonders im Unterkiefer, mit dieser Achse fast zusammen.

Im Oberkiefer beginnt die Kurve der palatinalen Füllungen beim mittleren Schneidezahn rechts mit 11, links mit 18 auf 10000 Zahnfüllungen und steigt bis zum seitlichen Schneidezahn auf 31, resp. 30,5 Füllungen. Von hier sinkt sie zum Eckzahn auf 6, resp. 8 auf 10000 Füllungen. Zum 1. Prämolar gelangend sinkt die Kurve noch tiefer herab (auf 1,5, resp. 2 Füllungen), auf welcher Höhe etwa sie sich bis zum 2. Prämolar erbält. Von diesem Zahn steigt sie bis zum 1. Molar wieder etwas empor, ungefähr bis zur Höhe des Eckzahnes (7, resp. 8), um von hier allmählich wieder über den 2. Molar nach dem Weisheitszahne abzufallen, bei welchem Zahne die Kurve rechts und links die Höhe von 2 auf 10000 Füllungen erreicht.

Im Unterkiefer entfernt sich die rote Kurve der lingualen Füllungen nur beim 1. und 2. Molar merklich von der Horizontal- achse, indem sie beim 1. Molar 2, bzw. 5, beim 2. Molar 5, bzw. 5,5 linguale Füllungen auf 10000 Kronenfüllungen überhaupt aufweist. Bei allen übrigen Zähnen des Unterkiefers fällt die Kurve mit der Abszissenachse zusammen, oder entfernt sich nur ganz minimal von derselben, wie beim Fekzahn und Weisheits- zahn, die beide rechts und links je eine Füllung auf 10000 Zahn- füllnngen zeigen.

Die geringe Abweichung der roten Füllungskurve palatinaler, resp. lingualer Zahnflächen von der Horizontalachse lehrt uns, daß die palatinalen, resp. lingualen Zahnflächen sehr selten der Karies anheimfallen, und zwar sind diese Flächen am wenigsten von allen Zahnflichen für diese Erkrankung prädisponiert. Es ist ohne weiteres verständlich, daß diese Erscheinung darin ihren Grund findet, daß» sowohl im Oberkiefer, aber noch weit mehr im Unterkiefer diese Zahntlächen fortwährend von der Zunge be- strichen werden, wodurch ein stetes Abwischen derselben erfolgt.

Zimmermann, Statistische Bearbeitung und Untersuchung usw. 337

Im Oberkiefer sind von allen palatinalen Flächen die der Schneide- zähne am meisten der Karies ausgesetzt, unter den Schneidezähnen sind wieder die seitlichen wesentlich mehr belastet, wie die mitt- leren. Der Grund zu der Bevorzugung der seitlichen Schneide- zähne bezüglich der palatinalen Defekte liegt darin, daß bei diesen Zähnen das über dem Tuberculum dentale gelegene Foramen coecum oft sehr tief ist und so besonders gute Retentionsstellen für Speiseteilchen darbietet. Beim mittleren Schneidezahn ist eine dem Foramen coecum der seitlichen Schneidezähne ent- sprechende Schmelzfalte seltener vorhanden oder wenigstens lange nicht so tief, wie bei jenen, weshalb auch die Möglichkeit einer Retention von Speiseteilchen bei diesen Zähnen seltener gegeben ist, als bei jenen. Dasselbe gilt vom Eckzahn, nur daß bei diesem Zahn noch weniger palatinale Defekte vorkommen. Die Prämolaren haben auf ihrer glatten, runden palatinalen Fläche fast keine kariösen Defekte aufzuweisen, da auf derselben ein Anhaften von Speiseteilchen fast ein Ding der Unmöglichkeit ist. Bei den Molaren kommt mitunter eine von der palatinalwärts gelegenen Fissur der Kaufläche ausgehende und auf die palatinale Fläche übergreifende Furche vor, in deren Tiefe zuweilen kariöse Defekte entstehen. Auch am Zahnfleischrande sehen wir manch- mal einen Defekt an den palatinalen Flächen der Molaren, die häufig infolge anliegender Prothesen entstanden sind. Es ist deshalb bei den Molaren wieder eine etwas häufigere Füllungs- frequenz an den palatinalen Flächen zu konstatieren, als bei den Prämolaren.

Im Unterkiefer, wo die Zunge, wie schon gesagt, fortwährend die lingualen Flächen der Zähne abreibt, und wo der beständig zufließende Speichel der reinigenden Tätigkeit der Zunge zu Hilfe kommt, werden so gut wie keine von der lingualen Fläche aus- gehende Defekte beobachtet. Nur bei den Molaren, wo auch mitunter die linguale Fissur der Kaufläche sich bis auf die linguale Fläche fortsetzt, kommt aus denselben Gründen, wie wir sie eben bei den Molaren im Oberkiefer angeführt haben, selten ein kariöser Defekt dieser Flächen vor. Wenn bei den übrigen Zähnen des Unterkiefers hier und da einmal ein von den lingualen Flächen ausgehender Defekt zur Beobachtung kam, so sind hierbei irgend- welche Abnormitäten im Bau oder in der Stellung der Zähne oder irgend andere Zutälligkeiten die Ursache davon gewesen.

In vorstehenden Zeilen haben wir nun versucht, das, was unsere Tatel I (Tabelle 10) darstellt, in Worte zu kleiden und dabei den Ursachen nachzugehen, die den der Praxis entnominenen Werten, auf welche die Tabelle 10 sowohl, wie Tafel I fuben, zugrunde liegen.

Die folgende Tafel II ist aus Tatel I umzetormt. Sie be-

XXI. ael

93s Zimmermann, Statistische Bearbeitung und Untersuchung us.

sagt im Grunde genommen dasselbe wie diese, indem auch sie uns die Füllungsfrequenz der verschiedenen Flächen der einzelnen Zähne darstellt. Während aber Tafel I durch die Darstellung in Kurvenform den Hauptwert auf die verschiedenen Flächen der Zähne legte und dieselben bezüglich ihrer Füllungsfregnenz miteinander verglich, so soll uns Tafel II die einzelnen Zähne nebeneinander stellen und uns zeigen, wie häufig Füllungen bei

einem jeden einzelnen Zahne auf jeder seiner fünf verschiedenen Flächen gefunden wurden.

Da, wie wir sahen, die diesbezüglichen Werte der rechten Kieferseite mit denen der linken sich fast vollkommen decken, so sind der Einfachheit halber nicht die rechte und linke Kieferseite getrennt, sondern nur je eine Hälfte des Kiefers oben (von Zahn | bis 8) und unten (von Zahn —1 bis —8) angenommen worden.

Zu dem Zwecke wurden von den Zahlenwerten der sich ent- sprechenden Zähne rechts und links in der der Tafel I zugrunde liegenden Tabelle 10 die Mittelwerte angenommen, welche dann,

zu ganzen Zahlen abgerundet, in folgender Tabelle 11 fixiert wurden (siehe S. 339).

Hierbei sind selbstverständlich nicht mehr 10000 Füllungen als die Norm anzusehen, auf welche die Füllungswerte der einzelnen Zahnflächen reduziert worden sind, sondern wir werden, da wir nur die Füllungen der Zabnflächen einer Kieferhälfte hier vor uns haben, diese auf 5000 Zahnfüllungen im ganzen zurückzu- führen haben.

Diese in Tabelle 11 Afixierten Zahlenwerte sind nun der Tafel IL zugrunde gelegt.

Der besseren Übersicht wegen und aus anderen praktischen Gründen ist bei Tafel II zur Darstellung der Frequenz der ver- schiedenen Flächenfüllungen der einzelnen Zähne nicht die Kurven-, sondern die Säulenform gewählt worden. Die Unterscheidung der einzelnen Zahnflächen geschah in der Weise, daß die Füllungen auf den Kauflächen, resp. den Schneiden durch schwarze, auf den mesialen Flächen durch rot schraffierte, auf den distalen Flächen durch von links nach rechts schwarz schraffierte, auf den labialen, resp. buccalen Flächen durch von rechts nach links schwarz schraf- fierte und endlich auf den palatinalen, resp. lingualen Flächen durch rote Säulen markiert wurden. Die verschiedenen Höhen dieser Säulen zur Vergleichung dient der links stehende Maßstab geben nun das Verhältnis der Häufigkeit der Füllungen auf den verschiedenen Flächen der einzelnen Zähne an.

Betrachten wir die Tafel II, so seben wir in der übersicht-

lichsten Weise je nach der Höhe der die Füllungsfrequenz der verschiedenen Zahnflächen repräsentierenden Säulen, wie hoch die

wE Es Enu E e-

ausm EIn e T z

> = 2... T

=

TE nA |

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f:

Eiern, Statistische Bearbeitung und Untersuchuug usw. 339

Tab. 11. plalz | 2| 7 | 4 |1 | palatinale |

|

, phas | labiale res | | G| W | 19 4 2 Miky 5 | "buccale

O ATM i BL 8 50 | 23 | 152 | 174 | 100 43 32) 2 distale |

|

37 | 443 | 148 | 152 | 180 | 127 | 40 | 13 | mesiale

Zahnflächen

-—_—— | | e | | m ——

| Schneidenrsp. 63 |s | 4 |o 231 | 264 TE erg

|

DENEREUERKEKZEHENE

Al |3 | —4 | —5 | —6 1-7 -8 Zahn

a |494 Schneiden rap. | 121 Kauflächen |

4 | distale |

3 s| x d or gl | Zahnflächen

mir | Ba. | of. | 37 | 14 tebinle esp.

| m | m | | au er ee

Ea apil |-05 | 1| 4 5 l1 || linguale | Auf 5000 reduziert.

verschiedenen Flächen der einzelnen Zähne bezüglich ihrer een belastet sind. Auf S. 340 und 341 sei eine dieser > entnommene Übersicht der einzelnen Zahnsorten im Ober- 1 „vorkiefer gegeben, deren Flächen der Häufigkeit ihrer y on geordnet wurden. Die hinter den Flächenbe- er angeführten Zahlen geben die Anzahl der Füllungen der betreffenden Flächen auf 5000 reduziert wieder. ie meisten Füllungen unter allen Flächen der verschiedenen ihn hat der mittlere obere Schneidezahn distal aufzu- en, i erreicht beinahe der seitliche obere Schneidezahn mit rg Fläche, dann folgt der mittlere obere Schneide- die mesjalen Fläche Erst jetzt kommt an vierter u ren e des 2. unteren Molaris, dem dann die Kau- a n Molaris folgt; die geringsten Füllungen zeigen lingualen Flächen fast aller unteren Zähne die Schneiden

22%

PREET

340 Zimmermann, Statistische Bearbeitung und Untersuchung usw.

I. Oberkiefer.

distale Fläche . . . . 450

mesiale m" E

Mittlerer Schneidezahn (1) | labiale 2 ie ie 46 | palatinale 5 wu ee A

Schneide N er a 6

mesiale Fläche . . . . 443

| distale . er de 52023

Seitlicher Schneidezahn (2) , palatinale R Doe g 3i | labiale a MM

Schneide ee 3

distale Fläche . . . . 152

| mesiale , Eur er a LES

Eckzalın (3) labiale R sr A | Spitze Eher a x

palatinale Fläche . . . . 7

distale Fläcke . . . . 174

mesiale j ko. w L52

1. Prämolar (4) Kau- E ae | buccale A L e ua 4

palatinale 2 2

mesiale Flickee . . . .. 190

distale x <... I00

2. Prämolar (5) Kau- e ee G | buccale 3 ee 2

palatinale E ee E 2

Kau- Fläche . . . . 281

mesiale 3 u:

1. Molar (6) y distale s dene a a A

| buccale a Be des. Allen de T

palatinale 7 O ST 7

| Kau- Flicke . . . . 26I

| mesiale : TREFF A EA 40

2. Molar (7) distale a Be Aa 32

| buccale 3 E E? 9

palatinale E a 4

Kau- Fläche . 20.0.2690

mesiale 5 u er u 13

. Molar (5) buccale m ut 9 | distale 2

palatinale l

Zimmermann, Statistische Bearbeitung und Untersuchung usw. 341

II. Unterkiefer.

distale Fläche . . . 19 mesiale 3 noa a Ad Mittlerer Schneidezahn (— 1) , labiale 5 T 3 | Schneide da. 0,5 linguale Fläche . . . distale Fläche . . . 29 mesiale ve Seitlicher Schneidezahn (—2) ; labiale i e 5 Schneide ne a 1 linguale Fläche 0,25

distale Fläche . . . 38 mesiale R et 24 Eckzahn (—3) labiale ? 0.0133 | Spitze pa 3 linguale Fläche . . . 1 distale Fläche . . . 74 mesiale R ©.. 49 1. Prämolar (—4) buccale k p ag AZ | Kau- x 2 a w 10 linguale R a 0,5 mesiale Fläche . . . 83 distale m 2.64 2. Prämolar (—5) Kau- > 288 | buccale G TE" d linguale 7 s o 1 Kau- Fläche . . . 184 mesiale = Soy a VO 1. Molar (—6) distale 7 yode So | buccale a Be 25 linguale z TEn 4 Kau- Fläche . . . 863 mesiale s 43 2. Molar (—7) buccale a el | distale P ee, S linguale 4 Kan- Fläche . . . 12] | buccale A Ci 14 3. Molar (—8) mesiale ; goa e O | distale F E ER 4 linguale 1

342 Zimmermann, Statistische Bearbeitung und Untersuchung usv.

der unteren Schneidezähne. Die übrigen Flächen der verschiedenen Zahnsorten liegen zwischen diesen Extremen.

Es dürfte vielleicht nicht ohne Interesse sein, sämtliche Zahnflächen der Reihe nach anzuführen, so, wie sie betrefis ihrer Füllungsfrequenz einrangieren. Die Bezeichnung der Zähne geschah dabei in der bei uns üblichen Weise mit Zahlen, und zwar im Öberkiefer mit 1 bis 5, im Unterkiefer mit —1 bis —8. Die Abkürzungen für die Bezeichnung der Flächen sind ohne weiteres klar, indem Schn. Schneide, K. = Kauflche, mes. mesiale, dist. distale usw. Fläche bedeutet. Die Zahlen hinter den Bezeichnungen der Zahnflächen zeigen wieder die Anzahl der Füllungen an, die auf denselben bei 5000 Zabn- tüllungen überhaupt gefunden wurden:

1 dist. 450 ` —5 dist. 64 —1diste 19 4 bucce. 4

2 mes. 443 5 K. 54 —2 mes. 19 7 pal. 4

1 mes. 857 —6 dist. 51 1 pal. 15 —6 ling. 4 —7 K. 363 —4 mes. 49 -—1 mes. 14 —8 dist. 4

7 K. 264° 1 lab. 46 —8 bucc. 14 2 Schn. 3

6 K. 2331: 4K. 4 8 mes. 13 —1 lab. 3

2 dist. 223 ` 6 dist. 43 —-3 lab. 13 —3 Spitze 3 —6 K. 184, —7 mes. 43 —8 mes. 13 4 pal 2?

5 mes. 180 7me. 40 —4 bucc. 12 5 bucce, ?

4 dist. 174, —3 dist. 38 —4 K. 10 5 pa. 2

4 mes. 152 ; —7 bucce. 37 7 bucce. 9 Bdist 2

3 dist. 152 |! —5 K. 33 N bucc. 9 8pal. 1

3 mes. 148; 7 dist. 32 3 Spitze 8 —2 Schn. 1

6 mes. 127° 2 pa. 31 3 pal 7 —8 ling. 1 K. 121 2 dist. 29 6 bucce. 7 —5 ling. 1

5 dist. 100 —6 bucce. 25 6 pa. 7—8 ling. 1

s K. 97 , —3 mes. 24 1 Schn. 6—1 Schn. 0,5 —5 mes. 83, —7 dist. 22 —? lab. 5 —4 ling. 09 -——4 dist. 74: 2 lab. 20 —5 bucce. 5 —2 ling. 0.2 —6 mes. 70 3 lab. 19 —7 ling. 5 —1 ling.

Die nun folgende Tafel III zeigt uns das Verhältnis der Summen der Füllungen auf den gleichen Zahnflächen im Ober- und Unterkiefer an. Diese Tafel III entstammt der Tafel II: es wurden die Füllungen der gleichartigen Zahnflächen der ein- zelnen Zähne im Ober- und Unterkiefer zusammengezählt, und, um nicht zu große Verhältnisse zu bekommen, durch 5 dividiert. Auf diese Weise wurden die Summen der Füllungen der einzelnen Zahnflächen auf 1000 reduziert. Wir ersehen aus Tafel III, die in derselben Weise angelegt wurde wie Tafel II, daß im Ober- kiefer die mesialen Füllungen in ihrer Gesamtheit (rot schraffert)

ie Me an m aM

RhE, Zn Tome mm nn ut a m Br 5

`

limmermann, Statistische Bearbeitung und Untersuchung usw. 343

die Schneiden-, resp. Kauflächenfüllungen (schwarz) um mehr als das Dreifache übertreffen. Weniger als die mesialen Flächen, aber noch erheblich mehr als die Schneiden-, resp. Kauflächen haben die distalen Flächen an Füllungen (von links nach rechts schwarz schraffiert) aufzuweisen, während die buccalen, resp. labialen Flichen (von rechts nach links schwarz schraffiert) relativ Er die palatinalen Flächen (rot) noch weniger Füllungen

Im Unterkiefer dagegen zeigen die Kauflächen die meisten Füllungen (schwarz), es überwiegen hier die Kauflächenfüllungen die des Oberkiefers ganz bedeutend, wenn sie auch an die Menge der distalen oder mesialen Füllungen im Oberkiefer noch lange nicht heranreichen können. Die mesialen oder distalen Füllungen im Unterkiefer, die viel geringer an Zahl sind, als im Oberkiefer, halten sich bezüglich ihrer Menge so ziemlich die Wage. Die bueealen, resp. labialen Füllungen (von rechts nach links schwarz schraffiert) im Unterkiefer sind an Zahl denen des Oberkiefers ziemlich gleich, während die lingualen Füllungen (rot) im Unter- kiefer nur in ganz verschwindend geringer Menge vorhanden sind, in viel geringerer Menge, als wir die palatinalen Füllungen im Oberkiefer fanden.

Haben wir im obigen die Frequenz der Füllungen mit Rück- sicht auf die Zahnflächen einer näheren Betrachtung unterzogen, so sollen im folgenden auf die Frequenz der Zahnfüllungen im Sn en, der Kronenfüllungen, ohne Rücksicht auf die Ih Po Zahnflächen, noch ein kurzer Blick geworfen werden. iy Ben? (S. 294) hatten wir die Menge der Kronenfüllungen

N Inen Zähne, wie wir sie aus unserem Material durch Sum- merung der Füllungen ihrer verschiedenen Flächen zusammen- gestellt hatten, aufgezeichnet: zu gleicher Zeit wurde dieser Zu- ‚aumenstellung eine solche der jeweiligen Wurzelbehandlungen erstellt Auf Grund dieser Tabelle 2 haben wir in auf ] a besseren Übersicht die hier gefundenen Werte

Die i uziert (siehe S. 344).

e in dieser Tabelle fixierten Werte sind in der Tafel 1V er in Kurvenform zum Ausdruck gebracht derart, daß die wars arte Kurve die Kronenfüllungen, die

) urve die Wurzelbehandlungen darstellt. Die

rg auf dieser Tafel (wie auch auf den folgenden) ist 0, Wie sie auf Tafel I war; es liegt ihr auch ein

zugrunde, auf dessen Horizontalachse die Zähne

re m i : n . 7 . x einem Maßstab ven wurden, während die Vertikalachse mit

Auch h versehen wurde. linken bei dieser Tafel IV ist die Symmetrie der rechten und wieder außerordentlich in die Augen springend. Die

Zimmermann, Statistische Bearbeitung und Untersuchung us.

344

Kronen- füllungen auf 1000 reduziert

Zahn

Zahn

u le a in I MI Iy

Kronen- füllungen auf 1000 reduziert

Wurzel- behand- lungen

~]

1

~J ~J

Auf 1000 reduziert.

D Ds

2 ılı UH ıı IWW V W Vu VWM

VE VU

4’ 15 w!g

Wurzel- behand- lungen

Kronen-

füllungen

auf 1000 reduziert

Zahn

Zahn

Kronen-

füllungen

auf 1000 reduziert

Wurzel- behand- lungen

Zimmermann, Statistische Bearbeitung und Untersuchung usw. 345

schwarz punktierte Kurve der Kronenfüllungen fängt im Ober- kiefer beim mittleren Schneidezahn hoch oben an, indem sie beider- seits 90 auf 1000 Füllungen zeigt. Nach dem kleinen Schneide- ahn zu fällt sie etwas herab; sie zeigt hier beiderseits 72 zu 1000 Füllungen. Vom seitlichen Schneidezahn ist der Abfall der Kurve zum Eckzahn ziemlich steil; sie hat hier rechts nur die Höhe von 32, links von 35 Füllungen aufzuweisen. Nun verläuft die Kurve bis zum 2. Molar im Zickzack, indem sie ab- wechselnd steigt und fällt, und zwar steigt sie zunächst vom Eckzahn bis zum 1. Prämolar um ein Geringes, sie zeigt hier rechts 37, links 35 Füllungen; von hier zum 2. Prämolar fällt sie wieder annähernd auf die Höhe, die der Eckzahn zeigte Sie reicht hier die Höhe von rechts 34, links 33 Füllungen. Die am wieder folgende Steigung der Kurve zum 1. Molar ist etwas bedeutender, da wir bei diesem Zahn rechts 42, links 41 Füll- ungen haben. Zum 2. Molar sinkt die Kurve wieder herab, sie erlangt hier die Höhe beiderseits von 35 Füllungen. Vom 2. Molar mm Weisheitszahn ist die Senkung der Kurve wieder ziemlich steil, indem sie hier mit einer Höhe von rechts 12, links 11 Füll- ungen endet.

Abgesehen vom Weisheitszahn, wo die Kurve der Kronen- fillungen im Oberkiefer ihren tiefsten Stand erreicht, hat sie ihre seringste, und zwar eine annähernd gleiche Höhe beim Eckzahn, wim 2, Prämolar und 2, Molar. Es haben also diese Zähne die en Kronenfüllungen aufzuweisen. Etwas mehr Füllungen ben der 1. Prämolar und 1. Molar. Erheblich mehr Fül-

3 ngen sehen wir beim kleinen und noch mehr beim großen Schneidezahn,

reise setzt die schwarz punktierte Kurve der KPa ungen beim mittleren Schneidezahn ziemlich tief, mit pies s nur 4 auf 1000 Füllungen ein. Sie steigt nun erst ne je dann In größeren Abständen bis zum 2. Molaren, Ei echts 47, links 46:1000 Füllungen erreicht. Vom i en fällt die Kurve wieder bis zum Weisheitszahn wesent-

ch herab. . . ` an è R á A molar hatte Sie endet hier in der Höhe, die sie etwa beim 1. Prä-

a nag also im Unterkiefer am wenigsten die Frontzähne,

ülungen re wieder der mittlere Schneidezahn mit Kronen-

aufzuweig astet, während die meisten Füllungen der 2. Molar en hat, dem dann der 1. Molar folgt.

a Zn der Tafel IV (resp. der Tabelle 12) mögen die wie gie der Ober- und Unterkiefers so geordnet folgen, füllungen sie] ehe nach bezüglich der Frequenz ihrer Kronen-

Ch einfügen. Es ist auch hier, da die rechte und linke

ne nn

Í i

346 Zimmermann, Statistische Bearbeitung und Untersuchung usw.

Seite in bezug auf ihre Zahlenwerte sich fast ganz decken, nur eine Kieferseite angenommen worden. Deshalb wurden die ent- sprechenden \Verte der rechten und linken Seite addiert, und wir erhalten so die Anzahl der Kronenfüllungen, die bei den einzelnen Zahbnsorten, auf 1000 reduziert, von uns gefunden wurden. Es hat demnach auf 1000 Gesamtfüllungen im Ober- und Unterkiefer

der obere mittlere Schneidezahn (1) 180 Kronenfüllungen, der obere seitliche Schneidezahn (2) 144

der untere 2. Molar (—7) 93 R

( ,

der obere 1. Molar 6) 83 3 der obere 1. Prämolar 4) 75 A der untere 1. Molar (—6) 714 a der obere 2. Molar (7) 70 3 der obere Eckzahn (3) 67 a der obere 2. Prämolar (5) 67

der untere 2. Prämolar (—5) 35 s der untere 3. Molar (--8) 30 z der untere 1. Prämolar (—4) 29

der obere 3. Molar (S) 23

der untere Eckzahn (—3) 15 a der untere seitliche Schneidezahn (—2) 10 5 der untere mittlere Schneidezahn (— 1) 8 ‘$

aufzuweisen.

Auf derselben Tafel IV sind auch die Pulpenbehandlungen, auf 1000 Kronenfüllungen reduziert, ebenfalls in Kurventorm, und zwar mit einfach schwarzen Linien, eingezeichnet worden.

Wir haben als Resultat dieser Umrechnung 230 Pulpen- behandlungen auf 1000 Kronenfüllungen erhalten; d. h. es sind bei 1000 Kronenfüllunzeen 230 mal die Defekte so tief gewesen, daB die Pulpa irritiert worden ist, so daß in diesen Fällen teils nach Abätzung der noch vitalen, teils nach Sterilisation der schon nekrotischen Pulpa die betreffenden Zahnwurzeln gefüllt wurden.

Wenn es auch zunächst uns scheinen mag, dab die Not- wendigkeit einer jeweiligen Pulpenbehandlung äußeren Zufällig- keiten unterworfen ist, so zeigt uns doch die ebenfalls frappante Symmetrie dieser Kurve rechts und links, daß auch die Pulpen- behandlungen bei den einzelnen Zähnen eine gewisse Rerelmäßig- keit aufzuweisen haben, derart, dal bei der einen Zahnsorte der kariöse Prozeß eher oder öfter die Pulpa zu erreichen geneigt ist, als bei der anderen. Schon bei oberflächlicher Betrachtung unserer schwarzen Kurve der Pulpenbehandlungen aut Tatel IV füllt uns aur, dab die Menge der Kronenfüllunzen mit der der Fulpenbehandlungen bei den einzelnen Zahnsorten nicht Hand in

Zimmermann, Statistische Bearbeitung und Untersuchung usw. +47

Hand gehen, d. h. da8 die Zähne, welche die meisten Kronen- füllungen haben, im allgemeinen durchaus nicht die meisten Pulpenbehandlungen aufweisen.

Es hat auf unserer Tafel IV vielmehr im Oberkiefer der 1. Prämolar die meisten Pulpenbeliandlungen zu verzeichnen ge- habt, welchem dann der 1. Molar am nächsten kommt. Die wenigsten Pulpenbehandlungen zeigt uns der Weisheitszahn, dem der 2. Molar und dann der Unterkiefer folgt.

Im Unterkiefer erreicht die Kurve der Pulpenbehandlungen ihr Maximum beim 1. Molar, dem der 2. Molar folgt. Am wenigsten sind die Frontzähne. und unter ihnen wieder der grote Schneidezahn mit Wurzelfüllungen belastet.

Auf Tafel IV zeigt uns nun die schwarze Kurve die ab- solute Menge der Pulpenbehandlungen bei den einzelnen Zähnen an. Wir müssen uns jedoch vergegenwärtigen, dab wir die Menge der Pulpenbehandlungen bei den einzelnen Zähnen in bezug auf die Menge ihrer Kronenfüllungen zu betrachten haben, da wir nur so ein richtiges Bild über das Verhältnis der Pulpen- behandlungen zu den Kronenfüllungen der einzelnen Zähne er- halten. Zum besseren Verständnis haben wir auf Grund der Tafel IV dieses Verhältnis in Prozenten ausgedrückt. \Wegen der Symmetrie der Kurven rechts und links haben wir uns für befugt gehalten, zu diesem Zwecke das Mittel aus beiden Seiten zu nehmen.

Es kommen sonach im Öberkiefer auf die Kronen- füllungen des mittleren Schneidezahnes 11 Proz. Pulpenbehandlungen,

des seitlichen Schneidezahnes 16 . n des Eckzahnes 24 P des 1. Prämolaren 40 ,„ S des 2. Prämolaren 3T

des 1. Molaren 33 y j des 2. Molaren l6 ., 4 des 3. Molaren D 5

Im Unterkiefer kommen auf die Kronenfüllungen

des mittleren Schneidezahnes 5 Proz. Pulpenbehandlungen, des seitlichen Schneidezahnes 1%

s des Eckzalnes I: = ee des 1. Prämolaren 34 ,„ des 2. Prämolaren S5 y des 1. Molaren 31. 3 des 2. Molaren 20 % a des 3. Molaren 13

>48 Zimmermann, \tatistische Bearbeitung und Untersuchung usw.

Aus dieser Aufstellung sehen wir, daß sowohl im Ober- wie im Unterkieter die Prämolaren relativ zu den Kronentüllungen die meisten Pulpenbehandlungen aufzuweisen haben. und zwar sind unter ihnen wieder im Öberkiefer der erste mit 40 Proz.. im Unterkiefer der 2. Prämolar mit 35 Proz. \Wurzelbehandlungen die am meisten bevorzugten. Dann folgt im Ober- wie im Unter- kiefer fast gleichmäßig der 1. Molar mit 33 Proz.. resp. 30 Proz. \urzelbehandlungen. Im Öberkiefer folet dann der Eckzahn mit 24 Proz., während im Unterkiefer der 2. Molar mit 20 Proz. an vierter Stelle kommt. Im Öberkiefer folgen nun der Reihe nach: der seitliche Schneidezahn und der 2. Molar mit je 16 Proz.. der mittlere Schneidezahn mit 11 Proz. und der Weisheitszahn mit 9 Proz.: im Unterkiefer tolgt: der Eckzahn mit 19 Proz.. der seitliche Schneidezahn mit 18 Proz., der \Weisheitszahn mit 16 Proz. und an letzter Stelle der mittlere Schneidezahn mit 5 Proz. Pulpenbehandlungen auf 1000 Kronentüllunren.

Die Ursachen, die diesen Relationen der Pulpenbehandlungen zugrunde liegen, scheinen zu eineın groten Teile in der ver- schiedenen Dicke der Zahnwandungen der verschiedenen Zahn- sorten gesucht werden zu müssen. Bei den Prämolaren sind diese \Wandungen recht dünn. während sie bei den Schneide- zähnen. wenigstens nach den approximalen Flächen zu. die ja die meisten Detekte aufzuweisen haben. relativ dick sind. Es werden deshalb die Prämvlaren bedeutend mehr die Tendenz haben. pul- pitisch zu werden. als die Schneidezähne. Bei letzteren kommt allerdings auch der schon mehrfach angeführte Umstand mit in Betracht, dab die Schneidezähne meist von den Patienten in Be- handlung gegeben werden. ehe die Detekte so groß werden, daß sie der Pulpa schon zu nahe kommen. Daß im Oberkiefer der 1. Molar hier an dritter Stelle komint, ist nicht wunderbar, da er ja auch bezüglich der Frequenz seiner Kronenfüllunzen an dieser Stelle erscheint. Im Unterkiefer würde man nach seiner Füllungs- trequenz beim 2. Molar mehr Pulpenbehandlunzen erwarten, als beim 1. Molar: dab in Wirklichkeit gerade das Umgekehrte der Fall ist. liegt daran, dat, wie wir später noch sehen werden, der 1. Molar mehr der Karies ausgesetzt ist. als der 2. Molar. dab bei ihm also auch öfter die Defekte so tirf sein werden, dab die Pulpa irritiert wurde, ehe der Zahn in Behandlung kommt.

Indem wir nun auf Grund unserer weiteren statistischen Untersuchungen uns den Extraktionen zuwenden. so soll hier noch einmal daran erinnert werden. dab dieselben in zwei Etappen rubriziert wurden. Die ersten 10000 Extraktionen hat Pro- fessor Hesse cl. c.: tabellarisch nach den einzelnen Zähnen ge- ordnet. während der Rest vun 24250 Extraktionen von uns in gleicher Weise behandelt wurde. Die hierbei gerundenen Werte

Jinmermann, Statistische Bearbeitung und Untersuchung usw. 349

hatten wir in Tabelle 6 (S. 298) niedergelegt. Die Summen der korrespondierenden Werte beider Etappen, also der Gesamtsumme von 34250 Extraktionen, sind in Tabelle 7 (S. 298) den Zähnen ch geordnet worden. In folgender Tabelle 13 wurden die in desen beiden Tabellen gefundenen Werte auf 1000 reduziert siehe S. 350).

Auch diese in Tabelle 13 niedergelegten Zahlenwerte wurden mr Erlangung einer besseren Übersicht in Tafel V in Kurven- rm wiedergegeben. Die rote Kurve gibt uns die 10000 ersten Extraktionen nach Hesse, auf 1000 reduziert, wieder, die schwarz panktierte Kurve stellt die von uns bearbeiteten 24250 Ex- traktionen, auf 1000 reduziert, dar, während endlich die einfach schwarze Kurve die aus den eben genannten beiden Kurven resul- tierende Kurve der gesamten auf 1000 reduzierten 34250 Ex- traktionen markiert. |

Aus Tafel V sehen wir ohne weiteres, daß die rote Kurve Hesses mit unserer schwarz punktierten im wesentlichen sehr nahe zusammenläuft; die schwarze Kurve, welche die Summe beider auf 1000 reduziert darstellt, muß selbstverständlich etwa die Mitte zwischen der roten und schwarz punktierten Kurve einhalten, sie wird also auch mit diesen beiden ziemlich zu- Sammenfallen.

Auf die letztere, also die schwarze Kurve der gesamten Extraktionen, kommt es uns hier allein an. Sie zeigt uns mit der größtmöglichen Sicherheit, wie die Extraktionen im Mittel auf die einzelnen Zähne verteilt sind.

Im Oberkiefer beginnt unsere schwarze Kurve der Gesamt- extraktionen am tiefsten beim mittleren Schneidezahn, wo sie beiderseits mit 23 auf 1000 Extraktionen einsetzt; sie steigt zum Kitlichen Schneidezahn rechts auf 28, links auf 29:1000 Ex- rk an, um von hier zum Eckzahn wieder etwa auf die x p mittleren Schneidezahnes zu fallen, indem sie hier rechts tun inks 22 Extraktionen zeigt. Nunmehr steigt die schwarze e : ieder, und zwar nicht unbeträchtlich, bis zum 1. Prä- weisen a wo sie rechts 42, links 40 Extraktionen aufzu- In ein er: ‚während sie von hier bis zum 2. Prämolaren wieder 3 E eringes fällt, indem sie hier beiderseits die Höhe von

Xtraktionen auf 1000 erreicht. Vom 2. Prämolaren bis zum eine En steigt die Kurve ganz bedeutend, denn sie erreicht hier os dies, ne von 82, links von 83 auf 1000 Extraktionen. sofort u öhe behält die Kurve nicht bei. sondern sie fällt >. Molar we annähernd um soviel, wie sie gestiegen ist, zum aufweist erab, welcher nur rechts 36. links 39 Extraktionen

i om 2. Molar zum Weisheitszahn fällt sie noch etwas,

tische Bearbeitung und Untersuchung usv.

1S

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350

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SE ee Zu: r | | | f Extraktionen | t i ' l l ! ER ' | , 83 | 39 I von A | 26 | 36 | s2 |} 35 42121: 2%æ;23f23|29!22.40. 35 53, 3%. "2495 34250 Zähnen | Ä . ee, | Te © i 34250 Zähnen a ne Met nr > L ~ l o uer Extraktionen | | | | | i | | | ! | | Extraktionen von Bu 35 | 81 35 |43! 24830, 23f24!30'24 40 35: 82, 38 N, von 21250 Zähnen | | | | | | | ! | 24250 Zähnen Extraktionen | | u | | N | | ' Extraktionen ovon" 24 SS f 85 32 301,2 1521 29 18 38732 8 42 24 \ von 19000 Zähnen | f | | | | | | | | 10COO Zähnen Ä Ww a |

| | | Ä Zahn ‚8:7 6 5 4 3 2, ı[ı m MIY V VWV VIU Zahn | | Zu |

8 7 f EN ee ee er L 7,

a l 22 -ljr um ıvı v vw vwy m Extraktionen ` | Zr | | | Extraktionen von 33.150: 98.736,93, 52 2 a aaa 70 50,2 von 10000 Zähnen | 1 Br Dee u a SOE. | 100C0 Zähnen Extraktionen I | | Ä | | | | | | | | | Extraktionen von 21 239 1082 421.73 ° 2.7.6 6.78. 15: 290 86 40 21 von 24250 Zähnen a | | | | | | | | | | | | 24250 Zähnen

a - , r a P | EN 3 ah = Bene BEEISNTEN BEN z A PESEE, N Pe T ia 2 Extraktionen | | | | | | | | | | | Extraktionen von g 21, 43; 0 21.36 ,6 fa 5 Tun B 5 l von 34250 Zähnen | | | | | Ä ! ‚31250 Zähnen

Auf 1000 reduziert.

linmermann, Statistische Bearbeitung und Untersuchung usw. 351

indem sie bei diesem Zahn beiderseits mit 26 Extraktionen im Oberkiefer endet.

Im Unterkiefer beginnt unsere schwarze Extraktionskurve beiderseits beim mittleren Schneidezahn mit 4:1000 Extraktionen wd steigt nur ganz allmählich über den seitlichen Schneidezahn, der 6, resp. 5 Extraktionen zeigt, zum Eckzahn, bei dem wir 6, wsp. 7 Extraktionen vorfinden. Vom Eckzahn steigt die Kurve eiwas mehr zum 1. Prämolar, wo sie die Höhe von 13, resp. l4 Extraktionen erreicht, und von da weiter zum 2. Prämolaren, bei welchem Zahn wir beiderseits 21:1000 Extraktionen zu ver- zeichnen haben. Vom 2. Prämolar steigt unsere Kurve, ähnlich wie im Oberkiefer, nur noch viel steiler empor bis zum 1. Molar, bei dm sie rechts mit 90, links mit 89:1000 Extraktionen ihre büchste Höhe erreicht. Nun fällt sie wieder zum 2. Molar bis $3, resp. 45 Extraktionen herab, und von da weiter zum Weis- keitszahn, wo sie beiderseits mit 21 : 1000 Extraktionen abschließt.

Wie wir es vorhin bei den Kronenfüllungen getan haben, Dögen auch jetzt die verschiedenen Zahnsorten nach der Frequenz der bei 1000 Gesamtextraktionen auf sie fallenden Extraktionen gordet werden. Ganz wie vorhin, ist auch hier nur eine

te angenommen worden; wir erhalten nun auf 1000 Ge- “ntextraktionen im Ober- und Unterkiefer bei

dem unteren 1. Molar (—6) 179 Extraktionen, dem oberen 1. Molar (6) 165 n dem unteren 2. Molar (—7) 88 n dem oberen 1. Prämolar (4) 82 n dem oberen 2. Molar (7) 75 we oberen 2. Prämolar (5) 70 n oberen seitlichen Schneidezahn (2) 57 rea oberen 3. Molar (8) 52 pea oberen mittleren Schneidezahn (1) 46 n > oberen Eekzahn (3) 43 n us unteren 2, Prämolar (—7) 42 n im unteren 3. Molar (—8) 42 n in unteren 1. Prämolar (—5) 27 n wa unteren Eckzahn (—3) 13 5 > ünteren seitlichen Schneidezahn (—2) 11

ünteren mittleren Schneidezahn (-1) 8 ~ nun einen Vergleich zwischen der Frequenz der Füllungen Mu hahen Zähne mit der Frequenz der Extraktionen derselben ‚haben, “s wurden sowohl die aus Tafel IV entnommene schwarz

a I e der Füllungen, als auch die aus Tafel V ent- pest ae „der Extraktionen auf Re hr = Vrarge er Lafel VI zugrunde liegenden Zahlen- “ind in Tabelle 14 niedergelegt (siehe S. 352).

j

352 Zimmermann, Statistische Bearbeitung und Untersuchung wr.

! | Kariöse Zähne | i 34i 60.37 18. überhaupt

Kariöse Zühne 18

überhaupt ! | | ne san aa | EEE Er Fr ' Ä | ! | DR: nn Ä er Extraktionen , 26 | 36 | 82 | 35 2 2 25,23 29 22'401 35 83 | 39 26 , Extraktionen i | | a | EEE Re een ana Koss füllungen | 12.473: | 42 | 34 37 | 32 | 2 |90J 90 i2 | 35 | 35 | 33 41 | 35 | 11 r füllungen Go | a Zahn | YV VI VII VOL Zah | |

Zahn Zahn

Kronen- l 16 l 47 | 35

u a > eye Kronen- füllungen i l 36 | 45 j 1

füllungen

Extraktionen 21 3 9 21 366 | 4145 7:14 21 89 45 21 Extraktionen |

el. | a Kariöse Zähne | | = überhaupt

Kariöse Zähne „9 ! ur a 4i | überhaupt 18 45 | 61 Ä 19 14 | 6

Auf 1000 reduziert.

Zimmermann, Statistische Bearbeitung und Untersuchung usw. 353

Betrachten wir uns die Tafel VI in betref der Kurve der Füllungen und der der Extraktionen, so sehen wir, daß im Oberkiefer die schwarz punktierte und die schwarze Kurve von einander räumlich weit entfernt beim mittleren Schneidezahn be- ginnen, und zwar liegt der Beginn der schwarz punktierten Kurve weit über dem der schwarzen bei diesem Zahn. Bis zum Eckzahn ist der Verlauf beider Kurven konvergierend, indem die schwarz punktierte Kurve noch oberhalb der schwarzen liegt. Während beide Kurven die Strecke vom Eckzahn bis zum 1. Prämolaren durchlaufen, kreuzen sie sich, so daß beim 1. Prämolar die schwarze Kurve über der schwarz punktierten zu liegen kommt, welche Lage sie bis zum Ende beibehalten. Von hier zum 2. Prämolaren konvergieren beide Kurven wieder, so daß sie bei diesem Zahn fast zusammentreffen; nun divergieren sie bis zum 1. Molaren sehr stark, indem die schwarze Kurve hoch hinaufschießt, während die schwarz punktierte Kurve weit unten bleibt. Vom 1. Molaren bis zum 2. konvergieren beide Kurven wieder, nur so viel etwa, als die Divergenz vom 2. Prämolaren zum 1. Molaren betrug. Von hier zum Weisheitszahn endlich divergieren beide Kurven nicht unbeträchtlich. Ä Im Unterkiefer beginnen beide Kurven in gleicher Höhe beim nittleren Schneidezahn und laufen bis zum seitlichen Schneide- zahn zusammen. Von hier zum Eckzahn divergieren sie um ein ganz Geringes, indem die schwarze Kurve unter die schwarz punktierte zu liegen kommt. Vom Eckzahn zum 1. Prämolaren laufen die beiden Kurven wieder konvergent. Indem die Kurven sich nun kreuzen, so daß die schwarze jetzt über der schwarz punktierten liegt, divergieren sie während ihres Verlaufes zum l. Molar ganz bedeutend, während sie von hier zum 2. Molar so stark konvergent verlaufen, daß sie sich kurz vor diesem Zahn kreuzen, so daß bei ihm die schwarze Kurve wieder um ein ganz Geringes unter die schwarz punktierte zu liegen kommt. Von hier zum Weisheitszahn laufen die Kurven, nachdem sie sich wieder dicht hinter dem 2. Molar gekreuzt haben, auseinander, % daß beim 3. Molaren die schwarze Kurve wieder über der schwarz punktierten liegt. Um eine bequeme Übersicht über die Menge der Extrak- tonen im Verhältnis zur Menge der Füllungen eiues jeden Zahnes zu haben. soll in folgenden Zeilen auf Grund unserer Tafel VI angegeben werden, wieviel Prozent Extraktionen auf die Füllungen eines jeden Zahnes kommen.

Im Oberkiefer haben wir: beim mittleren Schneidezahn 25,5 Extraktionen auf 100 Füllungen. beim seitlichen Schneidezahn 39.6 i RT. 5

CO KE

XXIM. 2

& En en

354 Zimmermann, Statistische Bearbeitung und Untersuchung usw.

beim Eckzalın 64 Extraktionen auf 100 Füllungen. beim 1. Prämolaren 106,5 | un A M beim 2. Prämolaren 101,4 5 "E" n beim 1. Molaren 198,7 Da i beim 2. Molaren 105,7 = 3 beim 8. Molaren . 226 i

Im Unterkiefer kommen beim mittleren Schneidezahn 100 Extraktionen auf 100 Füllungen, beim seitlichen Schneidezahn 100

n” n t) beim Eckzahn 81,2 e A i beim 1. Prämolaren 93,1 > mo i beim 2. Prämolaren 114,5 z Be 2 beim 1. Molaren 252,1 5 a M beim 2. Molaren 94,5 : u å beim 3. Molaren 135,4 el 0 Š

Wir sehen somit sowohl aus der Tafel VI, wie auch aus der eben angeführten prozentualen Übersicht, daß bei den meisten Zähnen die Menge der Extraktionen über die der Füllungen überwiegt.

Im Oberkiefer sind es nur die Schneidezähne und der Eck- zahn, welche mehr Füllungen wie Extraktionen aufzuweisen haben. Relativ die meisten Extraktionen hat der Weisheitszahn zu ver- zeichnen, der auf 100 Füllungen 226 Extraktionen zeigt, obwohl er mit zu den Zähnen gehört, die absolut die wenigsten Extrak- tionen haben. Der 1. Molar, welcher absolut die meisten Ex- traktionen hat, hat relativ weniger Extraktionen aufzuweisen, wie der Weisheitszahn, nämlich nur 199 Proz. Bei den noch übrigen Zähnen, den beiden Prämolaren und dem 2. Molar, ist die Menge der Extraktionen nur um ein Weniges größer als die der Füll- ungen, was schon daraus hervorgeht, daß sich die schwarze und schwarz punktierte Kurve bei diesen Zähnen ziemlich decken.

Im Unterkiefer haben weniger Extraktionen als Füllungen aufzuweisen: der Eckzahn, der 1. Prämolar und der 2. Molar, obwohl schon bei diesen Zähnen die Menge der Extraktionen an die der Füllungen sehr nahe heranreicht. Gleichviel Füllungen wie Extraktionen finden wir bei den beiden Schneidezähnen, was schon bei Tafel VI das Zusammenfallen beider Kurven bei diesen beiden Zähnen uns zeigte. Die meisten Extraktionen hat sowohl absolut wie relativ der 1. Molar aufzuweisen, und zwar nicht nur in bezug auf den Unterkiefer, sondern auf das ganze Gebiß. Bei ihm kommen 252 Extraktionen auf 100 Füllungen. Bei dem noch übrig bleibenden 2. Prämolar und 2. Molar sind etwas mehr Fxtraktionen als Füllungen zu verzeichnen.

Die schwarz punktierte Kurve der Füllungen repräsentiert uns

E lim mermann, Statistische Bearbeitung und Untersuchung usw. 855

die Kurve derjenigen kariösen Defekte, die noch eine konser- vie rende Behandlung des von ihnen betroffenen Zahnes zuließen; die schwarze Kurve der Extraktionen dagegen stellt uns die Kurve derjenigen kariösen Defekte dar, bei denen eine Behandlung nicht meähr angängig, sondern bei denen die Entfernung des Zahnes geraten war.!) Um nun eine Übersicht über die Kariesfrequenz im allgemeinen zu erhalten, müssen wir nun selbstverständ- lich sowohl die für die Füllungen, als auch für die Extraktionen der einzelnen Zähne gefundenen Werte zusammenzählen. Die hierdurch erlangten Summen geben nun die Kariesfrequenz bei den einzelnen Zähnen an; diese Summen sind nun ebenfalls auf 1000 reduziert worden. Das Resultat dieser Berechnung ist auf der schon angeführten Tabelle 14 mit verzeichnet worden, ebenso ist es auf unserer Tafel VI graphisch in Kurvenform, und zwar mit roter Farbe eingezeichnet worden. Die rote Kurve der Karies- frequenz wird ungefähr die Mitte halten zwischen der schwarzen Extraktions- und der schwarz punktierten Füllungskurve, aus denen sie resultiert.

Bei Betrachtung der roten Kurve sehen wir, daß jederseits drei Zähne der Karies am meisten verfallen; es sind dies der obere mittlere Schneidezahn, der obere 1. Molar und der untere 1. Molar. An diesen drei Zähnen erreicht die rote Kurve ihre höchsten Stellen, und zwar hat sie bei allen drei Zähnen annähernd die gleiche Höhe aufzuweisen, indem sie rechts “wohl wie links bei jedem von diesen Zähnen rund 60 auf 1000 kariöge Defekte zeigt. Die wenigsten kariösen Defekte haben die unteren Frontzähne und unter ihnen wieder der untere mittlere hneidezahn aufzuweisen, welcher jederseits nur 4 auf 1000 „riöse Defekte hat.

Wir wollen in folgenden Zeilen eine Übersicht der einzelnen l&whnsorten der Reihe nach, geordnet nach der Frequenz ihrer kmriösen Defekte, folgen lassen. Da, wie wir aus Tafel VI sehen, Weide Seiten auch bei dieser Kurve sich fast ganz decken, so haben wir bei unserer folgenden Übersicht wiederum nur eine Kieferseite angeführt derart, daß wir die Werte der rechten Seite mit den korrespondierenden der linken Seite addierten. Es

kommen also bei 1000 kariösen Zahndefekten auf

den oberen 1. Molar (6) 121 kariöse Defekte, den unteren 1. Molar (—6) 119 . den oberen mittleren Schneidezahn (1) 118 n -

Es 1 Ausgenommen sind die relativ wenigen Fälle, in denen die Er > tion eines Zahnes infolge einer Dislokation desselben, oder wegen - tzmangels, oder endlich aus praktischen Gründen bei Anfertirrung ex mer Prothese geboten wurde.

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Fe A E m -

356 Zimmermann. Mt:teri-öhe Bearbe.tung und Untersuchung usw.

den oberen seitlichen Schreidezahn (2° 10% kariöse Detekte, den unteren 2. Molar (1 ul 5 z den oberen 1. Prämolar 478 p i den oberen 2. Molar 1 72 5 a den oberen 2. Präimshır 3 ON š a den oberen Eckzaln 3, oh A = den unter-n 2. Prämolar 5 34 z E den oberen 3. Molar S) 30 P

den unteren 3. Molar .—N: 30 s

den unteren 1. Prämolar „4. 28 s

den unteren Eckzahn —3 15 r oi den unteren seitlicheu Schneidezahn 2 11 = 3 den unteren mittleren Schneidezahn -—1 x R g

In vorstehendem haben wir versucht, um es noch einmal zu wiederholen. an der Hand des im Leipziger zahnärztlichen In- stitutes während 20 Jahren gesammelten Materiales einen Beitrag zu lierern zu der Beantwortung der Fragen:

1. über die Frequenz der Füllungen der verschiedenen Zahnflächen der einzelnen Zähne.

2. über die Frequenz der Kronenfüllungen der ein- zelnen Zähne. und im Anschluß hieran. über die Frequenz der Pulpenbehandlungen derselben.

3. über die Frequenz der Extraktionen der einzelnen Zähne.

4. über die Frequenz der kariösen Erkrankungen bei den einzelnen Zähnen überhaupt.

Dat: schon über die Frequenz der Füllungen der verschiedenen Zahnflächen der einzelnen Zähne von anderen Autoren in ein- gelender Weise eine Untersuchung geführt worden sei, ist uns nicht bekannt geworden. Aus diesem Grunde gerade wurde der Beantwortung dieser Frage eine längere Ausführung gewidmet. Um die anderen hier angeführten Fragen .über die Frequenz der Gesamtfüllungen, die der Extraktionen und die der kariösen Erkrankungen der einzelnen Zähne) zu beantworten, ist schon von mehreren Autoren mehr oder weniger zahlreiches Material nach dieser Richtung hin bearbeitet worden. Von allen diesen Untersuchungen interessieren uns am meisten die von Prof. Julius Scheff, die er in seinem „Bericht über die Entwicklung und Leistung des k. k. zahnärztlichen Institutes der Wiener Universität" im Jahre 1900 veröffentlicht hat: und zwar interessieren uns dieselben deshalb am meisten, weil sie ganz analogen Verhältnissen entstammen, wie die unseren. Hier wie dort ist das Patientenmaterial, wo es sich ja um poli- klinische Behandlung handelt, betreiis der sozialen Verhältnisse

lim mermann, Statistische Bearbeitung und Untersuchung usw. 357

ewa gleiches; hier wie dort sind die Prinzipien, die der Be- ha ndlungsart zugrunde liegen, und die den didaktischen Zwecken in Anbetracht der Schulung der Studierenden entsprechen, die denkbar ähnlichsten. Es erscheint deshalb wohl nicht unzweck- nis=Big, wenn wir die Scheffschen Untersuchungen zum Vergleich wit den unseren heranziehen.

Wir haben zu diesem Zwecke die den in oben genannten Berichte veröffentlichten Füllungs- und Extraktionskurven ent- nommenen Zahlenwerte auf dieselbe Einheit also auf 1000 zurückgeführt, die wir bei unserer Untersuchung der besseren Verständlichkeit und Übersichtlichkeit wegen angenommen hatten.

Scheff hat in seinem Bericht 28916 Kronenfüllungen und 23313 Extraktionen, in summa also 52229 kariöse Zähne einer statistischen Bearbeitung unterzogen, wobei er zusammenstellte, wieviel von diesen Summen auf die einzelnen Zähne kommen.

Die Zahlenwerte, die das Ergebnis dieser Zusammenstellungen waren, haben wir auf 1000 reduziert, und in folgender Tabelle 15

wiedergegeben (siehe S. 358).

Diese Tabelle ist vollkommen analog der vorher angeführten Tabelle 14, welche in gleicher Weise die Ergebnisse unserer diesbezüglichen Untersuchungen darstellt. Sie zeigt uns, wie diese es auf Grund unserer Darlegungen tat, einmal, wieviel Kronen- fillungen, dann, wieviel Extraktionen und endlich, wieviel kariöse Zähne überhaupt bei jeweils 1000 Zähnen auf die einzelnen Zahn- Sorten nach den Scheffschen Untersuchungen kommen. Um eine bessere Übersicht hierüber zu erlangen, haben wir die in der Tabelle 15 festgestellten Zablenwerte auch graphisch in Kurven- fm in Tafel VII wiedergegeben, wo ebenso, wie bei der ihr

Zalogen Tafel VI, die Füllungskurve schwarz punktiert, die Ex- (C Siktionskurve schwarz und die Kurve der kariösen Zähne über- upt rot markiert wurden. Wir sehen hier, ebenso wie wir es bei den Zahlenwerten der Tabelle 15 und 14 schon sehen konnten, ine allgemeinen eine große Ähnlichkeit zwischen den korrespon- \werenden Kurven der Tafeln VII und VI. Die geringen Ab- weichungen, die sich bei einigen Zähnen zwischen den einzelnen Kurven vorfinden, entstammen wohl zum größten Teil lokalen Verhältnissen.

Es liegt nun sehr nahe, diese beiden eben angeführten Tafeln VI und VII, deren ihnen zugrunde lierendes Material ganz unabhängig voneinander, aber unter denselben Verhältnissen and in gleicher Weise bearbeitet wurde, miteinander zu vereinen, am so ein der Wahrheit mehr entsprechendes Gesamtresultat zu langen. Um dies zu erreichen, haben wir die einzelnen Zalılen- werte der korrespondierenden Kurven miteinander addiert und d zas Resultat wieder anf 1000 reduziert. In den Tafeln VIII.

Í g i |

Te am e oem u. ue e ee r m e A a a

Zimmermann, Statistische Bearbeitung und Untersuchung usw.

398

Tab. 15.

Kariöse Zähne | überhaupt |

Kronen-

füllungen

Zahn

Kronen- füllungen

Extraktionen

Kariöse FR |

überhaupt

Auf 1000 reduziert.

> 18 Kariöse Zähne Gberhanpt

43 27 Extraktionen

i er Kronen- 31 | m füllungen vol wu Zahn VI VII Zahn er. Kronen- sl füllungen

47 29 FExtraktionen

| | überh ar

liga mermaänn, Statistische Bearbeitung und Untersuchung usw. 359

IX_ und X ist dies in Kurvenform zum Ausdruck gebracht, derart. daB in Tafel VIII die Kurven der Kronenfüllungen, in Tafel IX dies» der Extraktionen und in Tafel X die der kariösen Zähne ibsserbaupt in dieser Weise zur Darstellung gelangten. Es wurden in diesen drei Tafeln in gleicher Weise die Kurven, die aus un seren Untersuchungen resultieren, schwarz punktiert bezeichnet, während die Kurven, die auf den Scheffschen Untersuchungen füßen, mit schwarzer Farbe angeführt wurden. Die aus diesen beiden Kurven, der schwarz punktierten und schwarzen, vereinte Kurve, wurde mit roter Farbe markiert.

Die roten Kurven der Tafeln VIII, IX und X, welche die Mittelwerte auf 1000 reduziert von den Kurven angeben, die dem Leipziger und Wiener Material entstammen, dürften den wahren Durchschnittsverhältnissen sehr nahe kommen, da durch diese Vereinigung das Gesamtmaterial bedeutend vermehrt wird.

So wird in Tafel VIII, welche die Kurven der Füllungen darstellt, wobei die schwarz punktierte Leipziger Kurve einem Material von 40022 Füllungen entspricht, die schwarze Wiener Kurve einem solchen von 29916 Füllungen, die rote Kurve der Summe beider, also einem Gesamtmaterial von 69938 Füll- urgen entsprechen. In Tatel IX, die die Kurven der Extrak- tionen uns zeigt, wobei der schwarz punktierten Leipziger Kurve 34250, der schwarzen Wiener 23313 Extraktionen zugrunde liegen, resultiert die rote Kurve aus einem Gesamtmaterial von 57563 Extraktionen. Die Tafel X endlich zeigt uns die Summe der Füllungen und Extraktionen, welche die kariösen Zähne überhaupt repräsentiert; und zwar bietet uns die Leipziger Aürve eine Gesamtsumme von 74272 kariösen Zähnen dar, während æ schwarze Wiener Kurve eine solche von 53229 kariösen

&hnen uns darstellt. Die rote Kurve der Summe beider repräsen- ürt also demnach ein Gesamtmaterial von 127501 kariösen Lehnen.

Die in den drei zuletzt genannten Tafeln rot bezeichneten Kurven, also die Kurven, welche den Summen der Zahlenwerte dex entsprechenden Kurven entspringen, die den Scheffschen und wnseren Untersuchungen entstammen, sind endlich in Tafel XI

der besseren Übersicht halber noch einmal nebeneinander gestellt worden. während die diesen drei Kurven zugrunde liegenden Zahlenwerte in Tabelle 16 Aufnahme fanden (siehe S. 360).

Die Farbenbezeichnungen dieser drei Kurven auf Tafel XI entspricht der, welche in den dieser ganz analogen Tafeln VI und VIL angewendet wurde. Ganz wie bei diesen zeigt uns in T afel XI die schwarz punktierte Kurve an, wieviele Füllungen, ine schwarze Kurve, wieviele Extraktionen, die rote endlich, W Zeviele kariöse Erkrankungen überhaupt auf die einzelnen

ntersuchung usw.

immermann, Statistische Bearbeitung und U

Z

é

360

.

Kariðse Zähne 18

| | Kariöse Zäl ’) b en “> ` 3 p bS > id mne 0 40: 36 22 überhaupt

Extraktionen 26 36 | 74. 38 26 | 23 41.39 77 41 26 Extraktionen

Kronen- Qr 9 OTE Oa a) 4 Aa o QF momy ooe’ i | 9r | 99 Kronen- füllungen ; 11 3 | 42 30 39 | 34 09 | I 8 | (l 37 39 | 35 40 3 11 füllungen

Zahn VI VI VII Zahn

Zahn Zahn

VIL VIII

Kronen- füllungen s

an | p_k D panai =.)

l , Kronen- 2 AD !

na ww u En LS C> and ~ = -] Q>

Extraktionen 23 43 LS 316,8 6 5

DIE a;

D 6:9 17: 25 S] | 45 24 Eytraktionen

überhaupt |

a] =

| | SAL 3 ; = | Kariöse Zühne 7 > ; I) A. > 5 | | J l Ez 54 | 44 15 überhaupt

Auf 1000 reduziert.

Zimmermann, Statistische Bearbeitung und Untersuchung usw. 361

Zähne des Gebisses kommen, nachdem die Gesamtzahl sowohl der Füllungen, wie auch der Extraktionen und der kariösen Zähne auf 1000 reduziert wurde.

Vergleichen wir nun diese auf Tafel XI befindlichen Kurven mit den aus unserem eigenen Material gewonnenen Kurven, die wir in den Tafeln IV, V und VI niedergelegt und bei Gelegen- heit besprochen hatten, so finden wir, daß der Verlauf der ana- logen Kurven im allgemeinen ein gleicher ist, wenn auch die einzelnen Höhenwerte derselben mitunter um mehr oder weniger differieren. Es wird deshalb das, was wir bei der Besprechung unserer Kurven gesagt haben, auch auf die Kurven der Tafel XI ganz die gleiche Anwendung finden. Bei Aufstellung der Tafel XI und Tabelle 16 handelte es sich im wesentlichen nur darum, auf Grund eines möglichst großen, gleichartigen Materiales Werte zu erhalten, welche den wirklichen Verhältnissen nicht nur im allgemeinen, sondern auch im speziellen möglichst entsprechen.

Zum Schlusse möchten wir noch auf Grund der Kurven der Tafel XI, welche, wie gesagt, den tatsächlichen Verhält- nissen am nächsten kommen dürfte, die einzelnen Zahnsorten so, wie wir es bei der Untersuchung unseres eigenen Materiales analog auf S. 346, S. 351 und S. 355 getan hatten, in der Weise geordnet anführen, wie sie sich einmal nach der Frequenz ihrer Kronenfüllungen, dann nach der Frequenz ihrer Extraktionen und endlich nach der Frequenz ihrer kariösen Erkrankungen überhaupt einreihen. Auch hier ist wegen der Symmetrie der rechten und linken Seiten der betreffenden Kurven auf Tafel XI nur eine Kieferhälfte angenommen worden. Es wurden deshalb die korre- spondierenden Zahlenwerte der betreffenden Kurven auf der rechten und linken Seite der Tatel XI addiert.

Wir erhalten sonach auf 1000 Gesamtfüllungen der Zähne im Ober- und Unterkiefer

beim oberen mittleren Schneidezahn (1) 174 Kronenfüllungen, beim oberen seitlichen Schneidezahn (2) 140 s beim unteren 2. Molar (—7) 85

beim oberen 1. Molar (6) 82 X beim oberen 1. Prämolar (4) 78 n beim oberen Eckzahn 3) 71

beim oberen 2. Prämolar (5) A

beim oberen 2. Molar (T 68

beim unteren 1. Molar (—6) 65 si beim unteren 2. Prämolar (—5) 39 7 beim unteren 1. Prämolar —4) 34 a beim unteren 3. Molar 8! 27

beim oberen 3. Molar (Sk 22

> beim unteren Eckzahn (3) 1

362 Zimmermann, Statistische Bearbeitung und Untersuchung usw.

beim unteren seitlichen Schneidezahn (—2) 14 Kronenfüllungen, beim unteren mittleren Schneidezalhn (—1) 11

Bei 1000 Gesamtextraktionen im Ober- und Unterkiefer kommen nach Tatel XI auf

den unteren 1. Molar (—61 162 Extraktionen, den oberen 1. Molar (6) 151 S den unteren ?. Molar (—7) 89 ir den oberen 1. Prämolar 4) 86 E den oberen 2. Molar (7) 77 = den oberen 2. Prämolar 5) 77 " den oberen seitlichen Schneidezahn (IN 92 ? den oberen 3. Molar (N; 52 = den unteren 2. Prämolar (—5i 45 i den unteren 3. Molar (—N) 47 den oberen Eckzahn (3: 45

den oberen mittleren Schneidezahn 1) 42 a den unteren I. Prämolar (4 33

den unteren Eckzahn (—3 17

den unteren seitlichen Schneidezahn (—2) 1? den unteren mittleren Schneidezahn a 10

Endlich finden wir, daß bei 1000 kariösen Zähnen | im Ober- und Unterkiefer nach Tafel XI auf

den oberen mittleren Schneidezahn ı1) 114 kariöse Defekte, den oberen 1. Molar ‚6° 113 n

den unteren 1. Molar (6) 109

den oberen seitlichen Schneidezahn (2: 100

den unteren 2. Molar ti‘ s7 a den oberen 1. Prämolar 4‘ 82

den oberen 2. Prämolar B) 73 j den oberen 2. Mular 10-72 P

den oberen Eckzahn c 3) 58 den unteren 2. Prämolar 5: 43 N

den oberen 3. Molar (N) 86 M

den unteren 3. Molar N 36

den unteren 1. Prämolar (= 34 , s den unteren Eckzahn 15

den unteren seitlichen Sehneidezahn (—?\ 14 5

den unteren mittleren Schneidezahn kommen.

—N 11

Kunert, Über Wurzelresektion.

cs (ep) (aa

[Nachdruck verboten.)

Über Wurzelresektion.')

Von Dr. Kunert in Breslau.

Meine Herren! Die Wurzelresektion ist eine Operation, welche. wie Partsch?) definiert, in der Fortnahme eines Teiles der er- krankten Wurzel besteht, um dafür den übrigen Teil gesund und funktionsfähig zu erhalten.

Die kleine Operation, die nicht neu ist, aber bisher wohl nur vereinzelt geübt wurde, wird neuerdings, seit Partsch wiederholt warm für ihre Ausführung eingetreten ist, mehr und mehr Gemeingut der Zahnärzte, und, meine Herren, sie muß es auch werden. Gehört doch ihre Beherrschung zu dem unerläß- lichen Rüstzeug des modernen Zahnarztes, denn mit ihrer Hilfe sind wir imstande, einer ganzen Reihe von Erkrankungen an Zähnen unter Erhaltung des Organes Herr zu werden, für deren Beseitigung bislang nur die Extraktion in Frage kam. Es schien mir daher wünschenswert, Ihnen in den diesjährigen Fortbildungs- kursen einmal über meine diesbezüglichen Erfahrungen zu be- richten und den kleinen operativen Eingriff zu demonstrieren.

Ich sagte schon, daß die Operation nicht neu sei. Als Partsch im Verein schlesischer Zahnärzte im Jahre 1398 seinen Vortrag über Wurzelresektion hielt, erwähnte Nawroth in der Diskussion, soviel er wisse, sei im Korrespondenzblatt für Zahn- ärzte die Operation von Fenchel bereits beschrieben. Ich habe davon nichts finden können; dagegen fand ich im Korrespondenz- blatt, Jahrg. 1803, einen Vortrag von Gordon White,°?) der bereits die Amputation der Wurzelspitze bez. bei Molaren even- tuell der ganzen erkrankten Wurzel empfiehlt. Dasselbe gilt von Rhein, der ebenso wie Gordon White, bei chronischen Alveo- larabszessen die Amputation der Wurzelspitze bez. bei mehr- wurzeligen Zähnen der ganzen Wurzel, vornimmt.

Schon im Jahre 1896, in dem dritten Institutsbericht be-

1) Vortrag, gehalten anläßlich der Fortbildungskurse für die Zahnärzte der Provinz Schlesien in der Zeit vom 27. März bis 1. April in Breslau.

9) Partsch, Über Wurzelresektion. Vortrag, gehalten im Verein schlesischer Zahnärzte D. M. f. Z. 1808. Jahre. NYL SN. 50.

3) Gordon White (Nashvillei, ber die Behandlung chronischer Abszesse. Bericht über den internationalen zahnärztlichen Kongreß in Chicago. Korrespondenzblatt für Zahnärzte 1593, N. 3410.

r a ? i >04 Kunert, Über Wurzelresektion.

schreibt Partsch’ die kleine Operation, die er damals nur an den Frontzähnen durchgeführt hatte nnd so vornahm, dab er unter Führung eines vertikalen Schnittes die erkrankte \Vurzelspitze einfach mit dem Bohrer zerstörte.

Auch im vierten Semesterbericht widmet Partsch”: der \Wurzelresektion ein Kapitel; er erwähnt hier einen Fall, in dem er auch an einem unteren Molaren die Operation ausgeführt hat, ein Fall, der aber ziemliche Schwieriekeiten bot und im End- resultat nicht ganz befriedigte (Nach Partsch hat Rhein ® bereits die „Amputation of roots“ im Jahre Iso in den Ver- handlungen der American Dental Association beschrieben und auch an Bikuspidaten vorgenommen.

Im Jahre 1595x berichtet auch Sachse?) über einen Fall, in dem er eine Fistel durch ALbtrazen der nekrotisch*n Wurzel- spitze zur Heilung brachte Im nächsten Jahre erwähnt Sachse.°); dab er durch blore Kauterisierunz der Wurzel- spitze und der \Wandung des Fistelkanales auch stets zum Ziele gekommen sei. Ob und inwieweit das zutrifft. werden wir später sehen.

Neuerdings hat sich schlierlicb auch Weiser =s mit der Wurzelres-ktion beschäftigt, d-er die Operation auch an oberen Bikuspidaten und Wanzenwurzeln der Molaren emptehlt, und

l: Part-ch und Perlinskı. Dritter Benent der Poliklinik für Zinn- und Mundkrankne N des zehnärztlichen In-tituts der Köniel. universität Breslau. _ D. M. f. Z. Janrg. MIV. IS, N. del,

> Partsen, Über vw Delete Vierter Derieht der Poli- klinik für Zahn- und Mundkrankhriten des zahnärztlichen Instituts der Kör:rl. r iverität Presļlau. erstattet von Partsch und Kunert. D M.t Z. danre AVIL SN. >48.

3 Rhein. Über die jehindiung des akuten und chronischen Alveviarabszesses. Korrestondenzbiatt f Zahnärzte Sui.

4 Sachse, Ein Fai von operativ gebeltter Zahntstel. Vortrag, reha:ten anf der 22. Vorsumm! ine des Zunnärztlichen Vereins für das Königreich Saeh-en D. M. £ Z. Janrıe. NVI NS. SAS.

» Sachse, Weitere Erfahrungen über die operative B-nandlung der erkrankten W ur rzelspitze. Vertiur gehalten auf oier 20. Versawmm- ur _ Lihwirztı es Vereins tür das K:riereich Sacosen. D. M. f. Z. dabre. NA N, 4w% f

D W viser, Pie Resultate der ra kalen Bebar door des Alveo-

Vneulisjenggn und der Zabmwürzelevste hei Liuist in des Zahnes, Vortrag. gehalten auf dem 3. internationalen zu: oe hoan- Yen., Paris. TA Ee Zen a in cier D ob La ANVAR Se

T Weser, Stiker und Peitrige zur Teebuik fer Mau EEIN lon- cirage Vertrag. weiten auf de u anyes yelse muu uL des Cen- i ebenen Teat ber abt e aaa A a a ee a

les IUM EZ. NEN, S

Kunert, Uber Wurzelresektion. 365

erst vor kurzem veröffentlichten noch Fryd!) und Mayrhofer‘)

Beiträge zu diesem Thema.

Die Wurzelresektion, meine Herren, stellt das ultimum refugium dar für alle jene Fälle chronisch entzündlicher Natur, in denen trotz Reinigung und Füllung des Wurzelkanals der ent- zündliche Prozeß nicht zar Ausheilung kommen will. Die richtig vorgenommene Resektion der Wurzelspitze führt dann fast stets mit absoluter Sicherheit die Ausheilung herbei.

Am häufigsten, meine Herren, handelt es sich um jene Fälle von sogenanntem chronischen Alveolar- abszeß. bei denen sich eine Fistel gebildet hatte, die in kürzeren oder längeren Intervallen ihr Sekret in die Mundhöhle entleerte, oft schon über Jahr und Tag, mitunter länger als ein

Jahrzehnt bestand und den Patienten belästigte. Bei derartigen ln ge währenden Eiterungen treten, wie Sie wissen, an den Warzeln oft Resorptionsvorgänge auf, die sich entweder um die weze Wurzelspitze herum erstrecken oder auf eine Seite lokali- sert sein können. Eine derartige Wurzel erscheint dann in weiter vorgeschrittenem Stadium an der Spitze wie ausgenagt, zackig, mit mehr oder minder tiefen Lakunen, während in früheren Stadien der über die Wurzel gleitende Finger nur Rauhigkeiten fühlt, die bei Lokalisierung des Prozesses auf eine Seite im Gegensatz zur gesunden Seite mit glatter Oberfläche nur um so sinfälliger werden.

Aber ein weiteres Moment kommt noch oft genug dazu. Wir finden nicht selten dunkle, bräunliche Auflager- ungen, punktförmig bei erst kürzere Zeit, krustenförmig bei schon längere Zeit bestehenden Fisteln, die allgemein als Zahnsteinablagerungen angesehen werden, die sich jeden- falls ebenso wie Zahnstein verhalten und deren Entstehen ja auch verständlich wird, wenn wir bedenken, daß durch den Fistelkana]l dem Speichel Gelegenheit gegeben ist, bis an die Wurzelspitze vorzudrämgen und sie zu bespülen.

In den Lakunen und Buchten, deren Bildung Partsch auf die Täti gkeit von Granulationen zurückführt, sowie in den Zahn- steinkrusten, sind nun Unmassen von Bakterien vorhanden, deren Beeinflussung bzw. Vernichtung vom Kanal aus gänzlich unmög- lich ist. Und ebenso wird es kaum je gelingen, ihrer vom Fistel- kanal aus mit Hilfe allein von Chemikalien oder dem Thermo- kauter Herr zu werden. Das sind diejenigen Fälle, die keiner Therapie weichen; hier können Sie den Wurzelkanal zehnmal engen, können alles Mögliche durch den Wurzel- oder Fistel-

\Eryd, Über Wurzelspitzenresektion. Deutsche zahnärztliche Wochenschrift. Jahrg. VIII. Nr. 2, 8. 18. 2) Ma yrhofer, Zur Wurzelspitzenresektion. Deutsche zahnärzt- liche Wochenschrift. Jahrg. VIU, Nr. U.

366 Kunert, Über Wurzelresektion.

kanal spritzen, es wird alles vergeblich sein. Lediglich die Ab- tragung der Wurzelspitze und damit völlige Beseitigung der Bakterienquelle vermag zum Ziele zu führen.

Theoretisch betrachtet schien es mir nicht ganz unmöglich, auch diese Fälle ohne chirurgischen Eingriff zur Ausheilung zu bringen und zwar durch Abkapselung des Herdes mittels schwer schmelzbarer Schmelzbougies oder Paraffin. Ich sagte mir, wenn es wirklich gelänge, die ganze Wurzel mit Paraffin zu umhüllen und dadurch die Bakterienquelle abzukapseln, so müsse die Fistel auch zur Ausheilung kommen und machte mit der Böhmschen Fistelspritze Versuche. Der Gedankengang mag richtig sein, praktisch scheitert man aber, wie mich meine Versuche lehrten, offenbar an pathologisch-anatomischen Schwierigkeiten. Infolge der oft gewundenen Fistelgänge, infolge der Nischen und Buchten, die häufig in der Gegend der Wurzelspitze bestehen mögen, ge- lingt eben offenbar jene völlige Abkapselung nicht. Nur in einem der so behandelten Fälle versiegte die Sekretion, aber das Fistel- maul schloß sich nicht auch nach einer Pause von mehreren Monaten konnte ich den nämlichen Befund wieder konstatieren so daß man von einer eigentlichen Ausheilung auch hier nicht sprechen konnte. War hier wenigstens ein teilweiser Erfolg zu verzeichnen, mit dem man sich schließlich zufrieden geben konnte, so hatte ich im übrigen nur negative Resultate mit der Böhm- Ließschen Methode zu verzeichnen. Wenn von anderer Seite von Erfolgen berichtet wird, von Erfolgen, in denen jahrelang bestehende Fisteln auf diese Weise beseitigt wurden, so kann es sich nur um Fälle handeln, die auch auf die einfache Wurzelbebandlung hin zur Ausheilung gekommen wären. Man ist ja nach dieser Richtung hin sehr leicht Täuschungen ausgesetzt. Nicht bei jeder Fistel, die einige Jahre oder ein Jahrzehnt und länger besteht, wird die Resektion der Wurzelspitze nötig, sondern ein sehr hoher Prozentsatz auch derartig lange bestehender Fisteln heilt auf die gewöhnliche Wurzelbehandlung hin aus. Nur einen recht charakteristischen Fall möchte ich in dieser Beziehung mitteilen.

Am 30. Januar 1903 konsultierte mich ein Fräulein H. aus Hundsfeld, die bislang nur bei Technikern in Behandlung ge-

wesen war. An > bestanden Fisteln. Die an 11 angeb-

lich seit 30 Jahren, die an ı| seit einem, die an [4 seit drei Jahren. Wurzelreinigungen waren noch nicht gemacht. Die Wurzelbehandlung wurde ausgeführt, und bereits nach 9 Tagen waren sämtliche Fisteln ausgeheilt. Ich sah die Patientin 1 Jahr später, am 4. Februar 1904 und auch im Laufe des Sommers 1904 wieder und konnte, wie auch die Patientin bestätigte, konstatieren, dab die Ausheilung eine dauernde gewesen ist. Hätte ich hier

Kunert, Über Wurzelresektion. 267

von vornherein neben der Wurzelreinigung den Fistelkanal mit einem Schmelzbougie oder Paraffin auszespritzt. so wären ja ver- anatlich die Fisteln auch ansgeheilt, und man wäre gewib versucht gewesen, den Erfolg den Bougies zuzuschreiben. Nur solche Fälle sind beweisend, bei denen trotz sicher und zuverlässig gelungener Warzelbehandlung und Wurzelfüllung der Fistelkanal im Zeitraum von 3—4 Wochen nicht ausheilt. Und auch bier gilt noch eine Einschränkung. Es schließt sch auch von den Fisteln, die innerhalb des angeführten Zeitraumes keine Miene machen, auszuheilen, noch die eine oder andere. wenn man den Fistelkanal mit dem Galvanokauter energisch ausbrennt, und damit die schlaffen Granulationen, welche den Fistel- kanal und seine Nischen und Buchten auskleiden. und keine Heil- ugstendenz zeigen, zerstört. Manche Zahnärzte suchen das gleiche Ziel durch Ausspritzen des Fistelkanals mit Karbolsäure, Schwefel- u oder dergleichen zu erreichen. Es erscheint mir aber diese \awode in ihrem Erfolge weit unzuverlässiger und wegen der WVaichkeit, Verätzungen der Mundschleimhaut herbeizuführen. auch inzweckmäßiger als die Kanterisierung. Ganz zwecklos ist die Methode jener Zahnärzte, die einfach von vornherein durch jeden Wırzelkanal antiseptische Flüssigkeiten solange hindurchspritzen, bis sie sich durch das Fistelmaul wieder entleeren. Denn mindestens “Proz. aller Fisteln heilen eben auf die einfache Reinigung der Werzelkanäle hin aus, bei denen also das Aus- und Durchspritzen "Anzlich überflüssig ist. Ein weiterer geringer Bruchteil von Fisteln schließt sich allerdings, wie schon erwähnt, dann erst auf die Zerstörung der den Fistelgang auskleidenden schlaffen Granu- tionen, von der es mir zweifelhaft erscheinen will, ob sie bei der unregelmäßigen Gestaltung der Fistelgänge überhaupt durch Flüssigkeiten zu erzielen ist. Das werden auch die Fälle sein, n denen Sachse (l. c.) durch Kauterisierung Erfolge hatte, wenn, was ich zannehme, die einfache Wurzelbehandlung zuvor vergeb- \ich versuzcht worden war. Ein letzter, wieder etwas gröterer Bruchteil jener, bei denen schon gröbere pathologisch-anato- mische Veränderungen der Wurzelspitze erfolgt sind schliett ich aber eben ohne chirurgischen Eingriff überhaupt nicht. Und ar dieser Prozentsatz von Fisteln wäre beweisend, ob die Böhm-Ließsche Methode wirklich etwas zu leisten Imstande ist oder nicht. Meinen Erfahrungen nach ist sie es nichht. Auch sie vermag die Resektion der Wurzelspitze nicht zu eirx er überflüssigen Operation zu machen. Dasselbe eilt, "e. Sie ohne weiteres einsehen werden, von dem Versuche Masurs.')

D Masor, nee zur Behandlung des chronischen Alveolar- Abezesses. Vortrag, gehalten im Verein schlesischer Zahnärzte am A. Mai 1903, referiert in der D. M. f. Z., Jahrg. XXI, S. 622.

368 Kunert, Über Wurzelresektion.

der die \Vurzelspitze mit einem Bohrer beschabt und mit H,SO, auswäscht. Ganz abgesehen davon, daß Masur immer nur Herde auf der Vorderseite und allenfalls der Seitenfläche mit dem Bohrer erreichen kann, ist mir nicht ersichtlich, welche Vorteile diese Methode haben sollte. Wenn ich nicht bloß im Dunklen, aufs Geratewohl und ohne jede Sicherheit auf einen positiven Erfolg operieren will, so muß ich die Wurzelspitze dabei außerordentlich sorgfältig frei präparieren, was sicher viel schwieriger ist, als die Wurzelspitze ganz zu resezieren. Denn dabei habe ich nur nötig, mich ungefähr an die Gegend der Wurzelspitze heran- zuarbeiten und die Vorderwand einigermaßen übersichtlich zu machen. Ob ich die Wurzel 1 mm höher oder tiefer abtrage, darauf kommt es meist gar nicht so sehr an. Wenn Masur seine Methode für leichter betrachtet, so müßte er proponieren, dab die Wurzelspitze stets nackt in einen Hohlraum hineinragte, was ja nur in einem geringen Prozentsatz von Fällen der Wirk- lichkeit entspricht, und auch da wird er mit dem Bohrer die Rück- seite nicht zu erreichen imstande sein. Bei Zähnen des Unter- kiefers schließlich wird man nach der Masurschen Methode auch viel eher den Canalis mandibularis verletzen, da ja die Wurzel- spitze in einem größeren Prozentsatz von Fällen bis oder fast bis an ihn heranreicht. Bei der Wurzelresektion, bei der ich ja den Bohrer einige Millimeter oberhalb der Spitze wirken lasse, besteht diese Gefahr kaum. Ich habe denn auch bisher nach dieser Richtung hin noch keinerlei Schwierigkeiten gehabt; nur einmal trat bei Resektion der mesialen Spitze von is trotz Adrenalin-Kokaininjektion eine etwas stärkere Blutung auf, die aber gleich nach Beendigung der Operation ohne Tamponade zum Stehen kam. Die Masursche Methode erscheint, wenn exakt ausgeführt, um nichts leichter, als die Resektion, im Gegenteil eher schwieriger, dagegen im Erfolge eben wegen der Unmöglich- keit, die Wurzelspitze im ganzen Umfange sicher zu bearbeiten, weit unzuverlässiger, so daß sie sich nicht allzuviel Anhänger erwerben dürfte.

Der Prozentsatz von Fisteln also, der sich weder auf die einfache \Vurzeltüllung. noch auf die nach etwa 14 Tagen an- geschlossene Kauterisierung des Fistelkanals bin schließt. wird im allgemeinen auf pathologisch-anatomische Veränderungen der Wurzelspitze schlieben lassen. jedenfalls aber stets die Wurzel- resektion zur Ausheilung notwendig machen Nicht immer wird man aus dem Nichtausheilen der Fistel auf pathologisch- anatomische Veränderungen der \Wurzelspitze schlieben dürfen: Zweier anderer Möglichkeiten werden wir vielmehr noch gedenken müssen, von denen die eine dann auch eine kleine Modifikation in der Operation bedingt. Es kann nämlich die Ursache für das

Kunert, Über Wurzelresektion. 369

Fortbestehen der Fistel erstens einfach auch noch darin liegen, daß irgendwelche Fremdkörper, die durch das Foramen ragen (abgebrochene Nervnadeln, durchgestoßene Guttaperchapoints und dergl.), den Reiz abgeben oder aber zweitens, daß es was ja bei der mesialen Wurzel der unteren, bei der mesial buccalen Wurzel der oberen Molaren leider gar nicht so selten der Fall ist wegen der Enge des Kanals oder anderer ana- tomischer und sonstiger Schwierigkeiten (starke Krümm- ungen, Dentikel, teilweise Dentifizierung, Abbrechen einer Nadel vor definitiver Reinigung usw.!) einfach unmöglich war, die Wurzelbehandlung so äuszuführen, wie es nötig ist. Bleibt nun die eine Wurzel unzulänglich gereinigt, so vermag sie natürlich die Bakterienquelle für das Fortbestehen der Fistel abzu- geben. In letzterem Falle wird es auch oft nicht genügen, die Wurzelspitze zu resezieren, sondern es wird die Abtragung der Wurzel möglichst in voller Länge notwendig werden. Das sind vielleicht auch die Fälle, in denen scheinbar mitunter ein Miß- erfolg bei der Wurzelresektion zu verzeichnen ist, in denen der oder jener Kollege erzählt, er habe Fisteln fortbestehen sehen bei Zähnen, an denen die Resektion der Wurzelspitze ausgeführt wurde. Und hier ist auch der Chirurg, der die kleine Operation vornimmt, ohne selbst den Zahn behandelt zu haben, im Nachteil gegenüber dem Zahnarzt, der aus der Behandlung des Zahnes ganz genau weiß, mit welchen Schwierigkeiten er im Einzelfalle schon bei der Wurzelbehandlung zu kämpfen hatte, nach denen er dann seine Maßnahmen einrichten kann. Ich pflege nun in allen solchen Fällen folgendermaßen zu verfahren: Behandle ich einen Molar, bei dem ein Wurzelkanal trotz aller Bemühungen mit glatter Nadel und Königswasser nicht mit Sicherheit in voller Länge zu reinigen ist oder in den ich womöglich nur 1 oder 2 mın hinein komme, so bohre ich den Kanal mit dem Beutelrockschen Bohrer was ich sonst entschieden perhorresziere ein Stück aus, fülle mit einem Antiseptikum bzw. Paraffin und mache mir im Buche eine entsprechende Notiz: „Kanal eng, später event. Resektion der Wurzelspitze.“ Verhält sich nun die Wurzel nicht ruhig, sei es, daß sie eine Fistel verursacht oder auch nur durch immer wieder vorübergehende akute Reizungen den Patienten belästigt, so reseziere ich die Wurzel, habe aber nun nicht nötig, die Wurzel in voller Länge fortzunehmen, was ich tun müßte, wenn ich den Kanal nicht ausgebohrt hätte, sondern es genügt, sie vielleicht in '/,—'j, ihrer Länge zu entfernen. Für die Befestig- ung des Zahnes ist das natürlich ein beträchtlicher Vorteil. Außer bei chronisch entzündlichen Prozessen mit Fistelbildung kann die Wurzelresektion gelegentlich auch notwendig werden bei sogenannten blinden Abszessen. Wir finden ja XXIII. 24

370 Kunert, Über Wurzelresektion.

nicht selten bei Wurzelbehandlungen Zähne, bei denen sich dauernd durch den Kanal ein hellflüssiges Sekret in größerer oder geringerer Menge absondert. Der Faden, von einer Sitzung zur andern in den Kanal gelegt, wird, immer wieder stark mit Flüssigkeit durch- tränkt, entfernt. Es hat in solchen Fällen weiter keinen Wert, die Wurzelbehandlung oft zu wiederholen, man füllt einfach in der zweiten oder dritten Sitzung und verhält sich exspektativ. Oft verhält sich ein solcher Zahn durchaus ruhig, der Organis- mus findet sich mit den Sekretquellen ab; es handelt sich ja dabei meist um die bekannten Fungositäten, vielleicht häutig schon etwas größere Fungositäten, Übergangsstadien zu Cysten, die wie aus dem in ilınen des öfteren vorgefundenen Inhalt (Fremdkörper irgendwelcher Art, Speisereste, Zahnstocherreste, bakterielle Massen usw.) und dem Gewebsaufbau geschlossen werden kann, eine Schutzvorrichtung des Körpers gegen die in sein Inneres eindringenden Schädlichkeiten darstellen. Nach Durchbrechung der über den ganzen Organismus fortlaufenden Epitheldecke (an den Zähnen des Schmelzes!) und Zerfall der Pulpa steht ja den verschiedensten Schädlichkeiten durch das Foramen apicale der Weg in das Innere offen. Ob der Organis- mus nun die dagegen als Schutzwehr aufgeworfenen Gebilde, nach- dem die Bakterienquelle, die der ungereinigte Wurzelkanal abgab, beseitigt ist, wieder zum Schwund bringt oder sie einfach reaktions- los bestehen bleiben, das steht wohl dahin; Tatsache ist jeden- talls, daß sich irgendwelche subjektive Beschwerden an solchen Zähnen ott nicht einstellen. Und damit entfällt auch der Anlaß, ohne weiteres die Resektion der Wurzelspitze anzuschließen. Nur dann, wenn ein solcher Zahn dem Patienten Beschwerden verur- sacht, was ja gelegentlich geschieht, wird der operative Eingriff geboten sein, bei dem man sich wohl mehr aut die Zerstörung des Gewebes in der Umgebung der Wurzelspitze, vielleicht allen- talls mit Fortnahme der äußersten Spitze, beschränken wird. Schließlich können aber auch gelegentlich akut entzündliche Vorgänge die Wurzelresektion notwendig machen. Es sei hier der unter den Ursachen für die Fisteln schon erwähnten Möglichkeit gedacht, daß es nicht gelang, die Wurzel- behandlung an einer Molaren- oder was ja gelegentlich auch nicht ganz ausgeschlossen ist einer Bikuspidatenwurzel lege artis auszuführen. Nicht immer entstehen infolgedessen gleich Fisteln. Zunächst treten ja vielmehr gewöhnlich erst akute Reizzustände von verschiedener Intensität auf (der Patient kann den Zahn nicht recht gebrauchen, olıne direkt Zahnschmerzen zu haben, es entstehen schmerzlose und vorübergehende Schwellungen usw., die, wenn man den Patienten dauernd und mit Sicherheit davon betreien und ihm den schließlichen Ausgang in Fistelbildung er-

Kunert, Über Wurzelresektion. | 371

sparen will, die baldige Resektion der Wurzelspitze bzw. bei mehrwurzeligen Zähnen der schuldigen Wurzel in ganzer oder fast ganzer Länge ertorderlich machen (vgl. oben). Eine andere gar nicht seltene Ursache für derartige akute Reizungen sind durch das Foramen gedrängte Guttaperchapoints. Ich kann Ihnen einige derartige Präparate zeigen; die Guttaperchastifte ragen nur ganz minimal durch das Foramen und doch reizten sie so, daß jeder Aufbiß dem Patienten zur Pein wurde und erst nach Entfernung der \Vurzelspitze Ruhe eintrat.

(In anderen Fällen werden merkwürdigerweise die Guttapercha- shifte reaktionslos vertragen; bier kann ich Ihnen einen Zahn zeigen, dem ich im Herbst 190? gefüllt habe; am 21. Dezember 1904 extra- hiexte ich ihn zwecks Selbstregulierung des Gebisses; Sie sehen alle dre i Points ein wenig durch die Wurzellöcher ragen, und doch hat der kleine Patient nie eine Belästigung davon verspürt. Damit ist feilich nicht gesagt, daß nicht noch später einmal eine Entzündung bätte auftreten können, wenigstens schließe ich das aus einem anderen Fall, in dem Kollege Hübner in meiner Abwesenheit einem Jungen anne einen oberen Molaren wegen heftiger Periostitis extrahieren mußte, den ich etwa ein Jahr her gefüllt hatte und bei dem auch en Point oben durchgedrängt war. Ein Jahr lang hat Patient ieinerlei Beschwerden gehabt, bis dann schließlich doch die Periostitis auftrat.)

Einen sehr wesentlichen Dienst vermögen wirunseren Patienten mit der Wurzelspitzenresektion in solchen Fällen von akuter Periodontitis zu leisten, bei denen sehr heftige Schmerzen auftreten, der ganze entzündliche Prozeß sich aber im Anfangsstadium befindet. Wir können dabei e Patienten fast augenblicklich von ihren starken Schmerzen freien. Auch hier möchte ich in Kürze zwei Fälle mitteilen.

Fall 1. Herr Sch. konsultiert mich wegen einer leichten Wurzel- utreizung am gefüllten ‘+. Ich entfernte die Füllung, um die NW orzelbehandlung za machen. Dabei zeigt sich, daß die Kanäle be- eits mit Points gefüllt sind. Ihre Entfernung erweist sich, selbst mit em Beutelrockschen Bohrer, als unmöglich bzw. unsicher. Ich mache wanächst eine Inzision und verordne trockene warme Umschläge. Am nächsten Tage kommt Patient, der abends nach Hamburg reisen mußte, mit außerordentlich heftigen Schmerzen an und verlangt die Extraktion des Zahnes. Ich schlug ihm die Resektion der Wurzelspitze vor, die er sofort vornehmen ließ, und ich hatte die Freude, daß mich Patient last schmerzfrei verlassen konnte.

‚Fall 2. Herr N., Arzt aus Berlin, kommt zwei lage vor seiner Abreise, um sich seinen Mund in Ordnung bringen zu lassen. Am age vor der Abreise stoße ich noch auf einen oberen Bikuspis mit

Rulpagangrän. Es blieb nichts weiter übrig, als den Zahn sofort defini-

tiv zu füllen. Noch am selben Abend sucht mich Patient wieder auf. wei. wie er sagt, der Zahn ihm wahnsinnige Schmerzen verursachte. Auch hier ging ich ein, nahm, um der Möglichkeit, daß ein Point durchgestoßen sei, Rechnung zu tragen, ein wenig von der Wurzel- spitze fort, und auch dieser Patient verließ mich ohne Schmerzen.

2:

372 Kunert, Über Wurzelresektion.

Sie sehen also, meine Herren, daß dieser kleine chirurgische Eingriff uns sehr wichtige Dienste zu leisten imstande ist. Was nun die Ausführung der Operation angeht, so ist sie heute mit Hilfe der Adrenalin Kokaininjektion weit leichter geworden als früher. Kann man doch damit ganz oder fast ganz ohne Schmerz für den Patienten operieren. so daß dieser einen nicht durch Unruhe stört, und was fast noch wichtiger ist, man verliert nicht mehr durch starke Blutungen die Übersicht; nicht selten erzielt man totale Blutleere, mindestens ist die Blutung aber so unbedeutend, dab man ihrer durch Tupfer leicht Herr wird. Während man früher, nur um rascher fertig zu werden, leicht versucht war, die Spitze in toto mit einem grüßeren Bohrer fort- zubohren, also das erkrankte Objekt zu zerstören, gelingt es heute fast immer, die Spitze so abzutragen, daß man das Präparat ge- winnt. Und so werde ich Ihnen 22 \Vurzelspitzen demonstrieren können.

Früher und für die Herren, denen das mehr chirurgische Vorgehen nicht sympathisch ist, kann ich diesen Weg auch heute noch empfehlen verfuhr ich, schon um schließlich weniger durch die Blutnng belästigt zu werden, so, dab ich in der ersten Sitzung nur die Inzision bis anf den Knochen austührte und nun mit Jodoformgaze fest tamponierte. \Viederholte man die Tamponade etwa zwei- bis dreimal, so bewirkte sie durch die eintretende Quellung eine solche Dehnung, dat man schlievlich durch einen ausreichend weiten Kanal den Knochen blos liegen sah und zu- nächst bei vorsichtiger Entfernung des Tampons auch kaum durch Blutung gestört wurde. Das erleichterte die erste Orientierung. und da die Knochenwunden nachher überhaupt nicht nennenswert bluten, auch die Ausführung der Operation auberordentlich, und auf diese Weise gelang es mir auch damals schon. einige Präpa- rate zu gewinnen; nur wenn ich die Operation sofort in einer Sitzung vornehmen mußte, pflegte ich die \Vnrzelspitze einfach zu zerstoren.

Heute führe ich den Eingriff natürlich stets in der ersten Sitzung zu Ende. Ich habe meistens, wie Partsch es früher tat. über der Mitte des Zahnes einen Vertikalschnitt in der Gegend der \Wurzelspitze angelegt, ohne ihn bis ganz an den Zahnhals durchzutühren. Dann dränge ich mit der Cocperschen Schere Zahnfleisch uni Periost nach beiden Seiten ab und lasse die \Vund- ränder mit Häkchen auseinander halten ıdie Lippe bezw. Wange wird natürlich außerdem mit dem breiten \Wundnaken abzezogen!. In letzter Zeit habe ich auch den Borenschnitt gewählt. bei dem man auter dem \undhaken mit einem Häkchen auskommt, so dab sich die erforderliche Assistenz vereinfacht. Mit einem groren Rosenbehrer von etwa 4—5 mm Durchmesser trage ich nun den

Kunert, Über Wurzelresektion. 373

Knochen in der Gegend der Wurzelspitze ab, nehme dann, wenn die Wurzelspitze einigermaßen von vorn frei liegt, einige feinere Rosenbohrer (etwa Nr. 3 der S. S. White-Rosenbohrer —, mit Fissurenbohrern kam ich weniger gut zum Ziel) und bohre die Spitze ab. Das Gefühl orientiert den Operateur sehr zuverlässig darüber, ob er sich mit dem Bohrer in der Wurzel befindet bezw. wenn er die Wurzel durchtrennt hat und der Bohrer nun in den sich beträchtlich weicher anfühlenden Knochen dringt. Gerade der feine Rosenbohrer ermöglicht die Orientierung durch das Ge- fühl sehr gut, während dies mit dem Fissurenbohrer weniger gut möglich ist. Wieviel man von der \Vurzel abträgt, hängt natür- lich ganz von dem Einzelfalle ab. Handelt es sich um eine schon jahrelang bestehende Fistel, bei der man bereits ziemlich hoch hinauf ansitzende Zahnsteinkrusten vermuten kann oder handelt es sich um eine mesiale Molarenwurzel, die wegen engen Kanales nicht sicher zu füllen war, so wird man natürlich mehr abtragen, als wenn es sich um eine erst kurze Zeit bestehende Fistel oder eine mehr akute Reizung infolge durchgestoßenen Points handelt.

Die abgetrennte Wurzelspitze wird dann mit dem Vajna- schen Hebel entfernt, die Wunde mit etwas Solveollösung zwecks Fortspülung der Bohrspäne ausgespritzt und dann mit Jodoform eingepulver. Im allgemeinen tamponiere ich die Wunde gar nicht, (nur wenn ich aus irgendeinem Grunde die Wunde am nächsten Tage nochmals übersehen will, würde ich mit Jodo- formgaze tamponieren), sondern lasse nur mit einer 1proz. Thymol- lösung spülen und der öfters auftretenden reaktiven leichten Schwellung wegen trockene warme Umschläge machen. Im übrigen lasse ich die Patienten ruhig ihrer Beschäftigung nachgehen. Nach etwa 8 bis 14 Tagen pflegt alles prompt verheilt zu sein, so daß nur noch eine weißliche Narbe die Inzisionsstelle anzeigt.

In zwei Fällen trat ein Schluß der Wundränder nicht ein, sondern es bildete sich ein Kanal, in dem man die Wurzel liegen sah. Das betraf Fälle an Molaren, in denen der Bohrer das Zahnfleisch etwas stärker verletzt hatte. Ich glaube deshalb auch nicht, daß es zweckmäßig ist, wie Fryd es tut, direkt zu exzidieren; ich sollte meinen, daß es dann leicht öfters passieren kann, daß eine ähnliche unvollkommene Ausheilung ohne Schluß der Zahn- fleischränder erfolgt. Und wenn Fryd gar meint, die Inzision sei deshalb vorzuziehen, weil der vorher abgehobene Lappen so- wieso meist nekrotisiert und dadurch die Heilung nur unter un- günstigeren aseptischen Kautelen vor sich gehe, so befindet er sich in großem Irrtum. Gerade das Umgekehrte dürfte das Richtigere sein. Einen besseren Schutz für die Knochenwunde gibt es doch wohl kaum, als das normale Epithel, und dat Haut oder Schleim- hautlappen mit glatten Schnittflächen ausgezeichnet verheilen, steht.

974 Kunert, Über Wurzelresektion.

doch ohne weiteres fest. Ich habe wohl gehört und gesehen, daß stark gequetschte Zahnfleischlappen mit unregelmäßig zerrissenen Rändern gangräniszieren, von lege artis abpräparierten Zahnfleisch- lappen mit glatten Schnittflächen habe ich es bislang nicht gesehen. Eine längere Nachbehandlung, die Fryd für nötig hält, halte ich für ganz überflüssig, wenigstens soweit die Patienten unter zahnärztlicher Kontrolle bleiben müßten. Daß ich 2—3 Tage gelegentlich 1—2 Stunden etwas wärmen und etwa 8 Tage mit Thymol spülen lasse, erwähnte ich bereits, im übrigen pflege ich aber die Patienten, wenn sie nicht sowieso noch weiter in Behandlung bleiben, erst nach einigen Wochen einmal zur Be sichtigung zu bestellen, lediglich zu dem Zwecke, um mich von der Ausheilung zu überzeugen. Bei Cysten wurde weder früher von Partsch am Institut, noch auch von mir in der Privat- praxis je eine Wurzelspitze reseziert, ohne daß wir davon einen Nachteil hätten wahrnehmen können.

Fryd (l. c.) entwickelt in seinem Artikel im ganzen recht an- fechtbare Ansichten. Allein der eine Satz: „Sobald ein Zahn einen Abszeß unterhält, eine Zahnfleischfistel oder eine sogenannte Cyste, so ist mit der einfachen Reinigung der Wurzelkanäle eine Heilung nicht zu erzielen, da dann immer bereits eine Ostitis vorliegt“ enthält des Falschen gar vieles. Abszesse und Zahnfleischfisteln heilen wir doch täglich durch einfache Wurzelreinigungen aus, ja, das ist doch geradezu das Normale, und daß bei Cysten immer eine Ostitis besteht, also entzündliche Erscheinungen am Knochen auftreten, wird Fryd in Wirklichkeit wohl noch nicht allzuoft beobaclıtet haben.

Nach Fryd kommt die Resektion der Wurzelspitze nur in Betracht bis zu den 2. Bikuspidaten, an Molaren, meint Fryd, seien die Schwierigkeiten zunächst sehr groß, und dann seien bei einer kranken Wurzel fast stets schon Fungositäten auch an den anderen Wurzeln vorhanden.

Nun, an den ersten Molaren sind, da es sich ja fast stets nur um die buccalen Wurzeln (bez. im Unterkiefer um die mesiale Wurzel) handelt, die Schwierigkeiten auch kaum größer als an dem 2. Bikuspidaten, sie beginnen erst an den 2. Molaren und „war namentlich wegen der Schwierigkeit, die Wange genügend nach hinten zu ziehen. Bei mageren Patienten mit den gut ab- ziehbaren Backentaschen ist die Operation selbst am 2. Molar ausführbar; ich habe sie jedenfalls zweimal auch an oberen Weis- heitszähnen, die bei fehlenden 1. Molaren infolge Wanderns der Zähne etwa an die Stelle gerückt waren, wo sonst die 2. Molaren stehen. ausgeführt, das einemal erfolgreich, das anderemal in- folge nicht vorher zu sehender Umstände ohne Erfolg. In letzterem

NN ut en ee

Kunert, Über Wurzelresektion. 375

Fal łe handelte es sich um eine Patientin, die vorher von einem Techniker behandelt worden war. Der letzte linke obere Molar (ia hielt ihn für |? ) machte bei Gangrän \Vurzelbehandlung nötig; ich fand trotz allen Suchens nur zwei Kanäle; der mesiale buccale Kanal war nicht zugänglich, bez. ein Eingang nicht zu finden. Nach Angabe der Patientin hatte auch der Techniker nur zwei Kanäle finden können, gefüllt war allerdings keiner. Ich machte mir eine entsprechende Notiz, daß die mesiale Wurzel event. zu resezieren sei. Schon nach wenigen Monaten trat eine Periodontitis auf und ich ging daran, die mesiale Wurzel, die nur die Ursache sein konnte, da sich die beiden anderen Kanäle gut hatten reinigen und füllen lassen, zu resezieren und mußte hier natürlich die Wurzel in toto abtragen. Während der Operation merkte ich, daß sämtliche Wurzeln zu einem Konus verschmolzen waren und es sich also offenbar um den mesialwärts gerückten \WVeisheits- zahn handelte. Trotzdem ich nun den Bohrer schräg aufwärts führte, um einen Teil des \Vurzelkanales zu erhalten, blieb doch za wenig Halt für die restierende Krone, die ich schließlich lieber sofært mit entfernte.

Daß, wenn eine Molarenwurzel erkrankt ist, fast stets auch schon Fungositäten an den anderen Wurzeln vorhanden sind, ist wohl auch eine kaum zutreffende Behauptung Fryds. Gewöhnlich macht eben nur die eine Molarenwurzel wegen des engen Kanales Schwierigkeiten, während die anderen lege artis gefüllt keines- wegs erkranken werden.

Weiter hält Fryd es für wichtig, daß neben einem Zahn, an dem man die Wurzelresektion ausführt, die beiden Nebenzähne vorhanden sind. Meines Erachtens ist es recht gleichgültig, ob Nebenzähne existieren oder nicht. Ich habe bei einer Patientin eine untere Brückenarbeit angefertigt, bei der folgende Zähne vor- handen sind 858). An 5| wurde vorher, da er anderweitig sehr lange wurzelbehandelt und schließlich gefüllt worden war, aber trotzdem dauernd periodontitisch blieb, die Wurzelresektion aus- geführt. Nachdem die Brücke aufgesetzt war, zeigte sich plötzlich

3. gereizt. bei dem ich unter Adrennalin-Kokain die Pulpa entternt und die Wurzel gefüllt hatte. Längere exspektative Behandlung brachte keine Besserung, bei jedem Aufbiß meinte die Patientin einen Stich zu verspüren, so daß die Vermutung Raum gewann, es sei beim Erweitern des Kanales mit dem Bohrer der Guttapercha- stift durch das Foramen gedrängt worden. Ich entschloß mich zur Wurzelresektion, welche diese Vermutung bestätigte Und trotzdem #| bereits leichte Lockerung zeigte, 5| und 3! ohne Wurzelspitzen ihre Aufgabe erfüllen müssen, kann ich versichern. dab die Brücke völlig fest ist und von der Patientin, die auf dieser Seite allein zu kauen genötigt ist. ausgezeichnet benutzt.

376 Kunert, Über Wurzelresektion.

werden kann, ohne daß sie auch nur die mindeste Unsicherheit oder gar Beschwerde beim Kauen hätte.

Der Ansicht Fryds, daß auch an mehreren Zähnen neben- einander die Operation nicht ausgeführt werden solle, ist bereits Mayrhofer (l c.) entgegen getreten. Ich habe ganz im Gegen- teil bei einer Patientin aus Berlin, die nur zu vorübergehendem Aufenthalt hier war, so daß eine längere Beobachtung nicht mög- lich wurde, bei einer Fistel, die genau zwischen 5] lag, so daß, da beide Zähne wurzelgefüllt waren, sich nicht feststellen ließ, von welchem Zahn die Fistel ausging, sofort die mesiale Wurzel j und die Wurzel | reseziert. Nur so war ich sicher, den Störenfried wirklich mit dabei zu baben, und wie mir die Dame einige Zeit später mitteilte, ist auch die Fistel, die sie mehrere Jahre belästigt hatte, wie nicht anders zu erwarten war, ausgeheilt.

Mayrhofer näht die Wunde nach Abtragung der Wurzel- spitze; auch das erscheint mir gerade bei den Verhältnissen, die im Vestibulum oris vorliegen, überflüssig zu sein. Sie wissen, meine Herren, daß die Weichteile infolge der Druckdifferenz, die zwischen Mundhöhle und Außenatmosphäre besteht, mit einem gewissen Druck auf ihrer knöchernen Unterlage ruhen. Und dieser Weichteildruck, meine Herren, ersetzt uns die Naht vollkommen; er preßt die Wundränder so schön und sicher aneinander, als es nur die beste Naht tun kann.

(Ich habe gerade mit Nähten am Zahnfleisch, die ich bei anderen Gelegenheiten legte, nicht viel Freude erlebt. Und zwar habe ich sie einigemale angewandt, wenn ich bei Alveolarpyorrhöe eine ausgiebige Spaltung des Zahnfleisches bis an den Zahnhals heran ausführte. Um dann ein zu starkes Zurückweichen der Gingiva zu verhindern, legte ich zwei Nähte. Und trotzdem ich nach den schlechten Erfahrungen bein erstenmal im zweiten Falle die Nadel recht weit vom Rande ab einführte, zeigte sich doch nach einigen Tagen wieder das Zahnfleisch eingerissen. Allerdings handelt es sich bier um weit ungünstigere Verhältnisse und zwar einmal wegen der größeren Straffheit des Zahn- fleisches in der Gegend des Alveolarrandes und dann wegen der dauernden Insultierung der Naht durch die ja immer stark lockeren Zähne bei jedem Aufbiß. Wenn also auch im Anschluß an die Resektion ein Einreißen der Gingiva nicht zu befürchten sein wird, so ist die Naht doch gewiß nicht nötig.)

Wenn Sie mich nun, meine Herren, nach dem Erfolge fragen, den man mit der Wurzelresektion erzielt, so kann ich nur sagen, dal; er, von ganz wenigen Fällen abgesehen, ein durch- aus zuverlässiger ist. Man erzielt fast immer eine völlige Ausheilung des entzündlichen Prozesses unter Erhalt-

ung der vollen Funktion des sonst der Zange verfallenen Zahnes.

Hin und wieder freilich ist auch bei dieser Operation der

Kunert, Über Wurzelresektion. 377

Erfolg einmal nur ein teilweiser. So erwähnte ich bereits zwei Fälle von Wurzelresektionen an Molaren, in denen ein richtiger Schluß der Wunde nicht eintrat, sondern die Ausheilung in Form einer kleinen Nische erfolgte, in der man die Wurzeln liegen sah. In dem einen Falle handelte es sich allerdings um einen [s, der seit Jahren zwei Fisteln unterhielt und die Resektion beider Wurzeln in ziemlicher Länge nötig machte, so daß ein beträcht- licher Defekt entstand. Immerhin war der Zahn, den ich mit einer Krone versehen hatte, völlig gebrauchsfähig und die Fisteln waren verschwunden. Möglichste Schonung des Zahnfleisches und nament- lich des Periosts wird daher zur Vermeidung solch unzulänglicher Heilungserfolge anzustreben sein. In einem anderen Falle, dem ersten, in dem ich die Resektion ausführte (und zwar, da es sich um einen sehr sensiblen Herrn handelte, unter Zerstörung der Wurzel- spitze), heilte eine Fistel, die 12 Jahre bestanden und zu einer ziemlichen Lockerung des |! geführt hatte, prompt aus, bis nach 4 Jahren, im vorigen Sommer, die Fistel abermals aufbrach. Im Andenken an die frühere Belästigung durch die Fistel scheute der betreffende Patient, der anf die Zahnpflege einen großen Wert legt, eine Reise von Hamburg nicht, um sich die Fistel wieder beseitigen zu lassen. Ich bin abermals eingegangen, habe noch etwas fortgenommen und die Ausheilung ist, wie mir der Patient erst vor einigen Wochen mitteilte, wieder prompt erfolgt. Was hier die Ursache dieses merkwürdigen Verhaltens gewesen sein mag, kann ich nicht angeben. Man könnte vielleicht daran denken, daß etwa durch resorbierende Prozesse ein Teil der Wurzel zum Schwund gebracht worden wäre und nun der Guttaperchastift als Reiz gewirkt hätte. Das aber war nicht der Fall; ich fand die Wurzel, die ich jetzt unter Adrenalin-Kokaininjektion aus- gezeichnet, übersehen konnte, mit glatter Schnittfläche vor, wie sie der Bohrer vor 4 Jahren gesetzt hatte.

Im ganzen kann ich Ihnen jedenfalls die Ausführung der kleinen Operation nur auf das wärmste empfehlen. Wenn Sie sich nun die Präparate ansehen wollen, so kann ich Ihnen zunächst fünf Wurzelspitzen zeigen, an denen die Resorptionsvorgänge am augenfälligsten sind.

Sodann sehen Sie bräunliche Auflagerungen, Zahn- steinkrusten an neun Wurzelspitzen, nebenbei bemerkt also die häufigste Ursache für das Nichtausheilen der Fisteln.

Points, wenn auch, wie Sie sehen, teilweise nur minimal durch das Foramen gedrängt, machten viermal die Resektion der Wurzelspitze nötig.

Und schließlich zeige ich Ihnen noch vier Wurzelspitzen, an denen keine der bisher genannten Veränderungen zu beobachten, eine Ursache für das Nichtausheilen der Fistel bzw. die Reizung

378 Kallhardt, Ein seltener Fall von Retention mehrerer Zähne.

des Zahnes überhaupt nicht recht erkennbar ist. Wir können also nur annehmen, daß es die sehr engen, nicht zugäng- lichen Kanäle (es handelt sich um zwei mesiale obere und einen mesialen unteren Molaren und eine obere Bikuspidaten- wurzel) waren, welche die Bakterienquelle für die sich ab- spielenden entzündlichen Prozesse abgaben.

[Nachdruck verboten.) Ein seltener Fall von Retention mehrerer Zähne.

Von Dr. med. Hermann Kallhardt, Zahnarzt in München.

Vor einigen Monaten kam eine Frau Z., 40 Jahre alt, in meine Sprechstunde und klagte über heftige, zeitweise tobende Schmerzen im rechten Unterkiefer. Die Inspektion der Mundhöhle ergab als Befund einen völlig zahnlosen Ober- und Unterkiefer mit äußerlich glatt ver- heiltem, kräftigem Kieferwall. Ein ganzes Ober- und Unterstück wurde seit 23, Jahren getragen.

Bei genauerer Untersuchung war im linken Oberkiefer in der Gegend des Eckzahnes eine feine Öffnung labial zu erkennen, aus der sich auf Druck Eiter entleerte. Diese jedoch geringfügige Suppuration soll nach Angabe der Patientin schon seit 3 Jabren bestehen, ohne ihr besondere Unannehmlichkeiten zu bereiten. In der rechten Unter- kieferhälfte war ebenfalls in der Gegend des Eckzahnes und zwar lingualwärts eine ziemlich ausgedehnte entzündete Druckstelle zu be merken, jener typische, durch den scharfen, drückenden Rand des künst- lichen Gebisses erzeugte Einschnitt, wie er bei Piecen, die trotz Schmerzhaftigkeit längere Zeit ohne Abänderung weiter getragen werden, sich bildet. Diese Druckstelle wies in der Tiefe eine feine Öffnung auf, aus der sich jedoch kein Eiter entleerte, durch die man aber bei der Sondierung auf einen harten, Schmelzklang ergebenden Körper gelangte. Von dieser Stelle aus nach rückwärts, auf der labialen Kieferseite, war eine stark gerötete, zirkumskripte Intumeszen? vorhanden, die auf Druck stark schmerzte. Ä

Soweit der Status praesens. Zur Ergänzung der Anamnese wär noch nachzutragen, daß zeitweise Nchmerzen im Unterkiefer schon vor dem Einsetzen der künstlichen Zähne aufgetreten sind, trotzdem der Kiefer- bereits zahnlos war. Vor 23, Jahren hatte sich die Patientin danm-

Kallbardt, Ein seltener Fall von Retention mehrerer Zähne. 379

3 23 künstliche Gebiß anfertigen lassen. Die obere Piece wurde bald E> «schwerdelos getragen, die untere jedoch hatte stets trotz fortwähren- 4er Ausfeilungen an der betreffenden Stelle ununterbrochen gedrückt. mg ach einigen Monaten hat Frau Z. selbst eine feine Öffnung in der <.chleimhaut an der Druckstelle bemerkt, wartete aber trotz Ver- sc hlechterung des Zustandes immer noch weiter zu, bis schließlich die irzamer stärker werdenden Schmerzen sie zum Zahnarzt trieben.

Über die früheren Mundverhältnisse gab die Patientin noch an, dæß ihre Zahnreihe im Ober- und Unterkiefer lückenlos gewesen sei, und daß sie ihre Schneidezähne, die sehr stark hypoplastisch gewesen seien, sehr früh verloren hätte. Als Kind hatte sie die Rachitis.

Auf Grund der angeführten Untersuchungsbefunde war meine

erste Annahme, daß es sich im Unterkiefer um den retinierten rechten Fckzahn handle, der in Längslage zum Kieferwall sich befinde, welche Lagerung auch die Ursache zu seiner Retention abgegeben habe. Die nach rückwärts gelegene Schwellung und Empfindlichkeit ließ eine solche Lage wenigstens vermuten. Ich machte dementsprechend eine Inzision längs des Kieferwalles, soweit der harte Zahnteil zu fühlen war und spaltete außerdem den Wall noch in querer Richtung. Durch Tamponade mit Jodoformgaze war dann am folgenden Tage die Krone des retinierten Zahnes teilweise zu sehen. Die Sondierung rings um den erreichbaren Zabnteil ließ zwar nach innen zu einen ganz günstigen Halt für die Zange erkennen; nach außen stieß ich jedoch auf ziemlich harten Widerstand, der ein Hinunterschieben der Zangen- branche nicht gestattete und den ich für den Kieferkörper hielt. Trotzdem mir daraufhin der labiale Halt für die Extraktion sehr wenig erfolgversprechend schien, versuchte ich dieselbe. Doch schon bei der ersten Luxationsbewegung nach innen glitt die äußere Zangenbranche ab, wobei ein Stück Schmelz mit anhaftendem kariösem Zahnbein im Zangenmaule blieb. Da mir nun der Fall komplizierter erschien, als er gewöhnlich zu sein pflegt, so unterließ ich jeden weiteren Ex- traktionsversuch. Außerdem befürchtete ich bei Forcierung der Ex- traktion mit der Resektionszange eine Fraktur des an und für sich schwachen Unterkieferkörpers zu riskieren. Da infolgedessen nur an eine Entfernung des retinierten Zahnes durch Aufmeißelung des Kiefers zu denken war, so überwies ich die Patientin an Herm Dr. Gebhaurt, “pezialarzt für Chirurgie, der in freundlicher Weise die Operation in Narkose übernahm.

Beror jedoch dieser tiefere Eingriff gemacht wurde, hielten wir es für das beste, vorher durch eine Röntgenaufnahme Klarheit. über lie Lage des retinierten Zahnes zu erhalten. Herr Prof. Dr. Walk- toff hatte die Güte, mir die Erlaubnis zur Aufnahme im königl. „ahnärzt-\ichen Institute zu erteilen. Es stellte sich nun folgender ‘herrascHihende Befund heraus.

380 Kallhardt, Ein seltener Fall von Retention mehrerer Zähne.

Der retinierte untere Eckzahn liegt nicht, wie ich angenommen hatte, seiner Längsrichtung nach im Kiefer, sondern steht senkrecht in ganz normaler Weise im Knochen eingebettet. An der Krone ist deutlich eine kariöse Höhle zu erkennen, die ich auch bei meinem Extraktionsversuch konstatiert hatte. Neben ibm mesial befindet sich in gleicher Richtung ein zweiter retinierter Zahn von Schneidezahn- form, den man für den nicht durchgebrochenen seitlichen Schneidezahn halten muß.

Die Röntgenaufnahme des linken Oberkiefers an der Stelle der Eiterung ergab ebenfalls das Vorhandensein eines retinierten, aus- gebildeten Zahnes mit zwei Höckern und umgeben von einer Ab- szeßhöhle.e Meine Annahme, es handle sich um den 1. Prämolaren, bestätigte sich später nicht. Es war ebenfalls der Eckzahn; nur täuschte der von der Eckzahnspitze aus in die Tiefe greifende Zerstörungsprozeß die beiden fälschlichen Höcker vor.

Einige Tage darauf nahm Herr Dr. Gebhart die Operation vor, und es wurden durch Wegmeißelung der äußeren Knochenwand des Kiefers unten sowohl als oben die retinierten Zähne in der Narkose entfernt, wobei ich die vorzügliche Verwendbarkeit von Hammer und Meißel zur Extraktion solcher Zähne betonen möchte.

Da die auf solche Weise extrahierten Zähne auch noch selbst einige interessante Einzelheiten aufweisen, so will ich dieselben im folgenden einer näheren Beschreibung unterwerfen.

Alle drei retinierten Zähne besitzen völlig ausgebildete Wurzeln, und ihre Kronenteile sind durch die jabrelangen Entzündungen und Eiterungen in mehr oder minder großer Ausdehnung zerstört. Besonders günstig hierfür waren wohl die starken hypoplastischen Bildungen an den Schneiden der Zähne wie sie ja auch an den anderen regelrecht durchgebrochenen Schneidezähnen nach den Angaben der Patientin vorhanden gewesen waren. Beim unteren Schneidezahne ist die Zer- störung der Krone noch nicht bis zum Pulpacavun vorgedrungen; in den Erosionsgruben haftet noch fest das die Resorption besorgende Gewebe. Die Pulpa selbst befindet sich in lebendem Zustande. Beim unteren Eckzahn hat der Zerstörungsprozeß bereits die Pulpakammer erreicht und dieselbe eröffnet. Die Pulpa ist noch lebend, jedoch stark byperämisch entzündet. Die von der Patientin angegebenen tobenden Schmerzen sind meiner Ansicht nach wohl auf diesen Entzündungs-

zustand des Zahnes, d h. auf eine regelrechte Pulpitis desselben mner- halb des Kiefers, zurückzuführen. Da gerade dieser Zahn von der er- wähnten Öffnung der Unterkieferschleimhaut mit der Sonde erreicht werden konnte, so war ja auch eine Kommunikation der freiliegenden Pulpa mit der Mundhöhle leicht erklärlich.

Am oberen Eckzahn endlich sind die direkt in die Tiefe greifen-

- Her

den Erosionsgruben sehr deutlich zu sehen; die Pulpa ist auch bier

Kallhardt, Ein seltener Fall von Retention mehrerer Zähne. 381

gs och lebend, liegt aber nicht frei. Die sehr stark zerstörte Krone z eigt sich auf der Rückseite bedeckt mit einem harten, grünen, fest aßsitzenden Belag, den ich als den sogenannten „Eiterstein“ ansprechen ræaöchte; denn an eine Zahnsteinablagerung an dieser mit der Mund- ta Öble nur durch eine ganz feine Öffnung kommunizierenden Stelle wird waan hier wohl kaum zu denken haben. Sonstige erwähnenswerte Be- sOnderheiten sind an den Zähnen nicht mehr zu sehen.

Zum Schlusse möchte ich noch einige Fragen aufwerfen, die sich dem Beobachter bei Betrachtung des Falles vom wissenschaftlichen Standpunkte aus unwillkürlich aufdrängen.

Daß die retinierten Zähne sämtlich ausgebildete Wurzeln haben, ist ja ein fast regelmäßiger Befund. Jedoch, warum sind diese Zähne, nachdem sie doch regelrecht im Kiefer lagen, nicht durchgebrochen wie ihre Nachbarn? Die vorhanden gewesene Persistenz der Milch- zähne kann wohl nicht ins Feld geführt werden, da dieselbe ja eine Foige, nicht eine Ursache des Nichtdurchbruches der betreffenden Ersatzzähne sein soll. Oder haben vielleicht die starken Hypoplasien ein günstiges Moment für die Retentionen abgegeben und findet man ähnlich wie den unregelmäßigen Durchbruch auch die Retentionen häufiger bei hypoplastischer Bildung der Zähne? Für einen Aufschluß hierüber von den Kollegen wäre ich sehr dankbar.

Eine einigermaßen annehmbare Erklärung scheint mir nur folgende zu sein.

Bei den in meiner Dissertation niedergelegten Untersuchungen über den Durchbruch der bleibenden Zähne habe ich gefunden, daß die Pulpa des Milchzahnes im Hauptstadium des Durchbruches zum weitaus größten Teil die Resorption des Milchzahnes besorgt. Es wäre vielleicht in unserem Falle anzunehmen, daß bei einem frühzeitigen Verfall der Milchzahnpulpen deren wichtige Tätigkeit bei der Autlösung der Zahnsubstanz in Wegfall kam und infolgedessen die bleibenden Zähne bei einer durch die Hypoplasien eventuell bedingten geringeren Durch- bruchstendenz einen zu großen bzw. den größeren Widerstand in dem kronenwärts gelegenen Kieferteil fanden und deshalb retiniert blieben. Ihre fortdauernde Retention auch nach Entfernung der hindernden Zähne war durch ihr abgeschlossenes Wurzelwachstum bedingt.

Als Beweis für die von mir befürwortete Pulpawulsttheorie will ich jedoch solche Ausnahmefälle nicht anführen, ebensowenig wie ich als Gegenbeweis dieser Theorie den verspäteten Durchbruch retinierter Zähne anerkenne. Denn es hat noch kein Mensch nachgewiesen, daß diese so spät erscheinenden Zähne wirklich ausgebildete Wurzeln während ihres Durchbruchs hatten. Hierüber kann nur eine fortlaufende exakte Beobachtung und vor allem die Untersuchung mittels der Röntgrenphoto- graphie Aufschluß geben. Wieerwähnt, wäre ich für Mitteilung ähnlicher

Fälle and für Aufschlüsse über die aufgeworfenen Fragen sehr verbunden.,

382 Worm, Schwerhörigkeit nach Zahnextraktionsversuchen usw.

[Nachdruck verboten.] Schwerhörigkeit nach Zahnextraktions- versuchen. Trema im Unterkiefer.

Fälle aus der Praxis.

Von W. Worm, Zahnarzt in Tarnowitz.

1. Ein etwa 40jähriger Arbeiter hatte sich, wie es in hiesiger Gegend vielfach geschieht, zum Barbier!) begeben, um sich den schmerzenden Weisheitszahn unten rechts extrahieren zu lassen. Der Barbier hatte, wie das diesen Leuten bei solchen Experimenten nicht gar zu selten passiert, den gesunden 2. Mahlzahn gefaßt, frak- turiert und nach wiederholten Reißereien an beiden Zähnen die Sache schließlich als aussichtslos aufgegeben. Zahnfleisch und Knochen waren bei den zahlreichen Angriffen übel zugerichtet worden. Als der Mann einige Tage darauf zu mir kam, klagte er u. a. über starke Schwerhörigkeit auf dem rechten Ohre, das sonst stets ausgezeichnet funktioniert habe. Eine Prüfung des Gehörs ergab, daß das Ticken der Taschenuhr auch aus nächster Nähe der Ohrmuschel nicht gehört wurde. Geflüsterte Worte (aber auch nur, wenn recht lebhaft geflüstert wurde) verstand der Patient angeblich erst auf 25—30 cm Entfernung. Leider fand sich der Mann nicht wieder bei mir ein, so daß eine weitere Prüfung der Gehörsaffektion (Stimmgabel- versuche), die beabsichtigt war, nicht stattfinden konnte. Es handelt sich wohl um eine chokartige Beeinflussung des Hörapparates, die vor- übergehen dürfte. Ob aber nicht unter Umständen durch derartige rabiate Manipulationen auch ernstlichere, dauernde Störungen, selbst Lähmung des Akustikus, erfolgen können, die Frage wird man nicht ohne weiteres verneinen dürfen.

2. In Dr. Adloffs Rezension der „Beiträge zu einer Odontographie der Menschenrassen“ von Dr. Maximilian de Terra (Deutsche zahn- ärztliche Wochenschrift, Jahrg. VIII, Nr. 12) finde ich bemerkt, daß Terra das Vorkommen des Trema (Lücke zwischen den mittleren Schneidezähnen) im Unterkiefer bezweifelt. Adloff behauptet, daß es auch dort gefunden werde, und hat mit seiner Behauptung recht. Erst ganz kürzlich hatte ich Gelegenheit, bei einem Herrn ein Trema von wohl 4—5 mm Ausdehnung im Unterkiefer zu beobachten. Die Lücke war so auffällig, daß ich zuerst, bei Nüchtigem Hinsehen, die Meinung aussprach, es sei an dieser Stelle ein Zahnverlust durch Ex-

1) Auch der Schmied wird mitunter konsultiert.

Bücherbesprechungen. 388

traktion oder Trauma eingetreten. Nähere Prüfung zeigte jedoch, dal kein Zahn fehlte. Nach Angabe des Herrn weisen zwei seiner Ge- schwister dieselbe, gewiß recht seltene Erscheinung auf. Über die Existenz der Lücke bei den (verstorbenen) Eltern ließ sich leider nichts feststellen.

Bücherbesprechungen.

Leitfaden der zahnärztlichen Metallarbeit!) von Dr. Wallisch, Verlag von Arthur Felix. Leipzig 1905.

Jeder Zahnarzt, der auf der Höhe der Zeit sein will, muß mit der Metalltechnik vertraut sein. gleichviel ob er selbst Technik treibt, oder anderweitig solche arbeiten läßt. Es existieren bereits eine ganze Anzahl Lehrbücher über zahnärztliche Metalltechnik, jedoch keins, das in solch präziser Kürze die Grundzüge der Metallurgie bringt wie das vorliegende.

Verfasser bespricht zuerst die physikalischen und chemischen Eigen- schaften aller Metalle, die in unserer Metalltechnik Verwendung finden. Alsdann erörtert er eingehend alle Phasen der Technik, wie Stanzen der Modelle, Löten, Vergolden, Anfertigung von Klammern, Stiftzähnen, die verschiedenen Systeme der Kronen und Brücken, sowie Metall- platten. Alle Beschreibungen sind trotz der Kürze sehr verständlich, und ihr Wert wird durch instruktive Abbildungen noch sehr erhöht. Die modernen Regulierungsarbeiten in Metall finden selbstverständlich ihre Erwähnung und Anwendungserläuterung. Das Schlußkapitel be- handelt die Reparaturen von Metallarbeiten in und außerhalb des Mundes. Wer die Schwierigkeiten solcher Arbeiten im Munde kennt, wird diesen Aufsatz ganz besonders zu schätzen wissen. Wallisch versucht die verschiedenen Formen der Reparaturen in ein System zu bringen und unterscheidet fünf Arten der Fixierung, nämlich 1. Ver- nieten, 2. Schubvorrichtung, 3. Schrauben, 4. Plombieren, 5. Weich- löten. Jede einzelne Methode wird an der Hand von Abbildungen Per ng erläutert, wobei gleichzeitig erwähnt wird, daß der Fr. findungsgabe jedes Operateurs gerade auf diesem Gebiete viel Spiel- raum gelassen ist. Eine für Reparaturzwecke von Wallisch kon- struierte Nietzange erscheint ganz brauchbar.

Das Buch gipfelt in den Worten: „Überall in der Metalltechnik, besonders aber ım den Reparaturen ist Genauigkeit und präzises Arbeiten ein unbedingtes Ertordernis zum Gelingen der Arbeit.“ Man kann das Werk Wallischs mit Recht ein Vademecum jedes modernen Zahnarztes nennen. Dr. Jonas Breslau.

Über Lokalanästhesie. Die zahnärztliche Lokalanüsthesie mit be- sonderer Berücksichtigung der Präparate Dr. Rietserts. Habili- tationsschrift zur Erlangung der Venia docendi. Der hohen medizinischen Fakultät an der Ruprecht-Kürl-Universität zu Heidel-

1) Reterat, gehalten in der „Breslauer zahnärztlichen Gesellschaft“.

Da4 Kieine Mirraiungen

berg vergzeiegt von Dr. Hermana Maria Peekert, 1. Assı- elenzarzt de- zahr.arztiichen Ir -tirata. Heidelberge, He-ieiberger Versgsarı-? a.t üLi Drücäere: Hernig & Bezier Dusch; leo.

Diese Habilitationseeriit ertbait eine zuanweriaserle klare ID:rst-llang air Wisserswerten ürer die zunräarztune Loka larās- tLe-ie, ganz beomlers irer den Gebrazen des Kokains in Vertbindu mit den Nebenuierenprararaten. Die eigeren Eriazrungen de Ve er- fa--ers beziehen Mech vorzu Zwrise auf den ehraneh ds Kirtzertschen Paraneponns mit Kokan. Eskan und Sureitin. Vem Paraneorn rünmt er den Marga aller beirchlisten Alurzmeirerscheinüungen bei der Anwerdung und empterit folgende Zi-rammensetzung: Kokain Ss Proz. ner Eisean 2 Proz.. Narr. eniorat. ve Proz, Sutkutin 02 Proz.. Parane;hrin ojien En Lırrrscit,

Kleine Mitteilungen.

Nachweis einer kunstlichen Färbung im gelben Wachs. Lemaire liefert Neueste Eriahrungen urd Erönduneen l:- 5, Heft 2, S.%5 den Nachweis einer künstlichen Färbarg im gelben Wach:e auf folgende Weise: 1. Löst man ein kleines Stückchen Wachs in Chloro- form und fugt 2 bis ; Tropfen Sulz-äure mon so tritt eine rosarote Farbung auf. wenn das Wachs kürstlich getārbt ist. 2. Man übergmieit ein kieine- Stückchen Wachs in einem Reagenzglase mit 5 bis 6 ccm Wasser und 0,5 cem Natronlauge, kocht auf und neutralisiert genau rit Salz-sure: tritt dann auf Zusatz von Ammonjak eine mättgrüne Farbe auf. 30 kann man das Wachs als künstlich gefärbt betrachten. 3. Man dampft in einer Pörzrllanschale etwas Bursäureläsung mit einem kleinen Stückchen Wachs vorsichtig und unter Umrühren zur Trockne ein: legt künstlich gefärhtes Wachs vor, so zeigt der Rürk- stand eine rötliche Farbe. Proj. P.

Ehrung W. D. Millers. Bekanntlich empfing Prof. Miller beim IV. internationalen zahnärztlichen Kongre in St. Louis den ersten Preis für den besten Vortrag. Außerdem aber wurde noch folgende von G. V. Black vorgeschlagene Resolution einstimmig an- genommen: Die zum IV. internationalen zahnärztlichen Kongreis ver- sammelten Zahnärzte drücken Dr. W. D. Miller aus Berlin ibre Dankbarkeit aus für das von ihm vor 20 Jahren geleistete edle Werk. indem er die Tatsachen der unmittelbaren Beziehungen von Bakterien zur Erzeurune der Zahnkaries entwickelte. deren Wahrheit der Nach- prüfung vieler und wiederholter Arbeiten standgrhälten hat, und das sich Jahr tur Jahr »trahlender als eine Heldentat dauernden Segens für die Men-chheit erwiesen hat. J. P,

Zahl der Approbationen. Im Prütungsjahre 1%3 o4 sind im Deutachen Reiche 147 Zahnärzte (im Vorjahre 162 avprobiert worden, darunter 2 Frauen.

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384 Kleine Mitteilangen.

berg vorgelegt von Dr. Hermann Maria Peckert, 1. Assi- stenzarzt des zuhnärztlichen Instituts. Heidelberg, Heidelberger Verlagsanstalt und Druckerei (Hörnig & Berkenbusch) 1905.

Diese Habilitationsschrift enthält eine zusammenfassende, klare Darstellung alles Wissenswerten über die zahnärztliche lokalanäs- thesie, ganz besonders über den Gebrauch des Kokains in Verbindung mit den Nebennierenpräparaten. Die eigenen Erfahrungen des Ver- fassers beziehen sich vorzugsweise auf den Gebrauch des Rietsertschen Paranephrins mit Kokain, Eukain und Subkutin. Vom Paranephrin rühmt er den Mangel aller bedrohlichen Allgemeinerscheinungen bei der Anwendung und empfiehlt folgende Zusammensetzung: Kokain 0,8 Proz. (oder Eukain 2 Proz.), Natr. chlorat. 0,9 Proz., Subkutin 0,2 Proz., Paranephrin 1: 10000. Jul. Parreidt.

Kleine Mitteilungen.

Nachweis einer künstlichen Färbung im gelben Wachs. Lemaire liefert (Neueste Erfahrungen und Erfindungen 1905, Heft 2, S. 85) den Nachweis einer künstlichen Färbung im gelben Wachse auf folgende Weise: 1. Löst man ein kleines Stückchen Wachs in Chloro- form und fügt ? bis 3 Tropfen Salzsäure hinzu, so tritt eine rosarote Färbung auf, wenn das Wachs künstlich gefärbt ist. 2. Man übergießt ein kleines Stückchen Wachs in einem Reagenzglase mit 5 bis 6 ccm Wasser und 0,5 ccm Natronlauge, kocht auf und neutralisiert genau mit Salzsäure; tritt dann auf Zusatz von Ammoniak eine mattgrüne Farbe auf, so kann man das Wachs als künstlich gefärbt betrachten. 3. Man dampft in einer Porzellanschale etwas Borsüurelösung mit einem kleinen Stückchen Wachs vorsichtig und unter Umrühren zur Trockne ein; liegt künstlich gefärbtes Wachs vor, so zeigt der Rück- stand eine rötliche Farbe. of. P.

Ehrung W. D. Millers. Bekanntlich empfing Prof. Miller beim IV. internationalen zahnärztlichen Kongreß in St. Louis den ersten Preis für den besten Vortrag. Außerdem aber wurde noch folgende von G. V. Black vorgeschlagene Resolution einstimmig an- genommen: Die zum IV. internationalen zahnärztlichen Kongreß ver- sammelten Zahnärzte drücken Dr. W. D. Miller aus Berlin ihre Dankbarkeit aus für das von ihm vor 20 Jahren geleistete edle Werk, indem er die Tatsachen der unmittelbaren Beziehungen von Bakterien zur Erzeugung der Zahnkaries entwickelte, deren Wahrheit der Nach- prüfung vieler und wiederholter Arbeiten standgehalten hat, und das sich Jahr für Jahr strahlender als eine Heldentat dauernden Segens für die Menschheit erwiesen hat. J. P.

Zahl der Approbationen. Im Prüfungsjahre 190304 sind im Deutschen Reiche 147 Zahnärzte (im Vorjabre 162: approbiert worden, darunter 2 Frauen.

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Deutsche Monatsschrift für Zahnheilkunde. XXIII. Jahrgang. Tafel IV.

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Deutsche Monatsschrift für Zahnheilkunde. XXIII. Jahrgang. Tafel VI.

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Deutsche Monatsschrift für Zahnheilkunde. XXIII. Jahrgang. Tafel VII.

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Deutsche Monatsschrift für Zahnheilkunde. XXIII. Jahrgang. Tafel VIII. 8 7 6 5 4 3 2 1 I re Bi; Yoo VuU un

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Veriag von Arthur Felix in Leipzig. Techn. -art. Anstalt von Alfred Müller in Leipzig.

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Deutsche Monatsschrift für Zahnheilkunde. XXIII. Jahrgang. Tafel IX. 8 7 6 5 4 3 2 1 I II BE -EV Yy ML t AAE

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Deutsche Monatsschrift für Zahnheilkunde. XXIII. Jahrgang. Tafel XI.

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) auf 1000 reduziert

AXIL, Jahrgang. 7. Heft. Juli 1905.

Deutsche Monatsschrift

für

Zahnheilkunde.

[Nachdruck verboten.)

Weitere Studien über die Frage der rela- tiven Immunität gegen Zahnkaries.') Von

W. D. Miller in Berlin. (Mit 1 Tafel und 26 Abbildungen im Text.)

Wir unterscheiden zwei Stufen in der Zerstörung eines Zahnes durch Karies: die Entkalkung der harten Zahngewebe und die Auflösung des entkalkten organischen Rückstandes. Der erste Vorgang wird durch den Einfluß von Säuren herbeigeführt, welche im Munde hauptsächlich durch Gärung von Kohlenhydraten ent- stehen; der zweite ist ein Ausdruck der auflösenden Wirkung von bakteritischen Fermenten auf die organische, eiweißartige Grundsubstanz des entkalkten Zahnbeins. Bei dem Schmelz fehlt die zweite Stufe. Hier wird die Zerstörung des Gewebes durch die Entkalkung, in Verbindung mit mechanischen Einflüssen, bewirkt.

Es werden aber gewisse Erscheinungen in Verbindung mit dem Auftreten der Karies in verschiedenen Mundhöhlen beob- achtet, welche, obgleich sie vom wissenschatftlichen wie vom prak- tischen Gesichtspunkt aus von größtem Interesse sind, bis jetzt noch keine befriedigende Erklärung gefunden haben.

Zuvörderst unter diesen Erscheinungen steht die wohlbekannte Tatsache, daß von zwei Menschen, welche unter denselben Be-

1) Auszug aus einem Vortrag, gehalten bei der 43. Jahres- versammlung des Central-Vereins Deutscher Zahnärzte in Straßburg in und bei dem Internationalen zahnärztl. Kongreß in St. Louis 190.

XXIII. 25

386 Miller, Weitere Studien über die Frage

dingungen leben, der eine absolut frei von Zahnkaries sein kann, während bei dem anderen fast jeder Zahn die Verheerungen dieser Krankheit aufweist.

Früher wurde angenommen, daß die Ursache des deutlichen Unterschiedes in der Empfänglichkeit der Zähne für Karies in den Zähnen selbst zu suchen sei, und daß harte, gut verkalkte Zähne weniger daran zu leiden hätten als weiche, schwach kalkhaltige. Gestützt auf die chemischen Untersuchungen von Black und anderen, welche zeigen, daß sogenannte harte Zähne nur wenig mehr Kalksalze enthalten als weiche, haben neuer- dings einige Autoren die Richtigkeit obiger Voraussetzung ber zweifelt und ihre Überzeugung zum Ausdruck gebracht, daß die Ursache nicht in den Zähnen selbst, sondern in deren Umgebung zu suchen sei. Andere schließlich legen großen Nachdruck aul den diathetischen Faktor, obgleich man, selbst wenn es endgültig festgestellt werden könnte, daß gewisse Diathesen von hoch- gradiger Zahnkaries begleitet sind, der Lösung des Problems dadurch nicht näher kommt. Es ist einleuchtend, daß die Zahn- karies das Ergebnis zweier aufeinander wirkender Gruppen von Faktoren sein muß, und daß die eine Gruppe in den Zähnen selbst, die andere in deren Umgebung zu suchen Ist. Eine Dia- these kommt als Ursache für Zahnkaries nur insoweit In Betracht, als sie die eine oder die andere dieser Gruppen beeinflußt, i

Auf seiten der Zähne ist das Hauptmoment in dem Wi = stande zu suchen, welchen die Zahngewebe dem A Einfluß von Säuren bieten, ein zweiter Faktor liegt 1n dem Ai m stande, welchen die entkalkten Gewebe mechanischen Ein Br sowie der auflösenden Wirkung von bakteritischen Fermen entgegenstellt. ee ei 2

Auf der entgegengesetzten Seite finden wir diejenigen = toren, welche außerhalb der Zähne liegen und den Ang sowohl dieselben führen resp. beeinflussen. Unter diesen muß Tends die Quantität des Speichels wie seine physikalische und c die Beschaffenheit und seine angebliche baktericide nz ie Beschaffenheit der Nahrung. die Form und Stellung pA aA die Natur und Anzahl der Bakterien im Munde usw. IN G ziehen. i . Es schien mir, daß der einzige Weg, welcher, mit a a zu einer endgültiren Lösung der Frage führen dürfte, ikte nacheinander jeden einzelnen Faktor auf seine ee a oder indirekte Beteiligung an der Entstehung der Zahn a prüfen. Nach diesem Plan habe ich während der letzten it noch meine Versuche durchgeführt und obgleich es mir arae : doch nicht gelungen ist, das Werk abzuschließen, glaube ich a ein zu der Behauptung berechtigt, daß der Grund gelegt U

der relativen Immunität gegen Zahnkaries. 387

Bheitsplan eingeführt worden ist, welcher schließlich zu einer u Lösung des Problems führen kann.

ir beginnen mit den außerhalb der Zähne liegenden Ursachen.

l. Die Quantität des Speichels. Eine reichliche Speichel- menge dient dazu, die durch Gärung im Munde hervorgerufenen uren zu verdünnen und dieselben, sowie auch Reste von Nahrungs- mitteln, hinwegzuspülen und das Festsetzen der letzteren an der Oberfläche der Zähne zu verhindern.

Das Aufhören oder die merkliche Verminderung der Speichel- wkretion (Xerostomie, Asiallorhöe), wie sie sich in beständiger Trockenheit des Mundes, Schwierigkeit beim Schlucken usw. ändert, ist stets von akuter Karies begleitet, die fast alle Zähne gleichmäßig ergreift und sich oft über die frei liegenden Flächen ausbreitet. Reste von Nahrungsmitteln bleiben an den Zähnen haften und die durch sie erzeugte Säure wirkt in voller Stärke auf de Zähne ein (siehe weiter unten unter Nr. 4, S. 398).

2, Der Schleimgehalt des Speichels. Speichel, welcher viel Schsleim enthält, zäher, klebriger Speichel, kann zu Karies Mren insoweit, als die Klebrigkeit den Selbstreinigungsprozeß in Munde hindert. Auch scheinen Bakterien etwas besser in Speichel zu gedeihen, welcher viel Schleim enthält. Die Bedeut- ung dieses Faktors ist indessen von einigen Autoren überschätzt worden, Ich habe eine Anzahl Menschen getroffen, welche frei von Karies waren und doch außerordentlich schleimigen Speichel hatten, und andererseits habe ich manche Fälle von vollständiger Zerstörung der Zähne bei sehr flüssigem Speichel gesehen. Beob- achtungen, die sich über eine große Reihe von Fällen erstreckten and von denen bei 170 die Natur des Speichels sorgsam notiert war, haben diese Ansicht bestätigt. Die neuerdings durch Loh- Mann verkündete Theorie, daß die Zahnkaries einzig der Wirk- ug des Mucins im Speichel zuzuschreiben ist, steht im schroffen

iderspruch mit einigen der bekanntesten und fundamentalsten Tatsachen der zahnärztlichen Pathologie und Bakteriologie. Mit

dieser Frage werde ich mich aber bei einer anderen Gelegenheit beschäftigen.

Hein 3. Die Reaktion des Speichels. Es herrscht eine grote zuf sc-hiedenheit über den Einfluß der Reaktion des Speichels Sure erl&_uf der Zahnkaries. Angesichts der Tatsache, daß Er selbst. in sehr verdünntem Zustande auf kalkhaltige Ge- Wie Knochen und Zahnbein, wirken, glauben die meisten ka daB _die saure Reaktion des Speichels den Zähnen sch] ers schädläch ist und das Fortschreiten der Karies be-

unigt. Andere wieder meinen, dat eine alkalische Reaktion

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i 3109 . 386 Mi „żer die Frage

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: me” a Pa ud Folge hat als eine saure. Sie Krankt p e PZA Tatsache, daß Bakterien besser in

F aa r A Jelien gedeihen und sich daher in Unte Bee, a Zahl entwickeln und eine inten- den LEE ei n ingen als in säurehaltigem Speichel. Die 27» en penaik übersehen indessen die Tatsache, dad y ee dest”, en Fall eine saure sein muß, ehe die Karies

en und ‚daß demgemäß die Bakterien, welche das ‚je a kait paries verursachen, alle in säurehaltigen Medien

eit padi s pas Problem ist in einer Hinsicht sehr ähnlich en jehem zwei Läufer einen Wettlauf unternehmen über F nach „ie sie in nebenstehender Abbildung (Fig. 1) bezeichnet | Biel ist bei b, die Aufbruchsstelle bei a oder a. Der jt Pryfer nimmt seine Stellung an der ansteigenden Böschung erst sr andere stellt sich, um einen guten Anlauf zu haben. De bei a’ auf. Er läuft viel

7 > schneller aus als sein

4 b Gegner, übersieht aber,

daß er noch die ganze

Pigi ansteigende Böschung z

a nehmen hat, und daß in

der Zeit, in welcher er a erreicht hat, sein Gegner bereits bei a sein wird, und daß es ihm, wenn beide gleichgut laufen, nicht

möglich sein wird, seinen Gegner zn überholen.

Ebenso laufen die Bakterien, welche das Wettrennen im alkalischen Medium beginnen, genau soweit hinter denen aus, welche im sauren Medium anfangen.

Indessen tritt bei der Gärungswirkung der Bakterien ein Faktor hinzu, der bei dem Problem der Wettläufer feblt, und welcher geeignet ist, das Endresultat wesentlich anders zu 26 stalten. Nehmen wir an, daß zwei Bakterienmengen A in einer alkalischen und B in einer Säurelösung wetteifern, welche von beiden in einer gegebenen Zeit die stärkere saure Reaktion hervor- bringen kann. B ist im Vorteil, da sie bereits eine gewisse Menge von Säure zur Verfügung hat, während A erst genug Säure bilden muß, um das vorhandene Alkali zu neutralisieren. ehe sie überhaupt anfangen kann, Säure anzusammeln. Anderer- seits hat aber A den Vorteil, daß sie sich in einem günstigeren Medium befindet, sich viel rascher vermehren und 50 nach Verlauf von wenigen Stunden vielmal soviel Bakterien an der Arbeit haben kann als ihr Gegner B; hierdurch wird sie schließlich 1n- stand gesetzt, mehr Säure zu bilden als B.

Diese Gestaltung der Frage mag durch folgende Experimente klargelegt werden. |

der relativen Immunität gegen Zahnkaries. 389

Ich spülte meinen Mund mit Wasser aus und ließ das Spül- |

wasser 5 Minuten lang in einem Reagenzglas stehen, bis alle | eröberen Teilchen sich zu Boden gesetzt hatten, worauf ich Ä l ccm des klaren Spülwassers zu 99 ccm 3proz. Traubenzucker- F leischextrakt-Pepton-Bonillon hinzufügte. . Diese Mischung wurde dann in zwei Teile A und B von je 0 ccm geteilt und zu A wurden 2 ccm einer 10proz. Lösung von Natrium bicarb., zu B 3 ccm einer 5proz. Lösung von Milch- säure hinzugefügt. Dadurch wurde Teil A deutlich alkalisch und B entsprechend sauer gemacht. Jeder Teil wurde nun in 10 Rea- genzgläser verteilt und in den Brutkasten gestellt. Die relative Anzahl der Bakterien (um die wirkliche Anzahl zu erhalten, multipliziere mit 400000), welche bei A und B zu verschiedenen Zeiten während der Dauer des Experiments vorhanden war, kann aus folgender Tabelle ersehen werden.

Relative | Bei |

| | | | ar nr b 3 48 12 Anzahl der | Be- | die i ow i SR l sa | Std. | Bakterien ginn Std. | Std. | Std. | Std. | Std. | Std. | Std. iA... T6 | 109 ı 875 | 1125 2800. 150 ` 750 | 950 biB 76 | 881250 | 475| 856, 72 ; 800 | 740 i i ,

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Bis zur Dauer von 23 Stunden fand also in den anfänglich alkalischen Lösungen A eine weit raschere Vermehrung der kterien statt als in den sauren Lösungen B, darnach sank die -Anzahl ganz plötzlich, um später noch ein zweitesmal zu steigen. Fe=benso wurde beobachtet, daß sich die Säure während der ersten p “ar Stunden sehr rasch ansammelte, dann kam eine Periode, während welcher nur ganz wenig Säure gebildet wurde, und diese WN Urde von einer Periode erneuter Wirksamkeit abgelöst.

Bei einem zweiten Versuch wurden 50 ccm Speichel mit fein gekanter Kartoffel und einer geringen Menge Brot in zwei gleiche Teile von je 25 ccm geteilt. Dem ersten Teil fügte ich 1 ccm einer 5proz. Lösung von doppeltkohlensaurem Natron hinzu, dem zweiten 1 ccm einer 5proz. Lösung von Milchsäure. Hiernach wurden die beiden Teile in je 5 Gläser verteilt und in den Brutkasten gestellt. Die relativen Zahlen der Bakterien in den Gläsern zu den angegebenen Zeiten waren folgende:

Bei Beginn 211, Std. | 61 Std. Alkalische Gläser ... m | 650 1755 Saure Gläser . .... 112 | 33 600

390 Miller, Weitere Studien über die Frage

Wir bemerken auch bier das verhältnismäßig schnelle Zu- nehmen der Bakterienzahl in den anfänglich alkalischen Lösungen während der ersten paar Stunden.

Dementsprechend fand auch eine stürmische Gärung in den alkalisch gemachten Lösungen statt. Die relativen Säuremengen, die zu verschiedenen Zeiten des Versuches vorhanden waren, ersieht man aus der folgenden Zusammenstellung; zum Vergleich

wurde zur selben Zeit ein Versuch in einer 2proz. Traubenzucker- Bouillon-Lösung ausgeführt.

| Alkalische Saure Traubenz.-

. Lösung Lösun Lösung Bei Beginn . . 2... 0004 1002 | 0 11/2 Stunden . . ... | 0 | 31, ! JA 2! 3 E S | 9 1 3 a EL 1 | 1 9 8 j SETETE | 14 | 13 | 9 20 o aeaaee | 31% 36 5 a a 22 | 21 | 1? 43 s eae 23 | 93 o!

Wir bemerken, daß die Reaktion der alkalisch gemachten Lösung bereits nach 1';, Stunden neutral geworden ist und daß die Lösung nach 3',, Stunden denselben Säuregrad aufweist, wie die zweite Lösung, die zu Beginn 2!/, Säureeinheiten entbielt. Späterhin steigt die Konzentration der Säure in den ursprüng- lich alkalischen Lösungen ganz wenig höher als in der ursprüng- lich sauren Lösung. In wenigen Stunden nach Beginn des Ver- suches hat die Acidität der Lösung einen Höhepunkt erreicht, um dann eine Zeitlang ziemlich konstant zu bleiben und späterhin noch- mals zu steigen. Der Verlauf der Gärung bei den drei verschiedenen Lösungen ist in den oberen Kurven der Tafel graphisch dargestellt.

Es drängt sich hierbei der Gedanke auf, ob nicht die Gärung von einer Bakteriengruppe begonnen wird, welche später durch die Wirkung der Säure, die sie selbst gebildet hat, vernichtet oder in der Entwicklung gehemmt und allmählich durch eine den Säuren mehr Widerstand bietende Gruppe, acidophyle Bakterien, abgelöst wird. Diese Erscheinung, die ich wiederholt beobachtet habe, kommt auch in den früher von mir veröffent- lichten Analysen der Gärungsprodukte zum Ausdruck (Mikro- organismen der Mundhöhle. II. Auflage. S. 102), wonach die Analyse einer Speichelmischung, die 4 Tage lang gestanden hatte,

der relativen Immunität gegen Zahnkaries. 391

auf 100 ccm: freie Milchsäure 0,104; freie Essigsäure 0,156; gebundene Essigsäure 0,139 ergab, und Broughton fand in einer Mischung von Brot und Speichel, die 3 Wochen lang bei 35 bis 37° C. gestanden hatte, 5 Proz. Essigsäure und 0,5 Proz. Milch- säure. Hiernach dürfte man vermuten, daß bei der Gärung von Speiseresten in Speichel sich zunächst Milchsäure, späterhin aber Essigsäure bildet. Weitere Versuche werden nötig sein, um diesen Punkt aufzuklären.

Durch die mittleren und unteren Kurven der Tafel sind die Ergeb- nisse von zwei anderen Versuchsreihen graphisch dargestellt. Beiden mittleren Kurven sehen wir eine sehr schnelle Zunahme der Bak- terien in Kurve 2 und eine ebenso schnelle Abnahme nach 5 Stunden. Eine nachträgliche nennenswerte Zunahme findet nicht wieder statt. Die Säurekurve 1 steigt ebenfalls schneller, später langsamer an. In dem unteren Kurvenbilde der Tafel sind die Verhältnisse in bezug auf Bakterienzahl weit komplizierter, doch auf beiden Kurvenbildern laufen die Säurekurven ziemlich parallel miteinander, nachdem die Kurve der alkalischen Lösungen die der Säurelösungen eingeholt hat. Ausnahmsweise zeigten die Kulturen bei diesem Versuche eine stärkere Entwicklung von Bakterien in den sauren als in den alka- lischen Gemischen. Es fällt hierbei zunächst auf, daß die Säure- kurven nicht dieselben Exkursionen mitmachen wie die Bakterien- kurven, jedoch bei näherer Überlegung wird dies nicht überraschen, denn wenn die Bakterien an Zahl abnehmen, so bedingt das durch- aus nicht eine Abnahme der Säuremenge. Die einmal gebildete Säure bleibt eben erhalten und solange überhaupt Bakterien in der Lösung vorhanden sind, selbst wenn die Gesamtzahl stark in der Abnahme begriffen ist, können sie noch weitere Säure bilden und wir sehen dann, daß die Säurekurve steigt, während die Bakterien- kurve fällt. Man darf ferner nicht außer acht lassen, daß in diesen Gemischen wahrscheinlich auch Bakterien vorhanden sind und sich an den Gärungsprozessen beteiligen, die in den Kulturplatten nicht aufgehen. Ferner enthalten unsere Methoden um die Zahl der Bakterien in einem Gemisch festzustellen, gewisse Fehlerquellen. Der Hauptfehler wird durch den Umstand bedingt, daß die „Ose“, von welchen unsere Berechnungen ausgehen, nicht immer genau dasselbe Quantum des Gemisches umfaßt.

Das Gesamtergebnis dieser Versuche lehrt uns zunächst, daß, wenn mit alkalischem Speichel getränkte Nahrungsstoffe zwischen den Zähnen oder in kariösen Höhlen sich festsetzen, eine weit schnellere Entwicklung von Bakterien stattfinden wird, als wenn der Speichel anfänglich sauer reagiert; das Alkali wird infolge- dessen bald neutralisiert und ein Säuregrad hervorgebracht, welcher dem bei ursprünglich saurer Reaktion des Speichels erzeugten gleichkommt, ihn eventuell noch überschreitet. Der Unterschied

392 Miller, Weitere Studien über die Frage

zugunsten des alkalischen Speichels ist indessen unbedeutend und wird dadurch wahrscheinlich ausgeglichen, daß die entkalkende Wirkung später einsetzt und ihr auch fortwährend in einem ge- wissen Grade durch den Zufluß von frischem alkalischen Speichel entgegengearbeitet wird. Indessen kommt dieser letztere Faktor nur während des Tages und in oberflächlichen Höhlen in Betracht, während der Nacht, und in tiefen Höhlen hat er nur geringen Einfut.

Wenn wir alle diese Tatsachen würdigen, so drängt sich uns der Schluß auf, daß die Bedingungen für die Entstehung von Karies etwa ebenso gut in einem Munde mit alkalischem wie in einem solchen mit saurem Speichel vorhanden sind. Dieser Schluß deckt sich mit den von mir erlangten statistischen Ergebnissen und erklärt gleichzeitig, wieso Meinungsverschiedenheiten zwischen

Fig. 2. Zahnbein von einem Fall von Caries acutissima, erzeugt durch eine stark saure Reaktion des Speichels.

den Zahnärzten entstehen können darüber, ob eine alkalische oder eine saure Reaktion des Speichels die Entstehung der Karies mehr begünstige. Dieser Schluß ist natürlich nur bei normalem Zustande geltend, bei welchem die Reaktion, ob sauer oder alka- lisch, niemals intensiv ist. Gelegentlich finden wir einen Fall, bei welchem die saure Reaktion der Mundsekrete pathologisch und so intensiv ist, daß ihr zerstörender Einfluß auf die Zähne deutlich hervortritt. Ein Fall dieser Art kam erst vor kurzem in meine Behandlung. Hierbei zeigten alle oberen Zähne eines 10jährigen Knaben nicht nur ausgedehnte approximale Karies, sondern die freie Oberfläche des Schmelzes war vollständig weiß und entkalkt bis zu einer Tiefe von '—°”, mm. An dem linken oberen Bikuspidaten war der ganze Schmelz weggefressen, das Zahnbein stand vollkommen unbedeckt und war bis zu be- trächtlicher Tiefe entkalkt.

Deutsche Monatsschrift für Zahnheilkunde. XXIII. Jahrgang.

Kurve 1 Säurebildung in Speichel - - Kartoffelbrei bei anfänglich alkalischer Reaktion.

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| Kurve 1 Säurebildung in anfänglich alkalischem Speichel - Kartoffelbrei. / » 2 Zu- und Abnahme der Bakterienzahl in demselben Brei.

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zs 3 Bakterienzahl in dem anfänglich alkalischem Medium. 2 4 do do saurem do Vortag von Arthur Felix in Leipzig. Teohn. -art. Anstait von Alfred Müller in Leipzig.

der relativen Immunität gegen Zahnkaries. 393

Die Entkalkung ist hier von solcher Art und so gelegen, daß die Möglichkeit ihrer Entstehung durch in Gärung über- gegangene Nahrungsstoffe ausgeschlossen ist. Die Mundflüssigkeit bei diesem Knaben ist sehr gering in Quantität und intensiv sauer.

Ein Stück weichen Zahnbeins wurde aus einer der Höhlen entnommen und Schnitte mittels des Gefriermikrotoms angefertigt. Einer dieser Schnitte, nach der Gramschen Methode gefärbt, ist in Fig. 2 dargestellt. Er zeigte den verhältnismäßig geringen

Fig. 3. Entkalkung des Schmelzes ohne deutlicheres Hervortreten der Quer- streifung.

Grad von Durchwucherung der Bakterien, welcher für akute, in stark sauren Medien erzeugte Karies charakteristisch ist.

Andererseits schützt ein stark alkalischer Speichel die freie Oberfläche der Zähne und wirkt ebenfalls neutralisierend auf den Inhalt von seichten Höhlen.

Preiswerk hat die Beobachtung gemacht, daß die Quer- streifung der Schmelzprismen bei Karies des Schmelzes oft fehlt, und unter der Voraussetzung, daß die Einwirkung von Säure auf den Schmelz stets ein deutlicheres Hervortreten der Quer- streifung verursacht, den Schluß gezogen, daß es eine Karies

394 Miller, Weitere Studien über die Frage

ohne Einwirkung von Säure geben kann. Es verdient daher in diesem Zusammenhang hervorgehoben zu werden, daß sich bei meinen Präparaten von künstlich entkalktem Schmelz viele be- finden, die keine Zunahme der Querstreifung oder zum Teile über- haupt keine Querstreifung erkennen lassen (vgl. Fig. 3).

4. Die Intensität der Gärung in Mischungen von Nahrungsmitteln und Speichel. In „Mikroorganismen der Mundhöhle“, Seite 110, sind 0,75 Proz. als Maximum der Milch- säure angegeben, welche in Lösungen von Kohlenhydraten ge- bildet werden kann, und diese Angabe ist durch andere Beob- achter bestätigt worden. Neuere Experimente haben mir indessen gezeigt, daß in Mischungen von Speichel und Nahrungsmitteln eine weit intensivere Gärung Platz greift und ein höherer Grad von Säure hervorgebracht wird als in einfachen Lösungen von Kohlenhydraten in Fleischbrühe oder Speichel.

Dies wird endgültig durch folgenden Versuch bewiesen: 5 ccm eines Gemisches von Brot mit Speichel, welches durch feines Zerkauen des Brotes im Munde erreicht wird, und die gleiche Menge einer 2proz. Lösung von Traubenzucker wurden in gleichen Glasgefäßen in den Brutkasten gestellt.

Nach Verlauf einer Stunde zeigte das Brotspeichelgemisch deutlich saure Reaktion, während der gleiche Säuregrad bei der Lösung von Traubenzucker erst nach 4 Stunden eintrat.

Zahnbeinschnitte zeigten in dem Brotspeichelgemisch bereits nach 5 Stunden beginnende Entkalkung, in der Traubenzucker- lösung erst nach 24 Stunden.

Bei der Gärung von Speichel mit Kohlenhydraten, Brot, Kartoffeln usw. mit geringem Fleisch- oder Peptonzusatz, habe ich zuweilen eine Säurebildung beobachtet, die in ihrer neutrali- sierenden Wirkung auf eine Lösung von doppeltkohlensaurem Natron einer 2proz. Lösung von Milchsäure entsprach.

Nach diesen Ergebnissen können wir schließen, daß die Intensität und Schnelligkeit der Gärung von Nahrungsmitteln, welche im Munde verbleiben, sehr groß, und von der Einfuhr von Traubenzucker unabhängig ist.

5. Die neutralisierende Wirkung der im Speichel enthaltenen Kalksalze. Im „Independent Practitioner“ 1886, Seite 536, habe ich in bezug auf diese Frage einige Angaben gemacht, welche hier zweckmäßig nochmals besprochen werden können. Es wird allzemein angenommen, daß die Kalksalze des Speichels eine Schutzwirkung äubern, indem sie etwa vorhandene Säuren rasch neutralisieren. Dies ist nur teilweise richtig. Der kohlensaure Kalk wirkt neutralisierend, nicht aber die phos- phorsauren Salze, welche den Hauptbestandteil der Kalksalze im

der relativen Immunität gegen Zahnkaries. 395

Speichel sowohl wie in den Zähnen und im Zahnstein bilden. Man kann einer schwachen Lösung von Milchsäure eine beliebige Quantität von phosphorsaurem Kalk hinzufügen, ihre entkalkende Wirkung auf eingehängte Zahnbeinstücke wird dadurch nicht merklich gemindert.

Die Menge der durch den Speichel mitgeführten Kalksalze ist bei verschiedenen Personen sehr verschieden, was in den großen Unterschieden in der Menge des auf den Zähnen abgelagerten Zahnsteines auch. zum Ausdruck kommt.

Frerichs, Jacubowitsch und Herter fanden im Durch- schnitt 0,17 Proz. anorganischer Salze im menschlichen Speichel, wovon nur ein Bruchteil, höchstens 10 Proz., aus Kalksalzen besteht. Zehnmal diese Menge in Form von 0,075proz. phosphor- saurem und 0,025proz. kohlensaurem Kalksalz zu einer Mischung von Speichel und Brot gefügt, hatte nicht den geringsten Einfluß auf den Gärungsverlauf oder auf die Menge der gebildeten Säure.

Die Schutzwirkung der Kalksalze im Speichel der Zahn- karies gegenüber kann demnach annähernd gleich Null gesetzt werden.

6. Gärungsfähige Kohlenhydrate als normale Bestand- teile des Speichels und ihre Beziehung zur Karies. Diese Frage habe ich in dieser Monatsschrift 1903, Seite 389, mit be- sonderer Berücksichtigung des Glykogens besprochen und die Tat- sache festgestellt, daß gelöste, gärungsfähige Kohlenhydrate im Munde nach jeder Mahlzeit auftreten können. Sie werden entweder als solche mit der Nahrung aufgenommen, oder durch die Wirkung des Ptyalins auf stärkehaltige Nahrung gebildet. Auf der anderen Seite aber stellte es sich heraus, daß weder Glykogen noch irgend- welche andere Kohlenhydrate unter normalen Bedingungen von den Speicheldrüsen in genügender Menge secerniert werden, um das Entstehen oder den Fortschritt der Karies wesentlich zu beeinflussen.

7. Die Eigenschaft der Nahrung. Es kann kein Zweifel darüber bestehen, daß ein Übermaß von gärungsfähigen Kohlen- hydraten, besonders von solchen, welche weich, klebrig und schwer löslich sind, die Gärungsvorgänge im Munde und die dadurch bedingte Zerstörung der Zähne wesentlich verstärkt. Angesichts der Tatsache, daß Rassen, sowohl Menschen- wie Tierrassen, welche nur von Fleisch leben, kariesfrei sind, und angesichts der vielen diesbezüglich schon veröffentlichten Beobachtungen und Versuche können wir diesen Punkt als endgültig festgestellt be- trachten, obgleich er nicht immer die Beachtung erfährt, welche er verdient.

Die physikalischen Eigenschaften der Nahrungsmittel bilden gleichfalls einen nicht zu übersehenden Faktor.

>96 Miller, Weitere Studien über die Frage

Daß manche Nahrungsmittel viel eher an den Zähnen haften als andere, kann jeder aus eigener Erfahrung bestätigen.

Das Kochen unserer Nahrung macht dieselbe nicht nar gärungsfähiger, sondern auch klebriger, so daß sie leichter an den Zähnen haftet. Diese Tatsache trägt demgemäß nicht wenig dazu bei, die vermehrte Neigung der zivilisierten Rassen zur Zahnkaries zu erklären.

8. Die Wirkung des Fettes auf die Zähne Es ist bekannt, daß der Zahnschmelz eine geringe Menge Fett enthält, und Prof. Liebreich pflegte zu behaupten, daß der Zweck dieses Fettgehaltes der sei, das Gewebe gegen den Einfluß der Säuren zu schützen. Ich meinerseits möchte diese Ansicht nicht ohne weiteres teilen, ich bin aber überzeugt, daß der mehr oder weniger fettige Charakter unserer Nahrungsmittel einen gewissen Einfluß auf den Verlauf oder wenigstens auf das Entstehen der Karies hat. Elfenbeinstücke, welche halb in Terpentin oder geschmolzene Butter getaucht und später der Wirkung schwacher Säuren ausgesetzt wurden. ließen auf der Seite, welche den schützenden Fettüberzug erhalten hatte, beträchtlich weniger Ent- kalkung wahrnehmen.

Dies ist leicht verständlich. Wir wissen ebenso, daß sehr lose Molaren, welche keine Antagonisten haben, gewöhnlich mit einer weichen. fettigen Ablagerung überzogen sind, und daß sie in diesem Zustande von Zerstörung durch Karies frei bleiben.

Ohne Zweifel würde ein Fettüberzug auf der Oberfläche der Zähne, wie er sich bei fettreicher Nahrung bildet, dazu dienen, die Zähne gegen die Einwirkung von Säuren zu schützen; indessen entsteht die Frage in diesem Zusammenhange, ob das Fett selbst im Munde nicht einer Zersetzung unterworten ist, durch welche Säuren gebildet werden können. Dies ist jedoch nicht wahrschein- lich angesichts der Tatsache, daß Fett mit Speichel gemischt und bei Blutwärme aufbewahrt eher eine alkalische als eine saure Reaktion hervorruft. Durch diese Tatsache wird es um so wahrscheinlicher, dab Fett einen gewissen Schutz der Zalın- karies gegenüber bildet. :

J. Sim Wallace (Ursache und Verhütung der Zahnkaries) schreibt: „Ich habe zahlreiche Beobachtungen gemacht, welche zu beweisen scheinen, dab die relative Kariesimmunität von Leuten, welche viel Fett genieten, auger allem Verhältnis steht zu dem, was man erwarten dürfte, wenn das Fett in seiner Wirkung auf die Zähne vollkommen indifferent wäre. Ich glaube auch nicht, dab wir diese Kariesfreiheit bei Fettessern durch die Tatsache begründen können, dab diese Leute vielleicht relativ weniger Kohlenhydrate zu sich nehmen.“

der relativen Immunität gegen Zahnkaries. 397

9. Die Selbstreinigung in bezug auf die Immunität gegen Karies. Verschiedene Gebisse zeigen sehr merkliche Unter- schiede in bezug auf die Wirksamkeit von Reinigungsprozessen, seien dieselben nun künstlich oder spontan. Bei dem einen sind die Kronen der Zähne so geformt und aneinander gereiht, und die Zwischenräume am Zahnhalse durch straffes Zahnfleisch so voll- kommen ausgefüllt, daß das Haften von Speiseresten so gut wie ausgeschlossen ist. Bei anderen bleiben die Speisereste überall zwischen den Zähnen haften. Es kann kein Zweifel darüber sein, daß dieser Umstand eine wichtige Rolle bei der Entstehung und dem Fortschreiten der Karies spielt. Alle Stellen, an denen Speisereste bei jeder Nahrungsaufnahme festhaften und nur mangel- haft entfernt werden können, sind sehr zu Karies geneigt. Wenn z. B. ein Bikuspis innerhalb der Zahnreihe steht und auf diese Weise mit den Nachbarzähnen ein Dreieck bildet, sind alle drei Zähne früher oder später der Karies verfallen. Ebenso finden wir, wenn das Zahnfleisch sich in hohem Alter von den Zahn- hälsen zurückzieht, und die Zwischenräume zwischen den Zähnen leicht mit Speiseresten angefüllt werden, daß ausgedehnte Karies (senile Karies) in Gebissen eintritt, welche mehrere Jahrzehnte hindurch immun gewesen sind.

Alle Fälle von Immunität gegen Karies, welche ich während der letzten Monate untersucht habe, betrafen Gebisse, bei welchen eine ziemlich vollkommene Selbstreinigung vor sich ging.

Die verhältnismäßige Immunität der unteren Vorderzähne gegen Karies ist zum großen Teil dem Umstande zu verdanken, daß diese Zähne keine Haftstellen für Speisereste bieten, wenn sie es doch tun, wie dies hauptsächlich in vorgerücktem Alter der Fall ist, wenn das Zahnfleisch sich zurückzieht und die Zähne sich lockern, dann verfallen diese Zähne ebenso rasch wie die anderen.

10. Die antiseptische Wirkung des Speichels. Diese Frage habe ich in der Deutschen Monatsschrift für Zahnheilkunde 1903, Heft 1, ausführlich behandelt. Die zahlreichen dort be- schriebenen Versuche haben die Tatsache festgelegt, daB die Mundflüssigkeiten weder als Ganzes noch in ihren einzelnen Be- standteilen (Schleim, Schwefelceyankalium usw.) imstande sind, die Entwicklung von Bakterien zu verhindern oder selbst in nachweis- barem Grade zu verlangsamen.

Es sind weder einfache chemische, antiseptische Verbindungen in genügender Stärke vorhanden, um eine baktericide Wirkung auszuüben, noch gehen die Schutzkörper des normalen Blutes (Alexine, Komplemente, Cytase) unter normalen Verhältnissen in genügender Menge in den Speichel über, um auf gewöhnlichem

398 Miller, Weitere Studien über die Frage

Wege nachgewiesen werden zu können. Der Speichel besitzt eben- falls keine eigentliche hämolytische Wirkung (vgl. D. M. f. Z. 1903, Heft 8).

ll. Die Wirkung der bakterischen Membranen. In der D. M. f. Z. 1902, Heft 5, ist die Frage der kausalen Be- ziehung der Bakterienmembranen, die sich auf der Oberfläche eines jeden Zahnes befinden, zur Karies der Zähne ausführlicher

Fig. 4. Dicker Belag ohne Karies, auf der Zahnwurzel,

besprochen, wobei der Schluß gezogen wurde, daß solche Mem- branen weder für die Entstehung noch für das Fortschreiten der Karies von Bedeutung sind, und daß ihr Vorhandensein auch nicht notwendigerweise Karies der Zähne zur Folge hat, obwohl es möglich ist, daß sie Zersetzungsprozesse verschiedener Art in den Speiseresten, welche an der Oberfläche der Zähne haften, begünstigen können. Nichts ist leichter, als dichte Bakterien- häutchen ohne eine Spur von Karies zu finden (Fig. 4) und ebenso begegnen wir Karies ohne Bakterienhäutchen (Fig. 4a).

In diesem Zusammenhang muß ich auf meine früheren Ver-

der relativen Immunität gegen Zahnkaries. 399

öffentlichungen in dieser Monatsschrift, Mai 1902, verweisen. Weitere, soeben abgeschlossene Experimente bestätigen die darin niedergelegte Ansicht.

Von frisch ausgezogenen Zähnen mit gesunder Oberfläche wurde das Häutchen an einer ungefähr 2 mm großen Stelle mittels einer in Zahnpulver getauchten Holzspitze entfernt. Hierauf wurden die Zähne in ein kleines Glasgefäß gebracht, mit

Fig. 4a. Karies ohne Belag.

feingekautem Brot oder Brot und Fleisch bedeckt und in den Brutkasten gestellt. Das Gemisch wurde täglich erneuert und dabei die Zähne jedesmal leicht in reinem Wasser abgespült. Ich setzte voraus, daß, wenn das Bakterienhäutchen die ihm zu- geschriebene Wirkung hätte, die Säure mit der Zahnoberfläche direkt in Berührung zu halten, die Zahnteile, von welchen das Häutchen entfernt worden war, weniger angegriffen werden müßten, als die, auf welchen sich das Häutchen noch fand. Die Ergebnisse zeigten keine solche Wirkung des Bakterienhäutchens. Andererseits waren bei einigen Versuchen die Teile, von denen

490 Miller. Weitere Stulien über die Frage

das Häntehen entfernt worden war. durch die Säuren schärfer anzerrifen als die. diz noch von dem Häutchen bedeckt waren.

Wir können natürlich nicht sicher sin. dab die Plaues ihre normale Tätigkeit in diesen Speisemischungen behalten: man kann aber annehmen. dag es wenigstens eine Zeitlanz der Fall ist. Weitere Versuche in dieser Richtung sind geboten.

Ich bin indessen überzeugt, dat. wenn Speisereste zwischen zwei Zähnen festsitzen und in Gärung übergehen. die hierdurch hervorgebrachte Säure den Zahn ohne Hilfe des Häutchens genau so rasch angreifen wird wie mit demselben. Trützdem kann das Häutchen einen schädlichen Einflug haben. indem es das Fest- sitzen feiner Speiseteilchen an der Oberfläche des Zahnes be- günstigt.

12. Anzahl und Arten der Bakterien in verschiedenen Mundhöhlen. Dieses ist eins der schwierigsten Probleme. mit welchen der zahnärztliche Bakteriologe zu kämpfen hat. und es ist eine Unsumme von zeitraubenden und mülevollen Versuchen erforderlich, um auch nur einigermaßen die zahlreichen Fehler- quellen auszuschlieben. Eine der größten Schwierigkeiten liegt darin, daß viele Mundbakterien auf keinem unserer künstlichen Kulturmedien gedeihen. Infolge dieser Schwierigkeiten war ich nicht imstande, meine Arbeit bezüglich dieser Frage abzuschlieben. und ich behalte mir vor, bei einer späteren Gelegenheit darüber zu berichten.

Die Notwendigkeit einer endgültigen Lösung dieser Frage ist weniger dringend angesichts der Tatsache, daß sie dem \Vesen nach in der folgenden Frage Nr. 13 mit enthalten ist, welche einer experimentellen Lösung zugänglicher ist.

13. Zeigen Gärungsvorgänge in verschiedenen Mund- höhlen verschiedene Intensitäten? Ist ein Speiserest zwischen den Zähnen eines Individuums A anderen Zersetzungen unter- worfen als ein solcher zwischen den entsprechenden Zähnen des B? Es ist nicht das bloße Vorhandensein dieser oder jener Bakterienart in gewisser Anzahl in der Mundhöhle, sondern eher das vereinte Wirken der gesamten Mundflora, wie es in der Intensität der Gärungsvorgänge zum Ausdruck kummt, welches ceteris paribus die Ausdehnung der Karies bestimmt. Jch habe versucht, diese Frage durch eine ausgedehnte Reihe von Versuchen innerhalb und auberhalb der Mundhöhle zu lösen. über welche bereits in der Deutschen Monatsschrift für Zahnheilkunde berichtet wurde.

Das Ergebnis aller dieser Versuche wurde in folgendem Schluß zusammengefal:t (Deutsche Monatsschrift für Zahnheil- kunde 1903, Seite 390 :

Der Speichel von Menschen, die gegen Karies der Zähne

der relativen Immunität gegen Zahnkaries. 401

a ingoun Sind, bildet in Gegenwart von Kohlenbydraten durch- a shnittlich etwas weniger Säure, als der von stark empfänglichen Menschen. Der Unterschied ist aber nicht konstant und tritt nicht stark genug hervor, um die Unterschiede in der Empfäng- lichkeit für Zahnkaries zu erklären.

14. Schutzwirkung des Zahnsteins. Es ist eine aner- kannte Tatsache, daß der Zahnstein die von ihm bedeckte Zahn- fläche vollständig schützt. Versuchsweise hing ich einen Zahn, dessen Schmelzfläche teilweise mit Zahnstein bedeckt war, in Lösung 4. Die Oberfläche blieb vollkommen geschützt bis der Zahnstein gänzlich aufgelöst war und die Säure dann auch auf den Schmelz wirken konnte.

Aus dem Obengesagten sehen wir, daß in der Mundhöhle eine große Menge von Faktoren beständig zusammenwirken, von denen manche direkt oder indirekt das Entstehen der Karies begünstigen, manche wieder diesem Einfluß entgegenarbeiten und einige schließlich in ihrer Wirkung auf die Zähne indifferent sind.

. Einige dieser Faktoren, so z. B. die Art der Nahrung, haben einen überwiegenden Einfluß. Der Alleingebrauch eiweißhaltiger Substanzen mit gänzlichem Ausschluß von Kohlenhydraten oder umgekehrt, ist an sich genug, um die Tatsache zu erklären, daß eine Rasse (Eskimos) kariesfrei sein kann,: während eine andere stark darunter zu leiden hat. Ebenso ist es sicher, daß ein voll- ständiges oder fast vollständiges Aufhören der Speichelsekretion 'äsialorrhöe) ein rascheres Umsichgreifen der Karies zur Folge hat.

- Es ist ferner verständlich, wenn von zwei Menschen, welche dine von gleicher Widerstandsfähigkeit haben und unter den £leischen wechselnden Bedingungen der modernen Zivilisation Iebexn, der eine, bei dem alle kariesbegünstigenden Faktoren usa mmenwirken, sehr unter Karies zu leiden hat, während der andere, bei dem diese Faktoren fehlen, kariesfrei sein kann. Indessen sind die Extreme, bei welchen alle oder die große Mehr- zahl der kariesbegünstigenden Faktoren vorhanden sind oder völlig fehlen, eher die Ausnahme als die Regel, und wir stoßen oft genug auf Fälle, bei denen uns diese äußeren Ursachen allein keine ganz befriedigende Aufklärung bieten, und es drängt sich uns die Frage auf, ob nicht vielleicht in den Zähnen selbst etwas zu ünden ist, das uns einen Anhaltspunkt für die Erklärung dieser Erscheinung liefert.

Wir sind gewöhnt, von harten und weichen Zähnen zu sprechen und diese Ausdrücke als gleichbedeutend mit Empfäng- uchkeit und Unempfänglichkeit für Karies zu betrachten. Indessen bat —eìn experimenteller Beweis, welcher die Wahrheit dieser An-

x IX. 36

402 Miller, Weitere Studien über die Frage

nahme als über jeden Zweifel erhaben erscheinen läßt, bis jetzt gefehlt.

Zurzeit sind die Meinungen zwischen zwei entgegengesetzten Ansichten geteilt; die eine, deren Hauptverteidiger G. V. Black ist, findet ihren Ausdruck in dem folgenden (Dental Cosmos 1895, Seite 417):

„Prüfungen des Prozentsatzes der Kalksalze und der Festig- keit der Zähne, die jedenfalls Anspruch auf Genauigkeit haben und in genügender Menge gemacht wurden, um ein zuverlässiges Urteil bilden zu lassen, haben gezeigt, daß weder dieser Prozent- satz noch die Festigkeit in irgendeiner Weise dazu beitragen, die Zähne für Karies empfänglich zu machen oder deren Entstehen oder ihren Fortschritt zu beeinflussen.“

Ich habe indessen wiederholt auf die Tatsache aufmerksam gemacht, daß es nicht nur eine Frage des Kalkgehaltes der Zähne, sondern der Stabilität der Verbindung dieser Kalksalze mit der organischen Grundsubstanz ist.

Unglücklicherweise ist unser Wissen in bezug auf die Be- schaffenheit der in Zähnen und Knochen vorkommenden Verbind- ungen sehr unvollständig, auch scheint es zurzeit noch nicht klar, wie wir uns dieser Frage experimentell nähern können.

Theoretisch ist es ganz wohl denkbar, daß zwei Zähne genau den gleichen Prozentsatz an Kalksalz enthalten und doch ver- schiedene chemische Stabilität besitzen können.

Die andere, entgegengesetzte Ansicht. ist die, von der Mehr- zahl der Zahnärzte vertretene, welche behauptet, daß Zähne von verschiedener Stärke (harte und weiche) von Karies ver- schieden zu leiden haben. Die Hauptvertreter dieser Ansicht waren in den letzten Jahren Röse und Förberg, welche mit Hilfe von statistischem Material versucht haben, nachzuweisen, daß Leute, welche in Gegenden leben, wo der Boden und das Trinkwasser viel Kalk enthalten, kalkhaltigere (härtere) Zähne haben und weniger unter Karies leiden als solche, die in kalkarmen Gegenden wohnen. Angesichts dieser verschiedenen Meinungen, zu denen man durch gründliche und sorgfältige Forsch- ungen gelangt war, schien es mir dringend geboten, die Frage durch Versuche endgültig zu lösen, ob die gelben oder gelblichen, sogenannten harten Zähne den Säuren mehr Widerstand entgegen- setzen als die bläulichen oder graublauen, sogenannten weichen Zähne.

Die Meinung, daß verschiedene Zähne den gleichen zerstören- den Einflüssen verschiedenen Widerstand leisten, wird durch Beob- achtungen in der zahnärztlichen Praxis unterstützt. Wir treffen fast täglich auf Fälle, bei welchen zwei nebeneinander stehende

der relativen Immunität gegen Zahnkaries. 403

a ganz verschiedener Stärke angegriffen worden sind Fig. 5).

Es kommt oft vor, daß man einen der Bikuspidaten bis zur Pulpa zerstört findet, während die angrenzende Oberfläche des anderen nur den ersten Anfang von Karies aufweist. Es ist schwer, diese Erscheinung zu erklären, wenn wir nicht annehmen, daß die Zähne verschiedene Widerstandsfähigkeit besitzen.

Fig. 5 Ungleiche Karies angrenzender Flächen in benachbarten Zähnen.

Bei dem Versuch, diese Frage durch Experimente zu lösen, schien es mir richtig, mit solchen Zahnbeinsorten zu beginnen, welche in bezug auf Dichtigkeit und Kalkgehalt durchaus ver- schieden waren. Diese Extreme boten sich in Elfenbein und dem Zahnbein des Potwals.

Die Versuche, welche in der bereits in der Deutschen Monats- schrift für Zahnheilkunde 1903, Seite 403, beschriebenen Weise wi wurden, ergaben die folgenden Resultate siehe Tabelle - 404):

Wir sehen hier einen recht deutlichen Unterschied in dem Wid —ertstand, den verschiedene Zahnbeinsorten der Wirkung von 36°

404 Miller, Weitere Studien über die Frage

| Spezifisches

' Dauer der

ı Gewicht | Kalkenlz Entkalkung

Weiches Elfenbein... 16 1612.65 8a. Hartes j ER 1,84. 5:7 Ge WalroB . 2 2 2 222. 1,02 ! 66,8 ee Potwal 2222.20. . 2,08 a7 33,

i

Säuren entgegensetzen, ein Unterschied, welcher überdies dem Unterschied in Dichtigkeit und Menge an Kalksalz entspricht.

Es entsteht nun die Frage: bestehen ähnliche Verschieden- heiten in bezug auf das Zahnbein von verschiedenen menschlichen Zähnen?

In der Voraussetzung, daß Experimente dieser Art, wenn sie überhaupt praktischen Wert haben sollen, unter Bedingungen ausgeführt werden müssen, welche denjenigen in der Mundhöhle möglichst ähnlich sind, verwarf ich den Gebrauch starker Säuren gänzlich und ließ auf die Zähne solche Säuren und in solcher Stärke einwirken, wie sie durch die Gärung in verschiedenen Mischungen von Speichel mit Nahrungsmitteln erzeugt werden.

Die hauptsächlichsten Lösungen und Mischungen, welche ich benutzte, sind folgende:

1. Bouillon, bestehend aus Wasser 100, Fleischextrakt 1,5. Pepton 1,5, Zucker 2—3, neutralisiert, sterilisiert und mit Speichel infiziert.

2. Dieselbe I,ösung mit gleichen Teilen Speichel gemischt.

3. Speichel mit 2—4 Proz. Zucker.

4. Mischungen, die durch Kauen von Brot und Fleisch be- reitet wurden.

Als Versuchsobjekte wählte ich Zähne von dem harten, gelben Typus und verglich sie mit jungen, weißen oder weißbläulichen Zähnen, welche eine besondere Prädisposition zu Karies zeigten.

Die Zähne, sowohl ganze wie Hälften oder Teile, wurden in diese Lösungen mittels Seidenfäden so eingehängt, daß sie von allen Seiten der Einwirkung der Säure gleichmäßig ausgesetzt waren. Die Lösungen wurden oft erneuert, in manchen Fällen täglich, und zuerst im Brutkasten aufbewahrt. Nachdem Gärung eingetreten war, wurden sie meist bei Zimmertemperatur gehalten. obgleich sie in manchen Fällen während der ganzen Daner des Experimentes im Brutkasten verblieben. °

Selbstverständlich wurden Zähne, die verglichen werden sollten, nebeneinander in dieselbe Lösung gehängt.

Nach Verlauf von Zeitabschnitten, welche von wenigen Tagen

der relativen Immunität gegen Zahnkaries. 405

\is zu mehreren Monaten währten, wurden entsprechende Zähne herausgenommen und Schliffe davon angefertigt.

In Abbildung 6 zeigt uns eine Photographie die Wirkung einer schwachsauren Lösung auf das Zahnbein von Zähnen des Potwals a), des Hundes b), des Menschen c) und des Elefanten d). Die entkalkte Schicht (in der Photographie schwarz) erscheint sehr dünn bei dem Zahnbein des Potwals uud am dicksten beim Elfenbein.

Fig.6. Ungleiche Entkalkung verschiedener Zahnbeinsorten unter gleichen Bedingungen: a) Potwal, b) Hund, c) Mensch, d) Elfenbein.

Bei den Vergleichsversuchen zwischen Zahnbein von ver- schiedenen menschlichen Zähnen trat kein so großer Unterschied auf. In einzelnen Fällen jedoch war derselbe ein ausgesprochener.

In Fig. 7 z. B. haben wir das Ergebnis eines Vergleiches zwischen dem Zahne eines bis ins hohe Alter vollständig karies- freien Mannes und einem kariösen, weichen, sechsjährigen Molaren eines zehnjährigen Kindes. Wir sehen hier einen beträchtlichen Unterschied in der Dicke der entkalkten Schicht.

Das Ergebnis aller meiner Versuche hat mich zu dem Schluß gefart, daß eine Verschiedenheit in der Schnelligkeit besteht,

406 Miiler, Weitere Stadien äber die Frage

mit welcher ZaŁnbein von versLiedenen menschlichen Zähnen

Fig. 7. Urzl-ibe Errkaikıng des Zabees eines Immirer tieks <rd eines wei zn stksjänrig-n Maarer recits. Dauer: 2 Moraz: > Tage.

unter den gleichen Bedinzungen durch schwache Säuren angegriffen wird. und daß diese Verschiedenheit gewöhnlich zugunsten des sogenannten harten Zahnbeins besteht; indessen ist der Unterschied nicht be- deutend genug. um zu erklären, warum ein Zahn kariesfrei bleibt, während der andere der Karies zur Beute fällt. Es ist nur einer der Faktoren, den man wiederum nicht auter acht lassen darf.

Widerstand des Schmelzes bei Milchzähnen, weichen und harten Zähnen. Versuche über die Emp- fänglichkeit verschiedener Zähne für Karies würden sehr unvollständig sein, wenn nur dem Zahnbein Beachtung geschenkt wäre. Der Schmelz bietet zerstörenden Einflüssen jedweden Cha- rakters einen weit gröberen Wider- stand als das Zahnbein, und der Schutz, welchen er den Zähnen verleiht, ist von grötter Wichtigkeit. In wie hobem Mabe dies für chemische Einflüsse gilt, geht aus Fig. 5 klar hervor.

Fe | Zunächst gestatte ich mir, auf einige Fig. 8. Vergleich der Einwirkung zufällige Ergebnisse meiner Studien

von Säuren aufSchmelz und Zabn- aufmerksam zu machen. welche, wie bein. Der Zahn wurde mehrere ; FR e a Wochen langin Lösg. 1 eingehängt. es mir scheint ; wesentlich dazu bei-

der relativen Immunität gegen Zahnkaries. 407

tragen, unsere Kenntnisse über das Wesen der Zahnkaries zu erweitern. |

In erster Reihe möchte ich die Tatsache hervorheben, daß bei der Zahnkaries die chemische Zerstörung des Schmelzes zum größten Teile von innen nach außen stattfindet und durch mecha- nische Einflüsse sehr wirksam unterstützt wird.

Ein typischer Fall ist in Fig. 9 gezeigt; geringe Wirkung auf die Außenfläche, Eindringen von Säure durch einen ziemlich schmalen Kanal, in welchen Speiseteille während des Kauens hineingedrängt sein mögen, ausgebreitete und unterminierende

Fig. 9. Unterminierende Karies. Zerstörung des Gewebes von innen heraus.

Wirkung auf die Innenfläche und endlich Durchbrechen der Schmelzbrücke durch mechanische Einflüsse.

Die äußere, unversehrte, glatte Schmelzoberfläche bietet der Einwirkung schwacher Säuren einen hartnäckigen Widerstand, der bei weitem größer ist als derjenige der Innenfläche Fig. 10.

Abnutzungen, Quetschungen, Sprünge oder irgendwelche andere natürliche oder künstliche Beschädigungen vermindern diesen Widerstand wesentlich.

Dies ist aus Fig. 11 zu erkennen, welche die Wirkung einer beim Extrahieren durch die Zange entstandenen Lädierung der Schmelzoberfläche zeigt.

Die Widerstandsfähigkeit des Schmelzes scheint zum Teil in der Schutzwirkung des Schmelzoberhäutchens zu liegen. Ein Zahn,

408

Miller, Weitere Studien über die Frage

welcher 9'/), Monate lang in Lösung 1 eingehängt war, zog

Fig. 10. Ungleiche Säureeinwirkung auf dieinnerea) und die äußereOberflächeb).

meine Aufmerksamkeit besonders auf sich, weil er eine etwa 2 mm breite Zone aufwies, welche nicht im geringsten angegriffen zu sein schien, während die übrige Oberfläcke weiß und kalkig war. Als ich diesen Zahn der Einwirkung einer 5proz. Lösung von Salzsäure aussetzte, fand ich, daß die erwähnte Zone noch von dem Schmelzoberhäutchen bedeckt war, welches an den anderen Stellen fehlte (Fig. 12). Sowohl diese wie andere Beobachtungen haben mich zu dem Schluß gebracht, daß das Schmelzoberhäutchen dem Zahn einen gewissen Schutz bietet und bei zahnärztlichen Eingriffen nicht unnötigerweise zerstört werden sollte.

Es ist in diesem Zusammen- hang auch bemerkenswert, daß bei der Zahnkaries das Schmelz- oberhäutchen nicht einfach von

Fig. 11.

Wirkung von Säure auf die beschädigte Oberfläche.

der relativen Immunität gegen Zahnkaries.

409

der Zahnoberfläche abgehoben wird, wie man allgemein annimmt, und

a es bei Einwirkung von Salz- A Salpetersäure der Fall ist. ù Zahn kann monatelang in Sürenden Lösungen bleiben, und der Schmelz dabei beträchtlich ent- kalkt werden, ohne das Schmelz- oberhäutchen zu verlieren.

Ein Zahn war 2 Monate lang in Mischung 4 eingehängt, bis er zu beträchtlicher Tiefe entkalkt worden war. Ich fer- tigte einen Schliff desselben an und setzte ihn der Wirkung einer 5proz. Lösung von Salz- säure aus. In kurzer Zeit kam das Schmelzoberhäutchen, welches trotz der Entkalkung des Schmel- zes nicht früher abgelöst wurde, jetzt erst zam Vorschein (Fig. 13).

Das gleiche trifft in über- raschender Weise für die natür- Jithe Zahnkaries zu. Unterwirft paan z., B. einen Zahn, welcher eine Kariesmarke aufweist, der VV irkung einer 2—5 proz. Lösung

Schutzwirkung des Schmelz-

Fig. 12. oberhäutchens bei a).

Fig. 13. Verdicktes Schmelzoberhäutchen auf einem Zahn, welcher 2 Monate lang in einer Brotspeichelmischung aufbewahrt und in beträchtlicher Ausdehnung ent- kalkt war.

410 Miller, Weitere Studien über die Frage

von Salzsäure, so findet man, daß das Schmelzoberhäutchen nicht

Fig. 14. Chronische Karies des Schmelzes bei a). Das noch intakte Schmelz- oberhäutchen durch Wirkung von Salzsäure zum Vorschein gebracht.

nur auf der unversehrten Oberfläche erscheint, sondern auch an den Rändern der Kariesmarke, wo bereits beträchtliche Ent-

Fig. 15. Die Kariesmarke hält der Einwirkung von Säure und Bürste länger Stand als der gesunde Schmelz.

kalkung des Schmelzes stattgefunden hat. In der Mitte dieser Marken scheint das Häutchen an die Oberfläche des Schmelzes

der relativen Immunität gegen Zahnkaries. 411

geklebt zu sein, obgleich der Kariesvorgang bereits das Zahnbein erreicht haben mag (Fig. 14).

Es haftet hartnäckig an der Oberfläche des entarteten Schmelzes und wenn es sich endlich unter fortgesetzter Einwirk- ung der Säure lostrennt, so reißt es gewöhnlich Bruchstücke der Schmelzprismen mit. Wo ein Verlust an Zahnsubstanz statt- gefunden hat, fehlt natürlich auch das Oberhäutchen,

Das scheinbare Verschmelzen des Schmelzoberhäutchens mit der Oberfläche der Kariesmarken mag die bemerkenswerte Tat- sache erklären, daß solche Marken der Wirkung von Säuren weit mehr Widerstand entgegensetzen als der gesunde Schmelz.

Fig. 16. Erhöhte Widerstandsfähigkeit der äußeren Schmelzschicht. Bei dem linken Stück haben sowohl Schmelz als Zahnbein mehr gelitten als beim rechten. Dauer: 2'/, Monate,

In Fig. 15 habe ich den Schliff eines Zahnes, welcher an der Seitenfläche einen charakteristischen schwarzen Fleck (Karies- marke) hatte, dargestellt. Dieser Zahn wurde 2 Monate lang in Lösung 4 aufbewahrt und wiederholt mit einer Zahnbürste ge- bürstet. Der unversehrte Schmelz wurde rund um die Karies- marke herum zerstört, diese selbst blieb stehen.

Eine andere Eigenschaft des Schmelzes kam durch meine Versuche ans Licht, welche noch wichtiger erscheint als die Wirk- ung des ÖOberhäutchens.. Die äußere Oberfläche des Schmelzes scheint durch eine dünne Kortikalschicht oder Kruste geschützt zu sein, welche der Einwirkung von Säuren einen stärkeren Widerstand entgegensetzt, als die tieferen Schichten. Wo immer diese Kruste, deren Dicke nur den Bruchteil eines Millimeters beträgt, mechanisch entfernt wird, wirkt die Säure weit rascher auf den Schmelz als sonst.

412 Miliier, Weitere Studien Eber die Frage

Dieser erhöhte Widerstand der änieren Sch zelzsehicht tritt auch klar zutage, wenn wir Säuren auf Zahndurchschnitte wirken lassen. Hierbei werden die tieferen Schmelzschichten fortgefressen. während die äufere Kruste fast unberührt ist und als scharfer Eand stehen bleibt Fig. 16.

Diese Beobachtung mag zum Teil die Tatsache erklären. daß approximale Schliffflächen nieht selten zum Ausgangspunkt der Karies werden. In sauren Mischungen oder Lösungen werden sie ausnahmslos weit mehr angegriffen als die normale Schmelz- oberfläche.

Fig. 17. Saure, die schwachen Linien im Schmelz durchdringend; Beginn der unterminierenden Karies bei a).

Wir erkennen hierin die Notwendigkeit, diese äußere Schicht intakt zu halten und unnötiges Feilen zu vermeiden, wo die ge- feilte Oberfläche sich nicht selbst reinigt.

Tiefe Spalten muß man als besonders schwache Stellen im Schmelzpanzer ansehen; sie werden auch allgemein als solche anerkannt. Ebenso alle Defekte im Schmelz, in denen Speiseteile sich festsetzen können, und ferner Sprünge und schwache Linien im Schmelz, an allen Stellen, welche innerhalb der Retentions- zentren für Speisereste liegen, insoweit als die Säure den Schmelz an diesen Defekten weit schneller durchdringt (Fig. 17).

Die Behauptung, daß Defekte im Bau die Zähne nicht zur Karies disponieren, weil der Schmelz mancher Tiere solche Defekte aufweist und doch nicht kariös wird, ist nicht triftig. Ebenso- gut könnten wir sagen, daß die Hitze keinen Einfluß auf die

der relativen Immunität gegen Zahnkaries. 413

yT Bewohner Grönlands hat, weil der Hitzschlag dort nicht bekannt giti wit it. Natürlich wird ein beschädigter Zahn nicht zerfallen im qro Munde eines Tieres, das überhaupt nicht an Karies leidet, er wird

es aber ebensowenig, wenn wir ihn in einer Schachtel auf- bewahren. Die Zähne vieler Tiere haben tiefe Risse und bleiben trotzdem gesund, aber wir würden uns irreführen lassen, wenn wir daraus folgern wollten, daß im menschlichen Munde solche Risse den Zahn nicht für Karies besonders zugänglich machen.

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Fig. 18. Ein weicher, nicht ganz entwickelter erster Molar. (Vgl. Fig. 19.)

Wann immer ein Zahn oder eine Zahnoberfläche Einflüssen ausgesetzt ist, welche Karies hervorbringen, dann werden schwache Stellen in diesem Zahn, gleichviel ob in Form von Spalten, Sprüngen, Schürfungen oder fehlerhafter Entwicklung, die an- greifenden Einflüsse begünstigen und den Verlauf der Karies beschleunigen.

Die aus meinen Versuchen gezogenen Schlüsse werden durch die täglichen Beobachtungen in der Praxis unterstützt und durch die vorhergehenden photographischen Reproduktionen illustriert.

Die Frage, ob der gesunde Schmelz von Zähnen ver- s=hiedener Personen oder von verschiedenen Zähnen

414 Miller, Weitere Studien über die Frage

derselben Person bei Einwirkung von Säuren verschie- denen Widerstand bietet, wurde zum Gegenstand einer großen Zahl von Versuchen gemacht, in welchen die Wirkung sowohl von gärenden Lösungen als auch von Mischungen von Speichel und Nahrungsmitteln auf den Schmelz der Milchzähne und der sogenannten harten und weichen Zähne bestimmt wurde. Die verschiedenen Versuche erstreckten sich über Zeitabschnitte von

Fig. 19. Ein harter, gelblicher Bikuspis. 3 Monate lang in die gleiche Lösung, wie Fig. 18, gehängt. Besonders zu bemerken: die Entkallxung ist bedeutend ans- Beaehnssr in 18 als in 19, ferner ist die abgenutzte, von der äußeren Schmelzschicht

eraubte, Oberfläche in Fig. 19 weit mehr angegriffen als die glatte Oberfläche.

wenigen Tagen bis zu 1 Jahr und 9 Monaten. Einige der Er- gebnisse werden in den begleitenden Photographien (18—23) gezeigt.

Die Ergebnisse dieser Versuche lassen wenig Zweifel, daß der Schmelz von Zähnen verschiedener Personen sowohl als von verschiedenen Zähnen derselben Personen und von verschiedenen Teilen desselben Zahnes Unterschiede in seiner Widerstands- fähigkeit gegen den Einfluß von Säuren aufweist, ebenso wie die Dicke des Schmelzüberzuges, wie in Abbildung 22 dargestellt,

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der relativen Immunität gegen Zahnkaries. 415

wie ferner die Unversehrtheit der Schmelzoberfläche, Freisein von SpaE ten, Quetschungen, Sprüngen, schwachen Linien, unvollkommen

yerk alkten Prismen usw. „weit diese im Bereich derInfektion liegen. Aber auch hierbei müssen wir Übertreibungen vermei- den Meine Versuche haben mich allmählich zu dem Schluß geführt, daß es keinen vorherr- schenden Faktor, wel- cher Immunität oder Empfänglichkeit für Ka- ries verleiht, gibt, son-

dern eine große Anzahl

von Faktoren, von denen ein Teil in den Zähnen selbst gesucht werden muß, ein anderer Teil in ihrer Umgebung. So ist auch die Wider- standsfähigkeit des

Fig. 20. Vergleich der Wirkung auf harten Schmelz a) und weichen Schmelz b). Drei Monate in Lösung 1.

Schmelzes nur einer dieser Faktoren, und man wird finden, daß ihre Bedeutung in verschiedenen Fällen sehr verschieden ist.

Fig. 21.

Weicher Zahn (vgl. Fig. 22).

Ich habe gelegentlich einen Zahn gefunden, welchen ich zu der wreichen Art zählte und welcher ebensoviel Widerstand bot

416 Miller, Weitere Studien über die Frage

Fig. 22. Harter Zahn. 11 Monate 26 Tage in Lösung 1. Weit stärkere Zerstörung

des Schmelzes beim weichen Zahn Fig. 21. Zu bemerken ist auch, daß die Dicke

des Schmelzüberzugs und das Fehlen einer tiefen Spalte den harten Zahn be- günstigen.

als ein anderer, den ich für hart gehalten hatte. Bei einem Ver- gleich zwischen einem Milchzahn und einem harten bleibenden Molaren, der augenblicklich im Gange ist, scheint der Milchzahn

Fig. 23. Vergleich der Wirkung auf Schmelz vom Zahne eines kariesfreien a) und eines weichen 1. Molaren b).

der relativen Immunität gegen Zahnkaries. 417

gen die allgemeine Regel einen ebensolchen Widerstand zu hier en wie der bleibende.

Einfluß der Vitalität des Zahnes auf den Kariesprozeß. Wir wissen, daß die Zahnpulpa imstande ist, auf die Wirkung eines chronischen Reizes irgendwelcher Natur durch Aufwerfen eines Walles von sekundärem Zahnbein zu reagieren und so eine Barriere zwischen sich und das heranrückende Übel zu stellen,

Fig. 2%. Augenscheinlicher Widerstand des transparenten Zahnbeins gegen das Vordringen der Karies bei a) und b).

durch welche ihr Leben und das des Zahnes bedeutend verlängert werden kann.

Es ist indessen eine Streitfrage, ob innerhalb der bereits gebildeten Zahnbeinmasse irgendwelche Veränderungen progres- siver Natur vor sich gehen.

Die einen behaupten, daß die harten Gewebe eines voll- kommen entwickelten Zahnes keinem nutritiven oder vitalen Vor- gang irgendwelcher Art unterworfen sind, und daß diese Gewebe sich wwährend des Verlaufes der Karies vollkommen passiv ver- haltera- Insoweit als der Schmelz in Betracht kommt, dürfte diese

ZIEL; 27

418 Miller. Weitere Studien über die Frage

Ansicht nicht ganz unbegründet sein, mit bezug auf das Zahn- bein aber trifft sie durchaus nicht zu, wie dies aus Erscheinungen vitaler Natur (Transparenz) hervorgeht. welche so oft die Karies an Zähnen mit lebender Pulpa begleiten.

Es fragt sich nun, ob das Erscheinen einer Zone mit erhöhter Transparenz imstande ist, das Fortschreiten des zerstörenden Prozesses in irgendeiner Weise einzuschränken. Hierbei ist es nutzlos, die praktische Erfahrung zu Hilfe za nehmen, da diese uns nur verwirrende Antworten gegeben hat; tatsächlich ist der praktische Zahnarzt in der Regel so eifrig bei der Erfüllung seiner Aufgabe vom therapeutischen Standpunkt aus, daß er der

Fig. 25. Entkaikung, stark verzögert durch transparentes Zahnbein bei a).

Ätiologie wenig oder gar keine Aufmerksamkeit schenkt. Meine Ansicht, die von vielen anderen zuverlässigen Beobachtern geteilt wird und in den Ergebnissen neuerer Untersuchungen eine wesent- liche weitere Stütze gefunden hat, geht dahin, daß das trans- parente Zahnbein dem Vordringen der Karies zweifelsohne einen größeren Widerstand als das normale Zahnbein entgegensetzt. Diese Ansicht wird durch Präparate, wie das in Fig. 24 gezeigte, unterstützt. Hier scheint der Entkalkungsvorgang (Karies) durch das transparente Zahnbein bei a und b aufgehalten zu sein. Wie auffallend der Widerstand ist, den das transparente Zahnbein gegen Entkalkungsprozesse äußern kann, zeigt Fig. 25. Es handelt sich hier um einen Molaren, der an der Kaufläche abgenutzt war, bis das Zahnbein an einzelnen zirkumskripten Stellen freigelegt wurde. Der Zahn wurde von der Kaufläche

der relativen Immunität gegen Zahnkaries. 419

aus glatt heruntergeschliffen, bis das Zahnbein vollständig frei- gelegt war, und sodann in die Säurelösung eingehängt. Die Abbildung stellt den Schliff des Zahnes dar, nachdem die Säure mehrere Wochen hindurch auf denselben eingewirkt hatte. Es fällt sofort auf, daß an Stellen, wo das Zahnbein erhöhte Trans- parenz zeigt, die Entkalkung sehr viel weniger Fortschritte ge- macht hat als an den übrigen Teilen. Auch äußert das sekun-

Fig. 26. Vergleich der Wirkung von Säure auf normales a) und ausgeheiltes Zahnbein b).

däre Zahnbein gegenüber der Einwirkung von Säuren größeren Widerstand als das normale, wie dies aus Fig. 26 deutlich her- vorgeht.

Während meiner Versuche bin ich mit einer weiteren Er- scheinung in Berührung gekommen, die wohl geeignet ist, unser Interesse zu erregen. Zwei ausgeheilte erste Molaren wurden von der Kaufläche aus abgeschliffen, bis an einigen Stellen (æ) ziemlich normales Zahnbein erreicht wurde, während an anderen (>) das Gewebe noch stark pigmentiert war. Diese Zähne wurden in Lösung 1 gehängt. Nach 4 Tagen angefertigte Schliffe zeigten

Zu.

420 Miller, Weitere Stylien üb. d. Frage d. relativen Immunität usw.

die auffallende Tatsache. dab das pizmentierte Zahnbein. besonders bei dem rechten Stück. durch die Säure fast gar nicht angegrifen worden war. Hier haben wir ein Verhalten. welches an die ana- loge verhältnismätize Jinmunität der Kariesmarken der Einwirkung von Säuren gegenüber erinnert. Es stimmt auch mit der Beob- achtung überein, die ich verschiedentlich gemacht habe. daß selbstverheiltes Zahnbein nur langsam von Säuren angegriffen wird.

Angesichts dieser Tatsachen mug ich schlieren. dag die Vitalität des Zahnes. wie sie in der Bildung von sekundärem und transparentem Zahnbein zum Ausdruck kommt, ein Faktor ist, den wir bei unseren Versuchen. alle im Zusammenhang mit Zahnkaries beobachteten Erscheinungen zu begründen, nicht übersehen dürfen. Ob aber nun diese Lebensfähigkeit dem Vor- dringen der Karies. auter durch die Wirkung des sekundären und transparenten Zahnbeins, ein ferneres Hindernis entgegensetzt, ist ein Rätsel, das noch durch großen Aufwand von Geduld und Arbeit gelöst werden muß.

Es vollziehen sich auch im Zahnbein Veränderungen von einer noch aufzuklärenden Natur. welche es in gewissem Grade für Säuren undurchdringlich machen. Sowohl diese als die oben erwähnte Tatsache. dab auch die Kariesmarken der Wirkung von Säuren vermehrten Widerstand entgegensetzen, geben uns Winke, welche wir für die prophylaktische Behandlung der Zähne nutzbar machen sollten. Ohne Zweifel gibt es Mittel, welche dazu beitragen würden, die oben erwähnten Veränder- ungen hervorzubringen oder zu verstärken, und es bleibt testzu- stellen, welches diese Mittel sind. Bis jetzt ist nur Höllenstein zu diesem Zweck verwendet worden, und zwar mit einem gewissen Grad von Erfolg.

Die Ergebnisse meiner Studien. über welche ich oben be- richtet habe, zeigen uns, daß im Munde viele Einflüsse auf die Zähne einwirken, deren einige den Zälınen in hohem, andere nur in zeringem (rrade schädlich sind, während endlich andere sogar eine Schutzwirkung ausüben, welche unter verschiedenen Bedingungen verschieden sein kann. Die Gesamtwirkung dieser Einflüsse hängt davon ab, wieviele und welche zusammen wirken, und von der Widerstandsfähiskeit der beeinflußten Zähne. Diese Widerstands- fähigkeit hängt wiederum in gewissem Mate von dem Bau des Zahnes, von der Unversehrtheit der Schmelzschicht und des Schmelzoberhäutchens. sowie von der Abwesenheit von Rissen, (Quetschungen, Sprüngen oder schwachen Linien, wie sie durch kalkarme Prisinen hervorgebracht werden, ab. Sie kann in mehr oder weniger ausgesprochenem Male verstärkt werden durch einen halb physikalischen oder chemischen, halb vitalen Prozeß. welcher sich im Zahne selbst abspielt.

Weigert, Zahnkrankheiten und Krankheiten der Zähne usw. 421

[Nachdruck verboten.)

Zahnkrankheiten und Krankheiten der Zähne im Säuglingsalter.‘) Von Dr. med. Richard Weigert, Kinderarzt in Breslau.

Meine Herren! Die Zähne nehmen in der medizinischen Nomen- klatur eine Sonderstellung ein, indem die Begriffe Zahnkrankheiten und Krankheiten der Zähne nicht synonym sind, wie Leberkrank- heiten und Krankheiten der Leber, Herzkrankheiten und Krankheiten des Herzens usf. bei allen übrigen Organen des Menschen. Diese Sonderstellung rührt von einer anderen einzig dastehenden Eigen- schaft der Zähne her, nämlich von der seit Menschengedenken weit verbreiteten Anschauung, daß ein physiologischer Wachs- tumsvorgang, der Zahndurchbruch, die Ursache sein könne, von schweren, selbst tödlichen Erkrankungen. Diese Meinung hat jedoch eine Einschränkung insofern, als sie sich nur auf den Durchbruch des Milchgebisses bezieht, während das Erscheinen der bleibenden Zähne im Gegenteil gänzlich reaktionslos vor sich gehen soll. Es sind verschiedene Erklärungen dafür aufgestellt worden, wie diese Lehre Gemeingut der Ärzte und Laien geworden ist.!) Der Hauptgrund ist der, daß die mangelnden Kenntnisse der kindlichen Pathologie zusammen mit der großen Mortalität und Morbidität des Säuglingsalters die Ärzte zwangen, einen Sünden- bock zu suchen, und dieser Sündenbock wurde in der Zahnung gefunden. Dabei war gar nicht störend, daß Morbidität und Mortalität von der Geburt ab ununterbrochen abnehmen, so daß die Sterblichkeit im zweiten Lebenssemester schon weit geringer ist als im ersten, während doch der Beginn der Zahnung erst in das zweite Lebenshalbjahr fällt.

Im Laufe der Zeit brachten es die alten Ärzte geradezu zu einer gewissen Kunstfertigkeit, fast alle Krankheiten des Säug- lings auf die Zahnung zu beziehen und Hypothesen für diesen Zusammenhang zu konstruieren. Dagegen fehlen gänzlich Kranken- journale und exakte Beobachtungen, die imstande wären, diese Hypothesen zu begründen. Auch die heutigen Anhänger der Lehre von den Zahnkrankheiten haben bisher diese Unterlassungs- sünde nicht gut gemacht, abgesehen von vielen anderen Bedenken, die zu erörtern hier nicht der Platz ist. Die Zahl der Anhänger

* Vortrag, gehalten in der ersten Jahresversammlung der Bres- lauer zahnärztlichen Gesellschaft vom 9. April 1900.

422 Weigert, Zalınkrankheiten und Krankheiten

der Lehre von den Zahnkrankheiten unter den Ärzten ist auch heute noch nicht gering, unter den Frauen hat die Lehre fast ebenso viele Anhänger als es Mütter, Großmütter und Kinderfrauen gibt. Diese Tatsache stellt aber eine furchtbare Gefahr dar, sie führt bei Erkrankungen von Säuglingen zu einem bequemen Indifferen- tismus, indem von den Müttern häufig die Diagnose „Zahnkrank- heit“ gestellt und die Benachrichtigung des Arztes unterlassen wird, weil doch nur der Durchbruch der Zähne die Affektion beseitigen könne. Dieses Ereignis läßt aber häufig Wochen und Monate auf sich warten. So geht kostbare Zeit verloren, in der beispielsweise bei Magen- und Darmkrankheiten oder bei Krämpfen das Kind einer chronischen Störung anheimfällt, die schwer oder gar nicht mehr zu reparieren ist. Das hindert nicht, bei der wirklichen Erkrankung desselben oder eines anderen Kindes in denselben Fehler zu verfallen. Um so mehr ist es zu bedauern, daß in einem Merkblatt des vaterländischen Frauenvereins, verfaßt von Trumpp,?) Privatdozenten für Kinderheilkunde in München, das Bestehen von Zahnkrankheiten neuerdings wieder aner- kannt wird.

Meine Herren! Dieses Merkblatt, das in Tausenden vou Exemplaren verbreitet, den Eltern bei der Geburt jeden Kindes vom Standesbeamten übergeben werden soll, enthält Ratschläge zur Ernährung und Pflege der Kinder im ersten Lebensjahr und ist bestimmt, die hohen Zahlen der Säuglingssterblichkeit herunter- zudrücken. Sie werden verstehen, daß das Blatt auf diese Weise seinen Zweck nicht erfüllen kann, selbst wenn Trumpp den Eltern rät, auch bei Zahnkrankheiten den Arzt zu benach- richtigen.

Die Lehre von den Zahnkrankheiten muß im Prinzip gänzlich ausegerottet werden bei Ärzten und bei Laien. Im anderen Falle wird sie immer wieder die Quelle zahlloser Unterlassungssünden und unsäglichen Leides sein, wie dies auch bei anderen physio- logischen Vorgängen der Fall ist, die man zu Unrecht beschuldigt. die Ursache aller möglichen pathologischen Vorgänge zu sein, wie das Einsetzen der Pubertät, die Menstruation, das Klimakterium.

Solche Rücktälle in die Zeit des Aberglaubens und der durch schlechte Theorien gestützten Lehrmeinungen sind in unserer Frage glücklicherweise selten. Die übergroße Mehrzahl der Ärzte ist durch die großen Fortschritte der Medizin der letzten Jahrzehnte in die Lage versetzt, auch bei den Krankheiten des Säuglings- alters exakte Diagnosen zu stellen und auf Grund derselben einen zweckbewußten Heilplan einzuleiten. Wenn wir uns daran machen. anf solchen Grundlagen den Kampf gegen die sogenannten Zahn- krankhriten aufzunehmen, so werden Sie bald sehen, daß vielfach schon die kritische Durchsicht genügt, um zahllose Widersprüche

der Zähne im Süäuglingsalter. 423

in den alten Anschauungen nachzuweisen. Das große Verdienst, diee s in glänzendster \Veise dargetan zu haben, gebührt Kasso- wi tz, an den ich mich auch in den diesbezüglichen Ausführungen im großen und ganzen anlehne.°)

Die Zahnung wird dies natürlich immer nach der Ansicht

der Dentitionisten eingeleitet mit einer physiologischen Stoma- titis, die sich in Rötung und Schwellung des Zahnfleisches äußert und von Speichelfluß, Jucken und äußerster Schmerzhaftigkeit begleitet ist. Gesehen hat diese Stomatitis noch kein Arzt, noch niemand hat beschrieben, in welchem Stadium des Zahndurch- bruchs sie auftritt. Sie alle wissen, daß äußerst komplizierte Resorptionsvorgänge an Alveolen und Zahnfleisch diesen Durch- brach vorbereiten, so daß er gänzlich reaktionslos, ja unmerklich vor sich geht und von einem Durchbruch im wahren Sinne des Wortes gar keine Rede sein kann. Diese Stomatitis soll eine wunderbare Fernwirkung ausüben und, wie wir sehen werden, die Ursache der mannigfaltigsten Komplikationen sein können.

Wie steht es aber mit den Symptomen dieser Stomatitis dentalis? Sie soll unter anderem Speichelfluß, Jucken und Schmerzen hervorrufen. Der Beginn der Speichelsekretion 4) ist ein viel um- strittenes Forschungsgebiet. Heute wissen wir, daß Speichel schon von dem Neugeborenen produziert wird, jedenfalls aber zunächst in geringer Menge. Erst nach Ablauf des ersten Vierteljahres wird die Sekretion so reichlich, daß sie durch Heranusfließen des Speichels aus dem Säuglingsmunde auffällt. Dies dauert solange an, bis das Kind lernt den Speichel zu schlucken, was bei dem einen eher, bei dem andern später der Fall ist, und gewisse im- becille und idiotische Kinder lernen es nie. Der Speichelfluß setzt d«mnach lange vorher ein, ehe noch an eine Zahnung zu denken ist und hört bei den meisten Kindern schon auf, ehe der erste Zahn durchgebrochen ist.

Das zweite Symptom, das Jucken des Zahnfleisches, wird erschlossen aus der Tatsache, daß die Säuglinge mit ihrem Finger im Munde „suchen“, wie die Mütter sich ausdrücken. Aber jedes Kind, auch das nichtzahnende steckt schon in den ersten Lebens- tagen seine Finger und später alles, was es in die Finger be- kommt, in den Mund.

Diese Tatsache findet darin ihre Begründung, daß das Tast- gefühl in den Fingerspitzen bei den Säuglingen sehr mangelhaft ausgebildet ist. Daher dienen den jungen Kindern als Tastorgane die Lippen, in denen der Tastsinn schon sehr früh vorhanden ist.

"Würde das Zahnfleisch jucken, so würden sie sich auch gar nicht damit begnügen, sondern es zerkratzen, wie wir das zu unseren großen Leidwesen bei vielfachen juckenden Hautattektionen

der Säuglinge schen und trotz komplizierter Vorrichtungen nicht

424 Weigert, Zahnkrankheiten und Krankheiten

immer verhindern können. Niemals aber hat man gesehen, daß ein Kind sein Zahnfleisch zerkratzt hätte. Diese Stomatitis soll auch schon bei leisester Berührung äußerst schmerzhaft sein, was doch im Widerspruch steht zu der Beobachtung, daß die Kinder ihr Zahnfleisch, weil es juckt, reiben sollen. Dieser Widerspruch hat auch nicht abgehalten, zur Erleichterung des Zahndurchbruchs zu empfehlen, den Kindern harte Gegenstände zu geben, auf die sie beißen sollen, was nun wiederum gar nicht schmerzhaft sein soll.

Diese Methode ist wenigstens harmlos. Man hat aber emp- fohlen, das Zahnfleisch über den erwarteten Zähnen zu skarif- zieren und ausdrücklich betont, daß diese Manipulation absolut schmerzlos ist, was doch mit dem Vorhergesagten nicht in Ein- klang zu bringen wäre. Wenn dies aber selbst der Fall wäre, so können Sie sich wohl vorstellen, daß die durch diese Behand- lung gesetzten Verletzungen der Ausgangspunkt von wirklichen Entzündungen sein können, und daß sie besonders in der vor- antiseptischen Zeit leider oft die Eintrittspforte für schwere sep- tische, eventuell tödliche Infektionen °) gewesen sind. Die Erschein- ungen sollen einen besonders schweren Verlauf nehmen, wenn mehrere Zähne gleichzeitig durchbrechen und doch ist der gruppen- weise Durchtritt der Zähne der physiologische und bei weitem häufigere Vorgang. Bei den einen sind die Eckzähne wegen ihrer spitzen Form die gefürchtesten, bei anderen wieder die Backenzähne, weil ihre breite Oberfläche dem größten Widerstande begegne. Diejenigen, welche den Eckzähnen so Schlechtes nach- sagen, befinden sich ganz besonders auf dem Holzwege, denn selbst jeder Laie weiß, daß ihr Durchbruch erst am Ende des zweiten Lebensjahres erfolgt, also zu einer Zeit, wo die Furcht vor dem Zahnen auch die allerältesten Kinderfrauen schon ver- lassen hat.

Zu diesen in der Mundhöhle sich abspielenden Ereignissen treten nun eine Unzahl von lokalen und Allgemeinerkrankungen, die sich auf fast sämtliche Organe beziehen. Um den Zusammen- hang dieser Krankheiten mit der Zahnung plausibel zu machen, genügen den Dentitionisten in der Hauptsache zwei Theorien.

Die eine geht aus von der Gefährlichkeit des Speichels, der aus dem Munde fließt, die Kleidung des Säuglings durchnäßt, eine Abkühlung des Körpers herbeiführt und so eine sogenannte Erkältungskrankheit herbeiführt. Andere supponierten, daß der Speichel zahnender Kinder giftig sei und, verschluckt, eine weit- gehende Gittwirkung entfalte.

Der zweiten 'Theorie liegt die Annahme zugrunde, daß die durch den durchtretenden Zahn gereizten Äste des Trigeminus imstande seien, auf dem \Vege allerdings erst zu findender

der Zähne im Säuglingsalter. 425

Reflexbahnen in sämtlichen Körperorganen die schrecklichsten Verheerungen anzurichten. Die Dentitionisten lassen sich dabei nicht durch die Tatsache stören, daß noch bei keinem Erwachsenen oder Kinde Allgemeinerkrankungen: Husten, Darmkatarrhe, Krämpfe usf. erregt worden sind, wenn die in der Pulpa durch Karies bloßgelegten Nervenäste durch zahlreiche Traumen irritiert werden. Wäre dies der Fall, so würden die Kinder schon lange einen großen Bestandteil der zahnärztlichen Klientel bilden, und wir brauchten nicht erst jetzt einen mühsamen Kampf dafür zu kämpfen, daß auch das Milchgebiß einer Konservierung und dauernden Über- wachung durch den Zahnarzt bedarf.

Ich kann es nicht unterlassen, einen Teil dieser Erkrank- ungen einer kurzen Besprechung zu unterziehen, um Ihnen zu zeigen, wie wenig wir dieser schlechten Theorien zu ihrer Ent- stehung bedürfen.

Beginnen wir mit den Störungen des Verdauungsapparates, dem Erbrechen, also einem Magensymptom, und mit den Darm- erscheinungen, die, je nach dem es paßt, in Durchfall oder Ver- stopfung bestehen. Alles findet seine sinngemäße Erklärung in dem Nachweise eines Fehlers in der Leitung der Ernährung, die nach Qualität oder Quantität falsch gewählt sein kann. Es gehört besonders hierher die Einfuhr verdorbener Nahrungsmittel, womit bekanntlich die große Krankheits- und Sterblichkeitsziffer der Säuglinge in den Sommermonaten zusammenhängt. Die Er- nährungsstörungen scheinen demnach nach Ansicht der Dentitio- nisten eine Eigentümlichkeit der im Sommer durchbrechenden Zähne zu sein. Meine Herren! Sie werden es nun verstehen, wie vielemale es vorkommen muß, daß so erkrankte Kinder der ärzt- lichen Begutachtung, mit dem Vorwande, es handle sich um Zahn- durchfälle, entzogen werden und wie oft man auf diese Weise den Zeitpunkt vorübergehen läßt, wo ärztliche Kunst noch helfen kann. Während hier die Dentitionisten den Durchfall immerhin als etwas Pathologisches anerkennen und nur die Ätiologie ver- kennen, sehen sie ihn bei einer anderen Gelegenheit, wenn er gleichzeitig mit Krämpfen auftritt, als einen Heilfaktor an, der daher auch nicht bekämpft werden dürfe. Er soll eine Ableitung auf den Darm darstellen, wenn die durch Zahndurchbruch an den peripheren Ästen des Trigeminus gesetzten Reize sich durch die sogenannte Reflexwirkung auf das Gehirn fortsetzen und dort Krämpfe hervorrufen. Besonders beliebt sind die schon von mir gekennzeichneten Eckzähne wegen ihrer groben Nähe zum Gehirn und wegen ihrer Fähigkeit, Reize durch die Wurzel auf die Schleimhaut der benachbarten Highmorshöhle und von dort durch Nase und Träünenkanal zum Gehirn fortzupflanzen.

Das Unhaltbare dieser Theorie leuchtet ohne weiteres ein.

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Einer Best rechnnzg an. noch Zaènželer und Drüsen- sehw-..nnzen.*'; die wahrend der Zahnung auitreten sollen.

Mine Herren! Fieber ist ein Symptom. das beim Säugiing. der bei weiten nicht die Wiierstandskraft gegen Erkrankungen besitzt. wie das älrere Kind und der Erwachsene, anzerordentiich hanäiz ist. Die Ursache ist hLäufiz nicht leicht aufzudecken. des- wezen hestseut jedoch k-in Recht. bei einem Kinde, das zwischen 6 und 1~ Monaten alt ist. den Gruni in der Dentitio diiä-iüis zu snchen. Die händgste Ursache sind Erkrankungen der Schleim- haite der Kespirationsorgane. der Nase, des Nasenrachenraumen. der Luttröhren. ferner des Mittelohres und andere zahlreiche Int-krionen. die den kindlichen Organismus treffen können vor. während und nach der Zahnune.

Es ist sS-Ibstverständlich. dag bei der Hänfiek-it und weiten Verbreitung dieser Affektion»n während des Fieb-rs zufällig auch einmal gl-ichzeitig der Zahmdurchbruch erfolet. Andererseits ist ab-r jede grote Klinik. auf der die Temperatur der Säuglinge tärlich mindestens zweimal gemessen wird, in der Lage. Hunderte. Ja Tausende von B-obachtunzen vorzuler-n, wo der Durchbruch sämtlicher Zähne der Säuglinge ohne T--mprratursteierrungen awh nur um Zehnt-lerade ertslet ist. In gleicher Weise ist durch klinische und exakte. post mortem ausgeführte anatomische Cntersnehungen >) nachgewiesen worden. dab Drüsenschwellungen. die durch die Zahnung hervorgerufen werden. nicht vorkommen.

der Zähne im Säuglingsalter. 497

Diese Tatsachen haben Dr. Westenhöffer,?) patholo- gischen Anatomen im Krankenhause Moabit in Berlin, nicht abge- halten in einem Vortrage, den er im letzten Winter in der Berliner medizinischen Gesellschaft gehalten hat, die Fabel der Zahnkrankheiten und der mit ihnen einhergehenden Drüsen- schwellungen wieder aufzunehmen. Woher dieser pathologische Anatom die klinischen Unterlagen für seine Behauptungen hat, hat er uns leider nicht verraten. Jedenfalls ist es ihm aber gelungen, auf dieser Basis eine neue Theorie der Infektions- möglichkeit mit Tuberkulose aufzustellen.

Ich verlasse nunmehr das Gebiet der Zahnkrankheiten, dieses künstlich und schlecht konstruierte Gebäude der Dentitionisten. Man müßte annehmen, daß lediglich der Hinweis auf die vielen Widersprüche in den Anschauungen der Dentitionisten genügen müßte, um diesen Bau zum Einsturz zu bringen, aber Sie sehen, daß weder dies noch die exakte Forschung bisher ausgereicht hat, diesen Kampf zu beendigen, in dem Mütter und Kinderfrauen auch in den Reihen der Ärzte immer wieder Bundesgenossen finden.

Ich wende mich nun zu den Krankheiten der Zähne des Säuglingsalters, möchte jedoch meine Aufgabe dabin einschränken, nur den Zusammenhang dieser Affektionen mit den Allgemein- krankheiten zu besprechen. Für die Krankheiten der Zähne selbst wäre ich in Ihrem Kreise, m. H., wohl auch kaum ein berutener Referent. In der Hauptsache sind es drei resp. vier große Ge- biete, die in Betracht kommen: die Rachitis, die hereditäre Syphilis und die Skrotfulose und Tuberkulose Allen diesen Krankheiten ist gemeinsam, daß sie für gewisse Schädigungen des Milchgebisses verantwortlich gemacht werden. In welchem Maße und in wel- cher \Veise dies jedoch für jede von ihnen zutrifft, darüber gehen die Meinungen der Autoren beträchtlich auseinander.

Dies wird nicht zum wenigsten dadurch bedingt, daß sowohl die Krankheiten der Zähne wie die genannten Affektionen auber- ordentlich häufig sind, und daß nicht selten zwei und selbst drei dieser Krankheiten dasselbe Individuum treffen. So wird es im Einzelfalle gänzlich unmöglich zu entscheiden, welches Leiden die Ursache der Zahnaftektion ist, wenn schon zugegeben wird, daß überhaupt ein ätiologischer Zusammenhang bestehe. Die Ver- wirrung wird noch dadurch grötser, daß alle Autoren gleichmätig zugeben, daß sowohl rachitische wie luetische und skrofulose oder tuberkulöse Individuen gesunde und gut gebildete Zähne haben können, die obendrein noch zur rechten Zeit und in gesetz- mäßiger Reihenfolge zum Durchbruch gekommen sind. Hingegen gewinnt dadurch die Anschauung derjenigen Autoren an Wahr- scheinlichkeit, welche behaupten, dab jede schwere Erkrankung

428 Weigert, Zahnkrankheiten und Krankheiten

gelegentlich eine Schädigung sowohl der noch in der Entwicklung befindlichen als auch der schon zum Durchbruch gekommenen Zähne hervorrufen könne.!V) Es ist bekannt, daß die Zähne im Anschluß an akute schwere Erkrankungen häufig ganz rapid zu- grunde gehen. Ja, diese Tatsache hat zu der irrigen Anschan- ung geführt, daß die während der Krankheit von dem Patienten konsumierten Medikamente die Schuld an dem Verfall des Ge- bisses tragen. Im Anschluß hieran möchte ich sogleich darauf hinweisen, daß auch der schädigende Einfluß, den gewisse Nah- rungs- und Genußmittel auf die Zähne haben sollen, durch nichts erwiesen ist. Ich brauche nur aufmerksam zu machen auf die in dieser Richtung so sehr gefürchteten Süßigkeiten. Obwohl die- selben von den Kindern der besser Situierten in weit größerer Menge genommen werden als von denen der Arbeiterklasse, so sind doch die Zähne bei diesen durchschnittlich schlechter als bei jenen. Hierauf komme ich später noch einmal zurück.*)

Wenig Berücksichtigung bei der Beurteilung dieser Fragen fand bisher die Heredität und doch ist, wie die Erfahrung lehrt, die größere oder geringere Widerstandskraft der Zähne von Ein- flüssen der Erblichkeit in hohem Maße abhängig. Wer gewohn- heitsmäßig bei der Untersuchung von Kindern mit schlechten Zähnen sich auch über den Status der Zähne der Eltern orien- tiert, wird dies bald bestätigt finden.

Wenn ich nunmehr dazu übergehe, den Einfluß von Rachi- tis, Lues, Skrofulose und Tuberkulose anf Zaraung und Zahn- krankheiten zu besprechen, so geschieht dies lediglich referierend. Denn aus dem eben Gesagten geht hervor, daß die meisten Zahn- anomalien nicht Eigentümlichkeit einer speziellen, sondern wahr- scheinlich die Folgen jeder schweren Krankheit sein können, oder unabhängig davon durch Einflüsse der Vererbung bedingt sind.

Am wenigsten bestritten ist wohl der Einfluß der englischen Krankheit 1!) auf die \Vachstumsgeschwindigkeit der \Vecheel- zähne; der verspätete Beginn der Zahnung, die langen Pausen zwischen dem Durchbruch der einzelnen Zahngruppen, das Ab- weichen von der gesetzmäßigen Reihenfolge des Durchbrechens einzelner Gruppen, das Erscheinen einzelner Zähne an Stelle von Zahnpaaren wird fast einstimmig dem Einfluß der Rachitis

*i Auch die Annahme, daß die wasserunlöslichken Kohlenhydrate besonders gefährlich seien, ist bisher nicht sicher gestellt; denn sie werden nach der Invertierung vom Speichel gutund schnell gelöst, und ebenso schnell aus dem Munde weiter transportiert, wie die auch im Wasser löslichen Kohlenhydrate. Überdies ist beispielsweise die Bevöl- kerung von Osterreich, zu deren täglichen Nahrungsmitteln auch süße

Mehlspeisen gehören, durchaus nicht durch einen frühen Untergang ihrer Zähne gekennzeichnet.

der Zähne im Säuglingsalter. 429

zugeschrieben. Nach einzelnen Autoren gehören hierher auch Hypoplasien der Schneidezähne und Anomalien der Form: z. B. gezackte oder halbmondförmige Schneiden, ferner die sogenannten Erosionen, das heißt punkt-, dellen- oder strichförmige Verdünn- nungen des Schmelzes. Sehr bestritten wird, daß die Rachitis eine größere Weichheit und Brüchigkeit, eine gelbe, braune oder grünliche Verfärbung und schließlich Caries der Milchzähne be- dingen könne.

Dagegen ist natürlich von Bedeutung die durch die Rachi- tis veranlaßte Mißbildung der Kiefer, die wiederum, besonders für die bleibenden Zähne, ‘Anomalien der Zahnstellung im Ge- folge hat.

In gleicher Weise wie die Rachitis wird auch die hereditäre Lues für das Zustandekommen zahlreicher Zahnanomalien in An- spruch genommen. Diese Anomalien sollen in gleicher Weise die Stellung, die Form, die Größe sowie die Haltbarkeit sowohl der ersten wie der bleibenden Zähne betreffen. Auch die Verzögerung der Zahnentwicklung und damit der verspätete Durchbruch der Milch- zähne wird speziell von französischen Autoren von der Lues ab- hängig gemacht. Mikrodontie, Makrodontie, Erosionen, Karies im allgemeinen und speziell zirkuläre Karies der Schneidezähne können nach Fournier!?) auch durch Lues hervorgerufen sein.

Dieser Autor hat es fertig gebracht, fast sämtliche Anomalien der Zahnentwicklung, der Zahnstellung und des Zahnkörpers selbst als Folgen der Lues zu beschreiben und behauptet, man könne auch umgekehrt von ihnen auf das Bestehen einer Lues zurück- schließen. Dabei gibt Fournier selbst zu, daß alle diese Anoma- lien auch unabhängig von dem Einfluß der hereditären Ines sich finden können.

Hier sei noch erwähnt, daß ein andrer französischer Autor, Magitöt,?2) die Ursache der Zahnerosionen in den Krämpfen sieht, die ja ein sehr hi iufiges Ereignis in der Pathologie des Näuglings darstellen.

agıtöt nimmt an, daß die Krämpfe eine schwere Schädigung der Entwicklung des noch im Kiefer befindlichen Zahnes darstellen, die sich in einer Hypoplasie des Dentins, also nach dem Durebbruch als Erosion kundgibt. Magitöt will sogar aus den Erosionen der Zähne rückwärts darauf schließen können, daß das betretlende Individuum Krämpfe durchgemacht haben müsse und geht so weit zu sagen. man könne aus dem Nitze der Erosionen rückschließen auf den Zeitpunkt, in dem der Krampfanfall stattgefunden habe.

Wenn wir prüfen wollen, wieweit wir nun der Lues über- haupt einen Einfluß auf das Zustandekommen von Zahnanomalien zugestehen dürfen, so zeigt uns die Durchsicht der deutschen Literatur, daß dieser Einfluß bei uns sehr gering eingeschätzt wird. Hochsinger,!?) einer der besten Kenner der Erbsvphilis, bestreitet ihn überhaupt. Neumann?) hält nur noch an gewissen

Be DE ER SE A ER E A ‚-tTiriersnz-n Ger Li- enier Zazie Set. ale urter dem Nazen jer Hır Lirsarscsen Zaire tbezirn? sizi

Ba ia 23 06 bezei brend 23: fast ae Astıren eine ard-re De Zaidi Tır 2i Ertiiinsonsten Zare azz-ben. Naraı Neu- maLo Lriet ših disse Micriiieg an ièn zitieren eb-ren Irei-ivi. Die S-hreiie derselben zeizt eine s+iihte halbxinimrmize

„erziefung. waLr-ni ibre Exen abzerari

sorer jat verwtiäert, Die ?=:ien Zanne sind gleichzeitig etwas vıneinaLier abgeruext. divergieren uni

Achae gedren?.

An den MilchzaLnen sil nach Neumann eine von der ih neidefäche ausgehende Karies mit der er-r.ien Syybilis min- d-etens Lande in Verhindenz Steben.

M. H.: Ene wir nunmehr dazu ūterg-hen. die Beirutung d-r Szrstn,ose und TInberkulose für die Patkoiogie der kindlichen Zanne zu besprechen. wird es erivrder.ich sein festzulezen. was wir nnter Skrofulose verst-hen. In der medizinischen Literatur finden wir zwei Gruppen von Autoren: die einen haiten die Szrotmlose für eine besondere Form der Tuterku.vse, indem sie als Ursache der Ati-ktion den Tuoberkelbaziilus ansehen. die an- deren lengnen den tnberknlösen Charakter dieser Krankheit. Der letzteren Ansicht schiisten auch wir uns an und verstehen in den folgenden Ausführungen unter Skrotulose die sogen. nicht- tuberkulöse Form der Skrotulose, die in der Hauptsache durch eine gewisse Neirung zu Erkrankungen der Haut und der Schleim- hante klinisch gekennzeichnet ist. Prof. Czernyv!? hat dieser Form, um die durch die dualistischen Anschauungen bedingte Ver- wirrung zu beseitigen, einen besonderen Namen, „exsudative Dia- these” gegeben.

M. H.!: Die Verbreitung der früher als Skrotulose bezeich- neten exsudativen Diatliese ist eine ungeabnt grobe. Zu dem klinischen Bilde derselben gehören auch gewisse Veränderungen an den Frontalzähnen des Milchgebisses und der bleibenden Zähne. Sie äntbern sich in der sogen. zirkulären. bräunlichen. grünen oder graugrünen Vertärbung der Schneide- und der Eckzähne, die im weiteren Verlauf der Affektion zur zirkulären Karies und schließlich zur völligen Zerstörung der betrottenen Zähne führt. Auch die Verbreitung der zirkulären Karies der Zähne ist un- erhört groß, und wäre diese Affektion, wie von vielen Seiten an- genommen wird, ein Symptom der erfolgten Intektion mit Tuber- kulose, so müßten wir der Zukunft der heranwachsenden Gene- ration ein fürchterliches Prognostikon stellen.

Um Ihnen einizermaben einen Anhalt für die Verbreitung der zirkulären Karies der Zähne zu geben, habe ich an vier aut- einanderfolgenden Tagen die die Poliklinik der hiesigen Königl.

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der Zähne im Säuglingsalter. 431

x ander-Klinik besuchenden Kinder auf Karies der Frontalzähne ze tersucht. Umfangreichere Untersuchungen zu machen war bei ges Kürze der mir zur Verfügung stehenden Zeit nicht mehr m>elicb. Es fanden sich also unter 46 Kindern, die überhaupt 7: lne hatten, 19 Fälle mit beginnender oder ausgesprochener zwknlärer Karies, d. h. 41,1 Proz. oder nahezu die Hälfte der mw Untersuchung gekommenen Kinder. Es ist ohne weiteres klar, wie traurig es bestellt wäre, wenn mit diesem Symptom auch nur der Verdacht auf eine tuberkulöse Infektion verknüpft wäre. Dem ist aber nicht so. Von den 19 Kindern mit zir- kulärer Karies wies keines einen tuberkulösen Prozeß auf, keines rechtfertigte durch hereditäre Belastung oder eignen Organbefund dem Verdacht einer Tuberkulose. Zufälligerweise befanden sich unter den 27 restierenden Kindern 3, bei denen die Diagnose Tuberkulose sicher oder sehr wahrscheinlich war (1 Peritonitis tuberculosa, 2mal verdächtiger Lungenstatus ohne Bazillenbefund). Keines dieser Kinder hatte zirkuläre Karies, dagegen hatten alle ihre Zähne im ganzen einen etwas gelblichen Farbenton. Hier- mit soll nicht gesagt sein, daß sich bei tuberkulösen Individuen nicht auch zirkuläre Karies gelegentlich finden kann, aber der Satz ist keinesfalls so anwendbar, daß zirkuläre Karies den Verdacht anf Tuberkulose rechtfertigt.

Meine Herren! Meine Zahlen sind viel zu klein, die Beobach- tnngszeit ist bei weitem zu kurz, um beanspruchen zu können, für sich allein eine maßgebende Bedeutung zu haben. Ich würde es überhaupt für unzulässig gehalten haben diese Zahlen Ihnen vorzutragen, wenn das Ergebnis dieser kleinen Statistik nicht das bestätigen würde, was auf Grund einer fast 10 jährigen Beobachtungszeit an der hiesigen Kinder-Klinik an großem Ma- feriale die übereinstimmende Anschauung aller Untersucher ge- worden ist.

Ich bin leider auch nicht in der Lage Ihnen diese Verhältnisse an den Zahlen anderer Bearbeiter !%) dieser Frage zu beweisen, da bei ihnen Skrofulose und Tuberkulose nicht auseinander ge- halten werden. Wie wesentlich dieses Moment ist, können Sie aber darans ersehen, daß meine 19 Fälle fast sämtlich neben der zirkulären Karies noch andere Symptome der nichttuberkulösen Form der Skrofulose aufwiesen, keiner aber, wie schon erwähnt, ein Zeichen von Tuberkulose zeigte.

Der Prozentsatz der zirkulären Karies in ihren verschiedenen Entwicklungsstadien gestaltet sich übrigens anders bei den Kindern d-s Pro letariats, d. i. bei dem Material der Poliklinik und bei

d-n Kisadern der besser situierten Volksklassen. Die Karies ist bzi den letzteren ungleich viel seltener. Dieses wird jedoch nicht dadurch bedingt, daß die nichttuberkulöse Form der Skrotulose

in dog ann eren nis 2m elni wer Ver riin Dir dr ER oe er Wis L-T,

Diza Er 2-izıer iso w-ir ritsz irn azi (de zy-nnz:r= Moreii ä-r L-s-r EN E iriem. Wi- fnr vun eraan., wanrath-jizii a iale aibwsre Kraraiiit Eia karmen karb ai di= Erzricız nei -n Verlaat d-r Lri..areu Karisa, Sis 23% ikr-n ferr-ren Grozi in der beasëren M r4; 8-ze der Kird-r der b-ser Sisieren Dinh Mairi Zere

ksun man. das w-rien Si- mir t-vātizen koıc-n einen Zabn- beaz besitzen und eire zirkär- Kares zom Stiiisari brizgen. Daa serztere geingt auch ånr-h eine zieikewuite Alz-reintehsoh- lasg der kiri-r. die an d-r -ozen. exsnudativen Disties- l-id-n.

Während demnach zum Svirrtemeckoıt.-ı d-r exstjiativen Diath- u. a. anth ein- ebaraki-ritixte Form eicer Zabnam- s.a.je treten kann. k-nt-n wir bisher keir-n B-tiori an den Zahnen, der tür die Tab-rkuis-- typisch wäre cd-r den Verdacht einer tuherkniösen Ius-ktion rerttzertiz-n könnte.

M-ine Herren! Esbi-ibt mir nunm-tr noch eice wichtige Frage zu erörtern. das ist die Beientung d-r Zalnkaries als Ursache srtiicher und alig-meiu-r Inf-ktivu-n. Das schlechte Zäbne der Turmmelplatz für pathogene Bakterien aller Art sind. steht test!” Zam Zustandekommen von Intektivonen gehört aber b=kanntlich hr als das Vorhandensein der Krankheitserreser. Die Frage. ob Individuen mit schiechten und guten Zähnen hei gleicher Įm- manitát sich verschieden verhalt-n. ist daher natürlich schwer zu entscheiden,

Dank der Untersuchungen von Partsch!“: sind wir dagegen in der Lage. mit Sicherheit auszusprechen. dat eine Infektion der Halslymphdrüs-n durch den Zahn hindurch erst dann ertulzen kann, wenn die Karies bis zur Pulpa vorgedrungen ist, so dab nach deren Zerfall eine Überwanderung der Intektivn auf die Wurzelhant stattfinden kann. Das hat seine besondere Wichtigkeit für die tuberkulöse Infektion von Halsdrüsen durch einen kari- ösen Zahn. Diese mut nach dem Vorausgeschickten eine Rarität rein. Partsch hat das im Vorjahre bei der Publikation eines vereinzelten Falles von tuberkulöser Periodontitis aufs neue her- vorgehoben.!®)

Wenn demnach die kariösen Zähne als direkte Eingangs- pforte für Infektionskeiine nicht allzusehr zu fürchten sind, so können sie doch indirekt durch Verletzungen der Mundschleimhaut in dieser Richtung gefährlich werden. =°)

Meine Herren! Diese Tatsache führt mich nunmehr zum Schluß zu der Frage der Konservierung des Milchgebisses. Ich glaube. daß ich mich in diesem Kreise damit kurz fassen kann. Die Gründe, die die Konservierung des Milchgebisses fordern

der Zähne im Säuglingsalter. 433

gegenüber der früheren Vernachlässigung oder rücksichtslosen Extraktion der Wechselzähne, haben heute wohl allgemeine Aner- kennung gefunden. Ich begnüge mich daher, sie aufzuzählen, indem ich diejenigen Gesichtspunkte außer acht lasse, die auch für die Frage der Konservierung der bleibenden Zähne in Betracht kommen.

Zunächst ist darauf hinzuweisen, daß die kindlichen Kiefer weitgehenden Formveränderungen schon durch das physiologische Wachstum unterworfen sind, und daß das Zustandekommen der normalen Form in weitem Maße abhängig ist von der Intaktheit des Milchgebisses. Schlecht gebildete Kiefer aber führen zu Stellungsanomalien der bleibenden Zähne. Wichtig ist die von Treuenfels?!) gefundene Tatsache, daß der Durchbruch des bleibenden Zahnes abhängig ist von der Intaktheit der Pulpa des zugehörigen Milchzahnes, da Entzündungen der Pulpa die Wurzel- baut und das aus dieser hervorgehende Resorptionsgewebe schädigen. Auf die Möglichkeit, daß kariöse Zähne direkt und indirekt durch Verletzung der benachbarten Schleimhäute zu Infektionen führen können, habe ich schon hingewiesen. Schließlich muß es unser Ziel sein, darauf zu halten, daß der durchbrechende bleibende Zahn als Nachbar nicht einen kariösen Zahn des Milchgebisses vorfindet und von diesem sogleich infizjert wird.

Meine Herren! Wir Pädiater verhehlen uns nicht, daß die Konservierung eines Milchgebisses eine schwierige Operation ist. Wir wissen, daß der Verkehr mit Kindern, die wiederholt event. schmerzhafte Manipulationen über sich ergehen lassen sollen, außerordentlich mühevoll ist; wir wissen aber auch, daß wir das Kunststück schließlich doch erlernen. Es hängt das ab von dem Temperament und der Geschicklichkeit des Arztes und in weitem Mate von der Erziehung des Kindes. So groß die Schwierig- keiten aber auch sein mögen, sie missen überwunden werden zur Erfüllung einer Forderung, die so gut begründet ist wie die der Konservierung des Milchgebisses.

Literatur.

l. Kassowitz, Vorlesungen über Kinderkrankheiten im Alter der Zahnung. Wien und Leipzig 1592. S. 5. 2. Trumpp, Ratschiärre zur Ernährung und Ptlege der Kinder im ersten Lebensjahr. Berlin. 3. Kassowitz, L e 4. Czerny. A. und Keller, A., Des Kindes Ernährung, Ernährungsstörung und Ernährungstherapie. Deu- ticke, Leipzig und Wien 1901. L Abteilung. S. 41.) 5. Kasso- witz l.c 8.13. 6. Thiemich, Convulsions chez les Nourissons. Rothschilds Revue 1903. T. II. No. 4. 7. Thiemich, Über Tetanie und tetanoide Zustände im ersten Kindesalter. (Jahrbuch für Kinder- heilkunde 51. Heft 1 und 2. 5. 00.) S. Ritter, Berliner klinische Wochenschrift 10104. S. 257. 9. Westenhöffer, Über die Wege

XXIII. >

434 Wolfes, Die Chemie unserer Anästhetika.

der tuberknulösen Infektion im kindlichen Körper. Vortrag, gehalten am 16. 11. (4 in der Berliner medizinischen Gesellschaft, siehe auch die anschließende Diskussion. Berliner klinische Wochenschrift 19% 4. S. 153. 10. Hochsinger, Studien über die hereditäre Syphilis. ‘Deuticke, Leipzig und Wien 1898.. S. 62. 11. Stöltzner, Wilhelm, Pathologie und Therapie der Rachitis. (Berlin, S. Karger, 1904.) 12. Fournier, Vorlesungen über Syphilis hereditaria tarda. (Deuticke, Leipzig und Wien 1804.» 13. Hochsinger. l. ce. 14. Neumann, "ber die Beziehungen der Krankheiten des Kindesalters zu den Zahn- krankheiten. (Volkmannsche Sammlung klinischer Vorträge 1847, Nr. 172.: 15. Czerny., A., Ein Vorschlag zur Abgrenzung des Be- griffes Skrophulose. (Zeitschrift für Tuberkulose und Heilstättenwesen. Bd. I. H. 3, 1901.) Derselbe, Die exsudative Diathese. {Jahrbuch für Kinderheilkunde. Bd. 61, S. 199.) 16. Meyer, Oswald, Uber den Zusammenhang zirkulärer Karies und zirkulären festhaltenden jelages am Zahnhalse mit Allgemeinkrankheiten des Kindesalters. (Jahrbuch für Kinderheilkunde 1904. Bd. 60, S. 34., 17. Kronfeld, Die Zähne des Kindes. (Leipzig 1903.) 15. Partsch, Erkrankungen der Zähne und Lymphdrüsen 1599. 19. Partsch, Die Zähne als Eingangspforte der Tuberkulose. (Deutsche medizinische Wochenschrift 1994. S. 1425) 20. Ullmann, Joseph, Uber die Beziehungen karıöser Zähne zu Schwellungen der submaxillaren Drüsen bei Kindern. (Inaug.-Diss. Breslau 1902.) 21. Treuenfels, Paul, Mikroskopische Untersuchungen über die Resorption der Milchzähne. (Deutsche Monats- schrift für Zahnheilkunde. XIX. 1901. Maiheft.) 22. Magitöt zitiert nach Fournier, l. c. S. 68.

[Nachdruck verboten.) Die Chemie unserer Anästhetika.’)

| Von Zahnarzt Dr. phil. Ludwig Wolfes.

Meine Herren! Die Anästhetika unseres Arzneischatzes sind diejenigen Mittel, welche allgemein oder örtlich die Empfindung und hiermit das Schmerzgefühl aufleben. Bei der Allgemein- wirkung beeinflussen sie das Zentralnervensystem, wodurch neben dem Schmerzgefühl das Bewußtsein schwindet, während die ört- lich wirkenden Mittel an der betreffenden Stelle und allernächsten Umgebung die normale Leitung innerhalb der Nervenbahnen unter- brechen und so die Schmerzemptindung wesentlich, oft bis zur Schmerzlosigkeit herabsetzen können.

Schon im grauen Altertum war man bestrebt, chirurgische Operationen schmerzlos auszuführen, und bedienten sich die alten

1) Vortrag, gehalten am 13. Februar 1905 auf der Versammlung der Breslauer zahnärztlichen Gesellschaft.

Wolfes, Die Chemie unserer Anästhetika. 435

Ägypter hauptsächlich des indischen Hanfs (Canabis indica) und des Opiums. Ein auch jetzt noch im Orient beliebtes Berausch- ungsmittel ist der Haschisch, der ebenfalls aus Canabis indica unter Zusatz von etwas Gummi und Zucker gewonnen und zum Essen oder Rauchen und Kauen verabreicht wird. Bis gegen Ende des 16. Jahrhunderts wurde die Alraunwurzel oft als be- täubendes Mittel angewandt.

Theodorich von Cervia, um die Mitte des 13. Jahr- hunderts, hatte sich viel mit der Anfertigung von Präparaten zum Zwecke der Analgesie beschäftigt, und er ist insofern bahn- brechend gewesen, als er als erster Anästhesie durch Einatmung von Dämpfen herbeiführte.

Doch erst der Nenzeit, dem 19. Jahrhundert, sollte es glücken, Schmerzlosigkeit in des Wortes weitester Bedeutung zu erzeugen, und zwar wurden alle auch noch heute gebräuchlichen Anästhetika in verhältnismäßig kurzen Zwischenräumen mit den verschiedensten Erfolgen entdeckt.

Inwieweit wir Zahnärzte, bei denen doch zweifelsohne die Allgemeinbetäubungen in den letzten Jahren zurückgegangen sind und auch weiterhin dank der neuesten Präparate aus der Neben- niere zurückgehen werden, zur Vornahme von Narkosen moralisch berechtigt sind, will ich hier nicht erörtern, da solches nicht in den Rahmen meines Vortrages gehört.

Ich wende mich zuerst dem Stickstoffoxydul zu, das zuerst 1776 von Priestley dargestellt wurde, dessen anästhesierende Eigenschaften aber von dem Chemiker Davy entdeckt wurden, der ihn ob seines durch Einatmung hervorgerufenen rauschartigen Zustandes, der in der Regel von angenehmen Halluzinationen und großer Fröhlichkeit begleitet ist, den Namen Lust- oder Lachgas gab. Den ersten Versuch machte 1844 der Zahnarzt Horace Wells zwecks einer Zahnoperation an sich selbst mit gutem Erfolge. Die Schwierigkeiten, die sich seinen Bemühungen, das Mittel einzuführen, entgegenstellten, erbitterten ihn derartig, daß er durch Selbstmord endete, ohne zu ahnen, daß einige Jahre später dieses Mittel Allgemeingut der Zahnärzte wurde.

Das Stickstoffoxydul oder Nitrogen monoxyd N.O, das einzige anorganische Produkt, das wir als Anästhetikum verwenden, ist ein farbloses, schwach und angenehm süßlich riechendes und schmeckendes Gas, welches schwerer als die atmosphärische Luft ist (spezifisches Gewicht 1,527). Unter einem Drucke von 30 Atmosphären verdichtet es sich bei 0% zu einer farblosen, leicht beweglichen Flüssigkeit, in welchem Zustande es in eisernen Flaschen in den Handel kommt. Jedes Gramm dieses verflüssigten Stickstoffoxyduls, das bei —85 bis 00" siedet und bei —99" schmilzt, gibt !., Liter Gas.

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436 Wolfes, Die Chemie unserer Anästhetika.

Beim Auflösen von Zn in verdünnter Salpetersäure ent- wickelt sich N2O, welches jedoch noch immer etwas Stickoxyd- gas NO enthält.

Zn, + 10 (HNO,) = 4Zn (NO,); + 5H,0 + N,0.

Rein erhält man es hingegen beim Erhitzen des salpeter- sauren Ammoniaks, das direkt in Wasser und Stickstoffoxydul zerlegt wird. NH, NO,=N,0 +2H,0. Das feste Salz schmilzt zunächst und zerfällt unter wallendem Sieden bei etwa 170". Da hierbei infolge der Wasserbildung Wärme frei wird, so kann die Zersetzung sich bis zu explosiver Heftigkeit steigern, wenn man nicht von Zeit zu Zeit die Hitze verringert, bis wieder ruhigere Gasentwicklung eingetreten ist.

Das entwickelte Gas muß noch, bevor es im Gasometer über Wasser von 40—50° aufgefangen wird, da kaltes H,O zu grobe Mengen davon absorbiert, durch drei miteinander verbundene Flaschen geleitet werden, von denen die erste schwefelsaures Eisenoxyd, die zweite Kalilauge und die dritte Kalkmilch enthält. Diese drei Flaschen halten Verunreinigungen mit anderen N-Ver- bindungen. wie Stickstoffoxyd, salpetrige Säure, Salpetersäure und Ammoniak zurück.

Taucht man in mit Stickstoffoxydul gefüllte Gefäße brennen- den P, eine glühende Kohle, ein glimmendes Hölzchen oder ein brennendes Kerzchen, so brennen diese Körper darin mit leb- hafterem Glanze als in der atmosphärischen Luft, da das Stick- stoffoxydul bei Glühhitze in seine Elementargase N und O zerfällt, und die Temperatur der eingeführten Flammen zu dieser Spaltung hoch genug ist. Bringt man hingegen eben entzündeten, schwach brennenden S in eine Stickstoffoxydul- Atmosphäre, so verlischt die Flamme sofort, da die Temperatur zur Zersetzung des Gases nicht hoch genug ist, unverändertes Stickstoffoxydulgas die Ver- brennung aber nicht zu unterhalten vermag.

Nach der ersten Narkose mittels Stickstoffoxydul vergingen nahezu 50 Jahre, bis der Chemiker Jackson an sich selbst die segensreiche anästhesierende Eigenschaft des Äthers entdeckte. Auch hier war es wie beim Stickstoffoxydul wiederum ein Zahnarzt, und zwar Morton, welcher als erster im Jahre 1846 die Extraktion eines Zahnes in der Äthernarkose schmerzlos ausführte. _

Ich selbst gebrauchte eben schon die Bezeichnung Ather. obgleich, streng wissenschaftlich, Äther ein Sammelname der Oxyde der Alkoholradikale, deren es eine große Anzahl gibt, ist. Genau genommen, müßte man AÄthvläther sagen, wie die noch zu beschreibende Darstellung ergibt, während die Bezeichnung Schwefeläther, Aether sulfuricus, insofern unsinnig ist, als keine

[re

Wolfes, Die Chemie unserer Anästhetika. 437

Spur S im Äthyläther vorhanden ist, hingegen zu seiner Dar- stellung S als Schwefelsäure verwandt wird.

Erbitzt man in einem Kolben ein Gemenge von 5 Teilen 80—90proz. Alkohol (Athylalkohol) mit 9 Teilen Schwefelsäure auf 140°, so bildet sich zunächst Äthylschwefelsäure.

C,H; -OH + H, S0, = S0; <0r?"5 + 130.

Läßt man weiterhin Alkohol zu dem Gemisch treten, das immer auf 140° gehalten werden muß, so entsteht Athyläther unter Rückbildung von Schwefelsäure ,

50, <002Hs + C,H, 0H > O-+H,S0..

Durch den mit dem Kolben verbundenen Kühler destilliert ein Gemenge von H,O, Ather und etwas Alkohol ab, das schweflige Säure mit sich führt. Letztere wird durch Schütteln des Destillats mit Sodalösung gebunden, dann die leichte Ätherschicht abgehoben und über Ätzkalk destilliert. Dies Destillat enthält aber noch Alkohol, von dem es durch Destillation über Natrium befreit wird, bis keine Wasserstoffentwicklung mehr stattfindet.

Man könnte somit bei diesem Verfahren eine unbegrenzte Menge Alkohol mit ein und derselben Menge Schwefelsäure in Äther umwandeln, wenn nicht durch das entstehende H,O die Schwefelsäure immer verdünnter würde und infolge sekundärer Reaktionen nach und nach eine Zersetzung der Schwefelsäure einträte.

Ein Wassergehalt des Äthers kann durch Schütteln mit Schwefelkohlenstoff CS, erkannt werden, indem alsdann eine Trübung auftritt.

Auf Alkohol prüft man durch Schütteln mit etwas Anilin- violett, wobei alkoholfreier Äther sich nicht färbt.

Der Äthyläther ist eine bewegliche Flüssigkeit von charak- teristischem Geruch mit dem spezifischen Gewicht 0,736 bei 0”. Wasserfreier Äther gefriert nicht bis —80°, Er siedet bei 35° und verdampft sehr rasch, schon bei mittlerer Temperatur. Er

ist sehr leicht entzündlich, brennt mit leuchtender Flamme, und seine Dämpfe, mit Luft gemengt, bilden ein explosives Gemenge. In ibm sind fast alle in Wasser unlöslichen Kohlenwasserstoffe, Fette und Harze löslich.

Ein Gemenge von 3 Teilen Alkohol mit 1 Teil Äther bildet die sogenannten Hoffmannschen Tropfen.

Beim Erhitzen mit H,O und H,SO, auf 180° wird aus dem thyläther wieder Athylalkohol gebildet.

Leitet man Ozon in wasserfreien Äther, so entsteht eine dicke

438 Wolfes, Die Chemie unserer Anästhetika.

beim Erhitzen explodierende, Flüssigkeit von der Zusammensetzung Cg3H,n0;, welche als ein Äthylhyperoxyd (C,H,),O, aufzufassen ist. Durch H,O wird es in Alkohol ‚und Wasserstoffsuperoxyd zerlegt.

Im Jahre 1847 wurden durch Tierexperimente die anästhe- sierenden Eigenschaften des Chloroforms, CHCI,, das 1831 ent- deckt worden war, nachgewiesen. Nach einer epochemachenden Arbeit von Simpson verbreitete sich das Chloroform mit riesen- hafter Geschwindigkeit über die ganze zivilisierte Welt, den Äther überall verdrängend. Dieser Siegeslauf hielt etwa 50 Jahre an, bis es in unserer Zeit von dem Äther in der Chirurgie und dem Bromäther in der Zahnheilkunde etwas zurückgedrängt wurde.

Das Chloroform Trichlormethan kann durch Chlorierung von Methan erhalten werden, in dem 3 H-Atome durch 3 ClI-Atome ersetzt werden. In der Praxis wird es durch Destillation eines Gemenges von Alkohol, Chlorkalk und Wasser dargestellt. Das mit H,O-Dämpfen übergehende Destillat wird durch Schütteln mit Schwefelsäure und nochmalige Destillation gereinigt.

Beim Erwärmen von Chloral CCl;,COH mit wässriger Kali- oder Natronlauge entsteht neben einem ameisensauren Salz das

Chloralchloroform, welches als besser und mindergefährlich gilt. als das gewöhnliche.

CC1,COH + KOH = CHC, + CHO + OK.

Das Chloroform ist eine farblose Flüssigkeit und besitzt einen ätherisch-süßlichen Geruch und brennenden Geschmack. Es siedet bei 61° und hat das spezifische Gewicht 1,526. Während es nur schwierig mit grünlicher Flamme brennt, verdunstet es bei ge- wöhnlicher Temperatur, ist unlöslich in Wasser, löslich in Äther und Alkohol. Es selbst löst alle Fette, Harze und Öle. Das Chloroform muß gut geschlossen in dunklen Flaschen aufbewahrt werden, weil es sich unter dem Einfluß von Licht und Sauerstofi zersetzt, indem unter anderen das giftige Phosgengas COU], ent- steht. Derartig zersetztes oder auch gefälschtes CHCl, kann bei seiner innerlichen Verabreichung selbst den Tod herbeiführen, weshalb man zur Prütung der Reinheit den Siedepunkt, aber ganz besonders die sogenannte Heppsche Geruchsprobe anwenden sollte. Letztere besteht darin, daß man ein Stück weißes Fließpapier in das zu untersuchende Chloroform taucht, welches man wieder an der Luft vollkommen verdunsten läßt. Bleibt gar kein Geruch an dem Papier zurück, so ist das Präparat rein, ist aber ein eigentümlicher, ranziger, kratzender Geruch vorhanden, so ist e8 entweder zersetzt oder enthält noch andere Chlorsubstitutions-

produkte. Auch darf reines Chlorotorm nicht durch konzentrierte H,SO, gefärbt werden.

Wolfes, Die Chemie unserer Anästhetika. 439

Das Äthylbromid C,H,Br wurde im Jahre 1827 dar- gestellt und etwa 20 Jahre später zum erstenmal als Anästhe- tzakum angewandt, ohne seinen Platz behaupten zu können. Erst irn den 80er Jahren sickerten günstigere Berichte durch, und da isst e3 neben anderen unser verstorbener Kollege Schneider in Erlangen, der das Bromäthyl zum Gemeingut aller Ärzte und bessonders der Zahnärzte gemacht hat.

Das Bromäthyl stellt eine klare, farblose, flüchtige Flüssig- keit dar, die ätherisch riecht, in H ‚0 unlöslich, in Weingeist, Ather, Chloroform leicht löslich ist. .Es siedet bei 39° und hat das spezifische Gewicht 1,45. Heute verlangt das deutsche Arznei- buch, daB es durch Destillation von Schwefelsäure, Weingeist und Kaliumbromid im Sandbade hergestellt werden soll. Die frühere Darstellung ans Phosphor, Brom und Alkohol durch Destillation hat das deutsche Arzneibuch untersagt, weil sich bei dem P häufig Schwefel- und Arsenverbindungen finden, die sehr unangenehme Nebenwirkungen haben.

Man hüte sich vor einer Verwechselung mit Bromäthylen, in welchen ein weiteres H-Atom durch Brom ersetzt ist, das sehr giftig ist, und schütze das Bromäthyl vor Licht und Lutt, aber besonders vor direkten Sonnenstrahlen, die es unter Ab- scheidung von Br und HBr zersetzen und für jede medizinische Verwendung unmöglich machen.

Nach einer Bromäthernarkose macht sich bei dem Patienten oft ein knoblauchartiger Geruch aus dem Munde bemerkbar, ohne daß soviel ich weiß der Nachweis der entstandenen Sub- stanz geführt worden wäre.

Wenn ich noch einmal auf den Äthyläther zurückkommen darf, so geschieht es, um ihn, obgleich heute wohl nur wenig im Gebrauch, als lokales Anästhetikum zu erwähnen, während ich bei der nun folgenden Betrachtung des Äthylehlorida gleichzeitig ein allgemeines und lokales Anästhetikum behandle.

Das Äthylchlorid C,H,Cl wurde zuerst im Jahre 1759 darch Einwirkung von Chlorschwefel auf Alkohol dargestellt, aber

erst das für die Narkotika so bedeutsame Jahr 1847 brachte

Mitt&ilungen darüber, daß der Salzäther, wie er damals genannt wurd, Bewußt- und Gefühllosigkeit hervorruft. Nach wenigen

\ersuchen verfiel er der Vergessenheit, zumal es schwierig war, ihn rein und gut zu erhalten, und der Preis enorm war.

Erst im Jahre 1890 erschien er als lokales Anästhetikum unter dem Namen Ätbylchlorid wieder auf der Bildfläche, um einige Jahre später auch als allgemeines Anästhetikum verwandt zu werden.

Das Chloräthyl, ein Substitutionsprodukt des Alkohols, in

dem das Hydroxyd durch Cl ersetzt ist, wird dargestellt, indem

440 Wolfes, Die Chemie unserer Anästhetika.

man Salzsäure in 95proz. Alkohol leitet. Es besitzt bei ein spezifisches Gewicht von 0,92, sein Gefrierpunkt liegt bei —142.5°, sein Siedepunkt bei 11°, weshalb er bei gewöhnlicher Temperatur gasförmig ist. Es ist in H,O wenig, in Alkohol leicht löslich. Bei 0" und einem Druck von 2 Atmosphären kann es leicht kondensiert werden und stellt alsdann eine farblose, leicht beweg- liche Flüssigkeit von zart ätherischem Geruch und brennend süßem Geschmack dar. Es ist sehr leicht entzündlich und verbrennt mit grüngesiumter Flamme, auch verbrennt es bei Anwesenheit einer offenen Flamme (eine brennende Zigarre genügt schon) während der Verdampfung in der Luft, ohne daß die Verbrennung sichtbar ist unter Bildung von Salzsäuregas. Dieses läßt sich sehr leicht nachweisen, indem man mit NH, gefüllte Schälchen aufstellt, über denen sich bei Gegenwart von HCl weiße Nebel, von der Bildung von Ammonikumchlorid herrührend, zeigen. Ein großer Raum, in dem bei Gegenwart einer offenen Flamme 15 g Athylchlorid verspritzt werden, kann derartig mit HCl-Gas ange- füllt werden, daß ein ferneres Verweilen in demselben zur Un- möglichkeit wird.

Dagegen besitzt Äthylchlorid keine explosiven Eigenschaften im wohltuenden Gegensatz zu dem Äthyläther.

Durch weitere Chlorierung des Äthylchlorids entsteht auch C,HCl,, der früher als Aether anaestheticus Anwendung fand.

Außerdem kommen noch ähnliche lokale Betäubungsmittel unter den verschiedensten Namen in den Handel, die Gemische von Äthylchlorid und Methylchlorid darstellen, welch letzteres bei 23" siedet, so daß der Siedepunkt des Gemisches zwischen 1 und schwankt, welch niedrigere Temperatur resp. gröterer Verdunstungskoeffizient eine größere Intensität und Kälte her- vorruft.

Wir kommen jetzt zu einer organischen Verbindung. welche außer CH und O auch noch N enthält. Es ist das Kokain C,-H,,NO,.das Alkaloid der Kokablätter (Erythroxylon coca), welche Pflanze in Peru und Bolivia heimisch ist. Die Peruaner be- trachteten sie als eine heilige Pflanze, die bei keiner Festlichkeit und keinem Opfer fehlen durfte. Die Blätter schmecken bitter- lich zusammenziehend und riechen fein ätherisch. Die Eingeborenen kauen die getrockneten Blätter von morgens bis abends und er- zielen dadurch eine Anästhesie der Gaumen- und Magenschleimhaut, die sie in den Stand setzt, mehrere Tage ohne Nahrung zu sein und gleichzeitig große Anstrengungen mit Leichtigkeit zu über- winden. Diese Tatsachen regten zu Versuchen an, die Koka- blätter auch in Europa zu verwerten, jedoch erzielte man nur negative Resultate da der Alkaloidgehalt der Blätter beim Lagern schnell abnimmt. Man stellt es deshalb seit 1857 in Lima dar,

Wolfes, Die Chemie unserer Aniüsthetika. 441

indem man die Blätter mit Petroleum und Soda behandelt und aıpreßt. Dann entzieht man das Alkaloid dem Petroleum durch Mineralsäuren, um es aus dieser sauren Verbindung wieder durch Alkali abzuschneiden.

Das reine Kokain bildet farblose Prismen, schmeckt bitter, ist in H,0 schwer, in Alkohol und Äther leicht löslich und schmilzt bei 98", Es ist nicht flüchtig und bildet meist kristallisierbare, in H,O und Alkohol, nicht in Äther lösliche Salze. Das arznei- lieh verwandte, salzsaure Kokain bildet farblose Kristalle, schmeckt bitterlich, ruft auf der Zunge ein stumpfes Gefühl hervor und ist in H,O, Alkohol und Chloroform leicht löslich, welche Lösungen sich außerordentlich leicht zersetzen.

Die Giftigkeit des Kokains ließ den menschlichen Geist nicht mhen, der darmach strebte, einen Ersatz für dasselbe zu finden. Und so sehen wir neben den verschiedensten Kokainverbindungen eine Anzahl von Medikamenten in die zahnärztliche Welt geworfen, die zum größten Teil nur noch dem Namen nach bekannt sind, während einige andere heute noch ihre Verteidiger haben. Auf die Chemie all dieser Körper näher einzugehen, würde zu weit führen, nicht interessant genug und bei einigen auch eine Unmög- lichkeit sein, da die Zusammensetzung derselben nicht angegeben wird. Solche nur durch Reklame bekannten Sachen würde ich auch sonst nicht in den Bereich meines Vortrages ziehen, noch weniger gebrauchen, da es eines wissenschaftlich gebildeten Zahn- arztes unwürdig ist, sich solcher Mittel zu bedienen.

Und so bleiben mir als letztes lokales Anästhetikum jene Präparate übrig, welche augenblicklich das größte Interesse bean- sprachen, nämlich die Nebennierenextrakte, die genau genommen, nicht anästhesierend, sondern anämisierend wirken und hierdurch lie toxische Wirkung des denselben beigemischten Kokains ver- mindern und die anästhesierende erhöhen. Ob dieselben nun Snprarenin, Suprarenal, Adrenalin, Paranephrin, Epinephrin oder sonstwie genannt sind, ist gleichgültig, alle sind identisch und

baben die chemische Zusammensetzung CH; 3 NO;.

Auch einige Handelspräparate sind weiter nichts als Gemische von einerseits Nebennierenextrakten mit andererseits Kokain oder Tropakokain oder Eukain usw. und sollten, soweit ihre Dosierung nicht bekannt ist, überhaupt nicht in den Arzneischatz eines Zahn- ’ztes aufgenommen werden.

Das erste und lange Zeit einzige Nebennierenpräparat kam aus Amerika unter dem Namen Adrenalin zu uns, das eine leicht fötliche kristallinische Substanz, in kaltem H,O schwer, in heil'em leicht löslich ist. Es bildet mit Säuren Salze, von denen das ‘alzsaure Adrenalin in den Handel gebracht wiri

Dann erfreuten uns die Höchster Farbwerke mit dem Supra-

442 Bünger. Meine Erfahrungen bei den ersten

renin, das sie in Verbindung mit Borsäure als das einzige wasser- lösliche Salz des Suprarenins bezeichnen und ihm eine unbegrenzte Haltbarkeit nachruhmen.

Diese beiden Präparate werden aus den Nebennieren durch Zusatz von Alkalien unlöslich gemacht und abgeschieden.

Dr. Ritsert gewinnt sein Paranephrin ohne Hilfe von Laugen oder Säuren, durch ein zum Patente angemeldetes Verfahren, durch welches eine weit geringere Giftigkeit und reizlusere Wirk- ung erzielt werden soll. Durch Zusatz seines ungiftigen Sub- kutins, des phenolsulfosauren Anästhesins, welches der Athylester der Paraaimidobenzoesäure ist, will er noch die anästhesierende Wirkung erhöhen.

Ich selbst wende seit 4 Monaten das Paranephrin an und muß Ritserts Versprechungen insoweit bestätigen, als ich keine Reizerscheinungen beobachtet habe.

Hotfentlich werden uns bald exakte Forschungen von dem Alp. der uns heute noch bei jeder Injektion einmal bezürlich der Intoxikationsgefahr, und dann bezüglich der Lebensfähigkeit der Pulpen bedrückt. befreien, so daß wir ein ganz zuverlässiges Mittel an der Hand haben, das uns in den Stand setzt, die Schrecken des zahnärztlichen Operationszimmers zu bannen.

[Nachdruck verboten.) Meine Erfahrungen bei den ersten 100 Injektionen mit den neuen Nebennierenpräparaten.') Von A. Bünger, Zahnarzt in Burg b. Magdeburg.

Meine Herren! Wenn ich es unternehme, heute vor Ihnen zu reden, so bewegt mich dazu nicht der Gedanke, Ihnen etwas besonders Neues zu bieten, sondern nochmals eine Diskussion über die neuen Injektionspräparate hervorzurufen.

Sie alle kennen die Präparate zur Genüge und haben oft genug darüber gelesen und gehört: ich will Ihnen nur meine Erfahrungen mitteilen, die ich bei meinen ersten 10 Injektionen gesammelt habe, und zwar s0 objektiv wie möglich. Meist habe ich natürlich die Ein- spritzungen zur schmerzlosen Extraktion angewendet, selten zur Dentin- betäubung oder aus einem anderen Grunde; denn ich bin wohl mit

1: Vortrag, gehalten am 9. April 1905 in der Gesellschaft der Zahnärzte Magdeburges und Umgegentd.

100 Injektionen mit den neuen Nebennierenpräparaten. 443

den meisten Kollegen der Ansicht, daß wir gerade in der nicht auf- gehobenen Empfindlichkeit der Zahnpulpa ein unschätzbares Diagnosti- kum dafür haben, ob wir bei Exkavationen in der Nähe der Pulpa arbeiten oder noch weit von ihr entfernt sind.

Was die Injektionsspritze anbetrifft, so benutze ich die seiner- wit von Prof. Port in Heidelberg empfohlene von Ash & Sons in Berlin, mit der ich sehr zufrieden bin. Sie befindet sich stets in einem eigentlich dazu gehörigen Desinfektionsglase, das eine nach folgendem Rezepte angefertigte Lösung enthält: Lysol. 5,0, Acid. phenyl. 5,0, Natr, carbon. 1,0, Aqu. destill. ad 100,0, eine Zusammenstellung, die vor allem der ganz aus Metall hergestellten Spritze nicht schaden kann. Vor jedesmaligem Gebrauch spritze ich 2—3mal kochendes Wasser hindurch, um zu verhüten, daß von der Desinfektionsflüssigkeit auch nur das geringste in den Organismus gerät.

Betreffs der Technik der Injektion möchte ich bemerken, daß ich vorher das Operationsfeld mit einem in Alcohol. absolut. getauchten Wattebäuschchen reinige, um zu vermeiden, daß durch die Kanüle Schleim oder kleinste Teilchen von Epithelschüppchen in die Injektions- wunde geraten und so irgendwelche Komplikationen hervorrufen können.

Ich habe bisher nur die Lokalanästhesie erstrebt und nicht

Leitungsanästhesie, und bin mit ersterer fast immer ausgekommen. Zu diesem Zwecke injiziere ich je einmal labial resp. buccal und pala- tinal; im Anfange spritzte ich bei mehrwurzeligen Zähnen, besonders oberen Molaren, buccal zweimal ein, bin jedoch nach dem Artikel von Dr. Braun im letzten Januarheft der Deutschen Monatsschrift für Zahn- heilkunde davon abgekommen, da ich außerdem auch selbst die Er- fahrung gemacht habe, daß ein Einstich genügt, ja zwei sogar oft die Wirkung abschwächen können, weil die Injektionsflüssigkeit bei dem arken Druck, der doch zum Finführen nötig ist, aus der ersten Injektionsstelle wieder heraustreten kann. Vor allen Dingen erreicht uan auch den gewünschten Zweck, wenn man nach der Vorschrift Dr. Brauns parallel mit dem Kiefer injiziert und nicht rechtwinklig. Ich warte dann. 3—10 Minuten oder länger, bis ich mich von der Wirkung des Mittels durch Stechen mit einem Exkavator oder einer Pinzette in die Gingiva überzeugt habe und annehmen kann, daß ge- nügende Anästhesie eingetreten ist; meist genügte hierzu 1 ccm, selten “ar mehr oder weniger nötig.

Als Injektionsflüssigkeit habe ich bisher die Präparate “on Dr. Ritsert und Dr. Braun benutzt, die ich in zugeschmolzenen ;terilisierten Glasphiolen bezog, weil ich diese Art der Dar- Pıchung für die sauberste und aseptischste halte.

Ich gehe nun über zur statistischen Kritik über die ersten lo Fälle, bei denen ich mich bemüht babe, möglichst genaue Kon-

444 Bünger, Meine Erfabrungen bei den ersten

trolle zu üben. Zu diesem Zwecke habe ich ebenso ein besondere: Buch angelegt, wie für die Allgemeinnarkosen. In den verschiedenen Kolonnen verzeichne ich zuerst die laufende Nr., dann den Namen und das Alter des betreffenden Patienten, hierauf folgen das Injektions datum, -Mittel und -Quantum, in der nächsten Kolonne ist die Warte-

zeit bis zur Ausführung der betreffenden Operation angegeben, dann kommt eine für das Schmerzgefühl und eine für die Blutung, in der letzten stehen Bemerkungen über die Operation, die näheren Umstände bei derselben und etwaige üble Folgen der Injektion. Ferner mub ith bemerken, daß ich in der Kolonne für Schmerzgefühl ein „schwerzlos“ nur dann verzeichnet habe, wenn tatsächlich absolute Schmerzlosigkeit vorhanden war. Sobald aber die Patienten sagten, sie hätten „so gut wie nichts“ gespürt, habe ich den Fall nicht zu den absolut schwerz- losen gezühlt, um nicht durch Selbstbetrug ein recht gutes, aber falsches Endresultat zu erlangen. Um ein Beispiel anzuführen, erwähne ich einen Fall, bei dem eine sehr ängstliche Frau bei der Extraktion aufschrie und sagte, sie hätte ziemlich großen Schmerz verspürt; als sie nach zwei Tagen zum Füllen wieder erschien, äußerte sie, sie hätte wohl mehr vor Schreck geschrien, eigentlich hätte sie gar keinen Schmerz gehabt. Ein anderer Fall: Einem Herm injiziere ich 2 cem Dr. Ritsertsche Lösung, um den ersten oberen Molaren rechts zu extrahieren; da die bestehende Periostitis sehr stark ist, warte ich 14 Minuten bis zur Extraktion und nehme den Zahn ohne Schmerz äußerung des Patienten heraus, nachdem ich mich durch Einstechen mit der Pinzette in die Gingiva von der eingetretenen Anästhesie überzeugt hatte. Sofort nach der Extraktion behauptet Patient, sie wäre äußerst schmerzhaft gewesen, kommt aber nach acht Tapen eigens noch einmal zu mir, es war ein Rittergutspächter von auswärts, nur um mir mitzuteilen, er hätte „eigentlich, wenn er gauz genau darüber nachtächte, nicht viel Schmerz verspürt, das Ansetzen der Zange aber gar nicht“. Natürlich habe ich trotz der Widerrufe der Patienten diese beiden Fülle als ungünstig registrieren müssen. Auch die üblen Folgen vermerke ich möglichst genau: ich habe die Patienten angewiesen, mir Bescheid zukommen zu lassen, sobald Blutungen, Odeme oder irgendwelche nachteiligen Folgen der Injektion auftreten sollten. '

Unter meinen ersten 100 Fällen nun waren 19 nicht absolut schmerzlos, 4 direkt ohne Erfolg und 77 schmerzlos: zu diesen letzteren gehörten auch S Fälle, in denen ich nicht extrahierte; und zwar injizierte ich viermal, um die fast unerträglichen Folgen von Arseneinlagen abzuschwächen (der Erfolg trat prompt ein), zweimal, um bei einigen Vorderzähnen einige, bekanntlich doch recht empfind- liche Halskavitäten für Porzellanfüllungen vorzubereiten, einmal bel

einem sehr nervösen Herrn, um bei einem oberen Eckzahne mit Ke

Tu y:

100 Injektionen mit den neuen Nebennierenpräparaten. 445

defekt die Pulpa zur Aufnahme einer Arseneinlage bloßzulegen und einmal endlich, um bei einer Patientin von auswärts, die nicht wieder- kommen konnte, die lebende Pulpa herauszubohren, was auch ganz vorzüglich vonstatten ging.

Was die nachteiligen Begleiterscheinungen resp. Folgen anbetrifit, so traten einigemale Ohnmachten ein und zwar schon vor oder während der Injektion, die also wohl kaum dem Kokain resp. Suprarenin zugeschrieben werden dürften; denn wie oft sehen wir bei ängstlichen oder schwächlichen Personen selbst tiefe Ohnmachten, noch bevor wir mit unseren Operationen beginnen; wollte man solche Fälle dem Injektionsmittel zur Last legen, so dürfte man keinen Anspruch darauf erheben für einen ohjektiven Beobachter gehalten zu werden. Anders war es bei einer 4hjährigen sehr nervösen Dame, die in der der Injektion folgenden Nacht Herzkrämpfe bekam, an denen sie früher häufiger gelitten hatte. Aber doch sagte sie bei ihrem nächsten Be- such, sie würde sich trotzdem nie wieder anders einen Zahn ziehen lassen, als mit Injektion. Von Ödemen sah resp. hörte ich einmal von einem ganz geringen, fünfmal von größeren, die meist von selbst zurückgingen. Da Ödeme aber häufig nach schwierigen Extraktionen vorkommen, so wäre es wohl nicht gerechtfertigt, meine beobachteten Fälle alle als durch Kokain resp. Suprarenin verursacht zn registrieren, wenigstens nach Extraktionen. Ein Fall, bei dem ich die Injektion zum Bloßlegen einer Pulpa anwandte, muß natürlich auf das Konto des Mittels geschrieben werden, denn in diesem Fall konnte es den Körper nicht verlassen, wie dies nach Extraktionen durch die Wunde geschehen kann.

Nachblutungen habe ich in drei Fällen beobachtet, in einem war sie sogar ziemlich hartnäckig nach leichter Extraktion mehrerer oberer Wurzeln. Im allgemeinen habe ich nur sechsmal eine normale Blutung gesehen, während sie sonst ganz gering war, in vielen Fällen aber so gut wie ganz fehlte. Einige Fülle von den normalen Blutungen waren offenbar durch die sehr schwammig entzündete Gingiva zu erklären. Die Kontraktion der Blutgefüße nach Adrenalin-Injektionen macht sich besonders bei sehr schwierigen Extraktionen recht ange- nehm bemerkbar, was ich besonders in einem Falle gleich im Anfang recht schätzen lernte. Es war bei einem Eisenbahnarbeiter, den mir der Bahnarzt zugesandt hatte. die tief sitzende vom Zahnfleisch über- wucherte Wurzel dex ersten oberen Bikuspis links zu extrahieren, für den Kenner gerade kein llochgenuß. Da von der Wurzel gar nichts zu sehen, wohl aber mit dem Exkavator zu fühlen war, daß sie tief kariös war, machte ich eine Injektion von 1 cem der Dr. Ritsert- schen Lösung. Nach 4 Minuten begann ich mit der Operation, zunächst mit negativem Erfolg; nach vier vergeblichen Versuchen bei ganz minimaler Blutung, so daß man fortgesetzt das Operationsfeld gut

446 Bünger, Meine Erfahrungen bei den ersten 100 Injektionen u.

kontrollieren konnte, gelang es mir schließlich beim fünftenmale, den letzten Rest der äußeren Spitze zu erwischen und zwar ohne den geringsten Schmerz von seiten des Patienten. Da ich diesen Erfolg beim fünften Falle meiner Injektionen hatte, können Sie sich denken, daß ich von da ab mit guter Zuversicht an die weiteren Injek- tionen ging.

Wenn ich nun ein kurzes Resumé geben soll, so mul ich mich zunächst zu den vier negativen Fällen wenden, bei denen die Patienten normalen Schmerz empfunden haben, resp. empfunden haben wollten. Zwei erwähnte ich vorher, bei denen mir die Patienten selbst nach- träglich sagten, „eigentlich“ hätten sie keinen richtigen Schmerz emp funden, und ich denke, man kann deshalb diese beiden Fälle ruhig den erwähnten 19 hinzuzählen, die wenig, aber doch etwas Schmerz verspürt haben. Die noch übrig bleibenden beiden Fälle allerdings müssen als negative Erfolge verzeichnet werden und sind wohl einer gewissen Idiosynkrasie gegen Kokain zuzuschreiben. Ich glaube zu dieser Annahme um so mehr berechtigt zu sein, als mir in dem einen Falle die Patientin erzählte, daß vor Jahren auch schon eine Kokam: injektion ihres Hausarztes ohne den geringsten Erfolg geblieben wäre. so daß sie bei der Operation alles gefühlt hätte. Diesen 4 Füllen stehen aber 77 direkt günstige und 19 ziemlich günstige gegenüber, so daß man wohl, wenn man bedenkt, daß ich erst seit ungefähr einem Vierteljahre die Injektions-Anästhesie anwende, sagen kann, daß m dieser Methode das schmerzlose Extrahieren der Zukunft liegt. Es haben deshalb auch die Vollnarkosen bei mir sehr abgenommen, und die alte Vereisungsmethode durch Äthylchlorid habe ich seit Einführ- ung der Nebennierenpräparate in meine Praxis überhaupt nicht mehr angewandt. Welches von den beiden von mir angewandten Mitteln das bessere ist, wage ich nicht zu entscheiden, halte sie vielmehr für gleichwertig in bezug auf den Erfolg, das billigere ist jedoch das von Dr. Braun.

Nach allem Gesagten kann ich jedenfalls die neue Injektions methode allen Kollegen aufs angelegentlichste empfehlen, da wır da- durch das so gefürchtete Zahnziehen zu einer milden, erträglichen Operation umgestalten und uns dadurch viele dankbare Patienten ver schaffen, auch wenn sie mal einen Tag nach der Injektion mit anet geschwollenen Backe herumlaufen müssen; vielleicht aber werden ın Zukunft die Adrenalinpräparate noch verbessert werden können, 80 daß auch die vereinzelt auftretenden üblen Folgeerscheinungen mehr und mehr verschwinden.

Sr, ` A en 2

eb "i

Bücherbesprechungen. 447

Bücherbesprechungen.

Lehrbuch des Füllens der Zähne mit kohäsivem Gold von E. C. W. Sandre. Dritte, vergrößerte Auflage. Verlag Berlinische Verlagsanstalt G. m. b. H. Berlin NW. 23.

Im Jahre 1902 erschienen von Sandre zwei Bücher, „Der auto-

matische Hammer“, und „Lehrbuch des Füllens der Zähne mit kohä- sivem Gold“ betitelt. Obgleich in keiner Weise Neues und Hervor- ragendes darin enthalten war, fand das zuletzt genannte doch schnellen Absatz. Was lag also näher, als beide in einen Band zu vereinigen und so zu versuchen, dem Buche vom automatischen Hammer den gleichen Absatz zu verschaffen, wie ihn das vom Goldfüllen hatte. So entstand die nun vorliegende dritte „vergrößerte“ Auflage. Eine Er- weiterung hat der Umfang noch dadurch erfahren, daß M. Schlenker eıne Abhandlung über „Das Füllen mit Adolf zur Neddens Kristall- gold“ für das Buch schrieb. ‚, Ein näheres Eingehen auf den Inhalt dürfte nicht nötig sein, und ich möchte nur auf die Besprechung in Band ?2 dieser Monatsschrift auf Seite 336 verweisen. Nur eins sei erwähnt, es kennzeichnet so gut den Standpunkt, von dem aus das Buch geschrieben ist, eins von den wenigen neuen Kapiteln der dritten Auflage trägt die Über- schrift: „Ist das Goldfüllen lukrativ?“ Jedes weitere Wort würde die Wirkung nur abschwächen. Dr. R. Parreidt (Leipzig).

Meyers Großes Konversations-Lexikon. Ein Nachschlagewerk des allgemeinen Wissens. Sechste gänzlich umgearbeitete und ver- mehrte Auflage. Mit mehr als 11000 Abbildungen im Text und auf über 1400 Bildertafeln, Karten und Plänen, sowie 130 Text- beilagen. 1.—4. Band, A bis Differenz. Leipzig und Wien. Biblio-

graphisches Institut 1903.

Das große Nachschlagewerk beansprucht nicht nurallgemeine Wert- schätzung. sondern auch eine Besprechung vom Standpunkte der speziel- len Wissenschaftsrichtungen aus. Rühmen sich doch Herausgeber und Redaktion, daß sie unablässig bemüht gewesen sind, den Inhalt des Lexi- kons „auch gegen die schärfsten Waften der wissenschaftlichen Kritik hieb- und stichfest zu machen“. Andererseits finden wir zum Nachschlagen man- ches zu empfehlen aus den kollateralen Wissenschatten, weil im Lexi- kon kurz erklärt ist, was der Praktiker wissen muß, was er aber bei den raschen Fortschritten der Forschung doch nicht immer Zeit findet, in “pezialwerken eingehend zu studieren. In diesem Sinne sei hingewiesen auf folgende Artikel in den ersten 4 Bänden: Abguß, Absonderung, Absorption, Abszeß, Adenoide Vegetation, Adhäsion, Adsorption, Agur- dgar, Akklimatisation. Akromegalie, Aktinomykose. Hier wird mit- xeteilt, daß beim Rinde das Jod ala spezitisches Heilmittel dient (Jod- tuktur in die Krankheitsherde eingeführt und zugleich Jodkalium

'ünerlichi; beim Menschen jedoch muß die Behandlung chirurgisch ın. Bezüglich der Literatur ist nur Ponfick genannt. Andere erwäh- senswerte Artikel sind: Aluminium, Ammonsches Gesetz, Anästhesie, Anlage, Antiseptische Mittel, Arbeit, Arsenige Säure, Arzneimittel, Arzt, Arztekammern, Asbest, Asepsis, Aseptol, Atavismus, Athyläther, Attylbromid, Atmung, Atomismus, Bazillus, Bakterien, Bakteriologie,

448 Kleine Mitteilungen.

Betäubende Mittel, Blutbewegung, Blutgefäße, Blutung, Bohrmaschine, Borax. Chemotaxis, Chirurgie, Chloroform, Chlorsaures Kali. Darwinis- mus, Deszendenztheorie u. v. a.

Adreßbuch der Zahnärzte und Zahnkünstler des In- und Aus- landes 1905. Berlin, Verlag der Zahntechnischen Reform.

Diese neue, von der Firma Victor Pappenheim & Co. herausge- ebene und ihren Kunden dedizierte Auflage (sonst Preis 5 Mark) enthält die Adressen der Zahnärzte und der Zahnkünstler fast aller Städte Euro- pas. Die Städte des Deutschen Reiches sind in alphabetischer Reihenfolge, ohne Rücksicht auf die Einzelstaaten und Provinzen aufgeführt, was ıch für zweckmäßig und übersichtlich halte; es wird dabei ein besonderes Städteverzeichnis überflüssig. Aber nicht überflüssig wäre ein Perso- nalregister gewesen. Man kann jetzt wohl finden, welche Zahnärzte in einer beliebigen Stadt wohnen, aber man kann nicht ermitteln, in welcher Stadt ein beliebiger Zahnarzt wohnt. Ein solches Verzeichnis ist eigentlich unerläßlich. .

Nach dem Deutschen Reiche folgen die Städte Österreich-Ungarns, dann kommen, durch Inserate getrennt, die übrigen Länder Europas. von „Belgien“ bis „Türkei“. In diesem letzten Teile ist bei vielen Namen ein Stern beigedruckt, ohne daß ich einen Hinweis auf dessen Bedeutung gefunden hätte. Am Schlusse des Buches finden sich wie- der Inserate.

Was die Genauigkeit der Adressen betrifft, so bleibt noch viel zu wünschen. Zwar ist völlige Genauigkeit in einem derartigen Ver- zeichnis unmöglich, aber an manchen Stellen vermisse ich das Mögliche. Soll das Buch seinen Zweck ganz erfüllen, so muß es mit jedem Jahre genauer werden. Jeder, der es benutzt, sollte mit zur Erreichung die- ses Zieles beitraven, indem er die ihm nötig scheinenden Korrekturen an die Herausgeber-Firma schickt. Für eine künftige Auflage empfehle ich Kolumnentitel, damit man gleich sehen kann. ob man im Gebiet des Deutschen Reiches oder Osterreich-Ungarns,. der Türkei oder Ruß- lands blättert. Jul. Parreidt,

Kleine Mitteilungen.

Infektion durch eine Zahnoperation mit tödlichem Aus- gange. Ein Zahnarzt in Madrid versuchte die Wurzeln eines Mahl- zahnes mit der Kreissäge zu trennen und verletzte die Zunge dabei. Da eine heftige Blutung folgte, war der Dentist bemüht, sie zu stillen. Wahrscheinlich hat er dabei unreine Instrumente benutzt. Zwei Tage nach der Operation starb der Patient an Septikänne. (Aguilar im Dent. Cosm., März 1905, 8. 353.)

Universitätsnachrichten. Das k. k. Ministerium für Kultus und Unterricht hat auf Antrag des medizinischen Professoren-Kollegiums in Wien durch Dekret vom 15. Mai 1905 dem k. k. Universitäts- rotessor Dr. Josef Ritter von Metnitz den Lehrauftrag erteilt, ah über Zahnheilkunde mit Benutzung des demselben an der „Allremeinen Poliklinik" zur Verfügung stehenden Krankenmaterials abzuhalten.

XXJII. Jahrgang. 8. Heft. August 1905.

Deutsche Monatsschrift

für

Zahnheilkunde.

[Nachdruck verboten.)

Die präventive Behandlung der Zähne.') Von W. D. Miller. (Mit 9 Abbildungen.)

Es ist eine Tatsache, die jedem praktischen Zahnarzte wohl bekannt ist, daß Operationen an den Zähnen zeitraubend, ver- hältnismäßig schwer und oft mit starken Schmerzen für den Patienten verbunden sind. Die Herstellung einer Füllung aus Gold oder selbst aus Amalgam auf der approximalen Fläche des Zahnes, einschließlich Vorbereitang der Höhle und Finieren der Füllung, nimmt mehr Zeit in Anspruch als die Amputation eines Beines oder eine Laparotomie, und wenn es sich um wurzelkranke Molaren handelt, brauchen wir oft vielmal mehr Zeit als der Chirurg für die eingreifendste Operation, von welcher das Leben des Patienten abhängt. Es ist daher vollkommen gerechtfertigt, wenn Versuche gemacht werden, um Methoden der Zahnbehandlung zu erfinden und einzuführen, welche die Neigung der Zähne zu Karies vermindern und die Behandlung der Karies, wenn diese einmal entstanden ist, vereinfachen sollen und derjenige ist der größte Wohltäter der Menschheit, welcher Mittel und Methoden erfindet, um den Segen der konservierenden Zahnheilkunde den Millionen von zalınleidenden, armen Menschen zugänglich zu machen, für die sie zurzeit ein unerreichbarer Luxus ist. Zu- nächst müßten unsere Bestrebungen als Zahnärzte dahin gerichtet sein, durch die verschiedenen hbyzienischen Maßnahmen, die zu

1) Vortrag, gehalten vor der British Dental Association und gleichzeitig in dem Journal derselben veröffentlicht.

XXIII. 29

450 Miller, Die präventive Behandlung der Zähne.

unserer Verfügung stehen, eine möglichst vollkommene Entwick- lung der Zähne herbeizuführen, da wir noch keinen Grund haben, von der Ansicht abzugehen, daß gut entwickelte, vollkommen verkalkte Zäbne weniger zu Karies geneigt sind als solche von entgegengesetzten Eigenschaften.

Fernerhin sind wir imstande, indem wir den physikalischen und chemischen Eigenschaften der Nahrung die gebührende Be- achtung schenken, und für die regelmäßige Ausführung einer gründlichen Zahnpflege seitens des Patienten selber sorgen, viel zu tun, um den Zerstörungen der Zahnkaries vorzubeugen.

Es ist aber nicht meine Absicht, auf diese Faktoren hier näher einzugehen, sondern ich möchte einige Versuche spezieller Art berücksichtigen, welche gemacht worden sind, um das Auf- treten der Zahnkaries und ihren Verlauf einzuschränken. Ich erwähne nur in diesem Zusammenhange die früher vielfach aus- geführten Separationen der Zähne mittels einer Separierfeile und die mehr systematisch ausgeführten V-förmigen Separationen, wie sie von Arthur empfohlen wurden. Diese Operationen haben heutzutage kaum mehr als ein historisches Interesse.

In letzter Zeit sind es besonders zwei verschiedene Methoden der sogenannten präventiven Zahnheilkunde, welche die Aufmerk- samkeit in Anspruch genommen haben, von denen die eine mecha- nische, die andere chemische Mittel zur Erreichung ihrer Zwecke ver- wendet. Die Hauptvertreter der ersten Methode sind Dr. Wright in Cineinnati und Dr. Smith in Philadelphia, der zweiten zurzeit Dr. Bryan in Basel.

Die erstgenannten Herren empfehlen eine intensive Reinigung und Massage der Zähne. Ihre Patienten müssen sich, wenn mög- lich zweimal, mindestens aber einmal, monatlich vorstellen, und es wird jeder Zahn einer gründlichen Reinigung unterworfen, jede Spur von Zahnstein entfernt und jede Zahnfläche mit Holz- spitzen und fein pulverisiertem Bimsstein gereinigt und poliert. Es kann ja kein Zweifel bestehen, daß eine so gründliche Reinig- ung der Zähne, so häufig wiederholt, viel dazu beitragen wird, um die Zähne und das Zahnfleisch in einem gesunden Zustande zu erhalten. Bethel (Dental Summary March 1905) hatte Ge- legenheit, in der Praxis von Dr. Smith eine große Zahl von Patienten zu untersuchen; er bestätigt, daß sie alle „prachtvoil reine Zähne, gesundes Zahnfleisch und gesunde Mundhöblen hatten und daß keine Spur des unangenehmen Geruches, der sich aus schlecht gepflegten Mundhöhlen bemerkbar macht, vorhanden war“. Es muß aber wohl angenommen werden, dal jeder Mensch, der bereit ist. seinen Zahnarzt ein- bis zweimal monatlich aufzusuchen und bei der Gelegenheit stundenlang sich der wenig angenehmen Operation einer Zahnreinigung zu unterwerfen, sicherlich auch zu

Miller, Die präventive Behandlung der Zähne. 451

Hause nach jeder Mahlzeit viel Zeit auf seine Zähne verwenden wird, und daß der schöne Zustand der Zähne ohne Zweifel zum Teil auf diese Tatsache zurückzuführen ist. Wir haben durchaus keinen Grund zu bezweifeln, daß die Schilderung Dr. Bethels den tatsächlichen Verhältnissen vollkommen entspricht, und darin stimmen unsere Ansichten jedenfalls überein, daß ein Zahnarzt, der seinen Patienten so viel Eifer für die Pflege ihrer Zähne einflößen kann, eine besondere Anerkennung verdient. Zweifels- ohne würde viel Gutes daraus entstehen, wenn wir alle mehr, als bisher der Fall gewesen ist, unsere Patienten in bezug auf die Notwendigkeit der regelmäßigen und konsequenten Zahnpflege und «ie Art und Weise, wie sie auszuführen ist, genauer unterrichten würden. Der von Smith geäußerte Gedanke, daß man, indem WX nan einen Zahn ein- oder zweimal monatlich mit einem Holz- =Stiftchen tüchtig massiert, eine erhöhte Aktivität der Zahnpulpa nd eine Verdichtung des Zahnbeins, des Zements und sogar des —chmelzes herbeiführen kann, ist kaum aufrecht zu erhalten. Es \St sehr zweifelhaft, ob ein mechanischer oder chemischer Reiz auf die äußere Schmelzfläche irgendeinen Einfluß auf die Pulpa hat, oder imstande ist, irgendwelche Reaktion oder erhöhte Akti- vität dieses Organs herbeizuführen. Es ist jedem, der sich mit anszedehnten Studien über die Zähne unter verschiedenen Zuständen beschäftigt hat, wohl bekannt, daß Reize, die von außen auf die Zahnpulpa wirken, sich in der Bildung von sekundärem Zahnbein nnd in einer vermehrten Transparenz des Zahnbeines äußern. Wir finden jedoch, daß mit sehr seltenen Ausnahmen weder die Abnutzung der Schmelzhöcker noch die chemische Zerstörung des Schm elzes von irgendwelcher Reaktion seitens des Zahnbeines begleitet ist, bis die Zerstörung des Schmelzes so weit vorge- schri &.ten ist, daß sie die Oberfläche des Zahnbeines erreicht oder sich ihr genähert hat. Wollen wir daher eine Verdichtung der harten Zahngewebe, insbesondere des Zahnbeins durch Massage der &ußeren Schmelzfläche hervorrufen, so müssen wir so lange reiben, bis wir einen ansehnlichen Teil des Schmelzes abgenutzt haben. was natürlich ebenso unpraktisch wie unerwünscht ist. Ferner ist die Massage eines Zahnes, wie sie durch Reibung der Oberfläche einmal monatlich mit einem Holzstiftchen ausgeführt wird, eine verschwindende Quantität im Vergleich zu der natür- lichen Massage, welcher der Zahn dreimal täglich durch das Kauen ausgesetzt ist. Der Einfluß, den wir imstande sind, auf die Ent wicklung der Zähne durch die physikalischen Eigenschaften der Naka rung auszuüben, entsteht nicht durch die Wirkung auf die Zah mpulpa durch die Krone des Zahnes hindurch, sondern durch d Æe Wurzelhaut und das weiche Gewebe um die Wurzel- spitze. —Die wiederholten zahlreichen Stößse oder Schläge, welche je

453 Moller, De präventive Benandiung der Zähne.

heim Kanen auf das Perizement ausgeübt werden, verursachen eine erhöhte Blutzufuhr und erhöhte vitale Reaktion der weichen Gewebe des Zahner. Es ist fernerhin für mich eine Frage. ob es ratsam ist, durch die zu energische Anwendung von Bims- stein dan Schmelzoberhäutchen wegzureiben, inbesondere an Stellen, welche zu Zahnkaries prädisponiert sind, da ich gefunden habe, dab die Zerstörung dieser Membran eine erhöhte Neigung des Zahnen zur Karies mit sich bringt.

Die Benutzung von chemischen Mitteln und insbesondere die Methode der Anwondung der Höllensteins bei der Behand- lung dor Zuhnknriorn, wie sie von Stebbens in dem Inter- national Dental Journal, Oktober 1891, empfohlen worden ist, wird wohl jedem praktischen Zahnarzt bekannt sein. Stebbens benchrinkte die Anwendung dieses Mittels auf solche Fälle, wo dis Kario bereits angefangen hatte, währen! Frank (Üsterr.- ungar, Vierteljahrsschrift für Zahnheilkunde 1897) das Mittel nieht nur thorapentisch, sondern auch zu prophylaktischen Zwecken unwondeto und empfahl, Er pinselte die gesunden Nachbarn von kranken Zihnen sowohl als auch die gesunden Zähne von Kindern in solchen Familion, wo erfahrungsgemäß Karies stark auftrat. ir behnndelte ebenfalls die Rinder von Höhlen vor dem Aus- rtllen mit Argontum nitricum insbesondere an Stellen, wo ein Rozidiy der Zahnkaries zu erwarten war. Selbst die Zerstörungen bel Keilförmigen Defekten konnten nach Frank durch die An- wendung diesen Mittels zum Stillstand gebracht werden. Der Kenannte Antor war sehr enthusiastisch in seiner Empfehlung des Argentum nitricum zu prophylaktischen Zwecken. Ebenfalls zeigte nich Bryan, Dental Koviow 1904, S., 1, als eifriger Befürworter der Anwendung des Argentum nitricum.,

Obgleich also enthusiastisch empfohlen, hat das Argentum nitricum zu prophrlaktischen sowohl, als zu therapeutischen Zwecken nur eine sehr begrenzte Anwendung gefunden, so dab ich trotz turtgesetzter Bemühung bisher nur einen einzigen mit Höllenstein behandelten Zahn zur Untersuchung bekommen konnte. Dieser wurde mir treundlicherweise von Dr. Bryan in Basel überlassen. Hauptsächlich dureh die oben erwähnte Mitteilung von Bryan wurde ieh dası angeregt, einire Versuche auszuführen, über welche ich mir hier zu berichten westätte,

Dio telvenden Fragen sind hierbei besonders berücksichtigt worden.

t Hat Arsentum nitrtenm, auf die gesunde Sehmelzoberfäche aufgottaien, Wio es Bryan wlanbt, eine stimulierende Wirkung anf ale abknbemntbmiien und durch diese anf die Zabnpulpa. wodurch eme Ventiehrung des Jabubeins und grorerer Wider- spal der hames vegenuber verursacht Wirde”

Miller, Die präventive Behandlung der Zähne. 453

A priori muß ich es sehr bezweifeln, daß ein Medikament, welches nur einigemale in Berührung mit der Oberfläche des Schmelzes gebracht wurde, irgendwelche Wirkung auf die Zahn- pulpa haben kann. Das ganze Material, welches mir für die Untersuchung zur Verfügung stand, war der oben erwähnte, von Dr. Bryan gütigst überlassene Zahn, von welchem ein Schliff in Fig. 1 reproduziert worden ist. Obwohl hier das Argentum nitricum direkt auf das freiliegende Zahnbein appliziert wurde,

Fig. 1. Schliff eines mit Argentum nitricum behandelten Milchmolaren.

sehen wir doch kein Zeichen von irgendwelcher Reaktion seitens der Pulpa, insbesondere keine Ablagerung von sekundärem Zahn- bein und keine Verdichtung des Zahnbeins, wie solches sich in einer erhöhten Transparenz äußern würde.

2. Schützt das Argentum nitrieum das Zahnbein gegen die Wirkung von Säuren, und auf welche Weise? Elfenbeinstücke wurden mit konzentrierter wässeriger Lösung von Höllenstein behandelt und einige Minuten bis 24 Stunden in feuchtem Zustande in einer feuchten Kammer aufbewahrt, bis das Mittel gründlich eingewirkt hatte. Sie wurden dann in Lösungen von verdünnten Säuren resp. in gegorene Lösungen von Pepton-Zucker-Bouillon

454 Miller, Die präventive Behandlung der Zähne.

oder von Zucker und Speichel eingehängt. Nach Ablauf von Zeitabschnitten von 2—8 Tagen wurden sie herausgenommen und Schliffe angefertigt, welche durch die Stellen, an denen das Argentum nitricum appliziert wurde, gingen. In Fig. 2 und 3 sind derartige Schliffe reproduziert, welche eine ausgesprochene Schutzwirkung des Mittels zeigen. In diesen ungefärbten Schliffen bedeuten die schwarzen Striche, a, die mit Höllenstein impräg- nierten Stellen; die hellen Teile, b, zeigen die Ausdehnung der Entkalkung. In Fortsetzung dieser Versuche wurden mensch- liche Zähne in ähnlicher Weise behandelt. Das Ergebnis war ein ähnliches, obwohl nicht immer so ausgesprochen. In der Regel war die Schutzwirkung am stärksten, wo die Oberfläche des Zahn- beins vor der Anwendung des Höllensteins ein wenig entkalkt

Fig. 2. Schliff eines Elfenbeinstückes, die Schutzwirkung des Arg. nitr. bei (2) zeigend. b, entkalkte Schicht.

worden war. In Fig. 4 habe ich den Schliff eines Zahnes mit

zwei oberflächlichen Höhlen reproduziert. Die eine der Höhlen (^)

war mit einer konzentrierten Lösung von Höllenstein gründlich

gebadet, indem ich das Mittel über Nacht einwirken ließ. Der

Zahn wurde dann 4 Monate hindurch der Wirkung der Säurelösung ausgesetzt, während welcher Zeit die Behandlung jeden Monat wiederholt wurde. Am Ende des Versuches konstatierte ich, dab die Entkalkung in der mit Höllenstein behandelten Höhle, b, keinen wesentlichen Fortschritt gemacht hatte, während sie in der nicht- behandelten (7) bereits die Pulpa erreicht hatte. Es darf natürlich nicht übersehen werden, daß die Behandlung in diesem Falle weit energischer war, als man in praxi erzielen kann. Im ganzen wurden über 50 derartige Versuche unter verschiedenen Beding- ungen ausgeführt. Als Beispiel der Behandlungsmethode wurde eine Anzahl von Zähnen 5 Tage lang in eine gegorene Zucker-

~ -

Miller, Die präventive Behandlung der Zähne. 455

Bouillonlösung eingehängt, bis eine oberflächliche Entkalkung erzielt war. Darauf wurden sie oberflächlich getrocknet, mit einer konzentrierten Lösung von Höllenstein an bestimmten Stellen gepinselt, während einer Stunde an der Luft getrocknet und wieder in die Bouillonlösung eingehängt. Nach 24 Stunden wurde diese Behandlung wiederholt. Die Zähne zeigten dann nach dem Trocknen intensiv schwarze Flecke. Sie wurden jetzt wieder in die Säurelösung eingehängt, wo sie 4 Wochen hängen blieben,

a e y.

Fig. 3. Ein Teil von Fig. 2 bei stärkerer Vergrößerung.

worauf sie entfernt, wiederum mit Höllenstein behandelt und dann aufs neue in die Lösung eingehängt wurden. Nach Ablauf von 3 Monaten wurden die Zähne definitiv aus der Lösung entfernt und Schliffe angefertigt. Es wurden ganze Zähne sowie auch Zahnhälften oder Zahnschnitte von der Dicke eines Millimeters angewendet. Teilweise waren solche Schnitte parallel mit den Zahnbeinfibrillen, teilweise rechtwinklig zu denselben angelegt. Die Lösungen wurden während der Dauer des Experimentes von Zeit zu Zeit erneuert. Die erhaltenen Resultate bestätigen die Anschauung, daß das Argentum nitricum in mehr oder weniger ausgesprochener Weise die Wirkung besitzt, dem Fortschreiten

456 Miller, Die präventive Behandlung der Zähne.

der Karies Einhalt zu tun. Der gewährte Schutz ist selbstver- ständlich nur ein teilweiser und verschieden in verschiedenen Fällen. Zuweilen schien das Mittel überhaupt keine Schutzwirkung zu äußern und dies war besonders der Fall, wo die Behandlung am Zahnhalse oder an der Wurzel des Zahnes angewendet wurde,

Es entsteht nun die Frage, wie das Argentum nitricum das Zahnbein gegen die Wirkung von Säuren schützt. Die natür- lichste Erklärung scheint die zu sein, daß der durch die Reduktion

Fig. 4. Schutzwirkung des Höllensteins bei b.

des Argentum nitricum gebildete Niederschlag von metallischem Silber in den oberflächlichen Schichten des Zahnbeins eine für Säuren mehr oder weniger undurchdringliche Barriere bildet. Um diese Annahme auf die Probe zu stellen, wurde das mit Argentum nitricum behandelte Zahnbeinstück während der Versuchsdauer im Dunkeln aufgehoben, so daß eine Reduktion resp. ein Nieder- schlag von metallischem (Quecksilber nicht stattfinden konnte. Selbstverständlich fand in diesem Falle auch keine Verfärbung der Zahnoberfläche statt. Die Schutzwirkung blieb aber dieselbe, wodurch die Unhaltbarkeit der obigen Annahme bewiesen wurde.

Miller, Die präventive Behandlung der Zähne. 457

Eine zweite mögliche Erklärung für die Schutzwirkung des Höllensteins finden wir in dem Umstande, daß das Argentum nitricum eine Koagulation des Inhalts der Zahnbeinfibrillen her- vorruft, wodurch wiederum eine mehr oder weniger undurchdring- liche Schicht gebildet wird. Mikroskopische Schnitte bieten Er- scheinungen, welche diese Ansicht unterstützen, obwohl sie sie nicht definitiv beweisen (Fig. 5). Weitere Beobachtungen, welche diese Ansicht zu stützen scheinen, sind unten angegeben.

Fig. 5. Aussehen des mit Höllenstein behandelten Zahnbeins bei 200 facher Vergrößerung.

Da die durch Anwendung des Höllensteins verursachte Ver- färbung in vielen Fällen als ein schwerer Nachteil der Methode gelten muß, habe ich den folgenden Versuch gemacht, um einer solchen Verfärbung vorzubeugen. Die Zähne wurden zuerst in einer konzentrierten Lösung von Kochsalz gebadet, worauf das Argentum nitricum in der üblichen Weise appliziert wurde, und nachher wiederum die Kochsalzlösung. Der Zweck dieser Behand- lung war, einen unlöslichen Niederschlag von Chlorsilber in den oberflächlichen Zahnbeinschiehten zu erzielen. Dieser Versuch gelang auch, und eine nachträgliche Verfärbung der Zähne, selbst

458 Miller, Die präventive Behandlung der Zähne.

wenn sie am Lichte aufbewahrt wurden, fand nicht statt. Un- glücklicherweise zeigten aber derartig behandelte Stellen keinen erhöhten Widerstand gegen die Wirkung von Säuren. Dieses Resultat stimmt mit obigem überein, daß die Schutzwirkung des Höllensteins nicht auf der Bildung eines unlöslichen anorganischen Niederschlages in den Zahnbeinkanälen beruht. Schutzwirkung anderer Silberpräparate. Unter den anderen Silberpräparaten habe ich besonders das Argentum colloi-

Fig. 6. Elfenbein, behandelt bei (a) mit Höllenstein, bei (b) mit Protargoll: Schutzwirkung bei (b) ausgeblieben.

dale Cred& und Protargoll auf ihre Schutzwirkung geprüft. Das Ergebnis war gänzlich negativ (Fig. 6, b).

| [Am Schlusse der Versammlung der British Dental Association in Southport hat mir Herr Kollege Grayston in liebenswürdiger Weise vier Zähne zur Verfügung gestellt, die bei Lebzeiten mit Argentum nitricum behandelt waren. Darunter waren zwei Milch- zähne, die durch die Höllensteinbehandlung erhalten wurden, bis sie auf dem normalen Wege der Resorption herausfielen. Die beiden anderen waren Bikuspidaten mit Halskaries, die fast zum Stillstand gebracht wurde. Eine Untersuchung dieser Zähne zeigte

Miller, Die präventive Behandlung der Zähne. 459

in allen Fällen Bildung von sekundärem Zahnbein, man konnte jedoch nicht feststellen, ob diese Bildung auf die direkte Wirkung des Höllensteins zurückzuführen war oder auf den Umstand, daß die Karies durch die Wirkang des Höllen- steins in eine chro- nische Form umge- wandelt wurde, wobei in der Regel sekun- däres Zahnbein ge- bildet wird. Danach AD hätte der Höllenstein, 77 direkt auf das Zahn- bein appliziert, eine doppelte Wirkung, Fig. 7. Schmelz bei a mit Höllenstein behandelt. indem er erstens die Keine Schutzwirkung. oberflächlichen Zahn-

beinschichten für Säure schwer durchdringlich macht, und zweitens durch die Verlangsamung des kariösen Prozesses es der Pulpa ermöglicht, Ersatzdentin abzulagern. Es ist möglich, daß bei dem in Fig. 1 abgebildeten Falle eine tote Pulpa vorlag.)

Fig. 8. Freigelegte Schmelzprismen bei (a) mit Höllenstein behandelt. keine Einschränkung der Entkalkung im Vergleich zur nicht behandelten Stelle ()).

Schutzwirkung des Höllensteins auf den Schmelz. Die Berechtigung der Anwendung des Argentum nitricum zu prophy- laktischen Zwecken stützt sich auf die Annahme, daß der Schmelz dadurch gegen den Angriff von Säuren geschützt wird. Um festzustellen, ob diese Annahme begründet ist, wurden die fol- genden Versuche ausgeführt:

460 Miller, Die präventive Behandlung der Zähne.

1. Gesunde Zähne, deren Oberflächen mit Höllenstein in alternierenden Streifen behandelt waren, wurden der Wirkung von 2— 5proz. Lösungen von Salzsäure ausgesetzt. Die zur Los- trennung des Schmelzoberhäutchens erforderliche Zeit war an den mit Höllenstein behandelten Stellen gegenüber den nichtbehandelten nicht in nennenswerter Weise verlängert.

2. Zähne, die nach der unter 1. beschriebenen Methode behandelt waren, bis sich auf deren Schmelzflächen schwarze Streifen gebildet hatten, wurden der Wirkung von schwachen organischen Säuren in abwechselnden Perioden von wenigen Tagen bis zu vielen Monaten ausgesetzt. Schliffe, die am Ende dieser Perioden angefertigt wurden, zeigten die Tatsache, daß das Argen-

Fig. 9. Penetrierende Kraft des Höllensteins.

tum nitricum dem Schmelz keinen nennenswerten Schutz verliehen hatte. Diese Ergebnisse sind in den Abbildungen 7 und 8 deutlich zu sehen. In diesen Photogrammen ist die entkalkte Schicht schwarz.

Dieses Resultat läßt es sehr zweifelhaft erscheinen, ob der durch die Anwendung des Argentum nitricum zu prophylaktischen Zwecken erzielte Vorteil, wenn ein solcher überhaupt existiert, genügend groß ist, um die nennenswerten Nachteile in bezug auf seine ätzenden und giftigen Eigenschaften sowohl als auf die durch die Anwendung hervorgerufene Verfärbung auszugleichen.

Daß das Argentum nitricum trotz seiner koagulierenden Wirkung unter Umständen in das Gewebe weit eindringen kann, zeigt die Abbildung 9. Nach dem Abschleifen des Schmelzes wurde der Höllenstein aut das gesunde Gewebe appliziert und ist bis zur Pulpa durchgedrungen.

Die Schutzwirkung des Paraffins. Elfenbeinstücke, welche

Honigmann, Über Anästhesie bei Mundoperationen. 461

oberflächlich entkalkt waren, wurden in absolutem Alkohol ent- wässert, getrocknet und in eine erwärmte Lösung von Paraffin und Chloroform getaucht. Das auf der Oberfläche des Elfenbeins anhaftende Paraffin wurde abgestrichen, da die Versuche nur den Zweck hatten, die Schutzwirkung des in das Zahnbein einge- drungenen Paraffins festzustellen. Diese Stücke wurden sodann in die Säurelösungen eingehängt zusammen mit solchen, welche in ähnlicher Weise behandelt worden waren, ohne die nachherige Imprägnierung mit Paraffin. Schliffe, die nach einigen Tagen angefertigt wurden, zeigten, daß die Entkalkung bei den mit Paraffin imprägnierten Stücken gegenüber den nichtimprägnierten sehr geringe Fortschritte gemacht hatte. Es bleibt noch die Wirkung dieser Imprägnierung an frisch extrahierten Zähnen fest- zustellen, bevor man sich irgendein Urteil in bezug auf die Anwend- barkeit der Methode in der zahnärztlichen Praxis bilden kann.

Außer den oben bezeichneten Mitteln habe ich noch Versuche mit Alkohol, Zimtöl, Zinkchlorid, Sublimat und Tannin angestellt,

.Elfenbeinstücke wurden durch die zweitägige Einwirkung einer !/,proz. Lösung von Milchsäure oberflächlich entkalkt und darauf für 24 Stunden in die Lösung, deren Wirkung geprüft werden sollte, eingehängt. Ein Stück, welches als Kontrolle dienen sollte, blieb während dieser 24 Stunden in Wasser. Sämtliche Stücke wurden nun auf 8 Tage in die !/,proz. Milchsäurelösung gelegt.

Die Untersuchung dieser Stücke ergab sodann, daß die Ent- kalkung durch die Einwirkung der genannten Substanzen in keiner Weise aufgehalten wurde. Das Versuchsergebnis war also in diesem Falle gänzlich negativ.

[Nachdruck verboten.) Über Anästhesie bei Mundoperationen.') Von Dr. med. F. Honigmann.

Die Mundoperationen, die in das Gebiet zahnärztlicher Tätig- keit fallen, sind meist zwar kurzdauernde und unzefährliche, aber äuberst schmerzhafte Eingritte, die daher eine Betäubung des Patienten wünschenswert erscheinen lassen. Der Entschliebung,

1i Veran. gehalten in der ersten Jahresvers: ımmlung der Bres- Jauer zahmärztlichen Gesellschaft am 9. April 1905.

462 Honigmann, Über Anästhesie bei Mundoperationen.

bei Zahnoperationen zu narkotisieren, steht andererseits die Er- wägung entgegen, daß ein an sich gefahrloser Eingriff durch die Narkose zu einem gefährlichen werden könne. Denn, wie die Statistik zeigt, gibt es zurzeit noch keine gänzlich ungefährliche Methode der Inhalationsnarkose. Ihre Gefahren sind zum Teil durch Idiosynkrasien und sonstige unberechenbare Faktoren be- gründet; zum Teil sind sie aber vermeidbar, wenn der Arzt sich jedesmal desjenigen Narkotikums bedient, das für den vorliegenden Fall am geeignetsten ist, ferner auch bei Ausführung der Narkose alle diejenige Sorgfalt und Vorsicht anwendet, die einerseits die Eigenart des angewendeten Mittels, andererseits die individuellen Verhältnisse des Patienten verlangen.

Betrachtet man von diesem Gesichtspunkt die gebräuchlichen Narkotika, so ist das Chloroform aus der Reihe der Mittel zu streichen, die für die Narkose bei zahnärztlichen Eingriffen in Betracht kommen. Das Chloroform hat die ungünstigste Mor- talitätsstatistik (nach Gurlt 1 Todesfall auf 2039 Narkosen überhaupt, nach Lipschütz 1 Todesfall auf 14000 zahnärztliche Narkosen). Der Unterschied zwischen narkotisierender und töd- licher Dosis ist nämlich beim Chloroform so gering, daß sehr leicht eine Überdosierung zustande kommen kann. Auch sind bei diesem Mittel plötzliche Synkopefälle am Anfange der Nar- kose zu fürchten, die wahrscheinlich durch Kehlkopfnasen- oder Rachenreflexe bedingt sind. Die Vorzüge des Chloroforms fallen andererseits nur bei länger dauernden Operationen ins Gewicht.

Der Schwefeläther ist bei sachgemäßer Applikation weniger gefährlich, als das Chloroform. Nicht nur die Zahl der Todesfälle ist geringer; auch gefahrdrohende Zwischenfälle treten bei dieser Narkose (nach der Statistik der British medical Association) 8mal so selten auf, als beim Chloroform. Der Unterschied zwischen narkotisierender und letaler Dosis ist beim Äther erheb- lich größer. Auch übt er keine schädliche Wirkung auf Herz und Blutdruck. Der ungünstige Einfluß auf die Schleimhäute der Atmungsorgane scheint nur dann aufzutreten, wenn man nach den früher üblichen Methoden unnötig hochkonzentrierte Ätherdämpfe einatmen läßt. Die von Witzel und Hofmann eingeführte Äthertropfnarkose, die besonders nach vorheriger Morphin- injektion zur Erzielung auch langdauernder und tiefer Narkogen ausreicht, ist von diesen unangenehmen Nebenwirkungen frei. Aber einen Nachteil besitzt die Äthernarkose, der gerade auch bei kurzen Eingriffen sich geltend macht. Die Zeit bis zum Eintritt der Betäubung dauert erheblich länger, als beim Chloro- form. Hofmann gibt 10—15 Minuten als durchschnittliche Dauer an; ich habe oft noch länger, selbst !/, Stunde warten müssen. Dieser Nachteil litt sich vermeiden, A man bei

Honigmann, Über Anästhesie bei Mundoperationen. 463

kurzdauernden Operationen nicht den Eintritt der tiefen Narkose abwartet, sondern die im ersten Stadium der Inhalation vor Beginn der Exzitation eintretende Analgesie zur Ausführung des Eingriffes benutzt. Sudeck hat dieses Verfahren, das Operieren im „Ätherrausch“, zur Methode ausgebildet. Es werden 30 bis 50 ccm Äther auf die Maske oder eine Kompresse gegossen. Der Kranke muß vor der Narkose einige tiefe Atemzüge tun, dann vollkommen respirieren und darnach mit tiefen energischen Zügen den Ather einatmen. Der Kranke darf nicht wissen, daß zugleich mit der Narkose schon die Operation beginnt und seine Gedanken müssen von der Operation abgelenkt werden. Bei den ersten Atemzügen muß die Operation rasch und sicher ausgeführt werden. In seltenen Fällen, in denen die Patienten fest entschlossen sind, nichts mit sich machen zu lassen, bevor sie fest schlafen, springen sie auf, remonstrieren heftig und zwingen dadurch mitunter den Operateur, eine regelrechte Äthernarkose anzuschließen. Es ist ein entschiedener Nachteil des Ätherrausches, daß die Patienten auch nach aufgehobenem Empfindungsvermögen oft schreien, lärmen und Abwehrbewegungen machen. Lenz hat auch darauf hin- gewiesen, daß Leute mit labil reizbarem Nervensystem (Potatoren und neuropathisch veranlagte Frauen) nach dem AÄtherrausch schwere nervöse Zustände zeigen können („furibunde Reaktion“). Auch ich sah in einem Falle im Anschluß an den Ätherrausch bei einem Trinker einen leichten maniakalischen Anfall.

Speziell für zahnärztliche Zwecke hat Port den Ätherrausch warm empfohlen. Er rühmt den geringen Ätherverbrauch, das Erhaltenbleiben der Reflexe, wodurch das Entstehen einer Aspi- rationspneumonie verhindert werde, und das Fehlen übler Neben- erscheinungen. R

Abgesehen von den oben erwähnten Ubelständen ist die Methode ihrer einfachen Technik und ihrer relativen Ungefähr- lichkeit wegen jedenfalls für alle kurzdauernden Eingriffe außer- ordentlich geeignet.

Das gleiche läßt sich vielleicht auch vom Bromäthyl sagen, wiewohl dieses seiner Mortalitätsstatistik ) nach als weniger harmlos bezeichnet werden muß. Larisch, der in seiner lisser- tation Partschs Erfahrungen an 12:36 Bromäthylnarkosen schildert, behauptet allerdings, dab die früher beobachteten Todesfälle auf der Anwendung unreiner Priüparate beruhen. Partsch selbst hat bei Benutzung des Merckschen Präparates keinen Todestall und nur selten üble Nebenwirkungen zu beklagen gehabt. Er- brechen wurde in 1',—? Proz. der Fälle, besonders häufig nach

1) Nach Gurlt: 1 Todesfall auf 522S Narkosen, nach der zahn- ärztlichen Statistik 1:31U00.

464 Honigmann, Über Anästhesie bei Mundoperationen.

Zahnextraktionen, beobachtet. Die Exzitation könne man durch eine proreliminare Morphininjektion ausschalten. Knoblauchartiger Geruch der Exspirationsluft sei zwar hin und wieder aufgetreten, aber nie in unangenehmer Weise. Vor der Narkose prüfe man das Präparat auf seine Reinheit (Geruch und Farbe!). Die Tropf- methode ist dem Aufgleßen einer größeren Menge Flüssigkeit vor- zuziehen. Die Reflexe bleiben in der Narkose erhalten, Betäubung und Erwachen erfolgt schnell. Die Maximaldosis für eine Narkose seien 25 g. Dehnt man die Narkose nie über die Dauer von 5 Minuten aus, so seien keine Gefahren zu befürchten.

Das Bromäthyl erhielt neuerdings einen Konkurrenten im Chloräthyl, das namentlich seitens der Innsbrucker chirur- gischen Klinik (Ludwig, Lotheißen) sehr empfohlen wurde und unter den Zahnärzten in G. Seitz einen begeisterten Lob- redner gefunden hat. Als Vorzüge der Äthylchloridnarkose werden rasches Einschlafen (nach 1—°/, Minuten), Fehlen einer stärkeren Extraktion, rasches Erwachen, angenehme Applikation ohne Reiz- ung der Schleimhäute und Mangel übler Nebenerscheinungen an- geführt. Erbrechen fehlte in der Hälfte der Fälle.

Es liegt mir fern, diese Vorzüge des Chloräthyls zu leugnen. Wenn jedoch die Anhänger des Chloräthyls behaupten, dasselbe sei minder gefährlich, als Äther und Bromäthyl, so kann ich nicht zustimmen. Bis zum Jahre 1903 waren 17000 Chloräthyl- narkosen ausgeführt. Von 5 Todesfällen, die im Zusammenhang mit der Anwendung von Chloräthyl gebracht wurden, erkennen Seitz und Lotheißen nur in 2 Fällen (Lotheißen, Bossart) den Causal nexus an. Unberücksichtigt in dieser Statistik sind jedoch 2 Fälle von Bardesen (Revista de chirurgie 1901, No. 7) und ein später publizierter Chloräthyltodesfall von Allen (Ameri- can journal of the medical sciences 1903, Dezember). Außerdem erwähnt Seitz, daß fünfmal Asphyxien und einmal Synkope beob- achtet wurden. Girard, Malherbe und Roubinowitsch sahen mehreremale Albuminurie von mehrtägiger Dauer nach Chloräthyl- narkose auftreten. Alle diese Beobachtungen müssen zu großer Vorsicht bei der Anwendung der Chloräthylnarkose mahnen.

In neuester Zeit ist auch eine Kombination von Chloräthyl (60 Proz.), Chlormethyl (35 Proz.) und Bromäthyl (5 Proz.) unter den Namen Somnoform, Narkoform und Narkotile empfohlen worden (Sidney Cole, Kirkpatrick, Madzar). Nach Tier- versuchen soll von diesem Präparat Blutdruck und Zirkulation nicht alteriert werden. Der Tod der Versuchstiere erfolgt an Atemlähmung. Die Narkose tritt rasch ein, die Exzitation ist Selten, das Erwachen erfolgt schnell. Todesfälle und üble Neben- wirkungen wurden bisher nicht beobachtet, doch ist das Mittel

Honigmann, Über Anästhesie bei Mundoperationen. 465

bisher noch in sehr geringem Umfange angewendet worden, so dat ein Urteil darüber noch nicht abgegeben werden kann.

Last not least ist noch das Lachgas (Stickstoffoxydul) zu erwähnen. Wenn man die Statistik als Maßstab nimmt, so ist dieses älteste aller bekannten Narkotika das allerungefährlichste. Die zahnärztliche Sammelstatistik erwähnt 46000 Narkosen ohne Todesfall. Hasbrouck hat 69000, Thomas-Philadelphia 144000 Lachgasnarkosen ohne Komplikationen ausgeführt. Die Betäubung tritt schon nach 40—60 Sekunden ein. Stertoröses Atmen und Cyanose treten nur bei länger fortgesetzter Narkose ein und sind bei kombinierter Zufuhr von Lachgas und Sauerstoff nach Angabe vieler Autoren zu vermeiden. Dyspnoische Zustände (Strama, Kompensationsstörungen des Herzens usw.) bilden eine Gegenanzeige gegen Stickstoffoxydul. Dent hatte in einem Fall von Larynxstenose (infolge Zungenabszesses) eine tödliche As- phyxie zu beklagen.

Es ist auffallend, daß von dem Lachgas im Auslande (Ame- rika, England, Frankreich) bei Zahnoperationen ein viel ausge- dehnterer Gebrauch gemacht wird, als in Deutschland. Vielleicht ist der etwas umständliche Apparat, den seine Applikation er- fordert, seiner allgemeineren Einführung bei uns hinderlich ge- wesen.

Welches Narkotikum man auch anwende, gewisse Vorsichts- maßregeln sind in jedem Falle zu beachten. Die Leitung der Narkose vertraue man stets einem besonderen, bei der Operation sonst unbeteiligten Arzte an, womöglich einem solchen, der im Narkotisieren besondere Schulung und Erfahrung besitzt. Eine sorgfältige körperliche Untersuchung, die sich nicht nur auf Herz und Lungen zu beschränken hat, sondern auch den Urinbefund und das Nervensystem (Ätherrausch!) berücksichtigen soll, muß der Narkose vorangehen. Der Patient ist, von allen beengenden - Kleidern entledigt, horizontal zu lagern. Puls und Atmung müssen dauernd kontrolliert werden. Das Einfließen von Blut in die Luftwege muß durch die bekannten Maßnahmen vermieden werden. Nach Beendigung der Narkose soll der Patient längere Zeit in einem gut gelüfteten Raume sich ausruhen.

Das wirksamste Mittel, den Gefahren der Narkose zu ent- sehen, besteht jedoch darin, ihre Anwendung durch strengste Indikationsstellung auf das geringste Maß zu beschränken. Glück- licherweise ist dies heutzutage ohne Vernachlässigung der Huma- nität möglich durch die außerordentliche Entwicklung, die die Methodik der Lokalanästhesie genommen hat. Gerade für die schmerzlose Ausführung zahnärztlicher Operationen ist durch die kombinierte Anwendung von Kokain mit Nebennierenprä-

XXIII. 50)

466 Honigmann, Über Anästhesie bei Mundoperationen.

paraten!) eine neue Ära inauguriert worden. H. Braun hat bekanntlich das Verdienst, festgestellt zu haben, daß durch den Zusatz von Adrenalin und die dabei bewirkte lokale Anämie die Wirksamkeit einer schwach konzentrierten Kokainlösung so sehr erhöht wird, daß sie ebenso oder besser anästhesierend wirkt, als starke Kokainlösungen ohne Zusatz. Dadurch, daß das Kokain vermöge der resorptionshemmenden Kraft des Adrenalins am Orte der Applikation fast völlig gebunden wird, wirkt es intensiver, beständiger und vielleicht auch weniger giftig. Die günstigen Erfahrungen, die Braun und sein Schüler Laewen über die günstigen Erfolge der Kokain-Adrenalinanästhesie bei Zahnope- rationen berichteten, haben seitdem schon vielfach Bestätigung gefunden, und die Autoren stimmen darin überein, daß das neue Verfahren alle früheren Methoden der örtlichen Betäubung an Wirksamkeit und Zuverlässigkeit übertreffe.e Sowohl zur termi- nalen Anästhesie, wie zur Leitungsanästhesie hat man die Kokain- Adrenalininjektionen angewendet. Besonders für die unteren Molaren erwies sich die Leitungsunterbrechung des Nervenstammes der subgingivalen Einspritzung überlegen. Thiesing, Krichels- dorf, Dill und namentlich Hübner haben die Leitungsanästhesie mit Kokain-Adrenalingemischen erfolgreich ausgeführt, und auch Braun, der ursprünglich bei Zahnextraktionen die terminale An- ästhesie bevorzugte, ist neuerdings auf die Leitungsanästhesie des Unterkiefers zurückgekommen. Hübner empfiehlt, dieselbe auf die oberen und unteren Molaren und zweiten Bikuspidaten, sowie die ersten unteren Bikuspidaten zu beschränken, da man bei den übrigen Zähnen mit der lokalen subgingivalen Einspritzung zum Ziele käme. Dei der Extraktion pulpitischer Zähne, bei periosti- tischen Prozessen, Cystenvperationen, Eröffnung der Kieterhöhle, Redressement und Resektion von Wurzelspitzen kann man beide Vertahren kombinieren. Man brauche dann lokal weniger Flüssig- keit zu injizieren.

Auber den genannten Autoren haben auch Rosenberg, Wohlauer, Levin u. a. die Leitunesanästhesie für den Unter- kieter bewährt gefunden, während Römer die Befürchtung aus- spricht, es könnte bei der Injektion das ganze Quantum in eine Vene gespritzt werden und so eine Vergiftung entstehen. Mit Braun möchte ich diese Befürchtung für zu weitgehend halten, und zur Vermeidung solcher Zufälle an die Reclussche Regel erinnern, die Spritze während ihrer Entleerung ständig vorzuschieben.

1 leh werde infolzedessen der Kürze halber nur von Adrenalin sprechen, wobei ieh betone, daß meiner Erfahrung nach Nuprarenin ‚Höchst! und Epirenan Byk dem kostspieligeren englischen Präparat an Wirksamkeit zleienkommen. Von Paranevhrin Merck ha dasselbe zu weiten.

Honigmann, Über Anästhesie bei Mundoperationen. 467

Die günstigen Erfolge der Kokain-Adrenalinanästhesie haben dazu geführt, auch bei konservierender Zahnbehandlung die Methode in Anwendung zu ziehen, um die Sensibilität des Dentins herabzusetzen. Aber trotzdem auch hierbei die erzielte Schmerz- losigkeit im allgemeinen eine zufriedenstellende zu sein scheint, sind doch gewisse Bedenken gegen die Anwendung der Methode zu erörtern.

In auffallendem Gegensatze zu den Erfahrungen der Chi- rurgen !) haben die zahnärztlichen Autoren außerordentlich häufig mehr weniger unangenehme Vergiftungserscheinungen den Injek- tionen folgen sehen (vergl. Philipp, Herber, Reichenberger, Luniatschek, Kartz, Hübner, Bruck, Treuenfels). Als Symptome der Intoxikation werden erwähnt: Blässe des Gesichts, Pupillenerweiterung, Herzklopfen, Steigerung der Pulsfrequenz, Kleinwerden des Pulses, Atembeklemmung, Angstzustände, Kälte- gefühl und Kribbeln in den Extremitäten usw. usw. Wenn auch, wie Luniatschek wohl mit Recht behauptet, vielleicht nicht in allen Fällen derartige Reaktionen der Injektion zur Last zu legen sind, sondern zum Teil auf psychische Momente zurückgeführt werden können, so ist doch bei der Häufigkeit solcher Zufälle dieser Frage die größte Aufmerksamkeit zu schenken. Weitere genaue Beobachtungen werden besonders darauf zu richten sein, ob etwa in einzelnen Fällen eine Überdosierung der angewandten Präparate anzuschuldigen wäre. Römer hält die Intoxikations- erscheinungen für Folgen des Adrenalins bzw. Suprarenins und glaubt, durch Anwendung des angeblich ungiftigeren Para- nephrins die Gefahr vermeiden zu können. Hübner ist mehr geneigt, eine Kokainwirkung anzunehmen, und dies dürfte, wenigstens in einer erheblichen Zahl der Fälle, wohl zutreffen. Wölfler hat schon vor Jahren darauf hingewiesen, daß bei Ope- rationen am Kopfe das Kokain besonders leicht resorptive Wirk- ungen entfalte und daß daher in dieser Region die Maximaldosis des Mittels auf 0,02 g herabgesetzt werden müsse.

Wenn auch durch den Adrenalinzusatz die Resorption des Kokains gehemmt wird, wird man dennoch gut tun, die Dosis von 2 cg bei Mundoperationen nie zu überschreiten. Für das Adrenalin möchte ich auch nach meinen Ertahrungen die von Braun vorgeschlagene Menge von 5 Tropfen der 1" ,,„-Lösung als Maximaldosis festgehalten wissen.

1) Wenn wir von den ungünstigen Erfahrungen Enderlens ab- sehen, der zweitellos mit einem unreinen Präparate arbeitete, so gehören in der allgemeinen Chirurgie toxische Adrenalinwirkungen zu den Seltenheiten. Braun sah unter 500 Fällen zweimal schnell vorüber- gehend Herzklopfen und Atembeklemmung. Bei annähernd 200 Fällen sah ich selbst nie irgendeine Nebenwirkung.

30°

468 Honigmann, Über Anästhesie bei Mundoperationen.

Hübner weist auf die sehr beachtenswerte Tatsache hin, daß Vergiftungserscheinungen vorzugsweise bei Anästhesierung des Dentins auftreten. Während bei Extraktionen und sonstigen operativen Eingriffen durch die Kontinuitätstrennung die Gewebs- spannung verringert wird, die die Resorption der eingespritzten Flüssigkeit begünstigt, vielleicht auch ein Teil des injizierten Kokains wieder durch die Wunde abfließt, fällt dieser Vorteil bei der konservierenden Zahnbehandlung fort. Hübner empfiehlt deshalb. direkt nach der Injektion die Applikationsstelle mittels Chloräthylstrahles zum Gefrieren zu bringen. Dadurch werden die Getäbe kontrahiert, die Gewebsspannung und die Resorption verringert, während der örtliche Effekt des Kokains eine Steiger- ung erfährt. Der Hübnersche Vorschlag erscheint durchaus rationell und einer ausgedehnteren Nachprüfung wert.

Abgesehen von den allgemeinen sind noch die lokalen Neben- erscheinungen zu berücksichtigen. Nachblutungen sind nur selten beobachtet worden (Hübner), da nach dem Abklingen der Adrenalinwirkung eine Gefäbßerschlaffung in der Regel nicht statt- findet. Immerhin wird es sich empfehlen, bei Adrenalininjektionen nach Extraktionen usw. sorgtältig zu tamponieren.

Odeme sind nach Injektionen öfters beobachtet worden, waren aber, soviel mir bekannt, nur vorübergehender und harmloser Natur. In einem Falle (Kersting) trat allerdings bei einer über- mäßig großen Adrenalindosis eine ausgedehnte Schleimhaut- nekrose auf.

Ad. Witzel hat die Frage aufgeworfen, ob bei der Dentin- anästhesie die Pulpa die durch die Adrenalinanämie herbeigeführte Zirkulationsstörung ohne Nachteil überwinden könne, oder ob sie dadurch Störungen ihrer Vitalität erleide. Während Schulte und Rusenberg auf Grund ihrer Erfahrungen diese Frage ver- neinen, konnte Schroeder 4 bzw. 6 Tage nach der Injektion von Suprarenin-Kokain in zwei Fällen mittels des Induktions- stromes Pulpatod konstatieren. Uber einen dritten Fall berichtet Weidenslaufer.

Ad. Witzel erwähnt ferner einen Fall, wo unter Kokain- adrenalinanästhesie bei der Exkavation eine gesunde Pulpa ange- bohrt wurde. Auch von anderer Seite ist erörtert worden, ob nicht die Ausschaltung der Empfindlichkeit bei manchen konser- vativen Behandlungen seine bedenken habe Bis zur Klärung aller dieser Fragen wird man jedenfalls gut tun, wie auch Bruck rät, bei der Dentinanästhesie die Indikation für die Anwendung der Adrenalin-Kokainmethöde möglichst auf diejenigen Fälle zu beschränken, in denen ein harmloseres Verfahren (Ühloräthylspray') nicht zum Ziele rühren würde, oder die erwähnten Gefahren weniger in Betracht kummen.

Senn, Porzellankonturfüllungen mit Gold kombiniert. 469

[Nachdruck verboten.) Porzellankonturfüllungen mit Gold kombiniert.')

Von Zahnarzt Dr. med. A. Senn in Zürich.

(Mit 3 Abbildungen.)

Bei Porzellanfüllungen im allgemeinen, namentlich aber bei Konturfüllungen wirkt der Umstand sehr störend, daß schon nach ver- bältnismäßig kurzer Zeit das Verbindungsmittel, d. h. das Zement, zwischen Zahn und Füllung eine Abnutzung zeigt; es bildet sich somit eine Rinne, deren Auftreten auch bei den sorgfältigsten Arbeiten nicht ganz zu verhüten ist. Besonders störend macht sich dieser Nachteil geltend, wenn bei Schneidezähnen der zu ersetzende Defekt bis zur Schneidekante reicht (siehe Fig. la, 2a, 3a).

Weniger des besseren Aussehens wegen, als vielmehr zum Schutze der Porzellanfüllung selbst habe ich in solchen Fällen zum erstenmal vor zwei Jahren (Fig. 1) die Rinne mit Gold ausgefüllt, nachdem ich sie mit einer ganz dünnen und feinkörnigen Karborundscheibe zirka 2 mm tief eingeschnitten hatte. Daß die Porzellanfüllung einen guten Halt den ich, wenn möglich, auch in der labialen und palatinalen Wand anbringe haben muß, und daß es ratsam ist, die Goldfüllung nicht in derselben Sitzung zu legen, ist wohl selbstverständlich. Ebenso überflüssig ist es wohl, Ihnen zu sagen, daß zum Einfüllen des Goldes kein Hammer, sondern ausschließlich Handdruck zur Verwendung kommen darf. Die Arbeit ist weder schwierig, noch mühsam, noch erfordert sie viel Zeit, aber sie ist äußerst delikat und das Gold muß mit viel Sorgfalt und mit den allerfeinsten Stopfern eingeführt werden; mehrmals habe ich mich auch ganz feiner geeigneter Exkavatoren bedient, wenn die vorhandenen Stopfer zu diesem Zwecke zu wenig fein waren.

Die umstehenden Figuren 1b, 2b, 3b zeigen die zum Füllen fertige Kavität im Frontalschnitt. Die Kavität ist natürlich am Boden etwas erweitert, und um die Füllung in sagittaler Richtung zu fixieren, ‚werden die labialen und palatinalen Ränder etwas abgeschrägt (Fig 1d), ebenso werden auch die übrigen Ränder abgeschrägt, was namentlich an der Schneidekante sehr wichtig ist zum Schutze von Zahn und Porzellan.

Zum Füllen lege ich zuerst einen kleinen Weichgoldzylinder gegen

D Demonstrationsvortrag, gehalten in der 42. Jahresversammlung des Zahnärztl. Vereins zu Frankfurt a. M., 6. Mai 1905 und in der 20. Jahresversammlung der Schweiz. odont. Gesellschaft am 21. Mai 1905 in Zürich.

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wobei man sich zur Präparierung der Kavität auch menr der Karborundscheibe, als des Bohrers "bedienen wird Fig. 3.

Es ist gewiß ratsaıner. eine derartige Reparatur auszuführen, als die defekte Füllung zu entfernen und durch eine neue zu ersetzen eine nicht so einfache und für den betreffenden Zahn oft verhängnıs- volle Arbeit.

Beab:-ichtigt man eine nachträgliche Goldfüllung an solchen Stellen anzubringen, die bei schon befestigter Porzellanfüllung schwer zugänglich sind, so tut man gut, die Kavität vorzupräparieren, d. h. vor dem Einzementieren des Porzellans, von diesem bzw. vom Zahn

Eericht üb.d.42. Jahresverslg. d.Zahnärztl. Vereins z. Frankfurta.M. 471

so viel wegzuschleifen oder wegzubohren, daß man nachträglich nur an der betreffenden Stelle das Zement zu entfernen hat (am besten vor dem gänzlichen Erhärten), um das Gold einfüllen zu können.

Wann und wo eine Porzellanfüllung indiziert ist, das ist eine Frage, die für sich schon des Öfteren erörtert worden ist und auf die ich mich hier nicht einlassen kann. Ich wollte Sie nur mit einem einfachen, aber sehr dankbaren Verfahren bekannt machen, um im gegebenen Falle eine Porzellankonturfüllung reparieren zu können und hotfe, daß der eine oder andere von Ihnen dasselbe ebenfalls zu seiner eigenen und seiner Patienten Befriedigung ausführen wird.

Bericht über die 42. Jahresversammlung des Zahnärztlichen Vereins zu Frankfurt a. M.

Erstattet vom II. Schriftführer Zahnarzt Alfred Straus.

Vom 5.—7. Mai dieses Jahres fand die 42. Jahresversammlung des Zahnärztlichen Vereins zu Frankfurt a. M. statt, zu der zirka 13) Kollegen erschienen waren. In die Präsenzliste hatten sich ein- gezeichnet die Herren:

Albrecht, D.D.S.-Frankfurt a. M.; Albrecht, Dr.-Heidelberg; Alexan-

der, Dr.-Frankfurt a. M.; Alles-Heidelberg; Avellis, Dr.-Frankfurt a. M.; Bartels, Dr.-Freiburg; Benrath-Hamburg; Berckenbrink-Frankfurt a. M.; Bettinghaus, Dr.-Celle; Blankenburg-Frankfurt a. M.; Blattmann-Mann- heim: Blume-Berlin; Bock, jr.-Heidelberg; Boehmer-Köln; Borchardt- Frankfurt a. M.; Bruck, D.D.S.-Breslau; Bruhn-Düsseldorf; Buschendorf- Hamburg; Christ, Dr.-Wiesbaden; Dappen-Krefeld; Eberle-Heidelberg; Edinger, Prof.-Frankfurt a. M.; Eichentopf-Naumburg; Endres-Hagen; Frank, Dr.-Frankfurt a. M.; Frey-Heidelberg; Gäng-Heidelberg; Glogau- Frankfurt a. M.; Gravelius-Frankfurt a. M.; Hennig-Wiesbaden; Herbst, sen.-Bremen; Hermann-Frankfurt a. M.; Hinrichsen-Kiel; Hirsch, Dr. P.- Frankfurt a. M.; Hirsch, Dr. R.-Frankfurt a. M.; Hoddes, Dr.-Nauheim; Jacob-Lörrach,; Jaffe, Dr., Sanitätsrat-Frankfurt a. M.; Jüger-Gießen; Jäger-Leipzig; Janzer-Frankenthal; Jung-Heidelberg; Jungst-Franken- thal: Kaiser-Arnsberg; Kerl, Dr. Mila-Frankfurt a. M.; Kersting-Aachen; Kieck-Ulm; Klingelhöfer, Geh. Medizinalrat-Frankfurt a. M.; Klöpper- Mainz; Koch-Gießen; Lange-Frankfurt a. M.; Lautenbach, Dr. Fulda: Lautz, Dr.-Darmstadt; Lazarus-Höchst a. M.; Lehmann-Frankfurt a. M.; Lentrodt- München; Levy-Spandau; Lewin, Dr.-Leipzig: Limpert- AscSsatfenburg; Lißmann, Dr.-Frankfurt a. M.; Mannsbach-Mannheim; Mas-ar-Breslau; Mauer-Frankfurt a. M.; Metz-Gießen; Mayrhofer, Dr.- Linz; Montigel-Heilbronn; Mosessohn, Dr.-Fraukfurt a. M.; Müller- Kreuznach; Neubert-Frankfurt a. M.; Neugebauer-Koblenz; Netzbrand- Framkfurt a. M.; Niens-Frankfurt a. M.; Oesterreicher-Darmstardt; Ott- Homburg; Oxenius, Dr.-Fraukfurt a. M.; Pape-Nordhausen; Paulson- Frankfurt a. M.; Peters-Frankfurt a. M.; Pfeitfer-Neustadt; Rauhe-Düssel- dorf; Reich, Dr.-Marburg; Repp, Dr.-Darmstadt; Resch, D.D.S.-Köln;

Birer, Dr.-Beriin: Rozensteie-Frarkiat a. M.: Rois)!-Mirzceim: Rizer- Werms:; Sachtieben-Hombarg: Sern. Ir-Zirzen: NMetert-Lrüisse,.iort: Sieras-Frackäurt a M.: ove, Ir.-Kiei: Stra Ter-Stackert, IrD.n.-Frank-

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tur a M; Suterer-Weiscei $ : i > b:.-Frankfart a. M.: Senmiit-Beriin: Meacmiit-Laiwieszafen: Wbm: Suizgen: Schridt-Wiestaädien: Scconelier-Titingen: wrz. Dr.- Re mise. ram. DIS -Mysceen; Schrueder-KRassel, whulte. P: -Dormwund: Sezuize-H-ir- aA a. Sckwerüzrer Dr.-Inohrce: Stahn sen.- Mairz: tan s A.- FarKlart a M.: Strazi, S.-Frank- TEUA M.: a. M.: Tresez. Dr.-Frackiurt a. v Versen. Dr.-Fraxrkdart a te W aimarn. Dr- n mharg: Westerterger. Dr.- F:eackicr a. M.: Woet barn::air: Wirzel, Peot Paas Worek Pror- E--e2: Woi- raskianr a M.: Wo e Zezntner-Wieshalen; Z:eic:kyr-Fraskfort a M.

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Die wien:sha®liceken Sitzurgen natmen Freitag. den D Mal wit einer merzrtirgigen De sea ion vor W. Herbst-Bremen ibreu

Arfang. Zunachst demonstrere Herbst die

Herstellung und Anwendung der goldenen Kapselbrücke.

Er sart h: eräber folgendes:

Unter Karseibrüc ë die Überbrückung zweier ojer en Ziäcne und der dazwischen befindiichen Räume “urch eine Metallkapsel. welche die Zäsne sowie die Zwischen- räume vo.kımmen bejeckt urd kart am Zicnfeische autem. so dan kein urter der Brücke benmitlicter Teil. sei es no ‚an. sei es Zabuleis!n. mit der zsüßeren Luž in Beröbruce komut. ird èine s> ar dem Aufsetzen mit Zement in an wefiit. so abne und Zwischenräume überall mit Zement bedeckt, und „een in Wirk.:iczkeit eine moie Zewertbrücke. weiche durch

d.e a. caco auren bin võlg al \ossen wiri. Angriffs- ur bei unsauberer unr:

Zement sind also ertigung der Brücke mörlich: um diesen gə- nagen ATHZch zu erm”glieben. mub el 3 mit grüter Surgfait

rung einer Karselbrücke.

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gearbeitet werlen, urd somit ist die Arrei 39 eilfacn dieselbe auch aussenen mag. durckaus nicht leicht. Der Erfciz der Karseibrücke Legt in dem urbeiingt festen tefünle, welches der Patient von der ersten Minute des Einsetzens an erkält. und in dem vorzïg.icren E den die Brücke irilye ihrer Tiästischen Fähung auf dem Zaunfeische erzielt. Auberdem ist die wlätte Bewan- dung der Brücke ein angenehmes Geib! für Zunge uni Wange. und

die Vermeilunrg des EinZusses von kalt, warm. sauer und sis. sowie y w ` ur yr ke X 8 Dir Seona ae SyS aY Z Rn“ ame ~} In» Enes UlLerwäartet Komikeren TICKra Buf enen ann, Iirechen inr bad . à ie Dr? - 13 I SR £ . Pe die Ein!ührurg dieser Art von Brücken. Die Kayser gleicht gewisser- = ` ` v - -. 1e s D Fe mai. einem Mundbieen, weiches auf das kleinst mÜniche Mid resu- .. E . s PERL | Ka } en. z s ER zert tst und wenau mit seizen Legrenz.uuen artikuiert und dessen FoiiauLrg aus Zement besteut als Abiruckmasse. Dieser Abiruck wini

aber micut aus dem Mande entfernt, son lern Lieiht als fertige Brücke

Zahnärztlichen Vereins zu Frankfurt a. M. 473

im Munde liegen. Der Beweis, daß eine solche Brücke sich im Munde hält, daß sie dem Zahnfleische keinen Schaden tut, die Zähne vor weiterem Zerfall bewahrt und dem Patienten in keiner Weise Unan- nehmlichkeiten bereitet, ist in Hannover in diesem Jahre bewiesen worden, und zwar an einem völlig einwandfreien Kollegen. Wenn diese Brücke wirklich nur ein Jahr halten würde, was nach dem damaligen Urteil der Hannoveraner sehr unwahrscheinlich schien, so würde dieser Umstand allein noch nicht in der Lage sein, dieser Neuerung den Lebensfaden abzuschneiden, denn selbst bei alljährlicher Erneuerung des Zementes würde dieser Umstand für den Patienten noch keinen großen Verlust bedeuten, denn die Erneuerung ist leicht und schnell innerhalb weniger Minuten einzuführen: Man hat nur den am Zahnfleisch aufliegenden Rand der Brücke mit einem Häkchen vom Zement abzubiegen, wodurch die Brücke sich löst und dann leicht aus dem Munde entfernt werden kann. Das Gold wird dann wieder in seine alte Lage gebracht und nach der Entfernung des alten Zementes neues in die Kapsel eingeführt. Aber, wie gesagt, eine alljährliche Erneuerung des Zementes erscheint durchaus nicht nötig, ich selbst trage bereits seit 17 Monaten eine Brücke, ohne dieselbe aus dem Munde entfernt zu haben und habe bis heute noch nicht den geringsten Anlaß, den Wunsch der Entfernung zu äußern.

Hiernach dürfte die Kapselbrücke wohl in der Lage sein, sich den übrigen Brückensystemen würdig anzureiben, und ich freue mich, schon heute konstatieren zu dürfen, daß sich bereits viele Kollegen mit dieser Neuerung befreundet haben.

Bezüglich der Anfertigung!) der Kapselbrücke verwies Herbst auf seine Beschreibung im zweiten Nachtrage seines Buches. An einer

Reihe von Modellen, die er mitgebracht, und an einem Patienten, der mehrere dieser Brücken im Munde hatte, zeigte er deren Verwendung.

Außerdem demonstrierte Herbst noch das Füllen der Zähne mit massivem Golde und das Füllen mit Hoerbstschen Gold- rollen. Dabei bemerkt der Demonstrierende folgendes:

Wer wie ich 35 Jahre in der Praxis tätig gewesen ist und in diesen 35 Jahren vielleicht 15000 Goldfüllungen gelegt hat, der darf wohl behaupten, daß er über dieses Material ein Urteil abzugeben imstande ist. Und wenn ich auf eine langjährige Tätigkeit im Gold- füllen zurückblicke und die vielen Schwierigkeiten ins Auge fasse, die die Einführung neuer Systeme und neuer Methoden mit sich gebracht hat, so kann ich heute nur sagen, daß der Kampf ein endloser sein

1} Anm. der Schriftl. Ein Teilnehmer an der Versammlung, Herr Buschendorf aus Hamburg, schreibt uns noch ergänzend: „Mit wenigen Stützpunkten lassen sich ganze Zuhnreihen befestigen, und es ist durchaus nicht Bedingung, daß an beiden Endpunkten der Brücke sich ein eigener Zahn betindet.“ Man kann ein volles Unterstück anfertigen beim Vorhandensein eines einzigen Molaren usw.

474 Bericht über die 42. Jahresversammlung des

wird und ein endloser sein muß, weil mit der Verbesserung der Gold- präparate die Änderung der Methoden Hand in Hand geht. Betrachten wir die etwas harte amerikanische Goldfolie, so verstehen wir die Anwendung des Hammers, betrachten wir die Schwammgoldpräparate, so verstehen wir die Anwendung der Handstopfer, betrachten wir meine Zylindergoldpräparate, so verstehen wir die Anwendung der Rotations- instrumente und der knopfförmigen Handpolierer, wie sie noch heute in der Universität Leipzig angewendet werden, und betrachten wir die heutigen Goldrollen, so verstehen wir die Anwendung der Zinngold- stopfer und keilförmigen Instrumente, Mit dem Material ändern sich die Methoden, und wenn sich viele Kollegen wundern, daß ich in den letzten Jahren aufgehört habe, mit derselben Wärme wie früher der Rotationsmethode das Wort zu reden, so kann ich Ihnen heute sagen, daß das nicht daran liegt, daß ich den Wert der Rotationsmethode geringer schätze, sondern daran, daß ich mit einem anderen Gold- präparat arbeite. Viele Instrumente verwirren den Operateur, und viele Goldarten verwirren den Operateur ebenfalls. Es ist daher mein Ideal, wenig Instrumente und wenig Goldarten in die Praxis einzu- führen, und wenn ich mit meiner reichen Erfahrung Ihnen heute noch einmal mein Goldrollenpräparat demonstriere und noch einmal den kleinen Satz von Instrumenten zeige, den ich zur Anfertigung meiner Füllungen benutze, so komme ich damit einem Bedürfnisse nach, auch

andere teilnehmen zu lassen an dem Vergnügen, welches ich am Gold- füllen habe.

Den Beschluß der interessanten Demonstrationen bildete die Herstellung von Porzellanfüllungen mittels Kryptols.

Herbst bemerkt dazu: „Kryptol ist eine körnige Masse, die in der Hauptsache aus Graphit besteht. Es eignet sich vorzüglich zur Herstellung unserer sogenannten Porzellanfüllungen. Ich sagte absicht- lich sogenannte Porzellanfüllungen, denn keiner von uns ist in der Lage, mit den uns zu Gebote stehenden Mitteln, überhaupt Porzellan zu schmelzen. Was wir erhalten ist Glas, einerlei, ob dasselbe Por- zellanemaille oder Porzellan genannt wird, es ist eben Glas. Der Schmelzpunkt liefert uns den Beweis dafür. Und wenn auch viele hervorragende Fachleute die Anwendung des Glases nach mir wieder und wieder erfunden haben, so freue ich mich doch, daß meine Er- findung von Prof. Sachs und anderen Autoritäten öffentlich anerkaunt worden ist, und wie ich Ihnen, meine Herren, vor 14 Jahren ein brauchbares Material für die Zahnfüllung geliefert habe, so hoffe ich heute in der Lage zu sein, Ihnen einen brauchbaren Ofen hierfür zeigen zu können, nicht in der Absicht, andere Systeme hierdurch zu verdrängen, sondern lediglich um eine nach meiner Ansicht hervor-

ragende Erfindung, nämlich die des Kryptols, unserem Stande zu erschließen. |

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Zahnärztlichen Vereins zu Frankfurt a. M. 475

Für seine interessanten Demonstrationen erntete Herbst reichen Beifall von den Kollegen. Der Vorsitzende Schäffer-Stuckert sprach ihm im Namen des Vereins den Dank dafür aus, daß er wie bereits seit vielen Jahren, so auch in diesem Jahre nach Frankfurt gekommen sei, um die Kollegen mit seinen wertvollen Neuerungen bekannt zu machen.

Samstag vormittag 9! Uhr eröffnete der Vorsitzende Schäffer- Stuckert die wissenschaftliche Sitzung mit folgender Begrüßungs- ansprache:

„Bochansehnliche Festversammlung! Nachdem unser verehrter Kollege und Altmeister, Herr Zahnarzt Dr. Herbst, unser 42. Stiftungs- fet durch seine hochinteressanten praktischen Demonstrationen schon gestern eingeleitet bat, habe ich heute die Ehre, die 42. Jahres- versammlung des zabnärztlichen Vereins zu Frankfurt a. M. zu eröffnen.

Mit dem herzlichen Willkommen. das ich im Namen des Vor- standes des Vereins allen Gästen, allen auswärtigen und hiesigen Kollegen, sowie allen Vereinsmitgliedern ausspreche, verbindet sich angesichts der Zahl 42 unwillkürlich der Wunsch. in dem rastlos fort- laufenden Standes- und Vereinsleben einen Augenblick zu ruhen und auf den zurückgelegten Weg zurückzublicken.

Nachlem wenige Jahre vorher der Central-Verein Deutscher Zahnärzte gegründet worden war, beschlossen im Jahre 1863 mehrere Frankfurter Dahmarate die Gründung eines zahnärztlichen Vereins in ihrer Stadt. Wie wir gerade in den letzten Monatsversammlungen von unserem noch rüstig unter uns weilenden Ehrenmitglied Herrn Zahnarzt Paulson hören durften, ist die Geschichte unseres Vereins ein kleines Abbild der Geschichte der Zahnheilkunde in Deutschland. Von kleinen Anfängen rastlos weiterstrebend, mit Unterbrechungen und mit Schwierigkeiten kämpfend, hat die Zahnheilkunde in Deutsch- land sich zu einer Wissenschaft entwickelt. Und das Vereinsleben der Zahnärzte, das identisch ist mit ihrem Ringen um Anerkennung ihrer Wissenschaft und um Hebung ihres Standes, es blickt heute auf das blühende Bestehen von vielen Provinzial- bzw. Lokalvereinen, die ın dem Vereinsbunde Deutscher Zahnärzte geeinigt, die Beachtung weiter Kreise und der Regierungen gefunden haben. `. In derselben Zeit sind zahnärztliche Institute an den meisten Universitäten entstanden, und der Central-Verein Deutscher Zahnärzte hat durch seine jährlichen Wanderversammlungen und durch seine Verötfentlichungen die Beachtung wissenschaftlicher Kreise gefunden.

Hochverdiente Kollegen sind es, die zu diesem Aufschwung unseres Perufes beigetragen haben. Korypbäen der Zahnheilkunde, ein Wort das noch wenig geprägt und angewandt worden ist, weil es gerade in unserem Fach dem Einzelnen schwer fällt, nach außen Erfolge oder Anerkennung zu finden. Um so nötiger ist es, daß wir unter uns die ürderer unseres Faches schützen, da sie sich diese Stellung nur durch

erlbstlose Hingabe ihrer Tätigkeit und durch freie Bekauntgabe ihrer Forschungen an die Kollegen geschatfen haben. Ich kann mit Freude hier de Namen Witzel und Herbst nennen, die wir heute bei uns begrüßen und ihnen als dritten Miller hinzufügen, den jetzigen Vor- sitzenden des Central-Vereins, der mich beauftragt hat, der Versamm- lung herzliche Grüße auszusprechen, da er zu seinem lebhaften Be- tauern nicht anwesend sein kann. Wenn wir Jüngeren somit durch die Vorarbeit der eben genannten und zahlreichen anderen Kollegen

476 Bericht über die 42. Jahresversammlung des

nun auch in der Weiterentwicklung unserer Wissenschaft manches voraus haben, so gilt doch auch uns das Wort „wer rastet, der rostet“.

Die Zahnheilkunde in Deutschland und die deutsch approbierten Zahnärzte haben in ihrer Beurteilung im deutschen Volke noch manches Ziel zu erreichen. Möchten sich das dochalle Zahnärzte gesagt sein lassen, die außerhalb der Vereins- tätigkeit stehen, denn diese ist nicht eine Liebhaberei der en sie ist eine regelrechte gemeinsame Standes- arbeit.

Die wissenschaftlichen Arbeiten deutscher Zahnärzte haben dazu geführt, daß die deutsche Zahnheilkunde überall, im Ausland einen guten Ruf hat. Auch unsere Wissenschaft ist heute glücklicherweise international, und es darf hier einmal ausgesprochen werden, daß es eine spezifisch amerikanische Zahnheilkunde heute nicht mehr

ibt, wie dies in den Oer und 70er Jahren des vorigen Jahrhunderts

er Fall war. Gerade bei dem letzten internationalen zahnärztlichen Kongreß in St. Louis haben deutsche Kollegen, ich nenne hauptsächlich die Orthopäden Schröder-Kassel, Schröder-Greifswald und Pfaff- Dresden, volle Anerkennung ihrer Leistungen gefunden.

Des weiteren muß hier der Entwicklung der Zahnhygiene ge- dacht werden, die durch selbstlose Tätigkeit zahlreicher Kollegen ın Peutschland in erfreulicher Entwicklung begriffen ist. Wir werden einen Vertreter derselben in Herrn Kollegen Ritter nachher hören, ich erwähne ferner Jessens unermüdliche Tätigkeit, und die demnächst zum Abschluß kommenden Arbeiten Röses bieten eine statistische Basis, wie sie nur wenige Wissenschaften aufzuweisen haben.

Sicher ist im wirtschaftlichen Leben ein Stand nur dann von steigendem Wert, wenn er dem Volkswohl bessere Dienste zu leisten imstande ist. Aber in unserem Staatsleben Auch die Möglichkeit zur Mitarbeit an den großen Kulturaufgaben doch davon ab, in welcher Weise die Mitglieder eines Standes vorgebildet sind, und welche Stellung sie verwandten Berufen gegenüber einnehmen. Dies hat unter den deutschen Zahnärzten die Bewegung zur Verbesserung ihrer wissen- schaftlichen Vorbildung und beruflichen Ausbildung groß werden lassen, und heute stehen wir am Ziel dieser Bewegung, indem die Fin- führung der Maturität als Vorbedingung zum Studium der Zahnheil- kunde und die Einführung eines 7semestrigen Studiums mit zwei Prüfungen sowie einem praktischen Halbjahr uns von kompetenter Seite für die allernächste Zeit in Aussicht gestellt worden ist.

Es ist uns vielfach nachgesagt worden, daß die Erschwerang der Vorbedingungen eine Verminderung der Zahl der Nachkommenden bezwecke. Wie die Verhältnisse aber liegen, wird gerade das Gegen- teil der Fall sein. Erst wenn nach bestandenem Abiturium von seiten der Eltern und Direktoren der höheren Schulen bei der Berufs- wahl auch an den Zahnarzt gedacht wird und nicht wie so häufig jetzt, nach nicht bestandenem Abiturium, wird sich der Unterschied verlieren, der heute auch in bezug auf unseren Beruf von vielen Abi- turienten bzw. deren Eltern gemacht wird. Und auch das Wesen der zahnärztlichen Approbation und ihre Erfordnisse werden auf diese Weise in weiteren Kreisen bekannt werden.

Verzeihen Sie, wenn ich bei dieser Gelegenheit mich etwas aus: führlicher über die Leistungen, Wünsche und Hoffnungen des zahn- ärztlichen Standes ausgebreitet habe, aber zu den Errungenschaften der letzten Jahre gehört ja vor, allem auch eine größere Beachtung unserer Bestrebungen seitens des Ärztestandes und seitens der Behörden.

Zahnärztlichen Vereins zu Frankfurt a. M. 477

Die zahnärztlichen Fortbildungskurse, die auch in unserer Stadt einen erfreulichen Verlauf genommen haben, haben zu einer, wie Herr Prof. Kutner, kürzlich sagte, „ersten gemeinschaftlichen Aktion von Ministerium, Ärzten und Zahnärzten‘ geführt, und es ist zu wünschen, daß sie zu Berührungspunkten von Arzten und Zahnärzten immer mehr Gelegenheit geben möchten.

Ganz besonders aber begrüßt unser Verein heute mit Dank die Anwesenheit zweier Vertreter des Magistrats bei unseren Ver- handlungen, und ich heiße die Herren Stadträte Grimm und Lauten- schlager herzlich willkommen. Ich habe terner die Ehre, die Herren Vorsitzenden mehrerer Vereine zu begrüßen und sage Ihnen allen im Namen des Vorstandes herzlichen Dank für Ihr Kommen. Gehört es doch auch zu den Zielen des Vereins, mit den hiesigen wissenschaftlichen Korporationen in immer engeren Konnex zu treten.

Die letzten Entschließungen der Stadtverordneten-Versammlung über die zu erweiternden medizinischen Anstalten unserer Stadt haben die Schaffung eines großen zahnärztlichen Instituts durch die Freifräu- lein v. Rotlschildsche Stiftung in Aussicht gestellt. Dieses Institut soll, wie es in dem Bericht des Ausschusses heißt: „die unentgeltliche Behandlung Unbemittelter und die zahnärztliche Untersuchung und Überwachung der Volksschulkinder übernehmen, außerdem soll es Gelegenheit bieten zur Absolvierung des in Aussicht genommenen ee Halbjahres und zur Abhaltung der Fortbildungskurse für

ahnärzte dienen.“

Ich kann hinzufügen, daß uns von dem Vorsitzenden der S. Roth- schildschen Stiftung, Herrn Sanitätsrat Dr. de Barv in entgegen- kommendster Weise ein enger Kontakt mit dem zahnärztlichen Verein in bezug auf die Einrichtung des Instituts und auf die durch seine Tätigkeit entstehenden Fragen in Aussicht gestellt ist.

So stebt denn der zahnärztliche Verein zu Frankfurt a. M., der einer der ersten war, die an dem Ausbau der Zahnheilkunde mit- arbeiteten, heute mitten in der Tätigkeit zur Lösung der zahlreichen Fragen, die unserer harren. Möge für seine weitere Tütigkeit, sowie namentlich für die heutige Jahresversammlung das Wort gelten: Quod felix faustum«ue sit.

Ich habe noch zu erwähnen, daß zahlreiche Kollegen dem Verein brieflich ihren Gruß gesandt, namentlich sind viele Dozenten durch den Beginn des Semesters verhindert, der heutigen Tagung beizu- wohnen. Außerdem bin ich beauftragt, von Herrn Generalarzt Dr. Villaret mitzuteilen, daß er durch eine dienstliche Reise zu seinem Bedauern verhindert ist, der heutigen Sitzung beizuwohnen.

Zum Schlusse habe ich noch die angenehme Aufgabe, unserem verehrten 4 jährigen Mitglied Herrn Zahnarzt G. W. Koch in Gießen dieses Diplom seiner Ehrenmitgliedschaft im Verein zu überreichen. Herr Kollege Koch ist uns allen ein heber Freund, der durch seine Lehrtätigkeit in Gießen, die er heute nech in ungeschwächter Kratt ausübt, zum Seren unserer Wissenschaft gewirkt hat. Dem Verein ist er fast seit seiner Gründung ein trenes Mitglied gewesen, und ich überreiche Ihnen, sehr geehrter Herr Kollege, dieses Diplom mit dem Wunsche, noch lange Jahre in voller küstirkeit unser Freund zu bleiben.“

Koch dankte hierauf herzlichst für seine Ernennung zum Ehren- mitglied; er wisse es hoch zu schätzen, Ehrenmitglied eines so ange- sehenen Vereines, der einer der ältesten Vereine Deutschlands ist, zu

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Hierauf sprash als erster Dr. Ritter-B-r.:a äber: Die Notwerdizkeit zabnärztlicher Hi:lfeleisturgen bei unseren sozialen sanitären Wohifahrtseinrichtungen.

Der Vortragernde hob einjeiten de sazzal-politiseten Bestrebungen =

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der letzten Jahre bervor, weste sich auf die Särsurgz uri Hebung

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des Vaıkswon.es bezogen. Unter Erwissusg iss bekannter Douglas- a - 3 kJ

acnen Antrages im Arzerrdoetertause irg Redrer auf die Ziele ein,

» eine ganz andere Be- jentung beizuieren ais frūrer, urd zwar aus fe venden Gründen:

; 2 Reik e Bax "serien vorhanden. teis narmla.er, teis unter Umständen a Natur. Dese jetzte Eizensckaft der Murd: iize trete bevon iers jeicht dann in Wirkurz. wenn Wunden vorzir.ten wiren. wie sie z. B. jeie Zann- extraktion darstelie; es genīgen aber unter Umstürien sehon einfache

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Veretzurgen der Murdsenieimaaut. um derartigen EB be- wesen den Zugang zur Blutbann zu erñjpen und so in einzeinen Fallen

die (eur ineit arg zu gefarrden. Häulger betrīfen a rtize mitunter lehenszetahriiche ken Leute mit ungernerter Mandbähle,

«iLjechten Zihrnen und kKrackem Ziarnleiseie, Aus diesem Zusammen- bauge ginge ferner E dab geur ie Mumiverkilitnisse einen ge- wisen Schütz gegen die A von Intektiorskrankneiten billen. da hoble Zähne und geschwolieres, leicht biutendes ZabnSeisch nach dem heiten Stanizunkte der Wissensen.tt die Keime der Tuber- kilne. Di; &rherie usw. aufzunehmen imstande sind. Sowohl Tuberkel- wie Dintzenenazilien sind im Marde gefunden worsen. Hieraus erzibe sich auch die Netwenrdirkeit antisertischer Maorahmen bei Operationen im Munde und an den Zihnen. für welche nur der appro- biere Zahnarzt eine Garantie bte. Des weiteren vibe es eine ganze Reine von Gewerberrankieien ız. B. EL R S Phosphor- nekrose, (iecksilbererkrankunzern , deren Entstehen oder schnellere Verbreitung anf patäiniserische Vorglvge im Se zurückzuführen serien. [rese allremeinen wri Umingen der Kesundheit fünden ihren Ausgini-nunkt schen im KRimlesalter und binderten schön in milderen Formen (die soziale und geitige Entwicklung und im weiteren Ver- laafe die Arbeittzeunlineitt und Arhbeitstühörkeit des Individnums. ber Mangel an nyvzlenisenen Masnabmen {ir Mand und Zähne mache sich besonders bei Senmikindern und bei Segiren geltend, und nach

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dieser Rientung bin baben sien baurtselehlieh selt Jahren die Unter-

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Zahnärztlichen Vereins zu Frankfurt a. M. 479

suchungen und statistischen Aufzeichnungen von Zahnärzten und Militärärzten bewegt. Bei den Kindern würde die Lernkraft durch häufige Zahnschmerzen gehindert; sie neigen durch den schnellen Übergang von Mundentzündungen auf die Halsgebilde leichter zu Halsentzändungen und fallen durch unangenehme schleimige Sprache, sowie durch üblen Geruch aus dem Munde auf. Dazu kommt ferner unter anderen Gesichtspunkten die Wichtigkeit einer geordneten zahn- ärztlichen Überwachung des Zahnwechsels. Die Statistik der Zahn- untersuchungen bei Schulkindern habe ein so trauriges Resultat ergeben, daß die Forderung nach Schulzahnärzten eine durchaus begründete ist; demzufolge haben auch eine ganze Reihe von Städten bereits Schulzahnärzte angestellt oder Schulzahnkliniken pekuniär unterstützt. Im allgemeinen sei das Ausland uns in bezug auf Zahn- und Mund- hygiene bei allen Öffentlichen Institutionen bei weitem voraus. Der Vortragende, welcher vor einigen Jahren das erste zusammenhängende Werk über „Zahn- und Mundhygiene im Dienste der öffentlichen Gesundheitspflege“ 1) veröffentlicht hatte, ging ferner auf die zahn- ärztlichen Verhältnisse bei den Soldaten ein, auf die Notwendigkeit zahnärztlicher Hilfeleistungen bei den Krankenhäusern, in Waisen- und Erziehungshäusern, in der Armenpflege und den Irrenanstalten usw. sowie vor allen Dingen in den Gewerbebetrieben und bei den Kranken- kassen. Überall führte der Vortragende die wissenschaftliche Begründ- ung und die leider noch spärlich im Deutschen Reiche schon be- stehenden zahnhygienischen öffentlichen Einrichtungen an. Wenn bei den Soldaten, die ganz besonders leicht Erkältungen und Strapazen ausgesetzt seien, vor allen Dingen die nicht immer leichte Extraktion von Zähnen und die Wichtigkeit der Erhaltung kariöser Zähne die Einstellung von Militärzahnärzten verlange. so liege bei den Kranken- häusern hauptsächlich die Begründung für diese Forderung darin, daß für die Erkennung und die Heilung mancher Krankheiten eine spezia- listisch-zahnärztliche Behandlung unbedingt notwendig sei. Als Bei- spiel führte Redner die Mitwirkung der Zahnärzte bei der Bekämpfung der Syphilis an, deren Heilung oft dadurch verzögert würde, daß das zur Behandlung angewandte Mittel, nämlich das Quecksilber, bei Vor- handensein von kranken Zähnen und krankem Zahnfleische ausgesetzt werden müsse, weil sich in höheren oder geringeren Graden die An- zeichen der sogenannten „Stomatitis mercurialis“ bemerkbar machten. Unter der Mitwirkung des Vortragenden, welcher als Stadtverordneter ın Berlin die beste Gelegenheit hatte, die Wichtigkeit derartiger zahn- ärztlicher Maßnahmen für die allgemeine Gesundheit zu beleuchten, habe Berlin zum erstenmale die Mittel für Anstellung eines Zahnarztes

l) Verlag von Gustav Fischer-Jena, im Handbuch der Hygiene von Dr. Theodor Weyl.

480 Bericht über die 42. Jahresversammlung des

in der Geschlechtskranken-Station des „Städtischen Obdaches“ einge- setzt, während Frankfurt a. M. und andere Städte diese Einrichtung nicht besäßen. Bei den Irrenanstalten, führte Redner weiter aus, sei wegen der häufigen Nahrungsverweigerung auf Grund kranker Zähne und wegen der eintretenden Erregungszustände geordnete zahnärztliche Behandlung notwendig, wie dies die Erfolge in Dalldorf b. Berlin und in Darmstadt bewiesen hätten. Bei der Armenpflege, wo es sich mas um ältere Leute handele, sei hauptsächlich die Bewilligung von künst- lichem Zahnersatz notwendig, und hier sei für die öffentliche Wohl- tätigkeit das beste Feld gegeben, Gutes zu tun. Überhaupt erforderten die neuen Einrichtungen, welche auf zahnhygienischem Gebiete not- wendig seien, dringend die Mithilfe wohltätiger Menschen und die Aussetzung von Legaten für derartige städtische Organisationen, da die Anforderungen an die Kommunen selbst, welche in der Neuzeit gerade auf hygienischem Gebiete ständig wüchsen, immerhin mit Mah zu stellen seien.

Der Vortragende schließt mit dem Wunsche, daß seine Anreg- ungen nicht nur in Frankfurt a. M., sondern auch bei anderen Kom- munen auf fruchtbaren Boden fallen mögen.

Der Vorsitzende dankte für den äußerst anregenden Vortrag des Herrn Dr. Ritter und bemerkt, es seien darin so viele Punkte, die von allgemeinem Interesse sind, berührt worden, daß sich die Diskussion

wohl zu lange hinausziehen würde. Es wäre daher ratsamer, von einer solchen vorläufig abzusehen.

Hierauf erhält Prof. Dr. Ad. Witzel-Bonn das Wort zu seinem Vortrage:

Anatomisch-pathologische Randbemerkungen zur Wurzel- spitzenresektion.

Prof. Dr. Witzel hatte sein auf dem Programm ursprünglich vorgesehenes Thema (Über den erschwerten Durchbruch unterer Weis- heitszähne, mit Demonstration zahlreicher Kieferpräparate) mit Rück- sicht auf den von Dr. Mayrhofer-Linz angekündigten Vortrag modifiziert. Sein Vortrag stützte sich auf zahlreiche Kieferpräparate. ca. 30, die Prof. Witzel, auf den von ihm en Demon- strutionstafeln, übersichtlich und bequem aufgestellt hatte. Diese waren in 4 Gruppen geordnet.

Die erste Gruppe zeigte die Beziehungen der Zahnwurzeln des Oberkiefers zur Nasen- und Kieferhöhle, die beide bei der Resektion der Wurzelspitzen geöffnet werden können. Und diese Eröffnung der Kieferhöhle ist als unerwünschte Nebenverletzung bei der in Rede stehenden Spitzenres®ktion an den Mahlzähnen event. auch der der Prämolaren dann kaum zu vermeiden, wenn der Processus zygomaticus des Oberkiefers dick, breit und dicht über dem Zahnfortsatze zu fühlen und die Fossa canina flach, kaum ausgebildet ist. Dagegen zeigte u. a. ein Präparat bei schlankem, hochstehenden Proccessus zygomaticus

ra 3

Zahnärztlichen Vereins zu Frankfurt a. M. 481

eine so kleine Kieferhöhle, daß zwischen der Bodenlinie der letzteren und den Wurzelspitzen der Seitenzähne ein Zwischenraum von 1—2 cm vorhanden war. Eine Verletzung solcher Oberkieferhöhlen ist bei der \Wurzelspitzen-Resektion ausgeschlossen, die der Nasenhöhle aber nicht.

Die zweite Gruppe brachte eine Anzahl Unterkiefer, an denen, wie an den Oberkiefern die Kieferhöble, hier die Alveolen und der Verlauf des Kieferkanales zum Teil bei elektrischer Durchleuchtung der Präparate aufgezeichnet (projiziert), zum Teil durch Abtragung des Knochens frei präpariert worden waren.

So sah man, daß an einem sogenannten Normalkiefer der Canalis mandibularis von den Wurzelspitzen aller Seitenzähne 8—10 mm ent- fernt lag; an anderen Präparaten, daß der Kieferkanal zwar von den Wurzelspitzen der Mahlzähne bis zu 8 mm entfernt war, sich auf- steigend aber den Wurzelspitzen der Prämolaren so näherte, daß die Spitzen der Alveolen dieser Zähne bis dicht an den Kieferkanal und das Foramen mentale heranreichten.

An einem Kieferpräparate, bei dem die Muahlzahnwurzeln lingual freigelegt waren, lag die Kieferarterie dicht unter den Wurzelspitzen.

Interessant waren auch die Präparate, welche Aufschluß gaben üker die Länge der Wurzeln unterer Frontzähne, namentlich der Eck- zähne, von denen an einem Präparate die Alveolen eine Länge von ca. ?!/, cm hatten.

Die dritte Gruppe brachte pathologische Veränderungen, wie sie durch Alveolarzahnfleischtisteln, Cysto-Granulome und Wurzelcysten in den Kiefern hervorgerufen werden, und es wurde gezeigt, daß die eitrigen Einschmelzungen des Knochens durch Alveolar-Zahnfleisch- tisteln oder blinde Abszesse meist einen kleinen, linsengroßen, unregel- mäßigen Defekt in der facialen Wand des Zahnfortsatzes hinterlassen, daß dagegen die durch den Druck allmählich wachsender Cysten be- dingten Defekte glatte Höhlenwände und glatte, scharf ausgebildete und mehr kreisrunde, zuweilen etwas gewulstete Randdefekte des Alveolarfortsatzes haben. Aber nicht allein in der großen Cystenhöhle eines instruktiven Oberkieferpräparates sah man die Wurzeln des be- nachbarten gesunden Mahlzahnes freiliegen; auch bei Alveolar-Zahn- Neischabszessen kann, wenn auch in seltenen Fällen, die Knochenein- schmelzung so umfangreich sein, daß die Wurzeln benachbarter, gesunder Zähne mit in die Höhle des Knochenabszesses hineinragen.

Die vierte Gruppe von Präparaten zeigte an auf Papptafeln befestigten Fistelzähnen den Zustand des Periodontiums und der Wurzel- spitzen derselben. Das Material hierzu war ca. 100 Fistelzähnen ent- nommen, die in verschiedenen zahnärztlichen Instituten und Kliniken gesammelt und dem Vortragenden eingeschickt worden waren. Diese Präparate beweisen aber, daß die fast allgemein für Fistelzähne ange- nommene „Nekrose“ der Wurzelspitze höchstens an 5—10 Proz.,

XXIII, 31

482 Bericht über die 42. Jahresversammlung des

jedenfalls nicht häufiger als an anderen extrahierten wurzelkranken Zähnen angetroffen wird, und daß eine Ablagerung von braunen Kalk- konkrementen an den Wurzelspitzen der Fistelzähne noch seltener vor- kommt. Über 90 Proz. aller Fistelzähne haben makroskopisch einen gesunden Zementmantel und eine nur an der Spitze vom Periodont ent- blößte Wurzel. Bei mehrwurzligen Fistelzähnen ist gewöhnlich die Spitze der Fistelwurzel nackt, die anderen dagegen haben kleine Granulome.

Alle diese höchst instruktiven Präparate waren mit kurzew

erklärenden Text versehen, so daß ein jedes Präparat für jeden Be- schauer schon ohne weitere Erklärung verständlich war.

Nach dem Dank des Vorsitzenden sprach Dr. Mayrhofer-Linz über: Die pathologische Anatomie und die Diagnostik der Zahnfisteln

und Wwurzelgranulome.!')

Ich hatte ursprünglich die Absicht, die Wurzelspitzenresektion an einem Patienten vorzuführen, doch ist mir dies heute leider nicht möglich. Bevor ich auf meinen Gegenstand näher eingehe, habe ich noch einige Bemerkungen vorauszuschicken. Vor allem möchte ich der irrigen Auffassung entgegentreten, als ob bei der chirurgischen Behandlung die Wurzelspitze als das Krankheitsagens betrachtet würde, durch dessen Entfernung allein dem Patienten Heilung ge- bracht werden könnte. In Wirklichkeit ist die Entfernung der Wurzel- spitze Nebensache. Sie erfolgt nur dann, wenn sie aus chirurgischen Rücksichten geboten erscheint. Das septische Material wird gewöhn- lich im Kiefer gelassen, es wird aber dadurch zerstört, daß darum herum die antiseptische Substanz gepreßt wird. Beim chirurgischen Verfahren wird dagegen das septische Material als Neoplasma behan- delt. Antisepsis wird nur im Wurzelkanal angewandt, im übrigen dagegen Asepsis. Die Erfüllung der Forderungen der Asepsis ist es, die unter Umstünden die Amputation der Wurzelspitzeu nötig macht (der Redner zeichnet während dieser Ausführungen schematische Dar- stellungen an die Tafel. Man kann die Veränderung nur dann asep- tisch machen, wenn die Verhältnisse im Munde sehr einfach sind. Es dürfen nirgends Nischen und Einbuchtungen vorhanden sein. Die Wurzelspitzen muß man wegnehmen, damit keine Buchten geschaffen werden. Es kommt dabei gar nicht darauf an, in welchem Zustande sich die Wurzelspitzen selbst befinden. Wenn die Granulomböhle voll- ständig unter der Wurzelspitze liegt, entfernt man die Wurzelspitze. Das muß, wie bereits eingangs erwähnt, deshalb betont werden, weil man in dieser Hinsicht häufig auf die falsche Ansicht stößt, daßdie Entfern- ung der Wurzelspitze an und für sich das Wesentliche an der Sache sei.

Die makroskopische Betrachtung der hier auftretenden Erschei- nungen ist bisher und zwar ganz mit Unrecht sehr stiefmütter-

1) Nach der stenographischen Niederschrift kurz berichtet.

Zahnärztlichen Vereins zu Frankfurt a. M. 483

lich behandelt worden. Wir befinden uns hier auf einem Gebiete der pathologischen Anatomie, das noch recht schwach bebaut ist; denn die pathologischen Anatomen haben sich bisher noch herzlich wenig darum gekümmert, ein Beweis mehr für die Geringschätzung, mit der man vielfach auf die Zahnheilkunde herabsieht. Das große Wiener Museum hat z. B. nöch kein einziges Präparat dieser Art.

Bei der makroskopischen pathologischen Anatomie leider haben mir für meine Untersuchungen keine Leichen zur Verfügung gestanden und ich muß mich daher trotz der Wichtigkeit des Gegenstandes auf eine kurze Skizze beschränken bei der makroskopischen pathologi- schen Anatomie, sage ich, müssen wir verschiedene Unterscheidungen beachten. Erstens kommt die Größe der Apexwucherungen in Frage. Die Größe schwankt zwischen der eines Hirsekorns und der eines Fingergliedes. Auch Granulome von der Größe eines Fingergliedes müssen nicht notwendig cystisch entartet sein. Aber selbst hirsekorn- große Granulome reichen mitunter aus, der wirksamen Desinfektion des Wurzelkanales Hindernisse entgegenzustellen. Zweitens verdient die Lage der Apexwucherungen zur Wurzelspitze größte Beachtung In der Längsachse des Zahnes gerechnet, kommen derartige Wucherungen so vor, daß sie vollständig oberhalb der Wurzelspitze liegen. In solchen Fällen kann von einer Resektion der Wurzelspitze keine Rede seın. Umgekehrt können die Wurzelspitzen sehr weit in die Granu- lation hineinragen. Ferner kommen Granulome links und rechts, vor und hinter der Wurzelspitze vor.

Weiter ist die Beteiligung des Knochens, die Usur, zu betrachten. Schon ehe man zur Operation schreitet, muß man sich völlig darüber klar sein, ob vor der Wurzelspitze eine Usur gegeben ist. In den meisten Fällen von derartigen Prozessen, die schon länger bestehen. ist die Wurzel teilweise vom Knochen bedeckt, teilweise ragt sie in das Loch hinein. Bei einzelnen Zähnen nehmen die Apexwucherungen die verschiedensten Formen an, so hat z. B. ein Zahn am Apex ein Granulom und es geht ein dünner Kanal nach aufwärts usw.

Sehr wichtig ist die Betrachtung der Verhältnisse, die eintreten, wenn mehrere Zähne gleichzeitig in den Prozeß einbezogen sind. Man kann da manchmal beobachten, daß 2 bis 4 Zähne in eine Granula- tionshöhle münden; es kann ferner vorkommen, dab zwei Zähne neben- einander eine Apexwucherung tragen und daß die Wucherung des einen ganz klein, die des andern sehr groß ist. Der Umstand, daß mehrere Zähne gleichzeitig in den Prozeß einbezogen sein können, macht es notwendig, daß man sich davon überzeugt, ob die Nachbar- zähne eine lebende Pulpa haben oder nicht. Wenn man nämlich den toten Zahn allein operiert, ist die Arbeit umsonst geschehen.

Ich möchte noch einige Worte über die Diagnostik der Zahn- fisteln sprechen. Fisteln erkennen meistens die betreffenden Patienten

31"

484 Bericht über die 42. Jahresversammlung des

selbst schon. Dem Arzte handelt es sich vor allem darum, festzu- stellen, von welchem Zahn das Leiden ausgeht. Es kann nämlich auch vorkommen, daß man eine Fistel findet, ohne daß überhaupt ein kuriöser Zahn vorhanden ist. In solchen Fällen sucht man nach plom- bierten Zähnen. Doch kann es sein, daß auf der betreffenden Kiefer- seite auch kein plombierter Zahn zu finden ist. Dann sieht man sich nach dem Vorhandensein eines früheren Traumas oder einer Alveolar- pyorrhöe um.

Was die Technik des Verfahrens anlangt, so ist zunächst etwas über das Instrumentarium zu bemerken. Dazu gehört im weiteren Sinne das Ordinationszimmer. Dieses muß bei einem Zahnarzt, der solche Operationen ausführt, frei sein von Dekorationen und darf nur das Notwendige enthalten. An Werkzeugen werden außer den ge- wöhnlichen Bohrern zur Eröffnung der Alveole noch kleine und große Rosenbohrer verwendet. Ich bemerke weiter noch, daß ich zum Ab- schluß der Operation nicht Tamponade benutze, sondern daß ich die Röhre mit Jodoformplombe ausfülle und dann die Schleimhaut darüber her vernähe. Ich habe die übliche Mossetigsche Jodoformplombe in folgender Weise modifiziert: Cetacium 30, Ol. Sesami 15, Jodo- form 10. Zur Erwärmung der Plombe habe ich mir ein Wasserbad hergerichtet, doch genügt dazu auch jeder Schnellsieder. Die Plombe- masse wird mittelst einer Spritze eingeführt, damit sie weich bleibt. Die Anästhesie ist immer lokal, eine Narkose ist nie notwendig. Es wird nieht direkt in die Schleimhaut eingespritzt, sondern man setzt die Nadel senkrecht auf den Alveolarfortsatz auf und son- diert so gleichsam den Nerv. Man verläßt sich bei der Anästhe- sierung auf die Fernwirkung. Bei der Wurzelbehandlung trachtet man den Wurzelkanal mit einer Guttaperchaspitze möglichst fest zu stopfen, Nachdem die Schleimhaut geschnitten ist, wird bei der wei- teren Schnittführung das Messer immer steil gehalten. Das Jugum der Zähne ist ein wichtiger Führer für die Wurzeln. (Der Redner de- monstriert während des letzten Teils seiner Ausführungen die einzelnen Vorgänge an der Leiche.)

Lebhaften Beifall fanden die Worte und die Demonstration des Reiner.

Nachdem der Herr Vorsitzende, Herr Schäffer-Stuckert. dem Vortrurenden den Dank ausgesprochen hatte, erhielt Herr A. Masur- Breslau das Wort zu seinem Vortrag:

Demonstration meiner modifizierten Wurzelspitzenbehandlung bei chronischen Alveolarabszessen.

Herr Prof. Witzel hat schon in seinem Vorträge ziemlich viel über diesen Gegenstand gesprochen. Ich babe schon vor zwei Jahren etwas über Wurrelspitzenresektion veröffentlicht und weiß nicht, wieso es kommt. dab Prof. Witzel dieser Arbeit in keiner Weise Erwäh-

i y s ari i Dha ` oere me O sa TE O-

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Zahnärztlichen Vereins zu Frankfurt a. M. 485

nung getan hat. Die Resektion nach Prof. Partsch stellt sich sehr kompliziert dar, so daß man ihr keineswegs jeden Patienten unter- werfen kann. Die Operation von Partsch stützt sich auf die Er- wägung, daß bei chronischen Alveolarabszessen der erkrankte Teil der Wurzel ganz entfernt werden müsse, sie erfordert Freilegung der Wurzelapitze und schließlich Abtragung. Hahn in Breslau hat die Wurzelspitze abzutragen versucht. Aber auch diese Operation konnte sich in die Praxis nicht Eingang verschaffen, da sie mit Rücksicht auf den gewundenen Verlauf des Wurzelkanals ziemlich schwierig ist. Die Wurzelspitzenresektion von Partsch ist schon seit einer Reihe von Jahren bekannt, hat jedoch keine größere Verbreitung erfahren. Das Bild von Zähnen mit schönen Füllungen, die unterhalb eine Fistel baben, ist da gar nicht selten. Die Notwendigkeit einer vereinfachten Behandlungsmethode tritt daher klar zu tage. Ich habe es nun mit der Bekämpfung der Ursache durch Beseitigung der pathologischen Veränderungen an der Wurzelspitze bei möglichster Schonung der Wurzel versucht. Fast an jeder Wurzel finden wir eine nackte Wurzelspitze. Es wird sich vor allem darum handeln, einen direkten Zugang zur Wurzelspitze zu gewinnen. Man bedient sich dazu nıe- chanischer und chemischer Mittel. Mit dem Messer wird das Zaln- feisch von der Fistelmündung nach der Wurzelspitze hin gespalten. Die Fistelbildung wird in den Schnitt mit einbezogen. Dann dringt man mit dem kleinen rosenförmigen Bohrer durch den Alveolarknochen in die Gegend der Wurzelspitzen vor. Man geht mit dem Bohrer an die Wurzelspitze heran und spritzt die Wunde aus. Es beginnt die Umwaschung mit 50prozentiger Schwefelsäure rings um die Wurzel- spitze herum. Der engste Kanal wird durch die Säure zugänglich ge- wacht. Fast jede Fistel wird so zum Rückgang gebracht. Diese Operation muß aber erst dann angewandt werden, wenn alle Mittel, vom Wurzelkanal aus anzugreifen, versagt haben. Wenn es gelingt, durch den Wurzelkanal eine antiseptische Lösung hindurchzuspritzen, it Heilung zu erzielen, andernfalls muß man mit dem Wurzelkanal- bohrer eingreifen. Es ist nicht ratsam, die Wurzelspitzenresektion in übertriebener Weise anzuwenden. Zur Umwaschung der Wurzelspitze dient ein in Schwefelsäure getauchtes Wattebäuschchen. Die Operation ist außerordentlich einfach. Es genügt dazu eine peinliche Desinfek- tion. Gegen diese Operationsmethode könnte man einwenden, daß es nicht möglich sei, in allen Fällen hinter die Wurzelspitze zu gelangen. Das ist aber auch nicht nötig. Die Schwefelsäure dringt auch an die hinteren Partien der Wurzeln. Sie dringt auch dahin, wohin man mit dem Instrument nicht gelangt. Bei der Wurzelresektion wird der Zahn Immer geschädigt; man schafft manchmal sogar pathologische Verhält- nisse. Was die Ausführung der Operation betrifit, so macht sie gar keine Schwierigkeit. Die Tamponade kann vollständig fortgelassen werden.

486 Bericht über die 42. Jahresversammlung des

In der Diskussion, die sich an diese Vorträge anschloß, sprach als erster Kersting-Aachen: Die von Herrn Kollegen Masur be- handelte Frage ist eine so wichtige und weitgehende, daß man damit einen ganzen Kongreß ausfüllen könnte. Ich halte es für eine wesent- liche Förderung dieses Gegenstandes, daß Prof. Dr. Witzel eine An- zahl Fragen im Druck verteilt hat, damit man sich über die Sache äußert. Bei der Diskussion kann kein erschöpfendes Resultat heraus- kommen. Veröffentlicht ist bisher über dieses Thema eigentlich noch sehr wenig. Es sind viele schöne Präparate da und Kollege Mayr- hofer hat über Granulome gesprochen und betont, daß sie sehr ver- schieden sind. Er hat uns mitgeteilt, daß er aseptisch vorgeht und nur die Desinfektion des Wurzelkanals antiseptisch vornimmt. Nach meiner Ansicht ist die Sache gerade umgekehrt. Wir können, nach- dem der Wurzelkanal gereinigt ist, die Wurzelspitze ausfüllen. Wenn wir eine Inzision machen und auf das Granulom kommen, haben wir es mit spongiösen Knochen zu tun, so daß wir mit der Asepsis kaum etwas machen können. Dr. Mayrhofer führt Jodoformplombe ein, Kollege Masur dagegen nichts. Die Heilung der Alveolarsahnastel kann man auch durch Aseptischmachung des Wurzelkanals erreichen. Ich habe gerade in den drei letzten Wochen in sechs Fällen damit Heilung erzielt.

Masur: Bezüglich der Ursachen der Cysten haben sich einige Irrtümer eingeschlichen. Die Granulome sind Schutzbildungen. Ein Granulom kann an und für sich nicht Veranlassung zur Fistelbildung geben. Zur Fistelbildung kommt es erst durch den Zerfall des Gra- nuloms. Gesunde Granulome geben, wie gesagt, niemals Anlaß zur Fistelbildung. Es ist sogar der ideale Zustand, daß sich ein solches Granulom an der Wurzel bildet.

Dr. A. Senn-Zürsch: Ich glaube, daß Kollege Masur sich im Irrtum befindet. Was die Operation anlangt, so will ich mich darauf nicht näher einlassen, soweit sie den Unterkiefer betrifft. Anders liegen aber die Verhältnisse im Oberkiefer. Wenn die Wurzelspitze in das Antrum hereinragt, ist die Erkrankung schon ziemlich weit vorgeschritten. Der Fall, der jeweils vorliegt, diktiert die Behandlung. Wenn man mit Medikamenten nicht zum Ziele kommt, ist es gut, zur Operation zu schreiten. Vor 4 bis 5 Jahren habe ich selber in der Schweiz eine kleine Schrift über diesen Gegenstand erscheinen lassen. Zur Entfernung des Granuloms bediene ich mich eines scharfen Löffels. lch eröffne die Wunde nicht allzu weit, sondern mache nur eine kleine Inzısion, um mit dem Löttel eindringen zu können. Dann wird noch eiu Tampon eingelegt (auf etwa ?4 Stunden), dann wird die Wunde aus- gespritzt. Unter Umständen ist es nötig, gleich einen zweiten Eingriff zu machen. Ich habe auch nicht in allen Fällen dauernde Erfolge erzielt. Den Bohrer habe ich nur in einem Falle, dem Falle einer (aumenfistel. gebraucht. Es wurde dabei labial eine Inzision gemacht. Es gibt Fälle, wo man mit der Durchspritzung nicht zum Ziele kommt. Von vornherein läßt es sich nicht entscheiden, ob man mit einem Eingriffe zum Ziele kommt oder nicht. Der Scheu vor der Operation begegnet man am besten dadurch, daß man jemand dazu heranziebt, der sich viel mit solchen Füllen betaßt hat.

Dr. Bartels- Freiburg: Vor allem ist es nötig, sich die Chancen, die die Operation bietet, vorher genau zu überlegen. Prof. Witzel hat auf die verschiedenen Gefahren derselben hingewiesen. Ich bin der Uberzeugrung, daß solche Operationen im ganzen gar nicht nötig sind. Wir baben in den letzten Jahren so viel schöne Erfolge in der

Zahnärztlichen Vereins zu Frankfurt a. M. 437

Wigrzelbehandlung erzielt, daß wir auf dem einmal eingeschlagenen Wege fortschreiten sollten. Ich möchte daher in Übereinstimmung mit: Kollegen Masur erst dann zur Operation schreiten, wenn vorher alles andere vergeblich versucht worden sei. Es kommen auch Abszesse am Gaumen vor, die Kollege Mayrhofer kaum wird operieren wollen. Bei Abszessen könne wohl von Asepsis nicht die Rede sein, man könne da nur von Antisepsis sprechen. Die Anwendung von Gummi- handschuben, wie wir sie bei Kollegen Mayrhofer gesehen hätten, halte er für ganz überflüssig. | Der Vorsitzende erklärt, daß die Gummihandschuhe nur wegen der Demonstration an der Leiche benutzt worden seien.

Kersting: Kollege Masur stellt es als Ideal dar, wenn an der Wurzelspitze ein Granulom vorhanden ist. Ich möchte dagegen be- haupten, es sei eher ein Ideal, wenn man eine Fistel hat. as macht man mit einem Granulom, wenn man einen Zahn findet, bei dem unter der Füllung die Pulpa zerstört ist? Wir müssen die Wurzel behan- deln: wir behandeln sie mit antiseptischen Sachen, wir bohren sie aus, aber was außerhalb der Wurzelspitze liegt, können wir nicht heilen, wenn wir nicht von außen herantreten. Die aller unangenehmsten Erscheinungen sind die Granulome.

Prof. Ad. Witzel: Meine Herren! Nicht meinen persönlichen Standpunkt zu den in Rede stehenden Vorträgen über Wurzelspitzen- resektion will ich hier vertreten, sondern Ihnen Mitteilungen machen über bereits bei mir eingelaufene Beantwortungen der auch Ihnen hier unterbreiteten Fragen. Aus dieser Fragebeantwortung geht zunächst hervor, und ich stelle diesen Punkt als den wichtigsten an die Spitze meiner Erörterungen, daß u. a. auch die Kollegen Hentze-Kiel,

| Michel- Würzburg, Bönnecken-Prag, Kersting-Aachen, die Wur-

‚elspitzenresektion nur an oberen Frontzähnen und Prämolaren, zu-

weilen auch an unteren 1. Prämolaren und Eckzähnen gemacht haben.

An oberen Mahlzähnen, bei denen die Alveolen häufig, und zwar von | uns nicht diagnostizierbar, im Bereich der Kieferhöhle liegen, haben die genannten Herren Kollegen die Resektion der Wurzelspitzen nicht aus- ! keführt, ebensowenig an unteren Mahlzähnen, an denen dieser Eingriff E selbst von einem unserer tüchtigsten Zahnchirurgen, dem Kollegen

; Weiser- Wien wegen der verschiedenen und am Lebenden nie zu be- : *ümmenden Lage des Unterkieferkanals als unheimlich, ja gefährlich zeichnet wird.

Die Resektion der Wurzelspitzen wird also von den genannten Herren 72T an solchen Zähnen und zwar hauptsächlich zur Behandlung von Zu ®fleischtisteln gemacht, an denen diese Erkrankung von anderen W ärzten fast mit absoluter Sicherheit auch ohne Abtragung der

OSserzeispitzen lediglich durch Desinfektion der Pulpahöhle mit Säure und Ausfüllen der Kanäle und der Abszeßhöhlen durch irgendeine anti=eptische Pasta zur Ausheilung gebracht wird. Und darin, meine

er ren, liegt die Schwäche der Resektionsmethode, daß sie wur Erhaltung der Mahlzähne der wichtigsten Kauzähne, die wir so häufig trotz ihres Pulpenzerfalles als Träger großer Zuhnersatzstücke aus- erselnen, nicht oder nur mit einer gewissen (tefahr angewendet werden A kann, während gerade hier die rein antiseptische Behandlung, wenigstens bei der Behandlung der Alveolarzahnlleischfisteln, ihre schönsten Er-

tolge aufzuweisen hat. l Die Wurzelspitzenresektion kann also bei der Fistelbehand- ‚ung mindestens als entbehrlich bezeichnet werden. Aber auch bei der Behandlung der chronischen (blinden) Abszesse ist sie aus anatomisch-

wenn

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488 Bericht über die 42. Jahresversammlung des

technischen Gründen nur in wenigen Fällen anwendbar, und zwar wieder nur an den Zähnen, wo wir sehr bequem auch mit dem Aus- saugen des Eiters aus der kleinen Abszeßhöhle durch den Waurzel- | kanal und nachfolgender antiseptischer Füllung sehr gute Resultate verzeichnen. Diese erreicht zu haben, betont besonders Prof. Michel in seiner Antwort. Inwieweit sich bei der Behandlung blinder Alveolarabszesse die Trepanation der kleinen Eiterhöle des Kiefers seitlich vom Alveolarfortsatze aus auch bei Molaren empfiehlt, mub durch Veröftentlichung zahlreicher Beobachtungen in der Praxis noch

festgestellt werden.

Als zweiter bemerkenswerter Punkt scheint mir aus den zugegangenen Antworten der hervorgehoben werden zu müssen, daß das sichere Auf- finden der Wurzelspitzen nicht leicht ist und namentlich die der Eck- zähne häufig verfehlt worden sind.

Auch lästige Störungen der Wundheilung sind in einzelnen Fällen trotz sachgemäßer wochenlanger Nachbehandlung der Knochenwunde vorgekommen. Auf Einzelheiten möchte ich hier nicht weiter eingehen, sondern nur noch hervorheben, daß auch über die Indikationen der Wurzel- spitzenresektion die Ansichten sehr geteilt sind. Während sie Hentze zur Behandlung einer jeden Zahnfleischfistel ausgeführt haben möchte, und zwar sofort nach dem Ausfüllen der Wurzelkanäle, wartet Bönnecken- Prag in jedem Falle erst den Erfolg der antiseptischen Wurzelfüllung ab, 4—6 Monate bevor er zur Wurzelspitzenresektion schreitet, aber nur dann, wenn ihm und dem Patienten die Beseitigung der Fistel wün- schenswert erscheint. Andere Kollegen mit reicher Erfahrung, wıe Dorn-Saarlouis, haben Hunderte von Fistelzähnen durch rationelle Be- handlung ihrer Wurzelkanäle ausgeheilt und nie eine Resektion der Wurzelspitze zu gleichem Zwecke ausgeführt.

Das sind die Ergebnisse meiner Rundfragen, deren Mitteilung mir hier angebracht erschien.

Dr. Mayrhofer-Linz: Ich muß allerdings gestehen, daß mir eigentlich mein Thema aus der Hand geglitten ist, als ich nur die Technik der Operation besprechen wollte. Das Für und Wider der Indikation zu erörtern, wird heute wohl nicht möglich sein. Ich glaube aber, die Frage ist nicht gar soweit von der Lösung entfernt. Die Fistel der Zähne wird doch an den meisten Zähnen zuerst medikamen- tös behandelt, nur die übrigbleibenden werden operiert, besonders die oberen ersten Prämolaren und die oberen ersten Molaren.

| berflüssig ist die Wurzelresektion nicht, denn es gibt viele Fälle, wo sie allein helfen kann. Was das Verfahren des Kollegen Masur anlangt, so kann das nicht als eine chirurgische Methode gelten. Wenn man operieren will, muß man das Operationsfeld vorher ordentlich klar legen, anderen Falles verzichtet man besser auf die Operation. Man soll eben nach streng chirurgischen Regeln verfahren. Kollege Masur weiß nicht, was bei der Einspritzung der Schwefel- süure geschieht. Wie macht er es denn bel mehreren Wurzeln? Häufig sind die Wurzeln vereinigt, häufig sind sie getrennt, so daß jede Wurzelspitze ihr eigenes Granulom hat. Wie gelangt man da zu den einzelnen Granulomen? Wenn man sich erst durch den Ver- lauf überzeugt, ob das Verfahren genützt hat, so ist das kein chirur- gisches Vorgehen. Die Frage nach der Verwendung von Gummihand- schuhen ist ganz nebensächlich. Die Desinfektion der eigenen Hände ıst vollkommen ausreichend. Bei Demonstrationen an der Leiche be-

dient man sich natürlich der Gummihandschuhe, sonst kann man sie gewiß beiseite lassen.

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Masur-Breslau: Dr. Mayrhofer hat mich falsch verstanden, indem er meint, es sei nicht möglich, die Wurzelspitzen zu erreichen. Die Säure wird nicht mit der Spritze, sondern mit Wattebäuschchen eingeführt. Es genügt eine kleine Menge der Säure.

Natürlich sınd die Granulome nicht Idealzustände einer gesunden. sondern nur einer erkrankten Wurzel. Wenn man eine Wurzel hat, aus deren Kanal eine seröse Flüssigkeit kommt, so füllt man schließlich den Kanal mit einer antiseptischen Paste. Das genügt oft für viele Jahre. Jedenfalls haben Wurzelbehandlungen mit so und so vielen Einlagen keinen Sinn. Wenn man eine Wurzelbehandlung nicht in zwei Sitzungen erledigen kann, tut man tatsächlich viel besser, da- von abzulassen.

Der Vorzitzende dankte allen Rednern, die sich bei der Diskussion so lebhaft beteiligt hatten, herzlichst und läßt eine Pause eintreten.

Nach der Pause wurde die Sitzung um !/3 Uhr wieder auf- genommen. Sie war praktischen Demonstrationen gewidmet. Bruck- Breslau demonstrierte an einem Patienten die Anfertigung einer Por- zellankonturfüllung in Jenkins-Emaille, nach dem System Mellersh, wie er sie bereits an andrer Stelle ausführlich beschrieben hat. Masur- Breslau stellte eine Bikuspidatenkrone aus Jenkins-Emaille her, wobei er den Christensenschen Gasofen benutzte. Auch Herbst beteiligte sich an der Demonstration, indem er Porzellanfüllungen mittels Kryp- tolheizung herstellte.

Hierauf erhielt Dr. Senn-Zürich das Wort zu seinem Vortrage:

Porzellankonturfüllungen mit Gold kombiniert. [Vergl. diese Monatsschrift, August-Heft, S. 469.]

Den Schluß der Samstag-Sitzung bildete der Vortrag und die Demonstration der neuen „hydraulischen Presse“ zur Anfertigung von Gebißplatten seitens des Kollegen Eichentopf-Naumburg. Er äußert sich hierzu wie folgt:

Wenn man einen dicken Metallstab ein wenig biegt, so ver- ändert er sich dabei elastisch, d. h. nach Wegfall der defor- mierenden Kraft kehrt er in seine alte Form zurück. Verstärkt man das Biegen, so kann man beobachten, daß der Stab nach Aufhören der biegenden Kraft wieder etwas zurückschnelltte Er nimmt dann ungefähr eine Mittellage ein zwischen seiner ursprünglichen und der gegebenen Form. Die Erklärung liegt darin, daß die äußeren Fasern des Stabes stärker beansprucht werden als die inneren.

Um einen solchen Stab in eine bestimmte Form zu bringen, ist es nötig, denselben in einer Presse so stark zu pressen, daß alle Teil- chen desselben die sogenannte Fließgrenze erreicht resp. überschritten haben. (Unter Fließgrenze versteht man also den Status, in dem ein Metall einen derartigen hohen Druck erhält, daß es in allen seinen einzelnen Teilchen in der gewünschten Form beharrt und nicht wieder in die ursprüngliche Form auch nur teilweise zurückgeht.

Genau so verhält es sich mit einem zu prügenden Bleche. da es ja als breiter Stab aufgefaßt werden kann.

490 Bericht über die 42. Jahresversammlung des

Will man eine Gaumenplatte herstellen durch Pressen zwischen Matrize und Patrize, beide aus gleichhartem Metall, etwa Spencemetall, so müssen alle Teile des Bleches, wenn es genau die Form der Matrize beibehalten soll, die Fließgrenze erreicht resp. überschritten haben, und das würde voraussetzen, daß Matrize und Patrize mit Berücksichtigung der Blechdicke mathematisch genau aufeinander passen. Dies ist jedoch ausgeschlossen durch die Kontraktion bzw. durch das Schwinden des Spence- überhaupt jeden Gußmetalles.

Sodann wird man, namentlich bei stark konkaven Gaumen, die Beobachtung machen, daß beim Trennen der Küvetten um die Blech- stärke an den seitlichen Flächen die erwünschte Blechstärke noch nicht herauskommt. Daraus resultiert ein ungleicher Druck beim Pressen. (sesetzt aber den Fall, die Küvetten paßten nach Entfernung um eine Blechstärke genau zueinander, so würden zwar die Teilchen des Bleches senkrecht zur Druckfläche genügend Druck bekommen und somit ihre Form beibehalten; es würden aber die schrägliegenden Flächen weniger Druck erhalten und daher nach dem Pressen bestrebt sein, etwas -urückzufedern.

Es wurde deshalb die Patrize aus weicherem Metall hergestellt in der Annahme, daß dieses durch seine Nachgiebigkeit auch an den zunächst noch nicht genau stimmenden Stellen bei zunehmendem Druck überall genügend preßt. Dies würde auch in befriedigender Weise eintreten, wenn die Matrize ganz wenig konkav wäre, bei sogenanntem flachen Gaumen; da aber die Gaumen nicht nur oft stark konkav sind, -ondern sogar zuweilen untersichgehende Stellen haben, so ist es nötig, daß der Druck nicht nur vertikal wirkt, sondern nach allen möglichen Richtungen hin, nämlich immer senkrecht auf die Oberfläche. Dies wird in vollkommener Weise dadurch erreicht, daß die latrize unendlich nachgiebig ist, d. h. daß sie aus einer Flüssig- keit besteht.

Aus diesen Erläuterungen glaube ich bewiesen zu haben, daß \letallgaumenplatten rationell nur mittels Flüssigkeitsdruckes herge- stellt werden können. Die auf diesem Wege hergestellten Platten -nd äußerlich von den neuerdings ausgeführten galvanoplastischen Platten kaum zu unterscheiden. Jedenfalls ist die Saugkraft eine ebenso vollkommene wie bei jenen; die bekannten Mängel der galvano- plastisch gefertigten Platten fallen natürlich weg.

Der Arbeitsvorgang ist folgender:

1. Abdruck mit Gips. 2. Beschneiden des Abdruckes, nötige buccale Alveolarteile entfernt. 3. Einbetten des Ab- iruckes (Ton oder Sand). Ausfüllen der Zahnabdrücke mit Berück- chtigung event. Klammer. 4. Guß in die Preßküvette. Ein-

en, Aufstülpen, Spenceguß, 2—3 Gießungen unter Rühren. Einguß vor dem Erstarren des Metalle. 5. Vorbereitung der

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Metallplatte. Bleifolie, Größe der Platte, Glühen der Platte, Vor- prägen mit Hilfe von Finger, Bolzen, am besten auf Matrizenduplikat, Entfernung von scharfen Rändern. Entlastungsschnitte. Bedeckung des Randes und des nicht erforderlichen Hohlraumes mit Faserwachs bis zum Rande. (Das Faserwachs genügt zur sicheren Verhütung des Gaumenzerreißens.!)) 6. Pressung. a) Befestigung der Schrauben- küvette am Fuß. b) Hauptkörper aufschrauben, Markierung, fest auf- sitzen. c) Flüssigkeit, leicht verseifbares Öl, eingießen, entweichen. d) Einschrauben der Spindel bis zum leichten Druck. e) Kontrolle auf scharfe Ränder oder Verschiebungen. f) Starker Druck, event. mehrere Pressungen.

Ein besonderer Vorzug der hydraulischen Plattenprägung ist der, daß nach dem Löten der Platte ein nochmaliges Pressen vorgenommen werden kann, ohne daß die Zähne zerspringen; eine Nachprägung würde am Platze sein, wenn sich die Platte etwa infolge des Lötens verbogen haben sollte oder auch bei Reparaturen. Es ist dies gewiß ein sehr wichtiger Vorteil.

Nachdem der Vorsitzende Schäffer-Stuckert auch diesem il den Dank ausgesprochen hatte, schloß er die Sitzung dieses

ages,

I. Verhandlungstag. Sonntag, den 7. Mai 1905.

_ Der Vorsitzende Schäffer-Stuckert eröffnet die Sitzung um "10 Chr und teilt mit, daß Privatdozent Dr. Römer wegen Erkrank- ung eines seiner Kinder verhindert sei, seinen angesagten Vortrag über Wurzelhautenzündung zu halten. Ferner seien Schreiben der Herren Geheimrat Dr. Grandhomme, Stadtarzt Dr. König und Äreis. Assistenzarzt Dr. Fromm eingegangen, die gestern durch die Teilnahme an dem Medizinalbeamtentag am Erscheinen verhindert gewesen seien.

Zunächst setzte Prof. Ad. Witzel seine Demonstrationen fort, und zwar an frischen Leichenkiefern, die der Vortragende in ein, nach ‘inen Angaben gefertigtes, klinisches Demonstrationsphantom ein- ‘pannte, das die Firma Ehrlich & Schnaß, Düsseldorf, dem Vorstand des Vereins leihweise zur Verfügung gestellt hatte.

Prof. Ad. Witzel begann seine Demonstrationen mit dem Be- merken, daß jeder, der die Wurzelspitzenresektion ausführen wolle, diesen Eingriff zweckmäßig zuvor an einem trocknen oder frischen Leichenkiefer übe, um wenigstens mit einiger Sicherheit dann m Lebenden auch die Wurzelspitze zu finden. Das sei aber keineswegs immer leicht; besonders nicht bei den Eckzähnen, deren

1) Rezept des Faserwachses: Wachs flüssig, Terpentinöl, Watte bis zur Sättigung. Konsistenz weich.

492 Bericht über die 42. Jahresversammlung des

Wurzeln eine so ganz verschiedene Länge besäßen, und die man im allgemeinen auf 1,5 bis 2 cm schätze. Ebenso verschieden sei aber auch die Länge der Wurzeln an Seitenzähnen, deren Spitzen sicher aufzufinden noch außerdem durch die Krümmungen der Wurzeln sehr erschwert werde. Bei allen Spitzenresektionen komme ferner in Be- tracht, ob die Knochenlamelle über der Wurzelspitze durch den Ent- „ündungsprozeß erweicht oder schon eingeschmolzen sei, wie man das zuweilen bei Alveolar-Zahnfleischabszessen anträfe. Ist das der Fall, dann könne man nach der alten, von Professor Albrecht schon vor 50 Jahren gelehrten Methode, die Probepunktion der erkrankten Al- veole mit einem Perforativ ausführen; wenn dagegen der Knochen über der Wurzelspitze, wie bei der operativen Behandlung blinder Abszesse, noch nahezu vollständig intakt sei, so müssen, wie das die Ausführung der Operation an Leichenkiefern zeige, über den Wurzel- spitzen der verschiedenen Zähne verschieden dicke Knochendecken lurchbohrt werden. Diese Bohrlöcher sind z. B. über den unteren Kckzähnen und Prämolaren oft 2 mm tief; über den Wurzeln unterer \lahlzähne, deren Spitzen in der Richtung der linia obliqu. ext. liegen, können sie bis zu S mm Tiefe haben.

Unter diesen ganz verschiedenen Verhältnissen erschiene ein Auf- suchen der Wurzel und schließlich der äußersten Wurzelspitze des Zahnes durch „Probepunktion“ der Alveole unbedingt geboten.

Vor allem hielt es Vortragender aber für empfehlenswert, durch einige Perforationsübungen an skelettierten oder frischen Leichen- kietern erst das Tastgefühl auszubilden, um genau unterscheiden zu können, ob der Bohrer die Wurzel getroffen oder vielleicht nur seit- lich gestreift habe und in die Alveole gelangt sei; oder, wenn dicke Schichten über den Wurzeln, wie bei unteren Mahlzähnen, zu durch- bohren sind, ob der Bohrer die Wurzel erreicht habe.

Zweierlei Methoden des Abtragens der Wurzelspitzen seien empfohlen :

a) das Abschneiden der Wurzelspitze mit einem feinen Fissuren- hohrer, b) das Abfräsen mit einem Rosenbohrer von der Stärke des u resecierenden Wurzelteiles.

Für den Erfolg beider Operationen sei aber das sichere Auffinden der äußersten Wurzelspitze Bedingung.

Professor Witzel empfahl hierfür, gestützt auf seine Studien an Leichenkiefern, zuerst Probepunktionen, die er mit einem scharfen, innen, meißelförmigen Bohrer (Bohrstärke Nr. 1) ausführt. Nach ungvlährer Abschätzung der Lage und Länge der Wurzel wurde von

u Kollegen Christ, der unter Prof. W.s Leitung die Resektion er unteren Eckzahnwurzelspitze ausführte, die erste Probepunktion

las untere Viertel der Wurzel gemacht. Daß der Bohrer dabei ' Wurzel getroffen hatte, wurde durch die Härte derselben, welche

Zahnärztlichen Vereins zu Frankfurt a. M. 493

die den Bohrer führende Hand fühlte, festgestellt. Dann wurden rechts und links neben diesem feinen Bohrloch Probepunktionen in den Knochen, in die Interstitien der Alveolen gemacht und von diesen aus die Wurzelspitze mit einem feinen Fissurenbohrer in der Richtung der Pfeillinie (der Fig. 1) um und abgeschnitten. Diese Methode der Um- schneidung gibt, nach den Versuchen des Vortragenden, einen sicheren Anhaltspunkt dafür, wie viel von der Wurzel abgetragen werden soll. Bei kurzen Wurzeln man kann bekanntlich nicht in die Knochen hineinsehen und vorher feststellen, wie lang die Wurzeln sind wird der Weg der Umschneidung der Wurzel, wenn dieselbe wie in Fig. 1 nur 1,5 cm lang ist, ein kurzer, bei langen 2 bis 2,5 cm langen Wurzeln bei gleichem Abstand der Probepunktion vom Zahn- fleischrande ein langer sein. Stellt es sich nun bei dem Umschneiden der Spitze heraus, daß man eine ungewöhnlich lange Wurzel vor sich

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= j tod a į N. ur -C C 2 Fig. 1. Fig. 2. Fig. 3.

hat (Fig. 2bcd), so soll man den zweiten Schenkel der Schnittlinie (Fig. 2cd) von der Wurzelspitze nach der Krone zu verkürzen, die Wurzel also unterhalb der zweiten seitlichen Probepunktion bei d’ durchschneiden, um so eine Beschädigung des Zahnes durch Abschneiden eines zu großen Wurzelteiles zu verhüten, wie das in den Figuren 1 u. ? dargestellt ist. Die Schnittlinien ab liegen bei beiden Zühnen gleich weit vom Zahnfleischrande entfernt, und doch würde der Schnitt von dem Zahn Fig. 2 mehr als ein Drittel der Wurzel abtrennen, wiihrend von dem Zahn zu Fig. 1 nur 3 mm von der Wurzelspitze fallen würden.

Man könne aber auch noch in anderer Weise vorgehen, indem man erst durch 1—3 Probepunktionen (Fig. 3) die Lage der Wurzel- spitze feststellt und dann die Resektion ausführt. Diese letzte Methode käme dann in Betracht, wenn die Spitze der Wurzel nicht wit einem Fissurenbohrer abgeschnitten, sondern mit einem Rosenbohrer abge- fräst werden soll. Welche Methode aber auch bevorzugt würde; jeder,

494 Bericht über die 42. Jahresversammlung des

der Wurzelspitzen resezieren will, solle diese Operation schon wegen der ganz verschiedenen anatomischen Verhältnisse der Zahnwurzeln und der Alveolen nie tun, ohne sich durch Vorübungen an Leichen- kiefern die nötige Technik vor allem im Aufsuchen der zu entfernen- den Wurzelspitzen angeeignet zu haben. Professor Witzel bot hierzu, außer dem operierenden Kollegen Christ auch noch mehreren, das Phantom umstehenden Kollegen Gelegenheit und zeigte am Schluß an dem ausgemeißelten Eckzahn des Leichenkiefers, daß der Kollege Christ die Resektion der Wurzelspitze lege artis ausgeführt hatte. Es waren nur 3 mm abgeschnitten; trotzdem wurden bei der Betrachtung des Zahnes mit seiner verkürzten Wurzel die Bedenken wieder wach- gerufen, die Kollege Bartels-Freiburg am Tage zuvor geäußert hatte, nämlich, daß der Wert des Zahnes durch die Resektion sei- ner meist gesunden und nicht nekrotischen Wurzelspitze doch bedeutend verringert werde; und Prof. Witzel fügte hinzu, daß die Resektion der Wurzelspitze zur Behandlung der Alveo- lar-Zahnfleischfisteln unter allen Umständen als ein Mißgriff be- zeichnet werden müßte, sobald durch noch zu machende Röntgen- Photographie einwandfrei bewiesen worden sei, daß nach der von ihm empfohlenen antiseptischen Ausheilung der Alveolar- Zahnfleischfisteln, keine Resorption der Wurzelspitze eintrete. sondern eine Umhüllung derselben von neu gebildetem Knochengewebe.

Anders liegen die Verhältnisse bei den chronischen „blinden“ Alveolarabszessen, deren Behandlung mit Erhaltung des erkrank- ten Zahnes ganz zweifellos zu den schwierigsten Aufgaben der kon- servierenden Zahnheilkunde gezählt werden müsse. Hier könne, wenn auch nicht die Wurzelspitzenresektion, wohl aber die Eröffnung des zentralen Eiterherdes durch eine ausgiebige Trepanation des erkrankten Alveolarfortsatzes in gewissen Fällen angezeigt sein. Und wenn erst von den Vertretern dieser Behandlung, zu denen Redner außer W eiser, Mayrhofer, Masur und anderen auch Kersting-Aachen und Siebert-Düsseldorf zählen müsse, genaue Indikationen für diesen Ein- griff auf Grund zahlreicherer Beobachtungen und Publikationen dem noch Fernerstehenden gegeben werden, dann werde die operative Behand- lung dieses Zahnleidens vielleicht bald eine weitere Verbreitung finden. Denn die Eröffnung solcher zentralen Knochenabszesse ent- spreche durchaus der Richtung der modernen Chirurgie.

Sodann sprach Prof. Jul. Witzel-Essen über: Die Biersche Stauung und deren Anwendung als Heilmittel in der Zahnheilkunde. Der bekannte Chirurg Prof. Bier in Bonn vertritt den teleologi- schen Standpunkt, daß in jedem Organismus zweckmäßige Mittel vor-

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handen sind, durch die viele schädliche Einflüsse bekämpft und besei- tigt werden können.

Einen hervorragenden nützlichen und zweckmäßigen Vorgang erblickt Bier in der Entzündung und in deren Begleiterscheinung, von denen die Hyperämie die sinnfälligste ist. Und es ist deshalb nur eine Nachahmung eines natürlichen Heilungsvorganges, wenn gegen gewisse bakterielle Erkrankungen die schon vorhandene Hy- perämie verstärkt und sie besonders da eingeleitet wird, wo sie nicht genügend vorhanden ist.

Zur Erzeugung einer Hyperämie verwendete Bier zwei Mittel. Einmal die heiße Luft, zweitens eine Stauungsbinde oder Saug- apparate. Nach den Erfahrungen, die Prof. Witzel bisher gemacht hat, läßt sich die Stauungshyperämie gegen verschiedene Erkrankungen im Bereiche der Kiefer anwenden.

Die Stauung am Kopfe wird durch Anlegung einer Gummibinde um den Hals bewirkt. Will man einen engeren Bezirk hyperämisieren, so verwendet Witzel die Sauggläser nach Art der Schröpfköpfe nach Angabe des ersten Assistenten Biers, des Privatdozenten Dr. Klapp. Die hervorragendste Wirkung der Stauung ist die schmerzstillende und baktericide Wirkung.

Prof. Witzel berichtet über sehr interessante Fälle. So hat er einen Knaben mit doppeltem Kieferbruch mit Erfolg behandelt durch die Stauungsbinde, andererseits die eiternde äußere Gesichtswunde bei diesem Verletzten durch Saugglas. Des weiteren läßt sich die Stauung verwenden bei Erkrankung der Kieferhöhle und bei Entzündungen der Mundschleimhaut.

Besonders wichtig waren die Mitteilungen, welche Witzel über Fistelbehandlungen machte. Hier verwendet er Sauggläser. Die Klappschen Schröpfköpfe lassen sich wegen ihrer Größe in der Mund- höhle nicht anbringen; die Schwierigkeit dabei ist gehoben durch eine Saugröhre aus Glas, welche der erste Assistent der Kruppschen Zahnklinik, Zahnarzt Hauptmeyer konstruiert hat. Diese läßt sich an jeder Stelle des Kiefers im Munde anlegen; das äußere Ende der Saugröhre wird mit einem Schlauche verbunden, an diesen eine Saug- spritze gesetzt, mittels deren nicht nur der Fistelinhalt, sondern auch die Zerfallsprodukte in der Zahnwurzel sich bis auf den letzten Rest herausziehen lassen. Der Heilerfolg der Zahnfistel ist ein prompter.

Ferner verwendete Witzel die Hyperämie bei Zahncysten und bei entzündlichen Knochenauftreibungen.

Zur Behandlung der Alveolarpyorrhöe, der Eiterung aus den Zahn- füchern, benutzt Witzel die heiße Luft. Zu diesem Zwecke hat er einen besonderen Heißluftapparat konstruiert, mit dem die Zahnfleisch- ränder bestrahlt werden können.

Aber auch die Empfindlichkeit der Zahnnerven und des Zahn-

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beins wird durch die Stauung herabgesetzt. So beobachtete Witzel bei Patienten, denen er die Stauungsbinde eine Nacht lang angelegt hatte, daß diese Patienten das Ausbohren der Zähne am nächsten Tage weit besser ertragen konnten.

Die Mitteilungen Witzels erregten allgemeines Interesse. Witzel warnt jedoch dringend vor einer kritiklosen Anwendung des neuen Verfahrens. Die Technik desselben muß vollkommen beherrscht werden, will man gute Erfolge erzielen.

Nach en Dankesworten des Vorsitzenden berichtet Prof. Dr. Julius Witzel noch kurz über einen Fall von Skorbut, der ihm ìn der Praxis vorgekommen sei.

In der Diskussion äußert sich Prof. Witzel-Bonn: Ich glaube kaum, daß in den letzten Jahren hier ein Vortrag gehalten worden ist, der soviel Anregung gegeben hat, wie der soeben gehörte. Welche Perspektiven sich hier eröffnen, können wir heute noch nicht beurteilen; wenn wir auch von der sehr begreiflichen freudigen Erregung des Redners absehen. die in mancher Beziehung das Ziel wohl zu nahe steckt, so wird doch, so hoffe ich gern, ein gut Teil von dem übng bleiben, was mein Bruder uns schon jetzt als Erfolg voraussagt. Es handelt sich hier um ein so wichtiges Kapitel der Pathologie und Therapie, daß wir Zahnärzte nicht unbeachtet daran vorübergehen dürfen. Die gespannte Aufmerksamkeit, mit der Sie den Ausführungen tolgten, zeigte ja schon, welchen Eindruck der kurze Vortrag auf Sie gemacht hat, und ich glaube, wir alle sind Julius Witzel für seine peoion Ausführungen außerordentlich dankbar, zumal er sich in der

lücklichen Lage befindet, an einem reichen klinischen Material die ier in Vorschlag gebrachten Neuerungen weiter prüfen zu können. Diese Prüfungen können aber gar nicht kritisch genug gemacht werden. Je mehr Selbstkritik Julius Witzel anlegt, um so sicherer wird die Basis sein, die wir für unsere weitere Behand- lungen gewinnen.

Hierauf erhielt Wolpe-Offenbach das Wort. An der Hand zahl- reicher Modelle und an 2 Patienten zeigte er die von ihm erfolgreich ausgeführte Behandlung der Prognathie. Er hatte hierzu den Heydenhausschen Apparat angewandt, den er dadurch verbessert hat, daß er statt der beiden seitlichen Schrauben am äußeren Kiefer- bogen nur eine Schraube anwendet, die er in die Gegend der oberen

Schneidezähne verlegt, wodurch er eine leichtere Handhabe des Appa rats herbeiführt.

Der Vorsitzende spricht dem Redner seinen Dank aus, worauf Bruhn-Düsseldorf spricht über:

Brückenarbeiten eigenen Systems in Kombination von Gold- und Porzellanarbeit.

Vier Gesichtspunkte sind es, die wir bei der Herstellung von Brückenarbeiten ganz besonders im Auge haben müssen:

Die Stärke der Arbeit, die Schönheit, bezw. das natür- liche Aussehen, die Sauberkeit derselben im Munde und last not least ihre Reparabilität.

Ich habe einen Weg zu finden gesucht, der sich nach Möglichkeit

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diesen Zielen nähert. Wenn ich Ihnen einige Arbeiten zeigen werde, die meine Methode erläutern und wenn ich Ihnen diese meine Me- thode des näheren erklären darf, so möchte ich einige Bemerkungen voranschicken, um einem Irrtum vorzubeugen, der häufig bei der De- monstration neuer Methoden Platz greift, den Irrtum nämlich, als ob der Demonstrierende die neue Methode, die er zeigt, als die hinfort allein richtige und brauchbare an die Stelle der seither allgemein an- gewandten Systeme setzen und die letzteren damit verdrängen wolle.

Davon kann vor allem nicht auf dem Gebiet der Brückenarbeiten die Rede sein, denn, um für jeden Fall auf diesem Felde gerüstet zu sein, bedarf der Zahnarzt der Kenntnis aller guten Systeme, und nur durch die Auswahl des richtigen Systems für den gegebenen Fall und durch die Kombination der einzelnen Methoden untereinander ist mit Sicherheit in jedem Falle ein für Arzt und Patient gleich erfreuliches Resultat zu erzielen. Die einseitige Anwendung ein und desselben Systems wird immer zu Mißerfolgen führen.

Das Charakteristische an der Art, wie ich die Mehrzahl meiner Brückenarbeiten konstruiere, besteht darin, daß ich dieselben aus massiv gegossenen Einzelkronen zusammensetze, also fast jegliches Stanzwerk und alles Ausschwemmen mit Lot vermeide.

Ich darf Ihnen dies an einem der einfachsten, zugleich aber häufigst vorkommenden Fälle erklären.

Nehmen wir an, im Unterkiefer fehlt auf einer Seite der zweite Bikuspis, sowie der erste und vielleicht auch zweite Molar. Es ist dies ja einer der häufigsten und zugleich für Brückenarbeiten dankbarsten Fälle. Der erste Bikuspis und der dritte Molar dienen also hier als Brückenpfeiler und werden dementsprechend präpariert. Ich erwähne hier beiläufig, daß ich von ganz wenigen Ausnahmen abgesehen aus jedem Zahn, den ich eine Krone bzw. Brücke tragen lasse, die Pulpa entferne und die Wurzeln antiseptisch fülle.

Nachdem die zu Brückenpfeilern bestimmten Zähne vorbereitet, also mit Wurzelfüllungen versehen, wenn nötig durch einplombierte Stifte verstärkt, eventuell mit Zement aufgebaut sind, schleife ich die- selben vollkommen parallelwandig und versehe sie mit kräftigen Gold- kronen nach dem Hollingworth-System, das sind, wie den meisten von Ihnen bekannt sein dürfte, Kronen mit massiv gegossenem Deckel.

Nachdem die beiden Hollingworthkronen fertig sind und gut artikulierend im Munde sitzen, nehme ich einen Gipsabdruck, in unserem Falle vom Unterkiefer mit im Munde sitzenden Kronen. Die Kronen befinden sich auf dem Positivmodell alsdann vollkommen in der richtigen Stellung. Ebenfalls nehme ich einen oberen Abdruck und setze Ober- und Unterkiefer in Artikulation.

Den Zwischenraum zwischen den beiden Brückenpfeilern fülle ich nun durch Wachskronen aus, wie ich sie mir stets in großer Zahl

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498 Bericht über die 42, Jahresversammlung des

in Vorrat halte. Diese Wachskronen schmelze ich zusammen und bringe sie mit dem Spatel modellierend in tadellose Artikulation, zer teile sie darauf wieder und gieße nun die Einzelkronen in Gold, wobei ich folgendermaßen verfahre:

In einen Klumpen weich angerührten Gips oder Ossa sepiae drücke ich die Wachskrone mit ihrer flachen Rückseite nach oben und streiche den Gips in der Ebene dieser Rückfläche glatt, lasse den Gips erhärten, schwemme das Wachs heraus und bringe dann auf den Boden der Hohlform an den tiefsten Stellen mit der Nadel feine, ganz durch- gehende Löcher an. Dieser Punkt ist außerordentlich wichtig, denn nur wenn Sie denselben beachten, werden Sie blasenfreie, tadellose Gußstücke bekommen.

Die Hohlform wird über dem Feuer getrocknet und erhitzt und darauf 22karätiges Gold ich nehme stets unser Münzgold in die Form hineingeschnitten.

Alsdann schmilzt man dieses Gold mit dem Lötrohrgebläse in der Hohlform und drückt im Moment des Schmelzens mit der Schlag- . fläche eines Hammers fest in die Hohlform hinein. Die Schlag- fläche des Hammers hält man von Beginn des Schmelzprozesses an 80 schräg über die Hohlform, daß sie miterhitzt wird.

Sieht man, daß zu wenig Gold in der Form war, dann schneidet man noch etwas hinzu und erhitzt das Ganze von neuem; die Form hält wiederholtes Schmelzen gut aus. Die Herstellung solcher Massiv- kronen erfordert nur ganz wenig Zeit.

Sind die Massivkronen, die wir für die Brücke brauchen, fertig gegossen, dann setzen wir die Brücke auf dem im Artikulator befind- lichen Modell aus ihnen zusammen und kontrollieren nochmals die Artikulation.

Hierauf wird die ganze Brücke mit den Brückenpfeilern zusammen- gewachst, vom Modell gehoben, eingegipst und stark zusammengelötet. Da die einzelnen Teile, aus denen sich die Brücke zusammensetzt, derartig massiv sind, daß sie sich in sich nicht verziehen können, da sie sich außerdem schon ungelötet fest berühren, ist ein Verziehen der Brücke im Feuer gänzlich ausgeschlossen, ebensowenig habe ich, seit ich dies System zur Anwendung bringe, jemals Artikulationsschwierig- keiten gehabt.

Sie sehen in dieser Modellserie die Brücke in drei Entwicklungs- stadien:

al Die Brückenpfeiler mit Hollingworthkronen versehen, die Wuchskronen dazwischen stehend.

b Die gexossenen Goldkronen zwischen den Brückenpfeilern mit Wachs verbunden.

c) Die Brücke zusammengelötet und poliert.

Während es sich in diesem Falle um eine Brücke handelt, die

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nach außen wenig oder gar nicht sichtbar ist, ist das System gleich- falls gut verwendbar für sichtbaren Brückenersatz und zwar dadurch, daß man Porzellanfüllungen in die einzelne Krone einläßt. Ich ver- fahre dabei folgendermaßen: Der vorderste Brückenpfosten, der natür- lich meist am sichtbarsten ist, muß schon von vornherein zur Aufnahme einer Porzellanfüllung vorbereitet werden. Ich pflege dies in genau derselben Weise zu machen, wie dann, wenn ich eine einzelne Holling- worthgoldkrone mit einer Porzellanfüllung versehen will, und zwar folgendermaßen: Nehmen wir an, eine Goldkrone mit massivem Deckel ist im Rohen, d. h. bis zum Polieren fertig. Dann probiere ich die- selbe ein und ritze im Munde mit einem scharfen Instrument die Kontur des Fensters in die sichtbare Seite der Krone ein. Wenn ich das im Munde mache, täusche ich mich am wenigsten leicht über die Größe und die Form, die ich dem Fenster geben muß, damit hinterher möglichst wenig Gold zu sehen ist.

Ist das Fenster angezeichnet, dann entferne ich die Krone aus dem Munde, lasse das Fenster ausschneiden und die Ränder des Fensters möglichst fein und scharf finieren. Hierauf wird die ganze Krone poliert.

Die fertige Krone hat also bis auf ein schmales Band am Zahn- fleischrande eine vollkommen offene Lippenfläche Sucht man eine solche Krone, wie sie jetzt ist, mit Zement zu befestigen, so fehlt dem Zement, selbst, wenn man die Öffnung mit dem Finger zuzuhalten sucht, der nötige Druck, um sich überall so absolut fest um den Stumpf zu legen, wie dies zum Halt einer Krone bzw. Brücke durchaus not- wendig ist. Das Zement preßt sich eben zum Fenster hinaus; vor allem drängt sich kein Zement unter das schmale Band am Zahn- fleischende und gerade da ist es bei einer Goldkrone, die eine Por- zellanfüllung in sich trägt, am wichtigsten. Um zu erreichen, daß das Zement mit dem vollen erforderlichen Druck bei der Befestigung überall hindringt, lasse ich das fertig präparierte Fenster vor dem Einsetzen der Krone durch ein ganz dünnes, aufgelötetes Stück Platin- folie verschließen.

Diese Platintolie läßt sich nach dem Befestigen der Krone bzw. Brücke und dem vollständisren Erhärten des Zementes sehr leicht und schnell entfernen.

Ist der Brückenpfosten auf diese Weise für die Aufnahme einer Porzellanfacette vorbereitet, sind die Massıvkronen unter sich und mit den Brückenpfosten verlötet, dann lasse ich in die Massivkronen, soweit dieselben sichtbar sind, Höhlungen zur Aufnahme von l’orzellanfüllungen hineinfräsen.

Ich zeige Ihnen hier eine Arbeit, bei der dies Ausfrüsen veran- schaulicht ist. In die Kavitäten werden die l’orzellanfüllungen selbst-

verständlich vor Befestigung der Brücke, also außerhalb des Mundes, 9.) > rp pan

500 Bericht über die 42. Jahresversammlung des

eingelassen, in den Brückenpfosten erst nach Befestigung. Bei diesen wird die Platinfolie abgeschliffen, was, wie ich schon vorhin sagte, außerordentlich schnell zu bewerkstelligen ist, dann wird in den Stumpf und das ihn umgebende Zement eine Kavität für die Porzellanfüllung geschliffen, deren Ränder die Goldränder des Fensters sind. Darauf wird wie bei jeder gewöhnlichen Porzellanfüllung verfahren: Abdruck genommen, dann die Füllung gebrannt und trocken eingefügt.

Nicht in allen Fällen benutze ich als vorderen Brückenpfosten eine Hollingworthkrone mit eingefügter Porzellanfüllung. Zuweilen auch, namentlich wenn ich keinen Kronenstumpf, sondern nur eine Wurzel zur Verfügung habe. stelle ich für dieselbe ein Richmond- kronengestell ber und löte auf dasselbe in genau derselben Weise, wie man sonst einen Zuhn darauf lötet, eine gestanzte Fassung für eine Porzellanfüllung. die auf ihrer Rückfläche massiv ausgeschwemmt wird und der ich dann noch außerhalb des Mundes eine Porzellanfüllung einfürre.

lch fertige seit Jahren einen großen Teil meiner Brückenarbeiten nach diesem System und kann Ihnen die Versicherung geben, daß ich durchweg die ailerbesten Erfahrungen damit gemacht habe. Die Arbeiten sind auberordentlich schnell herzustellen, sind so stabil. daß an Brücken aus Massivkronen ohne Forzellanfüllungen Reparaturen überhaupt ausgeschlossen sind, während sich Reparaturen, die durch das etwaige Herausspringen von Porzellanfacetten bedingt werden iwas übrigens viel seitener passiert. als das Abspringen eines angrelöteten Zahnes;,, schnell und ohne Beschwerder für den Patienten erledigen lassen. Die Porrellanfacette wird einfach wieder einzementiert.

Die Goldarbeit dieser Brücken ist die denkbar einfachste, die Porzellanarbeit ertordert einige Übung.

Ich würde mich freuen, wenn ich durch meine Mitteilungen den einen oder anderen unter Ihnen angeregt hätte, dies System. oder Finzelheiten aus ihm in seiner Praxis zu verwerten. meine Erfahrungen auch in den kleinen Einzelheiten stehen jedem von Ihnen berzlich gem zur Vertfürung.

Nach dem lehhatten Beifall. den der Redner erntete, demonstrierte er noch eine grobe Anzabl Mosellserien seines Systems,

Hierauf hielt Pr. Reieb- Marburg seine beiden angekündigten

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. - Ga ` . . . Da beide Verr rze nosh einer weiteren Vearbeitunug unterliegen `Y

ung ert rien Roon tıramır derselben ver fenti bht werden solen, kann - un - ~ -> vorn rn, be a TEN „2 a x an dieser Teile TUT ein vanz surzer Berent über dieselben lüalgen.

In seinem ersten Vortrare: Wiederherstellung der Artikulation nach einseitiger Unterxtieferresektion. b~ rach Dr. Reicn an der

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Zahnärztlichen Vereins zu Frankfurt a. M. 501

zahnlos, die restierende Unterkieferhälfte nur noch wenige, meist nur die Vorderzähne aufweist, daß ferner eine einfache untere schiefe Ebene nach Sauer durch ihre event. erforderliche Länge eine Verletzung der Umschlagsstelle der Wangen- nach der Oberkieferschleimhaut hervor- rufen würde und daß endlich ein Ersatz des resezierten Unterkiefers nicht stattfinden darf. Die von dem Vortragenden für diesen Fall angewandte und hierdurch eingeführte „Doppelebene“, je einer schiefen Ebene für den Ober- und für den Unterkiefer, ist entschieden als ein Fortschritt auf dem Gebiete der Prothese nach Unterkieferresektionen zu be- trachten. Abbildungen und Apparate veranschaulichen in klarer Weise den praktischen Wert der „Doppelebene‘“, die sich auch in dem von dem Vortragenden behandelten Falle aufs beste bewährt.

Hierauf demonstrierte Dr. Reich nach einer allgemeinen Über- sicht über die Geschwülste und modernen Geschwulstheorien makro- skopisch und mikroskopisch eine etwa 5 cm lange und 4 cm breite papilläre Zahnfleischgeschwulst des Unterkiefers, die nach ihrem histo- logischen Aufbau als Fibroma epithelioma papillare bezeichnet werden muß, wiewohl der Verdacht auf Karzinom nicht ganz von der Hand zu weisen ist. Da dieser karzinomatös verdächtige Tumor wahr- scheinlich durch den chronischen Reiz eines tief kariösen, scharfkantigen Zahnes ausgelöst worden war, so mahnte der Redner am Schlusse seines Vortrags mit Recht alle Zahnärzte, bei jedem Patienten strengstens darauf zu achten, daß nicht nur der eine oder der andere erkrankte Zahn behandelt wird, sondern daß alle Zähne in Ordnung gebracht, insbesondere nicht zu rettende Wurzeln und scharfkantige Zähne rechtzeitig beseitigt werden. Durch möglichst frühzeitige Entfernung solcher leicht eine Wucherung auslösenden Reize können auch wir Zahnärzte unser gut Teil beitragen zur wirksamen Bekämpfung bös- artiger Geschwülste, besonders der Krebsgeschwäülste.

Der Vorsitzende dankt auch diesem Redner für seine hoch- interessanten Ausführungen und macht darauf aufmerksam, daß der

Vortrag des Kollegen Schröder-Kassel im Hörsaale des Phy sikalischen Vereins stattfinde.”

Hierauf spricht @. Schröder-Kassel über:

Die Deviation des Nasenseptums, Nasen- und Nasenrachen- verengung im Zusammenhang mit anormaler Zahnstellung und Difformität des Gesichtsschädels.

[Der Vortrag wird durch zahlreiche Lichtbilder unterstützt.)

Redner machte eingangs darauf aufmerksam, daß er zu dem Laryngologenkongreß in Heidelberg eine Einladung erhalten habe und daß er dort die Ertolge bei der Behandlung der Nasenenge an Modellen und Patienten demonstrieren werde. Ihm sei von den Ärzten Kassels die Aufgabe gestellt worden, den wissenschaftlichen Beweis für seine

502 Bericht über die 42. Jahresversammlung des

Behauptungen zu erbringen, und er habe sich dieser Aufgabe unter- zogen, indem er nicht weniger als 5000 Schädel, 900 Zuchthäusler, 600 Soldaten, 157 Schulkinder und 157 Lungenkranke untersucht habe. Trotzdem habe er seine Untersuchungen noch nicht abgeschlossen, er reise morgen wieder nach Marburg zu Herrn Prof. Zumstein, dann nach Göttingen und anderen Universitäten.

Ich bin so führt der Redner alsdann fort meinen eigenen Weg gegangen und habe mich zunächst um die vorhandene Literatur gar nicht gekümmert. Ich habe mir so ein eigenes Urteil gebildet und bedauere auch nicht, diesen Weg gewählt zu haben. Hätte ich die Literatur vorher gründlich durchstudiert, was ich nachher tat, so wäre ich viel- leicht nicht zu dem Endergebnis gekommen, über das ich heute ver- füge. Die Ansichten, die ich heute hier ausspreche, sind auch die Ansichten von Herrn Prof. Zuckerkandl in Wien. Nachdem ich dort meine Untersuchungen vorgenommen hatte, bat er mich, ich möchte ihm das Ergebnis mitteilen. Als ich dies getan hatte, meinte er, ich hätte damit eine Frage angeschnitten, die noch lange nicht als erledigt zu betrachten sei.

Redner ging alsdann auf die vorbandene Literatur näher ein, die er bezüglich ihrer einzelnen Erscheinungen besprach.

Die Druckwirkung auf den elastischen Bogen wird ärztlicherseits noch nicht genügend gewürdigt. Wenn wir uns den Öberkiefer als Gewölbe vorstellen, so haben wir es immerhin mit einem gewissen Bogen zu tun. Findet von beiden Seiten ein gleichmäßiger Druck statt, so werden wir eine symmetrische Nasenenge haben. Wenn dieser Druck sehr frühzeitig statttindet, wo das Wachstum des Septums noch im Gange ist, wird sich auf beiden Seiten eine ziemliche Verdickung zeigen.und das Septum nach der einen oder nach beiden Seiten aus- weichen. Haben wir aber den Druck auf der einen Seite des Kiefers, so wird selbstverständlich der Bogen nach einer Seite ausweichen. Ich suche eine gerade Nasenscheidewand bei Anomalie des Oberkiefers, ich suche eine krumme Nasenscheidewand bei normalem Kiefer. Ich habe solche Fälle bis jetzt noch nicht gefunden. Vielleicht finde ich noch solche. Aber da ich schon über 301) Schädel untersucht habe, und das noch nicht gefunden habe, so muß ich annehmen, daß die Druckwirkungen und wie stark der Kaudruck ist, wissen Sie ja selbst zu berechnen im ganzen Gesichtsschädel sich geltend machen. Ich habe den Gerenbeweis noch nicht gefunden; das schließt aller- dings nicht aus, daß ich noch solche Fülle tinden werde. Sie sehen bei diesem Scnädel die gleiche Zahnstellung. gleichzeitig aber einen starken Druck von den unteren Zähnen ausgehend.

Die Rehandlunz geht darauf hinaus, daß man den Oberkieter dehnt. DPatlurch wird sich auch der Nasenboden dehnen. Man kann

Zahnärztlichen Vereins zu Frankfurt a. M. 503

diese Dehnung noch im Mannesalter vornehmen, ich bin in einem Falle bis zu 36 Jahren gegangen.

Die jetzt geltende Annahme bei den meisten Deviationen geht auf ungleiches Wachstum entweder des Septums oder des übrigen Skeletts hinaus. Redner belegte diese Annahme durch Zitate aus der vorhandenen Literatur.

Zuckerkandl] stellt die Behauptung auf, daß das Kiefergerüst sich verkürzt und verlängert, daß die Verkürzung des Kiefergerüstes schneller vor sich ginge, als die des Septums. Dadurch werde eine Ver- längerung des Oberkiefers stattfinden. Er gibt aber diese Hypothese mit aller Reserve wieder.

Und nun komme ich zu meinen Untersuchungen und überlasse Ihnen dann die weitere Untersuchung des zusammengestellten Materials. Ich teile die Schädel ein in solche mit Anomalie auf der emen Seite und solche mit Anomalie auf der anderen Seite, ferner in solche mit aufbeißendem und solche mit vorbeißendem Unterkiefer.

Redner zeigte an einer Reihe von Schädellichtbildern die ver- schiedenen Wirkungen dieser Anomalien auf das Nasenseptum und schloß mit dem Wunsche, daß er aus der Diskussion noch manches Lehrreiche erfahren werde, was er bei seinen weiteren Studien ver- werten könne.

. Vorsitzender Schäffer-Stuckert: „Wir danken dem Kollegen Schröder, daß er uns hier im Frankfurter Verein wieder Gelegenheit gegeben hat, von seinen Arbeiten Kenntnis zu nehmen. Kollege Schröder hat uns bereits im vorigen Jahre darauf aufmersam ge- macht, wie wir uns bei den technischen Regulierungsarbeiten helten können, indem wir die Mundatmung verhindern und die Nasenatmung verbessern. Vor 3 Monaten hat er in Kassel einen Vortrag gehalten und ist in der Zwischenzeit damit beschäftigt gewesen, den tlıeore- tischen Nachweis für die praktischen Erfolge zu bringen, die er und auch andere Kollegen in der Zwischenzeit aufzuweisen hatten. Jeden- falls danken wir ihm für die viele Mühe und große Arbeit, die er es sich hat kosten lassen. Wir können es von unserer Seite nicht aus- sprechen, in welcher Weise durch die eben gezeigten Bilder der Beweis geliefert ist, daß wir mit unseren technischen Arbeiten auch wirklich die Deviation verbessern können. Soviel ich mich erinnern kann, wurde von anwesenden Rhinologen Zweitel gehert, ob die Dehuun des Kiefers das Niedrigerwerden des Kieferdaches zur Folge habe al eine Anderung in der Nasenkonstruktion mit sich bringe. Es würde mich freuen, wenn gerade darüber in der Diskussion eine Auberung stattfünde,

Spezialarzt Dr. med. Vohsen: Was Ihr Vorsitzender soeben erwähnt hat, daß ich im vergangenen Jahre meine Zweifel darüber geäußert habe, ob ein Niedrigerwerden des Nasendaches durch die Veränderung des Kiefer- gerüstes hervorzurufen sei, so gründet sich dieser Zweifel darauf, daß mir von Herrn Schröder im vergangenen Jahre ein Beweis nicht erbracht schien, der grundlegend für die ganze Frage sein könne Wenn ich durch die Korrektur einer Zahnstellung in dem gewünschten Sinne ein

504 Bericht über die 42. Jahresversammlung des

Weiterwerden des Kiefers nachweisen kann, so ist damit noch nicht der Beweis erbracht, daß dieser Teil in der Lage zu dem Nasendach tiefer er ist. Es kann eine Abflachung an der Seite des Alveo- larrandes in der Gegend der Highmorshöhle eingetreten sein, die ein Tiefertreten dieses Teiles nur vortäuschen läßt. Der Nachweis, ob in der Tat ein Tiefertreten im Verhältnis zu einem gewissen Punkte ın der Nasenhöhle eingetreten ist, läßt sich wohl durch komplizierte Meßvorrichtungen nachweisen, was einem erfinderischen Manne, wie Kollege Schröder, wohl möglich sein wird.

Bei den heutigen Untersuchungen, die Kollege Schröder an zahlreichen Schädeln vorgenommen hat, scheint mir doch mancher wunde Punkt zu sein, und es ist nötig, einzelne Einwendungen zu machen.

Zunächst die, daß es doch wohl zweckmäßiger sein wird, zur Entscheidung dieser Frage Untersuchungen am Lebenden zu machen. Dies erscheint mir wichtiger als die rein theoretischen Erörterungen, obschon wir uns heute mit rein theoretischen Betrachtungen be- schäftigen müssen. !

Der zweite Einwand bezieht sich darauf, daß die Tatsache nicht aus der Welt geschafit wird, auch heute nicht durch Kollege Schröder daß die Verbiegungen der Nasenscheidewand schon vor dem Vorhandensein von Zähnen, ja sogar im embryonalen Leben vor- handen sind, daß also doch noch Bedingungen einwirken können, die sich nicht auf den Biß beziehen. Wenn es sich bei kleinen Kindern im ersten Lebensjahr herausstellt, daß Verbiegungen da sind, so ist durch die Saugung ein Druck im Öberkiefer im negativen Sinne vorhanden.

. _ Dann vermisse ich bei den vorgezeigten Bildern das ist wohl die Folge der mißlichen Lage, in der sich jeder befindet, der nicht das Objekt vorzeigen kann, daß immer die Ebene genau angegeben

wird, in der die Deviation stattgehabt hat. Wo diese Ebene liegt,

ist außerordentlich wichtig. Ob sie im Bereich der Schneidezähne, Eckzähne oder Mahlzähne liegt, ist sehr wesentlich.

Noch einen Punkt möchte ich erwähnen, den Kollege Schröder heute zum erstenmal vorgebracht hat. Das ist der Einfluß des schiefem Bisses des hinteren Molaren auf die Weite der einen Choane, wofür bisher eine Erklärung fehlte. Es ist sehr interessant zu hören, da5 in der Tat bei diesen weiten Choanen ich habe nie darauf Ben die Deviation der vorderen Teile der Nasenscheidewand nach der ent— gegengesetzten Seite geht. Diese Frage wird sich in der Tat nur aa Schädel des Lebenden entscheiden lassen.

Einem weiteren, hier zu Unrecht nicht erwähnten Punkt muß icka noch hervorheben, der theoretisch eine grundsätzliche Frage in dieses” Beziehung betrifft. Der Bau des Oberkiefers verführt zu leicht daza » anzunehmen, daß, wenn sich über den Zähnen ein Bogen wölbt, wia- die Wölbung des Bogens aus dem Druck erklären müßten, der d= oben in dem Bogen zusammentrifft, daß also die Krümmung des Bogm = abgeleitet werden müßte aus einem ähnlichen Verhältnis, wie dies b&ı einer Brücke der Fall ist, die die Last auf zwei Pfeiler überträgt.

Das ist aber eine grundsätzlich falsche Vorstellung. Sie leg t allerdings nahe, und drängt sich auch auf, wenn man die Zähne ais Pfeiler betrachtet. Die Sache verhält sich aber nicht so. Der Ober— kiefer spielt beim Kauen eine passive Rolle. Der Druck, der ausgeül»t wird, erfolgt von unten, and. dieser Druck von unten überträgt ach

Zahnärztlichen Vereins zu Frankfurt a. M. 505

nicht etwa auf diesen Bogen allein, sondern er überträgt sich nach allen Seiten. Darum ist der Jochfortsatz da, darum die innige Ver- bindung des Oberkiefers mit den meisten Knochen des Gesichtsschädels vorhanden, weil der kolossale Druck beim Kauen auf den ganzen Schädel verteilt wird. Es kommt diese Druckwirkung auf den Ober- kiefer nicht in einer eventuellen Abflachung des Gaumenbogens zum Vorschein, sondern in einer Veränderung der ganzen Pfeiler und der Bogen, die von diesen Pfeilern aus den Druck auf den Schädel übertragen.

Aber die Sache wird dadurch noch komplizierter, daß in den Oberkiefer eine Höhle eingeschoben ist, daß über den Backen- und Mahlzähnen keine solide Säule liegt, sondern die Highmorshöhle, und daß diese mit ihren dünnen Wandungen den Druck nach allen Seiten hinleitet, und daß wenn wirklich Anomalien der Zahnstellungen des Unterkiefers wirksam sind, durch die Oberkieferhöhle ein Faktor herein- gebracht wird, der hervorruft, daß ein Ausweichen des Alveolarfort- satzes durch abnormen Druck noch viel leichter nach verschiedenen Seiten hin stattfinden kann, als nach der einen im Sinne der Abflach- ung des Oberkiefers. Es ist wichtig, bei den Druckverhältnissen auf den Oberkiefer, die sehr hochgradig sind Kollege Albrecht er- wähnte soeben, daß man hierbei mit 50 bis 100 Pfund Druck zu rechnen habe die Frage in Betracht zu ziehen, wo kommt der Druck hin, der auf die horizontale Kieferplatte ausgeübt wird? Es war mir interessant zu hören, daß Schröder selbst die Wirkungen seines Ver- fahrens in bezug auf die Veränderungen der Basis der Nasenhöhle so gering anschlägt. Denn er sagte wenn ich mich recht entsinne wenn ich den Oberkiefer um 12 mm erweitere, so braucht die Erweiterung der Nasenhöhle nur 1 mm zu sein. Allerdings gebe ich zu, daß 1 mm auf die verengerte Nasenhöhle etwas Respektables darstellt. Wenn es möglich ist, durch dieses Verfahren die Nasenhöhle wirklich zu er- weitern, so ist dies ein sehr einfaches Hilfsmittel und wirksamer als alle Operationen. Aber auch da hege ich gewichtige Zweifel. Zunächst, ob es wirklich möglich ist, bestehende Verkrüämmungen der Nasen- scheidewand bei festgebildeten Knochen noch nachträglich zu strecken. Ja, wenn es sich nur um Krümmungen handelte! Es sind richtige knöcherige Verkrümmungen, und ob die im späteren Alter noch aus- geglichen werden können, ist mir höchst aweifelhatt: Die Hauptmängel der Verkümmerung der Nasenscheidewand betinden sich im vorderen Teile der Nasenhöhle, und gerade an dieser Stelle befindet sich der Vomer. Hier setzt sich die knorpelige Nasenscheidewand an und gerade da, wo die knorpelige Nasenscheidewund sich an den Vomer ansetzt, befindet sich die große Menge der meisten Verkrümmungen, mit denen wir es zu tun haben. Diese Ebene befindet sich aber durchaus nicht in der Ebene der Molaren, sondern in der Ebene der Eckzähne, also nicht da, wo die Anomalien des Bisses vorliegen, die Herr Kollege Schröder als für die Nasenverkrümmungen maßgebend annimmt. Wir müßten, wenn wir ihm folgen wollten, zu der Anschauung kommen, daß die Verkrüämmungen der Nasenscheidewand sekundäre FErschein- ungen sind, daß die Verkrümmungren, die durch den falschen BiB der Molaren hervorgerufen werden, erst nach vorne in der Wirkung erscheinen. Das ist aber unwahrscheinlich; denn da wo der Haupt- druck stattfindet, müßten sich auch die stärksten Verkrümmungen zeigen. Dahingegen zeigen sich aber die stärksten Verkrümmungren da, wo allerdings sich ein nachgiebigerer Punkt betindet, wie bei der knöcherigen Scheidewand, aber doch an einer viel entfernteren Stelle, als da, wo der Hauptdruck nach der Theorie stattfinden müßte.

506 Bericht über die 42. Jahresversammlung des

Ich fürchte zulange zu werden, denn es ist nicht möglich, in der so schwierigen Frage der Tektonik des Schädels, bei der so viele Ursachen wirksam sind, ein entscheidendes Wort zu sprechen. Jeden- falls hat Kollege Schröder neue und beachtenswerte Momente in die Debatte gebracht, aber der Beweis für die Veränderungen innerhalb der Nasenhöhle durch die Korrektur der Zähne ist mir noch nicht erbracht, der muß klinisch erbracht werden.

Aber noch eines darf nicht vergessen werden. Das Weiterwerden der Nasenhöhle, soweit dies durch Veränderungen in Ihrem Sinne bedingt werden kann, erfolgt nach meiner Auffassung durch den nach- gebenden Alveolarfortsatz. Das sind aber Dinge, die sich nur klinisch entscheiden lassen. Und da ist uns Ihre Mitarbeit auf dem schwierigen Gebiet äußerst wıllkommen, namentlich, wenn wir es vermeiden können, durch blutige Eingriffe in die Nase diese wegsam zu machen. Wenn tatsächlich die Richtigkeit der Schröderschen Forschungen sich be- stätigen sollte, dann könnte durch rechtzeitige Beeinflussung des Kiefer- un großer Segen geschaflen werden. (Lebhufter Beifall folgte

iesen Ausführungen.)

Jäger-Leipzig:'Ich habe bei dem Vortrag des Kollegen Schröder vermißt, daß er nicht auch einmal eine Röntgen-Durchstrahlung vor- genommen hat. Ich möchte Sie in dieser Beziehung auf verschiedene Arbeiten z. B. von Welker hinweisen. Dort wird nachgewiesen, daß der Druck der Zähne des Oberkiefers nach zwei Punkten geht, nach dem Supraorbitalrand links und rechts. Und wenn Kollege Schröder die Schädel mit Röntgenstrahlen durchleuchtete, so müßte sich aus dem Verlauf der Wurzeln im Oberkiefer ergeben, da diese Druck- verhältnisse tatsächlich anormale sind.

G. Schröder-Kassel: Nur einen Punkt möchte ich erwähnen. Ich habe erklärt, daß verschiedene Forscher annehmen, daß durch den Druck beim Geburtsakt Erscheinungen hervorgerufen werden, namentlich bei künstlicher Geburt, wodurch in späterer Zeit Nasen- deviationen entstehen können. Ich habe mich mit Geburtsheliern dieserhalb ins Einvernehmen gesetzt. Die einen behaupteten, sie könnten sich keine solchen Fälle denken, die anderen meinten, selbstverständlich kämen solche Fälle vor, wenn auch selten. Bei Zangengeburten, wo die Zange am Oberkiefer ansetzt, schieben sich bei starkem Druck die Oberkieterhälften übereinander. Manche meinen nun, das gleiche sich wieder aus, da der Schädel so weich sei, andere sind der Ansicht, daß die Teile übereinander stehen bleiben können. Dann würden wir für späterbin bereits eine Deviation haben. Ich habe bereits in fünf Fällen bei vorbeißendem BiB testgestellt, daß hier Zangengeburten vorlagen. Ich habe noch keinen vorbeißenden Unterkiefer gehabt, wo keine Zangengeburt vorgekommen ist. Es würde sich dies nach zwei Richtungen hin erklären lassen. Erstens wenn die Zange am Überkiefer angesetzt wird, dann entsteht der vor- beißende Unterkiefer. Der zweite Fall wäre der, daß die Zange, was allerdings selten vorkommt zwei Fälle habe ich gehabt sehr tief im Winkel angesetzt wird und sich die Druckwirkunren lange nach der Geburt zeigen. Drücken wir unten zusammen, dann muß sieh der Kiefer nach vorne schieben. Ob sich dies tatsächlich wieder gunz ausgleicht, ist sehr fraglich.

Ich möchte ferner bitten, den Drucker-cheinungen durch den Biß recht große Aufmerksamkeit zu widmen. Daß selbstverständlieh hier auch andere Momente mitsprechen, ıst klar.

Zahnärztlichen Vereins zu Frankfurt a. M. 507

Vorhin hat sich Herr Dr. Vohsen wohl versprochen, wenn er von dem abgeflachten Kiefer sprach. Er hat das wichtigste Moment, den hochstehenden Kiefer, nicht erwähnt. Wir würden in diesem Falle einen verkleinerten inneren Nasenraum haben und zweitens eine Devia- tion. An dem (Querschnitt der Modelle könnten Sie sehen, daß der obere Teil um Millimeter heruntergekommen ist. Mit Meßinstrumenten ist dies nicht so leicht zu messen. Die weiteren Beobachtungen liegen nun in den Händen der Rhinologen. Ich möchte nur noch emerken. daß ich alles, was ich an den Schädeln gefunden habe, mit der ge- nauen Anomalie auch auf die Lebenden übertragen habe und jedesmal dasselbe auch dort gefunden habe. Ich schließe hierbei die Deviation der knorpeligen Nasenscheidewand aus.

Ich möchte immer wieder auf die Druckwirkungen bei dem Kauen von frühester Kindheit an aufmerksam machen. Jedenfalls werden wir die Eingriffe bei dem Geburtsakt zu beobachten haben. Ich halte dies für wichtig, damit frühzeitig eine Korrektur stattfindet.

Eines möchte ich noch erwähnen. Herr Dr. Vohsen setzt in Zweifel, daß durch Dehnen des Oberkiefers noch eine Veränderung der knöcherigen Scheidewand stattfindet. Auch ich bezweifle dies. Durch das Geradestellen der Zähne wird aber schon viel Segen gestiftet, und wir werden auf die ganze Frage noch näher zurückkommen, wenn die Untersuchungen und Heilungen noch weiter vorgeschritten sind. Jeden- falls bin ich Herrn Dr. Vohsen sehr dankbar für das, was er hier ausgesprochen hat, und ich bezweifle auch die Richtigkeit verschiedener seiner Ausführungen gar nicht. Nur möchte ich darauf aufmerksam machen, daß das, was ich gezeigt habe, ein sehr wichtiger Faktor für die Frage der Deviation der Nasenscheidewand ist.

Dr. med. Vohsen: Ich möchte nur erwidern, daß die mecha- nischen Momente bei der Beeinflussung des Unterkiefers, überhaupt des ganzen Schädels durch die Zange gar nicht zu leugnen sind. Das erfährt jeder, der jemals Zangengeburten ausgeführt oder nachträg- lich solche in ihren Wirkungen untersucht hat. Welche Veränder- ungen sich an die schweren Veränderungen im kindlichen Leben später anschließen, das wäre durch neue Untersuchungen festzustellen. Es ist für mich sehr wahrscheinlich, daß sich später Anomalien ergeben. Mechanisch läßt sich jede Kieferveränderung erklären. Und selbst, wenn ich darauf hinweise, daß solche Veränderungen der Nasenscheide- wand nicht nur im extrauterinen Leben, sondern schon im dritten Monat nachgewiesen worden sind, so kann man auch dafür zufällige mechanische Einflüsse innerhalb des uterinen Lebens geltend machen. Es kommt also darauf hinaus, daß wir durch fleißige Forschungen und sorgfältige Beobachtungen überhaupt die’ mechanischen Bedingungen feststellen, durch die der Oberkiefer und die Nasenhöhle in ihrem Aufbau beeintlußt werden.

G. Schröder-Kassel: Es sind hier die Röntgenstrahlen erwähnt worden. Ich wollte von der Seite des Oberkiefers, von der der Druck stattfindet, Knochenschlitfe vornehmen. Würde das gut sein und zweckdienlich für die Forschung, nachzuweisen, ob sich hier Verlager- ungen der Knochenbälkchen mikroskopisch nachweisen lassen, um dadurch festzustellen, ob wir es mit Druckerscheinungen zu tun haben oder mit pathologischen Veränderungen? Würde es einen Zweck haben, diese Knochenschlitfe mit Röntgenstrahlen zu durchleuchten ?

Dr. med. Vohsen: Wenn Sie mich nach dem Autbau des Ober- kiefers in bezug auf die Lage der Knochenbälkchen fragen, so ist das eine Frage, die durch Röntgenuntersuchungen nicht zu entscheiden

50S Auszüge.

sein wird, weil sie sich in dem feineren Aufbau nicht erkennen lassen. Ich erinnere Ste an die Untersuchungen von Hermann von Meyer und später von Julius Wolf in Berlin, der in dem Aufbau der ston- giösen Substanz im tiberschenkel. wo es sich um die Übertragung è einer ast. wie bei einer Brücke bandelt. zum erstermal nachgewiesen hat. dab eine Architektur genau nach den Gesetzen der Druck- und Zug- linien, wie sie die Ingenieure bei Brückenbauten anwerden. Er dem Knochenbau vorhanden ist. Genau wird sich im Bau des Oberkiefers eine gewisse Architektur der feinen Krochenbäikchen beobachten uud nachweisen lassen, aber es ist mivlich, das zuwege zu biegen, da die Mehrzahl der Öberkieier. wenn man Schute maent. Überkantt keine derartiren Knochenbäkenen aufweisen. Die scnwammartire Substanz ird resorbiert mit der Entstenurg der Kieierhöle. In dev Uberkiefer eines Erwachsenen ünden wir senr sei ten eine dirle EuSLE Substanz. Es bt eine Reihe von Uberxiefern mit kleinen H: gawmors- hönien, die eine ziemlich stark entwickeite spong.se Substanz haber; vieleicht können wir da etwas mit Krochensctlifen berausl Per mit Sicberbeit ist dies allerdings nicht anzucecwen. Íeceb babe in der Fraxis die Erfshrung gewacrt, dab die Resierenstraoien auf dem Gebiet der Rhino! ie im Zusammenhar. g mit (der Zannbei;kande ros ge eine gröbere Rolle spielen soilte. Auch die Schädel. die bier im Büle gezeigt wurden. wären noeh wit Rör twensträbirt zu untersücßen. m festzustellen. ob hier nicht vielleicht reririerte en vornarden iLi. Um sich über die Beschaferbei t eines Oberkieiers nacn dem beutizen Stard der Wissenschaft yerüsen] heibenschaft zu 1 geten. missen wir die Röntrenstraßien anwenden, aber nicht wegen des Aufbaus der diyivetischen Substanz, sonlem weren Jer eiwa VorDändenen reli-

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Auszüge. 509

Jahren überstandenen Typhus herrühre, wo sie 47 Tage lang das Bett hüten mußte. Bei der zugleich mit anwesenden Mutter war keine Karies zu entdecken, ebensowenig bei dem 49 Jahre alten Vater und einem Bruder und einer Schwester des jungen Mädchens.

Was ist nun die Ursache dieser Alteration? Der saure Speichel? nein, denn wir finden ihn bei vielen Krankheiten, bei denen der Schmelz nicht angegriffen wird. Oder üben die Typhusbazillen bzw. die Toxine derselben eine spezifisch angreifende Wirkung auf den Schmelz aus? Um dies zu untersuchen, wurden zwei BE der eine vollständig gesund, der andere leicht kariös (1. Grades) im Thermostaten 15 Tage bei 37° in einer Typhuskultur stehen gelassen, aber es zeigte sich keine Alteration des Schmelzes. Dadurch wurde Verfasser in der Meinung bestärkt, daß die Schmelzalteration sowohl wie Stomatitis, Otitis, Parotitis, die den Typhus begleiten, keine spezi- tischen Erscheinungen desselben sind, sondern der Typhus nur die zufällige Ursache.

Die primären Ursachen der Alteration sind jedenfalls chemische (Säuren) oder fermentative Agenzien. Besonders beim Typhus ist die Azidität des Mundsekrets aufs äußerste gesteigert, deshalb besonders, weil sich die Zunge, die Zahnreihen und die entsprechenden Kau- und Schluckmuskeln in ständiger Ruhe befinden, wodurch das Sekret sich wochenlang im Munde aufhält. Der behinderte Speichelfluß, der ver- längerte Aufenthalt von putriden und fermentativen Materialien, wie Nahrungsdetritus und abgestoßene Epithelien, bilden den Hauptkoefhi- zienten für die Schmelzalteration. Gesteigert wird die Wirkung noch durch die durchschnittlich ziemlich lange Dauer des Typhus. Hanpt- sächlich treten die Läsionen des Schmelzes hervor am Zahnhals.

Die Entzündungserreger können von der Pharynxhöhle durch die Tuba Eustachii ins Mittelohr eindringen und so Ursache der Trommel- fellperforation werden und der Otorrhoea purul. ebenso durch Ein- dringen in den Duct. NStenon. der Parotis.

Deshalb ist bei Typhus vor allem auf peinliche (alkalische) Mundpflege zu sehen. „Der Typhus heilt von selbst, die Kompli- kationen und Schmelzalteration, die muß der Arzt verhüten“ schließt der Verfasser. Herber (Berg.-Gladbach).

Prof. Dr. Nessel (Prag): Die Bedeutung der Menstruation für das Kariöswerden der Zähne. (Zubni lekarstvi. 1. Jahrg., Nr. 10, 11, 12. Wiener zahnärztliche Monatsschrift. 4. Jahrg., Nr. 2.)

Nessel glaubt die Ursache dafür, daß eine völlig befriedigende Erklärung des Wesens der Karies noch aussteht, darin suchen zu müssen, daß man davon ausgeht, „daß die Dentinsubstanz des Zahnes eine Jeblose Masse sei, die keinerlei weiterer physiologischer, ge- schweige denn patholorischer Veränderungen als Ausdruck eines von ihr selbst. ausgehenden Reaktionsprozesses fähig ist“, Dagegen schriebe man dem Zahnbein ruhig Außerungen, wie z. B. die der Schmerzemp- tindung, die doch nur einer lebenden, organisierten Masse zukämen, zu. Nesse]l hat das Dentin stets als ein lebendiges Organ unseres Körpers betrachtet, und ihm Reaktionsführekeit gegen Reize Be Verfasser glaubt, nur der ständig richtige Ernährungszustand könne die Karies verhüten. Während man bisher diesem nur einen Fin- flu auf die in Entwicklung begritfenen Zähne zuschrieb, meint Nessel, daß der Einfluß nie fehle. Man müsse dafür sorgen, daß immer ge- nürend Kalkzufuhr vorhanden sei; denn die Kalksalze lagerten nicht

510 Auszüge.

fest und unbeweglich im Körper, sondern seien, wie die anderen Bestandteile der Zelle ein bewegliches Element, das nur durch richtige Ernährung in einem scheinbar fixierten Zustand erhalten werde. Hierdurch werde auch der Mangel an Reaktionsfähigkeit vor- getäuscht. Ist nun ein Mangel an Kalksalzen aus irgendeinem Grunde vorhanden, so muß dann auch Karies auftreten. Ursachen für den Kalkmangel können vorhanden sein: in der Nahrung selbst, in Ver- dauungsstörungen und in Störungen der Resorption. Der pathologische Einfluß soll um so größer sein, je mehr ein Organ, im Wachsen be- griffen, des Kalkes bedarf. Aus diesem Grunde würden zunächst die Jüngsten Zähne angegriffen. Als weiteren Beweis für seine Theorie nimmt Nessel die Tatsache in Anspruch, daß die Karies häufiger beim weib- lichen Geschlechte auftrete, was dem Einfluß der Menstruation zuzu- schreiben sei. Verfasser führt Fälle an, wo er bei Mädchen mit viel Karies in der Nahrung den Kalkmangel nicht fand, dagegen litten diese Patientinnen an langanhaltender Menstruation. Die größte Karies- disposition soll sich bei Frauen mit dreiwöchentlicher Menstruation finden. Ergotinpräparate sollen durch ihre Einwirkung auf den Blut- verlust auch hemmend auf die Verbreitung der Karies wirken.

Auch die bekannten, durch fortschreitende Karies bedingten Zahn- schmerzen der Schwangeren will Nessel durch seine Theorie erklärt haben. Dr. R. Parreidt (Leipzig).

Dr. Hentze, Privatdozent (Kiel): Kallusdentin. (Odontologische Blätter. 7. Jahrg., Nr. 13.)

Hentze will die zahnbeinähnliche Masse, die man nach Zahn- frakturen an der Vereinigungsstelle der Bruchenden sieht, nicht als sekundäres Dentin, sondern als Kallusdentin bezeichnet wissen. Hier- durch wären Verwechselungen unmöglich, und außerdem gleiche es der Kallusbildung, wie sie beim Knochen vorkommt. Bei der Bildung des Kallusdentins sind Pulpa, Periost und der Inhalt der Dentinkanäl- chen beteiligt. Die Pulpa wuchere in die Bruchstelle hinein, von den Dentinkanälchen werde eine kalkhaltige Schicht erzeugt, während das Periodontium die Kittsubstanz liefere. Durch die Odontoblasten werde die gewucherte Pulpa in Dentin umgewandelt, während ihre Gefäße verkalkten oder obliterierten. Nach innen gehe dieser Prozeß regel- mäßig vor sich, außen dagegen sei er den Angriffen der Mundflüssig- keiten ausgesetzt, wodurch eine mit unregelmäßigen Dentinkanälchen durchsetzte Globularmasse erzeurt würde, die noch weiter außen eigen- tümliche Zwischenräume aufweist, die den Knochenkörperchen ähneln, Verfasser bekämpft die Ansicht Eichlers, daß diese äußerste Schicht Knochengewebe sei. Die Tatsache, daß Wedl in der Pulpahöhle Knochensubstanz nachgewiesen hat, erklärt Hentze dadurch, daß Wedl dies an trans- oder reimplantierten Zähnen gesehen haben dürfte, da solche zu dessen Zeiten häufiger gewesen seien. Hentze tadelt es, daß die meisten Zahnärzte bei Zahntrakturen an sonst gesunden Zähnen gleich zur Zange greifen und empfiehlt in solchen Fällen, Schienungen mit Metällringen vorzunehmen. Der Patient soll aber nicht über 30 Jahre alt sein, nicht schwächlich oder durch Krankheit geschwächt. Eine weitere Bedingung ist ein guter Erhaltungszustand der Pulpa. Auch die Art des Bruches spielt eine Rolle, ebenso seine Lage, ob innerhalb der Alveole oder nicht. Die Heilung kann nur per primam erfolgen; nach Infektion der Pulpa ist eine Wiedervereingung oder, wie Hentze schreibt, „Konsolidation“ unmöglich. Durch falsche Ver-

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Kleine Mitteilungen. öll

einigung der Bruchenden kann eine ziemliche Deformität entstehen, wovon Hertz in Virchows Archiv (38. 4. S. 489) ein Beispiel be- schreibt. Es handelt sich um 2 links oben, dessen Krone und Wurzel im rechten Winkel zueinander standen. Hentze berichtet dann noch über Kallusdentin an Zahnstümpfen, deren Pulpa erhalten war, wovon zwei Fälle bekannt sind, die Tomes beschrieb, der dabei die Ansicht aussprach, daß bei dem Extraktionsversuch die Pulpa unverletzt ge- blieben sei, das Zahnfleisch habe sich über die exponierte Pulpa gelegt und sie so geschützt; im anderen Falle habe dies ein sich später orga- nisierendes Blutkoagulum besorgt. Dies bestreitet Colliaux, ein Nichtverletzten der Pulpa sei bei der Fraktur nicht denkbar; ferner sei kein Fall bekannt, wo sich das Zahnfleisch vollständig über Wurzeln geschlossen habe. Verfasser stimmt Coulliaux bei, doch glaubt er, daß vor dem Extraktionsversuch keine Pulpitis vorhanden gewesen

sei, sondern nur eine Irritation der Pulpa, die dann ausgeheilt sei. Dr. R. Parreidt (Leipzig).

Kleine Mitteilungen.

Verschluckte Gebisse. In einem Vortrage im ärztlichen Lokal- rerein Nürnberg berichtete Dr. Albert Reizenstein über „Die Dia- gnose und Extraktion von Fremdkörpern der Speiseröhre mit dem Usophagoskop“ (Münch. med. Wochenschr. vom 28. Februar 1905). Dabei erwähnt er auch zwei Fälle von verschluckten Gebissen.

7 Ein 25 Jahre alter Bäcker hatte vor 12 Tagen einen künstlichen an mit breiter Gaumenplatte im Schlafe verschluckt. Schmerzen in ee Brust. Patient kann nichts Festes genießen, auch beim Trinken m et er Schmerzen, hat in 12 Tagen 20 Pfund an Körpergewicht ver- a Mit Sonden und dem Röntgenverfahren hatte man anderwärts: Vor Fremdkörper nicht gefunden. Mit dem Osophagoskop sah der 7 ragende den Fremdkörper. Der wiederbolte Versuch, die Platte a oa mißlingt; die Zange gleitet immer ab. Die Platte, mit Metall- chen gedreht, bleibt noch eingeklemut. Endlich gelingt die Aus- as "g nachdem durch pendelnde Bewegungen die Platte gelockert Pat; remdkörper, Zange und Tubus wurden zugleich heraufgezogen. alent blieb beschwerdefrei. 4 Zähne Z, 37 Jahre alt, hatte vor einigen Stunden ein Gebiß, aus glaubt en und Kautschuk panie bestehend, beim Essen verschluckt. Er i nische, a oben in der Gegend des Jugulums. Bei der ösophago- ton der Zah ntersuchung sieht man die Platte und einen Zahn 24 cm gleitet die a entfernt. Beim ersten Versuch, die Platte zu fussen, gelockert nge davon ab; beim zweiten Versuch wird das Gebiß num ab und verschwindet in der Tiefe. Nach 4 Wochen ist es per abgegangen. J. P.

`t, Laaa- tan, Sm IV. Internationalen zahnärztlichen Kongreß in Bericht über di Louis Ottofy aus Manila einen interessanten “telle yon ander „Blume der Blumen“ (Ylan-Ylan!, deren Ol ihm an gute Dienst& leistet ätherischen Olen und von Kreosot und Karbolsäure Monate ara: Er hat es in einen putreszierenden Pulpakanal eingeschlossen und es dann noch ebenso wohlriechend

512 Kleine Mitteilungen.

gefunden wie beim Einlegen. Der Preis des Oles ist hoch, da 5 kg Blüten nur 25 æ liefern. Im Jahre 1514 wurde es zum erstenmale nach Europa gebracht; im Jahre 1903 wurde für 123000 Dollars ex- portiert, davon nach Frankreich allein mehr als für 100000 a

2

Üble Zufälle von dem Zahnausziehen. Eine Durchsicht des Dental Cosmos, die Julio Endelmann in Philadelphia vorgenommen hat, ergab 32 Fälle solcher Zufälle, die er also einteilt'';:

Zahn in einem Bronchus eingeklemmt . . . 2.2... Tod: 1 1 Zahn verschluckt. . 2 2 a nn En re. 55 1 1 Zahn verschluckt. . . 2 2 2 2 2 2 2 2200000. Heilung: 1 Kieferbruch . . Ban a an ee A Zain Sr 5 2 Shock nach der Operation Be re ne ee a ce ade, E Erkältung nach der Extraktion . . . e e . . Infektion: 1 Wurzel entschlüpft (migration of the stump CEEE E TE j 1 Abreißung der Tuberositas . . . ne a en 1 Zahn im Bronchus . . Ea k ai a p A Heilung: 4 Erstickt (choked) durch einen Zahn S u Tod: 1 Pneumonie durch einen in einen Bronchus gelangten Zahn 5 1 Lähmung nach dem Ausziehen . . 2 2 2 2 22.0. = 4 Luxation des Unterkiefers . . e 1 Erstickung (Suflokation) durch Verschlucken eines Zahnes s l Der dritte Mahlzahn in den Kiefer getrieben . 2 2... -$ 1 Bruch des Oberkieferbeines. . E re er 3 l Fiterige Infektion nach dem Ausziehen . N 1 Eiterigre Infektion nach einer beim Ausziehen erfolgten

Kieferfraktur . . A l Ein abgebrochenes Stück einer Zange im Kiefer stecken

lassen . . ee re > Infektion: 1 Tod nach dem Ansziehen ; TE 2 3 Zahn aus der Zange in die Trachea gese hlüpft TEE er 4 1 Zahn in die Kieferhöhle gezwänst . . 2 2 2 2 200. n l -Hämorrhagie . . . AE O b ni ; e udt w. kods

Von den 32 Fällen sind iko S tödlie h Serlanfen, Die 3 durch schmutzige Instrumente unmittelbar erfolgten Infektionen, die zum Tode geführt haben, betrafen allemal die Extraktion des zweiten unteren Mahlzahnes.

Außer diesen eigentlichen Unglücksfüllen bespricht E. noch mehrere kleine Unfälle, wie Fraktur des betreffenden Zahnes, Fraktur eines Stückehens der Alveolurlamelle usw. Bezüglich der Nach- blutungr sei erwähnt, daß nach einer Zusammenstellung Grandidiers von 30 Todesfällen durch Nachblutung bei Hämophilen 10 sich nach Zahnextraktionen ereignet haben. Moreau hat 1873 im ganzen 26 "Todesfälle nach dem Zahnausziehen bei Hämophilen zusammen- l ESEL

D Nach einem Bericht vom IV. Internationalen zahnärztlichen Kongreß 1404, im Dental Cosmos, März 1905, N. 348. Die 32 ange- führten Fälle siud jedoch nicht sämtliche in den 45 Jahrgängen des Cosmos verzeichnete.

4 L- sama euT i

AXIU. Jahrgang. 9. Heft. September 1905.

Deutsche Monatsschrift

für

Zahnheilkunde.

[Nachdruck verboten.)

Pathologische Prozesse an Zähnen außer- halb der Mundhöhle.)

Von W. D. Miller in Berlin. (Mit 17 Abbildungen.)

Es dürfte jedem Zahnarzt aus eigener Beobachtung bekannt sein, daB Prozesse an retinierten Zähnen stattfinden, die dem äußeren Aussehen nach eine mehr oder weniger große Ähnlichkeit mit Zahnkaries haben. In mehreren Fällen sind solche Prozesse, ohne näher untersucht zu werden, kurzweg als Karies bezeichnet und zur Stütze irgendeiner Anschauung über das Wesen der Zahnkaries ausgenützt worden.

Einige solche Fälle habe ich Gelegenheit gehabt, näher zu untersuchen. Prof. Pierce in Philadelphia hatte die Güte, mir einen nicht durchgebrochenen Molaren zuzusenden, worin sich eine Höhle fand, die man ohne weiteres als Karies bezeichnen würde, und die man auch tatsächlich kurzweg als „Karies eines nicht durchgebrochenen Zahnes“ bezeichnet hatte. Die mikro- skopische Untersuchung ergab die typischen Veränderungen, die stets bei Zahnkaries beobachtet werden. Die vorhandenen Bakterien waren meist Mikrokokken, weniger zahlreich waren Bazillen vertreten. Das durch Salzsäure losgetrennte Schmelz- oberhäutehen erwies sich als verdickt, mit Bakterien durch- wuchert und teilweise verfärbt, auch die Fissuren waren deutlich

1) Vortrag, gehalten in der Breslauer zahnärztlichen Gesellschaft. 33

XXIII.

514 Miller, Pathologische Prozesse an

verfärbt und andere Erscheinungen vorhanden, welche den Ge- danken rechtfertigten, daß wenn auch der Zahn zur Zeit der Extraktion mit Zahnfleisch bedeckt war, er doch früher an irgend- einer Stelle den Mundflüssigkeiten zugänglich gewesen sein mußte. Diese Vermutung wurde durch den Umstand unterstützt, daß die in dem Zahnbein vorhandenen Bakterien die für einige Mund- bakterienarten charakteristische Jodreaktion zeigten.

Einen zweiten Fall bekam ich durch die Güte des Kollegen Billing in die Hand. Es handelte sich um einen Eckzalın, dessen Spitze bei einem sonst zahnlosen 60 jährigen Fräulein im harten Gaumen zum Vorschein kam, nachdem längere Zeit Röte und Schwellung bestanden hatten. Der in Fig. 1 wiedergegebene Zahn hatte mehrere mit einer schwarzbraunen Masse (geronnenem Blut) ausgefüllte Höhlen, die die größte Ähnlichkeit mit Karies zeigten. Bei näherer Untersuchung stellten sie sich aber als reine Resorp- tionsprozesse heraus.

Mit einem dritten analogen Fall beschäftigt sich Lohmann im „Archiv für Zahnheilkunde“, Nr. 38, 1903. Er bezeichnet den Fall ohne weiteres als Karies, hervor- gerufen durch die Wirkung von Mucin. Er hatte die

‘Liebenswürdigkeit, mir den Zahn zuzusenden, dessen Untersuchung auch hier lediglich Resorption ohne die geringste Spur von Karies ergab. Selbst die makro- skopische Ähnlichkeit mit Karies war in diesem Falle sehr gering.

Fig. 1. Unterallen Fällen von sogenannter Karies

bei retinierten Zähnen gibt es keinen einzigen,

bei welchem ein einwandfreier Beweis geliefert wurde, daß es sich wirklich um solche gehandelt hat.

Von besonderem Interesse in diesem Zusammenhang sind die Beobachtungen, die an Zähnen in Dermoidcysten gemacht worden sind. Auch hier finden Veränderungen statt, welche leicht mit Karies verwechselt werden könnten und auch tatsächlich verwechselt worden sind.

Bei Gelegenheit der Jahresversammlung des Central-Vereins Deutscher Zahnärzte in Berlin demonstrierte Dr. Franz Trauner aus Wien eine Ovarialeyste, welche einen Oberkiefer mit fehlendem Zwischenkiefer enthielt, der eine vollständige beiderseitige Zahn- reihe bei noch nicht vollständig geschwundener Milchzahnreihe trägt. An mehreren dieser Zähne waren am Zahnhalse große unterminierende Höhlen vorhanden, von welchen man durch den Augenschein allein nicht feststellen konnte, ob sie durch Karies oder Resorption bedingt worden waren, und welche ein ober- tlächlich untersuchender Arzt oder Zahnarzt kurzweg als Karies bezeichnen würde, Eine spätere genauere Untersuchung durch

Zähnen außerhalb der Mundhöhle. 515

Trauner (Österr.-ung. Vierteljahrsschrift für Zahnheilkunde, Oktober 1904) stellte fest, daß es sich lediglich um Resorption handelte.

In derselben Sitzung kam die Frage zur Sprache, ob über- haupt Karies bei Zähnen in Dermoideysten vorkommt, und bei dieser Gelegenheit lenkte Dr. Schröder-Greifswald die Aufmerk- samkeit der Versammlung auf ein Präparat, das sich in der Sammlung des pathologischen Instituts zu Greifswald befand, eine

Fig. 2. Schnitt des weichen Gewebes aus der Höhle a) von Fig. 3.

Dermoideyste mit drei Zähnen, von welchen der eine anscheinend echte Karies aufwies. Durch die Vermittlung des Herrn Schröder ist mir dieser Zahn zur Untersuchung zugänglich gemacht worden, was als eine besondere Liebenswürdigkeit und ein besonderes wissenschaftliches Interesse seitens des Vorstehers der Sammlung, Herrn Geheimrat Grawitz, aufzufassen ist, denn mit Rücksicht auf die Seltenheit solcher Präparate werden sie außerordentlich ungern zu Versuchszwecken herausgegeben.

Auf eine nähere Beschreibung der Cyste und ihres In- haltes kann ich hier verzichten, um so mehr, als Dr. Schröder- Greifswald die Absicht hat, diese Arbeit auszuführen. Ich be-

33”

516 Miller, Pathologische Prozesse an

schränke mich lediglich auf eine Berücksichtigung des an dem einen Zahn vorhandenen pathologischen Prozesses. Der Zahn, der am ehesten mit einem verkümmerten oberen Weisheitszahn zu vergleichen wäre, zeigte eine große, unterminierende Höhle, welche ihn bis auf seine Schmelzschale fast gänzlich zer- stört hatte. Die Höhle war mit einer weichen, gelbbraunen, verfärbten Masse ausgefüllt und hatte tatsächlich die größte Ahn-

Fig. 3. Längsschnitt eines Zahnes ans einer Ovarialeyste. a, b und d weiches Gewebe in den Absorptionshöhlen, e dünner Strang, durch welchen das Gewebe a mit der Schleimhaut der Cystenwand in Verbindung stand und ernährt wurde.

lichkeit mit Karies. Bei einer näheren Untersuchung ließ sich aber feststellen, daß dieses braune Gewebe mittels eines dünnen Stranges mit der Schleimhaut der Cystenwand verbunden war. Auch zeigte es sich, daß das Gewebe teilweise auf dem Zahnbein verschieblich und daß das darunter liegende Zahnbein vollkommen hart und für ein spitzes Instrument undurchdringlich war. Ein Teil des genannten Gewebes wurde aus der Höhle entfernt und Schnitte angefertigt, wovon eine photographische Aufnahme in Fig. 2 wiedergegeben ist. Es braucht an der Hand der Photo- graphie nicht besonders hervorgehoben zu werden, daß es sich

Zähnen außerhalb der Mundhöhle. 517

nicht um kariöses Zahnbein handelt. Wir haben vielmehr ein grobfaseriges Bindegewebe vor uns mit zahlreichen kleinen runden Zellen und Riesenzellen und können jetzt schon mit aller Wahr- , scheinlichkeit schließen, daß es sich auch in diesem Fall nur um Resorption handelt.

Um ein gründlicheres Studium des Präparates zu ermöglichen, stellte ich Schliffe nach der Versteinerungsmethode von v. Koch

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Fig. 4. Höhle a) von Fig. 3 bei stärkerer Vergrößerung. a) Weiches Gewebe. b) Zahnbein. c) Schmelz.

her, wovon einige photographische Aufnahmen in den Abbildungen reproduziert sind.

Fig. 3 zeigt uns einen Längsschliff des Zahnes, bei welchem die verkümmerte Wurzel und die Obliteration des Wurzelkanals zunächst auffallen. Wir bemerken ferner zwei große mit weichem Gewebe ausgefüllte Höhlen, eine (a) in der Krone, die zweite (b) an der Wurzel des Zahnes. Im Niveau der Schleimhaut der Cystenwand sind die beiden Gewebsteile durch einen dünnen Strang (c) miteinander verbunden.

In Fig. 4 sehen wir die Höhle (a) bei etwas stärkerer Ver- größerung. Die Grenze zwischen dem Resorptionsorgan (a) und

518 Miller, Pathologische Prozesse an

dem Zahnbein (5) ist deutlich zu erkennen. Die Oberfläche des Zahnbeins zeigt eine entkalkte Schicht etwa ein viertel Millimeter . dick (links in der Figur).

Fig. 5 ist eine Aufnahme bei starker Vergrößerung von den Grenzschichten der Höhle a’. Wir sehen zunächst links das Zahnbein (a`, darauf eine Schicht von neugebildetem Knochen (b, c), dann darauf das die Höhle ausfüllende Resorptions- organ, bestehend aus grobem Bindegewebe mit zahlreichen. ein-

gelagerten, kleinen, runden Zellen, ganz rechts auf der Ober- fläche Epithel.

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a ö Fig. 5. Schliff durch die Höble }) von Fig. 3. Zahnbein. bi Knochenneubild-

ung. ce) Jüngste Knochenschicht. d) Bündel von Bindegewebe mit zahlreichen tundzellen. e; Epithel.

Fig. 6 stellt eine Aufnahme der Höhle d in Fig. 3 bei starker Vergrößerung dar. an welcher wir wiederum sehen, daß eine Resorption des Schmelzes mit nachfolgender Knochenneubildung stattgefunden hat. Dieses Präparat bot mir insofern besonderes Interesse, als Knochenauflagerungen auf in Resorption begriffenen Schmelzflächen meines Wissens bisher nicht beobachtet wurden. Auf der äußeren Schmelzoberfläche sehen wir, daß eine deutliche Entkalkung stattgefunden hat, dagegen ist weder bei der Höhle a noch bei b irgendeine Andeutung von Entkalkung vorhanden.

Während nun dieser Zahn ohne Zweifel wenigstens zeitweise in einer sauer reagierenden Cystenflüssigkeit gebadet wurde, wovon die Entkalkung der Schmelzoberfläche Zeugnis ablegt, fand keine Entkalkung des Zahnbeins statt, weil dasselbe überall durch das weiche Gewebe gegen die Einwirkung der Cystenflüssigkeit ge-

Zähnen außerhalb der Mundhöhle.

schützt wurde. Wäre nun aber der bereits äußerst dünne Verbindungsstrang c im Laufe der Zeit zugrunde gegangen, was durchaus im Bereiche der Wahrschein- lichkeit liegt, so müßte eine Resorption oder Auflösung des die Höhle a ausfüllenden Gewebes darauf gefolgt sein, und die Cystenflüssigkeit wäre dann imstande ge- wesen, auf das freiliegende Zahnbein einzuwirken und eine Entkalkung hervorzu- bringen. Wir hätten dann eine mit entkalktem Zahn- bein ansgekleidete Zahn- höhle vor uns. Es ist also die Möglichkeit gegeben, daß an den Zähnen von Der- moideysten infolge der kom- binierten Einwirkung von Resorptionsprozessen und Säuren Anderungen hervor- gerufen werden, welche ma- kroskopisch eine große Ähn- lichkeit mit Zahnkaries be-

519

(ki

Fig. 6. Schliff durch die Höhle d) von Fig. 3

bei stärkerer Vergrößerung. a) Schmelz,

b) Knochenneubildung, c) Resorptionsorgan, d) entkalkte äußere Schmelzschicht.

sitzen und bei Mangel an gründlicher Untersuchung ohne weiteres als Zahnkaries aufgefaßt werden.

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Fig. 7. Teil der Wand einer Övarialeyste mit aufsitzendem Oberkiefer. ”l natürliche Größe.

520 Miller, Pathologische Prozesse an

Ich komme nun zur Beschreibung der Befunde an einem Präparat, welches weit mehr als irgendein bis jetzt beschriebenes die Anschauung zu rechtfertigen schien, daß Zahnkaries an Zähnen in Dermoidcysten vorkommen kann.

Vor etwa vier Jahren habe ich in einer unserer zahnärztlichen Fachzeitschriften eine kurze Beschreibung einer Ovarialcyste ge- lesen, die sich zurzeit im Besitze des Herrn Dr. Callahan in Cincinnati befand. Die Cyste enthielt eine Anzahl von Zähnen,

Fig. 8. Ovarialcyste mit Oberkiefer, '/, natürliche Größe. b, c, scheinbar kariöse Molaren.

von welchen zwei große Höhlen hatten, die von jedem, der sie untersuchte, ohne weiteres als kariöse Höhlen bezeichnet wurden.

Ich habe mich seinerzeit an Herrn Dr. Callahan mit der Bitte gewandt, er möchte mir das Präparat überlassen oder mir ein Stückchen kariöses Zahnbein aus einer der beschriebenen Zahnhöhlen zwecks Untersuchung zusenden. Herr Dr. Callahan lehnte damals meine Bitte ab mit der verständlichen Begründung, daß das Präparat ausnahmsweise wertvoll sei und er es nicht aus den Händen geben oder irgendwelche Schabungen daran vor- nehmen lassen möchte. Um so mehr war ich überrascht und erfreut, als bei Gelegenheit einer Begegnung auf dem „Exposition

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Zähnen außerhalb der Mundhöhle. 521

Express“ zwischen St. Louis und Cineinnati Herr Dr. Callahan aus eigener Initiative mir das Präparat zur Verfügung stellte, wofür ich nicht verfehlen möchte, ihm hier meinen herzlichsten Dank auszusprechen. Ich unterbrach meine Reise in Cincinnati und empfing von Dr. Callahan das kostbare Präparat, und wenn ich ein Vermögen in meiner Reisetasche gehabt hätte, so wäre ich nicht mehr darum besorgt: gewesen, als um diese Dermoid- cyste. Es gelang mir aber, trotz vielen Umherreisens, das

Fig. 9. Schliff von Zahn v) Fig. 7. a, b, c, Entkalkung der äußeren Schmelz- fläche. e) erweichtes (entkalktes) Zahnbein.

Präparat glücklich und ohne Zwischenfall nach Berlin zu bringen, wo ich eine genaue Untersuchung desselben vorgenommen habe.

Die eiförmige Cyste mißt 14 cm im Längen- und 10 cm im Querdurchmesser und trägt auf der Innenwand auf einem breiten Stiel aufsitzend einen fast typisch geformten Öberkiefer mit fehlendem Zwischenkiefer. Derselbe hat eine Länge von 3 cm und eine Breite von 3!, cm. An den Rändern dieses Kiefers sitzen fünf Zähne, rechts drei, von dem Typus eines Eck- zahnes oder kleinen unteren ersten Bikuspis und eines zweiten und eines dritten Molaren, auf der linken Seite zwei Zähne, wovon

522 Miller, Pathologische Prozesse an

der erste einem verkümmerten dritten Molaren, der zweite einem ersten Molaren ähnelt. Außerdem fühlt man unter der Schleim- haut einzelne harte Körperchen, die als Zahnkeime aufzufassen sind. Außerhalb des Kiefers sitzt ein typischer Eckzahn in der Wand der Cyste. Der ganze Kiefer ist durch eingelegte zer- streute Knochenplättchen gestützt, und bei Entfernung des ersten Molaren rechterseits kam eine papierdünne Knochenlamelle fort, welche in Form einer Schale die Wurzeln des Zahnes umgab.

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Fig. 10. Rand der Höhle bei e, Fig. 9; zeigt oberflächliche Maceration des Zahn- beins und Verdickung der Neumannschen Scheiden.

An sämtlichen Zähnen zeigten sich umschriebene Schmelzpartien, welche undurchsichtig, kreideartig aussahen, als wenn sie der Wirkung einer Säure ausgesetzt gewesen wären. Insbesondere sind die Spitzen teilweise weiß und undurchsichtig. b und c (Fig. 7 und 8) zeigen an der Gaumen- resp. Wangenfläche kreidig entartete und braun bis braunschwarz verfärbte Schmelz- streifen, welche den an Zähnen im Munde vorkommenden genau entsprechen. Bei b ist dieser Streifen in den Photographien deutlich sichtbar. Das, was aber dem Präparat ein ganz be- sonderes Interesse verleiht, ist die Anwesenheit von großen,

Zähnen außerhalb der Mundhöhle. 523

anscheinend kariösen Höhlen in beiden Molaren, b und c, auf der rechten Seite. Bei b ist die ganze Kaufläche zerstört, der Schmelz an den Rändern kreideartig entartet und verfärbt. Bei e ist die Wangenfläche und zu gleicher Zeit ein großer Teil der Kaufläche ebenfalls zerstört. In Fig. 8 ist die Zerstörung an dem Zahne b deutlich erkennbar. Zunächst wurde ein Schliff dieses Zahnes angefertigt, von welchem eine photographische Aufnahme in Fig. 9

en Längsschliff durch den Zahn ce) von Fig. 7. a) wachsartige Substanz,

wo it die Höhle zum größten Teil ausgefüllt war. b) Entkalkung des Schmelzes,

er durch die Schicht a) nicht geschützt war, c) Entkalkung der äußeren Schmelzschicht.

y edergegeben ist. Wir sehen daran eine erhebliche Entkalkung = Zehmelzhöckers bei a sowie auch eine geringere Entkalkung a EENE ‚bei b und c. Erwähnenswert ist auch der Um- Dathon daß wir hier in genau derselben Ausdehnung wie bei en gischen Prozessen an den Zähnen in der Mundhöhle das andensein von transparenten Zonen feststellen können, was et weiter auffallend ist, da der Zahn eine lebende, an- sich iai gesunde Pulpa besaß. In der Zahnhöhle selbst befindet Schicht d eine mikroskopisch dünne, bei e eine etwas dickere von teilweise entkalktem Zahnbein. Bei einer näheren

524 Miller, Pathologische Prozesse an

mikroskopischen Untersuchung dieser Schicht ließen sich keine Bakterien feststellen, ebenfalls keine Veränderungen, wie sie für die natürliche Karies charakteristisch sind (Fig. 10). Dagegen sehen wir in den oberflächlichen Schichten eine Dentinoporose (Fig. 10). Ich fasse diese als eine Maceration auf, wie ich sie, in geringem Umfange, an entkalktem Zahnbein, das lange Zeit in verdünnten sauren Lösungen gelegen hatte, oft beobachtet habe.

Die Höhle des Zahnes c war mit einer wachsartigen Masse,

Fig. 12. Wie Fig. 11 nach Behandlung mit Chloroform.

bei welcher eine schwach saure Reaktion noch nachgewiesen werden

konnte, fast vollkommen ausgefüllt. Stücke von dieser Masse mM

Chloroform gebracht, lösten sich zum größten Teil unter Zurück- lassung von verschieden geformten Kristallen, welche als 'Tyrosi, Harnsäure, Cholesterin usw. angesprochen werden konnten. Diese wachsartige Masse hatte in den tieferen Schichten ungefähr die Konsistenz von schwer schmelzbarem Paraffin und war so zäh, daß sie beim Herstellen des Schliffes noch erhalten wurde (Fig. 11, a) An diesem Schliff konstatieren wir wieder eine der

Entkalkung entsprechende Veränderung des Schmelzes (Fig. 11 b, e).

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Zähnen außerhalb der Mundhöhle. 525

Erweichtes resp. entkalktes Zahnbein fehlt aber gänzlich, und nach- dem der Schliff in Chloroform gelegt und die wachsartige Masse herausgelöst wurde, blieb nur die harte Zahnwand übrig (Fig. 12). Bei vorsichtiger Behandlung eines Schliffes konnten aber die kristallinischen Bestandteile der waclısartigen Masse noch in Ver- bindung mit dem Schliff erhalten werden (Fig. 13). Eine Auf- nahme vom Rande des in Fig. 9 wiedergegebenen Schnittes

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Fig. 13. Rand eines Schliffes nach partieller Chloroformbehandlung zeigt die kristallinischen Bestandteile der Wachsschicht.

zeigte Veränderungen, welche als Resorption aufgefaßt werden können (vergl. Fig. 14).

Wenn ich nun den Versuch mache, diese Erscheinungen, die ich beschrieben habe, zu erklären, so erinnere ich zunächst daran, daß man in dem Inhalt von Övarialeysten niedere Fett- säuren, Oxalsäure, große Mengen von Tyrosin und Leuein, auch Harnstoff, Cholesterin usw. gefunden hat. (Vgl. Schmidt, diese Zeitschrift, Jan. 1890.) Daß auch der Inhalt der vorliegenden Cyste zu einer Zeit wenigstens eine saure Reaktion gehabt haben muß, beweist der folgende Fund. Nachdem der erste

526 Miller, Pathologische Prozesse an

Molaris auf der linken Seite aus seiner Alveole entfernt war, bemühte ich mich, ebenfalls den dritten Molar zu entfernen, wobei ich das Präparat in der linken Hand hielt und natürlich einen gewissen Druck darauf ausüben mußte. Dabei bemerkte ich, daß eine gelbe schaumige Flüssigkeit in die leere Alveole des ersten Molaris hineinquoll. Diese Flüssigkeit hatte eine stark saure Reaktion. Aus diesen Tatsachen ist das Vorkommen von Entkalkungsprozessen an den Zähnen erklärlich, und die ganzen

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Fig. 14. Schliff durch die Stelle d); in Fig. 9. Resorptionsfläche.

Erscheinungen dürften wohl durch einen kombinierten Entkalkungs- und Resorptionsprozeß bedingt worden sein. Ich stelle mir die Sache so vor, daß zu irgendeiner Zeit starke Resorptionen an den beiden beschriebenen Zähnen vorgekommen sind, eventuell zu einer Zeit, wo die Zähne noch nicht zum Durchbruch gekommen, oder wenigstens noch teilweise von der Schleimhaut bedeckt waren, denn es unterliegt selbstverständlich keinem Zweifel, daß diese Zähne sich unterhalb der Schleimhaut bilden und nur allmählich zum Durchbruch kommen. Der späterhin erfolgte vollkommene Durchbruch der Zähne bedingte ein Verschwinden des Resorptions-

Zähnen außerhalb der Mundhöhle. 527

organes, und die nun freigelegten Zahnbeinpartien konnten der Ein- wirkung des sauren Inhalts der Cyste ausgesetzt werden. Bei dem dritten Molar aber füllte sich die Höhle mit der bereits be- schriebenen wachsartigen Masse aus, wodurch dieser dem Einfluß des sauer reagierenden Cysteninhalts entzogen wurde. Nur der obere Teil der Höhle resp. der Schmelzrand, der diesen Schutz nicht besaß, zeigte eine Entkalkung. Ein Schliff durch /die

Fig. 15. Längsschlif! des Zahnes d) Fig. 7, zeigt Zahnpulpa, sekundäres Zahn- bein, Entkalkung der Schmelzobertläche, Kegel von undurchsichtigem und trans- parentem Zahnbein bei «), wo die Entkalkung die Zahnbeinoberfläche erreicht hat.

Stelle d bei Fig. 9 zeigt bei stärkerer Vergrößerung noch Zeichen des Resorptionsvorganges (Fig. 14).

Nicht weniger interessant waren die Befunde an dem mit d bezeichneten Zahn (Fig. 7), welcher den Typus eines oberen dritten Molaren hat. Auf der nach außen gekehrten Seite war der Schmelz spröde, kreideartig und dunkelbraun verfärbt. Das Zahnbein am Halse des Zalınes war ebenfalls bräunlich verfärbt und bis zu einer Tiefe von !, mm aufgeweicht. Die Veränder- ungen boten also ganz genau das Aussehen eines Zahnes mit natürlicher Halskaries. Als ich den Zahn aus seiner Alveole ent-

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528 Miller, Pathologische Prozesse an

fernen wollte, löste sich die Krone bei geringstem Kraftaufwand ab und enthüllte die Tatsache, daß die Wurzel des Zahnes fast vollkommen resorbiert worden war. Ein Längsschliff wurde an- gefertigt, von welchem einige Photographien in den Abbild- ungen 15—17 reproduziert worden sind,

An Abbildung 15 sehen wir eine Fülle von interessanten Erscheinungen, die teilweise auf Lebensprozesse im Zahn zurück- zuführen, teilweise aber nur chemischer Natur sind. Zunächst

Fig. 16 zeigt die Stelle d) von Fig. 15 bei starker Vergrößerung, Entkalkung des Zahnhalses ohne Substanzverlust.

bemerken wir das Vorhandensein einer Pulpa von ziemlich nor- maler Größe, aber von anormaler Form, indem auf dem Quer- durchschnitt drei Hörner den Höckern des Zahnes entsprechend zum Vorschein kommen. In der Umgrenzung dieser Hörner sehen wir die Bildung von sekundärem Zahnbein, eine Erscheinung, die an lebenden Zähnen im Munde ziemlich konstant beobachtet wird. Fernerhin sehen wir, daß die ganze Schmelzoberfläche mehr oder weniger entartet (entkalkt) ist, und daß die Entkalkung an der einen Stelle (a) die Schmelzgrenze überschritten und das Zahn- bein bereits angegriffen hat. An dieser Stelle hat sich die typisch

Zähnen außerhalb der Mundhöhle. 529

dunkle Zone mit den angrenzenden transparenten Streifen heraus- gebildet. Es ist an dem Vorgang absolut nichts herauszufinden, was ihn von dem ähnlichen Prozeß in der Mundhöhle unter- scheidet.

In Fig. 16 ist dieser Teil des Photogramms bei einer etwas stärkeren Vergrößerung wiedergegeben, wobei die beginnende Entkalkung des Zahnbeins bei (a) und auch am Zahnhalse (b) deutlich zutage tritt.

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Fig. 17. Schliff des Wurzelendes von Zahn d) Fig. 7, zeigt die Zerstörung der Zahnwurzel durch Resorption.

In Fig. 17 ist auch zu ersehen, daß der gewöhnliche Resorp- tionsprozeß mit nachheriger Ablagerung eines knochenartigen Ge- webes im Gange ist.

Es ist aus diesem Präparat deutlich zu erkennen, daß der Ernährungsprozeß durch die Vermittlung der Pulpa bei diesem Zahn in einer vollkommenen normalen Weise vor sich gegangen ist. Auch die Bildung des sekundären Zahnbeins und die Ent- stehung des Zahnbeinkegels an der Stelle a sind vollkommen normale und physiologische Lebenserscheinungen. Die Entartung des Schmelzes und die beginnende Aufweichung des Zahnbeins

XXIII. | 34

30 Miller, Putholog. Prozesse an Zähnen außerhalb d. Mundhöhle.

sind auf Entkalkungsvorgänge zurückzuführen, welche vollkommen erklärlich sind, da der Inhalt der Cyste eine deutlich saure Reaktion zeigte.

Das entkalkteZahnbeinzeigtkeinelnfektionmitBak- terien und auch keine für die Karies charakteristischen histologischen Veränderungen. Dementsprechend ist auch kein Substanzverlust zu konstatieren.

Aus allen diesen Beobachtungen geht hervor, daß durch Resorptionsprozesse in Kombination mit der Wirkung einer sauren Cystenflüssigkeit und den Reaktionserscheinungen, die an den mit einer Pulpa versehenen lebenden Zähnen, ob im Munde oder in einer Dermoideyste, gleichwohl vorkommen, Erscheinungen hervorgerufen werden können, die eine auffallende Ähnlichkeit mit Zahnkaries besitzen. Diese Erscheinungen sind aber, wie wir gesehen haben, einer ganz ungezwungenen Erklärung leicht zugänglich und liefern durchaus kein Material für die Behauptung, daß die Zahnkaries keine parasitäre Erkrankung sei. Ein durch- greifender Unterschied zwischen den Zerstörungen, die wir oben studiert haben und denen, die bei der Zahnkaries vorkommen, besteht jedoch, und zwar darin, daß in dem ersten Fall keine Bak- terien und keine der Zahnkaries eigentümlichen histologischen Ver- änderungen und interstitiellen Auflösungsvorgänge vorhanden waren.

Aus den obigen Untersuchungen sind die folgenden Schlüsse zu ziehen:

1. Die an retinierten Zähnen sowohl als an Zähnen in Dermoid- cysten vorkommenden großen Höhlen, soweit sie bisher zur Beob- achtung gelangten, sind durch Resorptionsprozesse gebildet worden.

2. Die an Zähnen in Dermoidceysten beobachteten Dekalzi- fikationsvorgänge finden ihre Erklärung in der sauren Reaktion des Inhalts dieser Cysten.

3. Die erhöhte Transparenz des Zahnbeins und die Bildung von sekundärem Zahnbein sind dieselben Äußerungen, die man an lebenden Zähnen in der Mundhöhle beobachtet.

4. Die für die Zahnkaries charakteristischen, durch die Bakterien bedingten histologischen Veränderungen des Zahnbeins kommen bei Zähnen in Ovarialeysten nicht vor.

5. Die Möglichkeit ist in Betracht zu ziehen, daß unter den vielen Bestandteilen des Inhalts einer Dermoideyste der eine oder der andere eine gewisse, wenn auch geringe auflösende Wirkung auf das entkalkte Zahnbein haben mag, wie eine solche bei dem in Fig. 10 gezeigten Präparat vorzuliegen scheint. In diesem Falle ist es nicht ausgeschlossen, daß durch die kombinierte Wirk- ung von Säure und einer derartigen auflösenden Substanz eine durch Resorption gebildete Höhle vertieft oder eine neue hervor- gerufen wurden könnte,

Port, Über Gips. 531

[Nachdruck verboten.) so ° 1 Uber Gips.’) Von Prof. Dr. Port in Heidelberg. (Mit 3 Abbildungen.)

Der Gips ist von allen Materialien, welche wir in der Technik verwenden, wohl eines der wichtigsten, ja in gewissem Sinne wäre die moderne Technik gar nicht denkbar ohne dieses Material. Der Gips kommt in der Natur hauptsächlich als Gipsstein vor und stellt chemisch schwefelsaures Calcium dar, in Verbindung mit 2 Molekülen Wasser. Entziehen wir dem Gipse einen Teil seines Wassers, so entsteht das Produkt, welches wir gebrannten Gips nennen. Vermischen wir diesen gebrannten Gips mit Wasser, 80 erhalten wir einen gießbaren Brei, welcher unter Wasserauf- nahme erstarrt und dann chemisch dem Gipssteine wieder gleich- wertig ist, d. h. aus einer Verbindung von 1 Molekül schwefel- saurem Calcium und 2 Molekülen Wasser besteht.

Bei der Wichtigkeit des Gipses als eines Materials für die zahnärztliche Technik ist es wohl gerechtfertigt, auf die Vor- gänge, welche bei der Erhärtung des Gipses sich abspielen, näher einzugehen.

Wenig bekannt, wenigstens in zahnärztlichen Kreisen, dürfte es sein, daß man die Erhärtung des Gipses sehr schön unter dem Mikroskope verfolgen kann. Der gebrannte gemahlene Gips stellt unter dem Mikroskope kleine Trümmer oder Schollen dar von eckiger, kantiger und manchmal auch abgerundeter Form. Machen wir uns etwas Gips mit Wasser zu einem dünnen Brei an und bestreichen damit einen Objektträger, so sehen wir bei dünnen Lagen die einzelnen Schollen oder Schollenhäufchen. Alsbald Nun setzt die Kristallisation ein, wie Sie dieselbe auf der Tafel (Fig. 1) eben im Beginne angedeutet finden. Vor unseren Augen verwandelt sich im Ablaufe von 5—10 Minuten das ganze Ge- Sichtsfeld in die schönsten Gipskristalle.. Der Gips kristallisiert in monoklinischen Prismen und wir sehen solche auf Tafel 2 (Fig. 2) ın allen möglichen Lagen dargestellt. Wo die Gipsschicht dicker war, bilden sich Kristallhaufen, wo sie dünner ist, einzelne Kristalle, welche teils auf der Fläche, teils auf der Kante stehen. manchmal auch zu Zwillingsbildungen vereinigt sind. Daraus

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b; 1) Vortrag, gehalten bei der 19. Jahresversammlung des Vereins ayrıscher Zahnärzte am 24. Juni 1905.

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532 Port, Über Gips.

erhellt, daß ein Gipsmodell, wie wir es uns täglich gießen, ein Konglomerat von einzelnen Gipskristallen ist.

In den letzten Jahren hat sich insbesondere Rohland mit dem Studium der feineren chemischen und physikalischen Vor- gänge bei der Erhärtung des Gipses beschäftigt. Er hat seine

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Resultate in einem Büchlein: „Der: Stnck- und Estrichgips“ nieder- gelegt, und diese Arbeit war es, welche mich veranlaßte, meiner- seits der Gipsfrage näher zu treten und mir die Frage vorzu- legen, wie sich unsere zahnärztlichen Gipse verhalten, denn der Arbeit von Rohland lagen die Untersuchungen an den gewöhn- lichen Gipsen der Industrie zugrunde.

Zieht man die Lehrbücher

l der anorganischen Chemie zu Rate. so findet

man meist nur wenig über die feineren Eigen-

Port, Über Gips. 533

schaften des Gipses berichtet, meist heißt es dort nur, daß der Gipsstein eine Verbindung von 1 Molekül schwefelsaurem Calcium mit 2 Molekülen Wasser darstellt. Erhitzt man den- selben auf 1—200 Grad, so gibt er 1 Molekül Wasser ab und wird dadurch zum sogenannten gebrannten Gips, welcher die Fähig-

keit hat, beim Anrühren mit Wasser das zweite Molekül Wasser wieder aufzunehmen und zu erhärten. Erhitzt man dagegen den gebrannten Gips höher, so verliert er auch sein zweites, fester gebundenes Molekül Wasser und wird dadurch zum sogenannten totgebrannten Gips, welcher die Fähigkeit, unter Wasseraufnahme zu erhärten, verloren hat.

Diese Darstellung ist nicht ganz genau. Man unterscheidet vielmehr drei Modifikationen des Gipses:

534 Port, Über Gips.

1. Der gewöhnliche Gips des Handels, auch Stuckgips genannt, wird durch längeres Erhitzen bei ca. 100—200 Grad hergestellt. Es ist das der Gips, wie auch wir ihn in der Technik verwenden. Derselbe besteht nach Le Chatelier aus 2 Molekülen schwefel- saurem Calcium und 1 Molekül Wasser. Er nimmt Wasser auf und erhärtet dabei rasch.

2. Das Anhydrit erhalten wir durch längeres Erhitzen auf 200—300 Grad. Dasselbe nimmt ebenfalls Wasser auf, erhärtet aber nicht. Es ist das der sogenannte totgebrannte Gips.

3. Erhitzen wir weiter auf 500 Grad, so entsteht ebenfalls Anhydrit.e. Die Wasseraufnahme geht hier langsamer vor sich als bei 1, aber dieser Gips erlangt wieder Erhärtungsfähigkeit, es ist dies der sogenannte Estrichgips, welcher bei uns keine Anwendung findet, dagegen in der gewerblichen Technik eine große Bedeutung erlangt hat.

Die Wasseraufnahme (Hydratation) und die Erhärtung (Ab- binden) verläuft an und für sich freiwillig. Sie ist abhängig von der Temperatur und der Menge des Wasserzusatzes, geht unter Temperaturerhöhung einher, kann aber durch Zusatz von für den Erhärtungsprozeß sonst indifferenten Mitteln beschleunigt oder verzögert werden. Je rascher die Reaktion abläuft, desto höher ist der Temperaturanstieg.

Die Mittel, welche die Zeit, in der die Erstarrung des Gipses eintritt, beeinflussen, heißen Katalysatoren. Diejenigen, welche die Erhärtung beschleunigen, heißen positive Katalysatoren, diejenigen, welche eine Verzögerung bedingen, negative Kataly- satoren.

Positive Katalysatoren sind: Chlornatrium, Kaliumdichromat, Aluminiumchlorid und ganz besonders Kaliumsulfat.

Durch Chlornatrium konnte bei sonst gleichen Bedingungen die Abbindungszeit von 6 Minuten 50 Sekunden auf 1 Minute 37 Sekunden reduziert werden. Dabei trat in ersterem Falle eine Temperatursteigerung von 4 Grad, in letzterem eine solche von 13 Graden ein.

Durch Kaliumdichromat konnte die Erhärtungszeit von 5! Minuten auf 1 Minute 18 Sekunden gekürzt werden, bei Aluminiumchlorid von 6 Minuten 50 Sekunden auf 5 Minuten 15 Sekunden, bei Kaliumsulfat von 6 Minuten 50 Sekunden auf 30 Sekunden. Das Kaliumsulfat ist also der wirksamste positive Katalysator. Interessant ist auch, daß sich die Wirkung des Katalysators bei zunehmender Konzentration verschieden verhält. Bei Kaliumsulfat steigt die Wirkung konstant mit der Konzen- tration und es verläuft die Reaktion schließlich so rasch, daß sie gar nicht mehr metbar ist. Anders beim Kochsalz. Hier steigt ebentalls mit der Konzentration anfangs. die Erhärtungsgeschwindig-

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Port, Über Gips. 535

keit, aber bei zunehmender Konzentration tritt schließlich eine Verzögerung ein, der positive Katalysator wird zum negativen. Da wir vielfach das Abbinden des Gipses durch Kochsalz be- schleunigen, ist die Kenntnis dieses Verhaltens für uns von Wichtigkeit.

Ein negativer Katalysator ist das Eisenchlorid. Es kann die Abbindezeit durch dasselbe von 6 Minuten 50 Sekunden auf 10 Minuten 30 Sekunden verlängert werden. Ebenfalls ver- zögernd wirkt Borax und von organischen Produkten der Leim. Leimzusatz macht bekanntlich die Modelle sehr fest und dauer- haft, aber derartige Güsse brauchen Stunden, ja selbst halbe Tage lang zur Erstarrung.

Wir haben oben gesehen, daß der Estrichgips eine Anlıydrit- form darstellt, welche Bindungsfähigkeit besitzt. Interessant ist, daß sich Stuckgips und Estrichgips in bezug auf die positiven und negativen Katalysatoren nicht gleichmäßig verhalten. Das zeigt uns nachstehende Tabelle.

Stuckgips : Estrichgips

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| Caleiumchlorid O | verzögert Aluminjumchlorid . . 2.2.2... | beschleunigt | verzögert Kaliumdichromat. o beschleunigt | verzögert Kaliumsulfat . . » 2 2.2.2.2... beschleunigt | beschleunigt Natriumsulfat . . 2. 2 . . . . . beschleunigt | beschleunigt Magnesiumchlorid . . . . . . . beschleunigt | verzögert Ammoniunchlorid . . 2 . beschleunigt verzögert Kalisalpeter 2 2 oo on beschleunigt | beschleunigt Aluminiumsulfat . . » 2 2.2.2. beschleunigt | beschleunigt Borax. o a verzögert verzögert

Soweit die interessanten Untersuchungen von Rohland.

-deh habe nun diese Versuche mit unseren Gipsen nachge- prüft. Eine solche Nachprüfung erschien mir interessant und notwendig, weil einesteils die zahnärztlichen Gipse nur die feinsten Gipssorten umfassen, welche im Handel vorkommen, anderenteils es praktisch für uns weniger in Betracht kommt, wann der Gips vollständig erstarrt ist, als vielmehr, wann er den Grad von Bruchfestigkeit erlangt hat, wie wir ihn beim Herausnehmen emes Gipsabdruckes aus dem Munde verlangen müssen. Das ist

806 Port, Über Gips.

zwar eine willkürliche Feststellung, aber ich glaube, daß, wer wie ich jahreaus, jahrein täglich Gipsabdrücke macht, darin doch eine solche Übung bekommt, daß er die Bruchfestigkeit wenigstens annähernd schätzen kann.

Es standen mir für meine Versuche 5 Gipssorten zur Ver- fügung, welche ich der Einfachheit halber als gewöhnlichen, Münchner, Heidelberger, Frankfurter und englischen Gips be- zeichnen will. Der englische Gips stammt von Ash & Sons und ich bin bezüglich desselben nicht ganz sicher, ob derselbe nicht schon eine Beimischung von Kaliumsulfat besaß.

Zum Abdrucknehmen und hierauf kommt es ja bei der Prüfung der rascheren oder langsameren Erhärtung hauptsächlich an brauchen wir einen ziemlich steifen Gipsbrei. Gewöhnlich

wird angenommen, daß 1 Teil Wasser und 2 Teile Gips das richtige Verhältnis bilden. Das trifft nicht vollständig zu. Der Münchner und Frankfurter Gips gaben bei 100 ccm Wasser und 200 g Gips eine brauchbare Mischung, der Heidelberger Gips war bei 150 g Gips noch dünn, bei 200 g aber schon so dick, dab er zu einem Abdrucke nicht mehr verwendbar gewesen wäre. Der englische Gips war bei 200 g Gips noch mitteldünn, hier bedurfte es 250 g, um eine richtige, abdruckfertige Mischung zu erhalten. Der gewöhnliche Gips war bei 200 g Gips ganz dünn. bei 250 g mitteldick und erst bei 300 g gebrauchsfähig.

Je dicker die Gipsmischung ist, desto eher und desto rascher erstarrt sie. Bei den gegenwärtigen Versuchen wurde stets der Gips nur so wenig als möglich gerührt. Ob stärkeres und länger- dauerndes Rühren Einfluß auf die Erstarrungsgeschwindigkeit in positivem oder negativem Sinne ausübt, dies festzustellen, mub den Ergebnissen einer späteren Versuchsreihe überlassen bleiben.

Wird dem Gips Kochsalz in geringer Menge (3 Proz.) zu- gegeben, so ist beim dünnen Gipsbrei nur wenig mehr Zeit zur Erstarrung notwendig als beim dicken und zwar gilt dies sowohl bezüglich des vollständigen Abbindens als bezüglich des Erhärtungs- grades, wie wir ihn beim Herausnehmen des Gipsabdruckes not- wendig haben.

Je dicker der Gipsbrei angemacht ist, desto stärker ist die Erwärmung beim Abbinden. Bei Gipsen, bei denen viel Gips zum Wasser gegeben werden muß, ist auch die Erwärmung eine größere.

Je kälter das Wasser ist, mit welchem der Gips angerührt wird, desto niedriger ist die Temperatur beim Abbinden. Ein Einfluß auf den zeitlichen Ablauf des Abbindungsprozesses lieb sich hierbei nicht feststellen.

Von dem allergröbten Einflusse auf den Erhärtungsvorganz ist es, ob wir dem Gemische einen positiven Katalysator beigeben

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538 Port, Über Gips.

oder nicht. Hierzu wurde bei den gegenwärtigen Versuchen stets Kochsalz verwendet und zwar in 3, 5 und 10proz. Lösung. Es sei hier gleich bemerkt, daß die 5proz. Lösung keine wesentlich besseren Resultate lieferte als die 3proz., die 10proz. aber schlechtere. Dies deckt sich mit den Erfahrungen von Rohland, daß CiNa in stärkeren Konzentrationen als negativer Katalysator wirkt. Um möglichst einwandsfreie Resultate zu erhalten, wurden die Versuchsreihen in folgender Weise stets streng gleichmäßig durchgeführt:

Erst wurde das Wasser abgemessen und dessen Temperatur bestimmt. Hierzu wurde Leitungswasser genommen. Von desti- liertem Wasser konnte abgesehen werden, da das Heidelberger Wasser nahezu chemisch rein ist und fast keine Salze enthält. Im Wasser wurde die betreffende Menge Kochsalz gelöst und nun der abgewogene Gips zugegeben und gemischt. Dann wurde das Thermometer in den Gipsbrei gesteckt und von Minute za Minte die Temperatur abgelesen und notiert. Eine vorher heraus- genommene Probe Gips diente dazu, zu bestimmen, wann der Gips die zum Herausnehmen eines Gipsabdruckes notwendige Konsistenz erlangt haben würde. Das Thermometer muß vor dem Einsetzen eingeölt oder eingefettet werden und, wenn der Gips halbhart geworden, gelockert werden. Würde man diese Vorsichtsmaßregel nicht anwenden, so würde man dasselbe nicht mehr aus dem festgewordenen Gips herausbringen, da sich dieser beim Erstarren ausdelnt, ja unter Umständen könnte es sogar durch die Expansion des Gipses zerdrückt werden.

Zeichnet man die so gewonnenen Resultate in Form einer Kurve auf (Fig. 3), so zeigen sich zwischen dem Gips, welchen CINa zn- gesetzt ist und dem unvermischten Gipse ganz auffallende Unter- schiede. Die Kurve des ersteren ist kurz und steil ansteigenl, die des letzteren langgezogen und viel allmählicher sich erhebend. Die Temperaturerhöhung bei CINa-Zusatz ist stärker und tritt viel rascher ein, also ist die Abbindezeit verkürzt. Aber auch der Erhärtungsgrad, wie wir ihn zum Herausnehmen eines Gips- abdruckes bedürfen, wird weit rascher erreicht.

Dies sind die Resultate meiner bisherigen Untersuchungen. Sie stellen ja freilich nur ein vorläufiges Ergebnis dar, vieles muß noch genauer ausgebaut werden. Aber eines zeigen die selben, glaube ich, doch, nämlich das, daß es auch in der Technik Gebiete gibt, welche der exakten Forschung zugänglich sind. und deren Bearbeitung nicht nur wissenschaftlich befriedigende, sondern auch praktisch verwertbare Resultate zeitigt.

Hentze, Über Hasenscharte u. Wolfsrachen u. deren Behandlg. 53

[Nachdruck verboten.)

Über Hasenscharte und Wolfsrachen und

deren Behandlung.

Von Privatdozent Dr. med. Hentze in Kiel.

Durch den Beitrag des Prof. Warnekros zur Lösung der Frage, betreffend die Atiologie der Hasenscharte und des Wolfs- rachens, den derselbe in Ashs Korrespondenzblatt 1899 nieder- legte, wurde ich angeregt, auch meinerseits mein Augenmerk auf diese Anomalien zu lenken und gewissermaßen eine Nachprüfung anzustellen.

Die Theorien des Zustandekommens und der veranlassenden Ursachen dieser Mißbildungen sind ja so mannigfaltige und teil- weise so wenig geklärte, daß selbst in der neuesten Auflage vom .„ Scheff“ eine Angabe über die Ätiologie von Hasenscharte und Wolfsrachen unterlassen ist, und daß bei allen Vorträgen, die

von Zahnärzten über dieses Gebiet in neuerer und neuester Zeit &ehalten worden sind, diese Frage als „noch unaufgeklärt“ über- Zangen worden ist.

Die älteste wissenschaftliche Theorie ist die von Meckel, der die Ursache in einem Rückschlage auf niedere primitive F ærmen des Tierreiches gefunden zu haben glaubte. Van Beneden ht, durch Tierversuche veranlaßt, folgende Theorie aufgestellt:

Am neunten Tage der Inkubation befindet sich im Bereiche

des Vorderkörpers des Embryo nur das Proamnion, das sich durch Fehlen des Mesoderms vom Amnion unterscheidet. Dieses Proamnion liegt dicht wie eine Kopfkappe dem Embryo an. Zwischen dem 9. und 15. Tage bildet sich durch Auftreten der Mesodermschicht am Proamnion das Amnion in der Kopf- und Halsgegend aus, gleichzeitig findet aber eine gewisse Streckung des Embryo statt, er zieht sich aus der Kopfkappe in die Schwanzscheide zurück. Da nun in dieser Zeit auch die Spalten und Grübchen im Bereiche des Kopfes sich entwickeln, so können Falten des sich ent- wickelnden Mesoderms leicht in diese Spalten hineingeraten, an- wachsen und so die Ursache zu persistierenden Spaltbildungen abgeben.

Virchow nimmt an, daß diese Mißbildungen aus früh- zeitigen, insbesondere irritierenden Störungen des ersten Kiemen- bogens hervorgehen, welche mit bestimmten Mibbildungen des änberen Ohres eine gemeinsame Quelle haben. Er sagt, daß ad- häsive Bänder, aber auch Eihäute dadurch, daß sie sieh zwischen-

540 Hentze, Über Hasenscharte u. Wolfsrachen u. deren Behandle.

lagern oder sich um die Enden der entgegenwachsenden Knochen legen, die Knochen getrennt halten. Von verschiedenen Seiten ist auf die Vererblichkeit dieser Mißbildungen hingewiesen worden. so von Fritzsch, der die Heredität in 20 Proz. der Fälle nach weisen konnte, ebenso haben Basedow, Trendelenburg und unser Kollege Wolftson hierzu Beiträge geliefert. Und zwar ist nachgewiesen worden, daß nur die Mutter, nicht der Vater diese Mißbildungen vererbt.

Engel hat bei diesen Mißbildungen eine Verbreiterung der Schädelbasis beobachtet, und Salzer hat die Vermutung aus- gesprochen, daß ein intrakranieller Druck wohl die Ursache der Hasenscharte und des Wolfsrachens sei. Zu dieser Idee kam er. weil er in einigen Fällen bei fötalem Hydrokephalus diese Mib- bildung beobachtet hatte.

Fein, der die Theorie, daß Vergrößerung der Rachentonsille als Erklärung dieser Spaltbildung dienen könne, aufgestellt hat. eine Ansicht, die Tandler bereits widerlegte, sagt: alle Er- klärungen könnten nicht befriedigen mit Ausnahme der seltenen Fälle, in denen tötaler Hydrokephalus die Bildung der Spalten beeinflußt hat.

Nun sind aber diese Fälle gar nicht so selten, wie Fein und andere Autoren meinen; sowohl in der Literatur, als auch durch Beobachtung können wir häufiger eine Vergesellschaftung beider Mißbildungen finden.

Wie gesagt, ausgehend von den sehr interessanten Beob- achtungen Warnekros’, der bei Hasenscharte und Woltsrachen sehr häufig überzählige Zähne beobachtet hat und diese als direkte Verursacher des ausgebliebenen Zusammenschlusses ansieht. habe ich seit dem Jahre 1899 alle Patienten, die mit diesen Spalt- bildungen behaftet waren, in der zahnärztlichen Klinik zu Kiel genau untersucht. Und in vielen Fällen konnte ich die Anwesen- heit solcher überzähligen Zähne feststellen. Gleichzeitig aber fiel mir auf, daß die meisten mit diesen Spaltbildungen behatteten Individuen einen ziemlich großen Kopfumfang hatten. Ich wandte daher dieser Tatsache mein Augenmerk zu und konnte durch Betragen der Eltern des betreffenden Patienten in vielen Fällen nachweisen, daß bei der Geburt des Kindes und auch noch später ein Hydrokephalus bestanden hat. Im Jahre 1902 konnte ich in 10 unter 17 Fällen und in neun Monaten des Jahres 1903 in 17 unter 32 Fällen durch Befragung mit Sicherheit das Bestehen eines Hydrokephalus bei oder nach der Geburt feststellen.

Das ist doch eine verhältnismäßig hohe Zahl, aber auch in der Literatur fand ich zahlreiche Bestätigungen dieser Beobarht- ung: so sart Alexandroff in seiner Arbeit: „Über fötalen Hydrokephalus auf Grund der Fälle der Königl. Charite 1911”.

Hentze, Über Hasenscharte u. Wolfsrachen u. deren Behandlg. 541

daß bei Hydrokephalus vielfach Ascites, Hydrothorax, Hasenscharte und Wolfsrachen beobachtet werde, und wenn wir die Arbeiten, worin über Mib'bildungen geschrieben ist, verfolgen, so finden wir meist Hasenscharte und Wolfsrachen mit Hydrokephalus und andere Stauungserscheinungen, wie Cystenniere, Enkephalocele usw., gemeinsam.

So beschreibt Meckel im Jahre 1822 und 1826 je einen Fall, wo Hydrokephalus, Hasenscharte und Woltsrachen und Cysten- niere sich vorfanden, ebenso 1841 Bartholin, 1838 Roki- tansky, 1366 Voß, 1867 Wolff, Schlenska zwei Fälle, ebenso Littre, 1880 O. Witzel, 1887 Nieberding, später Calmann (1893), Weigert usw.

Wir sehen also, daß gar nicht so selten bei Hydrokephalus Hasenscharte und Wolfsrachen beobachtet werden.

Hiermit stimmt nun auch die Beobachtung überein, daß Hasenscharte und \WVoltsrachen von der Mutter vererblich sind; haben doch schon Baginsky und Huguenin darauf hingewiesen, daB man mehrfache Wiederholungen des Hydrokephalus in ein und derselben Familie von Generation zu Generation gesehen hat. Oppenheim betrachtet es als feststehend, daß die familiäre Dis- position eine gewisse Rolle bei Hydrokephalus spielt, da es ge- wisse Familien gibt, in denen Mitglieder mit. Hydrokephalus behaftet sind und Nachkommen der verschiedenen Geschwister mit der Krankheit zur Welt kommen.

Nun ist ja nachweislich der Hydrokephalus oft eine bis in die trüheste Embryonalzeit zurückreichende Entwicklungsstörung; mit der Spannung und Ausdehnung des Exsudates können die Schädelknochen nicht gleichen Schritt halten, wir finden dann weite Nähte und mächtige Fontanellen, die erst unter Bildung von Schaltknochen sich vereinigen. Nun haben wir es aber bei Hydrokephalus meist gleichzeitix mit einem übermäßigen Plus an Feuchtigkeit im ganzen Körper zu tun, wie die Entstehung von Cystennieren, Ascites, Hydrothorax, die vielfach gleichzeitig beob- achtet werden, beweisen. Ja vielleicht ist der Hydrokephalus nur ein Symptom des Flüssirkeitsüberschusses im Körper. Intolre dieses Flüssigkeitsüberschusses im embryonalen Körper werden die Zellen, denen schon ihrer Funktion nach eine sekretorische Be- deutung zukommt, das sind vor allem die Zellen des Ependyms des Zentralkanals. Flüssigkeit ausscheiden; so entsteht Hydro- kephalus. Enkephalocele. Spina bifida. Dieser Überschuß an Flüssigkeit bedingt nun wieder ein exzessives Wachstum; aus der Literatur läßt sich beweisen. daß fast alle Föten mit solchen kombinierten Mißsbildunzen (Hydrokephalus. Hasenscharte. Wolts- rachen, Cystennieres sieh in ausgezeichnetem Ernährungszustande befanden; auch von Eltern, deren Kinder mit Hasenscharte und

542 Hentze, Über Hasen:charte u. Wolf-rachen u. deren Benanile.

Woltsrachen zur Welt gekommen sind, erfahren wir häufig. dat diese Kinder gerade besonders kräftig entwickelt waren bei der Geburt.

Infolge dieses exzessiven Wachstums kann aber auch eine Mehrbildung stattfinden. so eine Überzahl an Zähnen. Fingern. Zehen. ein Faktum. das wir bei Hydrokephalen und Leuten mit Hasenscharte und Woltsrachen häufiger beobachten.

Wie entsteht nun aber ein derartiger Hvdr“kephalus?

Steffen weist der Rachitis einen groben Einfluß zu. Baeren- sprung, Léon d'Astros und Fournier haben bei hereditärer Syphilis häufig Hydrokephalus beobachtet. ebenso hat Heller einen solchen Fall verötfentlicht. doch weist dieser schon darauthin, dab diese Krankheit sich sehr selten in einer sehr trühen Zeit des intrauterinen Lebens entwickelt. Das gleiche gilt von der Rachitis. Wir müssen demnach diese Fälle ausscheiden.

Es ist nun aber sowohl bei Wöolfsrachen als auch bei Hydro- kephalus ein Mangel an Fruchtwasser bei dem Fötns konstatiert worden. Da nun aber der Fötus grote Mengen des Fruchtwassers verschluckt und in seinen Körper aufnimmt. er braucht die Flüssigkeit ja zur Assimilierung der verschiedensten Stoffe so wird, falls die überschüssigen Flüssiekeitsmengen durch den Urin nicht ausgeschieden werden, mit der Zeit eine starke Verminder- ung des Fruchtwassers eintreten. Nun finden wir aber gerade bei Untersuchung derartiger hvdrokephalischer Füten vielfach eine Cystenniere, ein Beweis, daß die Nieren funktionsunfähig geworden sind. Infolge der erhöhten Aufnahme des Fruchtwassers in den Körper und der Sistierung der Ausscheidung desselben tritt eine Stauung im Körper ein, derselbe wird gegen die Eihäute gedrängt. und da dieselben infolge Verminderung des Fruchtwassers schlaff sind, können sie sich leicht in Gruben und Spalten des Embryo einlagern und den Zusammenschluß verhindern; aber auch schon der hohe Druck, unter dem der Kopf des Embryo infolge der Flüssigkeitsstanung steht, kann ein Veerwachsen des Stirnfortsatzes mit dem Oberkieterfortsatze verhindern.

Wenn wir also die Theorie, dab eine in der frühesten Zeit des intranterinen Lebens im embrvonalen Körper eingetretene Flüssigkeitsstauung durch übermäbiige Aufnahme von Fruchtwasser in den Körper und durch verhinderte Ausscheidung hervorgeruten, die veranlassende Ursache der Entstehung der Hasenscharte und des Woltsrachens ist, annehmen. so können wir alle die anderen Erscheinungen. die bei diesen Mikbildungen gleichzeitig beobachtet werden. wie Hvdrokephalus, Meningocele,. Spina bifida, Cysten- niere, Polydaktvlie, Hantansätze, Mißbildungen des äÄul’eren Ohres und überzählize Zähne ohne große “Schwierigkeiten erklären.

Ich kann natürlich unter diese meine Ausführungen nicht wie

Hentze, Über Hasenscharte u. Wolfsrachen u. deren Behandlg. 543

der Mathematiker setzen: quod erat demonstrandum! denn die Ent- scheidung dieser Frage kann nur durch Beobachtungen, die sich über erschöpfendes Material und lange Zeit hin erstrecken, fallen. Chirurg und Zahnarzt können beide viel zur Lösung dieser Frage beitragen, denn sie werden ja häufiger von Patienten aut- gesucht, die mit solchen Defekten behaftet sind, ausschlaggebend wird jedoch immer der Vertreter der pathologischen Anatomie sein, wie die anatomischen Anschauungen über Hasenscharte und Wolfsrachen hauptsächlich durch die Histologen Klärung finden können. Hier stehen sich ja bekanntlich die Ansichten von Kölliker und Albrecht gegenüber. Die Köllikersche Theorie, die schon von Goethe mitbegründet ist, nimmt an, daß der Zwischenkiefer und das Mittelstück der Lippe einheitlich angelegte Gebilde sind, die aus dem medialen Teile des Stirnfortsatzes hervorgehen, während die Seitenteile der vorderen Nasenhöhle aus den beiden lateralen Zacken desselben gebildet werden. Die Hasenscharte und Alveolarspalte entsteht demnach, wenn der mittlere Teil des Stirnfortsatzes bez. das Mittelstück der Lippe und der Zwischenkiefer sich nicht vereinigen mit dem Oberkiefer- furtsatz bzw. den Seitenteilen der Lippe und den lateralen Teilen des Oberkiefers. Albrecht behauptet nun, daß sowohl der Alveolarbogen wie die Oberlippe sich nicht aus einem einheitlichen Nittelstück bilden, das sich mit den von den Oberkieterfortsätzen gegebenen Seitenteilen vereinigt, sondern es beteilige sich an der Bildung der Oberlippe und des Alveolarbogens der ganze Stirn- fortsatz, und daß beide sind daher aus vier Stücken, je zwei auf beiden Seiten zusammensetzen. von denen das eine dem medialen, das andere dem lateralen Teile entspricht. Es bestünde also der Zwischenkiefer aus vier Teilen, „einem Endo- und Meso- gnathion“. Albrecht sagt nun, daß die Alveolarspalte bei der Hasenscharte zwischen dem inneren und äußeren Teile des Zwischen- kiefers durchgehe, nicht, wie die andere Ansicht ist, zwischen /wischenkiefer und Oberkiefer. Es muß demnach eine Gaumen- spalte zwischen dem äußeren und mittleren Schneidezahn hindurch- gehen, nicht wie die andere Theorie annimmt, zwischen seitlichem Schneidezahn und Eckzahn. Bardeleben teilte schon 1850 einen Fall mit, in welchem die Spalte zwischen innerem und äußerem Schneidezakn verlief. Volkmann veröffentlicht 1862 drei der- artige Fälle.. Kölliker hat von ?1 Fällen von einseitirer Gaumenspalte in 18 Fällen einen Schneidezaln neben dem Eck- zahne ant der äußeren Seite der Spalte gefunden, bei 32 doppel- seitigen Spalten dies in 24 Fällen. dagegen lag in 5 Fällen die Spalte beiderseits zwischen Schneide- und Eekzaln, in 3 Fällen war auf der einen Seite der seitliche Schneidezahn auf der Auben- seite der Spalte. auf der anderen Seite auf der Innenseite.

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Kölliker bezeichnet nun die neben dem Eckzahne stehenden Zähne, die lateral (oder distal, wie die Zahnärzte sagen) der Kieferspalte liegen, für überzählige Bildungen. Und daß solche Überzahl der Zähne gerade bei Hasenscharte und Wolfsrachen häufig auftritt, habe ich ja oben schon eingehend begründet. Albrecht dagegen sucht seine Theorie entwicklungsgescliichtlich zu begründen; das Endognathion trägt nach ihm eigentlich nur die zwei mittleren Schneidezähne; wenn nun hier statt zwei, vier Zähne auftreten, so sei das ein Rückschlag in das ursprüngliche hexaprotodonte Gebiß des Menschen. Ob übrigens alle von den Autoren beschriebenen überzähligen Schneidezähne typische Schneidezähne sind, ist immerhin sehr fraglich, es dürfte wohl mit einen gewissen Rechte angenommen werden, daß vielfach die relativ häufig zwischen oder seitlich der mittleren Schneide- zähne auftretenden Zapfenzähne, die jedem Zahnarzte gut bekannt sind, fälschlich für seitliche Schneidezähne angesprochen worden sind. Ubrigens sind die Zahnverhältnisse wohl nicht besonders beweisend, da ja die Tiefenwanderung des Epithels und die darans entstehende Sonderung des Schmelzorganes der Zähne völlig unab- hängig von der Anlage der Knochenteile, die erst später die Zahnanlage umwaclısen, vorsichgeht.

Wir finden nun merkwürdigerweise diese Mißbildungen mehr beim männlichen Geschlechte vertreten; so fand Fritzsche unter 52 Fällen 30 beim männlichen, 22 beim weiblichen Geschlecht, Stobwasser unter 70 Fällen 53 beim männlichen, 17 beim weiblichen Geschlecht, Bryant unter 47 Fällen 30 beim männ- lichen, 17 beim weiblichen, Herrmann unter 197 Fällen 118 beim männlichen, 79 beim weiblichen, Dißmann unter 287 Fällen 180 beim männlichen, 170 beim weiblichen Geschlecht. Einige Autoren behaupten nun, daß das männliche Geschlecht bei den komplizierten, das weibliche bei den einfachen Hasenscharten und Wolfsrachen überwiege, die meisten Statistiken legen aber dar, daß das männliche Geschlecht sowohl bei einseitiger als auch bei doppelseitiger Hasenscharte und Woltfsrachen stärker beteiligt ist als das weibliche.

Was die Therapie dieser Defekte anbetrifft, so ist die Operation der Hasenscharte schon uralt, bereits die Schule von Alexandrien nahm die Lippennaht vor, Celsus gibt bei Hasen- scharten jene bogenförmigen Schnitte an, welche bei der Grad- richtung und Suturanlezung Verlängerung bewirken, auch Galen beschreibt kurz die Hasenschartenoperation. Und so finden Wir denn, bis in die Neuzeit hinein, bei den meisten medizinischen Schriftstellern Angaben über Hasenschartenoperationen, obne dab darin ein Fortschritt zu verzeichnen wäre. Ja selbst Dieffen- bachs „einfache Anfrischung“ genügt durchaus nicht den nor-

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malen Anforderungen, denn wir müssen bestrebt sein 1. den normalen Stand und die normale Form des Lippensaumes zu bewirken, 2. die nötige Breite der Lippe von rechts nach links zu erzielen und 3. die nötige Höhe der Lippe zu erhalten. Und das ist nicht so leicht, da die gesamten Lippenteile nicht die Ausdehnung und Maße der normalen Lippe haben, häufig atro- phisch dünn sind, andererseits aber wieder oft an dem Übergang des horizontalen in den vertikalen Rand der Spalte stark ge- wulstet sind.

Der dritten Anforderung entspricht schon die Graefesche Methode, einen weiteren Fortschritt verzeichnet der „doppelte Winkelschnitt“ von Berg, der durch Malgaignes Modifikation bekannt und beliebt wurde Mirault hob 1844 die Nachteile dieser Operation, die darin bestanden, daß die Prominenz des Lippen- saumes nicht in die Mittellinie, sondern seitlich am Spaltrand zu liegen kam, durch die von v. Langenbeck „einfacher Läppchen- schnitt“ benannte Methode. Da nun diese oft recht dünnen Läpp- chen leicht brandig werden, so bezwecken die neueren Methoden von Rose, König, Hagedorn u. a., Läppchen zu bilden, die nicht nur aus Lippenrot sondern noch aus einem breiteren Stück Lippe bestehen. Zu erwähnen seien hier vor allem noch die Methoden von Galliet, Collis, Esmarch, Genzmer u.a. Ein näheres Eingehen kann ich hier erübrigen, da ja der deutsche Zahnarzt derartige Operationen völlig dem Chirurgen überläßt, während wir in Nordamerika häufiger Zahnärzten als gewandten Hasenscharten- und Woltsrachenoperateuren begegnen.

Der Erfinder der chirurgischen Behandlung des Wolfsrachens war ja auch ein Zahnarzt. Le Monnier nahm bereits 1764 eine derartige Operation vor, die erst 1820 durch Graefe erfolg- reich wieder aufgenommen wurde.

Nun ist ja in manchen Fällen schon die Hasänschartenopergtien von großem Einfluß aut die Heilung des Wolfsrachens. Denn man hat festgestellt, da nach Frühoperationen der Hasenscharte sich die Kieferspalte bedeutend verengt, ja ganz geschlossen hat, ein Faktor, der wesentlich für die möglichst frühzeitige Operation der Hasenscharte spricht. Über solche Fälle berichten Busch, Bir- kowski, v. Bruns, Billroth,!! ja v. Langenbeck hat sogar gefunden, daB im umgekehrten Verhältnis, wenn keine Frühope- ration der Hasenscharte vorgenommen worden ist, eine Verbreiter- ung der Spalte eintritt. Die Verbreiterung der Spalte ist ja ganz natürlich, da mit dem Wachstum des Kiefers auch die Spalte an Größe zunimmt, dagegen ist die völlire Verwachsung doch recht interessant; eine Erklärung dieser Tatsache ist soviel mir

I} Archiv für klinische Chirurgie. II, $ 608. XXIII. o5

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bekannt, bisher noch nicht versucht worden. Daß die Spaltränder sich nähern müssen, ist einleuchtend, da ja das normale Wachs- tum des Kieters durch die starke Spannung, unter der er infolge des festen Narbengewebes der operierten Hasenscharte steht und durch den Druck der Lippen und Wangen, der darch die Narben- kontraktion verursacht wird, gehemmt wird und da ferner der Kiefer des Kindes sehr dehnbar ist; es wird ja durch blobes Mundatmen der Kiefer des Kindes schon stark gewölbt und seit- lich komprimiert und kann man doch durch geeignete Apparate (nach Heydenhauß) die Kiefer der Kinder nach Bedarf abflachen und wölben, ohne daß dadurch Störungen eintreten. Ein schönes Beispiel hierfür zeigt Heidenhauß oft bei Demonstration seiner Kieferdehnapparate an drei Modellen. Bei einem Kind mit hohem Gaumen und abnormer Zahnstellung wurde eine Kieferdehnung vorgenommen durch Schrauben. Während einer Reise des H. setzte die Gouvernante des Kindes die tägliche Anziehung der Schrauben mit dem intensiven Erfolge fort, daß als H. das Kind in seiner Praxis sah, der Gaumen desselben sehr breit und fast völlig flach geworden war. Da infolge des breiten Kieiers das Kind ziemlich entstellt worden war, so komprimierte H. ebenfalls durch Schrauben den Kiefer wieder bis anf normale Dimensionen, ohne daß irgendwelche Störungen eintraten und das Kind wesentlich durch die doppelte Regulierung belästigt wurde.

Es wird also der Kiefer durch den Wangendruck und den Druck der Oberlippe stark seitlich komprimiert werden und die Spaltränder sich nähern. Wenn aber die Näherung eine derartige wird, daß sich die Muskulatur des weichen Gaumens gegenseitig berührt, so wird eine intensive Kräftigung und Hypertrophie derselben eintreten. Diese Tatsache hat Warnekros bei Leuten, die einen Kieferobturator trugen, beobachtet. Er fand nämlich, daß durch Tragen des Obturators die Muskulatur so gekräftigt wurde, daß er den Obturator von Zeit zu Zeit verkleinern konnte, schließlich hatte der Obturator, der anfangs eine Breite von ca. 3 cm besaß, nur noch den Querdurchmesser eines normalen Bleistiftes; ja man konnte schließlich den Obturator ganz heraus- lassen, ohne daß dadurch die Sprache beeinflußt wurde.

Bei jugendlichen Individuen, wo die Epithelien noch nicht durch ständige Reibung an den starren Wänden eines Obturators verdickt und verhärtet sind, wird natürlich bei dem gegenseitigen Scheuern der Muskulatur aneinander beim Schlucken und Sprechen das zarte Epithel abgerieben oder zum Schwinden gebracht werden; es kann nun in der Ruhelage während der Nacht eine Verklebung der beiderseitigen Ränder eintreten und so eine Ver- wachsung zustande kommen.

Die Anwendung von langdauerndem mäßigen Druck bei pre

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minentem Zwischenkiefer, sogenanntem Bürzel, ist durch Desault und Simon bekannt, aber daß auch einige Autoren durch bruch- bandartige Pelotten orthopädisch auf den Wolfsrachen einzuwirken suchten, dürfte wenig bekannt sein. Es sind dies J. van der Haar!), Dietrich), van Camp), Riecke®) und Robert.)

Die von diesen Autoren angegebenen Apparate haben den großen Nachteil, daß sie 1. den Druck nicht gleichmäßig auf beide Kieferhälften verteilen, 2. die Ernährung des Kindes ganz erheb- lich stören, 3. die Sprache des Kindes beeinflussen, 4. sehr un- bequem und lästig zu tragen sind. Einige Autoren schlagen daher vor, den Apparat nur nachts tragen zu lassen, dabei würde aber die Wirkung der Nacht am Tage wieder völlig aufgehoben werden.

Einen Erfolg in dieser Hinsicht müßte man aber, meiner Ansicht nach, mit dem Heydenhaußschen Apparat sicher er- zielen können. Die Ausführung dieses Gedankens war mir bisher leider nicht möglich, da ja meist Patienten mit Wolfsrachen erst mit ihrem 19.—25. Jahre die zahnärztliche Klinik aufsuchen, und bei solchen Leuten dürfte eine Kontraktion des Kiefers wohl gut ausführbar sein, aber nicht mehr zu Epithelverklebung und Kiefer- verwachsung führen.

Die Regulierung könnte man entweder mit dem 4. Jahre beginnen durch Uberkappung der beiden Milchmolaren und An- fügung einer Metallplatte an die Molarenkronen sowohl palatinal als lingual. Auf der palatinalen Metallplatte würde dann die Schraube befestigt, deren allmähliches Anziehen eine Kontraktion des Kiefers herbeiführen würde, oder man würde bis zum 13. Jahre warten und dann den 1. und 2. bleibenden Molaren als Stütz- punkt benutzen. Von eminentem Vorteil aber müßten diese Regu- _ lierungsapparate nach vorhergegangener Uranoplastik sein, da sie ein Aufplatzen der Nähte, was ja so häufig den Erfolg dieser Operation in Frage stellt, unbedingt verhindern würden. Es wäre dies ein neues Feld, auf dem der Zahnarzt dem Chirurgen wichtige Dienste leisten könnte.

Der Chirurg wird diese Operation vielfach im 5.—7. Jahre vornehmen; J. Wolff operiert ziemlich frühzeitig, in einigen Fällen bereits 3 bzw. 5 Monate nach der Geburt des Kindes.

Die Uranoplastik wird in Europa meist nach der v. Langen-

1)J.van derHaar, Verhandelingen te Rotterdam. Deal VIL 1755. en = Dietrich, Med. Corresp. des württemb. ärztl. Vereins. 1530.

ad. . 3) van Camp, Annales de la société de med. d’Anvers. Août 147.

4) Riecke, Allgem. med. C.-2. J. XVIL 149. 9) Robert, Gazette des höpitaux 1852 (letzterer Apparat war aus Stahl gefertigt).

33”

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beckschen Methode ausgeführt, die ja allgemein bekannt ist und deren drei Operationsstadien in

1. Anfrischung der Spaltränder, 2

2. Ablösung des mukös-periostalen Überzuges des Gaumens nach Durchtrennung desselben in der Gegend des Processus alveo- laris parallel der Anfrischungsschnitte,

3. Naht bestehen.

Sabatier deckt den Defekt durch Drehung der abgetrennten Nasenscheidewand, während Lannelongue die von der Nasen- scheidewand abgetrennte Schleimhaut zur Überbrückung des Defektes benutzt, Kraske verwendet hierzu die hypertrophischen Nasenınuscheln.

Der Chicagoer Zahnarzt Brophy dagegen löst nicht die Weichteile vom harten Gaumen, weil seiner Ansicht nach da- durch die Gaumenwölbung verringert und der Gaumen selbst nach hinten verlängert wird, er macht auch keine longitudinalen Einschnitte zur Entspannung, sondern legt nach tiefer Anfrisch- ung der Spaltränder Nähte mit Silberdraht durch die Kiefer oberhalb der Alveolarfortsätze. Das Durchreißen der Suturen verhindert er dadurch, daß er sie durch Bleiplättchen oder durch perforierte kleine Silberscheiben gehen läßt.

Brophy operierte seinerzeit in meiner Gegenwart einen 3 Monate alten Knaben und behauptete mit seiner Operations- methode sehr gute Erfolge zu erzielen. Nach der Uranoplastik wird sofort oder in einer späteren Sitzung die Staphylorrbaphie vorgenommen, die in Anfrischung, Naht und Entspannungsschnitten nach Dieffenbach und Fergusson oder in Tenotomie des Mus- culus levator veli palat. und des M. pharyngo-palatinus besteht.

Leider aber werden durch diese operative Methode auch Mißerfolge erzielt, die in starker Abflachung des Gaumens, zu starker Spannung des Gaumensegels und dadurch bedingter Un- deutlichkeit oder gar Behinderung artikulierter Sprache und teil- weise auch in Verstümmelung der Kauwerkzeuge bestehen. Ich habe in meiner Sammlung einen Kieferabdruck, wo infolge der Narbenkontraktion nach Uranoplastik die Zahnreihe des rechten Oberkiefers völlig in die Mitte des Gaumens gezogen ist und s0 nicht nur nicht zum Kauen völlig ungeeignet ist, sondern auch beim Sprechen und Essen erheblich stört. Da nun auch manche Per- sonen vor der Operation zurückschrecken, so kann die zahnärzt- liche Prothetik nicht nur Ersatz für den fehlenden Gaumen schaffen, sondern auch die Funktionsfähigkeit desselben wieder- herstellen.

Um auf den geschichtlichen Teil dieser Prothetik kurz ein- zugehen. so will ich erwähnen, dal bereits in den ältesten Zeiten

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Versuche gemacht worden sind, die Defekte auszufüllen, indem man mit Harzen imprägnierte Wolle, Lederpelotten, Holzpflöcke und Ähnliches in den Defekt praktizierte, um so dem Patienten Erleichterung zu schaffen. Den ersten Obturator, der aber noch auf ähnlichem Prinzip, den Defekt einfach zu verstopfen, beruhte, erfand Petronius, ihm folgte Ambrosius Pareus, dessen erster Obturator mittels eines Quellschwammes in der Nasenhöhle befestigt wurde, während der spätere durch einen Drehknopf in der Nasenhöhle Halt erzielte. Die Nachfolger des Paré, wie Jaques Guillemann, Lorenz, Heister brachten wohl einige Verbesserungen an diesem ÖObturator an, ohne doch darin einen wesentlichen Fortschritt zu verzeichnen. Erst Pierre Fauchard tat einen Schritt vorwärts, indem er den Obturator mit einem künstlichen Gebiß versah und den Drehknopf durch zwei Flügel ersetzte, die darch eine Schraube beliebig zusammengeklappt und geöffnet werden konnten. So fein auch der Mechanismus erdacht war, so war doch die Benutzung des Nasenbodens als Halt für die Prothese ein Fehler, der zur Entzündung der Nasenschleim- haut und Reizung der Spaltränder führte Dies erkannte auch Bourdet und fertigte daher nur eine den Defekt bedeckende Platte, die er mittels Ligaturen an den Zähnen befestigte. Delabarre ersetzte die Fäden durch Metallklammern, auch fertigte er die Platten aus Kautschuk.

Diese Prothetik der Defekte des harten Gaumens ist bis auf den heutigen Tag in Gültigkeit geblieben, aber-auch den weichen Gaumen versuchte Delabarre durch einen künstlichen Apparat zu ersetzen, der dem natürlichen Velum palatinum ähnelte, Er brachte an der hinteren Seite der Gaumenplatte einen Zapfen an, der durch einen goldenen Haken befestigt war und die fehlende Uvula darstellen sollte, seitlich von diesem zogen sich zwei Platten aus weichem Gummi entlang, die durch zwei Hebel mit einer in der Mitte der Gaumenplatte befindlichen Klappe ver- bunden waren. Wollte also der Patient das künstliche Gaumen- segel heben, so mußte er mit der Zunge gegen die Klappe drücken, wodurch der Druck auf die Hebelarme übertragen wurde, die ihrerseits das künstliche Velum emporzogen. Es ist aus diesem

sehr komplizierten Apparate ersichtlich, daß eine sehr große Übung und große Intelligenz des Patienten dazu gehörte, um mit dem Apparate gut sprechen zu können. Außerdem bot der Apparat viel Retentionsstellen für Speisereste, und der weiche Kautschuk war sehr bald der Zersetzung ausgesetzt. Snell verbesserte diesen Apparat insofern, dal; er an die Gebißplatte zwei weiche Kautschukplatten anfertigte, die an ihren äutseren Rändern Furchen aufwiesen, in welche die vorhandenen Reste des natürlichen Velums eingreifen sollten, ferner brachte er zwischen beiden Kautschuk-

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' klappen eine Feder an, die die künstlichen Velumflügel gegen die Gaumenrudimente drückte, so daß diese bei ihrer Hebung und Senkung als Beweger des künstlichen Velums fungierten. Diese Idee baute noch weiter Stearn aus, der für sich selbst einen Obtu- rator konstruierte, dessen weicher Gaumen aus zwei aus vulkani- siertem weichbleibendem Kautschuk bestehenden Lappen bestand, über welchen ein schmaler Lappen ausgespannt lag; der äußere Rand des künstlichen Velums war umgebogen, und in seinen Ver- tiefungen sollten die Rudimente des natürlichen weichen Gaumens liegen. Auf diesem Prinzip beruht auch der noch bis in die jüngste Zeit in Amerika und Frankreich häufig angefertigte Obtu- rator von Kingsley, von Preterre und von Kölliker in Zürich. Am bekanntesten ist der von Kingsley, obgleich Köllikers Apparat weit kunstvoller und mehr alle Funktionen des weichen Gaumens berücksichtigend angefertigt ist, er ist aber zu kom- pliziert, um eine allgemeine Einführung in die Praxis zu erlangen. Kingsleys Velum bestand aus zwei übereinander gelegten weichen Kautschukplatteu, von denen die obere länger und breiter als die untere war und bis zur hinteren Pharynxwand ging. Zwischen diese Platten greifen die Reste des weichen Gaumens und über- tragen so ihre Bewegungen auf das mittels eines Charniers an der Gebißplatte befestigte künstliche Velum.

Eine neue Aera brach mit der Erfindung von Wilhelm Süersen an, der von der bisherigen Idee, das Velum möglichst genau zu imitieren, völlig abwich, indem er das künstliche Velum zu einem unbeweglichen Körper machte, an dem die Rudimente des weichen Gaumens entlang gleiten können, und gegen den sich der Constrictor pharyngis superior bei seiner Hervorwulstung gegen das beim Sprechen (mit Ausnahme bei der Aussprache von m und n) gehobene Gaumensegel anlehnen kann. Auf letzterer Beobachtung beruhte überhaupt die Entdeckung Süersens; er bekam einen Patienten in Behandlung, bei dem keine Rudimente des weichen Gaumens mehr zu sehen waren, es war also die Anfertigung eines künstlichen weichen Gaumens, der durch Velum- stümpfe gehoben werden konnte, ausgeschlossen. Hier bemerkte nun Süersen, daß bei der Aussprache von A sich an der hinteren Pharynxwand ein dichter Strang vorwölbte. Diesen Strang, der durch Vorwölbung der Pharynxschleimhaut infolge Kontraktion des Musculus pharyngis superior entstand, benutzte nun Süersen für die Konstruktion seines Obturators. Bemerkt muß hierzu werden, daß theoretisch das Prinzip, daß der Constrictor pharyngis superior mit dazu beitrage, den Abschluß zwischen Mund- und Nasen- höhle herbeizuführen, zuerst von Passavant-Frankfurt a. M.')

A

l; Deutsche Vierteljahrsschr. f. Zahnh. IV. Heft. IX. Jahrg. 1569.

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angegeben worden ist, und daß bereits vor Süersen nach diesem Prinzipe Tofohr-Hamburg einen Obturator anfertigte; doch bleibt es das Verdienst Süersens, sowohl theoretisch als praktisch das Problem eines dauerhaften, brauchbaren Gaumenobturators gelöst zu haben. Röse bestreitet freilich die Einwirkung des Con- stritor pharyngis superior auf die Tätigkeit des Gaumensegels, Michel!) hält diese Vorwulstung für eine pathologische Erschein- ung, und Claude Martin behauptet bei allen seinen Patienten nr in einem einzigen Falle die Vorwölbung des Passavant- schen Wulstes gesehen zu haben.?) Er begründet dies mit der Verschiedenheit der französischen und deutschen Sprache. Die deutsche Sprache nämlich, sagt Claude Martin, ist bauptsäch- lich guttural, und die Muskeln des Pharyx werden bei der Aus- sprache jenes Landes sehr in Anspruch genommen, woraus sich leicht die stärkere Entwicklung derselben erklären läßt. Hin- gegen ist die französische Sprache sehr weich und die gutturalen Laute erhalten eine zartere Aussprache. Daß man diese Aus- führungen Claude Martins nicht verallgemeinern darf, beweisen mir die beiden Fälle von Wolfsrachen, behandelt mit Süersen- schem Obturator, die ich 1900 in Paris zu Gesicht bekam. Jeden- falls haben auch die Untersuchungen von Gutzmann’) ergeben, daß die Grundlage des Passavantschen Wulstes durch den Mus- culus pterygo-pharyngeus gebildet wird, und Warnekros hat durch Untersuchung und zahlreiche Beobachtung die physiologische Bedeutung des Constrictor pharyngis superior bestätigt.

Bei Anfertigung des Süersenschen Öbturators sind nun einige Winke von Vorteil, deren strikte Betolgung unbedingt notwendig ist, um ein gutes Resultat zu erzielen. Leider finden wir in den zahnärztlichen und zahntechnischen Lehrbüchern darüber entweder gar nichts oder recht wenig. Meist heißt es: „Das Abdrucknehmen geschieht in bekannter Weise. Man be- gnügt sich mit einem Abdruck vom harten Gaumen, fertigt nach diesem ein Gipsmodell und nach diesem eine Hartkautschuk- platte.“ 4)

Wer nach dieser Vorschrift handeln wollte, würde eine Kaut- schukplatte erhalten, deren palatinale Seite einen starken kamm- artigen Aufsatz hätte, der besonders bei breiter Gaumenspalte tief in die Nasenhöhle hineinragt und so eine Nasenatmung un- möglich oder wenigstens doch sehr beschwerlich machen würde, Die Folge wäre, daß ein solcher Obturator nach Süersen absolut

1) Klinische Wochenschrift 1877. Nr. 41 und 42.

2i Internat. Kongreß zu Madrid 1903.

3) Naturforscher- und Arzteversammlung in Kassel 1903.

4: Scheff, Handbuch d. Zahnheilk. HI; Parreidt, Handbuch der Zahnersatzkunde.

„293 Hentze. Über Hasen-cbarte u. Woiferacoen u. deren Benani.g.

keinen Syracherföiz. sondern zerade das Gegenteil davon erzieien wirde. Ich erinnere mich einer Veröfentlichanz'. in der ein Zshnarzt zeradezu empħerit. nach Einsetzung ein-s Obturators die untere oder mittlere Nasenmnschel zu resezizren. Er be- banptet selbst eine derartige Resektion ausgeführt und dadurch wnnierbaren Ertoig erzielt za haben. Mich interessierte dieser Fall. und ich erfukr. dab ein Chirurg diese Operation ausgeführt hatte. weil durch den von de:n betrefienden Zahnärzte anzefertizten Obturator die Sprache nicht gebessert war. sondern der Patient plötzlich sprach „als hätte er den Stockschnupien im höchsten (srade“. Ich kann nun nicht ganz der Meinung beistimmen. dar der Chirurg hier die ganze Nasenmuschel reseziert hat, denn die Operation hat ja Erfolg gezeitigt. Dieser wäre aber wohl nur in sehr seltenen Fällen bei einer solchen groben !"!ünnng der Nase zu erzielen. im Gegenteil, man würde aus dem behinderten nasalen Sprechen ein deutliches Näseln beim Aussprechen eines jeden Wortes erzielen. man wäre also aus der Scylla in die Charybdis gekommen.

Es ist ja nicht zu leugnen, daß wir häufiz bei Personen mit Gaumenspalten abnorme Nasenverhältnisse voränden, den Rhinologen und Otologen ist das genürsam bekannt. aber bei operativer Behandlung von erschwerter Nasenatmung bei solchen Patienten ist die größte Vorsicht geboten. Der Rhinologe wird meist statt des Messers nur den Thermokauter benutzen und nur ganz geringe Teile der Nasenverengerung wegbrennen. Ein zu viel ist hier von nicht wieder gut zu machendem Nachteil für den Patienten.

Der weitere Nachteil dieses in den Spalt binautragenden Zapfens ist, dab er die Nasensekrete staut und aut die Spalt- ränder dauernd einen Druck ausübt, wodurch der Spalt des harten Gaumens vergrößert wird. Letzteres hat Jung sehr richtig erkannt. und er empfiehlt daher in seinem Lehrbuch der zahn- ärztlichen Technik, den Spalt vor dem Abdrucknehmen mit einem Wattetampon zu verschließen. So gut auch der Gedanke theo- retisch ist, so ist er in Praxi oft recht schwer auszuführen und erfüllt seinen Zweck auch nicht völlig, da bei Stentsabdruck. und dieser wird bei Gaumenspalt häufig indiziert sein, die Watte stark komprimiert wird und wir daher doch vom Defekt einen Abdruck bekommen. Es ist besser, wir nehmen wie gewöhnlich einen Abdruck. nur mit einem möglichst langen Löffel; ich bevor- zuge hierzu Stents, weil durch Eindringen des Gipses in die Naserhöhle oft starke Atembeschwerden hervorgerufen werden,

1: In welcher Zeitschrift die Veröffentlichung stand. konnte Ver- faser nicht fe-t-tellen, auch erscheint dies ja unwesentlich.

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wmd es oft sehr schwer ist, besonders bei Schwellungen und Verwachsungen in der Nase die Gipspartikelchen wieder zu ent- fernen. Nach diesem Abdruck fertige ich ein Gipsmodell, an dem ich nunmehr mit Gips den Defekt völlig ausfülle und mög- lichst eine normale Kieferform herstelle, nur vermeide ich auf der ausgefüllten Stelle Rugae palatinae herzustellen. Ich werde vielmehr die ausgefüllte Stelle recht glatt gestalten, was ich darch Aberpinselung mit Collodium erreichen kann. Nunmehr schneide ich mittels eines Messers am Gipsmodell da, wo der weiche Gaumen beginnt, eine ca. 1 cm breite und 3 mm tiefe Rinne Es wird in der gewöhnlichen Weise auf diesem Modell eine Hartkautschukplatte präpariertt und im Vulkanisierkessel gehärtet, deren Adaption durch möglichst 3—4 gutsitzende Metallklammern garantiert ist. Die Platte wird nun an dem den harten Gaumen bedeckenden Teil lingual wie palatinal gut poliert, wobei die den Defekt bedeckende Stelle eine besondere Glätte erhalten soll, so daß sich hier der Nasenschleim nicht festsetzen kann. sondern nach dem Rachen zu weggleiten muß. Den nach der hinteren Pharynxwand zu ragenden Zapfen läßt man am besten unpoliert, ja man macht ihn mit einer Feile sogar etwas rauh. Hier trägt man gewöhnliche Guttapercha auf, erwärmt die- selbe und l&4ßt dann Schluck- und Sprechbewegungen machen. Man nimmt nunmehr den Apparat heraus, und sobald man sieht, daß seitlich die Muskulatur des Velums und hinten der Passa- vantsche Wulst leichte Eindrücke in die Guttapercha machen, trägt man eine Schicht alter zersetzter Guttapercha, die ihre Elastizität verloren hat, auf. Diese Guttapercha muß, sobald man sie zu biegen versucht, mit glattem Bruche brechen, und wenn sie erhitzt wird, muB sie sehr lange Zeit weich wie eine Paste bleiben. Ein Nachteil dieser Guttapercha ist, daß sie sehr klebrig Ist, doch kann man dem sehr gut abhelfen, daß man den Gutta- perchakloß, bevor man ihn in die Mundhöhle einbringt, mit Vase- lin bestreicht. Fricke nahm hierzu Seife, doch hatte diese den Nachteil, daß sie zu Würgbewegungen Anlaß gab. Solche Gutta- percha kann man sich selbst herstellen, indem man rosa Gutta- percha längere Zeit der Luft und gleichzeitig der Sonnenwärme aussetzt, die Guttapercha vertärbt sich dadurch orange und ver- liert ihre Eigenschaft, sich zu kontrahieren und zu erstarren. In diese weiche Guttapercha können sich nun die Muskeln gut eindrücken, ohne daß der Patient dadurch irgendwie irritiert wird. Nach mehrmaligen Sprach- und Schluckübungen. bei denen wir die Wirkung der Muskulatur auf den Kloß Heilig beobachten und an den Stellen, wo die Masse rauh erscheint, Guttapercha zulegen, an den Stellen, wo dieselbe durch den AMuskeldruck weg- gedrängt wird, mit dem Messer abtragen, erreichen wir dann

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„54 Hentze, Cher Hæsrkare u Woliraccen i

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einen g-ranen Abdruck des Defektes im Nasenra Lenraum. Ge- ‚ungen ist der Abdruck. wenn wir im GüttarercLakiöos eine Ab- tforrannz der Tnbenwüiste,. eine Impression des Constrictor pha- rnzis »nperior und flache Rinnen für die medianen Ränder d-s Velnwms baben. Wun man in der giücklichen Lage ist. einen gentsn Sprarhlehrer zur Hand zu haben. wie ein soicher das Berliner zahnärztliche Institut in der Person des Sprachpbysio- logen Dr. (sutzmann unterstützt. dann wird man den Patirnten erst 4—3 Tage zu diesem senden und mit dessen Unterstützung den denkbar günstigsten Spracheffekt durch den Obturator zu erzielen suchen. In kl-ineren Städten ist der Zahnarzt selbst gezwungen, den Sprachunterricht zu leiten. wobei das Buch von Gnutzmann: „Störungen der Sprache” !) ein vörtr-Mlicher Leiter sein mag. Ein intensiver Sprachunterricht ist deshalb unbedingt nötig. weil die Patienten stets unrichtig artikulieren. Die Patienten bilden die Konsonanten meist nicht normal. so wird p nicht durch Zusammmenpressen der Lippen und plötzliche Sprengung derselben gebildet. sondern der Laut wird durch eine plötzliche Expansion des Stimmbandes erzielt, A’ wird mit Zungenernnd und hinterer Rachenwand erzeugt. An der Kieler zahnärztlichen Klinik war 3', Jahre lang eine Hilfskraft angestellt, die einen starken Defekt des harten und weichen Gaumens aufwies, bei der aber leider auch neben Hypertrophie der Nasenmuscheln, Pharynzitis chronica atrophicans und eine ziemliche Schwerbörigkeit bestand. Das Tragen eines Obturators war hier eigentlich zwecklos, obgleich von Studenten und Assistenten dem jungen Manne 3—4 ÖObtura- toren pro Semester übungshalber angefertigt wurden. Interessant war aber, wie dieser Mann artikulierte. Statt K sagte er stets t, ımerkwürdigrrweise konnte er aber g aussprechen, dagegen nicht »g. das er durch n oder durch y ersetzte, statt s sprach er stets ns, gleichzeitig begleitete er die Aussprache dieses Vokales mit einer Schiefstellung des Mundes, das / wurde ebenfalls durch » substituiert.

Es gehört eine ziemlich grote Kenntnis der Sprachphysiologie und Therapie dazu, nebst einer gehörigen Portion Ausdauer, um den Patienten die Artikulationsfeller abzugewöhnen und eine gute, normale Sprache zu erhalten.

Haben wir dies erreicht, so schreiten wir zar Herstellung - des definitiven Apparates.2) Zuerst schneiden wir auf der gaumen- seitegrlegenen Seite des Guttaperchakloßes mittels eines beißen

L1) Vorlesungen über die Störungen der Sprache. Berlin 1593.

2; Wenn beim Sprechen oder manchmal schon bei dem Einführen des Obturators die Gaumensegel einporschnellen und sich auf den nasalen Teil des Kloßes legen, mub man auf demselben einen Reifen modellieren, der in den Nasenrachenraum ragt. Manche Autoren empfehlen direkt auf dem Obturator ein Nasenloch anzubringen (Bruck-Breslau‘.

Hentze, Über Hasenscharte u. Wolfsrachen u. deren Behandlg. 555

Messers nach Hartung eine muldenförmige Ausbuchtung ein, um dem Nasenschleim Abfluß zu geben und gleichzeitig den Obturator leichter zu machen. Hierauf überziehen wir den ganzen Kloß mit einer ganz dünnen Schicht geschmolzenen weißen Weachses, wodurch wir das, was beim späteren Ausarbeiten und Polieren des fertigen Obturators an Kautschuk verloren geht, wieder ersetzen, gleichzeitig verhindern wir das lästige Ankleben der erweichten Guttapercha beim Herausnehmen derselben aus der Gipsform. Hierauf setzen wir unseren Obturator in einer Küvette in Gips ein und zwar so, daß der nasale Teil des Obturators nach oben kommt, während der linguale Teil mit dem Zapfen den Boden bildet. Der nasale Teil muß vom Gipse unbedeckt sein. Nach Erhärten des Gipses schneidet man die Oberfläche glatt, reibt sie mit Sandpapier ab, dann mit Talkum, ölt sie und die freiliegenden Teile des Kloßes ein, setzt den Küvettendeckel auf und gießt die Gegenstanze. Nach 10 Minuten erwärmt man die Küvette in heißem Wasser, nimmt die beiden Teile auseinander und entfernt die erweichte Guttaperchamasse. Die Wände der nun entstandenen Gipsform bepinselt man mit Kollodium oder klebt den Wänden eine glatte Zinnfolie an, um die spätere Ausarbeitung auf ein Minimum zu reduzieren. Hierauf betupft man die mit Folie oder Collodium belegte Gipsfacon mit in Chloroform dünn aufgelösten Kautschuks etwas, um ein Anhaften der Kautschukplatten an den Wänden zu erzielen und legt nun vorsichtig den drei Wänden der Form !/,—1 mm dünne Platten aus rotem Kautschuk an, darüber legt man eine Lage rosa Kautschuk, 1. um beim Ausarbeiten durch das Erscheinen des rosa Kautschuks vor dem Durcharbeiten des späteren Hohlklobes gewarnt zu werden. 2. Den Kautschuk vor dem Poröswerden zu bewahren, denn rosa Kautschuk wird sehr schwer porös. Nun füllt man den von Kautschuk umkleideten Hohlraum mit Gips oder mit durch Gummi arabicum angefeuchteten Bimstein, Zinnstückchen, Baumwolle oder Kork aus, legt darüber wieder eine Schicht rosa Kautschuk, dann dünnen roten Kaut- schuk schliebt die Küvette und bringt sie in den \ulkanisierkessel, läßt die Temperatur recht langsam bis auf 145" steigen und läbt den Kessel auf dieser Höhe 2 Stunden lang Stehen, dann setzt man die Temperatur recht langsam herab, öffnet bei den Kessel und nimmt den hartvulkanisierten Obturator aus der Küvette. Er wird nun geglättet und gut poliert, hierauf an einer Stelle angebohrt und der Gips oder Bimsstein mittels einer Wasserspritze herausgeschwemmt, Zinnstückchen entfernt man dureh Eingielien von Königswasser, worauf man «die Bohrstelle mit einem Hartkautschukpflock wieder verschließt. Watte und Kork lät man ruhig im Hohlraum, da diese das Gewicht des Obtura- tors nicht wesentlich beeinfluben.

556 Hentze, Uber Hasenscharte u. Wolfsracben u. deren be2.z2:g.

Jung bringt an der GaumenpJlatte zwei Drähte. im Obinrator zwei dazu passende Röhren an, um so ein zweimaliges Vulkani- gieren der Gaumenplatte zu vermeiden. Nach Fertigstellung des OÖbturators schiebt er dessen Röhren über die zwei Drähte der Platte und verbindet Röhre und Draht durch Anschwereln oder Schellack. auch mit Zahnzement kann man sie verbinden.

beißwenger lätt den KlotL auf galvanoplastischem Wege herstellen, Glogau hat den Kloß aus zusammengelöteten Güld- platten angetertigt.

Wertvolle Veränderungen nahm nun Warnekros am Süersen- schen Obturator vor, indem er 1. die Ausprägung der Tuhenwülste an dem fertigen Obturator verwarf, da durch Bedeckung der Tubenwülste das Gehör beeinträchtigt wird und durch Wegfall derselben der Obturator wesentlich kleiner und leichter wurde. 2. den Obturator nach und nach verkleinerte, wodurch er einen Reiz auf die Muskulator ausübte, so dat dieselbe sich stark kräftigte. Brugger erzielte diese Kräftigung durch Massage des weichen Gaumens, dasselbe empfiehlt Gutzmann mittels seines Handobturators. Derselbe besteht aus einem Handeritl. in den ein Nickelindraht eingelassen ist, dessen oberer Teil parallel zum Gaumen gebogen ist und dessen Ende mit einem Guttapercha- pflock umgeben ist,

Obgleich nun auch der Warnekrossche Obturator allen Anforderungen entspricht, so muß ich doch mehr des historischen Interesses wegen noch auf die sogenannten weichen Öbturatoren eingehen, die jetzt eigentlich nur noch nach mißglückter Staphy- lorrhaphie Anwendung finden.

Das durch Staphylorrhaphie wieder hergestellte Velum ist ja meistens zu kurz, durch das Narbengewebe sehr gespannt und steif und entbehrt daher der Eigenschaften des normalen weichen Gaumens. Um diesem Übelstande abzuhelfen, konstruierte nach den Angaben von \Volff der Zahntechniker Schiltsky einen Apparat. Er verfertigte den Kloß aus Weichgummi und verband diesen durch eine dem weichen Gaumen angebogene Spiralfeder: Grunert ersetzte dieselbe durch eine Bändfeder, doch ist der Spirale der Vorzug einzuräumen. Am besten ist es, man stülpt zwei Spiralfedern übereiander, von denen die eine links, die andere rechts gedreht ist, um so die Gefahr des Brechens der Feder zu vermindern. Brugger benutzt zu dem Kloß einen Korkkern, den er mit weichbleibendem Kautschuk umhüllt. Diese Obtura- toren haben nun den Nachteil, daß sie sich erstens leicht zer- setzen und zweitens insofern entbehrlich sind, als man mittels greivneter Massagebehandlung verbunden mit Sprachübungen be- sonders bei riridem, zu kurzem Velum überraschende Erfolge erzielen kann. Krouschoff konstruierte wohl zuerst einen Apparat

Hentze, Über Hasenscharte u. Wolfsrachen u. deren Behandlg. 557

zır Massage des Velums, indem er durch eine Feder auf den weichen Gaumen einen konstanten Druck ausübte; ähnliche Appa- rate konstruierten Schlenker und Sauer (1887). Brugger ersetzte diesen Druck durch eine 2—83 malige tägliche Massage- behandlung und erreichte dadurch Dehnung und Beweglichkeit des Velums; ähnlich verfährt Gutzmann.

Rein historisches Interesse hat nur noch das Prinzip mittels durch Luft aufgeblasener Gummisäcke den Defekt zu verschließen: Die ersten derartigen Versuche betreffen allerdings nicht ange- borene Defekte, sondern durch Resektion erworbene große Defekte des harten und weichen Gaumens. Fricke verwandte hierzu einen aufgeblasenen, ganz dünnen Gummibeutel, mit dem er den Defekt ausfüllte. Obturatoren für angeborene Gaumendefekte nach diesem Prinzip fertigten Krouschoff und Brandt. Hierher zu rechnen wäre auch der pneumatische Obturator nach K. Witzel. Diese Obturatoren haben den Nachteil, daß die Luft bald ent- weicht und der Behälter stets von neuem aufgeblasen werden mu, was den Effekt hat, daß, zumal wenn diese Manipulation dem Patienten selbst überlassen bleibt, durch zu intensives Er- weitern der Defekt künstlich ausgedehnt wird; ferner ist die Haltbarkeit derartiger Apparate keine besonders lange.

Zum Schluß sei noch erwähnt, daß man in neuerer Zeit be- sonders in Frankreich wieder auf das Prinzip von Kingsley zurückgegriffen hat, besonders Claude Martin scheint für der- artige komplizierte Apparate eine große Vorliebe zu haben. Hier wären auch die Apparate von Delair, Calvin S. Case und der verhältnismäßig einfache, doch recht sinnreiche Apparat von Jüterbock, dessen Velum aus Cofferdam besteht, anzuführen. Doch, so sinnreich auch diese Apparate ausgeführt sein mögen, das einfachste bleibt immer doch das beste; mittels geeigneter Massage, guter Sprachübung und einem Obturator nach Warne- kros werden wir in den meisten Fällen gute Resultate erzielen. Wo aber eine Pharvngitis chronica atrophica besteht, wo die Schleimhaut dünn, zart und glänzend das Aussehen von ge- räuchertem Fleische hat, wo das spärliche Sekret infolge des geringen \Vassergehaltes der Unterlage als Borke sich von der harynzwand abziehen läßt, da ist auch alle unsere prothetische Kunst vergebens; trotz Massage, trotz bestem Sprachunterricht wird eine Besserung der Sprache ausbleiben.

Literatur.

Außer den im Text zitierten Arbeiten wurden benutzt: FR Kalexandro ff: Uber fötalen Hydrokephalus auf Grund der Fälle n önigl. Charite. 1101. van Benneden: Über die fütalen Ad- exe der Säugetiere. Virchows Archiv. Dißmann: Statistik der

= pe mpre Zber ae e KU EREEREEN oq Ær à ner tas T . OAPI

zen in den etzien 7%: Janren in der Bonner Kiizik. I. Fan Fal von erronisesenm Hvarorera Svprie Destecne mei. Wiekersiır L N Ataoe von Hr-erscharte uni Wir.israchen. `, 14173. v. Hen on „ter die ElE-222.:&=:e. Archis f. Tea -Kiurgstweerh. Bå. | Honei: Mémoire g eHrpnantee COLZE. aie. Arch. = de mi Leöor d’Astro Lnsärversnaue vereao-ssiniitigue Rev. mens. des mai. de Tore IX. isul. Meckel: Merkels Arcniv £ Poysol VIEL S. 1 Salzer: Zar Kasnl-tik der Geschwüre am Korte. Stobwa Die HassensreLarten der Göttinger enir. Kiizsik. D. Z. f Crir. iS%

band de BA. 19. Virchow: Aurkularanbange. Virchows Archiv. Bi. 15. Wolff: Chirurg:-ene Mittenungen l>si. Warnekros: Ashs Korre-

»pondenztuatt f. Zannarzte 15s.

Süersen: Deutsche Vıerteljabrsschr. f. Zabeheiikunde Bi. VIL 1276-. Hartung: Deutsche Vierteljabrsschr. f. Zabnnheilkunde

150. Parreidt: Handbuch der Zahnersatzkurde 1593. Schetf: Handbuch der Zabnoelkunde. Bi. II. Bruzrer: Benandlung

der (ranmen-palten mit besonderer Berücksichtigung der Prothesen mit Kurkkern. Leipzig 195. Kingsiev: A treatise on oral defor-

ınıties as a branch ot mechanical! surgery. New York I$», Claude Martin: Vortrag auf internat. med. Kongre. Madrid 1003. Jung:

Lebrbuch der zunrärztlichen Tecanik Leipzig 14.4.

Bericht über die 46. Sitzung des Zahnärztlichen Vereins für Niedersachsen

zu Hannover, 4. und 5. Februar 1905. Mit 2 Abbildungen.)

Der Vorsitzende, Dr. Kühns, eröffnet die Versammlung mit foi- gender Ansprache:

Hochverehrte Versammlung! Wenn wir diesmal wiederum die Frübjahrsvercammlung auf zwei Tage gelegt haben. so geschah das der erfreulichen Tatsache wegen, daß das vorliegende Programm an einem Tage nicht zu erledigen war.

Der immer weitere Auf- und Ausban unserer Wissenschaft bedingt es, daß wir uns nicht allein vertiefen müssen in das Studium unseres eigenen Gebietes, so daß es jetzt schon einer vollen angestrengten Lebensarbeit bedarf, um in allen Disziplinen unserer Tätigkeit wissen- schaftlich und praktisch auf der Höhe zu sein, sondern daß wir auch Umschau halten müssen auf fast allen anderen medizinischen Spezial- füchern, um zu sehen, wie weit sie Beziehungen und Anknüpfungspunkte für uns bieten, und daß wir schließlich wegen der vielen und viel- seitigen technischen Anforderungen an unsere Tätigkeit auch bedacht sein müssen, uns die in anderen technischen Gebieten gemachten Erfindungen zum Wohle und (redeihen unseres Faches zu eigen zu machen.

Zahnärztlichen Vereins für Niedersachsen. 559

Diesen Anforderungen möglichst gerecht zu werden, ist unser heu- tires Programm vielseitig zusammengesetzt, und ich danke allen Herren, die sich bereit fanden uns zu unterstützen und durch einen Vortrag zu erfreuen. Ich begrüße besonders Herrn Prof. Dr. Bruns und Her Karl Birgfeld, den Vorsitzenden des Hamburger Vereins, unseres nächsten nördlichen Nachbars, mit dem wir vor vielen Jahren schon einmal zusammen getagt haben, das zu wiederholen vielleicht beiden Vereinen ersprießlich sein möchte. Außerdem aber heiße ich alle anderen Herren Gäste herzlich willkommen.

Meine Herren! Es unterliegt wohl keinem Zweifel, daß das von uns angestrebte Maturum uns auch bereits bewilligt ist, wenn es auch oftiziell bislang nicht bekannt gegeben wurde. Mit diesem Augenblicke, meine Herren, erwächst uns, wie ich bereits einmal ausgeführt, ein neues Ziel, das ist die Promotion in unserem eigenen Fache. Da der Dr. med. an bestandenes Staatsexamen gebunden ist als Arzt, der Dr. phil. aber, wie wohl allseitig zugegeben werden muß, nur ein Notbehelf war und weder für den Doktorranden noch für unsere Wissenschaft wenige Fülle ausgenommen irgend einen Fortschritt bedeutete, da andrerseits uns als Maturis und Vollakademikern später eine Pro- motion schlechterdings zugestanden werden muß, so muß jetzt unser Streben sein, zu erreichen, daß es uns gestattet wird, die Disziplinen unseres eigenen Faches als Promotionsfächer zu wählen und ebenfalls als Prüfungstfücher im Rigorosum, was ja in der philosophischen Fakul- tät bislang nicht der Fal) war. Und, m. H., dazu scheint mir gerade jetzt die Gelegenheit günstig.

Sie wissen, daß den Studierenden der Veterinärmedizin vor zwei Jahren das Maturum auferlegt wurde, daß jetzt zum erstenmale nur Maturi zu der naturwissenschuftlichen Prüfung zugelassen werden. In wieder zwei Jahren werden diese zum Staatsexamen und dann zu der Frage gelangen, wo sie ihre Promotion betreiben sollen.

Da wird es Sache der preußischen Universitäten sein, durch Schaffung dieser Möglichkeit im eigenen Lande dafür zu sorgen, daß nicht sämtliche Doktoranden, und das werden sehr viel mehr sein als früher, wie bisher genötigt sind, nach Gießen zu gehen.

Diesen Umstand auch für uns geschickt auszunutzen halte ich für eine große und jetzt dringende Pflicht unserer Standesvertretung. Wenn ich auf Ihren Beistand rechnen kann. so würde ich vorschlagen, einen diesbezüglichen Antrag des Vereins dem V.-B. zu unterbreiten.

Meine Herren! Sie wissen, daß der C.-V. D. Z. seine diesjährige Versammlung in Hannover im August abhalten wird, und daß wir aus dieser Veranlassung unsere Sommerversammlung, bis auf eine Mitglieder- sitzung, die statutarisch zu den Wahlen nötig ist, ausfallen lassen.

Ich ersuche aber alle unsere Mitglieder an der Aufnahme des C.-V.. der hier als unser Gast erscheint, sich zu beteiligen, um so mehr, als die Stadt Hannover in wirklich splendider Weise zu einer würdigen und festlichen Aufnahme des Vereins beizutragen beschlossen hat. Hier- mit eröffne ich die heutige Versammlung.

Hierauf erhält Herr E. Herbst, D.D.S., das Wort zu seinem Vortrage:

Reziproke Kraft in der Gesichtsorthopädie. Über reziproke Kraft habe ich in einer längeren Arbeit mit reich- lichen Illustrationen in der D. M. f. Z. berichtet, und Sie können hier-

560 Bericht über die 46. Sitzung des

über in der Aprilnummer dieses Jahres nachlesen. In Nr. 16 der deutschen zahnärztlichen Wochenschrift 1904 habe ich schon über einen Fall von reziproker Kraft berichtet. Es handelte sich um die Behandlung des partiell offenen Bisses, worüber Sie vielleicht gelesen haben; ich erlaube mir, Ihnen noch einmal das Modell und das Resul- tat der Behandlung herumzureichen.

Heute kann ich Ihnen wieder zwei neueRichtapparate vorführen, die in ihrer Wirkungsweise vielleicht einige Vorzüge vor den bisherigen Appara- ten haben dürfte. Hier ist zunächst ein ganz einfacher Apparat zur Behand- lung der Prognathie (Fig. 1). Im Oberkiefer wird auf jeden Eckzahn wenn der bleibende vorhanden ist sonst auf jeden Schneidezahn, je ein Ring gesetzt aus dünnem Gold- oder Neusilberblech. An diesem Ringe befindet sich ein Häkchen, das nach oben geöffnet ist. Hiermit ist der Apparat für den Oberkiefer fertig. Im Unterkiefer wird um jeden sechs- jährigen Molaren ein Ring gelegt, an diesem Ringe wird an der Buc- calseite je ein distal geöffneter Haken angelötet und an der Lin- gualseite ein Draht, welcher die Zungenfläche sämtlicher Zähne des Unterkiefers berührt, damit ist der Apparat fertig. Die Idee ist nun folgende: Die Zähne des Oberkiefers in derselben Lage zueinander gleich- zeitig gemeinschaftlich zurück, und die Zähne des Unterkiefers in der- selben Lage zueinander gleichzeitig gemeinschaftlich nach vorn zu bringen, und zwar durch Gummiband. Zu diesem Zwecke spannt man ein Gummiband A. W. Faber Nr. S, in der weiteren Behandlung sogar 2—3 Gummibänder gleichzeitig von dem Haken des linken unteren Backenzahnes über die Häkchen der oberen Vorderzähne nach dem Haken des rechten unteren Backenzahnes. Die reziproke Kraft wirkt jetzt distal auf sämtliche Zähne des Oberkiefers und mesial infolge des Drahtes an der Zungenseite auf die des Unterkiefers. Da diese Kraft eine dauernde Energie bedeutet, so muß die Folgeerscheinung eintreten, und Sie sehen an dem Erfolge, daß die normale Form mit diesem einfachen Apparat in 21 Monaten herbeigeführt worden ist. Welches sind nun die Vorteile dieses Apparates vor dem von Baker, Case und Angle kon- struierten, den ich Ihnen hier zum Vergleiche ebenfalls vorzeige (Fig. 2. Zunächst füllt es uns auf, daß bei den amerikanischen Apparaten vor den Zähnen Drühte liegen, die bei dem meinigen vollkommen fortfallen. somit spricht die Ästhetik zu gunsten meines Apparates. Ferner sehen

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Zahnärztlichen Vereins für Niedersachsen. 561

wir. daß die Spannlänge der Gummibänder bei dem amerikanischen Apparat nur vom Augenzahn des Oberkiefers bis zum sechsjährigen Molaren des Unterkiefers reicht, wodurch erklärlicherweise die ganze Kraft des Gummibandes nicht genügend ausgenutzt wird, auch dieser kleine Übelstand fällt bei meinem Apparat fort, und schließlich ist ein Draht, wenn er noch so dünn ist, bei weitem nicht so elastisch wie ein Gummiband und kann daher nicht mit Leichtigkeit, wie der Qummi es vermag, einen harmonisch runden Zahnbogen in der Gegend der Vorderzähne herbeiführen. Ich habe früher mit dem

amerikanischen Apparate selbst viel gearbeitet und auch sehr gute Resultate damit erzielt. Seitdem ich jedoch den neuen und bei weitem einfacheren Apparat mir konstruiert habe und dabei gute Resultate mit noch größerer Leichtigkeit erzielen kann, nehme ich keinen Anstand, den Kol- legen diesen Apparat zur Nachahmung zu empfehlen. Ich möchte noch hervor- heben, daß ich bei Behand- lung der Prognathie im all- gemeinen ein Gegner der Extraktion bin, und Sie sehen auch, daß hier kein Zahn extrahiert worden ist. Unter Umständen empfiehlt es sich, zum Auseinander- stellen des Bisses einen Zahn mit einer Krone zu versehen {siehe die punktierte Krone).

Der andere Apparat, den ich Ihnen hier zeige. könnte als Instruk- tons und Sammelapparat bezeichnet werden (vergl. Aprilheft d. D. M. f. Zo. Sie sehen hier im Oberkiefer die Heydenhaußschen Kappen mit der Kanüle und Mutter zum seitlichen Dehnen des Öberkiefers. Im Unterkiefer sehen Sie je 13 zusammengelötete Ringe auf jeder Seite in Verbindung mit Kanüle und Muttern zur seitlichen Dehnung des Unterkiefers. An der Außenseite der Kappen sowohl, als an der der zu- sammengelöteten Ringe, befindet sich je eine kurze Kanüle als Führung für je einen Draht, den man von vorn in diese Kanüle hineinschiebt. An den Enden dieser Drähte ist ein Gewinde eingeschnitten, auf wel- chem sich je eine Mutter befindet. Diese Drähte dienen entweder zum

XXIII. 36

6? Bericht über die 46. Sitzung des

[or

labialen Dehnen des Oberkiefers und Unterkiefers, indem man die vor- deren Zähne an dem Draht festbindet, und durch Rechtsdrehen der Muttern die Zähne nach vorn zieht. oder sie dienen zum Zurückziehen der voderen Zähne, indem man die Muttern hinter den Kanülen auf- schraubt und rechts dreht. Ferner befindet sich an der Außenseite der Kappe sowie der drei zusammengelöteten Ringe je ein distal geöffnetes Häkchen, welches zur Beseitigung der Gummibänder dient. Die Schneide- zühne des Ober- und Unterkiefers sind je mit einem Ringe vesehn. Diese Ringe, die anfangs zu weit sind, werden mit einer Flachzange vorn zusammengezogen, wodurch ein Falz entsteht, der ausgelötet und mit einem mittleren Einschnitt versehen wird, um den Gummibändern als Führung zu dienen und dieselben am Abgleiten zu hindern. Gehen wir jetzt einmal die verschiedenen Anomalien an Hand dieses Apparates durch, so finden wir, daß wir sie mit Hilfe desselben sämtlich behandeln können. Handelt es sich z.B. um zu weite Zahn- stellung, so werden die vorderen Drähte durch Aufsetzen der Muttern hinter den Kanülen angezogen, und dadurch die Zwischenräume zwischen den Zähnen verringert, und zwar solange, bis sich die Zähne berühren.

Handelt es sich um zu enge Zahnstellung, so werden zunächst die seitlichen Dehnapparate ın Funktion gesetzt, und dann mit Hilfe der Drähte und den vor den Kanülen aufgesetzten Muttern die inner- halb der Zuhnreihen stehenden Zähne mit Fäden an dem Draht ange- bunden und nach vorn bewegt; außerhalb der Zahnreihen stehende Zähne bei zu enger Zabnstellung werden erst dann inihre Lage gebracht, wenn die übrigen Zähne, so wie oben beschrieben, so weit nach vorn gezogen sind, bis sie mit den außenstehenden Zähnen ungefähr dasselbe Niveau haben, erst dann werden sie gemeinschaftlich durch ein über die ganze Front der Zähne gespanntes Gummiband, welches von einem bis zum andern Haken reicht, zurückgedrängt, um dann in normalem jogen in die erweiterte Zahnreihe einzurücken.

3ei seitlicher Kieferkontraktion als da sind spitzbogenförmige, Omega- oder sattelförmire und V förmige Kiefer, wird die seitliche Dehnung angewandt und gleichzeitig ein Gummiband von einem Haken zum andern desselben Kiefers gespannt, wodurch ein leichter, bogen- förmiger Druck auf die Vorderzähne ausgeübt wird.

Bei Artikulationsanomalien kann es sich zunächst um prognathe Formen handeln, in «diesem Falle wird von 6| über die Vorderzähne nach {6 gespannt.

Bei Progenie und ähnlichen Formen wird von 6} über die unteren Vorderzühne weg nach |6 gespannt.

Bei seitlichen Artikulationsanomalien wird beispielsweise von |6 über die oberen Vorderzähne nach 6| und außerdem von |6 über die unteren Vorderzähne nach 6| gespannt. Hierdurch erhalten wir einen Linksdruck auf sämtliche Zühne des Oberkiefers und einen

Zahnärztlichen Vereins für Niedersachsen. 563

Rechtsdruck auf sämtliche Zähne des Unterkiefers, wodurch der seit- liche Außenbiß und der Kreuzbiß beseitigt werden können.

Bei partiell offenem Biß spannen wir von 6| über die oberen Vorderrähne nach [6 , und bei komplett offenem BiB außerdem von ë über die unteren Vorderzähne nach |6 , wobei in den meisten Fällen der Dehnapparat gleichzeitig in Anwendung zu kommen hat.

Wenn die Kürze der Zeit mir nicht erlaubt, noch näher auf die einzelnen Apparate einzugehen, so nehme ich um so mehr Veranlassung, wegen der reziproken Kraft auf meinen Artikel in der Monatsschrift hinzuweisen, in welchem außerdem die vorhandene Literatur über rezi- proke Kraft berücksichtigt ist.

Wir haben gesehen, wie Kollege Birgfeld bei Behandlung der Prognathie mit Hilfe der passiven Zahnregulierung zum Ziele gelangt, eine Behandlungsart, gegen die sich wegen ihrer bequemen und schonenden Weise sicher nichts einwenden läßt, die aber trotzdem uns etwas durch ihre lange Behandlungsdauer abschrecken wird. Hier sehen wir, wie wir in bedeutend kürzerer Zeit mit ebenfalls durchaus nicht unbequemen Apparaten, durch Anwendung der reziproken Kraft

zum Ziele kommen. Der Unterschied wiederum zwischen der reziproken Kraft und allen übrigen motorischen Kräften, die wir für Zahnregulier- ung im Munde anwenden, besteht wie der Name schon sagt, ın der wechselseitigen Wirkung. Bei allen anderen Kraftapparaten wird von einer festen Basis aus reguliert, während wir bei der reziproken Kraft keine feste Basis haben, sondern dieselbe Kraft gleichzeitig be- nutzen zum Vorwärtsbewegen der Zähne des einen Kiefers und zu Rück- wärtsbewegungen der Zähne des (segenkiefers oder umgekehrt, oder durch Seitwärtsbewegung der Zähne des einen Kiefers und entgegen- zesetzter Seitwärtsbewegung der des andern Kiefers, oder schließlich durch Herabziehen der Zähne des Oberkiefers und Emporzieben der Zähne des Unterkiefers.

Die Ihnen vorgeführten Apparate sind bisher in dieser Form von keinem andern Zahnarzte konstruiert worden, doch gebührt die Einführung der reziproken Kraft als solcher im allgemeinen wohl Case in Chicago. Ich habe deswegen, um den Entwicklungsgang dieser Apparate möglichst einwandfrei klarzulegen, eine Sammlung von Kartons mitgebracht, auf denen die einzelnen bis jetzt erfundenen Apparate abgebildet und mit kurzer Beschreibung versehen sind, und die zur gefälligen Ansicht hier ausliegen.

Ich schließe meinen kurzen Vortrag in der Hoffnung, Ihr Interesse für die reziproke Kraft ein wenig angeregt zu haben, denn meine Überzeugung ist es, daß wir für die Gesichtsorthopädie in ihr einen wesentlichen Faktor zu verzeichnen haben, einen groben Fortschritt, den auch Angle, der doch sicher einer unserer tüchtigsten Gesichts

orthopäden ist und bleiben wird, einwandtrei anerkannt hat. 36”

564 Bericht über die 46. Sitzung des

Diskussion. Dr. Philipp: Ich möchte gern etwas über den Zeitpunkt erfahren, wann die Regulierungen vorgenommen werden sollen, ob noch Milchzähne vorhanden sein dürfen; ferner wie der Apparat befestigt wird.

Herbst: Bei der reziproken Kraftanwendung muß die Zahbnreihe vollständig sein. Die Ringe werden mit Zement befestigt.

Kühl erwähnt, daß die Ringe bei sehr flachen Zahnkronen an- geschraubt und dann mit Zement befestigt werden können.

Herr Privatdozent Dr. Schroeder-Greifswald war durch Krankheit am Erscheinen verhindert, hatte aber seinen Vortrag über: Die An- wendung des Induktionsstromes für die Diagnose eingrsandt. der verlesen wird.

Diskussion. Traube: Ich vermisse zur Herabsetzung der Emp- finllichkeit den Versuch mit Phenacetin.

Schroeder-Cassel: Es gibt kleine Induktionsapparate, die be- quem in der Tasche getragen und für alle Fälle außerhalb der Wolinong ausgezeichnet verwendet werden können. Es ist unbedingt notwendig, daß der Handgriff isoliert ist. Ich empfehle es sehr, hier- mit Versuche anzustellen, da es oft sehr wichtig ist, festzustellen, welcher Zahn bei ausstrahlenden, neuralgischen Schmerzen der Ubel- täter ist.

Dr. Schroeder- Greifswald hatte mit seinem Vortrage zwei Zungen zur Ansicht gesandt. die dazu benutzt werden können, um eine künst- liche Zahnfleischtistel herzustellen, oder die Wurzelspitze freizulegen.

Die Herren Dr. Greulich und Herbst berichten über einen analogen Fall aus der Praxis. Einem jungen Manne wurde die Pulpa eines oberen Bikuspidaten mit Arsenik abgeätzt, und am folgenden Tage wurde der Zahn mit Amalgam verschlossen, nachdem der Nerv extrahiert und die Wurzel mit Guttapercha gefüllt worden war. Nach 14 Jahr war der Zahn lose und konnte mit den Fingern abgehoben werden. An den Wurzeln war nichts besonderes zu bemerken.

Herr Kirchhoff fragt an, ob jemand Erfahrung im Gießen von Metallplatten habe.

er Dr. Müller: Ich möchte etwas darüber hören, ob man einen Zahn, dessen Wurzelbildung noch nicht abgeschlossen ist, mit Paraffin füllen kann, oder ob überhaupt jemand von den Anwesenden Zalınwurzeln mit Paraftin gefüllt hat.

Herr Dr. Fischer erwähnt, daß er in ca. 50 Fällen Parafiin mit Jodoform zusammen mit der Noffkeschen Spritze eingespritzt und gute Erfolge erzielt habe.

Herr Dr. Kühns empfiehlt, Thymol zu versuchen.

Herr Dr. Kühns führt einen Patienten (Student) vor, dem vor 3! Jahren auf der Mensur der !J ausgeschlagen wurde. Der Zahn wurde replantiert und sitzt heute noch sehr fest, wovon sich alle Anwesenden überzeugten.

Herr ©. Birgfeld-Mamburg war durch Krankheit am Erscheinen verhindert. Der angekündigte Vortrag über Behandlung des Pro- gnathismus war eingesandt worden und gelangte zur WVerlesung. [Der Vortrag ist gedruckt erschienen in den Odontolog. Blättern IX. Nr. 5-6.

ie Dr. Kühns stellt eine Patientin mit Prognathie vor, die nach Birgfeldscher Methode behandelt wird.

Herr Herbst jr. demonstrierte darauf Modelle nach seiner

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Zahnärztlichen Vereins für Niedersachsen. 565

Methode. Der Vorsitzende spricht im Namen des Vereins Herrn Birg- feld für die Einsendung des Vortrages seinen Dank aus und bedauert, Herrn Birgfeld nicht hier begrüßen zu können.

Herr E. Herbst jr.-Bremen: Demonstration der Kryptolöfen für zahnärztliche Zwecke:

Kryptol in der Zahnheilkunde.

Einer Anregung unseres verehrten Vorsitzenden Herrn Dr. Kühns Folge leistend, bat die Kryptol-G. m. b. H. mich gebeten, die Kryptol- öfen für zahnärztliche Zwecke, soweit dieselben bisher vervollkommnet sind, hier vorzuführen. Es dürfte wohl nicht jedem von Ihnen be- kannt sein, was Kryptol ist, da die Erfindung noch eine relativ junge, und die Einführung der Kryptolapparate noch eine sehr geringe ist. Hören wir zunächst was in der Zeitschrift Prometheus Dr. A. Buß-

Berlin über Kryptol schreibt:

„Die elektrische Erwärmung von Koch-, Heiz- und Schmelzappa- raten hat vor der direkten Kohlefeuerung den Vorzug, daß einmal die dem Schmelzgut zugeführte Wärmeenergie innerhalb kürzester Frist bis auf das höchste gesteigert werden kann, andererseits aber auch die durch Strahlung und Leitung bedingten Würmeverluste leicht auf ein Mindestmaß beschränkt werden können. Außerdem bietet noch die Sauberkeit: der elektrischen Heizung einen Vorteil, der von manchen Betrieben nicht hoch genug geschützt werden kann.

Die Art der elektrischen Erbitzung ist zweierlei: der elektrische Strom wird entweder in geeigneter Weise unterbrochen, so daß ein Flammenbogen entsteht also Öfen mit direkter KErhitzung des Schmelzgutes —, oder durch einen Leiter gesandt, welcher seinem Durchtließen einen erheblichen Widerstand entgegensetzt und damit Erhitzung dieses Leiters selbst zur Folge hat Öfen mit indirekter Erhitzung.

Die Flammenbogenöfen geben uns zwar die Möglichkeit, das zu erwärmende Material den höchsten Temperaturen aber auch nur diesen auszusetzen, indessen ist die Flamme, welche bekanntlich Im wesentlichen aus glühenden Partikelchen der meist aus (raskohle gefertigten Elektroden besteht, so unrein, daß diese Art Ofen nur in wenigen Fällen Verwendung finden können.

Die Widerstandsöfen zeichnen sich besonders dadurch aus, daß das Schmelzmaterial nicht verunreinigt wird und außerdem auch auf beliebige Temperatur erhitzt werden kann, soweit es eben das Kon- struktionsmaterial zuläßt. Allerdings war es bisher noch nicht ge- lungen, mit solchen Ufen eine Temperatur zu erreichen, welche lim Grad Celsius wesentlich überschritt, da bei diesen Temperaturen das Widerstandsmetall schmilzt. Für die Herstellung der Widerstands- öten wurden meist Drähte, Bleche oder Folien von Platin oder Nickel verwendet, die um den Schwmelztiegel oder um die Muttel spiralförmig und isoliert gewickelt wurden. Durchfloß der elektrische Strom diese

Spirale, so erwärmte sich diese und gab ihre Wärme an den Tiegel usw. ab. Unverkennbare Mängel haften solchen Ofen aber dadurch an, daß das betretfende Metall sich ansdehnt, wodurch nicht nur die innige Berührung des Erhitzungsdrahtes mit dem Tiegel aufgehoben wird, sondern auch Kurzschlüsse innerhalb der einzelnen Windungen

555 ort über die 46. Sizıız des

der Spirale Lerborgeman werlen. Vielfach bat man verz’ct. Veen Mangan darn eine inüierenie Ritimasse abzute.ten. z. B für Ein- tiegei ser -Paaren Exaile za verwenden. ir weine die Fıätirdrunte grbetter werlen. aber Ja diese Materialen ahe eizen verstniedenen Au-desrung-sleizzienten besitzen, s9 lent bier die veiasr de» Zer- reivens des [Latin iranies und Springens der Kirimasse vor.

Disse Nacateile sucht mun niu ne: ‚enlings In volikommerster Welse za vermeiden tirch Anwerling einer ı0:e liegenden körnigen Winerstani-siLa--e, bestenen] = Kosie bGrarnit, Karborundum un Ton. Diae von der Erzroiere als „Krypinisert. „bren“ bezeicennete und durch Patente gescnatzte Arbeitewelie wird von der Kryptel-eseli- eenatt m. b. H. :n Beriin au-s-tünrt und bat in der kurzen Zeit intes Bestehens bereit» berecntigtes Aufsehen erregt.

In mit ..Kryvtol“, dem oben bezeichneten körnizen Widerstands-

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material. baon kten A tarate., können sämtliche zu Ir") Grad Cei-ius erzielt werden.

Dorch den Umstand, daß wir es hier mit einem körnigen. lose aıfzefüliten und beliebig nacotullbaren n Material zu tun haben. ist eice Br urd dauernde Berührung der Wiierstandsmasse a TE Schmelz- geth. welches natürlich Nichveiter der El-ktnzität : bamatte, Por- zilan. Emzil usw., sein muß. le. bei ie Mög- lienke.t, durch Zufüllen oder Wegnehmen der Masse den Strom und de Wärme zu regulieren. i Die Einfachneit der Wirkungsweise des Kry ptols geht am deut- lichten aus der Skizze Abbildung l hervor: Aut eine Schamotte- oder emaillierte Eisenziarte wird recnts und links in beiiebirem Abstände je eine Elektrode aus Gaskohle gelegt und mit einer Elektrizitäts quelle verbunden. “trent man nun in den Zwischenraum eine zusammen- hängende Schicht Kryytol. so daß die Widerstandsmasse die Elektroden berührt. so wird dadurch der Strom geschlossen, was sich sofort durch Auftreten kleiner Fünkchen kundgibt. Nach einigen Sekunden wird das Krypto) glühend und kann sofort durch Aufsetzen von einaillierten Kochzetäßen zur Heizung benutzt werden. Die Tem- ‚ratur läßt sich in mannigfaltigster Weise regulieren, sei es durch Vale oder Verringern der Stromstärke oder durch Dicke der aufreschütteten Kryptolschicht.

Das Verhältnis des Stromverbrauches ist bei den Kryptolappa- raten ein umgekehrtes wie bei den Metallwiderstandsöfen; während hier der Widerstand mit steigender Temperatur zunimmt, wird das Leitungsvermören der Koble bei höheren Hitzegraden größer.

In manchen Fällen ist es angebracht, die eine Stelle eines Appa- rates stärker zu erhitzen als eine andere. Dies wird auf die einfachste Weise dadurch erreicht, daß anf die stärker zu erhitzende Stelle die Kıyptolschicht etwas dünner gegeben oder die Schicht dort leicht ge- prebt wird.“

Es würde zu weit führen, den ganzen Vortrag dieses betreifenden Herrn hier wiederzugeben, und da Sie aus der Schilderung wohl im allgemeinen das Wesen des Kryptols kennen gelernt haben, gehe ich kotort zur Demonstration der zabnärztlichen Öfen über.

Für uns Zahnärzte handelt es sich entweder um das Schmelzen leicht oder schwerflüssizer Emaillen oder Glas. Die schwertlüssigen

Zahnärztlichen Vereins für Niedersachsen. 567

Emaillen, die wir z. B. für Continuous-Gum-Work gebrauchen, würden sich am besten in einem großen Ofen verarbeiten lassen. Da jedoch die Erzielung besonderer Hitzegrade mittels Elektrizität erklärlicher- weise auch besondere elektrische Anlagen erfordert, so bin ich leider nicht in der Lage, Ihnen den Continuous-Gum-Work-Ofen in Tütigkeit vorzuführen. Sie sehen aber, daß es sich um einen Muffelofen handelt, dessen Hitzeweckung aus Kryptol besteht, durch welches ein Strom von 220 Volt hindurchgeleitet wird.

Nun würden wir aber bei der Einführung eines derartigen Ofens in unserer Praxis genötigt sein, die elektrische Anlage dementsprechend umändern zu lassen, was nach Rücksprache mit einem Elektrotechniker sich mit wenigen Kosten bewerkstelligen läßt. Wir müßten den 220 Volt-Strom, den jedes Haus von der Straße bekommt, nicht gleich im Schaltbrett teilen, sondern bis zur Verbrauchsstation hinaufleiten, und müßten außerdem größere Sicherungsstöpsel in unser Schaltbrett einschrauben.

Für das Schmelzen von Glas und leichtflüssigen Emaillen, haben mein Vater und ich lange an der Herstellung eines praktischen Ofens gearbeitet, und sind auch heute noch nicht in der Lage, ein elegant ausgeführtes Exemplar vorzuzeigen. Trotzdem aber sind unsere Ver- suche soweit gediehen, daß wir mit dem hier vor Ihnen stehenden Ofen die Demonstration bewerkstelligen können, und die Herren sind jedenfalls einsichtsvoll genug, an der momentan noch unschönen Hülle dieses Ofens nicht irgendwelchen Anstoß zu nehmen.

Ich bitte Sie nunmehr der eigentlichen Demonstration auf einige Augenblicke ihre Aufmerksamkeit schenken zu wollen. Ich bemerke noch, daß der Stromverbrauch für diesen kleinen Ofen wesentlich geringer ist, so daß 108 Volt vollkommen ausreichen, daß die Ampere- zahl in den seltensten Fällen 6 übersteigt, und daß wir mit Sicherungs- stöpseln von 20 Ampere, wie Sie hier an dem von uns mitgebrachten Schaltbrett sehen, vollkommen auskommen. Sie haben also nicht nötig, sich für die Verwendung dieses Ofens eine besondere Leitung in Ihr Atelier legen zu lassen.

Gleichzeitig bittet mich die Kryptol-Gesellschaft, Ihre Aufmerk- samkeit auf die anderen Heizkörper zu richten, die ich hier im Saale habe aufstellen lassen. Wie ersichtlich haben dieselben ein einfaches gefülliges Äußere und strahlen bei wenig Stromverbrauch eine ange- nehme Wärme aus. Besonders ist der 'Trockenschrank zum Desin- fizieren unserer Instrumente sehr erwähnenswert.

Die Zahnöfen werden nach ihrer völligen Herstellung mit ent- sprechenden Gebrauchsanweisungen und Installationserfordernissen in den Handel gebracht werden.

968 Bericht über die 46. Sitzung des

Herr Prof. Dr. med. Bruns-Hannover:

Über einige Beziehungen zwischen Zahnheilkunde und Nervenheilkunde.

Meine Herren! Schon seit langen Jahren trage ich mich mit dem Gedanken, einmal einen Aufsatz zu schreiben über den Nutzen des Schmerzes. In der Tat ist die Einrichtung, daß bei den meisten Krank- heiten Schmerzen bestehen, für Ärzte und Patienten eine sehr nützliche, da es in den meisten Fällen der Schmerz ist, der die Patienten zum Arzt treibt, um Hilfe gegen ihn zu suchen. Ich will nur daran er- innern, daß es z. B. einige Rückenmarkserkrankungen gibt, bei denen die Schmerzempfindung so stark herabgesetzt ist, daß trotz schwerer Gelenkveränderungen die Patienten ihre Glieder ruhig weiter ge- brauchen, und dadurch die krankhaften Veränderungen in den Ge- lenken so hochgradig werden, wie sie es niemals werden würden, weni der Kranke bei Benutzung der kranken Gelenke Schmerz empfände. Auch für Ihr Gebiet, meine Herren, ist, glaube ich, der Schmerz eine sehr nützliche Einrichtung gewesen, denn die Zahnheilkunde würde meiner Ansicht nach nicht auf der Höhe stehen, auf der sie jetzt steht, wenn nicht die durch Zahnkrankheiten hervorgerufenen Schmerzen zu den schlimmsten gehörten, die wir überhaupt kennen. Heute freilich sind gerade durch die allbekannten Erfolge der Zahnheilkunde die Menschen so weit gekommen. daß sie versuchen, Schmerzen bei den Zahnkrankheiten gar nicht eintreten zu lassen, sondern schon vorher Ihre Hilfe aufsuchen. Man muß dabei freilich anerkennen, daß das von Ihnen behandelte Organ an der Oberfläche liegt und sich alle möglichen Manipulationen gefallen läßt. Leider ist das nicht für alle Gebiete der Medizin so, man kann deshalb von ihnen nicht solche Heilerfolge verlangen, wie sie Ihre Disziplin der Menschheit leistet.

Doch ich möchte nun die allgemeinen Bemerkungen schlieben und auf mein eigentliches Thema über einige Beziehungen der Nerven- heilkunde zur Zahnheilkunde kommen.

Zunächst ist da zu erwähnen eine der häufigsten Rücken: markserkrankungen, die sogenannte Rückenmarksschwindsucht. Es kommen bei dieser auch Schmerzen im Trigeminusgebiete und auch in den Zähnen vor, doch handelt es sich meist nicht um die heftigen reißenden Schmerzen, wie sie sie in anderen Gebieten bei der Rücken- marksschwindsucht finden, sondern mehr um leicht schmerzhafte Emp- findungen, die die Kranken wohl selten zum Zahnarzt führen werden. Dagegen kommt es bei dieser Krankheit zuweilen zu einer trophischen Störung, einem schmerzlosen Ausfallen einer ganzen Anzabl scheinbar gesunder Zähne, dem auf keine Weise ein Einhalt zu gebieten ist.

Bei einer anderen Rückenmarkskrankheit, der multiplen Skle- rose, kann in seltenen Fällen das für sie charakteristische heftige Muskel- zittern auch die Kaumuskulatur befallen. Bei einer meiner Patientinnen

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Zahnärztlichen Vereins für Niedersachsen. 569

führten diese starken krampfhaften Zitterbewegungen in kurzer Zeit eine Zerstörung sämtlicher Backenzähne herbei, die nach und nach abgeschliffen wurden.

Von großer Bedeutung sind die Beziehungen zwischen Zahn- erkrankungen und der sogenannten Gesichtsneuralgie. Man hat früher diese Beziehungen wohl vielfach übertrieben, bei allen Gesichts- neuralgien nach kranken Zähnen gesucht und diese entfernt, ja nicht nur das, in früheren Zeiten wenigstens sind vielen Kranken ganz nutzlos eine große Anzahl, ja selbst alle ganz gesunden Zähne wegen der Gesicktsschmerzen entfernt worden. Heute kommt das wenigstens bei /ahnärzten nach meiner Erfahrung kaum mehr vor. Nach meiner Ansicht haben die echten schweren Trigeminusneuralgien fast nie ursächliche Beziehungen zu Zahnerkrankungen, es handelt sich um Erkrankungen des Nerven selber, die außerdem höchst charakte- ristisch sind. Befallen sind fast nur ältere Personen; die Gesichtshaut ist außerordentlich empfindlich, so daß die Kranken mit dick verbundenen Gesichtern ins Wartezimmer kommen. Die Schmerzen rufen reflek- torisch fortwährende zuckende Bewegungen in der Gesichtsmuskulatur hervor. Die Schmerzen werden durch Sprechen und Kauen ausgelöst, so daß die Kranken beides vermeiden, auch ihren Mund nicht reinigen, und die Zähne nicht putzen, so daß sie meist fürchterlich aus dem Munde riechen. Meist ist der zweite und dritte Ast des Gesichtsgefühls- nerven befallen, viel seltener der erste. Sieht man ein solches Krank- heitsbild, so tut man gut, sich nicht auf halbe Maßregeln einzulassen. sondern den Kranken Durchschneidung ihres kranken Nerven zu emp- fehlen; wenn sie auch nicht immer gleich darauf eingehen, so sind die Schmerzen doch meist so groß und hartnäckig, daß sie sich bald ılazu entschließen. In einer Anzahl anderer Gesichtsschmerzen sitzen diese nicht ganz bestimmt, wie bei den echten Neuralgien immer in ein- und demselben Nervengebiete und auf einer Seite, sondern sie wechseln ihre Stelle, springen von einem Punkte auf den andern, sind dabei auch lange nicht so heftig wie die Schmerzen bei den echten Neuralgien. Meist handelt es sich hier um allgemein nervüse, oft blut- arme Personen. Die Behandlung muß sich hier gegen die allgemeine Nervosität richten; auch hier kann natürlich das Ausziehen eines kranken Zahnes nicht viel nützen, ebensowenig aber auch die Resektion des Nerven selber. Die Schmerzen, die durch die Zahnerkrankung selber, also durch eine Entzündung des Nervengellechts innerhalb des Zahnes hervorgerufen werden, sind meist bald nach Entfernung des kranken Zahnes verschwunden, wenn sie manchmal auch noch einige Tage anhalten. Da es sich um eine Entzündung des Nerven selber bandelt, so ist es immerhin interessant, daß diese Entzündungen nicht häufiger in der Kontinuität des Nerven weiter kriechen und auch nach Entfernung des erkrankten Zahnes bestehen bleiben und sich weiter

570 Bericht über die 46. Sitzung des

ausdehnen. Ich möchte gerade in dieser Beziehung von Ihnen gern Auskunft haben, ob langes Bestehen neuralgischer Schmerzen naclı Entfernung des kranken Zahnes häufiger vorkommt. Im allgemeinen ist es selten, daß es Schwierigkeiten macht, zu entscheiden, ob ein Zahn- und Gesichtsschmerz neuralgischer Natur ist oder vom Zahn, von einer Pulpitis oder Periostitis ausgeht. Doch habe ich einige Fälle gesehen, wo zunächst, trotzdem es sich um Zahnerkrankungen handelte, die Entscheidung einer Neuralgie gegenüber doch schwierig war. Auf- fällig war mir, daß in diesen Fällen die Schmerzen einen ganz be- sonders hohen Grad erreichten und während der ganzen Erkrankung bis zur Entfemung des kranken Zahnes kaum pausierten, was doch sonst selbst bei den heftigsten Neuralgien fast niemals der Fall ist. In einigen seltenen Fällen hat man unmittelbar nach Zahnextraktionen Gesichtsmuskellähmung beobachtet. Ihre Entstehungsart ist noch ziem- lich rätselhaft. Bei Extraktionen oberer Zähne ist es möglich, daß ein direkter Schädelbruch bis an den Gesichtsmuskelnerv ging; manch- mal hat es sich wohl um fortschreitende eitrige Entzündungen gehandelt.

Besondere Beziehungen zwischen organischen Hirnerkrankungen und Zahnkrankheiten kann ich kaum anführen. Geschwülste am Schädelgrunde können natürlich auch den dritten Gehirnnerv ergreifen und dann auch Zahnschmerzen hervorrufen. Ebenso kann das bei Syphilis der Hirnhäute vorkommen. Auf die übrigen Beziehungen der Syphilis, speziell der angeborenen Sypbilis zu den Zahnerkrankungen brauche ich hier nicht einzugehen, für uns Nervenärzte sind diese Erkrankungen manchmal von Bedeutung, da sie uns auf die richtige Spur von der Art der Erkrankung führen können.

Was die großen Neurosen betrifft, so können bei Epilepsie Kranke sich Zähne ausbeißen oder auch ausfallen. Erwähnen möchte ich. daß die Narkose nicht so selten bei Epileptikern einen Anfall hervor- ruft. Ganz besonders möchte ich Sie, meine Herren, darauf hinweisen. daß eine große Anzahl von Nervösen durch länger dauernde zahnärzt- liche Manipulationen, z. B. durch das Flombieren einer größeren An- zahl von Zähnen, Anfertigen und Einsetzen von Gebissen eine starke Steigerung ihrer Nervosität erleiden können. Das stimmt nicht nur für zahnärztliche Tätigkeit. Es gibt Nervöse, deren krankhaitte Reiz- barkeit schon durch die Tatsache gesteigert wird, daß sie regelmäßig eine gewisse Zeit zu bestimmten Stunden zum Arzt gehen müssen: aber bei den zahnärztlichen Handlungen kommt doch noch in Betracht, daß ein großer Teil derselben höchst unangenehm und auch direkt schmerzhaft ist, wenn es auch besonders weibliche Patienten gibt, welche behaupten, daß einzelne Zahnärzte alles schmerzlos ausführen können, selbst das Ausziehen der Zähne. Ich halte das für eine reine Suggestion. Man wird gut tun, in solchen Fällen während der Be- handlung angemessene Pausen eintreten zu lassen.

Zahnärztlichen Vereins für Niedersachsen. 571

Was die Hysterie anbetrifft, so möchte ich darauf hinweisen, daß gerade Zahnärzten gegenüber von narkotisierten Hysterischen später Anschuldigungen wegen unzüchtiger Handlungen während der Narkose besonders oft erhoben sind. Diese falschen Anschuldigungen brauchen nicht wider besseres Wissen gemacht zu sein, sie können auf Sinnes- täuschungen während der Narkose bei diesen sehr erregbaren Kranken beruhen, und sind dann für die Ärzte vielleicht besonders gefährlich. Die meisten Herren werden heute wohl so vorsichtig sein, solche Nar- kosen nur in Gegenwart dritter Personen auszuführen.

Schließlich noch einiges über eine Art lokalisierter Hypo- chondrie im Bereiche des Mundes. Man findet nicht selten, daß Kranke mit Klagen über schmerzhafte und unangenehme Empfindungen im Munde und Rachen zu einem kommen und die Befürchtung haben, daß es sich um schwere, unheilbare Krankheiten, vor allen Dingen um Krebs, handeln könne, während die Untersuchung nicht den geringsten Be- fund ergibt. Trotz der bündigsten beruhigenden Versicherungen finden sich diese Kranken nicht überzeugt, laufen von einem Arzt zum andern und werden unter Umständen oft so energisch lokal behandelt, daß dadurch wirklich Geschwüre im Munde oder auf der Backenschleimhaut eintreten. Zu gewissen Zeiten häufen sich solche Erkrankungen, wenn hervorragende Persönlichkeiten, von denen in den Zeitungen viel die Rede ist, wirklich an Krebs an den betreffenden oder benachbarten Partien leiden, so sah ich diese Fälle mehrfach zu der Zeit, als Kaiser Friedrich am Kehlkopfkrebs erkrankt war. Eine Erkrankung, die sich speziell auf die Gebisse bezieht, ist von französischen Ärzten als „obsession dentaire“ bezeichnet. Die meisten Menschen tragen im Anfang ein Gebiß, meistens mit großen Gaumenplatten, zunächst mit unangenehmen Empfindungen, bei manchen steigert sich aber diese Empfindlichkeit so sehr, daß die Kranken nach kurzer Zeit den Ver- such mit dem Gebiß aufgeben und bei einem anderen Arzt sich ein neues machen lassen, das sie dann auch nicht tragen können. So soll es vorgekommcn sein, daß einzelne, natürlich finanziell nicht gerade schlecht gestellte Patienten sich mehrere Dutzende von Gebissen haben machen lassen, ohne eins derselben zu tragen. Bei manchen dieser Kranken kommt dann auch noch die Befürchtung hinzu, daß sie sich auf diese Weise vielleicht durch den Reiz der Schleimhaut Krebs- erkrankungen erzeugen könnten.

Das ist das, meine Herren, was ich Ihnen heute vorzubringen habe. Ich werde selbstverständlich das Thema nicht erschöpft haben und hoffe, daß ich in der Diskussion noch manches Neue von Ihnen hinzulernen werde.

Der Vorsitzende dankt dem Redner für seinen inhältreichen Vor-

trag. die Anwesenden erheben sich von ihren Sitzen, und es schließt sich eine lebhafte Diskussion meist kasuistischer Art an.

572 Bericht über die 40. Sitzung des

Herr E. Herbst jun.-Bremen:

Über Kapselbrücken.

Wenn irgendeine Neuerung auf dem Gebiete der Technik geeignet ist, die zahnärztliche Welt zur Opposition zu reizen, so ist es die Kapselbrücke. Wer hätte je gedacht, daß es ein Kollege wagen würde, eine Zementbrücke herzustellen, die noch dazu direkt mit dem Zahn- fleische in Berührung steht, doch der Versuch ist gemacht worden, und ich muß eingestehen, zur vollsten Zufriedenheit sowohl des Prak- tikers als des Patienten. Und nicht allein das, die Vergleiche zwischen der Kapselbrücke und den bisherigen Brückenformen, seien dieselben abnehmbar, aufliegend oder schwebend, sind zu gunsten der Kapsel- brücke ausgefallen. Es klingt vielleicht etwas ruhmredig, wenn ich sage zu gunsten der Kapselbrücke. Ich bitte jedoch zu bedenken, daß über diesen Begriff nicht allein der Arzt, sondern auch der Träger zu entscheiden hat, und der letztere hat bereits gesprochen, und sich für die Kapselbrücke erklärt.

Um kurz zu rekapitulieren, was wir unter Kapselbrücke verstehen, so sagt schon der Name und das vorher erwähnte Zement, daß wir es mit einer Kapsel und mit Zement zu tun haben, und in Wirklichkeit sind dieses auch die beiden einzigen Faktoren.

Denken wir uns zwei Zähne, einen ersten unteren Prämolaren und den Weisheitszahn derselben Seite, die Zwischenzähne fehlen, das Zahnfleisch ist ausgeheilt, die Kronen dieser Zähne konvergieren, und die Pulpen leben; eine jede Brückenmethode würde komplizierte Vorbereitungen erfordern, um hier einen brauchbaren Ersatz herzu- stellen, nach der neuen Methode aber ist die Anfertigung äußerst ein- fach, da das Konvergieren der Zähne, das sonst als Übelstand emp- funden wird, bei der Kapselbrücke zu den Annehmlichkeiten gehört, denn die Kayselbrücke ist eine einzige Krone, welche nicht einen, sondern mehrere Zähne gleichzeitig umfaßt und im Falle sich Lücken „wischen den Zähnen befinden, auch diese umgreift, wie Sie aus den herumgegebenen Modellen ersehen können. Die Krone erfordert ein Abschleifen der Zähne nur auf der Kaufläche, event. noch an stark überragenden Seitenflächen der Zähne. Sie wird mit sämig angerührtem Zement gefüllt und auf die vorher mit Alkohol getrockneten Zähne und das mit 2proz. Karbol abgewischte Zahnfleisch aufgedrückt. Die Sache erscheint somit kolossal einfach; und sie wäre es auch, wenn sie nicht eine so äußerst sorgfältige Präzisionsarbeit erforderte:

Der Abdruck wird mit Gips genommen, der Gegenbiß mit Stents. Befindet sich das Modell im Artikulator, so müssen die Zabnfleisch- ränder um den Zahn herum sorgfältig radiert werden, damit das Gold scharf aufliegt; Sie sehen das ebenfalls an dem herumgegebenen Modell. Das Modell für die Stanze wird mit Hilfe von künstlichen Zähnen und Wachs modelliert, und zwar so, daß die Gegenzähne nicht getroffen

Zahnärztlichen Vereins für Niedersachsen. 573

werden und außerdem genügend Raum für die spätere Golddecke vor- handen bleibt. Die Stanze, welche aus Woodmetall besteht, darf nicht hinter sich gehen und dem Golde nicht zu viel Plastik zu- muten, weil sonst leicht Risse entstehen. Die Teile der Kapsel, welche an die Nebenzähne angrenzen, sind speziell anzulöten, wie Sie aus dem herumgereichten Modell ersehen. Es soll möglichst weiches Gold verwendet werden, um Risse zu vermeiden. Bei größeren Kapseln erscheint es geboten, Verstärkungen an den Seiten anzulöten. Beim Aufsetzen der Kapsel muß das Zement so sämig sein, daß an keiner Stelle ein Druck auf das Zahnfleisch ausgeübt wird, so daß es vor allen Dingen zur Unmöglichkeit wird, daß sich Zement tief in die Zahnfleischtaschen einpreßt. Die Goldränder selbst dürfen das Zahn- fleisch zwischen den Trägern nur leicht berühren, während sie in der Gegend der Träger tiefer einschneiden sollen, wei! hier das Zahnfleisch infolge der Umschlagsfalte des Zabnes weicher ist. Ks ist erklärlich, daß beim Aufsetzen dieser Brücke das leicht flüssige Zement sich in derselben Weise wie Gips beim Abdruck den Konturen anpaßt, wir daher einen idealen Anschluß am Zahn und Zahnfleisch erbalten müssen, den wir durch kein, noch so sorgfältig gestanztes Ersatzstück erzielen können, und der Patient bestätigt mit Freuden, daß das Ersatzstück bequem und angenehm vom ersten Augenblick an sich anfühlt. Wenn nun noch hinzu kommt. daß die Dauerhaftigkeit und die Unschädlich- keit des Zementes, beides ein paar wichtige Faktoren, für diese Art Brücken gewährleistet werden, so würden wir doch wohl gezwungen sein, diese Neuerung nicht ohne weiteres von der Hand weisen zu dürfen.

Ich habe nun, um dieses letztere zu konstatieren, zwei Patienten und gleichzeitig Kollegen vorzustellen Gelegenheit, welche eine der- artige Kapselbrücke, wie sie eben beschrieben worden ist, seit nun- mehr einem Jahre, ohne daß etwas an der Brücke geändert worden wäre, im Munde tragen, und ich bitte diese Herren, dieses gemein- schattlich zu bestätigen, und den Schriftführer, dieses zu Papier zu nehmen. Herr Kollege Kirchhoff hat sich sogar im Interesse der Sache erboten, die Brücke, welche nunmehr ein Jahr im Munde ge- legen hat, in Gegenwart der Versammlung entfernen zu lassen, um hier Gelegenheit zu geben, das darunter betindliche Zement sowohl, als auch die Zähne und das Zahnfleisch genau untersuchen zu lassen. Ich möchte noch bemerken, daß es völlig ausreichend sein würde, wenn das Zement wirklich nur 1 Jahr seine Sehuldiskeit tüte. deun eine Herausnahme der Kapselbrücke gehört durchaus nicht zu den groBen Schwierigkeiten, da man das Gold abbiegen und dann unschwer entfernen kann, andererseits ist eine Neufüllung von Zement keine nennenswerte Ausgabe und Mühe. Ehe ich nun die Brücke bei Herrn Kirchhoff entferne, möchte ich denselben bitten, selbst ein paar

574 Bücherbesprechungen.

Worte über den Zustand seines Mundes nach dem Einsetzen dieser Brücke zu reden. Mein Vater wird Ihnen auch einen Beweis von der Widerstandsfähigkeit und der ungeheuren Kraft eines solchen soliden und massiven Zahnersatzes zu geben imstande sein. Ich bitte die Herren Kollegen im Interesse einer meiner Überzeugung nach äußerst wichtigen Neuerung auf das genaueste zu prüfen, dann aber auch mit der Ansicht nicht zurückzuhalten.

Herr Kirchhoff: Vor 11, Jahren sind auf beiden Seiten Kapsel- brücken mit Guttapercha befestigt worden. Im Oberkiefer links ent- stand eine Entzündung, die Brücke wurde abgenommen. Die Brücke rechts wurde nach !/, Jahre abgehoben und mit Zement wieder be- festigt. Ich kann gut kauen, besser als früher. Ich bin bereit, die Brücke hier abnehmen zu lassen und bin selbst neugierig, wie es darunter aussieht.

Herr W. Herbst sen.: Ich verlange von einer Brücke, daß sie nicht riecht, nicht schlechten Geschmack verursacht oder sonst Irritationen bervorruft. Ich will jetzt beim Kollegen Kirchhoff die Brücke, die ein volles Jahr gelegen hat, herausnehmen, damit jeder sehen kann, wie das Zahnfleisch, das mit Zement direkt bedeckt ist, aussieht.

Bevor die Brücke abgenommen wurde, wird festgestellt, daß das Zahnfleisch normales Aussehen zeigt. Nach Abnahme der Brücke ist keine Entzündung zu konstatieren, auch das mit Zement bedeckt ge- wesene Zahnfleisch ist normal, übler Geruch kaum wahrnehmbar. Das Zement weist keinen Defekt auf.: Auch bei Abnahme der Brücke im Munde des Herrn Theodor Herbst (Sohn) zeigt sich gesundes Zahn- fleisch und defektloses Zement. Herr W. Herbst sen. trügt selbst eine solche Brücke und bewies die Stärke derselben dadurch, daß er vor aller Augen harte Walnüsse aufknackte. Darauf demonstrierte Herr W. Herbst sen. das Verfahren zur Herstellung der Kapsel- brücken.

Der Vorsitzende erkennt die Einfachheit des Verfahrens an und ebenfalls, daß in beiden vorgeführten Fällen von einem reizenden Ein- fluß der Brücke und des Zementes auf das überdeckte Zahnfleisch nichts zu bemerken gewesen wäre,

Wenn auch diese Resultate mit großer Vorsicht aufzufassen seien, so müsse man doch anerkennen, daß in manchen Fällen die Kapsel- brücken vielleicht eine angenehme Erweiterung der bisherigen Methoden bieten könnten, doch sind noch anderweitige Erfahrungen abzuwarten.

Lättringhausen, Schriftführer.

Bücherbesprechungen.

Uber die bei Erkrankungen der Zähne auftretenden Reflexzonen der Gesichts- und Kopfzonen (nach Head) und ihre Bezieh- ung zur Alopecia areata. Inaugural-Dissertation von Erich Feiler. Separatabdruck aus der österreichischen Zeitschrift für Stomatologie. Wien 1905.

Bücherbesprechungen. 575

Verfasser hat in Ports zahnärztlichem Institut der Universität Heidelberg Untersuchungen in 88 Fällen angestellt, an Patienten, die über ausstrahlende Schmerzen im Bereich des Kopfes bei Zahnkrank- heiten klagten. Die Fälle waren: Hyperaemia pi pas 9, Pulpit. ac. superic. 12, Pulpit. ac. part. 33, Pulpit. acut. total. 25, Pulp. chron. arenchym. 2, Pulpit. hypertroph. granulom. 2, Pulpit. gangraen. 4, etikal 1. Von Erkrankungen des Periodontiums kamen keine Fälle mit ausstrahlenden Schmerzen zur Beobachtung. Die Untersuchungen ergaben die Bestätigung, daß Erkrankungen der Zähne auf die äußere Haut reflektiert werden, besonders bei Pulpitis acuta totalis. Hinsicht- lich der Frage, ob die Reflexzonen mit den von Head (vgl. Monats- schrift 1905, Januarheft) angegebenen übereinstimmen, war das Beob- achtungsmaterial zu gering, um genügende Bestätigung zu ermöglichen. Verfasser konnte aber feststellen, daß für die oberen Schneidezähne eine reflektorische Beziehung mit der Frontalzone (über dem inneren Augenwinkel) besteht. Die oberen Eckzähne wirken reflektorisch auf die Nasolabialzone. Für den ersten oberen Prämolar sind die Nasolabialzone und die Temporalzone als reflektorische Bezirke anzu- sehen. Für die ersten oberen Mahlzähne war am häufigsten die Maxillarzone als die reflektorische deutlich, doch kamen außerdem noch die Mandibular-, die Mental- und die Parietalzone in Betracht. Für den oberen Weisheitszahn die Mandibularzone, für die unteren Mahl- zähne die Hyoidzone (zuweilen auch der untere Teil der Parietalzone). Die Beobachtungen über die Beziehungen der Zahnkrankheiten zur Alopecia areata ergab keine Bestätigung der Jaquetschen Hypothese (vgl. diese Monatsschrift 1904, S. 23). Die schätzenswerten Einzelheiten

der Beobachtungen Feilers müssen im Original nachgesehen werden. Jul. Parreidt.

Beruf und Militärtauglichkeit. Von Dr. med. C. Röse. (Aus der Centralstelle für Zahnhygiene in Dresden.) Thüringische Verlags- anstalt Leipzig. (Sonderdruck aus der Politisch-anthropologischen Revue. 4. je Heft 3.)

Gelegentlich seiner Zahnuntersuchungen hat Röse auch Forsch- ungen über die Militärtauglichkeitsverhältnisse der einzelnen Berufe angestellt. Hierbei stellte es sich heraus, daß „die Freiluftgewerbe Elbschiffer, Landwirtschaft und Baugewerbe) am tauglichsten sind, die Stubenluftgewerbe (Kopfarbeiter, feineres Handwerk, Kellner) am untauglichsten“. Was die näheren Einzelheiten und die vom Verfasser gezogenen Schlußfolgerungen anlangt, so muß auf die interessante Arbeit selbst verwiesen werden. Dr. R. Parreidt (Leipzig).

E. Mercks Jahresberichte. 18. Jahrgang, 1904. Darmstadt. Ja-

nuar 1905.

Der bekannte Bericht über Neuerungen auf den Gebieten der Pharmakotherapie und Pharmazie umfaßt 249 Seiten, auf denen jeder eine Menge Wissenswertes finden wird. Wer sich schnell über die neuesten Erfahrungen mit Arzneimitteln unterrichten will, dem sei dies Buch empfohlen. Dr. R. Parreidt (Leipzig).

Art Kleine Mittzilunzen.

Kleine Mitteilungen.

Unzewöhnliche Resorption oder unvollständige Wurzel- bildung? Kilot Journal of the Brtisn Dental Association, Febru- ary liscl fand bei einem Zi jahrigen jungen Manne. dessen Zähne senr zur Karies geneigt waren. nach der Entfernung einer aiten Gutta- percha: “nung aus einem lateralen Jnecisivus die Fuipa abgestorben. obwohl der betrefende Zabn niemals “Schmerzen verursacut haitë. Die nachfolgende Wurzeibenandiung wurde sehr erschwert durch eine schwer zu unterdrückende Bintung und starke Eminnälicnkeit, welche jeie-mal auftraten, soba.d Rilsot icn der verme: ;ntiichen WwW urzel-pitze nanerte. Verfasser. welcher das Vorhandensein einer weiten Wurzel- spitzenöffnung annahm. trocknete den Kanal sorgrültie aus, fūlite ihn mit einem abgestampiten (uttaperchapeint, welches er so weit als möglich nach oben hinauffübrte. und fillte auch die Kronenkavität. Der Erfolg war ein vollkommener. Als Vertasser etwa ein Jahr später bei dem-elben Patienten aus dem linken oberen 1. Molaren eine alte Amalgartüllung entfernen mußte, fand er genau dieselben Verhältnisse vor, wie bei dem lateralen Incisivus. Eine Aufnahme vermittels Röntgen- strahlen zeigte, daß die Wurzeln beider Zähne entweder resorbiert oder unvoll-tärdig gebildet waren; die Wurzelfüllung im lateralen Incisivus ragte über den Apex hinaus. Der Moiar wurde ebenfalls mit gutem Ertolge getülit. Verfasser, welcher noch besonders hervorhebt, dab beide Zähne zu keiner Zeit irgendwelche Schmerzen verursacht hatten. ist der Ansicht, daß es sich in beiden Fällen um unvollständige Wurzel- bildung bandelt. RA

Central-Verein Deutscher Zahnärzte. Die 44. Versammlung hat vom 4. bis 6. August unter großer Beteiligung gegen 300 Teil- nehmer stattgefunden. Die am “7. August abgehaltene Sitzung der Fédération dentaire international hat eine Anzahl ausländischer Zahn- ärzte von hervorrage a Bedeutung herzugrführt: es seien unter anderen genannt: Brophy, Heide Platschik, Haderup, Smith- Hous-sken, Bryan, W a Zsigmondy., Guerini. Von den 40 Vor- trären der Tagesordnung sind sind 29 gehalten worden. die im Zu- sanmenhange mit dem Bericht in den nächsten Heften dieser Monats- schrift zum Druck gelangen werden. Herrn Dr. Röse wurde in Anerkennung seiner hervorragenden wissenschaftlichen Arbeiten die goldene Medaille verliehen. An neuen Mitgliedern sind 1112 auf- senommen worden, so daß die Zahl der Mitglieder des Vereins jetzt 660 beträgt. Die Stadt Hannover hat den Verein in überaus gast- freundlicher Weise empfangen und bewirtet: ebenso hat der Verein für Niedersachsen für Wohlbefinden und Unterhaltung der Gäste um- sichtig und ertolgreich gesorgt. Der Stadt Hannover und dem Verein für Niedersachsen gebührt dafür wärnster Dank von seiten der Teil- nehmer. Die nächste Versammlung findet im August 190) in Dresden statt, dessen Oberbürgermeister den Verein eingeladen hat.

Druckfehlerberichtigung. In dem Vortrage von F. Honig- mann, im vorigen Heft, ist folgendes zu berichtigen:

Auf S. u feile 24 soll es heißen statt „Kehlkopfnasen® „Ke hikopf-, Nasen-‘

Auf N. 463 Zeile S De „respirieren‘“ „exspirieren“.

S. 164 Zeile 2 statt: „proreliminare" „prähminare“, Zeile 17 statt: „Extraktion „Exzitation‘“, Zeile 2S statt: „‚Bardesen“ „Bardescu‘.

ANIL. Jahrgang. 10. Heft. Oktober 1905.

Deutsche Monatsschrift

Zahnheilkunde.

[Nachdruck verboten.)

Verhandlungen der 44. Jahresversammlung

des Central-Vereins Deutscher Zahnärzte. Hannover 4.—6. Angust 1905.

Bericht von Zahnarzt Otto Köhler, Darmstadt, 1.Schriftführer und Zahn- arzt Schaeffer-Stuckert, D.D.S., Frankfurt a. M., II. Schriftführer.

= Den Verhandlungstagen der 44. Jahresversammlung des Central- Vereins Deutscher Zahnärzte gingen am 3. August die Sitzungen des Vorstandes des Vereins, der Kommission für Hygiene und die Ver- sammlung der Dozenten-Vereinigung voraus, sämtlich unter dem Vorsitz von Herrn Prof. Miller.

Am Freitag den 4. August 1,10 Uhr fand im großen Saale des Tivoli unter Anwesenheit der Herren Senatoren Fink und Grohe in Vertretung der Stadt Hannover die Eröffnung der Versammlung durch den Vorsitzenden Herrn Prof. Miller statt.

Herr Miller begrüßte die ca. 250 Teilnehmer zühlende Versamm- lung mit folgenden Worten:

Meine Herren! Ich eröftfne hiermit die 44. Jahresversammlung des C.- V. D. Z. und bitte Sie, es nicht lediglich als die übliche Höflich- keıtsäußerung zu betrachten, wenn ich Sie alle herzlich willkommen heiße. Jeder, der die Bedeutung unseres Faches utid unseres Vereins- lebens zu würdigen versteht und jeder, der bestrebt ist, unsere Be- hungen nach irgendwelcher Richtung hin zu fördern, ist selbst- verständlich willkommen unter uns. Wir hoffen und glauben, daß jeder, der unsere Versammlungen besucht, etwas mit nach Hause nehmen wird, was ihn für seine Zeit reichlich belohnt. Wir hotlen aber auch, daß die Anwesenden nicht lediglich mit Rücksicht auf den eigenen Gewinn hierher gekommen sind, sondern daß auch der Wunsch, alle gemeinschaftlichen Bestrebungen auf zahnärztlichem Gebiete fördern zu helten, mitgewirkt hat, um sie zusammen zu führen. Das Vereins- leben bildet einen Faktor in der Ausbildung und Hebung unseres Standes, der in seiner Bedeutung nur dem Unterrichtswesen nachzu-

x XIII. 3a

578 Verhandlungen der 44. Jahresversammlung des Centr.-V. D. Z.

stellen ist. Es bietet Gelegenheit, die auf der Universität genossene Ausbildung zu ergänzen und zu erweitern, bildet eine Stelle, wo wissen- schaftliche und wissenschaftlich praktische Errungenschaften erörtert. und von wo aus sie der Allgemeinheit zugänglich gemacht werden können. Das Vereinsleben mbt auch Anregung zu Studien und Forsch- ungen, die sonst in vielen Fällen unterblieben wären. Abgesehen von diesem Einfluß des Vereinslebens auf die Entwicklung unseres Faches ist es genügend bekannt, welch große Vorteile dadurch entstehen, daß Kollegen durch die Versammlungen miteinander in Berührung gebracht werden und sich gegenseitig von einem mehr kollegialen Standpunkt aus beurteilen lernen. Es Kann daher niemand fortgesetzt unserem Vereinsleben fernbleiben oder sich demselben gar feindselig werrenüberstellen, ohne sich einer schweren Pflichtversäumnis schuldig zu machen; und ich hotte, daß die Zeit kommen wird, wo jeder würdiee dentsche Zahnarzt Mitglied des Central-Vereins Deutscher Zahnärzte sein und durch denselben sich kräftig an der Hebung und Förderung unseres Standes betätigen wird.

Meine Herren! Ich darf wohl voraussetzen, daß es Ihren Wünschen vollkommen entspricht, wenn ich Ihre Zeit nicht zu lange in Anspruch nehme; es sei mir daher gestattet, nur in aller Kürze Ihre Aufmerk- samkeit auf einige der bedeutungsvolleren Vorkommnisse des ver- gangenen Jahres zu lenken.

Unter diesen Ereignissen dürfte wohl der IV. internationale zahnärztliche Kongreß in St. Louis die erste Stelle beanspruchen. Dieser Kongreß hatte zwar sicherlich in hohem Maße durch die sehr bedauernswerten \Mißverständnisse und Streitigkeiten, die unter den Beteiligten entstanden waren, zu leiden; aber der Umstand, daß alle diese Streitigkeiten noch im letzten Augenblick beigelegt und eine vollkommene Harmonie erzielt werden konnte, beweist, daß das Inter- esse an unserer Wissenschaft und an unseren Bestrebungen schließlich doch die persönlichen Interessen überwiegt; eine Tatsache, die wir mit großer Freude begrüßen. Wir alle stimmen sicherlich in der An- sicht überein, daß zur Ausbildung und Hebung eines Standes nicht allein die Wissenschaft und die Praxis ausreichen, sondern daß auch die Opferwilligkeit, die Eintracht, überhaupt die Kollegialität eine nieht minder wichtige Rolle spielen. Was die tatsächliche wissen- schaftliche und praktische Ausbeute des Kongresses anlangt, so kann dieselbe wohl mit derjenigen ähnlicher Kongresse vorteilhaft verglichen werden.

Ks darf vielleicht erwähnt werden, daß die Vertreter der deutschen Zahnheilkunde in St. Louis in freundlichster Weise aufgrenommen wurden. und daß ihre Beiträge zum Programm des Kongresses überall hohe. teilweise die höchste Anerkennung fanden. Wir haben daher allen (Grund, mit unseren Kollegen recht zufrieden zu sein, und ich bin Ihrer Zustimmung sicher, wenn ich denselben im Namen des C.-V. D. Z. und der gesamten deutschen Zahnheilkunde unseren anfrichtigen Dank ausspreche.

Bei dem Kongreß in St. Louis wurde die Fédération Dentaire Internationale neu begründet und reorganisiert und zu ihrem Vor- sitzenden einer aus der Mitte unseres Central- Vereins gewählt.

Die F. D. I. stellt eine permanente internationale Kommission dar, welche von dem IV. Internationalen zahnärztlichen Kongreß in St. Louis mit der Befugnis ausgestattet wurde, Ort und Datum von internationalen zahnärztlichen Kongressen zu bestimmen, und zu gleicher Zeit 5 Mitglieder zu ernennen, welche in Verbindung mit 10, von der

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einladenden Korporation zu ernennenden, Kollegen die vorbereitenden Schritte für den nächstfolgenden internationalen Kongreß einzuleiten haben. Die F. D. I. hat fernerhin internationale Kommissionen für Zahnhygiene, Unterricht, zahnärztliche Jurisprudenz usw. ins Leben zu rufen, die Bande, welche die nationalen Gesellschaften miteinander verknüpft, zu befestigen und im allgemeinen alles zu fördern, was zum Fortschritt der zahnärztlichen Wissenschaft beitragen kann. Wir haben berechtigten Grund zu hoffen, daß diese Organisation mit der Zeit eine wichtige Rolle in der Förderung unserer gemeinnützigen Be- strebungen und in der Herstellung freundlicher Beziehungen zwischen den Zahnärzten verschiedener Weltteile spielen wird.

Einige wichtige Fragen, die uns sehr lebhaft interessieren, haben sich während des abgelaufenen Jahres nicht alle in einer Weise und in einem Tempo entwickelt, die uns befriedigen konnten, und es hat sich in weiten Kreisen etwas Ungeduld gezeigt. Dies darf nicht wunder- nehmen, wenn wir uns vergegenwärtigen, daß die Zahnheilkunde sich in den letzten Jahren aus eigener Initiative und aus eigener Kraft emporgearbeitet, indem sie sich das Motto: „Volldampf voraus“ gesetzt hat. Bereits vor nun zwei Jahren konnten wir uns darüber freuen, daß das Ziel, nach welchem wir seit zirka zwanzig Jahren strebten. endlich erreicht war, da die Maturität als Vorbedingung zum Studium der Zahnheilkunde beschlossen wurde. Inzwischen sind aber zwei Jahre verflossen, und wir merken ebensowenig von dieser Maturität wie vorher. Es wurde sogar wiederholt das Gerücht verbreitet, daß die Forderung doch abgelehnt worden und unsere langjährigen Be- strebungen alle umsonst gewesen seien. Tatsache ist es nun, daß wir doch unseren Zweck erreicht haben. Es werden aber ein neuer Studien- plan und eine neue Prüfungsordnung ausgearbeitet, und erst nachdem diese ihre Erledigung gefunden haben, kann die Bestimmung betretts der Maturität ın Kraft treten. Nun hat allerdings die Festlegung einer neuen Prüfungsordnung für die Arzte zehn Jahre Zeit erfordert; zwei Jahre beschäftigt man sich schon mit derjenigen der Zahnärzte, und wir hätten dementsprechend noch acht Jahre auf die Einführung der Maturität zu warten; indessen dürfte, wenn ich mich nicht sehr irre, bei unserer nächsten Jahresversammlung der letzte Studierende der Zahnheilkunde mit der Reife für Prima sich immatrikuliert haben.

Eher haben wir Grund, über die stiefmütterliche Behandlung zu klaren, die unseren zahnärztlichen Schulen seitens der Regierung zuteil wird. In bezug auf Räumlienkeiten und Einrichtungen der- selben können unsere, unter stautlicher Aufsicht stehenden Schulen kaum mit den Privatschulen zweiten Ranges des Auslandes in Kon- kurrenz treten, und die Zustände sind im großen und ganzen als un- würdig zu bezeichnen. Dementsprechend redet man auch seit fast 25 Jahren davon, daß in Berlin ein neues zahnärztliches Institut errichtet werden soll: doch das alte Gebäude steht, trotzdem die Königl. Baukonmission keine Garantie für die Tragfähigkeit der morschen Balken weiter übernehmen will. Es ist die Pflicht eines jeden von uns, keine Gelegenheit unbenutzt zu lassen, auf diesen Zustand an einftlußreichen Stellen aufmerksam zu machen, und unsere gerechten Bestrebungen werden auch hier mit der Zeit zum Ziele führen. Wir brauchen an deutschen Universitäten, unter allen Um- stinden aber an der Universität unserer Haupt- und Residenzstadt eine zahnärztliche Lehranstalt. die der Würde eines wichtigen, auf- fallend leistungsfähigen Berufs in einem hochentwickelten Kulturstaat entspricht, und nicht eine solche, derentwegen man sich den ausländischen

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Kollegen gegenüber schämen muß; aber auch hier sieht es zurzeit hotinungsvoller aus und eine sichere, wenn auch provisorische Auf- besserung ist uns zum Herbst in Aussicht gestellt, bis zu der Zeit. wo ein neues zahnärztliches Institut errichtet wird. Um so erfreulicher ist es aber, wenn wir uns von den bedauerlichen Zuständen an unseren Lehranstalten wenden, konstatieren zu können, daß unter den Zahn- Arzten selbst überall ein außerordentlich frischer und kräftiger Geist herrscht, infolgedessen auch im verflossenen Jahre auf dem Gebiete der wissenschäftlichen und der praktischen Zahnheilkunde dieselbe rege Tätigkeit sich gezeigt hat wie in den vorangegangenen Jahren. und wir können mit Genugtuung und ohne jede Übertreibung be- haupten, daß kein Spezialgebiet der Medizin größere und nur wenige gleiche Fortschritte gemacht haben wie das unsrige. Auch die große Bereitwilligkeit der Zahnärzte und der zahnärztlichen Korporationen, Zeit und Kräfte zum Besten der zahnleidenden Armen zur Verfügung zu stellen, sobald sie nur ein wenig Unterstützung oder Autmunterung seitens der Behörden bekommen, dauert unbeschränkt tort. Hoten wir, meine Herren, daß der Geist des Fortschritts, der Humanität und der Kollegialität anch weiterhin alle unsere Bestrebungen und Unter- nehmungen beherrschen möge. (Lebhafter Beifall.,

Nachdem der Vorsitzende noch Herrn Senator Dr. Fink bemütst und für die freundliche Kinladung der Stadt Hannover tür den Verein gedankt hat, spricht

Herr Senator Dr. Fink drückt der Versammlung ein herzliches Willkommen seitens der Stadt Hannover aus. Die Stadt freue sich, eine so große Versammlung der Vertreter eines so wichtigen Standes, wie es der der Zahnärzte geworden sei, in ihren Mauern zu begrüßen. Er hotfe und wünsche für die Verhandlungen einen reichen Ertolg und schließe den Wunsch an, ‘daß die Herren nach des Tages Arbeit sich bei den Festlichkeiten erholen möchten und namentlich bei dem am Abend von der Stadtverwaltung gegebenen Gartenfest frohe Stunden verleben möchten.

Herr Dr. Kühns begrüßt als Vorsitzender des Vereins für Nieder- sachsen und zugleich im Namen des Lokalkomitees den Verein aufs herzlichste.

Es folgt sodann als erster Vortragender Herr Walkhoff.

Die heutigen Theorien der Kinnbildung. Von Prof. Dr. Walkhoff in München.

Hochansehnliche Versammlung! Unser wissenschaftlich noch verhältnismäßig junges. aber um so frischer autstrebendes Fach wurzelt außer in der Medizin zum größten Teile in den exakten Naturwissenschaften. Gerade durch eine reichliche Benutzung der Lehren dieser zumeist schon stark ausgebauten Disziplinen haben wir auf unserem Spezialgebiete die größten Fortschritte gemacht. Wenn die Zahnheilkunde jedoch, wie wir es ja alle wünschen,

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allmählich als wirklich gleichberechtigt mit anderen Wissen- schaften anerkannt werden soll, so wird sie notwendigerweise nicht nur von den übrigen Disziplinen empfangen, sondern sie wird auch noch mehr geben müssen. Ein Geben wird für uns sogar zur Pflicht, wenn wir auf Grund reichlicher Erfahr- ungen und Untersuchungen anf unserem Spezialgebiete durch Anwendung der gewonnenen Resultate für eine andere Wissen- schaft Nutzen schaffen können. Nun sind alle Spezialgebiete in einem solchen Umfange gewachsen, daß nur wenige selbst näher liegende Gebiete vollständig beherrschen. Infolgedessen werden bei neuen Aufgaben der \Vissenschaft gelegentlich für die aus- geführten Untersuchungen und Angaben Korrekturen nötig, welche gewöhnlich von Spezialisten anderer Disziplinen gemacht werden. Leider sieht man aber dabei nur zu häufig, daß das Gebotene nicht als Ganzes betrachtet und darnach der Wert des ersteren abgeschätzt wird, sondern daß man einzelnes herausgreift und dieses einer gewöhnlich nicht sehr wohlwollenden Kritik unterzieht, ohne zu bedenken, daß damit der Sache mehr geschadet als genützt wird. Das Ende vom Liede ist dann gewöhnlich eine Reihe literarischer Kämpfe, zumeist mit persönlichen Ausfällen der Einzelnen gespickt. In solchen Fällen dürfte es das beste sein, den Gegenstand vor das Forum der Vertreter des Spezialfaches zu bringen und ihn hier zur Diskussion zu stellen. Ich tue das hiermit heute, indem ich Sie für einen auch uns Odontologen sehr naheliexenden Gegenstand interessieren möchte. nämlich für die Kinnbildung des Menschen, eine Frage, welche besonders in der letzten Zeit nach der verschiedensten Richtung hin interpretiert ist. Da das menschliche Kinn nahezu von allen Autoren mit der Lehre von denjenigen Organen, auf welchen Sie vor allen die größte Erfahrung haben, in Zusammenhang gebracht wird, nämlich mit den Zähnen, so erachte ich unsere Versammlung hier für durchaus befugt und berechtigt, ein kom- petentes, ja nach der odontologischen Seite geradezu entscheidendes Urteil über die Beteiligung der Zähne bei der Kinnbildung ab- zugeben. Ich hoffe deshalb, daß sich an meinen Vortrag eine recht rege Diskussion nach dieser Richtung anschließen wird. Das Kinn galt seit Linntes Zeit als ein besonderes Unter- scheidungsmerkmal des menschlichen Geschlechts von den Tieren. Da wurden in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts kinn- lose menschliche Unterkiefer, aus der Diluvialzeit stammend. gefunden, und sofort mit Recht zum Studium der Kinnbildung verwertet. Denn nun hatte man ja das wertvollste Vergleichs- material, während bis dahin nur spekulative Schlüsse auf die frühere Formegestaltunz des Menschen möglich waren. Auf Grund seiner Einzeluntersuchung des Kiefers von La Nanulette hat zunächst

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1883 der Anatom Paul Albrecht die Theorie aufgestellt, daß beim heutigen Menschen speziell die unteren Schneidezähne rudi- mentär würden, ihre Alveolen infolgedessen an Länge und Dicke abnähmen. Der menschliche Unterkiefer sei somit Affenkiefer minus rudimentäre Partie des Alveolarfortsatzes. Wenn man nun aber die Form sämtlicher bisher aufgefundenen dilu- vialen Kiefer mit heutigem Material vergleicht, so wird kein einziger durch Reduktion der Zähne und des Alveolarfortsatzes eine dreieckige Kinnbildung, wie sie der heutige Mensch hat, zeigen. Man könnte an ersteren sogar teilweise z. B. an dem hier vorliegenden Spykiefer die gesamten Kronen der sechs Vorderzähne und die frontale Hälfte der Wurzeln weg- nehmen, ohne daß der Kieferkörper dann an irgendeinem Punkte im geringsten über den Rest des Alveolarfortsatzes vorspringt, geschweige denn eine Dreiecksform an der typischen Stelle an- nimmt. Im günstigsten Falle könnte dieser Theorie gemäß auch nur eine gleichmäßig ausgebildete Horizontalleiste als Basis stehen bleiben, obgleich kein ersichtlicher Grund dafür vorhanden ist, warum das überhaupt nötig wäre. Außerdem sind die Zähne der meisten diluvialen Kiefer, ganz besonders diejenigen des noch am besten erhaltenen Spykiefers, gar nicht so viel größer, als daf sich dadurch eine so gewaltige Umwälzung in der Gesamtform des Kieters erklären liebe.

Ich habe auf Grund meiner Untersuchungen der übrigen diluvialen Kiefer z. B. im Gegensatz zu Virchow nachgewiesen, daß die damaligen Zähne durchschnittlich den Maximal- grüßen der heutigen näher standen, ja sie zumeist er- reichten.

Die Zähne des heutigen Menschen sind also dem diluvialen gegenüber durchschnittlich unzweifelhaft reduziert, und der ge samte Zahnbogen ist kleiner geworden. Das gleiche gilt aber auch vom Kieferkörper, von der Kieferbasis insgesamt mit Aus- nahme der Kinnpartie Mit einziger Ausnahme des Schipkakiefers erreichen aber die heutigen Zähne und damit der Alveolarfortsatz gar nicht so selten nahezu dieselbe Wurzel- und Kronengröfe, ohne daß darum die Kiefer kinnlos würden. Ich lege Ihnen hier drei untadelhafte Gebisse mit 32 Zähnen, von heutigen Kiefern herrührend. vor, welche nur wenig geringere Dimensionen als der kinnlose Spykiefer haben. Sie stellen allerdings eine Auslese unter Tausenden von Individuen dar, welche ich im Laute des letzten Jahres in der klinischen und privstärztlichen Tätig- keit zu Gesicht bekommen habe. Grade der größte von ihnen., einem 60 jährigen Individuum angehörend, zeigte ein geradezu ausgezeichnet ausgeprägtes Kinn. Solche Fälle werden Ihnen auch in Ihrer Praxis vorgekommen sein. Sie beweisen mit abso-

Verhandlungen der 41. Jahresversammlung des Centr.-V. D. Z. 583

Iuter Sicherheit, daß Zähne mit Maximalgrößen, welche die Ver- hältnisse bei diluvialen Kiefern erreichen, durchaus nicht kinn- lose Kiefer beim heutigen Menschen bedingen. Ebenso wissen wir, dab bei Leuten, welche eine unten viel größere und häufig sugar noch nachweislich vererbte Zahnreihe als oben haben, was von unseren Vorgängern als Bulldoggebit} bezeichnet wurde, die Kinnbildung ebenso groß sein kann wie bei normaler Arti- kulation. Ja es gibt ganze Volksstämme, bei welchen diese Anomalie nahezu zur Regel wird und der Alveolarfortsatz und die Zähne des Unterkieters viel mächtiger entwickelt sind als im Oberkiefer; trotzdem finden wir auch bei ihnen eine ausgezeichnete Kinnbildung, eine Progenie im wahren Sinne des Wortes. Aber noch niemand hat bis auf den heutigen Tag kinnlose Unterkiefer des rezenten Menschen vorlegen können, welche den typischen Eigenschaften der diluvialen in toto entsprechen, insbesondere nicht das Vorstehen des Kieferkörpers während seiner funktio- nellen Beanspruchung.

Sowohl die diluvialen Kiefer als auch die heutigen weisen also unzweifelhaft darauf hin, daß die Albrechtsche Theorie, nach welcher „die Entstehung des Kinnes beim Menschen ledig- lich eine Folge der Reduktion der Zähne und des Alvevlarteiles ist”, mit welchen Worten sie neuerdings von Weidenreich anf- genommen und wiederholt, ist, gänzlich unhaltbar ist. Sie be- rücksichtigt weder die Umformung des vorderen Kieferkörpers noch die Dreiecksform, noch ist sie vor allen Dingen mit dem vorhandenen fossilen und rezenten Material in Einklang zu bringen. Sicher ist nur, daß mit der Diluvialzeit eine Reduktion der Zähne an Gröte, auf den Durchschnitt berechnet, stattgefunden hat, und ehenso sicher und wichtiger ist, dab auch der Unterkiefer eine Reduktion an Größe und zwar in toto bis auf den kleinen Ab- schnitt, welchen man mit Kinn bezeichnet, erfuhr.

Ich habe vor fünf Jahren ebenfalls Untersuchungen über die Kimnbildung aufgenommen, und habe zum erstenmale auf Grund der gesamten vorhandenen diluvialen Kiefer nicht allein ihre äuteren Formen, sondern auch ihre innere Struktur unter sich and mit dem heutigen Material verglichen. Die Resultate sind hanptsächlich in der 4. und 6. Lieferung von Selenkas Werk ~ Menschenatfen“ niedergelegt.

Neben der Reduktion der Zähne, einem Vorgang. den ich von vornherein als gleichwertig erklärt habe, habe ich noch einen anderen Faktor für die Entstehung des Kinnes ange- nonmen.

Ich zitiere Ihnen gegenüber nur einige, die Resultate meiner Untersuchungen zusammenfassende Schlußsätze aus

£ anera nr ar Base E a See Te 323 Tno LR IAJE GEF are aea O eene r a aa ER AT I TEN: es

meiner Arbeit »eienka VI. weirpe Ibren die Rirt-cetstelinz am Ende ser bi.nviaizeit nach meiner Auıtfasennz erantert Nur derjenige konn über meire Änschanöng zweiisisatz sein. weleer meine Arbeiten überhanrt richt näher kenni: cd-r er versucht, gie absichtlich zn entsteilen. wenn er diese Zosanmenfas

ge,esen hat nnd dennoen einen anderen Sinn ans Leransgerissenn Vordersatzen konsirniert. Denn diese Serin.sätze lauten: LEs beorann mit dem Ende der Diiuvialzeit die alimählichke Reduktion des Vorderkief-rkörpers an Größe in sazittaier Richtung. Dir Zahnprognatiie bestand voerjäanfiz nech tort. Von der ursrrüng- lichen Prognathie aller Kieterteiie wnrde tei der Rednktion des Vurierkiefers durch die sich verstärkende Tatigkeit des Genie- glossns und der sich gleichbleibenden Furktion des Geniohvoidrus nnd bizastriens nar ein geringer Teil in der M-dianlinie noch ant dem bisherigen Zustande erhalten. Die Kombination dieser Mnskeiwirkungen lieb dies in Dreieckstorm geschehen, welche anverlich durch die allmähliche Ausbildung des heutigen Kinnes zum Ausdruck kam. .. Aber noch heute ist nicht in allen Fällen aus den proznatlien Kiefern nnd mächtigen Zähnen des diluvialen Menschen das vollständig orthognathe Gebit mit seinem wohlaus- gebildeten Kinn nnd seinen stark reduzierten Zähnen geworden!” Ks wurden also intolze der geringeren Tätigkeit der Zähne und damit natürlich auch des Kieters tür den Kauakt beide Organe insgesamt an Größe reduziert, nur ein kleiner Teil des Vorder- kieterg blieb durch vermehrte Muskrltätickeit „auf dem bis- herigen Zustande erhalten. Das ist die klipp und klar aus- gesprochene Quintessenz meiner Theorie der Entstehung des menschlichen Kinnes. und meine Beweise tür meine Ansicht stützen sich teils auf die änlere Form. teils auf die iunere Struktur nach den Gesetzen der Entwiekelunesmechanik. Die äutiere Form der diluvialen Kiefer ist, ich betone das nochmals. eine prinzipiell verschiedene und von der heutigen so abweichende, dab noch niemand trotz allen Bemühens solche Fornien beim heutigen Menschen entdeckt und vorgewiesen hat. Aber auch die Struktur der Kiefer beider Perioden ist in der Kinngegend nach meinen Untersuchungen eine durchaus verschiedene, ein Punkt, welchen bisher ebenfalls noch niemand auch im geringsten widerlegt hat. Die heutigen Kiefer zeizen nämlich in der Kinngegend eine vielgrößere Anhänfung vonstrebfestem Knochenmaterial. Das deutet unweigerlich darauf hin, daß hier der heutige Knochen eine größere Beanspruchung auszuhalten hat, genau so wie die äußere Form des heutigen Unterkiefers an dieser Stelle eben das vorspringende menschliche Kinn. Konnte das durch die Kanu- funktion geschehen und in der phylogenetischen Reihe sich ent- wiekeln? Ich behaupte, niemals! Noch niemand hat zu behaupten

Verhandlungen der 44. Jahresversammlung des Centr.-V. D. Z. 585

gewagt, daß der diluviale Mensch weniger seine Kiefer und Zähne zum Kauen gebraucht hat als der heutige. Wir Zahn- ärzte sehen ja täglich den Rückgang des menschlichen Gebisses in bezug auf Festigkeit und Größe infolge von geringerem Ge- brauche zur Genüge. Wenn also ein allgemeiner und im übrigen vollständig gleichmäßig und regelrecht verlaufender Rückgang der ursprünglichen Funktion der Kiefer und Zähne stattgefunden hat. welcher sichtbar in der Reduktion dieser Organe an Größe zum Ausdruck Kommt, so muß jene grundverschiedene, die menschliche Form typisch verändernde Stelle außerdem durch etwas anderes beeinflußt worden sein. Ich habe, da der Kauakt als einzig mögliche funktionelle Beanspruchung des Kiefers für die Erklär- ung der neuen Form, wie gesagt, gänzlich versagt, hier eine ver- wehrte Muskeltätigkeit durch die sich immer mehr entwickelnde Sprache angenommen.

Mit meinen Arbeiten hat sich nun eine Anzahl von Anatomen und Anthropologen beschättigt, welche teils zustimmend, teils ab- lehnend sich verhalten haben. Ich möchte gerade die Theorien meiner Gegner Ihnen noch in Kürze vorführen und Ihnen zu- gleich zeigen, welcher Art die Einwände derselben gegen die meinige sind, und wie wenig man odontologische Erfahrungen berücksichtigt hat.

Zunächst hat E. Fischer auf Grund der Untersuchungen von Taubstunimenkiefern behauptet, daß die von mir beschriebenen Kraftbahnen oder '[rajektorien jener Muskeln sich auch an diesen Kiefern fünde. Fischer bedachte dabei nicht, daß der Taub- stumme diese Bildungen nicht individuell erwirbt, sondern ver- erbt erhält. Wenn man einem Elternpaar ein Organ amputiert. so erhält bekanntlich die Nachkommenschaft nicht nur nicht dasselbe trotz des Fehlens bei den Eltern wieder. sondern dies Organ und besonders der Knochen zeigt alle typischen Strukturen der Art tür dieses Organ. Der Taubstumme beweist also eigentlich gerade dureh das Vorhandensein der Trajektorien die Konstanz der in der phylogenetischen Reihe erworbenen funktionellen Eigen- schatten. Natürlich hat der Taubstumme auch ein Kinn, weil kein Individunmn dasselbe oder sonst eine für die Art typische irenschaft eines Organes individuell aus eigener Kraft er- wirbt.

Der zweite Autor, welcher sich mit der Kinnbildung be- schäftiete, war Weidenreich. Nach ihm habe ich gelehrt, dat das Kinn durch Mnskelwirkung, nämlich durch den Genioglossus vorgetrieben und dadurch eine Verdiekung des Knochens her- heiveführt wäre. Das wäre meine Theorie der Kinnbildung nach \Veidenreich, und dies Vortreiben des Knochens durch die Sprache wäre das einzig Nene an ihr. Meine Herren! Die

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einzigen Vorträge, welche ich bisher über den Gegenstand ge-

halten habe und von denen etwas vielleicht in die Üffentlich-

keit gedrungen ist, fanden vor Zahnärzten, also vor Fachleuten,

auf unseren Kongressen statt. Es wäre mir interessant zu

wissen, ob ein einziger der Herren solchen Sinn aus meinen

mündlichen Mitteilungen entnommen hat, wie Weidenreich

ihn mir zuschreibt.e Um dieser seiner tendenziösen Kritik

wenigstens eine Stütze zu geben, verweist W. auf Feuilleton-

artikel politischer Zeitungen, die meine Resultate besprochen

hätten, wodurch ich unbewiesene Theorien in das große Publikum

geworfen hätte. Wahrscheinlich hat W. das Elaborat des Kow

ereßberichterstatters einer Tageszeitung als maßgebend benutzt.

statt in meinen Arbeiten Dutzende von Sätzen und ganzen

Abschnitten zu beachten, welche nicht allein den Einflat

der Größenreduktion der Zähne und Kiefer bei der Kinn-

bildung schildern, schon in der ersten Arbeit handelt ein

ganzes Kapitel davon sondern die Erhaltung der Kinn-

partien bei der Reduktion der Kiefer durch eine Anzahl von

Muskeln in der phylogenetischen Fortentwicklung des mensch-

lichen Geschlechts betonen. Ich meine, die oben zitierten, resü-

mierenden Sätze aus meinen Arbeiten dürfte schon allein genügen.

„die Quintessenz“ meiner Theorie zu erläutern. Ich brauche

Ihnen gegenüber kaum zu versichern, daß ich über diesen Gegen-

stand politischen Zeitungen weder etwas Mündliches noch etwas

(seschriebenes habe zukommen lassen. Derartige geradezu kläg-

liche Angriffe, wie sie Weidenreich auszuführen beliebt, sind

Pfeile, die auf den Schützen zurückfallen. Sie kennzeichnen die Art der Kritik und ihre Tendenz zur Genüge und berühren mich nicht. Das Schönste aber bei der ganzen Sache selbst ist, dat

Weidenreich in derselben Kritik eine sogar von anderen schon vorher angekündigte Theorie der menschlichen Kinnbildung als Neues. als Positives gab, wonach letztere „eine Folge der Reduktion der Zähne und des Alveolarteils ist.“. Und als ich Weidenreich nachwies, daß das ein als gleichwertig bezeichneter Faktor der meinigen sei, wovon in seiner Kritik auch nicht ein Wort stand, und daß ferner selbst einzelne Sätze seiner Theorie, soweit sie überhaupt zu beweisen ist, genau denselben Gedanken- vang hätten, ich stützte meine Untersuchungen über die Reduktion der Kiefer und Zähne zum erstenmale von allen Autoren auf das gesamte vorhandene fossile Material, da meinte Weiden- reich, nicht er sondern ich nehme mir meine Gedanken selbst. Nun, meine Herren, es wäre traurig um die wissenschaftliche Forschung bestellt. wenn solche Mittel des Kampfes, wie sie Weidenreich noch mehrfach angewendet hat, insbesondere für die Anatomen ausschlaggebend sein sollten.

Verhandlungen der 44. Jahresversummlung des Centr.-V. D. Z. 587

Und wie steht es mit seinen besonders hervorgehobenen „posi- tiven“ Beweisen für seine neue Theorie, die er den Lesern des anatomischen Anzeigers an Stelle der meinigen vorsetzte? Ich gebe Ihnen auch hiervon ein Beispiel. Für Weidenreich ist bei den fossilen Kiefern die Rückbildung der Zähne und der Alveolarteile gegenüber den Anthropoiden schon bedeutend vor- geschritten. Ich forderte irgendeinen Beweis für solche „be- stimmte Beobachtungen“, und was antwortete Weidenreich: „Ich werde auf Walkhoffs Einwände hier nicht eingehen.‘ Natür- lich! Denn Weidenreich kann einen solchen Beweis auch nicht im geringsten liefern, und doch wagt er eine solche Theorie den Anatomen vom Fach als „Positives‘‘ mitzuteilen!

Nun hat\Weidenreich noch ein paar anatomische Gründe gegen meine Theorie ins Feld geführt. Er behauptet, daß die Kraftbahnen der Muskeln, oder Trajektorien, wie man sie analog der graphischen Statik gewöhnlich nennt, gar keine Spongiosazüge, sondern Gefäß- kanäle seien. Daß oberhalb der Spina mentalis ein Gefäß in der Medianlinie konstant läuft und auch unterhalb des Ansatzes der (Greniohyoideus häufig ein größeres Gefäß eintritt, ist längst vor mir von Virchow u. a. beschrieben. Es ist das nicht etwa \Weidenreichs Entdeckung für den Unterkiefer, auch ich habe sie bildlich und wörtlich schon in meiner ersten Arbeit dargestellt. Warum jedoch das Gefäß einen Kanal von gelegentlich 2—3 mm Wandstärke besitzt, darüber schweigt sich Weidenreich wohl- weislich aus. Für mich ist eben jene Gefißkanalwandung, aber auch die ringsum in grober Stärke und Menge liegende strebfeste Knochensubstanz: die Kraftbahn der Genioglossi. Weidenreich hat offenbar die höchst eigenartige Auffassung, daß von der An- satzstelle jedes Muskels aus auf Zugbeanspruchung ein mathe- matisch gezeichnetes Spongiosasystenn den Knochen durchqueren müsse. Er verlangt sogar zwei Trajektorien für die zwei Genio- glossi. welche ein paar Millimeter voneinander entfernt liegen, und bedenkt dabei nicht, daß die Kraftwirkung erst durch eine dicke Compacta mit ganz anderer Anordnung der Struktur- elemente indirekt im Innern «des Knochens wirken muß. Im speziellen Falle findet die Kraftbahn das vererbte Gefüß mit seiner Kanalwand und vielen Osteoblasten vor, und nun beschreitet die Natur den einfachsten Weg, eine Verstärkung des beanspruchten Knochens im Innern herbeizutühren; gewöhn- lich wird deshalb die Gefäßwand in der unmittelbaren Nähe des Ansatzpunktes der ausgeübten Kraft verstärkt. Soviel ich beobachtet habe, tindet man nirgends im menschlichen Körper eine solch starke Getäßwandung um ein solch kleines Gefäß, welches mitten in der Spongiosa eines Röhrenknochens verläuft. Der Kiefer selbst zeigt im unmittelbarsten Gegensatz zu dem

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In. !o,zge der kurz bemeasepen Zeit miz Ich es nir versagen Lier neh nıber ant nie anatemis ben N IL ralischen Verra teise einzigen, Ich kinstatiere, Weidjsenreich Lat nichts ana- tvmisch Nenes gegeben. er De anatomisch Bekanntes nar anders ans, In: jst sogar centar entgangen. dar in der vanzen Kiungartie der bentiz-n Menschen anzer jenen Getai- kanalen immer nech eine weitere, meist sehr reichliche Spen- giosa liegt, für die er destalb auch nech keine Erklärong gegeben hat. Für mich tst die gesamte strebieste Knech-nsub- “tanz der Ansäruck der Kombinationswirkung der verschiedenen Inskein.

Ich mnb nnn noch anf ein anat.misches Eiement hinweisen. anf welches vor vieien Jahren zuerst Mieg ais beientungsvoll für die Kinnbiidunz hinzewiesen hat. nämlich die Ossieula wenta:.ja. Diese führt Weidenreich für die Entstehung der dreieckigen Kirn- protuberanz an. Nach den Untersuchungen von Mieg. ant welche ich mich zunächst bezog. da ihnen bisher nicht widersprochen war. kommen die Ossienla in der Hälfte ailer Fälle. nach späteren Untersuchnngen von Adachi in $2 Proz. vor: Toidt will sie sogar in jedem Falle gefunden haben. Selbst wenn dies letztere zutrifft. so kann die Dreieckstorm dadurch noch nicht erklärt werden. Die an Zahl nnd Gestalt sehr verschiedenartigen Ossienla mentalia verschmelzen zum mindesten schon sehr häufiz in den ersten Lebensjahren, wo das Kinn noch lange nicht anf seine spätere Gröle gekommen ist. Der Fugenknorpel, ja nicht selten auch die Verschmelzungslinie ist im Kindesalter vollständig ver- schwunden, die spätere Kieferbasis aber noch gar nicht zur vollen Entwicklung gekommen. Wie da das Wachstum und die vollendeste Ausbildung des mächtigen rezenten Kinnes, das durchaus ein Pro- dukt des Kieferkörpers. ja hauptsächlich der eizentlichen Kiefer- basis ist, beim Erwachsenen, ja selbst beim (Grreise individuell

Verhandlungen der 44. Jahresversammlung des Centr.-V. D. Z. 589

zustande kommen bezw. erhalten werden kann, muß erst bewiesen werden. Ich glaube, die heutigen Theorien des Knochenwachstums lassen dabei im Stich.

Im Gegensatz zu Weidenreich hat ferner Toldt be- hauptet, daß der Größenunterschied der Zähne des diluvialen und rezenten Menschen die Veränderung des Unterkiefers nicht er- klären könne. Nach Toldt bedeutet das vorspringende Kinn keineswegs eine Reduktion, sondern im Gegenteil eine absolute und zwar sehr beträchtliche Verstärkung des vordersten Teiles des Unterkieters.. Nach Toldt soll erst der Hirnschädel, dann der oberste Gesichtsschädel und endlich der Unterkiefer sich ver- breitert haben. Dadurch entstele eine sehr beträchtliche Querspannung des Knochens, zu deren Sicherung eine Ver- stärkung der Knochenmasse erforderlich sein soll. Auch nach ihm sollen die Ossicula mentalia die Grundlage für das Kinn bilden. Das Kinn soll ein leiblicher Vorzug des Menschen sein, weil nach Toldt die Knöchelchen bei Tieren nicht vorkommen und jene ein neues Element in der Ausgestaltung des menschlichen Unterkiefers seien. Schon aus diesem Grunde könne nicht davon die Rede sein, daß die Kinnbildung auf einer Reduktion des Unter- kiefers und der Zähne beruhe.

Ich kann heute auf Grund genauer Nachprüfungen von dieser mit so großer Sicherheit vorgetragenen Gegentheorie behaupten, daß sie in allen Punkten unrichtig ist. Vor allen Dingen hat Toldt noch nicht einmal die einfachsten Vergleichsmessungen an dem vorhandenen fossilen und dem rezenten Material vorgenommen. Sehen Sie sich hier den kinnlosen Spykieter an, so beweist er gerade, dab er breiter ist, als die heutigen und zwar nicht etwa um ein Geringes, sondern um ein ganz Bedeutendes!

Ich habe unter den Tausenden von Kiefern, welche ich im letzten Jahre ‚sah, auch nicht einen gefunden, der ihn an Breiten- ausdehnung des Zahnbogens überall erreichte geschweige denn übertraf. Und wenn Sie die Abnutzung seiner Zähne sehen, so werden Sie als Zahnärzte sofort erkennen, daß man unter Tausenden und Abertausenden nicht einen solchen findet, der so viel gebraucht ist wie der kinnlose Spykieter. Der Kiefer von La Naulette erscheint schinäler als der Spykiefer, weil der Zahnbogen länger ist. Spiegelbildlich rekonstruiert, hat er fast dieselbe Breite wie der letztere Kiefer. Er hat, wie Sie hier sofort auf den ersten Blick sehen, in der Kinngegend eine Dicke, dab ein Rudolf Virchow ihn für eine pathologische Exzeß- bildung erklärte. Stellen Sie sich einmal vor, daß vor diesen kinnlosen Kiefer noch ein rezentes Kinn vorgebaut wäre! Da würde ein Monstrum, aber niemals der Kiefer eines zivilisierten Menschen vorhanden sein. Der Kiefer von Predmost ist für

590 Verkantiungen der 44. Janresserammuarng dea Centr.-V. D. Z.

A

sein individuelles Aiter von einer ganz ansnehmenden Breite. Er zeigt eine Abnutzung der Miichzäbne. wie ich sie bei einem beutizen Kinde überhaupt noch nicht gesehen habe. Uni da sollen nach Toldt die heutigen Kiefer noch um vieles breiter geworden sein. so dat die beträchtlich vergriberte Wner- spannnng noch sogar ein neues Element zum Auxzleich erforderte. Was tūr Kieter die heutigen Menschen haben mütten. wenn diese Toldtsche Theorie der Mabenzunahme der Kieterknochen im allgemeinen die geringste Berechtigung hätte. das überlasse ich Ihnen bei der Betrachtung des Spykiefers sich auszurmalen. Toldt und auch Weidenreich hätten erst einmal selbst nach- weisen müssen. daß die diluvialen Kiefer keine Ossicula mentalia besessen haben. Diese Anatomen haben sich das vorhandene fossile Material überhaupt nicht angesehen. sonst hätten sie die krassen Widersprüche ihrer Theorien zu jenen selbst leicht ent- deckt und nicht mit Steinen geworfen, wo sie selbst im Glas- hause sitzen.

Zuguterletzt hat noch v. Bardeleben sich über die Ent- stehung des Kinnes geäußert. Nach diesen Autor wachsen die Ossierula ınentalia weiter und es sollen noch meistens Nähte zwischen ihnen und dem Kieter selbst beim erwachsenen Menschen vorhanden sein. Ich habe selbst bei jüngeren Individuen keinen Knorpel konstatieren können, und dieses mütite denn doch bei einem etwaigen Epiphysenwachstum der Fall sein. Im direktesten Gegen- satz zu Toldts Angaben steht nun v. Bardelebens Satz: Deut- liche Nähte oder Nahtspuren zwischen Os mentale (wie v. Barde- leben die Ossicula mentalia in toto bezeichnet; und Unterkiefer tinden sich bei Affen, Nagern. Edentaten, Insektivoren, Beutel- tieren! Also sind diese Ossieula doch nichts Spezifisches für den Menschen. Und da bei diesen Tierklassen unendlich viel größere Unterschiede in der Größe der Zähne und Kiefer bei.den einzelnen Arten vorhanden sind, eine Kinnbildung im Sinne der mensch- lichen jedoch niemals auch nur im entferntesten konstatiert ist, so folgt meines Erachtens daraus, daß die ÖOssicula mentalia bei der Kinnbildung denn doch nicht die führende Rolle spielen, wie es ihnen einzelne Anatomen zuschreiben. v. Bardeleben behauptet wieder im Gegensatze zu Toldt, daß die Bildung des Kinnes auf die Reduktion der Zähne und der diese tragenden Knochenteile zurückzuführen ist. Nach ihm leistet nur das Os mentale der allzemeinen Reduktion Widerstand. Ein bestimmter Bezirk wird nach ihm also, konform meiner Theorie, vom Kiefer- körper erhalten. Warum es jedoch und zwar von allen übrigen Teilen allein erhalten wird, dafür gibt v. Bardeleben keine rklärung. An eine vermehrte funktionelle Beanspruchung des heutigen Unterkietfers mit Kinn an dieser Stelle gegenüber dem

Verhandlungen der 44. Jahresversammlung des Centr.-V. D. Z. 591

kinnlosen diluvialen durch den Kauakt ist nicht ernstlich zu denken.

Im übrigen weist das vorhandene fossile Material, unter- einander verglichen, mit Sicherheit darauf hin, daß die Reduktion der Zähne und des Kiefers die alleinige Ursache der mensch- lichen Kinnbildung niemals sein kann. Der kinnlose Spykieter

«z. B. hat viel kleinere Zähne als der Schipkakiefer, ja selbst die nenen Funde von Krapina; trotzdem besitzt die gesamte vordere

Kieferplatte aller Kiefer durchaus die gleiche Formation. Der

Spykiefer hat aber auch kleinere Zähne als Kiefer aus dem jüngeren

Diluvium, z. B. wie derjenige von Pr&dmost. Ja dieser hat

Zahnkronen von einer Größe, wie sie kaum ein einziger der

bisher gefundenen fossilen kinnlosen Kiefer aufweist. Dennoch

hat er ein, wenn auch kleines, so doch wohl ausgeprägtes

Kinn. Das sind Tatsachen, die an dem fossilen Material selbst

gewonnen sind, und denen, wie ich glaube, ein objektiver Beob-

achter mehr Wert beilegen wird, wenn die Frage erörtert wird. ob die menschliche Kinnbildung lediglich durch die Reduktion der

Zähne und des zahntragenden Teiles des Kiefers entstanden sei.

Und merkwürdigerweise zeigt der Kiefer von Prêdmost die

starke Ausbildung jener Kraftbahn, die ich als Trajektorium des

(renioglossus bezeichnet habe, während sämtliche älteren dilu-

vialen Kiefer dieselbe entweder gar nicht oder viel viel schwächer

zeigen. Gegenüber den Angriffen der Anatomen muß? ich immer and immer wieder verlangen, daß man an dem vorhandenen fossilen Material und zwar sowohl in bezug auf die äußere

Form als auch auf die innere Struktur für oder gegen eine Theorie den Beweis oder Gegenbeweis führt. Denn das dürfte

doch wohl das Nächstliegende, aber auch zuguterletzt das Ent- scheidenste bei einer Theorie der Kinnbildung sein. Der Inhalt einer solchen Theorie kann, weil direktes Beweismaterial vor- liegt, auf den Forschungen auf den: Gebiete der vergleichenden Anatomie der äußeren Formen niemals und gar allein basieren. die Theorie kann sich nur auf letztere stützen, wenn sie im

inklange mit der Beschaffenheit und den Eigenarten des fossilen Materials steht.

. Meine Herren, ich bin am Ende meiner Ausführungen. Nur skizzenhaft konnte ich die heutigen Theorien der Kinnbildunz en Die Anatomen sind bei ihren Ausführungen gegen- BR In unlösbare Widersprüche geraten, insbesondere über Dinge. a e den Odontologen näher liegen, ja teilweise von diesen in T als entschieden betrachtet wurden. Deshalb ist die Odontologie ihe ee der Sache nicht nur berechtigt, sondern verpflichtet, ihre C erflein zur Klärung beizutragen, aber auch Angriffe aut

Ergebnisse zurückzuweisen, selbst auf die Gefahr hin, die

592 Verhandlungen der 44. Jahresversammlung des Centr.-V. D. 2,

Kreise einzelner zu stören, welches das weitere Gebiet als ihre Domäne betrachteten. Was meine Theorie der Kinnbildung be- trift, so baut sie sich wesentlich auf odontologischen und ent- wicklungsmechanischen Prinzipien und Forschungen aut. Ich bin weit entfernt davon, sie in allen Einzelheiten als unfehlbar an- zusehen. Als Ganzes erscheint sie mir auf Grund einer umfang- reichen Nachprüfung innerhalb des letzten Jahres, auf welche ich noch literarisch zurückkommen werde, unerschüttert.')

Der Vorsitzende dankt dem Vortragenden für seine interessanten Mitteilungen. In der Diskussion spricht

Herr Schröder-Greifswald: Die Unterkiefer der Moriorischädk\, die im Bremer Volksmuseum aufgestellt sind, erinnern lebhaft an den Bau der fossilen Kiefer; auch hier findet sich das breite, flache Kinn und die starken Usuren an allen Zähnen. Ich möchte Herrn Walk- hoff fragen, ob er auch schon diese Kiefer hinsichtlich ıbrer Form und ihrer inneren Architektur studiert hat.

Herr Kleinsorgen: Das Kinn des Menschen müssen wir als notwendigen Unterbau seines Gebisses ansehen. Der Mensch ist in- on seiner Entwicklung darauf angewiesen, die Speisen gründlich zu kauen,

Das Tier verschlingt im allgemeinen mehr seine Beute, da es im Kampf ums Dasein keine Zeit zum regulären Kauen hat, sondern Interesse daran, in möglichst kurzer Zeit die Beute herunter zu bringen. Bei dem Tiergebiß kommt es also weniger auf die Entwicklung de: Unterbaues als auf die Größe der allgemeinen Fa- und Schling- kraft an.

Auch bei den wiederkäuenden Tieren ist eine derartige Kiefe:- ausbildung nicht nötig, da es sich bei den Wiederkäuern um schon verdaute ganz weiche Speisen handelt.

Herr Walkhoff: Vor allen Dingen liegt mir daran zu wissen, ob auch nur einer der Herren die Breite des vorliegenden Spykiefer: für die Normulform des heutigen Kiefers hält oder ob jemand gar behauptet, daß die heutigen Kiefer noch breiter seien als der Spy- kiefer? (Allseitige Verneinung.) Ich würde für die Zusendung abnorı großer Kiefer und solcher mit abnorm großen Zähnen, welche Se gelegentlich beobachten werden, sehr dankbar sein.

Es folgt der Vortrag des Herrn Partsch.

D Anmerkung bei der Korrektur. Private Umfragen bei Besitzen der größten odontolorzischen Sammlungen in Deutschland ergaben. dai bisher noch kein Kiefer die Breite des Zahnbogens vom Spykieter ¿n der Gegend des ersten Molaren erreicht. Kollege Brunsma n n- Olden: burg übersandte mir einen Unterkiefer, der dem Spykiefer in der Gegend der Weisheitszähne gleicht. dessen Zahnbogenbreite zwischen den ersten Molaren geringer ist. Solche Fälle sind aber schon eine ungeheure \nsnahme von der Regel und beweisen natürlich fü: die Toldtsche Theorie gar nichts. Ich wäre den Kollegen für dir Übersendung abnorm großer Kietferabdrücke äußerst dankbar. i

Walkhoft.

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Verhandlungen der 44. Jahresversammlung des Centr.-V. D. Z. 593

Die Aufklappung der Schleimhautbedeckung der Kiefer.

Von Prot. C. Partsch in Breslau. (Mit 1 Abbildung.)

Unter den verschiedenen Formen der vom Zahnsystem aus- gehenden Erkrankungen wird jeder erfahrene Praktiker eine größere Zahl von Fällen kennen, die trotz anscheinend klarer Diagnose eine auffällig langwierige Behandlung erfordern. Zu ihnen ge- sellen sich eine größere Zahl von Zuständen, deren Diagnose Schwierigkeiten macht, weil entweder der Krankheitsherd noch tief unter der Schleimhaut geborgen ist oder nur eine feine Fistel verrät, daß in der Tiefe an irgendeiner Stelle ein Krankheitsherd vorhanden sein muß. Von den unter der geschlossenen Schleim- haut zu beobachtenden Veränderungen sind es wesentlich im Kiefer verborgen gebliebene Zähne, welche Veranlassung zu un- bestimmten Vorwölbungen, Auftreibungen geben, die gelegentlich mit akut entzündlichen Zuständen verknüpft sind. Wie es kommt, daß solche tief im Kiefer steckende Reste doch gelegentlich eine Eiterung machen, die durch die deckende Schleimhaut durchbricht und dann eine Fistel hinterläßt, welche nur wenig Sekret entleert und dabei trotzdem dauernd bestehen bleibt, ist im einzelnen Falle nicht recht klarzustellen. Erheischen schon diese Fälle zur Klar- stellung ein breites Freilegen des Krankheitsgebietes, so ist das noch mehr der Fall bei allen fistulösen Prozessen, welche ent-

weder im direkten Anschlusse an Zahnkrankheiten oder als Folge- zustände bei operativen Eingriffen am Zahnsystem zurückbleiben umd sowohl durch ihre dauernde Absonderung die Patienten in ste te Beunruhigung versetzen, als auch durch die lästige Beimisch- unz von abgesondertem Eiter zu den Nahrungsbestandteilen noch ein æn schädlichen Einfluß auf die Ernährung bedingen. Man hat letztere Prozesse vielfach dadurch zu behandeln gesucht, daB man die Fistel direkt als Krankheit behandelte, indem man sie entweder durch Kaustik zu veröden oder durch scharfe Ätzmittel ein kräftiges Narbengewebe zu erzielen versuchte, oder durch milde Antiseptika die Innenauskleidung der Fistel in der Weise zu beeinflussen ver- suchte, daß das Granulationsgewebe in Narbengewebe übergeführt wurde. Dabei bediente man sich nicht selten intensiver Spülungen. um den schädlichen Eiter aus den Tiefen der Fistel zu entleeren. Bei allen diesen Behandlungsversuchen, die gegen die Fistel ge- richtet werden, sollte man sich aber stets gegenwärtig halten,

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daß die Fistel als solche, ibr Gang mag noch so verzweigt sein, nicht die eigentliche Krankheit darstellt, sondern daß sie immer nur der Ausdruck dafür ist, daß in den Tiefen der Gewebe irgend- ein Herd noch lagert, welcher der Ausheilung bedarf.

Aus dieser Überlegung heraus erscheint in all diesen Fällen eine kausale Therapie geboten, eine direkte Freilegung des Herdes und damit die Schaffung der Möglichkeit, nicht allein nur die eigentliche Ursache für die Fistelbildung klar zu stellen, sondern auch sie zu beseitigen. In diesem Sinne muß auch die Zahnheil- kunde noch viel mehr chirurgisch werden; denn nur bei Betolgung chirurgischer Grundsätze lassen sich viele dieser Fülle, die manch- mal jahrelang dem Patienten Mühe und Beschwerden machen, vollkommen aufklären und rasch zur Genesung bringen. Zu diesem Zwecke ist die Aufklappung der Schleimhaut, wie ich die Operation nennen möchte, notwendig. Sie soll bezwecken, durch breite Umschneidung mit folgender Ablösung der Schleimhaut die Fläche des unterliegenden Knochens so bloß zu legen, daß sie breit übersehen werden kann und daß man von dem Krankheitsherde ein vollkommen anschauliches Bild gewinnt. Die Mannigfaltigkeit der verschiedenen Ursachen mögen folgende Fälle etwas erläutern.

Eine 4Sjährige Frau mit umfangreich zerstörtem Gebiß des Ober- kiefers stellte sich mit einem Tumor an der Unterflüäche des harten (Gaumens ungefähr 1!/2 cm hinter dem Alveolarrande vor. Der ‘Tumor war im letzten Jahre langsam entstanden und begann, die Patientin beim Sprechen und Kauen zu genieren. Gelegentlich soll er schon einmal aufgebrochen sein und vorübergehend Eiter entleert haben. Im Augenblick ist die Schleimhaut vollkommen über dem ziemlich scharf sich erhebenden Tumor geschlossen. Die harte Geschwulst ist unverschieblich am Kiefer, sitzt ziemlich breit auf demselben auf und ist nicht sehr druckempfindlich. Man konnte an den Rest einer chro- nischen Periodontitis denken, welche von einem der Frontzähne ihren Ausgang genommen hatte; aber ein bestimmter Anhaltspunkt ließ sich nicht dafür gewinnen, da die Wurzeln extrahiert und das Zahnfleisch vollständig geschlossen war. Die Betastung der Geschwulst ergab keine nühere Aufklärung. Drüsenschwellung war nicht vorhanden. Unter Injektion von Kokain-Adrenalin wurde die Schleimhaut über der Geschwulst bogenfürmig eingeschnitten und lappenfürmig abge- hoben. Unter der Schleimhaut trat ein schräg nach der Mitte zu stehender, abnorm gelarerter linker Eckzahn aus dem Kiefer hervor, der durch einige Meißelschläge sich leicht aus seinem Lager heben ließ. Der Schleimhautlappen wurde nach Reinigung der Wunde über den durch die Extraktion entstandenen Defekt weggelegt und heilte ohne weitere Störung ein.

Erst nach der Operation gab die Patientin an, daß sie sich S Jahre früher rechterseits ebenfalls einen an abnormer Stelle durchgebrochenen Eckzahn habe extrahieren lassen. Die Narbe war in der derben Gaumenschleimhaut nicht mehr sichtbar. Hier schuf die Operation durch Aufklappung der Schleimhaut sehr bald

Verhandlungen der 44. Jahresversammlung des Centr.-V. D. Z. 595

eine klare Situation. An dem fast zahnlosen ÖOberkiefer war nicht zu beurteilen, daß der Eckzahn nicht in ihm erschienen war. In ähnlicher Weise konnte in einem zweiten Falle, der vielfach in chirurgischer Behandlung gewesen war, rasch Klar- heit geschaffen werden.

Es handelte sich um die 5ö4jährige Frau eines Zahnarztes, die in vollständig zahnlosem Unterkiefer linkerseits seit 3 Jahren an einer Eiterung litt, die, ohne besondere Schmerzen zu machen, dicht vor dem autsteigendem Ast des Unterkiefers sich entleerend, durch übel- riechende Absonderung die Patientin erheblich belästigte. Die anfangs einsetzende Schwellung war mit starker Spannung und mäßiger Kiefer- klemme verbunden. Nach HKiterausfluß hörten wohl die Schmerzen auf; vorübergehend schloß sich der Kanal von selbst, brach aber ge- legentlich wieder auf. Jodoformeinspritzungen, Auslöffelungen hatten nichts genützt. Immer wieder trat die Eiterung in dieser Gegend auf, wenngleich die Durchbruchsstelle manchmal gewechselt hatte. Bei der Untersucung ließ sich eine mäßige Auftreibung am linken Kiefer dicht vor dem Winkel fühlen, aber der Druck auf dieselbe vermehrte den Ausfluß von Eiter aus der weit hinten im Munde dicht vor dem aufsteigenden Aste gelegenen Fistel nicht. Die eingeführte Sonde stieß ungefähr einen Zoll tief auf einen mit Gewebe bedeckten Widerstand und ließ sich ziemlich leicht in dem Gange bewegen, so daß man den Eindruck gewann, man befände sich in einer kleinen Höhle. Es lag die Vermutung nahe, daß es sich um eine cystische Veränderung handle, ausgegangen von einem der früher extrahierten Zahnreste. Nach Injektion von Kokain-Adrenalin wurde die Schleimhaut bogenförmig gespalten, konvex nach der Zungenseite zu. Nach breiter Ablösung von dem Knochen gelangte man am vorderen Rande des aufsteigenden Astes in ein mit äußerst übelriechenden eitrigen Massen gefüllten Hohlraum, aus welchem sich ohne große Mühe ein mannigfach an der Oberfläche mit Inkrustationen besetzter, schwarz-bräunlich verfärbter, teilweise im Wurzelbereich angenugter Weisheitszahn herausheben ließ. Bei der starken Putreszenz, die auch nach Ausräumung der Höhle mit dem scharfen Löffel nicht vollständig zu beseitigen war, wurde von dem primären Verschluß Abstand genommen und die Höhle mit’ Jodoform- gaze tamponiert. Lokal traten keine Reaktionserscheinungen auf. Die Patientin klagte nur über ein taubes (iefühl in der linken Hälfte der Unterlippe. Als nach 4 Tagen der Tampon entfernt wurde, klagte die Patientin über sehr lebhafte Schmerzen, dem Unterkieter entlang aus- strahlend und bis zur Lippe reichend.

Die weißere Heilung trat olıne weitere Zwischenfälle ein; ob die Erscheinungen im Nervus mandibularis allmählich geschwunden sind, Ist mir nicht, bekannt geworden, da die Patientin bereits am 7. Tage aus meiner Behandlung trat und in ihre Heimat zurückkehrte,

Zweifellos handelte es sich hier um einen an abnormer Stelle durchgebrochenen Weisheitszahn, von dem aus eine Eiterung ent- standen war,: die nach dem Munde zu kommunizierte, aber an- scheinend den Knochen so weit usuriert hatte, dal der Zahn nicht mehr fest in demselben steckte, sondern sich leicht aus ihm aus- heben ließ. Die nach dem Herausheben auftretenden Nerven- schmerzen zeigen deutlich genug, dab es sich noch um einen in

35°

596 Verhandlungen der 44. Jahresversammlung des Centr.-V. D. Z.

der Alveole liegenden Zahn, nicht etwa um einen durch frühere Extraktion verlagerten Zahn gehandelt habe. Auf die Beziehungen des abnorm gelagerten Weisheitszabnes zum Canalis mandibularis hat ja erst vor kurzem Scheff an der Hand seiner mustergültigen Durchschnitte durch den Kiefer hingewiesen. t!)

Weitaus die ausgiebigste Verwendung aber erlangt die Auf klappung der Schleimhaut bei allen jenen auf dem Boden der chro- nischen Periodontitis sich entwickelnden Fistelbildungen, die bislang ein so undankbares Objekt der Behandlung darstellten. Die bis- herigen Behandlungsmethoden ergaben nur sehr unsichere und oft keine Erfolge. Nicht zum geringsten lag dieser Mißerfolg an der Un- klarheit, die über der Erkenntnis der Zustände schwebte, welche diese Fisteln veranlassen. Oft genug bleibt eine schon bestehende oder sich erst entwickelnde Fistel nach noch so sorgsamer Behandlung eines Zahnes mit exakt gemachter \Vurzelfüllung zurück. Es wird versucht durch Ausspritzungen, durch Einführung von Anti- septicis in Lösung, Pulverform oder in schmelzbaren Bougies (Hahn, Misch) die Fistel zur Heilung zu bringen. Vielleicht gelingt vorübergehend ein Verschluß und täuscht eine Heilung vor, aber nach längerer oder kürzerer Zeit bricht sie wieder auf und zwingt zu neuen energischerern Maßnahmen. Es wird der scharfe Löffel herbeigeholt, um mit ihm die Fisteln auszuräumen. oder man brennt mit dem Galvanokauter aus, und doch erscheint die Fistel wieder. Man spricht dann von einem chronischen Alveolarabszeß. Meine Erfahrungen, die ich an den zahlreichen operierten Fällen gesammelt habe, haben mir gezeigt, daß es sich in diesen Fällen durchaus nicht um einen Abszeß im strengen Sinne des Wortes handelt, d. h. um eine durch eitrige Ver- flüssigung des Gewebes (hier also des Knochengewebes) entstandene Höhle, sondern daß hier immer granulierende Ostitiden vorliegen, die ihren Ausgang von chronischen Periodontiden nehmen.

Diese Erkrankung wird dadurch so vielseitig, daß sie durch- aus sich nicht bloß auf die Gegend der Wurzelspitze beschränkt, sondern von hier aus in ganz unregelmäßiger, nicht von außen her zu bestimmender Form den Knochen durchsetzt und durch molekulären Zerfall desselben größere Hohlräume in ihm erzeugt, die oft sehr viel weiter reichen, als der feine nach auben führende, meist nur wenig absondernde Fistelgang, von außen betrachtet, erwarten läßt. Selbst die Sondierung ergibt bei den gewundenen Verlauf des Fistelganges bei der Ausbreitung des Granulationsherdes einwärts von der Wurzelspitze des erkrankten Zahnes nur selten Auischluß über die Ausdehnung des Prozesses. Nur die Röntgenaufnahme läßt, allerdings nur bei den ihr gut zu-

1) Österr, Vierteljahrsschrift, Jahrg. 1904.

re te E

Verhandlungen der 44. Jahresversammlung des Centr.-V. D. 7. 597

gängigen Zähnen, durch die Auflellung des Knochenschattens die Ausdehnung des Prozesses erraten. Gerade aus diesen Erfah- rungen heraus halte ich die Freilegung des Granulationsherdes für das einzige sichere Mittel, dem oft jahrelang bestehenden, durch die dauernde Eiterung lästig werdenden Prozeß endgültig bei- zukommen. Ob damit die Wurzelspitzenresektion verbunden werden muß oder nicht, entscheidet erst der Operationsbefund. Ist die Warzelspitze der gründlichen Entfernung des Granulationsherdes hinderlich, ist sie selbst durch ihre Erkrankung, durch umfang- reiche Arrosion, durch Zahnsteinablagerung die Quelle der Eite- rung und die Ursache der Granulationsbildung, so muß sie natür- lich fallen. Aber nicht selten wird der Granulationsherd noch vorgefunden, auch wenn der veranlassende Zahn bereits früher extrahiert worden ist. Wenn neuerdings gegen die Wurzelspitzen- resektion von sonst hervorragenden Fachgenossen geeifert wird, wenn dieselbe als „überflüssig“ und leicht durch viel einfachere Methoden, durch die Behandlung vom Zahn aus zu ersetzen be- hauptet wird, so muß demgegenüber betont werden, daß von mir nie und nimmer die Operation als indiziert bei jeder Fistel- bildung hingestellt worden ist, sondern daß ich in meiner ersten Veröffentlichung ausdrücklich darauf aufmerksam gemacht habe, daß von der Operation erst die Rede sein kann, wenn alle Hilfs- mittel der Füllungstechnik erschöpft, der Zahn und seine Wurzel vollkommen verschlossen ist, und dann noch die Fistel bestehen bleibt. Gerade für diese Fälle, die früher zur endgültigen Heilung der Zange verfallen waren, und aus leicht begreiflichem Grunde anderen Hilfsmitteln und therapeutischen Maßnahmen trotzten, für diese Fälle auch noch Heilung zu bringen mit Erhaltung des Zahnes, ist der Zweck meiner damaligen Publikation gewesen, und ich glaube, daß jeder beschäftigte Praktiker eine Zahl solcher Fälle aufzuweisen hat, die trotz der sorgfältigsten Behandlung immer von neuem durch unerschöpfliche Eiterung den Patienten beschweren und dem Zahnarzt wenig Freude machen, weil er sich gezwungen sieht, den anfangs noch mühsam erhaltenen Zahn am Ende doch noch zu opfern. Gerade diese schweren Fälle sind das dankbare Feld, der heute geschilderten Bebandlungsmethode. Sie finden durch sie erst ihre richtige Erklärung und erfolgreiche Behandlung. Hier ist die Operation absolut unentbehrlich, weil von einer Behandlung vom Zahn aus gar keine Rede mehr sein kann, die Kavität bereits umfangreich gefüllt, die Wurzeln mit bestem Füllungsmaterial verschlossen sind. Es ist nicht die Frende am Operieren, wie man mir unterzuschieben scheint, sondern es ist der ernste Wille, auch dort noch sichere Heilung zu bringen mit Erhaltung des Zahnes, wo sie früher nur mit Opferung des- selben erkauft werden mußte. Aus den zahlreichen Fällen will

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ich nur einige besonders drastische herausgreifen, um Ihnen zu beweisen, einmal welche Ausdehung diese granulierenden Prozesse gewinnen können, und wie selbst in schwierigen Fällen durch die Freilegung und Ausräumung des Herdes Heilung zu er- zielen ist.

Mein Rat wurde von einem etwa 45 Jahre alten Patienten erbeten, bei welchem schon seit vielen Jahren ein Gaumenabszeß bestand, der sich vom rechten zentralen Schneidezahn entwickelt und bis zur Grenze des harten und weichen Gaumens gezogen hatte. Er befand sich in der Behandlung eines renommierten Zahnarztes, der durch wiederholte Inzision und durch direkten Einschnitt auf die Wurzelspitze des ge- nannten Zahnes sich vergeblich bemüht hatte, Ausheilung herbeizuführen. Das aufgenommene Röntgenbild (vgl. Fig. 1) zeigt, daß die Wurzeln des zentralen Schneidezahnes, des lateralen und des Eckzahnes je mit einem Stiftzahn versehen waren, und auch der Bikuspis eine künstliche Krone trug.

Fig. 1.

Von der Wurzelspitze des zentralen Schneidezahnes über den Eckzahn weg, bis zum Bikuspidaten hin, zog sich eine durch Aufhellung des Knochen- schattens sich deutlich markierende Höhle, die erkennen ließ: daß der ganze Prozeß schon viel umfangreicher im Knochen zerstörend gewirkt hatte, als wie man von außen annehmen konnte. Zwischen dem zen- tralen Schneidezahn und dem lateralen befand sich eine feine Fistel- öffnung, welche die Sonde nur eine kurze Strecke eindringen ließ, aber der Druck auf den Gaumen entleerte eitrige Flüssigkeit aus der Fistel. so daß über die Verbreitung des Prozesses bis zur Gaumenschleimhaut kein Zweifel sein konnte. Es war wiederholt versucht worden, von dem Zahn aus durch Behandlung den Schluß der Fistel zu erzielen. Aber zuletzt waren doch die Zähne mit Stiftzähnen versehen worden, die gut vertragen wurden. (Wer möchte in diesem Falle glauben, daß durch Injektion von Schwefelsäure der Prozeß hätte beeinflußt oder gar „ur Heilung geführt werden können? Liegt bei einer solchen Aus- breitung nicht die Getahr nahe, daß zuviel Flüssigkeit eingespritzt. und die große Höhle mit der Säure gefüllt werden kann, aus der man sie nicht mehr herauszubringen vermag, wo sie ihre verätzende Wirkung in umfangreichster Weise entfalten kann?) Durch einen bogenförmigen

Verhandlungen der 44. Jahresversammlung des Centr.-V. D. Z. 599

Schnitt wurde im April dieses Jahres unter Kokainanästhesie der Herd freigelegt. An der Stelle des lateralen Schneidezahnes hatte eine Granulationswucherung bereits den Knochen durchbrochen, so daß man dort ohne weiteres die Sonde über l cm tief in die nach außen und hinten sich erstreckende Höhle einführen konnte. Die Wurzel des lateralen Schneidezahnes ragte in diese Höhle hinein und bedeckte den Zugang hier so, daß sıe 4 mm weit abgetragen werden mußte. Die Schnittfläche führte durch den mit Zement verschlossenen Kanal. Erst jetzt ließ sich freier Zugang zu der Höhle gewinnen, die einwärts von der Wurzel des Eckzahnes sich bis zum Bikuspidaten verfolgen ließ. Gleichzeitig erwies sich die Unterwand, die Decke des Gaumens, durch Granulationswucherungen usuriert; die Höhle wurde gründlich ausgeräumt und bei ihrer Ausdehnung und ihrem komplizierten Ver- lauf mit Jodoformgaze tamponiert. Der Tampon konnte nach 4 Tagen bei reaktionslosem Verlauf entfernt werden. Die weitere Heilung hat, soweit mir bekannt geworden, keine Schwierigkeiten mehr gemacht.

Außer der ungleichmäßigen Ausdehnung der Höhle kann auch ihr Ursprung häufig erst durch breite Freilegung klar- gestellt werden.

Eine 4Sjährige Johanniterschwester kam wegen einer Fistel in meine Behandlung, die angeblich seit 3!/, Jahren bestand, und trotz wiederholter Auskratzung und Auflöffelung seitens eines renommierten Chirurgen blieb die Fistel immer wieder bestehen. 3 rechts oben war anscheinend ganz gesund. Dicht neben seiner Wurzel führte die Fistel in die Tiefe. Leicht mit Granulationen besetzt konnte der Fistelgang vertolgt werden ungefähr 3, cm aufwärts, wo die Sonde auf harten Knochen stieß. 4 fehlte, 5 war gefüllt. Ich versuchte zuerst eine Spaltung der Fistel und ihre Ausräumung in der Vermutung, daß es sich um einen zurückgebliebenen Zahn oder Knochenrest handelte. Es fand sich nichts dergleichen vor. Die Heilung ging anscheinend gut von statten, aber nach 6 Monaten kehrte die Patientin zurück mit derselben Fistel wie vorher. Ich schlug ihr nun die breite Freilegung des Kiefers vor und machte unter Kokainanästhesie die Aufklappung der Schleimhaut mit großem bogenförmigen Schnitt. Die Abhebun der Schleimhaut war wegen der zahlreichen Narbenbildungen emlich schwierig; aber nach Freilegung des Knochens zeigte sich, daß unge- führ t cm hinter dem Niveau der Fistel ein Granulationsherd den Knochen durchbrochen hatte und nach Abmeißelung seiner Ränder sich so weit verfolgen ließ, daß sich zeigte, wie die Granulation ihren Ausgang nahm von der Wurzel von 5. Die Patientin bestand auf der Extraktion dieses Zabnes, nachdem ich ihr erklärt, daß dieser der Ausgangspunkt der solange bestehenden Fistel sei. Erst nach Ex- traktion ist die Heilung dann ungestört eingetreten und ist nun defi- nitiv. Nach Lage der Fistel war absolut nicht daran zu denken. daß der keinerlei Reizerscheinungen bietende 5| die Ursache dieser hart- näckigen und selbst eingreifenden chirurgischen Maßnahmen Wider- stand leistenden Prozesses war. Nach Lage der Fistel hätte man eher den gesund aussehenden und keinerlei Krankheitserscheinungen bieten- den Eckzahn beschuldigen und vielleicht unnütz opfern können.

In einem zweiten Falle ließ sich durch die breite Auf- klappung der Schleimhaut eine in der Gegend von 4 links oben bestehende Fistel. die auch nach Extraktion von |* nicht geheilt

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war, bei fehlendem !3_ als verursacht durch die buccale mesiale Wurzel von .$_ erzeugt feststellen.

Gibt somit diese Methode in diesen Fällen nicht nur die Möglichkeit einer diagnostischen Aufklärung, sondern auch einer endgültigen Heilung und Behandlung, so dient sie auch dazu, in von vornherein recht unklare und der Diagnose schwer zugäng- liche Erkrankungen, die nicht in direktem Zusammenhange mit den Zähnen stehen, erforderlichen Aufschluß zu geben. Das mögen folgende zwei Fälle erläutern.

Eine ?9jährige Frau aus S. in Schlesien will vor einigen Jahren an Influenza erkrankt sein, infolge deren nach wenigen Wochen eine Eiterung am linken Öberkiefer entstand. die sich zwischen 5 und t öffnete. Eine Entfernung des Wurzelrestes von 4, auswärts vorge- nommen, brachte keine Erleichterung. Immer traten wieder Schwel- lungen der linken Gesichtshälfte mit wechselnd starker Eiterung auf; ım letzten Winter wurden sie so stark, daß ärztlicherseits ein tiefer Einschnitt gemacht wurde, aber dabei entleerte sich nur wenig Ab- sonderung. Eine Heilung trat trotzdem nicht ein. Vor kurzer Zeit ist eine neue starke \chwellung zu bemerken gewesen, welche die Patientin nun zu mir führte. Ofters ist es ihr vorgekommen, als wenn sie imstande gewesen wäre, Luft und Eiter aus der Fistel nach dem Mund zu ziehen. Der Befund, der am 3. Juni erhoben werden konnte, war kein sehr erheblicher. Von außen ließ sich nur eine leichte Vor- wölbung linkerseits gegen rechts wahrnehmen, ein Druckschmerz war nirgends vorhanden. Im linken Oberkiefer standen noch, meistenteils jedoch als Wurzelreste, 1, 2, 3, 4, 5, 7 und 8. Ohne daß auch von innen eine erhebliche Schwellung bemerkenswert gewesen wäre, fand sich oberhalb von 5 in der Schleimhaut eine Fistelöffnung, durch welche sich die Sonde 5 em tief in Richtung an die Augenhöble ein- fübren ließ. Bei der Einführung einer dünnen Kanüle ließ sich Wasser nach dem linken Nasengang durchspritzen. Es war möglich. daß eine Cyste bestand, die in die Nasenhöhle durchgebrochen oder die Kiefer- höhle eröffnet hatte. Sicheres ließ sich durch die Untersuchung nicht sagen. Es wurde deshalb unter Kokainanästhesie, die sehr tief war, bei fast vollkommener Blutleere, die Fistel umschnitten, und ein Schleimhaut-Periostlappen gebildet, der nun mit dem Elevatorium auf- wärts abzulösen versucht wurde. Narbengewebe, welches von der Fistel aus ziemlich breit nach oben zog, füllte einen beträchtlichen Defekt in der Vorderwand des Oberkiefers aus. Nach Exzision des- selben gewann man freien Eingang in die Kieferhöhle, deren Wände mit ziemlich erheblich geschwollener Schleimhaut bedeckt und mit dicken, filzigen, eitrigen Massen belegt waren. Die Höhle ging unge- führ 4 cm nach aufwärts und barg in ihrem oberen Abschnitt einen knochenharten. deutlich inkrustierten flachen Körper, der sich aus der weiten Inzisionsöffnung ohne Mühe unversehrt herausziehen ließ. Nach Abspülung der reichlichen, schleimig-eitrigen Massen erwies sich das Knochenstück als ein Teil der Vorderwand der Kieferböhle; es ist stellenweise transparent, auf seiner Oberfläche decken es krustenförmige Ablagerungen, die deutlich zeigen, daß das Stück lange Zeit als Freindkörper in der Kieferhöhle gelegen hatte. Die Kieferhöhle selbst wurde nun auch abgetastet, wobei man ein ziemlich weites Ostium inter- num Konstatierte. Die noch vorhandene Wurzel von 5 sowie deren

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Nachbarzähne haben nichts mit der Höhle zu tun. Nach gründlicher Ausspülung wird der äußere Schleimhautlappen in die Höhle einwärts tamponiert und die Höhle mit Jodoformgaze ausgefüllt. Die Heilung trat rasch und leicht ein, und Patientin war von dem langen Leiden in kurzer Zeit befreit. Es handelte sich also in diesem Falle um eine wahrscheinlich unter dem Bilde der Influenza eintretende Periostitis mit Nekrosenbildung der vorderen Wand des Oberkiefers und Ver- lagerung des Sequesters in die Kieferhöhle hinein. Naehträglich gab die Patientin auch an, daß sie häufig durch übelriechenden Fiter, der von der Nase nach dem Munde zu geflossen sei, Belästigung emp- funden habe.

Schwerer noch aufzuklären war die Sachlage bei einer 39 jährigen Patientin, die seit 10 bis 12 Jahren starke intermittierende neural- Kiche Schmerzen in der linken Gesichtsseite mit deutlichem Verziehen derselben gehabt hatte, und bei der aus dem Oberkiefer langsam alle Zähne entfernt worden waren, in der Meinung, daß sie die Quelle der neural- gischen Beschwerden seien. Anderwärts waren ihr zahnärztlicherseits wiederholt Inzisionen am Alveolarfortsatz gemacht worden, weil schmerz- hafte Punkte an dieser Stelle die neuralgischen Anfälle leicht aus- lösten. Eine Kur in Wörrishofen hatte nur kurzen Erfolg. Als vor 2 Jahren die Erkrankung mit erneuter Heftigkeit auftrat, wurde ihr in einer Breslauer Anstalt die Neurexairäse gemacht, die wohl auch vorübergehenden Erfolg brachte, aber die Wiederkehr der Anfälle nicht aufzuhalten vermochte. Es traten links im Oberkiefer wiederholt Schwellungen, besonders kurz vor und nach der Menstruation ein, und am linken Oberkiefer blieb eine leichte Auftreibung bestehen, welche auf Druck schmerzhafte Empfindungen auslöste. Die leidend aus- sebende Frau, die ihre lange Leidensgeschichte in ausführlicher Breite erzählt, zeigt die linke Gesichtshälfte deutlich eingesunken im Ver- gleich zur rechten, in der Gegend des Infraorbitalnerven eine Narbe, unter welcher im Kiefer selbst eine leichte Lücke bemerkbar wird. Der Ausbreitungsbezirk des 'Trigeminus ist nicht vollständig anästhe- tisch. Parästhesien treten wiederholt auf. Sie vermag die leisesten Reize gut zu lokalisieren und scheint viele davon in verstärktem Maß- stabe wahrzunehmen. Bei genauem Zusehen macht sich am linken Alveolarfortsatz etwa zwischen 5 und 6 eine nur für eine ganz feine Sonde durchgängige Fistel bemerkbar, oberhalb der der Knochen deutlich verdickt und schmerzhaft ist. Unter Kokain-Adrenalin-Anäs- thesie, die mit gutem Erfolge verwendet wird, hebt das Elevatorium einen bogenförmigen Schleimhautlappen ab. Unter ihm kommt ziem- lich glatter aber unregelmäßig verdickter Knochen zutage, der an einer kleinen Stelle etwas gerötet und usuriert ist. Dieser verdickte Knochen wird flach abgetragen. Bei Betrachtung der Meißelfläche kommt ein transparentes Gebilde in das Gesichtsfeld, das in einer ringsum geschlossenen Höhle zu liegen scheint. Bei weiterer Auf- meißelung am Rande bekommt man bessere Übersicht und sieht, daß dieees Gebilde aus Zahnbeinsubstanz besteht, mit perizementitischer Verdickung. Mit einem Meißelschlage läßt sich das Gebilde aus seiner Tiefe heben, es ist ein runder, vielfach verbogener und gekrümniter Zahnrest. Die glattwandige Höhle, die nach Entfernung dieses Restes zurückbleibt, wird mit dem ovalären Schleimhautlappen bedeckt und fest mit dem Woattetampon angepreßt. Eine mäßige Reaktion folgte in den ersten Tagen. Die Operationswunde ist rasch vernarbt, die nervösen Beschwerden sind noch nicht vollkommen geschwunden, aber merklich gebessert. Das Zahngebilde scheint aus zwei Wurzeln eines

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oberen Mahlzahnes zu bestehen, die miteinander verschmolzen sind. Es läßt an seiner Oberfläche keine Frakturfläche erkennen. Ob es die Neuralgie verschuldet hat, wird sich erst durch die fernere Beobachtung feststellen lassen. Vorläufig haben die Schmerzanfälle erheblich nach- gelassen. Der verdickte Kiefer zeigt deutlich, daß das zurückgebliebene Zahnfragment einen Gewebsreiz ausgeübt, und nicht reaktionslos im Kiefer gewesen ist. Lehrreich ist, daß ein solcher Rest von dieser Ausdehnung solange im Kiefer verbleiben kann, ohne stärkere Eite- nng hervorzurufen. Auch hier war erst durch breite Freilegung des Kiefers und durch Abmeißelung der verdickten Knochenpartie Auf- schluß über den Fall zu gewinnen.

Man wird aus diesen Fällen, welche ich aus einer größeren Anzahl ausgewählt habe, ohne weiteres erkennen, wie mannig- fach die Ursachen sein können, die im Bereich der Kiefer infolge von Zahnleiden zu Fistelbildungen führen können. Gerade diese Mannigfaltigkeit drängt den notwendigen Schluß auf, daß eine schablonenartige Behandlung der Fistel als solche durchaus keinen sicheren Erfolg verspricht, sondern daß dieselbe nur dadurch ge- währleistet werden kann, daß man dem Krankheitsherde, der die Fistel unterhält, beizukommen sucht. Es ist nicht Operationswut. sondern die strenge Befolgung eines chirurgischen Grundsatzes, die dazu führt, den Herd sich breit frei zu legen, und damit nicht allein genügenden Autschluß über die eigentliche Ursache, sondern auch die Möglichkeit, sie zu beseitigen, zu finden.

Diese breite Bloßlegung des Knochens erfordert eine Lappen- bildung aus der Schleimhaut, welche einerseits breit genug ist, um Übersicht zu gewähren und andererseits eine dauernde Er- höhung des Lappens sicher stellt, damit nach der Beseitigung des Krankheitsherdes der Lappen sich wieder an seine Unterlage anlegen und mit ihr verwachsen kann. Einfach gerade Schnitte, wie sie bei Spaltung von Fisteln früher vielfach beliebt waren, sind für diesen Zweck nicht ausreichend. Oft genug nimmt die Fistel von dem Krankheitsherde aus nach außen zu einen sehr gewundenen Verlauf, so daß die Richtung der Fistel durchaus nicht immer den zweckmäßigsten Zugang zu dem Krankheitsherde darstellt. Ferner vollzieht sich die Ablösung im Bereich des von narbigem Gewebe umgebenen Fistelganges durchaus nicht immer leicht, und die den Gang auskleidenden Granulationsmassen erschweren durch ihre Blutung die Übersicht über das Operationsterrain sehr erheb- lich. Auch die Türflügelschnitte, wie sie Weiser!) angegeben, erscheinen mir nicht ausreichend genug, abgesehen davon, daß sie von vornherein nicht zu groß und über den Alveolarfortsatz reichend, angelegt werden können, auch für die Heilung keine besondere günstige Bedingungen setzen. Schlechter ist es noch, wenn man direkt auf die Wurzelspitze losgeht. Die Bedeckung

1) Österr. Vierteljahrsschrift. Jahrg. 1904.

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des ÖOperationsgebietes fehlt dann ganz. Breite Bogenschnitte sind am Platze, die ihre Basis im Vestibulum oris nehmen, ent- weder das ganze Zahnfleisch in sich fassen, wo Zähne nicht mehr vorhanden sind, oder bis nahe an den Zahnfleischrand herangehen, wo Zähne noch existieren. Die breite Basis sichert auf die Dauer eine gute Ernährung, nur muß sie natürlich von vornherein so gewählt werden, daß sie dem Verlauf der Zahnfleischgetäße Rech- nung trägt. Da am Oberkiefer die Gefüße auf der Außenseite von oben nach unten an das Zahnfleisch heranziehen, wird hier eine Richtung gewählt werden müssen, welche dem Lappen eine nach unten konvexe Form gibt. Etwas schwieriger gestaltet sich die Form des Schnittes auf der Innenseite des Öberkiefers, wo die von hinten nach vorn ziehende Arteria pala- tina dazu zwingt, dem Lappen eine mehr horizontal nach vorn gerichtete Form zu geben. Zum Glück ist gerade an der Gaumen- seite relativ am seltensten Veranlassung für eine solche Lappen- bildung gegeben, weil ja die meisten entzündlichen Prozesse ihren Weg nach der Außenseite des Kiefers zu nehmen. Am Unter- kiefer muß die Basis des Lappens entsprechend der autsteigenden Richtung der Gefäße im Zahnfleisch ebenfalls in das Vestibulum oris gelegt werden und dementsprechend der Lappen eine nach oben konvexe Form bekommen. Reicht diese aus im Bereich des Mittelstückes des Kiefers und in dem vorderen Teil des hori- zontalen Astes, so ist er hinten, wo der Alveolarfortsatz niedriger, die obere Fläche des Kiefers breiter wird, nicht so leicht mehr anzulegen, und wird am besten vertauscht mit einer Schnitt- führung, welche das Zahnfleisch entlang dem Kiefer bis nach hinten spaltet. Diese breite Aufklappung der Schleimhaut ist erst möglich geworden, seitdem wir in der Kokain-Adrenalin- Injektion ein so vortreflliches schmerzstillendes Mittel besitzen, das gleichzeitig in vielen Fällen die Möglichkeit gibt, die Ope- ration so gut wie blutlos auszuführen. Die Injektion braucht nicht wie bei der Schleichschen zu einer stark Ödematösen Durchtränkung des Gewebes zu führen, denn dadurch wird die anatomische Übersicht oft sehr undeutlich und durch die dicke Masse des Lappens das Terrain schwer übersichtlich. 1—2 cbm einer halbprozentigen Kokainlösung mit 3 Tropfen Davisscher Adrenalin-Solution reichen vollkommen aus, um das ganze Ope- rationsterrain im weiteren Umkreise gefühllos zu machen und in vielen Fällen auch blutleer erscheinen zu lassen. Die animi- sierende Wirkung des Adrenalins fällt verschieden aus und scheint abhängig vom Individuum zu sein. Die Zeitdauer der Wirkung ist für dieselbe unerheblich. Man tut gut. durch leichtes Ver- streichen der injizierten Flüssigkeit nach Möglichkeit am Kiefer zu verteilen. und erst 3—4 Minuten nach der Injektion mit der

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Operation zu beginnen. Am Unterkiefer ist es sehr zweckmäßig, die Zunge durch ein mit der Schreiterschen Mundklemme fest- zuhaltenden Wattebausch so beiseite zu drücken, daß sie durch unzweckmäßige Bewegungen den Operateur nicht stört. Gleich- zeitig wird durch die entsprechende Aufsaugung des Speichels für die Übersichtlichkeit des Operationsterrains gesorgt. Zur In- zision benutze ich ein langgriffiges, aber kurzschneidiges, schmales, kurzes Messer, und durchtrenne Haut und Schleimhaut bis auf den Knochen mit einem Schnitt. Es ist das deshalb von Wichtig- keit, weil man sonst bei den weiteren Manipulationen zu leicht Schleimhaut und Submucosa isoliert von dem Periost abtrennt und damit die Ernährung und Wiederanlegung der Knochenhaut an die Oberfläche des Knochens gefährdet. Die Ablösung wird mit einem Elevatorium vorgenommen, welches keine zu stumpfe Spitze hat, sondern mit ziemlich straffer Schneide zwischen Knochen und Periost eindringt. Wie leicht sich das Periost vom Knochen abheben läßt, richtet sich nach der Stelle der Ablösung.

Während das Periost an der ganzen Außenfläche des Ober- kiefers und in dem hintern Abschnitt des Unterkiefers sich leicht vom Knochen lösen läßt, haftet es am Mittelstück des Unter- kiefers in der Gegend der Bikuspidaten fest an dem Knochen an. so daß man hier oft Mühe findet, die Ablösung im ganzen zu bewerkstelligen, öfter das Periost etwas zerfasert.

Andererseits beeinflussen die Formen der Erkrankungen und die damit zusammenhängenden Veränderungen des Periosts seine Ablösbarkeit sehr erheblich. Bei starker narbiger Veränderung ist die Ablösung schwer. Der Fistelgang hängt oft sehr fest mit dem Krankheitsherde zusammen und läßt sich nur schwer mit dem Lappen von ihm trennen. Deshalb wird in solchen Fällen besondere Vorsicht geboten sein, um nicht etwa den Lappen direkt zu zerreißen. Seine Einheitlichkeit ist von besonderer Wichtigkeit für die Wiederanlegung und für die Ausheilung der Operation. Je gleichmäßiger er ist, desto besser läßt er sich durch den Druck wieder fest auf die Fläche legen, von der er abgelöst wurde, und desto sicherer tritt eine primäre Verlötung ein. Ist er zerfetzt, kann die Ausheilung erst nach Abstoßung der zerrissenen Partien erfolgen, wird sich also erheblich ver- zögern. Befolgt man die oben ausgeführten anatomischen Regeln, so legt sich der Lappen sowohl am Ober- als am Unterkiefer leicht an die Stelle, wo man ihn ausgeschnitten hat, wieder an. Längerer Druck mit einem Tampon genügt, um ihn dort so fest zu halten, daß auch seine endgültige Verwachsung in dieser Lage sich vollzieht. Nur wenn in der Unterlage am Knochen ein erößerer Substanzverlust gesetzt werden mußte, wird häufig der Lappen sich in diese etwas hineinziehen und damit von der ur-

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sprünglichen Schnittwunde abrücken. Aber er gibt für den Knochen- defekt die beste und sicherste Bedeckung und ermöglicht so eine primäre Heilung des Knochendefektes. Man hat sich diese früher erheblich erschwert, indem man die Tamponade mit Jodoformgaze für erforderlich hielt. Dadurch wurde stets eine mehr oder weniger tiefe, granulierende Höhle geschaffen, deren vordere Wand der abgehobene Schleimhautlappen bildete. Erst langsam und unter Absonderung konnte sich diese Höhle ausfüllen und gab nicht selten zu einem scheinbaren Rezidiv der Fistel Veran- lasung. Deshalb sind von verschiedenen Seiten, wie Mayrhofer und Vierthaler!), Versuche gemacht worden, nach dem Vorgange Mosetigs die Höhle mit einem plastischen Material der soge- nannten Jodoformplombe auszufüllen. Dieser Weg setzt aber voraus, daß das Innere der Höhle nach Möglichkeit steril und so trocken gemacht ist, daß die warm eingeführte Plombe Haftfläche am Knochen findet. Schwerer noch als diese Forderung ist die andere zu erfüllen, die Knochenplombe vollständig luft- und wasser- dicht abzuschließen, um ihre primäre Einheilung in den Knochen zu ermöglichen. Zu diesem Zwecke müssen die Schleimhautwund- ränder durch Nähte so aneinander geführt werden, daß wirklich ein dichter Abschluß erfolgt. Wer versucht hat, Nähte noch so feiner Art durch das Zahnfleisch zu legen, wird sich überzeugt haben, daß das in weitaus den meisten Fällen mißlingt, insofern schon die Durchführung der Nadel an dem festhaftenden Zahn- fleisch große Schwierigkeiten macht und selbst, wenn dies ge- lungen, der Seidenfaden, noch so zart zusammengezogen, das Zahnfleisch durchschneidet. Ich habe deshalb von diesen Ver- suchen Abstand genommen und halte sie für überflüssig, weil der oben angeführte Weg mich ausnahmslos auf kürzeste Weise zum Ziele geführt hat.

Ein mäßiger Druck, ausgeführt mit einem außen aufgelegten W”attetampon und mit dem Fingerdruck von außen unterstützt, genügt, 2—3 Stunden fortgesetzt, um jede Blutung anzuhalten un «d den Lappen so an seine Unterlage festkleben zu lassen, dat auch nach Entfernung des Tampons derselbe fest haftet. und selbst leicht ziehenden Bewegungen, welche Verschiebungen der Wange und Lippe, beim Kauakt und beim Sprechen bewirken. vollständig Widerstand zu leisten vermag. Selten sieht man in den nächsten Tagen eine leichte Schwellung als Reaktion im Bereich der Wange auftreten; kaum schmerzhaft, weicht die

Schwellung trocknen warmen Umschlägen im allgemeinen rasch. so daß die Patienten vom 3. Tage ab kaum mehr eine Emp- findung von der stattgehabten Operation haben. Haben sich die

Zeitschrift für Stomatologie. 1004.

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Wundränder genau aneinander gelest. » ist die H-i.ung in 5—» Tagen vollendet: etwas längere Zeit ist Dotwecüz. wenn hei Einlag-ring des Larpens in tiefere Operationshöbien zwischen den Wundrändern ein Defekt bieibt. der sich erst mit Granmatien besetzen und al.ıcantich überkäuien mus. Aber auch dann erfoizt die weitere Heilung ganz schmerzlos und bedarf nur gering-r Kontrolle. Spuiung mit antiseptisch-n. nicht r-izenden Mand- wässern genuzen. um die Steile genüz-nd sauber zu haiten, be- sond-res Abspritzen ist Ineistenteils überfüssiz. Gelegent:ich kann eine leichte Atzung mit Lapis die Uberhäutung der Wunde b-schleunigen.

Eines anderen Hiltfsmittels glaube ich aber nicht entraten zu können. der künstlichen Beleuchtung des Öperationsteldes. Nur dadurch ist man imstande. die bei Tag-slicht so störenden Schlazschatten zu vermeiden. auch tief im Munde genügend Licht zu baben. um scharf das Operationsfeld beleuchten zu können. sei der Kl-inheit der Verhältnisse. der Schwierigkeit. Zahn und Knochen, namentlich pathologisch veränderten. voneinander zu unterscheiden, ist eine intensive Beleuchtung notwendig. Naur init ihrer Hilfe lassen sich in der Tiere Zahnfrarmente deutlich sehen und namentlich auch die Übersicht gewinnen, ob an irgend- einer Stelle der Krankheitsprozeb in feinem Gange sich noch weiter verbreitet oder nicht. Gerade wer diese Operation noch nicht oft ausgeführt hat. wird sich dieses Hiltsmittels besonders bedienen müssen, um das Auge an die feine Unterscheidung der hier in Betracht kommenden Gewebe zu gewöhnen. Die von teinizer, Gebbert & Schall in Verkauf gebrachte Stirnlampe mit einem leicht blauen Kondensor eignet sich vortretlich dazu, weil sie ein sehr gleichmäbiges ruhiges Licht gibt, das man durch die Bewegung des Kopfes gut dirigieren kann, ohne dabei mit den Jländen gebunden zu sein. Natürlich gehört zu der Operation auch geschulte Assistenz, welche zweckmäßig die Wange beiseite hält, den Lappen fixiert und vor allem das Tupfen gut versteht, Auf diese Weise kann man hartnäckige, manchmal jahrelang bestehende, stete Belästigung und Beunruhigung herbeiführende Zustände in vielen Fällen noch mit Erhaltung des Zahnes zu rascher Ausheilung bringen. Wer mit mir darüber Befriedigung empfinden wird, wird die Auffassung nicht teilen, daß solche Operationen überflüssig sind. Nicht blinder Öperationseifer läßt mich sie empfehlen, sondern das Bewußtsein, mit der Befolgung eines die ganze Chirurgie durchdringenden Grundsatzes auch die Zahnheilkunde mehr auf chirurgischen Boden zu stellen.

Unter lebhaftem Beifall dankt der Vorsitzende dem Ehrenmit- gliede des Vereins für seine hochinteressanten Ausführungen.

Diskussion. Herr Heitmüller-Göttingen: Ich halte die Wurzel-

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spitzenresektion für eine ganz vorzügliche Operationsmethode, doch stebe ich auch auf dem Standpunkte, daß man dieselbe nur in den Fällen anwenden soll, wo andere Behandlungsmethoden nicht zum Jele führen. Man soll aber auch nur in den Fällen die Operation vornehmen, wo man die Wurzelspitze mit Sicherheit erreichen kann, also besonders an den Schneidezähnen. Besonders wertvoll ist die Methode, wenn der erkrankte Zahn als Träger eines festsitzenden Stitzahnes oder einer Brücke dient. Einen solchen Fall, es handelte sich um eine Wurzel mit einer Richmond-Krone, habe ich vor einem Jahre durch die Wurzelspitzenresektion mit Erfolg behandelt. Die Wurzel hatte eine Fistel verursacht, durch die man in eine fast hasel- nußgroße, mit Granulationen ausgefüllte Höhle kam. Ich möchte noch erwähnen, daß es notwendig ist, eine nicht gefüllte Wurzel vor der Operation antiseptisch zu behandeln und zu füllen. Hat man die Operation gemacht, so soll man bis zum nächsten Tage die Wunde tamponieren und sich überzeugen, ob die Wurzelspitze auch wirklich gefüllt ist; bleibt der Wurzelkanal an der Spitze ungefüllt, so würde eine Heilung nicht gut möglich sein. Es empfiehlt sich auch vor der Operation, falls der Wurzelkanal zugänglich ıst, die Länge desselben enau zu messen, damit wir wissen, wo die Wurzelspitze liegt, denn ie Fistelöffnung entspricht bekanntlich nicht immer der Lage der Wurzelspitze. Herr Jul. Witzel-Essen: Da mein Bruder Adolph nicht zu- gegen ist. so fühle ich mich verpflichtet, für ihn einzutreten. Ich gebe ohne weiterer zu, daß seine letzte Veröffentlichung über „Wurzelspitzen- resektion‘“ stellenweise zu scharf gewesen ist. Ich habe in letzter Zeit wiederholt Gelegenheit gehabt, mit meinem Bruder über diese Ope- ratıonsmethode, die mit dem Namen Partsch verknüpft ist, zu sprechen. Und ich kann dem Kollegen Partsch versichern, daß die außerungen meines Bruders nicht persönlich gemeint sind, und daß ihm nichts terner gelegen hat als der Vorwurf der „Operationswut“. Dieser Vor- wurf würde in dem vorliegenden Falle um so schwerer sein, weil er enen Mann träfe, dessen Gewissenhattigkeit und peinliche Indikations- stellung allgemein anerkannt wird. Einzig und allein der Unfug, der ın letzter Zeit vielfach mit der sog. Wurzelspitzenresektion getrieben wird, soll durch die Publikation von Ad. Witzel gegeißelt werden. Wie wenig die Kollegen im Sinne von Partsch handeln, die sich damit begnügen, einen großen Rosenbohrer auf gut Glück und ohne weiteres in den Kiefer zu treiben, um dabei die Wurzelspitzen abzu- tragen, das hat uns der Kollege Partsch heute selbst durch seinen lichtvollen Vortrag bewiesen. indem er uns zeigte, daß das eigentliche Abtragen der Wurzelspitze doch nur ein Bruchteil seiner Methode aus- macht, daß man präparatorisch den Weg zu der Wurzelspitze und das Feld um dieselbe unter allen Kautelen vorher freizuleren hat, eine Peration, die die geübte Hand eines chirurgisch geschulten Zahnarztes erfordert und keineswegs das Werk weniger Augenblicke ist. Es ist außerordentlich erfreulich, daß der Kollege Partsch heute vor aieser Korona einmal klipp und klar festgelegt hat, wie er sein Ver- ahren verstanden wissen will und daß dasselbe nichts gemein hat Be dem viel geübten und beschriebenen einfachen Anbohren der 7 erknochen, gegen das energisch Front zu machen einzig und allein Buch der Publikation von Ad. Witzel war. Ich glaube dem Kollegen versichern zu dürfen, daß er meinen Bruder Adolph stets ia finden wird. das heute hier beschriebene und begründete Ver-

ren zu empfehlen, wenn andere therapeutische Maßnahmen versagen,

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Herr Cohn: Die Operationsmethode ist für uns unentbehrlich, sie ist im Vergleich zu der wochenlangen Behandlung des Wurzelkanals für uns weniger mühevoll, im Erfolge sicherer und für den Patienten daher auch empfehlenswerter. Bei blinden Abszessen an oberen Front- zähnen rate ich die operative Behandlung ohne weiteres vorzunehmen.

Herr Lipschitz: Herr Prof. Partsch hat in seinem Vortrage die Frage gestellt: Sind alle Fisteln durch die gewöhnliche Wurzel- behandlung heilbar? Wird diese Frage verneint und ich glaube nicht, daß sie irgendein Zahnarzt bejaht so muß die Indikation für die von Partsch empfohlene Methode der Resektion der Wurzel- spitze bzw. der operativen Entfernung der Granulationen als gerecht- fertigt angesehen werden. Ich halte es so, daß ich in denjenigen Fällen, in denen eine gewöhnliche Wurzelbehandlung und Inzisıon bzw. Auskratzung der Fıstel nicht nach einigen Tagen schon zur Ausheilung führt, zur Partschschen Operationsmethode schreite. Was in einer der letzten Veröftentlichungen Prof. Ad. Witzels besonders peinlich berührt hat, war, daß er die Entfernung der Wurzelspitze in den angeführten Fällen für einen Kunstfehler ansieht. Herr Prof. Witzel muß sich über das, was ein „Kunstfehler“ ist, nicht recht klar geworden sein, sonst würde er nicht eine so weittragende Behauptung aufgestellt haben. Bei dieser Gelegenheit möchte ich darauf hinweisen, daß es, wie ein Kollege vor etwa Jahresfrist bekannt gegeben hat, in denjenigen Fällen, in denen trotz Anwendung der Kokain-Adrenalin- Injektion eine größere Blutung auftritt, gut ist, am ersten Tage nur den kranken Herd freizulegen und zu tamponieren und erst am folgenden Tage die Operation zu vollenden. Durch die dadurch gewonnene größere Übersichtlichkeit des Operationsfeldes ist die Operation außer- ordentlich erleichtert. Für eine Kontraindikation der Partschschen Methode käme in Betracht, ob nach den Operationen Schädigungen irgendwelcher Art eingetreten oder gar Rezidive bemerkt worden sind. Mir selber ist bei etwa 6—8 Fällen keine Schädigung und kein Rezidirv bekannt geworden. Sollte auch Herr Prof. Partsch bei seiner großen ' Erfahrung keine schädlichen Folgen wahrgenommen haben, dann werde jeder Grund fortfallen, die Methode dort anzuwenden, wo sie m- diziert ist.

Herr Neuschmidt: Die Indikation für operative Behandlung der Wüurzelspitze möchte ich noch einschränken dnsch den Vorschlag. die Platinschlinge des Galvanokauters in kaltem Zustand in die Zahn- fistel einzuführen und unter Stromschluß und drehenden Bewegungen herauszuziehen. Meist gelingt es so, den Fistelherd zu zerstören und das Foramen apicale durch Schorf zu obliterieren. Es ist unbenommen, diesen kleinen Eingriff, wenn nötig, zu wiederholen.

Herr Dieck: Die Eröffnung des Kiefers zum Zwecke der Be- handlung chronischer Wurzel- und Knochenerkrankung mit oder ohne Fistelbildung ist auch in der Abteilung für konservierende Zahnheil- kunde des Berliner Instituts in einer ganzen Anzahl von Fällen aus- geführt worden. Die Erfolge sind in so hohem Grade befriedigend gewesen, daß jeder neue Hinweis auf die Operation, wie sie Herr Prof. Partsch in seiner bekannten klaren und lichtvollen Weise schildert, nur freudig zu begrüßen ist.

Ich pflegte so vorzugehen, daß mit einem Kreismesser an der Bohrmaschine ein rundes Fenster aus dem Zahnfleisch Sen. wurde und darauf mit einem großen Kugelbohrer oder Fräser der Knochen bis zum Krankheitsherde perforiert wurde, je nach Bedürfnis in geringerer oder breiterer Ausdehnung. Kräftige Irrigationen mit

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Wasserstoffsuperoxyd beseitigten die ausgefräste Knochensubstanz und wirkten zugleich hämostatisch. Bisweilen wurde die Operation nach Einlage eines Jodoformgazetampons erst am folgende Tage beendet, wo dann eine klarere Übersicht von Vorteil war. Nach einer zwei- bis dreimal wiederholten Tamponade und beim Wechsel derselben erfolgten Irrigation wurde die Wunde sich selbst überlassen und heilte stets ohne jede Störung schnell zu. In einem Falle war ich nach Jahres- frist gezwungen, eine Trepanation zu wiederholen, was vielleicht auf die nicht genügend ausgiebige Eröffnung bei der ersten Operation zurückzuführen war.

Herr Heidecke- Görlitz: Ich vermisse in den Ausführungen des Herrn Prof. Partsch bei der Auffindung von Wurzelfragmenten oder Sequestern resp. retinierten Zähnen im Kiefer die Erwähnung der Hilfe der Röntgenstrahlen, die jedenfalls vor Ausführung der operativen Eröffnung des Kiefers von großem Werte ist. Besonders entschließen sich die Patienten leichter zur Ausführung der Operation, wenn man ihnen mit Hilfe der Röntgenphotogramme beweist, daß sie not- wendig ist.

Herr Siebert-Düsseldorf: Zur Aufklärung glaube ich mitteilen zu müssen, daß Prof. Witzel sich hauptsächlich gegen das Wort Wurzelspitzenresektion wendet. Er will vor allem erst die Behandlung vom Zahn aus. Diese Methode hat er so vervollkommnet, daß tat- sächlich die meisten Fülle glatt heilen. Gegen die Aufklappung der Schleimhaut und gründliche Entfernung etwaiger Wurzelreste hat Witzel nichts einzuwenden. Wegen event. Röntgenaufnahmen mache ich noch darauf aufmerksam, daß diese Aufnahmen nicht in allen Fällen sichere Aufklärung geben und deshalb die chirurgische Er- öffnung schon zur Sicherung der Diagnose nötig ist.

Herr Claußen: Hinweisen möchte ich auf ein vorzügliches Hilfsmittel, das wir in vielen Fällen von Erkrankungen in der Um- sebung der Zahnwurzel in der einfachen Durchleuchtung des Kiefers haben; sie gibt uns häufig schon durch die Vergleichung beider Kiefer- bälften Aufschluß über den Umfang der Erkrankung. In ganz zweifel- haften Fällen, z. B. wo wir bei Bestehen einer Fistel nicht mit Sicher- heit einen bestimmten Zahn verantwortlich machen können, würde die Röntgenaufnahme uns einen vorzüglichen Anhalt verschaffen, und ich wundere mich, daß Herr Prof. Partsch in dem zuerst erwähnten Fall es handelte sich um eine Neuralgie und es war nicht sicher festzu- stellen durch Sondierung, ob ein Wurzelrest vorhanden war nicht die Röntgenaufnahme gemacht hat, sie würde wahrscheinlich vorher Aufschluß gegeben haben.

Ich selbst habe vor !/, Jahr bei einem zahnlosen Oberkiefer mir durch eine bloße Durchleuchtung über ein Krankheitsbild Klarheit verschaffen können; verschiedene Symptome ließen auf Empyem des Antrums schließen. In der Gegend von IM zeigte sich auf der Schleim- haut eine minimale Vertiefung, ein Wurzelrest konnte durch Sondie- rung nicht festgestellt werden. Meine Vermutung, daß doch eine erkrankte Wurzel die Ursache sei, wurde durch eine bei Öffnung der Kieferhöhle entfernte Zahnwurzel bestätigt.

Herr Herrenknecht: Ich halte es für vorsichtig und notwendig, in allen den Fällen, wo es sich um akut entzündliche Erscheinungen handelt, die Operationswunde nicht mit dem gebildeten Schleimbaut- lappen sofort wieder zu verschließen, sondern sie durch Tamponade mit Joloformgaze so lange ofłen zu halten, bis die entzündliche Erschei-

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nung verschwunden und in die Wundfläche mit Granulationsgewebe bedeckt ist. Die Operation würden wir bei akut entzündlichen Zu- ständen fast nur dann vornehmen, wenn es sich um einen Zahn handelt, der einen Stiftzahn trägt, wo wir also dem Eintzündungsherd durch den Wurzelkanal nicht beikommen können.

Herr Herrmann-Halle: Ich möchte an dieser Stelle aufmerksam machen auf die von Prof. Ad. Witzel vorgeschlagene Methode zur Heilung einer Fistel. nach Eröffnung des Wurzelkanales, eine Ein- spritzung von einer dünnen Lösung von Zinkchlorid durch den Wurzel- und Fistelkanal die Ausbeilung der Fistel zu versuchen. Sie gelingt in sehr vielen Fällen; jedenfalls ist es angezeigt, vor einem größeren Eingriff diese Methode erst zu versuchen.

Herr Miller: Meine Herren! Es ist uns allen bekannt, daß er uns in der Regel gelingt, /ahnfleischtisteln unter Anwendung der üblichen Methoden und Mittel in kurzer Zeit zu heilen. Es würde aber zu weit führen, wenn wir uns auf die Diskussion dieser Mittel und Methoden hier einlassen wollten. Auf der anderen Seite aber kommen doch Fälle vor, wo alle Heilversuche fehlschlagen, und es handelt sich darum, hier festzustellen, inwiefern die Resektion der Wurzelspitze in diesen Fällen zu empfehlen wäre. Es scheint nun nach den bisherigen Erfahrungen und insbesondere nach den soeben remachten Ausführungen von Kollegen Partsch festzustehen, daß diese Methode eine ziemlich sichere Aussicht auf permanente Heilung einer Zahnfleischtistel oder eines blinden Abszesses bewirkt, und insbesondere in allen Fällen in Betracht zu ziehen wäre, wo die üb- lichen Methoden zu keinem Resultate führen.

Herr Marx: Ich möchte eine Frage in bezug auf die Praxis stellen: Auf wie viele Jahre zurück erstrecken sich die Erfabrungen des Herrn Prof. Partsch, hat er einen nach seiner Methode be- handelten Fall nach einigen Jahren wiedergesehen und war der be- treffende Zahn noch vollständig funktionsfähig”

Herr Partsch: Ich habe es für notwendig gehalten, daß die Frage der Behandlung des chronischen Alveolarabszesses einmal einem Gremium vorgelegt wird, welches zur Entscheidung der Frage kompetent ist. Es lag für mich das Bedürfnis vor, mich vor Ihnen von dem Vorwurf zu reinigen, daß ich Ihnen eine Methode empfehle, welche einer Ihrer Besten als Kunstfehler bezeichnet, wie vorhin angegeben worden ist. Wenn mit der Methode Mißbrauch getrieben worden ist, wenn schrankenlos ohne genügende Kenntnis meiner Veröftentlichungen die Wurzelspitzenresektion ausgeführt worden ist, so bin ich daran nicht schuld, sondern beklage, daß eben meine Publikation nicht genügend gelesen worden ist. Ich darf für mich den Anspruch er- heben, in derselben zum erstenmale pathologisch-anatomisch die Be- gründung für die Hartnäckigkeit der Fisteln gegeben zu haben. Ich freue mich und bin dankbar für «die Aufklärung, die mir Herr Prof. Jul. Witzel über die wahre Meinung Herrn Prof. Adolph Witzels gegeben hat. Ich glaube, wenn wir uns weniger persönlich, sondern mehr sachlich in der Diskussion bewegen werden, werden wir uns rasch einigen. Nun zur Erwiderung der in der Diskussion zur Sprache gekommenen Punkte. Herr Heitmüller hat mit Recht betont, daß vor der Resektion der Wurzelspitze der Kanal genügend gefüllt werden muß. Dem stimme ich vollkommen zu, da ich die Vornahme der Ope- ration immer nur für den gefüllten Zahn empfohlen habe. Selbstver- ständlich darf in der Wunde nie ein Stück mit fauligen Resten gefüllten Kanals zurückbleibeu; es kann nicht heilen und wird ein Quell für

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ein Rezidiv werden können. Nur dann, wenn der Kanal, eventuell ae gefüllt wird, kann sich die Narbe über ihm bilden.

arin kann z. B. das Rezidiv Erklärung finden, welches Herr Dr. Dieck beobachtet hat, obgleich dabei auch noch darauf aufmerk- sam gemacht werden muß, daß zwei Granulationsherde nebeneinander liegen können, die von zwei benachbarten Zähnen ausgehen.

Vermieden wird das Rezidiv am sichersten, wenn das Operations- feld wirklich breit freigelegt wird, und das möchte ich mit meinen heutigen Ausführungen besonders betonen. Ein breiter Bogenschnitt lcm vor der Fistel beginnend, 1 cm hinter ihr endigend, wird bequeme Übersicht geben. Ich möchte nicht empfehlen, mit dem Bohrer die Fistel selbst anzugreifen, um eine Erweiterung derselben vorzunehmen. Man beraubt sich damit des Deckungsmaterials, welches für die primäre Heilung der Höhlenwunde notwendig ist. Zur radikalen Entfernun des Herdes ist es notwendig, nach der Tiefe zu das Operationsfel sich zu verbreitern, nicht zu verengen. Deshalb darf man sich nicht einen in der Tiefe unübersichtlichen Kanal schaffen. Nur die Auf- klappung der Schleimhaut gibt die Übersicht.

Die Endresultate meiner Operation erstrecken sich auf die Zeit von 10—11 Jahren und ich bin sehr erfreut, soweit ich das Material überblicke, von keinem Mißerfolge berichten zu können. Leider bin ich bei dem poliklinischen Material, das mir zur Verfügung steht, nicht ın der Lage, alle Fälle so verfolgen zu können, wie ıch gern möchte.

Die Röntgendurchleuchtung ist mir ja nicht unbekannt; wenn ich mich nur gelegentlich über dieselbe geäußert habe, so hat das darin seinen (Grund, daß in vielen Fällen die Röntgenaufnahme im Stich läßt. Wenn es sich um Weisheitszähne handelt oder um Zähne, die im Oberkiefer hinter der Mitte des harten (saumens stehen, so erhält man durch das Skiagramm keinen Aufschluß. Zurzeit kann ich leider trotz meiner seit Jahren fortgesetzten Bitten in meinem Institut noch nicht über einen Röntgenapparat verfügen. Wenn Sie mir durch Ihre Befürwortung verhelfen, das Herz des Herrn Finanz- ministers zu erweichen, so werde ich Ihnen sehr dankbar sein. Viele poliklinische Patienten kommen aus der Provinz und können nicht ange genug bleiben und warten und erwarten baldige Hilfe. Deshalb ann ich in vielen Fällen die Röntgendurchstrahlung nicht verwenden. Ich habe sie in allen Fällen herangezogen, wo es angüngig war. Damit bin ich am Ende meiner Ausführungen, mit denen ich schon zu lange ihre Geduld in Anspruch genommen habe, zumal ich wohl alle wich- tigen Bedenken erwähnt habe, die erhoben worden sind.

Es folgt der Vortrag des Herrn Kleinsorgen.

Degeneration der körperlichen Hartgebilde

und Ernährungshygiene. Von Kleinsorgen, Zahnarzt in Elberfeld.

. Meine Herren, das vorliegende Thema ist nicht ohne Absicht

ers die Grenzen unseres Spezialgebietes hinaus auf die Gesamt-

eit der körperlichen Hartgebilde ausgedehnt. Der spezialärzt- 3

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nung verschwunden und in a -” m leicht in den Fehler

bedeckt ist. Die Operation „ag der Geschehnisse zu ständen fast nur dann v `. ` seinungen als Krankheiten

der einen Stiftzahn trä. Wurzelkanal nicht b

Herr Herrma es allgemeinen Gesichtspunkte aus machen auf die ' = „~; arseuche anzusprechende Zahnver- Heilung einer Fi 2 , „en Gesichtspunkten der Zahnhygiene En Piebelkane das bisher nur zaghaft und unsicher in sehr vieler -` “+, zraährungshygiene in den Vordergrund Eingriff dier ee . ` “pungen gerückt werden müssen. Wenn

Herr Ander Zähne bisher kaum von uns kultiviert ne Bu ld nicht unser Spezialfach. Wir stoßen aber 7 _ a der allgemeinen Medizin, die in und ? Eu u a Est ga Fap Ja so hoch entwickelten Dis- kom 2 „wissen8t steht har Fr -F „liche Körper setzt sich in der Hauptsache aus ET s > ähne und Knochen) und Weichgebilden (Muskel,

„6 renmassen) zusammen. Die Hartgebilde sind über-

Jr t und Erdsalzen und zwar aus Kalksalzen aufgebaut, die

et at ‚de aus stickstoffhaltigen Substanzen. Es läßt sich nun we abe ‘a nachweisen, daß Erkrankungen der Hartgebilde einen gati. i Prozentsatz aufweisen als die der Weichgebilde. Die pokeri ‚kungen der Zähne der Kulturvölker erreichen stellenweise Prk TTóhe von 80 und mehr Prozent. An der englischen Krank- A und ihren Folgeerscheinungen gehen nach den Aussprüchen he vor Kinderärzte mehr Menschenleben verloren als an der Tuber- lose. Letztere selbst, wie auch die Skrofulose, haben in den £nochen ebenso häufig ihren Sitz wie in den "Weichgebilden. knochenbrüchigkeit, nicht nur in höherem Alter, sondern oft schon in jüngeren Jahren, gehört zu alltäglichen Erscheinungen.

Ist der Mensch nun körperlich geschwächt, so verordnet der Arzt eines der nach Dutzenden zählenden Fleisch- resp. Eiweiß- und Blutpräparate. Wie aber steht es mit der Krättigung der Zahn- und Knochenschwachen? Was verordnet der Arzt, wenn die Heilung eines Knochenbruches zu langsam vor sich geht, die Verhärtung des Kallus auf sich warten läßt? Was verabreicht er zur Kräftigung des Knochens bei beginnender Tuberkulose und Skrophulose, bei Knochenbrüchigkeit und Knochenerweichung? Wie hilft er den dickleibigen, großköpfigen Säuglingen und Kindern. die nicht auf die Beine wollen und nicht zum Zahnen kommen’?

In wenigen Fällen, und dann nur ganz empirisch und in- stinktiv, verordnet er irgendein Kalkpräparat. Die otiizielle Medizin bietet ihm eben nichts. Eine spezifische Ernährungs- therapie der körperlichen Hartgebilde fehlte bis jetzt. In ein-

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seitiger Bewertung der den Muskeln Kraft und Energie spendenden Eiweißpräparate hat man zu wenig beachtet, daß die Hartgebilde auch einem Stoffwechsel unterliegen, der sich bis in die kleinste Zelle erstreckt, daß sie erst das notwendige Substrat für die Weichgebilde abgeben, daß die Knochen die Bildungsstätte für die edelste Substanz des Körpers, die roten Blutkörperchen, sind.

Wenn ich bisher von Hartgebilden gesprochen, so war dar- unter das Knochengerüst einschließlich der Zähne zu verstehen. Iın folgenden möchte ich ein bisher nicht beachtetes neues Bild vorführen.

Der Mikroorganismus, die Zelle, ist zu einem unentbehrlichen Faktor der modernen Wissenschaft geworden. Sie stellt das Leben in seiner einfachsten Form dar. Vom physiologisch- chemischen Standpunkte aus müssen wir als notwendige Grund- lage einer jeden lebenden Zelle die Vereinigung von Stickstoff- Kohlenwasserstoffgruppen mit erdigen Salzen ansehen. Geben wir nun diesen Tatsachen in einem uns näher liegenden Bilde Ausdruck, so lautet der Satz: Jede kleinste lebende Zelle trägt schon ihr erdiges Gerüst, ihr Skelett, in sich.

Aus diesem Bilde heraus erscheint uns nun eine leicht ver- ständliche Perspektive der gesamten pathologischen Vorgänge. Vergleichende Beobachtungen lassen es als ein natürliches Gesetz erscheinen, daß die Widerstandskraft der Zelle von der kräftigen und innigen Angliederung der Stickstoffkohlenwassergruppen an das zugehörige erdige Substrat abhängt. Nach den ewig labilen und veränderlichen Gesetzen der Evolution und des Stoffwechsels können nun je nach den zu Grunde liegenden Nährböden resp. Nährsäften Schwankungen im Verhältnis dieser Gruppen eintreten, die je nach den spezifisch charakterisierten Zellenstaaten inner- halb einer gewissen Gesundheitsbreite noch normal sein können, über dieselbe hinaus aber für die betreffenden Zellen eine Schwäch- ung bedeuten, die dem Einfall etwaiger Krankheitskeime keinen genügenden Widerstand mehr leisten kann. Dieses allgemeine Gesetz, daß die Widerstandskraft einer Zelle von der kräftigen Entwicklung und innigen Einfügung des Erdskeletts abhängig ist, welches ich kurz als das Gesetz von der Begünstigung des spezifisch Schwereren bezeichnen möchte, finden wir nun tausend- fach in der Natur bewährt. Die erdenreichsten Gewächse und Früchte usw., die spezifisch schwersten organischen Gebilde sind die ausdauerndsten und widerstandsfähigsten. Der wasserreiche, fett- und stickstoffüberladene Mensch fällt Infektionen eher zum Opfer als der verhältnismäßig spezifisch schwerere hagere Mensch. Dieser flüchtige Hinweis auf die Gesamtheit der pathologischen Vorgänge möge hier genügen.

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Die Bedeutung der Erdsalze für den gesamten Organismus erscheint also als eine äußerst wichtige. Unter den Erdsalzen nimmt nun das Calcium in seinen Verbindungen den allerersten Platz ein. Es bildet den vorwiegenden Bestandteil der Zähne und Knochen, es ist eins der wichtigsten Salze der roten Blut- körperchen und unter anderen Salzen auch ein nie fehlender Bestandteil einer jeden Körperzelle.. Bestehender Kalkmangel wird also den gesamten Organismus in Mitleidenschaft ziehen.

Aus diesem erweiterten Gesichtspunkt heraus wird uns nun ein neues pathologisches Bild verständlich, die Kalkunterernährung oder der Subcalcismus, wie ich es nennen will. Der Subcalcismus tritt hauptsächlich im ersten Kindesalter, in den Jahren beginnen- der geschlechtlicher Reife, sowie in der Zeit der Mutterschaft aut. Seine gemeinsamen charakteristischen Symptome sind: Neigung zum Zahnverfall resp. verzögerte Zahnentwicklung, ausgesprochene Anämien mit apathischen Schwächezuständen, Müdigkeitsgefühle und schmerzhafte Sensationen in der Tiefe der Glieder, d. h. in den Knochen, bin und wieder instinktives Bedürfnis nach harten erdigen Substanzen. In der ersten Kindheit geht dieser Krankheitszustand meist in das Bild der englischen Krankheit über, in der Puber- tätszeit und in der Mutterschaft in das ausgesprochene Bild der Bleichsucht mit allgemeinen Schwächezuständen.

Bezeichnend für den Subcalcismus der ersten Lebenszeit sind jene großköpfigen Kinder mit meist überernährtem Körper. Sie liegen und sitzen viel, wollen nicht auf die Beine und zahnen langsam. In diesem Zustande werden sie gewöhnlich von den Eltern für besonders kräftig gehalten, bis dann plötzlich ver-

dächtige Stuhlerscheinungen, zunehmende Blässe und Verände- rungen der Glieder das Bild der englischen Krankheit mit ihren oft für das ganze Leben verbleibenden Degenerationsspuren er- kennen lassen.

Die englische Krankheit ist es nun, die in erster Linie der heutigen Kulturmenschheit und speziell den Stadtbewohnern ihre Entartungsstigmen aufdrückt. Auf Schritt und Tritt begegnet das beobachtende Auge in den Großstädten mehr oder minder ausgesprochenen Formen dieser dezimierend und degenerierend wirkenden Seuche. Trotz der Häufigkeit der schon von weitem erkennbaren Fälle, wo die Rachitis mehr oder minder sichtbare Dauerspuren am Skelettbau hinterlassen, gibt es noch eine Reihe von Fällen, die nur dem Zahnarzt zu Gesicht kommen. Die einmal geschaffene äußere Form des Zahnes ist dauernd, daher auch die Spuren, die eine frühere Rachitis hier hinterlassen. Die Knochen aber sind bis zum Ende der Wachstumsjahre außer- ordentlich bildsam, und nur in den Fällen, wo der ausheilenden

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Krankheit eine intensive Knochensklerose folgte, bleiben die Spuren dauernd sichtbar.

Dieser Knochensklerose analog müssen wir übrigens auch in den einzelnen Fällen eine mehr oder minder ausgesprochene Odontosklerose bei den noch im Kiefer steckenden Zähnen an- nehmen. Wenn wir oft überrascht sind, daß in einigen Fällen von ausgesprochener rachitischer Zahnanlage Zähne mit fast voll- ständigem Schmelzmangel eine auffallende Immunität gegen Karies aufweisen, eine Erfahrung, die wohl jeder Praktiker gemacht hat, so ist diese Immunität zum Teil mit auf diese Odontosklerose zu setzen, zum Teil aber auf jene gleichzeitig erfolgende fettige und wachsartige Metamorphose des organischen Zahngewebes. Diese gegen Karies so resistente Gewebsmetamorphose, die der rachitische Zahn mit dem relativ immunen senilen Zahn und den Kariesmarken gemein hat, beweisen uns, welche große Rolle das organische Zahngewebe bei der Karies spielt.

Neben der fettigen und wachsartigen Metamorphose müssen wir übrigens noch eine weitere regressive Gewebsmetamorphose annehmen, die meines Wissens bisher in der allgemeinen Patho- logie noch nicht erwähnt wurde Ist die Odontosklerose eine intensive, so tritt ein Abschluß des organischen Gewebes unter Druckerscheinungen ein, und wir haben dann das Bild einer Gewebsverkohlung, wie sie z. B. jene wie verbrannt aussehende dunkelbraune bis tiefschwarz pigmentierten Zahnpartien aufweisen. Die Kariesimmunität ist hier trotz günstigster Vorbedingungen, tiefer Höhlen usw., eine ganz auffallende. Die Insensibilität der- artiger Zahnpartien erklärt sich natürlich von selbst. Es liegt nicht in meinem heutigen Thema, auf diese für die Kariesbeur- teilung wichtigen Punkte weiter einzugehen.

Der rachitische Zahn deutet übrigens schon auf einen erheb- lichen Kalkmangel. Die Natur entschließt sich nicht leicht, ein so lebenswichtiges Organ wie den Zahn schlecht zu bilden. Im allgemeinen wartet sie lieber mit dem Anbau, wenn Kalkmangel vorhanden, und reagiert mit zeitlich verzöügertem Durchbruch.

Auf einige Degenerationserscheinungen, die speziell uns Zahnärzten öfter zu Gesicht kommen, möchte ich noch kurz hin- weisen. Zunächst ist es jene bei der jüngeren Generation mehr und mehr zur Beobachtung kommende atavistische Gesichtsform, die sich in der Neigung zur Schnauzenbildung des Oberkieters und in der zurückweichenden Stirnnasenpartie des Gesichtsskeletts kundgibt. Derartige durch Daumenlutschen und Mundatmen be- günstigte Hemmungs- und Zwangsbildungen könnten nicht in

solchem Umfange auftreten, wenn es sich um normal ernährte, festgefügte Knochensubstanz mit weniger nachgiebigen Nahtver- bindungen handelte. Wir konstatieren in diesen Fällen weniger

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einen Mangel in der absoluten Größenentwicklung als vielmehr die falsche Wachstumsrichtung nach oben und vorne, statt in die Breite.

Bei dem eben berührten Punkt des Knochenwachstums möchte ich noch auf das Wachstumsverhältnis zwischen Zähnen und Knochen zu sprechen kommen, da es vielfach falsch gedeutet wird. Von Laien wie auch von Kollegen mußte ich schon hören, daß Zahn- und Knochenentwicklung kein gemeinsames physiologisches Band haben könnten, da große, kräftig entwickelte Menschen oft ein schlechtes Gebiß hätten. Hier begeht man den Fehler, die quantitative Beurteilung der Knochen mit der qualitativen zu identifizieren.

Wir wissen, es gibt große und kleine Zähne. Die großen sind aber an und für sich nicht qualitativ besser als die kleinen, nach der Wahrscheinlichkeitsrechnung dürften sogar die kleinen besser verkalkt sein als die großen. So steht es auch mit der Knochenentwicklung. Die Größenentwicklung des Skeletts ist in erster Linie Rasseneigentümlichkeit, in vielen Fällen auch patho- logischer Natur, steht aber in keinem Verhältnis zur Dichtigkeit des Knochens. Hierüber ein in Pferdezüchterkreisen bekanntes Bei- spiel: Mit dem Schenkelknochen des schlanken Trakehnerp ferdes kann man den viel voluminöseren Knochen des Brabanterpferdes zerschlagen.

Zu der unterschiedlichen Beurteilung der Knochen- und Zahnfestigkeit haben wir ja täglich Gelegenheit, oft sind wir überrascht über die unerwartete Brüchigkeit äußerlich stark er- scheinender Alveolarwände, wo ein größeres Stück ohne Ver- schulden des ÖOperateurs abbrechen kann; nicht minder unan- genehm überrascht sind wir, wenn hin und wieder Zähne an kariesfreien Stellen ohne besondere Kraftanstrengung abbrechen.

Zum Schlusse möchte ich noch als Entartungserscheinung den vorzeitigen Alveolarschwund erwähnen, der nachgerade in bedenklicher Häufigkeit auftritt. Der Alveolarschwund tritt ent- weder als reine Einschmelzung auf oder mit Eiterung unter dem Bilde der Alveolarpyorrhöe Die Eiterung ist hier eine rein accidentelle, durch örtliche und konstitutionelle Verhältnisse be- günstigte Erscheinung, die natürlich zur beschleunigten Ein- schmelzung führt. Es ist einleuchtend, daß so feinblättrig auslaufende Knochenlamellen bei Ernährungsstörungen infolge Kalkmangels in erster Linie gefährdet sind.

Die vorstehenden Auseinandersetzungen haben die Wichtigkeit der Hartgebilde für den gesamten Organismus zur Genüge dar- getan. Wir haben gesehen, wie jegliches organische Leben aui dieser erdigen Grundlage aufgebaut ist. Die Ausbildung und Differenzierung des Skeletts im Sinne allseitig vollkommener

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Energieleistungen gibt daher auch den Maßstab für die quali- tative Bewertung der Einzelwesen in der organischen Entwick- lungsreihe ab.

Entsprechend dieser hohen Bedeutung der Erdsalze für den Aufbau des Organisınns müssen wir daher die Forderung stellen, daß eine allgemeine Ernährungshygiene der körperlichen Hart- gebilde an erster Stelle berücksichtigt und ihrer bisherigen zu schweren sozialen Schädigungen führenden stiefmütterlichen Be- handlung entrissen werde. Zur tatkräftigen Mitarbeit auf diesem wichtigen Gebiete der Volkshygiene sind wir Zahnärzte in erster Linie berufen. Erst dann erfüllen wir unseren Beruf in voll- kommener Weise, wenn wir eine in diesem Sinne erweiterte Prophylaxis zu einer unserer vornehmsten Berufsaufgaben machen. Wir brauchen nicht zu fürchten, uns den Ast abzusägen, auf dem wir sitzen, Arbeit gibt es immer noch.

Welches sind nun die Ziele und Wege einer solchen Er- nährungshygiene? Der Mensch nährt sich von animalischen und vegetabilischen Nahrungsmitteln. Wir wissen aus der Tier- welt, daß sowohl rein animalische wie rein vegetabilische Er- nährung ein starkes Knochengerüst und ein vorzügliches Gebiß erzeugen. Folgerichtig müßte der Mensch, der sich von beiden Stoffen ernährt, auch eine vorzügliche Entwicklung der Hartgebilde aufweisen.

Daß dieses aber nicht der Fall, hat seinen Grund einesteils in Bevorzugung gewisser aus beiden Nährreichen gewonnener einseitig nährender künstlicher Präparate, anderenteils in falschen landwirtschaftlichen Prinzipien, die für die Aufzucht der von den Menschen genossenen Tiere und Pflanzen befolgt werden.‘ Die schweren Fehler, die bei der Ernährung der Aufzucht und Mast- zucht der Schlachttiere gemacht werden, bestehen hauptsächlich in Darreichung oft vollständig nährsalzarmer Abfallprodukte, wie z. B. die der Brauereien, Brennereien, der Stärke- und Zucker- fabriken.

Die nicht minder schweren Fehler, die bei der Kultivierung unserer Nährpflanzen gemacht werden, bestehen vor allem in Be- vorzugung einseitig zu bewertender Düngstoffe, wie allzu reich- liche Kali-, Phosphorsäure- und Stickstoff-Düngung und Vernach- lässigung der übrigen Erdsalze. Mit derartigen Düngmethoden erzielt man jene voluminösen prächtig aussehenden Gewächse und Früchte, die ohne festeres Skelett sogar oft mit weitmaschigen unausgebildeten Hohlräumen im Innern versehen sind (die bei dem geringsten Stoß faulen und bei längerem Liegen brandig werden). Stengel und Blätter einer derartigen, üppig mit Stick- stoff ernährten Pflanze verlieren ihre feingezeichnete Gestalt,

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nehmen einen krautartigen, schwülstig aussehenden Charakter an, genau wie jene stickstoffüberladenen erdsalzarmen Masttiertypen und Menschen, die bei der geringsten Infektion schwer darniederliegen und allen möglichen Krankheiten ausgesetzt sind. Es ist klar, daß ein Mensch, der sich von derartigen Treibhausfrüchten nährt, selbst zu einer solchen werden muß. Sein schwammiger, fett- und stickstoffreicher, aber skelettarmer Körper bietet ein gast- liches Heim allen möglichen vom Überfluß lebenden Schmarotzern, denen nun einmal eine weise Natur in ihrer trotz aller Antisepsis nicht zu vertilgenden Ubiquität die nützlichste aller Beschäfti- gungen, die Aasgeier- und Totengräberstellen im organischen Haushalt, verlieben hat.

Ein Geschlecht, das von derartigen Tieren und Pflanzen lebt, begeht also schon hygienische Sünden. Um aber den Cir- culus vitiosus voll zu machen, trifft der Mensch noch eine ver- hängnisvolle einseitige Auswahl bei diesen pflanzlichen und tierischen Nährstoffen. Ausgedehnte Industrien beschäftigen sich mit der Gewinnung der Feinmehle, Stärke und Zucker, jener Zellprodukte, die fast vollkommen erdsalzarm sind. Das Übermaß in der Zufuhr ebengenannter künstlich präparierter Nährstoffe, die den Körper mit kalksalzlösender Milchsäure überladen, fügt der heutigen Kulturmenschheit und speziell der in den Wachs- tums- und Entwicklungsjahren befindlichen Generation erheblichen Schaden an der Gesundheit zu. Es ist bedauerlich, daß bei dem Hauptnahrungsmittel der Kulturvölker, dem Brote, die dunklen Sorten immer mehr von den weißen verdrängt werden. Legen wir nicht so sehr den Wert auf die Härte als vielmehr auf die Schwärze des Brotes! Weiches Brot brauchen wir nur alt genug werden zu lassen, um es hart zu machen, doch können wir weißes nicht schwarz machen. Die an und für sich karg bemessenen Kalksalze, so wie die übrigen Nährsalze, dürfen uns bei einem derartig wichtigen Nährstoff nicht verloren gehen. Die als ein Hauptkonsumartikel der Kulturvölker zu nennende Kar- toffel muß gleichfalls als kalkarm bezeichnet werden.

Viele pflanzliche Nährmittel werden außerdem noch durch einen falschen Kochprozeß ausgelaugt und nährsalzarm gemacht.

Schließlich können auch noch außerhalb des menschlichen Bereiches liegende meteorologische, klimatische und Bodenverhält- nisse zur Nährsalzarmut und speziell zum Kalkmangel führen. Nach trockenen Jahren können in einzelnen Gegenden ganze Vieh- bestände an Knochenweiche und Knochenbrüchigkeit erkranken. Die Bodengewächse erhalten dann wegen Mangel an kalksalzlösenden Wassers nicht genügend Kalk zugeführt. Interessant ist, daß dann zunächst das in höher gelegenen Triften weidende Vieh erkrankt, ferner, daß von dem Rindvieh zuerst das Jung- und

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Muttervieh resp. Milchvieh erkrankt, also genau den notwendigen Einnahmen resp. Ausgaben an Kalk entsprechend.

Da wir gerade ein trockenes Jahr hinter uns haben, so war denn auch im allgemeinen landwirtschaftlichen Bericht vom Monat Juni im Hamburger Fremdenblatt zu lesen, daß in einzelnen Gegenden über häufiges Auftreten von Knochenweiche geklagt, und daß die Krankheit auf die trockene Witterung des ver- gangenen Jahres zurückgeführt wird.

Was nun die animalische Ernährung betrifft, so gehen wir hier mit gleicher Einseitigkeit bei unserer Ernährung vor. Das menschliche Gebiß ist nicht zum Zerfleischen bestimmt. Erst bittere Not im Kampf ums Dasein haben den Menschen intellek- tuell geschult und ihn Waffen, Werkzeuge, Kochapparate usw. erfinden lassen, um die Tiere, speziell die größeren, seiner Daseins- erhaltung verwertbar zu machen. Vermittels dieser Hilfsmittel wurde es ihm denn auch nicht schwer, die tierischen Weichgebilde zu genießen. Dagegen bereitete ihm mit seinen damaligen Werk- zeugen der Genuß der Hartgebilde, speziell bei größeren Schlacht- tieren zu viel Schwierigkeiten. So kam es, daß sich der Mensch zunächst um die Verwertung der körperlichen Hartgebilde zu Nährzwecken nicht kümmerte. Man achtete schließlich den Knochen als etwas, das eben gut genug war, um es den Hunden vorzu- werfen. Wenn nun die Neuzeit mit ihren technisch so weit fortgeschrittenen Hilfsmitteln bis dato nicht an die Verwertung der Knochen dachte, wenigstens nicht für menschliche Nährzwecke, so war ihr einmal trotz des reichlichen Fleischgenusses der noch jedem fleischfressenden Tiere innewohnende Instinkt hierzu ver- loren gegangen, andererseit war die Beseitigung alt hergebrachter Vorstellungen und Ideen notwendig, die erst der moderne Ent- wicklungsgedanke zuwege bringen konnte.

Ich stelle es als eine physiologische Forderung hin, daß der Mensch bei reichlicher täglicher Fleischzufuhr eines gewissen Quantums Knochensalze bedarf, um richtig ernährt zu sein, insbesondere in der Zeit bis zum Abschluß des Größenwachstums der Knochen. Die Knochensalze stellen notwendige Nährsalze des kalk- armen Fleisches dar. Die Vegetarier haben nicht ganz un- recht, wenn sie die Fleischnahrung für ungesund halten, doch sind die Unterlagen für ihre Behauptungen irrtümlich. Das Un- gesunde der Fleischnahrung liegt in der Einseitigkeit dieser animalischen Ernährung, die die Hartgebilde gar nicht und das Blut nur ungenügend berücksichtigt.

Die vorzugsweise Berücksichtigung der vegetabilischen Zell- produkte, der Feinmehle, Stärke und Zucker machen ganz in derselben Weise die vegetarische Ernährung kalkarm und unge-

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sund, weshalb denn bei derartig vegetarisch ernährten Individuen die Zahnverderbnis zu deren eigenem Erstaunen ebensogut zu finden ist, wie bei den anders ernährten Menschen. Je größer also einseitiger Fleischkonsum, um so mangelhafter die Ernährung der körperlichen Hartgebildee Es ist wohl nicht rein zufällig, daß die englische Krankheit ihren Namen dem Lande der Beef- steakesser entlehnt hat, und daß die moderne Zahnheilkunde in Amerika und England, den Kulturländern intensivsten Fleisch- genusses, groß geworden ist. Das Fleischergewerbe zeigt uns an seinen frischen muskelkräftigen Jüngern, daß Fleisch und Blut- nahrung auch Fleisch und Blut gibt, aber das Gebiß der diesem Gewerbe angehörenden Personen müssen wir zu den kariesbevor- zugten rechnen, besonders wenn es sich um die Deszendenz handelt; während bei den mit gesunder Gebißanlage in das Gewerbe Ein- getretenen später meistens vorzeitige Zahnlockerung infolge von Alveolarschwund sich geltend macht. Es sind übrigens die Eskimos mit dem angeblich kariesfreien Gebiß als eine vorzugsweise fleischfressende Rasse angeführt worden, um zu beweisen. daß Fleischnahrung günstig auf die Zähne einwirkt. Da ist wohl über- sehen worden, daß die Eskimos eine mehr Fett und Tran als schieres Fleisch verzehrende Rasse sind. Bei einem derartigen fett- und trandurchtränkten Geschöpfe braucht uns nun die Kariesimmunität um so weniger zu wundern, da wir wissen, daß Fetteinhüllung und -durchtränkung der Gewebe kariesfrei macht, wie ja auch schon die vorhin erwähnten fett- und wachsartigen Metamorphosen des organischen Zahngewebes beweisen. Berücksichtigen müssen wir auch, daß zwischen dem Fleisch der Strand- und Meerestiere und unseren künstlich ernährten Schlachttieren ein Unterschied besteht.

Was nun die Knochennahrung angeht, die jedes fleischfressende wilde Tier instinktiv ausübt, so habe ich seit ca. 2!/, Jahren die organischen Knochensalze als Nährpräparat für Zahn- und Knochen- bau eingeführt. In den nach meiner Angabe hergestellten orga- nischen Knochensalzpräparaten haben wir nicht allein ein rein organisches, ohne chemische Behandlung hergestelltes Präparat, ferner nicht ein einzelnes Kalksalz, sondern wir führen mit den Knochensalzen alle Salze und zwar in ungefähr entsprechenden Mengenverhältnissen zu, wie sie die Knochen und Zähne benötigen.

Es lag eben zu nahe, den schon längst mit Erfolg beschrittenen Weg der Organtherapie bezüglich der Zufuhr von Eiweiß und Blutpräparaten nach dieser Richtung hin zu vervollkommnen.

Bezüglich der Wirkung der organischen Knochensalze sind mir schon mehrfach von Müttern unaufgefordert Mitteilungen über allgemeine vorzügliche Kräftigung von Kindern, bei denen nichts mehr anschlagen wollte, zugegangen. Mein Töchterchen,

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das jetzt 1!/, Jahre zählt, ist sowohl während der Fruchtent- wicklung auf dem Umwege der Mutter als auch von der zehnten Woche an direkt damit ernährt worden. Obschon ein Flaschenkind, ist es hinsichtlich der Entwicklung der körperlichen Hartgebilde wie nach der somatischen und geistigen Sphäre ein vorzüglich ent- wickeltes, kräftiges Kind. Ich lege Ihnen Bilder vor, die Ihnen die Entwicklung des Kindes mit !/,, I, und 1 Jahr zeigen. Einige Kostproben der Osta-Präparate, unter welchem Namen die Salze eingeführt sind, sind zur gefälligen Benutzung aufgestellt. Die Knochensalz-Ernährung wird übrigens in Form reinen und künstlich präparierten Knochenmehls schon längst in der Vieh- zucht mit besten Erfolgen angewendet, und zwar sowohl als Zusatz zum Wildfuttter, als auch zum Futter von Rindern, Schweinen, Hunden und Geflügel. Die Anwendung ist in der Viehzucht ganz allgemein und verbreitet, vor allem bei sonst rein pflanzenfressenden Tieren.

Es gibt aber auch einen Volksstamm, der das Knochenmehl schon längst als Nahrung eingeführt hat, jedoch wohl weniger aus Instinkt und Überlegung als aus Gründen des Existenzkampfes. Im nördlichen Schweden werden einzelne Distrikte öfter von Hungersnöten befallen, und die Not hat hier zum Genuß von Stoffen getrieben, die sonst von Menschen verachtet werden. Man backt Brote unter mehr oder minder reichlichem Zusatz von Stroh, Föhren- rinde, Blut, selbst erdigen Stoffen usw. So wird in dem bekannten Dalekarlien ein Brot unter Zusatz von Knochenmehl gebacken. Es ist daher wohl kein Zufall, daß gerade dieser Volksstamm wegen seines hervorragenden Knochenbaues, seines glänzenden Gebisses und seiner sonstigen körperlichen Vorzüge kriegs- und volks- geschichtliche Berühmtheit genießt.

Diskussion. Herr Köhler hat die Präparate vor einiger Zeit bekommen und Versuche mit den Ostapräparaten gemacht; er kon- statiert, daß die Kinder dieselben gerne genommen haben. Die Wir- kung kann natürlich erst nach etwas längerer Zeit zu bemerken sein.

Herr Kunert: Meine Herren! Wenn man schon auf dem von

Kleinsorgen angegebenen Wege nachhelfen will, so sollte man wenigstens ein Präparat wählen, das nicht gleichzeitig nach anderer Richtung hin schädigend wirkt. Herr Kleinsorgen hat das Kalk- räparat in Kake- und Pastillenform durch Stollwerk herstellen assen, Kakes aber verschmieren den Kindern die Zähne und be- fördern das Entstehen von Karies. Und Pastillen werden von Kindern nicht gern genommen. Ich würde Zwieback für geeigneter halten.

Herr Elander: Betrefis der Behauptung, daß im nördlichen Schweden Hungersnot sehr gewöhnlich sei, möchte ich sagen. da ich aus Schweden bin, daß, soviel ich weiß, dies nicht der Fall ist. Solange ich lebe, ist keine Hungersnot da gewesen. Und Holzrinden- brot ist keineswegs gewöhnliche Nahrung. sondern ganz und gar Aus- nahme. Was dus Knochenbrot der Dalekarlier betritt, so habe ich

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davon nie gehört. Die Dalekarlier haben gute Zähne, und vielleicht hat damit ıhre Gewohnheit, Fichtenharze zu kauen, zu tun. Auch essen sie ein sehr grobes Roggenbrot, was auch einen großen Einfluß ausüben möchte. Sie sind mit großem Fleiße bezüglich Zahnkaries untersucht worden, und die zwei genannten Ursachen sind öfter angeführt, aber nie Knochenbrot, was vielleicht Dr. Röse auch be- stätigen kann.

Herr Claußen bemängelt den hohen Kostenpunkt der Osta- präparate.

Herr Schwarze glaubt, daß die Erwähnung des Kollegen Elander über die fichtenharzkauenden Schweden mit darauf hinweist, daß eine Hauptsache für eine bessere Ernährung des Zahnbeins der mechanische Reiz durch erhöhte Blutzufuhr ist. Er erinnert daran, daß ameri- kanische Zahnärzte chewing gum (Kaugummi) ihren Patienten ver- schreiben, um denselben Effekt zu erzielen.

Herr Miller: Ich glaube, daß man hier unterscheiden muß zwischen der Anwendung d von Kollegen Kleinsorgen empfohlenen Mittels zu Zwecken der allgemeinen Kmährun dad zur Ernährung der Zähne. Was den letzteren Fall betrifft, so haben alle unsere bis- herigen praktischen Versuche und Erfahrungen gezeigt, daß man nicht imstande gewesen ist, durch Darreichung von Kalksalzen die Be- schaffenheit der Zähne wesentlich zu beeinflussen. Selbst in den Aus- nahmefällen, wo ein Kind weniger Kalksalze in seiner Nahrung bekommt, als zum Aufbau des Skeletts erforderlich sind, geht es nicht ohne weiteres hervor, daß die Zähne wesentlich darunter leiden. Durch Versuche, welche ich vor vielen Jahren in der Deutschen Monatsschritt für Zahnheilkunde veröffentlicht habe, wurde festgestellt, daß die Zähne selbst bei starkem Mangel an Kalksalzen sich in normaler Weise ent- wickeln können. Von vier Hündchen aus demselben Wurf wurden zwei in normaler Weise ernährt, während die anderen zwei eine künstliche Milch bekamen, die fast gar keine Kalksalze enthielt. Während nun die Knochensysteme sich in normaler Weise bei den ersten entwickelten. zeigte sich bei den beiden anderen ein auffallender Unterschied inso- fern, als eine Verkalkung der Knochen gar nicht stattfand. Die röhren- förmigen Knochen konnten vollkommen zusammgebogen werden, und die Epiphysen waren absolut wie kleine Schwämmchen und leisteten nicht den geringsten Widerstand gegen Druck. An den Zähnen da- gegen war kein Unterschied zu konstatieren. Diejenigen der mt

alkarmer Nahrung ernährten Hunde waren ebensoweit entwickelt. wie die der anderen und zeigten auch in ihrer chemischen Beschattłen- heit keinen Unterschied. Fs scheint daraus hervorzugehen, daß der Mangel an Kalksalzen außerordentlich hochgradig sein muß und die allerschwersten Störungen im Knochensystem herbeiführen würde. bevor eine Störung in der Entwicklung der Zähne daraus entstehen könnte. Während‘ ich also die Herren durchaus nicht entmutiren möchte, die mit dem von Kollegen Kleinsorgen empfohlenen Mittel Versuche anstellen wollen, darf man doch nicht eine allzu prompte Wirkung auf die Entwicklung und Verkalkung der Zähne davon erwarten.

Herr Kleinsorgen: Was die Wünsche betreffs Herstellung von Ostazwiebäcken angeht, so ist diese Form ursprünglich hergestellt worden. hat sich aber bei der Porosität des Zwiebacks, der sehr bald seinen Wohlgeschmack verliert, nicht bewährt. Bei Kindern in den ersten Monaten sind die Ostakakes am besten in gepulverter Form der Flascke

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zuzusetzen. Über das Knochenmehlbrot der Dalekarlier könne man in der bekannten Nahrungsmittelchemie von König, wie auch in Meyers neuestem Konversationslexikon nachlesen. Wenn Versuche an Hunden bei Kalkentziehung wohl Knochenweiche aber keine Zahnweiche er- chen hat, so ist von mir schon darauf hingewiesen worden, daß die atur ein so notwendiges, lebenswichtiges Organ, wie es das Gebiß für den Hund darstellt, erst in letzter Linie bei Kalkmangel angreift. Bei noch nicht ganz entwickelten Zähnen wartet die Natur lieber und reagiert mit zeitlich verzögertem Durchbruch. Bei den schon fertig gebildeten Zähnen des jungen Hundes sind in Anbetracht des ver- hältnismäßig außerordentlich langsamen Stoffwechsels Veränderungen

nicht sobald zu erwarten wie an den Knochen. Als vierter Vortragender spricht am Nachmittage Herr Schröder.

Pulpa und Anästhetika.

Von Privatdozent Dr. Schröder in Greifswald.

Meine Herren! Wenn auch die Zahnheilkunde in den letzten Jahren in rein wissenschaftlicher wie technischer Richtung enorme Fortschritte gemacht hat, so gibt es dennoch viele offene Fragen, die der Beantwortung dringend bedürfen. Wir gehen vielleicht auch hier und da einen falschen Weg, weil wir uns noch nicht genügend orientiert haben, weil wir noch nicht über die Mittel verfügen, die uns die Erkenntnis des wahren Sachverhaltes sichern.

Wie steht es denn fragen wir uns! z. B. mit der Diagnostizierung und Behandlung der Pulpakrankheiten, was wissen wir über die Lebens- und Reaktionsweise der Pulpa in kranken und gesunden Tagen? Nicht viel das werden Sie mir ohne weiteres zugeben, meine Herren Kollegen.

Wie anders wäre es möglich gewesen, daß man sich ein Jahr herumstreiten konnte und auch heute noch Meinungsver- schiedenheiten bestehen über die Wirkung der Kokain-Neben- nierenextraktgemische auf die Pulpa.

Zur Erörterung gelangte diese Frage zuletzt im großen auf dem Standesverein in Berlin; da bemerkte unter anderem der Erfinder des Eusemins mit einer Sicherheit, die überzeugend wirken mußte, daß unter Eusemin die Pulpa nicht zu leiden bätte. Man war damit einverstanden in der Versammlung, ich erlaubte mir allerdings zu bemerken. daß ich nach Anwendung der Braunschen Suprarenin-Kokaintabletten in einigen Fällen Pulpentod beobachtet hätte. Heute kann ich mit absoluter Sicher-

heit behaupten, daß vorzüglich gelungene Injektionen von Euse- min wie überhaupt von allen Kokaingemischen, die die wirksamen

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3estandteile der Nebenniere enthalten, die Pulpen der Zähne des Injektionsgebietes zum Absterben bringen können. Und das In- jektionsgebiet ist gewöhnlich gröter als wir denken. Eine In- jektion zwischen dem seitlichen oberen Schneidezahn und dem Eckzahn oder gar in die Fossa canina hat häufig genug eine Pulpenanästhesie in fünf bis sechs Zähnen zur Folge. die 30 Minuten und länger anhalten kann. Pulpentod in vier bis fünf Zähnen nach einer Injektion ist möglich und ist nicht nur von mir, sondern auch von anderen Zahnärzten beobachtet worden.

Das Adrenalin oder wie es sonst genannt wird, ist also ein gefährliches Zeug, das mit größter Vorsicht und in möglichst starker Verdünnung zu verwenden ist, möglichst auch nur zur Herabsetzung des Extraktionsschmerzes.

Diese Erkenntnis würde längst allgemein durchgedrungen sein, wenn wir über ein einheitlich diagnostisches Mittel ver- tügten.

Wir haben aber ein solches Mittel im Induktionsstrom, der richtig angewendet unter Vermeidung aller Fehlerquellen, die gerade hier sehr möglich sind, vorzügliche Resultate liefert. Auf die Konstruktion und Handhabung des zu diesem Zwecke eigens konstruierten Apparates will ich hier nicht näher eingehen, ich will das nachher direkt demonstrieren.

Die Reaktion der Pulpa auf den Induktionsstrom ist eine so feine, eine so scharfe, möchte ich sagen, daß sich auch hier der Sensibilitätspunkt erste Empfindung des von außen kommenden Reizes sicher trennen läßt vom Schmerzpunkt, dem Moment, wo die Empfindung schmerzhaft wird.

Es haben sich nun folgende höchst interessante Resultate ergeben. Reize auf der Höhe des Sensibilitätspunktes, auch wenn sie schnell aufeinander folgen (30 Reize in 30 Minuten), bedingen keine Erhöhung der Sensibilität der Pulpa, dagegen kann schon ein kräftiger Reiz auf der Höhe des Schmerzpunktes eine länger dauernde Verstimmunug der Pulpa verursachen. Die Entfernung des Sensibilitätspunktes vom Schmerzpunkt ist bei kräftigen und gesunden Leuten größer als bei kranken und nervösen.

Ganz besonders klein ist die Entfernung bei Alkoholikern. sie faßt nur einige Teilstriche eines Grades unserer Skala.

Sensibilitätsschwankungen der Pulpa, bedingt durch die Tages- zeit, lassen sich bei manchen Personen regelmäßig beobachten. Die Differenz beträgt aber auch hier nie mehr als die Teilstriche eines Grades unserer Skala.

Ganz besonders interessant war mir der Nachweis von Sensi- bilitätsschwankungen gesunder Pulpen unter der Einwirkung inner- lich verabreichter, insbesondere narkotischer Mittel, wie auch unter

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der Einwirkung subgingivaler Injektionen von Kokain und Kokain- nebennierenextrakt-(remischen.

Es zeigte sich, daß Morphium in mittleren Dosen (0,015) erst nach 15—20 Minuten, Chloralhydrat selbst in kleineren Dosen (1,0) schon nach 3—4 Minuten die Sensibilität der Pulpa herabsetzt.

Beim Morphium hielt die Depression, deren Maximum 3 bis 4 Grad unter Norm betrug, 1'/,—?2 Stunden an, beim Chloral- hydrat, das die Sensibilität um 2—3 Grad herabsetzte, indessen nur 10—15 Minuten.

Das zeigt uns schon, daß die unter dem Namen Narkotika zusammengefaßten Mittel durchaus keine gleichartige Wirkung haben. Während das Chloralhydrat ziemlich prompt in der eben beschriebenen Weise wirkt, bedingt Morphium bei manchen Per- sonen eine Steigerung der Sensibilität bis zu 1,5 Grad, die stundenlang anhält und nicht abgelöst wird durch eine lang- dauernde Depression. Wir haben also hier konstatiert, was unter alten erfahrenen Ärzten bekannt ist, daß Morphium nicht immer beruhigend, sondern auch gelegentlich exzitierend wirken kann.

Ebenso sah ich nach Gaben von 0.5 Veronal und 1,0 Neuronal nicht selten eine Erhöhung der Sensibilität der Pulpa, die stunden- lang anhielt.

Meine Herren! Diese Beobachtung ist nicht unwichtig, gibt sie uns doch eine Erklärung, daß nervöse und sensitive Menschen, die von diesen modernen Beruhigungs- und Schlafinitteln häufiger Gebranch machen, an ihren Zähnen besonders empfindlich sind.

Schon ein kühler Luftzug, der ihre im übrigen intakten Zähne trifft, schafft ihnen Schmerzen und Unbehagen, die Reize, die unter normalen Verhältnissen anstandslos vertragen werden, . werden bei erhöhter Pulpensensibilität natürlich unangenehm emp- funden.

Von den übrigen Mitteln, die wir in dieser Wirkung anf die Sensibilität der Pulpa gestreift haben, will ich noch den Alkohol erwähnen.

Meine Herren! Während der chronische Alkoholgenuß mit der Zeit zu einer dauernden Hypersensibilität der Pulpa führt, bleibt die einzelne (Gabe (selbst von 40—60 g Kognak) ohne Einfluß sowohl bei Alkoholikern wie bei Abstinenten.

Soweit meine Untersuchungen reichen, käme für die Praxis nur das Chloralhydrat zur Herabsetzung der Pulpensensibilität in Frage.

Bei weitem größere Ausschläge als die eben angeführten Mittel liefern die subgingivalen Injektionen von Kokain und Kokainnebennierenextrakt-Gemischen. Es hat sich gezeigt, daß Kokain schon nach einer Minute die Sensibilität der Pulpa und

XXIII. du

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somit des Zahnes bedeutend (um 3— 4°) herabsetzt, daß nach 3—5 Minuten die Depression am größten ist, um gewöhnlich nach 30 Minuten vollkommen ausgelöst zu sein. Man kann hier nicht gut gleichmäßige Werte erhalten, da die Injektion zu ver- schieden ausfällt.

Ganz anders wirkt das Kokain in Verbindung mit Neben- nierenextraktlösungen.

Erst nach 2—3 Minuten sinkt die Sensibilität des Zahnes, nach 15—25 Minuten steht sie auf 0, d. h. selbst die größten elektrischen Reize, die unser Apparat zu leisten vermag, werden nicht mehr empfunden, die Pulpen sind ganz reaktionslos. Dieser Zustand 0 kann bis zu 30 Minuten und länger anhalten (gewöhn- lich 8—15 Minuten), dann kehrt die Sensibilität allmählich und sehr, sehr langsam wieder, um erst nach 3—4 Stunden normal zu sein.

Besonders große Bedeutung gewinnt diese Methode der Pulpen- untersuchung für die Differenzierung der einzelnen Erkrankungen des Zahnmarkes. Während tote Zähne auf den Induktionsstrom überhaupt nicht reagieren, sind Zähne mit irritierter und ent- zündeter Pulpa viel empfindlicher, als die korrespoudierenden Zähne der anderen Seite. Ich will jedoch auf dieses Thema nicht näher eingehen, die Resultate meiner Untersuchungen werde ich demnächst veröffentlichen.

Zum Schlusse möchte ich noch darauf hinweisen, daß eine der wichtigsten Fragen der modernen Zahnheilkunde, die Erhal- tung partiell erkrankter Pulpen, nur mit Hilfe eines so feinen Untersuchungsverfahrens, wie es uns der Induktionsstrom liefern kann und mit der Zeit liefern wird, mit Erfolg in Angriff ge- nommen werden kann.

Wir sind jeden Augenblick imstande, die bereits in Behand- lung befindliche Pulpa, ohne den Verband zu lösen, ohne sie irgendwie zu schädigen, auf ihren Gesundheitszustand zu unter- suchen.

Warum sollte eine partiell entzündete Pulpa nicht zur Aus- heilung gebracht werden können, ihr Gewebe ist regenerations- fähig genug, dafür gibt es manche Beweise Solange wir es natürlich nicht verstehen, eine partiell erkrankte Pulpa auszu- heilen, solange bleibt der Satz Adolph Witzels mit Recht bestehen: Entzündete Pulpen sind unter allen Umständen ab- zuätzen.

Aber fragen wir uns einmal, ist der bisher von uns be- gangene Weg, die Überkappung der Pulpa, das Abschließen der- selben, der richtige. Würde es dem Chirurgen jemals einfallen, eine infizierte, sezernierende \Vundfläche mit einem Pflaster fest abzuschließen. Ich glaube kaum. Er greift nach gründlicher

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Säuberung der Wundfläche vielmehr nach dem feuchten Gaze- verbande, nach der luftigen trockenen aseptischen Gaze, die in gewissen Zeitabständen gewechselt wird, bis die Wundfläche ein- wandfrei ist.

Sollte es nicht möglich sein, die Pulpa in ähnlicher Weise zu behandeln: Säuberung der kariösen Höhle, eventuell Freilegen der Pulpa an geeigneter Stelle, Abspülen und Auswaschen mit schwachen antiseptischen Lösungen, Jodoformgazeverband, sicherer, aber nicht ‚hermetischer Abschluß. Nach einiger Zeit J odoformgelatinekapseln zur Überkappung der ausgeheilten Oberfläche der Pulpa.

Das ist natürlich nur ein Vorschlag, der hier und da viel- leicht zu einem Versuch führt zur Lösung der Frage, die uns alle interessiert und die vielleicht einige unter uns in nächster Zeit beschäftigen wird.

Ich habe mich nicht strikte an das von mir angemeldete Thema gehalten, ich bitte das gütigst entschuldigen zu wollen.

Der Vorsitzende dankt für den mit lebhaftem Beifall aufge- nommenen Vortrag und bittet, die Diskussion mit der über den folgen- den Vortrag zu vereinigen.

Beiträge zur Injektionsanästhesie.

Von Louis Rosenberg in Berlin.

Beiträge zur Injektionsanästhesie habe ich mein heutiges Thema ganz allgemein genannt, um die wesentlichsten Punkte, aus dem zurzeit wohl noch aktuellsten Gebiet der Zahnheilkunde, zur Diskussion zu bringen. Neues hätte ich meinen diesbezüglichen Veröffentlichungen !) und Demonstrationen zur Central-Vereins- Versammlung 1904, wie auch zur Tagung des Standesvereins Berlin im Vorjahre, nicht mehr hinzuzufügen.

Zwei Punkte sind es nun, welche sich im Laufe des letzten Jahres bei jeder Erörterung besonders herauskristallisiert haben, diese sind:

1. Die Wirkung der Injektion auf den Gesamtorganismus.

2. Die Wirkung aut die Vitalität der Pulpa im besonderen.

Die Erörterungen hierüber klangen derart beunruhigend, dab man eigentlich befürchten mubte. daß dieses mit so großen Hott- nungen betretene Gebiet für unsere Zwecke wieder aufzugeben sei. In den Diskussionen über den ersten Punkt wurde auf- tälligerweise ein fundamentaler Unterschied gemacht zwischen der

1) Deutsche zahnärztliche Wochenschrift 1904, No. 5 und 37.

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Anwendung der Injektion zur Dentinanästhesie und der zur Zahn- extraktion. Nach meiner Auffassung aber ist eine solche Diffe- renzierung nicht zulässig. Es wurde erwähnt, daß nach der Extraktion ein großer Teil der injizierten Lösung aus der Ex- traktionswunde wieder ablaufe, während im anderen Falle die Lösung vom Organismus resorbiert werden müsse. Meine Herren! Ich behaupte, der Organismus muß in beiden Fällen die Injektions- menge absorbieren. Wir zerbrechen und zerreißen doch bei der Extraktion den Kieferknochen samt Periost und der Zahnfleisch- bedeckung nicht so weit, daß ein Herausfließen der Lösung aus der Extraktionswunde eintreten könnte. Um die minimale Menge. die nach meiner Ansicht nicht einmal nach Tropfen zu bemessen ist, und welche durch Diffusion in die Zahnalveole gelangt. wieder herauskommt, um diese kann es sich doch nicht handeln, um eine ungünstige Wirkung auf den Gesamtorganismus vollständig zu vermeiden. Auch die minimale Drucksteigerung, welche durch die Injektion in den Geweben entsteht, kann ein Durchpressen der Lösung durch den Alveolarfortsatz in der Extraktionswunde nicht bewirken. Ein Abfließen der Lösang wäre nur durch eine ganz energische Incision möglich. Im Unterkiefer ist bei der von mir ausschließlich nur angewandten zentralen Injektion am Foramen mandibulare ein Ausfließen aus der Extraktionswunde ganz aus- geschlossen.

Ist nun die Injektion als gefährlich für den Organismus anzusehen? Soweit man diese Frage überhaupt zu beantworten imstande ist, kann ich auf Grund meiner Erfahrungen dieselbe mit Nein beantworten. Als ich Ihnen vor mehr denn Jahresfrist an der Hand von 1400 Fällen, welche Kollege Wohlauer und ich beobachtet hatten, Erfolge, Mißerfolge und auch die unange- nehmen Nebenwirkungen mit Eusemin mitteilte, hob ich die Tat- sache, daß wir seit Gebrauch unserer dünnsten, doch wirksamen Adrenalin-Kokain-Verbindung auch die geringsten Nebenerschei- nungen zu verzeichnen hatten, besonders hervor. Dieses ist nach meiner Ansicht auch der Kardinalpunkt, um unangenehme Störungen nach Möglichkeit bei der Injektion zu beseitigen. In der Dosie- rung des Eusemins ist bei °/, Proz. Kokaingehalt der Zusatz des Adrenalins um das Doppelte bis Dreifache geringer als in den anderen bekannten Verbindungen. Mehr als ich schon früher über die Indikations- resp. Kontraindikationsstellung gesagt habe, ver- mag ich auch heute nicht zu sagen. Als Beweis für meine Behaup- tungen möchte ich das Zeugnis derjenigen Herren Kollegen, und ihre Zahl war nicht gering, anruten, welche sich die Injektionen in meiner Praxis angesehen haben; ebenso verliefen die zahlreichen vor größerem Kollegenkreise ausgeführten Demonstrationen, so auch in Straßburg auf der letzten Central-Vereins-Tagung, ohne

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jede unangenehme Nebenwirkung. Diese Tatsachen können doch unmöglich alle dem glücklichen Zufall zugeschrieben werden.

Ob sich das Kokain durch Stovain oder durch das neueste Anästhetikum das Alypin wirksam ersetzen läßt, vermag ich heute noch nicht zu sagen. Ich beschäftige mich augenblicklich mit diesbezüglichen Versuchen. Hinsichtlich des Stovains möchte ich Sie auf das Januarheft 1905 der D. M. f. Z., S. 51 aufmerksam machen, wo Reclus, dem wir die exaktesten Kokainversuche verdanken, sich durchaus nicht ermunternd äußert.

Nun zur Frage der Vitalität der Pulpa nach den Injektionen. Von Schröder haben wir eben gehört, daß er durch sehr exakte Versuche mittels des Induktionsstromes Pulpentod in einigen Fällen feststellen konnte. Meine Herren, ich wäre der letzte, der diese peinlich genau durchgeführten Beobachtungen nicht anerkennen wollte, aber trotzdem muß ich Ihnen sagen, daß ich noch nicht einen einzigen Fall von Pulpentod in meiner Praxis teststellen konnte. Ich habe sicherlich über 2500 Injektionen gemacht, nicht ein einzigesmal ist mir ein Patient zurückgekommen mit Schmerzen, die auf einen abgestorbenen Nerven schließen lieten; dabei stützt sich meine ganze Erfahrung nicht auf poli- klinisches Material, sondern auf Patienten der Privatpraxis. Auch möchte ich an dieser Stelle nochmals auf meine früheren Aus- lassungen über diesen Punkt in Nr. 34, Jahrg. 7 der D. Z. W. verweisen. Ich begründete meine Behauptung, noch nie eine abge- storbene Pulpa nach Injektion von Eusemin gefunden zu haben, mit folgendem Hinweis: In der ersten Zeit meiner Versuche ver- schloß ich nie die unter Injektionsanästhesie gereinigte Höhle noch in derselben Sitzung mit der definitiven Füllung, sondern erst nach mehrtägiger Wartezeit, ich konnte stets eine normal rea- gierende Pulpa feststellen. Dann kam es während der Versuchs- zeit vor, daß ich einen schon früher anästhesierten und gefüllten Zahn später an einer anderen Stelle zu behandeln hatte, oder auch einen Zahn in einem schon früher anästhesierten Gebiet nach der Injektion wird doch nicht immer nur ein Zahn unempfindlich, sondern häufig auch der Nachbar —, in jeden Falle fand ich eine lebende Pulpa, wo ich eine solche nach Ausweis meiner genauen Aufzeichnungen finden mußte. Ferner möchte ich auf meine, bei mehrwurzeligen Zähnen veröffentlichten Versuche hinweisen.

Das Absterben der Pulpa nach der Injektion kommt zustande durch eine infolge der Adrenalinwirkung bedingte, allzulange währende Zirkulationsunterbrechung. Wir finden hier das wirk- same Prinzip der Nebennierenextrakte als schädlichen Faktor. Die erste Bedingung zur Ausschaltung der Möglichkeit eines Pulpatodes ist nun wieder die Benutzung der dünnsten Kokain-

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Adrenalinlösung, eine zweite Möglichkeit scheint mir in der Injektionstechnik zu liegen. Injizieren Sie nach Prof. Brauns') Angaben, so wird sicherlich, noch dazu seine Lösung im Ver- hältnis zum Eusemin den dreifach stärkeren Nebennierenextrakt- zusatz hat, das Gebiet um das Foramen apicale stärker anämisch, es findet also eine intensivere Zirkulationsunterbrechung statt. als wenn Sie nach meinen veröffentlichten Angaben injizieren. Ich führe die Injektion aus, indem ich parallel zur Wurzel des zu anästhesierenden Zahnes mit der Kanüle noch über den Bereich des Foramen apicale hochgehe und so ein Depot von Eusemin möglichst hoch anlege. Hierdurch werden Gefäßanastomosen im Bereiche des Foramen apicale in der Spongiosa des Alveolarfort- satzes sicherlich erhalten, die Ernährung der Pulpa also nicht unterbrochen. Als Beweis hierfür kann ich die Tatsache anführen, auch hierfür mögen meine Demonstrationen gelten daß ich noch nie nach einer Zahnextraktion eine blutleere Alveole ge sehen habe, noch nach einer Pulpaextraktion ein blutleeres Pulpen- kavum. Selbstverständlich ist es nötig, diese Vorteile nicht durch Injektion einer zu großen Menge Eusemin aufzuheben.

Fasse ich nun zum Schluß die Punkte, welche die grötte Sicherheit einer unschädlichen Wirkung der Injektion sowohl auf den Gesamtorganismus, als auch auf die Vitalität der Pulpa gewähren, zusammen, so kann ich Ihnen nur wieder einen Satz aus einer meiner früheren Veröffentlichungen vortragen: Benutzen Sie das beste Injektionsmaterial, die dünnste Spritzenkanüle. in- jizieren Sie die dünnste Adrenalin-Kokainverbindung und schliet- lich von dieser, unter genauester Anpassung an die jeweiligen anatomischen Verhältnisse, das geringste Quantum.

Diskussion. Herr Karl Witzel-Dortmund: Fr. Blume-Frank- furt a. M. stellt in seiner Arbeit über Nebennierendiabetes (Deutsche Archiv für klinische Medizin 1901, S. 146 u. f.) auf Grund seiner Tier- untersuchungen (an 22 Hunden und 3 Hasen) über Nebennierendiabete folgende Grundsätze auf:

1. In den Nebennieren ist eine Substanz enthalten, die in den Kreislauf gelangt, (lykosurie hervorzurufen vermag.

2. Sofern man die Dosen nicht zu klein wählt, erscheint jedeswil, auch bei dauernd kohlenhydratfreier Ernährung der Tiere, Zucker im Urin und zwar in recht beträchtlichen Mengen, sobald die Em- verleibung des Nebennierensaftes subkutan oder intravenös geschah.

3. Alle Säugetiere sind gegen jene Glykosurie erzeugende Neben-

nierensubstanz empfindlich.

4. Es kann also von Nebennierensaft nicht nur bei kohlenhydrät- freier Nahrung, sondern im Hunger, sogar im Hunger zu Zeiten, in denen längst alles Glykogen aus der Leber verschwunden ist, recht betrüchtliche Glykosurie erzeugt werden. Damit rückt jener Neben-

1) XXIII. Jahrg., 1. Heft dieser Monatsschrift 1905.

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nierenbestandteil in die vorderste Reihe der Glykosurie erzeugenden Agenzien.

ö Tiere, die mit Nebennieren (bis 100 St. pro die) gefüttert wurden, zeigten manchmal Magenstörungen (Erbrechen und mehrtägige Freb- unlust); niemals aber schieden sie auch nur Spuren von Zucker mit dem Urin aus.

Auf Grund seiner Untersuchungen glaubt Blum berechtigt zu sein, von einem Nebennierendiabetes zu sprechen. Die Glykosurie ist offenbar bedingt durch eine toxische Einwirkung auf ein oder mehrere, dem Kohlenhydratstoffwechsel vorstehende Organe.

Nicht durch Blutdrucksteigerung wird die Glykosurie erklärt. Die Versuche haben bewiesen, daß erst im zweiten oder dritten Urin, nachdem längst jene Druckveränderungen verklungen sein müssen, die Zuckerausscheidung ihr Maximum erreichte und noch oftmals tagelang angehalten hat.

Nach Wenzels Untersuchungen von 144 Fällen: Über den Ein- Huß chirurgischer Eingritte auf den Stoffwechel der Kohlenhydrate und die Zuckerkrankheit (Archiv für die gesamte Physiologie, Bd. 68, 1904) ist das Ergebnis, daß durch chirurgische Eingrifte trotz Anwendung der Narkose, die sogar bis 2'/, Stunden dauerte, keine Glykosurie erzeugt. worden ist. Auch nach der Anwendung der lokalanästhesie nach Schleich (Kokain), Hackenbruch (Kokain Eukain), Lumbalanästhesie nach Bier (Kokain 0,02, Paranephrin 0,5) nur in dem Falle, wo bei dem Kokain-Eukain und Adrenalin zur Lokalanlisthesie benutzt wurde, war Zucker von 0,3 Proz. nachzuweisen.

Der Harn war vor der Operation negativ. Am 1. Tage nach der Operation stark positiv (Febling positiv). am 2. Tage stark positiv (mit Fehlingscher Lösung), der Polarisationsgrad betrügt 0,29 am 3. Tage, negativ grünliche Verfürbung am 4. Tage.

Da nun nach den Untersuchungen von Blum, Croftan, Herter

und Wackemann, Injektionen mit Adrenalin Glykosurie erzeugen, desgleichen auch die Lokalanästhesie mit Kokain und Adrenalin, da- gegen die Lumbalanästhesie nach Bier (Kokain 0,02, Paranephrin 0,5) negativ verlaufen ist, so müssen wir eingehende Untersuchungen an- stellen, welches Mittel wir in Zukunft verwenden sollen, zumal nach Blums Untersuchung noch nicht festgestellt ist, ob die Verfärbung in der Haut Nekrotisierung in der Nähe der Einstichstelle unabhängig von der Glykosurie oder, wie Blum sagt, eine Folge von dem die none erzeugenden Virus ist, oder ob eine diabetische Gangrän vorliegt. Ích habe diese Arbeiten von Blum und Wenzel erst jetzt zu Gesicht bekommen, konnte deshalb in meiner Arbeit nicht auf die- selben verweisen und Nachuntersuchungen anstellen. Für unsere Forscher Römer, Port, Schröder, Peckert, Rosenberg möge diese Mitteilung Veranlassung sein, ihre Forschungen nach dieser Richtung hin zu machen, und uns demnächst ihre Resultate mitzu- teilen. Ich halte eine gründliche Klärung dieser Frage für ungeheuer wichtig.

Herr Kunert: Wir werden an den exakten Untersuchungen des Kollegen Schröder nicht vorüber können; es steht also fest, daß gelegentlich Pulpen nach Verwendung der Nebennierenpräparate zu- gerunde gehen. his wird sich nur fragen, ob es nicht möglich sein wird, allmählich binter die Ursachen zu kommen. Man wird jeden- falls daran denken müssen, daß es sich dabei um zersetzte Präparate

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handeln kann, zumal ja die meisten Kollegen Präparate verwenden, welche die Industrie uns vorsetzt und von Toren ja nie zu übersehen ist, wie alt sie sind. Ich mache mir selbst die Lösungen nach der Vorschrift, die Trebitsch gegeben hat und habe jedenfalls bisher nie ein Absterben beobachten können, trotzdem ich auf den Aufsatz von Schröder hin darauf geachtet habe. Aber wenn schon gelegentlich eine Pulpa abstirbt, ich möchte heute doch nicht mehr auf das Adre- nalin verzichten, nachdem ich mich von den eminenten Vorteilen in der Praxis überzeugt babe. Schließlich stirbt auch manchmal in der Chloroformnarkose ein Patient, ohne daß der Chirurg darum darauf verzichtet.

Meine Herren! Ich möchte noch anfragen, ob einer von Ihnen ebenfalls beobachtet hat, daß das Paranephrin von Merck erheblich langsamer wirkt als das englische Prüparat Adrenalin von Parke, Davis & Co.

Herr Peckert: In Erwiderung auf den Hinweis auf den Neben- nierendiabetes durch Herrn Witzel muß ich darauf aufmerksam machen, daß die Arbeit Blums, die Witzel zitiert, einer ganzen Reihe von Forschern Anlaß gegeben hat, die Versuche Blums nach- zumachen. Kein einziger hat Diabetes nachweisen können: man ist sich einig darüber, daß Unreinheit der Präparate an dem Diabetes Blums schuld war. Die neuere Arbeit von Wenzel, die einen positiven Fall betrifft, worauf Witzel hinweist, kenne ich nicht.

err Heitmüller: Die ganze Frage der Pulpenanästhesie hat mich besonders interessiert, da ich bereits vor 18 Jahren zuerst mıt einer ]Oproz., dann herabgehend bis zu einer 2proz. Kokainlösung Versuche über die Anästhesierung der Zahnpulpa gemacht habe. Ich habe schon damals gefunden, daß man durch Injektion einer ?proz. Lösung von Kokain beim Oberkiefer die Schneidezähne, die Bikusp!- daten und falls der Oberkiefer lang und schmal war, auch bei ‚den Molaren die Pulpen schmerzlos entfernen konnte. Beim Unterkiefer waren die Resultate ungenügend. (Geschrieben habe ich über die Resultate meiner Untersuchungen bereits vor mehr als 13 Jahren un meiner Arbeit: Die Wiederherstellung von Zahnkonturen usw.). le habe schon damals nach dieser Methode nicht nur Pulpen exstirpiert. sondern auch flache, sehr empfindliche Kavitäten exkaviert. Bei tief gehenden Kavitäten habe ich diese Methode nicht angewendet, und möchte in diesen Fällen auch vor der Anwendung der Dentinanästhesie warnen, weil der Schmerz ein wichtiges diagnostisches Hilfsmittel ist. zu sehen, ob die über einer Pulpa liegende Dentinschicht noch dick genug ist, um den Druck beim Einführen einer permanenten Füllung zu ertragen. Wenn es sich herausstellt, dat die Nebennierenextrakte die Pulpen zum Absterben bringen können. dann kann man eben auch mit einer schwachen Kokainlösung allein in vielen Fällen eme genügende Dentinanästhesie erzielen. Was das Ausschalten emes ganzen Nervenzweiges durch lokale Anästhesie anbelangt, so hat schon Schleich diese Methode auch für die Kiefernerven angegeben. Wenn aber von manchen diese Art der Anästhesierung als harmlos dar- gestellt wird, so will ich bemerken, daß diese Methode doch auch ibre Gefahren hat. Nach dem Einspritzen der Flüssigkeit an der Stelle, wo der Unterkiefernerv in den Unterkiefer eintritt, können Odeme auftreten, welche dann leicht auf die Epiglottis übergehen und Er- stickungserscheinungen hervorrufen. Ferner können die Blutgefäße, welche mit den Nerven in den Unterkiefer eintreten, angestochen werden.

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Herr Römer: Ich verwende die Lokulanästhesie durch Injektion von Nebennierenextrakt mit Kokain seit drei Semestern und habe mindestens 1400 Injektionen damit ausgeführt, allerdings nur selten zur Dentinanästhesie, sondern gewöhnlich nur zur schmerzlosen Ex- traktion von Zähnen. Als Präparat benutzte ich stets Paranephrin- - Ritsert mit Kokain. Um damit einen vollen Erfolg zu erzielen, muß man so intensiv injizieren, daß natürlich auch die Nachbarzähne von der Injektionsflüssigkeit getroffen werden. Und dennoch habe ich bis jetzt weder in der Privatpraxis noch in der Klinik ein Absterben der Pulpen dieser Zähne beobachtet. Daß uber ein Absterben vorkommen kann, das halte ich nicht bloß für möglich, sondern in vielen Fällen auch für wahrscheinlich. Denn durch das Nebennierenextrakt wird eine starke Gefüßkontraktion erzeugt, die mindestens 1 Stunde anhält. und die Pulpa während dieser Zeit zweifellos unterernährt. Eine sonst völlig gesunde, widerstandsfähige, sagen wir normale Pulpa wird diese Unterernährung ohne Schädigung ertragen. eine weniger widerstands- fähige wird eventuell erkranken und absterben. Wir wissen aus mikroskopischen Befunden, wie außerordentlich verschieden bei den einzelnen Individuen die Struktur der Pulpa gefunden wird und zwar nicht bloß die durch irgendeine Form der Pulpitis infolge von Zahn- karies afftizierte Pulpa, sondern auch die durch a in keiner Weise reschädigte, also die Pulpa in intakten Zühnen. Bald findet man z. B. bei sehr engem Foramen apicale besonders im senilen Zahne eine starke Atrophie des Pulpagewebes, bald Verkalkungen in Form von freien oder wandständisren Dentikeln oder Kalkschollen. Bei diesen Pulpen kann natürlich durch eine stundenlange Unterbindung der Ernährung eine schwere dauernde Schädigung oder Absterben die Folge sein. Aber wie gesagt, ich selbst habe diesen Fall noch nicht beobachtet. Ob die Wahl des Nebennierenpräparates eine Rolle spielt, wage ich nıcht zu entscheiden. Aus den Tierexperimenten von Ritsert geht unzweifelhaft hervor, daß das Paranephrin weniger giftig ist als das Adrenalin. Wenn ich also bis jetzt weder schlimme allgemeine noch lokale Störungen nach Paranephrin-Kokaininjektion beobachtet habe, so mag das wohl auf diesem Unterschied zwischen Parauephrin und Adrenalin beruhen. Allerdings hat das Paranephrin den Übelstand, daß man länger warten muß. bis Anästhesie eintritt, nnd auch ge- zwungen ist, öfters noch einen weiteren Kubikzentimeter von der Lösung zu Injizieren.

Herr Hielscher: Ich möchte mir nur zwei kurze Anfragen erlauben: Haben die Herren Kollegen auch beobachtet, daß schwäch- liche Personen nach Adrenalininjektion eine große Schlafmüdigkeit zeigen? Die zweite Frage, die vielleicht etwas komisch klingen kann, stelle ich im Interesse eines Kollegen: Haben Sie nach Adrenalin- injektion eine allgemeine Narkose beobachtet? Zu dem betreffenden Herrn Kollegen ist am Tage nach der Injektion die betreffende Dame zurückgekehrt. und hat behauptet, sie sei allgemein betäubt gewesen, und sei in der Betäubung gemißbraucht worden. Dem Herrn droht deshalb die strafrechtliche Vertolgung. Mir ist kein Fall von All- emeinnarkose nach Adrenalininjektion in der Literatur bekannt, deshalb stelle ich diese Frage.

Herr Traube- Hannover: Nach Extraktion anästhesierter Pulpen tritt fast stets und unmittelbar oder nach wenigen Minuten starke Blutung ein, ein Zeichen, daß die Zirkulation nur ganz kurze Zeit unterbrochen ist. Es ist daher kaum anzunehmen. daß Pulpentod in so kurzer Zeit eintreten kann.

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Herr Schaeffer-Stuckert: Auf die Frage des Herrn Kollegen Kunert möchte ich bemerken, daß ich in der ersten Zeit meiner Versuche mit Paranephrin Ritsert eine Wartezeit von 5 Minuten für genügend fand, um schmerzlose Extraktionen zu erzielen. Ich habe - in meiner Veröffentlichung lauter Fälle zitieren können, bei denen nach 5 Minuten die Wirkung eine vollständig befriedigende war. Heute warte ich auch häufig noch etwas länger, angeregt durch die Erfahrungen des Kollegen Römer. Die weniger prompte Wirkung des Paranephrins gegenüber Adrenalin oder Suprarenin dürfte aber auch für eine geringere schädliche Wirkung des Mittels sprechen, wie dies aus den Tierversuchen auch hervorgeht. Ich möchte noch be- merken, daß ich besonders darauf hinwies, als ich durch meine Arbeit das Paranephrin Ritsert den Kollegen bekannt gab, daß von einer allzu häufigen Anwendung der Injektionsanästhesie ohne darauf folgende Extraktion zu warnen sei. Mein erster unangenehmer Fall betraf eine Dame, der ich behufs Abschleifen eines sehr sensiblen Zahnes, der Träger einer Brücke werden sollte, eine Injektion machte. Das Ab- sterben von Pulpen in der Umgebung der Extraktionsstelle habe ich nicht beobachtet.

Herr Körner: Auf die Anfrage des Herrn Kollegen Hielscher möchte ich bemerken, daß ich es für ausgeschlossen halte, daß auf eme Kokaininjektion etwa eine allgemeine Narkose eintreten könne, vielleicht liegen Verwechselungen vor mit einem Kollaps, der natürlich mit einer vorübergehenden Bewußtseinsstörung verbunden sein kann. Ferner kann ich Herrn Kollegen Hielscher mitteilen, daß in der Tat ein zweiter Fall vorgekommen ist, daß eine Patientin nach einer Injektion mit Kokain behauptet hat, sie wäre narkosiert worden und in der Narkose geschlechtlich mißbraucht worden. Ich habe den Fall in der Deutschen Monatsschrift für Zahnheilkunde, Jahrg. 1904 veröffentlicht unter dem Titel: „Über den Eintritt von Psychosen nach zahnärztlichen Eingriffen.“

Herr Cohn: Ich möchte auf die Beobachtung aufmerksam machen, daß bei genügender Anästhesie behufs Extraktion eine schlechtere Wundheilung beobachtet wird, als ohne Injektion. Die Ursache liegt darin. daß die Anämie des Processus alveolaris, die sich nicht so schnell ausgleicht, die Heilung behindert; ferner daß die Alveole blutleer ist und für die nächsten Stunden der Gefahr der Infektion ausgesetzt ist. Es fehlt das Koagulum, der natürliche Verband der Alveole. Ich pflege mir in diesem Falle so zu helfen, daß ich bald nach der Extraktion die Wunde wieder anfrische und versuche, die Alveole mit Blut anzufüllen. Es scheint aber, daß das Blut nicht so gut koaguliert wie ohne die Adrenalin- anwendung.

Herr Dieck: Da die Frage der deletären Wirkung der Neben- nierenpräüparate auf gesunde Zähne des Injektionsgebietes doch prak- tisch überaus wichtig ist, so erscheint es mir dringend nötig, daß hier bestimmtes Zahlenmüterial gesammelt wird. Die vorgebrachten An- sichten sind so verschieden, daß ohne eine positive Grundlage kaum ein definitives Urteil gefällt werden kann. Nun glaube ich aber, daß klinisches Patientenmaterial dafür ungeeignet ist, denn einerseits kann schon nach den bisherigen Beobachtungen eine Pulpa im Anschluß an die Injektion schmerzlos absterben, andererseits stellen sich die klinischen Patienten in der Regel nicht wieder vor, wenn sie nicht besondere Veranlassung haben.

Ks scheint mir daher wichtig zu sein, daß die Daten in der Privat-

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praxis gesammelt werden. Hier ist es ja leicht durchzuführen, bei einer späteren Kontrolle die Zähne des Injektionsgebietes auf den Zustand der Pulpa zu prüfen. Es müßte notiert werden: Tag der Injektion, Injektionsgebiet, verwendetes Präparat und der Befund vor der Injektion, damit nicht ein etwa schon vorher toter Zahn über- sehen wird, dann später Tag und Befund der Nachprüfung.

Nur auf diese Weise könnte durch ein größeres Zahlenmaterial die Frage dahin entschieden werden, wie oft der nachträgliche Pulpa- tod bei gesunden Zähnen eintritt, wie groß also die Nachteile sind, welche den Vorzügen der Nebennierenprüparate gegenüber stehen.

Herr Wittkowsky: Einen Beweis dafür, daß trotz Injektion in der Nachbarschaft das Absterben der Pulpen nicht eintritt, suchte ich dadurch zu erbringen, daß ich an oberen Molaren besonders bei Soldaten die Pulpen aus ? Wurzeln entfernte und sie bei der dritten unberührt ließ. Am nächsten Tage traten an allen zurückgelassenen Pulpenteilen aufs neue Schmerzen ein.

Herr Schröder-Hannover frägt an, ob Hautausschläge nach Kokain-Adrenalininjektionen beobachtet sind. Er hat erhöhte Herz- tätigkeit sofort nach der ersten Injektion beobachtet, häufig auch Schwächezustände nach vollendeter Einspritzung und empfiehlt Kaffee als Antidotum vor der Extraktion.

Herr Witthaus-Rotterdam: Meine Herren! Aus den in der Dis- kussion mitgeteilten Erfahrungen mit der Adrenalin-Kokain-Injektion geht wohl deutlich hervor, daß wir es mit einer durchaus nicht ırrelevanten Methode zu tun haben. Sowohl lokale als allgemeine Intoxikationserscheinungen können darauf folgen und eventuell, wie erwähnt, zu unangenehmen Verwickelungen mit der Justiz führen. In solchen Fällen können wir die Verantwortung für unseren Eingriff allein tragen, wenn wir die genaue Zusammensetzung der Injektions- flüssigkeit kennen. Dies ist jedoch nicht der Fall bei dem vom Kollegen Rosenberg propagierten Eusemin, von welchem nur eine qualitative Analyse bekannt gegeben ist. Wenn wir Zahnärzte die Injektion mit diesem in bequemer Form gebotenen Mittel ausführen wollen, so müssen wir gewiß sein, mit keinem Geheimmittel zu arbeiten. Wenn Herr Rosenberg also das Eusemin zur Injektion propagiert, so muß er auch die genaue «quantitative Zusammensetzung veröffent- lichen. (Beifall.)

Herr Köhler: Ich wende seit ca. 1!/, Jahren das Paranephrin- Kokain-Subkutin (Ritsert) an, ohne die hier angeführten übeln Er- scheinungen zu beobachten. Ich muß allerdings zugeben, daß be- sonders bei anämischen Patienten die Knochenwunden schlechter ver- heilen. Einwirkungen nachteiliger Art habe ich bei den ca. 450 bis DOO Injektionen nieht beobachtet. Ich habe z. B. einem 12:jährigen Mädchen ca. 3 cbm injiziert, ohne irgendwelche nachteilige Folgen zu sehen.

Herr Götzel- Krefeld: Um den unangenehmen Nebenerscheinungren, die sich infolge Kokain-Adrenalin-Injektion durch stark erhöhte Herz- tätigkeit zeigen, wirksam entgegenzutreten, empfiehlt es sich, Validol anzuwenden, und zwar gebe ich 10 Tropfen Valıdol auf ein Stückchen Zucker und lasse solches mit etwas Wasser nehmen.

Herr Frohmann: Ich habe schon im November 1904 bei der Tagung des Standes-Vereins Berliner Zahnärzte davor gewarnt, die Injektion mit Kokain-Adrenalin so hinzustellen, als ob sie gänzlich

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ungefährlich wäre. Es treten durchaus nicht zu selten eine Reihe von Intoxikationserscheinungen auf, die keineswegs so unschuldiger Natur sind, wie es Herr Rosenberg darzustellen beliebt. Verschiedene Autoren und auch ich haben Erscheinungen seitens des Zirkulations- apparates, Herzens uud Nervensystems beobachtet, wie Herzklopfen, Blässe. Schwindel, Ohnmacht, Zittern, Krämpfe in Arm- oder Bein- muskeln oder der Kiefermuskeln. Diese Störungen treten zwei bis drei Minuten nach der Injektion auch bei sonst ruhigen Patienten ein und sind auf die Injektion selbst, nicht auf die Aufregung vor der Operation zurückzuführen.

Weiter ist die Nachblutung in so bedeutendem Maße erhöht, daß ich in Berlin empfohlen habe, in jedem Falle der Verwendung von Kokain-Adrenalin nach der Operation die Wunde mit Jodoformgaze zu tamponieren.

Drittens wird durch die Injektion bei Extraktionen der Nach- schmerz häufig sehr verstärkt.

Schließlich ist noch der Wundheilungsverlauf erheblich schlechter als bei Extraktionen ohne Kokain-Adrenalin-Injektion.

Diese Umstände sollten doch genügen, daß man endlich aufhört, Kokain-Adrenalin-Injektion so hinzustellen, als ob sie eine Methode wäre, die selbst Lehmanns Kutscher anwenden könnte.

Herr Hinrichsen-Kiel: Ich habe seit 1'/, Jahren fast täglich das Braunsche Kokain-Adrenalin-Präparat verwandt und habe seit den ersten Injektionen das Auftreten von Herzklopfen beobachtet, während ich vorher jahrelang bei Kokain allein nichts derartiges be- merkt habe; ich glaube daher auf das bestimmteste, die Wirkung auf das Adrenalin zurückführen zu müssen.

Herr Jul. W itzel: In der meiner Leitung unterstellten Kruppschen Zahnklinik werden täglich ca. 20—25 Injektionen gemacht; meine Er- fahrungen dürften daher von gewisser Bedeutung sein. Wir ver- wenden Paranephrin-Ritsert; die hohe Zahl der täglichen Injektionen sprechen schon für das Vertrauen, das wir zu diesem Präparate haben. Bedrohliche Unfälle habe ich bisher niemals beobachtet; das Mittel wirkt quoad Schmerzlinderung prompt und zwar bereits durchschnittlich nach 3 Minuten. Bezüglich der Beurteilung gelegentlicher Kollapse ist immer eine gewisse Vorsicht bei der Schlußfolgerung geboten; ıch habe öfters beobachtet, daß Patienten ohnmächtig wurden in dem Augenblicke, als ich die Spritze ansetzen wollte. Und zweifellos wird manche Ohnmacht dem injizierten Mittel zugeschrieben, die sicherlich auch ohne Anwendung eines Anästhetikums eingetreten wäre. Und der Schluß post hoc ergo propter hoc dürfte öfters ein Trugschluß sein.

Ganz anders muß natürlich die Frage nach einer etwaigen Schädigung der Pulpa nach Einspritzung der Nebennieren-Kokain- präparate beurteilt werden. An der Hand des Schröderschen In- duktionsapparates werde ich der Beantwortung dieser Frage künftig eine besondere Aufmerksamkeit schenken.

Herr Körner: Wenn jemand nach einer Injektion vor einer Extraktion einen beschleunigten Puls bekommt und über Herzklopfen klagt, deshalb braucht das noch lange keine Wirkung des injizierten Mittels zu sein, sie wird nurin der überwiegenden Mehrzahl der Fälle eine vermehrte Herzuktion sein, die psychischer Natur ist, natür- lich das ist ja bekannt kann infolge der Injektion von Adre- nalin-Kokain Herzklopfen, verbunden mit Angstgefühlen, Präkordial- angst auftreten als Wirkung des Adrenalins, aber daß eine solche

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Wirkung schon mit oder wenige Sekunden nach der Injektion eintritt, ist doch nicht anzunehmen, auch pflegen die Angstgefühle dann, wenn sie also als unerwünschte Nebenwirkung des Adrenalins auftreten, nach der Vollendung der Extraktion nicht sofort zu verschwinden, sondern sie bestehen noch eine Weile fort. Ahnlich liegt es mit den Kollapsen, die in vieleu Fällen als Wirkung eines pbysischen Shocks aufzufassen sind, obwohl sie den Eindruck einer schweren Intoxi- kation machen.

Herr Cohn: Wer die intensive Wirkung des Adrenalins auf das Herz nicht glaubt, der lasse sich folgendes Experiment vormachen. Kin durch Chloroform fast still gestelltes Kaninchenherz wird so stark durch eine geringe Dosis von Adrenalin angeregt, daß der Blutdruck, der auf ein Minimum gesunken ist, höher steigt als normal. Bei der Anwendung von 3—4 Tropfen einer !/inoo Adrenalinlösung habe ich fast stets eine Anämie des Gesichtes beobachtet. Also Adrenalin ist ein sehr difterentes Mittel, das sollte man niemals vergessen und durch noch so schöne Erfolge aus dem Auge verlieren.

Herr Schneider weist daraufhin, daß Patienten aus Angst vor den Schmerzen mehrere Jahre nicht zum Zahnarzt gehen und dadurch größeren Schaden an ihren Zähnen erleiden, als wenn eine Pulpa infolge von Adrenalin-Kokaininjektion zugrunde geht.

Herr Miller: Meine Herren! Es ist wiederholt betont worden, daß die Extraktionswunde nach Einspritzung von Adrenalin-Kokain leichter zu Infektion geneigt ist als sonst, und ich möchte Sie darauf aufmerksam machen, daß diese Tatsache möglicherweise auf dje ver- minderte Phagocytose zurückzuführen ist. Nach jeder Zahnextraktion findet eine Auswanderung von außerordentlich zahlreichen Leukocyten in die Extraktionswunde statt, und man findet häufig genug, daß diese Leukocyten (Phagocyteni mit vielen Bakterien, bis zu 100 an der Zahl. angefüllt sind. Ohne Zweifel tragen sie sehr viel dazu bei, die Wunden rein zu balten, resp. von Bakterien zu befreien.

Herr Schröder: Wenn Extraktionswunden in weiter Ausdeh- nung schwer zur Heilung kommen, warum sollte nicht eine gute Pulpa absterben. Wir wissen, daß die Pulpen manchmal sehr wenig wider- standefühig sind, häufig genug beobachtet man infolge klinisch-trau- matischer Einwirkung das Absterben der Pulpen der unteren Schneide- zäbne. Was das Präparat selbst anbetrifft, so unterliegt es wohl keinem Zweifel, daß tür eine gleichgute Beschaffenheit des Präparats nicht garantiert werden kann, da es ein organisches Ist.

Herr Rosenberg: Die Beantwortung der Mehrzahl der in der Diskussion gestellten Fragen ergibt sich aus der Literatur. Die Frage des Kollegen Kunert, ob es nıcht zweckmäßiiger sei, stets frisch her- gestellte Lösungen von Kokain unter Zusatz von Adrenalin sich zu bereiten, muß ich dahin beantworten, daß wir ja auch nicht wissen, wie alt das vom Apotheker bezogene Adrenalin ist. Ein Vorzug liegt nach meinen Erfahrungen in Kunerts Anregung nicht. Die vom Kollegen Cohn nochmals erwähnte Herstellung der Lösung unter tropfenweisem Zusatz des Adrenalins habe ich schon in früheren Ver- sammlungen als geradezu gefährlich hingestellt. Nach den heutigen Kıtfahrungen muß ich dieses noch ganz besonders wiederholen. Herrn Kollegen Witthaus erwidere ich, daß die genaue Zusammensetzung des Eusemins seit 3⁄4 Jahren schon bekannt ist, es enthält als wirk- same Komponenten in 1 g zu injizierender Lösung 0,005 g Kokain

638 Kleine Mitteilungen.

und 0,00004 Adrenalin. Dieser Adrenalinzusatz ist, nochmals betont, um das Dreifache dünner, als in den Braunschen Suprareninpräpa- raten. Die dünnste Lösung gibt uns, wie auch von Schröder betont ‚wurde, die größte Gewähr für eine Erhaltung der Vitalität der Pulpa. Bringen Sie es dann durch genaueste Anpassung der Injektionstechnik an die jeweiligen anatomischen Verhältnisse dahin, auch nur die ge- ringste Menge Eusemin zu injizieren, so bleiben Ihnen üble Zwischen- fälle immer mehr erspart.

Der Vorsitzende dankt wiederholt den Rednern und weist auf die ausgedehnte Diskussion hin, die das allgemeine Interesse an den Ausführungen bewiesen habe.

Es folgt der Vortrag des Herrn Heitmüller. (Fortsetzung folgt.)

Kleine Mitteilungen.

Zwei tödlich verlaufene Fälle von Zahnerkrankungen. Ih den Transactions of the Odontological Society of Great Britann. Vol. XXXIV, Nr. 2, teilt Roughton folgende Fälle mit.

1. Ein 35 jähriger Küchengehilfe bemerkte zuerst im November 190) eine Anschwellung in der Gegend des Jinken Kieferwinkels; irgend- welche Schmerzen waren nicht vorhanden. Nach 3 Wochen konsul- tierte Patient, da die Schwellung zunahm, einen Arzt, welcher einen karıiösen linken unteren Molaren entfernte. Verfasser sah den Patienten, dessen Geschwulst sich inzwischen immer noch mehr vergrößert hatte. zuerst am 10. Januar 1901.

Status praesens: Es bestand eine große entzündliche, die Gegend des Unterkieferwinkels einnehmende, nach aufwärts bis zur Wange, nach vorne bis zur Submaxillargegend und nach hinten über den Musc. sterno-wastoideus sich erstreckende Geschwulst. Wegen der bestehenden starken Kieferklemme war eine genaue Untersuchung der Mundhöhle nicht möglich: nur so viel konnte festgestellt werden, daß das Zahnfleisch in der Molarengegend geschwollen war. Die äußere Haut war über der Geschwulst gerötet und ödematös. Das ganze Aus- sehen ließ auf das Vorhandensein eines mit einem Alveolarabszel in Verbindung stehenden tiefliegenden Kiterherdes schließen: eigentüm- lich war bei dem Krankheitsbilde allerdings das gänzliche Fehlen von Schmerz und Steigerung der Temperatur, die nur 37,2% (C betrug.

Behandlung: Fine sofort vorgenommene Inzidierung der te- schwulst förderte wider Erwarten keine Spur von Eiter, sondern nur ein wenig Blutwasser zutage. Im Hospital, wo Patient am 15. Januar aufgenommen war, wurden ununterbrochen heiße Umschläge apphziert, ohne jedoch irgendwelche Besserung zu erzielen. Die Geschwulst nahm weder ab, noch sonderte sie Eiter ab, sondern vergrößerte sich immer noch langsam, aber stetig. Am t. Februar entfernte Verfasser in der Chloroformnarkose einen kariösen unteren Mahlzahn sowie drei kleine Semester; er fand keine Spur von Eiter, wohl aber eine große Menge weichen, bröckliren ee vor. Am 19. Februar wurde

em

Kleine Mitteilungen. 639

ein Sequester von etwa 21, qcm Größe extrahiert. Am 28. Februar erfolgte eine spontane Fraktur des Unterkiefers. Die Geschwulst breitete sich allmählich nach unten hin bis zum Halse aus und hatte, wie man am 9. März konstatierte, Larynx und Trachea nach rechts verdrängt. Am 12. März wurden in der Narkose am Halse mehrere ausgiebige Inzisionen gemacht; es wurde jedoch wieder kein Eiterherd, sondern viel Granulationsgewebe gefunden. Im Unterkiefer wurden leichzeitig drei kleine “Sequester, sowie ein lockerer Zahn entfernt. ie mikroskopische Untersuchung des Granulationsgewebes und des serösen Sekretes ergab die reichliche Anwesenheit aller gewöhnlichen Mundbakterien; in einer Agarröhre entwickelte sich eine fast reine Kultur von Streptococcus pyogenes; Aktinomyces war nicht vorhanden. Am 14. März trat, augenscheinlich infolge von Glottisödem, Dyspnoe auf, welche ?2 Tage später die Tracheotomie nötig machte Am 20. März konnte die Trachealröhre wieder entfernt werden, da die Luftwege wieder frei waren. Die Inzisionswunden am Halse nahmen nunmehr einen phagedänischen Charakter an, und die zwischen den- selben liegende Hast wurde gangründös, so daß die ganze linke Hals- seite wie ein einziger großer Spalt aussah. Da in den Mund eingeführte Flüssigkeiten durch fie Inzisionswunden am Halse und durch die Trachealöffnung wieder heraustraten, so mußte Patient durch die Nase ernährt werden. Am 30. Mürz erfolgte der Tod infolge einer plötz- lichen heftigen Blutung.

Die Sektion ergab das Vorhandensein eines Loches in der Carotis communis, etwa 2 cm unterhalb der Bifurkationsstelle. Die linke Unterkieterhälfte war nach vorn bis zur Alveole des lateralen Incisivus zerstört. Die inneren Organe waren gesund und keine Anzeichen von Pyämie vorhanden.

Wie Verfasser hervorhebt, ist ihm ein ähnlicher Fall bisher weder in seiner Praxis noch in der Literatur begegnet. Das Krankheitsbild zeigte so viele von dem gewöhnlichen Verlaufe von Erkrankungen dentalen Ursprungs abweichende Erscheinungen, daß Roughton die- selben noch einmal kurz zusammenstellt.

1. Von Anfang bis zu Ende waren keine Schmerzen weder in den Zähnen, noch in der Geschwulst vorbanden: die letztere war sogar, als sie gerötet, straff gespannt und ödematös war, wider alles Erwarten durchaus nicht schmerzhaft, sondern nur in geringem Grade emp- tindlich.

2. Während des zehnwöchentlichen Aufenthaltes im Hospital stieg die Temperatur nur zweimal und zwar nach der 'Tracheotomie über grae C.

3. Die Bildung einer großen Menge kullösen, ein dünnes, seröses Sekret absondernden und «das Bestehen von Aktinomykosis vortäuschen- den Granulationsgewebes.

4. Das günzliche Fehlen von EBiteransammlungen.

5. Der Krankheitsprozeß war rein lokal: es bestand keine All- remeininfektion, und nach der Temperatur und dem Allgemeinbefinden zu urteilen, schien eine Absorption von Toxinen nur in geringem Maße stattzufinden; eigentimlich war das unaufhaltsame Fortschreiten der Lokalerkrankung trotz der ausgedehntesten Inzisionen und des ver- schwenderischsten Gebrauches von Antisepticis.

©. Das unerwartete Hinzutreten eines rapid verlaufenden und durch Erötfnung der Carotis zum Tode führenden Ulzerationsprozesses.

Verfasser nimmt als Krankheitsursache eine bakterielle Invasion und zwar des Streptocoecus pyogenes durch den Pulpakanal eines

640 Kleine Mitteilungen.

karıösen Zahnes hindurch an. Das genannte Bakterium hat allerdings sonst immer dittuse Entzündungserscheinungen von ausgesprochen eitrigem Charakter zur Folge; „da aber bekanntlich die Bakterien unter verschiedenen Verhältnissen verschieden wirken, so ist es denkbar. dal gewisse Zustände des Mundes oder der Gewebe auf das Wachstum des genannten Organismus modihzierend eingewirkt haben, so daß der beschriebene, nichteitrige Zustand eintrat“. Die Diagnose Narkom war nach der übereinstimmenden Ansicht Roughtons sowie mehrerer hinzugezogener Kollegen mit Sicherheit auszuschließen.

2. Fall. Eine "27 jährige, ım letzten Monat schwangere Frau hatte seit 2 Monaten an Schmerzen ım rechten unteren Weisheitszahn gelitten; seit einigen Tagen war ıhr Gesicht derartig anzeschwollen. AN sie unfähig war, den Mund zu öfinen. Nach der sofort am

Juni 1549 in der Lachgasnarkose vorgenommenen Extraktion des a Zahnes traten heftige Schmerzen und eine Verschliminerung der Gesichtsschwellung ein, weshalb am 9. Juni die Aufnahme der Patientin ins Hospital erfolgte.

Status praesens: Krankhaftes, erschöpftes Aussehen: Tempe- ratur 58,3° C., Puls 109. Sehr starke Schwellung der ganzen rechten Gesichtsseite mit Einschluß der Augenlider sowie der Lippen. so dab das Auge ganz geschlossen ist und der Mund nach links verschoben erscheint. Am 10. Juni wurde der Mund in der Narkose geättnet und durch die Wangenschleimhaut in der Nähe der unteren Molaren ein Schnitt geführt. wodurch eine Menge außerordentlich übelriechenden Fiters entleert. wurde. Ein in die Inzisionswunde eingeführter Finger drang mit Leichtigkeit bis zur äußeren Haut vor, weshalb eine Inzision der letzteren vorgenommen wurde. Es ertolgte jedoch keine Besserung. Am 14. Juni bildeten sich zwei kleine, Eiter secernierende Fistel- öffnungen im rechten unteren Augenlid. Eine unterhalb des äußeren Augenwinkels ausgeführte Inzision zeigte, daß das Os zygomaticum nekrotisch war. Tempe: “tur 39,4" C. Am 16. Juni wurde Patientin von einem lebenden Kinde leicht entbunden. Am 17. Juni klagte sie über Kopfschmerzen, war sehr schwach und konnte kaum noch ant- worten. Temperatur 40°. Am nächsten Tage trat Bewußtlosigkeit und am frühen Morgen des 19. Juni der Tod ein.

Die Sektion ergab eine eitrige Infiltration des Zellgewebes der Orbita und der Umgebung; das Os. zygomaticum sowie ein großer Teil des Os frontale waren nekrotisch; der rechte Schläfenmuskel war sehr erweicht, von graugrünem Aussehen und sehr übelriechend. In der

mittleren sowie der vorderen Schädelgrube der rechten Seite wurde eine große Menge grünlichen Kiters gefunden; die untere Fläche des rechten Frontallappens war in Auflösung begriffen, und im Lobus temporo-sphenoidalis befand sich ein pflaumengroßer Abszeß.

Nach Verfasser „scheint sich im zweiten Falle die bakterielle Invasion nach aufwärts in die Fossa pterygomanxillarıs und die Orbita verbreitet zu haben. Das Schädelinnere wurde wahrscheinlich erreicht durch bakterielle Wanderung ‚längs der durch die Schädelbasis treten- den Venen und Lymphgefäße‘. N.

XXIII Jahrgang. 11. Heft. November 1905.

Deutsche Monatsschrift

für

Zahnheilkunde.

(Nachdruck verboten.?

Verhandlungen der 44. Jahresversammlung

des Central-Vereins Deutscher Zahnärzte. Hannover 4.—6. August 1905.

Bericht von Zahnarzt Otto Köhler, Darmstadt, I. Schriftführer und Zahn- arzt Schaeffer-Stuckert, D.D.S., Frankfurt a. M., Il. Schriftführer.

(Fortsetzung.)

Das Verschlucken von künstlichen Gebissen.

Von Dr. chir. dent. Heitmüller,

Lehrer der Zahnheilkunde an der Universität Göttingen.

(Mit 3 Abbildungen.)

Wohl der schlimmste Nachteil, welchen das Tragen von Zahnersatzstücken im Gefolge haben kann, besteht in der Gefahr, dieselben zu verschlucken. Diese Gefahr ist besonders groß bei kleineren, ungenügend befestigten Zahnersatzstücken. Aber auch anfänglich genügend befestigte Gebisse können im Laufe der Zeit durch Abbrechen von Zähnen und Klammern, nach der Extraktion von Stützzähnen, sowie durch Resorption des Alveolarfortsatzes lose werden und bilden dann eine große Getahr für den Träger. An und für sich festsitzende Zahnprothesen können auch ganz plötzlich beim Essen oder krampthatten Zusammenbeil’en bei epileptischen Anfällen durch einen Bruch der Platte sich lösen und ganz oder teilweise verschluckt werden.

XXI. {1

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Das Verschlucken von Gebissen kommt verhältnismäßig häufig vor, besonders wenn man bedenkt, daß viele Fälle nicht veröffent- licht werden. Feruer kommen zahlreiche Fälle vor, von denen

Fig. 1.

man gar nichts erfährt, wo Zahnersatzstücke nur in den Pharynx geraten und noch rechtzeitig von dem Patienten selbst entfernt werden. Parreidt!) hat bis zum Jahre 1903 insgesamt 128 Fälle

Fig. 2.

des Verschluckens von künstlichen Gebissen aus der Literatur gesammelt. Ich kann noch drei weitere Fälle anführen, die ich im folgenden näher beschreiben will:

1) Parreidt, Handbuch der Zahnersatzkunde. 3. Auflage.

Verhandlungen der 44. Jahresversammlung des Centr.-V. D. Z. 643

Der erste Fall, welcher schon mehrere Jahre zurück liegt, betraf eine Frau von über 25 Jahren. Dieselbe trug ein zwei- zähniges Kautschukstück ohne Klammern, welches von einem Zahntechniker nach einem Stentsabdruck augefertigt worden war und sehr lose saß (Fig. 1). Das Stück wurde beim Essen von Brei verschluckt und gelangte sogleich in den Magen. Hier blieb es mehrere Wochen liegen und veranlaßte größere Be-

Fig. 8.

schwerden, so daß es mit Hilfe der Gastrotomie entfernt werden mußte. Die Wunde heilte normal.

Der zweite Fall betraf einen Mann in den dreißiger Jahren, welcher Epileptiker war. Derselbe trug ein dreizähniges Ober- stück ohne Klammern, welches sowohl den vorhandenen Zähnen als auch dem nach Extraktion einiger Zähne stark resorbierten Kiefer schlecht anlag (Fig. 2). Dasselbe war ebenfalls von einem Zahntechniker angefertigt. Beim Abendbrot bekam der Patient einen epileptischen Anfall und verschluckte dabei sein Gebiß. Am anderen Tage war eine Nahrungsaufnahme nicht

41”

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mehr möglich. Der Patient erhielt Nährklistiere. Sieben Tage nach dem Unfall kam er in die chirurgische Klinik zu Göttingen, wo durch eine Röntgenaufnahme festgestellt wurde, daß das Zahn- ersatzstück in der Höhe des 6. und 7. Halswirbels im Osophagus steckte (Fig. 3). Da es nicht möglıch war, die Prothese vom Munde aus heraus zu ziehen, so wurde die Osophagotomie ge- macht und das Stück auf diese Weise entfernt. Die Wundheilung erfolgte ohne Komplikationen, doch stellte sich eine Stimmband- Lähmung ein. Wegen der dadurch veranlaßten Erstickungsgefahr . mußte vier Wochen später die Tracheotomie gemacht werden, und der Patient bekam eine Kanüle, welche er, als ich ihn sah, also nach drei Monaten, noch trug. Die Lähmungserscheinungen waren inzwischen etwas zurückgegangen.

Bei einem dritten Falle, welcher in Rostock vorkam, handelte es sich um einen Studenten. Derselbe trug ein Kautschukersatz- stück mit einem Schneidezahn und einer Klammer. Die Platte war ziemlich groß und umfaßte lingualwärts noch die ersten Molaren. Das Stück soll anfänglich ziemlich fest gesessen haben, wurde aber bald lose. Nachdem der Betreffende das Stück ein Jahr lang getragen, glitt es eines Abends beim Bierjungen- trinken durch die Speiseröhre hindurch in den Magen. Dem Patienten wurden darauf einhüllende Speisen, Kartoffelbrei usw. verordnet, und nach drei Tagen ging das Ersatzstück auf natür- lichem Wege ab.

Unter den in der Literatur veröffentlichten Fällen ist die Gelegenheit, bei welcher das Gebiß verschluckt wurde, nicht immer angegeben. Am häufigsten kam es zum Verschlucken des Zahnersatzstückes während des Schlafes und bei der Nahrungs- aufnahme, häufig auch bei Epileptikern in einem epileptischen Anfall. Parreidt führt zwei Fälle an, wo die Ursache ein Trauma war. In dem einen Falle zerbrach das Gebiß und geriet in den Schlund, in dem anderen Falle löste es sich durch einen Fall auf den Mund und klemmte sich auf der Epiglottis fest. Beide Fälle endeten letal.

Die Prognose beim Verschlucken eines Gebisses ist immer zweifelhaft. Zuweilen passieren die Prothesen ohne größere Be- schwerden deu Verdauungstraktus und gehen auf natürlichem Wege ab. In anderen Fällen, besonders bei Zahnersatzstücken mit Klammern oder Stiften bleiben die Zahnersatzstücke im Oso- phagus. im Magen oder im Darmkanal stecken und veranlassen, wenn sie nicht durch Kunsthilfe entfernt werden, schwerere krankhafte Erscheinungen. Die Schleimhaut entzündet sich, schwillt an, und es bilden sich geschwürige Prozesse, welche zu einer Perforation der Speiseröhre, der Magen- oder Darmwandung führen können. Der Tod kann eintreten infolge Kompression der Luft-

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wege, infolze septischer Phlegmone und Eindringens von septischen Massen durch die Pertorationsöffnungen in die Brust- und Bauch- höhle mit nachfolgender Pleuritis und Peritonitis.

Die Behandlung der Fälle von verschluckten Gebissen ist möglichst schnell einem Chirurgen zu überweisen. Es sei hier nur das Wesentlichste der Behandlung erwähnt. Über die Lage des Ersatzstückes im Körper geben meist Besichtigungen mit dem ÜÖsophagoskop, Sondierungen und Röntgenaufnahmen Auf- schluß. Man wird. falls das Zahnersatzstück im Osophagus steckt, zunächst versuchen, dasselbe per os zu entfernen. Es sind zu diesem Zwecke verschiedene Zangen und andere Instrumente kon- struiert. Als ganz besonders wertvoll hat sich das von Mikulicz eingeführte O)sophazoskop erwiesen. Durch den eingeführten Tubus wird die Speiseröhre erweitert, das Gebiß mit der Zange gefaßt und der Versuch gemacht, dasselbe unter drehenden, pendelnden Bewegungen zu lockern und mitsamt dem Ösophaposkop zu ent- fernen. Zu gewaltsam darf man bei den Extraktionsversuchen nicht vorgehen, da die Gefahr besteht, die Speiseröhrenwand zu perforieren und die großen Halsgefäße oder die Trachea zu ver- letzen. Je frischer der Fall ist, desto leichter gelingt die Ex- traktion. Ist die Entfernung des Ersatzstückes per os nicht möglich, so versucht man dasselbe vorsichtig mit einer Sonde in den Magen zu stoßen und gibt dem Patienten reichlich einhüllende Speisen, z. B. Reis- und Kartoffelbrei. zu essen, um die Prothese per anum abgehen zu lassen. Beim Verbleiben des Gebisses im Magen sind nach reichlicher Nahrungsaufnahme anch Brechmittel gegeben worden, in der Regel ohne Ertulg, doch erwähnt Parreidt einen Fall. wo das Gebiß 97 Tage im Magen gelegen hatte, und schließlich erbrochen wurde. Ist das Gebiß im Usophagus nicht beweglich, stagniert es im Magen oder Darm, so muß die Ent- ternung desselben auf operativen Wege durch die Osophagotomie, Grastrotomie oder Enterotomie geschehen. Diese Operationen sind nicht ungefährlich. Ein ziemlich hoher Prozentsatz derselben verläuft tödlich.

Es sind übrigens auch Fälle in der Literatur beschrieben. wo Patienten fest davon überzeugt waren, ihr Gebiß verschluckt. zu haben, auch über Beschwerden beim Schlucken klagten, und nachher fand sich die Prothese im Bett oder an einem anderen Orte. Derartige Fälle lassen sich besonders durch Röntgenaut- nahmen leicht klar stellen.

Um die Getahr des Verschluckens von Gebissen möglichst zu vermeiden, sind schon früher von Parreidt und anderen Regeln aufgestellt. Ich möchte diese Regeln noch etwas anders formu- lieren und vervollständigen:

1. Das Ersatzstück muß im Munde genügend befestigt werden.

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2. Man soll dem Patienten einschärfen, Prothesen, welche nicht mehr festsitzen, wieder befestigen, resp. umarbeiten zu lassen. Um die Umarbeitung zu erleichtern, soll man provisorische Gebisse zum vollen Preise, die definitiven zu einem erheblich ermäßigten Preise anfertigen.

3. Die Zahnersatzstücke sollen, mit Ausnahme von Kronen und Brücken, nicht zu klein hergestellt werden.

4. Spitze Drahtklammern sind an einem Gebiß überhaupt zu vermeiden, da sie bei einem Verschlucken ganz besonders gefähr- lich sind. Wenn Klammern nötig sind, sollen dieselben stark, möglichst breit und abgerundet sein. Ferner sollten solche Klammern stets aus Edelmetall angefertigt werden. (Die Differenz im Preise der Metalle ist bei der zu Klammern benutzten immerhin geringen Quantität doch nicht so erheblich, um dieser Forderung nicht nachkommen zu können. Ärmeren Patienten kann man lieber eine Preisermäßigung zugestehen.)

5. Die Seitenflügel einer Gebißplatte sollen nicht in einem spitzen Winkel verlaufen, sondern nach hinten zu stark abge- rundet sein, weil scharfe Ecken eines Ersatzstückes ein Entfernen desselben aus dem Osophagus außerordentlich erschweren.

6. Man soll in der Regel nachts das Gebiß nicht im Munde behalten.

7. Epileptiker sollen niemals ihr‘ Gebiß nachts im Munde behalten, und es am Tage, wenn Vorboten eines Anfalls kommen, aus dem Munde entfernen.

8. Bei der Vornahme von Narkosen ist darauf zu achten, ob der Patient ein Gebiß trägt. Ist dieses der Fall, so muB das Ersatzstück vor der Betäubung abgelegt werden.

Der Vorsitzende dankt dem Redner für seine Ausführungen und eröffnet die Diskussion.

Herr Wittkowskiı hat zwei Fälle von Verschlucken eines (Tebisses beobachtet. Im ersteren Falle handelte es sich um ein Kautschukstück mit sämtlichen Frontzähnen, befestigt an 2 Bikuspidaten. Dasselbe war durch Sutur provisorisch geflickt worden. Die Naht lockerte sich, und die eine Hälfte wurde beim Essen von Kartofielbrei verschluckt. Von einer Operation konnte Abstand genommen werden, da in der Nacht vor der Operation das Stück durch den Darm herauskam. Im zweiten Falle wurde eine nicht feste Brücke verschluckt, als Resorption des

Kiefers nach Ausheilung der Wunde eintrat, und die Zähne nun nicht mehr schlossen.

_ Herr Addicks: Im Anschluß an die Ausführungen des Kollegen Heitmüller darf ich hier eines Falles Erwähnung tun, bei dem wiederum die Autosuggestion eine Rolle spielt.

Ein hiesiger Kaufmann wollte früh morgens eine Geschäftsreise antreten und vermißte, nachdem er aufgestanden, seine Gebißplatte, welche er, obwohl sie sehr lose saß, auch nachts zu tragen pflegte. Trotz eifrigen Suchens war dieselbe nicht aufzufinden, und da er

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gleichzeitig einen starken Druck in der Magengegend verspürte, nahm er an, daß er die Platte verschluckt hätte. Der Schwere des Falles sich bewußt, ordnete er zunächst seine Angelegenheiten und begab sich alsdann auf die für ihn unaufschiebbare Reise nach B. Sein Geschäfts- freund in B., dem er von seinem Mißgeschick erzählte, riet ihm, sich sofort in chirurgische Behandlung zu begeben. Auf der Heimreise wurden seine Beschwerden heftiger, und er glaubte genau den Sitz der Platte im Magen zu fühlen. Groß war seine Freude, als er bei seiner Rückkehr seine Platte auf dem Nachttisch vorfand.. Das Mädchen hatte sie unter dem Bett gefunden.

Herr Schwarze: M. H.! Ich möchte im Anschlusse an die Warnungen des Herrn Vortragenden in bezug auf die Gefährlichkeit des Verschluckens von Klawmerstücken Ihnen empfehlen, allen Patienten, denen Sie ein derartiges Ersatzstück einsetzen, den folgenden Rat zu geben: „Sollte es wirklich einmal der Zufall wollen, daß Sie das Ersatzstück verschlucken, so essen Sie sofort darauf größere Partien von Watte, holzigen Spargel oder andere unverdauliche Stoffe, die geeignet sind, die Klammern einzuhüllen und ein gefahr- loses Abgehen der Piecen zu erleichtern!“ Derartige Ratschläge sollte man auch bei irgendwelchen sich bietenden Gelegenheiten im Publikum verbreiten und dadurch vielleicht indirekt mal ein größeres Unglück verhüten.

Hiermit schließt die Sitzung des ersten Tages.

Am Sonnabend, den 5. August, früh eröffnet der Vorsitzende die die Sitzung mit der Mitteilung, daß in der Mitgliedersitzung der voran- gegangenen Tages der Verein beschlossen habe, Herrn Dr. Röse in Anerkennung seiner großen und wertvollen wissenschaftlichen Leis- tungen in der Zahnheilkunde die goldene Medaille des Vereins zu verleihen.

Herr Röse antwortet in kurzen kernigen Worten und spricht dem Verein seinen Dank und seine große Freude über die Auszeich- nung aus.

Herr Elander erhält das Wort zu seinem Vortrage über:

Farbe der Porzellanfüllungen.

Der Herr Vortragende führt aus, daß die Porzellanfüllungen allen anderen durch ihre konservierende Fähigkeit und Dauerhaftigkeit über- legen sei, und daß man sich deswegen auch bemühen müsse, für die lange Dauer, wo die Füllung liegt, auch in ästhetitischer Beziehung das Vollkommenste zu leisten. Zuweilen kommt es vor, daß eine Füllung, die bei Tageslicht einigermaßen genügt, bei künstlicher Beleuchtung dunkler erscheint als der Zahn. Blaue Farbentöne erscheinen bei Tage immer heller als bei der Lampe, bei gelben ist das Verhältnis um- gekehrt. Auch kommt es nicht bloß auf die Art der zurückgeworfenen Strahlen an, sondern auch auf die Menge; je kräftiger die Beleuch- tung, um so heller ist die Farbe, so daß z. B. eine Fläche, die bei schwacher Beleuchtung braun zu sein scheint, bei starkem Sonnen- lichte gelb ist. Ein Zahn, der zur Hälfte von der Oberlippe verdeckt ist, erscheint an seiner unteren Hälfte dunkler, als wenn die Oberlippe

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heraufgezogen wird. so daß das Licht freieren Zutritt erhält. Por- zellan scheint gegen Änderungen in der Lichtmenge weniger empfind- lich zu sein als der Zahn. Die Farben haben auch verschiedenen Lichtwert; ein weißer Gegenstand ist auf größere Entfernung sicht- barer als ein dunkler. Bezeichnet man die Lichtstärke von Weiß mit ], von Schwarz mit 0, so haben Rot (0,50, Orange 0,66, Gelb 0,75, Grün 0,50, Blau 0,30 und Violett 0,25 Lichtstärke. Hinsichtlich der Farbe sind die Jabialen Füllungen am schwierigsten; eine kleine derartige Füllung von bläulichem Farbenton darf unter keinen Umständen heller sein als ihre Umgebung. Bei gelblichen und weißlichen Zähnen ist das Verhältnis umgekehrt; hier sticht der Hintergrund weniger gegen eine zu helle als gegen eine zu dunkle Füllung ab. Mit Rück- sicht auf die leichte Ermüdung der Netzhaut muß man sich hüten, länger als ein Weilchen auf Zahn und Farbenprobe zu stieren. End- lich muß man auch mit dem Einfluß des Schattens rechnen; in distalen Höhlen soll darum die Füllung etwas dunkler sein, vorausgesetzt, daß sie nicht wesentlich mit auf die Labialfläche reicht. Die Farbe der Zementunterlage ist nur von geringem oder keinem Einfluß auf die Füllung, wenn diese auf der Rückseite nur geätzt, nicht dünn ein- geschnitten wird. Diese Betrachtungen ergaben folgende Nutzanwen- dungen:

Das Tageslicht mag am liebsten von Osten her auf das Operations- feld fallen; kommt es von Norden, so darf eine Farbenbestimmung an dunklen Tagen nicht vorgenommen werden; fällt es dagegen von Süden hinein, nicht an sonnigen Tagen. Der Patient muß aufrecht sitzen, das Gesicht gegen das Fenster gewandt, der Zahnarzt stellt sich vor ihn, obne jedoch auf das Gesicht Schatten zu werfen. Die Lippe bleibe in Ruhelage; nur hin und wieder ziehe man sie herauf, so daß der ganze Zahn sichtbar wird. Man stiere nicht unausgesetzt auf den Zahn oder die Farbenprobe; spätestens nach 10 Sekunden muß das Auge zwischendurch auf eine weiße Fläche sehen. Handelt es sich um eine große Höhle, so soll man sie mit weißem Stoff (Fletcherzement, Guttapercha, Zellstoff u. dergl.) füllen, damit der Zahn die gleichen 'Transparenzverhältnisse erhält wie nach Befestigung der Füllung.

Herr Ollendorf: Die Ausführungen des Herrn Vorredners waren sehr interessant. Ich wolite nur die Herren Kollegen fragen, ob Sie mit mir die Beobachtungen gemacht haben, daß große Füllungen durch das Brennen etwas heiler werden und man gut tut, die Farben bei großen Füllungen von vornherein etwas dunkler auszu- suchen. Dann findet man auch, daß reflektiertes Tageslicht anders wirkt a's direkt auflallendes, so daß selbst gut in der Farbe passende Füllungen beim Betrachten im Spiegel in der Farbe und im Glanz Abweichungen zeigen. Bei der Gelegenheit wollte ich noch wenn auch nicht streng zum Thema gehörig bemerken, daß ich seit Jahren, um den Unterschnitt zu sparen, in den Goldabdruck

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etwas Kitt (Moldine) in der Form, wie ich den Unterschnitt wünsche, einlege.

Herr Rosenberg fragt an, womit E. die Rückseite der Füllung ätzt, damit das Zement nicht durchscheint.

Herr Seefeld-Hamburg: Ich stimme mit dem Herrn Vortragenden darin überein, daß die Farbe des zur Befestigung dienenden Zements keinen Einfluß auf die Füllung selbst ausübt, sofern letztere richtig, d. h. in genügender Dicke, angefertigt ist. Wenn ich trotzdem die Verarbeitung mehrerer Zeimenttarben für nötig halte, so geschieht es einzig und allein in Rücksicht auf den Zahn resp. auf den Teil des Schmelzes, der der Dentinunterlage beraubt ist. Für die Farbe des Zahnes in der Umgebung der Füllung ist es meines Erachtens erforder- lich, daß die Farbe des Zements mit der des Zahnes übereinstimmt oder ihr nabekommt. Vor allem darf das Zement nicht eine hellere Farbe aufweisen als der Zahn. Ich bin. mit den drei Farben hellgelb, hell- perlgrau und perlgrau bisher immer ausgekommen.

Herr Miller: M. H.! Ich habe nicht die Absicht, in die Dis- kussion einzugreifen, sondern lediglich meine Bewunderung über die Genauigkeit und Fxaktheit, mit welcher Kollege Elander seine Unter- suchungen ausgeführt hat, auszudrücken. Wenn jeder von uns bei allen seinen Arbeiten in derselben Weise vorgehen würde, so er- reichten wir sicherlich alles, was man mit den gegebenen Mitteln über- haupt imstande ist zu erreichen.

Herr Elander: Was die Frage des Spiegels betrifft, habe ich davon keine Schwierigkeiten beobachtet, da ich einen Spiegel von nur Daumennagelgröße dem Patienten gebe. Die Verwendung großer Handspiegel raubt dem Operateur zuviel Zeit, da die Patienten nie versäumen, ihr ganzes Gesicht gründlich zu studieren. Ein so kleiner De wie ich ihn habe, wirft selbstverständlich keinen Schatten auf

en Zahn.

Was die Atzung betrifft, möchte ich darauf antworten, daß ich meinen Füllungen nie Unterschlitfe gebe, sondern sie nur auf der Rück- seite mit Fluorwasserstoffsäure ätze. Meine Methode ist 1900 in der amerikanischen Zeitschrift „Dental Review“ veröffentlicht worden: ich bette die Füllung in dunkles Wachs ein, so daß nur die Rückseite imit Ausnahme des Randes) sichtbar ist, und placiere einen Tropfen Flußsäure (Mercks) darüber, der 5 Minuten daliert Spüle dann mit Wasser ab, entferne mit einer Nähnadel jede Spur von dem Salze. Diese Methode habe ich auch bei den bedeutendsten Konturfüllungen geprüft und gut befunden. Und ich habe gefunden, daß die Rückseite der Füllung so undurchsichtig wird, daß u tür alle meine Füllungen Zement einer und derselben Farbe verwende und zwar Harvard- Hellperlgrau, schnellhärtend.

Daß man mit Zement die Farbe der Zähne verbessern kann, und daß man aus diesem Grunde verschiedenfarbige Zementsorten zur Befestigung der Füllung verwenden möchte, dies babe ich nie für not- wendig befunden, da ich, wenn ich ausnahmsweise eine Kavıtät babe, wo nicht der Schmelz von Dentin unterstützt ist (wobei also die Farbe des Zementes eine Rolle spielen könnte‘, immer vorher die Kavität mit Zement austapeziere, ehe ich die Farbe der Füllung auswähle.

Es folgt der Vortrag des Herrn Riegner.

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Ästhetisches aus der zahnärztlichen Praxis.

Von Prof. Riegner in Breslau.

An der großen Bedeutung des Mundes für den charakte- ristischen Ausdruck des menschlichen Gesichtes, insbesondere aber für das Mienenspiel, den äußeren Reflex des inneren seelischen Lebens, haben die Zähne nicht nur mittelbar Anteil, sofern sie Form und Ausdrucksfähigkeit des Mundes in bedeutsamer Weise bestimmen; auch unmittelbar spielen die Zähne eine bedeutsame Rolle für die ästhetischen Wirkungen, welche von dem Sprechen- den ausgehen. .

Werden mit dem Öffnen des Mundes die Zähne sichtbar, so ist ein wirklich schönes Gebiß ebenso imstande, die ästhetisch angenehmen Empfindungen zu erhalten, ja oft sogar zu verstärken, wie ein fehlerhaftes Gebiß mit defekten Einzelheiten oder den noch empfindlicheren Störungen der harmonischen Eindrücke unsere ästhetischen Lustempfindungen zu stören, zu verwischen oder gar aufzuheben vermag. Wenn auch zunächst die praktischen hygie- nischen Rücksichten in allererster Linie die Aufgaben und Fort- schritte der operativen Zahnheilkunde bestimmt haben, heute treten bei dem Stande unseres fachwissenschaftlichen Könnens auch feinere ästhetische Aufgaben in den Vordergrund, ohne deren Lösung ein- wandfreie Leistungen hänfig nicht mehr geboten werden können. Deshalb gedenke ich in meinem heutigen Vortrage die Ästhetik in der zahnärztlichen Praxis zu behandeln.

Der Umfang des Themas freilich steht zu der Kürze der Zeit, die mir zur Verfügung steht, in keinem rechten Verhältnis, so daß ich mir eine eingehendere Behandlung des umfangreichen und bedeutsamen Stoffes für spätere literarische Publikationen vorbehalten muß; aber ich gebe mich der Hoffnung hin, daß auch die Einzelheiten, die ich in meinem Vortrage vor Ihnen zu be- sprechen die Ehre haben werde, Ihr freundliches Interesse finden dürften.

Meine Herren! Wenn schon die rein technische Tätigkeit der Menschen eine Fülle von Natur der Leistungsfähigkeit und der Leistungen aufweist, je nach dem Maß von Anstelligkeit, Geschicklichkeit, Selbständigkeit, Einsicht und Geschmack, mit denen auf demselben Gebiet neben Minderwertigem ganz Vor- treffliches geleistet werden kann, wieviel mehr tritt auf deu Gebieten wissenschaftlich-praktischer Tätigkeit die persönliche, individuelle Veranlagung des einzelnen hervor, wieviel mehr hängt hier von der Ergänzung wissenschaftlicher Tüchtigkeit

re

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durch die verschiedensten geistigen und praktischen Fähigkeiten und Anlagen die persönliche Leistung des einzelnen ab. Auch auf unserem Gebiete tritt diese Tatsache deutlich genug hervor, auch hier wird der gehobenen Leistung mehr oder weniger etwas Persönliches anhaften, nicht bloß da, wo überwiegende Geschick- lichkeit und erfinderischer Scharfsinn zur Geltung kommen, sondern nicht zuletzt auch da, wo ohne Geschmack und ästhetisches Emp- finden eine wirklich gute Leistung nicht erzielt werden kann. Mag der eine die für unsere berufliche Tätigkeit in Frage kommenden Disziplinen, Physiologie, Anatomie, Statik und Mecha- nik usw. genau so sicher beherrschen und anwenden wie ein zweiter, wenn es ihm an Geschmack und ästhetischem Emp- finden mangelt, dann wird seine Leistung weit zurückstehen hinter der des anderen, der auch mit entwickeltem Schönheitssinn an die Lösung seiner Aufgabe herangetreten ist.

Wie überhaupt in der Natur, so gilt auch für den mensch- lichen Körper, im besonderen also auch für das menschliche Ge- biß dasselbe Schönheitsgesetz: Bei einer noch so großen Mannig- faltigkeit der Teile muß die Harmonie des Ganzen gewalırt bleiben. Es kann eine Einzelheit für sich losgelöst durchaus schön wirken, sie verdirbt den Totaleindruck, sie wirkt geradezu entstellend, ja häßlich, wenn sie mit den anderen Einzelheiten nicht zusammenstimmt, nicht mit ihnen harmoniert.

Die Gestaltung eines jeden Teiles aber unterliegt natürlich ebenfalls bestimmten Formgesetzen, und diese Formgesetze werden gegeben durch die normal-anatomische Gestaltung.

Selbstverständlich sind wir bei der Ausübung unseres Berufes nicht immer imstande, ästhetische Rücksichten zu nehmen, weil das Interesse der Dauerhaftigkeit der zu leistenden Arbeit als oberste Forderung ästhetische Bedenken öfters zurückdrängen muß. Die Verschiedenheit des Volkscharakters tritt hierbei in bemerkenswerter Weise hervor.

Die ästhetische Erziehung von Jahrhunderten hat in dem Enropäer das Schönheitsgefühl so weit entwickelt, daß er nicht selten praktische Forderungen hinter die ästhetischen zurück- treten läßt; der Amerikaner dagegen, der Mann des praktischen Nutzens, erkennt in erster Linie die Rücksicht auf das Nützliche und Praktische als maßgebend an. Ich will ein Beispiel aus der zahnärztlichen Praxis anführen: Der Deutsche mit seinem ästhe- tischen Empfinden scheut sich, deutlich sichtbare grüßere Gold- füllungen an den Frontzähnen im Munde zu tragen; der Ameri- kaner dagegen nimmt an ihnen so wenig Anstoß, daB man sie auch bei den Vertretern der besten Gesellschaftsklassen überaus häufig wahrzunehmen Gelegenheit hat. Ihn stören die ästhetischen Bedenken des Deutschen nicht, der eine unsichtbare Füllung der

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Defekte vorzieht, obschon gerade sichtbare Goldfüllungen für eine sorgsame Mundpflege Zeugnis ablegen. Der Deutsche sucht zu vermeiden, was das Auge als unschön zu stören geeignet ist und erblickt in der äußerlich sichtbaren Goldfüllung den für ihn beschämenden Beweis für einen. wenn auch nicht gerade erheb- lichen körperlichen Defekt.

Daraus ergeben sich für die Praxis des Zahnarztes ganz bestimmte Forderungen. Wo die Kunst die Aufgabe hat, die Natur zu ergänzen, zu verbessern oder gar zu ersetzen, da ist es für sie eine ebenso schwere wie wichtige Aufgabe, entweder den täuschenden Schein der Natur zu erwecken oder sich so zu verbergen, daß die Spuren ihrer Tätigkeit unsichtbar werden.

Für den Zahnarzt gilt diese Forderung in hohem Maße, und viel ist noch zu leisten, sollen wir ihr allmäblich immer mehr gerecht werden können. `

Trotz der großen Fortschritte, welche unsere Wissenschaft in den letzten Jahrzehnten gemacht hat, verfügen wir noch immer nicht über ein Füllmaterial, welches den notwendigen ästhetischen Forderungen des Zahnarztes ebenso entspräche als seiner Forde- rung guter Dauerhaftigkeit.

Bis vor wenigen Jahren war in der Tat’Gold das einzige Füllmaterial, mittels dessen man imstande war, Defekte dauernd zu restaurieren, und die kunstvollen Leistungen deutscher und amerikanischer Zahnärzte haben uns gezeigt, daß dieses Material für eine Reihe von Jahrzehnten seine Schuldigkeit zu tun imstande ist. Und doch müssen wir, ohne den konservierenden Eigen- schaften des Goldes unsere Anerkennung zu versagen, zugestehen, daß das ästhetische Gefühl sehr häufig durch einen solchen von Gold glänzenden Mund beleidigt und die Illusion leider zu oft unliebsam gestört wird.

Gold ist und wird das idealste Füllmaterial bleiben in solchen Fällen, bei denen man es an dem Auge nicht sichtbaren Stellen anzubringen imstande ist; es wird auch in Zukunft, sehen wir von dem ästhetischen Standpunkte ab, alle anderen Füllungs- materialien in den Schatten stellen. Leider werden auf Kosten des Schönheitsgefühls von Zahnärzten aus Bequemlichkeitsrück- sichten häufig sichtbare Goldfüllungen angefertigt, wo sich mit einem kleinen Aufwand von Zeit und Mühe das Mangelhafte oder Unzulängliche einer solcher Arbeit vermeiden ließe.

Ich gestatte mir, Ihnen hiermit zwei Beispiele vorzulegen. welche diese nicht genug zu verurteilende Art der Zerstörung gesunder Zahnsubstanz veranschaulichen;; es läßt sich nicht leugnen, daß diese Art der Behandlung zu den gröbsten Kunstfehlern ge- hört, welche ein Zahnarzt begehen kann. Hier an diesem Bei-

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spiele habe ich die Füllung so angebracht, wie es den ästhetischen Rücksichten entspricht.

Leider besitzen wir, wie ich schon oben erwähnte, heute noch kein Füllungsmaterial, welches die Vorzüge der größten Widerstandsfähigkeit mit gutem Anssehen vereinigte. Meine Herren! Im Verlauf der steten Entwicklung, welche die Kunst des Goldfüllens die Jahrzehnte hindurch bis zur höchsten Voll- kommenheit genommen hatte, versuchte man durch Einführung der Platingoldfolie (1 Blatt Gold mit 1 Blatt Platinfolie zu Zylindern verarbeitet) mit ihrem matten weißen Glanz die ästhe- tischen Mängel der reinen Godfüllung zu beseitigen, wie ich sie eben im Zusammenhange besprochen habe.

Dieses Füllmaterial führte sich jedoch wenig ein und fand nur geringe Verwendung; denn einerseits ist es schwieriger zu verarbeiten als Goldfolie, andererseits hat auch die Farbe des Materials weit weniger befriedigt als man anfänglich erwartet hatte. Wenn auch die weißlich glänzende Oberfläche der Fül- lungen bei direkt auf dieselbe fallendem Licht weniger ins Auga fiel, so boten dieselben doch andererseits bei seitlicher Beleuchtung einen dunklen Schatten, welcher die gefüllten Zahnkavitäten nur noch sichtbarer machte, ja dieselben wie ungefüllt erscheinen ließ.

Meine Herren! Eine neue Ära brach an, als die leichtflüssigen Porzellanemaillen von Jenkins in den Handel gebracht und uns zugänglich wurden. Phantastische Erwartungen knüpften sich an diese Neuerung, und kühne Propheten glaubten, daß mit der Ein- führung dieses Materials das Ende der «oldfüllungen herein- gebrochen sei. Und in der Tat gibt es wohl auch kaum ein idealeres Material als die Emaille, um Defekte in den natürlichen Zähnen zu beseitigen. Die Möglichkeit, durch die Mischungen verschiedener Farben die verschiedensten Farbentöne zu erzielen, ist groß; wenn wir nur die ästhetische Seite berücksichtigen, haben wir also in den Porzellan- sowie den schwerflüssigen Emaillen das idealste Füllmaterial gefunden, welches von allen Zahnärzten schon so lange ersehnt worden war.

Meine Herren! Daß aber, wie sich im Laute der Zeit heraus- gestellt hat, die Dauerhattigkeit dieser Füllungen viel zu wünschen übrig ließ, das, meine Herren, ist eine Frage, die ich hier nicht näher erörtern möchte, weil sie ja als Hauptgegenstand der Dis- kussion in den meisten zahnärztlichen Versammlungen der letzten 3 Jahre mehr wie erschöpfend behandelt worden ist. Ich möchte hier auf nur zwei Punkte eingehen, welche mit dem Thema dieses Vortrages in Beziehung stehen und die ästhetische Seite be- leuchten. i

Meine Herren! Sie werden gewiß alle in Ihrer Praxis eine Anzahl von Fällen beobachtet haben, bei welchen sich an den

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Grenzen der Emaillefüllungen nach einiger Zeit braune Ränder durch Niederschläge aus dem Speichel angesetzt haben, so daß dieselben durch scharf gezeichnete dunkle Linien markiert werden. Diese Fälle stören das Auge in noch empfindlicherer Weise als Goldfüllungen; denn bei sichtbaren Goldfüllungen sieht der Beschauer stets, daß der Patient die Hilfe des Zahnarztes in Anspruch genommen hat und Sorgfalt auf die Pflege der Zähne verwendet; für diese scharf markierten dunklen Linien aber und ihren Ursprung findet der Laie nicht die richtige Erklärung und denkt bei ihrem Anblick eher an grobe Vernachlässigung der Mundpflege als an die Tätigkeit des Zahnarztes.

Jeder Zahnarzt, der seine Patienten anhält, in bestimmten Zwischenräumen ihr Gebiß untersuchen zu lassen, weiß genau, bei welchen Patienten derartige Niederschläge gebildet werden; in solchen Fällen wird er es sich aus den oben erwähnten Gründen sicher versagen, dem Patienten solche Füllungen anzufertigen.

Unter den nachteiligen Folgen, welche die verallgemeinerte Verwendung der Porzellanemaillen bei allen denen, die sich mit Zahnheilkunde beschäftigen, nach sich gezogen hat, möchte ich nur noch eine erwähnen, ich meine die Zerstörung gesunder Zahn- substanz an der Frontfläche der Zähne.

Da, wie bereits ausgeführt worden ist, Gold die bei weitem dauerhafteste Füllmasse ist, Emaille aber nur aus ästhetischen Gründen besonders empfehlenswert ist, so ist dem Golde der Vor- zug zu geben, solange überhaupt die ästhetischen Rücksichten nicht zwingende sind.

Gegen diesen Gesichtspunkt wird in der Praxis öfters ver- . stoßen, wie es die folgende Erörterung zeigen wird.

Der einzig vorschriftsmäßige Weg beim Füllen von Approxi- malflächen an Vorderzähnen ist in der Eröffnung der Kavität von der lingualen Seite zu sehen. Leider lassen sich manche Zahn- ärzte im Hinblick auf die Unsichtbarkeii von Emaillefüllungen dazu verleiten, solche Kavitäten labialwärts zu eröffnen. Sie nehmen damit ein Stück gesunder Zahnsubstanz fort, welches, wenn die Emaille herausfällt, nie wieder zu ersetzen ist, außer wieder durch eine Emaillefüllung. Der Schaden, der auf diese Weise dem Patienten aus Bequemlichkeitsrücksichten zugefügt wird, ist erheblicher als der angebliche Vorteil, der ihm aus einer allerdings mißverstandenen ästhetischen Rücksichtnahme ent- stehen soll.

Gestatten Sie mir, Ihnen an beifolgendem Beispiel diese inkorrekte Behandlungsmethode vorzuführen. Sie werden mir recht geben, daß diese Art der Behandlungsweise auf das ent- schiedenste zu verurteilen ist. In diesem Falle ist die Berück- sichtigung der Ästhetik als ein grober Fehler zu bezeichnen.

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Dies wäre das Wichtigste, was ich Ihnen heute als ästhetische Betrachtung über das Füllen der Zähne zu sagen hätte; ich wende mich nunmehr zu dem Gebiet, auf welchem sich der Ästhetik eine weite Perspektive eröffnet, der Zahnersatzkunde.

Weit mehr noch als beim Füllen der Zähne sind beim Er- satz derselben durch Substitute ästhetische Rücksichten zu beob- achten.

Einer unserer großen Physiologen sagt, „daß die Zähne eine sehr wichtige Rolle beim Gesichtsausdruck spielen, und daß die schönsten Zähne nicht genügen, um einen Menschen schön zu machen, häßliche aber- imstande sind, eine Venus von Milo zu veranstalten.“ Gerade bei der Zahnersatzkunde kommen die gröbsten Verstöße gegen die Grundprinzipien der Ästhetik vor. Ein großer Teil der künstlichen Gebisse, welche wir zu beob- achten Gelegenheit haben, sind billig hergestellte Fabrikate, welche den Unterschied zwischen Kunst und Natur mehr als deut- lich erkennen lassen. Sie stehen nicht im Einklang mit den Gesetzen, welche man beobachten muß, um ein harmonisches Ganzes zu erzeugen.

Vielen fällt aus Mangel an Schönheitssinn der Verstoß gegen die Harmonie und gegen die Gesetze der Schönheit überbaupt nicht auf, andere haben sich an das Unästhetische geradezu ge- wöhnt und ihre Eindrucksfähigkeit in dieser Beziehung geradezu eingebüßt.

Diesem Umstande ist es in vielen Fällen zuzuschreiben, daß die oft mit so großer Künstelei angefertigten Gebisse im allge- meinen weniger auffallen und weniger verurteilt werden, als sie es wirklich verdienen.

Ein künstliches Gebiß ist imstande, gewaltige Veränderungen in den benachbarten Teilen herbei zu führen. Unter Umständen wird das charakteristische Gepräge eines Gesichtes vollkommen verändert.

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Ein Mann in der Blüte seiner Jahre erhält z. B. durch zu kurze Zähne einen greisenhaften Zug um den Mund, während eine Greisin oft eine Perlenreihe von Zähnen erhält, die weder in Form noch Farbe mit dem Gesichtsausdruck harmonieren, und auf diese Weise die Trägerin des Gebisses zur Karrikatur machen. Bereits in einer meiner früheren Arbeiten habe ich darauf hin- gewiesen, daß der Zahnarzt vor allen Dingen die natürlichen Verhältnisse des Mundes gewissenhaft und sorgsam beobachten müsse, um bei Substituten eine täuschende Ähnlichkeit der Natur und Harmonie der Verhältnisse zu erreichen. Nicht auf schema- tsch strenger Regelmäßigkeit und Symmetrie beruht die Schön- heit; nur die Natur mit ihren Zufälligkeiten, ich möchte sagen

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Launen, bietet einen Maßstab für das Schöne und damit auch für die Schönheit der künstlichen Arbeit.

Wie ich bereits oben bemerkte, unterliegt die Gestaltung jedes Einzelteiles bekannten Formgesetzen, und diese Formgesetze werden gegeben durch die normal-anatomische Gestaltung, und nicht durch die Kunstprodukte, welche uns die Dentaldepots liefern.

Wenn wir die künstlichen Zähne betrachten, welche von den Zahnfabriken angefertigt werden, so müssen wir zuge- stehen, daß die anatomische Form des Zahnes bei dieser Her- stellungsweise nichts weniger als gewahrt wird. Es ließe sich in dieser Beziehung vieles sagen und erinnern, jedoch ist das hier nicht recht am Platze; ich will mich denn darauf beschränken, Ihnen zu zeigen, in welcher Weise man die Erzeugnisse der heutigen Zahnfabrikation so verändern kann, daß sie nicht nur den verschiedenen Temperamenten in Farbe und Form ange- messen erscheinen, sondern auch die Natur aufs tänuschendste kopieren. Jedes Gebiß erfordert Rücksichtnahme anf die Indivi- dualität, und wenn ich auch nicht ganz mit den Ansichten meines verehrten Lehrers Prof. Foster Flagg über die Wahl der Zähne in Beziehung auf die Temperamente übereinstimme, da er ent- schieden in dieser Beziehung zu weit gegangen ist, so muß man doch zugestehen, daß die Herstellung der Form der Zähne für den individuellen Charakter von ebenso großer Wichtigkeit ist, wie die Wahl der Farbe.

Um die Zähne in diesen beiden Beziehungen harmonisch in das Ganze einzupassen, sind wir in den meisten Fällen ge- zwungen, die Form der Zähne durch Zuschleifen willkürlich zu verändern, und dank der Fortschritte der Chemie in der Lage, durch Emaillieren und Brennen der Zähne denselben jeden be- liebigen Farbenton zu verleihen, welcher im Hinblick auf die Harmonie des Ganzen angemessen erscheint.

Ich gestatte mir, Ihnen einige Modelle vorzuführen, welche dazu beitragen sollen, Ihnen bei der Herstellung von Prothesen den Gegensatz zwischen Kunst und Natur zu veranschanlichen. Ich habe hier Gebisse für zahnlose Kiefer, von denen ich eins so angefertigt habe, daß die Formen der Zähne in der Verfassung erhalten blieben, wie sie uns die Depots liefern, während das andere, durch Zuschleifen der Zähne und Emaillieren bearbeitet, Ihnen veranschaulichen mag, was für Erfolge man mit diesen Hilfsmitteln bei künstlichen Zähnen erzielen kann.

Wenn ich auch zugestehen muß, daß die Fabrikate der beiden die Welt beherrschenden Firmen, S. S. White in Philadelphia und Ash & Sons in London, was Naturtrene und Güte der Ware anbetritit, vleichwertie sind, so halte ich trotzdem die Zähne der

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Firma C. Ash & Sons für diesen besonderen Zweck für ge-. eigneter.

Die Masse der von Ash hergestellten Zähne ist strukturlos und homogen, ohne porös zu sein, während die Whiteschen Zähne nach dem Abschleifen der Glasur eine poröse Textur zeigen. Daraus erklärt sich auch der Nachteil der Verwendung White- scher Zähne, der nach dem Abschleifen der Glasur deutlich zu- tage tritt, und sich auffällig in jenen kleinen schwarzen Pünkt- chen bemerkbar macht, die wir alle oft genug zu beobachten Gelegenheit haben. Der Ash-Zahn dagegen läßt sich nach jeder ihm durch Schleifen gegebenen Veränderung mittels gewisser Poliersteine, von denen ich Ihnen hier ein Exemplar zeige, wieder polieren und bietet dann infolge seiner mattglänzenden Oberfläche ein naturgetreues Abbild natürlicher Zähne. Auf der anderen Seite müssen wir aber oflen zugestehen, daß die Formen der White- sowie Justi-Zähne an Naturtreue alle anderen Fabrikate in den Schatten stellen. In diesem Präparat sehen Sie ein für eine jüngere Person bestimmtes volles Gebiß aus künstlichen Zähnen, wie sie die Depots liefern, hier sehen Sie dieselben Zähne zugeschliffen und emailliert. Dieses Gebiß ist für eine ältere Person bestimmt und zeigt die Zähne in derselben soeben besprochenen Weise bearbeitet und nichtbearbeitet gegenüber- gestellt.

Zum Emaillieren der Zähne bediene ich mich am liebsten der von der Dental Mfg. Co. hergestellten Emailletarbenzusammen- stellung, weil sich mit derselben unstreitig die besten Erfolge erzielen lassen. Die Emaillefarben werden mit dem beigegebenen Kajeputöl sorgsam verrieben und mit einem sehr feinen Kamel- haarpinsel dünn oder dick, je nach Bedarf, aufgetragen. Am gleichmäßigsten wird die Färbung wohl im elektrischen Ofen; ich kann Ihnen zu diesem Zweck den kleinen Mitchell-Otfen nicht warn genug empfehlen. Die Schmelzdauer der Emaillefarben beträgt 3—5 Minuten. Wenn Sie ein poliertes Stahlinstrument in den Ofen halten und feststellen können, daß es sich auf der Oberfläche des im Ofen befindlichen Zahnes spiegelt, so können Sie mit Sicherheit annehmen, daß die Emaille geschmolzen ist. Daß eine gewisse Übung und ein angeborener Farbensinn zum Emaillieren von Zähnen gehört, brauche ich wohl nicht zu er- wähnen.

In ganz besonderer Weise aber kann man ästhetische Rück- sichten bei den Arbeiten walten lassen, welche im letzten Jahrzehnt wohl den besten Beweis von den Fortschritten auf dem (rebiete der Zahnheilkunde gegeben haben, bei den Kronen- und Brückenarbeiten, mit deren allgemeiner Einführung das Zeit- alter der groten Goldtüllungen, durch welche man früher Zahn-

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kronen ersetzte und welche die Standhaftigkeit des Patienten und die Geduld des Operateurs auf eine gar zu große Probe stellten, seinen Abschluß gefunden hat. Sie verlangen vom Zahnarzt das höchste Maß von Geschicklichkeit, Ausdauer, reiflicher Überlegung und gesundem Urteil, und stellen gleichhohe Anforderungen an die operative Tüchtigkeit sowie an die technischen Fähigkeiten desselben.

Leider hat sich, wie so oft schon bei bedeutsamen Neue- rungen, auch dieses Gebietes, welches vor allen anderen Tüchtig- keit und Solidität erfordert, die Unreellität und Untüchtigkeit bemächtigt, so daß auch diese kunstvollste Art des Zahnersatzes von gewissenlosen Vertretern unseres Faches auf das niedrige Niveau handwerksmäßiger Mache herabgedrückt und in unreeller Weise zum Schaden der Sache und des Patienten geschäftlich ausgebeutet wird. Wie oft haben wir nicht Gelegenheit, in der Praxis. jene Fälle zu beobachten, bei denen man eine ganze Zahukrone wegen eines kleines Defekts mit einer Goldkrone ver- sehen hat. Der eine mag sich nicht gescheut haben, bei seinem Patienten den Glauben zu erwecken, als könne ein solches Mach- werk der besseren Konservierung des Zahnes dienen, ein anderer mag schwach genug gewesen sein, die Schwäche eitler Leute aus- zunutzen, die mit ihren goldenen Zähnen prunken und ihre Kredit- fähigkeit schon von weitem bezeugen wollen. Wenn wir nun diejenigen Fälle in Betracht ziehen, bei denen die Erhaltung des Zahnes durch die Füllung nicht mehr möglich und daher die Anfertigung einer Krone unbedingt geboten war, so kommen wir, wenn wir eine beim Sprechen und Lachen sichtbare Goldkrone ‘im Munde eines Patienten näher untersuchen, meistens zu der Überzeugung, daß mit der Anfertigung einer mit Porzellanfront versehenen Krone eine kunstgerechte Leistung hätte geboten werden können, die der Tüchtigkeit und Reellität des Zahnarztes bei jedem Sachverständigen ein gutes Zeugnis ausgestellt, den Patienten aber vor gleißender Verunstaltung seines Mundes be- wahrt hätte.

Das Präparat, welches ich Ihnen hier vorlege, möge Ihnen den Gegensatz von Goldkronen und solchen mit Porzellanfront versehenen Vorderzähnen, ich spreche selbstredend nur von Vorder- zähnen bis zum 2. Bikuspis, veranschaulichen.

Da, wie Sie alle wissen, in den meisten Fällen mit Kronen versehene \Vurzeln immer mehr oder weniger aus dem Kiefer heraustreten, und da infolgedessen in vielen Fällen das Goldband, das die Wurzeln einschlieist, mitunter in recht entstellender Weise sichtbar wird, so emptiehlt sich bei Brückenarbeiten und Kronen für die sechs Vorderzähne aus ästhetischen Rücksichten die An- wendung der Halbringkrone. Ich verweise hierbei auf meinen,

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hier in Hannover gehaltenen Vortrag über „Das Aufsetzen der Halbringkrone und die Befestigung von Kronen- und Brücken- arbeiten mit Guttapercha“. Bei der Halbringkrone wird die Porzellanfront direkt auf die Wurzel geschliffen, so daß selbst dann, wenn die Wurzeln nach längerer Zeit bedeutend aus dem Zahnfleisch heraustreten, das Gold nicht sichtbar werden kann.

Man wird mir vielleicht entgegenhalten, daß wegen der Brüchigkeit des Materials und der bisweilen ungünstigen Kau- verhältnisse die Porzellanfront mitnnter zu brechen pflegt, eine unerfreuliche Erscheinung, die für den Zahnarzt und den Patienten Verdruß genug mit sich bringt. Im Hinblick auf die Möglichkeit dieses Einwurfes komme ich, meine Herren, hier immer wieder auf die Befestigung mit Guttapercha zurück, die sich leider in Deutschland noch immer nicht genügend Bahn gebrochen hat. Bei Anwendung dieser Methode sind die eben ausgesprochenen Befürchtungen hinfällig und Reparaturen von abgebrochenen Fronten bei der leichten Entfernung der Arbeiten aus dem Munde in ganz kurzer Zeit zu ermöglichen.

Meine Herren! Durch Anwendung der schwerflüssigen Emaillen sind wir imstande, selbst bei ungünstigen Bißverhältnissen unter Berücksichtigung der allgemeinen ästhetischen Vorschriften Kronen und Brückenarbeiten herzustellen, bei denen man durch Verwen- dung verschieden gefärbter Emaillen den höchsten Grad von Naturtreue erzielen kaun. Die Exemplare, welche ich hier vor- lege, mögen zur besseren Erläuterung meiner \Vorte dienen.

Meine Herren! Die Zeit, die mir für meinen Vortrag zur Verfügung steht, ist zu kurz bemessen, als daß ich mich des weiteren über die beiden gewaltigen Gebiete, auf die ich noch einzugehen hätte, das Gebiet der Regulierung der Zähne und das der Gesichts- und Kieferprothesen so ausführlich äußern könnte, als ich es gern wünschte. Nun, ich behalte mir, wie ich bereits im Anfang meines Vortrags bemerkte, eine ausführliche Arbeit über diesen Gegenstand vor. Bei beiden Disziplinen ist ohne die eingehendsten Rücksichten auf die Ästhetik ein Erfolg nicht denkbar, zumal in manchen Fällen, besonders bei der Antertigung von Gesichts- und Kieterprotliesen der Erfolg durch die Beseiti-

gung der unästhetisch wirkenden Defekte bedingt ist. Und wenn manche glauben, daß die Regulierung von Zähnen nur im Gerade- richten derselben bestehe, so befinden sie sich in einem entschuld- baren, aber kräftigen Irrtum. Hierbei ist in der besonderen Be- rücksichtigung der Wiederherstellung der Gesichtskonturen und des Gesichtsausdruckes die höchste und schwierigste Aufgabe zu sehen. Zähne so zu regulieren, daß sie in einer geraden Linie stehen, erfordert schon grobe Ertahrung, sie aber so zu regulieren, daß der Gesichtsausdruck sowie die Gesichtskonturen verbessert 42*

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werden, erfordert den höchsten Grad von Tüchtigkeit, Erfahrung und gesundem Urteil, der überhaupt: vom Zahnarzt gefordert werden kann. Vor allen Dingen muß man sich, bevor man den Regulierungsfall in Angriff nimmt, genau über den Wert des kosmetischen Effekts klar sein, den man erzielen kann, und es ist die Hauptaufgabe eines jeden, der sich mit diesen Arbeiten beschäftigt, sich über die Wirkung und das Endresultat der an- zufertigenden Apparate zu orientieren, bevor man die Arbeit selbst in Angriff nimmt. Welche Folgen unüberlegte Handlungs- weise haben kann, mag Ihnen der folgende Fall zeigen, den ich Ihnen demonstrieren will. Sie sehen hier das Gebiß einer 22jährigen jungen Dame; eine Partie der rechten Seite ist stark vorstehend und zwar der kleine Schneidezahn und der Eckzahn, der darüber liegende Teil des Alveolarfortsatzes ist dement- sprechend aufgetrieben. In gleicher Weise stehen die beiden mittleren Schneidezähne sowie der linke seitliche Schneidezahn nach innen. Nun sehen Sie, die Mittellinie des Gesichts ist beinahe um Zahnesbreite verschoben. Diese Verschiebung ist entstanden durch die Extraktion des Eckzahnes der linken Seite: kurz und gut, dieser Fall bietet einen eklatanten Beweis, wie groß der Schaden ist, den man durch allzu heftiges und sach- widriges Eingreifen dem Patienten zufügen kann. Hier sehen Sie zugleich das Resultat der Behandlung, welches in ästhetischer Beziehung gewiß manches zu wünschen übrig läßt, aber mit Rücksicht auf die gegebenen Verhältnisse immerhin einen ent- schiedenen Erfolg bezeichnet.

Ich habe mir unter einer großen Anzahl von Fällen gerade ‚diesen herausgewählt, weil von manchen Berufsgenossen mit der Entfernung der Eckzähne, der starken Pfeiler des Gebisses, der Vermittler des Gesichtsausdrucks, trotz der großen Errungen- schaften der modernen Regulierungsmethoden viel zu leichtsinnig und urteilslos verfahren wird.

Was das Kapitel der Kiefer- und Gesiehteprotiesen anbe- trifft, so handelt es sich bei diesen, wie ich schon vorhin erwähnte, doch nur darum, ästhetische Effekte zu erzielen; leider Gottes müssen wir zugestehen, daß auf diesem Gebiete unsere Erfolge trotz angestrengter Arbeit noch nicht die wünschenswerte Höhe erreicht haben.

Wenn ich damit auch nicht sagen will, daß wir nicht im- stande sind, Deformitäten, welche durch Wegnahme gesunder Teile auf operativem Wege entstanden sind, wieder zu beseitigen, so läßt doch diese Art des Ersatzes viel zu wünschen übrig. Leider ist ja auch der Chirurg vor der Operation nicht imstande, genau abzumessen, bis zu welcher Stelle die erkrankten Partien fortgenommen werden müssen; deshalb sind auch die Vorwürfe,

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die man oft mit Unrecht dem Chirurgen macht, daß er einen Zahn mit fortgenommen habe, welcher von großer Bedeutung für die Befestigung einer Prothese gewesen wäre, in vielen Fällen unzutreffend. Hoffentlich wird es unserem rastlosen Arbeiten in Bälde gelingen. auch in dieser Beziehung dauernd helfend einzu- greifen. Anders verhält es sich mit dem kosmetischen Effekt bei Verlust des Knochengerüstes der Nase durch Lues usw. und der dadurch bedingten Entstellung des Gesichtes.

Der hier veranschaulichte Fall aus dem zahnärztlichen In- stitut der Breslauer Universität möge Ihnen hierfür ein Bei- spiel sein.

Meine Herren! Wenn ich Ihre Geduld über Gebühr in An- spruch genommen habe und Ihnen auch manches Bekannte wieder vor Augen geführt babe, so geschah dies heute nicht, um Ihnen die Entstehungsmethoden der einzelnen Disziplinen vorzuführen und in ihrer Bedeutung zu charakterisieren.

Ich habe mich zwar im allgemeinen bemüht, sachlich beim Thema zu bleiben und heute nur die ästhetische Seite unseres Berufes zu berühren; wenn ich aber doch hin und wieder nicht der Versuchung widerstehen konnte, einmal auch einen Seitenpfad zu betreten und dabei Ihre Aufmerksamkeit wieder auf Einzel- heiten zu lenken, deren wiederholte und nachdrückliche Betonung mir sehr am Herzen liegt, so hofte ich auf Ihre freundliche Nach- sicht, die es dem Eifer eines alten Praktikers zugute halten mag, daß er Ihre Aufmerksamkeit solange in Anspruch ge- nommen hat.

Das Thema selbst aber habe ich um so lieber für die heutige Versammlung gewählt, als es doch geeignet erscheint, zu beweisen, daß die zahnärztliche Wissenschaft mit vollem Rechte zugleich zahnärztliche Kunst genannt werden kann, nicht im Sinne einer technischen Kunst, sondern einer höheren Kunst, in welcher auch die Gesetze des Schönen zur Geltung kommen, des Schönen, das die Natur auch im menschlichen Antlitz in unerschöpflicher Mannig- faltigkeit geschaffen hat.

Auch unser Beruf hat, soweit er auf ernster wissenschaftlicher Grundlage betrieben wird, seine idealen Seiten, deren wir uns in unserem Streben immer bewußt bleiben müssen, wenn wir uns auf der Höhe erhalten und nicht in der Alltäglichkeit rein prak- tischer Arbeit erstarren wollen.

Der Vorsitzende dankt für den mit Beifall aufgenommenen Vortrag.

Diskussion. Herr Heitmüller: Der Vortragende hat auch die Kronen- und Brückenarbeiten erwähnt. Nun ist man gerade in jüngerer Zeit bestrebt, Brückenarbeiten auf leichte und einfache Weise ohne Verwendung von Porzellan anzufertigen; ich meine die Kapselbrücken von Herbst. Ich will auf die Nachteile, welche diese Brücken nach

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meiner Ansicht haben, heute nicht näher eingehen, ich will aber be- tonen, daß diese Arbeiten in umfangreicher Weise, d. h. bis zu den Vorderzähnen sich erstreckend, angewandt, wegen der auffallenden Farbe des Goldes besonders geeignet sind, unser ästhetisches Gefühl zu verletzen.

Herr Wittkowsky: Theorie und Praxis sind verschieden. Zähne, die schön mit Emaille bemalt sind und dem Wachsmodell täuschend ähnlich erscheinen, werden nach dem Brennen und besonders auch nach dem Vulkanisieren die Emailleauflagerung verlieren. Dies habe ich auch bei sogenannten Raucherzähnen von S. S. White gefunden.

Herr Buschendorff sen. dankt lebhaft Herrn Prof. Riegner für die klare und bestimmte Art der Betonung der ästhetischen Seite unseres Berufs, wendet sich dann aber energisch gegen die Herab- setzung der Herbstschen Kapselbrücke, die bei richtiger Anfertigung alle Anforderungen eines idealen Zahnersatzes erfüllte, ohne das Schön- heitsgefühl zu verletzen.

Herr Kirchhoff: Was die Kapselbrücken anbetrifit, so werde ich morgen die Anfertigung an Modellen und im eigenen Munde zeigen. Die Kapselbrücken sollen hauptsächlich die nicht äußerlich sichtbaren Mahlzähne ersetzen.

Herr Klinkowsteyn: Auf die Bemerkung eines Vorredners, ob die Emaillearbeiten von Prof. Riegner sich auch im Munde bewerten, kann ich behaupten, daß ich viele partielle Brücken gesehen habe, die sich im Munde seit 1'!/, Jahren tadellos bewährt haben; was die größeren Brücken anbetrifft, so ist es allerdings eine Frage der Zeit.

Herrn Riegner: Ich hätte mir nicht erlaubt, Ihnen diese Arbeiten vorzuzeigen, wenn sich dieselben in der Praxis nicht bewährt hätten. Die Emaille braucht nur 3—5 Minuten zum Schmelzen und ich email- liere die Krone und Brücke erst nach der Fertigstellung. Bei Kaut- schukgebissen hält sich diese Färbung tadellos, und ich stehe jedem der Herren zur Verfügung, wenn er sich diese Art des Emaillierens bei mir ansehen will. Ich bemerke aber ausdrücklich, daß ich nur die Farben der Dent. Mfg. Co. in London verwende.

Es folgt der Vortrag des Herrn Cohn.

Der Einfluß der Sproßpilze auf die Eite-

rungen im Munde.

Von Dr. Konrad Cohn, Zahnarzt in Berlin.

Im Gegensatze zu den Bakterien spielen die Sproßpilze in der Pathologie des Menschen eine viel geringere Rolle, ihre wesentliche Funktion tritt in der Fähigkeit, den Rohrzucker in Alkohol und Kohlensäure zu zerlegen, zum Vorschein. Diese Kigenschaft wird in Form der Hefe in unserem Haushalte mannig- faltig benutzt. (Bierbereitung, Bäckerei usw.)

Über die Form, Fortpflanzung und sonstigen Eigenschaften

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der Hefepilze will ich mich hier nicht weiter ausbreiten, da ich die Biologie der Sproßpilze als bekannt voraussetze Ich möchte nur betonen, daß die Sproßpilze bei niedrigerer Temperatur als die Bakterien leben, ihr Optimum zwischen 25—30" liegt und Temperaturen über 40° nicht vertragen. Auch die einzelnen Phasen der Hefewirkung bei der Zerlegung des Rohrzuckers will ich übergehen und nur bemerken, daß es je nach dem Substrat einzelne Varietäten der Hete gibt, z. B. Wein-, Bierhefe usw. Von wesentlicher Bedeutung ist die Frage, welcher Faktor be- wirkt die Gärung? Pasteur glaubte, daß diese Zerlegung an das Leben der Hefepilze gebunden sei, daß also nur Hefe aus lebenden Sproßpilzen die Gärung bewirken könne, Es hat sich aber herausgestellt, daß dieser Standpunkt nicht richtig ist denn man erzielte auch mit Hefe aus toten Sproßpilzen (Dauer- hefe) dieselbe Wirkung —, sondern daß die Gärung an ein Enzym, Zymase genannt, gebunden ist. Die Dauerhefe wird aus der Bierhefe hergestellt, indem man dieselbe durch Alkohol und Ather abtötet und entwässert.

Wenden wir uns nun nach diesen Vorbemerkungen unserem eigentlichen Thema zu, inwiefern also die Sprofpilze auf die Eiterungen im allgemeinen und auf diejenigen in der Mundhöhle einwirken, so wäre die Frage zunächst zu beantworten, ob die Hefe eine schädigende Wirkung auf die Bakterien auszuüben im- stande ist. Diese Frage ist nach den zahlreichen bakterio- logischen Untersuchungen, auf die ich noch zurückkomme, ohne weiteres zu bejahen. Ich will aber zunächst einige historische Bemerkungen nicht unterlassen. Tb. Landau trat 1899 mit einer Publikation hervor: „Die Behandlung des weißen Flusses mit Hefekulturen.“ Landau hat durch Einspritzen von frischer Bierhefe in die Vagina eine Besserung und Heilung der chro- nischen Gonorrhöe erzielt. Koßmann bewies zwar, daß diese Behandlungsinethode schon sehr lange bekannt war, denn Hippo- krates und Dioskorides geben bereits diesbezügliche Anwei- sungen, aber durch Landau kam diese Frage in gynokologischen Kreisen in Anregung, und es wurden von Abraham, Geret u.a. zahlreiche chemische und bakteriologische Untersuchungen und klinische Versuche angestellt. Abraham prüfte zunächst die Gärkraft der verschielenen Hefesorten und bewies, daB lebende Hefe die bei weitem größte Gärkraft besitzt gegenüber der sterilen Dauerhefe und dem Hefepreßsafte. Dieser Umstand ist wohl darauf zurückzuführen, daß die lebende Hefe sich vermehrt und ständig neue wirksame Elemente schafft. Die Energie der lebenden Hefe wird noch erhöht durch Zusatz eines für die Hefe- zellen geeigneten Nährmittels; als solches hat Abraham das Asparagin erprobt. Die bessere Wirkung durch Asparagin-

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zusatz geht daraus hervor, daß eine Iproz. Zuckerlösung bei Zusatz von !/,, g Asparagin in ji, der Zeit vergärt wurde, die ohne Zusatz von Asparagin nötig war. Da die Gärkraft, wie wir später sehen werden, mit der baktericiden Wirkung der Hefe in gewissem Zusammenhange steht, so ist die Beachtung dieses Umstandes von Wichtigkeit.

Bei den bakteriologischen Untersuchungen wurde die Ein- wirkung der Hefe auf Gonokokken, Tyhusbazillen, Staphylo- coccus pyogenes aureus usw. geprüft. Abraham prüfte Preßhefe, Dauerhefe, Hefereinkulturen mit Pepsin resp. Asparagin- zusatz auf Gonokokken in Reinkultur und im Vaginalschleime.

Einem Gemisch von Gonokokken und physiologischer Koch- salzlösung wurde das Hefepräparat zugesetzt und daraus von Zeit zu Zeit eine Platinöse entnommen und in Wassermannsche Nutrose Agar übertragen. Es zeigte sich, daß Hefe mit Asparagin bereits nach 2 Stunden das Wachstum der Gonokokken verhindert. Hefe mit Pepsin und bloße Hefe wirkten geringer und ebenso Prethefe; die sterile Dauerhefe blieb wirkungslos. Sobald man zu der sterilen Dauerhefe eine 10proz. Zuckerlösung zusetzt und eine Gärung in dem Gemisch erzeugt, trat nach 6 Stunden, in einer 30proz. Zuckerlösung nach 4 Stunden, die baktericide Wir- kung auf Gonokokken ein. Geret arbeitete nur mit Dauerhefe in gärenden Flüssigkeiten, die mit Typhusbazillen resp. Staphylo- kokken versetzt waren. Auch hier zeigte sich eine baktericide Wirkung, aber erst nach ca. 24—48 Stunden.

Wenn wir nun die Frage aufwerfen, welcher Körper die Bakterienvegetation aufhebt, so kann dieselbe bis dato noch nicht ‘definitiv beantwortet werden. Es werden verschiedene Ansichten ausgesprochen. Landau glaubte u. a., daß die Hefezellen die Bakterien überwuchern und ihnen den Boden rauben. Das ist aber nicht der Fall, denn die Zahl der Hefepilze ist im Ver- hältnis zu den Bakterien in dem Substrat nicht so groß, daß letztere nicht auch noch Lebensbedingungen finden könnten. Man hat an eine Wasserentziehung gedacht, ferner der Kohlensäure und vor allem dem Alkohol in statu nascendi die baktericide Wirkung zugeschoben. Da Abraham aber mit lebender Hefe ohne Gärung die besten Resultate erzielte, so können es nicht die Produkte der Gärung sein. Die Alkoholmenge ist nicht gering zu schätzen. Denn in 5 g gärender Flüssigkeit bei 1 g Rohrzucker wurde durch 1 g Dauerhefe 0,35—0,4 g Alkohol == 7—8 Proz. erzeugt. Es bleibt also nichts übrig, als daß die baktericide Wirkung einem Enzym zugeschrieben wird, das wir nicht genauer kennen.

Wir pflegen die Güte eines Antiseptikums nach der Zeit

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seiner bakterientötenden Wirkung zu beurteilen, und bei einem Vergleiche auf dieser Basis ist die Stellung der Hete zu den be- kannten Antisepticis eine sehr ungünstige. Bei letzteren genügen bekanntlich wenige Minuten, um die Bakterien abzutöten. Da- gegen hat die Hefe den Vorzug, daß sie aus lebenden Teilen sich aufbaut, die sich auf der Körperoberfläche ausbreiten können und in die Buchten und Schlupfwinkel eindringen, wohin man mit dem chemischen Mittel nicht hineinkommt. Das flüssige Anti- septikum wirkt nur da, wohin es gebracht wird, so daß die Ein- führung des gasförmigen Formaldehyds als ein Fortschritt zu bezeichnen war. Hier handelt es sich nun um Lebewesen, die den Kampf mit den Bakterien aufnehmen. Es ist ja bereits bekannt. daß zwischen einzelnen Bakterienarten ein derartiger Antagonismus herrscht, daß die eine Art durch die andere vernichtet wird. Man hat wohl auch versucht. auf diesem Wege eine pathogene Form durch Impfung mit einer nichtpathogenen für den Körper unschädlich zu machen, aber dieser Weg erwies sich als ungang- bar. Man hat dann den \Veg der Serumtherapie betreten und vernichtet die Produkte der Bakterien durch Giftstoffe. Man könnte bei der Wirkung der Hefe ebenfalls annehmen, daß es sich um eine Wirkung des Enzyms auf die Produkte der be- treffenden Bakterien handelt.

Mit Bezug auf die Arbeit von Abraham, der den größten Eintluß von lebender Hefe mit Asparagin sah, hat der Apotheker Hirschfeld in Berlin, Apotheke zum roten Adler, ein Präparat, sogenanntes Reolpräparat, konstruiert, das aus lebenden Hetezellen mit Asparagin und einer bei Körpertemperatur schmelzbaren Substanz besteht. Diese Reolstifte sollen sich sehr lange halten, und mit diesen habe ich meine klinischen Versuche angestellt.

Diese Versuche erstrecken sich im wesentlichen auf drei Eiterprozesse:

1. Pyorrhoea alveolaris, 2. akuter Alveolarabszeß infolge Pyorrhoea alveolaris. 3. bei der Heilung größerer, schlecht heilen- der Abszesse.

Meine Resultate bei der Pyorrhoea sind folgende In allen Fällen einer starken eitrigen Sekretion wird dieselbe durch Hefe auf ein Minimum zurückgebracht. Eine Heilung erfolgt nicht. wie mir von vornherein klar war. Denn ich bin der Ansicht. dab wir leider die Behandlung der Pyorrhöe viel zu spät an- fangen und nur symptomatisch. Nichtsdestoweniger leistet die Hefe hierbei insofern gute Dienste, als sie die weitere Behand- lung mit dem Galvanokauter resp. den Ätzmitteln vorbereitet.

Die Anwendungsart der Reolstifte ist folgende. Man löst ein Teil eines Stiftes in lauwarmem Wasser bis 30° und spritzt

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die Taschen mit dieser Flüssigkeit aus. Dann steckt man ein Stückchen des Reolstiftes in die Tasche hinein und versucht durch Watte, Stents usw. dasselbe für die nächsten Stunden zu fixieren. Das Stäbchen zergeht bald und bleibt mit dem Eite- rungsherde in Berührung. Es ist mir gelungen, auf diese Weise in verhältnismäßig kurzer Zeit die Sekretion auf ein Minimum zurückzudrängen. Die Weiterbehandlung habe ich mit dem Galvanokauter und Chlorphenol fortgesetzt.

Die zweite Anwendung geht aus folgender Darstellung zweier Krankheitsfälle hervor. Eine Patientin kommt mit folgendem Status in Behandlung. M, sup. sin. ist gelockert, die palatinale Wurzel !, entblößt, sowohl palatinal als auch distal in der Gegend des fehlenden dritten Molaren ein Abszeß mit deutlicher Fluktuation. Diagnose: Akuter Alveolarabszeß infolge Pyorrhoea alveolaris. Der Abszeß distal wird geöffnet und eine Reollösung von der Tasche der palatinalen Wurzel durchgespritzt, was leicht gelingt. Dann wird ein Stäbchen eingeführt. Nach 2- 3maliger Behandlung war der Abszeß geschwunden, die Sekretion auf Druck gegen die palatinale Wurzel ist nur gering. Die Weiterbehand- lung geschah mit Chlorphenol. 2. Fall I, inf. dext. lingual ein Abszeß, Fluktuation nicht deutlich fühlbar, sehr schmerzhaft. Auch hier ging nach 2maliger Behandlung der Abszeß schnell zurück, und die Schmerzen ließen schon nach der ersten Behand- lung nach.

Außerdem habe ich die Reolstifte angewendet, sobald bei der Ausheilung eines größeren Abszesses durch Tamponade mit Jodn- formgaze die Granulationen schlaff und das Sekret eitrig wurden. In solchen Fällen pflegt man eine Auskratzung mit scharfem Löffel zu machen. Auch in diesen Fällen leistete die Einführung der Reolstitte gute Dienste.

Bei der Anwendung der Hefe sind selbstverständlich jegliche chemische Mittel zu vermeiden, da dieselben die Hefezellen ver- nichten würden. Man soll nur Soda- resp. Salzwasser zu Aus- spülungen nehmen.

Ich habe für einige andere Eiterprozesse noch das Reol- präparat versucht, habe aber hierüber noch nicht genügend Er- fahrung, um ein Urteil abzugeben.

Dieses Hefepräparat kann ich empfehlen, da es den Vorzug hat, ein unschädliches, nicht schmeckendes, geruchloses Mittel zu sein, an denen wir bekanntlich keinen Überfluß baben.

Dem Dank des Vorsitzenden an den Redner folgt die Dis- kussion.

Herr Frohmann: Zunächst möchte ich den Vortragenden fragen, ob er frische oder abgetötete Hefekulturen verwendet hat. Dann möchte ich hervorheben, daß keineswegs alle Bakterien durch Hefe-

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pilze vernichtet werden. Sondern im Gegenteil konnte ich bei meinen Arbeiten über die in kariösen Zähnen vorkommenden Bakterien fest- stellen, daß eine Reihe von Bakterien gerade in der Symbiose mit Hefe besonders gut gedeihen. Erwähnen möchte ich auch noch, daß sich in der allgemeinen Medizin die enthusiastischen Erwartungen nicht erfüllt haben, die man an die Verwendung von Hefekultur-Aufschwem- mungen zu therapeutischen Zwecken geknüpft hat. Schließlich ist auch zu beachten, daß die Verwendung keine ganz ungeführliche ist, da bis- weilen giftige Hefearten hier mit in den Mund eingeführt werden können. Daher ist wohl diese Methode sicherlich nur mit Vorsicht zu verwenden, zu der ja auch der Herr Vortragende selbst geraten hat.

Herr Miller: M. H.! Man darf bei der Betrachtung dieser Frage nicht außer acht lassen, daß ein Schutzmittel im Körper auf zweierlei Wegen wirken kann. Einmal, indem es die Bakterien selber ver- nichtet, resp. in ihrer Virulenz herabsetzt, in anderen Worten eine baktericide Wirkung besitzt, oder, indem es die Bakterien unberührt läßt, dagegen ihre giftigen Stoflwechselprodukte neutralisiert und un- schädlich macht. Ein solches Mittel besitzen wir z. B. in dem Diph- therie-Heilserum, in dem 'letanus-Antitoxin. Es ist daher wohl mög- lich, daß die Sproßpilze eine günstige Wirkung auf die Wundheilung äußern können, ohne die in Betracht kommenden Bakterien irgendwie zu schädigen.

Herr Cohn: Was die schädliche Einwirkung anbetrifft, so sind mir die Verhandlungen der gynokologischen Gesellschaft bekannt, aus denen zu erselien ıst, daß bei Anwendung der Stifte Adnexerkran- kungen entstanden sind. Es handelt sich hier um frische Fälle der Gonorrhöe. Ich habe bei meinen klinischen Versuchen nur das von Hirschfeld hergestellte Präparat lebender Hetezellen benutzt. Daß einzelne Bazillen, besonders die, welche Säure bilden, weiter vege- tieren und durch Hefe nicht beeinflußt werden, will ich nicht be- zweifeln, inwiefern Hefezellen aber schädlich für den Organismus sein sollen, ist mir unerklärlich. Der menschliche Organismus genießt täglich ungezählte Mengen von Hefezellen und vor allem die Enzyme der Hefe, auf die es ja hierbei nur ankonınit.

Den Schluß der Vormittagssitzung des zweiten Versammlungs- tages bildet der Vortrag des Herrn Prof. Miller.

Einige neuere Theorien über die Karies

der Zähne,

Von W. D. Miller.

Seit mehr als 2000 Jahren hat man sich unablässig mit der Frage der Ursache und des Wesens der Zahnfäule beschäftigt, und sehr zahlreich sind die Theorien und Anschauungen, die zu ver- schiedenen Zeiten geherrscht haben. Teilweise sind diese An- schauungen bis zu gewissem Grade mit den äußerlichen Erschein- ungen der Kariesvorgänge in Einklang zu bringen, teilweise aber

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sind sie sehr phantastischer Natur und uns heute vollkommen unverständlich. Eine endgültige Lösung. der Kariesfrage war natürlich infolge der mangelnden allgemeinen pathologischen und bakteriologischen Kenntnisse gänzlich ausgeschlossen.

Erst als gegen Anfang des letzten Viertels des vorigen Jahrhunderts die bakteriologische Wissenschaft anfing, Gemeingut der Zahnärzte zu werden, wurde eine Lösung herbeigeführt, die nicht nur die chemischen und histologischen Veränderungen, die die Karies begleiten, zu erklären vermochte, sondern auch sozu- sagen die Feuerprobe bestand, indem man unter Zugrundelegung der neuen Anschauung imstande war, künstliche Karies mit Misch- kulturen und späterhin auch mit Reinkulturen von Bakterien zu erzielen, die selbst der geübteste Zahnpatholog nicht imstande war, von natürlicher Karies zu unterscheiden. Diese als chemisch- parasitär bezeichnete Theorie erklärte alle Erscheinungen der Zahnkaries in so vollkommener Weise, daß sie in ziemlich kurzer Zeit von der ganzen zahnärztlichen und medizinischen Welt als wohlbegründet anerkannt wurde. Für gewisse Erscheinungen der Zahnkaries blieben wir jedoch noch eine zufriedenstellende Er- klärung schuldig, und zwar ist es ganz besonders die Frage der Immunität gewisser Zähne gegen die Zahnkaries, deren Erklärung uns Schwierigkeiten bereitet. Warum ist ein Mensch absolut frei von Karies, während ein anderer, der unter genau denselben Verhältnissen lebt, sämtliche Zähne frühzeitig verliert? Doch sind wir auch in bezug auf diesen Punkt nicht gänzlich unauf- geklärt, denn es ist festgestellt worden, daß eine ganze Reihe von Faktoren hierbei in Betracht kommt, wie z. B. die chemische und histologische Beschaffenheit der Zähne, ihre Stellung, sowie die Reaktion, Quantität und physikalische Beschaffenheit des Speichels, die Art der Nahrung, die selbstreinigende Wirkung im Munde, die Wirkung von bakteritischen Membranen auf den Zähnen, die Zahl und Art der Bakterien im Munde, die Unversehrtheit der Zahnoberfläche und andere Faktoren. Wir haben allen Grund zu hoffen, daß weitere Forschungen uns auch in bezug auf diese schwierige Frage eine zufriedenstellende Antwort geben werden.

Das Verlangen nach neuen Theorien scheint aber noch, nach wie vor, weiter zu bestehen, und es herrscht eine allzu große Neigung, jede neue Erscheinung, die man im Munde beobachtet. zum Ausgangspunkt einer neuen Theorie der Zahnkaries zu erheben.

Die älteste und verbreitetste aller Theorien über die Karies der Zähne, die Würmertheorie, konnte bei wissenschaftlich ge- bildeten Menschen nicht in Betracht kommen. Auch die Ent- zündungstheorie, die von Heitzmann, Abbot und anderen mit großem Eifer verfochten wurde. sowie die chemische und elektro-

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Iytische Theorie bielten einer exakten Prüfung nicht stand und zählen nunmehr nur zu den Theorien der Vergangenheit. Sie hatten aber kaum aufgehört, die Seiten der zahnärztlichen Journale za füllen, als Eben M. Flagg mit einer neuen Theorie zur Stelle war, die würdig ist, an die Seite der Darstellungen früherer Jahrhunderte gestellt zu werden.

Nach dieser Theorie ist die Zahnkaries eine Infektions- krankheit, dadurch hervorgerufen, daß Bakterien durch den Blut- strom in die Pulpa und von dort durch das Zahnbein und den Schmelz hindurch auf die Oberfläche gelangen. Die Karies schreitet aber nicht von außen nach innen. sondern von innen nach außen.

Ernsthafter sind aber einige andere neue Tbeorien über die Karies der Zähne, über die ich kurz referieren möchte.

Vor wenigen Jahren trat Kärolyi-Wien (Üsterr.-ungar. Vierteljahrsschr. f. Zahnheilk. 1903, S. 98) mit der Behauptung auf, daß die Karies der Zähne nicht von einer sauren. sondern von einer alkalischen Reaktion der Umgebung der Zähne be- gleitet sei. Die Alkaleszenz von Karieshöhlen sei mitunter so stark, daß die Berührung mit den Fingerspitzen, falls letztere aufgesprungen seien, ein lebhaftes Brennen verursache Wir müssen annehmen, daß hier ein Beobachtungsfehler vorliegt, denn es kann wohl kaum mehr ein Zweifel darüber bestehen, daß der Inbalt von kariösen Zahnhöhlen, abgesehen von seltensten Aus- nahmen, stets saure Reaktion zeigt. Auch Arkövy beobachtete Anfweichung eines Zahnes, der monatelang in einem Kulturmedium aufbewahrt worden war, das zur Zeit der Beobachtung alkalische Reaktion hatte. Da aber bekanntlich die Reaktion eines Kultur- mediums im Laufe der. Wochen sich gänzlich umgestalten und von einer stark sauren in eine alkalische übergehen kann, so hat auch Arkövy selbst in richtiger Würdigung dieses Umstandes anerkannt, daß ein Schluß aus seiner Beobachtung nicht gezogen werden darf. Darüber schreibt Goadby (The Mycology of the Mouth, S. 146): „Ich habe nie beobachtet, daß hartes (unentkalktes) Zahnbein von Enzymen angegriffen wurde.“

Preiswerk brachte einen Beitrag zu der Frage der Karies ohne Säuren, indem er darauf hinwies, daß die durch Wirkung von Säuren hervorgerufene erhöhte (uerstreitung der Schmelz- prısmen zuweilen bei der Zahnkaries fehlt. Ferner ist er im-

Stande gewesen, kariesähnliche Veränderungen durch Anwendung von Trypsin (einem Ferment, welches auch in Kulturen von Bak- terien erzeugt wird) in alkalischen Lösungen hervorzurufen. Die Beweiskräftigkeit des ersten Punktes scheint mir nicht einwand- frei zu sein, denn ich habe in meiner Sammlung zahireiche Prä- parate von Schmelz. der durch Anwendung von Gärungssäuren entkalkt wurde, bei welchen ebenfalls keine erhöhte (uerstreifung

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der Schmelzprismen vorhanden ist. In bezug auf die Wirkung des Trypsins auf die Zähne haben meine eigenen Versuche keinen rechten Erfolg gehabt, doch möchte ich keinen Zweifel über die Richtigkeit der von Preiswerk gezogenen Schlüsse hervorrufen, bis eingehendere Versuche darüber angestellt worden sind. Preis- werk betont auch selber, daB seine Beobachtung nicht etwa eine neue Theorie der Zahnkaries zur Folge haben solle, sondern nur darauf hinweise, daß außer den Säuren noch andere Möglich- keiten vorhanden sind.

Bei dem IV. Internationalen zahnärztlichen Kongreß in St. Louis 1904 trat Hinkins-Chicago mit der ganz neuen Theorie auf, daß die Säurebildung im Munde auf die Wirkung des Ptya- lins auf Kohlehydrate zurückzuführen sei (Dental Cosmos, March 1905). Das Ptyalin verwandelt nicht nur die Stärke in Zucker, sondern geht noch weiter und bildet Säure aus diesem Zucker, und diese Säure greitt dann nicht nur Zementtullungen, sondern auch die Zähne an. Von einem teleologischen Standpunkt aus betrachtet hat die Theorie Hinkins nicht viel Wahrscheinlichkeit für sich. Wenn es sich wirklich so verhieltee wie Hinkins meint, so hätten wir hier einen Fall, in welchem ein physio- logisches Sekret das Gewebe, mit welchem es normalerweise und beständig in Kontakt bleibt, zerstört, etwa als wenn der Magen- saft oder die Produkte der normalen physiologischen Verdauung die Wände des Magens resp. der Eingeweide angreifen würden. Aber auch nach anderen Richtungen hin sind die Versuchsergeb- nisse von Hinkins nicht ganz einwandfrei. Hinkins brauchte eine Lösung von Triacetyl-Glukose, und zu 250 ccm von dieser Lösung fügte er 50 ccm einer 1proz. Lösung von Bouillon und 5 g Ptvalin oder Pankreatin hinzu. Diese Lösung wurde im Eisschrank aufbewahrt und zeigte nach einigen Tagen saure Reaktion. Eine Zunahme der Acidität in der Original-Glukose- lösung fand auch statt. Es wurde aber nur etwa zweimal soviel Säure gebildet wie in der mit Ptyalin versetzten Lösung. Die Versuchsergebnisse von Hinkins sind deswegen nicht endgültig, weil er bei dem Kontrollversuch keine Bouillon zusetzte, und weil ferner nichts darüber verlautet, ob die Lösungen während des Versuchs steril gehalten wurden. Wir müssen daher eine Bestätigung seiner Resultate abwarten, bevor wir sie als beweis- kräftig anerkennen. Zugegeben aber, daB eine Säurebildung in Lösungen von Triacetvl-Glukose unter der Wirkung von Ptyalin stattfinden kann, so gestattet diese Tatsache doch keinen Rück- schluß auf die Vorgänge, die wirklich im Munde stattfinden, da wir im Munde weder Triacetvl-Glukose, noch dort jemals mit sisschranktemperaturen zu tun haben.

Aus diesem Grunde habe ich die Versuche von Hinkins

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nicht wiederholt, dagegen habe ich gefunden, daß, wenn Lösungen von Stärke oder Zucker im Speichel, mit Chloroform oder Äther geschüttelt werden, wodurch die Bakterien, nicht aber das Ptyalin vernichtet wird, keine Säurebildung stattfindet. Ebenfalls beob- achtete ich keine Säurebildung, wenn Speichel, der durch einen Tonfilter von Bakterien befreit war, mit einer sterilisierten Stärke- lösung vermengt wurde. Wenn jedoch solche Lösungen nachträg- lich mit Mundbakterien infiziert wurden, trat die Säurebildung prompt ein. Auch 3proz. Lösungen von Traubenzucker in Bonillon, mit Ptyalin versetzt, bildeten weniger Säure, als wenn dieselben mit Speichel infiziert waren; und wenn es gelingt, die mit Ptyalin versetzten Zuckerlösungen steril zu halten, finden überhaupt keine Säurebildungen statt. Auch wenn Zuckerlösungen mit Ptyalin versetzt und darauf mit Chloroform oder Äther behandelt wurden, trat ebenfalls keine Säurebildung ein. Es ist daher mindestens sehr zweifelhaft, ob durch die Einwirkung des Ptyalins überhaupt Säure im Munde gebildet wird.

Auf alle Fälle spielt dieser Vorgang im Vergleich zu den Gärungsprozessen im Munde eine sehr unwesentliche Rolle.

Unter den neuen Theorien der Zahnkaries hat die sogenannte Mucintheorie von Lohmann (Arch. f. Zahnheilk., Nr. 38, 1903 und Odont. Blätter, IX. Jahrg., Nr. 3—4) eine besondere Auf- merksamkeit auf sich gelenkt. Nach Lohmann ist die Zahnkaries lediglich der Einwirkung des durch Säuren aus seinen Verbind- ungen freigesetzten Mucins zuzuschreiben. Lohmann stützt seine Theorie auf die Behanptung, daß sich keine Säuren im Munde bilden können. Im Munde wird wegen des kurzen Verweilens der Kohlehydrate überhaupt nur eine sehr geringe Spaltung der- selben stattfinden, wobei nur Maltose gebildet wird. Die Ent- stehung von Milchsäure setzt aber die Bildung von Traubenzucker voraus, Rohrzucker wird im Speichel überhanpt nicht gespalten; Milchsäurebildung kann also im Munde nicht stattfinden. Wir sehen also, daß in diesem Punkte Hinkins und Lohmann ganz entgegengesetzte Ansichten verkünden.

Die Behauptung Lohmanns, daß keine Milchsäure im Munde vorkomme, weil sie aus dem und dem Grunde nicht gebildet werden könne, ist ungefähr so stichhaltig, als wenn man bei dem Anblick einer Anzahl Menschen auf dem Dache eines Hauses behaupten würde, das seien keine Menschen, weil Menschen nur über die Stufen einer Leiter auf ein Dach gelangen können, welche Leiter aber nicht vorhanden sei. Es ist durch Tausende und Abertausende von Versuchen und Beobachtungen endgültig festgestellt, daß überall im Munde, wo kohlehydratbaltige Nahrung in hohlen Zähnen oder Zwischenräumen stecken bleibt, Säuren gebildet werden, und zwar ganz gleich, ob der Speichel stark

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oder schwach mucinhaltig ist, und alle theoretischen Auslassungen darüber, die zu dem Schluß führen, daß diese Säuren keine Säuren sind, weil die notwendige Stufe „Traubenzucker“ fehlt, können an dieser Tatsache nichts ändern.

Der Umstand, daß man Rohrzucker zur Darstellung von Milchsäure verwendet, genügt allein, um die Haltlosigkeit der Lohmannschen Beobachtung zu beweisen. Ich habe aber nicht die Absicht, mich auf eine Diskussion der Frage, ob Säure im Munde durch Gärung von Kohlehydraten gebildet werden kann, einzulassen; mit dieser Frage habe ich mich vor 25 Jahren be- schäftigt und kann auf dieselbe jetzt nicht mehr zurückkommen. Ich will hier nur betonen, daß, wenn jemand etwa glaubt, daß in Lösungen von Rohrzucker mit Speichel sich keine Säure bildet, er sich durch ein paar Versuche leicht von seinem Irrtum über- zeugen kann. In Lösungen von Zucker im Speichel ist es voll- kommen gleichgültig, ob wir es mit Rohr- oder Traubenzucker zu tun haben; bei dem einen bildet sich ebenso schnell und ebensoviel Säure wie bei dem anderen, und, was von noch gröferem Belang ist, es entsteht in Gemischen von Speichel mit Nahrungsstoffen weit mehr Säure als in einfachen Zuckerlösungen, seien sie mit Rohr- oder mit Traubenzucker hergestellt. Zu- weilen entsteht in derartigen Gemischen eine Menge von Säure, die in ihrer neutralisierenden Wirkung auf Alkalien einer 2proz. Lösung von Milchsäure entspricht, wodurch die intensiv saure Reaktion des Inhalts von versteckten Zahnhöhlen eine genügende Erklärung findet. Die theoretischen Ausführungen, daß Maltose das Endprodukt der Kohlehydrate im Munde, und daß Maltose nicht gärungsfähig sei, sind also absolut belanglos, selbst wenn sie einwandfrei wären, was jedoch nicht der Fall ist.

Lohmann hat der Wirkung der Gärungsvorgänge im Munde jede Bedeutung abgesprochen und will die Zahnkaries lediglich durch Wirkung des durch Säuren freigesetzten Mucins erklären.

Es liegt mir aber fern, die Frage von diesem Gesichtspunkt aus hier zu erörtern. Ich will nur das Thema zur Sprache bringen, ob die Zerstörung der Zähne, die unzweifelhaft durch Bakterien im Munde herbeigeführt wird, durch einen stärkeren Schleimgehalt des Speichels unterstützt wird und inwiefern. In dieser Form hat die Frage für uns alle sicher großes Interesse.

Nach der Anschauung von Lohmann ist zur Entfaltung der Wirkung des Mucins etwas Säure nötig, um dasselbe aus seiner Verbindung mit Kalk, Natrium usw. freizusetzen. Hierin liegt auch das Neue und Charakteristische an der neuen Theorie. In dieser Form scheint mir der Gedanke von vornherein wenig aus- sichtsvoll und eigentlich nicht recht verständlich. Denn wenn Mucin. welches nur sehr schwache saure Eigenschaften besitzt,

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auf Kosten einer stärkeren Säure (etwa Essig- und Milchsäure) freigesetzt wird, so ist das ungefähr. als wenn wir eine Mark in die Maschine steckten, und einen Groschen herausbekommen. Man muß nicht vergessen, daß diejenige Säure, die das Mucin frei- setzt, dadurch selber gebunden und somit unschädlich gemacht wird, und so bedeutet der Vorgang eher einen Schutz als eine Gefahr für die Zähne. Um dieser Frage aber experimentell näher zu treten, habe ich Lösungen von '/,, !/, und '/;proz. Milchsäure oder Essigsäure oder Gemische von diesen beiden Säuren oder von Fruchtsäuren usw. in stark schleimhaltigem Speichel her- gestellt und zum Vergleich dieselben Lösungen in Wasser. Wenn nun die Anschauung Lohmanns richtig ist, so müßten die mit schleimhaltigem Speichel hergestellten Lösungen eine weit stärkere entkalkende Wirkung besitzen als die wässrigen Lösungen. Es wurden keilförmige Zahnbeinstücke hineingehängt und der Grad der Entkalkung nach Ablauf von einigen Tagen bis Wochen fest- gestellt. Die Versuche führten sämtlich zu negativen Resultaten. In einzelnen Fällen fand ich sogar eine stärkere Entkalkung der in den schleimfreien als der in den schleimhaltigen Lösungen ein- gehängten Zahnbeinkeile.. Beim Titrieren ließ sich auch stets teststellen, daß die Acidität der Lösung durch Zusatz von Schleim nicht erhöht wurde; ein anderes Resultat wäre ja auch unver- ständlich.

Die Versuche wurden dann auch wiederholt, indem ich saure Lösungen, die aus der Gärung von Speichel mit Kohlehydraten gewonnen wurden, anwandte. Auch hier führten die Versuche zu ähnlichen Resultaten.

In Fortsetzung meiner Untersuchungen führte ich im ganzen über 200 Einzelversuche mit den verschiedensten Variationen aus. Es wurden Lösungen von verschiedenen Säuren, die bei der Karies der Zähne in Betracht kommen können, wie Fruchtsaft. Zitronensaft, Gurkensaft, gegorene Lösungen von Speisebrei usw. mit Schleim versetzt und ihre Wirkungen auf das Zahnbein im Vergleich zur Wirkung ohne Schleimzusatz geprüft. Eine erhöhte Wirkung infolge des Schleimzusatzes wurde absolut nicht erzielt. Ferner wurde trockenes Mucin vom Rind, das mir von Herrn Prof. Thierfelder zur Verfügung gestellt worden war, in ganz schwachen Lösungen von Kalilauge gelöst und, um Fäulnis zu verhindern, zu 4 ccm davon 1 cem 1V;,, Fluornatrium zugesetzt. Diese Lösung hatte nicht die geringste entkalkende Wirkung auf das. Zahngewebe Es wurden ferner 0,058 ccm trockenes Mucin vom Rind in 3 ccm einer ganz schwach alkalischen Lösung

aufgelöst, dann Essig in minimalen Tropfen zugesetzt, bis die Lösung ganz schwach sauer reagierte, wobei das Mucin wieder ausgefällt wurde und in frischem Zustande sehr krättig einwirken

XXIII. 43

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mußte; die Fäulnis wurde durch Zusatz von 0,6 1°',, Fluornatrium verhindert. Nach 6 Tagen fand ich keine Spur von Enıkalkung an den Zahnbeinschliffen; Reaktion neutral geworden.

Nachdem alle diese und viel mehr ähnliche Versuche ergeb- nislos geblieben waren resp. zeigten, daß die entkalkende Wirkung von sauren Lösungen durch Anwesenheit von Schleim nicht er- höht wird, stellte ich Versuche mit dem frisch niedergeschlagenen Mucin an. Lohmann empfahl, die mucinhaltige Lösung in der üblichen von Hammersten empfohlenen Weise mit 1,5 Pro- mille Salzsäure zu versetzen und durch Zusatz von 2 bis 3 Teilen Wasser das Mucin zu fällen, in Salzsäure wieder aufzulösen, von neuem mit Wasser zu fällen usw. Die Prozedur ist umständlich, und es bleibt zum Schlusse nur wenig Mucin zurück. Lohmann schreibt, daß er bei 30 ccm Speichel bis über 1 g Mucin bekommt oder etwa 25mal so viel als der Gesamtgehalt des normalen Speichels an löslichen organischen Substanzen. Ich nehme an, daß ein Drucktehler hier vorliegt. Es ist nun möglich, mit so gewonnenem Mucin eine, wenn auch geringe entkalkende Wirkung auf das Zahnbein zu erzielen, denn die Salzsäure haftet sehr energisch am Mucin, und wenn man so lange wäscht, bis das ablaufende Wasser keine Reaktion mehr auf Salzsäure gibt, so können doch noch Spuren von Salzsäure in dem Mucin vorhanden sein. Selbst wenn wir koaguliertes Eiweiß z. B. in kleine Stücke zerlegen, mit 1.5°,, Salzsäure übergießen und !;, Stunde stehen lassen, so können wir nachher waschen, bis die letzte Spur von Salzsäure entfernt zu sein scheint, und wenn wir nun das Wasser abgießen, und die Eiweißstückchen in ein Reagensglas bringen, so zeigt das sich ausscheidende Wasser nach einigen Stunden doch eine deutlich saure Reaktion, und eingelegte Zahnbeinstücke werden darin entkalkt. Bei Mucin, welches wiederholt gewaschen und in der Lösung fein verteilt und so möglichst von Salzsäure befreit wurde, konnte ich nur eine änßerst minimale entkalkende Wirkung konstatieren, und wenn das Mucin mittels eines schwachen Alkalis zu einer neutralen Lösung aufgelöst wurde, blieb jedwede Wirkung auf das Zahngewebe aus. Lohmann stellt einen Ver- gleich zwischen der Wirkung des Mucins und der einer 2proz. Lösung von Milchsäure an, welcher zugunsten des Mucins aus- fällt. Er fand, daß ein Zahn, der 30 Tage in einer Mucinlösung gelegen hatte, 0,289 an Gewicht verlor, während Zähne, die in gleicher Weise mit 2proz. Milchsäurelösung behandelt wurden, nur 0,045 resp. 0,035, d. h. !/; bis if soviel, verloren. Bei einer späteren Mitteilung spricht Lohmann davon, daß die Wirk- ung des Mucins der der Milchsäure nach 30 Tagen fast gleich sei, wobei abwechselnd von lIproz. und 2proz. Milchsäure die Rede ist. Es kann sich aber jeder sehr leicht davon überzeugen,

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daß wenn man einen menschlichen Zahn in 2proz. Milchsäure bringt, und bei Körpertemperatur aufbewahrt, nach 30 Tagen von Schmelz überhaupt keine Rede mehr ist, derselbe ist oft bereits nach 15—20 Tagen vollkommen verschwunden oder so stark auf- geweicht, daß er mit dem Finger heruntergewischt werden kann.

Bei meinen weiteren Versuchen habe ich nun einen Weg eingeschlagen, welcher es uns gestattet, die im Munde sich ab- spielenden Vorgänge genauer nachzuahmen, anstatt einen künst- lichen Prozeß einzuleiten, der in keiner seiner Phasen überhaupt im Munde vorkommt. Die Niederschläge des Mucins im Munde werden nicht durch Salzsäure hervorgerufen, sondern zum Teil durch Gärungssäuren, zum Teil durch solche Säuren, die wir als Nahrungs- oder Genußmittel in den Mund nehmen, Essigsäure in Form von Essig, Weinsäure, Zitronensäure, Oxalsänre usw. Fernerlin handelt es sich nie um das gereinigte Mucin im Munde, sondern meist nur um ein unvollkommenes Niederschlagen von Mucin in Verbindung mit Speisepartikelchen, ungesättigten Säuren usw. Als nächsten Versuch habe ich nun 33 ccm von stark schleimhaltigem Speichel mit 1,5 Essig aus der Küche versetzt, den Niederschlag gründlich gewaschen und 4 Tropfen einer o-Lösung von Fluornatrium zugesetzt. In dieses Mucin wurde nun ein spitzer Zahnbeinkeil eingehängt. Der Versuch wurde 30 Tage fortgesetzt, während welcher Zeit der Schleim 10 mal in derselben Weise frisch hergestellt wurde. Am Ende dieser Zeit war makroskopisch absolut keine Entkalkung zu konstatieren. Dann habe ich ferner zwei Reagensgläschen mit je 4 ccm einer aus gegorenem Speisebrei gewonnenen Flüssigkeit versetzt und dem einen 1 ccm Schleim zugefügt, welcher durch die Flüssigkeit niedergeschlagen wurde, resp. das Mucin freigesetzt. Ein Zahn- beinkeil wurde nun in jedes Gläschen eingehängt. Die Entkalkung schritt etwas schneller in der Lösung, die keinen Zusatz von Schleim erhalten hatte, vorwärts. Dann stellte ich Schleimnieder- schläge her aus 70 ccm von schleimhaltigem Speichel durch Zusatz von 1proz. Milch- und Essigsäure zu gleichen Teilen. Der Niederschlag wurde gewaschen und durch Zusatz von destilliertem Wasser auf 5 ccm gebracht. Bei Zusatz von 10 Tropfen 10proz. Ammoniaklösung löste sich der Inhalt zu einer durchsichtigen schleimigen Masse auf. Darauf wurden ferner 10 Tropfen einer 2,5 proz. Lösung von Milch- und Essigsäure hinzugefügt, bis die Reaktion schwach sauer war. Die Wirkung dieser dicken Lösung von frisch gefälltem Schleim (1) verglich ich nun mit der der folgenden Lösungen:

2. 5 ccm einer !/,proz. Lösung von Milchsäure in Wasser.

3. dito in Speichel,

4. dito plus 1 ccm Schleim.

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Jeder Lösung wurde 0,04 g von fein pulverisiertem Zahnbein vom Potwal hinzugefügt, die Röhrchen mit einer Gummikappe versehen und auf ! Stunde in einen Drehapparat gebracht, der 20 Umdrehungen in der Minute machte und eine gleichmäßige Be- rührung der Säure mit dem Zahnbeinpulver in allen Lösungen sicherte. Die Menge der aufgelösten Kalksalze, als CaO bestimmt, war wie folgt:

bei 1. 0,0010 2. 0.0078 3 0,0082

4. 0,0074.

Wir sehen hier eine minimale Entkalkung in der Mucin- lösung, welche teilweise wenigstens, wenn nicht ganz auf die Wirkung der zugesetzten überschüssigen Milch- und Essigsäure zurückzuführen ist. Wir sehen ferner, daß die mit Schleim ver- setzte Milchsäurelösung (4) eine geringere Entkalkung hervor- gerufen hat als die Lösungen ohne Schleim.

Es sind hier nur ein paar von den vielen Versuchen wieder- gegeben, die ich in allen denkbaren Modifikationen ausführte und die mich vollkommen davon überzeugt haben, daß die von Herrn Lohmann dem Mucin zugedachte Wirkung ihm gar nicht zu- kommt; wie eine solche in dem Sinne Lohmanns auch theore- tisch nicht gut denkbar wäre.

Es darf auch schließlich nicht vergessen werden, daß der frisch niedergeschlagene Schleim leicht in Fäulnis übergeht. Lohmann schlug vor, die Fäulnis durch Anwendung von Fluor- natrium zu verhindern. Wer ist aber der gute Geist, der im Munde dem niedergeschlagenen Schleim oder Mucin stets das not- wendige Fluornatrium zusetzt?

Obwohl die Frage hiermit als erledigt angesehen werden dürfte, habe ich meine Versuche doch weiter fortgesetzt. Bei den gemischten Mundflüssigkeiten handelte es sich zum größten Teil um das Sekret der Speicheldrüsen, es lag mir aber daran, das Sekret der Schleimdrüsen und des Mundepithels für sich allein zu erhalten. Da mir jedoch keine Methode bekannt ist, um dieses Sekret in einer genügenden Quantität zu bekommen, um Versuche damit vornehmen zu können, habe ich zu meinen Versuchen das Sekret der tieferen Luftwege, welches sich in Form des Auswurfs bei katarrhalischen Zuständen leicht in genügenden Mengen ge- winnen läßt. Natürlich muß man dafür Sorge tragen, daß der Auswurf beim Passieren der Mundhöhle nicht mit Speisepartikel- chen verunreiniet wird. Es wurden nun mit diesem Schleim analoge Versuche angestellt, wie mit dem schleimhaltigen Speichel und zwar mit genau denselben Resultaten, nämlich, daß die eut-

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kalkende Wirkung einer sauren Lösung durch Zusatz von diesem Schleim auch nicht erhöht wird. Folgender Versuch mag als Beispiel für viele andere dienen:

1. Schleim 2 cem, Gärflüssigkeit 2 cem,

2. Wasser 2 ccm, Gärflüssigkeit 2 ccm,

3. Wasser 2 ccm, Gärflüssigkeit 2 ccm, Schleim 11, ccm.

Eingehängte Zahnbeinkeile zeigten nach 4 Tagen die stärkste Entkalkung bei 2, die geringste bei 3.

Es wurden viele derartige Versuche ausgeführt, die zu den- selben Resultaten führten. Nur in sehr wenigen ‘Fällen war die entkalkende Wirkung der mit Schleim vermengten sauren Flüssig- keiten eine gleiche oder ein wenig stärker als die der schleim- freien Flüssigkeiten; durchschnittlich war die Wirkung eine etwas geringere, vorausgesetzt, daß der Schleim nicht bereits bei Be- ginn des Versuchs eine saure Reaktion hatte. Auch der aus dem Auswurf durch Behandlung mit verdünnten organischen Säuren und Gärungsflüssigkeiten erhaltene Schleimniederschlag zeigte keine entkalkende Wirkung; sobald er neutralisiert wurde, und wenn man ibn mit minimalen Mengen von Säuren wieder niederschlug, erhielt man nach Wochen kaum so viel Entkalkung, als man in einem Gemisch von Speichel und Speisen in wenigen Stunden bekommt. Auch der niedergeschlagene Schleim, selbst nur wenig gewaschen, und teilweise noch mit der anhattenden Säure ver- mengt, zeigte stets weniger Wirkung als die Flüssigkeit, aus der er niedergeschlagen wurde.

Alle diese Versuche haben mich davon überzeugt, daß die Lohmannsche Theorie durchaus unbegründet ist. Wir wollen uns nun aber die Frage stellen: „Welche Rolle spielt denn eigent- lich der Schleimgehalt des Speichels bei der Zahnkaries?“

- Der Gedanke, daß der Schleim in irgendwelcher Weise auf die Zähne schädlich einwirkt, ist etwa so alt wie die Zahnheil- kunde selbst. Einer der älteren Schriftsteller schreibt: „Der Schleim fließt von dem Gehirn herunter, dringt auf die Zähne ein und macht sie faul“. Viele Autoren der späteren Zeit, Wedl, Tomes, Magitot, Taft schreiben dem sauren Schleim eine wesentliche pathologische Wirkung an den Zähnen zu. Bei diesen Autoren, sowie bei fast allen Anhängern der chemischen Theorie der Zalınkaries lesen wir wiederholt von saurem Speichel.

Es ist nun allgemein bekannt, daß der Schleimgehalt des Speichels das Reinhalten der Zähne erschwert, und daß bei den mit Schleim bedeckten Zähnen leichter Niederschläge von Nahr- ungsteilen stattfinden können, die in Gärung übergehen und so eine schädliche Wirkung auf die Zähne ausüben. Das Sekret der Drüsen der Lippenschleimhaut zeigt häufig saure Reaktion,

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bedingt nach Kirk durch den Gehalt an saurem, phosphorsaurem Natron und Kalk, und diesem Umstande schreiben die einen die Halskaries, die anderen die Erosion (keilförmigen Defekt) der Zähne zu und zwar nicht ganz mit Recht. Es entspricht auch der allgemeinen Erfahrung, daß wir in Mundhöhlen mit stark schleimigem Speichel häufig viel Karies finden, indessen ist die schädliche Wirkung des Schleimes teilweise übertrieben. Unter den vielen Patienten, die von mir daraufhin untersucht wurden, befanden sich einige mit außerordentlich zähen, schleimigem Speichel, die vollkommen immun waren, andere dagegen mit dünn- flüssigem Speichel, bei welchen fast sämtliche Zähne zerstört worden waren.

Vor kurzem konnte ich noch durch die Liebenswürdigkeit von Kollegen Ganzer einen Herrn untersuchen, der absolut immun war, mit dessen Speichel man aber leicht Fäden bis zu 12 Zoll Länge ausziehen konnte.

Mucin findet sich auch im Speichel von manchen Tieren, z. B. Hunden, die in wildem Zustande nie an Karies leiden. Die Angabe Lohmanns, daß Hunde infolge des Schleimgehalts des Speichels zu Karies neigten, ist sehr leicht geeignet, uns irre zu führen, denn es ist ja allgemein bekannt, daß nur der Haushund, der von gemischter Kost lebt, kariöse Zähne zeigt, der wilde Hund, sowie der Fuchs, Wolf, Schakal, zeigen, soweit sie bis jetzt daraufhin untersucht worden sind, keine Karies.

Die Angabe Lohmanns, daß retinierte Zähne mitunter stark kariöse Zerstörungen zeigen, beruht auch auf einem Irrtum. Der von Lohmann als kariös bezeichnete retenierte Eckzahn, welchem er mir zur Untersuchung zuschickte, zeigte keine Spur von Karies. Auch vier andere ähnliche Fälle, die ich Gelegenheit gehabt habe, zu untersuchen, zeigten ebenfalls, daß sämtliche Veränderungen, die makroskopisch eine gewisse Ähnlichkeit mit Karies hatten, lediglich auf Resorption beruhten. Auch in Dermoidcysten hat man bis jetzt keinen Fall von echter Karies beobachtet.

Die Tatsache, daß Zahnkaries bei den reinen Fleischessern, z. B. bei den Eskimos, nie vorkommt, deren Speichel auch nicht mucinfrei ist, dürfte uns davon zurückhalten, dem Schleim eine allzu große Bedeutung beizumessen. Auch leiden bekanntlich die Karnivoren, Löwen, Tiger usw., nicht an Zahnkaries. Kollege Lohmann bezieht sich auf den Fall, der hier in Berlin vor- gekommen sein soll, daß bei einem Löwen im Wintergarten ein kariöser Zalın gezogen wurde. Es zirkulierte allerdings vor einigen Monaten in Berlin in den Tagesblättern und in den illu- strierten Zeitschriften die Geschichte von einer Operation an einem zahnkranken Löwen, die nach der einen Erzählung im Zoologischen

Garten, nach den anderen an einem Löwen des Fräulein Tilly

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Bebe im Wintergarten ausgeführt wurde Nun habe ich vom Bureau des Zoologischen Gartens aus die Versicherung erhalten, daß niemals eine Operation an einem Löwen dort ausgeführt worden ist. Ebenso stellt es sich heraus, daß nie an einem Löwen des Fräulein Tilly Bebe weder in Berlin, noch anderswo eine Zahnoperation stattgefunden hat, und von Direktor Martiny, der die Vorstellungen des Fräulein Tilly Bebe leitet, habe ich durch Kollegen Haderup die Auskunft bekommen, daß er während seiner 20jährigen Erfahrung mit Löwen einen kariösen Zahn bei diesen Tieren nie beobachtet habe Es ist immer ein bischen gewagt, Erzählungen der Tagesblätter bei der Begründung einer wissenschaftlichen Theorie benutzen zu wollen.

Der Gedanke, daß das Mucin eine besonders wichtige Rolle bei der Zahukaries spielt, verträgt sich auch nicht mit der Beob- achtung, daß Karies häufiger im Ober- als im Unterkiefer vor- kommt, zumal gerade die unteren Zahnreihen besonders von dem schleimhaltigen Speichel der Submaxillaris und Sublingualis um- spült werden. Auch findet die Häufigkeit der Erkrankung der Wangenfläche des oberen 3. Molaren in der Mucintheorie absolut keine Erklärung.

Nach dem augenblicklichen Stande unseres Wissens können wir wohl sagen, daß der Schleimgehalt des Speichels eventuell den Zähnen schädlich sein kann, indem er 1. die Selbstreinigung der Zähne erschwert, 2. ein gutes Nährmedium für Bakterien bildet, 3. infolge seines Gehalts an sauren phosphorsauren Salzen eine saure Reaktion besitzt.

Der Schleim, welcher in den gemischten Mundflüssigkeiten vorkommt, stammt aus verschiedenen Quellen. Der größte Teil wird durch die Speicheldrüsen gebildet, und zwar ist das Sekret der Sublingualis, sowie der Submaxillaris stark schleimhaltig; die Parotis dagegen liefert ein Sekret, das sehr arm an Mucin ist. Es wird ferner von den in der ganzen Mundschleimhaut zerstreut liegenden, etwa stecknadelkopfgroßen Schleimdrüsen, die in der Oberlippe besonders reich vorhanden sind, Schleim gebildet, dem man eine besonders verderbliche Wirkung zuge- sprochen hat, weil man über seine Eigenschaft wenig orientiert ist. Drittens liegt die Möglichkeit vor, daß gewisse Zellen des Mundepithels ebenfalls als Schleimbildner auftreten, wir haben allerdings für diese Annahme keinen Anhaltspunkt. Wir wissen, daß der schleimige Auswurf, der aus den oberen Luftwegen stammt, zum größten Teil durch die sogenannten Schleimzellen oder Becherzellen gebildet wird. Derartige Zellen hat man aber in der Mundschleimhant meines Wissens nicht gefunden.

Nun scheint es, daß der Schleim aus verschiedenen Quellen nicht eine gleichmäßige Zusammensetzung hat; z. B. nach Ner-

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king, der von Lohmann zitiert wird, enthält der Schleim der Speicheldrüsen 25 Proz. Kohlenhydrate, der schleimige Auswurf dagegen 37 Proz. Uber die Zusammensetzung des Sekrets der Schleimdrüsen in der Mundhöhle wissen wir nichts Näheres, und gar nichts über die des Sekrets, das möglicherweise von dem Mundepithel gebildet wird, wenn überhaupt ein solcher existiert. Wenn man nun stark schleimigen Speichel bei Körpertemperatur stehen läßt, vorausgesetzt, daß ihm gar keine Kohlenhydrate bei- gemengt sind, so entwickelt er keine Säure, sondern zeigt sich nach 24 Stunden neutral oder alkalisch. Läßt man aber den schleimigen Auswurf bei Körpertemperatur stehen, so wird er in derselben Zeit deutlich, mitunter stark sauer, und es bildet sich zuweilen mehr Säure als in einer 2proz. Lösung von Trauben- zucker in demselben Zeitraum. Diese Säurebildung beruht keines- wegs auf einem Niederschlagen des Mucins, sondern lediglich auf einem Gärungsprozeß, und wenn wir den Schleim auf Eis stellen, oder durch Zusatz von Karbolsäure, Chloroform oder auf irgend- einem anderen Wege die Gärung aufheben, so tritt keine Säure- bildung ein. Der Rachenschleim liefert bei der hydrolytischen Spaltung nach Fr. Müller 37 Proz. Kohlenhydrate (Chitosamin) sowie Essigsäure, und es ist ja leicht denkbar, daß unter der Einwirkung des Bakteriengemisches auf denselben ein Teil der Kohlenhydrate abgespalten wird und in Gärung übergeht. Zu- nächst dachte ich, daß diese Gärung auf Verunreinigung des Schleims mit kohlehydrathaltigen Speiseteilen eventuell beruhte, doch habe ich gefunden, daß nach einer Mahlzeit, die lediglich aus Schinken und Eiern bestand, eine Gärung des Schleims auch eintrat, doch möchte ich es nicht als ohne jeden Zweifel bewiesen erachten, daß der Rachenschleim fähig ist, in eine Säuregärung überzugehen, insbesondere weil ich nur Gelegenheit gehabt habe, die Versuche an mir selber zu machen. Weitere Versuche und an verschiedenen Individuen werden nötig sein, um diese Frage zu lösen. Wenn nun das Sekret der Schleimdrüsen des Mundes, oder, was noch näher liegend ist, das Sekret des Mundepithels dieselbe oder eine ähnliche Zusammensetzung hat, so ist es nicht ausgeschlossen, daß dasselbe im Munde unter der Einwirkung von bakteritischen Fermenten eine Spaltung erleidet, wobei als End- produkt Säure gebildet wird. Diese Wirkung würde zur Geltung kommen nur zu Zeiten, wo die Speichelsekretion still steht, so daß die immerhin geringen Mengen von Säuren, die sich bei der Gärung des Schleimes bilden, nicht sofort weggeschwemmt würden. Es liegt mir natürlich fern, diese Möglichkeit als eine festgestellte Tatsache hinzustellen. Wir haben bereits zu viele Theorien der Zahnkaries, als daß ich deren Zahl durch eine neue ver- mehren möchte, welche noch nicht genügend begründet ist.

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Die folgenden Versuchsergebnisse verleihen der eben aus- gesprochenen Möglichkeit eine gewisse Stütze. Ich leide persön- lich an Halskaries und zwar sind im Oberkiefer die Bikuspidaten und im Unterkiefer rechts der Augenzahn, links die beiden Bikus- pidaten und der 1. Molaris befallen. Bei allen Zähnen haben sich ziemlich tiefe Höhlen gebildet, von welchen ich nur einige ausfüllen ließ, da ich die übrigen zu Versuchszwecken benutzen wollte. Auch drei von den unteren Schneidezähnen sind am Halse bräunlich verfärbt und etwas erweicht, der vierte, der etwa 1 ımm hinter den anderen steht, ist noch intakt. Wenn ich nun Mund- höhle und Zähne gründlich säubere und etwa 1, Stunde später einen Streifen blaues Lackmuspapier zwischen Öberlippe und Alveolarfortsatz bringe und dort liegen lasse, bis es mit Schleim durchtränkt wird, so zeigt es eine schwache Rötung. Teile ich nun den Streifen der Länge nach in zwei Streifen und hänge diese einzeln in Flaschen, die ein paar Tropfen Wasser auf dem Boden haben, um Austrocknen des Papiers zu verhindern, und korke die Flaschen luftdicht zu, so wird der Streifen, der dann bei Körpertemperatur aufbewahrt wird, in etwa 3—4 Stunden stark gerötet sein, während der im Eisschrank aufbewahrte seine Farbe nicht ändert. Rolle ich nun den ersten Streifen zusammen und drücke damit fest auf blaues Lackmuspapier auf, so wird dasselbe auch durch die ausgedrückte Flüssigkeit stark gerötet. Bringe ich nun die im Eisschrank aufbewahrte Flasche in den Brutschrank, so rötet sich auch dieser Streifen nach einigen Stunden.

Streifen, die mit gemischter Mundflüssigkeit oder mit dem Sekret der Sublingualis und Submaxillaris allein getränkt werden. zeiven keine Rötung, und Streifen, die nach Durchtränkung mit Lippen- oder Wangenschleim mit einer 5proz. Karbollösung an- gefeuchtet werden, röten sich auch nicht.

Ich kann alle diese Erscheinungen nur durch die Annahme erklären, daB es sich um einen Gärungsprozeß handelt, wobei das Sekret der Lippen- und der Wangenschleimhaut teilweise in Säure umgewandelt wird. Ob es sich dabei um das Sekret der Schleim- drüsen oder um ein Sekret des Epithels handelt, konnte ich natürlich nicht entscheiden. Ich habe Gelegenheit gehabt, bei einer nur geringen Zahl von Patienten bis jetzt diese Ergebnisse zu kontrollieren, wobei die Versuche stets in derselben oder in ähnlicher Weise austielen. Sollten noch weitere Versuche diesen Befund definitiv befestigen, so hätten wir darin allerdings eine Erklärung für manche Erscheinungen, für welche man bisher eine befriedigende Lösung nicht gefunden hat.

Der 2. Vorsitzende Herr Dieck antwortet mit folgenden Worten: Der lebhafte Beifall der Versammlung drückt dem Herrn Vortragen-

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den bereits den Dank für seine ebenso interessanten als für die wissenschaftliche Forschung wichtigen Untersuchungen aus.

Hier handelte es sich um die Widerlegung einer neuen Karies- theorie. Wenn die uns allen bekannte Objektivität, Exaktheit und Gewissenhuftigkeit Millers bei seinen Forschungen einer Steigerung fähig würen, so würde das gewiß der Fall sein bei der Nachprüfung der Resultate anderer. Wir haben bei dieser Gelegenheit wieder den Beweis dafür erhalten.

Ich weiß nicht, ob sich eine Diskussion über die vorliegende so erschöpfend behandelte. Frage nach der Bedeutung des Mucins für die Karies der Zähne anschließen wird. Die Vorträge unseres geschätzten Herrn Vorsitzenden haben ja häufig das Schicksal, daß sie nur wenig oder gar nicht zu Diskussionen Veranlassung geben, und das hat seine Ursache einmal in der Gründlichkeit, mit welcher der Vortragsgeren- stand von ihm behandelt zu werden pflegt, andererseits in dem Charakter der behandelten Materie selbst. Wir sind es an Miller gewöhnt, daß er uns Neues bringt und ebenso, daß das Vorgebrachte auf dem festen Boden vorurteilsioser experimenteller Forschung steht. Und diese Anerkennung und Bestätigung bedeutet es, wenn sich oft keine oder nur eine geringe Diskussion an seine Vorträge anschließt. Ich möchte aber fragen, ob Jemand das Wort zu dem behandelten Gegenstande wünscht.

Herr Cohn: In einer Publikation las ich vor Jahren, daß bei gewissen Erkrankungen, besonders bei Hungerzuständen, das Sekret der Schleimdrüsen der Lippen saure Reaktion annehmen kann. Es ist nicht ausgeschlossen, daß bei Kntkalkungsprozessen am Zahnhalse diese saure Beschaffenheit eine Rolle spielen kann. Ich habe bei keil- förmigen Defekten das Sekret der Schleimdrüsen mit blauem Lackinus- papier geprüft und eine schwache Rotfürbung beobachten können. Sehr ausgeprägt ist die Reaktion! nicht, weil es schwer ist, reines Sekret in größerer Menge zu erhalten.

| Die Nachmittagssitzung wird eröffnet mit dem Vortrag des Herrn Böses

Gesichtsform und Zahnverderbnis.

Der Herr Vortragende unterscheidet einerseits Langköpfe und Kurzköpfe, andererseits Langgesichter und Breitgesichter. Die Lang- köpfe haben durchschnittlich die gleiche Neigung zur Zahnverderbnis wie die Kurzköpfe; aber die Langgesichter haben durchschnittlich schlechtere Zähne. Man findet bei ihnen oft breite Zähne bei schmalem Gaumen. |Ausführlich erscheint der Vortrag im „Archiv für Anthro- pologie und Gesellschaftsbiologie“.]

Der Vorsitzende Herr Römer dankt dem Redner für den hoch- interessanten eirenartigen Vortrag. Eine Diskussion findet des bevor- stehenden reichhaltigen Programms wegen nicht statt.

Es folgt die Mitteilung des Herrn Julius Witzel-Essen: Über einen seltenen Fall von Skorbut

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und dann dessen Vortrag:

Die Stauungshyperämie nach Bier und deren Anwendung als Heilmittel in der Zahnheilkunde.

[Vgl. D. M. f. Z. 1905, Augustheft, S. 494 und Ausführlicheres in der Zahnärztl. Rundschau.]

Diskussion. Herr Bösenberg-Hamburg weist auf den Heißluft- apparat Birgfelds hin.

Herr Hinrichsen-Kiel: Ich habe zur Heilung der Alveolar- pyorrhöe versuchsweise den Heißluftapparat angewandt, ohne eine sichtbare Veränderung der Krankheit zu bemerken, nachdem ich in 2 Wochen viermal den Apparat angewandt. Ich halte es jedoch nicht für ausgeschlossen, daß eine Reaktion eintreten kann mit dem durch einen Schlauch vervollkommneten Apparat, wie Herr Professor ihn uns vor- geführt hat.

Ich möchte aber Ihre Aufmerksamkeit auf den sogenannten kalten Eisenlichtapparat lenken, wie er in der dermatologischen Klinik in Kiel zur Behandlung von Haarkrankheiten mit Erfolg benutzt wird. Die Wärmestrahlen werden bei diesem Apparat durch fließendes Wasser absorbiert, so daß nur die ultravioletten Strahlen zur Wirkung kommen.

Ich habe in 2 Fällen eine Besserung der Alveolarpyorrhöe erzielt, glaube aber, daß wir eine operative Behandlung damit Hand in Hand gehen lassen müssen. Ich möchte die Herren Ko.legen zur Nachprüfun dieser Methode auffordern. Eine definitive Heilung habe ich noc nicht erreichen können.

Es folgt der Vortrag des Herrn Lipschitz.

Dritte Narkosenstatistik des Central-Vereins Deutscher Zahnärzte.

Bearbeitet von Zahnarzt M. Lipschitz in Berlin.

Trotz des Fortschrittes, den die lokale Anästhesie in den letzten beiden Jahren durch die Einführung der Adrenalinpräparate für die operative Zahnheilkunde gezeitigt hat, sind die Narkotika noch nicht überflüssig geworden. Das ist am besten daraus zu erkennen, daß im letzten Jahre 233 Zahnärzte, 23 mehr als im Jahre 1901, die Fragebogen des Central-Vereins Deutscher Zahn- ärzte zur Narkosenstatistik zurückgesandt haben. Unter den 233 Kollegen machen nur 18 keine Narkosen, eine so kleine Zahl, daß das Interesse, das der Narkosenstatistik entgegen- gebracht wird, wohl gerechtfertigt erscheint. Für das Zähl- jahr 1904 wurde die Versendung der Fragebogen wiederum nur auf Deutschland beschränkt, da die Teilnahme aus Osterreich-

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Ungarn und der Schweiz für die zweite Narkosenstatistik zu gering war.

Im ganzen sind von 215 Zahnärzten

für das Jahr 1904 10992 Narkosen für die früheren Jahre 18503 ö

zusammen 29495 Narkosen angegeben worden.

Es wurden angewandt:

Narkotikum | ie a Jahren zusammen Chloroform n a a e 27l4mal 3259mal 5973mal Äther . . . ur e 05 I 6S ,„ Chloroformäther nenn 6 Nr 5; 6,

Ather + Siedegemische von ` Ather . . . FOR 4 O , 4 Chloräthergemisch er 15; 0, 1% Chloroform-Sauerstoff . . 199 ,, 0, 199 ,, Ather + Chloroform . . | So 0, 3. Äthberrausch . . | 192 ,, 0 ,„ 192 SchleichscheSiedemischung l, 0 ,„ l Bromäther . . Ds 4445 10470 14921 „, Bromäther- Sauerstoff S 3l 0O, 131 ;;. Stickstotloxydul . .. . 1459 ,, 4385 p 5852 Athylehlorid . . 1127 382 y 159 Äthylchlorid + Chloroform Un 0, u, Anästhol . . . i Oye i l-z Unbestimmt. . . ... Re 0, 27 ,„ Zusammen | 10992 mal : 1550U3mal : 29495 mal

Nur Chloroform wandten 42 Zahnärzte an, also etwa I... Bromäther allein benutzten nur 19 Zahnärzte, also etwa is während nur 4 Zahnärzte mit Stickstoffoxydul und nur 1 Zahn- arzt mit Athvlchlorid allein anskamen. Die übrigen 149 benutzten 2 oder auch mehrere Narkotika. Dagegen haben Chloroform im ganzen 182 Zahnärzte angewandt, in früheren Jahren 52, im letzten Jahre 177, also 125, das sind 241 Proz. mehr. Bei dieser Berechnung muß natürlich berücksichtigt werden, daß nicht alle Zahnärzte die Zahlen aus früheren Jahren mitgeteilt haben. Sicher haben viele Zahnärzte. welche im letzten Jahre Chloro- formnarkosen gemacht haben. das Chloroform auch schon in früheren Jahren zur Narkose benutzt. Unter demselben Gesichtspunkte sind auch die tolzenden Zahlen anzusehen. Bromäther haben im ganzen 119 Zahnärzte anzewandt, in früheren Jahren 45. im letzten Jahre 106. Stickstoffoxvdul haben im ganzen 33 Zahn-

Verhandlungen der 44. Jahresversammlung des Centr.-V. D. Z. 685

ärzte angewandt, in früberen Jahren 16, im letzten Jahre 27. Die Zahl der Anhänger des Bromäther hat also um 61, das sind 136 Proz. zugenommen, die Zahl der Anhänger des Lachgases - um 11, das sind 69 Proz. Äthylchlorid haben im ganzen 19 Zahn- ärzte angewandt, in früheren Jahren 2, im letzten Jahre 19, das sind 17 = 850 Proz. mehr. Die Ätherrauschnarkose ist von 5 Kollegen benutzt worden.

Um genauere und vielleicht ganz einwandfreie Zahlen über die Zu- bzw. Abnahme in der Anwendung der einzelnen Narkotika zu erhalten, haben wir die Zahlen der letzten Statistik mit denen der ersten Statistik aus dem Jahre 1901, welches als Zähljahr genauere Angaben brachte, verglichen. Sehen wir von der kleinen Feblerquelle ab, die dadurch gegeben ist, daß sich bei der ersten Statistik 210, bei der letzten 215 Zahnäzte beteiligt haben, so ergibt sich: es wandten an: Chloroform Bromäther Stickstoffoxydul Atbylchlorid

1904 177 106 27 19 1901 159 110 40 8 +18 —4 —13 +11 für Chloroform ein mehr von 18 = 11,5 Proz., für Bromäther ein weniger von 4 3,6 Proz., für Stickstoffoxydul ein weniger

von 13 = 32,5 Proz., für Äthylchlorid ein mehr von 11 == 13,7 Proz.

Aus den angeführten Zahlen ersehen wir, daß Chloroform immer noch die meisten Anhänger aufzuweisen hat. Sicherlich bestehen die Gründe hierfür, die wir in dem Bericht über die erste Narkosenstatistik angegeben haben, fort, daß nämlich die meisten Kollegen die Narkosen in Gemeinschaft mit Arzten machen, denen die Anwendungsweise anderer Betäubungsmittel als Chloroform meist unbekannt ist. Vielleicht spricht auch für das Chloroform, daß durch seine Anwendung eine absolute Schmerz- losigkeit und ruhigeres Operieren von vornherein verbürgt wird. Bromäther ist nicht mehr so oft zur Anwendung gekommen, als in den Jahren 1901 und 1902, in denen es häufiger benutzt wurde, als alle anderen Narkotika zusammen genommen. Die Zahlen hierfür sind 6089 Bromäthernarkosen gegenüber 5414 Nar- kosen mit anderen Mitteln im Jahre 1901 und 7540 Bromäther- narkosen gegenüber 6478 Narkosen mit anderen Mitteln im Jahre 1902. So hat es den ersten Rang, den es unter den Betäubungsmitteln in früherer Zeit eingenommen hat, auch im letzten Jahre behauptet; den 6547 mit anderen Mitteln gemachten Narkosen stehen allerdings nur noch 4445 Narkosen mit Brom- äther gegenüber. Ein kleiner Teil der Anhänger des Bromäther dürtte wohl zum AÄthylchlorid übergegangen sein, das prozentua-

686 Verhandlungen der 44. Jahresversammlung des Centr.-V. D. 2.

liter die größte Zunahme aufweist, ein noch kleinerer Teil dürfte durch häufigere Anwendung der lokalen Anästhesie die Zahl der - Bromäthernarkosen eingeschränkt haben. 5 Kollegen haben eine Mitteilung bezüglich des letzteren besonders vermerkt. Man wird aber auch nicht fehlgehen, wenn man annimmt, daß durch die immer weitere Verbreitung der wirklich konservierenden Zahn- heilkunde die Zahl der Zahnextraktionen und damit die Zahl der Narkosen ein wenig eingeschränkt worden ist.

Vergleichen wir die Gesamtzahl der Narkosen aus dem Jahren 1901 und 1904 1901 = 11405 Narkosen 1904 = 10992 Be so ergibt sich unter Berücksichtigung des Umstandes, daß fünf Fragekarten mehr beantwortet wurden, die Tatsache, daß trotz des gerade im Jahre 1904 gemachten Fortschrittes der lokalen Anästhesie und der für dieselbe stattgehabten Propaganda, die Zahl der im Jahre 1904 gemachten Narkosen nur ganz wenig, und zwar um 413, hinter der vom Jahre 1901 zurücksteht. Die Verfechter der lokalen Anästhesie mögen bei der Beurteilung der Frage, ob lokale Anästhesie oder allgemeine vorzuziehen ist, sich auch der hier vorgetragenen Zahlen erinnern.

Auch für diese Statistik ist kein einziger Todesfall gemeldet worden, mithin beträgt die Mortalität nach der diesjährigen Statistik

beim Chloroform 0: 5973 Bromäther 0:14921 Stickstoffoxydul 0: 5852 Äthylchlorid 0: 1509.

Rechnen wir diejenigen Narkosen hinzu, die nur in der ersten und zweiten Statistik enthalten sind, bei denen für Chloro- form und Bromäther je 1 Todesfall gemeldet wurde, das sind für

Chloroform Bromäther Stickstoff- Äthylchlorid

oxydul III. Statistik 5973 14921 5852 1509 I. j 12838 27172 42921 651 II. = 16531 69908 12335 363 35842 112001 61108 2523

so beträgt die Mortalität

(nach der I. Statistik) (nach Gurlt‘ beim Chloroform 1: 35342 (1:14120) (1:2075) Bromäther 1:112001 (1:31288) (1:5396) Stiekstoffuxydul 0: 61108 (0:46963) „\thylehlorid 0: 2523 (0: 668)

Verhandlungen der 44. Jahresversammlung des Centr.-V. D. Z. 687

Diese Zahlen werden selbstverständlich nicht als absolut einwandfrei gelten können. Wir werden 1. berücksichtigen müssen, daß gerade diejenigen Kollegen, die einen Todesfall infolge der Narkose in der Praxis gehabt haben, besonders geneigt sind, ihre Mitteilungen zur Narkosenstatistik zurückzuhalten und 2. daß das Zahlenmaterial aus früheren Jahren öfter nur schätzungsweise angegeben worden ist. Wie viele Irrtümer da unterlaufen können, beweist der Umstand, daß einzelne Herren für dieselbe Zeit auf den einzelnen Fragebogen verschiedene Angaben gemacht haben.

Schwere gefahrdrohende Erscheinungen wurden beim Chloroform 23mal beobachtet und zwar 7mal Kollaps, 8mal Asphyxie, 1 mal drohende Asphyxie, 1 mal Kollaps nach 6 Stunden; in 6 Fällen war dıe Ursache nicht angegeben. An leichteren Komplikationen sind beobachtet worden, 1mal Epilepsie, 1mal tiefe Ohnmacht nach der Narkose, 1mal starker Ikterus nach 2 Tagen, 1mal schwacher Puls, 11 mal Erbrechen, 3mal häufiger Erbrechen; in 23 Fällen war die Ursache nicht angegeben.

Beim Bromäther traten 10mal schwere, gefahrdrohende Erscheinungen auf und zwar 3mal Kollaps, 3 mal Asphyxie, 1mal Tremor; in 3 Fällen war die Ursache nicht angegeben, 1mal bei cor adipos., imal bei starker Anämie. Von leichteren Kom- plikationen wurden bemerkt 1mal vorübergehende Cyanose, 4 mal Schrei- bzw. Weinkrämpfe, darunter imal stundenlang, imal mehrere Stunden anhaltende Herzschwäche, 1 mal große allgemeine Schwäche, 19mal starke Exzitation (eine Angabe betrifft mehrere Fälle), 4mal leichte Exzitation, 7mal Erbrechen; 1 beobachtete Erbrechen einigemale, 1 bisweilen, 1 fünf Stunden lang, in 3 Fällen war die Ursache nicht angegeben; in etwa 10 Fällen konnte eine Narkose trotz Verabreichung von 15, 25 und 30 g nicht erzielt werden.

Beim Stickstoffoxydul wurden 2mal schwere gefahrdrohende Erscheinungen wahrgenommen, 1mal Synkope, in 1 Falle war die Ursache nicht angegeben, 1 beobachtete öfter Cyanose.

Beim Ätbylchlorid sind 5mal schwere, gefahrdrohende Er- scheinungen beobachtet worden und zwar 1imal Kollaps, 1mal Aussetzen des Pulses, 3mal olıne nähere Angabe. An leichteren Komplikationen sind angegeben 2mal Ohniachten, 2mal Wein- kräınpfe. In 10 Fällen fehlte die Angabe der Ursache. 1mal konnte trotz Verbrauches von 22 g keine Narkose erzielt werden.

Meine Herren! Die Narkosenstatistik findet nur noch für das Jahr 1905 statt. Wir hoffen, daß im letzten Zähljahre sich noch mehr Kollegen an derselben beteiligen werden als früher. Denjenigen Herren, die bisher ihr Material eingesandt haben, sei auch an dieser Stelle herzlich gedankt.

688 Verhandlungen der 44. Jahresversammlung des Centr.-V. D. 7.

Anhang.

(Chl. Chloroform, Br. = Bromäther. St. Stickstoffoxydul.

I; one ler 25 Chl. in früberen Jahren, stets gut. 2. Arendt-Berlin: 9 Chl., 42 St. 3. A. in N.: 16 Chl., 94 St. + O, Chl. in schweren Fällen das Beste.

16. 17. . Bolstorff-Berlin: 1 Chl, 68 St. 19.

20.

St. für Männer weniger geeignet.

. B. in K: 2 Chl, S St., glatter Verlauf. . Bachmann-Leipzig-Gohlis: 12 Chl., 1 Br., Chl. gut. . Bahr-Hirschberg: 2 Chl., Narkose für den Zahnarzt fast ganz ent-

bebrlich.

.A.B. in K.: 12 Chl., 2>< Erbrechen.

. Behnke-Berlin: 1 Br., günstig.

. Berger-Neiße: 5 Chl., 11 Br., Br. geeigneter als Chl.

. Beyer-Berlin: 6 Br., gut.

. Bieber-Schneidemühl: 22 Chl., 2 Br., Chl. 1>< Puls und Atmung

sistiert; 2>< Erbrechen.

. Bilstein-Berlin: 8 Chl., 20 Br., 2 Chl. + Ather.

. Birgfeld-Hamburg: 2 Chl

. Bochholdt-Stuttgart: 14 Chl., 1>< leichte Komplikation.

. Bodenstein-Dortmund: 59 Chl., 45 Br. (in früheren Jahren 178 Chl.,

204 Br.). Chl. bisweilen leichte Komplikation, jedoch belanglor. Schreite nur in unvermeidlichen Fälten zur Narkose.

B. p SE 15 Chl., 1 Br., 1>< plötzlicher Nachlaß der Herzaktion bei 8 g Chi.

Boldt-Berlin: 37 Chl., 75 Br. (in früheren Jahren 15 Chl., 18 Br.)

Bolten-Husum: 29 Chl., 17 St., infolge Anwendung der Lokal- anästhetika Eiuschränkung der Narkosen.

Bretschneider-Elmshorn: 24 Chl., befriedigend. Leichte Kompli- kation 1>x<.

21. Brusendorff-Berlin: 12 Chl. (in früheren Jahren 10 Chl.), zufrieden.

22. Bünger-Burg: 12 Chl., 4 St. (in früheren Jahren 95 Chl., 10 Br.,

15S St.); bei Chl. einigemale tiefe Ohnmachten post narcos. Injek- tionsanästhetika werden die Narkosen immer mehr verdrängen.

23. C. in RB.: 2 Chl. 1 Br.

30.

31.

2.)

Jo.

. D. in W.: 7 Chl., 2>< Chl.-Äther. . Carsten-Rendsburg: 6 Chl. (in früheren Jahren 104 Chl., 153 Br.).

Chl. für längere Operationen, bei Br. 1>< Asphyxie, 1>< Exzitation, allgemein günstige.

;. Chaste-Zerbst: 1 Chl., 29 Br., befriedigend, bei Br. 4>< leichte

Exzitation; 1>< heftiges Schreien; 1>< nicht tief genug.

27. Crone-Leipzig: 2 Chl., gut. 28. 29.

Detzner-Speyer: 23 Chl, 9 Br.

Dreyer Berlin: 13 Chl., 4 Br., Chl. 1>< Erbrechen während der Narkose. Br. 1>< starke Exzitation, zieht Chl. vor, da man ruhiger operieren kann.

Dürr-Berlin: 4 Chl., 12 St. iin früheren Jahren 2 Chl., 7 St). Wo tiefe Narkose nötig, Chl. das Beste St. hat in einigen Fällen völlig versagt. |

E. in B.: 5 St., mitunter von zu kurzer Dauer. Kichhorn-Ascherleben: 11 Chl, 2 St., 56 Athylchlorid. Bei Chl. 1>< Kollaps, bei Atbylehlorid 2>< Ohnmachten. Chl. für größere KEingritte, sonst reicht Athylchlorid aus.

Verhandlungen der 44. Jahresversammlung des Centr.-V. D. Z. 689

93. Eliascheff-Insterburg: 42 Chl., 34 Br.

34. Engel-Saarbrücken: 3 Chl., 8 Br.

35. Falk-Breslau: 1 Chl., 1 Br. (in früheren Jahren 2 Chl., 4 Br...

30. Faubel-Dortmund: 13 Chl., 2>< Erbrechen, für größere Operationen unentbehrlich.

3. Fischer-Hannover: 2 Chl., 25 Br., bei Chl. 1>< gefahrdrohende Kom- likation; bei Br. 3>< gefahrdrohende Komplikation. Br. 2x leicht, urze, aber gute Narkose.

35. Forkel-München: 9 Chl. {in früheren Jahren 33 Chl., 2 Br.).

39. Frey-Ems: S Chl. 32 Br.

40. v. Freyberg-Berlin: 10 Br., 15 St. E

41. Friedemann-Hameln: 7 Chl.. 14 Br., 1>< Ather {in früheren Jahren 4 Chl., S Br. ; bei Chl. häufig Erbrechen vor Eintritt der Narkose, für größere Operationen das Beste. Br. für kleinere Operationen, bei Männern bisweilen nicht tief genug.

42. Frotscher-Plauen: 4 Chl., 17 Br., bei Br. 1>< Kollaps.

3. Fuchs-Gnesen: 17 Chl., gut.

44. G. in H.: S Chl., 7 Br., stets normaler Verlauf.

45. Giese-Viersen: 1 Chl.

46. Giete-Stolp: 14 Chl., tiefe Narkosen.

47. Grebe-Berlin: 18 Chl, 1 Br, 39 St. Chl. gut, St. sehr gut.

45S. Greve-München: 2 Chl., 1 Br. Br. gut.

4. Gutbrod-Schlettstadt i. Els.: 10 Chl., S Chloräthyl. (in früheren Jahren etwa 50 Chl., etwa 20 St.). Chl. für größere Operationen unentbehrlich. Athylchlorid nicht so ungefährlich, wie man glaubt. 1>< schwerer Kollaps. 2 .

30. Guttmann-Breslau: S Chl.. 1>< Ather. Chl. günstig, Ather nicht befriedigend. ,

51. H. in B.: 2 Ather.

32. H. in C.: 27 Chl, 6 Br. ‚in früheren Juhren 32 Chl., 9 Br), bei Chl. 1>< Kollaps.

53. Haase-Mittweida: 2 Chl.. 382 Br. (in früheren Jahren ca. 2500 Br.).

Br., leichtere Komplikationen nicht selten bei Anämischen und

Hysterischen. Bei schwierigen, zeitraubenden Operationen ist Chl.

nicht zu umgehen, ın den weitaus meisten Fällen genügt Br.; er

ist relativ ungefährlich und versagt fast nie.

4. Hachtmann-Miarburge: 36 Chl., 12 Br., 1>< Ather (in früheren Jahren

ca. B50 Chl, ca 200 Br). Chl, 2>< leichtere Komplikationen.

a0. Hederich-Naumburg: 17 Chl, 10 Ather. Chl. wut. Ather gut. Chl, 2>< leichtere Komplikationen.

»6. Heidecke-uörlitz: 10 Chl.

De. Heitmüller-Göttingen: 2 Chl, 23S Br.

55. Hevder-Pr. Stargard: 12 Chl., gut. M

o9. Herrenknecht- Freiburg i. B.: 1 Chl, 245 Athylchlorid (in früheren Jahren ca. 500 Chl., ca. 20 Br., 362 Athylehlorid.). Chl. befriedigend. Br. nicht sehr befriedigend. Athylchl. befriedigend.

66. Hentze-Kiel ‚zugleich tür die zahnärztliche Universitäts-Poliklinik): 9 Chl., 250 Br, 5 Athylchl. ¿ün früheren Jahren ca. 130 Chl. ca. SUD Br., 12 St., ca. 20 Athylehl.). Chl. nur bei größeren Ope- rationen kann man die Anwendung verautworten. Br. sehr gut. 2>< gcfahrdrohende Erscheinungen, 1>< bei cor adipos., 1>< bei starker Anämie. Untersuchung von Herz und Lunge unbedingt notwendig. 1>< heftigste Exzitation und Erbrechen. ohne genügende Narkose zu erhalten.

61. Heuler-Stuttgart: 9 Chl.

XXIII. 44

7 í ~ =

640 Verhandlungen der 44. Jahresversammlung des Centr.-V. D. Z.

62. 3. G4. 65. 66.

oi.

HS. 69. . Hüsten-Köln: 59 Chl., 55 Br., 10>< Chloräthyl. Chl. befriedigend:

ol.

2. 3. Krille--Hamburg: 8 Br. 94, 95.

Heymann-Berlin: 2 Chl., 1 Br.

Hindrichsfeld-Stettin: 11 Chl.

Hoebel-Blankenburg a. H.: 4 Chl. in früheren Jahren 8 Chl.;; gut. Höhlke-Berlin: 27 Br. ‘in früheren Jahren ca. 300 Br.), dureh- schnittlich befriedigend.

Hohn-Güstrow: 10 Chl., 1 Br.

Holschauer-Krotoschin: 3 Chl. :in früheren Jahren 23 Chl., 30 Br.. 140 St.), bei Chl. 2>< Erbrechen; wende jetzt fast nur lokale An- ästhesie an und erziele glänzende Resultate.

Hübner-Breslau: 1 Br. 'in früheren Jahren 11 Br.).

Hülse-Posen: 12 Br. Br. zuverlässige. gefahrlose, kurze Narkose.

1>< leichtere Komplikation. Br. sehr gut. Chloräthyl wenig be- friedigend.

71. Jaeger-Gießen: S Chl. (in früheren Jahren 11 Chl.). Chl. stets gut. . Jalowicz-Berlin: 7 Chl., 17 Br. Bei Chl. Erbrechen; bei Br. Kollaps.

hysterische Krämpfe und Erbrechen.

3. v. Janicki-Berlin: 101 Br. Br. sehr zufrieden, einigemale Er-

brechen.

. Jasper-Heide (Holstein): Chl. 31, 1>< Atmung sistiert 3—5 Min., gut. . Janßen-Charlottenburg: 27 Chl., 1 Br. Chl. normaler Verlaut.

. Jantzen-Oppeln: ‘in früheren Jahren 2 Br...

. Jonas-Breslau: 24 Br. (in früheren Jahren 57 Br... Br. sehr gut.

2< starke Exzitation.

. Jordan-Berlin: 25 Chl., 3 Br., 4>< Äther. Chl. befriedigend. Br.

bei wenigen Extraktionen befriedigend. Ather zeitraubend.

. K.-Dresden: 3 Chl., 2 Äther. «in früheren Jahren 3 Chl., 2 Br...

Chl. gut.

. Kalisch-Brandenburg a. H.: 24 Chl., glatt verlaufene Narkosen. . Kaßendieck-Cöthen: 18 Chl., 3 St. (in früheren Jahren 265 Chl.,

5 St... Chl. ohne Schwierigkeiten und Folgen. St. leicht.

2. Kollin-Stettin: 5 Chl. 1>< Asphyxie. 3. Kersting-Aachen: 3 Chl. 65>< Chloräthyl, davon 7+ Chl. Chlor-

äthyl sehr gut für kurze Narkosen; bei zahlreicheren Extraktionen wit Erfolg durch Chl. verlängert.

. Kirchner-Königsberg: 6 Chl., 12 Br. (in früheren Jahren 320 Chl.,

914 Br., 1204 St...

. Kittlein-Berlin: 2? Br. Br. stets ausreichend, starke Exzitation,

stundenlange Weinkrämpfe. Chl. und Br. gut.

. Kiwi-Berlin: 7 Chl. (in früheren Jahren 9 Chl.). . Klix-Frankfurt a. 0O.: 3 Chl., im allgemeinen Gegner der Narkose

zu zahnärztlichen Zwecken.

. Klöres-Einden: 16 Chl., 24 Br. Chl. öfter mit Äther 1:3 gemischt:

2>< leichtere Komplikationen.

. Knüll-Berlin: 55 St. ‘im Jahre 1903 150 St. ; stets zufrieden. ,

Körner-Halle: 3 Br., 252 St.; bei St. öfter Cyanose, auch bei Zu- satz von 3 Proz. O. St. für zahnärztliche Zwecke tadellos. Kohl-Wolfenbüttel: 5 Chl., 1>< Ather. Chl. gut, Ather nur für

kurze Operationen. 3 | Koppen-Aachen: 29 Chl., 1 Br.. >< Ather, 8 ?:

Krüger-Neubrandenburg: 5 Chl. ö Krüger-Wismar: 54 Chl. 13 Br.: bei Chl. 1>< gefahrdrohende Er- scheinungen il1ljähr. Kind).

Verhandlungen der 44. Jahresversammlung des Centr.-V. D. Z. 69]

J6.

97. 95,

99.

Im.

101. 102, 103.

114.

105. lix. 107. Jam.

109. 110.

111.

113.

be th bc jet NE Su Rus Ss ct N

Krull-Baden-Baden: 72, Chl, 1 Br.. 50 Athylchlorid. Bei Chl. 1>< schwerer Kollaps. Athvlchl. befriedigend. 2>< getahrdrohende Erscheinungen. 10 leichtere Komplikationen.

Kruppsche Zahnklinik, Essen: 1 Chl., 405 Athbylehlorid. Kühl-Minden: 16 Chl, i : Kusch-Dresden: 158 Atherrausch. 1>< schwerer Kollaps. Ather. recht gut; recht schwer bei hysterischen und nervösen Personen.

L. in F.: 14 Chl., 44 Br., 1>< Athylchlorid. Bei Br. 1>< starkes Erbrechen, 1>< Erbrechen + Exzitation, 1>< Exzitation, 1>< wein- krampfartiger Zustand nach der Narkose.

L. F. in G.: 14 Chl., 379 Br.; bei Chl. 1>£ gefahrdrohende Erschei- nungen, 2x leichte Komplikationen. Br. tadellos. Lehfeldt-Magdeburg: 12 Chl., 12 St. St. für kurze Narkosen sehr gut; 1>< Synkope, 1>< ? | Levy-Hamburg: 3 Chl., 1 Br. (früher 15 Chl., S Br.) Chl. und Br. gut. 1>< reichte Br. nicht aus.

Ließ-Liineburg: 13 Chl., 2 Br., 4>< Ather und Siedegemische mit Ather (früher 39 Chl.. 85 Br., 26 St... Bei Ather und Ather- eemischen oft unruhiges Verhalten der Narkotisierten. Limper-Aschaftenburg: 14 Chl., 197 Br. (früher 56 Chl., 136 Br.). Br. ın der Kinderpraxis nicht zu entbehren.

Linke-Breslau: 6% Br. (früher 251 Br.).

Lipschitz-Berlin: 27 Br. (früher 14 Chl., 1245 Br.). Br. gut. Luhmann-Lüdenscheid: 12 Chl., 9>< Atber. Chl. gut. Ather, Verlauf sehr gut.

M. in K: 17 Chl, 1>< Ather (früher 13 Chl.'.

M. in L.: 72 Chl, 22 Atherrausch. Chl. durchweg zufrieden. Atherrausch. zu viel Exzitationen.

Marschhausen-Verden: 115 Br. (früher ca. 17 Chl., ca. 1073 Br... Chl. entbehrlich. Br. gut.

. Matheus-Bad Dürkheim a. d. H.: 57 Chl., 10 Br., 1>< Äthylchlorid.

Bei Chl. 1>< Kollaps, 1>< Asphyxie, 1>< wegen Epilepsie unmög- lich. Chl. sehr Br. gut. 1>< große Schwäche, 1X schlechte Narkose nach 2><15 g. Ather sehr gut.

Merkel-Plauen: 3 Chl., 1 Br., 38 St. (früher 7O St.). Bei Chl. 1x drohende Asphyxie; Chl. zu meiden. Br. nicht ungeführlich genug. St. wegen der relativen Gefahrlosigkeit namentlich + O. allein vorzuziehen.

. Meinke-Charlottenburg: 1 Chl., 119 St. St. aut.

. M. in E: 6: Br. (früher 97 Br.). Br. gut.

. Mex-Berlin: 2 Chl. . Michel-Würzburg: 3 Chl., 36 St. :180 Chl., 42 Br., 1902 St.). Bei

Chl, 1>< leichte Komylikation. Chl. Anschütz gut. Bei St. Cya- nose, sonst sehr zufrieden.

. Moeller-Rothenburg a. T.: 15 Chl.

. Mögrelin-Landsberg a. W.: 3 Chl, 25 Br.

. Möhring-Hamburg: 3 Chl., 12 St. S

. Müller-Nienburg: 25 Chl., 29 Br.; bei Chl. 1>< schwerer Kollaps.

Chl. nur für längere Operationen. Br. für kurze Eingriffe hervor- rarrend.

. Müller-Kreuznach: 1 Chl., 1 Ather. Chl. gut. Ather gut.

. Müller-Weißenfels: 1 Chl.

. Mustert Lehr: 59 Chl.; stets befriedigt.

. Nawroth-Waldenbnrg: 2 Chl., 7 Atbylchlorid (früher 2 Chl., 20 Pr.,

14°

692

Verhandlungen der 44. Jahresversammlung des Centr.-V. D. Z.

50 St... Chl. gut zu entbehren. Br. zufriedenstellend; einigemale Exzitation. St. unbequeme, Anwendung.

i Neberky-Dresden: ;; Br., 9 Ätherrausch. Bei Br. Übelkeit. Atherr.

sehr gut.

. Newiger-Berlin: 7 Chl, 4 Br. Chl. und Br., normaler Verlauf. . Neumann-Danzig: 1 Chl., v Br. . Neuschmidt-Dortmund: 8 Chl., 4 Br. Bei Chl. 1>< Kollaps nach

6 Stunden.

. Noack-Cöln: 7 Chl.: Chl. gut.

. Nottebom-Friedrichroda: 3 Chl., 22 Br. Br. gut; 3> erfolglos.

. Ott-Bad Homburg: 45 Chl, 3 Br.

. P. in H.: 1 Chl; normaler Verlauf.

. Palleske-Berlin: 1 Br., 3 St. (früher 16 St...

. Pankow-Königsberg i Pr.: 1 Chl.. 4>< Athylchlorid. Lokale An- 'ästhesie mit Kokain-Adrenalin hat fast jede Narkose bei mir

verdrängt.

. Fape-Nordhausen: 25 Chl, > St. Chl. gut. St. mit O. verwendet,

sehr ruhig.

. Paul-Oschersleben: 145>< Chloräthyl; 2>< Weinkränpfe nach der

Narkose, sonst sehr zufrieden.

. Peters-Frankfurt a. M.: S Chl, S Br. Bei Br. 2>< trotz 30 g ohne

Erfolg.

. Philipp-Lüneburg: 1>< Chl.-Äther. . Philippson-M.-Gladbach: 33 Chl., 47 Br, 1>< Chloräthrl. Chl. für

länger dauernde, Br. für kleine Operationen.

. Pleßner-Berlin: 6 Chl. 1>< Ather. Chl. gut. . Plumeyer-Altona: 2 Cbl., 2>< Atherrausch. Atherr. für kleine

Operationen befriedigend.

. Polscher-Dresden: 17 Chl., 1 Br., 1>< Äther, 1>< Anästhol. Chl.

durchaus befriedigend.

. Prochnow-Königsberg i. Pr.: 4 Chl. (früher 3 Chl., 1 Br.). Chl. gut. . R. in G.: 9 Chl. 10 Br. früher 172 Chl., 550 Br.j. Bei Chl. war

1>< künstliche Atmung nötig: bei Br. 1>< Narkose trotz 10 unmöglich.

Redes-Magdeburg: 1 Chl. . Richter-Görlitz: 2 Chl. . Richter-Leer: 35 Chl. Chl. zur Narkose am geeignetsten; 1X

gefahrdrohende Erscheinungen.

. Rittler-Berlin: S Chl.; glücklicher Verlauf. w- . Rohde-München: 5 Chl. ‘früher 20 Chl.. 15 Brè Bei Chl. An-

schütz (höchstens 15—20 g Chl.) niemals schlimme Nebenrir- kungen.

. Rosemann-Liernitz: 27 Chl, 1 Br. | . R. in G.: 4 Chl.; durchaus vorzüglicher Verlauf. l . Rümpler-Linden i. B.: 6 Chl, 1>< Äther (früher 3 Chl.). Bel Chl.

1>< gefauhrdrohende Erscheinungen.

. Ruperti-Duisburg: SS Chl., 9 Br. früher 59 Chl, 27 Br.). Bei Chl.

2>< leichtere Komplikationen.

55. S. in H.: 2 Chl. früher 1 Chl.). Chl. befriedigend. ‚hit 36.8. in G.: 74 Chl, 622 Br. Bei Chl. Erbrechen; Chl. Anschul2

empfehlenswert. Br. vorzürliches Mittel.

. Sachse-Leipzig: 5 Chl, 6 Br. Bei Chl. 1>< Kollaps _ . Seefeld-Berlin: 27 Chl., 17 Br. früher 3 Chl., 21 Br.) Chl. und

Br. gut.

Verhandlungen der 44. Jahresversammlung des Centr.-V. D. Z. 603

150. Schwisow-Hawmburg: 2 Chl., 97 Br. Bei Br. 1>< Kollaps; Br. dureh- aus zuverlässig.

150. Seidel-Berlin: 1 Chl. (früher 1 Chl.); ohne Komplikationen.

101. Selowsk ‚Magdeburg: 59 St. ifrüher 317 St... St. sebr brauchbar.

162. Siebert-Düsseldorf: 21 Chl., W Br.

153. Smith-HadersIcben: 5 Chl., 56 St. (früher 10 Chl.. 3 Br.). Bei Chl. Erbrechen post Narkose. 'St. sehr zufrieden.

154. van der Smißen-Neumünster: 15 Chl.

145. Sommer-Gotha: 9 Chl., 10 Br. (früher 60 Chl.. 117 Br., 55 St.). Bei Chl. 1>< Kollaps. Chl. und Br. zufriedenstellend.

166. Simon-Gera: 8 Chl.; niemals Nachteile.

167. Sprengel-Hannover: 4 Br.: 1>< Erbrechen.

168. Sprenger-Stettin: 64 Chl. (früher 337 Chl.\. Bei Chl. 1>< Kollaps; sehr zufrieden. Chl. das beste und sicherste Narkotikum.

159. Schachtel-Breslau: 1 Chl. früher 1 Chl., 2 Br... Bei Chl. 1x

roße Pulsschwäche.

170. Scharnweber-Hamburg: 14 Chl., 7>< Äthylchlorid. Bei Chl. 1>< Kollaps, 1>< leichtere Komplikationen. Bei Athvlchlorid setzte Puls zeitweilig aus; 1>< war trotz 22g keine Narkose zu erzielen.

171. Schmidt-Nordhausen: 273 St.; mit 20 Proz. Sanerstotf gemischt vorzügliche Erfolge.

‘2. Schmidt-Diez a. d. Lahn: 66 Br. (früher ca. 700 Br. Für zahn- ärztliche Zwecke Br. das geeignetste Narkotikum.

173. Scholtz-Karlsruhe: 1 Br. Wegen des Gebrauchs von Kokain “wurden in den letzten 4 Jahren immer weniger Narkosen nötig.

174. Schreiber-Liegnitz: 47 Chl. Chl. sehr gut.

175. Schroeder-Hagen: 32 Chl., 95 Br.

176. ou -Eisenach: 53 Chl. Chl. unter Leitung eines Arztes das

este

177. Schüller-Zülpich: 13 Chl., 3 Br., 2 Ather, 1 Athylchl. (früher 6 Chl., 2 Br.. 3 Äther... Chl. sicherste Narkose. Bei Br. 1x Versagen

[Potator) und vorübergehende Cyanase.

178. Schulte-Ebbert-Dortmund: 1 Chl. (früher 20 Chl..

179. Schulz-Berlin: 6 Br. iftrüher 33 Br.).

150. Steifen-Cuxhaven: 23 Chl. Bei Chl. leichte Komplikationen,

Atmungsstockung, Erbrechen. 2

1S1. Stein-Mannheim: 117 Chl, 11 Ather, 119 Äthylehlorid. Chl. für tiefe Narkosen. Br. wirkt langsam; bei Herzfehler gut. Athyl- chlorid bei kleinen Operationen gut.

152. Stemmler-Koblenz: 31 Chl., 1 Br.

183. Sterz-Madeburg: 5 Chl., 10 :?). Bei Br. 1>< Tremor und Er- brechen (5 Stunden).

154. Struck-Parchim: 25 Chl., 3 Br. Chl. bei individueller Dosierung das sicherste Narkotikum.

155. Stübbe-Berlin: 3 Chl., 2 Br., 1 Schleich-Mischung.

156 v. Tempski-Konitz: 105 St.; gut.

157. Thormever-Berlin: 49 Chl., 440 Br., 731 bromäthyl-Sauerstott, 199 Chl.-Sauerxtoff. Letztere besser als, Chl. und Br. allein.

15S. Toermer-Meiningen: 15 Chl, 22 Br., 1 Ather, 1 \ther-Chl., 1 Chl.- Athergemisch (früher 60 Chl., 15 Br.) Bei Chl. 2>< schwere gefahrdrohende Erscheinungen, '1>< nach ? Tagen starker Ikterus. Chl. bei Tropfmethode gut verlaufen, Br. bei langsamer Narkose durchweg gut.

189. Ungewitter-tera: \3 Br.

199. Voerckel- lead. 19 Chl. 1 Br. Chl. gut.

694 Verhandlungen der 44. Jahresversammlung des Centr.-V. D. Z.

191.

Vogel-Berlin: 5 Chl, 43 Br. ifrüher ca. 100 Chl). Chl. noch immer das beste Narkotikum. Chl. I>< versagt. Br. nicht immer zuverlässig.

2; I ee S Chl. Chl, für schwere und große Sachen das

Einzigste und Beste.

.W. in Z: 4 Chl, 1 Br. Chl. und Br. gut.

. Wambach-Neuwied: 20 Chl., 1 Br., Chl. sehr zuverlässig.

. Weichardt-Oldenburg: 12 Chl, 1 Athylchlchorid. Chl. gut.

. Wenzel-Berlin: 12 Chl. (früher 4 Chl.). Chl. sehr gut bei größeren

Operationen.

. Wessel-Frankfurt a. M.: (früher 4 Chl.) . Wilberg-Berlin: 3 Chl., 29 Br. (früher S Chl, §1 Br.‘. Chl. gut.

Br. in 3 Füllen nicht zuverlässig; 1>< leichter Erstickungsanfall.

. Wild-Zwickau: Infolge häufiger Verwendung von Kokain wenige

Narkosen.

. Will-Schwerin: 2 Chl., 34 St. Chl. vorsichtig anzuwenden. ^t,

für kleinere Operationen bequem und sehr zufriedenstellend.

. Windmüller-Hamburg: 5 Chl., 6 Br. (früher Chl. und Br. melırere

Hundert). Chl. für größere, Br. für kleinere Operationen.

202. Witt sen.-Gotha: 23 Chl, 1 Br., 8 Ather. Bei Chl. 1>< durch

203. 204.

205.

200.

207.

as, 209, li),

211.

219

>13. 214.

2,

die

Fettherz sehr erschwert. Chl. und Ather für größere, Br. für kleinere Operationen.

Wolttson-Hamburg: 28 Chl. Bei Chl. Tropfmethode nach vor- heriger Injektion von 0,005 Morph. hydrochloric., ideal. Wuerstmacher-Berlin: 9 Chl., 113 St. (früher 20 Chl, 3 Br. 291 Sti.

X. in P.: 32 Br. (früher 1 Chl., 246 Br.). Bei Br. 1>< künstliche Atmung nötig, 1>< mehrere Stunden Herzschwäche. Leichtere Komplikationen 2X.

Zahnärztliches Institut Breslau: 234 Br. (früher 256 Br.). Bei Br. hin und wieder Vomitus post narc., besonders bei vollem Magen. Eine große Anzahl von BromäthylInarkosen wurde mit Morphium- injektion ausgeführt. Zander-Greifenberg: 5 Chl., 6 Br. Chl. für längere Operationen stets gut. Br. stets gut.

Zang-St. Johann: 1 Chl., 60 St.

bettel-Erfurt: 21 Chl. Leichtere Komplikationen 2X. Zumbült-Neuß: 27 Chl., 10 Br., 20 Athylchlorid.

?-Blankenese: 31 Chl, 9 Pr.

X.-Breslau: 2 Br.

?-Heidelberg: 1 Chl, 9 Br. Bei Chl. und Br. Verlauf normal.

A. A. A.: 13 Chl, 1 Atherrausch. Chl. gut. f 9.Rudolstadt: 7 Chl., ? Chl.-Ätber. Chl., ?>< leichtere Kom- U das zuverlässigste Narkotikum: ev. mit Ather dir \rkose fortzusetzen.

Der Vorsitzende dankt dem Redner für die mühevolle Arbeit. die Zusammenstellung der Statistik erfordert.

Verhandlungen der 44. Jahresversammlung des Centr.-V. D. Z. 695

Sitzung am Sonntag, 5. August.

Erbringung des Beweises,

dab die Tomesschen Dentinfasern identisch sind mit den von

Kölliker zuerst beschriebenen Dentinkanälchen, d. h. dab

sie nicht nur den Inhalt der Köllikerschen Dentinkanälchen darstellen, sondern Inhalt und Neumannsche Scheide.

Von Privatdozent Dr. med. Römer in Straßburg i. E. (Mit 15 Abbildungen.)

Meine Herren! Ich war erstaunt, als ich in der neuesten Auflage des Scheffschen Handbuches las, dab v. Ebner trotz meiner 1898 99 erschienenen Arbeit über die Tomesschen Fasern immer noch auf dem Standpunkt stehen geblieben ist, daß die Tomesschen Fasern oder ÖOdontoblastenfortsätze andere Gebilde wären als die von Kölliker zuerst 1854 beschriebenen Zahn- beinröhrchen. v. Ebner schreibt:

„Die Zahnkanälchen lassen sich durch Maceration des Zahn- knorpels in starken Säuren und Alkalien isolieren, und diese Isolierbarkeit beruht auf der Anwesenheit einer besonderen Wan- dung der Röhren, welche sehr widerstandsfähig und von der leim- gebenden Grundsubstanz verschieden ist. Diese besonderen Wan- dungen der Zahnkanälchen, „die Zahnscheiden Neumanns“, lassen sich auch an dünnen Querschliffen der Zahnbeinkanälchen, wenn auch nicht immer, wahrnehmen.“ Das ist alles richtig, nun sagt er aber weiter: „Im Innern der Zahnkanälchen finden sich die von Tomes entdeckten Zahnfasern, welche mit den Zellen an der Oberfläche der Pulpa zusammenhängen usw.“ Sie sehen also, daß v. Ebner die Zahnkanälchen mit ihren wider- standsfähigen Wandungen. den sogenannten „Neumannschen Scheiden*, noch immer für die Behälter der Tomesschen Fasern hält, während ich durch meine Untersuchungen klar genug bewiesen zu haben glaube, dat Zahnkanälchen und Tomessche Fasern vollständig identische Gebilde sind, das heißt, dat die Tomesschen Fasern nicht bloß den Inhalt der Zahnkanälchen bilden. sondern Inhalt und Neumanns Scheide zusammen dar- stellen.

Ich halte mich daher für verpflichtet, bei der diesjährigen Tagung des Central-Vereins deutscher Zahnärzte. Sie alle zu Schiedsrichtern in dieser Frage zu machen und hoffe. dati es mir gelingen wird, vor dieser hohen Versammlung den Beweis zu

696 Verhandlungen der 44. Jahresversammlung des Centr.-V. D. Z.

erbringen, daß wirklich die Zahnbeinröhrehen Köllikers mit den Tomesschen Fasern vollständig identisch sind.

1854 hat Kölliker in seiner mikroskopischen Anatomie folgende auch heute noch fast vollständig zutreffende Beschrei- bung der Zahnbeinröhrchen gegeben:

„Die Zahnkanälchen sind mikroskopisch sehr enge Röhrchen. welche mit freien Mündungen an der Wand der Zalınhöhle be- ginnen und durch die ganze Dicke des Zahnbeines bis an den Schmelz und das Zement verlaufen. Ein jedes Zahnkanälchen hat eine besondere Wand, die nur an quer durchschnittenen Kanälchen als ein schmaler gelblicher Ring um sein Lumen zn erkennen ist. Was man an Querschnitten gewöhnlich sieht, sind nicht die wirklichen Wandungen der Kanälchen sondern Ringe, die dadurch entstehen, daß man an den nie ganz feinen Schlifien die Kanälchen immer in einer gewissen Länge sieht, was bei ihrem gewundenen Verlauf den Wandungen eine größere Dicke gibt als sie besitzen.“

Weiter sagt er dann: „aus dem Zahnknorpel lassen sich die Röhrchen bei noch weiterer Behandlung derselben vollständig isolieren. J. Müller ist der Erste gewesen, der Zahnröhrchen durch Zerreitsen des Zahnknorpels teilweise isoliert hat und die- selben auch an Schliffen hier und da ein wenig vorstehen sah, und nach ihm ist es auch Henle gelungen.

Allein nicht bloß Bruchstücke der Röhrchen sind zu isolieren. sondern es lassen sich die Zähne so behandeln, daß nur die Röhr- chen zurückbleiben, die Grundsubstanz verloren geht. Das ge- schieht, wenn man den Zahnknorpel solange in Salzsäure, Schwefel- säure, Salpetersäure oder kaustischen Alkalien maceriert, bis er ganz breiig wird, sodaß er fast zerfließt. Am geeignetsten hierzu ist Salzsäure und Schwetelsäure, und man erhält, wenn der passende Zeitpunkt getrotien wurde, was durch wiederholtes Untersuchen des Zahnes zu ermöglichen ist, bald die schönsten noch parallel verlaufenden Kanälchen ohne Grundsubstanz, bald ein dichtes Gewirr ganz isolierter und vielfach geschlängelter und sich kreuzen- der Röhrchen. Ist die Grundsubstanz noch nicht ganz verschwunden. so erkennt man die Röhrchen auch in situ mehr oder weniger deutlich. Am schönsten sind immer die Anfänge der Röhrchen an der Pulpahöhle Es bleibt hier eine dünne Lamelle der Grundsubstanz übrig, welche viel resistenter ist als die übrigen Teile derselben und als ein weiches Häutchen die Antänge der Röhrchen verbindet. Macht man sich hiervon ein Präparat. so erkennt man die Fetzen dieser Lamelle an den dicht beisammen stehenden Mündungen der Röhrchen und überzeugt sich dann auch leicht, dat; die von derselben abzehenden scheinbaren Fasern, wirklich die Fortsetzung dieser Ofinunzen, hiermit die Zahnbein-

Verhandlungen der 44. Jahresversammlung des Centr.-V. D. Z. 697

röhrchen sind. Das Aussehen der isolierten Zahnröührchen ist

sehr mannigfach usw.“ Nun, meine Herren, diese Beschreibung ist vollkommen klar

und zutreffend bis auf einen einzigen Punkt. Kölliker sah

immer nur die Zahnbeinröhrchen mit freien Mündungen an der Wand der Pulpakammer beginnen, aber nicht sie in die Odonto- blastenzellen übergehen, und das ist sehr. einfach dadurch zu erklären, daß er nur das Zahnbein für sich macerirt hat, ohne . die Pulpa und die die Pulpa überziehenden Odontoblasten. Hätte er wie ich Schliffe, die nach der Koch-Weilschen Einbettungs-

Fig. 4.

methode geschliffen waren, maceriert, dann hätte er gefunden, daß die Zahnbeinkanälchen direkt mit den Odontoblasten zusammen- hängen und die freien Mündungen der Röhrchen an der Pulpa- kammer nur dadurch sichtbar geworden sind, dal sie eben von der Spitze der Odontoblasten abgerissen waren.

Ich will Ihnen nun zunächst mit dem Projektionsapparat diese Köllikerschen Zahnbeinröhrchen vorführen.

In Fig. 1, Fig. 2, Fig. 3 und Fir. 4 sieht man die Kölliker-

698 Verhandlungen der 44. Jahresversammlung des Centr.-V. D. Z.

schen Zahnbeinröhrchen in Querschliffen und zwar in Fig. 1 ganz nahe an der Kronenpulpa und in Fig. 4 an der Schmelz-Zahn- beingrenze. Fig. 5 stellt die Zahnbeinröhrchen in isoliertem

Fig. 5. Fig. 6.

Zustande dar, wie man sie findet, wenn man einen Zahn in konzentrierten Säuren oder Alkalien maceriert und von dem zurückbleibenden Rest ein Tröpfchen auf den Objektträger bringt.

Fig. 6 zeigt die Zahnbeinröhrchen in kleinen Fragmenten, wenn man einen feinen Schliff unter dem Deckgläschen mit erwärmter Salzsäure maceriert; Fig. 7 isolierte Zahnbeinröhrchen aus dem Kronenteil nahe der Pulpa bei starker Vergrößerung, Fig. S

V erhandlungen der 44. Jahresversammlung des Centr.-V, D. 2. 699

isolierte Zahnbeinröhrchen mit feinster gabeliger Teilung an: der Schmelzgrenze. Fig. 9 zeigt die Zahnbeinröhrchen aus dem Wurzelteil und zwar bei 4 an der Zementgrenze, bei B etwas weiter zentralwärts, bei © näher an der Pulpa und bei D ganz nahe an der Wurzelpulpa. Die letzteren’

jhrchen weniger widerstandsfähig wird. In Fig. 19 sieht man Zahnbeinröhrchen aus dem Kronenteil durch eine Lamelle bei æ an der Pulpagrenze im Zusammen- hang, und in Fig. 11 bei starker Ver- größerung die deutliche Röhrchenstruktur dieser (rebilde, teilweise noch durch ein feines Häutchen an der Pulpagrenze Zu- sammengehalten.

Vergleichen Sie nun damit die Be- Schreibung, welche Tomes zwei Jahre Später, also 1856, von seinen Fasern, den Dentinfibrillen, gegeben hat. Tomes edient sich folgender Methode zur Dar- stellung seiner Präparate:

Er läßt auf einen Schnitt von dem frisch extrahierten Zahn Salzsäure einwirken, und wenn die Kalksalze ganz oder zum Teil entfernt sind, bewegt er den Schnitt und sieht dabei die Fibrillen heraustreten, Er beschreibt sie als weiche Fasern, welche den

inteilchen gedehnt war, so sah er ihren Durchmesser kleiner werden; waren sie quer abgerissen. so zeigte sich in den abgerissenen Enden ein kleines Klümpchen von durchsichtiger

700 Verhandlungen der 44. Jahresversammlung des Centr.-V. D. Z.

aber dicker Flüssigkeit, welche in eine mehr oder weniger kugelige Form übergehen. Tomes erklärt diese Erscheinung durch die Annahme, daß die Fibrille aus einem Häutchen oder aus

Fig. 11.

einer Membran besteht, welche eine halbflüssige Materie zum Inhalt habe. Nun, meine Herren, Sie werden schon gemerkt haben auch

Fig. 12.

Tomes hat bei der Darstellung seiner Fibrillen die Macerations- methode mit Salzsäure benutzt, bei der eben die Grundsubstanz verschwindet und nur die widerstandsfähigen Wandungen der Fibrillen oder der von Kölliker beschriebenen Zahnbeinröhrchen übrig bleiben. Ich zeige Ihnen hier ein solches Bild von Tomes

Verhandlungen der 44. Jahresversammlung des Centr.-V. D. Z. 701

und gleichzeitig zum Vergleich ein von mir hergestelltes Prä- parat, das ich auch durch Kombination der Macerationsmethode

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Fig. 13.

mit der mechanischen gewonnen habe. Vgl. Fig. 12 Abbildung von Tomes und Fig. 13 und 14, Abbildung aus meiner zahn- histologischen Studie.

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/

Fig. 14.

Was in der Tomesschen Forschung neu ist, ist das, daß diese Fibrillen direkt mit der Pulpa, bzw. den Odontoblasten zusammenhängen, daher auch die anatomische Gleichstellung der

702 Verhandlungen der 44. Jahresversawmlung des Centr.-V. D. Z.

Tomesschen Fasern mit den Odontoblastenfortsätzen. Was aber in der Tomesschen Arbeit falsch ist, das ist seine Annahme. daß diese Odontoblastenfortsätze in die Köllikerschen Zahnbein- röhrchen hineinstrahlen, indem er die Köllikerschen Zahnbein- röhrchen (Dentinal tubes) mit seinen Röhrchen für identisch gehalten hat. Es sind aber die Dentinal tubes von Tomes nichts anderes als die durch Entkalkung künstlich erzeugten röhren- förmigen Lücken der Zahnbeingrundsubstanz, aus welchen diese Gebilde, mögen wir sie Köllikersche Zahnbeinröhrchen oder Tomessche Dentinfibrillen nennen, durch Maceration chemisch und mechanisch isoliert werden können.

Ich kann Ihnen dies an einem sehr schönen ganz feinen Querschnitt zeigen, den ich von einem entkalkten jugendlichen Molarzahn angefertigt habe, der an seiner Peripherie an einer Stelle so fein ausläuft. daß wirklich die äußerste Feinheitsgrenze erreicht worden ist, und da sehen Sie tat- sächlich diese Fasern, in kreisförmigen Lücken der Zahnbeingrundsubstanz liegen. In nor- malem, d. h. nicht entkalktem Zustande, schließt die Grundsubstanz eng an die Fasern an. Durch die Entkalkung und nachherige Weasserentziehung durch absoluten Alkohol schrumpft der Zahnknorpel ein wenig, und 7 es entstehen dann diese kleinen Hohlräume

PEA um die Neumannschen Scheiden herum. (Vgl. Fig. 1509

Um nun den vollkommenen Beweis zu erbringen, dab die Tomesschen Dentintasern bzw. ÖOdontoblastenfortsätze wirklich identisch sind mit den von Kölliker beschriebenen Zahnbein- röhrchen. mußte ich noch Präparate anfertigen, welche zu zeigen haben. daß tatsächlich die durch Maceration des Zahnbeins iso- lierten Zahnkanälchen Köllikers unmittelbar mit den Odonto- blasten zusammenhängen, und auch dies ist mir gelungen. Ich benutzte hierzu Schliffe von Pulpagewebe mit Zahnbein, die durch Imprägnation mit Chloroform-Kanadabalsam gewonnen waren, und die ich unter dem Deckgläschen mit Salzsäure macerierte und wobei ich die Fortschritte der Maceration genau, viele Stunden hindurch mit dem Mikroskop beobachtete, bis sich die Grund- substanz so weit gelöst hatte, daß ich durch leichtes Bewegen des Deckgläschens ein freies Flottieren der Zahnkanälchen wahr- nehmen konnte. Ich sistierte dann die weitere Maceration, damit nicht die Pulpa nnd Odontoblasten, welche sehr schnell zugrunde gehen, weiter zerstört würden, und konstatierte tatsächlich, daß diese so isolierten flottierenden Zahnbeinröhrchen unmittelbar mit

Verhandlungen der 44, Jahresversammlung des Centr.-V. D. Z. 708

den Odontoblasten zusammenhängen, wie Sie aus Fig. 16 und 17 ersehen. Nachdem dies gelungen, machte ich noch einen Versuch in

Fig. 16.

umgekehrter Richtung. Das heißt, ich versuchte Odontoblasten- fortsätze im Zusammenhang mit der Pulpa zu erhalten ohne Maceration, um durch Vergleich der Größenverhältnisse der auf beide Arten gewonnenen Gebilde zu einem beweisenden Resultat

Fig. 17. Fig. 18.

zu kommen. Ich ging dabei tolgendermaßen vor. Der frisch extrahierte Zahn wurde gesprengt und in Müllersche Flüssigkeit gelegt und nach 8 Wochen bei vielfach wiederholtem Wechsel der Flüssigkeit die Pulpa aus dem Zahn vorsichtig entfernt mit An- spannung der zentralen Teile der Odontoblastenfortsätze. Bei

704 Verhandlungen der 44. Jahresversammlung des Centr.-V. D. Z.

dieser Operation blieb gewöhnlich ein groter Teil der ausgezogenen und angespannten Odontoblastenfortsätze an der Pulpa hängen, und ich konnte nun von der so gewonnenen Pulpa viel feinere Schnitte anfertigen, als es sonst bei entkalkten Zahnbeinpräparaten der Fall ist. Ich fand nun tatsächlich, daß die auf diese Weise im Zusammenhang mit der Pulpa gewonnenen Odontoblastenfort- sätze vollständig identisch waren mit dem durch Maceration eines Pulpa-Dentin-Schliffpräparates. Und daher glaube ich endgültig bewiesen zu haben, daß wirklich die Tomesschen Fasern nichts anderes sind als die von Kölliker beschriebenen Zahnbeinröhrchen.

Ich habe deswegen in meiner 1898;99 publizierten zahnhisto- logischen Studie folgende Schlußbehauptungen aufgestellt:

1. Die von Tomes 1856 beschriebenen und abgebildeten Fibrillen sind keine neuen Gebilde, sondern völlig identisch mit den von Kölliker 1854 beschriebenen Zahnbeinröhrchen, indem die Tomessche Fibrillenmembran der Köllikerschen Röhrchen- wand, bzw. „Neumannschen Scheide“ und der von Tomes als halbflüssig beschriebene Fibrilleninhalt dem von den früheren Autoren als flüssig bezeichneten Inhalt der Röhrchen entspricht.

2. Die von Tomes angenommenen Zahnbeinröhrchen (Dentinal tubes) entsprechen nicht den Köllikerschen Zahnbeinröhrchen, sondern sind künstlich durch Entkalkung und Schrumpfung er- zeugte wandungslose röhrenförınige Hohlräume in der Zahnbein- grundsubstanz, aus der sich die Köllikerschen Röhrchen bzw. Tomesschen Fasern leicht isolieren lassen.

3. Die als Zahnfasern oder Tomessche Fasern bezeichneten Odontoblastenfortsätze sind nicht der Inhalt der Köllikerschen Zahnbeinröhrchen, sondern stellen Scheide und Inhalt zusammen dar. Es muß daher der Begriff Zahnfaser oder Tomessche Faser als Inhalt der Köllikerschen Zahnbeinröhrchen fallen gelassen werden, und wir müssen uns vorläufig mit der ursprünglichen An- nahme begnügen, daß der Inhalt der Zahnbeinröhrchen eine flüssige oder halbflüssige Materie bzw. noch nicht genug erforscht sei.

Ob in diesen Inhalt Nervenfasern von der Pulpa nach der Schmelz-Zahnbeingrenze hin verlaufen, das habe ich bis jetzt nicht beweisen können, hoffe aber in einer der späteren Versammlungen des Central-Vereins deutscher Zahnärzte darüber etwas neues berichten zu können.

Zum Schluß meiner Austührung erlaube ich mir noch, Sie auf eine kürzlich erschienene zahnärztliche Studie vom Kollegen Fasoli aus Bologna aufmerksam zu machen, der im großen und ganzen zu demselben Forschungsresultate gekommen ist, wie ich bei der Untersuchung der Dentinstruktur.

(Fortsetzung tolgt.)

AXII. Jahrgang. 12. Heft. Dezember 1905.

Deutsche Monatsschrift für

Zahnheilkunde.

[Nachdruck verboten.) Verhandlungen der 44, Jahresversammlung

des Gentral-Vereins Deutscher Zahnärzte. Hannover 4.—6. August 1905.

Bericht von Zahnarzt Otto Köhler, Darmstadt, 1.Schriftführer und Zahn- arzt Schaeffer-Stuckert, D.D.S., Frankfurt a. M., II. Schriftführer.

(Fortsetzung)

Im Anschluß an Prof. Millers Vortrag am 2. Versammlungstage ist noch der Vortrag Röses nachzutragen.

Aus der Centralstelle für Zahnhygiene in Dresden.

Zahnverderbnis und Speichelbeschaffenheit.

Von Dr. med. ©. Röse.

Die verschiedenen Gewebe des menschlichen Körpers gleichen einem Bundesstaate, dessen einzelne Glieder im Kriegsfalle zu gegenseitiger Unterstützung verpflichtet sind. Wird die Gesund- heit eines einzelnen Körpergewebes von äußeren Schädlichkeiten bedroht, dann kommen andere, benachbarte Gewebe zu Hilfe und entsenden Schutztruppen, die die Widerstandsfähigkeit des be- drohten Gewebes verstärken sollen.

Bei einer jeden Krankheit sind also regelmäßig drei Dinge zu beachten: 1. Die äußere Schällichkeit, 2. die innere Wider- standsfähigkeit des angegriftenen Gewebes selbst, 3. die Schutz- wirkung der von anderen Geweben gelieferten Schutzstoffe.

XXIII. 45

706 Verhandlungen der 44. Jahresversammlung des Centr.-V. D. Z.

Man hat schon seit langer Zeit geahnt, daß auch bei der Zahnverderbnis solche von benachbarten Geweben abgesonderten Schutzstoffe eine gewisse Rolle spielen müßten. Black!), der auf Grund von einseitigen Versuchen über den Calciumgehalt des Zahnbeines geleugnet hat, daß es überhaupt eine verschiedenartige innere Widerstandsfähigkeit der Zahngewebe bei verschiedenen Leuten gäbe, führt die wechselnde Ausdehnung der Zahnverderbnis ausschließlich auf die wechselnde Stärke dieser äußeren Schutz- stoffe in den Mundsäften zurück. Er behauptet, daß im Blute irgend ein karieshemmendes Ferment gebildet und vom Speichel ausgeschieden werde; die Zahnverderbnis sei also, ganz ebenso wie die Gicht, eine wahre Dyskrasie, eine Blutkrankheit. Frei- lich bat Black nicht den geringsten wirklichen Tatsachenbeweis zur Begründung seiner Ansicht anführen können.

Bereits im Jahre 1896?) habe ich die Einseitigkeit von Blacks Schlußfolgerungen hervorgehoben und ganz in Über- einstimmung mit den neuzeitigen Untersuchungen Millers + 5) nachgewiesen, daß es doch eine verschiedenartige innere Wider- standsfähigkeit der Zahngewebe gibt. Hinsichtlich der von außen zu Hilfe kommenden Schutzstoffe habe ich sodann die Vermutung ausgesprochen, daß vor allen Dingen der verschieden starken, alkalischen oder sauren Reaktion des Speichels eine wesentliche Rolle bei der Entstehung der Zahnverderbnis zuzuschreiben sei. Diese meine Vermutung ist einige Jahre später von Michels, 7, 8) zum erstenmale durch wirkliche Versuche bestätigt worden.

In den physiologischen Lehrbüchern wird angegeben, daß

1) Black, An investigation of the physical characters of the human teeth in relation to their diseases, and to practical dental operations, together with the physical characters of ing material. Dental Cosmos 15895.

2) Röse, Über die Zahnverderbnis bei den Musterungspflichtigen

in Bayern. Österr.-ungar. Vierteljahrsschrift für Zahnheilkunde 1896. 7 3) Miller, Einleitung zum Studium der Frage der relativen - Immunität der Mundgebilde gegenüber parasitären Einflüssen. Deutsche

Monatsschrift für Zahnheilkunde, Januar 1903.

4) Miller, Die relative Immunität der Mundgebilde gegenüber parasitären Einflüssen. Deutsche Monatsschnift für Zahnheilkunde, August 1903.

5) Miller, Weitere Studien über die Frage der relativen Immu- nität gegen Zahnkaries. Deutsche Monatsschrift für Zahnheilkunde. Juli 1905.

6) Michel, Der Speichel als natürlicher Schutz gegen Karies. Deutsche Monatsschrift für Zahnheilkunde 1901.

2 ‘) Michel, Weitere Untersuchungen über „Der Speichel als “natürlicher Schutz gegen Karies“. Deutsche Monatsschrift für Zahn- heilkunde 1902. _ 3 S) Michel, Über Schulkinderuntersuchungen und deren Ergebnisse. 7 Correspondenzblatt für Zahnärzte 1904.

Verhandlungen der 44. Jahresversammlung des Centr.-V. D. Z. 707

der Mundspeichel den Zweck habe, 1. das Schlucken zu erleichtern, 2. das unlösliche Stärkemehl der Nahrung in lösliche Verbin- dungen (Maltose) umzuwandeln. Michel meint nun, daß die verzuckernde Wirkung des Speichels für den Ernährungs- vorgang ganz bedeutungslos sei, da die Bauchspeicheldrüse in dieser Hinsicht den gestellten Anforderungen viel besser ent- spräche. Die Hauptaufgabe des Speichels bestünde vielmehr darin, die Zähne zu reinigen und vor der Entkalkung zu schützen. Diesem Zwecke diente auch die verzuckernde Wirkung des Speichels; denn stärkemehlhaltige Speisereste könnten viel leichter aus der Mundhöhle weggeschwemmt werden, wenn sie zuvor in lösliche Verbindungen umgewandelt worden seien. Inzwischen ist Michel infolge der Arbeiten von Oefele selbst schon zu der Überzeugung gekommen, daß er die große Bedeutung des Speichels für den Ernährungsvorgang seinerzeit bedeutend unterschätzt hat.

Die zahnschützenden Eigenschaften des Speichels sucht Michel 1. in seinem Gehalte an Rhodanverbindungen, die an- geblich eine spaltpilzfeindliiche Wirkung im Munde ausüben sollen, 2 in seiner Alkaleszenz, insbesondere in seinem Gehalte an Kalk.

Im Gegensatze zu diesen Angaben bestreitet Miller, daß der Speichel überhaupt irgendwelche bakterienfeindlichen Eigen- schaften habe. Das Rhodankalium besäße auch in der stärksten, im Munde vorkommenden Konzentration keine nachweisbare anti- septische Wirkung. Besondere Schutzstoffe, nach Art der Alexine, seien im Speichel nicht nachweisbar. Die Schutzwirkung der im Speichel vorhandenen Kalksalze der Zahnkaries gegenüber könne man annähernd gleich Null setzen. Dagegen gibt Miller zu, daß die Menge des abgeschiedenen Speichels von einer gewissen Bedeutung sei. Bei einem Zahnleidenden, der an völligem Speichel- mangel litt, hatte die Zahnverderbnis ganz ungeheure Ver- heerungen angerichtet.

Etwas unsicher ist Millers Stellung zu der Frage, ob die Reaktion des Speichels die Zahnverderbnis wesentlich beeinflussen könne. Und das liegt daran, weil Miller die Tragweite seiner außerordentlich sorgfältigen, aber unter nicht ganz natürlichen Verhältnissen angestellten Versuche im vorliegenden Falle wohl ein wenig überschätzt hat. Er nimmt z. B. 99 ccm Trauben- zucker-Fleischextrakt-Pepton - Bouillon, versetzt sie mit 1 ccm eines bakterienhaltigen Mundspülwassers ‘und teilt die Mischung in zwei gleiche Hälften. von denen eine mit Natronbikarbonat alkalisch, die andere mit Milchsäure sauer gemacht wird. In der alkalischen Nährlösung vermehren sich die Gärungspilze viel rascher, so daß nach einer Reihe von Stunden die anfangs alka- lische Nährlösung genau so viele Säureeinheiten enthält wie die

45*

708 Verhandlungen der 44. Jahresversammlung des Centr.-V. D. Z.

von Anfang an saure Lösung. Diese im Reagenzglase angestellte Beobachtung überträgt Miller ohne weiteres auf die natürlichen Verhältnisse in der Mundhöhle Er gesteht allerdings zu, daß dort etwas andere Verhältnisse herrschen, insofern, als der Gärung durch den fortwährenden Zufluß von frischem, alkalischem Speichel immer wieder entgegengearbeitet wird. Leider hat Miller aber auf diesen wichtigen Unterschied zu wenig Wert gelegt und kommt schließlich zu der Überzeugung, „daß die Bedingungen für die Ent- stehung von Karies etwa ebenso gut in einem Munde mit alka- lischem wie in einem solchen mit saurem Speichel vorhanden sind“. Miller fährt jedoch fort: „Dieser Schluß ist natürlich nur bei normalem Zustande geltend, bei welchem die Reaktion, ob sauer oder alkalisch, niemals intensiv ist. Gelegentlich finden wir einen Fall, bei welchem die saure Reaktion des Mundsekretes pathologisch und so intensiv ist, daß ihr zerstörender Einfluß auf die Zähne deutlich hervortritt“. „Andererseits schützt ein stark alkalischer Speichel die freie Oberfläche der Zähne und wirkt ebenfalls neutralisierend auf den Inhalt von seichten Höhlen.“ Das seltene Vorkommen von Zahnkaries bei Pferden führt Miller mit Recht auf die stark alkalische Speichelreaktion dieser Tiere zurück. Außerordentlich wichtig ist ferner Millers Beobach- tung, wonach der Speichel von kariesfreien Menschen selbst im Reagenzglase eine geringere Menge von Gä- rungssäuren bildet als der Speichel von schlechtbe- zahnten Leuten.

Wir sehen also, daß Miller durch die klinische Beobachtung und durch die Logik der Tatsachen geradezu dahin gedrängt wird, der verschiedenartigen Reaktion des Speichels einen ge- wissen Einfluß auf die Häufigkeit der Zahnverderbnis zuzuerkennen. Da aber einige, etwas einseitig bewertete Reagenzglasversuche dagegen zu sprechen scheinen, so konnte unser hervorragender Experimentator in dieser Frage bisher zu keiner völlig klaren Stellungnahme kommen.

Ich selbst habe ursprünglich gar nicht im Sinne gehabt, mich auch mit Speicheluntersuchungen eingehender zu befassen. Nur zu dem Zwecke, um Michels Angaben über den verschiedenen Kalkgehalt des Speichels in kalkarmen und kalkreichen Gegenden flüchtig nachzuprüfen, habe ich vom Chemiker der Centralstelle, Herrn Dr. Päßler, einige Nachprüfungsversuche anstellen lassen, die wider Erwarten ganz abweichende Ergebnisse lieferten. Infolgedessen bin ich trotz meines inneren Widerstrebens Schritt tür Schritt dabin gedrängt worden, die Speicheluntersuchnngen immer weiter auszudehnen.

Zu den wenigen Forschern, die die weittragende Bedeutung meiner Lehre von der Pathologie der Kalkarmut von Anfang an

Verhandlungen der 44. Jahresversammlung des Centr.-V. D. Z. 709

richtig erkannt haben, gehört u. a. auch Prof. Michel in Würz- burg. In der Maingegend findet sich ein scharfer Gegensatz zwischen kalkreicher und kalkarmer Bodenbeschaffenheit. In Michels kalkarmer Heimatstadt Lohr ist die Zahnverderbnis weit mehr verbreitet als im kalkreichen Würzburg. Diese Tat- sache steht fest. Nur in der Deutung der Tatsache weicht Michel von mir ab. Ich selbst habe in meinen ersten Veröffentlichungen über die Pathologie der Kalkarmut vom Jahre 1894 nnd 1896 darauf hingewiesen, daß in kalkreichen Gegenden der Bau der Zähne regelmäßiger ist, so daß sie den Angriffen der Mundsäuren besser widerstehen können. Michel dagegen behauptet 1901: „Kalkarme Gegenden bedingen vermehrte Kariesfrequenz nicht nur wegen der ungenügenden Zufuhr von Kalk während der Bildungsperiode der Zähne, sondern auch weil durch die unzu- reichende Zufuhr der Speichel kalkarm und alkaliarm wird, deshalb seine normale die Zähne schützende Fähigkeit einbüßt.“ Zum Beweise für diese Behauptung führt Michel 4 Speichel- analysen an, deren Ergebnisse ich in Tabelle 1 wiedergebe. Nach Michel entspricht der Kalkarmut des Lohrer Trinkwassers „voll- kommen die Kalkarmut im Lohrer Speichel. die nur !;, der Kalk- menge des Würzburger Speichels beträgt“. In einer späteren Arbeit vom Jahre 1904 geht Michel noch weiter und behauptet, daß für die Häufigkeit der Karies „nicht der Kalkreichtum oder die Kalkarınut des Geburtsortes, sondern der Kalkgehalt des jeweilig bewohnten Bodens maßgebend ist“. Michel glaubt beobachtet zu haben, „daß Kinder aus Sandsteingegenden mit allen Zeichen des Kalkmangels, nachdem sie längere Zeit in kalkreicher Gegend gelebt, sich in ihren Zahnverhältnissen be- deutend bessern, ja daß sogar solche rachitische Zähne derber und fester in ihrer Struktur werden“.

Leider steht das Gewicht von Michels tatsächlichen Forschungsergebnissen in keinem rechten Verhältnisse zur Kühn- heit seiner theoretischen Schlußfolgerungen. In Tabelle 1 z. B. beträgt infolge der geringen Menge des untersuchten Speichels der wirklich gewogen® Gehalt an Caleiumoxyd nur 0,7 —1,6 mg. (rewichtsunterschiede von 1 mg fallen aber bei der chemischen Analyse im allgemeinen schon ins Gebiet der unvermeidlichen Fehlergrenzen. Eine zuverlässige Analyse von so kleinen Aschen- mengen, wie sie im menschlichen Speichel vorhanden sind, er- tordert schon einen ganz besonders hohen Grad von analy- tischer Sorgfalt und Erfahrung. Der Chemiker der Centralstelle, ein älterer, gewiegter Analytiker von Fach, hat trotzdem erst eine ganze Reihe von 25 unbenützten Sprichelanalysen ausführen müssen, ehe er die Untersuchungsmethode so sorgtältig ausgefeilt hatte, dab die Ergebnisse als wirklich einwandfrei gelten können.

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Tab. 1. Analysen der von Prof. Michel untersuchten GE aa hr g Gesamtascht s 4 | Menge des | en seine, „den E [au ee Speichels `> wassers Versuche ne S | im vor- ; ' : handenen in 100 g E | Speichel ' Speichel S N S a ee a aS = Ee. Cae a a Aa nr a aaa i a SA ORE sn a a Würzburg 34,6" 1 12,230 0,0290 0,23710 | » | 1 12,507 0,0230 0,183 Lohr ‚| 1,50 | 1 132,200 0,0416 ` 0,12896 no poo oj 1o 0 0 27780 0,0378 ` 0,16590

Der kleinste Analysenfehler kann bei der Berechnung solch kleiner Aschenmengen erhebliche Ausschläge geben. Ob es sich bei Michels Analysen um einen Zufall handelt, oder ob Analysen- fehler vorliegen, vermag ich nicht mit Sicherheit zu entscheiden; jedenfalls aber ist unter meinen zahlreichen Speichelanalysen nicht eine einzige, deren Kalkgehalt so gering wäre, wie in Michels Analysen von Lohrer Speichelproben. Für die Möglichkeit von Analysenfehlern spricht auch der Umstand, daß in Michels Tabelle ein Mißverhältnis besteht zwischen dem angeblichen Kalk- gehalte des Speichels und seiner genau mit !/,, Normal-Salzsäure bestimmten Alkaleszenz. Die Lohrer Speichel haben zufälliger- weise sogar eine höhere Alkaleszenz als die Würzburger. Aus den Ergebnissen seiner eigenen Untersuchungen konnte Michel also unmöglich den Schluß ziehen, daß der Speichel in kalkarmen Gegenden alkaliarım sei.

Leider hat Michel bei seinen weiteren Erhebungen die genaue Alkaleszenzbestimmung mit Hilfe von !‘, Normal-Salz- säure nicht weiter fortgeführt, sondern hat sich damit begnügt, durch Einführen von Lackmuspapier in die Mundhöhle über die Reaktion des Speichels Aufschluß zu erhalten. Ein großer Teil der in Tabelle 2 wiedergegebenen Versuche ist außerdem nicht von Professor Michel selbst, sondern von „Studierenden unter Aufsicht der Assistenten“ vorgenommen worden. Derartige ge- inischte Studentenuntersuchungen können aber unmöglich als völlig einwandfrei anerkannt werden. Ein weiterer Übelstand bei Michels Erhebungen besteht darin, daß die zu Versuchs- zwecken benützten klinischen Patienten ein - verschieden hohes Lebensalter hatten. 13jährige Knaben mit 30 Proz. erkrankten Zähnen haben z. B. unter allen Umständen sehr schlechte Zahn- verhältnisse; das Gebi eines 50 jährigen Mannes mit ebensovielen

Verhandlungen der 44. Jahresversammlung des Centr.-V. D. Z. 711

4 Speichelproben aus Würzburg und Lohr.

m L mmmmn RR

Alkaleszenz in ccm ze HC! | g CaO im vorhandenen in 100 g im vorhandenen | in 100 eu Speichel | Speichel i Speichel © | Speichel Speichel 0,4 3,3 0,0016 | 0,0130 0,2 1,6 | 0,0016 0,0128 0,9 2,8 | 0,0007 O, 002? 1:2 | £, 0,0013 0,0060

kranken Zähnen würde man dagegen als noch leidlich gut er- halten bezeichnen können.

Nach Michels Erhebungen sollen 14 Proz. von allen unter- suchten Leuten saure und weitere 8 Proz. neutrale Speichelreaktion gehabt haben. Auch sonst finde ich in zahnärztlichen und ärzt- lichen Schriften öfters die Angabe verzeichnet, daß der normale menschliche Speichel bald schwach alkalisch, bald neutral, bald schwach sauer sein soll. Diese vollkommen unrichtigen Behaup- tungen beruhen teils darauf, daß unzweckmäßige Untersuchungs- methoden angewendet worden sind, teils haben die betreffenden Forscher krankhaft entarteten Mundspeichel als normal ` angesehen. Wir dürfen doch ja nicht vergessen, daß sehr viele

Die Beziehungen zwischen der Häufigkeit von Zahn- erkrankungen und der Alkaleszenz des Speichels. Nach den Untersuchungen von Prof. Dr. Michel in Würzburg. (NB: 3 Korrekturfehler in Michels Originaltabelle sind an dieser

Tab. 2. Stelle berichtigt worden.) Chemische Reaktion Kariesnote Anzahl der des Speichels Versuche Eye

| ‘alkalisch’ neutral saner

I. 1— 5°, erkrankte Zähne) 59 50; 3 6 II. (10— 20° a A 2) 142 127 | 6 N HT. (20— 50%), a 192 157 > 19 16 IV. (50— 80", is "E 159 120 I i 2R V. (S0- -— 100P 7 3 . ) t2 23 6 | 33

Durchschnitt: 614 447 51.86

712 Verhandlungen der 44. Jahresversammlung des Centr.-V. D. Z.

von unsern europäischen Stadtbewohnern in Wirklichkeit keine nor- malen Menschen mehr sind, sondern entartete Kulturkrüppel. Wenn jemand den ersten besten Alkoholbruder oder einen Laboratoriums- diener mit schlechten Zähnen als Versuchsperson benutzt, dann muß er sich von vornherein darüber klar sein, daß sich auf diesem Wege keine Ergebnisse über die Physiologie des normalen menschlichen Speichels gewinnen lassen.

Die Reaktion des menschlichen Speichels ist fast immer in der Weise bestimmt worden, daß man Lackmuspapier von be- liebiger Herkunft in die Mundhöhle einführte und es benetzen ließ. Mit Hilfe dieser dürftigen Methode lassen sich allerdings keine zuverlässigen Ergebnisse gewinnen. Oft genug reagiert die zweifellos alkalische Mundflüssigkeit amphoter, d. h. sie bläut rotes und rötet blaues Lackmuspapier. Bei Leuten mit sehr ge- ringer Speichelalkaleszenz kann sogar die kohlensäurereiche Aus- atmungsluft gelegentlich eine schwach saure Reaktion vortäuschen. Vor allen Dingen aber können Fehlerquellen dadurch entstehen. daß das Lackinuspapier in unsauberen Mundhöhlen mit gärenden Speiseresten oder sauren Zahnbelägen in Berührung kommt. In allen solchen Fällen wird irrtümlicherweise eine saure Reaktion des Speichels vorgetäuscht.

Wenn man genaue Ergebnisse über die wirkliche Reaktion des menschlichen Speichels gewinnen will, dann muß man die Versuche viel sorgfältiger durchführen. Zunächst dürfen solche Erhebungen, falls es sich um Vergleichsversuche handelt, nur an völlig gleichalterigen Versuchspersonen angestellt werden. An- fangs dachte ich daran, 20jährige Heerespflichtige zu verwenden. bin aber von diesem Plane bald wieder abgekommen. An und für sich wäre es ja wohl möglich gewesen, sämtliche Heeres- pflichtigen eines bestimmten Ortes gegen entsprechende Vergütung gleich nach Schluß der Musterung zu Speichelversuchen zu be- wegen. Die Heerespflichtigen stehen aber an diesem wichtigen Tage ihres Lebens unter ganz ungewöhnlichen Lebensbedingungen. Sie sind in sehr verschieden hohem Grade seelisch erregt, bald freudig, bald traurig; außerdem spielt der verstärkte Genuß von Alkohol und Tabak am Musterungstage eine große Rolle. Durch alle diese Umstände kann aber die Speichelabsonderung erheb- lich beeinträchtigt werden.

Bei Schulkindern fallen alle diese Fehlerquellen weg. Nach dem 13. Lebensjahre ist der Zahnwechsel in der Regel abge- schlossen, und der älteste Jahrgang der Kinder ist verständig genug, um die vorgeschriebenen Anweisungen richtig zu befolgen. Zu meinen vergleichenden Speicheluntersuchungen habe ich daher aussehlietlich den ältesten Jahrgang von Schulkindern ausgewählt, die in Deutschland im Alter von 13—14, in Schweden im Alter

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von 12—18 Jahren standen. Weitaus in den meisten Ortschaften sind nur Knaben zu den Speichelversuchen herangezogen worden; nur in einem einzigen Dorfe (Wasserthaleben) habe ich auch die gleichalterigen Mädchen berücksichtigt. Selbstverständlich sind stets sämtliche Konfirmanden eines Dorfes oder einer städti- schen Schule (Nordhausen) untersucht worden. Wollte man eine Auswahl treffen, dann würde dem blinden Zufalle Tür und Tor geöffnet sein.

Wenn man einwandfreie Ergebnisse über die Speichelalka- leszenz überhaupt und über ihre Beziehungen zur Zahnverderbnis erhalten will, dann darf man nicht nur feststellen, ob der Speichel alkalisch ist, sondern man muß wissen, wie stark alkalisch er ist. Zu dem Zwecke habe ich alle meine Versuchskinder, nach- dem sie zuvor den Mund ausgespült hatten, genau 45 Minuten lang auf Wattebäuschchen kauen und Speichel sammeln lassen. Mit gütiger Erlaubnis der Schulbehörden durfte ich überall die Speichelentnahme in den Schulzimmern selbst, unter meiner eigenen und unter Aufsicht der Herren Klassenlehrer vornehmen. Damit war die Fehlerquelle ausgeschlossen, daß etwa einzelne Kinder während des Versuches miteinander reden und dabei Speichel ver- schlucken könnten. Der Speichel ist in weithalsigen und mit Gummistopfen versehenen Glasgefäßen aufgefangen und sofort nach der Untersuchung mit '/,, Normal-Salzsäure titriert worden.

Die Speichelentnahme fand bei den Schnlkindern stets im Laufe des Vormittags statt, zwischen 8—10 Uhr, also vor dem Frühstücke.

Beim Faulen des Speichels wird seine Alkaleszenz ziemlich beträchtlich erhöht. Es war daher unbedingt erforderlich, die gewonnenen Speichelmengen sofort in den nächsten Stunden zu titrieren. Aus dem Grunde mußte ich nach allen Ortschaften, die weit von Dresden abgelegen sind, die zum Titrieren nötigen Ge- fäße und Reagentien mit mir nehmen, um die Alkaleszenzbe- stimmung des frischen Speichels an Ort und Stelle vornehmen zu können.

Außerhalb von Deutschland sind nur noch in 4 schwedischen Ortschaften Speichelversuche angestellt worden. Zunächst habe ich mir durch Vermittelung des Herrn Kollegen Nordeman in Visby Speichelproben aus den Ortschaften Slite und Oja auf der Insel Gotland verschafft. Der betreffende Speichel ist sofort nach der Entnahme mit einigen Tropfen Formalin versetzt: worden, um das Faulen zu verhüten. Das betreffende Formalin enthielt keine Spur von Ameisensäure und war völlig neutral. Trotzdem haben spätere Probeversuche gezeigt, daß das Formalin die Alkaleszenz des Speichels ein wenig verringern kann, indem es die organischen.

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stickstoffhaltigen Basen verändert. Die ersten Versuche in Schweden waren also nicht einwandfrei, und sie sind daher einige Monate später an Ort und Stelle von Herrn Ingenienr-Chemiker Ragnar Berg im Auftrage der Centralstelle für Zahnhygiene wiederholt und erweitert worden.

Zur Bestimmung der Speichelalkaleszenz ist die sogenannte „Tüpfelmethode*“ mit Lackmuspapier weitaus am meisten ge- eignet. Doch ließ sich das gewöhnliche käufliche Lackmus- papier nicht verwenden. Ich habe mir vielmehr ein ganz besonders empfindliches Lackmuspapier in großen Mengen auf einmal herstellen lassen, und habe dann zu allen meinen Titrierungen stets nur dieses eine Papier verwendet. Würde man verschiedene Lackmuspapiere von verschiedener Empfindlich- keit verwenden, dann könnten recht bedenkliche Fehlerquellen entstehen.

Ein Teil der Speichelproben ist in einer großen Zentrifuge ausgeschleudert worden, um die Menge der zelligen Bestandteile festzustellen. Schließlich habe ich zur Verhütung des Faulens einige Tropfen Formalin beigefügt, um später bei fast allen Speichelproben die hauptsächlichsten Aschenbestandteile bestimmen zu lassen. Wenn trotz des vorhergehenden Mundspülens einige Speiseteilchen im gesammelten Speichel enthalten waren, dann sind sie mit kleinen Pipetten sorgfältig herausgefischt worden. Der zur Aschenanalyse verwendete Speichel wurde außerdem sorgfältigst filtriert, so daß keine zelligen Bestandteile mehr darin enthalten waren.

Der Bodensatz des Speichels besteht größtenteils aus abge- stoßenen Plattenepithelzellen der Mundhöhle. Ihnen gegenüber tritt die Menge der Rundzellen (Speichelkörperchen) weit zurück. Ich vermutete anfangs, daß die festen Bestandteile des Speichels einen beträchtlichen Teil seiner Reinasche enthielten. Diese Ver- mutung hat sich aber nicht bestätigt. Zunächst habe ich bei einem Schulknaben in Clingen, der in 45 Minuten die bedeutende Menge von 144 ccm Speichel abgesondert hatte, außer der Ge- samtasche des filtrierten Speichels auch die Asche des zelligen Bodensatzes bestimmen lassen. Sie betrug nur 8,1 mg, d. h. 0,9 Proz. von der Gesamtasche. Im Speichel der Nordhäuser Schulknaben (Tabelle 3) war die Asche des Bodensatzes etwas höher, sie betrug 1,5 Proz. von der Gesamtasche des filtrierten Speichels. Freilich besteht mehr als !/, der Speichelzellenasche aus Kieselsäure, und diese stammt selbstverständlich aus den Glas- wandungen; denn die Speichelproben von Nordhausen mußten länger als ein Jahr aufgehoben werden, ehe sie zur Analyse kamen. Der sehr große Eisengehalt der Speichelzellenasche rührt von roten Blutkörperchen her, da der Speichel von mehreren Nord-

Verhandlungen der 44. Jahresversammlung des Centr.-V. D. Z. 715

häuser‘ Kindern mit stark erkranktem Zahnfleische leicht blutig

gefärbt war. Im übrigen ist gegenüber der Asche vom filtrierten

Speichel die Speichelbodensatzasche reicher an Phosphorsäure und Kalk (Eiweiß) und ärmer an Kali.

Vergleich der Aschenbestandteile des filtrierten Speichels und des zelligen Speichelbodensatzes. Gesamtanalyse von 42 Speichelproben 13jähriger Knaben in Nordhausen.

Tab. 3. Menge des Speichels 1623 ccm. BE nn a m 100 cem Speichel enthielt in mg: \ Verhältnis der u ul Lou 200200222002... beiderseitigen | | Aschenbestand- | I. j II. . teile ' Filtrierter Speichel Zelliger Bodensatz | Gesamtasche 256,50 3,7% 100: 15 SiO, 3,30 1,31 {H 100 : 39,7 P30; | 35,00 120 100: 33 F&,0; | 0,30 | 0,200) 100 : 66.7 CaO 9,50 0,52 100: 5,3 MgO 0,90 ' 0,00 | K,O 92,10 0.25 100: 0,3 NaO 30,50 i 0,31 100: 1,0

Da es mir im Anfange nur darauf ankam, die Angaben von Michel über den Kalkgehalt des Speichels nachzuprüfen, so habe ich in den ersten Speichelaschen nur Kalk und Phosphorsäure bestimmen lassen. Sehr bald aber wurden die Prüfungen auch auf Magnesia, Kali und Natron ausgedehnt. Zu Vollanalysen reicht die Speichelmenge von einer einzigen Versuchsperson in der Regel nicht aus. In 8 Ortschaften sind daher die sämtlichen Speichelproben zusammengeschüttet und zu je einer einzigen Durchschnittsanalyse verwendet worden.

Unter den 219 Speichelproben von Schulkindern befindet sich nur eine einzige, deren Reaktion tatsächlich schwach sauer war. Es handelte sich um ein schwach entwickeltes Gotländer Kind mit außerordentlich schlechten Zähnen. Ich habe nun alle unter- suchten Kinder nach der Alkaleszenz ihres Speichels in 12 Gruppen eingeteilt, und da zeigte es sich (Tabelle 4), daß genau im gleichen Grade mit der Zunahme der Speichelalkales- zenz die Häufigkeit der Zahnerkrankungen abnimmt. Der Prozentsatz der erkrankten Zähne schwankt zwischen 67,9 Proz. und O.

Zwischen Alkaleszenz und Menge des Speichels bestehen sehr innige Wechselbeziehungen. Je höher die Alkaleszenz, um so größer ist in der Regel auch die Menge des in gleicher Zeitein-

716 Verhandlungen der 44. Jahresversammlung des Centr.-V. D. Z.

Die Beziehungen zwischen der Alkaleszenz des Speichels und der Häufigkeit von Zahnerkrankungen bei 219 12—14jährigen Schulkindern in 13 deutschen und schwedischen

Tab. 4. Ortschaften. ns m U %- 73 = . be asy S3£E 53 S2228, fafa Ze E SgSs4585 |72% <P3S2E 83890 aaa | 188%: EFF 383 asiza Seog SSeS | 238853 Eeuessss |SEE |3252 gaga | ASES | ARSEN Err A EG ae n52n„.R| End 8 Ele = m.“ aeg |18 187335 | 800 22° = G 3S Fo) T & 0 (schwach sauer) T l -— 24,0 19,0 67,9% 0,6— 1,9 (1,3) 23 5,9 23,7 9, 7 36,8” 0 2,0— 39 (2,7 46 8,3 34,8 8,8 32,8% 4,0— 59 (4,8) 46 10,6 46,9 8,6 32,3% 6,0— 89 (7,1) 50 13,5 54,4 5,0 18,8, 9,0— 9,9 (9,3) 16 16,1 58,9 4,6 17,3%, 10,0—10,9 (10,4) 8 16,3 64,8 4,0 14,7% 11,0—13,9 (12,0) 9 7,2 70,9 3,3 12,1%, 14.0—17.9 (15,3) 9 20,7 75,6 1,8 | 6,6% 18.0—20,9 (19,2) 3’# 23,6 82,0 1,7 6,3 'h 21,0—23,9 (22,2) 5 23,0 96,6 oa” ‚Os 25,0—28,0 (26,5) , 3 23,4 115,7 O Oh Durchschn.: (6,6) 219 12,2 49,5 6,6 24,8

Man beachte: Im gleichen Grade, wie die Alkaleszenz des Speichels zunimmt, nimmt die Häufigkeit der Zahnerkrankungen ab.

heit abgeschiedenen Speichels.. In Tabelle 4 beruhen also die großen Unterschiede der Zahnerkrankung nicht ausschließlich auf der dem Speichel selbst innewohnenden Alkaleszenz, sondern zum Teile auch auf seiner verschiedenen Menge. Auf die Ver- hütung der Zahnverderbnis übt ja sicherlich auch der mecha - nische, zahnreinigende Einfluß des stärkeren Speichelstromes eine gewisse günstige Wirkung aus; und dieser mechanische Einfluß, der sich leider nicht zahlenmäßig genau berechnen läßt, verstärkt in Tabelle 4 die Unterschiede der Zahnerkrankungsziffern. In Tabelle 5 habe ich die 42 Schulknaben von Nordhausen nicht nach der wirklich vorhandenen, sondern nach der für gleiche Speichel- mengen von 100 cem berechneten Alkaleszenz eingeteilt. Auch bei dieser Eintellungsart konnte ich leider den günstigen mecha- nischen Einfluß größerer Speichelmengen nicht völlig ausschalten. Immerhin läßt Tabelle 5 erkennen, daß der günstige Einfluß höherer Speichelalkaleszenz erheblich größer sein muß als der gleichlaufende mechanische Einfluß größerer Speichelmengen. In der 3. Stufe der Tabelle 5 ist die Speichelmenge zufälligerweise sehr gering. Durch diesen unregelmäßigen Ausschlag in der

Verhandlungen der 44. Jahresversammlung des Centr.-V. D. Z. 717

Die Beziehungen zwischen der Alkaleszenz des Speichels und der Häufigkeit von Zahnerkrankungen bei allen (42) 13jährigen eingeborenen Knaben der Mittelschule in in Nordhausen.

Tab. 5.

Berechnet Alka-

leszenz in 100 cem ` Speichel (ausgedr |

in cem '/,, Normal-

PRENS]

Ne)

PEDORNIAINNSANGO ER U TEE WA COCEO neue

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Düschschn: \31 Darehachn:

Menge des in 45 Minuten ab- geschiedenen ‚Speichels in ccm ' Zähne

' 15

| | |

30 66

17

ı 29

97

36 29

DD

23,0

36,8

26,7

42,1

42,3

43,4

51,6

Í

|

| | j | i | |

Anzahl | Anzahl | Durch- 'schnittszahl sunden krankten der erkrank- ten Zähne

der ge-

15 11 15 20 19 21 19 19 17 14 14 16 24 16 22 18 24 17 21 19 0 16 22 10 22 19 22 21 21 17 23 19 19 22 19 15 23 > 17 23 24 20)

u

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der er-

Zähne

13 17

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6 3 N)

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l}

Durch- 'schnittlicher Prozentsatz der erkrank-

ten Zähne

44,0

33,80

32,2 bin

30,8%

24,1)

22,9 ò

17,9%

Man beachte: Im gleichen ne wie die Alkaleszenz des Speichels zunimmt, nimmt die Hi iufigkeit der Zahnerkrankungen ab,

718 Verhandlungen der 44. Jahresversammlung des Centr.-V. D. Z.

Die Beziehungen zwischen dem Kalkgehalte des Trink-

Tab. 6. heit des Speichels bei 13jährigen Kindern a l He

| Durchschnittliche Su || E -N Sga.

z -26 Aon ERSSE

Ortschaft . der nterauchten | = FE | 238 N Mick | Trinkwässer | Rgs aE Ee <5 EEES = lA aE a

A. Wasserthaleben Knaben . 47,0" | 5 12%. 00,2 Wasserthaleben Mädchen 47,00 6,230 555 J Clingen 9.3. 1904 . . . 39,90 12 11647 vClingen 10./3. 1904 . . . | 39,99 : 12 1,1, 66,8 Steigerthal . u 57,50 9 i 4,0 ' 51,1 Durchschnitt: | harte Trinkwässer 44 | 1,8 | 60,7 Grumbach b. Wilsdruff . 13,8 ' 13 56'590 Weistropp . » . 2... 23,60 ‚17235: 576

Durchschnitt: f mittelharte Trink- \ 24 4,3 | 58,3

wässer | | i

v Jonsdorf. . . 2 2 20. 1,20 on | 9,9 43,0 „Reinhardtsdorf . . . a 1,99 12 | 10,1 | 44,9

Durchschnitt: weiche Trinkwässer 23 ' 10,0 44,0

B. Städte über früher: 54,80 | hart. i i

Frankenhausen . . . . (seit Trink-| 20 3,6 | 53,0 ‚kurzem: 10,60) asser i! i

a i | neich. i Nordhausen . .... 3,20 Trink-| 42 7,8 | 38,6

| wasser, l. | ! i

Man beachte: In den Ortschaften mit harten Trinkwässern und Speichels größer als in Orten mit weicheren Trinkwässern.

In kalkarmen Gegenden ist der Natrongehalt des Speichels etwas teilen finden sich keine durchgreifenden Unterschiede.

Speichelmenge wird aber die regelmäßig abfallende Reihe der

Zahnerkrankungszifern nicht im geringsten beeinflußt. Schließlich ist noch zu bedenken, daß Menschen mit kräftigern

Speicheldrüsen in der Regel auch einen bessern Zahnbau aufzu-

Verhandlungen der 44. Jahresversammlung des Centr.-V. D. Z. 719

wassers, der Höhe der Zahnerkrankung und der Beschaffen- in 9 deutschen Dörfern und Städten.

Alkaleszenz in ccm

T HCI '; Aschenbestandteile von 100 cem Speichel in mg | ce A ee, ae Speichel ; Speichel &sche Be „na Ea Bu De) Dörfer. | . F | i = oz CEE | \ 258,2 j 380 95,08 | z 23 : 176 ji 260,1 | 293 104 ` | 82,4 41,7 120 | 16,2 248,9 319 |118 11 | 844 | 365 7,2 | 13,3 | 259,1 33,7 | 13,2 05 108,1 | 2% 63 | |

10,8 16,7 256,4 | 33,1 11,1 0,8 88,8 | 35,6 iog mm3 —_ = es Ele 1: 2474 312, 74 07 | 900 | 38,3

9,7 16,5 2147.4 | 34,2 | 74 07 90,0 38,3

5 120 | 266 | 338 187 | 06 | 91,51 383 49 99 | 2649 | 364 167 | O7 , 995. 33,1 52 | 10,9 260,9 36,2 14,8 0,7 |95,7|35,6

6030 Einwohner.

5,0: 13,1 | 261,2 33,8 | 8,7. 0,7 [96,5 42,8 | | | | 45 116. | 256,5 35,9 | 9,8 0,9 92,1 30,8 | i | | guten Zähnen ist die durchschnittliche Menge und Alkaleszenz des

geringer als in kalkreichen Gegenden; bei den übrigen Aschenbestand-

weisen haben. Die großen Unterschiede der Erkrankungsziffern vou Tabelle 4 beruhen also teilweise auch auf verschiedenartiger, innerer Widerstandsfähigkeit der Zühne selbst. Es dürfte wohl der Wahr- heit ziemlich nahe kommen, wenn ich annehme, daß der reine,

720 Verhandlungen der 44. Jahresversammlung des Centr.-V. D, Z.

unverfälschte Einfluß der Speichelalkaleszenz nur etwa halb so groß ist, als er in den Erkrankungsziffern der Tabelle 4 zum Ausdrucke kommt.

Innerhalb eines und desselben Ortes schwankt die Speichel- alkaleszenz bei den einzelnen Kindern oft in weiten Grenzen. Dennoch aber finden sich zwischen den verschiedenen von mir untersuchten Ortschaften recht bedeutende Unterschiede. Mit Rück- sicht auf die von Michel angeregte Frage über den angeblich verschieden großen Kalkgehalt des Speichels habe ich zu meinen Untersuchungen in Deutschland 7 Dörfer und 2 Städte gewählt, deren durchschnittliche Trinkwasserhärte sehr voneinander abweicht. Tabelle 6 zeigt nun in schlagendster Weise, daß die Menge und Alkaleszenz des Speichels tatsächlich in hohem Grade von der Härte des Trinkwassers beeinflußt wird. In kalkreichen Gegenden ist die gesamte Alkaleszenz des Spei- chels doppelt so stark und seine Menge um 'j, größer als in kalkarmen Gegenden. Am schlagendsten sind die Unterschiede in den nahe beieinander gelegenen Städten Frankenhausen und Nordhausen. Beide liegen auf kalkhaltigem Boden. Nordhausen hat aber seit länger als einem Menschenalter sehr weiches Lei- tungswasser. In Frankenhausen dagegen gab es bis vor kurzer Zeit nur Pumpbrunnen mit sehr harten Trinkwässern. Rassen- verhältnisse und Lebensbedingungen sind in beiden Städten voll- ständig gleich. Nur die Trinkwasserhärte ist verschieden; und dementsprechend ist in Nordhausen die Speichelalkaleszenz nur etwa halb so stark, die Zahnverderbnis dagegen mehr als doppelt so groß wie in Frankenhausen. Die Unterschiede in der Speichelbeschaffenheit zwischen kalkarmen und kalkreichen Gegen- den sind so schlagend, daß sie mir bereits während der Speichel- entnahme selbst aufgefallen sind. Nur in den kalkreichsten Dörfern gab es Kinder, deren Speichelmenge 100 ccm überstieg.

Unter diesen Umständen habe ich selbstverständlich mit Spannung auf den Ausfall der Aschenanalysen gewartet. Ich zweifelte anfangs nicht daran, daB Michels Angaben sich be- stätigen würden. Aber es kam anders. Beim Vergleiche der Speichelasche aus Gegenden mit harten und weichen Trinkwässern (Tabelle 6) zeigt es sich, daß der durchschnittliche Kalkgehalt des Speichels nur in sehr geringen Grenzen schwankt. In der Gruppe der mittelharten Trinkwässer ist leider nur die Durch- schnittsanalyse eines einzigen Dorfes (Weistropp) vorhanden; dort ist zufälligerweise der Kalkgehalt des Speichels etwas geringer. In den beiden kalkärmsten Dörfern Jonsdorf und Reinhardtsdorf dageren verhält es sich umgekehrt. Ebenso ist im kalkarmen Nordhausen der Kalkgehalt des Speichels nicht geringer, sondern sogar etwas höher als in Frankenhausen. Auch die übrigen

Verhandlungen der 44. Jahresversammlung des Centr.-V. D. Z. 721

Aschenbestandteile, Magnesia, Phosphorsäure und Kali schwanken nur in mäßigen Grenzen. Einzig und allein der Natrongehalt des Speichels läßt gewisse Beziehungen zur Trinkwasserhärte er- kennen. In Nordhausen ist der Natrongehalt beinahe um '/, ge- ringer als in Frankenhausen. In den beiden kalkarmen Dörfern ist er anscheinend gleich groß. In diesen Dörfern mit ihrer ge- ringeren Speichelmenge ist jedoch der Speichel etwas gesättigter. Die Gesamtasche ist höher, und dementsprechend steigt auch die Menge von Phosphorsäure, Kalk und Kali etwas an; nur der Natrongehalt bleibt zurück. Der Unterschied würde noch viel größer sein, wenn nicht unter den kalkreichen Dörfern zufällig das Dorf Steigerthal mit seinem unnatürlich geringen Natron- gehalte mit enthalten wäre.

In den Tabellen 7—11 habe ich die Analysen von einzelnen Speichelproben aus 5 Dörfern der Reihe nach aufgeführt. Dabei zeigt es sich, daß unter sämtlichen untersuchten Aschenbestand- teilen der Natrongehalt des Speichels den größten Schwankungen unterliegt. »

In Tabelle 12 sind schließlich die Durchschnittsanalysen von allen untersuchten Ortschaften zusammengestellt und nach der Höhe ihrer Speichelalkaleszenz in 3 Gruppen eingeteilt worden. Vergleicht man die auf gleiche Speichelmengen von 100 ccm be- rechneten Aschenbestandteile, so zeigt es sich, daß zwischen der Alkaleszenz einerseits und dem Gehalte des Speichels an Kalk, Magnesia, Phosphorsäure, Chlor, Eisen- und Kieselsäure ander- seits keinerlei Beziehungen bestehen. Diese Aschenbestandteile schwanken in den 3 Ortsgruppen ganz unregelmäßig und nur in geringen Grenzen auf und ab. Dagegen besteht ein ganz regel- mäßiger, enger Zusammenhang zwischen der Alkaleszenz des Speichels und seinem Gehalte an Kali, Natron und Schwefelsäure. In den Ortschaften mit höherer Speichelalkaleszenz ist der Speichel ärmer an Kali, aber reicher an Natron und Schwefelsäure. Der leichteren Übersicht wegen habe ich in Tabelle 13 die Verhältniszahlen für die hauptsächlichsten Aschen- bestandteile übersichtlich zusammengestellt. Während die Alka- leszenz im Verhältnisse von 1,00: 1,48: 1,93 steigt, ist diese Steige- rung beim Natron geringer (1,00:1,18:1,38), bei der Schwefelsäure aber stärker (1,00:1,73:2.20). Es besteht also ein Mißverhältnis zwischen der Steigerung der titrierten Alkaleszenz und der Zu- nahme der anorganischen Basen. In Tabelle 14 habe ich die Basen und Säuren von den Durchschnittsanalysen der Tabelle 12 als tio Milligramm-AÄquivalente berechnet und einander gegen- übergestellt. Dabei zeigte es sich, dat in keiner Ortschaftsgruppe der Überschub der Basen über die Säuren ausreicht, um die titrierte Alkaleszenz zu decken. Je stärker alkalisch der Speichel

XXIII. 46

i

722 Verhandlungen der 44. Jahresversammlung des Centr.-V. D. Z.

Tab. 7. Zusammensetzung der Speichelasche bei ein-

(en i Versuchsperson | sachstag ee Alkalenzenz

nu | Deal 2 za (| Sio,

Selmar Etzel. . . E uU. } 123 E 0% | 2498 | Spur Paul Töpfer . en Otto Schuchard. . . 1 a | oe | = Karl Etzel ESAR: wi. F Herm. Erhardt . N > : s | er 2 | = Herm. Elliger . . . (ri, lo Walter Frobin . . . {pr 5 ve em Belke ee JR e Z Otto Rödiger. aa - Er Paul Range . ae Karl Sölter TERE Bu Er Fritz Tönhardt . IE | 508 | u Durchschnitt: ( x li E70 | 10% | 218.9

ist, um so weniger reichen die anorganischen Basen aus. Damit ist der Beweis geliefert, daß im Speichel unbedingt orga- nische, stickstoffhaltige Basen (Amine) vorhanden sein müssen, und zwar um so mehr, je stärker alkalisch der Speichel ist. Leucin- und Xanthinkörper sind nach Hammarsten im Speichel bereits nachgewiesen worden; wahrscheinlich sind auch schwefelhaltige Basen (Tyrosin) darin enthalten. Nar auf diese Weise läßt sich die bedeutende Steigerung der Schwefelsäure

Verhandlungen der 44. Jahresversammlung des Centr.-V. D. Z. 723

heimischen 13—14jährigen Knaben in Clingen.

100 com Speichel enthielten

Asche in mg

IE | | | |

PO, | SO, | Cl FeO, | CaO | MgO | K,0 NaO R : Aoo l | Be 287 ı 44 | 286 Spur , 86 ; 00 | 908 | 475 28,2 | 2,3 338 Spur 79 © 09 91,4 | 38,7 234 | = 100 | 83,3 | 59,3 2,4 | = = 12 ! 02 768 | 49,4 15 = er 97.1, 871 | 671 30,0 © = = 11,6 | 03 | 96,5 | 721 334: s er E 07 e 68,0 | 21,7 244 | ` 129 | 05 82,2 | 199 29,6 = 10,6 | | 100,1 | 47,2 393 ` _ 132 ı 12 946 | 19,1 28.2 | ; 11,5 | | 756 | 97,5 35,0 | 00 - 10,3 ; 04 69,1 | 796 356 0 |, - | = 49 i 370 407 are 137 i 10 55,5 | 42,0 28,8 ze ma y 16 ` !' 826 | 22,1 312 j | 91 j 24 85,6 22,2 2,3770 = = 100 10-982 | 211 30 |- I | o9 na | 270 35,3 = s = 100 | - I 547 | 171 2,5 | | i ml; | 620 | 189 279 m. | 94 © 65,9 | 25,4 286 ss g ade TE 69,5 ; 21,2 38,9 To iz In e | 19 | 102,6 37,7 0 | = | 109 37 85,2 | 28,4 sy, = Ten | 11,8 | 1,1 841,4 | 36,5

in der Asche stark alkalischer Speichel erklären (Tabelle 12 u. 13). Zum kleineren Teile beruht die Zunahme der Schwefelsäure auf einer größeren Anhäufung von Rhodanverbindungen im stärker alkalischen Speichel.

Die Anwesenheit von organischen Basen macht es auch er- klärlich, weshalb die Speichelalkaleszenz durch Formalin-Zusatz vermindert, und durch faulige Zersetzung vermehrt wird. Höchst- wahrscheinlich beruht die Speichelalkaleszenz wirklich gesunder

46”

724 Verhandlungen der 44. Jabresversammlung des Centr.-V. D. Z.

Zusammensetzung der Speichelasche bei einheimischen

13—14 jährigen Knaben

Per: | 100 ccm Speichel enthielten: Versuchsperson ' ch ' Alkalesz. Asche in mg £ SCH f in cem =- = n - = = gaS o FOI sehe | P,O, CaO MgO K,O Na.0 TT il l Sa} 3 z Tab. S. in Steigerthal. g i R. Aderholz ., 70 ` 24 | 318,5 |323 11,0 |05 101,6 52$ A. Lenkhaus . 62 105 | 215,6 !25,8 11,8 | 0,6 95,3 198 A. König . .| 57 123 | 250,7 129,4 14,9 | 03 102,8 27,9 C. Meinecke . | 57 | $8 222,6 128,0 10,7 10,6 102,6 19,4 T. Köni | 49 143 ' 269,6 "404 13,7 |01 1087 225 G. Kohlhausen : 47 . 202 : 305,9 ‚47,85 14,7 | 0,8 119,4 35,6 H. Meinecke . 45 , G, | 224,9 26,0 13,3 02 98,8 133 G. Siebold. .! 43 ! 140 ' 270,2 |39,7 151|00 992 18% C. Tölle. . | 30 | 6,7 | 2540 133,6 14,0 | 1,1 109,4 26.9 Durchschnitt: : 51,1 13,3 259,1 33,7 13,2 0,5 103,1 26,3 Tab. 9% _ __________._Jonsdorf._ ___ a, E. L. Schulze | 95 © 184 | 2513 |371 12,9 | 04 87,7%: E. G. Eckhardt | 64 | 125 | 2445 |21,4 122 02 9,8 EN G. H. Klaus . 59 | 102 i 251,7 13191114 | 05 88,2 373 M. G. Bergtig | 48 | 94 | 2125 270. 8805 809 2%, K. H. Leubner | 44 | 114 | 227,7 35,8 | 820,0 86,5 129, P. Tempel. .; 40 | 125 2640 26,7 1103 | 06 95,2 38,4 M. R. Neumann 37 10,8 . 233,8 Kine 9,9. O04 73,2 298 E. G. Tempel. , 27 10,0 | 2467 415 '174 05 92,0 320 O. E. Goldberg ' 25 | 16,8 | 203,6 40,1 13,6 1,5 980 534 E. G. Feurich. 24 , 8&3 315,0 50,4 | 18,8 : 0,5 122,5 20,9 P. R. Weber. | 10 | 120 | 2820 320 1120 18 879 1: Durchschnitt: 43,0 12,0 . 256,6 33,8 12,7 0,6 91,5 38,3 Tab. 10. _ PORN ____Beinhardtsdorf. | ee an Ed. Hänsel 112 2386 41,2109; 02 101,8104 K. Viehrig.. 62 153 0 3000 1350 1111 03 827 693 P. Viehrig . 61 15,1 264,9 140,9 146 04 760 443 A. Viehrig. 3i TA 2446 34,4 132 0,4 103,1 119,7 R. Kind. 500 0156 2598 33,2 |152, 0,5 81,6 433 M. Focke 4 $, 317 3360147 08 103,4 210 B. Focke . .: 39 10,8 2521340 19,7 1,0 1010.82 E. Kunze 37 S1 2030 1317143 0,6 84,9 1182 R. Hering... 36 532545 .349 14,2 10,1 11087 1233 W. Bär. . . 2 10,0 | 290,0 42,2 15,0 0,7 130,5 292 W. Kopprasch , 18; 3,3 312,2 30,6 0 10 1138 ,428 R. Berger... 15, A7 i 3173 402 313187 1118 [46 Durchschnitt: 44,9 9,9 : 264,9 38,4 T 0,7 : 99,5 33,1

I Verhandlungen der 44. Jahresversammlung des Centr.-V. D.Z. 725

Menschen überhaupt zum allergrößten Teile auf der Anwesenheit von solchen organischen Basen. Es läßt sich kaum annehmen, daß sämtliche Alkalien im Speichel als basische Verbindungen vorhanden sind; ein Teil davon ist sicherlich in Form von nenu- tralen Salzen gebunden (Kochsalz u. a.). Anderseits sind im Spei- chel auch noch organische Säuren aus der Amidogruppe vorhanden, die einen Teil von Natron gebunden halten.

Zusammensetzung der Speichelasche bei einheimischen Tab.ı1. 12—13jährigen Knaben in Slite (Mai 1904).

ag, |

Zaos 100 cem Speichel enthielten Asche in mg Versuchsperson FSE O o

FE Gesamt- | | > x

Er : f asche Frl | CaQ MgO > K,O | Na.0 A. Andersso 6S 2422 28O | 75.02 14 22,7 H. Ahnell. . .| © 2321 2355 |112 05 707: 336 H. Nyström . . 55 259,1 29,9 84.03 1130. 25,1 A. Dahlström . D2 936.2 1325 94 06 85,1 33,0 K. Wallin. . . 46 2m0 34,5 NT 08 1047 30,1 E. Larsson . . 46. 205,1 l 32,7 | 80 1,2 89,8 |, 14.5 N. Hammarström 42 : 1929 : 28,7 | 150 04 66,7 372 E. Hejdenberg ., 40 | 3130 , 41,4 ' 10,5 04 126,7; 597 E. Wahlberg . 35.1355 268,0 111 03.1893 245 G. Anderson . 35 20513239197 1,1 83,3 23,1 H. Östberg . .' 4 i 2283 366 117,05 8,4 210 G. Johansson .: 20 2500 454 |100 09 1018 37,7

l ' ! l t

SAN

‚Durchschnitt: 44,7 | 232,6 | 33,0 | 10,1 0,6 93,7 | 29,4

1

Man stelle sich auch nur einmal vor, der stark alkalische Speichel eines Menschen von 20 ccm !i,, Normal-Kalilauge und darüber enthielte seine gesamte Alkaleszenz in Form von Lauge oder Soda, dann würde sehr bald die macerierte Schleimhaut des Mundes in Fetzen herabhängen. Das ist ja eben die wunderbare Fürsorge der Natur, daß sie in den organischen Basen ein stark alkalisches Schutzmittel für die Zähne geschaffen hat, das den- noch die zarte Mundschleimhaut nicht im geringsten angreift. Ob diese organischen Basen im frischen Zustande in der Mundhöhle (!) nicht doch vielleicht imstande sind, auch eine gewisse hemmende Wirkung auf das Bakterienwachstum auszuüben, diese Frage muß einstweilen offen bleiben. Die Beobachtung Millers, wonach der Speichel von kariesfreien Menschen in Gegenwart von Kohle- hydraten weniger Säure bildet, scheint dafür zu sprechen. In- dessen lege ich auf diesen Umstand keinen allzu großen Wert.

726 Verhandlungen der 44. Jahresversammlung des Centr.-V. D. Z.

Viel wichtiger ist die säuretilgende Eigenschaft des alkalischen Speichels.

Mögen die zur Verfügung stehenden Alkaleszenzmengen auch nicht übermäßig groß sein, so wirken sie doch andauernd und können darum sehr wohl die ebenfalls immer nur in kleinen Mengen ge- bildeten Mundsäuren immer wieder aufs neue neutralisieren. Die Schutzwirkung des Speichels erstreckt sich selbstverständlich nur anf die Verhütung der ersten Anfänge von Zahnkaries. Ist die Krankheit erst einmal in der Tiefe einer engen Höhle bis ins Zahnbein vorgedrungen, dann ist es mit der Schutzwirkung des Speichels in der Regel vorbei. In der Tiefe schwer zugänglicher. trichterförmiger Erkrankungsherde ist die Reaktion stets sauer. In kalkarmen Gegenden mit schlecht gebauten Zähnen finden sich aber häufig jene Fälle, in denen die Zahnkaries mehr flächen- artig unter dem Schmelze weiterfrißtt. Schließlich bricht die unterhöhlte Schmelzdecke zusammen. Der Speichel gewinnt dann wieder Zutritt zum Krankheitsherde und kann wesentlich dazu beitragen, die Zahnverderbnis zu einem gewissen Stillstande zu bringen. Die sogenannte „ausgeheilte Zahnkaries“ findet sich vorzugsweise bei Kindern mit hoher Speichelalkaleszenz.

Auf der Anwesenheit von organischen Basen beruht auch der eigentümliche Geruch des gesunden Speichels.. In den Lehr- büchern der Physiologie kann man lesen, daß der menschliche Speichel geruchlos sein soll. Diese Angabe läßt sich nur dadurch erklären, daß die betreffenden Beobachter niemals wirklich ge- sunden Speichel vor sich gehabt haben. Schwach alkalischer Speichel ist tatsächlich beinahe geruchlos. Stark alkalischer Speichel vom Menschen dagegen hat einen sehr ausgeprägten Ge- ruch, der an frisches Sperma oder an die Blüten von Edelkasta- nien erinnert. Der verschieden starke Geruch des Speichels hat seinerzeit meine Alkaleszenzbestimmungen wesentlich erleichtert. Ich hatte schließlich eine solche Übung gewonnen, daß ich schon am Geruche annähernd bestimmen konnte, ob größere oder ge- ringere Mengen von ';,„ Normal-Salzsäure zur Neutralisierung des Speichels erforderlich wären.

Außer bei Schulkindern habe ich noch bei 5 erwachsenen Personen Speichelversuche angestellt. Es handelte sich dabei um die Entscheidung der Frage, ob es möglich sei. auch noch beim erwachsenen Menschen die Speichelbeschaftenheit durch kalkreiche Lebensweise günstig zu beeinflussen. Ebenso wie das bei allen übrigen Körpergeweben der Fall ist, so wird auch die mehr oder weniger gute Beschaffenheit der Speicheldrüsen in erster Linie durch Vererbungseinflüsse bedingt. Wir sehen in Tabelle 5, dat es unter den 42 Knaben. die sämtlich in Nordhausen geboren

Verhandlungen der 44. Jahresversammlung des Centr.-V. D. Z. 727

sind, die von Jugend auf das gleiche, weiche Trinkwasser genossen, und die auch sonst unter ziemlich gleichen äußeren Verhält- nissen gelebt haben, dennoch große Unterschiede in der Güte des Speichels gibt. Die Eltern von vielen Nordhäuser Kindern stam- men vom Lande und haben in ihrer Jugend harte Trinkwässer zur Verfügung gehabt. Ihre Speicheldrüsen sind gut entwickelt, ‚und der gute Bau dieser Drüsen ist trotz des weichen Nord- häuser Trinkwassers wenigstens teilweise auf die Kinder vererbt worden. Erst im Laufe von mehreren Geschlechterfolgen ent- arten die Drüsen vollständig.

Das Verhältnis zwischen den Aschenbestandteilen gleich- großer Speichelmengen aus Ortschaften mit verschieden- Tab. 13. artiger Speichelalkaleszenz.

| Ortschaften mit einer durchschnittlichen || Speichelalkaleszenz in 100 cem Speichel von:

13,5 ccm 17,6 cem

9,1 ccm | n n n _ | 10 HCI | i0 HCl T HC] Gesamtasche 1 | 1,03 1,06 20; . 1 0,97 0,94 GE; 1 0,81 0,90 ET EEE: 1: 0,96 1,02 ER E E NTE 1: 0,96 0,85 Na0 ee g T: 1,18 1,38 SO; . 1 1,73 2,20 Alkaleszenz | 1: 148 | 1393

Man beachte: Die Speichel aus den Ortschaften mit höherer Speichelalkaleszenz sind ärmer an Kali, aber reicher an Schwefelsäure und Natron.

Ebenso wie bei den Zähnen, so macht sich auch bei den Speicheldrüsen der Vererbungseinfluß nicht in allen Fällen gleich- mäßig geltend. In einzelnen Fällen wird der günstige Einfluß der Vererbung schon in der nächsten Generation von den äußeren Schädlichkeiten überwunden, in anderen Fällen aber überdauert er 2—3 Geschlechter. So kommt es, daß in Nordhausen die Alkaleszenz von 100 ccm Speichel in den weiten Grenzen von 3,9—17,4 ccm !/;, Normal-Kalilauge schwankt (Tabelle 5).

Im Gegensatze zu Michel habe ich von jeher den Stand- punkt vertreten, daß für die gute Entwicklung der Zähne, der Speicheldrüsen und des ganzen Körpers in erster Linie der Erd- salzreichtum des Geburtsortes maßgebend ist und erst in zweiter Linie der Einfluß des Wohnortes. Aber in den Augen der Wissen-

728 Verhandlungen der 44. Jahresversammlung des Centr.-V. D, Z.

Zusammensetzung der durchschnittlichen Speichelaschen Tab. 14. í Speichel

Ortschaften mit einer | Speichelalnaleszenz von: | Fr,0, © CaO MgO | KO K,HPÜO, Naw

1. über 10 ccm 7 HCI 007 3,79 050 0.848 233 1261 | !

A Mn 007 :357 030 1045. 240 10,77 3. unter 5 i „008 | 8371 00 1106, 247 Sn

Gesamtdurchschnitt: || 0,07 3,68 | 0,35 10,386 ' 241 ` 9%

Man beachte: Der Überschuß der Basen über die Säuren in der Daraus folgt, daß stickstoffhaltige, organische Basen im Speichel vor- die Alkaleszenz des Speichels ist.

schaft haben Ansichten keinen Wert: nur wirkliche Tatsachen beweisen. Ich habe also 6 Monate lang bei mir selbst und bei 4 weiteren Versuchspersonen Ernährungsversuche mit kalk- armer und kalkreicher Nahrung durchgeführt. Die 5 Versuchs- personen stammten aus Gegenden mit den verschiedenartigsten Bodenverhältnissen, aus Thüringen, Göteborg in Schweden, Han- nover, Rheinland und Böhmen. Wir alle hatten seit mehr als 2 Jahren in Plauen bei Dresden mit seinem ziemlich weichen Trinkwasser von etwa 9,0 Härtegraden gelebt. 3 Versuchspersonen genießen überhaupt keinen Alkohol, Herr und Frau Berg trinken nur ab und zu einmal geistige Getränke in sehr mäßigen Mengen. Die Versuche haben am 28. Januar 1904 begonnen und sind bis zum 2. August 1904 fortgesetzt worden. Um uns selbst an eine gleichmäßige Art des Speichelsammelns zu gewöhnen, und um dem Analytiker Gelegenheit zur Einarbeitung in die Technik der Speichelanalyse zu geben, haben wir zunächst 5 Tage lang, zur Probe gespült. Bei der Gelegenheit konnte ich mir selbst auch die nötige Übung aneignen, um die Alkaleszenzbestimmung sicher und gleichmätig durchzuführen.

Am 1. Februar begannen die Versuche mit kalkarmer Er- nährung, die bis zum 8. April, also mehr als 2 Monate lang fort- gesetzt worden sind. In der Umgegend von Dresden liefert das Wasserwerk Bühlau, das die Gemeinden Bühlau, Weißer Hirsch und Oberloschwitz versorgt. ein außergewöhnlich erdsalzarınex Wasser von nur 0,8” deutscher Härte. Dieses weiche Wasser wurde in großen Glasbehältern nach unseren Wohnungen iber-

Verhandlungen der 44. Jahresversammlung des Centr.-V. D. Z. 729

von Tabelle 12 in t/o Milligramm-Äquivalenten auf je 100 ccm berechnet.

Überschuß der

ba Säuren i Überschuß ;

= nn, een | der Basen | Titrierte er an

f | über die |Alkaleszenz en Summe SO, Cl Summe i Sauron | | Berl

PIE SEEN EEE E er 27,13 4,50 | 13,01 | 17,51 l 10,22 ; 17,60 | 7,38

| | | | | 27,56 | 3,55 | 11,72 | 15,27 ` 12,29 | 13,50 | 1,21 25,88 | 205 | 14,45 | 16,51) | 9,38 | 980 | 0,42

i i l | 26,71 2,83 | 13,46 | 16,29 ` 10,42 | 13,30 | 2,92

Speichelasche reicht nicht aus, um die titrierte Alkaleszenz zu decken. handen sein müssen, und zwar durchschnittlich um so mehr, je höher

geführt und diente ausschließlich zum Kochen und Trinken. Der Genuß von Milch, Eiern, Gemüse und Obst ist auf ein möglichst. geringes Maß eingeschränkt worden. Als tägliches Brot diente eine recht weiße, nährsalzarme Sorte. Im übrigen haben wir vom 1. Februar bis 8. April hauptsächlich von kalkarmer Fleisch- nahrung gelebt. In dieser kalkarmen Zeit sind 7 mal Speichel- proben entnommen worden, am 21. IL, 22. IL, 6. IIL, 7. IH., 6. IV. 7. IV., 8. IV.

Daraufhin trat ein völliger Wechsel der Lebensweise ein. An Stelle des bisherigen weichen Bühlauer Wassers wurde das Trink- und Kochwasser aus einem Brunnen in Coschütz entnommen. Es hatte 56,70 Gesamthärte und 43,0% bleibende Härte. Milch, Eier, frische, grüne Gemüse und Obst wurden in größeren Mengen genossen. Diese Lebensweise dauerte wiederum länger als 2 Monate, bis zum 15. Juni. Von da an erhielt jede Versuchs- person außer ihrer kalkreichen Nahrung täglich noch mindestens 1 Liter eines stark erdsalzreichen Mineralwassers (Wildunger Helenenquelle, Reinhardsquelle und Lippspringer Liboriusquelle).

Die Menge der verbrauchten Lebensmittel ist genau aufge- schrieben worden, und unter Zugrundelegung der Mittelwerte aus Wolffs Aschenanalysen haben wir den Verbrauch von Nährsalzen annähernd berechnet. In den 3 Versuchsabschnitten ist die Auf- nahme an Kalk im Verhältnis von 8:23:34 gestiegen, während der Genuß von allen übrigen Nährsalzen nur in sehr mäligen Grenzen zugenommen hat (Tabelle 15).

In den Tabellen 16—19 sind die Ergebnisse der 75 Speichel-

730 Verhandlungen der 44. Jahresversammlung des Centr.-V. D. Z.

Durchschnittliche Menge und Aschengehalt der Nahrung, Versuchsdauer täglich auf- Tab. 15. I. Kalkarme

Sy

| Aschen- Menge | der Nahrungs- | naa Bil a mittel in g

Bezeichnung der Nahrungsmittel

CaO MgO Fleisch . A a he a 245,7 | 0,0767 : 0,1022 Gemüse . . 2.2. 2.0.0. 147,6 0,1801 0,0094 Kartoffel . . . 22... 1478 > 0043 0,0797 Früchte . . . 2 2... 175,3 | 0,1129 ` 0,0798 Brot (helles). ee 330,7 0,2546 0,2655 Mehl und Gries . . . . 53,7 i 0,2304 ' 054l Kochsalz . en 1,8 | E r E 2 4.8 0,1560 0,0054 Eiòrs, ace on ? 7,2 0,0086 (1,0009 Milch . . 9,0 00141 00016 Bühlauer Wasser für Kaffee, | Tee, Kakao . . . | 600,0 0,0026 0,0015 Summe 1 08782 0,6601

Abgang aar Erdsalze aus den Nahrungsmitteln B durch die auslangende rkung des weichen ET Büblauer Wassers . . . . . : Be a ea | 0,0287 1,0622

Durchschnitt: 0,8495 | 0,599

H. Kalkreiche Ernährun gsweise

Fleisch. . . 2 2 2.2. 180,7 -0,0564 = 0,0752 Gemüse . . 22200. 164,4 0,2005 | 0,0773 Kartoffel . . 2 202. 1 57,2 i 0,0450 0,0847 Früchte . . a u A 221,9 0148 0,1023 Brot (dunkles) . a a 222,5 021837 ORT Mehl und Gries RE ER: 50,0 00284 | 0,0504 Kochsalz . G Pe de 5 7,5 | Käse oo 2222 6,7 0,2151 0,0074 Kier isie oaae, 8 0,1059 -0,0107 Milch . . . ie 346,7 | 1,3276 | 0154 Coschützer Wasser für | |

Kaffee, Tee, Kakao . . ! 400,0 0,1899 0,0258

Niederschla des Kalkes auf die Nänrkissmitkel beim Kochen mit hartem Coschützer Wasser : 0,2869

Durchschnitt: 2,8188 | 0,8156

Mm. Kalkreiche Ernäh rungsweiße

Nahrungsmittel wie in H | 2,8188 0,8156 Mineralwasser . . ... 195,0" 0, 5903 0,2931 Ber GE Ce EEE EEE BR: BERGE GEEENERESEEEEERERERE SEE ISRAEL EEE EL

Durchschnitt: 3,4091 , 1,1087

l

Verhandlungen der 44. Jahresversammlung des Centr.-V. D. Z. 731

die von jeder Versuchsperson während der 8monatlichen genommen worden ist. Ernährungsweise.

gehalt der aufgenommenen Nahrungsmittel in g:

Pe,0, | K.O Na,O | P0; Cl SO, 0,0128 | 1,1817 0,3226 | 1,3155 0,1501 0,0319 00310 | 0,4812 ; 02140 . 0,2037 0,0974 0,1269 0,0179 0,9774 ; 0,0488 0,2748 0,0569 0,1057 0,0368 0,5018 | 0,1767 0,1976 0,0160 0,0577 0,1455 | 0,4474 0,4474 1,6950 0,1491 0,0291 0,0019 0,1497 |; 0,0048 0,2425 = -83,515 4,0973 0,0009 0,0121 0,0661 0,1623 0,0512 0,0040 0,0003 0,0138 0,0181 0,0298 0,0071 0,0002 0,0002 0,0156 0,0052 | 0,0166 0,00SS 0,0016 | ELE. 0,0015 0,0038 Ä z 0,0026 0,0062 O02477 37522 An | 4,1381 4,6365 0,3633 | = er =; | = | = == u 0,2477 3,7822 | 4,8850 4,1381 4,0365 0,3633 ohne erdiges Mineralwasser. 0,0094 | 0,8690 0,2372 | 0,9677 0,1104 0,0235 0,0345 |, 0,5355 0,2383 (1,2268 0,1085 0,1414 0,0190 1,04390 0,0519 | 0,2922 0,0005 1,1124 0,0472 0,6435 0,2267 0,2534 0,0205 0,0740 0,1248 | 0,3837 0,3337 1,4535 0,1279 0,0250 0,0018 0,1395 QON | 0,2259 > = 3,5775 © 4,0973 0,0012 0,0167 0,0911 0,2238 0,0707 0,0056 0,0039 0,1691 1,2226 0,3654 0,0875 0,0029 OOITS 1,4639 0,4860 1,5587 0,8297 (1,1482 VOOOS ıı 0,0014 0,0126 es 0,0528 (1,1438 0,2604 | 5,2619 ` 5,5321 5,5074 5,5658 0,6768 mit erdigen Mineralwässern. 0,2604 ! 5,2619 5.5321 5.5074 5,5658 0,6768 0,0062 | 0,0100 0,0406 04041 0,2913 02666 ` 5,2719 6,1817 5.5074 0.0299 0,9681

732 Verhandlungen der 44. Jahresversammlung des Cenutr.-V. D. Z

analysen, die zu dieser Versuchsreihe nötig waren, einzeln geführt worden. Sie lassen sich kurz in folgenden Sätzen ; sammenfassen: Infolge der kalkreichen Lebensweise steigt sow« die Menge als auch die Güte des Speichels in mäßigen Grenz an. Die Gesamtasche des vorhandenen Speichels steigt in d drei Versuchsabschnitten von 108:117:133 mg, und nahezu i gleichen Verhältnisse steigen auch Phosphorsäure, Kalk, Kali u teilweise auch Natron. Bei der Berechnung auf je 100 « Speichel nimmt ebenfalls vom ersten zum zweiten Versuchss schnitte der Aschengehalt des Speichels etwas zu, im dritt Abschnitte aber nimmt er wieder um eine Kleinigkeit ab, oh jedoch den tiefsten Standpunkt des kalkarmen Zeitabschnitt wieder zu erreichen. Infolge der stärkeren Flüssigkeitsaufnahı im dritten Versuchsabschnitte ist anscheinend die Speichelmen rascher angestiegen als die Menge seiner Salze, so daß in ( dritten Ernährungsperiode zwar die absolute Aschenmenge, nii aber auch die relative gestiegen ist.

Vergleicht man die Zunahmewerte der titrierten Speichel- alkaleszenz mit den entsprechenden Werten der Aschenbasen, so findet sich ein ausgesprochenes Mißverhältnis. Die Zunahme der anorganischen Basen reicht nicht entfernt aus, um die Zunahme der Speichelalkaleszenz zu decken. Die Steigerung in der Speichel- alkaleszenz beruht also in erster Linie wiederum auf der Zu- nahme von organischen, stickstoffhaltigen Basen.

Was die Zunahme der Speichelmenge in den drei Versuchs- abschnitten betrifft, so ist dabei die Frage zu erwägen, inwie- weit die größere Speichelmenge etwa auf vermehrter Flüssigkeits- aufnahme beruhen könnte Im zweiten Versuchsabschnitte war die Aufnahme von Flüssigkeiten nicht wesentlich höher als im ersten; der Genuß von Tee, Katiee und Kakao ließ nach, und an ihre Stelle trat Milch in etwa gleicher Menge. Im dritten Ver- suchsabschnitte dagegen haben wir dem Körper täglich ein Flüssigkeitsüberschuß von etwa 1 Liter Mineralwasser zugeführt. In den heißen Sommermonaten ist ja nun allerdings wohl der größte Teil der vermehrten Wasserzufuhr dem Körper durch stärkere Schweißbildung wieder entzogen worden. Immerhin ist es auffüllig, daß bei den Versuchspersonen 2 und 3 die Menge des Speichels im zweiten Versuchsabschnitte etwas gefallen und erst im dritten Abschnitte stark angestiegen ist. Diese beiden V'ersuchspersonen gehören zu den Leuten, denen man im Volks- munde eine „durstige Leber“ zuschreibt, d. h. sie haben im heißen Sommer ein sehr starkes Bedürfnis nach vermehrter Flüssigkeits- aufnahme. Bei den Versuchspersonen 1, 4 und 5 war das nicht der Fall, und bei ihnen nimmt die Speichelmenge vom 1. bis 3. Versuchsabschnitte ganz regelmäbig zu. Bei 2 Versuchspersonen

Verhandlungen der 44. Jahresversammlung des Centr.-V. D. 2. 733

hat also die vermehrte Flüssigkeitsaufnahme vielleicht eine ge- wisse Rolle gespielt, bei den übrigen aber kaum. Um die vor- liegende Frage noch weiter aufzuklären, habe ich nach dem Ab- schlusse der ganzen Versuchsreihe noch folgende Versuche angestellt, die leider nur von 4 Personen ausgeführt werden konnten, weil mein Dienstmädchen am 1. August von Dresden fortgezogen war: An zwei aufeinander folgenden, glühend heißen Augusttagen (3. VIII. und 4. VIIL) haben wir wiederum zur üblichen Zeit, mittags vor dem Essen, °/, Stunden lang Speichel gesammelt. Am ersten Tage durfte nach dem Frühkaffee 5 Stunden lang, bis zur Vor- nahme des Speichelversuchs,. überhaupt keine Flüssigkeit aufge- nommen werden, so daß die Zunge tatsächlich am Gaumen klebte. Am zweiten Tage trank jede Versuchsperson in dieser Zeit min- destens 1 Liter weiches Dresdener Leitungswasser. Herr Berg nahm sogar 2!/, Liter Wasser zu sich. Trotzdem steigerte sich die Speichelmenge am zweiten Tage nur um 2!/, ccm, während sie durch erdsalzreiche Ernährung (Tabelle 18) beinahe um 9 ccm gesteigert worden war. Daraus geht hervor, daß die

Speicheldrüsen durchaus nicht etwa, gleich den Nieren und Schweißdrüsen, Exkretionsorgane sind, die je nach der Menge des

aufgenommenen Wassers bald mehr, bald weniger davon wieder ausscheiden. Der Speichel ist kein Auswurfastoff,_wie Harn und Schweiß, sondern er wird dem Körper zur weiteren Verwendung wieder Z

Meine 4 Versuchspersonen lieferten auf der Höhe der kalk- reichen Ernährung im dritten Versuchsabschnitte durchschnittlich 60,4 ccm Speichel mit einer Alkaleszenz von 14,4 ccm, am 1. und 2. August lieferten sie sogar 62,7 ccm Speichel mit einer Alka- leszenz von 15,3 cem !;,, Normal-Kalilauge in 100 ccm Speichel. Als am 3. August probeweise wieder kalkarme Lebensweise ein- geführt worden war, fiel die Speichelmenge auf 45,5 ccm mit 14,5 ccm Alkaleszenz; am 4. August stieg infolge der ungewöhn- lich starken Flüssigkeitsaufnahme die Speichelmenge wieder ein wenig an, nämlich auf 48,0 ccm; die Alkaleszenz aber ging noch eine Kleinigkeit weiter zurück, nämlich auf 14,4 ccm '!/io Normal- Kalilauge. Daraus geht hervor, daß nach dem Aussetzen der reichlichen Erdsalzzufuhr zuerst die Speichelmenge wesentlich zurückgegangen ist, und zwar in höherem Grade als die Alkaleszenz. Unser Organismus hat versucht, den Austall der Erdsalzzufuhr zunächst dadurch auszngleichen, daß er Speichel von annähernd gleich:guter Beschaffenheit, aber in geringerer Menge lieferte. Bei weiterer Fortsetzung der erdsalzarmen Ernährung würde selbstverständlich zuletzt auch die Alkaleszenz wieder den niedrigen Stand des kalkarmen Ernährungsabschnittes mit 11.7 cem ! œo Normal-Kalilauge erreicht haben.

m

734 Verhandlungen der 44. Jahresversammlung des Centr.-V. D. Z.

i Der Einfluß erdsalzreicher Ernährung Tab. 18. Durchschnitt von allen

i In 45 Minuten wurden Sheshin: | Be ee ee E e ee a en a | p: J

ach | oa DLA Asche in mg Ernährungsweise | = 28 SS g 5 on ne | 88a 85% q |! Gesamt- E | I 307 j Saa | asche PO, es MgO 1. Kalkarm.. . | 529 | 1,28 | 107,80 | 14,60 ; 488 | 0, I. Kalkreich, ohne l | es Mineral- , | | | 36 1,58 , 116,74 | 17,92 | 5,16 . 0,58 HI. Kalkreich = | | | | erdigen Mine- | | ralwässern . . : 61,7 1,97 =- 133,26 | 19,14 | 6,14 0,42.

I li

Wir sehen also, daß sich durch zweckmäßige, kalkreiche Er- nährung die zahnschützenden Eigenschaften des Speichels (Menge und Alkaleszenz) tatsächlich selbst bei Erwachsenen ein wenig steigern lassen. Im jugendlichen Alter, solange die Speichel- drüsen noch in der Entwicklung begriffen sind, würde der gün- stige Ausschlag der nährsalzreichen Ernährung wahrscheinlich noch größer sein. Immerhin muß im Auge behalten werden, daß dieser günstige Einfluß kalkreicher Nahrung erst nach mehreren Geschlechterfolgen zum durchschlagenden Erfolge führen kann. Mein eigener Speichel z. B. hat selbst in der kalkarmen Ver- suchszeit immer noch wesentlich höhere zahnschützende Eigen- schaften als der Speichel aller übrigen vier Versuchspersonen im kalkreichsten Ernährungsabschnitte.e Wer also seinen Kin- dern die Vorteile kalkreicher Lebensweise sichern will, muß schon vor ihrer Zeugung bei sich selbst mit der Zufuhr von erdsalzreicher Nahrung beginnen.

Wir sehen also, daß Michels grobmechanische Auffassung vom Wesen der Kalkarmut durchaus nicht zutrifft. Der mensch- liche Körper ist weder eine Kaffeemühle, noch ein Reagenz- glas. Nach dem Durchschnitte meiner gesamten Analysen (Tabelle 14) betragen die Kalkäquivalente überhaupt nur 13,8 Proz. von den gesamten Basenäquivalenten in der Speichelasche, und nur 27,7 Proz. von der titrierten Alkaleszenz. Im günstigsten Falle würde also höchstens der vierte Teil der gesamten Speichel- alkaleszenz auf der Anwesenheit von Kalksalzen beruhen können.

Wie kommt nun aber der zweifellos vorhandene günstige Einfluß kalkreicher Ernährung auf die Wirksamkeit der Speichel- drüsen überhaupt zustande? Auf diese Frage läßt sich leider

Verhandlungen der 44. Jahresversammlung des Centr.-V. D. Z. 735

auf die Beschaffenheit des Speichels. 5 Versuchspersonen.

| ; 100 ccm Speichel enthielten:

Dr a m en ae he ea ee ERE | Asche in mg ee ae 5 :7- 4-1 Zus a Se Dee R,O | Na,0 | EEEL en P,O, | CaO | ugo | K,O Na,0

| 8,98 | 1,04 !85,76 | 22,98

|

44,26 | 11,52 | 2,40 | 209,56: 27,88 | Ä i ! ' |

| | | | |

1120 , 2,90 : 220,50. 33,90 | 9,38 1,06 |91,74 | 22,44 | | | | | i

14,28 | 293 | 213,88 | 33,82 9,68 | 0,66 |84,14 ‚22,78

48,34

| | | |

heute noch keine völlig zuverlässige Antwort erteilen, weil die gesamte physiologisch-chemische Forschung über das Wesen der Nährsalze überhaupt noch in den allerersten Kinderschuhen steckt. Liest man in den Lehrbüchern der physiologischen Chemie den Abschnitt über Nährsalze durch, dann läßt sich sein Inhalt in dem kurzen Satze zusammenfassen: Die Nährsalze spielen zweifel- los eine große Rolle, da ohne ihre ständige Zufuhr überhaupt kein Leben bestehen kann; wie die Salze aber wirken, darüber wissen wir nichts Genaues.

Allem Anscheine nach hat die Zufuhr von größeren Kalk- mengen einen günstigen Einfluß auf den Stoffwechsel des ge- samten Körpers. Bei meinen Ernährungsversuchen (Tabelle 18) ist im Speichel auch die Menge des zelligen Bodensatzes ganz regelmäßig angestiegen, und zwar nicht nur die absolute Menge, sondern auch die relative Menge bei der Berechnung auf gleiche Speichelmengen von 100 cem. Ob es sich dabei mehr um eine beschleunigte Abstoßung des Mundhöhlenepithels oder um eine vermehrte Ausscheidung von Speichelzellen handelt, das bleibt sich gleich. Unter allen Umständen deutet der größere Gehalt des Speichels an zelligen Bestandteilen während der kalkreichen Ernährungsabschnitte darauf hin, daß ein erhöhter Stoffwechsel stattgefunden haben muß.

Nun kommt aber noch eine weitere Erklärungsmöglichkeit in Betracht. v. Bunge hat nachgewiesen, daß nach der Einfuhr von großen Kalimengen Natron aus den Körpergeweben ausgetrieben wird. Die Zufuhr von Kalk scheint gerade den ent- gegengesetzten, günstigen Einfluß auszuüben, indem sie die Anreicherung von Natron und die Bildung von orga-

736 Verhandlungen der 44. Jahresversammlung des Centr.-V. D. Z.

Der Einfluß erdsalzreicher Ernährung

Tab. 19. Nach den Ernährungsversuchen bei 5 Versuchs- a. | | 1. Dr. C. Röse | 2. Ragnar Berg | 83. Frau PRA | Alkaleszenz in cem sa 'Alkaleszenzincem a g Ver- |, 0825| n PREE n PEE E T n R HG |Ta50o8: jo HO! aart snchstag 2:28 10 Seenaa. KEL- F-E Sigis Siis 115332 SZ z a| vom vor-) von !%3252alvomvor- von &338= La = em [= san g © SEZA |handenen| 100 cem F 2% |handenen 100 cem EZTS En d | Speichel | Speichel 2:9 do Speichel | ‚Speichel =o A

5

| l, |

I. Kalkarme Ernährungsweise (weiches Bühlauer Wasser, weißes

und ə. m. | 920 | 155 | 168 | 490 50 | 102 | 330 29, | 10: 11,5 | 16,2 | 530 60 | 11,3 390 6. MI. į 735 ;: 90 Ia 58,0 | 6,2 10,7, 33,0 35 | 100 | 132 380 43,13, 240 6. IV. : 75,5 11,5 | 15,2 550 75 | 13,6 | 310 T. I 65,0 g0 Í 139 : 530 | 72 | 13,6 , 350 S. o, 71,0 129 | 16,9 | 54, 0 | 80 1148 | 33,0

Dorii a "E | a T48 11.2 14,9 51,4 6,3 12,2 33,9 schnitt: °% 5 |

ll. Kalkreiche Ernährungsweise (hartes Coschützer Wasser,

|

Milch 13. VI 770 ! 145 188 | 420 62 148 330 15. a j 940 | 17,0 | 187 i 440 | T0 j 159 250 |

| | Durch | 24,0 | 138 18,8 430 66 Bir | 30,5

schnitt: * | | i i

I. Kalkreiche Ernährungsw eise (wie in Nr. It, dazu täglicher

5. VII | s0.) 14,5 16,9 ; 43,5 | 6,0 | 138 | 47,0

T. SGO 0 145 169 0 430 6,0 14,0 360 BI, 5 112,0 230, 205 50,0 S0 16,0 | 430 Yo o i ozo 25 0 200 5 | 8&2 161 | 420 1. 1. VII. 108,0 Ben DIS Ir EI AA a 95,0 200 2: 204 i 570 10,0 f 17,5 i 440 Durch-

sehnitt:

99,5 196 19,5 48,9 76 1: Pi BER 4&5

Verhandlungen der 44. Jahresversammlung des Centr.-V. D. Z. 737

auf die Beschaffenheit des Speichels. personen vom 28. Januar bis 2. August 194.

Else Röse DE 4. Frau Ella Bete ' 5. Marie Pieschl Alkaleszenz in cem ` las Š Alkaleszenz in cem IPE g Alkaleszenz in cem n 5 2 n - HC) BREF 2 Hci 2uädg HCI 10 geaj 33535 10 en een Bern vom vor- | von ı mi- 28; vom vor-! von |an E zg] vom vor-: von handenen' 100 cem 15° 57 'handenen 100 cem 15” 22°” | handenen:' 100 cem aa | Speic hel F 3 ze Speichel ‚Speichel | 25 to | Speichel : Speichel

Brot, mehr Fleisch, weniger Gemüse und Früchte, sehr wenig Milch Bier).

35, 106 j 450 38 | 85 70 | W | 9,5 39 | 100" m 47 | 94 | 500 38 O T 25 7,8 No 035 1 7,3 | 60 l 45 | 74 3.3 7 480 4a | 92 | 570 | 50 8.8 3,0 97 9 | 500 | 55 | 98 3,5 10, 410 50 | 122 ı 620 | 62 | 100 3,4 | 103, 440 | 50 | 114 | 20 | 40 | 9,5 | I! i | l 33 0 9,7 | 46,9 4,7 : 10,0 | 57,4 „1 o 8,9

dunkles Brot, weniger Fleisch, mehr Gemüse und Früchte, viel und Eier).

12 | mo | 75 | 107

3,8 11,5

ı 490 | 55 | 3,2 11,4 | 470 | 53 | 13 | 550 60 | 109 | | | w | | | 3,5 151480 tee | 10,8 |

Genuß von mindestens 1 Liter alkalisch-erdigen Mineralwassers).

i ml mm TI m nn í

"|

„Tan: 45 laa | G20 60 | 97 o 11 ' 50 0 65 120 380 | 55 05 40 | 93 055 10. 080.1 70 | 10,6 a8 118 I 520 O 65 0 125 61,9 68 ' 111 55 i 128 i 490 0 600 123 81,0 | 95 | 11,9 40 Be 91 | BO: 70 m 7 | 8,4 | 11,4

| | zen | 465 1107 | 50,7 60 | 11,8. 67,0 | 72 | 10,7 | |

XXIII. di

733 Verhandlungen der 44. Jahresversammlung des Centr.-V. D. Z.

Tab. 2). Durchschnitt von allen 5 Versuchspersonen der Tab. 19.

4% Minuten ab- Alkaleszenz in ccm 2 He; f (A)

Ermährungaweise grschirdenen a, pr i Spricuels iD wom vorhand. von Im -cm

ccm Spricb-! Speichel

l.Kalkarm . . ... 32,9 6,12 11,14 ll. Kalkreich ohne erdige Mineral-

WAsBer 2 u. 53,6 7,62 13,36

III. Kalkreich mit erd. Mineralwässern . . 61,7 9,00 13,64

Man beachte: Durch erdsalzreiche Ernährung wird sowohl die Alkaleszenz, als auch die Menge des Speichels etwas gesteigert!

nischen Basen im Blute fördert. Diese Annahme eines Wechselverhältnisses zwischen Kalk und Natron einerseits. Kali anderseits stützt sich besonders auf eine Beobachtung, die ich in dem Dorte Steigerthal bei Nordhausen gemacht habe. Der Ort ist ringsum von Gipsbergen eingeschlossen und hat sehr harte Trinkwässer. Allerdings benützen die Bewohner zum Kochen von Gemüsen und Hülsenirüchten das Wasser einer ', Stunde ent- fernten, kalkärmeren Wald«uelle, die aus Buntsandstein entspringt. Immerhin beträgt der \Vasserverbrauch aus dieser Quelle nur etwa den achten Teil des gesamten 'Trinkwasserverbrauches. Unter Berücksichtigung der ausgezeichneten Zahnverhältnisse in den gipshaltigen Keupergebieten Mittelthüringens hatte ich auch in Steigerthal besonders gute Zähne erwartet. Bei der Untersuchung stellte es sich jedoch heraus (Tabelle 6), dab dort trotz der auter- gewöhnlich harten Trinkwässer nur eine mittelmäbige Speichel- alkaleszenz und nur mittelmätige Zahnverhältnisse vorhanden waren. Es gab sogar ausgesprochen grau gefärbte Zähne. wie sie sonst nur in kalkarınen Gegenden vorkommen. In der Asche des Speichels fällt sofort der außergewöhnlich geringe Gehalt an Natron auf. Um über ihre Aschenbestandteile genauen Aufschlub zu erhalten, habe ich auch von zahlreichen Trinkwässern volle ‚\schenanalysen anfertigen lassen. Beim Vergleiche der verschie- denen Analysen stellte es sich heraus, daß der zufällig ebenfalls untersuchte, am meisten benutzte Brunnen von Steigerthal außer- gewöhnlich große Mengen von Kali enthält. Die meisten Trink- wässer enthalten nur ganz geringe Alkalimengen, und das Mengen- verhältnis zwischen Kali und Natron ist entweder gleichgrot. oder der Natrongehalt überwiegt, In Steigerthal aber ist es um- gekehrt. Im dortigen Lindenbrunnen fand sich die recht be- deutende Menge von 0,2 g K,O und demgegenüber nur der fünfte

Verbandlungen der 44. Jahresversammlung des Centr.-V. D. Z. 739

Teil, nämlich 0,04 g Na,0 im Liter Wasser. Die Gipse von Steigerthal gehören der permischen Formation an, die auch die nordthüringischen Kalilager umfaßt. Der hohe Kaligehalt des Lindenbrunnens kann aber auch organischen Ursprungs sein; das Wasser enthält zugleich große Mengen von Nitraten. In kali- armen Trinkwässern üben die an Kalk gebundenen Nitrat- mengen keine schädliche Wirkung aus. Im Gegenteile, die besten Zahnverhältnisse haben sich bisher stets in jenen Gegenden ge- funden, wo ziemlich viel salpetersaurer Kalk im Trinkwasser vor- handen war. In Steigerthal kann also nur der hohe Kaligehalt des Trinkwassers einen schädlichen Einfluß ausgeübt haben. Der günstige, natronschützende Einfluß der Kalksalze ist durch die großen Kalimengen zunichte gemacht worden. Infolgedessen sind die Körpergewebe an Natron verarmt, und als Folgen dieser Natron- armut der Körpersäfte stellten sich Natronarmut des Speichels, geringere Alkaleszenz und schlechterer Bau der Zähne ein.

Ich halte es für sehr wahrscheinlich, daß durch kalkreiche Ernährung nicht allein die Alkaleszenz des Speichels, sondern auch die Alkaleszenz des Blutes erhöht wird. Höchstwahrschein- lich wird uns die Wissenschaft der Zukunft dereinst den Nach- weis bringen, daß die verschieden große Alkaleszenz des Blutes von geradezu fundamentaler Bedeutung für das Wesen von Gesundheit und Krankheit überhaupt ist.

Zu guter Letzt möchte ich noch ganz flüchtig eine Frage berühren, die kürzlich in der zahnärztlichen Wissenschaft etwas Staub aufgewirbelt hat. Die Zahnverderbnis ist eine sehr viel- gestaltige Krankheit, deren einzelne Ursachen erst im Laufe der letzten beiden Jahrzehnte durch mühsame und langwierige Forsch- ungen einigermaßen sichergestellt worden sind. Dabei konnte es nicht ausbleiben, daß gelegentlich der eine oder andere Forscher anf Abwege geriet. So ist es auch Lohmann!) ergangen. Er wirft kurz entschlossen die von Miller und seinen Schülern fest begründete Gärungsäuren-Theorie zum alten Eisen und behauptet, daß die Grundursache der Zahnverderbnis im krankhaft veränderten Mucin des Speichels gesucht werden ınüsse. Das Mucin sei eine Säure und entkalke die Zähne. Schon die klinische Erfahrung lehre: „Je klebriger und fadenziehender der Speichel, desto größer sein Mucingehalt und desto häufiger die Karies“. Wir haben hier wieder einmal ein ausgeprägtes Beispiel dafür, daß man in der richtigen Bewertung der sogenannten klinischen Erfahrung gar nicht vorsichtig genug sein kann. Schon manchen Forscher hat dieses Irrlicht in den Sumpf geführt.

1? Lohmann, Begründung weiner Theorie über das Wesen der Zahnkaries. Odontologische Blätter, Mai 1904. 47°

740 Verhandlungen der 44. Jahresversammlung des Centr.-V. D. Z.

Miller hat einen Herrn mit völlig gesunden Zähnen beobachtet, dessen Speichel so außergewöhnlich viel Mucin enthielt, daß er sich gleich dem Hühnereiweiße zusammenballte; man: mußte den Speichel mit dem Messer zerschneiden, um ihn abzuteilen. Genau dieselbe Beobachtung habe ich gelegentlich bei mir selbst machen können. Schon bei meinen seinerzeitigen Mundwasseruntersuch- ungen ist es mir aufgefallen, daß ich selbst unter allen Versuchs- personen weitaus den mucinreichsten Speichel hatte, den ich am gründlichsten mit Kochsalzpeptonlösung durchschütteln mußte, um eine gleichmäßige Lösung des Mucins herbeizuführen. Im vorigen Jahre habe ich den Mucingehalt meines Speichels nach Ham- marstens Methode bestimmen lassen. In 100 ccm Speichel fanden sich 24,1 mg sogenanntes reines Mucin. Keine zweite von den übrigen 16 Versuchspersonen, bei denen der Mucingehalt des Speichels bestimmt worden ist, hatte so große Mengen davon aufzuweisen. Und dabei bin ich im Besitze eines außergewöhnlich guten Ge- bisses, um das mich schon mancher beneidet hat!

Prüfen wir aber zunächst einmal die chemischen Grundlagen von Lohmanns Hypothese Reines Mucin ist der Theorie nach allerdings eine schwache Säure; die in der Mundhöhle vorkommen- den Mucinkörper dagegen sind stets nur neutrale Salze jener sauren Eiweißverbindung. Bei einer Versuchsperson wurde das Mucin durch Abfiltrieren des übrigen Speichels isoliert. Der anf dem Filter zurückbleibende Schleim ist dann in physiologischer Kochsalzlösung gelöst und nochmals filtriert worden, um die ein- geschlossenen Epithelzellen abzuscheiden. Die reine Lösung des Mundhöhlenschleimes reagierte vollkommen neutral. Ließ man sie unter Watteverschlud an der Luft stehen, dann veränderte sich die Reaktion nach einigen Tagen. Sie wurde aber nicht etwa sauer, sondern ausgesprochen alkalisch. Lohmann macht ja nun allerdings auch nicht den unveränderten Mundschleim für die Zahnschädigung verantwortlich, sondern er meint, daß durch den Zutritt anderer Säuren das reine Mucin des Mundschleimes von seinen Basen befreit werde; erst dieses freigemachte Mucin soll die Zähne entkalken. Das hieße nun allerdings die Kirche ums Dorf herumtragen.

Die entkalkende Wirkung einer Säure ist abhängig von ihrer Dissoziation, d. h. von der Menge freier Wasserstoffionen. Alle übrigen im Munde vorkommenden Säuren haben aber ein bedeu- tend höheres Dissoziationsvermögen als das hochmolekulare Mucin. Schon auf Grund dieser rein theoretischen Erwägung ist der von Lohmann behauptete Vorgang sehr unwahrscheinlich.

Prüfen wir nun einmal, welche Mengen von Mucin zur Ent- kalkung der Zähne nötig sein würden. Zur Lösung von 1 g

Verhandlungen der 44. Jahresversammlung des Centr.-V. D. Z. 741

kohlensaurem Kalke sind erforderlich: 1,2 g Essigsäure oder 1,8 g Milchsäure oder 153,6 g reines Mucin. Der Mucingehalt von 100 cem Speichel schwankt in 21 Versuchen bei 17 Personen zwischen 6,8 bis 24,8 mg und beträgt im Durchschnitte 11,7 mg. Die Menge des täglich abgeschiedenen Speichels wird in den physiologischen Lehrbüchern in der Regel auf 1—1';, 1 geschätzt. Das ist nach meinen Beobachtungen aber entschieden zu hoch gegriffen. Die Speicheldrüsen sondern während des Kauens viel größere Mengen von Speichel ab als in der Zwischenzeit. Nachts über ist ihre Tätigkeit sogar recht beschränkt. Wenn auch der Reiz des Wattekauens für die Speichelentleerung nicht ganz so stark ist wie der Reiz beim Genusse einer wohlschmeckenden Leibspeise, so wird beim °/,stündigen Kauen auf Watte doch sicherlich ebensoviel Speichel abgeschieden, wie bei einer regel- rechten Mahlzeit von 15—20 Minuten Dauer. Im Durchschnitte von allen meinen Speichelversuchen beträgt die in 3, Stunde abgeschiedene Speichelmenge rund 50 ccm. Es ist schon reichlich hoch gegriffen, wenn man annimmt, daß täglich 10mal so viel Speichel abgesondert wird wie bei °;,stündigem Weattekauen. Das wäre also für den Durchschnitt eines zivilisierten! Menschen etwa !/,1. Danach würden im menschlichen Munde täglich etwa 60 mg Mucin ausgeschieden werden, oder in einem Jahre 21,9 g. Erst in 7 vollen Jahren könnte also eine solche Menge von Mucin ausgeschieden werden, als hinreichen würde, um ein einziges Gramm kohlensauren Kalk zu lösen, vorausgesetzt, daß sämtliches Mucin als freie Säure wirken könnte. Nun schluckt man doch aber weitaus das meiste Mucin rasch mit dem Speichel hinab, ehe es überhaupt mit anderen Säuren in Berührung kommen und von seinen Basen befreit werden kann. In Wirklichkeit wird wohl kaum 1 Proz. der gesamten Mucinmenge jemals als freie Säure abgespalten. Nehmen wir aber einmal an, es wären 5—10 Proz. Dann dauerte es immerhin 70—140 Jahre, bis im menschlichen Munde ein einziges Gramm kohlensaurer Kalk auf- gelöst werden könnte Die gleiche Wirkung wird aber durch 1,2 g Essigsäure erzielt! Falls die schwache Säure des reinen Mucins überhaupt imstande sein sollte, phosphorsauren Kalk zu lösen, dann wären zur Auflösung von 1 g phosphorsaurem Kalke 178,6 g Mucin erforderlich. Danach würde es mindestens 80 bis 160 Jahre dauern, bis ein einziges großes Loch in einem mensch- lichen Mahlzahne entstehen könnte! Lohmann will gefunden haben, daß in Lösungen von Mucin, das nach Hammarstens Methode dargestellt worden war, die Zähne ebenso rasch ent- kalkt wurden wie in 1 Proz. Milchsäure In einer Diskussions- bemerkung zu Lohmanns Vortrage hat aber Birgfeld bereits darauf hingewiesen, daß Lohmann zu seinen Versuchen wahr-

742 Verhandlungen der 44. Jahresversammlung des Centr.-V. D. 7.

Die Beziehungen zwischen dem Mucingehalt des

Tab. 21. bei 4 erwachsenen | Menge des in | i Ver- 45 Minuten ab- | Macingehalt Versuchsperson ` suchstag Bench odenen Spei = in | | 2e | 08 REN | - - i! Frau Röse . . .... A VII. | Trug 8,0 | 0, 21,4 | on Frau Berg . Ä A {i | K \ 7,5 | a 21,3 Herr Berg . . . . . . | A woy 0 8,0 | a 19,8 Herr Röse . | a = | 20 21,0 l 1333 \ 24,1

Man beachte: Je größer die Mucinmenge, um so höher ist durch- Zahnverderbnie.

scheinlich kein reines Mucin, sondern ein salzsaures Mucin ver- wendet habe. Um diese Behauptung nachprüfen zu können, habe ich unter ganz besonderen Vorsichtsmaßregeln nach Ham marstens Methode das sogenannte reine Mucin herstellen lassen. Das ge- fällte Mucin ist nicht einfach ausgewaschen, sondern 26mal gründlich zerrieben worden, bis die letzten 5 Waschwässer voll- kommen chlorfrei waren. Aus diesem, mit den denkbar größten Vorsichtsmaßregeln behandelten Präparate, das keine Spur von löslicher Salzsäure “mehr enthielt, ließen sich bei der Analyse noch 0,54 Proz. Chlor abscheiden! Da Eiweißstoffe amphotere Körper sind, so läßt sich theoretisch ein „salzsaures Mucin“ sehr wohl denken. Es würde die Formel haben C,, „H523 No7 01508, < HCI- Danach würde sich der Chlorgehalt auf 0,46 Proz. berechnen; das ist fast genau die gleiche Chlormenge, die in dem obengenannten Versuche gefunden worden ist. Lohmann hat also tatsächlich bei seinen Versuchen kein chemisch reines, sondern ein salzsaures oder gar ein mit Salzsäure verunreinigtes Mucin vor sich gehabt. Nicht Mucin, sondern Salzsäure hat die Zähne in der Mucinlösung entkalkt.

In chemisch-theoretischer Hinsicht steht also Lohm annis Mucinhypothese auf recht schwachen Füßen. Wie verhält es sich damit nun in der Wirklichkeit? Lohmann behauptet, je größer der Mucingehalt des Speichels, um so häufiger sei die Zah maver- derbnis. Das ließ sich ja leicht feststellen. Ich habe also ZU nächst bei den obenerwähnten 8 Speichelproben meiner 4 Ver- suchspersonen vom 3. und 4. August 1904 den Mucingrehalt

Verhandlungen der 44. Jahresversammlung des Centr.-V.D.Z 743

Speichels und der Höhe der Zahnverderbnis Versuchspersonen.

Menge des in | Alkaleszenz in ccm 2 HC) | 45 Minnte | Anzahl d Fe ws nn --! erkrankten Speichels in vorhandenen | von 100 ccm Zähne 21. 221 | 10,0 25) 23,5 20) SA | 80) 9,0 3 a ı 3 | 126 103 355 | 18) $4, mm 40 \ I | 15,0 X a aj 5 | Toj 68 | im 161 “16 sg n ie | 20,2 Dana ; g6 i 895 175) 18 o amj O 4

schnittlich auch die Alkaleszenz des Speichels, um so seltener ist die

bestimmen lassen (Tabelle 21). Meine Frau mit dem geringsten Mucingehalte hatte die meisten kranken Zähne, ich selbst mit dem höchsten Mucingehalte leide am wenigsten an Zahnverderbnis. Dann habe ich die sämtlichen Speichelproben aus dem sächsischen Dorfe Grumbach zur Mucinanalyse bestimmt. Genau ebenso, wie in Tabelle 21 bei Erwachsenen, so zeigt Tabelle 22 bei Schulkindern aufs schlagendste, daß Lohmanns Hypothese irrig ist. Nicht die Menschen mit dem höchsten Mucin- gehalte, sondern gerade umgekehrt die mit dem ge- ringsten Mucingehalte haben die schlechtesten Zähne. Der Vorsicht wegen habe ich die Knaben von Grumbach auch noch einmal nach ihrem relativen Mucingehalte in 100 ccm Speichel eingeteilt (Tabelle 23). Auch dann haben die Knaben mit dem höchsten Mucingehalte die besten Zähne; aber die Unterschiede sind geringer. Die bedentenden Unterschiede in der Zahnverderbnis der 3 Gruppen von Tabelle 22 beruht sicher- lich auf dem Umstande, daß die Kinder mit hohem absoluten Mucingehalte dort zugleich auch den stärkst alkalischen Speichel haben. In Tabelle 23 dagegen haben die Kinder mit hohem Mucin- gehalte zufällig geringere Alkaleszenz, und trotzdem sind die Zähne etwas besser erhalten. Danach ist die Folgerung nicht ganz von der Hand zu weisen, daß ‘tatsächlich außer hoher Alkaleszenz auch ein hoher Mucingehalt des Speichels gewisse zahnschützende Eigenschaften besitzt, indem das Mucin die gärenden Speisereste von der unmittelbaren Berührung mit der Zahnoberfläche abhält. Ich gebe jedoch zu, daß mein bisheriges Untersuchungsmaterial

744 Verhandlungen der 44. Jahresversammlung des Centr.-V. D. Z.

Die Beziehungen zwischen dem Mucingehalt bei den ne

. ' Menge des in Menge des in Mucingehalt t45 Minuten ab-

r 45 Minuten ab- 3 Versuchsperson Aka n ea e Gere Mucins in mg l ccm i Tab. 22. (Nach der absoluten Menge des Curt Trepte. 2.2... 30) Ew E 3 Arno Weber. . . ...2...50 Sn haue a Curt Göpfert |. 5f 9% gip 1 bg f 460 Georg Schwarzbach. . . 5,6 | 9,0 u Arthur Hanptvogel . . . 60 | ! 14,6 | ı 41 Theodor Schubert. . . . 6,0 13.3 ddl. Gurt Winkler . . . 65 | ern N Emil Pötsch. ... 6,5 | 6,5 95 | Max Pannier . . ... 1,4 ' 11,1 OT Hugo Klunker. . . .. 1,1 | mo | s6 | Alfred Wienhold . . . . , 85, 8,7 116; 129 T3; vd Bruno Kirsch TR 8,9 | 15,0 | 1 60 Arthur Gühne . . . . . -11,0 150 i 61

Man beachte: Je größer die Mucinmenge, um so höher ist durch- Zahnverderbnis.

Tab. 23. (Nach der relativen Menge des Emil Pötsch. 0,5 6S 65

Curt Trepte . | 1,9 38

Arno Weber, i a0, 56 8,5 8,2 S 678 Georg Schwarzbach . 56 9,0 | 62 | Hugo Klunker Tr 90 0 S0

Max Pannier . md | ' 11,1 67 Alfred Wienhold . . po RIL - ‚11,6 le Curt Winkler . . 2.0.20. Dl 11,8 12,0 | | un Theodor Schubert. . . . ! 60 ' 13,3 | 45 Arthur AUTORS. ; | 6,0 n] | 4l Bruno Kirach . ee S9 >- 15,0 b o Arthur Gühne . . 0... | u 10 19° aa Arthur Göpfert. . . . 2 9 21,1, e v

Man beachte: Je größer die Mucinmenge, um so höher ist durch- Zahnverderbnis.

noch zu gering ist, um die soeben ausgesprochene Vermutung von der zahnschützenden Eigenschaft des Mucins endgültig zu be- weisen. So viel aber steht fest, daß Lohmanns Hypothese vom

Verhandlungen der 44. Jahresversammlung des Centr.-V.D. Z. 745

des Speichels und der Höhe der Zahnverderbnis Schulknaben in Grumbach.

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w D He o | Durch- nel A 10 ao Anzahl der Anzahl der | schnittlicher mo mem ee O e e) gesunden erkrankten ! Prozentsatz vom vorhandenen von 100 ccm Zälıne Zähne ‚der erkrankten Spaenel Speichel | l Zähne T Ta a TE PaaS | Be eng a Fe iz Eee een Su Poiree dman Mucins Besainel, ) = | u k f De p 3, 0 Ä g 0) 13 ii | | 9, 1) l5, 0 ; 17 i 7 « | P y 30 f 6,4 | 11,5 12,9 | 21 | 8,3 -- Ä 30,8", 105 i 16,9 i 23 l 4 ; ; l ! | Ta | 183 m 8 | | 1.2 : 13,8 > 2. 6 a | 11 5 | 11,8 19, ) 15,3 i Y9 6 | 5, 7? = | 17,9 i 0 21,9 2 22,1 25 ZZ ] 14,0 i 20,9 24 í 20,0 | | 233 20005 | 1301 12,4 | 178. 173 1:80: 16,0, 6,5 108 | 25 2 Sl 13,9 23 5

schnittlich auch die Alkaleszenz des Speichels, um so seltener ist die

Mucins in 100 cem Speichel BESEENEN

210 an w a

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schnittlich auch die Alkaleszenz des Speichels, um so seltener ist die

zahnschädigenden Einflusse des Mucins als vollkommen ver- fehlt zu betrachten ist.

746 Verbandlungen der 44. Jahresversammlung des Centr.-V. D. Z.

Zum Schlusse erfülle ich die angenehme Aufgabe, meinen verschiedenen Mitarbeitern aufrichtigsten Dank auszusprechen. Ganz besonders danke ich den beiden Chemikern, den Herren R. Berg und Dr. Päßler für ihre ebenso sorgfältige, wie langweilige Pflichterfüllung. Ich habe es mir zum strengen Grundsatze gemacht, meinen chemischen Mitarbeitern ihre Ana- Iysenaufgaben zuzuweisen, ohne ihnen mitzuteilen, welch beson- derer Plan diesen Aufgaben zugrunde liegt. Nur auf diesem Wege ist es möglich, suggestive Analysenfehler völlig auszuschließen. Freilich wird damit aber auch die Arbeit selbst für den be- treffenden Chemiker zu einer außerordentlich langweiligen Ge- duldsprobe.

Endergebnisse.

1. Der normale menschliche Speichel ist stets alkalisch. In einer Menge von 100 ccm völlig gesunden Speichels soll die Alkaleszenz mindestens 15 ccm !,, Normal-Kalilauge betragen. Schwach alkalische oder gar saure Speichel deuten auf eine weit- gehende körperliche Entartung hin.

2. Gesunder Speichel von hoher Alkaleszenz hat einen aus- geprägten, starken Geruch, der an Edelkastanienblüten erinnert.

3. Stark alkalischer Speichel ist das beste Schutzmittel gegen Zahnverderbnis. Genau im gleichen Grade, wie die Speichel- alkaleszenz abnimmt, nimmt die Häufigkeit der Zahnerkrank- ungen zu.

4. Durch kalkreiche Ernährung wird die Menge des Spei- chels gesteigert und seine Alkaleszenz erhöht.

5. Stark alkalischer Speichel ist ärmer an’ Kali, aber reicher an Natron und schwefelhaltigen organischen Verbindungen.

6. Die Alkaleszenz des Speichels beruht nur teilweise auf der Anwesenheit von anorganischen Alkalien. Je stärker alka- lisch der Speichel ist, um so größere Mengen von organischen Basen oder Aminen sind darin enthalten.

7. Der.volle, günstige Einfluß der kalkreichen Ernährung kommt erst im Laufe von mehreren Generationen zur Geltung. Wer seinen Kindern die Vorteile kalkreicher Ernährung sichern will, muß schon vor ihrer Zeugung bei sich selbst mit der Erd- salzzufuhr beginnen.

8. Mnecin übt keinen schädigenden Einfluß auf die Zähne aus.

(Fortsetzung der Verhandlungen folgt.)

Weidenreich, O. Walkhoffs Theorie der Kinnbildung 747

[Nachdruck verboten.) 0. Walkhoffs Theorie der Kinnbildung,

Von Dr. Franz Weidenreich,

a. o. Professor der Anatomie in Straßburg.

Im Oktoberheft dieser Zeitschrift hat Walkhoff seinen Vor- trag über „die heutigen Theorien der Kinnbildung‘ veröffentlicht, den er auf der 44. Jahresversammlung des Central-Vereins Deutscher Zahnärzte gehalten hat. In den einleitenden Worten führt er aus, daß er seine Ansichten vor das „Forum der. Vertreter des Spezialfaches“ bringen will, und geht dann dazu über, seine Theorien und die dagegen vorgebrachten Einwände zu besprechen. Die Bemerkungen, die Walkhoff seinem Vortrag vorausschickt, klingen so, als wenn das „Forum“, vor dem er bisher seine Auf- fassung entwickelte, ihm nicht mehr das geeignete schien, was allerdings nach dem geradezu kläglichen Fiasko, das er in Greifs- wald vor einem anatomisch und anthropologisch geschulten Audi- torium erlebt hat, menschlich begreiflich ist. Wenn also Walkhoff nunmehr das Bedürfnis fühlt, vor die Vertreter seines Spezialfaches zu treten, so hätte er auch die Pflicht gehabt, sein Publikum über den Kernpunkt der Frage und die entstandenen Kontro- versen objektiv aufzuklären, weil nur dann das angerufene Urteil von Wert sein kann. Statt dessen hat Walkhoff nicht nur seine eigene ursprüngliche Theorie, sondern auch die dagegen erhobenen Einwände und besonders meine Untersuchungen über diesen Gegenstand unter Verschweigung der wesentlichen Punkte vollständig falsch und entstellt wiedergegeben. Daß er, nebenbei bemerkt, die Gegnerschaft der Anatomen nicht auf rein sachliche Gründe zurückführen möchte, wie sein Wort vom „Stören der Kreise einzelner, die das weitere Gebiet als ihre Domäne betrachteten“, zeigt, ist eine so unglaubliche Unter- stellung, daß es sich kaum ernstlich verlohnt, sie besonders zu- rückzuweisen.

Es kann hier nicht meine Aufgabe sein, Walkhoffs Theorie und all das, was ich, Fischer, Toldt und v. Bardeleben da- gegen vorgebracht haben, hier auseinander zu setzen. Ich begnüge mich statt dessen die betreffende Literatur genau zu zitieren, was Walkhoff leider vollständig versäumt hat, so daß die Leser dieser Zeitschrift, die sich über die Frage näher orientieren wollen, auch in der Lage sind, sich auf Grund der wahren\Ein- wände gegen Walkhoffs Theorie selbst ein Urteil zu bilden

748 Weidenreich, O. Walkhofts Theorie der Kinnbildung.

(s. Literaturverzeichnis am Schlusse). Ich möchte mir nur er- lauben, kurz auf einige 'Tatsachen hinzuweisen.

Walkhoffs Theorie der Kinnbildung besteht darin, daß ar als wesentliches Moment die Sprache als bildenden Faktor in den Vordergrund stellte, was er bezeichnenderweise jetzt gerne weniger stark hervortreten ließe. Er dachte sich diese Sprach- wirkung so, daß sie bestimmte Zungenmuskeln, M. digastricus, genio-hyoideus, besonders aber den M. genioglossus, beeinflußt. die ihrerseits nun an ihren Ansatzstellen am Unterkiefer in diesem selbst besondere Knochenstrukturen auslösen würden, die das Kinn entstehen ließen. Als solche Strukturen hat Walkhoff besonders gewisse stärkere Knochenbälkchen der Kinnspongiosa gedeutet, die bei Röntgenaufnalımen als geschwärzte Züge hervor- treten.. Demgegenüber habe ich ausgeführt, daß zunächst Walk- hoff keinerlei Beweis dafür erbracht hat, ja auch nicht einmai zu führen sucht, daß gerade die Sprache in besonderer Weise auf die Zungenmuskulatur, die doch auch die Affen besitzen, einwirken und vor allem zur Ausbildung einer besonderen Knochenstruktur führen kann; ferner habe ich auf präparatorischem Wege den dann später, von Toldt und Bardeleben bestätigten Nachweis er- bracht, daß die von Walkhoff im Röntgenbild beschriebenen, für „Trajektorien* jener Muskeln gehaltenen Knochenbälkchen mit Muskeln nicht das geringste zu tun haben, da sie weder von der Ansatzstelle jener Muskeln ausgehen, noch in ihrer Zugrichtung verlaufen, da sie endlich vollständig fehlen oder- außerhalb der eigentlichen Kinngegend vorkommen können. Ich wies weiter nach, daß es sich bei diesen stärkeren Knochenzügen um Gefäß- kanäle handelt, die sich genau ebenso auch bei den Affen finden und hier nur entsprechend dem etwas anders gestalteten Gefäßverlauf eine andere Richtung einschlagen. Endlich zeigte ich, daß die dreieckige Schwärzung, die Walkhoff bei der Radio- graphie des Kinns von vorn her bekam und auf die er bei seiner Beurteilung fossiler Kiefer den Hauptwert legte, weil er sie als den Ausdruck einer besonderen Innenstruktur, eben jener „Tra- jektorien“ deutete, lediglich eine Folge der größeren Dicke des Knochens in der Kinngegend ist, eine Ansicht, die Fischer da- durch über jeden Zweifel sicher stellte, daß er vom Gipsabguß des Kinns die gleiche Schwärzung im Radiogramm erhielt.

Von all dem hat Walkhotf kaum etwas gesagt und noch weniger hat er irgend etwas vorgebracht, das meine von Toldt und Bardeleben bestätigten Angaben entkräften könnte. Statt dessen ergeht er sich in langen persönlichen Ausfällen und be- tont, daß er besonders die Größenreduktion der Zähne und des Alveolarteils als kinnbildenden Faktor hervorgehoben habe. Daß er diesem Moment ein Anteil eingeräumt hat, habe ich nie be-

N

Weidenreich, O. Walkhoffs Theorie der Kinnbildung. 749

stritten; er hat aber die Sprache und die Zungenmuskeln in den Vordergrund geschoben, wenn Walkhoff das heute bestreitet, so .desavouiert er sich, wie ein Einblick in seine Arbeiten zeigt, eben selbst. Besser und im Interesse der Sache erwünschter wäre es, wenn Walkhoff seinen Irrtum in diesem Punkt zu- geben würde, anstatt unter fortgesetzter Entstellung der Tat- sachen seine Niederlage zu verschleiern.

Diese Taktik nötigt mich, zunächst zu konstatieren, daß Walkhoff entweder meine Publikation nicht eingehend gelesen, oder, wie ich milde annehmen will, ihren Inhalt wieder vergessen hatte, als er in seinem Vortrag gegen mich polemisierte. Wie wäre es sonst zu verstehen, daß er mir zum Vorwurf macht, ich würde in meiner Theorie der Kinnbildung das Zustandekommen der Dreiecksform nicht berücksichtigen, während ich gerade darüber des Langen und Breiten mich ausgelassen habe? Diese Ober- flächlichkeit, mit der Walkhotf vorgeht, erstreckt sich aber auch anf seine ganze Untersuchungsmethode. .

Er hat über die Zungenmuskeln und ihre Beziehungen zum Kinn ein dickes Buch geschrieben, ohne aber je diese Gegend präparatorisch dargestellt zu haben, er weiß weder, wo die Mus- keln ansetzen, noch kennt er sich darin aus, welche Muskeln bei den von ihm untersuchten Tieren vorkommen oder fehlen. So hat Toldt ihm nachgewiesen, daß er beim Orang-Utang die An- satzstelle und das „Trajektorium“ des vorderen Bauches des M. digastricus beschrieben und abgebildet hat, obwohl dieser Affe überhaupt jenen Muskelbauch nicht besitzt; das Schönste aber ist, daß er an einer anderen Stelle dieser Tatsache selbst in Form eines Literaturzitates Erwähnung tut. Daraus folgt also, daß er das Gelesene überhaupt nicht verstanden hat. Bevor also Walk- hoff den Anatomen die Kompetenz bestreitet, über solche „odon- tologische“ Fragen wie die Kinnbildung mitzureden, müßte er doch selbst eiumal den Beweis liefern, daß er die Anatomie des Unterkiefers und die Methoden wissenschaftlicher Forschung ge- nügend beherrscht, um als „Geber“ auftreten zu können. Mir scheint, daß er vorerst selbst doch noch zu wenig, um seine eigene Terminologie zu gebrauchen, „empfangen“ hat.

Ich will darum auch nicht weiter mit Walkhoff rechten, daß er so große Unterschiede in der von mir und Toldt ver- tretenen Ansicht gefunden hat, tatsächlich bestehen diese, wie ich an anderer Stelle noch zeigen werde, ebensowenig, wie zwischen mir und v. Bardelebens Autfassung. Die Ossicula mentalia kommen ganz zweifelsohne als Hauptmoment für die Kinnbildung in Betracht; Walkhoff hat überhaupt kein Urteil in dieser Hin- sicht. Denn aus seinen ersten Publikationen und besonders aus seinem Hauptwerk geht hervor, daß er von deren Existenz gar

750 Weidenreich, O. Walkhotis Theorie der Kinnbildung.

keine Ahnung hatte; er erwähnt sie mit keinem Wort und ist erst durch meinen Aufsatz auf sie aufmerksam geworden. Aber auch später redete er darüber, ohne sich an Präparaten von ihrem Verhalten zu überzeugen; jetzt nämlich erfährt man, daß er Mies die Angabe verdankt, die er mir gegenüber geltend gemacht hat, während es dort so schien und auch von Toldt so aufgefaßt wurde, als wenn sie auf eigenen Unter- suchungen beruhen würde. Diese Angaben haben sich nach Adachis, Toldts und meinen Untersuchungen übrigens als falsch erwiesen.

Ich muß es mir versagen, auf weitere Details mich einzu- lassen und verweise auf die am Schlusse angeführten Abhand- lungen. Was Walkhoff in seinem Vortrag Neues bringt, ist zum Teil belanglos, zum Teil falsch; so wenn er z. B. behauptet, daß kein rezenter Kiefer so „breit“ sei, als der von Spy. Es ist selbstverständlich, daß man dabei nicht auf die Kiefer unserer Rasse exemplifizieren darf; hätte sich Walkhoff prognathe Kiefer niederer Rassen mit starken Schneidezähnen vorher angesehen, so dürfte er.kaum diese Behauptung statuiert haben.

Nach dieser Beleuchtung Walkloffs und seiner Theorie der Kinnbildung erscheint die Frage doch wohl in einem anderen Lichte, als Walkhoff sich und seine Auffassung hinzustellen sucht; wenn erst die Leser dieser Zeitschrift die Original- arbeiten Walkhoffs und seiner Gegner eingesehen und so ein vollständiges und richtiges Bild bekommen haben werden. dann dürften sie sich ich zweifle keinen Augenblick daran dem Urteil der Anatomen und Anthropologen anschließen und Walkhoffs Sprachtheorie als eine völlig unbewiesene und ana- tomisch nicht gestützte Hypothese entschieden ablehnen. Ich für meine Person schließe hiermit die Diskussion mit Walkhoff end- gültig und werde auf weitere Auslassungen seinerseits, welcher Art sie auch sein mögen, nicht mehr antworten.

Literatur gegen Walkhoft.

1. Fischer, E., Beeinflußt der M. genioglossus durch seine Funktion beim Sprechen den Bau des Unterkiefers? Anat. Anz. Bd. 23. 1903. Nr. 23. 2. Weidenreich, Fr., Die Bildung des Kinns und seine angebliche Beziehung zur Sprache. Anat. Anz. Bd. 24. 1904. Nr. 21. 3. Fischer, E., Nochmals Walkhoffs Lehre von der Kinnbildung. Anat. Anz. Bd. 25. 1904. Nr. 11. 4. Weidenreich, Fr., Zur Kinnbildung beim Menschen. Anat. Anz. Bd. 25. 1904. Nr. 12 und 13. 5. Schwalbe, G., Über das individuelle Alter des Neander- thalmenschen. Korrespondenzblatt f. Anthropol., Ethnol. u. Urgeschichte, 1904. Nr. 10. —6. Toldt, C., Über einige Struktur- und Formverbältnisse des menschlichen Unterkiefers. Ebenda. 7. v. Bardeleben, K., Der Unterkiefer der Säugretiere, besonders des Menschen. Anat. Anz. Bd. 26. 190%. Nr. 4 und 5.

Fischer, Zur Frage der Kinnbildung und Walkhoffs „Theorie“. 751

[Nachdruck verboten. Zur Frage der Kinnbildung und Walkhoffs „Theorie“.

Von Prof. Dr. E. Fischer in Freiburg i. B.

Im Oktoberheft dieser Zeitschrift (1905) gibt Walkhoff eine Darstellung der „heutigen Theorien der Kinnbildung“. Da wohl die meisten Leser dieser Zeitschrift anatomische und anthro- pologische Fachblätter kaum zur Hand nehmen, möchte ich zu dem mich betreffenden Abschnitt in Walkhoffs Arbeit einige Bemerkungen machen, in einer der anatomischen Zeitschriften wäre das wohl nicht mehr nötig, dort kennt man Walkhoffs _ „anatomische“ Ausführungen zur Genüge!!

Walkhoff stellt (l. c. S. 585) meinen Einwurf gegen seine Unterkiefertheorie absolut unrichtig dar. Ich habe damals (!) nur behauptet, „daß die Sprachfunktion des M. genioglossus als alleinige oder hauptsächliche Ursache für die Ausbildung der be- treffenden Knochenstruktur im menschlichen Kinn nicht verant- wortlich gemacht werden kann“ (Anat. Anz. 23. 1903, S. 36). Das habe ich aus der völligen Gleichheit der Röntgenbilder von normalen und von Taubstummenkiefern geschlossen, damals die Walkhoffsche Deutung dieser Bilder einmal als gegeben annehmend. Schon dort habe ich darauf hingewiesen, daß Knochenbälkchen in der Hauptsache durch statische Inanspruchnahme nicht ausschließ- . lich durch Vererbung in ihrer Lage bedingt sind. Ein natur- wissenschaftlich Denkender wird solche Fragen nicht vergleichen mit jener, ob den Eltern amputierte Organe bei den Nachkommen vorhanden sind Walkhoff tut, als wäre das etwa dasselbe! Mein damaliger Einwand war also berechtigt.

Aber inzwischen hat sich die Sache ja geändert. Von Weidenreich und Toldt sind Walkhoff nicht nur Unrichtig- keiten und Fehler in den Resultaten aufgedeckt, sondern ist seine ganze Methode der Untersuchung als irreführend und verwerflich erwiesen worden. Toldt hat ihm ja nachgewiesen, wobin die fast ausschließliche Betrachtung von Röntgen-Schattenbildern führt, hat gezeigt, wie Walkhoff Schatten von Knochenbälkchen auf Muskeln zurückführt, die gar nicht vorhanden sind, Muskel- Trajektorien sogar abbildet von einem Muskel, der dem betreffenden Tiere fehlt! (Vorderer Bauch des Digastricus beim Orang! Vgl. Corresp.-Bl. Anthr. Ges. Nr. 10, 1904).

Damit ist nun auch mein damaliger Einwurf auf andere

752 Bücherbesprechungen.

Basis gestellt! Leugnete ich damals als Grund für die den Schatten werfenden Bälkchen die Sprachfunktion des M. genioglossus, so zeigten Weidenreich und Toldt, daß es überhaupt keine durch Muskelwirkung bedingten Bälkchensysteme sind! Und das habe ich durch eine Mitteilung bestätigen können, die ich auf der letzten anthrop. Versammlung in Salzburg (Verhandlungen 1905) unter Vorlage der betreffenden Röntgogramme machen konnte Ich stellte von einem Kiefer einen massiven GipsabgußB her und fertigte davon ein Röntgenbild.e Dieser Gipskiefer zeigt denselben „dreieckigen Schatten“ in der Kinngegend, wie er am Kiefer nach Walkhoff durch jene Knochen- bälkchen bedingt sei. Leider hat aber der Gipskiefer keine Bälkchen im Inneren, auch hat kein Muskel an ihm seine An- satzstelle!

Es scheint also lediglich die Dicke des Kinnes zu sein, was auf dem Röntgenbild jenen Schatten hervorbringt, und Walk- hoffs schöne Theorie ist leider falsch!

Soviel zur Rechtfertigung meines Einwandes und zur Be- richtigung der von Walkhoff beliebten Darstellung desselben: auf alle anderen Erörterungen Walkhoffs einzugehen, fühle ich keine Veranlassung. Ich wollte nur auch den Lesern dieser Zeit- schrift Gelegenheit geben, Beide zu hören! Walkhoff selbst wird seine wohl begründete Theorie ja wohl auch fernerhin für die beste halten!

Bücherbesprechungen.

Kursus der Zahnheilkunde. Ein Hilfsbuch für Studierende und Zahnärzte Von Dr. med. Konrad Cohn, Zahnarzt in Berlin. Dritte vollständig umgearbeitete und vermehrte Auflage. Mit 106 Abbildungen ım Text. Berlin W. 35, Fischers Medizin. Buch- bandlung H. Kronfeld. 1905.

Das namentlich in den Kreisen der Studierenden beliebte Lehr- buch von Cohn liegt nunmehr in dritter Auflage vor. Statt der bis- herigen 649 zählt das Buch jetzt 713 Seiten. Die Anlage ist die alte geblieben, doch sind die einzelnen Abschnitte zuweilen ganz bedeutend erweitert und verbessert. Wir finden auch die Lokalanästhesie und Extraktion der Zähne berücksichtigt. Überhaupt ist auf alle wichtigen Ergebnisse der Forschungen der letzten Jahre Bezug genommen, dal Streitfragen ausgeschlossen sind, ist bei der Bestimmung des Buches für Studenten wohl selbstverständlich. Auch diese Auflage dürfte schnell den verdienten Absatz finden. Dr. R. Parreidt (Leipzig).

Register.

`

Die Ziffern bedeuten die Seitenzahlen.

A. Ahbinden des Gipses 536. Abbott, Nekrose des Unter-

kiefers 320.

Abloff, Zustand der Zühne bei den Arbeitern in Pulverfabriken 155.

Abnormer Pulpakanal quer durch die Wurzel 187.

Adloff, die Wurzelbildung 211.

Zahnsystem von Hyrax 303.

Adrenalin 1, 629.

Agnesi, Karies nach Typhus 508.

Aktinomykose 04.

Aktinomykose im Heere 257.

Almon, Wurzelfüllmittel 64.

Altrömische Instrumente 255.

Aluminium 9%.

Alveolarpyorrhöe 44, 655.

Alveolarabszeß, Füllen der Wurzel bei 78. (211.

Amoedo, Riesenwuchs der Zähne

Anästhesie 401.

Anästhesie, lokale und allge- meine 104.

Anästhetika 434.

Andresen, Perhydrol 28.

Angiom in der Parotis 249.

Angle, reziproke Kraftanwen- dung 194. 24.

Anker zum Aufbau von Kronen

Ankvlose des Unterkieters 53. Anthropologie der Schweiz 54. Approbationen, Zahl der 3. Argentum nitricum auf Zahnbein

303. gegen Karies 452, 28. Arsenikwirkung auf die Pulpa 315. Aschers künstl. Zahnschmelz 249. Aseptische Ernährung 232.

XXIII.

Asthetisches aus der zahnärztlichen

Praxis 650.

Ather 436.

Atherrausch 40533.

Athertropfnarkose 412. i

Athylchlorid 439. l

Aufklappung der Schleimhautbe- deckung der Kiefer 503.

B. Bab, Doublierte Füllungen 306. Baker, reziproke Kraftanwen-

dung 199.

Bukterienhäutchen an Zähnen 39%.

Baldwin, Extragenitale Syphilis D7.

Bartels, Löten im Munde 255.

Baum, Syphilis durch Zahninstru- mente 253.

Baume, Geschlechtsunterschied am Eckzahn 213.

Schmelzspitzen 217. Bellinzona, Einfluß der Schwan- gerschaft auf die Zähne 312. Berry, Bericht aus der techni-

schen Abteilung usw. 255. Bethel, Höblenpräparation 12%. Beziehungen der Zähne zu den

Nervenkrankheiten 50S. Beziehungen zwischen Zahnerkran-

kungen und Allgemeinkrank-

heiten 241.

Beziehungen d. Zahnerkrankungen zum (sesamtorganisuus UDS. Biersche Stauungshyperämie als

Heilmittel 494.

Blair, Stomatitis membranosa 22. Bleichen der Zähne 313. 231. Bornträger, Gebührenordnung Boström, Aktinomykose 2605.

45

154

braun, thesie 1.

Breuer, Ashers künstlicher Zahn- schmelz 240.

Bright, Reziproke dung 200.

Brodtbeck, Einfluß der Ernäh- rung auf die Zähne 312.

Bromäther 439, 463.

Brophy, Gaumennaht bei Säug- lingen 125, 545.

Maternal der Gebißplatten 123.

Bruhn, Brückenarbeiten eigenen Systems 496.

Bruck, Vorstehender Unterkiefer 509.

brückenarbeiten 446.

Bruns, Zahnheilkunde und Ner- venheilkunde 508.

Brunslow, Dehnapparat 204.

Brunsmann, Keiltürmige Defekte an der Gaumenwurzel 95.

Bryan,Höllensteinbehandlune-4D2.

Buckley, Pulpenzersetzung 103.

Bünger, Nebennierenprüparate 442.

Busch. Eckzahn mitzwei Schmelz- spitzen 211.

UÜberzählige Zähne 219.

Buttazoni, Speichel und Blut 56.

Kokain-Suprareninanäs-

Kraftanwen-

C. Capdepont, Folliculitis siva ISi. Carabelliseher Höcker 224. Caries und Stilungsdauer 138. Case, Reziproke Kraftanwendung 144. Ceconi, Hmplindungsvermögen der Zähne 5. Ru Charrin, Asepfische Ernährung Chloräthyl 459, 464. Christ, Gesehichthehes zur Re- handlung der Gaumendefekte 222. Church, Altes Zahninstrument 54.

expul-

Cohn, Eantinß der Sproßpilze auf

Eiterungen 502.

—- Kursus der Zahnheilkunde 752

Io.

Cope, Kaufläche und Kietergelenk

2KO Coraini, Antisepsis des maschinenhandstückes 310. Cron, Schmelzpunkte der zellansorten DU.

Bohr-

Por-

Register.

Culough, Me., Nichtexpandieren- der Gips 52.

Curtis, Kieferankylose 53.

Cyste in der Parotis 249.

Cystenzähne kariestrei 515.

D. Debove, Gesichtsschmerz durch Syphilis 52. Degeneration der Hartgebilde 611. Dekuspidation 30S. Le Dentu, Parotitis 250. Dentinanästhesie 447. Dentinhyperästhesie 22. Dentists Hilfe zur Rekognoszie- rung 53. Dentition 55, 421. Dentitionskränkheiten 421. Diagnostik derZahnsensibilität H24. Diastema der Zähne 20. Dietlein, Geschlechtsunterschied bei Zahndurchbruch 212. Dritte Zahnung 221. [59. Drüsen des Verdauungsapparates Durchbruch der bleibenden Zähne 02.

E.

Ehrung W. D. Miller 34. Kichentopf, hydraul. Presse 48.

Elander, Farbe der Porzellan- tüllungen 647.

Empfindliche Zahnhälse, Mittel gegen 222. (JS.

Emptindungsvermögen der Zähne

Endelmann, Uble Zufälle vom Zahnausziehen 512.

Epirenan 1.

Ernährung, Einfluß der, auf die Zähne 312.

Ernährungshygiene 611.

Eudrenal 1.

Extragenitale Syphilis 57. wog.

Extraktionsinstrument, originelles

F.

Farbe der Porzellanfüllungen GH.

Färben künstlicher Zähne 657.

Fasoli, Histologische Untersuch- ungen DD. [159.

Federnder Draht zum Regulieren

Fett am Zahne karieshemmend 3%.

Fischer, Zur Frage der Kınn- bildung 752.

w w

Register. 139

Flower, Homodontismus der Säugetiere 214.

Foisy, Stovain 51.

Folliculitis expulsiva 187. [53.

Foster, Xerodoma pigmentosum

Freudenheim, Die Zahnärztin 124.

Frey, Leptothrix buccalis 305.

Friedemann, Spirituslampe 95.

F ry d, Resektion der W urzelspitze 3i 73.

Füllen der Zähne 01.

G. Galvanischer Strom zur Sterilisa- tion der Wurzelkanäle 50. Gaumen, gespaltener 539. (taumendetekte 252. Waumenkrampf 59. Gaumennaht 54r. Gebißschablonen G4. (Gebührenordnung, preußische 251. Gefäßkanal quer durch die Wur- zel 15%. Geist-Jakoby, Altrömische In- strumente 253. (seschäftsbücher für Zahnärzte 63. Geschlechtsuntersched an den Zähnen. Gesichtsneuraleie 570. Gesichtsschmerz durch Syphilis 52. (esichtsverletzung, seltene 60. Gesunde und kranke Zähne 63, Gingivitis marginalis als der Alveolarpyorrhöe TI. |52. Gips nichtexpandierend zu machen Gips rasch erstarren zu machen 531. Goldfüllungen anzufangen 256. Goldfüllung mit Zementverdrän- gung 311. Greulich, drüsen 90, (uelliot, Parotisgeschwülste 249. Guttmann, Porzellanschlitt-Fül- lungen 319. Gutzmann,

Schwellung der Lymph-

Gaumenmassage 550.

H. Handstück zu sterilisieren 31]. Hasenscharte 126. Hasenscharte und Wolfsrachen 5:9. Hauptmeyer, Sotortires Wurzel- tüllen SI. |316. Head, Stiftkronen und Bandkronen

: Hesse,

Antang :

Heads Lehre von den Sensibili- tätsstörungen 1%, 912.

Hefepilze gegen Kiterungen 6ßt).

Heitmüller, Verschluckte Ge- bisse 641.

Hentze, Hasenschurte und Wolts- rıchen 93%

Kallusdentin 510.

Herbst, W., Kapselbrücken 412.

Herbst, E., Kapselbrücken 572.

Kryptol 565.

RezıprokeKraftanwendung beim Regulieren 10:5, 550.

Herhold, Kiefertuberkulose 52.

Das zweite Jahrzehnt des

zahnärztlichen Instituts Leipzig

aTa

Heydenhauß, Rerulieren 203.

Hinrichsen, Zahnretention 64.

Hirsch, Abnormer Gefäßkanal quer durch die Wurzel 187.

Hirschfeld, Korrektur durch eine Porzellanfüllung 316.

Histologische Untersuchungen

Höcker der Backzähne 225.

Hodgen, Chemie und Zahnheil- kunde 102.

Hoftfendahl, Sterilisierung der Wnrzelkanäle durch den galva- nischen Strom 50.

Höhlenpräparation 120.

Höllenstein gegen Karies 452. [503.

Höllensteinwirkung im Zahnbein

Holt, Ein originelles Zahninstru- went >t.

Honigmann, Anästhesie 461.

Hübner, Leistunesanästhesie 19.

Hunter, Mundsepsis 210.

Hydraulische Presse 459.

Hvpochondrie, an den Zähnen lo- kalisiert ò; l.

Hypoplasie derZähne und Stillungs- dauer 153.

Hypoplasie als Ursache der Reten- ton? DNI

Hyrax, Zuhnsystem der 303.

edee

Identifikation durch den Zahnarzt ‘Di

exponierter Pulpen relative, gegen Karies [624.

zur Diagnostik

4N*

357 lenipunktur homunitiit,

555. Induktionsstrom

PE l : EAAS . ty "3, » r $ . . Ir teXr.on. ner. -ere Garen ZAbo MAEA A 2,5 n L E e Pi - e. 4 JSefok*r:,n garen Zarnnnrerarion $45,

[pritiae rn tar Gef AUKHAIATUVGE- - a ® Troe t,?,

ler :or-ara-tre-ie 62.. ir sekton-zennt 1]. I: -trumerte, atomene 735 n . D . BES R rP Internat.orna.er zannarz erer Korn- gren in ~, Loni 31.

larael, Aktinomi kose 2,2,

d.

Jackson, Orthodontie 159, Jenkin=. Porzeilantüllungen jin Deutschland lu, i Jesen, Dir Errientung -tädt:-cher Schulzahnkliniken 3.2. /annärztiiche Schulung Arztes DA. Gesunde und kranke Zähne 63. Jodstormermul-ion in die Kiefer- hönle 31%. 6l. Johnson, das Füllen der Zähne

des

K.

Kali eanrtieum gegen empfindliche Zahnhälse 252.

Kali chlorieum 304.

Kalksalzarmut 45.

Kalk#alze im Speichel 395.

Kallhardt, Durchbruch der blei- benden Zähne 62,

Retention mehrerer Zähne 378.

Kalln-dentin 510.

Kiap-elbrücken, 472, D2.

Karies der Alten 397. 667.

Karies, nenere Theorien über die

Karies an retinierten und Cysten- zähmen 51:3.

Kauen, Physiologie des 256.

Kelförmiger Detekt an der Gau- menwurzel 95.

Kieferankylose 53.

Kieferbewegungen, Physiologie und Pathologie der 155. ‚116.

Kieferbruchschtene, abnehmbare

Kiefergelenk, Entwicklung: des 269,

Kiırfertuberkulose D2.

Kiunblveold $3.

Kinnbildungz, Theorien der 550, 748,

Kleinsorren, Degeneration der |

Harteebilddrüsen GLL

Keir.»te:.

K:intz. Warzelii.len alo

K-,kan-*irnarsrirarisreiel gre

Kä...ker-:ce Zucnbeinkarä..2-. er,

Kram: jes weichen basızerns `.

Kraus. beasserliation 38

Kn-ta..ec.d 25..

Kron. Heals Leäare von -ten

2 a a Sen-!hı itätsstfraungen l

L.

Landgraf. Die Intiälsveptew- der Alveolarpyvorruie bu,

Leichtflüs-ıge= Metall 252.

Leitung-anäasthesie 1. 409.

Lemaire. Nachweis künstlicner Färbung im gelben Wachs 3%.

Leontiasis der Zähne 252.

Lentöothrix buccalis 35.

Lipschitz, Narkosenstatistik 653.

Lohmanns Kanestheore 331. 9.1. vg,

L,okalanästhesie 465, 353.

Löten im Munde 255.

Lues durch Zahninstrumente 255.

Luniatschek, Paraflin zu Wur- zelfüllungen 22.

Lüttringhausen, : Ersatz Nasenseptums 91.

Lymphbahnen der Wangenschleim- haut 64.

Lymphdrüsen, Schwellung der ‘.

«les

M.

Madzsar, Chronische Pulpitis 3%.

Magrenkrankheiten durch schlechte Zahne 241.

Manara, Dentition 58.

Marginale Gingivitis 71.

Massage des weichen Gaumens 55..

Masur, Wurzelspitzenbehandlung 454, 459.

Mayrhofer, Resektion der Wur- zelspitze 376, 452, 455.

Medizinalkalender 6?.

Membranöse Stomatitis 52. Menstruation und Karies ^09. Metallarbeit 383.

Milehzähne, stehengebliebene 550. Miller, Alveolarpyorrhöe 71.

Register.

Miller, Präventive Behandlung der Zähne 449. 5.

Relativelmmunitätgegen Karies

Pathologische Prozesse an den Zähnen außerhalb der Mund- höhle 513. [667.

Neuere Theorien über die Karies

Untersuchungen über pathologi- sche Zustände in den Zähnen 41.

Moon, Schmelzspitzen 217.

Morgenstern, Einwirkung des Arseniks auf die Pulpa 315.

Moritz, Werlhofsche Krank- heit 250.

Mucin 740.

Mucinwirkung 387.

Murray, Hasenscharte 126.

Mutterbrust und körperliche und geistige Entwicklung 129.

N.

Nachweis einer künstlichen Fär- bung im gelben Wachs 384. Narkose “il. Narkosenstatistik 192, 683. Nasenseptum, Ersatz des 91. Nasenseptum verkrümmt bei un- rerelmäßiger Zahnstellung 501. Nehennierenextrakte 441, 466. Neddengold 251. [509. Nessel, Menstruation und Karies Neumannsche Scheiden 695.

——— nm mn a

0.

Obturator, verkleinerter 116. Obturatoren, Geschichtliches über 7

202 Herstellung der 551. Orthodontie 108, 189, 193, 300, 309. Ostasalz 49. Öttofy, Ylan-Ylan 51. | P. Paraftin zu Wurzelfüllungen 22,900:

Paraftininjektionen t0., arımephrin 1, 3S1. Purotitis 250. Par reidt, Die mittleren Schneide- | zähne beim Manne breiter 213. artsch, Aktinomykose 202.

Aufklappurg der Schleimhaut- | bedeckung des Kiefers 593.

757 ‚Pathologische Zustände in den

Zähnen 41.

Peckert, Lokalanästhesie 383.

Perhydrol Merck gegen Dentin- hyperästhesie 28.

Peiser, Drüsen des Verdauungs- apparates 59.

Pfaff, Aluminium 97.

Bißdeformitäten und Orthodon- tie 110.

Reziproke Kraftanwendung 200.

Verengerung der Nasenhöhle durch Gaumenenge 108.

Phylogenie des Menschen in bezug auf die Zähne 177.

Physiologie des Kauens 256.

Pithekoide Merkmale am Gebiß 227.

Polscher, Kimblygold 83.

Pont, Pulpapolyp 247, 307.

Port, Über Gips 531. Herstellung dauerhafter Mo- Leontiasis der Zähne 252. Röntgenphotographie 87. g 65. om- biniert 469. Porzellanfüllungen 309, 315, 316. Porzellansorten, Schmelzpunkte der N). Preise der Weltausstellung 63. Progenie 309.

delle 303.

Leichtflüssiges Metall 252.

Seltene Gesichtsverletzun

Porzellanfüllungen mit Gold

Porzellanfüllungen, Farbe der 647.

Porzellanschli}-Füllungen 319.

Präventive Behandlung der Zähne 449.

Protargol 400.

Prothese 120.

: Pseudotuberkelbazillen im Speichel

31]; Pulpa und Anästhetika 620. Pulpapolyp 247, 307. Pulpawulst die treibende Kraft bei Zahndurchbruch 62.

| Pulpazersetzung 10%.

Pulvertabriken, Zustände der Zähne bei den Arbeitern der 155.

R e

Rachitis und Stillungsdauer 145. tauhe, Kalksalzarmut 45

Rauhe, Saugvorriebtung 117.

. Reclus, Stovain Dl.

758

Reflexzonen 574.

Regulierung der Zähne 108, 159; |

103, 300, 309, 559. Reich, Resektionsschiene 500. Reizenstein, verschluckte Ge- bisse 511. Rekognoszierung durch den Zahn- arzt 53. Reolstifte 666. Resektion des Unterkiefers 500. Resektion der Wurzelspitze 319, 363, 480, 605. Resorption der Milchzähne 62. Retention von Zähnen 64. Retention mehrerer Zähne 378. Retinierte Zühne karnesfrei 514. Rezdek, Tonsilla pendula 51. Reziproke Krattwirkung beim Re- aeron 193; JIN.

Riegner, Physiologie und Patho- logie der Kiefterbewegung 155. Riegner, Asthetisches aus der

zahnärztlichen Praxis 650. Riesenwuchs der Zähne 252. [319. Rilot, Resektion der Wurzelspitze Offene Wurzeln 576. Ritter, zahnärztliche Hilfe

Krankenhäusern 4:8, Römer, Alveolarpvorrhöe 44. Tomessche-Köllikersche Kanäl-

chen 69).

Pulpapolypen 30%.

Römheld, Gaumenkrampf 59. Röntgenphotographie 87.

Rorida, Pseudotuberkelbazillen

im Speichel 311.

in

Röse, Berut- und Militärtauglich- |

keit 575’.

Vererbung der Zahnform 211.

Wichtigkeit der usw. 129.

Zahnverderbnis und Speichel- beschaffenheit T05.

Rosenberg, Beiträge zur Injek- tionsanästhesie 627.

Zahnformel 219.

Roser, akute Aktinomykose 204. |

Roughton, Tod nach Zahnerkran- kung.

Rudolph, Spätwachstum des Un- terkiefers 317.

Ruland, die zahnärztlichen Ver- hältnisse in 317.

Ryder, Entwicklung der Kiefer- gelenks 209. i

' Schmelzspitzen,

|

Register.

S.

Sandré, Lehrbuch des Füllens mit Gold 447. 11%. Saugvorrichtung an Gaumenplatten Sauvez, lokale und allgemeine Anästhesie 104. i

Scheff, Handbuch 1S7.

—- Schmelzspitzen 217.

Schipkakiefer 255. (447. Schlenker, Neddens Kristallgold Schmelzpunkte der Porzellansorten

30. Eck- zähnen 217. Schmidt, Erich, Goldfüllung mit Zementverdrängung 311. Schreiber, Goldfüllungen anzu- fangen 250. Schröder, Deviation des Nasen- septums 501. Matrize 311. Nasen- und Gaumenenge 110. Pulpa und Anüsthetika 023. Schulzahnklinik in Straßburg, Ber. der 141. Schulzahnkliniken 303. Schulz, Kali chloricun 304. Schürch, Anthropologie Schweiz 54. Schwangerschaft, Einflu der auf die Zähne 313. Schweiz, Anthropologie der 4. Schwerhörigkeit nach dem Zahn- ausziehen 352. Seltene (resichtsverletzung 65. Senn, Porzellanfüllungen mit Gold 469.

zwei, an

der

- Sensibilitätsstörungen, Headsche Mutterbrust

Lehre der 1b. Smith. Präventive Behandlung der Zähne 450. Smreker, Bleichen der Zähne 313. Sofortiges Regulieren 300. Spätwäachstum des Unterkiefers 51v. Speichel, Pseudotuberkelbazillen im 311. Speichel und Blut 5%. Speicheluntersuchungen 712. Spirituslampe Y4. Sproßpilze, Einfluß der auf Eiter- ungen GHZ. Statistisches über die Karies an den verschiedenen Zähnen und

deren Flächen 291, 322.

Register. 759

Steffen, Zuhnextraktion 127.

Stehr, Fehlen des kleinen Schnei- dezahnes 211. Stein, Parafftininjektionen 60. Sterben der Säuglinge 132. Sterilisieren des Handstückes 311. Sterilisierung der Wurzelkanäle durch den galvanıschen Strom 50. Sternfeld, die Extraktion des Sechsjahrzahnes >48. Stickstotloxydul 435, 465. Stittkronen und Bandkronen 316.

Stillen der Mütter, Notwendigkeit |

des 129.

Stillungsdauer und Hypoplasie der Zähne 153.

Stillungsdauer und Rachitis 145.

Stillungsdauer und Zahnverderb- nis 135.

Stomatitis durch kranke Zähne 24°. |

Stomatitis membranosa 52. Stovain »1.

Süersens Obturator 550. [251 W., Zur Neddens Kristallgold Suprarenin mit Kokain 1, 443. Syphilis, Atlas der 191.

Syphilis als Ursache von Gesichts-

schmerz 53. extrasrenitale 57.

Szabó, Argentum nitricum auf |

Zahnbein 305.

Ienipunktur entblößter Pulpen |

.) l U.

T.

Talbot, Zahnformen 215.

lechnik der Kokain-Suprarenin- anästhesie 1

de Terra, M, Menschen in

= Zähne 177, 209.

T haon, Zungentuberkulose 250.

Tod durch Folliculitis expulsiva bei Neugeborenen 1S6.

Tod durch schlechte Zähne 243.

Tod nach Zahnerkrankung 035.

Tomessche Fasern 695.

Tonsilla pendula 51.

T Opınard, Zahnformen 215.

Phylogenie des bezug auf

racy, Porzellanfüllungen und (oldfüllungen 315.

Yo, > r rauner, Paraffin zu Wurzel-

tüllungen 22.

die :

' Trauner, Füllung von Wurzeln Stehengebliebene Milchzähne 379. |

mit weitem Foramen 306.

| Trema im Unterkiefer 382.

Tuberkulose der Zunge 250.

Typhus und Karies 508.

U.

Überzahl von Zähnen 218.

Unterkieferersatz mit Gleitgelenk 318.

Üble Zufülle nach dem Zahnaus- ziehen 382, 512.

'berzählige Schneidezähne als Ur- sache der Gaumenspalte 540.

v.

Verengerung der Nasenhöhle durch Gaumenenge 105.

Vererbung von Gebißeigentümlich- keiten 211.

Verschlucktes Gebiß 192.

Verschluckte Gebisse 253, 511, 641.

Verschmelzung 302.

Vohsen, Nasenseptumverkrümm- ungen und unregelmäßige Zahn- stellungen 503.

Vorstehender Unterkiefer reguliert 309.

W.

Walkhoff, Die Unterkiefer des Anthropomorphen und des Men- schen 259.

ı Theorien der Kinnbildung 5S0. ' Walkhofts

Theorie der Kinnbil- dung 748. [256.

Wallace, Physiologie des Kauens

Wallisch, Metallarbeit 353.

Überzahl von Zähnen 211.

Warnekros, Hasenscharte und Wolfsrachen 541.

Kieterbruchschiene 11%.

Obturator 550.

Verkleinerte Obturatoren 110.

Wasserstoffsuperoxyd 2S.

Weber, Verhütung zu Alterns 191.

Wehmer, Medizinalkalender 62.

Weidenreich, Walkhotts Theorie der Entwicklung des Kinnes F45.

Weigert, /alınkrankheiten im Siuglingsalter 421.

Weiser, Mundprothese 120.

frühen

760 Register.

Mn Wandtafel zur Zahn- ' Y. e 25l. 2 Werlhofsche Krankheit 250. a pI, W hites Porzellanzähne 128. Z Wiedersheim, Die Eckzähne der š

Australier 212. | Zahl der Approbationen 384. Williger, Aktinomykose in der | Zahnarzt zur Rekognoszierung 52.

Armee 257. Zahnärztin, Die 127.

Witzel, Anton, Jodoformemulsion | Zahnausziehen 127. [382. in der Kieferhöhle 318. Zahnausziehen, üble Zufälle nach

Anton, Porzellanfüllungen 309. | Zahnbeinanästhesie 467.

Ad., Sofortiges Wurzelfüllen | Zahnbeinhyperästhesie 28. bei Alveolarabszeß 78. [491. | Zahndurchbruch 62.

Wurzelspitzenresektion 480, 487, | Zahnen, erschwertes 58.

Jul, Die Biersche Stauungs- | Zahnextraktionsinstrument 54, 127. hyperämie 414. Zahnfunde 231.

Karl, Unterkiefer-Prothese mit | Zahninstrumente als Infektions- Gleitgelenk 318. träger 253.

v. Woert, Porzellanfüllungen all- | Zahnretention 64. gemein 316. Zahnung 421.

Wolfes, Anästhetika 434. Zahnverschmelzung 303.

Worm, Schwerhörigkeit nach | Zahnverderbnis und Speichel 705.

Zahnausziehen 382. Zahnverderbnis und Stillungsdauer Zahnverschmelzung 303. 138. 7210. Wurzelfüllen, sofort bei Absceß 7S. | Zahnwurzel als sekundäres Gebilde Wurzelfüllmittel 64, 78. Zähne, Empfindungsvermögen der Wurzelfüllungen 283, 310. 38

Wurzelfüllungen mit Paraffin 22. | Zungentuberkulose 250. Wurzelgranulome 482. Zementverdrängung beim Gold- Wurzelkanäle sterilisieren durch füllen 311.

den galvanischen Strom 50, 190. | Zierler, Galvanısche Ströme zum Wurzelresektion 363, 319, 450, 491. Sterilisieren der Wurzeln 190. Wurzelwachstum 62. Zimmermann, Statistische Be-

arbeitung 291, 322. Zuckerkandl, Die Zahnformen x. >13.

Nerodoma pigmentosum 53. Zwischenkiefer 543.

Druck von August Pries in Leipzig.

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wedischen Ortschaften.

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100 cem Speichel enthielten:

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35,0 18,0 462 0,2 9508 | verunglückt 31 18,0|462 02 106 10 83,4|39,1

—-10) ccm a HC.

10 342 |209 34802 407 90,0 38,3 338 75 4s3 02 ST 07 95 DR 330 132 05.1031 26,3 3450 02 BI 06 895 21,1 ı 338 127 06 91,5 38,3 340 14, 46 02 100 06 941 33,4

rer als 5 ccm a HCI.

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-35,1 | 8,2 | 51,3 03 104 08 /98,5|28,4

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AS 02 103 071941 322

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v.23 Deutche Mopatsschrift für NO aS =l 1905 Zahnheilkunde. 5390 ER

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