rs 5.1500, IE we N. IR Archiv 2.D, für Anatomie und Physiologie. Archiv Kür 2 Anatomie und Physiologie. In Verbindung mit mehreren Gelehrten herausgegeben von Johann Friedrich Meckel. Jahrgang 1828. Mit dreizehn Kupfertafeln. x L ep zig, Verlag von Leopold Voss. Inhalt. Bes) Erstes Hefe. l. Ueber die Metamorphose des Nervensystemes in der Thierwelt. Von Dr. Johannes Müller , Professor zu IN RE AA A Ve il, Ueber den Kreislauf des Blutes bei Hirudo vulgaris. Von Johannes Müller, Professor zuBon . ... Ill. Beiträge zur Anatomie des Scorpions. Von Dr. Jo- hannes Müller, Professor zu Bonn ,.. IV. Mangel des Unterkiefers bei einem neugeborenen Lamme. Mitgetheilt von Dr. @. Jüger V. Beschreibung der Missbildung des linken Vorderfusses eines Stierkalbes und der Wirkung von Arsenik und Blausäure, welche an die‘ missgebildeten Theile ge- bracht wurden, Von Dr. @. Jäger . Vi. Ueber die Capacität der Lungen für Luft im gesun- den und kranken Zustande. Von Dr. E. F. Gust. Herbst, in Göttingen .ı. Vil, EinigeVersuche zur Ermittelung der Frage: auf wel- che Weise das Aufsetzen von Schröpfköpfen auf ver- Seite 22 29 71 7% 83 v Inhalt. giftete Wunden die Wirksamkeit des Giftes unter- drückt. Von Dr. Aug. Heinr. Ludw. Westrumb . . VII. Ueber die Bedeutung der Eustachischen Trompete. Von Dr. Aug. Heinr. Ludw. Westrumb . . ... D IX. Ueber die Kiemenspalten der Säugethier-Embryonen. Von Professor von, Baer \ . . #2 Mm.) / Zweites Heft. 1. Monströse Larve eines Fetus. Von A. Meckel in Bern U. Theilweiser Hirn- und Schädelmangel. Von Dem- SPÄHRN). 127 2 ee a re en eh Ina ee ill. Bemerkungen über einen Kalbseyklopen. Von Dem- Belbengn. an.) car mE. 0 na IV. Beitrag über die Entstehung der Herzpolypen. 'Von Demselbon : .., KU Ur 10ER TE SEE, Anıtnd V. Anatomische Bemerkungen. Von Demselben „=... VI. Dreifache Wirbelarterie. Von Demselben . . . VI. Scheinbarer Uebergang einer Saugader in eine Vene. Von Demselben!. !. „2.2 / 78). VII. Carotis interna und Steigbügel des Murmelthieres und Igels. Von Demselben, „+... wu nimın "ann muml, IX. Einige Beiträge zur physiologischen und pathologi- schen Anatomie. Von Dr. 4A. HM. . „ 20.2» X. Beschreibung einer seltenen Missgeburt, welche sich in der Sammlung des anatomischen Theaters zu Leip- ‘ zig befindet, Von Dr, Ludwig Cerutti, Professor ‚der pathologischen Anatomie . ! 156 159 166 167 170 171 174 177 192 Inhalt. Ä vr Seite XI. Ueber den Nutzen der kalten Begiessungen bei Ver- giftungen durch Blausäure, Von Dr. E. F. Gustav Horte a 2 nf: werte alslt.208 Drittes und viertes Heft. I, Ueber Seele und Lebenskraft. Von Dr. L. F. Koch, Lehrer am med. chir. Institute zu Magdeburg . . „ 2235 1. Ergänzungen zu den Untersuchungen über den Kreis- lauf des Blutes. Von Dr, @. Wedemeyer, Königl. Hannöverschen Leib - und Ober-Stabs-Chirurgen. 337 Ill. Ueber die Entwickelung des medicinischen Blutegels, Von Dr. Ernst Heinrich Weber, Professor der Ana- konp I Lioipzie ee u N BC IV. Swammerdams Entdeckung, dass sich die kaum sicht- baren Keime der Schnecken im Eie um sich selbst drehen, zusammengestellt mit Leeuwenhoeks Entde- ckung, dass dieselben Bewegungen bei den kleinen Keimen der Muscheln Statt finden, nebst einigen Be- merkungen über die Bewegungen an den Keimen der Blutegel. Von Dr. Ernst Heinrich Weber, Professor der Anatomie'in, Beipzig \ „u... .,% 2. 2.00 „028 V. Weber die Ursache und den Zweck, welchen mehrere Einrichtungen haben, durch die sich der Körper der Wirbelthiere von dem der wirbellosen Thiere unter- scheidet. Von Dr, Ernst Heinrich Weber, Professor der Anatomie in Leipzig . . 2 22 20 7.2.2244 VI. Beschreibung eines Nukahiwerschädels. Von Professor Dakar RE One „de ae te a et EN -487 Vi. Beitrag zur vergleichenden Anatomie des Gehörgan- ges. Von Thomas Buchanan, .‘. . . 2 2.22.4682 vıu Inhalt. Seite vll. Ueber den Einfluss, welchen die Gestalt und der An- heftungswinkel des äusseren Ohres auf die Stärke des Gehöres hat. Von Thomas Buchanan . ». » ....48 - iX. Bemerkung über Bojanus’s Darstellung des Athmens der Acephalen. Aus einem Briefe des Hrn. van der Hoe- ven, Professors zu Leyden, an den Professor Nitzsch zu Halle ©). 129,00. 27» eMelee BpErTeRme a une Archiv für Anatomie und Physiologie. Z. Ueber die Metamorphose des Neryen- systems in der Thierwelt. von Dr. Jonannes Mürter, Prof. zu Bonn, Wenn man die Entwickelung des Nervensystems aus einem Urtypus bis zu seiner vollkommensten und zu- sammengesetzten Bildung in einer Weise darstellen will, welche dem organischen zertheilenden Processe analog ist, muss man, zuvörderst darüber im Reinen seyn, wie sich die Typen des ungegliederten Nervensy-, stems der Weichthiere, des gegliederten Gangliensy- stems, der. Gliederthiere und des Nervensystems der Wirbelthiere mit ausgebildetem Gehirn und knotenlo- sem soliden Rückenmarke in ihrer Bedeutung für die Organisationstypen jener Thiere und in ihrer gegen- seitigen Bedeutung zu einander verhalten. Die letztere Frage, in welcher Art das Nervensystem der Wirbello- sen dem der Wirbelthiere zu vergleichen sey, hat schon lange die Anatomen und Physiologen beschäftigt. * Be- kanntlich haben Ackermann, Reil, Bichat in dem Gan- gliensystem der Wirbellosen eine Analogie mit dem »ervus sympathicus der Wirbelthiere erkennen wollen, Meckels Archiv f. Anat, u, Phys, 1828. 1 ” 2 Ueber die Metamorphose des Nervensystems und nach vielfachen hierüber geführten Verhandlungen haben abermals in der neuesten Zeit Serres und Des- moulins , Schriftsteller, welche die über das Nervensy- stem in’ Deutschland erschienenen Werke, zu vertrau- ensvoll auf das Unbekanntseyn derselben in Frankreich, zu ihrem Schein benutzt haben , auf die Aufstellung dieser vorausgesetzten Analogie zwischen dem nervus sympalhicus der Wirbelthiere und dem Gangliensystem der Wirbellosen sich viel zu gut gethan. Anderseits haben Scarpa, Blumenbach, Cuvier, Gall, J. Fr. Meckel, Arsaky jene Analogie mit besseren Gründen verworfen, und die meisten dieser Anatomen haben das Bauchmark der Gliederthiere ohne weiteres dem Rük- kenmarke der Wirbelthiere gleichgestellt. Meckel und Ph. Fr. von Walther äusserten sich. sofort bestimmter dahin, dass die Fortsetzung des Hirns in den Rumpf bei den Wirbellosen als typische Vereinigung des spä- ter getrennten Nervensystems des Rückenmarkes und des’ nervus sympathicus der Eingeweide zu betrachten sey, so dass das Nervensystem der Wirbellosen, seiner Bedeutung ‘nach beide Functionen enthaltend, bei den Mollusken sich mehr zudem Typus des sympathischen Ner- ven, bei den Gliederthieren mehr zu dem Typus des Rückenmarkes hinneige. Auch ‘Carus hat sich, im sei- nen späteren Schriften wenigstens, zu dieser Ansicht gewandt !). ın 1) Früher sah Carus das Bauchmark der Gliederthiere noch mehr für ein dem nervus sympathieus analoges Gangliensystem an; und glaubte’ in dem räthiselhaften Rückengefässe der Inse- eten\ den! Anfang‘ einer höheren, dem Rückenmarke analogem Bil- dung zu erkennen. Eine Meinung, auf welche: Carus in seiner neuesten Schrift: Entdeckung: eines einfachen vom Herzen aus be- schleunigten Blutkreislaufes. in den Larven netzflügeliger Insecten. Deipz. 1827. keinen Werth mehr legen konnte. Sonderbarer Weise hat Hr. Prof, Carus in dieser vortrefllichen und höchst in der Thierwelt, 3 ‘Am bestimmtesten hat jedoch Rüdolphi diese Deu- tung des Nervensystems ausgesprochen und sogar in seinen Beiträgen zur Anthropologie hierauf eine sehr beachtungswerthe Eintheilüing der Thiere gegründet. Rudolphi setzte nämlich den Wirbelthieren mit doppel- tem Nervensystem Diploneura, die Wirbellosen mit einfachem Nervensystem Haploneura entgegen, welche letztere bald das Gangliensystem des nervus sympathi- cus vorzugsweise ausbilden (Mollusken) Ganglioneura, bald zum Typus der Rückennarksbildung streben (Glie- derthiere) Myeloneura. willkommenen Schrift, bei Aufzählung der ‚bisherigen. anatömi- schen Versuche über das Rückengefäss der Insecten, welche bis zum Jahre 1825 eine Verbindung derselben mit anderen Organen nicht nachweisen konnten, die von mir im Jahre 1823 entdeckte und bei sehr vielen Inseeten verschiedener Ordnungen vollstän- dig und sehr genau in act. acad. caes. Leop. carol. nat. cur. Vol. XI) p- 2. im Jahre 1825. beschriebene und abgebildete Verbindung des Rückengefässes mit den Röhren der Eierstöcke zu. erwähnen und diese für seinen Gegenstand unabweisbaren Thatsachen zu würdigen unterlassen. Dieser unmittelbare Ue- bergang der schlauchartigen oder röhrigen Organe der Insecten durch fernere höchst feine Röhren in den Schlauch des Herzens, wodurch der Saft des Herzens unmittelbar ins Innere der schlauchartigen Organe gelangen muss, verdient noch um 'so mehr Beachtung, da Hr. Prof. Carus den gefässlosen Fortgang des Saftes nur vorzüglich in den: äusseren Theilen gesehen, nicht aber das Verhalten zu den schlauchartigen Organen im Rumpfe gesehen und beschrieben hat, Solches Nicht-Notiz -Nehmen, in einer geschichtlichen Darstellung, wo man zum Zwecke hatte, zu zeigen, wie unvollkommen die bisherigen Versuche waren, ist in der That um so unerklärlicher, da ich meine Abhandlung we- gen Interesses des Gegenstandes Hrn. Prof. Carus besonders so- gleich überschickt, und hierüber eine Empfangsanzeige vom 23. Nov. 1825 von ihm besitze. Schreiber dieses würde das weiter nicht beachten, wenn er nicht die grösste Hochachtung für Hrn. Prof. Carus hegte. * 4 Ueber die Metamorphose des. Nervensystems Treviranus und E. H. Weber endlich glaubten, die Knoten der ‚Ganglienkette der Gliederthiere nur als Knoten der Rückenmarksnerven anerkennen zu müssen, so dass diese verbunden und verwachsen seyen, die verbindenden Stränge ‚aber lediglich als die ersten Ru- dimente des Rückenmarks der Wirbelthiere erscheinen. Diese Streitfrage wird nun über allen Zweifel ent- schieden dadurch , dass bei dem‘ meisten Gliederthieren, nämlich bei allen Insecten, ausser dem Bauchmarke, oder der Ganglienkette der Bauchseite, ein zweites Ner- vensystem, welches lediglich den Eingeweiden bestimmt ist, vorkommt, und dass dieses Nervensystem, ebenfalls aus einer Reihe von feinen und kleineren Ganglien be- stehend, auf dem Darmkanale und besonders auf dem Magen seine grösste Entwickelung durch feine Ge- flechte erreicht, mit dem Gehirne und Rückenmarke aber nur durch dünne Wurzeln zusammenhängt. Schon Meckel und. Treviranus hatten ‚gelegentlich auf eine Analogie zwischen dem von ZLyonet beschrie- benen, auf der Speiseröhre verlaufenden unpaarigen nervus recurrens und dem nervus sympathicus hingewie- sen. Doch ist dieser von Lyonet beschriebene Nerve nur die einfachste und unausgebildetste Form eines ei- genthümlichen Nervensystems, dessen entwickelte For- men ich bei fast allen Ordnungen der Insecten unter- sucht'habe. In seinen ausgebildeten Formen entspringt dieses Nervensystem mit feinen Wurzeln vom Gehirne, und verläuft, auf den Rücken der Speiseröhre sich be- gebend, zwischen dieser und dem Herzen zum Magen, wo es ein besonderes Geflecht bildet, das von einem ziemlich «starken ‚Ganglion entspringt. ‘Bei diesen ent- wickelten. Formen ist der Magen- oder Centraltheil' die- ses Nervensystems immer stärker als sein oberer Theil, der von kleineren Anschwellungen aus mit dem Gehirne zusammenhängt. Uebrigens entspringt der üben dem in der 'Thierwelt. 6) Darmkanal verlaufende Stamm bald aus paarigen Wur- zeln, und verläuft einfach und unpaarig zum Magen, wo er sein Geflecht bildet, bald sind 2 Stämmchen vor- handen, die sich, wie das Bauchmark, hier und dort zu Knötchen vereinigen, und von einem letzten und stärksten Knötchen über dem Magen ihr Geflechte bil- den. Eine ausführliche anatomische Arbeit über diesen Gegenstand erscheint mit vielen Abbildungen im XIV. Bd. 1. Abth. der nova acta acad. caes. Leop. Carol. nat. cur. Hiermit ist nun jene Streitfrage als entschieden anzusehen, und es leidet keinen Zweifel, dass das Bauchmark der Insecten, trotz seinen Ganglien, nur allein dem Rückenmarke zu vergleichen ist, womit für die folgende Darstellung der Metamorphose des Ner- vensystems sehr viel gewonnen ist. Hierbei kann man sich der Bemerkung nicht enthalten, dass die Schrift- steller, über Identität mit dem Rückenmarke, oder mit dem nervus sympathicus urtheilend, selbst nicht haben bestimmen wollen, was’ denn das Rückenmark bei den Wirbelthieren, im Verhältnisse zum Gehirn, seinem Be- griffe nach ist, und dass sie sich in dieser'Vergleichung nur durch Lage und äussere Form haben leiten lassen. Der Verfolg dieser Untersuehung wird es, wenn ich nicht sehr irre, darthun, dass, selbst ohne den facti- schen Beweis für die wahre Bedeutung des Nervensy- stems der Gliederthiere. wenn nur jene ‚Begriffe ver- gleichend anatomisch und physiologisch bestimmt waren, über diese kein Zweifel übrig seyn konnte. Da das Nervensystem in der Thierwelt, aus der allgemeinen Substanz gesondert, zuerst bei den Radia- rien erscheint, so wird es passend seyn, für die nun folgende Darstellung in Hinsicht der Wirbellosen in die Typen der Radiarien, der Eingeweidethiere und der Gliederthiere, welche die ‘Gliederwürmer, die Crusta- 6 ‘ Ueber die Metamorphose des Nervensystems ceen, Spinnen und Insecten enthalten, zu unter- scheiden. ‘ I. Morphologischer Theil. 1 Typus der Radiarien. Strahlig-peripherische Gliederung, gleiche Theile in der Peri- pherie eines Centrums. Die Urform des Nervensystems ist der Ring, das- jenige, was wir. bei den wirbellosen Thieren den Schlundring nennen. In seiner einfachsten Form er- scheint er bei den Radiarien, er ist noch ohne Gang- lien, ohne Fortsetzung zu einem Markstrange. Gemäss der strahligen Eintheilung und Zusammensetzung des Thiers ist auch die Verbreitung seiner Nervenäste an- geordnet.. So wenig das Thier in einen gegliederten Leib sich: fortsetzt, so wenig kann hier eine Fortse- tzung des‘ Schlundringes in einen Markstrang auftre- ten; : Wiederholung derselben thierischen Theile in der Peripherie‘ des Kreises ist hier die Urform des Thie- zes, unter diesen Bedingungen sind alle Nerven des Schlundringes gleich, keiner ist vorzugsweise Mark- strang,, kein Theil’ des Schlundringes vorzugsweise Hirn. ' Alle die strahligen Aeste eines Nervenkreises, wovon keiner die Priorität hat, sind zusammen dasje- nige, was bei den höheren Thieren die Fortsetzung des Schlundringes in den Markstrang ist. U. Typus der Eingeweidethiere, Mollusken. Untergang der Gliederung in einem muskulösen Einge- weidesacke. In der Abtheilung der Weichthiere oder Einge- weidelhiere erleidet diese Urbildung Veränderungen, welche nur den Veränderungen der gesammten Organi- sation entsprechen. Die Symmetrie des strahligen Ty- pus hat aufgehört, und der Mangel der den übrigen in der Thierwelt. 7 Wirbellosen eigenthümlichen Gliederung ist einer ihrer wesentlichsten Charaktere. Das Weichthier ist nur ein Convolut von Eingeweiden, so viel ihrer nöthig sind zum Bestehen einer thierischen Individualität, deren Functionen ‚auf ein stilles Aneignen des Aeusseren, ein unbeholfenes Tasten und Fühlen und eine sehr träge Ortsbewegung hinauslaufen. Das Aeussere des Thieres ist daher nur ein mus- kulöser , zum Kriechen bestimmter Eingeweidesack, des- , sen sinnliche Ausbildung fast nur in der Erscheinung tastender Fäden gesteigert hervortritt. Der Schlundring erscheint auch hier als Urform; seine gleichen strahligen Nerven für gleiche. peripheri- sche Theile hat er mit diesen abgelegt. Es gilt Ein- geweidenerven, und da die Eingeweide ohne symmetri- sche Lage und Folge nur gleichgültig zusammengehäal- ten sind, auch ‚eine suceessive Reihe ortsbewegender Glieder fehlt, so bedarf es keines gegliederten Nerven- ‚systems. Alle Ausbildung des Nervensystems eischeiat hier in der Entwickelung des Schlundringes und seiner Ner- ven zu Ganglien, welche die Centra für die Ausstrah- lung des Nervenmarkes werden. Die Stufen der Aus- bildung sind in dieser Sphäre folgende. 1) Einfache, zweifache, dreifache Anschwellung des Schlundringes, mit zerstreuten Anschwellungen: der. von diesem ausgehenden Nerven. Acephalen:;s : Gästero- poden. as 2) Der Schlundring als massive Hirnmasse! mit zer- streuten Ganglien der Eingeweidenerven. Cephalopoden. II, Typus der Gliederthiere. Suecession, ähnlicher oder gleicher Glieder, mit ähnlichem Bien gleichem Inhalte, Längengliederung, In der Abtheilung. der .Gliederthiere ist die Wie- & Ueber die Metamorphose des Nervensystems derholung gleicher oder ähnlicher Theile in der Län- genrichtung der Grundcharakter. Das Thier besteht aus einer successiven Gliederung ähnlicher oder glei- cher Ringe , welche ebenfalls ähnliche oder gleiche Theile des Gefässsystems der Eingeweide enthalten. Die Eingeweide sind nicht mehr als ein Convolut durch einen muskulösen Sack verbunden, sie erstrecken sich durch die ganze Länge des Thiers, der muskulöse Sack ist in eine unendliche Menge einzelner Muskeln für die articulirten Theile zerfallen. Unter diesen Bedingun- gen müssen sich der Schlundring und seine Knoten wie- derholen, als Markschlingen und Markknoten des ge- gliederten Leibes. Die Ausbildung in dieser Sphäre hat folgenden Fortgang. 1) Der Schlundring, mit vorderem und hinterem Gan- glion, setzt sich in die Markschlingen und die Mark- knoten des gegliederten Leibes fort. Gegliederte Wür- mer. . 2) Der Schlundring mit vorderem ‘Sinnesganglion und einer Reihe durch Markschlingen verbundener Markknoten des geliederten Leibes. Insecien und Cru- staceen. Hier ist das hintere Ganglion des Schlundrin- ges schon erster Knoten des Bauchmarkes. Bei den Insecten tritt ausserdem schon ein besonderes Nerven- system der Eingeweide auf dem Rücken des Darmkanals auf,»das "auf dem Magen seine grösste Entwickelung erreicht und mit dem Gehirne und Bauchmarke durch Wurzeln zusammenhängt. ' 3) Schluss einzelner 'Schlingen des Bauchmarkes zu einem soliden Strange, Schluss des Schlundringes zu einem soliden verlängerten Marke, dessen Schenkel die Speiseröhre nicht mehr umfassen. Einzelne Insecten. Bei vielen Insecten sind im Zustande der Larve schon die unteren Stränge des Markstranges geschlos- sen. In der Metamorphose der Larve zur Chrysalide in der Thierwelt. 9 und zum vollkommenen Insect schliessen sich 'andere Knoten, welche früher getrennt waren, einzelne Knoten verschwinden, andere verschmelzen. Bei einzelnen Insecten sind alle Knoten und Schlin- gen des Bauchmarkes zu einem soliden Markstrange vereinigt, von dem alle Nerven des gegliederten Leibes strahlig ausgehen, und der allein nur durch den noch offenen Schlundring mit dem Hirnganglion verbunden ist. So bei dem Nashornkäfer, selbst im Larvenzustan- de. Eine ganz ähnliche Bildung hat Swammerdam von einem Apteron und einem Dipteron abgebildet. Bei anderen Inseeten sind selbst die Stränge des Schlundringes geschlossen, und die Speiseröhre, statt durch jene zu treten, tritt über ein solides Halsmark und über das Gehirn zum Munde, wie nach meinen Untersuchungen bei den Gespenstheuschrecken unter den Mantiden (Nov. act. acad. nat. cur. Tom. X. Tab. L: Fig. 1.). Beim Scorpion !) ist zwar das verlängerte Mark oder der Anfang des Bauchmarkes noch wie die Stränge zwischen den übrigen Knoten gespalten, aber die Spei- seröhre geht nicht durch eine Schlinge des Bauchmar- kes, sondern über das Gehirn zum Munde. Bei den Spinnen ist endlich das Bauchmark vom Gehirne an so- lid, ohne alle Schlingen, wie Treviranus Untersuchun- gen beweisen. In diesen Fällen sind die übrigen Schlin- gen des Markstranges bald offen, wie bei dem Scor- pion, bald zum Theil auf grosse Strecken vereinigt, wie bei den Phasmen, bald ganz geschlossen, wie bei den Spinnen. -So geht bald der Schlundring ein, während die Markschlingen des Leibes bleiben, bald vereinigen sich 1) Gegen die Angaben von T’reviranus, der den Fettkörper des Brust -Kopfstücks für das Gehirn gehalten. Das Nähere in einer besonderen Arbeit über die Anatomie des Scorpions. 10 Ueber die Metamorphose des Nervensystems diese zu einem soliden Strange, während die Stränge des Schlundringes getrennt bleiben. Wenn wir endlich von hieraus die Aussicht aufdas Nervensystem der Wirbelthiere eröffnen, bei denen die Stränge vollkommen geschlossen, die Knoten eingegangen, und die vertheilten Central- bildungen im Gehirne ‘vereinigt sind, so ist es nicht un- sere Absicht, den stufenweisen Uebergang: jener Bildun- gen von Glied zu Glied bis zum Rückenmarke und Ge- hirne der Wirbelthiere erkenntlich zu machen, sondern zu zeigen, wie alle diese Veränderungen nach den si- multanen Bestimmungen der übrigen individuellen Or- ganisation mit der grössten Mannichfaltigkeit, ohne den Begriff der Urbildung zu verlassen, innenkglh des Be- griffes selbst vor sich gehen können. ‚Verbundene Schlingen des Nervensystems, BERN Stränge, Strangbildung und Knotenbildung sind weni- ger wesentlich, als es scheint, verschieden; eins geht in das andere über, und das Gehirn mit dem Rücken- marke sind in der That morphologisch nicht so sehr von dem Nervensystem der Wirbellosen verschieden. Selbst jene den Wirbellosen eigenthümliche Bildung, dass der Schlundring der Speiseröhre zum Durchgange dient, begründet keine schneidende Differenz. Denn wie wir in der Metamorphose sehen, selbst bei dersel- ben Thierart schliesst der Bildungsprocess, je nach der neuen Gliederung des verwandelten Geschöpfs, diese Ringe, die nun als solider Strang ohne Knoten erschei- nen. Bei den am höchsten stehenden Insecten, wie unter den Orthopteren bei den Phasmen, ‘geht das Hirn oline Spuren des Schlundringes in 'den Anfang ei- nes soliden ungetheilten Rückenmarkes; über, das aber mit dem Hirn zugleich am Bauche liegt; wie denn an- derseits bei den niederen Wirbelthieren an den Ursprungs- stellen beträchtlicher Nervenmassen aus dem Rücken- marke die Knotenbildung an diesem wieder exscheint, in der Thierwelt. 11 wovon die mehrfachen Ganglien am Halsmarke der _ Triglen, und die Anschwellungen am Ursprunge der Arm- und J.endenneryen, einerseits bei den Schildkrö- ten, anderseits bei den Vögeln Beispiele geben. Wir müssen daher auch die 'scharfsinnige Behaup- tung von Treviranus und E, H. Weber, dass die Kno- ten der Insecten den Spinalganglien der Rückenmarks- nerven gleichzustellen seyen, ganz verwerfen. Die Kno- ten der Rückenmarksnerven gehören ohnehin nur der einen Wurzel dieser Nerven an. Zudem geben die zwischen den Ganglien der Insecten befindlichen: Strän- ge, welche jene Naturforscher allein für die ersten Ru- dimente des Rückenmarkes halten, so gut wie die Kno- ten, Nerven ab, wie gegen die Behauptungen einiger Anatomen, wie Arsakys, (de piscium cerebro et medulla spinali. Hal. 1815. 4. pag. 8.) aus den genauen Unter- suchungen von Lyonet erhellt. Endlich ist es die Ver- einigung der Knoten selbst, welche bei einigen In- secten, wie bei Pediculus capitis, Musca putris, Sca- rabaeus nasicornis, bei der Larve des Ameisenlöwen einen soliden, dem Rückenmarke ähnlichen Strang bilden. Auch auf die vollkommene Gleichstellung des Ner- vensystems der Mollusken mit dem sympathischen Ner- ven der Wirbelthiere können wir keinen grösseren Werth legen. Der Mangel der Ganglienkette bei diesen Thie- ren ist eine Folge der Abwesenheit eines 'gegliederten Rumpfes. Die Vereinigung dieser Ganglien in. eine Kette ist etwas durchaus Zufälliges, d. h. nicht im Ner- vensystem selbst wesentlich Gelegenes, nur von der Gliederung Abhängiges. Sobald daher bei den Mollus- ken Spuren einer successiv angelegten Gliederung er- scheinen, erscheint auch die Ganglienkette, wie bei den Meereicheln.. Anderseits kann auch in der Classe der Gliederthiere, bei dem Untergange oder dem Zu- 12 Ueber die Metamorphose des Nervensystems xücktreten der gegliederten Bildung, die Ganglienkette durch zerstxeute Ganglien der Hirnnerven, in der Art, wie bei den Mollusken, ersetzt werden, wie dies bei den Phalangien der Fall ist. Die Ganglien der Mollus- ken sind daher zum Theil Ganglien der Zingeweidener- ven, den Bildungsprocessen bestimmt, anderen Theils sind die Hirnnerven und ihre Ganglien, welche in den Bewegungsorganen, wie im Mantel, sich verbreiten und der willkürlichen Bestimmung fähig sind, durchaus das- selbe, was bei den Gliederthieren die Muskelnerven der Ganglienkette, und ganz von aller Gleichstellung mit Eingeweidenerven auszuschliessen. Denn es sind eben diese dem einzigen Bewegungsorgane der Mollusken, dem muskulösen Sacke und seinen Anhängen bestimm- ten Hirnnerven mit zerstreuten Ganglien, welche, so- bald bei den Gliederthieren die Bewegungsorgane in successiver Reihe gehäuft werden, diesen analog Ringe und Knoten bilden, und so das Verhältniss des vorderen und hinteren Hirnknotens mit ihren Schlingen für den übrigen Körper wiederholen, wie wir offenbar bei den- jenigen Mollusken sehen, bei welchen die gr beginnt, bei den Fer i 27377 Man kann daher nur das sagen: Bei den Eingeweidethieren sind die Eingeweide: nerven vorzugsweise ausgebildet, und die Muskelnerven treten sehr zurück. Bei den Gliederthieren treten die Eingeweidener- ven mit zerstreuten Ganglien sehr zurück, und die Mus- kel- oder Gliedernerven sind zu einem System ausge- bildet, welches eine Wiederholung des Schlundringes in grösseren und kleineren Verhältnissen darstellt, und daher wieder, so wie das Hirn selbst, Eingeweidener- ven abgiebt. Bei den Insecten erscheint aber schon ein besonderes Nervensystem der Eingeweide, das sich von dem übrigen Nervensystem isolirt hat, und seine grösste in. der Thierwelt, 13 Entwickelung auf dem Darmkanale selbst erreicht, wie bei den Wirbelthieren der nervus sympathicus. ’ Wir haben bis jetzt nur die Entwickelung der Gan- glien und ihre Verschmelzung zu einem Markstrange morphologisch dargestellt; das Andere ist, die mit die- sem Processe verbundene physiologische Bedeutung der auftretenden Glieder hervorzuheben. lat. IE. Plysiologischer Theil. L Entwickelung in der Thierwelt. Die Urform des Nervensystems ist der Schlundring der Radiarien , seine Theile sind gleich, wie. ihre Functionen. Bei den Mollusken und Gliederthieren sondert sich EB cklandrinp,; wie seine Fortsetzungen, in besondere Ganglien für verschiedene Theile und Functionen, bald als zerstreute Ganglien, bald in. Form der Ganglien- kette. In dieser Sphäre ist die Hirnsubstanz zum Theil noch auf den Markstrang, oder die zerstreuten Nerven vertheilt. Das erste Hirnganglion, welches vorzugs- weise Gehirn genannt wird, ist nicht allein Gehirn, sondern nur das grösste Hirnganglion, vorzugsweise den Sinnesfunetionen vorstehend, oft selbst kleiner als die übrigen Ganglien, wie bei manchen Insecten. Da- her sind die Ganglien des Markstrangesz3 oder die zer- streuten Ganglien der Hirnnerven noch nicht unmittel- bar von dem ersten oder Hirnganglion abhängig. Die willkürliche Bewegung dauert bei vielen dieser Thiere noch lange nach den Verluste des sogenannten Hirns fort, und unter den Würmern ist die Reproduetionskraft so gross, dass die Stücke des zerschnittenen Wur- mes zu neuen Individuen wieder erstehen, zum Beweise, dass die Theile noch nicht so sehr verschieden sind. wehn die Masse aus ihrer Unentschiedenheit durch Ent- 14 Ueber die Metamorphose des’ Nervensystems wickelung ‘der im ihr KITHPE ER Ay nr in- tegrirt. - | ap, Bei den Insecten. sehen wir sofort schon einzelne dieser getrennten. Centralmassen, welche die ‚Eunction des Gehirns theilen, sich zu grösseren Massen vereini- gen, an.den Stellen, wo eine grössere Anzahl der äus- seren Ringe durch Verwandlung sich zu einer neuen po- tenzirten line erhebt. Die Natur giebt uns hier in der. That höchst beachtungswerth .die Anschau- ung eines Processes, von dem wir sonst in den ver- schiedenen Thierformen nur die geschiedenen Momente erkennen. Denn wenn bei den höheren Thieren alle die Bedeutung des Gehirns theilenden Gentralganglien zum Gehirn vereinigt erscheinen, wenn, das Rückenmark dann von dem Gehirne so abhängig ist, wie, der Mark- strang der, Insecten von dem ersten Hirnganglion es nicht seyn kann, so geschieht diese Evolution des zu- erst auf das Ganze Vertheilten in dem einzelnen Theile während der Metamorphose der Insecten vor unseren Äugen. In dieser wichtigen Beziehung kann die Meta- morphose der Insecten von den ne welche die Functionen der höheren Thiere und des Menschen er- läutern wollen, nicht genug studirt werden. Ueber- haupt kann eine philosophische Betrachtung dieser Me- tamorphose zur Aufklärung der grössten physiologischen Räthsel führen. Denn was ist z. B, wunderbarer, als dass eine durchaus blinde Larve zur vollkommenen Grösse heranwächst, und dann erst durch die Meta- morphose mit Organen, deren Spur früher nicht vor- handen war, den Sinn für die Lichtwelt an den Tag bringt, dass das Nervensystem die eine geraume Zeit des Lebens in ihm schlummernden Energieen der Licht- empfindung entwickelt; mit Recht hat daher die bedeu- tungsvolle und geheimnissvolle Gestalt der Chrysalide in der Thierwelt. 15 . einen so wunderbaren Reiz für die‘ Phantasie, ja für die Mystik gehabt. In der Sphäre der Wirbelthiere hat sich also der Markstrang in das sensorium commune durch Vereini- gung und Verschmelzung der Hirnganglien als Gehirn, und in einen gemeinschaftlichen Nervenstamm des Rum- pfes als Rückenmark geschieden. Gleichwohl ist diese Sonderung, diese Entwickelung des zuerst auf. das Ganze Vertheilten in dem einzelnen Theile oder in dem Hirn bei den untersten Wirbelthieren noch nicht vollendet. Der Markstrang ist zum Theil unabhängig vom Gehirne und vertritt in geringem Grade noch die Functionen des Gehirns. Denn die Fische und Amphibien sind selbst nach dem Verluste des Gehirns und Kopfes noch einige Zeit der willkürlichen Bewegung fähig. ' Die Sonderung in’ das sensorium commune und den gemeinschaflichen Nervenstamm des Rumpfes ist end- lich bei den höheren Wirbelthieren und dem Menschen vollendet. Das Rückenmark ist von dem Gehirne, in Hinsicht auf Selbstbestimmung des: Gehirns; durchaus Dat: ‘Aus dem früher‘ Vorgetragenen ergiebt sich uns eine sehr wichtige Consequenz. Nicht allein ist der Murkstrang der Gitederthiere, seiner physiologischen Bedentung nach, weit von dem Rückenmarke der Wirbelihiere verschieden, das Rücken- mark ündert auch seine physiologische Bedeutung bei den Wirbelthieren, je mehr diese sich‘ dem Menschen nühern. Der Markstrang im Verhältnisse zum Hirnkno- ten ist für. das Insect viel wichtiger als das Rücken- mark im Werhältnisse zum Hirn für die Wirbelthiere. Das Rückenmark ist im Verhältnisse zum Hirn für die niederen Wirbelthiere viel wichtiger als für die hö- hiern, so dass bei den höheren Wirbeltlieren und dem Men- schen das Rückenmark, seiner physiologischen Bedeu- 16 Ueber die Metamorphose des Nervensystems tung nach, nur. als gemeinschaftlicher Nervenstamm für den Rumpf angesehen werden kann. So entwickelt sich das Nervensystem (actu) durch Vereinzelung: der in dem Ganzen ruhig und unverein- zelt (pozentia) enthaltenen Momente. Dies ist überall der wahre physiologische Begriff der Entwickelung, der in der ganzen Natur, in den thierischen und geistigen Energieen, in der Erzeugung der Organismen, wie in der Erzeugung der Gedanken, sich gleichbleibend er- scheint. Freilich heisst: Entwickeln leider bei. den Phy- siologen und Anatomen in der Regel nichts anderes als grösser. werden. Wir sagen also: Das Gehirn ist auf der höchsten Stufe seiner Aus- bildung die Vereinigung aller Glieder des Nervensy- stems durch unmittelbare Fortsetzung ihrer selbst (Hirn- nerven), oder durch mittelbare Fortsetzung vermöge des Rückenmarkes (Rückenmarksnerven); es bringt alle ver- schiedenen Energien der verschiedenen Glieder des Ner- vensystems zur Einheit des selbstbewussten und selbst- bestimmenden Individuums. Das ist seine wesentliche Bestimmung; denn andere Functionen können seine Theile mit anderen Organen des Nervensystems theilen. Das Rückenmark ist auf dieser Stufe nur die unmittel- bare Fortsetzung der Rückenmarksnerven in Bereit schaftlichem Stamme bis zum Gehirne. Selbst bei den niederen Wirbelthieren, bei denen doch das Rückenmark selbstständiger ist, kann ein gros- ser Theil, ja fast das ganze Rückenmark fehlen, so dass es selbst in seine Nerven aufgelöst ist, dass die Rückenmarksnerven, innerhalb der Wirbelsäule verlau- fend, sich selbst in dem Gehirne vermitteln. Unter den Fischen ist bei Tezrodon Mola von dem Rückenmarke nur eine kleine, am hinteren Theile des Gehirns anhängende Scheibe übrig, von welcher neben in der Thierwelt. 17 einander alle Nerven des Rumpfes entspringen, die nun- mehr in der Wirbelsäule getrennt verlaufen, Aehnlich ist die Bildung des Rückenmarkes bei Lophius piscato- rius. Diese Fische sind daher bei den Wirbelthieren ganz das, was die Phalangien unter den Gliederthieren, bei welchen der Markstrang der übrigen Spinnen durch Hirnnerven ersetzt wird, welche zerstreute Ganglien bilden. Bei den Fröschen und Kröten ist ebenfalls nur ein kurzer Stumpf des Rückenmarks vorhanden, von welchem aus die Nerven bis zu ihren entsprechenden Austrittslöchern im Kanal der Wirbelsäule verlaufen, Zudem sind die Rückenmarksnerven, in Hinsicht ihrer Abhängigkeit vom Gehirne durchaus gleich den Hirnnerven. Die Unterbrechung des Hirneinflusses wird für die Rückenmarksnerven und ihre entsprechenden Muskeln Ursache zur Lähmung der zwillkührlichen Be- wegung, je nachdem das Hinderniss in verschiedenen Theilen des Rückenmarkes gelegen ist, welche den Hirneinfluss zu den unter ihnen gelegenen Theilen des Rückenmarkes und ihren Nerven vermitteln. Das Rük- kenmark, als gemeinschaftlicher Stamm der Rumpfner- ven verhält sich daher in dieser Beziehung wie jeder Nervenstamm zu den von ihm ausgehenden Nerven, es - ist in der 'That nichts anderes, als das zusammen, was seine einzelnen Nerven einzeln sind. Aber diese Ver- einzelung scheint sich selbst in dem Stamme bis zum Gehirne fortzusetzen. Denn bei den Lähmungen und Convulsionen des Rumpfes oder seiner Theile, welche ihren Grund im Gehirne selbst haben, hängt von der Localität und Ausbreitung der reizenden oder lähmen- den Ursache im Gehirne die Lähmung oder Zuckung entsprechender Muskeln des Rumpfes ab. Wie denn ein gleiches Verhältniss auch bei den Hirnnerven statt- findet, für deren einzelne Nervenzweige einzelne Fa- Meckels Archiv f. Anat, u, Phys. 1828. 2 18 Ueber die Metamorphose des Nervensystenis sern des Nervenstammes als Vermitteler mit gewissen Theilen des Gehirns eintreten. I. Entwickelung beim Embryo. Es ist der Mühe werth, in der bisherigen Be- trachtungsweise einen Blick in die Metamorphose des Nervensystems in der Entwickelungsgeschichte des Eies zu werfen. Wenn die Spuren des Nervensystems bei den niedersten Thieren weder vorzugsweise Gehirn, noch vorzugsweise Rückenmark sind, wenn sie das, was sie anderswo durch den Process aciu werden, jetzt noch potentia unentwickelt enthalten, so muss ja.auch die Frage verabschiedet werden, ob in der Entwicke- lungsgeschichte des Fetus das Gehirn oder das Rücken- mark eher entstehe, wie denn solche Fragen überhauptohne alle Begriffe von Entwickelung, ja, möchte man sagen, ohne alle physiologische Begriffe geschehen, Auf sol- che Weise, dass Eines aus dem fertigen Anderen her- vorwachse, wird nie etwas gebildet. Die Circulations- organe des Embryo selbst sind die letzten Glieder des Kreislaufes in der Keimhaut, sie sind in der ersten Zeit nur untergeordnete Theile desselben, welche sich aus einem allgemeinen Ganzen zu Einzelnheiten abson- dern, durch deren Process aus dem Allgemeinen dieses gerade aufgehoben wird. Es ist eben so mit dem Ner- vensystem. Es ist durch die vergleichende Anatomie nachzu- weisen, dass die Metamorphose des Nervensystems nur eine Entiwickelung seines Begriffes ist. Auch bei dem Fetus kann sich das Nervensystem nicht anders bil- den, wie überhaupt nichts in der Natur als in dieser Art sich bilden kann. Die Bildungsgeschichte des Fe- tus wird auch, hier die Bildungsgesetze in der Thier- welt wiederholen müssen. Es kommt aber hier gar nicht auf jene, ins Lächerliche verfolgten einzelnen | | | j . in der Thierwelt, 19 Analogieen an, denn diese Formverschiedenheiten der Organe in der Thierwelt sind nur unendliche Mannich- faltigkeiten einer immer nur innerhalb des Begriffes be- weglichen Bildung. Es ist in der Bildungsgeschichte nichts daran gelegen, dass diese einzelnen Formen nach einer Reihe, die gar nicht existirt, wiederholt werden, sondern dass allein dasjenige, was in ihnen vom Be- griffe sich darstellt, wieder erscheine, Das Nervensystem des sich bildenden Embryo muss daher nicht bei seiner ersten Erscheinung knotig seyn, sondern es muss zuerst als Ganzes Rückenmark und Gehirn potentia zugleich seyn, wenn es sofort diese Theile actu bilden soll. Die erste Spur des Nervensystems bei Sen, Een gleichförmige Fädchen in der Achse des Keimho- “ fes, ist daher anfangs nicht etwa nur Rückenmark, sondern potentia Rückenmark und Gehirn zugleich. Denn nur das, was das Einzelne potextia enthält, kann dieses Einzelne aciu zeugen. > Man braucht nur die Anwendung dieser Betrach- tung zu machen, um die Genesis der Doppelbildungen des Fetus ihrem inneren Grunde nach einzusehen. Ein Bildsames wird auf der niedersten Stufe der Eintwicke- Jung, ehe es das Einzelne aus sich gesondert, was zu einer vollkommenen Ausbildung gehört, wenn es durch innere oder äussere Ursachen getheilt wird, in beiden Theilen die noch unentschiedenen ungesonderten Mo- mente des Ganzen gleich enthalten, die daher im Pro- cesse der Entwickelung zur Bildung gleicher Individuen in den gespaltenen Theilen procediren. Die Theile sind auf dieser niedersten Stufe der Entwickelung noch so wenig verschieden, und enthalten so gleich viel vom Ganzen, dass sie selbst das in ihnen vom Ganzen Ent- haltene zum Ganzen ausbilden können. Diese Art der Doppelbildung durch Theilung und Zeugung durch IE 20 Ueber die Metamorphose des Nervensystems Doppelbildung, muss daher den niedersten Thierformen zukommen, wie denn die Zeugung und 'Theilung durch Längenspaltung von den Polypen und besonders von den Vorticellen erwiesen ist. Aus gleichen Gründen muss diese Art der Doppelbildung dem Embryo des Men- schen und der Thiere zu einer Zeit zukommen können, wo das Einzelne noch im Ganzen, und vom Ganzen gleich viel in verschiedenen Theilen enthalten ist. Wenn nur äussere oder innere Ursachen zur theilweisen Spal- tung des noch unentwickelten Grundstoffes vorhanden sind, so müssen beide Theile das in ihnen vom Gan- zen gleich Enthaltene zur Doppelbildung ausscheiden. Wenn zu einer Zeit, wo die erste Spur des Nervensy- stems, als mittleres Fädchen der Keimhaut, weder vor- zugsweise Gehirn, noch vorzugsweise Rückenmark, son- dern beides in allen Theilen zugleich ist, der obere Theil dieses Stammes, oder die Keimhaut selbst getheilt wird, so muss das, was sonst nur einfach geschah, dop- pelt werden, aus dem Ganzen muss sich ein doppeltes Hirn ausscheiden. ‘Diese Doppelbildung wird mit der uranfänglichen 'Theilung gleichen Schritt halten. In gleicher Art entsteht die Doppelbildung des Rumpfes bei einfachem Kopfe durch beginnende Spaltung von unten, wo sonst ein einfaches Rückenmark sich ent- wickelt haben würde, und so kann zu jeder Zeit der Bildung dasjenige doppelt werden, was zu eben dieser Zeit das Einzelne noch nicht aus sich entwickelt hat. Dahin gehört die Doppelbildung einzelner Glieder, die Erscheinung überzähliger Finger. Wodurch jene unvollkommene Theilung des Kei- mes in den frühesten Zeiten des Embryolebens bedingt werde, ob von aussen oder innen, dies getrauen wir uns nicht anzugeben. Nur so viel müssen wir behaup- ten, Die Doppelbildung ist hier so leicht und natür- türlich, wie bei den niedersten Thieren, bei welchen in der Thierwelt. 21 das Spiel der Verstiimmelung den Bildungsprocess zu einer grossen Mannichfaltigkeit von Formen nöthigt. Wie nun die Doppelbildung, von dem Ueberzählig- werden einzelner Theile bis zur unvollständigen Tren- nung zweier, fast vollkommen ausgebildeter Individuen eine ununterbrochene Reihe bildet, wie durch Meckels erfolgreiche Bemühungen kürzlich dargestellt worden, so bedarf es zu allen Erörterungen wahrer Doppelbil- dung nie der Annahme von Ineinsbildung zweier Kei- me. Doch muss zum richtigen Verständniss scheinba- rer Ausnahmen wohl bemerkt werden, dass, wenn. auch die ineinem Ei von allem Anfange an wirklich doppelt vor- kommenden Keime in der Regel getrennt bleiben und nicht verwachsen, in sehr seltenen Fällen diese Ver- wachsung mit äusseren Theilen späterer Bildung, ja selbst mit den Schädelknochen eintreten kann, wobei aber die inneren Theile beider Embryonen getrennt bleiben *). Diese Fälle sind von den Doppelmissgebur- ten ganz auszuschliessen ‚und haben so wenig Wunderbares als die Verwachsung der verwundeten Finger bei dem Erwachsenen, das Aneinanderheilen entlegener Theile desselben Individuums. Denn es leidet aller Analogie nach keinen Zweifel, dass solehe Aneinanderheilung auch zwischen. verschiedenen erwachsenen Individuen veranlasst werden könne, wenn hierbei die Bedingun- gen dieses Processes, Ruhe und fortdauernde Berührung der verwundeten Theile, erfüllt werden. Diese letzteren Fälle von äusserer Verwachsung zweier vollkommen ausgebildeten Keime sind daher auch ganz von den Formen wirklicher Ineinsbildung sonst getrennter Theile desselben Individuums zu schei- den. Diese Verschmelzung hat nur bei Theilen glei- 1) J. ©. L. Barkow de monstris duplicibus verticibus inter se junctis diss. inaug. Berol. 1821. 22 Ueber den Kreislauf des Blutes bei Hirudo vulg. cher Function, welche auf beiden Seiten normal er- scheinen, statt, sie ist das Gegentheil der Doppelbil- dung auch ihren inneren Bedingungen nach. Nur das Identische kann verschmelzen, oder, besser gesagt, in seiner Einheit zurückgehalten werden. Diesen Process habe ich an einem anderen Orte an den Formen der Monophthalmie, bis zu den durch Erfahrung bekannt gewordenen Bildungen, die zugleich die von dem allge- meinen Gesichtspunete aus denkbaren Bildungen sind, erläutert. Denn es ist hier wie überall in der Natur. Wenn das Wesen einer Bildung erkannt ist, so ist die Mannichfaltigkeit ihrer Formen für den Gedanken nicht grösser, als die Verwirklichung des Be in der Natur mannichfaltig ist. II. Ueber den Kreislauf des Blutes bei Hb- rudo vulgaris. VomDr. Jonannes MüLrer, Prof. zu Bonn. (Hierzu Taf. I. Fig. 1. und 2.) Di. Hirudo vulgaris 0. Fr. Müller, H. octoculatu Linn., Erpobdella vulgaris Blainville, Nephelis tessellatu Savigny, ist eine der gewöhnlichsten und ‚häufigsten Blutegelarten in unseren Seen und an ruhigen Ufern seichter und langsam fliessender Wasser. Sie kommt in der Umgegend von Berlin in unzähliger Menge, so- wohl in den Seen als an den Ufern der Spree selbst vor: Dies gab sogar einmal Veranlassung, dass sie von einem Aporklikee in ungeheuren Quantitäten als die junge Brut des medicinischen Blutegels eingesam- Ueber den Kreislauf des Blutes bei Hirudo vulg. 23 melt wurde. Gleichwohl ist sie als Art bestimmt genug unterschieden, dass sie sogar von Mehreren zu einer Gattung erhoben wurde. „Ihre Bestimmung ist nach Carena, dem wir ausser Braun die beste Arbeit über die Blutegel verdanken (Memorie della Reale Acade- mia delle science di Torino T. 25.) folgende: H. elongatula , rufa vel rufo-punctata, vel fusca# immaculata, vel carnea: punclis ocul. 8. (ovipara). Long. max. 16"', lat. 2". “ Ein Umstand, der dieser Blutegelart immer die: be- sondere Aufmerksamkeit der Naturforscher sichern wird, ist die Sichtbarkeit des Blutlaufs in ihrem halbdurch- siehtigen ‚Inneren mit blossen Augen. Dieses schöne Phänomen, besonders bei den jungen noch weissen Thierchen höchst deutlich, hat mich Tage lang beschäf- tigt, nachdem ich zuerst auf dasselbe von dem Herrn Geheimen Rath Rudo/phi war aufmerksam gemacht wor- den, dessen ich überhaupt bei allen Bemühungen, zur Erkenntniss der Natur, ja bei jedem Schritte fast in diesem Fortgange höchst dankbar zu gedenken habe. iese Erscheinung ist um so beachtungswerther, als bei den grösseren Blutegelarten, wie bei Hirudo sanguisuga und medicinalis, deren Anatomie so sehr schwierig ist, der Zusammenhang des Blutgefässsystems noch nicht genügend hat erwiesen werden können. Das Phänomen des Kreislaufes eines schön roth ge- färbten ‚Blutes ist nun schon mit blossen Augen durch das ganze Gefässsystem und durch die feinsten Binnen zu verfolgen, besonders wenn man die Thierchen auf eine Glasfläche bringt; und gegen das Licht hält. Um aber den Zusammenhang der kleinsten Gefässrinnen zu ‚sehen, habe ich die Thierchen Tage lang, und am Abend auch, nach künstlicher Vorrichtung bei Licht- schein, mikroskopisch beobachtet. Am Tage war es am passendsten, die Thierchen zwischen zwei Glasflächen 24 Ueber den Kreislauf des Blutes bei'Hirudo vulg. mit Wasser einzuschliessen, und ruhig zu erhalten. Die Zeichnungen des Gefässsystemes sind das Resultat. un- zähliger solcher Beobachtungen an den einzelnen Theilen. Das Thier hat zwei Seitengefässstänme , Fig. 1. A. B., welche gegen seine Enden feiner werden und unzählige Aeste ausschicken, ohne irgend eine Spur von Anschwellung oder besonderer Erweiterung zu zei- gen, und einen dritten mittleren, ebenso dicken Gefäss- stamm C:, der an der Bauchseite liegt und das Merk- würdige hat, dass er wie das Nervensystem eine ganze Reihe von Anschwellungen zeigt, «. a. «., aus welchen die stärkeren Gefässe dieses Stammes allein treten. Sol- cher Anschwellungen am mittleren 'Gefässstamme sind gerade ebensoviel als Ganglien am Bauchmarke, 20, Das mittlere Gefäss hat ferner das Eigenthümliche, dass es nicht nach vorn und hinten dünner wird, sondern fast, überall gleich in seinen Lumen und seinen An- schwellungen, vorn und hinten mit einer solchen An- schwellung endet, welche strahlig ihre Gefässe aus- schickt. Am: Bauche liegen die grössten Anastomosen des mittleren und der Seitengefässe. Die Gefässe tre- ten hier in grosser Anzahl aus den Seitengefässen 2. 2, d., und sammeln sich ‘auf jeder Seite bald wieder in ein Längengefäss 'c., aus dem wieder Seitengefässe in grosser Anzahl‘ gegen die Mitte des Körpers hervortre- ten (d.), die aber nun gegen die Anschwellungen des mittleren ‚Gefässes ‚convergiren und hier einmünden. Von allen diesen Gefässen gehen wieder unzählige fei- nere aus, die sich zuletzt in ein unendlich feines Netz von Substanzrinnen und Substanzinseln auflösen. Auf dem Rücken des Thieres sind die Gefässe viel feiner, und bilden hier eben wieder solche Netze von Anasto- mosen ‚der beiden Seitengefässe. Fig. 2. Am ‚Bauche gehen fast alle Gefässe der Seiten- x Ueber den Kreislauf des Blutes bei Hirudo vulg. 25 stämme erst in das mittlere Gefäss, doch befindet sich in der unteren Hälfte des Körpers auch ein besonderes Netz von Anastomiosen der Seitenstämme, welche keine Gemeinschaft mit dem mittleren knotigen Stammevhaben. Dieses Gefäss ist oberflächlicher, und beginnt plötzlich vor der zweiten Hälfte des Thieres. Fig. 1. e. e. e. - Der Blutlauf geschieht auf eine sehr merkwürdige Weise, ‚In dem einen Moment sind das eine Seitenge- fäss A. und das mittlere C., wie ‘die zwischen ihnen befindlichen Binnen, zugleich mit Blut gefüllt, während das andere Seitengefäss: B.' und die von ihm ausgehen- den Aeste leer sind. Fig. 1. Im zweiten Moment ist das Seitengefäss B. und seine Aeste allein mit Blut gefüllt, während das andere Seitengefäss A. und das mittlere €. zugleich leer sind. Immer sind ein Seitengefäss und das mittlere in Anta- gonismus gegen das andere einzelne Seitengefäss. Die Gemeinschaft des einen Seitengefässes mit dem mittle- ren dauert eine Zeit, etwa 20 — 25 Pulsationen lang, dann kehrt das Verhältniss um, und das andere früher einzelne Seitengefäss ist nun umgekehrt mit dem mitt- leren Gefässe zu gleicher Zeit voll und wieder leer. Der Wechsel der Pulsationen zwischen der einen und an- deren Seite hat immer eine Pause von mehreren Secun- den, innerhalb welcher Zeit das Blut die Gefässe aus- dehnt und ruhig _das Parenchym tränkt. Der Ueber- gang geschieht nun so: Das Blat strömt während der Contraction eines Seitengefässes ganz sichtbar durch die mittleren Zwi- schengefässe hinüber zur anderen Seite, und im zweiten Momente wieder herüber, doch beginnt die Contraction, so wie die Strömung, zuerst immer hinten, und rückt wie eine Welle nach vorn; das Seitengefäss und das mittlere Gefäss werden daher immer zuerst hinten leer, und das früher leere Gefäss immer zuerst vorn wieder 26 Weber .den Kreislauf‘ des Blutes bei Hirudo vulg. voll.‘ Nichts ist anziehender als dieses Schauspiel, ich habe halbe Tage lang nichts als dasselbe gesehen, und konnte mich der Freude an der: lebendig wirkenden Na- tur immer nicht begeben. Gewiss ist aber dieses Phä- nomen auch darum um so mehr beachtungswerth,: weil man ‘den ganzen Kreislauf bis in alle Uxtheile;mit ei- nem Mal übersieht. “Ich will auch nicht unerwähnt lassen, dass man es deutlich sieht, wie der Stamm, wenn er sich entleert, von hinten ‚nach vorn sich zusammenzieht und dünn wird, so dass die Contraction sichtbar nicht von einem Punkte geschieht, sondern wellenförmig das ganze Ge- fäss durchläuft.’ Betrachtet man den Zustand des mittleren ‚knotigen Stämmchens, während des Kreislaufs unter dem Mikro- 'scop, so sieht man, dass es selbst während seiner Aus- dehnung nie ganz mit Blut gefüllt ist; sondern ‚dass das Blut nur zu den Seiten eines mittleren: weissen faden- förmigen Körpers erscheint und diesen gleichsam um- spült. Da, wo die Anschwellungen des Gefässes sind, da ist auch der mittlere Theil im Gefässe angeschwol- len, und auch hier das Blut nur zu den Seiten, wie hiervon die Abbildung eine deutliche und ganz naturge- ‚mässe Anschauung giebt. Was wird man nun dazu sagen, wenn ich bemer- ke, dass, nach meinen immer wiederholten anatomischen Untersuchungen, der Strang des Bauchmarkes mit sei- nen Knoten unmittelbar selbst innerhalb dieses Gefäs- ‚ses liegt, so dass auch die Knoten des Nervenstranges ‘genau den Anschwellungen des: Gefässes entsprechen, und ihre Nerven zu den Seiten der letztern ausschicken. Das ist freilich wunderbar genug, und es wird vielleicht Mancher, der nicht Lust oder Geschick "hat, sich davon zu überzeugen, daran zweifeln. Das kann aber nichts helfen. Man muss heuer, wo man alle Tage mit einer I Ueber den Kreislauf des Blutes bei Hirudo vulg, 27 Menge‘ neuer und ünerwarteter Formen bekannt ge- macht wird, frischen Sinn, und mehr Sinn für die Na- tur als für die Systeme und für die gangbaren, von dem Menschen und den höheren Thieren 'hergenomme- nen Meinungen haben, wenn man nicht zurückbleiben will. Hat uns doch v. Baer wieder in seinen Beiträ- gen zur Kenntniss der niederen Thierwelt (zov. «ck. acad. caes. Leop. Carol. nat. cur. Tom. XIIT. p. 2.) mit einer ganzen Welt neuer Entwickelungen bekannt gemächt, die uns’ einerseits auf bisher verschlossene Wege im geistigen Auffassen der Natur, und anderseits auf den unendlichen Reichthum und die Tiefe: ihrer ent- wickelnden und urtheilenden Processe der Natur auf- merksam machen. In Beziehung 'auf vorstehende Böen will ich nur bemerken, dass ich sehr oft den Nervenstrang aus dem mittleren Gefässe bei etwas erweichten Exem- plaren herausgezogen habe, was nicht so schwer ist, da der letztere ziemlich fest ist. % Dies Verhalten des Markstranges zum Gefässsy- stem ist hier um so merkwürdiger, als es bei Hirudo medicinalis und sangwisuga gewiss nicht stattfindet, wo der Markstrang ausser dem mittleren Gefässe am Bauche in seiner eigenen schwarzen Haut eingeschlossen ist. Indessen sind auch die übrigen Glieder der Familie der Blutegel, wovon die meisten als Gattungen zu unter- scheiden sind, durch den Bau. ihres Gefässsystemes, ja durch die Farbe ihres Blutes sehr verschieden. Schliesslich bemerke ich noch, dass ich die Ent- wickelung des Hirudo vulgaris aus_ihren platten Eier- hülsen, welche Linne als Coccus aquatieus beschrieben hat, so wie es Carena dargestellt, oftgesehen habe, und könnte Jemandem, der über die Entwickelung der Ringel- würmer aus ihren Eierhülsen, in denen die Embryonen zuerst als Kugeln oder Scheiben in verschiedener An- 28. Ueber den Kreislauf des Blutes bei Hirudo nulg. zahl enthalten sind, allgemeinere Untersuchungen an- stellen wollte, mancherlei zerstreute Beobachtungen mittheilen. Währscheinlich legen alle Ringelwürmer, mit Ausnahme der Lebendiggebährenden, wie Hirudo cephaloia Carena, H. trioculata Carena, solche Hül- sen, welche mehrere Keime enthalten. Von den Re- genwürmern, von Hirudo medicinalis ist dies bekannt, ebenso von Hirudo piscicola bei Rösel. Die Eierhül- sen von Hirudo bioculata und von einigen anderen Blute- geln habe ich beobachtet, und die Entwickelung der Em- bryonen verfolgt. Von diesen Hülsen sind andere, an den Steinen befestigte zu unterscheiden, welche den Puppen von Wasserlarven angehören, und in einem sehr niedlichen Filzgefüge, welches Luft enthält, ‚die Larven verschliessen, die also innerhalb des Wassers doch in einer kleinen Atmosphäre leben. — Erklärung der Abbildungen. Fig. 1. Das Gefässsystem von Hirudo vulgaris, von der Bauchseite. Oberer Theil des Thieres. A. B. Die Seitenstämme. C. Das mittlere Gefäss. a. Anschwellungen desselben, den Knoten des darin liegenden. Nervenstranges entsprechend. b. Seitenäste der Seitenstämme. c. Vereinigung derselben zu einem Längengefässe. d. Anastomosen der Anschwellungen des mittleren und der Seitengefässe. e, Oberflächliche Anastomosen der Seitenstämme, f. Ein unbekannter ‘Theil von hellrother Färbung, der aber seine Farbe während des Kreislaufes kaum än- dert. Aus dem mittleren 'Theile desselben tritt die Ruthe der Geschlechtstheile nach aussen. &. An verschiedenen Stellen seitlich im Parenchym lie- gende runde Körper von verschiedener Grösse, bald . weiss, bald roth. Beiträge zur Anatomie des Scorpions. 29 Fig. 2. Feinste Rinnen des Parenchyms, von der Rückenseite. 4A. B. sind dieselben Theile wie in Fig. 1, 2 IH. Beiträge zur Anatomie des Scorpions. Vom Dr. Jonannes MüLLer, Prof. zu Bonn. > (Hierzu Tafel 1. und 2. Fig. 3 — 4.) Es giebt unter den Wirbellosen nicht Teicht ein Thier, welches der Anatomie so viele Schwierigkeiten darbie- tet, als der Scorpion. Gleichwohl ist die Kenntniss der inneren Bildung der Scorpioniden von der grössten Wichtigkeit für die zoologische und physiologische Be- trachtung der Spinnen und Insecten, und ihres Verhält- nisses zu den Crustaceen. Nachdem J. Fr. Meckel in seinen Beiträgen zur vergleichenden Anatomie zuerst eine Anschauung der inneren Bildung des Scorpions uns eröflnet, gab uns @. R. Treviranus in seiner Schrift über den inneren Bau der Arachniden, Nürnberg 1812. eine vollständigere, mit herrlichen Zeichnungen ausge- stattete Anatomie des europäischen Scorpions, Indessen liess auch diese Untersuchung noch viele Lücken übrig, und enthält, wie ich zeigen werde, nicht geringe Un- richtigkeiten, was aber zum grossen Theil gewiss auf den Umstand zu rechnen ist, dass Treviranus, wie frü- her auch Meckel, nur die kleineren europäischen Arten untersuchen konnte. Die Anatomie des Scorpions hatte durch ihre Wichtigkeit in physiologischer Beziehung, durch ihre Schwierigkeit bei einer schon ansehnlichen Grösse des Thieres, immer einen ganz besonderen Reiz 30 ‚Beiträge zur Anatomie des Scorpions. für mich. Durch die Güte des Herrn geheimen Raths Rudolphi konnte ich die Untersuchung grosser Exem- plare des afrieanischen Scorpions im Jahre 1823 in Ber- lin vornehmen. Schon damals wurden die Lücken, wel- che Treviranus übrig gelassen, ausgefüllt, und mancher- lei berichtigt; die auf der ersten hier mitgetheilten Ta- fel befindlichen Abbildungen wurden daher schon da- mals gezeichnet. Durch Herrn geheimen Rath Klug kam ich’ später abermals in den Besitz sehr wohlerhalte- ner Exemplare ägyptischer Scorpione von anderer Art. Endlich war Herr Dr. de Haan, Conseryator am zoologischen Museum zu Leyden, der uns, wie ich weiss, bald mit einer zoolog. Bearbeitung des Geschlechts ‚der Scorpioniden beschenken wird, so gefällig, mir neuerdings sehr schöne und grosse Exemplare ostindi- scher Seorpione aus Java zu versehaffen, wodurch ich meine bisherigen oft wiederholten Arbeiten. endlich. zu einiger Vollendung bringen konnte. Hiernächst wird es mir zur angenehmen Pflicht, allen diesen Herren meinen herzlichsten Dank für ihre so bereitwillige und gütige Unterstützung auszusprechen. In der folgenden Darstellung werde ich fortdauernd die verdienstvollen Arbeiten von Meckel und Treviranus im Gesichte be- halten, und nur dasjenige berühren, was ich neu auf- gefunden, und was in jenen Untersuchungen zu berich- tigen ist, wo ich aber nur die Angaben jener Männer bestätigen kann, auf die Schriften ohne weiteres ver- weisen. Mögen mir daher diese gefeierten Männer, die | ich in sehr hohem Grade verehre und hochschätze, und | deren Arbeiten ich so oft bewundere, verzeihen, wenn ich ‘mich bei dem Anführen ihrer Namen darauf be- | schränke, frühere Angaben zu bestätigen, oder zu be- richtigen. j Ich kann mich nicht enthalten, ehe ich die anato- | mischen Thatsachen berichte, einer gefälligen Mitthei- “Beiträge zur Anatomie des Scorpions, 31 Jung des Her Dr. de Haan zu erwähnen, da sie von allgemeinerem Interesse in Hinsicht der noch so unbe- kannten Lebensverhältnisse der Scorpione ist. „Herr Humbert de. Superville erhielt einen‘leben- ‚den Scorpion in Africa, vier.Monate vor seiner Abreise, nahm ihn auf seiner Reise nach Holland mit, wo er nachher in meine Hände kam, und noch neun Monate bei mir lebend erhalten wurde. Hierdurch ist das Thier wohl länger als ein Jahr unter täglicher Aufsicht gewe- sen. Ich habe meinen Scorpion in einem Zuckerglase mit trockner Erde aufbewahrt, und ihm allerhand Ess- bares, wie Erdwürmer, Brod, Zucker, Fliegen, Spin- nen und deren Eier, Käfer vorgesetzt. Er hat von al- lem dem in dieser ganzen Zeit nichts angerührt. Dabei magerte das Thier nicht ab, bewegte sich auch nach wie vor. Sobald es in die Nähe des Ofens gebracht, oder der Sonne ausgesetzt wurde, begann 'es sogleich sich in die Erde zu graben, und diese hinter sich her- auszuwerfen, In kalter Temperatur blieb es ganz ru- hig. Seine Kämme waren in immerwährender Bewe- gung auf und nieder, fast als ob dies zu seiner Exi- stenz nothwendig wäre. Quälte man das Thier, so’ be- wegte es gleich seinen Schwanz, um mit dem Stachel von Kopf und Rücken seine Feinde abzuwehren. ‘Nach Herrn Humbert de Superville wissen die Neger in Africa mit den Scorpionen gütlich umzugehen, was man bezaubern nennt, sie stecken sie in den Busen, und ma- chen damit, was sie wollen.“ Das Skelett. Da das Skelet so genau von Treviranıs beschrie- ben worden, so ist hiervon nur wenig zu bemerken. Es besteht aus Hornstücken, die in Form von Blättern, Schilden, hohlen Cylindern durch eine weisslich graue feste Haut vereinigt sind. Diese Haut ist allein am 32 Beiträge zur Anatomie des Scorpions. Skelet vollständig und continuirlich; denn sie geht an den Stellen, wo sie die Skeletstücke verbindet, über die innere Fläche derselben weg, auf das festeste mit ihr verbunden. An diese innere Haut des Skelets be- festigen sich die Muskeln, Bänder; auch das Athem- organ ist im Umfange der Stigmata nur an diese Haut befestigt. Wahrscheinlich werden von eben derselben die Skeletstücke nebst den Häuten immer wieder von neuem abgesondert. Unter den grossen africanischen Scorpionen, die ich zur Untersuchung hatte, waren die einen dunkel- braun und glänzend glatt auf ihrer Oberfläche, und zu- ‚ dem von harten Horndecken, die anderen mehr gelblich- graulich, an manchen Stellen blass schmuzig gelb und von rauhen, glanzlosen, mehr zähen und lederartigen als hornartig harten Bedeckungen. Obgleich beiderlei Arten nicht verschieden an Grösse waren, so war doch dieser Unterschied immer auffallend, wozu noch der Umstand kommt, dass die hellergefärbten mehr ovale und kleinere, die.dunkelgefärbten langgeschlitzte und grosse Stigmata hatten. Unter diesen hellgelben war einer, dessen männliche Geschlechtstheile ich un- tersuchte, und dessen Kämme in den äusseren Ge- schlechtstheilen so sehr von den übrigen verschieden waren, dass ich nicht anstehe, auch in den Bau der Kämme eine Geschlechtsverschiedenheit zu legen. Der genannte männliche Scorpion hatte dünne, sehr lange und schmale Kämme, die ausserordentlich feine Zähne hatten, deren Zahl 30 auf jeder Seite überstieg. Die weiblichen Scorpione, deren Geschlechtstheile von mir untersucht und zum Theil abgebildet worden sind, ha- ben dagegen kurze, starke, dicke Kämme, deren Zähne sehr viel geringer, von 6 — 10 variiren. Vergl. Fig. 12. und 13. Ich erinnere mich, dass, als ich in Berlin bei Beiträge zur Anatomie’ des-Scorpions. 33 ‚Herrn: Professor Horkel einmal die Ehre hatte, dem Herrn Professor Meckel meine Zeichnungen über ‘die ‚Anatomie. der Scorpione vorzulegen, dieser mir äusserte, ‚dass er öfter einen Unterschied. der: Kämme bei beiden Geschlechtern bemerkt habe. Merkwürdig war bei dem erwähnten schmuzig' gel- ben. männlichen Scorpion die ausserordentliche Dünn- heit,. ja Zartheit seiner Scheeren, bei seiner sonst so bedeutenden Grösse, was gegen die gewöhnliche ausser- ordentliche Breite und Stärke der Scheeren sehr absticht. > In Betreff jenes : Farbenunterschiedes und der ver- schiedenen Textur des Skelets bei grossen africanischen Scorpionen, wäre vielleicht der. Bemerkung von Mau- pertuis,, die. auch Meckel anführt, zu erwähnen, dass von ‚den‘ Scorpionen bei Montpellier die, welche auf dem Felde gefunden werden, grösser und gelblich weiss sind, die aber, welche in den Häusern vorkommen, kaffeebraun und kleiner seyn sollen. er Skelet der Brust. Ein ‚sehr wesentlicher und für die Stufe der Scor- pioniden wichtiger ‘Theil ‚des Brustskelets ist bisher ganz übersehen worden. Dies ist ein sehr ausgebilde- ter und ‚zusammengesetzter. zoirbelförmig ‚ duxchbohrter Centraltheil, durch ‚dessen Oeffnung; unmittelbar ‘hinter dem Gehirne der Markstrang tritt, «und: über dem‘die Speiseröhre liegt, um sich über. das Gehirn»zu ‚biegen, Nur Meckel hat’ einige Fortsätze ‚dieses offenbaren Wir- belrudimentes -in der vergleichenden Anatomie Bd. 2. Th. 1.8. 90. beschrieben, Fortsätze , welehe sich mit den Seitenwänden und der unteren Wand des Brustske- lets; verbinden; aber: Meckel, hat vonder eigentlichen Bildung ‚dieses ‚Stückes, nämlich von: seiner durchbohr- ten Mitte, und, seinem Verhältnisse zu den durchgehen- dem Eingeweiden nichts bemerkt , vielmehr nur in eine Meckels Archiv f. Anat. u. Phys. 1828. 3 34 Beiträge zur Anatomie des Scorpions. allgemeine Beschreibung häutiger oder knorpeliger Schei- dewände der Brust sich eingelassen. 0 Die sehr 'zusammengesetzte Bildung dieses Theiles wird am deutlichsten aus seiner. Abbildung Fig. #. er- kannt; und die Abbildung seiner Lage und Verbindung im Brustskelet, Fig.'3. @., wird uns einer mühsamen weitläufigen Beschreibung seiner Verbindungen überhe- ben. Da dieser Theil aber besonders ' wegen: des Durchganges von Eingeweiden wichtig ist, so ea das Be bemerkt. | Inalre : Den Centraltheil‘ bildet eine senkrechte Kubtpel- de, die sich unten’ mit der unteren‘ Wand"der Brust verbindet, und ‘in: ihrer Mitte 'eine runde -ansehnliche Oeflnung' zum Durchgange des Markstranges hat." Der obere Theil. dieser Platte setzt sich arüghe aufwärts ge- gen.die obere ‘Wand des Brustskelets "in! zwei feine lange ‚senkrechte Fortsätze' fort, welche’ zwischen 'sich einen ausgehöhlten ‘Halbkanal lassen‘, -in' welehem die Speiseröhre liegt, wenn sie sich über die Brücke dieser Knorpelplatte herüberbiegt, um’ sofort weiter über das Gehirn hinaus zu verlaufen. Von dieser mittleren: senk- rechten \dieken Knorpelplatte gehen“ 6 seitliche, senk- rechte, scheidewandförmige Fortsätze) stralenförmig>ans, welche die ‚Brust. ‘in ein. vorderes ‚und hinteres' und 4 seitliche kleinere und schmälere! ‚Gefächer! theilen. Diese: Gefächer sind'’von den Muskeln der ‘Glieder "an gefüllt, die-sich an der: Seite der Scheidewände und’ an dem Centralstücke inseriren. Indem’ hinteren Gefache liegt ausserdem der Markstrang, aus der Oeffnung' des Centraltheiles' tretend, und die''Speiseröhre, sich! über die. Brücke der mittleren 'Platte''herüberbiegend. In dem vorderen grössten Gefache: liegt ausser den Muskeln der.Scheerenglieder das Gehirn und über demselben der Schlund.“ Zu den:Seiten' der mitderen Oeffnung‘'befin! den sich‘ in der: inpeloubrpeiplasik noch 2 2 kleine Oefk isn ads Beiträge zur Anatomie des Scorpions. 35 nungen, en zum Durchgange er Etae gefässe. ei ic ist der eben beschriebene Theil des Ske- lets "ein besonderes isolirtes Stück, dessen Fortsätze mit den Seitenwänden und Vorsprüngen der unteren Brustwand nur häutig verbunden sind. Bei den klei- nen Arten der Scorpione ist das ganze Stück mehr 'seh- nig und häutig als hornartig oder knorpelig. Offenbar wird durch ‘diesen Theil die Brust in eine hintere und ‚vordere Abtheilung geschieden, wovon die letztere, welche nur das" Gehirn, den Anfang des Darmkanals und die Muskeln der Mundtheile und ersten Glieder enthält, den sonst äusserlich fehlenden ren darstelle. Buienı win " 2a Der Fettkörper. ] r "Wenn man- die''Hornbedeckungen weggenommen, so erscheint‘ der Fettkörper des Hinterleibes und der Brust, alle Eingeweide umgebend, und selbst von einer feinen grauen, Igefisdiefchen Haut, welche zunächst an der inneren Fläche des Skelets anliegt, "umhiille, An der Bauchseite geht die äussere Gefässhaut des Fett- körpers über die Athemorgane, ‘welehe an die innere Wand des Skelets am Rande der Stigmata befestigt sind, weg, ohne mit ihnen in genauerer organischer Verbindung zu stehen. Vielmehr lässt sich der Fett- körper mit seiner Gefässhaut ganz leise, ohne'den ge- zingsten Widerstand von der unteren ikea a den Athemorganen aufheben. Die Gefässhaut des Fettkörpers schickt ferner fünf Fortsätze von der Bauchseite zu der Rückenseite durch den Fettkörper durch, an starke ‘Bänder ‘oder Muskeln befestigt, so dass also der Rückentheil und der Bauch- theil der äusseren Haut des Fettkörpers durch Fortsetzun- gen ihrer selbst, innerlich auf jeder Seite fünffach ver- bunden sind. Die Ausgangspuncte dieser inneren Fort- 3* 36 Beiträge zur Anatomie des Scorpions, sätze liegen am Rücken näher zasammen, nämlich zu den Seiten des Herzens, an der Bauchseite weiter aus- einander ,' hinter den Athemorganen, so dass also jene Fortsätze schief von innen nach aussen herabsteigen. Es ist ferner zu bemerken, dass diese inneren Fort- sätze der äusseren Gefässhaut nicht gerade da an der Bauchseite erscheinen, wo die Athemorgane oder Lun- gen unter der Gefässhaut des Fettkörpers liegen, son- dern etwas nach rückwärts, also zwischen je 2 Lungen, einer vorderen und hinteren. Es sind daher doch fünf Fortsätze und nur 4 Lungen. — Mit jenen inneren Fort- sätzen und ihren starken Bändern gehen ferner die Ge- fässbündel des, Herzens nach abwärts, welche für ‚die untere Wand der Gefässhaut des Fettkörpers bestimmt sind. Diese Gefässe häbe ich oft von oben nach ab- wärts bis zur unteren Wand verfolgt, wo sie‘ sich in der Gefässhaut allseitig und besonders in denjenigen Theilen derselben verbreiten, welche über den Lungen liegen; -diese, ‚Gefässe haben aber durchaus keine &e- meinschaft mit den Lungen selbst. Trevinanus. hat ‚besondere Hiäutchen beschrieben, welche für alle sogenannte Kiemen eine Art von Höhle bilden sollen, und: auf; diesen Häutchen sehr entwickelte Gefässnetze ‚von strahlig -ästiger‘ Bildung abgebildet. Fürs Erste giebt:es keine. solchen isolirten Häutchen, son- dern nur eine Haut, ‚welche den ganzen Fettkörper unı- hüllt und über den Athemorganen liegt. Dann aber sind jene von Treviranus abgebildeten Netze (Fig. 7.0. a. a. O.) keine Gefässe, ‚sondern Nerven, deren Stäm- me. sich ‚sehr. leicht ‚naeh. aufwärts zum Rückenmarke und: Gehirne verfolgen ‚lassen. Die Nerven der unteren Fläche der äusseren ‚Haut‘ des Fettkörpers entspringen sehr ‚hoch, zum Theil; vom Gehirne, zum Theil: von den ersten’ Markknoten; und verbreiten sich mit ansehnlichen Zweigen überall in',jene ‚Gefässhaut; da aber; wo.die x Beiträge zur Anatomie des Scorpions. 37 Gefässhaut über den Lungen liegt, bilden sie em schö- nes strahlig-ästiges Netz, dessen äussere Verzweigun- gen aber auch in die übrige Gefässhaut übergehen. Dagegen kommen die Gefässe für jene Haut nicht unmittelbar über den Lungen, sondern etwas hinter denselben zum Vorscheine, und verbreiten sich zwar zu- nächst über den Athemorganen in der Gefässhaut, aber ohne Unterschied in dieser ganzen Haut. Untersucht man die äussere Haut des Fettkörpers unter dem Mikroscop, so erscheint sie spinngewebear- tig, und scheint eben nur aus einem unendlich feinen Gewebe von Gefässen zu bestehen. Fig. 2. stellt die Unterleibseite dieser Haut dar, die Fortsätze, welche nach aufwärts durch den Fettkör- per zum Rücken gehen, sind auseinander und zu den Seiten gelegt. Um den Fettkörper selbst in seinem ganzen Zu- sammenhange zu sehen, muss man ganz gut erhaltene und nicht erweichte Exemplare haben. Er ist nach ei- nem solchen in Fig.. 1. abgebildet. Wir unterscheiden zuvörderst den Fettkörper des Hinterleibes; er ist in seinem oberen Theile ausgehöhlt (B. B.), um das Herz aufzunehmen, sonst von gelapp- ter Bildung, aber im Ganzen doch zusammenhängend. Zu den Seiten der Furche für das Herz sind 5 Oefinun- gen für die Fortsätze der äusseren Haut des Fettkör- pers, welche in Begleitung starker Bänder nach ab- wärts treten. i Nach hinten hat der Fettkörper zwei geschweifte kurze Verlängerungen, die aus dem Hinterleibe in das erste Schwanzglied ragen, d. d. Da, wo der Hinterleib an die Brust stösst, ist der Fettkörper ganz zusammengeschnürt, und geht mit ei- nem Halse, in welchem die Speiseröhre hegt, in den Fettkörper der Brust über. 38 Beiträge zur Anatomie des Scorpions. Der letztere Theil des Fettkörpers, von Treviranus übersehen, oder mit dem’ Gehirne verwechselt, liegt über dem hinteren und den beiden letzten seitlichen Gefächern der Brust,Zund bedeckt noch etwas das Wir- belstück, über welches die Speiseröhre tritt. Auch er ist gelappt, er hat namentlich 2 hintere Lappen, die im hinteren Gefache der Brust liegen, zwei seitliche vor- dere, die über und in den hinteren seitlichen Gefächern der Brust liegen, und einen unpaaren vorderen Lappen. Der Fettkörper der Brust hat auch eine kleinere Fur- che für die Fortsetzung des Herzens, auf der Mitte seiner oberen Fläche; diese Furche dringt aber nur bis an den vorderen unpaarigen Lappen; denn hier senkt sich der vorderste Theil des Herzens, feiner werdend, in den vorderen unpaaren Lappen selbst ein, und theilt sich‘in zwei Aeste. Auch der Fettkörper der Brust ist von einer äusseren Haut überkleidet. Von der Lage der Organe im Fettkörper, von den Verzweigungen des Darmkanals in demselben, von seiner physiologischen Bedeutung wird später die Rede seyn. Der Fettkörper hat kein eigenthümliches Gewebe, es besteht nur aus grösseren oder kleineren Läppchen, die zuletzt in con- sistente Körnchen zerfallen, wie Treviranus richtig a. a. O. Fig. 6. abgebildet hat. Herz. Ueber die Bildung des Herzens habe ich nichts zuzusetzen zu dem, was Treviranus gegeben. , Ich will nur noch bemerken, dass das Herz nach hinten bis zum Ende des Schwanzes verfolgt werden kann, indem es, immer dünner werdend, auf dem Rücken des Darm- kanals verläuft. Von den Verbindungen des Herzens mit einem an- deren eigenthümlichen Gefässsysteme wird später gere- det werden. " Beiträge zur Anatomie des Scorpions. 39 ©) Das’ Herz: hat einen eigenthümlichen Nerven,‘ der über den Rücken des Herzens dieses in seinem ganzen Verlaufe verfolgt; dieser Nerve unterscheidet sich also von dem zervus recurrens der Inseeten dadurch, dass.der letztere dem Darmkanal eben so wohl angehött, und zwi- schen beiden verläuft. Den Ursprung dieses eigenthüm- lichen Nerven habe ich nicht aufgefunden; ich konnte ihn aber, dicker werdend, auf dem Herzen bis in die Brust verfolgen. Wahrscheinlich entspringt er, wie auch der zervus recurrens der Inseeten, mit 2 Wurzeln vom Gehirne, die sich’über dem Herzen erst vereinigen. nn "Athemorgane oder-Lungen, nicht Kiemen. Die Darstellung, welche Treviranus von dem Baue der Athemorgane gegeben hat, ist ganz unrichtig. Nach ikın und Meckel athmen die Scorpione, wie die übrigen Spinnen, ‘durch fächerförmige Kiemen, die durch ein Band an. dem Rande’ der äusseren‘ Stigmata oder Luft- löcher befestigt sind. Die Oefinung ‘des Stigma führe demnach zu einer Höhle, die an den Seiten von Mus- keln eingeschlossen und mit einer feinen Haut , in wel- cher sich deutliche Gefässe strahlenförmig und ästig verbreiten (Trevir. a. a0. Fig. 7. C.), überzogen sey. Nach dieser Ansicht, welehe im Allgemeinen auch Meckel theilt, gelangt also die Luft zunächst‘ in jenen Raum unter der feinen gefässreichen Haut, und in diesem Raume, in welchem auch die Kiemen liegen; mit die- sen und ihren fächerförmigen Blättern äusserlich in Be- rührung. 3 Fürs Erste befindet sich hinter den einzelnen Kie- men kein geschlossener Raum; die feine Haut, welche den Fettkörper, mit allem, was darin enthalten ist, ge- meinsanı umschliesst, und zunächst hinter der hornarti- gen Decke und ihrer inneren Oberhaut liegt, bildet ein Continuum, und es ist eben diese Haut, welche auch 40 Beiträge zur Anatomie des Scorpions. die sogenannten Kiemen bedeckt da, wo diese an der äusseren Decke anliegen. Man kann daher den ganzen Fettkörper mit allem Inhalte, in jener Haut eingeschlos- sen, aus dem Skelet herausheben, wobei die Kiemen, sonst zwischen jener Haut und der hornartigen Decke gelegen, an dem Skelet befestigt bleiben. Allerdings ist der Fettkörper da, wo die Kiemen an ihm durch Vermittelung jener Haut anliegen, etwas vertieft, allein diese vertiefte Stelle entspricht nur dem Eindrucke der Kiemen. Man kann also zwischen der feinen Haut und dem Skelet nach allen Seiten freie Verbindung darstel- len, die Kiemen liegen hier zwischen Skelet und jener Haut, durchaus aber nicht in begrenzten. Höhlungen. ' Wenn daher die Luft nach der Vorstellung von Trev- ranus durch das Stigma unter jene Haut, welche die Decke der Höhle bilden soll, treten kann, so wird sie auch überall zwischen Skelet und die innere Haut des Fettkörpers treten. Was soll nun athmen, die Fä- cher der sogenannten Kiemen an ihrer äusseren Fläche, oder die Haut des Fettkörpers in ihrem ganzen Umfan- ge, oder an den einzelnen gefässreichen Stellen? Die strahlenförmig ästige Verzweigung an den Stellen, wo die innere Haut über die Kiemen weggeht (Trev. Fig. 7. C.), ist nun ferner keine Gefässausbreitung, sondern, wie ich mich auf das. allerdeutlichste wiederholt über- zeugt habe, ein sehr feines Nervennetz jener Haut über den Kiemen, dessen Nerven sehr hoch und zum Theil vom Gehirne selbst entspringen, und in langen weissen Fäden von ihrem Ursprunge bis zu dem Netze über den Kiemen deutlichst zu verfolgen sind. Treviranus hat ja ohnehin die Verbindung dieser sogenannten Gefässe mit den Gefässen des Herzens nicht zeigen können, und Kie- mengefässe wären es ohnehin nicht; denn sie gehören durchaus nicht den ganz getrennten Kiemen, sondern der allgemeinen Haut an, welche über sie weg geht. Beiträge zur Anatomie des Scorpions. 41 Was nun aber jene Vorstellung von dem Athmen der Scorpione ganz umwirft, ist der Umstand, wovon sich jeder überzeugen kann, dass das Stigma gar nicht unter jene Haut, und also an die äussere Umgebung der Kiemenfächer führt. Wenn die Kiemen noch mit dem Skelet zusammenhängen, wird man nie Luft durch die Stigmata zwischen Skelet und jene Haut, oder in die problematischen Höhlungen von Treviranus treiben können. Die Luft, welche einen schiefen Weg durch das Stigma nimmt, treibt immer das sogenannte Band der Kieme auf, so .dass dieses Bändchen, auf dem die Kieme aufsitzt, ganz wie ein durchaus geschlossenes Säckchen anschwillt, und dadurch die Kieme in die Höhe treibt. Ich will hier nicht unerwähnt lassen, dass schon Meckel die Hohlheit des Kiemenbandes, wie in einer vorübergehenden Ahnung des Wahren, fast ver- muthete. A. a. ©. 8. 109. heisst es: 1) Die Kieme be- steht aus ungefähr zwanzig Platten, welche zu einem Fächer verbunden sind, der mit seiner Spitze, die viel- leicht hohl ist und zum Stigma führt, auf den Unter- leibsplatten aufsitzt.“ - In der Uebersetzung der verglei- ‚chenden Anatomie von Cuvier Bd. 4. S. 291. Anmerk. nennt Meckel das Band der Kiemen einen Stiel, der vielleicht hohl ist. Die Kiemenfächer sitzen also auf einem kleinen feinen Säckchen auf, das von dem Rande des ganzen Stigma entspringt, und die Luft aus dem Stigma allein aufnimmt. Bei stärkerem Antriebe lassen sich aber auch die Kiemenfächer von jenem Bläschen und von dem Stigma aus entwickeln; auch die Kiemenblätter erwei- tern sich bei stärkerem Einblasen in das Stigma, und stellen dann eine viel grössere, auf ihrer Oberfläche ge- furchte Blase dar. Und nun. wird Niemand zweifeln, dass die sogenannten Kiemen der Scorpione und der Spinnen überhaupt wahrhaft Lungen sind, die nicht mit 42 Beiträge zur Anatomie des Scorpions. der äusseren Oberfläche ihrer Fächer, sondern: mit der inneren , in die Fächer verbreiteten Fläche athmen, und deren Ausführungsgang, das bisher sogenannte Kiemen- band ist. Und hiermit ist: es denn auch ausgemacht, dass alle Luftthiere mit Lungen und nicht ausnahms- weise mit Kiemen athmen, oder dass alle Luftathmer ein Athemorgan haben, das auf innerer sackförniger, nicht vorspringender Flächenvermehrung beruht. Fig. 9. stellt die Lunge in dem gewöhnlichen ‚Zu- stande dar, wo sie, mit tom vorderen Säckchen von dem Rande des Stigma entspringend, an der einen Seite des Stigma auf dem Skelete aufliegt. Fig. 10. stellt dieselbe Lunge im aufgeblasenen Zu- stande dar. a. Der Rand des Stigma. b. Der sackförmige Ausführungsgang derselben, vom dem Rande des Stigma entspringend. .c. Die gefächerte , innerhalb der Fächer "hohle Lunge. Der Umstand, dass die Lunge auf der einen Seite des Stigma liegt, und nicht über demselben, und dass also die Haut der Lunge, von dem Rande des Stigma entspringend, sich einerseits über die Oefinung des Sti- gma hinüberschlägt, bewirkt, dass das Stigma beim er- sten Anblicke durch ein Häutchen geschlossen scheint, und dass die Luft, wenn man es senkrecht aufbläst, nicht sogleich eindringt. Wenn man aber schief nach vorn hin mit dem Zudulus einbläst, so erhebt sich die aufliegende Wandung leichter, und das Säckchen füllt sich sogleich. In Fig. 11. ist dieses Verhalten der Wände des Säckchens an einem Durchschnitte des ganzen Athem- organs verdeutlicht. a. a. Der Rand des Stigma. db. Die eine Wand des Säckchens, welche sich vom Beiträge zur Anatomie des Scorpions. 43 Rande des Stigma über die Oefinung zur Lunge her- überschlägt. €, Die andere Wand des Säckchens, welche in der natürlichen Lage auf der Horndecke aufliegt. d. Die Kiemenfächer, welche von dem Säckchen ausgehen. " - Ein Umstand von geringer Bedeutung ist, dass das Stigma bald rundlich ist, wie bei den europäischen Scorpionen, bald oval, wie bei den africanischen, bald lang geschlitzt, wie bei den ostindischen. Doch ver- diente dieser Unterschied bei einer künftigen Classifica- tion der Scorpioniden, bei dem Mangel ‘anderer sicherer Kennzeichen allerdings Berücksichtigung. Untersucht man die Lungenfächer mit ihren dop- pelten Blättern mikroskopisch, so erscheint die Haut derselben äusserst fein, ohne Gefässe und ganz gleich- förmig, ganz so, wie die Haut‘ des Säckchens selbst. Ich bin daher der Meinung, dass sich auf solchen Lun- gen in der That keine Lungengefässe verbreiten. Wahr- scheinlich dringt der Saft aus der äusseren gemeinschaft- lichen Haut des Fettkörpers, welche auf den Lungen aufliegt und überhaupt sehr gefässreich ist, unter die hornartigen Decken, und kommt hier zwischen den Be- deckungen und der Haut des Fettkörpers mit der äus- seren Fläche der gefächerten Lunge in Berührung. An- derseits berührt, die Luft von aussen, durch das Stigma eingeführt, die innere Fläche des Säckchens und der entwickelten Fächer, und so geschieht das Athmen zwi- schen Saft und Luft auf einer allerdings ansehnlichen Fläche durch die äusserst feine Haut der Lungen. Hiernach lässt sich abnehmen, wie viel an der Be- hauptung von Marcet de Serres ist, dass das Herz je- derseits einen Hauptgefässbündel zu den Athemorganen 'abgebe, die den Venen vergleichbar seyen, und dass vier andere Gefüsse mit den ersteren unter spitzem Win- 41 Beiträge zur Anatomie des Scorpions. kel kreuzend, entspringen, die mit 4 Zweigen das Blut vom Athemorgan zurückführen, und es sofort im Kör- per verbreiten. Da sind Muskeln und Gefässe und Bän- der zusammengeworfen, und Dinge behauptet, wovon keine Spur existirt. Allerdings gehen von dem Herzen jederseits, ausser den durch Treviranus bekannten seit- lichen Gefässen, vier Gefässbündel nach abwärts durch den Fettkörper, doch entsprechen diese Gefässe nicht ganz den Stellen, wo die Lungen liegen, verbreiten sich auch auf der Abdominalfläche der äusseren Haut des Fettkörpers über den Lungen. Es sind auch diese Ge- fässe, welche von der Abdominalfläche aus den Lungen äusserlich Saft zuführen, insofern dieser von der äusse- ren Haut des Fettkörpers herkommt, aber die Lungen- säcke selbst haben keine Gefässverbindung mit dem übrigen Gewebe und gar keine Gefässe in ihrer Haut. Es wiederholt sich also hier, was bei den Insecten auf andere Art geschieht. Bei den Insecten athmet der Saft schlechthin überall durch die Tracheenhaut. Bei den Spinnen ist nur der Unterschied, dass die athmende Fläche, gross im kleinen Raume, auf ein besonderes Or- gan beschränkt ist. , Etwas dem Seorpione sehr Eigenthümliches ist, dass seine Organe, wo sie durch den Fettkörper ge- hen, grösstentheils von starken Bändern geleitet wer- den. Ich habe schon die Bänder erwähnt, welche mit den inneren Fortsätzen der äusseren Haut des Fettkör- pers durch diesen gehen. Diese Theile , die sich von allen Muskeln des Scorpions durch ihre faserlose Bildung, durch ihre dunkle glänzend sehnige Farbe, durch ihre Zähigkeit und Härte auszeichnen, und überdies so lose sich an der Unterleibs- und Rückenwand der äusseren Haut des Fettkör- pers inseriren ‚hat Treviranus mit Unrecht für Muskeln er- klärt , und ihnen zugleich eine nicht stattfindende In- Beiträge zur Anatomie des Seorpions. 45 sertion in die Seiten des Herzens zugeschrieben. Diese Bänder kommen zwar an deu Seiten des Herzens aus dem Fettkörper zum Vorscheine, inseriren sich aber nur ganz lose in die äussere Haut des Fettkörpers an je- nen Stellen. H Eine gleiche Function haben ähnliche Theile, wel- che die Lungennerven aufwärts zu den Lungen gelei- ten, welche die gekräuselten Ausführungsgänge der Spei- chelgefässe. begleiten, und das ansehnliche Band, wel- ches mit. den beiden dünnen Rückenmarkssträngen in ihrem ganzen Verlaufe lose, verbunden ist, endlich die Bänder, welche um die Lungen herumliegen, und diese in ihrer Lage erhalten, mit ‚denen zugleich. die Band- fortsätze im Inneren des Fettkörpers zusammenhängen (Trev. Fig. 7.). Darmkanal. In Hinsicht des Darmkanals werde ich kürzer seyn können, da Meckel und Treviranus hier nur wenig zu bemerken übrig gelassen. Auch ich habe den Darmka- nal bei ‚allen Exemplaren immer von gleicher Dicke vom Schlunde bis zum After, nie aber eine.‘ magenähn- liche Erweiterung, wie Meckel, bemerkt.‘ Nur der Schlund, welcher vor dem Gehirne auf einem besonderen starken ausgehöhlten Knochenstücke entspringt, ist viel weiter, als‘ der,'übrige Darm, und stellt. ein Bläschen dar. Die Speiseröhre beginnt von diesem Bläschen sehr fein, erhebt sich zwischen den sehr starken Nerven für die Scheerenglieder über das hinter dem, Schlunde liegende Gehirn, und geht über die sattelförmige obere Aushöhlung des 'Wirbelstücks im Brustskelet, während das Rückenmark und die hinteren Hirnnerven durch die Oeflnung des Wirbelstücks treten. Hierdurch. ist das Gehirm vor allem Drucke von der angefüllten Speise- röhre geschützt. In Beziehung auf das Verhältniss von e2 46 ; Beiträge zur Anatomie des Scorpions. Schlund ‘und Gehirn sind Treviranus Angaben durchaus irrig, indem er das beschriebene Wirbelstück ganz über- sehen, und den Fettkörper des hinteren Brusttheils mit dent Gehirne verwechselt'hat. Da nun die Speiseröhre, nachdem sie über die Brücke des Wirbelstücks” 'getre- ten, in dem Feitkörper des "hinteren Brusttheils liegt, und von demselben ganz umgeben wird, so ist daraus erklärlich, wie Treviranus zu der Angabe verleitet wer- den konnte, dass der Darmkanal hinter dem Gehirne durch ‘einen besonderen Markring trete, ‘was durchaus nicht der‘ Fall‘ist, und wie'er das Gehirn, das vordem Wirbelstücke zwischen den‘ vorderen und zweiten Fuss- paaren "ganz tief auf der 'unteren Brustwand aufliegt, in den hinteren Brusttheil zwischen den hinteren Fusspaa- ren versetzen konnte. Der Fettkörper der Brust, im oberen and hinteren Theile derselben gelegen, hängt mit dem Fettkörper des Hinterleibes ‘durch "eine dünne eingeschnürte‘ Stelle zusammen (Fig. 1. g:) In dieser eingeschnürten Stelle des Fettkörpers ‘geht die’'Speiseröhre in den Hinterleib über, undinun verhält‘sich der Darmkanal, hier‘ über- all im Fettkörper verborgen,’ durchaus so, "wie Trev- ranus"beschrieben. ' Er giebt nämlich, ' von’ der Brust any bis "über" die Mitte des Hinterleibes, 5 Fortsätze auf jeder'Seite ab, die sich gefässartig nach allen Rich- tungen im Fettkörper verzweigen. Ich‘ habe immer 5 solche Fortsätze, nicht’ 4, wie’ Meckel und Marcet de Serres angeben, gefunden. Am Ende des Hinterleibes münden die geschlängelten feinen sogenannten Gallen- gefässe. ein, welche Treviranus zuerst beschrieben. Doch habe ich nie an dieser Stelle eine Einschnürung des Därmkanals gesehen, wie sie Treviranus angiebt. ”» DerDarmkanal des Schwanzes, von Treviranus bei | weitem zu kurz abgebildet, “ist eben so dick als der | übrige "Darmkanal; zwischen dem Stachelgliede und Beiträge zur Anatomie des'Scorpions. 47 ‚dem vorletzten Gliede ‘des Schwanzes wird er plötzlich ‚enge, und‘ geht dann mit einer IRRE EnER muskulö- sen! Erweiterung i in den After aus, - | sau, 1 Mernir ; Besonderes rare ee ausser pe re Jun zen und sogenannte. G@allengefässe. uasgiöWichtiger sind die Berichtigungen, welche die ge- ‚schlängelten ‚vorhin. genannten "Gefässe betreffen , die TPreviranus mit! den‘ Gallengefässen- 'der"Insecten ver- glichen. "Diese Gefässe verlaufen, wie Trewieiinei W6khrie- ben und’ abgebildet (a. a.'0.»Fig."6. v.'v. v.), ‘zur Seite des Darıns'im Fettkörper, vom Anfange des’ Hinterleibes ‚bis’zu "dessen Ende‘; wo sie: sich’ in den Darmkanal 'ein- senken." Auf diesem Verlaufe 'schieken sie‘ an:mehreren Stellen, wie Treviranus richtig angegeben, Verzweigun- gen in den Fettkörper, und gehen .'an der Einmündungs- stelle ‘mit noch‘ anderen "kürzeren ähnlichen‘Gefässen des" Fettkörpers "in ».diesWand ‘des ‚Darmikanals. ein (Tree. Fig: 6. e.ve.). ;Die Stelle, wo diese'Gefässe sind, ist) weit "hintersden letzten . Verzweigungen des:Darmkä- mals entfernt; In: dieser Beziehung ist‘ die Abbildung von Treviranus nicht ganz richtig. ' Dieser: Umstand'ist iz, denn bei der physiologischen‘ Untersuchung er die Bedeutung jener Gefässe ist’ die Entfernung je- ner ı Einmündungsstelle. von ‚den Verzweigungen‘' des kanals aller-Beachtung 'werth. Die Verzweigungen Darmkanals hören im zweiten Dritttheile des Hin- terleibes schon auf = „In! 5 Dieloberen Endigungen oder Anfänge desen Gefässe ‚hat Treeiranus unbestimmt gelassen (Fig. 6.'%. %).' Hier erlangen diese Gefässe aber; nach’ meinen sehr genauen höchst“ mühevollen Be eneiget ihre grösste Ausbildung." Ass Während diese Gefisse unter und neben dem Her- 48 Beiträge zur Anatomie des Scorpions. zen, an der zweiten flügelartigen Erweiterung des Her- zens vorbeigehen, geben sie einen aufsteigenden Quer- ast nach einwärts zum Herzen ab, der sich in jene Erweiterung einsenkt (Fig. 20. e.). Zu der ersten Er- weiterung des Herzens geht wieder ein solcher ganz ansehnlicher Zweig (Fig. 20. /.). An derselben. Stelle giebt das Gefäss einen starken Ast in den Fettkörper nach ‘vorn und zu den Seiten ab, der sich in so viele Zweige ausbreitet, wie kein anderer Ast desselben (Fig. 20.8.). Die Fortsetung des Gefässes (A.) ist nicht stärker als diese Aeste. Nach einem kurzen Verlaufe nach vorn verbindet es sich abermals mit einem ähnlichen Gefässe aus der genannten Erweiterung des Herzens (£), und aus:dieser Schlinge entspringt abermals eine dreifa- che Verzweigung (A. k.k.), die jedoch etwas kleiner Ale früher beschrieben ist. Ausser diesen Verbindungszweigen mit dem Her- zen,: schickt dieselbe Erweiterung des Heizens nach vorn ‘ein letztes ähnliches Gefäss aus, das mit den übrigen sich nicht verbindet, sondern, an: der Seite, des Herzens verlaufend, sich mit dem Herzen aus dem Hin- terleibe in den Fettkörper der Brust begiebt,; um sich dort ästig zu verbreiten (Fig. 20. 2.). Uebrigens sind alle diese Gefässe gleich stark, und es lässt sich durchaus nicht sagen, wo der Stamm ist. Die hier beschriebenen Verbindungen der sogenann- ten Gallengefässe mit dem Herzen’ und ihre Verzwei- gungen im Fettkörper sind, wie sich leicht einsehen lässt, für die ‚Physiologie der Scorpioniden, ‚der Spin- nen überhaupt und der Insecten von .der grössten Wich- tigkeit. Es liegt mir Alles daran, dass man sich von der Richtigkeit dieser Beobachtungen ‘überzeuge; ich will daher nicht unterlassen zu bemerken, dass ‚die hier mitgetheilten Abbildungen bis auf jedes Zweigelchen j Beiträge zur Anatomie des Scorpions. 49 ganz genau mit meinem Präparat übereinstimmen, und dass Alles, was ich hier beschrieben habe, ohne Lupe und Mikroskop höchst deutlich mit blossen Augen zu sehen ist. Um diese Verbindungen nicht zu zerstören muss man von unten her präpariren. Hiernach lässt sich eine dreifache Frage aufstellen: ; 1) Haben die oberen Verzweigungen im Fettkör- per, welche mit dem Herzen zum Theil allein zusam- menhängen (/.), ohne zu den in den Darm einmünden- den Gefässen zu gehen, und die, welche,‘ ausser dem Ursprunge aus dem Fettkörper, mit dem Herzen in Verbindung stehen, und zugleich in die Darmgefässe sich fortsetzen, die Function, den vom Darmkanal aus durch die Fortsätze desselben in den Fettkörper geführ- ten und assimilirten Saft ins Herz zu bringen? Und wird eben dieser Saft in anderen Zweigen des- selben Gefässsystems, die den Darmkanal begleiten, ver- ändert, um am Ende des Hinterleibes als Absonderungs- °“ product in den Darmkanal geführt zu werden. Oder “u im anderen Falle 2) wird das Blut aus dem Herzen in jenes Gefässsystem geführt, um zum Theil im Fettkör- per verbreitet zu werden, zum Theil, durch die den Darmkanal begleitenden Gefässe verändert, als Abson- derungsproduct in den Darmkanal ergossen zu wer- den? — Oder 3) wird der Saft aus dem unteren Theile des Darms durch. jene Gefässe aufgenommen, dann _ nach aufwärts geführt, zum Theil im Fettkörper verbreitet, _ zum Theil ins Herz ergossen, oder, wenn ins Herz ergos- sen mit dem zugeführten Saft des Fettkörpers vermischt? Der letzte oder dritte Fall kann nicht seyn; denn die fünffachen Verzweigungen des Darmkanals, weit von der Einmündungsstelle der geschlängelten Gefässe, füh- ren offenbar den Bildungsstoff in den Fettkörper, des- sen eigenste physiologische Bedeutung es ist, dass aus ihm alle andere Organe den in ihm eingebildeten Stoff Meckels Archiv f. Anat. u. Phys. 1828. 4 50 Beiträge zur Anatomie des Scorpions. aufnehmen und verwandeln. Ganz gewiss sind dem- - nach jene Gefässe in ihrem unteren Theile absondernd und ausführend, wie die sogenannten Gallengefässe der Insecten.‘ Führen also. die Verbindungen unseres Gefässsy- stems mit dem Herzen Saft aus diesem in die abson- dernden Zweige und in den Fettkörper, oder umgekehrt, führen die Zweige des Fettkörpers den in ihm vom Darmkanal aus abgelagerten Bildungsstoff zum Theil ‘in die absondernden Zweige im unteren Theil (bei c. e. e.), zum bei weitem grössten Theil aber diesen assimilirten 'Bildungsstoff des Fettkörpers ins Herz (e. f. g. ©. k.1.)? Aller Wahrscheinlichkeit nach das Letztere. Denn die Blutgefässe des Fettkörpers sind ganz anderer Art, und entspringen allenthalben aus den Seiten des Herzens, ‚zwischen seinen flügelartigen Erweiterungen, wie Tre- viranus richtig abgebildet hat. Unsere Gefässe allein haben. diese eigenthümlichen Verbindungsstellen am Herzen und Verbindungen mit absondernden Gefässen; sie unterscheiden sich ferner von den Blutgefässen des Fettkörpers durchaus durch ihre ganz eigenthümliche Bildung, ihren langen geschlängelten Verlauf, ihre Aehn- lichkeit mit den absondernden Gefässen, in die sie über- gehen, und den Umstand, dass sie in ihrem Verlaufe sehr lange ihr Volumen beibehalten, ohne dünner zu werden, während die Blutgefässe des Fettkörpers sich sogleich von den Stämmchen aus ästig auflösen. Es besteht demnach bei den Scorpionen ausser dem Blutgefässsystem und den Verzweigungen des. Darmka- nals ein eigenthümliches Gefässsystem. Die Verzwei- gungen des Darmkanals bilden den assimilirten Thier- stoff in den Fettkörper ein, aus diesem nimmt ihn ein neues Gefässsystem absondernd: auf, das mit vielen Wurzeln in ihm entspringt. Dieses Gefässsystem führt den Bildungsstoff zum Theil in das Herz durch die be- Beiträge zur Anatomie des Scorpions. 51 schriebenen vielfachen Verbindungen, zum Theil führen diese Gefässe in Verzweigungen anderer Richtung Ab- sonderungssaft aus dem Fettkörper, den sie auf einem langen geschlängelten Verlaufe ‘verändern, um ihn end- lich in den unteren Theil des Darmkanals zu führen. Wenn daher bei den Insecten die Absonderungen aus dem Fettkörper geschehen, und der durch Abson- derung veredelte Bildungsstoff des Fettkörpers durch blosse Tränkung die Wände des Herzens durchdringt, so geschieht bei den Scorpioniden die Absonderung aus einem Bildungsstoffe , der durch besondere Gefässe aus dem Fettkörper aufgenommen ins Herz geführt wer- den soll. Welcher Art nun das Exeretum sey, welches durch jene Gefässe in den Darmkanal geführt wird, ist eine andere Frage. Galle kann es bei den Scorpionen nicht wohl seyn, da die Verdauung schon vollendet und der Stoff in den Fettkörper durch die Verzweigungen des Darmkanals verbreitet, nachdem jene Gefässe am Ende des Hinterleibes ihren Saft in den Darmkanal ergies- sen, der nunmehr nur noch das Schwanzstück des Darms zu durchlaufen hat, um als Excretum ausgeleert zu werden. Es ist offenbar reines Exeretum oder Ex- erement, Reinigungsproduct des Bildungsprocesses im Fettkörper. Indessen hängt diese Frage mit einer an- deren, über die Bedeutung der Gallengefässe der In- secten zusammen. Diese letztere Frage kann nur durch ‚die feinsten anatomischen Untersuchungen erledigt wer- den, und das soll einer anderen Untersuchung vorbe- halten seyn. Ueber die schon früher aufgefasste hohe Bedeutung des Fettkörpers kann wohl jetzt kein Zweifel mehr seyn. Schon Treviranus hatte ihn gegen Meckel, der ihn als Leber bei den Scorpionen ansah, vindieirt. Man kann zu allen Gründen, welche die bisherigen 4* 52 Beiträge zur Anatomie des Scorpions. Untersuchungen enthalten, auch das hinzufügen, dass der Fettkörper durchaus kein besonderes Organ ist, sondern bei den Scorpionen, wie bei allen Eingewei- den, Geschlechtstheilen, Drüsen, oder Gefässen, zur Umgebung und zum Colliquamente dient, so auch in Brust sowohl als Hinterleib enthalten ist. Die Speichelgefässe. Fig. 3. «. «. An die Scheidewand, welche die Brust von dem Hinterleibe unvollkommen trennt, indem sie von oben schief nach unten und vorn sich herabsenkt, sind auf beiden Seiten zwei kurze Schläuche des Hinterleibes befestigt, welche bisher ganz übersehen worden sind. Das dünnere vordere Ende scheint die Scheidewand zu durchdringen, wenigstens entspringen an eben dieser Stelle von der Brustseite der Scheidewand jederseits mehrere feine geschlängelte Gefässe (v.), die nach innen convergiren, in Begleitung eines Bandes gegen das Wirbelstück sich begeben, und nur bis dahin verfolgt werden konnten. Ob diese Gefässe hier durch die fei- nen Seitenöffnungen des Wirbelstücks, welche früher, erwähnt worden, durchtreten, ob sie durch die mittlere Oeffnung mit dem Nervensystem gehen, oder ob sie sich schon früher mit der Speiseröhre verbinden, konnte ich nicht ausmitteln. Ich. halte jene ziemlich ansehnlichen Schläuche für Speicheldrüsen, denn zum Geschlechtsap- parate gehören sie gewiss nicht; ihre Insertion in die Scheidewand ist auch von der Ausmündungsstelle der Geschlechtstheile um 14 — 2 Linien seitlich und auf- wärts entfernt. Die Giftdrüse. Fig. 7. 8. Meckel fand xichtig im tunesischen Scorpion das Giftorgan als zwei isolirte Drüsen im letzten Schwanz- gliede. Treviranus bemerkte ebenfalls richtig, dass das Beiträge zur Anatomie des Scorpions. 53 Organ von einer Muskelhaut umgeben ist, hat aber seine Theilung in zwei ganz isolirte Drüsen, die sogar ihre eigenthümlichen dicken Muskelhäute haben, über- sehen. Die Muskelhaut, aus lauter parallelen queren Fasern bestehend, umgiebt jedes Organ bis auf eine schmale Stelle seiner äusseren Fläche. Unter ihr liegt eine dickhäutige Blase, welche mehrfach der Länge nach gefaltet ist, und entwickelt werden kann. ı Jedes Organ hat seinen besonderen Ausführungsgang, der iso- lirt im Stachel verfolgt werden kann, und sich ganz an der Spitze desselben jederseits mit einer ovalen, sehr kleinen, seitlichen Oeflnung ausmündet. In Fig. 7. ist die eine Drüse mit ihrer Muskelhaut,. die andere von derselben entblösst, dargestellt. Fig. S. zeigt das faltige Innere der Drüse und den Ausführungsgang derselben. Höchst sonderbar ist die Angabe von Marcel de Serres über das Giftorgan: glandes veneneuses, compo- sees d’une infinite de glandes arrondies, tres serrees les unes contre les autres el communiquant ensemble. Geschlechtstheile. Auch ich habe, wie Meckel, unter den vielen Scor- pionen, die ich zergliederte, nur sehr wenige Männ- chen gefunden, und vermuthe daher mit Meckel, dass die Zahl derselben gegen die der Weibchen bedeutend geringer seyn müsse. In der That habe ich bis jetzt nur zwei männliche Scorpione zu zergliedern Gelegen- heit gehabt. Um so erwünschter war aber die grössere Zahl der Weibchen, weil mir hierdurch die sehr ver- schiedenen Zustände der weiblichen Genitalien, vor der Befruchtung und während der Ausbildung lebendiger Jungen zu untersuchen, vergönnt ward. # Weibliche. Fig. 14. 15. 16. 17. 18. 19. a Die weiblichen Geschlechtstheile sind von Trevira- 54 Beiträge zur Anatomie des Scorpions. nus a. a. ©. Fig. 12. richtig abgebildet worden. Doch bezieht sich diese Abbildung und die Beschreibung nur auf den unentwiekelten Zustand des Eierstocks des nicht befruchteten Weibchens. Dann besteht dieser nur aus zwei Seitenröhren und einer mittleren Röhre, die durch 4 Querröhren mit einander an verschiedenen Stellen verbunden sind. Die Seitenröhren erweitern sich in ih- rem vorderen Theile, und führen zur Scheide, die vor den sogenannten Kämmen gelegen ist. Der Eierstock des befruchteten Weibchens, der in ganz neuen Fort- sätzen, von jenen Röhren aus, die Eier und Jungen ausbildet, ist ungleich zusammengesetzter. Meckels Ab- bildungen a. a. ©. Fig. 18. 19. 20. sind daher in so weit viel vollständiger, als sie den Eierstock nicht allein in seiner einfachen unbefruchteten Bildung (Fig. 19.), son- dern auch in dem Zustande darstellen, wo er aus sei- nen einfachen Röhren Seitenfortsätze zu treiben anfängt, in welchen die Embryonen ausgebildet werden sollen (Fig. 18. 20.). Meckel bemerkt sehr richtig a. a. O. S. 114.: dass sich zwischen dem Zustande des Eier- stocks, wo dessen Röhren mit Körnchen besäet zu seyn . scheinen, bis dahin, wo grössere Anschwellungen an denselben erscheinen, eine Menge Zwischengrade be- finden, und Treviranus hat durchaus Unrecht, wenn er diese Körnchen, die er auch gesehen hat, mit an- deren, häufig bei den Scorpionen vorkommenden krank- haften Excretionen, die mir von fast allen Organen wohl bekannt sind, identifieiren will. Es sind diese ursprünglich ganz kleinen Auswüchse, welche später sich immer mehr verlängern, und zuletzt die Länge ei- nes Zolles erreichen. In diesem Zustande hat bisher noch Niemand den Eierstock gesehen. Ich hatte aber Gelegenheit, die Formen aller Bildungsstufen vergleichen zu können. Die 14te Figur unserer Tafeln stellt den Eierstock des Scorpions in einem ziemlich weit vorge- Beiträge zur Anatomie des Scorpions. 35 rückten Zustande nach der Befruchtung dar. Die Grundlage bildet das Gefüge von Röhren «a. «. «., das mit zwei Seitenröhren aus dem erweiterten Ausführungs- gange beginnt, die sich nach einem ziemlich langen isolirten Verlaufe durch 4 Querröhren mit einer mittle- ren Röhre verbinden, so dass dadurch ein Gewebe von einer grossen vorderen und 3 Paar hinteren Maschen entsteht. Uebrigens ist die Abbildung ganz in natürli- eher Grösse von einem ausserordentlich grossen Scor- pion von Java genommen. Von allen: diesen Röhren, sowohl den seitlichen, als den mittleren und den @uer- röhren, eben so von den Verbindungsstellen derselben gehen grosse blinddarmähnliche Fortsätze aus, b. d. b.,. die in ihrem mittleren Theile eine bohnenförmige An- schwellung haben. Diese Auswüchse von 1 Zoll Länge bestehen demnach aus einem dünnen Stiele, der an ei- ner knopflörmigen Anschwellung plötzlich sich sehr stark erweitert und hinter dieser Erweiterung wieder einen langen blinddarmähnlichen dünnen Anhang hat ‚derdort am dünnsten ist, wo er mit der angeschwollenen Stelle zu- sammenhängt, Fig. 15. a. b.c. Die erweiterte Stelle des blinddarmähnlichen Aus- wuchses verdient eine genauere Untersuchung, weil in ihr der Embryo enthalten ist. Sie hat eine ausgehöhlte glatte und eine entgegengesetzte, gebogene Fläche, die auf beiden Seiten mit vielen zahnförmigen Erhö- hungen besetzt, in der Mitte aber gefurcht ist, Fig. 16. b. Der gewölbte Theil der Anschwellung und beson- ders die zahnförmigen Erhöhungen sind. mit einer weis- sen consistenten eiweissähnlichen Materie gefüllt, gegen die ausgebogene Seite der Anschwellung liegt der Em- bryo, von der weissen Materie umgeben. Der noch sehr undeutliche Embryo, der nur als eine grauliche, halbdurchsichtige Substanz von: ovaler Form mit einem fadenförmigen Anhange in der übrigen weissen Masse 56 Beiträge zur Anatomie des Scorpions, erkennbar ist, ist jetzt, das fadenförmige Schwanzstück mitgerechnet, kaum zwei Linien lang. Das fadenför- mige Ende liegt übrigens immer ‘gegen die Röhre des Eierstockes hin, ‘In Eierstöcken früherer Zeit, wo- hin der Fig. 16. abgebildete Auswuchs gehört, lässt sich zwar die Stelle der Ausbildung an dem Blinddärmchen, nicht aber der Embryo selbst erkennen. Der 'blinddarmähnliche Fortsatz des Eierstocks be- hält mit der Ausbildung des jungen Scorpions im All- gemeinen die frühere Form; seine Veränderungen be- stehen nur in allgemeiner Erweiterung, auch des blin- den Endes und in dem Verschwinden der gezahnten Erhöhungen an der mittleren Anschwellung. Ich hatte in Berlin einmal Gelegenheit, einen Scorpion mit sehr vorgerückten Embryonen zu untersuchen. In ‘der Ab- sicht, einen grossen und dicken Scorpion zu zerglie- dern, schnitt ich die häutige Bedeckung des Hinterleibes auf. Da aber das Innere gegen Vermuthen ganz weich und wie aufgelöst erschien, liess ich das Exemplar wei- ter unberührt, und brachte es in sein Gefäss mit Wein- geist zurück. Nach einiger Zeit, als ich dieses Glas wieder ansichtig wurde, bemerkte ich den Boden mit einer Menge kleiner, unter sich ganz gleicher, in ihrer Bildung aber ausgezeichneter halbdurchsichtiger Körper- chen bedeckt. Bei genauerer Untersuchung zeigten sich diese als lauter junge Scorpione, die noch von den blinddarmähnlichen Fortsätzen des Eierstocks umgeben waren. Der Hinterleib des Scorpions, aus welchem jene entwichen, enthielt noch viele Embryonen von ganz gleicher Bildung, innerhalb der Eierstockschläuche. Das Gefüge der mittleren und Seitenröhren und der Querröhren des Eierstocks herzustellen, war wegen der Weichheit und Aufgelöstheit des Hinterleibr; nicht mög- lich; doch zeigten sich mehrere Blinddärmchen, welche Scorpione enthielten, noch mit Stücken der Röhren des Beiträge zur Anatomie des Scorpions. 57 Eierstocks zusammen verbunden. Ein solches Stück ist Fig. 17. abgebildet. «. a. a. sind die Stiele des Blind- därmchens, welche mit den Röhren des Eierstocks zu- sammenhängen, 5. 5. b. die mittleren Anschwellungen, welche die Embryonen enthalten, ce. c. c. die blinden Enden der Schläuche. Ich habe schon früher bemerkt, dass das Schwanz- ende der jungen Scorpione immer in dem Verbindungs- stiele (@.), und nicht in dem Ende des Blinddärmchens (e.) liegt. Dies ist etwas ganz Constantes. Wenn man an den Blinddärmchen zerrt, so zerreissen sie am leich- testen da, wo der Stiel in die Anschwellung des Blind- därmehens übergeht, eine Stelle, die im Inneren der Insertion des Schwanzes in den Hinterleib des Embryo entspricht. In Fig. 17. ist bei d. eine solche Trennung der Erweiterung von dem Stiele abgebildet, und es ist daher der nackte Schwanz des ‚Embryo, der in dem "Stiele liegt, sichtbar. Fig. 18. stellt ein freies abgeris- senes Blinddärmchen dar, aus dem der ganze Schwanz, der sonst in dem Stiele lag, heraussieht, im Gegensatze des anderen blinden Endes. Schnitt ich diese Blinddärmchen nun vorsichtig ganz auf, so konnte ich den halbdurchsichtigen, grau- lich weissen weichen Embryo ganz entwickeln und mi- kroskopisch untersuchen, Fig. 19. Füsse, Brust, Hin- terleib und die Glieder des Schwanzes sind deutlich von einander zu unterscheiden, wenn gleich der Schwanz mit-seinen Gliedern am ausgebildetsten erscheint, und schon dunklere Stellen in der Mitte der Glieder hat. Das Merkwürdigste an diesen Embryonen ist ein röhren- förmiger Fortsatz aus dem Vordertheile: des Körpers, Fig. 19. @«. Dieser ziemlich lange Fortsatz, der nicht gegliedert ist, geht aus der mittleren Anschwellung der Blinddärmehen in das blinde Ende über. Fig. 18. c. Wahrscheinlich geschieht durch denselben die Stoffauf- 58 Beiträge zur Anatomie des Scorpions. nahme des Embryo aus dem blinden Anhange, und er ist also insofern einer Nabelschnur zu vergleichen. Das blinde Ende hinter der Anschwellung, worin der Embryo, erscheint uns darum von vorzüglicher Wichtigkeit, und nicht ohne Grund ist daher dieser Theil schon früh so sehr lang, ja selbst länger als später, zu einer Zeit, wo die mittlere Anschwellung noch sehr dünn 'ist, Fig. 15. Die wichtigste Frage, die nun Jeder än mich stel- len wird, ob jene vordere Röhre des Embryo mit dem blinden Ende zusammenhänge, um eine Analogie zu rechtfertigen, diese Frage kann ich nicht beantworten, und das mag schon ein Anderer thun, am besten an Ort und Stelle, in Italien oder Aegypten, oder Java. Auf jeden Fall aber ist das hier Mitgetheilte kein ganz uninteressanter Beitrag zur Entwickelungsgeschichte der lebendig‘ gebärenden Spinnen, welche wir in Herolds prachtvollem Werke: über die Erzeugung der Spinnen im Eie, Marburg, 1824. fol. nicht bedacht sehen. Bei Marcel de Serres kommt freilich die Erwähnung run- der weisser Eier vor!! Br Schliesslich muss ich noch bemerken, dass nach meinen Untersuchungen die seitlichen Röhren des Eier- stocks mit einer kurzen gemeinschaftlichen Anschwel- lung unmittelbar in die Geschlechtsöffnung übergehen, dass aber solche accessorische Schläuche, wie sie Meckel Fig. 19. und 20. a. a. O. abgebildet hat, analog den Schläuchen, in welche sich beim Männchen die samen- absondernden Gefasse einmünden, den weiblichen .Ge- schlechtstheilen gewiss nicht zukommen. In dieser Be- ziehung ist die Abbildung von Treviranus zwar einfa- cher, aberrrichtiger. Wahrscheinlich sind hier die Schläu- che, welche den Speichel absondern, und welche einige Linien über und vor der Geschlechtsöffnung die Schei- dewand des Hinterleibes und der Brust durchbohren, verwechselt worden, besonders darum, weil diese Organe Beiträge zur Anatomie des Scorpions. 59 "von Meckel sonst nicht erwähnt werden. Diese Schläuche scheinen auf den ersten Augenblick allerdings zum Ge- schlechtsapparate zu gehören, doch zeigt sich sogleich der Irrthum , wenn man ihre Anfänge und die der Geschlechts- theile rein auspräparirt. Treviranus hat diese den Männ- chen, nie den Weibchen zukommenden Drüsen für die Speichelabsonderung ganz übersehen. Männliche. Fig. 6. Die männlichen Geschlechtstheile hat schon Mechel a. a. O. Fig. 14. ganz richtig und vollständig abgebil- det; obgleich er damals die dort beschriebene Bil- dung nur vermuthend als männliche aufstellte. Sie be- stehen auf jeder Seite aus einer hörnernen Scheide, in die sich ein kurzes blindes Gefäss von grauer Farbe, und ein längeres, das samenabsondernde Gefäss von ocker- gelber Farbe, an derselben Stelle einmünden. Das letz- tere verläuft gewunden im Fettkörper, und ist schwer aus demselben darzustellen, weshalb auch Treviranus nur den Anfang desselben abgebildet hat, a. a. ©. Fig 11. v. Seine Bildung ist folgende. Nach einem kurzen Verlaufe von seinem Ursprunge aus der hörnernen Schei- de theilt er sich in 2 Röhren, die sich bald wieder mit einer anderen verbinden. Aus dieser Schlinge gehen wieder neue Aeste hervor, die sich abermals schlingen- förmig verbinden, und dann eine dritte Schlinge aus- schicken. Dies ist bei Meckel Fig. 14. ganz der Natur getreu und vollständig dargestellt. Unsere Abbildung Fig. 6. stellt diese Theile nur in einem ausgebildeteren Zustande und mehr gewunden aus einem africanischen Scorpion dar. Die Abbildung Fig. 24. vom tunesischen Scorpion bei Heckel betrifft nach meiner Meinung auch ein männliches Exemplar. Sie ist nur, wie Mechel selbst angiebt, unvollständig, indem die in dem Fett- körper verlaufenden Gefässe wegen Brüchigkeit der Theile nicht dargestellt werden konnten. 60 Beiträge zur Anatomie des Scorpions. Uebrigens behauptet Treviranus zu viel, wenn er S. 13. sagt, Meckel habe die Scorpione für Hermaphro- diten gehalten. Denn 8.115. stellt Meckel selbst gegen eine frühere Vermuthung 8.112. die Frage: ob die von ihm Fig. 14. abgebildeten Theile nicht männliche seyen. Treviranus citirt Fig. 24. von Meckel als Abbildung der männlichen Organe. Allein diese Abbildung ist un- vollständig, wie die von Trevwiranus, und wäre hier Meckels ganz richtige Abbildung Fig. 14. anzuführen gewesen. Marcel de Serres hat in seiner Abhandlung über das Rückengefäss der Insecten Mem. du mus. Tom. 5. 2.56.) offenbar die männlichen Geschlechtstheile mit den weiblichen verwechselt, denn er lässt die Samenröhren beider Seiten sich durch Querröhren verbinden, was nur den Eierröhren zukommt. Die Beschreibung der weiblichen Theile ist ausserdem ebenfalls ganz feh- lerhaft. ' Nervensystem. Die Beschreibung des Nervensystems von Trevira- nus ist höchst mangelhaft, und so schön und deutlich die Abbildungen desselben sind, so wenig stimmen sie mit der Natur überein. Es ist sehr wahrscheinlich, dass Treviranus statt des Gehirns nur den über demselben liegenden Fettkörper der Brust beschrieben hat. Fürs Erste liegt das Gehirn nicht, wie Trevöranus angiebt, zwischen den beiden hinteren Fusspaaren, sondern in dem vordersten Gefache der Brust, hinter den Scheeren- . gliedern und zwischen den ersten 2 Fusspaaren. Nach Treviranus soll dasselbe aus 2 Halbkugeln und 2 Sei- tentheilen bestehen; „letztere vereinigen sich nach hin- ten zu einem ringförmigen Fortsatze, der den Nahrungs- kanal umgiebt, und sind aus unregelmässigen runden Körpern zusammengesetzt, die sich durch ihre dunkel- ; | Beiträge zur Anatomie des Scorpions. 61 graue Farbe von dem weissen Rückenmarke sehr un- terscheiden und fast einerlei Ansehen mit dem Fettkör- per haben. “ Die hier beschriebenen Theile, welche den Nah- rungskanal umgeben, sind in der That nichts anderes als der Fettkörper der Brust (Fig. 1. f. /.), der mit dem Fettkörper des Unterleibes durch einen dünnen Fortsatz derselben Substanz zusammenhängt. Es ist schon frü- her bemerkt worden, dass die Speiseröhre innerhalb desselben aus dem Hinterleibe in die Brust tritt, und auch hier in demselben gelegen ist. Unter diesem Fett- körper liegt erst das Knorpelstück, durch welches das Rückenmark zum Gehirne tritt, und von welchem Tre- viranus nichts bemerkt hat. Das Gehirn, vor dem Wir- belstück der Brust und im vordersten Gefach derselben gelegen, ist nicht allein nicht grau, und vielmehr weiss wie das Rückenmark, sondern hat auch eine ganz und gar andere Gestalt, als sie Treviranus dargestellt. In Fig. 3. ist das Gehirn in seiner Lage und Fig. 5. einzeln im vergrösserten Masse dargestellt. Das Gehirn, ganz deutlich von einer spinngewebe- artigen Membran umgeben, besteht aus einem vorderen, kleineren und hinteren, grösseren, längeren Lappen, Fig. 5. a. b. Der vordere deutlich abgegrenzte. kleinere Theil (a.) ist durch eine breite Furche getheilt, und hat nach vorn zwei starke seitliche Anschwellungen (d.), von denen die sehr starken faserigen Nerven der Scheeren- glieder entspringen. Oben und hinter diesen Vorsprün- gen entspringen die Nerven der Palpen (.). Nach oben hat dieser Theil des Gehirns 2 andere kleinere Vor- sprünge, von denen die Augennerven (A.) entspringen. Diese steigen senkrecht nach aufwärts, und haben die dünne Speiseröhre, und einen mit derselben verlaufen- den feinen Fortsatz des Fettkörpers zwischen sich. Ausserdem entspringen aus dem vorderen Theile des 62 Beiträge zur Anatomie des Scorpions. Gehirns noch mehrere kleinere Nervenzweige für die Theile des Mundes und den vordersten Theil der Spei- seröhre, die sich über das Gehirn nach vorn her- übersenkt. Der hintere Lappen des Gehirns (D.) ist viel grös- ser und hat eine längliche mehr ovale Gestalt. ‘Er hängt mit dem vorderen Theile durch eine stark einge- schnürte Stelle zusammen, und hat an dieser Verbin- dungsstelle eine starke Grube, die sich nach hinten über das Gehirn fortsetzt. Aus den Seiten dieses Lap- pens treten auf jeder Seite 4 Nerven für die kleineren Füsse hervor, welche den häutigen unteren Theil der Scheidewände der Brust durchbohren, um sich in den Gefächern derselben zu den betreffenden Muskeln zu begeben, Fig. 3. /., m., n., 0. Fig. 5. m., 0., 2.» 9.—n. Der hintere Theil des Gehirns liegt vor der senkrech- ten hörnernen durchbohrten Platte der Brust, und giebt ausser den zwei Strängen des Bauchmarkes (Fig. 5.2.) eine Menge feinerer Nerven (s.) ab, die mit dem Bauch- marke durch die ringförmige Oefinung des Wirbelrudi- mentes treten, und sich im Hinterleibe im Fettkörper, in der Haut des Fettkörpers über den Lungen, und in den Geschlechtstheilen verbreiten. Das Bauchmark, nachdem es durch die Oeffnung des Wirbelrudimentes getreten, hat deutlich 2 Stränge, an keiner Stelle 3 Stränge, wie Treviranus im Texte zwischen den 3 ersten Knoten, in der Abbildung aber zwischen dem Gehirn und dem ersten Knoten angegeben. Allein an den Marksträngen und den Knoten derselben ist ein ganz eigenthümlicher unverzweigter Strang an- liegend, der Treviranus wahrscheinlich zu jenen Anga- ben bestimmt hat. Dieser Strang, dicker als die bei- den Stränge des Bauchmarkes zusammen, ist mit ihnen und den Knoten locker verbunden, kann aber überall, sowohl von den Strängen, als den Knoten leicht gelöst Beiträge zur Anatomie des Scorpions. 63 werden; nur an den unteren Knoten im Schwanze, wo er selbst feiner wird, hängt er etwas fester an. Von dem Bauchmarke unterscheidet ersich überdies durch seine ganz gleichförmige unknotige Bildung, durch seine grös- sere Dicke und durch seine mehr schmuzige und un- scheinbare Färbung. Bei mikroskopischer Untersuchung sah ich diesen Strang an der einen Seite, wo er den Strängen des Bauchmarkes anliegt, etwas plattgedrückt und eingefurcht, an der anderen Seite rund. Hohl ist er nicht; er ist sicher nur ein Band; wie denn die mei- sten Organe solche Bänder haben. Dieser Strang ist in seinem oberen Theile am dicksten, und wird allmä- lig dünner nach unten, bis es sich im Schwanze an den Strängen des Bauchmarkes ganz verliert. Ich konnte ihn nach oben bis an das Wirbelstück des Brustskelets verfolgen, wo er innerhalb der Oefinung, durch welche das Mark tritt, stumpf endigt. Uebrigens muss ich be- merken, dass ich diesen Theil bei allen Scorpionen, die ich untersuchte, wiedergefunden habe, Fig. 3. 5. Ueber die Zahl, Lage und Verzweigung der Kno- ten habe ich nichts zu bemerken, da ich hier nur die Angaben von Treviranus bestätigen kann. Nur das ver- dient vielleicht bemerkt zu werden, dass die ansehnli- chen Nerven der unteren Haut des Fettkörpers, die über den Lımgen sehr feine Netze bilden, immer sehr hoch und zum Theil vom Gehirne selbst entspringen, weshalb sie denn auch nicht mit Lungengefässen zu verwechseln sind, dass ferner die beiden Längenäste des letzten Schwärdknotenk; sich auf die Rückenseite begebend, und dem After ausweichend, sich hier dicht an einander legen, und in der mittleren Rinne zwischen den beiden Giftorganen endigen. Augen. ’ Den Verlauf der Augennerven für die beiden grös- 64 Beiträge zur Anatomie des Scorpions. seren Augen, auf der Oberfläche der Brust habe ich schon angegeben. Ich will hier nur noch erwähnen, dass sie in ihrem senkrechten Verlaufe nach oben an ein Bändchen jederseits befestigt sind, und dass sie in ihrem fast parallelen Fortgange die dünne Speiseröhre da, wo sie sich über das Gehirn nach dem Munde be- giebt, zwischen sich haben. Tireviranus spricht den Scorpionen mit Unrecht mehr als 2 Augen ab. Sie ha- ben sämmtlich ausser den grossen Augen auf der Brust wenigstens noch 6 kleinere Augen am vorderen Rande des Bruststücks oder Kopfes, 3 auf jeder Seite, und einige Arten haben sogar an jener Stelle 10 kleinere Augen, die wieder an Grösse verschieden sind, wie Scorpio oceitanus und Sc. teter mus. entomolog. Berol. Die Sehnerven dieser kleineren Augen sind jederseits zu einem Stämmchen vereinigt, das aus dem vorderen Rande des Gehirns entspringt. Ueber die Structur der grossen und kleinen Augen werde ich nichts sagen, da dieselbe schon in meinem Werke: zur vergleichenden Physiologie des Gesichts- sinnes, nebst einem Versuche über die Bewegungen der Augen und über den menschl. blick. Leipz. 1826. S.316. u. f. auf das Ausführlichste beschrieben, und auf der entsprechenden Taf. VII. Fig. 8, 9., 10., 11. abgebil- det sind. Es genüge hier zu bemerken, dass die Au- gen aller Spinnen, wie die platten kleineren Augen der Insecten, Hornhaut, Linse, Glaskörper und becherför- mige, von Pigment umgebene Netzhaut haben. Berichtigung. In den vorigen Bogen liess Marcel statt Marcet. Beiträge zur Anatomie des Scorpions, 65 Erklärung der Abbildungen. Taf. I. Fig. 3. Der Fettkörper mit seinen Fortsätzen im fri- schen oder wohlerhaltenen Zustande, natürliche Grösse. a. Die Oeffnungen des Fettkörpers für die inneren Fortsätze der äusseren Haut des Fettkörpers und ihre Bänder. b. Die obere Ausbucht des Fettkörpers für das Herz. e. Die männlichen Geschlechtstheile in Vertiefungen des Fettkörpers. d. Die geschweiften Fortsätze des Fettkörpers im ersten Schwanzgliede. g-. Der Hals des Fettkörpers. f. Das Bruststück des Fettkörpers. e, Die Ausbucht für das Brustende des Herzens. h. Längliche Oeffnungen für herabsteigende Gefässe. Fig. 4. Bauchseite der äusseren Haut des Fettkörpers. a. Die Fortsätze, die durch die Oeffnungen des Fettkörpers mit besonderen Bändern zum Rücken aufsteigen, um sich dort wieder mit derselben Haut zu verbinden. db. Das Gewebe dieser Haut. Fig. 5. Das Brustskelet mit dem Gehirn und Rücken- mark, sehr vergrössert. a. Der Wirbel des Bruststücks mit seinen 6 strahligen Schei- dewänden, die mit dem Brustkasten verbunden sind. b. Die Schenkelmuskeln der 4 Füsse, innerhalb der Schei- dewände des Wirbels. c. ec. Das vordere kleine Gehirn und das hintere grosse Ge- hirn in dem vorderen Gefache der Brust, welches dem Kopfe entspricht, d. Eine Vertiefung zwischen den grösseren und kleineren Gehirnlappen. e. Die Kolben des vorderen Gehirnlappens für die Nerven des Zangenpaars. f. Die Nerven des Zangenpaars. g-. Die Nerven der Palpen. h. Die Sehnerven, i. Der erste Tussnerve. k. Der zweite Fussnerve. I. Der dritte Fussnerve, Meckels Archiv f. Anat, u. Phys. 1828. 9 66 x Beiträge zur Anatomie des Scorpiuns. m.Der vierte Fussnerve, n. Brustnerven, vom Gehirn kommend und nicht durch die Brücke tretend. " 0, Das Rückenmark, nachdem es mit anderen Hirnnerven durch die ringförmige Oeffnung des Wirbels getreten. 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. die Rückenmarksknoten, wie sie mit einem besonderen Bande in Verbindung stehen. p. Letzte Nerven. q. Der stumpfe Anfang des besonderen Bandes das sich an das Rückenmark anlehnt, wo es in der Oefinung des Wirbels liegt. r. Das Band in seinem Verlaufe. s. Die Speichelgefässe in die Scheidewand der Brust und des Bauches tretend. t. Die mehrfachen Speichelgänge. Fig. 6. Der Wirbel der Brust von hinten betrachtet, vergrössert. a. Die kreisförmige Oefinung zum Durchtritte des Nerven- systems. b. Die hinteren strahligen Scheidewände zur häutigen Ver- bindung mit dem Brustskelet. c. Die mittleren strahligen Scheidewände zur häutigen Ver- bindung mit dem Brustskelet. d. Die vorderen strahligen Scheidewände zur häutigen Ver- bindung mit dem Brustskelet. e. Fortsatz des Wirbels nach unten zur häutigen Verbin- dung mit dem Sternum. f. ZweiFortsätze nach oben, zum Durchgange der Speiseröhre, g. Zwei kleine seitliche Oeffnungen in dem mittleren Theile. Fig. 7. Das Gehirn und seine Fortsätze, vergrössert. a. Das vordere kleine Gehirn. b. Das hintere grössere Gehirn. c. Vertiefung zwischen dem kleinen und grossen Gehirn. d. Die Kolben des vorderen Gehirnlappens für die Nerven des Zangenpaars. . Die Nerven des Zangenpaars. , Der erste Ast des Nervens für das Zangenglied, für das erste Stück desselben. . Verzweigung des Nervens in den Gliedern der Extremität. h. Die Nerven der Palpen. Ra ms Beiträge zur Anatomie des Scorpions. 67 i. Die Sehnerven der grossen Augen. k. Die äusserst feinen Stämmchen der kleinen Augen am vorderen Kopfrande, 7. Die grösseren Augen der Brust, verbunden. m. Erster Fussnerve, z. seine Zerästelung. o. Zweiter Fussnerve. p. Dritter Fussnerve. q. Vierter Fussnerve. r. Das verlängerte Mark durch die Oeffnung des Wirbels tretend. s. Hirnnerven mit dem verlängerten Marke durch die Oeff- nung des Wirbels tretend, t. Das Rückenmark. u. Der erste Rückenmarksknoten. v. Hirnnerven, die nicht durch die Oeflinung des Wirbels treten. Fig. 8. Die männlichen Geschlechtstheile. a. Der Schlauch. b. Oeffnung nach aussen. ce. Zusammenmündung des samenabsondernden Gefässes und der kleineren Hülfsdrüse in den Schlauch. d. Die Hülfsdrüse. e. Das gewundene samenabsondernde Gefäss mit seinen Communicationsgängen. Fig. 9. Die Giftdrüse des Schwanzgliedes. a. Der Muskel der Giftdrüse der einen Seite, b. Die Giftdrüse selbst der anderen Seite. ce. Die paarigen Ausführungsgänge der Giftdrüsen in den Stachel. Fig. 10. Die geöffnete Giftdrüse mit ihren Längen- falten. Taf. II. Fig. 11. Die von dem Stigma mit einem Bläschen ent- springende fächerförmige Lunge, vergrössert. a. Der Rand des Stigma, b, Das Bläschen, welches von dem Rande des Stigma all- seitig entspringt, 5 ” 68 Beiträge zur Anatomie des Scorpions. c. Die fächerförmige Lunge, eine Fortsetzung des Bläschens in ihrer natürlichen Lage auf der einen Seite des Stigma. Fig. 12. Dieselbe Lunge, durch das Stigma aufgebla- sen, mit entwickelten Fächerplatten, vergrössert. Fig. 13. Durchschnitt des Stigma und der Lunge, ver- grössert. .a. Der Rand des Stigma. b. Die eine Wand des Bläschens, welches vom Rande des Stigma entspringt, die Oeflnung bedeckend. ec. Die andere Wand des Bläschens, auf dem Skelet auflie- gend. d. Die fächerförmige Lunge, eine Fortsetzung des Bläschens. Fig. 14. Kamm eines weiblichen grossen Scorpions von brauner Färbung. Fig. 15. Kamm eines männlichen grossen Scorpions von heller Färbung und ganz feinen und dünnen Scheeren. Fig. 16. Weibliche Geschlechtstheile, befruchtet, in natürlicher Grösse. a. a. a. a. Das mittlere eigentliche röhrenförmige Gefüge des Eierstocks, zwei Seitenröhren, in der Scheide zu- sammenkommend, eine mittlere und 4 Paar verbindende Querröhren. b. b. b. b. Blinddarmähnliche een oder nach der Be- fruchtung entstandene Auswüchse aller Röhren, die Ei: dungsstätte der Embryonen. e, ec. e, Stellen, wo die Blinddärmchen abgerissen sind. Fig. 17. Ein Blinddärmchen, besonders dargestellt. a. Der Stiel, welcher mit der Röhre des Eierstocks in Ver- bindung steht, und eine knotige Anschwellung vor der Anschwellung hat. b. Die Anschwellung, in welcher der Embryo liegt, von der convexen, in der Mitte gefurchten, an den Seiten ge- zähnten Seite gesehen. c. Das verlängerte blinde Ende, Fig. 18. Ein Blinddärmchen aus früherer Zeit der Ent- wickelung. ee ee ee nn — Beiträge zur Anatomie des Scorpions, 69 Fig. 19. Ein Bündel Blinddärmchen aus sehr entwickel- tem Zustande, fast ausgebildete Embryonen enthal- tend, vergrössert. a. a. a, Die Stiele, in welche der Schwanz des Embryo ragt. b. Die Erweiterungen, in welchen die Embryonen. ec. Blinde Enden, in welche die vordere Röhre am Kopfe des Embryo ragt. d. Zerrissener Stiel, mit sichtbarem Schwanze des Enıbryo. Fig. 20. Ein Blinddärmehen mit zerrissenem Stiele, so dass der Schwanz des Embryo frei aus der Erweite- rung heraussieht, vergrössert. a. Der Schwanz des Embryo, b. Die Erweiterung, in welcher der Körper des Embryo. c. Das blinde Ende, in welchem die vordere Röhre am Ko- pfe des Embryo liegt. Fig. 21. Ein Embryo aus der Hülle des Blinddärm- chens ganz herausgenommen, vergrössert. a, Die Röhre am Kopfe oder Bruststücke des Embryo, wel- che in dem blinden Ende des Blinddärmchens liegt. Fig. 22. Das Herz, der Darmk., mit dem besond. Gefäss- systeme der einen Seite, von unten gesehen, vergrössert. A. Das Herz. \ B. Erweiterungen desselben, an welchen die flügelartigen Mus- keln des Herzens entspringen. €. Der Darmkanal mit seinen Verzweigungen im Fettkörper D. E. Einmündungsstelle der den Darmkanal begleitenden Gefässe am Ende des Hinterleibes. F. Gefässsystem , welches mit seinem unteren Fortsatze in den Darm ‚am Ende des Hinterleibes einmündet, a. Gefäss, aus dem unteren Theile des Fettkörpers entsprin- gend und mit b. in den Darmkanal vor dem Schwanze einmündend. b. Gefäss aus dem oberen Theile des Fettkörpers, mit a. in den Darm einmündend. - €. €. Aeste aus dem Fettkörper, im mittleren "Theile. d. Abgerissener Ast (mit dem Herzen verbunden, oder aus dem Fettkörper entspringend). e, Verbindungsast mit dem Herzen, an der zweiten flügel- artigen Erweiterung desselben. I} 70 Beiträge zur Anatomie des Scorpions. f. Verbindungsast mit dem Herzen an der ersten flügelarti- gen Erweiterung desselben, g. Grosser Ast aus dem Fettkörper. h. Fortsetzung des Gefässes. i. Zweiter Verbindungsast mit dem Herzen an der ersten Erweiterung. k. k. k. Dreifache Verzweigung in dem Fettkörper aus der Verbindungsschlinge. 1. Gefäss aus der Erweiterung des Herzens ohne Verbin- dung mit den übrigen, mit dem Herzen in den Fettkör- per der Brust tretend und sich dort verzweigend. a Fig. 23. Idealischer Durchschnitt des Hinterleibes. a. Das Skelet mit der inneren Oberhaut. 5. Der Rand des Stigma. e. Das vom Rande des Stigma entspringende Bläschen, wel- ches in die fächerförmige Lunge übergeht. d, Die äussere Haut des Fettkörpers, e. Die inneren Fortsätze derselben durch den Fettkörper. f. Die diese Fortsätze begleitenden Bänder. g. Das Herz. 5 h. Gefässe, welche die Fortsätze f. durch den Fettkörper begleiten. i. Gefässe für den Fettkörper. k. Darmkanal, mit den Verzweigungen desselben im Fett- körper. l. Die seitlichen Gefässe, welche in den unteren Theil des Darms einmünden, ım. Die beiden Bauchmarksstränge, n. Das Bauchmarksband. o. Die Ausführungsgänge der Geschlechtstheile. p. Speichelschlauch, Fig. 24. Idealischer Durchschnitt des Kopftheils der Brust. a. Das Skelet. b. Das Gehirn, e. Dessen äussere Haut, d. Sehnerven der grossen Augen e. f. Bänder, welche diese begleiten, £. Seitenläppcher des Fettkörpers. Mangel des Unterkiefers bei einem neugeb, Lamme. 71 h. mittlere Läppchen des Fettkörpers, mit i. dem Ende des Herzens. k. Speiseröhre. IV. Mangel des Unterkiefers bei einem neu- geborenen Lamme. Mitgetheilt vom Dr. G. Jaırser. (Als Nachtrag zu dem Aufsatze Nr. VII. des 1sten Heftes des Jahrg. 1326. dieses Archivs.) Dieses weibliche Lamm war zu Ende December 1825. geworfen und soll ein Paar Stunden gelebt haben. Die Brust- und Baucheingeweide waren herausgenommen worden, es liess sich jedoch annehmen, dass sie regel- mässig beschaffen gewesen seyen, da die Knochen und Muskeln des Rumpfes und der Füsse keine Abweichung zeigten. Die Haut des Halses aber bildete eine starke Wamme, welche bis unter den Kopf reichte und da- mit beim ersten Anblicke den Mangel des Unterkiefers versteckte. Die in der natürlichen Lage gerade aufge- zichteten und an dem Kopfe anliegenden Ohren bedeck- ten die Augen; der Hinterkopf erschien herabgedrückt, die Nase etwas zugespitzt. Die die untere Seite des Oberkiefers bedeckenden weichen Theile bildeten einen nach unten hervorragenden Wulst, welcher nach vorn eine kleine Spalte übrig liess, in welche eine Her- vorragung der Gaumendecke des Oberkiefers hinein- zagte. Wurde die Wamme abwärts gezogen, so kam ein glatter Wulst zum Vorschein, welcher links und rechts mit der glatten inneren Haut der Ohrlappen und dem Anthelix zusammenhing. Abwärts von ihr bemerkte 72 Mangel des Unterkiefers bei einem neugeb. Lamme, man noch auf der glatten Fläche 2 kleine Hervorragun- gen (kaum von der Grösse einer Wicke), welche nach Abnahme der Haut knorplig erschienen, und welche ein Streifen Knorpelsubstanz verband, so dass sie viel- leicht als die Helices beider Ohren angesehen werden könnten. Die Ohren führten zu keinem äusseren Ge- hörgange. Statt der Muskeln der Ohrlappen bemerkte man nur einige unregelmässige Streifen von Muskelsub- stanz. Nach Entfernung der Haut zeigte sich, dass die untere Wandung des Schädels durch die zusammenge- flossenen Kau- und Schläfemuskeln und eine vordere und untere Lage von Muskelsubstanz, welche etwa dem My- lohyoideus ’entspräche, gebildet war. Die Zahnreihen waren gleichfalls (wie bei dem früher beschriebenen Fetus ohne Unterkiefer) nach innen gekehrt, so dass die Spitzen der Zähne einander beinahe gegenüber stan- den und nur ein schmaler Zwischenraum zwischen ih- nen ‘blieb, der grossentheils durch eine drüsige Sub- stanz, besonders rückwärts, ausgefüllt war. Hinter dem vorhin angeführten Wulst gelangte man in eine Vertie- fung, in welcher man mittelst der Sonde den Knochen fühlte, aber mit dieser weder vorwärts noch rückwärts einen Kanal entdecken konnte. In dem Wulste war ein bogenförmig von einer bulla ossea zur anderen ge- wölbter Knochen (wie bei dem 2ten Lamme p. 73. a, a. O.) enthalten, der etwas beweglich war, und an des- sen äusserer Grenze zu beiden Seiten der processus stiloideus seinen Ursprung nahm. Die proc. stiloidei setzten sich fort in den nach oben blind sich endigen- den Sack, der den Pharynx zusammt der Spur einer Mundhöhle einschloss. Ueber der Vereinigung mit dem Zungenbeine umschlossen nämlich die pfeilförmigen Fortsätze eine Spalte, welche zu einer kleinen, mit 'ei- ner drüsenartigen Substanz bedeckten Höhle führte, auf welcher eine kleine Erhabenheit von der Grösse einer Mangel des Unterkiefers bei einem neugeb. Lamme. 73 Erbse ein Rudiment der Zunge bildete, so wie die kleine Höhle selbst einigermaassen die Mundhöhle vor- stellte. Abwärts fühlte man die Hörner des Zungen- beins. Zwischen ihnen war der regelmässig gebildete Stimmritzendeckel. Die Stimmritze und die Luftröhre wa- ren regelmässig gebildet; auch ging von letzterer oberhalb ihrer Theilung auf der rechten Seite der den Wieder- käuern eigenthümliche rechte Ast ab. Der oben blind sich endigende Sack, in welchem somit die Organe der Mundhöhle, des Rachens und des Kehlkopfes enthalten waren, setzte sich in eine kropfartige Erweiterung des Schlundes, die im aufgeblasenen Zustande eine Lunge von 4 ungefähr, und eine Breite von 24” hatte. Un- ter ihr verengerte sich der Schlund und bog sich etwas zur Seite; der untere Theil desselben war wieder et- was weiter, aber seine Endigung in den Magen fehlte. Das grosse und kleine Gehirn schienen mir in der Form und Grösse nicht von der regelmässigen Beschaffenheit abzuweichen, und die von diesen Theilen entspringen- den Nerven waren deutlich; die Beschaffenheit der an der Seite der Medulla oblongata, oder auf ihrer unte- ren Fläche zum Vorschein kommenden Nerven aber konnte nicht deutlich untersucht werden, was ich um so mehr bedauerte, als gerade bei diesen am ersten eine Abweichung, auch in Absicht auf den Ursprung, zu erwarten gewesen wäre. Durch diese Beobachtung wird die früher in Ab- sicht auf die Verwachsung mehrerer Wirbel gemachte Bemerkung beschränkt, da in diesem Falle eine solche Verwachsung nicht statt fand; andere am angeführten Orte gemachte Bemerkungen dagegen scheinen durch diese Beobachtung bestätigt zu werden, sie giebt aber noch weiter 1) die Bemerkung an die Hand, dass hier zugleich mit dem Mangel des Unterkiefers auch die Entwicke- 74 Beschreibung der Missbildung des linken Vorderf. lung des äusseren Gehörganges fehlte, das äussere Ohr aber, soweit es als blosser Theil der Haut erscheint, ziemlich vollkommen entwickelt war. 2) Mehr noch als in diesem Falle findet in man- chen Missbildungen und in manchen krankhaften Zu- ständen eine solche einseitige Entwickelung eines ein- zelnen Gewebes oder Systems, z. B. der Haut, der Knochen u. s. w., oder eine einseitige abnorme Ent- wickelung verschiedener Systeme eines einzelnen Or- gans, in verhältnissweise gleichem oder verschiedenem Grade, und ohne dass die Beschaffenheit anderer Or- gane darunter nothwendig litte, statt. Man könnte dies Association des Systems oder Gewebes, und Associa- tion des Organs nennen. Trifft beides zusammen, wie z. B. bei der Haut, welche theils als organisches Sy- stem, dessen einzelne Theile als Element verschiedene Organe mit zusammensetzen, theils als einzelnes Organ, dem eine bestimmte Function zukommt, einen grösseren Zusammenhäng hat, so wird ihre Entwickelung auch mehr selbstständig erscheinen, wie sich dies in den Hautkrankheiten hinlänglich offenbart. ’ V. Beschreibung der Missbildung des lin- ken Vorderfusses eines Stierkalbes und der Wirkung von Arsenik und Blau- säure, welche an die missgebildeten Theile gebracht wurden. Von Dr. @. Jaıecer. (Hierzu Kupfertafel 3.) Das sehr grosse Stierkalb soll 3 Wochen über die Zeit eines Stierkalbes u. die Wirk. von Ars, u, Blaus. darauf. 75 getragen worden seyn. Es wurde mit grosser Mühe von der Kuh genommen, nachdem sie 2 Tage lang We- hen gehabt hatte. Das Kalb hatte jedoch dadurch nicht gelitten. Seine Länge betrug von der Spitze der Nase bis zur Schwanzwurzel nach der Krümmung gemessen 4' 1". Die Länge des Schwanzes 1' 3. Die Höhe des Körpers über den Schultern 2' 9', über dem Kreuze 3° Würt. M. Das Gewicht des etwa 10 bis 12 Tage alten Kalbes betrug gewiss 60 Pfund ohne die Haut, welche 8+ Pf. wog. Mit Ausnahme des linken Vorder- fusses waren alle Organe regelmässig gebildet, und die Füsse, insbesondere der rechte Vorderfuss sehr stark, da er das Gewicht des Körpers vorzugsweise tragen musste, und das Gelenk des Unterfusses war sogar durch das Gewicht etwas eingebogen. Das Kalb setzte den rechten Vorderfuss immer etwas weiter voran, und um vorwärts zu gehen, stützte es die Gabel, welche die doppelten Zehen an dem breiten os metacarpi des lin- ken verkürzten Vorderfusses bildeten, ungefähr an die Mitte des rechten Vorderfusses, so dass es nun den linken Hinterfuss leicht vorwärts bewegen konnte, Das linke Schulterblatt war an seinem Spinalrande um 3 breiter als das rechte, und zwar vorzugsweise der hin- ter der Gräthe gelegene Theil desselben, dagegen war es etwas kürzer. Der Oberarmknochen war kürzer und dicker, besonders das untere Gelenksende, auf dessen innerer Seite war das Ellenbogengelenk für die beiden Knochen des Vorderarms, die sogar dünner und kürzer als am rechten Fusse waren. Das os metacarpi dage- gen war bedeutend breiter und dicker, und von der Mitte an nach vorn durch eine tiefe Furche in zwei Hälften getheilt, deren jede wieder in der Mitte der Länge nach die gewöhnlich vorhandene Furche zeigte, nach welcher sich bei dem Fetus die beiden Hälften des 03 melacarpi von einander trennen lassen, An diesem 76 Beschreibung der Missbildung des linken Vorderf. doppelten os metacarpi fanden sich 4 regelmässige Ge- lenksflächen -für die 2 Paare von Zehen, welche zusam- men die oben bemerkte Gabel bildeten. Die sonst nach vorn gerichtete Fläche des os metacarpi war schief nach ‘unten und aussen gerichtet. Auf der äusseren Seite des vorderen Gelenkkopfes des Oberarmknochens war mit einem verdickten Ende ein einfacher dünnerer Vorderarmknochen befestigt, der nach vorn gerichtet war; das einfache os metacarpi aber mit den einfachen Zehen bildete mit jenem einen spitzen Winkel, welchen die nicht deutlich unterscheidbaren (wie es schien blos zwei) ossa carpi ausfüllten, und die Spitze der einfa- chen Zehe berührte beinahe wieder das dickere Ober- armbein. Es wurden zuerst die Muskeln des gesunden Vorderfusses präparirt. Auf der kranken Seite schien der m. latissimus dorsi und der Zrapezius schwächer. Der mit ihm zusammenhängende szernocleidomastoideus und deltoideus hatte die nämliche Stärke, wie der der rechten Seite, er verlor sich auf der äusseren Seite in eine Aponeurose, welche das Ellenbogengelenk des dickeren Fusses und den anhängenden überzähligen Fuss umgab. Der rAombordeus fehlte ganz; er war durch eine dünne sehnichte Haut ersetzt. Das Schulterblatt war durch ein rundes sehnichtes Band, das von der Spitze des Stachelfortsatzes des ersten Rückenwirbels an die Mitte seines Spinalrandes ging, und durch einen Ast des Nackenbandes festgehalten, der über jenes Band wegging und sich an der Mitte der unteren Seite des Spinalrandes des Schulterblatts festsetzte.e. Von dem Rande der oberen Hälfte des Schulterblatts zog sich ein platter dünner Muskel nach den Stachelfortsätzen der nächsten Wirbel, der also als rkomdoideus angesehen werden könnte. Der Pectoralmuskel war auf beiden Seiten gleich; der über ihm liegende, beiden Vorder- füssen gemeinschaftliche Muskel auf der linken Seite eines Stierkalbes u. die Wirk. von Ars. u. Blaus. darauf. 77 nur wenig schwächer, er breitete sich an dem halbmond- förmigen Rande, welchen die weichen Theile zwischen den überzähligen und dem Doppelfusse bildeten, in ein- zelnen sehnichten Strängen fort. Der coracobrachialis hatte den gewöhnlichen Verlauf. Die 3 Abtheilungen des Zriceps waren vorhanden und ausserdem noch die 4te beim Pferde (Cuvier anat. comp. pag. 295.) bemerkte, welche sich mit der Sehne des /atissimus dorsi und des Zeres major verbindet. Der biceps theilte sich an seinem unteren Viertheil, indem der eine Ast sich an dem Zuberculum an der Cubital- seite des radius festsetzte, der andere sich in den klei- neren Fuss mit einem dünnen Aste in einer Sehne sich verlor, in welche noch das Ende des drachialis ınternus verwoben war, und welche sich nach dem 2ten Gelen- ke des kleineren Fusses fortsetzte. Der ewtensor com- munis entsprang einen Zoll unterhalb des Kopfes des Oberarms, wurde sehnicht in seiner Mitte, wo er durch die Rinne auf der äusseren Seite des olecranon herun- terlief, verdickte sich wieder etwas und ging dann in eine Sehne über, welche sich oberhalb des nur wenig beweglichen Handgelenkes in 2 Sehnen theilte. Die eine ging zu den Zehen der äusseren Hälfte des Dop- pelfusses, um- hier extensor indicis zu werden, wäh- rend der extensor der anderen Zehe durch einen klei- nen Muskel gebildet wird, der auf der hinteren Seite des cubitus entspringt. Die 2te Sehne giebt eine kleine Sehne seitlich an die ossa@ carpi, bis zur Basis des ge- meinschaftlichen ossis metacarpi ab. Die. Hauptsehne geht vorwärts und theilt sich somit als extensor com- munis für beide Zehen. Ein auf der hinteren Seite des eubitus entspringender Muskel ist als ewtensor indieis, und ein 2ter als extensor digiti minimi anzusehen. Der verhältnissweise starke cubitalis externus? ging von der inneren Seite des olecranon an das os 78 Beschreibung der Missbildung des linken Vorderf. pisiforme? das im Winkel des Gelenkes beweglich war. An dasselbe setzte sich der vom inneren Condylus ent- springende flewor sublimis, der zu dem 2 inneren Ze- hen vorzugsweise ging, so doch, dass er vor seiner Theilung mit dem, für die 2 äusseren Zehen bestimm- ten, flexor sublimis verwebt war, welcher ebenfalls bis zum unteren Ende des os metacarpi zum Theil musku- lös war. Im Winkel des Handgelenkes setzte sich die- ser an einer sehnichten Masse fest, welche auch den folgenden Muskeln zum Theil zur Anheftung diente. Der oberhalb dieser Anheftungsstelle befindliche Mus- kelbauch des flevor sublimis der Zehen der äusseren Fusshälfte entsprang von der inneren und hinteren Flä- che des condylus internus humeri. Auf seiner inneren Seite hing dieser Muskel zusammen mit dem flevor profundus, welcher von der Spitze des olecranon ent- sprang, wo er noch mit dem ». Zriceps zusammenhing. Er lief also in der Mitte zwischen den beiden flex. sublim. herab, löste sich im Winkel des Handgelenkes in eine breite Sehne auf, deren untere Fläche dann wieder in ihrem weiteren horizontalen Verlaufe nach den Zehen muskulös wurde, indem sich hier die m. Zumbricales einmischten, jedoch so mit den Sehnen ver- woben waren, dass sie nicht abgesondert dargestellt werden konnten. Nur zu den inneren Zehen der inne- ren Hälfte des Doppelfusses ging seitlich eine Flechse ab, welche sich am unteren Rande der 2ten Phalanx festsetzte, und als adductor wirkte. Der radialis ex- ternus, oder, wenn man will, inzernus, ging von dem äusseren Condylus des Oberarmknochens bis zu dem Bande im Winkel des Handgelenks und flectirte also das den 4 Zehen gemeinschaftliche os metacarpi; er verlor sich zugleich in eine Sehne, welche den Rand der sehnichten Ausfüllung zwischen den Vorderarmkno- chen des grösseren und überzähligen Fusses ausmachte. eines Stierkalbes u, die Wirk. von Ars, u, Bläus. darauf. 79 Von diesem sehnichten Gewebe aus setzt sich auch eine kleine Sehne an dem inneren Rande des überzähligen Fusses bis zur Zehe als Beugesehne fort, ohne jedoch eigene Muskelfiebern zu haben. Neben dem kopfförmigen Gelenksende, mit welchem der kleine Fuss an dem gemeinschaftlichen Oberarm- knochen eingelenkt ist, entspringt ein kleiner Muskel, welcher an der Sehne des drachialis externus vorbei zum Handgelenk geht, und, dem rad. externus entspre- chend, an der Basis des os metacarpi sich festsetzt. Die Arterie und Vene für den überzähligen Fuss läuft in dem Zwischengewebe zwischen‘ beiden Füssen, und ungeachtet beide die Dicke einer Rabenfeder ungefähr hatten, so liess sich doch kein Nerve als Begleiter der- selben entdecken, so wenig als an dem überzähligen Fusse selbst, oder dem Zwischengewebe zwischen bei- den Füssen. Da nur der Mangel, oder wenigstens die geringere Entwickelung der Nerven an dem überzähligen Fusse schon wegen seiner geringen Bewegfähigkeit nicht un- wahrscheinlich war, und sich also vermuthen liess, dass sowohl die örtliche Wirkung der Gifte, als auch ihre Fortpflanzung auf den übrigen Körper dadurch abgeän- dert werden könnte, so stellte ich 1) folgenden Versuch mit der äusserlichen Anwendung des Arseniks an. Den 31. Jan. Nachm. 34 Uhr wurde an der inne- ren Seite des os metacarpi des überzähligen Fusses die Haut durchschnitten und in einem kleinen Umfange losgetrennt. Der kleine Fuss schien dabei etwas zu zittern, und auf jeden Fall äusserte das Thier durch Zucken des übrigen Körpers deutlich Schmerz, wenn er auch gleich geringer zu seyn schien, als später beim Durchschneiden der Haut des rechten Hinterfusses. Die Wunde war durch Verletzung der unter der Haut liegenden Theile etwas blutig. Es wurde ungefähr eine 80 Beschreibung der Missbildung des linken Vorderf. halbe Drachme weisser Arsenik als feines Pulver in die Höhlung unter der Haut gebracht, und sodann ein ge- höriger Verband angelegt, so dass das Thier mit der Zunge nicht zukommen konnte. Den folgenden und noch mehr den zweiten Tag schien der unterhalb der Wunde gelegene Theil des Fusses etwas angeschwol- len und empfindlicher, die folgenden Tage aber weni- ger, und da nach 5 Tagen kein Einfluss auf den übri- gen Körper bemerklich war, so wurde 2) den 5. Febr. Nachm. 3 Uhr + 28 Min. unmittelbar über der Stelle, in welche:das Arsenikpulver eingestreut worden war, und welche vorher durch Ablösung der Haut blutig geworden war, 6 bis 8 Tropfen weingei- stiger Blausäure (aus einem im Febr. 1817. gefüllten, bisher immer geschlossen gebliebenen Kölbchen) ge- bracht. Von den 3 gesunden Füssen, welche zusam- mengebunden waren, war der hintere rechte feucht von Urin, das Zittern der einzelnen Muskeln desselben, das bald an ihm bemerkt wurde, konnte also vielleicht durch die durch das offene Fenster eindringende kalte Luft veranlasst worden seyn; allein es dauerte fort, die Nase wurde blasser und trockener, das Thier hielt die Ohren öfters länger nach hinten gerichtet; um 3 Uhr + 43 Min. schien auch der Kopf etwas rückwärts ge- zogen zu seyn, und das Zittern der Muskeln des rech- ten Hinterfusses dauerte fort. Da es sich jedoch blos auf diesen Fuss beschränkte, so war zu vermuthen, dass es wenigstens zum Theil durch das Binden der Füsse veranlasst seyn mochte, und wirklich schien auch das Thier, das jetzt losgebunden und auf die Füsse gestellt wurde, gar nicht mehr zu leiden. 3ter Versuch. Es wurden ihm in eine an der ent- sprechenden Stelle des os meiucarpi des rechten Hinter- fusses gemachte Wunde, aus welcher reichlich Blut floss, ebenfalls 6 bis 5 Tropfen derselben Blausäure eines Stierkalbes u. die Wirk, von Ars. u. Blaus. 81 gebracht und‘ ein \/ Verband angelegt. .,Der Fuss fing bald wieder an zu zittern, auch bei geschlossenen. Fen- stern. Das Kalb schüttelte sich stark, wie wenn es der Bande der Füsse .loszuwerden suchte, und zwar noch heftiger 7 Min. später. Es hielt den Kopf ganz ruhig vorwärts gestreckt. .Um 4 U.'+ 10 Min. wurden die Füsse losgebunden. Das Kalb lief umher, schüttelte sich nur. einmal stark, ‚schien. dann aber nicht weiter angegriffen zu ‚seyn. 4ter Versuch. Es wurden daher um 4 U. + 25 Min. demselben 8 bis 10 Tropfen derselben Blausüure in den Mund gegeben. Nach einer Minute erfolgte vor- übergehend eine convulsivische Bewegung des linken Vorderfusses; der Athem wurde beschleunigt, der Kopf rückwärts gebogen. Das Thier öffnete das Maul, streckte die Zunge hervor, brüllte einige Male, der Athem setzte länger aus, wurde tiefer, nur auf Augen- blicke wieder beschleunigter; der Kopf war wieder mehr gerade vorgestreckt; es dehnte 2 Mal den ganzen Kör- per, und um 4 U. + 35 Min. erfolgte der Tod oAne Conyulsionen. An dem os metacarpi des kleinen Fusses fand sich eine fleischig gewordene blutige crusta phlogistica er- gossen, auch schien der Knochen selbst blutreicher. Die Lungen und das Herz waren sehr blutreich, und in den grossen Venenstämmen steckten Pfropfe von schwarzem Blute. Die Nabelarterien hatten gegen ihr vorderes (Umbilical) Ende die Dicke der Spitze eines kleinen Fingers. Der Blutpfropf, der diese Ausdehnung bewirkte, verlor sich aber in der Hälfte ihrer. Länge ungefähr. Die rechte Subclavia entsprang etwas tiefer als die linke, und ihr Durchmesser war etwas ‚kleiner als der der linken. In dem Pansen und der Haube war etwas Heu, welches das Kalb in den letzten Ta- Meckels Archiv f. Anat, u. Phys. 1828. 6 82 Beschreibung der Missbildung des linken Vorderf. gen gefressen hatte, das Ansehen der Eingeweide des Unterleibes war übrigens natürlich. Bemerkungen. 1) Der 2te und 3te Versuch giebt das negative‘ Resultat, dass die Wirkung der Blausäure von der Wunde des gesunden Fusses aus jeglichenfalls nicht bedeutend und nicht merklich stärker war als von der Wunde des missgebildeten Fusses aus, wiewohl der Zu- sammenhang der beobachteten Erscheinungen mit der äusseren Anwendung der Blausäure überhaupt etwas zweifelhaft ist. 2) Dass dagegen die allgemeinen Wirkungen des Ar- seniks von dem missgebildeten Fusse aus geringer wa- ren als in vielen anderen Erfahrungen von einer ähnli- chen äusseren Anwendung, ungeachtet die örtlichen Veränderungen denen ähnlich waren, welche auch. in anderen Fällen beobachtet wurden. Ich muss jedoch bemerken, dass ich bei einem Ziegenbocke, welchem ich ungefähr 16 Gr. weisses Arsenikpulver unter die Haut des Nackens gebracht hatte, zwar verhältnissweise bedeutendere örtliche Veränderungen fand, dass aber das allgemeine Befinden nur in Folge dieser gestört schien, und dass nach dem (am 9ten Tage durch Luft- einblasen in eine Vene am unteren Theile des Hin- terfusses veranlassten) Tode keine Veränderungen der inneren Organe, namentlich des Darmkanals, gefunden wurden, welche sonst auch auf die äusserliche Anwen- dung des Arseniks fast immer beobachtet werden. Es scheint aber aus der Vergleichung der hieher gehörigen Beobachtungen beinahe das Resultat sich zu ergeben, dass in Fällen von schneller tödtlicher Wirkung gerade die örtlichen Veränderungen geringer waren, und dass somit die örtlichen und die allgemeinen Wirkungen ohne Zweifel in einem umgekehrten Verhältnisse zu einander eines Stierkalbes u. die Wirk, von Ars. u. Blaus. 83 stehen dürften. Da jedoch die Menge von Arsenikpul- ver, welche in die Wunde des missgebildeten Fusses gebracht wurde, fast noch einmal so gross war als die unter die Haut des Nackens des Ziegenbocks ge- brachte, und dennoch die örtlichen Veränderungen bei dem Kalbe geringer waren, und keine bestimmten Zu- fälle von Vergiftung eintraten, so wird allerdings wahr- scheinlich, dass der missgebildete Fuss weniger geeig- net gewesen sey, die Wirkungen des Giftes auf den übrigen Körper fortzupflanzen. Inzwischen kommt bei Vergleichung dieser Beobachtungen noch weiter in Be- tracht, dass namentlich Thiere aus der Familie der Wiederkäuer auch grössere Gaben von innerlich gegebenem Arsenik zu vertragen scheinen als andere, namentlich fleischfressende Thiere, und dass also bei äusserlicher Anwendung desselben wohl das gleiche Verhältniss stattfinden könnte, wofür auch wirklich die bisher an- gestellten Beobachtungen zu sprechen scheinen. VI. Ueber die CapacitätderLungen für Luft, im gesunden und kranken Zustande. Von Dr. E. F. Gusr. Heresrt, in Göttingen. Ein Auszug aus einer im November 1827. von der Königl. So- cietät der Wissenschaften zu Göttingen gekrönten Preisschrift, D:. Versuche, welche man bisher zur Bestimmung der Luftmenge, die eingeathmet werden kann, gemacht hat, lassen sämmtlich etwas zu wünschen übrig; einigen der- selben fehlt es an Genauigkeit, die Ausführung ande- rer ist mit zu grossen Schwierigkeiten verbunden, als 6 * 8 _ Ueber die Capacität der Lungen für Luft dass man im Stande wäre, sie oft genug zu 'wiederho- ien, um zu einem sicheren Resultate zu gelangen. Eine kurze. Angabe der Mittel; deren man ‘sich ‘zur Errei- chung jenes: Zieles bedient hat, mag dieses beweisen. Der durch die Anwendung mathematischer ‚Gesetze auf den lebenden menschlichen Organismus viel bekannte Borelli untersuchte blos, wie viel Luft beim ruhigen Athemholen aufgenommen werde.‘ Zur Ausmittelung bediente er sich einer Glasröhre, die 52 Zoll lang war; und 4 Zoll im' Durchmesser hatte; ihr eines Ende wur- de’ in Wasser gesetzt, während er selbst das andere mit den Lippen umfasste, und so viel als möglich eine ruhige. Inspirätion machte. Da nun hierbei das Was. ser nicht bis oben in der Röhre heraufstieg,' so. schloss er, dass beim ruhigen Athmen gewöhnlich keine 14 Cu- bikzoll Luft -eingeathmet würden, wogegen ' gewaltsa- mes -Athemholen wohl einer doppelt so grossen Luft- menge den Eintritt indie Lungen erlaube. Boerhaave schlug vor, man solle sich ganz ruhig in ein Gefäss voll Wasser setzen, um aus dem Stei- gen und Fallen des Wassers, beim‘ Athmen, die Men- ge der eingeathmeten Luft zu erkennen. Jacob Jurin bediente sich einer mit einer Glas- röhre - versehenen Blase, ‚an welche er ein auf einem Tische ruhendes Gewicht befestigt hatte. Nachdem er bei verschlossenen Nasenlöchern sanft in die Blase ge- athmet hatte, senkte er die nun verschlossene. Blase sammt dem Gewichte in ein mit Wasser gefülltes cylin- drisches Gefäss, und merkte das Steigen des Wassers an. Nach 10 angestellten Versuchen fand er, dass die mittlere Luftmenge für jedes gewöhnliche, ruhige Aus- athmen 35 Cubikzoll betrage; da aber durch.die Kälte des Wassers die Luft der Blase verdichtet wurde, so rechnete er noch 3 C.Z. hinzu. Etwas müsse auch der Druck des Wassers auf die Blase und die Verdichtung im gesunden und kranken Zustande; 85 des ausgeathmeten ‘wässrigen Dunstes berücksichtigt wer- den, so dass man im Ganzen auf jede gewöhnliche ru- hige Exspiration 40 C. Z. Luft rechnen könne. Beim stärksten Ausathmen erhielt er 125 C. Z. in einer Secunde; wenn er aber die Exspiration fast: bis zum Ersticken fortsetzte, so erhielt er 220 C. Z. Luft; woraus er schliesst, dass aus den Lungen bei einer gewöhnlichen. ruhigen Exspiration nicht alle Luft ent- fernt werde. Edm. Goodwyn ging von dem Grundsatze aus, dass im Sterben eine. complete Exspiration gemacht werde, und dass die nach dem Tode in den Lungen noch vor- handene Luftmenge, selbst nach dem stärksten Ausath- men, in ihnen übrig’ sey. ‚Diese Luftmenge mittelte er folgendermaassen aus:;Um den oberen Theil des abdo- men, legte er eine Binde, in der Absicht, ‚das Zwerch- fell in seiner Lage, selbst nach der Oeffnung der Brust: zu erhalten; darnach ‚machte er eine. kleine Incision auf beiden Seiten, an der erhabensten. Stelle der Brust, und füllte die Brusthöhle. ganz mit Wasser an, indem er dafür hielt, dass da zwischen dem Brustfelle.und den Lun- gen beim Leben kein: freier. Raum sey, die aufgenom- mene Wassermenge. der'Luft, die:nach dem vollkomme- nen Ausathmen in den Lungen 'sich befinde, gleich ’sey. Der Erfolg. der Untersuchungen war aber verschieden. Von drei Erhängten, die er auf diese Weise untersuch- te, fasste‘ der Zhoraw des ersten 272 C. Z. Wasser, des zweiten 250 .C. Z. und des dritten 262. C. 2. Wasser. ‘ Nachher’ fiel es ihm ein, dass beim Erhängen viel- leicht dem. Tode keine Exspiration' vorher gehe, und also überhaupt alle vor der ‚Operation‘ eingeathmete Luft in den Lungen zurückgeblieben sey, weil.der Strick die Luftröhre zusammendrücke, Er wiederholte deshalb seine Versuche bei den Leichen von 4 natürlichen To- des Gestorbenen, und brachte heraus, dass die Lungen 86 Ueber die Capaeität der'Lungen für Luft des Ersten nur 120, die des Zweiten nur 102, des Drit- ten 90, des Vierten 125 C. Z. Luft nach dem Tode enthalten hatten. Goodwyn hält deswegen 109 C. Z. Luft für die mittlere, nach vollkommenem Ausathmen in den Lungen zurückbleibende Luftmenge. Um zu erfahren, wie viel Luft bei einem jedesma- ligen ruhigen Athemzuge eingeathinet werde, bediente sich Goodwyn eines Gefässes, welches mit 2 Röhren versehen war, deren eine oben im Deckel sich befand, und zum Einathmen aus dem Gefässe diente; die an- dere gebogene Röhre befindet sich an der Seite. An dieses Gefäss wird ein anderes gesetzt, welches, oben offen, mit Wasser gefüllt ist, so dass die nach unten gebogene zweite Röhre des ersten Gefässes in das Was- ser hinein ragt. Wenn nun aus dem ersten Gefässe beim Einathmen Luft in die Lungen hineingeht, so muss eine gleiche Quantität Wasser in dasselbe aus dem zweiten herausgehen. Nachdem er nun bei seinen, mit Hülfe dieses Gefässes angestellten, Versuchen be- rücksichtigt hatte, dass, da das Wasser aus dem einen in das andere Gefäss gegen das Gesetz der Schwere übertrete,' und daher die in freier Luft gewöhnliche In- spirationsanstrengung nicht hinreiche, eine eben so grosse Luftmenge auch aus dem tubulirten Gefässe herauszuziehen, "überhaupt aus dem Gefässe so viel Luft herausgezogen werden müsse, als dem Gefühl nach zum bequemen Athmen erforderlich sey, so nahm er in Folge mehre- rer, bei verschiedenen Menschen angestellter Versuche an, dass gewöhnlich in jedem ruhigen Athemzuge 12 C. Z. Luft von Erwachsenen eingeathmet werden, die aber, durch die Wärme der Lungen ausgedehnt, den Raum von 14 C. Z. ausfüllen. Am Ende verwechselt Goodwyn aber den Zustand der Lungen nach einer vollständigen Exspiration mit dem nach einer gewöhnlichen, natürlichen Exspiration. im gesunden und kranken Zustande. 87 Er behauptet nämlich, dass nach einer gewöhnlichen In- spiration, ausser jenen 109, noch andere 14 C. Z. Luft sich in den Lungen befinden; es würde also der Unter- schied zwischen einer vollkommenen Exspiration und dem Zustande der Lungen nach einer gewöhnlichen In- spiration nur 14 C: Z. betragen. Wie gross die Capa- eität der Lungen überhaupt sey, giebt Goodwyn nicht weiter an. Sonderbar ist es auch, dass dieser‘ Schrift- steller seine ersten an Erhängten angestellten Versuche, mit den letzteren nicht mehr in Uebereinstimmung zu bringen suchte, da doch die Resultate so verschieden ausgefallen waren. Was die Versuche über die Luftmenge, die nach einer vollständigen Exspiration in den Lungen ist, an- langt, so ist die Annahme, dass sie 260 C. Z. be- trage, irrig, ebenso aber auch die andere Meinung, dass nach vollständigem Ausathmen etwa 109 C. Z. Luft in den Lungen wären. Der Hauptgrund des Irrthums liegt darin, dass Goodıyn statuirte, durch eine Zusam- menschnürung .des Unterleibes könne das Zwerchfell durchaus in seiner Lage erhalten werden; letzteres ist aber so beweglich, und hat beim Menschen einaggso grossen Umfang, dass dieser Zweck keinesweges ii das angeführte Mittel erreicht wird. ‚Auf die Stelle, wo die Binde angelegt wird, kommt bierbei viel an; wird sie zu tief angelegt, so müssen die Eingeweide des Un- ‚terleibes gegen die Brusthöhle gedrückt werden, und das, Resultat wird falsch; aber selbst wenn sie gleich „unter den kurzen Rippen angelegt wird, so kann auch hierdurch die Leber, die Milz und der Magen der Brust- ‚höhle entgegen bewegt werden. Auch die Art, wie die Binde angelegt ist, verdient Berücksichtigung, eine zu lose Binde verfehlt ‚ihren Zweck, indem das diaphrag- ma nach Eröflnung des tlorax und während des Ein- giessens des Wassers dennoch herunter weicht; allein 85 Ueber die Capacität der Lungen für Luft selbst eine sehr fest angelegte Binde vermag das dia- phragma nicht vollkommen in seiner Lage und Form zu erhalten, Um hierüber Gewissheit zu erhalten, stellte ich bei einem kleinen Hunde den Versuch an. Einem strangulirten, 9 Wochen alten Haushunde legte ich, nach der Gogdwynschen Vorschrift, eine Bin- de um den oberen Theil des Unterleibes, befestigte in der durchschnittenen Lufiröhre eine messingene, mit einem Hahn versehene Röhre, woran oben eine leere Blase befestigt war. Hiernach machte ich zu beiden Seiten des tlorax eine kleine Incision, und füllte hier- durch die Brusthöhle des auf dem Rücken liegenden Leichnams mit Wasser. ‘Die in den Lungen übrige Luft ging unterdessen in die an der Luftröhre befind- liche Blase über. Es hätte nun die Quantität der Luft in der Blase der in die Brusthöhle hineingeschütteten Menge Wasser gleich‘ seyn müssen, statt dessen fanden sich in der Blase nur 4 C. Z. Luft, während 5: C. Z. Wasser von der Brusthöhle aufgenommen waren. Die Ursache des Unterschiedes schien mir blos in dem Zu- rückweichen des diaphragma ihren Grund zu haben. Goodiwyns Versuche über die Menge der Luft, die bei einem einzelnen ruhigen Athemzuge, nach einer ge- wöhnlichen ruhigen Exspiration aufgenommen wird, sind beim ersten Ansehen viel sorgfältiger angestellt, als die, wovon eben geredet ist; allein es wird im Verlaufe die- ser Abhandlung erhellen, dass jener aufmerksame eng- lische Physiolog auch in dieser Rücksicht ‘nicht das "Wahre erkannte. Robert Menzies bekam bei seinen Untersuchungen ein ganz anderes Resultat. Er untersuchte, wie viel ‘Luft in einer bestimmten Zahl Athemzüge aus einer mit atmosphärischer Luft gefüllten Blase eingeathmet, und wie viel zu gleicher Zeit in eine andere leere Blase im gesunden und kranken Zustande. 89 ausgeathmet wird. Zu wiederholten Malen fand' es sich, dass etwa 40 €. Z. auf jeden Athemzug kamen. Auch die Goodwynschen Versuche über das Luftquantum ei- nes einzelnen Athemzuges machte Menzies nach, allein der Erfolg war so verschieden, dass er diese Methode für wenig passlich erklärt. - " Um endlich seiner Sache ganz gewiss zu seyn, stellte er einen Gegenversuch an, indem er einen Men- schen in einem Fasse befestigte, welches bis an den Hals des Mannes mit Wasser gefüllt war. Aus dem Steigen und Fallen des Wassers während mehrerer, so viel als möglich ruhiger, normaler Exspirationen und Inspirationen erkannte er, wie viel Luft aus den Lun- gen ausgestossen,, oder in dieselben aufgenommen 'wur- de. Aber auch auf diesem Wege fand 'er,' dass’ die mittlere Quantität der ein- und ausgeathmeten Luft ‘beim ruhigen Athmen 40 €. Z. betrage: Obgleich also durch diese Versuche ein Theil der ‘Goodiwynschen widerlegt zu seyn scheint, so nimmt Menzies doch das Resultat eines anderen : Versuches Goodwyns, ohne genauere Prüfung, für richtig an. Er giebt nämlich zu, dass nach einer‘möglichst vollständi- gen Exspiration 109 €. Z. Luft in den Lungen übrig sind. Zu diesen zählt er 70 €. Z., die nach. vorherge- gangener ruhiger Exspiration noch ausgeathmet werden können, ferner das Quantum einer gewöhnlichen Inspi- ration, 40 C Z. hinzu; so dass also nach einer gewöhn- lichen, ruhigen Inspiration 219 C, Z. Luft‘in .den Lun- gen sind. Da nun aber, wie er selbst anführt, nach einer vollkommenen, möglichst starken Inspiration. über ‘200 €. Z. Luft ausgeathmet werden können, ‚so würde, nach den Menziesschen Angaben, die ganze Capacität ‘der Lungen des erwachsenen Menschen wenigstens 319 €. Z. betragen. Abernethy dagegen behauptet, dass er dei seinen 90 Ueber die Capacität der Lungen für Luft Versuchen, möglichst gewöhnliche, normale In- und Ex- spirationen zu machen, immer nur 12 C.Z. ein und ausgeathmet habe, Kite giebt das Maass einer gewöhnlichen Inspira- tion auf 17 C. Z. an; nach einer sehr starken Exspira- tion sollen ‚noch 87 C. Z. Luft in den Lungen übrig seyn, und beim starken Einathmen sollen die Lungen ausser diesen noch über 200 C.Z. fassen können. Hier- aus zieht er zuletzt den Schluss, dass ein Mann von mittlerer Statur 300 C. Z. Luft ein- und ausathmen könne. Dieser Schluss ist aber keinesweges richtig, denn gesetzt auch, es wären nach einer starken Exspiration noch 87 C. Z. Luft in den Lungen zurück, und hierzu würden beim vollen Ehsakbunah,; noch 200 C. Z. hinzu aufgenonimen, so ist die Capacität der Lungen doch erst 287 C. Z.; da es nun aber nicht in unserer Will- kür steht, die 87 C.Z. aus den Lungen zu entfernen, so kann sich die Möglichkeit der willkürlichen Lufterneue- zung nur auf 200 C. Z. Luft beziehen. Jurine bestimmt das Luftquantum einer einzelnen ruhigen Inspiration auf 20 C. Z., wogegen Delamethe- rie nur 4 bis 6 C. Z. annimmt. H. Davy fand durch Versuche an sich selbst, dass er in einer Minute 26 bis 27 ruhige Inspirationen ma- che, und jedesmal ungefähr 13 C. Z. Luft einathme. Nach einer vollständigen Inspiration pflegte er 189 bis 491 €. Z., nach einer natürlichen Inspiration 78 bis 79 C. Z,.und nach einer natürlichen Exspiration 67 bis 68 C.Z. Luft ausathmen zu können. Hieraus erhelle es nun, dass nach einer vollkommenen Inspiration die Lun- gen etwa 254 C. Z., nach einer gewöhnlichen ‚Inspira- tion ungefähr 135 C. Z., nach dem gewöhnlichen Aus- athmen ungefähr 118, und nach dem starken Ausath- men 41 €. Z. Luft enthalten. im gesunden und kranken Zustande. 9 Grösser, als alle Uebrigen, schlägt Bostock die Ca- pacität der Lungen an; er nimmt an, dass nach einer gewöhnlichen Exspiration noch 280 C. Z Luft in den Lungen sind; hierzu lässt er beim gewöhnlichen Ein- athmen 40 C. Z. hinzukommen. Wenn man nun hierzu noch etwa 90 C. Z. Luft, die selbst nach einem ge- wöhnlichen Einathmen aufgenommen werden können, rechnet, so würde die ganze Capacität der Lungen des Menschen 410 C. Z. betragen. @G. Allen und @. H. Pepys untersuchten bei einem menschlichen Leichname, wie. viel Luft in den Lungen überhaupt nach dem Tode zurück sey. Vor der Luft- röhre wurde eine leere Blase vorgebunden, dann die Brust geöffnet; während des traten 31+ C. Z. Luft aus den zusammenfallenden Lungen in die Blase hinein. Die Lungensubstanz wurde nun stark gepresst, und aus der Gewichtsveränderung schlossen sie, dass 59, 554 C. Z. Luft noch darin gewesen seyen. Indem sie nun zugeben, dass vielleicht einige C..Z. Luft beim Versu- che verloren seyen, stellen Allen und Pepys die Mei- nung auf, dass nach dem vollkommenen Ausathmen 108 €. Z. Luft in den gesunden Lungen zu seyn pflegen. Cavallo, der die Zahl der Respirationen beim Men- schen, in einer Minute, nur auf 11 bis 12 angiebt, lässt bei jedem Athemzuge 30 C. Z. Luft aufgenommen wer- den. Nach einer ruhigen Inspiration können 60 €. Z. Luft beim angestrengten Ausathmen 'ausgestossen wer- den, wobei jedoch noch etwas Luft in den Lungen zu- rückbleibe. Ure zog vermittelst einer an der Luftröhre eines Ertrunkenen befestigten, durch eine Lufipumpe ganz von Luft entleerten Glasglocke alle Luft aus den Lun- gen, nachdem der Brustkasten geöffnet war, her- aus; er erhielt 105, 2 C.Z. Luft, ein Resultat, was dem von Allen und Pepys sehr nahe kommt. 92 Ueber;die Capaeität:der Lungen für Luft Endlich ist. auch,noch Adidgaards Meinung zu er- wähnen, der meint, . dass beim: jedesmaligen', ruhigen Athmen' nur '3 C. Z. Luft ‚aufgenommen ‚und entfernt würden, und dass überhaupt allemal nur die Luft der Luftröhre ‚erneuert werde, während die in den Lungen- zellen enthaltene nur sehr langsam erneuert werde. Hier haben wir nun viele Meinungen über die zu verschiedenen Zeiten in den Lungen des erwachsenen Menschen befindliche Luftmenge. Nicht weniger als die zur Untersuchung eingeschlagenen Wege, weichen die darauf begründeten Meinungen von einander ‚ab. Den ein- zigen Davy ausgenommen, haben alle Untersucher immer nur aufein, oder ein Paar Momente der Respiration Rück- sicht genommen. Um aber zu einer genauen Kenntniss der unter verschiedenen Umständen in den Respirations- wegen befindlichen Luftmenge zu gelangen, ist eine öf- tere Wiederholung der Versuche, und Vergleichung des Gefundenen nothwendig. Da dieses nun ‚bisher nicht geschehen ist, so habe ich es nicht für überflüssig. er- achtet, die Resultate meiner Untersuchungen über: die- sen Gegenstand mitzutheilen. Es verdient aber nicht allein die Luftmenge, welche der erwachsene Mann aufzunehmen vermag, unsere. Aufmerksamkeit, sondern auch ‘das Verhalten der Capaeität der Lungen in den verschiedenen Lebensaltern bei beiden Geschlechtern, im gesunden und im kranken Zustande. | ) :Die Wahl: des Instruments, dessen man isch zu diesen ‚Untersuchungen bedient, ist nicht gleichgültig; das erste Erforderniss ist, dass die Menge der von den Lungen aufgenommenen Luft genau dadurch bestimmt werden kann; dann ist es nöthig, dass die Anstellung der Untersuchungen durch das Instrument nicht sehr 'er- schwert. werde, weil sonst die häufige‘ Wiederholung derselben ‚verhindert werden würde; endlich muss eben so gut die Menge der aus-, als die der. eingeathmeten Luft im gesunden und kranken Zustände. ' 93 durch dasselbe’ bestimmt werden können. » Diese drei Bedingungen werden am besten von dem ‚Lungenmes- ser von Kentish erfüllt, und ich wählte: deshalb dieses Instrument als: das passendste. Es besteht das Instru- ment in einer Glasglocke, die Kentish nach ‘ganzen und halben Pinten graduirt hatte. Oben ist dieselbe mit einer Fassung versehen, woran sich ein Hahn be- findet, um nach Gefallen die Glocke ‘oben ‚öffnen oder verschliessen zu können. ‘ In die Fassung 'ist. eine glä- serne gebogene Röhre eingepasst. Wenn nun diese Glocke in eine Schale.mit' Was- ser gesetzt, «und der Hahn geöffnet ist, so kann man durch: die Röhre aus: der graduirten Glocke einathmen, und aus dem Steigen des Wassers mit Leichtigkeit die Menge‘ der eingeathmeten Luft erkennen... Zwar. hat ‚Kentish dieses Instrument schon im Jahre 1814 beschrie- ben !), auch hat er selbst einige Versuche mit dessen Hülfe an Gesunden und Kranken angestellt, allein we der in England, noch bei uns hat die Sache die allge- meine Aufmerksamkeit erregt, und eine Wiederholung und Erweiterung der. Versuche: unterblieb. Kentish behauptet, dass ein gesunder Mann von 5 Fuss 7,'8 oder 9 Zoll Länge, mit einer gut geform- ten‘ Brust, zwischen 8 und 9 Pinten Luft auf einmal ausathmen oder auch einathmen könne. Im kranken Zu- stande kann die Capacität der Lungen bis auf 1 Pinte vermindert werden; so fand er bei einem Phthisischen von 17 Jahren, dass er nur 2 Pinten einathmen konnte, Ein van bronchitis chron. Leidender von 24 J. athmete . 1) An Account of Baths and of a Medeira - House at Bri- stol, with a Drawing and a Description of a Pulmometer: and Cases shewing its Utility in ascertaining the State of the Lungs in Diseases of the Chest, By Edmund Kentish M.'D. p. 117. London, 1814. 94 Ueber die Capacität der Lungen für Luft nur 3 Pinten ein, während jeder von Beiden, nach dem Umfange der Brust, 7 Pinten Luft hätte aufnehmen müs- sen. Dasselbe fand er auch in einem anderen Falle von bdronchitis chronica. Diese Erfahrungen von Ken- tish sind als Beitrag und zur Vergleichung schätzbar, allein genügend sind sie nicht, weil ihre Zahl zu ge- ring und ihre Auseinandersetzung zu unvollständig ist. Da die Rechnung nach Pinten bei uns nicht ge- bräuchlich ist, und das Pintenmaass selbst sehr verschie- den angegeben wird, so liess ich mir eine Glasglocke von hinlänglicher Grösse nach Pariser Cubikzollen gra- duiren; sie fasst 367 C. Zi Hiernach liess ich oben eine messingene Fassung mit einem Hahne, dessen Oeff- nung hinlänglich weit ist, anbringen. Auf dieser: Fas- sung, oberhalb des Hahnes, kann eine Glasröhre auf- geschroben werden, die ich der Bequemlichkeit wegen in Form eines liegenden S() gebogen wählte. Diese Röhre muss so dick seyn, dass sie leicht von den Lip- pen umfasst wird, und hinlänglich weit, damit leicht eine ziemliche Menge Luft durchgehen kann. Die Glocke wird beim Versuche in ein Gefäss mit Wasser gesetzt; dies Gefäss’muss breit und nicht zu hoch seyn, so dass das darin befindliche Wasser den Luftraum der Glocke nicht zu sehr beengt, und das Wasser doch hinreicht, um bei starken Inspirationen die ganze, oder den grössten Theil der Glocke zu füllen. Mit Hülfe dieses Instruments lassen sich die Ver- suche über die Quantitäten der ein- und: ausgeathmeten Luft ziemlich leicht anstellen. Zuerst kann man da- durch die Menge der beim ruhigen Athmen aufgenom- menen oder ausgestossenen Luft bestimmen. Zwar muss man hierbei, da das Wasser schwerer als die Luft ist,’ und gegen das Gesetz der Schwere in der Glocke beim Einathmen heraufsteigen muss, mit mehr Kraft als aus freier Luft, einathmen. Man muss bei diesen Versu- im gesunden und kranken Zustande. 95 chen sich ganz nach dem Luftbedürfnisse, und der beim ruhigen Athmen gewöhnlichen Bewegung der Brust rich- ten. Um nun die gewöhnliche Respiration beim Ath- men durch die Maschine fast vollkommen nachzuahmen, bedarf es bei einiger Aufmerksamkeit nur einer gerin- gen Uebung. - Zweitens kann dadurch bestimmt werden, wie viel Luft nach einer gewöhnlichen Exspiration noch aufge- nommen werden kann. Drittens, wie viel Luft nach einer vollkommenen Exspiration aufgenommen werden kann; dieses geschieht, wenn man so stark als möglich in die freie Luft aus- athmet, und unmittelbar danach eine tiefe Inspiration aus der Glocke macht. Da nun viertens durch dasselbe Instrument die aus- geathmete Luft gemessen werden kann, so wird durch die Vergleichung der Menge der ausgeathmeten mit der eingeathmeten Luft das Resultat um so gewisser. Die ausgeathmete Luft wird gemessen, wenn man das Was- ser sehr hoch in der Glocke heräufzieht, und dann den Hahn schliesst; hiernach athmet man, so viel man kann aus freier Luft ein, und im Augenblicke der höchsten Inspiration wird die Röhre mit den Lippen gefasst und alle Luft, die ausgeathmet werden kann, in die Glocke hinein gehaucht, und der Hahn von neuem geschlossen. Endlich kann auch dadurch gefunden werden, wie viel Luft nach dem Tode in den Lungen zurück ist. Dieses geschieht, wenn man in die Luftröhre eine mes- singene, mit einem Hahn versehene Röhre vorsichtig hineinbindet. Hiernach werden die Lungen, mit der Luftröhre und der darin befindlichen Röhre, die durch den Hahn geschlossen ist, aus der Brust heraasgenom- men. Die geschlossene Röhre wird dann auf den Pneu- mometer, von welchem die gebogene Glasröhre ent- fernt ist, aufgeschroben,, nachdem vorher das Wasser 96 Ueber‘ die Capaeität.der Lungen für Luft hoch :in dem. Pneumometer heraufgezogen ist;,'wo..es durch: die Schliessung des Hahns auf seinem: Ständpuncte erhälten wird. Nachdem aber die Lungen: vermittelst der..in der. Luftröhre befindlichen Röhre an’ ‚dem ‚ge- schlossenen, Pneumometer befestigt sind; wird ‘durch Umdrehung der beiden Hähne (am Pneumometer und der Röhre: in der Luftröhre‘). die Communication frei gemacht; die äussere Luft drückt 'auf die,Lungen, "die Lungen selbst suchen sich ihrer Luft zu entledigen, dasWas- ser: im Pneumometer 'drückt..durch ‚seine Schwere nach unten, und sucht ‚mit dem niedriger stehenden, umge- benden Wasser ausserhalb des Instruments seinen Stand auszugleichen..; Durch ‚das: Zusammentreten dieser Um- stände dringt die Luft aus den Lungen, ohne alle an- dere Beihülfe, so vollkommen’ in den Pneumometer hin- ein, dass’ nur in.den feinsten Luftzellen ein wenig Luft zurückbleibt. So möchte also, was das Mittel zur Be- stimmung der. Capacität der Lungen für Luft anlangt, wohl wenig mehr zu wünschen übrig bleiben. Auch im kranken Zustande kann man.durch das- selbe Instrument einigermaassen die Capacität der Lun- gen ‚erkennen. Wir wollen jetzt die einzelnen Raumyeränderungen der Lungen genauer untersuchen. 1. Von der beim ruhigen Athmen aufzuneh- menden und auszustossenden Luftmenge. -- Beim ruhigen Athmen befinden sich die Lungen in einem. ‚Mittelzustande ‘zwischen der stärksten Exspira- tion und der tiefsten Inspiration; in den Lungen befin- detsich eine beträchtliche MengeLuft , diese wird aber beim einmaligen. Ausathmen nicht ganz aus ‘ihnen entfernt, sondern nur dem kleinsten Theile nach, und beim näch- sten Einathmen wird die ausgeathmete Luft, durch eine gleiche Quantität neuer Luft ersetzt; es, wird also die | N I im gesunden und kranken Zustande. 97 Luft der Lungen nur allmälig, durch mehrmaliges Ath- men erneuert. Um nun zu erfahren, wie viel Luft jedesmal auf- genommen wird, liess ich zuerst mehrere Personen (meistens der Mediein Beflissene, die die Einrichtung des Instruments kannten, und denen selbst an der sorg- fältigen Anstellung der Versuche gelegen war) nach ein- ander aus dem Pneumometer einathmen, so dass sie sich aber nicht mehr anstrengten, als wenn sie in freier Luft athmeten. ‘Der Erfolg war, dass nur 4 bis 6 C. Z. jedesmal eingeäthmet wurden. Wenn diese 'Versu- che einige Male wiederholt waren, empfanden sie ein lästiges Gefühl in’ der Brust, welches sie einige tiefe Inspirationen zu machen nöthigte. Der Grund davon war, dass sie durch die gewöhnliche Anstrengung, we- gen des Widerstandes des aufsteigenden Wassers, zu wenig Luft aus der Glocke einathmeten. Als sie aber danach so tief athmeten aus der Glocke,“wie ihnen, ihrem Gefühl nach, nöthig schien; stellte sich jenes lä- stige Gefühl nicht weiter ein; zugleich ahmten sie bei diesen Versuchen die gewöhnliche Bewegung des Brust- kastens nach. Der Erfolg war verschieden; einige, die kleiner als das gewöhnliche Maass waren, athmeten 16 bis 18 C. Z. jedesmal ein; andere, von gewöhnlicher Grösse nahmen 20 bis 25 C.,Z. auf, womit ‘meine Er- fahrungen an mir selbst übereinstimmen. Ich bin aber um so mehr von der Richtigkeit dieser Versuche über- zeugt, da die Versuche über die Menge (der exspirirten Luft ganz dasselbe Resultat geben; letztere lassen sich um‘ so leichter und genauer anstellen, da man sich da- bei ganz seinem eigenen Gefühl überlassen darf, da. der Druck des Wassers nach unten die. Exspiration noch begünstigt. Zuletzt liess ich dieselben Leute, ohne ab- zulassen, aus dem Pneumometer einathmen, und auch in denselben ausathmen; indem sie''so viel als möglich Meckels Archiv f. Anat. u. Phys. 1328. 7 95 Ueber die, Capaeität der Lungen-für Luft zubigizü ‚athmen suchten; auch diese: Versuche‘, gäben den vorhergehenden Bestätigung, so dass es mir gewiss scheintsi.dass jerwächsene, gesunde. Männer, -von ge- ‚wöhnlichem.,Körperbaus: bei den) einzelnen. ruhigen Athemizügen 20 bis ‚25:.C. Z. Luft einathmen und eben ‚so. .viel;/ausathnien; ‚Personen ‚aber, die ı von: kleinerem Wuchse; sind; ‚athmen etwas weniger;,16 bis 18.C,)Z. ‚gin.o.,Dieses, Luftquantum ‚scheint „auch am meisten.in "Verhältnis: zu«stehen zu,der Luftmenge, die beim. 'ge- wöhnlichen- Athmen überhaupt in, den Lungen! ist; es ‚steht jungefähr in der ‚Mitte ‚zwischen. den ganz kleinen ‚Angaben, wonach jedesmal nur ‚ein unbedeutender-Theil der; Luft jausi.den, Lungen, erneuert, wird, und den gros- sen. Angaben von Meuzies, wonach das „gewöhnliche ‚Quantum. der: inspirirten Luft-40:C. 2. beträgt: "hierbei ‚müsste... die/ Raumveränderung \der' Brust beim. ruhigen Athmen viel grösser! seyn, als sie, | wirklich ‚ist. -Ich versuchte,‚ayehl;eine Zeit lang abwechselnd 40 C. Z, Luft ein-.und äuszuathmen , aber dies !geschah nicht ohne zu rer are ’ 1) 2% Ueber die Capacität der Lungen beim ge- ® +“ gunden Menschen. -ı Die Vermashe: “über die Cäpneität ewi lass der gesunden Menschen'stellie ich gemeiniglich' so an;däss ich zuerst untersuchte, "wie viel Luft noch 'ausser der beit'ruhigem 'Athmen in» den 'Lungenbefindlichen,,'so- wohl:nach dem gewöhnlichen Ausathmen; als nach dem ruhigen Einathmen aufgenommen'werden konnte.! ‘Wenn | dieses: durch “mehrere Versuche ausgemittelt war, 806 liess ich’ eine recht starke Exspiration in die“freie Luft machen , und darauf eine recht: tiefe Inspiration aus.dem Pneumometer folgen’ ‘Von selbst versteht es "sich, dass ich bei der Anstellung aller dieser Versuche ,"weder im gesunden und kranken Zustande. 99 Zeit noch Mühe sparte, um genaue und sichere. Re- sultate zu erhalten. ' Das Athmen wird dem Menschen von seiner Ge- burt an sehr geläufig, Abweichungen im Respirations- geschäfte treten in den verschiedenen Lebensverhältnis- sen so häufig ein, und sind zum Theil so sehr will- kürlich, dass man einem erwachsenen, verständigen Menschen wohl zutrauen sollte, dass er, nach einmali- ger Beschreibung des Vorganges ‚das Experiment gleich ganz ‘genau anstellen könnte; ich erfuhr jedoch sehr häufig das Gegentheil, und nur bei’ der grössten Auf- inerksamkeit von meiner Seite auf die‘oft wiederholten Versuche gelang es’ mir das Rechte zu finden. Als Ge- genversuch liess ich dann aus freier Luft recht'tief ein- athmen, und eine starke Exspiration in den mit Was- ser angefüllten: Pneumometer machen. Diese Art des Versuches gelang Vielen besser, als die erstere, weil hier‘ das Streben des Wassers herabzusteigen die Ex- spiration erleichtert, während eben ‚die Schwere des Wassers ein, wein auch nur geringes, ‚Hinderniss' bei der. Inspiration ist. Häufig wären die Quantitäten der eingeathmeten und der ausgeathmeten Luft ganz gleich, was als eine Art von Bestätigung‘. der Richtigkeit des Gefundenen angesehen wurde, ‚da dieses nur ‚Statt ‘fand, wenn die. Versuche. ‚sehr sorgfältig angestellt‘ waren, aber nicht bei einem Mangel an Genauigkeit oder an- deren. Versäumnissen, 1) Ein junger Mann, 22 Jahre alt, 5 Fine! la 10 Zoll hoch, gut gebaut, von mittelmässigen‘ Kräften, konnte nach einer starken Exspiration 160 €. Z. Luft einathmen; ein ‘Jahr darauf athmete.-er das erste Mal 173, das zweite Mal: 184 C. Z.ein, über diese Quan- titäten kam er nie ‚hinaus. Nachher.liess ich ihn nach einer starken Inspiration in die Glocke ausathmen; beim essten Versuche hauchte er ‚180, beim zweiten 172, 7% 100 Ueber die Capacität der Lungen für Luft beim dritten 183 C. Z. Luft aus. Da’er die Versuche sehr sorgfältig gemacht hatte, und die Exspiration der Inspiration so sehr gleich kam, er auch vergeblich sich bemüht hatte, grössere Quantitäten ein- und auszuath- men, so zweifelte ich nicht, das rechte Maass gefunden zu haben. 2) Ein junger Mensch von 19 Jahren, von. zartem Körperbaue, von nicht viel Körperkraft, mit schmaler Brust, konnte nach starker Exspiration nicht mehr als 90 €. Z. Luft einathmen; nach jeder Anstrengung, und auch schon nach einmaligem Einathmen aus dem Pneu- mometer war er ermattet, ‘obgleich gerade keine Zei- chen eines wirklichen Leidens an ihm bemerkt wurden. 3) Ein junger Mensch von 16 Jahren, 5 Fuss 2 Zoll hoch, mit guten Kräften, dessen Brust im Umfange, un- ten 28, oben 29 Zoll mass, konnte ohne vorhergegan- gene Exspiration 70 C. Z. aufnehmen, nachdem er eine gewöhnliche Exspiration gemacht hatte 92 C. Z. Nach ‚der stärksten Exspiration variirten die aufgenommenen Luftmengen zwischen 118 bis 160 C. Z.. Der Unter- schied rührte daher, dass er anfänglich die Versuche weniger genau machte. 4) Wie viel eine unbequeme Kleidung das freie Athmen beschränkt, zeigte mir das Beispiel eines jun- gen Menschen von 20 Jahren, von mittlerem Körper- baue, der ohne vorhergegangene Exspiration 80 C. Z. einathmete, als aber die engen Kleider gelöst waren, 406€. Z. Luft einathmen konnte. Nach einer gewöhn- lichen Exspiration athmete er 126 €. Z. Luft ein; nach der stärksten Exspiration 182 bis 186 C. Z. Nach starken Inspirationen stiess er 180 C. Z. Luft aus. 5) ‘Die Beengung des Athmens durch zu enge Klei- der zeigte sich auch ein’ anderes Mal sehr auffallend. Ein junger, starker Mensch von 21 Jahren, 5 Fuss und | 8 Zoll gross, mit breiter Brust, konnte, ohne vorher ' | Il | | 1 | im gesunden und kranken Zustande, 101 exspirirt zu haben, nur 50 €. Z. einathmen, und nach einer starken Exspiration 130 C. Z. Als aber die sehr eng anschliessenden Kleider gelöst waren, athmete er ohne exspirirt zu'haben 96 C. Z. und nach einer star- ken Exspiration erst 186, dann 190 C. Z. ein; ebenso viel hauchte er auch nach der Inspiration in den Pneu- mometer aus, Bei kleineren Personen ist auch gemeiniglich der Umfang der Lungen geringer. 6) Ein Mensch von 23 Jahren, 5 Fuss und 2 Zoll gross, der keine grosse Muskelkraft hatte, konnte ohne vorhergegangene Exspiration anfangs nur 36 C. Z., all- mälig aber bis 60 C. Z. Luft aufnehmen; nach einer starken Exspiration aber nie über 144 C. Z., obgleich die Versuche mehrere Tage nach einander erneuert wurden, 7) Ein Jude, 22 Jahre alt, klein und an Muskelkraft ‘schwach, konnte nach dem gewöhnlichen Ausathmen nur 60 bis 70 C. Z. und nach dem stärksten Ausathmen nur zwischen 102 und 118 C. Z. einathmen; nach starkem Einathmen athmete er 120 C. Z. Luft aus. Sehr dicke Leute, selbst wenn sie eine breite Brust zu haben schei- nen, kommen gewöhnlich leicht ausser Athem; die Ca- pacität der Lungen fand ich mehrere Mal geringer als die normale. 2 8) Ein Mann von 27 Jahren, 5 Fuss und einige Zoll hoch, sehr wohl beleibt, der nie an der Brust ge- litten hatte und gesund war, athmete ohne vorherge- gangene Exspiration 80 C. Z., nach derselben 100 C. Z., nach einer starken Exspiration 138 C. Z. Luft ein; nach einer starken Inspiration athmete er 140 C. 2. Luft aus. 9) Ein anderer, sehr dieker Mann, 30 Jahre alt, von gewöhnlicher Grösse, ganz gesund, nahm ohne vor- herige Exspiration 80 C. Z., nach starker Exspiration 140 C. Z. Luft aus dem Pneumometer ein, und ebenso 102 Ueber die Capaeität der Lungen für Luft viel athmete er nach einer starken Inspiration aus freier Luft aus. Grössere Personen können häufig eine grössere Menge Luft! in die Lungen aufnehmen, doch richtet sich dieses nicht allein nach der Grösse des ganzen Körpers, sondern häuptsächlich nach dem Umfange der Brust, und auch sehr nach der Grösse der Muskelkraft. Wenn mehiere Leute, von gleichem Alter und fast glei- chem Unifange des Körpers Versuche anstellten, so fand es sich immer, dass die stärksten unter ihnen 10 bis 20.C. Z. Luft mehr ein- und ausathmen konnten, als die anderen, die übrigens ebenso gesund waren. 10) Ein junger Mann von 23 Jahren, 6 Fuss gross, mit breiter Brust und grossen Muskeln, athmete ohne vorhergegangene Exspiration 100 C. Z. Luft ein; nach der vollständigen Exspiration aber 232 C. Z. 11) Die grösste Menge Luft konnte ein Mann von 25 Jahren und mittlerer Grösse, der eine breite Brust, grosse und starke Muskeln hatte, aufnehmen. Ohne vorhergegangene Exspiratien nämlich 140 C. Z., nach einer starken Exspiration 240 C. Z., nach starkem In- spiriren athmete er 240 oder 244 C. Z. Luft aus. So wie der Umfang der Brust, so ist auch die Ca- pacität der Lungen bei Kindern viel geringer als bei Erwachsenen. Dies ist zwar sehr natürlich; da man je- doch darüber keine hestimmten Erfahrungen bis jetzt besitzt, so will ich auch hierüber einige Versuche mit- theilen. 12) Ein Knabe von 15 Jahren, von kleiner, aber gedrungener Statur, athmete nach einer starken Exspi- ration 96 C. Z. Luft ein, und ebenso viel athmete er, nach einer vollen Inspiration in den Pneumometer aus. 12) Ein anderer Knabe von 43 Jahren, der aber eben so gross als der 1öjährige , jedoch weniger stark | war, konnte gleichfalls 96 C. Z. Luft aufnehmen. | | EEE EEE EEE im gesunden und kranken Zustande. 103 14) Ein Knabe von 11 Jahren athmete, ohne’ vor- her exspirirt zu haben, 30 C. Z. Luft ein, nach einer starken Exspiration aber 66 C. Z/, und ebenso viel konnte er nach der vollen Inspiration ausathmen. Was die Bespirationsorgane ‘des weiblichen Ge- sehlechts betrifft, so ist es zwar 'bekannt, dass sieüber- haupt von ‘geringerem Umfange als beim Manne sind, jedoch mangeln auch’ hierüber genauere Bestimmungen. Ich liess deswegen mehrere Frauenzimmer Versuche mit dem Prenmönieter anstellen. 45) Ein Mädchen von 18 Jahren, das zteiniäh gross, aber nicht besonders stark war, die vor mehreren Jah- ven durch einen 'sehr heftigen, mit Schmerz und Aus- wurf begleiteten Husten sehr gelitten hatte, deren ’Ge- sundheit jedoch zeither sich so sehr gebessert hatte, dass keine Symptome eines tieferen Leidens bemerklich wa- ren, athmete olıne vorhergegangenes Ausathmen 46 C. 7. Luft ein, nach dem vollen Ausathmen aber 98°C. Z., nach starkem 'Inspiriren athmete 'sie aber 106 C. Z. Luft aus. 16) Ein Mädchen von 19 Jahren, mittlerer "Statur, athmete ohne vorgängige Exspiration 60 C. Z. Luft ein, nach derselben 115, nach starker Inspiration 'wurden 120 €; Z. Luft ausgeathmet. 4 Robuste Frauen von einigen 30 Jahren pflegten’oh- ne vorhergegangene Exspiration' 60 C. Z., nach''vorher- gegangener gewöhnlicher Exspiration’ 90, nach starker Exspiration 130 bis 144 C. Z. Luft einzuathmen. Durch jene grossen Quantitäten Luft "müssen die Lungen sehr ausgedehnt werden; um nun zu sehen, ob die Lungen selbst einer noch ‚stärkeren Ausdehnung Widerstand leisteten, ihre Capacität also wirklich>nicht grösser sey, oder ob die Aufnahme einer grösseren "Menge Luft allein durch den Widerstand der Wände der Brusthöhle verhindert werde, blies ich die aus der 104 Ueber die Capacität der Lungen für Luft Brust herausgenommenen gesunden Lungen von Erwach- senen, die in Folge mechanischer Verletzungen gestor- ben waren, 24 Stunden nach dem Tode auf. Die Lun- gen wurden so sehr ausgedehnt, als. ich, ohne Zerreis- sung zu bewirken, es thun zu dürfen glaubte; allein in keinem Falle enthielten sie dann über 186 C. Z. Luft, obgleich man ihre Capaeität im Leben, nach dem Um- fange des thorax auf mehr als 200 C.,Z. geschätzt. ha- ben würde. Dies beweist, dass man von der ‚Capacität der Lungen nach dem Tode wenigstens einigermaassen auch auf die der lebenden Menschen schliessen darf. Die Capaeität der Lungen eines 7 Tage alten Knaben, von gewöhnlicher Grösse, der bei der Geburt 7 Pfund gewogen hatte, betrug 8 C. 2. Bei Thieren fand sich im Verhältnisse des Gewichts derselben die Capacität der Lungen grösser als beim Menschen. Die Lungen einer 20 Wochen alten Katze fassten 9 C. Z. Luft; die Capacität der Lungen ausge- wachsener und alter Katzen fand ich immer zwischen 20 und 24 C. Z. betragend. Ein junger Hirtenhund von 5 Wochen hatte nur 4C.Z. fassende Lungen. Sechs Tage später wurde ein anderer Hund von demselben Wurfe untersucht, die Lun- gen fassten schon 6 C.Z.; nach anderen 6 Tagen wur- de ein dritter getödtet, denen Lungen 7 C. 2. Luft aufnahmen. Die Lungen eines mittelmässig grossen Dachshun- des, der 12 Pf. wog, nahmen 38 C. Z. Luft, bei star- ker Ausdehnung, auf. Ein. grosser, starker Bauerhund, der ein Jahr alt war, und 35 Pf. wog, wurde getödtet, ‚seine Lungen nahmen bei mittelmässiger Ausdehnung 74 C. Z., bei . stärkerer 80 C. Z. und endlich 90 C. Z. Luft auf. Was endlich die Capacität der Lungen im krank- haften Zustande betrifft, so ist es leicht einzusehen, dass im gesunden und kranken Zustande. 105 hier die Verschiedenheit noch viel grösser seyn müsse als beim gesunden Menschen. Die Ursachen, die be- wirken, dass die Lungen weniger Luft als gewöhnlich aufnehmen, können sehr verschieden seyn, die aber auf- zuzählen und zu würdigen hier nicht der Ort ist. Es mag hinreichen anzuführen, wie sehr sich die Capaci- tät der Lungen bei Kranken in unseren Versuchen ver- zingert zeigte. Ein Mensch von 19 Jahren, ziemlich gross, schlan- ker Statur, mit schmaler und platter Brust, der seit 7 Monaten abwechselnd an Herzklopfen, erschwertem Athmen, Hüsteln, Schmerzen in der linken Brust u. a. m. gelitten, konnte ohne vorherige Exspiration nur 30 €. Z. Luft einathmen, und nach der stärksten nicht über 90 C. Z. Wäre er gesund gewesen, so würde er gewiss 140 bis 160 C. Z. haben einathmen können. Ein Mann von 44 Jahren, von gewöhnlicher Sta- tur, der seit langer Zeit an der angina pectoris litt, athmete ohne vorhergegangene Exspiration 55, nach starkem Ausathmen 96 C. Z. ein, und nach starkem Einathmen 110 €. Z. aus. Ein Mann von 36 Jahren, der an allen Symptomen der declarirten Lungenschwindsucht litt, konnte nach möglichst starkem Ausathmen nur 42 C. Z. aus dem Pneumometer einziehen. Ein Mädchen von 21 Jahren, das, bei zartem, klein- lichem Körperbaue, einige Zeit an den Symptomen der phthisis pulmonalis gelitten, wo aber allmälig Husten und Schmerzen nachgelassen hatten, und nur noch das kurze Athmen zurückgeblieben war, athmete, ohne zu- vor exspirirt zu haben, 26 €. Z. ein, nach starkem Aus- athmen 46 C,Z., und nach starkem Einathmen athmete dasselbe 50 €. Z. Luft aus. Aehnliches fand ich öfter in ähnlichen Fällen, wo also die Capacität der Lungen bedeutend vermindert war und auch blieb, und dabei 106 Ueber die Capaeität der Lungen für Luft doch das Leben fortdauerte. Man könnte aber glau- ben, dass vielleicht die . Personen, "wenn: 'sievgewollt‘ hätten, eine grössere Menge Luft einzuathmen im Stan- de gewesen wären. ‚Ich habe mieh aber durch mehrere Untersuchungen der Lungen von Personen, die einst an: den Respirationsorganen gelitten hatten, bei denen aber blos noch Kurzathmigkeit zurückgeblieben war, und die an Krankheiten, die mit den Lungen in keiner Gemein- schaft gestanden, starben, überzeugt, dass in solchen Fällen die wahre Capacität der Lungen nicht grösser ist. Hiernach. bliebe nur noch auszumachen übrig, wie gross die Capacität der Lungen überhaupt ist. Wirha- ben durch Versuche ausgemittelt, wie viel Luft ein ge- sunder Mensch, nach vorhergegangenem möglichst star- kem Ausathmen, einathmen kann. Es bleibt aber nach der stärksten freiwilligen Exspiration noch Luft in den Lungen zurück, deren‘ Quantität zur Bestimmung der ganzen Capacität der Lungen bekannt seyn muss. Goodwyn u. a. nehmen an, dass beim'Sterben eine vollkommene Exspiration gemacht werde, d.h. alle die Luft, die ein Gesunder bei grösster Anstrengung aus- athmen kann, ausgestossen werde. Hiernach braucht man nur zu untersuchen, wie viel Luft nach dem Tode) in den Lungen übrig ist, und diese zu der Quantität, die ein Erwachsener ausathmen kann, zuzuzählen, und die ganze Capacität der Lungen wäre gefunden. Diese Annahme ist aber nicht von Zweifeln frei. ' Das ge- wöhnliche ruhige Sterben erfolgt nicht mit einer voll- kommenen, angestrengten Exspiration, sondern indem alle Kräfte gesunken und fast erloschen sind, fehlt dem Organismus die Kraft, eine vollkommene Exspira- tion zu machen, es nähert sich der Zustand der Lun- gen beim ruhigen Sterben, rücksichtlich ihrer Capaei- tät, mehr oder weniger dem, worin ‚sich diese Organe nach einer gewöhnlichen ruhigen Exspiration befinden. im gesunden und kranken Zustande. 107 So wird es erklärlich, wie man über:100 °C. Z. Luft in den Lungen von Gestorbenen gefunden hat. In mehre- ren Fällen fand ich bei Thieren, die .vor'dem Tode ei- ne heftige Exspiration .gemacht hatten, ungleich. weni- ger Luft in den Lungen als bei solchen, die eines ru- higen Todes gestorben waren, woraus hervorgeht, dass oft. der Zustand der Lungen nach dem 'Tode nicht der einer vollkommenen, oder der möglichst stärksten Ex- spiration sey !). Ich finde mich deshalb bewogen, den Resul- taten der Versuche v. H. Davy beizupflichten ‚der annimmt, dass nach der stärksten Exspiration etwa 41.C.Z. Luft in den Lungen übrig sind. Hiernach beträgt also die ganze Capacität der Lungen des erwachsenen Mannes zwischen 220 bis 260, oder selbst bis zu 280 C. Z, VH. Einige Versuche zur Ermittelung der Frage: auf welche Weise das Aufsetzen von Schröpfköpfen auf vergiftete Wun- den die Wirksamkeit des Giftes unterdrückt. Von Dr. Auc. Heınek. Lupw. Westeums. Di. Behandlung vergifteter, durch den Biss toller Hunde, giftiger Schlangen, den Stich giftiger Insecten, oder durch vergiftete Pfeile entstandener Wunden war früherhin höchst einfach, und bestand hauptsächlich in 1) Ich fand auch, dass nach einer recht vollkommenen Ex- spiration nur eine sehr geringe Meoge Luft in den Lungen zu- rück ist, 108 Versuche, wie das Aufsetzen v. Schröpfköpfen auf dem Aussaugen der Wunde, entweder durch das Auf- setzen eines Schröpfkopfs, oder durch den Mund eines anderen Menschen. Galen, Paulus Aegineta *), Celsus ?) und andere Aerzte dieser und späterer Zeit betrachten das Auf- setzen eines Schröpfkopfes als das souverainste Heil- mittel bei vergifteten Wunden, und bekannt ist es aus diesen und anderen Schriftstellern des Alterthums, als Strabo, Plinius 3), Plutarch, dass einzelne Völker- stämme, wie die Psylli, Marsi und Ophiogenes beson- ders in,dem Rufe standen, Schlangenbisse durch Aus- saugen mit dem Munde heilen zu können ®). 1) De re medica Lib. V. Cap. 2. (in Artis med, princip. post. Hippokr. 1665. p. 535. 2) Lib. V. Cap. 17. 3) Hist. natur. Lib. VII. Cap. 2, Lib. XXVIII. Cap. 3. 4) Plutarch (Redi de Viperis p. 182.) erzählt, dass Cato auf seinen Heerzügen in Afrika, eben weil er eine grössere An- zahl von Kriegern durch die Bisse giftiger Schlangen, als durch den Feind verloren, viele Psylli und Marsi unter den Tross sei- nes Heeres aufgenommen habe, welche, mit dem Munde die ge- bissenen Wundstellen aussaugend, manchen Krieger vom Tode gerettet hatten, dem er ohne diese Behandlung verfallen seyn würde. (Boerhaave, Antidota.) Eben so führt Suetonius (Redi de Viperis a. a. O.) an, dass Augustus, als er den Leichnam der in Folge eines Schlangen- bisses nicht lange zuvor verblichenen Cleopatra gesehen, mehre- ren Psylliern und Marsen das Aussaugen der Bisswunden in der Hoffnung befohlen hatte, auf diese Weise das stolze Opfer sei- ner Herrschsucht ins Leben zurückzurufen. Bei dieser Gelegenheit kann ich nicht umhin, auf einen höchst auffallenden, dem Uebersetzer höchst wahrscheinlich zur Last fallenden Fehler aufmerksam zu machen, nach welchem die guten Psylli und Marsi zu „Flöhen und Wanzen“ geworden sind. In der Hermbstädtschen Uebersetzung von Orfilas Toxikologie. Bd, IV. S. 206. heisst es nämlich; ‚,5, Nach Fontana verhindern die Säuren — — das Aussaugen sowohl durch Flöhe (Psylles), vergift. Wunden die Wirks. des Giftes unterdrückt, 109 In späteren Zeiten kam diese einfache, und den Zeugnissen jener Aerzte zufolge äusserst wirksame Be- handlungsweise vergifteter Wunden gänzlich in Verges« senheit, was um so auffallender ist, als Herrn Prof. Ehrenbergs ') Angabe zu Folge, das Aussaugen der gif- tigen Bissstellen eine noch jetzt unter den Bewohnern des Orients allgemein verbreitete Sitte ist, indem dort Jedermann einen Schröpfkopf, ‘oder vielmehr eine roh zubereitete, an der Spitze mit einem engen Loche durchbohrte Hornspitze mit sich herumträgt, die er, von einer giftigen Schlange gebissen, auf die zuvor stark searificirte Wunde aufsetzt, die Luft mit dem Munde aussaugt, und ‚die‘ Oefinung der Spitze mit einem auf der Zunge in Bereitschaft gehaltenen Stück . Leder schliesst, ohne 'nach diesem Verfahren von dem: Bisse die geringsten bösen Folgen zu befürchten. Neuerdings verdanken wir Dr. Barry ?): über die heilsame Wirkung) des Schröpfkopfes bei vergifteten Wunden eine Reihe höchst interessanter Versuche, de- ren Resultate um so glänzender sind, als die aus ihnen sich ergebende Thatsache, dass nämlich das Auf- setzen eines Schröpfkopfes auf die vergiftete Wunde die Wirkung des Giftes nicht nur hebt, wenn sie noch nicht begonnen hat, und selbst hemmt, wenn sie schon eingetreten ist, durch die von Anderen mehrfach ange- stellten Versuche und Beobachtungen völlig bewahrhei- tet ist. Auch die nachstehenden von mir angestellten Ver- suche bestätigen Barrys Behauptungen in ihrem ganzen Umfange, und wenn sie daher schon in dieser Hinsicht als auch durch die Wanzen (Marses) die gefährlichen Wir- kungen der Viper nicht“!!! 1) Heckers Annal. d. med. Liter. 2) Horns Archiv f, med, Erfahr, 1827. März, April, 8. 259. 110 Versuchey'wie das Aufsetzen v. Schröpfköpfen auf nicht ganz‘ weithlos seyn möchten, so glaube-ich den- ‚selben überdies dadurch einiges Interesse mehr gegeben zu haben, als ich durch dieselben 'mehrere mir wichtig scheinende physiologische Fragen zu erörtern. suchen ‚werde. f Erster Versuch. Bei drei Kaninchen, von gleicher Grösse ‚und Stär- ke, wurden die rechten Hinterschenkel kahl geschoren, und darauf ‚an der äusseren Seite des ‘Oberschenkels eine: 6 Linien lange, bis auf die Muskeln 'dringende Hautwunde gemacht und die allgemeinen Bedeckungen ‘von«.den Muskeln in ‘der Runde umher 'getrennt. In (diese Hautwunde brachte ich darauf einen Serupel ge- pülverses blausaures Kali‘ und fünf Gran Strychnine, die mit Wasser zu einem ‘Breie geknetet waren, ein, heftete, nachdem dieses geschehen, die Wundränder bei dem einen Kaninchen zusammen, legte‘ ein Klebpflaster auf, und: überliess dasselbe seinem Schicksale. ‘ In der dritten Minute:nach der Vergiftung‘ traten heftige Con- xulsionen in den hinteren Gliedern ein, denen fast au= genblicklich‘ allgemeine krampfhafte Erschütterungen folgten‘, die,in Starıkrampf übergingen, in welchem däs 'Thier, nachdem noch‘ keine: 5 Minuten 'nach der 'Ver- giftung verstrichen waren,>starb. abi - Dem 'zweiten Kaninchen hatte ich unmittelbar dach der Vergiftung einen scharf ziehenden Schröpfkopf auf die Wunde gesetzt, und diesen durch ein, Kreuzband so. befestigt, dass'er trotz den Anstrengungen des Thie- res, seine’unbegueme Seitenlage‘ zu-ändern, festgehal- ten wurde. Von 10 zu 10 Minuten nahm ich den Schröpfkopf ab, setzte aber sogleich einen frischen auf, und entzog auf diese Weise die Wunde 40 Minuten. dem Einflusse der Atmosphäre. Nachdem: die Wunde sorgfältig. ge- vergift. Wundei die ’Wirks. des Giftes'unterdrückt. 111 waschen, und: von dem Blutcoagulum und dem noch zu- zückgebliebenen'Breie' gereinigt war, wurde ein’Schröpf- kopf nochmals 5 ‚Minuten lang" aufgesetzt, sund. dem .Thiere darauf die Freiheit‘gegeben. ‘Weder kurz nach diesem; Verfahren, noch 'späterhin: litt dieses Kaninchen an den mindesten Zufällen, ‘sondern blieb munter, frass mit'Appetit und war völlig gesund. Bei.dem dritten Kurischin stellten sich in’ der drit- den Minute: nach der Vergiftung heftige Convulsionen ‚ein. Es wurde ein scharfziehender Schröpfkopf auf die "Wunde gesetzt, der kaum ‘zu wirken begonnen hatte, ‚als die Convulsionen schon schwächer wurden und sehr ‚bald nachliessen. Funfzehn Minuten blieb dieser Schröpfkopf = sitzen, en dem Kaninchen wurde ‚ohne die Wunde weiter zu reini- gen „.alsı.dass das in-den Kopf übergetretene Blut mit demselben‘ so. viel wie möglich: zugleich entfernt wurde, ‚darauf ‚die. Freiheit gegeben. ı Eiligst machte dieses ‚Thier von diesem Geschenke Gebrauch ‚" setzte in ha- ‚stigen Sprüngen: durch. das Zimmer, ‘und: kauerte sich in einen. Winkel: hin. : Indessen, waren kaum: 2 Stunden den verstrichen, als ‘sich von Neuem krampfhafte Zu- ‚ckungen in.den Hinterschenkeln:einstellten, die sichjedoch, als.die Wunde, von Neuem mit‘ einem 'Schröpfkopfe be- ‚deckt wurde, sehr bald hoben. Nach 20 Minuten: wur- ‚de. der Kopf» abgenommen, die Wunde sorgfältig: ge- waschen, ‚gereinigt und: mit emem Heftpfläster verbun- ‚den, worauf, das Kaninchen ‘weiter:'an ‘keinen Vergif- Aungszufällen litt, ‚sondern am folgenden Morgen so FuaBeh> und: lustig, ‚wie vor Anstellung. des Versiehnh war. 5 1 Beide Kaninchen schleppten PRERR was jdch nicht anzulühren vergessen darf, den rechten Hinterschenkel beim Laufen. etwas nach, welches indessen ‘wohl nur auf Rechnung der Wunde geschrieben 'werden darf. 412 Versuche, wie das Aufsetzen v. Schröpfköpfen auf Eine Stunde nach dem Tode des ersten Kaninchens ward zur Untersuchung der Wunde, des in der Blase enthaltenen. Harnes und des aus den grossen Gefässen aufgefangenen Blutes geschritten, welche folgende Re- sultate gab. Das zur Reinigung der Wunde angewandte ‘Wasser nahm durch Zusatz einer salzsauren Eisenoxyd- solution eine schöne dunkelblaue Farbe an; ein siche- ‚rer Beweis, dass noch nicht alles blausaure Kali aufge- saugt war. Dass aber ein Theil desselben: bereits in die Cireulations- und Exeretionsorgane übergetreten war, dafür spricht das Verhalten ‘des Blutes und des Harnes, indem ersteres mit Wasser und einigen Tro- pfen Salzsäure versetzt und filtrirt durch den Zusatz von salzsaurer Eisenoxydsolution eine grünlich blaue, letzterer durch die Beimischung desselben gegenwirken- den Mittels eine schöne hellblaue Färbung annahm. Die Strychnine war ebenfalls noch nicht gänzlich absorbirt, wenigstens glaube ich dieses aus dem Ver- halten des’ in der Wunde vorhandenen Coaguli gegen Reagentien abnehmen zu können. Ihr Vorhandenseyn im Blute nachzuweisen, wollte mir nicht glücken. Das durch die Schröpfköpfe dem. zweiten Kanin- chen 'entzogene Blut enthielt die‘ Strychnine und das blausaure Kali, und letzteres zwar, so weit sich’ dieses aus der Intensität der durch salzsaure Eisenoxydsolution entstehenden 'Farbenveränderung abnehmen lässt, in ab- nehmenden Verhältnissen, dergestalt, dass diese Farben- veränderung in dem durch den ersten Schröpfkopf.aus- gezogenen Blute am stärksten, am schwächsten dagegen in dem zuletzt gebrauchten Schröpfkopfe hervortrat, und kaum noch in dem zum Auswaschen der Wunde gebrauchten‘ Wasser zu bemerken war. Das Blut des dritten Kaninchens, welches in dem nach dem ersten Eintreten der Vergiftungserscheinungen angewandten Schröpfkopfe enthalten war, nahm durch 'vergift. Wunden die Wirks. des Giftes unterdrückt. 113 ‚die angegebene Behandlung eine tief blaugrünliche Fär- bung an, und so reagirte das nach 2 Stunden durch den zweiten Schröpfkopf entleerte Blut ebenfalls noch deut- lich auf blausaures Kali. Zweiter Versuch. Zwei Kaninchen wurden auf dieselbe Weise ver- 'giftet. ‘Dem einen sogleich nach der Vergiftung ein Schröpfkopf auf die Wunde gesetzt, und 25 Minuten in dieser Lage erhalten, dem anderen erst dann, als die in den Hinterschenkeln eintretenden Convulsionen auf Absorption des Giftes schliessen liessen. ‘Bei dem ersten Kaninchen traten nach Abnahme des Kopfes und sorgfältiger Reinigung der Wunde bin- nen den nächsten 6 Stunden keine weiteren Vergiftungs- zufälle ein, und wenn schon im Voraus überzeugt, dass bei diesem Thiere das Aufsetzen des Schröpfkopfes die Einsaugung des Giftes verhindert habe, suchte ich diese Ueberzeugung dadurch zur "Gewissheit zu steigern, dass ich das Kaninchen tödtete, und das Blut und beson- ders den Harn durch Reagentien auf die Beimischung von blausaurem Kali prüfte. Sorgfältig wurde diese chemische Prüfung angestellt, sie gab jedoch nicht das geringste, für eine geschehene Aufsaugung sprechende Resultat, und ich glaube um so sicherer annehmen zu können, dass keine Aufsaugung des in die Wunde ge- brachten |blausauren Kali und der Strychnine stattge- funden, weil ersteres sonst bei der Leichtigkeit, mit welcher sich die kleinsten Mengen im Harne auflinden lassen, gewiss durch die eintretende Reaction sich zu erkennen gegeben haben würde. In dem Harne des zweiten Kaninchens dagegen, welches, nachdem der Schröpfkopf 20 Minuten auf der vergifteten Wunde gesessen hatte, und die Wunde dar- auf sorgfältig gereinigt und mit einem Klebpflaster ver Meckels Archiv f. Anat. u. Phys. 1828. ö 112 Versuche, wie das Aufsetzen v. Schröpfköpfen auf einigt'war, in den nächsten 6 Stunden an keinen auf Vergiftung deutenden Symptomen litt, und daher um diese Zeit von mir getödtet wurde, trat durch Zusatz von salzsaurer Eisenoxydsolution eine helle blaue Farbe ein, welche nur zum Beweise dienen kann, dass, wie ohnehin schon aus dem Eintreten der Vergiftungs- zufälle hervorgeht, die Absorption des Giftes und des blausauren Kali aus der Wunde bereits begonnen hat- te, durch Aufsetzen des Schröpfkopfes aber gehemmt worden war. Dritter‘ Versuch. Drei gleich grossen Kaninchen brachte ich in die an die äussere Seite des linken Oberschenkels gemach- te, 6 Linien lange und bis in die Muskelsubstanz ein- dringende Hautwunde einen Brei von 3 Gran essigsau- rer Morphine und 10 Gran blausaures Kali ein. Dem ersten dieser Thiere wurde gleich nach der Vergiftung ein Schröpfkopf auf die Wunde gesetzt, der, nachdem er gegen 20 Minuten festgesessen hatte, zu- fälligerweise abfiel. Die Wunde wurde nicht weiter ge- reinigt, sondern mit einem Heftpflaster bedeckt, und dem Kaninchen die Freiheit gegeben. Indessen waren noch keine zwei volle Stunden verstrichen, als bei dem Thie- re ein allgemeiner krampfhafter Zustand eintrat, die Pupille sich mächtig erweiterte, Zittern und convulsivi- sche Bewegungen, besonders in den hinteren Extremi- täten und Aenderungen in der Pulsbewegung eintraten, mit einem Worte, alle Symptome einer begonnenen Morphinevergiftung sichtbar wurden. Eiligst wurde des- halb auf die Wunde ein Schröpfkopf angewendet, des- sen Wirkung eine graduelle Abnahme. der Erscheinun- gen hervorbrachte. Dieser Kopf blieb 20 Minuten sitzen, | worauf, als die Wunde sorgfältig gereinigt und ausge- waschen war,das Kaninchen, bis auf eine mehrere Stun- vergift. Wunden die Wirks. des Giftes unterdrückt. 115 den andauernde Trägheit in den Bewegungen, von je- der ferneren Einwirkung des Giftes frei blieb. Bei dem zweiten Kaninchen wurde der Schröpf- kopf nicht früher angewandt, als bis die Wirkung des Giftes bereits begonnen hatte, und das Thier an allge- meinem Zittern und leichten conyulsivischen Bewegun- gen litt. Eine 15 Minuten andauernde Einwirkung des Schröpfkopfes war hinreichend, bei diesem Thiere nicht nur das Aufhören der Vergiftungssymptome zu bewir- ken, sondern dasselbe auch anscheinend der völligen Einwirkung des Giftes zu entziehen. Da ich indessen die Wunde mit Willen nicht ausgewaschen hatte, so war es mir nichts weniger als auffallend, dass sich bei diesem Thiere ebenfalls nach Verlauf von ungefähr zwei Stunden abermals Vergiftungserscheinungen einstellten, die schnell sich steigernd und von allgemeinen Convul- sionen in einen torporösen Zustand übergehend, das Ka- ninchen binnen 15 Minuten unter abermals eingetrete- nen allgemeinen starrkrampfartigen Zuckungen tödteten. Dem dritten Kaninchen setzte ich zwei Schröpf- köpfe auf die unverletzte, und durch Abscheeren von den Haaren befreiete Haut, ungefähr 2 Zoll oberhalb der Wunde. Nichts desto weniger traten jedoch nach Verfluss von 5 Minuten die eigenthünlichen Vergiftungs- symptome ein, welche diesem Thiere nach 12 Minuten das Leben kosteten. Der Inhalt des bei dem ersten Kaninchen zuerst angewandten Schröpfkopfes reagirte sehr deutlich auf blau- saures Kali, welche Reaction auch in dem Inhalte des zweiten Schröpfkopfes, und dem zur Reinigung der Wunde angewandten Wasser hervortrat. Auf dieselbe Weise war blausaures Kali mit dem durch den Schröpf- kopf aus der Wunde des zweiten Kaninchens entzogenen Blute in den Schröpfkopf übergeführt, und als ich spä- terhin den Harn dieses Thieres mit einigen Tropfen 5 %* 416 Versuche, wie das Aufsetzen v. Schröpfköpfen auf salzsaurer Eisenoxydsolution versetzte, nahm dieser eine schön blaue Farbe an. Bei dein dritten Kaninchen’ reagirte der Harn und das Blut auf die unzweideutigste Weise auf blausaures Kali, und als.ich das Blut dieses Thieres mit destillir- tem. Wasser gemischt, die Mischung äiltrirt, das Filtrat in einer Porcellanschale abgedampft, den Rückstand in gelinder Wärme mit starkem Alcohol aufgenommen und abgeraucht, und dasgeringe sich ergebende Residuum aber mit‘ Wasser aufgenommen, und ‚die dadurch erhaltene Flüssigkeit theils mit Ammoniak, theils mit concentrir- ter Schwefelsäure vermischt hatte, entstanden in’ jener Mischung einige sehr ‚kleine‘ weissliche Flocken, und nahm. diese eine leichte röthliche, orangenfarbene Fär- bung an. Ob diese Ergebnisse auf das Vorhandenseyn der ARerphiie im Blute schliessen lassen? — Vierter Versuch. Einem mässig grossen. Hunde brachte ich 10 Gran ‚weisses Arsenikoxyd in eine am linken Hinterschenkel gemachte Wunde bei, heftete die Wunde zusammen, und setzte etwa 2 Zoll oberhalb derselben mehrere blu- tige Schröpfköpfe mit dem zwar sehr schwachen Glau- ben auf, durch dieses blutige Schröpfen vielleicht die Wirksamkeit des Giftes aufzuheben. Anderthalb Stun- den hielt sich der Hund gut, und gab nicht das min- deste Vergiftungssymptom zu erkennen; jetzt fing er je- doch an stark zu geifern, littan Schauderzufällen, Wür- gen, Erbrechen zäher 'schleimiger Massen, Convulsio- “nen und Lähmung der hinteren ‚Extremitäten, kurz un- terlag, nachdem 3 Stunden seit der Vergiftung verflos- sen waren, den Erscheinungen derselben in'so hohem Grade, dass ich zwar das Aufsetzen des Schröpfkopfes versuchte, hiedurch aber, wie ich glaube, 'nur Verlän- | gerung seiner Leiden herbeiführte, ' indem die Menge vergift, Wunden die Wirks, des Giftes unterdrückt. 117 des eingesögenen, und über ‚den Einfluss des Schröpf- kopfes hinaus in die Circulationsorgane eingetretenen Arseniks zu gross war, als dass die von der Lebensthä- tigkeit des Hundes ausgehende Reaction die Wirkung des Arseniks überwiegen konnte. Der Hund starb un- ter heftigen Krämpfen in der neunten Stunde nach An- stellung des Versuches. Fünfter Versuch. Einem Kaninchen machte ich einen Einschnitt durch die allgemeinen Bedeckungen beider Hinterschenkel, 1ö- sete die Haut etwa einen Zoll lang nach dem Becken zu von den Muskeln ab, brachte eine Federspule in die Wunde ein, und schob durch diese zwischen die Haut und die Muskeln des rechten Hinterschenkels 3 Gran essigsaures Morphium, zwischen die Haut und die‘ Muskeln des linken Schenkels dagegen 10 Gran fein gepülvertes blausaures Kali. Die Wundränder wur- den durch ein blutiges Heft vereinigt, und auf den lin- ken Schenkel ein Schröpfkopf so aufgesetzt, dass die- ser die Wunde und zugleich die Stelle, wo das blau- saure Kali lag, bedeckte. Fünf Minuten nach der Vergiftung traten die ei- genthümlichen Erscheinungen ein, welche die Wirkun- gen des essigsauren Morphiums auf die thierische Oeko- nomie zu begleiten pflegen, steigerten sich immer mehr und mehr, und kosteten dem Kaninchen in der zwölt- ten Minute das Leben. Ä Jetzt nahm ich den bis dahin in seiner Lage er- haltenen Schröpfkopf vom linken Schenkel ab, öffnete die Wunde bis zu der Stelle, wo das blausaure Kali gelegen , wusch die Stelle sorgfältig aus, und prüfte das zum Auswaschen benutzte Wasser, wie das wenige mit dem Schröpfkopfe aufgefangene Blut durch gegenwir- kende Mittel, welche in jenem eine sehr tief dunkel- 118 Versuche, wie das Aufsetzen v. Schröpfköpfen auf blaue Färbung, und in diesem ebenfalls eine unzwei- deutige Reaction auf blausaures Kali hervorbrachten. — Der in der Blase enthaltene Harn dieses Thieres wurde ebenfalls sorgfältig chemisch geprüft, jedoch liess sich nicht die geringste Reaction auf blausaures Kali auffin- den , worin, meiner Ansicht nach, ein um so unbestreit- barer Beweis für die Behauptung liegt, dass der Schröpf- kopf die Einsaugung des blausauren Kali gehindert ha- be, als es bekannt ist, wie leicht sich die geringsten Mengen des dem Harne beigemischten blausauren Kali durch das salzsaure Eisen auflinden lassen. Sechster Versuch. Der vorige Versuch ward ganz auf dieselbe Weise, nur mit der Abänderung wiederholt, dass ich dem Schenkel des Kaninchens den Schröpfkopf aufsetzte, in welchen das Gift angebracht war. Ich erhielt den Schröpfkopf eine gute Stunde in seiner Lage, verlän- gerte darauf die Wunde bis_zu der Stelle, wo das Mor- phium lag,’wusch die Stelle sorgsam aus, heftete die Wunde, und überliess das Kaninchen darauf sich selbst, dasselbe indessen genau beobachtend. Als aber binnen den nächsten 4 Stunden nicht die geringsten Erschei- nungen eintraten, welche auf Einsaugung des Morphi- ums hindeuteten, tödtete ich das Kaninchen und fand bei der Section Folgendes. Die Haut, das Zellgewebe und die Oberfläche der Muskeln an der Stelle des Schenkels, wo das blausaure N Kali gelegen hatte, nahmen, als ich einige Tropfen Ei- senoxydsolution auftröpfelte, eine- dunkelblaue Färbung an. — Der Harn, welcher in ziemlicher Menge in der Blase enthalten war, nahm ebenfalls eine dunkelblaue Färbung an, und in dem aus den grossen Gefässen aufgefange- nen Blute, brachte die salzsaure Eisenoxydsolution ei- ne blaugrünliche Farbenveränderung hervor. mu — vergift. Wunden die Wirks.‘ des Giftes unterdrückt. 119 Siebenter Versuch. Einem Kaninchen wurden 3 Gran Strychnine in das Zellgewebe unter der Haut des Hinterschenkels einge- bracht. Das Thier starb in der ten Minute nach der Vergiftung. Ein zweites Kaninchen dagegen, welches auf die- selbe Weise vergiftetwar, dessen Wunde indessen sogleich nach der Vergiftung mit einem Schröpfkopfe bedeckt worden war, der 15 Minuten sitzen blieb, unterlag erst in der dritten Stunde nach Abnahme des Schröpfkopfes der Wirkung der Strychnine. Achter Versuch. Einem Kaninchen wurden :8 Tropfen frisch bereite- ter Blausäure in das Zellgewebe des Schenkels einge- spritzt. Eine Minute darauf entstanden Krämpfe, in der zweiten starb das Thier. Bei einem zweiten Kaninchen ward dieselbe Ein- spritzung wiederholt, und als sich nach der ersten Minute Vergiftungssymptome einstellten, die Wundstelle mit .ei- nem Schröpfkopfe bedeckt, welcher, als er' nach zehn Minuten abgenommen wurde, einen lebhaften bittern Mandelngeruch verbreitete. Indessen war durch diese einmalige Anwendung des Schröpfkopfes noch nicht alle Blausäure aus der Wunde in den Schröpfkopf überge- führt, sondern 25 Minuten nach Abnahme des Schröpf- kopfes stellten sich abermals krampfhafte Zuckungen ein. Es wurde deshalb ein neuer Schröpfkopf aufge- setzt, welcher nach 10 Minuten den noch in der Wunde verhaltenen Rest der Blausäure in den Schröpfkopf zu- rückgesogen hatte, so dass das Kaninchen späterhin von allen Vergiftungssymptomen frei blieb. Wenden wir nun die Resultate dieser Versuche, welche, wie sich der Leser überzeugen wird, die. von Barry und den übrigen Experimentatoren aufgestellten x 120 Versuche, wie das Aufsetzen v. Schröpfköpfen auf Thatsachen nur bestätigen, zur Erörterung der wichti- gen physiologischen Frage an, auf welche Weise näm- lich die Wirkung der Gifte durch Anwendung von Schröpf- köpfen auf vergiftete Wunden wohl unterdrückt werden möchte, so scheinen mir dieselben den unbestreitbaren Be- weis zu enthalten, dassdie Wirksamkeit des Schröpfkopfes unter diesen Umständen lediglich den Erscheinungen zu- zuschreiben sey, welche seine Anwendung überhaupt zu begleiten pflegen. Bei Berücksichtigung der Erfahrungen, welche wir über die Wirksamkeit des Schröpfkopfes in Nervenlei- den als Gegenreiz erregendes und dadurch ableitendes Mittel besitzen, könnte es vielleicht annehmbar schei- nen, dass die heilsame Wirkung des Schröpfkopfes un- ter diesen Umständen, wo das Nervensystem so unge- mein stark von den einwirkenden Giften ergriffen ist, in dem von ihm erregten ableitenden Gegenreize be- gründet liege. Indessen können wir uns sehr leicht von der Unzulänglichkeit dieser Erklärungsweise überzeugen. Denn lässt sich auch die grosse reizableitende Kraft der Schröpfköpfe in manchen Leiden, bei welchen die Nerven besonders mit ergriffen sind, nicht in Abrede stellen, so scheint es mir doch noch immer unausge- macht, ob das Aufsetzen trockner, und noch mehr blu- tiger Schröpfköpfe unmittelbar auf die Nerven einwirke, oder nicht vielmehr die Wirkung derselben hauptsäch- lich in der Minderung der mit dem Nervenleiden ver- bundenen, oder durch dasselbe erzeugten Congestion begründet liege. Letzteres scheint mir um so wahr- scheinlicher, als die Erfahrung uns lehrt, dass, wenn die Application trockner oder blutiger Schröpfköpfe sich auf diese Art wirksam erweist, es doch nur immer bei mehr oder weniger ausgebreiteten Localleiden der Fall ist, und zugleich eine, dem ergriffenen Organe so nahe wie mögliche Anwendung erfordert wird. Doch, vergift. Wnnden die Wirks. des Giftes unterdrückt. 121 sollte ich.mich in dieser Hinsicht irren, so glaube ich dennoch die Ueberzeugung laut aussprechen zu dürfen, dass die Wirksamkeit der Schröpfköpfe bei vergifteten Wunden auf ganz anderen Ursachen als der ihnen nicht abzusprechenden ‘grossen reizableitenden Kraft beruht. Bei den meisten, ja fast bei allen Giften wird #im- lich, wie dieses uns neuere vielfache und unbestreitbare Thatsachen gelehrt haben, die Sensibilität der mit den Giften an ihrer Applicationsfläche in unmittelbare Be- rührung tretenden Nerven topisch ergriffen und modifi- eirt, da indessen diese Nervenfädchen keinesweges die Leiter bilden, durch welche der tödtliche Einfluss der Gifte auf die Centraltheile des Nervensystems sich- fort- pflanzt, sondern ‘dieser in letzteren, dem Hirne und dem Rückenmarke, erst dann sich ausspricht, wenn das durch Einsaugung in die Kreislaufsorgane übergetretene Gift mit dem Blute ihnen zugeführt wird, so hiesse es der gegenreizenden Wirkung der Schröpfköpfe, meiner Ansicht nach, eine übermässig starke Kraft zuschreiben, wenn wir aus ihr die heilsamen Wirkungen dieses In- struments unter den erwähnten Verhältnissen ableiten woll- ten. Pflanzten die Nervenfädehen, welche mit den Gif- ten an der Applieationsstelle dieser in unmittelbare Be- rühtung kommen, die tödtliche Wirkung der Gifte auf das Hirn und das Rückenmark fort, und unterläge die unmittelbare gegenreizende Einwirkung des Schröpfko- pfes auf die Nerven keinem Zweifel, so wäre vielleicht obige Annahme wahrscheinlich; so aber, wo ersteres bestimmt nicht der Fall ist, sondern die Erschütterun- gen im Nervensysteme bei Vergiftungen von dem Hirne und dem Rückenmarke auf die einzelnen Nerven sich fortpflanzen, und letzteres sehr unwahrscheinlich ist, muss ich diese Erklärungsweise für völlig unzulässig erklären. Ueberdies zeigen die Resultate des dritten und vierten Versuches, wo weder trocknes noch bluti- 122 Versuche, wie das Aufsetzen Yon Schröpfköpfen auf ges Schröpfen oberhalb der vergifteten Wunde und: in der Nähe des Nervenstammes den Wirkungen des Gif- tes Einhalt that, an sich schon die Falschheit dieser Ansicht auf eine mehr wie genügende Weise, während die Resultate der übrigen Versuche, nach welchen die sch@n eingetretene Wirkung des Giftes durch Aufsetzen eines Schröpfkopfes auf die Wunde sogleich aufhörte, oder die gewöhnliche Wirkung gar nicht eintrat, wenn die Wunde gleich anfangs mit einem Schröpfkopfe hin- reichende Zeit bedeckt wurde, oder die Wirkung des Giftes weit später, als gewöhnlich eintrat, wenn. die Wunde nur kurze Zeit mit einem Schröpfkopfe bedeckt worden war, — während diese Resultate, sage ich, wohl nur als eben so viele Beweise gelten können, dass die Wirksamkeit des Schröpfkopfes unter diesen Ver- hältnissen aus keinen anderen Ursachen entspringt, als aus denen, welche seine gewöhnlichen Erscheinungen zu bewirken pflegen. Sehen wir nämlich auf diese gewöhnlichen Erschei- nungen bei der Anwendung des Schröpfkopfes, so be- obachten wir ausser einer halbkugelförmigen Anschwel- lung der Haut unter demselben, dass die Hautstellen, welche, dem gewöhnlichen Luftdrucke ausgesetzt, keine, oder doch nur eine unbedentende Röthe zeigen, gine mehr oder weniger tiefe Röthe annehmen, und dass die kleinen Scarificationen bei dem blutigen Schröpfen, , welche unter den gewöhnlichen Umständen kaum geblu- tet haben würden, eine ziemlich bedeutende Menge Blutes: ergiessen. Wie nun aber diese Erscheinungen lediglich daher rühren, dass der auf der ganzen Ober- fläche der Haut gleich starke Druck der Atmosphäre, nach den mit den Schröpfköpfen bedeckten Hautstellen, die, je nachdem die Verdünnung der Luft unter den- selben grösser oder geringer ist, dem Drucke der At- mosphäre mehr oder weniger entzogen sind, einen ver- vergift. Wunden die Wirks. des Giftes unterdrückt, 123 mehrten Säftezudrang nicht nur, sondern selbst auch eine retrograde excentrische Bewegung in den Capillar- gefässen bewirkt, so können wir ebenfalls nur in die- sen Erscheinungen eine genügende Erklärung für die heilsame Wirkung des Schröpfkopfes bei vergifteten Wunden suchen.’ Diese den einsaugenden Capillargefässen der Haut mitgetheilte excentrische Bewegung der in ihnen ent- haltenen Säfte kann nämlich auf die einsaugende Thä- tigkeit derselben nur einen lähmenden Eihfluss ausüben, oder hindert doch wenigstens den Uebertritt der gifti- gen Stoffe über den Umkreis des Schröpfkopfes hinaus, und indem schon hierdurch die, von dem freien Ein- tritt des Giftes in die Organe des Kreislaufes bedingte, und auf der Zuführung mit dem Blute in die Central- theile des Nervensystems beruhende, Wirksamkeit der Giftstoffe unterdrückt wird, so wirkt der Schröpfkopf überdies noch dadurch, dass das in der Wunde abge- lagerte Gift durch das, wegen des von ihm vermehrten Säfteandranges reichlich in ihn übertretende, Blut aus der Wunde ausgespült, und somit aus dem Organismus entfernt wird. Letzteres geht unläugbar aus den Resultaten der angeführten Versuche hervor, nach welchen das sowohl unmittelbar nach der Anwendung des Giftes, als nach der bereits eingetretenen Vergiftung mit dem Schröpf- kopfe aus der Wunde entzogene Blut mehr oder min- der stark auf die in die Wunde angebrachten Stoffe reagirte, indessen der fünfte und sechste Versuch, mei- ner Ansicht nach, unbestreitbare Beweise für die Mei- nung enthalten, dass das Aufsetzen des Schröpfkopfes die einsaugende Thätigkeit der Gefässe lähmt, und da- durch hauptsächlich die von ihm bewirkten Erscheinun- gen hervorbringt. In dem fünften Versuche, nämlich, wo die vergiftete Wunde mit keinem, die mit blausau- 124 Versuche, wie das Aufsetzen von Schröpfküpfen auf rem Kali verunreinigte Wunde mit einem Schröpfkopfe bedeckt war, unterlag das Thier dem Einflusse des Gif; tes, indessen die sorgfältigste Prüfung des Harnes und des Blutes dieses Thieres nicht die geringste Spur des in sie übergetretenen blausauren Kali auflinden liess, während bei den Resultaten des sechsten Versuches ge- rade das umgekehrte Verhältniss stattfand. Eben’ diese, die Einsaugung lähmende, Einwirkung der Schröpfköpfe ist nun auch Ursache, weshalb, wenn durch den ScHröpfkopf nicht alles ursprünglich in die Wunde gebrachte Gift entleert, oder die Wunde nicht sorgfältig gereinigt ist, das auf diese‘Weise in der Wunde verhaltene Gift erst weit später, als unter an- deren Umständen auf den Organismus einwirkt. Un- streitig nämlich ‚hört mit der Abnahme des Schröpfko- pfes seine Einsaugung- lähmende Kraft nicht auf, son- dern, da Hautstellen, wie dieses die bekannte Erfah- rung lehrt, die von einem scharfziehenden Schröpfkopfe bedeckt gewesen sind, längere Zeit noch mehr oder weniger gehoben und geröthet bleiben, und diesen Er- scheinungen keine andere Ursache zum Grunde liegt, als dass die excentrische Bewegung in den Capillarge- fässen nur erst nach und nach aufhört, und zur nor- malen Bewegung zurückkehrt, so leuchtet es ein, dass das in. der Wunde verhaltene Gift nicht früher von den Gefässen eingesogen und in den Kreislauf übergeführt werden kann, als bis die Gefässe zu ihrer normalen Thätigkeit zurück gekehrt sind. Aus diesem Grunde trat im ersten Versuche bei dem dritten Kaninchen die bereits begonnene, aber durch den Schröpfkopf un- terdrückte Wirkung der Strychnine erst nach Verlauf von nicht vollen zwei Stunden abermals ein; oder unterlag im zweiten Versuche das erste Kaninchen der Morphine- vergiftung erst nach 2 Stunden, oder ward das Kanin- chen im siebenten Versuche von der ihm beigebrachten vergift. Wunden die Wirks. des Giftes unterdrückt. 125 “ Stryehnine erst in der dritten Stunde nach der Vergif- tung getödtet; während das andere Thier schon in der siebenten Minute an den ee der Strychninevergif- tung starb u. s. w: "Diese Thatsachen und Gründe möchten wohl, wie ich mir schmeichle, die Wahrheit der von mir ausge- sprochenen Ansicht über die Wirkungsweise des Schröpf- kopfes sattsam beweisen, und glaube ich mich daher zur Erörterung der noch übrigen Frage wenden zu kön- nen, auf welche Weise nämlich der Schröpfkopf die: be- zeits eingetretene Wirkung der Gifte zu unterdrücken vermag. f Die Antwort auf diese Frage scheie: mir-mit kei- ' nen ‚grossen Schwierigkeiten verknüpft zu seyn. Indem nämlich vielfache Erfahrungen uns gelehrt haben, dass eine, nach 'der Individualität sich riehtende, Dosis des Giftes ‚nicht. nur in die Circulationsorgane übergetreten seyn muss, sondern auch eine bestimmte, mit ‚der Stär- ke und Wirksamkeit des Giftes in directem: Verbält- nisse stehende Zeit gebraucht, um auf die thierischen Körper den vollen Einfluss ausüben zw‘ können; so scheint es mir höchst wahrscheinlich, ja so gut als ganz bestimmt zu seyn, ‘dass mit dem Eintritte der giftigen Wirkungen ‚noch keinesweges die zur völligen Wirkung nothwendige Dosis in die Circulationsorgane übergetre- ten ist. Das Aufsetzen des Schröpfkopfes lähmt nun aber, wie wir hörten, die einsaugende Thätigkeit der Gefässe, und hindert dadurch den ferneren, die Wir- kung des Giftes nur verstärkenden Uebertritt in die Gefässe. Ferner ist mit dieser Lähmung ‘der. einsau- genden Thätigkeit eine retrograde, excentrische Bewe- „gung in den Gefässen verbunden, oder jene geht viel- " mehr aus dieser hervor, und leuchtet es daher ein, dass die Giftimenge, welche zwar ‚schon eingesogen ist, sich aber noch in den Gefässen befindet,. in welchen das 126 Ueber die Bedeut. der Eustachischen Trompete. & Aufsetzen des Schröpfkopfes eine retrograde Bewegung veranlasst, mitden durch diese Bewegung in den Schröpf- kopf übergeführten Säften zurückgeführt, und daher für den Organismus ganz unschädlich werden muss. Unter diesen Umständen kann daher nur die Giftmenge auf den Organismus einwirken, welche schon über die Wir- kung hinaus in die Gefässe übergetreten ist, die aber, weil sie zu gering ist, um die völlige gewöhnliche Wir- kung des Giftes hervorzubringen, sehr bald von der vom Organismus ausgehenden Reaction unterdrückt, oder wenn ich mich des Ausdruckes bedienen darf, neu- tralisirt wird. Einen gültigen Beweis für diese Ansicht finde ich in den Erfahrungen, dass unter diesen Umständen nur dann alle auf Vergiftung deutende Symptome unterdrückt werden, wenn der Schröpfkopf gleich, nachdem die er- sten ‘Symptome eintreten, angewandt wird, indessen seine Anwendung völlig fruchtlos bleibt, so bald schon so viel Gift aufgesogen ist, dass die Unterdrückung der ferneren Einsaugung und die Rückführung des noch in äeMhnter dem Einflusse des Schröpfkopfes stehenden Gefässen enthaltenen Giftes den vollen Eintritt des gif- tigen Einflusses nicht zu hindern vermag. Die Resul- tate des vierten Versuches bestätigen diese Meinung mehr wie hinreichend. VII. Ueber die Bedeutung der Eustachi- schen Trompete. Von Dr. Avc. Heınr. Lupw..Westrume. Obzleich der das innere Ohr mit dem Rachen verbin- dende Kanal den Anatomen bestimmt schon vor Zusta- Ueber die Bedeut. der Eustachischen Trompete. 127 chius bekannt war, wir wenigstens aus einzelnen Stellen in den Schriften des Aristoteles !), Plinius ?), Celsus °), Vesalius *), Ingrassias °) u. A. auf diese Bekanntschaft schliessen dürfen, so verdanken wir dennoch dem zwar höchst eifersüchtigen, aber zu anatomischen Entdeckun- gen gleichsam geborenen Bartholomäus Eustachius °) die erste treflliche Beschreibung dieses Kanales, und die ersten Andeutungen über den grossen Nutzen des- selben. Wohl verdiente Kustachius, dass dieser Kanal ihm zu Ehren zuba Eustachiana genannt wurde, und wahr- lich nur auffallen kann es, wie spätere Schriftsteller und gewiegte Anatomen, trotz der vorhandenen treflli- chen ‚Beschreibung, die Gehörtrompeten dennoch falsch beschreiben, oder wohl gar mit dem aquaeductus Fal- Zopii verwechseln (Riolanus, Bartholinus, Schneider). Aber auch über den wahrscheinlichen Nutzen und die Bedeutung der Eustachischen Trompeten haben die Anatomen von jeher die verschiedensten Meinungen ge- hegt, und ich kann es mir nicht versagen, diese Mei- ‘nungen zusammen zu stellen, und die Prüfung ihrer Haltbarkeit zum Gegenstande der nachfolgenden Blätter zu machen. Nach der ältesten und besonders von allen älteren Anatomen, wie Fabrieius ab Aquapendente ’), Bauhinus®), \ 1) Histor. animal. Lib. I. cap. XI. 2) Hist. natur. Lib. VII. cap. 76. $) De re medica, Lib. VI, cap. 7. 4) De corp. humani fabr. Lib. I. cap. XI. 5) In Galeni de ossib.. Comment. Lib. I. cap. VII. 6) Opuscul, anat, Delph. 1726. p. 138. 7) De audit. organo, Pars. Ill. cap. IX. 8) Theatr, anatom, Lib. II, cap. 49. 128 Ueber die Bedeut. der Eustachischen Trompete, Julius‘ Casserius Placentinus *) u. A. fast allgemein angenommenen, und auch von Neneren, wie Böhmer ?) und Haller ®), behaupteten Meinung besteht der Nutzen der Eustachischen Röhre hauptsächlich darin, dass die in den Mund eindringenden Schallstrahlen durch sie in das innere Ohr fortgepflanzt: werden, und das Trom- melfell und die Gehörknöchelehen in die zum Hören nothwendige zitternde Bewegung mit setzen helfen; — die Eustachische Röhre mithin als ein das Hören ver- stärkendes Organ betrachtet werden muss. Die‘ Lage der Kustachischen Röhre, die Bemer- kung, dass die Luft, welche die Pauke ausfüllt, durch diese Trompeten mit der äusseren Atmosphäre in Ver- bindung steht, die alte Erfahrung, dass wir überhaupt, und besonders Schwerhörige, mit offenem Munde besser hören, und ganz besonders die ebenfalls unläugbare Thatsache, dass Schwerhörigkeit oder Taubheit entste- het, sobald die Zustachischen Röhren durch irgend ei- nen Umstand geschlossen werden, schienen diesen Schriftstellern geltende Beweise für die Wahrheit ihrer ausgesprochenen Meinung zü seyn. Die Wahrheit dieser Thatsachen lässt sich wirklich nicht bestreiten; indessen liegen den beiden letzteren ganz andere als die angegebenen Ursachen zum Grun- de, und der Schwerhörige hört ‚bei offenem Munde eben so wenig deshalb besser, weil durch dieses Oeffnen des Mundes den Schallstrahlen der Eintritt durch die Trom- peten in die Pauke erleichtert wird, als auf das Ver- schliessen dieser Trompeten, aus dem entgegengesetzten Grunde, Schwerhörigkeit oder Taubheit erfolgt. Sehen wir nämlich auf die physischen Bedingun- 1) De auris organo, Lih. ‚IV. Sect. 3. cap. 6. 2) Instit. osteologie, $. 174. 3) Element. physiol, Tom, 6. p. 285. Ueber die Bedeut.der Eustachischen Trompete. 129 gen, unter welchen der Schall überhaupt fortgepflanzt, und in die Gehörorgane übertragen werden kann, s: leuchtet es ein, dass die Zustachische Röhre, vermöge ihres anatomischen Baues nichts zur Fortpflanzung der Schallstrahlen in das innere Ohr beitragen kann. Der Gestalt nach bildet die Zustachische Röhre ei- nen doppelten Kegel, dessen Basis eine zusammenge- drückte Ellipse ist, während die abgestumpften Spitzen mit einander verbunden sind. Der eine dieser Kegel ist knöchern, der andere besteht aus Knorpel und Haut. Jener, ‘der beim Menschen ungefähr das Drittel der Länge der ganzen Trompete ausmacht, fängt in dem vorderen Theile der Pauke über dem promoniorio an, und erstreckt sich bis zur spina ossis multiformis und zur äusseren Seite der Mündung des canalis carotiei. Hier öffnet er sich mit einer unebenen Mündung, und nimmt den zweiten Kegel, oder den knorplichen Theil der Eustachischen Röhre auf, der sich mit einer ziemlich weiten, wulstigen Mündung hinter den Choa- nen in dem Rachen endigt. . Eine Hauptbedingung zum Fortpflanzen des, Sohal- les ist nın bekanntlich das Vorhandenseyn elastischer Körper, welche, indem sie von der in elastische Schwin- gungen gesetzten Luft berührt werden, selbst in ela- stische Schwingungen gerathen. Das in dem Rachen ausmündende Ende dex Trompete besteht nun aber, wie wir so eben hörten, aus Knorpel und Haut, welche be- stimmt nicht genug Elasticität besitzen, dass sie die elastischen Schallschwingungen der Luft aufnehmen ‚ und fortpflanzen können. Doch sollte dieser Grund für sich schon nicht überwiegend seyn, so dürfen wir fer- ner die Elastieität der in den Mund eingedrungenen ' Schallstrahlen, theils wegen der im Munde befindlichen Feuchtigkeit, theils durch die bei der Exspiration sich Meckels Archiv f. Anat. u. Phys. 1528. 9 130 Weber'die Bedeut. der Eustachischen Trompete. bildende, und, nach Perolles ') Erfahrung, den Schall schwächende Kohlensäure, nur als so vermindert be- trachten, dass sie kaum im Stande seyn möchten, in der mit einer stets feuchten Schleimhaut ausgekleideten Trompete den Eindruck hervorzubringen, als zur Fort- pflanzung der Schallschwingungen nöthig ist. Ueberdies fragt es sich überhaupt noch, ob wir die Eustachische Röhre als einen stets offenen und freien Kanal betrachten können? Zwar ist die Rachenöflnung derselben bestimmt nicht mit einer solchen Klappe ver- sehen, wie Cocier *), Bauhinus *), Laurentius *) und Andere ihr zusehreiben, eben so wenig als sie an ih- rer, Ausmündung eine quer und etwas in die Länge lau- fende geschmeidige und bewegliche Falte besitzt,. wel- che, wie Köllner °) behauptet, durch die eindringenden Schallstrahlen angedrückt, sich dem’ Eindringen 'dersel- ben: widersetzt.‘ Indessen da die Trompete da, wo ihr knöcherner ' Theil) in; den knorplichen übergehet,, unge- mein enge ist, ‚so: scheint es fast keinem Zweifel zu unterliegen, dass nicht die weiche. sie ausklebende Schleimhaut vermittelst ihres Secretes im gewöhnlichen Zustande von beiden Seiten in der Art an einander klebe, dass zwar die in der Trommelhöhle eingeschlos- sene Luft, wenn sie durch das, von einem starken Schalle einwärts gedrückte, Trommelfell gedrückt wird, sich einen Weg durch die Trompete in den Rachen zu bahnen vermag, und umgekehrt beim Gähnen und Nie- sen Luft aus dem Rachen in die Pauke gelangen kann, 1) Voigts Magazin für‘ d. Neueste aus der Phys. Ba. 6. St. 1..8. 166. 2) De audit. instrumento. Cap. 13, 3) Theat, anat, Lib. HI. Cap. 49. 4) Histor. anat. Lib. XI. Cap. 15. 5) Reis Archiv. Bd, 2. S. 19. Ueber die Bedent. der Eustächischen Trompete. 131 die schallenden Schwingungen der im Munde befindli- chen und zugleich ihren Ort nicht verändernden Luft hingegen keinesweges die Höhle der Röhre zu öffnen und in die Pauke zu dringen vermögen. Diese von Autenrieth ') ausgesprochene Meinung gewinnt um so grössere Wahrscheinlichkeit, wenn wir zugleich auf den Bau dieses Organes bei den Thieren Rücksicht nehmen, bei manchem derer die Eustachische Röhre, wie z. B. bei dem Hunde und der Katze, gar keine freie Luft hal- tende Höhle zu besitzen scheint, indem die sich fast berührenden Wandungen, wie Haarröhrchen, mit wäss- rigem Schleime angefüllt zu seyn scheinen. Möchte das Angeführte vielleicht schon mehr wie hinreichen, das Irrthümliche der Ansicht zu beweisen, nach welcher die Eustachische Röhre ein schallleitendes Organ ist, so kann ich es dennoch mir nicht versagen, Peroiles ?) bekannte Versuche hier kurz anzuführen, in- dem sie nicht nur ebenfalls als bündige Gegenbeweise der erwähnten Ansicht dienen, sondern zugleich auch eine genügende Erklärung der Thatsache enthalten, weshalb wir überhaupt, und besonders Schwerhörige, mit offenem, gegen den Schall gerichtetem Munde bes- ser hören. Perolle hielt nämlich eine Taschenuhr so nahe ans Ohr, dass er ihr Schlagen hören konnte, verstopfte nun beide Gehörgänge, und vernahm trotz des weit ge- öffneten Mundes nichts vom Schlage der Uhr. Jetzt steckte er die Uhr tief in den Mund und konnte, so lange dieselbe keinen Theil des Mundes berührte, eben so wenig den Gang der Uhr hören, den er aber au- genblicklich vernahm, als die Uhr den harten Gaumen 1) Reils Archiv. Bd, IX. S. 320. 2) Journal de Physique 1783. Novbr. Zichtenbergs Maga- zin f. Phys. Bd. Il. St. 3. 9* 132 Ueber die Bedeut. der Eustachischen Trompete. oder die Zähne berührte. _Aehnliches bemerkte bereits Schellhammer !) als er eine, durch festes Aufstossen auf den Tisch ‚zum Tönen gebrachte, zweizinkige Ga- bel. in den Mund ‚steckte, und nur dann das Tönen der Gahel gehört zu haben versicherte, sobald die Zinken der Gabel die Zähne, die Kinnladen, oder einen ande- ren festen. Theil im Munde berührten. “ In diesen beiden, von mir mehrmals mit demselben Erfolge ‚wiederholten und überhaupt leicht zu wieder- holenden, Versuchen liegt offenbar, wie ich bereits er- wähnte, ein sehr bündiger Gegenbeweis, dass die Eustach: Röhre von der Natur nicht zum F ortpflanzen der Schall- strahlen bestimmt ist; denn wäre dieses der Fall, müss- ten ‚wir dann. nicht. den Gang der Uhr oder das Tö- hen der Gabel, die frei in den Mund gehalten wurden, wo nicht stärker, doch eben so ‚deutlich als durch das äussere Ohr oder durch, das Andrücken an. die Zähne, den’ harten Gaumen u.:s.w. hören, weil: die in dem Munde enthaltene . Luft unmittelbar und ganz in der Nähe der Eustachischen Trompete in Schallschwingun- gen gesetzt wird? Aber nicht blos dieser gewiss treffliche Gegenbe- weis liegt in den angeführten Versuchen begründet, son- dern sie enthalten zugleich die bündigste Erklärung der mehrfach erwähnten Thatsache. Augenblicklich und deutlich wird. nämlich das Schlagen der Uhr oder das Tönen der Gabel vernommen , sobald beide Gegenstän- de mit den Zähnen oder einem anderen Knochentheile des Kopfes in "Berührung gebracht werden, und zwar aus keinem anderen Grunde, als weil die Zähne, die Angesichtsknochen,, der Hirnschädel, ja selbst die Hals- wirbel, je nachdem sie mit mehr oder weniger fleischi- 1) De auditu_tractat. in Mangeti Bibl. anat. Pars. I. p- A. Ueber die Bedeut. der Eustachischen Trompete. 133 gen Theilen bedeckt sind, in grösserer ‘oder geringerer Stärke die elastischen Schallschwingungen dem Gehöre mitzutheilen im Stande’ sind; — mit-einem Worte‘, 'die hinreichende Elastieität besitzen, um durch die gegen sie stossenden Schallschwingungen i in die zur Fortpflan- zung des Schalles ae zitternde Bewegung zu gerathen. u Nach Köllner *) sind 'es zwar besonders die Zähne) welche bei solchen Menschen das Hören durch Fort- pflanzung der Schallstrählen in die 'Gehörnerven ver- mitteln, indem bei den'Zähnen alle erforderlichen phy- sischen Bedingungen ‘nicht nur 'stattfänden, ' sondern überdies der’ zervus durus'dus dem: 7ten Paare, als’dem’ Gehörnerven, mit dem"werous subeutaneus-malae' aus’ dem 5ten Paare, welcher in die Maxilla geht, anasto-' mosire, und die Bewegungen und Veränderungen, wel che durch die Einwirkung der Schällstrahlen auf‘ die Zähne hervorgebracht würden‘, daher'sehr leicht in die Gehörorgane zur Perception’ übergeleitet werden könn- ten. Als Beleg für‘ seine Meinung. ‘führt Köllner dası Beispiel eines Schwerhörigen an, der‘ deutlich ‚hörte, sobald er sich gegen den Mund reden liess, bei'zu-, nehmender Schwerhörigkeit aber, als ihm dieses Mittel keine Erleichterung mehr verschaffte ‚diese! erhielt, wenn er, die Zahnreihen auf 'einander . stemmend und: Ober-! und Unterlippe zurückziehend, sich ‘gegen die Zähne! sprechen liess, und 'als auch dieses Mittel, bei zuneh- mender Schwerhörigkeit, keine Gehörempfindung ferner) hervorbrachte, dennoch zu hören im Stande war, sobaldı er das eine Ende 'eines elastischen Metallstabes an die Zähne setzte, dessen anderes’Ende auf dem metallenen Stege eines violinartigen, mit ‘einer Octave Saiten über- zogenen und von c. zu c. mit allen halben Tönen ge- 1) Reis Archiv f. Physiol, Bd, I. S. 18 — 24, 43% Ueber..die Bedeut, (der Eustachischen "Trompete., stimmten, Instrumentes- ruhete, |, und; auf, dieses, Instru-, ment ‚gesprochen wurde, während er auch durch dieses Mittel, nicht ‚hörte, ‚sobald: er. den, Stab, statt an .die. Zähne zu setzen, in.den Mund steckte. R Diese von Köllner angeführte Beobachtung hat al-, lerdings auf den ersten Blick sehr viel Bestechendes; in- dessen widerspricht zu vieles der Ansicht, das bedeu- tende Vermögen der Zähne, ‚den Schall fortzupflanzen, in.der. Verbindung des Angesichtsnerven mit ‘dem ei- gentlichen Gehörnerven suchen zu müssen, als dass ich nicht den von’ Herholdt ‘) bereits aufgeführten Gegen- gründen in-allen’ Stücken beipflichten sollte. Theils fin- det nämlich eine solche Verbindung selbst nicht einmal durch den allerfeinsten Nervenzweig statt, .theils aber bleibt ‘es doch nur höchst unwahrscheinlich, dass, wenn, diese Nervenverbindung auch vorhanden: wäre, ‚der Wan- gennerve in denselben Verhältnissen ‚zu den lautenden Körpern, wie der ‚eigentliche, Gehömerve _\stände. Ueberdies' widerlegt sich diese Ansicht. auch schon dadurch, dass 'z. B..ein 'wackelnder. Zahn, (dessen Em- pfindungsvermögen | unbeschädigt, vielmehr. selbst un- gewöhnlich gesteigert ist; das Schlagen einer Uhr nicht vernehmen lässt, indessen feststehende Zähne, deren Nerven aller Empfindung beraubt: sind, oder ganze Rei- hen künstlicher Zähne, bei: denen. gar keine Nervenver- bindung "stattfindet, den. Schlag der 'Taschenuhr deut- lich vernehmen lassen, während nach. Köllners Ansicht doch nur jener Fall! das Hören des ‚Uhrschlages, ver- mehren, dieser dagegen dasselbe unterdrücken müsste. Das Vermögen der. Zähne, - Schallschwingungen, fortzupflanzen, liegt daher in keiner anderen, als,der allgemeinen Ursache begründet, ‚welche. überhaupt die Schädelknochen befähigt, den Schall fortzuleiten,. d.h. 1) Reils Archiv. Bd. I. S. 165 — 179. Ueber die Bedeut. der Eustachischen Trompete. 135 vermöge der ihnen ‚eigenthümlichen /Elastieität, in die durch. die anprellenden, Schallstrahlen zur Fortpflanzung, derselben ‚erforderliche zitternde Bewegung; zu gerathen. Wenn ‚aber dieses Vermögen den Zähnen, wie es un- zweifelbar ist, in. grösserem Maasse,' als irgend einem anderen Theile des Kopfes, beiwohnt, so lässt: sich ‚die- ses leicht und begreiflicher Weise daraus erklären, dass die Zähne theils hart ‘und mit keinen, die elastischen Schallschwingungen schwächenden, weichen Theilen be- deekt sind, theils fest ‚in den Knochen, des Schädels eingekeilt stehen, und daher um so unmittelbarer und stärker die ihnen mitgetheilten Schallschwingungen durch die Knochen in das ‚innere Ohr fortleiten können, Des- halb hören wir den Ton eines Claviers um. so 'stärker, sobald wir das eine Ende eines mit dem anderen. Ende auf den Resonanzboden gestemmten Stockes an die Zahnreihe des Oberkiefers andrücken, während das An- halten des Stockes an die Zähne des Unterkiefers, eben weil dieser nur durch. ein Gelenk mit demi Schädel 'ver- bunden ist, den.Eindruck der Töne bedeutend schwächt, _ oder wir von dem lautenden Körper gar nichts verneh- men, sobald derselbe an einen wackelnden, in seiner Höhle beweglich stehenden Zahn, oder eine solche Stelle des Kopfes gehalten wird, welche mit zu dicken und weichen, die elastischen Schallschwingungen , bevor sie die Schädelknochen erreichen, zu sehr dämpfenden Theilen umgeben sind. Sehr leicht kann man sich nun aber von der zit- ternden Bewegung, worein die Kopfknochen bei’ der Fortpflanzung des Schalles gerathen, überzeugen, wenn man, wie Schellhammer ‘) schon anführt, einen Stock auf die Scheitel des Kopfes hält, indem man in dem- selben eine deutliche zitternde Bewegung spürt, wäh- 1) A. a. 0. 136 WUeber'die Bedeut. der Eustachischen Trompete, rend die Töne in der Stimmritze sich bilden; oder wenn man eine Taschenuhr fest gegen die Zähne‘des Ober- kiefers eines Cädavers drückt, und nun mit verstopften Ohren seine Stirn gegen die Scheitel des "Cadavers ‘drückt, wo man alsdann deutlich den Schlag der Uhr vernehmen: wird. Unbezweifelbar scheint es mir, dass dieses deutli- che Schüttern der Kopfknochen in dem, den Gehörner- ven umgebenden Wasser, des Labyrinthes wellenförmige Bewegungen erzeugt, und dadurch die Pereeption des Schalles veranlasst; ja ganz gewiss scheint mir diese Annahme zu seyn, wenn wir erwägen, wie schwach diese Bewegung nur seyn kann, in die das Paukenfell, vermittelst der durch den äusseren Gehörgang eindrin- genden Schallstrahlen, gesetzt wird, und wie deutlich und klar wir dennoch hören. Ja, sollte es vielleicht, eben wegen dieses letzteren Umstandes, nicht höchst wahrscheinlich seyn, dass wie v. Autenrieth") anführt, die in den Gehörgang eindringenden Schallstrahlen nicht allein auf das Trommelfell auffallen, sondern, trotz der weichen,-den Gehörgang ausklebenden Membran, theil- weise durch die knöchernen Wandungen desselben in das innere Ohr fortgepflanzt werden? — Mir scheint es so, und dass das angeführte und bis jetzt besprochene Phänomen in der durch die anprallenden Schallstrah- len bewirkten Erschütterung der Kopfknochen, und kei- nesweges in der behaupteten Fähigkeit der Kustachi- schen Trompete, Schallstrahlen fortzupflanzen, begrün- det liegt, dafür spricht schliesslich noch der aus der vergleichenden Anatomie entnommene Beweis, dass näm- lich wohl lediglich diese Erschütterung der Kopfknochen die kein äusseres Ohr besitzenden Säugethiere zum Hö- zen befähigt. Offenbar möchte dieses bei den Cetaceen 1) A. a. 0. 8. 322, Ueber die Bedeut, der Eustachischen Trompete, 137 und einigen ohrlosen Phoken um so mehr der Fall seyn, als das Wasser, in welchem sie sich aufhalten, stärker als die Luft die Schallschwingungen leitet, ‘und Aehn- liches diirfen wir wohl nur bei den unter‘ der'Erde’sich aufhaltenden Spitzmäusen und dem Maulwurfe und''dem ohrlosen, mit harten Schuppen bedeckten ae thiere annehmen. — Eine der bis jetzt besprochenen sehr ähnliche Mei- nung über den Nutzen der Eustachischen' Röhre hat Caesar Bressa ') neuerdings ausgesprochen, ' indem er annimmt, diese diene dazu, dass der Mensch seine eigene Stimme hören könne, welches um so’nothwen- diger sey, als wir sonst unsere eigenen’ Läute nicht würden unterscheiden, sondern blos Töne’von üns ge- ben können, von denen wir keine ueınlieie Vorstel- lung hätten. HT ER Ka Als Gründe für diese Meinung, die, wie Brene be- hauptet, auch von Arnemann irgend wo‘ angenommen seyn soll, führt er die Bildung und Lage der Küustächi- schen Trompete an, welche der Art wäre, dass'sie die aus dem Kehlkopfe kommenden Laute unmittelbar auf- nehmen und fortpflanzen könne, und sieht in der be- kannten Thatsache, dass dieses Organ allen Thieren, welche keine eigentliche Stimme haben, fehlt, ‘während sie allen zukommt, die ‘eine Stimme haben, 'ünd bei diesen rücksichtlich ihrer Vollkommenlieit'mit'der Stim- me in directem Verhältnisse steht, einen unläugbaren Beweis, dass sie zur Perception der eigenen Stimme diene. Ueberdies scheint ihm der einfache Versuch, dass wir bei verschlossenen’Ohren und bei einiger Auf- merksamkeit die eigenen Töne und besonders ‘die Vo- cale stärker als bei offenen ’Ohren hören , ‘oder dass wir, sobald nur ein Ohr verschlossen ist, mit diesem 1) Reils Archiv. Bd. VII. S, 67. 138 Ueber.die Bedeut..der Eustachischen: Trompete. die eigene Stimme lauter. vernehmen, ebenfalls‘ ein re- dender Beweis für seine Meinung zu seyn; und so sucht er 'theils dem: ihm zu machenden Einwurfe, dass der äussere, Gehörgang vollkommen zum: Hören ‚hinreiche, dadurch. zu begegnen, dass er angiebt, die Natur be- diene ‚sich ‚nie, ‚selbst zur Erreichung eines Neben- zweckes, indirecter Mittel, wie doch der äussere Gehör- gang ‚in Beziehung ‚auf die ‚eigene Stimme nur seyn würde, abgesehen davon, dass die Schallstrahlen einen Rückweg machen müssten, der ihre Intensität nur min- dern könnte; theils meint er den zweiten Einwurf, dass der Mensch. beim Sprechen ‚sich nicht allein des ‚Kehl- kopfes, sondern, auch zur Bildung der, Töne und Worte der Lippen und Zunge bediene, und daher die Trom- pete nur ein unbequemer Weg sey, dadurch aus dem Wege zu räumen, dass die natürliche Sprache, des Men- schen weit einfacher, als die conventionelle 'gesell- schaftliche ‚sey,, ‚und blos in der Stimme bestehe, ‚wie dieses deutlich die Sprache der Wilden beweise, die sich , zur. Bildung ihrer Laute fast ausschliesslich. des Kehlkopfes und sehr wenig der Mundtheile bedienten. Dieses sind kurz die Hauptgründe, welche Bressa für seine’Meinung angiebt und des Weiteren ausführt, und wenn gleich mancher derselben scheinbar für seine An- sicht zu sprechen scheint,. so gehet dennoch die. Un- haltbarkeit seiner Ansicht aus dem bewiesenen Unver- mögen der Eustachischen Röhre, den Schall fortzupflan- zen, nicht nur sattsam hervor, sondern die meisten sei- ner Gründe redueiren sieh bei genauer Prüfung darauf, dass die Schallschwingungen der eigenen Stimme den Kopfknochen vom Rachen aus sich mittheilen und hier- durch in.das Innere des Ohres fortgepflanzt werden. Ueber- dies beweist die'mehrfach und namentlich von Autenrseth ') 1) A. a. 0. S. 321. 4 r Ueber die Bedeut; der Eustachischen Trompete, 139 gemachte‘, Erfahrung, dass, Menschen, welche wegen krankhaft verschlossener ‚Trompete im hohen . Grade schwerhörigi,geworden sind , und nur ‘mit, grosser ‚Mühe die Stimme, anderer ‚Menschen, ‘dagegen ihre eigene sehr deutlich, vernehmen,, mehr, wie: hinreichend. die Falschheit der von “Bressa über den, Nutzen der Kusta- chischen Röhre ausgesprochenen Ansicht. .— ' Worin besteht. nun ‚aber. die Bedenpe dieses. Or- ganes? \, Als Antwert auf ‚diese Frage muss ich, demselben, der darüber gewonnenen. ‚Ansicht zu Folge, eine dop- pelte Bedeutung. zuschreiben,..die ‚beide auf das. Hören einen grossen und’ wichtigen Einfluss, äussern. Einmal ‚nämlich . dient, die .Zustachische Röhre of- fenbar, und wie fast alle Physiologen älterer und neue- rer Zeit angeben, als, Ableitungsorgan,, für..die im In- neren der Trommelhöhle.,secernixte Feuchtigkeit, welche, wenn. sie, auf diesem‘ Wege ‚nicht abgeleitet würde, durch steigende Ansammlung nur den ‚Verlust. des 1Ge- hörs nach und nach bewirken, würde. 1 ..h „I ©. Die. Ansammlung dieser, Feuchtigkeit würde , näm- lich an sich schon, vermöge ihrer mehr oder minder schleimartigen,, und, daher ‘zur Fortpflanzung des, 'Schal- les wenig. tauglichen Natur ‚zur Minderung des, Gehörs beitragen, den Verlust, desselben vorzüglich. aber, da- durch herbeiführen, weil die im, directem ‚Verhältnisse zu der sich ansammelnden Feuchtigkeit comprimirt wer- dende ‚Luft doch nur die Fähigkeit verlieren kann,'in die zum guten und deutlichen Hören 'nothwendigen ‚ela- stischen Schwingungen zu gerathen, während das unter diesen Umständen stark ‚nach aussen’ gedrängte' und er- schlaffte Trommelfell zugleich zur gehörigen Perception des Schalles unfähig gemacht ist. Ein genügender Be- weis dieser Ansicht liegt meines Bedünkens in den eben nicht seltenen Beobachtungen, dass Menschen nach und 140 Ueber die Bedeut. der Eustachischen Trompete. nach völlig "taub ‚wurden, weil die; höchst wahrschein-' lich zur 'Schlüpfrigerhaltung des Trommelfells dienende, Feuchtigkeit ‚dureh‘ irgend - einen‘ Umstand nicht 'ab- fliessen konnte ‘und 'in der’ Trommelhöhle sich ansanı- melte; 'oder’'weil ebenfalls eine Ansammlung in der Trommelhöhle' entständ’, “weil 'das' Secret eines in der- selben und den- mit ihr in Verbindung stehenden Zellen des processüs mustoideus entstandenen’ widernatürlichen, Ccopiösen Secretionsprocesses nicht völlig durch die zwar offenen Eustaehischen Röhren abgeleitet verden konnte, weshalb’ schon Riolanus ') unter diesen Umständen ‘An- bohrung‘ "des" processus mastoideus vorschlägt, um "auf diese Art Ableitung des’ 'widernatürlichen Secretes, 'und dadurch die Re des ' Gehöres' zu be- fördern. In dieser unläugbar ‘von der Kustachischen Röhre: beschafften ‘Ableitung der in der'Paukenhöhle secernir- ten Flüssigkeit liegt nun aber die Hauptbedeutung die-' ses Organes keinesweges begründet, sondern dieser be- steht in der Erhaltung des Gleichgewichtes zwischen der in der Trommelhöhle enthaltenen und der äusseren Luft. un Die Trommelhöhle ist nämlich wie eine Pauke ge- bildet, und so wie diese nur schwach und dumpf tönt, wenn’ nicht die in der Pauke enthaltene Luft mit’ der‘ äusseren durch ein in der Seitenwand enthaltenes Loch’ correspondirt, '*o kann auch das Trommelfell im ge- wöhnlichen' "Zustände ‘des Ohres, seiner Verrichtung nicht ‘gehörig nachkömmen; wenn die Luft nicht frei in. die Trommelhöhle ein- und austreten kann. Was'nun das Loch in der Seitenwand der Pauke für diese ist, das ist die Zustachische Röhre für die Trommelhöhle, und indem auf diesem Wege Luft in die Trommelhöhle 1) Animadvers. in Bauhini- Theat. anat. p. 423. Ueber die Bedeut; der Eustachischen Trompete, 141 ein- und austritt,;so kann das Trommelfell, ‚welches da- durch zwischen zwei Luftportionen sich befindet, die in ungehinderter Verbindung mit der. Atmosphäre ste- hen, in die gehörigen Schallschwingungen‘ gerathen. Diese Bedeutung der Kustachischen Röhre scheint mir unläugbar auf so trifftige und wichtige physische und physiologische Gründe basirt, dass ich die physischen, aus der Lehre vom Schalle zu entnehmenden, glaabe übergehen zu können. ‚Ein physiologischer Hauptgrund für diese Ansicht ist nun die Leichtigkeit, mit welcher Luft durch diesen Kanal ein- und austreten kann, obgleich derselbe, wie ich bereits erwähnte, keine ‘freie Höhle höchst wahr- scheinlicherweise besitzt, sondern die den Kanal im In- neren auskleidende Schleimhaut, vermittelst ihres: Secre- tes an einander klebt. Asitley Cooper ‘) beobachtete z. B. einen jungen Menschen, dessen Trommielfell zerstört war, der, sobald: er den Mund ‚voll Luft nahm, die Na- senlöcher zuhielt und die Backen zusammenzog, die zu- sammengepresste Luft unter pfeifendem Geräusche 'durch diesen Kanal aus dem äusseren Gehörgange zum Ent- weichen brachte, und dadurch die Flamme eines vor- gehaltenen :Lichtes in Bewegüng setzte. Eben dieses verstärkte Eindringen der Luft durch die Kustachische Röhre führt beim Gähnen und Niesen, z.B. das Ge- fühl von Kitzeln und Stechen und die momentane Taub- heit herbei, während die Beobachtung, dass wir bei ei- nem ungewöhnlich starken und übermässigen Eindrucke von Schallstrablen auf das Trommelfell ‘ein: Kitzeln im Munde fühlen, daher rührt, dass die in der Pauke ent- haltene und durch die Bewegung des Trommelfells in zu starke Schwingungen gesetzte Luft durch die Ku- stachische Röhre entweicht. Pflegen doch dieserhalh 1) Gilberts Annal, f. Physik. Bd. XLIV, 142 Ueber die Bedeut. der Eustachischen Trompete, die Kanoniere, um dem heftigen Klingen und Stossen im Kopfe und dem bis zur Erregung von Erbrechen starken Kitzel im Munde zu entgehen, beim Lösen ih- rer Geschützstücke den Mund zu öffnen, weil dann die Luft desto leichter aus der Zustachischen Röhre ent- weichen kann. ‚ Diese Erfahrungen bestätigen unläugbar die Leich- tigkeit, mit welcher Luft durch die Zustachische Röhre in die Trommelhöhle ein- und austreten kann: aber sie geben zugleich auch den triffigsten Beweis der von mir diesem Organe zugeschriebenen Hauptbedeutung. Nur aus dem Streben, das Gleichgewicht zwischen der in der Paukenhöhle enthaltenen und der äusseren auf das Trommelfell stossenden Luft zu erhalten, entsprin- gen die erwähnten Erscheinungen, und wie Störungen oder völlige Aufhebung dieses Gleichgewichtes den we- sentlichsten Einfluss auf das Gehör ausüben, dieses zei- gen uns ‚mehrere Erfahrungen. Ich erinnere mır an die bekannte Erfahrung, dass wir bei heftiger Kälte ge- wöhnlich nicht sehr scharf hören, indem durch den sich unter diesen Umständen iin der Eustachischet Röhre gern ansammelnden verdickten Schleim dasEin-und Ausdringen der Luft erschwert wird; oder ich‘ verweise auf die vielfachen Beobachtungen über das Entstehen von völli- ger Taubheit, weil der irgend durch einen Umstand herbei- geführte völlige Verschluss dieser Röhren das Fin- und Äustreten der Luft völlig hemmte, und dadurch das zum Hören nothwendige Gleichgewicht zwischen der äusseren und inneren Luft aufhob. Valsalva ‘), Hal. ler *), Cooper °) führen zahlreiche Beobachtungen die- ser Art an, deren beweisführende Kraft wir um so we- 1) De organo auditus. 2) Element, physiol. Tom, V, p. 285. 3) Gilberts Annal, 'a, a. 0. Ueber die Bedeut. der Eustachischen Trompete. 143 niger verkennen können , als jene Männer nicht nur ein plötzliches Aufhören der Taubheit beobachteten, wenn der krankhaft geschlossene Kanal sich wieder ge- öffnet hatte, sondern es auch bekannt ist, dass bei Taubheit, die in einer andauernden krankhaften Ver- schliessung der Eustachischen Röhre begründet liegt, häufige Herstellung des Gehörs durch Durchbohrung des Trommelfells bewirkt ist, indem hierdurch das Gleichgewicht zwischen der inneren und äusseren Luft einigermaassen hergestellt wird. In dieser Erhaltung des erwähnten Gleichgewichts liegt offenbar der Hauptnutzen der Zustachischen Röhre begründet, und möchte der von Köllner ') ausgespro- chenen Meinung, nach der sie zur Ableitung der überflüs- sigen, in unser Gehörorgan gebrachten Schallstrahlen dienen soll, keine andere als diese, nur mit anderen Worten ausgedrückte, Bedeutung zum Grunde liegen. — IX. Ueber die Kiemenspalten der Säuge- thier - Embryonen trage ich zur Ergänzung des kleinen Aufsatzes im vo- rigen Jahrgange dieser Zeitschrift (8. 556.) noch Eini- ges nach. Damals konnte ich das Daseyn von fünf Paar Gefässbogen zwischen dem Herzen und der Aorta in den Säugethieren nur wahrscheinlich machen, jetzt kann ich sie aus Beobachtungen bestätigen. Zuvörderst habe ich fünf Embryonen vom Monde untersucht, welche etwas älter waren als ‘der in der 1)A. a. 0. 8, 23, 444 Weber die Kiemenspalten der Säugethier-Embryonen. ‚Epistola. de ovi mammalium et hominis genesi. Fig. V1. abgebildete. Der Harnsack war bereits weit hervorge- treten, der Darm bis auf eine spaltförmige ‚Oeffnung und fast eben so, weit die Bauchhöhle geschlossen; je= doch noch iohne Entwickelung der Nabelschnur. Diese Embryonen liessen sich in Hinsicht des Grades der Aus- bildung 'mit Hühner -Embryonen vom 4ten Tage ver- gleichen. ' In allen fanden’ sich noch alle vier Kiemen- spalten. offen, 'so wie Rathke sie gesehen hatte, als er seine merkwürdige Entdeckung zuerst bekannt machte, Die vorderste reichte nicht so weit nach unten als die hinteren. Durch diese vier Kiemenspalten und die Mund- spalte wurden, wie in den Eidechsen, fünf Kiemenbogen abgegränzt, die unter sich sehr ungleich waren. Die zwei vorderen derselben ragten sehr auffallend aus der Seitenfläche des Leibes hervor. Die drei hinteren waren viel. niedriger. Im vordersten war der Uebergang in den Unterkiefer schon sehr deutlich, und aus dem zwei- ten ragte der nach aussen vorspringende Kiemendeckel als Verlängerung hervor. In jedem der drei hinteren Kiemenbogen sah ich einen, starken Gefässbogen, der von Blute strotzte.e Aus dem hintersten dieser Gefäss- bogen lief noch, wenigstens: auf der rechten Seite, ‘ein Nebenast in die Seitenfläche des Leibes. Sehr auffal- lend war es mir, dass ich in jedem Kiemenbogen, dem inneren contaven Rande nahe, noch ein schwaches Ge- fäss erkannte, dessen Verbindung ich aber nicht voll- ständig verfolgen konnte. Etwas Aehnliches 'hatte ich noch bei keinem Embryo, weder aus dieser, noch aus einer anderen Klasse bemerkt. ‘In den beiden vorderen, sehr verstärkten und hervorragenden Kiemenbogen war ‚kein Gefässbogen mehr zu erkennen. Bald darauf’ öffnete ich ein Kaninchen, in welchem ich Eier von der Grösse einer Zuckererbse, bis zu der Grösse einer Muscatennuss fand. Es sind. nämlich die In {! Ueber die Kiemenspalten der Säugethier-Embryonen. 145 Eier der Kaninchen oft von sehr. ungleicher Grösse. Nicht ganz so verschieden waren die Embryonen, aber doch verschieden genug, um mir mehrfache Entwicke- lungsstufen zu zeigen. Alle hatten vier Kiemenspalten und fünf Kiemenbogen. In den kleinen Embryönen sah ich die vorderen Bogen sogleich beim ersten Anblicke, von einem Gefässe durchzogen, und überhaupt den hin- teren ziemlich gleich. In den übrigen mehr entwickelten Individuen ragten die beiden vorderen Kiemen wie in den Hunde-Embryonen weit stärker vor, und die Gefässe waren in ihnen von aussen nicht mehr kenntlich. Wenn ich aber von der Rachenhöhle aus den Kiemenapparat aufspaltete, so sah ich auch ir diesen Embryonen die Gefässbogen der vorderen Kiemenbogen noch sehr deut- lich, nah am inneren, der Rachenhöhle zugekehrten Rande verlaufen. Hieraus schliesse ich, dass, indem sich die beiden vordersten Kiemembogen zum Unterkiefer und Kiemendeckel umwandeln, die Wucherung ihrer Sub- stanz mehr am äusseren als am inneren Rande statt- findet, wodurch denn (die Gefässbogen für die Ansicht von aussen viel früher verdeckt werden, als sie wirklich schwinden. In den hinteren Kiemenbogen waren die Gefässe in allen Exemplaren sehr kenntlich, und hatten dasselbe Ansehen wie in Eidechsen. In den kleinsten Exemplaren waren die hintersten Gefässbogen sehr eng. Es sind also auch in ‚den Säugethieren 5 Paar Ge- fässbogen, welche das Herz mit der Aorta verbinden. Die jüngeren der hier erwähnten Embryonen von Kanin- chen, mehr aber noch der Embryo vom Hunde, welcher in der Epistola de ovi mammalium genesi Fig. VII. ab- gebildet ist, lehren, dass diese Gefässbogen, eben so wie im Hühnchen, von vorn nach hinten sich entwickeln. Sie verschwinden auch in derselben Reitesfolge. Auffallend dürfte es den meisten Anatomen seyn, und wenig glaublich scheinen, dass in Säugethieren die Meckels Archiv f, Anat, u, Phys. 1828, 10 146 Ueber die Kiemenspalten der. Säugethier - Embryonen, Gefässe und besonders die Kiemenspalten mehr. gleich- zeitig bestehen, als im Vogel. Ich kann nach meinen Beobachtungen an der Sicherheit dieser Thatsache nicht zweifeln, und glaube, sie hat ihren Grund wohl in der Eigenthümlichkeit der Klasse der. Vögel. Wie nämlich die Insecten unter allen Thieren, und unter den Wirbel- ' losen insbesondere, sich dadurch auszeichnen, dass die verschiedenen Entwickelungen nicht neben einander gleich- zeitig fortgehen, sondern auf einander folgen (eine Wie- derholung der Natur der Pflanzen), so ist es in minde- rem Grade auch bei den Vögeln. In den Insecten folgen sich bekanntlich die Entwickelungsmomente in völlig ge- sonderten Zeiträumen, während sie in anderen Thieren mehr, gleichzeitig, sind. Wie nun überhaupt die Vögel in. der Sphäre der Wirbelthiere die Eigenthümlichkeiten der Insecten wiederholen, worüber. ich nur auf die treff- liche Abhandlung von Nitzsch.(dieses Archiv 1826. S. 43.) verweise, so auch in der Periodicität der Entwickelung. Dass der Vogelnoch: nach dem Auskriechen aus dem Eie, in den verschiedenen Altern, als Nestvogel, junger Vo- gel, alter Vogel u. s..w., oft so verschieden aussieht, 'er- innert sehr an. das Insectenleben, und ist nichts als eine fortgehende Aeusserung jener Periodieität der Entwicke- lung, welche, schon im Eie waltet, und die sich unter andern in der. Ausbildung und dem Verschwinden des Kiemenapparates zeigt. Dass in der Ausbildung des Miahdanppureieh die Reptilien den Säugethieren ähnlicher sind als den Vögeln, ist also ein Beweis, dass nicht alle. Verhältnisse.nach der Progression der höheren Ausbildung der verschiede- nen, 'Thierformen. fortgehen, und ‚besonders interessant in. diesen Gebilden, da die Kiemenspalten vorzüglich die Lehre zu unterstützen scheinen, dass die höheren Formen von Thieren in ihrer Ausbildung die Organisation der niederen Formen ‚durchlaufen, eine: Lehre, welche ich Ueber die Kiemenspalten der Säugethier-Embryonen, 147 für einen einseitigen Ausdruck des wahren. Gesetzes der Entwickelung der verschiedenen Formen halte. Dieses Gesetz scheint mir darin zu bestehen, dass alle thieri- sche Formen bei ihrer Entwickelung aus einem Grund- typus zu einer besonderen Form sich individualisiren. Es haben z.B. die Embryonen aller gegliederten Thiere, je jünger sie’ sind, um desto mehr Aehnlichkeit mit ein- ander. Wenn nun einige vom Grundtypus: sich mehr entfernen als andere, so hat es allerdings einigermaassen den Schein, als ob die ersteren die Bildung der letzte- ren durchliefen. Der Schmetterling ist aber doch nie wie ein Blutegel organisirt gewesen. Schmetterling und Blutegel sind nur um so ähnlicher, je jünger 'sie sind. Noch auffallender: ist die Uebereinstimmung in den zar- testen Embryonen der Landwirbelthiere. Eine junge Ei- dechse ist von einem Hühnchen kaum anders als. durch die Grösse zu unterscheiden, und von einem Hunde noch weniger. Mehr weichen diejenigen Wirbelthiere. schon im ersten Embryonen- Zustande ab, die sich im Wasser entwickeln; indessen ist die Uebereinstimmung doch gross genug, um den gemeinschaftlichen Typus nicht zu: ver- kennen. Dieses näher durchzuführen bedarf es einer besondern Abhandlung. In’ Bezug auf den vergänglichen Kiemenapparat.der Landwirbelthiere dürfte hier aber noch eine, Bemerkung nicht: überflüssig seyn, indem es Misstrauen gegen meine Darstellung erregen könnte, dass ich mehr’ Kiemenbo- gen und Gefässe beschreibe als andere: Beobachter. Der Umstand, dass die vorderste Kiemenspalte sich früh verkürzt, und ihr oberer Theil länger besteht als ihr unterer, scheint Huschke veranlasst zu haben, sie für die Ohröffnung anzusehen. So viel ist wenigstens gewiss, dass die äussere Ohröffnung nichts mit dem Kie- menapparate gemein haben kann, da das Ohr nicht zu der unteren, sondern zu der oberen Hälfte des animali- 148 Ueber die Kiemenspalten der Säugethier- Embryonen. schen Theiles vom Leibe der Wirbelthiere gehört, der Kiemenapparat aber zur unteren. Ich darf es nämlich als bekannt voraussetzen, und es wäre hier nicht der Ort, es weiter aus einander zu setzen, dass der ganze animalische Leibestheil der Wirbelthiere sich von einer Mittellinie nach oben und nach unten erstreckt, wie ich im Jahrgange 1826 dieser Zeitschrift, bei Gelegenheit des Skelettes, im welchem dieses Verhältniss am deut- lichsten ist, aus einander gesetzt habe. Nur die Kusta- chische Röhre des Ohres ist eine Verlängerung aus der oberen Hälfte des animalischen Leibes in die untere, und ihre Einmündung in die Rachenhöhle hat allerdings mit der inneren Mündung jeder Kiemenhöhle um so mehr Aehnlichkeit, je jünger der Embryo: ist. Dieses führt mich auf die Verbesserung eines Druck- fehlers auf der''581sten Seite des Jahrganges 1827 un- serer Zeitschrift, eines Druckfehlers, der bei dem übri- gens correeten Abdrucke nothwendig Missverständnisse erzeugen muss. Es ist hier Rückensaite statt Rücken- seite zu lesen. Rückensaite (chorda dorsalis) habe ich nämlich einen Strang genannt, der sich in der Mitte der Wirbelsäule zwischen der oberen und unteren Hälfte und den beiden Seitenhälften des Skelettes bildet. Ich glaubte bei Absendung jenes kleinen Aufsatzes, dass er ungefähr gleichzeitig mit einem Beitrage zu Burdachs Physiologie erscheinen würde, in welchem die Rücken- saite ausführlich beschrieben wird. Den 10ten April 1828. . Baier. Arc wı'V für Anatomie und Physiologie. I. Monströse Larve eines Fötus. Von A. MEckeEr in Bern. (Hierzu Tab. IV. und V.) Wenn auf der einen Seite häufige Beobachtungen beweisen, dass geringe äussere Difformitäten, wie z. B. die Hasenscharte, oft das Wahrzeichen grosser inne- rer Missbildungen sind, und wenn aus diesem Satze in praktischer Hinsicht eine bedenkliche Prognose ‘bei le- benden, eine höchst sorgsam nachforschende Obduction (in gerichtlichen Fällen) bei todten, mit einer wenn gleich nur kleinen äusseren Abnormität geborenen Kin- dern folgt: so giebt es auf der anderen Seite auch sel- tene Fälle vom Gegentheil; wo ausserordentliche äusse- re Missgestalt mit relativ kleinen inneren Abweichun- gen zusammentrifft, und wo der innere Befund auf ent- gegengesetzte Weise die vom äusseren Anblicke ent- lehnte Muthmassung täuscht. Die hier abgebildete (Tab. IV. Fig. 1), seit 20 Jah- ren im Museum zu Bern aufbewahrte Missgeburt zeigte, im Weingeiste eines weiten reinen Glases frei schwe- bend, so wenig von der menschlichen Bildung, dass Meckels Archiv f. Anat. u, Phys. 1828. 11 150 Monströse Larve eines Fötus. ich sie als ein Beispiel der von älteren Schriftstellern sogenannten molae spuriae mit Löwen-, Elephanten - und Kalbsköpfen vorzuzeigen pflegte, ich glaubte, sie gehöre in die Classe derer, deren Wesen ein Mangel der Entwickelung der oberen Körperhälfte ist, und ich hielt sie für ein monstrum acephalum. Diese Meinung war wissenschaftlich begründet, wenn gleich die Folge bewies, dass sie irrig war und dass diejenigen Recht gehabt hatten, welche, um Grün- de unbekümmert, jene Geschwulst (A), weil sie am oberen Körperende sässe, für einen Kopf erklärten. Wäre das Innere, wie dies in der Regel der Fall ist, dem Aeusseren entsprechend gewesen, so hätte dieser muthmassliche Acephalus viel Aehnlichkeit mit einem von Büttner (Anatom. Wahrnehmungen. S. 188. ff.) beschriebenen gehabt, von welchem gesagt wird (7. | c.. 8. 190.): „es war kein ordentlicher Kopf, sondern „nur eine fleischig schwammige Masse oder Klumpen ‚„vorkanden, dem das ganze Gesicht und die Werk. „zeuge der Sinne, als Augen, Ohren, Nase, Zunge „ete. fehlten, jedoch zeigte sich eine Abtheilung von „dem Rumpfe, welche den Klumpen von der anfun- „genden Brust unterscheidete.“ Ja die Geschwulst hatte im Büttnerschen Falle, äusserlich betrachtet, wahr- scheinlich noch mehr Aehnlichkeit mit einem Kopfe, denn (7. c.) „auf dem den Kopf vorstellenden dicken „und harten Klumpen waren ganz feine Haare.“ Den- noch wird dies Monstrum mit Recht den Acephalen beigesellt (J. F. Meckel pathol. Anat. I. S. 151.), weil noch keine andere in der Natur begründete Familie von Monstris nachgewiesen worden ist, welcher es näher angehörte. Die Missbildung der Kopflosigkeit (Acephalie), und | ihres geringeren Grades, der Hirnlosigkeit (Anencepha- | lie) ist unter den Hemmungsbildungen unstreitig die Monströse Larve eines Fötus. 151 häufigste. Denn wie nach der Geburt, wo die Regel- widrigkeiten der Lebenskraft Krankheiten erzeugen, fast keine bedeutende Krankheit vorkommt, in welcher nicht zugleich die Funetionen des Kopfes (namentlich des Gehirnes und der Sinnorgane) sehr wesentlich in Mitleidenschaft gerathen; so ist vor der Geburt, wo Abweichungen der Lebenskraft die Missbildungen aller Art hervorbringen, gleichfalls der Kopf die am häufig- sten jenen Abweichungen unterworfene Körpergegend. Ein tiefer Einschnitt, welchen ich in die Kopfge- schwulst machte, bestärkte mich in der Meinung, es sey ein blosser sulziger Klumpen, als ich indessen spä- terhin den Schnitt bis in die Spalte B. hinabführte, die beiden so entstandenen Lappen von einander bog, und nun ein wohlgebildetes Fötusgesicht erblickte (Fig. 2.), welches von den Wänden der Geschwulst wie von ei- ner Vorhaut verborgen gewesen war, erging es mir wie dem Kinde, das den als Bären vermummten Mann vor seinen Augen die Maske abwerfen sieht, denn die Idee eines so verlarvten Fötus war mir eben so neu, Die Haut des Gesichts, mit Inbegriff der äusseren Ohren, so wie auch die der äussersten Finger- und Zehenspitzen, an welchen auch die Anfänge der Nägel ganz regelmässig vorhanden waren, also wohl im All- gemeinen die’nervenreichsten Theile des ganzen Haut- systems hatten bei diesem Fötus der Monstrositätsur- sache Widerstand geleistet, waren fein und glatt, die übrige Haut dagegen zeigte die, beim Durchschnitte in Fig. 2. so auflallende, zum Theil gegen 2 Zoll dicke, sulzige, mit vielen theils zusammengefallenen, theils noch mit Lymphe angefüllten Höhlen durchwebte Auf. lockerung und Vermehrung ihrer Substanz. An den Finger- und Zehenspitzen war der Uebergang der nor- malen in die abnorme Haut unmerklich, am Gesichte aber durch eine faltenartige Umbiegung, wie sie die dar 152 Monströse Larve eines Fötus. Vorhaut "hinter der corona glandis macht, scharf be- grenzt, die Grenzlinie (Fig.2. aaa.) ging über den un- teren Theil der Stirn bis zum äusseren Ohre, dann dicht hinter diesem hinab und nach vorn, dicht über dem un- teren Rande des Unterkiefers, dicht um die Sinnorgane und die Mundöffnung herum, und an allen diesen Pun- ”cten ging die sehr feine Haut ganz plötzlich in die un- geheure Larvenhaut über. “ Die Auftreibung der Haut nahm im Allgemeinen von.den oberen Körpertheilen gegen die unteren ab; ihre stärksten, sackförmig hervorragenden Geschwülste “fanden sich indessen am Gehirntheile des Kopfes und in der Lendengegend, also grade an den Stellen, wo in den gewöhnlicheren Fällen von Missbildung die hydro- cephalische und hydrorhachitische Anschwellung erscheint; es scheint, als habe die missbildende Ursache hier eine ungewöhnliche Wahl des missbildeten Organs getroffen (Kig. 2. A. und €.) Es fand sich nun auch, entsprechend dem wohlge- bildeten Gesichte überhaupt, ein nicht wesentlich verun- stalteter, wenn gleich etwas regelwidrig grosser, mit aufgelöster Gehirnmasse angefüllter Kopf, und über- haupt ein der Form nach regelmässiges Skelet. Auf- fallend war indessen der Mangel erdiger Knochensub- stanz und die Dünnheit der knorpelartigen Knochen. In welcher nahen Beziehung Knochen- und Hautsystem zu einander stehen, lehrt die vergleichende Anatomie durch zahllose Beispiele, und es ist daher begreiflich, dass zwischen beiden auch ein krankhafter Wechsel- verkehr, Hemmung des Einen bei Luxuriation des An- dern leicht Statt finden könne. Auch die Muskelsubstanz (bekanntlich der Kno- chenstärke gewöhnlich entsprechend) war nur in ge- ringer Menge vorhanden, gleichfalls verdrängt durch die wuchernde Haut, und die Organe der Brust- und | Monströse Larve eines Fötus. 153 Bauchhöhle zeigten gleichfalls einige bemerkenswerthe Abweichungen, wie sie bei monstris a defectu schon öfter beobachtet wurden. Die Thymus war zwar vorhanden, jedoch nur von der Grösse zweier Linsen, sie hatte sich also, relativ zu klein, auf der ungefähr in der Mitte des 4ten Mo- nats normalen Grösse erhalten, da doch dieser Fötus sehr wohl die Grösse eines fünfmonatlichen besitzt, ja (der Lage der Testikeln zu Folge, Fig. 2. 55.) wohl als ein sechsmonatlicher angesehen werden darf. Das Herz, im Innern regelmässig, zeigte äusser- lich durch tiefe Einkerbung an der Spitze theils ‚die frühe Embryoform, theils, die Manatusbildung (Fig. 2..d.). Der Blinddarm fand sich unmittelbar unter der Le- ber (Fig. 2. f.), da er doch im Öten Monate gewöhn- lich schon an der bleibenden Stelle liegt. Die Nebennieren fehlten ganz; die rechte Niere stand am Eingange des Beckens, die linke am ge- wöhnlichen Orte (Fig. 2. ee.). Das Rückgrat zeigte an der Lendengegend keine Spur von Spaltung, obgleich die äussere Geschwulst €. auf eine solche bestimmt hinzudeuten schien. Das Wesen dieser Missgeburt ist, in Betreff der inneren Organe, ganz offenbar Retardation oder Hem- mung im Einzelnen: bei fortschreitender Ausbildung des Ganzen, schwerlich aber dürften die verdickten Umge- bungen derselben auf gleichen Ursprung zurückgeführt werden; denn ist gleich der ganze Embryokörper ur- sprünglich sulzig, ‘wie hier die Haut, so wäre ‘dies doch höchstens eine Analogie ‘mit’ dem: früheren Nor- malzustande in Absicht der Textur, zu keiner Zeit da- gegen findet sich eine relativ zum Körper des Embryo in dem Grade verdickte Haut. Leichtes Spiel haben hierbei die Mechaniker; wie leicht erregen Stösse bei Kindern wässerige Hautge- 154 Monströse Larve eines Fötus. schwülste (Brauschen), wie leicht konnte dieser: Fötus, vielleicht von allzuwenigem Fruchtwasser umgeben, öf- ters gedrückt oder gestossen worden seyn. Man denke sich nur den Kopf unmittelbar über dem inneren Mut- termunde. Hrn. G...... y St. H. würde es Kleinigkeit seyn, dergleichen künstlich hervorzubringen. Auch die Freunde der ausgedehnten Theorie vom Versehen werden sich befriedigt fühlen, indem sie be- denken, dass die Schwangere vielleicht einen, den Kornsack auf der Schulter zur Mühle tragenden Knecht mit besonderem Interesse betrachtet habe, oder vor ei- nem Käsehändler (welche in der Schweiz ihre Bürde in einem den Kopf und Rücken bedeckenden Gestelle tra- gen) plötzlich erschrocken sey. Diesen und Aehnlichen mögen die Worte 0. F. Mül- lers (Zool. Dan. I. S. 76.): „Wie klein und wie kin- „disch ist das Wunderbare, welches der gemächliche „Mensch den Geschöpfen Gottes andichtet, gegen das „für den höchsten Verstand Beachtungswürdige, das der „von Vorurtheilen freie und untersuchende Naturforscher „in demselben findet“, noch jetzt gesagt seyn. Anhäufungen sulziger Substanz in der oberen Kör- pergegend finden sich ganz allgemein bei den wahren kopflosen Monstris ‚als Ersatz des KFehlenden; diese Anhäufungen sind als die niedrigste Production jener Kraft im menschlichen Organismus zu betrachten, gleich- wie die niedrigsten Organismen überhaupt aus derglei- chen Masse bestehen (Polypen, Medusen). Leicht kann die Bildungskraft, wenn gleich ‘sie schon die Organe entwickelt, dennoch 'auch als wahren Ueberschuss eine solche Massenanhäufung. gerade an den Stellen vorzüg- lich produeiren, wo sonst häufiger blosse Wasseran- sammlungen erscheinen, da sie ja selbst Doppelmonstra hervorbringt. Im vorliegenden Falle mag wohl eben durch Monströse Larve eines Fötus, 155 diese Afterproduetion Erschöpfung des Bildungstriebes und frühes Absterben der Frucht bedingt worden seyn. Erklärung der Tafeln. Tab. IV. Monströse Auftreibung der Haut. eines Ömonatlichen Fötus. A. Ausserordentliche sulzige Hautverdickung, um den Kopf. B. Spalte in derselben und dadurch gebildeter oberer und un- terer Wulst. ©. Auftreibung in. der Lendengegend, daher Anschein von Rückgrats - Lendenspalte. ! TOD V. Derselbe Fötus nach vorgenommener Durchschneidung seiner sulzigen Bekleidung und Entfernung derselben. zur Hälfte. A. Längendurchschnitt der Kopfgeschwulst: B, Die vordere Spalte nach Durchschneidung des oberen und unteren Wulstes. aaaa. Das hinter‘ der ‘Spalte erscheinende, 'wohlgebildete, mit sejner Haut, welche ‚an, den Grenzen aa, in ‚die Sulze übergeht, bekleidete Gesicht, €, Durchschnitt des Lendenwulstes „ wobei das Rückgrat als . regelmässig gebildet erscheint. bb. Die Hoden am Eingange des Bauchringes. d. Das an der Spitze gespaltene Herz. "ee, Die Nieren; Nebennieren fehlen, die rechte liegt anı Ein- gange des Beckens, \ f. Der Blinddarm , ungewöhnlich hoch liegend. 156 Theilweiser Hirn- und Schädelmangel. 11. Theilweiser Hirn- und Schädelmangel. Von A. MEckeEu in Bern. (Hierzu Tab. VI. Fig. 1.) Durch die Güte meines verehrten Hrn. Collegen, Prof. Tribolet erhielt ich in frischem Zustande einen Mikro- . cephalus mit folgenden Eigenthümlichkeiten: Ein reifer, wie gewöhnlich beim Hirnmangel, woAl- genährter weiblicher Fötus, 19' lang, 75 Unzen schwer, mit Ausnahme des Kopfes sehr gut gebildet. Zwischen den beiden Hasenscharten (Fig. 3. a—b.), von denen die rechte 14", die linke 5'' breit war, zeigten sich, ohne Spur einer Oberlippe, die beiden ver- einigten Intermaxillartheile der Oberkiefer; alles, mit Ausnahme der Breite jener Spalten, im frihen Embryo- zustande ganz regelmässige Formen. Freilich darf man in der 6ten bis 8ten Woche des Embryo noch keinen Intermaxillaränochen suchen, indem alle Gesichtsino- chen, mit Ausnahme des Uhnterkiefers, späteren Ur- sprungs sind, dass aber die Intermaxillartheile als halb- flüssige Knorpel auch beim Menschenembryo Anfangs vorkommen, unterliegt wohl keinem gegründeten Zweifel. Die Haut unter der Nase ging ohne Falte in das Zahnfleisch über, welches die vier regelmässig gestal- teten Zahnkeime und Bälge bedeckte (c. u. d.). Hinter den Zahnkeimen (d.), in der Gegend des vorderen Gaumenloches (for. incisivum) hörte jede wei- tere Trennung von Mund- und Nasenhöhlen ganz auf, der Intermaxillartheil war mit den Nasenfortsätzen des Oberkiefers und Nasenbeinen vereint, in der Mitte stieg die knorplige Scheidewand von der Schädelbasis bis zu den Nasenlöchern allmälig verschmälert hinab, Theilweiser Hirn- und Schädelmangel. 157 blos im‘ vorderen Theile eine Trennung in zwei Na- senhöhlen bewirkend. Der innere Theil der Oberkieferbeine war von ih- ren äusseren Theilen auch höher hinauf durch die bei- den Gesichtsspalten (e—.f.) völlig getrennt. Die Weite dieser Spalten entsprach den Dimensionen der Hasen- scharten; die linke um das Vierfache weiter als die rechte; wiederum ein zurückgebliebenes, freilich mon- strös vergrössertes Bild dessen, was Anfangs Normal- form ist, deren Spur bei der gewöhnlichen Ausbildung nur schwach im Infraorbital-Loche und Canale übrig bleibt. Das Innere dieser Spalten war überall mit der scharf abgegrenzten rothen Schleimhaut bekleidet. Die unteren Augenlieder fehlten ganz, statt des oberen linken existirte nur eine kaum hervorragende Falte (e), unter welcher eine zahnfleischartige Substanz (f) das Dach der Augenhöhle bekleidete und den Aug- apfel ganz nach aussen drängte (g). Das rechte obere Augenlied (A) war normal, jedoch gleichfalls durch eine schwammige, am unteren Rande hervorragende Sub- stanz (@) hervorgetrieben, der Augapfel eben’ dadurch hinabgedrückt. Im Innern des Gesichtstheiles fehlten die Nasen- muscheln, wahrscheinlich die 'ganzen Seitentheile des Riechbeins, der Pflugschaar; die Gaumenfortsätze der Oberkiefer- und Gaumenbeine existirten als wenig her- vorragende Leisten, von deren hinterem Ende auf jeder Seite zwei’kleine Hautfalten, Rudimente des weichen Gau- mens hinabstiegen, zwischen denen die Mandeln her- vorragten. Die Gesichtsspalten erstreckten sich am äusseren Theile der Augenhöhlen noch höher zwischen das Stirn- bein, Jochbein, die grossen Keilbeinflügelund Scheitelbeine hinauf (AA.), und erweiterten sich nun zu einer grossen, zwischen Stirnbein, Keilbein, Scheitelbeinen und Hin- ‚ 158 Theilweiser Hirn - und Schädelmangel. terhauptbein ' befindlichen, von Knochensubstanz ent- blössten Stelle (2. 7.). Die Hautbedeckungen verhielten sich hier ganz wie beim angebornen Bauchbruche ,, verwandelten ‚sich in eine dünne von Haaren entblösste Membran, mit: wel- cher sich im Umfange die Ränder der angrenzenden Knochen, im. übrigen Theile die verdiekten Hirnhäute von innen her vereinigten. Die einzelnen Hirnhäute waren nicht zu trennen, doch zeigte sich nach Durchschneidung. der, bedecken- den Membran (des Bruchsackes) an der inneren. Fläche ein, den Adergeflechten ähnlicher Ueberzug , die zusam- mengedrängte pia mater. Vom Gehirn selbst waren die Theile der: Basis und das/ganze Cerebellum vorhanden, ungefähr ;; der gan- zen, Masse des encephali; zwischen ihm, dem zentori- um und der bedeckenden pia mater fand, sich noch. eine ansehnliche Anhäufung schwammiger Sulze;.. Balken, Gewölbe, Markscheidewand, vordere und hintere Com- missur, Vierhügel, Zirbel fehlten ganz; yon den Sei- tenhöhlen und der dritten Höhle waren, gleich. der Hirnbasis, die unteren Theile, sammt den in’ ihnen. be- findlichen Erhabenheiten und Vertiefungen. regelmässig vorhanden, die oberen Gegenden derselben fehlten gleichfalls. Die Stirnbeine waren, mit Ausnahme: der, obersten Spitzen und: des Augenhöhlentheils, ganz regelmässig entwickelt, von den Scheitelbeinen war. nur /der. untere, nach vorn. ganz schmale Theil vorhanden , am: Hinter- hauptbeine fehlte das’ von der inneren Querleiste auf- wärts gehende Stück. Theilweiser Hirn- und Schädelmangel. 159 Erklärung der Tafel. Tab. VI. Fig. 1. Theilweiser Hirn- und Schädelmangel mit Gesichts- spalten. a— b. Oberer Mundrand mit doppelter Hasenscharte, c. Das Zwischenkieferstück mit mangelnder Oberlippe, d. Die Capseln der Schneidezähne im Zahnfleische, e. Das linke obere Augenlied als eine kleine Hautfalte vor- handen. t f. Eine schwammige zahnfleischartige Substanz unter dem Au- genliede hervorragend. F g. Der herabgedrückte Augapfel. h. Das obere Augenlied der rechten Seite, weit tiefer hängend als auf der linken Seite. ‘. Etwas unter ihm hervorragende schwammige Substanz, welche den Augapfel nach innen drängt. a—k. und b—k. Die Gesichtsspalten, welche bei k. sich aus- breitend, den theilweisen Schädelmangel erzeugen. In der ganzen Figur erscheint die rechte Hälfte weniger monströs als die linke. IM. Bemerkungen über einen Kalbscy- klopen. Von A. MEckeEL in Bern, (Hierzu Tab. VI. Fig. 2. und 3.) Woenn gleich die Natur bei den regelwidrigen. Pro- ductionen keine solche Zreppenförmig aufsteigenden Li- nien bildet, wie dies bei den regelmässigen der Fall ist, wo die. Arten. der Organismen und noch mehr die Arten unter den einzelnen Organen scharf von den übri- gen abgegrenzte Stufen bilden; so erscheinen doch. die 160 Bemerkungen über einen Kalbseyklopen. aufsteigenden Linien in den Monstrositäten eben so klar als in jenen, wenn gleich in Form. eines ununter- brochenen Abhanges, dessen Stufen unendlich sind, in- dem jedes neu erscheinende Monstrum eine neue Stufe einnimmt. Die Natur variirt 'allerdings ins Unendliche in Hinsicht der Form der Monstraorgare, keinesweges in Hinsicht ihrer relativen Lage; Schotis Monstra mit Gesichten auf der Brust, penis im Gesichte u. dergl. werden nie erscheinen. Eine gewisse Norm in den Wirkungen des Bil- dungstriebes bei der Monstra-Zeugung ist unverkenn- bar; eine Entwickelung des Einfachen zum Zusammen- gesetzteren und Doppelten, eine Reduction der Duplici- tät auf die Einheit. In vielen Fällen erscheinen bei diesen regelwidri- gen Verdoppelungen einfacher, oder Vereinfachungen doppelter Organe theils die ursprünglich regelmässigen Formen desselben, theils die dleibend regelmässigen an- derer Organismen, so bei der Vereinfachung des Her- zens, der Verdoppelung des Uterus, zum Theil auch wohl der Nierenverschmelzung; in anderen Fällen sehen wir zwar den Bildungstrieb auf ähnliche Weise auf die Organe einwirken, ohne jedoch Producte zu liefern, welche in irgend einer Periode, oder irgend anderswo als regelmässig vorkämen; so bei der Sirenenbildung, Cyklopie und Hirnverschmelzung. Von der vollkommenen Cyklopie und Monophthal- mie schafft der regelwidrig wirkende Bildungstrieb eine Reihe aus unendlichen Gliedern bestehender Formen bis zur vollkommenen Augenbildung, er wiederholt diese Reihe, mit Excess wirkend, bis zur Vollendung von vier Augen zweier getrennter Köpfe auf einem Rumpfe, jedes neue Mittelglied ist eine neue Naturerscheinung, und somit glaube ich auch diesen kleinen ir geben zu dürfen. Bemerkungen über einen Kalbseyklopen. 161 Unter den zahlreichen, von Tiedemann (s. dess. u. Treviranus d. Ä. u. I. Zeitschr. f. Physiol.I. S. 56 ff.) mit grosser Gelehrsamkeit gesammelten Fällen von Cy- klopie findet sich keiner, welcher die Eigenthümlichkeit von diesem (wiewohl ich leider ausser dem Schädel und der schlecht ausgestopften Kalbskopfhaut blos das seit langer Zeit im Weingeist aufbewahrte Auge vor mir habe) ganz verdrängte, wenn gleich der einzige, bis jetzt beschriebene Kalbscyklop (Philos. Transact. 1665. Nr. 5.) mit demselben viel Aehnlichkeit zeigt. Tiedemann, Eller und Lenhossek beobachteten voll- kommene Cyklopie, wobei der Augapfel selbst überall einfach erscheint, und nur seine Umgebungen‘ die Ver- schmelzung beurkunden; in der grösseren Anzahl von Fällen gab es allmälige, oft kaum merkliche Ueber- gänge, welche die Verdoppelung des Augapfels mehr oder weniger andeuteten; meistens zeigten sich diese Andeutungen mehr im hinteren als vorderen Theile des Augapfels; zwei vollkommen getrennte Hornhäute ka- men vor in zwei Beobachtungen von Tiedemann (l. c. 1ste und 3te Beobacht.), in den von Collomb, Ploucquet und L’EveilleE beschriebenen Fällen und in dem ( Philos. Transact.) erwähnten Kalbsceyklopen. Mit letzterem kommt also der vorliegende Fall (Tab. VI. Fig. 1. u. 2.), in Hinsicht der ganzen Form des Augapfels fast über- ein, wiewohl eine vollkommene Trennung beider Horn- häute nicht vorhanden ist, indem ihre inneren Ränder verschmolzen sind (Fig. 1. u. 2. aa.), dabei zeigt je- doch die harte Haut die Spur der Verdoppelung hinten (Fig. 2. 6.) etwas deutlicher als vorn (Fig. 1. bB.). Vollständig ist hingegen im Innern die Trennung beider ganz regelmässig ausgebildeter Iris- und Ciliar- körper, indem zwischen beiden ein sehr schmaler weiss- licher, von der nackten Sclerotica gebildeter Streif verläuft, welcher sich nach oben und unten allmälig 162 Bemerkungen über einen Kalbseyklopen. ausbreitet, und im hinteren Theile des Augapfels eine länglich runde Fläche bildet, in welche sich die ver- schmolzenen Sehnerven einsenken. An den Seiten die- ses Streifen sind nach vorn die inneren Ränder der Ci- liarkörper und Iriden, nach hinten die der beiden eben dadurch völlig getrennten Aderhäute befestigt. Die Marksubstanz der von gemeinschaftlicher Fa- serscheide eingeschlossenen, unter einander verschmol- zenen Sehnerven (Fig. 2. cc.) verschwindet allmälig und das Neurilem allein bleibt übrig, wie dies auch Ma- gendie (Journ. de Physiol. experimentale Tom. I. S. 374 ff.) bei einem Hunde beobachtete. Dem gemäss fehlt aber auch die Markhaut des Auges, welche Ma- gendie dennoch gefunden haben will, und es zeigt sich statt derselben blos ein dünner Ueberzug von Zellge- webe an der inneren Fläche der Aderhaut, und auf der erwähnten blossliegenden Sclerotica, von der länglich runden Stelle ausgehend, in welche sich das Neurilem der verschmolzenen Nerven einsenkt, und welche sehr deutlich ein siebförmiges Ansehen zeigt. — Beide Lin- sen waren ganz normal. Die Augenmuskeln betreffend sagt Tiedemann (Tl. e. S. 100.) „sie waren gewöhnlich sehr zahlreich und „stellten eine einfach verbundene und schwer zu ent- „wiekelnde Muskellage vor‘, so auch im vorliegenden Falle, denn wiewohl sie alle doppelt vorhanden, und leicht von einander zu trennen sind, so ist es doch grösstentheils hypothetisch, wie man sie ordnen will. Mir scheinen Fig. 1. cc. die inneren geraden, Fig. 1. u. 2. dd. die unteren geraden, Fig. 1. u. 2. ee. die äusse- ren geraden, Fig. 1.u.2. ff. die oberen geraden zu seyn; Fig. 1. g. ist unstreitig das Ende des oberen schrägen, von den geraden bedeckten, Sförmig gekrümmten, durck keine Rolle gehaltenen Muskels der rechten Seite; Fig. 2. g. charakterisirt sich freilich durch nichts deutlich Bemerkungen über einen Kalbseyklopen. 163 als den noch übrigen oberen schrägen der linken Seite; interessant ist die Verschmelzung beider vorderen schrä- gen Muskeln (Fig 1. ih.) ein Muskelstreif, mit beiden Enden der Sclerotica inserirt; es zeigt sich darin eine Tendenz zur Zweckmässigkeit, denn er würde, bei völ- liger Duplieität , obgleich einfach, dennoch sehr voll- kommen auf beide Augäpfel die gewöhnliche Wirkung äussern. Der Schädel dieses Cyklopenkalbes charakterisirt sich durch ungewöhnliche Ausdehnung, Anwesenheit mehrerer Fontanellen, Nichthervorragung des zu einem verschmolzenen oberen Augenhöhlenrandes und Conve- xität des Augenhöhlendaches nach unten deutlich als hydrocephalisch. Stirn- und Seitengegend sind 'haupt- sächlich hervorgetrieben, wenn gleich die Seitendimen- sion nicht, wie in menschlichen Hydrocephalis, das Uebergewicht über die beim Kalbe weit vorherrschen- dere Längendimension erhalten hat (6” breit 8“ lang). Die obere Fontanelle ist 4” lang +— 1 breit, die übrigen klein; die Knochenränder im Umfange der Fon- tanelle völlig glatt, ohne hervorragende Fasern, statt der Nähte überhaupt meistens blos feine Harmonieen. Zwei grosse symmetrische, länglich viereckige, $" hohe, 1” breite Lambdaknochen bilden den oberen Theil des Hinterhauptbeines; an ihren hinteren äusse- ren Winkeln liegen zwei kleine, einander gleichfalls ähn- liche, dreieckige Zwickelbeinchen, zwischen letzteren eine kleine Fontanelle. Blos an diesen Wormischen Knochen sind wohlgebildete Nähte vorhanden, die Schuppe des HHinterhauptbeines ist vom grossen Loche bis 1 Zoll aufwärts: gespalten. Die Verschmelzung der Kopfknochen äussert sich von hinten und oben nach vorn und unten betrachtet durch folgende Einzelnheiten: Das Stirnbein erscheint einfach; keine Spur einer 164 Bemerkungen über einen Kalbseyklopen. Stirnnaht; seine Seitentheile nach vorn so zusammenge- rückt, dass die im gewöhnlichen Zustande 2‘ von ein- ander entfernten und auf beiden Seiten stehenden Ober- augenhöhlenlöcher hier beide am vorderen gemeinschaft- lichen Rande des Stirntheils, dem’ oberen Rande der cyklopischen Augenhöhle, nur ; Zoll von einander ent- fernt stehen, auch stellen sie blosse Einschnitte (wnei- surae supraorbilales), dar, da doch sonst beim Kalbe die oberen Augenhöhlenlöcher eben so hoch über, als die unteren unter den Augenhöhlenrändern geöffnet sind. Dem Zuge nach innen und vorn waren auch die Jochbeinfortsätze des Stirnbeins und (mit diesen regel- widrig verschmolzen) die Jochbeinfortsätze der Schlaf- beine gefolgt; letztere zeigen sich normal mit den Joch- beinen verbunden, die Vereinigung der Stirn- und Joch- beine fehlt, als Folge der Biegung nach innen. Das vordere Keilbein ist in Gestalt zweier länglich runder Flügel vorhanden, in deren Mitte, im Grunde der nur #$ Zoll tiefen Augenhöhle, befindet sich das grosse einfache, zugleich die obere Augenhöhlenspalte (oder deren Analogon beim Kalbe) vorstellende foramen opticum , 7“ breit, 5“ hoch, dieht über, demselben eine länglich viereckige Fontanelle im Augenhöhlentheile des Stirnbeins, statt der fehlenden /Zamina eribrosa. Ein noch höherer Grad der Verschmelzung war bei den unteren Gesichtsknochen eingetreten, und sie bilden eine sehr solide gemeinschaftliche Masse. Die glatte Basis der Augenhöhle besteht aus den, in.der Mittellinie durch Anlage verbundenen, oberen Flächen der Oberkieferbeine, deren äussere Flächen so nach oben und innen gewandt sind, dass beide Unter- augenhöhlenlöcher dicht neben einander, etwas unter der glatten Fläche liegen, auf welcher das Auge ruht. Siebbein, Nasenbeine und Thränenbeine fehlen ganz. Die Verschmelzung erreicht ihren höchsten Grad Bemerkungen über einen Kalbseyklopen. 165 am vorderen Ende der Oberkiefer, denn hier wird die Spitze des Gesichts durch eix mittleres, von oben nach unten plattes, zwischen beiden Oberkiefern liegendes Knochenstück gebildet. Letzteres hielt ich für die ver- schmolzenen Zwischenkieferbeine, bis ich, durch eine kleine Spalte im vorderen Rande geleitet, einen Back- zahnkeim darin entdeckte, und es ist eben dieses Um- standes wegen für eine aus beiden vorderen, den klei- nen vorderen Backzahn jeder Seite entfaltenden Stücken der Oberkieferbeine hervorgegangene Bildung zu hal- ten. Jene vorderen Knochentheile des Oberkiefers sind im Embryozustande des Kalbskopfes durch eine feine Gesichtsspalte bis zum Unteraugenhöhlenloche von den hinteren Theilen geschieden, also ihre Absonderung bei dieser Missbildung leicht zu erklären. Ueber jenem Mittelkieferstück zeigte sich ein Ru- diment verschmolzener Intermaxillarknochen, in Gestalt eines kleinen dreieckigen Knochenplättchens. Von äusserer Nase keine Spur, hinten dagegen blinde Rudimente der Choanae, in der aus Oberkiefer-, Gaumen-, Pflugschaar- und Keilbein- Flügelfortsätzen verschmolzenen Masse, deren untere Fläche den knö- chernen Gaumen bildete. Der Unterkiefer überragte den Oberkiefer um 14 Zoll, war verlängert, vergrössert, stark aufwärts ge- krümmt und enthielt nur 2 breite Schneidezähne. Alle Backenzähne, mit Ausnahme der verschmol- zenen vorderen des Oberkiefers waren ordentlich ent- wickelt. Annäherung der Gehörwerkzeuge nach vorn war nicht eingetreten, die äusseren Gehörgänge sind indes- sen durch den hydrocephalischen Zustand zur Seite her- abgedrückt. Meckels Archiv f. Anat, u. Phys. 1828. 12 166 Bemerkungen über einen Kalbscyklopen. Erklärung der Tafel. Tab. VI. Fig. 2. u. 3. Kalbs - Cyklopenauge. aa. Beide Hornhäute mit ihren inneren Rändern vereinigt, bb. Die harte Haut sclerotica. ec. (Fig. 1.) Die Sehnenscheide der Sehnerven. ce. (Fig. 2.) Die beiden inneren geraden Muskeln, dd. Die unteren geraden Muskeln. ee. Die äusseren geraden Muskeln. ff. Die oberen geraden Muskeln. g. (Fig. 1.) Das Ende des oberen schrägen Muskels der rech- ten Seite, x g. (Fig. 2.) Der obere schräge Muskel (?) der linken Seite. hh. Die unteren schrägen Muskeln, verschmolzen. IV. Beitrag zur Lehre von der Entstehung der Herzpolypen. VonÄ. Meceel. (Hierzu Tab. VI. Fig. 4.) Das Marksarkom des Herzens, oder der wahre Herz- polyp erscheint bekanntlich in Gestalt rundlicher, zwi- schen den Muskelbündeln der inneren Fläche des Her- zens hervorragender, in denselben wurzelnder Säckchen, in welchen die markartige Substanz enthalten ist. In der Leiche einer 54jährigen, allmälig apoplektisch ver- storbenen Frau fand ich die hier dargestellte (Fig. 3. aaa.); mit sehr vielen Wurzeln zwischen den kammför- migen Muskeln des rechten Vorhofes eingewachsene, durch das ostium venosum (bb.)in den Ventrikel hinab- hängende Faserstoffmasse, deren Inneres hin und wie- der kleine neu entstandene Blutgefässe zeigte. Sollte Beitrag zur Lehre v. der Entstehung der Herzpolypen. 167 man nicht vielleicht annehmen können, dieser Pseudo- polyp habe bei längerem Fortleben der Person, welche er selbst wohl durch die Stelle, welche er einnahm, getödtet haben mag, allmälig die Organisation des wei- chen Seirrhus oder Blutschwammes erlangen, und dann auch die vollendete Structur eines wahren Herzpolypen erlangen können? In andern Organen würden freilich dergleichen Con- eremente vielmehr eine ichoröse Auflösung erleiden, im Herzen aber, vom belebenden Einflusse des Blutes be- ständig umgeben, könnte ja wohl die Auflösung und Zerstörung auf halbem Wege gehemmt werden, so dass die mark- oder eiterartige Substanz im Innern des auf diese Weise entstandenen wahren Herzpolypen vielleicht Jahrelang unverändert bliebe. Erklärung der Tafel. Tab. VI. Fig. 4. Ein Herzpolyp im Entstehen. aa. Die Wurzeln des Polypen in den kammförmigen Muskeln des rechten Vorhofes. bb, Ostium venosum. W Anatomische Bemerkungen. Von A. Meckeı. Beim Americanischen Krokodil! (C. Alligator), sind die Ursprünge der Arterien, welche nach Cuvier ein- zeln aus dem Ventrikel entspringen, innerhalb des Herz- beutels auf die Weise unter einander verwachsen, dass sie ganz das Ansehen des Aorten-Bulbus der Fische 12 * 168 Anatomische Bemerkungen. haben, indessen deuten äusserliche Längenfurchen die innere Trennung der Arterien an. Jede dieser Arterien erleidet jedoch eine beträchtliche Erweiterung an dieser Stelle, so dass dieser Uebergang von Fischbulbus zu völliger Trennung der Arterienursprünge fast denselben Umfang hat als die Herzkammer,, von welcher er durch die Kreisfurche stark geschieden ist. Erst an der Grenze des Herzbeutels trennen sich die Körper- und Lungenarterien auch äusserlich. Die Vereinigung beider absteigender Aorten in der Bauchhöhle geschieht durch eine äusserst dünne Ana- stomose. Die Nabelvene (nach Jacobson) ist bei demselben Thiere einer der. Hauptzweige der Pfortader, der duetus venosus jedoch völlig geschlossen. Die Endigungen der Bronchien in den Lungen sind bei €. Alligator sehr vogelähnlich, mehrere Oeffnungen an der oberen (bei den Vögeln an der unteren) Fläche, entsprechen eben so vielen Abtheilungen der, nicht wie bei den niederen Reptilien einfachen, sondern (als Ueber- gang zur Vogelbildung) mehrfachen Haupthöhle der Lungen. Die untere Fläche der Zunge zeigt bei demselben ein sehr regelmässiges Gewebe vom Zungenbeine kom- mender, einander durchkreuzender Muskelbündel, wie die Sehnerven der Vögel oder die Stränge der Pyrami- den in der med. oblongata beim Menschen. Die Grimmdarmsklappe ist bei demselben halbmond- förmig, hymenartig mit kleiner Oeffnung; die zwischen Dickdarm und Cloake befindliche Klappe schloss sich beim Trocknen so völlig, dass weder Luft noch Queck- silber hindurchzubringen war, ist also im frischen Zu- stande wahrscheinlich eine feine, schräg durchgehende Spalte. Der Kehldeckel des gemeinen Schwanes ist so Anatomische Bemerkungen. 169 gross und hervorragend, obgleich hautartig biegsam, dass man kaum begreift, wie er so lange übersehen werden konnte. Bekanntlich hat Nirzsch (dieses 'Ar- chiv 1827. Heft 1.) zuerst ein Rudiment der epiglottis bei einigen Vögeln bemerkt. Bei der Quakente (A. clangula) existirt ausser ‚ei- nem sehr grossen, eine Vertiefung im Brustbeine aus- füllenden unteren knöchernen Kehlkopfe noch eine Er- weiterung der Luftröhre im unteren Theile des Halses, wobei sich die Luftröhrenringe, zum Vierfachen der übri- gen erweitert, schräg von hinten nach vorn auf die Weise von oben nach unten in einander schieben, dass diese Stelle bis auf das Sechsfache verlängert werden kann. Mehrere (vielleicht alle) Gräthenfische zeigen eine Spur der beim Stör, Neunauge u. a. vorhandenen 'ge- meinschaftlichen Wirbelkörperröhre ; nach einiger, Mace- ration erscheint ein ‚feines Loch in. der';Scheidewand zwischen der oberen und unteren Aushöhlung des Wir- belkörpers, beim Aal und der Lachsforelle (S. Trutta) habe ich dies gesehen. Bei einem Taubstummen fand ‚ich (das: Präparat wird aufbewahrt ) beide Geruchsnerven -bx/i thierähn- lich , wenigstens doppelt so dick als im Normalzustan- de; die Gehörnerven nicht merklich alienirt. Bei einer männlichen Gans mit 2 überzähligen un- vollkommenen, unter einander und 'mit ihrem Becken- zudimente 'anchylosirten, mit dem übrigen Skelette nur durch Bandfasern verbundenen hinteren Extremitäten fand sich ein unvollkommener zweiter penis mit seiner Scheide, als Anhang der Cloake, mit sehr feiner äusse- rer Hautöffnung (Nebenafter), und an der Eintrittsstelle der beiden normalen Blinddärme noch das Rudiment ei- nes dritten (Nitzsch beobachtete 2 Paare weit von ein- ander ‚entfernter Blinddärme in einem ähnlichen Falle) 170 Anatomische Bemerkungen. Bei einem neugeborenen weiblichen Hirsch (C. ela- phus), mit dem Rudimente einer dritten hinteren Extre- mität, dessen Scheide und Uterus ich aufblies und trock- nete, zeigt die Scheide von der Mitte an aufwärts nicht weniger als 4 vollkommene und ein unvollkommenes fünftes hymen. VI. Dreifache Wirbelarterie. Beobachtet von A. MEcket1. (Hierzu Tab. VII. Fig. 4.) Die Wirbetarterie entspringt bekanntlich (die hier ge- hörigen Fälle s. J. F. Meckels Handb. d. Anat. IN. S. 135. von ihm selbst, Henkel und Huber beobachtet) zuweilen mit zwei Wurzeln, theils (auf der linken Seite) aus dem Bogen der Aorta und der Subclavia, theils (auf der rechten Seite) an zwei verschiedenen Stellen der Subeclavia; ein dreifacher Ursprung derselben, wie ihn die 1ste Fig. zeigt, ist vielleicht noch nicht beob-. achtet worden, ich fand ihn auf die dargestellte Weise bei einem 36jährigen Manne; die beiden Hauptzweige, mit welchen sie entsteht, kommen unmittelbar aus der Subclavia der rechten Seite, + Zoll von einander ent- fernt; der tiefere (Fig. 1. 5.) auf ungewöhnliche Weise aus der vorderen Fläche der Schlüsselbeinarterie ent- springend,, übertrifft an Stärke den normalen, aus der hinteren Wand des Stammes zum Loche des sechsten Halswirbelquerfortsatzes übergehenden Zweig (Fig. 1. a.), "mit welchem er sich dicht über dem fünften Querfortsatze vereinigt, zu beiden kommt nun eine Linie höher, gleich- falls noch unter dem Eingange in das vierte Wirbelloch, Dreifache Wirbelarterie. 171 die dritte kleinere, aus der unteren Schilddrüsenarterie abgehende Wirbelarterie (Fig. 1. e.), und alle drei ge- hen vereint vom vierten Querfortsatze den normalen Weg. Die aufsteigende Nackenarterie, mit welcher diese dritte Wirbelarterie im Verlaufe Aehnlichkeit hat, war aus- serdem regelmässig vorhanden. Erklärung der Tafel. Tab. VII. Fig. 1, Dreifache Wirbelarterie der rechten Seite. a. Die eigentliche normale Wirbelarterie. d. Die untere, gleichfalls aus dem Stamme ‚der ‚Subelavia ent- springende accessorische. ce. Die obere kleine accessorische, aus der unteren S$childdrü- senarterie entspringend. Alle 3 vereinigen sich über dem 5ten 'Wirbelloche. vn. Scheinbarer Uebergang einer Saugader in seine Vene. Von A. Meckerı. (Hierzu Tab. VII. Fig. 2.) Nachdem mir ‚neuerdings eine vollständige Anfüllung ‚des duotus ‚thoracieus, bis zu seiner gewöhnlichen Ein- -niündungsstelle in ‚das Venensystem vom Rücken (des grossen Zehen aus, mit ‚allen ‚auf dem Wege vorkom- ‚menden Nebenverzweigungen, Drüsen und 'Geflechten ‚sehr schön ‚gelungen «war, fand ich mich in der An- sicht bestärkt, es existire beim Menschen kein After- “übergang des Lymphsystems in die Venen, denn nie geht das Auecksilber auch nur um eine Linie weiter, 172 Scheinbarer Uebergang einer Saugader in eine Vene. wenn es einen freieren Weg antrifit (offenbar aber ist ein, auch nur feiner Uebergang in eine Vene ein frei- erer Weg als der Fortgang im Saugadersysteme), wie- wohl die Lymphe im Leben durch dergleichen freiere Wege nicht am Fortgange zum Brustgange gehindert wird, indem sonst jede Hautwunde gefährlich werden müsste, Zwar hatte ich früher bei Injection der Gekrös- Saugadern von Chelone Mydas das Quecksilber vom Darmkanal durch die Gekrösvenen zurückkommen ge- sehen; doch waren mir auch mehrmals, bei keineswegs Jeinen Wachsinjectionen in die Arterien der Nieren und Extremitäten, die Venen angefüllt worden; alles Folgen abnorm entstandener Uebergänge. Indessen ersuchte ich Hrn. Prof. Gerber, welcher schon ehemals den Uebergang einzelner Saugadern in Venen mit völliger Sicherheit beobachtet hatte, mir bei nächster Gelegenheit ein solches Präparat zu zeigen, und bald erschien er mit der Aeusserung: er wolle mir jetzt den klaren Beweis übergeben, ich solle ihn mit Händen greifen, Wirklich ist das sehr wohl erhaltene Präparat (Fig. 2.), aus dem Gekröse eines Pferdes, von der Art, dass es Anmassung seyn würde, darüber bestimmt abspre- chen zu wollen. Der Saugaderzweig (aa), vom Dünn- darm aus angefüllt, verästelt sich in die Drüse (5), von hier wird durch einige Verbindungsgefässe die da- neben liegende Drüse (c) angefüllt; aus derselben kommt das, augenscheinlich und ganz gewiss in die Gekrös- vene (A) zurückführende Gefäss (d). \ Auf der einzigen Frage beruht die ganze Entschei- dung dieses Falles: War das letztere Gefäss eine Saug- ader oder eine Vene? Hr. G. erklärte sich unbedenklich für die erstere Annahme, theils wegen der mit zwei deutlichen Klap- Scheinbarer Uebergang einer Saugader in eine Vene. 173 pen versehenen Einmündung in die Vene (e), theils aus dem Grunde, weil kein anderer Venenzweig vom Ge- kröse in den concaven Theil eines grösseren Stammes gegen den Darm hin zurücklief. Ersteres findet indes- sen bekanntlich bei der Einmündung der V enen in ein- ander meistens auch Statt, wenn gleich im Gekröse seltener als anderwärts; letzteres (ein Rückgang”gegen den Darm hin) eben so selten bei den Saugadern. Noch erwähnte Hr. @. der bei den Pferden vorkom- menden sehr grossen Aehnlichkeit zwischen Saugadern und Venen, der geringen Anzahl von Klappen u. dergl., indessen kann dieser Umstand nur dazu dienen, die Täuschung zu vermehren. Das äussere Ansehen des Gefässes (d) ist mehr ve- nenähnlich als das von (a). Hr. @. gab diesen freilich auch nichts entscheidenden Umstand zu; der Ursprung der Anfüllung des Gefässes (d) ist in der Drüse (c) ver- borgen; ähnliche Venenanfüllungen kommen regelmässig bei Injection des Nebenhodengefässes bei Hunden vor, dennoch wird Niemand behaupten, Sumengefüsse gin- gen in die Venen über; so mangelt auch dem be- obachteten Phänomen alle Beweiskraft, und die Anfül- lung der Saugadern hatte mit dem Uebergange des Quecksilbers in die Vene ihr Ende erreicht. ? Erklärung der Tafel. Tab. VII. Fig. 2. Scheinbarer Uebergang einer Saugader in eine Vene, AA. Eine Gekrösvene vom Pferde, aa. Ein vom Dünndarm kommendes Lymphgefäss, b. Eine Gekrösdrüse, in welche das Lymphgefäss übergeht. ec. Eine andere Gekrösdrüse, welche mit b. zusammenhängt. dd. Ein Gefäss (Saugader oder Vene?), welches aus der Drüse ec, in die Gekrösvene übergeht. e. Stelle des Ueberganges mit 2 Klappen versehen. 174 Carotis interna u. Steigbügel des Murmelth. u. Igels, VI. Carotis interna und Steigbügel des Murmelthieres und Igels. Von A. Meckeı. (Hierzu Tab. Vi. Fig. 3— 8.) Kiirzlich wurden mir zwei Knöchelchen überbracht mit der Bemerkung: es seyen die Gehörwerkzeuge ‘einer Katze; der Steigbügel sey fixirt, indem der Hallopische Kanal zwischen seinen Schenkeln hindurchginge. Wirk- lich sah ich einen relativ zum Felsenbein ungewöhnlich grossen Steigbügel, zwischen dessen Schenkeln ‘ein, verhältnissmässig sehr dieker, Knochencylinder von der Knochenwand der Paukenhöhle und des Vorhofes so hindurch lief, dass eine Herausnahme des Steigbügels ohne Zerstörung unmöglich war. Dass die Knochen keiner Katze angehörten, zeigte die angestellte Vergleichung mit anderen Katzenkno- chen; dass der Knochencylinder hohl sey, war saller- dings ganz richtig, seine Wände waren sehr dünn; ob er für den Fallopischen Kanal zu halten seyn müsse, schien mir zweifelhaft, nachdem ich letztere vom inne- ren Gehörgange an mit der Feile verfolgte; er ging zwar zu jenem Steigbügelkanale hin und schien sich mit ihm zu vereinigen, doch konnte ich auch von ei- nem wie vom anderen andere Ausgänge verfolgen, und ich blieb über diesen Punkt im Dunkel. Sehr schwierig erschien mir Anfangs die Frage, welchem Thiere jene ausgezeichnete Bildung eigen seyn möchte? (Denn dass keine Abnormität im Spiele sey, bewies beinahe die seitliche Gleichheit.) Doch fand ich bei einiger Ueberlegung, 'dass sie weder einem auslän- dischen noch einem seltenen einheimischen Thiere an- gehören könnte; erstere kommen gar nicht hieher, letz- Carotis interna u. Steigbügel des Murmelth. u. Igels. 175 tere erhält das zoologische Museum zum Ausstopfen, zugleich leitete mich eine hinter dem inneren Gehör- organ befindliche Grube, welche, nach!Analogie der Vö- gel, zur Aufnahme der Flocken des kleinen Gehirns zu dienen schien, auf Verfolgung der Spur bei den Nage- thieren, und nun war die Wahl nicht gross. Hase, Kaninchen, Meerschwein, Eichhorn, Ratte etc. zeigten freie Steigbügel, zufällig besass ich die einzel- nen Kopfknochen eines vor langer Zeit injieirten und macerirten Murmelthieres; aus den Paukenhöhlen des- selben zog ich jetzt Hammer und Ambos sehr leicht heraus, kein Steigbügel war zu finden; bei Eröffnung der Paukenhöhle wurde indessen das ganze Problem sogleich gelöst. Mangili läugnet bekanntlich (Annales du museum T. X. S. 462.) die Existenz der inneren Carotis beim Murmelthier, und findet in dem dadurch für das Ge- hirn entstandenen Blutmangel eine Bedingung des Win- terschlafes (indem es blos durch die Wirbelarterien Zu- fluss bekomme), natürlich musste ihm auch die Merk- würdigkeit ihres Verlaufes verborgen bleiben. Die innere Carotis des Murmelthieres (was ich 'ge- rade an diesen alten ganz vollständig macerirten Kno- chen sehr gut bemerken konnte), ist relativ nicht eben kleiner als bei verwandten Thieren, oder bei kleinen Carnivoren (Igel, selbst Katze) und geht (wahrschein- lich ganz ohne Wundernetz) in das gerissene Loch zwi- schen Hinterhaupt und Schlafbein, von hier in die hintere Oeffnung des canalis caroticus, und dieser ist es, welcher vollständig knöchern, erst in den Wänden der Paukenhöhle und des Labyrinths, dann zwischen beiden Schenkeln des weiten Steigbügels (Fig. 1. a. 2.) hindurch, hierauf weiter in der Wand des Felsenbeins verläuft, dann am vorderen Theile des Felsenbeins seine Oeffnung hat, und nun auf den Flügeln des Keilbeins 176 Carotis interna u, Steigbügel des Murmelth. u, Igels. weiter nach vorn. verläuft. Seine Wände sind in dem ganzen Verlaufe durch das Schlafbein so dünn, dass die eingespritzte rothe Wachsmasse hindurchschimmert. Aehnlichen Verlauf durch die weite Oeflnung der Steigbügelschenkel hat die innere Carotis auch beim Igel, nur fehlt hier der knöcherne Kanal, und der Steigbügel kann daher nach hinlänglicher Maceration herausgenommen werden. Auch dies bemerkte ich bei Betrachtung der einzelnen Kopfknochen eines vorher in- jieirten, nachher macerixten Igels. Auf der einen Seite war die Arterie angefüllt, der s/apes sass auf ihr fest, auf der andern war beides nicht der Fall. Die Form des Steigbügels beim Igel ist diesem Ar- teriendurchgange gemäss so modifieirt, dass sein äusse- rer Schenkel (Fig. 3.) eine Ausbiegung macht, welche die Carotis einnimmt, während der innere vom Capitu- lum zur Basis ganz gerade, in rechtem Winkel hinab- steigt. Beiläufig sind hier noch die Steigbügel des Schwei- nes (Fig. 4.) mit sehr kleinem Knöpfchen, des Meer- schweinchens (Fig. 5.) mit sehr kleiner Oeffnung und grossem Knöpfchen, dem ein ganz besonders grosses Sylvisches Knöchelchen entspricht, und der Katze (Fig.6.) zur Vergleichung der Korm abgebildet '). 1) Ich halte es für Pflicht gegen meinen Bruder, zu bemerken, dass ihm bei der vorstehenden Untersuchung des Steigbügels die Untersuchungen des Herrn Professor Otto (De animalium quo- rundam, per hyemem dormientium, vasis cephalieis et aure interna in N. act. phys. med. XIII. 23. sqgq. 1826.) unbekannt waren, in- dem er sie ausserdem angeführt haben würde. Ungeachtet sei- ne Beobachtungen die Otto’schen hauptsächlich nur bestäti- gen, glaubte ich sie dennoch nicht unterdrücken zu dürfen, F. Meckel. Carotis interna u. Steigbügel des Murmelth. u. Igels. 177 Erklüärumg der Tafel. Tab. VII Fig. 3—8. Steigbügel einiger Thiere. 3. Die innere Carotis des Murmelthiers, zwischen den Schen- keln des Steigbügels hindurch gehend, dreifach vergrössert. 4. Durchschnitt des knöchernen Kanals der Carotis interna des Murmelthieres, dreifach vergrössert. 5, Steigbügel des Igels, durch welchen gleichfalls die Carotis interna geht, dreifach vergrössert, 6. Steigbügel des Schweines, zweifach vergrössert. 7. Steigbügel des Meerschweinchens und Sylvisches Knöchel- chen, zweifach vergrössert. 8. Steigbügel der Katze, zweifach vergrössert. IX. Einige Beiträge zur physiologischen und pathologischen Anatomie. Von Dr. A. Honrı. 1, Ein Beitrag zur Vervielfachung der Organe, ohne Erblichkeit in einer Familie. , Maria Schermer, eine gesunde und regelmässig gebil- dete Frau zu Halle, gebar unter sechs Kindern vier unre- gelmässig und zwei vollkommen wohlgebildete. Der Vater dieser Kinder ist ein gesunder, robuster Mann, und hat keine Spur von der bei den vier Kindern vorkom- menden Verunstaltung an sich. Weder in seiner Fami- lie, noch in der seiner Frau zeigte sich je eine ver- wandte Verunstaltung. Es gebar diese Frau fünf Knaben und ein Mäd- chen, von denen der älteste Knabe gegenwärtig zehn Jahre alt und normal gebildet ist. Der zweite Knabe 178 Einige Beiträge zur physiol. u. pathol. Anatomie. starb zwei Tage alt, und war wie der erste, regelmäs- sig gestaltet. Der dritte Knabe, jetzt sechs Jahre alt, hat an beiden Händen neben dem Knöchel des kleinen Fin- gers an der äusseren Fläche ein Fingerrudiment von der Grösse einer Erbse, ohne Nagelbildung. Es be- steht aus Fett und Haut. An beiden Füssen ist die zweite und dritte Zehe von hinten nach vorn verschmol- zen. Es stehen übrigens sämmtliche Zehen im rich- tigen Verhältnisse. Der Mittelfussknochen sind fünf. Der vierte Knabe, jetzt vier Jahre alt, hat nur eine ganz geringe Andeutung dieser Verwachsung an der zweiten und dritten Zehe, so dass die Mittelfusskno- chen dieser Zehen nach vorn in einem spitzen Winkel sich nähern, wodurch diese Zehen an ihren Wurzeln enger ‚stehen , und eine kleine, keilförmige Fleischwulst zwischen beide sich einschiebt. Diese Bildung sieht man am linken Fusse deutlicher als am rechten. Die Hände sind regelmässig gebildet. Gerade dieselbe Ab- weichung zeigt das nun folgende fünfjährige Mädchen. Das sechste Kind, ein Knabe, hat an beiden Füs- sen verschiedene Bildung, und vereint so die Bildungs- abweichungen seiner Geschwister. An beiden Füssen nämlich befinden sich sechs Zehen, welche am rechten Fusse vollkommen vereinzelt sind. Es erscheint aber an ihnen, und zwar an den Mittelfussknochen der sech- sten und fünften Zehe dieselbe Bildung, wie ich sie vom vierten Knaben und dem Mädchen angegeben habe. Am linken Fusse aber ist die sechste und fünfte Zehe am hinteren Gliede verschmolzen, während die vorderen Glieder ganz getrennt sind. Der Mittelfussknochen sind sechs. Auf den sechs Zehen beider Füsse sind Nägel, und ihre Grösse und Länge ist in gutem Ebenmaasse. Wie es schon merkwürdig ist, dass sich das Ue- bermaass der bildenden Thätigkeit durch vermehrte Einige Beiträge zur physiol. u. pathol. Anatomie. 179 Zahl der Organe hier bei den spätern Kindern zeigt, und bei dem letzten die zu grosse Energie der bilden- den Kraft am vollkommensten hervortritt, so ist es aber auch interessant, wie die Natur, an Vervielfachung sich versuchend, dabei auf die Extremitäten sich beschränk- te, und zugleich die Vervielfachung durch Verschmel- zung auszugleichen suchte. Denn indem wir bei dem dritten Knaben ein sechstes Fingerrudiment finden, be- merken wir an den Zehen Verschmelzung; und wäh- rend das sechste Kind sechs Zehen zeigt, erscheint da- neben an beiden Füssen mehr oder weniger die Nei- gung zur Verschmelzung. Die letztere gehört hier mehr der linken, das Mehrfachwerden der rechten Seite an. Ja es scheint sogar diese Wechselbeziehung hier auf die Geschwister sich zu erstrecken (Morand, Rech. s. quelg. conf. monst. des doigts, in M. d. Paris 1'770. T. 7. Van Doeveren, observ. acad.S. 259.). Einen hier- her gehörigen interessanten Fall sah ich in einer Buch- binderfamilie, wo bei zwei Knaben das hintere Glied des Zeige- und Mittelfingers durch eine einer Schwimm- haut ähnliche Haut verbunden waren, während bei dem, zwischen beiden Knaben geborenen, Mädchen sechs Zehen vorhanden sich zeigten. Es dient auch dieser Fall zum Beweise, dass die Natur selbst in den Bildungsabweichungen nach gewis- sen Gesetzen verfährt, welches sich in dem gegebenen Falle theils durch die gradweise Verschiedenheit des Mehrfachwerdens in einer und derselben Familie, theils aber auch durch die Symmetrie der Abweichung genü- gend bekundet. Demgemäss hat der dritte Knabe an derselben Stelle beider Hände ein sechstes Fingerrudi- ment, und an beiden Füssen findet die partielle Ver- schmelzung an der zweiten und dritten Zehe Statt. Ebenso ist die Verwachsung der zweiten und dritten Zehe bei dem vierten Knaben und dem Mädchen symme- 180 Einige Beiträge zur physiol, u. pathol. Anatomie, trisch, gleich der Erscheinung der sechs Zehen, und der Verschmelzung der sechsten und fünften Zehe an beiden Füssen bei dem letzten Kinde. Schmucker und van. Doeveren sahen ähnliche Ver- unstaltungen an Kindern, deren Eltern regelmässig ge- bildet waren. (J. F. Meckel, Handbuch der pathologi- schen Anatomie. I. $. 16. u. s. w.) 2: Missbildungen aus zu geringer Energie der bildenden Kraft. Ein schwächlicher, kränkelnder , aber wohlgebildeter Mann, unverheirathet, ist Vater von drei Kindern, die er mit drei verschiedenen Müttern, welche sowohl gut gestaltet, als auch gesund und kräftig sind, zeugte. Dem ersten Kinde, einem graeilen Mädchen fehlt der Ohrknorpel auf beiden Seiten. Das Gehör ist gut, die übrige Körperbildung regelmässig. Das zweite Kind, ein Knabe, ist ein Hypospadiaeus, und, wenn gleich wohl gestaltet, doch sehr schwächlich. Das dritte Kind, ein Knabe, hat eine Hasenscharte und. Woltfs- rachen, und wurde todt geboren. Leider ist dasselbe der weiteren anatomischen“ Untersuchung entzogen worden. ’ Interessant in der That scheint mir hier das Vor- kommen von Missbildungen, die ein Stehenbleiben auf einer niederen Bildungsstufe sind, deren Grund, bei der Verschiedenheit der Mütter wohl nur im Vater ge- sucht werden dürfte, dessen schwache Körperconstitu- tion nachstehende Erklärungsweise vielleicht zulässt, wenn ich auch das Hypothetische derselben abzuläug- nen weit entfernt bin. Wie sich Bezugs der Bildungs-, Bewegungs- und Sensibilitätserscheinungen eine Aehnlichkeit durch Ma- Einige Beiträge zur physiol, u. pathol. Anatomie. 181 gnetismus und Elektrieität darthun lässt, wenn wir die Producte der Imponderabilien mit den organischen, die Substanzen, in welchen die Imponderabilien am thätig- sten ‚sind, und worin die. organischen "Kräfte wir- ken, vergleichen; wenn wir ferner die Erscheinungen, welche die Imponderabilien darbieten, mit denen, wel- che die organische Kraft bezeichnet," zusammenstellen, und endlich, wenn wir den Einfluss jener auf den Or- ganismus , und das Verhalten des Organismus zu jenen beachten, so lässt sich auch in Hinsicht des Genera- tionssystems und seiner Erscheinungen eine Aehnlichkeit mit dem Magnete und der Electrieität nicht verkennen. Es ergiebt sich der Vergleich durch nachstehende Sätze: \ 1) Der Magnet wird stärker dadurch, dass man ihm mehr ‘tragen lässt, und seine Kraft geht verloren, wenn man ihn unbeschäftigt lässt; 'so hängt der Ge- schlechtstrieb von der Macht der Gewohnheit, d. h. von der mehr oder weniger häufigen Ausübung ab. 2) Die beiden Pole’ werden als zwei einander ent- gegengesetzte Kräfte betrachtet; so steht das Sensori- um und. Generationssystem in Antagonismus. 3) Daraus, dass, wenn ein sehr starker Magnet ei- nem schwachen in’ die Nähe gebracht wird, die südli- che Polarität durch Null’ in die nördliche übergeht, er- giebt sich, dass von ‚den zwei verschiedenen magneti- schen Materien die eine die andere schwächt; so ist die Productionsfähigkeit stärker, wo’ die-geistige Thä- tigkeit erloschen ist, und wo die Zeugungsfunction 'ent- wickelter ist, ist das Nervensystem fehlend oder zu- rückgestellt. Bei den'Mollusken grosse Genitalien, und geringe Entwickelung. der Nerven. Ebenso. tritt bei niederen 'Thieren, ‘wo das Nervensystem schwach ent- wickelt ist, die Zeugungsfähigkeit früher "ein. 4) Die zwei einander 'entgegengesetzten Kräfte zei- Meckels Archiv f, Anat. u, Phys. 1828. 13 182 Einige Beiträge zur physiol. u. pathol. Anatomie. gen erst elektrische Erscheinungen; so sind zur Erzeu- gung des neuen Organismus zwei Geschlechter nöthig. Dass es Thiere mit nur weiblichen Genitalien giebt, steht dem nicht entgegen, insofern das Weibliche das Männliche überwiegt, je tiefer, es steht, wo dann nur eine immer geringere entgegengesetzte Kraft zur Pro- ductivität. ‚erfordert wird, wie wir ja auch in der That in den Ovarien Haare, Knochen, Zähne entwickelt fin- den, die wohl, Produete erhöheter Phantasie und me- chanischen Reizes der Geschlechtstheile seyn mögen. 5) Der Zusammenhang des Gehirns mit dem Gene- rationssystem ist eine Thatsache, die sich aus mehre- ren ‚ergiebt; so ist der Zusammenhang der elektrischen Organe bei elektrischen Thieren mit dem Gehirne: noth- wendig, denn wird die Verbindung der Nerven dieser Organe mit dem Gehirne aufgehoben, so erlischt die elektrische Fähigkeit. 6) Wie durch das Reiben in den ursprünglich elek- trischen Körpern, als im Glas, Siegellack, Schwefel u. s. w. die Elektricität erregt wird, so wird im weibli- chen Organismus ‚die höchste Empfindung, Entstehung eines neuen Organismus durch Frietionen des coitws her- vorgerufen., Alle elektrischen Erscheinungen entstehen durch Ue- bergang dieser Materie ; so entsteht der neue Organis- mus; durch Uebergang des Männlichen in das Weibliche. 8) Das männliche Individuum wirkt auf das weib- liche formend, ‚wie der Magnet und elektrische Schläge auf das nicht magnetische Eisen. Die Einwirkung der elektrischen Schläge 'aber'er- zeugt Verschiedenheit der Formen, nach dem Grade der Kraft, mit der sie geschieht. Wirkt ein positiv elektrischer Funke auf Eisenfeilspäne schwach, so stel- len die Figuren vielfach verzweigte und kleine Stkahlen dar, ist er dagegen stark, so finden sich weniger, aber Einige Beiträge zur physiol. u. pathol. Anatomie. 183 stark abgegränzte Strahlen. Lässt man die negative Elektrieität schwach einwirken, so findet man Figuren, die nur als eine Staubwolke erscheinen, die durch kleine wellenförmige Anhäufung des Pulvers ungleich gemacht wird; ist sie aber stark, so bildet sich eine kreisför- mige Figur, welche von dem Ringe des Staubes, der sie umgiebt, stark begränzt ist. Vergleicehbar nun da- mit ist die Verschiedenheit zwischen den niederen ‘und höheren Formen. Je niederer die Thiere stehen, desto vielfacher ist ihre Zusammensetzung, je ‘höher, desto einfacher, desto mehr Einheit. Ebenso findet man bei niederen Thieren zwar so viele Organe als bei höhe- ren, allein mit weniger Absonderung und Begränzung, mit mehr Verschmelzung als Trennung. Aus dieser ‘Aehnlichkeit und‘ Vergleichung der elektrischen Erscheinungen mit dem Generationssystem und seinen Erscheinungen dürfte nun das Resultat ge- zogen werden, dass die Zeugung ein elektrischer Act sey, begründet in der verschiedenen Polarität beider Geschlechter, insofern im Männlichen die positive Elek- trieität (Oxygen), im Weiblichen die negative (Hydro- gen) vorwaltet. (Autenrieth, über die Verschiedenheit beider Geschlechter. Reis Archiv. VIL S. 1 — 131. Sprengel, inst. med. T. I. S. 282. u. s. w.). Die zwei einander entgegengesetzten Kräfte''zeigen die elektri- sche Erscheinung, durch welche und zwischen’ welcher der neue Organismus, wie der elektrische Funke, ent- steht und losgerissen wird, gleichwie durch den elektri- schen Funken aus den beiden Elementen, dem Hydro- gen und Oxygen, das Wasser gebildet wird '). Wie 1) Der elektrische Funke zerlegt auch wieder das Wasser in die zwei Elemente, vielleicht weil die Elektricität der magne- tischen Kraft, die sie bindet, überhaupt. nachtheilig ist; Viel- leicht liegt auch darin der Grund,‘ däss‘ der Blitz so: schnell 13 * 184 Einige Beiträge zur physiol. u, pathol. Anatomie. aber die Kraft der, Einwirkung des elektrischen Funkens nicht gleichgültig ist, bezugs der Formen, die sie erzeugt, so wird auch die Intensität der Einwirkung des Männlichen auf das Weibliche, in Hinsicht der Productivitätsbestimmung bezugs eines neuen Organis- mus und der Formbildung Bedeutung haben. Da also, wo die Einwirkung des Männlichen auf das Weibliche schwach ist, wird die Bildung niederer Formen, das Stehenbleiben auf niederen Bildungsstufen begünstigt werden, so wie wir eine grössere Aehnlichkeit in den Formen sehen, wenn auf die berührte Masse die Elek- trieität einwirkt, als wenn wir die Pole des Magnetis- mus einwirken lassen. Es dürfte vielleicht auch im Verhältnisse der posi- tiven Elektricität im Manne und der negativen im Wei- be die Geschlechtsbestimmung für den neuen Organis- mus liegen, so wie daraus für Missbildungen, wel. che keine mechanische Ursache bieten, Erklärungswei- sen gefolgert werden dürften. 3. Verwandte abweichende Bildungen im Auge, in einer Familie durch Erblichkeit fort- gepflanzt. Ein ‚gesundes und wohlgebildetes Elternpaar, von dem der Vater blond, die Mutter aber brünett ist, zeugte 5 ‚wohlgestaltete Kinder, und zwar 3 Knaben, 2 Mädchen. Der. Vater hat in der Blendung des rech- ten Auges, und. zwar an der äusseren Fläche, bei übrigens hellgrauer Färbung derselben, einen hellbrau- das Leben endet, weil das magnetische Verhältniss in den Blut- kügelchen aufgehoben wird, woraus sich die eigenthümliche Be- schaffenheit des Blutes bei den vom Blitz Getroffenen erklärt. Wirken ‚Gifte nicht vielleicht ähnlich? Einige Beiträge zur physiol. u.gpathol. Anatomie. 185 nen Fleck, der vom inneren Rande der Blendung nach dem äusseren hin oval verläuft, und in der Kindheit des Mannes, in Folge einer Verletzung mit dem Feder- messer, entstanden seyn soll, wodurch auch die Pupille hier etwas nach aussen gezogen erscheint. Der erste Knabe ist blond, und hat in der Iris des rechten Auges dieselbe gefleckte Färbung und Bil- dung, wie man sie beim Vater sieht. Die übrige Fär- bung der Blendung ist hellgrau, wie die des linken Au- ges. Wie bei dem Vater geschieht auch hier die Ver- änderung der Pupille, Zusammenziehung und Ausdeh- nung nur sehr gering und langsam, während sie schnel- ler und vollkommener auf dem linken Auge Statt findet. Das zweite Kind, eine Blondine, hat ohne sonsti- ge Bildungsveränderung der Pupille zwei ganz verschie- dene Augen. Die Blendung nämlich des rechten Auges ist heller gefärbt als die des linken. Das dritte Kind, eine Brünette, hat dunkle Augen und keinen Fleck , beide Pupillen sind vollkommen rund. Das vierte Kind, ein blonder Knabe, hat nur ein lichtbraunes Fleckchen im rechten Auge, hier aber nach dem inneren Augenwinkel hin. Die Pupille ist nicht verändert. Das fünfte Kind, auch ein blonder Knabe, hat blauliche, ganz natürliche Augen. Merkwürdig in der That ist diese erbliche Bildung, die zwar nicht. constant nur bei den Knaben dieser Familie vorkommt, doch aber nur’ bei den Kindern mit blondem Haare auftrat. Ebenso sehen wir nur bei dem ersten |Kinde die vollkommene Nachbildung, während sie bei den folgenden Kindern immer mehr verschwin- det, und selbst bei dem dritten und fünften, wenn gleich dieses ganz blond ist, fehlt. Bloch in seinen medieinischen Bemerkungen, Ber- 186 Einige Beiträge zur physiol. u. pathol. Anatomie. lin 1774. S. 2. und folgende, erzählt von einem inter- essanten Familienzeichen in den Augen. Der Vater hatte in beiden Augen eine längliche Pupille, welche die Gestalt eines an beiden Enden abgerundeten Kegels hatte, dessen Grundfläche nach oben gekehrt war. Diese Abweichung fand sich auch mehr oder weniger bei seinen Kindern. Der Brudersohn hatte ebenfalls eine längliche und eine runde Pupille, und bei seinen Kindern sah man denselben Fehler. — Ich füge diesem Falle einen anderen, und, wie mir scheint, gewiss nicht minder interessanten bei. Die Fa- milie selbst ist mir bekannt und lebt in einem Reussi- schen Städtchen. Aus einer ziemlich starken Familie, in welcher das Schielen erblich war, auch die meisten Glieder der Fa- milie das Gehör zum Theil oder ganz, früher oder spä- ter, verloren, heirathete ein junger Mann ein Mädchen, welches nur etwas schielt und nicht besonders geistvoll ist. Dieses Elternpaar ist übrigens vollkommen gut ge- staltet, der Mann heiteren Gemüths und von gutem Verstande, einfacher die Frau. Jener hat blondes Haar, aber sehr dunkle Augen, diese aber ist blond und hat blaue Augen. Sie zeugten sechs Kinder, 4 Knaben und 2 Mäd- chen. Der erste Knabe ist taubstumm, klug, talent- voll und von hübschem Ausseren. Zwei nun folgende Mädchen sind vollkommen gesund. Das vierte Kind, ein Knabe, ist taubstumm, blödsinnig. Sehr schwer hielt es, ihm das Eigenthumsrecht begreiflich zu machen, und deshalb vom Stehlen ihn abzubringen. Das fünfte Kind, wieder ein Knabe, ist gesund, Vom jüngsten Kinde, einem Knaben, fürchtet man, dass er ebenfalls taubstumm sey, doch ist es, vermöge der frühesten Kindheit desselben, nicht mit Bestimmtheit noch anzugeben. Einige Beiträge zur physiol. u. pathol. Anatomie. 187 Die taubstummen Knaben haben dieselben blauge- färbten Augen wie die Mutter, die gesunden Kinder aber haben dunkle Augen wie der Vater. Wie schon bemerkt, ist die ganze Familie der Mutter schwerhörig, und ein Mädchen in derselben sehr blödsinnig. Interessant auch ist es, dass, indem dieser Fehler der Taubstummheit nur bei den Söhnen dieses Eltern- paars erscheint, während die Töchter verschont blie- ben, auch in der Familie der Mutter nur die männli- chen Individuen an Schwerhörigkeit litten. 4. Von der Lage einer Niere im Becken. Wenn schon der Gebrauch des Messers bei An- schwellungen in der Beckenhöhle des Weibes an sich bedenklich und Gefahr drohend ist, so ist die Anwen- dung desselben auch noch deshalb mit um so grösserer Umsicht und Vorsicht zu leiten, als sich der Diagnose, wegen möglicher Versetzung gesunder Organe in das weibliche Becken, Schwierigkeiten darbieten, deren Lö- sung nur dem wahren Chirurgen und: Geburtshelfer, nicht aberdem durch den blossen Besitz einer Instrumenten- sammlung als solchen sich Ankündigenden, vorbehal- ten ist. Zu diesen in das Becken versetzten gesunden Or- ganen gehören gar nicht selten die Nieren. Man wür- de irren, wenn man zur Feststellung der Diagnose an- nehmen wollte, dass, wenn die Anschwellung in der linken Seite des Beckens wäre, hier an das Vorhan- denseyn einer Niere nicht gedacht zu werden brauche, denn, wenn gleich einige angeben, dass die gewöhnli- ‚che tiefere Lage der rechten Niere Anlass dazu gebe, und Vernier, Hommel, Treu, Chambon de Montaux, Bouszult, Meckel, die rechte tiefer liegend fanden, so 183 Einige Beiträge zur physiol. u, pathol. Anatomie. 5 beobachteten doch auch dasselbe Bauhin, Eustach, Hommel, Hebenstreit, Störk, Guignon, Meckel, Scherff von der linken Niere (J. F. Meckel, Handbuch der pa- tholog. Anatomie. Th. I. S, 132. Journal für anatomi- sche Variet. H. 1.). Auch nachstehender Fall, den ich der Vergessen- heit nicht gern mit so vielen anderen übergeben sehen wollte, bestätigt das Gesagte. Eine Bürgerfrau zu H. in Preussen wurde in ih- ren 3östen Jahre schwanger. Regelmässig verlief die Schwangerschaft, und die Geburt trat nach Ablauf der gewöhnlichen Zeit ein. Obwohl die ersten Geburtspe- rioden leicht vorüber gingen, so stellte sich doch nun im weiteren Fortschreiten der Geburt ein Hinderniss ein, in Folge dessen, bei den besten Treibwehen, das Vorrücken des Kopfes sich verzögerte. Dabei klagte die Kreissende über einen fixen Schmerz in der linken Seite des Beckens, der mit jeder neuen Wehe sich steigerte. Bei der nun genauer angestellten Untersu- chung fand die Hebamme an der hinteren Fläche des Beckens links eine Geschwulst, welche hart sich‘ an- fühlte, bei jeder Wehe etwas vorwärts getrieben wur- de und grösser zu werden schien. Schon war nach einem Geburtshelfer geschickt, als die Natur das Hin- derniss von selbst beseitigte, den Kopf durchtrieb und entwickelte. Das Kind war gesund, die Nachgeburt folgte gleich nach, und so blieb ein Schleier über das Hinderniss gedeckt, den zu heben der Hebamme nicht gelüstete. Zwei Jahre später wurde die Frau zum zweitenmale schwanger, und die Geburt trat zur nor- malen Zeit ein. Wenn gleich auch jetzt in den letzten Perioden der Geburt Zögerung eintrat, auch dieselbe Geschwulst von der Hebamme gefühlt wurde, so baute doch dieselbe Hebamme, vertraut mit den früheren Kräften der Natur dieser Kreissenden, auf dieselben Einige Beiträge zur physiol. u. pathol. Anatomie. 189 und gab die Ehre der endlichen Entbindung nicht aus der Hand. Diese Frau starb in ihrem 75sten Lebensjahre an einer Brustkrankheit, und soll ein Jahr früher an einer enuresis gelitten haben. Bei der Section fand man die Zinke Niere an der inneren Seite des musc. psoas tief unten liegend, wel- che jene Geschwulst, die während der Geburten gefühlt wurde, war. Wie gewöhnlich verhielten sich die Ge- fässe, und die Nebennieren lagen oben an der regel- mässigen Stelle, wie auch Bauhin, Eustach, Hommel, und Andere sie unter gleichen Umständen fanden. Die Beantwortung der Frage, warum diese Abwei- chung der Lage beim weiblichen Geschlechte häufiger vorkommt als beim männlichen, ist nicht leicht zu ge- ben. — Die Beckenhöhle ist der Sitz für das Zeugungs- und Harnsystem, und beide hängen mit einander zu- sammen. Beim männlichen Geschlechte aber ist der eigenthümliche Charakter das Hervortreten aus der Beckenhöhle, beim weiblichen hingegen Zusammendrän- gung in derselben; deshalb sind bei diesem die Nieren die einzigen weiter aus der Beckenhöhle verwiesenen Organe. Die Verschiedenheit nun des Bildungstypus, der beim Manne durch strahligeren Bau, Verlängerung, beim Weibe durch gerundeten sich bekundet, kann dann auch Veranlassung werden, dass einzelne, vom ganzen System normal entferntere Organe, wie die Nieren, in das Gesetz der Rundung und des Zusammenfallens gezogen werden, und darum mehr oder weniger der Beckenhöhle genähert oder in ihr selbst liegen. 5. Periodische Blutung aus der Nase bei einem Pferde. Jedes Organ des Organismus hat seine Thätigkeit, 190 Einige Beiträge zur physiol. u. pathol. Anatomie. die es periodisch mehr oder weniger zeigt. Es wird aber auch jedes Organ durch seine Thätigkeitsäusse- rung mehr oder weniger erschöpft, und bedarf einer Periode der Herstellung und Ruhe, Auf dieses Gesetz gründet sich die Periodieität im Leben, welche den ein- zelnen Organen, wie dem ganzen Organismus zukommt. Jedes Organ hat sie, nur dass der Moment der Ruhe nicht bei jedem gleich lang ist. Neben den übrigen Organen zeigt diese Periodieität auch das Gebärorgan, und zwar im nicht geschwängerten Zustande durch die Katamenien, in der Schwangerschaft durch die periodi- schen Veränderungen desselben, während der Geburt durch die Wehen und die freien Zwischenräume. Die Periodieität der Organe erscheint wie bei dem Men- schen, so auch bei den Thieren, und während man diese nicht abläugnete, gestand man sie dem Gebäror- gane nicht vollkommen zu. Dass dem aber so ist, und sie sich durch mehr oder weniger Blutverlust bezeich- net, ist jetzt erwiesen. Gallini (sopra la legge dell’ organismo animale de cui dependono i mestrui ete. im Mem. dell. societ. Italien. T. XVI. S. 2. ann. 1813. 4 — 17.) leitet den Grund dazu von dem grösseren Zu- flusse des Blutes zu den Zeugungstheilen ab, so dass der nöthige Grad von Reizung, die zur Begattung und darauf folgenden Zeugung erforderlich, mit dem Grade des Blutzu- flusses im directen Verhältnisse stehe. Bei dem Weib- chen der Säugethiere sey der Andrang des Blutes zu den Zeugungstheilen geringer, und mache es seltener zur Befruchtung fähig. Allein auch bei ihnen dehne das Blut in dem Maasse, als sie der menschlichen Spe- cies näher ständen, wenn sie dem Brunstzustande näher wären, die Gebärmutter aus, und es entstehe dann ein Ausfluss von schleimiger und blutiger Flüssigkeit, wel- che der Menstruation des menschlichen Weibes entspreche. In der That habe ich diese Periodicität bei Pfer- Einige Beiträge zur physiol.u, pathol. Anatomie. 191 den häufig zu beobachten Gelegenheit gehabt. So er- innere ich mich einer Stute, die regelmässig alle 5 — 6 Wochen einen heftigen Anfall von Krämpfen hatte, die jedesmal dadurch von dem Wärter gestillt wurden, dass er, eigenthümlich genug, ein mit Pfeffer bestreu- tes Talglicht in die Vagina einschob, worauf sodann ein schleimiger Ausfluss, der Tage lang anbielt, er- folgte. Eine andere Stute hatte alle 5 — 6 Wochen ei- nen blutig schleimigen Ausfluss, und war immer einige Tage vorher sehr krank. Ein anderer von mir beob- achteter Fall bot eine interessante Erscheinung dar. Ein Postmeister in einer Stadt des Reussenlandes hatte eine 6 Jahr alte Stute. Dieses Pferd war sonst immer sehr munter und kräftig. Regelmässig aber wurde es alle 6— 8 Wochen unlustig, leicht müde, bis endlich ein sehr heftiges, 3— 6 Stunden anhaltendes Nasenblu- ten eintrat, worauf es wieder munter und kräftig er- schien. Blieb es in dieser Zeit im Stalle, so wurde es höchst unruhig, biss sich einzelne Stellen in der Croupe blutig, wo dann das Nasenbluten ausblieb. Immer folgte, nachdem das Bluten, sey es aus der Nase oder aus den Wunden gewesen, nachliess, ein schleimiger Ausfluss aus den Geschlechtstheilen des Thieres. Interessant ist es, dass wir beim menschlichen Weibe bei der eintretenden Menstruation nicht selten Nasenbluten vorausgehen, ja selbst andere Organe durch Blutung für die fehlenden Katamenien vicariren sehen. Quibusdam et ex naribus sanguis et menses proru- perunt; welut Daetharsi filiae virgini apparuerunt Zune primum, et sanguis largus e naribus fluwit. Hipp. I. Epid. 11. 138. 139. Auae menstruis non Purgalur, si sanguinem e& naribus fudit, omni periculo vwacat. Cels, II. 8. Sollte vielleicht das periodische Aufbeissen der pol- nischen und russischen Pferde, so wie das Aufspringen 192 Beschreibung einer seltenen Missgeburt. der Haut bei den podolischen, da es zumal nur bei Stu- ten vorkommen soll, eine ähnliche Erscheinung seyn? Jene Stute, die von einem russischen Pferde in Deutschland geboren war, zeigte die Erscheinung, nach- dem sie 4 Jahre alt war. Nach dem 9ten Jahre hatte sich das Bluten, so wie der schleimige Ausfluss ver- loren. X. Beschreibung einer seltenen Missge- burt, welche sich in der Sammlung des anatomischen Theaters zu Leipzig befindet. Von Dr. Lupwıc CEerurtı, Professor der pathologischen Anatomie. (Hierzu Taf. 3. u. 9.) In dem anatomischen Museum unserer Universität, wel- ches vor kurzem die. Gnade des Königs durch den An- kauf der patholog. Präparatensammlung des verstorbe- nen Prof. Dr. Ch. F. Ludwig bedeutend vermehrt hat, befinden sich auch verschiedene seltene Missgeburten. Unter denselben ist besonders eine, die sich durch die eigenthümliche Lage und Bildung des Herzens ausser- halb der Brusthöhle auszeichnet, und ihrer Seltenheit wegen gewiss eine nähere Beschreibung verdient. Ecto- pien des Herzens kommen zwar im allgemeinen nicht so selten vor, allein eine solche, wie sie diese Missge- burt darbietet, habe ich, so viel Mühe ich mir auch gegeben habe, unter den bereits beschriebenen noch nicht auflinden können. Beschreibung einer seltenen Missgeburt. 193 Ich lasse nun die möglichst vollständige Beschrei- bung derselben folgen. Die Bauchhöhle ist ungewöhnlich weit, mid wird durch die in ihr enthaltenen Eingeweide nicht ausge- füllt; daher erscheinen die Bauchdecken der Länge isch gefaltet. Der Nabelstrang tritt sehr hoch, zwei und einen Viertel Zoll über der Schamknochen- Symphyse in die Bauchhöhle ein. Die sämmtlichen Verdauungsorgane liegen hoch oben, beinahe in dem Raume, welchen die weit ausein- anderstehenden falschen Rippen, und das sehr gewölbte Zwerchfell begränzen, verborgen, so dass die untere Hälfte der Bauchhöhle fast leer erscheint. Die Leber istrim allgemeinen gross und zeigt wei- ter keine Abnormität, ‘als dass an der unteren Fläche des rechten Lappens drei längliche, durch scharfe Fin- schnitte getrennte Läppchen hervortreten, wovon der hintere, weit grössere und rundlichere Aehnlichkeit mit dem Spigelschen Lappen hat, in welchen er auch. über- geht, und mit diesem so hervortritt, dass die zur Pforte gehenden Gefässe gleichsam zwischen zwei Hügeln liegen. Das grosse Netz bildet einen, in Verhältniss dick- häutigen und aufgeblasenen, länglich runden Sack, an welchem keine netzartige Beschaffenheit zu sehen ist, und der daher dem Magen, dem ersten Ansehen nach, wie ein zweiter Magen anhängt, in welchen die sehr deutlichen Blutgefässe von den unteren Magengefässen perpendieulär herabsteigen. Der dünne Darm, welcher nicht bis unter die Nie- ren herabliegt, scheint so wie der dicke Darm etwas zu kurz zu seyn; der letztere fängt noch etwas über dem unteren Ende der rechten Niere an, verläuft nun regelmässig, bis er auf der linken Seite sich von dem 194 Beschreibung einer seltenen Missgeburt. unteren Ende der Niere plötzlich mit einigen kurzen Windungen aufwärts gegen die Mitte wendet, und von hier perpendiculär in den übrigens fast leeren Theil der Bauchhöhle frei zum Becken herabsteigt. Ausserdem finden an den Verdauungsorganen keine Abweichungen Statt. \ Die Gebärmutter mit den Fallopischen Röhren und Ovarien liegen ganz über dem kleinen Becken frei in der Bauchhöhle. Die Ovarien sind verhältnissmässig sehr lang, stossen mit ihrem inneren Ende genau an die Gebärmutter, mit ihrem oberen Rande, der nach vorn gerichtet ist, an die Fallopischen Röhren, welche sehr rundlich, sanft geschlängelt, und wenig länger als die Ovarien sind. Das sehr längliche, ganz ausserhalb der Brusthöhle liegende, und von dem Herzbeutel genau umgebene Herz bildet gleichsam einen dieken Strang, der von der Mitte, gleich über dem Nabel ‚sich links wendend, bis zur linken Seite des schädellosen Kopfes ‚herauf- steigt, und hier mit demselben über dem Ohre genau verwachsen ist. Der Herzbeutel, welcher tief in der Brusthöhle an den Gefässstämmen entsteht, bildet gleichsam eine weite Scheide um dieselben, tritt dann an der Stelle des man- gelnden Schwertfortsatzes des Brustknochens gleich über dem Nabel hervor, fliesst mit der äusseren Haut zusammen, überzieht nun gleichsam als eine Fortsetzung der äusseren Haut das Herz, genau an dasselbe ange- heftet, und geht oben über dem herabgedrängten En Ohre in die Haut des Kopfes über. Das sehr längliche und flach rundliche Herz, von zwei Paris. Zoll Länge (wovon nur 8 Linien auf die einfache Vorkammer kommen), neun Linien Breite und fünf Linien Dicke, liegt mit der Spitze nach oben, wel- che mit einem Rudimente des Seitenknochens so ver- Beschreibung einer seltenen Missgeburt. 195 wachsen war, dass sie nicht ohne Substanzverlust ge- trennt: werden konnte; mit der Basis, welche in zwei fleischige Zipfel oder Hörner ausgeht, und daher ein gespaltenes Ansehen hat, nach .unten. Diese beiden Zipfel gehen in zwei Gefässstämme über, einen Venen- und einen Arterienstamm, welche, der erstere mehr nach aussen, der andere nach innen, sich in der oben angegebenen Scheide (oder Herzbeutel) von aussen nach innen aufwärts in die Brusthöhle biegen. Durch diese Aufwärtskehrung ist die Lage des Herzens so verän- dert, dass der der rechten Herzhälfte entsprechende Theil links, und die linke Herzhälfte rechts liegt. Die einfache Vorkammer hat nach vorn ein deut- liches, scharf abgegränztes Herzohr, und geht von hier in das äussere (linke) Horn über, welches gleichsam einen langen, runden, aber bis zur Aufnahme der Lun- genvenen muskulösen Gefässstamm von ’einem Zoll drei Linien Länge und zwei Linien im Durchmesser bildet; also als eine Verlängerung der Vorkammer angesehen werden muss, die bis unter die Spaltung der Luftröhre reicht, und hier einen kurzen Venenstamm (eine ge- meinschaftliche Lungenvene), in welchen sich von jeder Lunge zwei Venenäste vereinigen, aufnimmt; worauf sich, nahe am Austritte aus der Brusthöhle rechts, die untere Hohlvene, unter einem rechten Winkel, links dieser gegenüber, von oben und hinter der Aorta, die linke gemeinschaftliche Jugularvene, und etwas: tiefer, ganz nach vorn, die rechte gemeinschaftliche Jugular- vene.in diese Verlängerung einsenken. Beide Jugular- venen bilden also keinen besonderen Stamm, oder die obere Hohlvene, sondern sie steigen von dem Eingange in die Brusthöhle in gerader Richtung, bedeckt von der Thymusdrüse, neben dem vorderen Lungenrande und dem Arterienstamme bis zu der angegebenen Einsenkung herab, mit der Abweichung: dass die linke Jugularvene 196 Beschreibung einer seltenen Missgeburt. über dem linken Bronchus die Azygosvene aufnimmt. Ausserdem hat die Vorkammerhöhle von dem. oberen Ende des Herzohres bis zum Limbus der venösen Herz- mündung, so weit sie mit einer Vorkammer die grösste Aehnlichkeit hat, sieben Linien Länge, und von der linken zur rechten Seite im breitesten Durchmesser acht Linien, denn von vorn nach hinten ist sie sehr flach; eine Spur von einer Scheidewand und eirundem Loche findet nicht Statt, obgleich rechts ein kleines, rundes, aber blindes Loch sich befindet. Uebrigens sind die Wände der Vorkammer dicker und muskulöser als im normalen Zustande. Die entsprechende rechte Herzkammer (oder Lun- genkammer), welche hier links und oben liegt, ist die grösste Höhle, indem sie den grössten Theil des Her- zens einnimmt; sie hat keine eigentliche arteriöse, son- dern blos die venöse Mündung, wodurch die Vorkam- mer unmittelbar in die Herzkammer übergeht; beide aber sind durch einen deutlichen Limbus und .die an diesem rund herum ansitzenden Trieuspidalvalveln un- terschieden. Sie nimmt den ganzen eigentlichen Herz- (oder den arteriösen) Theil ein, und hat von dem Lim- bus bis zu der nach oben gerichteten Spitze einen Zoll zwei Linien Länge, und im grössten Querdurchmesser sieben Linien Breite, und’ ist von vorn nach hinten ebenfalls sehr flach. Die Wände sind im allgemeinen dicker, besonders aber die rechte Wand (oder hier der der linken Hälfte entsprechende Theil des Herzens), welche hauptsächlich nach vorn aus einer dicken, lo- ckeren Fleischmasse besteht. Nur gegen die Basis be- findet sich eine sehr kurze, nicht ganz zwei Linien lange Scheidewand, welche mit einem freien concaven, von vorn nach hinten vier Linien langen Rande, dem Limbus gegenüber, endet, und dadurch eine weite Mün- dung bildet, die eben so viel Linien im Durchmesser Beschreibung einer seltenen Missgeburt. 197 hat, und einen Zusammenhang zwischen beiden Ven- trikeln bewirkt; allein diese Mündung ist durch einen Zipfel der Trieuspidalvalvel, und die zu diesem gehen- den sehnichten Fäden, welche aus der Aortenkammer kommen, grösstentheils ausgefüllt, so dass nur zwischen diesen letzteren der beschränkte Uebergang des Blutes von der einen zur anderen Höhle gestattet war. Die entsprechende linke Herzkammer (oder Aor- tenkammer), welche hier nach innen oder rechts liegt, befindet sich fast ganz in dem inneren Horn oder Zi- pfel des Herzens, indem sie nach oben, gegen die Spitze nur zwei Linien tief in die der linken Kammer entspre- chende Substanz des Herzens, neben der erwähnten Mündung der Scheidewand dringt, wo von einem Pa- pillarmuskel und dem Rande der sehr kurzen Scheide- wand tendinöse Fäden in der Mündung zu dem vorde- ren Zipfel der Tricuspidalvalvel treten. In dieser Ge- gend ist die Aortenkammer am weitesten, und hat drei Linien im queren Durchmesser, verschmälert sich dann in das Horn und geht in die Aorta über, wo sie mit drei halbmondförmigen Klappen versehen ist; bis hieher beträgt ihre ganze Länge einen Zoll und besteht über- haupt aus einer dünnen Muskelwand. Die Aorta biegt sich neben der sehr verlängerten Vorkammer durch die Oefinung in der Brusthöhle auf- wärts in dieselbe, bildet nun regelmässig den Bogen, welcher statt der ungenannten Arterie die rechte Caro- tis giebt; diese steigt vor der Luftröhre, aber durch eine Abtheilung der übrigens normalen Thymusdrüse von der gemeinschaftlichen Jugularvene getrennt, in die Höhe, und giebt dann die normal verlaufende linke Ca- rotis; hierauf tritt die Aorta hinter den linken Bron- chus und den Oesophagus, und giebt nun die beiden Subelaviculararterien, wovon die rechte hinter dem Meckels Archiv f. Anat, u. Phys. 1828. 14 195 Beschreibung einer seltenen Missgeburt. Oesophagus weg, und neben demselben heraufsteigend aus der Brusthöhle geht. Die Lungenarterie entsteht nahe am Anfange der Aorta aus ihrem hinteren Umfange,‘aber mit keiner of- fenen Mündung in derselben, wovon keine Spur zu se- hen ist, (sie füngt blind an); spaltet sich unter einem sehr spitzigen Winkel in die rechte und linke Pulmo- nalarterie, welche auseinander weichend zu den Lun- gen herauf steigen, und unter den Bronchien in diesel- ben eintreten, aber stärker als der Stamm der Lungen- arterie sind. N Der Botallische Gang, der unmittelbar vor dem linken Bronchus liegt, verbindet die linke Pulmonalar- terie mit der Aorta, und durch ihn gelangte das Blut rückwärts in die Pulmonalarterien. Das Blut, welches sowohl durch die Nabelvene von dem Mutterkuchen, als auch von den Lungen und den übrigen Organen des Felus zu der einfachen Vor- kammer, und von dieser in die rechte Herzkammer (oder entsprechende Lungenkammer) gelangte, musste von hier ziemlich gewaltsam durch die von dem vor- deren Zipfel der Tricuspidalvalvel und den tendinösen Füden verengle Mündung der Herzhöhlenscheidewand in die Aortenkammer getrieben werden, und aus die- ser in die Aorta; aus der nun erst Blut durch den Botallischen Gang in die Lungenarterie und die Lun- gen drang, und in die Vorkammer wieder zurück. Die Lungen sind besonders rundlich, und wie die Thymusdrüse normal. . Die Brusthöhle ist etwas verkürzt, aber in Ver- hältniss breit und sehr weit und wird durch die Lunge und übrigen Theile des Mittelfelles bei weitem nicht aus- gefüllt. } Das Zwerchfell ist ganz normal, sowohl in der Stenetur. als auch der Insertion, nur dass der vorder- \ Beschreibung einer seltenen Missgeburt. 199 ste mittlere Theil da, wo der Schwertfortsatz fehlt, und sich die Gefässstämme aus der Brusthöhle biegen, mit der äusseren Haut sich vereinigt und zusammen- schmilzt. An 'dem Kopfe fehlt die Schädeldecke gänzlich, (hemicephalus); die ungleiche Oberfläche desselben zer- fällt in eine rechte und linke Hälfte. Die rechte, de- ren Durchmesser einen Zoll beträgt, verhält sich ganz so, wie man bei denjenigen Missgeburten findet, die gewöhnlich mit den Namen „Hasen- oder Katzenköpfe“* bezeichnet werden; es ist nämlich eine feine behaarte Haut über die Basis des Schädels ausgebreitet, welche hinten in den breiten Nacken ausgeht. — Vorn mit der Basis in gleicher Höhe liegt das etwas kleinere Auge; unter diesem nach innen erhebt sich ein flacher Hügel, welcher Aehnlichkeit mit einer halben äusseren Nase hat, und unter dem sich eine dem Nasenloche ähnliche kleine Mündung von einem halben Zoll Tiefe, einer Nasenhöhle entsprechend, befindet. — Das OAkr hat zum Gesichte seine normale Lage. — Der Mund erscheint sehr gross und aufgesperrt, und die Zunge ragt etwas hervor; nur die rechte Hälfte der im Allgemeinen sehr schmalen Lippen hat Aehnlichkeit mit den normalen, und der Unterkiefer ist gleichsam nach rechts herüber- gedrängt. Die linke und unregelmässigere Hälfte des Kopfes erscheint gleichsam nach aussen herab und in die Breite gedrückt, und auf ihr erhebt sich eine rundliche, weiche Geschwulst, von der Grösse eines Hühnereies. Die obere Fläche dieser Hälfte ist im Querdurchmesser ei- nen und einen halben Zoll. — Diese Geschwulst macht nach vorn eine Verlängerung, und am hinteren Umfan- ge, wo sie in die feine behaarte Haut des Nackens übergeht, war mit ihr das Chorion verwachsen. Sie be- 14* 260 Beschreibung einer seltenen Missgeburt. steht 1) aus einer festen, der harten Hirnhaut ähnli- chen Membran, welche an der Basis der Geschwulst mit der äusseren Haut und mit dem hier anhängenden Chorion fest verwachsen ist; 2) aus einer sehr deutlichen und leicht trennbaren Spinnwebenhaut; und 3) aus ei- ner der Gefässhaut ganz ähnlichen Membran, welche sehr gefaltet und gewunden, und an ihrer inneren Flä- che mit grösseren und kleineren, unregelmässigen Ver- längerungen oder Lappen versehen ist, die grössten- theils den inneren Raum der Geschwulst einnehmen, und zwischen denen sich eine weiche, gallertarlige, aber im Verhältnisse zur Geschwulst nur wenige, der Hirn- substanz etwas ähnliche Masse befindet, welche, nach- dem sie in Weingeist gelegen hatte, ein gelbliches, bröckliches Ansehen erhielt. Das Rückenmark, so wie der Markhnoten und die Schleimdrüse sind nicht vollkommen entwickelt; letztere ist mehr flachrundlich. Das erste bis dritte Nerven- paar sind besonders häutig, scheinen gleichsam aus der Haut hervorzukommen, und gehen wie die übrigen, auf die gewöhnliche Weise zu ihren Löchern in der Schä- delbasis hin. Nach vorn unter der genannten Geschwulst befin- det sich ein dem Augenliderspalte ähnlicher enger Spalt, jedoch ohne einen sichtbaren Augapfel; die Augenlider und Cilien sind nach innen in eine enge Augenhöhle hereingezogen, so dass das dünnhaarige Supercilium oben den Spalt begränzt. — Hinter diesem Spalte ist die enge Augenhöhle mit Fett und den entsprechenden Muskeln des Augapfels, welche ein kleines, längliches, festes Rudiment von der Grösse und Form eines Wei- zenkorns umgeben, ausgefüllt. Dieses Rudiment ent- spricht an Farbe und Festigkeit der Sclerotica, vorn zeigt sich ein schwarzer, unregelmässiger Punct, wel- cher unter dem Vergrösserungsglase einer unterbroche- Beschreibung einer seltenen Missgeburt. 201 nen Iris entspricht. Zu dem hinteren Ende dieses Kör- pers geht ein langer, dünner, häutiger Faden, dem Sehnerven entsprechend. : Nach aussen und unten, unter der Verwachsung der Spitze des Herzens, befindet sich das linke Ohr. Die /inke Hälfte des weit offen stehenden Mundes erscheint überhaupt unregelmässig; keine den Lippen ähnliche Bildung, indem oben die Geschwulst, unten einige Verlängerungen der Haut den Mundspalt bilden. In der Mundhöhle selbst sieht man auf dieser Seite drei längliche Erhabenheiten oder Abtheilungen, wovon die obere, die mit der Mundhaut überzogene, getrennte linke Hälfte des Ethmoidalknochens ; die mittlere, klei- nere, die untere Concha; und die untere, das sehr her- vortretende Zalinfleisch' ist. — Hinten an der unteren Erhabenheit bemerkt man eine häutige Verlängerung; welche ‚Aehnlichkeit mit dem Jinken Theile des Gax- menvorhanges hat, und scharf, wie ‚durch Kunst, von dem rechten Theile getrennt erscheint; von diesem geht ein «sehr niedriger : arcus glossopalätinus herab. Der rechte Theil des Gaumens und: Gaumenvorhanges stellt sich in seiner ganzen‘! Form dar, liegt.aber: hinten der Basis des Schädels genau an, und zeigt keine ‚hintere Nasenöffnung. Auf der linken ‚Seite findet man statt des @au- mens eine quere, gleichförmige, convexe und dünne Wand, ‚welche von. dem, unten \querliegenden, Vomer und dem sich wieder nach: oben wölbenden Nasenschei- dewandknorpel herrührt. "Das an beiden . getrennten, Oberkieferhälften: sehr hervorragende Zahnfleisch enthielt die Zahnkeime, wel- che hier mehr über den Zahnfortsatz der Oberkiefer- knochen hervorragten. 202 Beschreibung einer seltenen Missgeburt. "An dem Skelette des hier erwähnten Fetus ist der Kopf von der grössten Deformität, indem das Gewölbe des Schädels ganz fehlt, und der Oberkiefer gespalten und nach vorn auseinander gewichen ist, so dass sich die krümmende und nach hinten verschmälernde Nasen- scheidewand an der rechten Hälfte befindet; eben so ist das Keilbein in seiner ganzen Länge gespalten. An dem Störnbeine mangelt der ganze Stirn- und Nasen- theil, und die ganz getrennten Orbitaltheile bilden nur eine unvollkommene, von vorn nach hinten schmälere obere Orbitalwand. Von dem Seitenbeine zeigen sich blos auf der linken Seite zwei kleine unregelmässige Stücke, womit die Spitze des ausserhalb der Brust- höhle: liegenden Herzens verwachsen war. Eben so mangelt der grösste Theil des Oceipitaltheiles des Hin- terhauptknochens, und zwei Rudimente desselben sind, wie die Gelenktheile (partes condyloideae ) von einan- der getrennt, aber ‘durch die knorpelige Grundlage des Hinterhauptknochens ausgefüllt. — An dem Schläfen- knochen ist der Schuppentheil etwas klein, und der @n- nere Gehörgang ganz nach oben gewendet, kurz und weit, so dass man den Grund übersehen kann, jedoch durch die harte Gehirnhaut geschlossen. — Das Keil- bein ist im Allgemeinen niedriger, die obere Fläche des Körpers desselben (der Türkensattel) wenig ausgehöhlt; die processus clinoidei fehlen ganz, die grossen Flügel liegen flach: und mehr nach aussen gerichtet , und die! processus pterygoidei sind sehr niedrig. —' Von dem sehr niedrigen gespaltenen Eihmoidalknochen zeigt sich nur die linke Hälfte desselben verknöchert, indem sich auf der rechten Seite, von dem inneren Rande der oberen Orbitalwand, ein’ breiter, bis an den Keilkno- chen reichender Knorpel schief von innen nach aussen herumbiegt, und sich mit dem querliegenden Vomer verbindet, wodurch zwischen diesem und dem sehr nie- N | Beschreibung einer seltenen Missgeburt. 205 drigen rechten Oberkieferknochen eine kleine, hinten blind endende Nasenhöhle gebildet wird, welche durch knorpelige Scheidewände in drei Vertiefungen abgetheilt ist. — Die rechte Orbita ist etwas grösser als die lin- ke, und die obere Wand beider nach vorn unvollkom- men, indem sie mit einem scharfen Rande enden. — Die getrennten Oberkieferknochen und die Gaumenkno- chen sind sehr niedrig, die letzteren besonders schief nach hinten gerichtet, wodurch sie an der Basis des Schädels genau anliegen, und keine Nasenöffnung (cho- anae narium) übrig lassen. — Der in. der Quere lie- gende Vomer ist mit der rechten Gaumenhälfte und mit dem oben erwähnten Knorpel verbunden. ' Die Nasen- knochen fehlen ganz. Der Unterkiefer ist schief nach rechts gerichtet. Die zwei ersten ‚Halswirbel sind zwar getrennt, aber durch die Faserbündel ausgefüllt. An dem knorpeligen Brustbeine fehlt der Schwert- fortsatz, so wie auf der linken Seite die zwölfte Rippe, welche auf der rechten sehr klein und kurz ist. Ausserdem ist’ der rechte Fuss ein Klumpfuss. Uebersicht der Abnormitäten.des Fetus. Die vorzüglichsten Abweichungen desselben sind: — sehr weite und lange Bauchhöhle; — hoch oben hervortretender Nabel; — eine grosse und scharf .ein- hnittene,: oder ‚auf eigenthümliche Weise in Lagen getrennte Leber; — ein verdicktes und in einen Sack geformtes Netz; — ein ausserhalb der Brusthöhle lie- gendes, sehr langes und links ‚durch die Spitze mit dem Schädel verwachsenes Herz , welches an der abwärts gerichteten Basis in.'zwei Hörner gespalten ist, eine einfache Vorkammer, eine grosse lerzkammer , welche der Lungenkammer, und eine.Isehr' "kleine; ‚die ‚der Aor- 204 Beschreibung einer seltenen Missgeburt. tenkammer entspricht, hat; beide Kammern hängen durch ein weites Loch zusammen. — Aufnahme. der Lungenvenen, zweier gemeinschaftlicher Jugularvenen und der unteren Hohlvene von der sehr verlängerten, und das eine Horn bildenden Vorkammer; — unmittel- bare Fortsetzung des zweiten Hornes des Herzens, oder der sehr kleinen Aortenkammer in die Aorta, an wel- cher die Lungenarterie blind anhängt , also Uebergang des Blutes aus der Aorta durch den Botallischen Gang in die Lungenarterie. — Eine breite, oben kurze Brust- höhle. ‘Ein an der linken mehr als an der rechten Hälfte monströser Kopf; an der ersten befindet sich ein kleines unvollkommenes Auge, und ein der halben äus- seren Nase ähnlicher Hügel; ein weit aufgesperrter Murd, mit hervorragender Zunge und unregelmässigen Lippen, und gleichsam nach rechts herübergedrängtem Unterkiefer. — Eine weit unregelmässigere, gleichsam nach aussen herab und in die Breite: gedrückt: erschei- nende linke Hälfte des Kopfes, auf welcher sich eine rundliche, weiche, überragende Geschwulst von der Grösse eines Hühnereies befindet, die die zusammenge- falteten Hirnhäute und etwas Substanz, der des Gehirns ähnlich, enthält. — Das erste und dritte Paar der Ge- hirnnerven mehr häutig. — Ein ganz unvollkommenes linkes Auge, äusserlich blos aus einem Spalte, innen (statt des Augapfels) aus einem Rudimente von. der Grösse eines Weizenkorns bestehend, welches der Scle- rotica ähnelt, und vorn einen schwarzen Punct, der der Iris entspricht, zeigt, hinten aber mit einem langen, häutigen, dem Sehnerven entsprechenden Faden verse- hen ist. — Mangel der linken Hälfte des Gaumens und der hinteren Nasenöffnung.. — An dem Skelette: gänzlicher Mangel des Schädelge- wölbes ; Spaltung des Oberkiefers, der Gaumenknochen, des Ethmoidal- und Keilknochens; unvollkommene Augen-, en Beschreibung einer seltenen Missgeburt. 205 Mund- und Nasenhöhle; Mangel des ganzen Stirn- und Nasentheils des Stirnbeines; nur auf der linken Seite zwei kleine Rudimente des Seitenbeines; Mangel des Oceipitaltheiles des Hinterhauptknochens, und Trennung der übrigen Theile desselben; kleiner und niedriger Keilknochen und Mangel der Höcker desselben ; quer- liegender Vomer; Mangel der Nasenbeine; Trennung der zwei ersten Halswirbel; — Mangel des Schwert- fortsatzes des Brustbeins und der linken zwölften Rip- pe; — endlich ein Klumpfuss. Sollte wohl hier die Ektopie des Herzens durch den Mangel des Schwertfortsatzes und der linken zwölften Rippe veranlasst worden seyn, und könnte man hinwieder hiervon die abnorme Bildung ‘des Herzens selbst, so wie auch die übrigen Abnormitäten , nament- lich den Mangel des Schädelgewölbes etc. ‘ableiten ? Erklürung der Kupfertafeln. Taf. VLLT: Der vordere äussere Umfang des monströsen Fetus. a. a. Die auf der linken Hälfte des Kopfes befindliche Ge- schwulst. b. Das rechte Auge. ce, Das unvollkommene linke Auge, dadurch sichtbar, dass die Geschwulst etwas in die Höhe gehoben ist. d. Die äussere, unvollkommene Nase. £ e, e. Der den weit oflenstehenden Mund umgehend Hautrand der Backen. Ih f. Eine Verlängerung der Haut, welche den Mund links um- giebt. g. g. Das stark hervortretende Zahnfleisch der rechten Seite. h. Die Erhabenheit der getrennten linken Hälfte des von der Mundhaut umgebenen Ethmoidalknochens. 1. Die untere Concha. k. Das hervortretende ‚obere Zahnfleisch der linken Seite. 1. Die Zunge. 206 Beschreibung einer seltenen Missgeburt. m. Gränze unter dem Brustbeine, zwischen der Brust- und Bauchhöhle, n. Der abgeschnittene Nabel. o. o. Das längliche, ausserhalb der Brusthöhle liegende und mit der linken Seite des Kopfes verwachsene Herz. ?. p. Der das Herz scheidenartig umgebende und aufgeschnit- tene Herzbeutel. q. Die einfache Vorkammer des Herzens. r. Das Herzohr. s. Das innere Horn, welches in den Arterienstamm übergeht. t. Das äussere Horn, welches in den Venenstamm übergeht. u. Die äusseren Genitalien. v. Der Klumpfuss. Taf. IX. Fig.1. Die Brusteingeweide im Zusammenhange mit dem Zwerch- felle und der Leber. Die rechte, hier mehr links lie- gende Herzkammer und die Vorkammer sind durch einen Längenschnitt geöffnet worden. a. Die Luftröhre. b. b. Die Lungen, e. Die Schilddrüse. d. Der rechte Theil der Thymusdrüse. e, e. Das Zwerchfell. f. f. Die Leber. 8. Die geöffnete rechte Herzkammer. h. Die Tricuspidalvalveln. i. Die sehr kurze Scheidewand der Ventrikel. k. Die Mündung zwischen der rechten und der sehr kleinen linken Herzkammer, durch welche von der letzteren Kam- mer chordae tendineae hervorkommen. I. Das geöffnete atrium, welches eigentlich bis m. (so weit ist es fleischig) heraufreicht. n. Der kurze Lungenvenenstamm , der von beiden Lungen die Venen aufnimmt. 0. Die untere Hohlvene. p. pP. Die linke gemeinschaftliche Jugularvene. q. Das obere Ende der vena azygos. r. r. Die rechte gemeinschaftliche Jugularvene. s. 5, Die Aorta. Beschreibung einer seltenen Missgeburt., 207 t. t. Die Carotiden. u. Die rechte Subelaviculararterie. v. Die linke Subelaviculararterie. w. Die rechte Lungenarterie. x. x. Der Schlund. Big; % Die Luftröhre mit den Lungen und dem Herzen; letz- teres ist mehr herabgelegt worden, wodurch die kleine Aortenkammer zu Gesicht kommt. a. Die Luftröhre. b. b. Die Lungen, e, Die Schilddrüse. d. d. Das Herz. e. e, Die geöffnete und verlängerte linke Herzkammer. f. Die Mündung in der Scheidewand zwischen den beiden Herzkammern. 8. Ein Theil der Tricuspidalvalvel der rechten Herzkammer, welche durch die Mündung zu sehen ist, und h. Die chordae tendineae, welche in dieser Höhle entspringen, ä. i, Die halbmondförmigen Klappen derselben, k. Die aufsteigende Aorta, 1. Die blind anfangende Lungenarterie. m. Der rechte, n. Der linke Ast derselben. 0, Der Botallische Gang. P. p. Die einfache Vorkammer des Herzens. q. Das Herzohr. r. Die untere Hohlvene, 5. Abgeschmittene linke Jugularvene. 1. t. Die beiden Lungenvenen. "2 Der 'gemeinschaftliche Stamm derselben. p Fis. 3. Der knöcherne Kopf in natürlicher Grösse, von vorn und oben dargestellt. a. a. Die Augenhöhlentheile des Stirnbeins. b. b. Die beiden kleinen Flügel des Keilbeins. d. Rudiment des Seitenbeins. e. Der Felsentheil des Schläfenbeins. ’ 208 Ueber den Nutzen der kalten Begiessungen 1. Der innere Gehörgang. 2. Das oben offene vestibulum. F. S. Die Gelenktheile des Hinterhauptknochens. g. Das grosse Occipitalloch, h. h. Die Augenhöhlen. i. i. Die Wangenknochen. k. Der rechte Oberkiefer. 1. Der linke Oberkiefer. m. Die vordere Nasenöffnung im rechten Oberkiefer. n. Die knorpelige Nasenscheidewand in derselben. o. Die linke Hälfte des Ethmoidalknochens. pP. p. Der Unterkiefer. Fig. 4. Das ganze Skelett, um ein Dritttheil verkleinert. AR. Nm Ueber den Nutzen der kalten Begiessun- gen bei Vergiftungen durch Blausäur e. Von Dr. E. F. Gustav Heresr. Unter allen bekannten Giften ist die Blausäure das stärkste. Es hat nicht an Versuchen gefehlt, um die Art der Wirkung dieses Giftes kennen zu lernen. Das Resultat davon ist die, Erfahrung ‚gewesen, dass die Blausäure vorzüglich auf das Nervensystem. wirkt. Die Erscheinungen bei Thieren, denen grössere Quan- titäten derselben beigebracht sind, lassen kaum einen Zweifel übrig, dass die erste Folge eine übermässige Aufregung des Nervensystems ist, wobei dessen 'Sensi- bilität sehr schnell erschöpft wird; kurz darauf tritt das Stadium der Paralyse ein, allgemeine, Schlaffheit, Un- - empfindlichkeit u. s. w., welche dem nahen Tode vorherge- hen. Die Mittel gegen‘ die Wirkungen. der ‚Blausäure j l bei Vergiftungen durch Blausäure. 209 müssen deshalb der Art seyn, dass sie die verlo- rene Empfindlichkeit des Nervensystems wieder her- stellen. Man hat mehrere Gegenmittel vorgeschlagen, de- ren Anwendung zwar von einigem Nutzen ist, die aber den gewünschten Zweck doch nicht ganz erfüllen. Vor- züglich hat man bisher auf den Ziquor ammonü cau- stiei, der bei mehreren Vergiftungen treflliche Dienste thut, sein Augenmerk gerichtet. Es wird auch in der That die Wirkung der Blausäure dadurch gemindert, besonders wenn er unmittelbar nach der Anwendung der Blausäure gegeben wird, und die Quantität der verschluckten Blausäure nicht so gross war, dass der Tod, wenn das Thier sich selbst überlassen wäre, da- durch erfolgt seyn würde. Ist dagegen schon einige Zeit verflossen, und war die Portion der verschluckten Blausäure gross genug, um für sich den Tod bewirken zu können, so ist auch die Wirkung des Ziquoris am- monii caustici geringer, ungewisser, ja meistens ohne den gehofften Erfolg. Hierzu kommt, dass der liquor ammonil caustici mit Wasser verdünnt, so dass er seine ätzende Eigenschaft verliert, auch in seiner Wirksam- keit geschwächt wird; wendet man ihn aber rein an, so ist seine Wirkung zwar deutlicher, allein die Theile dieer berührt, werden augenblicklich exceriirt, z. B. die Zunge, der Gaumen u. s. w., so dass das Blut aus dem Munde fliesst, weshalb die Anwendung in diesem con- centrirten und wirksameren Zustande selbst schon be- denklich ist. Wird der Ziquor ammonit c. nach einer um den Tod zu bewirken hinreichenden Gabe Blausäure rein angewandt, so ist der Erfolg gemeiniglich der, dass das Thier, welches sich in einem heftig krampfhaften Zustande befindet, den Gebrauch seiner Muskeln plötz- lich wieder erhält, aufspringt, einige Schritte weit läuft, wieder hinfällt, und in einem dem vorigen ähnlichen 210 Ueber den Nutzen der kalten Begiessungen Zustande liegen bleibt, nur dass der Krampf in den Muskeln nicht ganz so stark ist, auch wohl ganz nach- gelassen hat. So bleibt es nun, bis es, durch eine neue Gabe. des liquor amm. ce. aufgeregt, wieder einige Schritte läuft, um abermals in den eben genannten Zu- stand versetzt zu werden, Werden die Gaben des %- quor amm. c. wiederholt, so bekommt das Thier auf längere Zeit den Gebrauch der Muskeln zurück, und wird allmälig wieder hergestellt; in den häufigeren Fäl- len aber hört der ig. amm. c. nach den ersten Gaben auf, die auffallende Wirkung hervorzubringen, das Le- ben ist zwar dadurch aufgehalten, allein es entflieht doch. Endlich darf nicht übersehen werden, dass die Thiere, die eine starke Portion Blausäure verschluckt haben, nicht ordentlich schlucken können; welcher Um- stand dem heilsamen Erfolge der Anwendung des Zig. amm. c. hinderlich ist. Ungleich sicherer gelangt man zu seinem Zwecke, die Wirkungen der Blausäure zu hemmen, und die Her- stellung des gesunden Zustandes zu bewirken, wenn man den Kopf und den Rücken der durch Blausäure vergifteten Individuen anhaltend Begiessungen mit kal- tem Wasser aussetzt. Die Untersuchungen hierüber habe ich zwar bisher nur bei Thieren, besonders Hun- den angestellt, allein ich finde keinen Grund zu zwei- feln, dass derselbe auffallend günstige Erfolg nicht auch bei anderen und selbst beim Menschen, nach Ver- giftungen durch Blausäure, eintreten werde. Ich habe die Blausäure bei Hunden und bei Katzen, in verschie- dener Stärke, auf verschiedene Arten und unter ver- schiedenen Verhältnissen angewandt, und gefunden, dass die durch Blausäure vergifteten Thiere durch die ge- nannten Begiessungen sehr schnell gänzlich wieder her- gestellt werden, In den Fällen, wo die Quantität des verschluckten Giftes gar zu gross ist, und der Tod er- bei Vergiftungen durch Blausäure. 211 folgt, bevor die kalten Begiessungen anfangen, darf man freilich keine Wirkung mehr erwarten, ausgenom- men im ersteren Falle, wenn das Gift zum Theil durch Erbrechen ausgeleert wird, und es ist also meine Be- hauptung nicht etwa so zu verstehen, als ob es durch- aus nicht möglich sey,.ein in kaltes Wasser gesetztes Thier durch Blausäure umzubringen. Ich habe mich aber überzeugt, dass Quantitäten Blausäure; die ein Thier in wenig Augenblicken tödten konnten, durch zeitig angewandte kalte Begiessungen keine andauernd üble Folgen hinterliessen, ja dass die damit vergifteten Thiere schon nach wenigen Stunden, oft schon früher, keine Spuren von Krankseyn mehr an sich trugen. Wenn kleinere Quantitäten Blausäure, die an sich schon nicht tödtlich gewesen wären, angewandt werden, so reichen schon ein Paar Begiessungen mit kaltem Wasser aus, alle dadurch entstandenen Störungen zu entfernen. War aber die Portion der gegebenen Blau- säure grösser, so ist eine öftere Wiederholung und län- gere Fortsetzung der Begiessungen erforderlich. Gar sehr hängt -auch die Sicherheit des Erfolges der kalten Begiessungen von ihrer früheren oder späteren Anwen- dung ab. Am sichersten darf man auf sie vertrauen, wenn sie unmittelbar nach der Anwendung der Blau- säure bewerkstelligt werden, oder doch noch während des krampfhaften Stadii, so Jange die Muskeln sich im Zustande der Contraction befinden, die Augen hart, starr, unempfindlich und unbeweglich in der orbita ste- hen, der Kopf nach hinten gezogen, und die Extremi- täten gerade ausgestreckt sind. Auf dieses Stadium folgt allgemeine Erschlaffung des Körpers, das Athem- holen wird immer langsamer, fast unmerklich, der Puls ebenfalls langsam, schwach, kaum fühlbar, und einen Augenblick darauf erfolgt der Tod. Selbst noch in die- sem paralytischen Zustande ruft das kalte Begiessen 212 Ueber den Nutzen der kalten Begiessungen das im Erlöschen begriffene Leben wieder zurück. In den Muskeln tritt dann von neuem Krampf ein, sie werden hart, die Extremitäten werden wieder unbeweg- lich, worauf der allmälige Uebergang in den normalen Zustand folgt. Die Erzählung einiger Versuche wird dazu dienen, dem Gesagten grössere Gewissheit zu geben. Einem etwa 3 Jahre alten Bauerhunde, von mittle- rer Grösse, gab ich zu wiederholten Malen 14 und meh- rere Tropfen Blausäure, die nach der Schraderschen Vorschrift bereitet war, bis er endlich niederfiel, und die Wirkung der Blausäure sich ziemlich stark äusserte. Doch würden ihn kalte Begiessungen schnell wieder her- gestellt haben. Es wurden demselben während des krampfigen Stadii etwa 20 Tropfen des Ziq. amm. e. in den Rachen geschüttet. Gleich darauf sprang er auf, lief einige Schritte weit, fiel aber wieder nieder; die Muskeln waren nicht mehr so krampfhaft angespannt wie vorher. Als ihm nun nach und nach anderthalb Drachmen des Zg. amm. c. eingegossen waren, konnte man im Ganzen doch keine auffallende Besserung wahr- nehmen, obgleich er bei jeder neuen Gabe aufsprang und etwas weiter lief. Die abermalige Einflössung von 44 Tropfen Blausäure brachte den heftigsten Starr- krampf hervor, der durch das Eingiessen von + Drach- me Zig. amm. ec. im Geringsten nicht gemindert wur- de. Einige Augenblicke darauf war er todt. Die Zun- ge und der Rachen waren excoriirt und mit Blut be- deckt. \ Einem anderthalbjährigen Mopshunde gab ich von derselben Blausäure eine beträchtliche Quantität. Die Zufälle, welche gleich darnach eintraten, waren die ge- wöhnlichen, und nicht so heftig, dass ich nicht hätte hoffen dürfen, durch kaltes Begiessen das Thier schnell wieder herzustellen. Ich gab dem Thiere eine halbe bei Vergiftungen durch Blausäure. 213 Drachme Zig. amm. c. in den Rachen, worauf es sich schnell erhob und einige Schritte vorwärts sprang, aber wieder niederfiel. Der vorher heftige tetanische Zu- stand hörte zwar auf, die Extremitäten waren schlaff, und neue Gaben von /ig. amm. c. bis zu einer Drach- me brachten keine neue Wirkungen hervor. In diesem Zustande, wobei das Athmen immer schwächer wurde, liess ich das Thier eine halbe Stunde liegen; es schien dem Tode nahe. Ich übergoss nun den Kopf desselben und den Rücken mit kaltem Wasser, wodurch in weni- gen Minuten sein Zustand so geändert wurde, dass es mit Anstrengung gehen konnte. Ich setzte nun das Be- giessen nicht weiter fort, um zu sehen, ob es sich von selbst weiter erholen würde. Nach 12 Stunden lebte der Hund noch, war aber sehr matt, frass nicht; nach 18 Stunden wurde er todt gefunden. Der Rachen, der schon beim Eingeben des Zig. amm. c. stark blutete, war ganz excoriirt. Einem kleinen 4 Monate alten Spitzhunde gab ich 8 Tropfen von der Schraderschen Blausäure in den Ra« chen. Einen Augenblick nachher lief er ängstlich um- her, fiel dann nieder. Ich goss ihm nun etwas von ei- ner Mischung einer halben Drachme Ziquoris ammonit caustici mit einer halben Tasse Wasser in das Maul, während er noch gut athmete. Anfangs blieb die Flüs- sigkeit im: Maule stehen, doch als der Hund lebhafter wurde, sich bewegte und aufzuspringen versuchte, wur- de der grösste Theil des Eingegossenen herunter ge- schluckt. Der vorige hülflose Zustand kehrte aber gleich darauf zurück, die Muskeln ‘waren erschlafft, die Mattigkeit des Thieres nahm so zu, dass neue Gaben der Mischung des /iq. amm. c. keine Wirkung mehr hatten, und auch nicht heruntergeschluckt wurden. Fünf Minuten nach dem Anfange des Versuchs starb das Thier. Bei der‘ gleich hernach vorgenommenen Section Meckels Archiv f. Anat. u. Phys. 1828. 15 214 Ueber den, Nutzen der kalten. Begiessungen zeigte sich die Irritabilität der Muskeln recht stark; noch 10. Minuten. nachher pulsirte. das. Herz, die Hohl- venen waren. sehr: mit Blut angefüllt, das‘ Hirn. aber nieht besonders geröthet. Diese Versuche zeigen, dass die Anwendung, des liquor _ ammonä. caustici als; Gegenmittel gegen die Wirkung der Blausäure nieht immer. den. erwünschten Erfolg. hat, denn; wenn auch der heftige. Krampf in den Muskeln gemindert , ‚und. eine. plötzliche.‘ starke Aufregung der Lebenskräfte dadurch zu Wege gebracht wurde, so. nahm dafür eine zu grosse Ermattung Ueber- hand, und. der Tod erfolgte, selbst wenn der, Zig., amm. c, unter günstigen Umständen, gegeben war. Die,' Erzählung einiger anderer. Versuche wird. die vortheilhafte Wirkung, der kalten Begiessungen' zur Ge- nüge darthun. Ich wandte meistens die IttnerscheBlausäure an, in, einigen Fällen auch die nach Schraders Vor- schrift bereitete, von deren Güte ich mich erst. zuver durch andere. Versuche‘ und auch dureh. den Geruch, der bier ein. ziemlich ‚sicheres, Merkmal ist, überzeugt hatte. Einem ausgewachsenen. Hühnerhunde . von kleiner Rage. gab ich. 6 Gr. von. der Ittnerschen. Blausäure ein;, gleich darauf erhob er ein: klägliches, Geheul, fiel um,, streckte: die. Beine steif aus, und war nach einigen, Au-. genblicken: wie; todt. . Ich begoss. nun den,Kopf, und.den. Rücken, nebenbei, auch- das. ganze Thier ‚mit kaltem; Wasser, welches. die. Wirkung, hatte, dass. der Athem, zurückkehrte; der Hund. ‚schüttelte. sich. nach einigen. Minuten! und. versuchte anfzustehen, Nach einer,Vierxtel, “ Stunde konnte. er wankend. einhergehen ;. nach;' einen Stunde. war ex ganz. hergestellt. Einer: starken, Hühnerhündin, die; wohl. 5 Jahre: altı seyn. mochte, ...goss, ‚ich. 8- Gr.) Blausäure,.. die,nachi | Itiner bereitet war,. in ‚den- Rachen... Einige: Augen- | bei Vergiftungen durch Blausäure. 215 blicke darauf wankte sie, zog den Kopf rückwärts über und war im Begriffe umzufallen, als ich ihr kaltes Was- ser auf den Kopf schüttete. Sogleich erholte sie sich wieder, und einige Augenblicke nachher war sie wieder so munter als zuvor. Mehrere nete, aber kleinere Gä- ben Blausäure brachten jedesmal einen betäubungsähn- lichen Zustand hervor, der aber durch neues Begiessen gleich wieder gehoben wurde. Nach 15 Minuten folgte starkes Erbrechen einer Menge zähen, weissen Schleims; das Thier fing an heftig zu geifern, aber auch dieses hörte nach Verlauf von anderthalb Stunden äuf, als es seine gewöhnliche Portion Nahrungsmittel verzehrt hätte. Am andern Morgen bekam er abermals 8 Gr. der- selben Blausäure, gleich darauf fiel er um, der heftig- ste Opisthotonus, sehr erschwertes, immer schwächer werdendes Athmen zeigten seinen gewissen Tod an. Jetzt goss ich schnell kaltes Wasser auf den Kopf. Nach einer Minute, als das Athmen regelmässiger ge- worden; erhob der Hund den Kopf, sah sich verwun- dert um, blieb aber noch liegen; nach einigen neuen Begiessungen stand er auf, versuchte mit Mühe zu ge- hen, und war schon nach einer Stunde so hergestellt, dass man ihm nichts mehr anmerken konnte. Den übrigen Tag lief er munter umher. Mit demselben Erfolge wiederholte ich diesen Ver- stch bei vielen anderen Hufiden, denen Quäntitäten Blausäure gegeben würden, die bestiinmt den Tod her- vorgebracht häben würden, wenn nicht die kalten Be- giessungen angewandt worden wären. Um hier tiber ganz gewiss zu werden, beschloss ich an zwei Thieren zu glei- cher Zeit mit derselben Bläusäure den Versuch zu nia- ehen, so dass ach Anwendung der Blausäure das eine mit Wasser begossen würde, während däs andere sich selbst überlassen bliebe. Ich wählte dazt zwei junge 216 Ueber den Nutzen der kalten Begiessungen Pudel, ‚die beide gleich gross, gleich alt waren, und gleiche Nahrung bekommen hatten. Dem einen der beiden Pudel gab ich zuerst 4 Tro- pfen Ittnerscher Blausäure. Das Thier wurde ruhig, wankte, erholte sich aber bald wieder; nach einer neuen Gabe von 8 Tropfen fiel der Hund um, schrie erbärm- lich, und, auf der Seite liegend, erbrach er etwas Schleim. Obgleich er sehr matt war, so erholte er sich doch wieder, der Opisthotonus liess nach, und erst nach ei- ner neuen Gabe von 4 Tropfen starb er schnell, so dass, er nach Verlauf von 4 Minuten, von dem ersten Eingeben der Blausäure an gerechnet, todt war. Dem Gewichte nach betrug die Blausäure, die der ‚Hund bekommen hatte, 7 Gran. Eine ganz gleiche Menge Blausäure gab ich nun dem anderen Pudel, und zwar auf ein Mal, wodurch die Wirkung verstärkt wurde. Er drehte sich zuerst um, wankte, fiel auf die linke Seite, unvermögend sich weiter zu bewegen, ohne alle Besinnung. Der Kopf war stark rückwärts gezo- gen, die Beine ausgestreckt; kaum eine halbe Minute nachher war die Respiration unmerklich, der Herzschlag kaum zu fühlen , und ich eilte deshalb die kalten Be- giessungen auf den Kopf anzuwenden; da die Muskeln schon erschlafften, und das Thier schon für todt anzu- sehen war. Anfangs schien das kalte Wasser seinen Zustand nicht zu ändern; das erste Zeichen der Rück- kehr des Lebens war der von Neuem eintretende Opi- sthotonus, die erschlafften Extremitäten wurden wieder gerade ausgestreckt, während er ein schwaches, bald aber etwas stärker werdendes klägliches Geschrei aus- stiess.. Die Starrheit des Körpers dauerte lange fort, der ganze Körper wurde nass gemacht, das Geschrei dauerte fort, die Berührung des aufgetriebenen, hart werdenden Leibes schien schmerzhaft. So wurden die ' Begiessungen 4 Stunde fortgesetzt, während die Respi- bei Vergiftungen durch Blausäure. 217 ration etwas kräftiger wurde. Beim Aussetzen des Be- giessens wurde auch das Athmen schwächer, nahm aber durch neue Begiessungen jedesmal zu. Um 8 Uhr Abends war er ganz wieder hergestellt, lief, bellte, frass, als ob ihm nichts gefehlt hätte. Einem kleinen halbjährigen Haushunde wurden 9 Tropfen Blausäure, die nach Schrader bereitet war, in die linke vena jugularis externa eingespritzt, nach 5 Minuten 12 Tropfen; nach neuen 5 Minuten 15 Tro- pfen, ohne deutliche Wirkung, ausser dass das Herz sehr schnell, schwach und unregelmässig sich bewegte. Darauf wurden 12 Gran auf ein Mal eingespritzt, was eine sehr starke Wirkung, Abgang der Excremente, den heftigsten Starrkrampf etc. hervorbrachte, worauf Schlaffheit des Körpers, und fast unmerkliche Respira- tion eintraten. Schon die ersten Begiessungen des Ko- pfes bewirkten, dass er denselben in die Höhe hob, fortgesetzte Begiessungen entfernten auch sehr bald die am längsten zurückbleibende Paralyse der hinteren Ex- tremitäten. Nach # Stunden war er ganz hergestellt. Drei Tage darauf wurde die rechte äussere Hals- vene bei demselben Thiere geöffnet und 50 Tropfen Blausäure auf einmal injieirt. Diesmal war der Starr- krampf noch heftiger, und erst, als der ganze Körper schon im Stadio der Paralyse war, und nur noch die Augenmuskeln krampfig angespannt waren, fingen die kalten Begiessungen an, die auch hier ihre Wirkung nicht verfehlten, da augenblicklich die Respiration stär- ker wurde, und nach 4 Stunden das Thier ganz mun- ter, Wie zuvor, war. Derselbe glückliche Erfolg trat auch in allen übri- gen Versuchen, wo das Gift in die Venen infundirt wurde, oder in Wunden eingeflösst, oder in die Nase eingespritzt, oder auf die Augen gebracht war, ein; kleine Abweichungen, die von Nebenumständen bedingt 215 Ueber den Nutzen der kalten Begiessungen etc, wurden, abgerechnet. War aber eine gar zu grosse Menge Blausäure eingespritzt, so war die Wirkung so heftig, dass kaum Zeit war, nach dem einmal vollkom- men eingetretenen Starrkrampfe, vor dem Tode, noch die Begiessungen zu machen. Es geht aus diesen Versuchen hervor, dass die Wirkungen der Blausäure, selbst wenn sie in Quantitä- ten, die mehr als hinreichend sind, den Tod hervorzu- bringen, in den Organismus gebracht wurde, durch die kalten Begiessungen des Kopfes, des Riückens und auch wohl des ganzen Körpers in kurzer Zeit gehoben und für den Organismus unschädlich gemacht werden. Anzeonge Hr. Gerber, Pros. und Lehrer der Thieränatomie zu Bern, hat, unter Anleitung des Unterzeichneten, nach vielfältigen, seit mehreren. Jahren wiederholten Versu- chen endlich solche vergrösserte Formen vom Gehöror- gane des Menschen zu Stande gebracht, dass ich die Abgüsse davon als wohlgelungen anempfehlen kann. Es sind dabei nicht blos die sehr genauen Sömmerring- schen Tafeln, sondern ganz vorzüglich die, schon im vorigen Bande dieses Archivs (Jahrg. 1827. S..354.) er- wähnten, aus dem Labyrinthe selbst erhaltenen. treffli- chen Wachs- Corrosionen benutzt worden. Die von Hrn. @. festgesetzten Preise sind: 1) für das Labyrinth 8fach vergrössert in verhärtetem Gyps, sehr genau, rein und fest 4 Schweizerfranken,, oder 2 fi. 40 xr., oder 1 Rthlr. 16 gr. 2) Dasselbe mit Darstel- lung des häutigen Labyrinthes 5 fl. 3) Die Gehörknö- chelchen, eben so vergrössert, in Holz 2 fl. 40 xr. Auch übernimmt Hr. @. die Anfertigung erwähnter Wachs-Corrosionen, ja sogar (was ihm gleichfalls-kürz- lich ganz befriedigend gelungen ist) die Ausfüllung und isolirte Darstellung des menschlichen Labyrinthes mit dem leichtflüssigen Roseschen Metallgemisch. Die Preise stellt Hr. G@. so niedrig, dass er, in der: Erwartung, man, werde sie, nicht, leicht zu hoch. finden, einem! Jeden, freistellt,, die, Präparate selbst: zu- rückzuschicken ; mar- bittet er' alle'Bestellungen: portofrer zu machen. \ | 4 A. Weckel, Prof. anat, im Bern. 220 Literarische Anzeigen. Mayer, Dr. A. F.J.C., Prof. in Bonn, Supplemente zur Lehre vom Kreislaufe Ites Heft, Supplemente zur Biologie des Blutes und des Pflanzensaftes. 4to. (VIIL und 80 $.) mit einer illuminirten Kupferta= fel. Bonn, 1827. bei Adolph Marcus. cart. Preis 4 Rthlr. 8 Ggr. oder 2 fl. 24 xr. Es enthält diese Schrift zwei Abhandlungen, wo- von die erste überschrieben ist: „Ueber den Krystallisa- tionstrieb des Blutes“, die zweite: Ueber das autono- mische Leben der mikroskopischen Elemente des Pflan- zen- und Thierorganismus.*“ Wenn die erstere Ab- handlung vorzugsweise dem Physiologen und dem prak- tischen Arzte von grossem Interesse seyn dürfte, so möchte die zweite es nicht minder seyn für den Natur- forscher überhaupt, und insbesondere für den Botani- ker, welcher in seinem Fache nicht blos Monographist seyn will. Verlagsbericht von Leopold Voss in Leipzie. Junius 1825. Meckel, J. F., Samueli Thomae Sömmerringio die VII. April. 1828. Accedunt tabb. aenn. VI. Kol. max. cart. 12 Rthlr. Burdach, K.F., De foetu humano adnotationes ana- tomicae. Cum tabula aenea. Fol. cart. 2 Rithlr. Vorstehende zwei Schriften, so wie die nachfol- gende, sind zur Feier des Doctor - Jubiläums vom Rit- ter von Sömmerring erschienen, und in ihnen vereinigt sich innere Gediegenheit mit 'typo- und .chalkographi- scher Pracht, Baer, K. E. von, Untersuchungen über die Gefäss- verbindung zwischen Mutter und Frucht. Mit color. Kupfertaf. Fol. cart. 4 Rthlr. Der Verfasser hat sich bemüht, durch genaue Un- tersuchung der Gefässe der Gebärmutter und, der Frucht- Literarische Anzeigen. 221 hüllen in allen Perioden des Fötuslebens die so lange streitige Frage über den unmittelbaren Uebergang des Blutes aus der Mutter in die Frucht zu lösen. Er hat die verschiedenen Formen der Säugethier -Eier in ihrer Entwickelung untersucht, um die Ausbildung der Gefässe zu verfolgen, und hat dadurch Gelegenheit gehabt, viele frühere Angaben zu berichtigen, und neue T'hatsachen zu finden. Baer, C. E. a, De ovi mammalium et hominis genesi, epistola ad academiam caesaream scientiarum Pelro- politanam. Cum tab. aenea picla. 4 ma). cart. 1 Rthlr. 16 Gr. Die Streitfrage, ob das Ei der Säugethiere und des Menschen schon vor der Befruchtung da ist oder nicht, wird in dieser Schrift durch Beobachtung entschieden, und die Entwickelungsgeschichte des Eies von. der er- sten Entstehung bis zum Hervorbrechen des Harnsackes erzählt. Fechner, G.T., Repertorium der organischen Chemie. 2n Bandes 1ste Abth. gr. 8. 1 Rithlr. 12 Gr. Diese Abtheilung zeichnet sich besonders durch eine vollständige Darstellung der Blausäure und ihrer Verbin- dungen aus. Die zweite Abtheilung, welche dieses wegen seiner Vollständigkeit und Gründlichkeit mit so grossem Beifalle aufgenommene Werk beschliesst, und zugleich ein ausführliches Register enthalten wird, erscheint in eini- gen Wochen. Der Preis des Ganzen ist 12 Rthlr. 8 Gr. Pharmacopoea borussica. Die Preussische Pharmaco- poe überselzt und erläutert von Fr. Ph. Dulk. 10te u. Alte Lieferung, enthaltend Bog. 11 — 26 des 2ten Bandes. gr. 8. geh. 1, Rthlr. Friedländer, L. H., Fundamenta doctrinae patho- logicne sive de corporis animique morbi ratione at- que natura libri III. scholarum causa conseripti. 8 maj. 2 Bihlr. Die Auszeichnung, welche dieses mit classischer Latinität geschriebene Lehrbuch verdient, ist bereits vielseitig anerkannt. Meckels Archiv f. Anat. u. Phys. 1828. 16 222 Literarische Anzeigen. Hedenus, A. W., Ueber die verschiedenen Kormen der Verengerung des Afterdarms und deren Behand- lung. gr. 8. geh. 8 Gr. Fischer, A. F., Gerechte Besorgnisse wegen eines wahrnehmbaren Rückschreitens der inneren Heilkunde in Teutschland. 8. geh. 6, Gr. — — Ueber den Vortheil und Nachtheil, welchen Blut: entziehungen in Krankheiten gewähren. 8. geh. 6 Gr. Sachs, L. W., Handbuch des natürlichen Systems der prakt. Medicin. in Th. 1ste Abth. gr.8. 2 Rthlr. 8 Gr. Der bereits durch mehrere Schriften als philosophisch tiefgebildeter Forscher, und durch seinen ärztlichen Wir- kungskreis als Praktiker rühmlichst bekannte Herr Verf. hat die Absicht, durch dieses Werk einen doppelten Zweck zu erreichen: einmal eine in unserer Zeit schmerz- lich fühlbar gewordene Hintansetzung der Mediein, die früher in ihrer Ausbildung den Naturwissenschaften vor- ausging, auszugleichen, und dieselbe hinsichtlich der For- schungsweise auf gleichen Standpunkt mit ihnen zu stel- len; zweitens, die praktische Medicin auf grundsätzliche Erfahrung zu begründen, mit Vermeidung alles Theorem- artigen, und aller verwegenen, grundlos und keck sich selbst vertrauenden dogmatisirenden Empirie. Dabei be- nutzt er sorgfältigund unermüdet, doch ohne Gewaltsam- keit, die aus den Naturwissenschaften der Mediein reich- lich zufliessenden Belehrungen, vergisst nicht, dass der Mensch eine Seele in seinem Leibe berge, und zwar nicht als etwas fremdartiges, hält sich fern von den über- schwenglichen Umtrieben der jüngst vergangenen, zum Theil noch gegenwärtigen Zeit, entfernt alles, was zur schlichten Einsicht sich nicht gestalten lässt, oder nicht Ergebniss besonnener Erfahrung , oder wenigstens glaub- hafter Beobachtung ist. — Ueberall bewährt sich Herr Prof. Sachs als selbstständiger, ernster Forscher, dessen höchstes Ziel die Wahrheit ist. Wo er Fremdes benutzte, schöpfte er aus den Quellen. Die Beschreibungen der Krankheiten sind treue Schilderungen der Natur, wobei der Herr Verf. die Krankheitselassen nach ihrem inneren Zusammenhange im Krankheitsprocesse, die Ordnungen nach den organischen Systemen, die Gattungen nach den Literarische Anzeigen. 223 Modificationen der organischen Systeme in sich selbst, die Arten nach dem speeifischen Charakter des Organs, oder der ausgebildeten Krankheit, darstellte. Die Therapie enthält das, was besonnene Erfahrung, reflectirende Beob- achtung und geläuterte Empirie alter Zeiten gelehrt haben. Das ganze Werk wird aus 4 Bänden bestehen,an de- ren Drucke ununterbrochen gearbeitet wird, da die Vor- arbeiten bereits seit 10 Jahren gemacht sind. Scriptorum elassicorum de prawi medica nonnullorum opera collecta. Vol. III. Baglivi Opera medica cur. ©. @. Kühn, Tom. Ilus. Cum tab. aen. et indice. 8. cart. 1 Rihlr. 8 Gr. Vol. VI. Morgagni de sedibus et causis morborum cur. Just. Radius. Tom. ILlus. 8. cart. 1 Rthlr. 8 Gr. Vol. XI. Ramazzini Opera medica cur. Just. Radius. Tom. Ius. 8. cart. 1 Rthlr. 12 Gr. Schultes, J. A., Ratio medendi in schola elinica me- dica univers. Landishuthanae. Annus I. II. et III. 8 maj. 16 Gr. Barkow, J. C. L., Commentatio anatomico -physiolo- gica de monstris duplicibus verticibus inter se junclis. Cum tabb. aenn. IV. 4 maj. 9 Gr. Kupfer,H.E., Commentatio physiol.-med. de vi, quam aör pondere suo el in molum sanguinis et in "absor- plionem ewercet. 8 maj. 10 Gr. Pappe, €. @. L., Synopsis plantarum phaenogamarum agro Lipsiensi indigenarum. 8 maj. 12 Gr. Meckel, J. F., Archiv für Anatomie und Physiologie. Jahrg. 1828. No. I. (Januar — März.) Mit 3 Ku- pfert. gr. 8. geh. Der Jahrgang 4 Rthlr. 1. Ueber die Metamorphose des Nervensystems in der Thierwelt. Von Joh. Müller. — 2. Ueber den Kreis- lauf des Blutes bei Hirudo vulgaris. Von Joh. Müller. — 3. Beiträge zur Anatomie des Scorpions. Von Joh. Müller. — 4. Mangel des Unterkiefers bei einem neu- gebornen Lamme. on G. Jäger. — 5. Beschreibung 224 Literarische Anzeigen. der Missbildung des linken Vorderfusses eines Stierkalbes und der Wirkung von Arsenik und Blausäure, welche an die missgebildeten Theile gebracht wurden. Von G. Jä- ger. — 6. Ueber die Capaeität der Lungen für Luft im gesunden und kranken Zustande. Von E. F. Gust. Herbst. — 7. Einige Versuche zur Ermittelung der Frage: auf welche Weise das Aufsetzen von Schröpfkö- pfen auf vergiftete Wunden die Wirksamkeit des Giftes unterdrückt. Von A. H. L. Westrumb. — 8. Ueber die Bedeutung der Eustachischen Trompete. Von A.H. L. Westrumb. — 9. Ueber die Kiemenspalte der Säug- thier-Embryonen. Von K. E. von Baer. Scarpa, Ant., De anatome et palhologia ossium commentarü. Cum tabb. aenn. Fol. (Tieini.) Ausser der früher erschienenen, hier wieder mit ab- gedruckten Schrift des berühmten Verf.: de pemitiori ossium struciura, und den zu ihr gehörigen 3 Kupferta- feln, enthält dieses Buch ein neues Werk des Verf.: com- mentarius de ewpansione ossium deque eorundem callo post Jracturam, mit 3 Kupfertafeln von Anderloni, der den grössern Theil desselben ausmacht. Er macht in demsel- ben eine Reihe von Beobachtungen über kranke Men- schenknochen, und eine Reihe gemeinschaftlich mit Pa- nizza, Prof. der Anatomie in Pavia, unternommene Ver- suche an lebenden Thieren bekannt, durch die er meh- rere neuerlich vorgetragene Lehren über diesen Gegen- stand, z.B. die vom Dr. Meding bekannt gemachten, be- kämpft. — Da der bezeichneten Buchhandlung eine Sen- dung von Exemplaren direet vom Verf. zugekommen ist, so ist sie im Stande, das Exemplar mit 7 Rthlr. netto in baarer Zahlung zu geben. Archiv für Anatomie und Physiologie. FT 1. Ueber Seele und Lebenskraft. ? Von Dr. L. F. Koch, Lehrer am med, chir. Institute zu Magdeburg. uoniam infanles nali sumus et varia de rebus sen- sibilibus judicia prius tulimus, quam integrum nostrae rationis usum haberemus, multis praejudicüs a veri co- gnitione averlimur, quibus non aliter videmur posse li- berari, quam si semel in vita de üs omnibus studeamus dubitare, in quibus vel minimam incertitudinis suspiei- onem reperiemus: *) ein Rath, dem bei einer Untersu- chung, wie diese, Jeder gefolgt seyn sollte, welche so nahe an den Gränzen des durch Erfahrung und Ver- nunft Erkennbaren, ja zum guten Theile jenseit der- selben, liegt. Nach Kräften werde ich dem Grundsatze, nichts ungeprüft anzunehmen, folgen. Da ich mich zu keinem philosophischen Systeme bekenne, werde ich mich nicht scheuen, gegen Behauptungen aufzutreten, die mir ganz Einfachem, Uneingeweihtem nicht einleuch- tend und wahr erscheinen, so sicher auch der Systema- tiker von ihnen überzeugt seyn mag. Ein solcher wird 1) Renati Des-Cartes de Perron princip, philos. Amstel. 1692. p. 1. Meckels Archiv f. Anat, u. Phys. 1828. 17 226 Ueber Seele und Lebenskraft. weder durch das Folgende, noch durch irgend etwas anderer Meinung werden; ich weiss aus eigener Erfah- rung, als ich mich in die Kantische Philosophie hin- einzuarbeiten anfing, wie unmöglich, wenigstens mir, es bei weiterem Fortschreiten gewesen wäre, nicht alle intellectuelle Selbstständigkeit zu verlieren: ich. kenne kaum ein grösseres. Selbstlob des Horaz, mit dem er doch sonst gewiss nicht sparsam ist, als das bekannte: nullius addietus jurare in verba magistri, quo me cun- que rapit tempestas, deferor hospes ‘). Naturphiloso- phischer Ideen werde ich nieht erwähnen, weil ich ih- nen leidenschaftlich abgeneigt. bin: Im Rücksicht der Kantischen Philosophie, dessen eigene Schriften ich aus dem angegebenen Grunde nicht studirt habe, berufe ich mich auf meines Schwiegervaters, Consist.-Rath Dr. Mellins. Wörterbuch. der kritischen. Philosophie , in: des- sen. Familie noch eine schriftliche Versicherung des grössten deutschem: Philosophen aufbewalırt: wird,. dass er allein unter seinen: Schülern: seine Lehre ganz aufge- fasst habe, Ich. schicke. noch woraus, dass ich zwar andere Wege der Untersuchung anerkenne,, dass: in- dessen sich. der vorliegende Gegenstand, als: Naturer- scheinung,, auch‘ nach den Regeln. der Naturbeobachtung erforschen. lassen’ müsse; dass ich. deshalb- vermeiden: werde und. durchaus missbillige, biblische Aussprüche; wie. es heut zu: Tage in, psychologischen Untersuchun- gen. beinahe, Sitte wird‘, als Beweismittel aufzuführen: „Wissenschaftliche Ansichten. waren. nie Gegenstand: ei- „ner Offenbarung; alles: Wissenschaftliche. daher,,.; was: „in. der. heiligen Schrift; vorkommt, ist der Kritik der „ Wissenschaft, wohin. es; gehört; allein, keiner: Theo» 1) Flace. Epist. 1. 1. 14. Ueber Seele und Lebenskraft. 227 „logie unterworfen, so haben es die‘ Astronomen Geolo- „gen u. s. w. überall gehalten.‘ '). Wer hier etwas anderes sucht, als was der einfa- che gesunde Menschenverstand aus sich‘ herausfinden kann, sucht’ vergebens, und kann füglich den Zeitver- lust des Lesens ersparen. Mit nicht geringer Freude fand ich diese Behandlungsart philosophischer Fragen von einem Mendelsohn in folgenden Worten vollkom- men gebilligt: „So oft mich meine Speculation zu weit „von der MHeerstrasse des Gemeinsinnes abzuführen „scheint, stehe ich still, und suche mich zu orientiren. „Ich sehe auf den’Punct zurück, von welchem wir aus- „gegangen, und’ suche meine beiden Wegweiser zu ver- „gleichen. Die Erfahrung hat mich‘ gelehrt, dass in „den meisten Fällen das Recht auf Seiten des Gemein- „sinnes ist, und die’ Vernunft muss’ sehr entscheidend „für die Speculation' sprechen, wenn ich jene’ verlassen, „und' dieser folgen soll“ ?). Findet man die reiche Literatur über’ den’vorliegen- den Gegenständ zum grossen’ Theile’ ungenutzt, so ist das Folge der in’ einer’ Provinzialstadt nur sparsam zu- gemessenen‘ literarischen Hülfsmittel. " Da’ ich endlich nicht eine neue’ Lehre' aufzustellen vorhabe, scheint mir der analytische Weg der gera- thenste, d. h. wir scheiden aus den differentesten Mei- nungen das Wahre, Zweifelhafte und’ Unwahre aus, und versuchen zuletzt das Gewisse und Wahrscheinliche zu einem Ganzen zu verbinden. Dädürch aber, dass wir den Ideengang Anderer verfolgen, werden wir viel- fach auf Nebenwege und Abschweifungen geführt, und ermangeln der einer selbstständigen Reise nach einem bestimmten Ziele nothwendigen Reiserouten und zweck- 1) Rudolphi Grdr, d. Physiol. Bd, 1. S. 50. 2) Morgenstunden. 8. 165: 17. 228 Ueber Seele und Lebenskraft. mässigen Vertheilung der Ruhepuncte, kurz wir müs- sen alle Vortheile einer genauen Disposition aufgeben. “ Ein Hauptzweck dieser Arbeit ist, die fast unabsehbare Kluft zwischen der systematischen Philosophie und den Naturwissenschaften ausfüllen zu helfen: ob das nun hier mit Ballast, oder mit Baustücken geschehen ist, muss ich der Entscheidung einer höheren Erkenntniss überlassen; auch ersterer füllt aus, zwar langsamer. — Bei einer Untersuchung über Seele und Lebens- kraft ist zunächst der Begriff des Materialismus der Seele zu bestimmen. Kant definirt den Materialismus folgender Maassen: „wer behauptet, dass Alles, was in der Natur existirt, „blos aus solchem Stoffe bestehe, aus welchem die „Körper bestehen, d. i. aus Materie, oder doch so an „Materie gebunden sey, dass es ohne sie nicht existi- „ren könne, der bekennt sich zum Materialismus “ !), eine Bezeichnung, obwohl umfassender und weiter als die des gemeinen Lebens, gegen welche sich jedoch mit Rücksicht auf die Schriften, welche den 'Materialis- mus zu beweisen suchen, nichts einwenden lässt. Frei- lich mögen die Naturphilosophen dagegen protestiren, dass Kant und wir sie in den Orden der Materiali- sten aufnehmen; factisch verdienen sie ihn nicht weni- ger als Lucretius und der Verfasser des syszöme de la nature. Wenn auch ein erleuchteter Mann, wie Engel, sich durch den Verfasser des syszeme etc. für besiegt er- klärt hat, indem er ihn überall zu fliehen anräth, statt im ‘offenen Kampfe anzugreifen: so können wir doch jetzt nicht umhin, das Letztere vorzuziehen, und ich denke, der Schwächen und Blössen zum Angriffe fin- den sich gar viele. 1) Mellin a. a. O. Materialismus. Ueber Seele und Lebenskraft. 229 Helvetius (der präsumtive Verfasser des systeme de la nature, obwohl ich für meine Person nicht der Mei- nung bin) stützt seinen Glauben auf Folgendes !): 1) Der Name esprit, anima, nveöua bedeutet Wind, Hauch, etwas Körperliches ?). 2) Die Definition der Seele, als einfach, untheil- bar, raumlos, unsichtbar, überhaupt nicht perceptibel, ist eine Negation alles dessen, was wir kennen ?°). 3) Wenn die Seele den Körper bewegt und verän- dert, so muss zie auch räumlich, theilbar, von Solidi- tät, kurz materiell seyn; auf der anderen Seite invol- virt die Idee der Seele die Unmöglichkeit etwas Räum- liches zu bewegen, und effeetiv thätig zu seyn, und doch bewegt sie den Organismus, und ist in ihm thä- tig, was ein unauflöslicher Widerspruch ist *). 4) Die Seele bewegt den Arm, warum nicht, wenn dieser von einem zu grossen Gewichte belastet ist, oder ist etwa eine geringere Schwierigkeit, einzusehen, wie ein unendlicher Geist ein Atom bewege, als wie das Weltall? 5). 5) Man sagt, die Seele sey als Geist ohne Grän- zen, unräumlich; daraus folgt, dass sie, wie Gott, un- endlich sey; Gott ist aber dann wohl zum Untersehiede noch unendlicher als die unendliche Seele? °). 6) Die Seele bewegt sich mit dem Körper; denn ohne ihn wäre sie „‚morte et inerte,‘“ welcher Wider- spruch aber ist das mit der Unendlichkeit derselben! ?). 1) Oeuvres completes de M, Helvetius Tom. IV. a Londres 1777. systeme de la nature, 2) 8.74. 3) S. 70, 4) 8. 70. 72. 76. 5) 8. 71. 6) S. 72. Anm. 7) 8. 76. 230 Ueber Seele und ‚Lebenskraft. 7).Die Seele ist ‚streng an die Veränderungen des Körpers gebunden; sie entsteht, sie entwickelt sich mit ihm in demselben 'Grade; sie ist denselben Einflüssen von aussen unterworfen; hat dieselben Freuden und Leiden, dieselben sichtbaren Zeichen der Zu- und Ab- nahme, des Todes; es kommt nichts zum Bewusstseyn der Seele als durch den Weg der Sinne; sie wird durch Wein und ‚andere materielle Mittel zu einem vorüber- gehenden Wahnsinne gebracht; durch Fehler des Kör- pers unterliegt sie dem Wahnwitze, der mit Heilung jener aufhört !). 8) Wir sind unvermögend, nach Willkür unsere Ideen zurückzurufen; ihre Verknüpfung ist von dieser unabhängig; sie sind ohne unser Wissen und gegen un- seren Willen im Gehirne ‚geordnet ?). Kant glaubte den Materialismus mit folgenden zwei ‚Gründen ‚zu Boden geschlagen zu haben; 4) Durch die Unmöglichkeit, sich eine denkende Materie verständlich zu machen, und 2) durch die mit dem Materialismus nothwendige Zufälligkeit und Unwahrscheinlichkeit einer Existenz nach dem Tode. Jedoch ist der letztere in einer naturhistorischen Betrachtung durchaus kein Beweisgrund, — ich sage Beweisgrund, denn eine Veranlassung zum entgegenge- setzten Glauben giebt er allerdings, wenigstens wird’ jene unheilbringende Nothwendigkeit jeden Vernünfti- gen zur Opposition gegen den Materialismus anspornen, bis er auf das Evidenteste widerlegt ist. In Rücksicht des ersteren Grundes lässt sich erin- nern, dass wir im anorganischen Reiche — (also nach Kant, dem eigentlichen der Materie) — überall For- 1) 8. 73. Lucretius 1. 3. v. 169. 446. 460. 2) S. 156. Ueber Seele und Lebenskraft. 231 mationen, Veränderungen, Bewegungen nach ‚Gesetzen ‘bemerken; ein jedes Gesetz setzt aber eine Idee vor- aus. Wenn wir nun auch einräumen, dass diese Idee ausser den Körpern sey, eine Frage, ‘die wir jedoch noch unentschieden lassen, so finden wir jene Gesetze zum grossen Theile dermaassen von der Beschaffenheit und Mischung der Körper abhängig, wovon wir uns durch künstliche und willkürliche Abänderung 'derselben überzeugen, dass wir den, welcher behauptet, es inhä- rire den Körpern als etwas Allgemeines und Nothwen- dig ein unserer Denkkraft analoges Vermögen, nicht gleich für einen Thoren erklären möchten. Nun zur näheren Beleuchtung der Gründe (des Materialismus. 4) ,„„Der Name esprit, anima, nvsöua bedeutet „Wind, Hauch, etwas Körperliches“. "Wenn schon Sprachgebrauch und Wortderivationen in wissenschaftli- chen Untersuchungen niemals als Beweismittel dienen können, so wollte man wohl in jenen Bezeichnungen ‚der Seele nur die sichtbare Wirkung von einer unsicht- baren Ursache ausdrücken. Uebrigens können wir un- sere abstractesten Begriffe überall nur bildlich benennen. 2) „Die Definition der Seele als einfach, untheil- „bar, raumlos, unsichtbar, überhaupt nicht perceptibel, „ist eine Negation alles dessen, was wir kennen“, Wer durch die Aufstellung jener Prädicate seine Defini- tion, oller auch nur nähere Schilderung gegeben zu ha- ben ‘glaubt, den kann mit Recht Helvetius tadeln 'und belächeln. Jene Negationen beweisen nur, dass wir von dem Wesen (der Seele nicht viel mehr wie nichts wissen. Auf der anderen Seite ist aber ‘der Mangel der nüheren Kenntniss eines Dinges kein Grund (des Nichtvorhandenseyns. Jedes Jahr bringt uns im [Felde der Naturwissenschaften neue Entdeckungen. 3) „Wenn die Seele den Körper bewegt und ver- „ändert, so muss sie auch räumlich , theilbar, von So- 232 Ueber Seele und Lebenskraft. „lidität, kurz materiell seyn; auf der anderen Seite in- „volvirt die Idee der Seele die Unmöglichkeit etwas „Räumliches zu bewegen und eftectiv thätig zu seyn, „und doch bewegt sie den Organismus und ist in ihm „thätig, was ein unauflöslicher Widerspruch ist“. Der von Helv. hier aufgestellte Schluss ist, einfach ausge- drückt, folgender: ein Körper kann nur durch sich selbst, oder durch einen anderen Körper bewegt wer- den; nun bewegt aber die Seele den Körper, also ist die Seele etwas Körperliches, oder mit dem Körper Zusammenfallendes. Dass die Verbindung der Seele mit dem Körper und die Art derselben einer der dunkelsten und un- begreiflichsten Gegenstände der Naturerkenntniss sey, ist wohl nicht zweifelhaft, und gerade diese Dunkelheit hat dem Materialismus viele Anhänger zugeführt; eine noch grössere Zahl jedoch auf der gerade entgegenge- setzten Seite dem Idealismus, da man hier nur zu de- haupten nöthig hat, und nicht zu beweisen: Iliacos in- ira muros peccalur et extra. Hor. Epist. 1. 2. Helv. glaubt seine materialistische Behauptung durch eine Conjectur zu begründen und in ein helles Licht zu stellen, dass nämlich das Bewegungsvermögen eine Eigenschaft der Materie sey („Ze mouvement est une proprieie de la maliere“ ‘), Ohne diese Hypothese führt der Materialismus zum vollkommensten Unsinne. Von welcher Art sollte denn, bei blosser Fortpflanzung der Bewegung von einem Körper zum anderen, der Kör- per seyn, welcher den ersten Anstoss giebt? welcher Körper bewegte denn die Seele, welche als etwas Kör- perliches doch auch nur durch einen Körper bewegt werden könnte? — Das spontane Bewegungsvermögen soll Eigenschaft der Materie seyn, etwa auch Eigen- 1) 8. 71. Ueber Seele und Lebenskraft. 233 schaft der anorganischen Körper? also nur unter ge- wissen Umständen, abhängig von Form und Mischung, die wir organisch nennen , zeigen Körper spontane Be- wegungen. Die erste Prämisse des obigen Schlusses zu widerlegen, ,‚dass ein Körper nur durch sich selbst, „oder durch einen anderen Körper bewegt werden kön- ne,“ haben wir uns nur an Licht, Wärme, Elektrici- tät, Magnetismus, die wichtigsten imponderabilen, also immateriellen, Agentien der ganzen Natur zu erinnern. (Die Bewegungen und Veränderungen der Organismen dürfen wir hier nicht dagegen aufstellen, um uns nicht eine petitio principii zu Schulden kommen zu lassen.) Jene Imponderabilien nenne ich mit Recht immateriell, weil sie ohne Schwere, form- und raumlos sind, — Ne- gationen, durch welche die zufolge der Definitionen je- der: Zeit nothwendigsten Bedingnisse der, Materie aufge- hoben werden. Mag auch in der Physik kaum der Morgen einer höheren Erkenntniss angebrochen seyn, so kennen wir doch in der Natur eine Menge von Be- wegungen, als unzweifelhafte Wirkungen jener Agen- tien. Damit ist nun erwiesen, dass etwas Immaterielles Bewegungen von Körpern hervorbringen könne, und mithin die Unrichtigkeit der ersten Prämisse und des ganzen Schlusses dargethan. Auf: der anderen Seite halten die Idealisten die Seele für viel zu hoch und edel, um mit ihrem Körper, diesem Gebilde von Staub, in abhängiger Beziehung zu stehen. Hierüber nachher ein Weiteres. In Rücksicht der Beweglichkeit der Körper muss ich mich ebenfalls gegen die allgemeine Gültigkeit ei- ner der Kantschen Bestimmungen erklären: er definirt die Beweglichkeit so: „sie ist diejenige allen Körpern „gemeinsame Eigenschaft, dass ihre äusseren Verhält- „nisse zu einem gegebenen Raume durch irgend eine Kraft verändert werden können“. Magnetismus und 234 Ueber Seele und Lebenskraft, Elektricität sind keinesweges blos Kraft, sie sind etwas Existirendes. Der Nichtmaterialist wird ‚die willkürli- chen Bewegungen nicht einer Kraft, sondern der Seele zuschreiben, als etwas in der Natur Vorhandenem. Kant sagt selbst ganz richtig: „Kraft als reiner Ver- „standesbegriff (also ohne Realität), zur ‚Kategorie der „Relation und Causalität gehörig, ist ein Aceidenz der „Substanz‘, also Eigenschaft des Körpers. #) „Die Seele bewegt den Arm, warum nicht, wenn „dieser von einem zu ‚grossen ‚Gewichte belastet ist, ‚„eder ist etwa eine geringere Schwierigkeit einzuse- „hen, wie ein unendlicher Geist ein Atom bewege, als „wie das Weltall?“ "Das Falsche liegt hier im Voer- .dersatze, Die Seele bewegt nicht ‚den Arm, ‚sondern giebt nur einen Reiz zu den Bewegungen des Arms ab. So wenig das Auflliegen eines Adlers vom Gletscher der hinreichende Grund der Lauine; oder der Stahlfun- ‚ken der Explosion des Feuergewehres ist, ebenso we- nig liegt in der Seele der hinreichende Grund (der Be- wegungen des Arms, wohl aber weine weranlassende Ursache ‚dazu. Die Bewegungsart der Glieder beruht grösstentheils auf Mechanik, auf Form und Verbindung der Knochen und auf Insertion eigenthümlicher Organe der Muskeln. Die dem Willen unterworfenen Muskeln ziehen sich aber keinesweges allein auf den Reiz der Seele zusammen, sondern Incitationen derselben 'mit ‚dem Messer, Elektrieität, Entzündung etc. bringen die- selben Erscheinungen, d. h. Contraction, hervor, und das ‚auch ‘bei aufgehobener Verbindung mit dem Gehirn, durch Lähmung des Theils, Durchschneidung der Ner- ven, oder schnelle Amputation. 5) „Man sagt, die Seele sey als Geist ohne Grän- „zen, unräumlich; daraus folgt, dass sie wie ‘Gott un- „endlich sey; Gott ist dann aber wohl zum Unterschie- „de noch unendlicher, als die unendliche Seele?‘ Helv. Ueber Seele und Lebenskraft. 235 stellt hier die gemeinhin angenommene grosse Aehnlich- keit, aber nicht Identität unserer Seele mit’«@ott, als ungereimt auf. "Allerdings seheint er mir Recht zu ha- ben, die Aehnlichkeit beider ist nur subjeetiv, .d. h. sie beschränkt ‚sich allein auf unsere Unkenntniss beider. Doch steht diese Behauptung in gar keiner |Beziehung zur streitigen Sache. 6) „Die Seele bewegt sich mit dem Körper, denn „ohne ihn wäre sie morte et inerte, welcher Wider- „spruch ist das aber mit der Unendlichkeit derselben“. Den bisherigen sicheren Erfahrungen zufolge scheinen unsere Sinne nicht fein genug zu seyn, um die Seele anders als in ihren, ‚durch das Gehirn vermittelten, Ein- wirkungen auf ihren Organismus zu erkennen; ‘obwohl mancherlei Thatsachen des Somnambulismus für die ent- gegengesetzte Meinung sprechen. Ich kann bei dem besten Willen mich nicht über- reden, dass bei der Aehnlichkeit der, von 'so Vielen und von ‚einander ganz Unabhängigen gemachten, Beeb- achtungen, und bei den vielen Analogieen, welche wir im gemeinen Leben bemerken !), nicht wenigstens ein grosser Theil von dem über den animalischen Magne- tismus Bekanntgemachten wahr seyn sollte. ' Am be- quemsten ist es allerdings, alle jene Erscheinungen für unwahr und erdichtet zu erklären, da durch sie eine Menge von Zweifeln und Ungewissheiten erzeugt wer- den, welche einer, uns allen inwohnenden, jeder 'wis- senschaftlichen Forschung feindseligen, Neigung, ‚unser Wissen und unsere Ansichten über irgend einen Gegen- stand abzurunden und abzuschliessen , widerspricht, Aus demselben Grunde haben alle Gelehrte nicht durch Gei- stesproduete des Alters, sondern der jüngeren Mannes- 1) Vergl. meine Abh. üb, Blutumlauf in Meckels Archiv d. Ph. u A. Jahrg. 1827. 8. 454. 236 Ueber Seele und Lebenskraft. jahre, ihren Ruhm erworben, eben weil sie hier noch nicht abgeschlossen hatten, sondern suchten. Der aufgestellte Widerspruch erledigt sich dadurch, dass das Gehirn der einzige unzweifelhafte Vermittler der Seelenerscheinungen ist. Wird hier die Gottähn- lichkeit der Seele bekämpft, so habe ich mich schon zu derselben Meinung bekannt, ich weiss in der ganzen Natur nicht von zwei Dingen, die so heterogen sind, als unsere Seele und Gott. 7) „Die Seele ist streng an die Veränderungen des »Körpers gebunden; sie entsteht, sie entwickelt sich „mit ihm in demselben Grade; sie ist denselben Einflüs- „sen von aussen unterworfen; hat dieselben Freuden „und Leiden, dieselben sichtbaren Zeichen der Zu- und „Abnahme, des Todes; es kommt nichts zum Bewusst- „seyn der Seele, als durch den Weg der Sinne; sie „wird durch Wein und andere materielle Mittel zu ei- „nem vorübergehenden Wahnsinne gebracht, durch Feh- „ler des Körpers unterliegt sie dem Wahnwitze, der mit „Heilung jener aufhört“. Die hier in bunter Zusam- menstellung beigebrachten Daten sind zum Theil wahr, zum Theil der Erfahrung widersprechend. Zur näheren Beleuchtung scheint mir eine weitläufige Excursion un- umgänglich. Das Wahre in diesem Grunde beweist nicht den Materialismus der Seele, sondern nur eine unläugbar grosse. Abhängigkeit von ihrem Organismus, welche sich auf folgende zwei Puncte zurückführen lässt: a) das Gehirn ist das Organ der Seele und 5) die Seele ist keiner Erkenntniss fähig, zu der nicht Per- ceptionen durch die Sinne die erste Anregung, den er- sten Anstoss gegeben haben. 6) Das Gehirn ist Seelenorgan aus folgenden Grün- den: Sämmtliche Nerven stehen unmittelbar, oder mittelbar durch das Rückenmark mit dem Gehirne in Verbindung. Ueber Seele und Lebenskraft. 237 £) Die Nerven sind Leiter der Veränderungen der Organe zur Seele, zum Bewusstseyn. Denn abwärts von der Unterbindung oder Durchschneidung der Ner- ven hört augenblicklich alle Empfindungsfähigkeit auf, und dann haben die einzelnen Theile unseres Körpers je nach der Menge und Stärke der in sie eindringenden Nerven und dem Mangel derselben eine grössere oder geringere, und bis zum völligen Auslöschen verminderte Empfindlichkeit '). 7) Die Nerven sind auch Leiter des Seeleneinflus- ses auf die sogenannten willkürlichen Organe, da mit 1) „Da es eine täglich einleuchtender werdende Wahrheit „ist, dass die Lehren vom gesunden und krankhaften Zustande „wenigstens insofern unzertremnlich sind, als die eine fortdau- „ernd die andere erläutern muss“ (Meckels System der vergl. Anatomie, Halle 1821. Bd. I. Vorr. S.9.): so fallen alle von Hal- ler als unempfindlich angegebenen Theile, ausser etwa der Ober- haut und Oberhauttheilen, aus dieser Kategorie weg, wie Kno- chen, Knorpel, fibröse Membranen, seröse Häute und Einge- weide, weil diese in gewissen krankhaften Veränderungen einen sehr hohen Grad von Empfindlichkeit äussern. Dass jene Or- gane nach der Blosslegung, also nach Verletzung sehr empfind- licher Theile, durch Reizung mit dem Messer nicht einen grös- seren Schmerz verursachten, ist ebenso wenig ein Grund für ihre Unempfindlichkeit, als wenn man letztere dem Auge zu- schreiben wollte, weil es auf einen Reiz, den des Schalles, nicht reagirte. Selbst nicht einmal alle Oberhauttheile, zu denen wir doch oflenbar den Schmelz der Zähne rechnen müssen, sind unempfindlich, da durch einen ganz unbedeutenden Riss, ohne Blosslegung der Knochensubstanz, ein eigenthümlicher, bedeu- tender und andauernder Schmerz, wie auch durch den längeren Genuss säuerlicher Substanzen eine solche Empfindlichkeit un- ter dem Namen der Stumpfheit der Zähne erregt wird, dass selbst der Luftzug nicht vertragen wird. Von einer Auflösung des Emails kann hier nicht die Rede seyn, da sich dieses schmerz- hafte Gefühl oft in wenigen Stunden verliert, während dem Schmelze alle Regenerationsfähigkeit abgesprochen werden muss, 238 Ueber Seele und Lebenskraft. Durchschneidung oder Enterbindung‘ jener alle! Ver- änderung durch den’Willen’ aufgehoben: wird; ö) Sämmtliche‘ vom: Gehirne’ ausgehenden Nerven; selbst das Rückenmark,: können so verletzt seyn, dass alles Leitungsvermögen so gut wie’ aufhört, ohne bedeu- tende Störung’ des Bewusstseyns, der Seelenthätigkeit; doch nur so lange, als die Verletzung nicht einen sol- chen Einfluss auf’ Herz und Respirationsorgane gewinnt, dass der Blutreiz auf das Gehirn bedeutend vermindert, oder gar’ aufgehoben" wird !). &) Dagegen haben Affectionen des Gehirns’ Störun= gen der Seelenthätigkeit, namentlich der Druck, Suspen- sion derselben zur Folge, welche mit Hinwegräumung jener hergestellt wird. &) Nach einer in derselben Richtung hin lange fort- gesetzten, Anstrengung der Seele empfinden wir ein ei« genthümliches‘, ee Gefühl der Ermattung im Kopfe. ”) Die Fähigkeit der Seelenausbildung endlich se- hen wir in der aufsteigenden Thierreihe mit der Grösse und; Ausbildung des Gehirns im Verhältniss. Die Thier- classen,; in denen- bis dahin: kein Gehirn: nachgewiesen ist, also'von den Wirbelthieren abwärts , können wirnicht füglich als Einwand gegen den aufgestellten Satz gelten las- sen, dabeiihnen dieErscheinungen von selbstständiger See- lenthätigkeit allmälich, immer dunkler werden. Aller- dings, müssten. wir, hier als Seelenorgan die Nerven- stränge- und: jene‘ somit im Körper weiter: verbreitet an- nehmen, bis endlich alle’ Differenz der Organe: bei’ den Zoophyten verschwindet, und Seelenerscheinungen gleich Null werden. Die Meinung, dass erst durch einen feinen, , vom Gehirne. ausgehenden‘ Stoff: die der Willkür unterworfe- 1)’ Merkel, Handb. d. menschl. Anat. Bd. 1. S. 325. Ueber Seele und: Lebenskraft, 239 nen. Organe‘ zur‘ Aufnahme: von’ Seelenreizen geschickt gemacht werden; dass diese’ in: ihrer Wirksamkeit auch aufhören ‚ sobald die Mittheilung jenes’ Stoffes aufhöre, obwohl die Seele in jenen: Organen: vor wie nach: vor- handen: sey: diese Meinung lässt sich’ durchaus nicht erweisen, da wir von der Natur der Seele eine’ viel zu unvollkommene Kenntniss besitzen. Sofern’ sie die äl- tere. Idee, als sey das Gehirn der Sitz: der Seele, folg- lich der Umfang von jenem zugleich die Gränzen von dieser, angreift, ist sie zu billigen Doch lässt sich - eben so: viel.gegen: die hier angegebene Abgränzung'durch: das, Volumen des Körpers einwenden, welche, wie es‘ scheint, in einer viel zw groben Ansicht‘ des Wesens der Seele beruht, da wir dasselbe: doch gewiss nicht materieller annehmen, dürfen‘, als: die viel genauer. er- kannten. Imponderabilien, bei: denem wir unter Umstän- den dunchäus: keine bestimmte: Gränze nachweisen: kön» nen. ‚Unsere Behauptung geht nur dahin, dass bei: voll«ı kommener Ausbildung des Gehirns dasselbe die einzige‘ Vermittelung: zwischen Körper und: Seele. mache. Ge- gen. die obige Conjectur spricht auch die‘schon: erwähnte‘ Abhängigkeit: der Seele. von: der’ Ausbildung und! dem Zustande des. Gehirns. Ferner tritt gegen die Meinung, das Gehirm! sey- Seelenorgan,; Nasse mit folgender Behauptung auf, dass; wenn auch. die, Seelenfunetion: des: Denkens mit dem: Gehirne- in engerer Bezieliung stehe, dass Gemüth' doch: von: dem) Herzen: dermaassen: abhänge, das. wir! dieses für das Organ von jenem halten müssten , ‘was’ schon‘ in» Alterthum: Chrysöppus lehrte. Die‘Gründe sind: 1): Dex Sprachgebrauch: beweist den engeren’ Zu« sammerihangı, da; wir sein: Wort für das’ andere setzen. 2): Sos wie, das Herz und: Gefässsystem' überhaupr früher; vorliandem ist, als-das Gehirnz undı dasselbe’ im kindlichen Alter relativ zum: Körper grösser ist, al im 240 Ueber Seele und Lebenskraft. höheren Alter, eben so überwiegt hier das Gefühl durch seine Stärke das Denkvermögen. 3) Wir bemerken bei Gemüthsaufregungen die be- deutendsten Veränderungen im Herzen. 4) Wir finden Abnormitäten des Herzens zugleich mit Abnormitäten des Gemüths. 5) Geringe Affection des Verstandes bei heftigen Gemüthsaffeeten zugleich mit auffallenden Veränderun- gen des Herzens. } 6) Die wenigen und schwachen Nerven des Her- zens machen den geringen Einfluss des Gehirns auch bei heftiger Reizung auf das Herz erklärlich, wogegen Leidenschaften den stärksten haben. 7) Beim Sterben erhält sich das Gefühl am läng- sten, so wie das Herz am längsten thätig ist. Herr Prof. Nasse scheint nach dem Obigen die Seelenfunctionen in folgende zwei Theile geschieden zu haben: «) in Denkvermögen und 5)in Gemüth, also nicht gerade von der gewöhnlichen Trennung in Vorstellungs-, Gefühls - und Begehrungsvermögen gross abweichend, in- dem er in seinem zweiten Theile Gefühls- und Begehrungs- ' vermögen miteinander verband. Zujenen Trennungen über- haupt können wir nur durch psychische Beobachtungen an Anderen gelangen; Selbstbeobachtung würde nie dahin geführt haben, und wer meint, dass zwischen jenen Theilen bestimmte und feststehende Scheidewände auf- geführt seyen, den widerlegt jeder Blick auf seine ei- gene Psyche, indem er immer nur das Eine, Untheil- bare erkennt, fühlt. Ferner ist jene von unseren Philosophen beschützte Trennung nicht mit logischer Schärfe durchzuführen. Denn erstlich steht das Erkennen und Fühlen in der nothwendigsten Wechselwirkung. Wir können nichts erkennen, ohne wenigstens durch das Gefühl den ersten Anstoss erhalten zu haben, und nichts fühlen, ohne Er- Ueber Seele und Lebenskraft. 241 kenntniss, Bewusstseyn; zweitens ist, ein Begehrungs- vermögen anzunehmen, ganz überflüssig, denn eines Theils kann nichts begehrt oder verabscheut werden, von dem nicht wenigstens etwas Analoges gefühlt und er- kannt ist; anderen Theilsist schon durch die Scheidung des Angenehmen und Unangenehmen, welche im Füh- len und Erkennen ihren hinreichenden Grund hat, die Nothwendigkeit des Verabscheuens, des Vermei- dens des Unangenehmen und des Begehrens, der Wie- derholung oder Erhöhung des Angenehmen gegeben !). Stellt man aber das Erkennen, Fühlen, Begehren, als Seiten einer Seelenthätigkeit auf, so möchte sich dage- gen mit Recht wohl nichts einwenden lassen. Aus diesem nothwendigen Zusammenhange geht schon «a priori die Unwahrscheinlichkeit, um nicht zu sagen Unrichtigkeit‘der Behauptung des Prof. Nasse hervor, indem bei der unendlichen Verschiedenheit der Organe des Erkennens und sogenannten Gemüths, wie zwischen Hirn und Herz eine kaum gränzliche Berüh- zung beider denkbar wäre. Unsere Meinung wird um so mehr Kraft gewinnen, wenn es uns gelingt, die Gründe für die entgegengesetzte zu schwächen und zu widerlegen. 1) „Der Sprachgebrauch beweist den engeren Zu- sammenhang, da wir ein Wort für das andere setzen.“ ‚ Gilt als Beweismittel gar nichts. Wenn Jemand alle die physiologischen Thorheiten und Irrthümer der Baien systematisch aufstellte, so würde er sich ohne Zweifel ein grosses Verdienst um die Ergetzung des ärztli« chen Publicums erwerben. 1) "2 zw Euow alsdmoıs Umaoyn, Tovrw „dor, zal Auany al 10 ;öV Te Hal Auzngöv‘ ois ÖR rare xai 7) Emiönuia: rob yap nötos vgskis Zorıw alrn. Agıororshous megl wuyns ro ß- ». B. ed, Casaub, p. 408. Meckels Archiv f. Anat, u. Phys, 1828. 15 242 Ueber Seele und Lebenskraft. 2) „So wie das Herz und Gefässsystem überhaupt früher vorhanden ist als das Gehirn, und dasselbe im kindlichen Alter relativ zum Körper grösser ist als im höheren Alter, ebenso überwiegt hier das Gefühl durch seine Stärke das Denkvermögen.“ Wenn auch schon gegen den Vordersatz widersprechende Erfahrungen vor- handen sind, — denn nach J. Fl Meckel, der unstrei- tig grössten Auctorität in Streitfragen der Fötusentwik- kelung, ist das Rückenmark und Gehirn im Embryo früher als das Herz erkennbar !), und abgesehen, dass die relative Grösse des Herzens zum kindlichen Körper gewiss von der des Gehirns erreicht, wo nicht übertrof- fen wird: — so liesse sich doch theils aus dem frühe- ren Entstehen gar nichts abnehmen, theils würde die relative Grösse des Herzens die gemachte Folgerung nicht aufklären, welche auch wohl nicht als unbedingt richtig anzuerkennen wäre. Denn Stärke des Gemüths möchte schwerlich dem Kinde beizulegen seyn, wohl aber eine grössere Reizbarkeit bei dem schnellen Wech- sel und leichtem Verwischen eines jeden Eindrucks. 3) „Wir bemerken bei Gemüthsaufregungen die be- deutendsten Veränderungen im Herzen.“ Ist keineswe- ges auf alle Gemüthsaufregungen gültig. Der Zorn hat eine bei weitem heftigere und auffallendere Einwirkung auf die Leber ; Geschlechtsaufregungen auf die Ge- schlechtstheile; Lüsternheit und Ekel auf Speicheldrü- sen und Magen; Furcht auf Nieren und Haut. Wir wären also gezwungen, die dem Herzen zugelegte Prä- rogative auf alle jene Organe auszudehnen. 4) „Wir finden Abnormitäten des Herzens zugleich mit Abnormitäten des Gemüths.““ Wenn auch andauern- der Kummer und Sorge eine nicht selten gelegenheitli- che Ursache der Herzkrankheiten sind, so sind diese 1) Handb, d, m, Anat. 1825. Bd. 1. S. 342. Ueber Seele und Lebenskraft. 243 immer secundär, und jene können noch nicht für Ge- müthsabnormitäten gelten. Ausserdem veranlassen Gicht, Rheumatismus viel häufiger Herzentzündung und conse- eutiv organische Herzfehler, ohne allen Einfluss auf das Gemüth. Der Mangel an Muth und die daraus folgen- den Schwächen theilen Herzkrankheiten mit allen gleich grossen und eingreifenden. In viel höheren Grade be- merken wir das Weibischwerden auch des männlichen Sinnes bei einer länger dauernden copiösen Eiterung, namentlich an den Extremitäten. 5) „Geringe Affeetion des Verstandes bei heftigen Gemüthsaffeeten, zugleich mit auffallenden Veränderun- gen des Herzens.“ Widerspricht durchaus der Erfah- rung, da wir mit gutem Recht allgemein den Leiden- schaften Blindheit zulegen. Man stelle sich nur zwei heftig Disputirende vor, wie leicht kommen sie nicht in Gefahr, mit geballten Händen dem Eingange ihrer Gründe nachzuhelfen. Wo bleibt denn da die gerühmte Klarheit des Verstandes? 6) „Die wenigen und schwachen Nerven des Her- zens machen den geringen Einfluss des Gehirns auch bei heftiger Reizung auf das Herz erklärlich, wogegen Leidenschaften den sis liaten haben.“ Die ‘geringe Menge der Nerven und mindere Einwirkung der künstlichen Hirnreize theilt das Herz mit den meisten unwillkürli- chen Organen, und mit vielen auch die stärkere Re- action bei heftigen Leidenschaften. Steigen Allfecte so hoch, dass sie einen merklichen Einfluss auf das orga- nische Lehen zeigen, so ist dieser immer allgemein, nur mit hervortretenden , Veränderungen häufiger noch von einzelnen Organen des Unterleibes, als der Brust. 7) „Beim Sterben erhält sich das Gefühl am läng- sten, so wie das Herz am längsten thätig ist“ Dass im Tode das Herz am längsten thätig sey, bestätigt die Erfahrung nicht, da die, willkürlichen Muskeln noch 18 * 244 Ueber Seele und Lebenskraft. mehrere Stunden nach dem scheinbar allgemeinen Tode auf den Reiz des Galvanismus reagiren, und länger als das Herz. Dass sich das Gefühl, zumal in dem Sinne, in welchem es der Prof. Nasse nimmt, im Tode am längsten erhalte, möchte schwer zu erweisen seyn. Zur Widerlegung des häufig angenommenen Be- wusstseyns in anderen Theilen des Körpers, als in dem Gehirn, namentlich in den Sinnesorganen, reicht das von Rudolphi Gesagte !) vollkommen hin. Die Beob- achtung von Leidenfrost *), wo ein blindgeborener Jüngling plötzlich sein Gesicht erhielt, und alle Gegen- stände verkehrt sah, scheint dem Obigen zu widerspre- “chen, indem hier die Seele selbst, zufolge einer ganz gewöhnlichen Vorstellung, das umgekehrte Bild aufder reiina empfinde. Doch da jene Beobachtung meines Wissens von Niemandem bestätigt ist, so müssen wir sie einstweilen in Quarantaine halten; wie sie ja auch von Vielen schon für unrichtig erklärt ist. Es wäre auch gar nicht einzusehen, wie Zerrungen und Druck des nervus opticus vollkommene Blindheit erregen könn- te, da das Bildchen auf der Netzhaut auch dann noch erscheint: und als Isolirungspunkte der Seele können doch wahrlich jene Schädlichkeiten auch nicht angese- hen werden. Nicht weniger ungereimt ist die Meinung, dass das auf die retina geworfene Bildchen durch den nervxs optieus, als solches, bis ins Hirn fortgetragen, und da empfunden werde. Nicht das Bildchen, sondern der Reiz desselben auf die Netzhaut wird fortgepflanzt; nicht die Wärme des auf die Haut tröpfelnden Wachses wird nach dem Gehirn geleitet, sondern der Reiz derselben auf die zunächst aflieirten Nerven. Durch dieses einfa- 1) Grdr. d. Physiol. Bd. 2. Abth. 1. 1823. S. 34, 2) Vom m, Geist. $. 65. Ueber Seele und Lebenskraft. 245 fache Raisonnement wäre ja wohl das ewig wiederholte Problem vom umgekehrten Bildchen auf der Netzhaut erledigt, indem die Frage als ohne hinlängliche physi- ologische Um - und Einsicht aufgeworfen erschiene. Der zweite Punct der Abhängigkeit der Seele vom Organismus war: dass sie keiner Erkenntniss fähig sey, zu denen nicht Perceptionen durch die Sinne wenigstens die erste Anregung gegeben haben. Dass hier nicht von Kants innerem und inwendigem Sinne die Rede ist (eine Bezeichnung, welche aus einem Missbrauche des Wortes Sinn entstanden !), bedarf keiner Erwäh- nung. Wir haben hier eine Streitfrage zu untersuchen, welche 'nun seit Jahrtausenden die Philosophen zum heissen Kampfe einander gegenüber gestellt hat. Die Extreme der Meinungsverschiedenheit haben wir in un- serer neueren, überall an Extremitäten reichen Zeit, und sind folgende drei: a) Leibnitz behauptete mit P/ato, als Intellectual- philosoph, in den Sinnen sey nichts als Schein, nur der Verstand erkenne das Wahre; alle reinen und noth- wendigen Ideen seyen der Seele virtualiter angeboren ?). b) Fichtes Meinung war diese: im Bewusstseyn des Ich sey enthalten eine Identität des Vorstellens mit dem Vorgestellten, des Denkens mit dem Gedachten °). c) Dagegen spricht Kant: nur in der Erkenntniss durch Sinne und in der Erfahrung ist Wahrheit, und alle Erkenntniss an sich, oder von Dingen aus blossem reinen Verstande oder reiner Vernunft ist nichts als lauter Schein *). 1) Schulz psych, Anthropol. 2) Essais sur Ventendem. h, Avantpr. oeuvr. phil. p. Raspe p.4. 3) System d. Sittenlehre. $. 12. 4) Proleg. p. 205. 246 Ueber Seele und Lebenskraft Der nächste Schluss, den wir aus dem Angeführ- ten ziehen, ist, dass der erleuchtete Verstand der Phi- losophen auch in den einflussreichsten Grundlehren nicht weniger dem Irrthume unterworfen ist als der der Naturforscher. f Mit dem Fichteschen Satze werden wir wohl am schnellsten fertig, indem wir an den gesunden Men- schenverstand appelliren. Nach ihm ist das Vorstellen mit dem Vorgestellten, das Denken mit dem Gedach- ten (NB. alle Sinneseindrücke sind nach seiner Ansicht nichts als Vorstellungen) identisch, also ob ich Wein - trinke oder Wasser, so ist realiter darin kein Unter- schied, sondern nur in meiner Vorstellung. Schade doch, dass Fichte nicht seine ausserordentliche Vor- stellungskraft uns Schwächlingen mitzutheilen vermag, er würde unzweifelhaft das goldne Zeitalter im Nu zu- rückführen: ob ich Luftschlösser baue, oder wirkliche, ist ja ganz gleich. Ja noch mehr, er würde Jeden von uns zum Goite machen, ich erkenne die Welt, die Welt - ist mit meinem Denken derselben identisch, also schafft meine Seele die Welt, ich bin Gott '). Welche von den übrigen beiden Sentenzen wahr sey, möchte sich wohl schwerer entscheiden lassen, viel- leicht keine von beiden, und es möchte auch hier, wie überall, die geldene Mittelstrasse die beste seyn. Ungeachtet der häufigen, durch Sinneseindrücke veranlassten Irrthümer gestand jedoch Leibnitz jenen so viel zu, dass die angeborenen Ideen nicht zum Be- wusstseyn kommen könnten} ohne die correspondiren- den Sinneseindrücke; dieses ‚bedingte Vorhandenseyn der nothwendigen Wahrheiten in der menschlichen Seele nannte er virtualiter angeboren. Den besten Gegenbeweis gegen die Behauptung des 1) Vergl. Jean Paul clavis Leibgeberiana. Ueber Seele und Lebenskraft. 247 blossen Scheins der Sinneswahrnehmungen giebt die si- cherste der Erfahrungswissenschaften, die Astronomie, wegen derEinfachheit und des festen Ganges der zu be- obachtenden Veränderungen. Mit welcher bewunde- rungswürdigen Sicherheit kennt der Astronom die Be- wegung, die relative Stellung der Himmelskörper; ja er bestimmt bis auf den kleinsten Zeitraum auffallende Er- scheinungen Jahre lang vorher. Hat der Astronom im- mer nur mit Scheingestalten zu thun? Wie geht es zu, dass Verschiedene , ohne alle Verbindung unter einander, zu demselben Resultate gelangen? Doch wozu die vie- len Worte! Dem einfachen gesunden Menschenver- stande ist jeder Beweis der Objectivität der Sinnesein- drücke etwas ganz Ueberflüssiges, und die Behauptung findet gewiss hierin ihre Bestätigung, dass ein aus- schliessendes Beschäftigen des Geistes mit Transscen- dental-Philosophie den gesunden Mutterwitz anfeindet und verdunkelt. Es ist mit wenigen Ausnahmen eine affectirte oder halbgedankenlos nachgesprochene Skep- tik, wenn man den Erfahrungswissenschaften gar keine Gewissheit, oder doch nur eine äusserst beschränkte, ertheilt. Gewissheit ist ein Begriff, der keiner Compa- ration fähig ist. Das in Erfahrungswissenschaften @e- wisse erhält sich eben so wohl Jahrtausende hindurch wahr, als irgend ein Satz der Epipedometrie.. Wir stossen in der Leibnitzischen Lehre zunächst auf die Unbegreiflichkeit, dass Sinneseindrücke einmal nichts als Schein seyen, und dann wieder die unentbehrlich- ste Bedingung jeder menschlichen Erkenntniss der Wahr- heit seyn sollen. In Rücksicht der angeborenen Ideen lässt sich nicht wegläugnen, dass die menschliche Seele eine gewisse Spontaneität der Entwickelung, aber nur insoweit ha- be, dass sie die Perceptionen der Sinne vergleicht, ” verbindet, trennt, überhaupt Begriffe und Urtheile und 248 Ueber Seele und Lebenskraft. aus diesen wiederum neue zu bilden vermag. Will nun Jemand diejenigen Urtheile, welche unter den Menschen "allgemein für wahr gelten, für angeboren halten, so steht ihm sein Glaube zwar frei, nur bliebe es durch- aus unerklärlich, wie unter jener Bedingung das uns als Wahrheit Erscheinende tausend Anderen als noth- wendige Unwahrheit vorkommt; ja wie wir selbst heute für die Wahrheit eines Satzes zum Kampfe auf Leben und Tod bereit sind, und morgen unsere Blindheit nicht begreifen können, welche die offenbarste Unrich- tigkeit desselben zu erkennen uns verhinderte. Ja es möchte sich von keinem Urtheile nur einmal mit über- wiegender Wahrscheinlichkeit behaupten lassen, es sey bei allen Menschen dasselbe. Daraus folgt natürlich die völlige Unmöglichkeit einer allgemein gültigen De- finition der Wahrheit. Ferner gesteht Leibnitz ein, dass die „nothwendi- gen, virtualiter angebornen“ Ideen nur durch corre- spondirende Sinnesperceptionen erwachen, aber dann auch bei Jedem; was mit der erwähnten grossen Meinungs- verschiedenheit der Menschen schlecht in Uebereinstim- mung zu bringen ist. Leibnitz rechnet seinen Satz des zureichenden Grundes und den des Widerspruchs, die Hauptquellen der Erkenntniss der Wahrheit, zu den nothwendigen Ideen. Die zu Erweekung nothwendigen Perceptionen hat jeder mit Sinnen begabte Mensch ge- habt; könnten wir aber mit Recht behaupten, dass diese nothwendigen angebornen Ideen in Jedem erwacht sind®? — Noch mehr, nehmen. wir ein Kind von einem Jahre, das unzweifelhaft für alle Sinneseindrücke Em- pfänglichkeit hat; veranlassen wir bei ihm alle nur mög- lichen Perceptionen, welche zur Erweckung jener Ideen dienen könnten, würden sie in ihm erwachen! — Es gehört also zu ihrer Entwickelung noch mehr als blosse Sinneseindrücke, d.h. sie sind nicht virtualiter angebo- Ueber Seele und Lebenskraft, 249 ren. Wie könnte sich auch Leibnitz auf seine Ent- deckung des Satzes des zureichenden Grundes so viel zu Gute thun, wenn er eine jedem Menschen angebo- rene Idee wäre? wie wäre überhaupt eine Entdeckung nur möglich gewesen? Seine Ausflucht, dass sie schon dunkel vor der Entdeckung in der Seele gelegen, und die Urtheile geleitet hätte, können wir als solche nicht annehmen (denn dunkle Ideen machen kein Wissen), als nur unter der Bedingung, dass der Verstand eines Leibnitz und eines Schuhputzers, das aus dem Keim Entwickelte, und der Keim selbst, gleich viel werth ist. Das Irrige der Platonischen Meinung über angebo- rene Ideen, welche, seiner im Menon und Phaedrus mit nicht allzufeiner Dialektik versuchten Ausführung zufel- ge, alles Lernen für ein Erinnern erklärt, ist heutzuta- ge zu allgemein anerkannt, um uns länger dabei zu verweilen. Später haben ihm Des-Cartes und Male- branche nachgesprochen. Wir schreiten jetzt zur Untersuchung der Kanti- schen Lehre fort, „dass nur in den Sinnen Wahrheit, und alle übrige Erkenntniss nur Schein sey.“ Wenn die Kantische Philosophie nicht die unmit- telbare Nachfolgerin der Leibnitzischen gewesen wäre, so hätte Ersterer sich schwerlich zu dem schroffen Ge- genüberstellen der Worte verleiten lassen. Vielleicht gelingt es uns, das Unrichtige in dem Obigen in ein helleres Licht zu stellen, Zuerst also .„‚nur in den Sin- nen und der Erfahrung ist Wahrheit, weil,“ sagt Kant, „nicht die Sinne urtheilen, sondern der Verstand, also fällt auch diesem allein der Irrthum zur Last. “* , Wenn auch einer der Naturforscher unserer Zeit, dessen philosophisch heller Geist allgemeine Anerken- nung gefunden hat ‚diese Schlussfolge vollkommen billigt '), 1) Grär. d, Physiol, v. Rudolphi Bd. 2. Abth. 1. S. 16. 250 Ueber Seele und Ehbenskraft; doch gewiss ohne genauere Untersuchung, da jeder Bo- gen seines Werkes Belege des Gegenthejls enthält, so darf uns doch diese, doppelte Auctorität nicht abhalten, da Einspruch zu thun, wo wir anderer Meinung sind. Der erste Einwurf ist: die Sinne urtheilen zwar nicht, aber die Sinne empfinden auch nicht. Mit Be- zug auf das Frühere ') führe ich nur noch an, dass das Auge durchaus keine Lichtempfindung hat, bei gestör- ter Leitung der Reize auf das Auge nach dem Gehirn, als durch Verletzung, Druck des Sehnerven, bei unter- brochener Hirnfunction durch Kopfverletzungen, Apo- plexie, Epilepsie, bei der sogenannten Zerstreuung der Gedanken. Also. nicht die Sinne empfinden, sondern die Seele vermittelst der Sinne, Kants Behauptung stellt sich demnach folgender Maassen dar: „nur in der Empfindung der Seele, welche durch Sinnenreize un- ‚mittelbar verursacht wird, ist Wahrheit. “ Der zweite Einwurf ist nun: wir haben zuweilen Empfindungen der Seele, als Producte der Phantasie, welche von denjenigen, welche von Sinnenreizen un- mittelbar verursacht werden, durchaus nicht zu unter- scheiden sind; wo also empirische Wahrheit und empiri- scher Irrthum durch die Empfindung selbst, als solcher, nicht erkennbar ist. Ich will mich hier noch nicht einmal auf die Er- scheinungen der krankhaften Affectionen der Sinne, wie Funken, Nebel vor den Augen, Ohrenbrausen u. s. w. des Delirirens, des Wahnsinns berufen, obwohl der krank- hafte Zustand denselben allgemeinen Gesetzen folgt, als der gesunde, und jener überhaupt nicht ein Gegensatz von diesem ist, sondern nur eine Modification, die für sich allein schon präsumiren lässt, dass etwas Aehnli- ehes im gesunden Zustande vorhanden sey, auch noch 1) S. 237. 244, Ueber Seele und Lebenskraft. 251 nicht auf die Schlaftrunkenheit, einen vorübergehenden Wahnsinn, sondern ich bleibe nur bei den Erscheinun- gen stehen, welche wir im ganz gesunden und wachen- den Zustande an uns wahrnehmen. Sollte sich nicht Jeder erinnern, dass er, wenn irgend eine Idee seine Seele ganz beschäftigt, seinen Begleiter fragt: „was sagst du?“ und ein Lachen desselben zur Erwiederung bekomnt, weil er — nichts gesagt bat? oder dass er auf einem einsamen Spaziergange, wo er den Geschö- pfen seiner Phantasie freie Audienz ertheilt, und jene immer lebhafter und 'lebhafter werden, bis sie zuletzt leben, d. h. bis aller Unterschied zwischen wirklichen Perceptionen und den Phantasiebildern wegfällt? Man werfe mir nicht ein, dass wir nach einem solchen Zu- stande immer wissen, Alles sey Fiction gewesen. Eırst- lich ist das gleichgültig, sobald nur zugegeben wird, dass hier einstweilen die Producte der Phantasie eine von den Sinnenreizen nicht zu unterscheidende Empfin- dung hervorgebracht haben, und dann ist jenes spätere Bewusstseyn keinesweges immer der Fall. Rudolphi selbst sagt '), freilich im Widerspruche mit der von ihm reeipirten Kantischen Lehre: „die Realität der Ge- sichtsphantasmen wird leicht geglaubt. * Eine andere Erfahrung, welche meiner Meinung nach einen schlagenden Gegenbeweis liefert, und hof- fentlich von keinem Naturforscher angegriffen werden wird, ist diese: Beim Experimentiren, wo es meistens auf feinere Sinnesperceptionen ankommt, gelangen wir häufig zu einem ganz falschen Resultate, wenn wir uns nieht mit oft, bedeutender Willensanstrengung von allen Erwartungen und Berechnungen des Ergebnisses der Versuche frei machen können. Also wenn wir mit vor- gefassten Meinungen experimentiren , finden wir oft 1) A. a. O. Bd. 1. Abth. 1. S. 152. 252 Ueber Seele und Lebenskraft. Trübung, Niederschlag, eine bestimmte Form und Farbe desselben, einen eigenen Geruch, Geschmack, wo von allem dem nichts, oder doch etwas Anderes vorhanden ist. In noch höherem Grade ist das bei mikroskopi- schen Untersuchungen der Fall, mehr oder weniger aber auch bei allen Beobachtungen und Versuchen. Ich spreche hier natürlich nur von unmittelbaren Wahrneh- mungen, namentlich bei irgend dunkeln. Als Beispiel: Stehen wir auf einem hohen Berge, und es wird uns die Richtung und Gegend eines entfernten Thurmes ge- zeigt, und sehen immer mit grösserer Anstrengung: dann glauben wir ihn ganz deutlich zu erkennen; neh- men wir nun ein Teleskop zu Hülfe, so findet sich nicht selten, dass die Luft dermalen viel zu wenig durchsichtig sey, um die geringste Spur von ihm wahr- zunehmen. : Es verdient daher Niemand den sehr ehrenwerthen Namen eines. Naturforschers, der die eben ausgespro- chene Wahrheit nicht erkennt, und Willensherrschaft genug hat, die Fesseln der intellectuellen Knechtschaft auch des höchst verehrten Meisters zu brechen, und sich von ihnen frei zu erhalten. Niemand ist infallibel, im Gegentheil finden wir auch bei dem eminentesten Genie wohlüberlegte Meinungen, deren Unwahrheit und oft sogar Corruptheit dermaassen in die Augen springt, dass sie uns, wenn der Fall nicht so häufig wäre, an dem Manne irre machen würde. Es kommt mir aber auch nichts lächerlicher vor, als wenn ein kleiner Kopf dergleichen bei einem grossen aufgefunden hat, und sich dann aufbläst wie ein Frosch, und ruft: „‚ecce homo, wie gross ich bin!“ exempla odiosa. Genaue und richtige Beobach- tungen werden von anderen guten Beobachtern auf gleiche Weise wahrgenommen. Denn die Natur verändert sich nach ewig unwandelbaren Gesetzen; wiederholte und anerkannte Beobachtung wird Erfahrung mit vollkom- Ueber Seele und Lebenskraft. 253 mener Gewissheit, während Beobachtungen mit Phanta- siestückchen untermengt, deren eine unermessliche Zahl die Naturwissenschaften aufzuweisen haben, eine gleich ephemere Existenz haben als jedes Phantasma. Die Kunst zu beobachten (ich verstehe hierunter nur das Wahr- nehmen) wird nur wenigen Glücklichen zu Theil, und auch diesen nur nach langer Uebung und Anstrengung. In Betreff der im gemeinen Leben sogenannten Sinnestäuschungen, so verdienen sie sämmlich nicht den Namen der Täuschungen. Denn Täuschung setzt Irr- thum voraus, und diesen, nachdem wir ihn als solchen einmal erkaunt haben, wieder zu erwecken, steht ganz ausser dem Bereiche unserer Willkür; dagegen wir die genannten Sinnestäuschungen picht nur willkürlich er- neuern, sondern sogar meistens die Empfindung ohne Abziehen der Sinne und der Aufmerksamkeit nicht auf- hören lassen können. Da jedoch der Name in zu all- gemeinem Gebrauche ist, so mag ich nicht einen neuen schaffen, der zuletzt nicht viel besser wäre als der verstossene. Sie sind übrigens unter einander wesent- lich verschieden. Dass ein Stock, zur Hälfte schief in Wasser gehalten, an der Oberfläche eingebrochen er- scheint; die Nebensonnen und Nebenmonde am Him- mel bei einer gewissen Luftbeschaffenheit; dessgleichen die fala Morgana (Luftspiegelungen über Sandwüsten und dem Meere); die Vergrösserung der Sonnen- und Mondscheibe beim Auf- und Untergange; das scheinbare Zusammentreffen einer langen und geraden Allee; das Ueberneigen eines hohen Thurmes, wenn wir nahe an ihm in die Höhe sehen; das Erscheinen eines Geld- stücks im Grunde eines Gefässes, wenn dieses mit Was- ser gefüllt wird: von allen diesen Perceptionen fühle ich mich versucht, die objective Wahrheit zu behaup- ten, wenn auch @. E. Schulze in seiner sonst classi- 254 Ueber Seele und Lebenskraft. schen psychischen Anthropologie ') sie für recht eigent- liche Täuschungen erklärt. So paradox es auch klingt, scheint mir der Beweis nicht schwer, sobald mir zugestanden wird, dass der äussere Grund des Sehens die in das Auge fallenden Lichtstrahlen sind, worüber unter unseren besten Schrift- stellern nur eine Stimme ist. Jene Erscheinungen sind so sicher und unter Um- ständen unumstösslich, wie nur irgend ein Ding von objectiver Wahrheit. Jeder, der einer freien Beobach- tung fähig ist, erkennt sie so, und nicht anders, und kann sich seine Wahrnehmung bei hinlänglicher Deut- lichkeit nicht wegdisputiren. Ferner: der äussere Grund des Sehens sind die in das gesunde Auge fallenden Lichtstrahlen. Dass diese fast immer in gerader Linie und von allen Puneten der dem Auge zugewandten Flächen selbstleuchtender oder erleuchteter Körper sich fortbewegend in unsere Augen fallen, verleitet wohl, in dem Verhandenseyn der Kör- per die objeetive Wahrheit zu suchen, doch das allein dann mit Recht, wenn das Sehen nach alter griechischer Vorstellung in dem Eindringen der von den Körpern losgerissenen und in der Luft schwimmenden simulacra bestände, eine seit der Wiederbelebung der Wissen- schaften allgemein als absurd erklärte Hypothese. Wir sehen also nicht den Körper, sondern die von ihm aus- gehenden Lichtstrahlen. Warum halten wir das nicht für Sinnestäuschung, wenn wir vor einem Spiegel ste- hen und uns darin erblicken; oder wenn wir einen Ge- genstand unter dem Mikroskop unverhältnissmässig gross, oder durch das Teleskop so nahe sehen? Und doch beruhen alle diese Erscheinungen auf denselben Ge- setzen, als jene Sinnestäuschungen,, welche eine ausge- 1) Ausg. 3, 1826, $. 128. Ueber Seele und Lebenskraft. 255 dehntere Anwendung der Mathematik zulassen als ir- gend ein Theil der Physiologie, und sich sogar bis zur höchsten Genauigkeit berechnen lassen? Das Object des Sehens also sind Zichtstrahlen, gleichgültig, ob sie geradlinig, gebrochen oder zurückgeworfen sind, zu- mal da alle Körper, ausser den selbstleuchtenden, nur vermittelst der Reflexion der von letzteren ausgehen- den Lichtstrahlen "erkannt werden können. Wie sich die Gegenstände selbst zu den von ihnen ausgehenden Lichtstrahlen verhalten, ist ein Gegenstand der weite- ren Untersuchung , aber nicht der unmittelbaren Wahr- nehmung. j Eben so verhält es sich mit der Ungewissheit bei verbundenen Augen, ob der schallende Körper vor oder hinter uns ist; oder, wenn zugleich ein Ohr zugehalten wird, dass ein Schall gerade vor uns, von der Seite des oflenen Ohres herzukommen scheint. Hier ist auch keine Sinnestäuschung, so wenig wie bei dem Echo; wir hören im gewöhnlichen Falle nicht die Schwingun- gen des schallenden Körpers, sondern die durch jene veranlassten Schwingungen der Luft, die Schallstrahlen: also diese sind auch das Object des Hörens, ebenfalls gleichgültig, ob diese in gerader Richtung fortgehen, oder reflectirt werden. Etwas ganz Anderes ist es mit den Farbenerschei- nungen bei starrem Anschauen eines farbigen Gegen- standes an der Gränze desselben, oder nach schnellem Wegziehen an seiner Stelle; mit dem leuchtenden Kreise bei schnellem Schwingen einer glühenden Kohle; mit der Fortdauer der Empfindung nach dem Aufdrücken eines Geldstücks, auch wenn es weggenommen ist, Hier mangelt es ganz an objectiver Wahrheit, und doch ist die Erscheinung bei allen Beobachtungsfähigen con- stant; wir können sie desshalb nicht für ein Phantasma erklären: denn Phantasmen sind nicht bei zwei Men- 256 Ueber Seele und Lebenskraft. schen zu gleicher Zeit dieselben. Also in der Aussen- welt liegt der Grund der Erscheinung nicht, auch nicht in der Seele, es bleibt demnach nichts übrig, als ihn in dem Zwischengliede zwischen beiden, in den Sinnen selbst, zusuchen. Zur Bestätigung: das starre Anschau- en, als Bedingung der Farbenerscheinungen, verändert offenbar die Receptivität des Auges, da alles Erkennen vermindert wird; vielleicht geht hier die quantitative Veränderung derselben mit der qualitativen Hand in Hand; ferner scheint nur das Gesicht und Getast die Eigenschaft einer Fortdauer des erhaltenen Eindrucks auch nach dem Aufhören des Reizes zu haben, ob der Geschmack und Geruch? möchte sich schwerlich mit Gewissheit bestimmen lassen, weil das Aufhören der Reize hier nicht genau bestimmbar ist !); aber gewiss ist das Gehör von dieser Eigenschaft frei, da auch die schnellste Aufeinanderfolge der Töne niemals zusam- menfliesst, sondern jeder einzelne Ton unterschieden werden kann. Dass also nur einzelne, nicht alle Sinne diese Eigenschaft haben, möchte allein wohl schon auf die oben ausgesprochene Idee führen. Zu dieser Kate- gorie gehören noch die Lichterscheinungen, das Ohren- brausen der Vollblütigen, welche unzweifelhaft in krank- haften Veränderungen der Sinne selbst begründet sind. Uebrigens liegt auch in dem Obigen eine Beschrän- 1) Ein mir im vorigen Jahre vorgekommener Fall könnte wohl darauf führen, auch dem Geschmacke jene Fortdauer der Empfindung zu ertheilen: Der R. R. F., ein Gutschmecker, wur- de auf das Aeusserste durch den 8 und mehrere Tage andauern- den Geschmack mancher genossenen Speisen, der sich selbst durch das Rauchen eines scharfen Tabaks nicht verdecken liess, gequält; doch war dieses auf der anderen Seite wohl nur eme, mit der allgemeinen Verstimmung der Unterleibsneryen consen- suelle Erscheinung, die nicht gerade eine bestimmte Folgerung auf den Geschmack, als Sinn, erlaubt. Ueber Seele und Lebenskraft. 257 kung der Kantischen Lehre von der Unfehlbarkeit der Sinnesempfindungen, wenigstens mit Berücksichtigung der Dauer derselben. - Die Fortdauer des Gefühls vom Drucke auch nach dem Aufhören von diesem glaubt Rudolphi damit aus der Reihe der Sinnestäuschungen ausgestossen zu haben: „dass es im geringeren Grade dasselbe sey, was im stärkeren der Schmerz“ !). Allerdings, wenn der Druck so stark ist, dass er ein schmerzhaftes Gefühl erregt, so ist auch die Fortdauer desselben ein Schmerz. Je- doch bleibt die Hauptsache unverändert, dass wir näm- lich vermöge des Gefühls durchaus nicht unterscheiden können, dauert der Eindruck noch fort, oder nicht, dass wir also zuweilen eine Sinnenwahrnehmung haben, die zwar durch ein Objeet verursacht wird, die aber zu- gleich in ihrer Dauer objectlos werden kann. Von den durch Krankheit erregten Schmerzen kann hier gar nicht die Rede seyn. Eben so wenig kann ich ihm bei- stimmen, wenn er sagt?): „im Fall zwei über einander gekreuzte Finger einen erhabenen Gegenstand berühren, und man nun zwei Körper zu fühlen glaubt, so täu- schen nicht unsere Tastorgane, sondern es fällt die Action unserer Finger nicht wie sonst zusammen, so bei dem Doppeltsehen u. s. w.“ Es lässt sich vielleicht aus den Bedingungen, wenn diese Täuschung vor sich geht, ihre Art und Weise klarer ersehen. Die Bedingungen sind: 1) Der betastete Gegenstand muss eine convexe Oberfläche oder überhaupt einen so kleinen Durch- messer haben, dass wir mit jedem einzelnen F inger ge- nau bestimmen können, er ist convex, oder er hat ei- nen kleineren Durchmesser als der Finger; 1) A. a. O, S. 77. 2) Ebendaselbst. Meckels Archiv f, Anat, u. Phys. 1828, 19 258 „Ueber Seele und Lebenskraft, 2) wir müssen nicht auf den Gegenstand, oder un- sere Finger sehen, und zu vergessen suchen, dass wir die Finger Geae haben; “) 3) die beiden Finger müssen so stark gekreuzt wer- den, dass die Radialseite des Zeigefingers und Ulnar- seite des Mittelfingers tastet Die erste und dritte Bedingung veranlasst den irri- gen Schluss, es ist nicht möglich, dass ein Körper von der beschriebenen und gefühlten Gestalt die Radialseite des Zeigefingers und Ulnarseite des dritten Fingers zu- gleich berühre; folglich müssen der Körper zwei seyn, und die zweite a verhindert die Erkenntniss, wie jene Unmöglichkeit doch möglich und wirklich ist. Dagegen ist weder hier noch in der gewöhnlichen Lage der Finger ein Zusammenfallen der Action derselben vorhanden; vielmehr ist gerade das Nicktzusammenfal- len der Actionen der cardo alles Tastens. Wir fühlen nicht nur beim Tasten wie viele Finger den Körper be- rühren, sondern’ sogar ob zum dritten oder halben Theil der Fingerfläche, wodurch wir zur genauen Kenntniss der Dimensionen des betasteten Körpers gelangen. Das Doppeltsehen ist keine Sinnestäuschung, son- dern hat Realität, da die in beide Augen fallenden Lichtstrahlen Realität haben. ‘Wir hätten viel eher Grund das gewöhnliche Einfachsehen für Sinnestäuschung zu halten, da beide Augen von den Lichtstrahlen eines Gegenstandes gereizt werden, und nicht etwa, nach Gall, ein Auge um das andere, welche Empfindungen die Seele doch nur auf den einen Gegenstand bezieht; das ist aber Fifleet der Gewohnheit ‚von Kindesbeinen an und der Erfahrung; wegen der unzähligen Wiederho- lung derselben Seelenaction werden wir uns jetzt ihrer nicht mehr bewusst. Die Action beider Augen fällt aber deshalb noch nicht zusammen; das erkennen wir mit unwidersprechlicher Bestimmtheit durch folgenden Ueber Seele und Lebenskraft. 259 Versuch: halten wir einen dünnen Stecken perpendieulär zwei Fuss vor den Augen, so dass er die Mitte der Luke eines 50 Fuss entfernten Gebäudes, trifft, und ver- schliessen wir nun ein Auge, so deckt der Stock nicht mehr die Mitte der Luke, sondern einen Theil der Mauer auf der Seite der Oeffnung, auf welcher wir das Auge verdecken. Bei diesem Versuche darf man den nahe gehaltenen schmalen Gegenstand nicht so richten wollen, dass er eine schmale Stelle des entfernten, wie etwa das perpendiculäre Stück eines Fensterkreuzes deckt, denn das gelingt nie, weil immer ein Auge den zu deckenden Gegenstand sieht; sondern man richte jenen nur so, dass Abweichungen rechts und links genau erkannt werden können. Auch ist die Entfernung. bei- der Gegenstände zu berücksichtigen, die je nach der Sehkraft verschieden seyn muss. Ganz besondere Vor- sicht erfordert es aber, dass das Richten nicht mit ei- nem Auge allein geschehe, wozu das stärkere grosse Neigung hat. ° Bei bedeutender Verschiedenheit der Seh- kraft beider Augen scheint das gemeinschaftliche Rich- ten ganz unausführbar zu seyn. * Wir haben hier wieder ein Parallelogram, zu wel- chem beide seitlichen Abweichungen des Steckens von der Mitte der Luke die zwei nothwendigen Seiten und den Winkel darbieten; die Diagonale ist dann die Rich- tung, in welcher wir mit beiden Augen gemeinschaft- lich sehen. + Aeusserst merkwürdig hierbei ist, dass die Abwei- ehung für das schwächere Auge am grössten ist; eine Erscheinung, welche sich aus dem Parallelogram der Kräfte leicht erklären lässt, da bei.einem ungleichseiti- gen Parallelogram die Diagonale mit der längeren Seite einen correspondirend kleineren Winkel macht, als mit der kürzeren; die verschiedene Länge der Seiten ist adäquat der verschiedenen Sehkraft beider Augen. Ich 19 * 260 ‚ Ueber Seele und Lebenskraft. glaube hiermit den bei Weitem feinsten Messer für: die Verschiedenheit der Schärfe der Augen aufgefunden zu haben. Uebrigens zeigt dieser Versuch auf das Eviden- teste, dass bei dem gewöhnlichen Sehen die Action bei- der Augen nicht zusammenfalle. Man könnte gegen die obige Erklärung des ge- wöhnlichen Einfachsehens, als in einer wegen unzähli- ger Wiederholung nicht zum klaren Bewusstseyn kom- menden Seelenaction begründet, — die Beständigkeit jener Erscheinungen und die Analogie mit physikalischen Gesetzen einwenden, und vielleicht nicht mit Unrecht; doch haben wir ein ganz analoges Parallelogram bei dem Hören, indem durch dasselbe die Richtung und Lage des schallenden Körpers in Rücksicht des Hören- den bestimmt wird, das jedoch nur so lange beide Oh- ren gleich gut hören; so bald das eine taub ist, lässt sich mit dem einen Ohre ebenfalls genau die Richtung des Schalles bestimmen. Hier ist kein chiasma nervo- rum, worauf von Einigen wohl die Beständigkeit jener Gesichtserscheinung reducirt werden könnte. Dagegen spricht für die durch Gewohnheit fast unbewusste See- lenaction das künstliche Erregen des Doppeltsehens durch Verschiebung eines Augapfels mit dem Finger, oder durch ungewohntes Nahehalten eines schmalen Ge- genstandes vor den Augen, wodurch wir veranlassen, dass die Lichtstrahlen eines Gegenstandes nicht die ge- wohnten correspondirenden Stellen der retin« beider Augen treffen. Halten wir eine Feder mit dem oberen Ende einen halben Zoll von der Nasenspitze perpendi- culär nach unten, so nehmen wir zwei sich kreuzende Federn wahr, von denen jedes Auge eine sieht, mei- stens mit verschiedener Deutlichkeit, doch können wir diese willkürlich wechseln lassen durch Anstrengung des einen Auges vor dem anderen; versteht sich bei Ueber Seele und Lebenskraft. 261 ziemlich gleicher Schärfe beider Augen, was freilich nur bei Wenigen der Fall ist. — Das allgemeine Resultat aus dem Obigen ist: dass Irrthum auf Fusswegen und Heerstrassen gleich leichten Eingang in die menschliche Seele findet. Montaignes Ausspruch: „die Sinne verführen die Seele’ und diese betrügt jene '),“ ist und bleibt wahr. Nun zurück zur Kantischen Sentenz: „alle Erkennt- niss an sich, oder von Dingen aus blossem reinen Ver- stande, oder reiner Vernunft, ist nichts als Schein. * An einem anderen Orte *) mildert Kant diesen Aus- spruch dahin: „die Vorstellung blosser Verstandeswe- sen ist nicht nur zulässig, sondern auch unvermeidlich, aber ınur mit der ausnahmslosen Regel, dass wir von diesen blossen Verstandeswesen ganz und gar nichts Bestimmtes, nicht einmal ihre reale Möglichkeit, noch viel weniger ihre Wirklichkeit wissen, noch wissen können“. Zu diesen Verstandeswesen gehört Gott, Geist u. s. w. der Verstand könne sie nur denken, denn sie fallen uns nicht in die Sinne. Von jenen beiden Wesen dür- fen wir keinen Einwurf herleiten, da ja das eine der Gegenstand dieser ganzen Untersuchung ist; doch fin- den wir in der Physik Etwas, das auch nur in seinen Einwirkungen, aber nicht in seinem Wesen, sinnlich er- kannt werden kann, ich meine den mineralischen Ma- guetismus; wir kennen ihn ganz allein in seinen Wir- kungen auf das Eisen, und doch ist die Existenz des- selben als Gegenstand der Naturforschung über’ allen Zweifel erhaben, und doch wissen wir von ihm nicht mehr, als von den sogenannten Verstandeswesen. Wie übrigens unser Philosoph zu diesem Zweifel an Allem, 1) Bd. 4, 8. 99. 2) Proleg. 8. 104. 262- Ueber Seele und Lebenskraft. was nicht in der Erfahrung ist, gekonimen sey, ist aus der Grundlage seiner Doetrin, der Mathematik erklärlich, wo ein jedes Forschungsresultat erst durch die Con- struction, und Darlegung in der Erfahrung, als Wahr- heit geprüft wird. Wie aber sein kritischer Idealismus hiermit in ‘Uebereinstimmung zu bringen sey, ist für meinen Verstand zu hoch. Den kritischen Idealismus erklärt er so: „er ist der Lehrbegriff, dass Alles, was im Raume oder in der Zeit angeschaut wird, mithin alle Gegenstände einer uns möglichen Erfahrung, nichts als Erscheinungen, d.i. blosse Vorstellungen, und nicht Dinge-an sich selbst sind, die so wie sie vorgestellt werden, ausser unseren Gedanken keine an sich ge- gründete Existenz haben“. Der Hauptgrund des Be- weises ist: wir würden sonst ganz und gar nichts über äussere Objecte synthetisch urtheilen können; ein Grund- satz, den die Naturforschung bestimmt und mit vollem Rechte verwirft. Betreffen jene synthetischen Urtheile Dinge, die entweder von uns selbst, oder von Ande.-. ren, in der Erfahrung als wahr erkannt sind, so ist ihr Werth doch sehr zweideutig; sie könnten höchstens zur Controle des Erfahrnen dienen; betreffen sie aber Dinge, welche weder von uns, noch von Anderen, oder deren Analogieen empfunden sind: so werden derglei- chen Urtheile füglich «4 acta gelegt, bis einmal Erfah- rung uns nähere Kenntniss gegeben hat. Denn gerade diese synthetischen Urtheile haben das grösste Unheil von Alters her über Naturwissenschaften herbeigeführt. Ein Anderes ist es mit negativen Urtheilen der Art, die wir schon viel leichter durchgehen lassen dürfen, wenn sie nur den Gesetzen der Logik gemäss sind, aber diese selbst sind durch Erfahrung begründet. Ein anderer Grund des Idealismus ist: „Alles ist im Raume und in der Zeit, Raum und Zeit sind aber Vorstellungen, Begriffe, folglich ist auch Alles ausser er Ueber Seele und Lebenskraft. 263 uns nur in der Vorstellung“. Der gesunde Menschen- verstand sagt hierzu: Nein; worin aber‘ das Falsche liegt, scheint mir äusserst schwierig aufzufinden. Ein Angriff auf den Untersatz könnte vielleicht mit Erfolg gemacht werden. Raum und Zeit im absoluten‘ Sinne sind zwar Begriffe und ausser der möglichen Erfahrung, aber nicht das conzentum des Begrifies. Jeder Augen- blick der Zeit war oder wird für Menschen Gegenwart — etwas Empirisches — seyn, der von meiner Feder ausgefüllte und begränzte Raum ist etwas Empirisches; ist aber integrirender Theil des abstracten Begriffes: Raum. Darnach würde sich der obige Satz ungefähr so gestalten; Alles ist im Raume und in der Zeit; Raum und Zeit sind Vorstellungen, aber nur im ab- stracten Sinne, denn zum grossen Theile waren sie, und werden sie ein Gegenstand der Erfahrung seyn, desshalb gehört zwar Alles zu einem Begritie: Raum und Zeit, der als Begriff kein Gegenstand der Erfah- rung seyn kann, dessen integrirende "Theile jedoch empfunden werden können. Ich fühle die Schwäche des Einwurfes sehr wohl, dem Idealisten genügt er nicht, indem eine petitio prin- eipü bei der Allgemeinheit des Satzes unvermeidlich ist, und für jeden Anderen ist er überflüssig. ° Mit diesem kritischen Idealismus steht folgende Be- hauptung in der aller engsten Verbindung: dass Anschau- ungen nur sinnliche Vorstellungen sind, dass wenn un- sere Sinnlichkeit und aller der Wesen, welche einen Gegenstand wahrnehmen, vernichtet würde, der Kör- per selbst vernichtet würde: also jeder Körper, welcher angeschaut wird, existirt nur in und durch die An- schauung. Daraus würde nothwendig folgen, dass, alle naturhistorischen Entdeckungen vor ihrer Entdeckung gar nicht vorhanden gewesen wären, denn man hatte sie noch nicht angeschaut. Harvey entdeckte den Blut- 264 Ueber Seele und ?:ebenskraft, umlauf, vor ihm existirte ex nicht, denn er war nicht angeschaut, eines, der ‚herrlichen synthetischen Urtheile!! als wenn die Menschen jetzt und vor 200 und 2000 Jahren nicht immer — Menschen gewesen wären; oder sind etwa in ‚dem ‚Augenblicke der Entdeckung der Himmelskör- per ‚diese erst geschaffen, oder vielmehr gerade um so viel früher, als die Lichtstrahlen Zeit nöthig haben, um bis zur. Erde vorzudringen? Zu welchen ungereimten Hypothesen führt eine solche Behauptung nicht! Wir müssen demnach die Möglichkeit des: Vorhandenseyns von Dingen zugeben, auch wenn wir keine sinnliche Eıkenntniss von ihnen haben. Wir, kommen jetzt zur Beantwortung der Frage: ist: die Seele einer Erkenntniss fähig, zu der die Sinne nicht wenigstens den ersten Anstoss gegeben haben? Da Leibnitz und Kant bei aller Verschiedenheit ihrer Ansicht über Sinnesempfindung. diese Frage mit „Nein‘“ beantwortet haben , so scheint ein weiterer Auf-, enthalt hierbei unnöthig. Erfahrungsmässig fehlen bei ursprünglichem, oder selbst nur bei mehrjährigem Man- gel der Empfindungen eines Sinnes alle Vorstellungen, welche mit diesen in näherer Beziehung stehen, und wenn einem Menschen von der Geburt an alle fünf Sinne mangelten, so würden wir an ihm nicht die ge- ringste Spur einer Seele wahrnehmen, sondern nur eine vegetirende Menschenform, wahrscheinlich mit stärke- ren und vielfältigeren Instineten begabt, als wir es sind. Hiermit will ich aber gar nicht Lockes Meinung beistimmen, dass alle unsere Kenntniss Erfahrung sey; die. Seele hat eine ihr inwohnende Fähigkeit, sich spon- tan auszubilden, doch abhängig von den Sinnesperce- ptionen; diese sind der fruchtbare Boden, in welchem die Seele wurzelt, aus dem sie reichen Nahrungssaft erhält zur eigenen hohen Entwickelung. Desshalb kann ich auch Kants Definition von Vorstellungen « prieri Ueber Seele und Lebenskraft. 265 nicht unbedingt beistimmen: „indem sie weder durch die Sinne erlangt, noch irgend von Erfahrung abhängig seyen. Als Beispiel: 2 x 3 — 6 ist nothwendig, Er- fahrung könnte das blos wahrscheinlich machen, weil das Gegentheil noch Niemandem vorgekommen sey.“ Wenn wir aber nachforschen, wie der sich bildende Verstand zu jener Idee kommt, so finden wir auch hier die erste Veranlassung in der Erfahrung. Stellen wir uns ein Kind vor, das' drei Aepfel in eine Reihe legt, dann diese Reihe wiederholt, so findet es, dass es “sechs Aepfel vor sich hat; es macht denselben Versuch mit 3 Steinen, und immer fort mit anderen Gegenstän- den, und kommt stets zu demselben Resultate. Es macht den Schluss, es ist. ganz gleichgültig, ob drei Aepfel, Steine, Bücher genommen werden, und daraus das all- gemeine Urtheil 2 x 3 — 6; erkennt endlich die Noth- wendigkeit desselben, aber nicht, weil es in der Erfah- zung nicht anders vorkommt, sondern vermittelst einer Verstandesaction, die durch Erfahrung veranlasst: ist. Lehren wir einem Kinde: 2 x 3 = 6, so fasst es das mit dem Gedächtnisse, und glaubt es, wie ja überhaupt dem Kinde die Aussprüche Her Eltern und Lehrer gött- liche Offenbarung sind. Fängt es aber an, darüber nach- zudenken, so giebt es für dasselbe keinen anderen Weg der Ueberzeugung, als den angegebenen. Kant sagt ja selbst, es giebt keine mathematische Wahrheit, die nicht construirt werden könnte, und welche wir eher als solche anerkennen können, als bis sie construirt ist, Bei Treviranus *) finde ich eine, Annahme, wel- che unserem Satze, dass die Sinne die einzige Verbin- dung zwischen Seele und Aussenwelt ausmachen, gerade entgegenläuft: „Das Wissen gewisser Dinge, und der Trieb zu gewissen Handlungen, wozu nichts Analoges 1) Biologie. Bd, 6. 8. 52, 266 Ueber Seele und Lebenskraft. in früherer Erfahrung ist, kann nur durch Einwirken des Geistigen auf das Geistige erklärt werden, so beim Somnambulismus, Instineten und Kunsttrieben der Thie- re“, Dagegen ist zu erinnern: die Annahme erklärt nicht, was sie erklären soll, namentlich nicht den In- stinet und die Kunsttriebe; dann widerspricht sie allen übrigen Erfahrungen; und sie ist zuweilen ganz unstatt- haft, wie bei den von einem Puter ausgebrüteten Enten, die trotz dem Locken; der Mutter mit Furchtlosigkeit und Freude sich einem bis dahin ganz fremden Ele- mente, dem Wasser, überlassen; wo ist denn da die’ Einwirkung des Geistigen auf das Geistige? vom Puter doch nicht, denn da müsste sie entgegengesetzt der Aeusserung des Instinetes seyn, oder von der Eier le- genden Ente, die von ihren Kindern nichts weiss, oder die wir schon getödtet haben? — — — Nach dieser . langen Episode zurück zu unserem Helvetius. Das Wahre seines 7ten Grundes des Mate- rialismus, gestanden wir zu, bestehe in einer grossen Abhängigkeit der Seele von ihrem Organismus, welche sich auf folgende 2 Puncte reduciren liesse, 1) das Ge- hirn sey Seelenorgan, und 2) die Sinnesperceptionen seyen der Grund und Boden aller Ausbildung der Seele. Diese zwei Sätze musste ich gegen Andersdenkende, nicht gegen Helvetius, sondern eher für ihn, vertheidi- gen, desshalb ist es wohl kein gerechter Vorwurf, wenn ich die Seele in dem Obigen als etwas Vorhan- denes annahm, sonst kamen nur Ideenzirkel heraus, die um nichts weiter führten. Nun zur näheren Prüfung des siebenten Grundes selbst: „die Seele ist streng an die Veränderungen des Körpers gebunden; sie entsteht, sie entwickelt sich mit ihm in demselben Grade; sie ist denselben Einflüssen unterworfen ; hat dieselben Leiden und Freuden, diesel- ben Zeichen der Zu- und Abnahme, und des Todes.“ Ueber Seele und Lebenskraft. 267 Das Entstehen der Seele ist zwar mit dem des Kör- pers gleichzeitig; die Entwickelung dagegen dauert so- gar noch mehrere Jahrzehende weiter fort über den höchsten Entwickelungsgrad des Körpers. Der 25jäh- rige Mann ist nach dem gewöhnlichen Laufe der Dinge in der geistigen Ausbildung unstreitig nicht das, was der 40- und 50jährige; und auch über diesen Zeitpunet hinaus ist die Seele noch partieller Ausbildungen fähig. Ein ehemaliger Lehrer von mir fing erst im 64sten Jahre das ihm bis dahin fremde Studium der Physik an, und mit ausgezeichnetem Erfolge. „Die Seele und der Körper haben gleiche Freu- den:‘* ja, insoferm sie nur einen Organismus ausma- chen, nehmen sie gegenseitig vermöge des Gehirns als Seelenorganes an dem Wohl und Uebelbefinden des anderen Theil, doch möchte sich schwerlich behaupten lassen, dass geistige Freuden, wie die Aufindung einer neuen Wahrheit, oder eine vollbrachte edle, gemein- nützige Handlung mit dem, was das körperliche Wohl- befinden erhöht oder herstellt, also Wein- und Medi- cinflaschen , gleich seyn. — In Rücksicht der Zu- und Abnahme habe ich schon erwähnt, dass der Körper bei Weitem früher ı zum Culminationspuncte der Ent- wiekelung gelange als die Seele: jener im 2östen — 30sten, diese gewöhnlich im 50sten, wo der Körper in seiner Energie schon sehr merklich abgenommen hat. Geht es zum Tode, so beobachten wir in einzelnen Krankheiten, namentlich den Phthisen, oft in der höch- sten Erschöpfung des Körpers, noch kurz vor dem letz- ten Athemzuge eine ganz ungestörte, und zuweilen so- gar eine bedeutend erhöhete geistige Thätigkeit, selbst bis zu einem Grade, der Erstaunen erregt, zumal bei jungen Frauenzimmern mit hysterischer Sensibilität. Will man sagen, das Blut wird von dem ermatteten Herzen noch am leichtesten nach dem Gehirne in die 268 Ueber Seele und Lebenskraft. Höhe getrieben, warum sehen wir denn noch den Geist in ungestörter Wirksamkeit bei /acies hippocralica, also bei schon sehr vermindertem Blutzuflusse nach dem Kopfe? Ich sah vor einiger Zeit eine agonisirende Frau, welche in ihrer Todesangst bei vollkommenem Leichengesichte aus dem Bette gebracht seyn wollte, und als die Umstehenden ihrem Verlangen nicht genüg- ten, auf diese mit den wüthendsten Schimpfreden und Flüchen, wie sie ihr nur in der kräftigsten Zeit: ihres Lebens zu Gebote gestanden hatten, Iosstürmien. — 8o- bald indessen der Blutreiz ganz aufhört, müssen auch alle‘ Seelenerscheinungen aufhören, weil das Gehirn nach erfolgter Paralyse keine Seelenaction mehr ver- mitteln. kann. Ferner: „es kommt nichts zum Bewusstseyn der Seele als durch den Weg der Sinne“ — ganz recht; aber die Seele ist ausserdem noch in sich thätig und einer Entwickelung fähig (s. oben). „Sie wird durch Wein und andere materielle Mittel zum vorübergehen- den Wahnsinne gebracht, dem 'sie auch durch körper- liche Fehler unterliegt, und durch Heilung von diesen wird jener. beseitigt. Helvetius konnte die Reihe von dergleichen Erscheinungen bedeutend verlängern; sie be- weisen aber alle nicht den Materialismus der Seele, sondern nur eine grosse Abhängigkeit derselben vom Körper, vermittelt durch ihr Organ, insofern nie eine bedeutende Störung eines Theils des Organismus ohne Mitleidenschaft der anderen vorhanden seyn kann. 8) Endlich wo Heivetius die Willkür der Erinne- zung abläugnet, und mit einer ganz unfruchtbaren Hy- pothese aufwartet. Allerdings ist die Willkür des Ge- dächtnisses beschränkt, und gerade, wenn wir uns mit Anstrengung eine Idee, einen Namen, zurückrufen wol- len, können wir, es oft am wenigsten. Doch mehren- theils langt die Richtung der Aufmerksamkeit auf den Ueber Seele und Lebenskraft. 269. gesuchten Gegenstand aus. Ob wir überhaupt etwas vergessen können, oder nicht, möchte sich schwer ent- scheiden lassen, da wir gar oft bemerken, wie Ideen, die viele Jahre geschlummert haben, plötzlich wieder zum Bewusstseyn kommen. — Somit hätten wir den Kampf mit einem der Mate- rialisten beendigt. — Auch wenn ich noch so emsig mich für die Ansichten des systeme de la nature zu stimmen suche, so lassen die angeführten Thatsachen dennoch keine Spur des Zweifels über ihre Unrichtig- keit in mir zurück. Nicht anders geht es mir mit den übrigen Gliedern des Ordens, welche sich hinter den- selben, oder noch schwächeren Bollwerken verschan- zen, wie mit {a Mettrie (l’homme machine & Leiden. 1748.) und der Aistoire philosophique de ?’homme. Ber- lin 1767. Lucretius hat vor jenen nichts voraus als die schönere Sprache; ist aber weniger verführerisch, da bei diesen Französischer Witz und Satyre gegen Missbräuche und Thorheiten des Papismus überall ein- fliesst; aber gerade dieses bunte Gemisch von Wahr- heit und Irrthum ist es, was die zum Denken Unlusti- gen, oder Unfähigen, irre führt. In dem Alterthume stellte aus der Stoischen Schule Kleant für den Materialismus Folgendes auf: „da die Menschen nicht nur körperlich ihren Eltern 'ähnlich sind, sondern auch geistig, und diese doch nur den Körper erzeugen können, so muss die Seele ein Theil des Körpers seyn“. Von geistiger Aehnlichkeit zwischen Eltern und Kindern, auch wenn letztere bald nach der Geburt von jenen getrennt werden, also ausser dem Finflusse der Erziehung sind, davon giebt uns die Geschichte aller- dings auffallende Beispiele; zum Untersatze können wir mit Gewissheit weder ja noch nein sagen; doch müssen wir, ohne uns in die lächerlichsten Hypothesen 270 Ueber Seele und Lebenskraft. zu verwickeln, annehmen, dass von den Eltern der Keim zum ganzen Menschen, Körper und Seele, her- vorgebracht werde: wie? das weiss Gott, wir nicht. Doch abgesehen davon haben wir schon oben die Ab- hängigkeit der Ausbildungsfähigkeit der Seele von dem Baue und der Grösse des Gehirns berührt, durch das dann auch die vorzugsweise Ausbildung einzelner See- lenfähigkeiten vermittelt würde. Ich denke, in dieser Idee ist nichts Auffallenderes, als dass durch Druck auf die Samenbläschen,, oder durch Erection des penis der directeste Einfluss auf unser Vorstellungsvermögen und “ Phantasie in der Erzeugung von üppigen Bildern aus- geübt wird, oder dass bei gewissen Störungen der Le- berfunction eine unüberwindliche Neigung zur Krittelei und Aergerlichkeit vorherrscht u. s. w. Ueberhaupt ist das Missbehagen und die ühle Stimmung aus psychischen Veranlassungen ungleich leichter zu. unterdrücken und zu ändern, als die durch Störung der Gesundheit ver- anlasste, da in jenem Falle die Richtung der Aufmerk- samkeit meist willkürlich ist, in diesem dagegen die Ursachen nicht willkürlich fortgeschaffe werden können. Einen halb versteckten Materialismus zeigte in neu- erer Zeit der geistreiche Rei/ in seiner classischen Ab- handlung von der Lebenskraft !) und den Rhapsodien über psychische Curmethode. Folgende Aphorismen be- zeichnen den hierher gehörigen Inhalt: 4) Ein jeder Naturkörper zeigt im Ganzen und in der Zergliederung seiner Theile eine ihm ausschliess- lich eigenthünliche Form und Mischung ?). 2) Bewegung ist ein Phänomen, unter welchem uns | die Wirkungen der Eigenschaften der Materie darge- ' 1) Deutsch, Archiv d Phys. Bd. 1. - 2) S. 20. Ueber Seele und Lebenskraft, 271 stellt werden. Sie können auf das einfache Princip der, Wahlanziehung zurückgeführt werden !). 3) Die Erscheinungen an Thieren sind eigenthüm- lich, auch ihre Materie ist es, und jedes Organ hat eine eigenthümliche und immer dieselbe Mischung ?). 4) Daher ist es falsch, dass die allgemeinen physi- schen Kräfte thierischer Körper durch das Leben ge- bunden seyen °). » 5) Vernunft ist eine der Kräfte, also Eigenschaft des thierischen Körpers ?). In den genannten Rhapsodien, in welchen überall die mitunter auch sengende Flamme eines eminenten Genies hervorbricht, lesen wir folgende für ‚uns merk- würdige Stelle 5): „Wie wird uns bei dem Anblicke dieser Herde vernunftloser Wesen im Bice/re und Bedlam, deren ei- nige vielleicht ehemals einem Newton, Leibnitz oder Sterne zur Seite standen? Wo bleibt der Glaube an unseren ätherischen Ursprung, an die Immaterialität und Selbstständigkeit unseres Geistes und an andere Hy- perbeln des Dichtungsvermögens, die im Drange zwi- schen Hoffen und Fürchten erfunden sind? Wie kann die nämliche Kraft in dem Verkehrten anders seyn und anders wirken? Wie kann sie, deren Wesen Thätig- keit ist, in dem Cretin Jahre lang (das ganze Leben hindurch) schlummern? Wie kann sie mit jedem wech- selnden Monde, gleich einem kalten Fieber, bald ra- sen, bald vernünftig seyn? Mit jedem Gliede, mit je- dem 'Sinnwerkzeuge des Körpers wird ein Theil der 1) S, 18, 2) 8. 21 — 24 3) 8. 49, 4) 8, 32. 5) 8.8. 272 Ueber Seele und Lebenskraft, Seele amputirt. Ein Meer von Ideen in den Archiven der Dichtkunst, die feinsten Spiele des Witzes, die sinnreichsten Erfindungen, die zartesten Gefühle, die brennendsten Bilder der Phantasie, die heftigsten Trie- be, die die Seele unaufhaltbar zum Handeln fortreissen, wären nicht, wenn der Theil des Körpers nicht wäre, der seine Art fortpflanzt. Eine Faser im Gehirn er- schlafft, und der in uns wohnende Götterfunken ist zu einem Feenmährchen geworden.“ Beim ersten Lesen dieser Worte fühlen wir uns durch die Macht der Wahrheit des Angeführten, durch den Stachel einer bittern Ironie auf das Edelste des Menschen, und noch mehr durch den Sturm der Rede empfindlich verwundet und zu Boden geschlagen, und dennoch hat Rei? Unrecht. Leider ist die Abhängig- keit der Seele so gross, dass sie bis zu dem bedau- rungswürdigsten und abschreckendsten Gegenstande hin- absinken kann. Manchem mag eine solche Abhängig- keit der Seele und die Möglichkeit allein, so tief zu sinken, nicht wünschenswerther vorkommen als ihre Materialität: in der That, es ist das furchtbarste und vernichtendste Gefühl, wenn wir nach längerem Zusam- menseyn mit Wahnwitzigen die Leichtigkeit des Ue- berganges zum Wahnsinne an uns selbst erkennen, und diese um so grösser, je reizbarer unsere Phantasie ist. Mögen wir mit gesunder Seele uns einbilden, sie könne nie krank werden, damit verändert sich die Sache nicht. ‘Der längere Zeit Gesunde kann sich kaum eine künfti- ge Krankheit vorstellen, wie der Gesättigte baldigen Hunger. Ich sah vor Kurzem einen jungen Mann, der bei den herrlichsten Anlagen und einer guten Erziehung in wenigen Jahren durch Epilepsie zu einem Scheusal des Menschengeschlechts umgeschaffen wurde. Zusam- mengekauert, mit stark nach vorn übergebeugtem Rum- pfe, schlaff herabhangenden Armen, gab sein Gesicht Er Ueber Seele und Lebenskraft. 273 den höchsten Grad von Brutalität zu erkennen; die glanzlosen, stieren Augen, fast ganz vom oberen Au- genliede bedeckt, ohne alle Bewegung der Gesichtsmus- keln; über den herabhängenden Unterkiefer hing bewe- gungslos die Zunge hervor, an der fortdauernd ‚Spei- chel ausfloss. Alle Sinne schienen todt, nur auf star- kes Schreien, ob er essen oder trinken wolle, stiess er einen ekelhaften rohen Laut mit stärkerem Hervorspru- ‚deln des Speichels aus. — — Ich will gern glauben, die Seele schlafe hier nur, aber der Uebergang von dem Sonst zu dem'Jetzt war Schritt für Schritt. Bei allem dem, wenn wir das Demüthigendste des Menschen, den Wahnsinn, mit.ruhigem kalten Blicke anschauen, finden wir, dass entweder die Seele in sich selbst sich verwirren, oder vermittelst ihres Organs auf körperliche Krankheiten secundär alienirt werden könne. Auch in dem letzteren Falle erkennen wir, dass in der Krankheit des Körpers nur die gelegenheitliche Ursa- che, und dass in der Seele das seminium und eine selbstthätige Entwickelung der Krankheit sey, kurz dass der Wahnwitz keinen Grund des Materialismus abgebe, dass er aber den Werth der Immaterialität der Seele in hohem Grade vermindere. Wir kommen später auf einen positiven Erfahrungsgrund, der, meiner Beurthei- lung nach, allein schon hinreicht, jeden Materialismus zu beseitigen. Was Reils Erklärung des Lebens aus Form und Mischung betrifft, so hat sie das grosse Verdienst, er- wiesen zu haben, wie das Leben nicht etwas den Or- ganen Mitgetheiltes, sondern von den gröbsten und feinsten Stoffen auf gleiche Weise abhängig sey; auf der anderen Seite dürfen wir nicht vergessen, dass sie uns nicht weiter geführt, wohl aber den Weg gebahnt und berichtigt habe, und uns nicht verleiten lassen, Meckels Archiv f, Anat. u. Phys. 1828, 20 274 Ueber Seele und Lebenskraft. durch leichtsinnige Conjecturen uns und Andere irre zu führen. Beil war gezwungen, einen als zur Mischung gehörigen, feinen, unsichtbaren, unbekannten Stoff an- zunehmen, und gerade dieser ist es, der das Leben zu einem ewig unlöslichen Problem ‚macht, zugleich auch das Vordringen der Zoochemie beschränkt, deren Werth jedoch, wie aus nicht hinlänglicher Kenntniss, oder aus Unlust, sich in ein neues Studium ‚hineinzuarbeiten, ziemlich. allgemein behauptet wird, keinesweges an- nullitt. Die animalischen Producte haben auch nach der Entweichung des Lebens noch so viel Ausgezeich- netes und Eigenthümliches, dass eine nähere Kenntniss von diesem zu einer höheren physiologischen Ausbil- dung unerlässlich ist; da schon viele der einflussreich- sten Grundsätze dieser Disciplin die Zoochemie zur al- leinigen Grundlage haben. Eine herrliche Ausführung der Reilschen Idee und glückliche Anwendung auf den kranken Organismus ist das classische Werk von Kreysig '). Als Zugabe zu dem Reilschen Beweis. Folgendes: Eine alte, auch jetzt noch hin und wieder aufge- stellte, Meinung ist, dass die Nerven das die Organe belebende Prineip producirten und jenen mittheilten, ein- mal wegen der häufigen Beobachtung, dass, nach dem Aufhören der Nervenfunction in einen Gliede, dasselbe unempfindlich und kalt wird, und abmagert oder gar abstirbt, und dann auch aus dem unbewussten Streben, alles Dunkle und Unbegreifliche des Lebens auf einen Punkt zu concentriren. Doch berechtigt jene Beobach- tung noch keinesweges zu dem gemachten Schlusse. Die Nerven und das durch sie zugeleitete Unbekannte ist allerdings ein nothwendiger integrirender Theil der Organe, deren Function nach der Zerstörung jenes Ein- | 1) System d. prakt. Heilkunde, . Ueber Seele und: Lebenskraft. 275 flusses entweder ganz aufgehoben, oder doch in hohem Grade abgeändert werden muss. Könnten wir den Mus- . keln ihren Faserstoft, der Haut ihre Gaällerte, dem Ge- hirne seinen Eiweissstoff nehmen, so würden wir un- streitig dieselben, oder auflallendere Erscheinungen ha- ben. Etwas’ Analoges haben wir in der Verwandlung der Muskelsubstanz in eine fettwachsartige Masse nach mehrjährigem Nichtgebrauche, wie bei dem Klumpfusse, wo unter allen Umständen die Wiedererweckung der Funetion der veränderten Muskeln unmöglich ist. Des- gleichen müssten wir annehmen, dass die verschieden- artigsten Thätigkeiten der Organe, wie der Muskeln, der Haut, der Drüsen, Sinnorgane u. s. w., allein von der speeifischen Verschiedenheit der zu ihnen gehenden Nerven veranlasst würden, während wir doch durch Erfahrungen zu ‚solcher Annahme keinen hinlänglichen Grund haben, im Gegentheil sehen wir eine unbestreit- bare Abhängigkeit der Function der Drüsen u. s. w. von der Structur derselben. Endlich bemerken wir Lebenserscheinungen an of- fenbar nervenlosen Theilen, wie der Oberhaut und den Oberhauttheilen, — der übrigen als zweifelhaft nicht zu gedenken. An gutgebildeten Nägeln ist rings um den sichtbaren Theil der Wurzel eine constante Ver- diekung der Oberhaut, welche in einer sehr regelmässi- gen Form, etwa einen Scrupel breit, den Nagel be- deekt; schneiden wir diese ab, so ist dieselbe regel- mässige Forın binnen einer Woche regenerirt. Ferner das Entstehen der Hautschwielen nach Druck und Rei- bung derselben oft binnen wenigen Tagen, was durch- aus nicht mit einer wiederholten Erzeugung von Epi- dermisschichten von der eutis aus erklärt werden kann, da wir solche Schichten nicht nachweisen können. Ja ‚wenn wir die Schwielen abschneiden, und allen Druck und Reibung von der Stelle abhalten, so regenerirt sich 20 * ” 276 Ueber Seele und Lebenskraft. dieselbe zu ihrer vorigen Gestalt, und das selbst Jahre lang, während welcher die Haut geschont wird; erst dann wird dieselbe allmälig dünn und fein, nicht durch Abstossen der oberen Schichten, sondern durch Aufsau- gung, also einen Lebensprocess. Noch mehr: man hat die Krise der meisten acuten Hautkrankheiten, die Ab- schilferung der Oberhaut, für Brand derselben gehalten, mit Bezug auf die nicht so seltenen Fälle, wo Brand anderer Theile kritisch ist, und wohl nicht mit Unrecht. Man könnte diese Idee gar nicht auffassen, ohne der hier vertheidigten Meinung zu seyn. Die Abschilferung ist keinesweges eine unmittelbare Folge der neuerzeug- ten Epidermis, da jene sich auch zeigt, wo diese noch gar nicht vorhanden ist. Hierher gehört noch das Ver- schwinden von tiefen Schrammen der Nägel, welches auch nicht durch blosse Abnutzung .erklärlich ist, die constante Regeneration der ziemlich regelmässigen sulei der Oberhaut, besonders an der Hand und Fussfläche, endlich die bekannte Beobachtung des Grauwerdens der Haare binnen wenigen Stunden, die Veränderung der Haare Einzelner bei allgemeinem Uebelbefinden, wel- - ches offenbar einen ziemlich lebhaften Vegetationspro- cess in ihnen erweist. i Den auch von Reil angenommenen feinen unsicht- baren Stoff, der gewöhnlichen Meinung nach das prin- cipium vitae, glaubte man mit dem Magnetismus und der Entdeckung sn Galvanismus ganz gefasst zu haben, indem zwar beide Imponderabilien Aehnlichkeit, aber keinesweges Identität haben. Ein sehr wahres und, zur rechten Zeit ausgesprochenes Wort war das von Rx- dolphi in seiner Widerlegung der atmosphaera sentiens der Nerven '): „dass der Galvanismus keinesweges ei- 1) Reils Archiv. Bd. 3. S. 190. Ws Obwohl Rudolpki im Ganzen wegen des BER... TR Be- Ueber Seele und Lebenskraft. 277 nen so grossen Einfluss auf Erklärung des Lebens habe. Analogieen zwischen dem gemeinhin angenommenen Lebensprineip und jenen Imponderabilien sind: 1) Sie sind durchaus ohne Schwere; 2) Zu den Erscheinungen des Lebens und des Gal- vanismus ist Feuchtigkeit die erste äussere Bedingung, die zweite Sauerstoff; weises für die sensible Atmosphäre der Nerven von Reil und Humboldt beizustimmen, ist, so scheint mir doch eine actio in distantia des organischen Gefüges durch meine mikroskopischen Beobachtungen über die Bewegung des Blutes (Meckels Archiv. Jahrg. 1827. S. 445.) ausser allen Zweifel gesetzt, ob diese nun den Nerven ausschliesslich, oder vorzugsweise, zukomme, und in welcher Art, scheint mir dermalen noch unmöglich zu ent-- scheiden. Rudelphis Gegengründe lassen indessen auch noch be- gründete Einwürfe zu. Er glaubt die Haut bestehe aus Nerven, Arterien, Blut, Lymphgefässen und Zellgewebe zu gleichen The;- Zen, dass also der fünfte "Theil auf die Nerven komme, Lymph- gefässe erreichen weder in Menge noch in Dimension in irgend einem Organe die Blut führenden, ferner ist der fünfte Theil als Zellgewebe viel zu gering angenommen, welchen Antheil wir füg- lich auf 2 oder noch mehr des Ganzen setzen können: da es eine bekannte zoochemische Erfahrung ist, dass ‚die eutis im Pa- pinianischen Topfe bis auf einen geringen Rückstand in gelatina auflöslich ist, was mit den Nerven und den grösseren Gefäss- häuten nicht der Fall ist. Hiervon hängt die ansehnliche Cohä- renz derselben ab, welche mit der Annahme, dass 3 Theile aus hohlen Kanälen beständen, ganz unvereinbar ist. Dass übrigens die injieirte Haut überall roth aussieht, ist keinesweges ein so schlagender Beweis für die grosse Menge der Blutgefässe in ihr, sondern rührt zum guten Theile von der mangelhaften Durchsich- tigkeit der Epidermis, wegen der unzähligen Einschnitte und Erhabenheiten, her, so dass jedes mit rother Masse angefüllte Maargefäss durch die Brechung des Lichts viel grösser er- scheint, als es ist, Daher erkennen wir auch kein Netz ‚'son- dern eine gleichmässige Röthe. — In dubio würde demnach die Neryenmenge auch einen geringeren Theil als den fünften aus- 278 Ueber Beele und Lebenskralt. 3) Die Wirkungen der Elektrieität und des organi- schen Agens gehen mit gleicher Blitzesschnelligkeit vor sich; machen, ‚Man trifft nun mit der Nadel, nach Rud., entweder einen Nerven, oder man reizt die benachbarten Fäserchen durch den Druck, den der getroffene Theil verbreiten musste, wie die Flamme auch in einiger Ferne noch wärmt.“ Reil entgegnet hierauf in seiner Nachschrift zu der obigen Abhandlung sehr richtig, dass die mechanische Mittheilung des Reizes nicht das Gefühl des Nadelstichs hervorbringen könne. So lange man mit den gewöhnlichen Stecknadeln experimentirt, bleibt das Ergeb- niss dunkel, und in Rücksicht der Ansichten jener berühmten Physiologen unentschieden; wählt man aber sorgfältig abgerun- dete und langsam in der Stärke zunehmende und scharfe stäh- lerne Nadeln, wie ich sie mir zu Heilversuchen mit der Acu- punctur anfertigen liess, und setzt mit Vorsicht die Spitze auf die Haut ein‘, so findet man allerdings Stellen, freilich öfter erst nach längerem Suchen, wo wir bei Viertels- und halben Wen- dungen der einbohrenden Nadel kein anderes Gefühl, als das ei- nes stumpfen Druckes, und nicht des stechenden Schmerzes ha- ben. Hat man eine solche Stelle aufgefunden, so kann man ohne Abänderung des Gefühls die Nadel einen halben Zoll hin- eindrehen. Macht 'man aber grössere als halbe Wendungen, so dass die, die Nadel eng und fest umschliessende, Haut gezerrt wird, was wir an sehr dünnen und kleinen Falten derselben um die Nadel erkennen, dann haben wir bei weggewandten Augen allerdings ein täuschendes, etwas weiter verbreitetes Gefühl des Stiches. Dieser einfache Versuch scheint mir die Reilsche Ansicht über die sensible Atmosphäre der Hautnerven zu widerlegen, in- dem es allerdings Stellen der Haut giebt, welche in vorsichtigen Versuchen ohne stechenden Schmerz durchbohrt werden können, während ganz nachbarliche sehr empfindlich sind, welche doch bei vorhandener sensibler Atmosphäre den ersteren ihre Reizbar- keit mittheilen müssten, Aber der unempfindlichen Stellen sind in Verhältniss zu den übrigen nur wenige, so dass wir bei der geringen Hautnervenmasse mit der Rudolphischen Ansicht eben so wenig zum Ziele gelangen, da der obige Versuch hinlänglich zeigt, dass mechanische Mittheilung des Reizes durch Zerren Ueber Seele und Lebenskraft. 279 4) Wie die Voltaische Säule mit der Verkalkung der Metalle allmälig in ihrer Wirksamkeit nachlässt, eben so verschwindet allmälig durch das Alter die Be- weglichkeit und Energie der Organismen bis zum Tode. 5) Die Mischungsproducte organischer Körper und der Elektrieität stimmen in dem Abweichen von den gewöhnlichen Verwandtschaftsgesetzen überein. (Kann doch nur beweisen, dass die gewöhnlichen Gesetze nicht allgemein sind.) 6) Die Aehnlichkeit der oberen und unteren, und nur bedingungsweise den stechenden Schmerz verursacht, abge- sehen von dem nicht passenden Vergleiche mit der Flamme, da diese wohl eine wärmende Atmosphäre hat, aber nicht die Na- del eine stechende. Der letzte Rudolphische Einwurf: ‚dass mit der sensibeln Atmosphäre unser ganzer Körper ohne Unter- schied der Organe ganz Nerv sey, da diesen die bezeichnende Eigenschaft der Nerven durch die Atmosphäre mitgetheilt würde, dass wir also viel zu viel Nerven hätten; die Atmosphäre könne daher nicht existiren, da nichts Ueberflüssiges in der Natur sey“, — hält auch nicht Stich, Es war Reils Meinung gar nicht, dass die Atmosphäre eine mit den Nerven selbst gleiche Empfindlichkeit habe, sondern dass sie, je nach der Capacität der Reizbarkeit der nachbarlichen Organe, diese empfindlich ma- che. — Das Wahre liegt vielleicht auch hier in der Mitte. Ei- ner verständigen Naturforschung zufolge, dürfen wir nicht an- nehmen, dass die Hautnerven in ihrer Ausbreitung als Nerven- stränge, oder überhaupt als Nerven, verzweigt seyen, da wir solche nicht dargestellt haben; wahrscheinlicher wäre wohl, dass die Nerven nach ihrem Eindringen mit der ganzen Hautmasse verschmelzen, und recht eigentlich ein integrirender 'Theil der- selben wären, wodurch die Haut zum bei weitem grössten’Theile empfindlich würde, gleichgültig, ob nun durch sensible Atmo- sphäre der Nerven, oder nicht, nur nicht durch unmittelbare Reizung des Nervenmarks. Mit dieser Idee stimmt die Erfah- rung: dass wir ohne Hülfe des Tast- und Gesichtssinnes oft nicht die schmerzende Stelle der Haut mit Genauigkeit bestim- men konnen, sehr wohl überein, 280 Ueber Seele und Lebenskraft, die Gleichheit der seitlichen Organe entspricht der Aehnlichkeit der Gestaltungen durch positive und nega- tive Elektrieität, und der Gleichheit derer von den bei- den Polen des Magnetismus. 7) Zuweilen bringt die Lebensthätigkeit dieselben Lichterscheinungen hervor, als constant die Elektrici- tät; dagegen jene mehr Wärme erzeugt als diese. 8) Die auf den Organismus einwirkende Elektrici- tät erhöht die Lebensthätigkeit. Obwohl manche dieser Analogieen als gesucht er- scheinen mögen, so erweisen sie doch eine gewisse Aehnlichkeit, welche sich jedoch nur auf das organische Leben, und den sogenannten Bildungstrieb beschränkt. Analogieen mit dem psychischen Leben fallen ganz weg, schon wegen des völligen Mangels der Willkür in den Erscheinungen der Imponderabilien. — — Gegen meinen Vorsatz bin ich durch die Biologie von Treviranus gezwungen, einzelner naturphilosophi- scher Ideen zu erwähnen. Jenes berühmte Werk würde für die Nachwelt ungleich höher stehen, wenn ihm der erste Band fehlte. Wer des Verfassers hohen Scharf- sinn in Zweifel ziehen wollte, hat unmöglich das bän- dereiche Werk mit Verstand gelesen, aber gerade die- ser erste Band möchte nur einem von der sogenannten Naturphilosophie Verblendeten genügen. Zum Glücke ist dieser, namentlich für die drei letzten Bände ohne allen Einfluss und Beziehung, in welchen, als einer späteren und reiferen Frucht, der Verfasser freisinnig genug. ist, früher aufgestellten Meinungen zu wider- sprechen. Zunächst geht mein Angriff ‘auf die Begriffe von Mikrokosmus und Makrokosmus, welche zwar manche gute Idee erzeugt, aber auch zu den lächerlichsten Träumereien Veranlassung gegeben haben. Beide sind aus der Kantischen Definition eines Organismus ent- Ueber Seele und Lebenskraft. 2831 sprungen. Wenn wir nun in dieser etwas Unrichtiges auflinden könnten, liesse sich wohl der obige Angriff mit Erfolg machen. Also: „alle Theile eines Organis- mus sind zugleich Zweck und Mittel.“ NReil hatte schon dagegen folgenden triftigen Einwand gemacht !): „als Mittel des Organismus Kalinen wir nur die Or- gane annehmen, welche zur Verdauung , Bluterzeugung und Vertheilung dienen, weil die Existenz von jenen mit der Destruction der übrigen mehr oder minder un- angetastet bleibt.“ Man hat hier wiederum eingewandt, dass Verstümmelungen die vollkommene Thätigkeit und den der Gattung eigenthümlichen Entwickelungsgrad unmöglich machen. Doch ist dieser Einwurf nur schein- bar; es kann bei Untersuchung der Kantischen Defini- tion nicht darauf ankommen, ob durch Mangel einzel- ner Glieder die mögliche und gewöhnliche Vollkommen- heit des Organismus vermindert werde, sondern ob ein verstümmelter, aber lebender Organismus noch zu der Zahl der organischen Körper zu rechnen sey, und dar- auf ist nur eine Antwort möglich. Ob wir einem Men- schen beide Arme amputiren, oder ob an der mensch- lichen Frucht die Eutwickelung der beiden oberen Ex- tremitäten gehemmt ist, ist hier ganz gleichgeltend. Wer wäre thöricht genug, einen solchen Verstümmel- ten für einen anorganischen Körper zu erklären ?. oder nur nicht für einen Menschen anzuerkennen. Man könnte sich zwar noch mit der Spitzfündigkeit helfen: bei ei- nem inleger und einem Verstümmelten sind zwar Zweck und Mittel verschieden; aber in diesem ist wieder jeder Theil Zweck und Mittel. Wie aber, wenn wir einen sechsfingrigen Menschen vor uns haben, wo der An- kömmling weder bewegt werden kann, noch irgend ei- nen Nutzen hat, und wenn wir diesen nun abschneiden, 1) Deutsches Archiv. Bd. 1. 8. 55. 282 Ueber Seele und Lebenskraft, ' Y£ und durch die Wegnahme eines Zweckes und Mittels (Theiles des Organismus), den Zweck und die Mittel des ganzen Organismus erhöhen. Wir müssten also hier einen Minus-Zweck und ein Minus-Mittel annehmen. Auf dasselbe Resultat gelangen wir bei Beachtung aller Afterorganisationen und Parasiten. Der andere Gegengrund von Reil wäre wohl nicht zu billigen: nach welchem die K. Definition auf todte organische Körper gar nicht passe. Wenn auch diese immer noch viel Eigenthümliches und Unterscheidendes haben, so hören sie doch auf Organismen zu seyn. Ein todter organischer Körper ist, Reilschen Ideen zufolge; eine conlradictio in adjecto. Kben so wenig können wir ihm beistimmen, wenn er als allgemeinstes Merk- mal organischer Körper die Fähigkeit zu einer eigen- thümlichen Bildung angiebt. Diese Fähigkeit hat auch jeder Krystall. Ich kenne keine bessere und richtigere Bezeichnung der Organismen, als welche der hochausgebildete ge- sunde Menschenverstand schon vor Jahrtausenden gege- ben hat, ich meine eine Bezeichnung des Aristoteles: TMsovayüs zoo Civ Aeyoulvov, zuv Zr Tu Tour dndoyn wövov, Tijv Ayousv aörd, olov vovg, alosnorg, zlmoıs zul oracıg 7 xura Tonov‘ Em ÖE alımoıs d zura zoopiv zul PIlow Te zur avEnow !). j Aus dem Angezogenen ist ein zweiter und bedeu- tender Einwurf gegen die obige Definition zu entneh- men. Zu dem Begriffe eines Organismus nämlich ge- hört nothwendig die Idee des Entstehens, Wachsthums und ‚des Todes. Gerade in dieser steten Veränderung, : diesem Hineilen zum Tode, besteht die grösste Eigen- thümlichkeit der Organismen, vor welcher alle übrigen nr 1) "Agrororelons rov Itaysıpırov nepi wuyns co a, Ed. Ca: saub. Lugd. 1590. Vol. I. p. 388. c. 2. - Ueber Seele und Lebenskraft. 233 zurücktreten. Will man hier einwenden, dass man jene Eigenthümlichkeit bei der Untersuchung dem vorliegen- den Organism nicht ansehen könne, sondern aus seiner Geschichte entnehmen müsse, so ist soleher Ein- wurf hier viel weniger treffend, als bei der Kantischen Definition, wo etwas von den Eingeweiden behauptet wird, ohne dass wir sie sehen, und die Wahrheit der Behauptung an ihnen untersuchen können. Hätte Kant jene Idee in seine Definition mit auf- genommen, so wären. seine Nachfolger gewiss vor man- chen Träumereien, in Rücksicht des Makrokosmus und Mikrokosmus bewahrt, da dem ersteren die Eigenthüm- lichkeit des Wachsthums und des Todes, also die aus- gezeichnetste Eigenschaft der Organismen fehlt. In. wie vieles und guten Handbüchern finden wir nicht: „der Mensch ist ein kleines, in sich abgeschlossenes Natur- system.“ Ich frage, wie können durch solche Worte klare Ideen erzeugt werden? und doch sind sie nichts weiter, als eine Uebersetzung des Mikrokosmns. Einer anderen Sentenz von Kant, auf welche die ganze s. g. Naturphilosophie aufgebaut ist: dass die Materie durch Contractions- und Expansionskraft ent- stehe und die Verschiedenheit in einem Mehr oder We- niger ‘der einen liege, muss ich mit folgenden zwei Gründen entgegentreten. 1) Die Natur selbst hat uns ein Mittel in die Hand gegeben, die Contraction und Expansion der: Körper nach Belieben zu erhöhen, oder zu vermindern, — die Wärme. Ist daraus nicht die nächste Folgerung, dass durch sie auch die Expansions- und Contractionskraft verändert werde? sonst hätte ich nicht die entfernteste Ahnung von dem, was man unter Kraft verstände. Ist diese Folgerung richtig, so ist die obige Behauptung falsch. Wer wollte allein durch Wärme ein Metall zu einem anderen machen? Man hat zwar in der neueren 284 Ueber Seele und Lebenskraft. Physik, um diesen Widerspruch auszugleichen, die Car- tesianischen Atome wieder hervorgesucht, aber mit welchem Erfolge? 2) Die specifischen Eigenthümlichkeiten an Wahl- verwandtschaften sind aus jener Annahme des einfachen Ursprungs der Materie ganz unerklärlich, Treviranus gesteht zu '): „aus den zwei Kräften sey nur die ver- ‘schiedene Dichtigkeit der Körper herzuleiten, die speci- fische Eigenthümlichkeit aber gehe aus der unendlichen Mannichfaltigkeit der Naturkörper, und also deren Ver- hältniss der beiden Grundkräfte, und des innigen or- ganischen Zusammenhangs , unter einander hervor.“ Nehmen wir einen Kochsalzkrystall, wie sollten aus dem Plus oder Minus der Expansionskraft in den nachbarli- chen Körpern die specifischen Eigenheiten desselben bervorgehen? Die leichte Auflöslichkeit in Wasser, Un- auflöslichkeit in Alkohol und Aether, dessen theilweise nahe Verwandtschaft zum Silber, vor Allem, wie sollte die ewige Beständigkeit des Wiedergewinnens der Kry- stallisationsform durch Einfluss der Expansions - und Contractionskraft anderer Körper erklärt werden? Müss- ten nicht, da die nachbarlichen Körper willkürlich, oder zufällig, ausgewechselt werden, auch damit die specifi- schen Eigenheiten verändert werden? Könnte dieser fremdartige Einfluss, wenn er vorhanden wäre, etwas Anderes bewirken, als die Expansions- und Contracti- onskraft des Kochsalzes vermehren, oder vermindern, also zu einem ganz anderen Körper machen. Zum Be- weise für den noch Zweifelnden: "Die Expansionskraft irgend eines Körpers können ‚wir uns als zusammengesetzt aus einer Menge aliquoter Theile vorstellen —= m. e. Ebenso die Contractionskraft —= n. ce. Das Verhältniss der Grundkräfte ug ande- 1A. a. 0, Bd. 1, 8. 54. Ueber Seele und Lebenskraft. 285 ren mit dem ersteren in jener conjicirten Verbindung stehenden Körpers sey p. e. und r. c. Es kann p. e. — r. e. nicht = 0. seyn, sonst würden die Kräfte sich gegenseitig aufhebend in Ruhe seyn: p. e. ist also > oder < r. ec. Im ersten Falle wird ein Theil von p. e. von r. e. aufgehoben, ein anderer Theil bliebe frei, welchen wir = s. e. setzen. Dieses s. e. kann dem- nach nur auf den ersteren Körper, dessen Grundkräfte im Verhältnisse von m. e. — n. c. standen, influiren. Ist eine Einwirkung möglich, so würde sich das Ver- hältniss in s. e. + m. e. — n.c. abändern — (m. + s.). e.— n. e. Die Expansionskraft des Körpers würde also vermehrt werden. Liegt nun‘ die ganze Eigen- thümlichkeit des Körpers in dem Verhältnisse der Grund- kräfte (m. e. — n. c.), so müsste (m. + s.) e — n.c. ein ganz anderer Körper seyn. Auf einen anderen Wi- derspruch stossen wir in folgender Deliberation: Ist m. e. nicht = n. c. (was nur in dem seltenen Falle der vollkommenen Ruhe seyn soll), so müsste m. e. > < n. ce. seyn; in beiden Füllen würde also ein Theil der Expansions- oder Contractionskraft bei dem geraden Gegensatze beider frei, d. h. ohne Gegenwirkung der enigegengesetzten seyn, ein solcher würde aber alle Materie vernichten, denn nur durch Expansions- und Contractionskraft zugleich kann Materie vorhanden seyn, und wiederum m. e. = n.c. gemacht werden, der Kör- per würde also für sich abgeschlossen und in Ruhe seyn. Eine nothwendige Folgerung ist noch, dass alle Ver- schiedenheit der Körper in der Grösse von m. und z. liege, welches mit der Unermesslichkeit derselben nicht harmonirt, Ausserdem ist es überall ganz gleich, ob gerade entgegengesetzte Kräfte gross oder klein sind, so dass alle Körper, in denen die entgegengesetzten Grundkräfte gleich sind, gleichartig wären. Ein dritter Widerspruch ist: dass, gesetzt, es könnte 286 Ueber Seele und Lebenskraft, ein Ueberschuss der Contractions- oder Expansionskraft in einem Körper vorhanden seyn, und dieser könnte zu- gleich auf andere wirken, so müsste er dasselbe auf alle mit ihm in Berührung kommende, oder in Berüh- rung gebrachte Körper gleichmässig thun, d.h. s. e. (s. oben) hinzugesetzt werden. Eine solche Einwirkung ei- nes Körpers auf alle in Verbindung gesetzte kennen wir aber von keinem einzigen. Endlich, könnte dann unter den obigen Bedingungen in der Natur eine an- dere Ordnung und Zweckmässigkeit seyn, als in einer schnell herumgewälzten Kugel, in welche die verschie- denartigsten Gegenstände hineingeworfen sind? Ich denke, das reicht vollkoınmen hin, diesem Ver- suche einer so einfachen Erklärung der Natur unsere Billigung zu versagen. Ist nun der Grund des im ersten Bande von Tre- viranus Biologie aufgeführten Gebäudes nicht viel mehr als Treibsand, so können wir uns auch wohl nicht wun- dern, wenn wir an ihm hier und da Schiefheiten und Risse entdecken !). „Gleichförmigkeit der Erscheinun- gen bei ungleichförmigen Einwirkungen der Aussenwelt ist der Charakter des Lebens, hervorgebracht durch die Lebenskraft, aus welcher sich in Verbindung mit der Repulsionskraft die ganze lebende und leblose Natur construiren lasse“ ?). Im Allgemeinen sagen wir dazu: ja, doch wie man- che schöne Idee durch das Häufig schön bleiben wür- de, aber durch das Immer falsch wird, so auch hier. Sollten wir nicht eine noch grössere Einheit der Er- scheinungen bei noch ungleichförmigeren Einwirkungen der Aussenwelt, bei der Krystallbildung, wahrnehmen? Bleibt denn die gerühmte Gleichförmigkeit der Erschei- 1) A. a. 0. 8. 38, Ai 2) 8.56, Ueber Seele und Lebenskraft. 287 nungen des lebenden Menschen bei momentaner Berüh- zung der Lippen mit dem Wuthgifte ? Ferner sagt er !): „Bei allen mechanischen Verän- derungen einer Kraft wird der Raum, den sie mit ei- ner (?) anderen Kraft einnimmt, erweitert oder veren- gert, d. h. es finden zugleich chemische Veränderungen Statt.‘ Was hier, unter mechanischen . Veränderungen einer Kraft, oder unter einem Raume derselben ver- standen wird , ist mir vollkommen unerklärlich; eben so auch die Folgerung, dass bei mechanischen Verän- derungen zugleich chemische erfolgen sollen, da die Erfahrung überall das Gegentheil zeigt; oder, wir müss- ten die Begrilfe des Mechanischen und Chemischen’ durch- aus confundiren. Später ?2): „Leben ist der Materie etwas durchaus Fremdes, die Bewegungen, die wir an dem lebenden Organismus wahrnehmen, sind theils mechanisch, theils ehemisch. * (Warum unterscheidet denn hier der V£. zwischen Mechanischem und Chemischem so scharf?) — „Sie unterscheiden sich in nichts von denen in der leb- losen Natur, als nur durch die von der Lebenskraft mo- difieirten äusseren Anlässe, denen sie ihr Entstehen verdanken. ** Die erstere Behauptung: „Leben ist der Materie etwas durchaus Fremdes“, stimmt ganz mit der Kanti- schen Lehre überein, und es ist nöthig, dass wir hier dessen Gründe in nähere Erwägung ziehen. Er sagt: „Leben ist das Vermögen einer Substanz, sich aus in- nerem Prineip zum Handeln zu bestimmen. Wir ken- nen aber keinen anderen in der Substanz selbst liegen-, den Grund, der es ihr möglich machte, ihren Zustand 288 Ueber Seele und Lebenskraft, zu verändern, als das Begehren, und überhaupt keine innere Thätigkeit, als das Denken, mit dem, was davon abhängt, Gefühl, der Lust oder Unlust, und Begierde oder Wille. Demnach ist alle Materie leblos. Dagegen habe ich: zu erinnern; 1) Wir haben eine Menge von Lebenserscheinun- gen, die wir nicht mit dem Namen „Handlungen“ be- legen können, wie die Empfindungen, der Process der Absonderung und Ernährung u. s. w. Danach würde sich die Definition des Lebens so gestalten: es ist das Vermögen von Körpern sich aus innerem Prineip zu bewegen und zu verändern. Dagegen lässt sich wieder einwenden: 2) Dass alle Erscheinungen des organischen Le- bens, also auch das innere Prineip zu ihnen, abhängig von äusseren Reizen und Einwirkungen sind. Verbin- den wir nun diese Erfahrungsgewissheit mit dem Obi- gen, so resultirt, dass Leben das Vermögen einer Sub- stanz sey, sich nach Einwirkung äusserer Gegenstände aus innerem Princip zu bewegen und zu verändern. 2) Eine solche Bestimmung des Lebens ist aber zu weit, denn sie passt auch auf- alle chemische Verände- rungen. Nehmen wir eine salpetersaure Silberauflösung, in welche Zink geworfen wird, so giebt der Zink die Einwirkung des äusseren Gegenständes, auf welche Ver- änderungen und Bewegungen (Bildung des Lebensbau- mes) aus innerem Princip der Auflösung erfolgen; es ist doch gewiss nicht etwas der Salpetersäure Mitgetheil- tes, sondern etwas ihr Nothwendiges, dass sie in der Verbindung. mit Silber dennoch unwiderstehlich nach der mit Zink strebt. 4) Bisher haben wir blos von Debenserscheinungen gesprochen, wie aber, haben die unbebrüteten Eier, die reifen Saamenkörner , der scheintodte Mensch kein Le- ben? oder giebt es etwa ein todtes Leben? Dem Eie, Ueber Seele und Lebenskraft. 289 als solchem, schreiben wir doch gewiss nicht das Ver- mögen zu, sich aus innerem Principe zum Handeln zu bestimmen. f Wir kennen allerdings in lebenden Körpern einen anderen Grund der Veränderungs- und Bewegungsfähig- keit, als Denken, Lust und Wille, abgesehen von den Actionen der Wahlverwandtschaft. Was hat das Denken und der Wille mit dem Process der Ernährung, die denn doch gewiss aus innerem Prineipe der Organe er- folgt, zu verkehren. Wenn wir die anfangende Ent- wickelung eines Schmerbauchs an uns wahrnehmen, so hilft uns doch all unser Denken und Wünschen nichts; der unangenehme Zuwachs geht vor sich. — Dem Pflan- zenreiche theilen wir wohl Leben und spontane Bewe- gungs- und Veränderungsfähigkeit zu, aber das Den- ken und der Wille wäre ihm, sollte ich meinen, doch etwas sehr Fremdes. Die Folgerung der Leblosigkeit der Materie würden wir wohl in dem oben Gesagten Grunds genug haben, nicht gelten zu lassen; Reil hat hinreichend bewiesen, dass die Materie eines lebenden Körpers so eng mit dem Leben verbunden sey, dass es schwer zu entscheiden ist, ob das Leben in der Mate- rie seinen hinreichenden Grund habe, oder nicht. Nun zurück zum Treviranus. Leben ist der Materie nicht nur etwas nicht Frem- des, sondern beide stehen in dem nothwerdigsten Zu- sammenhange. Will T. in dem Folgenden, als strebe das Leben gegen allgemeine Naturkärfte an, und be- stehe darin, angreifen, so ist ihm unbedenklich beizu- stimmen, eine Idee, welche nur aus einem beschränk- ten Begriffe der allgemeinen Naturkräfte hervorgehen kann; sind diese wirklich allgemein, so müssen ihnen auch die organischen Wesen unterworfen seyn; denn auch diese sind Theile der grossen Natur; sind sie aber solche, die in der anorganischen Natur unbeschränkter Meckels Archiv f. Anat, u. Phys. 1828. 21 290 Ueber Seele und Lebenskraft, herrschen, so sind sie nieht allgemein, “sondern können, bei dem wesentlichen Ünterschiede organischer und an- organischer Körper, auf jene entweder gar nicht, oder doch nur beschränkt wirken. Auf der anderen Seite sind wir aber gar nicht be- rechtigt, alle Bewegungen und Veränderungen der Or- ganismen für mechanisch oder chemisch zu halten, wor- in nur die Lebenskraft eine Modification mache, wie namentlich die Veränderungen der Seele. Treviranus will den Begriff: Gott, Seele, aus der Naturforschung als hyperpbysisch herauswerfen, wäh- rend doch die ganze Basis seines Raisonnements mehr als hyperphysisch ist. Was ist denn Lebenskraft für ein Ding, das so zufällig zu den beiden Grundkräften der Materie hinzustosse, und alsbald ein lebendes We- sen erzeuge? Sie existirt nach dem V. als ein abge- sondertes, für sich dastehendes Wesen. — Auf welchem Erfahrangswege sind wir denn zu dieser Wahrheit ge- kommen? Ich sollte meinen, wir blieben dann klüger bei der alten Mosaischen Idee: „des Einblasens des le- bendigen. Odems‘“, welche wegen des Alterthums und religiöser Pietät viel leichteren Eingang fände, und in der Hauptsache sogar mit der Meinung des V. zusam- menfällt. Es hat in der neweren Zeit gewiss kein Begriff der Naturforschung' grösseren Schaden gethan, als der durch die s: g. Naturphilosophie Mode gewordene Be- griff von. Kraft, welcher nothwendig zu Träumereien führt, indem derselbe in der mystischen Realität eines reinen Verstandesbegriffes, was Kraft immer und ewig bleiben wird, besteht. Ein Zwischenglied zwischen der Reilschen Erklä- vurg des Lebens und der naturphilosophischen des Tre- viranus ist diese: dass zwar Form und Misehung der organischen Materie etwas den Organismen Nothwen- Ueber Seele und Lebenskraft. 291 diges, dass aber die Folgerung: das Leben sey Resul- tat der Form und Mischung, voreilig sey, weil diese erst durch die Lebenskraft erzeugt seyen. Das grösste Verdienst der Reilschen Lehre, die engste Verbindung zwischen Form und Mischung der organischen Körper mit ihrem Leben, ist hier also auch anerkannt; die Abweichung ist — wenn hier unter der schöpferischen Lebenskraft auch das unbegreifliche We- sen, der Schöpfer aller Welten, verstanden werden kann — von der Art, dass wir dazu ja und nein sagen können, ohne allen Einfluss auf die Lebens- und See- lenforschung, vielmehr würden, da nur Verände- rungen an der Materie bemerkt werden können, diese auch nach wie vor Project der Naturforschung bleiben. So spricht der Astronom von der Bewegung der Sonne durch den Thierkreis, obwohl er recht gut weiss, dass die Sonne sich nicht bewege. Es bleibt hier übrigens derselbe oben erwähnte Mysticismus in dem Worte Kraft. Auch müssten alle primären Veränderungen der organi- schen Mischung abgeläugnet werden; desgleichen wider- spricht die Erfahrung, dass wir bei willkürlicher Ver- änderung der Mischung eines Körpers zugleich und im- mer seine inneren chemischen Eigenschaften verändern. Nicht mehr ist der Gebrauch zu billigen, nach welchem Hufeland in seiner Makrobiotik ') unter Lebenskraft einen, den Imponderabilien analogen, feinen Stoff ver- steht; dieser und der Gebrauch von Nervenkraft für vm- ponderabile nervorum ist zwar allgemein genug, aber durchaus unphilosophisch. Mit Unrecht sagt Hufeland ?): „wo der Philosoph das Wort Kraft gebraucht, da kann man sich immer darauf verlassen, dass er in Verlegen- ‚heit ist, denn er erklärt eine Sache durch ein Wort, 1) 8. 29. 2) 8. 28, 21* 292 Ueber Seele und Lebenskraft, das selbst noch ein Räthsel ist.“ Kraft soll und kann keinesweges Erscheinungen erklären, vielmehr belegen wir eine bestimmte Gruppe von Eigenschaften mit jenem Worte, das selbst weder etwas anderes bedeutet, noch ist, als Eigenschaft. Wer will denn einer jeden Kraft ein ätherisches feines Substrat unterlegen? Wenn wir von Attractionskraft der ungleichnamigen Elektrieität und Repulsionskraft der gleichnamigen reden, wer wird hierin etwas anderes sehen, als einen bestimmten an- genommenen Ausdruck für Eigenschaften der positiven und negativen Elektricität, und zur Erklärung der Er- scheinungen eines Imponderabile erst noch ein ande- res Imponderabile conjiciren; oder, wenn wir von Schwerkraft der Körper reden, ein besonderes schwer- machendes Princip annehmen? Aus dem Obigen sind die Einwürfe gegen folgende Stelle leicht zu entnehmen: „die Lebenskraft giebt je- ‘dem Körper, den sie erfüllt, einen ganz eigenthünli- chen Charakter, ein ganz specifisches Verhältniss zur übrigen Körperwelt. Sie theilt ihm nämlich erstens die Fähigkeit mit, Eindrücke, als Reize, zu percipiren, und darauf zu reagiren, und ‚zweitens entzieht sie ihn zum Theil den allgemeinen physischen und chemischen Ge- setzen der todten Natur.‘ Gerade gegen diese Ansicht vom Leben zieht Reid zu Felde, und fast überall mit siegreichem Erfolge. Hiermit steht ein Hauptsatz der Makrobiotik in ziem- lich enger Verbindung: „je intensiver nämlich das Le- ben, desto kürzer“, welcher mit der Erfahrung nicht recht übereinstimmen will. Kein Phlegmatischer, — gleich- viel ob durch Natur oder Kunst — erreicht ein höheres Alter; dagegen Menschen von Genie, Wein- selbst Branntweintrinker gar nicht selten 70 und 80 Jahre zählen, indem das intensive Leben zugleich die gröbere mm Ueber Seele und Lebenskraft. 293 organische Materie roborirt und manche Ausschweifung unschädlich macht. Wir kommen jetzt zu einer der wichtigsten und schwierigsten Fragen: „in welchem Verhältnisse steht Leben und Seele zu einander? und ist belebt und be- seelt identisch, oder wesentlich verschieden ?** Bei meiner beschränkten Kenntniss -der Literatur finde ich leider nirgends eine weitläufigere Discussion dieses Gegenstandes. Man unterscheidet zwar häufig zwischen organischem und animalischem Leben; wie das Verhältniss aber zwischen beiden ist, darüber geht man schnell hinweg. Ich bin daher in der Hauptsache auf die Ergebnisse des eigenen Nachdenkens reducirt. Die Veranlassung zu der allgemeinen Annahme, dass Seele und Leben gleich bedeutend seyen: finde ich in Folgendem: 1) Nirgends haben wir unzweideutige Erscheinun- gen der Seele ohne Leben, 2) Nach der Mosaischen Schöpfungsgeschichte wurde mit dem lebendigen Odem Leben und Seele zugleich ein- gehaucht. 3) Aus Kants Definition des Lebens geht nothwen- dig hervor, dass das Belebte auch beseelt sey. 4) Die s. g. Naturphilosophie hält Alles in der Na- tur für Theile eines Organismus, oder für Organismen selbst, die natürlich zugleich mit dem Leben auch die Seele haben. Ich finde in dem Zusammentreffen dieser Veranlas- sungen zu jenem Glauben wohl eine Erklärung, wie solcher allgemein werden konnte, aber a ei- nen Beweis. Dass die Seelenerscheinungen niemals ohne Leben vorhanden sind, kann nicht beweisen, dass überall, wo Leben ist, auch Seele seyn müsse. Ferner kann dem Naturforscher die Schöpfungsgeschichte des Moses nichts 294 Ueber Seele und Lebenskraft. mehr als: eine herrliche, schön ausgeschmückte Fabel seyn, nicht aber eine Leiterin in seinen wissenschaftli- chen Untersuchungen. Das Unrichtige von Kants De- finition des Lebens habe ich schon oben (8. 287. ff.) auseinandergesetzt, nach welcher nur das Beseelte belebt sey. Die Naturphilosophie' endlich zieht jene Folgerung fast unmittelbar aus ihrer Basis, welche nach meiner vielleicht nur individuellen Ueberzeugung selbst grundlos ist. Obwohl man früher schon dem Aristoteles zu- schrieb, dass er mehrere Seelen annehme, so konnten wir wohl von einem öffentlichen Lehrer der Medicin erwar- ten, der ja überall allein etwas Literarisch - Vollkomme- nes wegen der Bibliotheken zu leisten im Stande ist, dass er sich genauer um die angezogenen Schriftsteller bekümmern würde. Es findet sich von jener Trennung bei Aristoteles aber nichts, und folgende Stelle zeigt das Gegentheil '): Tüv Övvoufwv Ts wuyig al AeyFeloaı Toig iv &vv- nugyovoı TÜoGL KaFuneo Eimousv* Tois ÖE Tives durov, vloıs ÖE yila won‘ Övvaueis ÖE einouev TO Hosmzızöv, vlodmtızöV, Ögextıxöv, zıyytızov zul dıavonzızbv. Der ganze Irrthum scheint in einer Unkenntniss des Gebrauches des griechischen Adjectivs zu liegen, welcher auch in der lateinisehen Sprache indessen nicht selten analog ist; yvy7 7 Foenzız)) heisst nicht dieje- nige Seele, welche die Ernährung besorgt, sondern die Seite, der Theil des Lebensprineipes, der Psyche, wel- che als Ernährungsvermögen zur Erscheinung kommt; wie media tabula nicht das mittelste Täfelchen, son- dern die Mitte der Tafel bedeutet. Somit weiss ich 1) Ennemoser hist. psych. Unters, üb, Urspr. u. Wes, d. m, Seele, Bonn 1824, Ueber Seele und Lebenskraft. 295 keine einzige Auctorität, welche eine bestimmte Schei- dung zwischen Seele und Lebensthätigkeit in Schutz nähme. Dass gerade dieses meine Meinung sey, erhellt aus dem Früheren wohl schon hinlänglich. Ich kann auch noch nicht einmal zugeben, dass die Seele nur eine eigenthümliche’ Seite der Lebensthätigkeit sey — ein Ausdruck den Hünefeld in seiner physiologischen Chemie, einer der einflussreichsten Erscheinungen neu- erer Zeit, zur Erklärung mancher Lebensactionen öfter mit sehr gutem Erfolge gebraucht hat; sondern die Seele ist von der Lebensthätigkeit durchaus und we- sentlich verschieden. Nach Aristoteles sind jene duvd- weıs die verschiedenen Seiten der Lebensthätigkeit. Derselbe erklärt bekanntlich die Seele für die &vreie- zei des Körpers, ein Ausdruck, den man ohne den griechischen Weisen: selbst gelesen zu haben, nicht ver- stehen kann. Zur Aufhellung seiner Ansicht giebt er folgendes sehr hübsche Beispiel: 2 7» 6 öpIuruös Lüor, wog za Bvrehsjeiio iv oiro w 7 dis. Es sollte mir überhaupt nicht schwer werden, so manche und wich- tige Berührung zwischen der Erklärung des Lebens von Aristoteles und Reil aufzufinden; doch würde das hier zu weit abführen. Ich muss noch vorausschicken, dass ich unter Seele das Vermögen zu empfinden, zu denken und zu wollen verstehe, in Uebereinstimmung mit den Philosophen je- der Zeit. ‘Nun zu meinen Gründen für die Iren der Seele von der Lebensthätigkeit. 4) Wir finden in der Natur nicht überall wo Le- ben ist auch Seele: also belebt und beseelt ist nicht identisch. Ich brauche wohl: kaum mit Bezug auf das Frühere ($. 287. fl.) noch zur Bestätigung das gebun- dene Leben des Eies, des Saamenkorns, das entwik- kelte der Pflanzen hier anzuführen. Doch könnte die 296 Ueber Seele und Lebenskraft. Seele nur eine höher potenzirte Lebensthätigkeit seyn; diese Ansicht wankend zu machen, oder wohl gar zu widerlegen, reichen vielleicht folgende Gründe hin. 2) Bei den im Normalzustande mit einer Seele be- gabten Organismen ist zuweilen die Lebensthätigkeit ungestört, während die Seelenerscheinungen wegfallen. Haben wir einen am Kopfe verletzten Menschen vor uns, bei dem ein Theil des Gehirns von seinen knö- chernen und weichen Bedeckungen frei, aber aller Druck auf das Gehirn aufgehoben, und Seelen- und Lebens- thätigkeit vollkommen ungestört ist, so können wir willkürlich durch den Fingerdruck auf das Gehirn einen Zustand herbeiführen, der ohne alle Seelenerscheinun- gen ist, wo bei aufgehobener Empfindung äusserer Ein- flüsse auch das Gedächtniss für die Zeit fehlt, in wel- cher wir den Druck ausüben, und das Alles ohne merk- liche Störung der übrigen Lebensthätigkeit. 3) Im Moment des Todes und kurz vorher, also in der Zeit der höchsten Schwäche und des Verlöschens des. Lebenslichtes, beobachten wir bei Einzelnen eine ungeschwächte, und zuweilen sogar eine erhöhete See- lenenergie. Desshalb hat auch die Behauptung, welche einer der tiefsten Menschenkenner Montaigne mit fol- genden Worten aufstellte: „in dem letzten Auftritte zwischen dem Tode und uns fällt alle Verstellung da- hin; da wird wahr von der Leber weggesprochen; da muss sich zeigen, ob auf dem Boden. des Sackes Korn oder Kaff verborgen liegt ')“ nicht allgemeine Wahr- heit. Ein frappanteres Beispiel der Schauspielerei im Tode kenne ich nicht, als das „morior in domino“ des französischen Philosophen. 4) Nicht selten ist die Lebensthätigkeit von Gei- steskranken ganz ungestört. 1) Bd, 1. S. 115. Ueber Seele und Lebenskraft. 297 5) Wir haben eben gesehen, dass die Seele an das Gehirn gebunden, dass dieses das Organ von jener sey, wäre nun die Seele das Prineip der Lebensthätigkeit, so müsste das Gehirn und dessen Ausflüsse, die Ner- ven, den ganzen Organismus deleben; — eine Idee, welche früher schon hinlänglich erwogen und, wie mir scheint, gründlich widerlegt worden ist. 6) Die Entwickelung der Seele geht gar häufig auf Kosten der Energie des Körpers vor sich: „Ziterarum diseiplina majore studio agilata, ut animo praecipue omnium necessaria, sic corpord inimieca est‘). Diese Gründe erweisen gemeinschaftlich zur Genüge, dass die Seele nicht das Princip des Lebens seyn kön- ne. Dass sie aber nicht eine eigenthümliche Seite der höheren Lebensthätigkeit sey,' von Vielen auch wohl „Gehirnleben‘“ genannt, dafür müssen noch andere Be- weismittel aufgesucht werden. 7) Richten wir unseren Blick auf die Seelenausbil- dung. — Wir haben schon oben gesehen, dass die menschliche Seele keine angebornen Ideen habe, son- dern nur die angeborne Fähigkeit, solche durch eigene Thätigkeit zu bilden, dass alle Vorstellungen und Be- griffe immer nur durch Empfindungen (Anschauungen) veranlasst werden. Was ist nun die Seele eines eben gebornen Menschen? — ein Ding, das zum ersten Male empfindet, das weder Vorstellungen noch Begriffe hat, noch haben kann. Diese Kinder- und resp. Fetusseele ist eben so wenig Seele als die Eichel eine Eiche, oder der Saame der Organismus in seiner vollkommen- sten Entwickelung ist. Wir haben demnach in dem Fetus und dem Neugeborenen einen Seelenkeim, eine Menge der herrlichsten Anlagen, die ihrer Entwickelung in dem immer fruchtbarer werdenden Boden der Sin- 1) Celsus de med, lib, VIII. lib. I. prooemium p. 2. 298 Ueber Seele und Lebenskraft, nesperceptionen harren. Je unvollkommener und selt- ner diese Perceptionen durch gestörte Integrität der Sinne, oder verkehrte Erziehung, desto steriler der Bo- den, desto schwieriger und mangelhafter die Entwicke- lung des Seelenkeims. — Auf der anderen Seite ist die Seelenausbildung nicht minder abhängig von der Ent- wickelungsfähigkeit des Keims, und so gelangen wir abwärts bei fruchtbarem Boden (Integrität der Sinne) bis zur zurückschreckenden Seelenunvollkommenheit des Cretins; — ein neuer Grund, dass Vorstellungen und Begriffe durch Selbstthätigkeit der Seele erzeugt wer- den. — Wir haben hier zwei Puncte, welche der Idee, als sey die Seele nur das Gehirnleben, die Entelechie des Gehirns, widersprechen: .a) die Abhängigkeit der Seelenausbildung (nicht blos der Seelenthätigkeit) von Sinnenreizen, während doch das Gehirn der reifen Frucht schon vollkommen genug zu Seelenactionen gebildet ist, und seinen Ein- fluss auf das organische Leben der Frucht, und des gebornen und des zweijährigen Kindes auf gleiche Weise ausübt. b) Das grosse Missverhältniss der Seelenausbildung eines zweijährigen Kindes und eines Neugeborenen und zwischen der Gehirnentwickelung beider. Mit welcher unbegreiflichen Schnelligkeit geht die Entwickelung der Ideen in den ersten Lebensjahren vor sich! Die be« wunderten und erleuchtetsten Männer würden nur für Blödsinnige gelten, wenn die geistige Entwickelung der folgenden Jahre mit der der ersten gleichen Schritt hielte. In keiner anderen Lebenszeit hat der Mensch einen so eminenten Beobachtungsgeist als in den erste- ren Lebensjahren, durch Instinet, oder wie wir das Na- turbedürfniss nennen wollen. Denn hier muss von der Aussenwelt aufgenommen werden, später wendet sich Ueber Seele und Lebenskraft, 299 die Thätigkeit mehr nach innen, zu den eigenen Ue- berlegungen, zu den Producten der eigenen Seele '). 8) Die Entwickelung der Seele geht noch lange 1) Es scheint mir Kant, und nach ihm Viele, den Anfang des Bewusstseyns des ersten Ich nicht richtig in die Zeit des ersten Gebrauchs des Wortes „Ich“, gesetzt zu haben. Ich denke, wir haben niemals ein lebhafteres Bewusstseyn des Ich, als indem wir irgend einem Genusse nachjagen, ohne uns gerade zu sagen: „mein Ich ist es, das jetzt auf der Jagd ist.“ Wie viele Menschen sagen sich das niemals, die doch kaum einen Anderen, oder wenigstens die Wohlfahrt eines Anderen kennen, als das Ich. Dieses Bewusstseyn des Ich hat auch das halbjäh- rige sprachlose Kind, wenn es sich gewiss nicht geduldig ein Spielzeug von einem anderen Kinde entreissen lässt, sondern mit allen seinen Liliputerkräften dagegen ankämpft. Die Be- nennung des Ich in der dritten Person ist wohl nur für Sprach- unvollkommenheit zu halten. Wir finden in der Zeit, wo das Kind zuerst mit Ich von seiner Person zu reden anfängt, gar nicht die geistige Revolution, welche das plötzliche Erwachen des Bewusstseyns des Ich nothwendig herbeiführen würde, son- dern nur ein durchaus gleichmässiges Fortschreiten der Entwicke- lung, wie ich aus mehrfachen, sorgfältigen Beobachtungen weiss, Dass das Kind nach dem ersten Gebrauche des Wortes Ich nicht wieder von sich in der dritten Person spricht, davon finden wir überall Gleiches in der Spracherlernung der Kinder: ist es ihnen gelungen, einen Gegenstand mit den Lauten zu bezeichnen, die sie von Anderen hören, so lassen sie die frühere selbstgemachte und unvollkommene Bezeichnung von Stund an fahren. Es ge- hört schon ein höherer Grad von Beobachtungsgeist und Scharf- sinn dazu, um zu bemerken, dass Jeder seine eigene Person anders bezeichnet, als die Uebrigen dasselbe Ding. Es kommt mir sogar sehr wahrscheinlich vor, dass mit den ersten Empfin- dungen zugleich das Bewusstseyn erwache, theils aus der Idee der Empfindung, theils aus der unläugbaren Begehrlichkeit der Kinder auch in den ersten Lebenstagen nach mehrmals genosse- nem Zucker, Fenchel u, s. w. Ich kann mir wenigstens keine klare Empfindung, noch viel weniger ein Begehren denken, ohne Vorhandenseyn des deutlichen Bewusstseyns des Ich. 300 Ueber Seele und Lebenskraft, Zeit über den Culminationspuct der physischen Ausbil- dung fort. Ich glaube nicht, dass irgend ein 25jähri- ger Mann eitel und hoffnungslos genug ist, von sich zu sagen: „jetzt habe ich die höchste Staffel meiner gei- stigen Vollkommenheit erreicht.“ — Für diesen Satz spricht die Erfahrung so vielfältig‘ und laut, dass ich keinen beachtenswerthen Zusatz zum Beweise weiss. — Wäre also die Seele' nichts weiter als das Gehirnleben, dann möchte die unzweifelhaft viel länger vorhaltende Entwickelung der Seele mit dem Mangel einer materi- ellen und sichtbaren Veränderung des Hirns wohl schwer in Uebereinstimmung zu bringen seyn. Im Allgemeinen können wir wohl das’ 50ste Lebensjahr als das der höchsten psychischen Evolution annehmen; in den fol- genden Jahren möchte sich partielle Zunahme und par-, tielle Abnahme ziemlich gleich verhalten, meistens mit auffallender Zunahme der Reizbarkeit des Gemüths, so dass sie wohl eine weibliche Weichheit und Zartheit berührt; gegen das 70ste Jahr und nach demselben finden wir schon auffallendere Abnahme, die bis zu einer völ- ligen Apathie zunimmt, oder wohl gar zu einer Fatui- tät und einem kindischen läppischen Wesen ausartet. 9) Das Wachsthum der Seele und des Körpers ist selbstthätig und aus innerem Prineip; ist abhängig von Aussendingen; die Art und Weise der Abhängigkeit aber von beiden ist himmelweit verschieden. Wachs- ihum des Körpers ist allein möglich durch Assimilation der Aussendinge, d. h. durch Vernichtung der Individu- . alität von diesen und Einverleibung in den Organismus: das Wachsthum der Seele ist zwar von Aussendingen abhängig, aber nur in der Perception derselben durch die Sinne, während sie selbst bleiben, was sie sind, -— Aussendinge. 10) Endlich finden wir überall in der Natur und dem organischen Leben die höchste Regelmässigkeit, eine Ueber Seele und Lebenskraft. 301 unbegreifliche Weisheit und Nothwendigkeit der Verän- derungen; in dem Seelenleben dagegen überall Willkür, Schwäche, Irrthum. In wiefern dieser Satz den wich- tigsten Einfluss auf unsere Untersuchung hat, und zu- gleich allen Materialismus zu Boden schlägt, wird so- gleich weitläufiger auseinandergesetzt werden. Jede, nur nicht ganz gedankenlose, Betrachtung der Natur führt uns auf das hohe, nie zu erfassende Wesen, den Vater und Ernährer der unermesslichen Welten. Je tiefer wir mit unseren Forschungen in einen enger begränzten Theil des grossen Naturgebäudes vordrin- gen, desto deutlicher erkennen wir das Daseyn jenes erhabenen Erschaffers und freundlichen Gebers, der den Freudenbecher für die ganze Natur füllt, desto hö- her steigt unsere Bewunderung des Baumeisters, — — Das Daseyn jenes Wesens zu erweisen, kann mir nicht in den Sinn kommen, jeder Theil der Naturkunde führt den Beweis; wer diesen noch nicht gänz in sich aufgenommen hat, von dem behaupte ich zuversichtlich, dass er kaum die ersten Stufen zu dem hohen heiligen Tempel der Natur ‚erstiegen habe. Ich missbillige die übel angebrachte Vorsicht, als sey die Existenz nur hypothetisch, keinesweges aus einer religiösen Heilig- keit des Gegenstandes, über welche ich mich schon hinlänglich ausgesprochen habe, sondern wegen der Klarheit der Sache. Ich glaube in dieser blossen An- nahme eines Weltenschöpfers, wie sie auch Schulz in s. psych. Anthropologie aufstellt, das Kantische: „nur in dem Sinne ist Wahrheit“ durchzuschmecken; worü- ber oben schon das Nöthige beigebracht ist. Ein Anderes ist es mit dem absichtlichen Zweifler, den unruhiges Gewissen, oder die Absicht sich eine bequeme Moral zu schaffen, zur Skeptik treibt; solchen anderer Meinung machen. zu wollen, kommt mir aber 302 Ueber Seele und Lebenskraft. so thöricht vor, als das Bestreben, einem Jeden zu Wil- len zu seyn und gefallen zu wollen. — Gesetze der Weltregierung aufzusuchen, möchte wohl, wenn auch ein schwieriges, doch vielleicht auch belohnendes Unternehmen seyn. Das allgemeine und Grundgesetz ist das der Noth- wendigkeit. Unsere Theologen sagen: die höchste mo- ralische Freiheit ist Nothwendigkeit, und ich denke mit Recht, so paradox es auch klingt. Die unendliche Weisheit des Welturhebers, welche wir aus seinen Werken ahnen, lässt nur einen unveränderlichen Wil- len, den zweckmässigsten, zu. Jedem Gliede der Welt wurde von Anfang seine Bestimmung, seine Eigenschaf- ten zugegeben, die ewig dieselben bleiben, und welche der Schöpfer selbst nicht verändern kann , eben wegen der absoluten Zweckmässigkeit derselben. Wir collidi- ren hier allerdings stark mit den gewöhnlichen Begrif- fen der Allmacht Gottes, denen zufolge Allmacht und unbeschränkte Willkürlichkeit identisch sind: hierin ist derselbe Fehler als in der eben so gewöhnlichen Meinung, dass bürgerliche Freiheit in unbeschränkter Ungebundenheit und Gesetzlosigkeit bestehe. Wer denkt hier nicht an das Gebet des alten Mütterchens vor jeder Lottoziehung, da es doch Gott bei seiner All- macht nur ein Kleines wäre, ihr das grosse Loos zu bescheren, auch da sie nicht eingesetzt habe? Aber nicht nur die einem Körper zugetheilten Ei- genschaften können jemals, auch von ihrem Urheber nicht, verändert werden, sondern auch die unabsehba- ren Einwirkungen und deren Producte sind eben so nothwendig und unveränderlich seit Erschaflung der | Welten. Daher vermag schon der menschliche Ver- stand einen grossen Theil der bedeutenderen Natur- ereignisse vorherzuahnen, oder wohl gar vorherzube- stimmen und zu berechnen. Betrachten wir nun das Ueber Seele und Lebenskraft. 303 organische Leben, so finden wir zunächst im Pflanzen- reiche eben diese Nothwendigkeit, hervorquellend aus derhöchsten Weisheitund höchsten Zweckmässigkeit ;dess- gleichen auch in dem organischen Leben der Thierreihe, nur je höher dieses steigt, desto beschränkter die Nothwendig- keit, am meisten im organischen Leben des Menschen. In dem Processe der Zeugung, Entwickelung, Ernährung, Ab- sonderung, überall erkennen wit Einheit, Zweckmässig- keit, Nothwendigkeit. Ja wit finden diese nicht nur in dem normalen Gange jenes Processes, sondern auch in der fremd willkürlichen und zufälligen Störung des- selben; so bei verkehrter Lage des Saamenkorns, wo die nach oben gerichteten Wurzelfasern sich nach unten umbeugen, die Rudimente des Stengels und der Blätter nach oben; so beim Einsenken des Laubes der entwik- kelteren Pflanze in die Erde, und dem Freistehen der Wurzeln in der Luft, wo allmälig die Blätter zu Wür- zelfasern und diese zu Blättern und Blüthen sich umge- stalten; so bei Regenerationen zerstörter Glieder :niede- rer Thiere; so bei allen Heilungsbestrebtngen in der ganzen organischen Natur. Welcher Unterschied , oder eigentlich welcher Gegensatz in dem psychischen Lex ben! überall Veränderlichkeit, Willkür, Irrtinm. Nicht sowohl zum Beweise, als vielmehr «d dele- etandum mögen hier einzelne Aphorismen über genann- ten Gegenstand von jeder Zeit anerkannten grossen Menschenkennern ihren Platz finden. „Auod petit, sperhit, repetit, quod nuper omisik, Aestuat et vitae disconvenit ordine Toto.“ Hor. Ep. T. 1. 99. „Mir ist es in Rücksicht auf die natürliche Ver- änderlichkeit unserer Sitten und Meinungen so vorge- kommen, als ob oft selbst unsere guten Schriftsteller Unrecht hätten, aus uns ein so durchaus haltbares Ge- webe zu machen. Ich meiner Seits glaube von dem 304 Ueber Seele und Lebenskraft. Menschen in Allem, was ihm angeht, nichts so schwer, als die Beständigkeit, und nichts so leicht, als die Un- beständigkeit‘“ (Montaigne Bd. 3. 8. 14.). „Wir haben keine einzige Eigenschaft an uns, die uns ganz allein, und ohne Ausnahme beherrsche. Wenn es nicht die Weise eines Narren wäre, allein zu reden, so möchte ich sagen, es ginge kein Tag hin, da man mich nicht mit mir und über mich selbst schmälen hörte: bist du nicht ein Geck, und doch meine ich nicht, dass das mein Charakter sey. Wer desswegen, weil er mich bald eine kalte Miene, bald eine zärtlichh gegen meine Frau machen sieht, glauben wollte, die eine oder die andere. sey Verstellung, der wäre nicht gescheid “ (Bd. 2. 8. 169.). „Ich gebe meiner Seele bald dieses Gesicht, bald ein anderes, je nachdem die Seite beschaffen ist, wohin ich sie kehre. Schamhaft, grossprahlerisch, enthaltsam, geil, geschwätzig, einsylbig,, thätig, weichlich, sinnreich, dumm, närrisch, freundlich , lügenhaft, streng wahr, ge- lehrt, unwissend, umgänglich, geizig und verschwende- risch, alles das nehme ich in mir selbst wahr, je nach- dem ich mich auf das Korn nehme“ (Bd. 3. 8. 15.). „Kindermord, Vatermord, Gemeinschaft der Wei- ber, diebischer Handel (Lacedämon), Zügellosigkeit in allen Arten von Wollust, kurz nichts ist so ausschwei- fend, welches nicht bei irgend einer Nation Sitte sey, und also gewissermaassen von der menschlichen Ver- nunft nicht gut geheissen werde“ (Bd. 4. 8. 60.). „Durch das Wissen Anderer mögen wir gelehrter werden; weiser aber werden wir gewiss nicht anders, als durch unsere eigne Weisheit. Die Seele wird durch vieles Lernen nicht grösser, aber aufgeschwollen (Bd. 1. S. 261.). „Als Posidonius von einer sehr schmerzhaften Krankheit heimgesucht wurde, dass er mit den Zähnen Ueber Seele und Lebenskraft. 305 knirschte, rief er aus: Thu dein Aergstes, du sollst mich doch nicht dahin bringen zu sagen, du seyst ein Uebel; er fühlt die Leiden eben so gut als mein Haus- knecht, aber er prahlt, dass er wenigstens seine Zunge unter die Gesetze seiner Secte zwingt.“ (Bd. 3. S. 283.). „Man hat Viele gesehen, die sich haben geduldig braten und brennen lassen solcher Meinungen wegen, die sie von Anderen entlehnten, und gar nicht einsa- hen.“ (Bd. 4. S. 415.). „Die Selbstschätzung über die Gebühr entsteht nur bei denen, welche sich selbst blos oberflächlich beta- sten, sich nur anschauen, wenn sie nichts Anderes zu thun haben.‘ (Bd. 3. S. 264.). „Wer weiss es nicht, wie unmerklich die Nachbar- schaft zwischen der Verrücktheit und der grössten Er- habenheit des freien Geistes und vorzüglicher Tugend ist?“ (Bd. 3. S. 389.). 1 Wieland schildert die grosse Zahl der Menschen :) in folgenden Klassen: „Die erste und niedrigste Classe: ich rechne zu ihr den grossen Haufen der Menschen, deren bester Theil nicht nur in seiner natürlichen Roheit bleibt, sondern auch nach und nach so verunstaltet wird, dass er auch die darunter hervorglimmende natürliche Schönheit fast gänzlich verliert, deren zarte Fähigkeiten theils unent- wickelt geblieben, theils im Bearbeiten verdorben -wor- den, die nie zu wahren Mensehen reif werden. Ihre Unwissenheit wird mit den Jahren zur Dummheit und die sinnlichen Triebe, die mit den Jahren aufwachsen und keinem Gesetze gehorchen lernen, dünsten eine ° Menge von Vorurtheilen und Irrthümern aus, welche 1) Platonische Betrachtung über den Menschen. Sämmtl. W. Supplem. Bd. 4. Leipz. 1798. Meckels Archiv f. Anat. u. Phys. 1828. 22 306 Ueber Seele und Lebenskraft. den unterseheidenden Sinn des Guten und Bösen, das Vorrecht der menschlichen Natur, dicht überziehen. « „In die andere Classe setze ich die grosse Menge von Leuten in besseren Glückstumständen, welche Ver- gnügen und Zeitvertreib zum Zwecke ihres Lebens ma- chen. Diese werden den grössten Theil der beiden Welten ausmachen, die man die grosse und schöne nennt. Sie scheinen die Erde für einen grossen Maske- radenplatz anzusehen, wo es Jedem erlaubt ist, zu seyn, was er will, wenn er nur die grosse Absicht erreicht, die Zeit zu tödten. Der Witz, dieser gefährliche Affe der Vernunft, ist ihr Abgott. Ueberdruss und Alter bringen bei ihnen meist Misanthropie, oder einen ge- wissen fanatisch-religiösen Schwung der Einbildungs- kraft hervor.‘ „Die dritte Classe wird von den speenlativen Kö- pfen eingenommen. Sie scheinen nur Zuschauer in die- ser Welt zu seyn; sie gaffen sie an, als hätten sie keine Verbindung mit ihr, und zu allem Unglücke verschwen- den die’ Meisten ihre Aufmerksamkeit nur auf das, was ein Weiser kaum eines flüchtigen Blickes für werth hält. „Die vierte und fünfte Classe haben so wenige Glieder, dass sie der Zahl nach so gut wie verschwin- den. “ Wir haben hier nicht nachzusuchen, was der Mensch seyn sollte und seyn könnte, sondern was er ist, und der grossen Zahl nach ist, wer von denen, die in das gefährlichste aller Studien, das der Menschenkenntniss, hiteingedrungen sind, — wer von ihnen kann dem Menschen eine allgemeinere Eigenschaft beilegen, als die der Schwachheit? Glücklich der, welcher noch Einzelne aufgefunden hat, die feststehende Säulen des Teinpels sind, welchen sich Menschenachtung in seinem Herzen aufgebaut hat! _ Ueber Seele und Lebenskraft. 307 » Die Grundlage aller Menschenkenntniss bleibt Selbst- prüfung, Selbstbeschauung, hier finden wir wenigstens alle Bedingungen zu einem möglich sicheren Resultate, und gerade in dieser Kunst ist Montaigne noch von Keinem übertoffen. Doch kann eine verständige Selbst- prüfung nicht ohne das angestrengteste und sorgfältigste Erforschen Anderer vorhanden seyn. Was übrigens noch von der Vernunft als Erkennt- nissfähigkeit Gottes, der Religion, des Rechten, als ausschliesslichem Eigenthume des Menschen vor den Thieren, so allgemein gesagt wird, möchte doch wohl einige Einwendungen zulassen. Vernunft in diesem Sinne (Kant definirt sie ganz anders) können wir doch wohl nicht, als ein von der Seele ganz getrenntes Vermögen annehmen; wohl aber als die Blume der Seele, die höchste Ausbildung_der- selben, worauf ja schon die Aufeinanderfolge der Ent- wiekelung beider führt. | Wir scheiden willkürlich die Seelenthätigkeit. bei- der ab, welche sich um bestimmte Gegenstände dreht, die uns für das ganze Seelenleben, insbesondere aber für unsere Hoflnungen einer ununterbrochenen Fortdauer desselben von der grössten Wichtigkeit‘ sind. Es ist gegen die Bezeichnung und Trennung gewiss nichts ein- zuwenden, nur sollte man nie vergessen, dass sie eine künstliche, eine willkürliche sey, und dass nur insofern die Vernunft ein Vorrecht des Menschen sey, als dieser die Fä- higheit der grössten geistigen Ausbildung hat, Es ist übri- gens gar nicht abzuläugnen, dass etwas der Vernunft und dem Gewissen Analoges auch bei Thieren beobach- tet ist. Hat ein Hund gegen die Befehle des Herrn olıne dessen Vorwissen gefehlt, so kriecht er demüthig und reuig mit eingezogenem Schweife zu den Füssen des Herrn heran; mag auch hier nur Furcht vor Strafe vorhanden seyn, die eine Zeit lang durch ‚den Trieb B2* 308 Ueber Seele und Lebenskraft. nach dem Verbotenen überwunden war, — ist nicht bei dem grössten Theil auch der gebildeten Menschen die Reue nichts als Furcht vor Strafe, — wenn auch erst im künftigen Leben? Noch mehr; Montaigne erzählt !): „ein Elephant, der in einem Anfalle von Wuth und Grimm seinen Wärter getödtet habe, sey in eine solche Traurigkeit verfallen, dass er darüber Hungers gestor- ben sey.“ Wollen wir hier dem edlen Thiere alles Gewissen und alle Reue absprechen? oder der den stärksten Naturtrieb der Selbsterhaltung überwinden- den Liebe und Treue der Hunde gegen ihren Wohlthä- ter nicht Gerechtigkeit widerfahren lassen? Eine andere Frage ist aber: wie verhält es sich denn mit dem Werthe und der Sicherheit der Entschei- dungen der menschlichen Vernunft? — Abgesehen da- von, dass unter den verschiedenen Nationen, ja unter den verschiedenen Individuen die Begriffe von Gott, Religion mehr oder weniger verschieden sind; abgese- hen, dass die letztere so gar häufig ein für den gros- sen Haufen undurchdringlicher Deckmantel der enteh- rendsten Niederträchtigkeit, der scheusslichsten, un- menschlichsten Verbrechen ist, wofür jedes Jahr der Weltgeschichte zur Schmach des Menschengeschlechts unwidersprechliche Belege darbietet: — bleiben wir nur bei dem unterscheidenden Sinne des Menschen für Recht und Unrecht stehen. Schon im bürgerlichen Leben fin- den wir, dass er gar bald seine Gränzen erreicht, da- her die geraden Widersprüche der Gerichtshöfe in, der- selben Sache; daher das ängstliche und feste Ankletten an die positiven Gesetze, um nur eine Stütze zu haben, welche der eingeborne Sinn, das natürliche Recht häu- fig verweigert; daher der Widerspruch der Gesetze in verschiedenen Staaten und in verschiedenen Zeiten. D) Bd. 3. S. 359, Ueber Seele und Lebenskraft. 309 Diese theilweise Unsicherheit des Naturrechts giebt aber dem positiven Gesetze, dem Herkommen, den angeerb- ten Gerechtsamen keinen höheren Werth. Durch diese wird zwar eine grössere Uniform zu Wege gebracht, die aber zu häufig nur durch Egoismus und Selbstsucht Verblendete und Beherrschte billigen und vertheidigen können. — In wie viel höherem Grade ist nicht jene Ungewiss- heit in moralischen Angelegenheiten! Wir, die wir un- ter gleichen Gesetzen, unter ähnlichen Religionslehren und gleicher Civilisation aufgewachsen sind, halten den Mord eines Menschen für eines der unaussühnbaren Verbrechen, und’ dann wieder für kein Verbrechen im Zweikampfe; oder gar für eine hochedle That in dem grossen Duelle der Fürsten, im Kriege.‘ Der Vorwand der Nothwehr hilft hier nur im 'seltensten Falle aus; oder steht es 'uns etwa frei, die, Functionen unseres Gewissens einstweilen aufzuheben, und einem Höherge- stellten zu übertragen? und doch wird der Krieg nur mit dem Menschengeschlechte selbst aussterben. Kurz es ist keine Idee‘ so ausschweifend: und: widersinnig, welche nicht vor einer grösseren ‘Zahl einmal gut ge- heissen ist. Erinnern wir uns noch an den'gar häufig geräden Gegensatz unseres 'Urtheils über denselben Gegenstand zu verschiedenen Zeiten; an das seltene Uebereinstim- men Mehrerer über denselben Punct: dann möchten wir uns gewiss für berechtigt halten, als Charakter des psychischen Lebens Willkür, WVeränderlichkeit und grosse Fehlbarkeit anzunehmen. Vergleichen wir diese mit der absoluten Einheit, Zweckmässigkeit und Noth- wendigkeit in den Veränderungen der ganzen übrigen Na- tur, so scheint mir ganz einfach die F olgerung hervor- zugehen, dass in beiden eine wesentliche Verschieden- heit des thätigen Prineips vorhanden sey. Die erwähnte 310 Ueber Seele nnd Lebenskraft. Zweckmässigkeit der Veränderungen und Bewegungen im organischen und pflanzlichen Leben nach zufälligen Eingriffen und Zerstörungen, namentlich die Regenera- tion abgeschnittener Glieder (aller ohne Unterschied bei Polypen und vielen Würmern, allmälige Wiederzeugung des Schwanzes, der Füsse, sogar des Auges der Was- sersalamander, wo ja die Schöpfung, wenn auch nicht eines neuen Organismus, doch einer Menge neuer Or- gane unter unseren Augen und auf unsere Veranlas- sung vor sich. geht ')), lassen die Wahl zwischen fol- genden zwei Erklärungsweisen frei: a) entweder ist bei der Erschaffung der organi- schen Körper ihrer Materie nicht nur die Fähigkeit des Lebens und der Production gleichartiger Individuen zu- gegeben, sondern zugleich auch die hohe, dem mensch- lichen Verstande unbegreifliche, Weisheit, mit welcher die zufälligen, und gar nicht vorher zu bestimmenden Eingriffe in die Integrität, also auch nicht nach allge- meinen Gesetzen, sondern auf eine nach Individualität des Organismus und des Eingriffes verschiedene Weise abgewiesen oder unschädlich gemacht werden, oder . 6) der Erzeuger der Natur ist in der Erhaltung seiner Geschöpfe unmittelbar mit derselben Weisheit thätig, mit welcher sie geschaften sind. Für die erste spricht die Abhängigkeit der Erscheinungen: von. der Organisation, von der Form und Mischung der Materie, von. dem Grade der Verletzung; für die zweite die un- läugbar göttliche Weisheit, Zweckmässigkeit und Noth- 1) Es kann unmöglich schon in dem organischen Gefüge je- ner niederen lebenden Wesen liegen,dass bei dem Verluste eines Gliedes dasselbe von neuem entwickelt wird, sonst müsste doch häufig dieselbe Entwickelung vor sich gehen, auch wenn jener Verlust nicht einträte. Und ist nicht die regenerirte Extremität fast in jeder Rücksicht den übrigen ursprünglich erzeugten und entwickelten gleich ? Ueber Seele und Lebenskraft, 311 wendigkeit in den Erscheinungen, nicht nur in immer wiederkehrenden, sondern auch in den durch Zufällig- keiten abgeänderten. Es mag die letztere Meinung ge- gen die Idee Vieler von der Allmacht Gottes, oder der Weltseele !'), oder wie man das hohe Wesen nennen will, verstossen, ich für meinen Theil finde sie sehr wohl mit jener Abhängigkeit vereinbar. Auf der ande- ren Seite gehört doch gewiss ein starker Glaube dazu, in, jeder Pflanze, in jedem Thiere, aueh der niedrigsten Classe, und gerade in diesen vorzugsweise, eine aus dem organischen Gefüge derselben resultirende Weis- heit, welehe die ausgebildetste menschliebke unendlich überragt, anzunehmen. Ueberall in der Natur erkennen wir die weisesten Gesetze der Veränderungen. Gesetze supponiren Ideen; slie vollkommensten Gesetze also die höchste Weisheit. Desshalb hat man die Teleologie zu einem besonderen Zweige der Naturwissenschaft gemacht, in: der Ueber- zeugung, dass überall in der Natur, mur wicht in. dem psyebischen Leben, ein unbedingter Optimismus vorhan- ‚den sey, und aueh die Selbstständigkeit und Indiyidua- lität ‚der Seele, welehe in dem nothwendigsten Zusam- menhange mit ihrer Fehlbarkeit steht, gehört zu diesem. Bei dieser Untersuchung gerathen die Dynamiker vollends schnell auf den: Band, ‚die Weisheit einer Kraft, selbst im naturphilosophischen ‚Sinne als Ursache der Materie, ist: ein Unding. Ist hier meine Ausicht die riebtige, dann wäre zu- gleich ‚der ‚Schlüssel zu vielen Rüätbseln der vergleiehen- den und ‚menschlichen Physiologie gefunden ; ‚gesetzt 1) Weltseele des Schelling ist im ganzen der unpassendste Ausdruck, denn die Sede schaflt sich nicht ihren Körper , steht auch in einem ganz anderen Verhältnisse zu diesem als Gott zu dem Erschaffen. 312 Ueber Seele und Lebenskraft. auch, die andere wäre wahr, so würde für unsere Tren- nung der Seele von der Lebenskraft immer dasselbe Re- sultat bleiben. Wäre die Seele nichts anderes, als das Gehirnleben, die Entelechie des Gehirns, die aus seiner Form und Mischung resultirende Thätigkeit, wäre'also die Seele die chemische Eigenschaft des Gehirns, so müsste sie in !ihrem Wirken eben so unveränderlich, eben so der hohen Weisheit , Zweckmässigkeit und Noth- wendigkeit in ihren Erscheinungen entsprechen, wie wir solche überall in der Natur, nur nicht in der Seele, wahrnehmen, in welcher wir statt jener Eigenschaften Willkür, unbeschränkte Freiheit, das Zweckmässige oder Unzweckmässige, das Rechte oder Unrechte zu denken und zu wollen, die grösste Fehlbarkeit und Ver- änderlichkeit finden. Das Gehirn hat allerdings nach einer Seite hin jene Zweckmässigkeit und Nothwendigkeit in seinen Functio- nen, aber nicht als Organ der Seele, sondern als das wichtigste Organ des Organismus, also in seinem orga- nischen Leben, dessen Veränderungen und Störungen Veränderung und Störung oder Aufhebung des Lebens nothwendig nach sich zieht. — Dieses ist auch der Grund, der allen Materialismus zu Boden schlägt. Helvetius fühlte die Richtigkeit dieses Raisonne- ments sehr wohl, war aber durch die Idee des Materi- alismus zu sehr überwältigt, um nicht lieber Unsinn zu behaupten, als jenen aufzugeben. Er sagt: Les actions visibles de U’homme, ainsi que les mouvements invisibles excites dans son interieur, qui viennent de sa volonte ou de sa pensee, sont &gale- ment des effeis naturels, des suites necessaires de son mechanisme propre et des impulsions, qwil regoit des ötres, dont il est entoure '). Und 1)A.a. 0.C,. 1.8.2. Ueber Seele und Lebenskraft. 313 Toutes ses facons d’agir, ses sensalions, ses üdees, ses passions, Ses volontes, ses aclions sont des suites necessaires de ses proprieies et de celles, qui‘se lrou- vent dans les &tres, qui le remuent *). Endlich Tous les erreurs des hommes sont des erreurs de physique ?). Das Resume von diesem ganzen Excursus ist: 4) die Schwäche und Fehlbarkeit unserer Seele ist der Hauptgrund für die Immaterialität derselben; und 2) die Seele ist als Keim, als Anlage schon im Embryo ent- halten (denn die menschliche Frucht fasst auch in der niedrigsten Entwickelung die Möglichkeit und Fähigkeit in sich, unter günstigen Umständen ein vollkommener Mensch zu werden), bedarf aber, um zur Erscheinung zu kommen, und sich zur Seele auszubilden, des Le- bens und der Sinnenperceptionen. Hier noch ein Paar Worte über einen Satz der Bi- ologie von Treviranus °): „der Charakter des geistigen Lebens ist Willkür; ist also das physische Leben ein Analogon des geistigen: so muss sich in den Erschei- nungen desselben ein Schein von Willkür finden, und diesen treffen wir bei ihm an.- Denn warum schreiben wir den abgeschnittenen, noch zuckenden Muskeln Le- ben zu?“ Treviranus hat nach meinem Dafürhalten hier auf zweifache Weise gefehlt: 4) dass er die Begriffe von Belebt- und Beseelt- seyn für identisch hält, eine häufiger ausgesprochene Meinung, um dem V. daraus einen Vorwurf zu machen; über die Unrichtigkeit dieser Ansicht siehe oben ®). 1) 8. 57. 2)c18% 3) Bd. 1. 8. 28, 4) 8. 295. ff, 314 Ueber Seele und Lebenskraft. l 2) Dass er sich den Fehler der petitio principüi zu Schulden kommen liess; denn was heisst bei seiner An- sicht vom Leben und Seele, die gerade wieder in dem besprochenen „Satze ihre Hauptstütze hat, jener Aus- spruch anderes, als, wir treffen in dem abgeschnittenen, noch zuckenden Muskel ein Analogon der Willkür an, denn wir sehreiben ihm solche zu? Ausserdem ist in den Contractionen abgeschnitte- ner Muskeln auf einwirkende Reize nicht einmal ein Schein von Willkür, sondern die bestimmteste, unaus- ° bleibliche, chemische Nothwendigkeit. Hat der Muskel noch zu Contractionen hinreichendes Leben, so muss er sich auf, hinlänglich starke Reize zusammenziehen, ohne dass er sich selbst, oder von Anderen gefragt wird, ob er will oder nicht. Es ist zwischen den will- kürlichen Contractionen und ‚den genannten durchaus keine andere Aehnlichkeit, als dass Seelenreize und die ‚Elektricität, das Messer, die Luft gleiche oder ähn- liche Wirkungen, d. i. Erregungen hervorbringen, wel- che wohl. auf, Aehnlichkeit der Reize als solche, aber nicht auf die Erregbarkeit, und namentlich nicht auf die Willkür derselben schliessen lässt. «Wenn: auch Beil überall geirrt hat, doch gewiss nicht in'seinem siegenden Beweise, dass Erregbarkeit in der engsten und nothwendigsten Beziehung zur Form und Mischung der Organe stehe, welche letztere doch wahrlich nicht willkürlich abgeändert werden können. “Ueberhaupt fin- den wir überall im Leben des Organismus die oft er- wähnte Zweekmässigkeit und Nothwendigkeit der Ver- änderung, (Mangel der Willkür), mit Ausnahme der psy- chischen und mit dieser in der engsten Verbindung ste- henden Thätigkeiten; jene jedoch in gleichem Grade weniger auffallend und oflenbar, als die Vollkommen- heit und Selbstständigkeit dieser zunimmt. „Die Bewe- gungen der niedrigsten Thierreihe folgen fast allein Ueber Seele und Lebenskraft. 315 der Nothwendigkeit ; je höher diese steigt, desto deutli- cher, und der Zahl nach überhand nehmender und auf- fallender werden die psychischen Erscheinungen, die der Willkür und der Selbstständigkeit, bis die Reihe endlich mit dem Menschen schliesst, in welchem die Psyche, und zugleich die Willkür und Individualität den höchsten Grad erreicht. Gegen unsere Meinung: dass die Seele die schön- ste und edelste Blume des Lebens, aber nicht das Prin- eip desselben sey, könnte man den unzweifelhaften Ein- fluss der Seelenaffeete, oder eigentlich jeder Seelenthä- tigkeit auf das organische Leben einwenden. Jedoch 4) ist das Gehirn zwar Seelenorgan, aber zugleich auch das edelste des Organismus; es müssen also Verände- rungen in ihm, veranlasst durch spontane Aufreizung der Seele, als durch Ideenrausch (Affecte), je nach der Grösse und Dauer derselben, auf das organische Leben influiren; daher denn dieser Einfluss auf alle Functio- nen mehr oder weniger allgemein und gleichmässig ist; 2) sind jene Veränderungen der organischen Functionen durch Affecte weder nach Willkür ohne absichtliche Aufreizung des Gemüths zu veranlassen, noch können sie durch den Willen ohne Beruhigung der Leider- schaften beschränkt werden; dauern sogar häufig gegen den Willen fort; sie stehen also mit den höheren Gra- den der Aflecte in einem nothwendigen nicht willkür- lichen Zusammenhange. Wir gerathen hier noch stark mit dem theologischen Glauben in Widerspruch, dass die menschliche Freiheit nur scheinbar sey; dass alle unsere freie Handlungen nicht ohne Vorherwissen und Willen des höchsten Wesens vorhanden seyn können, welches sich um das End- und Meisterstück der sicht- baren Schöpfung, den Menschen, ja am meisten beküm- mern müsse; noch grösser wird die Collision mit dem Fatalismus. — Gleich zu Anfange erklärte ich, nach den 316 Ueber Seele und Lebenskraft. Gesetzen der Naturforschung überall zu untersuchen, und nach diesen steht die Freiheit des Willens trotz aller Ein- und Widerrede unerschütterlich fest; jede irgend vorurtheilsfreie Beobachtung des eigenen Willens führt in jedem Augenblicke des Lebens immer zu demselben Resultate. Damit ist noch gar nicht gesagt, dass’ der menschliche Wille etwas so Erhabenes, Selbstständiges und Unerschütterliches sey, — im Gegentheil, er ist tausend Schwächen unterworfen, und gar leicht über- windlich. Der grösste Feind der Willensfreiheit ist Ge- wohnheit, welche eine fast unumschränkte Herrschaft über jene hat. Es liesse sich wohl beweisen, dass alle höhere Moralität oder Immoralität nichts als Gewohn- heit sey. Darin findet auch Jean Pauls Ausspruch t): „es könne nur ein starkes und grosses Leben geben, nicht aber eine starke und grosse That, wie. jeder Schwächling eine auch vermöge,‘ seinen Grund und seine Wahrheit. Jeder einzelne Act, als integrirender Theil der Gewohnheit, ist ein Gegenstand der freien Willkür. Wir haben ferner oben gesehen, dass der Welten- schöpfer und Erhalter nur einen Willen haben kann, den zweckmässigsten, und daher den absolut nothwen- digen; hat er unmittelbaren Einfluss auf den menschli- chen Willen, so hat er ihn ganz, und beherrscht ihn. Wie wollen wir diese Idee mit Rücksicht auf die Fehl- barkeit und Veränderlichkeit des menschlichen Willens mit jenem hohen Wesen in Uebereinstimmung bringen? Endlich, was würde der Mensch dann seyn? nicht Mensch, sondern’ ein willenloses vegeians. Sehr rich- tig sagt Montaigne: in virlule vere gloriamur, quod 1) Levana. Sämmtl, W, Bd. 33. S. 20, Ueber Seele und Lebenskraft, 317 non contingeret, si id donum a Deo, non a nobis ha- beremus !). — ’ Dass der Mensch Herr und Zweck der Schöpfung sey, ist ein Menschen-Egoismus, den Jean Paul ?) „dumm“ nennt, „welcher sich von Gott alle Thierreiche und bevölkerten Meere und Wüsten, mit allen ihren mannichfaltigen Lebensfreuden blos als Zins- und De- putatthiere, Martinsgänse und Rauchhennen seines Ma- gens liefern lässt: die Erde, das Kepplersche Thier, soll des kleinen Menschen eisernes Vieh und Bileams Esel seyn.‘ Können wir uns denn so leicht von dem Gefühle losmachen, als sey unsere eigene Person der Mittel- punet alles Lebens und Waltens? In uns liegt zwar der Mittelpunet, — nicht der unendlichen Schöpfung — sondern unseres kleinen Gesichtskreises. — — Ich sagte oben, dass mit der aufgestellten Erklä- rung des organischen Lebens sich manches Räthsel der Physiologie von selbst aufhelle: so der Instinct und die Kunsttriebe. Obwohl ich mich schon früher gegen die Erklär des Instinets von Treviranus, als einer Ein- wirkung des Geistigen auf das Geistige ausgesprochen hahe, so verdient auf der anderen Seite seine sinnrei- che Auseinandersetzung des innigen Zusammenhanges und Ursprunges aus einer gemeinschaftlichen Quelle des Bildungstriebes, der Ernährung, Reproduction, Na- turheilkraft und der Instincte vollkommene Zustimmung. Ueberall, wo wir auffallendere Instinete und Kunst- triebe wahrnehmen, finden wir zugleich correspondi- rende und nothwendige Eigenheiten der Organisation, Diese Erscheinung zusammengehalten mit der, dem menschlichen Verstande unbegreiflichen, Zweckmässigkeit 1) Bd. 3. S. 383, 2) Levana. Sämmtl. W. Bd. 38. S.43. 318 Ueber Seele und Lebenskraft. und Kunstfertigkeit ohne Lehrer, die sich nicht nur in der Einförmigkeit der Producte, sondern auch in der Verschiedenheit und Weisheit der Benutzung individuel- ler Umstände zeigt !), führt uns zu derselben Erklä- rungsweise: dass auch hier ein unmittelbarer Einfluss des Naturerhalters sichtbar werde. Wir können doch unmöglich der Spinne, dem Biber u. s. w. eine, alle menschliche Einsicht weit hinter sich zurücklassende Weisheit zuschreiben, von der sie in ihrem übrigen Wirken nicht die geringste Spur beweisen. Die Kunstwerke der Thiere sind im Ganzen einför- mig, und müssen es seyn, denn die höchste Zweck- mässigkeit; welche sich überall‘ ausspricht, involvirt Nothwendigkeit und Mangel der Veränderlichkeit, Dasselbe gilt vom Ernährungsprocesse, der vis na- turae medicatrix, und insbesondere von einer Erschei- . nung des Blutumlaufs, ‘welche diese ganze Abhandlung veranlasst hat. Ich meine die Erscheinungen der frei- willigen Blutstillung. Verwundet man die Schwimmhaut eines Frosches mit einem Schnitte, so erkennt man zu- nächst ein plötzliches Stillstehen und eine we Bewegung der Blutkügelchen in den Haargefässen, wie bei jeder, auch nicht verwundenden, Berührung der Haut: dann erfolgt die Hämorrhagie, das Austreten des Blu- tes aus den durchschnittenen Gefässchen, das bald in dem einen nachlässt und aufhört, dann bei dem ande- ren, endlich bei allen, doch so, dass die Menge: der Kü- gelehen zuerst in der Nähe der Schnittwunde auf eine Linie abnimmt, bis zuletzt gar keine mehr in diese ein- treten, bei erhöheter Geschwindigkeit in den übrigen Capillargefässen der Haut, so dass die kleinen Blut- 1) Blumenbach, Castor fiber, Handb. d. Naturgesch. 1803. S. 125. Jean Paul (s. W. Bd. 38, S. 45.) nennt den Instinet die Eselin, welche den Engel früher sieht, als der Prophet. Ueber Seele und Lebenskraft. 319 ströme, die ihre Richtung nach der Wunde nehmen, oft in einem spitzen Winkel sich in die nächsten Anasto- mosen umwenden. Die durchschnittenen, jetzt vom Blute leeren Canäle erkennt man ganz deutlich als sol- che bis zur Schnittwunde, wo auch dieselben um nichts contrahirt sind, wohl aber zusammenfallen, weil kein Blut mehr in sie eindringt'‘). In meiner Abhandlung über den Bluttumlauf (Meckels Arch. Jahrg. 1827. S. 416.) ist nach meinem Dafürhalten hinlänglich erwiesen, dass eine sehr bedeutende Hülfskraft desselben die Einwir- kung der Gefässwände auf das Blut, durch Mittheilung eines unsichtbaren feinen Stoffes sey, welcher auch aus- schliesslich die merkwürdigen Phänomene der freiwilligen Blutstillung zuzuschreiben sind ?). & 1) Vergl. meine inaug. Dissert, de observatt. nonnullis sarı- guin. cursum et inflammat, spect. atque de suppur, adject. analysi puris chem. Berol. 1825. p. 17. 18. Eine Beobachtung, die nach mir von Kaltenbrunner, exper, c. sät. sang) in inflamm, Monach, 1826, bestätigt ist, j 2) Indem ich schon im Begriffe stand, das Vorliegende dem Drucke zu übergeben, kam mir die zweite Abth. Bd, 2. d. Grdr. d. Physiol. von Rudolphi, und zugleich die eben so unerwärtete als auflallende’ Nachricht Zu, dass dieser berühmte Physiolog sich als wnbedingten Anhänger der Parryschen Lehre vom Kreis- laufe erklärt, Es ist ihm wahrscheinlich eben so ergatgen, wie Haller, der gleichfalls die Herzeontraction für die einzige blut- bewegende Kraft ansieht, blos desshalb, weil alle dermaligen Versuche eine Hülfskraft aufzustellen, ihm nicht zusagten. Was R.*) über die Contraetion der Arterien, und die dadarch ver- anlasste Erscheinung des Pulses sagt, ist gut zusammengestellt: (eine en. © weniger zweideutige Widerlegung jener in der Noth gefassten Idee findet sich in meiner Abhandlung 2)), dagegen sicht man des versuchten Erweise der Entbehrlichkeit einer Hülfskrafe des Blatumlaufes das Befangene und Gezwun- 1) S. 295. 804. 2) Meckels Archiv. Jahrg. 1827, S. 429, 320 Ueber Seele und Lebenskraft. Hier ist wieder jene unbegreifliche Zweckmässig- keit, und Nothwendigkeit, „nicht nach einem sich ewig wiederholenden Gesetze, sondern verschieden, nach Verschiedenheit individueller Umstände.“ Was ist es, gene mit dem ersten Blicke an. Er sagt '): „Wenn durch den Nerveneinfluss, z. B. bei der Schaam, plötzliche Röthe oder Blässe des Gesichts u. s. w. entsteht, so lässt sich wohl der Vorgang nicht anders deuten, als durch Congestion nach aus- sen, oder Congestion nach inneren Theilen, wobei äusserliche Blässe hervorgebracht wird. Eine eigene Thätigkeit der Arte- rien ist hier wenigstens durch nichts erwiesen, sondern die ver- stärkte oder verringerte Thätigkeit des Herzens ist zur Erklärung hinreichend,“ Es erscheint sonderbar, wenn man einen der ersten, jetzt lebenden Physiologen an die ersten Gesetze der Hydraulik erin- nern muss, und doch ist es nicht anders. Treiben die Herzven- trikel allein das Blut, so schicken sie mit unwidersprechlicher Bestimmtheit dasselbe nach allen Seiten hin, wohin nur der Ab- zug durch die Arterien verstattet ist, mit gleicher Kraft und Geschwindigkeit, und jede Congestion desselben in einem ein- zelnen Theile des Körpers ist ohne Verengerung und Verschlies- sung der übrigen Abzugscanäle vom Herzen (der Arterien), und ohne Verengerung und Verschliessung der Abzugscanäle vom quästionirten Körpertheile (der Venen) — und auch dann nur, wenn der Blutrecipient einen grösseren Durchmesser hätte, als die zuführenden Gefässe — vollkommen unmöglich. Jene Bedin- gungen der Congestion, kann R, gewiss nie in den Sinn kom- men, jeder örtlichen Blutanhäufung zu supponiren, da er sich sonst auf vielfache Weise widersprechen müsste, — Oder soll etwa die Gesichtsröthe der Schaam und die Blässe des Schrecks jene durch vermehrte, diese durch verminderte Thätigkeit des Herzens erklärt werden? während wir doch bei dem einfachen Reizfieber eine unläugbar erhöhete Herzthätigkeit sehen, ohne jene eigenthümliche intensive Röthe, und im Schreck nicht nur keine verminderte Thätigkeit des Herzens, sondern im ‚Gegen- theil eine erhöhete, fast bis zu conyulsivischen Zusammenzie- hungen (Herzklopfen) gesteigerte, wahrnehmen. Die Blässe der 1) S. 298. Ueber Seele und Lebenskraft. 321 das den Blutstrom von der Wunde ableitet, weil er. in der früheren, gewohnten Richtung jezzt, nach dem zu- fälligen Eingriffe, unzweckmässig wird? Ich kann auch hier nicht umhin, eine unmittelbare Einwirkung ‚des Na- Ohnmacht könnte so erklärt werden, aber nicht die des Schrecks. Ausserdem ist der Kopf dem Herzen näher als viele innere Organe, und erhält das Blut ohne Umbeugung der Arte- rien, so dass sich der’ Schreck nicht durch Blässe des Gesichts, sondern höchstens durch die der Extremitäten kund geben könnte, Auf noch grössere Widersprüche stossen wir, wenn man etwa Congestionen nach. beschränkteren Theilen, wie nach dem erigirten penis u. s. w. auf gleiche Weise zu erklären versuchte, Ferner will R. ‘) die Beobachtungen des fehlenden Synchronis- mus an verschiedenen Gliedern, Seiten u. s. w. einfacher durch vorhandene Hindernisse des Blutstromes erklären. Wenn er auch in der Mehrzahl der Fälle gewiss Recht hat, so möchte er doch bei grösserer Unbefangenheit wohl, selbst nicht wagen, alle daraus herzuleiten, und die sich daraus nicht herleiten liessen, abzuläugnen. Obgleich es allerdings zu bedauern ist, dass ein Mann von so allgemein anerkanntem literarischen Werthe, über einen der einflussreichsten und schwierigsten Gegenstände der Physiologie, wie den des Kreislaufs des Blutes, eine bestimmte Meinung ohne genauere eigene Prüfung ausspricht, da As. intellectuelles Ue- bergewicht über einen grossen Theil der deutschen Aerzte diese, sobald sie nicht Fähigkeit, oder nicht in einer Lage sind, selbst zu untersuchen, für jede andere Meinung unzugänglich macht, und durch die blinde Annahme zu mancherlei praktischen Feh- lern verleitet: — so ist auf der anderen Seite die Offenheit werthzuschätzen, mit der er ?) eingesteht, er habe über den genannten Gegenstand nur wenige mikroskopische Untersuchun- gen angestellt, von denen unläugbar einzig und allein Entschei- dung und Aufhellung zu erwarten ist. Purkinjes Versuche, worauf er sich bezieht, kenne ich leider nicht, aber was er von Beobachtungen der Bewegung der Blut- 2) S. 818. Meckels Archiv f. Anat. u. Phys. 1828. 23 322 Ueber Seele und Lebenskraft, turerhalters - anzunehmen, da ich eine göttliche Weis- heit erkenne, aber abhängig von der Organisation, und der dermaligen Lebensenergie: jene. Einwirkung der Weichgebilde auf das Blut ist eine vis secundaria, eben weil die Säftebewegung zwechkmässig und nothwendig ist. Die genannte Hülfskraft ist von zunehmendem Ein- flusse und Kraft, je mehr die Individualität und Selbst- ständigkeit des Organismus abnimmt, so. in.den niede- ren Stufen der Thierreihe und ausschliesslich im Pflan- zenreiche, wo Individualität und Selbstbestimmung des a me kügelchen in einem vom Körper ausgeschnittenen Netzstücke eines kleinen Thieres, die durch Benetzung mit Wasser, oder durch Abschneiden der trockenen Ränder erneuert werde, anführt, ist von der Art, dass man hinreichend erkennt, dass R. entweder der ganze Gegenstand zu uninteressant gewesen ist, oder dass er sich mehr als billig von dem Wunsche leiten liess, nichts zu finden: sonst würde er sich nicht bei einem so zweideutigen Versuche, der ja zu gar keinem Resultate führen konnte, beru- higt, und noch viel weniger daraus so obenhin den Schluss ge- zogen haben, dass alle Bewegung des Blutes, ausser der durch Herzcontractionen veranlassten, nur durch den Abfluss nach ab- hängigen und entleerten Stellen hervorgebracht werde, Sollte es R. einmal gefallen, meine Versuche über den Blut- umlauf — die ich in Meckels Arch. Jahrg. 1827. S. 439. und frü- her in meiner Inaugural-Dissertation, Berlin im März 1825. über denselben und über Entzündung, welche letztere ich die Freude gehabt habe von Burdach, in seiner Inaug.-Diss. obser- vatt, nonnullae microscopicae inflammationem spectantes, Regio- mont. m. Novbr. 1825. (wo er p. 19. sagt: observationes in rana- rum, pedibus a €. F. Koch enarratae ad summum a meis haud discedunt), bestätigt zu sehen, — einer genauen und ernstlichen Prüfung bei nicht zu starkem Lichte und vor Allem bei jungen Fröschen, wie sie im Juni und Juli sind,'zu unterwerfen, dann zweifle ich keinen Augenblick, dass er bei seiner gewohnten Freisinnigkeit nicht lieber der sich aufdringenden Wahrheit ihr Recht lassen, als länger bei seiner, wenn auch öffentlich geäus- serten Meinung, beharren werde. — Ueber Seele und Lebenskraft. 323 Willens, als Gegensatz gegen die göttliche Weisheit und Zweckmässigkeit der allgemeinen grossen Weltre- gierung und die gleichen Schritt haltende Differenzirung der Organe, namentlich der Säftebewegung, fast ver- schwindet. Zum Schlusse noch einige Worte über eine in der neuesten Zeit viel besprochene Streitfrage, über die Be- seelung des Kindes, indem ich Rudolphi nicht beistim- men kann, wo er sagt !): „da wir auf diese Frage gar nichts zu antworten haben, so muss sie abgewiesen werden.“ Nur bei Verwirrung der Begriffe von Seele und Lebensprincip kann jener Ausspruch gerechtfertigt werden: sind aber die Antworten auf die vielfachen psy- ehologischen und: philosophischen Fragen, wenn auch nur zum Theil, richtig, so folgt auch, die Antwort auf die obige, über Beseelung des Kindes einfach und leicht, — ob wahr? beruht ganz allein in der Richtigkeit des Früheren; ist das falsch, so ist auch Zer Irrthum. Nicht anders geht es mit den beiden Abhandlungen über denselben Gegenstand von Nasse ?) und Ennemoser °). Zunächst Einiges über Ennemosers Meinungen. Die Grundidee seiner, ganzen Abhandlung. ist: „organisch und unorganisch, belebt und beseelt, ist eins und das- selbe.“ Wozu dieses Confundiren von nothwendig' getrenn- ten Begriffen führt, werden wir sogleich sehen, d. h. zu nichts als zu Widersprüchen. Auf derselben Seite *) wo. Ennemoser sagt: „in Bezug auf die-Natur sind alle Dinge organisch,“ giebt er die Definition von Anorga- 1) Grär. d, Physiol. Th. 2. Abth, 1. S. 244, 2) Zeitschr. für Anthrop. Bd. 1. H. 1. 8. 1. 3) Hist, u. psych. Unters. üb. Ursp. u. Wes. d. Seele, Bonn 1824. 4) 8. 54. 23 * 324 Ueber Seele und Lebenskraft. nischem so: „unorganisch ist, oder mit dem Begriffe des Todes bezeichnet , wo alle freie Selbstentwickelung ge- hemmt ist, und der Wechsel der Stoffe für immer stille steht.“ — Abgesehen von der mangelhaften Form der Definition, — was heissen denn die angeführten Worte anderes, als dasselbe Ding ist zugleich lebendig und todt, oder @ ist zugleich & und nicht 5? — Ferner, wer wird denn einen anorganischen Körper „todt“ nen- nen? leblos wohl. 'Todt setzt ein früheres Leben, nach dem V. also Selbstentwickelung und Stoffwechsel voraus. Wie stimmt das zu den Mineralien, wann ist denn in ihnen jemals Selbstentwiekelung und Stoffwech- sel vorhanden gewesen? Wodurch „steht denn der Wechsel der Stoffe für immer stille“? Das Weitere siehe oben !). Die Identität der Begriffe: belebt und beseelt, be- weist Zfolgender Maassen ?): ‚die Natur in ihren Er- scheinungen ist formell; alle Form ist gesetzlich, und alles Gesetz stammt von einem Geiste. ‘Die Natur ist nichts ohne den Geist, und ihr Leben ist Seelenthätig- keit, ein in der Materie thätiger und wirkender Geist. Die Natur ist so ein organischer Leib im Grossen; die Leiblichkeit ist aber nichts anderes, als die vom Geiste bedingte Materie, und somit ist es wohl mit jener phi- losophischen Begriffsbestimmung einerlei: „, „die Natur ist die durch Freiheit regierte Nothwendigkeit, die von Nothwendigkeit umfangene abhängige Freiheit.““ Leben und Beseeltseyn ist so schon nach diesem allgemeinen Begriffe nicht verschieden.“ Obwohl dieses der alleinige Beweis seiner Behaup- tung ist, auf den er sich später wiederholt beruft, so können wir hierin ‚höchstens eine Ansicht erkennen; 1) S. 280. ft. 2) S. 57. Ueber Seele und Lebenskraft: 325 sonst wäre ja gleich in den ersten Zeilen 'eine petitio principü. In Rücksicht der hier ausgespröochenen Ideen von Mikrokosmus und Makrokosmus habe ich nichts zu erinnern, als das früher Gesagte. Was ferner unter dem Namen einer philosophischen Begriffsbestimmung erwähnt wird, ist so, wie es hier steht, entweder ein leeres Wortspiel, oder, ernstlicher genommen — Un- sinn. Die Begriffe von Freiheit und Nothwendigkeit sind an und für sich gerade entgegengesetzt, das Eine hebt das Andere auf. Was ist eine durch Freiheit re- gierte Nothwendigkeit? Ein Anderes ist es, wenn von moralischer Freiheit, unter der wir das Vermögen verstehen, das Wahre und Rechte zu erkennen und zu wollen, und wenn von deren höchstem Grade die Rede ist: wir konnten mit gutem Rechte sagen, die absolute moralische Freiheit ist absolute Nothwendigkeit, indem hier, wie gar häufig, sich die Extreme: berühren; das zwischen ihnen Liegende bleibt aber nichts desto weni- ger entgegengesetzt. Wie weit der V. mit seinen Ansichten in der Na- turbetrachtung vorwärts geht, ist jetzt zu untersuchen. Er sagt '): „Das Leben der Pfanzen und Thiere ist für ein Beseeltes zu halten. — Unter Seele versteht man nach eigenem mehr gangbaren Begriffe, wo in organischen Geschöpfen das Leben durch gewisse innere Aeusse- rungen sich offenbart, welches sich durch eine höhere und ‚eigenthümliehe Freiheit zu einem lebensbedingen- den Principe *) charakterisirt.. ‚Hier ist dieses Princip eine höher gesteigerte Lebenskraft.“ Wie klar die Ideen des V. über diesen Punct sind, zeigt er: „jenes Seelen- prineip, als lebensbedingendes. Princip charakterisirt, 1) 8. 58. 2) 8. 67. 326 Ueber Seele und Lebenskraft. welches mit einer 'selbstbestimmenden Wahl mit der Aussenwelt in Wechselwirkung tritt, und noch mehr, welches mit Klarheit der Empfindung und des Willens zu einem freien Bewusstseyn sich steigert, fehlt den Pflanzen gänzlich. Wir sind daher zu der Behauptung berechtigt, dass letztere unbeseelt sind. Zwischen dem Thier- und Pflanzenreiche findet in psychischer Hinsicht gar keine Gemeinschaft Statt, beide trennt eine undurch- dringliche Scheidewand, welche allen Uebergang von einem zum anderen hemmt.“ Wie? das Pflanzenleben wäre ein beseeltes und dann wieder ein unbeseeltes?! Halten wir uns blos an die letzteren Worte des V., so sind die Pflanzen unbeseelt und haben doch Le- ben. Dann wäre ja wohl nach seinem eigenen Dafür- halten ein „undurchdringlicher‘ Unterschied zwischen belebt und beseelt! Dass aber die Seele der beseelten Organismen (der Thiere) nicht das Lebensprincip von diesen seyn könne, darüber kann ich nur, um mich nicht zu wiederholen, auf das Vorhergehende zurückweisen t). Herr Prof. E. führt noch folgende zwei Gründe ge- gen die Unterscheidung zwischen organischem und ani- malischem (Seelen) Leben an: 1) es müsste bei Vorhandenseyn des Unterschiedes bei Thieren das eine ohne das andere vorkommen, im Gegentheil hört das eine bestimmt und immer mit dem anderen auf ?). Der V. bedenkt hierbei nicht, dass die Rede von Organismen ist; Herz und Hirn sind Organe desselben Organismus, in der Structur, Function und dem eige- nen Leben von einander himmelweit verschieden, doch finden wir das eine niemals ohne das andere, und mit 1) S. 295. 2) 8. 61. Ueber Seele und Lebenskraft, 327 dem Aufhören des Lebens des einen hört bestimmt und immer auch das andere auf. — Ausserdem: das Gehirn ist Organ ‚der Seele, hört nun das Leben des ‚Gehirns auf, sey es nun primär oder conseeutiv durch den Tod des übrigen Organismus, so kann die Seele aus Man- gel des Vermittlers in ihrer Thätigkeit nieht zur Er- scheinung kommen. 2) In mancherlei Zuständen ‚der Thiere mangelt zwar die Erscheinung des Seelenprincipes, doch berech- tigt der Mangel der Erscheinung noch nicht zur Behaup- tung des Nichtvorhandenseyns des Principes. Die Seele ist durchaus abhängig vom Körper, und mit der Eni- faltung von diesem, nimmt auch die Seelenthätigkeit zu '). Es ist für ‚den Naturforscher immer etwas. sehr Zweideutiges, beim Mangel der Erscheinung das agens als unzweifelhaft voraus zu setzen. In Rücksicht meines zweiten Grundes ?), nach dem der Druck auf das Ge- hirn alle Seelenäusserungen verschwinden macht, hat E. Recht, dieser soll aber keinesweges die einstweilige Unterbrechung des Seelenlebens erweisen, sondern nur darauf aufmerksam machen, dass die Erscheinungen des Seelenlebens, ohne merkliche Störung des organischen, eine Zeit lang wegfallen können, wodurch allein schon die Vermuthung eines wesentlichen Unterschiedes bei- der gerechtfertigt würde, In Rücksicht der Fetus- und Kinderseele hat er aber Unrecht, denn hier können wir auf das deutlichste den Anfang der Seelenentwickelung, das Missverhältniss derselben, die Schnelligkeit und Dauer zu der des Körpers nachweisen, ganz im Ge- gensatze zu des V. Sentenz, welche überall mit den von ihm *) angezogenen Worten des Lucretius über- 1) S. 62. 63. 2) S. 296. 8) S. 87. 328 Ueber Seele und Lebenskraft. einkommt: „‚gigne pariter cum corpore et una crescere sentimus , pariterque senescere mentem.“ Herrn Prof. EZ. scheint die Spontaneität der Seelen- entwickelung (von der physischen durchaus heterogen) entgangen zu seyn, welche Jean Paul in seiner Levana sehr treffend den geistigen Bildungstrieb nennt, und zur Grundlage seiner ganzen Erziehungskunst macht. Auf diese Weise kann es uns nicht Wunder nehmen, wenn E.') sagt: „Die Frage nach dem Materialismus und Immaterialismus der Seele wird zie ihre Auflösung erhalten;‘“ wohlaber, dass er nachher ?) in einen förm- lichen Pastoralpathos übergeht, von der Wahrheit der Offenbarung spricht, und unter Anderem auch folgen- den schönen Vers eitirt, oder componirt: „Eines Himmels Zaubertöne Einer Hölle Schmerzgedröne * All sich in der, Brust gesellt: Denn das Herz birgt eine Welt.« — — Aus den hier mitgetheilten Aeusserungen von E. bestimmt sich seine Meinung über Beseelung des Kin- des dahin, dass selbige mit dem Augenblicke des Ent- stehens der Frucht zusammenfalle. Da wir jedoch die Ansichten des V. über Leben und Seele nicht theilen, so können wir auch seinen Endschluss für jetzt noch nicht billigen. Mit der zweiten Abhandlung über diesen Gegen- stand {beginnt der Herr Prof. Nasse seine Zeitschrift für Anthropologie, welche als die ältere zu dem Er- scheinen der Brochure von Prof. E. Veranlassung gab. Die zwei Hauptgegenstände seiner Beweisführung, sind: a) das Kind ist vor der Geburt nicht beseelt und b) die Seele tritt dann nicht unausgebildet, son- dern ganz und vollkommen zum Kinde. 1) S. 26. 2) S. 70. Ueber Seele und Lebenskraft. 329 ‘ Obwohl ich die Meinung des V. in Rücksicht des ersten Punctes theile (bis auf den Ausdruck Beseelung): so möchte ich doch nicht seine Gründe ohne Weiteres recipiren; es sind folgende: 1) Es fehlen sprechende Beweise von Empfindungs- äusserungen am Fetus, und die Sinnorgane sind in ei- nem Zustande, welcher für Empfindungen nicht gün- stig ist. So bald vorher der V. festgestellt hätte, dass die menschliche Seele keine ‘angebornen Ideen habe; dass ferner ihre Entwickelung durchaus von Sinnesperceptio- nen abhängig sey, so wäre dieser eine Grund zum Be- weise vollkommen hinreichend. — Aber das ist gar nicht seine Meinung, wie wir bald sehen werden. Es bleibt also nach N. in diesem Grunde nichts als Mangel der Erscheinungen von Seelenthätigkeit, welcher den Enne- moserschen Einwand, dass jener noch nicht zugleich den Mangel des agens darthue, wenigstens nicht wi- derlegt. 2) Das Fetusleben ist streng gemessen, was mit dem Seelenleben unverträglich ist. Es liegt hierin Wahres und Irriges. Der V. er- kennt sehr wohl, dass im Seelenleben nur Veränder- lichkeit, Willkür, Irrthum sey; dagegen ist aber auch bei entwickelter Seele im organischen Leben stets die strengste Gemessenheit, Nothwendigkeit und Zweck- mässigkeit der Veränderungen vorhanden; es ist‘ daher diese letztere Eigenthümlichkeit des Fetuslebens kein Grund des Seelenmangels. 3) Das menschliche Leben ist von bestimmten Be- dingungen in der Gehirnbildung, dem Kreislaufe und dem Athmen abhängig. In der früheren Zeit des Fe- tuslebens sehen wir diese Bedingungen nicht erfüllt. Auch in diesem Grunde ist viel Wahres. Zur Exi- stenz einer Menschenseele ist durchaus eine vollkom- 330 Ueber Seele und Lebenskrait. mene Unabhängigkeit und Individualität 'nothwendig. Je weiter wir nun ‘von dem reifen Fetus in seine Entste- hungszeit zurückgehen, in gleichem Grade sehen wir die Individualität vermindert, die Möglichkeit des eige- nen unabhängigen Lebens beschränkter, bis zur form- losen gelatina, welche zwar einen Menschenheim, aber doch in ihrem dermaligen Entwickelungsgrade für sich keine grössere Lebensfähigkeit und Individualität als irgend ein Organ oder Entzündungsproduct der Mut- ter hat; so wenig wir diesem eine Seele zuschreiben, eben so wenig dürfen wir es bei jener. Auf der anderen Seite ist es kein Einwurf gegen das Beseeltseyn des Fetus, dass das Leben der Erwach- senen vom Gehirne , Kreislaufe und Athmen abhängig sey, da in dem grössten Theile des Fetuslebens jene Bedin- gungen vorhanden sind. Es ist eine alte und erwiesene Meinung, dass die placenta die Function der Lungen des gebornen Menschen hat. Ausserdem fliesst noch manches Dunkle und Unrichtige aus dem Mangel des Unterschiedes zwischen Leben und Seele her. 4) Ist der Fetus beseelt, so sind es auch kopf-und brustlose Missgeburten und Molen. In ‚dem reifen Fetus ist die Möglichkeit eines indi- widuellen Lebens, er hat solches aber nicht; in den molıs und monstris ist auch jene nicht !), sondern sie bleiben mehr oder weniger der Lebensfähigkeit der mütterlichen Organe nahe. Zinnemoser ?) theilt jenen Seele zu, und diesen spricht er sie ab, beides ohne hinlänglichen Grund. Das Gehirn ist Seelenorgan; fehlt das, so mag Enne- moser so viele Seelen annehmen als er Lust hat, sie kann doch wenigstens nie zur Erscheinung kommen, '1) Vergl. 'meine Abh. über den Blutumlauf, Meckels Archiv f. Phys. Jahrg. 1827. S. 420. DA. a0. 116. Ueber Seele und Lebenskraft, 331 weil das Mittelglied fehlt. Z. klagt hier über stockfin- stre Nacht; hat er 'sich nicht aber selbst das Licht ausgelöscht ? 5) Affeete und Leidenschaften der Mutter‘ haben keinen merklichen Einfluss auf die Frucht. Dieses ist nicht immer wahr, und kann nach keiner Seite hin et- was beweisen, da Seele recht wohl im Fetus vorhan- den seyn könnte, ohne dass sie gerade mit der mütter- lichen Seele in der engsten Beziehung stände. Der zweite Punct aber: ,‚dass die Seele nach der Geburt in voller Kraft sey, und nur der körperlichen Ausbildung bedürfe,“ muss verneint werden. Nasse beruft sich hier auf Schwarz Erziehungs- lehre und Jean Pauls Levana, welche den Kindersee- len Freudigkeit, Vertrauen, Ehrfurcht, Mitgefühl, Glau- ben, Gottesahnung zutheilen. Das Gefühl herrsche bei dem Kinde vor, und sobald an ihm die Aeusserungen der Liebe, als der höchsten Seelenthätigkeit, und ‘des Gewissens hervorträten, müsse man die volle und freie Seelenkraft desselben anerkennen. Die Revolution im Organismus, welche ein plötz- liches Hinzutreten einer vollen und freien Seelenkraft erregen müsste, verdeckt der Verfasser durch die Be- stimmung des Termins auf die Geburt, wo durch den Anfang eines selbstständigen Lebens, der Function der Lungen und die bedeutende Veränderung des Blutlaufs eine physische Revolution vor sich geht. Einem 'ande- ren Vorwurfe entgeht er aber nicht, indem mit seiner Annahme die gar nicht seltene Geistesähnlichkeit der Kinder mit den Eltern, auch 'bei früh erfolgter Tren- nung von ihnen, noch unbegreiflicher würde. Prüfen wir nun das Obige näher: jene höheren Ge- müthstugenden kommen nicht den Kindern im ersten und zweiten Lebensjahre, sondern in späteren, und auch dann nur in minderem Grade zu, denen sie auch 332 Ueber Seele und Lebenskraft. Jean Paul nur 'zuschreibt, und allein dann, wenn es der sorgfältigsten und liebevollsten Erziehung gelungen ist, von den Kleinen jeden bösen Einfluss, und selbst die Kenntniss des Bösen abzuhalten, so dass sie keine höhere Gottheit kennen, als den Willen ihrer Eltern, und kein anderes und grösseres Uebel als ihre Unfolg- samkeit gegen sie. Es ist eine mehrfach ausgesprochene Bemerkung, dass in Knaben, bis gegen die Pubertäts- entwickelung weiblicher Sinn und weibliche‘ Tugenden hervorstechen, und somit: auch die Liebe, welche ich sehr gern, aber, nur im Jean Paulschen Sinne t)' für den höchsten und vollkommensten Seelenaet anerkenne, Finden wir nun eine solche Liebe in dem Kinde? ich denke, nein. Bis zum fünften oder siebenten: Jahre sprosst die Kinderliebe nur aus Eigennutz hervor, wer dem Kinde die meiste Annehmlichkeit durch Freundlich- keit und Genüsse darbietet, der ist ihnen der liebste. Die Jean Paulsche Liebe vergisst aber die eigene Per- son, und lebt und webt nur in dem geliebten Gegen- stande, wie auch die christliche Liebe. Wenn auch bei der grossen Reizbarkeit des Ge- müths die Zuneigung der Kinder sich zuweilen 'stark ausspricht, wie schnell sinkt sie und beruhigt sich bei Entfernung des Gegenstandes, ist sie denn etwas ande- res, als eine schöne süsse Gewohnheit? DieLiebe des Kindes ist; wie die des Weibes, sinnlicher, d.h. sie'be- darf.der Nähe, und der schmeichelnden Berührung des geliebten Gegenstandes. Doch. gesetzten Falls, ich habe hier Unrecht, so bewiese die Sache weiter nichts, als eine auffallende, 1) Nach ihm ist Liebe, als Gegensatz der Stärke und Würde, welche nur das Selbst zum Gegenstande haben, synonym mit sittlicher Schönheit, und umfasst Alles, was sich auf’fremdes Leben bezieht. J. P, sämmtl. W. Bd. 38. 8. 1. x Ueber Seele und Lebenskraft. 333 einseitige Entwickelungsfähigkeit des Kindes, nämlich die des Gemüths. | Mit der’ Geburt soll die Seele ganz und vollkom- men im Kinde vorhanden seyn, warum äussert sie sich denn, nicht in ihrer Vollkommenheit? Wegen Mangels körperlicher Ausbildung, ist die Antwort; aber worin steckt denn dieser Mangel? in der Entwickelung der Sinne? das kann wohl nicht seyn, denn es ist eine an- erkannte physiologische Erfahrung, dass die Sinnorgane nach der Geburt nur unbedeutend weitergebildet werden, als sie es bei der Geburt sind. Dass die kleinen Mus- keln der willkürlichen Bewegung noch nicht grosse Kraft haben, das kann ja doch die Seelenäusserungen nicht beschränken. In der Ausbildung des Gehirns etwa? während wir in den ersten Lebensjahren eine im Gan- zen nur unbedeutende Zunahme des Volumen; und fast keine Veränderung der Structur wahrnehmen, bei der bewunderungswürdigen Entwickelung des Geistes. Ver- folgen wir die einzelnen Richtungen der Seelenthätig- keit, als Vermögen zu empfinden, zu denken und zu wollen. 1) Das Empfindungsvermögen ist bei dem Neuge- borenen vollkommen dunkel; wir erkennen nirgends ei- nen Eindruck, eine Erregung der Aufmerksamkeit von irgend einem Sinnreize; nur für die Empfindung des Schmerzes scheint Empfänglichkeit vorhanden zu seyn, und auch diese beschränkt. Nach und nach sehen wir oft wiederkehrende Sinnesreize, wie Licht, Zucker, Fen- chel u. s. w., die erste spontane Seelenthätigkeit zu'Wege bringen, nämlich die Richtung der Aufmerksamkeit auf den Gegenstand. ‘Von da ab ist das’ Empfindungsver- mögen einer fortdauernden Ausbildung fähig: so bei dem Erwachsenen die Empfindungen durch das Auge, das Ohr, die Nase und Zunge und Fingerspitzen. Wir geben zu, dass eine vorzugsweise Uebung eines Sinnes und Con- 334 Ueber Seele und Lebenskraft. eentration, der Aufmerksamkeit auf: Perceptionen durch denselben auch einigen Einfluss auf die organische Ent- wiekelung‘ haben, im’ bei Weitem höherem Grade aber ist dieses für das Empfindungsvermögen als Seelenei- genschaft der Fall: so verliert der Blinde nach Wie- dergewinnung seines Gesichts sein feines Gefühl. — Je- denfalls.'sind. aber die Sinne des Neugeborenen schon bis zu einem, Ausbildungsgrade gelangt, dass gewöhn- liche Reize in Bezug auf die organische Evolution voll- kommen: empfunden werden könnten; nach einem ana- tomischen Unterschiede suchen wir vergebens; deshalb dürfen wix aber auch, nach den Gesetzen der Naturfor- schung ‘einen solehen nicht conjieiren, zumal da wir ohne eine solche Hypothese weiter kommen und heller sehen, als; mit ihr. Das Empfindungsvermögen der Kinder ‚entwickelt sich nach dem ersten Vierteljahre ih- zes Lebens längere Zeit in zunehmendem Grade, wenn nicht etwa verkehrte Erziehung solcher vor der Zeit Schranken setzt, während ‘der Körper zwar: auch zu- nimmt, ‚aber im umgekehrten Verhältnisse, je weiter von der Geburt ab, desto langsamer. An den Sinnen nehmen wir so /gut' wie keine Veränderung wahr, 2) Das Vorstellungsvermögen. Die Abhängigkeit des Denkvermögens von den Empfindungen haben wir oben weitläufig genug auseinander gesetzt, Sehen wir - nun auf. die abgeschlossene Lage des Fetus von der ein- wirkenden Aussenwelt, und zugleich auf das höchst un- vollkommene Empfindungsvermögen, so, halten wir uns gewiss: zu; dem Schlusse berechtigt, dass das Vermögen zu Denken demselben fehle, obwohl die Anlage, das Rudiment dazu vorhanden ist; denn was ist ein, Ver- mögen, das nicht nur nicht denkt, sondern gar nieht denken kann, wegen Mangels des Objects der Vorstel- lungen. Ennemoser ‚hat daher nicht Recht, wenn er sagt: „es mangle hier blos die Erscheinung: das See- | | Ueber Seele und Lebenskraft. 335 lenprincip (!)' entziehe sich‘ der sinnlichen Anschauung“ (wann ist denn ein Princip schon angeschaut worden), „und wir seyen deshalb noch nicht berechtigt auf Ab- wesenheit des Wesens, des Uebersinnlichen zu schlies- sen.“ Will E. jene Anlage zu den verschiedenen See- lenthätigkeiten schon Seele nennen, so steht ihm das wohl frei, aber es ist doch wohl ein grosser Unter- schied zwischen der Anlage und der vollendeten Ent- wiekelung ' derselben, zwischen dem Keime (der ohne fruchtbaren Boden und ‚fortgesetztes Leben nichts ist) und dem entwickelten Organismus. Dass das Vermögen zu denken und zu .urtheilen einer. fortdauernden Zunahme bis in ‚den Anfang des Greisenalters fähig sey; also bis zu. einer, Lebensstufe, in welchem die organische Lebenskraft schon: bedeutend gesunken ist, ist keinem Zweifel unterworfen, da die ganze intellectuelle Ausbildung dieses Vermögen zur Basis hat, Dass;das Gehirn bis in, das Greisenalter continuir- lich wachse, ist eine Hypothese, welche Ennemoser seiner Ansicht vom Leben zu Liebe erfunden hat, wel- che diese ‘weder klarer macht, noch fester begründet; und allen Erfahrungen und aller Analogie widerspricht. Wenn Platner, aus dessen Lehre über diesen Ge- genstand Nasse die Grundzüge seiner Meinung 'entnom- men hat, sagt: dass der Kindermord ‘vor dem ersten Athemzuge kein Menschenmord sey, dass’ das Ahtrei- ben der Frucht nicht unter dem Gesetze stehe, so liegt hierin mehr, Wahres als. in der entgegengesetzten von Ennemoser *). Die Frucht vor der Geburt ist, je wei- ter von, diesem. Zeitpunct ab, von stetig verminderter Individualität, bis sie sich. ganz in die der Mutter ver- liere. Ist der Selbstmord nieht dem Gesetze, unterwor- fen, so ist es. auch nicht die eigene Verstümmelung, 1) S. 110, 336 Ueber Seele und Lebenskraft. und eben so wenig die Abtreibung der Frucht, so lange ‘diese noch kein Zeichen des eigenen Lebens gegeben hat, also vor Erscheinung des punetum saliens. Aus polizeilichen Gründen, aber nicht aus rechtlichen ist es allerdings rathsam, eine solche Bestimmung nicht als Gesetz zu publiciren. Jede spätere Abtreibung muss in gleichem Grade härter bestraft werden, als sich die Frucht einer vollkommenen Individualität annühert, wel- che 'sie aber vor der Geburt nicht erreichen kann: gleichwie jede Verletzung härter bestraft wird, je grös- ser. die‘ Wahrscheinlichkeit des tödtlichen Ausganges durch sie gesetzt wird. Also Zerstörung des Lebens im Mutterleibe darf nicht so hart bestraft werden als der Kindermord; 'nach der Geburt aber hat das Kind vollkommen ‘die Rechte eines Erwachsenen, so lange wir den Mord eines Einfältigen und Klugen, eines Un- sittlichen und Tugendhaften für ein gleich grosses Ver- brechen halten, wozu der Gesetzgeber wohl immer ge- zwungen seyn wird, da er keine sichere Unterschieds- bestimmung' geben kann. Hier wird demnach der hö- here und niedere Entwickelungsgrad unbeachtet gelas- sen, und consequent hat auch der Neugeborene dieselbe Anforderung’ auf Gleichschätzung seines zwar selbststän- digen, aber unentwickelten Lebens mit dem Erwachsenen. Nach E. ist die Abtreibung der Frucht in jeder Schwanger- schaftsperiode mit dem Kindesmorde gleichzuschätzen. — Ich ‚schliesse hiermit eine Abhandlung, die auf viele "der schwierigsten Fragen eine Antwort zu geben versucht. ' Dass ich hier nicht selten geirrt habe, kommt mir selbst mehr als wahrscheinlich vor, da ich, abge- sehen von der allgemeinen menschlichen Schwäche, oft zwischen 'entgegengesetzten Urtheilen über ein und das- selbe Ding, je nach der Seite,’ von der ich es ansah, und nach der eigenen Stimmung oscillirte. Ergänzungen zu den Unters. über den Kreislauf desBlutes. 337 DI. Ergänzungen zu den Untersuchungen über den ö Kreislauf des Blutes. Vom Dr. G. WEDEMEYER, K. Hannöverschen Leib - und Ober-Stabs-Chirurgen. Di. nachstehenden Beobachtungen und Bemerkungen bilden gewissermaassen Ergänzungen zu meinen im An- fange des Jahres 1828 im Drucke erschienenen, den- selben Gegenstand betreflenden Untersuchungen! , und erstere sind theils schon vor der Bekanntmachung die- ser Untersuchungen , theils erst nachher von dem Verfas- ser gemacht worden. :Da sie kein zusammenhängendes Ganze bilden, so erscheinen sie hier in einzelnen Pa- ragraphen, indem zugleich jedesmal in einer Note die Stellen‘ jenes Werks näher bezeichnet ‚werden, auf welche sie eine specielle Beziehung haben. $. 1. Arterienhäute ?). Im Fetus geht die innerste Haut des Systems des schwarzen Blutes in die des hellrothen Blutes durchs foramen ovale des Herzens und den ductus arteriosus Botalli unmittelbar über, was, gegen Bichats Ansicht, ebenfalls auf die Identität beider Häute zu schliessen erlaubt. Dass der eigenthümliche derbe und fibröse Bau der mittleren Arterienhaut vorzugsweise durch den Druck, welchen: die Stosskraft des: Herzens auf die Blutsäule und durch diese auf die -Gefässhäute ausübt, bedingt werde, geht auch. aus folgenden Thatsachen 1) Untersuchungen über den Kreislauf des Blutes, und ins- besondere über die Bewegung desselben in den Arterien und Haargefässen, mit erklärenden Hindeutungen auf pathologische Erscheinungen, v. Dr. Wedemeyer. Hannover, 1828. 2) Vergl. 8. 8. 10. Nota a. meiner Untersuchungen u, 8. w. Meckels Archiv f. Anat. u, Phys. 1828. 24 338 Ergänzungen zuden Unters. über den Kreislaufdes Blutes. hervor: Bei dem sogenannten aneurysma varicosum , bei welchem eine widernatürliche Communicationsöff- nung zwischen einer Arterie und einer nahe gelegenen Vene besteht, nimmt die mittlere Haut der letzteren, indem sie ebenfalls die Stosskraft des Herzens empfin- det, allmälich ganz die fihröse Beschaffenheit der mitt- leren Arterienhaut an, während die unterhälb des Aneu- rysma befindliche Fortsetzung der Arterie, in welcher die Stosskraft des Herzens mehr oder weniger gemil- dert wird, allmälich sich mehr dem venösen Baue nähert. Diese, so viel mir bekannt ist, zuerst von Larrey beobachtete Thatsache wird auch von Ve/peau in des- sen Analomie chirurgicale, T. I. p. 363 angeführt. Aus einem ähnlichen Grunde gewinnt der Anfang der vena saphena mäagna am inneren malleolus, zumal bei älteren: Subjecten, vermöge des grossen und andauern- den Druckes, welchen die Blutsäule bei der aufrechten Stellung des Menschen auf deren Häute atısübt, ganz das arterielle Ansehen und arterielle Derbheit ihrer mittleren Haut, in solchem Grade, dass ich in der Anatomie noch 'wenig bewanderte Zöglinge, welche nach der an Leichnamen vorgenommenen ewcisio pe- dis die arteria tibialis antica unterbinden wollten, sehr häufig die klaffende und ganz arteriell aussehende Mündung der v. saphene magna ergreifen und’ her- vorziehen sahe. Auch die die Müskeln umhüllenden Faseien sind immer 'um so derber entwickelt, je robuster und müs- eulöser die Subjecte sind, je kräftiger und andauerh- der die Action ihrer Muskeln war. 5.2.) Die Beobachtung Spallanzanis, dass der Anfang der Aorta bei den Salamandern sieh, selbst abgeschnit- 4) vergl. 8, 40. #7. Ergänzungen zu den Unters. über den Kreislaufdes Blutes. 339 ten vom Herzen, von selbst oder auf mechanische Rei- ze selbstthätig zusammenzieht, habe auch ich in diesem Jahre in mehreren Versuchen bestätigt gefunden. (8. später.) So wieich in der Raja Torpedo, so fand Grant die Wände der Branchial-Arterie im Schwertfische beinahe so dick und muskulos, als die des Herzventrikels. (S. medico-chirurgical transactions, Edinburgh, Vol. IH. P. I. p. 84.) 8.3. °) Ich amputirte in Leichnamen den Unterschenkel, setzte alsdann in die geöffnete arteria cruralis, dicht am Poupart’schen Bande, eine Injectionsspritze mit Wasser, und liess diese stossweise, dem Herzen gleich, wirken; das Wasser strömte aus den durchschnittenen Arterien des Unterschenkels nicht intermittirend, son- dern remittirend. Je schneller die Stösse der Spritze sich folgten, um so mehr näherte sich der Blutstrom dem continuirlichen, je langsamer jene, desto inter- mittirender dieser. — In anderen Leichen legte ich eine lange Strecke der arzt. cruralis mit möglichster Scho- nung der von ihr entspringenden Zweige frei, ampu- tirte den Unterschenkel, setzte nun die Injectionsspritze in die art. eruralis, dicht am Poupart'schen Bande, und liess sie stossweise wirken. Bei jedem Stosse wurde die Arterie in ihrem ganzen Verlaufe sichtbar erweitert, zog sich alsdann, vermöge ihrer Elasticität, eben so sichtbar zusammen, und trieb das in ihr ent- haltene Wasser, ohne von dem Gesetze der Schwere begünstigt zu seyn, in einem schwächern, rieselnden Strome aus den durchschnittenen Arterienenden des 1) Vergl. 8. 55. 24* 340 Ergänzungen zu den Unters. über den KreislaufdesBlutes. Unterschenkels aus, ‘so dass sie wiederum collabirt und entleert erschien. Diese einfachen Versuche beweisen: 1) gegen Par- ry, dass die Arterien, wenn eine Flüssigkeit stossweise in sie hineingetrieben wird, allerdings erweitert wer- den. Diese Erweiterung muss aber natürlich um so geringer seyn, je mehr, ‘wie es in seinen Versuchen der Fall war, die Arterien sich durch die fortwährend in ihnen enthaltene Blutsäule bereits in einem ausge- dehnten Zustande befinden, je mehr sie, wie in gesun- den Subjecten, vom Blute überfüllt sind, und je mehr sie von den darüber liegenden weichen elastischen Thei- len, welche, so lange sie unverletzt sind, durch ihre Spannung und ihren Druck zur Entleerung der Arterie nach jedesmaliger Diastole derselben beitragen, voll- kommen entblösst sind (wie es ebenfalls in Parrys Ver- suchen der Fall war. Je vollkommener die Arterien von jeder neuen eintretenden Blutwelle entleert sind (z. B. bei Verblutungen), um so deutlicher ist ihre je- desmalige Ausdehnung. \ 2) Dass die Remissionen des Blutstroms aus einer geöfineten Arterie durch die Elastieität ihrer Häute be- dingt werden, und dassletztere es ist, welche die Arte- xie, nachdem kein neues Blut mehr zugeführt wird, fast völlig vom Blute entleert. Manche Vertheidiger der Irritabilität und der vita- len Contractilität der Arterien beim Pulse haben sich dadurch täuschen lassen, dass. sie den Puls, ‚die Dia- stole der Arterie, unbegreiflicher Weise für ihren ‚acti- ven Zustand hielten, während, wenn sie wirklich irri- tabel wäre, und eh besässe, nur die Con- traction der Arterie, die dem Gefühle des Arztes ent- gehen muss, für ihren activen Zustand gehalten wer- den könnte. Ergänzungen zu den Unters.über den Kreislaufdes Blutes, 341 & 4. - ) In den medico-chirurgical transactions , Edin- durgh, Vol. II. Part. I. p. 105 und folg., sind meh- rere interessante Fälle mitgetheilt, in welchen oft auf nur geringe Ausdehnung einer Extremität der Puls an derselben verschwand. In den Leichen fand man die innerste Haut der Arterien in Lappen zerrissen, wel- che, durch den Blutstrom nach innen gedrängt, den Canal der Arterie verstopften, das Blut gerinnen und den Puls verschwinden machten. Solche vorangegan- gene Ursachen mögen mitunter jenen Beobachtungen zum Grunde gelegen haben, wo an einer Seite der Puls verschwand, oder an beiden Seiten plötzlich ein verschiedener Puls bemerkt wurde. &.:5.,2) h Man behauptet gesehen zu haben, dass, nach der Durchschneidung des nerv. ischiadicus, bei Thieren das Blut aus dem amputirten Schenkel in einem schwä- cheren’ Strome floss, als bei der Amputation ohne vor- gängige Durchschneidung jenes Nerven, und hat dar- aus den Schluss gezogen, dass durch die Verletzung des Nerven die Arterie ihre Contractionskraft, und mithin ihren Antheil an der ng des Blutes verloren habe. Ich habe eine solche Erscheinung niemals beob- achtet, und muss gestehen, dass ich jene Thatsache bezweifle. Wenn in Anfällen von Schlagfluss Hemi- plegie erfolgt, so bemerkt man selten oder niemals, so lange die Ernährung der kranken Seite nicht gelitten hat, eine Verschiedenheit des Pulses an der gesunden und der kranken Seite. Der Blutstrom aus einer durch- 1) Vergl. S. 88, Nr. 4. 2) Vergl. 8, 92. 342 Ergänzungen zu den Unters. über den Kreislaufdes Blutes, schnittenen Arterie ist aber immer am stärksten wäh- rend der Diastole der Arterie, mithin, wenn man sie für irritabel halten wollte, am stärksten während ihres passiven Zustandes. In Leichen treibt eine in die Aor- ta gesetzte Spritze mit Leichtigkeit Blut aus den durch- schnittenen Schenkelarterien. Der nervus ischiadieus endlich verzweigt sich nicht einmal ‚an die Schenkel- arterien, und diese bekommen nach Ribes’s und C/o- quets Untersuchungen ebenfalls, wie die meisten Arte- rien des Körpers, ihre Nerven vom sympathischen Ner- ven. Es ist daher nicht einzusehen, wie überhaupt das Durchschneiden des Nerven einen solchen Einfluss auf die Contractilität der Arterien ausüben könnte. Auch mussten die angenommenen Muskelzusammenziehungen der Arterien, wenn sie vom ischiadischen Nerven ab- hingen, willkührlich seyn; die unwillkürlichen, orga- nischen Contractionen aber, die Haller’sche Irritabilität der Muskelfasern, mit welchen die Action der Arterien noch am ersten verglichen werden könnte, wird durch das Durchschneiden der Nerven keineswegs so bald aufgehoben, $. 6. ') Seit der Herausgabe meiner Untersuchungen über den Kreislauf des Blutes hatte ich Gelegenheit, neue mikroskopische Untersuchungen über den Haargefäss- kreislauf und das Blut in jungen Eichhörnchen, in Igeln, die im ‚Winterschlafe lagen, in Eidechsen, Frö- schen, Salamandern und deren aus dem Mutterleibe geschnittenen lebendigen Früchten anzustellen. In den Eichhörnchen waren die Blutkügelchen äusserst klein; in den grösseren Arterien des Gekröses floss das Blut stossweise und verhältnissmässig langsam, in den klei- 1) Vergl. $. 222 u, folg. | | Ergänzungen zu den Unters. über den Kreislauf des Blutes. 343 nern floss es dagegen continuirlich, Nur ein einziges Haargefäss des Gekröses sah ich, durch welches nur einzelne Kügelchen langsam und mit ungleicher Ge- schwindigkeit fortrückten. Im allgemeinen erblickt man im Gekröse dieser und anderer warmblütiger Thiere weniger zahlreiche Haargefässe, als in demje- nigen der kaltblütigen Thiere. Mehrere Haarkanäl- chen standen leer, andere waren zwar angefüllt, allein das Blut stockte in ihnen. Zuexst stand esin.den Haar- kanälchen still,; während es in den grössern Gefässen noch oscillirte, und auch, als in diesen das Blut schon still stand, schlug das Herz doch noch einige Zeit in gesehwächtem Grade fort. Die wena cava inferior schien sich selbstthätig nahe am Herzen zusammen- zu ziehen. Die Aorta hingegen zog 'sich auch:auf mecha- nische Irritationen nicht zusammen. — Merkwürdiger waren die über die im Winterschlafe begriffenen, dem Aufwachen nahen Igel angestellten Beobachtungen. Den ersten Igel öffnete ich am 4. April bei 7° R. äus- serer Wärme und 15° ‚R. Stubenwärme. Bespiratori- sche Bewegungen bemerkte man an ihm überall nicht. In dem eiskalten (Gekröse waren ‚die Venen viel zahl- zeicher und grösser als die Arterien. Die grösseren ‚arteriellen und venösen Gefässe waren (bei 40maliger Vergrösserung im Durchmesser) undurchsichtig, so.dass ich nie in den Arterien eine stossweise Bewegung des Blutes wahrnehmen konnte. ‚Sehr deutlich sah ich .da- gegen axterielle und venöse Haargefässe und deren Ue- bergänge von 1—3 Kügelehen Durchmesser, ja fast eben so deutlich als in Fröschen, und Kaulquappen. Die Kügelchen waren unendlich viel ‚kleiner als die der kaltblütigen Thiere, und bei 80maliger Ver- grösserung tund von Gestalt; ‚sie flossen .in Allen Haar- kanälchen langsam, gleichmässig, nie stossweise. Das Herz schlug anfangs alle 3—4 Secunden einmal, all- 344 Ergänzungen zu den Unters, über den Kreislauf des Blutes. mälich aber schneller und unregelmässig. So beobach- tete ich den Kreislauf eine volle Stunde lang und noch währte er ungestört fort, als ich das Thier tödtete. Das arterielle Blut hatte eine etwas dunkle Farbe, gerann aber doch bald und zu einem ziemlich festen Kuchen. Die kleinen Lungen lagen nach hinten in der Brusthöhle zusammengefallen. Thymus und capsulae suprarenales waren erhalten. Kneipen des nervi phre- niei erregte heftiges Zucken des Zwerchfelles. Die Urin- blase war strotzend voll Urin, die Gallenblase voll Galle. Der Darmkanal zeigte nur schwachen motus peristalticus. Die Aorta war in Hinsicht der Derbheit ° ihrer Häute nur wenig von den Hohlvenen unterschie- den. Das Netz war ohne Fett und das Thier überall sehr mager, und, wie das folgende, mit einer Unzahl von Flöhen versehen. Den zweiten Igel öffnete ich bei + 1° R. äusserer Wärme und 15° R. Stubenwärme am 3ten April. Fast alle Erscheinungen waren denen in dem vorigen Thiere ‘beobachteten gleich. Nachdem dieser Igel + Stundein der warmen Stube gelegen hatte, war die Temperatur seiner Bauchhöhle noch 64° R. Beim Durchschneiden des Hautmuskels ergoss eine Arterie hellrothes Blut, obgleich man keine respiratorischen Bewegungen wahr- nahm, und die kleinen Lungen zusammengefallen im hinteren Theile der Brusthöhle lagen. In den Thorax drang, sobald er geöflnet wurde, sogleich die Luft mit einiger Gewalt ein, wie wenn dessen Höhle luftleer gewesen wäre. Das Venenblut sah deutlich dunkler aus als das Arterienblut. Das Herz schlug, als der Thorax eine halbe Stunde nach Anfang der Beobach- tung geöffnet wurde, alle 4—5 Secunden einmal, bald aber durch den Reiz der Luft ziemlich viel schneller. Zuerst zog sich der Vorhof, dann rasch der Ventrikel zusammen, und nun erfolgte eine längere Pause. Zu- Ergänzungen zu den Unters. überden KreislaufdesBlutes. 345 weilen zog sich der Vorhof zweimal zusammen, wäh- rend der Ventrikel nur einmal. Weder die Aorta noch die Luftröhre äusserten auf angebrachtes Kneipen die geringste Contractilität. Das Gekröse war fetter und weniger durchsichtig als im vorigen Igel. Das ergossene Blut gerann bald zu einem ziemlich festen Kuchen. Der grössere Blutverlust, welchen dieser Igel erlitten hatte, mochte die Ursache seyn, dass in seinem Gekröse! weniger Haarkanälchen sichtbar waren. Doch sah ich einen grossen weiten Uebergang: einer Arterie in eine Vene, der wohl vier Kügelchen auf einmal fassen konnte. In einer sehr deutlichen kleinen Arterie, so wie in den Haarkanälchen, kreiste das Blut sehr langsam, und stockte bald ganz; aber weder in dieser Arterie noch in andern Gefässen konnte ich irgend eine stossweise Bewegung des Blutes wahrneh- men. Die Kügelchen waren äusserst klein und rund. Einige derselben, welche extravasirt waren, bewegten sich auf dem Gekröse kreisförmig sehr rasch, wahr- scheinlich wegen der ungleichen und abschüssigen Lage des Gekröses. Letzteres hatte hin und wieder ein kör- niges Ansehen (Fettklümpchen?). Ich schnitt die Ho- den durch, und drückte ihren Saft auf eine Glasplatte aus, konnte aber, selbst bei S0maliger Vergrösserung, in ihm nichts von Samenthierchen entdecken; dagegen enthielt er ähnliche Kügelchen, wie das Blut. Bei einer kleinen jungen Eidechse, welche ein Kind nach vorgängigen Magenbeschwerden lebend ausgebro- chen hatte, sah ich in den Füssen die Haargefässeir- eulation rasch und ohne stossweise Bewegung vor sich gehen. Die Grösse der Kügelchen glich der der Frosch- blutkügelchen. - Einige waren (bei 80maliger Ver- grösserung) fast ganz rund, die meisten aber etwas oval, von der Grösse feiner Hagelkörner, und in vielen konnte ich (ausserhalb der Gefässe) sehr deut- 346 Ergänzungen zu den Unters. über den Kreislauf des Blutes. lich den Kern und einen umgebenden durchsichtigen Ring (oder Bläschen) erkennen, selbst nach 24 Stun- den noch. Die Kerne lagen oft nicht in der Mitte des Bläschens, sondern an seinem Rande, und schienen im Begriffe zu. stehen, dem Bläschen zu entschlüpfen. Durch ein Stilet zerstörte ich eine Menge dieser Bläs- chen auf der Glasplatte. — Von den neu angestellten Beobachtungen an Frö- schen will ich hier nur anführen, was ich, ausser den bereits in meinem erwähnten Werke mitgetheilten That- sachen, Neues und Bemerkenswerthes: wahrnahm. Die Blutkügelchen des Frosches sind im Durchmes- ser nur — + so gross als die der- Salamander. Wenn die Kügelchen einzeln , in weiter Entfernung von einan- ‚der, langsam oder oschllirknd, sich in den Haargefässen ee oder garin ihnen ruhten, so glaubte ich öf- ters mit Gewissheit in der dunkleren Färbung ihres Mittelpunkts ihren Kern angedeutet zu bemerken, wie wohl derselbe niemals die schanien Grenzen, nie die Deutlichkeit hatte, die er annahm, wenn die Kügel- chen ausserhalb der Gefässe einige Zeit der Atmo- sphäre ausgesetzt gewesen waren. Auch glaubte ich in diesen Fröschen hin und wieder zwischen (den sehr langsam sich bewegenden Kügelchen einzelne Blutkerne ohne ihr Bläschen zu bemerken, welche dann allemal viel kleiner als die vollständigen Kügelchen waren. — Das extravasirte, wässrige und van Blut gerann nur langsam und unvollkommen. Je kleiner die Haargefässe sind, desto mehr Serum und weniger Kügelchen fliessen durch sie, so dass in den feinsten Haarkanälchen nur das flüssigere Serum strömt, und nur selten ein einzelnes Kügelchen sich mühsam einen Weg durch sie bahnt. Auffallend war es, dass oft, dem Anscheine nach, extravasirte Kügelchen unter oder auf dem Gekröse in Ergänzungen zu den Unters. über den Kreislaufdes Blutes. 347 entgegengesetzten Richtungen sich bewegten, wie wenn die Richtung ihrer Bewegung nicht immer durch das Gesetz der Schwere bestimmt würde. ) Am 2ten, 3ten, 4ten Tage erschienen die Blutkügel- chen mit ihren Kernen auf der Glasplatte immer noch deutlicher als gleich nach den Versuchen. Die Kü- gelchen waren fast rund und etwas weniger oval als die der Salamander. Hin und wieder sah man auch Kerne ohne ihr Bläschen. — Höchst merkwürdig und interessant waren die von mir mit acht Salamandern und mehreren lebendig aus ihrem Leibe geschnittenen Sa- lamander - fetus über den Haargefässkreislauf, vor- züglich denjenigen in ihren Lungen, gemachten Beob- achtungen. Die Aorta der Salamander zeigt, bis zu ihrer Spaltung, 4+—5 Linien weit vom Herzen, unter der Loupe einen musceulösen, von dem der Venen ver- schiedenen Bau. Bis zu dieser Stelle zieht sie sich auch jedesmal nach der Contraction der Herzkammer selbstthätig zusammen. Reizte ich sie, nachdem sie mit dem Herzen ausgeschnitten war, mit der Pincette, so zog sie sich deutlieh, dem nackten Auge sichtbar, allein und ohne das Herz zusammen. Ja! ihre Con- tractionen und Expansionen währten auch noch von selbst und ohne Irritationen abwechselnd fort, nach- dem ich dieses Stück der Aorta gänzlich abgeschnit- ten und auf meinen Finger gelegt hatte. Der Haargefüsskreislauf ihres Gekröses verhält sich im allgemeinen ganz so, wie bei den Fröschen; ich werde daher nur Weniges von ihm bemerken. Da- gegen hat ihr Lungenkreislauf, der sich in ihnen deutlicher als in den Fröschen beobachten lässt, sehr viel Eigenthümliches, und bietet unter dem Mikroskope ein merkwürdiges Schauspiel dar, wie ich esnoch von keinem Beobachter, selbst von Spallanzani nicht, be- schrieben gefunden habe. N 348 Ergänzungen zu den Unters. über den Kreislauf des Blutes. Ihre Lungenarterien führen deutlich ein dunkeles, die Lungenvenen hingegen ein Aellrothes Blut. In jedes Lungenbläschen tritt in der Regel nur ein Ar- terienast, und nur eine Vene führt das Blut wiederum zurück. Der arterielle Ast, so lange er als solcher existirt, hat deutliche Gefässhäute; sehr bald aber'lö- sten sich seine Gefässhäute auf, indem sie allenthalben in ihrem Verlaufe siebförmig durchlöchert sind, und aus ihren unzähligen kleinen Löchern eben so viele einzelne Kügelchen hindurchtreten, welche nunmehr, fast schrankenlos, zwar sämmtlich nach einer und der- selben Richtung hinströmen, allein nicht mehr in @e- Füsswünden enthalten rieseln, sondern das Parenchyma, welches auf einer ebenen Fläche unzählige kleine Kör- ner, Häufchen oder Inselchen bildet, in eben so vielen Verschlingungen und Anastomosen überschwemmen. Man denke sich, wie gesagt, eine ebene Fläche, auf welcher sich unzählige isolirte, kleine Körperchen (das Parenchyma) erheben, man denke sich zwischen diesen in unzähligen Verschlingungen kleine Erbsen nach einer und derselben Richtung Hinrollen, so hat man ungefähr eine Vorstellung von dem Laufe der Blut- kügelchen, von der Haargefässcirculation in den Lun- gen der Salamander. An Gefässhäute, selbst an Ge- fässwände ist hierbei eigentlich gar nicht mehr zu den- ken; die Wege, in welchen die Kügelchen rollen, nachdem sie durch die siebförmig durchlöcherten Wände des Hauptgefässes gedrungen, sind so eng, dass sie niemals mehr als ein Kügelchen auf einmal durchlas- sen. Die Schaar der Kügelehen rollt zwischen den In- selchen von Parenchyma nach der entgegengesetzten Seite und tritt eben so in den siebförmig durchlöcher- ten Hauptvenenstamm, wie sie den Arterienstamm verlassen hat. Es existirt mithin in den Lungen keine allmäliche Abnahme der Gefässkaliber bis zu den fein- Ergänzungen zu den Unters. iber den Kreislaufdes Blutes. 349 sten Haarkanälchen, es existiren keine intermediären, allmälich am Umfange abnehmenden Verbindungsäste zwischen Stamm und Haargefässen, sondern der Arte- rienstamm jedes Lungenbläschens zerfliesst gewisser- maassen, löst sich auf in eine unendliche Anzahl der feinsten Wege für einzelne Blutkügelchen, und eben so vereinigen sich diese wieder plötzlich auf der ande- ren Seite in dem Hauptvenenstamme. Jedes Lungen- bläschen bildet so gewissermaassen seinen kleinen Kreislafif für sich, hat seine eigene Arterie, seine Ve- ne, und zwischen beides rieseln die Kügelchen einzeln durchs Parenchyma, allenthalben um jedes Körperchen oder Inselchen des Parenchyma mit den benachbarten Strömehen Anastomosen bildend. Dieser rasche Uebergang der dickeren Gefässe der Lungen, in die zartesten Haarkanälchen des Paren- chyma hat ohne Zweifel den doppelten Zweck: 1) den Kreislauf zu verkürzen und zw. beschleunigen; 2) dag Blut aber dessenungeachtet möglichst zu zertheilen und jedes Kügelchen der Einwirkung der Luft in den Eun- gen auszusetzen. Ich habe in den verschiedenen Salamandern den Haargefässkreislauf der Lungen mit dem des Gekrö- ses gleichzeitig verglichen, und constant. gefunden, duss der der Lungen ungemein viel schneller als der des Gekröses vor sich ging. Die Blutkanälchen oder Wege der Lungen nehmen dem. Anscheine nach mehr Raum ein, als die zwischen ihnen liegenden Häufchen oder Inselchen von Parenchyma — so zahlreich sind ihre feinen Verschlingungen! Der geringste, Druck auf einen Theil der Lungenbläschen hob. sogleich alle Blutbewegung in ihnen auf. ‚Bei geschwächter Circu- lation stockten zuweilen. die Kügelchen momentan an den Ecken der Häufchen von Parenchyma, um welche sie sich in ihrem. Laufe schlingen mussten, bis sie von 350. Ergänzungenzu den Unters. über den KreislaufdesBlutes. den nachrückenden Kügelchen fortgestossen wurden. Allemal erschien der Lauf der Kügelchen in den Haar- kanälchen langsamer als in den Gefässstämmen der einzelnen Lungenbläschen; auch wurde er in letzteren um so intermittirender, je schwächer der Blutumtrieb wurde, und sobald der Kreislauf in einzelnen Lungen- bläschen wirklich völlig stockte, oscillirten nur noch einzelne Kügelchen, im Serum schwimmend, in den feinsten Kanälchen bei jedem Stosse des Herzens vor und zurück. zu Das Auftröpfeln von Ammonium causticum hob so- gleich jede Blutbewegung in den Lungenbläschen auf. Blutverlust äusserte seinen Einfluss nicht so stö- rend auf den Haargefüsskreislauf der Lungen als auf den des Gekröses. Ersterer ging oft noch ungestört vor sich, wührend letzterer bereits still stand. Das Herz sah nach grossem Blutverluste blass aus, und schlug nur noch schwach. Im Gekröse waren alsdann die Gefässe fast blutleer, und die Haargefässe collabirt und fast gänzlich verschwunden. Mehrmals sah ich ön Gekröse der Salamander ganz leer scheinende, nur Serum führende weite Kanäle, andere ähnliche, durch welche nur dann und wann ein Kügelchen drang, oder in welchen einzelne oscillirten. Auch in Haarkanälchen, die nur ein Kügelchen durch- liessen, ‘war deren Bewegung oft stossweise, bald schneller, ‘bald langsamer, oft ungleich, zuweilen selbst eine Strecke lang rückwärts. Je kleiner die Gefässe, desto mehr Serum und weniger Kügelchen in ihnen. Dass die kleinsten zuweilen nur ‘Serum führten, sah man daran, dass sie nach Ausschneidung des Herzens und starker Verblutung sich rasch verengerten und sichtbar um die Hälfte ‘collabirten. In den Haarkanälchen der Lungen konnte ich niemals eine stossweise progressive Bewegung ‘der einzelnen ‘'Kügelchen wahrnehmen, Ergänzungen zu den Unters. über den Kreislauf desBlutes. 351 Nach der Ausschneidung 'des Herzens hörte sogleich alle wahre Bluteireulation auf. Das Blut strömte nur noch kurze Zeit in der einmal angenommenen Rich- tung fort, zumal in den Venen, aus welchen es durch den Druck der elastischen Umgebungen nach der Wunde hingepresst wurde. In den übrigen Gefässen fluctuirte es noch eine kurze Zeit hin und her, bis es zuletzt ganz still stand. In den Gekrösarterien, welche mehrfache Krüm- mungen machten, oder welche gelinden Druck erlitten, bewegte sich das Blut während des Kreislaufes langsa- mer und mehr stossweise als in den übrigen freieren und geraderen Arterien. Gewaltsame Bewegungen der Thiere erzeugten oft- Störungen des Blutlaufes in den Gefässen, so dass die Kügelechen unsicher, bald vor- bald rückwärts ström- ten. — Die Blutkügelchen der Salamander erscheinen bei 80Omaliger Vergrösserung so gross als kleine Lin- sen, Hydatiden ähnlich, meistens etwas oval, zuweilen fast rund. Sie verändern nicht selten, indem sie durch enge gewundene Kanälchen gehen, ihre Form von der rundere# in die mehr ovale oder in eine langgezogene Form, mach hinten mit einer schwanzartigen Spitze. Rollen sie sieh, was zuweilen geschieht, um ihre ho- rizontale Axe, 86 sieht man deutlich, dass sie wirklich linsenförmig, auf der oberen und unteren Fläche abge- plättet, an den Rändern scharf sind, und gleich’ Rei- hen gezählten Geldes sich mit ihren Flächen theilweise decken. 'Kommien sie, indem sie sich wälzen,: auf ih- ten Rand zu stehen, so sieht man diesen deutlichscharf, schmal, bis fie ihre Drehung vollendet haben und auf der anderen Fläche zu liegen kommen. Durch diese Botationen hiehmen sie dann nicht selten vorüberge- hend die langgezogene, gurkenähnliche Form an. — 352 Ergänzungenzu den Unters. über den Kreislaufdes Blutes. Während des Kreislaufes konnte ich niemals den Kern innerhalb des Bläschens erkennen. Wenn aber die Kügelchen sich sehr langsam fortbewegten, oscillirten oder gar stagnirten, so erkannte ich deutlich in ihrer Mitte eine runde, dunklere Stelle, umgeben von einem hellen, durchsichtigen, runden Ringe. Dieser dunklere Mittelpunet erschien mir aber nicht als ein bereits ent- wickelter, härterer, vollkommener Kern, sondern nur als der saturirtere Theil des Bläschens, gewissermaas- sen als der Keim des später sich entwickelnden Kerns. Eben so verhielten sich auch noch gleich anfangs die Kügelchen, nachdem sie extravasirts waren und sich sparsam und dünn auf einer Glasplatte verbreitet hat- ten. Sobald sie aber hier längere Zeit der Atmosphäre ausgesetzt und eingetrocknet waren, erschien und bil- dete sich: immer deutlicher im Mittelpunete des Kügel- chens ein dem Anscheine nach festerer, undurchsichtiger, sunder Kern, dessen Oberfläche etwa den sechsten bis achten Theil der Oberfläche des ganzen Kügelchens, oder des den Kern umgebenden hellen ‚durchsichtigen Bläschens ausmachte. Diese Erscheinung trat immer um so deutlicher ein, je länger die Kügelchen der At- mosphäre ausgesetzt, je mehr sie eingetrocknet waren, und war daher auch noch den zweiten und dritten Tag sichtbar. Unter meinen Augen entwickelten sich in den extravasirten Kügelchen die Kerne, so dass, wenn sie anfangs nur erst im Einzelnen sichtbar. waren, all- mälich. dergleichen in fast allen Kügelchen erschienen. In: der Regel lagen die Kerne in der Mitte des Bläs- chens; zuweilen lagen sie aber auch nahe "an seinem Rande, und einige endlich. waren völlig aus ihrem Bläschen herausgetreten und lagen isolirt .neben dem Bläschen, das aber alsdann selten sich ‘erhielt und in der Regel bald ganz verschwand, wie denn überhaupt die Bläschen viel leichter zerstörbar, und vergängli- Ergänzungen zu den Unters. über den KreislaufdesBlutes, 353 cher als die Kerne sind; erstere lösen sich, wie wir später noch sehen werden, sogleich im Wasser auf, während die Kerne in ihm unverletzt bleiben. Solche ihres Bläschens beraubte Kerne habe ich nun aber nicht allein im extravasirten Blute beobach- tet, sondern ich sah sie auch ganz unbezweifelt sechs bis acht mal kleiner als das vollständige Kügelchen, und vollkommen rund, ganz isolirt und ohne ihr Bläs- chen, oder selbst noch an dessen Rand geheftet, zwi- schen den vollständigen Kügelchen innerhalb der Ge- fässe hin und wieder vorkommen, bald am Rande des Gefässes fest liegend, bald mit den übrigen Kügelchen sich fortbewegend; und es ist mir mehr als wahrschein- lich, dass diese innerhalb der Haarkanälchen hin und wieder vorkommenden Kerne von solchen Kügelchen herstammen, die eine Zeit lang stagnirt hatten, gewis- sermaassen ausserhalb der Cireulation gewesen waren, dieserhalb ihren Kern entwickeln konnten, der, nach- dem sich das Bläschen aufgelöst, nunmehr, vom Blut- strome fortgexissen, zwischen den übrigen Kügelchen eirculirte. Aus allem diesem aber scheint mir so viel wenig- stens mit Gewissheit, hervorzugehen, dass die Kerne noch nicht innerhalb der integren, belebten und kräf- tig eirculirenden Blutkügelchen existiren, sondern dass sie vielmehr ‘erst Product des Absterbens, «der, Zer- setzung der Blutkügelchen sind, gleiehviel ob diese hin und wieder in einzelnen Blutkügelchen: schon in- nerhalb der Gefässe, durch eintretende Stagnation der- selben u. 8. w., oder ob sie erst ausserhalb der Cireu- lation und der Gefässe durch die Einwirkung der'äus- seren Luft vor sich geht. Es ist mir ferner aus diesen Beobachtungen höchst wahrscheinlich geworden, dass die Kerne innerhalb der Kügelehen sich aus. deren Faserstoff miltelst der 'Ge- Meckels Archiv f. Anat. u. Phys. 1828. 35 354 Ergänzungen zu den Unters. über den Kreislaufdes Blutes. rinnung bilden, ' und gewissermaassen dem Blutku- chen entsprechen, so dass sich hier im einzelnen Kügel- chen im Kleinen derselbe Process der Gerinnung, wie in Massen vom Blute im Grossen, wiederholt, für wel- che Ansicht’ auch die von mir gemachte Beobachtung spricht, dass die ganzen Kügelchen, die sich bereits in Kern und Bläschen geschieden haben, in einem Tropfen Wasser sich so auflösen, dass das Bläschen so- gleich spurlos verschwindet, und nichts als der sechs bis acht mal kleinere Kern, der im Wasser unauflösliche Faserstoff, zurückbleibt. F Noch muss ich bemerken, dass ich sehr häufig im Mittelpunkte der verztrockneten Kerne ein kleines dunkles, schwarzes Pünktchen, das mir ein Grübchen zu seyn schien, beobachtete. Die extravasirten Kü- gelchen erschienen immer grösser 'als’die in den Ge- fässen kreisenden. Ihre Kerne waren nicht alle von gleicher Grösse und ‘zuweilen an ihrem Rande ‘nicht scharf rund, sondern etwas gezackt. — ‚Die lebendig ausgeschnittenen Salamander- Fetus lagen etwa 1 Zoll lang im Eie gekrümmt um den mit ihrem Bauche befestigten: Dottersack. In der Mitte ih- res Rückens bis zum Schwanze lief eine grosse Arte- zie und neben‘ dieser eine noch dickere Vene herab. ‘Von der‘ Arterie gingen nach beiden Seiten’ Zweige ‚ab, die am Rande des Schwanzes, wie bei den Kaul- quäppen, unter sich zahlreiche Anastomosen, undy'in- dem ‘sie umkehrten, Uebergänge zu den Venen von 4 — 3 Kügelchen Weite bildeten. Die grosse Arterie war undurchsichtig, weshalb ich den Blutlauf in ihr ‚nicht wahrnehmen konnte. ' Die Kügelchen’warem'eben so gross als bei den ausgewachsenen Salamandern; meistens oval,: zuweilen rund. Auch hier veränderten sie offenbar oftmals im Durchgange durch enge Ka- nälchen ihre rundere in die mehr ovale Form; wurden Ergänzungen zu den Unters. über den KreislaufdesBlutes. 355 langgezogen mit einem spitzen Schwanze nach hinten, gleich gewissen Infusionsthierchen (was gewiss nicht etwa von einem Schatten oder einer anderen optischen Täuschung herrührte), oder sie nahmen die Gurken- form an. Das Blut in den arteriellen Gefässen kreiste schneller als in den venösen. Fast allenthalben sah ich in Furchen die Wege vorgezeichnet, welche die Kügelchen nehmen mussten, und alle Kügelchen lie- fen immer einzeln dieselbe Bahn, machten. dieselben Winkel und Biegungen in ihrem Laufe. Der Haarge- fässverschlingungen und Uebergänge zu den Venen waren unzählige. Oft durchkreuzten sich zwei Kanäl- chen dicht über einander, ohne unter sich in Verbin- dung zu stehen. Am Ende des Schwanzes stand. oft schon alle Circulation still, während sie‘ der Mitte des Körpers nüher noch langsam vor sich ging. Uebrigens alles wie bei den Kaulquappen. — er A Ob der Faserstoff' des Blutes im Serum aufgelöst enthalten sey, durch eine Metamorphose seines Albu- mens entstehe, oder ob er ein Bestandtheil der Kügel- chen sey, ist noch, Gegenstand des Streites. Berzelius (S. dessen Uebersicht der Fortschritte ‚der thierischen Chemie, Nürnberg, 1815.) ist der: ersteren Meinung, welche dadurch bestätigt zu werden scheint). dass; wenn man auch, was ich selbst ‚bestätigt fand, ‘durch Peitschen den Faserstoff vom Blute ‚trennt, dennoeh dieselben Kügelchen im zurückgebliebenen Blute wahr- genommen werden, und. dass in dem flüssigen, nicht geronnenen Theile des Blutes der Leichen, was-ich ebenfalls wahrnahm, ‚dieselben Kügelchen vorhanden sind. — Hünefeld (Physiologische Chemie) ist dagegen an UA) Vergl. 8.245258. 25* 356 Ergänzungen zuden Unters. über den Kreislauf des Blutes. der letzteren Ansicht, und für diese sprechen unter an- deren auch meine Versuche und Beobachtungen, näm- lich 1) dass Wasser, ın hinreichender Menge zum Blute gemischt, dessen Farbestoff auflöst, so dass nichts mehr von Kiügelehen in der gefärbten Auflösung zu bemer- ken ist, während ein geringer, schwererer Theil (derim . Wasser unauflösliche Faserstoff?) zu Boden sinkt, und 2) dass Wasser sogleich die die Kerne umgebenden Blutbläschen der Salamander auflöst, die Kerne aber unverletzt zurücklässt. — Sollte nicht die entzündliche Speekhaut des Blutes Product eines Ueberschusses von Faserstoff im Blute seyn, der nicht gehörig mit dem übrigen Blute verbunden ist? Mein verehrter hiesiger Freund, Herr Brande, fand, dass das beim Aderlassen abfliessende Blut während des Fliessens allmälich rei- cher an festen Theilen wurde und das später abgeflos- sene Blut mehr Blutkuchen bildete als das zuerst ent- zogene, und erklärt diese Erscheinung physikalisch dadurch, dass mittelst der Propulsivkraft des Herzens immer verhältnissmässig mehr des flüssigeren Blutwas- sers als der schwerflüssigeren Blutkügelchen aus der Venenwunde getrieben, und mithin während des’ Ader: lassens (der Blutungen) die Blutmasse im Körper rare sam 'eoncentrirter werde. ... Das im ‘Serum aufgelöste Albumen ist es oh Zweifel; 'was’das’ Blutroth, den Farbestoff der Kügel- öhen im lebenden Körper vor der Auflösung'im Serum schützt. Wenn mithin in Krankheiten, z. B. im Fäaul- fieber,'Scorbut’ u. |s. w., der Gehalt des Serum'an Albumen’abnimmt, und ersteres wässerichter wird),'so muss‘es dadurch auch die Fähigkeit erhalten, noeh innerhalb: der Gefäßse, ind während des Lebens noch; einen Theil des’ Farbestoffes des Blutes und der Blutbläs® chen aufzulösen, wie ich denn wirklich zuweilen das Serum des in solchen Krankheiten entzogenen Blutes Ergänzungen zu den Unters. über den Kreislaufdes Blutes. 357 geröthet beobachtete, wenn diese‘ Erscheinung nicht vielleicht schon Folge einer eingetretenen Ammoniac- bildung und beginnender Fäulniss des Blutes war. Die ewige Bewegung des Blutes im lebenden Körper ist gewiss nicht die einzige Ursache seiner Nichtgerin- nung, sondern Leben u Nervenkraft und die Ernäh- rung selbst, durch welche dem Blute fortwährend Fa- serstoff entzogen wird, tragen gewiss zur Erhaltung der Flüssigkeit des Blutes bei. Daher denn auch das Blut in brandigen, abgestorbenen Gliedern gerinnt. Auf meine Veranlassung hatten Herr: Brande und dessen talentvoller Schüler, Herr Siromeyer,. die Güte, einige vergleichende Untersuchungen über die verschie- dene chemische Beschaffenheit des Blutes in verschie- denen Krankheiten anzustellen, ‘und obgleich sie an Zahl nur gering sind, -so halte ich sie doch in ihren Resultaten für ‘wichtig. genug, um-ihnen "hier einen Platz zu gönnen. Analyse des Blutes verschiedener Kranken. Gehalt des Blutes in 100 Theileu an Wasser ‚an an Eiweiss |Blatrotlı und u. Salzen |. Faserstofl Krankheit. Namen Alter „der Jahre ‚4) Randolf 30, | Hypertrophia | 77,877 | 8,938. | 19,480, cordis 2) Jawowsky| 49 |Commotio ce-| 79,69 8,56 11,85. dt . rebri 3) Lühring | 42 |Vertigo 78,105 | 9,309 | 12,586. 4) Bleibaum | 25 "2 73,200 | 8,257 12,525. 5) Döpre 50 „\ARheumatismus | 76,160 |.,8,012 | 15,823. jf sine febre 6) Frau Haa- se 30, .|,Pleuritis 111 77,090 || 8,828 | 14,087, 7) Ziesenis 50 |Pneumonia 77,80 8,73 13,47, > #8) Dettmers n s j “Kind 12] Pleuritis 82,373 \:7,688 9,434 (2). “m, Severins @&stk: Tochter | 15 |Pneuhdnia” | 78 "ao | 18/88) ' 10) ‚Kruse 20 | Fehrist scarla:| 79,54 7,56 12,90. 14 wa vn 3 N tina } | 358 Ergänzungen zu den Unters. uber den Kreislauf des Blutes. Y Anmerkungen. Döpre: das Blut hatte eine dünne Speckhaut, et- wa von der Dicke eines Kartenblatts. . Dettmers Kind: Das Blut hatte eine dicke Speck- haut (Faserstoff), fast ! Zoll dick, die (ausgewaschen und getrocknet) auf 100 Theile Blut 0,621 betrug. Haase, Ziesenis, Severin: das Blut hatte keine Speckhaut. ' Kruse: das Blut hatte eine starke Speckhaut. ker Gehalt des Blutes an Faserstoff. 100 Theile Blut enthielten bei Krankheit. Jawowsky — — 0,216 Faserstoff — Commotio cerebri Bleibaum — — 0,209 — — — ? Frau Haase — — 0,263 — — — Pleuritis Severins Tochter — 0,246 — — -—- Pneumonia Kruse — — — 0,518 — — — Febris scarlatina. F Dass sich Blut im chylusähnlichen Dotterstoffe der Vögel und in der plastischen Lymphe, in Folge von Entzündungen, entwickelt, beweist noch, keineswegs Döllingers Ansicht, dass alles Blut im Schleimstoffe erzeugt werde. Der von ihm beobachtete Uebergang von Kügelchen aus ‘dem Schleimgewebe in das Blut macht noch keineswegs die Annahme nothwendig, dass diese Kügelchen wirklich meBEgrte Blutkügelchen seyen. — Dass die Capacität der Aeste der Arterien grösser ist als die ihres Stammes, habe ich selbst durch Aus- messungen bestätigt gefunden. So fand ich an beiden Seiten einer Leiche den Umfang der urt. cruralis com- munis — 12, den Umfang der art. cruralis superficialis und der profunda einzeln gleich 9. Das Quadrat von 12 ist — 144, das von 9 — 81, zweimal genommen — 162. Mithin verhielt sich die Capacität der Aeste Ergänzungen zu den Unters. über den KreislaufdesBlutes. 359 zu der des Stammes wie 162 : 144. — Aehnliche Re- sultate gab die Vergleichung der, aoria adscendens mit der art. anonyma, carotis sinistra ,, subelavia sinistra\ und aoria descendens. _ Zahlreichere.| bestätigende Re- sultäte ergaben sich aus den von meinem Freunde, dem. Herrn Landphysicus Dr. Krause, _Prosector der hiesigen Königl;; chirurgischen. Schule, , angestellten genauen. Messungen. { $. 8. ') Saugkraft des rechten Vorhofes des- Herzens. — Barrys Versuche. — _ Die Hohlvenen haben derbere., Wände als.die übri- gen Venen, ‚und 'communieiren. durch weite, Oeffnun- gen mit.dem rechten .Vorhofe des., Herzens. Daher kann dieser wirklich „saugend, auf ‚das in ihnen enthal- tene Blut durch seine, ‚Expansionen ‚einwirken, ohne einen ‚Collapsus der, Venenwände zu..erzeugen.. Auch konnte ‚ich die vera cava inferior innerhalb der Bauch- höhle)und die vena jugularis Wnterna ,; nachdem ich ‚sie voll. Wasser gespritzt,hatte, ‚mittelst,einer Spritze rein aussaugen, ‚so dass.beim jedesmaligen. Saugen; die im Herzbeutel stehende Flüssigkeit tiefer sank; und erst, nachdem. alle‘ Flüssigkeit aus „diesen Venen ‚entleert war, collabirten ihre Wände. , Wenn daher im leben- den Körper das durch die Saugkraft des Herzens ent- leerte Blut der‘. Venen immer durch die Stosskraft des Herzens « /ergo. wieder, ersetzt wird, ,so.ist begreiflich, wie der Vorhof fortwährend durch‘, seine Expansionen auf das Blut der. Hohladern saugend einwirken muss, Eben so kann man die mit derberen Häuten versehene art. eruralis mittelst einer Spritze durch Saugen voll- komnien: vom: Blute entleeren, : während: dieses‘schon nicht beider schlafferenvenav.cruralis gelingt, ‚ideren 1) Vergl. S. 308. 315, as j 360 Ergänzungen zu den Unters. über den Kreislaufdes Blutes. Wände, sobald das denr Spritzenrohre nächste‘ Blut eingesogen ist, sogleich collabiren und das Spritzenrohr hermetisch verschliessen. Hätte Barry bei seinen Versuchen, anstatt starrer Glasröhren, schlaffe, venengleiche, des Collapsus fähige Schläuche gebraucht, so würde er gesehen haben, dass diese nicht bei der Inspiration die Flüssigkeit ansogen und hoben, vielmehr zusammenfielen und jedes weitere Saugen vergeblich machten. Auch gelang sein Ver- such selbst mit Glasröhren nicht einmal im Stehen der Thiere, wo die Saugkraft zugleich noch gegen die Schwerkraft des Blutes zu kämpfen hatte. =" Eeroy d’Etioles sah sogar bei dem Barry’schen Versuche, wenn er gleichzeitig die Luftröhre schloss, das Venenblut' durch die Glasröhre zurückfliessen, wäh- rend durch die angestrengten Inspirationen des Thieres die Saugkraft des Thorax auf die Venen vielmehr noch hätte gesteigert werden müssen. (8. Magendies Journal'ete. Avril et Juillet 1828. p. 101.) — Gegen Barrys Theorie spricht endlich auch noch die Erschei- nung‘, dass 'sämfittliche oberflächliche Venen, wenn’sie vom Blüte entleert werden, ‘sich dennoch auch wäh- rend'der särksten Exspiration wieder mit Blut anfül- ler, undeben so ‘unter einer Ligatur des Armes, wenn man ‘die Venen dwiich ‚Streichen ’vom' Blute entleert, diese/dennoch räsch’wieder'von unten durch neues Blut ausgedehnt werden <— alles Erscheinungen, welche'be- weisen‘ dass "nur die'Stosskraft des Herzens der vor- eöglichete Hebel der) Venetieiroulation ist. ul‘ glım ee ke, nor BER die feinsten .‚Haarkanälchen nicht mehr mit. wirklichen‘ Gefässwänden versehen sind, sieht man am 1) Vergl. S. 261. Ergänzungen zu den Unters. über den Kreislauf desBlutes. 361 deutlichsten in den Lungen der Salamander. Auch die Haarkanälchen des Gehirns scheinen vorzugsweise der Gefässhäute zu entbehren, indem schon die stär- keren zum Gehirne tretenden Arterien zartere Häute besitzen als die übrigen Arterien des Körpers, und der durchs Herz ausgeübte Druck auf das Blut und die Gefässwände durch die Windungen und feinen Ver- zweigungen der zum Gehirne tretenden Gefässe gebro- chen wird. Daher zum Theil die Neigung zu Ruptu- ren der Gefässe des Gehirns und zu blutigen Exhala- tionen in seiner Masse. In der Diplo& der Knochen aber legen, nach Breschets Untersuchungen, ebenfalls schon die diekeren Venen ihre Häute bis auf die zarte innerste ab. Auch soll man die Knochenvenen nicht durch die Arterien einspritzen können. (S: Verhandl. der Leopold. Carolinischen Akademie der Naturforscher, Bonn, B. XIII. Erste Abtheil. 1826. p. 361.) $. 10. ') Den feinsten Haargefässen des lebenden Körpeks scheint mehr oder weniger die Eigenschaft zuzukom- men, sich auf belebende Reize nicht zusammenzuzie- hen, sondern gegentheils zu erweitern, auf solche Ein- flüsse hingegen, welche eine Depression; eine Vermiu- derung der Nervenkraft nach sich ziehen, zusammen- zufallen.‘ Der erstere Vorgang, »die ‚auf: belebende Reize erfolgende Ausdehnung der Haargefässe, ‚führt die Erscheinungen des Zurgor vitalis, eine Ueberfüllung von Blut nach sich. Der: letztere Vorgang, : die auf deprimirende Einflüsse erfolgende Verengerung‘ der Haargefässe, bildet den Gollapsus, mit! Zuückdrängen ° des Blutes nach innen und nach den grösseren Gefäs- sen. Im normalen mittleren: ‘Zustande “der » Lebens- 1) Vergl.'8. 344. 362 Ergänzungen zu den Unters. überden Kreislaufdes Blutes, kräfte und des Blutumtriebes findet auch ein mittlerer Grad der Ausdehnung in den Haarkanälchen Statt. Aehnlich wie Wärme auf unorganische !Körper so- wohl, als auf organische, expandirend einwirkt, wirkt sie auch auf die Haargefässe und ihr “Blut ein. Er- stere dehnen sich aus, werden vom Blute überfüllt und veranlassen dadurch die Erscheinungen erhöhter Röthe, der activen Congestion, des vermehrten Zurgor vitalis. Die Blutveränderung aber, ' welche im Haargefäss- systeme des grossen und kleinen Kreislaufes vor: sich geht, die, Ernährung, die Kraft der Circulation, und mithin auch die thierische Wärmeentwickelung stehen unbezweifelt unter dem Einflusse des Nervensystemes, werden beschleunigt und verstärkt bei grösserer Ner- venthätigkeit, und geschwächt bei verminderter Ner- venthätigkeit. Wie daher äussere Wärme 'expandirend auf die Haargefässe und ihr Blut einwirkt, wie sie den Zurgor vilalis erhöht und active Blutcongestion begünstigt, eben so wirkt die erhöhte Ierventhätigkeit und ver- mehrte innere thierische 'Wärmeentbindung‘ auf» die Haargefässe und den Zurgor vilalis ein. Auf diese Weise lassen sich; ‘wie ‘mir scheint, die Vorgänge der activen Congestion, des vermehrten Zwr- gor vilalis, der erectio penis, der Schamröthe (beiidem grossen Reichthume an Nerven, selbst solchen des ani- malischen 'Systemes, welchen die Gefässe des Gesichts - und des: Penis 'besitzen), der Anschwellung des Puter- kammes durch Erregung von Zorn, der Entwickelung verschiedener Organe in der Pubertät mit gleichzeiti- ger Blutüberfüllung. u. s. w. einigermaassen rn erklären. N Wie dagegen die äussere Kälte contrahirend, er: starrend auf anorganische und organische Körper _ein- wirkt, eben so scheint sie und jede grosse Vermin- Ergänzungen zu den Unters.überden Kreislauf des Blutes, 363 derung der Nerventhätigkeit, zusammenziehend auf die Haarkanälchen des Blutes und auf den furgor vitalis ver- mindernd einzuwirken, und das Blut dadurch nach in- neren Theilen zurückzudrängen. Daher die allgemeine oder örtliche Erstarrung und die übrigen Erscheinun- gen des Collapsus, durch äussere Kälte, durch depri- mirende Leidenschaften, durch grosse allgemeine und örtliche Nervenerschütterungen,, Quetschungen, ‘im Fie- berfroste, beim Brande, ‚der oft mit einem Schüttel- froste eintritt, bei Lähmungen, u. s. w. — (Vergl. die Erscheinungen, welche ich S. 401 u. folg. meines an- geführten Werkes aufgezeichnet habe). Ich habe be- stätigend für das Gesagte (was ich jedoch immer nur noch für eine hypothetische Ansicht erkläre) mit an- deren Physiologen oftmals gesehen, wie durch ‘gewisse Reizmittel, welche ich auf das Gekröse der Frösche applicirte, nicht, wie ich 'es erwartete, eine Zusam= menziehung, sondern eine Erweiterung der feinsten Haarkanälchen, welche sich nicht immer aus der ver- mehrten Ueberfüllung vom Blute erklären (liess, er- folgte. ( Vergl. Thompsons , Hastings, Wüson Philips, Kaltenbrunners ‘) und meine eigenen "Werirteli S. 241 u. folg. meines angeführten Werkes. ) 1. 19 0 8.14..2) Kr Nach Kaltenbrunners Beobachtungen (a» ala $:60, 70.) erfreuen sich die Blutkügelchen einer eigenthüm- lichen Bewegung, die erst mit ihrer Auflösung sich verliert. Vorzüglich deutlich sah er dieses in! Fischen, deren Herz ausgeschnitten war, und -in'ihren abge- schnittenen Flossen (S. 66. 67.). Vermöge' dieser eige- 1) Experimenta circa statum sanguinis et vasorum in inflam- matione. Monachii, 1826. p. 47. 2) Vergl. S. 858, 360. 364 Ergänzungen zu den Unters. über den Kreislaufdes Blutes. nen Kraft der Kügelchen scheint ihm der Blutumtrieb in’den herzlosen Thieren vor sich zu 'gehen. (S. auch Magendies Jourmal, Janvier 1823. 9.89.) ‘Auch’ Koch (Meckels Archiv Juli — Septbr. 1827.) sah wiederholt und deutlich, was vor ihm schon Haller und Spallan- zani beobachteten, dass extraväsirtes Blut sick noch bewegte, und plötzlich mit Schnelligkeit in die offenen Mündungen der verletzten Gefässe und in die Cireula- tion zurücktrat. Ich selbst sah deli niemals, und vermuthe, - dass diese Beöbachtungen auf optischer Täuschung be- ruhen, indem oft die schiefe Lage des beobachteten Theils unter dem Mikroskope ıdie extravasirten Kügel- chen laufen: macht und sie dem Blicke entzieht, sobald sie'unter'oder über ein dunkles undurchsichtiges Blut- gefäss jgeräthen, so dass es täuschend aussieht, als wären sie'in das Gefäss hineingetreten. $. 12. Erectio penis. ') ->, Wenn Geschlechtsreiz Contraetion des Zellgewebes der‘ Ruthe, und dadurch Erweiterung ihrer Haargefässe und erectio penis ‚erzeugte ( Gruithuisen), so wäre nicht einzusehen, weshalb nicht derselbe Reiz auch Gostrar ction der Haargefässe nach sich zöge. Herr Günther durchschnitt auf der hiesigen Vete- zinärschule, einem muthigen Hengste die Nerven der Ruthie. . Beim Aufstehen desselben fiel dex..Penis aus seinem. Schlauche ‚herab, und blieb erschlaflt "hängen. ‚Zu ‚einer rossigen. Stute geführt bezeigte der Hengst zwar lust zum Bedecken; allein die Ruthe blieb sehlaff herabhängend. ‚Am anderen Tage war sie zwar noch eben so schlaff, allein so weit sie aus dem Schlauche hervorhing (eine Spanne lang), sammt der Eichel be- 1) Vergl. S. 403. Note. 1 Ergänzungen zu den Unters. über den Kreislauf desBlutes. 365 trächtlich angeschwollen. Indessen war die Richtung der Ruthe nicht wie bei der Frection nach vorwärts, sondern nach unten und rückwärts, die Ruthe selbst strotzend voll Blut, bräunlich roth und gegen das An- . spritzen von kaltem Wasser, Kneipen, Stechen und selbst gegen den Reiz des Glüheisens unempfindlich. Allem Anscheine nach war nicht der Zutrieb des Blu- tes vermehrt, sondern dessen Rückfluss erschwert. $. 13. ') Die Stagnation, welche das Blut in den Venen- anfängen des Uterus erleidet, trägt gewiss viel zu der eigenthümlichen Beschaffenheit des Menstrualblutes bei, in welchem Brande in London sogar keine Blutkügel- chen gefunden: haben will, indem das Blut einer Auf- lösung des. Blutrothes im Serum glich ( Hünefelds Physiologische Chemie B. II. p. 224.). So sehen wir auch extravasirtes Arterienblut innerhalb des lebenden Körpers bald eine dunkle Farbe und aufgelöste Be- schaffenheit- annehmen. Je langsamer überhaupt Blut in den Arterien und Venen eirculirt, ehe es wieder zu den Lungen gelangt , desto mehr nimmt es die venöse Beschaffenheit an, desto mehr ist es geeignet, dunkle Pigmente abzusondern. Daher zum Theil das dunkle Blut der Pfortader, der Milz, die dunkle Farbe der Nagelglieder im morbus coeruleus (in denen schon we- gender grösseren Entfernung vom Herzen das; Blut sich bewegt), die dunkle Farbe der Chorioidea und ihres Pigmentes u. s. w. 1) Vergl. $. 466. — Irriger Weise habe ich die Vermuthung geäussert, dass Kügelchen nur bisher im Chylus der Säugethiere beobachtet wären. Ihr Daseyn im Chylus der u. erwähnt Rudolyhi, Physiologie.B. U. Abth, 2. 366 Ueber die Entwickelung. des medicinischen, Blutegels. IM. Ueber die Entwickelung des medicinischen Blutegels. Vom Dr. Erxst Heınrıcn WEBER, Professor der Anatomie in Leipzig, (Hierzu Tafel X. und XI.) Vorwort. 1% hat über die Entwickelung der Kohlraupen und Spinnen, Stiebel und Carus haben über die der Schne- cken geschrieben. Einem Werke von Rathke, über die Entwickelung der Krebse, aus welchem schon Ei- niges im 2ten Bande von Burdachs Physiologie mitge- theilt worden ist, sehen wir täglich entgegen. Burdach selbst hat das, was bis jetzt über die Entwickelung der wirbellosen Thiere bekannt geworden ist, am vollstän- digsten vereinigt und verarbeitet. An diese Arbeiten soll sich die vorliegende Abhandlung, über die Entwi- tkelung eines 'Thieres, das zur Classe der Würmer gehört, anschliessen. Die Art, wie sich die Blutegel entwickeln, gestattete mir, die Dotter oder Keime der- selben schon zu einer Zeit zu beobachten, wo sie noch so klein ‘waren, dass sie nur durch das Mikroskop’be- trachtet werden konnten. Eines von den Resultaten meiner Untersuchung, welches ich der Prüfung Ande- rer. empfehle, ist dieses, dass sich schon der Keim und der Dotter der Blutegel, und vielleicht auch, anderer wirbelloser Thiere, dadurch von dem der Wirbelthiere unterscheidet, dass der Dotter nicht, wie, bei den Wir- Ueber die Entwickelung des medicinischen Blutegels. 367 belthieren,, schon ehe das Ei gelegt wird, vorhanden und der Keim eine an der Dotterkugel befindliche Scheibe ist, sondern dasssich der Dotter erst bei der Entwicke- lung des Eies,im Inneren des sehr kleinen Keimes bil- det und von der Keimhaut ringsum eingeschlossen wird, dass folglich der Keim der wirbellosen Thiere eine Blase ist, deren Höhle sich später in die hauptsäch- lichsten Höhlen des Körpers des Embryo verwandelt, während der Keim der Wirbelthiere eine Scheibe ist, aus welcher sich die hauptsächlichsten Höhlen des künf- tigen Embryo, durch heryorwachsende Falten, bilden. Dass hierin mit eine Ursache liegen könne, dass sich bei den Wirbelthieren unter der Haut noch ein beson- deres Skelet bilde, habe ich in der beigefügten be- sonderen Abhandlung, in der ich die Wirbelthiere mit den wirbellosen Thieren verglichen habe, angedeutet. Zeit und Dauer der Entwickelung der Blutegeleier. Im Julius 1828 legten sehr grosse Blutegel, welche zu Johannis eingefangen und dann in grosse mit ange- feuchtetein Torfe gefüllte Kasten gesetzt worden wa- ren, Eier. Am 6ten Julius wurde das erste Ei gefunden, und gegen das’Ende des Augusts bemerkte ich zuerst ausgekrochene Blutegel. Man darf daher wohl etwa 6 Wochen als die Zeit ansehen, welche die Blutegel brauchen, um sich zu entwickeln. Diese Eier hatte ich bei Herrn Apotheker Bärwinkel in Leipzig zu beob- achten Gelegenheit, der über die von ihm angewendete Methode, die Blutegel' aufzubewahren, auch bereits Ei- niges öffentlich mitgetheilt hat. Es ist nun zwar Herrn Bärtinkel und mir nicht geglückt, die Blutegel bei dem Legen eines Eies zu 368 Weber die Entwickelung des medieinischen Blutegels. überraschen; indessen habe ich doch durch Herrn Bär- winkels Aufmerksamkeit und Gefälligkeit Gelegenheit gefunden, die Eier der Blutegel auf allen Stufen der Entwickelung zu untersuchen, wofür ich demselben hierdurch öffentlich Dank sage. Von wenigen Eiern, weiche ich zur Untersuchung erhielt, konnte ich nur einigermassen zuverlässig den Tag, an dem sie gelegt worden waren, bestimmen. Die Blutegel pflanzen sich nämlich sehr im Verborge- nen fort, und erschweren dadurch dem Beobachter die Arbeit, das Alter der Eier zu bestimmen, nicht wenig. Bei vielen anderen Thieren wird dem Beobachter seine Arbeit wenigstens dadurch erleichtert, dass ein und dasselbe Thier viele Eier legt, so dass, wenn man ein- mal so glücklich ist, die Zeit, zu welcher von ihnen Eier gelegt werden, zu bestimmen, man sogleich im Besitze vieler gleich alter Eier ist, die man nun in abgemessenen Zeiträumen öffnen und untersuchen, und von jedem einzelnen das Alter angeben kann. Der medicinische Blutegel dagegen scheint, nach unseren Erfahrungen, nur ein einziges Ei auf einmal zu legen, in welchem aber mehrere Keime eingeschlossen sind; wenigstehs findet man die Eier anfangs, wo noch nicht mehrere Blutegel zu gleicher Zeitlegen, einzeln. Fin- det man daher mehrere Eier neben einander, so ist man dennoch nicht sicher, dass sie ein gleiches Alter haben. |. ; - Diese Verhältnisse nöthigen mich, die Bemerkun- gen: fiber die untersuchten Eier so zu ordnen, dass ich von. den Eiern zuerst spreche, welche sich am wenig- sten ‚entwickelt hatten; und dann von den übrigen in der Ordnung handle, in welcher sie den Fortsehritten nach gestellt werden müssen, welche sie in der Ent- wickelung gemacht hatten. Ueber die Entwickelung des medieinischen Blutegels.. 309 Ueber die Schalen der Eier der Blutegel. (Hierzu Tafel X. Figur 17. 18. 19.) Eier, welche erst einige Tage zuvor gelegt wor- den sind, werden nur voh einer dünnen, durchsichti- gen, beugsamen Haut eingeschlossen, und weil das eingeschlossene Eiweiss eine bräunliche Farbe hat, die durch die durchsichtige zarte Hülle durchschimmert, so sehen diese Eier selbst bräunlich aus. Sie sind beinahe + Zoll lang, und wenn sie sehr gross waren, fand ich sie sogar 11 par. Linien lang und 4% par. Linien dick. Von Gestalt sind sie oval, und ihre Haut scheint an jedem der beiden Enden eine Oeffnung zu haben, we- nigstens kann man an den Enden durch einen gelinden Druck leicht etwas Eiweiss hervorpressen. Diese Eier nun fanden wir zwischen feuchten Torfstücken in einem Klumpen eines weissen Schaumes liegen, der so aussah wie Eiweiss, das man durch Querlen zu Schaum ge- schlagen hat. Der Schaumklumpen hatte keine be- stimmte Grösse und Gestalt. Er erfüllte den Zwischen- raum zwischen 2 oder 3 benachbarten Torfstücken, klebte an ihnen an, und bestand aus kleinen, dicht an einander liegenden Luftbläschen, die sehr beständig waren und an der Luft nicht zersprangen. Da Herr Bärwinkel mehrmals solche Schaumklumpen gefunden hatte, in denen kein Ei vorhanden war, niemals aber vor kurzem gelegte häutige Eier sahe, welche von keinem Schaume umgeben gewesen wären, so ist es wohl wahrscheinlicher, dass die Blutegel zuerst den Schaum bereiten und absetzen und dann in ihn das Ei legen, als der umgekehrte Hergang. Uebrigens sind mir die Organe, von welchen der Schaum bereitet und abgesondert wird, noch völlig unbekannt. Ohne Zwei- fel besteht der Schaum aus einer sehr zühen Flüssig- keit, welche sogleich bei ihrem Austreten aus dem Kör- per durch Luft ausgedehnt wird. Meckels Archiv f. Anat. u. Phys. 1828. 26 370 Ueber die Entwickelung des medicinischen Blutegels, Da die in diesen frisch gelegten Eiern enthaltene bräunliche Flüssigkeit sehr dünn ist, so verdanken die Eier ihre ovale Gestalt der zarten Haut, von der sie also auch ohne Zweifel umgeben waren, als sie gelegt wurden. Zwei Eier, die suk in diesem Zustande unter- sucht habe, waren vielleicht nur > Tag alt; sie konn- ten aber Kö Histens nur 2 Tage alt sein; denn 2 Tage zuvor, ehe sie von uns gefunden wurden, hatte Herr Bärwinkel den Torfkasten durchsucht und weder einen Schaumklumpen noch ein Ei gefunden, Einige Tage später findet man, dass diejenige Lage Schaum, welche das Ei zunächst umgiebt,. verschwun- den, und dass an ihrer Stelle eine etwa 1 Linie dicke schwammige Schale entstanden ist. Man sieht dann das Ei, wie es Tafel XL. Figur 17. abgebildet ist. Manche Eier sind grösser, z. B. das Figur 17 abgebildete; man- che kleiner, z. B. das Figur 18, welches seiner Länge nach in 2 Hälften zerschnitten worden ist. Die Substanz dieser schwammigen Schale sieht gelbbräunlich aus, und gleicht dem Waschschwamme auf eine überraschende Weise, vorzüglieh wenn man beide Substanzen unter dem Mikroskope betrachtet, und ‚mit ‚einander vergleicht, wo beide aus einem Netzwerke bestehen, das von gekrümmten, durchsichtigen Fäden gebildet wird, die sich jedoch darin unterscheiden, dass die des Waschschwammes dünner ‚und weniger steif sind. Ich fand die Fäden der schwammigen Substanz des Blutegeleies 0,0086 bis 0,0013 Par. Linien dick. Es liefen deren meistens je 3, seltener je 4, in einem Punkte zusammen, und verschmolzen unter einander in einer kleinen verdickten Stelle. Die Zellen, welche diese Fäden zwisehen sich einschlossen, waren, wenn sie zu den grösseren gehörten, 0,209 bis 0,366 Par. Lin. lang und 0,105 bis 0,209 breit. Wenn man die schwam- mige Schale anbrennt, so verbreitet sie einen Geruch Ueber die Entwickelung des medicinischen Blutegels. 371 wie angebrannter Waschschwamm oder wie angebrannte Haare. Ferner saugt sie, wie der Waschschwamm, Feuchtigkeit ein, und schwillt dadurch an. Auch die ehemische Untersuchung, welche Boullay, auf Veran- lassung von Rayer '), über die Schale der medicini- schen Blutegel gemacht hat, zeigt, dass die schwam- mige Substanz die Eigenschaften der hornartigen Sub- stanzen besitzt, zu welchen auch die Oberhaut, die Haare und der Waschschwamm gerechnet werden. Sie ist in Alkohol, Wasser und schwachen Säuren unauf- löslich, wird aber in sehr heissem Wasser, mittelst des Digestors, in eine Art Gallerte verwandelt. Vermöge der Eigenschaften, die der schwammigen Substanz mit den hornartigen Materien gemeinschaftlich sind, kann sie auch sehr lange im Wasser liegen, ohne zu ver- derben. Während sich auf diese Weise jene schwam- mige, ‘ovale Schale an der äusseren Oberfläche des Eies gebildet hat, ist die äusserste Lage des weissen Schaumes nicht verschwunden. Sie vertrocknet später, ohne sich gleichfalls in eine solche schwammige Substanz zu verwandeln, Eine genauere Untersuchung der‘ schwammigen Schale lehrt nun, dass sie so fest an der häutigen Hülle des Eies anliegt, dass man beide auf keine Weise von einander trennen kann. Leert man die Flüssigkeit ei- nes in zwei Hälften getheilten Eies aus, und betrachtet das Ei von seiner Höhle aus, so sieht man durch die durchsichtige Haut des Eies hindurch, dass diejenige Lage der schwammigen Substanz, welche zunächst an die beugsame Eihaut stösst, aus dicht an einander lie- genden Luftbläschen, die eine ungleiche Grösse haben, 1) Rayer im Journ. de Pharmacie, Dee. 1824. p. 598, übers. in Buchners Repertorium für die Pharmacie. Nürnberg, 1825. pag. 207. 26* 372 Ueber die Entwickelung des medicinischen Blutegels. besteht Figur 19, auf welcher die oberste Spitze des, durch die auf der 18ten Figur dargestellten, in zwei Hälften getheilten Eies vergrössert abgebildet worden ist, macht dieses deutlich. Die Entstehungsart der schwammigen Schale und dieses Ansehen ihrer inneren Oberfläche macht es nun wahrscheinlich, dass sich die dem Waäschschwamme ähnliche Substanz aus dem, aus Lüftbläschen zusam- mengesetzten, weissen Schaume bilde, und dass sie kei- neswegs, wie Räyer meint, wie Schimmel aus der häu- tigen Hülle hervorwachse. Da sich indessen nur der dem Eie nähere Theil des Schaumes in die schwam- mige Schale verwandelt, der davon entferntere aber ein- trocknet, auch schaumige Materie, wenn sie vom Eie entfernt wird, zu einer durchsichtigen, dem getrock- neten Eiweisse ähnlichen Materie zusammenschrumpft, ohne zu schwammiger Substanz zu werden; so mag sich wohl der Schaum mit einer aus dem Eie austre- tenden Feuchtigkeit durchziehen, und dadurch die Fä- higkeit erhalten, bei dem Trocknen in eine dem Waschschwamme ähnliche Substanz verwandelt zu werden. Es fällt nämlich in die Augen, dass, wenn in einer zähen Materie viele Luftbläschen dicht neben ein- ander liegen, sich zwischen ihnen gekrümmte Zwi- schenräume befinden müssen, die mit derselben zähen Materie ausgefüllt sind. Erhärtet nun diese zähe Ma- terie, die die Zwischenräume zwischen den Bläschen erfüllte, so kann sie zu jenen gekrümmten Fäden’ wer- den; von denen häufig je 3 zusammenstossen, und durch eine kleine verdickte, 3eckige Stelle vereinigt ‘ werden. Auf eine ähnliche Weise scheint das schwam- mige Gefüge des Brodteigs zu entstehen; nur bleiben bei dem Teige, wo die Bläschen nicht so gleichförmig gross sind und nicht so dicht an einander liegen, beim Trocknen die Wände der Bläschen leichter ste- Ueber die Entwickelung des medicinischen Blutegels. 373 hen, so dass die Luftbläschen Zellen bilden, deren Höhlen von einander gänzlich getrennt sind; statt dass die Wände ‚der Luftbläschen, aus welchen der be- schriebene Schaum besteht, so zart sind, dass sie bei dem Trocknen verschwinden und nur die Fäden übrig bleiben, die aus der zähen Materie entstehen, welche die Zwischenräume zwischen den Bläschen ausfüllte, Die Meinung, dass sich die schwammige Substanz aus den Bläschen ‘des weissen Schaumes bilde, wird übrigens noch dadurch wahrscheinlich, dass man in manchen Fällen ein Ei nicht von allen Seiten vom Schaume umgeben findet, und dass man auf gleiche Weise Eier findet, bei denen die glatte, dünne Haut der Schale an einer Stelle nicht von der schwammigen Substanz bedeekt wird, was ich selbst mehrmals gese- hen habe, Vergleicht man die Schale des Blutegeleies mit der eines bekannten Vogeleies, z. B. mit der eines Hühnereies, so findet man folgenden Unterschied. Eine harte, dünne, glatte, kalkige Schale, die sich schon im Mutterleibe gebildet hat, schützt das Ei der Vögel vor Druck, vor zu schneller Verdunstung und vor dem zu leichten Eindringen fremdartiger Flüssig- keiten; gestattet jedoch, vermöge sehr zahlreicher Po- ren, die Einsaugung von Luft und die Verdunstung auf eine hinreichende Weise. Dagegen wird das Ei der Blutegel von einer verhältnissmässig dicken, schwammigen Schale, die sich erst, nachdem das Ei gelegt worden ist, bildet, und die, wie die Substanz des Waschschwammes, der sie sehr ähnlich ist, Was- ser einsaugt, feucht erhalten und vor zu starker Ver- dunstung geschützt. Die Eier, welche ich beobachtete, hatten die Blutegel zwischen feuchte Torfstücken, und zwar nicht einmal in die Tiefe, sondern ziemlich nahe an die Oberfläche gelegt. Vermöge der angegebenen Ei- 37% Ueber die Entwickelung des medicinischen Blutegels. genschaften der schwammigen Schale trockneten sie aber dessenungeachtet nicht aus. Denn die schwammige Schale saugte immer so viel Feuchtigkeit von dem be- nachbarten Torfe ein, dass die Eier in einer ziemlich gleichmässigen Feuchtigkeit erhalten wurden. An den beiden Enden des Eies, an welchen die häutige Hülle der Eier, die nicht lange zuvor gelegt worden waren, eine Oeflnung zu haben schien, bildet sich später ein aus erhärtetem Eiweisse entstandener Stöpsel. Tafel X. Figur 18. sieht man an jedem Ende des in zwei Hälften getheilten Eies einen solchen klei- nen Stöpsel in die Höhle des Eies hineinragen, undin Figur 19. ist der Stöpselan dem vergrössert gezeichne- ten Theile der der Länge nach in zwei Hälften getheil- ten Schalenspitze noch deutlicher sichtbar. Dieser Stöp- sel bezeichnet die Stelle, an welcher später die reif gewordenen Blutegel aus der Höhle des Eies heraus- kriechen. Vielleicht verzehren sie den Nahrungsstoff, aus welchem der Stöpsel besteht, und öffnen dadurch zugleich das Ei. Das Eiweiss. Die bräunliche, im Eie eingeschlossene Flüssigkeit, das Eiweiss, ist in den Eiern, die noch keine schwam- mige Schale besitzen, und auch noch in jungen Eiern, die ihre schwammige Schale nicht lange erst bekom- men haben, sehr flüssig; später wird sie consistenter und einer sehr dicken, bräunlichen Gallerte ähnlich. Noch später scheidet sich selbst diese Gallerte wieder in zwei Theile: in eine dünne Flüssigkeit, die den mit- telsten Raum der Eihöhle einnimmt, und in eine, wel- che dick bleibt und, wie gesagt, einer dickbraunen Gallerte ähnlich ist, und die Eihöhle mit einer ziem- lich dicken Lage überzieht. In diesem 3fachen Zustande habe ich nämlich das Eiweiss in Blutegeleiern von ver- Ueber die Entwickelung des medieinischen Blutegels.. 375 schiedenem Alter gefunden. Ob aber diese Zustände immer auf diese Weise auf einander folgen, und ob nicht einer von ihnen, namentlich der, wo das ganze Eiweiss zu einer dicken Gallerte gesteht, ein regelmäs- siger oder krankhafter Zustand sey, vermag ich nicht zu bestimmen. Durch die Einwirkung der Hitze und des Weingeistes gerinnt das Eiweiss des Blutegeleies nicht so leicht als das der Hühnereier. Nach Boullay ') soll die in den Eiern eingeschlossene Substanz ein Gemenge von Eiweiss und von einer Ma- terie seyn, die die von Zourcroy und Vauquelin ange- gebenen Eigenschaften des Schleimes hat, in dem Ver hältnisse jedoch, dass der Schleim bei weitem das Uebergewicht hat, von dem Eiweisse dagegen nur etwa „enthält. In Alkohol gelegt, verliert sie ihre Durch- sichtigkeit und wird grauweiss, durch kochendes Was- ser gerinnt sie zu einem weissen Schaume. Die Ge- genwart des Eiweisses erkennt man in dieser Substanz durch Reagentien, z. B. durch salzsaures Zinn, durch Kupfer- und Quecksilbersalze. Wenn die Substanz von ihrem geringen Eiweissgehalte befreit worden, ist sie weder im kalten noch im heissen Wasser auflöslich, wohl aber in schwachen Säuren und in verdünnten Al- kalien, woraus sie durch Gerbestoff niedergeschlagen wird. Durch Schütteln in schwacher Essigsäure wird sie leicht aufgelöst, nicht aber die Membran, in der sie eingeschlossen ist. ci Dotter und Keim. (Hierzu Tafel X. Figur 1. 2.3.) Eine der auffallendsten Verschiedenheiten des Blut- egeleies von anderen Eiern besteht aber darin, dassin 1) Boullay in Rayers Abhandlung im Journal de Pharmacie, Dec. 1824. pag. 593 seq. und in Buchners Repertorium für die Pharmacie 1325. p. 208. 376 Ueber die Entwickelung des medicinischen Blutegels. dem Blutegeleie, so lange es noch keine schwammige Schale hat, kein, weder mil unbewaffnelem Auge, noch mit der Loupe, sichtbarer Dotter vorhanden ist. Dieses ist um so auffallender, da das Blutegelei verhältniss- mässig eine sa sehr beträchtliche Grösse hat, und da in jedem älteren Eie mehrere und zwar sehr grosse Dotter mit leichter Mühe bemerkt werden. Der Grund davon liegt darin, dass die Dotter an- fangs in den Eiern nicht vorhanden sind, und erst spä- ter durch eine Thätigkeit des Keimes aus dem Eiweisse entstehen und sich schnell vergrössern, die Keime aber, deren mehrere in einem Eie gefunden werden, so klein sind, dass man das Eiweiss mit einem Mikroskope durchsuchen muss, das schon eine beträchtliche ver- grössernde Kraft besitzt, um sie zu sehen, denn die klei- nen, durch das Mikroskop sichtbaren Keime wachsen “allmälich um das 57fache ihres Längendurchmessers, ehe aus ihnen ein so grosser Dotter entsteht, als der Tafel X. Fig. 19, A in nätürlicher Grösse abgebildete, Der Theil des Eies also, der bei den Eiern aller Wir- belthiere so frühzeitig entsteht, dass er schon im Eier- stocke der Mutter, lange bevor das Ei gelegt wird, seine vollkommene Grösse erreicht, erreicht hier zu- letzt seine gehörige Grösse und wird überhaupt zuletzt sichtbar. Bei den Wirbelthieren findet man den Dotter schon so frühzeitig im Ovario der Mutter gebildet, dass es schwer ist, den Hergang bei seiner Entstehung zu beobachten. Bei den Blutegeln dagegen sieht man, wie der Keim, durch die Aufnahme von Eiweiss, in seiner eigenen Höhle einen Dotter bildet. Aus dem schon erwähnten Eie, welches kurze Zeit vorher gelegt worden seyn musste, und noch keine schwammige Schale besass, brachte ich etwas von der bräunlichen Flüssigkeit, aus welcher das Eiweiss be- steht, auf eine Glasplatte, und untersuchte die Flüssig- Ueber die Entwickelung des medicinischen Blutegels.. 377 keit sorgfältig mit dem Mikroskope, an welches ich nach und nach Linsen von verschiedener Brennweite anschraubte. Ich fand in derselben 3 gelbliche, runde Scheiben, welche eine linsenförmige Gestalt zu haben, und bei starker Vergrösserung aus kleinen, dicht an einander liegenden Körnchen zu bestehen schienen, (Siehe Tafel X. Fig. 1., wo eine solche Scheibe, die rs p- L.im Durchmesser hatte, 132mal im Durchmesser vergrössert gezeichnet worden ist.) Ich mass sie bei einer 171fachen und bei einer 247fachen Vergrösserung des Durchmessers mittelst meines Mikrometers. Die 1ste Scheibe hatte einen Durchmesser von 0,041 Par. Lin., oder beinahe +; Lin. = +; Par. Zoll. Die 2te Scheibe hatte einen Durchmesser von 0,0526 P. L., oder beinahe „; Lin. = 1; P. Zoll. Die 3te Scheibe hatte einen Durchmesser von 0,053 P. L., oder auch fast „; Lin. = ri; P. Zoll. Die Kügelchen oder Körnchen, aus welchen die Scheiben bestanden, konnten nur gemessen werden, wenn man sie 247fach im Durchmesser vergrösserte, Ich fand demnach ihren Durchmesser bei der einen Scheibe — 0,0014, oder fast 1 P. L. =, Zoll. Es würde nun gänzlich zweifelhaft geblieben seyn, ob diese kleinen gelblichen, linsenförmigen Scheibehen wirklich die Keime der entstehenden Blutegel, von de- nen sonst keine Spur wahrgenommen werden konnte, gewesen wären, wenn dieses nicht fortgesetzte Unter- suchungen mehr als wahrscheinlich gemacht hätten, Nämlich auch in der Höhle mehrerer junger Eier, welche aber bereits von einer schwammigen Schale umgeben waren, fand ich mit unbewaffnetem Auge kei- ‚ne Spur eines Dotters, wohl aber in der bräunlichen durchsichtigen Flüssigkeit des Eies mittelst einer Loupe 2 weisse Scheibehen, die bedeutend grösser als die be- schriebenen waren. Sie bestanden aus einer durch- 378 Ueber die Entwickelung des medieinischen Blutegels. sichtigeren äusseren Zone, und aus einem undurchsich- tigeren Centrum. (Siehe Tafel X. Fig. 2., wo eine sol- che Scheibe, die 4 P. Lin. im Durchmesser hatte, 33 mal im Durchmesser vergrössert worden ist; so dass also diese Scheibe 4mal schwächer vergrössert gezeich- net ist, als die in Figur 1. abgebildete.) Die äussere Zone schien aus einer Anzahl grösserer, unregelmäs- siger, das Centrum aus noch zahlreicheren, kleineren Zellen zu bestehen. ! Die 1ste Scheibe hatte einen Durchmesser von 0,129 P. L., oder nahe + P. L.= -5 P. Zoll. Die 2te Scheibe hatte einen Durchmesser von 0,03 P. L., oder nahe — P. L.—= -!- P. Zoll. Auch in einem dritten Blutegeleie, welches ebenfalls schon von einer schwammigen Schale umgeben war, fand ich 4 solche weissliche Scheibchen, die ziemlich gleich gross zu seyn schienen. Eine von ihnen, welche ich mikrometrisch mass, hatte einen Durchmesser von 0,169 P.Lin., oder fast von+ P. Lin. —-!;P. Zoll. Alle be- standen aus grossen und kleinen Zellen. Endlich fand ich in einem vierten Eie, welches ver- muthlich noch etwas älter war, als das vorige, in dem Eiweisse, in welchem ausserdem gleichfalls kein Dotter sichtbar war, eine weissliche Scheibe von der nänli- chen Beschaffenheit. Ich mass sie bei einer 19maligen Vergrösserung mit dem Mikrometer, und fand, dass deren Durchmesser 0,248 P. L. und also fast £ P. L. oder ;; Zoll betrug. Sie ist, Tafel X. Fig. 3., 33mal vergrössert abgebildet worden. Sie bestand gleichfalls aus einem undurchsichtigeren Centrum und einer ‚hel- leren Peripherie. Die peripherische Zone bestand aus grossen, zum Theil ovalen Zellen, welche bis in das Centrum hineinragten, und von denen einige so gross waren, dass ihr Längendurchmesser fast halb so gross als der Durchmesser der ganzen Scheibe war; denn der Ueber die Entwickelung des medieinischen Blutegels. 379 Längendurchmesser, den ich bei 3 Zellen mass, be- trug beinahe 4, 75 und +; P. Lin. Die grosse Uebereinstimmung des Baues dieser‘ platten, wahrscheinlich linsenförmigen Scheibchen in mehreren Blutegeleiern, und die Unmöglichkeit, ausser diesen Scheibchen etwas zu entdecken, was für einen Dotter oder einen Keim hätte gehalten werden können, machte es sehr wahrscheinlich, dass diese Scheibchen die Keime der künftigen Blutegel sind. Zwar kommen aus einem einzigen Eie wohl 6 bis 10 und noch mehr junge Blutegel aus, und die Zahl der von mir in einem Blutegelei gefundenen Scheibchen stimmt also nicht mit der Zahl der Blutegel, die sich vielleicht aus den von mir untersuchten Eiern hätten entwickeln können, überein. Indessen liegt der Grund hiervon offenbar in der Schwierigkeit, die kleinen Scheibehen aufzufinden, von denen ohne Zweifel mehrerefunbemerkt blieben. Nach diesem allen vermuthe ich nun, dass die durchsichtige Haut, die diese Scheibchen überzieht, für den Keim, der aus Zellen bestehende, in der durch- sichtigen Haut eingeschlossene Theil der Scheibe für den Dotter gehalten werden müsse. Vergleicht man diese Scheibchen unter einander, so darf man nicht ohne weiteren Beweis annehmen, dass die Zellen der grösseren Scheibehen aus den kleinen Körnchen des, Figur 1. abgebildeten, kleinsten Scheibchens entstan- den wären. Denn’ da ich die grösseren Scheibchen nicht bei einer so starken Vergrösserung untersucht habe, als das Fig. 1. abgebildete, so wäre es möglich, dass die Fig. 2. und 3. abgefildeten Scheibchen gleichfalls aus solchen kleinen Kügelchen, als das Figur 1 abge- bildete, bestanden hätten. Was aber die Vermuthung, dass die beobachteten Scheibehen, die mehr und mehr an Grösse zunahmen, Keime sind, in denen sich ein Dotter bildet, fast zur 380 Ueber die Entwickelung des medicinischen Blutegels. Gewissheit erhebt, sind die merkwürdigen Lebensbe- wegungen, welche ich an diesen Scheibchen beobach- tete, wenn sie noch grösser waren, als die bisher be- schriebenen. Der Keim verschluckt Eiweiss, und auf seiner Ober- fläche ist eine Bewegung sichtbar, die rechts im Kreise herumgeht. (Hierzu Tafel X. Figur 4. 5.) Solche Bewegungen beobachtete ich nämlich an einem Keime, den ich ebenfalls aus einem Eie nahm, das schon mit einer schwammigen Schale versehen war. Dieser Keim hatte einen nur ein wenig grösseren Durch- messer als von + Linie; denn nach einer sorgfältig an- gestellten Messung betrug er 0,52 Par. Linien. Da ich nach mehreren verunglückten Versuchen belehrt wor- den war, dass die Keime und Dotter der Blutegeleier gern Wasser an sich ziehen, darauf aufschwellen und schnell zerplatzen, und dass man sie demnach, um sie vor dem Trocknen zu schützen, nicht mit Wasser be- decken dürfe, bedeckte ich diesen Keim mit einem ' Tropfen derselben Flüssigkeit, aus welcher ich ihn ge- nommen hatte, und ausserdem mit einem Tropfen fri- schen Eiweisses aus einem Hühnereie, welches das schnelle Verdunsten jener dünnen Flüssigkeit hinderte, vollkommen durchsichtig war, und dem Keime keinen Nachtheil zufügte. Bei diesen Vorsichtsmaassregeln konnte ich die Bewegungen dieses Keimes‘3 Stunden lang, gemeinschaftlich mit einem meiner Zuhörer, Herın Kohlschütter, beobachten, und zugleich den Keim messen und zeichnen. Aber auch nachdem diese drei Stunden verflossen waren, dauerten die Bewegungen noch fort, und nur der einfallende Abend nöthigte mich, die Beobachtung abzubrechen. Der Keim hatte keine kugelförmige, sondern eine Ueber die Entwickelung des medieinischen Blutegels. 381 sehr platte, linsenförmige Gestalt, und war sehr voll- kommen durchsichtig. An der einen Seite (auf der Abbildung an dem nach oben gekehrten Rande) befand sich ein Hügel @, auf welchem man in der Mitte eine Oeffnung wahrzunehmen glaubte. Der Hügel führte zu einem trichterförmigen Theile a 7, der bis zu dem dun- kleren Centrum reichte. Dieser trichterförmige Theil bestand, wie der Hügel, aus den nämlichen kleinen Kügelchen, aus denen die äussere Hülle des Keimes bestand, und war da, wo er am breitesten war, 0,058 Par. Lin., d. h. nahe -— Par. Linien breit. Von Zeit zu Zeit machte der trichterförmige Theil eine Bewe- gung, die der sehr ähnlich war, mit welcher ich oft kleine, gestielte Vorticellen, welche häufig auf dem Körper kleiner Froschlarven sitzen, Blutkügelchen der verwundeten Froschlarven verschlucken sahe. Der Trichter nämlich verkürzte sich, sein breites Ende aber breitete sich gleichzeitig sehr aus, und es schienen da- bei zwei Lippen desselben sichtbar zu werden. Eini- geMal sah ich sogar, dass ein kleines Körnchen durch die schluckende Bewegung weiter in den Trichter hin- eingeschoben wurde; wobei ich jedoch darüber nicht gewiss werden konnte, ob das Körnchen sich wirklich im Trichter oder unter dem durchsichtigen Thiere be- fand. Die Beilchiinyen über die weitere Entwicke- lung des Keiines machten es indessen später in hohem Grade wahrscheinlich, dass der beschriebene Trichter wirklich einen Mund hat, und damit das Eiweiss ver- schluckt, welches den Keim umgibt. Die durch den Trichter ausgeführte schluckende Bewegung war, wie gesagt, periodisch, d. h. sie wurde, nach Verlauf ge- wisser, ziemlich gleich grosser, Zeiträume wiederholt, Indem ich nun diese Bewegungen wiederholt beobach- tete, zeigte es sich, dass mit dieser schluckenden Be- wegung des @ichterförmigen Theiles noch eine zweite x 382 Ueber die ‚Entwickelung des medicinischen Blutegels. Bewegung der äusseren Hülle des Dotters verbunden war. So oft sich‘ nämlich der Trichter zusammenzog, sahe man auch an der dem Trichter gegenüber liegen- den Stelle des Dotters eine Zusammenziehung[der äus- seren Hülle des Dotters erfolgen, wodurch eine Ein- beugung des Randes verursacht wurde. (Siehe Fig. 5, wo bei @ der Trichter im Zustande der Verkürzung dargestellt ist, der in Figur 4 a im Zustande der Ver- längerung abgebildet worden ist; Fig. 5 5 ist der dem Trichter gegenüber liegende Theil, der gleichzeitig mit dem Trichter in Zusammenziehung geräth.) Wenn die Thätigkeit der Zusammenziehung im Trichter und in der dem Trichter diametral gegenüber liegenden Stelle des Dotters nachlässt, hört die Zusammenziehung in- dessen nicht ganz auf. Vielmehr setzt sie sich vom Trich- ter aus nach c hin, und von 5 aus nach / hin fort: so dass, während sich der Trichter wieder zu verlängern anfängt, der Theil c allmälich eingezogen wird; und wenn c sich wieder ausdehnt, d eingezogen wird. So geschieht es nun, dass die Einbeugung, die hier am Trichter abgebildet ist, successiv alle Stellen des Ran- des des Dotters ergreift, und wie eine Welle von einer Stelle des Randes des Dotters zum andern und so end- lich rings um den Dotter herumläuft, und wieder von neuem an die Stelle kommt, welche @r Trichter ein- nimmt, wo dann von neuem eine Einziehung des Trichters Statt findet. Dasselbe, was von der Fort- setzung der Einziehung, die am Trichter zuerst betrach- tet wurde, gesagt worden ist, gilt auch von der Ein- ziehung des Randes, die hier Figur 5.6. an einer dem Trichter fast diametral gegenüber liegenden Stelle abge- bildet ist. Sie ergreift die nach f successiv zu liegenden Theile des Randes des Dotters, während 5 sich wieder ausdehnt, und geht von / auf g über, während f sich wieder ausdehnt: und so schreitet die Thätigkeit der Ein- | Ueber die Entwickelung des medicinischen Blutegels. 383 beugung weiter fort, bis sie endlich nach a kommt, wo sie dann vorzüglich stark wird und mit der schlu- ckenden Bewegung des Trichters verbunden ist. In demselben Zeitraume aber, in welchem diese Einbeu- gung von 5 über / und g nach « fortschreitet, ist die bei a beobachtete über ce, d und e nach 5 fortgerückt, . so dass der Dotter nach dem Verlaufe eines solchen Zeitraumes wieder etwa dieselbe Gestalt, als die hier abgebildete erhält. Man sieht hieraus, das 2 Einbeu- gungen, die einander gegenüber liegen, mit gleicher Geschwindigkeit am Rande des Dotters herumzulaufen scheinen; so dass jede derselben nach und nach alle Stellen des Randes ergreift, und auch jede derselben, wenn sie ihren Kreislauf vollendet hat, wiederholt an dieselbe Stelle des Randes zurückkehrt. Ohne die Geschwindigkeit, mit welcher eine solche Einbeugung ein Mal um den Dotter herumläuft, mit der Uhr gemessen zu haben, erinnere ich mich doch unge- fähr, dass jede. der 2 Einbeugungen in einer, Minute einige Mal um den Dotter herumlief. Diese Bewegung dauerte, wie ich bereits bemerkt habe, 3 Stunden fort; und auch nach Ablauf dieser 3 Stunden war es nur der einbrechende Abend, der mich an einer längeren Fortsetzung der Beobachtung dieser Bewegung hinderte. Ich hatte demnach Zeit genug, die Verhältnisse und nä- heren Umstände der Bewegung wiederholt und abwech- selnd zu beobachten und auch zu zeichnen. Natürlich ist aber die Zeichnung nicht Strich für Strich nach der Natur gemacht; denn dieselbe Gestalt des Dotters und mancher Zellen kehrte bei der fortgehenden und schnell vorübergehenden Bewegung nie so wieder, wie sie war, als ich zu zeichnen anfing. Es geht hier dem Anato- men bei der Zeichnung lebendiger Thiere fast so, wie dem Maler, der einen Wasserfall abbildet. Ueber die näheren Umstände der Bewegung muss 384 Ueber die Entwickelung des medieinischen Blutegels. ich hier Folgendes beifügen. Das Centrum des Dotters nimmt an der Bewegung keinen oder einen sehr ge- ringen Antheil; der Trichter dagegen, und nächst ihm die äussere Hülle, den stärksten. Aber auch die helle, aus Zellen zusammengesetzte Zone des Dotters, wel- che zwischen dem Centrum und der äusseren Hülle liegt, nimmt einen beträchtlichen, vielleicht aber pas- siven Theil an der Bewegung. Die Zellen werden während der Bewegung gegen das Centrum gezogen, und verändern ihre Gestalt und Lage, die sie indessen, nachdem die Bewegung vorübergegangen ist, ziemlich wieder erhalten. Die Zellen des Dotters scheinen sich bei der Einziehung des Randes gleichsam in einander zu schieben, keinesweges aber hat es das Ansehen, als ob sich jede Zelle selbst zusammenzöge. Die äus- gere Hülle, die am Rande des Dotters zuweilen wie ein Saum erscheint, wird oft, während der Dotter durch die Zusammenziehung nach innen gebogen wird, schmal; breitet sich aber, wenn die Zusammenziehung aufge- ' hört hat, wieder aus. Die beschriebene Bewegung schritt ununterbrochen von rechts nach links herum fort '); d. h. wenn ich 1) Nach der Sprache der Mechaniker und des gemeinen Le- bens rechts herum; nach der Sprache der Astronomen links her- um. Denn merkwürdiger Weise ist der Sprachgebrauch der Astro- nomen der entgegengesetzte von dem der Mechaniker. Der Grund der Verschiedenheit dieses Sprachgebrauches liegt wohl darin, dass die Astronomen die Himmelskörper beobachten, die sich um sie herum zu drehen scheinen, so dass sie den Kreis- bogen, den die Himmelskörper, ‘während einer gewissen Zeit, beschreiben, aus dem Mittelpunkte desselben sehen; die Mecha- niker dagegen die Schraubengänge von aussen betrachten, Der Astronom denkt sich daher in der Axe der zu beurtheilenden ı Kreisbewegungen stehend, indem er bestimmt, nach welchem Fixsterne sein Kopf, und nach welchem seine Füsse gerichtet ge- “ Ueber die Entwickelung des medieinischen Blutegels. 385 mich in der Axe des plattgedrückten Dotters auf eine solche Weise stehend dächte, dass meine Füsse nach dacht werden sollen. Findet es sich nun, dass die Bewegung zuerst vor dem rechten, und dann vor dem linken Auge vorbei- geht, so sagt er: die Bewegung geht links herum; der Mecha- niker dagegen stellt sich zu einer senkrecht stehenden Schraube senkrecht hin, und verfolgtden Schraubengang von dem Ende der Schraube, welches seinem Fusse, nach dem Ende der Schraube hin, welches dem Kupfe näher ist. Zu der Bestimmung der Win- dung einer Schraube reicht es hin, dass man darin übereinge- kommen ist, sie immer von dem Ende, welches dem Fusse des Beobachters näher ist, nach dem Ende hin zu verfolgen, wel- ches dem Kopfe des Beobachters näherliegt. Diese Bestimmung vorausgesetzt, erscheint eine rechtsgewundene Schraube auch dann noch rechts gewunden, wenn man,sie herumkehrt, so dass nun das Ende, welches vorher das obere war, zum unteren ge- worden ist. Ganz anders verhält es sich aber mit einer Spirale, deren Windungen in einer Ebene liegen # . Bei einer sol- chen Spirale reicht es nicht hin, festzusetzen, man wolle ihre Windungen von aussen nach innen verfolgen, um zu sagen, sie sey rechts oder links gewunden; denn kehrt man die Spirale her- um und betrachtet sie so, dass man die Ebene sieht, in welcher die entgegengesetzte Oberfläche der Windungen liegt, so er- scheint sie umgekehrt gewunden als vorher, z. B. die hier abge- bildete Figur, wenn man sie auf der entgegengesetzten Seite des Papiers, auf der sie durchscheint, untersucht. Um von ei- ner solchen Spirale mit Recht sagen zu können, sie sey rechts gewunden oder sie sey links gewunden, muss man noch eine 2te Bestimmung hinzufügen, man muss nämlich die beiden Oberflä- chen der Spirale bezeichnen, und festsetzen, welche von bei- den Seiten nach oben gerichtet seyn soll, während man die Windungen bestimmt. Hätten nun aber die, zwei Oberflächen einer solchen Spirale'gar kein Merkmal, durch welches sich die eine Oberfläche von der andern unterschiede, so würde es völlig unmöglich seyn, von einer solchen Spirale zu sagen, ob sie rechts oder links gewunden sey. Zöge man das innere Ende einer sol- chen Spirale aufwärts, und machte dadurch, dass die Windun- ‚ gen derselben nicht mehr in einır Ebene lägen, so würde sie Meckels Archiv f, Anat. u. Phys. 1828. 27 x 386. Ueber :die Entwickelung des medieinischen Blutegels. der Glasscheibe, auf welcher der Dotter lag, und dass mein Kopf nach.der von der Glasscheibe abgekehrten Seite des Dotters gerichtet wäre: so würde ich die Bewe- gung, wohin ich auch gesehen hätte, immer vor meinen Augen von rechts nach'links haben -vorbeigehen sehen. Diese am Rände des Dotters sich fortsetzende, im u wa ı nn i “A nun dadurch‘ "bestimmt und z. B. in’ eine rechts gewundene Schraube verwandelt;'zöge man dagegen dasselbe Ende nach un- ten, "und machte dadurch, ‘dass die Windungen nicht mehr in einer Ebene lägen, so würde dieselbe Spirale, die durch den an- gegebenen Handgriff in eine rechtsgewundene Schraube verwan- deltwerden konnte, 'durch den letzteren Handgriff in eine links« gewundene Schraube verwandelt werden. "Diese Bemerkung fin- det ihre Anwendung 'bei dem Geschlechte der Schnecken, 'wel- ches planorbis heisst! Hier ist es nämlich sehr wichtig, dass, da die Windungen in einer Ebene liegen , doch die eine platte Ober- fläche dieser Schneckenhäuser sich ‚von der anderen unterschei- det, z. B. dadurch, dass das spitze Ende des Schneckenkanals, eupula, ein Wenig nach ‘der einen platten ‚Seite zugekehrt ist. Setzt;man nun fest, diese Seite des Schneckenhauses, nach wel- cher die cupula'hingekehrt ist, solle, während’ man die Richtung der Windungen ‚der: Spirale bestimmt, nach aufwärts gekehrt seyn, und man ‚wolle.\die ‚Spirale mit. den Augen von’ 'ih- rem äusseren Ende nach..dem: inneren verfolgen ‚. ‚so hat'män! eine ‚zur ‚Bestimmung ‘der Richtung der Windungen ausreichende Regel, nach. welcher. man z.B. findet, dass die bei uns gemeine: Sehnecke / ‚planorbis eorneus), links gewunden ist ‚während: fast alle;anderen' Schnecken rechts gewunden sind. Wis „Was bis jetzt von einer Spirale, gesagt worden ist, gilt auch: von der, Drehung, einer. Kugel oder Linse um ‘ihre Axe, und: folglich kannj-ieh nur. dann von dem 'Keime der 'Blütegel'sägen, erjdrehe sich , nach. ‚der ‚Sprache. ‘der Mechaniker, rechts herum, wenn, ich :annehme,, ‚dass die Seite /des linsenförmigen: Keimes,, welche ‚von' der: Glasplatte,.iauf der 'der Keim liegt, abgewendet ist, von der anderen ‚Seite, welche der. Glasplätte zugekehrt ist, verschieden: 'sey, und dass.die erstere Seite immer nach ee liegend.gedacht werde, | \ Ueber die Entwickelung des medieinischen Blutegels. 387 Kreise herumgehende Bewegung ist unter andern auch deswegen merkwürdig, weil’sie mit den bei dem Dot- ter gewisser Schnecken- und Muscheleier beobachteten Bewegungen verglichen werden kann. Es findet sich hierbei jedoch der Unterschied, dass sich der Dotter jener Schnecken und Muscheln, um: seine eigene Axe immer nach der nämlichen Richtung herumwälzt, der Dotter der Blutegeleier dagegen eine Bewegung zeigt, die nur am Rande des Dotters im Kreise herumläuft, ohne die Kraft zu haben, eine Bewegung des Dotters um seine Äxe zu veranlassen. Kein Sachverständiger wird zweifeln, dass eine ‘Scheibe, welche von dem geringen Durchmesser von 5 Par. Linien bis zu dem von 4 Linie wächst, die sich also fast um das 10fache ihres Durchmessers, und um mehr als das 100fache ihrer Oberfläche vergrössert, welche ferner einen Mund und einen in: ihr Inneres führenden Schlauch hat, und endlich Bewegungen des Schlundes und andere den thierischen ähnliche Bewe- gungen ausführt, eher für ein Thier oder wenigstens für einen Keim zu halten sey, als für einen blossen Dotter. Denn auch in dem Hühnereie besitzt nur der Keim die Fähigkeit zu .einem so ungemeinen Wachs- thum und zu einer solchen Entwickelung, wie die ist, wodurch der Embryo entsteht. Der grössere Theil der Dotterkugel dagegen wächst nicht, fört und entwickelt sich nicht. Eben so wenig ist es: bekannt, dass der Dottersack irgend eines Wirbelthieres sich zu. bewe- gen im Stande wäre. Diese Betrachtungen haben mich bestimmt, die linsenförmigen Scheiben, die ich. bis jetzt beschrieben habe,"als Keime von Blutegeln anzusehen, welhe sich aber durch sehr merkwürdige Lebensäusse- ‚zungen auszeichnen. Diese Keime werden nun, indem sie immer Mehr und mehr Eiweiss in ihr Inneres auf- nehmen und es in körnigen Dotter verwandeln, zu ei- 27* 388 Ueber‘ die Entwickelung des medicinischen Blutegels. nem Dottersacke. Ich will sie daher von nun an Dot- ter nennen. , Bildung des Saugnapfes des Mundes. (Hierzu Tafel. X. Fig. 6. und 8.) ‚Schon ein Keim, welcher unter den Keimen, die ich zu beobachten Gelegenheit gehabt habe, zunächst grösser als der zuletzt beschriebene war, hatte die Ei- genschaften eines mit einer körnigen. Flüssigkeit ge- füllten Dottersackes. Er ist Tafel 52 Fig. 6. abgebil- det, wo man ihn bei A in natürlicher Grösse, daneben aber 9mal im Durchmesser vergrössert sieht. Sein Längendurchmesser beträgt 2 Par. Linien, und ist also über 3mal grösser als der Durchmesser des auf der 4ten und öten Figur abgebildeten Dotters. Der Dotter hat nun eine längliche, bohnenförmige Gestalt bekom- men. An der: Stelle der Mündung des Trichters ist der Saugnapf des Mundes des künftigen Blutegels aus- gebildet worden (siehe Fig. 6. @), der einen Durch- messer von 0,157 P. Lin., d. h. einen etwas kleineren als von 4 P. Lin. hatte. Die Hülle, die den in Fig. 4. ‚abgebildeten Dotter ringsum umgab, ist auch hier, z. B. bei d’g sichtbar; sie liegt aber an mehreren Stel- lenso dicht an, dass man sie daselbst nicht unterschei- den kann. Von dem dunkleren Centrum A dagegen ist hier nichts mehr zu sehen. Die im ‚Dottersacke sicht- baren Zellen sind nicht kleiner als die in Fig. 4 und 5 abgebildeten, ob es gleich hier nach der Abbildung so scheinen könnte; denn man muss bedenken, dass der Dotter in Figur 6. fast 4mal weniger im Durchmesser vergrössert ist, als in Figur 4. und 5. Als ich die in Figur 6. abgebildeten Zellen mittelst meines Mikrome- ters mass, fand ich sie unregelmässig und von ver- schiedener Grösse, im Mittel aber ihren Durchmesser 0,052 Par. Lin., d.h. nahe „7, Par. Lin. Die Zellen Ueber die Entwickelung des medieinischen Blutegels. 389 in Fig. 4. und 5. habe ich gleichfalls sehr verschieden gefunden; eine von den grösseren hatte 0,047 P. Lin., d. h. nahe -; p. Lin. ini Durchmesser. Der Saugnapf liegt zwar immer am: Rande und niemals auf der plat- ten Seite des bohnenförmigen Dotters; an diesem Rande selbst aber nimmt er nicht immer die nämliche Stelle ein. Meistens liegt er dem einen Ende des bohnenför- migen Dotters näher als dem anderen. An dem Fig. 6. abgebildeten Dotter liegt der Saugnapf ungewöhnlich nahe an der Spitze; denn er befindet sich meistens desto mehr in der Mitte, je kleiner der Dotter ist. Die am Rande des Dotters im Kreise herumlaufende Bewegung hat nun völlig aufgehört. ‘Aber der Dotter kann, durch eine ihm beiwohnende Fähigkeit, sich zu bewegen, hier und da allmälich seine Gestalt ein wenig verändern. / ö Der Saugnapf ist dagegen in einer sehr leb- haften Bewegung. Er hat nämlich in der Mitte 'eine kleine Oeffnung, und diese erweitert sich bald, bald verengert sie sich wieder. Seine Bewegung ist so auf- fallend, dass die kleine Oeffnung in.der Mitte des Saug- napfes wohl einen 3mal grösseren Durchmesser bekom- meh kann. Die Erscheinung ist der sehr ähnlich , wel- che man an der Pupille des menschlichen Auges, bei veränderter Helligkeit, wahrnimmt. Uebrigens ist der Saugnapf des Blutegels schon mit blossem Auge als ein weisser Fleck auf dem bräunlichen Dotter sichtbar. Betrachtet man ihn nun bei 'guter Beleuchtung mit ei- ner scharfen Loupe, so kann man die beschriebenen Bewegungen sich vielmal wiederholen sehen. Denn das Oeffnen und Schliessen des Saugnapfes folgt perio- disch in langsamen Intervallen aufeinander. Man sieht mit einer solchen Loupe auch deutlich, dassder Saug- napf aus einer kleinen inneren, und einer grossen äus- seren Zone besteht, die innere aber war bei dem be- 390 Ueber die Entwickelung des medicinischen Blutegels. schriebenen, 2 Linien langen, Dotter viel glänzender weiss, als die äussere. ‘Von dem /Centrum des Ner- vensystems, d. h. von dem aus Nervenknoten zusam- mengesetzten Ganglienstrange, ist noch keine Spur we- der mit unbewaffnetem Auge, noch durch das Vergrös- serungsglas zu erkennen. Statt dass sich also bei den Wirbelthieren zu allererst das Rückenmark und Gehirn entwickelt, bildet sich bei dem Blutegel zuerst ein Mund aus,‘ der'in den; Dottersack führt, der hierdurch dem Magen oder :Darmkanale eines Thieres ähnlich wird. Fig. 8. stellt-den: Saugnapf des Mundes von einem in der Entwickelung etwas weiter fortgeschrittenen Dot- ter 17mal im Durchmesser, und also: fast doppelt so stark vergrössert vor, als in Fig. 6. ‚Bei C'sieht man ihn mehr verengert; bei D mehr erweitert. Der Saug- napf besteht auch hier deutlich aus 2 Zonen; aus einer inneren, die die Oeffnung des Saugnapfes zunächst um- giebt, und aus einer äusseren.' An beiden erkennt man stralenförmig liegende Linien, /die die Vermuthung ver- anlassen können, dass die Oefinung' des Saugnapfes von stralenförmigen: Muskelfasern' umgeben sey. Dass der Saugnapf, indem er sein centrales. Loch abwechselnd verengert und erweitert, etwas von dem ihn berührenden Eiweisse aufnehmen könne, ist wohl nicht zu bezweifeln..' Ich beobachtete nämlich, dass in dem Eiweisse, das ‘der Mündung des Saugnapfes zu- nächst lag;' durch ‚das 'Oefinen und Schliessen dieser Oeffnung "eine‘noch mit Zuverlässigkeit: erkennbare Bewegung entstand, und; ‚überzeugte mich dadurch, dass die am'Rande des Dotters, z.B. bei d g Fig. 6., sichtbare Haut ‚nicht über die Oefinung des Saugnapfes weggehe, sondern die Mündung des Saugnapfes offen liege und das Eiweiss von ihr eingesogen werden könne, Ueber’ die Entwickelung des medieinischen Blutegels. 391 Bildung der vortleren Wand des Bauches. | late no „(Hierzu Tafel.X. Fig. 7. 8.) Der nun folgende Dotter,; Taf. X. Fig. 7., ist dop- pelt so lang als der Fig. 6., nämlich 4 Par. Lin. lang. Er ist ebenfalls 9mal im Durchmessengergrössert: "Der Saugnapf hat noch’ dieselbe Gestalt und macht auch dieselben Bewegungen‘,‘ wie der, ‘welcher auf Figur 6. abgebildet worden ist. Aber vom Saugnapfe a aus hat sich, längs der schmalen’ Seite des bohnenförmigen Dotters, ein weisser Streif gebildet, der 'bei m aufhört. Er ist, wie man aus dem weiteren Fortgänge’der Entwi- ekelung einsieht,' der mittlere Theil der vorderen‘ Wand des Bauches des jungen Blutegels.'' Dieser Streifen: ist noch so ‘durchsichtig,’ dass man, wenn man’den Doftter durch eine Loupe’betraehtet, die Zellen durchschimmern sieht, die sich ander inneren Oberfläche der Haut des Dottersäckes befinden; während’ der Saugnapf' viel di- cker ist, und die Zellen nicht durehschimmern‘ lässt. Von dem Knotenstrange, der bei den Blutegeln das Centrum des Nervensystemes bildet, konnte noch keine Spur wahrgenommen werden. Bildung des Nervenstranges.- (Hierzu Tafel X. Fig. 9,) Der Tafel X. Figur 9. abgebildete Dotter ist 4} Linie lang, und wie der vorige I9mal im Durchmesser vergrössert: Dieser Dotter wendet uns seine schmale Seite seiner bohnenförmigen Gestalt zu, an der die vor- dere Bauchwand des kleinen Blutegels sichtbar ist. Der Saugnapf des Mundes liegt ganz am spitzen Ende des Dotters, und ist hier’ nicht zu sehen. Die Bauchwand ist nun etwa '24 Linie lang ‘und 1 Linie breit. An Dottern von dieser Grösse kann man dadurch, dass 392 Ueber die Entwickelung des medicinischen Blutegels. man sie in verdünnte, destillirte Essigsäure oder in eoncentrirten Weingeist taucht, den Centraltheil des Nervensystemes, den Ganglienstrang, sichtbar machen. Er läuft in der Mitte des schmalen, weissen Streifens von dem bereits sehr ausgebildeten Saugnapfe des Mun- des nach dem S ae zu. Der Weingeist näm- lich, oder auch die verdünnte, destillirte Essigsäure, macht den Knotenstrang schneller weiss und undurchsich- tig, als die gebildete Bauchwand, und verändert anfangs die Farbe des übrigen Inhaltes des Dottersackes fast gar nicht. Auch wird ein im Weingeiste geronnener und dadurch weiss gewordener Dotter, wenn er in Wasser gebracht wird, wieder durchsichtig und flüs- sig, und zwar zuerst der Inhalt des Dotters. . Eine Ei- genschaft, die die Substanz dieses Dotters sehr von der des Dotters oder Eiweisses im Hühnereie unterscheidet. Denn diese Substanzen erhalten, wenn sie durch Wein- geist zur Gerinnung gebracht worden sind, durch die Einwirkung des Wassers ihre Flüssigkeit und Durch- sichtigkeit nicht wieder. : Eine stärkere Vergrösserung scheint dagegen den Ganglienstrang nicht sichtbar zu machen; im Gegentheile erscheint dadurch der weisse ‚ Streif, wie in Figur 7., durchsichtiger und deshalb selbst weniger wahrnehmbar. Im Uebrigen stehen nicht immer die Dotter von der nämlichen Grösse auf derselben Stufe der Entwickelung. Vielmehr findet man nicht selten Dotter, die beträchtlich kleiner, und den- noch fast eben so weit entwickelt sind. Die interessante Beobachtung, dass bei den Em- bryonen der wirbellosen Thiere die Bauchwand, an der sich der 'Ganglienstrang befindet, zuerst entstehe, während bei den Wirbelthieren ‘die Rückenseite, an der das Rückenmark liegt, zuerst gebildet werde, und dass der Embryo der wirbellosen Thiere dem Dotter den Rücken zukehre, während der Embryo der Wir- Ueber die Entwickelung des medicinischen Blutegels. 393 belthiere dem Dotter den Batch zukehrt, verdankt man entweder Rathke oder v. Bär '). Methode, den Blutegelembryo vom Dotter getrennt darzustellen. (Hierzu Tafel X. Figur 10.) Die Methode, den Dotter in verdünnten, destillir-- ten Essig zu bringen, gewährte mir aber ausserdem noch einen besonderen Vortheil. Die Essigsäure löste nämlich den Theil der Dotterhaut, an welcher sich der Blutegel nicht entwickelt hatte, auf. Nachdem diese Haut zerrissen war, ergoss sich der Dotter, und es blieb nun nichts übrig, als die dünne, neugebildete Haut des kleinen Blutegels, die die vordere Wand sei- nes Bauches zu bilden bestimmt war, höchstens hin- gen an ihr noch Flocken als Ueberbleibsel der Dotter- haut. Bei den Dottern, die auf Fig. 6., 8. und 9. dar- gestellt sind, konnte ich nur das beobachten, was sich durch eine Loupe und zwar stark beobachten lässt; wenn man durch sie den zu betrachtenden Gegenstand nur mit- telst des Lichtes sieht, das er selbst zurückwirft. Denn der bräunliche Dotter liess zu wenig Licht durch, als dass ich vom zusammengesetzten Mikroskope hätte Nutzen ziehen können. Durch die Anwendung der Essig- säure schaffte ich mir aber den Blutegel, so weit er ent- wickelt war, rein, und ohne dass ihm etwas von Dotter anhing. Die dünne Haut, aus welcher der Blutegel bestand, konnte ich nun im Wasser unter das Mikro- skop bringen, und sie dann bei durchgehendem: Lichte betrachten. _ Diese Haut war sehr durchsichtig, und nur 1) Rathke, siehe in Burdachs Physiologie als Erfahrungs- wissenschaft, Th. 11. 1828. pag. 191 und 417., und früher Isis, 1825. v. Bär, de ovi mammalium et hominis genesi Epistola. Lipsiae, 1827. 4. p. 24. 394 WUeber.die Entwiekelung des medicinischen Blutegels. der Ganglienstrang, die Schleim- und Athemblasen, die grossen Gefässstämme. und. die Geschlechstheile wa- ren durch den Essig undurchsichtiger geworden, und erschienen daher unter dem Mikroskope, bei‘durchge- hendem Lichte, dunkel oder grau, während sie im Ge- gentheile, wenn man sie mit’der Loupe bei auffallen- dem Lichte ‚betrachtete, weiss aussahen. ‘Auf Tafel X. Fig, 9. ist diese so zubereitete und betrachtete Bauch- wand von einem. 5} Linie langen Blutegelembryo ab- gebildet. ‚Die dunklen Theile liessen nämlich das vom Spiegel des Mikroskops zurückgeworfene, durch den Blutegel hindurch gehende Licht wegen ihrer Undurch- sichtigkeit weniger durch, als die übrige Haut. . Ich werde auf das, was’ 'ich\,an (den so untersuchten Blut- egeln. neues gefunden habe, in der Folge made zu- ° rückkommen. Der Dottersack wird zur Speiseröhre, zum Magen und zum Darme, (Hierzu Tafel XI. Figur 12. 13..14. 15.) Der Blutegel wächst nun immer mehr. :Der Gan- glienstrang ist durch Vergrösserungsgläser, ohne eine besondere Zubereitung des Blutegels durch Essigsäure, sichtbar, und man bemerkt die erste Spur der Schleim- und Athemblasen in Gestalt weisslicher querer Flecke. Es bildet sich nun auch am anderen Ende der Saugnapf des Schwanzes; mit seinem Kopfende aber ragt der Blutegel, wie @ Fig. 12. in natürlicher Grösse darstellt, schon über dem Ende des Dotters hervor. Wenn 'nun aber die Haut, die später zur vorderen Bauchwand des kleinen Blutegels wird, beträchtlich an Breite zunimmt, wie in Fig. 13., so schliesst sie nach und nach den länglich gewordenen Dottersack ringsum ein. Dieses ist bei dem Figur 13. abgebildeten Blut- egel bereits am Kopfende des Blutegels # y geschehen; Ueber die Entwickelung des medieinischen Blutegels.. 395 denn von dem ganzen Dotter ist ‘hier nur noch der Theil m y z übrig, der auf dem unteren Theile des Rückens des Blutegels hervorragt, und sich bei z mit einer weissen Spitze endigt. Der nicht mehr sichtbare Theil des Dottersackes bildet bei diesem Blutegel den obersten Theil des Darmkanals, den man mit der Spei- seröhre und mit dem Magen vergleichen kann. An dem 44 Linielangen Blutegel « m befindet sich bei @ der Saug- napf des Mundes, den man jedoch bei dieser Lage des Blutegels nicht sehen kann; bei =» der ‘Saugnapf des Schwanzes. Von dem einen dieser beiden Enden zum anderen läuft der hier theilweis sichtbare . Knoten- strang, und’neben ihm quere, undeutliche, weisse Strei- fen, die sogenannten Schleimblasen und die Athembla- sen. Der Blutegel'nebst seinem Dotter ist von dersel- ben Seite dargestellt, alsin Fig. 8., d. h. von der Seite, welche die breite Seite des:bohnenförmigen Dotters. war. Nachdem nun auch der ‘untere. Theil des’ Dotters von (dem Blutegel überwachsen ist, stossen die 2 Rän- der der fortwachsenden Haut des Blutegels' auf dem Rücken desselben zusammen, und bilden, längs der Mitte des Rückens des kleinen Blutegels, einen weissen Strich, der am Kopfende schmäler, am -Schwanzende breiter ist. Auf Tafel XI. Figur 14. A, woman den Blutegel von seiner Rückenseite sieht, bemerkt ‘man diesen Strich, Auf Figur 15. A, wo man .den Blutegel von der Seite sieht, erkennt man denselben weissen Streifen auf dem Rücken wieder, und\'bemerkt‘zu- gleich, dass er unten in einen kleinen, hervorspringen- den Zipfel bei z ausläuft, welcher die letzte Spur des unteren Endes des Dotters ist. An dieser Stelle auf dem Rücken, über dem Saufnapfe'des Schwanzes, öff- net sich später der Mastdarm.,'. Betrachtet. man jetzt den Blutegel mit einer, Loupe, während man Sonnen- licht durch ihn durchgehen lüsst, so kann man die Ge- 396 Ueber die Entwickelung des medicinischen Blutegels. stalt des im: Leibe. des ‚Blutegels eingeschlossenen lDarmkanals durch die durchsichtigen Wände hindurch sehen, ohne dass es nöthig ist, den Blutegel aufzu- schneiden. Man sieht dann, dass sich der Dottersack durch Einschnürungen in eine Anzahl Zellen n, 0, 9, 9; 1,5 21,4, v getheilt hat.: Die obere Spitze des Dotter- sıackes hat sieh in die Speiseröhre z o verwandelt, die wntere Spitze derselben in den Enddarm v /, der aber hier noch sehr dick ist, denn er bildet, bei dem aus- gebildeten Blutegel, einen sehr engen, von Bojanus » abgebildeten Kanal. Ich habe gesehen, dass dieses Endstück bei ‚Blutegeln, welche noch etwas weniger in ihrer Entwickelung fortgeschritten waren, als der hier beschriebene Blutegel, so diek war, dass es den unteren Theil des Blutegels ganz ausfüllte, und dass es sich nur sehr allmälich in einen engeren Darm verwan- delte. Der ganze Theil v 2, nebst den beiden blinden Anhängen w und x (Fig. 14.), stellt den ausserordent- lich grossen Magen des Blutegels’ vor. Auch über ıdie allmäliche Ausbildung der beiden blinden Anhänge » und x habe ich eine Anzahl Beobachtungen gemacht. Bei noch ein wenig kleineren Blutegeln, als der Tafel XI. Figur 14. a abgebildete Blutegel ist, sind die blin- den Anhänge ®» und x noch viel kleiner; dagegen wer- den sie bei Blutegeln, welche so gross wie der Strich A Figur 16. und welche nun zum Auskriechen reif ‘sind, viel länger und reichen dann bis an das Schwanz- ende des Blutegels herab. Im Saugnapfe des Schwanzes liegt ein aus 7 knotigen Anschwellungen bestehendes zweiles Gehirn. (Hierzu Tafel XI. Figur 11.) _ Bald nachdem sich der Saugnapf des Mundes ge- bildet‘ hat, und die Stelle, an welcher die Bauchwand des jungen Blutegels entsteht, undurchsichtig und weiss Ueber die Entwickelung des medieinischen Blutegels. 397 geworden ist, entsteht in der Mitte dieser Wand der Ganglienstrang und zwar vielleicht mit einem Male. Wenigstens habe ich bis jetzt nicht bemerken können, dass etwa der dem Kopfe nähere Theil desselben frü- her als der dem Schwanze nähere entstanden wäre. Bald darauf sieht man die Mündungen, durch welche sich die Athemblasen auf der Haut öffnen, sehr deut- lich. Ueber die Ordnung, in welcher die Organe sicht- bar werden, denke ich noch im nächsten Jahre genau- ere Nachweisungen zu geben. Tafel X. Figur 10. ist die entwickelte Wand des Bauches im Blutegelembryo, die 55 Linie lang und folglich aus einer späteren Pe- riode ist. Sie ist 9mal im Durchmesser vergrössert, aber nur nach dem Augenmaasse gezeichnet, d. h.ohne dass ich die Durchmesser der hier gezeichneten Organe zuvor mikrometrjsch gemessen habe, denn ich behalte mir vor, hierüber im nächsten Jahre noch Manches in mei- ner Arbeit zu vervollständigen, und führe hier nur an, dass ich den Durchmesser eines von den in der Mitte des Körpers liegenden Nervenknoten, an einem 43 Li- nien langen, 1% Linien breiten Blutegelembryo 0,08 P. Lin., d. h. fast „ P. Lin. gefunden habe. Ich zähle, wie Bojanus, das Gehirn @ mit gerech- net, 22 Ganglien des Knotenstranges. Aber den im Saugnapfe des Schwanzes vorhandenen Ganglienstrang finde ich aus 7 verschmolzenen Knoten bestehend, und also einem 2ten Gehirne ähnlich. Siehe Taf. X, Fig. 10. n, "und Taf. XI. Fig. 11., wo man ihn mehr vergrössert sieht. Die 2 Fäden des Ganglienstranges, welche die Knoten desselben unter einander verbinden, verlaufen an den dem Saugnapfe des Schwanzes nahe liegenden Knoten a und 5 getrennt von einander. An den 7 verschmol- zenen Knoten dagegen, welche in der Mittellinie des Saugnapfes des Schwanzes befindlich sind, vereinigen sie sich. Jeder von den 7 verschmolzenen Knoten hat 398 Ueber ‘die Entwickelung des medicinischen Blutegels. übrigens Aehnlichkeit mit einem 'einzelnen Knoten des FRA SEBENE z. B. mit a und 5 Figur 11. Uintstehums Fr Augen, der Geschlechtstheile und der Athemblasen; (Hierzu Tafel X. Figur 10,) Die 10 Augen der medicinischen Blutegel, welche ich zuert aufgefunden und schon früher ?) beschrieben habe, werden wegen ihrer Durchsichtigkeit erst dann sichtbar, wenn sich in ihnen das schwarze Pigment zu bilden anfängt; dieses geschieht jedoch viel früher, als das schwarze Pigment in die Haut des übrigen Kör- pers abgesetzt wird. Bei dem Figur 14. abgebildeten, fast 14 Zoll langen Blutegel waren indessen die Augen noch nicht schwarz, sondern braun; die hinteren klei- neren Augen waren nicht auf der Oberfläche erhaben. Man sahe aber in jedem derselben einen braunen Ring, welcher einen centralen, runden, durchsichtigen Fleck einschloss. In den grösseren Augen hatte es zuweilen den Anschein, als befände sich an der Stelle des durch- sichtigen centralen Fleckes eine Linse. Doch konnte ich hierüber zu keiner Gewissheit kommen. Die Geschlechtstheile entwickelten sich frühzeitig. Tafel X. Fig. 10. 5 ist der Theil, in welchem, nach Bojanus, das männliche Glied versteckt liegt. ec ist der Nebenhoden. Die runden Bläschen e ee ee, von denen ich nur so wenige sahe, weil die übrigen unstreitig verdeckt wurden, sind, wie man glaubt, die Hoden. Das vas deferens d ist bei diesen jungen Blutegeln weniger 'geschlängelt als bei alten. x ist, wie Boja- aus vermuthet, der,uterus mit den Ovarien. Zu beiden Seiten des jungen Blutegels liegt ein 1) In diesem Archive. 1807. p. 301. Ueber die Entwickelung des miedieinischen Blutegels. 399 Blutgefäss, Tafel X. Figur 10. A k, welches am Kopfe und Schwanze; eng ausläuft, ‘und in der Mitte ‘des Blutegels am dicksten ist. . Es kreuzt sich mit den so- genannten 'Schleimblasen © ©... Diese Schleimblasen, deren 17, vielleicht aber auch ‚18, auf jeder: Seite vor- handen sind,- finde ich so, wie sie Bojanus 'abbildet, als häutige Ringe, welche schleifenförmig zusammen- gelegt sind. Sie stehen mit den Athemblasen g g, die sich auf’ der Haut der Blutegelembryonen mit einer deutlichen Mündung öffnen), in Verbindung; 'wenigstens sieht 'man ein kleines Stielchen von jeder Athemblase ‘ zur Schleimblase gehen. Wahrscheinlich sind diese Schleimblasen eben so wie. die Athemblasen Athmungs- werkzeuge. Der Umstand, dass das grosse Seitenge- fäss an jeder Schleimblase vorübergeht, spricht für die- se Meinung. 'Indessen bin ich nicht im Stande gewe- sen, Blutgefässe zu sehen, die von dem Seitengefässe - zu den Schleimblasen liefen. Blutbewegung in reifen Blutegelembryonen. Gegen das Ende des Augusts fand ich ausgekro- chene Blütegel.: Wenn ich einen solchen ausgekroche-. nen Blutegel, oder einen jüngeren Blutegel, der bald reif war; auf einer Glasplatte anband, dann eine an- dere Glasplatte darauf legte, und den Blutegel gelind presste, so konnte ich, indem ich die Glasplatten gegen das Sonnenlicht hielt, und ihn mittelst einer Loupe be- trachtete,' sehen, wie sich das Blut in den 2 Seitenge- fässen bewegte. Die Blutbewegung stimmt in ‚mehre- ren’ Stücken 'mit der überein, welche Johannes Müller !) in seiner sehr interessanten Abhandlung über diesen Ge- genstand 'bei 'hirudo vulgaris beschrieben ‚hat. Jedes von den 2 Seitengefässen zeigte, wie ein Herz Pulsa- Id 1) Johannes Müller in diesem Archive. 1828, p. 24, 400 Ueber die Entwickelung des medicinischen Blutegels, tionen, die in ziemlich regelmässigen Abschnitten der \ Zeit auf einander folgten. Bald war es nämlich leer, bald füllte es sich mit Blut, und wurde dabei beträcht- lich ausgedehnt. Der Zustand des Leersenys dauerte viel länger, als der der Anfüllung. Beide Seitenge- fässe zogen sich auch nicht gleichzeitig zusammen, und dehnten sich nicht gleichzeitig wieder aus: son- dern. zuerst füllte sich das eine Seitengefäss und ent- leerte sich fast in dem nämlichen Augenblicke wieder, und unmittelbar darauf füllte sich das andere Seiten- gefäss, und entleerte sich auch im nämlichen Augen- blicke wieder; dann folgte endlich eine kleine Pause, in welcher beide Seitengefässe leer waren. In dersel- ben Ordnung wiederholten sich nun diese Bewegungen mehrmals. Weil die Anfüllung des 2ten Seitengefässes manchmal sehr schnell auf die Zusammenziehung des ersteren, zuweilen aber erst nach einem kleinen Zeit- raume folgt, so ist es gewiss, dass zwischen beiden Seitengefässen kein solcher Zusammenhang Statt fin- det, vermöge dessen das eine Seitengefäss durch seine Zusammenziehung Blut in das andere treiben und da- ‚durch die Ursache der Anfüllung des anderen werden könnte. Man beobachtet aber deutlich, dass, bevor sich eines von den 2 Seitengefässen ausdehnt und füllt, viele kleine quere Gefässe sich zuvor anfüllen und ihr Blut in das der Länge nach laufende Seitengefäss er- giessen. Allein durch welche Kraft das Blut in diese kleinen queren Gefässe eingetrieben wird, ist mir noch nicht bekannt. Ein solcher Wechsel von starker Anfüllung und gänzlicher Entleerung findet bei den Blutgefässen des Menschen und der übrigen Wirbelthiere nicht Statt. Das Blut strömt in ihnen als ein ununterbrochener Strom. Nur das Herz füllt sich bei ihnen abwechselnd und entleert sich gänzlich. Man kann daher nicht Ueber die Entwickelung des medicinischen Blutegels. 401 leugnen, dass die beiden grossen Seitengefässe dem Blutegel ähnliche Dienste zu leisten scheinen, als das Herz dem Wirbelthieren. Vielleicht treiben sie das Blut durch kleine Gefässe, die von ihnen En ii i die Athemblasen. Mit der Ansicht, dass die 2 Seitengefänse die Ver- richtung zweier Herzen haben, stimmt auch die Be- merkung überein, dass jedes derselben sich nicht in allen Abschnitten seiner ganzen Länge gleichzeitig mit Blut füllt, und davon wieder durch die Zusammen- ziehung entleert; sondern dass das eine Ende des Län- gengefässes sich zuerst mit Blut füllt, ‘und. dann erst successiv die Mitte und das andere, Ende des Seitenge- fässes gefüllt wird, während das erstere Ende schon wieder durch Zusammenziehung sich zu leeren be- ginnt. Wenn in einen schon mit Flüssigkeit angefüllten Kanal noch mehr Flüssigkeit eingetrieben wird, z. B. im menschlichen Körper in eine schon von Blut ange- füllte Arterie, so dehnt sich der ganze Kanal durch die eingetriebene Flüssigkeit in allen Abschnitten sei- ner Länge gleichzeitig aus, oder wenigstens ist die Un- gleichzeitigkeit so gering, dass sie mit den Augen nicht wahrgenommen werden kann. Wenn dagegen in einen leeren Schlauch Flüssigkeit mit grosser Gewalt einge- . trieben wird, so wird.die Anfüllung aller. Abschnitte seiner Länge ungleichzeitig ‚geschehen. ‚Dieses letztere findet auch bei den Vorkammern und Kammern des menschlichen Herzens Statt. Die verschiedenen Längenabschnitte der Seitenge- fässe nun füllen und entleeren sich eben so, wie die Herzräume successiv. Indessen nicht immer nimmt die Anfüllung und Entleerung an demselben Ende ihren Anfang; vielmehr zeigte. sich auch hierin, wie bei Ai- rudo vulgaris nach Johannes Müller, eine gewisse Pe- Meckels Archiv f. Anat, u. Phys. 1828. 28 402 Ueber'die Entwickelung des medieinischen Blutegels. tiodieität. »Nächdem sich nämlich das Seitengefäss 8 bis’ 13mal'so 'angefüllt und wieder entleert hatte, "dass die’ Anfüllung ‘und die darauf folgende Entleerung an dem dem. Kopfe'nahe liegenden Ende des Seitengefäs- ses ihren Anfang genommen und sich längs des gah- zen Seitengefässes bis zu dem‘am 'Schwanze liegenden Ende fortgesetzt'hatte, . kehrte "sielr die Bewegung in dem. Seitengefässe nach einer kleinen’ Pause um, so dass. sich nun ‚das Schwanzende des 'Seitengefässes zu- erst zu füllen und wieder zu entleeren anfing, und erst suceessiv ‘diejenigen Theile des Seitengefässes gefüllt wurden, welche- dem Kopfe \näher liegen. "Diese 2te . Art der Anfällung wiederholte sich nun ebenfalls öfter, worauf dann jene erstere Art der Anfüllung von‘ neu- em eintrat. ' Bewegungen .des.aus vielen, Zellen bestehenden Magens. (Hierzu Tafel XI. Figur 16.) Die Methode, die lebenden jungen Blutegel mässig zwischen 2 Gläsplatten einzuklemmen und gelind zu pressen, 'verschaflte "mir noch die Gelegenheit, die Be- wegungen 'des‘ Magens oder Darmes zu beobachten. Da nämlich die’ Haut zu dieser Zeit der Entwickelung der fast ausgebildeten Blutegel durchsichtigist, so kann man, wenn man’die Glasplatten, zwischen welchen der Blütegel ausgespannt ist, gegen das Sonnenlicht hält; sehen, dass der-Darmkanal, wie Tafel XI. Figur 16, an einem fast 4mäl 'vergrösserten ‘Blutegel' zeigt, am Munde bei a ein enger Kanal ist; dass er aber dann bis zu» einen ‘Schlauch darstellt,’ der aus einzelnen, fläsehenförmig gestalteten Zellen"besteht, die so unter- einander ‘zusammenhängen, dass. immer die folgende Zelle mit ihrem Halse in die vorhergehende Zelle hin- eihragt, "und mit ihr durch eine Mündung,’ die’sich erweitern ‘und’ 'verengern kann, communicht. Der Zu- Yo Ueber die Entwickelung des medicinischen Blutegels.. 403 sammenhäng der Zellen, aus welchen der Magen des Blutegels besteht, hat Aehnlichkeit mit der Art, wie die Zellen der sogenannten Seele einer Feder in ein- ander eingeschoben sind. Dass aber wirklich jede Zelle an ihrem Ende, welches in die Höhle der vor ihr liegenden Zelle hin- ein springt, einen Mund hat, der sich erweitern und verengern kann, davon überzeugt man sich auf folgen- de Weise. Man bemerkt, wenn der Blutegel auf die oben be- schriebene Weise betrachtet wird, dass der Magen eine mit vielen Körnchen vermengte Flüssigkeit einschliesst. Zieht sich nun der Blutegel an einer Stelle zusammen, so wird die Flüssigkeit aus den zusammengedrückten Zellen in benachbarte getrieben, die sich dadurch er- weitern. Man bemerkt dann bei der entstehenden Strö- mung der Flüssigkeit, dass sie nur an der bestimmten engen Stelle, an welcher sich der Mund der Zelle be- findet, z. B. bei 7, in die benachbarte Zelle eintreten kann. Auch sieht man, dass sich der Mund einer sol- chen Zelle zuweilen weit aufthut oder auch ziemlich verengert. Der Magen des Blutegels besteht demnach aus 9 bis 10 flaschenförmig gestalteten, in einander ge- schobenen Zeilen, von denen man jede gewissermaas- sen für einen besonderen Magen halten kann, der sei- nen besonderen Magenmund hat. Als ich hierauf aufmerksam geworden war, be- merkte ich nun auch, dass einem jeden Munde einer solchen Zelle ein Ganglion des Knotenstranges gegen- über lag, und dass also die Knotendes Knotenstranges in derselben Entfernung von einander lagen, als die Zellen des Magens. So scheint denn ein Blutegel aus einer Anzahl von mehreren Abschnitten zu bestehen, von denen jeder einen Nervenknoten und einen mit einem beweglichen Munde versehenen Magensack besitzt. 23* 404 Ueber die Entwickelung des medicinischen Blutegels. Bei v hängen mit dem Magen 2 Blinddärme » und x zusammen, und zwischen diesen befindet sich der Afterdarm, den man aber auf Figur 16. nicht sehen kann. Resultate über die Entwickelung der medicinischen Blut- egel. 1. Die Eier der medicinischen Blutegel sind an- fangs nur von einer dünnen durchsichtigen Haut um- geben, die an den 2 Spitzen des ovalen Eies schon die Oeffnungen zu haben scheint, durch welche die Blut- egel nach erlangter Reife aus dem Eie auskriechen. Die Eier liegen aber sogleich anfangs in einem aus Luftbläschen und einem zähen dem Schleime ähnlich gebildeten Schaumklumpen. 2. Die äussere Schale der Eier, welche aus einer Substanz besteht, die dem Waschschwamme ähnlich ist, bildet sich erst mehrere Tage nachdem die Eier gelegt worden sind. Indessen ist das Eintrocknen des Schaumes an der: Luft nicht allein hinreichend, damit die schwammige Substanz entstehe; sondern ohne Zwei- fel wird der Schaum in der Nähe der Haut des Eies von einer aus dem Eie hervorkommenden Flüssigkeit durchdrungen, die dem Schaume die Eigenschaft, dureh Trocknen in eine dem Waschschwamme ähnliehe Sub- stanz zu erhärten, ertheilt. Daher entsteht die schwam- mige Substanz nicht an der Oberfläche des Schaum- klumpens, welche mit der Luft am meisten in Berüh- rung ist, sondern an der Stelle, wo der Schaum mit dem Eie in Berührung ist; und darum findetman auch häufig, Eier, die bereits von einer schwammigen’Schale eingeschlossen sind, so jedoch, dass diese schwamimige Schale äusserlich selbst wieder von einer Lage weissen , Schaumes umgeben wird, der sich nicht in eine schwain- mige ;Materie- verwandelt hat. ‚ion Ueber die Entwickelung des medicinischen Blutegels. 405 3. Das Netzwerk, aus welchem die schwammige Substanz der Schale des Eies besteht, wird von ge- krümmten, durchsichtigen, bräunlichen, kegelförmigen Fäden gebildet, welche so zusammen laufen, dass man annehmen kann, sie seyen durch das Erhärten derjeni- gen zähen, schleimartigen Substanz entstanden, welche die Zwischenräume zwischen den dicht an einander lie- genden runden Luftbläschen des Schaumes erfüllt. 4. In den Eiern ist eine bräunliche, gleichartige eiweissartige Flüssigkeit enthalten, welche anfangs sehr dünn ist, dann wie Gallerte gerinnt, endlich aber sich von neuem in einen in der Mitte des Eies befindlichen flüssigen, und in einen den Wänden des Eies anhän- genden gallertartigen Theil scheidet. 5. In der im Eie eingeschlossenen bräunlichen Flüs- sigkeit sieht man anfangs keine mit unbewaffnetem Auge sichtbaren Keime oder Dotter, sondern nur durch das Mikroskop erkennt man mehrere, kleine, gelbliche oder weissliche, linsenförmige Scheibchen, die aus sehr klei- nen Körnchen bestehen. Sie können für die Keime der jungen Blutegel gehalten werden, Tafel X. Fig. 1.; denn in jedem Eie entwickeln sich in einem gemein- schaftlichen Eiweisse 4 bis 10 oder zuweilen noch Dr Blutegel. 6. Aus diesen Keimen entstehen durch Wachsthum, vermöge dessen sich die Keime um das 57fache des Längendarchmessers vergrössern, die Dotterkugeln, Tafel X. Figur 2. oder 3., welche aus vielen unregel- mässigen Zellen bestehen, und an denen man sehr früh- zeitig ein dunkleres Centrum und eine hellere und durch- sichtigere Peripherie wahrnimmt. Während daher der Keim bei den Wirbelthieren nur eine kleine Scheibe ‚ist, die sich an der schon im Eierstocke der Mutter vollkommen ausgebildeten Dotterkugel befindet, ist der Dotter bei den Blutegeln ein Theil, welcher sich erst ‚406 Ueber die Entwickelung des medieinischen Blutegels, spät in der Höhle des Keimes dadurch bildet, dass der Keim Eiweiss in seine mittlere Höhle aufnimmt, und dasselbe in Dotter verwandelt. Dotter und Keim sind folglich bei den Wirbelthieren 2 an einander grenzende, von einamler in einem gewissen Grade unabhängige Theile. Dagegen liegt der Dottersack des Blutegels im Inneren des Keimes, ist von ihm ringsum eingeschlos- sen, wie eine kleine Kugel von einer grösseren hohlen Kugel, und wird erst durch die bildende und assi- milirende Thätigkeit des Keimes spät gefüllt. Was Herold ') für einen besonderen, am Dotter befindlichen kleinen Keim gehalten hat, ist, wie der Saugnapf des Mundes, am Blutegeleie, Tafel X. Figur 6. «, nur der erste Anfang zur Hervorbringung besonderer Organe aus dem Keime. 7. Diese linsenförmigen, den Dotter einschliessen- den Keime haben schon zu einer Zeit, zu welcher sie nur 4 Linie im Durchmesser gross und noch ganz durch- sichtig sind, Tafel X. Figur 4. und 5., thierische' Bewe- gungen und Verrichtungen. Sie sind dann schon mit einem Munde und einem trichterförmigen Schlauche versehen, der von der Oberfläche zu dem dunkleren Centrum führt. Dieser trichterförmige Schlauch macht schluckende Bewegungen, zieht sich ein und streckt sich wieder hervor; und eben so zieht sich der Rand des Thieres successiv ein und dehnt sich wieder aus, so dass Einbeugungen an ihm entstehen, die wie Wellen um den ganzen Dotter stundenlang im Kreise rechts herumlaufen. > 8. Eine. Umdrehung der ganzen Dotterkugel um ‚ihre Axe ist aber von mir bis jetzt noch nicht beob- achtet worden. 1) M. Herolds Untersuchungen über die Bildungsgeschichte der wirbellosen Thiere im Eie. Marburg, 1824. Fol. m, K. Ueber die Entwickelung des medieinischen Blutegels. 407 9. Da keine ‚Dotterkugel der, Vögel, Amphibien und Fische ein solches; Vermögen des. Wachsthumes und eine solche thierische Bewegung besitzt, wie die p. 377 an den Tafel X. Figur 4. und 5. abgebildeten Dottern des Blutegels beschrieben ist; so wird hier auch die Richtigkeit des Satzes, den ich Nr. 6. aus der Weise, wie sich die Dotterkugel bildet, abgeleitet hatte, bestä- tigt: Denn man muss annehmen, dass die mit einem,so merkwürdigen Bewegungsvermögen versehenen Theile, des. Blutegeleies nämlich; die ‘den Dotter des Blut- egels Kr durehsichtige Haut, c ded fg, Ta- fel X. Fig. 5., nebst dem trichterförmigen Sehlauche a, für den Keim des Blutegels und: nicht: für eine Dotter- haut zu halten sind, 10. Nachdem nun später der Dotter eine platt ge- drückte, längliche; ‚‚bohnenförmige. Gestalt angenom- men hat, Tafel X. Figur 6., entwickelt sich der En- bryo auf eine ähnliche Weise, als an deni Dötter der Wirbelthiere, an der Oberfläche des Doiteis, jedoch mit folgenden nierkwürdigen Unterschieden. 11. Bei den: Wirbeltbieren entsteht zu allererst das Rückenmark und das Gehirn in einem vorher durch Falten gebildeten Kanale. An. dern Dotter der Blut- egel entsteht dagegen zuerst‘der Saugnapf des Mun- des, Tafel X. Fig. 6. a, der schon bei dem 2 Lin. lan- gen.Dotter sehr vollkommen gebildet ist, und sich, wie fig. 8. C/und D. zeigt, öffnet und schliesst, und dadurch Bewegung in dem ihn umgebenden Eiweisse hervorbringt. Dieser Saugnapf scheint aus dem Figur 4. a abgebil- deten Munde, der einem + Linie grossen ‚Dotter ange- hört, entstanden zu seyn, während der Trichter a 5 dadurch unsichtbar geworden ist, dass der im Keime eingeschlossene Dottersack, «durch ‚Aufnahme einer grösseren Menge Nalirungsstoff,, ‚sieh. vergrössert, und dem ihn sackförmig umgebenden Keime so genähert 408 Ueber die Entwickelung des medicinischen Blutegels. hat, dass man nur an einigen Stellen, z. B. bei dg, hiund k/, Figur 6., die äussere durchsichtige Haut, die dem Keime angehört, von der Oberfläche des Dot- ters unterscheiden kann. 12. Bei den Dottern der Wirbelthiere entsteht die Rückenseite des Embryo früher als die Bauchseite; an den Eiern der Blutegel dagegen, die zu den wirbello- sen Thieren gehören, entsteht die Bauchseite früher als die Rückenseite. Bei beiden aber, sowohl bei den Wirbelthieren, als bei den wirbellosen Thieren, ent- steht diejenige Seite des Körpers zuerst, an welcher das Centrum des Nervensystems liegt; denn dieses liegt bei den Wirbelthieren an der Rückenseite, bei den wirbellosen Thieren an ‚der Bauchseite des Leibes. Auch entsteht bei den Eiern beider Klassen von Thie- ren diejenige Seite des Embryö zuerst, die er von dem Dotter abwendet. Denn einerseits wendet der Embryo der Wirbelthiere die Rückenseite von dem Dotter ab; die wirbellosen Thiere dagegen wenden ihre Bauch- seite von dem Dotter ab. Andererseits wenden die Wirbelthiere ihre Bauchseite, an der ihr Darm mit dem Dotter durch den Nabel zusammenhängt, dem Dotter zu; die Blutegel dagegen ihre Rückenseite. Auch wird bei diesen letzteren der Dotter von der Rü- ckenseite her in den Bauch hineingezogen. Tafel X. Figur 7., 8. und 9. sieht man diese an dem Dotter ent- stehende vordere. Wand des Bauches; und Figur 9., in deren Mitte, an einem 4 Linien langen Dotter den sich bildenden Knotenstrang, der dadurch sichtbar gemacht werden kann, dass man den Dotter mit verdünnter, destillirter Essigsäure oder mit Weingeist in Berüh- ‚rung bringt. 13. Der Dotter der Blutegel ist daher schon zu einer Zeit, wo er nur + Linie oder 2 Linien gross ist, ein Sack, der mit einem Magen verglichen werden Ueber die Entwickelung des medicinischen Blutegels. 409 muss, welcher durch einen Mund einen dem Eiweisse ähnlichen Nahrungsstoff verschluckt und denselben in die durch viele kleine Körnchen sich auszeichnende Dotter- flüssigkeit verwandelt. Dagegen ist der Dottersack der Wirbelthiere schon im Eierstocke der Mutter und selbst vor der Befruchtung mit Dotterflüssigkeit gefüllt. Aber er nimmt, wie Prouf‘) vor kurzem bestätigt hat, bei der Bebrütung auch Eiweiss durch unbekannte Oeffnungen auf, wird dadurch in der ersten Woche der Bebrütung ein wenig grösser, und verliert erst in der 3ten Woche der Bebrütung, d. h. am Ende derselben, an Umfange. Keineswegs aber bildet er, wie dieses im Dottersacke der Blutegel der Fall ist, die ganze Dot- terflüssigkeit aus aufgenommenem Eiweisse, vielmehr verändert er nur das Eiweiss durch die Zusammenmen- gung mit dem schon vorhandenen Dotter. 14. Bei den Wirbelthieren verwandelt sich nur der äusserst kleine Theil des Dottersackes, der den Keim unmittelbar berührt, oder selbst einen Theil des Keimes ausmacht, in den Darmkanal des Embryo; und zwar, wie es scheint, zunächst in die hintere Wand desselben. Durch die Entstehung einer Einschnürung zwischen dieser, dem Keime unmittelbar anhängenden, Seite des Dottersackes, und dem übrigen viel grösse- ren Theile desselben, sondert sich der letztere grös- sere Theil des Dottersackes von jenem kleinen Theile, der sich durch Wachsthum in den Darmkanal des Em- bryo verwandelt, bis auf eine sehr kleine Stelle ab; hängt aber bei den Wirbelthieren doch durch diese kleine, eingeschnürte Stelle mit dem Darmkanale zu- sammen. Man nennt diese eingeschnürte Stelle bei a 1) Prout, in Edinburgh philosophical Journal B. VI. p. 63; und in Berzelius’'s Jahresbericht. Tübingem, 1825. p. 239, 410 Ueber die Entwickelung, des medicinischen Blutegels. den Vögeln ductus vilello- intestinalis. Bei den Blut- egeln dagegen entsteht eine solche Einschnürung nie. Der ganze Dottersack wird seiner ganzen Länge nach in die Speiseröhre, in den Magen und in den Darm verwandelt. Der Leib des Blutegels hat nicht: 3- Oeft- nungen, die mit dem Darme in Beziehung stehen, den Mund, den After und den Nabel; sondern nur 2, den Mund und den After. Die Haut des Blutegels über- wächst nach und nach den gan:en Dotter und schliesst ihn in sich ein. Zuletzt bleibt noch eine einzige Oefl- nung in derselben, welche zum After wird. Längs der Mittellinie auf dem Rücken des Blutegelembryo entsteht ein weisser Streif,- Tafel XI. Fig. 14. A, 15. A, der die Stelle anzeigt, an welcher die Ränder der um den Dotter herumwachsenden Haut verschmelzen. Auf Tafel XI. Figur 13. sieht man, dass vom Dotter nur noch ein kleiner Zipfel z m y übrig, der übrige obere Theil desselben aber von der Haut überwachsen ist; bei z entsteht später der After. ‚Auf Figur 55. ist der Dotter vollständig überwachsen und nur ein sehr klei- ner Zipfel z, an welchem sich später der After bildet, welcher auf dem Rücken über dem Saugnapfe des Schwanzes liegt, ist die einzig übrig gebliebene Spur des Dotters. 15. Man sieht hieraus, dass der Keim dieser wirbel- losen Thiere zugleich mit dem in ihm eingeschlossenen Dottersacke sehr frühzeitig die Eigenschaften eines le- benden Thieres annimmt, und dass der Dottersack bei der Entwickelung in einen grossen Theil des, Thieres, nämlich in den ganzen Darmkanal, verwandelt wird, während der Keim der Wirbelthiere bei seiner Ent- wickelung viel später thierische Bewegungen ausführt, und der Dottersack derselben in einen desto kleineren Theil des Körpers übergeht, je vollkommener und dem Menschen ähnlicher ‚diese Thiere sind. Bei dem Ueber die Entwickelung des medicinischen Blutegels. 411 Menschen und den ihm verwandten Säugethieren näm- lich sondert sich der durch eine Einschnürung vom Embryo unterscheidbare Theil der Dotterkugel (das Nabelbläschen, vesicula umbilicalis) ganz von dem Darme ab, und wird nicht zu einem Anhange des Dar- mes... Bei den Vögeln wird der durch den ductus vi- tello-intestinalis mit dem Dünndarme verbundene Dot- tersack in der letzten Woche der Bebrütung durch den Nabel in den Bauch des Hühnchens hereingezogen, und bildet dann einen kleinen blinden Anhang an der vorderen Wand des Dünndarmes. Bei den Erdsala- mandern wird, wie Carus !) gezeigt hat, der Dotter- sack viel früher in den Unterleib aufgenommen, und bildet ein Stück der Röhre des Darmes selbst, und folglich nicht bloss einen Anhang an der einen Wand, - sondern die ganze Wand, die ringsum den Darm um- giebt: er wird_hier also schon zu einem Stücke des Darmes. Bei den Blutegeln aber entsteht der ganze Darmkanal, also die Speiseröhre, der Magen und der Enddarm, aus dem Dottersacke. 16. Die hauptsächlichsten Höhlen des Körpers, die Höhle für das Centrum des Nervensystemes, so wie auch die Höhle für die grösseren, Blut bereitenden, Blut bewegenden Organe und für die Geschlechtstheile bil- den sich aus dem Keime der Wirbelthiere, der als eine nicht hohle Scheibe zu betrachten ist, dadurch, dass aus dieser Scheibe hinten und vorn Falten hervorwachsen, von denen sich die hinteren auf der Rückenseite verei- nigen und die Höhle für das Gehirn und Rückenmark einschliessen, die vorderen aber sich vorn an der Bauchseite vereinigen und dadurch die Höhlen des Ge- 1) Carus, von der Bildung des Darmkanals aus dem Dotter- sacke in den Larven des Erdsalamanders, in der Zeitschrift für Natur- und Heilkunde, B.1. 1320, p 133. Tafel I, 412 Ueber die Entwickelung des medicinischen Blutegels. sichts, der Brust, des Bauches und des Beckens bil- den. Bei den Blutegeln dagegen bemerkt man keine solche Faltung. Der Keim ist ursprünglich ein hohler linsenförmiger Körper, und indem sich dieser Körper nach und nach vergrössert und eine längliche, walzen- förmige Gestalt annimmt, entsteht hierdurch die einzige längliche, grosse Höhle, an deren Wänden alle Or- gane des Blutegels entstehen. Der Keim der Blutegel enthält also ursprünglich eine Höhle, und der Blutegel und die einzelnen Organe desselben entstehen dadurch, dass die Wände, die die Höhle des Keimes einschlies- sen, dicker werden und dass sich an ihnen Organe \ mannichfaltiger Art bilden. 17. Die Ringe der Haut, welche die Stelle des äusseren Skeletts vertreten, bilden sich bei dem Blut- egel erst, nachdem die Querfasern und Längenfasern, aus welchen das Muskelsystem des Blutegels besteht, schon entstanden sind. Bei den Menschen entsteht das knorpelige Skelett früher, und dann erst werden Mus- keln unterscheidbar !). 18. Die Geschlechtsorgane, welche bei den Raupen, wie Herold gezeigt hat, sehr spät sichtbar werden, sind es hier ziemlich früh; dagegen entstehen die 10 Augen des Blutegels ebenso wie die Augen der Spin- nen, nach Herold, ziemlich spät, oder wenigstens wer- den sie, weil das in den Augen befindliche schwarze Pigment sehr spät entsteht, erst gegen das Ende des Embryolebens sichtbar, haben dann aber verhältniss- mässig eine sehr beträchtliche Grösse. ‚ 1) Siehe meinen Beitrag zur Entwickelungsgeschichte des inenschlichen Embryo in diesem Archive. 1327. p. 230 — 232. Ueber die Entwickelung des medicinischen Blutegels. 413 Erklärung der Kupfertafeln, welche sich auf die Ent- wickelung des medicinischen Blutegels beziehen. Unter jeder Figur steht eine Zahl, welche anzeigt, wie vielmal im Durchmesser die Figur vergrössert ist. Die mit A bezeichnete Figur zeigt den Theil in seiner natürlichen Grösse. . Tafel X. Figur 1. Ein Keim aus einem Eie des medicini- schen Blutegels, das höchstens nur 2 Tage alt seyn konnte, 132mal im Durchmesser vergrössert. Er war linsenförmig, hatte + Par. Lin. im Durchmesser, und bestand aus kleinen Kügelchen, die einen Durchmesser von-/-P. Lin. hatten. Es war keine Bewegung an ihm zu bemerken. In dem Eiweisse eines Eies befanden sich, wie das immer der Fall ist, mehrere solche Keime. Figur 2. Ein linsenförmig gestalteter Keim, aus. einem etwas älteren Eie, 33mal im Durchmesser, d.h. 4mal weniger als der in Figur 1. abgebildete Keim, vergrössert. Er war im Durchmesser + Par. Lin. lang und „5 breit. Es haben sich grosse Zellen gebildet, die in der Mitte kleiner zu seyn und ein etwas un- durchsichtigeres Centrum zusammenzusetzen scheinen. Der Keim ist ungefähr um das Doppelte im Durch- messer grösser, als der Keim in Figur 1. Es ist an ihm keine Bewegung sichtbar. Figur 3. Ein linsenförmig gestalteter Keim aus einem Eie, das vermuthlich noch älter war als das, von welchem ein Keim in Fig. 2. abgebildet ist, 33mal im Durchmesser vergrössert. Er hat + Lin. im Durch- messer, und ist demnach doppelt so gross als der in Fig. 2., und 4mal so gross als der in Fig. 1. Die Zellen haben sich vermehrt, Ich bin nicht ganz gewiss gewor- den, ob es nicht schon schwache Bewegungen gemacht habe. A stellt die natürliche Grösse des Keimes vor. 414 Ueber die Entwickelung des medicinischen Blutegels., Figur 4. Ein linsenförmig gestalteter Keim aus einem. etwas älterem Eie, der 33mal im Durchmesser vergrössert ist, und etwas mehr als + Par. Linie im Durchmesser hat, und der folglich wieder ungefähr um das Doppelte grösser ist als der auf Figur 3. abgebil- dete Keim. Man unterscheidet einen durchsichtigen, aus Körnchen bestehenden Ueberzug e de fg, denich für die Keimhaut halte, die nicht bloss eine Scheibe anı.Dotter ist, sondern den Dotter ringsum einschliesst, und ein aus Zellen bestehendes Centrum gi A, das aus einer durchsichtigeren Zone g i, und einem weniger durchsichtigen Centrum X besteht. Der ganze, aus Zel- len bestehende Theil ist der Dotter. ‘Von der Ober- fläche, der Keimhaut' zum Dotter führt ein trichterför- miger Kanal ’@ 7, der eben so, wie die übrige Keim- haut, aus kleinen Kügelchen besteht. Bei @ scheint eine Mundöffnung befindlich zu seyn. Figur 5. Derselbe Keim, welcher in Figur 4. ab- gebildet, ist im Zustande der Bewegung. Der Trich- ter. al hat sich eingezogen und ist breit geworden. Er macht eine dem Schlucken ähnliche Bewegung; ihm gegenüber bei 5 hat sich die Hülle auch eingezogen, die beiden eingezogenen Stellen verändern in der Rich- tung der beigefügten Pfeile ihren Ort und laufen wie ein Paar Wellen am Rande des Keimes im Kreise her- um. Dabei streckt sich der trichterförmige Theil vor- züglich stark hervor und zieht sich wieder ein. Figur 6. ‚Ein bohnenförmig gestalteter Keim aus einem noch älteren Eie, der fast 2 Pariser Linien lang und also fast um. das 4fache grösser ist als der Figur, 4. ‚abgebildete Keim, _A ist derselbe Keim in natürlicher Grösse. Er ist aber nur 9mal im Durch- messer vergrössert, und also fast 4mal weniger ver- grössert, als die in Fig. 2. bis 5. vergrösserten Keime. dhk ist die den Dotter ringsum einschliessende Keim- Ueber die Entwickelung des medieinischen Blutegels. 415 haut, g 02 ist der Dotter, der sich so vergrössert hat, dass man die Keimhaut nur an wenigen Stellen unter- scheiden kann. Er besteht aus Zellen, die an Grösse den in Figur 4. g i k abgebildeten nicht sehr nach- stehen. @ ist der Saugnapf des Mundes, der erste Theil des Blutegelembryo, der sich an der Keimhaut entwi- . ckelt hat. In der Mitte hat er eine runde Oeffnung, die er abwechselnd erweitert und verengert. Dieser Saugnapf scheint aus dem Figur 5: @ 2 abgebildeten Trichter entstanden zu seyn. Figur 7. Ein bohnenförmiger Keim, der 3 Par. Linien lang, und 9mal im Durchmesser vergrössert ist. Bei A ist er in natürlicher Grösse abgebildet. Vom Saugnapfe des Mundes aus hat sich ein weisser Streif am gebildet, der längs der schmalen Seite des boh- nenförmigen Keimes herabläuft. Er ist noch’ so durch- sichtig, dass man die: Zellen des Dotters durch ihn hin- durchsehimmern sieht; aus ihm entsteht die Wand der Bauchseite des Blutegels. Figur 8. A. Ein Theil des vorigen Keimes, 17mal im Durchmesser vergrössert. Man ‘sieht den Saugnapf _ des Mundes und den von ihm ausgehenden weissen Streif, :B ist der Saugnapf, wenn sich der Mund des- selben erweitert hat. ! Figur‘ 9. Ein Keim 4 Par. Linien lang, 9mal im Durehmesser 'vergrössert. Er ist von seiner schmalen Seite gezeichnet. Durch Weingeist ist die entwickelte Bauchwand a m weisser und undurchsichtiger gewor- den; am meisten zeichnen sich aber durch ihre weisse Farbe die Nervenknoten des Ganglienstranges aus, die durch Weingeist oder Essigsäure sichtbar gemacht werden können. Die Bauchwand ist. noch so durch- siehtig, dass man die Zellen des Dotters durchschim- mern sieht. Bei « ist der Saugnapf des Mundes ver- borgen. Der Saugnapf des Schwanzes: hat sich noch 416 Ueber die Entwickelung des medicinischen Blutegels. nicht, gebildet. Bei A sieht man den Keim in natürli- cher. Grösse. Figur 10. Die 5: Par. Klein lange Bauchwand eines Blutegels, die dadurch vom Dotter getrennt wor- den ist, .dass ich den Dotter durch Essigsäure hatte auflösen ‚lassen. Sie ist hier. von ihrer Rückenseite, die sie dem Dotter zukehrt, abgebildet, indem sie, auf einer Glasplatte unter das Mikroskop gebracht und mit dem Spiegel von unten erleuchtet wurde. Sie ist 9mal im Durchmesser vergrössert. a mist der Ganglienstrang, b sind die,männlichen Geschlechtstheile, c ist der Ne- benhode, c d das vas deferens, eee e sind die Hoden, gg sind die Athemblasen, 7 ist eine ausgezeichnet grosse selben Form, sind die sogenannten Schleimblasen, wahrscheinlich auch Athmungswerkzenge, Akk ist das Seitengefäss, das die Stelle eines Herzens vertritt: A giebt die natürliche Grösse dieses Theiles an. Tafel XL Figur 11. Der Saugnapf des Schwanzes von dem Figur 10. dargestellten Blutegel, noch mehr vergrös- sert; ab sind die 2 letzten Knoten des Knotenstranges, durch die 2 der Länge nach laufenden Neryenstränge verbunden. Zwischen 5 und » liegen aber 7 verschmol- zene: Knoten im Saugnapfe des Schwanzes, die von mir zuerst entdeckt worden sind. ‚Figur ‘12. Zwei ‚Blutegelkeime in natürlicher Grösse. Figur 43. Ein Keim, der nahe 44 Par. Lin. lang und 9mal im Durchmesser vergrössert ist. Bei '@ ist der Saugnapf des Mundes verborgen. Bei m hat sich nun der Saugnapf des Schwanzes entwickelt. y z ist die Rückenseite, an welcher noch ein Theil des Dot- ters durchschimmert. An der gegenüberliegenden | [ Ueber die Entwickefüng des medieinischen Blutegels. 417 Bauchseite sieht man den Knotenstrang, und eine Reihe durchschimmernder Querstriche deuten die Schleimbla- sen an. Von a bis y hat nun die sich bildende Haut den Dotter überwachsen. Figur 14. Ein fast reifer Blutegel, der beinahe 6 L. oder + Zoll lang ist, 9mal im Durchmesser vergrössert. Der Dotter hat sich in den Darm verwandelt, und ist ringsum von der Haut bedeckt, die sich aus der Keim- haut entwickelt hat. « ist die Speiseröhre, znopgr stu v ist der Magen, © ww sind zwei Blinddärme, die vom Magen ausgehen, die hier noch sehr kurz sind. list der Enddarm, der hier noch sehr dick ist. A stellt denselben Blutegel in natürlicher Grösse, vom Rücken aus, vor. Man sieht einen weissen Streif, welcher die _ Spur davon ist, dass die Haut, die sich auf der Keim- haut entwickelt hat, an dieser Stelle von beiden Seiten zusammengestossen ist. Figur 15. Derselbe Blutegel von der Seite. Man sieht bei z einen kleinen Zipfel, die letzte Spur des - zum Darme gewordenen Dotters, an welchem sich der After öffnet. A stellt denselben Blutegel in natürli- cher Grösse vor. z ist der Zipfel, er liegt am Ende der weissen Linie. Figur 16. Ein reifer, 10 Linien langer Blutegel, zwischen Glasplatten aufgespannt und gegen das Licht gehalten. Er ist ziemlich 4mal im Durchmesser ver- grössert. a ist die Speiseröhre. Bis ö reicht der Ma- gen, der aus einer Anzahl in einander eingeschobener Zellen besteht, von denen jede ihren Mund hat, der sich öffnen und schliessen kann. ®» x sind die Blind- därme, die nun viel länger sind, und die den Enddarm so bedecken, dass man ihn nicht sehen kann. Figur 17. Ist ein Blutegelei in natürlicher Grösse. ‚Es ist eines von den grösseren. Figur 18. Ist ein seiner Länge nach in zwei Meckels Archiv f. Anat. u. Phys. 1828, 29 415 Veberd. Drehungd. Schnecken- u. Muschelkeime im Eie. Hälften getheiltes Blutegelei, und zwar eines von den kleineren. Figur 19. Ist die obere Spitze des vorigen vergrös- sert dargestellt. Man sieht die schwammige Schale. An deren inneren Oberfläche sieht es so aus, als be- stände die schwammige Schale aus an einander liegen- den Bläschen. IV. Swammerdams Entdeckung, dass sich die kaum sichtbaren Keime der Schnecken im Eie um sich selbst drehen, zusammengestellt mit Zeeuwen- hoeks Entdeckung, dass dieselben Bewegungen bei den kleinen Keimen der Muscheln Statt finden, nebst einigen Bemerkungen über die Bewe- gungen an den Keimen der Blutegel. Vom Dr. Ernst Heınrıcu Weerer, Professor der Anatomie in Leipzig. Bekanntlich hat Stiebel !), und hierauf Hugi ?) und Carus ?°) die Eigenschaft der Dotterkugela dex ‚Schne- ‚cken, welche den Namen limnaeus stagnalis. führen, sich, während sie sich im Eiweisse des noch geschlos- senen Eies befinden, um ihre eigene Axe zu drehen, 1) Stiebel in diesem Archive B. Ü. Heft 4. 2) Hugi in Okens Isis 1823. p. 213. 3) Carus,, von den äusseren Lebensbedingungen der weiss- und kaltblütigen Thiere nebst zwei Beilagen über Entwickelungs- geschichte der Teichhornschnecke und über Herzschlag und.Blut der Weinbergsschnecke und des Flusskrebses. Leipzig, 1824. pı 61. ' a q PR Ueber d. Drehung d. Schnecken- u. MuschelkeimeimEie. 419 genauer beobachtet. Carus sahe den Dotter 7—8 mal, nach Hugikann er sich wohl 40mal in einer Minute um sich selbstdrehen. Zugleich rückt er aber auch, nach bei- den Beobachtern, etwas von seiner Stelle, und beschreibt einen kleinen Kreis im Eie. Diese letztere Bewegung, durch welche der ganze Dotter von der Stelle rückt, und allmälich wieder an seine Stelle zurückkehrt, ge- schieht aber sehr langsam. Das Phänomen selbst war indessen den früheren mikroskopischen Beobachtern nicht ganz unbekannt. So sagt z. B. Swammerdam:') „den 21sten März öfl- nete ich wiederum eine andere Schnecke, in der ich 44 so grosse als kleine Schneckchen, alle in ihren Hüllen verschlossen und ordentlich in der Mutter an einander geschichtet, fand. Drei andere öffnete ich einige Tage darnach, und zählte in einer 65, in der anderen 67, und in der dritten 74 Schneckchen. Die kleinsten da- von waren nicht grösser als eine Nadelspitze. Hielt ich sie an einem dunkelen Orte gegen ein brennendes Licht und besahe sie alsdann, so sahe ich, wie sie sich in der Feuchtigkeit der inneren, amnium genannten, Haut ziemlich geschnwind und sehr zierlich herumdrehten.“ Merkwürdig ist aber, dass Leeuwenhoek ?) bei einer anderen Klasse von Mollusken auch die kleinen Mu- schelembryonen eine solche drehende Bewegung machen sahe. Er erzählt Folgendes über solche Muschelem- bryonen, die vielleicht, nach Blainville, zum Theil aus dem Geschlechte der Anodonten gewesen sind. „Am 18ten August erhielt ich von einem Muschel- händler eine Handvoll gewöhnlicher Seemuschelthiere 1) Swammerdam, Bibel der Natur. Leipzig, 1752. fol, p- 77. 2) Leeuwenhoek, in opera omnia seu arcana naturae, Lugd. Batav. 1722,., in einem Briefe, der XIV. Calendas Octobres 1695 datirt ist, und in der letzten Abtheilung p. 14. steht, 29* : 420 Ueber d. Drehung .d, Schnecken- u. Muschelkeime imEie., (piseieulos testaceos vulgares). Ich untersuchte die Schalen und Kiemen (barbas) derselben, fand aber nichts darin, was einem Fie oder einem kleinen Mu- schelthiere geglichen hätte. Dann öflnete ich den Theil des, Thieres, in welchem ich das Ovarium verborgen glaubte. Ich suchte lange und wurde ganz müde. End- lich fand ich einen Theil des Thieres, von dem ich nicht gedacht hätte, dass er das Ovarium wäre, und ent- deckte da eine grosse Menge Körperchen, welche un- ter einem wenig vergrössernden Mikroskope weiss er- sehienen. Aber als ich sie unter ein stärker vergrös- serndes Mikroskop brachte, sahe ich nicht ohne Ver: wunderung, dass diese Körperchen alle lebten. Alle hatten auf der Mitte einen durchsichtigen Fleck und eine durchsichtige Umgebung (Hülle), die der glich, in welcher die ungebornen Säugethiere eingeschlossen sind, und ‚alle waren von derselben Grösse. Ich beobachtete die grosse Anzahl dieser Thiere so lange und so scharf, dass ich ganz, müde wurde. Ich sahe nicht nur bei allen Bewegung , sondern bemerkte auch, dass sie zu- weilen ihren Körper in die Länge streckten, und dass sie dabei einen Theil noch mehr hervorstreckten, an welchem man jetzt eine xunde Oefinung bemerkte, worauf dann das Thier seine gewöhnliche, länglich- runde Gestalt wieder annahm; aber sobald das gesche- hen;war, wiederholte es die beschriebene Bewegung, ohne sich jedoch von der Stelle zu bewegen, denn je- des derselben war in einer Haut eingeschlossen. Jede von diesen Bewegungen ‚wurde etwa in zwei Ascynden ausgeführt.“ or „Mir fiel ein, dass ich in unseren Kanälen, wenn sie geräumt wurden, eine Art grosser Testaceen gese- hen ‚hatte, welche man bei uns Veen-Oesters oder Veen. Mosselen nennt. . Von diesen erhielt ich 4 Stück , die 3 bis 4 Zoll lang waren. In. der '4ten entdeckte::ich Ueber d. Drehung d, Schnecken- u. MuschelkeimeimEie. 421 das Ovarium. Als ich die Eier unter ein wenig stär- ker vergrösserndes Mikroskop brachte, fand ich jedes Ei rund und ein wenig grösser als die kleinen Testa- ceen, von denen ich eben gesprochen habe.“ „Der Umfang und der grösste Theil der Eier be- stand aus einer durchsichtigen Substanz, und war, wie ich vermuthe, eine mit einer durchsichtigen Flüssigkeit grossentheils erfüllte Haut, die so biegsam war, dass sie schon da, wo sie von anderen Eiern berührt wurde, eingebogen und abgeplattet wurde. Von 7 Eiern, die an einander lagen, hatte daher das mittelste mehrere abgeplattete Oberflächen; aber auch einige Oberflächen der anliegenden Eier waren abgeplattet, so dass keines derselben vollkommen rund war.“ „Der mittelste Theil jedes Eies war dunkel und in einer Haut eingehüllt, von ovaler Form und bei allen Eiern von demselben Umfange. Ich stelle mir vor, dass aus ihm das Thier entstehe. So genau ich Achtung gab, konnte ich doch in ihnen kein Leben entdecken. Diese in Eiern befindlichen Thiere waren mit 2 oder 3 sehr zarten Zigulis (Chalazen) versehen, die an die Eihaut angeheftet waren , und von denen ich glaubte, dass durch sie die im Eie eingeschlossenen Thiere ernährt würden.“ „Am A1ten September ') öffnete ich wieder andere Muscheln, nachdem ich sie 5 Tage lang in meinem Arbeitszimmer in einem töpfernen Gefässe voll Wasser aufbewahrt und so täglich lebendig beobachtet hatte. Die in ihnen eingeschlossenen ungeborenen Muscheln that ich, so wie ich sie aus dem Ovario herausgenom- men hatte, in eine Glasröhre und betrachtete sie so unter dem Mikroskope. Sogleich bemerkte ich mit gros- sem Vergnügen und mit grosser Bewunderung, wie diese nicht geborenen, noch in ihren Häuten einge- 1) A. a, 0, p. 26. 422 _Ueberd, Drehung d. Schneeken- u. Muschelkeime im Eie, schlossenen Muscheln sich langsam herumwälzten, und zwar nicht kurze Zeit lang, sondern einige von ihnen drei ganze Stunden lang in ihrer Bewegung beharzten. Diese Bewegung der ungeborenen Muscheln in ihren Hätten machte mir sehr viel Vergnügen. Sie kamen bei diesen Umwälzungen keiner Seite der Haut, in welcher sie eingeschlossen waren, näher, sondern blie- ben immer gleichweit von ihr entfernt; nicht anders, als wenn wir eine Kugel sich um ihre Axe herumdre- hen sehen. Unter diesen Verhältnissen sah ich bald das Thier von seiner platten Oberfläche, wo ich dann die Gestalt und die feinsten Theile der Schale erkannte und begriff, wie die Schale wachsen könne. Bald sahe ich die Muschel von ihrer schmalen Seite. Mit einem . Worte, dieses Schauspiel, das alle anderen an Reiz übertraf, genoss ich mit meiner Tochter und mit dem Kupferstecher zwei ganze ‚Stunden hindurch; und an jeder noch nicht geborenen Muschel, die wir ansahen, erschienen uns diese Phänomene, die weit über unseren Verstand gingen.“ (Deeuwenhoek hat in seinem Werke Fig. 4 ABCDE sechs noch nicht geborne Muscheln in ihren Häuten dargestellt, die der Maler in ihrer Bewegung, so genau als er konnte, gezeichnet hat.) Da ich aber nicht von Dingen, die ich nur 1 oder 2mal gesehen habe, viel zu reden, sondern sie nach Kräften genau zu untersuchen pflege, so liess ich mir am 17ten September wieder Muscheln fangen. Heute, wo ich diesen Brief schreibe, öffnete ich eine von ih- nen und fand die Eierstöcke OR S Figur 3. ausseror- dentlich angeschwollen. Mit grossem Vergnügen nahm ich wahr, dass die darin befindlichen, noch nicht gebo- renen Muscheln meistens nicht nur viel grösser waren, sondern dass auch ihre Schalen, von denen manche geöffnet, manche geschlossen waren, so genau mit dem Mikroskope gesehen werden konnten, als man sie bei Ueber d. Drehung d. Schnecken-u. Muschelkeimeim Eie. 423 ausgewachsenen Muscheln dieser Art mit blossen Au- gen sieht; so dass nur der Unterschied war, dass sie noch in Häuten eingeschlossen waren, “ „Auch diese betrachtete ich oft mit vielen Vergnü- gen. Ich sahe auch einige wenige, welche noch nicht so ausgebildet waren, und welche sich, wie die Fig. 4. abgebildeten, auf die beschriebene Weise bewegten.“ Dass die kleinen Embryonen der Testaceen, von denen Leeuwenhoek zuerst spricht, die noch so klein waren, dass er mit einem schwach vergrössernden Mi- kroskope nicht ausreichte, sondern ein stärker vergrös- serndes nehmen musste, einen Theil des Körpers in die Länge streckten, an welchem man dann eine runde Oeffnung bemerkte; und dass die kleinen Embryonen oder Keime dann ihre länglichrunde Gestalt wieder an- nahmen, sind Erscheinungen, die mit den von mir beobachteten und pag. 330 f. beschriebenen Erscheinun- gen an Blutegelembryonen einige Aehnlichkeit haben. Carus verglich anfangs die Drehung der Dotter der Schnecken ‚mit der Bewegung der Weltkörper. Später sah er eine Einsaugung und Ausströmung, die an gewissen Stellen der Oberfläche des Embryo oder Keimes Statt finde !), für die Ursache der beschriebe- nen Drehung um eine bestimmte Axe des Dotters an. Vielleicht ist. der Grund der Bewegung bei den Mu- scheln nicht derselbe, als der bei den Schnecken. Die Blutegelkeime erinnern uns wenigstens noch an eine andere mögliche Bewegung eines solchen Keimes, durch welche seine Drehung um die Axe bewirkt werden kann, nämlich die von mir pag. 380 f. beschriebenen Einbeugungen, die am Bande des Thieres im Kreise herumlaufen. 1) Acta physico-medica äcad. Caesareae T,eopoldino-Caroli- mae 1827, p. 770. 424 Ueber die Ursachen und Zwecke der Verschiedenheit V. Ueber die. Ursache und den Zweck, welchen mehrere Einrichtungen haben, durch die sich der Körper der Wirbelthiere von dem der wir- bellosen Thiere unterscheidet. Vom Dr. Ernst Heınrıcnu WEBER, Professor der Anatomie in Leipzig. Durch zwei Einrichtungen unterscheidet sich der Kör- per der wirbellosen Thiere vorzüglich von dem der Wirbelthiere. "4. Die Haut ist bei ihnen nicht bloss eine schü- tzende Decke für den Körper, sondern sie vertritt auch die Stelle eines Gerüstes, das den Körper ausgespannt erhält, und das den den Körper bewegenden Fasern auf der einen Seite feste Anhaltungspunkte, auf der ande- ren leicht bewegliche Theile zur Anheftung darbietet, welche durch jene Fasern auf eine zweckmässige Art in Bewegung gesetzt werden können. Diese letztere Verrichtung, für welche bei den Wirbelthieren eine besondere Klasse von Organen, das Knochengerüst, gebildet ist, ist demnach bei den wirbellosen Thieren von der Natur der Haut mit übertragen worden. Die Haut besitzt bei ihnen zu diesem Zwecke ei- nen gewissen Grad von Steifheit, und wo die Bewe- gungen der Thiere vielfacher und künstlicher sind, hat sie häufig härtere Stellen, die die Gestalt von Platten, Ringen und Röhren haben, und beweglich unter ein- ander verbunden sind. Während also die Muskeln und die Haut bei den Wirbelthieren über das Gerüst der Knochen hingespannt, und an die äussere, gewölbte Oberfläche derselben angeheftet sind, liegen die Mus- keln der wirbellosen Thiere im Gegentheile innerhalb der Platten, Schalen, Röhren und Ringe, welche die der Wirbelthiere und der wirbellosen Thiere. 425 theilweise härter und steifer gewordene Haut bildet. Da- her erfüllen beiihnen die Muskeln sogar zu einem grossen Theile die Höhle des Rumpfes, und gehen auch in ihr von der vorderen Seite des Rumpfes zur hintern über; und die Organe der Blutbereitung und der Blutbewe- gung, nebst den Geschlechtstheilen, liegen mit den Muskeln in einer und derselben Höhle. 2. Bei den Wirbelthieren giebt es zwei Klassen von Höhlen des Körpers, welche zur Beherbergung anderer grosser Organe dienen: «) die hinteren Höhlen oder die Schädel- Rückgrathöhle, in welcher das Cen- trum des Nervensystemes aufgehangen ist; und 5) die vorderen Höhlen, in welchen die Sinnesorgane, die meisten Organe, welche das Blut bewegen und berei- ten, und die Geschlechtstheile befindlich sind. Das Knochengerüst, an welchem alle Theile bei den Wir- belthieren aufgehangen sind, trennt diese beiden Klas- sen von Höhlen von einander; so dass die erstere hin- ter, die andere vor der Säule der Wirbelkörper befind- lich ist. Bei den wirbellosen 'Thieren dagegen, wo die Haut das einzige Organ ist, ‘welches die. Höhlen des Körpers, in welchen andere grosse Organe aufge- hangen sind, bestimmt, giebt es keine besondere Höhle für den Centralstrang des Nervensystemes; vielmehr liegt der Strang der Nervenknoten unmittelbar an der vorderen oder Bauchwand des Körpers in einer ge- meinschaftlichen Höhle mit den übrigen Organen. ‚ Den Anatomen musste es nun auffallen, dass mit dem Mangel eines Knochensystemes bei den wirbello- sen Thieren auch eine Veränderung in der Lage des . eentralen Nervenstranges verbunden ist, der bei den wirbellosen Thieren, wie gesagt, auf der Bauchseite des Körpers liegt, während er bei den Wirbelthieren an der Rückenseite befindlich ist. Die Ursache dieser Verschiedenheiten liegt natür- 426 Ueber die Ursachen und Zwecke der Verschiedenheit lich in den Regeln; nach welchen die Bildung des Kör- pers beider Klassen von Thieren erfolgt. Allein diese Regeln kennen wir vor der Hand noch gar nicht; und. was man, um eine Erklärung dieser Bildung zu geben, “von entstehenden Gegensätzen geredet hat, ist selbst nicht klar genug. Was sich vielleicht aus der von mir gegebenen Entwickelungsgeschichte der Blutegel zur Erläuterung der nächsten Ursachen der Verschiedenheit der Wir- belthiere und der wirbellosen Thiere abnehmen lässt, besteht in Folgendem: Schon die Keime beider Klassen von Thieren sind verschieden. Der Keim der Blutegel und wahrschein- lich auch der der übrigen wirbellosen Thiere ist eine geschlossene Blase, deren innere Oberfläche oder Lage die Verrichtungen des Darmkanales übernimmt; und“ deren äussere Lage fähig ist, die Grundlage zu wer- den, in welcher eine Menge von Organen, das Ner- vensystem, die Muskelfasern, die grossen Organe des Kreislaufs, die Athmungs- und Geschlechtsorgane, ent- stehen. Die Höhle des Rumpfes ist also schon im Kei- me vorhanden und schon bei ihm geschlossen. Der Darm liegt schon im Keime in der Haut eingeschlos- sen. Anders verhält es sich bei den Wirbelthieren. Hier ist der Keim eine Scheibe, die noch keine Höhle in ihrem Inneren enthält. Der Darm bildet sich aus dem Theile der Dotterkugel, welcher an die eine Ober- fläche jener Scheibe des Keimes stösst; aus der Scheibe des Keimes aber wachsen hinten zwei lange Falten her- vor, die sich unter einander vereinigen und einen lan- gen Kanal zwischen: sich ee, welcher in der, Folge das Rückenmark beherbergt. Nach vorn wächst. ebenfalls eine Falte, welche die Entstehung, der Ge- sichts-, Brust- und Bauchhöhle veranlasst, und welche nach und nach so um den Theil des Dotters, der sich der Wirbelthiere und der wirbellosen Thiere, 497 in den Darmkanal verwandelt, herumwächst, dass der Darm in die durch Faltung gebildete Höhle zu liegen kommt. Der Keim ‘der Wirbelthiere bildet also durch hervorwachsende Falten die vorzüglichsten Höhlen des Körpers; der Keim der wirbellosen Thiere enthielt da- gegen schon ursprünglich die Höhle, aus der die ein- “ zige grosse Höhle des Körpers entsteht und in ihr das Rudiment des Darmes. Nun sieht man allerdings ein, dass die Höhlen, welche bei den Wirbelthieren durch Hervorwachsen von Falten aus der Scheibe des Keimes gebildet wer- den, von zwei Lagen der Keimhaut eingeschlossen wer- den müssen. Denn jede durch eine Falte gebildete Wand muss aus einer doppelten Lage jener Haut be- stehen, die die Falte bilde. Auch bemerkt man, dass die Höhle, welche bei jenen wirbellosen Thieren, den Blutegeln nämlich, ursprünglich in dem mit einer Blase zu vergleichenden Keime vorhanden ist, und welche sich durch Erweiterung in die Haupthöhle des Körpers verwandelt, nur von einer einfachen Lage der Keim- haut begränzt wird. Man könnte daher auf die Ver- muthung geführt werden, dass hierin der Grund liege, warum sich aus der Keimhaut der Wirbelthiere, unter der die Höhlen des Körpers begränzenden Haut, in- wendig noch ein die Haupthöhlen des Körpers begrän- zendes Skelett bilde. Denn wenn Tafel XI. Fig. 20. abden Querdurchschnitt des Keimblattes eines Wirbel- thieres vorstellt, aus welchem die zwei hier im queren Durchschnitte sichtbaren Falten hervorgewachsen sind, die den Rückgratkanal x einschliessen und in der Fol- ge bei y verwachsen: so wird der Kanal y hinten von zwei Lagen der Keimhaut eingeschlossen; äusserlieh nämlich von e y und d y, und innerlich von der den Kanal unmittelbar umgebenden Lage der Keimhaut. Dürfte man nun vermuthen, dass durch die weitere 428 Ueber die Ursachen und Zwecke der Verschiedenheit Ausbildung der den Kanal unmittelbar umgebenden Lage das Rückenmark nebst den Wirbeln entstehe, durch die weitere Ausbildung der äusseren Lage jener Falten der Keimhaut aber die den Rücken bedeckende Haut gebildet werde, so hätte man eine Vorstellung, woher es vielleicht komme, dass sich bei den wirbel- losen Thieren unter der Haut kein Skelett bildet. Denn solche Falten, welche unter einander verwachsen und dann innere Höhlen bilden, entstehen, wie es scheint, an dem Keime der wirbellosen Thiere nicht. Wenn ich z. B. die Figuren betrachte, welche Rathke in Burdachs Physiologie ') von der Entwickelung des Krebses gegeben hat, so sehe ich nur solche Falten, die an dem Keime Vorsprünge nach aussen bilden und aus dem äusserlich am Körper der Krebse kervorsprin- genden Theile entstehen, z. B. der Schwanz der Krebse, keineswegs aber solche, welcheinnere Höhlen des Kör- pers einschlössen. Allein der angegebene Unterschied, zwischen den Keimen der Wirbelthiere und denen der wirbellosen Thiere, wenn er sich auch durch fernere Untersuchun- ‚gen bestätigen sollte, würde doch noch vieles, wodurch sich der Bau der Wirbelthiere von dem der wirbello- sen Thiere unterscheidet, unerklärt lassen. Da wir also von den Ursachen der Verschieden- heit der Bildung der Wirbelthiere und. der wirbellosen Thiere fast nichts wissen, so sey es mir erlaubt, auch den zweiten Weg zu betreten, der uns vielleicht in Zukunft zu einer Uebersicht eines anderen Zusammen- hanges der verschiedenen Einrichtungen im Körper der Wirbelthiere und der wirbellosen Thiere führen könn- te, durch die Betrachtung einiger Zwecke, welche in 1) Burdach, die Physiologie als Erfahrungswissenschaft. B. II. 1828. Tafel I. Fig. 5. 6. der Wirbelthiere und der wirbellosen Thiere. 429 diesen Einrichtungen bemerklich sind. Ich beabsichtige nämlich jetzt aus einander zu setzen, welchen Nutzen ‚es hat, dass das Rückenmark bei den Wirbelthieren auf der Rückenseite, der dem Rückenmarke entspre- chende centrale knotige Nervenstrang bei den wirbellosen Thieren dagegen auf der Bauchseite des Körpers liege. Ich werde beweisen, dass auf der einen Seite die Lage des centralen Nervenstranges an der Rückenseite der Wirbelthiere mit. der Einrichtung des Mechanismus des Skeletts und des Muskelsystemes dieser Thiere in einer genauen Verbindung der Zwecke stehe, und dass auf der anderen Seite dasselbe, hinsichtlich der-Lage des- selben Stranges auf der Bauchseite, bei den wirbello- sen Thieren Statt finde, indem dieselben Verhältnisse des centralen Nervenstranges zum Skelett und zu den Muskeln, welche bei den Wirbelthieren die Lage des- selben an der Rückenseite zweckmässig machen, bei den wirbellosen Thieren die Lage desselben an der Bauchseite zu erheischen scheinen. Das Gehirn der Wirbelthiere, das grossentheils aus einer Vereinigung weicher, aus einem breiartigen Marke bestehender Fasern zusammengesetzt ist, die, ohne einzeln eingehüllt zu seyn, neben einander liegen, bedarf eines Schutzes gegen den nachtheiligen Einfluss der Bewegung seiner Theile mehr als irgend ein an- derer Theil des Körpers. Eine Erschütterung , welche keinem anderen "Theile des Körpers einen Schaden zü- fügen würde, kann das Gehirn und dessen Verlänge- rung, das Rückenmark, in ihrem Innersten zerrütten, sie zu ihren Lebensverrichtungen unbrauchbar machen, und dadurch den ganzen Körper eines Thieres oder Men- schen schnell tödten. Es liegt daher bei allen Wirbelthie- ren sehr geschützt in einer vollkommen geschlossenen, meistens knöchernen Kapsel der Hirnschale, welche bei keinem Wirbelthiere aus beweglich verbundenen Stücken 430 Ueber die Ursachen und Zwecke der Verschiedenheit besteht. Das Rückenmark dagegen, das aus-Marke von derselben Beschaffenheit gebildet ist, in dessen klei- neren Abtheilungen und Zwischenräumen aber. verlän- gerte Fäden und Häutchen der äusseren, allgemeinen Hülle des Rückenmarkes eindringen, scheint dadurch fähig zu seyn, eine geringe Bewegung, z. B. ei- ne geringe Beugung, ohne Nachtheil zu ertragen. Und es muss sie auch ertragen können, denn es liegt in einer meistens aus knöchernen Ringen, also aus be- weglich verbundenen Stücken, zusammengesetzten Kap- sel, dem Rückgrate. In demselben ist das Rückenmark, ungefähr wie das Kind im Mutterleibe, möglichst sicher vor gewaltsamer Bewegung aufgehangen. Denn der dasselbe äusserlich einschliessende und schützende häu- tige Ueberzug liegt nicht fest in der Wirbelsäule an, sondern ist nur an einzelnen Fäden in der Höhle eines zweiten, von der sogenannten harten Rückenmarks- haut gebildeten, beugsamen Kanales aufgehangen; und dieser Kanal hängt selbst wieder mittelst einzelner Fä- den oder beugsamer Blätter in der hohlen, von der Knochenhaut überzogenen Röhre der Wirbelsäule. Durch diese Einrichtung kann die Drehung des Rumpfes um seine Längenaxe fast gar keine Windung, die Beugung des Rumpfes aber nur eine viel geringere Beugung des Rückenmarkes, als die des Rumpfes selbst ist, bei den Wirbelthieren verursachen. Da nämlich die aus beweglichen Ringen zusammengesetzte Wirbel- säule die Stütze des Rumpfes ist, durch welche die Axe aller jener Drehungen und Beugungen geht, deren der Rumpf fähig ist, so ist sie auch der Theil, in wel- chem diese Bewegungen am geringsten sind. Wie sehr nähert sich z. B. der untere Rand des Brustkastens, namentlich der Schwertknorpel, dem Schambeine, wäh- rend man den Rumpf nach vorn zusammenkrümmt; und wie sehr entfernen sich diese Theile von einander, der Wirbelthiere und der wirbellosen Thiere. 431 während man den Rumpf nach rückwärts krümmt; wie wenig dagegen nähern und entfernen sich bei denselben Bewegungen der vordere Rand des Körpers des untersten Brustwirbels und der vordere Rand des Kreuzbeines. Wenn das Rückenmark an der Bauchseite läge, so müsste es sehr bedeutend geschlängelt liegen, um bei diesen grossen und schnellen Bewegungen nicht zerrissen zu werden; und seine Krümmungen müssten sich also abwechselnd in die Länge strecken. Das Rückenmark liegt also bei den Wirbelthieren längs derjenigen Stelle des Rumpfes, an welcher alle Bewegungen am kleinsten und am langsamsten sind, dicht hinter der beugsamen Säule der Wirbelkörper, durch welche die Axe aller horizontalen und vertica- len Drehungen geht, welche die Theile des Rumpfes gegen einander erleiden können. Eine andere Betrachtung über die zweckmässige Lage des Rückenmarkes ist folgende: - Die Muskeln, welche den Rumpf bei den meisten Wirbelthieren nach der Banchseite zu zusammenkrüm- men, sind bekanntlich nur in einer sehr geringen Zahl vorhanden und von einem geringen Umfange, wenn man sie mit denen vergleicht, die den Rumpf ausstre- cken, oder, was dasselbe ist, nach der Rückenseite zu krümmen. Die hintere Seite der Wirbelsäule ist von einer grossen Zahl von Muskeln bedeckt, die den letz- teren Zweck haben; während an der vorderen Seite der Wirbel nur einige wenige Muskeln liegen. Indessen liegen mehrere von diesen letzten so, dass.sie meistens den Rumpf dennoch mit grosser Kraft krümmen kön- nen. Die geraden Bauchmuskeln des Menschen z, B. sind zwei Muskeln, die den Rumpf dadurch zusammen- krümmen können, dass sie die an der Wirbelsäule durch Muskeln und Bänder fest gehaltenen Rippen und das Brustbein herabziehen. Die Rippen wirken hierbei \ 432 Ueber die Ursachen und Zwecke der Verschiedenheit wie einarmige Hebel; und je grösser daher die gerade Entfernung des vorderen Theiles des Brustgewölbes, an dem sich die geraden Bauchmuskeln befestigen, von dem gegehüber liegenden Theile der Wirbelsäule ist, desto stärker ist die Wirkung jener Muskeln bei übri- gens gleichen Umständen. Derselbe Fall tritt auch mit den Scalenis ein, welche unter einem Winkel an den Halswirbeln ziehen, der günstiger ist als bei’ vielen anderen Muskeln der Wirbelsäule. Die Muskeln, die den Rumpf bewegen, liegen also in grösserer Anzahl auf der Rücken- als auf der Bauchseite. Bei den meisten Wirbelthieren, die Fische etwa ausgenommen, liegen aber auch die Brust- und Bauchglieder , wenn überhaupt welche vorhanden sind, der Rückenseite näher als der Bauchseite. Da nun die Muskeln, dem‘Gewichte nach, den grössten Theil des Körpers ausmachen, und zugleich, nächst den Sinnesorganen, die nervenreichsten Theile sind; ‚der Weg aber bis zu den grösseren Theilen dersel- ben kürzer von der Rückenseite her ist, als er von der Bauchseite aus seyn würde, so scheint die Einrichtung, dass das Rückenmark als derjenige Theil des Centrums des Nervensystems, mit welchem die Nerven des Rum- pfes und der Extremitäten zusammenhängen müssen, bei den Wirbelthieren nahe an der Rückenseite liegt, nicht nur den Zweck zu haben, dass das Rückenmark auf dieser Seite mehr gesichert werde, sondern auch den Zweck, dass auf diese Weise das Rückenmark den meisten und grössten Muskeln näher liege und also die Nerven, die vom Rückenmarke zu den Muskeln gehen, nicht unnöthig lang zu seyn brauchen. Es scheint hier- nach also die Lage des Rückenmarkes, der auch an- derwärts sichtbaren Sparsamkeit der Natur angemes- sen zu seyn. der Wirbelthiere und der wirbellosen Thiere. 433 Mehrere von den Umständen aber, welche es zweck- mässig machen, dass das Rückenmark bei den Wirbel- thieren auf der Rückenseite liege, finden bei den wir- bellosen Thieren nicht Statt, oder sind bei diesen sogar so verändert, dass sie es angemessner machen, dass der centrale Nervenstrang, der bei diesen Thieren die Stelle des Rückenmarkes vertritt, auf der Bauchseite liege. Die Anhäufungen von Nervensubstanz, welche man Ganglien nennt, sind sehr klein und scheinen, wie die Ganglien und Nerven der Wirbelthiere, durch ihre Hüllen so geschützt zu seyn, dass sie den Druck und die Bewegung besser als das Rückenmark der Wirbel- thiere vertragen können. Wenn sich die wirbellosen Thiere in gleichem Maasse rückwärts als vorwärts krümmen könnten, so würde ein Strang, der zwischen anderen, die Höhle des Körpers dieser Thiere ausfüllenden Theilen hinliefe und in einer Linie läge, die stets in der Mitte dieser Höhle verliefe, eine Lage haben, bei der er von bei- den Arten von Beugungen am wenigsten bewegt wer- den, und also am meisten vor den hieraus entstehen- den nachtheiligen Einflüssen gesichert seyn würde. Da nun aber der Körper dieser Thiere mehr in der Rich- tung der Bauchseite gebogen werden kann, so fällt diese Linie mehr auf die Seite der Bauchwand dieser Thiere, und es ist folglich in dieser Hinsicht zweck- " mässiger, dass der dem Rückenmarke entsprechende Theil des Nervensystems an der Bauchseite liege, als dass er sich an der Rückenseite befinde. Bei den wirbellosen Thieren scheinen aber auch die an der Bauchseite liegenden Muskeln grösser als die an der Rückenseite befindlichen zu seyn. Dieses ist bei denjenigen, welche mit vielen an der Bauchseite des Körpers eingelenkten Beinen versehen sind, offen- Meckels Archiv f. Anat, u. Phys. 1828. 30 434 Ueber die Ursachen und Zwecke der Verschiedenheit bar der Fall, findet aber auch bei solchen, die keine Beine haben, wie die Schnecken, und selbst bei den von Tiedemann so genau untersuchten Holothurien, Statt, denn nach ihm hat die Röhrenholothurie auf der Bauchseite noch einmal so viel Muskeln als auf der Rückenseite. Sollte diese Verschiedenheit der wirbel- losen Thiere von den Wirbelthieren allgemein_ seyn, so würde man sich nicht wundern können, dass zwar das Gehirn in der Nähe der, bei vielen wirbellosen Thieren an der erhabensten Stelle des Kopfes befind- lichen Augen, liege, die übrigen Knoten des Knoten- stranges aber in der Nähe der Geschmacksorgane der 'Kauorgane und der Mehrzahl der so nervenreichen Muskeln des Körpers und der Glieder an der vorderen Bauchseite des Körpers ihren Ort hätten, und dass die Speiseröhre zwischen jenem, auf der Rückenseite gele- genen, Gehirne und diesen, auf der Bauchseite befind- lichen, Ganglien hindurch gehe.‘: Denn es scheint ganz angemessen Zu seyn, dass die Nervenknoten in der Nähe derjenigen Theile liegen, welche vorzüglich reich an Nerven sind und ihre Nerven aus den Kitten be- komnien. Dass nun aber die Muskeln bei wirbellosen Thie- ren in grösserer Zahl an der Bauchseite als an der Rü- ekenseite lägen, war vielleicht nothwendig, wenn diese Thiere sich am Bauche am meisten zusammen krüm- “ men können sollten, und wenn ihr Körper ebenso ge- schickt seyn’ sollte, bewegt 'zu werden, als’ der der Wirbelthiere, ungeachtet bei den Wirbelthieren das zu bewegende Knochengerüst von den dasselbe 'bewegen- den Muskeln äusserlich umgeben wird, bei den wirbel- losen Thieren dagegen die Muskeln in der Höhle des Gerüstes liegen, 'das sie in Bewegung setzen sollen. '»»Nach meiner Meinung kann man daher auf der einen Seite darin, dass bei den Wirbelthieren unter der Wirbelthiere und der wirbellosen Thiere. 435 der Haut ein von den Muskeln äusserlich umgebenes, die vorzüglichsten Höhlen bildendes Skelett vorhanden ist, dass ferner das Rückenmark in einer besonderen Höhle an der Stelle (der Rückenseite) im Rumpfe eingeschlos- sen ist, welche bei der Zusammenkrümmung und Aus- streckung des Rumpfes am wenigsten bewegt wird, an welcher das Gehirn und Rückenmark den Sinnorganen und Muskeln, die die grössten Nerven bekommen, möglichst nahe liegen, und zugleich am vollkommen- sten vor einer äusseren Verletzung verwahrt sind, auf der anderen Seite aber darin, dass bei den wirbel- losen Thieren die Haut zugleich die Stelle des Ske- letts vertritt, die-Muskeln also in diesem Skelette eingeschlossen liegen, und dasselbe von seiner hohlen Seite aus in Bewegung setzen, folglich bei diesen Thie- ren die Rückenseite des Rumpfes bei der Zusammen- krümmung und Wiederausstreckung desselben nicht in geringerem Grade bewegt wird als die Bauchseite, die Muskeln auch in grösserer Zahl auf der Bauchseite lie- gen, und der centrale Nervenstrang der Hauptsamm- lung der Muskeln, die den grössten Theil der Nerven des Nervenstranges bekommen, möglichst nahe liegt, eine planmässige Uebereinstimmung der Einrichtung und Lage der einzelnen Organe bei diesen gewisser- maassen nach entgegengesetzten Principien gebauten Thieren erkennen. { Ich gestehe aber gern zu, dass uns die physikalischen Ursachen, durch welche die Natur diesen Plan bei der Entstehung der Thiere successiv in Ausführung bringt, vor der Hand noch gänzlich unbekannt sind, und dass ich nur so vielhabe wahrnehmen können, dass bei den Blutegeln schon der Keim eine Einrichtung hat, die ihn geschickt macht, sich in ein Thier ohne Knochen zu ver- wandeln, dessen Haut zugleich das Gerüst des Körpers ist, und durch die er sich sehr wesentlich von dem 30* 436 Ueber die Ursachen und Zwecke der Verschiedenheit etc, Keime der Wirbelthiere unterscheidet. Ich habe daher den Wunsch, dass andere Anatomen, welche Gelegen- heit finden, die Keime anderer wirbellosen Thiere vom Anfange ihrer Entwickelung an zu beobachten, darauf Achtung geben, ob auch bei diesen der Keim eine Blase ist, in deren Innerem sich erst bei der Entwi- ckelung der Dettersack bildet, deren Höhle folglich zur Haupthöhle des Rumpfes des entstehenden Thieres - wird, so dass diese Haupthöhle schon im Keime vor- handen ist und nicht erst durch Falten, die aus dem Keime hervorwachsen und sich unter einander vereini- gen, zu entstehen :braucht. Vergleicht man nun das, was ich hier über den Unterschied der Wirbelthiere von den wirbellosen Thie- -_ ren vorgetragen habe mit dem, was @. R. Treviranus !) bereits vor acht Jahren über denselben Gegenstand aus einander gesetzt hat, so wird man finden, dass ich mit ihm in mehreren Punkten übereinstimme. Dieser geistvolle Naturforscher vertheidigte gleich- falls gegen ‘Geoffrey die Ansicht, dass das Skelett der wirbellosen Thiere als eine zu einer horn- oder stein- artigen Masse‘erhärtete Oberhaut zu betrachten sey. Er fügt ausserdem die Vermuthung ‘hinzu, dass die obere Seite der Ganglienthiere einerlei mit der unteren Seite der Rückenmarksthiere sey, und fügt als Be- weis hinzu, dass an der Bauchseite mancher wirbellosen Thiere ähnliche Einrichtungen auf der Bauchseite des Skeletts, als bei den Wirbelihieren an der Rückenseite desselben vorkommen. Man sieht leicht ein, dass die- ser letztere, von Treviranus zum Beweise der vorher- gekenden Vermuthung angeführte. Satz, durch einige der yon mir so.eben wargetsagbnen Bemerkungen be- stätigt wird. : 1). Treviranus, vermischte Schriften B. IV., 1821. p. 321. Beschreibung eines Nukahiwerschädels. 437 VI. Beschreibung eines Nukahiwerschädels. Vom Professor Mayer in Bonn !). (Hierzu Tafel XI.) Ass im Jahre 1821 die nachgelassenen Präparate des verstorbenen berühmten Anatomen Rosenmäller in Leipzig öffentlich versteigert wurden , suchte ich, ver- hindert durch Berufsgeschäfte, mich persönlich nach Leipzig zu begeben, durch Vermittelung ‚Einiges aus dieser Sammlung anzukaufen. Ich strich ‚unter anderen auch die Nummer 923 des Cataloges dieser Sammlung an, welche mit den Worten unbekannter Schädel. be- zeichnet war; bloss aus dem‘ Grunde, weil der Aus- druck unbekannt meine Aufmerksamkeit erregte. Aus- ser mehreren Racen Schädeln hatte'ich auch das Glück, diesen unbekannten :Schädel wirklich zu erstehen. Bei der Versteigerung schien wohl keiner der Anwesenden den Schädel näher ins Auge gefasst zu haben; denn ex, wurde mir für eine Kleinigkeit zugeschlagen. „u. Exst nach einiger Zeit, ‚als ich diese in der Rosen- müllerschen : Auction ‚erkauften Schädel näher, unter- suchte und besichtigte, ‚fiel mir. mein. unbekannter Schädel besonders auf, ‚so. dass. ich ihm: meine ganze Aufmerksamkeit. widmete. Seine.besondere, ungewöhn- liche Form nicht. bloss, „als vielmehr der völlige Man- gel der Nasenbeine war es, was. mir diesen‘ Sehädel höchst interessant machte. Bei der. näheren Betrach- 4 ; » yei Ahr 1) Es ist dieser Schädel in "einer Spezialsitzüng derim Monate September 1823. in Berlin versammelten Naturfor- scher, welcher Versammlung beizuwehnen ich durch.häusliche Verhältnisse verhindert war, vom: Herrn Professor Weber da- hier, welcher diese Gefälligkeit für mich hatte, vorgezeigt worden. 438 Beschreibung eines Nukahiwerschädels. tung fand ich auch an zwei Stellen an dem Schädel- gewölbe mit Bleistift die Worte Nukahiwa geschrie- ben. Dieses veranlasste mich sogleich, Erkundigungen über diesen Schädel einzuziehen, und ich warso glück- lich, darüber ausführliche und sehr geistreiche Bemer- kungen durch die wohlwollendste Güte des Herrn Hof- rath Dr. Tilesius, von welchem dieser Schädel ur- sprünglich herrührt, zu erhalten, welche Bemerkungen ich nach vorauszuschickender Beschreibung dieses Schä- dels, mit der gefälligen Erlaubniss dieses berühmten Gelehrten, wegen ihres mannichfaltigen Interesses wei- ter unten mittheilen werde. Beschreibung des Nukahiwerschädels. Es ist dieser Schädel von einem jungen Indivi- duum. Derselbe ist im ganzen und, mit Ausnahme, dass rechts der Jochbogen abgebrochen und die hintere obere Wand der Highmorshöhle eingestossen ist, un- versehrt. Namentlich ist das Hinterhauptsloch und die vordere Nasenöffnung ganz unbeschädigt. Der Unter- kiefer war mir nicht mit zugekommen. Von den Zäh- nen’ des Oberkiefers waren nur noch drei Backzähne, der dritte und vierte des linken und der dritte des rech- ten Kieferbogens, vorhanden. Ein kleiner Keim des fünften Baekzahnes war rechts bemerklich, links noch - keine Spur davon. Es sind also im ganzen im Ober- kiefer 14 Zahnhöhlen vorhanden, wovon nur die der beiden vierten Backzähne sich noch nicht um den Hals des Zahnes zusammengezogen hatten. Ein Anfang des 45ten alveoli ist daselbst rechts, wie erwähnt, vorhan- den. Der gerade Durchmesser ee Schädels beträgt 5 Zoll 10 Linien par. Maass; der grösste quere Durch- messer 4 Zoll 6 Lin.; der verticale Durchmesser von der pars basilaris des Hinterhauptsbeines bis zum ver- tex 4 Z. 2 L. Die Schädelknochen sind im ganzen Beschreibung eines Nukahiwerschädels. 439 schwach; die Nähte noch nicht stark ausgezackt; die Stirnnaht vorhanden, die Basilarsymphyse noch ganz offen. Das Zuberculum articulare des Schläfenbeines und der processus mastoideus sind nur schwach entwickelt, die Zubera sincipitalia treten bedeutend hervor. Die sulura incisiva des Intermaxillarknochens ist jedoch nur schwach angedeutet. Diese Merkmale zusammengenommen und mit de- nen der Zahnentwickelung verglichen, lassen mich das Alter des Individuum, von welchem dieser Schädel entnommen ist, ungefähr auf 12 Jahre'anschlagen. Der Durchbruch des 4ten Backzahnes findet in,der Regel, beim europäischen Menschen, mit dem 12ten bis Nase Jahre Statt, Die Zartheit der Knochen des Schädels, Binden die, Kleinheit ‚der processus mastoidei,., des \tuberculi artieularis des Schläfenbeines ‚ die Schwäche (des Joch-, bogens, die grosse, Breite des Hinterkopfes,., welche Breite Raum genug darböte für. die Langsdorfischen Drüsen, wenn solche. je wirklich ‚existiren, und ‚nicht Täuschung waren, vermögen ‚mich, diesen, Schädel für einen weiblichen ‚Schädel zu halten ;;.,wenn nicht etwa diese Zartheit der. Knochen, wie’ich nach, Herrn Hof- zath Tilesius: nachher 'zu erwähnender ‚Beobachtung. zu schliessen nicht ‚abgeneigt bin,, ‚nationale Eigenkih: lichkeit ist. Der grösste engen der Stirn beträgt nur 3 Z. 6 L., der Querdurchmesser ; von ‚der‘ Mitte der Schläfenbeine 3:2. 9.L,, der grösste. ‚Querdureh- messer des Kopfes von den protnberantüis: sincipitali- bus aus 4 Z. 6 L. Der. verticale) Durchmesser; von der pars basilaris des Hinterhauptsbeines bis zur.Schei- telhöhe ist 4 Z..4 L. Bei zweis.europäischen: ‚Schä- deln, von ungefähr demselben ‚Alter, sind.diese:Dureh- messer, der 1ste 4 Z., der 2te 5+Zi, der 3te 6 2.4 I, 440 Beschreibung eines Nukahiwerschädels, der 4te 4 2.7 L. Es verhält sich also die Breite der Stirn zur Länge des Schädels bei dem Nukahiwer- kopfe ungefähr wie 4 zu 6; bei den beiden europäi- schen Schädeln wie 4 zu 7. Von oben herab angese- hen, hat die Calvaria eine flaschenähnliche Form, ist nämlich breit hinten, an den Schläfen eingedrückt und schwach an der Stirn gewölbt. Der Vorsprung der Stirn ist nicht beträchtlich. Der Gesichtswinkel hat ungefähr 75 Grade. Die zubera frontalia sind wenig be- merklich, stark dagegen springen die Zubera sincipita- lia vor. Die Schläfengegend ist ganz flach und von der Höhe des Scheitels an wie gerade abgeschnitten. Eben so schief nach vorwärts wie abgeschnitten er- scheint der Hinterkopf. Die Basis des Schädels ist seitlich zusammengedrängt. Die Breite des Flügelbei- nes daselbst beträgt nur 2Z. 3 L. (bei den erwähnten europäischen Schädeln 2 Z. 9 L.). Die pars basilaris des Hinterhauptsbeines wird nach vorn conisch schmä- ler, der Gaumen ist schmal. Die Choannae sind enge, die processus pterygoidei, steigen schief nach vorwärts und divergirend nach unten und aussen herab. Das Pflugscharbein läuft mit seinem hinteren Rande’ unter einem sehr schiefen Winkel nach vorwärts, und nicht gerade nach abwärts. Der Oberkiefer tritt mit seinem Zahnhöhlenrande nach vorwärts vor. Die alveoi sind ziemlich gross, die Richtung der für die Schnei- dezähne ist schief. Der untere Rand der äusseren ‚ Nasenöffnung ist, wie beim Negerschädel, abge- rundet ausgehöhlt. Die Nasenbeine fehlen durchaus. Es stossen aber die Oberkieferbeine mit ihren verhält- nissmässig sehr starken und massiven processus fron- tales oberhalb. der Nasenöffnung zusammen, so dass die knöcherne Nase ganz platt und eingesunken aussieht, die Länge von 5 Linien und die Breite von 9 Linien an der Wurzel besitzt. Es sind diese beiden processus Beschreibung eines Nukahiwerschädels. 441 Frontales mit einander durch eine Harmonie verbunden, ‚dagegen ist durchaus keine Spur einer früher vorhan- denen Naht an ihnen selbst zu sehen. Nur eine starke Furche für eine Arterie bemerkt man auf beiden Sei- ten, welche aber nur oberflächliche Betrachtung mit einer Naht verwechseln könnte !). Die Augenhöhlen sind höher als breit, stehen schief nach aussen. Die issura orbitalis superior ist sehr weit. Die processus nasales ossis frontis steigen tief herab, wodurch auch das Siebbein herabgedrängt wird. P Es spricht sich also die Negerform dieses Schädels durch verschiedene nationale Eigenthümlichkeiten aus. Bis jetzt sind mir nur zwei Beschreibungen von Schädeln der Einwohner der Marquesasinseln zu Ge- sichte gekommen, wovon die eine von Isenflamm ?), und die andere von Blumenbach °) ist. Der Marque- saner Schädel, welchen der erstere Gelehrte beschrieb, ist von einem erwachsenen Manne von ungefähr 30 Jah- ren. Der von Blumenbach abgebildete möchte viel- leicht, der gut erhaltenen Zähne wegen zu urtheilen, von demselben Alter seyn. Auffallend war mir, in der Abbildung zu bemerken, dass 6 Backzähne vorhanden zu seyn scheinen. Isenflamm giebt bestimmt an, dass an dem von ihm beschriebenen Schädel das “Hinter- = ' ‚ 1) Noch könnte man annehmen, dass im Winkel, welchen die beiden processus naso-frontales des Oberkieferbeines mit ein- ander bilden, etwa kleine Nasenbeinchen gesessen hätten, wel- che vielleicht verloren gegangen. Auch dieses scheint, wenn man den oberen Rand der Nasenapertur betrachtet, nicht ‘der Fall gewesen zu seyn, und es würde durch diese Annahme die Merkwürdigkeit der Bildung nicht besonders vermindert. 2) Neue Denkschriften der physik. mediein, Societät zu Er- langen, I. Band. 8) Decas quinta coll, suae craniorum, Tab. L. p. 19. 442 Beschreibung eines Nukahiwerschädels. hauptsbein eingeschlagen war. Auch B/umenbach er- wähnt, dass der von ihm beschriebene Schädel eine Siegestrophäe gewesen, indem er mittelst einer Kokus- schnur und eines hölzernen Cylinders aufgehängt ge- wesen sey-. Beide Schädel waren also von erschlagenen Knien gern erbeutet. Von diesen Schädeln unterscheidet sich der mei- nige nicht bloss durch seine Jugend und durch andere oben angeführte Besonderheiten, sondern auch dadurch, dass er unversehrt ist und namentlich, dass dessen Hinterhauptsbein ganz erhalten ist. Es ist dieser Schä- del also nicht im Kriege mit benachbarten Völkern er- zungen, sondern rührt aus einer anderen Quelle her. Ich werde sogleich nachher die mir vom: Herrn Hof- rath Tilesius mitgetheilten Aufschlüsse: mit.dessen eige- nen Worten anführen. Der Hauptunterschied meines Nukahiiwerschädele von den sich ‚sehr ähnlichen Marquesanerschädeln von Blumenbach und Isenflamm besteht aber in dem völ- ligen und ursprünglichen Mangel der Nasenbeine. Es ist dieses eine Annäherung an-den Schädel der: Affen, bei welchen sich häufig mangelhafte: Bildung 'der 'Na- senbeine zeigt. Dem Mongolen selbst fiel schon .die Aehnlichkeit seiner Nasen-‘ und Gesichtsbildung' mit den Affen auf, und die Tibetaner behaupten ja sogaf, dass, in früheren Zeiten der Affe Prasrinpo und die Atlın ‚Pr. asrinmo Tibet ‚bevölkert haben sollen. Meine Beobachtungen über die Form der Nasen- beine bei den Affen, so weit solche in meinen Reise- 'notizen vorkommen, und hauptsächlich ‘an Schädeln von Affen in London, Paris und Leyden gemacht sind, geben folgendes Resuliat, Bei Simia Salyrus ist der Bau der Nasenbeine, wie es scheint, unbeständig. Beschreibung eines Nukahiwerschädels. 443 - An dem Schädel von Simia Satyrus in Hunters Mu- -seum bemerkte ich 2 Nasenbeine. Eben so an dem, welcher in Brooks Kabinet sich befindet. Die Nasen- beine zeigen bei dem letzteren eine pyramidenförmige Gestalt, haben einen breiten Rand nach unten, und sind nach oben spitz: zulaufend. An dem Orang-Outang-Schädel in Paris ist aber nur ein schmales und kurzes Nasenbein vorhanden. In dem Museum zu Leyden befinden sich mehrere Orang-Outang-Schädel. Bei einem ganz jungen Schä- del sieht man nur ein ganz kleines, schmales Nasen- bein. Bei den übrigen sind aber 2 Nasenbeine zuge- gen“ Ob der verschiedene Bau der Nasenbeine beson- dere Abarten von Orang-Outangs begründe, mögen künftige Beobachtungen lehren. ‚An dem Schädel vom Pongo in Paris, der jetzt allgemein für, einen. erwach- senen Orang-Outang gilt; findet sich nur ein Nasenbein vor (siehe die Abbildung in Figur Ill.). . Der Schädel des Orang-Outang, aus Albers, Sammlung hexrührend, welcher jetzt in Berlin sich befindet, besitzt, nach’ der Abbildung, welche Herr,Prof. Rudo/phi, ‘in den Ab- handlungen der Akademie ‚der Wissenschaften,zu Bere lin, davon gab, ein einfaches Nasenbein. j Bei simia troglodytes finden sich, wie ich, an dem Skelette dieses Thieres, welches ich früher lebendin Lon- don sah, und später bei Herrn C/ift in Hunters Museuni untersuchte , bemerkte, zwei jedoch nur sehr kleine Na- senbeine vor. Auch an dem Schädel von 8. Troglody- tes in Brooks Museum sind zwei Nasenbeine zu sehen. In Beziehung auf andere Affen beobachtete ich Folgendes. ‘Bei Sim. Lar fand sich gar kein Nasenbein vor. Siehe Fig. IV. !). 1) Ich hatte diese Beobachtung im Jahre 1822 im Pariser / 444 Beschreibung eines Nukahiwerschädels. Bei Simia Sylvanus, Sim. Innuus fand sich nur ein Nasenbein. Bei den übrigen Affen der alten Welt zeigten sich zwei Nasenbeine, Bei den amerikanischen Affen, namentlich bei My- cetes, Saki, Sim. Sajou, Oustiti, sieht man zwei Na- senbeine. > WR Bei einem anderen Sim. Sajow (von Neu-York) aber aa sich nur ein Nasenbein. ' In der Sammlung von Affenskeletten in unserem anatomischen Museum zu Bonn finde ich bei zwei Ske- letten von Cereopithecus Cynomolgus mur ein Nasenbein. Eben so nur eines bei Cercopithecus Aethiops, Oynoce- phalus Nemestrinus und Innuus. Häufig stossen dann die Oberkieferbeine mit ihren Stirnfortsätzen über der Wurzel der Nasenbeine zusammen. Auch an mehreren Schädeln von Negern beobach- tete ieh etwas Aehnliches. An den Exemplaren von Negerschädeln, welche ich in Oxford, London, Paris, Leyden u. s. w. sah, be- merkte ich häufig, wenn auch zwei Nasenbeine vor- handen waren, beide ungleich, das rechte oder linke schmäler, was bisweilen ‘sehr bedeutend war. Oefter sah ich die Nasenbeine überhaupt sehr klein. An ei- nigen‘' Negerschädeln bemerkte ich nur ein einziges Nasenbein: Ich erwähne noch, dass bei ganz alten europäi- schen Schädeln eine Va der Nasenbeine mit den PESODERRESNAREEN der Oberkieferbeine, und dieser Museum gemacht. Weil mir die Sache jetzt von grösserem In- teresse war, bat ich den, sich gegenwärtig in Paris aufhalten- den, Herrn Dr. Froriep, noch einmal nachzusehen, ob ich nicht geirrt hätte; seiner freundschaftlichen Güte verdanke ich auch die Abbildungen Fig. II. und IV. Beschreibung eines Nukahiwerschädels. 445 mit dem Thränenbeine und Stirnbeine nicht selten ist. "Verwachsung der Nasenbeine unter sich zu einem Kno- chen hat F. Meckel selbst an Kinderschädeln gesehen (man sehe in diesem Archive Jahrg. 1826. 8. 240.). Das Fehlen der Nasenbeine bei denjenigen convergi- renden Missgeburten, welche man Cyclopenbildung nennt, gehört natürlich nicht hieher. Ich spreche aber bloss von Schädeln von Individuen des mittleren Al- ters. Die Verknöcherung des Thränenbeines mit dem Oberkieferbeine kommt in zwei Fällen unseres Mu- seum an jüngeren Schädeln von 40 Jahren vor. Eine solche Verwachsung hat aber an dem Nukahiwerschä- del wohl nicht bei der Jugend des Subjectes Statt fin- den können, Auch ist nicht die geringste Spur einer solchen Verwachsung zu sehen. Bei den Affenschädeln ist nun die geringere Ent- wiekelung der Nasenbeine eine nothwendige Folge des Zusammenrückens der beiden Augenhöhlen. Allein es möchte noch ein anderes Moment hierbei zu berück- sichtigen seyn. Es scheint mir nämlich in Beziehung. der Entwi- ekelung der Nasenbeine bei den Säugethieren und dem Menschen im allgemeinen, folgendes Gesetz obzu- walten: „Die Nasenbeine treten um so mehr zurück, . je stärker die Eckzähne sich bei einem Thiere oder Men- schen entwickeln und je ‚grösser zugleich der Winkel ist, welchen letztere mit der Horisonsallinie des Ober- kiefers machen. “ Erläuterung dieses Gesetzes: die Zähne des Unter- kiefers finden in dem festen, dichten und aus einem Stücke bestehenden Unterkiefer einen starken Anhalt- punkt. Um solchen Anhaltpunkt den Zähnen zu ge- währen, musste der Unterkiefer gleichsam nothwendig aus einem Stücke bestehen, kein os incisivum haben, 446 Beschreibung eines Nukahiwerschädels. und frühe mussten beide Hälften derselben mit einander verwachsen. Bei den zahnlosen Säugethieren scheint der Unterkiefer dagegen zeitlebens aus zwei Stücken zu bestehen. : Anders verhält es sich mit dem Oberkiefer, welcher dieselben, ja stärkere Zähne im Durchschnitte als der Unterkiefer beherbergt. (Nur die Wiederkäuer machen, in Beziehung auf die Schneidezähne, eine Ausnahme.) Der Oberkiefer bietet nämlich, selbst aus schwachen, meist hohlen, Knochen bestehend und an die schwachen Gesichtsknochen sich anlehnend, dem Stosse, welcher auf die Zähne beim Ergreifen durch dieselben und beim Kauen ausgeübt wird, einen ge- ringen Widerstand dar. Es muss daher die Natur auf irgend eine Art suchen, diesen Anhalt- und Wider- standspunkt zu verstärken. Die Schneidezähne betreffend, so sind diese bei keinem Säugethiere besonders stark (mit Ausnahme der Nagethiere, bei welchen ein anderes Verhältniss eintritt, wie ich sogleich zeigen werde), daher die Na- tur hier keiner besonderen Anordnung bedurfte, dem von ihnen ausgehenden Stosse Widerstand zu leisten. Es fehlen die Schneidezähne selbst den Wiederkäuern im Oberkiefer; bei den reissenden Thieren sind sie sehr klein, und kleiner die des Oberkiefers als die des ‘ Unterkiefers. Bei den Pachydermen sind sie kleiner im Oberkiefer und gebogen. Die des Unterkiefers sind grösser, laufen mit demselben gerade aus oder fast in einer Richtung. Bei den Einhufern sind sie sehr stark, aber bei diesen Thieren verwächst auch der Inter- maxillarknochen mit dem Oberkiefer sehr frühe, mei- stens schon nach dem ersten Jahre, während dieses bei den Wiederkäuern, denen die Schneidezähne des Ober- kiefers fehlen, erst im hohen Alter geschieht. Bei den Nagern sind‘'sie sehr gross, allein in sich gekrümmt, wodurch der Stoss, welcher auf sie ausgeübt wird, Beschreibung eines Nukahiwerschädels. 447 beim Beissen und Kauen, wieder in sie zurückkehrt “und nicht direkt auf die Gesichtsknochen fortgeleitet wird. Bei dem Menschen sind die Schneidezähne, na- mentlich die des Oberkiefers, relativ gross zu nennen, und dieses scheint mir auch der Grund zu seyn, war- um der Intermaxillarknochen bei dem menschlichen Schädel so früh mit dem Oberkieferbeine verwächst, um nämlich dadurch einen festeren Anhaltepunkt zu gewinnen. Ein ähnliches Verhältniss findet auch bei den höheren Affen, namentlich den Orang- Outangs, deren Zähne des Oberkiefers die des Menschen an Stärke noch übertreffen, Statt, und bedingt ebenfalls "das frühe Verwachsen :des Intermaxillarknochens bei diesen Thieren. Einen wichtigeren Einfluss auf die Struktur der Gesichtsknochen haben aber die Eckzähne. Ihre grös- sere Entwiekelung ist auch die Hauptbedingung des. früheren Verwachsens der Harmonien der Gesichtskno- chen und der Suturen der Schädelknochen bei den Thieren. Aber nicht bloss die Stärke der Eckzähne, sondern auch ihre Richtung muss in Betracht gezogen werden. Der Einfluss, welchen die Eckzähne auf die Kopfknochen ausüben, ist hauptsächlich an zwei Punk- ten sichtbar. Stehen nämlich die Eckzähne mehr ge- rade, wie bei dem Menschen, den meisten Affen, und ist der Oberkiefer nicht. sehr nach vorwärts gezogen, so wird der auf sie einwirkende Stoss gerade oder et- was schief nach aufwärts fortgepflanzt gegen den pro- cessus fronlalis des Oberkieferbeines, und dieser wird nun stärker, verdrängt die Nasenbeine, beschränkt ihr Wachsthum, schiebt sie selbst nach vorwärts, wie bei vielen Affen, um dem Stirnbeine einen festen Anhalte- punkt zu gewinnen, welchen zu verstärken eine frühe " Verwachsung dieser Knochen eintritt. Treten bei dem Menschen die Eckzähne mehr hervor, wie dieses im 448 Beschreibung eines Nukahiwerschädels. allgemeinen bei dem Negerschädel der Fall ist, so er- scheinen auch die obenerwähnten Hemmungsbildungen der Nasenbeine. So sind sich Eckzahn und Nase in dieser Hinsicht entgegengesetzt, beschränken sich in ihrem Wachs- thume, und die platte Negernase und die meistens sich vorfindende mangelhafte Entwiekelung der Nasenbeine gleichsam Folge des Hervortretens der Eckzähne die- ser Race. Auch an unserem Nukahiwerschädel mag die grössere Entwickelung der Eckzähne das Zurück- treten der Nasenbeine bedungen haben. Anders verhält es sich aber, wenn die Eckzähne in ihrer Richtung nach vorwärts stehen und ihren Stütz- punkt nicht an der Stirn, sondern nach unten am Gaumenbeine haben. Jetzt nimmt das Jochbein und der Jochbogen an Stärke zu, treten in die Richtungslinie der Eckzähne, und halten den Stoss auf. Dieses findet zum Theil schon bei den Fleischfressern, mehr noch bei den Pachydermen Statt. Auch hier, bei den Pachy- dermen, beim Schweine, bei Sus Sabyrussa u. s. w., sucht die Natur durch Krümmung der Eckzähne den Stoss in den Zahn selbst zurückzuleiten und so für den Kie- fer zu mindern. . Am stärksten aber sieht man die Kno- chenmasse angehäuft vom Oberkiefer in gerader Rich- tung durch den Jochbogen bis zum Schläfenbeine und Hinterhauptsbeine beim Monoceros, um den Stoss den mächtigen Zahnes auszuhalten. Die Backzähne endlich haben bei den Wiederkäu- ern und Nagern keinen sehr bemerklichen Einfluss auf die Ossifikationsverhältnisse des Schädels. Sie sind im ganzen zum Zerreiben der Speisen bestimmt. Treten sie aber, wie bei den fleischfressenden Thieren, stär- ker hervor, so finden auch sie ihren Stützpunkt haupt- sächlich im Jochbeine. Eben dieses gilt von den Schweinsarten. Beschreibung eines Nukahiwerschädels. 449 Dieses so eben ausgesprochene Verhältniss zwi- „schen der Zahnbildung und der Ossifikation des gan- zen Schädels, der Consolidirung, Verwachsung und Anordnung der Gesichts- und Schädelknochen, ist nun ein wichtiger Beleg zu der pathologischen Erfahrung über dieses Verhältniss im krankhaften Zustande oder über die Beziehung der Zahnbildung und Entwicke- lung der Schädel- und Gesichtsknochen bei rhachiti- schen, hydrocephalischen u. s. w. ‚Subjekten. Es spricht sich also in der Negerform unseres Nu- kahiwerschädels, und insbesondere in dem Mangel der Nasenbeine ein Zurückbleiben der Kopfbildung auf einer niederen Stufe von Bildung aus. Es fällt dieses ‚demjenigen auf, welcher an die häufig so hochgeprie- sene körperliche Schönheit der Bewohner der Südsee- inseln sich erinnert, Es scheint also die Schönheit der körperlichen Bildung dieser Völker, so wie aueh. die eben so gepriesene der Bewohner ‘von Malabar, ‚Ta- linga u. s. f. !) ihre Gränze zu haben und häufig sich nicht auf die Form des Gesichtes und auf die des Schä- dels zu erstrecken. Nach dieser Reflexion gehe ich nun über zu den erwähnten schriftlichen Mittheilungen vom Herrn Hoß rathe Tilesius. Der Schädel, den E. W. in der Rosingetlikrarhei Auction gekauft haben, schreibt derselbe, . ist 'aller- dings einer von denen, die ich mit von der Insel Nu- kahiwa gebracht habe; denn ich habe auf jeden meiner Schädel, die ich während der Erdumseglung sammelte, den Namen des Volkes oder der Insel, von der er 1) So sagt Milbert von den Indianern, welehe von Malabar nach der lle de France kommen: le ciseau d’un Phidias :ne pourrait faire softir du marbre des formes aussi Elegantes, aussi parfaites. S. Voyage pittoresque ä l’lle de France, . Meckels Archiv f. Anat. u. Phys. 1828. 31 450 Beschreibung eines Nukahiwerschädels. stammt, mit Bleistift geschrieben. Von ganz jungen Nukahiwern habe ich aber nur zwei Schädel gehabt, einen ohne Unterkiefer ungefähr von dem Alter von 42 — 14 Jahren, und einen anderen von einem’ 5 — 6 jährigen Kinde, beide aber mit unverletztem foramine magno oceipitali, also Schädel von Menschenopfern, die bei dem Absterben eines Oberpriesters verlangt werden; denn von diesen ist es verboten, etwas zu verzehren und die erwürgten Opfer müssen an den Bäumen der Woh- nung von dem abgestorbenen Oberpriester so lange aufgehängt werden, bis das eingetrocknete Fleisch von den Knochen abfällt, und daher war auch der Unter- kiefer von dem einen jugendlichen Schädel verloren gegangen. Beide hatte ich von einem Priester im Thale Tiohai am Port Anna Maria auf Nukahiwa gekauft, wo unsere Schiffe vor Anker lagen;. Die Schädel von Menschenopfern müssen auch selbst auf Nukahiwa eine Seltenheit seyn, weil sie nur Priester berühren dürfen, und ich bei keinem zweiten Priester einen solchen Schädel gesehen habe, endlich drittens, weil der Ober- priester nur wenige sind, und daher auch der Men- schenopfer nicht viele seyn können; die Ueberreste der- selben aber als Etuas in den Morais oder Begräbniss- plätzen aufbewahrt werden müssen, (S. Krusensterns Reise I. Band, Petersburg 5810, Seite 189—190. 191.) Bei den meisten Nukahiwersehädeln von alten, er- wachsenen Personen, die ich vom Könige Kettenue Tapega und anderen Mitgliedern seiner Familie einge- tauscht habe, wie auch bei denen, welche Herr von Krusenstern für Loder, Espendberg für Isenflamm, Dr. Langsdorf für Bojanus und Langenbeck, und un- sere Seeofliziere für die K. russ. Admiralität und an- dere Sammlungen zusammenbrachten, war das foramen magnum occipitale durch Einschlagen mit einem Steine so erweitert, dass man mit der Faust in die Oeflnung | Beschreibung eines Nukahiwerschädels. 451 hineinfahren konnte, wie dieses auch in Krusensterns Reise, 1. Band 8. 200 in der Anmerkung, bemerkt worden ist, und wie ich es in der Abbildung des Nu- kahiwerschädels iım Krusensternschen Atlasse Taf. 19, von unten Fig. 3. vorgestellt habe. Solche Schädel, an denen das foramen magnum occipitale eingeschlagen und eine weit grössere Oeflnung als im natürlichen Zustande vorhanden ist im Schädelgewölbe, sind Tro- phäen oder Siegeszeichen, welche beim Heereszuge zum Kampfe vorangetragen werden und die Feinde erschre- cken sollen; die Träger, welche sie auf hohen Piken tragen, sind auch mit Arm- und Fussbändern, von Feindeshaaren geflochten, geziert. Der Unterkiefer ist durch eine sehr künstlich von Cocosnussfasern gefloch- tene Borte an den Oberkiefer befestigt, und diese Borte oder Binde wird durch einen Korkstöpsel oder Keil aus dem Holze von Hibiseus oder Papiermaul- beerbaum (morus papyrifera), der in die Nasenhöhlen eingetrieben ist, unbeweglich erhalten. Alle diese Schä- del sind unwiderlegliche Beweise von der Anthropo- phagie der Nukahiwer, und sowohl Roberts als Cabri erzählen uns, dass, so wie im Kampfe ein Feind mit der Keule erschlagen würde, der Sieger ihm sogleich den Kopf mit einem Obsidian absäbelte, das foramen magnum mit einem Steine einschlüge, um das Blut aus- zusaugen und das warme Gehirn herauszufressen. Siehe Krusensterns Reise I. Band, Petersb, 1810 in 4° S, 200 in der Anmerkung. Was aber Ihren Nukahiwerschädel betrifft, ‘den Sie einem jungen Menschen, welchen Sie ungefähr 12 — 14 Jahre alt taxiren, zugeschrieben haben, so gehört derselbe, im Falle er keinen Unterkiefer und ein noch unverletztes foramen magnum occipitale hat, nicht unter die Trophäen, sondern stammt von einem Menschenopfer, welches durch den Tod eines Ober- 31* 452 Beschreibung eines Nukahiwerschädels. priesters, nach den strengen Gesetzen der Nukahiwi- schen Hierarchie, noch an demselben Tage erheischt wird. Dieses Gesetz wird, um allgemeinen Krieg zu vermeiden, von dem die Nukahiwer, trotz ihres Blut- durstes und ihres steten Appetites nach Menschenfleische, bloss wegen der eigenen Lebensgefahr, die sie ver- meiden, wenn sie sich meuchelmörderisch und hinter- listig im Busche auflauern, keine Freunde sind, sehr streng und augenblicklich erfüllt. Denn wenn es erst einmal die benaehbarten Thalbewohner erfahren, dass ein Oberpriester im nächsten Thale gestorben und das Gesetz noch nieht erfüllt ist; so fürchten sie Arges und setzen sich, damit das Unglück nicht sie betrefle, so- gleich zur Wehre und der Krieg ist allgemein, oder es wird offene Fehde. Diese sucht man dann dureh das heimliche Auflauern und plötzliche Tödten von ein Paar sorglosen Kindern so viel wie möglich zu ver- meiden. Die gymnastischen Spiele oder Tanzfeste der Nu- kahiwer sind die allgemeine Friedenszeit auf der gan- zen Insel; denn um diese Zeit kommt Freund und Feind zusammen, schmaust und singt bei nächtlichen Tänzen, übt sich in den Waffen und schliesst Freundschaftsver- träge und Waffenstillestand. Nichts ist im Stande, in dieser eigentlichen Friedens- nnd. Freudenzeit den Frie- den zu unterbrechen; ‚denn das Zeichen des Friedens und der Freundschaft, die Pfefferpflanze, bringt ein Thalkönig dem anderen, und Cocoszweige sind auf allen Bergen, welche die Thäler trennen, aufgepflanzt. Nur eine einzige Ausnahme findet Statt, nämlich der Tod eines Oberpriesters; dieser allein stört die Freude, | er verlangt Blut, nicht nur zur Zeit des Waffenstille- | standes, sondern auch während der Freudenfeste, die einzig und ausschliesslich dem Frieden gewidmet sind; und zu jeder; anderen Zeit und unter allen nur mögli- | Beschreibung eines Nukahiwerschädels. 455 chen Verhältnissen; er kennt kein Erbarmen, und selbst der Genius des Friedens oder der ruhende Geist eines Etuas (d. i. eines im Thale Verstorbenen, welcher nicht durch Krieg beunruhigt werden darf) ist nicht im Stande, diese Ursache zum Blutvergiessen abzu- wenden. Die 3 Menschenopfer, welche der Tod eines Oberpriesters verlangt, werden aber nie aus demselben Thale, in welchem dieser Priester starb, genommen, sondern aus einem der benachbarten Thäler zu erbeu- ten gesucht, oder noch lieber aus dem Meere (dennes giebt fast keine Tageszeit, wo nicht eine fast eben so grosse Menge Menschen im Wasser herumschwimmen, als auf dem Lande leben, weil die Nukahiwer wahre Amphibien sind und eben so gern im Wasser, als auf dem Lande leben, welcher Lebensart sie auch wahr- scheinlich ihre seltene Grösse und ihre wunderschöne Körpergestalt und Stärke verdanken). Im Thale selbst, wo der Oberpriester krank liegt, verheimlicht man, so lange es möglich ist, die Krankheit desselben, noch mehr aber seinen Tod; dagegen sendet man aber au- genblicklich, so wie er gestorben ist, einige Canots oder Piroken ab, um hinterlistig diese 3 Opfer zu er- haschen; gelingt dieses, so hören auch von dem Au- genblicke an alle Versuche zu fernerem Blutvergies- sen auf und das Meer ist, wie vorhin, Tabuh (d. h. es darf niemandem in demselben ein Leid widerfahren ). Gelingt es ihnen aber nicht zur See, so steigen sie ans Land, lauern hinter den Felsen oder im Busche so lange, bis sie die3 Opfer erwischt und erwürgt haben, die -den erzürnten Etua oder Geist des Oberpriesters versöhnen. Eben aus diesem Grunde, weil es heilige, dem Etua dargebrachte Sühnopfer sind, darf sie nie- mand verzehren, noch einen Tropfen von ihrem Blute auflecken, so lüstern er auch darnach seyn möchte, wenn er nicht für den abscheulichsten aller Kikinos, 454 Beschreibung eines Nukahiwerschädels. d. i. Bösewichter (s. Krusenstern 1. Band p. 192, die Priester wissen es so einzurichten, dass der Kikino zuerst fallen muss), gehalten seyn will. Wenn diese Opfer nicht an demselben Tage, an welchem der Prie- “ ster starb, eingefangen werden, so verbreitet sich bald das Gerücht davon, und’in der nächsten Nacht sorgen schon die dadurch beleidigten Priester selbst dafür, dass die Vernachlässigung des Gesetzes bekannt und ihre Rache durch einen offenen Krieg abgekühlt wer- de. ‘Doch dauert ein solcher Zwischenkrieg selten län- ger als wenige Stunden, in welcher Zeit leicht von jeder Seite 3 Menschenopfer fallen können. Die statistischen Verhältnisse sind innigst mit den religiösen verschmolzen, und es ist daher sehr schwer, die Staatsverfassung und Regierungsform der Wilden auf Nukahiwa zichtig zu bestimmen. Wegen der her- vorstechenden oder vorherrschenden Hierarchie unter einem Könige (nur Roberts, der Engländer, welcher diese Idee aus seinem Vaterlande mitgebracht hatte, nannte ihn so), der nicht eine königliche, ja nicht ein- mal eine richterliche Gewalt hat, könnte man die auf- keimende Regierungsform für eine Art von Theokra- tie halten, wenn das Oberhaupt selbst Priester wäre, es ist aber nur ein bemittelter Bürger, und überdieses nur Repräsentant eines einzigen Thales. Denn \die ganze Insel besteht aus sehr vielen solehen bewohnten _ Thälern, in deren jedem der reichste Einwohner sich durch oft eintretende Hungersnoth, während welcher er das Leben der Uebrigen durch seinen Ueberfluss fristet, eine gewisse Oberherrschaft über dieselben er- worben hat. Diesen erkennen aber auch nur seine Tischgenossen und: die Priester, die durch ihre Etuas und Tabuhs unter seinem Namen regieren, für den Thalkönig an, damit er mit den übrigen Thalkönigen Friedensverträge im Namen der Thalbewohner ab- Beschreibung eines Nukahiwerschädels. 455 schliessen könne. Er vereinigt aber übrigens weder eine gesetzgebende, noch vollziehende Gewalt in sich, eben so wenig ist er, wie ein Regent in der beschränk- ten Monarchie, weder durch positive Reichsgrundge- setze noch durch eine förmliche Verfassung gebunden. Eben so wenig also als man hier trotz des königlichen Titels die Merkmale einer monarchischen Regierung in einem Thale entdecken kann, eben so wenig sind die Bedingungen der republikanischen (wofür sie Herr von Krusenstern p. 183 hält) auf der ganzen Insel zu finden, weil sich weder in einer physischen, noch in einer moralischen Person Souveränität oder Regenten- gewalt vereinigt findet, noch übertragen zeigt, sondern es ist ein lockerer Zusammenhang dieser Thalvölker, der weder Demokratie noch Staatenbund im strengen Sinne kann genannt werden, dem letzteren aber am nächsten kommt, weil er eine völkerrechtliche Verbin- dung ohne gemeinschaftliches Oberhaupt ist, zu der sich bald diese, bald jene Thalvölker, die gerade nicht mit einander im Streite leben, vereinigen, Diese Ver- einigung geschieht gewöhnlich nach lang geführten Kriegen, nach einer allgemeinen Hungersnoth und bei Gelegenheit ähnlicher Verbindungen zwischen den Söh- nen und Töchtern der sogenannten Thalkönige (siehe v. Krusensterns Reise I. Band p. 188), der Priester oder Bemittelten unter den Thalvölkern, und wird ge- wöhnlich durch Schmausereien, bei welchen die einge- gangenen Verträge und Verbindlichkeiten durch sym- bolische Zeichen in die Oberhaut (epidermis) eintatto- wirt werden, gefeiert. Dieses ist der eigentliche Zweck der Tattowirung, wodurch sich die Nukahiwer bei ihrem schönen Körper (in welchem ich durch genaue Ausmessungen dasselbe Verhältniss und die Proportion der Glieder, welche bei einem Antinous, Merkur, Herkules, Apollo zu fin- 456 Beschreibung, eines Nukahiwerschädels, den sind, wieder gefunden und bewiesen habe, dass die Antique kein Ideal, sondern Wirklichkeit gewesen, vor allen anderen Südseeinsulanern auszeichnen. Kein Putz‘ ‘der Haut, ‘keine Auszeichnung oder Merkmal der Ehrihs, wie‘C0o0A, Forster, Eangsdorf, v. Krusen- siern glaubten, sondern sinnbildlich ausgedrückte Do- eumente und Obligationen für empfangene Wohltha- ten, Contracte und Verträge sind es, die eben darum, weil sie unauslöschlich sind, kein Ableugnen gestatten, und schon beim blossen Anblicke des Schuldners an seine Pflicht und Schuld erinnern. Es hat v. Zangs- ‚dorf eine weitläufige Abhandlung über das Tattowiren der Völker geschrieben, das technische Verfahren da- bei geschildert, einige symbolische Figuren nach Ro- beris’s und Cabris Aussage erklärt, sie aber doch gröss- tentheils missverstanden, und nichts weniger als den Sinn, Zweck und Nutzen der Tattowirung bei den Nu- kahiwern entdeckt. Diese Entdeckung verdanke ich meinem Freunde Pölitz, welcher mich aufforderte, zu seinen Annalen der Geschichte und Statistik als Mit- arbeiter für die aussereuropäischen Staaten beizutreten. Diese Einladung veranlasste mich, alle meine auf Nu- kahiwa gesammelten Materialien noch einmal durchzu- ‘gehen, und sie aus diesem Gesichtspunkte zu prüfen und zu vergleichen. Jetzt erst ging mir ein neues Licht auf, und ich sah nun überall Consequenz und Uebereinstimmung zwischen der Bedeutung jener sym- bolischen Figuren, die sich nicht nur auf den Leibern dieser Menschen, sondern auch auf Geräthen abgebil- det finden, und ihren Sitten und Gebräuchen, Ge- setzen und Verpflichtungen. Ich sah in der Tattowi- rung die aufkeimende Schriftsprache dieses wilden Vol- kes, welche, wie die Schriftsprache der Aegyptier, Chinesen uud Japaner, eine Bildersprache oder Hiero- glyphe werden muss, in welcher keine Buchstaben, Beschreibung eines Nukahiwerschädels. 457 Lettern, Sylben, noch Worte, sondern Charaktere, mit ganzen Begriflen verbunden, oder bedeutungsvolle Bilder den Sinn liefern, und es wurde mir nun das, was ich vorher für Unmöglichkeit gehalten hatte, dem Professor Pölitz eine Abhandlung über das bürgerliche Leben der Nukahiwer oder die Spuren einer aufkei- menden Staatenform in den Südseeinseln zu liefern, wo nicht ganz leicht, doch möglich. In meinem Auf- satze über das Menschenfresserlied, in der musikali- schen Zeitung 1805, Nr. 17. den 23sten Januar p. 266, habe ich schon die Sitten und den Hang dieses Vol- kes, seine Gedanken sinnbildlich auszudrücken, ge- schildert. In diesem Liede wird zum Beispiel der flie- hende Feind mit einem fliegenden Fische verglichen, den die Doraden und Boniten verfolgen. Auf der dazu gehörigen Kupferplatte Tab. II. (in demselben Jahr- gange der musikalischen Zeitung) ist das Tattowirin- strument und der Neffe des Königs Keitenue Tapega, welcher zugleich sein Tischgenosse nach Krusensterns Ausdrucke ist und Omau Dei heisst, abgebildet. Die Tattowirung dieses Wilden ist eben so instructiv als bedeutungsvoll und die Nationalphysiognomie ist gut getroffen, nur die Tafel ist schlecht gestochen, weil Schröter, der Kupferstecher, keine Idee von Tattowi- rung und von einem Wilden hatte, auch Breitkopf und Hüärtel nicht viel Geld auf dergleichen Nebensachen verwendeten. Ausser den Bogengängen, welche die Züge der gegenseitigen Dienstleistung bei gymnasti- schen Uebungsplätzen und Häuserbau andeuten, ist er mit Mala Epo und Mate toito& tattowirt, wie der listige Franzose Jose Cabrit (Joh. Bapt. Cabri L.), welchen Langsdorf in seiner Reisebeschreibung hat abbilden lassen, d.h. er ist ein Spion, der nach allen Seiten hin umherspähen muss, ob nicht etwa irgend ein Feind im Hinterhalte liegt, darum ist das eine Auge sinn- 458 Beschreibung eines Nukahiwerschädels. reich genug mit einem Strahlenzirkel umgeben, dessen Strahlen nach allen Seiten hin divergiren, das andere, ganz schwarz tattowirte Auge ist eine Obligation ‚oder Quittung für empfangene Wohlthaten, ein Zeichen der Tischgenossenschaft oder des Clubs, - wie sich Herr v. Krusenstern ausdrückt, welches ihn zur Heerespflicht verbindlich macht. Er fürchtet sich dermaassen vor dem Hungertode, dass er, um sich in der Hungersnoth satt zu essen, für seinen Tafelherrn fechten will, bis ihm das linke Auge zufällt und diese Seite des Gesichtes schon todt ist; so steht es auf seinem Gesichte und nach seinem eigenen Geständniss geschrieben, auch will er die Freunde gegen den Feind anführen, wie Kake oder das Viereck auf der Brust, das auch Ro- berts trug, beweist. Hiermit haben Sie zugleich eine Probe der Auslegung jener Bilderschrift der Nukahi- wer, welche dereinst zu ihrer Schriftsprache werden muss, und welche, wenn sie auf ihren Leibern einge- stochen ist, Tattowirung genannt wird. Was übrigens die Nationalschädel der Nukahiwer betrifft, so hat, wie ich glaube, Blumenbach dieselbe gut charakterisirt, nur das Auffallendste hat er wohl nicht erwähnt, dass nämlich die Nukahiwerschädel die schmälsten und schönsten von allen Menschenschädeln sind,, und seine vermeintliche Schönheit, die Georgia- nerin, weit übertreffen. Die Nationalphysiognomie der Nukahiwer hingegen ist nicht so schön, wie ihre Schä- delform, denn die Seele hat keinen Theil daran, es liegt weder das Ebenmaass noch das Zartgefühl darin, wie in der Antique, mit der sie nur das schöne Kör- perverhältniss gemein haben. Die Nukahiwer und die gesammten übrigen Bewohner der Washingtoninseln sind unstreitig die grössten, stärksten und schönsten Menschen auf der ganzen bewohnten Erde; dieses be- weist Krusenstern im I. Bande Seite 167 — 168, und \% Beschreibung eines Nukahiwerschädels. 459 die Ausmessung des Mxfau oder seines Feuermachers, Seite 170, die ich selbst an diesem Riesen gemacht habe. Krusenstern sagt, S. 167, diese körperliche Schön- heit ist hier nicht, wie auf anderen Inseln der Südsee, ein Vorzug, den die Natur bloss den Ehrihs oder Vor- nehmen gewährt; sie ist fast ohne Ausnahme einem Jeden verliehen, und ich selbst habe nirgend einen buckeligen oder gebrechlichen Menschen gefunden; nur die Weiber werden nie so gross und haben nie so schöne schlanke Taillen, ob sie gleich auch von den höchsten Bergen in die Brandung springen und eben so mässig leben, als die Männer. So viel aus den gefälligen schriftlichen Mitthei- lungen vom Herrn Hofrathe Tilesius. Die Idee dieses Gelehrten über die Ursache und die eigentliche Bedeutung und den Sinn der Tattowi- zung bei den Bewohnern der Südseeinseln ist eben so neu als sinnreich, und giebt uns ein Mittel in die Hand, aus dieser neuen Art von Hieroglyphenschrift verschie- dene Aufschlüsse über die Sitten und die Geschichte dieser Insulaner zu erhalten. Auf der anderen Seite lässt sich allerdings nicht leugnen, dass bei den ver- schiedenen Völkerschaften, bei welchen das Tattowi- ren gebräuchlich ist, verschiedene andere Motive die- ses Gebrauches vorhanden sind oder seyn können. Häufig liegt dem Tattowiren Neigung zum Putz zu Grunde, Die Tattowirung des Gesichtes und der Lippen insbesondere soll wohl zur Zierde derselben gereichen. Bei den Bergbewohnern Arrakans, den Kainern, tattowiren sich auch bloss die Weiber. An- dere Völker tattowiren ihren Körper mit Figuren von wilden Thieren, von Tigern u. s. w., in der Absicht wohl, dadurch ihren Muth und ihre Stärke anzudeuten und ihren Feinden Schrecken einzuflössen. Endlich ist 460 Beschreibung eines Nukahiwerschädels. wohl am häufigsten das Tattowiren eine Frucht des Aberglaubens, namentlich das Einpunktiren von Zei- chen, Sprüchen, Zauberformeln, Namen und Bildern von Götzen u.s.w. Auch bei uns in den Rheinlanden, so wie bei dem französischen gemeinen Soldaten fin- det diese letzte Art von Einpunktirung in die Haut häufig Statt. Es wird sich also noch Manches über die Bedeu- tung und den -Sinn der Tattowirungen und der ver- schiedenen Figuren derselben, durch die Idee von Ti- Tesius geleitet, erforschen lassen. Eben so wäre es zu wünschen, dass wir über das Verfahren hierbei um- ständlicher und ausführlicher belehrt würden, als die- ses bis jetzt geschehen ist. Wir sind in dieser Hin- sicht, so viel ich weiss, im ganzen beschränkt auf dasjenige, was uns v. Langsdorf mitgetheilt hat. Herr v. Langsdorf beschreibt aber nur eine Methode des Tattowirens, nämlich die Punktirmelhode, durch den kammartig zugespitzten Flügelknochen von Phaeton aeihereus, wodurch gerade oder gebogene Linien von Punkten oder Stichen hervorgebracht werden. Ausser diesen Figuren, welche aus geraden oder gebogenen Linien und Reihen von Punkten bestehen, giebt es aber noch ‘andere, welche auch eine andere Verfahrungs- art erfurdern. Herr Hofrath Tilesius erwähnt in seinem gefälli- gen Schreiben an mich schon Folgendes: „Ich habe bei den Königen (der Marquesasinseln) noch eine‘ besondere Tattowirung gesehen, “welche nicht einpunktirt, sondern aufgesetzt zu seyn scheint: denn es waren grosse Bogen, von grossen etwas erha- benen Punkten, welche auf der gewöhnlichen Tattowi- rung aufsassen, und mit einem metallischen Glanze, wie Bleiglanz, schillerten, auf beiden Seiten des Rückens. “ 2 Beschreibung eines Nukahiwerschädels, 461 Wie es sich immer mit dieser von Tilesius ange- gebenen besonderen Tattowirung verhalten möge, so scheint mir noch eine zweite Verfahrungsart des Tat- towirens ausser der Punktirmethode Statt zw finden, welche darin besteht, dass eigentliche Furchen von verschiedener Länge und Form in die Haut eingegra- ben und durch Einreibung verschiedener Stoffe in der- selben erhalten werden, wobei sodann die Haut immer zwischen zwei solchen Furchen vorspringende Leisten von eorrespondirender Form bilde. Es sehen diese Figuren wie eingepresst aus. Da diese Figuren aber von beiden Seiten oder in ihren Hälften nicht symme- trisch sind, so werden sie wohl durch’ Eingrabungen nach und N in die Haut verzeichnet und. nicht etwa durch eine Stereotype in dieselbe gleichsam abge- drückt. Ein Beispiel der letzten Art von Tattowirung sieht man an dem eingetrockneten Kopfe, welcher in dem naturhistorischen Museo zu Bonn sich befindet. Bei dem ersten Anblicke schien es mir, als sey diese Art der Tattowirung erst nach dem Tode an dem Kopfe eingegraben worden, indem ich nicht begreifen konnte, wie solche Eingrabungen nicht Vereiterung und Vernarbungen zur Folge haben sollten. Allein die dicke Haut des farbigen Menschen mag wohl diese Tattowirung begünstigen. Dieser Kopf wurde mit ei- nem ähnlichen, an dem aber die zweite Art von Tat- towirung nicht "bemerkt wird, von Lima" gebracht. Beide Schädel gehören der BRle MRE.a0) Race an, sind aber von einem besonderen Stamme, indem sie sich nicht sowohl durch Kleinheit der Stirn als vielmehr durch Kleinheit der Gesichtszüge und Ge- sichtstheile, namentlich der Augen, Ohren, Lippen, Nase, durch die geringere Hervortretung der Wan- genbeine und die. Kleinheit der mehr gerade stehenden Zähne auszeichnen, 462 Beitrag zur vergleichenden Anatomie des Gehörganges. Erklärung der Abbildungen. Fig. I. Nukahiwerschädel von vorn. Fig. . Derselbe von der Seite. Fig. II. Abschnitt des Schädels vom Pongo von Borneo. \ Fig. IV. Schädel von Simia Lar. Das Skelett dieses Thieres ist das einzige Exem- plar dieser Species im Kabinete. Es ist offenbar 'von einem ganz jungen Thiere. Die Kopfnähte sind noch äusserst deutlich zu sehen, eben so die sulurae incisi- vae, und die, durch welche sich die processus naso- ‚frontales des Oberkieferbeines mit einander und mit dem Stirnbeine verbinden. Eine Trennung von Na- senbeinen ist durchaus nicht zu bemerken. 4‘ VI. Beitrag zur vergleichenden Anatomie des Ge- hörganges. Von Tuomas Bucnanan. (Hierzu Tafel XII.) (Entnommen aus Thomas Buchanan, Physiological Illustrations _ of the Organ of Hearing, more particulary of the Secretion of Cerumen, and its effects in rendering auditory perception äcurate and acute; etc. etc. London 1828, S. 97. ff.). I. Beschreibung des meatus auditorius und der membrana lympani des Wallfisches (Balaena Mysticetus.). Di. Oeffnung des Gehörganges liegt bei dem ausge- wachsenen Wallfische in einer Linie mit dem’ Augen- Beitrag zur vergleichenden Anatomie des Gehörganges. 463 winkel, ungefähr 16 Zoll entfernt nach hinten '). Die äussere Oeflnung ragt etwas hervor und wird von einer Art Lippe, die von der wulstigen Hervorragung - der umgebenden Theile gebildet wird, umgeben. Im na- türlichen oder ruhenden Zustande ist die Oeffnung oval und fast geschlossen. Inwendig wird der Gehörgang von der Cuticula, die sich in ihn umschlägt , ausgeklei- det, und in der Mitte desselben, fast von der äusseren Oeffnung und dem Trommelfelle gleichweit entfernt, liegt eine breite, kugelförmige Substanz, die mehr als drei- mal so gross als der Gehörgang weit ist, und höchst wahrscheinlich die Funktion einer Klappe vertritt, um den Eintritt des Wassers zu verhindern. In der Ge- gend dieses kugelförmigen, klappenartigen Körpers, welchen ich bei allen Thieren dieser Species fast an derselben Stelle gefunden habe, nimmt die ‚Weite des Gehörganges bedeutend zu. Bei den verschiedenen Zergliederungen des Gehör- organes dieses Thieres habe ich nie Seewasser im In- neren des Meatus auffinden können, und die fast ge- schlossene äussere Oeffnung, die grosse Länge und die Windungen des Ganges, die fettige Secretion in dem- selben und der klappenartige Körper tg den Ein- tritt des: Wassers zu verhindern. Der Weitendurchmesser des Gellbrkande nimmt am Trommelfelle bedeutend zu, damit dieses desto freier vibriren könne, wenn Schallstralen auf dasselbe auffal- len (Figur 1. 2.). — Das in geringer Menge vorhan- dene Ohrenschmalz hat eine graulichblaue Farbe, 1) Das Vorhandenseyn der Oeffnung des äusseren: Gehör- ganges stellt W. Scoreby in seiner Beschreibung Grönlands in Abrede. „Der Wallfisch, sagt er, hat keine Ohren und eine zum Auffangen der Schallstralen dienende Oeflnung wird nur erst nach Hinwegnahme der äusseren Haut aufgefunden. “ ( Vol, 11. 8, 456.) # 464 Beitrag zur vergleichenden Anatomie des Gehörganges. Der Meatus ist von einer weisslichen, 3 bis 4 Li- nien dicken, halbelastischen Substanz umgeben, die an der äusseren Seite grosse Aehnlichkeit mit der Flechse eines starken, breiten Muskels hat. — Man kann den Meatus sehr leicht auffinden, wenn man die Theile ho- rizontal durchschneidet, und in die, in der Mitte der weissen, zähen Substanz liegende, Oeffnung eine Son- de einbringt. Derselbe besitzt bei ausgewachsenen Thieren we- gen seines gekrümmten Verlaufes eine bedeutende Län- ge, läuft anfänglich unter- und auswärts, dann auf- und vorwärts, bis er mit dem Augenwinkel in einer Linie sich befindet, und sich hier, wie ich bereits erwähnte, mit einer engen Oefinung auf der äusseren Oberfläche endigt.. Er ist grösstentheils von Speck oder Fett um- geben, das mit starken, membranösen Fibern durch- zogen ist, die den Gang in seiner Lage erhalten , und, obgleich die Oeffnung durch den Druck der umgeben- den Theile theilweise zusammengedrückt ist, so besitzt der Gehörgang dennoch, wegen der starken, ligamentö- sen, halbelastischen Substanz, die ihn bildet, im Inneren eine runde Gestalt. Es unterliegt jedoch wohl keinem Zweifel, dass der Meatus bei sehr fetten Thieren von der Masse des umgebenden Fettes zusammengedrückt und hierdurch die Circulation der Luft und die Vibra- tion des Trommelfells auf dieselbe Weise geschwächt werden möchte, wie sehr fette Menschen an geschwäch- tem Gehöre leiden, ‘sobald die Eustachische Trompete durch Geschwulst der Mandeln oder durch die aufge- triebenen Muskeln obstruirt ist. Hierin scheint mir auch ein Grund zu liegen, weshalb sehr fette Wallfi- sche weit leichter als magere gefangen werden. Die Weite des Gehörganges beträgt bei einem ‚Wallfische von 45 Fuss Länge den 4360sten Theil der ganzen Körperlänge. \ N | Beitrag zur vergleichenden Anatomie des Gehörganges, 465 Bei den meisten Thieren fallen die Schallstralen durch den äusseren Gehörgang auf das Trommelfell auf, und werden von ‚diesem zu dem Empfindungsorgane übergeleitet; allein ‚bei dem. Wallfische, gelangen die Schallstrahlen durch die Eustachische Trompete in die Trommelhöhle und fallen durch diese auf das Trommel- fell auf, indessen der äussere Gehörgang die Stelle der Eustachischen. Trompete vertritt und. die Vibrationen erleichtert, weshalb denn auch das Trommelfell eine nach aussen convexe Form hat, während bei den übri- gen Thieren das Gegentheil Statt findet. D Das Trommelfell. Die Gestalt des T'rommelfelles ist bei den meisten Thieren so übereinstimmend und einfach, d. h. nach aussen concav, nach innen convex und mehr oder we- niger oval im Uinkreise, dass wenige beschreibende Worte schon hinreichen, über die Lage, die Verhält- nisse und die Gestalt dieser Membran bei verschiede- nen Thieren und selbst bei dem Menschen eine rich- tige Ansicht zu geben. Das Trommelfell des Wallfi- sches jedoch besitzt eine ganz aussergewöhnliche 'Ge- stalt und weicht in Hinsicht dieser und seiner Lage auf eine höchst auffallende Weise von anderen Thieren und dem Menschen ab, so dass es näher untersucht und beschrieben zu werden verdient, Das Trommelfell des Wallfisches ist breit und un- regelmässig, auswärts convex, inwärts concav und von doppelt klappenförmiger Figur. . Man erhält eine ziemlich richtige Ansicht von der Gestalt der inneren Seite des Trommelfelles, wenn man sich ein grosses Stück Haut als Falte denkt,‘ deren Ränder die Mitte der Falte theilen. Der kurze Fort- satz des Hammers (der ebenfalls eine bedeutend"abwei- Meckels Archiv f. Anat, u. Phys. 1828. 39° 466 Beitrag zur vergleichenden Anatomie des Gehörganges. ehende Gestalt hat) ist seiner Länge nach mit dem Rande dieser Falte oder Duplicatar des Trommelfelles, welche ich processus valvulus nennen will, "verbunden. Da nun die Muskeln der‘ Trommelhöhle den processus valvılus anspannen, so entsteht auf jeder Seite dieser Duplieatur durch die Anspannung eine entsprechende Depression’ oder Concavität, die aber, von der Seite der Trommelhöhle abgesehen, auf der unteren Seite der Duplicatur stärker als auf der anderen ist, und deren Tiefe überhaupt mit dem Alter des‘ Thieres in. Ver- * hältniss steht. Die Muskelhaut dieser beiden Concavitäten, wel- che ich mit dem Namen der grossen und kleinen bele- ge, bildet nach aussen zwei Convexitäten, welche mit einer fibrösen, zellgewebigen Membran bedeckt und verbunden sind, so dass beide nur eine oblonge, con- vexe Oberfläche bilden, welche weit in. den Gehörgang hineintritt und von der umgeschlagenen. äusseren Haut bedeckt wird. Wenn man den Gehörgang unmittelbar über dem | Trommelfelle geöffnet hat, so haben diese Theile ein äusserst ‚sonderbares Ansehen. Die längliche Höhlung wird von dem: Trommelfelle ausgefüllt, welches, wie ich Bor erin anführte, eine oblonge, convexe, stark gewölbte Gestalt hat. Untersucht man die conyexe Portion ge- nau, so erscheint’ unter der Cuticula (die bei .- einem Präparate, welches ich besitze, eine bräunliche Schie- ' feıfarbe hat) eine, Ausbreitung von Neryenfädehen, ; welche, durch die Haut durchscheinend, einen BhÖRER, netzförmigen. Plexus bilden, (Fig: 1,) ‚Diese stark ‚gewölbte Portion ist von einer Dupli, ! catur. der ‚Euticula, gebildet, welche die äussere sonvexe | Seite des Trommelfelles bedeckt und. sich jenseit fen Membran, fortsetat. Mi Der Hauptast der Nerven verläuft der Längenach wi: Beitrag zur vergleichenden Anatomie des Gehörganges. 467 schen der Cuticula, der membranösen Substanz und.dem Anfange dieser stark gewölbten Portion, und verästelt sich auf jeder Seite in zahlreiche Aeste, welche die convexe Seite des Trommelfelles; bedecken. Deutlicher treten die zahlreichen feinen Nervenfädchen hervor, sobald die Cutieula abgenommen ist; man sieht dann ihre ver- schiedenen Verästelungen, und wie sie die weisse, mem- branartige Substanz, die unmittelbar mit der Cuticula in Verbindung steht, durchbohren und sich in die Mus- kelhaut des Troimmelfelles verlieren, Nach Wegnahme des Nervenplexus und der mem- branösen Substanz erscheint die Muskelhant ‘des Trom- melfelles, die eine oblonge,‚convexe Gestalt hat und in ihrem ‚kürzesten Durchmesser getheilt ist, so dass sie eigentlich zwei convexe Flächen bildet, die aber so dicht neben einander liegen, dass man nur durch das Ein- bringen einer Sonde von der Tiefe der Theilung sich überzeugen kann. Die Theile, welche innen dieser Theilung. der Muskelhaut des Trommelfelles entsprechen, bilden den processus valwnlus oder den Rand der Falte. — (Bei einem vor mir liegenden Präparate beträgt die Tiefe des äusseren Einschnittes zwischen den beiden von der Muskelhaut des Trommelfelles ‚gebildeten ‚Con- cavitäten „5 Zoll, indem der Rest bis zum Rande der Falte oder des processus valvulus genau mit einander verbunden ist), Ueber die convexeste Stelle beider ge- trennten Flächen erhebt sich ein stark gewölbter Fort- satz, der länglich verläuft und in Fig..2. abgebildet ist. Der äussere Gehörgang ist sehr. lang, allein sehr eng, und hat den entgegengesetzten. Nutzen, den dieser Gang bei dem Menschen hat, Bei,.dem Wallfische'dient nämlich, der Gehörgang zu demselben Zwecke, als die Eustachische Trompete bei anderen .Thieren, d, h. die Vibrationen des Trommelfelles zu unterstützen, indes- sen die,-obschon: kurze Eustachische Trompete die Fun- 32 *+ 468 Beitrag'zur vergleichenden Anatomie des Gehörganges. etionen des Ausseren Gehörganges verrichtet und die Schallstralen auf das Trommelfell' leitet. Denn da die . innere Oeffnung’der Eustachischen Trompete schräg in die Trommelhöhle eintritt und dem processus valvulus des Trommelfelles'sich gerade gegenüber befindet, so scheint es’'mir erwiesen, wie die angeführte Gestalt des Trommelfelles den auf dasselbe 'auffallenden Schall- stralen Widerstand leisten und, in die gehörigen Vi- brationen 'gerathend; die mit ihm genau verbundenen Gehörknöchelchen auf die entsprechende Weise bewe- gen kann. Sir Zverard Home, dem wir für seine schöne Ab- handlung über den Bau der Muskelhaut des menschli- chen Trommelfelles verpflichtet seyn müssen, hat augh das’ Trommelfell des Wallfisches (derselben Art, von welcher! ich'meine Beschreibung genommen habe) be- schrieben und’ von der inneren wie äusseren Seite 'ab- gebildet. ‘Obwohl’ 'nun wenige Kupferplatten schöner äls diese" beiden ‘Abbildungen gestochen seyn können, so kann ich dennoch die Bemerkung nicht unterdrücken, dass Homes Abbildungen, wie Beschreibungen, ein ganz unrichtiges Bild" von der Lage und der Gestalt des Trommielfelles "und seiner Verbindung mit den Gehör- knöchelchen geben. Home giebt in seiner Abhandlung (An account of some peculiarities in Ihe structure of the organ of hear- ing in Ihe Balaena Mysticetus of Linnaeus. Philoso- phical Transactions for 1812.) eine kurze Beschrei- bung‘ der Theile, und durch diese der von Hunter gege- benen Beschreibung’ des Gehörorganes dieser Thiersipp- schaft widersprechend, bemüht 'er sich zu beweisen, ‘dass keine Verbindung zwischen dem Trommielfelle und ‚den Gehörknöchelchen Statt finde. “>, Nachdem’ieh'beobächtet habe) sagt Brei): dass ‚zwischen dem‘ Tromihelfelle ünd”den Gehörknöchelchen | Beitrag zur vergleichenden -Auatomie des Gehörganges.- 469 keine directe Verbindung wie bei den übrigen Thieren, Statt findet, scheint es mir, dass Hunter, an die Mög- lichkeit einer so grossen Abweichung von dem gewöhn- lichen Baue nur ungern glaubend, dadurch zu einem Irr- thume verleitet, wurde, den ich lediglich nur seinem Festhalten an der Analogie zuschreiben möchte.“ Später führt er ferner an: „In der Trommelhöhle, welche durch das an den knöchernen Rand befestigte Trommelfell geschlossen ist, liegt eine häutige Falte, die an einem Ende in der Mitte einer kleinen Protube- ranz der concaven Oberfläche des grossen, hohlen Kno- chens befestigt ist, quer durch die Höhle sich erstreckt, und deren freier, oberer Rand eine Linie quer durch den Durchmesser der Concavität des Trommelfelles bil- det, indessen das andere Ende sich jenseit der: Höhle erstreckt und sich mit dem kurzen Fortsatze des Ilam- mers verbindet, welcher unmittelbar hinter der: membra- nösen Auskleidung der Trommelhöhle liegt. Dieser Beschreibung Homes zufolge, steht die häu- tige Falte (wie er auch ausdrücklich anführt) mit dem Trommelfelle in keiner Verbindung, sondern ein drei- eckiges Stück Haut ist mit seiner Basis an die innere Seite der Cavität und mit der Spitze mit dem dünnen Fortsatze des Hammers verbunden. Diese Falte ist in- dessen bestimmt keine besondere unverbundene Mem- bran, sondern wird von der Muskelhaut des Trommel- felles gebildet. Mit dem Rande dieser Falte, die ich processus valvulus genannt habe, steht der dünne Fort- satz des Hammers der Länge nach in. Verbindung, und eine Portion, welche, von der Trommelhöhle aus be- trachtet, rückwärts und unterwärts umgeschlagen ist, bildet die grosse Cavität, indessen die kleine Cavität von der anderen umgeschlagenen Portion des: Trommel- felles gebildet wird. Diese Theile, die, sobald die Falte künstlich gebildet wäre, nothwendigerweise frei hängen #70 Beitrag zur vergleichenden Ahatomie des Gehörganges. müssten, sind mit dem Körper des Hammers verbunden, der bei diesen Thieren, wenn sie’ ausgewachsen sind, fast so lang als jeder der beiden Fortsätze, und bei jun- gen Thieren noch länger als dieseist. Auf gleiche Weise bildet die breiteste Portion des Trommelfelles unmittel- bar unter dem processus valvulus einen sehr tiefen blin- den Sack, während die hinter ihr liegenden Theile ei- nen zweiten, aber bei weitem nicht so tiefen Sack bil- den, und indem ihre Endem sich berühren, so entsteht nach aussen eine (gleichsam zusammenhängende) Con- vexität, welche in den Gehörgang hineinragt und in Fig. 2. abgebildet ist. Die Hervorragung oder sogenannte Protuberanz der knöchernen Wände der Trommelhöhle liegt bei einigen mehr denn 54 Linie, bei anderen 34 Linie von dem äussersten, knöchernen Rande der Trommelhöhle ent- fernt. Dieser ganze Raum ist rauh und dient zur An- heftung der Muskelhaut des Trommelfelles und der frü- herhin erwähnten, membranartigen Substanz, und wird nicht. sowohl von den Adhäsionspunkten ausgefüllt, als er zugleich die Nerven und Gefässe in die auswärtslie- gende, aber mit dem Trommelfelle unmittelbar verbun- dene membranartige Substanz, und an die innere Seite der, den Gehörgang auskleidenden, von aussen in ihn umgeschlagenen Haut treten lässt. Diese membranartige Substanz scheint als eine Art von schützendem Polster für den Nervenplexus und die Gefässe zu dienen, der, sobald die Fibern der Muskel- haut des Trommelfelles durch die auffallenden Schall- stralen in Contraction gerathen, jeden übermässigen Druck von dem Nervenplexus und seinen zarten Fäd- chen, die sich in die Muskelhaut des Trommelfelles ver- lieren, abhält. \ Home sagt: „Aus dem beschriebenen Mechanismus geht hervor, dass die das Trommelfell treffenden Schall- Beitrag zur vergleichenden Anätonlie des Gehörganges, 471 schwingungen nicht unmittelbar den ‚Gehörknöchelchen, wie bei anderen Thieren sich mittheilen, Sondern ‘nur in die Trommelhöhle einfallen und durch diese der quer durch sie hindurchgezogenen Sehne (chord) mitgetheilt werden.“ Auf diese Bemerkung kann: ich nur erwie- dern, dass ich sowohl durch Worte wie durch Abbil- dungen bewiesen habe, dass die Membian, welche, Homes Beschreibung zufolge, mit dein Hammer, aber nieht mit dem Trommelfelle verbunden ist, nicht nur ein Theil des Trommelfelles ist, sondern eine Duplicatur mit der ganzen Muskelhaut längs ihrem. Durchmesser bildet. Da nun dieselbe zugleich nieht nur mit dem dünnen Fortsatze des Hammers; sondern Auch fast mit dem ganzen Körper dieses Knochens (der bei ‘diesem Thiere sehr gross und dick ist) verbunden ist, so folgt hieraus, dass die Schallschwingungen auf die Gehör- knöchelchen, wegen dieser unmittelbaren Verbindung mit dem Trommelfelle, sehr stark einwirken müssen. Da ferner das Trommelfell des Wallfisches noch. ein- mal so gross ist, als das irgend eines anderen Thie- res, so erfolgt ebenfalls; dass die Kraft der Schall- schwingungen, bei der doppelt eoncäven Gestalt des Trommelfelles, mehr als im direeten Verhältnisse sei- nes Durchmessers Zu dem Durchmesser dieser Membran bei anderen Thieren verstärkt seyn miss, weil diese doppelte concave Gestalt, die ganze ‚Stärke der ‚Schall- vibrationen, welche in die Troınmelböhle eintreten; so lange erhalten wird, bis das Trommelfell in die gehö- rigen Schwingungen gerathen ist. Wenn Home ferner sägt: „Das Trömmelfell besitze in sich selbst das, Vermögen , den verschiedewen: Sehall zu berichtigen, so lange das Thier sieh unter Wasser befinde“, so möchte ich wohl fragen, was dieses dem Thiere nützen könne, wenn sein Trommelfell mit den Gehörknöchelchen nicht verbunden wäre, und besonders, 472 Beitrag zur vergleichenden Anatomie des Gehörganges, wenn»die Schallstralen durch die Eustachischen Trom- peten einfallen. ‘ Seiner Beschreibung nach, kann das Trommelfell nichts zum Hören beitragen, wenigstens erklärt er sich, meiner Ansicht nach, nicht deutlich über die Art und Weise, wie das Trommelfell zum Hören beitragen soll. Home fügt noch hinzu: „Der lange Fortsatz des Hammers sey: völlig frei“; allein bei frischen Thieren und bei jeder mit Sorgfalt angestellten Untersuchung findet man den langen Fortsatz des Hammers an das äussere Ende der knöchernen Trommelhöhle befestigt, und an die Furche in dem Fortsatze, wie an die Ver- tiefung in dem Körper des Knochens setzt sich einer der Trommelhöhlenmuskeln fest. Ja der lange Fortsatz ist im natürlichen Zustande sehr weit vom Freiseyn ent- fernt, da das Ende dieses Fortsatzes auf der einen Seite, und der Fortsatz des Ambosses auf der anderen, den Mittelpunkt für die Bewegungen der Gehörknöchelchen bilden. Ich besitze gegen 20 Präparate von dem Ohre des Wallfisches; zwei in Weingeist aufbewahrte Präparate stellen das Gehörorgan in seiner natürlichen Lage dar, zwei andere sind aufgetrocknet,’ haben aber ein unver- letztes Trommelfell; — allein bei allen verhält sich das Trommelfell auf die angegebene Weise, so dass ich da- her vermuthen muss, dass das Exemplar, wonach Home seine Beschreibung und Abbildung machte, nicht voll- kommen erhalten war. — Figur 1. Aeussere Ansicht des Trommelfelles, mit durchscheinendem, ‘ unmittelbar unter der Cuticula lie- gendem Nervenplexus. ügur 2. Aeussere Ansicht des Trommelfelles, wo aber die Haut, der Nervenplexus und die membranar- tige Substanz weggenommen sind, damit die Muskel- Beitrag zur vergleichenden Anatomie des Gehörganges. #73 haut und die Fissur, welche die convexe Membran in zwei convexe Flächen trennt, und die nach innen den -processus valvulus und die grosse und kleine Cavität bildet, gesehen werden könne. Figur 3. Innere Ansicht des Trommelfelles von der Trommelhöhle aus. a a a. Ursprung der Muskelhaut des Trommel- felles. b b. Der processus valvulus, oder Rand der Du- plicatur oder der Falte des Trommelfelles. ce. Die grosse Cavität. d. Die kleine Cavität. e. Der lange Fortsatz des Hammers‘, der hier aber von dem an ihm befestigten ‘Muskel und der Haut der Trommelhöhle, zur besseren Ansicht der Theile, getrennt ist. F. Der kurze, dünne, mit der Falte des Trommel- felles verbundene Fortsatz des Hammers. g. Der Amboss. h. Der Körper des Hammers. ü. Der Muskel des Steigbügels. k. Durchschnitt der mehr als zur Hälfte wegge- nommenen knöchernen Wände der Trommel- höhle. ’ 1. Pars petrosa. _ m, Meatus auditorius internus. n. Lage der Schnecke. 0. Anheftung des Trommelfelles an den Körper des Hammers. p. Lage der fenestra rolunda. Figur 4. Längendurchschnitt des Trommelfelles in natürlicher Grösse. A. Grosse Cavität. B. Kleine Cavität. 474 Beitrag zur vergleichenden Anatomie des Gehörganges. C €. Durchschnitt eines Theiles des Gehörganges. DD. Theil der knöchernen Trommelhöhle. E E. Theile der knöchernen Wände der Trom- ınelhöhle. N a a. Processus valvulus. 5 b. Durchschnitt der Muskelhaut des Tronmel- felles, so dass man ihren Verlauf und die Bil- dung der Falte kennen lernen kann. e €. Die membranöse Substanz. dddd, Verlauf der Cuticula in dem hänge und ihr Ueberzug über das Trommelfell. II. Beschreibung des Gehörganges und des Trommelfel- les des Narwals (Monodon monoceros). Der Gehörgang des Narwals hat eine ähnliche Lage wie bei dem Wallfische , übertrifft diesen jedoch beden- tend in der Weite. Die Lage der äusseren Oeffnung vermag ich in diesem Augenblicke nicht genau zu be- stimmen, ‚nach der Analogie jedoch muss sie schmäler als beim Seekalbe (Seal, Phoca vilulina) seyn. . Der Gang besteht, mit Ausnahme eines schmalen, runden, eigenthümlichen, sehr harten, knochenartigen Stückes (ein Vorsatz der Wände der Trommelhöhle), von dem das Trommelfell entspringt und das #55 bis 45% Zoll im Durchmesser misst, aus-einer starken, ligamentar- tigen Substanz, die eine halbe bis ganze Linie dick ist. ‚Der grösste Theil dieses knochenartigen Stückes bildet eine besondere Art von rundem Dog, indem dieser zuerst nach innen, gegen die Mitte des Gänges, sich krümmt, dann abwärts und mehr aus- und aufwärts läuft, etwa wie die eingeschnitzten Spirallinien in dem Holzwerke alter Kirchen zu seyn pflegen, Wahrschein- lich dient diese eigenthümliche Krümmung des knöcher- . Beitrag zur vergleichenden Anatomie des Gehörganges. 475 nen Theiles des Gehörganges zu demselben Zwecke, wozu die Depressionaleurve ') bei anderen Thieren dient. Der tendinöse Theil des Gehörganges ist mit dem Rande dieses gekrümmten knöchernen Theiles ver- bunden, wodurch jener eine trompetenförmige Form'er- hält. Die Weite dieses tendinösen Theiles steigt rasch auf £555 Zoll ünd beträgt 10 Linien von dem Inser- tionspunkte, 45%5 Zoll. Der Gehörgang wird von der äusseren Haut aus- gekleidet. Das Trommelfell des Narwals ist, mit dem des Wallfisches verglichen, schmal, aber dennoch bedeutend breiter als das mensch- liche. Es ist sehr stark und muskulös, nach aussen concav, nach innen cönvex, und hat in der Gestalt ei- nige Aehnlichkeit mit der Blume einer Winde. Die äussere Gestalt des Trommelfelles ist fast rund, da der breiteste Diameter nur „7 Zoll mehr als der schmälste beträgt. Dasselbe bildet an seiner convexe- sten Stelle einen starken, kräftigen, aber schmalen Muskel, den ich musculus Terminativus (terminative muscle) nennen will, und der an seinem Insertionspuncte an dem Hammer --$- Zoll misst. (Bei einem trocke- nen Präparate misst dieser Muskel in der Länge 0%; bei seinem Ursprunge ungefähr „5%, und bei seiner In- sertion an den Hammer 54, Zoll in der Breite). Mit den Gehörknöchelchen ist es nur auf eine sehr schmale aber feste Weise verbunden, denn statt dass der Hammer, wie bei anderen Thieren, fast mit $ des breitesten Durchmessers mit dem Trommelfelle verbun- 1) Unter Depressionalcurve versteht man die ovale Depres- sion, welche die untere Wand des Gehörganges bildet, Sie dient, die Vibrationen des Trommelfelles gleichföormig zu machen, 476 ° Beitrag zur vergleichenden Anatomie des Gehörganges. den seyn sollte, ist er nur mit „> der convexen Seite des Trommelfelles verbunden. Der Hammer besitzt eine unregelmässige Gestalt, die einige Aehnlichkeit mit der des Hammers des Wall- fisches hat, ist aber weder so lang, noch so dick. Der Körper dieses Knochens, der ungefähr dreimal so gross als breit ist, und, von der Trommelhöhle' aus gesehen, in einer Linie mit dem Verlaufe des Gehörganges liegt, besitzt einen breiten, flachen, hohlen, dreieckigen Fort- satz, der ungefähr in der’ Mitte entspringt undsich ver- schmächtigend in einer Vertiefung des Trommelfelles sich verliert. Der musculus Terminativus ist fest an ieine Tube- rosität oder einen Fortsatz in der 'Nähe des inneren En- des des Hammers befestigt !). Figur 5. Abbildung des Trommelfelles, mit dem schönen Nervenplexus (plexus Jeffrayonis). Figur 6. Ansicht dieses Nervenplexus von der Eustachischen Trompete aus. III. Beschreibung des Gehörganges des Sgalus. canus. Die Oeffnung des äusseren Gehörganges bei dieser Art von Hayfischen befindet sich auf der oberen Wöl- 1) Buchanan behält sich vor, den Einfluss, welchen die ei- genthümliche Gestalt und Anheftungsweise des Trommelfelles, die Gestalt und Lage der Gehörknöchelchen und der schöne Ner- venplexus (plexus Jeffrayonis), der in dem Trommelfelle sich be- findet, in einem besonderen, die ‚vergleichende Anatomie des Gehör- und Gesichtsinnes , umfassenden Werke aus einander zu setzen. Vorläufig theilt er blos die Abbildung dieses von ihm entdeckten und zu Ehren des Prof, der Anatomie zu Glasgow, plexus Jeffrayonis genannten Nervenplexus mit, welche ich aus der Ursache diesem Auszuge mit beigelegt habe, weil sie in et- was die Anheftungsweise des sogenannten musc. terminalivus er- läutert. — W-b. , Beitrag zur vergleichenden Anatomie des Gehürganges. 477 bung’ des Schädels, ist'sehr eng, doch so weit, dass eine Borste in dieselbe eingebracht werden kann. So- bald’ jedoch der Gang durch die äussere Haut gedrun- gen ist, wird er noch ee so weit, als er an seiner äusseren Oeffnung war, läuft nach vorn und unten und mehr nach innen, und einen spitzen Winkel bildend, rückwärts, abwärts und: mehr auswärts, bis er die Oefl- nung in dem Schädel erreicht, durch welche er sich in - das Vestibulum einmündet. Der untere und hintere Theil des Gehörganges er- hält bei dem spitzen Winkel einen, fast horizontalen Lauf nach vorn, bis in die Nähe des oberen und vor- deren Theiles, : wo er eine ausserordentlich enge 'Oeff- nung bildet, die an dem äusseren Ende ‘der Duplicatur des hinteren und unteren Theiles des Gehörganges liegt. Diese schmale Oeffnung oder der Capillargang läuft, eine kleine haälbzirkelförmige Windung bildend, auswärts, abwärts: und. rückwärts über den Rand des umgeboge- nen Theiles, und erweitert sich dann in, Verhältniss zu der oberen Höhlung. ; Der hintere Theil des Gehörganges, der auf diese Weise rückwärts gebogen ist, und mit dem unmittelbar darüber liegenden horizontalen Theile genau’ verbunden ist, wird. wo indessen der vordere Theil’ durch den Winkel gebildet wird, zum: unteren, und erweitert sich längs dem übrigen Theile 'des, Ganges, der ‘auf die er- wähnte Weise gelägert ist, so dass auf diese'Weise die Duplicatur des hinteren 'Theiles des Ganges eine. klap- penförmige Membran bildet, welche: re mit dem Dar men membrana vestibuli ‚belegen will. «Der Gang bildet von dieser klapfenförniigen ‚Mem: bran abwärts gegen das Vestibulum . eine. oblonge, ku- gelförmige Ausdehnung, und in eine enge Oeffnung sich zusammenziehend hängt er mit den Bändern der Oeflnung in dem knorpelartigen Schädel zusammen, und 478 Beitrag zur vergleichenden Anatomie des Gehörganges. verbindet sich, durch‘diese hindurch tretend , mit dem grossen Sacke des Vestibuli. Die Wände des Ganges sind, unmittelbar unter der kugelförmigen Ausdehnung, stark, muskelartig und bilden einen kräftigen Sphincter. Eine Menge tendinöse, nach allen Richtungen ver- laufende, sehr dünne, fast durchsichtige, aber sehr starke Fibern halten den Gehörgang in seiner Lage. Diese äusseren Gehörgänge, welche Weber *) sinus - audilorü externi benennt, nehmen, wegen ihrer wink- ligen Gestalt, welche sie beim Herabsteigen in das Vestibulum beschreiben, einen grossen Theil der Ver- tiefung ein, welche auf dem oberen und hinteren Theile des Schädels vorhanden ist. Der “übrige Raum wird von einer gelatinösen Substanz, von tendinösen Fibern und von zwei Muskeln, von denen einer an jeden Gang befestigt ist, ausgefüllt. " Diese Muskeln entspringen von dem Rande der Ver- tiefung des Schädels und oberhalb von dem vorderen Rande des foram. Zabyrinthi, laufen schief nach innen, vorn und abwärts, und inseriren sich an den Winkel des umgebogenen Theiles des Gehörganges, der die membrana vestibuli bildet. Die Muskeln besitzen eine ausnehmend schöne, weisse Farbe und lassen sich sehr leicht auffinden, sobald die Haut ungefähr einen hal- ben Zoll vor der Oeffnung' sorgfältig abpräparirt wird. Weber beschreibt in seinen Abbildungen des Ge- hörorganes der Fische ähnliche Muskeln bei Raja Mi- raletus und'R. Torpedo, erwähnt aber: nicht ‚dieselben auch bey Squalus canus gefunden zu haben, weshalb’ ich die Hoffnung glaube hegen zu dürfen, ‘diese Mus- keln bei diesem Fische ‘zuerst "beschrieben ‘zu haben. Mehrere sehr achtbare Schriftsteller, wie Cuvver, 1) De aure et auditu hominis et animalium. P. I. ie aure auatikum.' Lipsiae, 1820, Beitrag zur vergleichenden Anatomie des Gehörganges. 479 Searpa, Bell, Macariney, haben die Behauptung aufge- stellt, der Hay besitze keinen äusseren Gehörgang;; in- dessen schon Monro und Hunter haben das Gegentheil bewiesen, ' Keiner von beiden erwähnt jedoch die klap- penförmige' Menıbran des Vestibuli, die Muskela oder den Bau des Gehörganges selbst, durch welchen die umgebenden Theile ‚von den Contentis in dem grossen Sacke getrennt sind. Der muskelartige Bau des Gehör- ganges hält ‘ohne Beihülfe des Muskels den Eintritt der umgebenden Flüssigkeit ab, und hierin mag viel- leicht ein Grund für die von mir beobachtete Verschie- denheit der Lage der membrana vestibuli und des du- elus capillaris liegen. \ Weber beschreibt diese Muskeln, wie ich bereits erwähnfe, von mehreren Rajaarten, erwähnt aber nicht, sie bej dem Squalus canus ‚gefunden zu haben, wes- halb ich glaube, dass er diesen Fisch zu untersuchen keine Gelegenheit fand, so wie ich überzeugt bin, dass Lawrence und Maeeriney eine andere Art untersucht haben. In einem Aufsatze über das Ohr -des Squalus ca- nus, welchen ich am 10ten November 1825 in einer Sitzung der Wernerschen 'naturhistorischen Gesellschaft - zu Edinburg verlesen habe (Edinburgh Philosoph. Journ. 1526. Jan.), ist der Gehörgang von mir also beschrie- ben: ‚Der @ehörgang besteht aus einer starken, elasti- schen, membranartigen Substanz, läuft auswärts ‘.oder seitwärts, vorwärts und unterwärts (einige: Linien mehr oder weniger, welches sich nach der Grösse des Thie- res richtet) , bis er in einen kurzen Raum gelangt, der von einer quer durch .den Gang gezogenen‘ Membran gebildet wird, wo er sich. um‘das Doppelte’ erweitert. “ (Diese Membran möchte membrana ' vestibuld genannt werden können.) Darauf bildet ‘der Gang ‚einen Win- kel, Iäuft abwärts, rückwärts und etwasiauswärts, bis 480. Beitrag zur vergleichenden Anatomie des Gehörganges. er das foramen oblongalum erreicht, mit dessen Rande er bei einigen Exemplaren genauer als bei anderen verbunden ist. Diese Beschreibung hatte ich. grösstentheils nach Bemerkungen zusammengestellt, welche ich bei der Un- tersuchung der äusseren Theile des Gehörorgänes eines Exemplares niedergeschrieben hatte, dessen Capillargänge durch irgend einen Umstand obliterirt waren, , und die mich daher zu dem Irrthume verleitet hatten, ‘den Ge- 'hörgang als imperforirt zu beschreiben, obgleich dieser Gang bei jungen Thieren nur willkürlich durch die Wir- kung des Muskels und seiner Structur geschlossen wer- den kann. Die Weite des Gehörganges beträgt bei seiner äus- seren Oeflnung 45, Zoll, und, die Länge des Thieres zu 3 Fuss angenommen, den 2400sten Theil der ganzen Körperlänge ; der Durchmesser des Gehörganges beträgt - an den übrigen Stellen —$4s Zoll, oder ungefähr den 778sten Theil der ganzen Länge, ist folglich, dieser Be- rechnung nach, an seiner Mündung doppelt und in den übrigen Theilen fünfmal so weit als der äussere Ge- hörgang des Wallfisches, da dieser, bei 45 Fuss Länge des Thieres, +25 Zoll im Durchmesser oder den 4360sten Theil der ganzen Körperlänge misst. Figur 7. Kopf des Squalus canus in natürlicher Grösse, A. Oeffnung des rechten äusseren Gehörganges. B. Oeffüung des linken. Figur: 8. Längendurchschnitt des linken Gehirn: ges; vergrössert. @.. Aeussere Oefnung. db. Ende .einer.in den. oberen Theil des Ganges eingeschobenen ‚Borste. €.) Geöffneter Gang um‘ die Capillaröffnung und die Beitrag zur vergleichenden Anatomie des Gehörganges. 481 Lage der umgebogenen, die klappenartige Mem- bran (membrana vestibuli) bildenden Portion des Ganges sehen zu können. d. Die unterhalb dieser Membran liegenden Theile und die zweite Oefinung oder der Sphincter meatus. ‘e. Membrana labyrinthi. F. Der häutige in das Vestibulum eintretende Ge- hörgang. ; gg. Lage der oberen Theile des knorpelartigen Schädels. - h. Ursprung des Muskels. Tabelle über die Dimensionen des Meatus audi- torius externus verschiedener Thiere. Von Bucnanan. Weiten- N Länge des Meatus.| durchmes- ser. men Thiere. Na der “she Eo|ESBlEm0| 3 7 = 2 Bo |2 4 a [s} eo lo |e8| 9, | 8 = “ Präparat von einem Theile des Meatus eines jungen Balaena My- sticetus, Der Kanalist von einer 3 bis 4 Linien dicken, halbknorpel- artigen Substanz überzogen. Das Maass ist ungefähr 3 Zoll vor dem Trommelfelle genommen. Das Prä- parat war im Weingeiste aufbe- wahrt, Bei der Untersuchung eines 13 Zoll und 3 Linien langen Fetus des Balaena Mysticetus konnte ich Meckels Archiv f. Anat. u. Phys. 1828, 33 Namen der Thiere, 'uozriogf weder die Oefinung des Meatus, noch den Meatus selbst genau be- stimmen. Präparat des orificii externi meatus eines 43 Fuss langen Balaena My- sticetus, wo die Oeffnung im ru- - henden Zustande sich befand, zu- sammengefallen war und ein läng- liches Oval bildete. Meatus des Monodon Monoceros. Meatus des Monodon Monoceros, in der Nähe des Trommelfelles und im ausgedelinten Zustande. Meatus des Monadon Monoceros, un- gefähr einen halben Zoll über dem 'Trommelfelle, Rechtes Ohr eines Trichecus Ros- marus. Das Organ wird vom pro- cessus mastoideus, einem ungeheu- ren, massiven Knochen, der dicker als ein Zoll ist, vor Gewaltthä- tigkeiten aufeine schöne Weise ge- sichert. Meatus eines 3 Fusslangen Squalus canus. Der Gang wird in seiner spitzwinkeligen Lage durch starke, tendinöse Fibern gehalten, die aber so äusserst fein und durch- sichtig sind, dass sie kaum zwi- Beitrag zur vergleichenden Anatomie des Gehörganges, 483 nösen Substanz, welche den Mea- tus umgiebt, erkannt werden kün- nen, Die Messung ist 4 Stunden nach dem Tode des Thieres vor- genommen. ‘ Simia Sabaea., Der Meatus besteht grösstentheils aus Knorpel, so dass der knöcherne Theil des Ganges viele Aehnlichkeit mit dem Ver- halten dieses Thieres beim mensch- lichen Fetus hat. Oss. Elephas maximus. Da ein grosser Theil der zellulösen Substanz des Schädels verloren gegangen ist, so ist der knöcherne Gehörgang höchst wahrscheinlich nicht voll- ständig vorhanden, Oss. Phoca vitulina. Längendurchschnitt des Meatus. . Schädel einer Phoca vitulina mit aufgetrockneten Bedeckungen. Phoca cristata, Oss. Aeussere Oeffnung einer lebendigen Phoeca vitulina. Die Oeffnung hat eine oblonge Gestalt, Phoca vitulina, mit etwas wenigen trockenen Bedeckungen. Länge des Meatus.| durchmes- Weiten- der Guticula, 20 [m 1000. |1000, 266.6| 210 1000. |1000. 33* 484 Beitrag zur vergleichenden Anatomie des Gehürganges. N 4 ’ F | Weiten- . Länge des Meatus.| durchmes- =—— Ser. Namen der Thiere. = Biel Dee 5 a g ealealgı e |8 | e7,| 8 Schädel einer Phoca cristata, , mit aufgetrockneten Bedeckungen des Meatus. nn. ; u: 460 Ursus maritimus. Oss, er . 1000. | u. 600 467.5 Ursus maritimus. — Sen : 920 300 | 260 Equus Asinus, Oss.. |1 Zoll 1000.| . 1000 1100 Känguruh (Maeropus giganteus). S 5 ( pus gıg 5 ) He en 1000. 100. ilpferd (Hippopotamus amphibius). 200.4 290.3 Nüpferd (Hippop phibius) 1000. 1000: Canis Vulpes. Altes Männchen. Oss 141 549 |823.51. 277.51 225 Be ; 1000, 1000.'1000.| . 1000.\1000. Canis Vulpes. Junges Männchen. al ie " Oss. _ 1000.\1000. Ovis Aries. Oss. I mn AT 1 seh Felis Catus. Ausgewachsenes Thier. \ Oss 306.91169.5 fi - 1000. 1000 Reli tus. $ 270.150. Eelis Ca Oss "soo Ho0o. Lepus timidus. \ 210 1796 0 I 1000. |1000 Lepus timidus. { 210 |171:4 Me Pt m | 1000, 1000. Anas Cygnus, 100 134.8 Falco Nisus.Die äusseren Theile sind lu je zum sehr leichten Auffangen der nn “ Beitrag zur vergleichenden Anatomie'des-Gehörganges. 485 Namen der Thiere. Schallstralen eingerichtet. Der Meatus ist weit und rund, und theilweise durch einen knöchernen Processus getheilt. Die Maasse sind 2 Stunden nach dem Tode ge- nommen. Anas Anser, Die Messung ist 24 Stun- den nach dem Tode des Thieres angestellt. Rechtes Ohr. Anas domestica., Die Messung ist am rechten Ohre 24 Stunden nach dem Tode angestellt. Enterich. Anas domestica. 24 Stunden nach dem Tode das rechte Ohr gemes- sen. Ente. 4 Meleagris Gallopavo. Die Messung 24 Stunden nach dem 'Tode ange- ‘ stellt. Die Oeflnung ist von einer Art Lippe umgeben. Tetrao Perdrix. Das rechte Ohr ist 24 Stunden nach dem Tode ge- messen, Lu Phasianus Gallus. Die Messung eine Stunde nach dem Tode angestellt. Weiten- Länge des Meatus.| durchmes- “arurg ser, 3 elH$ os & |e lern |EI| 8 S a Eu e|l®.8 85 3.158 160.3|.1,'612,5| 452 | 248.9).140 1000.| _1000.1000.! 1000.|1000 „170 1,2788.01RA| BAO.BREDA 1000.| 1000, 1000.| _1000.,1000; 140 | 324.31 190 | 193.1] 148 1000, .. 1000.11000.| 1000,)1000 198,911. 251.51 161.| | .170.j192.1 1000.| " 1000,|1000.1 1000, 1000, 232.5 678.,5|457 | 248.5.188 1000. 1000. 1000.| 1000.11000, 152,510 189518] 11 1000... 4000. 1190P. |. , 1000. 11000. as | 886315.2] 127.5] 160 1000. © 7006. 1000.| 100011000. (Der Maassstab, beträgt 1000 'Theile' auf’ einen ‚Zeill"" 486 Beitrag zur vergleichenden Anatomie des Gehörganges, Tabelle über die Dimensionen des Trommelfel- les verschiedener Thiere. Grösster | Kleinster ; Beschreibung. ui erg Präparat des rechten Ohres eines Wallfisches. | Länge des Trommelfelles von seinem Ursprun- | ge bis zu seiner Anheftung an den Körper des Hammers, und in einer Linie mit der z | Falte (processus valvulus ) 207, | Durchmesser der Muskelhaut beim Anfange der Falte 195 Linien. Tiefe der grossen Cavität 14. Tiefe der kleinen Cavität 8. Länge der Convexität des Trommelfel- les mit der Cuticula ' 16, Breite derselben 9. Präparat des Gehörs eines jungen Wallfisches, in der natürlichen Lage. ‘ Länge der Muskelhaut von ihrem Ursprunge % “ bis zu ihrer Anheftung an den Hammer 187, Breite 144 Bere ? j Länge der Muskelhaut des 'Trommelfelles bei einem mittelgrossen Exemplare 2." | Breite 18. | Trommelfell des Narwals (Monodon Monoce- ne “ | ros) 1000, 1000. Höhe der inneren Gonvexität bis zur Zoll. Insertion des Hammers en. Breite der Muskelhaut bei der Inser- tion des Hammers Ti: Trommelfell vom rechten ‚Ohre einer Simia EN Sabaea 7000. 1000, ne 366 810 Trommelif-!! des Pferdes 1000. 1000. Beitrag zur vergleichenden Anatomie des Gehörganges, 487 ! Grösster | Kleinster Beschreibung. RR N Durchmesser, | Linien. | Linien. T el 500.9 05.9 Trommelfell des Esels m = Trommelfell vom rechten Ohre eines Wallros- . 44.5 430 ses (Trichecus Rosmarus ) 7000 m ‘ Trommelfell des linken Ohres eines Seekalbes ia ka (Phoca vitulina) 1000: I : a 417 438 Rechtes Trommelfell der Phoca eristata ET 4000 5 335.7 287 Trommelfell des Schweines 1000. 100. Trommelfell des Hasen. Das Trommelfell scheint gleichsam aus zwei miteinander ver- bundenen Kreisen zu bestehen, deren grösster von dem Rande der knöchernen Furche bis Er 209,5 zum Manubrium des Hammers sich erstreckt; || 3000. ) 1000. deren kleinerer aber an der oberen Wand des Trommelhöhlenendes des Meatus und den grösseren Kreis befestigt ist . or Trommelfell eines Fuchses = 21 Trommelfell eines Kalbes N — p em ’Trommelfell einer Katze Bin En Trommelfell eines Schwanes an 2 “Trommelfell eines Truthähnes( Meleagris Gallo- I de u8 pavo) . Sch. 9 m 10; ‚ Trommelfell eities jungen Hahnes De 4 in iiteshmelfeil’einge alten Hahada ‘7° Tin ii a 5 zB _"Frommelfell eines Rebhuhns ‚|. 61 488 Ueberd. Einfluss, welchend. Gestalt u.d. Anheftungswinkel I Grösster | Kleinster x ———— E Beschreibung. mail, \aac, m ———————————— 2 Linien. | Linien, Trommelfell eines Sturmvogels ( Procellaria gla- e 266.3 271.5 eialis) 1000. 1000. e 300.5 2792 Trommelfell einer Gans 1000; 1000, H 2 221 182 Trommelfell eines Enterichs A00n8 Ar Trommelfell eines Sperbers (Falco Nisus). & Das Trommelfell ist schön durchsichtig und im Verhältnisse seiner Grösse Zur Grösse des . Thieres siebenmal grösser als das mensch- liche nABlEB 196.8 1000, 1000. Trommelfell eines Fasanenmännchen ( Phasjanus Colchiecus). Das Trommelfell ist nach aus- > 800 2151 * sen convex. Ar A000: Tronimelfell eines Fasanenweibch 262.6 4160| ei nweibchen vn A: (Die Messung ist nach 1000 Theilen eines Zolles genommen.) VII. Ueber den Einfluss, welchen die Gestalt und der Anheftungswinkel des äusseren Ohres auf die Stärke des Gehöres hat. Von Tuomas Bucnanan. = % (eekanomen aus dessen: Physiological Ilustratiens on the, organ of hearing etc, London, 1828.) Die Gestalt und Form des äusseren Ohres, und. na- mentlich der-Winkel, welchen es mit dem Hirnschädel bildet, die Form und Tiefe der ' Ohrmuschel, haben einen grossen Einfluss auf die Verstärkung oder Schwä- chung der Schallschwingungen. des äusseren Ohres auf die Stärke des Gehüres hat, 489 Nach den Resultaten der, auf beigefügter Tabelle, angestellten Untersuchungen, lassen sich folgende Axio- me aufstellen. 1) Wenn die Concha breit und tief ist, der obere Theil der Helix stark überhängt, die Scapha nicht her- ‚vorragt, das Läppchen diagonal nach vorn inclinirt, und der Anheftungswinkel 25 — 45° beträgt '); so hat das Ohr die gehörige Gestalt, um die zum scharfen Hören benöthigte Menge Schallstralen in den äusseren Gehör- gang zu leiten und zu concentriren. 2) Wenn die Coneha schmal und flach ist, und der Anheftungswinkel fast 40° beträgt; so gleicht dieser Winkel den Nachtheil aus, welchen die wegen der Flachheit weniger einfallenden Schallstralen hervor- bringen würden. 3) Sobald der Anheftungswinkel gering, die Concha aber breit und tief ist; so ersetzt die Tiefe der Ohr- muschel den Nachtheil, welcher von dem Anheftungs- winkel herrührt. 4) Wenn jedoch die Concha schmal und flach ist, und der Anheftungswinkel'noch keine 15° misst; so ist das Gehör selten scharf. 5) Und wenn überdieses noch der Gehörgang eng.und rund ist; so trägt auch dieses zujdem mangelhaften Baue der äusseren empfangenden Gehörtheile bedeutend bei. 6) Und wenn endlich, mit-dem Vorhandenseyn einer 1) Bei den Messungen wurde die Länge des Ohres von dem äusseren Rande des oberen Theiles der Helix bis zum äussersten- Rande des Läppchens; die horizontale Breite von dem Boden des Tragus bis zur äusseren Seite der Helix, und wiederum von dem Rande des Tragus bis zur äusseren Seite der Helix gemessen, Der Anheftungswinkel des Ohres ‚wurde mit einem , Quadranten bestimmt, der mit einem beweglichen Index versehen war, und ‚dessen Basis unmittelbar auf die vordere Seite der Theile gehal- ten wurde, und der so eingerichtet war, dass das Ohr, während der Messung, in einer und derselben Stellung verbleiben musste. 490 WUeberd. Einfluss, welchen d.Gestaltu.d. Anheftungswinkel der erwähnten Unvollkommenbheiten des Ohres,, der Ge- hörgang weit, rund seyn und im Durchmesser 6, 7 oder 8 Linien halten sollte, so leidet das Individuum in der Regel an gemindertem, mit dem Alter immer mehr ab- nehmendem Gehöre. Dass der Anheftungswinkel des äusseren. Ohres ei- nen grossen Einfluss auf die Vermehrung oder Minde- rung der Stärke der Schallstralen habe, zeigen fol- gende Beobachtungen. Herr C. war eines Abends, beim Nachhausegehen, auf eine Pumpenstange gefallen, und hatte sich, da das Ohr von der Kante der viereckigen, eisernen. Pampen- stange gefasst war, dieses so weit völlig abgerissen, dass der abgerissene Theil kaum noch mit mehr als linienbreitem Stücke mit der Helix zusammenhing. Das Ohr wurde durch mehrere blutige Nähte geheftet, und hinter dasselbe ein Küsschen gelegt, theils um durch die- ses die Wundränder in der gehörigen Lage zu erhalten, - besonders aber um das Ohr unter einem Winkel, von 45° von dem Schädel abzuhalten. Die Wunde war nach wenigen Tagen vernarbt; allein, was das Beste war, der Kranke konnte jetzt mit diesem Ohre weit besser hören als mit dem anderen, dessen Winkel ungefähr nur 10° betrug. Ein Edelmann war seit 20 Jahren auf dem linken Ohre sehr schwerhörig, und auf dem rechten so taub, dass er kaum dann hörte, wenn recht laut gesprochen wurde. — Der Gehörgang war trocken und weit; die Concha sehr flach, und das Ohr bildete mit dem Schä- ‚del einen Winkel von 16° (vergl. Tabelle Nr. 13.), — Wegen des geringen Anheftungswinkels glaubte ich das Gehör dadurch verstärken zu können, wenn ‘ich dem Ohre eine solche Stellung gäbe, dass der Winkel 45 ° betrüge. Ich legte ihm deshalb zwei Küsschen hinter die Ohren, die diesen Winkel herausbrachten, und der des äussereh Ohres auf die Stärke des Gehöres hat, 491 Mensch konnte sofort jedes, mit gewöhnlicher Stimme gesprochene, Wort hören. — Eben so habe ich beobachtet, dass, wenn der ho- rizontale Durchmesser des Gehörganges über 3 Linien beträgt, das Gehör gemindert ist, wenn nicht etwa die Gestalt des Ohres, der Anheftungswinkel oder die Tiefe der Concha jenen Nachtheil ausgleicht. Nach der beigefügten Tabelle maass der horizontale Durchmesser des Gehörganges nur bei 6 Individuen von 100 drei Linien, und von diesen sechsen besass nur einer (Nr. 62.) ein scharfes Gehör, welches indessen wohl grossentheils der robästen, muskulösen Constitution, der besonderen Gestalt des Ohres, der Tiefe der Concha und dem breiten Schädel zuzuschreiben seyn möchte. — Nr. 76. besass einen weiten Gehörgang, da jedoch die Gestalt des Ohres regelmässig war, der grösste Theil einen Winkel von 30° und das Läppchen einen Win- kel von 52° bildete und die Gehörnerven unverletzt waren, so möchte sich hieraus sein gutes Gehör erklä- ren lassen. Sobald jedoch der Winkel unter 20° beträgt, so wird das Gehör gemindert seyn, wenn nicht etwa eine tiefe Concha vorhanden ist, indem, wenn das Ohr schmal ist und jenen Winkel bildet, die gehörige Menge der Schallstralen auf das Trommelfell nicht aufgeleitet wer- den können. Sobald aber der Winkel über 20° bis zu 45° beträgt, so nimmt die Stärke des Gehöres in Ver- hältniss zu dem Anheftungswinkel immer mehr zu, Ein Winkel von 40° bewirkt ein scharfes Gehör, ausge- nommen, wenn der Gehörgang sehr weit, die Concha sehr schmal und flach, und die übrigen Theile- des Ge- hörorganes missgebildet oder. verletzt sind; und ein Winkel von 45° scheint das schärfste Gehör zu bedin- gen, indem unter diesen Umständen die grösste Menge Schallstralen auf das Trommelfell auffallen kann. 492 UeberdenEinfluss , welchen die Gestalt und der Anheftungswinke Tabelle über den Anheftungswinkel des äusser Concha und des Orificit Ohr. Concha. Meatus. Niko: Alterakluir een ee N Tenor re Läng. | Horiz. ae wine | Läne: | Horiz. Läng. |Hori oo m ı| ı7 | 2832 | 14: | 182. | 54 30 2 | .19:| 38 12%, | 10. |.35.00 3| 70 |242 [162 | 12: | 15 do 4 |’ 20. | 224 -|14,5 | 105 | 45 00 W. 5 | 21 | 23ı | 14 11 | ‘40 00 a) zii ‘| 1 | 2 133 | 11 4000 | 9 72 | 4 72|3|24 |ı2 |10 7 | 8 | 4 s| ı9 | 24: | 13 10: | 4300| 9 si | 4ı w. 9 | ı2 | 222 | 13 102°) 2800| SE | m 10: | 52: |'29 142 | 133 | 39.00 | 9% 9: 11 | 48: | 802 | 14: | 133 |.1600 | 9% [te] 12 | 32 ‚| 262 .| 15 12% .\.45 00 | 95 13 | 57.126; |ıs2 |ı2e |ı600| s |,s 1414| 9.| 2: |ız J|ıo || 9 | 8. 15 |;14 (20, |ı3 10: |sıo| & | 7 16 | ss | ası | 14 11: | 1900 | 9 8. 17) 66 1 274 | 142° | 212 | 18.00 | 9 8% 18 | az a7ı | 152 | 112 | 89 80 | 10r° |.92 19 | 70 | 852 [18 | 182 | 22 00 | 10 | 20 | 54 | 24: | 13: J1o, | 2600| % | 64 2ı | 37 128: | 122 10 | a4 00 | 8; | mei 22 a9 | 3ar ir 112 38 30 | 10 2 des äusseren Ohres auf die Stärke des Gehöres hat. 493 den Längen- und @Querdurchmesser der meatus auditorii. Bemerkungen. r scharfes Gehör; die Ohrläppchen in der Diagonale horizontal; Pschel tief und stark ausgebildet; der Ohrenschmalzüberzug sehr ick. & r scharfes Gehör; die Helix theilweise stark ausgebildet; Concha ef, indertes Gehör. Secretio imperfecta cerumin. Tubulus hirsutus, arfes Gehör. Vollkommene Bildung der Theile. kes Ohr schwerhörig, rechtes Ohr guthörig. l arfes Gehür. Tiefe Concha. Breites Tapnehen: j schlechtes Gehör. tes Gehör. arfes Gehör, wenn gleich das Ohr schmal, öfter vollkommen aus- ebildet ist. Tiefe Concha. arfes Gehör. Tiefe Concha. indertes Gehör. Flache Ohrmuschel. Oberer Rand des Ohres in iner Linie mit dem Schädel. - tes Gehör. Oberer Theil des Ohres überhangend, mindertes Gehör. Flache Concha, tes Gehör. Flache Helix; sonst wohlgebildetes Ohr. tes Gehör. Fein gebildetes Ohr. tes Gehör, Gutgebildetes Ohr. verringertes Gehör. Langer, schmaler Gehörgang. ries Gehör. Tiefe Concha. Stark ausgebildetes Ohr. es Gehör. Sehr tiefe Concha. h tes Gehör. Mässige Concha. ; tes Gehör, Die Helix rückwärts inclinirend und flach, arfes Gehör. Grosse Concha. * 494 Ueber den Einfluss, welchen die Gestalt und der Anheftungswinke Nro.|Alter. 25 35 Ohr. Ti Läng, | Horiz. I1tanı.| Winkel o [23 2352 |1e& |11 35 0 25 152 | 12ı .| 35 00 252 | 13 |11+ }43 00 25: |16 | 14 22 00 242 | 14 | 12 |45 00 25 124 92 9 00 31 00 24 | 13: | 11 25 00 22. | 13 10 23 00 21 12, | 10 28 00 24 122 | 103 | 32 00 251 | 134 | 105 | 33 00 282, | 114 9: | 12:30 24 |14 10: | 30 00 22: | 104 8: | 3015 243 | 14: | 12 36 30 263 | 12 10 33 00 232 | 143 | 113 | 29 30 %7 142 | 112 | 28 00 27 151 | 12: | 54 00 241 |13 | 85 00 25 13 | ı1 43 20 Concha, Meatus. u n— ! Läng. |'Horiz. [Läng. |#o 104 104 495 des äusseren Ohres auf die Stärke des Gehöres hat. Bemerkungen. es Gehör. Tiefe Concha. scharfes Gehör. Oberer Theil der Helix breit und überhängend, ite Concha. scharfes Gehör. 2 Gehör. "Tiefe Concha. Oberer Theil der Helix überhangend. es Gehör. Tiefe Concha. In die Concha eingreifender Gehör- tes Ohr sehr schlechthörig. Ohr. Tiefe Concha. es Gehör. Tiefe Concha. Oberer Theil des Ohres überhangend, es Gehör. Tiefe Concha, Oberer Theil des Ohres herüberhan- indertes Gehör; der Tragus bildet einen Winkel von 55°; der un- re Theil der Concha geneigt; der Ohrknorpel drückt auf den Meatus. indertes Gehör. Oberer Theil der Helix eine Linie mit dem Schä- bildend. Der Meatus ist zusammengedrückt, arfes Gehör; tiefe Concha; überhängendes Ohr; starkes Eintreten Meatus in die Concha, arfes Gehör; tiefe Concha. arfes Gehör. scharfes Gehör, arfes Gehör; tiefe Concha; gute Form. Be mit dem rechten Ohre; auf dem linken an Infl. suppurat. en es Gehör; tiefe Concha, indertes Gehör, Tubulus hirsutus, Das Ohr weicht hinter der oncha zurück, dertes Gehör, Org. Fehler. 496 Ueber denEinfluss, welchen die Gestalt und der Anheftungswinke) Ohr. Concha. Nro. Alter. mn m | en | _ Lane: | Horiz. [1yanaı Anheft | Läng. | Horiz. Läng. |tfor agus.| Winkel. Hr +## || Fi je Ey 2 © ee Big s|# (6) ale fe Ha [2 e- 54 | 37 gu 1193 4, 56 | 23 34 57 | 52 55 2; 58 | 55 3 Fra 59 | 2 6+ 60 | 38 58 61 | 50 55 62 | 60 52 63 | 50 54 64 9 den Einfluss, welchen die Gestaltund der Anheftungswinkel 497 Beschreibung. es Gehör; tiefe Concha; überhängende Helix; wohlgebildetes Ohr. es Gehör; der obere Theil des Ohres steht mit dem Seitentheile Schädels rechtwinkelig. es Gehör; der obere Theil der Helix überhängend; tiefe Concha. s Gehör. Schwester von Nr. 46. s Gehör; tiefe Concha; rückwärts inclinirendes Läppchen. Gehör; tiefe Concha; oberer 'Theil des Ohres einen Winkel von ° bildend. indertes Gehör, wahrscheinlich wegen der 39 Jahre lang anhalten- n Infl. supp.; tiefe Concha in der Nähe des Meatus. , mitunter scharfes Gehör; tiefe Concha. Gehör. Gehör. es Gehör; der Tragus rückwärts geneigt; die Concha, nament- der hintere Theil, tief, "Gehör. es Gehör. . Gehör; eigentliche Concha mässig; das ganze Ohr eine Concha l arfes Gehör; sehr tiefe Concha; Theil der Helix sehr stark nach inten inclinirend. - jeutend gemindertes Gehör, wegen einer 16jähr. Infl. supp.; Scapha hlte; Helix ausgewachsen. $ nindertes Gehör; flaches Ohr. es Gehör; tiefe Concha; flache Scapha, arfes Gehör; sehr tiefe Concha. arfes Gehör; sehr tiefe Concha; oberer Theil des Ohres flach, ‚arfes Gehör; gutgebildetes Ohr; tiefe Concha, Heckels Archiv f. Anat, u. Phys. 1828, 34 498 Ueberden Einfluss ,welchendie Gestalt und der Anheftungswinki] ö Ohr. Concha. Nro.|Alter,| nn I | m nn Ohne | Anheft. Tragus. | Winkel. Meatus Läng. | Horiz. | Läng. .| Horiz. |Läng. |Ho‘ ou 65 | 19 | 265 | 14 | 108 | 3500 | ıı 9 | 5 66 | 28 | 26: | 15 | 112 | 3800 | 105 | 10 61 ra nl 81 | 42 00 | 101 8 21 P 7 63 | 64 | 261 | 1a | 11ı | 4350| 9 a w, 69 | 16 | 212 | 131 | 102 | 5390| 8 | 8 3 zo | 14 | 22: |ı22 |11. |4200| 8 9 31 zı | 45 | 24 | ıs2 | 104, | 2200 | 72 | 82 | 2: 2,383) 23 |: Jjı |ssJlı. |9 | & 7s| 355 |24 |ı3 12, |’3200| s& | so "74 | 29 °| 242 ‚| 181 |.103. | 41 30.|..93 Br sr 25 | 15 | 22: |ızı 11. |.35 30 | 8 81 E 6| as | 26: .|ıs Jıo [3000 | ıor!| 3 5 77 | 35 213 |ımı| 3 |3400| 3» | 72 | 73 | ss | 21: |ız: | 3 | 2900| ss | 7 | 3 79 42 27 14 10: 41 00 | 10 91 5 so | 18.| 24: | 13; | 10: |3200| 9: | 9 | A: 855.127 14: | 10; | 4600 | 10: | 10: | 6 82 |) 20: |: 24 152 | 10: | 35 00 | 10 929 1 5% 83 | 63 | 26: | 15: | 10: | 33.00 | 10 91 | 52° W, i ! z 2 25 | 22: 9251,82 21 3400.) 9 ER 5| 16 | 35 113 92 140.00.) 0 | “ar 1 51 s6 | ı7 | 232 | 122 | 102 4500 | 8 sr ae W, 87 | 11, ı 111.284. | 124. |.11,..| 35 50 | 9 9 44 .ss| 2ı |&4 Jıs |1o 4500| ıo 9 5 3 des äusseren Ohres auf die Stärke des Gehöres hat. ' 499 Beschreibung. - es Gehör; tiefe Concha; schöne Form des Ohres. es Gehör; tiefe Concha; oberer Theil des Ohres überhängend. es Gehör; tiefe Concha. indertes Gehör; wohlgebildetes Ohr; doch einen sehr spitzen Win- bildend, Gehör; wohlgebildetes, doch sehr schmales Ohr. es Gehör ; tiefe Concha, rfes Gehör; tiefe Concha. Vater von Nr. 70. fes- Gehör; tiefe Concha. s Gehör; tiefe Concha. scharfes Gehör; sehr tiefe Concha. es Gehör; oberer Theil des Ohres besonders überhängend. Gehör; das Läppchen einen Winkel von 52° bildend. Gehör; oberer Theil des Ohres flach vom Drucke. es Gehör; tiefe Concha, es Gehör; litt 6 Jahre an Infl. supp. indertes Gehör; starker Haarwuchs im Meatus. es Gehör; tiefe Concha; oberer Theil des Ohres nach hinten bogen. e es Gehör. .- = indertes Gehör. - \ ı 321 zasal 'es Gehör; der Antitragus steht stark hervor, so dass die’ Concha eit ist; die Helix zurückgebogen. arfes Gehör; tiefe Concha, oder das ganze Ohr nur eine Muschel ildend. arfes Gehör: tiefe Concha; oberer Theil des Ohres überhängend, ine Concha bildend tes Gehör. arfes Gehör; tiefe, nach innen breite, Concha, 34* Nro. | Alter. 89 90 9 92 93 94 95 96 97 98 99 100 500 Ueber den Einfluss, welchen.die Gestaltund der Anheftungswi Ohr. Concha. Ohne | Anheft. Läng. | Horiz. Tragus.| Winkel. Läng. | Horiz. |Läng. 14 3 15 32 171 4 30 43 34 5 35 44 18 51° -; u 4 36 2s 46 . 4 42 5 20 S a (Das Maass ist nach Linien bestimmt. ) Meatu des äusseren Ohres auf die Stärke des Gehöres hat. 501 Beschreibung. Gehör, das ganze Ohr. eine Concha bildend. es Gehör, es Gehör; das Ohr eine Concha bildend. es Gehör; tiefe Concha; oberer Theil des Ohres zurückgebogen. indertes Gehör; Infl. supp. ; tiefe Concha. indertes Gehör. Der grössere Theil des Ohres flach, einen Win- von 9°, der Antitragus von 22° bildend, s Gehör. scharfes Gehör; tiefe Concha. indertes Gehör. (Leimfabrikant, dessen Gehör durch den Dampf litten.) elmässiges Gehör. Oberer Theil des Ohres rückwärts gebogen. indertes Gehör; Secret. cerumin. Be es Gehör; tiefe Concha, 502 Bemerk. über Bojanus’s Darstellung d. Athmens d, Acephalen, IX. K Bemerkung über Bojanus’s Darstellung des Ath- mens der Acephalen. (Aus einem Briefe des Hrn. van der Hoeven, Professors zu Ley- den, an den Professor Nitzsch zu Halle.) Indem ich Bojanus’s: Darstellung der. Bespiration der Acephala und Cwsanders: der, Anodonta eygnea in.) diesen Tagen wieder nachgelesen habe, bin..ich. auf, eine Vermuthung gekommen, welche. meines ‚Wissens: noch nirgends vorgetragen worden ist.‘ Ich glaube näm«' lich, dass die von Bojanus sogenannten Pulmones: so- wohl, als das dazwischen befindliche Receptaculum>' nichts anders als sinus venosi sind, zu vergleichen mit den seitlichen oder Lungenherzen der Cephalopoden, oder, noch besser, mit,den sinubus venosis,-‚worein, ‚| nach Audouins und Edwards Untersuchungen, ‚bei den. Crustaceis decapodibus das Blut zusammenfliesst, _ehe, es zu den Kiemen geht; so ist mir alles deutlich. Wäre Bojanus’s Ansicht gegründet, warum läuft denn aus die- sen Lungen beinahe alles arteriöse Blut, wie er meint, nach den Brutbehältern (den Kiemen), und kehrt von da venös nach dem Herzen zurück? Es ist gegen alle Analogie, dass bei den Acepha- len (allein unter den Nichtvertebraten) das Blut in der Herzhöhle venös seyn sollte. Ich glaube daher, dass das, was Bojanus Brutbehälter nennt, mit Poli und Cuvier wohl zugleich für Kiemen zu halten sey, dass seine, aus den sogenannten Lungen entspringenden, zwei arteriösen Zweige oder Stämme arteriae pulmona- les sind,. und dass das Aderblut, arteriös geworden, durch die venae pulmonales zu den zwei Herzohren zurückkehrt. Literarische Anzeigen. Bei A. Marcus in Bonn ist erschienen: Jahresbericht der schwedischen Akademie der Wissen- schaften über die Fortschritte in der Naturge- schichte, Anatomie und Physiologie der Thiere und Pflanzen. Aus dem Schwedischen, mit Zusätzen von Dr. J. Müller. Erster und zweiter Jahrgang. gr.8. Pr. 2 Thir. 4 ggr. oder 3 fl. 54 Ar. Schon seit einer Reihe-von Jahren hat der Jahres- bericht über die Fortschritte der Physik und Chemie von Berzelius durch seine Uebersetzung in Deutsch- land allgemeine Theilnahme erregt und ein allgemeines Bedürfniss erfüllt. Dieser physikalische Jahresbericht ist indessen nur ein Theil des von der schwedischen Akademie der Wissenschaften herausgegebenen Jahres- berichts über die Fortschritte der Wissenschaften. Bei den grösseren jährlichen Erweiterungen der Naturge- schichte, Anatomie und Physiologie der Pflanzen und Thiere muss die Uebersetzung jenes anderen Theiles des schwedischen Jahresberichtes, welcher diese Wissen- schaften umfasst, eben so allgemein erwünscht .seyn. Durch die Zusätze und Berichtigungen des Uebersetzers darf dieser Bericht nunmehr auf Vollständigkeit und all- gemeine Uebersicht alle Ansprüche machen. Bei Leopold Voss in Leipzig befindet sich un- ter der Presse: Andral, G., Grundriss der pathologischen Anato-, mie. Aus dem Franz. übersetzt und mit einer Ein- leitung, Anmerkungen und Zusätzen begleitet von Dr. Ferd. Wilh. Becker. Zwei Bände gr. 8. Das Werk erscheint zu gleicher Zeit mit dem Originale. 504 Literarische Anzeige. Rathke, H., Untersuchungen über die Bildung w Entwickelung des Flusskrebses. Mit fünf Kupfer tafeln. Fol. Stethoscopes und Plessimeters. Ausser den von Piorry verbesserten, mit Elfenbein Plessimetern versehenen Pariser Stethoscopes (ä 1 Thlr 16 gr. preuss. Ct.) sind von nun an in der Buchhand lung von Leopold Voss in Leipzig auch die grös- seren mit Griffen versehenen (ä anses) und in Buchs- baum gearbeiteten Plessimetres (für 12 gr. preuss. Ct.) zu erhalten. Sie beeilt sich um so mehr, das Publikum hiervon in Kenntniss zu setzen, als theils der Gebrauch dieser Instrumente, nach namhafter Aerzte Urtheil, in vielen Krankheiten von grösstem Nutzen ist, theils aber | Piorrys Schrift: de la percussion mediate, bereits in einer deutschen Uebersetzung bei Stahel in Würzburg erschienen ist, auch Bourell und Nasse auf die Wich- tigkeit der Auscultation und Percussion aufmerksam machten. eure AZALLRDE vun / 272 \ 08 N en 17077072 ra u Ye k Zap ze Pr UL SE N N : Zara SEGA TEPPFEM Du a 2 id D % Ge E er 62 ZA BEN ) ( ( 14 2 RE ER / 7 Bemrenn 20 > f N BT > RE NETZ = SZ AIDA EB z AL ———: ee { Si u: ‚ > FE nz F u ——— ae N ZGB ; 2 ee \ IE er Mr EN wu ha —— urhug 200027207727 7 BR em ey FE PH on EEE nr DIE 27 A ZOLL un VE IPWEF vres neryas) aa op u: MIELE 2 24 we 37 re GE I URELE v IE LEDHOCHTE WER ragen Spa a 1l Sara er”, Aa un TE WERT ar pp > ro zen peu SR NEN ENTER ZI IRZ Verpgen pu E "BER ap a RRY he N $ KR F & R: X | ne Ex . gi ERTer LU. 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